Skip to main content

Full text of "Paedagogisches magazin"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Äbout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  füll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Realen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 
Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  Partnerschaft  lieber  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.     Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.     Nie htsdesto trotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tür  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  fürdieseZwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google-MarkenelementenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril  durchsuchen. 


THE  NEW  YORK  PUBLIC  LIBRARY 

REFERENCB  DEPARTMENT 


This  book  is  under  no  circumstances  to  bc 
tflken  from  tbe  Building 


cec 


TT5W 


f  •   I  lil   4IU 


(r4S:  .  .. , 


i 


¥    ^ 


Pädagogisches  Magazin. 

AbhudliuiKeB  tob  Qtbiet«  der  Päd^t^  uod  ihrer  HibirineaKiaAeiL 


Henosgefreben  Ton 

Friedrich  Mann. 


311.  Heft. 


_ 


Heilerziehungshäuser 

(Kinderirrenanstalten) 

als  Ergänzung 

der 

Rettungshäuser  und  Irrenanstalten. 


Von 


Dr.  medjlermann, 

Assistenzarzt  der  Pro v.- Irrenanstalt  Oalkhausen  bei  L,ang:enfeld. 


IS 


Langensalza 

Ilormanu  Beyer  ^'  Söhiii« 
(Beyer  vt  Miinii) 

Horaogl.  SUchs.  H..n.inl.h!indlor 
1U07 


Preia  i5  Pf. 


Veriag  von  HennanD  Beyer  ft  Söhne  (Beyer  &  Mann)  In  Langensalza. 

Päbagogtfd?er  Klafftfer. 

(Eine  Sammlung  btc  bebeutcn^ften  päba^o^i^dfen  Schriften 
älterer  un6  neuerer  ^cil- 

fiRaBiftgtbm  Doi. 

^rie&ric^  mann. 


4eflalojji'0  Jlnsnitoälilft  S)>rÜt.    mit  Stnleitutigtn,  Jlninicttingtit  unt 

ptftdojji's  Sio^rafitiit  itttausqt^tbtn  oon  jritbrid;  Hlann.    s  ^luft. 

4  Sänb;.    pnis  u  HI.  so  Pf.,  elegant  gebunden  t^  IIT.  so  p^. 
9lf|IciCTma4et'9  Pä6.  Sterin»-    l^'t  einer  Darficiluns  feines    febrns 

herausgeg.  r.C-pliiQ.  5.aufl.  |  8&,  preisslU.iopf.,  cieg.geb.äm.fiofii. 
3*  3>  dIonffean'A  iSinil.    Qberfegt,  mit  <£iH(eitundeii  unb  Knmerriin^tn 

Derfetien   oon    Dr.    £.   n.  Sallmüi!,    c9cog')"l°d'-    Sabifitem   0ber> 

fd^ulrat,  mit  Honffeau's  Bio^rafhie  cott  Dr.  l£l;ei>bor  Pogt,  Profeffoi 

an  lier  roienet  Unioerfität.    5.  Ilnfl.   2  Sänbe.   preis  «  Hl.,  eleg.  geb.  s  m. 
©etfc«rf «  Päfiafl.  Sdjriftin.  111*1  f^erbarfs  Siogtaphie  ron  Dr.  ^riebri* 

Battttolomäi.    t.  üufl.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erlSiit.  Jlnmerfungen 

nerfehen  o.  T)t.  «.  oon  SaHmürf.  2  Bbe.  Preis  6  in.,  eleg.  geb.  8  M. 
3o^ll  flmo«  g^^Dmctttuif'  iSm^r  Untirrit^lsltgrE.    llberfet;t,  mit  31ii- 

mntungen   unb    bes    Comcnius'    Sicgraphie   Derfeiicn    coii    prof.    I>r 

(Cf;.  Sioii.      5.  Auflage,     i  Unnb.    preis  3  111.,  eleg.  gebunden  -i  111. 
3.  tt.  Somcuiufl'  Schola  Ludue  b.  i.  Sit  f^itiuli  als  Sfiiti  Z«^  Deutfdie 

QberlTd^cn  roii  lUilt^elm  Jtötlidier,  (!>berlebter  am  'Hralgymnariutn 

unb  Symnafiuni  in  liagen  i.  10.    [  Sanb.    preis  3  3Ti.  eleg.  geb.  *  Vfl. 
3.«.«omciiip»'INFORMATORIUM,  Pn  iHuIUrPi^ul.  fierausge^eben 

BonptofefforDr.C.Ilt.  £iPn.  1  Banb.  preist,op!.,elea.9eb,  i  Itl.sopt. 
nnflvft  ^crmatin  Standes  ftäfianoRifi^t  £<)fivifltn  nebft  einte  Danld^ 

lang  feines  Ccbtns  unb  feiner  Stiftungen,  t( erausgegeben  oon  tßrbeimciil 

profeffor  Dr.  (S.  Kramet,  elieni.  Diteltor  ber  .f ranrfc"f*f n  flifiungcn. 

2,  aufläge.     \  Banb.    preis  *  10.,  eleg.  gebunbcn  5  lU. 
Slii^cl  tie  !£Wiinti)ifltic.   Buslnnril  ))ä6a[tonif''>>r  f^liitüe  aus  UTonUtgurs 

t£ffays,  überfegi  con  lErnft  f  (l;inib.     2.  3Iuflage.    i  yönb*eii.    preis 

50  Pf.,  eleg.  gebiinben  [  111.  m  Pf. 
Smuianucl  Sani.  115er fiäfianoriti).  lliit Kants  Bio^ra)iliie neu  brrausgeg. 

o,  prof-Dr.  Ih.liogt.  T,.iix>i    i  l'b.  preis  i  111..  eleg.  geb.  i  Hl.  :.i  pf. 

Zu  li'Kiolidi  iliiirli  jcilc  ItLichliiiiicIliinj:, 


Heilerziehungshäuser 

(Kinderirrenanstalten) 


als  Ergänzung 


der 


RettnngsMnser  und  Irrenanstalten. 


Von 


Dr.  med.  Hermann, 

AfsistenzaRt  der  Prov.-Irrenanttatt  Oalkhausen  bei  Langenfeld. 


Fädagogisohes  Magazin,  Heft  Sil. 


Langensalza 

Hermann  Beyer  k  Söhne 
(Beyer  k  Mann) 

Heixogl.  Sttchs.  Hofbuchhandler 

1907 


SOjr.y;', 


Im  Laufe  der  letzten  Jahrzehnte  hat  aich  auf  dem 
Boden  der  modernen  Entwicklung  der  Irrenkunde  und 
Einderforschung  zugleich  hier  und  da  bescheiden  eine 
Forderung  vernehmen  lassen,  die  man  als  die  modernste 
ansehen  muß:  Die  Irrenanstalt  für  Kinder. 

Pastor  Strüter  (XL  Konferenz  £  Erziehung  u.  Bildungs- 
wesen Geistesschwacher,  Sept.  1904  in  Stettin)  hat,  wie 
neuerdings  Tiele  andere,  die  Gründung  von  besonderen  An* 
stalten  für  Schwachbegabte  Fürsorge-Zöglinge  in  dem  Sinn 
befürwortet,  daB  er  ihre  Angliederung  an  eine  Irrenanstalt 
deijenigen  an  ein  Bettungshaus  vorzieht  Sie  sollen  unter 
pädagogischer  Leitung  mit  dauernder  psychiatrischer  Be- 
ratung stehen.  Der  Psychiater  MönkemöUer  (Geistes- 
störungen und  Verbrechen  im  Kindesalter.  Sammlung  von 
pädagogischen  Abhandlungen  Ziegler- Ziehen^  VI,  Heft  6. 
Berlin  1903)  kommt  zu  dem  Ausruf:  »Wohin  mit  diesen 
Kindern  ?c 

Und  wenn  ein  kleiner  Verbrecher  der  Irrenanstalt 
überliefert  wird,  pflegen  gerade  die  erzieherischen  Momente 
sowie  die  zeitraubende  Beobachtung  der  kleinen  Ab- 
weichungen des  Charakters,  die  Aufspürung  geringer 
Krankhritszeichen  und  Defekte,  die  für  uns  von  aus- 
schlaggebender Bedeutung  sind,  dem  Arzt,  der  oft  viele 
hundert  Patienten  täglich  zu  behandeln  hat,  wenig  Beiz 
abzugewinnen,  zumal  er  den  kleinen  Kerl  unter  der 
Menge  erwachsener  Geisteskranker  nicht  gerne  sieht 

In  dieser  Frage  ergreife  ich  das  Wort  in  der  Über- 
zeugung, daß  man  sich  bereits  jetzt  darüber  aussprechen 


darf,  was  man  eigentlich  will  und  wie  man  sich  die  neue 
Einrichtang  ungefähr  denkt.  Wer  soll  sich  ihrer  über- 
haupt annehmen,  da  die  Seelenkrankbeiten  des  Kindes 
ein  Grenzgebiet  darstellen,  dessen  Erforschung  zwar  Pflicht 
der  Psychiatrie  ist,  an  dem  aber  die  Pädagogen  das 
größte  praktische  Interesse  haben? 

FUr  den  Arzt  sind  hier  die  Schwierigkeiten  der  Diagnose 
noch  viel  größere  als  beim  Erwachsenen,  zumal  sie  sich  in 
dem  am  wenigsten  ausgebauten  Oebiete  der  degenerativen 
Zustände,  der  Grenzzustände  zwischen  geistiger  Gesund- 
heit und  Imbecillität,  der  psychopathischen  Minderwertig- 
keiten, der  Neurasthenie,  der  epileptischen  Seelenstörungen, 
der  hysterischen  Cbarakterveränderuug  und  beginoender 
Geistesstörung  bewegen.  Uan  könnte  nun  sagen:  Eine 
detaillierte  Diagnose  ist  von  höchst  problematischem,  von 
gar  keinem  therapeutischen  Wert  Es  handelt  sich  doch 
bei  allen  um  die  Bekämpfung  ihrer  antisozialen  Neigungen, 
und  besser  als  das  in  dem  streng  geordneten  Getriebe 
unserer  Rettungsanstalten  geschieht,  wird  man  das  auch 
mit  allen  Diagnosen  nicht  machen.  Für  Privatanstalteo 
genügt  die  »ärztliche  Beratung«  völlig. 

Diesem  Einwand  kann  ich  nur  insofern  zustimmen, 
als  die  Leistungen  unserer  guten  Etettungshäuser  und 
Privaterziehungsanstalten  (von  Trüper  bei  Jena,  Dr.  Oon 
in  Heidelberg  und  viele  andere)  unbedingte  Bewunderung 
verdienen.  Das  Beich,  das  sie  in  aufopfernder  verständnis- 
reicher Tätigkeit  geschaffen  haben,  soll  ihnen  um  jeden 
Preis  erbalten  bleiben.  Nur  ihnen  zuliebe  wünsche  ich 
die  Irrenstation,  in  der  nur  der  Arzt  spricht.  Denn 
einerseits  gibt  es  eine  Unzabi  Kinder,  die  nach  mehr- 
monatlicher  ärztlicher  Beobachtung  als  aussichtsreiche  und 
willkommene  Rettungshauszöglinge  jeder  weiteren  ärzt- 
lichen Beobachtung  entraten  können,  andrerseits  hat  der 
Hausvater  oder  die  Umgebung  des  Kranken  oft  große 
Last  mit  den  gefährlichen  antisozialen  Neigungen  (Brand- 
stiftung, Körperverletzung,  Unbotmäßigkeit),  rabbiaten  Elr- 
reguQgszuständeo  (Schwachsinnige,  degenerierte,  epilep- 


—     5     — 

tische,  hysterische)  und  dem  zu  YerführuDg  und  Auf- 
wiegelung der  Kameraden  neigenden  Charakter  einiger 
Zöglinge.  Wohin  mit  diesen?  Behalten,  züchtigen,  nichts 
unversucht  lassen,  und  dann  schweren  Herzens  unter 
die  %  Rückfallige,  Ungebesserte  schreiben,  ist  einst- 
weilen oft  die  einzige  Möglichkeit.  Und  wenn  sie  sich 
auch  in  der  Anstalt  halten,  werden  sie  doch  nach 
der  Entlassung  sofort  kriminell.  Ihre  frühzeitige  Ab- 
schiebung in  die  Kinderirrenanstalt  läge  sicher  im  all- 
seitigsten  Interesse.  Hier  ist  man  darauf  eingerichtet,  auf 
alles  gefaßt. 

Was  nun  den  Wert  einer  Diagnose  für  die  Behand- 
lung anlangt,  kann  ich  die  in  der  allgemeinen  Psychiatrie 
eher  berechtigte  Geringschätzung  für  das  Kindesalter  nicht 
teilen.  Auf  einer  psychologischen  Analyse  des  Indivi- 
duums baut  ja  unsere  moderne  Pädagogik  auf. 

Es  gibt  eine  Anzahl  Kinder  mit  ererbten  antisozialen 
Neigungen  oder  mit  ungehemmt  gewucherten  egoistischen 
Trieben,  mit  so  eingefleischten  Yorurteilen  und  Interessen, 
daß  sie  jahrelange  Kämpfe  und  Qualen  (in  ihrem  Sinn 
gesprochen;  in  unserm  Sinn:  Schulzwang, Zwangserziehung) 
nicht  scheuen.  Die  auch  beim  besten  Willen  etwas  zwangs- 
mäßige und  uniformierende  Zucht  der  Besserungsanstalt 
prallt  an  ihrem  oft  starken  Widerstreben  ab,  da  sie  ihnen 
plötzlich  schroff,  als  etwas  Fremdes,  als  der  Inbegriff  dessen, 
was  sie  seither  hassen  gelernt  haben,  entgegentritt.  Sie 
kommen  als  intelligente  bezw.  raffinierte  Burschen  nach 
einiger  Zeit  dazu,  ihr  wahres  inneres  Wesen  zu  ver- 
stecken, aber  nicht  es  zu  verlieren.  Daher  die  vielen  Rück- 
fiUle,  auch  bei  nicht  Geisteskranken.  Ich  muß  bei  dieser 
Gelegenheit  scharf  betonen,  daß  ich  im  folgenden  unter 
Erziehungserfolg  immer  nur  die  Entwicklung  selbständiger 
ethischer  Vorstellungen  verstehe,  nicht  die  vorläufige  Ein- 
ordnung in  das  Anstaltsgetriebe.  Zum  Glück  ist  aber 
der  größere  Prozentsatz  der  Verwahrlosten  nach  Aufhören 
des  häuslichen  Einflusses  rasch  im  Banne  des  edlen  Haus- 
vaters, wiederum  ein  Zeichen,  daß  man  kein  Ejnd  von 


—    6    — 

vornherein  für  »schlecht«  halten  soll.  Für  die  andern, 
nicht  recht  warm  gewordenen  Naturen  wäre  die  Irren- 
anstalt zunächst  der  gegebene  Aufenthalt,  wie  Sie  später 
sehen  werden,  obwohl  sie  nicht  direkt  geisteskrank  ge- 
nannt werden  dörfen.  Sie  sollen  eine  Heilerziehung,  aber 
keine  Zwangserziehung  erhalten.  Daß  sie  auf  diese 
Weise  zu  sozialen  Elementen  gemacht  werden  könnten, 
während  sie  seither  im  besten  Falle  sich  etwas  an  Ord- 
nung und  Gehorsam  gewöhnten,  unterliegt  für  mich 
keinem  Zweifel.  Während  harte  Zucht  ihnen  meist  nur 
insofern  sehadet,  als  ihie  antisozialen  Neigungen  dadurch 
vermehrt  werden,  gibt  es  viele  Imbecille,  Psychopathen, 
femer  sämtliche  Degeneranten,  hysterischen,  epileptischen, 
neurasthenischen  oder  irgendwie  manifest  Oeisteskranken 
(Manie,  Melancholie,  Paranoia,  Dementia  paecox),  deren 
Nervensystem  durch  eine  strenge  Erziehung  nur  geschädigt 
wird.  Sie  können  sich  meist  von  guten  und  von  schlechten 
Seiten  zeigen;  haben  sie  aber  ihre  »bösen  Tage«  oder 
»Schurkenstreiche  im  Kopf«,  dann  ist  das  Rettungshaus 
nicht  der  Ort,  sie  zu  schonen,  die  stürmische  Unruhe,  die 
in  ihnen  tobt  und  sich  entladen  muß,  zu  besänfdgeni 
sondern  der  Auffassung  als  moralische  Vergehen  (Bosheit, 
XTnbotmäßigkeit)  entsprechend  wird  der  Sturm  durch  den 
Reiz  von  Zuchtmitteln  irgend  welcher  Art  entfesselt  oder 
in  eine  höchst  verderbliche  innere  Pein  verwandelt,  die 
Haß  und  neue  antisoziale  Keime  nährt  Im  Eindesalter 
haben  leider  die  allermeisten  Äußerungen  geistiger  Stö- 
rungen den  Charakter  von  Ungezogenheit  und  Unbot- 
mäßigkeit, sowie  sie  beim  Erwachsenen  oft  den  Eindruck 
eines  Verbrechens  machen.  Ebenso,  wie  das  keine  Ver- 
brechen sind,  sind  es  hier  auch  keine  Ungezogenheiten. 
Die  freie  Willensbestimmung  ist  vielfach  gänzlich  aus- 
geschlossen, aber  für  Eindererzieher  gibt  es  noch  keinen 
§  51  des  Strafgesetzbuchs.  Das  wäre  ja  nicht  schlimm, 
wenn  die  seither  befolgte  Anschauung  richtig  ist,  daß  man 
durch  Erziehungsstrenge  auch  die  krankhaft  bedingten 
Äußerungen  von  Ungezogenheit  für  die  Zukunft  verhüten 


—     7     — 

könne.  Oewifi  wird  man  ihre  Wiederkehr  durch  eine 
Tracht  Prügel  öfter  vermeiden  können,  aber  was  ist  da^ 
mit  gewonnen? 

So  ist  der  Arzt,  der  den  Kopfschmerz  mit  einem  kalten 
Tuch  behandelt,  aber  die  Ursache,  das  zehrende  Fieber, 
nicht  sieht  Ich  behaupte,  daß  man  mit  einer  besonderen, 
spater  zu  schildernden  Erziehungskunst  auch  diesen 
Oeisteskranken  einen  eigenen  inneren  Halt  geben 
kann,  wobei  sie  jedoch  erstarken,  und  nicht  sich  inner- 
lich verzehren.  Von  der  Normalerziehung  weichen  wir 
dabei  zunächst  sehr  ab,  um  erst  auf  Umwegen  auf 
ihre  Methoden  zu  gelangen,  Umwege,  die  sich  aus  der 
rein  irrenärztlichen  Beurteilung  der  Zöglinge  ergeben. 
Was  beim  geistesgesunden  "Kinde  Arznei  ist,  kann  beim 
Psychopathen  Oift  sein.  Um  mich  noch  einmal  deutlicher 
auszudrücken:  Ich  glaube  es  nie  und  nimmer,  daß  die 
oben  angezahlten  Kategorien  von  Kranken  einen  ernst- 
lich in  Frage  kommenden  Nutzen  von  strenger  oder  gar 
harter  Erziehung,  die  selbst  zum  Prögel  greift,  haben 
können.  Das  sprechen  einzelne  Leiter  von  Bettungs- 
anstalten ebenfalls  klar  aus,  von  Psychiatern  Mönke- 
möller.  Es  mag  auch  hierbei  Fälle  geben,  wo  der  Prügel 
für  kürzere  oder  längere  Zeit  gewisse  psychische  Hem- 
mungen erwecken  oder  in  Funktion  erhalten  kann,  aber 
das  sind  Ausnahmen  und  zweischneidige,  in  jedem  Fall 
inhumane  Experimente;  zu  denen  ohnehin  eine  starke 
Neigung  bei  vielen  Erziehern  und  Irrenärzten  besteht,  so 
daß  man  sie  praktisch  schon  aus  diesem  Orunde  keines- 
falls befEbrworten  sollte.  Während  alle  Idiotenerzieher 
beim  gutartigen  Idioten  die  Unzweckmäßigkeit  der  körper- 
lichen Züchtigung  betonen,  gibt  es  sicher  gewisse  Imbecille 
mit  antisozialen  Neigungen,  die  sich  mit  der  üblichen 
Erziehungsmethode  genau  wie  normale  Ender  oder  wie 
die  geistesgesunden  Bettungshausinsassen  erziehen  und 
bessern  lassen.  Diese  sollten  aber  jedenfalls  vom  Arzte 
dafür  freigegeben  werden. 

Somit  haben  wir  schon  einiges  festgestellt,  was  den 


Nutzen  der  Diagnose  für  die  Behandlnag  in  ein  günstigeres 
Licht  rückt  Auch  Mihikemöller  hebt  ihn  ausdrücklich 
hervor. 

Von  höchster  Bedeutung  ist  die  oft  sehr  spezialistische 
Erfahrang  erfordernde  Erkennung  der  epileptischen  oder 
bysterlBcben  Basis  seelischer  Entgleisungen  oder  Cha- 
takterfehler  (z.  B.  Schulschwänzen,  Durchbrennen,  Lügen, 
Stehlsucht,  Verleumdungsaucht,  ärgerliche  Verstimmungen, 
Jähzorn,  lauoenhafter  Stimmungswechsel,  Wutzustände, 
Zerstörungswut  u.  s.  f.). 

Nirgends  zeigt  sich  so  wie  hier,  wie  verderblich  und 
Teischlimmemd  unsere  sonst  so  segensreiche  erzieherische 
Praxis  auf  die  Geisteskranken  wirken  kann.  Hier  ist  die 
Srztliche  Heilerziehuug  wie  nirgends  sonst  am  Platz.  Man 
glaube  jedoch  nicht,  daß  ein  jeder  Psychiater,  geschweige 
denn  jeder  Arzt  (Schularzt!)  die  erforderliche  Erfahrung 
hat.  Daß  ein  ärztlicher  Anstaltsdirektor  mehr  darin  leisten 
und  arbeiten  kann,  als  ein  >berateuder  Arzt«,  mnJit  im 
Interesse  der  wissenschaftlichen  Forschung  betont  werden. 
Für  unsere  heutigen  Erziehungsanstalten  mag  die  letztere 
Einrichtung  vollständig  genügen.  Es  ist  aber  die  Begut- 
achtung der  Fälle  nicht  die  einzige  Aufgabe  des  von  mir 
gedachten  Anstaltsdirektors,  sondern  er  hat  deren  mehrere. 
Und  da  ich  mir  den  ganzen  Betrieb  dieser  kombinierten 
Beobachtungs-,  Erziehungs-,  Heil-  und  PQegeanstalt  ledig- 
lich auf  die  ärztliche  Seite  der  Heilerziehungsfrage  zu- 
geschnitten denke,  so  fordere  ich  für  sie  einen  ärztlichen 
Direktor,  während  die  wie  seither  mit  ärztlicher  Beratung 
arbeitenden  Erziehungsinetitute  selbstverständlich,  ihrem 
Daseinszweck  entsprechend,  unter  pädagogischer  Lei- 
tung  stehen  sollen.  Die  letzteren  suchen  sich  ja  auch 
jetzt  schon  ihr  Material  nach  praktischen  Qesichtspunkten 
aus;  das  wird  ihnen  in  hohem  Maße  erleichtert  werden, 
wenn  sie  mit  der  von  mir  vorgeschlagenen  Anstalt,  die 
ganz  andere  Zwecke  verfolgt  und  im  allgemeinen  nur 
eine  Art  Durchgangsstation  vorstellen  soll,  Hand  in  Hand 
arbeiten.  Indem  sich  aber  der  Arzt  mit  der  Heilerziehung 


—     9     — 

der  ausgesprochen  geisteskranken  Individuen  planmäßig 
befaßt,  die  sonst  für  die  menschliche  Gesellschaft  nutz- 
loses oder  verderbliches  Material  darstellen,  kann  die 
Einderirrenanstalt  eine  wichtige  soziale  Bedeutung  er- 
langen. 

Die  Einderirrenanstalt  würde  ein  starker  Bückhalt  im 
Eampf  gegen  das  wachsende  Verbrechertum  werden,  indem 
sie  gerade  die  Elemente  an  sich  hält,  die  im  gewöhnlichen 
Betrieb  einer  Erziehungsanstalt  nur  schädliche  Einflüsse 
ausüben  und  empfangen,  und  ob  diese  Elemente  zum 
Teil  einer  günstigen  Beeinflussung  doch  zugänglich  sind, 
läßt  sich  immerhin  erwägen.  Ist  auch  der  fertige  Ver- 
brecher fertig  mit  seinem  Ideen  kreise,  bewegt  sich  sein 
Sinnen  und  Trachten  in  zum  Teil  endgültig  eingefahrenen 
Bahnen  und  unausrottbaren  Vorurteilen  gegen  jede 
soziale  Beeinflussung,  so  ist  beim  Einde  doch  von  ein- 
gefahrenen Bahnen  noch  keine  Rede.  Mit  antisozialen 
Neigungen  werden  wir  alle  geboren  und  je  mehr  Hem- 
mungen uns  die  Erziehung  schafft,  um  so  sozialer  werden 
wir.  Ist  das  Gehirn  auch  vulnerabel,  die  Macht  der  anti- 
sozialen Triebe  abnorm  stark,  so  ist  doch  eine  Erholung 
nnd  Ejräftigung  der  schwachen  Stellen  des  Nervensystems 
durchaus  möglich,  und  eine  Verkümmerung  einzelner  Triebe, 
maximale  Ausbildung  entgegengesetzter  und  hemmender 
Vorstellungen  gleichfalls  durch  sachkundigste  Methoden 
erreichbar,  es  sei  denn,  daß  organische  Defekte  im  Sinne 
des  Fehlens  oder  Schwindens  der  Hirnzellen  vorliegen. 
Daß  es  unter  Anwendung  falscher  Methoden  seither  nicht 
gelungen  ist,  sollte  man  nicht  als  Beweis  für  die  Un- 
möglichkeit betrachten.  Man  sagte  früher  auch  von  man- 
chen verblödenden  Geisteskranken,  die  in  der  Isolierzelle 
tobten,  daß  sie  verloren  seien;  heute  erhält  man  vielen 
ihre  Menschenwürde  bis  an  ihr  Ende,  indem  man  ihnen 
dauernd  für  eine  nützliche  Beschäftigung  sorgt.  Es  lag 
für  mich  immer  etwas  Rührendes  in  den  schönen  Worten 
des  edlen  Salxmann:  »Die  Seele  des  Kindes  ist  wie 
weiches  Wachs,  das  sich  willig  in  jede  Form  schmiegt, 


—     10     — 

in  die  du  es  drückst;  es  ist  die  wahre  Jungfernerde,  in 
der  jedes  Samenkorn  schnell  Wurzel  schlägt.«  Damals 
sprach  man  noch  nicht  von  den  Abnormen,  aber  ich  wäre 
geneigt,  die  Salzmannsche  Fassung  auch  für  die  Abnormen 
solange  beizubehalten,  bis  man  aus  sicheren  Gründen  die 
Möglichkeit  wenn  auch  bescheidener  ethischer  Entwick- 
lung einer  defekten  Eindesseele  preisgeben  muß.  Wenn 
man  bedenkt,  wie  nett  solche  Kranke  als  Erwachsene  in 
der  milden  Luft  der  Anstalt  sein  können,  deren  Oang 
draußen  Furcht  und  Entsetzen  bedeutete,  wie  sie  zugäng- 
lich sind  für  jeden  Zuspruch,  kleine  Belohnungen  u.  s.  f., 
so  möchte  man  meinen,  in  früheren  und  frühsten  Jahren, 
ehe  die  Schädlichkeiten  des  Lebens  und  unverständige 
Umgebung  ihr  empfindsames  Gehirn  verdarben,  hätte  man 
ihren  Anschauungen  eine  große,  hohe  Richtung  aufprägen 
können,  ihren  Verstand,  der  oft  direkt  Genie  verrät,  ihr 
Fühlen  und  Wollen  in  edle  Bahnen  lenken  müssen.  Beim 
Einde  würde  es  sich  darum  handeln,  ihm  starke  Hern- 
mungsvorstellungen  gegen  seine  Triebe  und  Neigungen 
zu  schaffen,  ohne  dabei  seine  empfindliche  Seele  zu  er- 
regen, was  aber  bei  allen  zwangsmäßigen  Methoden 
stets  der  Fall  ist 

Die  vorgeschlagene  Heilerziehung  ist  nun  keineswegs 
ein  pädagogisches  Unding  oder  etwas  prinzipiell  Neues. 
Sie  sollte  im  wesentlichen  die  ideale  Durchführung  des 
Salzmannschen  Symbol  um :  »Beispiel  des  Erziehers,  wirke!« 
sein.  Mit  andern  Worten:  Der  Schwerpunkt  wird  darin 
liegen,  daß  in  der  Anstalt  ein  sich  selbst  treu  bleibendes 
Milieu  geschaffen  wird,  das  an  sich  bereits  veredelnd 
wirkt  durch  die  Betätigung  wirksamer  Nächstenliebe,  die 
liebevolle,  vorurteilslose  Aufnahme  der  seelisch  leidenden, 
draußen  vielfach  gequälten  Kinder,  durch  gute  Führung, 
mildes,  altruistisches,  vornehmes  Walten  ohne  häßliche 
Affekte,  ohne  Gewaltmaßnahmen.  In  dieser  Umgebung 
sollten  häßliche  Neigungen  ungerügt,  von  selbst  ver- 
kümmern, edle  Begungen  unmerklich  sich  einschleichen, 
Stürme  und  Erregungen  ein  stiUes  Plätzchen,  eine  sanfte 


—   11   — 

Hand  finden,  Frohsinn,  Spiel  und  Liebe  ihren  Zauber  anf 
das  Kind  üben.  In  dieser  psychiatrisch  denkenden  Um- 
gebung lernt  das  Kind,  wie  man  unangenehmen  Äuße- 
rungen der  Mitkranken  gegenüber  nicht  nur  ruhig  bleibt, 
sondern  sogar  einen  milden  überlegenen  Standpunkt  ver- 
tritt, was  ich  in  einer  Abteilung  epileptischer  Kinder  be- 
obachten konnte.  Da  die  Patienten  über  ihr  Tun  und 
Lassen  als  Kranke  frei  entscheiden  können,  ist  Eigensinn, 
Neigung  zu  bösen  Streichen,  Zorn  und  ähnliches  fast 
unterbunden,  wodurch  ebenso  wie  in  den  Irrenkliniken 
Kollisionen  mit  der  Umgebung,  die  in  der  Familie  ein 
wahrer  Schrecken  sind,  sehr  in  den  Hintergrund  treten. 
Dabei  hat  der  Erzieher  reichlich  Zeit,  im  Einverständnis 
mit  dem  Patienten  unaufFallig  alles  zu  inszenieren,  was 
dessen  nervöse  Konstitution  verbessern  kann  (Ernährung, 
Bettruhe,  frische  Luft,  Spiele,  Beschäftigung,  Wasser- 
behandlung, Medikamente  usw.),  unbehelligt  von  ewigen 
Erregungen,  die  eine  Hausordnung  und  jeglicher  Zwang 
mit  sich  bringen  müssen.  Es  lebt  sich  ein  jeder  ein,  wie 
das  unsere  moderne  Irrenpflege  tausendfältig  beweist,  und 
der  Umgebung  zuliebe  fügen  sich  unbezwingbare  Geister 
in  vieles,  was  man  nie  mit  Oewalt  erreicht  hätte.  So 
werden  —  mit  der  Zeit,  unter  geduldigem  Zuwarten  des 
Arztes  —  einige  der  kleinen  Patienten  dazu  kommen, 
daß  man  —  nun  erst!  —  an  eine  —  mit  aller  Vorsicht 
von  sachverständiger  Seite  versuchte  —  planmäßige  Aus- 
bildung des  Willens  ohne  Oefahr  herantreten  kann.  Die 
Oelegenheit  dazu  bieten:  kleine  Aufträge,  Unterricht, 
Arbeit,  Spiel,  Unterweisung.  Hier  ist  der  schwierigste 
Posten  für  den  Erzieher;  denn  die  Angst,  daß  das  »Bei- 
spiel des  Erziehers«  es  doch  am  Ende  nicht  allein  tun 
möchte,  ist  uns  allen  zu  sehr  angeboren  und  anerzogen. 
Man  meint  so  leicht,  hier  etwas  tadeln  zu  müssen,  dort 
etwas  nicht  durchgehen  lassen  zu  dürfen,  ja  einmal 
energisch  veto  rufen,  gar  strafen  zu  sollen. 

Wir  müssen  den  Eigensinn  viel  weniger  fürchten,  als 
den  Oroll  und  das  Mißtrauen  gegen  den  Arzt;  wir  wollen 


—     12     — 

auch  dem  EigeDsinn  ruhig  ins  Auge  blicken,  und  diea 
wird  um  so  leichter  werden,  wenn  wir  im  Lauf  der  Jahre 
bei  unsern  Kranken  das  Wachsen  der  Selbstzucht  und 
Willensstärke  beobachten.  Auf  diesem  vorbereiteten  Boden 
dürfte  es  sogar  möglich  werden,  mit  der  Zeit  Gehorsam 
und  Ordnungssinn  bei  Individuen  zu  schaffen,  wo  man 
ihn  für  unmöglich  gehalten  hätte.  An  diesen  Eigen- 
schaften hätte  das  Eind  stufenweise  mitgearbeitet,  ihr 
ethischer  Wert  wäre  aus  diesem  Grunde  ein  unschätz- 
barer. Bedenkt  man  endlich,  daß  es  schon  beim  gesunden 
Einde  sozusagen  eine  Sisyphusarbeit  ist,  einmal  bestehen- 
den Eigensinn  ausrotten  zu  wollen,  daß  andrerseits  unsern 
kranken  Kindern  die  Möglichkeit  zur  Entfaltung  des 
Eigensinns  (mit  höflichem  Entgegenkommen,  Gründung 
der  Autorität  auf  Liebe  und  Vertrauen)  planmäßig  be- 
nommen wird,  so  kann  man  sich  völlig  darüber  beruhigen, 
daß  dem  kranken  Eande  »aller  Wille  getan  wird«  und 
es  »im  Leben  sich  nie  wird  fügen  können«. 

Ich  breche  hier  mit  den  wenigen  Andeutungen  über 
die  Heilerziehung  ab,  indem  ich  hoffe,  daß  ihre,  im 
übrigen  bekannten  Grundzüge  daraus  erkenntlich  waren. 
Die  Ausübung  derselben  ist  fest  mit  der  ganzen 
Persönlichkeit  des  Erziehers  verbunden,  und  erfordert 
ein  Einleben  in  irrenärztliche  Denkweise,  ein  Frei- 
machen von  einigen  anderweitigen  erzieherischen  Ge- 
bräuchen. 

Ich  möchte  nun  die  Einrichtung  und  den  Betrieb  der 
Heilerziehungsstätte  selbst  etwas  beschreiben.  Es  kommt 
mehr  auf  die  darin  waltenden  Personen  an  als  auf  das 
Gebäude.  Die  Anstalt  soll  das  ganze  Gepräge  einer 
modernsten  Irrenanstalt  tragen.  In  ihrem  Wesen  unter- 
scheidet sie  sich  aber  sehr  durch  den  überall  erkenn- 
baren Endzweck,  in  den  Patienten  sittliche  Anschauungen 
zu  wecken  und  zu  festigen,  ihnen  Hemmungen  für  ihr 
krankhaftes  Triebleben  und  eine  Richtschnur  für  ihre 
Lebensführung  zu  schaffen,  damit  sie  sich  später  im 
Daseinskampf  womöglich  selbständig  halten  können.    Zum 


—     13     — 

Zwecke  der  Diagnose  und  Behandlung  entlehnt  sie  ihre 
Kenntnisse  der  Einderpsychologie  und  Pädagogik  und 
arbeitet  zugleich  mit  allen  Hilfsmitteln  der  modernen 
Psychiatrie. 

Mit  Bücksicht  auf  die  erzieherischen  Zwecke  und  die 
detaillierte  psychologische  Beobachtung  und  Behandlung 
sind  nur  geschulte  und  womöglich  gebildete  Pfleger  mög- 
lich. Es  eignen  sich  intelligente  Idioten-  und  Irrenpfleger, 
sowie  Gebildete,  die  zum  praktischen  Studium  der  Heil- 
pädagogik einen  Übungskursus  in  der  Anstalt  durch- 
machen. Mehrere  Lehrer  müssen  jedenfalls  fest  angestellt 
sein,  darunter  ein  spezialistisch  vorgebildeter,  erfahrener 
Lehrer  (Hilfsschullehrer),  der  die  ünterrichtsleitung  selb- 
ständig übernimmt. 

Soviel  vom  Personal.  Der  äuBere  Betrieb  entspricht 
einer  geschlossenen  Irrenanstalt,  d.  h.  Fenster  und  Türen 
werden  geschlossen  gehalten,  die  Gärten  sind  umzäunt 
Auf  der  Abteilung  gellen  die  üblichen  Vorsichtsmaßregeln 
betreffs  gefahrlicher  Werkzeuge  (Messer,  Streichhölzer, 
Stöcke  usw.). 

Der  Schilderung  des  inneren  Betriebes  darf  ich  wohl 
im  wesentlichen  die  Erfahrungen  zu  Grunde  legen,  die 
ich  gemeinschaftlich  mit  Herrn  Lehrer  Kramer  bei  der 
Einrichtung  der  Einderabteilung  an  der  rheinischen  Epi- 
ieptikeranstalt  Johannisthai  machte. 

Diese  sehr  reizbaren  Kinder,  voller  krankhafter  Affekte, 
Impulse  und  Willensäußerungen,  in  den  verschiedensten 
Graden  schwachsinnig  und  degeneriert,  boten  der  Be- 
obachtung und  Erziehung  ein  reiches  Feld.  Es  wurde 
in  Übereinstimmung  mit  den  Lehrern  in  Schule  und  Ab- 
teilung aufs  strengste  ein  rein  seelenärztlicher  Ton  be- 
wahrt. Jede  Art  Strafe  war  ausgeschlossen,  gemütliche 
Erregungen  wurden  den  Kindern  nach  Möglichkeit  er- 
spart, dagegen  wurde  ein  großer  Wert  auf  die  Ausbildung 
des  Pflegepersonals  und  das  Gemeinschaftsleben  der  Kinder 
untereinander  gelegt  Von  diesen  beiden  Angriffspunkten 
gelang  rasch  die  Beschaffung  eines  erzieherischen  Milieus, 


—     14    — 

in  dem  sich  Worte,  Ermahnungen,  Tadel,  Entziehung 
kleiner  Freuden  oder  ärztliche  Anordnungen  nicht  oft 
nötig  erwiesen.  Zwei  weitere  Hilfsmittel  der  Erziehung 
erwiesen  sich  von  ausgezeichnetem  Erfolg.  Zunächst 
wurden  die  Auswüchse  reiner  Ungezogenheit  von  den 
zahlreichen  Äußerungen  der  Seelenstörung  vom  Arzt  nach 
Möglichkeit  in  jedem  einzelnen  Fall  unterschieden  und 
mit  Lehrern  und  Pflegern  besprochen.  Dem  Ergebnis 
entsprach  die  Behandlung,  die  bis  ins  einzelste  indivi- 
dualisiert wurde.  Sie  appellierte,  wo  es  angängig  war, 
lediglich  an  das  Ehrgefühl,  was  meist  völlig  genügte  und 
oft  die  bittersten  Beuetränen  hervorrief,  oder  beschränkte 
sich  auf  einfache  Belehrung.  Waren  eingehendere  Ände- 
rungen nötig,  so  wurden  Ungezogenheiten  mit  derselben 
ärztlichen  Milde  wie  entsprechende  Erankheitsäußerungen 
behandelt.  Zu  den  getroffenen  Maßnahmen  gehörten  in 
erster  Linie  Versetzungen  in  eine  »geeignetec  Umgebung, 
die  sich  das  Kind  durch  seine  £[andlungs weise  »selbst 
gewählt«. 

Durch  ein  Trennungsprinzip,  das  die  einander  mora- 
lisch Nahestehenden,  ohne  jede  Alters-  oder  Krankheits- 
rücksicht, in  6  Stufen  aneinander  schloß,  gelang  es,  eine 
unsichtbare  Disziplin  zu  üben.  Die  unterste  Stufe  ent- 
hielt die  Idioten,  Verblödeten,  ganz  Unsozialen  und  Un- 
disziplinierbaren,  die  oberste  Stufe  enthielt  die  fleißigen 
Schulkinder,  von  denen  ein  normales,  wohlgesittetes  Ver- 
halten verlangt  wurde,  die  aber  auch  die  Vergünstigungen 
der  größeren  Freiheit  besaßen.  Auch  die  zu  schildernde 
Erziehungsanstalt  würde  aus  mindestens  vier  solchen  Ab- 
teilungen zu  bestehen  haben. 

IV.  Aufnahme-  und  Wachsaal. 
III.  Beobachtungsstation. 
II.  Station  für  Gebesserte. 
I.  Erziehungsstation. 

Über  äußere  Einrichtungen,  wie  Schulsäle,  Turnplatz, 
Schulgarten  usw.  brauche  ich  hier  nicht  zu  reden.  Ich 
schildere  zunächst  kurz  den  Betrieb  im  Aufnahme-  und 


—     16     — 

WachsaaL  Die  meisten  der  Kinder  liegen  hier  auch 
tagsüber  zu  Bett  Einige  haben  die  Erlaubnis,  auf- 
zustehen und  sind  in  einem  Nebenzimmer  am  Spielen. 
Es  sind  ständig  1 — 3  Pfleger  anwesend,  nachts  u.  U.  eine 
Wache.  Die  Kinder,  die  hier  liegen,  sind  teils  Neu- 
aufgenommene, die  einer  genauen  Beobachtung  und  Unter- 
suchung unterzogen  werden  sollen,  teils  ausgesprochen 
Geisteskranke,  die  aus  ärztlichen  Gründen  im  Bett  liegen 
müssen,  teils  undisziplinierbare,  gewalttätige  oder  sehr 
erregbare  Kinder,  die  sich  für  freiere  Abteilungen  noch 
nicht  oder  yorübergehend  nicht  eignen,  teils  körperlich 
Kranke. 

Selbstverständlich  werden  genaue  Krankengeschichten 
geführt  Die  Elinder,  die  auf  sind,  können  u.  ü.  zum 
Unterricht,  zum  Spiel  geführt  werden.  Die  Bettkrauken 
erhalten  u.  ü.  Beschäftigung,  Spielsachen  und  dürfen  und 
sollen  froh  und  munter  sein.  Sie  werden  in  besonderem 
Maße  als  Kranke  behandelt  Ein  gesunder  Junge,  der 
durch  eine  Ungezogenheit  hierhin  geraten  ist,  quält  täg- 
lich den  Arzt,  um  wieder  zu  seinen  Kameraden  zurück- 
zukommen. 

Das  Zusammensein  mit  uurerant wortlichen,  bett- 
lägerigen Kranken  ist  ihm  demütigend.  Langeweile  und 
Scham  und  nicht  zum  wenigsten  Reue  erfaßt  bald  auch 
den  härteren  Sünder,  er  wird  geneigt,  zu  paktieren,  hört 
verständig  Ermahnungen  an  und  hat  Stimmung  und 
Muße,  sie  zu  bedenken.  Er  sehnt  sich  zurück  nach 
Schule  und  Spiel,  wie  ich  das  —  natürlich  nur  unter 
den  oben  geschilderten  zwangfreien  Schul-  und  Abteilungs- 
verhältnissen  —  als  die  Regel  gesehen  habe. 

Bei  heftigeren  Erregungszuständen  muß  gelegentlich, 
wenn  die  psychischen  Mittel,  wie  Zuspruch,  Ignorierung, 
Abstellung  der  err^nden  Ursache,  versagen,  oder  bei 
Zerstörungssucht  zu  einem  warmen  Bade,  einer  feucht- 
warmen EinwicUung  oder  auch  nachts  zu  einem  Schlaf- 
mittel gegriffen  werden,  insbesondere  beim  epileptischen 
Verwirrtheitszustand.     Es   kann   wohl  vorkommen,   daß 


—     16     — 

man  eine  schwere  Ungezogenheit,  z.  B.  Zerstörungswut 
aus  Jähzorn,  Rache,  ähnlich  behandeln  muß,  aber  nach 
meiner  Erfahrung  sind  das  seltene  Ausnahmefalle,  die 
ihre  besonderen  Gründe  haben. 

Station  UI  nimmt  geeignete  Knaben  aus  der  Auf- 
nahmestation (lY)  auf.  Die  Kinder  sind  tagsüber  auf. 
Die  meisten  werden  wohl  zur  Schule  geführt  werden 
können.  Je  ein  Pfleger  oder  besser  ein  Erzieher  führt 
die  Aufsicht  über  eine  nicht  zu  große  Zahl  dieser  Kinder 
und  widmet  sich  ihnen.  Hier,  wie  auf  allen  andern 
St^onen,  muß  das  Personal  beständig  darauf  bedacht 
sein,  dem  Tätigkeitstrieb  der  Knaben  reichlich  Anregung 
und  Nahrung  zu  geben.  Zum  Zweck  vorübergehender 
Beaufeichtigung  können  jederzeit  Knaben,  die  sonst  allein 
wären,  z.  B.  wenn  die  andern  zum  Unterricht  gingen, 
der  Abteilung  IV  zugeführt  werden. 

Station  IL    Für  Gebesserte. 

Ist  ebenso  organisiert  wie  III,  vereinigt  aber  die 
ruhigen,  moralisch  höher  stehenden  Elemente.  Auch  etwaige 
Feinde  kann  man  in  II  und  III  getrennt  einquartieren. 
Beide  Stationen  unterstehen  dem  ärztlichen  Direktor,  der 
morgens  und  abends  bei  der  Visite,  Konferenz  u.  ähnl. 
die  Berichte  der  Erzieher  entgegennimmt  und  mit  ihnen 
über  Anordnungen,  Änderungen,  Rück-  und  Vorver- 
setzungen, besondere  Belohnungen,  Teilnahme  am  Unter- 
richt, Verkehr  mit  den  Angehörigen  usw.  schlüssig  wird. 

Der  Erzieherposten  soll  nur  nach  2 — 3  monatlicher 
theoretischer  und  praktischer  Ausbildung  in  der  Anstalt 
selbst  verliehen  werden.  Es  kommt  besonders  auf  eine 
gleichbleibende,  durch  nichts  außer  Fassung  zu  bringende 
Ruhe  und  Freundlichkeit  im  Verkehr  mit  den  Kranken 
an.  Dann  würde  ich  dem  Erzieher  aber  auch  —  aus- 
genommen die  Befolgung  ärztlicher  Ratschläge  und  An- 
ordnungen —  völlige  Vollmacht  geben  und  ihm  über- 
lassen, wann  er  das  Urteil  des  Arztes  einholen  will.  Dann 
könnte  er  eine  große  eigene  Erfahrung  sammeln  und  sich 
seiner  hohen  Verantwortlichkeit  freudig  bewußt  werden. 


—     17     — 

Er  hält  fern  vom  Unterricht  oder  läßt  zu,  wen  er  will, 
er  führt  seine  Knaben  ins  Freie  oder  ins  Schulzimmer, 
wie  er  will,  er  nimmt  im  Unterricht  durch,  was  er  ge- 
rade für  gegeben  und  nützlich  hält.  Und  die  so  auf 
verschiedene  Weise  arbeitenden  selbständigen  Kräfte  wer- 
den durch  den  Direktor  beobachtet,  beraten,  so  daß 
sie  doch  einem  einheitlichen  Ziel  auf  im  Grund  ge- 
nommen gleichartige  Weise  zustreben ;  der  Ton  des  Hauses 
muß  dann  freilich  Gewähr  leisten,  daß  der  Erzieher  sein 
eignes  Urteil  in  ärztlichen  Fragen  nur  stufenweise  lang- 
sam erweitert  Das  Verständnis  dafür  soll  durch  Kon- 
ferenzen, Diskussionsabende,  Vorträge,  planmäßige  Unfer- 
richtung  der  Erzieher  geschaffen  werden. 

Die  »Erziehung  der  Erzieher«  soll  einen  großen  Teil 
des  Tagewerkes  der  Erzieher  und  des  Arztes  ausmachen, 
und  kein  Tag  soll  ohne  dieselbe  vorübergehen.  Ohne  sie 
ist  die  ganze  Anstalt  nichts  als  eine  Bewahr-  oder  Fflege- 
anstalt  In  der  Führung  genauer  Krankengeschichten 
wird  auch  die  psychologische  Beobachtung  ein  Übungs- 
gebiet finden.  Mit  der  Zeit  wird  der  Erzieher  dazu 
kommen,  daß  er  so  wie  der  Arzt  merkt,  wo  er  als 
Wundarzt  lindern  muß  und  wo  er  andrerseits  das  scharfe 
Messer  führen  muß,  um  diesen  oder  jenen  Auswuchs  zu 
beschneiden. 

Ein  feinfühliger,  mit  reichlich  spezialistischer  Erfahrung 
ausgerüsteter  Erzieher  wird  Vorgesetzter  der  Abteilung  I. 

Station  I.     Erziehungshaus. 

Stunden-  und  Arbeitsplan  ist  geregelt,  doch  sind  Ab- 
weichungen jederzeit  erlaubt.  Beurlaubungen,  Rückver- 
setzungen können  jederzeit  stattfinden.  Dazu  brauchen 
wir  eben  den  in  unserem  Fach  erfahrensten  Lehrer,  daß 
er  sich  der  Natur  seiner  Zöglinge  jederzeit  bewußt  bleibt 
und  an  ihre  zarte  Konstitution  keine  schädliche  Anforderung 
stellt,  mindestens  frühzeitig  die  Anzeichen  drohender 
Gefahr  bemerkt  Jeder  Ausbruch  von  Zorn,  Widerstand, 
Lüge  usw.  ist  ein  Schade  für  ein  solches  Kind.  Man 
denke   stets,    daß    sie  aus   den    unteren  Stationen    sich 

Fld.  Mag.  311.    Hermano,  Hdleiziehiiiigsblater  usw.  2 


—     18     — 

allmählich  hierhingearbeitet  haben,  um  auf  dem  Wege 
des  Unterrichts  und  einer  planmäßigen  Erziehung  an 
Ordnung  und  Gehorsam  gewöhnt  zu  werden  und  eine 
Kräftigung  des  Willens  und  der  ethischen  Begriffe  zu 
erfahren.  Der  deutsche  Unterricht,  der  Geschichtsunter- 
richt, die  Länderkunde  geben  Stoff,  leuchtende  Gharakter- 
Yorbilder  zu  schildern.  Geeigneten,  intelligenten  Schülern 
wird  Moral  Unterricht  erteilt,  im  Anschluß  an  kleine  Er- 
zählungen, Bilder  aus  dem  Leben  des  Kindes,  der  Familie 
U.S. f.  Dann  geht  man  in  geeigneter  Weise  über  zu  einer 
einfachen  Belehrung  über  Gebiete  aus  dem  sozialen 
Leben,  über  Gewerbe,  Bürgerpflichten,  Verfassung,  über 
die  wichtigsten  Gesetze  und  Strafen.  So  entwickelt  sich 
nach  und  nach  zuerst  zweckmäßiges  Verhalten  aus  rein 
egoistischen  Gründen,  dann  altruistische  Empfindungen, 
unmerklich  durch  das  Zusammenleben  mit  den  Erziehern 
Yorbereitet,  und  schließlich  läßt  sich  ein  tiefes  religiöses 
Empfinden  da  hervorrufen,  wo  es  ohne  diesen  umständ- 
lichen Werdegang  nur  ein  hinfälliger  Popanz  gewesen 
wäie.  Die  Beligionsstunde  für  unsere  Zöglinge  ist  die 
letzte  Stufe  und  gibt  ihnen  die  Lehre  und  das  Leben 
Jesu.  Ich  habe  damit  nicht  gesagt,  daß  in  Bettungs- 
häusern die  primäre  Bekehrung  unzweckmäßig  sei. 
Ich  spreche  nur  von  den  Insassen  der  Kinderirren- 
anstalt, die  alle  geistig  abnorm  oder  krank  sind, 
während  das  in  der  Bettungsanstalt  nur  ein  bestimmter 
Prozentsatz  ist. 

Wenn  Zöglinge  aus  der  Hut  der  Anstalt  ins  Leben 
hinausgelassen  werden,  gibt  es  einen  großen  Irrtum,  an 
dem  ich  viele  habe  straucheln  sehn.  Es  ist  als  ob  diese 
Knaben  nun  die  Gerechtigkeit  mit  Eßlöffeln  gegessen 
hätten,  und  jede  kleine  Ungerechtigkeit,  jede  noch  so 
geringe  Zurücksetzung,  werde  sie  ihnen  oder  andern  zu 
teil,  bringt  sie  in  eine  maßlose  Verzweiflung  oder  ver- 
anlaßt sie  zu  törichten  Schritten ;  das  Gleiche  findet  man 
bei  vielen  gesunden  Menschen.  Ich  lege  einen  großen 
Wert  darauf,  den  Zögling  darin  zu  üben,  daß  er  seinen 


—     19     — 

Mitmenschen  Wahrung  berechtigter  Interessen,  kleine 
ärgerliche  Handlungen,  die  ja  später  oft  bitter  bereut 
werden,  nicht  nur  hingehen  läßt,  sondern  auch  konoediert 
Manches  Schimpfwort  oder  dem  Tierreich  entlehnte  An- 
rede entfahrt  dem  in  bester  Absicht  sich  erregenden  Meister 
oder  Unteroffizier.  Wer  die  Menschen  weniger  von  seinem.» 
als  von  ihrem  Standpunkt  verstehen  lernt,  der  kommt 
auch  gut  mit  ihnen  aus,  vermeidet  unnötige  Reibereien^ 
Bänke,  Katastrophen. 

Wem  unrecht  geschieht,  dem  stehen  Bat  und  Ab- 
hilfe genügend  zur  Seite,  auch  dem  entlassenen  Fürsorge- 
zögUng;  aber  die  Kunst,  mit  Menschen  zusammenzuleben, 
lernt  man  nie  durch  Selbsterhebung  und  peinliches  Be> 
stehen  auf  seinen  kleinsten  Bechten,  sondern  durch  einen 
ruhigen,  vermittelnden  Standpunkt 

Auf  weitere  Einzelheiten  kann  ich  nicht  eingehen. 
Die  neuere  Literatur  weist  beständige  Fortschritte  in  der 
Besprechung  unserer  angeregten  Frage  auf.  Die  Behand* 
lung  psychisch  abnormer  Fürsorgezöglinge  bildete  auf 
jeder  großen  Psychiaterversammlung  der  letzten  2  Jahre 
ein  anregendes  Vortrags-  und  Diskussionsthema. 

Am  besten  orientiert  zur  Zeit  die  Schrift  von  Dr.  med. 
O.  Kluge  (Sammlung  von  Abhandlungen  pädag.  Psych, 
und  Phys.  Ziegler -Ziehen,  Bd.  VIII,  Heft  4),  sowie  die 
mehrfach  erwähnte  von  Mönkemöller  (Sammlung  Ziegler- 
Ziehen,  Bd.  VI,  Heft  6).  Dr.  Selig  empfiehlt,  besondere 
Abteilungen  an  die  Fürsorgeerziehungsanstalten  anzu- 
gliedern, »in  denen  es  möglich  ist,  minderwertige  Indivi- 
duen zu  beobachten,  zeitweise  zu  behandeln  und  über 
kritische  Zeiten  durch  Anwendung  lediglich  medizinischer 
Gesichtspunkte  hin  wegzubringen,  c 

Prof.  Moeli  schlug  den  Betrieb  einer  »leichteren«  Ab- 
teilung, eventuell  für  mehrere  Anstalten  gemeinsam,  vor. 
Auf  alle  Fälle  empfehlen  Dr.  Selig  und  Dr.  Bratx  bei 
allen  epilepsie- ähnlichen,  u.  0.  auch  hysterischen  und 
anderen  Krampfzuständen   die  dauernde  Überführung  in 

eine  £pileptikeranstalt  mit  Arbeitsbetrieb.   Gegen  die  Über- 

2* 


—     20     — 

fahruDg  in  eine  gewöhnliche  Irrenanstalt  sprechen  sich 
viele  Psychiater  aus.  Die  Gründe  werden  dem  Leser  der 
vorstehenden  Ausführungen  klar  sein.  Ein  krankes  Kind 
aus  der  Zwangserziehung  herausnehmen  heißt  nicht,  es 
in  einer  Umgebung  verblödeter  Irren  sich  selbst  über- 
lassen, sondern  es  gilt,  eine  sachverständige  Heilerziehung 
an  Stelle  der  Zwangserziehung  zu  setzen.  Es  fehlte  auch 
nicht  an  psychiatrischen  Stimmen,  die  betonen,  daß  Für- 
sorgezöglinge die  humane  Luft  der  Irrenanstalten  schlecht, 
die  straffe  Zucht  des  Bettun gshauses  gut  vertiagen. 

Auch  diese  Beobachtung  hat  ihr  Bichtiges,  ich  brauche 
sie  aber  dem  Leser  obiger  Zeilen  nicht  zu  erläutern. 
Ernster  sind  die  Angriffe  und  Verwarnungen,  die  von 
erfahrenen  Anstaltsdirektoren  ausgehen,  wie  neuerdings 
von  Beg.-Bat  Müller  (Zeitschrift  für  Kinderforschung, 
XII,  7,  S.  216).  Der  Laie,  der  ärztliche  Schriften  liest, 
tut  gut)  auf  diese  Warnung  zu  hören,  sonst  könnte  er 
den  Prozentsatz  der  Kranken  unter  den  Fürsorgezöglingen 
überschätzen.  Daß  der  moderne  skeptisch  beobachtende 
Irrenarzt  demselben  Fehler  verfallt,  braucht  der  Laie 
Jedoch  nicht  so  sehr  zu  befürchten,  wie  er  es  zu  tun 
pflegt  Müller  behauptet  dementsprechend,  daß  zur  Be- 
obachtung abnormer  Fürsorgezöglinge  keine  »medizini- 
schenc,  sondern  nur  »psychologische«  Beobachtungen 
nötig  seien,  daß  die  für  »wirkliche  Psychopathen«  ge- 
eignete Erziehung  gemeinsam  mit  Gesunden  nach  wesent- 
lich denselben  Grundsätzen  erfolgen  soll  und  daß  weder 
eine  Erziehungsanstalt  des  Heilpädagogen,  noch  ein 
Psychiater  den  Psychopathen  so  behandeln  kann,  daß  er 
einer  Freiheitsprobe  standhält 

Andere  Anstaltsdirektoren  wären  einverstanden,  wenn 
ihnen  die  abnormen  Zöglinge  abgenommen  würden,  viele 
fordern  geradezu  eine  Spezialerziehung  für  dieselben  in 
besonderen,  an  Irrenanstalten,  Hilfsschulen  oder  Bettungs- 
häuser angegliederten  Abteilungen.  Der  Gedanke  einer 
ärztlich  geleiteten  Anstalt  zum  Zwecke  der  Heilerziehung 
psychisch  abnormer  Fürsorgezöglinge  und  geisteskranker 


—     21     — 

Kinder  überhaupt  ist  noch  ganz  femliegeDd  und  fremd- 
trtig,  die  äußeren  Schwierigkeiten  einstweilen  unüber- 
windlich. Darum  überlassen  wir  die  weitere  Entwicklung 
der  Frage  der  Zukunft  Ich  habe  mich  darauf  beschränkt, 
Ihnen  eine  praktische  Seite  des  Einflusses,  den  die  moderne 
Irrenknnde  auf  die  Pädagogik  ausgeübt  hat,  zu  zeigen. 

Ein  großer  Teil  der  Berechtigung  der  geschilderten 
Anstalt  ruht  in  der  geheimen  Hoffnung,  den  »geborenen 
Verbrecherc ,  der  nichts  anderes  als  ein  Geisteskranker 
ist,  zu  einer  Zeit  zu  beeinflussen,  wo  er  zwar  die  Anlagen, 
aber  noch  nicht  die  Fesseln  des  Verbrechens  fühlt,  wo 
»seine  Seele  ist  wie  weiches  Wachs«. 


CMB^ 


Dnok  Too  Hcmaim  897«  *.S9hne  (Beyer  *  Mann)  in  Langeonlza. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza« 


Pädagogisches  Magazin. 

Aiiudliugei  ron  Otbiete  Icr  FUienEik  M  llrer  Eil&flsKucliIteL 

Heraiugeg«b«n  tob 

Friedrich  Mann. 

Heft 

1.  Eeferitein,  Dr.  H.,  Betracbtan^n  über  Lehrerbildung.  2.  Aufl.   75  Pf« 

2.  Maennel,  Dr.  B.,  Über  pädagogische  DiskuBsionen  and  die  Bedingongeo 
nnter  denen  de  nfitzen  können.    2.  Aufl.    45  Pf. 

3.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Fr.  Mykonins,  der  Beformator  Thüringens.   25  Pt 

4.  Tews,  Joh.,  Moderne  Mädchenerziehong.  Ein  Vortrag.   2.  Aufl.    30  PL 

5.  Ufer,  Christian,  Das  Wesen  des  Schwachsinns.    2.  Aufl.    25  Pf. 

6.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Otto  Friok.    Gedächtnisrede,  gehalten  im  Halla- 
schen Lehrer- Vereine.    40  Pf. 

7.  Holt  seh,  H.,  Comenins,  der  Apostel  des  Friedens.    30  Pf. 

8.  Sallwfirk,  Dr.  £.  Ton,  Baomgarten  gegen  Diesterweg.    25  Pf. 

9.  Tews,  Joh.,  Sozialdemokratische  Pädagogik.    3.  Aufl.    50  Pf. 

10.  Flügel,  0.,  Über  die  Phantasie.    Ein  Vortrag.    2.  Aafl.    30  Pf. 

11.  Janke,  0.,  Die  Beleuchtung  der  Schulzimmer.    25  Pf. 

12.  Schullerus,  Dr.  Adolf,  Die  Deutsche  Mythologie  in  der  Eniehmigs- 
schule.    20  Pf. 

13.  Eef  er  stein,  Dr.  Horst,  Eine  Herderstudie  mit  besonderer  Beiiehmag 
auf  Herder  als  Pädagog.    40  Pf. 

14.  Wittstock,  Dr.  Alb.,  l3ie  Überfüllung  der  gelehrten  Berufszweige.  50  PL 

15.  Hunziker,  Prof.  0.,  Comenius  und  Pestalozzi.  Festrede.  2.  Aufl.  40  Pf. 

16.  Sallwürk,  Dr.  E.  tou.  Das  Recht  der  Volksschulaufsicht  Nach  dao 
Verhandlungen  der  Württemberg.  Kammer  im  Mai  1891.    25  Pf. 

17.  Bossbach,  Dr.  F.,  Historische  Richtigkeit  und  Volkstümlichkeit  im 
Geschichtsunterrichte.    40  Pf. 

18.  Wohlrabe,  Rc^ctor  Dr.,  Lehrplan  der  sechsstufigen  Volksschule  so 
Halle  a.  S.  f&r  den  Unterricht  in  Geschichte,  Geographie,  Naturlehia« 
Raumlehre,  Deutsch.    ^  Pf. 

19.  Rot  her,  H.,  Die  Bedeutung  des  UnbewuÜBten  im  menschL  Seslan- 
leben.    2.  Aufl.    30  Pf. 

20.  Gehmlich,  Dr.  Ernst,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Unterrichts  und 
der  Zucht  in  den  städtischen  Lateinschulen  des  16.  Jahrhunderts.   50  Pf« 

21.  Ho  11  kämm,  F.,  Emehender  Unterricht  und  Massenunterricht.    60  Ffl 

22.  Janke,  Otto,  Körperhaltung  und  Schriftrichtung.    40  Pf. 

23.  Lange,  Dr.  Karl,  Die  zweckmälsige  Gestaltung  der  öffentlichen  Schnl- 
prüfungen.    30  Pf. 

24.  Gleichmann,  Prof.  A.,  Über  den  blob  darstellenden  Unterricht  H»- 
barts.    2.  Auflage.    60  Pf. 

25.  Lomberg,  A.,  Grolse  oder  kleine  Schulsysteme?    45  Pf. 

26.  Bergemann,  Dr.  P.,  Wie  wird  die  Heimatskunde  ihrer  80z.-ethiscliBn 
Aufgabe  gerecht?  2.  Aufl.    80  Pf. 

27.  Eirchberg,  Th.,  Die  Etymologie  und  ihre  Bedeutung  für  Schule  imd 
Lehrer.    40  Pf. 

28.  Honke,  Julius,  Zur  Pflege  Tolkstüml.  Bildun?  und  Gesittung.    50  Pf. 

29.  Reukauf,  Dr.  A.,  Abnorme  Kindec  und  ihre  Pfl^ge.    2.  Aufl.    35  FL 


Vtdäg  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

mäa  "  "" 

30.  Foltz,  0.,  Emige  Bemerkungen  fiber  Ästhetik  nnd  ihr  Verhältnis  nur 
Pädagogik.    80  Pf. 

31.  TewB,  J.,  Elternabende.  (Pädag.  Abende,  Schulabende.)  2.  Aafl.  25  Pf. 

32.  Sude,    Adolf,   Die  bedeutendsten   Evangelischen   Schulordnungen   de« 
16.  Jahrhunderts  nach  ihrem  pädagogischen  Gehalte.    75  Pf. 

33.  Tews,   J.y    Die  Mutter  im  Arbeiterhause.    Eine   sozial -pädagogische 
Skizze.    2.  Aufl.    30  Pf. 

34.  Schmidt,  M.,  Zur  Abrechnung  zwischen  Erziehung  u.  Regierung.  40  Pt 

35.  Richter,  Albert,  Geschieh tsunterr.  im  17.  Jahrhundert    35  Pf. 

36.  P^rez,  Bemard,  Die  Anfimge  des  kindl.  Seelenlebens.   2.  Aufl.   60  Pt. 

37.  Bergemann,  Dr.  P.,  Zur  Schulbibelirage.    50  Pf. 

38.  SchuUerus,   Dr.  Adolf,  Bemerkungen   zur  Schweizer  FamilienbibeL 
Ein  Beitrag  zur  Schulbibelfrage.    20  PL 

39.  Staude,  Das  Antworten  d.  Schüler  L  Lichte  d.  PsychoL   2«  Aufl.  25  Pt 

40.  Tews,  VolksbibUotheken.    20  Pf. 

41.  Keferstein,  Dr.  Horst,  E.  Moritz  Arndt  als  Fädagog.    75  Pf. 

42.  Gehmlich,  Dr.  £.,  Erziehung  und  Unterricht  im  18.  Jahrhundert  nadb 
Salzmanns  Roman  Karl  y.  Elarlsberg.     50  Pf. 

43.  Fack,  M.,  Die  Behandlung  stotternder  Schüler.    2.  Aufl.    30  Pf. 

44.  Ufer,  Chr.,  Wie  unterscheiden  sich  gesunde  und   krankhafte   Greistet- 
znstände  beim  Kinde?    2.  Aufl.    35  Pf. 

45.  Beyer,  0.  W.,  Ein  Jahrbuch  des  franz.  Volksschulwesens.    20  Pf, 
46»  Lehmhaus,  Fritz,  Die  Vorschule.    40  Pf. 

47.  Wen  dt,  Otto,  Der  neusprachliche  ünterr.  im  Lichte  der  neuen  Lahi- 

Eläne  und  Lehrau^^ben  für  die  höheren  Schulen.    30  Pf. 
I  ange,  Dr.  K.,  Rückblicke  auf  die  Stuttgarter  Lehrerversammlung.  30  Ff. 

49.  Busse,  H.,  Beiträge  zur  Pflege  des  ästhetischen  Gefühls.    40  Pf. 

50.  Keferstein,    Dr.  H.,    Gemeinsame  Lebensaufgaben ,    Interessen    und 
wissenschaftliche  Grundlagen  Ton  Kirche  und  Schule.    40  Pf. 

51.  Flügel,  0.,    Die  Religionsphilosophie  in  der  Schule  Herbarts.    50  Ff. 

52.  Schnitze,  0.,  Zur  Behandlung  deutscher  Gedichte.    35  Pf. 

53.  Tews,  J.,  Soziale  Streiflichter.    30  Pf. 

54.  Göring,  Dr.  Hugo,  Bühnentalente  unter  den  Kindern.    20  Pf. 

55.  Keferstein,  Dr.  EL,  Aufgaben  der  Schule  in  Beziehung  auf  das  sozial- 

golitische  Lsben.    2.  Aufl.    50  Pf. 
teinmetz,  Th.,  Die  Herzogin  Dorothea  Maria  von  Weimar  und  ihre 
Beziehungen  za  Ratke  und  zu  seiner  Lehrart.    50  Pf. 

57.  Janke,  0.,  Die  Gresundheitslehre  im  Lesebuch.    60  Pf. 

58.  Sallwürk,  Dr.  E.  y..   Die  formalen   Aufgaben   des   deutschen  üntei^ 
richte.    1  M. 

59.  Zange,  F.,  Das  Leben  Jesu  im  Unterr.  d.  höh.  Schulen.    50  Ff. 

60.  Bär,  A.,  HiUsmittel  für  den  Staats-  u.  gesellschaftskundl.  Unterricht. 
I.  Heeresverfusungen.    1  M  20  Pf. 

61.  Mittenzwey,L.,  Pflege  d.   Individualität  i.d. Schule.  2.  Aufl.  75  Pf. 

62.  Ufer,  Chr.,   Über  Sinnestypen  und  verwandte  Erscheinungen.   40  Pf. 

63.  Wilk,  Die  Synthese  im  naturkundlichen  Unterricht.    60  Ff. 

64.  Schlegel,  Die  Ermittelung  der  Unterrichtsergebnisse.    45  PI. 

65.  Schleichert,  Exper.  u.  l^obacht.  im  botan.   Unterricht.    20  Pf. 

66.  Sallwürk,  Dr.  £.  ▼.,  Arbeitskunde  im  naturw.  Unterricht    80  Pt 

67.  Flügel,  0.,  Über  das  Selbstgefühl    Ein  Vortrag.    30  Pf. 

68.  Beyer,  Dr.  0.  W.,  Die  erziehliche  Bedeutung  d.  Schulgartens.     30  Pt 

69.  Hitschmann,  Fr.,  Über  die  Prinzipien  der  Blindenpädagogik.     20  Ft 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

Heft 

70.  Linz,  F.,  Zur  Tradition  n.  Eeform  des  franzÖB.  Unterrichts.   1  M  20  PI 

71.  Trüper,  J.,  Zur  Pädagogischen  Pathologie  und  Therapie.    60  PL 

72.  Kirst,  A.,  Das  LehensbUd  Jesa  anf  der  Oberstufe.    ^  Pf. 

73.  Tews,  J.,  Kinderarbeit    20  Pf. 

74.  Mann,  Fr.,  Die  soziale  Grundlage  Ton  Pestalozzis  Pfidagogik.    25  PL 

75.  Kipping,  Wort  und  Wortinhalt.    30  Pf. 

76.  Andre ae,  Üher  die  Faulheit    2.  Aufl.    60  Pf. 

77.  FritzBche,  Die  Gestalt  d.  Systemstufen  im  Greschichtsunterr.    50  PL 

78.  Bliedner,  Schiller.    80  Pf. 

79.  Keferstein,  Rieh.  Rothe  als  Pädagog  und  Sozialpolitiker.    1  M. 

80.  Thieme,  Über  Volksetymologie  in  der  Volksschule.    25  PL 

81.  Hiemesch,  Die  Willensbildung.    60  Pf. 

82.  Fl  Q gel,  Der  Rationalismus  in  Herbarts  Pädagogik.    50  PL 

83.  Sachse,  Die  Lüge  und  die  sittlichen  Ideen.     20  PL 

84.  Reu  kauf,  Dr.  A.,  Leseabende  im  Dienste  der  Erziehung.    60  Pf. 

85.  Beyer,  0.  W.,  Zur  Geschichte  des  Zillerschen  Seminars.    2  M. 

86.  Ufer,  Chr.,  Durch  welche  Mittel  steuert  der  Lehrer  aufserhalb  der 
Schulzeit  den  sittlichen  Gefahren  d.  heran  wachs.  Jugend?  5.  Aufl.   40  PL 

87.  Tews,  J ,  Das  Volksschulwesen  in  d.  gr.  Städten  Deutschlands.    30  PL 

88.  Janke,  O.,  Schäden  der  gewerblichen  und  landwirtschaftlichen  Einder- 
arbeit   60  PL 

89.  Foltz,  0.,  Die  Phantasie  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  höheren  Geiatea- 
tätigkeiten.    40  Pf. 

90.  Fick,  Über  den  Schlaf.    70  PL 

9L  Eef  er  stein,  Dr.  H.,   Zur  Erinnerung   an  Philipp  Melanchthon   ala 

Praeceptor  Germaniae.    70  Pf. 
92«  Stauae,  P.,  Über  Belehrungen  im  Anschl.  an  d.  deutsch.  Aufsatz.  40  PL 

93.  Keferstein,  Dr.  H.,  Zur  Frage  des  Egoismus.    50  PL 

94.  Fritzsche,  Präp.  zur  Geschidite  des  grolsen  Kurftlrsten.    60  Pf. 

95.  Schlegel,  Quellen  der  Bernfsfreudigkeit    20  PL 

96.  Schleichert,   Die  volkswirtschaftL  Elementarkenntnisse  im  Rahmen 
der  jetzigen  Lehrpläne  der  Volksschule.     70  Pf. 

97*  Schullerus,  Zur  Methodik  d.  deutsch.  Grammatikunterrichts.  (ü. d. Pr.) 

98.  Staude,   Lehrbeispiele  für  den  Deutschunterr.  nach  der  Fihel    von 
Heinemann  und  Schröder.     60  PL    2.  Heft  s.  Heft  192. 

99.  Hollkamm,  Die  Streitfragen  des  Schreiblese-Ünterrichts.    40  Pf. 

100.  Muthesius,  K.,  Schillers  Briefe  über  die  ästhetische  fbrziehang  dea 
Menschen.    1  M. 

101.  Bär,  A.,  Hilfsmittel  L  d.  Staats-  und  gesellschaftskundl.  Unterricht 
n.  Kapital    1  M. 

102.  Gille,  Bildung  und  Bedeutung  des  sittlichen  Urteils.    30  Pf. 

103.  Schulze,  0.,  Beruf  und  Berufswahl.    30  Pf. 

104«  Wittmann,  H.,  Das  Sprechen  in  der  Schule.    2.  Aufl.    20  PL 

105.  Moses,  J.,  Vom  Seelenbinnenleben  der  Kinder.    20  Pf. 

106.  Lobsien,  Das  Censieren.    25  Pf. 

107.  Bauer,  Wohlanständigkeitslehre.    20  PL 

108.  Fritzsche, R.,  Die  Verwertung  der  Büigerkunde.    50  PL 

109.  S  i  e  I  e  i>,  Dr.,  A.  Die  Pädagogik  als  angewandte  Ethik  u.  Psychologie.  60  Pf» 

110.  Honke,  Julius  Friedrich  Eduard  Beneke.    30  Pf. 

111.  Lobsien,  M.,  Die  mech.  Leseschwierigkeit  der  Schriftzeichen.   80  PL 

112.  Bliedner,  Dr  A.,  Zur  Erinnerung  an  Karl  Volkmar  Stoy.   25  Pf. 

113.  K.  M.,  Gedanken  beim  SchulanfiEmg.    20  Pf. 


Verlag  von  Hennaim  Beyer  ft  Söhne  (Beyer  ft  Mann)  in  Langensalza. 

HjKt 

114.  Schulze,    Otto,   A.   H.  Fraockes  P&dagogik.     Em   Gedenkblatt  zur 
200  jähr.  Jabelfeier  der  Franckeschen  Stiftangen,  1698/1898.    80  Pf. 

115.  Niehns,  F.,  Über  einige  Mingel  in  der  Rechenfertigkeit  bei  der  aua 
der  Schalpflicht  entlassenen  Jagend.    40  Pf. 

116.  Kirst,  A.,  Präparationen  za  zwanzig  H^'schen  Fabeln.   6.  Aafl.    1  M. 

117.  Grosse,  H,  Chr.  Fr.  D.  Schabart  als  Scbalmann.    1  M  30  Pf. 

118.  Seilmann,  A.,  Caspar  Domaa.    80  Pf. 

119.  Grofskopf,  A.,  Sagenbildang  im  Geschichtsanterricht.     30  Pf. 

120.  Gehmlich,  Dr.  Ernst,  Der  GefQhlsinhalt  der  Sprache.    1  M. 

121.  Eeferstein,  Dr.  Horst,  Volksbildang  and  Volksbildner.    60  Pf. 

122.  Armstroff,  W.,  Schale  and  Haas  in  ihrem  Verhältnis  za  einander 
beim  Werke  der  Jngenderziehang.    4.  Aufl.     50  Pf. 

123.  Jung,  W.,  Haushaltungsunterric^t  in  der  Mädchen- Volksschule.  50  Pf. 

124.  Sallwürk,  Dr.  E.   von,    Wissenschaft,   Kunst    und   Praxis    des   Er- 
ziehers.   50  Pf. 

125.  Flfigel,  0.,  Über  die  persönliche  Unsterblichkeit.    3.  Aufl.     40  Pf. 

126.  Zange,  Prof.  Dr.  F.,  Das  Kreuz  im  Erlösungsplane  Jesu.    60  Pf. 

127.  Lobsien,  M.,  Unterricht  und  Ermüdung.     1  M. 

128.  Sehn eyer,  F.,  Persönl.  Erinnerungen  an  Heinrich  Schaumberger.  30  Pf. 

129.  Schab,  R.,  Herbarts  Ethik  und  das  moderne  Drama.    25  Pf. 

130.  Grosse,  H.,  Thomas  Platter  als  Schalmann.    40  Pf. 

131.  Kohlstock,  K.,  Eine  Sch&lerreise.    60  Pf. 

132.  Dost,  cand.  phil.  M.,  Die  p^chologische  und  praktische  Bedeutung  des 
Comenius  und  Basedow  in  Didactica  magna  und  Elementarwerk.  50  Pt 

133.  Boden  stein,  K.,  Das  Ehrgef&hl  der  Kinder.    65  Pf. 

134.  Gille,  Bektor,  Die  didaktischen  Imperative  A.  Diesterwegs  im  Lichte 
der  Herbartschen  Psychologie.     50  Ff. 

135.  H  0  n  ke,  J.,  Geschichte  und  Ethik  in  ihrem  Verhältnis  zueinander.  60  Pf« 

136.  Sta  ude,  P.,  Die  einheiÜ.  Gestaltung  des  kindl.  Gredankenkreises.  75  PL 

137.  Muthesius,  K.,  Die  Spiele  der  Menschen.    50  Pf. 

138.  Schoen,  lic.  theol.  H.,  Traditionelle  Lieder  und  Spiele  der  Knaben 
und  Mädchen  zu  Nazareth.    50  Pf. 

139.  Schmidt,  M.,  Sfinden  unseres  Zeichenunterrichts.    30  Pf. 

140.  Tews,  J.,  Sozialpädagogische  Beformen.    30  Pf« 

141.  Sieler,  Dr.  A.,  Persönlichkeit  und  Methode  in  ihrer  Bedeutung  fOr 
den  Gesamterfolg  des  Unterrichts.    60  Pf. 

142.  Linde,    F.,    Die   Onomatik,    ein   notwendiger   Zweig   des   deutschen 
Sprachunterrichts.    65  Pf. 

143.  Lehmann,  0.,  Verlassene  Wohnstätten.    40  Pf. 

144.  Winzer  H.,  Die  Bedeutung  der  Heunat    20  Pf. 

145.  Bliedner,  Dr.  A.,  Das  Jus  und  die  Schule.    30  Pf. 

146.  Kirst,   A.,  Böckerts  nationale  und  pädagogische  Bedeutung.    50  Pt 

147.  Sallwfirk,  Dr.  E.  yon,  Interesse  und  Handeln  bei  Herbart    20  Pf. 

148.  Honke,  J.,  Über  die  Pflege  monarch.  Gesinnung  im  Unterricht  40  Pf. 

149.  Groth,  H.  H.,  Dentungen  naturwissensch.  Beformbestrebungen.   40  Pf* 

150.  Bude,   A.,   Der  Hjpnotismus  und  seine  Bedeutung,   namentlich  die 
^agogische.    2.  Aufl.    90  Pf. 

151.  Sallwfirk,  Dr.  E.  von,  Dirinität  u.  Moralität  in  d.  Erziehung.  50  Pf. 

152.  Staude,  P.,  Über   die   pädagog.  Bedeutung   der  alttestamentlichen 
Qnellenschriften.    30  Pl. 

153.  Berndt,  Job.,    Zur  Beform   des  eyangelischen   Beligionsunterrichts 
Tom  Standponkte  der  neueren  Theologie.    40  Pf. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  ft  Söhne  (Beyer  ft  Mann)  in  Langensalza. 

Hell 

154.  Ei  rat,  A.,  Gewinnung  d.  Eapfers  u.  Silbers  im  Mansfeldsclien«   60  Pf. 

155.  Sachse»  E.,  EinfluÜB  des  Geoankenkreises  anf  den  Charakter.    45  Pf. 

156.  Stahl,  Verteilung  des  mathematisch  -  geogr.  Stoffes  auf  eine  acht- 
klassige  Schale.    25  Pf. 

157.  Thieme,  P.,  Enltordenkmäler  in  der  Mattersprache  für  den  unter« 
ridit  in  den  mittleren  Schaljahren.    1  M  20  Pi. 

158.  Böringer,  Fr.,  Frage  and  Antwort.  Eine  psycho!.  Betrachtang.  35  Pfp 

159.  0  k  an  0 witsch,  Dr.  Steph.  M.,  Interesse  a.  Selbsttätigkeit     20  Pf. 

160.  Mann,  Dr.  Albert,  Staat  and  Bildangswesen  in  ihrem  VerhfiltniB  m 
einander  im  Lichte  derStaatswissenschaft  seit  Wilhelm  y.  Humboldt.  1  IL 

161.  Begener,  Fr.,  Aristoteles  als  Psychologe.    80  Pf. 

162.  Göring,  Hugo,  Kuno  Fischer  als  Literarhistoriker.  L    45  Pf. 

163.  Foltz,  0.,  Über  den  Wert  des  Schönen.    25  Pf. 

164.  Sallwürk,  Dr.  £.  von,  Helene  Keller.    20  Pf. 

165.  Schöne,  Dr.,  Der  Stundenplan  a.  s.  Bedeutung  f.  Schale  und  Haus.  50  Pf. 

166.  Zeissig,  £.,  Der  Dreibund  Ton  Formenkunde,  Zeichnen  und  Hand- 
fertigkeitsunterricht  in  der  Volksschule.  Mit  einem  Vorwort  yon  Prof. 
Dr.  0.  Willmann-Prag.    65  Pf. 

167.  FlQgel,  0.,  Ober  das  Absolute  in  den  ästhetischen  Urteilen.   40  Pf. 

168.  Grosskopf,  Alfred,  Der  letzte  Sturm  und  Drang  der  deatschea 
Literatur,  insbesondere  die  moderne  Lyrik.    40  Pf. 

169.  Fritzsche,  R.,  Die  neuen  B^üinen  des  erdkundlichen  ünterrichti. 
Streitfragen  aus  alter  und  neuer  Zeit     1  M  50  Pf. 

170.  Schleinitz,  Dr.  phil.  Otto,  Darstellung  der  Herbartschen  Inter- 
essenlehre.    45  Pf.  [Volksschulerziehung.    65  PL 

171.  Lembke,    Fr.,    Die    Lüge    unter   besonderer   Berücksichtigang    der 

172.  Förster,  Fr.,  Der  Unterricht  in  der  deutschen  Bechtschreibung 
vom  Standpunkte  der  Horbartschen  Psychologie  aus  betrachtet    50  Pt 

173.  Tews,  J.,  Konfession,  Schulbildung  und  Erwerbstätigkeit    25  Pf. 

174.  Peper,  Wilhelm,  Über  ästhetisches  Sehen.     70  Pf. 

175.  Pflugk,  Gustav,  Die  Übertreibung  im  sprachlichen  Ausdruck.    30  Pf« 

176.  Eismann,  0.,  Der  israelitische  Prophetismus  in  der  Volksschule.  30  Pf« 

177.  Schreiber,  Heinr.,  Unnatur  im  heut  (resangunterricht    30  Pf. 

178.  Schmieder,  A.,  Anregungen  zur  psycho].  Betrachtung  d.  Sprache.  50  FL 

179.  Hörn,  Kleine  Schulgemeinden  und  kleine  Schulen«    20  rf. 

180.  Bötte,  Dr.  W.,  Wert  und  Schranken  der  Anwendung  der  Formal- 
stufen.   35  Pf. 

181.  Noth,  Erweiterung  —  Beschränkung,  Ausdehnung  —  Vertiefung  de« 
Lehrstoffes.    Ein  l^itrag  zu  einer  noch  nicht  gelösten  Frage.     1  M. 

182.  Das  nreuls.  Fürsorge-Erziehungsgesetz  unter  besonderer  Berücksichtig, 
der  den  Lehrerstand  interessierenden  Ge8ichts])unkte.   Vortrag.    20  Ft. 

183.  Siebert,  Dr.  A.,  Anthropologie  und  Religion  in  ihrem  Yerhältnia 
zu  einander.    20  Pf. 

184.  Dressier,  Gedanken  Über  das  Gleichnis  vom  reichen  Manne  und 
armen  Lazarus.    30  Pf. 

185.  Keferstein,  Dr.  Horst,  Ziele  und  Aufgaben  eines  nationalen  Kinder- 
und  Jiigendschutz -Vereins.    40  Pf. 

186.  Bötte,  Dr.  W.,  Die  Gerechtigkeit  des  Lehrers  gegen  s.  Schüler.   35  Ff. 

187.  Schubert,  Rektor  C,  Die  Schülerbibliothek  im  Lehrplan.    25  Pf. 

188.  Winter,  Dr.  jur.  Paul,  Die  Schadensersatzpflicht,  insbesondere  die 
Haftpflicht  der  Lehrer  nach  dem  neuen  bürgerlichen  Recht    40  Pf. 

189.  Mutnesius,  K.,  Sdiulaufsicht  und  Lehrerbildang.    70  Pf. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

Heft 

190.  Lobsien,  M.,  Über  den  relativen  Wert  versch.  Sinnestypen.     30  Pf. 
IdL  Schramm,    F.,    Suggestion    und   Hypnose   nach   ihrer   firscheinang. 
Ursache  und  Wirkung.    80  Pf. 

192.  Staude,   F.,   Lehrbeispiele  für  den  Deutschunterricht  nach  der  Fibel 
TOQ  Heinemann  und  Schröder.    (2.  Heft)    25  Pf.     1.  Heft  s.  Heft  d& 

193.  Picker,  W.,  Über  Konzentration.  £ine  Lehrplanfrage.    40  Pf. 

194.  Borne  mann,  Dr.  L.,  Dörpfeld  und  Albert  Lange.  Zur  Einf&hrong 
in  ihre  Ansichten  üb.  soziale  Frage.    Schule,  Staat  u.  Kirche.    45  Pl 

195.  Lesser,  Dr.,  Die  Schule  und  die  Fremdwörterfrage.    25  Pf. 

196.  Weise,  R.,  Die  Fürsorge  d.  Volksschule  für  ihre  nicht  schwachsinnigen 
Nachzügler.    45  Pf. 

197.  Staude,  F.,  Zur  Deutung  d.  Gleichnisreden  Jesu  in  neuerer  Zeit  25  TL 
19S.  Schaefer,  K.,  Die  Bedeutung  der  Schülerbibliotheken.    90  Pf. 

199.  Sallwürk,  Dr.  K  v.,  Streif züge  zur  Jugendgeschichte  Herbarts.  60  Pf. 

200.  S  i  e  b  e  r  t ,  Dr.  0. ,  Entwickelungsgeschichte  d.  Menschengeschlechts.  25Pf. 

201.  Schleichert,  F.,  Zur  FfLege  d.  ästhet  Interesses  i.  d.  Schule.    25  Pf. 

202.  Mollberg,  Dr.  A.,  Ein  Stück  Schulleben.    40  Pf. 

2QS,  Siebter ,  0.,  Die  nationale  Bewegung  und  das  Problem  der  nationalen 
Erziehung  in  der  deutschen  G^enwart     1  M  30  Pf. 

204.  Gille,  Gerb.,  Die  absolute  (jowilsheit  and  Allgemeingiltigkeit  der 
sittL  StanmiurteUe.    30  Pf. 

206.  Schmitz,  A.,  Zweck  und  Einrichtung  der  Hilfsschulen.    30  Pf. 

206.  Grosse,  H.,  Ziele  u.  Wege  weibL  Bildung  in  Deutschland.    1  M  40  Pf • 

207.  Bauer,  G.,  Klagen  über  die  nach  der  Schulzeit  hervortretenden  M&ngel 
der  Schalunterrichtserfolge.    30  Pf. 

20a  Basse,  Wer  ist  mein  Führer?    20  Pf. 

209.  Friemel,  Rudolf,  Schreiben  und  Schreibunterricht    40  Pf. 

210.  Kef  er  stein,  Dr.  H.,  Die  Bildungsbedürfnisse  der  Jugendlichen.  45  Pf. 

211.  D  a  n  n  m  e  i  e  r ,  H.,  Die  Aufgaben  d.  Schule  i.  Kampf  g.  d.  Alkoholismus.  35Pf. 

212.  Thieme,  F.,  Gesellschaf tswissenscbaft  und  Erziehung.    35  Pf. 

213.  Sallwürk,  Prof.  Dr.  Edmund  von,  Das  Gedicht  als  Kunstwerk.  25  Fl 

214.  Lomberg,  Aug.,  Sollen  in  der  Volksschule  auch  klass.  Dramen  imd 
Epen  gelesen  werden?    20  Pf. 

215.  Hörn,  Bektor,  Über  zwei  Grundgebrechen  d.  heutigen  Volksschule.  60  Pf. 

216.  Zeifsig,  Emil,  Über  das  Wort  Konzentration,  seine  Bedeutung  und 
Verdeutschung.    Ein  Vortrag.    25  Pf. 

217.  Niehas.  F.,  Neuerungen  in  der  Methodik  des  elementaren  Geometrie» 
nnterrichts.    (Psychologisch-kritische  Studie.)    25  Ff. 

218.  Winzer,   H.,   Die  Volksschule   und  die  Kunst    25  Pf. 

219.  Lobsien,  Marx,  Die  Gleicbschreibung  als  Grundlage  des  dentsehen 
Bechtschreibunterrichts.    Ein  Versuch.    50  Ff. 

220.  B liedner,  Dr.  A.,  Biologie  und  Poesie  in  der  Volksschule.   75  Pf. 

221.  Linde,  Fr.,  Etwas  üb.  I^ntveränderung  in  d.  deutsch.  Sprache.  30  Pf. 

222.  Grosse,  Hugo,  Ein  Mädchenschul -Lehrplan  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert: Andr.  Musknlus*  »Jungfraw  Schule«  vom  Jahre  1574.    40  Pf. 

223.  Banmann,  Prof.  Dr.,  Die  Lehrpläne  von  1901  beleuchtet  aus  ihnen 
selbst  und  aas  dem  Lexisschen  Sammelwerk.    1  M  20  Pf. 

224.  Mutbesius,  Karl,  Der  zweite  Kunsterziehungstag  in  Weimar.  35  Pf. 

225.  Dorn  heim,  0.,  Volksschäden  und  Volksschule.    60  Ff. 

226.  Benson»  Arthur  Christopher,  Der  Schulmeister.  Studie  sor 
SLenntnis  des  englischen  Bildungswesens  und  ein  Beitrag  zur  Lehre  von 
der  Zuoht.    Aus  dem  Englischen  übersetzt  von  K.  Rein.     1  M  20  Pf. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

Befi 

227.  Müller,  Heinrich,   Konzentration  in  konzentrischen  Kreisen.     1  M. 

228.  Sali  war k,  Prof.  Dr.  von,   Das  Gedicht  als  Kunstwerk.     II.    25  Pf. 

229.  Bitter,   Dr.  B.,   £ine  Schulfeier   am   Denkmale   Friedrich  B&ckerts. 
Zugleich  ein  Beitrag  zur  Pflege  eines  gesunden  Schullebens.     20  Pf. 

230.  Gründler,    Seminardirektor  £.,   Über  nationale  Erziehung.     20  Pf. 

231.  Beischke,  B.,  Spiel  und  Sport  in  der  Schule.    25  Pf. 

232.  Weber,  Ernst,  Zum  Kampf  um  die  allgemeine  Volksschule.    50  Pt. 

233.  Linde,  Fr.,  Über  Phonetik  u.  ihre  Bedeutung  f.  d.  Volksschule.    1  M. 

234.  Pottag,  Alfred,  Schule  und  Lebensauffassung.    20  Pf. 

235.  Flügel,  0.,  Herbart  und  Strümpell.    65  Pf. 

236.  Flügel,  Om  Falsche  und  wahre  Apologetik.     75  Pf. 

237.  Bein,  Prof.  Dr.  W.,  Stimmen  z.  Beform  d.  Beligions-Unterr.   I.    75  Pf. 

238.  Benrubi,  Dr.  phil.  J.,  J.  J.  Bousseaus  ethisches  Ideal.     1  M  80  Pt 

239.  Siebert,    Dr.  Otto,    Der  Mensch  in  seiner  Beziehung  auf  ein  gött^ 
liches  Prinzip.    25  Pf. 

240.  Heine,  Dr.  Gerhard,  Unterricht  in  der  Bildersprache.    25  Pf. 

241.  Schmidt,  M.,  Das  Prinzip  des  organischen  Zusammenhanges  and  die 
allgemeine  Fortbildungsschule.    40  Ff. 

242.  Koehler,  J.,  Die  Veranschaulich ung  im  Kirchenliednnterricht   20  Pf. 

243.  Sach  B  e,  K.,  Apperzeption  u.  Phantasie  in  i.  gegenseit Verhältnisse.  30 Pf. 

244.  Fritzsche,  B.,  Der  Stoffwechsel  und  seine  Werkzeuge.   Präparationeo 
zur  Menschenkunde  und  Gesundbeitslehre.     75  Pf. 

245.  Bedlich,  Julius,  Ein  Einblick  in  das  Gebiet  der  höheren  Geodäsie. 
80  Pf. 

246.  Baentsch,    Prof.  D.,  Chamberlains    Vorstellungen  fiber  die  BeligioD 
der  Semiten.    1  M. 

247.  Muthesius,    K.,  Altes  und  Neues  aus  Herders  Kinderstube.    45  Pd 

248.  Sallwürk,  Prof.  Dr.  Edmund  von,  Die  zeitgemäße  Gestaltung  des 
deutschen  Unterrichts.    30  Pf. 

249.  Thurmann,  E,  Die  Zahlvorstellung  u.  d.  Zahlanschauungsmittel.  45  Pf. 

250.  Scheller,  £.,  Naturgeschichtliche  Lehrausflüge  (Exkursionen.)    75  Pf. 

251.  Lehm  haus,  F.,  Mod.  Zeichenunterricht    30  Pf. 

252.  Cornelius,  C,  Die  Universitäten  der  Ver.  Staaten  v.  Amerika.    60  Pf. 

253.  Bonberg  Madsen,  Grundvig  und  die  dän.  Volkshochschulen.  1,60 M. 

254.  Löbsien,  Kind  und  Kunst.  1  M  20  Pf. 

255.  Bubinstein,  Dr.  Susanna,  Schillers  Begriffsinventar.    20  Pf. 

256.  Scholz,  E.,  Darstell,  u.  Beurteil,  d. Mannheimer  Schalsystems.  IM  20 PL 

257.  Staude,  P.,  Zum  Jahrestage  des  Einderschutzgesetzes.    30  Pf. 

258.  K  ö  n  i  g,  E.,  Prof.  Dr.  phil.  u.  theol.,  D.  Geschichtsquellen  wert  d.  A.T.  IM  20Pf. 

259.  Fritzsche,  Dr.  W.,  Die  päd.-didakt.  Theorien  Charles  Bonnets.  1,50  M. 

260.  Sallwürk,  Dr.  E.  v.,  Ein  Lesestück.     30  Pf. 

261.  Schramm,  Experimentelle  Didaktik.    60  Pf. 

262.  Sief  fort,  Konsistorialrat  Prof.  Dr.  F.,  Offenbarung u. heil.  Schrift  1,50 M. 

263.  Bauch,  Dr.  Bruno,  Schiller  und  seine  Kunst  in  ihrer  erzieherischen 
Bedeutung  für  unsere  Zeit.    20  Pf. 

264.  Lesser,  Dr.  E.,  Die    Vielseitigkeit  des  deutschen  Unterrichts.     20  Pf. 

265.  Pf  an  u  stiel,  G.,  Leitsätze   für   den  biologischen  Unterricht.    50  Pf. 

266.  Kohlhase,  Fr.,  Die  methodische  Gestaltung  des  erdkundl.  Unterrichts 
mit  bes.  Berücksichtigung  der  Kultur-  bezw.  Wirtschaftsgeographie.  60  Pf. 

267.  Keferstein,  Dr.  Horst,  Zur  Frage  der  Berufsethik  in  Familie,  Gemeinde! 
Kirche  und  Staat.    60  Pf 

268.  Junge,  Otto,  Friedrich  Junge.    Ein  Lebensbild.    20  Pf. 


Verlag  von  Hennann  Beyer  &  Sohne  (Beyer  ft  Mann)  in  Langensalza. 


269.  Bein,  Dr.  W.,  Stimmen z.  Beform d.  Religions-Ünterrichts.  II.    80  Pf. 

270.  Beiscbke,  B..  Herbartianismas  und  Tomunterricht    30  Pf. 

271.  Friedrich, Gottl.»DieErzählimg  imDienste  derhäoslichenfirziehong. 
25  Pf. 

272.  Ba  bin  stein,  Dr.  Susan  na,  Die  Energie  als  Wilhelm  t.  Humboldts 
sitüicbes  Grundprinzip.    20  Pf. 

273.  Koehler,  Job.,  Das  biologische  Prinzip  im  Sachunterricht    50  Pf. 

274.  Heine,  Heinrich,  Über  thüringisch-sächsische  Ortsnamen.    Ein  Bei- 
trag zur  Heimatkunde.    25  Pf. 

275.  Bubinstein,  Dr.   Susanna,  Schillers  Stelluni?  zur  Beligion.    20  Pf. 

276.  Haustein,  Dr.  A.,  Der  geogr.  ünterricbt  im  18.  Jahrhundert.    80  Pf. 

277.  Scheller,  A.,  Die  Schrankenlosigkeit  der  formalen  Stufen.    30  Pf. 

278.  Zeißig,  Emil,  Vorbereitung  auf  den  Unterricht     1  M  50  Pf. 

279.  Schneider,  Dr.  Gustav,  Emil  Adolf  Boßm&ßler  als  Pädagog.    90  Pf. 

280.  Arnold,  Dr.  Otto,   Schopenhauers  pädagogische  Ansichten   im  Zu- 
sammenhange mit  seiner  Philosophie.     1  M  60  Pf. 

281.  Troll,  M.,  Die  Beform  des  Lehrplans.    80  Pf. 

282.  Er u sehe,  G.,  Das  Atmen  beim  Sprechen,  Lesen  und  Singen.    60  Pf. 

283.  Köhler,  E.  0.,  Die  praktische  Verwertung  heimatkundl.  Stoffe.     1  M. 

284.  Halten  hoff,  Dr.  phil.  Julius,  Die  Wissenschaft  vom  alten  Orient  in 
ihrem  Verhältnis  zu  Bibeiwissenschaft  und  Offenbarungsglauben.    1  M. 

285.  König,  Eduard,  Dr.  phil.  u.  theol.,  ordentl.  Prof.  a.  d.  UniT.  Bonn, 
Moderne  Anschauungen  Ober  den  Ursprung  der  Israelit  Beligion.    80  Pf. 

286.  Bichter,  A.,  Beligionsunterricht  oder  nicht?     1  M. 

287.  Forster,  Fr.,  Die  psychol.  Beihen  und  ihre  pädag.  Bedeutung.       65  Pf. 

288.  Grosse,  H.,  Eduard  Mörike  als  Lehrer.    60  Pf. 

289.  Noatzsch,  B.,  Die  musikalische  Form  unserer  Choräle.    35  Pf. 
S90.  B  e  d  1  i  c  h ,  J.,  Ein  Blick  i.  d.  allgemeinste  Begriffsnetz  d.  Astrometrie.  30  Pf. 

291.  Schubert,  C,  Die  Eigenart  des  Kunstunterrichts.    30  Pf. 

292.  Sallwürk,  Dr.  E.  von,  Kunsterziehung  in  neuer  und  alter  Zeit.  20  Pf. 

293.  Dobenecker,  B.,  Ober  den  pädagogischen  Grundsatz :  »Heimatkunde 
nicht  bloß  Disziplin,  sondern  Prinzip.«    40  Pf. 

294.  Perkmann,  Prof. Dr. J.,  Die  wissenschaftl.  Grundlag.  d.  Pädag.    70 Pf. 
29.^.  Hüttner,  Dr.  Alfred,  Die  Pädagogik  Schleiermachers  in  der  Periode 

seiner  Jugendphilosophie.     1  M  20  Pf. 

296.  Clemenz,  Bruno,  Kolonialidee  und  Schule.    50  Pf. 

297.  Flügel,  0.,  Herbart  über  Fichte  im  Jahre  1806.    25  Pf. 

298.  Lobsien,  Marx,  Ober  Schreiben  und  Schreibbewegungen.    90  PI 

299.  Dams,  W.,  Zur  Erinnerung  an  Bektor  Dietrich  Hom.    40  Pf. 

300.  Vogel,  Dr.  P.,  Fichte  und  Pestalozzi,     (ü.  d.  Pr.) 

301.  Winzer,  Schulreife  und  Charakterbildung.    20  Pf. 

302.  Po t tag.  Zur  Mimik  der  Kinder.    25  Pf. 

303.  Wilhelm,  Uhre  vom  Gefühl,    (ü.  d.  Pr.) 

304.  Schmidt,  Der  sittliche  Geschmack  als  Kristallisationspunkt  der  sitt- 
lichen Erziehung.    20  Pf. 

305.  Leidolph,  Über  Mode  und  Technik  des  Geschichtsunterrichts  in  der 
Volksschule.    40  Pf. 

306.  Köhler,  Schule  und  Kolonialinteresse.    40  Pf. 

307.  Clemenz,  Die  Beobachtung  und  Berücksichtigung  der  Eigenart  der 
Schüler.    60  Pf.  

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Sohne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

Deutsche  BlStter 

für  erziehenden  Unterricht. 

Herausgegeben 

Ton 

Friedrich  Mann. 

Jährlich  erscheinen  52  Nummern«    Preis  des  Quartals  1  M  60  Ff . 

Inhalt  Jeder  eiuielnen  Nammer:  1.  Pftdagogieche  Abhandlangen.  9.  Loee  Blätter, 
t.  Zeltseiohlohtliohe  Mitteilnn^n.  4.  Offene  LehreriteUen.  6,  Anseilen.  Jeden 
Monat  ein  Beiblatt :  Vom  BOohertieoh. 

Zeitschrift 

für 

Philosophie  und  Pädagogik. 

Herausgegeben 

▼on 

O.  Flflgel,  K.  Juat    und  W.  Rein. 

Jährlich  12  Hefte  von  je  3  Bogen.    Preis  des  Quartals  1  M  50. 

Ift  h  a  1 1  einee  Jeden  Heftee :  A.  Abhandlungen.  —  B.  Mitteflongen.  —  0,  Beepreehongen. 
I.  PhUoeophieehee.  II,  Padagogieehee.  —  D.  Aue  der  Faohpreeee:  I.  Ane  dev 
phüoeophieohen  Faohpreeee.  n.  Ane  der  p&dagogiiohen  Faohpreeee. 

Zeitschrift  fQr  Einderforschmng 

mit  besonderer  Berücksichtigung 

der  pädagogisohen  Pathologie. 
(Die  ElnderfeUer). 

Im  Verein  mit 
Medizinalrat  Dr.  J.  L.  A.  Kooh  und  Prof.  Dr.  R  Martinak 

herausgegeben 

Ton 

Institutsdirektor  J.  Triiper  und  Rektor  Chr.  Ufer. 
Jährlich  12  Hefte  von  je  2  Bogen.    Preis  des  Quartals  1  M. 

Inhalt  ehiee  Jeden  Heftee:  A.  Abhandinngen.  —  B.  lUttellungen.  —  0.  Zur  Liter»- 
tnrlrande. 

Blätter  fQr  Haus-  und  Kirchenmusik. 

Herausgegeben 

Ton 

Prof.  Ernst  Rabich. 

Jährlich  12  Hefte  von  je  2  Bogen  Text  und  8  Seiten  Notenbeilagen. 

Preis  des  Quartals  1  M  50  Pf. 

Inhalt  elnee  Jeden  Heftee:  Abhandinngen.  —  Loee  Blätter.  —  Monatliche  Bund- 
eohan.  —  Beepreohnngen.  —  Notenbeilagen. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Die 


Zeugnisfähigkeit  der  Kinder 


vor  Gericht. 


Ein  Beitrag  zur  Aussagepsycliologie 


TOO 


O.  H.  Michel 

in  Mendflo. 


F&dagogiBohee  Mngnain^  Heft  812. 


LuffmAln 

Hermann  Beyer  k  Söhne 
(Beyer  k  Mann) 

Slohf.  Hofbochhtodier 

1907 


AUe  Recht»  TorbehiüteB. 


Vorwort. 


Seit  einigen  Jahren  hat  innerhalb  der  pädagogischen 
Presse  wohl  selten  ein  Problem  ein  solch  reges  Interesse 
gefanden,  wie  das  der  Aussagepsychologie.  Auch  die 
juristischen  FachbJätter  beteiligen  sich  lebhaft  an  dem 
Für  und  Wider  dieses  jüngsten  Forschungsgebietes,  und 
immer  weiteren  Boden  gewinnen  die  Folgerungen,  die 
Stern  und  seine  Mitarbeiter  aus  ihren  Studien,  Experi- 
menten und  Vergleichen  und  deren  Ergebnissen  ziehen, 
bei  Pädagogen,  Psychologen  und  Juristen. 

Die  Klärung  der  Frage  über  die  Aussagefähigkeit  der 
Kinder  ist  besonders  für  den  Lehrer  yon  eminenter 
Wichtigkeit;  sie  wird  ihn  lehren,  nicht  jedes  Abweichen 
des  Kindes  von  den  Orenzpföhlen  der  objektiven  Wahr- 
heit als  »Lügec  anzusehen;  sie  wird  ihm  andrerseits 
Schutz  gewähren  gegen  die  ihn  oft  schwer  belastenden 
Aussagen  der  Kinder  an  Oerichtsstelle,  denen  er  in  einem 
Maße  wie  kein  anderer  ausgesetzt  ist.  Ich  erinnere  nur 
an  die  yielen  Anklagen  wegen  Überschreitung  des  Züchti- 
gungsrechts und  auch  an  die  wegen  Verbrechen  wider 
die  Sittlichkeit  Daß  die  heutige  Art  und  Weise  der 
Zeugenvernehmung  Jugendlicher  unbedingt  einer  durch- 


/> 


—    IV     — 


greifenden  Beform  bedarf,  ist  schon  lange  klare  Erkenntnis 
jedes  Einsichtsvollen. 

Die  Yorliegende  Arbeit  kann  und  will  nicht  den  An- 
spruch tiefgründiger  Wissenschaftlichkeit  und  erschöpfen- 
der Bearbeitung  dieses  bis  jetzt  noch  wenig  erschlossenen 
Gebietes  erheben.  Sollte  sie  im  stände  sein  mitzuhelfen, 
das  Interesse  weiterer  Kreise  für  die  Phänomene  der 
Wahmehmungs-,  Erinnerungs-  und  Aussagefalschung 
wachzurufen,  so  wäre  ihr  Zweck  erfüllt 

Allen,  die  mir  bei  meiner  Arbeit,  sei  es  durch  Mit- 
teilung Yon  Beispielen,  sei  es  in  anderer  Weise,  behilf- 
lich gewesen  sind,  sage  ich  meinen  besonderen  Dank. 

Menden,  Bez.  Arnsberg,  im  September  1906. 

O.  H.  MicheU  Dohrer. 


Inhalt. 


S«it0 

Vorwort III 

EinleiteDdes 1 

Pfts  BeobaohtuDgs-  uod  AoffassnngsvermögeD 8 

Die  Affekte 13 

Die  ErinneraDgafähigkeit 15 

Der  laoge  Zeitranm  zwisoheo  Wahrnehmen  uod  Verhör  ...  16 

Das  persönliche  Moment  der  Za-  nnd  Abneigung 22 

Der  Einfluß  der  Presse  and  Lektüre 23 

Die  Bewertung  des  Zeitmaßes  und  der  fianmyerhftltnisse     .    .  25 

Das  laoge  Warten  vor  der  Vernehmung 28 

Das  Vorverhör  duroh  die  niedern  Polizeiorgane 30 

Die  Suggestion 38 

Die  AutosuggestioD 51 

Die  Phantasie 60 

Schloßbemerkungen 64 

literatur 68 


Jeder  Jurist,  ja  jeder  Laie  weiß,  wie  unzuyerläsBig 
sehr  oft  die  ZeagenaussageD  sind,  gänzlich  abgesehen  von 
den  absichtlichen  Lögen.  Dr.  WüL  Siem^  der  Begründer 
der  Anssagepsychologie,  Geh. -Rat  v,  Lifst  und  andere 
haben  diese  Tatsachen  durch  Experimente  nachzuweisen 
versucht  Aber  auch  die  praktische  Erfahrung  liefert  uns 
angezählte  Belege  für  die  Wahrheit  dessen,  was  die 
Wissenschaft  auf  experimentellem  Wege  gefunden  hat 
Ich  erinnere  nur  an  den  großen,  seiner  Zeit  ungeheures 
Aufsehen  erregenden  Winterschen  Mordprozeß  in  Konitz- 
Westpreußen,  Aufsehen  erregend  einmal  durdi  das  grausige 
Verbrechen,  das  ihm  zu  Orunde  lag,  andrerseits  aber 
—  und  nicht  in  minderem  Maße  —  durch  die  Art  und 
Weise  seines  Verlaufes.  Das  Oewirr  der  verschieden- 
artigen, ja  sich  häufig  direkt  widerspredienden  Aussagen 
war  so  groß,  daß  es  dem  die  Untersuchung  führenden 
Richter  unmöglich  war,  aus  diesem  Labyrinthe  den  rechten 
Weg  herauszufinden.  Und  doch  konnte  er  von  nur  wenigen 
Zeugen  sagen,  sie  hätten  einen  bewußten  oder  nur  fahr- 
lässigen Falscheid  geleistet,  da  eben  ihre  Aussagen  nach 
bestem  Wissen  und  Gewissen  gemacht  waren.  Wohl  hatten 
sie  objektiv  die  Unwahrheit  ausgesagt,  jedoch  subjektiv 
zeugten  sie  wahrh^tsgemäß.  Die  Hauptursachen  dieser 
objektiv  falschen  Aussagen  werden  wohl  in  der  Betätigung 
der  meoschlicfaen  Phantasie  zu  suchen  sein,  der  durch 
die  geheimnisvolle,  grauenhafte  Begebenheit  ein  nahrhafter 

Fld.lfev.81fl.    Mieh«l,  Z««Biiflaüelteitd.  Kindor.  1 


—    a   — 

Boden  gegeben  war.  Rassenhaß  und  Unmut  über  die 
Ohnmacht  des  Gerichts,  sowie  der  Wunsch,  an  seinem 
Teile  soviel  wie  möglich  zur  Entdeckung  des  Mörders 
beizutragen,  haben  gewiß  auch  das  ihrige  getan,  ganz 
abgesehen  von  den  suggestiven  Wirkungen  der  Presse 
und  anderer  äußerer  Einflüsse. 

Gegen  die  Aussagen  der  Erwachsenen  aber  nehmen 
die  der  Kinder  eine  untergeordnete  Rolle  ein.  Denn  es 
ist  doch  zweifellos,  daß  ein  Kind,  als  ein  in  physischer 
sowie  in  psychischer  Hinsicht  erst  etwas  Werdendes, 
nichts  in  sich  Vollendetes,  leichter  den  Einflüssen  seiner 
oft  schrankenlosen  Phantasie,  der  Suggestion,  den  äußeren 
Einwirkungen  unterworfen  ist,  als  ein  erwachsener  Mensch. 
Ihm  fehlt  noch  die  moralische  sowie  die  logische  Reife, 
die  nötige  Einsicht  in  die  Folgen  seiner  Aussage,  »das 
zur  Erkenntnis  des  Wahren  notwendige  Abwägen  von 
Gründen  und  Gegengründen. c  Ihm  mangelt  in  noch 
höherem  Maße  als  vielen  Erwachsenen  die  richtige  Be- 
wertung des  Zeitmaßes  und  der  Raum  Verhältnisse;  zu 
seiner  völlig  ungeschulten  Beobachtung  treten  als  Folgen  in 
vielen  Fällen  Wahrnehmungs-  und  Erinnerungsfalschungen ; 
aus  falscher  Scham,  Angst,  Bestürzung  oder  Parteilichkeit 
erfolgt  oft  eine  Trübung  des  Urteils.  Desgleichen  sind 
die  Autosuggestionen  beim  Kinde  weit  häufigere  Er- 
scheinungen als  bei  älteren  Individuen.  Alles  dies  sind 
normale  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  Kindeslüge, 
die  im  Leben  der  Schule  und  des  Elternhauses  zu  den 
Alltäglichkeiten  gehören.  Ziehen  wir  noch  die  Lüge  aus 
pathologischer  Ursache  in  den  Bereich  unserer  Betrach- 
tungen, so  können  wir  wohl,  ohne  den  Vorwurf  der  Über- 
treibung befürchten  zu  müssen,  mit  einer  kleinen  Variation 
die  erste  Stenische  These  in  seinen  »Ijoitsätzen  über  die 
Bedeutung  der  Aussagepsychologie  für  das  gerichtliche 
Verfahrene  zu  der  unsrigen  machen  und  sagen:  Die  erste 
Wirkung  des  psychologischen  Aussagestudiums  Jugend- 
licher ist:  Erschütterung  der  Vertrauensseligkeit,  die  den 
Zeugenbeweisen  der  Kinder  bisher  entgegengebracht  wurde. 


—     3     — 

Nichtsdeetoweniger  ist  und  wird  ihnen  oft  ein  un- 
Terbältnismäßig  hoher  Wert  beigelegt,  sie  geben  bei  ge- 
richtlichen Verfahren  in  sehr  vielen  Fällen  sogar  den 
Ausschlag.  Wenn  nun  auch  nicht  bestritten  werden  kann 
und  soll,  daß  Aussagen  von  Kindern  unter  Umständen 
sehr  wohl  geeignet  sind,  einen  Sachverhalt  objektiv  klar 
und  richtig  darzustellen,  so  ist  meines  Erachtens  doch  in 
allen  Fällen,  bei  denen  sich  von  berufener  Seite  auch 
nur  der  allerleiseste  Zweifel  gegen  ihre  Glaubwürdigkeit 
erbebt,  von  einer  Verurteilung  abzusehen,  falls  nicht  noch 
anderes  authentisches  Beweismaterial  vorliegt.  Denn  es 
gilt  nicht  nur,  »das  Kind  vor  den  Begriffen  der  Er- 
wachsenen zu  schützen,  sondern  auch  umgekehrt  den  Er- 
wachsenen vor  den  Begriffen  und  Aussagen  der  Kinder,  c 

Ist  man  aber  einerseits  auf  Orund  eingehenden  Stu- 
diums der  Aussagepsychologie,  soweit  es  bei  dem  heutigen 
Stande  der  Wissenschaft  möglich  ist,  sowie  durch  die  Er- 
fahrung zu  der  Ansicht  gelangt,  daß  die  Aussagen  der 
Kinder,  besonders  vor  Gericht,  mit  großer  Reserve  auf- 
zunehmen seien,  so  muß  man  sich  doch  andrerseits  hüten, 
den  Gegnern  jeglicher  Kindervemehmung  zuzustimmen. 
Man  kann  wohl  der  heutigen  Art  und  Weise  der  Zeugen- 
vernehmung seine  Zustimmung  versagen,  ohne  gleich  der 
extremen  Forderung  des  Psychologen  Lippmann  oder 
des  Juristen  Schneickert  beizustimmen,  von  denen  der 
erstere  verlangt:  »Auf  alleinige  Bekundung  von  Kindern 
darf  eine  Verurteilung  nicht  stattfinden.«  Schneickert 
geht  noch  radikaler  vor:  »Kinder  unter  sieben  Jahren 
sind  überhaupt  nicht  als  zeugnisfähig  zu  betrachten.«^) 

Ich  meine  doch,  wenn  man  bei  geheimnisvollen  Mord- 
fiUlen  jeden  gefundenen  Lappen,  jede  Blutspur,  an  einer 
Mütze  festgeklebte  Haare  benutzt,  um  dem  Übeltäter  auf 
die  Spur  zu  kommen,  so  soll  man  auch  wohl  ein  nor- 
males Kind  unter  sieben  Jahren  fragen  dürfen.    Ja,  es 


^)  TT.  SUntj  Leitsätze  über  die  Bedeataog  der  Anssagepsycho- 
logie  far  das  forensisohe  Verfahren  (8  a  und  8  b). 

1* 


—     4    — 

i6t  für  mich  ganz  unKweifelhaft,  dafi  Kinder  ah  Zeugen 
vemommen  werden  müssen,  und  zwar  ans  dem  eingeben 
Omnde,  weil  sie  oft  die  einzigen  Zeugen  sind,  die  Auf- 
schluß geben  können,  vermittelst  derer  ein  Yergehen  oder 
Terbrechen  seine  wohlverdiente  Sühne  nur  erhalten  kann. 
Oder  sollte  derjenige,  der  z.  B.  an  einem  Kinde  eine 
straffällige  Handlung  begebt,  einfach  frei  ausgehen  dürfen, 
nur  weil  keine  andern  Zeugen  vorhanden  sind,  als  Kinder 
oder  gar  Kinder  unter  sieben  Jahren? 

Einem  Lehrer,  der  in  roher,  barbarischer  Weise  das 
Hafi  einer  väterlichen  körperiichen  Züchtigung  über- 
schreitet —  und  wer  wollte  leugnen,  daß  es  leider  Oottee 
immer  wieder  Dippolde  gibt?  — ,  und  der  deswegen 
zur  Rechenschaft  gezogen  wird,  kann  und  muß  seine  Tat 
in  den  meisten  Fällen  nur  durch  die  Zeugenaussagen  von 
Kindern  nachgewiesen  werden.  Oder  sollte  ein  bekanntes 
Wort  etwa  umgewandelt  werden  in:  Wo  kein  erwachsener 
Zeuge  ist,  da  ist  auch  kein  Richter?  Ein  Yerbrechw, 
4er  sich  im  verschlossenen  Zimmer  oder  am  abgelegenen, 
jedem  andern  Menschenauge  verborgenen  Orte  des  Waldee 
an  einem  unschuldigen  Kinde  eines  Sittlichkeitsverbrechens 
schuldig  gemacht  und  dadurch  gar  häufig  den  Keim 
moralischeri  sittlicher  Tersumpfung  in  dassdbe  gelegt 
hat,  kann  oft  nur  durch  das  betreffende  Kind  seiner 
scheußlichen  Tat  überführt  und  der  gerechten  Strafe  über- 
imtwortet  werden.  Es  kann  auch  andere  kriminalistisctie 
FDle  geben,  jeder  Riditer  wird  solche  zu  Dutzenden  m 
nennen  vermögen,  bei  denen  Kinder,  auch  unter  sechs 
oder  sieben  Jahre  stehende,  wenn  nicht  die  alleinigen,  so 
doch  die  Hauptbe*  oder  Entlastungszeugen  sind  oder  ge- 
wesen sind.  Wird  durch  sie  die  Sdiuld  oder  Unschuld 
des  Angeklagten  auft  unzweideutigste  festgestellt,  so  muß 
auch  Verurteilung  oder  Freispruch  erfolgen.  Ein  Anders- 
bandeln wäre  ein  Verbrechen  am  Kinde,  wäre  ein  Ver- 
brechen an  der  ganzen  Menschheit 

Energisch  muß  aber  dagegen  Einspruch  eriiobeb  wer- 
den,  daß  den  Kinderaussagen  von  den  untersudiendeii 


—     6     — 

Behörden  vielfach  za  grofie  Yertraueoaseligkeit  entgegen«^ 
gebrmcht  wird.  Es  ist  Dicht  genug,  daß  die  notorischen 
Lügner  aasgesondert  werden,  sondern  auch  bei  den  ge* 
wohnlich  als  wahrheitsliebend  bekannten  Kindern  ist  bei 
ihren  Bekundungen  eher  das  größte  Itjlißtrauen  als  ein 
zu  offenherziges  Glauben  dessen,  was  sie  aussagen,  am 
Platza  Denn  ein  Kind  sagt  nicht  schlankweg  die  Wahr* 
heit  oder  eine  bewußte  Lüge.  Schon  Jean  Paui  Fried* 
rieh  Richter j  dieser  große  Herzenskenner,  hat  einmal  ge- 
sagt: »In  den  ersten  fünf  Jahren  sagen  die  Ejnder  kein 
wahres  und  kein  lügendes  Wort,  sie  reden  nur.c  Dieses 
Wort  »bedarf  insofern  einer  Erweiterung,  als  sich  auch 
über  diese  Altersstufe  hinaus,  ja  durch  das  ganze  Schul* 
leben  Fälle  zeigen,  wo  man  mit  Erstaunen,  in  das  sich 
oft  Schrecken  mischt,  sieht,  wie  ein  Eind,  über  dessen 
Wahrheitsliebe  bis  dabin  nicht  der  geringste  Zweifel  ob- 
waltete, unbewußt  zum  Lügner  wirdc 

Die  Tatsache  dieser  unbewußten  Ausaagefälschung  wird 
durch  unsere  Richter  in  sehr  vielen,  ich  kann  wohl  sagen, 
in  den  meisten  Fällen,  noch  zu  wenig  in  Betracht  ger 
«Igen,  und  9war  aus  dem  Gründe,  weil  den  allermeisten 
das  nötige  psycholgische  Verständnis  fehlt 

Gar  manchen  Personen  —  und  nicht  zum  wenigsten 
Lehrern  —  samt  deren  Familien  ist  dadurch  viel  Kummer 
und  Sorge  verursacht  worden.  Ist  doch  gerade  der  Lehrer 
am  alleröftesten  Anklagen  ausgesetzt,  bei  denen  Kinder 
die  Zeugen  sind.  Neben  den  Anklagen  wegen  Über- 
schreitung des  Züchtigungsrechts  spielen  die  wegen  Sitt- 
lichkeitsverbrechens eine  große  Bolle.  Leichtfertige  An-^ 
klagen  gegen  den  Lehrer  und  auch  gegen  Ärzte  und 
FCurrer,  überhaupt  gegen  Personen,  deren  Beruf  häufigen 
Verkehr  mit  Kindern  mit  sich  bringt,  gehören  nicht  zu 
den  Seltenheiten.  Davon  geben  uns  die  Tagesblätter  zur 
Genüge  Kenntnis.  Und  eg  gibt  Fälle,  in  denen  der  Weg 
des  gerichtlichen  Verfahrens  den  unschuldig  Inhaftierten 
hart  an  den  Abgrund  des  Verderbens  führte,  einzig  und 
allein  auf  die  Aussagen  von  Eondern,  welche  sich  schließ- 


—     6     — 

lieh  als  den  yerschiedensten  Ursachen  entsprungene  Un- 
wahrheiten entpuppten.  Nicht  immer  aber  lüftet  Jung- 
frau Justitia  ihre  Augenbinde,  um  sich  auf  ihren  Irr- 
gängen zurechtzufinden.  Wie  oft  wandelt  sie  nicht  stolzen 
Schrittes  einher,  unter  ihren  Füßen  den  Unschuldigen  mit 
dem  Schuldigen  zermalmend,  nicht  achtend  des  Weh- 
klagens und  Jammers  umher.  Es  sei  mir  fern,  die  Schuld 
hieran  einzig  und  allein  dem  urteilsprechenden  Bichter 
zuzuschieben;  die  ganze  Institution,  der  ganze  Werdegang 
des  Juristen,  das  übliche  gerichtliche  Verfahren  tragen 
den  größten  Teil  der  Schuld. 

Wenn  ich  mir  nun  die  Aussagen  Jugendlicher  zum 
Gegenstände  dieser  Abhandlung  gemacht  habe,  so  soll 
dies  auch  nicht  den  Zweck  haben ,  den  Stab  »Wehe« 
über  die  Häupter  der  Kinder  zu  brechen.  Lügen,  be- 
sonders Kinderlügen,  hat  es  zu  allen  Zeiten  und  bei  allen 
Völkern  gegeben,  mit  der  Kinderlüge  müssen  alle  Familien, 
Schulen  und  anderweitigen  Anstalten  rechnen,  Kinder- 
lügen wird  es  geben  bis  in  alle  Ewigkeit,  so  lange  der 
Mensch  eben  unvollkommen  ist^)  Es  gilt  für  uns  viel- 
mehr, den  Ursachen  dieser  betrübenden,  aber  natürlichen 
Krankheitserscheinung  der  kindlichen  Psyche  nachzuspüren, 
um  ihr  die  Wurzel  abzuschneiden  oder  ihr  doch  wenig- 
stens mit  den  geeigneten  Mitteln  entgegenzutreten.  Man 
hat  in  früheren  Zeiten,  und  es  geschieht  auch  heute  noch, 
außer  Betracht  gelassen,  daß  die  Kinder  wie  in  physischer, 
so  auch  in  psychischer  Hinsicht  nicht  mit  dem  Maßstabe 
gemessen  werden  dürfen,  den  man  an  Erwachsene  anzu- 
legen gewöhnt  ist  Jahrhunderte,  ja  Jahrtausende  ist  dies 
unbeachtet  gelassen.  »Man  unterwarf  sie  den  gleichen 
Maßstäben  rigoristischer  Sittlichkeit,  man  setzte  als  selbst- 
verständlich voraus,  daß  ihnen  die  gleichen  Arten  und 
Stärken  des  Wertens,  die  ähnliche  Kompliziertheit  über- 
legter Wahlhandlungen   zu  eigen   sein  müßten,  wie   den 

^)  Ferdinand  Kemsies  in  seiner  »EiDführung«  za  den  >Bei- 
trftgen  zur  Psychologie  und  Pädagogik  der  Kinderlägen  und  Kinder- 
anssagenc. 


—     7     — 

Erwachsenen,  . . .  erwies  sich  diese  Voraussetzung  als 
falsch,  so  sah  man  darin  leicht  ein  böses  Manko,  das 
Ahndung  und  Änderung  erheische.  Man  betrachtete  sie 
« . .  nicht  als  Selbstwerte  von  besonderer  Art  und  mit 
berechtigter  Sonderbeschaffenheit  der  inneren  Willens- 
tendenzen. Das  wird  jetzt  anders,  so  sehr  anders,  dafi 
man  das  neue  Jahrhundert  geradezu  als  das  Jahrhundert 
des  Kindes  bezeichnete  i)  Die  Einderpsychologie  schlägt 
immer  größere  Wellen,  und  in  immer  weitere  Kreise 
dringt  die  Erkenntnis,  daß  man  wohl  unterscheiden  müsse 
zwischen  Lügen  im  strengsten  Sinne  des  Wortes  und 
ungewollten  Aussagefälschungen,  die  ihren  Ursprung  in 
verschiedenen  das  kindliche  Seelenleben  beeinflussenden 
innem  und  äußern  Ursachen  haben,  daß  diese  letztem 
bei  Aussagen,  ganz  besonders  bei  gerichtlichen  Zeugen- 
vernehmungen, aber  auch  die  weitgehendste  Beachtung 
verdienen  und  verlangen,  daß  sie  darum  verstanden  werden 
müssen.  Wenn  es  auch  bei  dem  heutigen  Stande  der 
Aussagepsychologie  als  Wissenschaft  als  ausgeschlossen 
zu  betrachten  ist,  nach  feststehenden  Normen  für  alle 
Zeiten  gültige  Forderungen  zu  erheben,  so  haben  die  Be- 
strebungen doch  soviel  bedeutsames  und  nicht  wegzuleug- 
nendes Material  zu  Tage  gefördert,  daß  es  wohl,  wenn 
man  die  Wichtigkeit  der  Sache  gerade  für  uns  Lehrer 
hinzurechnet,  an  der  Zeit  ist,  an  der  Hand  kasuistischen 
Materials  und  mit  Zuhilfenahme  des  psychologischen  Ex- 
periments den  Ursachen  dieser  Erscheinung  nachzuspüren 
und  Vorschläge  zu  deren  Abhilfe  bezugsweise  zum  Schutze 
gegen  sie  zusammenzustellen. 

Um  einer  mißverständlichen  Beurteilung  der  vorliegen- 
den Abhandlung  von  vornherein  zu  begegnen,   will  ich 
gleich  vorweg  bemerken,   daß  ich  Fälle  von  Lügen  aus  ,, 
pathologischer  Ursache  sowie  die  bewußt -absichtliche  aus 
dem  Bereiche  meiner  Arbeit  ausgeschieden  habe. 


«)  L.  William  Stern,  Beiträge  Eur  Psychologie  der  Aussage, 
1.  Heft,  a  25. 


—     8     — 

Jeder  Lehrer  weiß  aas  dem  Unterrichte  an  den  Eldnen^ 
daß  man  bei  Kindern  nichts  yoraussetzen  darf.  So  paradox 
es  klingt,  es  ist  doch  eine  allbekannte  Tatsache,  daß  die 
Kinder  nicht  za  sehen,  besser  gesagt,  nicht  anzuschauen 
vermögen.  Ihr  Auge  zwar  gleitet  über  die  in  ihrem 
Gesichtskreis  befindlichen  und  ihnen  gezeigten  Gegen- 
stände hin,  aber  ihr  Anschauungs vermögen  ist  dermaßen 
gering,  daß  fast  nichts  oder  doch  nur  sehr  wenig  als 
Yorstellung  in  ihrem  Geiste  haften  bleibt,  wenn  sie  nicht 
besoaders  darauf  aufmerksam  gemacht  werd^i.  Als  zu 
Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  der  Ruf  nach  An- 
schauungspädagogik in  der  Schule  laut  wurde,  begegnete 
diese  Forderung  einer  lächelnden  Abweisung.  Erst  all- 
mählich erkannte  man  die  Notwendigkeit  des  Anschauungs- 
unterrichts als  besondere  Unterrichtsdisziplin  an.  Heute 
würde  die  Streichung  dieses  Zweiges  des  Lehrplans  einer 
Schule  allgemeine  Entrüstung  hervorrufen,  und  das  mit 
Recht  Von  der  Beobachtung  und  Auffassung  gilt  das- 
selbe. Wie  ungeschult  das  Beobachtungsvermögen 
der  Kinder  ist,  zeigen  die  Versuche  Sterns  mit  etwa 
40  Yolksschulkindern^  denen  er  einzeln  ein  in  grellen 
Farben  gehaltenes  Bild  einer  Bauernstube  zeigte  mit  dem 
Hinweise,  daß  sie  es  nachher  beschreiben  müßten.  Der 
zusammenhängende  Bericht  der  Kinder  zeitigte  ein  ziem- 
lich günstiges  Resultat.  Es  waren  nur  etwa  6%  der 
Angaben  falsch.  Allerdings  schilderten  die  Kinder  auch 
nur  das,  was  sie  wollten,  also  das,  was  sie  behidten 
hatten,  und  das  war  sehr  gering.  Wmt  ungünstiger  ge- 
staltete sich  das  »Verhör«.  33  %  ^^^  Angaben  der 
Kinder  war  falsch;  besonders  viel  unrichtige  Antworten 
erfolgten  auf  Fragen  nach  den  Farben.  Das  Gesamt- 
ergebnis der  Fehlerprozentsätze  stellt  folgendes  von  Dr.  Stern 
aufgestellte  Schema  dar: 

üoteretufe       Mittelstufe       Oberstufe 

Knaben    .    .    .    49%,  28  7oi  19%. 

Mädchen  ...    61  %,  49  7o,  18  %. 


—     9    — 

Ich  bemerke  hierbei,  daß  diese  Yersache  Sterns  m.  E. 
insofern  kein  genaues  Bild  für  die  Beurteilung  der  foren- 
sischen Aussagefähigkeit  der  Kinder  geben  können,  als 
de,  abgesehen  von  dem  Ruhenden,  Konstanten  der  Bilder 
als  solche,  besonders  darauf  aufmerksam  gemacht  wurden, 
daß  sie  es  nachher  beschreiben  müßten.  Ihre  Aufmerk- 
samkeit war  einzig  und  allein  und  mit  alier  möglichen 
Schärfe  auf  den  zu  beschreibenden  Gegenstand  gerichtet, 
während  doch  im  gewöhnlichen  Leben  einmal  meistens 
eine  Aufeinanderfolge  von  Begebenheiten  den  (Gegenstand 
der  Aussagebekundungen  bilden  und  die  Kinder  zum 
andern  nie  besonders  darauf  hingewiesen  werden.  In 
Wirklichkeit  wird  sich  also  das  Resultat  entschieden  un- 
günstiger stellen,  um  aber  die  Beobachtungs-  und  Yor- 
stellungsfähigkeit  überhaupt  zu  prüfen,  sind  sie  sehr  wohl 
geeignet,  da  man  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  von  den 
Ergebnissen  dieser  günstigen  Versuche  auf  die  Resultate 
einer  Probe,  die  man  an  einen  Vorgang  des  praktischen 
Lebens  knüpfen  würde,  schließen  kann. 

Wie  wenig  die  Kinder  wirklich  sehen,  geht  femer 
aus  einem  Versuche  hervor,  den  ich  selber  in  der  Schule 
mit  7Vs  bis  9jährigen  Kindern  angestellt  habe.  Es 
bandelte  sich  bei  meinen  Fragen  um  Gegenstände,  die  sie 
während  V«  bis  1 7«  Jahren  und  länger  täglich  vor  Augen 
gehabt  haben,  nämlich  um  G^enstände  in  ihrer  Klasse, 
um  die  Farbe  des  Sobrankes,  des  Pultes,  der  Wände,  die 
Zahl  der  Fenster,  der  Scheiben  in  denselben,  ja  sogar 
um  die  Farbe  von  Sachen,  die  sie  ständig  im  Gebrauch 
haben.  Es  waren  auch  einige  Suggestivfragen  ein^^estreut 
Die  Zahl  der  zur  Untersuchung  herangezogenen  Kinder 
betrug  37.  Sie  wurden  einzeln  vernommen  und  kamen 
mit  den  noch  nicht  gefragten  Schülern  nicht  in  Berührung, 
BD  daß  ako  eine  Verständigung  ausgeschlossen  war.  Auch 
wußten  sie  vorher  nicht,  um  was  es  sich  handelte.  Der 
ElnÜMUieit  wegen  stdle  ich  die  Fragen  und  die  in  Zahlen 
ausgedrückten  Antwoiten  hier  gegenüber: 


—     10     — 

riohtig  falaoh  nnbesL 

1.  Wieviel  Fenster  hat  eure  Klasse?  .25      11       1 

2.  Wieviel  Scheiben  hat  jedes  Fenster?      6       25       6 

3.  Welche  Farbe  haben  die  Wände?     19       14      4 

4.  Welche  Farbe  hat  das  Lehrerpalt?     22       11       4 

5.  Hat  der  Deckel   des  Pultes    auch 

eine  graue  Farbe? 20  15  2 

6.  Wieviel  Bilder  hängen  a.d.  Wänden?  9  18  10 

7.  Welche  Farbe  hat  euer  Schulschrank?  26  8  3 
S.  Welche  Farbe  hat  dein  Federkasten  ?  1 2  16  2  ^) 
9.  Ist  das  Papier,  mit  dem  dein  Schön- 
schreibeheft bezogen  ist,  grau,  gelb, 

blau  oder  hat  es  eine  andere  Farbe?    20       17     — 

10.  Hat  dein  Schönschreibehefte.  Schild?     20       17     — 

1 1.  Welche  Farbe  haben  die  Linien  auf 

der  Schultafel? 32         3       2 

12.  Ist  der  Griff  der  Klingel  aus  Holz 

oder  Eisen? 21       13       3 

13.  Hat  der  Oriff  der  Schulklingel  nicht 

eine  braune  Farbe? 22       13       2 

14.  Ist  der  Fußboden  im  Hausflur  auch 

aus  Brettern? 24       10       3 

Dieser  Versuch  ergab  ferner  folgendes  Resultat: 

richtig  falsch         uobestimmt 

Knaben     .     .     .     50%        40V4V0)       ^i^Vo- 
Mädchen  .     .     .     5IV2V0,    41V4%,      ^ViVo- 

Interessant  ist  der  hohe  Prozentsatz  der  falschen  und 
unbestimmten  Antworten  der  Knaben  bei  den  Fragen 
12  und  13,  nämlich  43  7*  wnd  AQ^It^U,  da  jeder  Knabe 
während  der  Zeit  des  Besuchs  dieser  Klasse  die  Klingel 
wohl  Dutzende  Male  in  Händen  gehabt  hat.  Es  ist  eine 
kleine  Handklingel  mit  tiefschwarzem  Holzgriff.  Des- 
gleichen ist  es  bezeichnend,  daß  viele  Kinder  nicht  die 
Farbe  des  Umschlags  ihres  Schönschreibeheftes  anzugeben 


^)  7  hatten  keinen  Federkasten. 


—   11   — 

wußten,  trotzdem  auch  ihre  Aufisatz-,  Diktat-  und  Zeichen- 
hefte, ja  selbst  die  Kladden  mit  einem  blauen  Bezug  ver- 
sehen sind,  wie  es  ebenso  bemerkenswert  ist,  daß  circa 
46%  aller  Kinder  irrtümlich  behaupteten,  ihr  Schreibe- 
heft habe  ein  Schild,  da  doch  kein  Heft  mit  einem  Schilde 
Torsehen  ist  Ohne  Zweifel  ist  dieses  ungünstige  Er* 
gebnis  der  Suggestivform  der  Frage  zuzuschreiben,  des- 
gleichen bei  Frage  13. 

Noch  unzuTcrlässiger  sind  die  Aussagen  der  Kinder, 
wenn  es  daraaf  ankommt,  kurze  Gespräche  oder  auch 
nur  von  einer  Person  gesprochene  Worte  wiederzugeben. 
Als  Beispiel  hierzu  vergleiche  die  Fragen  15  bis  18  meines 
Versuchs  auf  S.  21:  48^8%  ^^^  Antworten  war  richtig, 
36  VsVo  falsch,  lö^o  unbestimmt.  Bei  einem  9  Tage  nach 
dem  Vorgange  vorgenommenen  Versuch  stellte  sich  bei 
denselben  Fragen  das  Ergebnis  wie  folgt:  richtig  — 16  7o« 
falsch  ->  34  7o)  unbestimmt  —  50  Vo- 

Gar  keine  Glaubwürdigkeit  verdienen  Kinder  bei  Be- 
schreibung einer  Person  oder  eines  Ortes.  Wie  Kinder 
darüber  streiten,  ob  der  Mann  eine  graue  oder  schwarze 
Jacke  angehabt  habe,  ob  der  Hut  hell  oder  dunkel,  weich 
oder  steif,  oder  ob  es  nicht  gar  eine  Mütze  gewesen  sei 
usw.  —  das  muß  man  übrigens  gehört  haben  — ,  zeigt 
ein  Fall  aus  meiner  eigenen  Schulzeit.  Es  galt,  die  Per- 
sonalien eines  Diebes  festzustellen,  der  an  uns  Kindern 
vorbeigegangen  war.  Gesehen  hatten  ihn  die  meisten  von 
uns.  Große  Meinungsverschiedenheit  aber  trat  ein,  als 
wir  geftagt  wurden,  wie  lange  es  her  sei.  Als  es  nun 
noch  gar  galt,  ihn  zu  beschreiben,  wäre  es  entschieden 
zu  einer  regelrechten  Schlacht  unter  uns  Jungen  ge- 
kommen, wenn  nicht  der  Lehrer  als  Oberstkommandierender 
>Da8  Ganze  halt«  geboten  hätte;  jeder  war  nämlich  be- 
reit, dem  andern  handgreiflich  die  Richtigkeit  der  eigenen 
Aussage  zu  beweisen.  Und  als  der  weitreichende  Arm 
der  Polizei  den  Übeltäter  etwa  eine  Stunde  später  wieder 
an  unserer  Schule  vorüberführte,  stimmte  wohl  keine  Bo- 
Schreibung. 


—     12    — 

Es  m5ge  die  zahleninäßige  Daretellang  eines  JBxpeii-^ 
mentes  folgen.  An  Kinder  des  3.  und  4.  Schu^ahres,  also- 
im  Alter  von  8  und  9  Jahren,  habe  ich  nachstehende 
Fragen  über  das  Äußere  eines  Herrn  gestellt,  der  bis  Tor 
1  Monat  ihr  Klassenlehrer  gewesen  war  und  auch  nach 
dieser  Zeit  noch  wöchentlich  2  Unterrichtsstunden  in  ihrer 
Klasse  erteilte.  Außerdem  war  der  Kollege,  gerade  als 
ich  das  Experiment  beginnen  wollte,  in  einer  die  Schule 
betreffenden  Angelegenheit  in  der  Klasse,  so  daß  er  von 
allen  Kindern  gesehen  werden  konnte.  Über  die  in  meinen 
Fragen  vorkommenden,  den  Kindern  nicht  geläufigen  Be- 
griffe waren  sie  in  einer  der  vorhergehenden  Standen 
unauffällig  aufgeklärt  worden.  Die  Fragen  und  Antworten- 
möge folgende  Aufstellung  veranschaulichen: 

richtig  falsch  nnbest^ 

1.  Wer  war  soeben  in  der  Klasse?    .23      —     — 

2.  Welche  Farbe   hatten   seine  Bein- 
kleider (Hosen)? 11 

3.  Was  für  eine  Jacke  hatte  Herr  K.  an  ? 

4.  Welche  Farbe  hatte  sein  Hut?  .    . 

5.  War  es  ein  steifer  Hut?  .... 

6.  Hat  Herr  K.  auch  einen  Bart? 

7.  Was  für  einen,  Voll-,  Backen-  oder 
nur  Schnurrbart? 11 

8.  Welche  Farbe  hat  sein  Bart?    .     . 

9.  Ist  der  Schnurrbart  lang  oder  kurz? 

10.  Was  für  Haare  hat  Herr  K.?    .    . 

11.  Welche  Farbe  hat  sein  Überzieher? 

12.  Was  trug  Herr  K.  in  der  Hand, 

als  er  hier  war? 8        6      9 

Ziehen  wir  das  Oesamtergebnis,  so  sind  etwa  43% 
aller  Angaben  richtig,  40%  direkt  falsch  und  17%  un- 
bestimmt. In  die  Augen  fallend  ist  die  hohe  Zahl  der 
bischen  Antworten  bei  den  Fragen  nach  den  Farben,  also 

^)  Zwei  Boheideo  bei  diesen  Fragen  aas,  weil  sie  ftlaehlieli  aa- 
gaben,  Herr  K.  habe  keinen  Bart 


11 

7 

fr 

8 

8 

7 

a 

30 

1 

14 

S 

4 

31 

3 

11 

7 

3») 

3 

13 

6») 

10 

10 

1>) 

a 

19 

3 

7 

13 

4 

—  11  — 

1m1  3|  t,  4,  8,  10  und  11.  Hierdurch  wurde  ich  yei^ 
jsriaBl,  die  FarbeukenutDis  Oberhaupt  zu  prfifen.  Dabei 
^gab  eich,  daB  die  Kinder  nur  in  wenig  Farbenkomplexeo 
bewandert  waren.  Daeselbe  hat  Landgerichtaarzt  Dr.  Weixel 
bei  eeinen  Untersuchungen  an  Erwachsenen  bestätigt  ge- 
funden.^) Außerdem  zeigten  sieb  die  meisten  Kinder 
▼dlKg  untthig  in  ier  Bestimmung  der  Farben nüancen,  ja, 
^n  tieferes  Braun  wurde  ron  der  größten  Mehrzahl  au6 
•entednedenste  als  sciiwarz  bezeichnet 

Das  rind  die  Resultate  über  die  ZeugnisfiUiigkeit  der 
Kinder  in  Bezug  auf  Personidbeschreibungen ,  wenn  die 
Wahrnehmung  sowohl  wie  die  Aussage  im  Stadium  der 
geistigen  Rahe,  des  seelischen  Oleichgewichts  erfcrfgt  ist; 
wie  nun  aber^  wenn  Affekte,  Zustände  der  Angst,  des 
Schrecknis,  des  Entsetzens  mitsprechen?  Wie  sehr  die 
Wahrnehmung  durch  sie  getrübt  werden  kann,  ersehen 
wir  an  dem  »Fall  Noelle«,  der  im  rorletzten  Sommer 
em  ungeheures  Aufeeben  errate.  Für  diejenigen  Leser, 
4ie  mit  ihm  nicht  oder  nicht  mehr  vertraut  sind,  mi^ 
eine  kurze  Schilderung  folgen. 

Frau  Oeheimrat  iVb^Ue- Berlin  mit  ihren  3  Kindern 
—  2  I[naben  und  1  Mädchen  —  sowie  der  Oesellscbafterin 
besteigt  abends  11^^  den  Bäderzug  nach  Norderney. 
Alle  machen  es  Adb  bequem  und  geben  sich  dem 
Schlummer  hin  mit  Ausnahme  des  13  V« jährigen  Otto, 
wacher  nach  seiner  Behaoptung  gewacht  haben  wilL 
Nach  etwa  IVs ständiger  Fahrt,  hinter  Rathenow,  öffnet 
pUtziich  mne  Termnmmte  männliche  Gestalt  schnell  und 
gewandt  die  CkmpeetOre  Ton  außen  und  steht,  ehe  Otto 
N.  seine  neben  ihm  sitzende  Mutter  zu  wecken  vermag, 
unter  den  aus  dem  Schlafe  Aufgeschreckten,  denen  er 
mit  en^egengehaltenem  Revolver  das  Oeld  abverlangt 
Bbemo  gesohickt,  wie  er  gekommen,  entweicht  er.  Was 
fftp  une  Mlu  von  Interesse  ist,  sind  die  Berichte  über 
4iBB  AoBMheB   des  Räubers.    Jeder  will  andere   Wahr^ 


^  Br.  r.  jRmmMfe,  Bfe  f&ydhologit  des  Geriohtssaales. 


—     14     — 

nehmungen  gemacht  haben,  die  sich  in  einzelnen  Fällen 
sogar  diametral  gegenüberstehen.    Der  telegraphische  Be- 
richt des  »Oen.-Anz.  für  Dortmund  und  Umgegendc  sagt: 
»Die  Familienangehörigen  sind   sich  nicht  klar  darüber,, 
ob  er  einen  sogenannten  Automobilmantel  hatte  oder  ob 
er  nur   ein   über  den   ganzen   Körper  geworfenes  Tuch 
trug.    Auch  weiß  man  nicht  genau,  ob  diese  Umhüllung 
dunkelbraun  oder  schwarz  war.    Die  Kinder  behaupten^ 
daß   der  Räuber  sich  viereckige  Löcher  für  die  Augen 
hineingeschnitten  habe,  während  die  Gouvernante  glaubt, 
daß   die  Offnungen   rund  waren.     Nur  eins  wollen  alle 
Beteiligten  ganz  genau  wissen,   daß  der  Räuber  sich  die 
Augenbrauen  und  die  Ränder  unterhalb  der  Augen  schwarz 
gefärbt  habe. . . .  Über  die  Art  des  Oriffes  (des  Revolvers) 
konnte  nichts  festgestellt  werden,  weil  er  ihn  ständig  in 
der  rechten,  wie  Heinz  und  Otto  dagegen  behaupten,  in 
der  linken  Hand  trug.     Unaufgeklärt  ist,  ob  der  Fremde 
das  erbeutete  Oeld  in  die  Tasche  der  Umhüllung  oder  in 
die  Hosen-  oder  Rocktasche  gesteckt  habe.    Wie  schwer 
es  war,  unter  den  obwaltenden  Umständen  den  Täter  zu 
identifizieren,  beweist  der  Vorgang,  der  sich  wenige  Mi- 
nuten später  auf  dem  Bahnhofsterrain  in  Stendal  abspielte. 
Frau  Oeh.-Rat  N.  wollte  dort  einen  Mann  als  den  Täter 
wiedererkannt  haben,  und  zwar  an  den  Augen.   Es  stellte 
sich  bald  heraus,  daß   dieser  Mann  mit  dem   Überfalle 
nichts  zu  tun  gehabt  und  überhaupt  nicht  den  Norder- 
neyer  Zug  benutzt  hatte. . . .  Die  übrigen  Familienmitglieder 
konnten  übrigens  keine  Ähnlichkeit  feststellen.«     Soweit 
der  Bericht   Wenn  man  auch  die  geringe  Helle  und  den 
vorhergegangenen  Schlaf  in  Betracht  zieht,    so    wird  da- 
durch doch  noch  nicht  die  große  Verschiedenheit  in 
den  Bekundungen  erklärt,  wenn  man  nicht  den  starken 
Affekt,    dessen   Einfluß    alle  Familienangehörigen  unter- 
standen, in  Betracht  zieht.    Affekte  trüben  unbedingt 
die   Wahrnehmungen   und    verfälschen   die   Aus- 
sagen. 

Ein  abschließendes  Urteil,  ich  meine,  ein  genaues  Re- 


—     16     — 

sultat,  können  diese  und  alle  andern  bisher  angestellten 
Versuche  und  die  hier  angeführten  Beispiele  nicht  er- 
geben, dazu  ist  das  Material  ein  zu  geringes.  Es  müßten 
zu  diesem  Zwecke  nach  einheitlichen  Gesichtspunkten 
eingerichtete  Massen  versuche  angestellt  werden,  obwohl 
ich  kaum  glaube,  daß  in  den  Ergebnissen  nennenswerte 
Verschiebungen  eintreten  würden.  Doch  aber  ist  es  zum 
Zwecke  der  Aufstellung  eines  authentischen  Beweismaterials 
notwendig.  Die  Bestrebungen  des  Vereins  für  Einder- 
psychologie zu  Berlin,  ein  großes  Material  von  Einder- 
lögen  und  Eanderaussagen  zusammenzubringen,  um  es 
für  wissenschaftliche  und  praktische  Zwecke  psychologisch 
zu  bearbeiten  und  bereit  zu  stellen,  sowie  alle  ver- 
wandten Bestrebungen,  sind  darum  mit  großer  Freude 
zu  begrüßen.  Soviel  aber  geht  aus  den  hier  mitgeteilten 
Experimenten  und  Beispielen  hervor,  daß  Beschreibungen 
eines  Ortes  oder  einer  Persönlichkeit  —  denn  was  von 
dem  einen  gilt,  gilt  auch  von  dem  andern  — ,  speziell 
die  Angabe  eines  Signalements  durch  Kinder  überhaupt 
keine  Glaubwürdigkeit  beizumessen  ist. 

Die  Eonfrontation  möchte  ich  eine  Personalbeschrei- 
bung der  Tat  nennen.  Für  sie  gelten  dieselben  Vor- 
bedingungen bezüglich  der  Beobachtung  und  Wahr- 
nehmung wie  bei  der  mündlichen  Kennzeichnung  einer 
Person;  es  treten  mithin  bei  ihr  dieselben  Folgen  der 
Verfälschung  ein,  ja  sie  sind  bei  der  so  beliebten  Einzel- 
konfrontation infolge  der  durch  diese  bedingten  starken 
suggestiven  Beeinflussung  weit  größer  und  gefährlicher. 
Doch  soll  in  einem  späteren  Abschnitte  noch  ausführ- 
licher darauf  eing^angen  werden.  Hier  nur  soviel,  daß 
die  Einzelkonfrontation  unter  allen  Umständen  unter- 
bleiben müßte;  durch  die  Wahlkonfrontation  allein  wäre 
dem  jugendlichen  Zeugen  Gelegenheit  gegeben,  entweder 
seine  Behauptung,  er  erkenne  den  Schuldigen  wieder, 
zweifellos  zu  beweisen  oder  die  Unmöglichkeit  dessen 
einzugestehen. 

Mit  womöglich  noch  größerer  Vorsicht  muß  man  den 


—     16    — 

Zeugenbekondungen  der  Kinder  entgegentreten,  wenn  man 
bedenkt,  daß  zudem  ihre  Erinnerungsfähigkeit  über 
Gehörtes  and  Gesehenes  eine  minderwertige  ist  Welcher 
Lehrer  hätte  nicht  immer  wieder  über  die  Yergeßlichkeit 
seiner  Schüler  zu  klagen?!  »Ich  wußte  es  nichtc  und 
»ich  habe  das  vergessene  sind  nur  zu  häufig  auftretende 
Antworten  auf  Fragen  von  selten  der  Lehrer  und  Eltern. 
Das  ist  nicht  immer  bloße  Nachlässigkeit,  wie  so  oft  von 
den  mit  dem  innersten  Seelenleben  der  Kleinen  un- 
bekannten Erziehern  angenommen  wird;  das  ist  keine 
Erscheinung,  die  durch  schärfere  Behandlung  oder  gar 
durch  Strafe  ausgerottet  werden  könnte.  Wie  alles,  muß 
auch  das  Erinnern  anerzogen  werden,  wozu  uns  Lehrern 
die  verschiedensten  Unterrichtsdisziplinen  und  die  ganze 
Handhabung  der  äußeren  und  inneren  Schulzucht  vor- 
zügliche Mittel  in  die  Hand  geben,  die  aber  leider  in  der 
angedeuteten  Bichtung  nicht  vollwertig  ausgenutzt  werden, 
infolge  der  Oberfüllung  des  Stoffes  und  der  immer  mehr 
und  mehr  um  sich  greifenden  Veräußerlichung  unserer 
Schularbeit  auch  nicht  zur  Genüge  ausgenutzt  werden 
können.  Der  Einführung  eines  besonderen  Erinnerungs- 
unterrichts möchte  ich  aus  pädagogischen  Gründen  aller- 
dings aufs  lebhafteste  widersprechen. 

Der  Bichter  nun  nehme  mit  äußerster  Vorsicht  auf 
die  Tatsache  der  geringen  Erinnerungsfähigkeit  des  Ejndee 
Bücksicht  und  verleite  es  nicht  etwa  zu  Fälschungen 
durch  Einwürfe  wie:  »Wenn  du  es  gehört  haste  oder: 
»Wenn  du  dabei  gewesen  bist,  mußt  du  es  doch  wissen.« 
Das  ist  eine  Suggestion  im  stärksten  Maße.  Vor  Über- 
schätzung des  kindlichen  Gedächtnisses  ist  überhaupt  nioht 
genug  zu  warnen. 

Unterstützt  werden  die  ErinnerungsfiUschungen  noch 
durch  den  langen  Zeitraum  zwischen  der  Wahr* 
nehmung  und  dem  Verhör.  Dr.  Stern  will  gefunden 
haben,  daß  der  Fehlerprozentsatz  bei  seinen  Experimenten 
von  Tag  zu  Tag  durchschnittlich  um  etwa  Vst  ^^^  zwar 
mit  merkwürdiger  Gesetzmäßigkeit,  zunimmt    Die  Zeit 


—     17     — 

wirkt  somit  schwächend  auf  unsere  Erinnerung  ein. 
Das  ist  eine  so  allgemein  bekannte  Tatsache,  deren 
Wahrheit  jeder  an  sich  und  andern,  auch  an  Kindern, 
leicht  beobachten  kann,  so  daß  sich  ein  experimenteller 
Nachweis  dafür  erübrigt.     (Doch  vergleiche  S.  20/21.) 

Weit  wichtiger  jedoch  ist  das  Ergebnis  der  experi- 
mentellen Psychologie,  daß  die  Zeit  auch  gleichzeitig 
fälschend  einwirkt  Während  bei  einem  etwa  1  Stunde 
nach  dem  Hergange  von  mir  vorgenommenen  Versuch 
der  Prozentsatz  der  richtigen  Antworten  47  betrug,  ver- 
minderte er  sich  schon  bei  einem  zweiten  unter  gleichen  Be- 
dingungen und  in  derselben  Weise  erfolgten  Experiment, 
bei  welchem  zwischen  Vorgang  und  Verhör  ein  Zwischen- 
raum von  9  Tagen  lag,  auf  34,5. 

Dr.  Äug.  Diehl,  Nervenarzt  in  Lübeck,  und  Dr.  jur. 
S.  Jaffa  kommen  allerdings  zu  andern  Ergebnissen,  der 
eine  auf  Omnd  seiner  eigenen  Untersuchungen,  der  andere 
in  seiner  kritischen  Beleuchtung  des  von  Oeh.-Rat  v.  Lifst 
im  kriminalistischen  Seminar  der  Universität  Berlin  an- 
gestellten psychologischen  Experimentes.  Allerdings,  und 
das  muß  ich  vorausschicken,  beide  nehmen  auf  Kinder 
nicht  Bezug,  sondern  urteilen  von  den  zum  Versuche 
verwendeten  erwachsenen  Personen,  die  alle  den  ge- 
bildeten Ständen  angehörten.  Wenn  nun  Dr.  Jaffa  im 
Verlaufe  seiner  kritischen  Ausführungen  zu  dem  Ergebnis 
kommt:  »Das  einmal  aufgenommene  Bild  verblaßt,  das 
Nacheinander  tritt  allmählich  immer  mehr  in  der  Er- 
innerung hervor,€  und  wenn  Diehl  zu  der  »überraschen* 
den  Erfahrung  kommt,  daß  nicht  unter  allen  Umständen 
die  Verlängerung  der  Zeit  das  Erinnerungsvermögen 
schädigt,  wenn  eine  bestimmte  Aufgabe  dem  Gedächtnis 
gestellt  war,«  so  schlieJßen  sie  eben,  vorausgesetzt,  daß 
ihre  Ergebnisse  überhaupt  zutreffend  sind,  nur  von  den 
gebildeten  Versuchspersonen,  die  außerdem,  bei  Diehl 
wenigstens,  wußten,  worum  es  sich  handelte,  nicht  aber 
von  Kindern,   die  zudem   über  den   Zweck   des  Experi- 

FBd.  Mag.  812.    Hichel,  Zeugniafähigkoit  d.  Kinder.  2 


—     18    — 

meDtes  vollständig  im  Unklaren  sind,  ja  nicht  einmal 
wissen,  daß  es  sich  überhaupt  um  einen  Versuch  handelt, 
deren  Anspannung  der  geistigen  Kräfte  also  nicht  eine 
über  das  gewöhnliche  Maß  hinausgehende  ist  Geschähe 
das  aber  auch,  so  bin  ich  doch  davon  überzeugt,  das  Er- 
gebnis wäre  dahingehend,  daß  das  Nacheinander  ebenso 
verblaßt  wie  das  einmal  aufgenommene  Bild,  und  daß 
unter  allen  Umständen  und  nach  jeder  Richtung 
die  Zeit  das  Erinnerungsvermögen  schädigt.  Ich  möchte 
selbst  nicht  die  Forderung  Diehls  zu  der  meinigen 
machen:  »Bei  absichtlicher  Erinnerung  scheinen  Kinder 
ganz  besonders  zu  langem,  treuem  Einprägen  befähigt  zu 
sein.«  Unsere  Schulergebnisse  zeitigen  ganz  andere  Re- 
sultate. ^) 

Wie  sehr  die  Zeit  wirklich  das  Erinnerungsvermögen 
zu  beeinträchtigen  im  stände  ist,  werden  folgende  von 
mir  mit  Genehmigung  und  Hilfe  meiner  Vorgesetzten 
vorgenommenen  Versuche  zeigen.  Auch  in  anderer  Hin- 
sicht sind  sie  gewiß  lehrreich. 

Der  Zweck  des  ersten  Experimentes  war  in  der  Haupt- 
sache, die  minderwertige  Beobachtungs-  und  Auffassungs- 
gabe der  Kinder  zahlenmäßig  festzustellen;  der  zweite 
Versuch  verfolgte  neben  diesem  Zwecke  noch  den,  die 
Trübung  und  Verfälschung  der  Erinnerung  durch  die 
längere  Zeitdauer  zwischen  Wahrnehmung  und  Aussage 
—  gleichfalls  zahlenmäßig  —  nachzuweisen.  Beide  Ver- 
suche fanden,  wenn  auch  in  verschiedenen  Schulen,  so 
doch  unter  möglichst  gleichen  Bedingungen  statt. 

Wie  ich  schon  hervorgehoben  habe,  sind  zwar  die 
Versuche  Stenis  mit  Bildern  sehr  wohl  geeignet,  die  Aus- 
sagefahigkeit  der  Kinder  im  allgemeinen  festzustellen;  je- 
doch geben  sie  kein  lebenswahres  Bild.  Ein  solches 
können  wir  nur  gewinnen,  wenn  wir  unsere  Versuche  an 
Vorgänge  anschließen,  da  eben  Vorgänge,  Handlungen  in 


*)  Beiträge  zur  Psychologie  der  Aussage,  1.  Hefl,  8.  112  n.  s.  f. 
und  S.  79  Q.  8.  f. 


—     19     — 

den  allenneisten  Fällen  die  Ursachen  eines  Oerichts- 
beechiosses  bilden.^)  Da  außerdem  wir  Lehrer  gerade 
Tiel  wegen  »Überschreitung  des  Züchtigungsrechts«  mit 
dem  Staatsanwalt  in  Konflikt  geraten,  habe  ich  meine 
Versuche  an  einen  Vorgang  der  Züchtigung  geknüpft 
Um  in  der  Festlegung  des  Tatbestandes  ganz  sicher  zu 
g^en,  hatte  ich  mir  schon  vor  Vollzug  der  Strafe  folgen- 
des Schema  gemacht:  Der  Knabe  (R.  B.),  (9)  Jahre  alt, 
erhielt  w^n  (wiederholter  Trägheit)  von  mir  (3)  leichte 
Stockschläge  (auf  das  Oesäß).  Zu  dem  Zwecke  war  er 
von  seinem  Platze  in  die  Nähe  des  Lehrertisches  ge- 
kommen und  (hatte  sich  bücken  müssen.  Mit  meiner 
linken  Hand  hob  ich  den  unteren  Teil  seiner  Jacke  in 
die  Höhe,  während  ich  mit  der  rechten  Hand  die  Strafe 
vollzog).  Der  Knabe  ist  sonst  weder  geschüttelt  noch 
überhaupt  von  mir  berührt  worden.  Nach  erfolgter  Be- 
strafung sagte  ich:  »So,  und  wenn  du  (das  nächste  Mal 
wieder  so  faul  bist),  kommt's  etwas  besserte  worauf  sich 
der  Knabe  auf  seinen  Platz  setzte.  (Die  in  Klammem  () 
stehenden  Worte  habe  ich  direkt  vor  Vollzug  der  Strafe 
hineingeschrieben.) 

Nach  etwa  einer  Stunde  erschien  der  Lokalschul- 
inspektor, mit  dem  ich  mich  vorher  ins  Einvernehmen 
gesetzt  hatte,  und  schritt  zum  Verhör  der  Kinder.  Ein 
Kollege  hatte  das  Protokollieren  übernommen.  Die  Kinder 
befanden  sich  in  dem  Glauben,  das  Verhör  sei  ein  amt- 
liches, weil  die  Strafe  zu  derb  gewesen  sei.  Sie  wurden 
einzeln  in  ein  leerstehendes  E[lassenzimmer  gerufen  und 
ihnen  dort  in  meiner  Abwesenheit  die  von  mir  vorher 


^)  Nach  FertigstelliiDg  vorliegen  der  Arbeit  bekam  ich  den  Vor- 
trag >Die  ForschaogoD  zur  Psyohologie  der  Anssage«  zur  Hand. 
Dort  heiSt  es  auf  S.  57:  »Bei  Fftllen  der  strafrechtlicheD  Praxis 
handelt  es  sich  meiateDS  um  SitaatioDen  oder  Ereignisse,  welche 
wahrgenommen  wurden  oder  reproduziert  werden  sollen.  Es  wäre 
demnach  anscheinend  am  besten,  einen  wirklichen  Vorgang  vorzu- 
fahren und  die  FShigkeit  dei  Erinnerung  daran  zu  prüfen.«  (Prof. 
B,  Scmimer-GieAen.) 

2* 


üM^mMM 


—     20     — 

genau  formulierten  und  zu  Papier  gebrachten  Fragen 
vorgelegt.  In  der  Protokolliste  waren  für  jedes  Eind  so- 
viel Rubriken  freigelassen,  wie  Fragen  vorbanden  waren, 
also  18  (beim  zweiten  Versuch  19).  In  das  betreffende 
Fach  wurde  von  dem  Kollegen  nach  der  Antwort  deR 
Kindes  entweder  ein  r  (richtig),  ein  f  (falsch)  oder  ein  ? 
(ich  weiß  es  nicht)  eingetragen.  Die  verhörten  Kinder 
kamen  mit  den  noch  nicht  gefragten  nicht  zusammen, 
eine  Verständigung  war  also  ausgeschlossen.  Es  handelte 
sich  um  Kinder  des  3.  und  4.  Schuljahres. 

Ich  meine  gerade  durch  das  »amtliche«  Verhör,  wie 
es  ähnlich  doch  auch  an  Oerichtsstelle  gehandhabt  wird, 
den  Versuch  möglichst  lebenswahr  gemacht  zu  haben.  ^) 
Ein  Irrtum  von  selten  der  Experimenteure  ist  infolge  der 
sorgfältigen  Vorbereitung  vollständig  ausgeschlossen. 

Fragen :  Antworten : 

richtig  falsch  unbest 

1.  Wer  ist  gestraft  worden  (wer  ist 

vor  einiger  Zeit  gestraft  usw.)?      10        4         1 

2.  Wofür  hat  er  die  Strafe  erhalten?        4        9         2 

3.  Womit  hat  der  Herr  Lehrer  ihn 
gezüchtigt? 9         5 

4.  Wieviel  Schläge  hat  der  Knabe 
bekommen? 3       10 

5.  Mit  was  für  einem  Stocke  hat 
der  Herr  L.  ihn  gezüchtigt?   . 

6.  Wie  lang  war  der  Stock?  .     . 

7.  Wie  dick  war  der  Stock?  .     . 

8.  Suche  ihn  von  diesen   heraus? 

9.  Strafte  der  Herr  L  den  Knaben 
nicht  in  der  Bank?    ....        8 


7 

6 

2 

6 

8 

1 

4 

10 

1 

7 

6 

2 

Gp 

5* 


00 
o 

3 

pr 

G 

3 

OD 

INS 


^)  Ein  Verhör  an  Gerichtsstelle  kann  m.  E.  höchstens  uogäostiger 
ausfallen,  da  die  Umgebung  sowohl  wie  die  Personen  dem  Kinde 
fremd  sind  und  dadurch  Befangenheit  in  ihm  erzeugen.  Befangen- 
heit aber  wirkt  gleichfalls  fälschend  auf  die  Erinnerung  und  leistet 
der  Suggestion  Vorspanndienste. 


"1 
o 

sr. 

0« 


OD 

o 


f 

0: 

5 
5 


ü 


—     21     — 

riohtig  falsch  unbest. 

10.  Hat  der  Herr  L.  den  Knaben 
nicht  über  die  Bank  herüber- 
gezogen?          9         5         1 

11.  Hat  der  Herr  L.  dem  Knaben 
auch  eine  Ohrfeige  gegeben?  .951 

12.  Waren  es  nicht  mehrere  Ohr- 
feigen?              9         5         1 

13.  Zupfte  der  Herr  L.  den  £[naben 
nicht  aach  am  Haare  oder  am 
Ohre? 8         6         1 

14.  Hat  der  Herr  L.  zu  dem  Knaben 
etwas  gesagt  und  was?  ...        7         6         2 

15.  Hat  der  Herr  L.  zu  dem  Knaben 
Schimpfworte  gebraucht?    .     .        7         5         3 

16.  Welche? 7         5         3 

17.  Hat  der  Herr  L.  nicht  gesagt: 
»Ich  werde  dich  ein  andermal 
so  verhauen,  daß  du  nicht  sitzen 
kannst?« 8         6         1 

18.  Wie  weit  hast  du  von  dem  ge- 
straften Kinde  entfernt  gesessen?        5         8        2 

(19.  Wie  lange  ist  es  her,  daß  der 

Knabe  gestraft  worden  ist?    18,2  7o^  27,3  7o»  B^)57o-) 

Das  zweite  Experiment  fand,  wie  gesagt,  unter  mög- 
lichst gleichen  Bedingungen  statt,  auch  hier  war  alles, 
wie  beim  ersten  vorbereitet.  Nur  habe  ich  es  an  einer 
andern  Schule  ausgeführt,  jedoch  mit  Kindern  derselben 
Jahrgänge,  da  ich  meine,  daß  bei  einem  zweiten  Yer- 
Bucfae  in  meiner  eigenen  Klasse  die  Sander  durch  die 
Erinnerung  an  den  ersten  in  dieser  oder  jener  Richtung 
beeinflußt  worden  w&ren.  Außerdem  war  ihnen  nach 
vollzogenem  Verhör  gesagt,  es  habe  sich  nur  darum  ge- 
handrit,  festzustdlw,  ob  sie  auch  »genau  die  Wahrheit 
mgteo€.  Der  Tatbestand  war  bei  diesem  zweiten  Ver- 
suche von  dem  Klassenlehrer  auf  meine  Veranlassung  in 
derselben  Weise  festgesetzt,  wie  ich  es  vorher  angegeben 


P 


—     22     - 

habe.  Als  ProtokoUftihrer  fungierte  ich,  während  das 
Verhör  der  Kreisschuiinspektor  freundlichst  übernommen 
hatte.  Es  wurden  den  Kindern  dieselben  Fragen  vor- 
gelegt mit  Hinzufügung  der  letzten  (Wie  lange  ist  es  her, 
daß  der  Knabe  gestraft  ist?).  Die  Antworten  dieser  Frage 
habe  ich  in  Prozenten  dahinter  gesetzt.  Im  ganzen  ge- 
staltete sich  das  Resultat  wie  folgt:  riohtig  «»  34,6  7oi 
falsch  sa  21,4  7o9  unbestimmt  »>  44,1 7o*  Hiemach  ist 
die  Zahl  der  richtigen  Antworten  von  47  auf  34,6% 
heruntergegangen. 

Die  Fehlerzahl  der  Antworten  ist  bei  meinen  Versuchen 
eine  bedeutend  höhere  als  die  durch  Stern  festgestellte. 
Das  ist  aber  sehr  erklärlich,  wenn  man  bedenkt,  daß  es 
sich  hier  nicht  wie  dort  um  etwas  Feststehendes,  wie  es 
eben  ein  Bild  ist,  handelt,  sondern  der  Versuch  an  einen 
dem  täglichen  Leben  entnommenen  Vorgang  angeschlossen 
ist.  Abgesehen  von  den  schon  erwähnten  Ursachen  scheint 
mir  aber  der  Schwerpunkt  dieser  Erscheinung  darin  zu 
liegen,  daß  den  iS'/ßrn sehen  Versuchspersonen  jegliches 
persönliche  Motiv  der  Zu-  und  Abneigung,  der 
Liebe  und  des  Hasses  fehlt,  ja,  sie  können  kaum  ein 
ernstliches  Interesse,  außer  dem  rein  wissenschaftlichen, 
an  dem  Ausfalle  des  Versuchs  gehabt  haben.  Bei  den 
von  mir  veranstalteten  Experimenten  spielte  die  Partei- 
lichkeit entschieden  eine  bedeutende  Bolle.  War  es  doch 
der  Freund  oder  Bruder,  den  der  Lehrer  gezüchtigt  hatte; 
saß  doch  noch  von  einer  an  dem  bezeugenden  Ejnde 
durch  denselben  Lehrer  vorgenommenen  früheren  körper- 
lichen Strafe  ein  gewisser  Oroll  gegen  ihn  im  Herzen; 
fürchteten  doch  andere  hingegen,  ihrem  geliebten  und 
verehrten  Lehrer  könne  eine  Unannehmlichkeit  erwachsen. 
Dies  und  ähnliches  sind  unbewußte  Erwägungen  im  Innern 
des  zur  Aussage  herangezogenen  Ejndes  und  bewirken 
naturgemäß  unbewußte  Fälschungen.  Nathan  Oppenheim 
führt  hierzu  in  seinem  Buche  »Die  Entwicklung  des 
Kindes«  ^)  folgendes  beachtenswerte  Beispiel  an.    Es  ist 

')  Seite  105. 


—     23     — 

dies  ein  darch  die  Zeitungen  verbreiteter  Fall,  »in  welchem 
zwei  kleine  Schwestern  in  einem  Ehescheidungsprozeß 
gerade  entgegengesetzte  Darstellungen  über  die  häuslichen 
Beziehungen  ihrer  Eltern  gaben,  obgleich  die  einzige 
wirkliche  Ursache  für  diese  äußerste  Verschiedenheit  der 
Aussagen  in  einem  Unterschied  in  den  Sympathien  be- 
stand. Der  Anhänger  des  Vaters  sah  der  Mutter  Hand- 
lungen in  einem  ungünstigen  liebt,  während  der  Bericht 
des  andern  Kindes  die  Beziehungen  von  Lob  und  Tadel 
gänzlich  umkehrte.c  »Übrigens, c  so  fahrt  Oppenheim 
fort,  »braucht  deshalb  der  ehrliche  Wunsch  der  Kleinen, 
die  Wahrheit  zu  sagen,  keineswegs  bezweifelt  zu  werden. 
Die  Verwirrung  lag  nicht  in  ihrer  Absicht,  sondern  viel- 
mehr an  ihrer  Art  zu  urteilen.« 

Niemand  zu  Liebe  und  niemand  zu  Leide!  Dieses 
Wort  unparteiischer  Zeugenaussage  können  die  Kinder  in 
den  seltensten  Fällen  befolgen.  Selbstverständlich  kommen 
für  uns  diejenigen  ganz  außer  Betracht,  welche  ihre  Be- 
kundungen wissentlich  zu  Gunsten  oder  Ungunsten  der 
einen  oder  der  andern  Partei  fälschen.  Aber  auch  die- 
jenigen, welche  mit  bestem  Willen  bestrebt  sind,  objektiv 
wahr  zu  sein,  verfallen  gar  zu  leicht  dem  Einflüsse  ihres 
Gefühls.  Das  Kind  braucht  noch  gar  nicht  in  den  Strudel 
der  kämpfenden  Menschheit  hineingerissen  zu  sein;  aber 
ihm  unbewußt  fließt  in  seine  Worte  doch  etwas  hinein 
von  dem,  was  ihm  die  Seele  bewegt  Sehr  häufig  wird 
diese  Aussagefälschung  größer  durch  die  Fragen  des 
Richters. 

Was  aber  gerade  bei  diesem  Kapitel  noch  besonders 
hervorgehoben  zu  werden  verdient,  ist  die,  ob  beabsich- 
tigte oder  unbeabsichtigte,  Beeinflussung  des  Kindes 
durch  andere  Personen  oder,  wenn  es  schon  größer 
ist  und,  wie  es  bei  frühreifen  Kindern  der  Jetztzeit  nicht 
selten  vorkommt,  die  Zeitung  genau  so  eifrig  liest,  wie 
Papa  und  Mama  es  tun,  besonders  die  Sensationsartikel, 
durch  die  Presse.  Der  gerade  in  dieser  Beziehung 
sehr  lehrreiche  Berchtold-Prozeß  zeigt  uns,  daß  erwachsenen 


—     24     — 

»vernünftigen«  Personen  dareh  die  in  der  Zeitung  ver- 
ö£fentlichte  Photographie  Berchtolds  die  Ansicht  suggeriert 
wurde,  sie  hätten  diese  selbe  Person  gleichfaUs  da  oder 
dort  gesehen.  »Unter  210  geladenen  Zeugen  befanden 
sich  18,  deren  Aussagen  sich  auf  eine  Beeinflussung  durch 
Zeitungsnotizen  zurückführen  ließen.  Einer  unter  diesen 
behauptete  z.  B.,  er  habe  an  einem  Freitag  Vormittag  den 
Angeklagten  zu  einer  bestimmten  Zeit  dreimal  in  der 
Nähe  des  Tatortes  (eines  Hauses  in  der  Karlstraße)  er- 
blickt und  nach  Veröffentlichung  der  Photographie  sofort 
wiedererkannt.  Mit  dieser  unter  Eid  abgegebenen  Zeugen- 
aussage stand  aber  die  Tatsache  in  Widerspruch,  daß  be- 
sagter Zeuge  den  gleichen  Freitag  Vormittag  zu  derselben 
Stunde  bei  einer  Gerichtsverhandlung  anwesend  war.  Da 
er  nicht  an  zwei  Orten  zugleich  sein  konnte,  so  mag  man 
den  Wert  seiner  Aussage  hiemach  bemessen.  Sechs  weitere 
Zeuginnen  —  sämtlich  Wohnungsinhaberinnen  in  Mün- 
chen —  behaupteten  unter  ihrem  Eid  ganz  gleichmäßig, 
daß  sie  den  Besuch  eines  verdächtig  aussehenden  Mannes 
erhalten  hätten,  der  unter  dem  Verwände  von  E[losett- 
arbeiten  sich  bei  ihnen  Eingang  verschaffen  wollte.  In 
dem  Verdächtigen  erkannten  sie  erst  den  Angeklagten  B., 
als  dessen  Photographie  veröffentlicht  wurde.  Ja  mehr 
noch,  eine  der  Zeitungen  stellte  den  B.  in  einer  Kleidung 
dar,  die  er  niemals  getragen  hatte.  Und  eben  diese  nur 
in  der  Phantasie  des  Zeichners  vorhandene,  nicht  aber  in 
Wirklichkeit  im  Besitz  des  B.  befindliche  Kleidung  will 
eine  der  Zeuginnen  an  jenem  Verdächtigen  bemerkt 
haben,  ci)  Wenn  das  schon  bei  Erwachsenen  geschieht, 
wieviel  mehr  bei  Kindern? 

Über  die  Beeinfiußbarkeit  des  Kindes  durch  andere 
Personen  während  der  langen  Zeitdauer  zwischen  Wahr- 
nehmung und  Verhör  äußert  sich  Rechtsanwalt  Dr.  t\Pann- 
tvitx^  der  bekannte  Verteidiger  im  Berchtold-Prozeß,  also: 


*)  Dr.  Frhr.  v,  Sckrenck  -  Notxing^  Kriminalpsyohologische  und 
psychopathologisohe  Studieo,  S.  116. 


—     25     — 

>WenD  ein  Kind  ein  paar  Wochen  nach  dem  zu  be* 
kundenden  Yoifali  vor  Gericht  erscheint,  so  können  wir 
nahezu  immer  mit  Sicherheit  annehmen,  daß  das  Kind 
unter  dem  bewußten  oder  unbewußten  Einfluß  dritter 
Personen  steht,  die  mit  ihm  gesprochen  haben.  Hierüber 
herrscht  volle  Einigkeit  unter  den  Gelehrten;  aber  die 
Praxis  glaubt  den  Kindern  doch!  Hier  steht  offenbar 
in  vielen  Fällen  der  Bichter  selbst  unter  der 
Suggestion  des  treuherzigen  Eindrucks  des 
Kindergesichts.c  ^) 

Weiteres  hierüber  siehe  bei  dem  Kapitel  »Suggestionc. 

Femer  mangelt  dem  Kinde  die  richtige  Bewertung 
des  Zeitmaßes  und  der  Baumverhältnisse,  und  zwar 
das  letztere  dem  Kinde  der  Großstadt  infolge  der  be- 
schränkten Bewegungsfreiheit  mehr  als  dem  Landkinde. 
Die  Zeit  aber  »spielt  im  Gerichtssaale  eine  große  Bolle, 
z.  B.  bei  der  Prüfung  der  Frage,  ob  ein  Alibibeweis  ganz 
oder  nur  zum  Teil  als  gelungen  zu  gelten  hat  usw.c.^ 
Haben  aber  selbst  erwachsene  Menschen  keine  Ahnung, 
was  beispielsweise  5  Minuten  bedeuten,  um  wieviel  weniger 
die  Kinder.  »Ist  es  schon  an  und  für  sich  ein  großer 
Unterschied,  ob  wir  5  Minuten  in  banger  Spannung  im 
Yorzimmer  des  Zahnarztes  oder  in  einer  unterhaltenden 
Theatervorstellung  zubringen,  so  wird  die  Dauer  kürzerer 
Zeitspannen  von  ungebildeten  Leuten  (und  Kindern.  D.V.) 
in  der  Begel  überschätzt.«  Dr.  v.  Panwwitx  gibt  in  seinem 
Vortrage  »Die  Psychologie  des  Gerichtssaales«  ein  ein- 
iichee  Mittel  an,  die  Zuverlässigkeit  derartiger  Zeitangaben 
an  Gerichtsstelle  bei  Erwachsenen  prüfen  zu  können,  das 
sich  ebenso  leicht  bei  Kindern  anwenden  läßt.  Er  sagt: 
»Betritt  ein  Zeuge,  von  dem  man  annimmt,  daß  er  die 
Zeit  nicht  zu  schätzen  versteht,  den  Gerichtssaal,  so  möge 
man  eine  anwesende  Person ,  beispielsweise  einen  Gen- 
darmen, .  . .  veranlassen,  auf  die  Uhr  zu  sehen  und  sich 


>)   Dr.  V,  Pannwttx,  Die  Psychologie  des  Geriohtssaals. 
*)  I^eoda. 


—     26     — 

den  Zeitpunkt  der  Vernehmung  zu  merken.  Fragt  man 
sodann  nach  beendetem  Verhör  den  Zeugen:  Wie  lange 
sind  Sie  vernommen  worden?  und  antwortet  der  Zeuge, 
wie  es  häufig  vorkommt:  15^20  Minuten,  während  seine 
Vernehmung  in  Wirklichkeit  nur  6  Minuten  gedauert  hat, 
so  ist  . . .  unzweideutig  erwiesen,  daß  der  Zeuge  keine 
Ahnung  von  Zeitbestimmungen  hat  Die  Bückschlüsse 
auf  den  jeweiligen  Fall  sind  selbstverständlich. c  Und  an 
einer  andern  Stelle  sagt  dieser  selbe  juristische  Praktiker: 
»Die  Kinder  insbesondere  haben  keine  Ahnung  von  Zeit- 
bestimmungen, c  Darum  hat  es  nicht  nur  keinen  Zweck, 
es  ist  sogar  unstatthaft  und  im  höchsten  Orade  zu  ver- 
werfen, wenn  Kinder  als  Zeugen  vernommen  werden, 
um  eine  gewisse  Zeitdauer  festzustellen,  oder  wenn 
man  die  Aussagen  der  Kinder  über  Zeitwerten  als 
Belag  oder  Oegenbelag  für  einen  versuchten  Alibibeweis 
benutzt 

Kinder  jüngerer  Jahrgänge  nach  der  Zeitdauer  eines 
Vorganges  oder  den  räumlichen  Verbältnissen  zu  fragen, 
widerspricht  sogar  den  einfachsten  pädagogischen  Grund- 
sätzen, da  eben  ein  solches  Kind  kaum  eine  Vorstellung 
von  der  Zahl  als  Zeit-  oder  Baumgröße  hat  Auch  das 
so  häufig  beliebte  Abschätzungsverfahren  ist  durchaus 
nicht  am  Platze.  Man  frage  z.  B.  an  den  Kindern  un- 
bekannten Orten  bei  Entfernungen  über  10  m,  wie  weit 
es  wäre,  und  man  wird  in  den  allermeisten  Fällen  eine 
falsche  Antwort  erhalten.  Die  vergleichsweise  EntfemungB- 
schätzung  ergibt  gleichfalls  die  Unfähigkeit  des  Kindes, 
hierin  Angaben  zu  machen,  welche  für  die  Beweiserhebung 
auch  nur  von  geringstem  Nutzen  sein  könnten. 

Gänzlich  unstatthaft  ist  es,  wenn  gar  der  die  Unter- 
suchung führende  Bichter  seine  Frage  etwa  in  folgender 
Weise  formulieren  würde:  »Wie  weit  warst  du  von  den 
Männern,  die  sich  schlugen,  entfernt,  vielleicht  wie  von 
hier  bis  zu  jenem  Hause,  jenem  Baume?c  Ich  wette,  in 
den  meisten  Fällen  wird  das  Kind  mit  »Ja«  antworten. 
Das  »Nein«  bringen  nur  sehr  wenige  heraus,  nur  geistig 


—    27     — 

hochbegabte;  das  normale  Dorchschnittskind  setzt  sich 
ungern  zu  dem  Fragenden,  besonders  wenn  dieser  ihm 
gegenüber  eine  Autorität  bedeutet,  in  einen  gewissen 
O^ensatz.  Tritt  von  Seiten  des  Richters  gar  noch  Un- 
mut hinzu,  der  sich  in  Worten,  mit  heftigem  Tone  ge- 
sprochen, ja  auch  nur  im  Blicke  äußert,  so  könnte  er 
alles,  auch  das  Unmöglichste,  aus  dem  Kinde  heraus- 
locken.    Ein  kurzes  Beispiel  möge  dies  bestätigen. 

Auf  meine  Bitte  in  den  Zeitungen  um  Mitteilungen 
über  Einderaussagen  schreibt  mir  eine  Dame,  Frau  Haupt- 
lehrer R,  ein  Erlebnis  aus  ihrer  eigenen  Kindheit.  Es 
handelte  sich  um  ein  geringes  Vergehen  eines  Mannes, 
eines  Schafers,  neben  dem  die  erwähnte  Dame,  damals 
ein  Kind  yon  9  bis  10  Jahren,  während  des  Augenblicks 
der  Tat  gestanden  hatte.  Ich  lasse  die  Stelle  des  Briefes 
folg^i:  »Nach  einiger  Zeit  wurde  ich  vor  Gericht  ge- 
laden. . . .  Mir  kam  im  Anfang  die  ganze  Sache  sehr 
lächerlich  yor,  namentlich  als  mein  ,Onkel^,  der  Amts- 
richter, mich  firagle,  ob  ich  mit  dem  Angeklagten  ver- 
wandt sei  So  was  dummes,  das  wußte  doch  der  Onkel 
ganz  genau:  ich,  das  Pfarrerstöchterlein,  verwandt  oder 
verschwägert  mit  dem  Schäfer!?  Ich  lache  deshalb  hell 
heraus.  Darauf  werde  ich  vom  Herrn  Amtsrichter  streng 
auf  den  Ernst  der  Sache  aufmerksam  gemacht,  und  von 
da  an  war  es  mit  meiner  Unbefangonheit  vorbei.  Er 
hätte  mir  jede  Antwort  in  den  Mund  legen  können.  Daß 
ich  den  Angeklagten  gesehen  und  gesprochen,  bejahte  ich 
wahrheitsgetreu;  über  Zeit  und  Stunde  hatte  ich  keine 
Ahnung,  sagte  nur  ja^,  weil  mir  eben  gesagt  wurde,  es 
wäre  wohl  so  gewesen.  ,Wie  weit  warst  du  von  dem 
Angeklagten  entfernt,  als  die  Schafe  das  Kraut  ab- 
fraßen? Wohl  ungefähr  so  weit  wie  von  hier  nach  B.s 
Haus?^  (Das  waren  wohl  50  m.)  ,Ja,^  sage  ich,  obwohl 
ich  dicht  daneben  gestanden  hatte.  Es  war  die  Antwort 
wohl  von  keinem  großen  Belang;  . . .  doch  ich  hatte  die 
Unwahrheit  gesagt,  nicht  mit  Bewußtsein,  hatte  auch  nicht 
den  geringsten  Zweck  dabei,  aber  der  Onkel  Amtsrichter 


—     28     — 

fragte:  Nicht  wahr,  ungefähr  so  weit  war  es?  und  da 
sagte  ich  einfach  ja.« 

Gelegentlich  einer  Spielstunde  habe  ich  die  Schüler 
meiner  Klasse,  Knaben  und  Mädchen  von  8  V,  bis  10  Jahren, 
die  Länge  des  Schulhofes  abschätzen  lassen.  Es  erübrigt 
sich,  die  Resultate  der  einzelnen  Abschätzungsleistungen, 
etwa  50  an  der  Zahl,  hier  wiederzugeben;  denn  nicht 
ein  einziges  Kind  war  im  stände,  die  Entfernung, 
I7V2  1^)  Auc^  ^u^  einigermaßen  richtig  anzugeben.  12  m 
war  das  Höchste,  das  sie  brachten;  sie  unterschätzten 
alle.  Und  dabei  war  gel^entlich  der  Heimatkunde  in 
der  Stunde  oder  2  Stunden  vorher  absichtlich  mit  dem 
Meter- Lineal  tüchtig  gemessen  worden,  die  Schultische, 
das  Schulzimmer,  das  Schulhaus  u.  a.  m.,  mit  Ausnahme 
natürlich  des  Hofes. 

Auch  das  lange  Warten  der  als  Zeugen  ror- 
geladenen  Kinder  darf  bei  unsern  Ausführungen  nicht 
außer  acht  gelassen  werden.  Oft  erleben  wir,  daß  Zeugen 
für  den  frühen  Vormittag  vorgeladen  werden  und  erst 
nach  Stunden  zur  Vernehmung  gelangen.  Das  trifft  Er- 
wachsene und  Kinder  in  gleichem  Maße.  Unsere  Land- 
kinder wohnen  oft  sehr  weit  von  der  Stadt,  woselbst  sie 
vernommen  werden  sollen.  Da  heißt  es  frühe  aufstehen, 
um  zu  der  in  der  Vorladung  angegebenen  Zeit  an  Ort 
und  Stelle  zu  sein.  Die  Aufregung  hat  sie  kaum  einen 
Bissen  genießen  lassen;  denn  die  Scheu  vor  dem  Gerichte, 
die  Abneigung,  mit  ihm  in  irgend  einer  Weise  zu  tun 
zu  haben,  ist  bei  ihnen,  besonders  den  Kindern  der  Land- 
bevölkerung, groß.  In  Eile  wird  der  oft  stundenlange 
Weg  zurückgelegt,  um  ja  keine  Minute  zu  spät  zu  er* 
scheinen.  Müde  und  abgemattet  ist  es  endlich  da  und 
sieht  sich  mit  einem  Male  inmitten  vieler  anderer  es  neu- 
gierig musternder  Menschen  entweder  auf  einem  zugigen, 
dskalten  Korridor  oder  in  einem  kahlen,  überheizten 
Zimmer  stehen.  Selten  weisen  unsere  Oerichtshäuser  ein 
ordentliches  Zeugenzimmer  aui  Und  doch  müßte  gerade 
hier  der  Grundsatz  gelten,  durch  gemütlich  ausgestattete 


—    29     — 

Umgebung  das  Kind  zutraulich  zu  machen.  Aber  statt 
d^sen  — ?  Der  Abgeordnete  Brömel  wird  nicht  so  un- 
recht haben,  als  er  in  der  Sitzung  des  Abgeordnetenhauses 
vom  17.  Februar  1906  den  Ausspruch  tat:  »Der  Zustand 
der  Bäume,  in  denen  man  den  Zeugen  zumutet,  oft 
stundenlang  zu  warten,  schreit  zum  Himmel«  Hi^ 
nun  bleibt  das  Eind,  bis  es  an  die  Beihe  kommt  Nach- 
dem es  seine  anfangliche  Scheu  einigermaßen  überwunden, 
wagt  es  schüchtern  Blicke  um  sich  zu  werfen.  Das  erste 
sind  die  Menschen;  verstohlen  beschaut  es  sich  einen 
nach  dem  andern.  Dann  folgen  die  Gegenstände  im 
Zimmer;  bald  ist  es  auch  damit  fertig.  Doch  ist  aber 
mittlerweile  eine  geraume  Zeit  verstrichen  und  die  Zahl 
der  mit  ihm  Wartenden  zusammengeschmolzen.  Schon 
während  seiner  Beobachtungsbeschäftigung  hat  es  die 
Furcht,  seinen  Namen  zu  überhören,  in  die  Nähe  der 
Türe  getrieben.  Stunde  auf  Stunde  verrinnt,  und  noch 
immer  wartet  es.  Die  Aufregung  steigert  sich  in  dem 
Grade,  als  die  Zeit  vorschreitet  und  der  Baum  leerer 
wird.  Hunger  und  Durst  und  Müdigkeit  tun  das  ihrige 
und  jedesmal,  wenn  ein  neuer  Name  genannt  wird,  schrickt 
66  zusammen.  Die  Nerven  sind  aufs  höchste  gespannt, 
und  die  Erregung  bricht  sich  schließlich  in  einem  Guß 
von  Tränen  Bahn.  Endlich  ertönt  sein  Name.  Nur  mit 
Mühe  vermag  es  die  momentane  Lähmung  der  Angst  von 
den  Gliedern  zu  schütteln  und  überschreitet  nun  pochen- 
den Herzens,  mit  wirrem  Eopf  und  fieberhaft  jagendem 
Puls  die  Schwelle  des  G^richtssaales,  um  in  diesem  Sta- 
dium der  übermäßigen  Erregung  seine  Zeugenaussage 
abzugeben,  von  der  manchmal  Leben  und  Tod  eines 
Menschen  —  wohlgemerkt  eines  Menschen!  —  abhängt, 
die  aber  doch  zum  mindesten  mit  entscheidend  wirken 
soll  für  das  »Schuldige  oder  »Nichtschuldig«  der  Bichter, 
die  entscheiden  soll  über  die  höchsten  Güter  des  Menschen, 
über  Ehre  und  Freiheit  Was  wäre  wohl  widernatürlicher!? 
Gewiß,  unvorhergesehene  verlängernde  Momente  können 
bei  Verhandlungen   eintreten.     Doch  aber  erscheint   mir 


—     30     — 

die  Forderung  einer  besseren  Taxierung  der  Terminstunden 
nicht  gar  so  ungeheuerlich,  wenn  man  bedenkt,  daß  man 
oft  um  10  Uhr  zur  Yemehmung  bestellt  ist,  vor  12  oder 
121/2  Uhr  kaum  vorgerufen  wird.  Wenn  es  wirklich  ein- 
mal vorkommen  sollte,  daß  Richter  und  Beisitzer  einige 
Minuten  warten  müßten,  bis  die  nächste  Partei  erscheint, 
so  ist  das  als  kein  zu  großes  Unglück  zu  betrachten. 
Das  Oericht  und  der  Bichterstand  sind  doch  schließlich 
für  die  Gesamtheit  des  Volkes  geschaffen  und  haben  so- 
mit auf  dieses  Bücksicht  zu  nehmen  und  nicht  umgekehrt 
Jedenfalls  aber  muß  auf  diesem  Oebiet  in  der  angedeuteten 
Weise  Änderung  geschaffen  werden,  so  ist  der  Verfälschung 
geradezu  Tor  und  Tür  geöffnet. 

Anschließend  an  dieses  Kapitel  soll  gleich  einer  andern 
juristischen  Einrichtung,  des  leidigen  Vorverhörs  durch 
die  niederen  Polizeiorgane,  eingehende  Erwähnung 
und  Würdigung  zu  teil  werden.  Die  Zeugenvernehmung 
der  Kinder  verlangt  bei  ihrer  individuellen  Eigenart 
psychologisches  Verständnis  derselben.  Sucht  man  aber 
schon  bei  den  Richtern  selber  sehr  oft  vergebens  dar- 
nach, so  wäre  es  geradezu  lächerlich,  bei  Oendarmen^ 
Polizisten,  Schutzleuten  usw.  von  der  Kenntnis  solcher 
Dinge  etwas  vorauszusetzen;  denn  daß  der  Kasemenhof 
und  der  Umgang  mit  Bekruten  eine  geeignete  Vorbildung 
dazu  gewähren  sollte,  erlaube  ich  mir  in  gelinden  Zweifd 
zu  ziehen.  Der  bekannte  Unteroffizierton  ist  nicht  um- 
sonst sprichwörtlich  geworden.  Diesen  aber,  was  wohl 
bei  den  Verhören  durch  die  genannten  Beamtenkategorien 
in  der  Mehrzahl  geschieht,  den  Kindern  gegenüber  an- 
schlagen, heißt  nichts  anderes,  als  ihnen  Antworten 
oktroyieren.  Oft  genügt  schon  ein  scharfer  Blick,  ein 
mißbilligendes  Wort,  um  den  Kindern  die  Ansicht  des 
Fragers  zu  suggerieren.  Und  doch  erscheint  in  manchen 
Gegenden  unseres  lieben  Vaterlandes,  z.  B.  in  Züchtigungs- 
sachen wider  den  Lehrer,  im  Auftrage  der  K^l.  Staats- 
anwaltschaft der  Herr  » Wachtmeister  c  in  der  Schule,  um 
die  Kinder  zu  Protokoll  zu  vernehmen.    Wo  dieses  Oe- 


—     31     — 

Schaft  wirklich  dem  Ereisschulinspektor  übertragen  ist, 
ist  66  eine  Ausnahme,  zu  deren  HerbeiführuDg,  wie  dem 
Yerfasser  vor  etwa  2  Jahren  ein  ihm  bekannter  Slreis- 
scholinspektor  versicherte,  es  vielfach  erst  einer  besonderen 
Bitte  bedarf.  Im  Interesse  des  Lehrers  and  dem  der 
Sdnder  in  diesem  einen  angedeuteten  Falle  und  im 
Interesse  der  ganzen  Menschheit  im  allgemeinen  müßten 
die  Yorvernehmungen  Jugendlicher  nicht  nur  ausnahms- 
weise, sondern  ausnahmslos  aus  den  Händen  der  niederen 
Polizeibeamten  in  die  psychologisch  geschulter  Männer 
—  worunter  nun  nicht  gerade  immer  der  Ereisschul- 
inspektor verstanden  werden  muß  —  gelegt  werden.  Die 
Schädlichkeit  und  ünhaltbarkeit  dieser  Institution  hat 
IL  a.  auch  der  verstorbene  Abg.  Lenxmann  klar  erkannt. 
Er  forderte  kurz  vor  seinem  Tode,  daß  die  polizeilichen 
Yemehmungen  ausgemerzt  und  das  ganze  Yorverfahren 
in  die  Hand  von  richterlich  geschulten  Beamten  gelegt 
werden  solle.  Nur  hätte  er  noch  einen  Schritt  weiter 
gehen  und  verlangen  sollen,  daß  mit  der  Yoruntersuchung 
Jagendlicher  nur  ein  psychologisch  geschulter  Jurist 
betraut  würde,  der  mit  dem  Kinde  nicht  umgeht  wie  mit 
einem  Erwachsenen  und  tief  unter  ihm  Stehenden,  sondern 
der  sich  dem  jugendlichen  Zeugen  —  und  das  Gleiche 
gilt  von  dem  jugendlichen  Angeklagten  —  gibt  wie  der 
sorgende,  liebevolle  Yater,  der  das  Kind  in  seiner  Eigenart 
begreift  und  dementsprechend  sein  Benehmen  ihm  gegen- 
über einrichtet;  denn  das  Kind  will  verstanden  sein. 
Daß  aber  hierin  bei  unsem  Richtern  viel  zu  wünschen 
übrig  bleibt,  wird  auch  so  mancher  Erwachsene  erfahren 
haben,  der  gezwungen  gewesen  ist,  in  irgend  einer  Form 
mit  dem  Gerichte  zu  tun  zu  haben. 

Ich  kann  es  mir  nicht  versagen,  eine  diesbezügliche 
Stelle  aus  einem  »Justiz  und  Yolkc  betitelten  höchst  be- 
achtenswerten Artikel  der  »Köln.  Ztg.«  hier  anzuführen. 
Sie  lautet:  »Zweifellos  ist,  daß  in  die  Strafkammern,  die 
über  die  höchsten  Güter  des  Menschen,  Freiheit  und 
Ehre,  zu   richten   haben,    die   besten   und    erfahrensten 


—     32     — 

Richter  hiDgehören,  Leute,  die  nicht  nur  über  gründliche^ 
juristische  Kenntnisse  verfügen,  sondern  einen  klaren 
Blick  für  die  Verhältnisse  des  praktischen  Lebens,  psycho- 
logisches Feingefühl  und  ein  warmes  Herz  haben,  das  sie 
befähigt,  Menschliches,  Allzumenschliches  nicht  nur  in 
juristischen  Formen  zu  fassen,  sondern  auch  menschlich 
natürlich  zu  verstehen  und  zu  richten.  . .  .  Der  zweite 
Punkt  ...  betrifft  den  Verkehr  des  Richters  mit  dem 
Publikum,  insbesondere  mit  den  Angeklagten  und  den 
Zeugen.  Namentlich  über  die  Behandlung  der  letztem 
wurde  im  Reichstage  geklagt,  und,  wie  jeder,  der  die 
Verhältnisse  kennt,  zugeben  wird,  mit  Recht.  Mag  man 
es  auch  mit  dem  Staatssekretär  dem  Richter  zugute  halten, 
wenn  er  im  Verkehr  mit  unbequemen  und  schwerfälligen 
Leuten  hier  und  da  einmal  die  Geduld  verliert  and  mehr 
deutlich  als  liebenswürdig  wird,  so  steht  doch  fest,  dafi 
sich  an  manchen  Oerichten  und  bei  manchen  Richtern 
ein  Ton  herausgebildet  hat,  der  als  durchaus  unangemessen 
bezeichnet  werden  muß.  Da  gibt  es  cholerische  oder  nervöse 
Naturen,  die,  nachdem  sie  sich  aus  den  Akten  oder  der 
Verhandlung  ein  bestimmtes  Bild  der  Sache  gemacht 
haben,  unwillkürlich  gereizt  werden,  wenn  ihnen  ein 
Zeuge  entgegentritt,  dessen  Aussage  nicht  in  ihre  Auf- 
fassung hineinpaßt,  die  eine  solche  Aussage  wie  einen 
ihnen  angetanen  Tort  empfinden  und  den  Zeugen  wie 
eine  Art  persönlichen  Feind  behandeln.  Dann  gibt  es 
andere,  namentlich  jüngere  Richter,  die  es  überhaupt  der 
Würde  der  Justiz  schuldig  zu  sein  glauben,  daß  sie,  wie 
eine  alte  Prozeßordnung  dem  Richter  vorschreibt,  dasitzen 
,wie  ein  griesgriraraender  Löwe*,  selbst  unnahbar  und  un- 
wirsch, andrerseits  aber  bereit,  jede  Ungeschicklichkeit, 
jedes  aufgeregte  Wort  mit  Ordnungsstrafen  zu  ahnden. 
Und  während  so  die  Zeugen  wie  Rekruten  oder  Schul- 
buben behandelt  werden,  wird  mit  den  Angeklagten  zu- 
weilen verfahren  wie  mit  überführten  Verbrechern,  und 
zwar  Verbrechern  schlimmster  Art  —  sollte  es  sich  auch 
nur  um  einen  harmlosen  Preßprozeß  handeln. . . . 


I 


—     33    — 

Es  gibt  eben  eine  ganze  Anzahl  Richter,  die  von  den 
alten  preußischen,  in  gewissen  Beamten  kategorien  geradezu 
zum  Dogma  gewordenen  Traditionen  nicht  lassen  können, 
daß  der  Beamte  eine  Art  Elitemensch,  daß  der  königliche 
Dienst  eine  über  alles  Irdische  erhabene  Beschäftigung  sei 
ond  daß  der  Beamte  in  und  vielleicht  auch  außer  dem 
Dienste  dieser  seiner  Erhabenheit  über  iH&profanum  vulgus 
anter  allen  Umständen  Ausdruck  verleihen  müsse,  und  zwar 
am  besten  und  deutlichsten  durch  —  Grobheit  Eine 
solche  Auffassung  ist  aber  nicht  geeignet,  der  Justiz  be- 
sondere Sympathien  zu  erwerben,  zumal  bei  den  zahl- 
reichen Leuten  aller  Stände,  die  ohnehin  nur  mit  einem 
gewissen  Zagen  mit  dem  Gericht  in  Beziehung  treten,  weil 
sie  unwillkürlich  mit  diesem  Worte  stets  den  Begriff  von 
etwas  ünheildrohendem  verbinden.  Wer  einmal  so  be- 
handelt worden  ist,  der  nimmt  den  Eindruck  mit,  daß 
das  Gericht  eine  Stätte  ist,  wo  man  ohne  Grund  schlecht 
behandelt  und  mit  seinem  Anliegen  nicht  ordentiich  an- 
gehört wird,  wo  der  Richter  allmächtig  und  das  Publikum 
hilflos  ist  und  sein  Recht  nicht  wahren  kaifn,  kurz,  eine 
Einrichtung,  die  kein  Vertrauen  erweckt  und  der  man 
sich,  nicht  nur  als  Angeklagter,  sondern  auch  als  Zeuge 
möglichst  fern  halten  soll.  Dieser  Eindruck  ist  häufig 
der  einzige  und  bleibende,  und  so  erzieht  mancher  Richter 
durch  sein  bloßes  äußeres  Verhalten  das  Publikum,  nament- 
lich das  der  geringeren  Stände,  dazu,  in  ihm  statt  eines 
Freundes  und  Schützers  einen  lästigen  Schikaneur  und 
Feind  zu  sehen  —  und  verwundert  sich  obendrein  noch, 
daß  das  Zutrauen  zur  Justiz  schwindet,  c 

Ich  habe  diesen  Worten  weiter  nichts  hinzuzufügen 
als  das,  daß  der  Einfluß  eines  solchen  »unnahbaren  und 
unwirschen«  Wesens  auf  ein  Eindesgemüt  noch  viel 
intensiver  wirkt,  als  auf  die  Erwachsenen,  selbst  die  »der 
geringeren  Stände«,  und  wahrlich  nicht  zum  Nutzen  der 
objektiven  Wahrheit  Es  gibt  aber  immer  noch  Richter 
in   beträchtlicher  Anzahl,    die    da   meinen,   durch    Ein- 

Pld.  Hä«.  312.    Hichel,  Zeognisflhigkeit  d.  Kinder.  3 


—     34    — 

achüchteruDg  am  ehesten  zum  Ziele  za  gelangen,  von  den 
Polizeibeamten  gar  nicht  zu  reden. 

Es  ist  bei  uns,  nicht  bloß  allein  von  frauenrechtlerischer 
Seite,  sondern  auch  von  namhaften  Pädagogen  und  Psycho- 
logen, so  vor  etwa  40  Jahren  von  Dörpfeld  und  in 
neuester  Zeit  von  Trüper^  die  Forderung  zur  Einführung 
von  »Jugendgerichtshöfen«  gestellt  worden,  die  sich  in 
Amerika  recht  gut  bewährt  haben.  Es  wäre  zu  wünschen, 
daß  der  Verwirklichung  dieser  Idee  von  maßgebender 
Seite  nahegetreten  würde;  dann  würden  Fälle,  wie  die 
nachfolgenden,  die  so  großes  Aufsehen  und  berechtigten 
Unwillen  erregt  haben,  einfach  zu  den  Unmöglichkeiten 
gehören. 

»Arolsen,  8.  Oki  (1906).  Was  für  einen  Wert  ,Qe- 
ständnisse^  von  beschuldigten  Eindem  oft  haben,  zeigt 
folgender  drastischer  Fall.  In  Weimar  sollte  ein  12 jähriger 
Enabe  ein  Paket,  das  er  für  einen  Major  a.  D.  zur  Post 
tragen  sollte,  und  das  beim  Adressaten  nicht  angekommen 
war,  unterschlagen  haben.  Der  Knabe  hatte  anfänglich 
jede  Schuld  ifi  Abrede  gestellt,  dann  aber,  von  dem  ihn 
vernehmenden  Kriminalbeamten  hart  und  drohend  an- 
gelassen, (man  habe  ihm  gesagt,  wenn  er  noch  weiter 
lüge,  werde  er  Schläge  bekommen,  daß  er  die  Wände 
hinauflaufe  —  so  fügte  der  ,Gen.-Anz.  f.  Dortmund  und 
Umgegend^  in  Nr.  273  seines  Unterhaltungsblattes  hinzu) 
ausgesagt,  er  habe  das  Paket  geöffnet,  sich  20  M  daraus 
angeeignet  und  diese  zum  Teil  vernascht,  zum  Teil  im 
Schießhaushölzcben  vergraben,  das  Paket  selbst  aber  in 
die  Um  geworfen.  Daraufhin  wurde  vom  Staatsanwalt 
Anklage  erhoben.  Nicht  lange  darnach  stellte  sich  heraus, 
daß  das  Paket  richtig  auf  der  Post  eingeliefert,  der 
Adressat  aber  am  Bestellungsorte  lange  nicht  gefunden 
worden  war,  so  daß  er  die  Sendung  erst  verspätet  erhielt. 
Auf  dem  Postamte  hatte  man,  als  die  Polizei  nachforschte, 
in  einer  falschen  Liste  gesucht  und  daher  die  Aufgabe 
nicht  verzeichnet  gefunden.« 

Der  »Frankf.  Ztg.«  wird  geschrieben:   »Es  ist  in  einer 


-     86     — 

Kreisstadt  Westfalens.  Vom  Wall  aus  gelangt  man  durch 
einen  hübschen  Garten  ins  Offizier-Kasino.  Zwischen  den 
Pfosten  der  Oartentfir  haben  eines  Tages  böse  Buben  in 
geringer  Höhe  vom  Boden  einen  Draht  ausgespannt,  über 
den  ein  Offizier  gestolpert  oder  nach  andern  Aussagen 
sogar  gefallen  ist . . .  Als  der  Offizier  fällt,  erheben  einige 
umherstehende  Buben  ein  wahres  Freudengeheul,  bis  sie 
der  des  Weges  kommende  Polizeiwachtmeister  beim  Kragen 
hfit  und  zum  Yerhör  ins  Bathaus  bringt.  Es  wird  ein 
Protokoll  aufgenommen  und  vom  Bürgermeister  unter- 
schrieben, ein  Protokoll,  worin  die  beiden  7— 8jährigen 
Schüler  sich  als  Täter  hinstellen  und  die  Einzelheiten  der 
Tat  auch  angeben.  Als  Zeuge  fungiert  der  Wachtmeister, 
und  den  Schluß  bildet  das  übliche:  ▼.  g.  u.,  und  dann 
folgt  die  eigenhändige  Unterschrift  der  beiden  Schüler. 
Diese  besuchen  verschiedene  Schulen.  Das  Protokoll  wird 
mit  einigen  begleitenden  Worten  den  betreffenden  Rek- 
toren zugestellt,  damit  sie  die  Sünder  ,im  Wege  der 
Schnlzuchf  bestrafen.  Nach  ,Kenntni8nahme  und  weiteren 
Yeranlassung'  in  der  einen  Schule  (der  Schüler  hatte 
auch  hier  seine  Tat  gleich  zugegeben)  nahte  das  Unglück 
dem  letzten  Frevler.  Am  Samstag  wird  mir  als  Klassen- 
lehrer das  Schriftstück  überreicht  Ich  hatte  noch  nichts 
von  der  ganzen  Sache  gehört,  kannte  den  Schüler  ein 
ganzes  Jahr  und  konnte  mir  nicht  denken,  daß  der  Knirps 
es  wirklich  gewesen  sein  sollte.  So  verschwand  also  das 
Schriftstück  in  einer  der  weiten  Schulmeistertaschen,  um 
erst  am  Montag  wieder  zu  erscheinen.  Als  ich  an  diesem 
Tage  zur  Schule  ging,  erwartete  mich  schon  die  Mutter 
des  Schülers  und  sagte,  daß  ihr  Karl  es  wirklich  nicht 
gewesen  sei,  er  habe  nur  aus  Angst  alles  zugegeben» 
wüßte  auch  selbst  nicht,  was.  Ich  versprach  ihr,  mich 
auch  jetzt  nicht  aus  der  Buhe  bringen  zu  lassen. ...  In 
der  Schule  sagte  mir  Karl,  indem  er  meine  Hände  um- 
bßte: 

,Herr  Lehrer,  ich  bin  es  wirklich  nicht  gewesen.' 

,Du  hast  aber  doch  unterschrieben.' 


—     36     — 

Jch  meinte,  das  müßte  ich/ 

,Wer  ist  es  denn  gewesen?  Da  warst  doch  immer 
dabei  und  hast  alles  gesehen/ 

Er  nannte  nun  zwei  12 — 13jährige  Schüler.  Den  einen 
konnte  ich  gleich  holen  lassen,  und  er  betrat  mit  den 
Worten: 

,Ich  bin's  aber  nicht  gewesen!^  die  Klasse.  Ich  fragte 
ihn  dann,  wer  von  ihnen  den  Draht  gerade  und  glatt 
gemacht  habe.  (Um  neuen  zu  kaufen,  hatten  beide  kein 
Oeld.)  Ich  hatte  einen  guten  Griff  getan.  Erstaunt  über 
meine  Kenntnisse,  bekannte  er  sich  hierzu,  alles  weitere 
aber  habe  der  andere  fast  ganz  aUein  gemacht  Den 
beiden  kleinen  Buben  hatten  sie  unter  den  schwersten 
Bedrohungen  befohlen,  da  stehen  zu  bleiben  und  so  die 
Schuld  auf  sich  zu  nehmen.  Er  gestand  denn  auch  bald 
alles.  Ich  war  froh  und  habe  Schüler  und  Protokoll  ,zur 
Kenntnisnahme  und  weiteren  Veranlassung'  zurück* 
gegeben.« 

Soweit  die  Zeitungsberichte.  Handelt  es  sich  in  diesen 
Beispielen  auch  nicht  gerade  um  reine  Zeugenverneh- 
mungen, so  ändert  das  doch  nichts  an  der  Tatsache  der 
Aussagefälschung,  hervorgerufen  durch  die  verkehrte  Be- 
handlung von  selten  der  Polizei.  Der  Beweis  aber  ist 
damit  wohl  erbracht,  daß  diese  kriminalistisch  und  psycho- 
logisch ungeschulten  Beamten  nicht  die  geeigneten  Organe 
sind,  um  die  Untersuchung  und  Zeugenvernehmung  Jugend- 
licher im  Vorverfahren  zu  führen. 

Die  Aussage  des  Kindes  ist  nichts  Einfaches,  durch 
keine  Logarithmenreihe  oder  den  »gesunden  Menschen- 
yerstand«  berechen-  oder  abschätzbare  Sache.  Sie  ist  viel- 
mehr das  verwickelte,  gleichsam  einen  gordischen  Knoten 
bildende  Resultat  vielfacher  in-  und  aufeinander  wirken- 
der, in  physischen  und  psychischen  Ursachen  begründeter 
Faktoren,  zu  dessen  Lösung  es  anderer  Mittel  bedarf^  als 
des  Draufgängertums  jenes  Makedoniers  Alexander  und 
seiner  in  Mars  verwandten  Vettern  von  heute.  Um  die 
verschlungenen  Fäden  dieser  psychischen  Komplikationen 


—     37     — 

io  geordneter  Weise  zu  entwirren,  ist  einzig  und  allein 
der  Fachmann,  d.  h.  der  Psychologe  oder  Psychiater  am 
Platze,  so  lange  nicht  der  Forderung  gerecht  geworden 
ist:  Psychologische  Yorbildung  unserer  Juristen.  Polizisten 
und  Gendarmen  mögen  achtenswerte  Leute,  in  ihrem  Beruf 
tüchtige  Beamte  sein;  aber  von  dem  kindlichen  Seelen- 
leben können  sie  aus  den  Paragraphen  ihrer  Dienst- 
instruktion nichts  gelernt  haben. 

Bechtsanwalt  Dr.  Chraff  nennt  in  einer  Elberfelder 
Stadtverordnetenversammlung  im  Februar  1906  diese  Ein- 
richtung, daß  man  den  untergeordneten  Beamten  die  Auf- 
nahme wichtiger  Protokolle  anvertraut,  und  daß  die  Oe- 
richte  diesen  Schriftsätzen  der  Eriminalsergeanten  außer- 
ordentliches Gewicht  beilegen,  etwas  deutlich  zwar,  aber 
gewiß  nicht  unrichtig,  geradezu  gemeingefährlich.  Dieses 
Verfahren  sei  unter  keinen  Umständen  zu  billigen. 

Darum  fort  mit  dieser  mittelalterlichen  Institution,  fort 
mit  derselben  im  Interesse  der  Kinder,  im  Interesse  der 
Lehrer,  im  Interesse  der  Menschheit.  Wende  mir  nie- 
mand ein,  es  seien  nur  zwei  Fälle  bekannt  gegeben.  Wer 
mit  offenen  Augen  die  Vorkommnisse  des  täglichen  Lebens 
betrachtet,  wird  Fälle  aus  seiner  eigenen  Erfahrung  hinzu- 
fugen können,  die  dasselbe  beweisen. 

Hierbei  will  ich  noch  einer  andern  von  üppi^tem 
Bureaukratismus  zeugenden  Einrichtung  unserer  hl.  Justitia, 
die  geeignet  ist,  ein  empfangliches  Eindesgemüt  aufs  heftigste 
zu  erregen  und  der  Beeinflussung  den  günstigsten  Boden 
zu  bereiten,  gedenken:  der  üblichen,  durch  Schema  f  vor- 
geschriebenen formellen  Vorladung^  als  Zeuge  zu  er- 
scheinen, auch  an  Kinder.  Ein  Beispiel  ist  wohl  auch 
hier  am  ehesten  geeignet,  uns  dies  zu  veranschaulichen. 
Ans  einer  Stadt  an  der  Ruhr  wird  der  »Frankf.  Ztg.«  ge- 
sdirieben:  »Komme  ich  dieser  Tage  zu  einer  befreundeten 
Familie  und  finde  alles  in  größter  Aufregung.  Die  Mutter 
läuft  mit  vom  Weinen  geröteten  Gesicht  umher  und 
deutet  auf  meine  wiederholte  Frage,  was  denn  passiert 
sei,  stunmi  auf  ein  amtliches  Schriftstück.    Ich  sehe 


—     88    — 

mir  die  Urkunde  aD,  eine  polizeiliche  Yorladung: 
»An  den  Schüler  X.  Y.  (Es  ist  der  jüngste  Sprößling 
der  Familie,  ein  hoffnungsvoller  Quartaner,  12  Jahre  alt) .. 
Sie  werden  beschuldigt  usw.,  Sachbeschädigung  und  Un- 
fug verübt  zu  haben,  und  sollen  dieserhalb  dann  und 
dann  vernommen  werden,  c  So  ähnlich  lautete  die  Vor- 
ladung, unterzeichnet  von  dem  zuständigen  Kriminal- 
kommissar und  mit  dem  Amtssi^l  der  Stadt  versehen. . . 

»Ja,  und  denken  Sie  nur,«  sagt  schluchzend  die  Frau 
des  Hauses,  »eine  ganze  Anzahl  der  Kinder  aus  der 
Straße  ist  als  Zeuge  vorgeladen.« 

Und  richtig  zeigt  sie  mir  auch  eine  solche  Zeugen- 
vorladung, in  der  höchst  förmlich  zu  lesen  stand,  daß 
»Sie  (es  war  ein  lOjähriger  Junge)  in  der  Sache  X.  Y. 
wegen  Sachbeschädigung  und  Dnfug  als  Zeuge  vemommeo 
werden  sollen«. 

Es  wäre  interessant,  den  weiteren  Verlauf  dieser  Sache, 
insbesondere  die  Art  und  Weise  der  Vernehmung  vor 
dem  Polizeibureau,  zu  kennen. 

Als  schwerwiegendste  Folge  der  Vorvemehmung  der 
Kinder  durch  dazu  ungeeignete  Personen  ist  die  starke 
suggestive  Beeinflussung  der  Erinnerung  und  Dar- 
stellung durch  die  jugendlichen  Zeugen  anzusehen.  Selbst- 
verständlich sind  die  Ursachen  der  Suggestion  weit  mannig- 
faltigere; sie  sollen  im  nachfolgenden  des  näheren  dar- 
gelegt werden.  Daß  die  Wahrnehmung  ebenso,  wie 
die  Erinnerung  und  Aussage,  der  Macht  der  suggestiven 
Beeinflussung  unterworfen  ist,  bedarf  wohl  kaum  der  be- 
sonderen Betonung.  Ehe  ich  aber  näher  hierauf  eingehe, 
sei  mir  gestattet,  den  Begriff  »Suggestion«  näher  zu  präzi- 
sieren. Ein  Beispiel  wird  mir  dies  erleichtem.  Dr.  Frhr. 
f.  Schrenck'Notxing  erzählt  in  seiner  Abhandlung  »Über 
Suggestion  und  Erinnerungsfälschung  im  Berchtold-Prozeß«: 
»Ich  konnte  mehrere  gesunde  Arbeiter,  die  ich  zum  ersten 
Male  in  meinem  Leben  sah,  durch  starke  Affirmation  da- 
hin bringen,  daß  sie  schließlich  bezeugten,  einer  fingierten 
Körperverletzungsscene   beigewohnt  zu  haben.     Ich   be- 


—    39     — 

zweifle  nicht,  daß  diese  Personen  ihre  Angaben  be- 
schworen hätten.  €  Wider  Wissen  und  Willen  waren  sie 
za  ihrer  jetzigen  subjektiven  (irrigen)  Überzeugung  ge^ 
langt  Etwaige  (}egen-  oder  Hemmungsvorstellungen  waren 
vollständig  unterdrückt  und  konnten  nicht  mehr  klärend 
und  berichtigend  zur  Geltung  kommen.  »So  lange  wir 
für  diesen  psychischen  Vorgang  kein  prägnanteres  Wort 
kennen,  sind  wir  vollkommen  berechtigt,  denselben  als 
Suggestion  zu  bezeichnen.«  »Suggestion  heißt  Beein- 
flossung,  ist  die  Zwangsjacke  des  Denkens,  ein  seelisches 
Element,  welches  die  freie  Denkungsweise  des  Menschen 
stört  und  zum  Teil  zerstört,  und  diesem  Moment  kann 
sich  kein  Mensch  entziehen»  weder  der  Oebildete  noch 
der  ungebildete,  der  eine  ist  in  höherem  Maße  demselben 
zugänglich,  der  andere  minder.«  {v.  Panmvitz,)  Ich  füge 
hinzu:  Diesem  kann  sich  vor  allem  ein  Kind  nicht  ent- 
ziehen. Denn  bei  ihm  sind  die  vorerwähnten  als  Hem- 
mungsvorstellungen bezeichneten  seelischen  Bedingungen, 
die  >  Gegensuggestionen  €,  in  entsprechend  geringerem 
Qmde  vertreten^  da  ihm  noch  die  logische  Reife,  das 
»geistige  Kriterium«  des  Erwachsenen  abgeht 

Die  Ursache  der  Suggestion  kann  eine  sehr  ver- 
schiedene sein.  Am  häufigsten  tritt  wohl  die  Yerbal- 
suggestion  auf.  Elternhaus  und  Schule  sind  Pflanzstätten 
der  Erziehung  des  Kindes,  sind  aber  auch  der  Boden, 
auf  dem  so  manche  pädagogischen  Fehler  wachsen  und 
gedeihen,  die  das  Kind  gerade  für  das  gesprochene  Wort 
einer  ihm  autoritativen  Persönlichkeit  nur  zu  empfänglich 
macht  Die  wenigsten  Eltern  erziehen  ihren  Liebling  in 
der  Weise,  daß  er  schon  in  früher  Jugend  auf  eigenen 
Füßen  zu  stehen  vermag,  sich  selbst  in  für  ein  Kind 
schwierigeren  Lagen  zu  helfen  fähig  ist  Die  Folge  ist, 
wenn  nicht  noch  zur  rechten  Zeit  eine  Änderung  in  der 
Erziehung  eintritt,  eine  ünbeholfenheit  des  zum  Jüngling 
und  Manne  herangereiften  Knaben  selböt  den  natürlichsten 
Torkommnissen  des  täglichen  Lebens  gegenüber.  Und 
ist  die  Bevormundung  in  intellektueller  Beziehung  etwa 


—    40     — 

geringer?  Ich  bedaure  stets  aas  tiefstem  Herzen  das 
Bürschchen,  dem  Vater,  Mutter  oder  Geschwister  oft  Wort 
für  Wort  seine  schriftlichen  Aufgaben  diktieren  und  seine 
Bechenexempel  für  ihn  lösen,  damit  er  ja  nicht  seinen 
Oeist  übermäßig  anzustrengen  brauche.  Er  ist  ja  noch  so 
klein! 

Leider  ist  auch  die  Schule  infolge  Überfüllung  und 
Überbürdung  nicht  immer  in  der  Lage,  das  Eind  schon 
von  frühe  auf  in  gewünschtem  Maße  zum  selbständigen 
Gebrauch  seiner  Yerstandeskräfte  anzuhalten  und  es  daran 
zu  gewöhnen,  nachzuprüfen,  was  es  gesehen,  gehört  oder 
gelesen  hat.  Es  ist  ja  sehr  schön  und  bis  zu  einem  ge- 
wissen Orade  erstrebenswert,  daß  die  Kinder  in  Fällen, 
in  denen  von  andern  Personen  die  Wahrheit  einer  Sache 
angezweifelt  wird,  mit  dem  Gegenargument  kommen:  Der 
Herr  Lehrer  hat  es  gesas;t,  also  ist  es  richtig.  In  zweifel- 
haften Fällen  oder  solchen,  die  für  den  kindlichen  Geist 
noch  zu  hoch  sind,  mag  es  gelten,  sonst  aber  kann  mit 
der  Gewöhnung  zur  Selbständigkeit,  mit  der  Ausbildung 
seiner  kritischen  Vernunft  nicht  frühe  genug  begonnen 
werden.  Keine  Unmündigen  und  »geistigen  Mumienc, 
sondern  klar  schauende  und  scharf  denkende,  selbst 
prüfende  Menschen!  Das  sei  das  Ziel  unserer  Erziehung 
und  unseres  Unterrichts. 

Entsprechend  dem  denkschwachen  und  denkträgen 
Kinde  ist  das  schüchterne  der  suggestiven  Wirkung  einer 
autoritativen  Beeinflussung  mehr  ausgesetzt  als  der  Kecke 
und  Lebhafte,  ganz  besonders  dann,  wenn  etwa  noch  eine 
Einschüchterung  durch  den  Fragenden  erfolgt.  Affekt- 
zustände aber,  Angst,  Schreck,  Furcht,  Entsetzen,  Partei- 
lichkeit spielen  bei  der  Verfälschung  der  Wahrnehmung 
sowohl  als  auch  der  Erinnerung  und  Aussage  eine  schwer- 
wiegende Rolle.  Denn  das  Kind  läßt  sich  noch  zu  sehr 
von  seinen  Gefühlen  leiten;  es  gewährt  der  Stimme 
der  Vernunft,  der  streng  sachlichen  Gerechtigkeit  noch 
keinen  oder  doch  nur  geringen  Einfluß  auf  seine  Aus- 
sagen  oder   Urteile;    es    vermag   noch  nicht  das  Senk- 


—    41     — 

blei  der  Logik  gleich  dem  gebildeten  Erwachsenen  an 
seine  Beden  und  Handlangen  anzulegen;  ihm  fehlt  noch 
die  Fähigkeit  der  »kritischen  Besinnung«.  iSein  Oeist 
hat  noch  kein  Verhältnis  von  Orund  und  Folge,  die  des- 
halb ebenso  gut  richtig  wie  verkehrt  aufgefaßt  werden 
können.«    (Dr.  Wilh.  Ämeni) 

Zur  Illustration  dieser  Ausführungen  weise  ich  auf 
das  schon  mitgeteilte  Beispiel  der  Suggestion  durch  Partei- 
lichkeit (S.22)  und  auf  den  »Fall  NoeUe«  (S.lSu.f.)  hin. 

Es  ist  mit  Genugtuung  zu  begrüßen,  daß  in  gericht- 
lichen Erkenntnissen  —  hin  und  wieder  wenigstens  — 
auf  die  hochgradige  Suggestibilität  gebührende  Rücksicht 
genommen  wird.  Ich  will  es  nicht  unterlassen,  die  mir 
bekannten  Fälle  dieser  Art  hierselbst  anzuführen.  Leider 
sind  mir,  außer  dem  wohl  allgemein  bekannten  Falle  des 
katholischen  Oeistlichen  Mahi^  keine  Erkenntnisse  über 
Verurteilungen,  gestützt  allein  auf  Kinderaussagen,  zu- 
ganglich gewesen.  Beispiele  dieser  Art  mußten  also, 
trotzdem  ihrer  überwiegend  mehr  sind,  zu  meinem  Leid- 
wesen unterbleiben. 

Das  Landgericht  Stettin  (10.  8.  03)  begründet  den 
Treispruch  eines  wegen  Überschreitung  des  Züchtigungs- 
rechts angeklagten  Kollegen  folgendermaßen:  »Bei  dem 
finst  gleichen  Wortlaut  der  Aussagen  dieser  vier  Mädchen 
aber  mußte  sich  der  Verdacht  aufdrängen,  daß  sie  in 
irgend  einer  Weise  beeinflußt  worden  sind,  oder  daß 
sie  sich  untereinander  besprochen  oder  verabredet  haben, 
auch  verwickelten  sie  sich  beim  Befragen  über  die  Zeit 
in  Widersprüche  insofern,  als  die  einen  behaupteten,  es 
sei  im  Sommer  gewesen,  während  es  nach  der  Aussage 
der  andern  im  Herbst  gewesen  sein  sollte,  so  daß  ihr 
Zeugnis  schon  deshalb  höchst  zweifelhaft  erschien.  Noch 
hinfalliger  aber  wird  es  durch  das  völlig  einwandfreie 
Zeugnis  der  Lehrer  Y.  und  Z.  Y.  hat  gleich,  nachdem 
bekannt  geworden  war,  daß  die  X.  infolge  einer  Miß- 
handlung des  Angeklagten  erkrankt  sein  sollte,  in  der 
Klasse  nachgefragt,  wer  etwas  von  der  Mißhandlung  wüßte. 


—    4ä    — 

Darauf  hat  sich  nur  die  Schwester  der  Verstorbenen  nnd 
eine  andere  Schülerin  N.  gemeldet;  die  heutigen  Zeuginnen 
A.,  B.^  G.  haben  sich  nicht  gemeldet.  Auch  der  Lehrer  Z. 
hat  in  der  Klasse  herumgefragt,  wer  etwas  von  der  Sache 
wüßte,  worauf  sich  wiederum  nur  die  Schwester  und  die 
N.  meldeten.  Letztere  hat  aber  beim  Befragen  nichts  zu 
erzählen  gewußt  Es  bleibt  also  nur  das  Zeugnis  der 
Schwester  der  Verstorbenen  übrig,  das  aber  allein  nicht 
von  großer  Erheblichkeit  sein  konnte.  . . .  Nahe  liegt  in- 
dessen die  Annahme,  daß  die  Mutter  darüber  ge- 
sprochen hat,  und  daß  das  Kind  das  Gehörte 
dann,  wie  bei  Kindern  ja  so  leicht  geschieht,  aU 
eigenes  Erlebnis  dargestellt  hat.<^) 

Andrerseits  soll  hierbei  aber  gleichzeitig  erwähnt 
werden,  daß  viele  Oerichtshöfe  unter  gänzlicher  Außer- 
achtlassung dieses  Motivs  schlankweg  auf  Grund  von 
Kinderaussagen  zur  Verurteilung  gelangen.  Ein  Kollege 
wurde  von  dem  Landgerichte  Plauen,  2.  Strafkammer,  zu 
30  M  Strafe  und  15  M  Buße  für  vier  Schläge  aufs  OeeäB 
verurteilt,  weil,  wie  aus  den  »zurückgebliebenen  Spurenc 
und  »aus  den  Angaben  des  (gezüchtigten.  D.  Verf.) 
Knaben«  (!)  hervorgehe,  sie  »sehr  stark  und  schmerz- 
haft gewesen«  seien.  2)  Wenn  hier  also  sogar  die  Aus- 
sage des  gestraften,  durch  Parteilichkeit  doch  entschieden 
suggestiv  beeinflußten  Knaben  als  ein  vollgültiges  Zeugnis 
angesehen  wird,  wie  sollte  man  da  erwarten,  daß  die 
wissenschaftlichen  Ergebnisse  der  Aussagepsychologie  gar 
noch  bei  den  Bekundungen  an  dem  Straffalle  physisch 
unbeteiligter  Kinder  Berücksichtigung  fanden.  Die  ge- 
straften Kinder  selber  und  deren  Eltern  sind  stets  durch 
Parteilichkeit  beeinflußt;  sie  dürften  darum  überhaupt 
nicht  als  Zeugen  zugelassen  werden. 

Eine  ganz  besondere  Beachtung  und  genaue  Prüfung 
verdienen  die  Zeugenaussagen  der  Kinder,  wenn  es  sich 


0  F.  Ä.  Müller,  Lehrer  und  Strafgesetz,  S.  100. 
')  Ebenda  S.  106. 


—    43    — 

am  die  gefihriichste  aller  Anklagen,  die  wegen  SittUch- 
keitsTerbiechen,  handelt  Am  schlimmsten  sind  in  dieser 
BesidiaDg  infolge  der  vielfachen  gerade  gegen  sie  ge- 
richteten Anzeigen  die  Lehrer  gestellt,  deren  angebliche 
Taten  in  den  meisten  Fällen  nar  von  Kindern  bezeugt 
werden  können.  Trotzdem  bei  Prozessen,  die  in  der 
Strafkammer  oder  vor  dem  Schwurgericht  spielen,  die 
Zengenaussagen  niemals  protokolliert  werden,  so  »habe 
ich  doch  in  zahlreichen  Prozessen  wegen  Verbrechen 
wider  die  Sittlichkeit,  einmal  auch  in  einem  Prozesse 
wegen  Brandstiftung,  die  Überzeugung  gewonnen«,  schreibt 
mir  der  bekannte  und  schon  mehrfach  erwähnte  Münchener 
Rechtsanwalt  Dr.  v.  Pannivitz^  »daß  die  Aussagen  von 
Kindern  unter  7  —  8  Jahren  (nur  diese?  D.  Verf.)  fast 
immer  unzuverlässig  und  beeinflußt  sind.  Bisweilen  ge- 
läJig  es  durch  das  Zeugnis  von  Lehrern,  Geistlichen  oder 
simstigen  Personen,  die  Kinder  direkt  der  unglaubwürdig- 
keit,  Lügenhaftigkeit  und  Beeinflußbarkeit  zu  überführen, 
80  daß  Freispruch  erfolgte,  bisweilen  versagten  derartige 
Gegenbeweise  vollständig.«  Es  ist  natürlich  in  den  Fällen, 
in  denen  das  Gericht  zu  einer  Verurteilung  gelangte,  den 
Zeuginnen  Glauben  geschenkt,  »auch  wenn  es  nur  eine 
war.«  ^)  Wie  oft  mag  da  einem  unschuldigen  zeitlebens 
der  Stempel  des  Verbrechers  auf  die  Stirn  gedrückt,  wie* 
viel  Jammer  und  herzbrechendes  Elend  über  seine  An- 
gehörigen gebracht  sein! 

In  dem  folgenden  Beispiele  bedurfte  es  erst  eines 
Gutachtens  des  Psychologen  und  Psychiaters  Dr.  Frhr. 
r.  Schrenck'Notxing^  damit  das  gegen  einen  bekannten 
Assistenzarzt  eines  größeren  Krankenhauses  in  München 
eingeleitete  Verfahren  wegen  Sittlichkeitsverbrechen  von 
der  Staatsanwaltschaft  eingestellt  wurde.  Dr.  K.  hatte 
am  27.  Juli  1898  »in  seinem  Zimmer  ohne  Zeugen  die 
13jährige  Magdalena  S.  zu  Heilzwecken  hypnotisiert  und 
die  Unvorsichtigkeit   begangen,   während   der  Dauer   des 


>)  F.  Ä.  Müller,  Lehrer  und  Strafgesetz,  S.  200. 


—    44     — 

Schlafeastandes  in  Gegenwart  der  Hypnotisierten  seinen 
Urin  zu  entleeren.  Kurz  nach  diesem  Yorfall  wurde  von 
Seiten  der  Königlichen  Staatsanwaltschaft  die  Anklage 
gegen  ihn  erhoben,  er  habe  dem  hypnotisierten  Einde 
sein  Olied  in  den  Mund  gesteckt  und  ihm  in  den  Mund 
uriniert.  Diese  Anklage  stützte  sich  auf  die  Aussage  des 
13jährigen  Kindes.  Aufgefordert,  mich  gutachtiich  über 
diesen  Fall  zu  äußern,  erkannte  ich  bald  nach  genauer 
Prüfung  des  Tatbestandes,  nach  Untersuchung  des  Kindes^ 
daß  es  sich  nur  um  eine  traumhafte,  illusionierende  Ver- 
arbeitung von  Wahrnehmungen  im  hypnotischen  Zustande 
handle  und  zwar  im  Anschluß  an  den  Vorgang  des  Urin- 
lassens.  Die  retroativen  Pseudo-Beminiszenzen  im  wachen 
Zustande  waren  durch  Phantasietätigkeit  und  Besprechung 
mit  den  Angehörigen  übertrieben  worden.  Und  so  wurde 
das  einfache  Produkt  falscher,  autosuggestiver  Deutung 
von  Wahrnehmungen  in  der  Hypnose  und  von  rück- 
vnrkender  Erinnerungsfälschung  zur  Unterlage  einer  so 
schweren  Anklage,  welche  die  ganze  Zukunft  des  Kollegen 
zu  vernichten  drohte.  Infolge  des  Gutachtens  wurde,  wie 
erwähnt,  das  Verfahren  eingestellt«^) 

Als  weitere  Beispiele,  nach  denen  der  Lehrer  aus 
Oründen  der  Unglaubwürdigkeit  der  Kinder- Zeugen  von 
dem  Verdachte  eines  Verbrechens  gegen  §  176  des  R.- 
Str.-G.-B.  freigesprochen  wurde,  mögen  folgende  dienen. 

Freispruch  des  Landgerichts  Greifswald  (IL  7.  02). 

»Die  Aussagen  der  sechs  Zeuginnen  sind  in  sich  un- 
glaubwürdig, wenn  auch  an  dem  guten  Glauben  derselben 
nicht  gezweifelt  werden  soll.  Es  ist  psychologisch  kaum 
denkbar,  daß  keines  der  Mädchen,  die  doch  auch  über 
die  von  ihnen  bekundeten  Handlungen  auüs  tiefste  empört 
sein  mußten  —  es  sind  alles  Töchter  wohlsituierter  und 
ehrenwerter  Bauern  —  sich  dieselben  jahrelang  gefallen 
lassen   sollten,   ohne   ihren   Eltern   davon   Mitteilung   zu 


^)  Dr.  Frhr.  v.  Schrenck-Notxing^  ErimiDalpsyohoiogisohe  und 
psyohopathoiogisobe  Studien,  S.  135  a.  s.  f. 


—    46    — 

madien Ebenso  ist  es  kaum  denkbar,  daß  sie  nicht 

untereinander  über  die  Handlungen  des  Lehrers  gesprochen 
haben.  Aach  das  ist  fast  unmöglich,  daß  sie  nicht  gegen- 
seitig beieinander  wahrgenommen  haben,  daß  der  An- 
geklagte an  ihnen   die  fraglichen  Handlungen   vornahm, 

zumal  sie  sich  sämtlich  gesträubt  haben  wollen Es 

will  aber  nur  die  X.  bei  der  Y.  und  Z.  solche  Hand- 
langen wahrgenommen  haben.  Die  N.  differiert  insofern 
mit  den  andern  Zeuginnen,  als  sie  behauptet,  die  andern 
Schalkinder  hätten  die  Handlungen  des  Angeklagten  bei 
ihr  gesehen  und  darüber  gelacht,  während  diese  es  be- 
streiten. Hierzu  kommt  noch,  daß  die  zehn  andern  Schul- 
kinder, die  noch  vernommen  sind,  überhaupt  niemals 
etwas  von  unzüchtigen  Handlungen  des  Angeklagten  ge- 
sehen oder  auch  nur  gesprächsweise  gehört  haben Es 

ist  auch  ein  Erklärungsgrund  vorhanden,  wie  die  Aus- 
sagen der  sechs  Mädchen,  falls  sie  der  Wahrheit  nicht 
entsprechen,  entstanden  sein  können.  Einige  Zeit  vorher 
waren  in  dem  in  der  Nähe  gelegenen  Dorfe  A.  die  beiden 
Schullebrer  wegen  Sittlichkeitsverbrechen  bestraft  und  ab- 
gesetzt Diese  Tatsache  hatte  in  weitem  Umkreise  ge- 
waltiges Aufsehen  erregt  und  war  lange  Gegenstand  des 
allgemeinen  Gesprächs.  Es  faßte  nun  der  Gemeinde- 
vorsteher B.,  der  nach  Aussage  des  Amtsvor&tehers  ein 
recht  unzuverlässiger  und  schwatzhafter  Mann  ist,  einen 
starken  Haß  gegen  den  Angeklagten,  ...  so  daß  er  schließ- 
lich eine  Partei  bildete,  die  darauf  ausging,  den  Angeklagten 
auf  jeden  Fall  aus  C.  zu  entfernen  und  diese  ihre  Ab- 
sicht auch  häufig  unter  mannigfachen  Schmähungen  und 
Yerdächtigungen  des  Angeklagten  aussprach Der  An- 
geklagte war  den  Zeuginnen  so  im  Herbste  1901  als  ein 
abgrandschlechter  Mensch  dargestellt,  da  mag  ihre  erregte 
Phantasie  mit  suggestiver  Kraft  dem  Angeklagten  die 
Taten  als  an  ihnen  verübt,  zuerteilt  haben,  die  sie  von 
den  Lehrern  in  A.  gehört  hatten.  Schließlich  kommt 
hinzu,  daß  dem  Angeklagten  von  allen  unbefangenen 
Seiten  . . .  das  allerbeste  Leumundszeugnis   erteilt  wird. 


—    46    — 

Aus  allen  den  Gründen  ist  den  belastenden  Aussagen  der 

sechs  Zeuginnen  kein  Olaube  geschenkt  worden Er 

mag  den  Mädchen  die  Hand  lediglich  beim  Schreiben  ge- 
führt und  sie  tadelnd  oder  belobigend  an  Arm  und 
Schulter  gefaßt  haben,  woraus  die  Mädchen,  wie  der  An- 
geklagte meint,  unter  dem  Banne  des  gegen  ihn  Tor- 
banden  gewesenen  Komplotts  in  ungeheuerlicher  Über- 
treibung die  von  ihnen  bekundeten  Tatsachen  konstruiert 
haben,  oder  es  mag  sonst  irgend  etwas  den  tatsächlichen 
Urgrund  ihrer  Aussagen  abgeben.  Was  es  ist,  läßt  sich 
jedenfalls  nicht  feststellen.«  ^) 

Freispruch  des  Landgerichts  Berlin  II  (2.  12.  04). 

»Das  Gericht  hat  aber  dem  Mädchen  (der  einzigen 
Zeugini)  den  Glauben  versagt,  und  zwar  auf  Grund 
folgender  Erwägungen:  Es  erscheint  zunächst  im  hohen 
Grade  auffallend,  daß  sie  ihren  Schulkameradinnen,  mit 
denen  sie  täglich  den  Schulweg  zwischen  A.  und  B.  zurück- 
legt, nicht  sofort  von  dem  Mitteilung  gemacht  hat,  was 
ihr  angeblich  soeben  erst  in  der  Kirche  zugestoßen  war. 
Sie  war  auch  nicht  verstört,  niedergeschlagen  und  ein- 
silbig, sondern  war  im  Gegenteil  lustig,  lachte  und  sprang 
umher.  Erst  einige  Tage  später  erzählte  sie  ihnen  auf 
dem  Schulwege  von  dem  Attentate,  welches  der  An- 
geklagte in  der  Kirche  (wo  sie  etwas  herabgefallenen  Kalk 

wegfegen  mußte)  gegen  sie  verübt  haben  sollte Am 

schwersten  fällt  aber  ins  Gewicht,  daß  sie  von  geschlecht- 
lichen Dingen  eine  sehr  große  Kenntnis  besitzt,  was  sich 
aus  einer  Postkarte  ergibt,  die  sie  an  einen  Mitschüler 
geschrieben  hat . . .  Der  sehr  obscöne  Inhalt  dieser  Karte 
zeigt,  daß  die  Schülerin  trotz  ihres  jugendlichen  Alters  in 
sittlicher  Hinsicht  schon  ziemlich  verdorben  ist  und  über 
eine  recht  lebhafte  Phantasie  zu  verfügen  scheint.  Auch 
ihr  Auftreten  in  der  Hauptverhandlung  ließ  erkennen,  daß 
sie  sehr  lebendig  und  leicht  erregbar  ist.  Es  ist  daher 
sehr  wohl  möglich,  daß  sie  bei  ihrer  regen  Phantasie 


>)  F.  A,  Müller,  Lehrer  und  Strafgesets,  S.  194  f. 


—    47     — 

und  ihrer  YOigeschrittenen  Kenntnis  von  geschlechtlichen 
Dingen  sich  einbildet,  Sachen  erlebt  za  haben^ 
die  nicht  geschehen  siod.«^) 

Freisprach  dee  Landgerichts  Neu-Ruppin   (31.  7.  Ol). 

»Das  Gericht  ist  der  Ansicht,  daß  die  augenscheinlich 
schon  ziemlich  verdorbenen  Mädchen  irgend  welche  Be- 
wegungen und  Nachlässigkeiten  im  Anzüge  des  An- 
geklagten mißdeutet  und  aufgebauscht  weitererzählt  haben. 
Das  Oerücht  davon  ist  dann  von  den  Gegnern  des  An- 
geklagten (der  Erhöhung  der  Alterszulagen  und  Umbau 
des  Scbulhauses  forderte)  als  bequemes  Mittel,  den  ver- 
haßten Lehrer  zu  beseitigen,  aufgegriffen  und  weiter  ver- 
folgt worden.  Hierbei  mag  in  dem  Bestreben,  recht  viel 
herauszubekommen,  manches  erst  in  die  Mädchen  hinein- 
ge fragt  worden  sein.«  *) 

Beachtenswert  ist  die  Begründung  eines  Freispruchs 
durch  das  Landgericht  Altena,  I.Strafkammer,  vom  30.4.00. 
Es  heißt  da  kurz  und  bündig,  darum  aber  nicht  weniger 
zutreffend:  »Obgleich  die  X.  nach  übereinstimmender 
Aussage  der  als  Zeugen  vernommenen  Erzieherinnen, 
ihrer  Eltern  und  des  Eindermädchens  ein  wahrheits- 
liebendes Kind  ist,  das  keinerlei  Anlagen  zu  geschlecht- 
lichen Unarten  zeigt,  hielt  das  Gericht  dennoch  in  der 
Erwägung,  daß  die  Aussagen  von  Kindern  stets  mit 
großer  Vorsicht  aufzunehmen  sind,  ihr  gänzlich 
alleinstehendes,  durch  keinerlei  weitere  Zeugenaussagen 
oder  andere  Umstände  unterstütztes,  noch  dazu  mit  ge- 
ringer Bestimmtheit  abgelegtes  Zeugnis  allein  gegenüber 
dem  bestimmten  Bestreiten  des  gänzlich  unbescholtenen 
Angeklagten  für  ausreichend,  um  daraufhin  die  Yer- 
urteilang  des  Angeklagten  folgen  zu  lassen.«^) 

Nun  ist  aus  den  angeführten  Beispielen  nicht  die  Art 
und  Weise  des  Verhörs  zu  ersehen,  und  gerade  das  ist 
von  ungeheurer  Wichtigkeit.    Hat  sich  in   einem  Falle 

1)  F,  A.  Müller,  Lehrer  UDd  Strafgesetz,  S.  196. 
*)  Ebenda  S.  199. 
*)  Ebenda  a  196. 


—    48    — 

ein  Mädchen  verleiten  lassen,  eine  ihrer  Meinung  nach 
dem  Richter  angenehme  Angabe  zu  machen,  um  gleich- 
falls »Geld  oder  eine  Tafel  Schokolade«  zu  erhalten  (aus 
einem  Erkenntnis  des  Landgerichts  Beuthen  O.-S.,  IIL  Straf- 
kammer, 6.  6.  01),^)  so  vermag  andrerseits  Strenge  und 
Schroffheit  den  jugendlichen  Zeugen  dermaßen  einzu- 
schüchtern, daß  der  Untersuchungsrichter  alles  aus  ihm 
herausfragen  kann,  was  er  nur  will. 

»Besinne  dich  einmal,«  so  fragte  einst  ein  Kreisschul- 
inspektor ein  vom  Lehrer  derb  aber  gerecht  gestraftes 
Kind,  »wieviel  Schläge  hast  du  vom  Herrn  Lehrer  er- 
halten?   Waren  es  nicht  dreißig?« 

»N  -  -  ein.« 

»Aber  zwanzig  waren  es  doch  gewiß?« 

»Ja,  zwanzig  waren  es.« 

Li  Wirklichkeit  waren  es  vier  oder  fünf  Hiebe  ge- 
wesen. 

Herr  Seminardirektor  .Boo^  -  Elsterwerda  hat  mir  in 
liebenswürdiger  Weise  ein  Beispiel  aus  seiner  eigenen 
Erzieherpraxis  mitgeteilt,  das  gerade  diesen  Punkt  der 
Verfälschung  hell  beleuchtet     Er  schreibt: 

»Fälle  von  Unzulänglichkeit  der  Einderaussagen  sind 
mir  oft  vorgekommen;   der  schlimmste  ist  folgender: 

Ich  war  im  Jahre  1870  Lehrer  an  der  Unterklasse 
einer  vierklassigen  Volksschule  einer  kleinen  branden- 
burgischen Stadt  Beim  Leseunterricht  benutzte  ich  ein 
mir  gehörendes  Handexemplar  der  Fibel,  das  meist  auf 
dem  Lehrertische  lag  und  allen  Kindern  bekannt  war. 
Eines  Nachmittags  fehlte  die  Fibel;  ich  wußte  genau,  daß 
sie  am  Vormittag  auf  ihrem  Platze  gelegen  hatte,  als  ich 
das  Zimmer  verließ;  nach  mir  hatte  ein  Kollege  Gesang- 
unterricht gegeben.  Keins  der  Kinder  wußte  etwas  über 
den  Verbleib.  Am  andern  Morgen  meldeten  sich  mehrere 
Kinder:  N.  habe  meine  Fibel;  sie  hätten  gesehen,  daß  er  zu 
Hause  am  Fenster  sitzend  darin  geblättert  habe.    Sie  be- 


')  F.  A.  Miäler,  Lehiei  und  Strafgesetz,  S.  198. 


-    49     — 

fichriebeD  die  Sache  so  deutlich,  daß  ich  den  Yersiche- 
roDgen  des  N.,  er  habe  die  Fibel  nicht,  keinen  Glauben 
schenkte,  sondern  ihm  sagte,  er  solle  sie  am  nächsten 
Tage  mitbringen;  er  brachte  sie  aber  nicht,  sondern  sagte, 
sein  Yater  gebe  sie  nicht  heraus.  Dabei  schilderte  er 
ganz  genau,  wo  er  sie  weggenommen  habe  und  wo  sein 
Vater  sie  verschlossen  hielte.  Ich  schickte  ihn  jetzt  nach 
Hause  mit  dem  Auftrag,  die  Fibel  oder  seinen  Vater  mit- 
zubringen.  Der  Vater  kam  und  bestritt,  von  der  Fibel 
etwas  zu  wissen.  Auch  jetzt  noch  blieben  die  ersten  An- 
geber bei  ihrer  Aussage.  Ich  ließ  die  Sache  auf  sich 
beruhen  —  und  tat  gut  daran;  denn  nach  einiger  Zeit 
stellte  sich  heraus,  daß  mein  Kollege  an  jenem  Tage  die 
Fibel  versehentlich  mit  in  seine  Wohnung  genommen  hatte.« 

Desgleichen  weise  ich  auf  den  auf  S.  27  mitgeteilten 
Brief  der  Frau  Hauptlehrer  R- Fulda  hin. 

Femer  ist  auf  die  Form  der  Frage  ein  großes  Gewicht 
zu  legen.  Wenn  der  Lehrer  in  der  Schule  so  fragen 
wollte,  wie  der  Richter  beim  Verhör,  wahrlich,  ihm  wäre 
die  Schularbeit  sehr  leicht  gemacht  Nun  verfolgen  die 
Fragen  des  untersuchenden  Richters  ja  allerdings  keinen 
pädagogischen,  erziehlichen  Zweck;  mit  diesem  Maßstabe 
darf  man  sie  nicht  messen.  Doch  aber  wird  mir  jeder 
beipflichten,  wenn  ich  fordere,  daß  die  Psychologie  der 
Frage  auch  beim  richterlichen  Verhör  gebührende  Be- 
rücksichtigung finde.  Man  kann  nämlich,  wie  gesagt 
nicht  nur  vieles  aus  dem  Kinde  heraus-,  sondern  minde- 
stens ebensoviel  in  es  hineinfragen,  je  nach  dem  Willen 
oder  Ungeschick  des  Fragenden.  Vor  allem  sind  jegliche 
Suggestivfragen  zu  vermeiden. 

»Der  Lehrer  hat  dir  wohl  unrecht  getan,  mein  armes 
Kind?« 

Und  neun  von  zehn  antworten  freudig:    >Ja,  Mama.« 

»Wie,  du  glaubst  doch  nicht,  daß  der  Lehrer  dir  un- 
recht tut,  Junge?« 

»Nein,  Vater.« 

Pld.  Xig.  812.    Michel,  ZtwgniirfMhigkert  d.  Kinder.  ^ 


—     50    — 

»Man  ahnt  oft  gar  nioht,€  so  f&hrt  J,  Loewenberg  in 
seinen  »Oeheiraen  Miterziehern c,  dem  ich  diese  und  die 
folgenden  Zeilen  entnommen  habe,  fort,  »was  man  auf 
diese  Weise  alles  aus  dem  Kinde  herausholen  kann.  Daß 
Oänse  vier  Füße  haben,  Äpfel  auf  Birnbäumen  wachsen^ 
Regen  auch  trocken  sein   kann,  sind  noch  Kleinigkeiten. 

Bei  einem  Vortrage,  den  ich  vor  Jahren  hielt,  war 
ein  kleiner  Quintaner  zugegen.  Am  nächsten  Tage  fragte 
ich  ihn  scherzweise:  »Junge,  warum  hast  du  mir  gestern 
Abend  nicht  geholfen,  als  ich  stecken  blieb ?c 

Zu  meinem  Erstaunen  antwortet  er: 

»Ich  wußte  es  ja  selber  nicht.« 

Nun  frage  ich  weiter:  »Wievielmal  bin  ich  stecken 
geblieben  ?€ 

»Man  zweimal.« 

»und  was  habe  ich  da  getan?« 

»Da  haben  Sie  Wasser  getrunken.« 

»Und  dann.« 

»Das  Buch  rausgekriegt  und  abgelesen.« 

Von  alledem  war  kein  Wort  wahr,  nicht  einmal  Wasser 
hatte  ich  getrunken;  aber  durch  meine  Fragen  veranlaßt^ 
glaubte  der  Junge,  es  sei  geschehen,  wonach  ich  gefragt 
habe.« 

Mindestens  ebenso  suggestiv  beeinflussend  wirkt  ein» 
Konfrontation  des  Angeschuldigten  mit  dem  Zeugen. 
Kinder  sagen,  wenn  ihnen  nach  einem  mehr  oder  minder 
längeren  Verhör  mit  den  vielen  Kreuz-  und  Querfragen 
durch  den  Vorsitzenden,  den  Staatsanwalt,  die  Verteidiger^ 
schließlich  auch  noch  durch  die  Beisitzer  oder  Oe- 
schworenen  der  Angeklagte  gezeigt  wird,  »ja,  das  ist  er.« 
Ghenau  so,  wie  in  der  Verhandlung  vor  dem  Schwur- 
gericht des  Landgerichts  Berlin  II  im  Oktober  1905  wegen 
Mordanfalls  die  Überfallene,  frühere  Fahrkarten- Verkäuferin 
Frl.  Effenberg,  nach  der  langen  nervenzerstörenden  Ver- 
nehmung bei  der  Gegenüberstellung  mit  dem  Angeklagten 
plötzlich  mit  krampfhaftem  Aufschrei  in  den  Ruf  aus- 
brach: »Ja,  Sie  sind's!«  und  er  es  schließlich  doch  nioht  war. 


—    61     — 

Erwihnt  soll  bei  dieser  Oelegeoheit  nur  noch  werden, 
daB  die  Presse  durch  sensationelle  Berichte  und  durch 
die  Yeröffentlichung  der  Photographie  (s.  S.  24),  daß 
Bucher,  besonders  solche  mit  sogenannten  Indianer- 
geschichten und  anderer  Schundlektüre,  den  Kindern  nicht 
selten  von  den  Dienstboten  heimlich  zugesteckt,  u.  y.  a. 
gleichfalls  in  höchstem  Grade  beeinflussend  wirken,  ebenso 
wie  die  Kenntnis  anderer  Aussagen  und  die  Ge- 
spräche zu  Hause,  mit  Verwandten  und  Bekannten.  Wie 
sehr  zum  Beispiel  die  Kenntnis  dessen,  was  die  Yor* 
zeugen  ausgesagt  haben,  auf  die  eigene  Zeugenaussage 
einzuwirken  im  stände  ist,  wie  sich  hieraus  bei  Monstre- 
prozessen  sogar  eine  »psychische  Epidemie«  entwickeln 
kann,  ersehen  wir  aus  dem  Verlaufe  des  schon  erwähnten 
Berchtold-Prozesses. 

Dem  französischen  Psychologen  Bin^t  gebührt  das  Ver- 
dienst, durch  Versuche  mit  Kindern  nachgewiesen  zu 
haben,  wie  leicht  diese  der  Gefahr  der  psychischen  An- 
steckung unterli^en.  Zu  einem  Verhör  nahm  er  mehrere 
Knaben  gleichzeitig  vor;  sie  mußten  so  schnell  auf  seine 
Fragen  antworten,  als  sie  vermochten.  Das  lebhafteste, 
geweckteste  Kind  unter  ihnen  übernahm  sofort  die  Füh- 
rung, und  die  andern  plapperten  schließlich  papageien- 
mäßig nach,  was  sie  von  dem  ersten  hörten. 

Eine  besondere  Gruppe  der  Beeinflussung  bildet  die 
Autosuggestion.  Wie  sehr  sie  auf  des  Kindes  Wahr- 
nehmung, Erinnerung  und  Aussage  verfälschend  einwirkt, 
sei  mir  an  Beispielen  aus  meiner  eigenen  Erzieherpraxis 
nachzuweisen  gestattet. 

1.  Beispiel:  Nach  dem  Schulanfang  hebe  ich  ein  am 
Tage  vorher  in  das  Pult  eingeschlossenes  Schönschreibe- 
heft mit  blauem  Bezug  hoch  und  frage: 

»Wem  g^ört  dieses  Heft?« 

Sofort  springt  der  8jährige  Schüler  G.  A.  Seh.,  Sohn 
eines  Fabrikbesitzers,  hoch,  und  ich  schreibe  seinen  Namen 
auf  den  äußeren  Umschlag.  Indem  ich  es  in  den  Schrank 
trügeo  will,  sehe  ich  noch  den  Knaben  K.  D.  stehen.   Auf 

4* 


—     52     — 

meine  Frage,  was  er  wünsche,  antwortet  er,  das  Heft  ge- 
höre ihm.  Ganz  entrüstet  aber  entgegnet  darauf  der 
erstere,  das  sei  nicht  wahr,  das  sei  sein  Heft. 

»Heute  morgen,  gerade  als  es  klingelte,  habe  ich  es 
noch  auf  den  Usch  gelegt« 

Und  der  zweite  Ejnabe:  Er  habe  das  Heft  aber  schon 
gestern  gebracht,  und  der  Herr  Lehrer  habe  es  im  Pult 
verschlossen,  da  er  keine  Zeit  mehr  gehabt  habe,  den 
Namen  aufzuschreiben.  Außerdem  müsse  das  Löschblatt 
Tintenspuren  aufweisen,  da  es  schon  einmal  zum  Trocknen 
der  Schrift  benutzt  sei. 

Beides  stimmte:  Ich  hatte  das  Heft  im  verschlosse- 
nen Pult,  nicht  auf  ihm  gefunden,  und  das  Löschblatt 
war  schon  benutzt.  Trotzdem  blieb  0.  A.  Seh.  dabei,  es 
gehöre  ihm,  er  wisse  ganz  genau,  daß  er  es,  gerade  als 
draußen  geschellt  wurde,  auf  das  Pult  gelegt  habe. 

Die  objektive  Unrichtigkeit  seiner  Angaben  war  außer 
allem  Zweifel,  gleichzeitig  war  ich  aber  auch  von  der 
subjektiven  Aufrichtigkeit  seiner  Aussage  vollkommen 
überzeugt;  eine  vorsätzliche  Lüge  war  eben  vollständig 
ausgeschlossen.  Es  entspann  sich  nun  folgendes  Gespräch, 
das  ich  sofort  unauffällig  nachstenographierte: 

»War  es  auch  ein  Schönschreibeheft?« 

»Ja.« 

»Sah  es  ebenso  aus  wie  dieses?« 

»Ja.« 

»Hast  du  es  von  Frau  B.  (der  Inhaberin  eines  Papier- 
geschäfts) gekauft?« 

»Nein,  das  Fräulein  (Einderfräulein  im  elterlichen 
Hause)  hat  es  mir  heute  morgen  gegeben.« 

»Du  hast  es  vielleicht  zu  Hause  veigessen?« 

»Nein,  ich  habe  es  mit  meinen  andern  Büchern  in 
die  Tasche  hineingepackt.    So  habe  ich  es  gemacht« 

Sprach's,  wollte  mir's  in  seiner  lebhaften  Weise  vor- 
machen —  und  behielt  plötzlich  vor  Erstaunen  beinahe 
den  Mund  auf;  denn  das  Heft,  übrigens  eine  sogenannte 


—    53    — 

Kladde  mit  blaoschwarzeD  Deckeln,  lag  wohlverborgen 
bei  seinen  andern  Sachen  in  der  Büchertasche. 

Wie  nun  kam  er  zu  der  Behauptung,  das  Heft  auf 
das  Pult  gelegt  zu  haben? 

Ihm  hatte  eine  Eladde  gefehlt  Seiner  Oewohnheit 
gemäß  forderte  er  es  im  letzten  Augenblick  vom  Einder- 
fr&ulein  und  steckte  es  achtlos  in  die  Büchertasche,  mit 
seinen  Gedanken  schon  beim  Spiele  mit  den  andern 
Knaben  auf  dem  Schulhofe  weilend.  In  der  Schule  an-> 
gekommen,  werden  die  Bücher  schnell  unter  den  Tisch 
gelegt  —  und  nun  hinaus  auf  den  Hof.  Das  Heft  ist  ver- 
gessen.  Erst  die  Frage  des  Lehrers  bringt  die  Vorstellung 

davon  wieder  ins  Bewußtsein  zurück.    Ein  Heft? 

Ja,  richtig,  er  hatte  ja  auch  eins  von  Hause  mitgenommen. 
Der  Lehrer  zeigt  eins  —  —  gewiß,  das  ist  das  seinige. 
und  nun  kommt  die  Schilderung,  wie  er  das  Heft  auf 
das  Pult  gelegt  hat,  »gerade  als  es  klingeltet,  genau  so, 
wie  er  es  auch  gewiß  gemacht  hätte,  hätte  er  es  eben 
nicht  vergessen.  Unerklärlich  ist  mir  nur,  wie  er  be- 
haupten konnte,  auch  das  von  ihm  mitgebrachte  Heft  sei 
ein  Schönschreibeheft  gewesen.  Oder  sollte  dies  ein  Be- 
weis der  suggestiven  Gewalt  der  Frage  an  und  für  sich 
sein,  daß  er  auf  meine  Frage:  War  es  auch  ein  Schön- 
schreibeheft? in  dem  Zustande  der  Erregung,  in  den  er 
durch  das  »Verhör«  entschieden  geraten  war,  einfach 
schlankweg  überzeugt  mit  »ja«  antwortete? 

Daß  femer  die  Lust  zum  Spiele  und  die  Versunken- 
heit  in  ihm  tatsächlich  so  groß  sein  kann,  ein  Kind  alles 
andere  vergessen  zu  machen  und  nur  seiner  Phantasie- 
welt zu  leben,  habe  ich  in  meinen  Kinderjahren  an  mir 
selber  erfahren;  ich  muß  aber  schon  ein  Junge  von  10 
bis  12  Jahren  gewesen  sein. 

Eines  Tages  erhalte  ich  einen  Auftrag,  mit  dem  ich 
in  das  nächste  Dorf  mußte.  Um  meinen  Füßen  die  Flügel 
Merkurs  zu  verleihen,  höre  ich  noch  den  liebevollen 
»Nachruf«:  »Aber  schlafe  unterwegs  nicht  ein«;  denn  ich 
war  bekannt  als  ein  Träumer  und  Phantast   Also  wandere 


—    54     - 

idi  fttrbaß.  Die  Sonne  soheint  aber  aach  gar  za  warm, 
and  die  Einsamkeit  einee  ländlichen  Soontag-VormittagB 
ttbt  auch  einen  gar  zu  lockenden  Reiz  zum  Träumen  ann. 
Heine  Gedanken  schweifen  ab  von  dem  verzwickten  Auf- 
trag, räckwärts  wandern  sie  bis  zum  vorherigen  Abend 
and  zu  einem  >gro6artigenc  Spiel  mit  andern  Knaben 
des  Dorfes.  Immer  tiefer  versinke  ich  in  Irfiamerei,  bis 
ich  vollständig  weltentrückt  zwar  noch  einberwaodle,  aber 
keine  Empfindung  mehr  davon  habe.  Und  als  sich  end- 
lich mein  Geist  der  elenden  Wirklichkeit  wieder  bewuSt 
wird,  sehe  ich  mich  spielend  am  Waldesrande.  Aber 
wohin  sich  mein  erstaunter  Blick  auch  wendet,  all  die 
lieben  Gespielen,  die  doch  soeben  noch  bei  mir  gewesen 
waren,  schienen  förmlich  in  die  Erde  versunken  zn  sein, 
wie  weggeblasen  waren  sie.  Es  hat  gewiß  eine  geraume 
Zeit  gedauert,  bis  ich  mich  in  die  nüchterne  Welt  hinein- 
zufinden vermochte.  Wie  lange  ich  da  gespielt?  —  — 
ich  kann'e  nicht  sagen;  doch  der  wenig  liebevolle  Emp&ng 
mt  Hause  und  der  abgeräumte  Uittagstisch  gaben  mir 
einen  angefahren  Begriff  von  der  >ver8pielten<  Zeit  and 
erinnerteu  mich  an  den  vergessenen  Auftrag. 

3.  Beispiel:  Der  Schiller  Q.  R  war  wegen  Krankheit 
EU  Hause  geblieben.  Als  nach  der  großen  16  Uinuten- 
Paose  die  Rinder  eine  schriftliche  Arbeit  machen,  stelle 
ich  so  beiläufig  die  Frage  an  die  Klasse: 

«Weshalb  fehlt  denn  der  Q.  B.?c 

Das  Mädchen  £.  Ff.,  9  Jahre  alt,  schwach  begabt, 
langsamen  Geistes  und  nicht  gerade  mit  großer  Phantasie 
ausgerüstet,  etwa  4  m  von  dem  Platze  des  fehlenden 
Knaben  entfernt  sitzend,  erhebt  sich  sofort  und  sagt: 

>Ich  habe  ihn  eben  noch  gesehen.«  (>Eben<  bedeutet 
im  Volksmnnde  hierselbst  so  viel  wie  vor  einer  Weile, 
nach  einer  Weile.) 

Diese  Worte  kamen  so  überzeugt  heraus,  daß  ich  so- 
fort an  dem  Tone  erkannte,  das  Uädohen-  sei  überzeugt, 
den  Knaben  gesehen  zu  haben.  loh  nahm  nun  Ter- 
•nlasBung  zu  der  weitaren  Frage,  war  ihn  noch  geeeben 


—    66     — 

habe.  Sofort  standen  3  und  etwas  langsamer  auch  noch 
6  Knaben  auf,  von  denen  besonders  der  8jährige,  in  dem 
Torigen  Beispiel  schon  erwähnte  Schüler  G.  A.  Seh.,  ein 
intellektuell  hochbegabter  E[nabe  mit  lebhafter  Phantasie, 
unter  heftigem  Kopfnicken  und  erregten  Gebärden  arnfs 
bestimmteste  behauptete,  er  habe  ihn  auch  auf  dem  Schul- 
liofe  gesehen. 

»Als  W.  R  und  ich  uns  kriegten  (das  ist  Haschen 
spielten),  bin  ich  mehrmals  an  ihm  vorbeigelaufen.« 

>Wo  ist  er  denn  nun  geblieben?« 

»Gewiß  nach  Hause  gegangen ;  er  hatte  Zahnschmerzen.« 

Tatsächlich  hatte  der  fehlende  Knabe  G.  K.  am  Tage 
vorher  in  der  Schule  über  Zahnschmerzen  geklagt  Ich 
sage: 

»Aber  ihr  irrt  euch;  er  ist  ja  gar  nicht  in  der  Schule 
gewesen.c 

Der  elf  Jahre  alte,  geistig  minderwertige  M.  Seh.  sagte 
darauf: 

»Ich  habe  ihn  aber  heute  noch  gesehen,  als  er  ge- 
lesen faatc 

Einzelne  dieser  neun  Kinder  ließen  sich  nur  schwer 
überzeugen,  daß  der  Knabe  gar  nicht  in  der  Schule  ge- 
wesen war. 

Bei  dem  Mädchen  und  dem  Knaben  G.  A.  Seh.  liegt 
meines  Erachtens  tatsächlich  Autosuggestion  vor;  denn 
meine  Frage  lautete  ausdrücklich:  Warum  fehlte  usw.; 
ich  fragte  also  lediglich  nach  dem  Grunde  und  setzte  die 
Tatsache  seines  Fehlens  bei  den  Kindern  als  bekannt 
voraus.  Bei  den  andern  Kindern  will  ich  es  dahingestellt 
sein  lassen,  ob  nicht  erst  durch  die  bestimmte  Aussage 
^r  beiden  ersten  sie  zu  ihrer  Aussage  gekommen  sind, 
—  imd  dieser  Ansicht  werden  wohl  die  meisten  zu- 
neigen, —  also  einfache  Suggestion  anzunehmen  wäre. 
Bezeichnend  aber  ist  es,  daß  das  Mädchen  nur  wissen 
wollte,  G.  &  wäre  überhaupt  dagewesen,  G.  A.  Soh.  aber 
ihn  auf  dem  Spielplatze  gesehen  und  gar  M.  Seh.  ihn  in 
der  Schale  gesehen  und  lesen  gehört  zu  haben  behaupteten. 


—     56     — 

3.  Beispiel:  Die  Kinder  des  ersten  Jahrgangs  lesen 
das  Wort  »Eüho«.  Ein  Bild  von  der  Kuh  ist  ihnen  ge- 
zeigt, desgleichen  sind  ihnen  einige  Mitteüangen  gegeben 
bezw.  haben  sie  solche  gebracht. 

Frage:  »Wer  hat  schon  eine  Kuh  gesehen ?€ 

Mehrere  Schüler  melden  sich.  (Die  Hehrzahl  der 
Schüler  rekrutiert  sich  aus  einer  kleinen,  aber  lebhaften 
Fabrikstadt,  deren  Umgebung  nur  wenig  Landwirtschaft 
aufweist.) 

Frage:  »A.  Ff.,  wo  hast  du  eine  Euh  gesehen ?€ 

»Wir  haben  eine  Euh;  so  groß  ist  sie.«  (Sie  zeigt 
mit  der  Hand  etwa  die  Höhe  einer  Ziege  an.) 

»Das  ist  gewiß  keine  Euh;  auch  habt  ihr  zu  Hause 
wohl  gar  keine  Euh,  sondern  eine  Ziege?« 

»Nein,  eine  Euh.«  — 

Mir  kam  die  Sache  unwahrscheinlich  vor,  und  ich  er- 
kundigte mich  sofort  bei  ihrer  älteren  Schwester;  sie  haben 
zu  Hause  weder  Euh,  noch  Ziege,  noch  sonst  ein  leben- 
des Wesen  aus  dem  Geschlecht  der  nützlichen  Haustiere. 

Das  fragliche  Mädchen  ist  672  Jahre  alt,  schwächlich 
von  Eörper  und  recht  langsamen  Geistes.  Es  verfällt 
selbst  während  des  Unterrichts  häufig  in  Träumerei  und 
weiß  dann  gar  nicht,  wovon  so  lange  die  Bede  gewesen 
ist.  Eine  besonders  lebhafte,  ausschweifende  Phantasie 
ist  bei  ihm  gerade  nicht  wahrzunehmen.  Auch  am  Spiel 
beteiligt  es  sich  nur  dann,  wenn  es  von  den  andern 
Eindern  extra  dazu  aufgefordert  und  mit  herangezogen 
wird,  sonst  steht  es  während  der  Freizeit  fast  stets  für 
sich  allein. 

Lügenhaftigkeit  habe  ich  an  ihm  bisher  nicht  bemerkt, 
und  auch  dieses  Mal  ist  meines  Erachtens  eine  vorsätz- 
liche Lüge,  selbst  aus  Wichtigtuerei,  vollständig  aus- 
geschlossen. Eine  Erklärung  aber  war  mir  so  lange  un- 
möglich, bis  ich  bei  einem  Besuch  im  elterlichen  Hause 
ganz  in  dessen  Nähe  einen  Euhstall  bemerkte,  in  welchem 
ein  Nachbar  zwei  oder  drei  Eühe  hält.  Auf  meine  Er- 
kundigungen erfuhr  ich  sodann  auch,  daß  die  Milch  zum 


—     57     — 

hänsUchen  Bedarf  aas  diesem  Stalle  gedeckt  wird.  Zum 
Holen  wird  meistens  eine  ältere  Schwester  dieses  frag- 
lichen Mädchens  verwendet;  häufig  aber  darf  es  mitgehen. 
Nichts  anderes  als  eine  Verwechselung  von  mein  und 
dein  ist  darum  die  Ursache  gewesen,  dem  Kinde  die 
Fata  Morgana  einer  eigenen  Kuh  im  eigenen  Stalle  vor- 
snspiegeln  und  es  zur  Antwort  zu  veranlassen:  Wir  haben 
eine  Kuh;  so  groß  ist  sie.  Daß  sie  statt  der  zwei  oder 
drei^  die  im  Stalle  standen,  nur  eine  angibt,  daß  sie  die 
Größe  so  gering  bewertet,  macht  nichts  aus.  Denn  schon 
eine  einzige  Kuh  im  Stalle  zu  haben,  ist  der  Inbegriff 
alles  Erreichbaren,  alles  Herrlichen  und  Schönen.  Zudem 
hatte  ich  ausdrücklich  gefragt:  Wer  hat  schon  eine  Kuh 
(nicht  Kühe)  gesehen?  Da  muß  das  Kind  dieses  Alters 
geistig  sehr  r^;sam  sein,  wenn  es  antworten  sollte,  daß 
es  schon  »vielec  gesehen  oder  daß  die  Eltern  »viele«  im 
Stalle  stehen  hätten.  Ein  intellektuell  so  schwaches  Kind 
wie  das  Mädchen  A.  Pf.,  das  dazu  auch  noch  sprachlich 
sehr  ungeschickt  ist,  schließt  sich  aber  in  seinen  Ant- 
worten strenge  an  die  Frage  des  Lehrers  an,  eine  jedem 
Lehrer  gewiß  aus  seiner  Unterrichtspraxis  heraus  be- 
kannte Tatsache.  Und  die  geringe  Größenangabe  ist  nur 
ein  Beweis  dafür,  daß  ein  Kind  dieser  Altersstufe  gar 
nicht  fähig  ist,  auch  nur  einigermaßen  zuverlässige  Aus- 
sagen über  Größen-,  überhaupt  über  Raumverhältnisse  zu 
machen. 

Um  es  nun  noch  einmal  kurz  zu  rekapitulieren:  Im 
ersten  und  letzten  Beispiel  sowohl  wie  bei  den  beiden 
zoerst  genannten  Kindern  im  zweiten  Beispiel  liegt  ent- 
schieden, wenn  man  von  der  suggestiven  Gewalt  einer 
jeden  Frage  an  und  für  sich  absieht,  Autosuggestion  vor, 
während  es  bei  den  andern  Ejiaben  zweifelhaft  erscheinen 
dürfte.  Wahrscheinlicher  ist  es,  daß  diese  letztem,  wenig- 
stens die  fünf  letzten  Knaben,  durch  das  bestimmte  Auf- 
treten und  Aussagen  der  Yorzeugen  beeinflußt  worden 
sind,  daß  hier  eine  »psychische  Ansteckung«  statt- 
gefunden hat 


—     b8     — 

Zur  Ergänzung  der  beiden  Beispiele  1  und  2  möchte 
ich  noch  je  ein  anderes  mitteilen,  die  ich  der  Liebens- 
würdigkeit eines  Kollegen,  Herrn  A.  Hauser  aus  Canth 
(Neumark),  verdanke.    Dieser  schreibt  mir: 

»Nach  der  ersten  Stunde  des  Vormittagsunterrichts 
folgt  eine  sogenannte  Frei  Viertelstunde  ^  während  welcher 
sämtliche  Schüler  in  den  Schulhof  gehen.  Nach  diesrar 
beginnt  die  Rechenstunda  Alle  Schüler  legen  die  Schiefer- 
tafel auf  die  Bank,  nur  eine  Schülerin  sucht  die  ihre 
vergeblich.  Auf  meine  Frage,  wo  sie  sei,  behauptet  sie, 
die  Tafel  in  die  Schule  mitgebracht  zu  haben;  eine 
Schülerin  müsse  sie  ihr  genommen  haben.  Die  Mädchen 
neben  sowie  auch  hinter  ihr  sagen  bestimmt  aus,  die 
Tafel  bei  der  F.  gesehen  zu  haben,  ja,  behaupten  so  über- 
zeugend, daß  sie  sogar  von  der  verlornen  Tafel  ihre 
Bechenexempel  abgeschrieben  haben  wollen.  Die  besagten 
Zeugen  blieben  auch  auf  mein  Hin-  und  Herfragen  fest 
bei  der  Aussago:  die  P.  hat  die  Tafel  bestimmt  vor  dem 
Unterrichte  gehabt  Mir  blieb  infolgedessen  nichts  anderes 
übrig,  als  alle  Sander,  sowohl  Knaben  wie  Mädchen,  ans 
den  Bänken  heraustreten  zu  lassen.  Ich  beginne  nun 
eine  Revision  der  Schulsachen  und  durchsuche  alle 
Winkel  der  Schulstube;  aber  alles  vei^eblich,  die  frag^ 
liehe  Tafel  war  nirgends  zu  finden.  Trotzdem  blieben 
die  Zeugen  weiter  bei  ihrer  Aussage. 

Jetzt  sage  ich  dem  Mädchen  recht  väterlich,  damit  es 
keine  Furcht  vor  Strafe  bekäme:  ,Meine  Tochter,  gehe 
einmal  nach  Hause,  vielleicht  hast  du  doch  vergessen, 
die  Tafel  mitzubringen.^  Nach  10  Minuten  erscheint  es 
freudestrahlend  mit  der  Tafel,  worauf  auch  ihre  erforder- 
lichen Schularbeiten,  desgleichen  die  Rechenexempel, 
standen.  € 

»Ein  zweiter  Fall!  Ein  Knabe  war  nicht  im  Nach- 
mittagsunterricht Nach  der  Freiviertelstunde  fragte  ich 
sämtliche  Schüler,  wo  eigentlich  der  A.  sei.  (Ich  hatte 
nämlich  ganz  übersehen,  daß  er  auch  schon  in  der  ersten 
Stunde  gefehlt  hatte.   Dies  kam  mir  allerdings  am  andern 


—    6»    - 

Tage  zur  Kenntois  durch  einen  Entschuldigangszettel, 
worin  mir  die  Matter  des  A.  mitteilte,  daß  sie  ihren 
Sohn  am  Tage  vorher  nicht  schicken  konnte,  weil  sie 
mit  ihm  verreist  war.)  Auf  meine  Frage,  wo  der  A.  ge- 
blieben wäre,  behaupteten  von  60  Schülern  40,  ihn  wäh- 
rend der  ersten  Stunde  in  der  Klasse  und  während  der 
Freiviertelstunde  gesehen  zu  haben.  Die  Schüler,  welche 
in  der  Bank  neben  ihm  sitzen,  sagen  bestimmt  aus,  er 
ist  die  erste  Stunde  in  der  Klasse  gewesen,  und  sie  sind 
mit  ihm  in  den  Schulhof  gegangen,  ja  sie  wußten  sogar, 
was  sie  mit  ihm  gesprochen  haben  wollten.  Andere 
sagten  aus,  daß  sie  mit  A.  am  Schulgartenzaun  gestanden 
und  einer  Dreschmaschine  zugesehen  hätten;  sie  wußten 
noch  die  Bemerkungen,  die  A.  gemacht  über  die  Leute, 
welche  bei  der  Dreschmaschine  beschäftigt  waren.  Dies 
alles  wurde  mir  von  den  Schülern  so  glaubhaft  gemacht, 
daß  ich  mich  zu  der  Ansicht  der  Zeugen  hinneigen 
mußte,  A.  ist  während  der  Frei  Viertelstunde  ausgerückt 
Trotzdem  war  der  tatsächliche  Vorgang  wie  eben  der 
EntBchuldigungszettel  besagte.  Die  Mutter  des  A.  ist 
eine  brave  Lehrerwitwe  und  eine  Schwindelei  ganz  aus- 
geschlossen. Übrigens  habe  ich  mich  noch  nachträglich 
persönlich  mit  der  Mutter  in  Verbindung  gesetzt« 

Die  forensische  Bedeutung  der  Suggestion  und  Auto- 
suggestion leuchtet  sofort  ein,  wenn  man  z.  B.  an  Stelle 
des  fehlenden  Heftes  (der  Tafel)  oder  des  verschwundenen 
Knaben  ein  Sittiichkeitsverbrechen  einsetzt  Es  wird 
ohne  weiteres  klar,  wie  schwerwi^end  die  Folgen  dieser 
AossagefalschuDgen  sein  können  und  wie  wichtig  die  ge* 
oaue  Kenntnis  der  Aussagepsychologie  darum  für  den 
Siebter  ist 

Ich  möchte  es  nicht  unterlassen,  ein  ganz  besonders 
hervorstechendes  Beispiel  reiner  Autosuggestion  hier  mit- 
sateilen,  das  im  1.  Heft  der  »Beiträge  zur  Psycho- 
logie d^  Aussage«  (herausgegeben  von  L.  Wiü,  Sierrir 
Biealaa),  Seite  133,  bekannt  gegeben  wird.  Es  heißt  dort- 
Mlbit: 


—     60     — 

»Herr  Professor  0.  Roseribach  (Berlin)  sendet  folgende 
Notiz: 

Ein  wohl  gearteter  und  gut  befähigter,  anscheinend 
durchaus  nicht  mit  besonders  lebhafter  Phantasie  begabter 
Schüler  einer  Gymnasial -Yorschulklasse  kam  eines  Tages 
sehr  aufgeregt  aus  der  Schule  nach  Hause  und  erzählte 
den  Angehörigen,  daß  er  gesehen  habe,  wie  sich  der 
Schüler  einer  höheren  Klasse  derselben  Schule  durch 
einen  Sturz  aus  dem  Fenster  getötet  habe.  Er  beschrieb 
den  Vorgang  und  seine  eigenen  Empfindungen  mit  allen 
Einzelheiten  so  lebhaft,  wie  es  eben  nur  ein  Augenzeuge 
zu  tun  vormag.  Als  später  die  Zeitungen  mit  genauer 
Zeitangabe  von  dem  Unglücksfall  berichteten,  stellte  sich 
heraus,  daß  der  Knabe  unmöglich  Zeuge  des  Ereignisse« 
gewesen  sein  konnte.  Er  blieb  aber  auf  Vorhalten  bei 
seiner  Angabe,  daß  er  dem  Vorfall  beigewohnt  habe,  und 
beharrte  bei  seiner  Aussage  auch,  nachdem  durch  genaue 
Nachforschungen  seine  Abwesenheit  vom  Tatort  über  allen 
Zweifel  hinaus  sicher  gestellt  war  und  der  über  die  Lüge 
und  Verstocktheit  seines  Sohnes  aufgebrachte  Vater  es  an 
harten  Strafen  nicht  fehlen  ließ. 

Es  gelang  mir  nicht  leicht,  den  Vater  zu  überzeugen, 
daß  der  mir  wohlbekannte  Knabe  einer  bewußten  Un- 
wahrheit gar  nicht  fähig  sei,  und  daß  ihn  nur  die  Lebhaftig- 
keit seiner  Vorstellungen  dazu  geführt  haben  könne,  ein 
ihm  erzähltes,  seine  Phantasie  außerordentlich  erregendes 
Ereignis  in  allen  Details  zu  einem  selbsterlebten  zu 
machen.  Ich  weiß  nicht,  ob  der  Knabe  die  Belehrungen, 
die  ihm  über  den  Unterschied  zwischen  Selbsterlebtem 
und  Gehörtem  gegeben  wurden,  verstanden  hat;  jeden- 
falls hat  er  im  spätem  Leben  durchaus  nicht  Gelegenheit 
gegeben,  ihn  der  Unwahrheit  zu  beschuldigen.« 

Eines  der  Hauptmomente,  welche  die  Aussagen  der 
Kinder  ungünstig  beeinflussen,  ist  die  lebhafte,  vielfach 
krankhafte  Phantasie.  Vom  ersten  bewußten  Erwachen 
des  jungen  Erdenbürgers  bis  zu  seinem  späten  Lebens- 
ende ist  sie  sein  steter  Begleiter  und  übt  desto  größere 


—     61     — 

Gewalt  über  ihn  ans,  je  tiefer  er  noch  in  den  Kinder- 
schuhen steckt  Ein  mit  besonders  starker  Phantasie  aus- 
gestattetes Kind  vermag  aas  allem  alles  zu  machen.  Auf 
der  wogenden  Welle  der  Phantasie  schwebt  es  dahin  aus 
der  Welt  des  Seins  in  sein  eigenes  innerstes  Reich,  wo 
es  mit  schöpferischer  Kraft  sein  »Werdet  spricht,  wo  es 
Leben  schafft  und  Leben  nimmt,  wo  es  Menschen,  Tiere 
uod  alles,  was  es  auf  Erden  gibt,  nach  ureigenstem  Out- 
dünken wie  Schachfiguren  durcheinander  wirft  Hat  doch 
der  ernste  erwachsene  Mensch  genug  zu  tun,  um  den 
Flug  seiner  Phantasie  unter  die  zwingende  Gewalt  seiner 
Logik  zu  bringen,  wie  sollte  man  es  da  von  einem  Kinde 
verlangen!?  Oebt  ihm  einen  Stock  oder  Stiefelknecht,  — 
sie  werden  zum  lebendigen  Pferde,  auf  dem  es  im  wilde- 
sten Galopp  durch  Felder  und  Wälder  dahinjagt  oder  es 
an  die  fattergeffiUte  Krippe  führt;  ein  Scheit  Holz  wird 
zor  Pappe,  die  in  den  Schlaf  gesungen  werden  maß; 
mehrere  hintereinander  gestellte  Stühle  bilden  eine  Eisen- 
bahn mit  Lokomotive  und  Wagen,  es  selbst  ist  Schaffner, 
Zogfulirer,  Stationsvorsteher,  Fahrgast,  alles  in  einer  Person, 
der  Wechsel  macht  ihm  keine  Schwierigkeiten.  Und  das 
alles  vollzieht  es  mit  der  wichtigsten  Miene  der  Welt, 
mit  der  würdevollen  Haltung,  die  es  den  Erwachsenen 
ibgegackt  Li  dem  Augenblicke  des  Spiels  reitet  es  auf 
keinem  Steckenpferde,  sondern  zügelt  mit  kräftiger  Faust 
ein  schnaubendes,  märchenhaft  reich  geschirrtes  Roß,  wenn- 
gleich in  merkwürdiger  Inkonsequenz  oft  sofort  hinterher 
eine  Flinte  oder  ein  Säbel  daraus  wird.  Das  Stück  Holz, 
mit  dem  primitivsten  Lappen  auf  das  herrlichste  ge- 
sdimückt,  ist  ihm  genau  solch  ein  hilfsbedürftiges  Lebe- 
wesen,  wie  das  kleine  Baby  im  Kinderwagen  und  wird 
mit  derselben  Sorgfalt  gepflegt,  gefüttert,  gebadet  u.  s.  f. 
Nichts  aber  steht  dem  im  Wege,  daß  es  im  nächsten 
Augenblicke  in  den  Herd  wandert. 

Alles,  was  ißa  Kind  spielt,  erlebt  es,  ist  ihm  wirk- 
lichste Wirklichkeit.  Man  hüte  sich  ja  sehr,  ihm  dieses 
beglückende  Traumleben  auch  nur  absichtslos  zu  stören, 


—     6«     — 

und  der  maß  schon  ein  Barbar  oder  verknöcherter  Pedant 
sein,  der  dem  Kinde  schon  frühzeitig  den  Olanben  an 
seine  Traamwelt  darch  »Belehrang«  nehmen  wollte. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  ein  lebhaftes  Kind  in 
solchen  Jahren  erwachender  Selbsttätigkeit  und  besonders 
auch  bei  wachsender  Sprachfertigkeit,  wo  es  schon  aus 
bloßer  Freude  am  eigeuen  Sprechen  alles  mögliche  hin- 
plappert, nichts  erzählen  kann,  ohne  zu  vergrößern,  aus- 
zuschmücken und  zu  übertreiben.  >Wir  wissen,  wie 
Ooethe  in  seiner  Jugend  ,8chwindelte\  was  er  für  Zauber- 
und  Mordgeschichten  erfand,  die  er  schließlich  selbst 
glaubte.  Die  klage  Frau  Rat  . . .  hörte  aufaierksam  zu 
und  ließ  den  Jungen  ruhig  erzählen,  ihn  höchstens  ein- 
mal unterbrechend,  wenn  er  ,unwahrscheinlich  schwin- 
delteS  Ooethe  hat  es  seiner  Mutter  zeitlebens  gedankt, 
daß  sie  ihm  die  ,Lust  am  Fabulieren^  geschenkt«  In  der 
Zeitschrift  »Unser  Kind«  berichtet  eine  Dame  aus  Wien 
über  ihren  6^/4 jährigen  Sohn  Otto,  den  sie  als  »ein  hoch- 
entwickeltes Kind«  bezeichnet,  folgendes:  Otto  »berichtet 
ungefragt  von  Tatsachen  als  unmittelbar  vorheigeschehen, 
die  schon  längere  Zeit  vorher  stattgefunden  oder  sioh 
überhaupt  nicht  ereignet  haben.  Er  erzählt  mit  der 
größten  Überzeugung,  daß  er  seinen  Papa  eben  bei  der 
Türe  hinausgehen  gesehen  habe,  während  derselbe  in 
seinem  Zimmer  sitzt,  und  ähnliches,  und  hat  uns  dadurch 
schon  manche  kleine  Unannehmlichkeit  bereitet,  so  daß 
wir  zu  dem  vorerwähnten  Entschlüsse  kamen,  uns  auf 
seine  Aussagen  gar  nicht  zu  verlassen.  Suggestive  Fragen, 
denen  er  unbedingt  unterliegt,  will  ich  gar  nicht  er- 
wähnen.« 

Selbst  Träume  werden  zu  etwas  Tatsächlichem.  Der 
Philosoph  und  Arzt  Joh,  Benj,  Ehrhard  berichtet  von 
sich,  »^aß  er  bis  in  sein  viertes  Jahr  sehr  häufig  die  Er- 
innerung seiner  Träume  als  Erinnerungen  wirklicher  Be- 
gebenheiten vorgebracht  habe.  Es  sei  darüber  zuweilen 
zwischen  ihm  und  seinen  Eltern  zu  einem  lebhaften 
Streite  gekommen,  indem  er  behauptet  habe,  daß  gewisse 


—    63     — 

Ptosonen  sie  besadit  oder  gewisse  Dioge  yorge&llen  seien 
woTon  er  doch  nur  geträumt  hatte.« 

»Wie  rege  die  Phantasie  der  Kinder  arbeitet,  ergibt 
mcb  z.  B.  auch  aus  folgendem  Vorfall:  Bei  der  am  Orün- 
donnerstag  Abend  stattfindenden  Ereuztragung  passierte 
es  einem  der  Kreuzträger,  daß  er  über  einen  Stein  oder 
eine  Baumwurzel  am  Bergabhange  stolperte  und  zu  Boden 
fiel  Hierdurch  erschreckt,  ergriff  die  Kinder  furchtbare 
Angst,  welches  sich  in  lautem  Schreien  kundgab;  ihre 
err^e  Phantasie  ließ  sie  Überwältiger  sehen,  die  es  nur 
auf  den  Baub  des  Kreuzes  abgesehen  hätten.  Bei  ihrer 
wilden  Flucht  kamen  einige  am  stark  abfallenden  Wege 
war  Stadt  zu  Fall,  so  daß  sie  übereinander  zu  liegen 
kamen,  wobei  verschiedene  deutlich  am  Halse  gewürgt 
aein  wollen.  Und  das  alles  pure  Einbildung  der  er- 
schreckten Kinder.«  (Westf.  Telegraph -Menden,  Nr.  45, 
Jahrgang  1906.) 

Dr.  Loewenberg  berichtet:  »Vor  einiger  Zeit  bringe 
ich  einer  Lehrerin  ein  Schreiben  von  der  Oberschulbehörde 
in  die  Klasse,  die  Kinder  sehen  das  große  Kuvert,  das 
Siegel,  vielleicht  auch  das  erregte  Gesicht  der  Lehrerin. 
Einige  Tage  darauf  verreist  die  Lehrerin,  um  ein  Examen 
SQ  machen,  und  —  die  (beschichte  ist  fertig:  ,Das  Schreiben 
war  von  der  Polizei,  die  Lehrerin  hat  was  Polizeiwidriges 
getan,  wahrscheinlich  wird  sie  verurteilt  werden.^  Wäre 
die  Lehrerin  zufallig  krank  geworden  und  längere  Zeit 
fortgeblieben,  sie  wäre  gewiß  noch  ins  Gefängnis  ge- 
wandert.« ^) 

Unverstand  und  moralischer  Zelotismus  sind  in  solchen 
FUlen  gleich  bei  der  Hand,  dieser  Verlogenheit  und 
Verstocktheit  mit  ihrem  ersten  und  einzigen  pädagogi- 
schen Arzneimittel,  dem  Stocke,  zu  Leibe  zu  gehen,  um 
das  Kind  vor  der  drohenden  sittlichen  Verderbnis  zu 
retten.  »0  ihr  —  ihr  —  ihr  Lieben,  wißt  ihr  nicht  einen 
parlamentarischen  Ausdruck  für  euch?« 


')  J.  TJSwenbergf  Geheime  Miteriieher,  8.  89. 


—     64     — 

Der  mit  der  kindlichen  Psyche  vertraute  Erzieher 
wird  in  der  richtigen  Erkenntnis  der  Ursachen  dieser 
Äußerung  des  Schaffensdranges  seine  Aufgabe  darin  suchen, 
das  Kind  vor  zu  großen  Seitensprüngen  seiner  Phantasie 
zu  bewahren  und  sie  in  die  richtigen  Bahnen  zu  leiten. 
Allerdings,  genaueste  Kenntnis  des  Seelenlebens  des  Kindes, 
nicht  bloß  oberflächliche  Bekanntschaft  mit  ihm,  ist  dazu 
erforderlich.  Ihre  Erwerbung  darf  aber  nicht  dem  Zufalle 
oder  der  Zeit  überlassen  werden,  man  darf  auch  nicht 
von  der  praktischen  Erfahrung  des  täglichen  Lebens  allein 
alles  Heil  erhoffen.  Es  gehören  dazu  tiefe  und  umfange» 
reiche  Studien  ernstester  Art  für  den  Lehrer,  den  Richter, 
den  Arzt,  für  alle,  die  sich  mit  der  »Seelec  des  Kindes 
zu  befassen  haben  ^  die  in  der  »Seelenkunst«  praktisch 
tätig  sind.  Für  sie  gilt,  analog  dem  Ausspruche  Vischers: 
»Der  Künstler  soll  nicht  Anatomie  studieren,  sondern 
studiert  haben,«  das  Wort,  sie  sollen  »nicht  Psychologie 
studieren,  sondern  studiert  haben«. 

Der  Richter  aber,  dem  die  kriminal  psychologische 
Bildung« —  speziell  mit  Bezug  auf  das  Kind  —  mangelt, 
ist  nicht  fähig,  den  Differenzierungen  und  Komplika- 
tionen der  kindlichen  Psyche  zu  folgen,  ist  nicht  fähig, 
die  sich  oft  widersprechenden  Aussagen  der  Kinder  auf 
ihren  wahren  Oehalt  zu  prüfen  und  sie  nach  ihrem  wahren 
Werte  zu  verwenden.  Das  vermag  nur  der  Sachverständige. 
Darum:  Hinzuziehung  psychologischer  Sachver- 
ständiger bei  der  Vernehmung  Jugendlicher  in 
besonders  schwierigen  Fällen,  so  lange  die  Aus- 
bildung des  Richters  selber  noch  nicht  den  in 
dieser  Beziehung  an  ihn  zu  stellenden  Forde- 
rungen genügt 

Zwei  Gründe  sind  mir  bekannt  geworden,  welche  die 
Gegner  des  Sachverständigeosystems  ins  Feld  führen:  Eine 
Zeugenprüfung  darf  nicht  im  Gerichtssaale  vorgenommen 
werden,  da  der  Würde  der  Gerichtsverhandlung 
dadurch  Eintrag  geschehen  würde.  Demgegenüber  ist 
hervorzuheben,  daß  eine  in  entsprechender  Weise  durch- 


—     65     — 

geführte  Zeugenprüfung  wohl  würdig  verlaufen  kann  und 
niemals  in  eine  Komödie  ausarten  wird.  Ohne  weiteres 
könnte  z.  B.  die  Zeit-  und  Raumschätzungsfahigkeit,  die 
Beeinflußbarkeit  durch  autoritative  Persönlichkeiten  und 
durch  Suggestivfragen,  die  Unglaubwürdigkeit  der  Kinder 
bei  Personal-  und  Ortsbeschreibungen,  ja  der  allgemein- 
geistige Standpunkt  des  Zeugen  durch  die  einfachsten 
Experimente  oder  Fragen  des  Sachverständigen  oder  des 
Bichters  festgestellt  werden.  Hans  Orofs  und  A.  O^Klaufs- 
mann  verlangen  das  ausdrücklich.  Die  Vertreter  der  For- 
derung sachverständiger  Zeugenprüfung  befinden  sich  also 
in  einer  durchaus  achtenswerten  Oesellschaft. 

Im  nachfolgenden  ein  dem  »Wiener  Neuen  Tageblatt« 
entnommenes  Beispiel  hierzu,  das  ich  damit  aber  absolut 
nicht  als  vorbildlich  hingestellt  haben  will. 

Einem  achtjährigen  Mädchen  wurde  durch  einen  jungen 
Burschen  eine  Handtasche  mit  Butter  und  Käse  gestohlen. 
Bei  einer  zufalligen  Begegnung  auf  der  Straße  erkannte 
es  ihn  wieder  und  bezeichnete  ihn  seiner  Mutter.  Diese 
veranlaßte  seine  Verhaftung.  Vor  dem  Währinger  Straf- 
gericht fand  die  Verhandlung  gegen  den  Lehrling  statt. 
Der  Richter  vernahm  zunächst  die  Josefine  Peßler  (so 
hieß  das  bestohlene  Mädchen)  als  Zeugin  und  rief  sie  zu 
sich  aufe  Podium,  da  er  sich  über  ihre  geistige  Ent- 
wicklung orientieren  wollte. 

Richter:  »Weißt  du,  wo  du  geboren  bist?« 

Zeugin:  »0  ja,  in  Wien.« 

Richter:  »Was  bist  du  also?« 

Zeugin:   »Eine  Wienerin.« 

Richter:  »Ganz  richtig!    Was  ist  dein  Vater?« 

Zeugin:  »Tapezierer.« 

Richter:  »Was  bist  du  demnach?« 

Zeugin:  »Tapeziererin.« 

Richter:  »Das  nicht,  eine  Tapeziererstochter.« 

Zeugin:   »Richtig  —  ich  habe  mich  geirrt.« 

Richter:  »In  welcher  Klasse  warst  du?« 

Zeugin:   »In  der  dritten.« 

Pia.  lUs.  812.    Michel,  ZengnisOhigkeit  d.  Kinder.  5 


—     66     — 

Bicbter:  »Was  für  eine  Note  hattest  du  in  der  Religion?« 

Zeagin:  »Eiura  Einser.« 

Bicbter:  >Das  ist  sehr  brav!  Da  wirst  da  wissen,  daS 
man  nicht  lägen  darf?« 

Zeugin:  >Da8  weiß  ich.c 

Siebter:  >Und  wenn  man  IUgt?< 

Zeugin:    >l8t's  eine  Todsünde.« 

Richter:  >Ganz  richtig!  Vor  Gericht  eu  lügen  ist  aber 
auch  strafbar;  hier  darf  man  nur  die  Wahrheit  sagen 
und  das,  was  man  bestimmt  weiß.« 

Zeagin:  iDas  hat  mein  Vater  auch  gesagt« 

Richter:   «Was  für  eine  Note  hast  da  im  ReohDen?< 

Zeagin:  >Nur  einen  Dreier.« 

Richter:  >Das  ist  nicht  besonders  günstig!  Nun  will 
ich  dir  eine  Rechnung  aufgeben:  Deine  Matter  schickt 
dich  Eier  einkaufen  and  gibt  dir  eine  Krone  mit;  drei 
Eier  kosten  20  Heller,  wieviel  Eier  mußt  du  für  die 
Krone  bringen?« 

Zeagin  (rasch):  >Da  muß  ich  16  Euer  bringen.« 

Richter:  >Sehr  brav!  Bei  mir  fafittest  du  im  Beobnen 
eine  bessere  Note  bekommen.  (Die  Kleine  macht  zom 
Danke  einen  artigen  Knix.)  Nun  sag,  was  da  damals 
eingekauft  hast« 

Zeugin:  >Dm  30  Heller  Butter,  um  SO  Heller  Käs  . . . 
da  hab  ich  50  Heller  zurückbekommen  . . .  dann  noch  am 
20  Heller  Brot« 

Richter:  »Wieviel  bleibt  dir?« 

Zeugin :  >Nuch  30  Heller  . . .  aber  (auf  den  Angeklagten 
zeigend)  der  da  hat  die  Tasche  genommen  und  ist  davon- 
gelaufen.« 

Richter:  >Oib  acht,  Kleine!  Er  sagt,  er  ist's  nicht 
Weißt  du  ganz  sicher,  daß  er  die  Tasche  genommen  bat?« 

Zeagin:  »Ganz  bestimmt.  0,  ich  hab  ihn  angeschaut, 
wie  er  unser  Essen  davon  getragen  hat«  usw.  Der  -Aju- 
geklagte  gesteht  schließlich  seine  Schuld  ein. 

Zum  andern  ist  mir  der  vollständig  ernst  gemeinte 
Einwurf  zu  Geeicht  gekommen,  die  Hinzaziehang  der 


^     67     — 

Sachverständigen  bedeute  eine  Herabwürdigung 
der  richterlichen  Stellung.  Es  bat  schon  öfters  Pro- 
zesse g^ieben,  in  deren  Verlauf  die  Zuziehung  von  Psycho- 
logen, Psychiaters  und  Nervenärzten  sich  als  notwendig 
erwies,  und  niemandem  ist  es  wohl  bis  jetzt  im  ent- 
ferntesten eingefallen,  den  Stand  der  Juristen  desw^en 
minder  hoch  einzuschätzen.  Die  Befürchtung  ist  wohl 
nichts  weiter  als  der  Ausfluß  allzuhoher  Standesempfind- 
lichkeit und  Selbsteinschätzung  einerseits  und  einer  ent- 
schieden sehr  zu  tadelnden  Nichtachtung  der  Psychologie 
als  exakte  Wissenschaft  andrerseits.  »Gewiß  wird  der 
Richter,  der  eine  jahrelange  Erfahrung  im  Zeugen- 
vemehmen  hat,  sich  schließlich  eine  Reihe  von  sicher 
wirkenden  Regeln  und  Kunstgriffen  angeeignet  haben; 
aber  jene  Fälle,  die  er  auf  Orund  seiner  früheren  Un- 
fertigkeit  im  Verhören  falschlich  beurteilt  und  abgeurteilt 
hat,  werden  dadurch  nicht  rückgängig  gemachte  Kennte 
die  größte  Mehrzahl  unserer  Richter  die  Kindesseele  ge- 
nauer, manches  Urteil  würde  anders  ausfallen.  Aber  von 
jeher  ist  in  gewissen  Kreisen  die  Pädagogik  und  ihre 
Hilfswissenschaft  als  Aschenbrödel  betrachtet  worden  und 
wird  es  auch  wohl  noch  geraume  Zeit  bleiben. 

Und  doch  —  auf  die  Dauer  wird  sich  die  praktische 
Rechtspflege  einer  Reorganisation  der  Zeugenvernehmung 
der  Kinder  ebensowenig  verschließen  können  als  der  des 
Strafrechts  Jugendlicher.  Es  muß  und  wird  die  Zeit 
kommen,  in  welcher  die  juristische  Praxis  neues  Leben 
trinkt  aus  dem  Jungbrunnen  der  psychologischen  Wissen- 
schaft, in  welcher  der  »Psychologie  und  ihrer  Schwester- 
wissenschaften ...  ein  Ehrenplatz  errichtet  wird  neben  dem 
TribunaL  Nur  dann  wird  auch  ein  anderes  Schwestern- 
paar dauernd  in  jenen  Hallen  wohnen:  Die  Gerechtigkeit 
und  die  Humanität,  c 


—     68     — 


Literatar. 

Anienty  Dr.  Wilhelm :  Entwickelaog  von  Sprechen  und  Denken  beim 
Kinde.    Leipzig,  Ernst  Wanderliob,  1899.    2,80  M. 

Loetcefiberg^  Dr.  J.:  Geheime  Miterzieher.  Hamburg,  Oatenberg- 
Verlag  Dr.  Ernst  Sohultze,  1906.    4.  Anfl.    2,50  M. 

Müller^  Lehrer,  F.  A. :  Lehrer  und  Strafgesetz.  Berlin  W.  30,  A. 
Anton  &  Co.  (Paul  Weise),  1906.    1,50  M. 

Oppenheim^  Nailian:  Die  Entwickelung  des  Kindes.  Aus  dem  eng- 
lischen Original  übersetzt  von  Berta  Oassner,  Leipzig,  Ernst 
Wunderlich,  1905.     3,80  M. 

PanntPttx,  Dr.  v,:  Die  Psychologie  im  Gerichtssaale.  Vortrag  (in 
den  Nrn.  16,  17  und  18  der  Beilage  der  Münohener  »Allgemeinen 
Zeitung«,  Jahrg.  1903). 

Schrenck-Notving^  Dr.  Frhr.  r.:  Über  Suggestion  und  Erinnerungs- 
fälschung im  Berchtoid-Prozeß.  Leipzig,  Joh.  Ambrosius  Barth, 
1897. 

,  Kriminalpsychologie  und  psychopathologisohe  Studien.  Ebenda 

1902.    4,80  M. 

Sommert  Prof.:  Die  Forschungen  zur  Psychologie  der  Aussage. 
Halle  a.  S.,  Carl  Marhold,  1905.     1,20  M. 

Stem^  Dr.  L.  TTt//.,  Beiträge  zur  Psychologie  der  Aussage,  Heft  1. 
Leipzig,  Joh.  Ambrosius  Barth,  1903.    4,40  M. 

»Zeitschrift  für  Kinderforschung«,  (Die  Kinderfehler).  Im  Verein  n^t 
Dr.  J.  L,  A,  Koch  und  Dr.  E,  Martinak  herausgegeben  von  J,  IHiper 
und  Chr.  Ufer.  Langensalza,  Hermann  Beyer  k  Söhne  (Beyer 
&  Mann).    Jähri.  12  Hefte.    4  M. 

»unser  Kind«,  Zeitschrift  für  Kinderpflege  und  Erziehung.  Wien  I, 
Mölkerbastei  10.    Jährl.  24  Hefte.    8  M. 

»Preußische  Lehrerzeitung.«     Spandau.    Jährl.  12  M. 

»Neue  Westdeutsche  Lehrerzeitung.«    Elberfeld.    Jährl.  6  M. 

Andere  Tagesblätter. 


Orack  von  Hennaan  Beyer  *  SOhae  (Beyer  *  Maon}  in  Lkogeoaüflu 


Zwölf  Kinderlieder 


Eine  analytische  Studie 


von 


Adolf  Prümers. 


Pädagogisches  Magasin,  Heft  318. 


Langensalza 

Hermann  Beyer  &  Söhne 
(Beyer  &  Mann) 

Hvxogl.  Sftchs.  HofbachhKndler 
1907 


s^ 


Inhalt. 


Seite 

Einleihuig 1 

Über  die  Form  der  Kioderlieder 3 

Die  harmonisohe  Basis  der  Kioderlieder 8 

Der  melodische  Charakter  der  Kioderlieder 10 

Über  das  Nebeomotiv 11 

Thematisohe  Verwaodtsobaft 12 

Die  Verkoppelnog  der  Teilmotive 14 

Schlußwort 18 


Einleitung. 

Die  BescbäftiguDg  mit  dem  Embryo  in  der  Kunst  übt 
einen  unwiderstehlichen  Beiz  auf  den  Forscher  aus,  dessen 
Aufgabe  es  nun  einmal  ist,  den  Dingen  auf  den  Orund 
zu  sehen  und  das  Entstehen  und  Keimen  der  Lebens- 
kräfte zu  belauschen.  Wie  der  Botaniker  mit  Hilfe  des 
Mikroskops  die  Zellen  der  Pflanzen  beobachtet,  wie  der 
Mediziner  mit  der  Sonde  Wunden  und  Körperhöhlen  unter- 
sucht, so  analysiert  der  Musikforscher  die  unscheinbaren 
Kunstgebilde,  wie  sie  in  den  künstlerisch  unreifen  Ver- 
suchen unkultivierter  Völker  oder  in  den  ersten  historisch 
nachweisbaren  Anfangen  der  antiken  Musik  auf  die  Nach- 
welt übernommen  wurden. 

Parallel  der  rein  historischen  Entwicklung  läuft  un- 
unterbrochen die  Produktion  aus  dem  Volke,  die  wegen 
ihres  primitiven  Charakters  auch  auf  das  Embryo  in  der 
Kunst  hinweist.  Das  Primitive  bei  dieser  Produktion  ist 
einfach,  ohne  roh  zu  sein,  ursprünglich,  ohne  unvoll- 
kommen zu  sein.  Dasjenige,  was  sich  für  unser  Zeitalter 
lebensfähig  und  in  täglichem  Gebrauch  erhalten  hat,  ist 
das  Kinderlied,  das  in  der  Zeitrechnung  nicht  viel  weiter 
als  zwei  Jahrhunderte  zurückliegt  Einer  Forschung,  die 
sich  mit  dem  neuzeitlichen  Kinderlied  befaßt,  eröfiTnet  sich 
ein  ungeahntes  Feld  weitgehendster  Betätigung,  selbst 
wenn  —  wie  es  bei  dieser  analytischen  Studie  der  Fall 

päd.  Mag.  313.    Prümers,  Zwölf  Kinderlieder.  1 


—     2     — 

ist  —  vom  Historischen,  vom  Textlichen  u.  a.  abgesehen 
wird  und  lediglich  das  rein  Musikalische  in  Betracht 
kommen  soll. 

Jene  zwölf  Lieder,  die  der  Verfasser  seiner  Studie  zu 
Grunde  legt,  sind  die  bekanntesten  und  besten,  nicht  aber 
die  einzigsten.  Jeder  Yolksstamm  hat  seine  spezifischen 
Einderlieder,  die  jedoch  meist  nur  im  Wandel,  nicht  aber 
im  Handel  populär  sind.  In  der  Kinderstube  werden 
noch  andere  Lieder  angestimmt,  so  das  »Maria  saß  auf 
einem  Stein«,  »Hopp,  hopp,  hopp.  Pferdchen  lauf  Oalopp«, 
das  sich  in  melodischer  Beziehung  dem  »Schlaf,  Kind- 
chen, schlaf«  nähert.  Speziell  Wiegenlieder  sind  unter 
berühmten  Namen:  Mozart^  Weber  und  Brahms^  populär 
geworden.  Von  Mozart  lieh  das  Ȇb'  immer  Treu  und 
Redlichkeit«  und  »Komm'  lieber  Mai  und  mache  die 
Bäume  wieder  grün«  unsterbliche  Melodien,  wie  bei 
Schillers  »Mit  dem  Pfeil,  dem  Bogen«  Weber  Pathe  ge- 
standen hat.  Es  läßt  sich  zwischen  Volks-  und  Kinder- 
liedern keine  bestimmte  Grenze  ziehen.  Beide  sind  stamm- 
verwandt und  es  ist  ein  erfreuliches  Zeichen  in  unserm 
Volks-  und  Familienleben,  daß  Groß  und  Klein  gleicher- 
maßen gern  Kinderlieder  und  Volkslieder  singt  Zu  diesem 
doppelten  Genre  zählen  vor  allem  die  Weihnachtslieder. 

Der  Verfasser  benutzte  hauptsächlich  solche  Lieder 
zu  Studienzwecken,  welche  ihm  zu  Vergleichen  und  als 
Beweismittel  dienlich  erschienen.  Da  genügte  für  jede 
Beweisführung  ein  Exempel,  zur  Erhärtung  von  Be- 
hauptungen ein  zweites  und  ein  drittes  Exempel.  Mit 
Hilfe  dieser  Exempel  analysiert  der  Verfasser  die  charak- 
teristische Form  und  die  harmonische  Basis  der  Kinder- 
lieder. Er  spricht  von  dem  melodischen  Charakter  und 
vom  Nebenmotiv,  ferner  weist  er  thematische  Verwandt- 
schaften nach  und  verbreitet  sich  endlich  über  Teil- 
motive und  deren  Verkoppelung,  die  direkt  in  das  Laby- 
rinth der  Töne  führt,  wo  das  menschliche  Staunen  über 
die  Unerschöpflichkeit  und  Unergründlichkeit  der  Natur 
anhebt 


—    s   — 


über  die  Form  der  Kinderlleder. 

Ein  kleiner  Gedanke  erschöpft  sich  in  einer  ent- 
sprechend kleinen  Form,  sofern  er  darauf  verzichtet,  in) 
Prokrustesbett  thematischer  Verarbeitung  mühselig  zu 
Tode  gemartert  zu  werden.  Zu  dieser  Oewaltmaßregel 
liegt  bei  Kinderliedem  absolut  kein  Orund  vor;  denn  da 
gilt  als  erstes  Gesetz  Kürze  und  Würze.  Das  Kinderlied 
unterscheidet  zwei  Hauptformen:  die  zwölftaktige  und  die 
sechszehntaktige  Form.  Beide  Arten  sind  dreiteilige 
Perioden,  deren  dritte  eine  Bepetition  der  ersten  Periode 
ist  Diese  Bepetition  yerleiht  dem  Ganzen  die  erforder- 
liche Abrundung  des  musikalischen  Gedankens.  Die  Form 
der  Kinderlieder  ist  eine  Kreisform,  sie  trägt  gewisser- 
maBen  den  Keim  der  Rondoform  in  sich. 

Von  den  zwei  Arten  der  Form  ist  die  zwölftaktige 
die  bessere;  sie  ist  logischer,  konsequenter  als  die  sechs- 
zehntaktige. Beispiel  1  und  2  (»Kuckuck  ruft  aus  dem 
Wald«    und   »Alles  neu  macht  der  Hai<).     Das  erstere 


Beispiel  1:  Kuckuck  ruft  aus  dem  Wald. 


m 


fU  jJU  t  II 


f=p^ 


Beispiel  2:  Alles  neu. 


Wilrf\fji\:J^\Ur\(jr\ 


Ij.'  rjJlJ-JCJlf  <l--nJJflir  I 


ly  frrifjrifpi.rJiJM  *  i 


—     4    — 

Lied  enthält  in  Takt  1  bis  4  das  Hauptmotiv,  das  in  Takt 
9  bis  12  wiederkehrt;  Takt  5  bis  8  bildet  das  Neben- 
motiY.  Das  andere  Lied  entbehrt  der  Ebenmäßigkeit,  weil 
sich  die  erste  Periode  nicht  nur  in  Takt  13  bis  16,  son- 
dern schon  vorher  in  Takt  5  bis  8  repetiert  Dadurch 
verschiebt  sich  das  melodische  Oleichgewicht  zu  stark  zu 
Gunsten  des  Hauptmotivs  und  das  Nebenmotiv  wird  gar 
zu  stiefmütterlich  behandelt.  Eine  logische  Abrundung 
wäre  die  ganze  Repetition  der  Takte  1  bis  8  nach  Takt  12, 
wodurch  eine  zwanzigtaktige  Form  entstünde;  dabei  käme 
das  Nebenmotiv  noch  bedeutend  schlechter  weg  wie  bis- 
her und  so  ist  erwiesen,  daß  die  zwölftaktige  Form  ent- 
schieden den  Vorzug  verdient. 

Weitere  Beispiele  (3  und  4)  für  die  Form  I  sind:   im 
Dreivierteltakt  »0  Tannenbaum«,  im  Viervierteltakt  »Alle 


Beispiel  3:  O  Tannenbaum. 


l^^ijgj^J' 


^^ 


i 


Beispiel  4:   Alle  Vögeh 


m 


Vögel  sind  schon  da«.     Beispiele  (5  bis  8)  für  Form  II 
sind:  im  Zweivierteltakt  »Ein  Männlein  steht  im  Walde«, 


—     6    — 
Beispi«!  5:  Ein  Minnleln. 


jU^-J^ir  c/ir  JiJi'inir-frJi 


rrr^ifr  Ji;jJ^ir  crir  Jij^ii 


Beispiel  6:  Weißt  du. 


i^i  n\r  f  fjicf  r  f^ic/f  Lg 


ij,»  fj'Jij-Jcjif  ti-nj3fiif  I 


l^)Vf^rrl^rrrflJJJNMI 


Beispiel  7:  Outer  Mond. 


lyiiLriff.rün^g 


^ 


a 


frlf^iCJl 


^ 


fir  fir  fiJ  j  J^^ 


Beispiel  8:  Brflderlein  fein. 


fe  8  fii*r«i'l  '^  1^1*  »TP 


1^,*  ■»  ij  J'  r  B I  jgj^^i-^ 


—     6     — 

im  Dreivierteltakt  »W«ßt  da,  wieviel  Stemlein  stehen«, 
im  Viervierteltakt  »Outer  Mond«,  im  Sechsachteltakt 
»Brüderlein  fein«.  Die  sechszebntaktige  Form  kennt  keine 
Abarten,  sie  ist  beständiger,  konservativer  als  die  zwölf- 
taktige  Form.  Letztere  läßt  Abweichungen  und  Ver- 
schiebungen zu,  wodurch  die  an  sich  wertvollere  Form 
zerstört  wird  und  Mißbildungen  entstehen.  »Winter  ade« 
ist  eine  dieser  Abarten  (Beispiel  9).  Die  Mißbildung  be- 
steht darin,  daß   die   Bepetition   der  ersten   Periode   in 


Beispiel  9:  Winter  ade. 


yii  J^iJ.wHft;if^i^fi 


Takt  9  bis  12  nicht  wortgetreu  erfolgt;  das  Nebenmotiv, 
das  in  der  zweiten  Periode  endgültig  abgetan  sein  sollte, 
wird  in  Takt  9  und  10  weiter  verarbeitet,  wodurch  die 
Bepetition  der  ersten  Periode  eine  Verstümmelung  er- 
leidet Weit  mehr  noch  artet  »Ich  hab'  mich  ergeben« 
aus  (Beispiel  10).    Die  Bepetition  für  Takt  9  bis  12  ist 


Beispiel  10:  Ich  hab  mich  ergeben. 


1 1,*  11  aj  j  I  •- ii^  J'^ 


nicht  dem  Hauptmotiv,  sondern  dem  Nebenmotiv  über- 
lassen, wodurch  das  Hauptmotiv  seinen  Bang  als  solches 
völlig  dnbüfit     Ein   Gleiches  geschieht   in   »Fuchs,   du 


—     7     — 


käst  die  Oans  gestohlen«  (Beispiel  11),  und  in  anderen 
Kinder-,  Volks-  und  speziell  Stndentenliedem.  Offenbar 
Kegt  hier  die  Schuld  an  dem  irregeführten  Empfinden 
des  Volkes,  weniger  am  Komponisten,  der  sich  mit  einer 
dnagen  Periode  von  acht  Takten  begnügte,  ohne  zu  be- 
rücksichtigen, daß  der  Instinkt  des  Volkes  nach  der  Kreis- 
fonn  yeriangt)  selbst  auf  die  Gefahr  hin^  nicht  das  Richtige 

BeiBpiel  11:  Fuchs,  du  haat  die  Gans  gestohlen. 


|j,^!i  JJJJI^'  IJ^^ 


ZU  treffen.  Diese  Art  Selbsthilfe  wird  häufig  angewandt 
and  es  läßt  sich  schwerlich  nachweisen,  wer  verstümmelt 
oder  hinzugefügt  bat  Aber  dort,  wo  die  Repetition  des 
Nebenmotivs  noch  bei  alledem  eine  motivische  Steigerung 
erfahrt,  wie  bei  »Ich  hab'  mich  ergeben«  —  das  g  in 
Takt  9  — ,  dort  ist  die  Verfehlung  lediglich  auf  das  Konto 
des  Komponisten  zu  setzen. 

Eine  zweiteilige  Periode  in  zwölftaktiger  Form  bat 
das  Kinderlied  »Wenn  ich  ein  Vöglein  war'«  aufzuweisen 
(Beispiel  12).  Die  textliche  Unterlage  verlangt  die  Zwei- 
teiligkeit des  Periodenbaues;  Haupt-  und  Nebenmotiv  be- 
steht aus  je  zwei  Takten  (1  bis  2  und  7  bis  8),  die  sich 


Beispiel  12:  Wenn  ich  ein  Vöglein  war*. 


^ij^j^j' 


j|j  jiüi 


yj;3ijJrir  ^^rffic/f  iijij 


in  Takt  3  bis  4  und  9  bis  10  bei  Transponierung  um  je 
eine  Terz  repetieren  und  entsprechenden  Abschluß  in 
Dominante  und  Tonika  finden.    Hier  wie  bei  der  sechs- 


—     8     — 

zehntaktigen  Form  entscheidet  der  Text  über  die  Art  des 
Periodenbaues  und  nur  in  Fällen,  wo  es  sich  lediglich 
um  Repetierung  des  Textlichen  handelt,  kann  man  mit 
dem  Komponisten  über  die  Zerbrechung  oder  ungerecht- 
fertigte Erweiterung  der  Form  mittelst  eines  Nebenmotivs 
rechten. 

Die  Form  des  Einderliedes  kann  glücklicher  nicht  ge- 
wählt werden;  sie  erleichtert  ungemein  das  Erfassen  des 
musikalischen  Gedankens,  ja  sie  festigt  ihn  im  Gedächtnis 
durch  seine  Repetierung  in  Ereisform.  Eine  treffliche 
Handhabe,  um  ein  Motiv  harmlos  weiter  zu  spinnen,  ist 
dem  Eomponisten  in  der  Transponierung  des  Motivs  und 
in  der  getreuen  Wiederholung  der  durch  Transponierung 
erzielten  Erweiterung  gegeben.  Da  unterscheidet  man 
zwei  Arten  von  Liedern;  die  erste  Art  bildet  das  Haupt- 
motiv in  freier  Entwicklung  und  macht  erst  beim  Neben- 
motiv von  getreuer  Wiederholung  oder  von  der  Trans- 
ponierung Gebrauch.  Ein  Beispiel  hierfür  liefert  »Alle 
Vögel  sind  schon  da«.  Die  zweite  Art  dehnt  die  frag- 
liche Erweiterung  auch  auf  das  Hauptmotiv  aus,  wie  in 
»Alles  neu«  und  »Euckuck  ruft  aus  dem  Wald«.  Da- 
durch wird  ein  schnelleres  Erfassen  der  Melodie  erzielt, 
allerdings  auf  Kosten  der  thematischen  Selbständigkeit 
des  Hauptmotivs.  Wie  dem  auch  sei,  soviel  steht  fest, 
daß  in  den  oben  zergliederten  Formen  tatsächlich  eine 
Idealform  gefunden  ist,  welche  dem  melodischen  Gedanken 
am  besten  Geltung  verschafft. 


Die  liarmoniselie  Basis  der  Klnderlleder. 

Der  Charakter  des  Volkstümlichen  bedingt  von  vorn- 
herein größte  Einfachheit  der  harmonischen  Basis.  Es 
findet  sich  unter  den  zwölf  zwanglos  ausgewählten  Liedern 
nicht  ein  einziges,  das  eine  Modulation  in  die  Ober-  oder 
Unterdominante  unternähme,  geschweige  denn  mit  Vor- 


—     9     — 

halten  und  anderem  aufwarte.  Das  Fundament  ist  überall 
dasselbe,  es  besteht  aus  der  simplen  Kadenz  I — Y — I,  in 
Worten:  Tonika  —  Dominante  —  Tonika.  Selten  tritt  die 
Unterdominante  auf;  nur  ganz  vorübergebend  wie  in 
lAlle  Vögel«  Takt  2,  in  »Ein  Männlein«  Takt  2,  in  »Ich 
faab  mich  ergebene  Takt  5  und  9,  und  in  »Fuchs,  du 
hast  die  Gans  gestohlene  Takt  3.  Die  übrigen  acht  der 
hier  in  Frage  kommenden  Lieder  begnügen  sich  mit  der 
Kadenz  I — V — I.  Diese  Zurückhaltung  im  Harmonischen 
kommt  dem  Melodischen  zu  Gute,  indem  das  Harmonische 
ZQ  Gunsten  des  Melodischen  den  Gesang  in  Terzen-  und 
Sextengängen  unterstützt.  Die  Harmonisierung  ist  in 
diesem  Falle  keine  bloße  Verstandesarbeit^  die  in  tech- 
nischer Korrektheit  jedem  Ton  der  Melodie  einen  andern 
Kothurn  unterschiebt.  Vielmehr  ist  hier  die  Harmonie 
eine  ergebene  Dienerin  der  Melodie,  frei  wie  sie  selbst 
dahin  strömend,  ein  zwangloser,  kindlicher  Kontrapunkt, 
der  sich  in  Prime,  Quinte,  Oktave,  Terz  und  Sexte  er- 
schöpft Manche  der  Kinderlieder  sind  so  gesetzt,  daß 
man  ohne  Gefahr  in  Terzen  sekundieren  kann.  Im  drei- 
stimmigen Satze  geht  die  ünterstimme  im  Abstand  einer 
Decime  mit  der  Melodie,  während  die  Mittelstimme  auf 
dem  Ton  der  Dominante  unbehindert  ausharrt.  Als  Bei- 
spiel sei  »Alles  neu«,  »Guter  Mond«  und  »Weißt  du,  wie- 
viel Sternlein  stehen  c  genannt.  Die  harmonische  Basis 
stellt  eben  infolge  der  Einfachheit  der  zu  Grunde  liegenden 
Kadenz  einen  ungefesselten,  freien  Kontrapunkt  dar,  wie 
er  nur  aus  der  Natur  des  Ganzen  entwickelt  werden  kann. 
Hier  feiert  das  Einfach -Wahre  seinen  schönsten  Triumph, 
indem  Melodie  und  Harmonie  sich  innerlich  verwandt 
und  solidarisch  fühlen.  Hier  vermißt  man  mit  Freuden 
jede  Art  von  Mache,  die  sich  in  den  modernen,  mit  dem 
Volkstümlichen  liebäugelnden  Liedern  so  roh  und  unver- 
schämt arrogant  breit  macht  Dort  wird  mühsam  Akkord 
an  Akkord  gereiht  und  das  Resultat  ist  nur  eine  un- 
beholfene, quälend  wirkende  Kombination  von  Harmonien, 

Fad.  Mag.  318.    Frümers,  Zwölf  Kindorlieder.  2 


—     10     — 

die  in  der  Oberstimme  eine  Folge  Yon  Tönen  präsentiert 
nnd  den  stolzen  Namen  »Helodiec  für  sich  beansprucht. 


Der  melodische  Charakter  der  Kinderlleder. 

Eine  Hauptforderung  für  das  rein  Gesangliche  bei 
Einderliedern  ist,  daß  der  Oesamtumfang  der  Melodie 
nach  Möglichkeit  auf  das  Mindestmaß  der  Quinte  be- 
schränkt bleibt.  Das  gebietet  schon  die  Hygiene  des 
Schulgesanges.  Yon  den  vorliegenden  Einderliedem  haben 
Tier  den  Umfang  einer  Quinte,  drei  den  einer  Sexte,  je 
zwei  den  einer  Oktave  und  None,  eins  den  einer  ün- 
decime.  Mag  als  höchstes  Maß  die  Oktave  gelten,  so  ist 
dieser  umfang  groß  genug,  um  das  in  Töne  zu  bannen, 
was  ein  Einderherz  bewegt.  Meist  ist  ein  übermäßig 
großer  Umfang  nur  auf  die  tiefe  Lage  des  Anfangstones 
im  Auftakt  zurückzuführen,  wodurch  ein  lied,  das  sich 
weiterhin  im  Sextenintervall  bewegt,  des  Nonenumfangea 
verdächtigt  wird.  Als  Beispiele  gelten  »0  Tannenbaume 
und  »Ein  Männlein  steht  im  Waldec.  Anders  li^  der 
Fall  bei  »Ich  hab'  mich  ergebene  Hier  steht  der  tiefe 
Anfangston  nicht  nur  im  Auftakt,  sondern  er  ist  untrenn- 
bar mit  der  Melodie  verwachsen.  Eine  Tran^onierung 
des  Anfangstones  um  eine  Oktave  höher,  wie  es  bei  den 
vorigen  Liedern  möglich  wäre,  ist  hier  ausgeschlossen, 
weil  die  Wiederholung  dieses  Experimentes  zu  tief  in  den 
Eern  der  Melodie  einschnitte  und  völlige  Verunstaltung 
Platz  griffe. 

Charakteristisch  bei  Einderliedem  ist  die  häufige  Ver- 
wendung des  Terzenintervalls  und  der  diatonisch  auf-  und 
abwärts  schreitenden  Quinte.  Dem  gegenüber  steht  daa 
Signalmotiv  in  »Alle  Vögel«  (Takt  1)  und  das  triolen- 
artige  Motiv  in  »Brüderlein  fein«  (Takt  1)  vereinzelt  da. 
Letzteres  Motiv  findet  sich  auch  in  Oanztönen  vor:  hahg. 
Der  Volkssinn  wird  auf  solche  Spitzfindigkeit  nicht  leicht 
reagieren,  ihm  fallt  das  Motiv:  h  ais  h  g  bedeutend  leichter; 


—   11   — 

miD  sollte  aber  konsequent  sein  und  bei  der  Notierung^ 
dieees  liedeB  nur  eine  der  beiden  Schreibweisen  ver- 
wesden,  um  den  Oesamtcharakter  des  Liedes  z«  wahren. 
Melodien,  welche  tr&uroerisch  und  hingebend  in  der  Terz- 
lage der  Tonika  schließen,  begegnen  uns  in  »Wdßt  da, 
wieviel  Stemlein  stehen ?€  and  in  »Ich  hab'  mich  er- 
gebene; auch  das  hier  nicht  dtierte  >0  wie  ist  es  kalt 
geworden«  schließt  in  der  Terzlage. 

In  all  diesen  Tonfolgen  and  Intervallen  paart  sich 
Einfalt  mit  Lebensfreude  und  Naturschwärmerei,  wie  sie 
durch  das  kindliche  Gemüt  eines  Haydn  und  Mozart  in 
die  literatur  der  Erwachsenen  übernommen  wurden. 
Woin  dem  Volke  der  ganze  Schatz  an  Kinderliedem  ver- 
loroi  ginge,  so  brauchte  es  nur  bei  jenen  Meistern  in 
die  Schule  zu  g^en  und  die  Melodie  der  Kinderzeit  würde 
SU  nenem  Leben  erweckt,  die  geschwundene  Erinnerung 
an  die  traute  Sprache  der  Kinderstube  wieder  wachgerufen 
werden. 


Über  das  Nebenmotlr. 

Es  verlohnt,  das  Nebenmotiv  in  seiner  Eigenschaft 
als  Bindeglied  zwischen  Periode  I  und  III  einer  kurzen 
Analyse  zu  unterziehen.  In  den  Liedern  »Fuchs,  du  hast 
die  Oans  gestohlene  und  »Ich  hab'  mich  ergeben«  ist  das 
Nebenmotiv,  das  im  fünften  Takt  anhebt,  mehr  ein  untei- 
geordnetes  Glied  des  Hauptmotivs;  in  allen  übrigen  hier 
citierten  Liedern  dagegen  hat  das  Nebenmotiv  selbständigen 
Charakter  als  Vermittler  zwischen  Anfang  und  Ende.  Zwei 
Artoi  Ton  Nebenmotiven  lassen  sich  unterscheiden;  die 
erste  Art  ist  zweitaktig  und  repetiert  sich  auf  derselben 
Tonstufe,  die  zweite  Art  ist  ebenfalls  zweitaktig,  repetiert 
sich  aber  eine  Terz  oder  eine  Sekunde  höher  oder  tiefer. 
Zur  eisten  Art  zählt  »Brüderlein  fein«,  »Alle  Vögel«, 
»Bin  M&nnlein  steht  im  Walde«  und  »Weißt  du,  wieviel 
Stemlein  stehen«;  zur  zweiten  Art  gehören  »Alles  neu«» 


—     12     — 

»Kuckuck  ruft  aus  dem  Wald«,  »Winter  ade«,  »Wenn  ich 
ein  Yöglein  war'«  und  »0  Tannenbaum«.  Eine  Sonder- 
stellung nimmt  »Outer  Mond«  ein;  dort  repetiert  sich 
das  Nebenmotiv  eine  Sekunde  höher,  dann  aber  entwickelt 
es  sich  ungebunden  weiter  (Takt  7  und  8).  Es  liegt  in 
der  Natur  der  Sache  begründet,  daß  das  Nebenmotiv  auf 
der  Dominante  basiert  Dieser  Fall  trifft  zu  bei  »Alle 
Vögel«  und  »Ein  Männlein  steht  im  Walde«.  Kon- 
zessionen an  die  Tonika  machen  die  übrigen  acht  in 
Frage  kommenden  Lieder.  Die  hierbei  zu  Grunde  liegen- 
den Kadenzen  lauten: 

a)  2  Takte  V,  2  Takte  I.     Beispiel  1  und  2. 

b)  V— I— V— I  pro  Takt    Beispiel  6,  8  und  12. 

c)  I— V— V— I  pro  Takt  Beispiel  3  und  9. 
»Outer  Mond«  basiert  in  den  beiden  ersten  Takten  auf 
Kadenz  b  und  schließt  bei  freier  Weiterentwicklung  in 
der  Dominante.  Dieser  Abschluß  ist  der  logischere;  er 
Tersetzt  das  Lded  in  die  Kategorie  von  »Alle  Vögel«  und 
»Ein  Männlein  steht  im  Walde«.  Die  Nebenmotive  be- 
schränken sich  alle  auf  vier  Takte  Ausdehnung,  auch  in 
melodischer  Beziehung  sind  sie  sich  sehr  ähnlich. 


Thematische  Verwandtschaft. 

Die  Gefahr,  unbewußt  fremdes  Eigentum  zu  berühren, 
liegt  besonders  nahe,  weil  das  Gebiet  des  Volkstümlichen 
keine  markanten  Grenzsteine  besitzt  Thematische  Ver- 
wandtschaft tritt  nicht  nur  auf  Nachbargebiet,  sondern 
sogar  auf  eigenem  Boden  zu  Tage.  Dafür  ist  »Alles  neu« 
ein  trefTlicbes  Beispiel.  Das  Nebenmotiv  ist  dort  eine 
erweiterte  ümkehrung  des  Hauptmotivs  (Beispiel  13). 
Motivische  Verwandtschaft  auf  nachbarlichem  Gebiete 
findet  sich  in  Takt  3  und  4  des  »Alles  neu«.  Der  dia- 
tonisch aufwärts  schreitende  Quintengang  deutet  auf  »Fuchs, 
du  hast  die  Gans  gestohlen«.    Wie  sehr  »Alles  neu«  und 


—     13     — 


iKuckack«  melodische  Doppelgänger  sind,  beweist  Bei- 
^)iel  14.  Ein  anderes  Doppelgängerpaar  entpuppt  sich  in 
»Winter  ade«  und  »Wenn  ich  ein  Vöglein  war'«.  (Bei- 
spiel 15). 


Beispiel  13: 
Umkehruog 


erweitert 


oder 


m 


^ 


f;f||/njJrl.i?l^^l 


Kuckuck. 


Beispiel  14: 


i*f  rll^     ^rlr  ^ir     rri^rH 


Alles  neu. 


Winter  ade. 


Vöglein. 


yj  j  j 


Beispiel  15: 


Als  innerlich  thematisch  verwandt  ist  »Weißt  du,  wie- 
viel Stemlein  stehen«  zu  bezeichnen.  Dieses  Lied  arbeitet 
mit  nur  drei  Motivteilchen.  Das  erste  bildet  den  Auftakt 
und  in  der  ümkehrung  um  eine  Terz  höher  transponiert 
den  Abschluß  der  ersten  und  dritten  Periode  (Beispiel  16  a). 
Das  zweite  ist  in  dem  Terzenschritt  c— a  verkörpert,  der 
sich  später  auf  den  Tönen  d  und  e   wie  auf  h  in  der 


—     14    — 


•) 


Beispi«!  16: 
k) 


y  ;3 1  r  li  cj  I  r  II  rj.  ii^^TBI 


0) 

\l*  fM^tf^LffW  Jj  J II  fr  ra 


ümkebrung  repetiert  (Beispiel  16  b).  Da»  dritte  Moüt* 
teilchen  besteht  aus  dem  SekuDdenscbritt  mit  nacbfolgen- 
der  Prime:  e— d — d,  der  sich  auf  den  T6nen  d,  h  und  o 
¥^iederholt  (Beispiel  16  c).  Aus  einfacheren  Mitteln  läBt 
sich  kaum  eine  Melodie  wie  diese  konstruieren  und  doch 
liefert  »Brüderlein  feine  den  Beweis,  daß  zwei  Motivteile 
genügen,  um  eine  Melodie  zu  schaffen,  die  sich  größter 
Popularität  erfreut. 


Die  Yerkoppelang  der  TeilmotlTe. 

Näher  betrachtet,  erweist  sich  »Brüderlein  feine  in 
seinem  melodischen  Aufbau  als  ein  ganz  prosaisches 
Rechenexempel,  dessen  Verarbeitung  die  Eontrapunkt- 
hand werker  des  16.  Jahrhunderts  ungemein  hätte  reizen 
müssen.  Es  entspricht  dem  allgemeinen  Gefühl  und  der 
normalen  Basis  jeder  Kunst,  daß  ein  Volkslied  alles  andere 
ist,  als  die  fein  ausgeklügelte,  nüchterne  Berechnung  eines 
Arithmetikers.  Der  zu  Herzen  gehende  Volkston  mit 
seiner  Einfachheit  und  ungeschminkten  Innigkeit  läßt  die 
Vermutung  gar  nicht  aufkommen,  daß  diese  Perlen  auf 
dem  ünterboden  des  Einmaleins  wachsen  könnten.  Daa 
Prinzip  des  Volkstümlichen,  mit  kleinen  Mitteln  große 
Wirkungen  zu  erzielen,  hat  weitgehendste  Verwirklichung 
in  besagtem  »Brüderlein  feine  gefunden,  das  in  der  Art 
der  Melodiebildung  in  der  Literatur  des  Volksliedes  einzig 
dastehen  dürfte.  Es  beweist  auch  mit  bestem  Erfolg,  daß 
kühle  Berechnung  kein  Hindernis  ist,  schwungvolle 
Melodieführung   zu   erzielen.     Kein    unbefangener   wird 


—     15    — 

lonter  der  wie^nden,  Büß  eiDSchmeichelndeD  Melodie  des 
»Brüderlein  feine  eine  arithmetische  Formel  versteckt 
^nben  und  doch  stützt  sich  der  melodische  Bau  auf  eine 
nackte  Bechenform^  Selten  arbeitet  man  auch  mit  zwei 
XoliTeii  so  erfolgr^ch,  daß  daraus  eine  sechszehntaktige 
Melodie  erwächst,  die  Anspruch  auf  größte  Popularität 
bat  Das  eiste  Motiv  ist  in  Takt  1  enthalten;  es  wieder- 
holt sieb  in  Takt  3,  4,  6,  6,  10,  12,  13  und  14  Das 
aweite  Motiv  liefert  Takt  3;  es  repetiert  sich  in  Takt  7, 
9,  11  und  16.  Die  Schlußtakte  8  und  16  der  zwei 
Pmoden  zählen  nur  als  notwendiger  Abschluß  in  der 
Tonika.  So  ergibt  sich  also,  daß  »Brüderlein  feine  aus 
zwei  Motiven  von  der  Länge  je  eines  Taktes  besteht, 
deren  kunstgerechte  Yerschachtelung  und  Verflechtung 
die  brannte  Yolksmelodie  geboren  hat. 

Entsprechend  seiner  Stellung  als  Motiv  I  hat  dieses 
öftere  Verwendung  gefunden  als  das  Motiv  II,  das  als 
Nebenmotiv  fungiert  Dies  scheint  bewußte  Absicht  des 
Komponisten  gewesen  zu  sein  oder  richtiger  gesagt,  es 
wird  ihm  sein  musikalisches  Feingefühl  diese  Art  der 
Motivbenutzung  vorgeschrieben  haben.  Schwerer  erreich- 
bar wäre  ihm  wohl  das  Ziel  geworden,  wenn  er  statt  des 
tonalen  Instinktes  die  kalte  Berechnung  hätte  walten 
lassen.  Er  vertraute  seinem  guten  Tonsinn  und  ahnte 
vielleicht  nicht  einmal,  in  welches  Labyrinth  er  geraten 
mußte,  wenn  er  Motive  und  ihre  Bestandteile  nach  arith- 
metischen Gesetzen  aneinander  koppelte.  So  hätte  er  für 
seine  Volksweise  folgende  zweiteilige  Formel  gefunden: 

a)  Motiv  I  repetiert  und  koppelt  sich  an  Motiv  II, 
weldies  den  Kreis  mit  Motiv  I  beschließt;  das 
ganze  repetiert  und  schließt  in  der  Tonika. 

b)  Motiv  II  repetiert  in  der  Verkoppelung  uut  Motiv  I, 
bildet  die  Bondoform  mit  dem  Oanzen  aus  Ab- 
satz a  und  schließt  in  der  Tonika. 

Wir  finden  in  diesem  Volkslied  das  eigentliche  Embryo 
des  Bondeau,  in  Form  und  Inhalt.  Es  gibt  nicht  sehr 
Tiel»  Motive^  die  den  Charakter  des  Bondogenres  so  treff- 


—     16     — 

lieb  und  überzeugend  erscböpfen,  wie  jene  wiegende, 
unter  Tränen  läcbelDde  SIelodie  des  »Brüderlein  fein«. 
Das  Geheimnis  liegt  in  der  repetierenden  Verwendung 
des  ersten  Motivs  einerseits  und  in  dem  sparsamen  Qo- 
braucb  des  zweiten  Hotivs  andrerseits.  Die  geschickte 
Art  der  Motivbenutzuag  schafft  eine  Volksweise,  wie  sie 
einfacher  kaum  gedacht  werden  kann.  Sie  ist  so  recht 
das  ABO  der  Volkskunst  Eine  wertvolle  Nachahmung 
dieser  zwerghaften,  bodenstammigen  Form  wäre  schon 
deshalb  anzustreben,  weil  die  intensive  Beschäftigung  mit 
der  Miniaturkunet  am  deutlichsten  zeigt,  welch'  geheime 
Tiefen  im  Unbewußten  der  künstlerischen  Produktion 
liegen.  Betreten  wir  einmal  das  Labyrinth  der  Motiv- 
koppelungen; überzeugen  wir  uns  von  dem  vielgestaltigeD 
Wesen  zweier  in  Proportion  zueinander  gestellten  Motiv- 
teile und  benutzen  wir  dazu  die  oben  citierte  Volksweise. 
Motiv  I  ist  in  seiner  ersten  Hälfte  maßgebend,  Motiv  II 
in  der  zweiten  Hälfte.  Stellen  wir  nun  diese  wichtigen 
Motivteile  in  Proportion  zueinander,  so  eröffnet  sich  uns 
sofort  ein  weiter  Ausblick  auf  die  Eombinadonsarten. 
Zar  Erläntemng  diene  folgende  Tabelle: 


f    g_b 


1 


1 

1 

1 

2 

1 

■> 

2 

2 

1 

2 

H 

1 

2 

1 

1 

1 

2 

1 

2 

1 

2 

2 

3 

1 

1 

2 

« 

1 

1 

2 

I 

1 

2 

S 

1 

a 

1 

2 

1 

2 

t 

2 

2 

1 

1 

1 

' 

2 

2 

j 

2 

1 

2 

1 

1 

2 

Die  Ziffern  1  und  S  bedeuten  die  Teilmotive,  während 
die  Buchstaben  a  bis  o  die  vierzehn  Resultate  kenn- 
zeichnen und  unterscheiden.  In  Noten  übertragen,  er- 
geben die  Proportionen  die  Kombinationen  in  Beispiel  17. 
Aus  all  diesen  Motivmischungen  erhellt  zunächst,  wie 
reich  auch  die  Natur  der  Töne  beschaffen  ist  und  wie 
vielgestaltig  abwechselnd  bis  ins  Tausendste  hinein  die 
tonalen  Atomgruppen  sind.  Jede  dieser  vierzehn  Gruppen 


—     17     — 


tragt  den  Keim  der  Weiterbildung  in  sieb,  jede  zeugt  aus 
dem  Alten  ein  Neues  und  beides  zeugt  wieder  ein  drittes 
Ganze.    Angesichts  dieser  Offenbarung  kann   von  melo- 


•) 


Beispiel  17: 


i^i'nc/iff.ftjJi:^ 


w)  r  c 


«Oa 


C) 


C03 


^ 


Ol  lal 


-=^ — = =^, — =- 


«03 

coa 


ll^g  rr/rHvJ^|v}Whf^ 


coa 


m) 


<^ 


s 


le 


e 


I  ^  ^'  Et;  J 


coa 


«Oa 


^a 


<^ 


discher  Armut  keine  Rede  mehr  sein  und  man  bemit- 
leidet die  Neulandsegler,  die  uns  eine  Eunst  in  Yiertel- 
tönen  bescheren  wollen. 


—     18     — 

Von  den  rierzehn  MotivmischoDgen  ist: 

EombinatioD  d  die  Umkehrang  von  a, 


w 

C 

» 

n 

w 

b. 

w 

h 

?i 

i> 

i> 

e, 

n 

g 

« 

11 

11 

f, 

« 

k 

n 

?? 

w 

• 

1, 

Die  Eombinationen  1  und  m  sind  ohne  Gegenstacke, 
das  heißt:  Das  Positiv  fällt  mit  dem  Negativ  zusammen, 
ihre  Gebilde  sind  symmetrisch. 


Sehlusswort. 


Was  lehrt  diese  analytische  Studie?  Sie  lehrt  erstens, 
daß  die  Beschäftigung  mit  dem  Kleinen,  Unscheinbaren 
in  der  Kunst  ebenso  nutzbringend  und  dankbar  ist  wie 
die  Erforschung  größerer  Probleme.  Sie  lehrt  zweitens, 
daß  in  der  Kunst  nichts  so  klein  ist,  daß  es  gering  ge- 
achtet werden  dürfe.  Sie  lehrt  ferner,  daß  auch  im  winzig- 
sten Atom  der  Kunstmittel  der  Keim  des  Lebens  steckt, 
und  daß  ee  nur  der  Energie  des  Tonschöpfers  bedarf,  um 
aus  dem  Atom  ein  blühendes  Kunstgebilde  zu  zaubern. 
Das  hat  der  Mensch  vor  dem  Tier  voraus,  daß  er  wie 
Gott  selber  aus  dem  Nichts  schaffen  kann.  Ihm  fliegen 
Gedanken  zu,  einige  haften,  andeie  berühren  nur  im  Fluge 
die  Saite  der  Seele.  Ein  Tropfen,  ein  Atom  genügt,  um 
den  Keim  zu  legen,  der  Großes  wirkt  Die  Studie  zeigt 
fernerhin,  wie  sehr  bewußt  uns  doch  im  Grunde  das  un- 
bewußte ist,  wie  sehr  selbst  das  unbewußte  zur  Gewohn- 
heit werden  kann.  Der  musikalische  Instinkt  betätigt  sich 
unausgesetzt,  selbst  im  Tändeln  und  Scherzen  der  Sander- 
stube; auch  über  den  Kinderliedem  wacht  der  Schats- 
engel  der  Inspiration. 


oSß^ 


Dmok  Ton  Honnaim  Beyer  k  S(Uuie  (Beyer  k  Mtian)  in 


Dr.  Horst  Keferstein 


Gedenkblatt 
seines  Lebens  und  Wirkens. 


Von 


Edmund  Oppermann, 

Schnldirektor  in  Brannschweig. 


Pädagogisches  Mngarin,  Heft  314. 


0"    ^^>'V^ 


m 


Langensalza 

Hermann  Beyer  &  Söhne 

(Beyer  &  Mann) 

Henogl.  SKchi.  Hofbnchhlndler 

1907 


AU«  BKlite  ToibahaMN. 


Mir  gilt  die  Jageod  und  die  Kindheit  als  ein  grofies 
Ganzes,  dessen  Pflege  ioh  mit  ganzer  warmer  Teilnahme 
nach  allen  Richtungen  verfolge  und  beobachte. 

Horst  Keferstem, 

Eeferstein  gehört  in  seiner  Menschenkenntnis,  seinem 
Wissen,  in  der  liebe  sar  Natur,  in  der  Freude  am 
Gedeihen  des  Vaterlandes  und  in  seinem  gekl&rten, 
religiösen  Gemüt  zu  den  geistigen  Führern  des  Volks, 
die  nicht  vergessen  werden  und  denen  viele  in  Liebe 
und  Dankbarkeit  verbunden  bleiben. 

Zeitschrift  für  Philosophie  und  Pädagogik. 

Eeferstein  war  ein  Geist,  in  dem  sich  die  verschieden- 
sten Probleme  eigenartig  spiegelten,  der  zu  allen  Fragen 
selbständig  Stellung  nahm,  eine  Persönlichkeit,  die  in 
ihrer  Aufgabe  voll  und  ganz  aufging,  ein  Mann,  der 
mit  allen  Fasern  seines  reichen  Herzens  an  der  Er- 
ziehungsarbeit hing.  Allg.  Deutsche  Lehrerztg. 

I. 

Selbstbiographien  bedeutender  Männer  sind  für 
Kenntnis  ihrer  Entwicklung,  ihres  Wertes,  ihres  Wirkens 
QDd  Schaffens,  nicht  zum  wenigsten  auch  der  kulturellen 
Verhältnisse  ihrer  Zeit  von  größter  Wichtigkeit  Was 
fehlte  uns,  wenn  Ooeihe  sein  »Wahrheit  und  Dichtungc 
nicht  geschrieben  hätte  oder  Bismarck  nicht  seine  »Ge- 
danken und  Erinnerungen«!  Welche  Fälle  von  Belehrungen 
und  Anregungen  verdanken  wir  Schulmänner  Polacks 
Brosamen,  Kellners  Ijobensblättern ,  Wieses  Lebens- 
erfahrungen, Schneiders  und  Bosses  Lebenserinnerungen! 
Oerade  Autobiographien  von  Schulmännern,  recht  ver- 
faßt, sind  für  uns  von  hohem  Werte:  sie  bieten  uns  Ein- 
blick in  ihre  Werkstätte,  in  ihr  Kämpfen  und  Bingen, 
sie  machen  uns  mit  ihren  Idealen  bekannt,  sie  übermitteln 

FId.  Kag.  S14.    Oj>j>ermaiifl,  "Dr.  Hont  Zetesteia.  1 


ans  freimütige  Urteile  über  Syeteme  und  aUrermSgende 
Männer.  Sie  fördern  uns  in  anserem  Benifestreben,  trösten 
ans  über  schwere  Zeiten  hinweg,  Stählen  den  Mut  im 
Kiogen  nach  dem  Höchsten  nnd  beleben  und  befrachteo 
unsern  Idealismus.  >) 

Wir  sind  so  glücklich,  auch  ron  Keferslein  eine 
Selbstbiographie  zu  besitzen  in  dem  zweiten  Teile 
seines  noch  nicht  genügend  bekanntea  und  noch  nicht  ge- 
bührend gewürdigten  Buches  i  Betrachtende  Wande- 
rungen durch  die  Unterrichts-  und  Erziehungs- 
lehrec^  >ErinDerangen  aus  dem  Leben  des  Ver- 
fassers« nennt  er  diese  163  Seiten  zutreffend,  dann  nicht 
gleichmäßig  sind  alle  Lebensepochen  dargestellt  worden; 
Tielmebr  ist  die  besonders  bedeutsame  ITiährige  Wirk- 
samkeit Kefersteins  als  Seminar -Oberlehrer  in  Hamburg 
—  otTenbar  aus  zarter  Rücksichtnahme  auf  die  noch 
Lebenden  — -nur  aphoristisch  behandelt  worden,  und  Ton 
dem  auch  sehr  regsam  verlaufenen  Lebensabend  erfahren 
wir  nichts,  da  das  Buch  1894  erschienen  ist  Aber  auch 
das  Vorliegende  ist  so  inhaltsreich,  so  wertvoll,  so  an- 
regend und  erquickend,  daß  wir  dem  Entscblafeneu  fQr 
diese  Qabe  besonders  dankbar  zu  sein,  alle  Ursache  haben. 

■)  iSiDi]  ■Qtobtographiscbe  ADfzeicbnuDgea  völlig  wabrbeits- 
getrea,  ao  werdeo  Bie  >1b  böchat  wertvoller  Beitrag  inr  Qesobiobta 
aod  damit  inr  Eeontnia  noBerea  OeaohlecblB  sn  bBtrachteo  aein,  da 
ja  im  Oebiete  sonstigen  Qaelleomateriala  so  TJeles  nnr  mit  größter 
ToiBicht  tu  QebruQcbendeB  eatbftlteQ  ist.  Deo  Eindruck  eitler  Selbst- 
überhebnog  wird  die  Selbstbiographie  anch  des  sofaliehtestsD  Erden- 
wallerB  wenigsteos  bei  dem  aiaht  hervorrnfee,  der  da  begreift,  daft 
nnter  UmBl&odeD  das  Leben  nnd  Wirken  einer  noch  so  verborgen 
gebliebenen  Person  inweilen  tiefer  aaf  deren  Umgebungen  eiotn- 
wirken  vermag,  als  das  eieer  allbekianten  BerübmtheiL  Diee  kann 
beeoDders  dane  eintreten,  wenn  Bicb  die  betreffende  Person  mehr 
daroh  setbaUodige,  lom  Teil  oene  Oedanken  and  treffende  Urteile 
über  bestehende  EinriobtuDgee  und  deren  VerTollkommniuig,  al» 
durch  anmittelbares  prsktischeB  Eingreifen  in  das  Oelriebe  des  öffent- 
lichen Lebens  oder  duicb  niaBeDschaAIiche,  könstlerigohe,  teohaisohe 
Xieistnngeo  hervortat.'    {H.  Eefer»ttm.) 

*)  Jena,  Fr.  Maokea  Verlag  (A.  Sohenk),  1B94.    478  8. 


—     8     —     , 

Wir  werden  denn  auch  im  folgenden  diese  »Erinnerongenc 
als  wichtigste  Quelle  einer  Biographie  oft  zitieren. 

Kefersieins  Heimat,  sein  Geburtsort,  die  Stätte  mehr- 
jihrigen  amilichen  Wirkens,  das  Heim  fiir  einen  fried- 
lichen Lebensabend  und  die  letzte  Ruhestätte,  ist  die  lieb- 
lich gelegene  thüringische  Museostadt  Jena.  Ihr  blieb 
er  sein  Lebtags  zugetan,  sie  hat  er  wieder  und  wieder  in 
beredten  Worten  yerherrlicht  In  dem  einstmaligen  dortigen 
Biakonat  wurde  er  geboren.  Das  glückverheiBende  Datum, 
welches  man  damals  schrieb,  heißt:  12.  August  1828. 

Schon  in  früher  Kindheit  erwachte  in  ihm  die  Liebe 
zur  Natur,  die  sein  langes  Erdenleben  verschönt  hat. 
Jener  Eichplatz  beim  Diakonat  war  ja  so  sonnig  und, 
weil  nicht  gepflastert,  zu  harmlosen  Bewegungsspielen 
wie  geschafTen  und  darum  ein  Lieblingsort  spielfroher 
Kinder.  »Auf  ihm  gab  es  auch  den  Knaben  mächtig  an- 
ziehende Schauspiele  studentischen  Treibens,  wie  Fecht- 
übungen, Kommerse  mit  all  den  begleitenden  Dingen,  wie 
Gesingen,  Ansprachen,  Schwerterblinken,  farbigen  Mützen, 
Bindern  usw.«  An  ihn  knüpften  sich  die  frühesten  und 
Büßesten  Kindheitserinnerungen.  Und  wie  die  Lage  des 
Elternhauses,  so  begünstigte  auch  die  landschaftliche  Um- 
gebung des  Wohnortes  die  Freude  am  Naturgenuß.  In 
den  Garten  yor  der  Stadt  gingen  die  Eitern  bei  günstigem 
Wetter  schon  vormittags,  die  Kinder  direkt  von  der  Schule. 
In  diesem  anheimelnden  Idyll  wurde  ein  einfaches  Mittags- 
mahl bereitet,  wurden  Schul-  und  Gartenarbeiten  gemacht, 
wurde  gespielt,  wurden  vertraute  Gäste  bewirtet  Endlich 
die  Umgebung  Jenas!  Kefersiein  begeisterten  die  zahl- 
reichen lauschigen,  zu  erquickenden  Wanderungen  ein- 
ladenden Seitentäler  und  Schluchten,  die  sich  von  dem 
Haupttale  abzweigen.  »Sanft  ansteigende,  mit  Obstbäumen 
oder  Beben,  teilweise  auch  mit  Matten  und  Getreidefluren 
oder  mit  einigem  Waldbestande  bedeckte  Anhöhen  um- 
kränzen zum  Verweilen  einladende  Dörfer.  Längs  der 
Saaleufer  ziehen  nach  S.  und  N.  stundenweit  mit  Nutz- 
biumen  bestandene  blumenreiche  Wiesen  . .  .c 

1* 


Aach  die  FriTttBobale  des  Dr.  Zenker,  die  Kefer^ 
stein  zur  YorbereituDg  für  das  OjrmDanom  besnchts,  legte 
auf  Erhol  an  gBSpiele  in  dea  Schulgärten  and  lof  freien 
Plätzen  g;roßes  Gewicht,  ebenso  wie  aaf  halb-  und  guu- 
tägige  WanderoDgeD.  Zeitlebens  hat  dann  unser  Kefer- 
stein  gern  den  Wanderstab  in  den  Ferien  cn  größeren 
Ausflügen  ergrifEto  and  dadurch  seinen  Horizont  ertrmtert, 
sein  Wissen  geklärt  und  vermehrt  und  eeioem  starkm 
Triebe  nach  Unabhängigkeit  and  Selbständigkeit  Becb- 
nuDg  getragen. 

Beicbe  Anregung  bot  dem  Knaben  dra  Verkehr  vieler 
hochgebildeter  Gelehrten  and  Künstler  im  elterlichen 
Bause.  Der  Yater  war  ein  Freund  der  Wissenschaften  and 
zugleich  namhafter  Uusiktheoretiker.  Im  Jahre  des  Herder^ 
Jubiläums  hatte  er  den  Abschnitt  über  >Herder  nach  der  muei- 
kaliadien  Seite«  für  das  >Herder-Albam<  verfaßt,  and  die 
beiden  eisten  Mueiktheoretiker  Prof.  Marx  und  Prof.  Lobe 
waren  ihm  ebenso  zugetan  wie  Robert  Sckumann,  Slam 
Wieck,  die  nachmalige  Frau  Sehumanti,  und  der  Balladen- 
Löwe,  der  ein  Studiengenoase  des  Vaters  gewesen  war. 
Von  befreundeten  Gelehrten  seien  nur  genannt  die  Philo- 
sophen tVies  und  Reinhold  (der  Sohn  des  ersten  Kantianers), 
die  Historiker  Luden  und  Dahlmann.  Fries'  Bild  stand 
vor  der  Seele  des  Knaben  als  das  eines  stets  naild  und 
-ernst  vor  sich  hinblickenden  Mannes,  Daklmannt  aber 
als  eines  meist  finster  Dreinschauenden. 

Tor  allem  zog  das  studentische  Treiben  den 
Knaben  an,  z.  B.  die  bei  dem  Frorektoratswechsel  regel- 
mäßig auftretenden  Exzesse  der  Studierenden,  wie  nament- 
lich das  Einwerfen  der  Fenster  in  des  neuen  Prorekton 
Wohnung,  femer  die  während  der  bessern  Jahreszeit  &Bt 
täglich  stattfindenden  Gelage  auf  Markt  und  Straßen  der 
Stadt,  das  Fäßchentrinken ,  Singen  und  Fechten  in  aller 
Öffentlichkeit,  das  Laterneneinschlagen ,  das  Ausbringeo 
von  Pereats  oder  die  Katzenständchen  vor  den  Fenatem 
mißliebiger  Professoren,  endlich  das  Gepränge,  mit  dem 
man   die  Belegierten   als  die  Opfer  des  Strs^eeetees  n 


—    B    — 

den  Tom  der  Stedt  hinansgeleiteta  Noch  sei  einer 
anderen  Beminiazenz  gedacht,  deren  sich  Kef er  stein  aas 
der  Jugendzeit  erinnerte.  Noch  damals  wurden  Personen, 
die  sich  dea  Diebatahls  schuldig  gemacht  hatten,  an  das 
am  Bathana  befestigte  Halseisen  gelegt  und  dem  Hohne 
wie  dem  Bewerfen  mit  Kot,  faulen  Eiern  usw.  preis- 
gegeben. 

Inzwischen  wurde  der  Vater,  der  in  Jena  als  Garnison- 
prediger angestellt  war,  nach  dem  3  Stunden  weit  ent- 
fernten Dorfe  Wickerstedt  versetzt.  Während  die  vier 
Schweatem  mit  dorthin  zogen,  besuchte  Horst  die 
Zmkerache  Schule  weiter  und  erhielt  täglich  abwechselnd 
bei  Freunden  freien  Mittagstisch.  Diese  Einrichtung 
brmelite  ihm  aber  viel  Unbehagen  und  Unannehmlich- 
keiten. In  um  so  schöneren  Lichte  und  um  so  beseligen- 
der erschien  ihm  der  Aufenthalt  im  elterlichen  Hause, 
das  er  möglichst  oft  besuchte,  wobei  ihn  dann  die  Mutter 
mit  aller  Zärtlichkeit  empfiog.  Dem  Heimweh  war  Kefer^ 
9iein  stark  ausgesetzt,  wie  er  denn  zu  den  Naturen  ge- 
hörte, in  denen  das  Gefühlsleben  stark  ausgeprägt  ist  und 
die  das  unangenehm  sie  Berührende  allzu  schwer  nehmen. 
»Wie  oft  beneidete  ich  Männer  um  ihren  ungetrübten 
Gleichmut,  wenn  man  ihnen  noch  so  übel  zusetzte  und 
sie  es  über  sich  gewannen,  nachdem  sie  zu  der  einen 
Tör  hinausgewiesen  waren,  zur  andern  wieder  herein- 
sutretenlc,  ruft  Kefersiein  a.  a.  0.  aus.  Sein  Gesundheits- 
zustand flößte  aber  oft  Besorgnis  ein.  In  den  Halbjahrs- 
zeugnissen stand  wiederholt  die  Mahnung:  »Mag  seine 
Brust  schonen  If,  und  der  Arzt  verordnete  gleichfalls  große 
Schonung. 

Über  dem  Schulleben  schwebte  ein  gewisser  Un- 
stern. Des  Vaters  sehnlicher  Wunsch  war,  den  Sohn  in 
Schulpforta  zu  sehen.  Für  die  Blüte  dieser  Schule 
bricht  u.  a.  der  Umstand,  daß  Horst  hier  in  Untertertia 
angenommen  wurde,  während  man  ihn  in  Weimar  be- 
reits für  Sekunda  reif  erklärt  hatte.  Aber  die  damaligen 
Einrichtungen  und  namentlich  der  ihm  vorgesetzte  »Ober* 


—    6    — 

geselle«  erBCbieneo  ihm  als  zu  Bchwere  Bürde,  daher  vei^ 
ließ  er  bald  gegen  den  Willen  des  Taters  Scbnlpforta 
wieder,  um  nach  Weimar  zu  gehen.  Dieser  Entschlofi 
bereitete  ihm  dann  später  viele  Stunden  der  Reue,  dena 
bald  erkannte  er,  daß  die  vorzüglicheien  Lehrer  doch  in 
Schnlpforta  waren.  £r  sollte  nun  die  Erfahrung  machen, 
daß  man  nicht  ungestraft  in  der  Jugend  seine  eigenen 
W^  geht,  and  daß  gewohnte  geistige  Nahrung  vielleicbt 
viel  schwerer  Termißt  wird,  als  irgend  ein  äußeres  Qot 
Später  sandte  er  denn  auch  zwei  seiner  Söhne  gern  and 
mit  bestem  Erfolg  nach  Pforta. 

Ais  segensreichste  Uitgift  aus  Schulpforta  betrachtete 
er  es,  daß  er  dort  geistiges  Arbeiten  liebgewonnen  hatte. 
So  lebendig  war  das  Yerlangen  nach  geistiger  Anregung 
in  ihm  erwacht,  daß  er  sich  nie  und  niigends  wohl  and 
befriedigt  fühlte,  so  oft  und  wo  auch  immer  nur  leere 
EormalitSten,  z.  B.  bei  Kneipereien,  in  den  Tordei^gmod 
traten.  Auch  die  wesentlich  durch  Kefersiäna  Einfluß 
entstandene  Terbindung  »Arminia«,  die  in  Tiefurt  ihre 
Stammkneipe  hatte,  nahm  nie  den  Charakter  bloßra* 
Kneipereien  an,  wenngleich  bei  den  Zusammenkünften 
am  Sonnabend  Nachmittag  &ohe  Ejieder  beim  Glase  Bier 
gesangen  wurden.  In  diesem  Kränzchen  nahm  man  eine 
klassische  Schrift  aus  der  deutschen  Literatur  vor,  auch 
beurteilte  man,  oft  recht  scharf,  die  eing^angenen  Auf- 
sätze. »Tomehmiich  übten  wir  uns  im  freien  Sprechen, 
Disputieren,  Deklamieren,  lernten  uns  unbefangen  vor 
anderen  aussprechen,  nötigten  uns  zn  regelmäßigen  Privat- 
arbeiten,  gewöhnten  uns  an  eine  edle  Beschäftigang  in 
den  Mußestunden,  genossen  außerdem  die  Freuden  freund- 
schaftlichen, geselligen  Verkehrs  und  bewahrten  uns  un- 
bewußt vor  so  manchen  unserer  Jugend  und  Unerfahren- 
heit  drohenden  Gefahren.« 

Die  Schwingen  wuchsen,  und  bereits  im  20.  Lebens- 
jahre redete  Keferstein  wiederholt  in  Yolksveraamulungen. 
Man  schrieb  ja  1648,  als  er  im  Stadthaassaale  die  Tribüne 
betrat,  am  die  sofortige  Einrichtung  eines  Turnvereins 


—     7    — 

sa  beantragen,  und  es  war  auf  einer  Wiese  bei  Apolda, 
wo  er  gegen  die  Stimmfüiirer,  aber  unter  Beifall  vieler 
Landleute  die  Yerkündigung  einer  deutschen  Bepublik 
mit  dem  Einwände  bekämpfte,  daß  zahlreiche  Bepubliken 
im  klassischen  Altertum  an  großen  Gebrechen  gelitten 
bitten  und  einem  frühen  Untergange  geweiht  gewesen 
wiren.  Ob  dieser  frühzeitigen  politischen  Tätigkeit  ver- 
wanite  ihn  dann  sein  Direktor.  Aber  wo  alles  petitio- 
nierte, konnten  die  Gymnasiasten  doch  nicht  schweigen: 
nnter  Kefersieins  Vorsitz  beschlossen  sie  eine  Eingabe 
um  Unterricht  in  freien  Bedeübungen,  sowie  in  neuerer 
and  neuester  Geschichte. 

Schon  als  Gymnasiast  unternahm  er  ohne  Begleitung 
weite  Fußreisen,  selbst  bis  zur  Insel  Bügen.  Dadurch 
erweiterte  er  beträchtlich  seinen  Gesichtskreis  und  lernte 
die  Wdt  und  das  Leben  besser  verstehen.  Auf  den  Fort- 
gang seiner  Studien  wirkten  diese  Geist  und  Körper 
stählenden  ünterbrechangen  der  Schularbeit  nur  vorteil- 
haft, und  mit  der  Gesamtzensur  1  bestand  er  1849  das 
Abiturienten  ezamen. 

Nun  sehen  wir  ihn  als  Student  in  Halle,  Jena 
und  Tübingen.  Schon  im  ersten  Semester  wurden  die 
Studien  jäh  unterbrochen  darch  eine  Cboleraepidemie. 
Die  Schulen  wurden  geschlossen,  und  Keferstein  konnte 
wieder  in  die  Welt  wandern,  zum  erstenmal  in  die  Alpen- 
welt der  Schweiz,  zwar  mit  überaus  bescheidenen  Mitteln, 
daher  vorwiegend  auf  Schusters  Bappen,  aber  mit  großem 
Ertrag  an  Begeisterung,  Belehrung  und  mancherlei  An- 
regungen. 

In  Halle  fand  er  frühere  Mitschüler  aus  Schuipforta, 
die  der  Burschenschaft  » Fürstental c  angehörten;  auch 
Keferstein  schloß  sich  ihr  um  so  lieber  an,  als  er  bereits 
als  Gymnasiast  seine  Sympathie  den  Burschenschaften 
zugewandt  hatte. 

Von  dem  erwählten  Derufsfache,  der  Theologie,  wurde 
er  zunächst  durch  einen  Stubennachbar  und  einen  Do- 
zenten abgelenkt,   die  ihn  für  philosophische  Probleme 


—     8     — 

und  namentlich  für  den  damals  unbeschränkt  geltendeD 
Hegel  zu  begeistern  wußten.  In  Tübingen,  wo  er  vom 
Herbst  1850  auf  ein  Jahr  weilte,  zog  ihn  besonders  stark 
Chr,  van  Baur  an,  der  Beigenführer  unter  den  berühmten 
Vertretern  der  sogenannten  Tübinger  Schule.  »Aus  seinem 
Vortrag  erkannte  man  das  Lehren  aus  tiefster  und  wärm- 
ster Überzeugung Er  wirkte  alles  durch  die  Wucht 

seiner  freien  unabhängigen  Persönlichkeit^  durch  die  geist- 
volle Art,  historische  Probleme  zu  lösen,  durch  die  Meister- 
schaft, die  schwierigsten  fach  wissenschaftlichen  Aufgaben 
zu  bewältigen.«  Auch  den  berühmten  Ästhetiker  Vischer 
verehrte  er  als  einen  führenden  und  mit  scharfer  Geistes- 
wafTe  streitenden  Gegner  alles  Ungesunden  und  Un- 
schönen, wie  in  den  bildenden,  so  in  den  redenden 
Künsten  und  nicht  am  wenigsten  auch  in  der  Mode  der 
weiblichen  wie  männlichen  Kleidung.  Für  ühland^  deo 
er  oft  sah,  begeisterte  er  sich  sehr,  und  wieder  und 
wieder  wanderte  er  hinaus  zu  den  in  Uhkmds  Balladen 
spielenden,  von  Sage  und  Geschichte  umwobenen  Orten, 
Burgen,  Bergen  und  Tälern.  Übrigens  ging^s  in  Tübingen 
noch  recht  ländlich -sittlich  zu:  man  schlachtete  auf  der 
Straße,  große  Düngerhaufen  zierten  dieselbe,  und  die 
Häuserfront  war  ganz  gewöhnlich  mit  Wäsche,  die  ge- 
trocknet wurde,  bedeckt. 

Nachdem  Kefersiein  wieder  nach  Jena  zurückgekehrt 
war,  brach  er  mit  der  Theologie  völlig,  um  sich  der 
Pädagogik  zu  widmen.  Er  trat  in  OöUlings  philologisches 
und  in  Droysens  historisches  Seminar  ein,  besonders  aber 
fesselte  ihn  Stoi/y  der  freilich  hohe  Anforderungen  an  die 
Arbeitskraft  stellte.  Kefersiein  besuchte  Siays  Vorlesungen, 
nahm  an  den  vielen  Konferenzen  teil,  hielt  Lektionen  in 
der  Übungsschule,  hospitierte  fleißig,  begründete  eingehend 
seine  Kritiken  der  gehörten  Lektionen.  Daneben  studierte 
er  emsig  Geschichte  und  die  alten  Klassiker. 

So  vielseitig  und  gründlich  vorbereitet,  begann  Kefer- 
stein  1852  seine  Lehrtätigkeit  —  ohne  Ablegung  dee 
Oberlehrerexamens,   da   ein   solches   damals  in  Weimar 


—     9     — 

aooli  nicht  eingerichtet  war.  Außerordentlich  vielseitig 
war  seine  43jährige  Tätigkeit  als  Lehrer  und  Erzieher. 
In  dieser  von  gewöhnlicher  Oberlehrerlaufbahn  so  stark 
abweichenden  Mannigfaltigkeit  des  pädagogischen  Wirkens 
haben  wir  aber  auch  die  Erklärung  für  Kefersteins 
soaveräne  Beherrschung  des  Oesamtgebiets  der 
Pädagogik,  f&r  seine  klare  Erfassung  der  SchulCragen 
nnd  ffir  seine  fruchtbare  und  achtunggebietende  Tätigkeit 
als  pädagogischer  Schriftsteller. 

Zunächst  wirkte  er  fast  16  Jahre  in  Dresden.  Hier- 
her war  er  1852  gekommen  ohne  feste  Aussicht  auf  ein 
Lehramt  So  ergriff  er  das  erste  beste,  das  sich  bot.  Und 
das  war  nichts  Gutes:  ein  völlig  ungebildeter  Besitzer 
einer  Pension  für  junge  Engländer  gewann  ihn  als  Lehrer. 
Gern  vertauschte  er  bald  dieses  Sklavenleben  mit  der 
Beügionsiehrerstelle  an  einer  Töchterschule  und  dann 
diese  mit  der  vollen  Lehrerstelle  an  der  berühmten  Privat- 
Lehr-  und  Erziehungsanstalt  des  Dr.  Krause. 

Darauf  wurde  er  an  Dr.  Odermanns  öffentliche  Handels- 
lebranatalt  der  Dresdener  Kaufmannschaft  berufen,  und 
zwar  für  Deutsch,  Geschichte  und  Geographie,  für  Fächer, 
in  die  er  sich  bei  der  ihm  eigenen  Gründlichkeit  erst 
schwer  hineinarbeitete,  die  er  aber  dann  mit  Virtuosität 
beherrschte  und  deren  Methodik  er  dann  in  mannigfacher 
Weiae  befruchtete.  So  verfaßte  er  eine  reichhaltige  Samm- 
lang geographischer  Fragen  und  einen  Leitfaden 
ffir  den  geographischen  Unterricht;  ferner  bearbeitete  er 
eine  Sammlung  von  Charakteristiken  aus  Rankes 
Werken  und  ein  größeres  Kompendium  für  den  Ge- 
schichtsunterricht bezw.  für  Geschichtsrepeti- 
tionen,  sowie  »2600  Fragen  aus  der  Geschichte 
and  Geographie«.  Bei  meinem  Unterrichte  in  der  Erd- 
kunde konnte  Kefersiein  freilich  immer  aus  dem  Tollen 
schöpfen,  denn  seine  Augen  hatten  vielleicht  die  meisten 
geographischen  Objekte,  die  im  Unterricht  vorkommen, 
gesehen.  Nächst  den  Alpenländem,  besonders  der  Schweiz, 
die  er  schon  wegen  persönlicher  Beziehungen  oft  besuchte, 


—     10     — 

lernte  er  England,  Schottland,  Niederlande,  Belgien,  Däne- 
mark, Schweden,  Frankreich  und  Italien  durch  seine 
Reisen  kennen.  Groß  ist  die  Zahl  der  bedeutsamen  Per- 
sönlichkeiten, denen  er  daheim  und  in  der  Fremde  pei^ 
sönlich  näher  trat  Wir  nennen  Berthold  Auerbach, 
E.  Gutzkow,  Otto  Roquette,  H.  Hettner,  J.  Grosse,  R 
Waldmüller,  Schnorr,  Rietschel,  Zeichen -Flinzer,  Diester- 
weg,  Berthelt.  Als  Gegensätze  erschienen  ihm  Auerbach 
und  Gutzkow.  »Auerbach,  der  behäbige,  runde,  ans 
seinen  großen,  etwas  hervorstehenden  Augen  freundlich 
lächelnde  Erzähler  der  Dorfgeschichten,  dessen  Mundart 
einen  anheimelten,  und  wiederum  der  lange,  hagere,  bleidi 
und  meist  finster  dreinschauende  Gutzkow,  der  seine 
pessimistische  Weltanschauung,  seine  nach  allen  Seiten 
scharfen  satirischen  Ausfalle  keinen  Augenblick  im  Äußeren 
verleugnen  konnte.  In  Auerbachs  Nähe  empfand  man  ein 
gewisses  Behagen,  Gutzkow  flößte  einen  beengenden  Ein- 
fluß auf  den  ihm  Nahenden  aus.€ 

Durch  den  Dichter  W,  Wolfsohn  veranlaßt,  wurde 
Keferstein  von  dem  russischen  Kultusministerium  zur 
Begutachtung  von  Entwürfen  zu  ünterrichtsreformen  in 
Rußland  ersucht  Ihm  wurde  dann  als  Anerkennung 
seiner  Arbeit  der  Stanislausorden  verliehen.  Wolfisohn 
wurde  auch  äußerer  Anlaß  zur  Bekanntschaft  Eefersteins 
mit  Diesterweg.  Jener  hatte  in  seiner  Revue  Kefersteins 
Abhandlung  über  die  Eonfession  in  der  Schule  veröffent- 
licht. Diese  gefiel  Dtestotveg  so  gut,  daß  er  sich  die 
Erlaubnis  zum  Nachdruck  für  sein  »Pädagogisches  Jahr- 
buch c  erbat,  —  eine  seltene  Auszeichnung.  Er  begrüßte 
Keferstein  als  einen  unbefangenen  Beurteiler  und  Ge- 
sinnungsgenossen. Dieser  urteilt  über  ihn  zutreffend: 
»Diesterweg  war  frei  von  jeder  starren  Prinzipienreiterei, 
frei  von  speichelleckerischem  Liberalismus,  wenn  es  galt, 
nicht  nur  von  Rechten,  sondern  auch  von  Pflichten  und 
Aufgaben  des  Lehrers  zu  reden.  Er  war  zwar  ein  Gegner 
konfessionellen  Religionsunterrichts  und  der  Konfessions- 
schule,  aber  ein  durchaus  warm  fühlender  Mensch    der 


—  11  — 

IL  a.  die  Predigten  Schleiermachers  mit  innigster  Teil- 
nibme  hörte,  c 

Stark  zog  es  Kefersiein  hin  zu  den  Yolksschul- 
lehrern:  der  liebe  zu  der  Volksschule  und  ihren  Lehrern 
ist  er  trea  geblieben  bis  zum  Tode.  Als  Mitglied  des 
Dresdener  Pädagogischen  Vereins  entfaltete  er  eine  r^e 
ntigkeit  U.  a.  hielt  er  den  Festvortrag  »Herder  als 
Pidagogec  und  ehrte  er  den  Altmeister  Diesterweg  durch 
einen  warm  empfundenen  Nekrolog.  Durch  Schuldirektor 
Beriheli  wurde  er  mit  der  von  ihm  geleiteten  »Allgem. 
Deutschen  Lehrerzeitungc  bekannt  und  für  den  Besuch 
der  Allgemeinen  Deutschen  Lehrerversammlungen  ge- 
wonnen. Es  war  in  Hildesheim,  wo  Kefersiein  (1867) 
die  Adiaphora  im  Unterricht  als  Thema  behandelte. 
In  der  Sächsischen  Lehrerversammlung  in  Dresden  er- 
örterte er  die  Frage  der  Lehrerbildung,  gleichfalls  in  der 
Seminarlehrerversammlung  in  Nürnberg.  Es  war  die  Leb- 
haftigkeit des  Interesses  an  den  auf  der  Tagesordnung 
stehenden  Gegenständen  und  seines  Empfindens,  teilweise 
auch  eine  aus  reichen  Erfahrungen  geschöpfte  Betrachtungs- 
weise, die  ihn  zu  einer  regelmäßig  regen  Mitarbeit  bei 
Lehrerversammlungen  durch  Vorträge  oder  durch  Beteili- 
gung an  der  Besprechung  führte,  z.  B.  auf  Realschul- 
männerversammlungen,  Weimariscben-  und  Thüringer- 
Lehrerversammlungen  und  in  Versammlungen  von  Ver- 
tretern des  weiblichen  Unterrichts. 

1856  schloß  er  den  Ebebund  mit  der  Tochter  einer 
in  Dresden  lebenden  Pastorenwitwe.  Ihrem  Ruhme  hat 
er  in  seiner  Selbstbiographie  ein  gar  lieblich  zu  lesendes 
Kapitel  gewidmet,  das  in  dem  Satze  gipfelt:  »Wenn  sich 
meine  Zukunft  im  großen  ganzen  weit  über  mein  Ver- 
dienst glücklich  gestaltet  hat,  so  danke  ich  dies  nicht  am 
wenigsten  der  lieben  Lebensgefährtin.«  Auch  darin  zeigte 
sie  ihre  anspruchslose  Liebe  und  echte  Weisheit,  daß  sie 
ihrem  Gatten  in  reichem  Maße  alle  Anregungen  und 
geistigen  Auffrischungen,  wie  z.  B.  größere  Reisen  oder 
die  zur  Ausführung  literarischer  Arbeiten  unentbehrliche 


-    13    — 

Muße  des  Stadierzimmers  yeigönnte,  während  sie  sich  der 
Pflege  der  Eioder  —  drei  Söhne  und  vier  Töchter  —  und 
der  Pensionäre  wie  den  Anforderungen  des  Haushalte» 
mit  Yoller  Treue  widmete. 

Eine  reiche  schriftstellerische  Tätigkeit  entfaltete 
Keferstein  bereits  in  diesem  ersten  Abschnitt  seiner  päda- 
gogischen Wirksamkeit  Für  das  Dresdener  »Communalr 
blatte  verfaßte  er  viele  Artikel  über  das  Schulwesen,  für 
die  »Constitutionelle  Zeitung«  viele  Leitartikel,  ferner 
Beiseskizzen  aus  England  und  Schottland,  sowie  Artikel 
populär  -  philosophischen  Inhalts.  Nicht  so  schnell  ver- 
wehen seine  inhaltsreichen,  formvollendeten  Artikel  für 
eine  Anzahl  Enoyklopädien  über  alle  Hauptfragen  des 
Erziehungs-  und  Unterrichtswesens:  für  Bentxsch*  Volks- 
wirtschaftliche Enoyklopädie,  für  Schmids  Encyklopädie 
des  gesamten  Unterrichts-  und  Erziehungs wesens,  für 
Petxolds  Encyklopädie  der  Pädagogik,  besonders  aber  für 
Rei?is  Encyklopädisches  Handbuch  der  Pädagogik.  Hier 
finden  wir  aus  seiner  Feder  die  gediegenen  Arbeiten  über: 
Ästhetische  Bildung,  Beneke,  Denzel,  Oraser,  Palmer, 
Familienerziehung,  Internat,  Eonsequenz  in  der  Erziehung, 
Privatschulwesen,  Internationale  Erziehung,  Fortbildungs- 
und Fachschule.  (Doch  fallen  diese  Arbeiten  zum  Teil  in 
eine  spätere  Zeit.) 

Die  Geschichte  der  Pädagogik  hs^i Keferstein  durch 
viele  größere  und  kleinere  Studien  bereichert  Mit  kon- 
genialem Verständnis  wußte  er  die  Ideen  der  pädagogi- 
schen Klassiker  zu  erfassen,  mit  liebevoller  Vertiefung 
zeichnete  er  ihren  Lebensgang  und  ihre  Bedeutung,  mit 
großer  Sachkunde  und  kritischem  Verständnis  wies  er 
ihren  Platz  in  der  Geschichte  der  Erziehung  an.  Sehr 
bedauern  wir,  daß  er  die  Muße  nicht  gefunden  hat  zu 
einer  zusammenfassenden  Geschichte  der  Pädagogik,  für 
die  er  so  wertvolle  Bausteine  beigetragen  hat  — 

1867  verließ  Keferstein  Dresden,  um  die  von  Schul- 
rat iS/oy  in  Jena  käuflich  erworbene  Enabenerziehungs- 
anstalt  zu   übernehmen.     »Also   wollen   Sie  das  heiße 


—     18     — 

Bisen  aoCuBenPc  fragte  Wichard  Lange  warnend  mit 
Hhiweis  anf  die  Sorgenlast,  die  Keferatein  unter  Preis- 
gäbe  seiner  lohigen  und  beglückenden  Verhältnisse  auf 
sich  nehmen  wollte.  Da  der  bisherige  Institutsyerwalter 
simtliche  Zöglinge  mitgenommen  hatte,  so  fand  Kef er  stein 
stmidist  ein  von  Pensionären  YÖllig  entblößtes  Haus  vor. 
Dodi  bald  blühte  die  Anstalt  unter  seiner  Leitung  wieder 
aal  Die  unter  Sioy  eingeführten,  meist  monatlich  statt- 
findenden Bepetitionsexamina  behielt  er  bei.  An  den  sog. 
Stadientagen  wurden  einige  Klassen  mit  Klausurarbeiten 
beschäftigt,  mit  anderen  wurden  in  Gegenwart  der  durch 
die  Aofirichtführung  nicht  behinderten  Lehrer  Wieder- 
iiolongen  abgehalten.  Daran  knüpften  sich  Konferenzen, 
in  denen  zunächst  der  betreffende  Kollege  seine  Lektion 
selbst  einer  Beurteilung  unterwarf  und  ein  Rezensent  und 
das  Kollegium  ihr  urteil  abgaben.  »Es  war  dabei  nicht 
immer  ganz  leicht,  persönlichen  Bemerkungen  zu  wehren; 
aber  so  manche  meiner  Kollegen,  denen  diese  Übungen 
and  kritischen  Konferenzen  zunächst  als  eine  unerquick- 
liche Mitgabe  bei  ihrer  Amtsführung  erschienen,  haben 
mir  später  ihren  Dank  für  diese  » Quälereien  <  entgegen- 
gebracht Ebenso  dafür,  daß  ich  eine  ziemlich  peinliche 
Kontrolle  über  die  Korrekturen  und  die  Haltung  der 
Schülerhefte  und  Lehrmittel,  über  pünktlichen  Anfang  des 
Unterrichts,  die  regelmäßige  Säuberung  und  Lüftung  der 
Klassenräume  usw.  übte.« 

Keferstein  richtete  femer  Elternabende  ein  und  hielt 
Sonntags  abends  in  seinem  Hause  literaturgeschichtliche 
Vorträge  für  seine  Hausgemeiode  wie  für  die  Stadtschüler 
und  deren  Angehörige.  Er  gründete  einen  Volksbildungs- 
Torein,  in  welchem  auch  akademisch  gebildete  Lehrer 
Vorträge  hielten.  Der  Handfertigkeitsunterricht  fand,  wie 
anter  Stoy^  sorgfältige  Beachtung,  und  für  Körperpflege 
wurde  außerdem  durch  Exerzieren,  Tanzen,  Schwimmen, 
Baden,  Schlittschuhlaufen  und  Wanderungen  ausgiebig  ge- 
sorgt Nicht  minder  wurden  die  schönen  Künste  gepflegt,  Qe- 
sang,  Instrumentalmusik,  Deklamationen  und  Aufführungen. 


—     14    — 

Im  Einverständnis  mit  den  Yertretem  der  Kaufmannschaft 
richtete  Keferstein  Kurse  für  Lehrlinge  ein,  in  denen  die 
üblichen  Fächer  an  Handelsschulen  vertreten  waren.  End- 
lich leitete  er  auch  eine  höhere  Privattöchterschule.  Wahr- 
lich eine  arbeitsreiche,  vielseitige  Tätigkeit! 

Durch  lange  Erfahrung  hatte  Keferstein  sich  ein  zu- 
treffendes Urteil  über  das  Privatschulwesen  gebildet 
Ihre  innere  Berechtigung  begründet  er  zunächst  mit 
dem  Hinweis  auf  die  im  Interesse  unserer  höchsten 
Kulturaufgaben  zu  gewährende  freie  Entfaltung  hervor- 
ragender Talente  und  idealer  Bestrebungen  in  der  Jugend- 
bildung. Wollte  der  Staat  jede  selbständige  eigenartige 
pädagogische  Unternehmung  intellektuell  wie  moralisch 
bewährter  Persönlichkeiten  unmöglich  machen,  so  wäre 
dies  als  schwere  Einbuße  für  die  freie  Fortentwicklung 
der  theoretischen  wie  praktischen  Pädagogik  zu  bezeichnen. 
Doppelt  berechtigt,  ja  notwendig  ist  die  Privatschule, 
wenn  sie  zugleich  als  völlig  organisierte  Erziehungsanstalt 
auftritt  und  Aufgaben  übernimmt,  mit  deren  Lösung  die 
wenigsten  öffentlichen  Schulen  sich  befassen  mögen.  Wo 
sollte  gegenüber  dem  massenhaften  Mangel  an  pädagogisch 
entsprechenden  häuslichen  Verhältnissen  auch  eine  Abhilfe 
gewonnen  werden,  wenn  nicht  in  wohlgeleiteten  Privat- 
erziehungsanstalten?  Als  eventuelle  Vorzüge  der  Privat- 
schule hezeichüet  Keferstein^):  1.  Diese  gründen  sich  auf 
allgemein  anerkannte  Unterrichts-  und  Erziehungsideen 
und  wollen  nicht  bloß  Fach-  und  Berufezwecke  verfolgen. 
2.  Ihre  Vorsteher  wollen  in  erster  Linie  warme,  hin- 
gebende Vertreter  pädagogischer  Ideen  und  Grundsätze 
sein.  3.  Sie  werden  sich  schon  deshalb  mit  größter 
Pflichttreue  ihrem  Berufe  widmen,  weil  ihr  persönlicher 
Vorteil  dabei  im  Spiele  ist,  so  daß  sich  jede  grobe  Ver- 
nachlässigung des  freigewählten  Amtes  doppelt  rächen 
müßte.  4.  Sie  können  kleine  Klassenkörper  unterhalten, 
unbrauchbare  Lehrkräfte  leicht  entfernen,  sittlich  anrüchige 


^)  Beins  Eocyklopädisches  Haodbuoh  der  Pädagogik. 


—     16    — 

1 

Schfiler  los  werden,  als  wertvoll  erkannte  Neuerungen 
im  ünterrichtsbetrieb  schnell  zur  Geltung  bringen,  den 
Individualitäten  der  Schüler  möglichst  gerecht  werden, 
einen  lebhaften  Verkehr  mit  den  Eltern  unterhalten,  die 
gesamte  persönliche  Entwicklung  des  Zöglings  angemessen 
beeinflassen.  6.  Sie  können  Heilstätte  und  Rettungsanstalt 
sein  f&r  Schüler,  die  von  überfüllten  öffentlichen  Schulen 
w^gen  ungenügender  Leistungen  abgehen  mußten,  und 
Tielleicht  ungerecht  Aufg^ebene  und  völlig  mutlos  Ge- 
wordraie  durch  geduldiges  Eingehen  auf  ihre  individuellen 
Hingel,  besonders  durch  geschickte  methodische  Behand- 
lang schwieriger  Lehrfacher  zu  ungeahnter  Leistungsfähig- 
keit führen. 

Trotz  treuester  Arbeit  blieb  die  Jenaer  Zeit  doch 
sorgenvoll.  Kein  Wunder,  daß  Keferstein  freudig  eine 
Stelle  als  Oberlehrer  am  Hamburger  Lehrer-  und 
Lehrerinnenseminar  annahm.  Er  war  1876  in  Ham- 
burg zum  Besuch,  als  er  erfuhr,  daß  man  einen  Seminar- 
Oberlehrer  suche.  Gern  nahm  man  seine  Bewerbung  ent- 
gegen, da  er,  wie  viele  Schriften  und  Vorträge  bekundeten, 
über  Lehrerbildung  eingehend  nachgedacht  und  die  Lösung 
dieser  Frage  nicht  wenig  gefördert  hatte. 

Die  siebenzehn  Jahre  reich  gesegneter  Tätigkeit  am 
Hambui^r  Lehrer-  und  Lebrerinnenseminar  sind  im  all- 
gemeinen glücklich  zu  nennen.  Das  gilt  besonders  von 
dem  Sonnenschein  seines  Familienlebens.  Die  amtliche 
Tätigkeit  befriedigte  ihn  allerdings  nicht  in  allen  Stücken. 
Ohne  auf  Einzelheiten  einzugeben,  sei  nur  an  den  Um- 
stand erinnert,  daß  das  Hamburger  Volksschulwesen, 
welches  jetzt  in  hoher  Blüte  steht,  sich  erst  sehr  spät 
oitwickelt  hat  —  ähnlich  dem  Berliner,  und  daß  man 
dort  erst  sehr  spät  das  Lehrerseminar  geschaffen  und 
organisiert  hat. 

Auch  in  Hamburg  widmete  Keferstein  über  die  Schul- 
stunden hinaus  einen  Teil  seiner  Zeit  seinen  Zöglingen. 
Allwöchentlich  unternahm  er  mit  ihnen  Spaziergänge,  und 
oft   lud   er  sie   zu    einem   geselligen   Beisammensein  in 


—     16     — 

einem  Gartenlokal  oder  in  seiner  Wohnung  ein.  Mit 
Unterstützung  des  damaligen  Seminardirektors  Mahraun 
richtete  er  ein  Kränzchen  zur  Pflege  froher  Gtoselligkeit 
ein,  in  welchem  es  weder  an  Gaben  der  Kunst  noch  an 
traulich  geselliger  Unterhaltung  fehlte.  »Wir  Menschen 
könnten  uns  das  Leben  weit  anmutender  gestalten,  wenn 
wir  erfinderischer  wären  in  einem  glücklichen  Ausbau 
desselben  und  die  in  uns  schlummernden  Anlagen  und 
Talente  besser  in  unsern  Dienst  zu  ziehen  yerständeo. 
Vieles  im  Leben  ist  nur  darum  wenig  befriedigend,  ja 
widerwärtig  öde  und  langweilig,  weil  wir  es  an  der 
rechten  Ausbeutung  der  uns  verliehenen  Pfunde  fehlen 
lassen.« 

Wieder  wie  in  Dresden  und  Jena  hielt  Kefersiein 
Vorträge  über  Psychologie  den  Hamburger  Volksschal- 
lehrern, sowie  zahlreiche  Vorträge  über  verschiedene 
Themen  im  Schul  wissenschaftlichen  Verein,  im  Arbeiter» 
bildungs-,  Gewerbe-,  Erziehungs-  und  MädchenschuUehreiv 
Verein.  Seine  hohe  Begeisterung  für  die  Ideale,  sein 
umfassendes  Wissen,  seine  reiche  Erfahrung  und  seine 
Gabe  klarer  und  anmutiger  Darstellung  sicherten  ihm 
auch  hier  die  ungeteilte  Aufmerksamkeit  aller  Hörer. 

Keferstein  verleugnete  auch  in  Hamburg  nicht  seine 
Natur,  auf  Besserung  und  Vervollkommnung  des  Be> 
stehenden  bedacht  zu  sein.  Während  seiner  17jährigen 
Wirksamkeit  als  Seminaroberlehrer  wandte  sich  seine 
Beform tätigkeit  vorwiegend  folgenden  Fragen  zu:  1.  die 
den  Seminaren,  den  männlichen  wie  weiblichen,  zu  Ge- 
bote stehenden  Räumlichkeiten;  2.  das  Privatleben  der 
Seminaristen;  3.  das  Verhältnis  zwischen  Präparandeum 
und  Seminar  und  die  im  Präparandeum  unterrichtenden 
Lehrer;  4.  die  praktischen  Übungen  der  Seminaristen; 
5.  die  Handhabung  gewisser  Unterrichtsfacher,  wie  im 
Seminar,  so  in  dessen  Übungsschule;  6.  das  Zensuren- 
wesen; 7.  die  äußere  Ordnung  in  den  Unterrichtssälen; 
8.  die  Handhabung  der  Unterrichtsmittel,  der  Hefte^ 
Bücher,  Karten,  Subsellien;    9.  Versäumnisse  und  Die- 


—     17     — 

flplmaiillle;  10.  das  Stra&ecbt  des  SeminarkoUegiams; 
11.  die  Zosammensetzung  des  Seminarvorstandes;  12.  Ab- 
{aDgqprQfangen,  Art  des  Prüfens;  13.  das  persöoliche 
Yerhätnis  zwischen  den  Seminaristen  und  den  Lehrern; 
14.  das  Lehrprogramm  des  Seminars,  z.  B.  in  Musik, 
Yolkswirtschaftslehre,  Handfertigkeit 

Der  Lehrerbildung  steckte  Keferstein  hohe  Ziele,  wie 
fcfaon  ans  folgendem,  in  seinen  »Beiträgen  zur  Frage  der 
Lahrerbildong«  aufstellten  Lehrplan  für  ein  sechs- 
klasaiges  Seminar  hervorgeht 

Die  unteren  4  Seminarklassen  haben  je  2  Stunden 
Beligion,  3  Std.  Deutsch,  6  Std.  Latein,  bezw.  4,  4,  4, 

3  Std.  Französisch,  bezw.  4,  4,  4,   3   Std.  Englisch,  je 

4  Std.  Mathematik,  2  und  2  Std.  Rechnen,  je  5  Std. 
Naturwissenschaften,  je  1  Std.  Geschichte,  je  1  Std.  Geo- 
graphie, je  2  Std.  Zeichnen,  je  2  Std.  Turnen,  je  3  Std. 


Die  oberen  2  Klassen  haben  je  2  Std.  Religion  mit 
katechetischen  Übungen,  je  2  Std.  Deutsch,  2  Std.  Turnen, 
4  Std.  Anthropologie,  2  und  6  Std.  Pädagogik,  je  4  Std. 
Geschichte  der  Pädagogik,  je  12  Std.  praktische  Übungen, 
je  4  Std.  Musik,  je  2  Std.  Turnen. 

Daß  Latein  aufgenommen  wurde,  begründete  er  mit 
dem  Wunsche,  dem  Lehrer  ein  Wissensfeld  zu  eröfinen, 
das  an  und  für  sich  eine  formal  bildende  Kraft  besitzt 
and  eine  fast  unentbehrliche  Handhabe  bei  allen  mög- 
lichen Studien  sein  und  bleiben  wird.  Da  es  sich  hier 
um  geistig  bereits  reifere  Schüler  handelt,  so  werden  bei 
wöchentlich  6  Lektionen  4  Jahre  Lernzeit  genügen,  um 
es  bis  zur  Lektüre  des  Caesar,  Cicero,  Ovid  und  YirgU 
zu  bringen.  Darauf  werde  dann  der  weiter  bauen  können, 
der  sich  etwa  eingehender  dem  Sprachstudium  widmen  wilL 

Für  Keferstein  war  es  eine  hohe  Freude,  auch  den 
pädagogischen  Unterricht  am  Lehrerinnenseminar  mit  zu 
erhalten.  So  glücklich  arbeitete  er  inmitten  seiner  Schul- 
gemeinde, daß  sich  ihm  jede  Lektion  und  jede  persönliche 
B^egnung  zu  einem  frohen   Genuß  gestaltete.     Um  so 

PU.Kag.  814.    Oppermann,  Dr.  Horst  Keferstein.  2 


—     18     — 

schmerzlicher  war  es  für  ihn,  daß  ein  Halsleiden  sieb 
trotz  einer  Winterknr  nicht  besserte  und  ihn  nach 
42  jähriger  Lehrtätigkeit  im  Alter  von  65  Jahren  zwang, 
seine  Pensionierung  zu  nehmen. 

Nun  zog  er  nach  seiner  geliebten  Vaterstadt  Jena,  um 
dort  den  Lebensabend  zuzubringen.  Noch  14  friedliche 
Jahre  wurden  dem  unermtidlichen  Vorkämpfer  für  Ge- 
sundung der  Pädagogik  geschenkt.  Er  kaufte  sie  treu- 
lich aus  durch  Veröfientlichung  manches  trefflichen  Buches 
und  Artikels,  und  als  er  wegen  Erlahmung  der  rechten 
Hand  sie  nicht  mehr  schreiben  konnte,  diktierte  er  seine 
Gedanken  lieben  Angehörigen.  Am  25.  April  1907  setzte 
der  Tod  seinem  Schaffen  ein  Ziel. 


»und  hinter  ihm  im  wesenlosen  Scheine  lag,  was 
uns  alle  bändigt,  das  Gemeine.<  Dieses  Gedächtniswort 
Qoethes  für  Schiller  kann  auch  auf  Keferstein  angewendet 
werden.  Er  war  eine  hervorragend  ethisch  yeranlagte 
Persönlichkeit  Der  ethische  Gesichtspunkt  beherrschte 
nicht  nur  sein  Empfinden,  Wollen  und  Handeln,  sondern 
auch  sein  gesamtes  Denken,  er  war  die  Grundidee  seines 
Seins  und  Wirkens.  Ihre  Entfaltung  und  nähere  Be- 
stimmung aber  erhielt  diese  Idee  bei  ihm  nicht  in  einem 
starren  System  von  Dogmen  und  Lehrsätzen,  sondern  in 
dem  lebendigen  Glauben  an  das  Gute  und  in  der  un- 
erschütterlichen Überzeugung,  daß  es  schließlich  seine 
sieghafte  Kraft  gegenüber  allen  Hindernissen  bewähren 
müsse.  Die  praktische  Gestaltung  der  sittlichen  Idee  war 
ihm  weit  wichtiger  als  ihre  theoretische  Ableitung  aus 
irgend  welchen  Prinzipien. 

Was  ihm  als  richtig  vorschwebte,  das  suchte  er  mit 
aller  Energie  auch  zur  Geltung  zu  bringen.  Naturgemäß 
bot  ihm  hier  der  eigene  große  Familienkreis  das  dank- 
barste und  zugänglichste  Feld.  In  seinen  »Gaben  für  den 
häuslichen  Herd«  hat  er  die  Gesichtspunkte,  von  denen 
er  sich  bei  der  Gestaltung  seines  Familienlebens  leiten 


—     19    — 

lieS,  niedergelegt  Er  war  kein  bequemer  HansYater,  die 
Ender  mochten  das  Hansregiment  bisweilen  als  drückend 
«ipfinden;  er  selbst  bereute  später  oft  die  allzugroße  Härte 
■od  Strenge  früherer  Jahre;  aber  feste  Gewöhnung  an 
Zocfat  und  Ordnung,  die  Eähigkeit  zu  entsagen,  Pflicht- 
tieae  und  Arbeitsfreudigkeit  mußten  sich  jedem  unverlier- 
bar einprägen,  der  in  diesem  Kreise  dauernd  lebte.  Auch 
ab  Pttisionsvater  in  Dresden  und  als  Institutsdirektor 
in  Jena  nutzte  Kefersiein  seine  unabhängige  Stellung  zur 
Einführung  seiner  Ideen  ins  Leben  in  weitestem  Maße 
ao8  und  setzte  sich  dadurch  bei  seinen  zahlreichen  Schülern 
ein  Denkmal  »dauernder  als  Erze  Passiver  und  aktiver 
Widerstand  blieben  ihm  freilich  niigends  erspart  und 
nötigten  ihn  namentlich  in  den  ersten  Jahren  seiner  Ham- 
burger Amtstätigkeit  oft  zu  unerquicklichen  und  auf- 
reibenden Kämpfen,  denen  er  sich  durchaus  nicht  schwäch- 
licfa  entzog. 

Bei  aller  Strenge  in  seinen  sittlichen  Anschauungen 
Uelt  sich  Kefersiein  doch  frei  von  jeder  Askese.  Er 
schätzte  die  Freuden  edler  Oeselligkeit  im  Hause  außer- 
ordentlich hoch,  nur  das  Kneipenleben  war  ihm  gründ- 
lich verhaßt  Seinen  Zöglingen  suchte  er  die  reichlich 
bemessenen  Erholungsstunden  möglichst  nutzbringend  und 
doch  zugleich  freundlich  zu  gestalten.  Das  Bewegungs- 
q>iel  wurde  in  jeder  Weise  begünstigt;  von  einem  Bretter- 
Imu  auf  dem  Jenaer  Institutshof  sausten  im  Winter  die 
Schlitten  der  Jungen  herab,  oder  es  ging  auf  die  Eis- 
bahn oder  zur  lustigen  Schneeballschlacht  auf  den  Wiesen 
der  Saale;  im  Sommer  gab  es  weite  Wanderungen,  Schul- 
reisen und  fröhliche  Ballspiele.  An  den  Abenden  wurde 
musiziert,  bei  Theateraufführungen  entfalteten  sich  die 
mimischen  Talente  der  Schüler,  anregende  Vorträge  er- 
weiterten ihren  Gesichtskreis.  Die  Schulfeste  des  Kefer- 
steinschen  Institutes  vereinigten  die  Schulgemeinde  mit 
den  Eltern  im  heitersten  Genießen. 

Kefersiein  war  in  gewissem  Sinne  einseitig;  die  Natur- 
wissenschaften mit  der  Mathematik  lagen  ihm  völlig  fern, 


—    20     — 

und  für  die  bildenden  Künste  hatte  er  wenig  Interesaa 
Die  geliebte  Pädagogik  aber  faßte  und  umfaßte  er  in 
seltener  Vielseitigkeit  Mit  ihr  verflocht  sich  ihm  nicht 
nur  Ethik  und  Psychologie ,  sondern  auch  National- 
ökonomie, Soziologie,  Politik.  Auf  allen  diesen  Oebietan 
verfolgte  er  neue  Erscheinungen  mit  regem  Eifer;  mit 
der  Feder  in  der  Hand  studierte  er  jede  einigermaßen 
bedeutende  Veröffentlichung,  in  scharfer  Kritik  sonderte 
er  die  Spreu  vom  Weizen,  die  Autorität  war  ihm  gleich- 
gültig:, die  Wahrheit  galt  ihm  alles.  —  Durch  seine  lite- 
rarischen Besprechungen  trat  er  mit  vielen  bedeutendeo 
Männern  in  persönliche  Beziehungen,  und  es  war  ihm 
höchster  Genuß,  mit  ihnen  in  angeregtem  Gespräche 
gebend  und  empfangend  über  die  vielen  Themata,  die 
ihm  am  Herzen  lagen,  sich  zur  vollen  Klarheit  durdi- 
zuarbeiten. 

Die  Kunst  der  freien  Bede  beherrschte  er  mit  Meister- 
schaft; gern  handhabte  er  sie  im  geselligen  Kreise  bei 
Tische  wie  in  Vorträgen.  Oft  lenkte  er  in  Versammlungen 
die  aus  dem  Geleise  geratende  Debatte  wieder  in  ge- 
ordnete Bahnen.  Wenn  er  trotzdem  kaum  jemals  zum 
Vorsitzenden  eines  Vereins  gewählt  wurde,  so  lag  das 
sicher  wesentlich  mit  daran,  daß  er  nie  sich  als  Partei- 
gänger einfangen  ließ,  nie  Schlag  werte  gebrauchte,  zum 
Teil  allerdings  auch  an  seiner  Abneigung  gegen  jede  Ajrt 
von  Bureauarbeit  und  rein  geschäftliche  Erörterungen 
und  vielleicht  nicht  am  wenigsten  gegen  ausgedehnte 
JBiertischsitzungen. 

Sein  Unterricht  war  im  höchsten  Maße  anregend, 
Frische  und  Lebendigkeit  in  der  Darbietung,  vollendete 
Beherrschung  und  gründliche  methodische  Durcharbeitung 
des  Stoffes  machten  jede  seiner  Stunden  zu  einer  Muster- 
lektion. Dabei  verstand  er  es  ausgezeichnet,  zur  Selbst- 
tätigkeit anzustacheln,  schlummernde  Kiäfte  zu  wecken 
und  ihrem  Besitzer  zum  Bewußtsein  zu  bringen. 

Er  selbst  war  unermüdlich  tätig,  und  durch  eine 
streng  geregelte  Tageseinteilung,  die  als  unantastbar  galt, 


—    31     — 

.  aMkte  er  fint  jede  Minute  raigeeeheneii  Zwecken  dienst- 
hr.  Dabei  ve^aB  er  anch  die  Oesundbeitspflege  nicht. 
Ali  junger  Mann  focht,  ritt  nnd  schwamm  er,  später 
femdiaflRe  er  sich  die  nötige  lieibesbewegang  durch 
weite  Spasieigänge. 

Kefentein  wurde  ron  Angehörigen  und  Freunden 
oll  als  Idealist  bezeichnet  Selbstverständlich  mufi  ein 
Menectienbiidner  seine  Zöglinge  einem  ihm  vorschweben- 
den  Ideale  des  Menschen  anzunähern  suchen,  also  ein 
•oldieB  Ideal  besitzen.  Der  Menge  pflegt  nur  die  weite 
Duft  swischen  Ideal  und  Wirklichkeit  aufzufallen,  und 
im  K&mpfer  für  jenes  erscheint  ihr  leicht  als  unpraktischer 
Sehwänner.  Aber  mit  Recht  betonte  Keferstein  immer 
wieder,  daß  ein  Fortschritt  in  der  sittlichen  Entwicklung 
im  Menschheit  nie  durch  einfaches  Anerkennen  des  Be- 
stehenden, sondern  nur  durch  das  Aufstellen  neuer  höherer 
fiele  angebahnt  werden  kann.  Das  Ideal  galt  ihm  als 
das  Leuchtfeuer,  das  dem  auf  weitem  Meere  im  Un- 
gewissen treibenden  Seefahrer  den  rechten  Weg  zum 
Hsunatshafen  zeigen  soll.  Sein  persönliches  wie  sein 
schriftstellerisches  Schaffen  waren  von  solchem  Feuer 
durchglüht  Die  Keime  des  Guten,  die  er  in  tausend 
junge  Herzen  gel^  hat,  die  Anregungen,  die  ihm  die 
Welt  der  Erwachsenen  verdankt,  werden  weiter  wachsen 
mid  sich  ausbreiten.  Mag  sein  Name  auch  aus  dem  6e- 
dichtnis  der  Menschen  schwinden,  sein  Wirken  wird 
lebendig  bleiben. 


Versuchen  wir  es  nun,  einen  Überblick  über  Kefer- 
gfoins  Schriften  uns  zu  verschaffen!  Erschwert  wird 
dieses  durch  den  umstand,  daß  er  kein  einheitliches 
größeres  Werk  geschaffen  hat,  daß  vielmehr  seine  Geistes- 
arbeit  in  zahlreichen  Büchern,  Abhandlungen,  Zeitungs- 
artikeln und  Vorträgen  zerstreut  liegt.  Zudem  hat  Kefer- 
stein alle  Gebiete  der  Pädagogik  behandelt,  meistens  zu 
wiederholten  Malen  und   von  verschiedenen  Seiten    and 


—     22     ~ 

zu  yerschiedenen  Zeiten  erörtert,  so  daß  es  anmöglich 
ist,  in  beschränktem  Rahmen  alles  zu  berücksichtigen.  So 
bescheiden  wir  uns,  im  folgenden  nur  die  Ebuptsachen 
zusammenzustellen  und  zwar  möglichst  mit  des  Verfassers 
eigenen  Worten,  wenn  auch  durchweg  abgerundet 

Nach  Kef er  stein  ist  Erziehung  der  Inbegriff  aller 
der  zur  Entfaltung  der  im  Menschen  angelegten  Ent- 
wickelungskeime  beitragenden  Einwirkungen  —  und  zwar 
dies  im  Einklang  mit  dem  Streben  nach  stetiger  Vervoll- 
kommnung des  Einzelnen  wie  der  G^ellschaft  Zu  einem 
planmäßigen,  vollbewußten  Hinarbeiten  auf  die  harmo- 
nische Entfaltung  der  einer  solchen  harrenden  Keime 
bringt  es  doch  nur  eine  auf  Erfahrung  und  ernstes 
Studium  des  Menschen  sich  gründende,  durch  Menschen 
ausgeübte  Erziehung.  Das  namentlich  seit  Herbart  stark 
betonte  Prinzip  des  erziehlichen  Unterrichts  muß  in 
seiner  Berechtigung  in  dem  Maße  anerkannt  werden,  als 
wir  den  Zusammenhang  zwischen  den  verschiedenen 
Elementen  des  Seelenlebens  uns  gegenwärtig  halten  und 
z.  B.  die  Wechselwirkung  zwischen  intellektueller  und 
Gemüts-,  spezieller  moralischer  Bildung  ins  Auge  fassen. 

Keferstein  glaubte  an  keine  Allmacht  in  der  Er- 
ziehung der  Schule.  Vielmehr  warnt  er^)  vor  dem 
Wahn,  daß  durch  Gebote,  Ermahnungen,  Strafen  und 
äußere  Belohnung  die  sittliche  Erziehung  in  erster  Linie 
zu  erringen  sei,  oder  daß  man  durch  recht  viele  Religion»- 
stunden  die  Jugend  fromm  machen  könne.  Die  ent- 
scheidende Einwirkung  liege  vielmehr  in  den  der  Jugend 
täglich  nahe  tretenden,  unvermerkt  aber  sicher  auf  sie 
einwirkenden  Beispielen,  sowie  in  den  sich  von  selbst 
damit  verbindenden  Übungen  und  Gewöhnungen.  Leider 
besteht  ein  Gegensatz  zwischen  der  Lehre  der  Schule  im 
Beligions-  und  Moralunterricht  und  dem  Denken  und  Tun 
der   großen   Menge.      »Dafür    zeugen    die   massenhaften 


^)  »Schule  und  Lebeoc  io  Nr.  255  u.  256  der  Jenaisoheo  Zeitiuig, 
1896. 


—     23     — 

Übertretungen  wobi  aller  Gebote,  dafür  die  allgemeinhin 
herrscbende  Gewinn-,  Herrsch-  und  Genußsucht,  dafür  die 
sanktionierte  Prostitution  . . .,  dafür  der  Masseuabfall  von 
jeder  Pietät  gegen  göttliche  und  menschliche  Autorität, 
dafür  der  leidenschaftliche,  den  nationalen  Körper  durch- 
wühlende Parteigeist  und  Elassenhaß.  Was  die  Schul« 
Jugend  täglich  im  Hause  und  auf  dem  Markte  des  Lebens 
zu  sehen  und  zu  hören  bekommt,  die  ihr  hier  nahetreten- 
den Meinungen,  Gesinnungen,  Urteile,  Bestrebungen  und 
Handlungen  stehen  so  vielfach  im  Widerspruch  zu  den 
Belehrungen  der  Schule,  daß  diese  nur  in  verhältnismäßig 
wenigen  Fällen  eine  tiefer  gehende,  nachhaltige  Wirkung 
haben  können.  Daher  der  Appell  an  die  Mündigen  so 
eindringlich  zu  richten  ist,  daß  sich  jeder  verpflichtet 
halten  muß,  die  Lehre  der  Schule  in  seinem  gesamten 
Wandel  zu  betätigen,  c 

Der  Schule  als  Vorbildnerin  auf  das  Leben 
stellt  Keferstein  folgende  Aufgaben :  Sie  soll  1.  ihre  Zög- 
linge zu  sittlich  reifen  und  zuverlässigen  Charakteren, 
2.  zu  pietätvollen  frommen  Menschen  heranbilden,  bei 
denen  sich  richtige  sittliche  Urteile  mit  Charakterstärke 
der  Sittlichkeit  in  dem  Verhalten  zu  den  verschiedenen 
Gemeinschaften  in  Familie,  Gemeinde,  Staat  und  Volk 
ausgeprägt  zeigen  und  die  Frömmigkeit  in  Gesinnung 
und  Wandel  offenbar  wird.  Sie  soll  3.  ein  sowohl  auf 
das  praktische  Leben  mit  seinen  mannigfachen  Aufgaben 
entsprechend  vorbildendes  als  den  inneren  Menschen  ver- 
edelndes und  befreiendes  Wissen  bereiten  sowie  zu  selb- 
ständigem Denken  und  Urteilen  führen.  Sie  soll  4.  zum 
Verständnis  für  das  Schöne,  zur  Freude  an  demselben, 
zur  Hervorbringung  und  Pflege  desselben  anleiten,  damit 
die  sinnliche  Natur  veredelt  und  der  ideale  Sinn  erregt 
werde.  Sie  soll  5.  die  leibliche  Gesundheit  und  Leistungs- 
fähigkeit in  jeder  Weise  fördern  und  dadurch  das  phy- 
sische Leben  zu  einem  völlig  dienstfertigen  Werkzeug 
des  psychischen  machen.  Es  gilt  demnach,  den  harmo- 
nisch gebildeten,  an  Leib  und  Seele  gesunden  und  tüch- 


—     24    — 

tigen,  den  sittlich -religiösen,  den  kenntnisreichen  wie 
urteilsfähigen,  den  ästhetisch  fühlenden  wie  mit  tech- 
nischen Fertigkeiten  aasgestatteten  Menschen  durch  den 
Schulunterricht  dem  Leben  zuzuführen.  Aber  keinesw^s 
hat  die  Schule  nur  die  Aufgabe,  dem  stattis  qua^ 
des  Lebens,  also  dem  jeweiligen  Zustand  einer  Yolks- 
kultur  zu  dienen;  sie  soll  vielmehr  die  Vervollkomm- 
nung des  Bestehenden,  Gewordenen,  Gegenwärtigen  wie 
in  der  öffentlichen  Sitte  und  den  sozialen  Verhält- 
nissen, so  im  politischen  wie  religiösen,  im  praktischen 
wie  wissenschaftlichen  Leben  zur  unabweisbaren  Aufgabe 
machen.  Da  aber  Unterricht  und  die  wesentlich  auch  an 
ihn  gebundene  Erziehung  von  einem  höchsten  Mensch- 
heitsideal ausgehen  muß,  in  dem  nun  etwa  auch  das  Ziel 
der  Erziehung  zum  Ausdruck  gelangt,  so  darf  die  Schule 
sich  nicht  als  bloße  Dienerin  und  Vertreterin  etwa  herr- 
schender Anschauungen,  Meinungen  und  Zustände  be- 
trachten —  als  ob  sie  der  Gegenwart  nur  Handlanger- 
dienste zu  leisten  hätte  — ,  muß  vielmehr  die  ihr  an- 
vertraute Jugend  zur  Trägerin  einer  sich  nach  ver- 
schiedenen Seiten  hin  stetig  vervollkommnenden  Generation 
heranbilden.  (Beins  Encyklop.  Handbuch  der  Pädagogik.) 
Unter  Herzensbildung  versteht  Keferstein  ungefähr 
dasselbe,  was  wir  auch  als  Gemüts-,  als  Charakter-  oder 
schlechthin  als  sittliche  Bildung  zu  bezeichnen  pflegen. 
Somit  hat  es  die  Herzensbildung  mit  der  Bildung  der 
Seelenelemente  zu  tun,  die  für  die  Entstehung  sittlicher 
Werturteile  und  Maßstäbe,  wie  für  das  sittliche  Wollen 
besonders  entscheidend  sind.  Keferstein  sucht  die  haupt- 
sächlichsten Mittel  der  Herzensbildung:  1.  in  den  persön- 
lichen, der  Kindheit  und  Jugend  vorzuführenden  Muster- 
bildern der  Sittlichkeit,  die  zuerst  in  der  Familie  und 
unter  Freunden,  sodann  im  gesamten  öffentlichen  Gemein- 
schaftsleben vorhanden  sein  müssen;  2.  in  dem  ideellen 
Umgang  mit  vorbildlichen  Personen  der  Vergangenheit 
und  räumlichen  Ferne;  3.  in  der  Gewöhnung  an  Aas* 
Übung  der  dem  Einde  zufallenden  Pflichten,  somit  in 


—    26     — 

»sittlichen  Übungen«  auf  Grund  der  dazu  naturgemäß 
gebotenen  Oelegenheiten;  4.  in  steter  wachsamer  Führung 
der  unmündigen,  die  indessen  nie  in  pedantische  Auf- 
seherei ausarten  darf;  5.  in  weiser,  psychologisch  moti- 
Tierter  Anwendung  von  Ermahnung,  Warnung,  Strafe 
und  Anerkennung;  6.  in  der  vielseitigen  geistigen  mit 
Freude  an  ernster  Lernarbeit  erfüllenden  Anregung  seitens 
des  Unterrichts;  7.  in  der  Entbindung  geistiger  Selb- 
Btftndigkeit  und  Urteilsfähigkeit;  8.  in  der  Darbietung 
und  Einpflanzung  fruchtbarer,  dem  kindlichen  Geiste  nahe- 
liegender Kenntnisse;  9.  in  der  Erregung  vielseitiger 
positiver  Interessen;  10.  in  der  Anleitung  zu  vielartiger 
technischer  und  künstlerischer  Betätigung,  um  dadurch 
teils  körperliche  Gewandtheit  und  Geschicklichkeit  zu 
fördern,  teils  vor  Müßiggang  und  Langeweile  zu  bewahren, 
teils  die  nötige  Abwechselang  in  die  Beschäftigungen 
dee  Kindes  zu  bringen  und  in  ihm  Lust  an  nützlicher 
Betätigung  zu  wecken;  11.  in  der  Pflege  des  Kunst- und 
Natursinnes;  12.  in  hinreichender  Darbietung  von  Ge- 
legenheiten zur  Kräftigung  des  Körpers  zu  frohen  Jugend- 
spielen  und  harmlosem  Verkehr  mit  den  Altersgenossen. 
{Reins  Encyklop.  Handbuch  der  Pädagogik.) 

Wesentlich  hat  Keferstein  zur  Klärung  der  Frage  der 
ästhetischen  Bildung  beigetragen.  Er  war  es,  der  auf 
die  Einseitigkeit  hinwies,  die  ästhetische  Bildung  nur  in 
der  Kenntnis  und  dem  Verständnis  von  Kunstwerken, 
besonders  der  bildenden  Künste,  zu  suchen  und  aufgehen 
BU  lassen.  In  Wahrheit  müsse  der  ästhetisch  Gebildete 
sich  auf  die  mannigfachste  Weise  als  solcher  ausweisen« 
Sein  Schönheitssinn  offenbare  sich  nicht  minder  in  seiner 
Oewandung,  in  deren  Sauberkeit  wie  geselligen  Form,  in 
der  Ausstattung  und  Haltung  seiner  Wohnung,  in  der 
Art  seiner  Rede,  seiner  Bewegungen  und  Manieren,  als 
in  der  Freude  an  dem  Schönen  in  der  Natur,  in  Dich- 
tnogen  und  Kompositionen  oder  auch  in  der  Art  der 
Vei^ügungen,  wie  in  den  Sitten  und  Gebräuchen  seiner 
Umgebungen.     So  wenig  die  Religion  nur  als  seltenes 


—    26     — 

Sonntagskleid  den  Menschen  zieren  darf,  so  sicher  sie 
vielmehr  sein  gesamtes  Denken»  Streben  und  Leben  dorcb* 
dringen  soll,  so  gewiß  maß  sich  der  ästhetische  Sinn  als 
ein  unser  ganzes  Inneres  Charakterisierendes  erweisen. 

Auch  eine  Reihe  äußerer  Mittel  stehen  der  Schule 
für  ästhetische  Bildung  zur  Verfügung.  (JeschmackYoll 
angelegte  Schulgebäude  und  ünterrichtsräume  mit  ent- 
sprechender Einrichtung,  strenges  Halten  auf  deren  Scho- 
nung, mancherlei  Bilderschmuck  an  den  Wänden  der 
Korridore  und  des  Treppenhauses,  eine  das  gegenseitige 
Wohlverhalten  der  sämtlichen  Glieder  der  Schulgemeinde 
sichernde  Disziplin,  unerbittliche  Forderung  sauberer  Hefte, 
Bücher,  Karten  und  sonstiger  Lehrmittel,  stetes  Hinarbeiten 
auf  wohllautendes,  deutliches,  unmaniriertes  Sprechen,  auf 
gefallige  Schrift,  unbeugsame  Strenge  gegen  alles  Gemeine, 
Ungeschlachte,  Flegelhafte  im  G^amtverhalten  des  Goetus, 
dazu  reiche  Lektüre  des  Besten  und  fleißige  Pflege  der 
Künste  des  Gesanges,  des  Vortrags,  des  Zeichnens,  Turnens, 
auch  wohl  technischer  Fertigkeiten,  dazu  endlich  die 
Führung  der  Schüler  zum  Schönen  in  Kunst-  und  Natur- 
schöpfungen, das  Verstehen  und  Genießen  desselben,  das 
alles  in  der  Hand  ästhetisch  gebildeter,  wohlredender, 
würdevoll  auftretender  Lehrer:  da  haben  wir  wohl  das 
Wesentliche  von  den  Mitteln  der  Schule,  um  den  Grund 
zu  ästhetischer  Volksbildung  zu  legen.  (»Volksbildung 
und  Volksbildner. c) 

Ein  noch  gar  wenig  bebautes  Gebiet,  die  Berufs- 
ethik, förderte  Dr.  Keferstein  durch  seine  in  den  letzten 
Ijebensjahren  verfaßte  Studie:  »Zur  Frage  der  Berufs- 
ethik in  Familie,  Gemeinde,  Kirche  und  Staate  (47  S. 
267.  Heft  des  »Pädagog.  Magazins«  von  Friedrich  Mann. 
Langensalza,  Hermann  Beyer  &  Söhne  [Beyer  &  Mann]. 
Preis  60  Pf.)  Aus  dieser  an  Anregungen  reichen  Schrift 
heben  wir  nur  einen  Gedanken  hervor:  »Bei  allem 
Prüfungswesen  werde  nicht  in  erster  Linie  oder  gar  aus- 
schließlich Gewicht  auf  eine  bestimmte  Summe  von 
Wissen,  sondern  in  hohem  Grade  auch  auf  die  gesamte 


—     27     — 

gdstig^ttliche  Durchbildung  des  zu  Prüfenden  gelegt 
Was  daher  ein  Staatsbeamtentum  Vortreffliches  zu  leisten 
▼ermag,  ist  sicher  einerseits  von  einer  vertieften,  wir 
möchten  sagen  philosophischen  Durchbildung  des  Geistes, 
«of  der  andern  von  einem  tadellos  streng -sittlichen  Cha- 
rakter zu  erwarten.c 

Wesentlich  durch  Nietzsche-Lektüre  beeinflußt  ist  seine 
Abhandlung  »Zur  Frage  des  Egoismus«.  (37  S.  Heft  93. 
Ebenda.)  Wie  Nietzsche  räumt  Dr.  Keferstein  hier  dem 
Genius  einen  stärker  ausgeprägten  Egoismus  ein;  aber  die 
äelbstsucht  stellt  er  als  eine  unerlaubte  Steigerung  der 
Selbstliebe  und  des  Selbsterhaltungstriebes  dar. 

Ernste  Disziplin.  Es  hat  den  Anschein,  als  ob  das 
Recht  der  Schule,  eine  strenge  Disziplin  zu  üben,  mehr 
und  mehr  angefochten  werden  sollte.  Familie  und  Staat 
erschweren  dem  Lehrer  in  hohem  Grade  die  Ausübung 
selbst  der  unentbehrlichsten  Strafgerechtigkeit  Man  hat 
den  Eindruck,  daß  das  Züchtigungsrecht  gleichsam  nur 
zum  Hohne  des  Lehrers  gestattet  sei. ...  Ob  nun  wohl 
die  ubter  schlaffem  Begimente  Aufwachsenden  im  späteren 
Leben  als  Staatsbürger  oder  Untergebene  in  ihrem  Berufe 
sich  in  feste  Ordnungen  fügen  und  unterordnen  werden; 
ob  aus  solcher  Zuchtlosigkeit  der  zuverlässige  gediegene 
Staatsbürger  wird  herauswachsen  können?!  So  behaupten 
wir  denn,  daß,  wo  immer  die  Schulzucht  weithin  empfind- 
lich gelockert  ist,  wo  man  verlernt  hat,  die  Dinge  beim 
rechten  Namen  zu  nennen,  wo  die  Schüler  mehr  zu  Ge- 
richt sitzen  dürfen  über  den  Lehrer  als  umgekehrt,  wo 
die  Strafgerechtigkeit  des  einzelnen  Lehrers  auf  den  Null- 
punkt herabgesetzt  erscheint,  wo  man  sich  selten  oder 
nie  zu  unbeugsamer  Strenge  in  gewissen  Disziplinarfallen 
ermannen  kann  —  eine  Hauptbedingung  zur  rechten  Vor- 
bereitung auf  ein  geordnetes  Staats-  und  Gesellschaftsleben 
rerloren  ging. . .  So  haben  wir  gegen  die  stetig  zunehmende 
Laxheit  in  der  Jugendführung  Verwahrung  einzulegen. 
(Aufgaben  der  Schule.    Pädagog.  Magazin,  Heft  55.) 

Die  Schule   nur   ein  Faktor.    Mit  gutem  Rechte 


—     38     — 

dürfen  wir  reden  von  einer  Pädagogik  des  Hauses,  der 
gesellschaftlichen  Sitten  and  Gebräuche,  der  Kirche,  de& 
Staates,  des  gesamten  öffentlichen  Lebens,  der  Kunst  und 
insbesondere  der  redenden  Künste,  nicht  zum  wenigsten 
der  Bühne  —  und  nur  in  besonders  hohem  Orade  auch 
von  einer  Pädagogik  der  Schule. . . .  Nur  unter  der  Be^ 
dingung  energischer  Mitwirkung  ihrer  pädagogischen  Kon- 
kurrenten wird  die  Schule  einen  segensreichen  Einfluß 
auf  die  Gestaltung  des  sozial -politischen  Lebens  ausüben 
können.  (Aufgaben  der  Schule.  Pädagog.  Magazin,  Heft  65.) 

Schulregiment  Gerade  im  Schulwesen  ist  das 
Prinzip  des  fachmäßigen  Regiments  noch  recht  wenig 
zur  Geltung  gekommen;  namentlich  hier  haben  Persön- 
lichkeiten außerordentliche  Machtbefugnisse,  die  sich  be- 
ruflich nie  mit  den  Aufgaben  des  Unterrichts,  sei  es 
theoretisch  oder  praktisch,  befaßt  haben.  Von  ihnen 
werden  Lehrprogramme  für  die  verschiedenen  Schul- 
gattungen aufgestellt,  Schulrevisionen  gehalten,  Prüfung^i 
abgenommen,  Lehrmittel  vorgeschrieben,  Lehrer  angestellt 
oder  entlassen,  Disziplinarfälle  sowohl  im  Bereiche  des 
Lehrer-  als  des  Schülerlebens  entschieden.  Die  solchen 
im  Grunde  doch  recht  fremdartigen  Schulregiments- Apparat 
wahrnehmende  reifere  Jugend  kann  leicht  den  Eindruck 
erhalten,  daß  dem  Lehrstande  doch  eigentlich  recht  wenig 
zuzutrauen,  recht  geringer  Einfluß  beizumessen  sei,  wenn 
statt  aus  seiner  eigenen  Mitte  vielfach  aus  fremden  Kreisen 
seine  Angelegenheiten  und  die  der  Schule  geordnet  werden 
dürfen.  (Aufgaben  der  Schule.  Pädagog.  Magazin,  Heft  65.) 

Ein  liberales,  demokratisch  angehauchtes,  wohlwollen- 
des und  dabei  einheitliches  Schulregiment  ist  einer  wohl- 
tätig erwärmenden  Sonne  zu  vergleichen,  die  alles  von  ihr 
Beschienene  zu  gesundem  Gedeihen  gelangen  läßt  (»Auf- 
gaben der  Schule. c) 

Schulinspektion.  Wer  die  Schule  inspizieren,  den 
Stand  der  Leistungen  in  den  einzelnen  Fächern  revi- 
dieren, einen  tieferen  Einblick  in  die  Erziehungsarbeit,  in 
die  Disziplin  einer  Anstalt  gewinnen  will,  muß  ein  durch- 


—     89     — 

getnldetw  Lehrer,   ein  denkender  Pädagog,   ein  warmer 
aoMcfatiger  Freund  des  Unterrichtswesens  sein. 

Sohalaufsicht  Wir  sind  nicht  zufrieden  mit  Direktoren, 
wir  haben  weiter  Schulinspektoren,  Schuiräte,  Oberschal- 
beb&rden,  Enltusministerien :  so  baut  sich  eine  förmliche 
Pyramide  von  Schulaufsichtsbeamten  auf.  Und  doch  wird 
all  dieser  Au&ichtsapparat  wenig  verfangen,  wenn  wir 
nicht  auf  treue,  zuverlässige,  praktisch  wie  theoretisch 
töchtig  vorbereitete  Lehrer  zählen  können  und  zugleich 
über  genügend  viele  Lehrkräfte  zu  verfügen  haben,  um 
nicht  noljgedrungen  auch  unbrauchbare  Elemente  dulden 
xa  müssen.  Die  beste  Aufsicht  des  Lehrers  läßt  sich 
durch  dessen  Tüchtigkeit  und  Gewissenhaftigkeit  über- 
lüflBig  madien,  wird  ohne  diese  doch  nur  ein  Notbehelf 
bleiben.    (Betrachtende  Wanderungen.    CLXIIL) 

Anforderungen  an  den  Schulinspektor.  Wer  soll 
die  Schulau&icht  führen,  und  was  soll  sie  zu  ihrer  haoptr 
flftchlichsten  Aufgabe  machen?  Die  einzig  richtige  Ant- 
wort auf  die  erste  Frage  muß  lauten:  Wer  selbst  im 
Schulfieu^he  tätig  gewesen  und  sich  darin  als  vorzüglich 
tüchtig  gezeigt  hat.  Damit  fällt  von  selbst  eine  Lokal- 
echolanfiaicht  weg,  die  durch  »wenngleich  nicht  päda- 
gogisch gebildetec  Geistliche  oder  Laien  aus  der  bürger- 
lichen Gemeinde  vertreten  wird.  Das  Laienelement  sogar 
in  Prüfungskommissionen  bei  Lehrerprüfungen  zu  ver- 
wenden, erscheint  uns  als  eine  Abnormität  ersten  Banges; 
in  welchem  andern  Fachexamen  hätten  Nichtfachmänner 
über  den  Ausfall  der  Prüfungen  mit  zu  entscheiden?... 

Die  Hauptaufgabe  des  Schulinspektors  darf  nimmer- 
mehr in  Erledigung  vorwiegend  bureaukratischer  Geschäfte 
bestehen,  sondern  muß  in  der  Wacherhaltung,  Belebung 
und  Pflege  des  pädagogischen  Gewissens,  der  pädagogi- 
schen Tüchtigkeit  der  Lehrer  bestehen.  Daher  erwarten 
wir  von  ihm  nicht  allein  jene  didaktische  Boutine,  die 
nicht  selten  bei  Yolksschullehrern  anzutrefien  ist,  auch 
nicht  bloß  eine  längere  Erfahrung  im  Schuldienste,  sondern 
vornehmlich   die   volle   Beherrschung   aller  wesentlichen 


~     30     — 

pädagogischen  Themata,  die  Orientierung  in  der  päda- 
gogischen Literatur  und  jene  geistige  Überlegenheit,  die* 
sich  leicht  in  aufgeworfene  Fragen  hineinfindet  und  den 
gesuchten  durchschlagend  richtigen  Standpunkt  rasch  zu 
treffen  vermag.  Der  Schulinspektor  sei  ein  Schulmann^ 
der  die  Didaktik  theoretisch  wie  praktisch  vollkommen 
beherrscht  und  einen  sicheren  Blick  hat  in  alles  das, 
worauf  es  beim  Unterricht  in  den  verschiedensten  Fächern 
und  Elassenabteilungen  ankommt,  und  durch  eigenes  Yor- 
machen  auf  kürzestem  Wege  und  in  anschaulichster  Weise 
ii^end  ein  zu  empfehlendes  Verfahren  darzulegen  versteht 
Indessen  bei  aller  Betonung  der  geistigen,  wissenschaft- 
lichen und  praktisch  pädagogischen  Tüchtigkeit  des  Schul- 
inspektors werden  wir  ihm  die  Befähigung  zur  Beachtung 
und  Beurteilung  auch  der  verschiedenen  äußeren  An- 
forderungen an  ein  wohl  eingerichtetes  Schulwesen  nicht 
erlassen.    (Betrachtende  Wanderungen.    GLXIIL) 

Eonsequenz  in  der  Erziehung.  Sicherlich  wird 
es  als  Regel  und  Ideal  gelten  müssen,  daß  der  Zögling 
im  Erzieher  einen  Mann  von  festem  klaren  Willen  er- 
kennt, der  da  weiß,  was  er  will,  auf  dessen  Wort  er  sich 
verfassen  darf,  der  nicht  mit  sich  spielen  und  lange  ont^- 
handeln  läßt Es  erregt  die  Wahrnehmung  solcher  Eon- 
sequenz unser  Wohlgefallen:  schon  vom  rein  logischen 
Gesichtspunkte  aus,  der  einen  inneren  Eausalnexus  in 
Zuständen  und  Entwickelungen  voraussetzt  und  fordert 
Der  wahrgenommene  Mangel  an  Eonsequenz  im  urteilen, 
Wollen  und  Handeln  macht  uns  an  den  Betreffenden  irre; 
wir  wissen  uns  nicht  in  sie  zu  finden,  verlieren  das  Ver- 
trauen zu  ihnen.  Qleichwohl  ist  es  nicht  ausgeschlossen, 
daß  auf  Grund  mächtiger,  noch  dazu  plötzlich  eintretender 
Einwirkungen,  überraschender  Eri^ahrungen,  Eriebnisse  und 
Erkenntnisse  bisher  geltende  Meinungen,  Bestrebungen 
und  Handlungsweisen  einen  Stoß  erhalten  und  völlig  ge- 
ändert werden.  Wir  haben  hier  die  als  Revolution  be- 
zeichnete Umwandlung  des  Innern  eines  Menschen  vor 
uns.    Darf  man  dann  noch  von  Inkonsequenz  reden,  wenn 


—     31     — 

sich  naturgemäß,  d.  h.  psychologisch  begründete  Um- 
bildungen im  Intellekt  und  Willen  vollziehen!?  Der 
menschliche  (Jeist  ist  so  sehr  dem  Entwickelungsprozeß 
unterworfen,  daß  die  Anklage  der  Inkonsequenz  oft  nur 
aus  dem  Mangel  an  psychologischem  Verständnis  entspringt 
Die  Eonsequenz  kann  —  wie  das  bei  politischen  Partei- 
fBhrem  und  deren  Genossen  so  häufig  hervortritt  —  in 
starren  abstrakten  Parteistandpunkt  ausarten.  (Heins  Ency- 
Uopäd.  Handbuch  der  Pädagogik.) 

Kirche  und  Schule.  Die  gemeinsamen  Lebens- 
«Q^aben,  Interessen  und  wissenschaftlichen  Grundlagen 
der  Kirche  und  der  Schule  untersucht  Keferstein  im 
60.  Heft  von  Manns  »Pädagogischem  Magazin«.  Beide 
verfolgen  spezifisch  pädagogische  Ziele  und  haben  spezi- 
fisch pädagogische  Aufgaben  zu  lösen:  religiös -sittliche 
Yolksbildung  und  Erhaltung  und  Pflege  idealer  Lebens- 
güter. Nun  hat  es  die  Kirche  nicht  nur  mit  den  Mün- 
digen und  die  Schule  nicht  niir  mit  den  unmündigen  zu 
tun.  l)ie  Kirche  arbeitet  der  Schule  in  die  Hände,  so- 
fern sie  die  häusliche  Erziehung,  überhaupt  rechtes  ge- 
sundes Familienleben  fördert;  die  Schule  vermag  gleich- 
falls durch  ernste  gewissenhafte  erziehliche  Tätigkeit  der 
Kirche  zu  dienen.  Auch  der  Geistliche  muß  eine  ent- 
sprechende pädagogische  Yorbildung  haben.  Das  Verhältnis 
zwischen  dem  Geistlichen  und  dem  Lehrer  ist  innerhalb 
der  Schule  durchaus  das  der  Beiordnung.  Die  unmittel- 
bare Mitarbeit  der  Geistlichen  in  der  Schule  ist  möglich, 
da  die  Berufsarbeit  des  Geistlichen  die  nötige  Muße  dazu 
gewährt;  sie  ist  für  die  Schule  erwünscht,  weil  wenig- 
stens auf  dem  Lande  so  die  oft  fast  übermäßige  Arbeits- 
last des  Lehrers  einigermaßen  gemindert  und  die  Gefahr 
einer  völlig  isolierten  Tätigkeit  in  etwas  abgewendet 
wird;  sie  kann  segensreich  werden  für  die  Kirche,  sofern 
deren  Diener  dadurch  erhöhten  Einfluß  auf  die  Gemeinde 
gewinnen  und  Gelegenheit  erhalten,  der  Schule  zu  dienen. 

Oftmals  wandte  Keferstein  der  Fortbildungsschule 
sein  Interesse  zu,  und  durch  seine  klare  Begründung  der 


i 


—     82     — 

Notwendigkeit  dieser  Anstalt  und  durch  zweckmäßige  und 
vor  allem  durchführbare  Richtlinien  für  den  Ausbau  hat 
er  der  Fortbildungsschulfrage  nicht  wenig  genützt 

Was  zur  Förderung  der  Fortbildungsschule  mdir 
oder  weniger  bewußt  führte,  war  die  im  ganzen  unvoll- 
kommene Leistung  der  Yolks-Elementarschule,  war  zweitens 
das  gewerblich-kommerzielle  und  volkswirtschaftliche  Be- 
dürfnis des  Staates,  drittens  die  nötig  gewordene  Vcht- 
bildung  auf  die  Ausübung  und  Erfüllung  staatsbürger- 
licher Rechte  und  Pflichten,  endlich  die  erkannte  Not- 
wendigkeit erziehlicher  Einwirkung  auf  die  reifere  Jugend. 
Baraus  folgert  Keferstein  als  Hauptziele  der  Fort- 
bildungsschulen :  sie  sollen  erstlich  das  in  der  Yolkaschule 
Gelernte  ergänzen  und  weiterführen;  sie  sollen  zweitens 
als  Yorbereitungsanstalten  für  den  zu  ergreifenden  prak- 
tischen Beruf  diesem  entsprechende  Kenntnisse  und  bezw. 
auch  Fertigkeiten  bieten  und  haben  dann  zugleich  d^i 
Charakter  von  Berufsschulen;  sie  haben  drittens  auf  die 
staatsbürgerliche  Stellung  vorzubereiten  und  auf  ein  dem 
entsprechendes  Wissen  hinzuarbeiten,  und  viertens  haben 
sie  sittlich  tüchtige,  also  auch  gern  dem  Staat  und  Yatei^ 
land  sich  widmende  und  dienende  Persönlichkeiten  heran- 
bilden zu  helfen. 

Ernstlich  warnt  Keferstein  vor  einer  zweifachen  Auf- 
fassung von  den  Zielen  dieser  Schule,  wenn  die  einen 
den  praktischen  Beruf,  die  anderen  die  sozialpolitischen 
und  die  von  diesen  kaum  zu  trennenden  ethischen  Auf- 
gaben der  Fortbildungsschule  zugewiesen  sehen  möchten; 
vielmehr  müsse  m«Qj)eides  als  mit-  oder  nebeneinander  zu- 
gleich zu  Berücksichtigendes  ansehen  und  als  gleich  Be- 
rechtigtes zur  Geltung  kommen  lassen.  Yon  einem  Ent- 
weder-Oder dürfe  keine  Bede  sein;  höchstens  könne  noch 
über  das  Maß  dessen,  was  im  Unterricht  der  Fortbildung»- 
schule  einerseits  den  human-ethischen  und  andrerseits  den 
politisch- beruflichen  Fächern  zufallen  solle,  gestritten  wei^ 
den.  Zur  Lückenbüßerei  der  Yolksschule  mit  dem  Zweck, 
das  nachzuholen,  was  jene  etwa  versäumt  habe,  dürfe  die 


—     33     — 

Fortbildungsschule  aber  nicht  werden.     (Jenaische  Zeitg. 
1896,  Nr.  282  und  283.) 

Auch  bei  Erörterung  der  Frage  des  Fach-  oder 
Elassenlehrersystems  erkennen  wir  bei  Keferstein 
ein  feines  pädagogisches  Verständnis.  Die  Notwendigkeit 
des  Fachlehrers  räumt  er  nur  ein  für  die  obersten  Klassen 
der  höheren  Lehranstalten  in  den  Hauptfachern,  der  Mathe- 
matik, den  Naturwissenschaften,  den  neueren  und  alten 
Sprachen,  sowie  bei  Gymnastik,  Zeichnen  und  Musik. 
Dag^en  erscheint  ihm  die  Verbindung  des  Fach-  und 
Klassenlehrersystems  als  das  Wünschenswerteste  für  die 
mittleren  und  niederen  Klassen  der  höheren  Schulen,  so- 
wie für  die  Volksschule,  deren  Lehrer  ja  im  großen 
ganzen  für  das  Klassenlehrersystem  vorgebildet  werden. 
>Wo  immer  größere  Volksschulen  vorhanden  sind,  müßte 
«ine  Hauptaufgabe  der  Schulleitung  sein,  die  Untenichts- 
aufgaben  soviel  als  möglich  nach  den  verfügbaren  persön- 
lichen Gaben  und  Talenten  zu  verteilen.  Freilich  bedarf 
es  dann  eines  gesetzlich  durchzuführenden  Prinzips,  wo- 
nach die  Altersstufe  bei  Vergebung  der  Lektionen  hinter 
die  vorzüglichere  Begabung  für  das  eine  oder  andere 
Fach  zurückzutreten  hat.«^) 

Kefersteins  Ansicht  gipfelt  in  dem  Satze:  »So  gewiß 
das  Klassenordinariat  als  eine  unentbehrliche  Einrichtung 
der  Erziehungsschule  gelten  darf,  so  unleugbar  ist  die 
strenge  Durchführung  des  Klassenlehrersystems  nur  relativ 
zu  empfehlen«. 

Von  dem  Lehrer  fordert  Keferstein  hohe  persön- 
liche Eigenschaften.  Am  zutreffendsten  sind  sie  in 
seinen  »Betrachtungen  über  Lehrerbildung«^) 
formuliert:  1.  Auf  fortgesetzter  Selbstprüfung  beruhende 
Selbstzucht.  Der  Lehrer  soll  alles  das  in  sich,  seiner 
Person,  seiner  Lebensführung  darstellen,  sein  und  vorleben, 
was  er  von  seinen  Schülern  fordert  und  fordern  zu  dürfen 


^)  Beins  Eooyklop.  Handbuch  der  Pädagogik. 

')  Friedrich  Manns  Pädagogisches  Magazin.  1.  Heft.  2.  Auflage. 

PSd.  3ljig.  814.    Oppermann,  Dr.  Horst  Keferstein.  3 


—     34     — 

meint.     2.  Aufrichtige,  warme  Liebe  zu  dem  gewählten 
Berufe,  so  daß  diese  Wahl  als  eine  aus  eigenstem  Innern 
hervorgegangene  erscheint.    Diese  Liebe  zum  Berufe  offen- 
bart sich  in  dem   lebhaften  Drang,  belehrend,  mitteilend^ 
helfend,   erziehend,   bessernd,   veredelnd   auf  das  heran- 
wachsende Geschlecht  einzuwirken ; . . .  sie  läßt  sich  nicht 
ermüden  noch  erbittern;   wie   oft  auch  auf  harte  Proben 
gestellt,  bleibt  sie  langmütig  und  geduldig,  vergilt  trotzige 
Ablehnung,  ja  selbst  Verhöhnung  mit  unermüdlichen  neuen 
Anläufen,  den  widerspenstigen  Geist,  das  schwer  zu   ge- 
winnende Gemüt  dennoch  zu  besiegen . . .  Der  mit  Berufs- 
liebe  arbeitende  Lehrer  steht  mit  seinem  feurigen  Streben, 
den  Kreis  vorgeschriebener  Pflichten  zu  erweitern,  mit  seinen 
bescheidenen  Ansprüchen  auf  Lohn  oder  Schonung  seiner 
Kraft  im  geraden  Gegensatz  zu  dem  fürs  Lehramt  eigent- 
lich verdorbenen    Mietling.     Mit    der   Berufs -Liebe    und 
Freudigkeit  sind  all  die  unerläßlichen  Eigenschaften  des 
Lehrers  verbunden,  wie  Gerechtigkeit,  Geduld,  Vertrauen 
weckender  Verkehr  mit  dem  Schüler  auch  außerhalb  des 
Schulzimmers,  sowie  das  unstillbare  Verlangen  nach  Selbst- 
vervollkommnung im  Bereiche  des  Wissens,  Könnens  und 
namentlich  auch  des  pädagogischen  Schaffens.    3.  Die  mit 
der  Berufsliebe  eng  verbundene  Freudigkeit  und  Frische 
des  Lehrgeschäfts,  ja  die  gesamte  Heiterkeit  des  Ge- 
müts, jene  Fröhlichkeit  des  Wesens,  die  kindlich-jugend- 
lichen (wenigstens  unverdorbenen)  Herzen  so  sympathisch 
ist.    4.  Die  Harmlosigkeit    des  Sinnes,  bei   dem  der 
Lehrer  vertrauensvoll  gern  das  Gute  in  den  Seelen  seiner 
Zöglinge  voraussetzt  und   nicht  leicht  die  Hoffnung   auf 
Besserung  aufgibt.  5.  AlsTemperamentseigentümlich- 
keit  würde  dem  Lehrer  wohl  am  übelsten  die  melancho- 
lische und  cholerische  stehen,  am  besten  eine  Mischung  der 
sanguinischen   mit   der  phlegmatischen.     6.  Reinheit  von 
allen  niederen  Leidenschaften  und  rohen  Sitten. 

Als  mehr  äußere  Eigenschaften  setzt  man  beim  Lehrer 
voraus:  1.  ein  frisches,  auf  körperlicher  Gesundheit  be* 
ruhendes,  munteres,  gewandtes,  sicheres  Auftreten,  Rüstig- 


—     35     — 

keit  und  Aufgelegtsein  zu  körperlichen  Anstrengungen; 
3.  würdiges,  von  jeder  Manieriertheit,  sowie  von  üblen 
Oewohnheiten  freies  Benehmen. 

Lehrer  auf  dem  Lande.  Oerade  die  Dorfschule 
bedarf  der  tüchtigsten  pädagogischen  Kräfte.  Dies  darum, 
weil  sie  erstlich  vorwiegend  eine  einklassige  Volksschule 
xa  sein  pflegt,  weil  auf  den  Schultern  eines  Mannes 
die  Unterweisung  von  vielleicht  nahe  an  hundert  Kindern 
nnd  zwar  von  Kindern  aller  schulpflichtigen  Altersstufen 
liegt,  weil  dieser  eine  Lehrer  Tag  für  Tag  gleichzeitig  in 
mehreren  Abteilungen  etwa  sechs  Stunden  unterrichten  soll. 
und  nun  kommt  hinzu,  daß  dieser  selbe  Lehrer  durch  sein 
meist  geringes  Einkommen  auf  Privatverdienst  angewiesen 
ist,  daß  er  Hefte  korrigieren,  sich  auf  den  Unterricht 
Torbereiten,  die  Orgel  im  Gottesdienste  spielen,  den  Vor- 
sänger machen,  den  abwesenden  Geistlichen  mit  Predigtvor- 
lesung vertreten,  die  Fortbildungsschüier  unterrichten,  den 
Ortsgesangverein  leiten,  bei  allen  kirchlichen  Kasualien 
mit  tätig  zu  sein,  an  den  offiziellen  Konferenzen  seines 
Wohnortes,  seiner  Diözese  und  seines  Bezirkes  teilnehmen 
(zugleich  auch,  setzen  wir  hinzu,  an  eigener  Fortbildung 
arbeiten)  und  doch  auch  seiner  Familie,  seinem  Garten 
nnd  Felde  sich  widmen  soll.  Ja,  das  sind  Ansprüche  an 
Leistungsfähigkeit,  vor  denen  der  den  Achtstundenarbeits- 
tag fordernde  Sozialdemokrat  beschämt  stehen  bleiben 
müßte.  Das  sind  Ansprüche,  denen  nur  ein  körperlich  völlig 
rüstiger,  an  Charakter  zuverlässiger,  an  Wissen  reicher, 
mit  pädagogischen  Talenten  und  besonders  methodischer 
Schulung  auf  das  Beste  ausgestalteter,  im  übrigen  äußerst 
anspruchsloser  Mann  auf  die  Dauer  gewachsen  sein  wird. 
Und  einen  solchen  hätte  man  schwerlich  frischweg  von 
seinem  Seminar  zu  holen,  wohl  aber  aus  bereits  bewährter 
Amtstätigkeit,  ihn  um  so  reichlicher  zu  besolden,  je 
größere  Anforderungen  an  ihn  nach  den  verschiedensten 
Seiten  gestellt  werden.   (Betrachtende  Wanderungen  CLIX.) 

Schulen  auf  dem  Lande.  Es  erscheint  als  ein 
empfindlicher  Mangel   in  der  gesamten  Organisation  des 


—     36     — 

öffentlichen  Schulwesens,  daß  die  Dorfschule  im  Vergleich 
zu  den  städtischen  Schulen  so  kümmerlich  bestellt  ist 
Was  könnte  dafür  zur  Rechtfertigung  angeführt  werden, 
daß  die  Kinder  des  Landmanns  eine  geringere  Schul- 
bildung erhalten,  als  z.  B.  die  des  Handwerkers  und  Tage- 
löhners in  Städten!  Bedarf  der  Landmann  weniger  jener 
Summen  von  Kenntnissen  und  Fertigkeiten,  die  man  all- 
gemein in  der  Volksschule  erstrebt;  darf  ihm  ohne 
Nachteil  für  seine  beruflichen  Arbeiten,  sodann  aber  für 
die  Ausbildung  der  auch  ihm  zufallenden  Pflichten  eines 
Familienvaters,  Staats-  und  Gemeindemitgliedes  jene  all- 
gemeine elementare  Bildung  in  geringerem  Maße  gewährt 
werden,  als  irgend  einem  anderen  Manne  der  bürgerlichen 
Gesellschaft  ?  Trägt  der  Landmann  verhältnismäßig  weniger 
zum  Wohle  des  Staates  und  Vaterlandes  bei,  als  der 
Städter,  weniger  an  Abgaben  oder  Wehrfähigkeit,  oder  an. 
Wert  seiner  Arbeitsprodukte,  oder  an  sittlicher  Tüchtig- 
keit?! Es  liegt  offenbar  eine  schwere  Verschuldung  gegen- 
über der  bäuerlichen  Bevölkerung  und  dem  viel  gepriesenen 
Bauernstande  in  den  durchschnittlich  mangelhaften  Ver- 
anstaltungen zu  Gunsten  ihrer  Geistesbildung  vor.  Wenn 
man  uns  da  nun  kurzweg  entgegnen  wollte,  das  lasse 
sich  nicht  ändern,  weil  man  zu  Besserem  keine  Mittel 
habe,  so  heißt  das  mit  andern  Worten:  »Wir  haben  keine 
Mittel,  um  kostbare,  soziale  Güter  zu  schaffen  und  zu  be- 
haupten.«    (Betrachtende  Wanderungen . . .) 

Geschichtslehrer.  Wie  wir  vom  ßeligionslehrer  vor- 
nehmlich jene  innere  warme  Teilnahme  an  seinem  Gegen- 
stande erwarten,  ohne  welche  er  keinen  tieferen  Eindruck 
mit  seiner  Lehre  machen  wird,  so  müssen  wir  vom 
Geschichtslehrer  fordern,  daß  er  seinen  Stoff  mit 
Kopf  und  Herz  zugleich  behandelt.  Man  will  bei  aller 
Objektivität  der  geschichtlichen  Darstellung  dennoch  ein 
unmittelbares  Interesse  des  Darstellers  an  dem  Erzählten 
wahrnehmen.  Dies  ist  besonders  im  Schulunterricht  ge- 
boten, wo  der  Lehrton  soviel  zu  dem  Erfolg  des  Lehrers 
beiträgt     (Betrachtende  Wanderungen  CXVL) 


-     37      - 

OeschichtsuDterricht.  Wir  müssen  wünschen,  daß 
in  den  ausgewählten  historischen  Stücken  der  jugendliche 
Geist  eine  Reihe  idealer  Gestalten  kennen  und  lieben  lernt, 
um  eine  i^hnung  von  den  höchsten  Aufgaben  des  Lebens 
KU  gewinnen  und  die  Keime  edlen  Strebens  in  sich  zu 
empfangen.  Wir  nehmen  diese  Vorbilder,  wo  wir  sie 
finden.  Und  da  die  trefflichsten  Gaben  von  Geist  und  Ge- 
müt, von  Weisheit  und  Willensstärke  an  sehr  verschiedene 
Terteilt  sind,  so  suchen  wir  unsere  geschichtlichen  Stoße 
an  verschiedenen  Stellen,  in  verschiedenen  Zeitaltem 
und  bei  verschiedenen  Völkern.  .  . 

Selbst  das  vaterländische  Gebiet  kann  im  Geschichts- 
anterricht  leicht  überspannt  werden,  so  daß  vielleicht  das 
TorzüglichereDraußenliegende  hinter  das  minderwertige 
Heimatliche  zurücktreten  muß,  während  wir  doch  vom 
rein  menschlichen  Standpunkte  aus  das  menschlich  Größte 
und  Herrlichste  unserer  Jugend  nahe  bringen  sollten.  Nicht, 
daß  wir  das  Vaterländische,  Heimatliche  überhaupt  ver- 
nachlässigen wollen  —  der  Sinn  dafür  ist  sogar  in  hohem 
Grade  zu  wecken  —  aber  wir  haben  uns  vor  gänzlicher 
Nichtachtung  des  Guten  und  Vorbildlichen  in  der  Fremde 
ebenso  zu  bewahren,  wie  vor  übergroßer  Wertschätzung 
desselben.  Eine  solche  liegt  hinsichtlich  der  Bevor- 
zugung biblischer,  d.  h.  also  jüdischer  Geschichten  als 
eines  Kanons  sittlich- religiöser  Belehrung  unleugbar  vor. 
(Betrachtende  Wanderungen . . . .) 

In  einer  Arbeit  über  das  Prüfungswesen  (»Deutsche 
Zeit-  und  Streitfragen  c)  beklagte  Keferstein  die  geringen 
Garantien  seitens  der  zahllosen  Leiter  (und  Mitarbeiter)  der 
Presse,  namentlich  derTagespresse,  und  wies  hin  auf  den 
Widerspruch  zwischen  den  strengen  Prüfungsprogrammen 
z.  B.  für  Lehrer  und  dem  Recht,  eine  täglich  in  vielen 
Tausenden  von  Exemplaren  erscheinende  Zeitung  zu  leiten. 
»Als  ob  der  Lehrer  von  etwa  geringen  Kenntnissen  und 
wenig  Lehrgeschick  mehr  Unheil  anrichten  könnte,  als  der 
Herausgeber  und  Mitarbeiter  einer  Zeitschrift,  die  Tausende 
erwachsener  wie  jugendlicher  Leser  geistig  verwirren,  in 


—     38     — 

beillose  Irrtümer,  in  gemeinschädliche  Lebensanschauungen 
verstricken  and  sittlich  vergiften  kann.c  Daraus  folgert 
er,  daß  Garantien  für  eine  angemessene  Vertretung  der 
Journalistik  und  Tagespresse  geschaffen  werden. 

Zu  der  gerade  jetzt  wieder  in  fast  allen  deutschen 
Lehrervereinen  behandelten  Frage  des  Lehrermangels 
nahm  Kef er  stein  das  Wort  in  der  »AUgem.  Deutschen 
Lehrerzeitung  €  zu  einem  Artikel  über  die  Bedeutung 
des  Lehrermangels  für  das  gesamte  Kulturleben 
des  Volkes.  Als  Hauptursachen  des  Lehrermangels 
bezeichnet  er: 

1.  Den  Mangel  an  idealem  Sinn,  an  Lust  und  Liebe 
zum  Lehrberufe,  an  Verständnis  für  die  hohe  Bedeutung 
des  Schulwesens  für  das  gesamte  Kulturleben  des  Volkes. 
2.  Den  Mangel  an  natürlicher  Begabung  für  den  Lehrer- 
beruf nach  physisch-psychischer,  insbesondere  auch  nach 
sprachlicher  Seite.  3.  Die  Schwierigkeit  des  Lehrerberufes 
im  Vergleich  zu  vielen  anderen  besonders  gesuchten  Be- 
rufsarten,  die  im  Zusammenhang  mit  der  modernen  hoch 
gesteigerten  Industrie  mächtig  zugenommen  haben.  Die 
hohen  Anforderungen  an  die  Kenntnisse  und  Fertigkeiten, 
überhaupt  aber  an  die  Leistungsfähigkeit  des  Lehrers. 
Das  Erfordernis  einer  langen  Vorbereitungszeit,  des  Ab- 
legens  von  mehrfachen  Prüfungen,  wie  in  allerlei  Fertig- 
keiten, so  in  vielseitigen  Kenntnissen.  Besondere  Ansprüche 
an  den  Lehrer  auch  nach  moralischer  Seite  erscheinen  als 
unerläßlich.  4.  Die  Schwierigkeiten  innerhalb  der  Ver- 
waltung des  Lehramtes.  Hohe  Zahl  der  Pfiichtstunden 
neben  den  erforderlichen  Vorbereitungen  auf  den  Unter- 
richt und  den  Korrekturen.  5.  Die  Abhängigkeit  von 
einer  größeren  Zahl  von  Vorgesetzten:  Oberste  Kultus- 
behörde, Schulrat,  Bezirks-  und  Lokalschulinspektor,  geist- 
liche Behörde,  Schuldirektor,  Patronatsherr,  Schularzt. 
Infolgedessen  beschränkte  Strafgewalt,  sowie  geringe  Selb- 
ständigkeit in  der  gesamten  Führung  des  Amtes.  Damit 
in  Verbindung  auch  Erschwerung  der  Disziplin.  6.  Ge- 
ringe Aussicht  auf  Avancement   7.  Abschreckende  Dienst- 


—     39     — 

Terhältnisse  in  abgelegenen  Ortschaften.  In  Verbindung 
damit  Mangel  an  bildendem  anregendem  Verkehr,  an  Ge- 
legenheit zur  Fortbildung.  8.  Vielfach  minderwertige 
Schollokalitäten,  besonders  auf  dem  Lande.  9.  Über- 
tragung übervoller  Klassen  bei  verhältnismäßig  hohen 
Anforderungen  durch  die  vorgeschriebenen  Programme. 
10.  Minderwertige  soziale  Stellung  des  Lehrers  infolge 
der  Vorurteile  hinsichtlich  seiner  Bildungs-  und  Ver- 
mögensverhältnisse. 11.  Geringe  Befriedigung  der  Lehrer 
mit  der  gesamten  Art  ihrer  Vorbildung.  Einseitige  Be- 
tonung der  theologischen  Vorbildung  im  Vergleiche  mit 
der  naturwissenschaftlich-mathematischen  und  fremdsprach- 
lichen. 12.  Die  durchschnittlich  geringe  Besoldung  der 
Volksschullehrer  im  Vergleiche  zu  derjenigen  vieler 
Subaltembeamten. 

Non  mulia  — .  Zu  den  gröbsten  pädagogischen  Irr- 
tümern gehört  es,  daß  man  mit  den  Lehrplänen  der 
Volksschule,  die  doch  in  der  Hauptsache  Elementarschule 
6ein  will,  im  großen  ganzen  zu  hoch  greift,  zu  reich  be- 
setzte Programme  aufstellt,  in  verschiedenen  Fächern, 
z.  B.  in  Geschichte  und  Geographie,  eine  fast  erschöpfende, 
abschließende  Behandlung  anstrebt  und  dabei  der  zahl- 
Teichen  Hindernisse,  die  sich  dem  Unterricht  so  häufig 
geistig  vernachlässigter  Schüler  noch  dazu  in  übervollen 
Klassen  entgegenstellen,  zu  wenig  eingedenk  ist.  Weniges 
zu  voller  Sicherheit  des  Wissens  und  Verständnisses  sowie 
der  Anwendung  bringen  und  zwar  mit  Heranziehung 
auch  der  mindest  begabten  Schüler,  dagegen  gern  auf 
den  zweifelhaften  Ruhm  möglichst  hoch  gesteigerter  und 
ein  buntes  Allerlei  von  Gegenständen  umfassender  Lehr- 
programme verzichten,  das  wird  nicht  nur  der  Volks-,  nein 
auch  der  Fortbildungsschule  zum  Segen  dienen.  (Ziele 
und  Aufgaben  eines  nationalen  Kinder-  und  Jugendschutz- 
Vereins.) 

Wohlreden heit.  Wir  können  uns  keinen  guten 
Lehrer  denken  ohne  die  volle  Herrschaft  über  seine  Mutter- 
sprache.    Die  deutsche  Sprache  ist  selbst  ein  Hauptziel 


—     40     — 

alles  Unterrichts  in  deutschen  Schulen:  wie  wollte  ein 
Stümper  im  Gebrauch  seiner  Muttersprache  solches  Ziel 
mit  erreichen  helfen?  Fließend,  korrekt,  ohne  jede  Mini- 
riertheit,  eindrucksvoll,  lebendig,  innig  und  gewählt  soll 
der  Lehrer  sprechen  können  .  .  .  An  seiner  Redev^eise 
müssen  die  Schüler  ein  Vorbild  für  die  ihrige  haben. 
Er  muß  sich  frei  halten  von  jedem  verletzenden,  groben 
Provinzialismus  der  Volkssprache  und  —  worin  und  wor- 
über er  auch  belehrend  auftreten  mag:  überall  hat  er 
sich  einer  klaren,  deutlichen  Sprache  sowohl  selbst  zu 
bedienen,  als  auch  streng  darauf  zu  sehen,  daß  seine 
Schüler  es  ihm  darin  gleich  tun.  (Beiträge  zur  Frage 
der  Lehrerbildung.) 


Durch  viele  wertvolle  Werke  und  Abhandlungen  hat 
Keferstein  die  Geschichte  der  Pädagogik  ausbauen 
helfen.  Für  Manns  »Bibliothek  pädagogischer  Klassiker c 
verfaßte  er  zunächst  »Dr. Martin  Luthers  Pädagogische 
Schriften  und  Äußerungen.  Aus  seinen  Werken  ge- 
sammelt und  in  einer  Einleitung  zusammenfassend  cha- 
rakterisiert und  dargestellt.«  (XCII  und  293  S.)  Nach- 
dem wir  im  1.  Teil  mit  Luthers  Verhältnis  zu  Ehe  und  häus- 
lichem Leben,  mit  seinen  Ideen  über  Staat,  Volk  und 
soziales  Leben,  mit  seiner  Stellung  zu  Kunst  und  Wissen- 
schaft, mit  seinem  religiös -sittlichen  Standpunkt,  seiner 
spezielleren  pädagogischen  Bedeutung  und  seinem  päda 
gogischen  Standpunkt  bekannt  gemacht  worden,  finden  wir 
im  3.  Teil  Luthers  Pädagogik  in  zahlreichen  Stellen  aus 
seinen  sämtlichen  Werken  zusammengestellt. 

Herrn  Friedrich  Mann^  »dem  unermüdlichen  Förderer 
pädagogischer  Wissenschaft  und  Kunst«,  widmete  Kefer- 
siein  sein  Buch  »J.  G.  Herders  Pädagogische  Schriften 
und  Äußerungen.  Mit  Einleitung  und  Anmerkungen 
herausgegeben.«  (XLVIII-und  171  S.)  Diese  schöne  Studie 
berichtet  über  Herders  Lebensgang  und  charakterisiert  ihn 
besonders  nach  der  pädagogischen  Seite.   Das  pädagogisch 


—    41     — 

Wertvolle  aus  seinen  Schriften  ist  übersichtlich  zusammen- 
f!;estellt. 

Demselben  G^enstand  hatte  Kefersiein  früher  »Eine 
Herder- Studie  mit  besonderer  Beziehung  auf  ^erder 
als  Pädagog'«  gewidmet.  Sie  ist  in  Manns  »Pädagogischem 
Magazine  (Heft  13)  erschienen,  wie  folgende  vortreffliche 
Schriften:  >E.  Moritz  Arndt  als  Pädagog«  (Heft  41), 
»Bich.  Bothe  als  Pädagog  und  Sozialpolitiker«  (Heft  79), 
»Zur  Erinnerung  Philipp  Melanchthons  als  Präzeptors 
Ctermaniaec  (Heft  91).  In  Fr.  Maukes  Verlag  erschien: 
»Schleiermacher  als  Pädagog.  2.  Aufl.«  (XXIV  und 
340  S.);  in  dem  Verlage  von  Paul  Schettlers  Erben  (Köthen) 
seine  »Pädagogischen  Studien«.  Auch  veröffentlichte  er 
»Gedenkblätter  aus  Diesterwegs  Schriften«,  »Lichtstrahlen 
ans  Herders  Werken«  und  »Fichtes  pädagogische  Schriften 
und  Äußerungen«. 


■<K@g)@>« 


VttiMg  von  Heniuuin  Beyer  &  Söhne  (Beyer  ft  Mann)  in  Langensalza. 


Pädagogisches  Magazin. 

tMutliiKiH  TOI  SOleli  Itr  PiiKOElk  nil  am  lUlliliKiiitilla. 

Bantuf  *>*b«n  tob 

Friedrich  Mann. 

1.  Keferstefu,  Di.  H.,  BetracbtongeDfibeTLehrerbildiuiK.   S.  Anfl.    75  Pf. 

2.  Maennel,  Dr.  B.,  Über  p&djigiigiwhe  Di»kugwODen  uod  dieBedingnngeE, 
nnter  denen  ne  nstzen  iSmien.    2.  Aufl.    45  Pf. 

3.  Wohlrabe,  Dr.W.,  Ft.  H;koDiQS,  der  BefonnatoT  TbQringeDS.  25  Pf. 

4.  Teva,  Joh.,  HodeineH&dcbeneniehnD?.  Ein  Vortrag.   2.  Anfl.    30  PL 

5.  Ufer,  Christiui,  Dm  Wesen  des  Schwachsiims.    2.  Anfl.    25  Pf. 

6.  WoblTsbe,  Dr.  W.,  Otto  Fnck.  Gedichtniande,  gehalten  im  Hall*- 
achen  Lehrei- Vereine.    40  Pf. 

?.  HoltBch,  H.,  ComenioB,  der  Apoatel  dsa  Friedens.    30  Pf. 
8.  SsIlwQrk,  Dr.  E.  tod,  Banmgarten  gegen  Diestorweg.    25  Pf. 
6.  Teira,  Joh.,  Sozialdemokratieche  Fidag^k.     3.  Anfl.     50  Pf. 

10.  Flügel,  0.,  Über  die  Phantas[e.     Ein  Vortrag.     2.  Anfl.     30  Pf. 

11.  Janke,  0.,  Die  Beleachtnng  der  Bchnlzimmer.    25  Pf. 

12.  Bchnlleras,  Dr.  Adolf,  Die  Dentsche  Mythologie  in  der  Ernehnnga- 
Bchnle.    20  Pt. 

13.  Keferstein,  Dr.  Horst,  Eine  Herderatudie  mit  baaondeier  Bedehung 
anf  Herder  aU  Pftdagog-    40  Pf. 

14.  Wittatock,  Dr.  Alb.,DieÜberrfllliuiedeTgelehTtenBenifezneige.  50 Pf. 

15.  Hnniiker.Prof.  0.,  Comenias  Qod  Peatalozii.  Peatrede.  2.Aofl.  40  Pf. 
10.  Sallvark,  Dr.  E.  von.  Du  Becht  dar  Volkaechulaufaicht    Nach  den 

Terhandlnngen  der  Württemberg.  Kammer  im  Hai  1891.    25  Pf. 

17.  Boaabach,  Dr.  F.,  Eiatoriat^e  Bichtigkeit  und  Volkatümliohkeit  im 
Oeeducbtannterrichte.    40  Pf. 

18.  Wohlrabe,  Sektor  Dr.,  Lehrplan  der  ieohwtofigen  VoUsachnle  u 
Halle  a,  8.  fQt  den  ünt«moht  m  Oeachiohte,  Gec^raphie,  Natnrlahre, 
Banmiehre,  Deutsch.    40  Pf. 

IS.  Botlier,  H.,  Die  Bedentnng  dea  ünbewnleten  im  raenachl.  Seelen- 
leben.   2.  Ann.    30  Pf. 

20.  Oebmlich,  Dr.  Ernst,  Beitrage  inr  Geacbicbte  dea  üntemchts  und 
der  Zncbt  in  den  sttdtiBcheii  I^teinseholen  des  16.  Jahrhnnderta.    50  Pf. 

21.  Hallkamm,  F.,  Erziehender  Unterricht  und  Massennnterricht.    60  Pf. 

22.  Janke,  Otto,  Körperhaltung  nnd  Schrift richtnng.    40  Pf. 

23.  Lange,  Dr.  Karl,  Die  tweckmSfaige  Gestaltung  der  SSentlicheD  Schul- 
prafongen.    30  Pf. 

24.  Gleichmaon,  Prof.  A.,  Über  den  blob  darstellenden  Unterricht  Her- 
barta.    2.  Anflage.    60  Ff. 

25.  Lombeig,  A.,  Grolse  oder  kleine  Schnlaysteme 7    45  Ff. 

20.  Bergemann,  Dr.  P.,  Wie  wird  die  Heimatakunde  ihrer  soi.-ettii8cheD 
Aofgabe  gerecht?  2.  Anfl.    80  Pf. 

27.  Kirchberg,  Th.,  Die  Etymologie  nnd  ihre  Bedentnng  fOi  Schnle  nnd 
Lehrer.    40  Pf. 

28.  Honke,  Jutioe,  Zni  Pflege  Tolkstfiml.  Bildnng  nnd  Gesittung.    50  Pt. 

29.  Benkanf,  Di.  A.,  Abnorm«  Kinder  nnd  ihn  Pflege.    2.  Anfl.    35  PL 


Sexuelle  Aufklärungen 


und 


die  Schule. 


Von 


Paul  Schramm, 

Koktor  in  Erfart. 


'  ^'  *•  »■  *'■»*—  ^  -      '*.*■•  ->-* 


^  y-.  -   .•..»■ 


PädagogisclieB  Magazin,  Heft  816. 


•v.    *,     -'^-■•Vr^^  .    ,.     -  ,-^^    ^\^ 


Langensalza 

Hermann  Beyer  &  Söhne 

(Beyer  &  Mann) 

Herzog],  Sachs.  HofbnchhAndler 

1907 


Alle  Bacht«  TOcbetiAlton. 


Motto:  Dq  glaubst  an  Hindeniisse? 

Hindernisse  findet  nur  der,  der  an  sie  glaubt 

Otto  Ludwig. 

Xis  ist  eine  bekaiinte  Erscheinung,  daß  die  Ansprüche 
an  die  Schule  und  besonders  die  Volksschule  in  dem 
Maße  wachsen,  in  dem  der  erziehliche  Einfluß  des  Eltern- 
hauses und  der  Öffentlichkeit  schwindet.  Daß  aber  dieser 
erziehliche  Einfluß  der  Eltern  bei  einem  großen  Teil 
unserer  Volksgenossen  im  Schwinden  begriffen  ist,  wird 
niemand  leugnen  wollen  und  können.  Auch  die  Gründe 
dafür  liegen  klar  vor  Augen.  Der  allmähliche  Übergang 
Deutschlands  vom  Agrarstaat  zum  Industriestaat  hat  es 
mit  sich  gebracht,  daß  in  weiten  Volkskreisen  der  Vater 
den  größten  Teil  des  Tages  von  den  Seinen  ferngehalten 
wird,  da  seine  Arbeit  nicht  mehr  im  Haus,  sondern  in 
der  Fabrik  verrichtet  werden  muß.  Dieses,  dazu  noch 
Frauen-  und  Einderarbeit,  sowie  andere  Einflüsse,  die 
durch  die  wirtschaftliche  Entwickelung  unserer  Zeit  be- 
dingt sind,  haben  den  ältesten,  natüilichsten  und  darum 
wichtigsten  Erziehungsfaktor  ohnmächtig  gemacht,  ja,  in 
weiten  Volkskreisen  geradezu  ausgeschaltet 

Ein  Gebiet,  welches  der  Schule  jetzt  von  verschiedenen 
Seiten  zugewiesen  wird,  ist  das  der  geschlechtlichen  Be- 
lehrung der  Kinder. 

Ärzte  und  Pädagogen,  Juristen  und  Theologen  be- 
schäftigen sich  ebenso  wie  Frauen,  Denker  und  Dichter 
mit  dieser  Frage  der  sexuellen  Aufklärung  als  einer  der 


—     4     — 

brenDendsten  der  Gegenwart  Betrachten  wir  zunächst 
die  Grunde  dieser  Erscheinung. 

Lesen  wir  in  der  vom  preußischen  Staate  im  Jahre 
1900  aogestellten  Erbebung,  daß  sieb  am  30.  April  1900 
41000  Geschlechtskranke  in  ärztlicher  Behandlung  be- 
fanden, eine  Zahl,  die  man  aber  nach  dem  Urteil  Ein- 
geweihter ruhig  auf  100000  erhöhen  kann,  so  ist  zu  ver- 
stehen, daß  jeden  Volksfreuod  der  Wunsch  beseelen  muß, 
Mittel  und  Wege  zu  finden,  diesem  Sumpf  das  Wasser 
abzugraben.  Ein  in  Bezug  auf  diesen  Punkt  von  mir 
befragter  Spezialarzt  bestätigte  mir  obige  Tatsache  und 
fügte  hinzu,  daß  man  in  Bezug  auf  Yerbreitung  von  Ge- 
scblecbtskrankbeiten  nicht  schwarz  genug  zeicbneii  könne. 

Noch  mehr  können  wir  jedoch  den  Wunsch  nach 
Besserung  auf  diesem  Gebiete  verstehen,  wenn  wir  der 
schrecklichen  Folgen  gedenken,  welche  solche  Krankheiten 
fär  den  Träger  derselben  sowie  für  seine  Familie  haben 
können.  »Ich  werde  nie,*:  schreibt  Dr.  Dohrti,  »den  tiefen 
Eindruck  vergessen,  den  ich  empfing,  als  ich  als  Assistenz- 
arzt in  eine  Irrenklinik  eintrat  und.  dort  die  schrecklicben 
Verwüstungen,  die  Alkohol  und  Geechlecbtsk rankheiten 
bei  unserm  Volke  anrichten,  zum  ersten  Uale  im  ganzen 
Umfange  zu  Gesicht  bekam.  Ist  ee  doch  z.  B.  erwiesen, 
daß  weit  über  die  Hälfte  aller  an  Gehirnerweichung  zu 
tiruude  gehender  Exanken  an  Siphilis  gelitten  hatc  Wie 
manches  Eheglück  wurde  diesem  Moloch  geopfert,  und 
wie  viele  unschuldige  Kinder  müssen,  mit  dem  Kains- 
zeichen der  Sünden  der  Väter  behaftet,  ihre  Lebensreise 
antreten. 

Denken  wir  noch  der  staatlich  sanktionierten  Institution 
der  Prostitution,  dieser  Schmach  der  Menschheit,  und  des 
übereinstimmenden  Urteils  von  Lehrern  und  Xrzten  auf 
dem  internationalen  Kongreß  für  Schulhygiene  in  Nürn- 
berg, nach  welchem  90  Prozent  aller  Schüler  der  höheren 
Lehranstalten  geschlechtlichen  Verirrungen  ergeben  sind 
(die  Schüler  der  Volks-  und  Mittelschulen  machen  nach 
der  Erfahrnng  der  Lehrer  darin  leider  keine  Ausnahme), 


—     5     — 

so  sind  dies  Gründe  genug,  den  Wunsch  nach  einer 
höheren  Sittlichkeit  durch  Aufklärung  der  Jugend  als 
berechtigt  erscheinen  zu  lassen.  Denn  Tatsache  ist  es, 
daß  an  all'  diesem  Jammer  und  Unglück  in  Tausenden 
von  Fällen  nur  Unkenntnis  und  eine  Yerkennung  der 
Gefahren  die  Schuld  trägt,  daß  Tausende  sich  und  anderen 
Schande  und  Elend  erspart  hätten,  nicht  blindlings  ins 
Verderben  gerannt  wären,  sich  nicht  zu  Erzeugern  einer 
degenerierten  Nachkommenschaft  gemacht  hätten,  wären 
sie  zu  rechter  Zeit  aufgeklärt  worden. 

Hegar  sagt  in  Bezug  auf  diesen  Punkt:  »Man  sollte 
bei  den  heutzutage  so  genau  festgestellten  Gefahren,  welche 
die  wilde  Liebe  mit  sich  bringt,  es  kaum  für  möglich 
halten,  daß  sich  jemand  ihnen  aussetze.  Eine  Erklärung 
liegt  nur  darin,  daß  die  große  Menge  über  diese  Punkte 
noch  im  Unklaren  ist,  wenigstens  undeutliche  Vorstellungen 
über  die  mit  außerehelichem  Umgang  verbundenen  Nach- 
teile hat  Sonst  könnte  sich  nur  eine  sträfliche  Dumm- 
heit oder  ein  bodenloser  Leichtsinn  über  die  Bedenken 
hinwegsetzen.  Ein  französischer  Edelmann  gab  seinem 
das  Vaterhaus  verlassenden  Sohn  das  Losungswort  mit 
auf  den  Weg:  >Si  vous  ne  craignex  Dieu^  craignex  Ja 
v&role.* 

Eine  andere  Begründung  dieser  neuen  Forderung  sehe 
ich  in  dem  stärkeren  sozialen  Empfinden  der  Gegenwart, 
dem  sich  auch  die  Schule  und  die  einseitigsten  Individual- 
Pädagogen  nicht  entziehen  können.  »Was  bedeutet  das 
Einzelindividuum,  das  du  heranziehst,  für  das  Volksganze? 
Ist  es  fähig,  dieses  Ganze  geistig  und  wirtschaftlich  zu 
fördern ?€  das  sind  Fragen,  die  sich  einem  modernen 
Pädagogen,  und  sei  er  noch  so  sehr  von  der  Bedeutung 
des  Individuums  und  seiner  Erziehung  zur  charaktervollen 
Persönlichkeit  durchdrungen,  immer  und  immer  mehr 
aufdrängen.  Dadurch  sind  wir  zu  Einrichtungen,  wie 
Fürsorgeerziehung,  Fortbildungsschule,  Schulbad,  Schul- 
arzt, Kochunterricht,  Kampf  der  Schule  gegen  den  Alko- 
holismns  usw.  gekommen.     »Nicht  nur  die  Entwickelung 


—     6     — 

des  EiozeÜDdividaums,  sondern  auch  die  des  Tolksgaozen 
ist  deine  Aufgabe,«  so  ruft  die  Sosialpädagogik  dem  Er- 
zieher zu,  und  TOD  diesem  Standpunkt  aus  muß  man 
geschlechtliche  Belehrung  der  Jugend  als  eine  herror- 
ragende  Pflicht  der  modemeo  Schule  ansehen. 

Ein  dritter  Faktor,  der  diesem  Oedankeu  der  Sexual- 
pädagogik, wie  man  diese  Forderung  auch  wohl  kurz 
nennt,  zu  weiterer  Verbreitung  verhilft,  ist  wohl  auch  in 
der  Betonung  des  biologischen  Prinzips  in  den  Natur- 
wissenschaften zu  suchen.  Naturforscher  und  Ärzte  sind 
sich  einig  darüber,  daß  der  biologisehea  Wissenschaft  ein 
breiter  Raum  im  Lehrplan  der  Schulen  einzuräumen  ist 
Prof.  Pauken  sagt:  >Das  Leben  ist  das  Problem,  das  im 
Mittelpunkte  aller  wissenschaftlichen  Forschung  und  alles 
philosophischen  Nachdenkens  steht;  es  ist  das  Problem 
aller  Probleme.«  Zu  den  allgemeiusten,  kennzeichnend- 
sten Äußerungen  des  Lebens  gehören  aber  Ernährung, 
Wachstum  und  Tennehrung.  Es  ist  deshalb  zu  verstehen, 
daß  man  bei  der  Sexual  •Physiologie  der  Pflanzen  und 
Tiere  nicht  stehen  bleibt,  sondern  zeigt,  daß  auch  der 
Hensch,  physiologisch  genau  wie  die  Pflanze,  aus  der 
befruchteten  Eizelle  sich  entwickelt 

Ein  vierter  Faktor,  der  zur  Verbreitung  dieses  Ge- 
dankens beigetragen,  ist  die  Frauenbewegung.  »Ans 
Schweden  und  Norwegen,  ans  England  und  Amerika 
kam  der  Qedanke  zu  uns  heräber  und  wurde  etwa  um 
das  Jahr  1894  zum  erstenmal  in  Deutschland  öffentlich 
ausgesprochen  und  zwar  von  Frau  Biber-Böhme  in  Berlin, 
Seit  der  Zeit  ist  er  eine  feststehende  Forderung  in  der 
Sittlichkeitsbewegung  der  deutschen  Frauen.  Die  Frau 
ist  aufs  tiefste  daran  interessiert,«  sagt  Maria  Lischnewska 
weiter,  >daß  das  Geschlechtslehen,  welches  immer  einen 
großen  Teil  ihres  Daseins  ausmachen  wird,  der  ganzen 
Menschheit  als  etwas  Ehrwürdiges  erscheint  und  daß 
solcher  Gesinnung  auch  die  Taten  folgen.  Darum  können 
wir  sagen :  wo  immer  es  auf  unserm  Erdball  eine  Frauen- 
bewegung gibt,  da  wird  für  den  Gedanken  der  geschlecht- 


—     7    — 

liehen   Belehrung   gekämpft   werden,    bis    der   Sieg   er- 
fochten ist« 

II. 

Der  Gedanke,  durch  geschlechtliche  Belehrung  der 
Jugend  eine  höhere  Sittlichkeit,  die  nicht  nur  in  der  so- 
genannten Unschuld,  im  Nichtkennen  des  geschlechtlichen 
Vorgangs  besteht,  zu  erzielen,  ist  durchaus  nicht  neu. 

Es  sei  mir  gestattet,  an  dieser  Stelle  einen  kurzen 
geschichtlichen  Bückblick  einzuschalten. 

Zur  Zeit  der  alten  Germanen,  die  Tacitus  den  ent- 
arteten Eömern  als  Vorbilder  in  Bezug  auf  Tugendhaftig- 
keit und  ungezwungenen  Verkehr  beider  Geschlechter  hin- 
stellt, und  auch  noch  in  der  Blütezeit  des  deutschen 
Mittelalters  beunruhigte  dieses  Problem  die  Gemüter  noch 
nicht  Man  sprach  über  natürliche  Dinge  eben  noch  ganz 
natürlich. 

Die  finstere  Askese  jedoch,  die  als  eine  Verirrung  der 
Lehre  Christi  in  der  mittelalterlichen  Kirche  Einzug  hielt, 
trug  allmählich  bei  der  großen  Menge  zu  der  Auffassung 
bei,  den  Geist  als  das  allein  Wertvolle,  den  Körper, 
Körperliches  und  damit  das  Geschlechtsleben  als  etwas 
Sündhaftes  und  Abzutötendes  anzusehen,  den  an  und  für 
«ich  natürlichen,  heiligen,  hohen  Vorgang,  ohne  den  die 
Menschheit  dem  Untergange  geweiht  wäre,  als  einen 
niedrigen,  tierischen  Vorgang  zu  betrachten,  dessen  man 
sich  schämen  müsse.  Die  Schar  der  Nonnen  und  Mönche 
und  der  Cölibat  der  Priester  waren  die  notwendigen 
Folgen.  Gegen  diese  kirchlich-asketische,  weltvemeinende 
Richtung  machten  jedoch  erleuchtete  Geister  im  Reforma- 
tionszeitalter Front.  Das  kräftige  Anwachsen  der  Natur- 
wissenschaften und  der  Ruf  »Rückkehr  zur  Natur«  wurde 
von  seinem  Urheber  Rousseau  sowie  von  seinen  Epigonen, 
den  Philanthropen,  für  die  Pädagogik  und  speziell  die  in 
Bede  stehende  Frage  nutzbar  gemacht  Im  4.  Buch  seines 
»Emil«  sagt  Rousseau  hierzu:  »Es  ist  von  Wichtigkeit, 
nichts  dem  Zufalle  zu  überlassen;   und   wenn  ihr  nicht 


sicher  seid,  den  Zögling  bis  in  aein  16.  Jahr  über  die 
GescblechtsTerBcbiedoDbelt  in  Unwissenheit  erhalten  zu 
können,  so  soi;gt  dafür,  daß  er  sie  vor  dem  zehnten  er- 
fahre.« 

Vor  130  Jahren  beschädigten  sich  die  Fhilanthiopen 
mit  dem  Problem,  durch  sexuelle  Aufklärung  das  sittliche 
Leben  der  Schüler  zu  beeinflussen,  zu  veredeln.  Damals 
schon  Bcbrieb  Salxmann  in  seinem  Büchlein  »Über  die 
heimlichen  Sünden  der  Jugend* :  »0,  du  armes,  verkauftes 
und  verratenes  Menschengeschlecht  beiderlei  Geschlechts, 
will  sich  denn  niemand  deiner  erbarmen,  dich  niemand 
der  verderblichsten  Unwissenheit  entreißen  ?«  In  Kap.  VIII 
derselben  Schrift  macht  er  positive  Yorschläge  für  sexuelle 
Aufklärung  der  Jugend,  wenn  et  schreibt:  «Daß  die 
Kinder  früh  erfahren  müssen,  wie  es  mit  der  Entstehung 
des  Menschen  zugehe,  glaube  ich  gewiß.  Wäre  ein  zu- 
verlässiges Mittel  da,  die  Kinder,  in  Ansehung  dieses 
Punktes,  in  einer  gänzlichen  Unwissenheit  zu  erhalten,  es 
zu  verhüten,  daß  sie  die  Begattung  der  Tiere  nie  sähen, 
nie  darüber  nachdächten,  nie  durch  Gespielen,  Mägde, 
Bediente  und  lüderlichee  Gesindel  davon  unterrichtet 
würden:  so  würde  ich  mich  weit  behutsamer  ausgedrückt 
und  geraten  haben,  die  Aufklärung  über  diese  Sache  bis 
zu  den  Jahren  der  Mannbarkeit  zu  versparen,  wo  sie 
notwendig  ist,  wenn  der  junge  Mensch  nicht  in  Gefahr 
geraten  soll,  Ehre  und  Glück,  wegen  Unwissenheit  der 
Verbindung  zwischen  Ursache  und  Wirkung,  zu  verlieren. 
Da  ich  aber  dieses  Mittel  nicht  kenne,  da  es  vielmehr  gar 
nicht  vermieden  werden  kann,  daß  Kinder  nicht  unver- 
mutet hierüber  eine,  der  Unschuld  ihres  Herzens  sehr 
nachteilige  Aufklärung  bekommen,  so  kann  man  nicht 
anders,  als  sie  ihnen  selbst  auf  so  eine  Art  geben,  daß 
dadurch  ihre  Unschuld  gesichert  werde.  Es  ist  also  bei 
mir  entschieden,  daß  den  Kindern  bald  über  die  Er- 
zeugung des  Menschen  Aufklärung  gegeben  werden  müsse, 
und  ich  zweifle  nicht,  daß  die  mehrsten  meiner  Leser 
mir  darin  beistimmen  werden.     Wie  soll  man  aber  die 


-     9     — 

Aufklärung  mitteilen,  ohne  dadurch  gefährliche  Begierden 
in  der  Kinder  Herzen  zu  erregen?  Das  ist  die  schwere 
Frage,  die  hier  zu  beantworten  ist.  Ich  tue  folgenden 
Vorschlag: 

Man  gehe  in  dieser  Aufklärung  mit  der  größten  Be- 
hutsamkeit zu  Werke,  stufenweise,  und  rede  erst  von  der 
Erzeugung  der  Pflanzen,  ehe  man  von  der  Erzeugung  des 
Menschen  spricht;  zeige  ihnen  die  männlichen  und  weib- 
lichen Blumen  der  Pflanzen,  z.  Ex.  der  Kürbisse,  Gurken  u. 
dergl.,  gewöhne  sie  an  die  Ausdrücke  Staubfäden,  Staub- 
beutel, Narbe,  Fruchtknoten  u.  dergl.,  zeige  ihnen,  wie  der 
Staub  der  männlichen  Blüte  auf  die  weibliche  fallen  müsse, 
wenn  diese  Frucht  tragen  solle!  Auf  diese  Art  bekommt 
man  eine  Fertigkeit  von  männlichen  und  weiblichen  Teilen, 
Samen,  Zeugung  u.  dergl.  mit  Kindern,  ohne  Ängstlich- 
keit zu  sprechen,  und  diese  gewöhnen  sich,  ohne  Anstoß 
zu  nehmen,  eine  solche  Erzählung  zu  hören.« 

Während  Salxmann  sich  zu  gelegener  Zeit  an  das 
einzelne  Kind  wendet,  also  individualisiert,  wendet  sich 
Basedow  mit  seinen  sexuellen  Belehrungen  an  die  Gesamt- 
heit der  Schüler.  In  epischer  Breite  werden  auf  Geburt, 
geschlechtliche  Dinge  und  Fortpflanzung  bezügliche  Sachen 
erörtert,  wie  es  ja  aus  der  berühmten  Maiprüfung  vom 
Jahre  1776,  in  welcher  Wolke  eine  Unterrichtslektion  über 
die  Geburt  hielt,  bekannt  ist.  Einige  Abschnitte  aus 
Basedows  Elementarwerk  mögen  seine  Art  und  Weise, 
sexuelle  Belehrungen  zu  erteilen,  noch  näher  kennzeichnen. 

Im  4.  Buche,  Abschnitt  4c,  lehrt  er:  »Ein  jeder  Mensch 
ist  aus  dem  Leibe  seiner  Mutter  geboren,  woselbst  sein 
Leib  9  Monate  nach  und  nach  angewachsen  ist  Solange 
der  Embryo  im  Leibe  der  Mutter  ist,  wird  er  ohne  andere 
Nahrung  durchs  Blut  der  Mutter  ernährt,  welches  ver- 
mittelst der  Nabelschnur  in  den  Leib  des  Embryo  kommt — 
Es  wird  kein  Weibsen  schwanger,  ohne  von  einem  Manne 
mit  solcher  Vertraulichkeit  berührt  zu  werden,  welche  sonst 
beiden  Geschlechtern  höchst  schändlich  ist,  aber  bei  Ehe- 
freund   und  Ehefreundin   erlaubt   und   lobenswert  wird 


—     10     — 

Der  Vater  eioes  Kindes  ist  derjenige  MaoD,  der  mit  seiner 
Hutter  dasselbe  erzeugt  tiat,  d.  i.  durch  dessen  vertr&u- 
Uchsten  Umgang  sie  in  den  Zustand  deijenigen  Schwanger- 
schaft kam,  welche  sich  mit  der  Geburt  dieses  Kindes 
endigte.« 

Dies  einzige  Beispiel  möge  statt  vieler  genügen.  Daß 
derartige  Belebrungeii  nicht  geeignet  waren,  zu  erhöhter 
Keuschheit  zu  erziehen,  ist  leicht  einzusehen. 

Der  Dichter  Jean  Paul  sagt  in  §  129  der  iLewana«: 
>Die  Fragen  der  Kinder  ßber  Schwangerschaft  und  über 
das  Woher  eines  neuen  Kindes  tut  bloß  die  unbescholtene 
Wiß-  und  Frageeucht,  aber  kein  Instinkt  oder  Trieb ;  denn 
dieser  gibt  Antworten,  aber  keine  Fragen.  Im  Kinde  ist 
die  Frage  Über  die  Niederkunft  der  Uutter  so  weit  vom 
Oescblechtstriebe  entlegen,  als  etwa  die,  warum  die  Sonne, 
die  doch  im  Westen  niedergehe,  am  Morgen  wieder  im 
Osten  stehe. . . .  Womit  ist  aber  dem  fragenden  Kinde  zu 
antworten?  Mit  soviel  Wahrheit  als  es  begehrt;  ,wie  das 
KiU'er- Würmchen  in  der  Nuß,  so  wächst  das  Menscb- 
Würmchen  in  der  Mutter  Leib  von  ihrem  Blut  und 
Fleisch;  daher  wird  sie  krank  usw.'  Da  Kinder  uns 
zehnmal  weniger  verstehen,  als  wir  glauben,  und,  gleioh 
den  Erwachsenen,  tausendmal  weniger  nach  der  letzten 
Ursache,  sobald  sie  die  vorletzte  wissen,  umfragen,  als 
einige  bei  beiden  voraussetzen:  so  wird  das  Kind  viel- 
leicht erst  nach  Jahren  wieder  Vorfragen:  woher  aber  das 
kleine  Menschlein?  Antwort:  ,Vom  lieben  Gott,  wenn  die 
Menschen  einander  geheiratet  haben  und  nebeneinander 
schlafen.'«  Wir  sehen,  auch  Jean  Paul  verlangt  eine 
ziemlich  weitgehende  Einweihung  der  Kinder  in  geschlecht- 
liche Verhältnisse. 

Diese  Worte  einzelner  erleuchteter  führender  Geister 
des  18.  Jahrhunderts  verhallten  jedoch  resultatlos.  Für 
100  Jahre  etwa  fand  diese  Idee  keine  Verfechter,  bis  sie 
im  letzten  Jahrzehnt  des  vorigen  Jahrhunderts  von  neuem 
erwachte.  In  Amerika  auftauchend,  fand  dieses  Problem 
auchinEuropabald  wiederum  Eingang  und  eifrige  Anhänger. 


—    11    — 

Herbert  Spencer  spricht  sich  für  eine  bessere  Vor- 
bereitung für  das  Ebeleben  durch  die  Erziehung  aus. 
Wenn  ein  Altertumsfreund  der  Zukunft,  so  sagt  er  un- 
gefähr, unsere  klassischen  pädagogischen  Schriften  und 
die  Niederschriften  und  Arbeiten  der  Schule  studierte,  um 
ein  Bild  der  Kultur  unserer  Zeit  zu  bekommen,  in  welche 
Verwunderung  würde  er  geraten,  keinen  einzigen  Hin- 
weis darauf  zu  finden,  daß  die  Lernenden  auch  einst 
Kinder  großziehen  müssen  und  Eltern  werden.  »Gut, 
würde  er  sagen,  dies  muß  ein  Studiengang  für  Ehelos 
bleibende  sein.  Das  ist  augenscheinlich  der  Lehrgang 
eines  ihrer  Elosterorden.« 

Ellen  Key  sagt  diesbezüglich  in  ihrem  Werke  »Jahr- 
hundert des  Kindes«:  »Nur  dadurch,  daß  jeder  von  frühe- 
ster Kindheit  an  auf  jede  seiner  Fragen  über  diesen 
Gegenstand  ehrliche,  dem  betreSenden  Stadium  sein» 
Entwickelung  angepaßte  Antworten  erhält  und  so  volle 
Klarheit  über  seine  eigene  Art  als  Oeschlechtswesen  emp- 
fangt, sowie  ein  tiefes  Verantwortlichkeitsgefühl  in  Be- 
ziehung auf  seine  zukünftige  Aufgabe  als  solches,  eine 
Gewöhnung  an  ernstes  Denken  und  ernstes  Sprechen  über 
diesen  Gegenstand,  nur  dadurch  kann  ein  vornehmeres 
Geschlecht  mit  höherer  Sittlichkeit  hervortreten. c 

Bjömsan  tritt  in  seinem  Roman  »Thomas  Rendalenc 
der  Frage  der  Erziehung  der  Jugend  zur  Reinheit  durch 
Einsicht  näher.  Die  Umgestaltung  der  ererbten  Anlagen 
in  Bezug  auf  das  Verhalten  der  Menschen  zur  Sittlichkeit 
und  dadurch  die  Schaffung  einer  gesunden  und  glück- 
lichen neuen  Generation,  bei  der  die  Leiden  der  jetzigen 
geschlechtlichen  Disharmonie  aufgehört  haben  werden,  das 
ist  das  große  Ziel  des  Bjömson'schen  Romans.  Für  dieses 
wollte  er,  daß  auch  die  Schule  wirke,  durch  die  Mitteilung 
der  Kenntnis  des  Menschen  als  Geschlechtswesen,  und  wie 
er  als  solches  sich  selbst  und  dann  auch  seine  Nach- 
kommenschaft behüten  müsse. 

Auch  Rosegger  kämpft  gegen  die  bisher  beliebte  Sitte, 
über  Geschlechtliches  so  wenig  wie  möglich  und  in  Gegen- 


wart  TOD  Kindern  überhaupt  nicht  zu  reden  mit  den 
Worten:  »Nicht  das  Wissen  und  der  naturgemäße  Frei- 
mut bringt  zum  Falle,  sondern  die  G-ebeimnistuerei ,  die 
damit  aufgeweckte  Neugierde  und  Begierde.  Unter  dem 
Feigenblatte  gedeiht  die  Keuschheit  nicht,  nur  die  Prüderie 
ond  die  Lüsternbeit.  Die  Prüderie  verdeckt,  und  die 
VerdeckuDg  macht  lüstern.  Legt  der  mediceiscben  VenuB 
ein  Hemd  au:  das  schöne  Weib  ist  fort,  und  das  inter- 
essante Frauenzimmer  ist  da.c 

Tolstoj,  der  sich  in  der  Auffassung  über  geBchlecbt- 
licbe  Gemeinschaft  wieder  deijenigeD  des  Mittelalters  nähert, 
hat  sieb  au  verschiedenen  Orten,  vor  allem  im  Nachwort 
zur  Kreuzersonate,  über  die  sexuelle  Frage  geäußert.  In 
Beinen  Briefen  über  die  Ehe  sagt  er:  *Das  Ideal  eines 
Christen  ist  die  Liebe  zu  Gott  und  seinem  Nächsten,  ist 
die  Entäußerung  seiner  selbst  im  Dienste  Gottes  oder 
des  Nächsten.  Die  fleischliche  Liebe  aber,  oder  die  Ehe 
ist  nur  ein  Sichselberdienea  und  ist  daher  jedenfalls 
ein  Hindernis,  Gott  und  den  Menschen  zu  dienen  und 
▼om  christlichen  Standpunkt  aus  ein  sittlicher  Fall,  eine 
SOnde.« 

Außer  diesen  Denkern  und  Dichtem  sind  es  vor  allem 
Yertreterinnen  des  weiblichen  Geschlechts,  ich  denke  an 
Bennette  Fürth  in  Frankfurt,  an  Maria  Lischnewsha, 
Adelheid  von  Bennigseii,  die  für  diesen  Gedanken  ein- 
getreten sind.  Haben  diese  einen  Bund  für  Mutterschutz 
gebildet,  so  lassen  sich  die  Ärzte,  die  den  Verein  zur 
Bekämpfung  der  Geecblecbtskrankheiten  gegründet  haben, 
die  Aufklärung  der  Jünglinge  durch  Wort  und  Schrift 
recht  angelegen  sein.  Auf  seinem  die^ährigen  Kongreß 
bat  dieser  Verein  die  Frage  sexueller  Aufklärung  als 
einzigen  Vertiandlangsgegenstand  auf  die  Tagesordnung 
gestellt 

Prof.  Forel  sagt  in  seinem  bedeutsamen  Werke  >Die 
sexuelle  Frage«:  >Eine  frühzeitige  vertrauliche  Aufklärung 
der  Kinder  über  die  sexuellen  Verhältnisse  ist  ein  Gebot 
der  Hygiene,  der  Klugheit  und  der  Ethik.« 


—     13     — 

Erfreulicherweise  nehmen  zu  dieser  rein  pädagogischen 
Frage  auch  die  pädagogischen  Kreise  Stellung.  Der  inter- 
nationale Kongreß  für  Schulhygiene,  der  1904  in  Nürn- 
berg abgehalten  wurde,  brachte  eine  ganze  Reihe  dies- 
bezüglicher Vorträge  von  Pädagogen  und  Ärzten.  In  be- 
jahendem Sinne  wurde  von  frauenrechtlicher,  theologischer, 
philologischer  und  medizinischer  Seite  die  Frage:  »Sollen 
wir  unsere  Kinder  über  geschlechtliche  Dinge  aufklären?« 
in  Berlin  im  Verein  für  Schulgesundheitspflege  beant- 
wortet, während  sich  Lehrer  Lorentx  auf  dem  Kongreß 
für  Kinderforschung  und  Jugendfürsorge  in  Berlin  gegen 
die  Behandlung  sexueller  Fragen  in  den  Schulen  aus- 
sprach. 

IIL 

Der  Gedanke  der  geschlechtlichen  Belehrung  hat  also, 
wie  wir  gesehen  haben,  kräftig  Wurzel  geschlagen  und 
wird  jedenfalls  in  unserm  Jahrhundert  der  Naturwissen- 
schaften sobald  nicht  wieder  untertauchen. 

Stellen  wir  nun  zunächst  einmal  die  Frage:  »Ist  eine 
geschlechtliche  Belehrung  der  Jugend  zu  wünschen  oder 
gar  notwendig? 

Während  man  auf  der  einen  Seite  diesen  Oedanken 
energisch  zurückweist,  es  beim  Alten  lassen  will,  da  von 
«iner  Dekadenz  auf  sexuellem  Oebiete  nicht  die  Bede 
sein  könne,  kann  von  anderer  Seite,  wie  ich  eingangs 
schon  zeigte,  diese  Dekadenz  nicht  scharf  genug  gebrand- 
markt werden.  So  schreibt  Prof.  Dr.  ifo/fa-Berlin:  »Das 
Material,  das  die  Schulärzte  bis  jetzt  gesammelt  haben, 
hat  mit  erschreckender  Deutlichkeit  die  körperliche  Minder- 
wertigkeit unserer  Schuljugend  klargelegt.  In  Chemnitz 
z.  B.  erwiesen  sich  nur  7,9^0  sämtlicher  Volksschüler 
als  vollgesund  und  voUkräftig,  in  Charlottenburg  nur 
11,5  7o  usw.«  Unter  den  vielerlei  Umständen,  die  mit- 
helfen, diese  erschreckend  große  Zahl  körperlich  minder- 
wertiger Schüler  zu  erzeugen,  führt  er  auch  geschlecht- 
liche Erkrankung  der  Eltern  mit •  auf.     »Es  heißt  nicht 


—     14     - 

EQ  Tiel  behaupten,  daß  Trunksucht  und  Uuzucht  als  die 
weitaus  verbreitetsteu  Krankheitserscheinungen  hauptsäch- 
lich unsere  Jugend  schon  zerrütten.« 

Was  lehrt  uns  denn  nun  unsere  eigene  tägliche  £r- 
tahmng  hierüber?  Sa  die  Jugend  bisher  nicht  über 
sexuelle  Dinge  aufgeklärt  wird,  weder  in  der  Schule  noch 
TOD  den  Eltern,  so  bleiben  die  Kinder,  so  könnten  wir 
BchlieBen,  jedenfalls  auch  unwissend  auf  diesem  Gebiete. 
Wenn  es  so  wäre,  brauchte  man  sich  nicht  mit  diesem 
Problem  zu  befassen.  Leider  wird  jedoch  durch  die  bis- 
herige Fraiis  des  Schweigens  mit  verschwindend  wenig 
Ausnahmen  das  Gegenteil  davon  erreicht  Wir  können 
darch  unser  Schweigen  nicht  verbiadem,  daß  andere 
reden,  so  daß  unsere  Kinder  spätestens  g^en  Ende  der 
Schalzeit,  von  Freunden,  Dienstboten  in  das  Geheimnis 
eingeweiht,  sich  auch  über  dieses  Gebiet  ihre  Vorstellungen 
machen.  Trotzdem  wir  alle  ganz  genau  wissen,  daß  wir- 
unsere  Kinder  nicht  völlig  abschließen  können  gegen  un- 
saubere Elemente,  so  bat  doch  heutzutage  unter  Tausenden 
vielleicht  kaum  ein  Vater,  eine  Mutter  den  Mut,  mit  den 
Kindern  natürlich  über  natürliche  Dinge  zu  reden. 

Ich  kann  mir  wohl  als  uns  allen  zu  bekannt  ver- 
sagen, näher  auszuführen,  wie  man  dann  in  versteckten 
Winkeln  mit  geröteten  Wangen  geheime  Zwiesprache 
h&lt,  um  sich  von  älteren  Klaseengenossen  belehren  zu 
lassen.  Gefährlich  wird  dieses  Ausmalen  des  Geschlechts- 
lebens in  der  Phantasie  aber  in  dem  Alter,  wo  sich  der 
Geschlechtstrieb  zu  regen  beginnt. 

>8ebr  oft  wird  auch  durch  die  bisher  übliche  Be- 
handlung der  sexuellen  Fragen  eine  Neigung  zu  uu- 
geheurer  Überschätzung  der  hinter  dem  Geheimnis  stecken- 
den Tatsachen  erzeugt  Daraus  laßt  sich  vielleicht  auch 
ein  Teil  der  herrschenden  perversen  Neigungen  zwanglos 
erklären.  Was  ist  natürlicher,  als  daß  alle  jene,  die 
staunend  im  natürlichen  Gescblechtsveikehr  bei  weitem 
das  nicht  fanden,  was  sie  zu  finden  erwartet  hatten,  daß 
alle  diese  nun  weiter  lachen  nach  stärkeren  Beizen  und 


—     15     — 

sich  dabei  aaf  jene  Abwege  verirren,  denen  die  meisten 
Menschen  verständnislos  gegenüberstehen.  So  gewiß  ein 
Teil  der  Homosexuellen  unter  einer  verkehrten  Natur- 
anlage  leidet  und  mithin  Mitleid,  nicht  Strafe  verdient^ 
80  gewiß  muß  in  vielen  Fällen  bei  normal  Veranlagten 
die  Gesellschaft  mit  ihrer  verkehrten  Behandlung  der 
sexuellen  Frage  einen  Teil  der  Schuld  auf  sich  nehmen« 
(UUmeht) . 

Das  sind  die  verhängnisvollen  Folgen  des  Ver- 
scbleierungssystems,  welches  Ellen  Key  treffend  geißelt 
mit  den  Worten:  »Man  will  noch  immer  im  Namen  der 
Sittlichkeit  vor  der  Jugend  die  Nacktheit  der  Natur  ver- 
schleiern und  verabsäumt  es,  ihr  Andachtsgefühle  vor 
ihrem  eigenen  Wesen  als  dem  Heiligtum  einzuflößen, 
in  dem  das  Mysterium  des  Lebens  sich  nicht  erfüllen 
wird.« 

Dazu  kommen  noch  ganz  besonders  erschwerende  um- 
stände für  die  Kinder  unserer  armen  und  ärmsten  Volks- 
genossen, bei  denen  sich  alle  Lebensvorgänge  in  einem 
Raum  abspielen.  Bei  größerer  Einderzahl  schlafen  Knaben 
und  Mädchen,  Eltern  und  Kinder,  ja  oft  wohl  gar  noch 
Schlafburschen  zusammen  in  demselben  Räume.  Malen 
wir  uns  nun  noch  aus,  was  die  Kinder  in  solchen  Woh- 
nungen hören  und  sehen  —  so  stimmen  Sie  mir  wohl 
bei,  daß  in  einem  solchen  Milieu  von  Unwissenheit  der 
Kinder  auf  sexuellem  Gebiete,  nach  landläufigem  Sinne 
also  auch  von  Reinheit  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Sehr  treffend  sagte  deshalb  auch  unser  Staatssekretär 
Graf  Posadowsky  anläßlich  einer  Hauseinweihung  in 
Pankow:  »Bei  unserer  schnell  wachsenden  Bevölkerung, 
dem  immer  verwickelter  sich  gestaltenden  Erwerbsleben 
entstehen  sittliche  und  körperliche  Gefahren  für  unsere 
Bevölkerung,  die  immer  höhere  Ansprüche  an  die  Tätig- 
keit aller  derer  stellen,  die  berufen  sind,  diese  Gefahren 
zu  bekämpfen.« 

Die  Abweisung  sexueller  Belehrung  mit  der  Be- 
gründung,  man   mache  durch   dieselbe  die  Jugend  erst 


—     16     ~ 

auf  das  Geschlechtsleben  aufmerksam,  es  sei  doch  besser, 
die  Eiader  lange  »unschuldig  und  reim  zu  erhalten,  ist 
nach  Vorhergesagtem  und  nach  atigemeiner  Erfahrung 
also  doch  recht  unklug  und  unpädagogisch.  Wäre  es 
nicht  besser,  Belehrungen  und  Aufklärungen  über  ge- 
schlechtliche Verhältnisse  und  Fortpflanzung  des  Menschen 
dazu  berufenen  erwachsenen  Personen  zu  übertragen,  die 
mit  sittlichem  Ernste  über  das  größte  aller  göttlichen 
Oebeimnisse,  über  die  Entstehung  des  Lebens,  zu  reden 
im  Stande  sind !  Und  wie  steht  es  mit  der  Reinheit, 
Keuschheit?  Ist  dieser  Begriff  wirklich  gleichbedeutend 
mit  Unwissenheit  auf  geschlechtlicbem  Gebiete?  Nun, 
dann  sind  wir  Erwachsenen  samt  und  sondere  unkeuscb. 
>Eeuschheit  ist  nicht  Unwissenheit  auf  sexuellem  Gebiete, 
nicht  Verachtung  des  Geschlechtslebens !  Wahre  Keusch- 
heit ist  die  auf  Grund  des  Wissens  erworbene  Auffassung 
des  Geschlechtsverkehrs  und  seiner  Folgen  als  eines  reinen 
Geschehens c  (Ulbricht). 

Derselben  Meinung  ist  Bjömson,  wenn  er  den  In- 
BtitutsTorsteher  Thomas  Rendaten  in  seiner  programma- 
tischen Rede  vor  einer  Versammlung  von  Vätern  und 
Müttern  sagen  läßt:  •Vermutlich  glauben  manche,  wenn 
das  Kind  nur  zu  Hause  nichts  Anstößiges  sehe  und  keine 
schlüpfrigen  Reden  höre,  so  sei  alles  getan,  was  getan 
werden  könna  Ich  aber  sage:  so  lange  nicht  mehr  ge- 
tan wird,  ist  die  Jugend  allem  möglichen  ausgesetzt 
Hier  schwärmt  man  für  die  Unschuld  der  Unwissenheit 
Ich  begnüge  mich  jetzt  damit  zu  sagen:  die  Unschuld, 
weiche  weiß,  welche  Gefahren  ihr  drohen,  und  die  von 
Jugend  auf  dawider  gekämpft  hat,  ist  allein  stark,  allein 
widerstandsfähig.  • 

Wir  würden,  wenn  wir  endlich  von  dem  Storch- 
märcben  und  von  dem  Vertuschungssystem  abließen,  eicher 
Zustände  erreichen,  wie  sie  uns  NeUie  in  der  Broschüre 
»Mutter  und  Kind«  von  den  Japanern  in  folgendem  mit- 
teilt. »Die  Beziehungen  zwischen  Eltern  und  Kindern 
sind    bei    den   Japanern    ganz    natürlich ,    frei   und   un- 


—     17     — 

beschränkt  Die  natürlichen  Wahrheiten  des  Lebens 
\¥erden  den  Kindern  erklärt,  sobald  sie  groß  genug  sind, 
um  danach  zu  fragen.  Man  hält  ihnen  nichts  verborgen, 
was  sie  sonst  doch  von  außen  erfahren  würden.  Die 
Folge  dieser  vollständigen  Aufrichtigkeit  ist  keineswegs 
eine  unnatürliche  Frühreife  bei  den  Kindern;  im  Gegen- 
teil, sie  behalten  dadurch  ihre  unbewußte  Anmut,  diese 
Zierde  der  Jugend,  viel  länger  als  Kinder,  welche  dieses 
verborgene  Wissen  auf  schlimmem  Wege  erfahren,  c 

Ich  stehe  also  nicht  an,  mit  vielen  Gleichdenkenden, 
die  nicht  auf  dem  Standpunkt  des  laüser- aller ^  laisser- 
faire  stehen,  auszusprechen,  daß  ich  eine  Aufklärung  und 
Belehrung  der  Jugend  über  sexuelle  Verhältnisse  für  not- 
wendig halte,  um  zur  Sittlichkeit,  d.  h.  zur  reinen  Auf- 
fassung des  Geschlechtslebens  und  der  Fortpflanzung  des 
Menschen  zu  erziehen. 

17. 

Wann  soll  nun  die  Jugend  über  sexuelle  Vorgänge 
aufgeklärt  werden?  Darauf  eine  für  alle  Fälle  passende 
allgemeingültige  Vorschrift  geben  zu  wollen,  halte  ich  für 
unmöglich.  Wer  die  Kindesnaturen  nur  einigermaßen 
beobachtet  hat,  weiß,  daß  ein  Kind  schon  im  10.  Lebens- 
jahre Aufklärungen  bedarf,  deren  ein  anderes  16-,  ja 
16jähriges  Kind  noch  nicht  benötigt.  Aus  einer  solchen 
Mischung  teils  auf  sexuellem  Gebiete  Unwissender,  teils 
Frühreifer  bestehen  wohl  die  Klassen  aller  der  Schulen, 
welche  die  Kinder  nur  bis  zum  14.  Lebensjahre  behalten. 
Für  solche  Schulen  uniforme  Belehrungen  über  geschlecht- 
liche Dinge  zu  verlangen,  halte  ich  für  verkehrt,  un- 
psychologisch, ja  gefahrlich.  Nicht  alle  Kinder  heischen 
eben  dieselbe  Vertraulichkeit,  dieselbe  Behandlung.  Weil 
also  Berücksichtigung  der  Individualität  auf  diesem  Ge- 
biete notwendiger  ist  als  bei  jeder  anderen  Belehrung,  so 
muß  ich  mich  entschieden  gegen  alle  schon  unter- 
nommenen  oder  noch   zu   machenden  Versuche  wenden, 

FId.  Mag.  815.    Schramm,  Soxuello  AnfklärnngBo.  2 


—     18     — 

derartige  Belehrungen  in  methodischem  Aufbau,  im  Lehr- 
plan  dem  naturgeschichtlichen  Sto£f  eingegliedert,  zu  bieten, 
57ie  es  Maria  Lischnewska^)  und  Barbara  Polowxow^) 
in  Petersburg  belieben. 

Ist  irgendwo  gelegentliche  Belehrung  unter  Berück- 
sichtigung der  Individualität  am  Platze,  dann  auf  ge- 
schlechtlichem Gebiete.  Die  Konsequenz  dieser  Erkenntnis 
muß  aber  die  Ablehnung  jeglichen  Klassen  Unterrichtes  in 
Bezug  auf  sexuelle  Belehrungen  sein. 

Solch  gelegentliche  Belehrungen  können  nicht  früh 
genug  einsetzen.  Vor  allem  sollte  man  von  allem  An- 
fange an  Kinder,  und  seien  sie  noch  so  klein,  mit  dem 
Storch-  und  Engelsmärchen  verschonen.  Kinder  werden 
sich  mit  der  Antwort:  »Dein  Schwesterchen  ist  geboren 
worden«  ebenso  bescheiden  wie  mit  der  Storchgeschichte. 
Es  braucht  uns  nicht  zu  bangen,  in  den  Belehrungen 
schon  etwas  weiter  zu  gehen,  so  lange  der  Geschlechts- 
trieb noch  ruht;  denn  in  diesem  Falle  steht  das  Kind 
dem  Stoff  noch  unbefangen  gegenüber,  es  fehlt  der  an- 
geschlagenen Saite  noch  die  Resonanz. 

Prof.  Forel  sagt:  »In  der  Erziehung  seiner  Kinder 
pflegt  der  Mensch  immer  wieder  den  gleichen  Fehler  zu 
machen,  nämlich  seine  Gefühle  in  das  Kind  hinein  un- 
bewußt zu  verlegen.  Dasjenige,  was  einen  Erwachsenen 
sexuell  reizt,  läßt  ein  sexuell  unreifes  Kind  vollständig 
indifferent.  Man  kann  daher  in  einer  gewissen  Weise 
sehr  gut  mit  ihm  darüber  sprechen,  und  es  ihm  bekannt 
geben,  ohne  es  sexuell  zu  reizen.  Im  Gegenteil,  dadurch, 
daß  das  Kind  sich  daran  gewöhnt,  in  harmloser  Weise 
sexuelle  Verhältnisse  und  Dinge  als  etwas  Natürliches 
zu  betrachten,  werden  seine  Neugierde  und  sein  Erotisraus 
später  viel  weniger  dadurch  erweckt,  weil  sie  den  Reiz 
der  Neuheit  verloren  haben.« 


^)  M,  Lischnewska^  Die  geschlechtliche  Belehrung  der  Kinder. 
Frankfurt  a.  M.,  1906. 

')  B.  Poloirxow,  Die  sexuelle  Frage  in  der  Erziehung  des  Kindes. 
Leipzig,  1905. 


—     19     — 

Man  wird  dem  Kinde  sexuelle  Belehrungen  nicht 
aufdrängen,  wohl  aber  soll  man  derartigen  Fragen  nicht 
ausweichen,  oder  noch  viel  weniger  ein  ahnungsloses 
Kind  wegen  der  Schamlosigkeit  solcher  Fragen  anfahren 
und  abweisen.  Wir  brauchen  uns  dann  nicht  zu  wundern, 
wenn  sich  das  Kind  anderswo  Rat  holt.  Man  beginne 
also  lieber  etwas  zu  früh,  als  zu  spät,  ehe  etwa  »ein 
anderer  eine  Karikatur  mit  hartem  Stift  einkratzt,  die 
vollständig  zu  entfernen  dir  und  deinem  Kinde  schwer 
fallen  dürfte«. 

Eins  aber  ist  sicher;  der  Pubertät  und  der  so  gefähr- 
lichen Übergangszeit  dazu  müssen  Aufklärungen  vorauf- 
gegangen sein.  Weiß  denn  sonst  das  Kind,  was  kommt 
und  warum  es  kommt,  welche  Versuchungen  ihm  nahen? 
Weiß  es  sonst,  daß  von  dieser  Zeit  sein  späteres  Leben, 
ja  das  Wohl  und  Wehe  seiner  Nachkommen  abhängt? 
Hier  das  Kind  ohne  belehrende  Aufklärung  lassen,  heißt, 
es  in  gebrechlichem  Fahrzeug  ohne  Steuermann  dem 
Ozean  anvertrauen. 

Bjömson  ist  derselben  Anschauung,  wenn  er  schreibt: 
»Erfahre  ich  schon  in  früher  Jugend,  aus  welchen  Ele- 
menten mein  Körper  besteht  und  wie  er  arbeitet;  weiß 
ich,  wie  ich  ihm  schaden  oder  nützen  kann  —  ja,  nicht 
bloß  mir  selbst,  sondern  auch  denen,  welchen  ich  der- 
einst das  Leben  gebe  und  die  von  mir  abhängig  werden  — , 
80  ist  dieses  mein  Wissen  nicht  bloß  mein  zuverlässiger 
Wächter,  es  verleiht  mir  in  der  Regel  auch  den  Willen, 
ihm  Folge  zu  leisten.  Nichts  weckt  stärker  das  Gefühl 
der  Verantwortlichkeit,  als  die  Einsicht  in  die  Natur  der 
Dinge.    Aber  das  Wissen  darf  nicht  zu  spät  kommen.« 

Nicht  unterlassen  werden  darf  es  nach  meiner  Meinung 
auch,  die  Jünglinge,  bevor  sie  ins  Leben  treten,  noch- 
mals auf  die  großen  Gefahren  des  Geschlechtslebens  hin- 
zuweisen. Vorbildlich  schwebt  mir  da  vor,  was  man  in 
Frankfurt  a.  M.  und  Dresden  bereits  praktisch  erprobt 
hat  Die  Abiturienten  der  höheren  Schulen  werden  unter 
Zugegensein   der  Väter,   der  Lehrerkollegien   von  Ärzten 

2* 


—     20     — 

und  Pädagogen  auf  die  ihnen  auf  sexuellem  Gebiete 
drohenden  Gefahren,  besonders  über  die  Geschlechtskrank- 
heiten unterrichtet  und  in  liebevoll  väterlicher  Weise  ei^ 
mahnt.  Sollte  sich  ähnliches  nicht  auch  mit  den  Jüng- 
lingen der  unteren  Volksklassen,  vielleicht  mit  den  ab- 
gehenden Fortbildungsschülern,  den  angehenden  Gesellen 
und  Handlungsgehilfen,  ermöglichen  lassen?  Wenn  auch 
nur  bei  einem  Zehntel  aller  Belehrten  die  Aufklärung  auf 
fruchtbaren  Boden  fiele,  es  wäre  doch  unendlich  viel  ge- 
wonnen. 

V. 

Ich  komme  nun  zu  der  sehr  wichtigen  Frage:  »Wer 
BoU  diese  Belehrungen  geben?«  Ich  antworte  darauf  zu- 
nächst mit  Björnson:  »Derjenige,  der  des  Kindes  Ver- 
trauen hat.«  Es  heißt  diesbezüglich  in  Thomas  Reiidalen: 
»Alle  Erziehung,  welche  in  dieser  Hinsicht  etwas  leisten 
will,  setzt  als  unumgänglich  notwendige  Bedingung  den 
Grundsatz  auf:  volles  Vertrauen  zwischen  Kind  und  Eltern. 
Jedenfalls  zwischen  Kind  und  Mutter,  oder,  um  meinen 
ganzen  Gedanken  auszudrücken:  zwischen  dem  Kinde  und 
dem,  der  sich  sein  größtes  Vertrauen  erworben  hat.  Und 
yermag  das  weder  Mutter  noch  Vater,  was  ja  leicht  der 
Fall  sein  kann,  so  schafft  jemand,  der  des  Kindes  Ver- 
trauen gewinnt!     Das  ist  unbedingt  notwendig.« 

In  der  Kinderzeit  haben  entschieden  in  erster  Linie 
Vater  und  Mutter  die  Pflicht,  in  sexueller  Beziehung  dem 
Kinde  auf  entsprechende  Fragen  Aufklärung  zu  geben, 
oder,  wenn  sexuelle  Verirrungen  vorliegen,  in  liebevoU 
väterlicher  oder  mütterlicher  Weise  zu  warnen  und  den 
Ursachen  der  Verfehlung  nachzugehen.  All  dies  ist  in 
erster  Linie  Elternpflicht;  denn  sie  kennen  ihr  Kind  am 
genauesten,  zu  ihnen  hat  das  Kind  das  größte  Vertrauen. 

Freilich  gebe  ich  gern  zu,  daß  ein  großer  Teil  der 
Eltern  dazu  nicht  im  stände  ist,  da  ihnen  der  dazu  nötige 
Takt,  oft  vielleicht  auch  die  sittliche  Reife  fehlt.  In  solchen 
Fällen  haben  andere,  die  auch  des  Kindes  Vertrauen  be- 


~     21     — 

sitzen,  die  Pflicht  zu  reden.  Pflicht  des  Lehrers,  der 
Lehrerin,  des  Schularztes  ist  es,  dann  einzugreifen  und 
solche  gefährdeten  Kinder  nicht  zu  strafen,  nein,  in  liebe- 
voll väterlicher  Weise  zu  belehren,  aufzuklären. 

In  Bezug  auf  solch  sexuelle  Perversitäten  gilt  es  auch 
für  die  Pädagogik  immer  mehr,  sich  einen  modernen 
Grundsatz  der  Medizin  zu  eigen  zu  machen,  nämlich 
prophylaktisch  zu  wirken,  ein  Punkt,  auf  den  ich  im 
letzten  Teil  der  Arbeit  noch  zu  sprechen  komme. 

Bei  aller  Aufklärung  kommt  es  aber  vor  allem  darauf 
an,  dem  Einde  durch  den  Ton  der  Rede,  durch  das  ganze 
Benehmen  zu  zeigen,  daß  es  sich  um  etwas  ganz  Natür- 
liches handelt.  Gegen  lehrplanmäßige  Behandlung  auch 
der  intimsten  geschlechtlichen  Angelegenheiten,  der  Ge- 
schlechtsteile usw.  im  Anschluß  an  den  naturkundlichen 
Unterricht  ä  In  Li^clmewslca  habe  ich  mich  schon  aus- 
gesprochen; möchten  wir  vor  einer  derartigen  Bereiche- 
rung unseres  naturgeschichtlichen  Stoffes  verschont  bleiben. 

Sollten  die  Eltern  in  falscher  Scham  es  nicht  über  sich 
bringen^  natürlich  und  ofien  über  Natürliches  mit  denen, 
welche  sie  gern  vor  dem  kleinsten  Übel  behüten  möchten, 
zu  sprechen,  nun,  so  bitte  man  den  Hausarzt  darum,  er 
kann  kraft  seines  Amtes,  ohne  befürchten  zu  müssen,  das 
Schamgefühl  zu  verletzen,  dem  Kinde  sagen,  was  ihm  zu 
wissen  frommt.  Leider  geschieht  dies  heutzutage  noch 
bedauerlich  wenig.  Mehrere  ältere,  erfahrene  Ärzte  er- 
klärten mir,  daß  noch  nie  derartige  Aufforderungen  von 
Eltern  an  sie  herangetreten  seien.  Ich  sehe  hierin  auch 
ein  Gebiet,  auf  dem  sich  der  Schularzt  betätigen  kann. 

Den  Eltern  kann  es  in  Elternabenden  und  durch  Vor- 
träge in  aller  Art  Vereinen  nicht  oft  und  ernstlich  genug 
gesagt  werden,  daß  sie  die  Pflicht  haben,  besonders  in 
der  Übergangszeit,  ihren  Kindern  helfend  und  beratend 
zur  Seite  zu  stehen. 

Björnson  läßt  Thomas  Rendalen  sagen :  »Meine  Mutter, 
die  ich  wohl  eine  erfahrene  Erzieherin  nennen  darf,  wird 
bezeugen,  daß  im  Übergangsalter  die  meisten  auf  Abwege 


—     22     — 

geraten,  weil  sie  ihre  Offenheit  und  zum  Teil  auch  ihren 
Fleiß,  ihren  Ordnungssinn  einbüßen.  Es  schleicht  sich 
etwas  Fremdes  in  das  kindliche  Oemüt  Und  diese  Wand- 
lung ist  nicht  eine  Ausnahme,  ist  die  Regel.« 

Daß  neben  Ärzten  vor  allem  die  Pädagogen  berufen 
sind,  solche  Vorträge  zu  übernehmen,  brauche  ich  wohl 
nicht  besonders  zu  begründen. 

Werden  auch  die  angehenden  Gesellen,  Handlungs- 
gehülfen,  die  abgehenden  Schüler  höherer  Lehranstalten 
so  belehrt,  wie  man  es  in  Frankfurt  a.  M.,  Dresden  schon 
getan,  eine  praktische  Betätigung,  die  sich  die  Sittlich- 
keitsvereine vor  allem  zur  Pflicht  machen  sollten,  wird 
man  auch  noch  einen  Weg  gefunden  haben,  mit  der- 
artigen sexuellen  Aufklärungen  an  die  heranwachsenden 
Mädchen  heranzukommen,  dann  ist  zu  hoffen,  daß  die 
nächste  und  übernächste  Generation  jene  falsche  Scheu, 
die  Kinder  offen  und  natürlich  über  Natürliches  auf- 
zuklären, nicht  mehr  kennt.  Aber  es  gilt  einen  Kampf 
mit  tief  eingewurzelten  Vorurteilen. 

VI. 

Über  das  Maß  der  zu  bietenden  Aufklärung  gehen 
die  Meinungen  noch  weit  auseinander.  Ich  habe  mich 
schon  als  Gegner  jeder  schematischen  Belehrung  auf 
diesem  Gebiete  zu  erkennen  gegeben.  Ich  will  jedoch 
nicht  unterlassen,  einen  solchen  veröffentlichten  Lehrgang 
hier  kurz  zu  skizzieren,  um  meinen  ablehnenden  Stand- 
punkt zu  begründen. 

Maria  lAschnewsha  beginnt  bei  dem  8jährigen  Kinde 
damit,  die  Fortpflanzungsorgane  eines  Herings  —  Eier 
und  Milch  —  zu  zeigen  und  von  der  Befruchtung  des 
Fisches  zu  sprechen.  So  soll  also  schon  hier  über  Außen- 
befruchtung unterrichtet  werden.  Da  die  Kinder,  am 
Küchentisch  stehend,  beim  Ausnehmen  der  Gans  deren 
Eierstock  gesehen,  steht  sie  nicht  an^  hier  zu  erklären, 
daß  die  Befruchtung  des  Eies  im  Leibe   der  Henne   ge- 


—     23     — 

ficheben  müsse,  da  ja  die  Eier,  Dacbdem  sie  gelegt  sind, 
harte  Schalen  haben,  und  der  Same  dann  nicht  mehr  ein- 
dringen könne.  Dies  erklärt  sie  mit  den  Worten:  »Das 
Männchen,  der  Hahn,  hat  wieder  die  schöne  weiße  Milch 
im  Leibe,  die  man  den  Samen  nennt,  gerade  wie  der 
Hering.  Der  Hahn  hat  aber  auch  eine  Warze  am  Hinter- 
leibe, die  drückt  er  fest  an  den  Leib  der  Henne  und 
spritzt  den  Samen  hinein.  Der  Same  fließt  auf  den  Eier- 
stock, und  die  Befruchtung  ist  geschehen.« 

Dies  ist  nach  der  Verfasserin  Ansicht  zwar  »noch 
nicht  wissenschaftlich  völlig  erschöpfend ,  aber  genügend, 
um  den  biologischen  Vorgang  in  großen  Zügen  zu  er- 
kennen«. 

Auf  die  wichtige  Frage:  »Wo  kommen  die  kleinen 
Kinder  her?«  soll  auf  dieser  Stufe  etwa  in  folgender 
Weise  geantwortet  werden:  »Das  Kind  liegt  im  Leibe 
der  Mutter.  Wenn  sie  atmet,  dann  atmet  es  auch;  wenn 
sie  ißt  und  trinkt,  bekommt  es  auch  seine  Speise.  Es 
liegt  da  warm  und  sicher.  Allmählich  wird  es  größer 
und  bewegt  sich.  Es  muß  sich  auch  ein  bißchen  krumm 
legen,  weil  es  da  drinnen  so  eng  ist.  Endlich  ist  es 
ausgewachsen.  Der  Leib  der  Mutter  öffnet  sich,  und  das 
Kind  kommt  ans  Licht.«  Zum  Schluß  wird  ein  Bild, 
welches  bei  zurückgeschlagener  Bauchdecke  das  Kind  im 
Mutterleibe  zeigt,  vorgeführt. 

Das  vierte  Schuljahr  soll  die  weitere  Anwendung  der 
bisher  gewonnenen  Erkenntnisse  in  Bezug  auf  die  Fort- 
pflanzung der  Pflanzen,  Fische  und  Vögel  übernehmen. 

Im  5.  und  6.  Schuljahre  soll  anschließend  an  die  Be- 
sprechung des  Rindes  der  Begattungsvorgang  bei  den 
Säugetieren  sowie  die  Darstellung  der  embryonalen  Ent- 
wickelung  des  Säugetieres  zum  Verständnis  gebracht 
werden.  Das  Glied  des  männlichen  Tieres,  die  Scheide 
des  weiblichen  werden  genannt  und  in  Zeichnungen  ver- 
anschaulicht. An  einem  Durchschnitt  des  Leibes  der 
Kuh  werden  Gebärmutter,  Eierstock  gezeigt  und  Zweck 
und  Bedeutung  dieser  weiblichen  Geschlechtsorgane  sowie 


—     24     — 

der  Oani^,  den  der  Same  des  Männchens  nimmt,  erklärt 
Anschließend  daran  wird  von  der  schmerzhaften  Geburt 
gesprochen,  und  der  Übergang  zum  Menschen  geschieht 
mit  den  Worten:  »So  wie  das  Kalb  in  der  Kuh,  ent- 
wickelt sich  das  Kind  im  Mutterleibe.«  Es  folgen  Dar- 
stellungen des  Embryos  und  im  Anschluß  an  dieselben 
eine  Geschichte  seiner  Entwickelung. 

Da  im  13.  und  14.  Lebensjahre  die  Zeit  der  körper- 
lichen Reife  naht  resp.  eintritt,  soll  das  Kind  jetzt  im  7. 
und  8.  Schuljahr  zur  Klarheit  über  seinen  eigenen  Leib 
gelangen.  Es  soll  die  Funktionen  und  Bedeutung  seiner 
Geschlechtsorgane  jetzt  kennen  lernen.  Verfasserin  ist 
der  festen  Überzeugung,  daß  die  Kinder  durch  alles 
Vorhergegangene  zu  einer  »unbefangenen,  naturwissen- 
schaftlichen, von  Ehrfurcht  getragenen  Anschauung  der 
geschlechtlichen  Funktionen  erzogen  sind«.  So  soll  denn 
hier  auch  die  naturwissenschaftliche  Belehrung  mit  aller 
Offenheit  und  Wahrheit  einsetzen.  Zeichnungen  ver- 
anschaulichen die  männlichen  und  weiblichen  Geschlechts- 
organe, also  die  Gebärmutter  mit  dem  Eierstocke,  den 
Innern  Bau  des  männlichen  Gliedes  und  die  Hodensäcke. 
In  epischer  Breite  will  sie  dann  auch  noch  vom  Miß- 
brauch der  Geschlechtsorgane  gesprochen  wissen  und  das 
alles,  ich  betone  dies  besonders,  im  Klassenunterricht. 

Nach  einem  ähnlichen  Lehrgang  hat  Barbara  Polowxcnv 
in  einer  der  führenden  Schulen  in  St.  Petersburg,  in  der 
auch  zum  1.  Male  der  Versuch  der  Koedukation  angestellt 
worden  war,  Knaben  und  Mädchen  gemeinsam  über 
sexuelle  Vorgänge  aufgeklärt  und  berichtet  darüber  und 
über  gute  Erfolge,  die  sie  erzielt,  in  der  naturwissen- 
schaftlichen Monatsschrift:  »Natur  und  Schule«. 

Diese  Proben  der  Rufer  im  Streit,  der  Stürmer,  mögen 
genügen.  Ich  bezweifele  nicht  einen  Augenblick  die  wohl- 
gemeinte Absicht  der  Verfasserinnen,  durch  diese  Vor- 
schläge und  praktischen  Arbeiten  den  Gedanken  sexueller 
Aufklärung  fördern  zu  helfen.  Man  wird  mir  aber  bei- 
stimmen,  wenn  ich  behaupte:    Weniger  wäre  hier  auch 


—     25     — 

mehr  gewesen.  Der  an  sich  gute  Gedanke  wird  durch 
derartig  tiberspannte  Forderungen  nicht  gefördert,  höch- 
stens geschädigt  und  in  Mißkredit  gebracht. 

Es  geht  eben  diesem  Gedanken  auch  wie  allen  neuen 
Ideen:  sie  werden  übertrieben;  man  fällt  aus  einem 
Extrem  ins  andere.  Was  sollen  denn  all'  die  breiten 
Erörterungen  über  äußere  und  innere  Geschlechtsteile,  die 
höchstens  den  mächtig  erwachenden  Geschlechtstrieb  13- 
j&hriger  Knaben  und  Mädchen  noch  mehr  anreizen.  Da- 
durch wird  nicht  ein  einziges  Kind  von  sexuellen  Ver- 
irrungen  zurückgehalten.  Wer  hätte  bei  obigen  Aus- 
führungen nicht  an  das  Wort  des  Heilandes  gedacht: 
»Ich  habe  euch  noch  viel  zu  sagen,  ihr  könnt  es  aber 
jetzt  noch  nicht  tragen.« 

Sehr  richtig  sagt  in  dieser  Beziehung  der  Kinder-  und 
Schularzt  Dr.  R.  Flachs  in  Dresden:  »Zuerst  möchte  ich 
betonen,  daß  es  grundfalsch  wäre,  dem  Kinde  eine  Art 
von  Abhandlung  über  die  Geschlechtsorgane  und  deren 
Bedeutung  zu  geben.  Nichts  wäre  verkehrter,  als  von 
Sachen  sprechen,  die  das  kindliche  Verständnis  nicht 
fassen  kann.  Nichts  ist  erfolgloser,  ja  schädlicher,  als 
Winke  zu  geben,  welche,  so  gut  sie  auch  gemeint  sind, 
ihren  Zweck  nicht  erreichen  können,  da  die  Voraus- 
setzungen vollständig  fehlen,  die  zu  einer  richtigen  Auf- 
fassung notwendig  sind.c 

vn. 

Was  soll  nun  in  besagter  Angelegenheit  seitens  der 
Schule  geschehen?  Ich  komme  damit  zu  dem  letzten 
und  wichtigsten  Teile. 

Wenn  ich  mich  auf  den  Standpunkt  gestellt  habe,  daß 
geschlechtliche  Belehrung  im  schulpflichtigen  Alter  in 
erster  Linie  eine  Pflicht  der  Eltern  sei,  so  habe  ich  da- 
mit nicht  sagen  wollen,  daß  die  Schule  bei  Erziehung 
zu  höherer  geschlechtlicher  Sittlichkeit  überhaupt  nichts 
zu  tun  habe,  und  daß  Aufklärung  das  einzige  Mittel  sei, 
am  dazu  zu  erziehen. 


—     26     — 

Der  Geschlechtstrieb  ist  wohl  nach  dem  ErnähruDgs- 
trieb  der  mächtigste  im  Menschen  und  ihn  unterdrücken 
und  bekämpfen,  wie  es  die  finstere  Askese  des  Mittel- 
alters beliebte^  hieße  gegen  die  Natur  ankämpfen,  so  daß 
schon  Luther  in  seiner  Opposition  gegen  Klöster  und 
geistliche  Orden  sehr  richtig  sagt:  »Wer  dem  Naturtrieb 
wehren  will,  was  tut  er  anders,  denn  er  will  wehren, 
daß  Natur  nicht  Natur  sei,  daß  Feuer  nicht  brenne, 
Wasser  nicht  netze,  der  Mensch  nicht  esse,  noch  trinke, 
noch  schlafe.« 

Wenn  also  allgemein  bekannt,  daß  die  Stärke  des 
Sexualtriebes  ganz  außerordentlich  ist,  so  daß  ihn  Schopert- 
hauer  »die  vollkommenste  Äußerung  des  Wollens  zum 
Leben,  mithin  Konzentration  alles  Wollens  nennt«,  so  ist 
gar  nicht  zu  verstehen  und  streng  genug  zu  verurteilen, 
wenn  Bebet  in  seinem  Buche  von  der  Frau  predigt,  »daß 
es  ein  Gebot  des  Menschen  gegen  sich  selbst  sei,  kein 
Glied  seines  Körpers  in  der  Übung  zu  vernachlässigen, 
keinem  natürlichen  Triebe  seine  Befriedigung  zu  versagen«. 
Solche  Sprache  kann  doch  nur  nachteilige  Folgen  zeitigen. 
So  gewiß  wir  den  Sexualtrieb  nicht  ertöten  wollen,  so 
wenig  kann  ein  Einsichtiger  wünschen,  daß  die  so  wie 
so  schon  oft  ungezügelten  geschlechtlichen  Leidenschaften 
noch  mehr  entfesselt  werden. 

Die  Entwickelung  des  Geschlechtstriebes  läuft  der 
körperlichen  Pubertätsent Wickelung  parallel.  Von  allen 
Organen  ist  das  Geschlechtsorgan  dasjenige,  das  sich  am 
spätesten  entwickelt.  Vor  der  Entwickelung  des  Organs 
fehlt  auch  nahezu  jede  Äußerung  des  Geschlechtstriebes, 
und  somit  sind  bis  dahin  auch  dem  Kinde  alle  mit  dem 
Triebe  sich  einstellenden  sinnlichen  Gefühle  fremd;  denn 
die  physische  Entwickelung  ist  ja  die  Ursache  des  Ge- 
fühls. Nach  Fvot  Ziehen  beginnt  die  Pubertätsentwickelung 
in  Deutschland  meist  im  14.  oder  15.  Lebensjahr  bei  den 
Mädchen,  im  15.  oder  16.  Lebensjahr  bei  den  Knaben. 
Zuweilen  beginnt  sie  auch  im  13.,  12.  und  ganz  aus- 
nahmsweise  schon   im    11.   Lebensjahre,   ohne   daß    man 


—     27     — 

dabei  stets  von  krankhafter  VeranlaguDg  sprechen  könnte. 
Oft  ist  jedoch  auch  ein  verfrühtes  Auftreten  des  Geschlechts- 
triebes  zu  beobachten  und  zwar  auf  Grund  vorzeitiger 
Beschäftigung  der  Phantasie  mit  sexuellen  Yorgäogen 
oder  infolge  körperlicher  Reize. 

Wie  erklären  wir  uns  nun  die  Entfesselung  dieses 
Triebes?  Hören  wir  hierüber  Dr.  Hegar  in  seiner  sozial- 
wissenschftlichen  Studie  über  den  Geschlechtstrieb.  Er 
sagt  dort:  »Der  Begattungstrieb  wird  in  erster  Linie  durch 
die  Tätigkeit  der  Geschlechtsorgane,  vor  allem  der  Keim- 
drüsen, hervorgerufen,  indem  der  von  ihnen  ausgehende 
Beiz,  zum  Gehirn  geleitet,  die  Begierde  auslöst.  Allein 
der  ursprüngliche  Reiz  kann  auch  von  anderen  Körper- 
teilen ausgehen.  Eindrücke  verschiedener  Art,  welche  die 
äußere  Haut,  die  Schleimhäute,  das  Ohr,  die  Geschmacks- 
werkzeuge, besonders  aber  das  Geruchsorgan  oder  das 
Auge  treffen,  können  gerade  so  wirken,  wie  die  vom 
Sexualapparat  entspringenden  Erregungen.  Nur  werden 
die  Beize  zunächst  zum  Gehirn  geführt  und  gehen  von 
da  zu  den  Geschlechtsorganen,  welche  dann  nachträglich 
in  erhöhte  Funktion  gesetzt  werden.  Vorstellungen  und 
Gedanken  durch  Lektüre  oder  Gespräch  hervorgerufen 
oder  scheinbar  ohne  Anlaß  im  Gehirn  auftauchende  Er- 
innerungsbilder geben  nicht  selten  den  ersten  Anstoß,  c 

Ziehen  wir  nun  aus  diesen  physiologisch  -  psycho- 
logischen Darlegungen  die  Konsequenzen. 

Wir  haben  gesehen,  daß  das  Centralnervensystem  in 
hohem  Grade  bei  dem  Entstehen  und  dem  Ablauf  unseres 
Geschlechtstriebes  beteiligt  ist.  Glücklicherweise  ist  sein 
Einfluß  nicht  nur  fördernd,  sondern  auch  hemmend. 
Während  wir  also  auf  der  einen  Seite  verhindern  müssen, 
daß  gewisse  Beize  entstehen  und  weitergeleitet  werden, 
daß  bestimmte  Vorstellungen  und  Gedanken  in  dem  Ge- 
hirn der  uns  anvertrauten  Kinder  entstehen,  so  darf  es 
andrerseits  nicht  versäumt  werden,  dem  Kinde  einen 
festen  Willen  anzuerziehen,  um  unmittelbar  erotische  Er- 
regungen niederkämpfen  zu  können. 


—     28     — 

Mittelbar  können  wir  also  auch  in  der  Schule  auf  den 
Geschlechtstrieb  einwirken,  indem  wir  sinnliche  Begierden 
hervorrufende  Reize  vermeiden  und  durch  andere  Tätig- 
keiten das  zu  frühe  Erwachen  des  Oeschlechtstriebes  ver- 
hindern. 

Hierbei  muß  ich  zunächst  des  schweren  Vorwurfe  ge- 
denken, den  man  der  Schule  damit  macht,  daß  sie  mit 
ihren  zu  hoch  geschraubten  Ansprüchen  an  die  Nerven- 
kraft  der  Kinder  die  Hauptschuld  trägt  an  dem  Leiden 
der  Selbstbefleckung,  an  dem  nach  Aussage  unserer  Ärzte 
die  Mehrzahl  der  deutschen  Kinder  krankt.  Dies  spricht 
Luduig  Ourliti  mit  gewohnter  Offenheit  in  seinem  neue- 
sten Buche  »Erziehung  zur  Mannhaftigkeit«  aus  und  be- 
gründet es  mit  dem  langen  Sitzen  auf  harten  Bänken, 
mit  der  geistigen  Erschöpfung  und  Überreizung  infolge 
zu  langer  geistiger  Arbeit.  Man  muß  Ourlitt  entschieden 
recht  geben;  denn  durch  langes,  andauerndes  Sitzen  wird 
der  Blutandrang  nach  dem  Unterleibe  und  nach  den 
Sexualorganen  gesteigert.  Die  Gefahr  der  Reizung  der- 
selben ist  aber  groß,  da  sie,  sehr  oft  mit  Wollustgefühlen 
verbunden,  nicht  selten  zur  Selbstbefleckung  führt. 

Hier  heißt  es  einhaken,  wenn  wir  das  zu  frühe  Er- 
wachen des  Oeschlechtstriebes  verhindern  wollen.  Die 
zwei  (resp.  drei)  Stunden  Turnen  sind  kein  genügendes 
Gegengewicht  gegen  das  stundenlange  Sitzen.  Zu  täg- 
lichem Turnen  müssen  an  den  von  wissenschaftlichen 
Unterricht  frei  zu  haltenden  Nachmittagen  reichlich  Spiel, 
Sport,  Schwimmen  und  Bäder  treten.  Ich  stimme  Gurlitt 
zu,  wenn  er  diesbezüglich  eine  starke  Wirkung  erwartet 
von  Waldschulen,  Landerziehungsheimen,  großen  öffent- 
lichen Spielplätzen,  häufiger  Verlegung  des  Unterrichts  ins 
Freie,  eingeschränkter  Stundenzahl,  körperlicher  Arbeit  im 
Freien,  allerlei  maßvoll  betriebenem  Sport,  zumal  kalten 
Bädern,  Schwimmen,  Rudern,  regelmäßig  wiederkehrenden 
Kinderfesten  mit  Wettspielen,  Wettturnen,  Massengesang  — 
mit  einem  Worte:  von  Steigerung  des  Schaffenstriebes  und 
damit  Steigerung  der  Lebensfreude  und  des  Selbstbewußt- 


—     29     — 

Beins.  Was  wäre  es  dagegen  für  ein  kleiner  Schade,  wenn 
vielleicht  dies  oder  jenes  Unterrichtsziel  etwas  herab- 
gedrückt würde.  Es  kann  doch  nicht  genug  betont  wer- 
den: y>Qiii  proßcü  in  Uttcris,  sed  deficit  in  moribus^ 
plus  deficit  quam  proficit<i:  »Wer  im  Wissen  voran- 
kommt, in  den  Sitten  aber  zurück,  hat  mehr  Schaden  als 
Vorteil.«  Derartig  prophylaktisch  wirkende  Mittel  haben 
meiner  Meinung  nach  unendlich  mehr  Wert  als  die  besten 
Lektionen  über  die  Geschlechtsteile  und  deren  Mißbrauch. 

Wir  können  ferner  unmittelbar  einer  zu  frühen  Er- 
regung des  Geschlechtstriebes  entgegenwirken,  indem  wir 
die  Lektüre  unserer  Kinder  und  Schüler  beaufsichtigen. 
Wie  oft  wird  nicht  schon  jahrelang  vor  Eintritt  der 
Pubertät  durch  schmutzige  Literatur  das  geschlechtliche 
Empfinden  viel  zu  früh  geweckt  Die  Lektüre  eines 
solchen  Buches,  das  Betrachten  eines  einzigen  Bildes  ge- 
nügt oft,  um  ein  Kind  zu  vergiften.  Ein  rechter  Erzieher 
muß  sich  deshalb  in  den  Reihen  derer  befinden,  welche 
die  Schmutzliteratur  bekämpfen.  Nicht  unerwähnt  lassen 
kann  ich  bei  dieser  Gelegenheit,  daß  gewisse  Stellen  der 
Bibel,  vor  allem  solche  des  alten  Testamentes,  auch  Ver- 
anlassung zur  Erregung  des  sexuellen  Empfindens  geben, 
also  eine  Gefahr  bieten,  die  um  so  größer  ist,  da  die 
heilige  Schrift,  von  vielen  Schulmännern  leider  noch  immer 
als  Schulbuch  verlangt,  so  weit  verbreitet  ist.  Wano 
werden  wir  endlich  allgemein  eine  Schulbibel  resp.  ein 
biblisches  Lesebuch  bekommen! 

Verwahren  will  ich  mich  jedoch  entschieden  dagegen, 
als  wollte  ich  mit  den  letzten  Ausführungen  der  Prüderie 
das  Wort  reden.  Nichts  liegt  mir  ferner  als  dies.  Im 
Gegenteil  ist  vom  ersten  Schuljahr  an  Sorge  dafür  zu 
tragen,  daß  die  Kinder  lernen,  natürlich  über  natürliche 
Dinge  zu  denken.  Den  mittelalterlichen  Standpunkt,  dafi 
sexuelles  Empfinden,  der  Geschlechtstrieb  tierisch,  satanisch 
und  deshalb  sündhaft  sei,  daß  man  Ausdrücke  wie  ge- 
bären, Geburt,  Liebe  usw.  am  besten  in  Gegenwart  der 
Kinder  vermeide,  diesen  Standpunkt,  meine  ich,   müßte 


—     30     — 

die  Schule  endgültig  verlassen.  Es  gilt,  die  Prüderie,  die 
jetzt  in  manchen,  besonders  Mädchenschulen,  geradezu  ge- 
züchtet wird,  zu  bekämpfen^  um  Knaben  und  Mädchen 
immun  zu  machen,  daß  man  die  Geschichte  von  Nikodemus 
und  der  Wiedergeburt,  sowie  das  Lied:  »Nun  danket  alle 
Gottc  mit  der  Stelle  »der  uns  von  Mutterleib  und  Eindes- 
beinen an  usw.«  und  ähnliches  mit  seinen  Schülern  und 
Schülerinnen  behandeln  kann,  ohne  befürchten  zu  müssen^ 
den  Erotismus  derselben  zu  erregen. 

Also  weg  mit  allen  verballhorn isierten  Volksliedern, 
die  verwässert  wurden,  damit  ja  nicht  das  Wort  Liebe 
oder  Liebchen  von  den  Schülern  gesprochen  oder  gesungen 
würde.  Sprechen  wir  in  der  Pflanzen-  und  Tierkunde  in 
Zukunft  ruhig  und  ernst  —  das  ist  die  Hauptsache  — 
von  dem  Problem  des  Lebens;  lassen  wir  Zeugung  und 
Fortpflanzung  nicht  absichtlich  weg,  sondern  betonen  wir 
geradezu  dieses  biologische  Moment,  so  haben  wir  in  der 
Schule  nach  meiner  Meinung  das  unsere  getan.  Wir 
haben  grundlegende  Vorstellungen  gegeben,  an  welche 
wir  anknüpfen  können,  wenn  wir  diesem  oder  jenem 
Schüler  sexueller  Verirrungen  halber  in  liebevoll  väter- 
licher Weise  ermahnen  und  warnen  müssen. 

Ein  anderer  wichtiger  Faktor  zur  Lösung  der  uns  be- 
schäftigenden Frage,  zur  Anerziehung  eines  reineren  Emp- 
findens auf  sexuellem  Gebiete,  ist  ein  zu  wünschender 
freierer  Verkehr  zwischen  beiden  Geschlechtern  in  den 
Jugendjahren.  Wodurch  wäre  der  aber  besser  und  leichter 
zu  erreichen  als  durch  die  Koedukation,  die  gemeinsame 
Erziehung  der  Geschlechter  in  der  Schule.  Farel  sagt 
diesbezüglich:  »Nach  meiner  Ansicht  ist  der  gemeinsame 
Unterricht  beider  Geschlechter  ein  Hauptpostulat  dieser 
Reform.  Auf  allen  Seiten  fängt  man  jetzt  auch  an^  zu 
begreifen,  daß  die  gemeinscbaftliche  Erziehung  beider 
Geschlechter  in  den  Schulen  nicht  nur  nichts  schadet, 
sondern  umgekehrt,  sexuell  wie  ethisch  von  Vorteil  ist. 
Man  fürchtet  sexuelle  Reizung.  Das  ist  aber  ein  Irrtum, 
denn  gerade  die  Gewöhnung,  in  tägliche  Berührung  mit- 


—     31     — 

einander  zu  kommen,  nebeneinander  zu  sitzen  usw.,  stumpft 
dieselbe  ab.  Die  verbotene  Frucht  verliert  ihien  Reiz, 
wenn  sie  nicht  mehr  verboten  zu  sein  scheint  und  häufig 
aus  der  Nähe  gesehen  wird.« 

Auch  Fretissen  tritt  ja  bekanntlich  in  seinem  Roman 
»Hilligenlei«  für  diesen  Gedanken  ein.  Kassen  Wedder- 
kop  erzählt  in  fröhlicher  Tafelrunde,  wie  sein  Bruder  sich 
verlobt  und  die  Braut  bald  darauf  8  Tage  im  Elternhaus 
geweilt  habe.  Er  sagt  davon:  »Diese  8  Tage  sind  die 
merkwürdigsten  und  schönstens  meines  Lebens  gewesen. 
Wir  beiden  guten  dummen  Jungen  lernten  in  den  Tagen 
etwas  kennen,  etwas,  wovon  wir  nichts  gewußt  hatten, 
daß  es  existierte,  daß  es  so  etwas  wunderbar  Merk- 
würdiges auf  der  Welt  gäbe.  Was  war  das?  Wir  lernten 
ein  schönes,  junges  Mädchen  kennen,  gesund  an  Leib  und 
Seele,  so  schlicht  und  natürlich,  als  wäre  es  erst  gestern 
von  Gott  geschaffen.  Wir  kannten  von  der  Schule  her, 
wie  viele  verschiedene  Sorten  von  Nashörnern  in  Afrika 
lebten;  und  wir  hatten  gelernt,  was  eine  Oper  ist  und 
eine  überseeische  Handlung,  und  wie  man  eine  Auster 
aufmacht.  Aber  dies  Wesen  war  uns  noch  nicht  vor- 
gekommen. Wir  kannten  es  weder  auswendig  noch  in- 
wendig. Wir  lernten  es  ganz  plötzlich  kennen.«  An 
anderer  Stelle  sagt  derselbe  Kassen  Wedderkop  zu  der 
unglücklichen  Anna  Boje:  »Sieh',  wenn  wir  in  natür- 
lichen Zuständen  lebten,  dann  würdest  du  immer  von  den 
Tagen  deiner  Kindheit  an,  von  jungen  Leuten  des  anderen 
Geschlechts  umgeben  gewesen  sein.« 

Ähnlich  preist  auch  Wolfgang  Kirchbach  in  seinem 
Aufsatze  *  Geschlechtererziehung«  die  gemeinsame  Er- 
ziehung der  Geschlechter  als  »die  zarteste  Schule  des 
sittlichen  und  sinnlichen  Lebens«. 

Ich  stimme  dem  allen  aus  eigener  Erfahrung  zu. 
Nicht  nur,  daß  die  geistige  Arbeit  vom  Sinnlichen  ab- 
zieht, das  tägliche  Zusammenleben  in  der  Schule  wirkt 
abstumpfend  auf  geschlechtliche  Reize,  wie  wir  dies  bei 
Bruder  und  Schwester  auch  beobachten  können. 


—     32     — 

Das  wichtigste  jedoch,  um  Äußerungen  des  natürlichen 
Trieblebens  und  somit  auch  des  Geschlechtstriebes  un- 
mittelbar zu  unterdrücken,  scheint  mir  die  Anerziehung 
eines  festen  Willens.  Fangen  wir  deshalb  im  1.  Schul- 
jahre schon  an,  die  Fähigkeit  der  Kinder,  sich  zu  be- 
meistern,  zu  vervollkommnen.  Spiele,  Exkursionen  und 
Schulreisen  mit  ihrem  Hunger  und  Durst,  ihrer  Hitze 
und  Kälte,  ihrem  Leid  und  Mißgeschick  bieten  reichlich 
Gelegenheit  dazu.  Der  Schüler  sieht  hier,  wie  er  wirk- 
lich seiner  Triebe  Herr  sein  kann;  denn  es  gibt  dabei 
oft  Gelegenheit,  den  Willen  anzuregen,  Begierden  und 
Triebe  zu  überwinden,  Herr  über  sich  selbst  zu  werden. 
Da  wehrt  die  Bahnfahrt,  die  gemeinsame  Wanderung,  der 
noch  zu  erreichende  Rast-  und  Herbergsplatz,  ein  un- 
vorhergesehener Aufenthalt,  eine  Störung  des  Marsches, 
Hunger  und  Durst  zu  stillen,  der  Müdigkeit  nachzugeben. 
Die  Strecke  muß  zurückgelegt  werden,  das  Reisegepäck 
muß  getragen,  die  Höhe  muß  erstiegen  werden.  Da  es 
aber  auch  ein  Gedächtnis  des  Willens  gibt,  wird  sich  der 
Schüler  in  ähnlichen  Lagen  der  Überlegenheit  seines 
WoUens,  den  Trieben  und  Leidenschaften  gegenüber,  er- 
innern und  ebenso  handeln.  Er  gelangt  allmählich  zum 
Glauben  an  sich  selbst,  an  die  Kraft  seines  WoUens,  zu 
der  Erkenntnis:  j^Where  is  a  ivill,  there  is  a  way:  Wo 
ein  Wille  ist,  da  ist  auch  ein  Weg.« 

Versäumen  wir  nebenbei  aber  nicht,  im  Unterrichte 
kraftvolle,  willensstarke  und  damit  vorbildliche  Persön- 
lichkeiten zu  zeigen  und  vor  allem  selbst  als  Erzieher 
eine  vorbildliche,  charaktervolle  Lehrerindividualität  zu 
sein.  Bildet  im  Religionsunterricht  das  Lebensbild  Jesu 
Kern  und  Stern,  so  daß  Christi  Denken,  Fühlen  und 
Wollen  in  das  Bewußtsein  der  Schüler  gepflanzt  wird, 
hüten  wir  uns  vor  allem  vor  der  psychologisch  irrigen 
Meinung,  man  könne  durch  frühzeitiges  Auswendiglernen 
der  »zehn  Gebote«  oder  anderer  Moralpredigten  den  Grund 
zu  sittlicher  Bildung  legen,  so  hat  die  Schule  damit  für 
das  schulpflichtige  Alter  das  Beste  getan,  um  einer  vor- 


—     33     — 

zeitigen  Erregung  des  Sexualtriebes   entgegenzuarbeiten, 
um  geschlechtliche  Reize  und  Erregungen  niederzukämpfen. 
Ich  fasse  meine  Ausführungen  noch  einmal  in  folgende 
Sätze  zusammen: 

1.  Die  Gründe  für  die  Forderung  sexueller  Belehrung 
sind  in  der  zunehmenden  Zahl  der  durch  Unkenntnis  der 
Folgen  verschuldeten  unsittlichen  Vergehen  bei  Erwachsenen 
und  Kindern,  in  dem  stärkeren  sozialen  Empfinden  der 
Gegenwart,  der  stärkeren  Betonung  des  biologischen  Prin- 
zips in  den  Naturwissenschaften  sowie  in  der  modernen 
Frauenbewegung  zu  suchen. 

2.  Der  Gedanke,  durch  geschlechtliche  Belehrung  der 
Jugend  eine  höhere  Sittlichkeit  anzuerziehen,  ist  nicht 
neu.  Während  im  Beformationszeitalter  erleuchtete  Geister 
Front  gegen  die  weltvemeinende  Askese  machten,  traten 
nach  dem  Rufe  »Rückkehr  zur  Natur«  Rousseau  und 
seine  Epigonen,  die  Philanthropen,  energisch  für  diesen 
Gedanken  ein,  den  heute  Ärzte  und  Pädagogen,  Juristen 
und  Theologen,  Denker,  Dichter  und  Frauen  gleicherweise 
vertreten. 

3.  Es  ist  unklug  und  unpädagogisch,  geschlechtliche 
Belehrung  der  Jugend  durch  dazu  berufene  Personen  ab- 
zulehnen, da  wir  es  nicht  verhindern  können,  daß  die 
Jugend,  aus  unreinen  Quellen  schöpfend,  trotzdem  über 
sexuelle  Dinge  aufgeklärt  wird,  da  Keuschheit  nicht  Un- 
wissenheit auf  sexuellem  Gebiet,  sondern  die  auf  Grund 
des  Wissens  erworbene  Auffassung  des  Geschlechtsverkehr» 
und  seiner  Folgen  als  eines  reinen  Geschehens  ist. 

4.  Wenn  irgendwo,  so  ist  auf  diesem  Gebiete  Berück- 
sichtigung der  Individualität  und  gelegentliche  Einzel- 
belehrung am  Platze  und  jede  Forderung,  sexuelle  Auf- 
klärung in  methodischem  Aufbau  nach  Vorschrift  des 
Lehrplans  zu  bieten,  abzulehnen.  Man  beginne  so  früh 
als  möglich  mit  diesbezüglichen  Aufklärungen  und  ver- 
säume vor  allem  nicht,  die  in  das  Leben  eintretenden 
Jünglinge  und  Jungfrauen   auf  die  großen  Gefahren   dea 

FId.  Mag.  315.    Schramm,  Sexuelle  Anfkl&niDgea.  3 


—     34     — 

Geschlechtslebens  hinzuweisen,  wie  es  vorbildlich  in  Frank- 
furt a.  M.  und  Dresden  bereits  geschehen. 

6.  Wer  soll  diese  sexuellen  Belehrungen  geben?  Der- 
jenige, der  des  Kindes  Vertrauen  hat,  in  erster  Linie  also 
entschieden  Vater  und  Mutter.  In  Ausnahmefällen,  vor 
allem  wenn  sexuelle  Perversitäten  vorliegen,  kann  auch 
der  Arzt  und  Lehrer  in  liebevoll  väterlicher  Weise  auf- 
klären. Bei  Elternabenden,  durch  Vorträge,  veranstaltet 
vor  allem  von  den  Sittlichkeitsvereinen,  müssen  die  Eltern 
immer  mehr  angeleitet  werden,  ohne  falsche  Scheu  natür- 
lich über  Natürliches  mit  ihren  Kindern  zu  reden. 

6.  Die  Forderung,  durch  Wort  und  Bild  im  Klassen- 
unterricht nicht  nur  von  der  Fortpflanzung  des  Menschen, 
sondern  auch  von  den  geschlechtlichen  Organen  (äußeren 
und  inneren),  deren  Funktion  sowie  Krankheiten  zu  reden, 
ist  als  übertrieben  und  unpädagogisch  abzulehnen. 

7.  Sexuelle  Aufklärung  ist  nicht  das  einzige  und  All- 
heilmittel für  die  Schule,  um  zu  reinerer  geschlechtlicher 
Auffassung  zu  erziehen. 

a)  Die  Schule  kann  dem'  zu  frühen  Erwachen  des  Oe- 
Bchlechtstriebes  und  geschlechtlicher  Selbstbefleckung  ent- 
gegenarbeiten durch 

a)  reichliche,  tägliche,  körperliche  Bewegung  (Spiel, 
Turnen,  Sport,  Schulwanderungen,  Unterricht  im 
Freien,  Schwimmen,  Baden,  Rudern,  Kinderfeste 
mit  Wetttumen  usw.),  durch  Herabsetzung  der 
Lehrziele  und  Verminderung  der  Hausaufgaben ; 

ß)  Beaufsichtigung  der  Lektüre.  Die  Schmutzliteratur 
ist  zu  bekämpfen.  Es  ist  dringend  die  Einführung 
eines  biblisdien  Lesebuches  zu  fordern. 

b)  Es  gilt  die  Prüderie  zu  bekämpfen  und  vom  ersten 
Schuljahr  an  natürlich  über  Natürliches  mit  den  Kindern 
zu  reden.  Über  das  Problem  der  Zeugung  und  Fort- 
pflanzung bei  Pflanzen  und  Tieren  muß  im  naturgeschicht- 
lichen Unterricht  ruhig  und  ernst  gesprochen  werden. 

c)  Im  Interesse  eines  reineren  Empfindens  auf  sexuellem 
Gebiete  ist  in  den  Jugendjahren  ein  freierer  Verkehr  der 


—     35     — 

beiden  Geschlechter  und  damit  die  gemeinsame  Erziehung 
der  Geschlechter  in  der  Schule  zu  wünschen. 

d)  Nicht  das  Wissen  sittlicher  Vorschriften  und  Rezepte 
macht  sittlich;  ein  fester  Wille,  der  die  Äußerungen  der 
Triebe  und  somit  auch  die  des  Geschlechtstriebes  nieder- 
kämpfen kann,  ist  das  Wichtigste  und  deshalb  Erstrebens- 
werte. Man  übe  deshalb  während  der  ganzen  Schulzeit 
(besonders  beim  Spiel,  in  der  Turnstunde,  während  der 
Schulspaziergänge  usw.),  die  Kinder,  Triebe  zu  beherrschen, 
sich  zu  bemeistern,  um  sie  damit  sittlich  zu  vervoll- 
kommnen. 

Ich  bin  am  Schluß. 

Wir  haben  uns  mit  einer  schweren,  vielleicht  der 
schwersten  Erziehungsfragen  einer,  beschäftigt.  Möchten 
meine  Ausführungen,  die  ich  nur  als  einen  bescheidenen 
Beitrag  zu  dieser  Frage  betrachtet  sehen  möchte,  anr^end 
gewirkt  haben,  damit  wir  immer  mehr  dem  Ziele  nahe 
kommen,  die  Jugend  auch  in  geschlechtlicher  Beziehung 
natürlich  und  wahr  zu  erziehen.  Möchten  die  am  Marke 
unseres  Volkslebens  nagenden  Feinde  Trunksucht  und 
ünsittlichkeit  immer  energischer  bekämpft  werden,  damit 
unser  deutsches  Volk  nicht  nur  an  Millionen,  sondern  vor 
allem  auch  an  sittlicher  Kraft  und  Stärke  zunehme. 


Verzeichnis  der  benutzten  Schriften: 

Prof.  Ä.  Forel^  Die  sexuelle  Frage.    Münoheo  1906. 

Dr.  Ä,  Eegar,  Der  Oesohleohtstrieb.   Eine  sozial- medisinisohe  Stodie. 
Stuttgart  1894. 

EUen  Key^  Das  Jahrhundert  des  Kindes. 

3L  Lischnewakay  Die  geschleohtliche  Belehrung  der  Kinder.   Frank- 
furt a.  M.  1906. 

Dr.  R,  Flachs^  Die  geschleohtliche  Aufklärung  bei  der  ErsiehuDg 
unserer  Jugend.    Dresden  und  Leipzig  1906. 

Dr.  Z.  Dohm,   Über   die   gesohleohtiiche   Aufklärung  der  Jugend. 
Halle  1905. 

A.  V,  Brnnigsm^  Sexuelle  Pädagogik  in  Haus  und  Schule.   Berlin. 

3» 


—     36      — 

\V.  Ulbricht,  Die  sexuelle  Frage  und  die  Volksschule,  in  »Die 
deutsche  Schale«  von  Rissmann,   IX.  Jahrg.  1905. 

L,  Köster^  Das  GesohlechÜlohe  im  Unterricht  und  in  der  Jagend- 
lektüre.   Leipzig  1907. 

Prof.  Ziehen^  Oesohlechtstrieb  aas  Reins  Encyklopädie,  n.Bd.  Langen- 
salza, Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  ft  Mann). 

L.  N,  Tolsiqj^  Über  die  sezaelle  Frage.    Leipzig  1901. 

O,  Frenssen^  Hilligen  lei.    Berlin  1905. 

B.  ^'ömsony  Thomas  Bendalen. 

O.  Salxmann^  Über  die  heimlichen  Sünden  der  Jagend. 

Basedow^  Elementarwerk. 

Jean  Paul,  Lewana. 

Herbert  Spencer^  Eckieation,  intellectual^  moral  and  physieal. 

Prof.  Hoffa^  Über  Muskelübang  and  Bewegungsspiele  osw.  Jagend- 
fürsorge,  VII.  Jahrg.,  Heft  HI. 

Nellie,  Matter  uod  Kind. 

Prof.  Paulsen,  Die  Biologie  im  Unterrichte  der  höheren  Schalen. 

B.  Pohwxaw^  Die  sexuelle  Frage  in  der  Erziehung  des  Kindes. 
Natur  und  Schale.    4.  Band.    Leipzig  1905. 

Ä.  Bebel,  Das  Buch  von  der  Frau. 

L.  Ourlüt^  Erziehung  zur  Mannhaftigkeit. 


1 


Dnck  Ton  Honnaim  Beyer  9l  Söhne  (B^jm  9t  JüuuO  In  LengeoMüa. 


Jeremia 


in 


Malerei  und  Dichtkunst 


Von 


Paul  Staude, 

Rektor  der  Tohannis-  und  Neustadtschulen  in  Altenburg. 


•\^'        .  *  «  <r-.^> 


Fädagogisohes  MagMrin,  Heft  816. 


^\.'   *  •  S^  ' 


Langensalza 

Hermann  Beyer  &  Söhne 
(Beyer  &  Mann) 

Hefzogl.  S&chs.  Hofbochhlndlor 
1907 

r    c 


•  Bi<bU  TotMi>l(cn. 


hs  ist  gewiß  nicht  ohne  Interesse,  einmal  zu  unter- 
suchen, inwieweit  ein  solch  bedeutsamer  Sto£f,  wie  das 
Leben  und  Wirken  des  Propheten  Jeremia,  Vorwurf  für 
den  Künstler  geworden  ist  Auch  für  den  Unterricht  ist 
diese  Untersuchung  insofern  von  Bedeutung,  als  dieses 
wichtige  Stück  BeUgionsgeschichte  Eingang  in  die  Schule 
der  Gegenwart  zu  finden  strebt.  »Perioden,  die  kein 
Meister  beschrieb,  deren  Geist  kein  Dichter  atmet,  sind 
der  Erziehung  wenig  wert.€  Dies  schöne  Wort  Herbaris 
ist  zwar  nicht  eine  durchschlagende  Regel,  ein  Gesetz, 
nach  dem  wir  die  Auswahl  des  Unterrichtsstoffes  treffen 
—  die  Auswahl  wird  sich  noch  nach  andern  Gesichts- 
punkten richten  — ,  immerhin  unterstützt  es  uns  beim 
Suchen  und  Beurteilen  von  Gebieten,  die  eine  notwendige 
Ergänzung  des  vorhandenen  Bestandes  sein  wollen  oder 
sein  sollen. 

Wenn  ich  nun  nachzuweisen  versuche,  inwieweit 
»Jeremia«  ein  Vorwurf  für  den  Dichter  und  Maler  ge- 
wesen ist,  so  bin  ich  mir  bewußt,  nur  ein  Fragment 
geben  zu  können.  Die  übrigen  Künste  sind  gar  nicht 
berücksichtigt  und  auch  in  Bezug  auf  Dichtung  und 
Malerei  maße  ich  mir  nicht  an,  erschöpfend  und  um- 
fassend den  Gegenstand  behandelt  zu  haben.  — 

Zunächst  möchte  ich  nachweisen,  inwieweit  dieser 
Gegenstand  Ausdruck  in  der  Malerei  gefunden  hat  Nach 
den  vorliegenden  Katalogen  zu  urteilen  (s.  besonders  den 
764  8.   starken    i^Cniahgue    Q6ti4ralf  des  reproduciiona 


—     4     — 

inalUrables  au  charbon  d'aprds  ks  originaux,  peintures^ 
fresques  ei  dessins  des  mus^es  d'Europe^  des  galeries 
et  collectians  particulieres  les  plus  remarquables  et  des 
Oeuvres  contemporaines^  aus  dem  Jahre  1896  von  Braun 
&  Co.,  Dornachy  Paris,  New-Tork)  haben  sich  nur  wenige 
Meister  des  Pinsels,  aber  dafür  einige  der  größten,  von 
diesem  Stoffe  so  begeistern  lassen,  daß  ihre  Hand  Meister* 
werke  schuf. 

Da  ist  zuerst  Albreckt  Dürer.  Als  er  ein  Triptichon 
in  Besannen  malte,  verwandte  er  das  rechte  Flügelbild 
zur  Darstellung  des  jüdischen  Schmerzensmannes.  Was 
dies  Bild  darstellen  soU,  sagt  der  auf  einem  verschlungenen 
Bande  über  Jeremia  eingezeichnete  Spruch:  Et  ecce  per- 
venu  gladius  usque  ad  aniinam.  Jer.  4,  10  (Fortsetzung 
des  Spruches:  Es  wird  Friede  bei  euch  sein  —  so  doch 
das  Schwert  bis  an  die  Seele  reicht).  Jeremia,  eine  ernste 
Dürersche  Prophetengestalt,  herb,  deutsch,  verkündet 
nahendes  Unheil.  Seine  Linke  ist  drohend  erhoben.  Seine 
Bechte  hält  einen  schweren  Band  seiner  Verkündigungen. 
Ein  buntes  gewirktes  Untergewand,  das  von  einem  faltigen 
Obergewand  zum  Teil  überdeckt  wird  und  besonders  den 
rechten  kräftigen  Arm  ein  großes  Stück  enthüllt,  umgibt 
den  hageren  Körper.  Der  Prophet  ist  in  eine  Nische  ge- 
dacht und  scheint  —  die  Füße  sind  bloß  —  auf  uns  zu- 
zuschreiten, als  wollte  er  dem  Beschauei  seine  Drohung 
recht  eindringlich  machen.  Es  ist  eine  lebensvolle  markige 
Gestalt,  deren  Herbigkeit  uns  erst  nach  und  nach,  aber 
dann  immer  intensiver  ergreift.  —  Von  beachtenswerter 
Seite  freilich  wird  bezweifelt,  ob  dies  Bild  wirklich  ein 
Dürer  ist.  Das  zu  beurteilen  vermag  ich  nicht,  nach  dem 
genannten  Katalog  ist  es  der  Fall.  — 

Dann  hat  Michel  Angela  den  Propheten  in  der  six- 
tinischen  Kapelle  verherrlicht.  Eine  grandiose  Gestalt 
Bei  Spanuth  findet  sich  folgende  ansprechende  Be- 
schreibung: Neben  der  ersten  der  berühmten  Schöpfungs- 
Bzenen,  inmitten  eines  Kranzes  der  Seher  und  Seherinnen, 
den  in  seltsamer  Vermählung  von  heidnischer  und  Offen- 


—     5     — 

baruDgsreligion  Typen  der  Sybillen  and  altteBtamentlichen 
Propheten  um  die  Hauptdarstellung  des  Mittelfeldes 
schließen,  ruht  auf  steinernem  Sitze,  seltsam  kontrastierend 
zu  den  weltentrückten  begeisterten  Mienen  der  übrigen 
Schauer,  ein  Fremdling  fast  in  ihrer  Schar,  in  sich  selbst 
zusammengesunken:  die  gewaltige  Gestalt  des  Jeremia. 
Der  starke  Körper  ist  vornüber  geneigt,  das  Haupt  auf 
die  nervige  Rechte  gestützt,  die  Linke  hängt  schlaff  auf 
den  Schoß  herab;  tiefe  Schatten  verdunkeln  das  sorgen- 
volle, grübelnde  Antlitz,  die  Augen  sind  zur  Erde  ge- 
senkt, ihre  Lider  scheinen  wie  geschlossen,  die  ganze  Ge- 
stalt atmet  regungslose  Ruhe  und  finsteres  Schweigen,  und 
ihr  Empfinden  spiegelt  sich  wieder  in  den  Gebärden  der 
Engelknaben,  welche  hinter  seinem  Rücken  stehen.  Yor 
dem  Beschauer  steht  das  Bild  eines  Mannes,  auf  dessen 
edler  Seele  eine  zentnerschwere  Bürde  lastet,  dessen 
Körper  matt  und  müde,  ausruhen  möchte  von  saurer 
Arbeit  —  fast  die  verkörperte  Passivität,  wenn  nicht  die 
trotz  allem  heroische  Gestalt  eine  noch  ungebrochene 
Kraft  verriete  und  das  gedankenschwere  Angesicht  die 
Spuren  eines  unergründlichen  Lineniebens  zur  Schau 
trüge.  Wir  sehen  einen  Menschen,  »dessen  schweres 
Geschick  unserm  Herzen  Mitleid  und  Teilnahme  entlockt, 
aber  wir  ahnen  in  ihm  den  Heros,  dessen  Anblick  uns 
mit  Bewunderung  und  ehrfurchtsvollem  Schauer  erfüllt  — 
Held  und  Dulder  in  der  höheren  Einheit  der  Person  ver- 
bunden, c  — 

Neben  diesen  Großen  kommt  dann  noch  Bendemann  mit 
seinem  aus  dem  Jahre  1834—36  stammenden  großen  Ge- 
mälde, seinem  zweiten  Hauptwerk:  »Jeremia  auf  den  Trüm- 
mern Jerusalems«  in  Betracht.  »Die  tiefe  aber  schlichte 
Empfindung,  die  edle  Komposition,  besonders  auch  die  hier 
waltende  Größe  der  Charakteristik«  stempeln  diese  Schöpfung 
des  Berliner  Bankierssohns  zu  einem  tiefergreifenden  Werke, 
dessen  Original  im  Königlichen  Schlosse  zu  Hannover  zu 
finden  ist.  Li  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  lagert  der 
Prophet,  er  ist  die  Verkörperung  des  Schmerzes,  der  sein 


—     6     - 

Volk  erfofit  hat,  wenn  es  nun  die  Trümmer  der  heiligen 
Stätte  jammernd  anstarrt  Rechts  und  links  neben  ihn 
sind  in  symmetrischer  Anordnung,  wodorch  ja  die  Faßlich- 
keit (eine  der  Haaptbedingnngen  des  Schönen)  des  Bende- 
mannschen  Bildes  so  vorzüglich  erreicht  wird,  die  Re- 
präsentanten der  verschiedenen  Lebensalter  gestellt  und 
zwar  tiefer  als  Jeremia,  in  ihnen  spiegelt  sich  in  ver- 
schiedenen Abstafongen  und  Schattierungen  der  Schmerz 
jener  Hauptperson  ab. 

Dies  die  Darstellungen  Jeremias  in  der  Malerei,  soweit 
meine  Kenntnis  reicht. 

Und  in  der  Dichtung? 

Schon  der  geniale  Herder  hat  die  Urgewalt  der  Jeremia- 
geschichte  erfaßt  und  eine  seiner  schönsten  Paramythien 
(»Das  heilige  Feuer«)  stellt  Jeremia  in  den  Mittelpunkt: 

»Als  Jeremias  die  Verwüstung  des  Tempels  betrauerte, 
waren  alle  dienstbaren  Engel  des  Heiligtums  um  ihn  und 
halfen  ihm  trauern.  Auch  Davids  und  Salomos  Seelen 
stärkten  ihn  und  gaben  ihm  die  süßen  Gesänge,  mit 
welchen  er  die  Verwüstung  ihres  Werkes  und  ihres  Volkes 
beweinte.  »Die  Herrlichkeit  Gottes,«  rief  er,  »ist  von 
hinnen  gegangen;  der  Herr  ist  hingewichen  an  seinen  Ort« 

»Willst  du  nicht,«  sprach  der  Engel  des  Feuers,  »die 
Flamme  des  Heiligtums  bewahren?  Vielleicht,  daß  sich 
Jehovah  erbarme  und  kehre  wieder  zurück  zum  Thron 
seines  Hauses.« 

und  Jeremias  nahm  sieben  Priester  zu  sich  und  ver- 
barg das  heilige  Feuer  in  eine  tiefe  Grube,  darinnen  kein 
Wasser  war. 

Nach  wenigen  Tagen  kam  er  hinzu  und  suchte  das- 
selbe; er  fand  aber  kein  Feuer,  sondern  ein  dickes  Wasser, 
und  trauerte  sehr.  Und  der  Engel  des  himmlischen  Lichtes 
stand  vor  ihm  und  sprach:  »Warum  trauerst  du,  Müh- 
seliger? Nie  wird  das  Feuer  des  Herrn  wiederkehren  an 
diesen  Ort  Aber  aus  dem  Schlamm  dieses  Wassers 
werden  lebendige  Ströme  entspringen,  die  die  ganze  Erde 
befruchten.   Es  kommt  die  Zeit,  da  man  nicht  mehr  wird 


-     7     ~ 

zum  Berge  des  Herren  gehen,  noch  za  dem  Ort  seiner 
irdischen  Wohnung,  denn  sein  ist  die  Welt  Aller  Himmel 
Himmel  mögen  ihn  nicht  verbergen,  und  die  Erde  ist 
seines  Faßtritts  Schemel.  Aber  ein  Licht  wird  ansehen 
vom  Herren,  und  alle  Völker  werden  im  Olanz  desselben 
wandeln,  daß  niemand  seinen  Bruder  frage,  wer  Gott  sei? 
sondern  sie  sollen  ihn  alle  erkennen,  klein  und  groß,  und 
alle  schöpfen  aus  dem  Strome  des  Lebens.« 

Der  Engel  verschwand,  und  Jeremias  starb  in  der 
Verbannung.  Als  nach  Jahrhunderten  der  zweite  Tempel 
gebaut  ward,  da  war  kein  heiliges  Feuer  mehr  in  dem- 
selben und  keine  Lade  des  Bundes,  auch  keine  Stimme, 
den  Herrn  zu  fragen :  das  Allerheiligste  stand  leer.  Aber 
aus  der  finstern  Leere  des  Heiligtums  entsprang  ein  Licht, 
und  aus  der  trüben  Quelle  dieses  Tempels  flössen  Ströme 
der  Erquickung  für  alle  Völker  der  Erde.« 

Dann  aber  ist  es  auffällig,  daß  die  Gegenwart  zwei 
Dramen  mit  dem  Titel  »Jeremia«  hervorgebracht  hat, 
gewiß  ein  Ausfluß  der  mächtigen  Strömung,  die  den  Pro- 
phetismus in  unserer  Zeit  an  die  Oberfläche  des  religiösen 
Interesse  getrieben  hat.  Ob  die  Zukunft  auch  ein  Epos 
»Jeremia«  hervorbringen  wird  —  wer  will  es  verneinen? 
Die  nahe  Beziehung  des  Propheten  zu  dem  Heilande 
könnte  in  unserer  religiös  immer  mehr  bew^ten  Zeit 
gar  wohl  einen  dahingehenden  Einfluß  auf  die  dichterische 
Schöpferkraft  ausüben.  Das  eine  der  beiden  Dramen 
stammt  von  einem  gew.  Johannes  Arthur.  Akt  1  —  4 
spielen  in  Jerusalem,  Akt  6  in  einer  ägyptischen  Land- 
schaft Wir  werden  dabei  in  die  Jahre  688 — 86  geführt 
Vielleicht  ist  es  nicht  wertlos,  uns  den  Inhalt  der  einzelnen 
Akte  vorführen  zu  lassen.  1.  Akt:  Die  Chaldäer  stehen 
vor  Jerusalems  Toren.  Zedekia  hat  mit  seinen  Bäten 
eine  nächtliche  Sitzung  abgehalten.  Dabei  hat  es  sich 
um  die  Freilassung  der  Sklaven  gehandelt,  die  nun  als 
willkommene  Verteidiger  der  Stadt  ihre  starken  Arme 
leihen  sollen.  Es  wird  jedoch  bereits  bekannt,  daß  auch 
Ägypten  Hilfe  bringen  will     Unter  den  Sklavinnen  be- 


—     8     — 

findet  sich  die  liebliche  Sulamith,  die  Jeiemias  Schüler 
und  Sklave  Baruch  liebt  und  nach  erlangter  Freiheit  als 
Gattin  heimfuhren  wilL  Beide  freuen  sich  zukünftigen 
Glückes  in  der  goldenen  Freiheit  Jeremia  selbst  hat 
ihnen  solches  verkündet  Um  zugleich  ein  Bild  der 
schönen  Sprache  des  dramatischen  Gedichtes  zu  gebeui 
setzen  wir  die  betreffende  Stelle  aus  dem  1.  Akt  hierher: 

Baruoh. 

Nun  eodiioh  gebt  ihr  Bamnl    Ihr  stelltet,  Alte, 

aaf  harte  Probe  dieses  volle  Herz. 

Bed&cht'ge  Weisheit  laß  am  Tag  ich  gelten ; 

dooh  dieser  Zeit  regiert  der  Jagend  Glück.  — 

0  Salamith,  wie  wirst  da  Jahwe  preisen  I 

Was  wir  in  seltnen,  flüoht'gen  Wonnestanden 

getrftamt,  es  wird  ans  daaemd  Wirklichkeit 

Die  Freiheit  winkt,  die  seligste  Vereinang! 

Wie  künd  ich  ihr  des  größten  Qlüoks  Erscheinoog?! 

(Er  pocht  leise  an  das  HoUgitter  ihres  Fensters.) 

Steh  aaf,  meine  Freundin,  and  komm  hervor! 
Der  Winter  der  Knechtschaft  ist  endlich  vergangen; 
Der  Regen  des  Leidens,  sag,  wo  er  blieb? 
Wie  diese  Blumen  am  Oitter  prangen, 
sproßt  aas  der  Trübsal  ein  blühender  Trieb. 
Steh  aaf,  meine  Freandin,  und  komm  hervor! 
Merk,  was  die  Stimme  der  Torte!  ans  kündet! 
Es  färben  am  Baame  die  Feigen  sich  schon: 
Der  Sommer  ist  da,  die  Sorge  schwindet! 
Eaom  dampf  ich  im  Basen  laut  jabeinden  Ton. 

Salamith. 

(Ihr  Kopf  wird  dem  Zaschaaer  hinter  dem  Oitter  am  Fenster 

sichtbar.) 

Horch!  mein  Geliebter!  ihn  sachte  mein  Sehnen; 
zam  Fenster  schickt  er  den  forschenden  Blick. 
Fort  aas  den  Aagen,  ihr  bitteren  Tränen! 
Horch  I  mein  Geliebter  redet  vom  Glück. 

Barach. 

Ein  versiegelter  Born  ist  meine  Braat, 
ein  verschlossener  Garten  mit  blühendem  Kraat, 
mit  Narde,  Granaten,  voll  Fracht  and  Daft  — 
Erhebe  dich,  Westwind;  komm,  südliche  Laft, 


-     9     — 

Qod  wehet  aos  dem  Blüteomeer 
deo  würzigen  Odem  zu  mir  herl 

Sulamith. 

(Sie  ist  leise  ans  der  Tür  getreten  nnd  wirft  sich  ihm  in  die  Arme.) 

Da  hast  den  Garten  da, 

die  Pförtnerin  dazu! 

Nun  koste  die  Früchte,  nan  trinke  den  WeinI 

0  Barach,  wann  wirst  da  der  Hüter  sein?!  — 

Baraoh. 

So  kam  die  Taube  aus  des  Felsens  Spalte, 
ans  dem  Versteck  des  Nestes  flog  sie  her?  — 
Dies  liebe  Engelsangesicht  zu  schauen, 
der  Stimme  süßem,  trautem  Klang  zu  lauschen, 
wie  sehnt  ich  mich!  Und  doppelt  eben  heute! 
Ein  Zauberer,  werd  in  deinen  Augensternen 
mit  kurzem  Wort  ein  Freudenlicht  ich  zünden, 
das  mit  der  Sonne  um  die  Wette  leuchtet, 
und  diesen  Mund  zu  lautem  Jubel  reizen, 
der  mit  dem  Seraph  Jahwes  Güte  preist 
Vernimm  denn,  was  im  Rat  man  hat  beschlossen, 
des  alten  Rechtes  endlich  fromm  gedenkend: 
der  Sklav,  die  Sklavin,  die  im  siebten  Jahre 
gedient,  .  .  . 

Sulamith. 
Sie  werden  frei? 

Baruoh. 

Und  morgen  schon! 

Sulamith. 

0  Jahwe,  grenzenlos  ist  deine  Güte! 
Denn  du  erhörest  mein  inbrünstig  Flehen 
und  schenkest  mit  der  Freiheit  mir  den  Gatten, 
nach  dem  die  Seele  lange  sich  gebangt  — 

Zu  Baruoh: 

Doch  sprich,  wer  brachte  dir  die  Jubelkunde? 
War's  der  Prophet?  Und  bist  du  selbst  schon  frei? 

Baruoh. 

Aus  seinem  Mund  vernahm  ich  den  Besohluß; 
er  hiefi  mich  segnend  ziehn,  wie  oft  zuvor; 
Die  Träne  stand  in  dem  geliebten  Auge 


—     10     - 

Wie  köoot  ich  mich  von  Jeremia  treooeo?! 
Bedenk  Bein  Alter,  seine  Einsamkeit  I 
Nicht  Sklave  war  ich  ihm;  den  Sohn,  die  Gattin, 
die  er  entbehrt,  dem  Dienst  des  Herrn  geweiht, 
dürft  ich  mit  meiner  Liebe  ihm  ersetzen. 
Und  nnn  den  hilfsbedürftigen  Jahren  er, 
an  meine  Pflege  so  gewöhnt,  sich  naht, 
verließ  ich  meinen  Vater?!  —  Nimmermehr! 
In  seinem  Hans  ist  Platz  fär  dich  and  mich; 
sein  Wohl  sei  ferner  Inhalt  nnserm  Bande! 
So  zahlen  wir  vereint  ein  Teil  des  Dankes, 
den  seinem  größten  Mann  das  Volk  versagt.  — 
Er  selber  stimmt  dem  Plane  za,  ich  weiß  es. 

Ein  Schatten  aber  legt  sich  auf  ihre  lichte  Zukunfts- 
hoffnung.  Wird  der  Feind  die  beiden  nicht,  wenn  nun 
doch  die  Stadt  fallen  sollte,  mit  rauher  Hand  trennen 
und  fortschleppen  in  neue  Knechtschaft?  Da  kommt 
die  frohe  Kunde,  das  babylonische  Heer  zieht  ab.  Doch 
Jeiemias  Herz  macht  diese  Nachricht  nicht  froh.  Er 
verkündet  die  Bückkehr  des  feindlichen  Heeres  und  den 
FaU  der  Stadt. 

Im  3.  Akte  werden  wir  in  den  Tempelhof  geführt.  Ein 
Chor  von  Frauen  naht  sich  langsamen  rhythmischen  Tritts, 
Tamburins  in  den  Händen,  und  preist  den  Herrn  für  die 
Bettung. 

Vorsängerin. 

Stimmt  an  mit  Paaken,  Jahwe  za  Ehren, 

erhebt  seinen  Namen,  laßt  Cymbeln  hören; 

Denn  groß  ist  der  Herr! 

Den  Kriegen  setzt  er  mächtig  ein  Ende, 

daß  taamelnd  der  Feind  sich  zom  Füehen  wende. 

Ja,  groß  ist  der  Herr! 

Chor. 
Groß  ist  der  Herr! 

Vorsängerin. 

Es  kam  von  Ost  mit  Macht  der  Ghaldäer; 

er  sandte  auf  schnaubendem  Roß  die  Späher. 

Doch  Zion  bot  Trutz. 

Er  wollte  im  Sturm  die  Mauern  erklettern, 

den  Säugling  dem  Weib  an  der  Brust  zerschmettern. 

Doch  Jahwe  gab  Schutz! 


-    11    — 

Chor. 
D«r  Herr  gab  uns  Schatz. 

VoraftogeriD. 

Weh  dem  Volk,  das  mit  Frevel  sich  hebet 
wider  des  Herren  geweihte  Stadt! 
Hört,  wie  es  henlt;  seht,  wie  es  bebet, 
wenn  nun  der  Tag  des  Gerichtes  sich  naht  — 

Gnade  aber  gibt  Jahwe  den  Frommen, 

Friede  den  Seinen,  die  ihm  getren. 

Die  ihr  des  Herrn  harrt,  seid  willkommen; 

schließet  den  Bund  nnsrer  Väter  anfs  nen! 

Aber  ein  Baalspriester  spottet  darüber.  Da  tritt  Jeremia 
aaf  QDd  mit  mächtigem  Wort  wendet  er  sich  gegen  den 
vorhandenen  Abfall  von  Oott.  Zugleich  wird  bekannt, 
daß  der  Beschluß  über  die  Sklavenfreigabe  au%ehoben 
worden  ist.  Auch  gegen  diesen  unerhörten  Wortbrach 
wendet  sich  der  strafende  Oottesmann. 

Jeremia. 

Hör,  Israel,  was  Jahwe  dir  verkündet! 
Zertrümmern,  gleich  den  Scherben  dort  am  Boden, 
wird  dich  sein  starker  Arm  and  deine  Brntl 
Seid  ihr,  spricht  Oott,  das  Volk,  das  ich  erwählte?! 
Die  M&nner  spenden  Baal;  die  Weiber  kneten 
die  Opferknchon  für  Astartes  Dienst. 
Und  euer  Wandel?!  Heiden  leben  reiner! 
Ihr  stehlt  und  mordet,  schwöret  falsche  Eide; 
den  Tempel  selbst  macht  ihr  zur  Räuberhöhle, 
treibt  Ehebmch  am  gottgeweihten  Ort! 

(Spärlicher  Beifall;  Mnrren  der  Priester  und  Propheten.) 

Aas  ihrer  Mitte: 
Erste  Stimme. 
So  stopft  dem  Narren  doch  das  Maul! 

Zweite  Stimme. 

Der  Schwätzer! 
Was  fehlt  in  diesem  Tempel  Jahwes  Dienst? 
Steigt  pünktlich  nicht  des  Opfers  Rauch  empor?! 

Jeremia. 
Ach,  daß  ihr  selber  euch  zum  Opfer  brächtet! 
Was  gilt  dem  Herrn  das  Fett  von  Stier  und  Widder, 
wenn  ^^ech  ihr  sündigt  wider  sein  Gebot?! 


—     12     — 

Die  ihr,  dem  gottgesaodten  Rat  entgegen, 
der  Sklaven  Joch  so  freventlich  erneaert, 

(Großer  Tuoault;  die  Sklaven  scharen  sich  am  Jeremia,  jabeln  ihm 
zu  und  halten  seine  Gegner,  die  auf  ihn  eindringen  wollen, 

von  ihm  ab.) 

vernehmet  denn  Jahwes  Spruch:  Dieweil  ihr  zögert, 
den  Brüdern  ihre  Freiheit  zu  verkünden, 
so  ruf  ich  Freiheit  aus  fcLr  Schwert  and  Brand, 
daß  sie  each  tilgen  an  entweihter  Stätte  I 


(Gemaija  and  andere  Obere  erscheinen  in  Begleitung  einer 
bewaffneten  Schar,  vor  der  die  Sklaven  zarückweichen.) 

Ihr  trotzt  auf  Zions  ewigen  Bestand? 
So  geht  gen  Silo;  zitternd  denkt  daran, 
was  aus  dem  alten  Tempel  dort  geworden! 

Jeremia  wird  als  gefahrlicher  Schwärmer  gefesselt  hin- 
weggeführt. Am  herbsten  von  dem  Eidbruch  wird  Sula- 
miths  Olück  getroffen: 

0  Jahwe,  großer  Gott,  wenn  Dich's  gelüstet, 
den  Menschen  gleich  dem  Wurme  zu  zertreten, 
warum  erhobst  du  ihn  erst  aus  dem  Staube 
und  pflanzest  ihm  das  Sehnen  in  die  Brust?! 
Was  fahrst  du  ihn  zuvor  auf  selige  Höhen, 
weist  ihm  wie  Mose  lachende  Gefilde?  — 

Nur  um  so  weher  tut  der  jähe  Sturz! 

Ach,  wozu  ward  ich  denn  ans  Licht  geboren? 

Warum  verschied  ich  nicht?  So  hätt  ich  Ruhe? 

Wo  stumm  die  Fürsten  unter  Bettlern  weilen, 

im  Schattenreich,  ist  frei  vom  Herrn  der  Sklave!  —  — 

Ich  trotze  dir;  zerschmettre  mich  dein  Strahl: 

doch  klag  ich,  Jahwe,  laut  dein  Walten  an! 

Denn  deinen  Frommen  häufst  du  Leid  zu  Leiden, 

indes  die  Frevler  grüne  Weide  finden. 

Die  ihren  Gott  in  frechen  Fäusten  führen 

und  dein  Gesetz  im  Übermut  verspotten, 

die  schont  dein  wilder  Zorn  am  ünglüokstage: 

Ihr  Haus  steht  fest,  der  Kinder  Schar  gedeiht, 

und  ungezählt  sind  ihres  Lebens  Moodo. 

Doch  die  Gerechten  gibst  du  schutzlos  preis. 

Man  raubt  die  Waise  von  der  Mutterbrast: 

du  schweigst.    Man  treibt  der  Witwe  Rind  hinweg, 

verrückt  die  Grenze  ihres  schlechten  Ackers: 

wer  schließt  des  Richters  Auge?  Da,  der  Herr! 


—     13     — 

Im  Eleod  mühet  sich,  wor  deiner  harrt, 
trägt  hnogernd  Garben  in  des  Frevlers  Schouor, 
tritt  seine  Kelter  and  vergeht  vor  Durst.  — 
Und  in  dem  allen  welch  verborgner  Sinn? 
Laß  mich  ihn  finden  I    Wie?    Ergötzt  es  dich, 
wenn  da  die  Unschald  drückst?   Verkennest  da, 
wie  blöder  Menschen  Blick,  was  schlecht  and  recht? 
Was  schrie  der  Fromme  dann  za  dir?!  — 

Um  sie  zu  trösten,  weist  sie  die  Schwester  auf  die 
großen  Frauengestalten  der  Heldenzeit  hin.  Dieser  Hin- 
weis wirkt  freilich  anders  als  die  Schwester  ahnt:  Sulamith 
faßt  den  Vorsatz,  zu  den  zu  Hilfe  kommenden  Ägyptern 
zu  eilen  und  sie  mit  List  zur  Umkehr  zu  bewegen. 
Dann,  so  folgert  sie,  würden  die  Babylonier  wieder- 
kommen —  und  dann  würde  den  Sklaven,  deren  starken 
Arme  man  nun  bedarf,  die  ersehnte  Freiheit  werden. 
Welches  ist  die  List,  durch  die  Sulamith  die  Ägypter  zur 
Umkehr  zu  bewegen  hofft?  »Ins  Lager  der  Ägypter  will 
ich  eilen,  sie  warnen,  Zions  Mauern  sich  zu  nahen,  da 
Pest  im  Volke  wüte!«    So  eilt  sie  dahin. 

Der  3.  Akt  bietet  ein  liebliches  Bild  des  Friedens 
—  Tizian  hat  wohl  hier  Pate  gestanden  — ,  eine  Hoch- 
zeitgesellschaft bei  frohem  Gelage.  Hierher  kommt  Baruch 
und  erfährt  von  Sulamitbs  Schwester,  was  geschehen. 
Baruch  will  seiner  Braut  ins  Lager  der  Ägypter  nach- 
eilen, um  die  Getäuschten  aufzuklären.  Vorher  will  er 
noch  Abschied  von  Jeremia  nehmen,  der  im  Gefängnis 
sitzt,  da  er  im  Bunde  mit  Babel  stehen  soll.  Da  kommt 
die  Schreckenskunde,  daß  die  Ägypter  bereits  umgekehrt 
sind  und  daß  Babels  Macht  sich  wieder  gen  Jerusalem 
wälzt.  Man  schiebt  die  Schuld  daran  auf  Jeremias  Wirk- 
samkeit, der  nun  in  eine  Zisterne  geworfen  werden  soll. 
Doch  Baruch  offenbart,  wer  die  Schuld  an  Ägyptens 
Heimkehr  trägt. 

4.  Akt.  Hier  ist  der  Feind  im  Begriff,  in  die  Stadt 
einzubrechen.  Mitten  in  der  höchsten  Not  verkündet 
Jeremia  eine  gottgesegnete  Zukunft. 


.     14    — 

Jeremift. 
(Der  Fenersohein  beleaohtet  Beine  Qeetalt.) 

ErföUeo  muß  sich  dieser  Stadt  Qesohiok: 

Was  ZioDS  Stolz  war,  sinkt  in  Schutt  und  Trümmer.  — 

Dem  jungen  kräftigen  Stier  vergleich  ich  Juda, 

der,  von  der  Bremsen  gift'gem  Stich  gepeinigt, 

sich  mit  des  Schweifes  Waffe  wild  gewehrt 

Doch  zahllos  ist  des  Feindes  Übermacht 

So  jagt,  vom  Schmerz  gefoltert,  er  dahin; 

dann  sinkt  er  matt,  dumpf  brüllend,  in  die  Eniee. 

£rkenne  doch,  mein  Volk,  den  Arm  des  Herrn  1 
Der  Hammer  nur  in  seiner  Hand  ist  Babel, 
damit  der  Kön'ge  Reiche  er  und  Völker 
zermalmt  nach  seinem  Schluß.    Ein  bittrer  Becher 
ist  Babels  Macht;   wem  Jahwe  ihn  gereicht, 
der  muß  ihn  trinken,  muß  dran  untergehn. 
Doch  hat  er  ausgedient,  der  Todeskelch, 
zertrümmern  wird  auch  ihn  des  Herren  Kraft; 

und  wie  es  viele  fällte,  fällt  einst  Babel. 

Aus  dieser  Asche  wird  dann  neu  erstehen 
ein  andres  Zion,  Gottes  hohe  Burg. 
Aus  allen  Landen,  da  sie  nun  zerstreut 
wird  er  die  Treuen  sammeln,  seinen  Bund 
mit  einem  heiligernsten  Volk  erneuen. 
Damit  kehrt  das  Leben  in  die  Städte  wieder; 
auf  fetten  Auen  weiden  starke  Herden, 
und  frohe  Winzer  geben  Jahwe  Preis! 
Frohlocket,  freuet  euch! 

Da  wird  der  geblendete  Zedekia  vorübergeführt  Jeremia 
hat  sich  mit  verhülltem  Antlitz  auf  einen  Stein  nieder- 
gelassen und  klagt  um  den  Fall  der  Stadt  in  den  »Klage- 
liedern c  verwandten  innigen  Klängen. 

Der  fünfte  Akt  spielt  drei  Jahre  später  in  Ägypten. 
Hierher  sind  jüdische  Flüchtlinge  gezogen,  von  ihnen  ist 
auch  Jeremia  hierher  geschleppt  worden^  nachdem  Oedalja 
ermordet  und  als  Folge  dieser  Freveltat  von  neuem 
Furcht  vor  Babels  Zorn  und  Rache  in  die  Herzen  der 
Judäer  eingezogen  ist  Auch  hier  verkündet  Jeremia 
Unheil.  Nur  unwillig  hört  man  ihn  an.  Da  naht  sich 
Solamith,  ihren  Baruch  suchend  und  Yerzeihung  von  den 
Ihren  erhoffend.     Man  erkennt  sie  als  Verräterin.    Weil 


—     16     - 

sie  Jeremia  in  Schutz  nimmt,  gilt  sie  als  sein  Werkzeug, 
und  ihn  triiBft  der  Verdacht,  der  eigentliche  Verräter  zu 
sein.  Man  erhebt  Steine  gegen  ihn.  Sulamith  deckt  den 
Oreis  mit  ihrem  Leibe.   So  hauchen  beide  ihre  Seele  aus. 

Jeremia: 

So  nahst  da  endlich,  langersehnter  Tod? 

Schon  hör  ich  sanft  die  schweren  Schwingen  rauschen! 

Komm,  komm!  Du  schreckst  mich  nicht!  —  Wie  wird  mir  non? 

Ein  neues  Zion  seh  im  Oeist  ich  prangen. 

Wie  glänzet  Davids  Stadt  im  Sonnenlicht! 

Dooh  ohne  Mauern,  ohne  Tor  und  Zinnen, 

schließt  keinen  mehr  sie  aus.     Nur  Friede,  Friede! 

Seht  dort  die  bunte  Schar  der  frommen  Heiden; 

sie  nahn  dem  Tempel.  —  Schaut:  Der  Altar  fehlt! 

Die  Opfer,  wie  sie  Gott  will,  brennen  nicht; 

Des  Herzens  Einfalt,  das  ist  Wohlgeruch  I 

(Von  neuem  bricht  die  Wut  des  Volkes  los.    Wiederum 
getroffen,  stirbt  Jeremia  mit  den  Worten:) 

Vorbei,  vorbei,  Gesetz  und  BruderhaB! 

Es  hebet  an  das  sePge  Reich  der  Liebe! 

Erhebend  und  erschütternd  zugleich  ist  auch  Philippis 
tJeremia«,  ein  dramatisches  Gedicht,  welches  in  seinen 
zahlreichen  Volksszenen  oft  an  Shakespeare  erinnert.  Ist 
in  Arthtirs  Drama  das  Geschick  des  Propheten  verknüpft 
mit  der  Liebe  Baruchs  und  Sulamiths,  so  gibt  hier  der 
Konflikt  zwischen  dem  Propheten  und  dem  Vater,  der  als 
Hoherpriester  mit  der  ganzen  starren  Schärfe  des  Juden- 
tums auftritt,  dem  Werke  einen  mächtigen  dramatischen 
Gehalt.  Und  welche  Reihe  anderer  Konflikte  ergeben  sich 
aus  der  Stellung  Jeremias  zur  Mutter  und  Schwester,  zu 
den  Landsleuten  usw.  Welchen  Kampf  muß  der  Vater 
durchringen,  bis  er  endlich  unter  den  Trümmern  des 
Tempels  des  Sohnes  Größe  anerkennen  muß! 

Lassen  wir  auch  hier  den  Hauptinhalt  der  fünf  Akte 
an  uns  vorüberziehen.  1.  Akt:  Jeremias  große  Tempel- 
rede ist  vorbei.  Jeremias  Vater,  der  Hohepriester  Hilkia, 
will  Jeremias  Prophetenamt  nicht  anerkennen.  Besonders 
die  Verkündigung  des  Tempeluntergangs  hat  seine  ganze 


•    —     16     — 

Wut  entfacht  Mit  entsetzlichem  Fluche  stößt  der  Vater 
den  Sohn  von  sich,  obgleich  Mutter-  und  Schwesterliebe 
für  ihn  eintreten.  So  schildert  dieser  erste  Akt,  wie  sich 
Jeremia  infolge  seines  Prophetenberufs  von  seiner  Familie 
lossagt  Der  zweite  Akt  führt  uns  auf  die  Königsburg. 
Es  handelt  sich  für  Zedekia  um  den  Abfall  von  Babel,  vor 
dem  Zedekias  Qemahlin,  eine  stille  Anhängerin  Jeremias, 
der  Frau  des  Pilatus  ähnlich,  warnt ^  und  um  den  Bund 
mit  Ägypten.  Die  Großen  des  Reiches  sind  versammelt, 
der  Bund  mit  Ägypten  und  der  Krieg  gegen  Babel  werden 
beschlossen.  Die  tributfordernde  Oesandtschaft  Babels 
wird  mit  Schimpf  abgewiesen.  Im  3.  Akte  ist  die  Be- 
lagerung Jerusalems  bereits  im  Werke,  eine  Folge  der 
Treulosigkeit  Zedekias.  In  der  Not  wird  aller  Götzen- 
dienst abgeschafft.  Jeremia  tritt  gegen  das  Opferwesen  auf 
und  fordert,  ein  Joch  tragend,  durch  Sinnbild  und  Wort 
die  Unterwerfung  unter  Babel.  Da  kommt  die  frohe  Kunde 
von  dem  unverhofften  Abzug  der  Babylonier.  Jeremia 
steht  verlassen  und  verachtet  da,  ein  Lügner  und  Betrüger, 
sein  Joch  wird  ihm  zerschmettert.  Das  Gefängnis  nimmt 
ihn  auf.  Im  4.  Akte  ist  die  erneute  endgültige  Belagerung 
Jerusalems  eingetreten.  Pest  und  Hunger  wüten  in  der 
Stadt  Wirkungsvolle  Bilder  der  Not  der  Stadt  bieten  die 
ersten  Szenen  dieses  Aktes.  Es  wird  auch  bekannt,  daß 
Jeremia  in  der  Königsburg  weilt  Doch  im  Kerker.  In 
den  folgenden  Szenen  sehen  wir  ihn  daselbst  im  Seelen- 
kampf. Abgefallen  von  Gott,  ringt  er  sich  im  Gebet  zu 
neuer  Zuversicht  hindurch. 

Jeremia  verzückt: 
Da  bist's?  ...  Da  bist  es  ganz  gewiß? 
Da  trittst  za  mir  aas  deiner  Himmel  Himmel? 
...  Du  bist's  I   Ich  atme  deine  Nähe  I 
Da  haachst  den  Staab  der  £rde  an, 
and  er  steht  aaf,  aaf  Händen  hingetragen. 

(Wieder  tönt  das  Saasen,  leise  wie  Blätterraaschen. 
Die  Maaeriäcke  wird  heller.) 

Wie,  Herr!    Verstand  ich  recht? 

Noch  kam  der  Werktag  nicht  beim  Feierabend  an? 


-     17     - 

loh  8oli?  ...  Willst  du  den  letzten  Tropfen  Blut? 

loh  weiB  nichts  von  den  Meinen. 

Dooh  fürchterlich  malt  sich's  mein  Aage. 

Der  Krieg  wirft  brüllend  sich  an  ansre  Mauern; 

and  innen  knirscht  der  Hanger,  schleicht  die  Pest. 

Ist's  nicht  genag? 

Wenn  da  noch  größ*ren  Schrecken  übrig  hast, 

mit  ongebraachtem  Marter werkzeag  laaernd, 

Herr,  ich  hab  keine  Kraft  mehr  übrig,  ihn  za  künden. 

LaB  mich's  nicht  sehn  und  hören. 

Laß  mich  nur  sterben! 

Sieh  Herr,  dein  Volk,  es  ist  '; 

von  Schlägen  stampf  als  wie  ein  Hund. 

Es  ist  dein  Volk,  ist  Abrams  Same. 

Sie  bauten  eine  Hütte  auf  für  dich  . . . 

Verdamme  mich!  Du  darfst  sie  nicht  vernichten! 

(Es  ist  alles  still.    Die  Mauerlücke  dunkel. 
Jeremia  wirft  sich  auf  sein  Angesicht) 
Nein!  Nein!   Wer  bin  ich,  Mensch, 
Daß  ich  mit  dir,  du  ünerforschlicher,  sollt  rechten? 
Nun,  Herr,  es  ist  ein  Rest, 
ein  heilig  kleiner  Rest  ist  dein  geblieben . . . 
Herr,  bleibe!  bleibe!   Laß  mich  nicht  allein! 
(Jeremia  bleibt  liegen  auf  seinem  Angesicht) 

Im  5.  Akte  erfolgt  die  Zerstörung  Jerusalems.  Noch 
einmal  tritt  die  ganze,  unveränderte  Oesetzesstarrheit  des 
Hohenpriesters  hervor,  und  der  gewaltige  unausgeglichene 
Gegensatz  zwischen  ihm  und  dem  Propheten  klaSt  auf. 
Wiewohl  Jeremia  immer  zahlreichere  Anhänger  findet,  — 
der  Yater  wendet  sich  immer  weiter  von  ihm  ab  und 
vertraut  auf  des  Tempels  Bestand  bis  zum  letzten  Augen- 
blicke. Dann  aber  aus  dem  Flammenmeere  des  unter- 
gehenden Tempels  streckt  er  vergebens  ELand  und  Herz 
nach  dem  verkannten  Sohne.  Mit  dem  Rufe:  Jeremia! 
Jeremia!  Du  bist  wahrhaftig  der  Prophet  des  lebendigen 
Gottes!  verschwindet  er  im  Getümmel  des  babylonischen 
Heeres.  Erschütternd  ist  die  letzte  Szene:  der  gefangene 
geblendete  Zedekia,  der  die  Totenklage  um  sein  armes 
Yolk  halten  will,  und  der  Gottesmann,  der  eine  bessere 
Zukunft  kündet,  stehen  sich  zum  letzten  Male  gegenüber: 

Pld.  Mag.  816.    Stande,  Jeremia  in  Malerei  n.  Diebtknntt  2 


—     18     — 

Jeremia. 

Denoooh!  Dennoch  I  So  spricht  der  Bett: 

»loh  bin'sl  Eilends  bin  ich  gekommeo 

und  h$Me  deine  rechte  Hand.« 

So  spricht  der  Herr:    »Tröstet!  Tröstet  mein  Volk! 

Sprecht  freundlich  mit  Jerusalem! 

sägt,  seine  Missetat  ist  ihm  vergeben. 

Sie  gehen  in  ein  fernes,  fremdes  Land 
and  säen  edlen  Samen  ans  mit  Weinen. 
Sie  kommen  einst  mit  Freuden  wieder 
and  bringen  ihre  Qarben. 
Wenn  ich  dann  die  Qefangenen  Zions  eriöse, 
werden  sie  sein  gleichwie  die  Träamenden, 
ihr  Mund  voll  Lachens  and  in  Sprüngen  hoch 
wird  ihr  Frohlocken  gehn: 
Barmherzig,  ein  Erbarmer  ist  der  Herr, 
der  ans  gesohlagen.c  — 

(Jeremia  löst  die  Fesseln  der  Geftmgenen.) 

So  lös  ich  Israel  von  seinen  Banden. 

Der  Menschheit  neaer  Tag  spannt  himmelweit  die  Flügel. 

Geh  an  die  Arbeit!  Do,  kein  Volk! 

Bestatte  deine  Toten! 

Da  Heimatlos,  du  keine  Stadt! 

Nan  hast  du  nichts  als  deinen  Gott. 

Aaf  blat'ger  Opferstatt,  wiedergefunden, 
stehst  du  and  Er.    Gott  steht  bei  dir. 
Er  weist  auf  deine  Toten  hin  und  weist 
mit  seinem  Finger  hell  dann  in  die  Ferne: 
Des  Menschenjammers  willen  hab  ich  dich  Eerschlagen. 
Dem  Menschen  Jammer  schaff  ich  dich  zum  Heiland. 

(Er  segnet  sie.) 

Geh  an  die  Arbeit!    Gottes  Volk! 

Indirekt  schließen  sich  diesem  Sto£Fe  eine  Anzahl 
andere  Bilder  und  Gedichte  an. 

Bilder:  Bendemanns  erstes  Aufsehen  erregendes  Haupt- 
werk (1832):  »Zion  und  Babel«,  das  ich  leider  nicht  kenne, 
ebensowenig  wie  Lagardes  Bild  »An  den  Flüssen  Babylons«. 
Erwähnen  will  ich  aus  Rupprechts  Yolksbibel  die  hierher 
gehörigen  Bildchen:  »Israels  Erläge  an  den  Wassern  zu 
Babel«,  eine  trauernde  »heilige  Familie«,  »An  den  Wassern 
zu   Babel«    von   Hacker^    »Belsazars   Oastmahl«,   dessen 


—     19     — 

Original  mir  eben&lls  unbekannt  ist:  ein  gestaltenreich^ 
Bild,  linkB  an  der  Wand  die  Feuerscbrift,  rechts  die  Qmppe 
des  ersohrockenen  Königs  und  seiner  Höflinge,  in  ier 
Mitte  die  Gestalt  Daniels.  Auch  Schfwrr  von  Carolsfeld  mit 
einer  »Zerstörung  Jerusalems c  verdient  hier  Erw&hnung. 

Dichtungen.  Hierher  gehören  selbstverständlich  in 
erster  Linie  »Die  Klagelieder  Jeremiasc  und  die  Psalmen 
wie  Ps.  137,  43—43,  die  auch  in  modemer  Ühersetzun|; 
ihren  tiefen  Gehalt  bewahren.  Dann  sind  zu  erwähnen: 
H.  lAngg:  »Erheb  o  Israel,  dein  Haupte,  Frankl:  »Kanaan, 
du  Land  der  Väter«,  ZeUer:  »Wenn  der  Herr  einst  dip 
Gefangenen  ihrer  Bande  ledig  macht«,  Sturm:  »Wie  hast 
du,  Herr,  mit  deinem  Zorn  die  Tochter  Zion  überschüttet!«, 
Kurz:  »0  weint  ums  Yolk  an  Babels  Strand«,  Borries 
V.  Mimchha/usen  mit  »Triumphgesang  der  Juden«,  » Jesaias 
spricht«.  Nicht  vergessen  will  ich  auch  Hmies  bekanntes 
Gedicht  »Belsazar«  und  sein  Gegenstück  von  Johann 
Meyer.  ^) 

Welche  pädagogisch  vielleicht  nicht  wertlosen 
Hinweise  ergeben  sich  nun  aus  der  erörterten 
Antwort  auf  unsere  Ausgangsfrage? 

1.  Zunächst  ist  es  klar,  daß  der  Stofif  »zu  den  Perloden 
gehört,  die  ein  Meister  beschrieb«  und  »deren  Geist  ein 
Dichter  atmet«.  Somit  wäre  die  Geschichte  Jeremias  in 
die  Reihe  der  Unterrichtsstoffe  zu  stellen.  Jeremia  selbst 
ist  der  Meister,  der  uns  in  seinem  herrlichen  Buche  diese 
Periode  beschrieb.  Daneben  treten  dann  die  genaiinten 
Maler  und  Dichter,  wenn  die  letzteren  auch  niobt  ^Ue 
ohne  weiteres  zu  den  Meistern  schlechthin  zu  rechniap 
sein  werden. 

2.  Sämtliche  Maler  und  die  Dichter  der  Dramen  sti^Uim 
in  den  Mittelpunkt  die  Belagerung  und  den  Fall  der 
Heiligen  Stadt   Diese  Tatsache  nimmt  das  meiste  Jnteresse 

^)  Die  erwähnten  Dichtungen  sind  zusammengestellt  in  des  Yer- 
fassers  »Präparationenc,  7.  Heft:  »Jeremia«.  Langensaiaa,  Haniuuui 
Beyer  k  Söhne  (Beyer  &  Mann),  1906.  Dazu  ist  ein  lextheft  sa 
10  Pf.  das  Stück  erschienen. 

2* 


—     20     — 

in  Ansprach  und  entwickelt  die  größte  dramatische  Kraft 
Daraas  ziehen  wir  den  Schloß:  bei  der  anterrichtlichen 
Behandlang  Jeremias  gehen  wir  von  der  Belagerang  and 
dem  Falle  der  Davidsstadt  aas.  Leicht  and  angesacht 
läßt  sich  dann  ein  entsprechendes  Lebensbild  des  Pro- 
pheten, Interesse  erregend,  erhaltend  und  bewahrend  aaf- 
baaen  im  Anschlasse  an  den  erschütternden  Fall  der 
Tochter  Zion  (siehe  die  Bearbeitang  in  dem  angeführten 
Bache  des  Verfassers). 

3.  Die  dichterischen  Erzeagnisse  selbst  aber  könnten 
mit  Aaswahl  als  Zugaben  geboten  werden,  denn  noch 
immer  gilt  Herbaris  Wort:  »Während  des  ganzen  Laufes 
dieses  Unterrichts  (Geschichte)  gebührt  ihm  eine  Begleitung 
durch  Proben  von  Poesie,  die,  wenn  nicht  unmittelbar 
den  verschiedenen  Zeitaltem  entnommen,  sich  doch  auf 
sie  beziehen.  €  Aus  der  Lektüre  der  genannten  Dramen 
z.  B.  gewinnt  aber  der  Lehrer  auch  ein  neues  Moment  des 
Einlesens  in  den  Stofif,  ein  inneres  Verhältnis,  das  der 
Behandlung  im  unterrichte  zu  gute  kommen  muß.  Dies 
ist  ja  auch  der  Fall,  wenn  der  Lehrer  im  Jeremiabuche  die 
Bekenntnisse  und  Beden  liest  und  sich  in  sie  vertieft,  auch 
wenn  sie  im  Unterrichte  selbst  nicht  geboten  werden  können. 

4.  Eins  oder  das  andere  der  Bilder  könnte  selbst- 
verständlich auch  als  Wandschmuck  dienen.  Besonders 
eignen  sich  hierzu  Bendenianns  »Jeremia  auf  den  Trüm- 
mern Jerusalems«  und  Michel  Angelos  grandiose  Schöpfung. 

5.  Schließlich  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß 
Mendelssohn  in  seinem  »Elias«  jenes  herrliche  Lied  im 
Anschluß  an  die  bekannte  Jeremiastelle:  So  ihr  mich 
von  ganzem  Herzen  suchet,  so  will  ich  mich  finden 
lassen  (29,  12.  14),  mit  der  ganzen  Innigkeit,  die  ihm 
eigen  sein  konnte,  ausgestattet  hat.  Sollte  dieses  schöne 
Sehnsuchtslied  nach  dem  Herrn  nicht  in  einer  oberen 
Klasse  besonders  auch  einer  höheren  Schule  bei  gegebener 
Gelegenheit  gesungen  werden  können? 


Dniok  von    Hennann  Beyer  &  SObne  (Boyer  &  Mann)  in  Langensalza. 


Von 


Enno  Fischers  Geistesart. 


Ein  ITachmf  des  Dankes. 


Von 


Dr.  Hugo  Göring. 


Pädafirogisohea  Magrasin,  Heft  817. 


Langensalza 

Hermann  Beyer  &  Söhne 

(Beyer  &  Mann) 

Herzogl.  Sachs.  HofbQohhXndler 

1907 


All«  Rechte  Torbeliftiten. 


Der  tiefe  Eindrack,  den  Kuno  Fischer  auf  die  aka- 
demische Jugend  gemacht  hat,  der  starke  Einfluß,  den  er 
überhaupt  auf  die  sittliche  Erziehung  und  speziell  auf 
die  philosophische  Bildung  der  deutschen  Studenten  und 
Lehrer  ausgeübt  hat,  hängt  nicht  nur  mit  den  großen 
intellektuellen  Fähigkeiten  dieses  Mannes  zusammen,  son- 
dern ging  in  erster  Linie  von  der  ungeheuren  Selbstzucht 
aus,  mit  der  er  an  seinen  Beruf  trat  Er  wußte,  daß  er 
eine  Kulturmission  zu  erfüllen  hatte.  Er  war  sich  klar 
bewußt,  daß  die  Philosophie,  die  er  lehrte,  nicht  nur  im 
Denken  über  Welt  und  Leben  besteht,  nicht  nur  Welt- 
wissen, sondern  auch  Weltweisheit  ist,  nicht  nur  auf  eine 
Znsammenfassung  aller  Erkenntnis  zu  einer  Orientierung 
über  Welt  und  Leben  sich  beschränken  darf,  sondern 
unmittelbar  persönlich  auch  Lebensgestaltung  und  Lebens- 
führung werden  muß. 

Diese  klare  Überzeugung,  daß  der  Philosoph  die  Weis- 
heit der  Besten  nicht  nur  lehren,  sondern  auch  durch 
sein  Leben  betätigen  muß,  gab  ihm  die  imponierend  vor- 
bildliche Gewissenhaftigkeit  und  Pflichttreue  in  der  Er- 
füllung seines  Berufes.  Er  wurde  eine  Art  Ideal  für 
strebsame,  auf  geistige  Ziele  gerichtete  Studenten.  Er 
war  kein  Durchschnittsdozent,  sondern  eine  Eünstler- 
individualität  von  schärfster  Prägung  auf  dem  Katheder 
der  Universität.  Wenn  jedes  Menschenalter  einen  solchen 
Lehrer  der  Philosophie  schafft,  so  ist  es  viel! 

In  Kuno  Fischer  ist  ein  Klassiker  und  Künstler  der 
Philosophie  dahingegangen.   —    Er  war  der   »geborenec 


—     4     — 

Professor  der  Philosophie,  wie  ihn  der  geistvolle  Kirchen- 
historiker  Karl  Hase  in  Jena  genannt  hat 

Wer  von  Herzen  sein  Schüler  war,  den  mußte  die 
Nachricht  von  seinem  Tode  am  6.  Juli  1907  tief  er- 
greifen. Wenn  man  auch  wußte,  daß  er  schwer  krank 
war,  so  hatte  man  doch  immer  die  Möglichkeit  seiner 
Oenesung  vor  sich.  An  seinen  Tod  konnte  man  trotz 
seiner  83  Jahre  nicht  glauben.  Denn  ihm  haftete  zeitlebens 
etwas  von  Jugend  an.  Diese  frische  Elastizität,  diese  ge- 
bietende Hoheit,  diese  souver&ne  Kraft:  sie  geben  ihm  den 
Charakter  des  Jugendlichen. 

E[at  er  doch  bis  in  sein  81.  Jahr  unausgesetzt  seine 
Kollegia  gehalten:  und  was  hieß  das!  Jeder  Vortrag  be- 
handelte das  abstrakte  Denkgebiet,  die  feinsten  Geistes- 
prozesse, die  nur  eine  scharfe  Hirnkraft  bewältigt  Ohne 
Notizen,  ohne  das  kleinste  Papierstreifchen,  ohne  einen 
Bleistiftstrich  auf  der  Manschette,  wozu  mancher  berühmte 
Kedner  seine  letzte  Zuflucht  nehmen  soll,  hielt  er  seine 
Kollegia. 

Als  Oreis  von  81  Jahren  noch  vollkommen  frei  über 
die  schwierigsten  Probleme  der  Philosophie  zu  sprechen, 
das  setzt  schon  eine  fast  unauslöschlich  jugendfrische 
Geisteskraft  voraus. 

Wie  kaum  einer,  man  möchte  sagen  wie  Ooeihe^  war 
Xuno  Fischer  vom  äußeren  Glück  begünstigt,  um  in  der 
starken  Geisteskonzentration  zu  bleiben,  von  der  allein 
der  Erfolg  einer  Vertiefung  in  das  abstrakte  Gebiet  der 
Philosophie  abhing.  Unter  allen,  die  ihm  hierin  das 
Leben  ebneten,  steht  seine  Jugendgattin  obenan.  Die 
sammelnde  Stille  des  Pfarrhauses  in  Sandewalde  in 
Schlesien,  wo  er  am  23.  Juli  1824  geboren  war  und 
seine  Kindheit  und  Jugend  verlebte,  legte  den  Grund  zu 
dem  intellektuell  bestimmt  gerichteten  Innenleben,  in 
dem  nur  der  eine  Trieb  vorwärts  drängte:  Wissen  und 
Kunst  in  den  Dienst  des  Vortrags  zu  stellen. 

Das  Gymnasium  in  Posen  weckte  die  intellektuelle 
Kraft,  entfaltete  die  Bedneranlage  und  legte  zu  der  ein- 


—     B     — 

seitigen  Konzentration  des  Geisteslebens  den  festen  Orund. 
Das  Universitätsstadium  der  Theologie  und  Philosophie 
Ton  1844  an  in  Leipzig  und  Halle  steigerte  das  Innen- 
leben in  seiner  einseitigen  Kraft.  Intelligenz  und  Wille 
blieben  unbewußt  auf  das  eine  Ziel  gerichtet:  Verbreitung 
des  Interesses  für  Philosophie  an  der  Universität 

In  den  Studienjahren  Kuno  Fischers  war  dies  ein 
hohes  Ideal.  Die  Philosophie  hatte  als  weltkonstruierende 
Qeistesmacht  eine  in  der  germanischen  Kultur  gebietende 
Stellung  gewonnen.  Echt  deutsch  war  diese  Bewegung, 
die  unter  Slaven,  Romanen  und  Juden  ganz  unmöglich 
gewesen  wäre  und  von  diesen  Rassen  nie  verstanden, 
sondern  nur  als  eine  Yerirrung  aufgefaßt  wurde,  über 
die  sie  ihren  Spott  und  Hohn  schütteten  und  unbewußt 
ein  Stück  deutscher  Geistesarbeit  zerstörten.  Schleier- 
macher  war  der  erste  Geistesführer  zur  Yerinnerlichung 
des  religiösen  Lebens  und  zur  Emporhebung  des  schöpfe- 
rischen Gottgemütes  aus  dem  StofTleben  der  Verstandes- 
kälte und  von  dem  Schwergewichte  des  Wortfetischismus. 
Schelling  wies  als  schauender  Dichter  auf  die  schöpferische 
Natur,  in  der  er  Gott  und  Geist  vereinigt  sah:  eine  Tat 
des  deutschen  Geistes,  die  eine  zusammenraffende  Selbst- 
besinnung des  durch  Fälschung  und  Fremdgift  ge- 
schwächten und  zur  Untreue  gegen  sich  irregeleiteten 
Bassenbewußtseins  bedeutete  und  unbewußt  an  den  suchen- 
den Pantheismus,  das  Gottnaturvertrauen  in  der  Religion 
der  Gott-  und  Heldenlieder  vor,  in  und  nach  der  Edda 
angeknüpft  hatte.  Die  straffste  Selbstaufraffung  deutschen 
Innenlebens  vollzog  das  energische  Otenie  Hegels^  welches 
die  Konstruktion  der  Welt  aus  dem  Geiste  ableitete  und 
die  Idee  als  die  Urschöpferin  alles  Vorhandenen  nach- 
wies. Daß  »alles  was  existiert,  vernünftig  ist«,  dem  Ge- 
setz der  Idee  gehorcht,  selbst  widerstrebend  und  als 
kämpfend  widerwillig  von  der  »List  der  Ideec  geleitet 
wird,  um  endlich  ein  verkörperter  Gottgedanke  zu  sein, 
das  war  ein  Gedanke  aus  urdeutscher  Geisteskraft  —  gleich 
der  Faustidee,  dem  Merlincharakter,  dem  Demiuigoewerke 


—    6    — 

in  der  geläuterten  deutschen  Dichtung.  Man  prftfe  nur 
das  Lebenswerk  dieser  großen  Denker,  deren  Gedanken 
bestätigend  oder  bekämpfend,  Schopenhauer  und  Eduard 
von  Hartmann  und  unter  den  jüngeren  Lebenden  Arthur 
Drews^  der  in  Hamburg  geborene  zukunftsreiche  Philo- 
soph in  Kuno  Fischers  Nähe  —  in  Karlsruhe  —  fort- 
geführt haben:  und  man  wird  ganz  ursprungsechten  ger- 
manischen Rassengeist  darin,  selbst  psycho-anthropologisch, 
erkennen.  Man  betrachte  nur  mit  anthropologischem  Ter- 
ständnis  die  feinen  dolichozephalen  Qermanenköpfe  Schleier'^ 
machersy  Schellings  und  Hegels, 

Wie  kleinkrämerig  ist  die  Kinderei  einer  Kritik  jener 
großen  Religions-  und  Geistesreformatoren,  wenn  man  mit 
einer  Detailnörgelei  seine  Wichtigtuerei  auftischt,  während 
es  sich  doch  um  große,  weithin  eine  Strecke  des  Zu- 
kunftsweges der  Menschheit  erleuchtende  Ideen  im  größten 
Riesenstile  geistiger  Licht werfer  handelt!  Was  liegt  daran, 
daß  Hegel  die  Möglichkeit  jener  Asteroiden  wegkonstruierte, 
die  dann  in  größerer  Anzahl  mit  dem  Teleskop  gefunden 
wurden.  Die  geniale  Idee  wird  von  dem  Detail  der 
Spezial Wissenschaft  nicht  berührt! 

In  jene  große  Oeisteswelt,  in  den  starken  Aufschwung 
der  Philosophie  durch  Hegel  trat  Kuno  Mscher. 

Als  ich  den  Entwicklungsquellen  meines  größten 
Meisters  der  Philosophie  nachging,  dessen  Leben  und 
Schaffen  mir  immer  Jugend  bedeutete,  kam  ich  auch 
dazu,  den  Nestor  der  Hegeischen  Philosophie,  Joh,  Ed. 
Erdmann  in  Halle,  1872  zu  besuchen  und  zu  hören. 
Unvergeßlich  blieb  mir  der  Eindruck  von  diesem  Manne, 
der  mich  nur  als  Lehrer  Kuno  t\schers  interessierte. 

Feierlich  trat  der  greise  Meister  ein,  dessen  weit  über- 
ragender Schüler  als  der  größere  Meister  nur  wenige 
Stunden  von  Halle  an  der  Saale,  in  dem  romantischen 
Tale  am  gleichen  thüiinger  Flüßcben,  in  Jena  lebte.  Es 
war  März  1872,  kurz  vor  Schluß  des  Wintersemesters, 
ein  halbes  Jahr  vor  der  Berufung  Ku7io  Fischers  nach 
Heidelberg.    Erdmanns  Hörsaal  war  wie  der  seines  be- 


—     7     — 

deutenden  Schülers  der  größte  der  Universität.  Bis  auf 
den  letzten  Platz  war  der  Saal  von  Studenten,  Lehrern 
und  Pastoren  gefüllt  Mit  der  Würde  eines  Predigers 
stand  er  auf  dem  Katheder,  fast  unbewegt  während  seines 
ganzen  Vortrags;  einen  Schlüssel  bewegte  er  in  der  rechten 
Hand  und  bisweilen  demonstrierte  er  damit  Charakte- 
ristisch war  es,  daß  er  während  seines  ganzen  Kollegs 
die  Augen  geschlossen  hielt  Von  Äußerlichkeiten 
hatte  sein  großer  Schüler  nur  das  Spiel  mit  dem  Schlüssel. 
Um  so  mehr  Ähnlichkeit  hatte  die  Vortragsart  Erdmann 
trug  die  Philosophie  des  Descartes  vor  und  behandelte 
das  Problem  des  Bewußtseins  nach  dem  Gedanken  »Cogito^ 
ergo  svm<^  jenem  Verhängnis  vollen  Irrtum  des  franzö- 
sischen Denkers.  Erdmann  ließ  diesen  Gedanken  aus 
dem  System  des  Descartes  hervorgehen,  nicht  entwicklungs- 
geschichtlich, sondern  deduktiv.  Der  Gedanke  war  die 
Verkörperung  des  Descartes,  er  mußte  mit  Descartes  da 
sein.  Der  Gedanke  war  absolute  Logik,  absolute  Vernunft, 
absolute  Wahrheit,  die  Vorstufe  der  Idee  »Das  Ich  setzt 
das  Nicht- Ich. c  Erdmanji  gab  den  Gedanken  des  Descartes 
als  reine  Mathematik,  als  unantastbares  Axiom,  welches 
des  Beweises  nicht  bedarf.  Es  war  etwas  von  steinerner 
Logik  in  dem  Ge&chichtsaufbau  von  Erdmann,  Er  faszi- 
nierte durch  diese  geschlossene  Beweisführung,  die  ein 
glänzendes  System  ohne  Untergrund  in  der  Luft  aufführte. 
Während  der  strafTen  Linienführung  ließ  man  sich  in  den 
Phantasiebau  mit  Wonne  emporheben.  Erst  als  Erdmann 
die  Augen  wieder  öfTnete  und  wachend  den  Hörsaal  ver- 
ließ, wurde  man  als  schön  getäuschter  Zuhörer  von  der 
linienreinen  und  farbenreichen  Fata  Morgana  wieder  frei. 
Erdmanns  Vortrag  war  ein  Genuß. 

Alle  ästhetischen  Vorzüge  des  Erdmannschen  Vortrages 
behielt  Kuno  Fischer:  die  würdevolle  Haltung  wurde  bei 
ihm  zu  einer  souveränen,  gebietenden,  vornehmen.  Erd- 
manns  schöne  gewählte  Sprache  wurde  bei  Kuno  Fischer 
eine  durch  Klarheit  und  Tiefe  klassisch  künstlerische. 
Was  Erdmann  konstruierte  und  logisch  aus  der  Idee  auf- 


—     8    — 

baute,  wie  es  der  echte  Hegelianer  tun  muß,  entwickelte 
Kuno  Fischer  als  einen  Prozeß  des  Werdens  vom  Keime 
bis  zur  Frucht  Er  war  der  Aristokrat  unter  den  Uni- 
versitätslehrern, der  Künstler  und  der  Naturforscher  der 
philosophischen  Systeme  in  seinen  Werken  und  akade- 
mischen Vorträgen. 

Zweifellos  hat  er  in  Erdmann  sein  bestes  akademisches 
Vorbild  gehabt 

Schon  durch  Erdmanns  persönlich  faszinierendes  und 
zwingend  hypnotisierendes  Vorbild  mußte  sich  Kuno 
Fischers  Innenleben  einseitig  auf  Philosophie  konzentrieren 
und  den  Orund  zu  der  Kraft  legen,  die  er  in  der  Wieder- 
gabe der  philosophischen  Gedanken  erlangt  hat. 

Durch  die  Beschränkung  auf  die  vorhandenen  Systeme 
wurde  er  Meister  in  der  Darstellung. 

Eine  kurze  Hauslehrerzeit  lenkte  sein  Innenleben  nicht 
auf  andere  Bahnen. 

Da  sich  bald  daran  seine  Habilitation  an  der  Uni- 
versität Heidelberg  schloß,  als  er  kaum  das  26.  Lebens- 
jahr vollendet  hatte  (1860),  blieb  er  in  dem  abgeschlos- 
senen Vorstellungskreise  und  Arbeitsgebiet.  Soweit  man 
sein  Leben  übersehen  kann,  trat  er  den  Naturwissen- 
schaften nicht  näher.  Auch  Mathematik  zog  ihn  nicht 
an,  wenn  auch  die  Begabung  dafür  in  ihm  lag,  da  seine 
jüngere  Tochter  schon  in  zarten  Mädchenjahren  mit 
solchem  Erfolg,  gleich  einer  Sophie  Oermain^  in  diese 
einzige  exakte  Wissenschaft  eindrang,  daß  sie  die  Diffe- 
rential- und  Integralrechnung  mit  Sicherheit  in  den  Jahren 
beherrschte,  in  denen  ein  normaler  Student  zu  den  An- 
fangsgründen der  Analysis  gelangt 

Wieweit  Kuno  Fischer  die  Künste  auf  sich  wirken 
ließ,  kann  man  nach  seinen  Werken  nicht  bestimmen. 
Die  Musik  schien  ihm  ein  fremdes  Gebiet  zu  bleiben. 
So  erklärt  es  sich,  daß  er  sich  für  das  Lebenswerk 
Richard  Wagners  als  Kulturmacht  des  deutschen  Stammes 
nicht  erwärmen  konnta 

Selbst  die   Grenzgebiete   der  Philosophie,    die    ihren 


—     9     — 

Inhalt  und  ihre  Begründung  zum  Teil  aus  den  Natur- 
wissenschaften und  der  Mathematik  nehmen  müssen,  Psycho- 
logie, Erkenntnistheorie,  Logik,  Metaphysik,  Ästhetik,  Ethik 
und  Pädagogik,  zogen  sein  Interesse  wenig  an.  Pädagogik 
blieb  ihm  zeitlebens  ein  Bereich  der  ün Wissenschaft,  der 
Praxis,  höchstens  der  Kunst,  aber  nie  der  Wissenschaft. 

Man  muß  die  scharf  abgeschlossene  Einseitigkeit  der 
Forsohungsinteressep  Kuno  Fischers  erkennen,  um  zu 
begreifen,  daß  gerade  diese  Abwehr  alles  nicht  zur  Ge- 
schichte der  Philosophie  gehörenden  ihn  zum  Künstler 
an  seinem  Stoffe  machte.  Alles,  was  nicht  Geschichte  der 
Philosophie  war,  galt  ihm  als  Gegenstand  der  Zer- 
splitterung. 

So  blieb  ihm  eine  große,  weite,  erhabene,  schöne  Welt 
des  gegenwärtigen  Ringens  um  Wissenschaft  und  Kultur 
fem.  Er  lebte  in  vergangenen  Denksystemen.  Auch  die 
politische  Welt  blieb  ihm  etwas  fernliegendes. 

Selbst  das  praktische  Leben  der  nächsten  und  weiteren 
Umgebung  drang  nicht  tief  in  sein  Bewußtsein.  Er  wäre 
ein  hilfloses  Kind  gewesen,  wenn  ihm  nicht  eine  selten 
edle  Frau  als  Gattin  bis  in  sein  59.  Lebensjahr  mit  der 
helfenden  Geduld  sanfter  Herzensgüte  und  feinster  In- 
telligenz, ja  höchster  Lebensweisheit,  unmerkbar  führend, 
«ur  Seite  gestanden  hätte.  Auch  über  äußere  Verlegen- 
heiten half  sie  ihm  mit  vornehmem  Takte.  Man  kann  an 
Kufw  Fischers  Lebenserfolge  nicht  denken,  ohne  dieser 
hervorragenden  lYau  ein  Wort  des  Dankes  zu  widmen, 
die  ihm  liebevoll  alle  Hindernisse  des  äußeren  Lebens 
aas  dem  Wege  räumte,  von  denen  sein  in  Weltfernen 
des  Geistes  webendes  Innenleben  nichts  ahnte,  die  aber 
sein  Bewußtsein  in  verhängnisvollen  Zwiespalt  gebracht 
haben  würden,  vielleicht  ein  unerfreuliches  Charakterbild 
erzwungen  und  die  Geisteskonzentration  vereitelt  hätten. 

Aus  dem  einseitigen  Innenleben  Ku7io  Fischers  er- 
klären sich  alle  die  Absonderlichkeiten  und  Schroffheiten, 
die  einen  Mythenkranz  und  eine  Anekdotensammlung  um 
Kuno  Fischer  geschaffen  haben.    Aber  diese  Anekdoten 


—     10     — 

bedeuten  weiter  nichts  als  eine  kleinliche  AafTassnng  eines 
innerlich  großen  Lebens,  welches  nur  die  Brücke  zur 
Außenwelt  nicht  gefunden  hatte  und  in  tausend  Formen 
stammelte,  deren  technische  Routine  ihm  fremd  war. 
Warum  mußte  der  Künstler  der  Oedankengeschichte  nun 
gerade  jedes  Studenten  hochwichtige  Eigenart  richtig  ver- 
stehen und  behandeln?  Und  von  verletzter  Studenten- 
eitelkeit ging  der  höhnische,  neidische,  mißgünstige  Klatsch 
über  Kuno  Fischer  aus.  Auch  Kollegen  schonten  ihn  nicht 
Aber  die  größten  waren  seine  treuen,  persönlichen  Freunde, 
die  nie  etwas  von  dem  bierträgen  dummen  Studenten- 
klatsch und  noch  weniger  von  den  Rachelügen  durch- 
gefallener Doktoranden  oder  dem  Weibergewäsch  minder- 
wertiger Dozenten  wußten. 

Aber  stillschweigend  über  die  Einseitigkeit  im  Geistes- 
leben Kiino  Fischers  hinwegzugehen,  wäre  eine  psycho- 
graphische  Ungerechtigkeit  gegen  den  größten  Künstler 
der  Geschichte  der  Philosophie.  Die  Gerechtigkeit,  ja  die 
liebende  Pietät  gegen  ihn  erfordert  es,  daß  man  ihn  als 
Typus  einer  vom  Glück  geschonten  und  begünstigten 
Steigerung  der  Intelligenz  und  historischen  Phantasie  bis 
zum  Widerstreit  mit  dem  Tagesleben  der  Gewohnheits- 
menschen erkennt  und  kennzeichnet.  Dieses  Glück  war 
verkörpert  in  seiner  hochherzigen  Gattin,  die  auf  das,  was 
die  Alltagsmasse  der  Frauen  »Glücke  nennt,  selbstlos 
verzichtete  und  die  ethische  Arbeitsteilung  in  Person  dar- 
stellte. Sie  nahm  dem  denkenden  und  künstlerisch  ge- 
staltenden Geiste  das  ab,  was  die  individuell  gegebene 
Persönlichkeit  dem  vielseitigen  äußeren  Leben  in  der 
Familie  und  Gesellschaft  schuldig  gewesen  wäre,  wenn 
der  ihr  innewohnende  Geist  auf  weniger  große  Aufgaben 
gerichtet  gewesen  wäre.  Kuno  Fischers  Gattin,  die  liebe- 
volle Mutter  seiner  drei  Kinder,  von  denen  die  hoch- 
begabte jüngere  Tochter  jäh  aus  dem  Leben  geschieden 
ist^  hat  darin  Ähnlichkeit  mit  zwei  herzensgenialen  Frauen 
ihrer  Zeit:  mit  der  edlen  Gemahlin  Carlyles  und  mit  der 
schöpferisch   großen    Gattin    Richard    Wag^iers^    Cosima 


—   11    — 

Wagn^,  deren  Liebeswalten  das  höchste  Reifen  beider 
großen  Eulturförderer  ermöglicht  hat 

Schon  das  Pfarrhaus  ist  oft  eine  Stätte  absondernder 
Einseitigkeit,  um  wieviel  mehr  die  aus  dem  Pfarrhaus 
gebildete  Oelehrtenkiause! 

Kuno  Fischer  hatte  keine  Klause.  »Ich  brauche  einen 
weiten  Baum,  ein  großes  Zimmer  zum  Arbeiten!«  »Ich 
brauche  absolute  Stille  im  Haus,  wenn  ich  arbeite!«  — 
80  sprach  er  seine  Forderungen  aus.  Er  setzte  sie  durch. 
In  diesem  großen  Baum  war  er  von  allem  störenden 
Lärm  der  Außenwelt  abgeschlossen.  Seine  hochherzige 
Gattin  nahm  ihm  alle  Arbeit  und  jede  Verpflichtung  ab, 
die  ihm  außer  der  Berufsgeistesarbeit  die  Wirklichkeit 
auferlegen  konnte. 

Darum  schreibe  ich  dieser  stillen  edlen  Frau  einen  so 
großen  Anteil  an  dem  Lebenswerk  Kuno  Fischers  za. 
Sie  schützte  ihn  vor  kraftläbmender  Zersplitterung.  Sie 
schuf  ihm  die  Bedingungen  höchster  Sammlung. 

Die  volle  Freiheit  von  äußerem  Druck  und  Kampf 
um  Frieden  zu  innerer  Konzentration  brachte  freilich  auch 
die  Schattenseite  dieses  Lebens  mit  sich,  die  sich  in  dem 
oft  unnötigen  Kampf  mit  kleinen  oder  gleichen  Gegnern 
—  Schenkel^  Trendelenburg^  Krause  u.  a.  —  äußerte.  Sym- 
pathisch steht  man  dem  Abfertigungsduell  mit  Schenkel 
gegenüber,  dessen  Denunziation  bei  dem  badischen  Mini- 
sterium die  Entziehung  der  Dozentur  Kuno  Fischers  zur 
Folge  gehabt  hatte.  Es  ist  bekannt,  daß  Kuno  Fischers 
Jugendfreund  David  Friedrich  Straufs  in  seiner  Schrift 
»Die  Halben  und  die  Gaozen«  mit  Schenkel  vernichtend 
ins  Gericht  gegangen  ist  und  die  Plumpheit  seines  An- 
griffes gegen  Kuno  Fischer  unheilbar  bloßgestellt  hat 

An  seinem  großen  Lebenswerk,  der  »Geschichte 
der  neueren  Philosophiec,  arbeitete  Kuno  Tischer 
schon  seit  1850,  seit  seinem  26.  Jahre  in  Heidelberg.  Er 
erzählte  gelegentlich,  daß  er  das  erste  Kolleg  —  über 
Descartes  —  in  sorgfältig  ausgearbeiteten  Einzel  vortragen 
seinen  Zuhörern  vorgelesen  habe.     »Bald  merkte  ich,«  so 


—     12     — 

fahr  er  fort,  »daß  das  gelesene  Wort  keinen  Eindmck 
anf  die  Studenten  machte.  Ich  nahm  mir  deshalb  vom 
zweiten  Semester  an  vor,  frei  zu  sprechen.  Ich  bereitete 
mich  seitdem  sehr  sorgfältig  für  jeden  Vortrag  vor.«  Wer 
einmal  Zeuge  dieser  Oewissenbaftigkeit  gewesen  ist,  mit 
der  Kuno  Fischer  sich  vorbereitete,  der  mußte  ihn  schon 
deshalb  als  sittliche  Persönlichkeit  verehren.  Auch  hier 
konzentrierte  er  die  höchste  Kraft  auf  einen  Punkt  und 
erreichte  das  Größte.  Es  war  ihm  höchste  Pflicht,  das 
Vertrauen  des  Staates  auf  ihn  zu  rechtfertigen.  Er  sah 
sich  auf  diesen  Posten  gestellt  und  wollte  ihn  mit  Auf- 
gebot alles  Könnens  ausfällen.  Er  wollte  den  Sinn  für 
Philosophie  zu  einer  Kraft  wecken,  und  dazu  mußte  er 
eine  Kraft  geben,  die  Begeisterung  wecken  konnte.  Das 
war  nur  möglich  durch  eine  lichtvolle  Methode,  durch 
die  Anknüpfung  an  den  Vorstellungskreis  der  Studenten 
und  durch  Anwendung  der  höchsten  Kunst,  eine  an- 
ziehende^ schöne  Form  auszuprägen.  Die  Bedingungen 
erfüllte  Kuno  Fischer  wie  keiner  vor  und  nach  ihm. 
Dadurch  siegte  er  über  die  Abneigung  der  Studenten 
gegen  das  schwierige  Oebiet  des  abstrakten  Gedankens. 
Kuno  Fischers  Kunst  deckte  die  Schwierigkeiten  auf  und 
überwand  sie,  indem  er  auf  den  Ursprungskeim  des 
Systems  zurückging  und  es  nachschuf.  An  dieser  Arbeit 
im  schönsten  Kunstgebilde  ließ  er  die  Zuhörer  teilnehmen. 
So  kennen  wir  ihn  alle,  die  ihn  in  Jena  gehört  haben. 
Dort  hat  er  16  Jahre  in  aufsteigender  Manneskraft  ge- 
wirkt Dort  hat  er  den  Ruhm  gewonnen,  eine  oft  mehr 
der  Kneipe  als  der  Universität  geneigte  Studentenschaft 
für  die  Philosophie  begeistert  zu  haben.  Jena  ist  der 
Höhepunkt  seines  Lebens  geblieben.  Jena  hatte  überdies 
das  Verdienst  der  Initiative,  ihn  aus  der  Unsicherheit  des 
äußeren  Liebens,  gerade  als  er  nach  der  unverantwort- 
lichen Vertreibung  vom  Heidelberger  Katheder  sich  an 
der  Universität  Berlin  wieder  als  Privatdozent  habilitieren 
wollte,  zu  einer  Professur  zu  berufen.  Er  war  32  Jahre 
alt,  als  er  Jena  betrat,  und  verließ  es  im  48.  Lebensjahre 


—     13     — 

(1866  — 1872).  In  Heidelberg  ist  er  bis  an  seinen  To^ 
36  Jahre  lang,  geblieben.  In  seinem  58.  Jahre  erhielt  er 
den  Ruf  nach  Berlin.  Er  war  aber  schon  zu  fest  mit 
Heidelberg  verwachsen.  ^pxuiQog  ist  ein  mächtiger  Qottc, 
schrieb  er  damals,  wenn  man  ihn  drängte,  dem  Rufe  zu 
der  fruchtbarsten  Tätigkeit  zu  folgen.  In  Berlin  wäre 
der  richtige  Platz  für  ihn  gewesen.  Dort  besaß  kein 
Philosoph  den  Einfluß,  den  Ku?io  Fischer  ausgeübt  hätte. 
Und  Berlin  bedurfte  einer  so  begeisternden  Kraft.  Der 
richtige  Zeitpunkt  —  xaiQog  —  war  nicht  verpaßt!  Aber 
der  weltfremde  Künstler  sah  sich  an  den  Termin  der 
Übersiedlung  aus  dem  schönen  Heidelberg  gebunden:  das 
beängstigte  ihn.  »Die  Hausmakler  kaufen  mir  mein  Haus 
über  dem  Kopf  weg,«  schrieb  er.  —  Dazu  kam  der  auf- 
regende Zank  mit  einem  Kantphilologen.  Kurz:  Hem- 
mungen, die  für  einen  freien  Blick  keine  waren,  aber  für 
ein  überempfindliches  Innenleben  zu  stählernen  Ketten 
wurden.  Wenn  man  bald  nach  der  Ablehnung  der  Ber- 
liner Professur  Kuno  Fischer  stark  geneigt  sieht,  das 
soeben  verschmähte  Olück  wieder  zu  erringen,  so  li^ 
dieses  Schwanken  in  der  unrichtigen  Abschätzung  der 
Werte  der  Außenwelt,  die  ihm  bei  aller  scheinbar  prak- 
tischen Sicherheit  in  der  Gewinnung  materieller  Lebens- 
vorteile  fremd  blieben.  Mit  beschränktem  und  un- 
gerechtem Urteil  spricht  man  dann  von  »unberechen- 
baren Launen«.  Aber  für  ein  innerlich  so  abgeschlossenes 
Leben  war  die  Vorstellung  völlig  veränderter  äußerer  Ver- 
hältnisse ein  direkter  seelischer  Schmerz,  der  eine  Willens- 
entscheidung erschwerte  oder  unmöglich  machte.  Wenn 
andrerseits  Kuno  Fischer  sich  durch  Honorar  und  Oehalt 
zu  sichern  wußte,  so  war  die  materielle  Existenz  in  ihrer 
harten  Abhängigkeit  vom  Oelde  ihm  seit  seinen  Jugend, 
eindrücken  in  den  schlichten  Verbältnissen  des  Pfarr- 
hauses etwas  erlebt  Bekanntes.  Überdies  floß  ihm  beides 
ohne  sein  Drängen  zu.  Die  Lebenssicherheit  auf  diesem 
Gebiete  setzt  nicht  die  Orientierung  auf  anderen  Ebenen 
des  praktischen  Lebens  voraus.     Man   kann  sich  deshalb 


—     14     — 

nicht  einmal  wundeni,  daß  der  eigenartige  Forscher  später 
ohne  jeden  äußeren  Zwang  and  Anlaß  sein  Haus  ver- 
kaufte,  aber  es  als  fremdes  wieder  mietete,  weil  die  lang 
bewohnten  und  liebgewonnenen  Bäume  ihm  als  ein  Stück 
Leben  unentbehrlich  geworden  waren.  Im  Alltagsleben 
kennt  jeder  das  Heimweh,  welches  zu  sonderbaren  Ent- 
schließungen und  Handlungen  führt,  auch  da,  wo  ein 
weniger  feines  Innenleben  den  Menschen  beherrscht 

In  Heidelberg  ist  Kuno  Fischer  nie  so  verstanden 
worden  wie  in  Jena,  weil  in  der  schönen  Fremdenstadt 
am  Neckar  das  zerstreuende,  zersplitternde  und  oberfläch- 
liche Oenußleben  der  Studenten  die  stille  Ehrfurcht  nicht 
aufkommen  ließ.  Das  nicht  sachliche  Bepräsentieren 
förderte  zu  viel  die  Eitelkeit  im  Leben  der  akademischen 
Jugend  und  verdarb  den  Sinn  für  die  Universitätskultur. 
Nur  so  ist  es  zu  erklären^  daß  Heidelberger  Studenten 
über  Kuno  Fischer  oft  nichts  weiter  als  Klatsch  zu  be- 
richten wußten,  oder  sich  dunkel  erinnerten,  daß  diese 
Größe  in  Heidelberg  lebte. 

Oanz  anders  in  Jena.  Dort  war  Kuno  IHscher  iden- 
tisch mit  Jena,  er  war  der  Mittelpunkt  des  Universitäts- 
lebens, der  Studentenintoressen,  er  war  der  Stolz  der 
Jenaer  Bürgerschaft;.  Mit  Ehrfurcht  wies  man  jedem  neu 
ankommenden  Studenten  Kuno  Fischers  Haus  am  Löbder- 
graben.  Mit  Ehrerbietung  grüßte  ihn  jeder  Student,  dem 
nicht  der  abstumpfende  Bierfrohn  das  Bespektsgefühl 
herabsetzte.  In  angemessener  Entfernung  hielt  man  sich 
von  ihm,  wenn  er  zwanzig  Minuten  vor  Beginn  seines 
Vortrages  am  Fürstengraben  auf  und  ab  wandelte,  von 
der  Universität  bis  zum  Schloß  am  alten  Fromannschen 
Hause  vorbei,  welches  später  das  Zenkersche  Institut 
wurde.  Wie  immer  war  er  auch  im  Einhalten  seiner 
Vorlesungen  sehr  pünktlich,  was  auf  das  unpünktliche 
Leben  der  Jenenser  Studenten  kräftig  erziehend  wirkte. 
Im  Sommersemester  las  er  früh  7 — 8  Uhr  Logik  und 
Metaphysik,  ein  Kolleg,  welches  ihm  so  unsympathisch 
war,   daß  er  es  später  gar  nicht  mehr  aufnahm,   wie  er 


—     15    — 

auch  sein  Werk  »Logik  und  Metaphysik  oder  Wissen- 
schaftslehrec  trotz  des  starken  Yerlangens  des  Verlegers 
nicht  zu  einer  zweiten  Auflage  bearbeitet  hat  Es  war 
1869  das  erste  EoUeg,  welches  ich  von  Kuno  Fischer 
hörte.  Die  klare  Oedankenentwicklung  drang  so  in  mich 
ein  —  als  verkörperte  Logik  in  so  fesselnd  schöner  Form 
mit  so  künstlerisch  plastischen  Anschauungsbildern,  daß 
ich  jeden  Abend  den  am  Morgen  gehörten  Vortrag  wort- 
getreu niederschreiben  konnte,  als  wäre  er  langsam  dik- 
tiert Als  ich  1881  dem  Meister  in  Heidelberg  den  statt- 
lichen Band  vorlegte,  bestätigte  er  die  Richtigkeit  jedes 
Satzes:  Das  war  weniger  das  mechanische  Werk  eines 
treuen  Gedächtnisses,  als  vielmehr  die  Wirkung  der 
zwingenden  Logik  Kuno  Fischers^  die  das  Denken  des 
Hörers  zur  Folgerichtigkeit  erzog.  Im  Gespräch  mit 
anderen  Studenten  äußerte  sich  der  Eindruck  dieser  Vor- 
tragsmethode. Bei  jeder  Gelegenheit  hörte  man  ganze 
Sätze  aus  diesem  Eolleg,  dessen  künstlerische  Vollendung 
die  sorgfaltigste  Geistesarbeit  des  Redners  zur  Voraus- 
setzung hatte.  Resümiere  ich  alle  Eindrücke  meiner 
Jugendzeit  in  Jena,  so  war  ihr  Inbegriff:  Kufw  Fischer. 
Dabei  steht  das  Bild  seiner  Morgenvorträge  obenan,  weil 
es  den  Denkweg  für  das  Leben  durch  gesicherte  und  be- 
wiesene Erkenntnis  ebnete. 

Nicht  ein  einzigesmal  habe  ich  es  in  Jena  erlebt,  daß 
von  Kuno  Fischer  irgend  ein  Klatsch  erzählt  wurde,  wie 
es  in  Kleinstädten  Brauch  ist.  Um  so  geschwollener 
wucherte  der  Klatsch  über  den  von  keinem  erreichten 
akademischen  Lehrer,  als  ich  dreißig  Jahre  später  wieder 
dort  war.  Da  war  nichts  von  dem  alten  Idyll  wieder  zu 
erkennen,  in  dem  der  deutsche  Student  ein  stilles,  heiliges 
Innenleben  pflegen  konnte.  Man  sah  nicht  mehr  das 
schlichte  Leben  und  Wesen  der  Studenten,  sondern 
schneidige,  geschniegelte  Spaziergänger,  die  mit  greisen- 
haft nörgelnder  Kritik  ihre  üniversitätsprofessoren  herab- 
setzten und  sich  über  die  lächerliche  Außenseite  mancher 
Größe  wie  altkluge  Schuljungen  mockierten.    Stolze  Häuser 


—  le- 
in burgfestem  Steinbau  prahlten  als  Sitz  von  Verbindungen, 
deren  nichtiger  Kleinkram  über  das  Kulturziel  der  IToi- 
Tersität  emporgeschraubt  wurde.  Ein  solcher  Geist,  der  die 
bedeutendsten  Charakterköpfe  der  Universität  überlegen  be- 
spöttelt, wäre  in  dem  pietätvollen  Jena  von  1869 — 1873 
von  seinen  gesunden  Elementen  als  affiges  Zerrbild  des 
Studentenlebens  abgewehrt  worden.  Freilich  sahen  damals 
die  Professoren  ihren  Stolz  in  der  soliden  Einfachheit» 
nicht  in  renommistischer  Überbietung  im  Repräsentieren 
mit  glänzenden  Diners,  die  man  den  Finanzkreisen  und 
dem  Oenußleben  der  Hofgesellschaft  in  Großstädten  oder 
prunkenden  Schlössern  als  Dekadenzmanier  nachahmt 
Jedenfalls  wird  das  reine  Geistesleben  einer  zu  innerer 
Sammlung  erziehenden  Universität  durch  Millionärs-  und 
Adelsspielerei  ins  Lächerliche  karikiert 

Zu  Kuno  Fischers  Zeit  galt  es  als  Stolz  der  Studenten, 
zu  arbeiten,  nicht  den  von  den  Eltern  unterstützten 
Bummler  zu  spielen.  Der  neuen  Generation  muß  es  ja 
heute  wie  ein  Stück  Mythenbildung  vorkommen^  wenn 
man  die  Tatsache  erwähnt,  daß  im  Sommer  1868  und 
früher,  bei  dem  Eintritt  übergroßer  Wärme  schon  in  den 
frühen  Morgenstunden  Kuno  Fischer  mit  seinen  Hunderten 
von  Zuhörern  den  Vertrag  schloß,  das  Kolleg  über  Logik 
von  7 — 8  auf  die  noch  frühere  Morgenstunde  von  6 — 7 
zu  verlegen  und  daß  es  dem  ebenso  energischen,  wie  be- 
liebten Dozenten  gelang,  die  Schar  seiner  Treuen  bis 
zum  Ende  des  Semesters  in  dieser  für  Studentenphiiister 
» unmöglichen  €  und  »unmenschlichen«  Tageszeit  festzu- 
halten. 

Li  den  Nachmittagsstunden  von  4 — 5  Uhr  trug  Kuno 
Fischer  an  den  Wochentagen,  außer  Mittwoch  und  Sonn- 
abend, Geschichte  der  Philosophie  vor,  am  Dienstag  und 
Freitag  5 — 6  Literaturgeschichte.  Auch  hier  individuali- 
sierte er  und  verteilte  den  Stoff  auf  vier  Semester:  1.  Philo- 
sophie der  Griechen,  2.  Philosophie  von  den  Scholastikern 
bis  John  Locke,  3.  Kant,  4.  Fichte,  Schelling,  Hegel;  dazu 
kam  in  Heidelberg  noch  Schopenhauer.     Den   Literatur- 


—     17     — 

6to£f  gruppierte  er  so:   1.  Lessing^  2.  Schiller,  3.  Goethe, 
4.  Goethes  «Faust«. 

Man  stelle  sich  die  Fülle  dieses  Materials  in  der 
wundervollen  Ordnung  und  der  kunstvollen  Darstellung 
des  Meisters  vor!  Hatte  man  Kuno  Fischer  gehört,  so 
war  man  gar  nicht  im  stände,  ein  Kompendium  der  Ge- 
schichte der  Philosophie  oder  Literatur  einsemesterig  vom 
Katheder  herunter  zu  hören!  Kuno  Fischer  gab  Leben, 
reichen  Inhalt,  edle  Linien  und  lichte  Farben.  Er  ließ 
z.  B.  die  Faustidee  in  Goethes  Verstand  und  Gemüt,  in 
dem  Bewußtsein  des  Deutschen  bis  vor  der  Reformation, 
in  der  germanischen  Rasse  und  in  der  Kultur  der  ger- 
manenverwandten Griechen  entstehen,  endlich  in  uns 
selbst,  seinen  Zuhörern.  So  wurde  uns  »Faust«  ein  inneres 
Erlebnis,  kein  außenstehendes  Literaturobjekt;  wir  erlebten 
^Fauste  als  deutsches  Fühlen,  als  Sehnen,  Denken,  Collen 
und  Handeln  der  germanischen  Menschen.  Wie  vertiefte 
man  sich  unter  Kuno  Fischers  Leitung  in  Lessing!  Mit 
dramatischer  Lebendigkeit  wußte  er  dieses  in  einer  Tragödie 
endende,  äußerlich  zerrissene  und  zerklüftete  Ringen  eines 
ehrlichen  Geistes  um  neuen  deutschen  Geist  aus  dem 
Wüste  einer  fremdbleibenden  Welt  darzustellen.  Wie 
wußte  er  unser  Interesse  für  die  scheinbar  gleichgültig- 
sten Studien  Lessings  zu  gewinnen.  Ganz  heimisch  wurde 
man  in  der  Dramaturgie,  im  »Laokoon«,  selbst  in  den 
vergessenen  Jugenddramen  bis  »Miß  Sarah«.  Auch  die 
Fabeln,  die  er  aus  den  griechischen  Quellen  Lessings 
herauswachsen  ließ,  um  uns  zu  zeigen,  was  der  Dichter 
hinzugefügt  habe,  ebenso  die  Gedichte  Lessings  ließ  er  so 
interessant  vor  uns  entstehen,  daß  wir  uns  an  dem  Dichter, 
als  Künstler  der  Antithese  freuen  konnten.  Natürlich 
stellte  er  uns  die  Höhepunkte  »Minna«,  »Eniiiia«,  »Nathan« 
—  als  führende  Geistesbilcler  von  dauerndem  Werte,  mit 
verpflichtender  Kraft  für  das  eigene  Leben  hin. 

Als  noch  niemand  daran  dachte,  Schiller  als  Philo- 
sophen einen  hohen  Rang  anzuweisen,  führte  uns  Kuru) 
Fischer  in  die  mächtige  Gedankenwelt  dieses  gewaltigen 

P«d.  Mag.  317.    Göring,  Von  Ktrno  Fschers  Geistosart.  2 


—     18     — 

Geistes  ein.  Kuno  Fischer  war  der  Vorläufer  aller,  die 
io  den  letzton  Jabren  Schiller  als  deo  Schöpfer  eioer 
germanisch  reformatorischen  Weltanschauung  zu  würdigen 
wußten. 

Noch  schwieriger  und  um  so  eindringlicher  war  Kuno 
Fiscliers  Eunst,  uns  mit  den  Systemen  der  Philosophie 
vertraut  zu  machen.  Ihm  waren  sie  nicht  die  >Romane 
der  großen  Denker*,  wie  Sophie  Oermain  sie  nennt, 
sondern  die  große,  ernste  Arbeit  der  besten  Menschen 
und  klarsten  Köpfe  höchster  Eulturrasse  an  der  Gestaltung 
eines  Bildes  der  Wahrheit  Wir  sahen,  daß  in  jedem  der 
großen  Denker  ein  Problem  ansetzte,  dessen  bloße  Fassung 
schon  die  konzentrierte  Kultur  und  die  gesteigerte  Denk- 
kraft  der  Epoche  bedeutete.  Dos,  was  die  eng  bemessene 
Kraft  eines  Lebens  nicht  vollenden  konnte,  setzte  der 
nächste  große  Denker  fort,  der  an  die  von  seinem  Tor- 
läufer gestellte  Frage  anknüpfte.  Welch  großartiges 
Drängen  und  Schaffen  der  Idee  sich  da  vor  dem  er- 
staunten Blicke  kundgab,  das  erlebte  man  als  Zuhörer 
als  eine  fortgesetzte  Offenbarung  des  Gedankens.  Man 
wohnte  dem  unaufhaltsam  fortschreitenden  Werdeprozeß 
der  Welterkeontnis  und  Lebensauffassung  bei.  Kuno 
Fisdiers  Darstellung  der  historischen  Systeme  der  Philo- 
sophie war  eine  Biologie  des  Gedankens,  das  imponierendste 
Kunstwerk  der  Naturwissenschaft  In  der  Präzision  der 
einzelnen  Vorträge  und  des  ganzen  Semesterkursus  trat 
das  abgeschlossene  Kunstwerk  noch  übersichtlicher  hervor 
als  in  seinem  klassischen  Werke:  »Geschichte  der  neueren 
Philosophie*. 

Denn  jeder  Vortrag  Kuito  Fischeis  war  ein  in  sieb 
abgeschlossenes  Kunstwerk,  welches  weit  zurücbgriff  und 
einen  weiten  Ausblick  bot,  Anfang  und  Ende  inmitten 
eines  wundervollen  Baues,  den  man  wie  Kristalle  empor- 
wachsen sab,  der  immer  höher  emporstrebte  und  sich  zu 
einem  geräumigen,  schönen  Bau  erweiterte,  bis  das  ganze 
Weik  wie  ein  gotbischer  Dom  aus  schöpferischer  Phantasie 
und  wissenschaftlicher  Schulung  des  Meisters  fertig  dastand. 


—     19     — 

Andacht  gehörte  zur  Aufnahme  dieses  Kunstwerkes. 
Kuno  Fischer  wußte  sie  zu  geben.  Er  trat  erst  in  den 
Hörsaal,  wenn  alle  Studenten  versammelt  waren.  Elastisch, 
in  gemessenen  Schritten,  nie  träumerisch,  nie  salopp,  ging 
er  durch  den  freien  Raum  zwischen  den  Bänken.  Er  er- 
schien stets  in  sorgfaltig  gewähltem  Anzüge,  an  dem 
nicht  die  geringste  Unordnung  oder  Nachlässigkeit  ab- 
lenkend auf  die  Aufmerksamkeit  wirken  konnte.  Basch 
betrat  er  das  Katheder.  Die  große  kräftige  Gestalt  wirkte 
imponierend.  Mit  prüfendem  Blicke  übersah  er  seine 
Zuhörer.  Spätlinge  bändigte  er  durch  scharfes  Fixieren 
und  zwang  sie,  rasch  und  geräuschlos  den  nächsten  Platz 
einzunehmen,  um  schnell  ihre  störende  Erscheinung  un- 
sichtbar zu  machen.  Schon  in  seinen  ersten  Sätzen  sprach 
er  individuell  und  intim  zu  seinen  Zuhörern.  Er  faßte 
einen  Studenten  ins  Auge,  der  ihm  selbst  ins  Auge  sah 
und  den  unmittelbar  persönlichen  Eindruck  des  lebendigen 
Vortrags  nicht  durch  Nachschreiben  störte.  An  diesen 
war  die  ganze  Vorlesung  gerichtet.  In  der  ersten  Viertel- 
stunde rekapitulierte  er  nun  den  Hauptinhalt  des  letzten 
Vortrages  und  der  grundlegenden  Gedanken  der  früheren 
Vorträge.  Darauf  baute  er  das  neue  auf.  Mochte  es  nun 
das  Lebensbild,  die  Charakterzeichnung  oder  das  System 
des  Denkens  sein,  immer  war  es  der  Weg  der  genetischen 
Entwicklung,  den  er  dem  Zuhörer  zeigte.  Soweit  es  die 
Quellen  gestatteten,  zeigte  er  das  Werden  des  Menschen 
oder  des  Gedankens  lückenlos.  Dieses  Anschauen  des 
unaufhörlichen  Wachsens  der  Idee  »machte  den  Zuhörer 
zum  Teilnehmer  an  dem  Denkprozeß.  Kmw  Fischer  gab 
alle  Prämissen,  alle  Vorbedingungen  so  folgerichtig,  daß 
man  bald  aus  dem  bloß  aufnehmenden  Zuhören  zu  tätigem 
Mitdenken  überging.  Zwanglos  wurde  man  gefragt,  frei- 
willig dachte  man  mit,  freudig  antwortete  man  auf  die 
von  dem  vortragenden  Künstler  gestellten  Fragen.  Man 
legte  mit  Kuno  Fischer  auch  die  Irrwege  des  Philosophen 
zurück.  Man  sah,  wie  leicht  es  war,  in  diesem  Laby- 
rinth  einen  Fehltritt  zu  tun,   wenn   die  Vorbedingungen 

2* 


—     20     — 

flügemeiner  ForschuDg  noch  nicht  so  weit  gediehen  waren, 
nm  das  System  zum  Abschluß  kommen  zu  lassen.  Die 
Lücke  im  System  konnte  erst  der  Nachfolger  ergänzen. 
Aus  einem  Irrtum  sah  man  ein  ganzes  System  entstehen, 
welches  wieder  ein  ganzes  Leben  ausfüllte,  bis  einer  der 
nächsten  Denker  an  dem  richtigen  Punkte  in  dem  älteren 
System  anknüpfte  und  dieses  richtig  zum  Abschluß  bringen 
konnte. 

So  wurden  die  Hylozoisten,  die  Eleaten,  Plato,  Plotin, 
Descartes,  Spinoza,  Locke  wirkliche  Erlebnisse.  Vor  allem 
wurde  uns  Kant  ein  tief  wirkendes  Ereignis  der  Menschheit 

Man  freute  sich  auf  jede  Stunde  dieses  schaffenden 
Geistes  Verkehrs  mit  Ktino  Fischer.  Man  wußte,  daß  man 
bereichert  ging.  Aber  auch  äußerlich  wurde  man  har- 
monisch Yon  seinem  Vortrag  berührt.  Die  wohlklingende 
Stimme  war  jeder  Modulation  fähig  —  von  der  schnei- 
denden Schärfe  logischer  Yerstandeskälte  bis  zum  ge- 
winnenden Tone  gemütvoller  Wärme.  Ernst,  Witz,  Humor, 
begeisternde  Lebendigkeit,  mahnende  Strenge  —  alles 
wußte  seine  Stimme,  das  Erbe  mancher  Generationen  im 
Geistesberufe,  zu  veranschaulichen.  Wer  Kuno  Fischer 
jahrelang  gehört  hat,  kann  seine  Stimme  in  ihrer  Viel- 
seitigkeit neu  beleben,  wenn  er  seine  Werke  liest 

Auch  die  rassenechte  Germanenerscheinung  wirkte  an- 
genehm. Der  stark  dolichozephale  Kopf  mit  blonden 
Haaren  und  dem  blonden  kräftigen  Schnurrbart,  den  er 
leider  dem  Bildhauer  zu  Gefallen  in  Heidelberg  dauernd 
beseitigen  ließ,  ebenso  die  stets  rosige  Frische  des  hell- 
häutigen Gesichtes,  die  mächtig  ausgedehnte,  hochgewölbte 
Stirn  und  die  großen,  echt  blauen,  ausdrucksvollen  Augen 
ließen  ihn  als  Aristokraten  aus  altem  rein  erhaltenem 
Geschlecht  erscheinen.  Die  an  der  Wurzel  eingesenkte 
Nase  mit  der  durchspaltenen  Spitze,  von  der  ein  kleiner 
Teil  des  linken  Flügels  durch  das  Rapier  abgeschlagen 
war,  gab  dem  Gesichte  das  Gepräge  einer  Kraft,  die  zwar 
nicht  die  Schönheit  der  Linie  an  dieser  Stelle  suchte,  aber 
geistige  Energie  anstrebte. 


—    21     — 

Bezeichneod  waren  in  seinen  Vorträgen  die  knapp 
gemeeaenen  Bewegungen,  die  er  mit  der  rechten  Hand 
machte:  aristokratisch  taktvoll  zurückhaltende,  nie  auf* 
dringliche  Bewegungen.  Nach  38  Jahren  sieht  man  da& 
alles  noch,  als  käme  man  gestern  aus  seinem  Eolleg:  er 
dejvonstrierte  nicht  wie  Schulmeister  mit  dem  empor- 
gehaltenen oder  vorgestreckten  Zeigefing^,  sondern  er 
legte  leise  die  Spitzen  des  Daumens  und  dritten  Fingers 
aufeinander  und  bewegte  das  Handgelenk,  selten  den 
gABzen  Unterarm,  deutend,  auf  und  ab.  Oder  er  nahm 
einen  kleinen  Schlüssel  in  die  rechte  Hand  und  ließ  ihn 
diurch  die  Finger  gleiten.     Das  war  alles. 

Wenn  man  damit  die  übertriebenen  Theaterposen  und 
exzentrischen  Schauspielerbewegungen  gedankenarmer  und 
religiunsleerer  Pfarrer  in  Stadt  und  Land  vergleicht,  die 
ihre  memorierten  Sprüchlein  herleiern,  so  wirkte  Kuno 
lisehers  fein  abgewogenes  Maß  erziehend  auf  künftige 
Prediger.  Aber  wenn  man  sich  die  grotesken,  an  Irrsinns- 
Ibnnen  grenzenden  Bewegungen  eines  Berliner  Philosophie- 
professors der  siebziger  Jahre  vergegenwärtigt,  der  jeden 
noch  dazu  abgelesenen  Satz  durch  sechs  oder  sieben 
lange  Pausen  auseinanderriß,  nach  jedem  »und«  und  »ist« 
Grimassen  schnitt,  die  Hand  wie  ein  Beil  abplattete, 
8 — 9  mal  damit  in  lachenerregender  Schnelligkeit  die  Luft 
durchhieb  und  dazu  den  Rest  des  Satzes  mit  allen  Neben- 
sätzen in  jagender  Hast  monoton  herunterschnurrte,  um 
dann  längere  Zeit  den  Mund  aufzusperren,  bis  er  —  im 
vergilbten  Manuskript  den  Faden  wiedergefunden  und 
sich  die  vier  nächsten  Worte  eingeprägt  hatte,  so  standen 
sich  hier  Karikatur  und  würdevolles  Vorbild  schroff 
gegenüber. 

Können  wir  bei  Kuno  Fischers  Handbewegungen  den 
guten  Einfluß  Erdmanns  wahrnehmen,  so  dürfen  wir  bei 
seiner  Art,  einen  aufmerksamen  Studenten  ins  Auge  z« 
fassen  und  gewissermaßen  zu  diesem  ganz  individuell  zu 
sprechen,  an  Kant  denken.  Dieser  fixierte  auch  etwas  an 
seinen  Zuhörern,  aber  nicht  das  Auge,  sondern  den  Knopf 


—     22     — 

an  dessen  Rock;  ja  er  yerlor  den  ZusammenhaDg  des 
Denkens,  als  jener  Knopf  abgerissen  war.  So  anekdoten- 
haft dies  klingen  mag,  so  ist  doch  bei  einem  so  elementar 
abgeschlossenen  Denker  wie  Eant  dieser  Vorgang  nach 
dem  vielgestaltigen  Wirken  der  Ideenassoziation  voll- 
kommen natürlich.  Freilich  muß  hervorgehoben  werden, 
daß  Kant  Gedanken  und  Wort  im  Moment  schuf,  also 
improvisierte,  während  Kmio  Fischer  stets  auf  das  sorg- 
faltigste vorbereitet  war.  Mindestens  einen  Tag  brauchte 
er  zur  Vorbereitung,  die  so  vielseitig  war,  daß  sie  nicht 
nur  das  strengste  Gedankengefüge  fertig  hinstellte,  sondern 
auch  in  der  Hauptsache  den  Wortlaut  festlegte.  Mit 
eisernem  Fleiße  brachte  er  seine  angeborenen  Anlagen 
zu  höchster  Vollendung.  Er  wollte  nicht  nur  Wissen 
vermitteln,  sondern  auch  philosophische  Gesinnung  bilden. 

Mit  diesem  bewußten  Wollen  wirkte  er  suggerierend 
auf  die  Studentenschaft  und  besonders  auf  die,  denen  sein 
Scharfblick  ein  tieferes  Interesse  ansah. 

Kuno  Fischer  stellte  Ideale  der  Menschheit  in  den 
Gedanken  der  großen  Philosophen  hin.  Dadurch  wurde 
er  ein  erfolgreicher  Erzieher  der  akademischen 
Jugend,  wie  durch  seine  Werke  der  Erzieher  der  ge- 
bildeten oder  nach  Bildung  strebenden  Welt.  Er  war 
durch  seine  Klarheit,  seine  Ordnung,  seine  Pünktlichkeit, 
seine  Gewissenhaftigkeit  in  der  Ausübung  seines  Berufes 
der  beste  Pädagoge,  der  Künstler  auf  dem  Gebiete,  welches 
er  als  Pädagogik  verachtete,  wie  auch  der  schaffende 
Künstler  die  Ästhetik  verwirft,  wenn  sie  ihre  Gesetze 
nicht  vom  schaffenden  Künstler  lernt,  sondern  als  kon- 
struktive Pedanterie  ihre  Regeln  gibt  und  dadurch  die 
produktive  Kunst  einschnürt. 

Indem  Kuno  Fischer  Ideale  zeigte,  wirkte  er  an  den 
ewigen  Aufgaben  der  Menschheit  Er  schaute  sie  in 
ihrer  Reinheit  und  übte  die  höchste  Treue,  sie  dem  Ver- 
ständnis der  akademischen  Jugend  und  der  Kulturwelt 
zugänglich  zu  machen.  Auch  sein  Leben  war  treu  diesen 
wachsenden  Idealen. 


—     23     — 

Aber  es  war  ein  einseitig  gesteigertes  Leben,  in  dem 
6r  vielen  Problemen  der  Erfahrung  gegenüber  eine  kind- 
liche Weltfremdheit  behielt  Eines  Menschen  Kraft  reicht 
nicht  aus,  den  Anforderungen  des  vielgestaltigen  Lebens 
gerecht  zu  werden. 

Dazu  ist  wohl  auch  die  Tatsache  zu  rechnen,  daß  er 
sich  seit  vielen  Jahren  von  vielen  seiner  Kollegen  zurück- 
zog and  von  seinen  intimsten  Freunden  von  öffentlichen 
Kämpfen  mit  ihnen  zurückgehalten  werden  mußte.  Er 
übertrug  seine  Innenwelt  in  die  Außenwelt  und  stieß  bis- 
weilen heftig  mit  ihr  an.  Er  fühlte  dann  oft  die  bitter- 
schmerzende Reaktion  der  Außenwelt. 

Seit  1880  drückte  ihn  die  Last  der  Prüfungen  und 
die  Verpflichtung,  Psychologie  zu  lesen,  um  beides  mit 
einer  Professur  mir  zu  übertragen,  verhandelte  er  seit 
1881  mit  mir.  Damals  verkehrte  ich  zum  erstenmal  per- 
sönlich mit  ihm.  Ich  hatte  nicht  geahnt,  welches  Über* 
maßes  von  Liebenswürdigkeit  und  geradezu  väterlich 
liebevoller  Fürsorge  er  fähig  war,  mit  der  er  mich  als  seinen 
Gast  wochenlang  in  seinem  Hause  behandelte.  Die  genial 
kindliche  Offenheit,  mit  der  er  seine  Herzenswünsche  aus- 
sprach, hatte  etwas  geradezu  Rührendes  und  gewann  ihm 
meine  liebe.  Über  die  Lehrtätigkeit  in  Heidelberg  konnten 
wir  uns  nicht  einigen,  da  ich  auf  Pädagogik,  mein  Haupt- 
gebiet, nicht  verzichten  wollte,  welches  er  zeitlebens  ver- 
abscheut hat.  Doch  hat  er  meinen  Schulbestrebungen 
seit  1886  eine  glänzende  Prognose  gestellt,  weil  er  ihre 
»gesund  realistische  Grundlage  mit  der  Richtung  auf  den 
Idealismus  €  anerkannte. 

Mit  Kuno  Fischer  ist  mir  ein  teures  Stück  Leben 
dahingesunken,  wie  wohl  Hunderten  anderer,  die  in  ihm 
ihre  Jugend  lebendig  sahen. 

Ich  hoffe  in  größerem  Umfange  sein  Wirken  dar- 
stellen zu  können  und  auch  nach  seinem  Tode  ihm 
Freunde  zu  gewinnen,  die  sich  an  seinen  Geistes- 
bildem  der  Menschheit  erheben.  Er  hat  Bleibendes  ge- 
schaffen, weil  er  die  Philosophie  als  führende  Macht  er- 


—    84    — 

kannt  und  zeitlebens  das  Banner  des  Idealismus  hoch- 
gehalten hat. 

Das  Große,  was  er  der  Nachwelt  hinterlassen  hat,  ist 
die  Yorbildlich  in  seiner  »Geschichte  der  Philosophie« 
niedergelegte  Geistesarbeit  Die  Jubiläumsausgabe  dieses 
Lebenswerkes  Ton  Kuno  Fischer  erschien  vor  einigen 
Jahren,  wie  seit  30  Jahren  fast  alle  seine  Bücher,  in  der 
üniversitätsbuchhandlung  von  Carl  Winter  in  Heidelberg 
in  12  Bänden.  Das  beste  hat  ausnahmsweise  Erfolg  ge- 
habt Vier  Auflagen  eines  Werkes,  dessen  Preis  über 
100  M  beträgt,  sind  ja  in  Deutschland  innerhalb  des 
Gebietes  der  historischen  Philosophie  beispiellos.  Auch 
Äuno  Fischers  Werke  über  Shakespeare,  Schiller  und 
Goethe,  unter  denen  die  Monographie  über  »Faust«  ein 
ausgereiftes  Kunstwerk  der  Literaturgeschichte  ist,  haben 
ihren  Weg  durch  Deutschland  gefunden. 

Die  Beleuchtung  des  Wertes  dieser  auch  bei  Carl 
Winter  in  Heidelberg  erschienenen  Werke  ist  der  Gegen- 
stand eines  späteren  Berichtes. 

Das  Charakterbild  Kuno  Fischers,  welches  vielfach  ab- 
weichend dargestellt  wird,  kann  nicht  schwanken,  wenn 
man  nur  den  Gesichtspunkt  festhält,  daß  nicht  nur  seine 
intellektuelle  Kraft,  sondern  auch  sein  ganzes  Wollen  in 
der  Berufsarbeit  für  die  Philosophie  aufging  und  daß  er 
den  übrigen  Aufgaben  des  Lebens  oft  wie  ein  Kind 
gegenüberstand.  Was  man  in  Terkennung  des  ganzen 
Menschen  »Laune«  und  »Herrschsucht«  an  ihm  nannte, 
war  teils  ein  schmerzlicher  Gegensatz  seines  zu  stark  ab- 
geschlossenen Innenlebens  zu  der  ihm  fremden  Außenwelt. 
Anekdoten  und  Klatsch,  wie  sie  sich  um  seine  Person 
gebildet  haben,  verkennen  durchweg  seine  Weltfremdheit. 
Was  einen  im  Leben  stehenden  Menschen  kaum  berührt, 
das  verletzte  ihn  als  Angriff  auf  seine  wissenschaftliche 
Autorität  und  Ehre.  Wenn  jetzt  nach  seinem  Tode,  der 
ein  reiches  Geistesleben  abgeschlossen  hat,  die  »Berliner 
Illustrierte  Zeitungc  nichts  weiter  von  dem  alle  aka- 
demischen Zaunkönige  überragenden  Mann  aufzutischen 


—     26     — 

yennag  als  3 — 4  dumme  Studenten witze,  die  so  sichtbar 
aos  dem  Schulbubentrieb  der  Renommisterei  und  des  Zum- 
bestenhaltens  hervorgegangen  sind,  ja  noch  eine  bio- 
graphische Albernheit  enthalten,  so  beweist  dies  nur  die 
ännlichste  Unwissenheit  des  anonymen  Textschreibers 
über  Kuno  Fischer.  Dieser  Denker  nahm  alles,  was  seine 
Lebensarbeit  betraf,  sehr  ernst  und  ging  selbst  an  den 
winzigsten  Nichtskönnern  nicht  gleichgültig  vorbei,  wenn 
sie  ein  oberflächlich  schiefes  Urteil  über  ihn  aussprachen, 
wozu  sie  jeder  Befugnis  entbehrten.  Er  erlebte  es  tag- 
lieb,  wie 

Leicht  beieinaDder  wohnen  die  Qedaokeo, 
Doch  hart  im  Raame  stoßen  sich  die  Sachen. 

Kuno  Fischers  TiQrM{%ixQxxQ  und  Pflichterfüllung 
kennzeichnen  mehr  als  einige  kleine  Phantasieentgleisungen 
seinen  Charakter.  Man  halte  den  Orundzug  seines  Wesens 
fest,  wenn  man  ein  Endurteil  über  ihn  haben  will. 

Hab  ich  des  Menschen  Kern  erst  nntersncht, 
8o  weiß  ich  aach  sein  Wollen  und  sein  Handeln. 

Hit  Treue  hat  er  deutschen  Idealismus  ge- 
pflegt 


nraek  TOD  HffPMAo  Bey«  4t  Söhne  (B«y«r  4t  Mmui)  in  LangooMü». 


Vertag  von  Hemunn  Beyer  fr  Söhne  (Beyer  ft  Mann)  in 

Pädagogisches  Magazin. 

itiluilliiuiia  Ton  Beuete  der  Fidunelk  M  Um  flllliftuatcbfleL 


Friedrich  Mann. 

Haft 

1.  Eereritetn,  Dr.  H.,Betrftchtimgen  aber  Lehrerbildung.   2.  Aufl.    75  PL 

2.  Haeunel,  Dr.  B.,  Übar  pädsgogiai^he  DiekusBionen  and  die BedingongM, 
noter  deoea  sie  nützen  können.    2.  Aufl.    45  Pf. 

3.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Fr.  MykonioB,  der  Eefonnator  Tharingons.   25  H. 

4.  TewB,  Job.,  Hodeme  Mädcbenerziehnng.   Ein  Vortrag.    2.  Aafl.    30  Pf. 

5.  Ufer,  Cbrietian,  Das  Wesen  des  SchiracbBinnB.    2.  Aufl.    25  Ff. 

6.  Wohlrabe,  Or.  W.,  Otto  Frick.    GedäcbtniBrede,  geb»lten  im  Hatlft- 
Bcben  Lehrer- Vereine.    40  Pf. 

7.  Holtsch,  H.,  ComeniaB,  der  Apostel  des  Friedens.    30  Pf. 

8.  Sallvürk,  Dt.  £.  von,  Bsumgarten  gegen  Diestenr^.    2S  Pf. 

9.  Tevs,  Job.,  SozialdemokratiHche  Pädagogik.     3.  Aufl.     50  Ff. 

10.  FlQgel,  O.,  Über  die  Phantasie.    Ein  Tortrag.    2.  AaS.    30  PL 

11.  Janke,  0.,  Die  Beleur.btnng  der  Schulzimmer.     25  Pf. 

12.  Schullerns,  Dr.  Adolf,   Die  Deutsche  Mythologie  in  der  Eniehang^ 
■ehale.    20  Pt. 

13.  Keferstein,  Dr.  Horst,   Eine  Herderstndie  mit  besonderer  Bedehong 
auf  Herder  als  P&dagw.    40  PF. 

14.  Wittstock,  Dr.  Alb.,  Die  Überriillung  der  gelehrten  BemfHzweige.  50  Pf. 

15.  Hanziker,  Prof.  0.,  Comeniua  und  Pestalozzi.  Festrede.  2.Anfl.  40  Pt 

16.  SallwOrk,  Dr.  E.  von,   Das  Becht  der  VolkBecbaUofBicht    Nach  im 
Verhandtuigen  der  wßrttenibei^.  Kanuner  im  Mai  1891.    25  Pf. 

17.  Boasbach,    Dr.  F.,   Historische  Eicbtigkeit  and  Volkstfimliclikeit  in 
Gescbichtsonterrichte.    40  Pf. 

16.  Wohlrabe,    Bektor   Dr.,    Lebrplan  der   HBchsstufigen    VolksBchole   n 

Halle  a.  S.  für  den  Unterricht  u  Geechiobte,  Geographie,  Natnrlehni 

Raumlehre,  Deutsch,    40  Pf. 
19.  Bother,    H.,    Die  Bedentang  das  Uabewobtea   im    menachl.  SealaB* 

leben.    2.  Ana    30  PL 
ÜO.  Gehmlich,    Dr.  Einst,  Beiträge  txa  Geschichte  des  ÜntArrichta  nad 

der  Zucht  in  den  atSdtiachen  LateiaBchnlen  des  16.  Jalirbundertt.   50  FL 

21.  Hollkamm,  F.,  Erziehender  üot«rriaht  nnd  MMsennntenioht    60  PL 

22.  Janke,  Otto,  ESrperhaltung  und  Schrift richtong.    40  Pf. 

23.  Lange,  Dr.  Karl,  Die  cweckmfJaige  Gestaltung  der  SSentliohon  Bchnl- 
OTQfoiigen.    30  Pf. 

24.  Gleiehmann,  ProL  A.,  Über  den  blob  darstellenden  Cntarridit  Hct> 
barts.    2.  Auflage.    60  Pf. 

26.  Lomberg,  A.,  GroCse  oder  kleine  Scbulajsteme ?    45  Pt. 

26.  Bergemann,  Dr.  P.,  Wie  wird  die  Heimatskunde  ihrer  aoa.-ethiachcn 
Aufgabe  gerecht?  2.  Ana.    80  Pf. 

27.  Eirchberg,  Th.,  Die  E^mologie  und  ihre  Bedeutung  ftli  Schule  and 
Lehrer.    40  Pf. 

28.  Honke,  Jnlius,  Zur  PSeg«  volkstOml.  Bildone  and  Gesittung.    50  PL 

29.  Bsakanf,  Dr.  A.,  Abnorme  Kinder  and  ihre  Pflege.    2.  Aofl.    36  Pt 


YoncblJUe  zur  Refonn 


der 


Allgemeinen  Bestlmmnngen 


vom  15.  Oktoki  1872. 


Voa 


W.  Vogelsang, 

RoktcMT  in  Barmen. 


^'  ^^  ,^*^-  f    #-.'-*•.■**--■#■•-     .^  -■-<'■'  •^^  •• 


Pftdagogiflohes  Xagasin,  Heft  818. 


*  ^^^%  "•^^-'N^'*^*    .y"'  'Nyv^  *  *v^*  «^  .'*».     ••,•.,     .".'' 


* 


Langensalza 

Hermann  Beyer  &  Söhne 

(Beyer  &  Mann) 

HflCBOgl.  Sftcha.  Hofbachhlndl« 

1907 


Vorwort. 


Nachfolgende  Arbeit  war  schon  geschrieben,  bevor  der 
liberal-freikonservatire  Antrag  eingebracht  wurde, 
»in  eine  allgemeine  Prüfung  der  Frage  einzutreten,  in- 
wieweit der  Yolksschulunterricht  den  Anforderungen  des 
Lebens  genügt,  auf  welche  Gründe  die  etwa  festzustellen- 
den Mängel  zurückzuführen  sind  und  welche  Haßregeln 
zur  Beseitigung  dieser  Mängel  erforderlich  erscheinen, 
und  die  Ergebnisse  dieser  Prüfung  dem  Abgeordneten- 
hause in  einer  Denkschrift  mitzuteilen.«  —  Wie  der  Ab- 
geordnete Schiffer  bei  der  Begründung  dieses  Antrages 
bemerkte  und  auch  der  Abgeordnete  Freiherr  vmi  Zedlitx 
betont  hat,  wird  die  Erörterung  dieser  wichtigen  An- 
gelegenheit »in  das  Innere  der  Schule«  eingreifen,  man 
wird  »den  Lehrplan  und  die  Lehrmittel  genau  prtLfen 
müssen«.  Für  diese  Prüfung,  der  man,  wie  es  scheint, 
im  Kultusministerium  bereits  näher  getreten  ist,  —  die 
Informationsreise  des  Provinzial-Schulrats  UUma7in  deutet 
darauf  hin  —  bieten  sich  folgende  Vorschläge  als  Material 
zur  Erwägung  an. 


Jmw  "iV 


VoD  aufrichtiger  Dankbarbeit  getrieben,  hat  die  preu- 
ßische Lehrerschaft  dem  Erneuerer  der  preußischen  Volks- 
schule, ihrem  unvergeßlichen  Kultusminister  Dr.  Falk  in 
Hamm  ein  Denkmal  gesetzt.  Die  »Allgemeinen  Bestim- 
mungen«, die  er  am  15.  Oktober  1872  erließ,  sind  ohne 
Zweifel  ein  wichtiger  Merkstein  in  der  Geschichte  der 
preußischen  Volksschule;  denn  sie  bedeuten  einen  ge- 
waltigen Fortschritt  in  ihrer  Entwicklung.  Sie  führten 
außer  dem  Zeichnen  die  Realien  als  selbständige  Fächer 
in  den  Lehrplan  ein,  und  machten  ihn  so  qualitativ 
vollständig.  Sie  hoben  das  Präparanden-  und  Seminar- 
wesen und  verschafften  unserer  allgemeinen,  wie  auch 
unserer  beruflichen  Bildung  ein  breiteres  und  besseres 
Fundament.  Sie  führten  die  Mittelschul-  und  die  Rektor- 
Prülung  ein  und  regten  dadurch  die  Lehrerschaft  zu 
eifrigen  Fach-  und  beruflichen  Studien  an.  Sie  verrieten 
damit  eine  hohe  Auffassung  vom  Lehrer-  und  Erzieher- 
beruf und  machten  einen  Anfang  mit  der  Einführung 
der  Fachaufsicht. 

Inzwischen  ist 'mehr  als  ein  Menschenalter  vergangen. 
In  dieser  Zeit  hat  man  die  »AUgem.  Best.«  in  der  Praxis 
erproben  und  ihre  theoretischen  Grundlagen  prüfen  können. 
Die  Resultate  dieser  Prüfung  dürfen  beanspruchen,  bei 
einer  Reform  der  »Allgem.  Best.«,  bezw.  beim  Erlaß  einer 
neuen  Lehrordnung,  die  über  kurz  oder  lang  zu  erwarten 

Pftd.  Mag.  318.    Yogolsang,  YorschlKgo  z.  Bef.  d.  AUg.  Best  1 


—     2     — 

ist,  berücksichtigt  zu  werden.  Was  das  Präparanden-  und 
Seminarwesen  betrifft,  so  haben  ja  die  FalkschQu  Be- 
stimmungen bereits  anderen,  dem  Bedürfnis  unserer  Zeit 
mehr  entsprechenden  Vorschriften  weichen  müssen.  Auch 
andere  Gebiete  des  Yolksschulwesens,  z.  B.  die  Lehrer- 
besoldung, die  Schulunterhaltungspflicht  u.  a.  sind  durch 
besondere  Gesetze  neu  geordnet  worden.  Nur  betreffs  der 
auf  den  Unterricht  sich  beziehenden  Vorschriften  ist,  vom 
Zeichenunterricht  abgesehen,  im  wesentlichen  alles  beim 
alten  geblieben.  liegt  das  etwa  daran,  daß  für  die  Schule 
in  dieser  Beziehung  nichts  mehr  zu  wünschen  ist?  Das 
wird  niemand  behaupten.  In  der  pädagogischen  Fach- 
presse sind  vielmehr  seit  langem  und  oft  Verbesserungs- 
vorschläge allerlei  Art  laut  geworden. 

Im  folgenden  sollen  ebenfalls  einige  Wünsche  zur 
Sprache  gebracht  werden,  die  vielleicht  bei  einer  Beform 
der  »Allgem.  Best«  Berücksichtigung  finden  könnten. 
Der  Hauptsache  nach  sind  sie  schon  vor  Jahrzehnten  von 
Dörpfeld^  der  bekanntlich  an  der  Konferenz  teilnahm,  die 
der  Ausarbeitung  der  Lehrordnung  von  1872  vorausging 
und  der  sie  deshalb  durch  und  durch  kannte,  in  seinen 
»Grundlinien«,  im  »Didaktischen  Materialismus«,  und  den 
»Zwei  dringlichen  Beformen«  erörtert  worden,  allerdings 
so,  daß  man  erst  bei  schärferem  Zusehen  erkennen  konnte, 
daß  der  Verfasser  indirekt  eine  Beform,  bezw.  Fortbildung 
der  »Allgem.  Best.«  im  Auge  hatte.  Diese  mit  Absicht 
gewählte  vorsichtige^)  Form  der  Kritik  sowohl,  wie  seine 
offene 2)  in  den  »Zwei  dringlichen  Beformen«  sich  findende 
kritische  Besprechung  der  »Allgem.  Best.«  hat  aber  bis- 
her nicht  das  wünschenswerte  Echo  gefunden. 

^)  »Eioe  direkte  Kritik  der  ,Allgem.  Best^,  unter  Aufdeckung 
aller  spesiellen  Mängel,  hätte  von  andern  Händen  leicht  zu  Zwecken 
benutzt  werden  können,  denen  ich  gerade  entgegenarbeiten  wollte.« 
(Dörpfdd,  Ges.  Sehr.  V,  S.  89.) 

')  »Den  ,AÜgem.  Best.^  fehlt  die  Erkenntnis,  daß  die  Lehrfächer 
ein  organisches  Oeglieder  bilden  müssen,  kurz,  die  Theorie  des  Lehr- 
plans, und  zwar  so  sehr,  daß  von  ihren  Hauptgrandsätzen  auch 
nicht  ein  einziger  dort  zu  finden  ist.«   {Dörpfeld^  Oes.  Sehr.  V,  8.46.) 


—     3     — 

Dörpfeld  beklagt  sich  geradezu  darüber,  daß  die  ein- 
same Stimme  eines  einfachen  Schulblattschreibers  bei  den 
Unterrichtsgesetzgebem  keine  ernstliche  Beachtung  ge- 
funden habe  und  daß  seine  im  Laufe  der  70  er  Jahre  er- 
schienenen Schriften,  obwohl  sie  gerade  zum  Schutze  der 
durch  die  »Allgem.  Beste  gewonnenen  Fortschritte  ge- 
schrieben waren,  nichts  anderes  als  die  »Stimme  eines 
Predigers  in  der  Wüste«  gewesen  seien.  (Ges.  Sehr.  V, 
&91.) 

Woher  stammen  und  wo  stecken  denn  nach  Dörpfelds 
Meinung  die  Mängel  und  Lücken  der  »AUgem.  Best«? 
Sie  sind  im  Grunde  genommen  ein  »Erbteil  aus  alter 
Zeit,  das  unbesehens  aus  den  Regulativen  in  die  neue 
Lehrordnung  herübergenommen  wurde«  und  werden  auf- 
gedeckt, wenn  die  »Allgem.  Best«  vom  Standpunkt  der 
Theorie  des  Lehrplans  beleuchtet  werden,  deren  tiefere 
Er&ssung  »die  Schulbehörden  bisher  konsequent  ignoriert 
und  vom  offiziellen  Scbulboden  ferngehalten  haben«. 

Die  Theorie  des  Lehrplans  hat  bekanntlich 

L   die  Auswahl, 

n.   die  Verteilung  oder  Anordnung  und 
ni.  die  Verknüpfung  der  Stoffe 

ins  Auge  zu  fassen. 

L  Was  zunächst  die  Auswahl  des  Stoffes  betrifft,  so 
ist  die  erfreuliche  und  bedeutsame  Tatsache  anzuerkennen, 
daß  der  Lehrplan  der  »Allgem.  Best«  qualitativ  voll- 
ständig ist,  d.  h.  daß  sämtliche  für  die  allgemeine  Bildung 
wesentlichen  Sto&e  vertreten  sind.  Nur  in  der  Kunde 
vom  Menschenleben,  und  zwar  im  Geschichtsunterricht, 
ist  eine  kleine  Lücke.  Hier  fehlt  der  Stoff,  den  schon 
Comeniiis^)  in  der  9.  These  seines  Lehrplans  für  Volks- 
schulen im  29.  Kapitel  seiner  »Didactica  magnat  fordert 
und  den  wir  heute  »Volkswirtschaftslehre  und  Gesetzes- 
kunde« nennen.  Seitdem  Dörpfeld  eingehend  nachgewiesen, 


^)  Vgl.  meinen  Aufsatz  in  der  »Päd.  Ztg.«  vom  6.  August  1903 
>Wie  ist  der  Lehrplan  des  (Jornentua  zu  beurteilen?« 


daß  dieser  für  die  soziale  Seite  der  Schulaufgabe  wichtige 
Stoff,  von  ihm  >GeseUschaftskuDde<  genanDt,  zur  Er- 
gänzimg des  GeschichtsuntemchtB  unbedingt  notwendig 
sei,  hat  man  seiner  Forderung  allgemein  zngestimmt,  auch 
auf  Orund  Beines  »Repetitoriums  zur  Geselischaftekunde« 
oder  anderer  Hilfebücher  von  C.  Biche,  MUtenxioey  n.  a. 
bereits  praktische  Tersuche  nach  dieser  Bichtang  bin  ge- 
macht Somit  bann  die  Unterrichtsrerwaltnng  sicher  sein, 
einem  dorchaua  berechtigten  und  wobl  ausführbar«! 
Wunsch  entgegenzukommen,  wenn  sie  den  Lehrplan  der 
Yolkaschnle  durch  Aufnahme  der  Gesellschaftskunde  vei^ 
ToUständigt  Sie  handelt  damit  zugleich  im  wohlver^ 
standenen  Interesse  der  Staatsverwaltung,  der  etwas 
daran  gelegen  sein  muß,  daß  der  znr  Teilnahme  am 
gesellscbafDioben  und  staatlichen  Leben  bestimmte  Nach- 
wuchs Interesse  und  Yerständnis  dafür  bekommt 

Natürlich  hat  die  Volksschale  nur  die  Elemente')  der 
OeseUschaftskunde  zu  lehren;  weitergehende  Belehrungen 
müssen  der  Fortbildangaschole  überlassen  bleiben. 

So  gerechtfertigt  es  nun  auch  ist,  den  Lebrplan  zu 
vervollständigen,  sobald  der  Nachweis  erbracht  wird,  daß 
dieser  oder  jener  bisher  fehlende  Stoff  für  alle  Kinder 
praktische  Wichtigkeit  und  zugleich  einen  spezifischen 
Bildungswert  hat,  ho  entschieden  ist  es  abzulehnen,  mit 
einer  ganzen  Reihe  anderer  Stoffe,  —  nach  einer  Zu- 
sammenstellung der  >Päd.  Ztg.*  mögen  es  60  sein  — 
deren  Aufiiabme  von  diesem  oder  jenem  Beru^  oder 
Interessentenkreise  gefordert  wird,  den  Lehrplan  zu  Über- 
laden. Wohl  hat  die  Volksschule  die  Pflicht,  die  Ört- 
lichen Verhältnisse  einer  Gegend,  ihre  Gäa,  Flor«  und 
Fauna  usw.,  soweit  es  eben  möglich  ist,  uowie  die  Eigen- 
art des  wirtscha^chen  und  religiösen  Lebens  der  be- 
treffenden   Gemeinde   an    passenden    Stellen    zu    berück- 


')  iDörpfeld  bat  in  Beiaem  Bepetitoriam  einen  AbBchnitt  über 
doD  socialen  OrgatiiamnB  der  Arbeit,  der  m.  E.  Torsiiglich  gelungea 
ist.  Er  bietet  du  E^emeatarate ,  aber  freiliob  aaob  dringend  Not- 
weodige.«    Sobalrat  Kanmgießer-'SMaaiA. 


-      5     — 

sichtigen y  nämlich  darum,  weil  es  vorteilhaft  ist,  an  die 
im  Kinde  lebenden  und  ihm  aus  seinem  Lebenskreise 
immer  neu  erwachsenden  Vorstellungen  und  Interessen 
anzuknüpfen  und  sie  zu  pflegen.  Aber  das  ist  Sache  des 
speziellen  Lehrplans,  den  jede  Schule  für  sich  aufstellt, 
oder  den  die  Schulen  einer  Stadt  oder  eines  Bezirks  für 
sich  entwerfen.  Nur  dürfen  aus  diesen  Stoffen  nicht  be- 
sondere ünterrichtsgegenstände  gemacht  werden.  Denn 
es  kann  nicht  genug  betont  werden^  daß  die  Volksschule 
kein  Mädchen  für  alles  ist.  Sie  kann  nicht  den  ver- 
schiedensten Berufskreisen,  deren  Wünsche  nicht  selten 
einander  widersprechen,  zugleich  dienen  und  Aufgaben 
lösen,  die  den  landwirtschaftlichen  u.  a.  Fachschulen  oder 
der  Fortbildungsschule  zuzuweisen  sind.  Die  Volksschule 
ist  vielmehr  eine  allgemeine  Bildungsanstalt,  die  nur 
solche  Stoffe  aus  den  3  Gebieten  des  menschlichen  Wissens 
—  Natur,  Mensch  und  Gott  —  aufnehmen  kann,  die 
jedem,  wes  Standes  und  Berufes  er  auch  sei,  zu  wissen 
und  zu  können  unentbehrlich  sind.  Da  dieser  Gesichts- 
punkt vielfach  außer  acht  gelassen  und  verkannt  wird, 
so  dürfte  es  sich  empfehlen  (um  die  Volksschule  vor  un- 
verständigen Zumutungen  zu  schützen),  an  die  Spitze 
eines  neuen  Unterrichtsregulativs  den  Satz  zu  stellen: 
»Die  Volksschule  ist  eine  allgemeine  Bildungsanstalt, 
die  auf  dem  Boden  und  in  den  Grenzen  der  Muttersprache 
die  allen  Volksschichten  nötige  (allgemeine)  Bildung  ver- 
mitteln soll.f 

Dieser  Satz  würde  auch  dem  Streit  um  die  Aufnahme 
des  Handfertigkeitsunterrichts  für  Knaben  ein  Ende  machen. 
Der  Vater  der  »Allgem.  Best.«,  Geh.  Rat  Dr.  Schneider,  hat 
vollkommen  recht,  wenn  er  sagt:  »Ich  erkenne  gern  den 
Nutzen  an,  den  ein  ernst  betriebener  Handfertigkeits- 
unterricht in  Knabenintematen  haben  kann;  ich  gestehe 
auch  gern  zu,  daß  er  für  die  Muße  der  Kinder,  nament- 
lich da,  wo  ihnen  die  Gelegenheit  zu  Bewegung  in  frischer 
Luft  nur  spärlich  geboten  ist,  wohltätig  sein  mag.  Ich 
möchte  aber  doch   die  Volksschule   mit  der   Einführung 


—     6     — 

des  Handfertigkeitsunterrichts  als  eines  obligatorischen 
Lebrgegenstandes  verschont  sehen.c  Ebenso  würde  der 
obige  Satz  verbieten,  Haushaltungs-  uod  Eochunterricht 
schon  für  noch  nicht  14jährige  Mädchen  einzurichten. 
Dieser  Unterricht  gehört  in  die  Fortbildungsschule  für 
Mädchen.  Für  den  Handfertigkeitsunterricht  dürfte  es 
genügen,  an  einem  schulfreien  Nachmittage,  eveni  für 
mehrere  Schulen  einer  Stadt  gemeinsam,  einen  Kursus 
einzurichten,  an  dem  die  Knaben  sich  auf  Wunsch  ihrer 
Eltern  beteiligen  können. 

Bei  der  Auswahl  kommt  aber  nicht  nur  die  Qualität, 
sondern  auch  —  und  fast  noch  mehr  —  die  Quantität 
in  Betracht  Wohl  noch  nie  hat  man  darüber  klagen 
hören,  daß  Lehrpläne  und  Lehrbücher  zu  wenig  Stoff 
böten,  das  Gegenteil  trifft  vielmehr  zu;  und  zwar  gerade 
seit  dem  Erlaß  der  »Allgem.  Best«  in  besonderem  Maße. 
Sie  sind  zwar  unschuldig  an  der  Verbreitung  der  irrigen 
und  ungemein  schädlichen  Ansicht,  daß  der  eingelernte 
Stoff  ohne  weiteres  auch  geistige  Kraft  bedeute  und  daß 
die  Menge  des  durchgenommenen  Stoffes  der  Maßstab  der 
intellektuellen  und  sittlichen  Bildung  sei.  Ihr  Verfasser, 
in  pädagogischen  Fragen  wohl  bewandert  und  erfahren, 
hat  auch  die  schädlichen  Wirkungen  der  Stoffüberbürdung 
und  des  Einpaukens  sehr  gut  gekannt,  betont  er  doch 
beim  Religionsunterricht:  »Geistloses  Einlernen  ist  zu 
vermeiden«,  und  bei  der  Geographie :  »Das  Maß  des  dar- 
zubietenden Stoffes  wird  durch  die  Art  der  Schule  be- 
dingt«; es  ist  indeß  bei  Aufstellung  des  Lehrplans  vor- 
zuziehen, nötigenfalls  den  Umfang  des  Lehrstoffes  zu  be- 
schränken, statt  auf  dessen  Veranschaulichung  zu  ver- 
zichten und  den  Unterricht  in  Mitteilung  bloßer  Nomen- 
klatur ausarten  zu  lassen.« 

Trotzdem  wird  aber  in  allen  Schulen  bis  zum  heutigen 
Tage  im  allgemeinen  viel  zu  wenig  bedacht,  daß  die 
formale  Durcharbeitung  der  Lehrstoffe  eingeengt  und  ver- 
kürzt, also  das  Lernen  oberflächlich  und  unsicher  wird 
und   somit   alle   anderen   didaktischen  Maßnahmen   mehr 


—     7     — 

oder  weniger  um  ihre  Frucht  betrogen  werden,  wenn 
man  dem  didaktischen  Materialismus  huldigt  Denn  die 
Mast  mit  überliefertem  Buchwissen  gibt  keine  Bildung, 
nicht  einmal  Geistes-,  geschweige  Charakterbildung.  »Das 
kleinste  Stück  in  spontaner  Arbeit  erworbener  Einsicht, 
68  mag  sein,  auf  welchem  Gebiet  es  will,  bedeutet  für 
die  Bildung  des  inneren  Menschen,  für  die  Entwicklung 
der  geistigen  Kräfte  mehr,  als  eine  ganze  Last  positiven 
Wissens,  das  einem  widerwillig  durch  alle  Wissenschaften 
Gehetzten  aufgeladen  wird.«    (F.  Paulsen.) 

Darum  müßten  die  :»Allgem.  Best.«  der  Zukunft  noch 
schärfer  gegen  diesen  schlimmen  Feind  des  Lehrens  und 
Lernens,  besonders  im  Beligionsunterricht,  auftreten  und 
darauf  hinweisen  bezw.  unnachsichtlich  verlangen,  daß 
nur  soviel  Stoff  in  den  Lehrplan  aufzunehmen  ist,  als 
Bchulgerecht  durchgearbeitet  werden  kann,  und  daß  auch 
von  der  geistigen  Ernährung  das  Wort  gilt:  Der  Mensch 
lebt  nicht  von  dem,  was  er  ißt,  sondern  von  dem,  was 
er  verdaut.  Freilich  müßten  zugleich  die  Schulbehörden 
unerbittlich  allen  Lehrbüchern  und  Lehrplänen  die  Ge- 
nehmigung versagen,  die,  wie  z.  B.  der  Berliner,  sich 
nicht  auf  ein  bescheidenes  Stoffmaß  beschränken,  und 
bei  Revisionen  dürfte  nicht  vorzugsweise  nach  dem  Maß 
der  im  Gedächtnis  aufgespeicherten  Kenntnisse^)  gefragt 
und  geurteilt  werden.  Wenn  die  Schule  es  als  ihre  Haupt- 
aufgabe ansieht,  den  Lerntrieb  der  Schüler  zu  wecken, 
d.  h.  sie  zum  selbständigen  Weiterlernen  anzuregen  und 
zu  befähigen,  wenn  sie  stets  auf  die  denkende  Verarbeitung 
der  Unterrichtsstoffe  Wert  legt,  imd  das  rechtzeitige  Ein- 
prägen*) und  Wiederholen  nicht  versäumt,  so  wird  es 
auch  an  den  nötigen  Kenntnissen  nicht  fehlen. 


^)  »Die  Schule  hat  das  Hauptgewicht  nicht  auf  die  AoeigouDg 
des  Lehrstoffes,  sondern  auf  die  Bildung  des  Charakters  und  die 
Bedürfnisse  des  praktischen  Lebens  zu  legen.«     Wilhelm  II. 

*)  »Wenn  die  Repetition  nötig  wird,  kommt  sie  meistens  sohon 
SU  spät.«    Mager. 


—     8     — 

Was  nun 

II.  die  Verteilnng  und  Anordnung  des  Stoffes 
betrifft,  so  decken  sich  meine  Wünsche  betreffe  des  Reli- 
gionsunterrichts im  großen  und  ganzen  mit  den  Vor- 
schlägen, die  Rektor  Leite  im  »Ev.  SchulbLc  1903,  S.  193 
u.  ff.  ausführlich  begründet  hat.  Er  wünscht  (in  Über- 
einstimmung mit  Redeker-PiitXf  Thrändorf,  Meltxer  und 
Retikauf  u.  a.): 

1.  daß  dem  eigentlichen  Religionsunterricht  ein  vor- 
bereitender Kursus  Yoraufgehe,  worin  ^Te^sche  Fabeln, 
auch  Märchen  u.  a.  wertvolle,  der  kindlichen  Fassungs- 
kraft angemessene  Stoffe  —  etwa  V2  J^r  hindurch  — 
besprochen  werden; 

2.  daß  StoSe  aus  beiden  Testamenten  bis  zur  Ober- 
stute in  jedem  Schuljahr  behandelt  werden,  jedoch  so, 
daß  unter  Preisgabe  der  konzentrischen  Kreise  auf  der 
Unter-  und  der  Mittelstufe  das  Alte,  auf  der  Oberstufe 
dagegen  das  Neue  Testament  bevorzugt  werde; 

3.  daß  der  eigentliche  Katechismusunterricht  ausschließ- 
lich von  der  Kirche  erteilt  werde. 

Wie  im  Religions-,  so  sollte  man  auch  im  Geschichts- 
unterricht mit  dem  streng  durchgeführten  Prinzip  der 
konzentrischen  Kreise  brechen  und  den  Stoff  so  verteilen, 
daß  er  im  5.  und  6.,  sowie  im  7.  und  8.  Schuljahr  je 
einmal  durchlaufen  wird.  Dem  4.  Schuljahr  wäre  der 
vorbereitende  Geschichtsunterricht  (Sagen  und  Geschichten 
der  Heimat)  zu  überweisen. 

Endlich  sollte  man  nach  dem  Vorbilde  von  München 
die  neu  eintretenden  Schüler  nicht  gleich  von  vom  herein 
mit  Lautieren,  Lesen  und  Schreiben  behelligen ,  sondern 
bis  zu  den  großen  Ferien  oder  auch  V2  ^^^^  '^^S  ^^^^ 
damit  begnügen,  den  Yorstellungskreis  der  Kleinen  zu 
klären,  zu  berichtigen  und  zu  erweitern,  ihre  Sprachkraft 
durch  Betrachtung  und  Besprechung  geeigneter  Gegen- 
stände und  Bilder,  sowie  durch  Erzählen  und  Wieder- 
erzählen von   Märchen,  Kinderreimen,   Liedern   usw.  zu 


—     9     - 

fördern,  mit  don  Kleinen  zu  spielen  und  Ausgänge  in  die 
nfiohste  Umgebung  zu  machen,  sie  malen  zu  lassen  usw.^) 
So  würde  sich  der  Übergang  von  der  Freiheit  des  Hauses 
zur  Gebundenheit  der  Schule  leichter  und  ohne  Schaden 
für  die  Eindesnatur  vollziehen ;  zudem  würde  es  auf  diese 
Weise  eher  möglich  zu  machen  sein,  daß  der  Sprach- 
unterricht seine  Stoffe  ganz  dem  Sachunterricht  (im 
Dörpfeldschen  Sinne)  entnähme,  wie  eine  psychologisch 
richtige  Didaktik  es  fordert.  (Daß  der  Sprachunterricht 
in  den  drei  ersten  Schuljahren  seine  Ergänzung  durch 
einen  gesonderten  Anschauungsunterricht  findet,  wie  der 
Berliner  Lehrplan  sagt,  ist  m.  E.  falsch.)  Aller  Voraus- 
sicht nach,  —  und  die  Erfahrung  bestätigt  dies  — ,  werden 
die  Kinder  im  2.  Halbjahr  um  so  leichter  und  rascher 
lesen  lernen. 

,       Was  endlich  die  Hauptsache, 

ni.  die  Verknüpfung  der  Lehrstoffe  betrifft,  so 
wird  allgemein  anerkannt  und  von  der  Herbartschen 
Schule  besonders  betont,  daß,  abgesehen  von  dem  schätzens- 
werten Schutz  gegen  das  Stoffüberraaß,  den  die  Verein- 
heitlichung 2)  der  Stoffe  im  Gefolge  hat,  eine  gegenseitige 
planmäßige  Unterstützung  der  Unterrichtsstoffe  nicht  nur' 
wegen  der  besseren  Behaltbarkeit,  sondern  vor  allem  zur 
Erzielung  eines  einheitlichen  Gedankenkreises  und  de» 
darauf  beruhenden  einheitlichen  Wollens,  also  der  Cha- 
rakterbildung, notwendig  sei.  »Ist  der  ethische  Zweck 
des  Unterrichts  die  Erzielung  einer  durchgebildeten  Ge* 
sinnung  und  eines  Charakters  aus  einem  Gusse,  dann 
heißt  die  erste  und  notwendigste  Bedingung:  planmäßige 
und  vielseitige  Verknüpfung  der  Lehrstoffe.«     (Dörpfeld,) 


^)  Wie  sich  daoD  der  IJDterricht  im  1.  Schuljahr  gestalten 
könnte,  ersieht  man  ans  dem  trefflichen  Buche  von  Max  Troll:  Das 
erste  Schuljahr.  Theorie  und  Praxis  der  Elementarklasse  im  Sinne 
der  ReformbestrebuDgen  der  Gegenwart.  Preis  2,75  M.  Langensalza, 
Hermann  Beyor  &  Söhne  (Beyer  &  Mann). 

')  »Nur  die  Einheit  gewährt  die  Möglichkeit  der  Vertiefung,  and 
nur  die  Vertiefung  schafft  wirkliche  Bildung.«    Kerschenateiner, 


—     10     — 

Dies  Ineinandergreifen  der  Lehrstoffe  hat  aber,  soweit  es 
nicht  Sache  des  Lehrverfahrens  ist,  zur  Voraussetzung, 
daß  man  die  Lehrfacher  nicht  als  einen  nach  Zufall  und 
Outdünken  aufgeschichteten  Haufen,  sondern  als  einen 
Organismus  betrachtet,  an  dem  kein  Olied  fehlen  darf 
und  jedes  an  der  richtigen  Stelle  steht  Yon  diesem 
Oesichtspunkt  aus  betrachtet,  kann  man  den  »Allgem. 
Best.«  den  Vorwurf  nicht  ersparen,  daß  sie  die  Unter- 
richtsfächer in  bunter  Reihenfolge,  ohne  Bücksicht  auf 
ihre  innere  Verwandtschaft  aufzählen.  Sie  nennen  sie 
nämlich  in  der  Reihenfolge,  wie  sie  im  Laufe  der  ge- 
schichtlichen Entwicklung  in  die  Volksschule  eingeführt 
worden  sind.  »Herkommen  und  allgemeiner  Brauch  be- 
stimmen bis  zum  heutigen  Tage  Namen  und  Zahl  der 
Lehrgegenstände  und  die  Auswahl  des  Lehrstoffes,  und 
gesetzliche  oder  ministerielle  Bestimmungen  geben  der 
Tradition  ihre  feierliche  Bestätigung.«  {Dörpfeld.)  Diese 
Rangordnung  der  Lehrfächer,  die  man  als  Maßstab  ihrer 
Wichtigkeit  für  das  praktische  Leben  wohl  gelten  lassen 
kann,  betreffs  ihrer  didaktischen  Bedeutung  und  Zusammen- 
gehörigkeit aber  als  verkehrt  bezeichnen  muß,  verhüllt 
eine  ganze  Reihe  pädagogischer  Wahrheiten,  die  der 
Kenner  schon  in  der  richtigen  Rangordnung  angedeutet 
findet.  Welches  ist  denn  diese  richtige  Rangordnung? 
Ich  gebe  unter  den  von  Ziller,  Bein,  Dörpfeld^  Willmann 
stammenden  Aufzählungen,  die  mehr  als  eine  bloße  Reihen- 
folge sind,  der  Dörpfeld&chen  den  Vorzug,  welche  die 
für  die  sittliche  und  intellektuelle  Bildung  unentbehr- 
lichen Fächer  wie  folgt  ordnet: 

L  Sach Unterricht.    Dazu  gehören: 

A.  1.  Die  ethischen  Stoffe  (bibl.  Oeschichte  und 

Kulturgeschichte), 
2.  die  Außendinge:  Erd-  und  Volkskunde, 

Naturkunde. 
II.   Formunterricht.    Dazu  gehören: 

B.  3.  Der  Sprach-  und  Literaturunterricht. 

C.  4.  Rechnen.  —  Singen.  —  Zeichnen. 


—    11    — 

und  welches  sind  die  pädagogischen  Wahrheiten,  die 
in  dieser  Übersicht  eines  richtig,  nämlich  organisch  ge- 
gliederten Lehrplans  verborgen  sind? 

1.  Zunächst  kommt  darin  der  Fundamentalsatz  der 
Lehrplantheorie  zum  Ausdruck,  daß  der  Lehrplan  quali- 
tativ vollständig  sein  muß;  denn  im  Sachunterricht 
fehlt  keins  der  drei  großen  Wissensgebiete:  Gottes-, 
Menschen-  und  Naturkunde. 

2.  Da  die  Unterrichtsfächer  nicht  im  einzelnen  auf- 
gezählt —  bibL  Geschichte,  Kirchenlied;  Perikopen  — 
Naturgeschichte,  Naturlehre  — ,  sondern  mit  einem  Ge- 
samtnamen bezeichnet  sind,  so  enthält  dieses  Schema  auch 
einen  Hinweis  darauf,  daß  in  jedem  der  drei  sach- 
nnterrichtlichen  Gebiete  die  Zweigdisziplinen, 
soweit  als  möglich,  zu  einer  einheitlichen  Schul- 
wissenschaft zusammengefaßt  werden  sollen. 

3.  Nicht  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen  stehen  an  der 
Spitze  des  Lehrplans,  so  wichtig  gerade  diese  Fächer  auch 
für  das  praktische  Leben  sind,  sondern  der  Sachunterricht, 
d.  h.  Religion,  Menschenkunde  und  Naturkunde.  Das  will 
sagen:  NLcht  der  Sprachunterricht,  sondern  die 
drei  sachunterrichtlichen  Fächer  müssen  die 
didaktische  Basis  des  gesamten  Unterrichts 
bilden. 

4.  Der  Sprachunterricht  folgt  unmittelbar  dem  Sach- 
onterricht.  Damit  soll  angedeutet  werden,  daß  der  Sprach- 
unterricht in  engster  Verbindung  mit  dem  Sachunterricht 
zu  erteilen  ist,  weil  die  Sprachbildung  ihrem  Kern 
nach  in  und  mit  dem  Sachunterricht  erworben 
werden  soll. 

5.  Rechnen,  Singen  und  Zeichnen  stehen  zuletzt,  nicht 
deshalb,  weil  ihr  Bildungswert  unbedeutend  wäre,  sondern 
weil  sie  ihre  Bildungskraft  nur  dann  entfalten  und  selbst 
recht  gedeihen  können,  wenn  sie  —  und  das  ist  die 
5.  Wahrheit  —  ihre  eigentümlichen  Beziehungen 
zum  Sachunterricht,  der  auch  ihre  Basis  bilden 
muß,  sorgfältig  beachten. 


-     12     — 

6.  Die  beiden  Gruppen  der  Wissensfächer  sind  in 
einem  Ausdruck:  Sachunterricht  zusammengefaßt  Das 
will  sagen,  daß  sie  zusammengehören,  daß  sie  sich  gegen- 
seitig unterstützen,  daß  sie  unterrichtlich  so  viel  wie 
möglich  verknüpft  werden  sollen,  und  zwar  muß  sich 
diese  Verknüpfung  auf  die  ethischen  Fächer  unter  sich 
und  andrerseits  auf  diese  und  d  i  e  Fächer,  die  als  Außen- 
dinge bezeichnet  worden  sind,  erstrecken. 

7.  Innerhalb  des  Sachunterrichts  stehen  die  ethischen 
Fächer  an  der  Spitze.  Das  bedeutet,  daß  den  religiös- 
sittlichen Wahrheiten  die  Vorherrschaft  im  Oe- 
dankenkreis  gebührt  Denn  je  mehr  der  sittlich- 
religiöse Gedankenkreis  mit  dem  sonstigen  Vorstellungs- 
leben verflochten  ist,  desto  leichter  wird  er  das  gesamte 
Vorstellungs-  und  Gefühlsleben  beeinflussen  und  leiten. 

Wie  man  sieht,  steckt  in  dem  Dörpfeldsohen  Schema 
nicht  nur  Logik,  sondern  auch  ein  beträchtliches  Stück 
Didaktik.  Die  »Allgem.  Best.«  der  Zukunft  dürften  des- 
halb gut  tun,  diese  Anordnung  der  Lehrfächer  offiziell 
einzuführen. 

Das  schließt  nicht  aus,  daß  zugleich  die  sittliche  Er- 
ziehung, sowie  die  Fertigkeiten  dos  Lesens,  Schreibens 
und  Rechnens  als  fürs  praktische  Leben  besonders  wichtig 
hingestellt  werden. 

Nun  erhebt  sich  die  Frage:  Inwieweit  kommt  diese 
pädagogische  Theorie  in  den  »Allgem.  Best.«  zu  ihrem 
Recht? 

1.  Satz:  Der  Lehrplan  muß  qualitativ  voll- 
ständig sein. 

Der  Lehrplan  der  »Allgem.  Best«  genügt  allerdings 
dieser  Forderung.  Aber  der  Real-  und  der  Zeichenunter- 
richt sind  nicht  aus  Erwägungen,  die  die  Theorie  des 
Lehrplans  über  die  Notwendigkeit  ihrer  Einfügung  an- 
stellt, aufgenommen  worden,  sondern,  um  dem  Bedürfnis 
der  Zeit  zu  entsprechen,  die  in  der  2.  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts auf  Naturkunde  und  Zeichnen  nicht  verzichten 
konnte.    Hätte  man  die  Theorie  des  Iiohrplans  zu  Rate 


—     13     — 

gezogen,  so  würde  man  ein  Auseinanderreißen  der  Wissens- 
föcher  nicht  gestattet  und  die  Notwendigkeit  des  Real- 
unterrichts mit  besseren  Gründen  zu  verteidigen  gewußt 
haben. 

2.  Satz:  Jedes  Lehrfach  muß  ein  einheitliches 
Oanzes  bilden;  hat  ein  Fach  verschiedene  Zweige, 
60  müssen  sie  in  einen  einheitlichen  Lehrgang 
gebracht  werden. 

Diese  Wahrheit  hat  in  den  »Allgem.  Best.«  noch  keine 
Geltung.  Im  Religionsunterricht  z.  B.  unterscheiden  sie 
neben  dem  Unterricht  in  der  bibl.  Geschichte  einen  be- 
sonderen Eatechismusunterricht  und  eine  besondere  Stunde 
für  Perikopen;  nur  vom  Bibellesen  wird  ausdrücklich 
verlangt,  daß  es  sich  in  den  bibl.  Geschichtsunterricht 
einfüge.  Die  pädagogische  Theorie  fordert  aber,  daß  der 
religiöse  Yorstellungs-  und  Gedankenkreis  einheitlich  sei. 
Darum  muß  der  Unterrichtsgegenstand  Religionsunterricht 
heißen  und  sein  Lehrplan  auf  allen  Stufen  so  eingerichtet 
sein,  daß  die  Begleitstofife:  Spruch,  Lied,  Katechismus  und 
Bibellesen  samt  Perikopen,  falls  man  letztere  nicht  ent- 
behren zu  können  glaubt,  sich  an  das  Zentralfach,  die 
biblische  Geschichte,  die  den  Lehrgang  bestimmt,  an- 
schließen, i)  Diese  bildet  gleichsam  »die  Melodie  eines 
Musikstückes.  Treten  nun  die  übrigen  Stoffe  als  richtig 
begleitende  Stimmen  hinzu,  so  gibt  es  ein  hübsches,  har- 

^)  »Die  elDzeloeo  Zweige  des  ReiigionsaDterrichts  dürfen  nicht 
nebeneinander  herlaufen,  sondern  sind  nach  dem  Grundsatz  der 
Konzentration  in  lebendige,  Wechsel  volle  Beziehung  zu  setzen.  Da- 
bei kommt  dem  geschichtlichen  Stoffe  die  herrschende  Stellung  zu.« 
Eeümann, 

»Von  einheitlicher  Gestaltung  des  religiösen  Lehrstoffs  kann  nur 
dann  die  Rede  sein,  wenn  die  einzelnen  Zweige  des  Religionsunter- 
richts so  verbunden  werden,  daß  die  biblische  Geschichte  in  den 
Mittelpunkt  gestellt  wird  und  den  leitenden  Faden  bildet  und  alle 
übrigen  religiösen  Unterrichtsstoffe  an  geeigneten ,  aber  genau  zu 
bezeichnenden  Stellen  organisch  eingeführt  werden.«  Armstroff, 
Vergl.  das  in  zahlreichen  Auflagen  erschienene  Evang.  Religionsbuch 
von  Armstroff.  Langensalza,  Hermann  Beyer  k  Söhne  (Beyer  & 
Mann).    1  M. 


—     14     — 

monisches  Ganzes.  Wollen  dagegen  die  Töne  der  Begleit- 
stimmen ihren  eigenen  Weg  geben,  um  aparte  Melodien 
darzustellen,  so  muß  eine  Musik  herauskommen,  die 
Mensch  und  Tier  rasend  machen  kann.  Solche  päda- 
gogische Musik  hat  aber  die  traditionelle  Methodik  durch 
ihre  isolierten  Lehrgänge  bisher  empfohlen,  und  alle  Schul- 
autoritäten haben  sie  für  schön  erklärt«  (Dörp/eW  V,  S.54.) 
Diese  Forderung,  die  verschiedenen  Zweige  des  Religions- 
unterrichts in  einen  Lehrgang  zu  bringen,  läßt  sich  auch 
heute  schon  in  die  Praxis  umsetzen. 

Von  dem  2.  Wissensgebiet,  der  Kunde  vom  Menschen- 
leben, läßt  sich  das  nicht  behaupten,  ^war  macht  die 
Vereinigung  der  sogenannten  Oesellschaftskunde  mit  der 
vaterländischen  Geschichte,  die  das  tonangebende  Haupt- 
fach ist,  keine  Schwierigkeiten.  Aber  die  weitere  Forde- 
rung, auch  die  geographischen  Lektionen  dem  Gang  der 
Geschichte  anzupassen  —  so  berechtigt  und  vorteilhaft  sie 
dem  konsequenten  Lehrplantheoretiker  erscheinen  mag  — , 
dürfte  vorläufig  noch  unausführbar  sein.  Sie  findet  auch 
prinzipiellen  Widerstand  bei  denen,  die  den  Vorteil,  daß 
das  durch  die  Geschichtslektionen  geweckte  Interesse  sich 
auf  die  betreffende  geographische  Lektion  überträgt,  nicht 
durch  die  Nachteile  erkaufen  wollen,  die  der  Geographie- 
unterricht dadurch  erleidet,  daß  er  seine  Selbständigkeit 
verliert.  Es  dürfte  daher  am  besten  sein,  jedes  Fach  seinen 
eigenen  Weg  gehen  zu  lassen,  aber  jede  sich  bietende 
Gelegenheit  zu  benutzen,  um  verbindende  Fäden  zwischen 
beiden  zu  ziehen,  die  Schüler  recht  häufig  aus  einer 
Scienz  in  die  andere  sehen  zu  lassen. 

Was  nun  das  3.  Wissensgebiet,  die  Naturkunde  an- 
betriflft,  so  haben  neuere  Methodiker,  z.  B.  Junge,  ^)  ParU 
heil  und  Probst,  Quehl  u.  a.  zwar  schon  Versuche  gemacht, 
einen  einheitlichen  Lehrgang^)  aufzustellen.    Doch  ist  das 

0  Vgl.  Junge^  Beiträge  zar  Methodik  des  oatarknodliobeo  üoter- 
riohts.  4.  Aufl.  Laogensalza,  HermaDo  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &MaoD). 

*)  »Der  EinheitsgedaDke  mnß  jedem  Lehrer  der  Naturwisseo- 
Bohaft  vorsohwebeo.   Freilich  kaoD  die  Schule  ihn  nicht,  kaum  ein- 


—     15     — 

Problem,  die  sämtlichen  Zweigfächer:  Mineralogie,  Geo- 
logie, Botanik,  Zoologie,  Gesundheitslehre,  Physik  und 
Chemie  zu  einer  Schulwissenschaft  unter  dem  Namen 
Naturkunde  zu  vereinen,  noch  nicht  befriedigend  gelöst. 
Jedenfalls  müßte  aber  in  den  »Allgem.  Best«  der  Zukunft 
darauf  hingewiesen  werden,  daß  diese  Fächer,  ebenso  wie 
Geschichte  und  politische  Geographie,  soviel  wie  möglich 
zu  verbinden  sind  und  darum  in  einer  Hand  liegen  müssen. 

3.  Satz:  Die  drei  sachunterrichtlichen  Fächer, 
aber  nicht  der  Sprachunterricht,  müssen  die  di- 
daktische Basis  des  gesamten  Unterrichts  bilden. 

Dieser  Satz  verlangt  für  den  Unterricht  einen  würdigen 
Inhalt  und  will  die  Volksschule  vor  der  beim  großen 
Publikum  noch  vielfach  verbreiteten  Meinung  schützen, 
wonach  sie  keine  eigentliche  Bildungsanstalt,  sondern  nur 
eine  Lese-,  Schreib-  und  Beeben  schule  ist,  in  der  neben 
dem  Religionsunterricht  die  Fertigkeiten  die  eigentliche 
Lehraufgabe  ausmachen.  Zugleich  will  er  sie  der  Gefahr 
entreißen,  den  Sprachunterricht  zu  einem  Turnierplatz 
der  formalen  Bildung  zu  machen  und  da,  wo  schlichtes 
Üben  das  gescheiteste  ist,  z.  B.  bei  der  Rechtschreibung, 
etwas  geistbildende  Einsicht  anzubringen,  kurz,  er  will 
die  Schule  vor  Formalismus  bewahren.  Wohl  wünscht  er 
formale  Bildung,  aber  an  einem  wissenswerten  Material; 
weiß  er  doch,  daß  dadurch  den  Fertigkeiten  nicht  nur 
nichts  abgebrochen  wird,  sondern  im  Gegenteil  diese  um 
so  besser  zu  erlangen  sind,  weil  das  an  den  Sachen 
haftende  Interesse  auf  sie  übertragen  wird. 

4.  Satz:  Der  Kern  der  Sprachbildung  muß  in 
und  mit  dem  Sachunterricht  erworben  werden. 

Dieser  Satz  ist  nur  eine  Folgerung  —  freilich  eine 
sehr  bedeutsame  —  aus  dem  vorigen.  In  den  »Allgem. 
Best.«  kommt  er  nicht  zu  seinem  Recht.     Im  Gegenteil! 


mal  die  Wissenschaft  ihn  schon  zur  klaren  Erkenntnis  erheben.  Er 
ist  ein  Ideal,  dem  man  in  seinen  Stadien,  in  seinem  Unterricht 
nachstrebt  und  welches  zu  erreichen  die  Naturforscher  hoffen.« 
SehmeiL 


"     16     — 

Der  Blick  wird  sogar  von  der  Wahrheit,  daß  bei  der 
Sprachbildung  auch  der  Sachunterricht  etwas  zu  tun 
habe,  abgelenkt,  wenn  gefordert  wird:  dem  gesamten 
Sprachunterricht  liegt  das  (belletristische)  Lesebuch  zu 
Grunde;  die  Übungen  im  mündlichen  Ausdruck  nehmen 
ihren  Stoff  (auf  der  Oberstufe)  von  den  Sprachstücken 
des  Lesebuches;  die  Schüler  sind  dahin  zu  führen,  daß 
sie  schwierigere  Sprachstücke  leicht  und  mit  Ausdruck 
vom  Blatt  lesen;  die  Schüler  sollen  ...  größere  Sprach- 
st ücke  richtig  wiedergeben  können.  Oberall  wird  also 
der  Blick  von  dem  vollen  Literaturprinzip,  wonach  auch 
die  sachunterrichtlichen  Lesebücher  (bibl.  Geschichte  und 
Reallesebücher)  Grundlage  des  Sprachunterrichts  sind,  ab- 
gelenkt 

Die  enge  Verbindung  von  Sprach-  und  Sachunterricht 
läßt  sich  freilich  nur  durchführen,  wenn  für  beide  Fächer 
auch  die  richtigen  Lehr-  und  Lembücher  vorhanden  sind. 
Die  Leitfäden,  die  die  »Allgem.  Best«  den  mehrklassigen 
Schulen  gestatten,  sind  aber  mit  Rücksicht  auf  die  Sprach- 
bildung ebenso  wenig  geeignet,  wie  die  meisten  realisti- 
schen Stücke  der  gebräuchlichen  (belletristischen)  Lese- 
bücher, worauf  die  ein-  und  zweiklassigen  Schulen  ver- 
wiesen werden.  Diese  Lesestücke  genügen  auch  dem 
sachlichen  Lernen  nicht  Beiden  Zwecken  entsprechen 
nur  die  anschaulich-ausführlichen  Reallesebücher,  wie  sie, 
nachdem  Dörpfeld  ihre  Notwendigkeit  und  Zweckmäßig- 
keit eingehend  und  unwiderleglich  begründet,  von  ver- 
schiedenen Schulmännern  mit  größerem  oder  geringerem 
Geschick  bearbeitet  worden  sind. 

Die  »Allgem.  Best«  der  Zukunft  müßten  also  an- 
ordnen oder  wenigstens  gestatten,  daß  für  den  Unterricht 
in  Geschichte,  Erd-  und  Naturkunde  den  Schülern  an- 
schaulich-ausführliche Reallesebücher  in  die  Hand  ge- 
geben werden  dürften,  die,  wie  die  »Biblische  Geschichte« 
für  den  Religionsunterricht,  den  Stoff  in  lesbarer  Form, 
und  zwar  in  der  einfachen,  klaren  und  knappen  Sprache 
der  betreffenden  Fachliteratur  enthalten,  damit  einerseits 


—     17     — 

der  Kenntniserwerb  gesicherter  und  andrerseits  —  und 
das  ist  der  Hanptvorteil  solcher  Hilfsbücher  —  die  Spracb- 
bildung  gesunder  wird.  Die  Einführung  von  Reallese- 
büchem  würde  weiter  zur  Folge  haben 

1.  daß  die  iiterarische  Basis  des  Sprachunterrichts 
—  statt  der  bisherigen  halben  —  eine  ganze  würde, 
weil  sie  außer  dem  belletristischen  Lesebuche  auch  die 
gämtlichen  sachunterrichtlichen  Lesebücher  umfaßte, 

2.  daß  der  Begriff  des  Lesebuches  endlich  seine  volle 
Klärung  fände, 

3.  daß  die  Klagen  über  mangelhafte  Lesefertigkeit  und 
schlechte  Betonung,  über  Unbeholfenheit  im  mündlichen 
Ausdruck  und  mangelhafte  Rechtschreibung  bald  nach- 
lassen würden, 

4.  daß  auch  die  zahlreichen  einklassigen  Schulen,  die 
mit  einem  »verkümmerten  und  obendrein  unbefriedigen- 
den und  lästigen  Bealunterricht  gestraft«  sind,  ein  ge- 
eignetes Beallesebuch  bekämen, 

6.  daß  auch  auf  der  Unter-  und  der  Mittelstufe  der 
vielklassigen  Schulen  ein  regelrechter  Realunterricht  er- 
teilt werden  könnte.  Hier  sowohl  wie  in  den  einklassigen 
Schulen  sind  weder  die  Leitfaden,  noch  das  belletristische 
Lesebuch  als  Lernhilfsmittel  geeignet. 

Selbstverständlich  müßte  vorausgesetzt  werden  —  und 
dafür  hätten  schon  die  Seminare  zu  sorgen  — ,  daß  das 
Reallesebuch  richtig  benutzt  würde.  Den  Verbalismus 
soll  es  nicht  fordern.  Das  Buch  darf  erst  benutzt  wer- 
den  —  zum  Überfluß  sei's  noch  einmal  betont  — ,  nach- 
dem die  Naturkörper  in  7iaiura  oder  im  Bilde  vorgezeigt 
und  nach  allen  Regeln  über  die  Vermittlung  der  An- 
schauung bei  sinnlich  vorführbaren  Objekten  durch- 
genommen worden  sind,  so  wie  geschichtliche  Dar- 
stellungen erst  dann  gelesen  werden  dürfen,  wenn,  wie 
beim  Religionsunterricht,  den  methodischen  Vorschriften, 
die  sich  auf  die  Vermittlung  von  nicht  sinnlich  vorführ- 
baren Stoffen  beziehen,  voll  und  ganz  genügt  worden  ist. 

PI4.  Mag.  318.    Vo  g  e  1  s  a  n  g ,  Vorschlilge  z.  Bef .  d.  Allg.  Beat.  2 


—     18     — 

Kerner  wäre  zu  wünBchen,  daß  die  »Allgem.  Beet« 
der  Znlcnoft  den  grammatischeD  Stoff  auf  das  praktisch 
Notweadige  beschränkteo  und  auf  den  Nutzen  eines  ono- 
matischen  Wörterlieftes  liin wiesen.  Grammatische  Be- 
lehrungen eiod  auch  io  der  Volksschule  unerläßlich,  aber 
der  grammatische  Stoff  darf  nicht  dadurch  gewonnen 
werden,  daß  man  aus  wissenschaftlichen  Ejebrbüchera  das 
Leichteste  herausnimmt,  sondern  durch  eifrige  Erforschung 
der  in  den  jeweiligen  Spracbgewohnheiten  begründeten 
Fehler,  die  durch  stete  Übung  des  Richtigen  zu  bekämpfen 
sind.  FQr  onouatische  Belehrungen  haben  sich  ja  die 
pädagogischen  Fachschriften,  seitdem  außer  Dörpfeld  auch 
Rud.  HUdebrand  sie  warm  empfohlen  und  Ldnde^)  u.  a. 
praktische  Fingerzeige  nach  dieser  Bichtung  hin  gegeben 
haben,  allgemein  ausgesprochen. 

5.  Satz:  Auch  die  Fertigkeiten  müssen  ihre 
eigentümlichen  Beziehungen  zum  Sachunterricbt 
sorgfältig  beachten. 

Diese  Wahrheit  noch  zu  begründen,  ist  wohl  kaum 
nötig,  sind  doch  verständige  Lehrer  schon  seit  Jahrzehnten 
bemüht,  sie  auszuführen.  In  guten  Rechenbüchern  ündet 
man  besondere  Abschnitte  mit  Aufgaben  aus  dem  Sach- 
unterricbt,  und  im  Sachuntenicht  läßt  man  sich  an  ge- 
eigneten Stellen  die  Gelegenheit  nicht  entgehen,  durch 
einscblägige  Aufgaben  und  Berechnungen  die  sachlicheD 
Verhältnisse  noch  mehr  zu  klären  und  übersichtlicher  zu 
machen.  Was  das  Singen  angebt,  so  bat  man  schon  von 
jeher  die  Chorale  zum  Religioneanterricht,  die  Naturlieder 
za  den  Jahreszeiten  und  zum  naturkundlichen  Unterricht, 
und  die  Volts-  und  Vaterlandslieder  zum  Geschichts- 
unterricht in  Beziehung  gesetzt.  Und  seitdem  der  Zeichen- 
unterricht neue  Bahnen  eingeschlagen  hat,  kann  auch 
dieses  Fach  die  zeichnerische  Fertigkeit  mehr  als  bisher 
in  den  Dienst  des  Sachunterrichts  stellen  und  andrerseits 

']  Vgl,  Linde,  Die  ODonatik,  sio  notwendiger  Zweig  des  deat- 
aoheu  Spraobnotemohta.  LaogeDMlia,  HermaQu  Be^er  k  SÖhoe 
(Beyer  &  Huin).    0,66  H. 


—     19     — 

seinen  Stoff  mehr  dem  Sachunterricht  entnehmen.  — 
Immerhin  kann  es  nicht  schaden,  wenn  die  »Allgem.  Best« 
der  Zukunft  auch  auf  diese  5.  Wahrheit  ausdrücklich  den 
Finger  legen. 

6.  Satz:  Die  Fächer  des  Sachunterrichts  müssen 
unterrichtlich  verknüpft  werden. 

Die  Verbindung  zwischen  den  beiden  Zweigen  des 
Gesinnungsunterrichts  ^)  geschieht  so,  daß  der  Religions- 
unterricht dem  Geschichtsunterricht  psychologisches  und 
ethisches  Licht  gibt,  d.  h.  daß  er  die  Kinder  befähigt, 
psychische  Vorgänge  und  Zustände  richtig  aufzufassen 
und  Gesinnungen,  Charaktere  und  Handlungen  ethisch 
zu  beurteilen,  während  die  Geschichte  dem  Religions- 
unterricht zur  Vergleichung  und  Anwendung  ethischen 
Stoff  gibt. 

Die  Verbindung  zwischen  dem  Gesinnungsunterricht 
und  der  Erd-  und  Naturkunde  gestaltet  sich  folgender- 
maßen. Im  Gesinnungsunterricht  werden  die  Dinge  und 
Vorgänge  aus  der  Natur,  die  den  realen  Boden  der 
biblischen  oder  der  profanen  Geschichte  bilden  und  ver- 
gleichsweise gebraucht  werden,  erklärt.  In  der  Natur- 
kunde erinnert  der  Lehrer,  der  zwar  wohl  weiß,  daß  die 
Natur  an  und  für  sich  weder  ethische  noch  religiöse 
Ideen  in  sich  trägt,  bei  passender  Gelegenheit  an  die 
Allmacht,  Weisheit  und  Güte  des  Schöpfers,  die  man  an 
seinen  Werken,  ihrer  Großartigkeit  und  Mannigfaltigkeit, 
ihrer  Harmonie  und  Schönheit  und  ihrer  Abzweckung 
auf  das  Menschenleben  erkennt,  und  ferner  sucht  er,  so 
viel  als  möglich,  die  Einwirkung  der  Natur  auf  das  ver- 
gangene und  gegenwärtige  Menschenleben  verständlich  zu 
machen. 

Die  Forderungen,  die  dieser  6.  Satz  an  die  Schul- 
praxis stellt,  sind  schon  seit  Jahrzehnten  Gemeingut  der 
Pädagogik;    sie   werden  in   den  Seminaren   gelehrt,  und 


^)  »Die  übrigen  Uoterriohtsfäcber,  besooders  die  etbischeo,  siod 
mit  dem  Religionsanterricbt  za  verkoüpfen.«    Heilmann. 


-     30     — 

man  kann  deshalb  wohl  annehmen,  daß  auch  in  der 
PraxJB  überall  danach  verfahren  wird. 

7.  Satz:  Der  Beligioneanterricht  muß  im 
Dienste  der  Charakterbildung  das  Zentrum  des 
Unterrichts  bilden. 

Was  dieser  Satz  sagen  will,  läßt  sich  am  besten  durch 
ein  Gleichnis  klar  machen.  »Wie  die  Nerven,  vom  Ge- 
hirn und  Rückenmark  ausgehend,  den  ganzen  Edrper  so 
durchziehen,  daß  sie  ihn  beherrschen  können,  so  müssen 
die  religi&e-eittlichen  Wahrheiten  den  gesamten  Gedanken- 
kreis  des  Zöglinge  durchziehen.«  Deshalb  müssen  die 
außerhalb  des  Gesinnungsunterrichts  auftretenden  religiös- 
sittlichen  Wahrheiten  mit  den  in  diesem  Unterricht  vor- 
kommenden verknüpft  werden;')  auch  muß  dafür  gesorgt 
werden,  daß  solche  Stücke  des  belletristischen  Lesebudis, 
die  mit  religionsunterriohtlichen  Lektionen  inhaltlich  ver- 
wandt sind,  möglichst  zur  selben  Zeit  behandelt  werden. 
>Die  Stoffe  des  übrigen  Unterrichts  müssen  mit  denen 
des  Religionsunterrichts  in  engste  Beziehung  gebracht 
werden,  so  daß  auch  dadurch  der  Religionsuntetricht  zur 
Krone  und  zum  Kern  des  ganzen  Unterrichts  wird.  Nur 
durch  diese  Konzentration  der  einzelnen  Zweige  des 
Religionsunterrichts  unter  sich  und  des  Religionsunter- 
richts mit  dem  übrigen  Unterricht  entsteht  ein  einheit- 
licher Gedankenkreis.«  Überhaupt  muß  «die  ganze  Arbeit, 
das  ganze  Leben  der  Schule  im  Dienst  der  sittlich  reli- 
giösen Bildung  stehen.«    Beilmann. 

Eine  volle  Durchführung  dieses  Grundsatzes  ist  frei- 

')  Nut  daoD,  weno  die  dem  Qebiet  des  Beligiäseo  ond  Sittliohsn 
angehörendeo  VoTstellDDg«D,  OedsoheD,  Oefähle  ond  BsstrebaDgeii 
im  HittelpDohte  des  geBttuteo  Seeleoinhalts  ateheii,  mit  allen  übrigen 
Gebilden  der  Seele  mögliohat  eng  verbncdeo  and  mit  einem  hohen 
Orade  von  Sarheit,  EraTt  und  BewuBtBein  aasgoBtattet  sind,  werden 
sie  ein  gewisees  Übergewicht  im  Geiste  der  Kioder  gewinnen.  Die 
Folge  davon  aber  vird  sein,  daB  sie  aar  das  gesamte  Denken,  Fahlen 
DQd  Wollen  der  Kinder  danernd  einen  befmoblenden  nnd  bestimmen- 
den EjqQqS  aosübec.  Ärmstroff,  Verteilung  des  relig.  Lehrstoffes. 
Langenaatia,  Hermaan  Beyer  ft  Söhne  (Beyer  &  Haan).    0,50  H. 


~     21     — 

lieh  nur  in  der  Eonfessions-  nicht  aber  in  der  Simultan- 
schule möglich.  In  den  »Allgem.  Best.«  der  Zukunft  darf 
er  aber,  falls  die  Pädagogik  den  Ausschlag  geben  soll, 
nicht  fehlen. 

Wenn  man  nun  die  > Allgem.  Best.«  den  erörterten 
Beformvorschlägen  anpassen  und  zugleich  einige  andere 
Wünsche,  die  sich  auf  die  ersten  12  Paragraphen  beziehen, 
berücksichtigen  will,  so  könnte  man  ihnen  folgende 
Fassung^)  geben. 

Allgemeine  YerfBgiing  Ober  Einrichtung,  Aufgabe 
and  Ziel  der  preusslschen  Volksschule.*) 

DU  Volksschule  ist  eine  allgefneine  Bildungsanstalt^ 
die  auf  dem  Dodeii  und  in  den  Orenxen  der  Mutter- 
spTfiche  die  allen  Volksschi'Chteyi  nötige  {allgemeine)  Bil- 
dung vermitteln  solL 

1.  Die  normalen  Volksschul-Einrichtungen. 

Normale  Volksschul-Einrichtungeyi  sind  solche  Schulen^ 
die  tvenigste7is  so  viel  Lehrkräfte  haben^  als  Klassen  vor- 
handen sind, 

2.  Die  einklassige  Volksschule. 

In  der  einklassigen  Volksschule  werden  Kinder  jedes 
schulpflichtigen  Alters  in  ein  und  demselben  Baume  durch 
einen  gemeinsamen  Lehrer  gleichzeitig  unterrichtet.  Die 
Zähl  der  Kinder  soll  nieht  über  sechxig  steigen.  Die 
Eander  der  Unterstufe  erhalten  in  der  Be^el  wöchentlich 
20,  die  der  Mittel-  und  der  Oberstufe  30  Lehrstunden, 
einschließlich  des  Turnens  für  die  Knaben  und  der  weib- 
lichen Handarbeiten  für  die  Mädchen. 


*)  Die  hier  vorgeschlageoe  Fassung  erhebt  oatürlioh  nioht  den 
Anepmoh,  überall  das  Richtige  getroffen  zu  haben .  Sie  ist  ein  Ver- 
snob, den  sachverständige  Kenner  der  Lehrplanfrage  kritisieren  nnd 
verbessern  mögen. 

*)  Veränderungen  und  Zusätze  sind  durch  Enrsivdmok  kennt- 
lich gemacht  worden. 


—   aa   ~ 

3.  Die  HaibtagsBchuIe. 

Wo  die  Zahl  der  Kinder  über  60  steigt,  oder  das 
Schulzinimer  auch  für  eine  geriDgere  Zahl  Dicht  ausreicht, 
sowie  da,  wo  andere  Umstände  dies  notwendig  eracheinea 
lassen,  kann  mit  Genehmigung  der  Regierung  zunächst 
die  Halbtagsschnle  eingerichtet  werden,  für  deren  Klassen 
zosammen  wöchentlich  33  Stunden  angesetzt  werden. 
4.   Die  Schule  mit  3  Lehrern. 

Sind  3  Lehrer  an  einer  Schule  angestellt,  bo  ist  der 
Unterricht  in  S  gesonderten  Klassen  zu  erteilen.  Steigt 
in  einer  solchen  Schule  die  Zahl  der  Kinder  über  130, 
so  ist  eine  dreiklassige  Schule  einzurichten.  In  dieser 
kommen  während  der  t)b^gangsxeit,  d.  h.  so  lange  der 
3.  Klassetiratim  und  der  3.  Lehrer  noch  fehlen,  auf  die 
3.  Klasse  wöchentlich  12,  auf  die  3.  Klasse  wöchentlich 
34  und  auf  die  erste  Klasse  wöchentlich  38  Lehrstunden. 
5.  Die  mehrklassige  Volksschule. 

In  Schulen  von  3  und  mehr  Klassen,  soweit  dieselben 
nicht  unter  4.  fallen,  erbalten  die  Kinder  der  Unterstufe 
wöchentlich  30,  die  der  mittleren  36  bezw.  28,  die  der 
oberen  30  bezw.  32  Stunden. 

Systeme  mit  mehr  als  8  Klassen  dürfen  nur  unter 
besonderen  Umständen  mit  Genehmigung  der  Regierung 
eingerichtet  werden. 

Mit  Rücksicht  auf  die  in  manchen  großen  Städten 
schon  bestehenden  tdelklassigen  Schulsysteme  wird  be- 
sHmmt,  dafs  diese  in  keinem  Falle  mehr  als  16  Klassen 
hohen  dürfen. 

6.   Die  Trennung  der  ßeschlechter. 

Die  gemeinsame  ErxiehuTtg  beider  Oeschlechter  ist 
der  getrennten  vorxuxiehen. 

7.  Die  Einrichtung  und  Ausstattung  des 
Schulzimmers. 
Das  Schulzimmer  muß  mindestens  so  groß  sein,  dafs 
auf  jedes  Schulkind  em  Flächenraum  von  0^8  qm  kommt; 


—     23     — 

auch  ist  dafür  zu  sorgen,  daß  es  hell  und  luftig  sei,  sich 
gut  lüften  lasse,  Schutz  gegen  die  Witterung  gewähre  und 
ausreichend  mit  Fenstervorhängen  versehen  sei.  Schul- 
tische und  Bänke  müssen  in  ausreichender  Zahl  vorhanden 
und  so  eingerichtet  und  aufgestellt  sein,  daß  alle  Kinder 
ohne  Schaden  für  ihre  Gesundheit  sitzen  und  arbeiten 
können.    Die  Tische  sind   mit  Tintenfässern  zu  versehen. 

Zur  ferneren  Ausstattung  der  Schule  gehört  nament- 
lich eine  hinreichende  Anzahl  von  Riegeln  für  die  Mützen, 
Tücher,  Mäntel  u.  dgl,  die  tvomöglich  im  Flur  a?ixu- 
bringen  si?id^  femer  eine  Schultafel  mit  Gestell,  eine  Wand- 
tafel, ein  Katheder  oder  ein  Lehrertisch  mit  Verschluß, 
ein  Schrank  für  die  Aufbewahrung  von  Büchern  und 
Heften,  Kreide,  Schwamm. 

Auf  geschmackvolle  Ausschmückung  der  Rlassenräume 
ist  Wert  xu  legen. 

8.   Die  unentbehrlichen  Lehrmittel. 

Für  den  vollen  Unterrichtsbetrieb  sind  erforderlich: 

1.  je  ein  Exemplar  von  jedem  in  der  Schule  eingeführten 
Lehr-  und  Lern  buche, 

2.  ein  Globus, 

3.  eine  Wandkarte  der  Heimatsprovinz, 

4.  Wandkarten  von  Deutschland,  Europa,  den  beiden 
Halbkugeln  und  von  Palästina, 

6.  Ausgestopfte  Tiere^  Modelle  und  Abbildu?ige7i  für  den 
Unterricht  iii  Oeschichie,  Erdkunde^  Nalurkwide  wnd 
Zeichnen. 

6.  Alphabete  weithin  erkennbarer,  auf  Holz-  oder  Papp- 
täfelchen geklebter  Buchstaben  zum  Gebrauch  beim 
ersten  Leseunterricht  oder  eine  Lesemaschine. 

7.  eine  Geige, 

8.  Lineal,  Zirkel  und  Transporteur, 

9.  eine  Rechenmaschine; 

in  evangelischen  Schulen  kommen  noch  hinzu: 
10.  eine  Bibel  und  ein  Exemplar  des  in  der  Gemeinde 
eingeführten  Gesangbuches. 


Ftir  die  mehrklassigen  Schulen  sind  diese  Lehrmittel 
angemesseD  zu  ergänzen. 

9.  Tabellen  und  Listen. 
Der  Lehrer  bat  eine  Schulchronik,  ein  Schülerverzeichnis, 
einen  Lehrbericht  (Naohweisung  der  erledigten  Unterrichts- 
stofFe)  und  eine  VersäumnieliBte  regelmäßig  zu  führen. 
Außerdem  muß  er  den  Lehrplan,  den  Stundenplan  und 
die  Pensenverteilung  f(ir  das  laufende  Halbjahr  stets  im 
Sohulzimmer  haben. 

10.   Schulbücher  und  Hefte. 
Lehrmittel  für  die  Schüler  der  Tolksschule  mit  einem 
oder  3  Lehrern  sind  folgende: 

a)  Bücher: 

1.  die  für  den  Religionsunterricht  besonders  eingeführten 

Bücher, 
3.  das  Reatiesebuch,^) 

3.  die  Lesefibel  und  das  belletristische  Lesebuch, 

4.  ein  Schülerheft  für  den  Rechen  unterrieht, 

5.  ein  Liederheft; 

b)  eine  Schiefertafel  nebet  Griffel,  Schwamm,  Lineal 
und  Zirkel; 

c)  Hefte,  mindestens 
1.  ein  Tagebuch, 

3.  ein  Schönschreibeheft, 

3.  je  ein  Heft  zu  Rechtschreibe-  und  Aufsatzübungen, 

4.  eiu  Zeichenheft  bezw.  ein  Zeichenblock. 

Den  Schülern  der  mehrklassigen  Tolksschule  darf  die 
AuBcbaffung  besonderer  Lehrbücher  für  den  Unterricht  in 
den  Rfialien,  sowie  diejenige  eines  stufenweise  fortschreiten- 
den mehrbändigen  Lesebuches  und  eines  Handatlas  zu- 
gemutet werden.  Ebenso  haben  diese  für  die  einzelnen 
Lehrgegenstände  beeoudere  Hefte  zu  führen. 

■)  Bealleeebaoh  und  beUetriBtiMbes  Lesebnoh  kÖDD«D  anoh  in 
einem  Band«  Tareinlgt  werd«i. 


—     2b     — 

11.  Die  Gliederung  der  Volksschule. 

Die  Volksschule,  auch  die  einklassige,  gliedert  sich  in 
3  Abteilungen,  die  den  verschiedenen  Alters-  und  Bildungs- 
stufen der  Kinder  entsprechen.  Die  Unterstufe  tnnfafst 
den  1,  und  den  2.  Jahrgang;  xur  Mittelstufe  gehören  5., 
4,  und  5.  Jahrgang^  xur  Oberstufe  gehören  6.^  7.  und 
8.  Jahrgang, 

12.   Die  Lehrgegenstände  der  Volksschule. 

Die  Lehrgegenstände  der  Volksschule  sind 
i.  Religion,  2.  Geschichte  nebst  Geselhchaftsktitide,  3,  Erd- 
kwide^   4.  NaturkundCy    5.  Deutsche  Sprache  (Sprechen, 
Lesen^  Schreiben)^    6.  Rechnen^    7,  Ratimlehre^   8.  Zeich- 
nen^ 9,  Singen^  10.  Turnen,  11.  Handarbeit. 

Die  4  erstgenannten  Fächer  bilden  den  Sachunterricht^ 
die  unter  6 — .9  genannten  den  Forniunterricht. 

Im  Interesse  der  besseren  Behnltbarkeit^  der  Stoff - 
Verminderung  und  der  Charakterbildung ,  die  einen  ein- 
heitlichefi  Qedankenkreis  voraussetxt^  müssen  die  Ztveig- 
fäeher  eines  Faches  in  cinoi  einheitlichen  Lehrgang  ge- 
bracht und  die  Lehrstoffe  möglichst  verknüpft  werden. 
Diese   Verknüpfung  fmdet  statt 

a)  xuischen  dem  Sach-  und  dem  Sprachunterricht, 

b)  zwischen  dem  Sach-  und  dem  For munterrieht .^ 

c)  xuischen  den  sachunterrichtl.  Fächern  tmtereinander. 
In    der   einklassigen   Volksschule    verteilen    sich    die 

Stunden  auf  die  einzelnen  Gegenstände  wie  folgt: 

üoterstafe  Mittelstufe  Oberstufe 

Religion 3  4  4 

Realistischer  Sachunterricht     .2  6  6 

Deutsch 9  11  9 

Bechnen 


I 


Raumlehre 

Zeichnen 1  1              2 

Singen 1  2              2 

Turnen  und  Spiele      ....      —  2              2 

(Handarbeit)  ....     ...      —  2 2 

20  30            30 


In  der  mehrklassigen  Schule: 

Dnterstofe  Mittelatafe  Oberstufe 

BeligioD 3  4  4 

Realistischer  Soökunterrickt     .       2      4bezw.6   7bezw,8 

Deatsch 8  8  8 

Bechnen 4  4  4 

Raumlehre —  —  1-2 

Zeichnen 1  2  3 

Singen 1  2  2 

Turnen  und  Spiele  (Handarbeit)      1 2 2 

äÖ        26—28     30—33 

In  nicht  TUrrmalen  Schulen  treten  die  nötigen  Ver- 
änderungen nach  Maßgabe  des  Bedürfnisses  ein. 

13.  Allgemeines  über  die  Aufgabe  der  Volks- 
schule, Auswahl  und  Behandlung  des  Stoffes. 

Die  Volksschule  hat  die  Aufgabe,  den  Qrund  xur 
Bilduny  eines  sittlich-religiösen  Charakters  %u  legen,  die 
Schüler  an  die  unmittelbaren  und  die  mittelbaren  Tugenden 
XU  gewöhnen,  sie  xur  Vaterlandsliebe  zu  erzielten  und 
ihnen  die  für  das  spätere  Leben  nötigen  Kenntnisse  und 
Fertigkeiten  in  bildender   Weise  %u  vermitteln. 

Das  Maß  des  darzubietenden  Stoffes  bestimmt  sich 
nach  der  Art  der  Schule  und  dem  Maß  der  Zeit,  die  auf 
den  Gegenstand  verwendet  werden  kann.  Es  ist  deshalb 
bei  Aufstellung  des  Lehrplans  zu  beachten,  daß  es  besser 
ist,  den  Umfang  des  Lehrstoffes  zu  beschränken,»)  statt 
auf  seine  Veranschaulichung  zu  verzichten  und  in  Mit- 
teilung bloßen  Wortwissens  ausarten  zu  lassen. 

Dem  didaktischen  Materialismus  ist  überall  entgegen- 
xutreten.  Bei  der  Stoffaitswahl  ist  auf  die  örtlichen,  Ver- 
hältnisse, soweit  es  der  Citarakter  der  Volksschule  als 
einer  allgemei7ten  Bildungsanstalt  xuläsat,  Rücksidit  xu 
nehmen. 

In  allen  Fächern  kommt  es  vornehmlich  darauf  an, 
den  Lemtrieb  zu  tvecken,  d.  k.  die  Kinder  xu  selb- 

')  Diose  BeeohrftiiknDB  darf  aber  oiobt  einseitig  geBohehen. 


—     27     — 

ständigem  Weiterlerneri  anxuregen  und  zu  befähigeii 
und  die  Unterrichtsstoffe  denkend  xu  verarbeiten.  Zu- 
gleich ist  auf  die  Aneignung  eines^  wenn  auch  rnäfsigen, 
so  doch  sicheren  Wisse?is  Bedacht  zu  7iehmen.  Dies  ge- 
schieht durch  rechtzeitiges  Einprägcfiy  wobei  das  judixiöse 
Memorieren  dem  mechanischen  vorzuziehen  ist  und  durch 
öftere  aber  nieht  gleichförmige  Wiederholung  des  durch- 
gearbeiteten Stoffes. 

14.   Der  evangelische  Religionsunterricht.^) 

Der  Religiwisunterrichi  hat  die  Aufgabe^  das  in  Jesu 
tmd  dcfi  hervorragenden  Glauben^männern  beider  Testa- 
mente und  der  Kirchengeschichte  hervor trete?ide  sittliche 
und  religiöse  Lehen  atucfiauen  und  auf  das  Oeivissen  der 
Kinder  eimvirken  zu  lassen^  um  dadurch  eine  sittlich- 
religiöse Oesinnung  ifi  ihnen  zu  pflanzen  und  xu  pflegen. 

Mit  dieser  Aufgabe  ist  die  Einführung  der  Kinder 
in  di£  hl.  Schrift  und  die  Grundwahrheiten  des  Gemeinde' 
bekenntnisses  xu  verbinden.  Dabei  ist  zu  erstreben^  dafs 
die  Kiyuier  mit  EJir furcht  gegen  die  Bibel  erfüllt^  zum 
selbständigen  Lesen  derselben  angeregt,  und  angeleitet 
werden,  an  dem  Leben  und  dem  Gottesdienst  der  Ge- 
meinde lebendigen  Anteil  zu  nehmen. 

Da:  Hauptfach  des  Religionsunterrichts  ist  die  bibl, 
Geschichte,  Mit  ihr  siiul  an  passenden  Stellen  die  xu 
leriienden  Bibelsprüche  und  Bibelabschnitte,  Kirchenlieder, 
Katechismusstücke  und  Gebete  zu  verbi'ndeii,'^) 

Die  biblische  Geschichte  ist  auf  allen  Stufen^  besonderes 
auf  der  unteren^  ansclmulich- ausführlich  xu  erxählen 
und  nach  ihrem  religiösen  und  sittlichen  Gehalt  in  einer 
Geist  und  Gemüt  bildenden  Weise  fruchtbar  zu  machen. 
Geistloses  Einlernen  ist  zu  vermeiden. 

Den  Kindern  der  Unterstufe  werden  nach  eiriem  etwa 
halbjährigen  Vorhirsus^  in  welchem  Erzählstoffe  sittlich- 

^)  Betr.  des  Uoterricbts  in  der  katbol.  Religion  werden  gewiß 
katbol.  Sohulmänner  Vorschläge  machen. 

*)  Vgl.  meinen  Aufsatz  im  Juli -Heft  des  >Ev.  Sohulbl.«  1899: 
»Dörpfelds  Verdienste  um  den  Religions- Unterricht.« 


—     38     — 

reUgiösen  Inhalts  xu  behandeln  sind-,  wenige  Geechicäten 
vOTgefUhrt;  aus  dem  A.  T.  euiige  leiehie  Gesehichten  von 
Abraham,  Joseph  und  David,  aus  dem  N.  T.  werden  einige 
dem  kindlichen  Verständnis  naheliegends  Erzählungeü  aus 
dem  Leben  Jesu  gewählt.  Im  weiteren  Fortgang  des 
Unterrichts  erhalten  die  Schiller  eine  planmäßig  geordnete 
Reihe  der  wichtigsten  Erzählungen  aus  allen  Perioden 
der  hl.  Schrift,  des  Ä.  und  des  N.  Testameats,  und  xwar 
so,  dafa  auf  der  Mittelstufe  das  Alte  und  auf  der  Ober- 
stufe das  N.  T.  übermiegt.  Beswuiers  eingehend  sind  die 
Schüler  mit  dem  Leben  und  der  Person  Jesu  verlraut 
zumachen.  Daran  schließt  sich  die  Geschichte  der  Pflanzung 
und  der  ersten  Ausbreitung  der  Kirche,  der  Begründung 
des  Christentums  in  Deutschland  und  der  deutschen  Re- 
formation. Den  Schluß  bilden  Ifachrichten  über  das  Leben 
der  evang.  Kirche  in  unserer  Zeit. 

Wo  es  ohne  Stoffuberbürdung  geschehen  kann,  mag 
das  Pensum  durch  näheres  Eitigehen  auf  die  bedeutend- 
sten Prophetelt  des  A.  T.  und  die  Kirchengesehichte  er- 
weitert icerden. 

Zur  gedächtnismäfsigen  Aneignung  si?id  80 — 100  Bibel- 
Sprüche  auszuwählen;  die  Sprüche  dogtnatisckeu  Inhalts 
bleiben  vorzugsweise  dem  kirchlichen  Beligionsunterricht 


In  den  bibl.  Öescbicbtsunterricht  der  Oberstufe  fügt 
sieb  die  Erklärung  zusammenhängender  Schriftabscbnitte 
aas  den  prophetischen  und  den  poetischen  Büchern  des 
A.  T.,  besonders  der  Psalmen  und  aus  den  Schriften  des 
Neuen  Testaments.  IHe  Abschnitte  werden  gelesen,  wenn 
es  die  bibl.  Oeschichte  xu  ihrer  eigenen  Vertiefung  oder 
^Weiterung  wünschenswert  macht.  Aufserdem  sind  die 
Kinder  der  Oberstufe  mit  dem  hohen  Wert  der  Bibel 
bekannt  xu  machen  und  xu  einem  verständigen  QebraucJt 
der  hl.  Schrift  anxic^iten.  Eine  besondere  Peiibopen- 
stunde  ist  nicht  anzusetzen. 

Auf  allen  Stufen  des  Religionsunterrichts  ist  ferner 
Beziehung  auf  das  Kirchenlied  zu  nehmen.  Auf  der  Unter- 


i 


.s////('    u'crdeH    viHwbu     U  altlvcr.stäitdUcht'    iSlrop/^r//^    auf 
den  beiden  oberen  neben  solchen  auch  einige  ganze  Lieder 
I  erklärt  und  auswendig  gelernt. 

I  Oedächinismäfsig  mixueignen  sind  eUva  120  Liedei'- 

stroph€7i  (die  ganx  xii  lernenden  Lieder  eingeschlossepi) 
und  3—4  Psalmeyt^  die  yiack  Inhalt  und  Form  dem  Ver- 
ständnis der  Kinder  angeinessen  sind.  Dem  Auswendig- 
lernen muß  die  Erklärung  des  Liedes  und  die  Übung  im 
sinngemäßen  Vortrag  vorangehen.  Mit  wertvollen  Kirchen- 
liedern der  neuern  ii?id  nettesten  Zeit  und  den  in  der 
fbetreffeiiden  Gemeinde  mit  Vorliebe  gesungenen  Liedern 
sind  die  Schüler  durch  kursorisches  Lesen  bekannt  xu 
machen.  Die  Texte  und  die  Melodien  der  Lieder  sind 
dem  in  der  betreffenden  Gemeinde  benutzten  Oesangbuche 
zu  entnehmen. 

Pur  den  Katechismu^untenneht  sind  keine  besonderen 
Stunden  anxusetxen,  Wo  nicht  besondere  Verhältnisse 
eine  Änderung  nötig  machen,  fallen  nur  die  3  ersten 
Hauptstücke  in  das  Pensum  der  Volksschule  und  zwar 
in  der  Art,  daß  auf  der  Mittelstufe  der  einfache  Wort- 
laut der  10  Gebote  und  des  Vaterunsers^  auf  der  Ober- 
stufe aufser  der  Erklärung  der  Gebote  die  3  Artikel 
samt  der  Erklärung  mit  passenden  biblischen  Geschichten 
y  in   Verbindung  gebracht  und  ausivendig  gelernt  werden. 

Alles  andere  bleibt  dem  Konfirmandenunterricht  überlassefi. 

Bereits  auf  der  Unterstufe  lernen  die  Kinder  einige 
kurze  und  leichte  Morgen-,  Mittags-  und  Abendgebete; 
auf  den  oberen  Stufen  ist  ihnen  die  Einrichtung  des 
öffentlichen  Gottesdienstes  und  des  Kirchenjahres  zu  er- 
klären. Gedächtnismäßige  Aneignung  des  allgemeinen 
Kirchengebetes  sowie  anderer  Teile  des  liturgischen  Gottes- 
dienstes findet  nicht  statt. 


I 


15.   Vaterländische  Geschichte  nebst  Gesell- 

schaftskundc, 

^Das  Ziel  dieses  Unterriehts  ist:  Kenntnis  und  Ver- 
ständnis des   vielgestaltigeji   Menschenlebens y    damit  die 


} 


Schüler  im  gegenwärtigen  Menschenlehen  sich  so  weit 
xurechtfinden ,  um  dereinst  als  Erwaclisene  nach  Beruf 
und  sozialer  Stellung  xum  gemeinen  Besten  mittdtig  sein 
XU  können  und  au  wollen.*     {Dörpfeld.) 

Die  Heimat,  ihre  Sagen,  ihre  Denhnäler,  ihre  Be- 
■xiehungen  zur  Geschichte  des  deutschen  Vaterlandes  und 
die  Kulturgeschichte  desselben  verdienen  besondere  Be- 
riieksiehtigimg.  Aus  der  älteren  Geachicbte  des  deutschen 
Vaterlandes  und  aus  der  älteren  brandenburgischen  Qe- 
scbichte  sind  einzelne  Lebensbilder  zu  geben;  von  den 
Zeiten  des  SOjäbrigen  Krieges  und  der  Regierung  des 
Großen  Earftirsten  an  ist  die  Reibe  der  Lebensbilder  un- 
unterbrochen fortzuführen. 

Namentlich  auf  der  Oberstufe  mufs  die  elementare 
Oesellschaflskunde  xu  ihrem  Recht  kommen,  damit  die 
Schüler  für  ihre  späteren  laichten  und  Reckte  ah 
Staatsbürger  Verständnis  bekommen  und  in  ihnen  eine 
gesunde,  wurxelkräftige  hiebe  xu  Vaterland  und  Herrscher- 
haus, Dankbarkeit  gegen  die  verdienten  Männer  der  Vor- 
xeit  und  Pietät  gegenüber  den  vaterländischen  Institu- 
tionen erwächst. 

Der  Geschichtsunterricht  mufs  die  Beziehungen  zur 
Erdkmide,  xum  Religionsunterricht,  dem  er  ethischen 
Stoff  gibt,  nährend  er  von  ihm  ethisches  Licht  erhält, 
und  xu?n  belletristisclie»  Lesebuch  sorgfältig  beachten. 

16.    Erdkunde. 

Die  Erdkumle  hat  die  Aufgabe,  die  Schüler  vor  allen 
Dingen  mit  der  Heimat  und  dem  Vaterlande  vertraut  xu 
machen  und  xu  verständigem  Kartenlesen  anxvleiten.  So 
viel  als  möglich  ist  den  Schülern  die  Wechselioirkung 
zwischen  der  natürlic/ien  Beschaffenheit  einer  Gegend 
und  ihrer  Kultur  {zwiscJtcn  iMud  und  Leuten)  verständ- 
lich xu  machen. 

Der  erdkundliche  Unterricht  beginnt  mit  dem  Schut- 
gebäude, dem  Schulbexirk  und  der  Heimat;  sein  weiteres 
Pensum,  bei  dessen  DurcAnahme  die  Karte  und  der  Globus 


—     31     — 

fteifsig  xu  gebrauchest  s^ind,  bilden  das  deutsche  Vater- 
land und  seine  Kolonien^  das  Hauptsächlichste  aus  der 
allgemeinen  Weltkunde,  Gestalt  und  Bewegung  der  Erde, 
Entstehung  der  Tages-  und  Jahreszeiten,  die  Zonen,  die 
5  Weltmeere  und  die  5  Erdteile,  die  bedeutendsten  Staaten 
und  Städte  der  Erde,  die  größten  Gebirge  und  Ströme. 

Vor  ihrer  Entlassung  si?id  die  Schüler  eingehender, 
als  es  auf  der  Mittelstufe  geschehen  ko7i?ite,  mit  der 
engeren  und  der  iv eiteren  Heimat^  ihren  Verkehrswegen 
tmd  ihren  Bexiehungen  xum  Auslände  besonders  vertraut 
XU  machen. 

Die  Beuehungen  der  Erdkunde  zu  den  änderst  Unter- 
richtsfächern sind  stets  im  Auge  xu  behalten. 

17.    Naturkunde. 

Das  Ziel  des  naturkundlichen  Untenichts  ist  Eettiit- 
nis  und  Verständnis  des  Naturlebens  und  richtige  Würdi- 
gung der  Stellung  des  Menschett  innerhalb  desselben^  Ge- 
wöhnung der  Schüler  zu  aufmerksamer  Beobachtung  und 
ihre  Erziehung  zu  sinniger  Betrachtung  der  Natur. 

Solange  noch  kein  in  der  Praxis  brauchbarer  einheit- 
licher Lehrplan  der  Naturkuride  vorliegt^  gliedert  sich  der 
Urtterricht  in  Naturgeschichte  und  Naturlehre  Beide 
Zmeige  des  naturkundlichen  Unterrichts  inüssen  in  einer 
Hand  liegen  und  sind  möglichst  xu  verknüpfen.  Auch 
müssen  die  Bexiehungert  der  Naturkunde  xu  dett  andern 
Unterrichtsfächern  stete  Berücksichtigung  fiitden, 

a)  Der  naturgeschichtliche  Unterricht^  der  von 
den  Gegertständen  selbst^  von  Modellen  u?td  guten  Ab- 
hildungen  ausgeht  und  die  Ergebnisse  unterrichtUcher 
Spaxiergänge  und  regelmäfsiger  Beobachtungen  {auch  im 
Schulgarteny  an  Aqicarien  und  Terramen)  verivertet^  hat 
den  Blick  der  Kinder  auf  die  Form  {morphologische^ 
ästhetische  Betrachtung  und  Klassifikatimt)^  den  Zu- 
sammenhang {innerhalb  des  Einxelorganismus  und 
mit  dem  Nattirgan^en)  und  auf  die  Benutxung  der 
Naturkörper  xu  richteit.     An  passenden  Stellen  darf  er 


-     38     — 

auch  die  religiöse  Naturbetrachtung  nicht  aufser  acht 
lassen. 

Q^nstand  des  Unterricbts  bilden  außer  dem  Bau  und 
dem  Leben  dee  menacblicbeD  Körpers  ( Oesundheitslehrei  : 
die  im  ÄTiscfiauungakreise  liegenden  Qesteine,  Pflanzen 
uod  Tiere;  von  den  ausländischen  die  großen  Raubtiere; 
das  Wichtigsie  von  der  Tier-  und  P/Uinxenivett  unserer 
KoUmi&i  und  diejenigen  Kulturpflanzen,  deren  Produkte 
bei  uns  in  täglichem  Gebrauche  sind  (z.  B.  Baumwollen- 
stande, Teestrauch,  Eaffeebaum  und  Tabakpflanze).  Von  den 
einheimischen  Naturkörpero  treten  diejenigen  in  denVorder- 
grund,  die  durch  den  Dienst,  den  sie  dem  Menschen  leisten 
(z.  B.  Haustiere,  Vögel,  Seidenraupe,  Getreide»  und  Gespinst- 
pflanzen, Obstbäume,  das  Salz,  die  Kohle,  das  Eisen)  oder 
dnrch  den  Schaden,  den  sie  anrichten  (Giftpflanzen)  oder 
etwa  durch  die  Eigentümlichkeit  ihres  Lebens  und  ihrer 
Lebensweise  (z.  B.  Schmetterling,  Trichine,  Bandwurm, 
Biene,  Ameise)  besonderes  Interesse  eiregen. 

b)  Natnrlehre. ']  In  ein-  und  zweiklassigen  Schulen 
sind  die  ScbUler  zu  einem  annähernden  Verständnis  der- 
jenigen Erscheinungen  zu  führen,  die  sie  täglich  um- 
geben. 

In  den  mehrklassigen  Schulen  ist  der  Unterricht  so  zu 
erweitern,  daß  das  Wicbtigete  aus  der  Lehre  vom  Gleich- 
gewicht und  der  Bewegung  der  Körper,  vom  Schall,  vom 
Lichte  und  von  der  Wärme,  vom  ÜagnetiBmus  und  der 
Elektrizität  vorkommt,  so  daß  die  Kinder  im  stände  sind, 
die  gewöhnlicheren  Naturerscheinungen,  die  gebräuchlich- 
sten Maschinen  und  Apparate  {Rolle,  Schiebkarre^  Fem- 
rohr, Thermometer,  Barometer,  elek.  Schelle,  Telegraph, 
Telephim  usw.)  zu  erklären  U7id  xu  zeichnen. 

Beobachtungen  und  Expei-imente  sind  die  Ausgangs- 
punkte des  Unterrichts. 

*)  Vgl.  Eoüenberg,  Natnrtehre  ffii  Volksaohnleo.  LaageoBKlu. 
HermaoD  Beyet  1  Söhne  (Beyer  &  Ubdd).    1,20  H. 


—     33     — 

18.   Reallesebuch. 

Wie  beim  Religionsunterricht  das  Historienbuch,  so 
ist  bei  dem  übrigen  Sachtmterrickt  {Oeschichte,  Erdkunde, 
Naturkunde)  auf  allen  Stufen  xum  Einprägen  tind  Wieder- 
holen des  Stoffes,  namentlich  aber  zur  Förderung  der 
Sprachbildung,  statt  der  Leitfäden  der  Oebrauch  eines 
guten  Reallesebuches  xu  empfehlen,.  Das  Buch  darf  erst 
benutzt  werden,  nachdem  der  Lehret'  den  Lehrstoff  nach 
sorgfältiger  Vorbereitung  anschaulich  und  frei  dargestellt 
hat  Auch  die  einklassigen  Schulen  dürfen  ein  Reallese- 
Imch  benutxen.  Die  realistischen  Stücke  des  belletristischen 
Lesebucfies  dienen  zur  Belebung  und  Ergänzung  des 
Unterrichts. 

Diktate  sind  nicht  zu  gestatten,  ebenso  ist  das  rein 
mechanische  Einlernen  von  Geschichtszahlen,  Regenten- 
reihen usw.,  Länder-  und  Städtenamen,  Einwohnerzahlen, 
von  Namen,  Merkmalen  der  Pflanzen,  Maß-  und  Verhältnis- 
zahlen in  der  Naturlehre  verboten. 

19.   Der  Unterricht  im  Deutschen. 

Der  U7iterricht  im  Deutschest  soll  die  Schüler  zum 
mündlichen  und  schriftlichen  Oebrauch  und  zum  Ver- 
ständnis ihrer  Muttersprache  befähigest. 

Er  umfaßt  die  Übungen  im  Sprechen,  Lesen  u.  Schreiben. 

Diese  drei  Stücke  müssen  auf  allen  Stufen  in  organi- 
schem Zusammenhange  miteinander  bleiben  und  vor  allen 
Dingest  ihrett  Zusammenhaiig  mit  dem  Sachunterricht 
festhaltest,  weil  der  Kern  des-  Sprachbildung  in  und  mit 
dem  Sachunterrieht  erivorben  werdest  mufs.  Die  Ubungest 
der  Sprachfertigkeit  sind  besonders  zu  betorten. 

20.   Die  Übungen  im  mündlichen  Ausdruck. 

Die  Übungen  im  mündlichen  Ausdrucke  erfordern 
keinen  abgesonderten  Unterricht.  Sie  nehmen  ihren  Stoflf 
vorsuhmlieh  aus  dem  Sachunterricht,  der,  wenn  er  metho- 
disch richtig  erteilt  tvird,  die  mündliche  und  schriftliche 

Päd.  Mag.  318.    Vo  g  0 1 8  a  n  g ,  VorechlEgo  z.  Rof .  d.  AUg.  Boet.  3 


—     34    — 

Sprachfertigkeit  in  besonderem  Mafse  schult  mid  ßrdert. 
Auf  der  Unterstufe  können  sich  diese  Übungen  an  ein- 
fache, den  Kindern  bekannte  Gegenstände,  an  Bilder 
X.  ß.  XU  den  Hey  sehen  Fabeln  usw.  anschliefsen.  Auf 
der  Mittel'  und  der  Oberstufe  wanden  auch  geöffnete  Stücke 
des  belletristischen  Lesebuches  daxu  verwamdt. 

Ihr  formelleB  Ziel  ist,  fortschreiteDd  anf  den  Terscbied»- 
nen  Stofeii,  die  BefStiigang  des  Schülers  zu  richtiger  und 
deatlicher  Aussprache  jedes  eiozeloen  Wortes  and  zum 
freien  Aasdruck  seiner  Gedanken  unter  Überwindung 
der  gewöhnlichen  Fehler  {namentlich  der  Dialeklfekler) 
im  Gebrauche  der  Wortformeo  und  in  der  Satzbildung 
und  endlich  die  Befähigung  zur  &eien  und  richtigen  Wieder- 
gabe fremder  Stoffe,  wie  zur  Ordnung  und  klaren  Dar- 
stellung eigener  Gedanken  in  einfacher  Sprache.  Die  Auf- 
sätze müssen  ah  reife  Fi-ucht^)  vom  Baum  des  münd- 
lichen Sprachunterrichts  abfallen.  Sie  entnehmen  ihren 
Stoff  dem  Sprachunterricht,  dem  belletriatischen  Lesebuch 
und  der  Erfahrung  der  Kinder  [sog.  freie  Aufsätze). 

31.  Der  Unterricht  im  Schreiben  und  Lesen. 
Es  ist  gestattet,  den  ersten  Schrmb-  und  Leseunterricht 
erst  im  2.  Halbjahre  des  ersten  Schuljahres  zu  beginnen. 
Ziel  ist:  t(lr  die  Unterstufe  die  BefUbigung  der  Kinder, 
zusammenhängende  Lesestücke  richtig  lesen  und  kurze 
Sätze  nicht  nur  ab-,  sondern  auch  selbständig  au&chreiben 
zu  können;  für  die  Mittelstufe  diejenige,  g&nze  Lesesiücke 
in  gebundener  und  ungebundener  Bede,  in  deutscher  und 
lateinischer  Schrift  ohne  Anstoß  und  sinnricbtig  zu  lesen, 
ein  einfaches  Diktat  richtig  aufzuschreiben  und  ein  nach 
Form  und  Inhalt  leichtes  Sprachstück  selbständig  nieder- 
zuschreiben. Auf  der  Oberstufe  sind  die  Kinder  dahin 
zu  führen,  daß  sie  schwierigere  Ijesesiücke,  deren  Inhalt 
ihrem  Lebenskreise  nicht  zu  fern  liegt,  leicht  und  mit 

*)  Vgl.  den  AnfB&ti  dea  Oeb.  ProT.-SoholTAts  Klewe  ia  der  Dez.- 
No.  von  Sehrödela  >PruiB  der  Volksschule« :  Qegeo  den  Anbati- 
DDlaniaht. 


—     35     — 

Ausdruck  vom  Blatt  lesen,  Diktate  dieser  Art  fehlerfrei^) 
niederschreiben  and  auch  größere  SprachsttLcke  richtig 
wiedergeben  können.  Für  die  Übungen  im  Schreiben 
werden  besondere  Schreibstunden  auf  der  Mittel-  und  der 
Oberstufe  der  Schule  mit  einem  oder  2  Lehrern,  sowie 
in  den  Mittelklassen  der  mehrklassigen  Schule  eingerichtet. 
In  den  Oberklassen  der  letzteren  kann  die  Übung  außer- 
dem zum  Gegenstand  häuslicher  Aufgaben  gemacht  werden. 
Ziel  des  Unterrichts  ist^die  Aneignung  einer  sauberen, 
deutlichen  und  gewandten  Schrift  in  allen,  auch  in  schnell 
gefertigten  Schriftsätzen. 

Als  Inhalt  der  Vorschriften  empfehlen  sich  volkstüm- 
liche Sprichwörter,  gute  und  zeitgemäße  Muster  von  ge- 
schäftlichen Formularen  und  AuMtzen. 

Die  Resultate  eines  guten  Unterrichts  müssen  in  allen 
Heften  der  Schüler  {auch  in  den  Tagebüchern)  zum  Vor- 
schein kommen. 

22.  Der  Unterricht  in  der  deutschen  Sprachlehre. 

Der  Unterricht  in  der  deutschen  Sprachlehre  ist  nicht 
Selbstxwecky  sondern  nur  Mittel  xu  dem  Zwecke  die 
Schüler  xum  richtigen  mündlichen  ufid  schriftlichen  Ge- 
brauche der  Sprache,  woxu  iiamentlich  die  Überwindung 
der  Dialektfehler  gehört^  xu  befähigen.  Er  ist  mit  dem 
übrigen  Sprachunterricht  xu  verbinden  und  darf  wöcheni- 
lieh  nur  eine  Stunde  beanspruchen.  Die  durch  die  Be- 
schränkung des  grammatischen  Stoffes  gewonnene  Zeit 
ist  xur  Pflege  des  mündlichen  und  des  schriftlichen  Aus- 
drucks und  der  Onomatik  xu  verwenden, 

23.   Das  belletristische  Lesebuch. 

Dem  Deutschunterricht  im  engeren  Sinne  liegt  das 
belletristische  (oder  literarische)  Lesebuch  xu  Orunde^  dessen 
Stücke^  je  nach  ihrem  Inhalt^  mit  den  übrigen  Unter^ 


')  Absolute  Sicherheit  wird  die  Volkssohole  wohl  kaum  er- 
reichen; auch  die  höheren  Schalen  erwarten  von  ihren  14jährigen 
Schülern  nicht  durchaus  fehlerfreie  Arbeiten. 

3* 


-      36     — 

richtsfächem  in  Beziehung  zu  setzen  sind.  Es  dient^ 
wie  die  sachimterrichtUchen  Lesebücher  xur  Förderung 
der  Lesefertigkeit,  sowie  xur  Einfilhrung  in  das  Ver- 
ständnis der  darin  enthaltenen  Lesestücke  und  Oedichte. 
Die  Auswahl  diesen  Stücke  ist  so  zu  treffen,  dafs  jährlich 
wechselnd  ungefähr  20  xur  eingehenden  Behandlung  kom- 
men. Die  übrigen  Stücke  werden  kursorisch  gelesen.  Gte- 
eignete  Sprachstücke  in  Poesie  und  Prosa  ^  and  zwar  in 
Schalen  mit  einem  oder  3  Lehrern  besonders  Yolksliedertexte, 
werden  aaf  allen  3  Stufen  nach  vorangegangener  Besprechung 
auswendig  gelernt  und  mit  guter  Betonung  vorgetragen. 

Auf  der  Oberstufe  mehrklassiger  Schulen  wird  das 
belletristische  Lesebuch  auch  dazu  benutzt,  den  Kindern 
Proben  von  den  Hauptwerken  der  vaterländischen,  nament- 
lich der  volkstümlichen  Dichtung  und  einige  Nachrichten 
über  die  bedeutendsten  Dichter  unseres  Volkes  zu  geben; 
doch  beschränken  sich  diese  Mitteilungen  auf  die  Zeit 
nach  der  Reformation. 

Auch  die  neuere  Literatur  mufs  genügend  Berück- 
sichtigung finden.^)  Falls  andere  Aufgaben  der  Schule 
nicht  darunter  leiden^  mag  auch  '^  Wilhelm  TelU  oder 
»Hermann  und  Dorotheas  mit  den  Schülern  des  8.  Jahr- 
gangs gelesen  und  besprochen  tcerden.  Jede  Schule  mufs 
im  Besitxe  einer  Schülerbibliothek  sein.  Die  Lektüre 
dient  inyrxugsweise  xur  Vertiefung  und  Erweiterung  des 
im  Unterricht  Oelemten. 

24.  Der  Rechenunterricht. 

Zweck  des  Rechenunterrichts  ist  die  Befähigung  der 
Schüler  zu  selbständiger,  sicherer  und  schneller  Lösung 
von  Aufgaben,  die  das  praktische  Leben  erfordert  Das 
Rechnen  ist  auf  allen  Stufen  als  Übung  im  klaren  Denken 
und  richtigen  Sprechen  zu  betreiben.') 

^)  8.  Dichtergaben  von  Rieh.  Lange.  Leipzig,  Dürr.  u.  A.  Lom- 
berg,  Auswahl  neuerer  Oedichte.  Laogeosalza,  Hermaon  Beyer  & 
Söhne  (Beyer  &  Mann).    0,20  M. 

*)  Andere  Fassung:  Ziel  des  Reehenunterrichta  ist,  ^^daß  die 
SehiÜer  denkend  rechnen  und  rechnend  denken  lernen  und  fieben 


—     37     — 

Die  Bexiehmigen  des  Rechnens  zum  Sackufiiefricht 
sind  auf  allen  Stufen  ins  Auge  xu  fassen. 

Auf  der  Unterstufe  werden  die  Operationen  mit  be- 
nannten und  unbenannten  Zahlen  im  Zahlenraume  von 
1 — 10,  sowie  die  leiditereii  Operationen  im  Zahlenkreis 
von  1—100^  auf  der  mittleren  die  schwierigeren  Opera- 
tionen dieses  Zahlenkreises  und  diejenigen  im  unbegrenzten 
Zahlenraume  gelernt  und  geübt;  auf  der  letzteren  auch 
angewandte  Aufgaben  aus  der  Durchschnittsrechnung,  Re- 
solutionen und  Reduktionen  und  einfache  Regeldetri  ge- 
rechnet Pensum  der  Oberstufe  sind  die  Bruchrechnung, 
die  bereits  auf  den  unteren  Stufen  in  geeigneter  Weise 
vorzubereiten  und  in  vielklassigen.  Schulen  schon  im 
5.  Jahrgang  zu  beginnen  ist^  und  deren  Anwendung  in 
den  bürgerlichen  Rechnungsarten,  sowie  eingehende  Be- 
handlung der  Dezimaibrüche.  In  der  mehrklassigen  Schule 
ist  das  Pensum  durch  Aufnahme  schwierigerer  Fälle  der 
bürgerlichen  Rechnungsarten  (immentlich  Proxeiit-^  Zins- 
und  Rabattrechnung)  wnd  von  Aufgaben^  die  VersicherungS" 
gesetxe  betreffend^  zu  erweitern.  Doch  sind  diese  Auf- 
gaben nicht  auf  Kosten  der  Sicherheit  und  Fertigkeit  im 
mü7idiichen  und  schriftlichen  Rechnen  mit  den  4  Spezies 
in  ganzen  und  in  Bruchzahlen  xu  betreiben. 

Auf  der  Unterstufe  wird  in  der  Schule  mit  einem  oder 
2  Lehrern,  soweit  es  sein  kann,  in  der  mehrklassigen 
Schule  vorzugsweise  im  Kopfe  gerechnet  Bei  Einführung 
einer  neuen  Rechnungsart  geht  das  Kopfrechnen  dem 
Tafelrechnen  voran.  Bei  der  praktischen  Anleitung  ist 
überall  die  Beziehung  auf  das  bürgerliche  Leben  ins 
Auge  zu  fassen;  darum  sind  die  Aufgaben  mit  großen 
und  vielstelligen  Zahlen  zu  vermeiden  und  die  angewandten 
Aufgaben  so  zu  stellen,  daß  sie  den  wirklichen  Verhält- 
nissen entsprechen.  Dem  Unterricht  sind  in  allen  Schulen 
Rechenbücher  zu  Grunde  zu  legen. 


der  Einsieht  auch  duQenige  Fertigkeit  erlangen  ^  welche  das  Leben 
verlangt*^    Hentechel. 


—     38     — 

25.  Der  Unterricht  in  der  Raumlehre. 

Sein  Ziel  ist^  die  Schüler  mit  den  tvichtigsten  Raum- 
gröfsen  wenigstens  so  weit  bekannt  zu  machen^  dafs  sie 
sie  unterscheiden^  zeichnen  und  berechnen  können. 

Das  Pensum  der  Baumlehre  bilden:  die  Linie  und 
ihre  Arten,  der  Winkel  und  seine  Arten,  Dreiecke,  Vier- 
ecke, regelmäßige  Figuren,  der  Kreis  und  seine  Hilfs- 
linien, die  regelmäßigen  Körper. 

In  den  mehrklassigen  Schulen  ist  derselbe  Stoff  ein- 
gehender zu  behandeln. 

Der  Unterricht  in  der  Baumlehre  ist  unter  steter  Bezug- 
nahme auf  das  praktische  Leben  sowohl  mit  dem  Bechnen 
wie  mit  dem  Zeichnen  in  Verbindung  zu  setzen.  Während 
die  Schüler  durch  das  Zeichnen  die  Formen  der  Linien, 
Flächen  und  Körper  richtig  anzuschauen  und  darzustellen 
geübt  werden,  lernen  sie  durch  das  Bechnen  mit  deren 
Maßzahlen  sicher  operieren,  die  Länge  der  Linien,  die 
Ausdehnung  der  Flächen  und  den  Inhalt  der  Körper  be- 
rechnen. 

26.   Oesang. 

Das  Ziel  des  Oesangunterrichts  ist,  daß  jeder  Schüler 
nicht  nur  im  Chor,  sondern  auch  einzeln  richtig  und 
sicher  singen  könne  und  bei  seinem  Abgange  eine  ge- 
nügende Zahl  von  Chorälen  und  Volksliedern,  letztere  mög- 
lichst unter  sicherer  Einprägung  der  ganzen  Texte,  als 
festes  Eigentum  inne  habe. 

Das  Singen  nach  Ziffern  und  später  nach  Noten  ist 
der  mechanischen  Methode,  die  aus  blofsem  Vorspielen 
und  Nachsingen  besteht^  vorzuziehen, 

27.  Zeichnen. 

Für  das  Zeichnen  gelten  die  neuen  Bestimmunge?i 
vom  12,  Juni  1902, 

28.   Turnen. 

Der  Turnunterricht  wird  auf  der  Mittel-  und  der  Ober- 
stufe für  die  Knaben  in  je  2  Stunden  wöchentlich  erteilt. 
ÄV4A  die  Mädchen  dieser  Stufen  erhalten  1 — 2  Stunden 


—     39       - 

Urderricht  im  Turnen  und  Spielen.  Für  die  Kinder  der 
ünUrstufe  ist  in  vielklassigen  ^)  Schalen  wöchentlich  eine 
Spielttunde  anzusetzen.  Wo  es  die  Verhältnisse  ermög- 
lichen^ sollen  Knaben  und  Mädchen  der  Oberstufen  auch 
schtaimme^i  lernen. 


^)  la  venigklassigeo  Sohuleo,  die  auf  dem  Lande  die  Regel 
bilden,  komtien  die  Kleinen  ohnehin  genug  ins  Freie;  auch  fehlt 
dem  Lehrer  die  Zeit,  den  Kleinen  eine  besondere  Tarn-  und  Spiel- 
stande za  gebeo. 


-oa^o- 


Drock  Ton  Hecmaim  B^yer  k  SAhn«  (Beyer  k  Mum)  in  LngiOMlflL 


Verlag  von  Hennanii  Beyer  ft  Söhne  (Beyer  ft  Mann)  in  Langensalza. 


Pädagogisches  Magazin. 

AUimiDiiei  roi  BeMete  1er  Pidigogtt  ul  ikrer  HllftfluesclifleL 

Friedrich  Mann. 

B«ft 

1.  Kefersteiiii  Dr.  H.,  BetracbtoDgen  überLehrerbildongi  2.  Aafl.   75  PL 

2.  Maennel,  Dr.  B.,  Über  pädagogische  Diskassionen  ont  die  Bedingungen, 
unter  denen  sie  nützen  können.    2.  Aofl.    45  Pf. 

3.  Wohlrabe,  Dr.W.,  Fr.  Mykonins,  der  Beformator Thüringens.  25  Pf. 

4.  Tews,  Job.,  Moderne  Mftdchenerziehnng.  Ein  Vortrag.   2.  Aufl.    30  Pf. 

5.  Ufer,  Christian,  Das  Wesen  des  Schwachsinns.    2.  Aufl.    25  Pf. 

6.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Otto  Frick.    Gedftchtnisrede,  gehalten  im  Halle- 
sohen  Lehrer-Yereine.    40  Pf. 

7.  Holt  seh,  H.,  Gomenios,  der  Apostel  des  Friedens.    30  Pf. 

8.  Ballwürk,  Dr.  E.  von,  Banmgarten  gegen  Diesterweg.    25  Pf. 

9.  Tews,  Joh.,  Sozialdemokratische  P&dagogik.    3.  Aufl.    50  Pf. 

10.  Flügel,  0.,  Über  die  Phantasie.    Ein  Vortrag.    2.  Aufl.    30  Pf. 

11.  Janke,  0.,  Die  Belenchtang  der  Sdiolzimmer.    25  Pf. 

12.  Seh  all  er  US,  Dr.  Adolf,  Die  Deutsche  Mythologie  in  der  Emehonga- 
schule.    20  Pf. 

13.  Kef  er  stein,  Dr.  Horst,  Eine  Herderstadie  mit  besonderer  Beziehong 
auf  Herder  als  Pädagog.    40  Tt 

14.  Wittstock,  Dr.  Alb.,  Die  Überfüllang  der  gelehrten  Bemfszweige.  50  Pf. 

15.  Hanziker,  Prof.  0.,  Ck>menias  und  Pestalozzi.  Festrede.  2.  Aofl.  40  Pf. 

16.  Sallwürk,  Dr.  K  yon.  Das  Becht  der  Yolksschalaofidcht  Nach  den 
Verhandlangen  der  Württemberg.  Kammer  im  Mai  1891.    25  Pf. 

17.  Bossbaoh,  Dr.  F.,  Historische  Biclitigkeit  and  Volkstümlichkeit  im 
Qeachichtaanterrichte.    40  Pf. 

18.  Wohlrabe,  Bektor  Dr.,  Lehrplan  der  sechsstafigen  Volksschale  za 
Halle  a.  S.  für  den  Unterricht  m  Geschichte,  Geographie,  Natorlehre, 
Baamlehre,  Deatsdi.    40  Pf. 

19.  Bot  her,  H.,  Die  Bedeatang  des  ünbewolsten  im  menschl.  Seelen- 
leben.   2.  Aufl.    30  Pf. 

20.  Geh  ml  ich,  Dr.  Ernst,  Beiträge  zur  Greschichte  des  Unterrichts  und 
der  Zacht  in  den  städtischen  Lateinschalen  des  16.  Jahrhanderts.   50  Pf. 

21.  Ho  11  kämm.  F.,  Erziehender  Unterricht  and  Massenanterricht    60  Pf. 

22.  Janke,  Otto,  Körperhaitang  and  Schriflrichtang.    40  Pf. 

23.  Lange,  Dr.  Karl,  Die  zweämäbige  Gestaltung  der  öffentlichen  Schul- 
mrüfai^en.    30  Pf. 

24.  Gleichmann,  Prof.  A.,  Über  den  blols  darstellenden  Unterricht  Her- 
barts.   2.  Auflage.    60  Pf. 

25.  Lomberg,  A^  Grofise  oder  kleine  Schulsysteme?    45  Pf. 

26.  Bergemann,  Di.  P.,  Wie  wird  die  Heimatskunde  ihrer  soz.-ethischen 
Aufgabe  gerecht?  2.  Aufl.    80  Pf. 

27.  Kirchberg,  Th.,  Die  Etymologie  und  ihre  Bedeutung  für  Schule  und 
Lehrer.    40  Pf. 

28.  Honke,  Julius,  Zur  Pflege  yolkstüml.  Bildung  und  Geeittung.    50  Pf. 

29.  Beukauf,  Dr.  A.,  Abnorme  Kinder  und  ihre  Pflege.    2.  Aufl.    35  Pf. 


Visnelle  Erinneningsbilder 


beim 


Rechnen. 


Von 


Lehrer  in  Magdeboig. 


'N^^^-w"^^    .*-->-^-^     \.^ 


Pädagogiaohes  Magazin,  Heft  810. 


>^*s^vy'^-^- 


^^^--«K^N    ^.d^y^* 


V 


LftllgeBBAlZft 

Hermann  Beyer  &  Söhne 

(Beyer  k  Mann) 

Henog^.  Sldii.  Hofbadihiiidkr 

1907 


Q 


Alle  Rechte  Torbeiuaten. 


beit  das  didaktische  Experiment  Eingang  in  den  Schalen 
gefunden  hat,  glauben  manche  Lehrer:  der  Stein  der 
Weisen  sei  auf  pädagogischem  Gebiete  gefunden;  das 
Morgenrot  einer  neuen  Zeit  breche  für  unsere  Jugend 
an;  bald  werde  nicht  mehr  Meinung  gegen  Meinung 
stehen;  einmütig  würden  sich  alle  Erzieher  um  das 
Schibboleth  der  neuen  Methode  zusammenscharen.  Orau 
und  schrecklich  malt  sich  die  Nacht  der  vergehenden 
Pädagogik  in  den  Köpfen  der  Neuerer.  Schnöder  Drill, 
geistloser  Verbalismus  und  öder  Memoriermaterialismus 
walten  in  der  Schule.  Spitzfindige  Dogmatik,  müßige 
Spekulation,  unbefugte  Oeneralisation,  rechthaberische 
Dialektik,  blinde  Methodengläubigkeit  und  roher  Empirist 
mus  beherrschen  die  Lehrer.  All^,  was  seit  den  Tagen 
eines  Pestalozzi,  eines  Herbart  erarbeitet  ist  in  der  Päda* 
gogik,  gleiche  dem  sterilen  Flugsande.  Dagegen  schaffe 
das  didaktische  Experiment  immer  neue  Erkenntnisse. 
Die  experimentelle  Methode  sei  die  einzig  berechtigte. 
BetreSlB  der  Lay sehen  Rechtschrei bversuche,  die  nichts 
Neues  zu  Tage  förderten,  schreibt  ein  Vertreter  dieser 
Richtung  begeistert:  »Überhaupt  eröffnete  er  damit  die 
Aussicht,  auf  diese  Weise  neue  Lehrverfahren  und  Lehr- 
mittel erwerben  zu  können.  Wer  will  die  Tragweite 
dieses  Fortschrittes  ausmessen !  Vielleicht  wird  man  später 
einmal  von  dem  Augenblick  an,  wo  etwas  vom  Hauch 
exakter  Forschung  in  der  speziellen  Didaktik  zu  spüren 

Päd.  Mag.  319.    Barheine,  ViBuelle  Erinneningsbilder.  1 


war,  eine  neue  Ära  in  der  EntwickluDg  mancher  unserer 
Disziplinen  datieren.«  i) 

Bei  genauer  Prüfung  der  sogenannten  neuen  Ent- 
deckungen entpuppen  sie  eich  nicbt  selten  als  alte  Be- 
kannte, oder,  was  schlimmer  ist,  der  neue  Weg  erweist 
sich  als  Irrweg.  Auch  die  Art  und  Weise  der  Durch- 
führung der  Experimente  muß  zuweilen  Widerspruch 
hervormfen.  Das  zeigt  auch  eine  Abhandlang  von  K. 
Eckhardt  Über  »Visuelle  Erinnerungsbilder  beim  Rechnen. 
Eis  Beitrag  zur  Didaktik  des  Rechen  Unterrichtes  der 
Unterstufe«.*)  Wir  legen  diese  Abhandlung  unserer  Arbeit 
ea  Omode. 

Wollen  wir  unsere  Aufgabe  richtig  lösen,  so  müssen 
wir  uns  darUber  Klarheit  yersohaffen,  1.  was  visuelle  Er- 
innerungsbilder sind,  a.  welche  Bedeutang  sie  beim  Rechnen 
haben.  Wir  haben  die  Resultate  unserer  fJnteiBuchung 
mit  Eckhardts  Ansichten  zu  vergleichen. 

»Visuelle  Erinnerungsbilder«  ist  ein  Artbegri£  Der 
übergeordnete  Begriff  ist  Erinnerangsbilder.  Diese  wieder 
sind  eine  Art  von  Erinnerungen. 

Was  versteht  man  anter  einer  Erinnerung? 

Wir  machen  es  uns  an  einem  Beispiele  klar!  Nehmen 
wir  an,  ich  stehe  an  der  Elbe.  Ich  sehe  die  Wellen  dahin- 
eilen. Ich  betrachte  die  Dfer,  den  Lauf  des  Flusses.  Ich 
beobachte  das  Leben  auf  der  Elbe.  Kähne  und  Dampfer 
fahren  stromauf,  stromab.  Mein  Auge  erblickt  Brücken 
und  Fähren  usw.  Ich  habe  Empfindungen  und  Wahr- 
nehmungen der  Elbe.  Später  stehe  ich  an  einem  andern 
Gewässer,  vielleicht  an  einem  heimatlichen  Bache  oder 
an  einem  Kanäle.  Durch  den  Anblick  desselben  werden 
die  Wahrnehmungen  reproduziert,  die  ich  an  der  Elbe 
erbalten  habe.  Ich  habe  eine  Vorstellung  oder  genauer 
Vorstellungen.    Was  Ich  früher  und  an  einem  ganz  andern 

*)  Stchner.  Lays  Reohtsohreibe-Refonii.  Jahrbuch  des  Vereins 
(&t  wisMDBobkftliohe  E^lagogik,  XXXII,  B.  207. 

■)  Zeitsobrift  für  Experimentelle  Pädagogik.  Y.  Band,  fieft  1/2. 
Ldpsig  1907. 


—     3     — 

Orte  wahrgenommen  habe,  erscheint  mir  gegenwärtig. 
Doch  die  Yorstellung  kann  noch  mit  einem  Zusätze  be- 
wußt werden:  das,  was  ich  mir  jetzt  vorstelle,  ist  mit 
dem,  was  ich  damals  an  der  Elbe  wahrgenommen  habe, 
inhaltlich  einerlei.  Ich  stelle  mir  die  Elbe  vor.  Ich  er- 
innere mich  der  Elbe.  »Die  Erinnerungen  sind  Yor- 
steUungen,  welche  früher  Empfundenes,  Wahrgenommenes, 
überhaupt  Erlebtes,  Vergangenes  und  Abwesendes  als  ein 
Gegenwärtiges  erscheinen  lassen,  mit  dem  Bewußtsein,  daß 
in  der  gegenwärtigen  Vorstellung  etwas  vorgestellt  wird, 
was  mit  dem  Früheren,  Vergangenen  und  Abwesenden 
inhaltlich  einerlei  ist.«  ^) 

Es  erhebt  sich  die  Frage:  Sind  nicht  alle  Vorstellungen 
Erinnerungen?  Man  kann  um  so  mehr  zu  dieser  Ansicht 
neigen,  als  die  Seele  ihre  Inhalte  nicht  aus  sich  selbst 
schafft.  Die  Bewußtseinsinhalte  schlummern  nicht  in 
unserer  Seele,  um  bei  bestimmten  Gelegenheiten  zu  er- 
wachen. Die  Seele  besitzt  keine  Vermögen.  Außenwelt 
und  Seele  stehen  in  Wechselwirkung.  Ohne  Einwirkung 
der  Außenwelt  kein  Tun  der  Seele.  Muß  da  nicht  das 
Bewußtsein  der  Identität  der  Vorstellung  mit  einer  Wahr- 
nehmung immer  mit  reproduziert  werden?  Wenn  es  so 
ist,  kann  man  dann  den  Ausdruck  Vorstellung  nicht  besser 
durch  Erinnerung  ersetzen,  weil  es  sich  bei  jeder  Vor- 
stellung um  eine  Erinnerung  handelt? 

Es  gibt  eine  große  Anzahl  von  Vorstellungen,  die  Er- 
innerungen sind.  Aber  bei  einer  großen  Anzahl  fehlt  das 
Bewußtsein  der  Identität  mit  Wahrnehmungen.  Zwar 
gibt  es  keine  Vorstellungen  ohne  Empfindungen  und  Wahr- 
nehmungen, aber  die  Vorstellungen  sind  nicht  die  treuen 
Abbilder  von  Empfindungen  und  Wahrnehmungen.  Das 
zeigen  recht  deutlich  die  Phantasiebilder.  Ihre  Elemente 
sind  zwar  auch  Empfindungen  und  Wahrnehmungen  ent- 
lehnt. Die  Verbindung  der  Elemente  ist  jedoch  keiner 
Erfahrung  entnommen.    Die  Vorstellung  einer  mythischen 


')  Strümpell,  Legik.    Leipzig  1881.    8. 14. 


—     4     — 

Person  (Zeus,  Wodan)  ist  beispielsweise  für  den  Menschen, 
der  sie  bildet,  keine  Erinnerung;  denn  es  gibt  keine 
Wahrnehmungen  myliiischer  Gestalten.  Zur  Vorstellung 
wird  jede  Empfindung  und  Wahrnehmung  nach  Yeiv 
schwinden  des  äußeren  Reizes,  nicht  aber  zur  Erinnerung. 
Diese  ist  ein  recht  zusammengesetzter  Vorgang.  Ich  er- 
innere mich  eines  Vorgangs,  wenn  ich  genau  unterscheide 
zwischen  der  jetzigen  Vorstellung  und  der  früher  ge- 
machten Wahrnehmung.  Dazu  kommt  auch  noch  das 
Bewußtsein  einer  zwischen  beiden  liegenden  abgelaufenen 
Zeit. 

Je  niedriger  man  den  Anteil  der  Seele  beim  Zustande- 
kommen der  psychischen  Produkte  bewertet,  desto  eher 
wird  man  jener  Ansicht  Raum  geben,  Erinnerung  und 
Vorstellung  seien  identisch.  Daher  wenden  einige  Physio- 
logen der  Gegenwart  Vorstellung  und  Erinnerung  als 
gleichbedeutend  an,  oder  sie  ersetzen  Vorstellung  durch 
Erinnerung.  Ihnen  ist  die  Erinnerung  das  Wiederaufleben 
der  sensorischen  und  motorischen  Elemente  der  ursprüng- 
lichen Wahrnehmung.  Die  Erinnerungsbilder  sind  in  irgend 
einer  Weise  im  Gehirn  niedergelegt  Eckhardt  ist  An- 
hänger dieser  Richtung.  Er  spricht  von  Vorstellung  und 
in  derselben  Bedeutung  von  Erinnerung.  Er  will  von 
visuellen  Erinnerungsbildern  schreiben,  ersetzt  aber  den 
Ausdruck  auch  durch  »Vorstellungen  visueller  Art«,  ohne 
irgendwo  anzudeuten,  daß  hier  ein  unterschied  zu  machen 
sei.    Beides  ist  ihm  dasselbe. 

Ein  Erinnerungsbild  ist  eine  Vorstellungs- 
verknüpfung, die  aus  einem  Wahmehmungsbilde,  aus 
einer  Anschauung  entstanden  ist.  Beim  Erinnerungsbilde 
erscheinen  also  wie  bei  der  Anschauung  die  einzelnen 
Teile  geordnet. 

Nun  zu  den  Arten  der  Erinnerungsbilder! 

Angenommen,  ich  habe  die  Vorstellungen  eines  Ge- 
mäldes, einer  Wiesenfläche  oder  eines  Kreises.  Die  Vor- 
stellungen sind  entstanden  aus  Empfindungen  und  Wahr- 
nehmungen des  Gesichtes.   Es  sind  visuelle  Vorstellungen. 


—     6     — 

Ich  stelle  mir  die  Melodie  eines  Liedes  vor.  Die  Yor- 
Stellung  ist  aus  Oehörsempfindungen  und  -Wahrnehmungen 
entstanden.  Wir  haben  es  hier  mit  einer  akustischen 
Vorstellung  zu  tun.  Mir  schweben  die  Tätigkeiten  des 
Sohlittschuhlaufens,  des  Tanzens  oder  Elettems  vor.  Es 
handelt  sich  um  Vorstellungen,  die  vielleicht  vorwiegend 
aus  Empfindungen  stammen,  die  durch  Bewegungen  un- 
seres Körpers  gebildet  sind.  Diese  Vorstellungen  nennt 
man  motorische.  Analog  bezeichnet  man  die  Erinnerungs- 
bilder als  visuelle,  akustische  und  motorische.  Meistens 
ist  jedoch  eine  Vorstellung  und  entsprechend  das  Er- 
innerungsbild aus  Empfindungen  entstanden,  die  ver- 
schiedenen Sinnesgebieten  angehören.  Die  Komplexion 
Schlittschuhlaufen  enthält  folgende  Teile: 

1.  Gesichtsvorstellungen  der  Tätigkeit, 

2.  Oehörsvorstellungen,   durch  Reibung  der  Schlitt- 
schuh auf  der  Eisfläche  verursacht, 

3.  Bewegungs Vorstellungen,  durch  die  Bewegungen 
meines  Körpers  bedingt 

Die  Teile  der  Komplexion  können  noch  vermehrt  wer- 
den, wenn  ich  gleichzeitig  an  das  Wort  »Schlittschuh- 
laufen« denke.     Es  kommen  hinzu: 

4.  Oesichtsvorstellungen  des  geschriebenen  oder  ge- 
druckten Wortes, 

5.  Oehörsvorstellungen  des  gesprochenen  Wortes, 

6.  Schreibbewegungsvorstellungen  des  geschriebenen 
Wortes, 

7.  Sprechbewegungsvorstellungen   des   gesprochenen 
Wortes. 

Die  einzelnen  Teilvorstellungen  brauchen  jedoch  nicht 
den  gleichen  Anteil  am  Zustandekommen  der  Komplexion 
zu  haben.  Vielmehr  wird  es  wohl  in  der  Regel  so  sein, 
daß  eine  Vorstellung  oder  einzelne  Vorstellungen  vor- 
herrschen. Wenn  ich  an  mein  Schlittschuhlaufen  denke, 
können  die  Bewegungsvorstellungen  vorherrschen.  Stelle 
ich  mir  das  Laufen  anderer  vor,  gebührt  den  O^ichts- 
vorstellungen  der  Vorrang.    Auch  die  Oehörsvorstellungen 


—     6     — 

können  den  ersten  Platz  behaupten,  wenn  die  Vorstellung 
auf  Wahrnehmungen  zurückzuführen  ist,  bei  welchen  ich 
die  Schlittschuhläufer  nicht  sehen  konnte.  Bei  den  an- 
geführten Beispielen  liegt  die  Ursache  für  das  Hervor- 
treten einer  Vorstellungsart  in  der  Außenwelt. 

Die  Ursachen  für  das  Überwiegen  eines  Sinnesgebietes 
in  Vorstellungen  und  Erinnerungen  können  auch  in 
physiologischen  Verhältnissen  liegen.  Denken  wir 
uns,  es  solle  das  Wort  »Rose«  von  Schülern  des  1.  Schul- 
jahres geschrieben  werden,  so  kann  man  bei  der  Nieder- 
schrift ein  verschiedenes  Verhalten  beobachten.  Manche 
schreiben  zuerst:  »roSe«.  Sie  betrachten  das  Wort  einen 
Augenblick.  Dann  schreiben  sie:  »RoSe«.  Zuletzt:  »Rose«. 
Diese  Schüler  verlassen  sich  auf  ihr  Auge.  Die  Gesichts- 
vorstellungen sind  bei  ihnen  besonders  lebhaft  Oder  ihr 
Verhalten  wird  durch  Schreibbewegungsvorstellungen  be- 
stimmt, vielleicht  auch  durch  Gesichts-  und  Schreib- 
bewegungsvorstellungen gemeinsam.  Andere  Kinder 
sprechen  sich  das  Wort  langsam  und  leise  vor.  Sie 
haben  besonders  klare  und  deutliche  Gehörs-  oder  Sprech- 
bewegungsvorstellungen . 

Drobisch  berichtet  von  einem  vierzehnjährigen  Men- 
schen, der  seines  Sprachorgans  nur  sehr  unvollkommen 
mächtig  war  und  nur  stockend  und  stotternd  vorlesen 
konnte,  aber  sehr  lebhafte  Gesichtsvorstellungen  hatte. 
Er  besaß  »eine  so  ganz  erstaunliche  Fähigkeit,  sich 
die  Folge  der  Buchstaben  und  Worte  anzueignen,  und 
sie  dann,  wie  in  eine  innere  Anschauung  versunken,  an 
sich  vorüber  gehen  zu  lassen,  daß,  wenn  man  ihm  zwei 
bis  drei  Minuten  gönnte,  um  ein  gedrucktes  Oktavblatt 
zu  durchlaufen,  er  dann  fähig  war,  aus  dem  bloßen  Ge- 
dächtnis die  einzelnen  Worte  ebenso  herauszubuchstabieren, 
als  ob  das  Buch  aufgeschlagen  vor  ihm  läge.  Selbst  wenn 
man  einige  Zeilen  übersprang,  und  ihm  die  Anfangsworte 
der  neuen  Zeile  vorsagte,  las  er  dann,  sich  in  seinem 
innern  Bilde  bald  zurechtfindend,  ungestört  fort,  und 
das   alles  ohne  sichtbare  Anstrengung  unter  kindischem 


—     7     — 

Lachen«.!)  Von  Beetkoren  wird  erzählt,  daß  er  im  Gehen 
komponierte  und  keine  Note  schrieb,  bevor  er  das  Stück 
in  seinem  Eopfe  vollständig  beendet  hatte.  Stricker  sagt: 
»Wenn  ich  ruhig  sitze,  die  Augenlieder  und  die  Lippen 
schließe,  dann  irgend  einen  mir  wohlbekannten  Yers  durch 
meine  Oedanken  ziehen  lasse,  und  dabei  auf  meine  Sprach- 
werkzeuge acht  gebe,  so  kommt  es  mir  vor,  als  wenn  ich 
gleichsam  innerlich  mitreden  würde.«  ^)  Im  ersten  Bei- 
spiel sind  die  Gesichts-,  im  zweiten  die  Oebörs-  und  im 
dritten  die  Bewegungsvorstellungen  herrschend. 

Danach  unterscheidet  man  den  Gesichts-,  Gehörs-  und 
Bewegungstypus,  oder  den  visuellen,  akustischen  und 
motorischen  Typus.  Sind  mehrere  Typen  vereinigt,  redet 
man  vom  gemischten  Typus.  Je  nachdem  sich  die  Typen 
auf  Anschauungen,  Yorstellungen,  Erinnerungen  oder  auf 
Keproduzierbarkeit  der  Vorstellungen  beziehen,  bezeichnet 
man  sie  als  Anschauungs-,  Yorstellungs-,  Erinnerungs- 
oder Gedächtnistypen.  Die  Ursache  für  das  Hervor- 
treten von  Typen  liegt  besonders  in  der  feinen  Aus- 
bildung der  betreffenden  Sinnesgebiete.  Diese  ist  entweder 
eine  angeborene  oder  durch  Übung  erworbene  Eigen- 
schaft, oder  auch  beide  Faktoren  wirken  zusammen. 

Man  kann  nun  im  Zweifel  darüber  sein,  1.  ob  bei 
den  meisten  Menschen  ein  Typus  vorherrscht,  oder  ob  es 
nur  bei  einzelnen  der  Fall  ist,  2.  ob  der  vorherrschende 
Typus  konstant  ist,  oder  ob  bei  wechselnden  Fällen  die 
Typen  bei  demselben  Menschen  wechseln.  Jedenfalls  wird 
das  letztere  der  Fall  sein.  Sichere  Ergebnisse  liegen 
darüber  nicht  vor. 

Man  fordert  möglichste  Berücksichtigung  der  Typen 
im  Unterricht.  Daher  untersucht  man  gegenwärtig  Schul- 
klassen auf  ihre  Typen  hin  und  erwägt,  wie  diesen  in 
den  einzelnen  Fächern  Rechnung  zu  tragen  sei.  Wir 
stehen  der  einseitigen  Kultivierung  der  Typen  skeptisch 

^)  Drohisch^  £mpiri8ohe  Psychologie.  Hamburg  aod  Leipzig 
1898.    S.  95. 

*)  Layy  ExperimeDtelle  Didaktik.    Leipzig  1905.    8.  179. 


—     8     — 

g^Düber,  meinen  vielmehr,  daß,  wenn  möglich,  alle 
Sinnesgebiete  zu  berücksichtigen  seien.  Auch  im  Rechnen 
sind  neben  den  visuellen  die  akustischen  und  motorischen 
Vorstellungen  nicht  unbedeutend. 

Aufgabe  des  Rechenunterrichtes  ist  es,  dem 
Schüler  Einsicht  zu  verschaffen  in  unser  Zahlensystem 
und  ihn  auf  Orund  dieser  Einsicht  zu  befähigen,  Auf- 
gaben, wie  sie  ihm  später  entgegentreten,  zu  lösen.  Das 
Zahlensystem  stellt  sich  als  ein  Reihengewebe  von  unter- 
und  übergeordneten  Zahlbegriffen  dar.  Die  Zahlbegriffe 
sind  aus  Zahlvorstellungen  entstanden.  Daraus  ergeben 
sich  die  Teilaufgaben  des  Rechenunterrichtes:  1.  Bildung 
von  Zahl  Vorstellungen,  2.  Bildung  von  Zahlbegriffen,  3. 
Bildung  von  Zahlreihen,  4.  Anwendung  der  Zahlen  in 
Aufgaben. 

Welchen  Zweck  haben  nun  dabei  die  visuellen 
Erinnerungsbilder  zu  erfüllen? 

Hören  wir  darüber  Eckhardt:  »Das  Rechnen  hat  es 
mit  Zahlbegriffen  zu  tun.  Begriffe  sind  nicht  vorstellbar; 
sie  können  nur  dann  sinnliche  Existenz  erhalten,  wenn 
eine  Individualvorstellung  als  Repräsentanten  über  die 
Schwelle  des  Bewußtseins  tritt.  So  kommt  es,  daß  die 
rein  logische  Tätigkeit  des  Rechnens  von  verschiedenen 
Yorstellangen  begleitet  ist.«  Hiemach  sollen  die  Er- 
innerungsbilder die  Vertreter  des  Zahlbegriffs  sein.  Im 
Hinblick  auf  die  visuellen  Erinnerungsbilder  soll  nun  zu 
zeigen  versucht  werden,  »welche  Bedeutung  sie  für  das 
Zahlengedächtnis«  haben,  inwieweit  sie  eine  Rolle  bei 
den  Rechenoperationen  spielen,  und  ob  sie  einer  Beein- 
flussung durch  den  Rechenunterricht  zugänglich  sind.«  ^) 
Die  Untersuchung  ergibt:  »Die  visuellen  Erinnerungs- 
bilder zeigen  sich  als  wertvolle  Hilfen  des  Zahlengedächt- 
nisses. Auch  die  ersten  Rechenoperationen  können  durch 
die  visuellen  Erinnerungsbilder  erleichtert  werden.«*) 


*)  Eckhardt  a.  a.  0.  8.  1. 
*)  Eckhardt  a.  a.  0.  8.  2. 


—     9     — 

Die  visuellen  Erinnerangsbilder  sollen  Vertreter  des 
Zablbegriffs  sein.    Wenn  also  den  Kindern  des  1.  Schul- 

Jahres  das  Zahlwort  »zehne  genannt  wird,  so  soll  dieses 

•  • 

Wort  das  Zablbild  der  Zehn      •  •     reproduzieren.   Dieses 

Bild  soll  dann  ReproduktioDsmittel  der  Zahl  10  sein.  Oder 
den  Kindern  des  2.  Schuljahres  wird  das  Wort  »sechs- 
unddreißig« gesagt.  So  soll  durch  das  Wort  die  Ziffer 
reproduziert  werden,  und  diese  soll  die  Zahl  ins  Bewußt- 
sein zurückführen.  Nach  Eckhardt  soll  die  Reproduktion 
auch  folgendermaßen  verlaufen:  Die  Kinder  stellen  sich 
eine  lange  Reihe  vor,  vielleicht  bis  100.  Aus  der  Reihe 
tritt  die  Ziffer  36  mehr  oder  weniger  deutlich  hervor.^) 
Hier  verläuft  die  Reproduktion  in  nachstehender  Folge: 
1.  Zahlwort,  2.  Reihe  von  Ziffern,  3.  Ziffer,  4.  Zahl.  In 
allen  diesen  Beispielen  handelt  es  sich  also  um  Repro- 
duktionen. 

Weiterhin  sollen  die  visuellen  Erinnerungsbilder  das 
Zahlengedächtnis  unterstützen.  Das  Gedächtnis  ist 
die  Fähigkeit  unserer  Seele,  »unbewußt  gewordene  Vor- 
stellungen psychischer  Phänomene  wieder  bewußt  zu 
machen c.  2)  Nun  wird  das  wieder  bewußt,  das  mit  einem 
andern,  das  uns  bewußt  ist,  oder  leicht  bewußt  wird,  ver- 
bunden ist.  Das  bewußte  oder  leicht  bewußtwerdende 
psychische  Phänomen  ist  dann  Reproduktionsmittel  der 
bewußt  zu  machenden  psychischen  Erscheinung.  Auch 
in  diesem  Falle  handelt  es  sich  um  die  Reproduktion. 
Wie  vorhin  soll  das  visuelle  Erinnerungsbild  die  Zahl 
reproduzieren. 

Auch  in  der  letzten  Forderung  kommt  die  Reproduktion 
in  Betracht.  Hier  sollen  die  visuellen  Erinnerungsbilder 
Operationen  oder  Teile  derselben  reproduzieren. 

Doch  in  jedem  von  den  angegebenen  Fällen  kommen 
zu  den  dort  genannten  Reproduktionen  noch  andere.    Es 

0  Eckhardt  a.  a.  0.  S.  9. 

')  Dr.  Fe/5cA,  HaaptpQokte  der  Psychologie.  Göthenl904.  S.214. 


—     10     — 

handelt  sich  ja  um  Erinnerungsbilder.  Die  Kinder  müssen 
also  die  Wahrnehmungen,  aus  denen  sie  entstanden  sind, 
reproduzieren.  Sie  müssen  sie  auch  von  der  jetzigen 
Vorstellung  unterscheiden,  und  sie  müssen  das  Bewußt- 
sein haben^  daß  zwischen  Wahrnehmung  und  Vorstellung 
Zeit  verflossen  ist.  Dabei  sollen  sie  auch  noch  rechnen, 
wiederum  Beproduktionen  vornehmen.  Hier  erkennen  wir 
wieder,  daß  Eckhardt  glaubt,  Erinnerungen  und  Vor- 
stellungen seien  identisch,  ja,  daß  er  gar  nicht  weiß,  daß 
manche  Physiologen  etwas  anderes  unter  Erinnerung  ver- 
stehen als  die  meisten  Psychologen.  Sonst  hätte  er  jeden- 
falls angegeben,  was  bei  ihm  Erinnerung  und  Erinnerungs- 
bild bedeuten. 

Die  Bedeutung  der  sogenannten  visuellen  Erinnerungs- 
bilder liegt  also  darin,  daß  sie  Beproduktionsmittel 
der  Zahl  sein  sollen.  Die  hier  in  Betracht  kommenden 
sind:  Zahlbild,  Ziffer,  Zifferreihe  und  Sachvorstellung.  Wir 
haben  also  zu  untersuchen,  ob  sie  gute  Beproduktions- 
mittel der  Zahl  sind. 

Die  Beproduktion  ist  die  Zurückführung  der  Vor- 
stellungen ins  Bewußtsein.  Was  in  das  Bewußtsein  zurück- 
geführt werden  soll,  muß  schon  im  Bewußtsein  gestanden 
haben.  Zwar  würde  jede  einzelne  Vorstellung  unverändert 
in  unserem  Bewußtsein  beharren,  wenn  sie  nicht  durch 
andere  Störungen  erfahren  müßte.  Nun  drängen  sich 
aber  unserer  Seele  immer  neue  Bilder  auf.  Jeder  einzelne 
Vorstellungsakt  schließt  durch  seinen  Inhalt  jeden  andern 
von  sich  aus.  So  müssen  die  alten  Vorstellungen  beim 
Auftreten  der  neuen  weichen.  Sie  werden  unbewußt 
Doch  ist  die  Möglichkeit  ihrer  Bückkehr  gewährleistet. 
Nach  dem  Gesetze  der  Beharrung  tritt  eine  verdrängte 
Vorstellung,  nachdem  die  zurückdrängende  Kraft  auf- 
gehört hat  zu  wirken,  von  selbst  in  das  Bewußtsein 
zurück.  Jede  zurückkehrende  Vorstellung  kann  auch 
noch  andere  nach  sich  ziehen.  Infolge  der  Einfachheit 
der  Seele  werden  zwischen  den  einzelnen  Bestandteilen 
des    Bewußtseinsinhaltes    unzählige    Zusammenhänge   ge- 


—    11    - 

scba£fen,  die  auch  mit  dem  Qnbewaßtwerden  nicht  ver- 
loren gehen.  Kehrt  nun  eine  Vorstellung  in  das  Bewußt- 
sein zurück,  so  führt  sie  alle  diejenigen,  die  mit  ihr  zu- 
sammenhängen, mit  sich.  Diesen  Vorgang  nennt  man 
Reproduktion. 

Einige  Beispiele!  Ich  sehe  die  Ziffer  »8«.  Sie  re- 
produziert in  meinem  Bewußtsein  das  gesprochene  Wort 
»achte.  Es  können  auch  noch  bewußt  werden:  die 
Sprechbewegungs-  und  die  Schreibbewegungsvorstellungen 
der  Acht.  Die  Oesichtsvorstellung  hat  also  die  übrigen 
reproduziert.  Das  ist  nur  möglich,  wenn  eine  Verbindung 
zwischen  den  Vorstellungen  bestanden  hat  Wie  ist  sie 
entstanden  ?  Ich  habe  vielleicht  die  Ziffer  geschrieben  und 
gleichzeitig  dabei  »acht«  gesprochen.  Die  vier  Vorstellungen 
haben  gleichzeitig  in  meinem  Bewußtsein  gestanden.  Das 
ist  möglich  gewesen,  weil  sie  als  heterogene  Vorstellungen 
sich  nicht  gegenseitig  stören.  Da  die  Seele  ein  einfaches 
Wesen  ist,  fallen  die  Vorstellungen  in  einen  Akt  zu- 
sammen: Ziffer  »8«.  Ein  Kind  hat  in  der  Schule  die 
Ziffer  gelernt  Es  hat  sie  geschrieben  und  gesprochen. 
Es  sind  also  jene  Vorstellungen  gleichzeitig  im  Bewußt- 
sein des  Kindes  gewesen.  Es  wird  kurz  darauf  nach  dem 
Namen  der  Ziffer  gefragt  und  kann  keine  Antwort  geben. 
Erst  nachdem  Ziffer  und  Wort  längere  Zeit  geübt  worden 
sind,  wird  die  Verbindung  zwischen  den  einzelnen  Vor- 
stellungen fester.  So  ergeht  es  uns  immer  mit  hetero- 
genen Vorstellungen.  Ihre  Reproduktion  wird  erst 
sicher  nach  tüchtiger  Übung. 

Weit  besser  gelingt  die  Reproduktion  homogener 
Vorstellungen.  Homogene  Vorstellungen  enthalten 
Oleiches  und  Ungleiches.  A  und  B  seien  solche.  Das 
Gleiche  bezeichnen  wir  mit  x,  das  Ungleiche  mit  y.  Beide 
Vorstellungen  sollen  im  Bewußtsein  stehen.  Enthielten 
sie  nur  das  Gleiche  x,  so  würden  sie  zu  einer  Vorstellung 
verschmelzen.  Das  Ungleiche  y  widerstrebt  der  Vereini- 
gung, führt  zur  Hemmung.  Ein  Teil  der  Intensität  der 
Vorstellungen  wird   unwirksam   gemacht     Es  bleibt  nur 


—     12     — 

ein  Rest  übrig.  Nun  ist  der  Gegensatz  gemildert.  Die 
beiden  Vorstellungen  verschmelzen.  Sie  werden  zusammen- 
gehalten durch  das  Gleiche.  Je  mehr  Ungleiches  sie  ent- 
halten und  je  unklarer  sie  sind,  desto  stärker  ist  die 
Hemmung,  desto  kleiner  sind  die  Intensitätsreste,  desto 
schwächer  ist  die  Vereinigung.  Tritt  nun  die  Vorstellung 
A  durch  irgend  eine  Ursache  in  das  Bewußtsein,  so  führt 
sie  die  mit  ihr  verschmolzene  Vorstellung  B  mit  Die 
Beproduktion  auf  Grund  der  Verschmelzung  gelingt  leichter 
als  die  auf  Grund  von  Komplikationen.  Hier  bedarf  es 
nicht  der  mechanischen  Übung. 

Diese  Art  der  Reproduktion  kann  im  Rechen  Unterricht 
eine  Quelle  von  Fehlern  werden.  Da  hört  man:  6+7=12. 
Hier  wird  die  Aufgabe  6  +  6  =  12  die  Ursache  der  Re- 
produktion. Weiter:  11  —  9  —  3.  16  +  7  — 13  usw.  Oder: 
die  Kinder  sollen  63  schreiben  und  schreiben  36.  Solche 
Fehler  sind  infolge  der  Verschmelzung  fast  unausrottbar. 
Sie  treten  meistens  da  auf,  wo  der  Lehrer  Sklave  des 
StofiGes  werden  muß,  wo  Unterrichtsziele  vorgeschrieben 
werden,  die  mit  dem  besten  Willen  nicht  zu  erreichen 
sind.  Sie  lassen  sich  vermeiden  durch  »Klarheit  des 
Einzelnen«. 

Doch  damit  ist  nicht  genug  geschehen.  Die  Repro- 
duktion einzelner  Vorstellungskomplexe  ist  im  Rechnen, 
wie  überhaupt  im  Unterrichte,  nicht  die  wichtigste.  Wir 
gebrauchen  meistens  mehrere,  ganze  Reihen  von  Vor- 
stellungen, oder  wir  gelangen  erst  durch  das  Durch- 
laufen einer  Reihe  zu  der  gewünschten  Vorstellung.  Wir 
müssen  unser  Augenmerk  darauf  richten,  daß  richtige, 
psychologische  Reihen  reproduziert  werden. 

Eine  Vorstellungareihe  ist  eine  Aufeinanderfolge  von 
solchen  Vorstellungen,  die  inhaltlich  zusammen  gehören, 
bei  welcher  jedes  Glied  eine  bestimmte  Stelle  zwischen 
zwei  andern  Gliedern  einnimmt  und  die  Glieder  in  ab- 
gestuften Intensitätsgraden  verschmolzen  sind.  Z.  B.: 
1  2  3  4  6  6  bis  10;  1  3  5  7  9;  2 . 4  6  8  10;  1  4  7  10; 
36  8;    36  9;    10  9876  bis  1;    97631  usw. 


—     13     — 

1.1,  2.1,  3.1  usw.,  1.2,  2.2,  3.2  usw.;  1  in  1,  1  in  2, 
1  in  3  usw.;  2  in  2,  2  in  4,  2  in  6  usw.,  1:1,  2:2,  3:3 
usw.,  2:1,  4:2,  6:3  usw.;  ^,  ^,  ^his^;  f,  f,  f  usw. 
Die  Ordnung  wird  in  diesen  Reiben  durch  regelmäßige 
Zu-  und  Abnahme  herbeigeführt  Die  Reproduktion  der' 
Reihe  kann  vom  Anfangsgliede,  vom  Endgliede  oder  von 
einem  Mittelgliede  aus  erfolgen.  Wird  eine  Reihe  vom 
Anfangsgliede  aus  reproduziert,  so  erfolgt  der  Ablauf  der 
Glieder  successiv  in  voller  Klarheit.  Bei  der  Reproduktion 
vom  Endgliede  aus  erscheint  die  Reihe  simultan  in  ab- 
gestufter Klarheit  Wird  ein  Mittelglied  als  Ausgangs- 
punkt angenommen,  so  erscheinen  die  vorhergehende 
Glieder  simultan  in  abgestufter  Klarheit,  die  nachfolgenden 
successiv  in  voller  Klarheit  Die  Ursache  dieser  Repro- 
duktionen liegt  in  der  Verschmelzung  in  abgestuften 
Intensitätsresten.  Tritt  nämlich  zu  der  Vorstellung  A  die 
Vorstellung  B,  so  läßt  die  Klarheit  von  A  nach.  Es  bleibt 
nur  ein  Rest  von  A  übrig  »■  a.  Mit  diesem  verschmilzt 
B.  Kommt  C  hinzu,  so  verschmilzt  es  mit  dem  Rest  von 
B  SS  b  und  mit  einem  Reste  von  A  =  a^  a^  ist  kleiner 
als  a.  Die  weitere  Verschmelzung  ist  aus  folgendem 
Schema  ersichüich: 


A 

a 

B 

ai 

b 

C 

a« 

bi 

c 

D 

a» 

b* 

ci 

d 

E. 

Die  Reproduktion  vom  Anfangsgliede  geschieht  folgender- 
maßen: A  hebt  durch  a  B.  G  steigt  durch  a^  und  b  ins 
Bewußtsein  usw.  Bei  der  Reproduktion  vom  Endgliede 
aus  hebt  E  alle  mit  ihm  verschmolzenen  Reste:  a'^b^o^d. 
Mit  ihnen  werden  gleichzeitig  die  Vorstellungen  A  B  G  D 
bewußt.  Die  Intensität  richtet  sich  nach  dem  Grade  der 
Verschmelzung  mit  E.  Die  Größe  der  Reste  nimmt  von 
d  nach  a^  ab,  folglich  auch  die  Intensität  von  E  nach  A. 
Die  Reproduktion  vom  Mittelgliede  aus  erklärt  sich  aus 
dem  Schema  demnach  leicht 


—     14     -- 

Die  Sicherheit  der  Beprodaktion  ist  von  der 
Größe  der  Intensitätsreste  abhängig.  Je  länger  die  Reihe, 
desto  kleiner  werden  die  Reste.  Wird  der  Rest  gleich 
Null,  so  ist  damit  die  Yerschmelzang  aufgehoben.  Die 
Reihe  löst  sich  auf.  Daher  dürfen  nicht  zu  lange  Reihen 
gebildet  werden.  Lange  Reihen  sind  zu  gliedern  in  Haupt- 
und  Nebenreihen. 

In  Hinsicht  auf  die  psychologische  Reihe  ist  es  un- 
richtig, die  Zahlenreihe  von  1  — 100  aus  Einheiten  auf- 
zubauen und  den  Kindern  einzuprägen.  Denken  wir  uns, 
diese  Reihe  solle  den  Kindern  dunkel  vorschweben.  Sie 
müssen  also  das  Endglied  100  ins  Bewußtsein  heben. 
Dann  erscheint  die  Reihe  simultan  in  abgestufter  Klar- 
heit. Bei  der  Menge  der  gleichzeitigen  Vorstellungen  ent- 
stehen aber  nur  Hemmungen.  Sie  müssen  ins  Maßlose 
steigen,  wenn  ich  mir  in  dieser  Reihe  nun  eine  bestimmte 
Zahiy  z.  B.  36  vorstelle,  die  Reproduktion  also  mit  dem 
Mittelgliede  beginne.  Ob  das  Resultat  bei  Anwendung 
der  Ziffer  sich  günstiger  gestaltet,  wird  sich  weiter  unten 
zeigen. 

Im   Rechnen    spielen    auch    die    sich    kreuzenden 

Reihen  eine  große  Rolle.     Es  sind  solche,  die  ein  oder 

mehrere  Glieder  gemeinsam  haben,  sonst  aber  verschieden 

sind,  z.  B. 

a 

b 
a    6    c    b    e 

d 

e 
Bei  der  Reproduktion  der  Reihe  a  b  c  d  e  kann  nach  c 
leicht  b  e  folgen ,  weil  c  mit  b  e  verknüpft  ist.  Die  Re- 
produktion von  a  bis  e  kann  von  c  ab  nach  e  verlaufen. 
Die  meisten  Zahlen  stellen  Kreuzungspunkte  für  ver- 
schiedene Reihen  dar.  Daraus  können  sich  mancherlei 
Fehler  ergeben.  Z.  B.  24:4  =  8.  Die  24  liegt  sowohl 
in  der  Reihe  1.6,  2.6  usw.,  als  auch  in  der  Reihe  1 . 8, 
2.8  usw.,  ferner  in  den  daraus  abgeleiteten:  6:1,  12:2 


—     15     — 

usw.,  und  8:1,  16:2  usw.     Das  Eind  gerät  aas  der  6- 
Reibe  in  die  8 -Reihe. 

.Nachdem  wir  das  Wesen  der  Reproduktion  erörtert 
haben,  kehren  wir  zu  unserer  Aufgabe,  der  Reproduktion 
der  Zahl  durch  Zahlbild,  Ziffer  und  Zifferreihe  zurückt 
Wir  betrachten  zunächst  die  Reproduktion  der  Zahl 
durch  Zahlbild.  Beispielweise  solle  das  gesprochene 
Wort  »fünf«  das  Zahlbild  der  Fünf  reproduzieren  und 
dieses  die  Zahl  selbst.  Es  müßte  also  ein  Zusammenhang 
bestehen  zwischen  Zahlwort,  Zahlbild  und  Zahl.  Zahlwort 
und  Zahlbild  sind  heterogene  Vorstellungen.  Sie  können 
sich  assoziieren,  wenn  sie  öfter  gleichzeitig  im  Bewußt- 
sein stehen.  Für  das  Gelingen  der  Reproduktion  ist  es 
jedoch  von  Bedeutung,  daß  das  Zahlwort  »fünfc  nicht 
noch  mit  andern  Zahlbildern  zusammentreffe  und  kom- 
pliziert werde.  Geschähe  es  doch,  so  würde  das  Zahlwort 
die  sämtlich  mit  ihm  verbundenen  Zahlbilder  ins  Bewußt- 
sein heben.  Diese  würden  sich  gegenseitig  hemmen,  weil 
sie  homogene  Vorstellungen  sind.  Eckhardt  verwendet 
die  Dienstbach  sehen  Zahlbilder.  Es  kommen  hier  in  Be- 
tracht: 


/I 


Bei  der  Zehn  ergeben  sich  zwei  verschiedene  Bilder  der 
Fünf.    Von  diesem  Falle  abgesehen,  entsprechen  sie  obiger 

Anforderung.   Schlimmer  ist  es  bei  einigen  quadratischen 
Zablbildem : 

Böhme 


I 


[/. 


—     16     — 
Sobelewsky 

/\ 

•  •    •       •    • 

/\         l\         I      I 


Hier  erscheint 
fast  mit  jedem  neuen 
-•    •     Bilde  eine  neae  An- 
/  Ordnung. 


Am  verwerflichsten  ist  ee,  mehrere  Arten  von  Zahlbildem 
nebeneinander  zu  verwenden,  wie  es  manche  Rechenbuch- 
verfasser der  Gegenwart  fordern.  Zahlbilder,  bei  denen 
immer  dasselbe  Bild  für  dieselbe  Zahl  beibehalten  wird, 
sind  bis  heute  nicht  erfunden  worden. 

Wir  haben  bis  jetzt  nur  die  Reproduktion  von  Zahl- 
wort und  Zahibild  berücksichtigt  Doch  damit  ist  nicht 
genug  geschehen.  Die  Zahl  wird  ja  mit  dem  Zahlbilde 
nicht  zugleich  wahrgenommen,  kann  überhaupt  nicht  wahr- 
genommen werden.  Das  Zahibild  soll  sie  reproduzieren. 
Befördert  es  diese  Reproduktion,  so  ist  es  brauchbar. 
Gibt  es  hingegen  Anlaß  zu  großen  Hemmungen,  so  hat 
es  keinen  Wert. 

Wollen  wir  in  diesem  Punkte  zur  Klarheit  kommen, 
80  müssen  wir  uns  das  Wesen  der  Zahl  vergegen- 
wärtigen. In  den  Zahlbildern  wird  die  Zahl  durch  gleiche 
Punkte  in  bestimmter  räumlicher  Ordnung  versinnlicht. 
Die  Gleichheit  der  Dinge  ist  zur  Bildung  der  Zahl  nicht 
unbedingt  nötig.  Können  wir  doch  die  verschiedensten 
Dinge  zahlenmäßig  auffassen.  Sehe  ich  eine  Kirsche^  eine 
Stachelbeere  und  eine  Birne,  so  kann  ich  sie  als  3  Früchte 
bezeichnen.  Ich  spreche  von  5  Fingern  einer  Hand.  Die 
einzelnen  Finger  sind  aber  recht  verschieden.  Stuhl,  Baum 
und  Stein  sind  3  Dinge.  Die  genannten  Dinge  liefern 
gleichartige  Vorstellungen.  Sie  enthalten  Gleiches  und 
Ungleiches.  Nun  darf  allerdings  das  Ungleichartige  nicht 
zu  groß  sein,  sonst  setzen  die  Vorstellungen  der  zahlen- 
mäßigen Auffassung  Schwierigkeiten  entgegen.  Ein  Kind 
wird  wohl  niemals  durch  »Stuhl,  Baum,  Stein«  zur  Zahl- 
vorstellung 3  gelangen.  Nur  dem  Erwachsenen  ist  es 
möglich,    von    der   Verschiedenheit    der   Dinge    zu    ab- 


—     17     — 

strahiereo.  Aus  diesem  Grunde  wählt  man  gleiche  oder 
mögliehst  gleiche  Dinge  zur  Zahlbildung.  Sie  liefern 
homogene  Vorstellungen. 

Ldefem  gleiche  Dinge  nicht  gleiche  Vorstellungen? 
Gleiche  Vorstellungen  verschmelzen  bei  ihrem  Zusammen- 
treffen im  Bewußtsein  zu  einer  Vorstellung.  Entsteht 
nun  nicht  die  Vorstellung  »eins«?  Das  ist  nicht  anzu- 
nehmen. Die  gleichen  Dinge  erscheinen  in  der  Außen- 
welt räumlich  getrennt.  Wir  haben  die  Vorstellung  des 
Auseinander,  Zwischeneinander  und  Nebeneinander.  Jeder 
Gegenstand  wird  von  dem  andern  unterschieden,  so  auch 
die  Vorstellung  des  Gegenstandes  von  der  des  andern. 
Um  die  Entstehung  dieser  Merkmale  des  Bäumlichen  zu 
begünstigen,  trennt  man  die  Punkte,  Kugeln  und  Würfel 
der  Veranschaulichungsmittel  durch  kleine  Zwischenräume. 
Bilden  mehrere  gleiche  Dinge  eine  kontinuierliche  Größe, 
so  ist  die  Unterscheidung  erschwert.  Aus  diesem  Grunde 
sind  die  Tillich  sehen  Bechensäulen  keine  guten  Veranschau- 
lichungsmittel. 

Wir  sehen,  zur  Bildung  der  Zahl  eignen  sich  gleich- 
artige, voneinander  getrennte  Dinge.  Ist  aber  eine  be- 
stimmte Ordnung  der  Dinge  im  Baume  erforderlich? 

Hier  kann  uns  schon  das  Verfahren  des  Erwachsenen 
belehren.  Überall,  wo  er  größere  Mengen  nach  ihrer  Zahl 
auffassen  will,  bedient  er  sich  bestimmter  Ordnungen. 
Der  Kassierer  ordnet  beim  Zählen  des  Geldes  die  gleichen 
Münzen  in  Beihen  an.  In  den  Geldschränken  der  Banken 
liegen  die  Münzen  in  Bollen  zusammen.  In  der  Post 
sind  Postkarten  und  Postanweisungen  in  Päckchen  ge- 
ordnet. Die  Briefmarken  bilden  zusammenhängende  Bogen. 
Blicken  wir  in  die  Geschäftsräume  des  Kaufmannes,  des 
Handwerkers!  Überall  ist  das  Viele  nicht  eine  regellose 
Masse,  sondern  wohl  übersehbar  zusammengestellt  Als 
ordnendes  Prinzip  erscheint  hier  immer  die  Beihe.  Für 
den  Unterricht  der  Kinder  hat  man  künstliche  Ordnungen 
geschaffen:  Quadrate,  Dreiecke,  Typen  u.  dgl.    Die  wunder- 

Pftd.  Mag.  319.    B  a  r  h  0  i  n  e ,  Visnolle  Erümenuigsbilder.  2 


—     18     — 

liebsten  ZusammeDstellungen  bieten  sieb  dem  Auge  dar. 
Man  siebt,  daß  die  Meinung  weit  verbreitet  ist,  solebe 
Anordnungen  seien  gute  Reproduktionsmittel  der  Zabl. 
Ob  diese  Ansiebt  ricbtig  ist^  wird  sieb  zeigen,  wenn  wir 
die  Entstebung  der  Zahl  verfolgen  und  damit  zum 
Wesen  der  Zabl  gelangen. 

Welcbes  ist  die  erste  Zabl,  die  von  kleinen  Kindern 
gebildet  wird?  Meistens  nimmt  man  stiUsebweigend  an, 
daß  es  die  Eins  sei.  Man  wird  in  dieser  Ansiebt  bestärkt 
dureb  die  Meinung  mancber  Pbilosopben,  die  die  Zabl  als 
Einbeiten  (Robbes)  oder  die  sueeessive  Addition  von  einem 
zu  einem  betraebten  (Kant).  Wilk^)  glaubt,  die  Zwei 
sei  die  erste  Zabl.  Doeb  dieser  Standpunkt  ist  wobl  nicbt 
baltbar.  Als  Beziebungsbegriff  setzt  die  Zwei  die  Eins 
voraus.  Die  Erfahrung  bat  gelehrt,  daß  vor  der  Vor- 
stellung der  Eins  die  des  Vielen  entsteht  Dreyährige 
Kinder  besitzen  diese  Vorstellung  häufig,  ohne  die  Vor- 
stellung des  Einen  zu  haben.  ^)  Im  Gegensatz  zur  Vor- 
stellung der  Vielheit  erwäehst  die  der  Einheit. 

Häufig  beobaehtet  man  bei  kleinen  Kindern,  die  wach 
in  ihrem  Bettehen  liegen,  daß  sie  aufmerksam  die  Finger 
einer  Hand  betraebten.  Dabei  halten  sie  die  Finger  nieht 
still,  sondern  bewegen  bald  den  einen,  bald  den  andern 
und  riebten  den  Bliek  auf  den  bewegten.  Dadureh  ent- 
steht eine  Vorstellung  des  bewegten  Fingers.  Die  Be- 
trachtung der  Finger  nacheinander  bewirkt  die  Entstebung 
einer  Reihe.  Es  bildet  sieb  folgende  Reibe:  Daumen, 
Zeigefinger,  Mittelfinger,  Ringfinger,  kleiner  Finger.  (Selbst- 
verständlich kennen  die  Kinder  diese  sprachlichen  Bezeich- 
nungen nicht.  Sie  sind  hier  nur  zur  Unterscheidung  ge- 
wählt.) Bald  tritt  der  eine  Finger,  bald  der  andere  mit 
größerer  Klarheit  ins  Bewußtsein,  je  nachdem,  welcher 
zuerst  wahrgenommen  wird.  Dieser  wird  an  den  Anfang 
der  Reihe  gesetzt.    Dadureh  erfährt   die  Reibe   mannig- 

*)  Wük^  Das  Werden  der  Zahlen  und  des  Rechnens  im  Menschen 
usw.   Jahrb.  d.  Vereins  f.  wiss.  Pädag.  XXXV,  8.  238. 
*)  Dr.  FeUch  a.  s.  0.  8.  250. 


—     19     — 

fache  Abänderungen.  Jetzt  ist  dieser,  jetzt  jener  erstes 
Glied.  Jedes  Glied  verschmilzt  auf  gleiche  Weise  mit 
jedem  andern.  Die  Reproduktionen  der  Reihen  kreuzen 
sich.  Das  bestimmte  Zwischen,  die  Vorstellung  des  Räum- 
lichen, und  das  bestimmte  Nacheinander,  die  Vorstellung 
des  Zeitlichen,  verschwinden.  Es  bleibt  nur  die  un- 
bestimmte Vorstellung  des  Vielen.  Gleichzeitig  ent- 
steht auch  die  Vorstellung  des  Gleichartigen.  Alle  Glieder 
der  Reihe  sind  Finger.  Die  Vorstellung  des  Vielen  in 
Verbindung  mit  der  Vorstellung  des  Gleichartigen  bildet 
die  Komplexion:  viel  Finger.  Bei  dem  Beispiel  »Stuhl, 
Baum,  Stein«  ist  wohl  auch  eine  Reihen bildung  möglich. 
Die  Ungleichheit  der  Dinge  bewirkt  jedoch  eine  allzugroße 
Hemmung.  Die  Intensitätsreste  werden  zu  klein  und  da- 
her die  Verschmelzung  zu  locker.  Andere  Glieder  schieben 
sich  zwischen  die  Reihe.  Die  Reihe  wird  zerrissen,  oder 
es  kommt  wenigstens  nicht  zur  Vorstellung  des  Gleich- 
artigen und  des  Vielen. 

Soll  nun  aus  der  Vorstellung  des  Vielen  die  des  Einen 
entstehen,  so  muß  eine  Sonderung  des  Vielen  ein- 
treten. Das  Eine  muß  dem  Vielen  gegenübertreten.  In 
unserem  Beispiel  kann  jeder  Finger  von  dem  andern  unter- 
schieden werden.  Er  nimmt  zwar  bei  den  vielen  Ab- 
änderungen der  Reihe  verschiedene  Stellungen  ein,  aber 
der  betreffende  Finger  bleibt  immer  derselbe.  Er  kommt 
unter  allen  Gliedern  nur  einmal  vor.  Er  ist  Eins  von 
dem  Vielen.  So  entsteht  die  Vorstellung  »ein  Finger«. 
Sie  bedeutet  den  bestimmten  Finger  einmal   vorgestellt. 

Weiterhin  können  auch  nun  2  Finger  dem  Vielen 
gegenübertreten.  Es  wird  erkannt,  daß  das  Gleichartige 
zweimal  in  dem  Vielen  enthalten  ist.  Das  führt  zu  der 
Zahlvorstellung  ^2  Finger«.  D.  h.  das  Gleichartige  »Finger« 
zweimal  vorgestellt  So  erscheinen  die  Zahlen  1,  2  als 
Multiplikatoren  eines  Reihengliedes.  Die  Zahl  ist  also 
ein  Multiplikator,  der  die  Vorstellung  des  Gleichartigen 
zum  Multiplikanden  hat,  nicht  nur  eine  Synthese  von 
Einsen.     »Noch  mehr  wäre  zu   sagen  gegen   die  falsche 

2* 


—     20     - 

Ansicht  der  Zahlen,  als  ob  sie  Summen  von  Einheiten 
wären.  Das  sind  sie  ebensowenig,  als  Summen  Produkte 
sind.  Zwei  heißt  nicht  zwei  Dinge,  sondern  Verdoppelung, 
gleichviel  ob  das  Verdoppelte  Eins  oder  vieles  Vieles  ist 
Der  Begriff  von  einem  Dutzend  Stühle  faßt  nicht  zwölf 
Vorstellungen  einzelner  Stühle  in  sich,  sondern  er  enthält 
nur  zwei  Vorstellungen:  den  Allgemeinbegriff  Stuhl  und 
die  ungeteilte  Verzwölffachung.  t  ^) 

Wir  sehen:  Die  Vorstellung  des  Vielen  entsteht  auf 
Grund  von  Reihen.  Der  Fortschritt  der  Zahlen  als  Multi- 
plikatoren erzeugt  eine  neue  Beihe.  Selbst  wenn  man  die 
Zahl  als  Summe  des  Gleichartigen  auffaßt,  entsteht  durch 
den  successiven  Fortschritt  der  Summanden  auch  eine 
Beihe.  Will  man  also  die  Zahlvorstellungen  mit  Hilfe  künst- 
licher Bechendinge  bilden,  so  müssen  diese  Beihen  zeigen. 

Wie  vollzieht  sich  nun  die  Beproduktion  der  Zahl 
dnrch  das  Veranschaulichungsmittel?  Vorausgesetzt  werden 
muß,  daß  das  Eind  die  Zahl,  die  reproduziert  werden 
soll,  gebildet  haben  muß.  Wir  betrachten  folgendes  Bei- 
spiel: Das  Eind  sieht  fünf  Engeln  der  russischen  Bechen- 
maschine.  Der  Anblick  der  Engeln,  genauer  das  schnelle 
Durchlaufen  der  Beihe  nach  verschiedenen  Bicbtungen, 
erzeugt  die  Vorstellung  des  Vielen.  Das  erste  Glied  der 
Beihe  wird  festgehalten  und  dem  Vielen  gegenübergestellt 
Es  wird  fortgeschritten  zum  zweiten  Gliede.  Durch  rück- 
laufende Beproduktion  erscheinen  beide  Glieder  simultan. 
Zwei  Glieder  werden  dem  reproduzierten  Vielen  gegen- 
über gestellt  Nun  wird  zum  dritten  Gliede  weiter- 
geschritten. Es  wiederholen  sich  die  Vorgänge  wie  beim 
zweiten  usw.  Nach  vielfacher  Wiederholung  erfolgen  diese 
psychischen  Vorgänge  in  kürzester  Zeit  Ist  die  Zahl- 
Vorstellung  durch  Addition  der  Einheiten  entstanden,  ver- 
läuft die  Beproduktion  folgendermaßen:  1.  Festhalten  des 
ersten  Gliedes,  2.  Fortschritt  zum  zweiten,  3.  Bücklaufende 


^)  EerbarU  Umriß  päd.  Vorlesungen.    Harteneteinscho  Ausgabe 
X,  8.  302. 


—     21     — 

BeproduktioQ  und  simultane  Auffassung  von  zwei  Gliedern, 
4.  Fortschritt  zum  dritten  Gliede,  5.  simultane  Auffassung 
von  drei  Gliedern  usw.  Noch  schwieriger  gestaltet  sich 
die  Reproduktion,  wenn  die  Kugeln  der  Rechenmaschine 
nicht  wahrgenommen  werden,  sondern  nur  als  Vorstel- 
lungen gegenwärtig  sind. 

Kann  sich  nun  diese  Reproduktion  beim  Zahlbilde 
vollziehen  ?   Sehen  wir  zu !   Das  Kind  soll  die  Vorstellung 

»sieben  Punkte«  durch  das  Zahlbild:   •J^  reproduzieren. 

Schon  beim  zweiten  Gliede  ist  die  Reihe  abgelaufen.  Das 
Kind  gewinnt  die  Vorstellung  A»zwei  Punkte«.  Die  darunter- 
stehenden Punkte  stellen  eine  Reihe  für  sich  dar.  Es 
gelangt  also  beim  dritten  Gliede  nicht  zur  Vorstellung 
»drei  Punkte«,  sondern  die  Reproduktion  beginnt  von 
vom.  Das  Ergebnis  der  zweiten  Reihe  ist  »zwei  Punkte«. 
Dasselbe  Resultat  hat  die  dritte  Reihe.  Die  letzte  Reihe 
ergibt  »einen  Punkt«.  Genau  so  ergeht  es  dem  kleinen 
Rechner,  wenn  die  Zahl  als  Summe  der  Einheiten  auf- 
gefaßt wird.  Zur  Zahl  Vorstellung  »sieben  Punkte«  kann 
es  erst  gelangen,  wenn  es  gelernt  hat  2  +  2  +  2  +  1  zu 
addieren,  also  einen  recht  komplizierten  Denkakt  auszu- 
führen. Diese  Erschwerung  der  Reproduktion  muß  daher 
eintreten,  weil  die  Gruppierung  zu  Zahlbildem  dem  Zahl- 
begriff  vollständig  fremd  ist,  ihm  direkt  widerspricht.  Die 
Folge  davon  ist,  daß  den  Kindern  das  Fortschreiten  von 
der  Zahlvorstellung  zum  Begriff  ungemein  erschwert  wird 
Dieser  Vorwurf  trifft  alle  Zahlbilder  ohne  Ausnahme. 

Bei  den  meisten  Zahlbildern  kommt  noch  ein  weiterer 
Mangel  hinzu,  der  die  Reproduktion  der  Zahl  unmöglich 
macht.  Vergleicht  man  zwei  Glieder  einer  Zahlenreihe,  so 
ist  das  eine  Glied  mehr  als  das  andere,  oder  dieses  weniger 
als  jenes.  Man  spricht  daher  auch  gewöhnlich  von  großen 
und  kleinen  Zahlen.  Das  Mehr  und  Minder  sind  die 
Merkmale  des  allgemeinsten  Beziehungsbegriffes.  Auch 
das  Mehr  und  Minder  muß  mit  veranschaulicht  werden. 
Kommen  diese  beiden  Merkmale  an  Raumgrößen  zur  Dar- 


—     33     — 

Stellung,  so  erscheint  das  Mehr  als  eio  Großes,  das  Minder 
als  ein  Kleioes.  Daher  müssen  die  Zahlbilder,  die  größere 
Zahlen  vergegenwärtigeQ,  einen  größeren  Rantn  einnehmen 
als  die,  die  kleinere  Zahlen  zur  Anschauung  bringen.  Z.  B. 
muß  das  Zahlbild  der  Fünf  einen  größeren  Kaum  ein- 
nehmen als  das  der  Vier.  Diese  AuHassang  ist  die  natür- 
liche und  dem  Menscbea  von  jeher  geläufig  gewesen.  Das 
kommt  auch  in  der  Sprache  zum  Ausdruck.  Uan  redet 
TOD  einem  großen  Haufen,  einer  großen  Menge,  einem 
großen  Volke,  einem  großen  Schwärm,  einer  großen  Kette 
und  bringt  darin  das  Mehr  zum  Ausdruck.  Sieht  man 
sich  den  Inhalt  dieser  GesamtvorstellnogeD  an,  so  findet 
man  viele  gleichartige  Vorstellungen,  also  Zahlvurstellungen 
wie:  viel  Steine  (Haufen),  viel  Menschen  (Menge,  Volk) 
usw.  Die  Sprachbildung  zeigt,  daß  die  Vorstellung  des 
Hehr  aus  der  Vorstellung  des  Großen  entstanden  ist.  Die 
Wörter  »mehr«  und  >meist<  werden  noch  im  Mittelboch- 
deutscben  für  >größer<  und  *am  größten c  gebraucht 
{taebi=^mSr  oder  mSro  [ahd.]  =  ma-iia  [got]),  ^)  Auch 
die  Qeberdensprache  deutet  das  Mehr  als  ein  Großes.  Bei 
manchen  Indianerstammen  Amerikas  wird  »viel«  durch 
eine  Bewegung  der  Hände,  als  wolle  man  etwas  Großes 
umfahren,  und  iwenig«,  als  wolle  man  einen  recht  kleinen 
Gegenstand  zwischen  den  Fingerspitzen  halten,  aasgedrückt.  ^} 
Viele  Zftblbildererfinder  stehen  jenen  rohen  Naturmenschen 
In  dieser  Hinsicht  weit  nach.  Sie  lassen  von  der  Fünf 
ab  die  Punkte  immer  mehr  zusammeokriechen ,  damit 
diese  in  gleichgroße  Quadrate  hineinpassen: 

•  •     ••     t«*J      Doch   dieser  Vorwurf  trifft   die 

•  •     •    •     *  *    I      ^'^^  Eckhardt  verwendeten  nicht. 
Als  gute  VeranschaulicbuDgsmittel,  als  wirkliche  Bilder 

der  Zahlen  müsseu  die  römischen  Ziffern  angesehen 
werden.  Auch  die  ältere  griechische  Zablschreibung  zeigt 
das  Charakteristische   der  Zahl.    Die   Ziffern    von    1 — i 

')  Wilk  a.  a.  0.  a  198.  -  ■)  Ebenda. 


—     23     — 

stimmeD  bei  beiden  Völkern  überein:  I  II  III  Uli.  Hier 
erscheint  die  Zahl  als  Multiplikator,  was  um  so  mehr  zum 
Bewußtsein  kommt,  wenn  die  Ziffern  geschrieben  werden. 
Wenn  ich  IIII  schreibe,  setze  ich  denselben  Strich  viermal. 
Daß  gleichzeitig  die  Zahlvorstellung  durch  die  Schreib- 
bewegungsvorstellung  eine  schätzenswerte  Stütze  erhält, 
sei  nur  nebenbei  bemerkt  Für  die  Fünf  wählt  der  Römer 
das  Zeichen  V,  eine  Nachbildung  der  Hand,  für  zehn  das 
Zeichen  X,  das  zwei  Hände  bedeutet.  Der  Grieche  be- 
nutzt zur  Darstellung  der  Fünf  den  Anfangsbuchstaben 
des  Zahlwortes  F,  ^)  Durch  diese  neuen  Zeichen  wird  die 
Reihe  als  ein  einheitliches  Ganzes  bezeichnet  Die  Fünf 
wird  Anfangsglied  einer  neuen  Reihe.  Bei  den  Griechen: 
r  ri  rn  nn  rini  Bei  den  Römern:  V  VI  VH  VEI 
Vlin.  Die  römische  Zehn  X  als  zwei  Fünfen  dargestellt, 
deutet  an,  daß  die  Reihe  I — X  als  Verdoppelung  der 
Reihe  I — V  anzusehen  ist  Ebenso  anschaulich  sind  die 
folgenden  römischen  Ziffern:  XX,  XXX  oder  XXI,  XXXT 
usw.  Die  römischen  Ziffern  veranschaulichen  nicht  bloß 
die  Zahlvorstellung,  sondern  auch  die  Reihebbildung  und 
das  Zahlensystem.  Es  wäre  daher  zu  wünschen,  daß  sie 
überall  im  ersten  Rechenunterrichte  Verwendung  finden 
möchten.  Ziller  sagt:  »Die  lateinischen  Zahlzeichen  adop- 
tieren wir  ...  als  die  einfachen  Symbole,  die  man  jederzeit 
erfinden  müßte,  wenn  sie  nicht  schon  gegeben  wären.c  >) 
Beim  schriftlichen  Rechnen  bedient  man  sich  der 
indisch-arabischen  Ziffern.  Kann  sie  nicht  auch 
beim  Kopfrechnen  Reproduktionsmittel  der  Zahl  werden? 
Die  gesprochene  Zahl  erweckt  Klangbilder.  Doch  leicht 
rauscht  die  Zahl  am  Ohr  vorüber.  Unendliche  Mühe  macht 
es  dem  kleinen  Rechner,  sie  festzuhalten.  Das  Gesehene 
gräbt  sich  tiefer  dem  Bewußtsein  ein.  Dieselben  Ziffern 
treten  unendliche  Male  vor  das  Auge  des  Kindes.  V7arum 
sollte  der  Eindruck  nicht  so  frisch,  die  Verknüpfung  nicht 


»j  WiUc  a.  a.  0.  8.  234. 

^  ZilleTt  AllgemeiDe  Pädagogik.   8.  89. 


—     24     — 

80  fest  sein,  daß  aach  beim  gesprochenen  Wort  jene 
Zeichen  wieder  erwachen?  Doch  bietet  die  Ziffer  dem 
Schüler  eine  Hilfe  beim  Kopfrechnen? 

Unsere  Ziffern  12  3  4  usw.  enthalten  nichts,  was  die 
Zahlvorstellangen,  die  sie  wecken  sollen,  auch  nur  einiger- 
maßen andeutet.  Man  kann  sich  die  erdenklichste  Mühe 
geben,  man  mag  sich  z.  B.  die  »9«  noch  so  aufmerksam 
anschauen,  sie  noch  so  lebhaft  vorstellen:  Die  Zahlvor- 
stellung »neun«  ist  nicht  in  ihr  enthalten.  Den  Ziffern 
ergeht  es  in  dieser  Beziehung  ähnlich  wie  den  Zahlwörtern. 
Aus  dem  Worte  »sieben«  kann  man  nicht  erkennen, 
warum  sieben  Dinge  gerade  diesen  Namen  tragen.  Mit 
den  Zahlen  über  10  ändert  sich  das  Verhältnis  um  ein 
Weniges.  Sowohl  Zahlwort  als  Ziffer  erhalten  jetzt  doch 
ein  Körnchen  Anschaulichkeit  Doch  bei  den  Zahlwörtern 
sind  11  und  12  auch  noch  auszuscheiden.  Denn  daß  11 
und  12  >einlif«  und  »zweilif«,  wobei  »lif«  die  Bedeutung 
»übrigbleiben«  hat,  vorstelle;  daß  die  beiden  Wörter  uns 
sagen  wollen,  wenn  man  11  oder  12  Dinge  zähle  und  sei 
bis  10  gekommen,  so  habe  man  1  oder  2  übrig,  11  und 
12  seien  also  10  +  1?  10  +  2:  diese  Deutung  der  Wörter 
11  und  12  ist  gegenwärtig  nicht  mehr  geläufig.  Von  13 
ab  deuten  die  Zahlwörter  wenigstens  ein  Merkmal  des 
Begriffes  an,  das  ich  mir  denken  soll.  Es  sind  die  Be- 
ziehungen zu  zehn:  10  +  3,  10  +  4,  10  +  5  usw.  Das 
Zahlwort  »20«  sagt  mir,  daß  hier  2  Zig,  2  Zehnen  vor- 
liegen. So  geht  es  fort  bis  99.  Dann  kommt  100,  wieder 
eine  leere  Hülse,  die  nichts  enthält  vom  Begriff  100.  Das- 
selbe gilt  von  »ein  Tausend«,  »eine  Million«,  »eine  Milliarde«. 
Die  Ziffern  sind  noch  sohlechter  daran  als  die  Zahlwörter. 
Die  Ziffern  für  die  Zahl  »achtzehn«  sind  1  und  8,  und 
nun  soll  man  18,  also  10  und  8,  denken.  Noch  un- 
günstiger wird  das  Verhältnis,  wenn  man  bedenkt,  daß 
jede  Ziffer  je  nach  ihrer  Stellung  verschiedene  Bedeutung 
haben  kann.  Nur  wer  eine  klare  Einsicht  hat  in  den 
eigentümlichen  Bau  unseres  Ziffemsystemn,  alle  Zahlen 
durch  9  Zeichen  auszudrücken   und   die  einzelnen  nach 


—     25      - 

ihrem  Stellenwerte  zu  unterscheiden,  kann  sich  der  Ziffer 
mit  Sicherheit  bedienen. 

Gerade  der  Stellenwert  kann  eine  Quelle  von  Irr- 
tümern werden.  Eine  Ziffer  kann  nach  ihrer  Stellung  zu 
andern  verschiedene  Mengen  bezeichnen.  Jede  mechanische 
Versetzung  der  Ziffer  ergibt  also  ein  falsches  Resultat. 
Ist  das  schon  möglich,  wenn  die  Ziffer  durch  Lesen  oder 
Schreiben  gezwungen  ist,  auf  kurze  Zeit  in  meinem  Be- 
wußtsein zu  beharren,  wieviel  leichter,  wenn  ich  sie  als 
leichteiiende  Vorstellung  bannen  will!  Wer  hätte  noch 
niemals  die  Klage  von  Rechenlehrern  gehört,  daß  die 
Kinder  den  Stellenwert  verwechseln ,  daß  sie  39  «i  93 
schreiben  und  für  0,07  «=-•0,7?  Nun  kann  man  einwenden^ 
für  das  zweite  Schuljahr,  das  hier  vorzugsweise  in  Be- 
tracht kommt ^  sei  die  Schwierigkeit  nicht  groß.  Hier 
handle  es  sich  um  kleine  zweistellige  Ziffern,  und  es 
könne  nicht  schwer  sein,  ihre  Bedeutung  zur  Klarheit  zu 
bringen,  und  doch  schon  bei  der  ersten  zweistelligen 
Zahl  erhebt  sich  die  größte  Schwierigkeit  für  das  Kind. 
Es  denkt  ein  Zehnfaches  und  soll  ein  Zweifaches  schreiben. 
Ja,  wenn  die  Zehn  nur  als  zwei  Fünfen  dargestellt  werden 
könnte!  In  der  zweiten  Stelle  steht  eine  Null.  Begriff- 
lich ist  also  nichts  zu  denken,  und  doch  muß  ein  Etwas 
hingeschrieben  werden.  Ob  es  wohl  viel  Kinder  des 
zweiten  Schuljahres  gibt,  die  das  einsehen,  wenn  frisch 
weg  mit  den  neuen  Zahlen  immer  gleich  die  Ziffern  auf- 
treten? Die  indisch- arabischen  Ziffern  sollten  im  ersten 
Rechenunterrichte  keine  Verwendung  finden.  Selbst  bei 
der  Behandlung  der  Zahlenreihe  von  1 — 100  sind  sie  ent- 
behrlich. Auch  hier  bringt  die  Benutzung  der  römischen 
Ziffern  den  größten  Gewinn. 

Die  Überlegenheit  der  römischen  Ziffern  den 
indisch-arabischen  gegenüber  ist  nicht  schwer  zu  erweisen. 
Betrachten  wir  die  Ziffern  32  und  XXXII!  In  der  ersten 
Ziffer  muß  ich  bei  »3«  dreißig,  also  3  Zehner  denken. 
In  der  zweiten  liegen  sie  vor  meinen  Augen  ausgebreitet. 
Die  Zwei  zeigt  die  römische  Ziffer  in  der  Vorstellung,  die 


—     26     — 

iodisch-arabische  als  leeres  Zeichen.  Die  römischen  Ziffern 
sind  bei  weitem  nicht  so  abstrakt  als  die  indisch-arabischen. 
Spreche  ich  das  Wort  i zweiunddreißig«,  so  liegt  in  der 
Silbe  »zwei«  eine  Reproduktionshilfe  für  II,  in  der  Silbe 
1  dreißig«  eine  solche  für  XXX.  Aus  XXXII  kann  das 
Eind  niemals  XXIQ  machen,  während  bei  32  diese  Yer- 
tauschung  nahe  liegt.  Falls  dem  Kinde  beide  Arten  von 
Ziffern  geläufig  sein  würden,  würde  es  den  römischen 
bei  der  Reproduktion  den  Vorzug  geben. 

Bei  alleiniger  Kenntnis  der  indisch- arabischen  Ziffern 
wird  sich  das  Kind,  falls  es  Einsicht  in  den  Aufbau 
unseres  Zahlensystems  gewonnen  hat,  niemals  eine  3  und 
eine  2  vorstellen.  Die  Sprache  veranlaßt  es  schon,  30 
und  2  zu  denken.  Da  es  sich  hier  nur  um  diese  eine 
Beziehung  handelt,  wird  es  die  abstrakten  Ziffern  gänz- 
lich ausschalten.  Das  Wort  ist  hier  Vertreter  des  Begriffs. 
Die  naturgemäße  Zahlbildung  erfolgt  in  der  Weise,  daß 
zuerst  die  Vorstellung  entsteht.  Darauf  folgt  die  sprach- 
liche Benennung  und  dann  der  Begriff.  Das  abstrakte 
Zeichen  ist  hier,  wie  überhaupt  in  der  Geistesbildung,  das 
letzte  Produkt.  Wer  den  Harz  gesehen  hat,  wird  jeden- 
falls beim  Hören  des  Wortes  »Harz«  nicht  die  Schraffen 
und  Farbenabtönungen  der  Landkarte,  sondern  wirkliche 
Bilder  aus  dem  Harze  reproduzieren.  Landkartenbilder 
werden  bei  den  geographischen  Objekten  in  mein  Bewußt- 
sein zurückgeführt,  die  ich  nicht  gesehen  habe.  Ähnlich 
ist  es  bei  den  Zahlen.  Soweit  die  Kinder  Zahlvorstellungen 
haben,  reproduziert  das  Zahlwort  diese;  solange  das  Zahl- 
wort als  Vertreter  des  Begriffs  ausreicht,  scheidet  das 
Zeichen  aus.  Erst  wenn  alle  diese  Mittel  versagen,  tritt 
das  Zeichen  helfend  ein.  Im  Rechen  Unterricht  kommt 
dieser  Zeitpunkt,  wenn  das  Kind  den  Tausender  über- 
schreitet. Wenn  ich  mir  »fünfmillionensechshundertvier- 
undzwanzigtausenddreihundertneunundaohtig«  vorstellen 
will,  lasse  ich  die  Zifferreihe  6624389  durch  mein  Be- 
wußtsein laufen. 

Der  einzelnen  Z  iffer  mißt  nun  Eckhardt  keinen  allzu 


—     27     — 

großen  Wert  bei.  Zwar  sind  ihm  die  ZilTervorstellungen 
die  Repräsentanten  der  Zahlbegriffe  für  den  Visuellen,  aber 
»die  isolierte  Ziffer  zeigt  keine  Spur  mehr  von  dem  ur- 
sprünglichen Wesen  der  Zahl«.  Weit  größere  Bedeutung 
sollen  Zifferreihen  haben.  Bei  ihnen  sei  der  Mangel 
gehoben,  denn  sie  bringen  das  Charakteristische  der  Zahl, 
die  Gliederung  der  Vielheit  in  Einheiten,  zur  Darstellung. 
Ein  weiterer  Vorzug  liege  darin,  daß  sie  das  »Verhältnis 
des  Mehrs  und  Minders«  erkennen  lassen.^) 

Ist  die  Zifferreihe  eine  psychologische  Reihe? 
Betrachten  wir  die  Reihe  12  3  4  5  6  usw.!  Es  herrscht 
eine  bestimmte  Ordnung.  Die  Ziffer  3  steht  immer  zwi- 
schen 2  und  4,  6  zwischen  4  und  6.  Doch  woher  diese 
Ordnung?  Warum  darf  ich  6  nicht  vor  4  setzen?  Weil 
6  größer  ist  als  4.  Doch  nicht  die  Ziffer!  Die  Zahl  6 
ist  größer  als  die  Zahl  4.  Die  Ordnung  kommt  also  da- 
her, weil  die  Zifferreihe  in  Verbindung  steht  mit  der  Zahl- 
reihe.  Schalte  ich  die  Zahlen  aus,  hindert  mich  nichts, 
die  Ziffern  ganz  regellos  aufeinander  folgen  zu  lassen. 
Ferner:  Glieder  einer  psychologischen  Reihe  stellen  etwas 
Zusammengehöriges  dar.  Auch  bei  der  Zifferreihe?  1 — 10; 
10—100;  100—1000.  Doch  die  Zusammengehörigkeit  ist 
wieder  nicht  in  den  Ziffern,  sondern  in  den  Zahlen  be- 
gründet Wir  sehen:  Die  Zifferreihe  wird  zur  psycho- 
logischen Reihe  erst  in  Verbindung  mit  den  Zahlen.  Sie 
tritt  in  dieser  Hinsicht  der  Buchstabenreihe  an  die  Seite, 
die  erst  in  Verbindung  mit  einem  Sachinhalte  zur  psycho- 
logischen Reihe  wird. 

Wie  die  Bekanntschaft  der  Sache  dem  Erlernen  des 
Wortes  vorangehen  muß,  so  die  Erlernung  der  Zahlreiben 
der  Zifferreihe.  Ich  kann  nicht  die  Zifferreihe  dazu  ver- 
wenden, den  Kindern  die  eigentümlichen  Beziehungen, 
die  in  den  aufeinanderfolgenden  Zahlen  liegen,  zur  An- 
schauung zu  bringen,  sondern  die  Kinder  verstehen  die 
Ziiferreihe  erst,   wenn   sie  Einsicht  gewonnen  haben  in 


»)  Eckhardt  a.  a.  0.  S.  9. 


—     28     — 

unser  Zahlsystem.  Wer  den  umgekehrten  Weg  geht, 
handelt  ebenso  verkehrt  wie  derjenige,  der  im  Religions- 
unterrichte erst  ein  Eatechismusstück  lernen  läßt,  um  es 
nachher  zu  erklären,  oder  der  im  Deutschunterrichte 
Wörter  lesen  und  schreiben  läßt,  die  später,  vielleicht  erst 
nach  ein  paar  Jahren,  mit  Inhalt  gefüllt  werden. 

Daß  der  gekennzeichnete  Weg  der  naturgemäße  ist, 
zeigt  auch  die  Geschichte  des  Rechen  Unterrichtes.  Die 
alten  Kulturvölker  hatten  längst  die  größten  Zahlen  ge- 
bildet An  Rechenfertigkeit  standen  sie  uns  nichts  nach. 
Die  Konstruktion  des  Zehnersystems  war  längst  begrifBa- 
mäßig  von  der  Wissenschaft  erkannt.  2000  Jahre  vor 
Christi  Geburt  waren  die  Potenzen  den  Ägyptern  und 
Assyrem  keine  unbekannten  Größen  mehr,  und  die  phan- 
tasiereichen Inder  hatten  besondere  Namen  für  alle  Zehner- 
potenzen bis  10^^  geschaffen.  Doch  das  Ziffersystem  mit 
Stellenwert  war  nicht  erfunden,  i)  :» Diese  Vielheit  der 
Werte  desselben  Zeichens  widerspricht  geradezu  aller  Natür- 
lichkeit. Die  Fositionsarithmetik  ist  kein  Produkt  volks^ 
mäßigen  Denkens,  sie  ist  ein  Erzeugnis  wissenschaftlicher 
Spekulation,  die  Erfindung  eines  genialen  Kopfes.«  ^)  Man 
nimmt  an,  daß  diese  Erfindung  erst  in  die  ersten  Jahr- 
hunderte nach  Christi  Geburt  zu  verlegen  sei. 

Es  erscheint  fast  unverständlich,  wenn  durch  das  Ziffer- 
system die  Gliederung  der  Vielheiten  in  Einheiten,  das 
»Verhältnis  des  Mehrs  und  Minders«  vorgestellt  werden 
soll.  Darin  besteht  ja  gerade  das  Wesen  der  indisch- 
arabischen Ziffern,  daß  sie  die  Anzahl  der  Einheiten  aus- 
gelöscht haben.  Ein  Zeichen  soll  mehrere  Einheiten 
bedeuten.  Das  Ziffersystem  veranschaulicht  den  Aufbau 
unseres  Zahlsystems  bis  ins  Ongemessene.  Es  ist  erst  bei 
den  Hundertern  und  Tausendern  am  Platze.  Danach  ist 
auch   das  von  Eckhardt  gebrauchte   Veranschaulich  ungs- 

*)  Wük  a.  a.  0.  S.  242. 
*)  Ebenda  S.  240. 


—     29     — 

mittel   zu   bewerten.     Er  empfiehlt  folgende  Darstellung 
der  Ziffern  an  der  Wandtafel: 

•    123456789#    123466789*i) 

Diese  Reihe  passe  auf  die  verschiedensten  Zehnerzahlen. 

Sie  ist  ganz  ungeeignet  Das  Neue,  das  in  der  Zahlen- 
reihe bis  100  zu  veranschaulichen  ist,  die  Zehnerreihe 
und  die  Beziehungen  von  Zehnern  und  Einem,  zeigt  sie 
nicht.  Für  die  Veranschaulichung  der  Einer,  die  sie  dar- 
stellt, sie  ist  unbrauchbar,  wie  aus  unsem  oben  stehenden 
Darlegungen  über  die  Reproduktion  der  Zahl  bei  Zahl- 
bildern hervorgeht 

Die  Benutzung  dieses  Veranschaulichungsmittels  ist 
Folge  der  weit  verbreiteten  falschen  Ansicht,  alle  Zahlen 
über  Zehn  müßten  durch  Hinzunahme  von  Einsen  auf- 
gebaut werden:  10  +  1,  11  +  1  bis  20;  20  +  1,  21  +  1 
usw.  Viel  besser  könnte  man  obige  Reihe  dazu  verwenden, 
die  Zahlenreihe  folgendermaßen  aufzubauen:  10  +  1,10  +  2 
bis  20;  20+1,  20  +  2  usw.  Doch  auch  das  wäre  un- 
psychologisch. Daß  Eckhardt  die  erste  Art  des  Aufbaues 
benutzt,  geht  daraus  hervor,  daß  er  glaubt,  die  Gliederung 
der  Vielheit  in  Einheiten  zu  zeigen.  Das  verrät  auch 
seine  Reproduktion  der  Reihe.  Wer  sich  eine  Reihe  von 
1 — 100,  aus  Einheiten  aufgebaut,  vorstellt,  hat  auch  die 
Reihe  unpsychologisch  gebildet. 

Eine  Behandlung,  die  den  Reihengesetzen  gerecht 
werden  will,  kann  nur  so  erfolgen,  daß  nach  Erledigung 
des  ersten  Zehners  die  reine  Zehnerreihe  bis  100  gebildet 
wird.  Danach  werden  innerhalb  jedes  Zehners  die  Einer 
angefügt,  indem  der  Zehner  Anfangsglied  einer  neuen 
Reihe  wird:  10  +  1,  10  +  2,  10  +  3  usw.  Dann  entsteht 
ein  System  von  unter-  und  übergeordneten  Reihen.  Die 
Reproduktion  wird  dann  nicht  durch  Ziffern  veranlaßt,  die 
plötzlich  im  Bewußtsein  auftauchen,  sondern  sie  erfolgt 
auf  Grund  der  Verknüpfung  der  Reihen.     Ein  so  unter- 


*)  Eckhardt  a.  a.  0.  S.  20. 


—     30     — 

ricbteter  Schüler  reproduziert  beim  Hören  der  Zahl  36 
nicht  die  Ziffer  36  deutlich  und  die  benachbarten  dunkel, 
sondern  klar  und  deutlich  die  Beziehung:  30  4-6. 

Doch  nicht  bloß  Reihen bil düng  ist  zu  fordern,  sondern 
die  verschiedenen  Reihen  müssen  auch  miteinander 
verknüpft  werden.  Das  geschieht,  wenn  man  den 
Kindern  eine  klare  Einsicht  verschafft  in  die  Beziehungen, 
die  zwischen  den  einzelnen  Rechnungsarten  obwalten.  Die 
Subtraktion  muß  als  Umkehrung  der  Addition  erscheinen, 
die  Multiplikation  als  besonderer  Fall  der  Addition.  Das 
Enthaltensein  muß  als  besondere  Art  der  Subtraktion  auf- 
gefaßt werden,  das  Teilen  sich  als  Umkehrung  der  Multi- 
plikation darstellen  usw.  Auch  innerhalb  der  einzelnen 
Rechnungsarten  müssen  verwandtschaftliche  Beziehungen 
aufgezeigt  werden.  Das  kann  z.  B.  leicht  bei  den  Multi- 
plikationsreihen geschehen.  Es  ist  zu  zeigen,  wie  die 
Reihe  1.4,  2.4  usw.  aus  der  1 . 2,  2 . 2  usw.  aufgebaut 
werden  kann,  die  Reihe  1.6,  2.6  aus  1.3,  2.3  usw. 
Auch  in  andern  Rechnungsarten  sind  solche  Verwandt- 
schaften aufzusuchen :  2b  ==^^  Hundert,  75  =»  f  Hundert 
usw.  Dadurch  gewinnt  der  Rechenunterricht  außerordent- 
lich an  Klarheit,  und  dadurch  wird  auch  das  Behalten 
der  Aufgaben  wesentlich  gefördert.  Nun  ist  es  ja  nicht 
angängig,  immer  Zahlen  mit  solchen  Beziehungen  zu  ver- 
wenden. Es  müssen  auch  andere  auftreten.  Auch  dann 
bietet  sich  uns  die  Reihe  als  Gedächtnishilfe  an,  indem 
vrir  die  Zahlen  der  Aufgabe  so  anordnen,  daß  eine  psycho- 
logische Reihe  entsteht:  34+56,  98  —  76,  35  +  46, 
97  —  53  usw.  Die  Berücksichtigung  solcher  Faktoren  ist 
viel  wichtiger,  als  alles  Bemühen,  Reihen  von  Ziffern 
»dem  Gehirne  einzuzeichnen. 

Noch  ein  visuelles  Moment  muß  kurz  gestreift  werden: 
das  Auftreten  der  Zahlen  in  Verbindung  mit  Sach Vor- 
stellungen. Nach  Eckhardt  sind  die  Sachvorstellungen 
schädlich:  »Das  von  manchen  Reformlem  beliebte  Dar- 
bieten der  ersten  Lernobjekte  durch  Umkleidung  in  aller- 
hand Phantasievorstellungen  sachlicher  Art,   die  die  ein- 


—     31     — 

zuprägenden  nackten  Grundformen  dieser  Lernobjekte  ver- 
hüllen, ist  ein  Verstoß  gegen  den  Grundsatz  der  Ökonomie 
und  Technik  des  Lernens.«^)  Es  ist  nicht  ersichtlich,  was 
hier  unter  iPhantasievorsteliungen  sachlicher  Art«  zu  ver- 
stehen ist  Jedenfalls  denkt  der  Verfasser  an  die  Märchen- 
gestalten und  Personen  der  Bibel,  die  in  der  Zillerschen 
Schule  in  Rechenaufgaben  auftreten.  Wir  halten  dieses 
Verfahren  im  ersten  Rechenunterrichte  für  unbedenklich. 
Die  Kinder  rechnen  hier  wie  mit  wirklichen  Dingen.  Ge* 
fahrlich  wird  die  Phantasie  dem  Rechnen,  wenn  man  un- 
mögliche Einkleidungen  schafft  und  wenn  sie  das  Rechnen 
zur  Nebensache  herabdrücken.  (Einseitiges  Sachrechnen.) 
V7enn  Eckhardt  jedoch  meinen  sollte,  durch  Sachvorstel- 
lungen würden  die  Kinder  immer  von  der  Zahl  abgelenkt^ 
so  befindet  er  sich  im  Irrtume.  Die  Zahlvorstellungen, 
die  zuerst  gebildet  werden,  sind  stets  Zahlen  in  Verbindung 
mit  Sachvorstellungen.  Die  Sachen  veranlassen  ja  das 
Kind  gerade  im  vorschulpflichtigen  Alter,  Zahlvorstellungen 
zu  bilden.  Nur  mit  nackten  Zahlen  zu  rechnen,  geht  auch 
bei  jüngeren  Schülern  nicht  an.  Die  inhaltsarmen  Zahlen 
sind  wenig  geeignet,  die  kleinen  Rechner  auf  längere  Zeit 
zu  fesseln.  Das  Abstrakte  wird  leicht  eine  Quelle  geistiger 
Ermüdung.  2) 

Unsere  Untersuchung  hat  zu  andern  Resultaten  ge- 
führt als  zu  den  von  Eckhardt  gefundenen.  Nun  kann 
man  uns  entgegenhalten,  daß  seinen  Forderungen  größere 
Gewißheit  zukäme,  weil  er  eine  exaktere  Methode  benutzt 
habe.  Seine  Methode  ist  das  Experiment  unter  Zuhilfe- 
nahme der  Selbstbeobachtung  seiner  Kinder.  Wir  wollen 
diese  Methode  nachprüfen! 


*)  Eckhardt  a.  a.  0.  8.  17. 

^  Dem  Verfasser  kommt  es  im  RecboeD  hauptsäohlioh  aaf 
ÜbüDg  des  Gedächtoisses  an.  Er  ist  Anhänger  der  alten  Seeleo- 
vermögenstheorie,  wie  folgender  Ausspruch  zeigt:  »Ebert  und  Men- 
mann  zeigen,  daB  eine  Obung  des  Qedächtnissos  in  formaler  Hin- 
sicht eine  Entwicklung  des  Gedächtnisses  zur  Folge  hat.«^  S.  17. 


—     32     — 

Was  versteht  mao  unter  SelbstbeobacbtuDg? 

Selbstbeobachtung  und  Experiment  fallen  unter  den 
Begriff  der  Beobachtung.  Jedes  Beobachten  ist  ein  Wahr- 
nehmen, jede  Beobachtung  eine  Wahrnehmung.  Aber 
nicht,  jedes  Wahrnehmen  ist  ein  Beobachten.  Ich  blicke 
auf  die  Straße.  Ich  sehe  die  gegenüberliegende  Häuser- 
reihe. Menschen  gehen  auf  dem  Bürgersteige  hin  und 
her.  Auf  dem  Fahrdamm  bewegen  sich  Lastwagen.  Die 
Straßenbahn  saust  an  meinem  Blicke  vorüber.  Ich  höre 
das  Knarren  der  Wagen,  das  Klingeln  der  Straßenbahn. 
Ich  nehme  wahr.  Ich  habe  Wahrnehmungen.  Ohne  daß 
ich  aktiv  dabei  tätig  bin,  drängen  sich  alle  diese  Er- 
scheinungen mir  auf.  Plötzlich  höre  ich  anhaltendes  Qe- 
klingel.  Kinder  und  Erwachsene  rennen  nach  einer  Rich- 
tung der  Straße.  Ich  öfihe  das  Fenster  und  blicke  die 
Straße  hinab.  Ich  sehe  die  Feuerwehr  dahinrasen.  loh 
blicke  zum  Himmel  hinauf,  ob  ich  irgendwo  eine  Bauch- 
wolke entdecke.  Wiederrm  habe  ich  wahrgenommen.  Und 
doch  unterscheidet  sich  der  psychische  Vorgang  von  dem 
vorigen.  Im  ersten  Falle  drängen  sich  mir  die  Bilder 
auf,  ohne  daß  ich  es  will.  Im  zweiten  Falle  sind  sie 
Folge  eines  Willensaktes.  Mein  Wahrnehmen  hat  eine 
bestimmte  Absicht  Ich  will  die  Ursache  des  Geklingels,  des 
Laufens  der  Leute  erforschen.  Das  erste  Beispiel  enthält 
nur  Wahrnehmungen,  das  zweite  Beobachtungen.  Dem- 
nach ist  also  das  Beobachten  ein  durch  Willensakt  be- 
stimmtes Wahrnehmen  und  die  Beobachtung  eine  durch 
Willensakt  bestimmte  Wahrnehmung. 

Auch  die  Selbstbeobachtung  ist  eine  Wahrnehmung, 
jedoch  nicht  eine  solche,  die  sich  auf  Dinge  und  Er- 
scheinungen außer  uns  bezieht,  sondern  auf  uns  selbst, 
auf  Dinge  und  Erscheinungen  in  uns.  Sie  ist  eine  innere 
Wahrnehmung.  Die  größte  Anzahl  unserer  Wahrnehmungen 
erhalten  wir  durch  das  Auge.  Daher  spricht  man  bei  der 
innem  Wahrnehmung  auch  von  einem  geistigen  Auge. 
Ein  Beispiel! 


—    33    ^ 

Ich  träum'  als  Kind  mich  znrücke 
üod  schättle  mein  greises  Haupt; 
Wie  sacht  ihr  mich  heim,  ihr  Bilder, 
Die  lang  ich  vergesseo  geglaubt? 

usw. 

Bilder  uod  Erlebnisse  aus  der  Jugendzeit  ziehen  am 
geistigen  Auge  des  Dichters  vorüber.  Er  bemerkt,  wie  ein 
Bild  durch  das  andere  abgelöst  wird.  Gleichzeitig  wird 
er  gewahr,  wie  Gefühle  seine  Seele  durcbzittem:  Heimat- 
liebe, Sehnsucht,  Trauer  über  die  Zerstörung  des  väter- 
lichen Schlosses.  Die  Liebe  zur  Heimat  überträgt  sich 
auf  den  jetzigen  Besitzer  des  heimatlichen  Bodens,  daher 
wünscht  er  für  ihn  zwiefachen  Segen.  In  dem  Augen- 
blicke, wo  der  Dichter  alle  diese  Vorstellungen,  Gefühle 
und  Begehrungen  in  sich  schaut,  nimmt  er  innerlich 
wahr.  »Die  Vorstellungen  ziehen  hier  entweder  in  ge- 
dächtnismäßigem Lauf  oder  in  der  freiem  Bewegung  des 
Phantasierens  an  uns,  wie  an  einem  ihnen  gegenüber- 
stehenden, Gedankenschau  haltenden  Zuschauer  vorüber.«  ^) 
Doch  Chamisso  läßt  es  bei  der  Innern  Wahrnehmung 
nicht  bewenden.  Er  sucht  die  Bilder  festzuhalten.  Die- 
jenigen, die  schon  entflohen  sind,  ruft  er  wieder  zurück 
ins  Bewußtsein.  Er  schreibt  nieder,  was  er  gesehen. 
Hierbei  ist  wieder  die  Willenstätigkeit  im  Spiele.  Diese 
innere  Wahrnehmung  ist  Selbstbeobachtung.  So  ist  also 
die  Selbstbeobachtung  eine  durch  Willensakt  bestimmte 
innere  Wahrnehmung.  Durch  die  Selbstbeobachtung  er- 
halten wir  Kunde  von  unseren  inneren  Vorgängen,  von 
unserem  Vorstellen,  Fühlen,  Begehren  und  Wollen.  Sie 
ist  daher  eine  Hauptquelle  der  Psychologie. 

Doch  ist  die  Anwendung  der  Selbstbeobachtung 
nicht  unbeschränkt.  Aus  ihrem  Wesen  folgt  die  Begrenzung. 
In  der  Selbstbeobachtung  werden  mir  nicht  bloß  Vor- 
stellungen, Gefühle  und  Begehrungen  bewußt,  sondern 
diese  psychischen  Gebilde  werden  selbst  wieder  Objekte 


')  Drobüch  a.  a.  0.  S.  140. 
PSd.  Mag.  819.    Barheine,  Yisaelle  EriimaiiiigBbflder. 


—     34     — 

meines  YorstelleDs.  So  ist  mein  Bewußtsein  gespalten 
in  ein  beobachtendes  Subjekt  und  in  ein  beobachtetes 
Objekt.  Das,  was  zusammengehört,  was  eine  Größe  bildet, 
muß  dabei  auseinandergehalten  werden.  Unser  Bewußt- 
sein widersetzt  sich  dieser  Trennung.  Wir  empfinden 
diesen  Widerstreit  der  Kräfte  als  Anstrengung.  Anhaltende 
Selbstbeobachtung  führt  zu  geistiger  Ermüdung.  Hart- 
näckig fortgesetzt,  kann  sie  zu  einer  wahren  Selbstpeinigung 
werden.  1)  Noch  mehr!  Bei  öfterer  Wiederholung  und 
langer  Dauer  der  Spaltung  kann  sie  für  wirklich  bestehend 
gehalten  werden.  Beispiele  dafür  sind  die  Fieberkranken, 
die  Irrsinnigen  und  Schwärmer.  Daher  ist  sie  nur  mit 
Vorsicht  anzuwenden.  »Wie  man  einem  Unkundigen  ein 
Gift,  das  bei  verständigem  Gebrauch  heilend  wirkt,  nicht 
ohne  Einschränkung  in  die  Hand  gibt,  so  sollte  ein  psycho- 
logisch Unkundiger  auch  die  Selbstbeobachtung  nur  mit 
den  allergrößten  und  bestimmtesten  Beschränkungen  an- 
wenden.« ^) 

Noch  etwas  anderes  folgt  aus  der  Trennung  unseres 
Selbst  in  Subjekt  und  Objekt.  Unsere  Bewußtseinszustände 
sind  nichts  Beharrendes,  sondern  etwas  Fließendes.  Vor- 
stellungen, Gefühle  und  Begehrungen  kommen  und  gehen. 
Es  gibt  keinen  Stillstand.  Das  rastlose  Wogen  der  be- 
wegten See  ist  das  Abbild  unserer  Seele.  Daher  ist  die 
Selbstbeobachtung  »im  Grunde  ein  fortgesetztos  Mißlingen: 
denn  stets  kommt  die  Beobachtung  später  als  das  Ge- 
sehenec.s)  Richtet  sich  nun  das  beobachtende  Subjekt 
auf  eine  Vorstellung,  um  sie  genau  ins  Auge  zu  fassen, 
80  entschlüpfen  die  übrigen  schnell  dem  beobachtenden 
Blick.  Wollen  wir  aber  gleichzeitig  eine  größere  Zahl 
festhalten,  so  wird  die  Beobachtung  unklar  und  ungenau. 
Versuchen  wir  eine  komplizierte  Rechenaufgabe  zu  lösen 
und  dabei  gleichzeitig  die  psychischen  Vorgänge  zu  be- 
lauschen, so  achten  wir  entweder  auf  das  Geschehen  in 

0  Drobtsch  a.  a.  0.  S.  141. 
»)  Dr.  Felseh  a.  a.  0.  8.  47. 
^  Drobüch  a.  a.  0.  S.  141. 


-     35     — 

uns  und  verrechnen  uns,  oder  wir  rechnen  richtig  und 
vergessen  das  Beobachten.  Höchstens  ein  dunkles  Gefühl 
der  Anstrengung  oder  ein  unklares,  undeutliches  Bewußt- 
sein vom  Kommen  und  Gehen  von  Vorstellungen  schwebt 
uns  vor.  Die  Selbstbeobachtung  gelingt  daher  dem  Kinde 
nicht     Sie  will  gelernt  und  geübt  sein. 

Die  Selbstbeobachtung  hinkt  den  geistigen  Vorgängen 
oder  Zuständen  in  uns  immer  nach.  Diese  sind  uns  nur 
als  Erinnerungsbilder  gegenwärtig.  Erinnerungsbilder  von 
Vorgängen'  und  Zuständen  sind  aber  nicht  kongruent  den 
Vorgängen  und  Zuständen.  Das  Bild,  das  sich  der  Jüng- 
ling von  seinen  Kindheitstagen  malt,  ist  ein  anderes  als 
das,  welches  sich  der  Mann  oder  Greis  zeichnet  Also 
sind  die  Resultate  der  Selbstbeobachtung  ungenau. 
Oft  sind  die  Erinnerungsbilder  lückenhaft.  Wie  werden 
nun  die  Lücken  vom  Beobachter  ausgefüllt?  Nicht  durch 
die  Wahrnehmungen,  aus  denen  die  Erinnerungsbilder 
stammen,  sondern  durch  Vorstellungen,  die  den  Zweck 
der  Beobachtung  als  Reproduktionsmittel  haben.  Die  Er- 
innerungsbilder werden  entstellt  und  gefälscht.  Darf 
man  dann  wohl  die  Selbstbeobachtungen  der  Kinder  als 
gewiß  ansehen? 

Bestimmen  wir  den  Begriff  »Experiment«! 

Die  Experimente  haben  ihr  eigenstes  Gebiet  in  der 
Physik  und  Chemie.  Nehmen  wir  an,  es  soll  im  Physik- 
unterrichte untersucht  werden,  wie  es  kommt,  daß  beim 
Pumpbrunnen  das  Wasser  gehoben  wird.  Um  das  zu  er- 
kennen, werden  verschiedene  Versuche  angestellt  Es  wird 
z.  B.  durch  Versuche  festgestellt: 

1.  die  Undurchdringlichkeit  der  Luft, 

2.  das  Gewicht  der  Luft, 

3.  der  Druck  der  Luft  vermöge  ihres  Gewichtes, 

4.  die  Spannkraft  der  Luft, 

6.  der  Druck  der  Luft  infolge  ihrer  Spannkraft, 

6.  die  Notwendigkeit  der  Ventile. 
Zuletzt  folgt  die   Erklärung   des   Pumpens.    So  ist  der 
ganze  Vorgang  durch  Versuche  in  Einzelvoigänge  zerlegt, 


—     36     — 

die  Dacbeinander  beobachtet  werden.  Man  läßt  jedesmal 
nur  eine  Ursacbe  wirken  und  erklärt  den  Einzelvorgang. 
Die  Verbindung  aller  Erklärungen  gibt  dann  die  Erklärung 
des  ganzen  Vorgangs. 

Ähnlich  ist  es  beim  psychologischen  Experiment  Der 
Experimenteur  sucht  in  der  Psyche  der  Versuchsperson 
oder  in  den  Psychen  der  Versuchspersonen  mit  Absicht 
Erscheinungen  herbeizuführen.  Er  sucht  komplizierte  zu 
zerlegen,  manche  Ursachen  auszuschalten.  Mit  andern 
Worten:  Er  sucht  Einfluß  zu  gewinnen  auf  Entstehung 
und  Verlauf  einer  psychischen  Erscheinung.  »Unter  einem 
Experiment  versteht  man  eine  Beobachtung,  die  sich  mit 
der  willkürlichen  Einwirkung  des  Beobachters  auf  die 
Entstehung  und  den  Verlauf  der  zu  beobachtenden  Er- 
scheinung verbindet  €  ^)  Machen  wir  uns  das  an  einem 
Beispiele  klar! 

Angenommen,  es  soll  durch  Versuch  festgestellt  wer- 
den, wieviel  Zahlvorstellungen  eine  Versuchsperson,  sagen 
wir  ein  Eind  von  6  Jahren,  besitzt  1.  Es  werden  dem 
Ejnde  nacheinander  eine  Anzahl  Kugeln  der  russischen 
Rechenmaschine  außer  der  Zahlreihe  gezeigt  Das  Eind 
wird  aufgefordert,  die  Zahlen  zu  sprechen.  2.  Dem  Kinde 
werden  dann  die  Zahlen  an  den  Fingern  gezeigt  Das- 
selbe wiederholt  sich  mit  andern  Dingen.  3.  Das  Kind 
muß  die  Augen  schließen,  und  es  werden  ihm  Gegenstände 
zum  Betasten  dargeboten.  4.  Der  Versucbsleiter  klopft 
mehrere  Male  und  läßt  angeben,  wie  oft  er  geklopft  habe. 
6.  Man  kann  auch  die  Sprache  ausschalten,  indem  man 
die  Zahlen  durch  Tupfen  zeichnen  läßt  In  jedem  einzelnen 
Falle  müssen  die  Fehler  und  die  richtigen  Ergebnisse 
notiert  und  später  miteinander  verglichen  werden. 

Doch  die  Resultate  eines  solchen  Experimentes 
besitzen  nicht  unbedingte  Richtigkeit  In  den  Versuch 
mischen  sich  Vorgänge  ein,  die  für  den  Versuchsleiter 
unkontrollierbar  sind,  und  die  er  daher  nicht  ausschalten 


0  Dr.  Fdaeh  a.  a.  0.  8. 23. 


—     37     — 

kann.  Es  ist  z.  B.  der  Fall  denkbar,  daß  ein  Kind  die 
sprachlichen  Bezeichnungen  der  Zahlen  nicht  kennt.  Es 
besitzt  die  Zahl  Vorstellungen,  kann  sie  aber  nicht  zum 
Ausdruck  bringen.  Es  kennt  die  Zahlwörter  nicht.  Daß 
es  Zahlvorstellungen  ohne  Zahlwörter  gibt,  beweisen  manche 
Tiere,  die  den  Verlust  eines  ihrer  Jungen  bemerken.  Sie 
haben  also  Vorstellungen  von  der  Zahl  ihrer  Jungen. 
Einem  andern  Kinde  fehlt  vielleicht  die  zeichnerische 
Fertigkeit,  das  Gesehene,  Gehörte  oder  Getastete  zu  Papier 
zu  bringen.  Oder  die  geforderten  Fertigkeiten  fehlen  viel- 
leicht in  dem  gewünschten  Augenblick.  Man  denke  z.  B. 
an  die  Stotterer.  Weiterhin  ist  es  möglich,  daß  ein  Eind 
infolge  geistiger  Ermüdung  nicht  fähig  ist,  genau  zu  be- 
obachten. Es  ist  auch  der  Umstand  zu  denken,  daß  manche 
die  Zahlwörter  sprechen,  die  Punkte  zeichnen,  ohne  die 
Zahlvorstellungen  zu  haben.  Das  zeigen  manche  Versuche 
Lays,  Lay  zeigte  4~  6jährigen  Kindern  eines  Kinder- 
gartens seine  quadratischen  Zahlbilder  und  ließ  sie  nach- 
zeichnen. Er  führte  beispielsweise  die  8  JJ  JJ  vor  und 
bedeckte  sie  mit  der  Hand.  Nach  wenigen  mißlungenen 
Versuchen  konnten  manche  Kinder  das  Zahlbild  zeichnen. 
Ebenso  verfuhr  er  mit  andern  seiner  Zahlbilder.  Dasselbe 
Besultat  zeigte  sich.  Die  Kinder  konnten  weder  zählen, 
noch  wußten  sie  die  Zahlwörter.  Lay  behauptet  nun, 
wenn  ein  Kind  das  Zahlbild  richtig  zeichne,  so  besitze 
es  die  betreffende  Zahl  Vorstellung;  denn  das  Kind  habe 
»in  der  Gesamtheit  die  Einzeldinge  vorgestellt«  und  die 
»Einzeldinge  in  der  Vorstellung  zur  Gesamtheit«  zusammen- 
gestellt ^)  Nun  beweist  z.  B.  der  obige  Versuch  nicht,  daß 
das  Kind  die  Zahlvorstellung  »acht«  hat.  Es  besitzt  vielleicht 
nur  die  Zahlvorstellung  »vier«  und  hat  das  Bild  als  zwei 
Vieren  aufgefaßt.  Soll  es  zur  Vorstellung  »acht«  kommen, 
so  muß  es  schon  wissen,  daß  4  +  4  =  8  ergibt  Ja,  es 
braucht  nicht  einmal  die  Zahlvorstellung  »vier«  zu  haben. 


^)  Lay^  Führer  daroh  den  ersten  Beohennnterrioht   Karlsruhe 
1898.    8.49. 


—     38     — 

Zur  AufGassang  ist  nur  die  Yorstellung  »zwei«  nötig;  denn 
es  kann  jede  Yier  mechanisch  nach  ihrer  räamlidien 
Gestalt  merken.  So  sieht  man,  daß  bei  psychologischen 
Yersachen  sich  leicht  Fehler  einschleichen.  Die  dann 
erzielten  Resultate  sind  natürlich  auch  falsch,  sind  er- 
schlichen. 

Weil  die  Gefahr  der  Erschleich ung  so  groß  ist,  darf 
nur  der  psychologisch  Gebildete  und  deijenige,  der 
Psychologie  anzuwenden  versteht,  experimentieren.  »Wie 
keinem  Menschen  naturwissenschaftliche  und  technische 
Beobachtungen  und  Versuche  oder  naturwissenschaftliche 
Erfahrungen,  ohne  eingehendes  naturwissenschaftliches 
Wissen  und  Können  möglich  sind,  ebenso  wenig  kann 
irgend  eine  Person  psychologische,  didaktische  und  metho- 
dische Beobachtungen,  Versuche,  kurz  Erfahrungen  machen, 
wenn  er  nicht  über  psychologisches  Wissen  und  Können 
verfügt  Ohne  psychologisches  Wissen  und  Können  bleibt 
jeder  Schulmann  ein  Quacksalber,  ein  Handwerker.«^) 

Wir  besprechen  nun  die  Eckhardtschen  Versuche! 
Er  hat  drei  Versuchsreihen  aufgestellt  Wir  wollen  sie 
als  Hauptversuche  bezeichnen.  Nebenher  laufen  Versuche, 
die  zur  Feststellung  der  Vorstellungstypen  und  zur  Prüfung 
des  Zahlengedächtnisses  dienen.  Wir  bezeichnen  sie  als 
Nebenversuche. 

Über  die  Neben  versuche  schreibt  Eckhardt  folgendes: 
»Die  Feststellung  der  Vorstellungstypen  erforderte  die  An- 
wendung von  Untersuchungsmethoden,  die  dem  geistigen 
Standpunkte  der  Kinder  gerecht  werden:  Reproduktion 
visueller  und  akustischer  Wahrnehmungsinhalte  mit  und 
ohne  Unterbrechung  der  Sprechiunervationen,  Ablenkung 
während  der  Auffassung  durch  visuelle,  akustische  und 
motorische  Eindrücke,  (!)  ^)  Ablenkung  zwischen  Wahr- 
nehmung und  Reproduktion  durch  visuelle,  akustische 
und  motorische  Eindrücke,  (!)   Rückwärtsbuchstabieren  (!) 


^)  Lay,  Führer,  a.  a.  0.  a  43. 

^  Die  Aiuunilangszeiohen  stammen  von  mir.   B. 


—     39     — 

und  dergleichen  mehr.«  ^)  Über  die  Prüfung  des  Oedachfc- 
nisses:  »Recht  instruktiv  ist  folgender  Versuch:  Die  Schüler 
merken  sich  durch  Lesen  oder  Hören,  motorische  Hilfen 
gestattet,  einige  Zahlen.  Zwischen  Einprägung  der  Zahlen 
und  Reproduktion  schaltet  man  einen  motorisch-akustischen 
Eindruck  ein,  etwa  Chorsprechen  einer  Oedichtsstrophe  (!)) 
einer  Einmaleinsreihe  (!)  usw.«  2) 

Es  ist  nicht  zu  erkennen,  inwiefern  die  Unterrichts- 
methoden dem  geistigen  Standpunkte  der  Kinder  gerecht 
werden.  Wir  halten  es  für  durchaus  unpsychologisch 
und  unmoralisch,  die  Schüler  während  der  Auffassung 
abzulenken.  Und  gar  Rückwärtsbuchstabieren  zu  ver- 
langen! Das  ist  ungefähr  dasselbe,  als  unverstandene 
Vokabeln  der  Hottentotensprache  auswendig  lernen  zu 
lassen.  Die  Feststellung  der  Vorstellungstypen  durch  Ex- 
periment hat  für  den  Lehrer  wenig  Wert.  Die  psycho- 
logische Wissenschaft  hat  diese  Typen  schon  gekannt,  als 
man  noch  nicht  an  Experimente  dachte.  Sie  sind  nicht 
eine  Errungenschaft  des  Experiments.  Wie  die  psycho- 
logische Wissenschaft,  so  lernt  auch  der  Lehrer  seine 
Schülerindividualitäten  ohne  Experiment  kennen,  freilich 
nicht  in  der  kurzen  Zeit  eines  oder  einiger  VersucbOi 
sondern  nach  längerem  Verkehr  durch  Beobachtung,  aber 
dafür  um  so  gründlicher.  Lernt  man  einen  Menschen 
doch  erst  dann  recht  genau  kennen,  wenn  man  einen 
Scheffel  Salz  mit  ihm  gegessen  hat  Sollen  aber  einmal 
zu  diesem  Zwecke  Versuche  angestellt  werden,  so  müssen 
es  wenigstens  solche  sein,  die  in  den  Rahmen  des  Unter- 
richts hineinpassen,  z.  B.  Rechtschreibeübungen  mit  sinn- 
vollem Wortmaterial.  Das  Experiment  ist  »eine  künst- 
liche Form  des  Beobachtens,  seine  Aufgabe  aber  ist  nicht 
willkürliche  und  künstliche,  sondern  die  tatsächlichen 
Verhältnisse  zu  erkunden;  tritt  es  aus  diesem  Rahmen 
heraus,    dann   verfehlt  es   seine  eigentliche  Aufgaba«  ^) 

^)  Edüiardt  a.  a.  0.  S.  3. 

»)  Eckhardt  a.  a.  0.  S.  13. 

^  £rlänteraDgeo  zum  Jahrbuch  d.  V.  f.  w.  P.  XXXTI.  S.  35. 


—    40    — 

Willkürlich  ist  es  aber,  wenn  man  Zahlen  merken  läßt, 
die  nicht  in  einer  Aufgabe  verwendet  werden,  sondern 
bei  denen  das  Merken  Selbstzweck  ist.  Künstliche  Ver- 
hältnisse schafft  man,  wenn  man  zwischen  Einprägung 
und  Reproduktion  einer  Gedichtsstrophe,  eine  Einmaleins- 
reihe aufisagen  läßt.  Der  Lehrer,  der  im  Unterrichte  ex- 
perimentieren will,  muß  sich  immer  vor  Augen  halten, 
daß  die  Pädagogik  nicht  bloß  von  Psychologie,  sondern 
auch  von  der  Ethik  abhängig  ist  Diese  bietet  uns  die 
Ideale,  denen  wir  im  Unterrichte  nachstreben  sollen.  Solche 
Experimente  vornehmen  heißt  aber  die  ethischen  Ideale 
aus  dem  Auge  verlieren.  Experimente,  die  dem  Unter- 
richtszwecke widersprechen,  haben  in  der  Schule  nichts 
zu  suchen. 

Was  folgert  nun  Eckhardt  aus  diesen  Experimenten? 
Die  Nichtvisuelleu  seien  in  ihrem  Zahlengedächtnis  be- 
nachteiligt Der  Akustiker  lasse  sich  leicht  durch  die 
Trage  des  Lehrers  durch  das  flüsternde  Rechnen  des 
Nachbars  aus  dem  Konzept  bringen.  Der  Visuelle  habe 
ein  besseres  Zahlengedächtnis.^) 

Dazwischenreden  und  Flüstern  können  Störungen  für 
jedes  Kind  bedeuten,  auch  für  das  visuelle.  Ob  sich  ein 
Kind  aus  dem  Konzept  bringen  läßt?  Da  kommen  Zu- 
stände in  Betracht,  die  beim  Experiment  gar  nicht  mit- 
geprüft sind,  auch  nicht  mitgeprüft  werden  können,  z.  B. 
der  Wille  des  Kindes,  das  Interesse.  So  kommt  es,  daß 
man  durch  Experiment  auch  gerade  das  Gegenteil  finden 
kann.  Marx  Lobsien  berichtet  in  demselben  Hefte  der 
Experimentellen  Pädagogik  über  Versuche  Schuytens, 
vorgenommen  mit  Schulkindern  im  städtischen  pädagogi- 
schen Laboratorium  zu  Antwerpen.  Unter  anderen  teilt 
er  folgenden  mit:  >Er  (Schuyten)  stellte  im  Juni  1905 
in  zwei  Oberklassen  (Mädchen-  und  Knaben-)  einen  Ver- 
such an,  dessen  Aufgabe  war,  zu  erkunden,  auf  welchem 
Wege,  ob  auf  dem  auditiven  oder  visuellen  (der  dann 


^)  Eokhardi  a.  a.  0.  &  13, 


—     41     — 

noch  durch  den  ersten  verstärkt  wird)  eine  Zahl-  (Ziffern-) 
reihe  am  leichtesten  und  sichersten  ins  Gedächtnis  auf- 
genommen werde.     Er  wählte  die  Zahlenreihe: 

59     37     65     83     72     94     26     48 
69     23     58     76     42     87     35     94 

Die  erste  Reihe  ward  ausschließlich  auditiv  dargeboten, 
jede  Zahl  ward  vom  Yersuchsleiter  vor-  und  von  den 
y.  F.  nachgesprochen;  alle  8  wurden  auf  ein  gegebenes 
Zeichen  niedergeschrieben.  Das  geschah  nacheinander 
3  mal,  wobei  durch  Umfalten  des  Papiers  ein  Nachschreiben 
unmöglich  gemacht  wurde.  Der  ganze  Versuch  dauerte 
etwa  5".  Bei  der  zweiten  Reihe  wurde  der  Zahlrahmen 
benutzt  Jede  Zahl  wurde  gezeigt,  auf  ein  Zeichen  aus- 
gesprochen, und  dann  wurden  alle  8  niedergeschrieben, 
Zeit  etwa  6^^...  Ergebnis:  Die  Resultate  der  zweiten 
Versuchsreihe,  die  man  als  die  günstigeren  doch 
erwartete,  blieben  nicht  unerheblich  hinter  den 
andern  zurück.  Eine  Wiederholung  des  Versuchs  nach 
einigen  Wochen  bestätigte  das  Ergebnis  durchaus.«  ^) 
Wir  kommen  zur  Besprechung  der  Hauptversuche. 

1.  Die  erste  Versuchsreihe  besteht  darin,  daß  den 
Kindern  des  2.  Schuljahres  eine  Zahl  genannt  wird  und 
sie  angeben  müssen,  ob  sie  eine  Gesichtsvorstellung  haben 
und  welcher  Art  diese  sei.  (Zahlbild,  Ziffer,  Zifferreihe, 
Sachvorstellungen.) 

2.  Versuch :  Welche  visuellen  Erinnerungsbilder  werden 
bei  der  Lösung  der  Aufgabe  24  +  16  reproduziert? 

3.  Versuch:  Stellt  euch  die  Reihe  3.6.9  bis  30  vor! 
Welcher  Art  sind  die  Gesichtsvorstellungen?*) 

Über  die  Versuche  wird  eine  Reihe  von  Tabellen  auf- 
genommen, die  uns  hier  nicht  weiter  interessiert  — 

Man  muß  sich  fragen,  ob  es  sich  hier  noch  um  streng 
wissenschaftliche  Versuche  handelt.  Gewiß  sucht  der 
Lehrer  hier  Erscheinungen   mit  Absicht  herbeizuführen: 


')  Zeitschrift  für  Exp.  Pädagogik.  Y.  Band.  Heft  1/2.  a  65  f . 
*)  Eckhardt  a.  a.  0.  8.  14  und  15. 


—     42     — 

Die  Kinder  sollen  ihr  Augenmerk  auf  die  psychischen 
Erscheinungen  lenken  und  sie  festhalten.  Hat  er  auch 
auf  den  Verlauf  des  Vorganges  einen  Einfluß?  Diese  Frage 
muß  verneint  werden.  Mit  dem  Nennen  der  Zahl  oder 
Aufgabe  ist  sein  Anteil  am  Zustandekommen  der  psychi- 
schen Phänomene  erschöpft.  Auch  von  einer  Zergliederung 
komplizierter  seelischer  Gebilde  kann  nicht  die  Rede  sein. 
Die  Eckhardtschen  Versuche  sind  keine  psycho- 
logischen Experimente.  Es  handelt  sich  also  nur  um 
Ergebnisse  auf  Grund  der  Selbstbeobachtung  der  Kinder. 

Diese  Ergebnisse  besitzen  keine  Glaubwürdig- 
keit Das  geht  schon  aus  unsem  Ausführungen  über 
die  Selbstbeobachtung  hervor. 

Eckhardt  scheint  allerdings  ein  Mittel  gefunden  zu 
haben,  die  Richtigkeit  seiner  Resultate  zu  erhärten.  Er 
hat  vorher  die  Anschauungstypen  festgestellt.  Nun  be- 
hauptet er:  »Die  Ergebnisse  der  Untersuchungsmethoden 
stimmten  mit  den  Schüleraussagen  überein,  so  daß  deren 
Glaubwürdigkeit  dadurch  an  Bedeutung  gewinnt.«  ^)  Also, 
wenn  der  Visuelle  von  visuellen  Vorstellungen  berichte, 
so  müsse  er  doch  solche  Vorstellungen  haben.  (!)  Denn 
fehlerhafte  Aussagen,  durch  »suggestive  Einwirkungen 
u.  dgL«  bedingt,  hätten  ja  auffallen  müssen,  weil  sich 
die  Versuche  im  Laufe  der  Zeit  wiederholten.  —  Ist  denn 
nicht  gerade  durch  die  Wiederholung  eine  Vermehrung 
der  fehlerhaften  Aussagen  möglich? 

Dazu  kommt,  daß  Einbildung  und  Selbsttäuschung  bei 
diesen  Beobachtungen  eine  große  Rolle  spielen.  Handelt 
es  sich  doch  um  Kinder,  die  gar  zu  leicht  dem  Spiele 
ihrer  Phantasie  folgen.  Das  zeigen  auch  einige  Kinder- 
aussagen, die  Eckhardt  mitteilt.  Einige  Beispiele!  »Ich 
sehe  eine  ganz  lange  Reihe  von  1  bis  100;  da  ist  die 
36  herausgesprungen,  und  dann  ist  sie  gleich  wieder  weg 
gewesen.«  Ein  anderer  Schüler  gibt  an:  »Ich  sehe  eine 
ganze  Reihe.   Da  (zeigt  mit  dem  Finger  in  die  Luft)  habe 


^)  Eckhardt  a.  a.  0.  8.  a  3. 


—    43     — 

ich  die  30  gesehen  und  da  (weiter  rechts)  die  36.  Die 
habe  ich  besser  gesehen  als  die  anderen.«^)  Oder  Akustiker 
geben  an:  »Ich  fühle,  wie  es  in  mir  spricht;  ich  möchte 
alles  mitsprechen.«  ^) 

Man  sieht,  die  Angaben  sind  pure  Phantasiegebilde, 
die  keinen  Wert  für  die  Pädagogik  haben.  »Überhaupt 
ist  es  vom  Übel,  auf  unkontrollierbare  Versicherungen, 
wie  auf  Tatsachen  Schlüsse  zu  bauen.  Die  Wissenschaft 
braucht  feststehende  Ausgangspunkte.  Wenn  ein  Lehrer 
in  der  Schule  in  Bezug  auf  eine  der  innem  Erfahrung 
angehörige  Sache  bei  den  Knaben  Anfrage  stellte,  so  ist 
er  nicht  sicher,  daß  er  immer  die  Wahrheit  vernimmt 
Ein  Spottvogel  kann  ihn  zum  Besten  halten  und  außer- 
dem besteht  die  Gefahr,  daß  der  Unterricht  zu  einer 
Unterhaltung  werde.«  ^) 

Diese  Versuche  können  auch  zu  geistigen 
Schädigungen  für  die  Kinder  führen.  Nach  Ech- 
hardt  sind  die  Versuche  recht  einfach.  Ja,  es  macht  den 
Kindern  recht  viel  Freude,  sich  selbst  in  dieser  Weise  zu 
beobachten.  Doch  schon  beim  2.  Versuch  (Lösung  der 
Aufgabe  24 -f- 15)  wird  diese  Angabe  eingeschränkt:  »Die 
Selbstbeobachtung  ist  hier  etwas  schwieriger.  Die  Kinder 
sind  geneigt,  die  visuellen  Bilder  nach  erfolgter  Lösung 
zu  beschreiben.  Diese  entsprechen  meistens  der  Form 
24  -(-  16  =3  39.  Es  handelt  sich  jedoch  um  die  Beobachtung 
dessen,  was  man  innerlich  sieht,  während  man  denkt: 
24  +  10  =  34+5  =  39,  also  ist  24  +  15  =  39.«*) 

Hier  ist  die  Selbstbeobachtung  wohl  nicht  nur  »etwas 
schwieriger«,  sondern  recht  kompliziert.  Schon  das  Aus- 
rechnen der  Aufgabe  erfordert  die  ganze  Aufmerksamkeit 
Jeder  Rechenlehrer  weiß,  daß  die  Kinder  am  Schluß  der 
Stunde  geistig  matt  sind.  Wollten  sie  wirklich  jene  ge- 
forderte   Selbstbeobachtung    vornehmen ,    so    würde    die 

*)  Eckliardt  a.  a.  0.  S.  7. 

^  Eckhardt  a.  a.  0.  S.  3. 

•)  Jahrbuch  des  Vereins  f.  w.  Päd.   XXX  Vm.   S.  286. 

*)  Eckhardt  a.  a.  0.  S.  14. 


—    44     — 

Bechenatunde  für  sie  eine  »wahre  Selbstpeinigangc  und 
selbst  bei  den  einfachsten  Selbstbeobachtungen  (Merken 
der  Zahl)  sind  Schädigungen  nicht  ausgeschlossen.  Eck- 
hardts  Kinder  bringen  alle  möglichen  Dinge,  die  ihnen 
ihre  Phantasietätigkeit  vorgaukelt,  mit  den  Zahlen  in  Ver- 
bindung. Die  Phantasten  leisten  geradezu  Erstaunliches  in 
der  Umrahmung  des  nüchternen  Zifferbildes:  »Da  kommen 
Gestalten  aus  der  Phantasiewelt,  Könige  und  Prinzen,  die 

auf  ihren  Schildern  die  Zahl  stehen  haben «    »Der  eine 

sieht  die  Ziffern  auf  der  Bank,  der  andere  an  der  Schul- 
tafel, der  dritte  sah  sie  durch  den  Lehrer,  der  4.  durch 
einen  Schüler  anschreiben.«  ^)  Man  sieht:  die  Kinder 
werden  veranlaßt,  zum  Teil  nicht  wirkliche  Dinge  zu  ver- 
knüpfen. Die  Schilder  der  Bitter  waren  doch  nicht  mit 
Ziffern  beschrieben.  Durch  häufige  Beproduktion  —  die 
Versuche  wiederholen  sich  von  Zeit  zu  Zeit  —  erhalten 
jene  Verknüpfungen  Festigkeit.  Welche  Vorstellungen  er- 
halten da  die  Kinder  von  mittelalterlichen  Rüstungen! 
und  wenn  ein  Kind  sich  die  Schulbank  mit  Ziffern  be- 
schrieben vorstellt,  braucht  man  sich  da  zu  wundern,  wenn 
Narrenhände  Tisch  und  Wände  beschmieren.  Daß  solche 
Phantastereien  das  Kind  geistig  schädigen,  weiß  auch 
Eckhardt;  daher  fordert  er  auch,  den  »schon  zu  lebhaften 
Phantasten  nicht  noch  weiter  in  seiner  Neigung  zu  unter- 
stützen«. Mußte  ihm  nicht  der  Oedanke  kommen,  daß 
durch  seine  Versuche  die  Phantasterei  geradezu  gepflegt 
wird? 

Wenn  man  Arbeiten,  wie  die  Eckhardt  ^ch^  liest,  fragt 
man  sich:  »Wie  ist  eine  solche  Überschätzung  des 
Experimentes,  das  doch  nur  eine  von  den  psychischen 
MeÜioden  ist,  möglich?  Wie  kommt  es,  daß  man  solche 
SEweifelhaften  Ergebnisse  für  glaubwürdig  hält?  Die  Ant- 
wort ist  nicht  schwer  zu  finden:  Es  scheint  eine  Miß- 
achtung der  spekulativen  Psycholgie  in  weiten 
Kreisen  um  sich  zu  greifen.    Eckhardt  selbst  gibt  uns 


0  Eckhardt  a.  a.  0.  a  3. 


—     45     - 

Belege  dafür:  »Die  gesamte  ältere  Psychologie,  die  Her- 
bartsche  nicht  aasgeschlosscD,  schildert  als  ihr  Objekt  eine 
nur  begrifflich  existierende,  schematische  Normalpsyche,  c 
»Bei  dem  Bestreben,  möglichst  zu  einem  System  zu  ge- 
langen, wird  man  das  Studium  der  Besonderheiten  des 
individuellen  Seelenlebens  vernachlässigen  und  durch  aller- 
hand Hypothesen  und  Spekulationen  ins  Innere  zu  dringen 
suchen.«  ^) 

Soviel  Behauptungen,  soviel  Unrichtigkeiten!  Das 
Studium  des  individuellen  Seelenlebens  ist  die  Voraus- 
setzung auch  der  spekulativen  Psychologie.  Speziell  die 
Herbartsche  ist  mit  gegründet  auf  Erfahrung.  Nur  bleibt 
sie  bei  der  Erfahrung  nicht  stehen,  sondern  sie  sucht  zu 
erklären,  die  Widersprüche  der  Erfahrung  zu  überbrücken. 
Dazu  muß  sie  die  Erfahrung  überschreiten.  Dadurch  ge- 
winnt sie  erst  wissenschaftlichen  Charakter.  Und  wenn 
sie  ein  System  aufstellt,  so  ist  damit  noch  lange  nicht 
gesagt,  daß  das  Studium  des  individuellen  Seelenlebens 
vernachlässigt  werden  müsse.  Von  Herbart  ist  es  bekannt, 
welch  feiner  und  scharfer  Beobachter  er  war.  Wer  aber 
behauptet,  die  Herbartsche  Schule  versäume  das  Studium 
der  Individualität,  den  kann  man  nur  ersuchen,  die  Her- 
bartische Literatur  zu  studieren,  so  wird  er  eines  Besseren 
belehrt  werden.  Dieses  Studium  war  ihr  nicht  möglich, 
trotz  der  sogenannten  schematischen  Normalpsyche,  son- 
dern auf  Grund  derselben.  Wer  keinen  Begriff  der 
Psychologie  besitzt,  kann  auch  keine  Psychologie  an- 
wenden, kann  niemals  systematisch  beobachten. 

Eckhardt  meint,  den  Didaktiker  interessiere  nicht  die 
Frage  nach  dem  Wesen  der  Aufmerksamkeit,  sondern  nach 
den  individuellen  Äußerungen  der  Aufmerksamkeit;  nicht 
Erörterungen  über  das  Wesen  des  Gedächtnisses  seien 
von  didaktischem  Interesse,  sondern  die  Frage  nach  den 
individuellen  Formen  des  Lernens,  Erinnems  und  Ver- 
gessens  seien  für  die  Unterrichtslehre  von  Bedeutung.«  >) 


0  Eckhardt  a.  a.  0.  8.  1.  -  ")  Ebenda. 


—     46     — 

Hier  finden  wir  den  Schlüssel  zu  all  jenen  falschen 
Ansichten,  die  uns  in  der  Arbeit  entgegengetreten  sind. 
Wer  das  Wesen  der  psychischen  Phänomene  nicht  kennt, 
hat  jeden  Maßstab  für  die  Beurteilung  psychischer  Er- 
scheinungen verloren  und  erniedrigt  das  Experimentieren 
zum  Probieren.  Wer  das  Wesen  des  Gedächtnisses  nicht 
kennt,  sucht  nach  allen  möglichen  Krücken  und  Stützen 
für  die  Reproduktion  und  läßt  jene  Hilfen,  die  sich  aus 
dem  Wesen  von  selbst  ergeben,  unbenutzt  am  Wege  liegen. 

Die  Eckhardtsche  Arbeit  beweist  wie  ähnliche,  daß 
die  experimentelle  Pädagogik  bis  heute  nichts  dazu  bei- 
getragen hat,  den  Wirrwarr  der  Meinungen  auf  didakti- 
schem Gebiete  zu  beseitigen,  sondern  ihn  nur  vermehrt 
Andrerseits  steht  uns  die  Überzeugung  noch  unerschüttert 
fest,  daß  die  Herbartsche  Pädagogik  noch  immer  geeignet 
ist,  Fragen  des  Unterrichts  und  der  Erziehung  zu  lösen. 
Wir  glauben,  daß  es  auch  in  der  Zukunft  noch  so  sein 
wird.  Diese  Hoffnung  teilen  selbst  Männer,  die  nicht 
Anhänger  der  Herbartischen  Philosophie  sind.  Hat  doch 
selbst  Eucken  behauptet,  die  Herbartsche  Schule  habe 
noch  eine  große  historische  Mission  zu  erfüllen,  keines- 
wegs habe  sie  abgewirtschaftet;  wie  manche  ihrer  fana- 
tischen Gegner  glauben.  ^) 


^)  M,  SchmidUf  EuckeDS  Philosophie  nod  die  ionere  Scholreform. 
Deutscher  Sohalmaon  1907,  Heft  6. 


-<H<g®@X» 


Dniok  f«i  HmBanii  Bej«  k  WOha»  (Btjm  k  Kann)  in  LangeoMüxa. 


Die 


kindlichen  Spiele 


in  ihrer 


pädagogischen  Bedeutung 


bei 


Locke,  Jean  Paul  und  Herbart 


von 


Dr.  phil.  Weller. 

Schnldirektor. 


Fädagogisohes  Magazin,  Heft  820. 


Langensalza 

Hormann  Beyer  &  Söhne 
(Beyer  &  Mann) 

Horzogl.  Sachs.  Hofbachhändlor 
1908 


Inhalt. 


Seite 

Kapitell.  Vorwort:  Zweck  und  Absicht  der  Yorliegen- 
den  Abhandlung.  —  Rechtfertigung  des  eingeschlagenen 

Verfahrens    .     .    - 1 — 4 

Kapitel  II.     Einleitung: 4—27 

1.  Die  hohe  Bedeutung  der  Spiele  im  Leben  der  Kinder  4 — 18 

2.  Geschichte  der  Spiele 18— 25 

3.  Besonderer  Wert  einer  Abhandlung  über  die  An- 
sichten Yon    den   Kinderspielen,   namentlich  fiber 

die  von  Locke,  Jean  Paul  und  Herbart   ....  25—27 
Kapitel  III:    Vorbedingungen  für  die  Ansichten  Lockes, 

Jean  Pauls  und  Herbarts  über  Kinderspiele     .     .     .  38 — 68 

1.  PhiloBophiscbe  und  psychologische  Voraussetzungen  28 — 37 

2.  Pädagogische  Voraussetzungen 37 — 55 

3.  Geschichtliche  Einflüsse 55—57 

4.  Die  empirische  Grundlage  und  der  Erfahrnn&rskreis  57 — 63 

5.  Vorbedingungen  in  den  persönlichen  Eigenschaften 
Lockes«  Jean  Pauls  und  Herbarts  ......  63—65 

6.  Vorbedingungen  in  der  Zeitlage  Lockes,  Jean  Pauls 

und  Herbarts 65—68 

Kapitel  IV:  Ansichten  Lockes,  Jean  Pauls  und  Herbarts 

über  die  Spiele  der  Kinder 68 — 153 

1.  Äußere  Form  und  Quellen  der  Ansichten    .    .    .  68 — 73 

2.  Ansichten  über  das  Wesen  der  kindlichen  Spiele  73—84 

3.  Ansichten  über  Arten  und  Einteilung  der  Spiele .  84 — 93 

4.  Ansichten  über  Nutzen  und  Bedeutung  der  kind- 
lichen Spiele 94—111 

5.  Ansichten  über  das  Verhalten  des  Erziehers  gegen- 
über den  Spielen 111—122 

6.  Ansichten  über  Wesen,  Art  und  Beschaffenheit  der 
Spielsachen 122—131 

7.  Ansichten  über  den  Spielbetrieb 131 — 136 

8.  Ansichten  über  Wahl  der  Gespielen 136—138 

0.  Ansichten  über  die  Art  der  Spielplätze   ....  138 — 140 

10.  Ansichten  über  (jefahren  und  Fehler  beim  Spiele  140 — 143 

11.  Ansichten  über  die  Dauer  der  Kinderspiele.    .    .  143 — 145 

12.  Ansichten  über  das  Verhältnis  ?on  Spiel  nnd  Unter- 
richt   145—153 


—    IT    - 

Xapitel  T:  Übereinstimmende  nnd  lich  aotericheidende 
Punkt«  in  den  AuBicbten  Lockei,  Jeu  Ptub  and 
Herbert«  Sbei  Kinderspiele:  eine  Tergleichende  Za- 
eunmeostollane 

Kapitel  VI:  Stellang  der  Spiela  in  den  Eniehungs- 
ayetemeD  Locke«,  Jeui  P&nl«  nnd  Herbarts     .    .    . 

Kapitel  VII:  EinklMg  der  Anncbten  Locke«,  Jean 
Paals  und  Berbart«  Qber  Kindenpiele  mit  den  pida- 
go^ischea    Theorien   nod    philoeophisoben  Sjatemen 


Kapitel  VIII:  Stellaug  der  Anaichten  Locke»,  Jean  Paule 
und  Herbarti  Ober  Kinderspiele  in  der  Geschichte  der 
Spiele,  ihre  Wirkungen,  ihr  EinfluB  und  ihr  Terdienet    167— 

Kapitel  IX:  Bearteibng  der  Aoaichten  Lockse,  Jean 
PidIb  nnd  Herbarte  Ober  Kindenpiele:  kritiiche 
StelloDgDahne 173— 

Kapitel  X:  Gegenwärtiger  Standpunkt  des  Bpielbenriebea 
in  DentsebUod  mit  SOckaicht  auf  die  Fordernogen 
Lockee,  Jean  Paula  und  Herbarts 183— 

Kapitel  XI:    ScblaBwort:    Aorgabea  der  Gegenwart    194- 


ibkOrznugen: 

Ednc.  =  Locke:  Som  ThooghU  coccerniog  Education   1693. 
UoiriB  pAd.  Vorl.  ='  Herbart:  Umriß  pSdsgogiacher  Vorlesangen. 
Ler.  =  Jean  Faul :  Levana. 
Allgem.  Päd.  —  Herbart:  Allgemeine  PSdagogik. 


rep.  =  Plato,  rep.  VII. 

Campe  =  Allgemeine  Bevision  v 


Kapitel  I:    Vorbemerkuug. 

Ein  Blick  in  die  vorhandene  pädagogische  Literatai 
lehrt  wohl,  daß  allenthalben  den  Ansichten  Jean  Pauls 
und  zum  Teil  auch  Herbarts  und  Lockes  über  die  Spiele 
der  Kinder  eine  gewisse  Wertschätzung  entgegengebracht 
wird,  begegnet  aber  nirgends  einer  zusammenfassenden, 
oder  wohl  gar  erschöpfenden  Abhandlung  über  die  An- 
schauungen der  betreffenden  Pädagogen.  An  die  Stelle 
einer  solchen  treten  vielmehr  nur  einzelne  Hinweise  oder 
Zitate,  weit  entfernt  davon,  ein  plastisches  Bild  derselben 
bieten,  oder  das  volle  kongeniale  Verständnis  für  dieselben 
erwecken  zu  können.  Die  nachfolgenden  Ausführungen 
wollen  daher  einen  Beitrag  liefern  zur  Ausfüllung  der 
vorhandenen  Lücke  durch  eine  monographische  und  wo- 
möglich erschöpfende  Darstellung  sämtlicher  Ansichten  der 
drei  genannten  Erzieher  über  diesen  Punkt.  Zu  dem 
Zwecke  ist  auf  alle  ihre  Äußerungen  über  Einderspiele, 
soweit  sie,  bald  mehr  in  zusammenhängender  Form, 
bald  mehr  ^aphoristisch  zerstreut,  in  ihren  sämtlichen 
Werken  zum  Ausdruck  gelangen,  Bücksicht  genommen 
worden,  so  daß  beispielsweise  bei  Jean  Paul  auch  seine 
Dichtungen,  bei  Locke  und  Herbart  ihre  psychologischen 
und  philosophischen  Werke  mit  herangezogen  wurden. 
Nur  so  dürfte  es  möglich  sein,  ein  nahezu  vollständiges 
Bild  von  den  Vorstellungen  und  Meinungen  der  drei 
Pädagogen  zu  erhalten.  Die  Vollständigkeit  dieses  Bildes 
fordert  aber  auch,  sich  nicht  nur  zu  begnügen  mit  einem 
einfachen  Darlegen  ihrer  Ansichten,  sie  verlangt,  den  Be- 
dingungen nachzuforschen,  aus  denen  heraus  sie  erwachsen 

PHd.  Mag.  320.    Weller.  1 


—    2    — 

sind  und  sich  erklären,  sowie  ihrem  geschichtlichen  Schicksale, 
ihrem  Einflüsse  und  ihrer  Einwirkung  bis  auf  die  Gegenwart 
nachzuspüren.  Gorade  eine  Parallele  zwischen  den  Forde- 
rungen dieser  Erzieher  und  den  Verhältnissen  der  Gegenwart, 
die  dringender  und  lauter  als  jo  das  Bedürfnis  nach  einer 
Reorganisation  und  Vermehrung  der  Einderspiele  emp- 
findet und  ihre  Stimme  zu  Gunsten  derselben  erhebt,  er- 
scheint nicht  nur  als  zeitgemäß,  sondern  erweist  sich  den 
Ansprüchen  der  letzteren  gegenüber  in  mehr  als  einer 
Hinsicht  nützlich  und  lehrreich,  indem  sie  manche  be- 
herzigenswerte Winke  zu  bieten  vermag,  und  das  mit  um 
so  mehr  Gewinn,  als  den  Spielen  der  Kinder  in  unserer 
Zeit  bei  den  sozialen  und  kulturellen  Zuständen,  wie  sie 
durch  das  moderne  Städteleben,  die  modernen  Schul-  und 
Wirtschaftsverhältnisse  bedingt  sind,  auch  eine  nicht  zu 
unterschätzende  soziale  Bedeutung  zukommt  Mit  Erfolg 
werden  freilich  die  Anschauungen  jener  drei  Pädagogen 
heute  nur  verwertet  werden  können  bei  einer  genauen 
kritischen  Stellungnahme  ihnen  gegenüber,  bei  einer  sorg- 
faltigen Sichtung  des  noch  heute  Brauchbaren  und  Nach- 
ahmenswerten von  dem  bereits  über  Bord  Geworfenen 
oder  nicht  mehr  Zeitgemäßen.  Pflicht  einer  gerechten 
Beurteilung  ist  es  dabei,  die  einzelnen  Ansichten  nicht 
nur  in  ihrer  isolierten  Stellung  zu  kennzeichnen,  sondern 
sie  im  Zusammenhang  zu  betrachten  mit  den  philosophi- 
schen und  pädagogischen  Systemen  und  Anschauungen 
der  betreffenden  Erzieher  überhaupt.  Um  jedoch  hierbei 
der  Gefahr  der  Weitschweifigkeit  zu  entgehen,  dürfen 
selbstverständlich  nicht  alle  Punkte,  nicht  einmal  alle 
wichtigen,  ihrer  Systeme  herangezogen  werden,  sondern 
nur  insoweit,  als  dieselben  mit  ihren  Anschauungen  über 
Einderspiele  tatsächlich  in  Beziehung  stehen.  —  An 
keinem  dieser  Punkte  aber  darf  eine  auf  Vollständigkeit 
Anspruch  erhebende  Arbeit  achtlos  vorübergehen,  viel- 
mehr muß  sie  sämtliche  unbedingt  in  ihren  Gedanken- 
gang aufnehmen.  Im  vorliegenden  Falle  sind  dabei  die 
einzelnen  Teile  so  ausgewählt  und  aneinandergereiht  wor- 


-     3     — 

den,  daß  sie  sachlich  wie  logisch  im  ZusammenhaDge 
stehen  und  sich  inhaltlich  gegenseitig  bedingen.  Gleich- 
zeitig sind  dabei  die  einzelnen  Ausführungen  als  eine 
vergleichsweise  Betrachtung  gedacht,  so  daß  die  einander 
entsprechenden  Ansichten  der  drei  Pädagogen  über  die 
gleichen  Punkte  immer  in  Parallele  zueinander  gesetzt 
sind.  Wenn  dadurch  auch  die  Zahl  der  Schwierigkeiten, 
welche  der  Abhandlung  erwachsen,  eine  größere  werden 
mußte,  als  sie  eine  Darstellung  ihrer  Ansichten  nach 
den  einzelnen  Personen  geordnet  mit  sich  gebracht  haben 
würde,  dürfte  das  eingeschlagene  Verfahren  im  Interesse 
der  Übersichtlichkeit,  einer  schnelleren  vergleichenden 
Orientierung  und  leichter  zu  ermöglichenden  gegenseitigen 
Abschätzung  doch  den  entschiedenen  Vorzug  vor  jener 
mehr  äußeren  Anordnung  verdienen.  Der  vielleicht  zu 
erhebende  Einwurf,  daß  auf  diese  Weise  dem  logischen 
Zusammenhange  der  Einzelabhandlung  des  betreffenden 
Pädagogen  Abbruch  geschähe,  fallt  von  selbst  hin  bei 
Berücksichtigung  des  Umstandes,  daß  sowohl  Herbart^ 
als  auch  Locke  ihre  Ansichten  doch  nur  zerstreut  ge- 
geben haben,  so  daß  tatsächlich  kein  logischer  Zusammen- 
hang zwischen  ihren  Äußerungen  besteht.  Ein  solcher 
tritt  bis  zu  einem  gewissen  Grade  nur  bei  Jean  Paul 
hervor.  Derselbe  konnte  indes  dadurch  gewahrt  werden, 
daß  seine  Ausführungen  immer  an  erster  Stelle,  schon 
ihrer  eingehenden  Ausführlichkeit  wegen,  berücksichtigt 
wurden,  während  die  Hcrharts  und  Loches  als  Ergänzung 
hinzutreten;  und  selbst  bei  den  einzelnen  Unterteilen 
empfahl  es  sich  hierbei,  die  sehr  äußerliche  Anordnung 
nach  Personen  zurücktreten  zu  lassen  zu  Gunsten  einer 
Gliederung  nach  sachlichen  Gesichtspunkten,  wie  sie  sich 
aus  dem  Wesen  und  der  Natur  der  Spiele  selber  ergeben, 
und  welche  tatsächlich  von  den  drei  Pädagogen  berührt 
werden,  die  ganze  Summe  ihrer  Anschauungen,  wenn 
auch  von  dem  einen  bald  mehr  oder  weniger  berück- 
sichtigt, umfassen.  Sachliche  Gesichtspunkte  sind  schließ- 
lich auch  bestimmend  gewesen,  die  einzelnen  Ansichten 


~     4     - 

nicht  nach  der  Zeit  ihrer  Entstehung:  Locke  —  Jean 
Paul  —  Herbart^  wie  es  wohl  zunächst  auf  der  Hand 
lag,  aufeinanderfolgen  zu  lassen,  sondern  sie  aneinander- 
zureihen nach  dem  Orade  ihrer  inneren  Verwandtschaft: 
Jean  Paul  —  Herbart  —  Locke,  So  dürfte  eine  gründ- 
lichere Sachlichkeit  den  Vorteil  der  Ermöglichung  einer 
leichteren  stilistischen  Gestaltung  reichlich  aufwiegen! 
Um  aber  dem  Leser  von  vorneherein  einen  festen  Maß- 
stab der  Beurteilung  an  die  Hand  zu  geben,  geht  die 
Einleitung  aus  von  einer  Skizzierung  der  kindlichen 
Spiele  und  ihrer  pädagogischen  Bedeutung  im  Lichte  mo- 
derner Anschauungsweise,  welche  verglichen  mit  der  Auf- 
fassung Jean  PauU^  Herbarts  und  Lockes  zum  Schlüsse 
wie  von  selbst  nicht  nur  die  voneinander  abweichenden 
Funkte  überhaupt  hervortreten  läßt,  sondern  besonders 
auch  jene  deutlich  markiert,  welche  noch  heute  der  Er- 
füllung harren  und  —  wie  es  im  Schlußkapitel  geschieht  — 
auffordern  zu  Vorschlägen  über  die  Art  und  Weise,  ihnen 
Geltung  zu  verschaffen  im  Interesse  einer  naturgemäßen 
und  liebevollen  Erziehungsmethode. 


Kapitel  II:  Einleitung.^) 

1.  Die  hohe  Bedeutung  der  Spiele  im  Leben  der  Kinder. 

»Wer  den  Entwicklungsgang  eines  Kindes  mit  liebe- 
voller Sorgfalt  und  Aufmerksamkeit  verfolgt  und  das  all- 
mähliche Hervortreten  der  Leibes-  und  Geisteskräfte  zu 
beobachten  versteht,  wird  über  die  große  Wichtigkeit  des 
Spieles  für  diese  Entwicklung  nicht  im  Zweifel  sein.  Im 
Spiel  schafft  sich  das  Kind  seine  eigene  Welt!  Bei  seiner 
lebhaften  Einbildungskraft  wandeln  sich  ihm  auch  ernste 
Beschäftigungen,   wenn   es    anders   mit   Herz   und   Seele 

^)  Mit  gütiger  Erlaubnis  des  Vorstandes  des  ZentralauHSchosses 
zur  Förderang  der  Jugend-  und  Volksspiele  in  Deutschland  zwecks 
späterer  Vergleichang  and  Beoiteilong  in  der  Hauptsache  naoh 
deeseo  Jahrbüohero  sosammeogeBieilt. 


—     6     — 

dabei,  leicht  in  ein  heiteres  Spiel.  Zwar  hat  der  Miß- 
brauch, den  bisweilen  das  Ungeschick  sich  mit  einer 
unrichtigen  Vermischung  von  Spiel  und  Unterricht  hat 
zu  schulden  kommen  lassen,  von  manchen  Seiten  einen 
entschiedenen  Widerspruch  gegen  eine  besondere  Berück- 
sichtigung des  Spieles  überhaupt  wachgerufen,  und  es  ist 
richtig,  daß  ein  sogenanntes  spielendes  Lernen  über  dem 
Scherz  leicht  des  nötigen  Ernstes  yergißt,  nimmermehr 
aber  vermag  eine  falsch  verstandene  pädagogische  Maß- 
nahme den  Wert  an  sich  zu  schmälern.  Das  Wort,  daß 
der  Mensch  nur  da  ganz  Mensch  ist,  wo  er  spielt,  gilt 
im  vollsten  Maße  vom  Kindesalter.  Die  Gelegenheit, 
welche  das  Spiel  bietet,  sich  voll  und  ganz  auszuleben, 
hat  das  Kind  am  nötigsten,  damit  in  ihm  die  vielseitige 
Anlage  von  Leib  und  Seele  zur  Entfaltung  kommen 
könne;  denn  die  Freude  beim  Spiel  bringt  die  ver- 
schiedensten Kräfte  in  rege  Tätigkeit  Wird  daher  dem 
Kinde  diese  Lebensbedingung  nicht  hinreichend  geboten, 
so  liegt  die  Oefahr  nahe,  daß  es  körperlich  und  geistig 
in  der  Entwicklung  zurückbleibt  und  zu  einer  Mißgestalt, 
zum  Krüppel  heranwächst  wie  die  junge  Pflanze,  der  es 
an  Licht  und  Luft  fehlt.«  Diese  für  die  Gegenwart  aus- 
gesprochenen Worte  Professor  KocJis^)  dürfen  wohl  in 
jedem  wahren  Yater-  und  Erzieherherzen  auf  lebhafteste 
Zustimmung  rechnen.  Nur  ist  hier  streng  zu  scheiden 
zwischen  wirklichem  Spiel  und  eitler  Spielerei.  Ist  es 
dieser  nur  darum  zu  tun,  die  Stunden  mühelos,  aber 
auch  nutzlos,  auszufüllen,  so  will  das  echte  Spiel  nicht 
minder  mit  Anspannung  aller  Kräfte  betrieben  werden 
als  die  Arbeit,  nur  daß  dabei  die  Freude  gewahrt  bleibt. 
Es  ist  ja  das  untrügliche  Kennzeichen  eines  guten  Spieles, 
daß  dabei  alle  freiwillig  ihr  Bestes  tun  und  keine  An- 
strengung scheuen.  Spiel  ist  eben  ernste  Tätigkeit,  ohne 
indes  mit  dem  Begriff  der  Arbeit  zusammenzufallen.   Will 


^)  Prof.  Dr.  Koch:  »Der  erziehl.  Wert  d.  Jogendspiele«,  Jahrb.  d. 
Zentralaassohusses  für  Jogeod-  u.  Volksspiele  v.  Jahre  1802,  8t.  5  if. 


~     6     — 

die  letztere  ein  aus  ihr  hervorgehendes  Ergebnis,  ein 
Arbeitsprodukt,  einen  Ertrag  der  Arbeit  erzielen;  wird 
sie  beeinflußt  durch  das  Bestreben,  ihre  Produkte,  soweit 
es  nur  irgendwie  angänglich  ist,  schnell  und  gut,  jedoch 
mit  möglichst  geringem  Verbrauch  an  Arbeitskraft  hervor- 
zubringen: so  geschieht  das  Spiel  lediglich  um  seiner 
selbst  willen  und  hat  keinen  andern  Zweck  als  den  der 
Spieltätigkeit  selber.  An  sich  allein  schon  gewährt  es 
Befriedigung  und  Freude;  denn  es  entwächst  dem  Boden 
der  Freiheit,  die  bereits  das  kleine  Kind  mit  Argusaugen 
eifersüchtig  überwacht,  und  die  infolgedessen  den  ein- 
sichtsvollen Erzieher  nötigt,  sie  sich  für  seine  Zwecke 
nutzbar  zu  machen,  indem  er  ihre  Dienste  beanspruchen 
wild,  um  dem  Guten  in  der  Jugend,  dessen  Pflege  und 
Förderung  die  nächste  und  namhafteste  Hauptsorge  jeder 
rationellen  Erziehungsmethode  bleiben  muß,  Raum  und 
Goli'genheit  zu  verschafi'en,  daß  es  hervortreten  und  sich 
geltend  machen  kann;  denn  jeder  Zwang  ist  nur  den 
schlechten  Eigenschaften  des  Kindes  gegenüber  berechtigt 
und  an  seinem  Platze.  Zwar  hat  nun  auch  das  Spiel,  wie 
jede  andere  Tätigkeit,  einen  objektiven  Inhalt  Dieser  ist 
eben  die  Beobachtung  der  Ordnung,  in  welcher  die  Einzel- 
tätigkeiten sich  zu  einem  einheitlich  abgeschlossenen 
Ganzen  verbinden,  mit  anderen  Worten,  er  besteht  im 
Beachten  und  Einhalten  der  Spielregel,  weshalb  eigent- 
lich auch  kein  Spiel  ganz  ohne  eine  solche  sein  kann 
und  meist  auch  nicht  ist;  denn  bei  und  durch  deren 
Beobachtung  wird  vielfach  erst  die  Heiterkeit  und  die 
Befriedigung,  welche  das  Spiel  gewährt,  hervorgebracht 
und  erhalten.  So  schaffet  sich  jenes  in  der  Spielregel 
zwar  selbst  eine  Art  Realität,  aber  diese  hat  ihren  eigent- 
lichen Boden  doch  nur  in  der  Phantasie;  und  eben  darum 
liegt  im  Spiel  ein  gewisser  Humor,  eine  freie,  leichte 
Heiterkeit,  ist  es  frei  von  dem  Ernste  und  dem  Drucke 
des  realen  Lebens.  Ein  Spielverderber  ist  daher,  wer 
aus  ihm  bittern  Ernst  macht.  Zunächst  ist  dasselbe  ja 
wohl  auch  für  das  Kind  vielfach  eine  Erholung,  indem 


-     7      - 

es  mit  der  Arbeit  abwechselnd  betrieben  wird;  aber  es 
ist  durchaus  keine  Ruhe.  Der  Ermüdete,  Erschöpfte  spielt 
nicht,  ebensowenig  wie  der  Faule  und  Träge.  Die  Er- 
holung, welche  das  Spiel  gewährt,  bringt  eine  Erfrischung 
der  Kräfte  nicht  deshalb,  weil  es  etwa  solche  nicht  in 
Anspruch  nehme,  sondern  weil  es  andere  als  die  Arbeit, 
welche  es  unterbricht,  und  in  anderer  Weise  als  diese 
übt.  Infolge  dieser  Abwechslung  können  sich  die  durch 
die  Arbeit  ermatteten  Kräfte  in  der  Spielzeit  neu  beleben 
und  zu  neuer  Tätigkeit  stärken.  Besonders  nach  langer 
geistiger  Anstrengung  ist  daher  das  Spiel  eine  Erquickung 
für  Leib  und  Seele  und  wirkt  in  Bezug  auf  körperliche, 
wie  auf  geistige  Kraft  diätetisch  und  ökonomisch.  Nach 
anstrengenden  Unterrichtsstunden  läßt  es  den  Körper,  den 
natürlichen  Bewegungstrieb  der  Kinder  zu  seinem  Rechte 
kommen  und  bildet  ein  heilsames  Gegengewicht  gegen 
Überanstrengung  und  Überbürdung.  Infolge  seiner  eigen- 
artigen Natur  aber  hebt  sich  dasselbe  weit  über  den 
Begriff  einer  der  bloßen  Erholung  und  dem  Vergnügen 
gewidmeten  Ausfüllung  der  Mußestunden  hinaus  und  wird 
zu  einem  geradezu  unersetzlichen  Ausbildungs-  und  Er- 
ziehungsmittel für  Körper  und  Geist,  zu  einem  der  be- 
deutsamsten bildenden  Faktoren  in  physiologischer,  sitt- 
lich-sozialer und  intellektueller  Hinsicht. 

Wollten  doch  Eltern  und  Erzieher  die  ihnen  anver- 
trauten Kinder,  sobald  sie  gelernt  haben,  ihre  Bewegungs- 
organo  zu  beherrschen,  richtig  beobachten!  Macht  sich 
bei  ihnen  nicht  die  Lust  am  Bewegungsspiele,  am  Laufen, 
Rennen  und  Jagen  mit  der  Macht  eines  Naturtriebes, 
eines  Daseinsbedürfnisses  geltend?  Der  sich  selbst  im 
Freien  überlassene  Knabe  geht  nicht,  er  läuft.  Wohl- 
erzogen einherzugehen,  ist  ihm  ein  Zwang,  Rennen  bis 
zur  flüchtigen  Atemlosigkoit  eine  Lust  und  der  selbst- 
verständliche Inbegriff  aller  Spiele  mit  Altersgenossen. 
Der  Bewegungstrieb  der  Jugend  verlangt  so  gut  wie 
Hunger  und  Durst  seine  Befriedigung,  und  schon  darin 
liegt  der  Hinweis,  daß  es  hier  eine  wichtige  Bedingung 


—     8     — 

zur  YoUkräftigen  Leibesentwicklung  zu  erfüllen  gilt.  Von 
medizinischer  Seite  wird  hierüber  geschrieben:  »In  der 
Tat  wohnt  häufiger  und  schneller  Körperbewegung  die 
wertvollste  Einwirkung  auf  die  verschiedenste  Organtätig- 
keit inne.  Vor  allem  ist  die  volle  Entwicklung  der  Lunge 
an  solche  Anregungen  gebunden.  Die  bei  der  Muskel- 
tätigkeit unmittelbar  auftretenden  schädlichen  Zersetzungs- 
stoffe,  namentlich  die  massenhafte  Kohlensäure,  können 
nur  entfernt  und  unschädlich  gemacht  werden  durch  er- 
höhte Ausscheidungstätigkeit  der  Lungen,  durch  unter 
umständen  auf  das  Vielfache  gesteigerten  Umfang  der 
Atemarbeii  Mithin  ist  die  zeitweilige  Inanspruchnahme 
aller  Lungenteile,  auch  der  für  gewöhnlich  gar  nicht  oder 
nur  wenig  gebrauchten,  notwendig,  sollen  auch  letztere 
atemtüchtig  und  widerstandskräftig  werden  und  bleiben. 
Das  Mittel  hierzu  sind  Schnelligkeitsbewegungen.  Den 
Kindern  die  Gelegenheit  zu  ungebundenem  Laufen  und 
Tummeln  verkümmern,  heißt  sich  daher  schwer  an  der 
Gesundheit  des  heranwachsenden  Geschlechtes  versündigen. 
Die  Jugend  muß  sich  nach  Herzenslust  austummeln 
können,  sollen  wichtige  Organe  nicht  schwächlich  ent- 
wickelt und  wenig  widerstandskräftig  bleiben.  Bei  jedem 
Bewegungsspiele  wird  fast  die  gesamte  Muskulatur  in 
lebhafte  Tätigkeit  versetzt.  Sie  ist  daher  keine  einseitig 
ermüdende  und  somit  körperlich  verbildende,  wie  es 
häufig  bei  handwerklichen  Berufistätigkeiten  der  Fall  ist 
Vielmehr  wirkt  sie  harmonisch  anregend  und  entwickelnd 
auf  die  ganze  Körperbildung;«  i)  denn  die  Folge  dieser 
gesteigerten  Muskeltätigkeit  bildet  zunächst  eine  kräftige 
Belebung  der  Atmung.  Mit  dieser  im  Zusammenhang 
steht  aber  eine  Verbesserung  der  Blutbildung,  eine  An- 
regung des  Blutumlaufes,  eine  Erhöhung  des  Stoffwechsels 
im  ganzen  Organismus.  Wird  aber  der  Stoffverbrauch 
im  Körper  gesteigert,  so  wird  auch  Neubildung  in  allen 


^)  Dr.  med.  Schmidt:  »Bewegungsspiele  u.  LuDgeoeDtwickluogc, 
Jahib.  d.  Zentraiausschassos  fär  Jugend-  a.  Volksspiele  1892  St.  15  ff. 


—     9     — 

Geweben  desselben  angeregt  nnd  dadurch  wieder  die 
Assimilation  fremder,  als  Nahrung  in  den  Körper  ein- 
geführter Stoffe  vermehrt.  Der  Appetit  steigert  sich,  es 
hebt  sich  die  gesamte  Ernährung.  Der  verzärtelte  Knabe, 
welcher  die  wohltuenden  körperlichen  Wirkungen  leb- 
haften Spieles  wiederholt  empfunden  hat,  bekommt  einen 
gesunden  Appetit  und  gewöhnt  sich  bei  regelmäßig  fort- 
gesetzter Beteiligung  am  Spiel  wohl  ganz  die  Lecker- 
haftigkeit  ab.  Er  wird  wieder  zum  Knaben  im  wahrsten 
Sinne  des  Wortes,  und  wie  bei  ihm  läßt  der  sich  im 
Spiele  offenbarende  freudige,  lebensfrische  Wettkampf,  bei 
dem  sich  Arbeit  mit  Jubel,  Lust  mit  Ernst  paaren,  der 
die  Pulse  höber  schlagen  macht,  besonders  auch  den 
Mädchen  die  vielfach  durch  Überlastung  geraubte  Freude 
wiederfinden;  und  gerade  bei  ihnen  sind,  wie  zahlreiche 
ärztliche  Gutachten  übereinstimmend  beglaubigen,  die 
physiologischen  Wirkungen  der  Spiele  von  besonders 
günstigem  Einflüsse,  dessen  Bedeutung  noch  wachsen  muß 
in  einem  Zeitalter  der  Modeherrschaft  wie  dem  gegen- 
wärtigen. Die  Laufübungen,  sowie  alle  Übungen,  bei 
denen  die  Beine  durch  Hüpfen  und  Springen  in  Tätig- 
keit gesetzt  werden,  haben  einen  ganz  bedeutenden  Ein- 
fluß auf  das  Längenwachstum,  auf  die  mächtigen  Muskel- 
lager um  Schenkel  und  Lenden,  auf  die  Beckenknochen, 
auf  wichtige  Werkzeuge  des  Unterleibes,  sowie  auf  die 
ganze  Organtätigkoit  der  Atmung  und  des  Blutkreislaufes. 
Solche  Übungen  aber  sind  es,  die  gleichzeitig  den  Blut- 
störungen,  der  so  häufig  bei  den  Mädchen  auftretenden 
Bleichsucht,  sowie  den  Verdauungsstörungen  mit  dem 
besten  Erfolge  entgegenarbeiten.  Sie  dulden  femer  nicht 
länger  die  Sklavenfesseln  der  Mode,  unter  deren  tyranni- 
schem Joche  heute  vielfach  schon  das  zarte  Mädchenalter 
zu  seufzen  hat;  und  die  langsame  Heilung  von  dieser 
am  Lebensmarke  des  weiblichen  Geschlechtes  zehrenden 
Seuche  ist  wahrlich  nicht  ihr  geringster  Nutzen;  er  er- 
langt vielmehr  durch  Hebung  der  Gesundheit  eines  ganzen 
Geschlechtes   kulturelle   und   soziale   Bedeutung;    »denn 


--      10     ~ 

der  Spielplatz  macht  dem  ümhertrippeln  in  Stiefelchen 
mit  hohen  Absätzen  und  den  enganliegenden  Bekleidungs- 
stücken ein  Ende.  Das  Korsett,  diese  Maschine,  durch 
welche  Völker,  die  an  der  Spitze  der  Kultur  stehen,  will- 
kürliche Veränderungen  an  den  Körperteilen  vornehmen, 
kann  seine  Modeherrschaft  nicht  mehr  geltend  machen, 
wo  der  weiblichen  Jugend  zum  Bewegungsspiele  Gelegen- 
heit gegeben  wird.  Wer  sich  die  Mühe  nimmt,  Mädchen 
bei  ihren  Ballspielen  einmal  mit  dem  Auge  des  aufmerk- 
samen Beobachters  zu  belauschen,  wird  staunen  über  die 
Fülle  von  Bewegungsformen,  sowie  über  die  natürliche 
Bewegungslust  der  Schülerinnen  aller  Stufen  ohne  Aus- 
nahme, und  vielleicht  wird  sich  der  Gedanke  bei  ihm 
Bahn  brechen,  daß  der  unveränderte  Körper  der  Venus 
von  Melos  für  ein  höheres  Ideal  weiblicher  Schönheit 
gelte  als  die  Wespengestalt  einer  korsettumpanzorten  Mode- 
dame.« ^)  —  Selbst  wenn  in  dieser  Hinsicht  dem  Schul- 
turnen der  nötige  Platz  eingeräumt  ist,  bleiben  den  Spielen 
doch  immer  noch  besondere  Vorzüge.  Bei  ihrer  Aus- 
übung trägt  jeder  Schüler,  wofern  er  nur  mit  Lust  mit- 
spielt, einen  sicheren  Maßstab  des  Zuträglichen  in  sich 
selbst  Fühlt  der  spielende  Knabe,  daß  er  nicht  mehr 
laufen  kann,  so  hält  er  eben  inne  und  läßt  sich  haschen. 
Dann  aber  haben  die  Spiele  vor  den  Übungen  auf  Befehl 
noch  den  mächtigen  Bewegungsanreiz  voraus,  welchen  die 
Spielfreude  gewährt.  Das  strömende  Lustgefühl,  der 
lebendige  Spieleifer  beschwingt  den  eilenden  Fuß  und 
wehrt  dem  Gefühl  der  Ermattung.  Ein  so  volles  Maß 
von  brusterweiternder  Bewegung  hintereinander,  ohne  Ein- 
buße an  Frische,  wie  sie  der  eifrig  spielende  Knabe  eben 
spielend  zurücklegt,  läßt  sich  bei  Übungen  auf  Befehl 
niemals  erzielen.  Hier  stellen  sich  viel  früher  Verdrossen- 
heit und  Abspannung  als  Hemmungsursache  ein  und  be- 
wirken vorzeitige  Ermattung  und  Ermüdung.     Der  Ein- 


*)  Turniospektor  A,  Hermann:   »Die  Turospiele  der  Mädchen. c 
BrauDSohweig  1892.   8t.  69. 


—    11    - 

fluß  seelischer  Stimmung  auf  die  größere  oder  geringere 
Leistungsfähigkeit  des  Bewegungsapparates  ist  eben  eine 
feststehende  Tatsache,  der  jede  Leibeserziehung  Rechnung 
tragen  muß.  Glaubt  dieselbe,  nur  mit  methodisch  ge- 
ordneten Bewegungsformen  auf  Befehl  ihrer  Aufgabe  ge- 
nügen zu  können,  so  verkennt  sie  hochwichtige  erziehe- 
rische Mittel,  bleibt  eine  ausgeklügelte  hölzerne  Kunst, 
welche  die  Regungen  der  Eindesseele  mißachtet  Körper- 
liche Tüchtigkeit  erwirbt  sich  vielmehr  jeder  von  frühester 
Jugend  auf  am  besten  im  freien  Spiel.  Zuerst  übt  das 
Einzelspiel  seine  Kraft  und  Geschicklichkeit,  dann  reizt 
beim  Spiele  mit  Geschwistern  oder  den  nächststehenden 
Altersgenossen  der  Wetteifer  zu  stärkeren  Leistungen; 
endlich  umfängt  ihn  die  Gemeinschaft  der  Schule  und 
treibt  ihn  an,  vor  einem  weiteren  Kreis  in  den  Schul- 
spielen sein  Bestes  zu  versuchen.  Wenn  aber  so  das 
körperliche  Leben  durch  die  anregende  Tätigkeit  der 
Spiele  im  ganzen  verbessert  wird,  so  müssen  auch  auf 
diesem  gesunden  Boden  ein  gesundes  Nervensystem,  ein 
normales  Nervenleben  und  ein  frisches,  fröhliches  Gemüt 
erwachsen.  Mit  diesen  letzteren  Erfolgen  ist  aber  auch 
eine  Vorbedingung  für  ein  reges  Geistesleben,  ein  frucht- 
barer Boden  für  geistige  Saat  gegeben.  Die  eigenartige, 
aufreibende  Rastlosigkeit,  welche  heute  alle  Formen  des 
Gesellschaftslebens  durchdringt  und  beherrscht,  hat  bereits 
ihre  natürlichen  Folgen  ausgeübt  auf  die  Jugend.  Heute 
sind  ja  schon  die  Kinder  nervös;  einem  nicht  geringen 
Teil  derselben  ist  die  anmutige  Harmlosigkeit  der  Jugend 
verloren  gegangen.  Manche  von  diesen  Kindern  sind 
schon  in  den  Kinderschuhen  über  den  überwundenen 
Standpunkt  der  kindlichen  Spiele  hinaus:  sie  wollen  nicht 
mehr  spielen.  Hier  muß  helfend  und  heilend  eingegriffen 
werden,  und  das  kann  nur  geschehen,  wenn  die  Jugend- 
spiele zu  einer  Erziehungssache  von  allgemeiner  Be- 
deutung gemacht  werden. 

Außer  diesen  physiologischen  Wirkungen  der  Spiele 
bei  jedem  einzelnen  Teilnehmer  zeigen   sich  aber  auch 


—      12     -- 

bei  eiDom  Blick  in  die  Spielgeraeinschaft  tiberraschende 
Erfolge  hinsichtlich  der  verschiedenen  Individualitäten  der 
Spielenden:  Verweichlichte  werden  durch  die  gemeinsame 
Anregung  mit  fortgerissen  und  härten  sich  ab,  Furchtsame 
verlieren  ihre  Scheu  und  werden  allmählich  unternehmend, 
Faule  werden  regsam  und  aufgerüttelt  und  finden  Ge- 
schmack an  der  Anstrengung,  gewinnen  allmählich  Inter- 
esse, das  dann  auch  dem  Unterrichte  zu  gute  kommt, 
Ungeschickte  lernen  ihre  Bewegungen  beherrschen  und 
erlangen  Haltung  und  Anmut,  und  in  jeder  Hinsicht  be- 
wahrheitet sich  noch  heute  das  treffende  Wort  des  alten 
Turnvaters  Jahn  vom  Jahre  1816:  »In  jedem  echten  Turn- 
spiel regt  sich  eine  Welt.  So  machen  Turnspiele  den 
Übergang  zum  größeren  Volksleben  und  führen  den  Reigen 
der  Jugend.  In  ihnen  lebt  ein  geselliger,  freudiger,  lebens- 
frischer Wettkampf.  Hier  paart  sich  Arbeit  mit  Lust  und 
Ernst  mit  Jubel.  Da  lernt  die  Jugend  von  klein  auf 
gleiches  Recht  und  Gesetz  mit  andern  halten.  Da  hat 
sie  Brauch,  Sitte,  Zweck  und  Schick  im  lebendigen  An- 
schauen vor  Augen.«  ^) 

Doch  die  Spiele  sind  viel  mehr  als  bloß  körperliche 
Betätigungen.  Es  darf  heute  als  eine  von  keiner  Seite 
mehr  bestrittene  Tatsache  hingestellt  werden,  daß  frisches, 
fröhliches  Tummeln  im  jugendlichen  Spiel  nicht  nur  den 
Körper  allseitig  entwickelt  und  stählt,  sondern  ebensosehr 
die  Ausbildung  der  Kräfte  des  Geistes  und  des  Gemütes 
fördert,  der  kindlichen  Seele  die  natürliche  Unbefangen- 
heit bewahrt  und  sie  widerstandsfähiger  macht  gegen 
das  schleichende  Gift  der  Versuchungen.  Zwar  sind  die 
nächsten  Wirkungen  der  meisten  Spiele  zunächst  körper- 
licher Art,  aber  sie  ziehen  geistige  und  sittliche  nach 
sich,  und  nicht  überall  lassen  sich  die  physiologischen 
scharf  von  den  intellektuellen  und  moralisch  -  sozialen 
trennen;  denn  öfters  gehen  die  ersteren  in  die  letzteren 
über.    In  sittlicher  Beziehung  sind  die  Spiele  der  Kinder 


^)  Jahn  uDd  Eiaekn^  Dentsobe  TarnkoDSt.   Berlin  1816.  S.  169. 


- —        1  o       — * 

eine  Vorschule  für  das  Leben.  Sie  gewähren  einen  leb- 
haften, aber  nicht  zügellosen,  sondern  wohlgeregelten  Wett- 
streit der  Kräfte.  Indem  der  einzelne  mit  seinen  Ge- 
nossen in  die  Wette  um  den  Sieg  ringt,  den  mutigen 
Gewinner  gekrönt  sieht,  erwacht  in  ihm  die  Tatkraft,  die 
Lust  zu  wagen  und  seine  Kräfte  voll  einzusetzen.  Sie 
erziehen  zur  Beobachtung  des  Gesetzes;  denn  alle  Mit- 
spielenden, auch  der  Lehrer,  sind  ausnahmslos  dem  Spiel- 
gesetz unterworfen.  In  dem  einzelnen  wird  durch  die 
Erkenntnis  des  gemeinsamen  Zweckes  das  Gefühl  für  die 
Zugehörigkeit  zu  einem  großen  Ganzen  wachgerufen.  Er 
entschließt  sich,  unter  Verzichtleistung  auf  eigene  Aus- 
zeichnung im  Kreise  seiner  Genossen  für  das  Gute  und 
Rechte  kräftig  einzustehen.  Der  bürgerliche  Gemeinsinn 
wird  angebaut.  Der  Knabe  fühlt,  daß  er  ein  organisches 
Glied  der  Spielgemeinschaft  sei.  Er  bemerkt  auch,  daß 
ein  einzelner  als  Glied  durch  ungehörige  Tätigkeit  den 
ganzen  Spielorganismus  stören  kann.  Bei  jeder  andern 
erziehlichen  und  unterrichtlichen  Tätigkeit  ist  der  Zögling 
und  Schüler  dem  Erzieher  und  Lehrer  untergeordnet,  ist 
der  Wille  des  letzteren  sein  Gesetz.  Anders  ist  es  beim 
gemeinsamen  Spiel,  bei  welchem  über  dem  Lehrer  noch 
das  Spielgesetz  steht,  dessen  Hüter  dieser  sowohl,  wie 
jeder  anderer  Mitspieler  sein  soll.  In  den  Spielgenossen- 
schaften der  Jugend  erwächst  kameradschaftliche  Ge- 
sinnung und  Brüderlichkeit;  es  bilden  sich  Freundschaften, 
die  oft  fürs  Leben  dauern.  Ein  Schimmer  von  Fichte- 
schem  Idealismus  wird  verwirklicht,  wenn  die  Schulspiele 
die  Zöglinge  zu  einem  Jugendgemeinwesen  vereinigen; 
denn  näher  noch  als  in  der  Schule  bringt  der  gesellige 
Verkehr  auf  dem  Spielplatze  die  Knaben  zusammen,  lehrt 
sie  Verträglichkeit  und  Selbstbeherrschung  im  Umgang 
mit  andern  üben,  daneben  aber  auch  sich  in  ihrer  Mitte 
geltend  zu  machen.  Indem  der  einzelne  im  freien  Spiel 
selbst  seine  Rechte  wahren,  die  der  andern  anzuerkennen 
lernt,  entfaltet  sich  in  ihm  der  Rechtssinn.  Das  kräftige 
Spiel  im  Freien  mit  seinen  heilsamen  Folgen  bietet  ihm 


-      14     — 

aber  schließlich  auch  eine  Schutzwehr  gegen  mancherlei 
bedenkliche  und  verderbliche  Genüsse,  zu  denen  sich  die 
Jugend  oft  vor  der  Zeit  ofiFen  oder  verstohlen  herandrängt, 
oder  gar  von  törichten  Eltern  herangeführt  wird;  denn  je 
mehr  er  von  früher  Jugend  auf  für  die  reinen  Freuden 
der  Spiele  Empfänglichkeit  gewonnen  hat,  um  so  weniger 
wird  er  in  Versuchung  kommen,  sich  solche  zweifelhafte 
Genüsse  zu  verschaffen.  Ja,  bei  richtigem  Verhalten  dem 
spielerischen  Leben  und  Treiben  gegenüber  wird  die  Jugend 
nicht  bloß  Kraft,  Ausdauer,  Mut,  Tapferkeit  und  Abhärtung 
gewinnen,  sondern  auch  angeleitet  werden,  Entbehrungen 
zu  ertragen  und  Entsagungen  zu  üben.  Es  wird  das 
herrlichste  Ergebnis  aller  Leibesübungen  überhaupt  er- 
reicht werden,  daß  der  Geist  nicht  bloß  über  Sehnen  und 
Muskeln  des  Leibes  vollkommen  Herr  werde,  sondern 
auch  über  dessen  Begehrlichkeiten  und  Leidenschaften. 
Die  Jugend  wird  mit  einem  Worte  Selbstzucht  üben 
lernen,  die  im  späteren  Leben  dem  Manne  not  tut.  Von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  wird  das  Spiel  geradezu  eine 
soziale  Notwendigkeit  für  die  Kinder  eines  Großsladtinnem. 
Unsere  heutige  Großstadt  hat  eigenartige  Verhältnisse  ge- 
schaffen, die  ungünstig  für  eine  natürliche,  gesunde  und 
auch  sittliche  Einwirkung  sind.  Der  Jugend  ist  die 
Selbsterziehung,  die  Gelegenheit  zu  fröhlichem  Spiel,  be- 
schränkt zu  ihrem  Nachteil.  Im  Innern  der  Großstädte 
wächst  heute  eine  Jugend  heran  unter  Bedingungen,  die 
völlig  anders  geartet  sind,  als  sie  selbst  noch  vor  wenigen 
Jahrzehnten  waren.  Aus  der  Schar  dieser  Kinder  gebt 
ein  großer  Bruchteil  jener  blasierten  Jugend  hervor,  die 
nachher  engherzig,  egoistisch  und  ohne  Verständnis  für 
frische  Natürlichkeit  im  Leben  dasteht.  Viele  von  den 
gegenwärtigen  Eltern  sind  schon  unter  solchen  Verhält- 
nissen aufgewachsen,  und  so  fehlt  manchem  oft  schon 
das  rechte  Erkennen  des  ungeheuren  Opfers,  das  der 
kindlichen  Natur  hier  auferlegt  wird.  Das  Wort  von  der 
Verrohung  der  heutigen  Jugend,  das  leider  kein  seltenes 
mehr  ist^   hat  vielfach  seinen  ganz  natürlichen  Grund. 


-      15      - 

Der  Drang  nach   kraftvoller   Betätigung  steckt  eben   in 
jedem   gesunden  Jungen.     Eine   Zurückdrängung   dieses 
Triebes  führt  den   Knaben   auf  Irrwege  und  Entartung, 
und    zur  Verderbnis   einer    kindlichen   Seele    bietet   die 
Großstadtstraße  Stoff  genug.    Die  gerade  durch  die  Groß- 
stadtverhältnisse   bedingten  Mängel  im   heutigen  Jugend- 
leben können  bei  der  großen  Bedeutung  der  außer  Wirkung 
gesetzton  Faktoren  nicht  ohne  nachteilige  Folgen  für  den 
Körper  bleiben  und   werden  manche  Seiten  des  G^müts- 
lebens  verkümmern  lassen,  die  zum  Wohle  der  Mensch- 
heit   eifrige   Förderung   bedürften.      Manche   Entbehrung 
zwar  erträgt  der  elastische  Jugendmut  leicht  und  ohne 
nachteilige  Folgen,   aber   die   dauernde  Beschränkung  in 
der  Betätigung  bei  jugendfrohen  Spielen  mit  Altersgenossen 
erzeugt   Verarmung   des   Gemütslebens,   beschneidet  das 
Wachstum   der  Individualität   und   ist  in   der  Großstadt 
darum    von    besonders    nachhaltigen    persönlichen,    wie 
sozialen  Folgen  begleitet.    Doch  auch  noch  in  anderem 
Sinne  tritt  die  sittliche  Bedeutung  des  Spieles  deutlich 
hervor.   Indem  es  von  dem  Drucke  der  Berufsarbeit  und 
ihrer  Eintönigkeit  befreit,  bringt  es  eine  heitere,  frohe 
Stimmung  des  einzelnen   und  in  der  Gemeinschaft  eine 
freundliche   Geselligkeit   hervor.     Freude   und   Frohsinn, 
freier,  offner  Sinn  und  heiteres  Wesen  ziehen  bei  seiner 
Pflege  auch  in   das  Schulleben  ein.     Indem  es  aber  so 
Geist  und  Gemüt  von  dem  Drucke  befreit,  den  andere 
Verhältnisse  ausüben,  wirkt  es  geradezu  erlösend  und  da- 
mit auch  bessernd;   denn  ein  frohes,  heiteres  Gemüt  ist 
immer  zum   Guten  geneigt.    Zu  diesen  wertvollen   sitt- 
lichen Früchten,  die  im  Spiele  für  die  Erziehung  reifen, 
gesellen  sich  noch  besondere  intellektuelle.    In  der  Spiel- 
tätigkeit, die  eine  selbstgewählte  ist,  befriedigt  der  einzelne 
Kräfte  und  Willen  oft  erst  nach  vielen  mißlungenen  Ver- 
suchen;  aber  dabei  stählt  sich  der  Wille,  dabei  wachsen 
Tatkraft  und  Ausdauer.    Viele  Spiele  erfordern  von  jedem 
einzelnen  Teilnehmer  eine  aufmerksame  Beobachtung  der 
Tätigkeiten  und  Bewegungen  aller  andern  Mitspieler,  und 


—      16     — 

hierbei  muß  der  einzelne,  um  rechtzeitig  und  wirksam  in 
die  gesamte  Spieltätigkeit  eingreifen  zu  können,  schnell, 
oft  blitzschnell,  seine  Wahrnehmungen  in  Handlung  um- 
setzen. So  schärfen  sich  die  Sinne  und  die  geistige  Be- 
obachtungsfähigkeit, so  bildet  sich  Geistesgegenwart 

Bei  diesem  Gewinne  der  Spiele  für  die  Zöglinge  geht 
auch  der  Erzieher  nicht  leer  aus.  Das  Seelenieben  des 
Kindes  ist  von  jeher  ein  Problem  gewesen,  dem  Pädagogen 
mit  liebevoller  Betrachtung  nachgingen.  Trotz  der  Fort- 
schritte der  Psychologie  darf  es  aber  auch  heute  noch  als 
ein  ungelöstes  gelten.  Wohl  ist  die  Kinderforschung  — 
wir  dürfen  leider  sagen  —  sehr  in  die  Breite  gegangen, 
dafür  aber  weniger  in  die  Tiefe  gedrungen.  Der  Mensch 
ist  eben  keine  meßbare  Größe,  welche  erforderlich  wäre, 
um  im  guten  Glauben  allgemeingültige  Normen  und  Re- 
sultate hier  erhoffen  zu  dürfen.  Auch  in  Zukunft  wird 
der  Erzieher  wohl  immer  auf  besondere  Einzelbeobach- 
tungen angewiesen  bleiben,  wenn  er  sich  nicht  dem 
Blendwerk  schematisierender  Systeme  gefangen  geben  will. 
um  so  dankbarer  ist  dann  aber  jede  Gelegenheit  zu  be- 
grüßen, die  einen  Einblick  in  die  Kindesseele  gestattet. 
Wo  aber  sollte  sich  jene  mit  all  ihren  Geheimnissen  deut- 
licher den  Blicken  des  Erziehers  offenbaren  als  im  kind- 
lichen Spiele,  dem  der  erste  Lebensmorgen  gewidmet  ist? 
Einer  aufbrechenden  Knospe  gleich  entfaltet  sich  hier  vor 
seinen  Augen  die  zarte  Kinderblume,  frei  von  jedem 
Zwange,  sich  selbst  und  seinen  Neigungen  so  ganz  über- 
lassen und  läßt,  wenn  überhaupt  wo,  dem  aufmerksam 
beobachtenden  Erzieher  die  tiefsten  und  für  seine  päda- 
gogischen Maßnahmen  bedeutungsvollsten  Blicke  in  ihr 
Inneres  tun.  Wie  manches  Kinderherz  erschließt  sich 
ihm  nur  hier!  Welch  treffliche  Winke  erhält  er  für  die 
rechte  Beurteilung  ihrer  Individualität!  Wie  manchen 
Zögling  lernt  er  hier  erst  in  seiner  wahren  Natur  kennen ! 
Wie  manche  Täuschung  kann  er  hier  berichtigen !  Welch 
köstliche  Blicke  in  ihre  kleinen  Interessensphären  sind 
ihm  gegönnt!     Wie  vermag  er  den   leisesten  Begungen 


-     17     - 

ihrer  Seele  Dachzuspüren,  zu  beobachten,  wohin  der  stille 
Zug  ihrer  Neigung  und  Anlage  geht!  und  welch  Reich- 
tum an  pädagogischen  Beobachtungen  bietet  sich  ihm  noch 
sonst  dar?  Herzerquickend  ist  oft  der  Bedestrom,  den  er 
im  Unterrichte  schmerzlich  vermißte,  wohltuend  die  Frische 
und  Lebendigkeit,  die  wohl  sonst  oft  einem  trägen  Stumpf- 
sinn wich.  Er  wird  vertraut  mit  den  Wünschen,  HofiT- 
nungen,  Befürchtungen  der  Kleinen  —  und  das  alles,  um 
dann  im  Dienste  des  Unterrichtes  und  der  Erziehung  eine 
reiche  Ausbeute  halten,  bei  seinen  erzieherischen  und 
unterrichtlichen  Maßnahmen  den  rechten  Hebelarm  in 
Bewegung  setzen  zu  können;  denn  gar  mancher  An- 
knüpfungspunkt bietet  sich  ihm  hier  für  seine  Zwecke 
dar,  dessen  geschickte  Verwendung  auch  bei  dem  Stumpf- 
sinnigsten eine  gewisse  Anteilnahme  zu  erzielen  vermag. 
Damit  gewinnen  aber  die  Spiele  noch  eine  weitere  Be- 
deutung überhaupt,  besonders  hinsichtlich  der  sogenannten 
technischen  Beschäftigungen,  welche  die  erzieherische  freie 
Arbeitsbetätigung  von  selten  des  Kindes  darstellen.  In- 
folge dieser  ihrer  Natur  müssen  sie  aber  auch  auf  den- 
selben Antrieb  gebaut  werden,  welcher  aller  menschlichen 
selbstgewählten  Arbeit  ursprünglich  zu  Grunde  liegt  — 
auf  den  Spielreiz,  die  innerliche  Gefühlsaufforderung  zum 
handelnden  Umgehen  mit  einem  Gegenstande,  welche  aus 
dem  tiefen  Eindruck,  der  innigen  und  lebhaften  Emp- 
findung für  denselben  entspringt,  kurz  gesagt:  die  Spiele 
müssen  das  Fundament  für  ihren  Aufbau  abgeben.  Dar 
mit  ist  aber  gleichzeitig  eine  kostbare  Gelegenheit  ge- 
funden, dem  kindlichen  Leben  die  Brücke  hinüber  in  den 
eigentlichen  Bildungsunterricht  zu  schlagen,  wie  umgekehrt, 
diesen  fortwirken  zu  machen  auf  das,  was  die  Jugend  aus 
freien  Stücken  ergreift  und  vollbringt.  Zu  den  im  Leben 
ganz  hauptsächlich  angesprochenen  aneignenden  Kräften 
lassen  sich  nun  auch  durch  das  Medium  der  Spiele  die 
gestaltenden  und  bewegenden  aufrufen  und  in  Wirksam- 
keit setzen,  und  durch  alles  dies  läßt  sich  das  Gleichmaß 

Fld.lfag.320.    Woller.  2 


-     18     — 

in  der  Erziehung  anstreben.  Werden  aber  so  die  Spiele 
in  ihrer  ganzen  pädagogischen  Tragweite  erfaßt,  werden 
sie  als  ein  reichlich  sprudelnder  Quell  pädagogischen  und 
erziehlichen  Gehaltes  allenthalben  annähernd  erschöpfend 
auszubeuten  gesucht,  wird  ihnen  vor  allem  auch  in  den 
Schulen  der  nötige  Raum  gegönnt,  so  entsteht  nicht  zu- 
letzt bei  den  Kleinen  auch  Liebe  zur  Schule,  bei  vielen 
schon  ein  großer  Gewinn,  Liebe  zum  Lehrer,  der  sich  zu 
ihrem  Wesen  herabläßt;  Unterricht,  Zucht  und  Gehorsam 
ziehen  ihren  Nutzen  daraus.  So  vertreten  sie  in  jeder 
Hinsicht  ein  hochwichtiges  Erziehungsmittel  in  physischer, 
moralisch-sozialer  und  intellektueller  Beziehung  und  sind, 
um  mit  Herbart  zu  reden,  ein  wertvolles  Regierungs-, 
Zucht-  und  indirekt  auch  Unterrichtsmittel,  haben  hervor- 
ragenden Anteil  an  der  harmonischen  Ausgestaltung  des 
gesamten  Menschen  und  nehmen  zu  einem  gut  Teil 
fundamentale  Bedeutung  für  dessen  ganze  fernere  Zu- 
kunft ein. 

2.  Geschichte  der  Spiele. 

Nicht  bloßer  Zufall  ist  es  daher,  daß  kein  Pädagog 
von  Bedeutung  völlig  achtlos  an  ihnen  vorübergegangen 
ist.  Seit  Piatos  Zeiten,  der  zum  ersten  Male  der  Er- 
ziehung ein  zusammenhängendes  Kapitel  widmete,  stimmen 
fast  alle  Erzieher  überein  in  der  Anerkennung  und  Wert- 
schätzung ihrer  Bedeutung  für  das  Erforschen  der  kind- 
lichen Individualität  Freilich  wird  damit  nur  eine  Seite 
ihres  pädagogischen  Gehaltes  berührt.  Je  höher  der  je- 
weilige psychologische  Standpunkt,  je  sinniger  das  poe- 
tische Gemüt  des  Erziehers,  je  phantasiereicher  seine 
Seele  gestimmt  ist,  um  so  mehr  Seiten  wird  er  gerade 
diesem  Kapitel  der  Erziehung  abzugewinnen  wissen,  mit 
um  so  liebevollerem  Sinn  gerade  dieses  poesievolle  Alter 
—  denn  wo  wäre  sonst  im  Leben  das  Ideal  der  Poesie 
verwirklicht,  wenn  nicht  im  Kindheitsalter  der  Unschuld?  — 
erfassen  und  würdigen  als  die  Zeit  der  Aussaat  für  nach- 
folgende Ernten.   Nach  diesem  verschiedenen  Standpunkte, 


-^19- 

sowie  nach  den  jeweiligen  Zielen,  welchen  die  Erziehung 
einer  Zeit  zustrebte,  zeigt  die  Geschichte  der  Pädagogik 
in  ihren  Ansichten  über  Kinder-  und  Jugendspiele,  in 
ihrer  Wertschätzung,  Würdigung  und  ausgiebigen  Ver- 
wertung derselben  ein  abwechselndes  Steigen  und  Fallen. 
Dieselbe  Erscheinung  spiegelt  sich  aber  auch  wider  in 
der  Stellung,  welche  ganze  Völker  und  Zeiten  den  Spielen 
gegenüber  einnahmen,  in  der  Wertschätzung,  welche  ganze 
Nationen  ihnen  zu  teil  werden  ließen  je  nach  ihrem 
Eulturzustande  und  den  nationalen  Zielen,  denen  jene 
dienen  sollten.^)  An  und  für  sich  sind  ja  Spiele  so  alt 
wie  das  Menschengeschlecht  und  der  Anfang  aller  gym- 
nastischen Übungen.  Knaben,  sich  selbst  überlassen, 
laufen,  springen,  werfen,  klettern,  ringen  und  vollbringen 
im  kleinen  Maßstabe  alles,  was  den  Sieger  zu  Olympia 
zum  Halbgotte  erhob;  und  selbst  viele  heute  noch  von 
unseren  Kleinen  bevorzugte  Spielsachen  blicken,  wie  die 
Kulturgeschichte  lehrt,  auf  ein  hohes  Alter  zurück  und 
reichen  in  ihrer  Entstehung  weit  in  das  frühe  Mittelalter^ 
ja  zum  Teil  in  das  graue  Altertum  zurück  und  geben 
damit  einen  deutlichen  Hinweis,  daß  sich  in  dieser  Tat- 
sache nicht  nur  die  Macht  einer  altehrwürdigen  Tradition 
allein  ausspricht,  sondern  daß  es  anderseits  eine  ebenso 
bedeutsame  pädagogische  Wahrheit  ist,  daß  die  Bedürf- 
nisse der  Kindesseele  eben  zu  allen  Zeiten  dieselben  waren 
und  geblieben  sind.  Nicht  ebenso  feststehend  wie  sie 
selber  blieb  aber  das  Verhalten  dieser  psychologischen 
Tatsache  gegenüber,  und  hierin  tritt  ein  vielfacher  Wandel 

^)  Lehrreich  ist  in  dieser  Hiosioht  besonders  England  und  be- 
zeichnend das  Wort  eines  englischen  Schulmannes  der  Gegenwart: 
»Eine  englische  Schale  ist  eher  ohne  Schulzimmer  als  ohne  Spiel- 
platz denkbar.«  Die  Jagendspiele  haben  für  das  dortige  Schalleben 
eine  Bedeutang  angenommen,  von  deren  Größe  wir  ans  nur  schwer 
eine  VorstelluDg  machen  können ;  aber  nicht  nur  für  das  Schulleben 
ist  dies  der  Fall,  sondern  anch  für  das  ganze  Volksleben.  Die  Spiele 
sind  im  heutigen  England  eine  Macht  geworden,  welche  auf  das 
Leben  des  Einzelnen,  wie  das  der  Nation  größeren  Einflafi  ausübt 
als  in  iigend  einem  andern  Lande  der  Weit 

2* 


—     20     — 

deutlich  zu  Tage.  In  ihrer  Gresamtheit  lehrt  die  Geschichte 
aller  Zeiten,  daß  ein  jedes  hervorragende  Yolk,  solange 
es  kräftig  und  männiglich,  unverdorben  und  religiös  war, 
die  Leibesübungen,  die  Gymnastik,  oder  nach  heutigem 
Ausdrucke  das  Turnen,  als  einen  wichtigen  Bestandteil 
seiner  nationalen  Erziehung  anerkannte,  daß  es  diesen 
seinen  Charakter  auch  nicht  verleugnete  in  seinen  Volks- 
spielen, die  sich  bis  heute  als  ein  Charakterbild  des  Volkes 
entwickelt  und  zu  einem  freien  poetischen  Ausdrucke  des- 
selben gestaltet  haben.  Ebenso  deutlich  gibt  dieselbe  aber 
auch  Kunde  von  einer  verschiedenen  Äußerung  und  Ge- 
staltung  dieser  Übungen  nach  Wesen  und  Zweck.  Be- 
stehen dieselben  bei  Völkern  im  Naturzustande  in  rohen 
kriegerischen  Äußerungen,  dienen  sie  lediglich  zur  Stählung 
des  Leibes  und  zum  Zwecke  des  Krieges  und  der  Jagd, 
so  wandeln  sie  sich  mit  dem  Beginn  der  Kultur  um  in 
Palästrik  und  Orchestrik.  Bei  weiterfolgenden  Kulturstufen 
verlieren  schließlich  die  nationalen  Wett-  und  Kampf- 
spiele ihre  allgemeine  Wichtigkeit  und  behalten  nur  noch 
das  Unterhaltende  als  Schauspiel  bei.  Fortschreitende 
wissenschaftliche  Bildung,  wie  falsch  verstandene  Frömmig- 
keit verdrängen  endlich  die  natürlichen  körperlichen  Kampf- 
übungen fast  ganz;  Spiele  des  Witzes  gewinnen  die  Ober- 
hand. Immer  vrieder  aber  drängen  die  natürlichen  Triebe 
des  jugendlichen  Körpers  auch  in  der  Leibesübung  zurück 
zur  Natur,  und  so  sagt  schon  Vieth  1794  sehr  bezeich- 
nend in  seiner  Encyklopädie  der  Leibesübungen:  »Dies 
scheint  der  Gang  zu  sein,  den  die  gymnastischen  Bildungen 
genommen  haben:  Roher  Anfang  unter  allen  Völkern,  wie 
noch  jetzt  unter  unkultivierten  Nationen;  glänzende  Periode 
unter  Griechen  und  Römern;  Abnahme,  obgleich  nicht 
gänzlicher  Verfall  und  Hoffnung  zur  Wiederherstellung 
in  neueren  Zeiten.«  Selbst  im  einzelnen  zeigt  die  Ge- 
schichte diesen  Entwicklungsgang.  Die  erhebenden  und 
glänzenden  Festspiele  zu  Olympia  arteten  später  aus  zur 
Athletik,  die  auch  der  alsbald  sich  bahnbrechende  Geist 
des  Christentums  mit  Recht  verwarf.    Freilich  wieder  zu 


—     21     — 

scbaffbD,  was  verloren  gegangen  war,  gelang  auch  Herr- 
schern wie  Jastinian  und  Karl  dem  Großen  nicht.  Erst 
durch  das  neu  emporblühende  Rittertum  erlangten  die 
Leibesübungen  der  Germanen  in  den  Turnieren,  wie  auch 
in  allerlei  Bewegungsspielen  eine  höhere  Blüte.  Nach 
dessen  Verfall  nahmen  dann  die  Kreise  der  Bauern  und 
Bürger  die  Übungen  im  Fechten,  Ringen,  sowie  die  Ball- 
spiele auf.  Gegen  Ende  des  Mittelalters  trat  indes  mit 
der  Verkümmerung  des  ganzen  Volkslebens  und  mit  dem 
Verklingen  aller  Poesie  auch  die  Vernachlässigung  der 
Leibesübungen  ein,  und  erst  den  Bestrebungen  der  Huma- 
nisten gelang  es  wieder,  auch  der  Jugenderziehung  von 
neuem  körperliche  Übungen  zuzuführen.  Vom  Beginn 
dieser  Renaissance-Bewegung  an  traten  Gelehrte  und  Er- 
zieher für  die  Leibesübungen  als  Erziehungssache  und  für 
Wiederbelebung  der  althergebrachten  gymnastischen  Spiele 
im  Volke  auf.  Vittorino  da  Feltre,  der  nachweislich  den 
Namen  des  ersten  Turnlehrers  der  Christenheit  verdient, 
Mapheo  Vegio  verschafften  im  Verein  mit  andern  Huma- 
nisten von  Italien  aus  einer  Schulgymnastik  Eingang.  In 
Deutschland  nahmen  sich  hauptsächlich  die  Reformatoren 
der  Sache  der  Leibeserziehung  durch  Körperübungen  an, 
und  Lehrer  und  Erzieher,  wie  Gamerarius,  Trotzendorf  und 
Comenius,  der  Spielplätze  bei  allen  Schulen  verlangte, 
traten  für  Bewegungsspiele  im  Freien  ein;  aber  die  Folgen 
des  unheilvollen  Dreißigjährigen  Krieges  vernichteten  auch 
die  ersten  Blüten  einer  deutschen  Gymnastik,  und  die 
heillose  Zeit  Ludwigs  XIV.  nahm  der  deutschen  Jugend 
vollends  das  freie.  Sichausleben  im  lustigen  Spiele  fort 
Doch  gerade  diese  Periode  der  Zöpfe  und  Schnabelschuhe 
ließ  endlich  wieder  den  Ruf:  »Umkehr  zur  Natur«  auch 
innerhalb  der  Wände  der  deutschen  Schulen  erklingen, 
nachdem  ihn  schon  vorher  in  England  Locke,  kraftvoller 
und  mit  einseitigster  Konsequenz  Rousseau  in  Frankreich 
gleichsam  mit  agitatorischer  Wucht  in  eine  hohle  Zeit 
hinausgeschleudert  hatten.  Männer  wie  Basedow,  Salz- 
mann, Bochow,  Campe,  Pestalozzi  traten  als  Führer  einer 


—     23     — 

pädagogischen  Revolution  gegen  geistige  und  leibliche 
Unnatur  in  der  Erziehung  auf.  In  ihrem  (befolge  er- 
scheint ein  Ghiis  Muths,  der  dem  Jugendspiel  eine  hohe 
Bedeutung  verschaffte  und  dessen  Spielbuch:  »Spiele  zur 
Übung  und  Erholung  des  Körpers  und  Geistes  vom  Jahre 
1796«  das  ürbuch  aller  neueren  Spielbücher  wurde.  Als 
ein  Nachfolger  ihrer  Bestrebungen  trat  auch  Jahn  auf, 
der  praktisch  die  Wahrheit  seines  Wortes  bewies:  »Ohne 
Turnspiel  kann  das  Turnwesen  nicht  gedeihen,  ohne  Spiel- 
platz ist  ein  Turnplatz  gar  nicht  zu  denken«;  und  selbst 
der  Schöpfer  des  modernen  Schulturnens,  Spiefs^  stellte 
den  Satz  auf:  »Es  sollten  unsere  Kinder  täglich  zum 
Spiele  geführt  werden  wie  zur  Arbeit«;  und  was  diese 
Männer  praktisch  erstrebten,  suchten  Pädagogen  wie 
Schwarz,  Jean  Paul  und  Herbart  theoretisch  und  rein 
pädagogisch  zu  erklären.  Jedoch  weder  Guts  Muths,  noch 
Jahns  Bestrebungen  fanden  in  Deutschland  die  erhoffte 
Nachahmung  und  den  gewünschten  Anklang,  und  was 
auf  diesem  Gebiete  erblüht  war,  vernichtete  die  preußische 
ministerielle  Verfügung  vom  23.  März  1830  wie  ein  Reif 
in  Frühlingsnacht.  Erst  Lorinsers  Schrift:  »Zum  Schutze 
der  Gesundheit  in  den  Schulen  vom  Jahre  1836«  und  in 
ihrem  Gefolge  der  Kronbefehl  Friedrich  Wilhelm  IV.  vom 
6.  Juni  1842,  sowie  schließlich  die  politischen  Ereignisse 
von  1870 — 71  verschafften  nach  und  nach  wenigstens  dem 
Turnen  ein  endgültiges  Heimatrecht  in  den  weiteren 
Kreisen  der  Schule.  Das  moderne  Turnen  aber  nahm  in 
seinem  Betriebe  mehr  und  mehr  den  Charakter  eines 
Lehrfaches,  einer  Bewegungsschule  an.  Es  hat  sich  zu 
sehr  zu  einer  Turnraethodik,  zu  einem  Formelwesen  heraus- 
gebildet, das  dem  Entwicklungsgesetz  und  dem  Entwick- 
lungsbedürfnis der  Kinder  nicht  gerecht  wird,  und  so 
ließen  sich  bald  Stimmen  vernehmen  des  Inhalts:  »Das 
Turnen  der  Jugend  soll  nicht  nur  Muskel-  und  Nerven- 
gymnastik treiben,  sondern  die  Ausbildung  der  gesamten 
Leibesorgane,  also  besonders  auch  der  Lungen,  der  Gefäße 
und  Verdauungs Werkzeuge,   fördern,    sowie   Gemüt   und 


-    23     - 

Willen  bilden.  Der  Tarnkunst  gegenüber  muß  auch  die 
andere  Seite  der  Leibesübung,  wodurch  das  deutsche 
Turnen  zu  einer  nationalen  Sache,  zur  Yolkssitte  werde 
und  auf  Charakter  und  Oemüt  einwirke,  also  den  ganzen 
Menschen  erfassen  kann,  in  volle  Bücksicht  genommen 
werden.  Diese  andere  Seite  bietet  das  Spiel  Spiele  ohne 
Turnen  sind  ebenso  wie  Turnen  ohne  Spiel  nur  eine  ein- 
seitige Art  der  körperlichen  Erziehung.«  ^)  Ähnliche  Rufe 
ertönten  überall  in  deutschen  Gauen,  und  so  stellte  die 
Gegenwart  die  dringende  Forderung  einer  kräftigen  und 
energischen  Wiederbelebung  der  Jugend-  und  Volksspiele 
im  deutschen  Volke.  Braunschweig  ging  1872  durch  die 
Errichtung  von  Spielplätzen  für  die  Schuljugend  mit  gutem 
Beispiel  voran.  1874  stellte  die  siebente  deutsche  Tum- 
lehrerversammlung  in  Salzburg  den  Grundsatz  auf:  »Im 
Anschluß  an  die  seither  als  Minimum  an  den  öfientlichen 
Schulen  eingerichteten  zwei  wöchentlichen  Turnstunden 
ist  eine  weitere  Turnzeit  zu  ermitteln,  damit  dem  Turn- 
spiel und  der  Turnkür  Baum  geschafft  werde.«  1876 
nahm  die  achte  deutsche  Turnlehrerversammlung  die  For- 
derung auf:  :»üm  die  Leibesübungen  zur  Volkssitte  zu 
erheben^  müssen  die  Volks wettübungen  und  die  Spiele  als 
Ergänzung  des  Turnens  geübt  und  gepflegt  werden.«  1878 
erschien  Professor  Dr.  Kochs  bedeutsame  Abhandlung: 
»Der  erziehliche  Wert  der  Schulspiele.«  Immer  lebhafter 
wurde  nun  auch  anderwärts  die  Bewegung  zu  Gunsten 
der  Schülerspiele,  unterstützt  dadurch,  daß  Versammlungen 
von  Schulmännern,  Ärzten  und  selbst  staatlichen  Kom- 
missionen für  vermehrte  Rücksichtnahme  auf  die  körper- 
liche Erziehung  und  gegen  geistige  Überbürdung  in  den 
Schulen  ihre  Stimme  erhoben.  Dringender  als  je  wurde 
die  Forderung  nach  Anlage  von  Spielplätzen  und  der 
Einführung  der  Jugendspiele  laut.  Besonders  hochgehend 
waren  die  Wogen  der  neuen  Bewegung  in  den  achtziger 
Jahren.    Auf  ihrer  neunten  Versammlung  1881  in  Berlin 


')  TomiDspektor  Hermann  in  Braanschweig. 


—     26     — 

am  alsdann  wertvolle  praktische  Winke  hieraus  za  ge- 
winnen und  abzuleiten,  wobei  sie  ihnen  bald  mehr  oder 
weniger  zusammenhängende  Abhandlungen  widmeten.  Im 
ganzen  zeigt  auch  diese  Geschichte  der  Ansichten  über 
Einderspiele  bald  einen  höheren,  bald  einen  tieferen  Stand- 
punkt je  nach  der  Zeit,  in  welcher  der  betreffende  Päda- 
gog  auftritt,  und  der  allgemeinen  Wertschätzung,  welche 
diese  den  Spielen  überhaupt  widerfahren  läßt,  sowie  nach 
der  verschiedenen  philosophischen  und  speziell  psycho- 
logischen Bildungsstufe,  welche  der  Verfasser  einnimmt, 
als  auch  nach  den  in  dessen  Person  und  Wesen  gegebenen 
Vorbedingungen.  Ein  Blick  in  die  Geschichte  dieser 
Theorien  —  wenn  sie  so  bezeichnet  werden  dürfen  —  ist 
in  mehr  als  einer  Hinsicht  lehrreich:  einmal  schon  infolge 
der  hohen  pädagogischen  Bedeutung  der  ersten  Kinder- 
spiele an  sich.  In  keinem  pädagogischen  System  von 
Bedeutung  sind  dieselben  daher  völlig  übergangen;  Schul- 
einrichtungen und  Eindergärten  nehmen  auf  sie  Rück- 
sicht, und  eine  ziemlich  umfangreiche  Literatur  widmet 
sich  ihnen.  1)  Zum  andern  liefern  jene  Ausführungen 
wichtige  Beiträge  zu  den  philosophischen,  insbesondere 
psychologischen  Anschauungen  der  betreffenden  Pädagogen 
hinsichtlich  des  frühesten  Eindesalters  und  geben  vor 
allen  Dingen  Aufschluß  über  deren  Stellung  zu  der  Frage, 
ob  a  priori  oder  secundari.  Nicht  minder  klären  sie  auf 
über  deren  Verhalten  gegenüber  der  kindlichen  Indivi- 
dualität,  über  ihre  Wertschätzung  der  Erziehung  hinsicht- 
lich ihrer  Leistungsfähigkeit  und  über  ihre  erste  Einder- 
pädagogik überhaupt.  Sie  eröffnen  aber  auch  eine  Per- 
spektive in  die  späteren  pädagogischen  Maßnahmen  der 
betreffenden  Erzieher  und  lassen  manche  Punkte  und 
Grundanschauungen  ihrer  Systeme  bereits  aus  diesen  An- 
sichten   erschließen.     Nicht   zuletzt   markieren    sie    aber 


*)  Eioo  ZusammeastelloDg  der  Schriften  über  Jugend-  and  Volks- 
spiele gibt  Eckler ^  Oberlehrer  an  der  KÖnigl.  Tarnlehrerbildungs- 
aostalt  zu  Berlin  vom  Jahre  1896. 


-     27     — 

auch  die  fortschreitende  Yerfeinerung  einer  immermebr 
sich  yervollkommnenden  Psychologie  und  legen  somit 
Zeugnis  ab  von  den  Fortschritten  dieses  Wissenszweiges 
überhaupt  Schließlich  aber  sind  sie  im  stände,  manche 
beherzigenswerte  Winke  auch  den  Tagen  der  Gegenwart 
zu  erteilen.  So  an  sich  eine  dankenswerte  Aufgabe,  würde 
eine  erschöpfende  Darstellung  der  Geschichte  aller  zu  Tage 
getretenen  Anschauungen  doch  weit  über  den  Rahmen 
der  vorliegenden  Arbeit  hinausführen,  und  so  seien  drei 
Hauptvertreter  derselben:  Locke,  Jean  Paul  und  Herbart 
mit  ihren  Anschauungen  hervorgehoben,  und  dies  nicht 
ohne  Absicht;  denn  für  die  fehlende  Vollständigkeit  ver- 
mögen sie  insofern  ein  Äquivalent  zu  bieten,  als  ihre 
Ansichten  in  der  Tat  eine  fast  völlig  erschöpfende  Zu- 
sammenfassung und  die  Summe  dessen  bieten,  was  über- 
haupt vom  rein  pädagogischen  Standpunkte  aus  je  über 
dieses  Kapitel  gesagt  worden  ist.  Dabei  charakterisieren 
sie  gleichzeitig  infolge  der  prinzipiellen  Abweichung  in 
ihren  Grundanschauungen  drei  verschiedene  und  am 
meisten  vertretene  Standpunkte,  welche  überhaupt  der 
Frage  gegenüber  eingenommen  worden  sind.  Die  welt- 
männische Richtung  in  der  Pädagogik  findet  ihren  Re- 
präsentanten in  Locke  ^  die  romantisch-gefühlsmäßige  in 
Jean  Paul  und  die  streng  intellektualistische  in  Herbart, 
So  bezeichnen  ihre  Auffassungen  in  jeder  Hinsicht  drei 
wertvolle  Etappen  in  der  Entwicklung  dieses  pädagogischen 
Problems.  Äußerst  lehrreich  und  instruktiv  werden  die- 
selben aber  auch  noch  durch  die  verschiedenartigen  Voraus- 
setzungen und  Bedingungen,  aus  denen  heraus  sie  er- 
wachsen sind  und  sich  erklären;  denn  grundverschieden 
ist  der  Boden,  auf  dem  sie  entstehen,  verschieden  ge- 
artet das  Rüstzeug,  mit  dem  ihre  Urheber  an  ihre  Be- 
arbeitung herantreten.  Beides  im  Interesse  eines  kon- 
genialen Verständnisses  für  die  nachfolgend  dargestellten 
Anschauungen  der  drei  Pädagogen  zu  berücksichtigen, 
wird  daher  zur  unerläßlichen  Bedingung  und  Voraus- 
setzung. 


—     28     — 

Kapitel  III:  Yorbedlns^angen  für  die  Anslehten 
Loekes,  Jean  Pauls  und  Herbarts  Aber  Kinderspiele. 

1.  Philosophische  und  psychologische  Voraussetzungen. 

Einen  verschiedenen  Nährboden  bieten  den  Wurzeln 
ihrer  Anschauungen  schon  die  philosophischen  und  psycho- 
logischen Grundlagen,  von  denen  die  drei  Pädagogen  aus- 
gehen. Auf  der  einen  Seite  steht  Locke  mit  seiner  sen- 
sualistischen  Psychologie  und  eropiristischen  Philosophie, 
seinem  einseitig  utilitaristischen  Ethizismus  auf  moralischem 
Gebiete;  auf  der  anderen  Jean  Paul  mit  seiner  durch 
und  durch  gefühlsphilosophisehen  Richtung,  seinen  stark 
aprioristischen  Anschauungen,  seiner  der  Lehre  von  den 
Seelenvermögen  nahestehenden  Psychologie,  Erfahrungs- 
und Entwicklungspsycholog  zugleich,  dabei  die  Liebe 
ins  Zentrum  seiner  Philosophie,  seiner  Ethik  und  Päda- 
gogik rückend;  und  zu  beiden  gesellt  sich  Herbart  mit 
seinem  ethischen  Pluralismus,  seinem  positiven  Realismus, 
gleichweit  entfernt  von  der  gefühlsphilosophischen,  wie  von 
der  intellektualistischen  Richtung  der  Philosophie  seiner 
Zeit,  mit  seiner  den  Seelenvermögen  abholden,  auf  das 
Vorstellungsleben  nach  mathematischer  Methode  auf- 
gebauten Psychologie.  Infolge  dieses  Unterschiedes  in 
ihrem  philosophischen  Gedankenbau  nehmen  sie  von  vome 
herein  eine  voneinander  abweichende  Stellung  gegenüber 
der  kindlichen  Natur  und  dem  ersten  Seelenleben  des 
Menschen  ein.  Locke  bildet  den  Empirismus  Bacofis  fort 
Wie  dieser  geht  er  von  der  Erfahrung  aus;  sie  ist  die 
Quelle  aller  Erkenntnis.  Angeborene  Vorstellungen  sind 
eine  alte  Metapher.  Die  Seele  an  sich  ist  von  Natur  eine 
tabula  rasa,  ein  leeres  Blatt,  und  alles,  was  sie  wird,  ist 
durch  die  Sinne,  ihre  Empfänglichkeit  und  die  Einwirkung 
auf  die  Sinne  bestimmt  und  so  gilt:  nihil  est  in  intellectv^ 
quod  non  ante  fiurit  in  serisibns.  Aus  diesem  Grunde 
betont  Locke  die  Ausbildung  der  Sinne,  wobei  er  gleich- 
zeitig den  inneren  Sinn  auffaßt  als  ein  Analogen  des 
äußeren.   Nach  ihm  sind  alle  Menschen  von  Natur  gleich, 


—     29     — 

und  alle  individuellen  Verschiedenheiten  kommen  nur  auf 
Kosten  der  Erziehung  zu  stehen.  Der  Mensch  ist  von 
Natur  weder  gut,  noch  böse,  das  eine  oder  das  andere 
entwickelt  sich  erst  im  Laufe  des  Lebens  gemäß  den  Ein- 
flüssen von  Erfahrung  und  Umgang  auf  psychologischem 
Wege.^)  In  dieses  phylosophische  System  paßt  freilich 
nicht  seine  erzieherische  Forderung:  Ȇberall  und  immer 
hat  der  Erzieher  die  eigentümliche  Natur,  die  Individualität 
des  Kindes  zu  berücksichtigen.«  Es  ist  ein  unlösbarer 
Widerspruch,  wenn  Loclce  §  66  von  den  natürlichen  An- 
lagen des  Kindes  und  seiner  Beschaffenheit  (the  Childs 
"natural  Oenius  and  Coytstitutioii)  spricht  und  fortfährt: 
»Wir  dürfen  nicht  hoffen,  ihre  ursprüngliche  Anlage 
{Original  Tempers)  gäuzlich  umzuwandeln,  das  heitere 
Kind  nachdenklich  und  ernst,  noch  das  melancholische 
lustig  zu  machen,  ohne  sie  zu  verderben.  Gott  hat  den 
Seelen  der  Menschen  ein  eigentümliches  Gepräge  (certain 
Characters)  eingedrückt,  welches,  wie  die  Gestalt  ihrer 
Körper,  vielleicht  ein  wenig  verzerrt,  aber  schwerlich  ge- 
ändert und  in  das  Gegenteil  umgewandelt  werden  kann. 
Wer  also  mit  Kindern  umgeht,  sollte  ihre  Natur  und 
Fähigkeiten  wohl  studieren  und  durch  tiefere  Versuche 
zu  erfahren  suchen,  wohin  sie  sich  am  leichtesten  neigen, 
was  ihnen  am  besten  gelingt«  Es  ist  eben  der  Wider- 
streit der  Erfahrung  mit  der  theoretischen  Konstruktion 
seines  philosophischen  Systems,  und  in  seiner  Pädagogik 
wird  er  den  Tatsachen  gerechter  als  in  jenem  und  ge- 
winnt so  den  natürlichen  Anlagen  der  Kinder  gegenüber 
vielfach  die  rechte  Position,  indem  er  auch  aprioristische 
Elemente  gelten  läßt,  so  wenn  er  §  139  auch  der  Lehre 
von  der  Erbsünde  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gerecht 
wird.  ^)      Freilich  kommt   er  auch  in   seiner   Pädagogik 


>)  Education  §  45,  79,  80,  110,  114. 

^)  »Wenig  AdamskiDder  siod  wohl  bo  glücklich,  ohne  alle  fehler» 
hafte  Anlage  auf  diese  Welt  zu  kommen;  aher  es  ist  das  Geschäft 
der  Erziehung,  diese  entweder  wegzuschaffen,  oder  doch  ihnen  ent- 
gegenzuarbeiten.« 


—     30     — 

über  diesen  Widersprach  nicht  völlig  hinaus,  und  er  tritt 
selbst  noch  im  letzten  Abschnitte  seines  Werkes^)  deut- 
lich hervor.  Obgleich  er  denselben  beginnt  mit  den 
Worten:  »Jedes  Menschen  Seele,  sowie  sein  Geeicht,  hat 
ihre  Besonderheiten,  die  ihn  von  allen  andern  Menschen 
unterscheiden,  und  es  gibt  schwerlich  zwei  Kinder,  die 
genau  nach  derselben  Methode  behandelt  werden  können, c 

fährt  er  nur  wenige  Zeilen  darauf  fort:  » die  ich 

für  den  Sohn  eines  angesehenen  Mannes  bestimmt  hatte, 
den  ich  mir,  da  er  noch  so  jung  war,  als  ein  unbeschriebenes 
Papier  oder  als  ein  Stück  Wachs  vorstellte,  das  man  nach 
Gefallen  bilden  und  formen  kann.«  Durchweg  gerecht 
wird  Locke  der  kindlichen  Natur  nur,  wenn  er  das  Wesen 
derselben  schildert  lediglich  vom  Standpunkte  seiner 
eigenen  Erfahrung  und  Beobachtung  aus,  unbekümmert 
um  die  Ansprüche  seines  Systems.  Dann  spricht  aus 
seinen  Worten  volles  Verständnis  für  das  Heitere,  Naive, 
flatterhaft  Unschuldige  derselben,^)  und  daher  ist  es  eine 
seiner  Grundforderungen,  »gegen  ihrkindisches  Wesen  billige 
Bücksicht  zu  nehmen,  eben  weil  es  der  ganz  natürliche 
Zustand  ihrer  Altersstufe  ist«;  aber  nicht  allein  diese 
Psychologie  Lockes,  auch  seine  Ethik  beeinflußt  nicht 
unwesentlich  seine  Ansichten  über  Kinderspiele.  Obwohl 
im  wesentlichen  mit  den  Prinzipien  der  wissenschaftlichen 
Ethik  übereinstimmend,  hat  der  verständig  nüchterne,  auf 
das  Praktische  gerichtete  Sinn  Lockes  dieselbe  lediglich 
auf  das  Prinzip  der  Nützlichkeit,  auf  die  Glückseligkeits- 
lehre gestellt  Die  höchste  Bestimmung  des  Menschen 
ist  ein   glückliches  Leben  in  dieser  und  ein   seliges  in 

»)  Educ.  §  216. 

')  »Die  Kindesaeele  will  vermöge  ihres  Naturtriebes  gern  herum- 
schweifen.  Nur  das  Nene  reizt  diese  kleinen  Geschöpfe.  Sobald 
ihnen  so  etwas  vorkommt,  so  ist  gleich  ihre  Begierde  da,  es  zu 
kosten,  und  ebenso  geschwind  sind  sie  damit  gesättigt.  Sie  werden 
ein  und  dasselbe  Ding  bald  müde,  und  so  besteht  fast  all  ihr  Ver- 
gnügen in  Abwechslung  und  Veränderung.  Es  ist  für  sie  etwas  ihrer 
kindischen  Natur  Widersprechendes,  ihre  flatternden  Gedanken  fest- 
zohalten.«    Educ.  §  167, 


—    31    — 

jener  Welt.  Unter  der  Glückseligkeit  versteht  er  aber 
bald  das  Begehren  nach  materiellem  Wohlbefinden,  bald 
das  Verlangen  nach  geistiger,  ethischer  Wesenserhöhong, 
bald  die  ewige  Glückseligkeit  im  Jenseits.  Die  Nichtigkeit 
und  Leere  eines  solchen  Ideals  wohl  selbst  fühlend,  preist 
er  daher  auch  vielfach  die  Tugend  am  höchsten  und  be- 
tont energisch  den  Wert  der  öffentlichen  Meinung.  — 
Gegenüber  diesen  kühlen,  nüchternen  Erwägungen  sind 
die  philosophischen  Anschauungen  Jean  Pauls  durch  und 
durch  gefühlsgetragene.  Von  der  kritischen  wie  idea- 
listischen Philosophie  seiner  Zeit  sich  gleich  abwendend, 
stellt  er  sich  in  bewußter  Absicht  neben  Jdkohy^  dessen 
Vernunftanschauung  er  huldigt,  wird  er  zu  einem  Apostel 
der  Liebe,  durch  die  er  die  Welt  gleich  einem  Pestalozzi 
verklären  möchte.  Ein  echter  Sohn  der  Zeit  aber  ist  der 
Psycholog  Jean  Paul]  denn  wie  dieselbe  fast  durchweg 
befangen  ist  in  der  Lehre  von  den  Seelenvermögen,  so 
spielt  diese  Theorie  wesentlich  auch  herüber  in  seine 
psychologischen  Anschauungen.  Sprechen  auch  einzelne 
Bemerkungen  für  den  entgegengesetzten  Standpunkt,  steht 
er  doch  in  der  Hauptsache  auf  dem  Boden  des  psycho- 
logischen Dualismus  und  hält  zu  einem  gut  Teil  an  der 
Monadologie  Leibnizens  fest.  Wesentlich  anders  als  bei 
Locke  lautet  auch  sein  Urteil  über  das  Wesen  der  kind- 
lichen Natur.  Gegenüber  dessen  tabula  rasa  huldigt  er 
einem  Apriorismus  schroffster  Art  und  gelangt  zu  einer 
gewissen  fatalistischen  Theorie,  die  in  konsequenter  Durch- 
führung bis  zu  einem  bestimmten  Grade  eigentlich  jede 
Einwirkung  unmöglich  machen  müßte.  Die  Ideen  des 
Wahren,  Guten  und  Schönen,  der  Freiheit  und  Sittlichkeit, 
des  Absoluten  und  göttlichen  Wesens,  der  Unendlichkeit, 
Ewigkeit  und  Unsterblichkeit,  Vernunft,  Gewissen  und 
Liebe  bringt  der  Mensch  ebenso  mit  zur  Welt  als  die 
Fähigkeit,    wahrzunehmen,    zu    fühlen  und  zu  wollen.^) 

')  9BedeDke  doch  der  Erzieher,  welcher  überhaupt  za  sehr  alles 
Lernen  den  Lehrern  zuschreibt,  daß  das  Kind  seine  halbe  Welt,  näm- 
lich die  geistige  (z.  B.  die  sittlichen  und  metaphysischen  Aoschaa- 


-     3(3     - 

Alle  diese  Anlagen  aber  sind  nur  solche  zum  Guten: 
»Jede  Naturkraft  ist  heilig.«^) 2)  Nichts  als  heilige  Un- 
schuld überall,  die  den  Dichter  singen  läßt:  >0  war  ich 
nur  ein  wenig  allmächtig  und  unendlich,  ich  wollte  mir 
ein  besonderes  Weltkügelchen  schaffen  und  es  unter  die 
mildeste  Sonne  hängen,  ein  Weltchen,  worauf  ich  nichts 
setzte  als  lauter  liebe  Eindelein,  und  die  niedlichen  Dinger 
ließ  ich  gar  nicht  wachsen,  sondern  ewig  spielen.«') 
Allerdings  faßt  Jean  Paul  diese  Anlagen  nur  als  Keime 
des  Guten  auf,  die  im  Zöglinge  schlummern.  Die  Kindes- 
natur  stellt  sich  ihm  dar  als  eine  »Winter wüste  voll 
Frühlingskeime,  wohin  ein  Strahl  trifft,  da  grünt  es  her- 
vor«.*) Unaufgeklärt  freilich  läßt  er  das  Wesen  der- 
selben. Sind  es  Seelen  vermögen?  Sind  es  Naturkräfte? 
Er  selbst  hilft  sich  über  die  Klippe  hinweg  durch  seine 
Lehre  von  dem  Idealmenschen,  der  bei  ihm  Voraus- 
setzung und  Ziel  der  Erziehung  zugleich  ist,  zwei  grund- 
verschiedene Anschauungen,  zwischen  denen  er  hin  und 
her  schwankt.  Nicht  im  Zweifel  aber  läßt  er  über  dessen 
Auffassung  als   einer   psychischen   Realität   zum    Unter- 


gegeostände)  ja  schon  fertig  und  belehrt  in  sich  trage,  und  daB  eben 
daher  die  nur  mit  körperlichen  Ebenbildern  gerüstete  Sprache  die 
geistige  nicht  geben,  bloß  erleuchten  könne.«  Lev.  §  269.  »Keia 
Mensch  wird  der  bloße  Widerschein  seiner  Verhältnisse,  denn  er  ist 
sein  eignes  Licht.«  Die  Umwelt  ist  wohl  eine  Mitarbeiterin  an  der 
Ausgestaltung  des  Individuums,  aber  dasselberläßt  sich^nicht  restlos 
aus  den  äußeren  Verhältnissen  erklären.  Namentlich  ist  das  Kind 
reich  an  angeborenen  religiösen  und  moralischen  Anlagen.  Eine 
ganze  religiöse  Metaphysik  schläft  im  Kinde.  Die  ganze  Tugend- 
haftigkeit ist  Naturell,  nicht  Entschluß  und  Opfer.«  Seiina.  »Alle 
Stärke  liegt  innen,  nicht  außen.«     Lev.  §  124. 

»)  Lev.  §  158. 

')  »Unschuldig  tritt  das  Kind  in  dieses  Leben  ein;  aus  einer 
reinen  idealen  Welt  kommt  es  auf  dieser  Erde  an.  Nie  kann  es  da- 
her für  zu  gut  und  rein  gehalten  werden.«  »Dem  Kinde  liegt  das 
Höchste  näher  als  das  Niedrige.«  Lev.  §  129.  »In  ihm  leben  noch 
Leib  und  Seele  in  den  Flitterwochen  einträchtig  beieinander,  und  der 
freudigen  Seele  hüpft  noch   der  lustige  Körper  nach.«    Lev.  §  158. 

■)  Flegeljahre.  —  *)  Levana  §  18. 


—     33     — 

-schiede  von  der  bloß  ethischen  etwa  eines  Herbart,  sowie 
über  dessen  streng  individuelles  Gepräge.  Das  von  ihm 
intuitiv  und  gefühlsmäßig  erfaßte  Ich  charakterisiert  sich 
überhaupt  durch  seine  Konstanz.  Es  entwickelt  sich 
nicht,  es  ist  plötzlich  da,  ist  etwas  Ursprüngliches.  Im 
völligen  Gegensatz  zu  Hume,  Fichte,  Hegel  richtet  sich 
seine  Auffassung  gegen  alle,  welche  die  Anschauung  als 
«ines  sich  entwickelnden  Prozesses  vom  Ich  vertreten. 
Eine  gewisse  Ähnlichkeit  verraten  seine  psychologischen 
Ansichten  mit  der  Lehre  Flatos  von  den  angeboren f-n 
Ideen:  In  einem  Anthropoliten  kommt  der  Idealmensch 
auf  der  Erde  an.  Der  Erzieher  hat  ihm  nur  die  Stein- 
rinde wegzubrechen,  hat  nur  den  verhüllten  Juwel  bloß- 
zulegen. Jedenfalls  aber  verdankt  er  seine  Grundanschau- 
ungen nicht  dem  Griechen,  sondern  dem  Franzosen 
Rousseau.  Gleich  diesem  sieht  er  in  dem  Kinde  den 
reinen,  unschuldigen,  idealen  Menschen ;  alles  Gute  ist  an- 
geboren, und  alles  Angeborene  ist  gut  Wie  dieser  läßt 
er  alles  geistige  Leben  mit  zwingender  Notwendigkeit 
aus  gewissen  Keimen  sich  entwickeln.  Diese  ganze  psycho- 
logische Voraussetzung  hat  aber  zur  notwendigen  Folge 
eine  ideale  Auffassung  vom  Werte  und  Zwecke  der  Kind- 
heit überhaupt.  Gleich  Schleiermacher  ist  ihm  jene  durch- 
weg Selbstzweck.^)  Im  Kinde  ist  die  ganze  Fülle  des 
künftigen  Menschen  angelegt,  und  so  bildet  die  Kindheit 
allenthalben   die   Zeit   der   Aussaat.  ^)    Mit    dieser    Auf- 

^)  »Ist  denn  die  Kindheit  nur  der  mühselige  Rüsttag  zum  ge- 
nießen den  Sonntag  des  späteren  Alters,  oder  ist  sie  vielmehr  nicht 
«elher  eine  Vigilie  dazu,  die  ihre  eignen  Freuden  bringt?«  »Mit 
•einer  Kindheit  voll  Liebe  kann  man  ein  halbes  Leben  hindurch  für 
die  kalte  Welt  haushalten.«  Lev.  §  117.  »Das  Schönste,  was  die 
Menschen  taten,  fiel  es  auch  in  ihre  kältere  Jahreszeit,  war  nur  spät 
aufgehender  Samen,  den  der  Lebensbaum  des  kindlichen  Paradieses 
getragen  hatte,  gleichsam  realisierte  Jugeudträume.  —  Wahrlich  ein 
großer  Teil  unserer  älteren  Sittlichkeit  ernährt  sich  von  den  Träumen 
and  Zwecken,  welche  die  Jugend  hatte  und  verfolgte.«  Gesammelte 
Werke,  Bd.  XLVIII,  St.  1—3. 

^  »Alles  Erste  bleibt  ewig  im  Kinde;  die  erste  Farbe,  die  erste 
Musik,  die  erste  Blume  malen  den  Yorgrund  seines  Lebens  aus,  ja, 
Päd.  Mag.  320.    W'ellor.  3 


—     34     — 

i 

fassuDgsweise  auf  das  engste  verknüpft  ist  die  heilige 
Ehrfurcht  welche  Jean  Paul  allenthalben  der  kindlichen 
ladividualität  entgegenbringt.  Wie  an  etwas  Weihe- 
volles tritt  er  mit  heiliger  Scheu  an  das  Kind  heran  und 
fordert:  »Ein  Kind  sei  euch  heiliger  als  die  Gegenwart;«  ^> 
denn  »Alles  ist  leichter  zu  wagen  und  zu  ersetzen  als 
eines  Kindes  Unschuld «.2)  Darum  bittet  er:  »Die  Kind- 
heit und  noch  mehr  ihre  Schrecken  als  ihre  Entzückung 
nehmen  im  Traume  wieder  Flügel  und  Schimmer  an 
und  spielen  wie  Johanniswürmchen  in  der  kleinen  Nacht 
der  Seele.  Zerdrückt  uns  diese  Qatternden  Funken  nichtc  ') 
Hand  in  Hand  mit  dieser  Ehrfurcbt  aber  geht  das  Be- 
streben, dem  Kindesalter  und  der  kindlichen  Individualität 
überall  gerecht  zu  werden;  und  eben  weil  er  in  jenem 
das  menschliche  Paradies  erblickt,  das  allen  einerlei  EdeD 
verheißt,*)  darf  er  von  sich  bekennen:  »Die  Jugend  sehe 
ich  an  nicht  etwa  tadelnd,  geschweige  neidend. c  ^)  Liebe- 
voll vertieft  er  sich  vielmehr  in  ihr  Wesen  und  ihre 
Eigentümlichkeiten  und  entdeckt  schließlich  im  Kinde 
einen  unerschöpflichen  Born:  »Wie  der  Mensch  un- 
ergründlich, so  das  Kind  noch  weit  mehr.«  Diese  zarte 
und  poetische  Auffassung  der  kindlichen  Natur  bringt  es 
zum  Teil  mit  sich,  daß  er  unter  allen  seelischen  Kräften 
der  Phantasie  weitaus  die  herrschende  Stellung  einräumt 
im< vollen  Gegensatz  zu  Locke^  der  ihr  mit  skeptischem 
Argwohn  gegen  übertritt  und  dafür  den  klaren  nüchternen 
Verstand  bevorzugt.  —  In  gewisser  Übereinstimmung  mit 
Locke  und  im  Gegensatz  zu  Jeaii  Paul  befindet  sich  in 
diesem  Punkte  auch  Herbart    Auch  er  nimmt  unter  den 


iu  der  KiDderwelt  steht  die  ganze  Nachwelt  vor  uns.«  Lev.  §  1. 
»Zwar  leben  die  Kinder  wie  Götter  in  einer  zeitlosen  Ewigkeit;  aber 
eben  dieses  nicht  zurückschauende  Hingeben  an  die  Gegenwart  wird 
in  den  späteren  Jahren  das  tiefere  Erinnern.«  Herbstblumine  II,  Tl.  46» 
St.  127.  »Die  Jugend  mit  ihren  Leidenschaften  ist  die  Zeit  unserer 
Erfahrung,  das  Alter  die  der  Medidation  « 

*)  Levana,  Öt.  26.  —  *)  Levana  §  124.  —  »)  Siebenkäs  Tl.  11 
bis  14,  St.  231.  —  *)  Flegeljahre  Tl.  20,  St.  94.  —  »)  Seiina, 
Bruchstück  Tl.  60,  St  87. 


—     85     — 

Geisteskräften  eine  RangordnuDg  vor  und  bemißt  sie  nach 
dem  Werte  für  die  sittliche  und  intellektuelle  Ausbildung, 
zeigt  der  Phantasie  gegenüber  eine  gewisse  Skepsis  und  er- 
blickt im  Anschauen  und  Bemerken  die  wichtigsten  unter 
den  bildenden  Beschäftigungen  des  Kindes.^)  Während 
nun  aber  Ijocke  in  der  Beurteilung  der  kindlichen  Natur 
zu  einer  gewissen  Nichtbeachtung  angeborener  Anlagen 
gelangt,  Jean  Paul  den  angeborenen  Kräften  fast  aus- 
schließlich vertraut,  vollzieht  sich  bei  Herbart  gewisser- 
maßen eine  Synthese  beider  Ansichten.  Auch  er  rech- 
net mit  Naturanlagen,  mit  dem  spezifisch  Individuellen 
des  Zöglings,  das  keine  Erziehung  umbilden  kann.  ^) 
Doch  traut  er  demselben  nicht  zu  viel  zu,  vielmehr  räumt 
er  den  Einflüssen  von  außen  weitaus  die  größte  Be- 
deutung ein:  »Man  erwartet  zu  viel  von  innen;  man 
dachte  überdies  zu  wenig  an  das  Individuelle  des  Innern^ 
was  keine  Erziehung  umbilden  kann.  Es  ist  übrigens 
durchgehender  Grundfehler  moderner  Zeitphilosophie,  sich 
das  Ich  als  einen  festen  Mittelpunkt,  als  ein  ^schlechthin 
Selbständiges,  abgeschlossenes  Fertige,  das  nicht  weiter 
berichtigt  werden  könnte  und  müßte  und  sollte,  zu  denken.t^) 

^)  »Das  Aoschaaen  ist  die  wichtigste  üDter  den  bildenden  Be- 
schäftigungen des  Kindes  und  des  Knaben.  Je  rahiger,  verweilender, 
je  weniger  spielend  das  Kind  die  Dinge  betrachtet:  desto  solidere 
Fandamente  legt  es  seinem  künftigen  Wissen  and  Urteilen.  Daa 
Kind  ist  geteilt  zwischen  Begehren,  Bemerken  und  Phantasieren. 
Welchen  von  diesen  dreien  sollen  wir  das  Übergewicht  wünschen? 
dem  ersteren  und  dritten  wohl  nicht ;  denn  aus  Begehren  und  Phan- 
tasieren entsteht  die  Herrschaft  der  Laune  und  des  Wahns,  aber 
aas  dem  Bemerken  entsteht  die  Kenntnis  der  Natur  der  Dinge.« 
Pestalozzis  Idee  eines  ABC  der  Anschauung,  St.  86,  87. 

')  »Sehr  häufig  drängt  sich  die  Tatsache  auf,  daß  Menschen^ 
welche  durch  viel  Wechsel  ihres  Schicksals  hindurchgehen,  dennoch 
ao  den  individuellen  Zügen,  die  man  schon  in  ihrer  Jugend  bemerkte, 
wieder  zu  erkennen  sind.  Darin  zeigt  sich  etwas  Gleichförmiges  der 
ihnen  eigentümlichen  Art  und  Weise,  wie  sie  unwillkürlich  die  ver- 
schiedenen Eindrücke  auffaßten  und  verarbeiteten.  Dieses  Gleich- 
förmige soll  der  Erzieher  so  früh  als  möglich  beobachten,  um  seine 
Zöglinge  richtig  zu  beurteilen.«    Umriß  päd.  Vorl.  §  296. 

*)  Rezension  der  Erziehungslehre  von  F.  H.  Ch.  Schwarz,  8t.  371. 

3» 


—     36     — 

Nicht  wie  bei  Jean  Paul  ist  bei  ihm  das  Ich  ein  kon- 
stantes, ursprüngliches,  sondern  lediglich  Resultat,  die 
Durchkreuzungsstelle  von  Vorstellungsreihen,  nur  scheinbar 
«in  einheitliches  und  festes,  in  Wahrheit  wechselnd  und 
ein  Produkt  der  Abstraktion,  ein  Gebilde  des  Scheins.  Seine 
ganze  Psychologie  beruht  durchweg  auf  anderen  Vor- 
aussetzungen. Der  Lehre  von  den  Seelenvermögen,  den 
Freiheitstheorien,  sowie  dem  Fatalismus  den  Krieg  er- 
klärend, wird  er  zum  entschiedenen  Deterministen.^) 

Das  ganze  Seelenleben  wird  bei  ihm  aufgelöst  in  Vor- 
stellungen. Die  Seele  ist  eines  der  vielen  Realen,  deren 
einzige  Aufgabe  ist,  sich  in  ihrem  absoluten  Sein  gegen 
mögliche  Störungen  zu  erhalten,  und  die  Art  ihrer  Selbst- 
erhaltung ist  eben  die  Vorstellung.  Diese  sind  nicht, 
aber  sie  werden  zu  Kräften,  deren  gegenseitiges  Spiel  in 
Hemmung  und  Förderung  oberhalb  und  unterhalb  der 
Schwelle  des  Bewußtseins  ein  rein  mechanisches  ist  and 
als  solches  als  eine  förmliche  Mechanik  und  Statik  der 
Vorstellungen  mathematisch  berechnet  werden  kann.  Eben- 
so sind  auch  Gefühle  und  Begierden  nicht  Sache  be- 
sonderer Seelenvermögen,  sondern  nur  bestimmte  Zustände 
gehemmter,  oder  sich  emporarbeitender  Vorstellungen. 
Für  all  diese  Vorgänge  ist  die  Seele  nur  der  Schauplatz, 
und  selbst  die  Apperzeption  ist  nur  ein  Akt  des  Vor- 
stellens,  die  Aufnahme  und  Aneignung  einer  neuen  Vor- 
stellung durch  die  schon  vorhandenen  älteren;  und  wie 
diese  Psychologie  nimmt  auch  seine  Ethik  eine  andere 
Oestalt  an.  Sie  ist  ihm  nur  ein  Teil  der  Ästhetik  und 
als  solche  völlig  unabhängig  von  der  Metaphysik.    Dieser 


^)  »Die  Grundfrage  betrifft  die  geistige  Anlage,  sowohl  im  all- 
gemeinen, als  im  einzelnen.  Die  Meinung  von  gewissen  Formen  in 
den  Seelenvermögen  würde  den  Erzieher  irreführen,  und  er  darf  nicht 
darauf  warten,  das  Gute  werde  wohl  von  seihst  kommen,  er  muß  es 
herbeiführen.  Die  Freiheitstheorien  erleiden  keine  Erziehung.  Der 
Erzieher  ist  unvermeidlich  Determinist,  wie  wohl  er  bescheiden  genug 
sein  kann,  nicht  die  ganze  Determination  in  seiuer  Gewalt  zu 
glauben.«     Aphorismen  19,  St.  389. 


-     37     — 

ästhetische  Charakter  zeigt  sich  in  der  Aufstellang  von 
fünf  sittlichen  Ideen  als  den  Musterbildern  für  sittliche 
Beorteilung,  so  daß  er,  da  dieselben  ihrem  Werte  nach 
völlig  koordiniert  sind,  zu  einem  ethischen  Pluralismus 
gelangt.  In  dem  Bestreben,  diesen  Ideen  zur  unbedingten 
Herrschaft  zu  verhelfen,  besteht  die  sittliche  Vervoll- 
kommnung; denn  die  natürlichen  Anlagen  sind  nichts 
weniger  als  gut.  Vielmehr  entwickelt  sich  im  Einde  zu- 
nächst ein  wildes  Ungestüm,  das  ein  Prinzip  der  Un- 
ordnung ist,  die  Einrichtungen  der  Erwachsenen  zu  ver- 
letzen droht  und  die  künftige  Person  des  Kindes  selbst 
in  Gefahr  bringt^)  Eben  deshalb  ist  für  Herbart  »die 
Erziehung  zu  einem  gut  Teil  negativ,  indem  sie  besteht 
in  der  Entfernung  des  Schlechten«.')  Darum  vermag  er 
aber  auch  nicht  wie  Jean  Paul  das  Eindheitsaiter  als 
einen  idealen  Zustand  des  Menschen  anzusehen,  sondern 
als  einen  solchen,  den  es  zu  überwinden  gilt,  und  daher 
stellen  sich  ihm  viele  Erscheinungen,  wie  der  jugendliche 
Leichtsinn,  die  jener  als  ganz  natürlichen  Ausfluß  kind- 
lichen Wesens  ansieht,  dar  als  Fehler  der  individuellen 
Anlage.^) 

2.  Pädagogische  Voraussetzungen. 

Im  Einklänge  mit  dieser  verschiedenen  philosophisch- 
psychologischen Auffassung  der  Kindesnatur  zeigen  sich 
auch  in  den  pädagogischen  Systemen,  den  gesteckten  Er- 
ziehungszielen und  entsprechend  getroffenen  pädagogischen 
Maßnahmen  der  drei  Erzieher  dieselben  Unterschiede. 
Lockes  Pädagogik  ist  eine  solche  des  Realismus  und 
Utilitarismus,  des  Nützlichen  und  Brauchbaren,  auf  den 
Leib  des  kalt  erwägenden  Engländers  zugeschnitten;  die 
Jean   Pauls   eine  solche  der  inneren   Wiedergeburt  und 

^)  »Die  natürlichen  Triebe  des  Menschen  sind  nicht  Ton  selbst 
sittlich.  Es  ist  nicht  umsonst,  nicht  ohne  tiefe  Bedeutung,  wenn 
unsere  Religion  von  Erbsünde  redet«  —  Bericht  an  Herrn  von 
Steiger  St.  31—32. 

*)  Aphorismen  20.  —  *)  Vergleiche  ümrifi  päd.  YoxL  |  165! 


—     33     — 

der  Liebe  und  die  Herbarts  eine  solche  der  ethischen 
Orientierung.  Das  Ziel  der  Erziehung  ist  nach  Loche 
die  männliche  Wirksamkeit  im  Dienste  der  Gesellschaft, 
die  praktische  und  nützliche  Weltbildung,  durch  welche 
der  soziale  Wert  und  die  öfifentliche  Wertschätzung  des 
Individuums  bedingt  sind.  Daher  macht  er  der  Anti- 
zipation der  Berufsbildung  durch  die  Schule  wichtige  Zu- 
geständnisse, stellt  die  Fach-  und  Berufsbildung  über  die 
allgemeine,  einheitliche  und  zusammenhängende  Geistes- 
kultur  und  ist  hierin  der  echte  Engländer  und  Sohn  seiner 
Zeit  Sein  Ideal  ist  mit  einem  Worte  der  tugendhafte 
Kavalier,  sein  Ziel  ein  durch  und  durch  weltmännisches, 
als  dessen  vier  Hauptstücke  er  selbst  hinstellt:  Tugend, 
Klugheit,  Lebensart  und  Kenntnisse.^)  Jean  Pau/ erblickt 
sein  Ziel  in  der  harmonischen  Entfaltuug  und  Ausbildung 
aller  menschlichen  Kräfte  und  Anlagen,  in  der  inneren 
Harmonie  von  Kraft  und  Schönheit,  in  einer  geistigen 
Wiedergeburt,  in  dem  Herausschälen  der  im  Menschen 
liegenden  Juwelen  aus  ihrer  Kruste,  in  der  Befreiung  des 
Idealmenseben  von  der  ihn  umgebenden  Schlackenhülle. 
Herbart  hat  im  Auge  die  Herausbildung  der  sittlichen 
Persönlichkeit.  Der  Zweck  seiner  Erziehungskunst  ist 
die  Ausbildung  eines  festen  Gedankenkreises,  die  Charakter- 
stärke des  sittlichen  Willens.  Diesen  verschiedenen  Zwecken 
entsprechend  bauen  sich  auch  die  einzelnen  pädagogischen 
Systeme  auf.  Die  Pädagogik  Loches  ist  mit  dem  Grund- 
gedanken seines  Erkenntnissystems  aufs  engste  verknüpft. 
Sein  Sensualismus  und  Empirismus  beherrscht  auch  seine 
Auffassung  von  der  menschlichen  Bildung.  Seine  ganze 
Erziehungstbeorie  steht  unter  dem  Einfluß  der  induktiven 
Methode,  der  Empirie.  Da  alle  Geistesbildung  nur  eine 
Frucht  der  Erfahrung  ist,  so  muß  auch  die  Erziehung 
zur  Erfahrung  werden.  Der  Erzieher  hat  nur  die  Auf- 
gabe, den  Zögling  solche  sammeln  und  ihn  sich  richtig 
entwickeln  zu  lassen,  hat  zu  leiten,  nicht  aber  zu  dressieren 


')  EdaoaüoB  §  134. 


—     39     — 

vind  abzurichten.^)  Vielmehr  ist  der  Zögling  so  früh  als 
möglich  als  Mann  zu  behandeln,  da  er  um  so  früher 
dann  auch  ein  solcher  sein  wird.  Weil  nur  durch  Ef- 
fahrung  etwas  in  den  Menschen  hinein  kommt,  ist  die 
Erziehung  zugleich  eine  Notwendigkeit.  Mit  Rousseau 
glaubt  Locke  behaupten  zu  können,  »daß  ^lo  ^^^  Men- 
schen das,  was  sie  sind,  gut  oder  böse,  brauchbar  oder 
unbrauchbar,  durch  die  Erziehung  werden«.  Aus  ihr  er- 
klärt sich  ihm  die  Verschiedenheit  der  Individualität,  und 
daher  kennt  er  nicht  wie  Jean  Paul  die  zarte  Rücksicht- 
nahme auf  dieselbe;  vielmehr  hat  die  Regierung  schon  iu 
der  zartesten  Jugend  zu  beginnen.^)  Darum  erlaubt  er 
sich  denn  auch  energische  Eingriffe  in  die  Freiheit  des 
Kindes  und  geht  hier  noch  weiter  als  Herbart\^)  doch 
will  er  damit  durchaus  keine  ernste  und  finstere  Ein- 
wirkung. Wie  Jean  Paul  erkennt  er  in  einer  heiteren, 
freien  Seele  die  einzige  Stimmung  und  Gemütslage,  :^ia 
welcher  jene  fähig  ist,  Belehrungen  über  neue  Gegen- 
stände anzunehmen  und  denjenigen  Eindrücken  offen  zu 
stehen,  ohne  welche,  wenn  sie  nicht  wirklich  gemacht  und 

*)  »Denn  die  Kinder  beständig  zupfen  und  zerren,  bald  hier- 
hin, bald  dahin,  heißt  nicht  sie  unterrichten,  sondern  sie  unnützer- 
weise  martern  und  plagen.  Weit  besser  wäre  es,  man  ließe  ihnen 
ihre  kindliche  Sorglosigkeit  und  Einfalt  bis  zu  reiferen  Jahren,  wo  sie 
sie  von  selbst  ablegen,  als  daß  man  sie  mit  Verweisen  überhäufe, 
die  gar  nicht  an  ihrer  Stelle  stehen,  und  die  ihnen  niemals  wohl- 
anständige Haltungen  und  Bewegungen  geben  können.«     Educ.  §  67. 

^)  »Unsere  Autorität  muß  schon  mit  dem  frühesten  Dämmern 
irgend  einer  Vorstellung  in  de:u  Knaben  Platz  greifen  und  ihn  be- 
einflussen, so  daß  sie  wie  ein  natürliches  Prinzip  wirke,  von  welchem 
er  niemals  den  Anfang  merkte  und  niemals  wußte,  daß  es  anders 
war  oder  anders  sein  könnte.«     Educ.  §  44,  45,  100. 

^)  »Denn  Freiheit  und  Nachsicht  kann  für  Kinder  keine  Wohltat 
werden.  Ihr  Mangel  an  Urteilskraft  macht,  daß  sie  des  Zwanges  und 
der  Zucht  bedürfen ;  ich  denke,  jedermann  wird  es  für  recht  erkennen, 
daß  Kinder,  solange  sie  klein  sind,  ihre  Eltern  als  ihre  Herren,  als 
ihre  unumschränkten  Oberhäupter  ansehen.  Ehrfurcht  und  Scheu 
müssen  euch  die  erste  Gewalt  über  ihre  Gemüter  verschaffen  and 
Liebe  und  Freundschaft  in  reiferen  Jahren  sie  euch  erhalten.«  £dao» 
§  40,  41  und  42. 


—     40     • 

in  der  Seele  erhalten  werden,  alle  eigne  Arbeit  des  Einde9 
sowohl,  als  die  ihres  Lehrers  verloren  ist.«  ^)  Seine  päda- 
gogischen Maßnahmen  bilden  eine  im  einzelnen  von 
Widersprüchen  nicht  freie  Synthese  von  Freiheit  und 
Zwang,  aber  einem  Zwang,  der  vom  Zögling  nicht  als  em 
solcher  empfunden  wird.  Es  steht  ihm  fest:  »Der,  wel- 
cher das  Mittel  gefunden,  den  Geist  des  Kindes  frei^ 
tiitig  und  munter  zu  erbalten  und  zu  gleicher  Zeit  ab- 
zulenken von  mancherlei  Dingen,  zu  denen  es  Neigung^ 
fühlt,  und  wieder  hinzuführen  auf  andere,  die  ihm  nicht 
zusagen,  wer  diesen  scheinbaren  Widerspruch  zu  ver- 
einigen weiß,  der  hat  das  wahre  Geheimnis  der  Erziehung^ 
erschlossen.«  2)  Großes  Gewicht  legt  Locke  bei  seiner 
Auflassung  des  Erziehungszieles  auf  Gewohnheit  und  Bei- 
spiele.^) Trotzdem  verwirft  er  aber  eine  unentbehrliche 
Stütze  der  charakterbildenden  Zucht,  den  Umgang,  und 
entscheidet  sich  für  Privaterziehung.  Als  wirksamstes 
Mittel  in  sittlicher  Hinsicht  betont  er  vielmehr  Beifall 
und  Lob,  die  Weckung  des  Ehrgefühls  und  den  Wert  der 
öffentlichen  Meinung.  »Lehrt  den  Zögling  seine  Neigungen 
beherrschen  und  seine  Begierden  der  Vernunft  zu  unter- 
werfen! Um  einen  jungen  Mann  dahin  zubringen,  weiß 
ich  kein  wirksameres  Mittel  als  die  Liebe  zu  Beifall  und 
Lob,  die  man  ihm  deswegen  durch  alle  ersinnlichen 
Mittel  einzuflößen  suchen  sollte.«^)  Deutlich  charakte- 
risiert er  damit  schon  einen  Hauptmangel  seiner  ganzen 
Pädagogik,  der  als  ein  Krebsschaden  am  Marke  derselben 
nagt:  die  sich  vielfach  zur  völligen  Verwerfung  steigernde 


J)  Educ.  §  167.  —  »)  Edac.  §  46,  51. 

')  »Die  Gewohuheit  ist  eine  Sache  von  großer  Bedeutung ;  Educ 
§  34.  Kinder  bilden  sich  meist  nach  Beispieleü,  und  wir  sind  alle 
eine  Art  Cbamälions,  die  immer  die  Farbe  der  Dinge  der  nächsteo 
Umgebung  annehmen,  und  dies  ist  am  wenigsten  zu  verwundern  bei 
den  Kindern:  die  ja  besser  verstehen,  was  sie  sehen,  als  wab  sie 
hören.  Die  Wirksamkeit  der  Beispiele  beruht  auf  dem  Nachahmungs- 
triebe.«    Educ.  §  67. 

*)  Educ.  §  51.  —  ')  Geschichte  der  Pädagogik. 


—     41     — 

ünterschätzuDg  des  unmittelbaren  Interesses,  das  seinen 
Objekten  an  sich  Wert  beilegt,  weiches  das  Lernen  um 
des  Lernens  willen,  nicht  augenblicklicher  Vorteile  und 
praktischer  Bedürfnisse  wegen  empfiehlt.  Nicht  nur^  daß 
überhaupt  ein  zusammenhängender  Unterricht  vernach- 
lässigt wird,  auch  sonst  soll  die  Erziehung  alles  auf  die 
künftigen  Geschäfte  eines  Mannes  von  Stand  abzwecken. 
»Der  Zögling  soll  die  größte  Mühe  auf  das  verwenden, 
was  am  notwendigsten  ist,  und  der  Hauptgegenstand  der 
Sorgfalt  soll  das  sein,  was  ihm  den  größten  und  häufig- 
sten Nutzen  in  der  Welt  bringt.«  Mit  stolzer  Verachtung 
wendet  sich  der  Landsmann  Shakespeares  von  der  ästhe- 
tischen Seite  der  Masik  und  Poesie  ab.  Der  enggeistige 
Hagestolz  Locke  hat  die  läuternde  Kraft  des  Schönen 
nicht  empfunden.  Er  weiß  nichts  davon,  daß  die  Kunst 
den  Menschen  in  seinen  Neigungen  zu  veredeln  und  aus 
den  niederen  Sphären  der  Sinnlichkeit  emporzuheben  ver- 
mag. In  seiner  Pädagogik  macht  sich  vielmehr  eine 
Nüchternheit  und  Phantasielosigkeit  geltend,  welche  die 
ganze  ästhetische  Seite  der  Erziehung,  alle  Poesie  und 
Kunst  ausschließt  und  das  Oemütsleben  fast  völlig  un- 
berücksichtigt läßt.  Obgleich  er  wohl  auch  auf  der  an- 
deren Seite  alles  bloß  Formelle  und  rein  Gelehrte  bei- 
seite schiebt,  wird  doch,  wie  Ziegler  richtig  bemerkt,  »ein 
so  gebildeter  Zögling  zwar  ein  brauchbarer  und  welt- 
gewandter Mensch  werden,  aber  er  wird  verstandesmäßig 
kalt  und  philiströs- schwunglos  bleiben,  selbst  noch  unter 
der  Bedingung,  daß  es  dieser  Pädagogik  doch  nicht  ganz 
an  einem  idealistischen  Momente  fehlt;  das  ist  der  sitt- 
liche Idealismus  der  Tugend  und  der  Pflicht,  wodurch 
Locke  sie  vor  einem  allzu  einseitigen  oder  gar  banau- 
sischen Realismus  geschützt  hat.«  Dieser  Engherzigkeit 
gegenüber  klingt  um  so  wohltuender  der  Naturruf  des- 
selben, der  zum  Teil  mit  seiner  Pädagogik  versöhnt. 
Schon  an  die  Spitze  seines  Werkes  tritt  Juvenals  »men^ 
sana  in  corpore  sano«^.  Das  sei  die  vollständige  Be- 
schreibung eines   glücklichen  Zustandes   in    dieser  Welt 


—     V2     — 

Daher  muß  der  Zögling  nicht  nur  geistig,  sondern  tot 
allem  auch  körperlich  kräftig  und  tüchtig  gemacht,  mnS 
abgehärtet  und  vor  aller  Verweichlichung  und  Verzärte- 
lung bewahrt  und  von  früh  auf  an  volle  Regelmäßigkeit 
gewöhnt  werden.  Doch  auch  sonst  erhebt  sein  wieder- 
holter Ruf:  »Gebt  der  Natur  den  nötigen  Raum,  um  den 
Körper  zu  formen,  wie  sie  es  für  gut  findet!«  ^)  energischen 
Protest  gegen  eine  im  bedenklichen  Grade  der  Unnatur 
zugetanen  Zeit,  gegen  die  mechanische  Dressur  einer  ver- 
knöcherten Schulphilosophie.  Energisch  redet  er  den 
Leibesübungen  das  Wort,  freilich  nur  einseitig  vom  medi- 
zinischen Standpunkte  aus,  ohne  dabei  auf  die  Entwick- 
lung der  Tugenden,  welche  in  jeder  sittlichen  Gemein- 
schaft, also  auch  später  im  staatlichen  Leben,  zur  Geltung 
kommen,  ohne  auf  die  weittragenden  nationalen  Gesichts- 
punkte hinzuweisen,  und  auch  hier  empfiehlt  er  nur  nütz- 
liehe  Beschäftigungen,  Reiten,  Fechten,  Übungen,  welche 
dem  späteren  Eavalier  zu  gute  kommen  können.  Das 
Ubergwicht  aber  behält  der  Arzt  Locke^  der  hier  zu  Worte 
kommt,  die  physische  und  psychische  Erziehung  als  zwei 
koordinierte  Teile  unterscheidet  und  so  falschlich  in  die 
Pädagogik  Verordnungen  über  die  Pflege  der  leiblichen 
Gesundheit  und  Ausbildung  aufnimmt,  die  diese  willig 
der  medizinischen  Wissenschaft  überläßt.  Mit  vollem  Ver- 
ständnis des  diätetischen  Grundbegriffes  aber  erklärt  er, 
daß  Erholung  ebenso  notwendig  sei  wie  Arbeit  und  Nah- 
rung, daß  gerade  die  nach  Geistesarbeiten  eintretende  Er- 
mattung  um  so  dringender  zu  gymnastischen  Übungen 
auffordert.  2)     Abwechselnde   Anstrengung    und   Erholung 

*)  Edac.  §  11. 

^)  »Unsere  winzige  Lebenszeit  verhindert  uns,  alles  zu  erriogen, 
und  unser  Geist  darf  nicht  immer  angestrengt  sein.  Die  Schwäche 
unseres  Körpers  und  Geistes  gebietet  uns,  oft  auszuspannen  und 
einen  großen  Teil  unseres  Lebens  der  Erholung  zu  widmen.  Weni|^- 
stens  mfisse  diese  jungen  Leuten  nicht  versagt  werden,  wenn  ilur 
nicht  wollt,  daß  sie  durch  eure  Eile  vor  der  Zeit  anfangen  zu  altem 
und  ihr  den  Gram  habt,  sie  im  Grabe  liegen,  oder  sie  zum  zweiteo- 
mal  Kinder  werden,  ehe  ihr  es  euch  yerseht.    Daher  sollte  die  niekt 


—     43     — 

lautet  seine  Forderung,  und  hiermit  erklärt  er  sich  gegfQ 
jede  Überbürdung  mit  geistigen  Arbeiten,  wie  er  sich 
allerdings  andrerseits  ebenso  schroff  gegen  jede  Trägheit 
und  Untätigkeit,  gegen  den  Müßiggang,  besonders  der  vor- 
nehmen Welt,  der  häufig  in  Kollision  mit  den  Forderungen 
der  Sittlichkeit  gerät,  verwahrt.  ^)  —  Wie  Locke  legt  auch 
Jean  Pavl  großes  Gewicht  auf  die  physische  Erziehung.*) 
Wie  bei  jenem  stehen  auch  bei  ihm  die  Grundsätze  seiner 
durch  und  durch  individualistischen  Pädagogik  mit  dem 
Erziehungsziele  im  Einklänge,  nur  daß  sie  bei  ihm  viel- 
fach ein  gegenteiliges  Gesicht  bekommen.  Zunächst  schon 
schließt  jenes  jedes  rauhe  Eingreifen  in  die  kindliche 
Individualität,  vor  welcher  sich  der  Erzieher  ehrfurchts- 
voll zu  beugen  hat,  aus.  Der  Individualmensch  entwickelt 
eich  von  selbst,  auch  ohne  fremdes  Zutun,  und  es  liegt  dem 
Erzieher  nur  ob,  diese  Entwicklung  zu  fördern,  alle  Hindcr- 


2u  ernster  VeryollkommDung  bestimmte  Zeit  und  Kraft  auf  eine 
methodische  Pflege  des  Körpers  verwendet  werden,  und  vielleicht  ist 
keines  der  geringsten  Geheimnisse  der  Erziehungsknnst,  es  dahin  zu 
bringen,  daß  die  Übungen  des  Körpers  sowohl,  als  die  der  Seele  eine 
der  anderen  zur  Erholung  dieuten.  .  .  .  Dann  muß  man  aber  nicht 
vergessen,  daß  eine  Sache  nur  dann  zur  Erholung  werden  kaiiD, 
wenn  sie  mit  Lust  getan  wird.«     Educ.  §  197. 

M  »Wenn  nur  die  Menschen  von  Jagend  auf  von  der  Trägheit 
and  Untätigkeit  entwöhnt  würden,  worin  manche  aus  bloßer  Gewohn- 
heit einen  ansehnlichen  Teil  ihres  Lebens  ohne  Geschäfte  oder  Ver- 
gnügungen ungenützt  verstreichen  lassen:  so  würden  sie  Zeit  genug 
finden,  sich  in  hunderterlei  Dingen  Geschick  zu  erwerben,  die,  so 
entfernt  sie  auch  von  ihren  eigentlichen  Berufsgeschäften  sein  mögen, 
diesen  doch  nie  in  den  Weg  treten  würden.  Ich  bin  daher  der 
Meinung,  daß  man  der  Untätigkeit  und  Trägheit,  die  den  ganien 
Tag  unnützerweise  verträumt,  am  allerwenigsten  nachsehen,  oder  sie 
jungen  Leuten  gestatten  muß.  Das  ist  der  eigentliche  Zustand  eines 
siechen  Menschen,  der  mit  Kränklichkeiten  zu  kämpfen  hat  und  kann 
sonst  bei  keinem  anderen  entschuldigt  werden,  wes  Alters  und  Standes 
er  auch  sei.«    Educ.  §  208. 

')  »Der  Körper  ist  der  Panzer  und  Köraß  der  Seele.  Darum 
muß  dieser  vorerst  zu  Stahl  gehärtet  werden.«  Lev.  §  104.  »Körper- 
liche Abhärtung  ist,  da  der  Körper  der  Ankerplatz  des  Mutes  ist^ 
schon  geistig  nötig.«     Lev.  St.  123 — 24. 


—    44     — 

Disse  aus  dem  Wege  zu  räumen.^)  Damit  ist  dem  Er- 
zieher sein  Verhalten  klar  vorgezeicbnet:  »Nicht  Kopien 
seiner  eignen  Individualität  soll  er  zu  bilden  suchen,  son- 
dern nach  der  Harmonie  aller  individuellen  Anlage  des 
Zöglings  forschen;  die  Persönlichkeit  desselben,  sein  Ich, 
sei  ihm  heilig.  Der  oberste  Grundsatz  des  Erziehers  muB 
die  Herausbildung  und  Wahrung  der  Individualität  sein.t») 
Möglichst  frei  und  uneingeschränkt  soll  sich  der  Zögling 
entwickeln  können ;  früh  soll  er  lernen,  frei  zu  handeln. 
Die  ganze  Pädagogik  Jean  Pauls  ist  eine  solche  zur 
Selbsttätigkeit.  Die  entfaltende  Erziehung  spielt  weitaus 
die  größte  Rolle.  Ausschließlich  kommt  dieselbe  aller- 
dings nur  in  der  ersten  Zeit  zur  Geltung.  Wie  er  aber 
der  Kindheit  überhaupt  eine  hohe  Bedeutung  für  das  spätere 
Lebensalter  beilegt,  in  den  Kindern  die  Ansatzpunkte  und 
Hebelarme  für  die  ganze  fernere  Zukunft  und  nachfolgen- 
den Generationen  erblickt,  so  erkennt  er  insbesondere  im 
ersten  Lebensmorgen  die  ertragsreichste  und   ergiebigste 


^)  »Der  Bildungstrieb  muß  im  Kinde  selber  wachsen.«  Lev.  §  39. 
»Da  jede  £raft  heilig  ist,  bleibt  es  unverbrüchliches  Gesetz,  keine 
an  sich  zu  schwächen,  sondern  nur  ihr  gegenüber  die  andere  zu  er- 
wecken, durch  welche  sie  sich  harmonisch  dem  Ganzen  zufögt.c 
Ler.  §  29.  Vergl.  dazu:  »Nie  ist  eine  Kraft  zu  schwächen,  Bondeni 
nur  ihr  Gegenmuskel  ist  zu  stärken  « 

*)  In  wiederholten  Wendungen  bringt  Jean  Paul  diesen  Ge- 
danken zum  Ausdruck:  »Heilige  Kindheit,  wa9  begehrt  denn  ein 
Vater  mehr  als  Zeit,  die  ihm  nicht  gewährt  werden  kann,  um  die 
Jugend  zu  fetiereu!  Womit  kann  denn  ein  Vater  die  rotwangige 
Freudenhofstunde  der  Zeit  belohnen  und  beantworten  als  damit,  da^ 
er  Jüngling  sei  dem  Jüngling  und  Kind  dem  Kinde!«  Mitteilungen 
ans  des  Dichters  nngedrucktero  Nachlasse:  Deutsche  Blätter  für  er* 
ziehenden  Unterricht  1882,  No.  1  und  2.  »Der  Erzieher  sollte  sich 
fürchten,  seine  Individualität  fortzupflanzen  und  sich  prüfen,  nicht 
ob,  sondern  wonach  er  erziehe.«  »Der  Erzieher  soll  die  Zöglinge  sich 
nicht  selbst  nachbilden  wollen.  —  Die  Eigentümlichkeit  des  Schülers 
auszuforschen  und  hochzuachten,  ist  des  Erzieherj  erste  Pflicht. 
Leider  sind  drei  Dinge  schwer  zu  finden  und  zu  geben:  einen  Cha- 
rakter haben  —  einen  zeichnen  —  einen  erraten,  und  vor  einem 
gewöhnliehen  Erzieher  scheint  eine  Unart  schon  eine  Unnatur.« 
Lev.  §  29. 


—    45     — 

Zeit  der  Aussaat^)  Unter  allen  Umständen  bleiben  die 
ersten  zehn  Jahre  »das  wichtigste  einwohnende  Jahr- 
zehnt des  Lebens,  das  Erstgeburtstor  aller  GefQhle.«') 
Tritt  in  diesem  Zeitraum  die  Bedeutung  des  Erziehers 
mehr  zurück,  so  kommt  sie  zur  vollen  Geltung  im  späteren 
Eindesalter;  denn  von  dieser  idealen  Seite  des  Zöglings 
ist  eine  andere  zu  unterscheiden,  die  der  Erzieher  beugen 
und  zurechtlegen  muß.  Mit  dieser  hat  es  die  sich  später 
anschließende  heilende  Erziehung  zu  tun  durch  Ge- 
bieten, Verbieten  und  Strafe.  Im  völligen  Gegensatz  zu 
seinen  früheren  Ansichten  vergleicht  dann  Jean  Paul  den 
Zögling  wohl  sogar  mit  einem  Marmorblock.  Die  Tat- 
sache der  Erfahrung  hat  eben  in  ihm  das  Übergewicht 
bekommen  über  die  psychologische  Theorie.  Aus  seiner 
ganzen  Levana  klingt  die  Forderung  der  positiven  Er- 
ziehung unzweideutig  hervor,  denn  trotz  aller  Liebe  and 
Sorgfalt  für  die  Kleinen,  trotz  der  Ehrfurcht  vor  ihrer 
Individualität  will  er  durchaus  keine  verweichlichte  und 
verzärtelte  Erziehung:  >Wagt  man  nichts  an  Kindern,  so 
wagt  man  sie  selber,  den  Leib  wahrscheinlich,  den  Geist 


^)  »Soll  man  im  Meer  einer  menschlichen  Seele  Ahschnitte  an- 
geben, 80  muß  man  beim  Kinde  einen  ersten  Abschnitt  der  drei  ersten 
Jahre  machen.  In  dieser  Dämmerperiode  lasse  man  das  Licht  nnr 
selber  wachsen,  ohne  eins  anzuzünden.  In  den  ersten  drei  oder  ffiuf 
Jahren  können  Erzieher  dem  Kinde  entweder  zn  Hören,  welche  die 
Himmelstör  ihm  aufschließen,  oder  zu  Teufeln  werden;  denn  zu 
dieser  Zeit  entscheidet  sich  die  ganze  sittliche  Entwicklung  des  Men- 
schen. In  dieser  Knospenzeit  wird  gleichsam  das  akademische  Trien- 
nium,  nach  welchem  sich  erst  das  Seelentor,  die  Sprache,  auftut,  der 
Gegenstand  der  Sorge  nnd  des  Blicks.  Hier  ist  noch  die  rechte  Er- 
ziehung möglich,  die  entfaltende,  durch  welche  die  lange  zweite,  die 
heilende  oder  die  Gegenerziehung,  zu  ersparen  wäre.  Fär  das  Kind 
wird  auf  dieser  Greozscbeidung  des  Menschen  und  Affen  das  Wich- 
tigste entschieden.  Die  elterliche  Hand  kann  den  aufkeimenden  Kern, 
nicht  aber  den  aufblühenden  Baum  bedecken  und  beschatten.  Haben 
wir  unsere  Kinder  nur  ungestört  bis  ins  sechste  Jahr  herangezogen 
und  fest  gegründet,  so  löschen  ein  paar  böse  Beispiele  in  ihnen  nicht 
mehr  Gutes  aus,  als  sie  Tielleicht  anfachen.«     I^y.  §  42. 

•)  Lev.  St  20. 


—     46     — 

gewißic^)^  Der  Geist  soll  an  dieselbe  spartanische 
Zucht  gewöhnt  werden  wie  der  Körper;  ein  stoisches 
Wollen  soll  im  Zögling  reifen,  nicht  leidensohaftlichee  fie* 
gehren.  Festigkeit  muß  sich  paaren  mit  Freiheit') 
Das  eigentliche  Lebenselement  aber,  unter  dessen  Panier 
sich  der  gauze  Erziehungsprozeß  abzuwickeln  hat,  ist 
Heiterkeit  und  Freudigkeit.  Was  Jean  Paul  erwecken 
will,  ist  Liebe  zu  den  Kindern,  Achtung  vor  ihrer  Kraft 
und  ihrer  Zukunft;  was  er  bannen  will,  ist  die  Gleich- 
gültigkeit, die  Härte  und  die  Unvernunft  in  der  Erziehung, 
Heiterkeit  ist  der  Himmel,  unter  dem  alles  gedeiht,  Gift 
ausgenommen!  Ihr  will  er  einen  Altar  bauen  für  groß 
und  klein;  denn  >in  einer  Seele  voll  Dnmut  und  Ver- 
druß erstickt  die  dumpfe,  schwere  Luft  alle  geistigen  Blüten 
und  den  sittlichen  Wuchs.  Der  süßen  Wehmut,  dem  Mit- 
schmerz öffne  sich  das  Herz,  aber  nicht  dem  kalten  Mißmut 
und  dem  Niedergeschlagensein.  Das  Glück  des  Lebens 
besteht  wie  der  Tag  nicht  in  einzelnen  Blitzen,  sondern 
in  einer  steten  milden  Heiterkeit:  Das  Herz  lebt  in 
diesem  ruhigen,  gleichen  Liebte,  und  wäre  es  nur  Mond- 
licht oder  Dämmern,  seine  schönere  Zeit«*)^)  Indem 
Jeati  Paul  so  der  Heiterkeit  den  größten  Einfluß  auf  die 


0  Lev.  St  115. 

^)  »In  die  Frühlingsplätze  der  Kindheit  schauen  ohnehin  so  oft 
die  Väter  als  leere,  schneeweiße  Berghäupter  hinein  und  zeigen  dem 
Frühling  den  Winter.  Lieber  den  Windbruch  der  Früblingsatürme, 
als  den  Schneebruch  des  Alters.«     Lev.  §  135. 

')  »Die  verbündete  Pflege  kindlicher  Festigkeit  und  Freiheit  su- 
gleich  gehört  unter  die  schweren  Aufgaben  der  Erziehung.  Der  elter- 
liche Atem  soll  nur  die  Zweige  xum  Fruchtstäuben  bewegen»  aber 
nicht  krümmen  und  beugen.«     Lev.  St.  2G0. 

^)  Bruchstück  aus  der  Kunst,  stets  heiter  zu  sein.  Museum,  Tl.  44. 
St.  84  flf. 

^)  In  zahlreichen  Variationen  kehrt  dieser  Gedanke  in  den  Werken 
Jean  Patds  wieder:  «Die  Völker  wie  der  einzelne  Mensch  sind  nur 
am  besten,  wenn  sie  am  fröhlichsten  sind  und  verdienen  den  Himmel, 
wenn  sie  ihn  gebießen.«  Kanipaner  Tal,  Tl.  39,  St.  21.  »Heiterkeit 
—  der  Gegensatz  des  Verdrusses  und  Trübsinns  —  ist  zugleich 
Boden  und  Blume  der  Tugend  und  ihr  Kranz.«    Lev.  §  44.     »Der 


—     47     — 

innere  Entwicklung  und  Entfaltung,  auf  die  Gesundheit 
zuschreibt,  verlangt  er:  »Ihr  Menschen,  o  macht  nur  wenig- 
stens die  Menschen  glücklich,  die  es  am  leichtesten,  am 
unschuldigsten,  am  längsten  werden,  die  Kinder  .  . .  Das 
frohe  Eind  ist  überall  das  bessere,  und  die  Not  ist  die 
Mutter  der  Künste,  aber  auch  die  Großmutter  der  Laster.«^) 
Deshalb  fordert  er  vom  Erzieher:  »Meine  größte  Bitte  ist, 
daß  sie  der  spaßhafteste  Mann  in  meinem  Hause  sind. 
Lustigkeit  macht  Kleinen  alle  wissenschaftlichen  Felder 
zu  Zuckerfeldern.«  *)  Heiterkeit  soll  in  erster  Linie  an 
das  Ohr  des  Erziehers  schlagen  und  ihn  mit  der  echten 
Freudigkeit  erfüllen.  Ihre  schönste  Pflege  aber  findet 
dieselbe  in  geseiligen  Verhältnissen,  und  so  legt  Jeayi  Paul 
im  Gegensatz  zu  Locke  großen  Wert  auf  den  Umgang: 
»Leben  und  Kinder  erziehen  besser  zu  Erziehern  als  alle 
Erzieher.«  ^)    »Leben  zündet  sich  nur  an  Leben  an,€  und 

erfreute  Mensch  gewinnt  unser  Auge  und  Herz,  sowie  beide  der  Ver- 
drießliche abstößt«  Lev.  §  84.  »Freude  ist  die  warme  Sonnenseite 
des  Geistes  und  Leibes.«  Le?.  §  104.  »Und  was  ist  Wärme  für  das 
Menschenküchlein?  —  Freudigkeit.«  Lev.  §  42.  »Einen  traurigen 
Mann  erdulde  ich,  aber  kein  trauriges  Kind;  denn  kleine  Kinder 
werden  von  einem  schwarzen  Gifttropfen  der  Gegenwart  ganz  um- 
zogen und  erstickt.«  Lev.  §  43.  »Wer  kann  unter  Menschen  und 
Tieren  am  unglücklichsten  sein?  —  Die  Kinder.«  Lev.  St.  364 — 65. 
»Heiterkeit  schließt  wie  ein  Frühling  alle  Blüten  des  Innern  auf.« 
Gesammelte  Werke  XLIX,  St.  114.  »Jede  innerliche  Freude  ist 
mehr  heilsam  als  Arzenei.  Man  berechnete  noch  nicht,  was  fort- 
gehende Freude  auf  die  Kindergesundheit  wirkt.«  üngedruckter 
Nachlaß.  —  »Freudigkeit  —  dieses  Gefühl  des  ganzen  freigemachten 
Wesens  und  Lebens,  dieser  Selbstgenuß  der  innern  Welt,  nicht  eines 
äußeren  Weltteilchens  —  öffnet  das  Kmd  dem  eindringenden  All  und 
läßt  alle  jungen  Kräfte  wie  Morgenstrahlen  aufgehen  und  der  Welt 
und  sich  entgegenspielen.«  Lev.  §  45.  »I^achende  Heiterkeit  wirft 
auf  alle  Lebensbahnen  Tageslicht,  der  Mißmut  weht  seinen  bösen 
Nebel  in  jede  Ferue.«     Lev.  §  104. 

^)  Pahngenesien,  Tl.  42,  St  57. 

')  Unsichtbare  Loge,  Tl.  1,  St.  103.  Vergleiche  dazu:  Lessing, 
Minna  tou  Barnhelm  IV,  0 :  »Das  Lachen  erhält  uns  vernünftiger  als 
der  Verdruß!«  und  Schwarz,  Erziehungslehre  I,  St.  288:  »Die  Perle 
der  wahreu  Erziehung  ist  Frohsinn  und  Offenheit  des  Kindes.« 

*)  Vorrede  zur  2.  Aufl.  der  Levana,  St.  14. 


—     48     — 

zum  unterschiede  von  jenem  betont  or  nicht  miDder  ent- 
schieden die  ästhetische  Seite  der  Erziehung,  hierin  der 
echte  Sohn  seiner  Zeit,  dem  auch  das  Kleine  und  Kleinste 
nicht  entgeht;  und  weil  dies  alles  das  Kind  betrifft,  in 
welchem  aus  kleinen  Anfängen  Großes  sich  entfalten  soll, 
so  ist  ihm  nichts  klein  und  unbedeutend  in  den  Aufgabe 
und  Pflichten  der  Erziehung.  Mit  weihevollem  Ernste 
spricht  er  von  ihrem  heilig  erhabenen  Werke:  »Dieb 
Trauten,  Dich  Arglosen,  Dich  Freundlichen,  der  Da  Dich 
mit  Deinem  ganzen  Schicksal,  mit  Deiner  ganzen  Zukunft 
in  meine  Arme  wirfst  —  o  es  tut  mir  schon  wehe,  daß 
soviel  von  mir  abhängt.«^)  So  faßt  sich  die  ganze  Päda- 
gogik Jeayi  Pauls  zusammen  in  eine  nicht  unerfreuliche 
Synthese  von  heiligem  Ernst  mit  unbesiegbarem  Optimis- 
mus, von  kühner  Phantasie  mit  herber  Männlichkeit,  von 
hingebender  Liebe  mit  väterlicher  Strenge.  —  Wesentlich 
anders  als  bei  ihm  gestaltet  sich  das  Verhältnis  der  Er- 
ziehung zum  Zögling  bei  Herbart  Alle  Maßnahmen  sind 
auf  sein  Erziehungsziel,  auf  Verwirklichung  des  ethischen 
Idealmenschen,  zugeschnitten.  Die  sittlichen  Ideen  sollen 
die  Oberhand  gewinnen,  und  ihre  Herrschaft  ist  schon  im 
frühesten  Kindesalter  anzubahnen.  Der  Zögling  hat  mög- 
lichst früh  den  Zweck  und  die  wahre  Beschaffenheit  der 
Dinge  zu  erfassen,  nach  Grundsätzen  und  Maximen  han- 
deln zu  lernen.  In  diesen  Dienst  treten  Regierung,  Zucht 
und  Unterricht.  Herbarts  Zögling  genießt  daher  lange  nicht 
die  Freiheit,  welche  Jean  Paul  für  den  seinen  be- 
ansprucht. Zwar  hat  auch  er  Verständnis  für  die  natür- 
liche Munterkeit  und  Heiterkeit,  für  das  sorglose, 
phantasiereiche  Wesen  der  Kleinen,  für  die  Forderungen 
ihrer  zarten  Natur;  auch  er  redet  den  gymnastischen 
Übungen  und  Erholungszeiten  als  wirksamem  Schutz- 
mittel gegen  Überbürdung  das  Wort,  2)  hat   für  die  phy- 

*)  ÜDsichtbare  Loge,  TL  1,  St.  101. 

')  Vergleiche  hierza  Umriß  päd.  Vorl.  §  227.  Das  Knabenalter 
wird  . .  .  usw.!  Doch  selbst  hier  tritt  Herbarts  Gegensatz  zu  den 
Ansichten  Jean  Pauls  deutlich  zu  Tage.    Selbst  die  Art  und  Weise 


-     49     — 

sische  ErziehuDg  weitgehendes  YerständDis  und  will  die 
ForderoDgen  des  Unterrichts  nicht  weiter  ausgedehnt 
wissen,  als  sie  mit  der  natürlichen  Munterkeit,  der  gün- 
stigsten Stimmung  für  Geistes-  und  Charakterbildung,  be- 
stehen können;  auch  er  rechnet  mit  den  natürlichen  An- 
lagen der  Zöglinge  und  bringt  der  kindlichen  Individualität 
YoUes  Verständnis  und  tunlichste  Berücksichtigung  ent- 
gegen, auch  er  strebt  eine  harmonische  Ausbildung  und 
Entfaltung  aller  Kräfte  an  und  verlangt  im  Hinblick  auf 
das  spätere  Leben  möglichst  vielseitige  Ausbildung  und 
Weckung  aller  Interessen :  aber  eben  die  natürlichen  An- 
lagen sind  nicht  von  selbst  sittlich;  und  darum  zweckt 
seine  ganze  Erziehungsweise  unter  Zugrundelegung  eines 
heute  unhaltbaren  philosophischen  Systems  auf  eine  Yer- 
sittlichung,  Vervollkommnung  und  weitere  Ausbildung 
derselben  ab.  Seine  Pädagogik,  ihres  den  wahren  EerD 
der  Sache  mehr  verhüllenden,  als  klarlegenden  tektonischen 
und  künstlich  schematisierenden  Aufbaues  entkleidet,  dann 
aber  im  einzelnen  eine  Fülle  pädagogischer  Weisheit  ent- 
hüllend, trägt  daher  den  Charakter  des  Wohlgeordneten, 
methodisch  Geregelten,  Planvollen,  auch  im  kleinsten 
scharf  Berechneten  und  sauber  Durchgearbeiteten  an  sich. 
Bei  seinem  Idealmenschen  ist  alles  auf  das  Feindurch- 
gebildete, harmonisch  Ausgeglichene,  auf  das  Leise  und 
Zarte  —  durchaus  aber  nicht  Verweichlichende  —  ge- 
stimmt Eine  solche  Pädagogik  schließt  nicht  nur  jede 
Willkür  aus,  sondern  trifft  auch  die  oberste  Entscheidung 
über  die  Freiheit  des  Zöglings,  die  ihm  nur  dann  ge- 
währt wird,  wenn  der  Erzieher  seiner  inneren  Haltung 
gewiß  ist  ^)  Eine  solche  Erziehungsmethode  kennt  keinen 
Zufall,  nur  Berechnung;  ihr  Zweck  ist,  die  Kinder  dem 
Spiel  des  Zufalls  zu  entreißen.  Ihren  Wert  gibt  ihr  die 
Zuverlässigkeit  ihres  Planes.     »Immer  muß  sie  ihre  £r^ 

der  VerwertoDg  der  freien  Zeit  ist  der  Enteoheidong  und  fieethoimiil^ 

iler  Eltern  nnd  Vormändernntefworfen :  Regel  nnd  Ordnung  ftbendl! 

^)  Vergleiche  Umriß  päd.  Vorl.  §  152 :  »Allgemein  seigt  sieh . .  ubw.« 

PSd.  Mag.  820.    Weller.  4 


—  Be- 
folge, wo  Dicht  mit  Gewißheit,  doch  mit  großer  Wahr- 
scheinlichkeit vorhersehen.«^)  Eine  solche  AufiFassung 
vom  Wesen  der  Erziehung  duldet  nicht  alle  und  jede 
Schonung  der  kindlichen  Individualität,  sie  sucht  vielmehr 
auf  das  ganze  Yorstellungsleben  —  und  nach  HerbarU 
scher  Auffassung  damit  auch  auf  Denken,  Fühlen  und 
Wollen,  auf  die  Gesinnung  —  Einfluß  zu  gewinnen,  der 
dauernden  Haltung  des  Zöglings  sich  zu  versichern;  und 
darum  begleitet  sie  leitend,  abwehrend,  verhütend,  ein- 
wirkend und  gegenwirkend,  anhaltend  und  abhaltend 
dauernd  die  Schritte  desselben  vom  frühesten  Alter  an, 
ehe  noch  besondere  Neigungen  sich  festsetzen,  falsche 
Urteile  sich  bilden  können.  ^)  Positive  Erziehung  in  jedem 
Falle  wird  das  Losungswort;  das  Geben  spielt  eine  größere 
Rolle  als  das  sich  von  selbst  Entwickelnde  aus  dem  Innern. 
Der  Erzieher  überwacht,  ordnet  und  regelt  das  Verhältnis 
zwischen  Tätigkeit  und  Ruhe,  zwischen  dem,  was  drückt 
und  hebt,  zwischen  Beschränkung  und  Freiheit')  Die 
K^gierung  schwingt  überall  ihr  Zepter  und  selbst  »wäh- 
rend des  Zeitverlaufes,  in  welchem  dieselbe  sich  nicht  regt, 
soll  dennoch  der  Zögling  sich  nicht  in  einer  zügellosen 
Ungebunden heit  befinden.  Es  soll  ihm,  wenn  auch  noch  so 
leise,  doch  fühlbar  bleiben,  daß  er  gewisse  Schranken 
nicht  überschreiten  darf.  Dies  muß  die  haltende  Zucht 
bewirken,«^) .deren  hauptsächlichste  Aufgabe  ist,  »in  der 
frühen  Zeit,  zu  welcher  noch  kein  übler  Wille  da  ist,  den 


0  2.  Bericht  an  Herrn  von  Steij^er,  St.  31—32. 

')  »Denn  darauf  beruht  ja  am  Ende  die  ganze  Erziehanj^,  dafi  der 
biegsame  Knabe,  da£  das  zarte  Kind  sich  schon  früh  die  geistigen  und 
körperlichen  Bewegungen  geläufig  mache,  die  wir  aus  allen  Versuchen 
uod  Bemühungen  der  Männer  seit  vielen  Jahrhunderten  als  das  Beste  und 
Zweckmäßigste  herausgesucht  haben!  Eben  darum  ist  es  recht  eigent- 
lich ein  Geben  und  Entziehen,  was  die  Erziehung  als  ihr  Amt  ansehen 
moB;  eben  weil  menschliche  Kraft  bloß  das  ausarbeitet,  was  sie  emp- 
fing« kommt  es  so  sehr  darauf  an,  was  man  ihr  gibt.«  Über  den 
Standpunkt  der  Beurteilung  der  Pestalozzischen  Untenichtsmetbode. 

•)  Vergl.  dazu  umriß  päd.  Vorl.  §  157. 

*)  Umriß  päd.  Vori.  §  162. 


—     51     — 

mangelnden  Willen  zu  ersetzen  c.  Erst  wenn  der  Zögling 
schon  Vertrauen  sich  erworben  hat,  sowohl  für  seine  Oe- 
einnungen,  als  für  seine  Grundsätze,  muß  die  Zucht  sich 
zurückziehen.  »Unnötiges  Beurteilen  und  umständliches 
Beobachten  würden  dann  nur  der  Unbefangenheit  schaden 
und  Nebenrücksichten  veranlassen.  Ist  nämlich  die  Selbst- 
erziehung übernommen,  so  will  sie  nicht  gestört  sein.c  ^) 
So  gesteht  Herbart  erst  nach  Oberwindung  des  unreifen 
Standpunktes  der  von  Jean  Paul  für  das  ganze  Eind- 
heitsalter  geforderten  Freiheit  ihre  Berechtigung  zu.  »Die 
Regierung  dagegen  muß  schon  in  den  frühesten  Jahren 
befestigt  sein,  um  nicht  späterhin  auf  höchst  schädliche 
Weise  zur  Härte  gezwungen  zu  werden  ;€')  denn  an  ein 
Nachlassen  in  ihren  Maßnahmen  darf  sie  sobald  nicht 
denken:  »Die  Keime  des  blinden  Ungestüms,  die  rohen 
Begehrungen  bleiben  im  Einde.  Ja,  sie  vermehren  und 
verstärken  sich  mit  den  Jahren.  Damit  sie  nicht  dem 
Willen,  der  sich  in  ihrer  Mitte  erhebt,  eine  widergesellige 
Richtung  geben,  ist  es  fortdauernd  nötig,  sie-  unter  einem 
stets  fühlbaren  Druck  zu  erhalten.«  ')  Aus  diesem  Grunde 
ist  auch  kein  Teil  der  Erziehung,  den  Jahren  nach  gerech- 
net, wichtiger  als  der  andere:  »Eine  Pädagogik,  die  wie 
der  Kalender  nach  den  Monaten,  so  nach  den  Alters- 
stufen fortschreiten  will,  muß  wenigstens  gleichmäßig  über 
das  gesamte  Jugendleben  sich  verbreiten.«^)  Näher  kommt. 
Herbart  den  Ansichten  Jean  Pauls  allerdings  in  seinem 
Umrisse  pädagogischer  Vorlesungen,  wenn  er  von  den 
drei  ersten  Lebensjahren  erklärt:  »Wie  gering  aber  auch 
diese  Zeit  sein  möge,  sie  ist  äußerst  wichtig  wegen  der 
großen  Empfänglichkeit  und  Reizbarkeit  des  frühesten 
Alters.«^)  Übt  derselbe  aber  auch  einen  deutlich  fühl- 
baren  Druck   aus,    so  hieße   es  ihn  doch   mißverstehen,. 


»)  Umriß  päd.  Vorl.  §  195. 

•)  Umriß  päd.  Vorl.  §  202. 

>)  Allgemeine  P&dagogik. 

*)  fiezension  der  Erziehungslehre  von  F.  U.  Cb.  Schwarz,  8t  371. 

»)  Umriß  päd.  Vorl.  §  196. 

4* 


—    M    - 

diesen  als  einen  finsteren,  etwa  im  Sinne  iet  pietiMiflclieil 
Pädagogik,  aufzufassen;  denn  nicht  der  Erzieher,  sondefli 
die  Verh&Itnisse  dßr  Dinge  üben  denselben  aus:  »IM« 
Forderungen  des  Erziehers  müssen  nicht  der  daoeniie 
Gedanke  des  Zöglings  werden;  denn  nicht  diese,  soodeiil 
die  wirklichen  Verhältnisse  der  Dinge  sollen  die  Hotite 
seiner  Handlungen  und  die  Prinzipien  seiner  Oesinnungeo 
sein.  Dies  paßt  schon  auf  die  frühe  Jagend.  Sohoo 
kleine  Kinder  können  dahin  kommen,  Nebenrücksichton 
auf  die  sie  umgebenden  Personen  in  alles  einzumengeii 
und  deshalb  nichts  mehr  rein  zu  empfinden.c  ^)  Mit 
Toilem  Verständnis  für  das  kindliche  Wesen  fordert  er 
daher,  allerdings  auch  hier  wieder  mit  gewissen  Ein- 
schränkungen: »Soviel  Freiheit,  als  die  Umstände  erlauben« 
mufi  dem  Kinde  schon  deshalb  gelassen  werden,  damit 
es  sich  offen  äußere  und  damit  man  seine  IndiTiduolitü 
studieren  könne,«  ^)  deren  Kenntnis  notwendig  ist  zur  Ter* 
ständnisTollen  Lösung  der  Hauptaufgabe  der  ersten  Jugend- 
erziehung, die  auch  er  gleich  Jean  Paul  in  der  harmo* 
nischen  Ausbildung  aller  Kräfte,  nicht  wie  zum  Teil  Lock» 
in  der  einseitigen  Bevorzugung  irgendwelcher  Berufs- 
bildung erblickt  ^    Wie  Jean  Paul  legt  auch  er  Gewicht  auf 


')  Umriß  p&d.  Vorl.  §  94.  Vergleiche  dazu  §  100,  in  welchem 
Herbart  gleichfalls  Einsprach  gegen  eine  fortwährende  Aufsicht  erbebt. 

»)  Umriß  päd.  Vorl.  §  206. 

')  »Die  geistige  Tätigkeit  ist  auch  gesund,  sowohl  wie  die  Tätif^ 
keit  der  Gliedmaßen  und  der  Innern  Organe.  Es  wird  alles  zasaimnea 
in  Bewegung  gesetzt,  so  daß  es  leiste,  was  es  könne,  ohne  irgend 
eine  Kraft  zu  erschöpfen.  Man  gewöhne  an  Arbeitsamkeit  aller  Art. 
Lasse  man  sich  hier  nicht  darauf  ein,  die  frühere  Erziehung  mit  be- 
sonderen Arten  von  Übungen  und  Abhärtungen  für  einen  bestimmten 
Stand  zu  beschweren.«  Allgem.  Päd.  St.  140;  und  er  läßt  es  selbst 
nicht  an  Einzelanweisungen  fttr  das  rechte  Ausnutzen  des  ersten 
Kindheitsalters  fehlen:  »Man  nütze  die  Zeit,  worin  das  Kind  völlig 
wacht,  ohne  zu  leiden,  allemal  dazu,  daß  sich  ihm  irgend  etwas  zur 
sinnlichen  Auffassung  darbiete  Starke  Eindrücke  sind  lu  vermeiden, 
schneller  Wechsel  ebenfalls;  sehr  geringe  Abwechslungen  sind  oft 
hinreichend,  um  das  schon  ermattete  Aufmerken  wieder  anzuregen.« 
Umriß  päd.  Vorl.  §  197. 


/ 


-^     B3     — 

die  fisthetische  Seite  der  Eraiebung,  ja  schliefilich  trägt 
seine  ganze  Pädagogik  einen  ästhetischen  Charakter  an 
sich.  Sorgfältig  will  er,  schon  um  des  sittlichen  Inter* 
eeses  willen,  alles  Unschöne  von  dem  Zögling  fern  ge- 
halten haben:  »Unholde,  abstoßende  Eindrücke  von  Men- 
schen, wer  sie  auch  seien,  müssen  sorgfaltigst  vermieden 
werden;«^)  und  in  gleicher  Würdigung  wie  jener  schätzt 
er  den  erzieherischen  Wert  geselliger  Verhältnisse,  ihre 
Bedeutung  für  Charakter-  und  Willensbildung,  für  die 
Entfaltung  der  sittlichen  und  sozialen  Tugenden,  für  das 
Zustandekommen  der  sittlichen  Ideen:  »Praktische  Er- 
ziehung beruht  darauf,  daß  man  den  Zögling  in  gesellige 
Verhältnisse,  die  ihm  wert  sind,  hineinführe,  aber  so,  daß 
sittliche  Strenge  ihre  Grundbedingung  sei.  Die  Verhält- 
nisse müssen  bei  jeder  Abweichung  vom  Rechte  sogleich 
fühlbar  beleidigt  sein.  Der  Zögling  wird  die  Strenge  an-? 
fangs  nicht  begreifen,  aber  sie  später  verdanken.  Das 
geschieht  allerdings  am  leichtesten  zu  Hause,  nämlich  in 
guten  Häusern. c^)  Bestimmter  noch  formuliert  er  diese 
Forderung  für  jüngere  Kinder:  »Zuvörderst  wird  voraus- 
gesetzt, daß  man  jüngere  Kinder  nicht  viel  allein  lasse, 
sondern  daß  all  ihre  Lebensgewohnheiten  gesellige  seien, 
und  daß  in  dem  geselligen  Kreise  eine  strenge  Ordnung 
herrsche.  . .  Je  mehr  es  nun  gewöhnt  ist,  einem  gemein- 
samen Willen  anzugehören,  im  Umkreise  desselben  sich 
zu  beschäftigen  und  froh  zu  sein,  desto  weniger  erträgt 
es,  sich  allein  zu  fühlen.  Den  Übelwollenden  lasse  man 
allein,  under  ist  gestraft.«^)  Doch  denkt  Herbart  hier- 
bei nicht  an  das  erste  Lebensalter,  sondern  hat,  wie  aus 
nachfolgenden  Äußerungen  hervorgeht,  immer  schon  spätere 
Verhältnisse  im  Auge:  »Am  unmittelbarsten  lenksam  ist 
der  Wille  in  geselligen  Verhältnissen,  wo  er  als  gemein- 
samer Wille  erscheint    In  den  frühesten  Jahren,  wo  sich 


*)  Umriß  päd.  Vorl.  §  109. 

')  AphorismeD,  88. 

•)  UmriB  päd.  VorL  f  209. 


—     54     — 

das  Eind  der  Mutter  ganz  hingibt,  ist  es  durch  sie  lenk- 
sam. Späterhin  geht  die  Zucht  am  sichersten,  wenn  sie 
auf  gesellige  Anschließung  der  Jugend  hinwirkt  und  hier 
die  Keime  des  Outen  sorgfaltig  pflegt  Die  gesellschift- 
lichen  Ideen  müssen  allmählich,  durch  den  Unterricht  ge- 
läutert, hinzutreten,  c^)  Auf  diese  Weise  will  er  nicht  nor  die 
Idee  des  Bechtes,  sondern  vor  allem  auch  die  des  Wohl- 
wollens und  der  Vollkommenheit  schon  im  4.  bis  8.  Jahre 
gepflegt  wissen.  Ausdrücklich  hebt  er  von  diesem  Alter 
hervor:  »Die  Idee  des  Wohlwollens  und  wohlwollende  Ge- 
sinnungen zu  erwecken,  läßt  sich  im  Eindesalter  zwar 
noch  nicht  lösen,  aber  man  kann  viel  gewinnen ;€^  und 
auch  bezüglich  der  Idee  der  Yollkommenheif  kann  man 
schon  die  ersten  Anfänge  machen:  »Wie  das  Eind  wächst 
und  gedeiht,  so  wachsen  auch  seine  Eräfte  und  Fertig- 
keiten, und  es  gefallt  sich  selbst  in  diesem  Wachstum-c*) 
Die  Hauptarbeit  bleibt  aber  auch  hier  immer  dem  Er- 
zieher vorbehalten,  der  die  Verhältnisse  seinen  Zwecken 
entsprechend  zu  gestalten  hat:  Aus  jedem  Worte  spricht 
der  strenge  Determinist  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung. 
Diese  philosophischen  und  pädagogischen  Voraos- 
setzungen  bei  den  drei  Erziehern  bieten  den  Hanpt- 
schlüssel  zum  Verständnis  ihrer  Ansichten  über  die  kind- 
lichen Spiele,  ohne  sie  jedoch  restlos  zu  erklären,  denn 
wenn  je  in  einem  Eapitel  ihrer  Pädagogik  sprechen  ge- 
rade in  ihren  Abhandlungen  über  Einderspiele  persön- 
liche Erfahrungen  das  Hauptwort.  Bei  Jean  Paul  darf 
dies  von  vornherein  behauptet  werden ,  und  nur  bei 
Locke^  mehr  noch  bei  Berbart^  tritt  zeitweise  das  kon- 
struktive Element  in  den  Vordergrund,  doch  auch  hier 
nirgends  in  dem  Maße,  daß  dadurch  ihre  Ansichten  der 
Eigenart  ermangelten,  daß  sie  herabsänken  zu  bloßen 
Schemen,  zu  einer  bloß  aprioristischen  Eonstruktion  irgend 
eines  Idealmenschen.  Das  Drbild  des  englischen  Zög- 
lings steht  für  Locke  ganz    in  der  Wirklichkeit     Es  ist 


1)  ümriA  päd.  Vorl.  §  319.  —  *)  Ebenda  §  212.  —  «)  Ebenda  §  213. 


i 


—     66     — 

der  Sohn  eines  vornehmen  Aristokratengeschlechtes.  Für 
Jean  Paul  lebt  das  Kind  im  phantasievollen,  idealbean- 
lagten  Einde,  ist  das  Urbild  der  Wirklichkeit  er  selbst, 
seine  eigene  Kindheit.  Bei  Herbart  tritt  dieser  Funkt 
zwar  weniger  hervor.  Es  kommt  mehr  der  Durchschnitts- 
mensch in  seiner  Allgemeinheit  zur  Geltung,  doch  hat 
auch  er  einen  reichen  Sehatz  der  Erfahrung  eingeheimst. 
Gelten  diese  Vorzüge  für  ihre  Pädagogik  überhaupt,  so 
besitzen  doch  insbesondere  ihre  Ausführungen  über  die 
Spiele  den  Reiz  des  Erlebten,  der  eigenen  Erfahrung  und 
zeigen  —  hierin  übereinstimmend  —  etwas  Ursprüng- 
liches. Darin  liegt  zunächst  ausgesprochen,  daß  bei  ihren 
diesbezüglichen  Ansichten  von  fremden  Einflüssen  nur 
in  bedingtem  Maße  die  Rede  sein  kann. 

3.  Geschichtliche  Einflfisse. 

Die  von  Locke  vertretene  Richtung  des  Realismus 
hatte  allerdings  schon  durch  Rabelais,  Vives^  Montaigne, 
von  dem  er  unter  allen  in  der  Tat  die  größte  Abhängig- 
keit in  seinen  Ansichten  zeigt,  Bacon  und  Gomenius  be- 
gonnen, aber  erst  durch  seine  Prinzipien  gewann  sie  feste 
Haltung  im  Unterricht.  Einzelne  Bemerkungen  hinsicht- 
lich der  Spiele,  wie  überhaupt  der  gymnastischen  Übungen 
und  physischen  Erziehung,  stehen  daher  auch  fast  gleich- 
lautend bei  Rabelais,  Montaigne  und  Locke.  Insbesondere 
treten  seine  Ansichten  über  die  Verwertung  der  Spiele  für 
den  unterrichtlicben  Betrieb  schon  früher  auf  bei  Mon- 
taigne,^) Vives  und  Fenelon,  die  aber  sämtlich  in  keinem 
Geringeren  als  in  Plato')  ihren  Vorläufer  besitzen.  Doch 
ihren  Ausführungen  gegenüber  liegt  der  Wert  der  Locke- 
sehen  Darlegungen  in  der  feinsinnigen,  durch  sorgsamste 
Beobachtung  gewonnenen  Bemerkungen  über  die  Eandes- 
natur.  Er  ist  der  erste,  der  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht 
hat,  das  Problem  der  Spiele  psychologisch  zu  lösen,  und 


0  Vergl.  £88.  I,  25. 

«)  VergL  rep.  VU,  537  A,  535  A  B,  536  D  E. 


—    56    — 

TOP  dieRem  Gesichtspunkte  aus  betracfatet  ist  das,  was  er 
sagt,  höchst  verdienstlich  und  beachtenswert:  »Wer  Einiler 
erziehen  will,  soll  die  eigene  Vernunft  befragen,  niebt  airf 
altes  Herkommen  sich  blindlings  verlassen.c  ^)  —  Fir 
Jean  Faul  kommen  hauptsächlich  Rousseau  und  die  Er* 
ziehungslebre  von  Schwarz  in  Betracht  Wie  er  in  seinca 
Ansichten  über  die  Kindesnatur,  die  angeborene  Unschuld 
derselben,  über  die  physische  und  weibliche  Erziehung 
überhaupt  ein  Nachfolger  des  großen  Genfer  ist,  so  finden 
sich  gleichlautende  Bemerkungen  bei  beiden  auch  hii- 
sichtlich  der  Spiele,  insbesondere  hinsichtlich  des  Wesecs 
und  Wertes  der  Mädchenspiele,  sowie  einzelner  Anweisun- 
gen für  den  Erzieher.  Freilich  sind  auch  diese  volles 
Eigentum  Jean  Pauls  geworden ;  hat  er  sie  doch  an 
seinen  eignen  Kindern  erprobt,  und  um  wieviel  inniger 
faßt  er  überhaupt  das  Verhältnis  zwischen  Erzieher  und 
Zögling  auf  als  der  Franzose  Rousseau!  Auffallend  ist 
die  Übereinstimmung  mancher  seiner  Ausführungen  mit 
zahlreichen  schon  bei  Schwarz  —  wenn  auch  mehr  in 
versteckter  Form  —  angedeuteten  Gedanken,^)  so  bezüg- 
lich des  Spielsprechens,  der  Spielsachen  und  Spielplätze, 
der  kindlichen  Freiheit  bei  den  Spielen  und  ihrer  Heiter- 
keit, die  schon  jener  als  das  Kriterium  einer  guten  Er- 
ziehung ansieht,  wenn  dieselben  auch  bei  Jean  Paul  das 
Gepräge  seiner  Originalität  an  sich  tragen.  Ein  sorg- 
fältiger Vergleich  beider  Ansichten  nötigt  zu  Her  Über- 
zeugung, daß  die  Beeinflussung  des  letzteren  durch  jenen 
doch  vielleicht  eine  weitreichendere  ist,  als  die  vorhandenen 
Jean  Paw^Ausgaben  meist  zugestehen.  —  Wenn  auch 
Herbart  die  Kenntnis  einer  reichen  pädagogischen  Lite- 
ratur zur  Verfügung  stand,  so  hängen  doch  seine  An- 
sichten über  Kinderspiele  so  innig  mit  seinem  System 
und  Erziehungsziel  zusammen   und  tragen  infolgedessen 


^)  Educ.  §  216. 

*)  Auf  diesen  ZoBammenhang  wird  bei  den  einzelnen  AusführungeQ 
durch  entsprechende  Zitate  hingewiesen  werden. 


—    67     — 

80  66hr  das  Gepräge  seiner  Eigenart  an  sich,  daß  sie 
wenigstens  in  der  vorliegenden  Form  als  sein  Eigentum 
bezeichnet  werden  müssen,  wenn  auch  nicht  selten  leise 
Pestalozzische  Gedanken  anklingen  und  er  sich  viel- 
fach in  Übereinstimmung  mit  den  Anschauungen  seiner 
Zeitgenossen  und  selbst  Jean  Pauls  befindet  In  seiner 
Stellungnahme  gegen  das  Bestreben,  das  Zwangsmäßige 
des  Unterrichtes  ganz  zu  beseitigen  und  dem  spielenden 
Verfahren  weitgehende  Eonzessionen  einzuräumen,  steht 
ihm  als  Zeitgenosse  zur  Seite  Schleier macher,^)  geht  ihm 
als  Vorläufer  voraus  Eant,^)  von  dem  er  ja  auch  sonst 
trotz  zahlreicher  Gegensätze  vielfach  in  seinen  Anschau- 
ungen beeinflußt  ist. 

4.  Die  empirische  Grundlage  und  der  Erffahrunsskreit. 

Doch  all  diese  fast  bedeutungslosen  Einflüsse  ver- 
schwinden gegegenüber  der  wahren  Quelle  ihrer  Ansichten, 
und  diese  bildet  eben  der  Erfahrungskreis,  aus  dem  sie 
schöpfen,  die  empirische  Grundlage,  auf  der  sie  fußen. 
Je  nach  deren  Beschaflenheit  gewinnen  auch  ihre  Aus- 
führungen an  Leben  und  Fülle,  an  konkreter  Gestalt  und 
Wärme.  Loches  und  Herbarts  Ansichten  entbehren  des 
Vorzugs  der  Beobachtungen  an  eignen  Kindern,  welcher 
Jean  Pauls  Darstellung  weit  über  die  ihren  erhebt.  Die 
Beobachtungen  Loches  sind  —  wie  er  in  seinen  Aus- 
führungen über  Spiele  mehrfach  hervorhebt  —  angestellt 
an  Kindern  seiner  Umgebung  und  seines  Bekanntenkreises, 
und  viele  mag  er  wohl  gesammelt  haben  bei  seiner  prak- 
tischen Tätigkeit  im  Hause  seines  Gönners  und  Freundes, 
des  Lord  Ashley,  dessen  Sohn  und  Enkel  er  erzogen  hat 
Aus  dieser  Situation  heraus  —  sowie  teilweise  allerdings 
auch  aus  seiner  Abhängigkeit  von  Montaigne  —  erklärt 
es  sich,    daß  es  sich  bei   ihm    nur    um   Beobachtungen 


')  Scbleiermacbers  Pädagogische  Schriften,  St  223  ff.  486. 
>)  Die  Pädagogik  Kants,  St  87  ff.  und  Kritik  der  ästhetischen 
Urt^ilakraft  S  43. 


—     58    — 

von  Kindern    aus    den   höheren   Ständen   der   englischen 
Aristokratie   handelt.     Seine   Praxis   ist   wohl   auch  der 
Orund,  daß  er  nicht  nur  der  in  der  2.  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts   auf   sehr    tiefer    Bildungsstufe    stehenden    Er- 
ziehung des  weiblichen  Geschlechtes  überhaupt,  sondern 
auch  einer  liebevollen  Betrachtung  der  Mädchenspiele  voll- 
ständig aus  dem  Wege  geht.    Dagegen  hebt  er  ausdrück- 
lich hervor,  daß  es  sich   bei  ihm  wesentlich  nur  um  die 
Erziehung  eines  jungen  englischen  Gentleman  durch  einen 
Hofmeister,  um  Privaterziehung  handle,  daß  seine  Prin- 
zipien  nur  für    die  Schoßkinder   der   fashionablen  Welt, 
für  die  Söhne  der  englischen  Toryes  Geltung  haben  sollen.^) 
—  Die  meisten  und  umfassendsten  Fragen   an  die  Natur 
des  Kindes  hat  Herbart  im   Steigerschen  Hause  in  Bern 
gestellt,  wo  ihm  reichliche  Gelegenheit  geboten  war,  seine 
Zöglinge  auch  bei  ihren  Spielen  und  kindlichen  Treibereien 
zu   belauschen.     In  den  hier  angestellten  Beobachtungen 
wurzeln    viele    seiner   Bemerkungen    über    Kinderspiele; 
aber  auch  als   Professor  in   Königsberg   suchte    er   sich 
praktisch    zu    betätigen    durch    Errichtung    eines   päda- 
gogischen   Seminars,    mit    dem   er    ein    Pädagogium   im 
kleinen,  eine  Experimentierschule  verband,  an  welcher  er 
bei  seiner  Hingabe    an  die    Sache    manche  Erfahrungen 
sammeln  konnte;  und  nicht  zuletzt  fand  er  zum  Teil  auch 
in    seiner    eignen    Kindheit   manchen   Anknüpfungspunkt 
für  seine   Betrachtungen.     Manche   Eigentümlichkeit  aus 
seinem   Kinderleben   schillert   durch  seine  Ausführungen 
hindurch.     Von  jenem   aber   wird    berichtet:    Wie    alle 
fähigen   Kinder  trieb  es   auch  ihn,  seine   Gedanken   dar- 
zustellen.    Oft  stellte  er  sich  auf  einen  Tische  um  seinen 
Kameraden,    die   sich   um   ihn    herum   aufstellten,    vor- 
znpredigen.  Vor  allem  liebte  er  mathematische  und  geo- 
graphische Spiele   und   versuchte   sich    in  physikalischen 
Experimenten,  für  welche  ihn  besonders  der  Konrektor  Kruse 
gewonnen  hatte.     Übrigens  fehlte  es  auch  seinem  Schal- 


>)  8.  Vorrede  und  Educ  §  6,  43,  94,  177, 183,  185,  198  u.  216! 


f 


—  Be- 
leben keineswegs  an  Frohsinn  und  erheiternden  Szenen. 
Spaziergänge,  Spiele  im  Freien  worden  vorgenommen; 
aber  schon  als  Schüler,  wohl  infolge  des  Privatunterrichtes, 
liebte  er  große  Gesellschaft  und  Geselligkeit  überhaupt 
nicht;  nur  zwei  Schülern  schloß  er  sich  inniger  an;  mit 
den  übrigen  aber  hatte  er  wenig  Verkehr^  und  vielleicht 
fand  er  gerade  hierin  einen  Hinweis,  später  um  so 
energischer  den  Wert  munterer  Gespielen  und  geselliger 
Verhältnisse  zu  betonen.  —  Aus  einem  um  wieviel 
reicheren  Born  durfte  Jean  Paul  schöpfen?  Nicht  um- 
sonst bekennt  er  von  seiner  Levana:]  »Bekannte  Erzieh- 
regeln gewinnen  neue,  wenn  neuei  Erfahrung  sie  wieder 
bewährt;  der  Verfasser  aber  war  im  Fall,  dreimal  an 
fremden  Kindern  jeden  Alters  und  Talentes  sie  zu  machen, 
und  jetzt  genießt  er  von  seinen  eigenen  das  pädagogische 
Jus  trium  liberorum  (das  Dreikinderrecht).«  ^)  Dreimal*) 
ist  er  als  praktischer  Erzieher  tätig  gewesen  in  Topen, 
Schwarzenbach  und  Hof;  und  wie  er  mit  seinen  Schülern 
umging,  läßt  sich  leicht  aus  einer  Stelle  des  Quintas 
Fixlein')  entnehmen:  »Die  ganze  Schule  hatte  dem  lächeln- 
den Fixlein  nachgelächelt  und  ihn  gern  gehabt,  weil  er 
nicht  donnerte,  sondern  mit  ihnen  spielte.«  Er,  der  die 
Heiterkeit  als  erstes  und  letztes  Mittel  in  der  Erziehung 
preist,  konnte  nicht  mit  erzwungenem  Ernste  in  der 
Mitte  der  frohen  Kinder  weilen,  und  von  seiner  Schwarzen- 
bacher  Tätigkeit  wird  ausdrücklich  hervorgehoben:  »Nach 
den  Unterrichtsstunden  herrschte  eine  den  Neigungen  der 
Kinder  entsprechende  Freiheit.  Die  Schulprüfungen  wur- 
den durch  einen  Tanz  abgeschlossen,  und  der  Exaniinator, 
Jean  Paul^  tanzte  mit.«^)   Die  ergiebigste  Fundgrube  aber 


^)  Vorrede  zur  1.  Auflage  der  Levana. 

')  ErziebuDgafragen  beachäftigten  Jean  Paul  aber  auch  in  Yieleo 
seiner  DichtungeD,  so  daß  Hildebrandt,  allerdings  mit  Übertreibung, 
sagt:  »In  Wahrheit  kommen  wir  in  seinen  65  Banden  kaum,  oder 
doch  nur  auf  wenige  Augenblicke,  aus  der  Schuimeisterstube  berant. « 

»)  Teil  3,  St.  121. 

*)  Spalier  lU   St  33. 


—     60    — 

fand  er  in  seiDer  eignen  Kindiieit,  sowie  in  aeinem  übeiv 
aus  herzlichen  Familienleben.  Spasder  hebt  hervor:  »Eine 
charakteristische  Erscheinung  bei  Jean  Paul  war  die 
große  Klarheit,  in  welcher  seine  Kinder-  und  Knabenmt 
beständig  bis  in  das  höchste  Alter  vor  seiner  Seele  lag. 
Seine  Kindheit  konnte  er  fast  auswendig,  sie  war  ihm  be- 
ständig gegenwärtig  und  wirkte  auch  auf  ihn  ein.«  Er- 
innerungen aus  der  Jugendzeit  haben  für  seine  geistige 
Entwicklung  eine  ganz  besondere  Bedeutung  gewonnen. 
Mehr  als  anderen  sind  sie  ihm  eine  Quelle  reichen,  inneren 
Glücks  und  ein  unversiegbarer  Born  geworden,  aus  dem 
seine  Phantasie  am  häufigsten  und  tiefisten  schöpfte,  ein 
Spiegel,  in  dem  er  die  Welt  am  liebsten  schaute.  Be- 
sonderen Reiz  hatten  für  den  Knaben  Jean  Paul  die 
Abendstunden,  in  welchen  auch  der  sonst  vielbeschäftigte 
Vater  an  den  Spielen  teilnahm,  und  mit  unsäglicher 
Wollust  trieb  jener  seine  Kinderspiele.  Für  seine  Neigung 
zu  denselben  spricht  schon  die  Ausführlichkeit,  mit  wel* 
eher  er  dieselben  in  seiner  Lebensgeschichte  aufzählt  und 
beschreibt.  Selbst  seine  Schnitzarbeiten  erwähnt  er,  seine 
kindlichen  Malversuche  und  den  Zeitvertreib  mit  verschiede- 
nen Alphabeten.^)  Dabei  ist  er  durch  und  duroh  ein 
Phantasie-  und  Stimmungskind  gewesen.  Er  führte  ein 
sehr  energisches  Innenleben,  ein  Jugendleben,  an  das  ihn 
die  stärksten  und  wärmsten  Erinnerungen  fesselten,  so 
daß  Oervinus  geradezu  von  ihm  behauptet:  »Er  sei  zeit- 
lebens  nicht  aus  dieser  Jugendlichkeit  seines  Dichtens 
herausgekommen.«  Die  Joditzer  Jahre,  die  Erziehunga- 
weise  des  Vaters,  der  gehemmte  und  eingeschränkte  Dm- 
gani;:  mit  der  Außen  weit  mit  Natur  und  Menschen:  alles 
hat  in  seinem  Leben  tiefe  Spuren  zurückgelassen.  Je 
mehr  der  Knabe  von  der  äußeren  Welt  abgesperrt  wurde, 
desto  mächtiger  arbeitete  seine  lebhafte  Phantasie.  In 
dem  Knaben  bildete  sich  die  Eigenart  aus,  die  Außenwelt 
nicht  unbefangen  und  frei  zu  betrachten,  sondern  mit  dem 


^)  Wahrheit  ans  meinem  Leben,  St  325. 


i 


—    61     — 

Auge  seiner  ihn  beherrschenden  Phanttsiegebilde,  d$s  die 
Dinge  und  Zustände  eben  anders  wahrnahm,  als  sie  sonst 
dem  kindlichen  Oemüte  erscheinen.  Besonders  reiche  Sr- 
fahrungen  aber  sammelte  er  in  seinem  eigenen  glftek- 
lichen  Familienleben.  Zahlreiche  Aufzeichnungen  beseugeti, 
daß  aus  dem  innigen,  liebreichen  Verkehr  mit  den  earten 
Ednderseelen  ein  gut  Teil  seiner  pädagogischen  Theorie, 
wie  sie  in  seiner  Levana  sich  wiederfindet,  ihm  erwachsen 
ist|^)  So  durfte  er  sie  selbst  ein  > Erfahrungswerkehen c*) 
nennenr,  durfte  Spazier  von  ihm  behaupten:  »Die  Grundsitse 
seiner  Methode  sind  aus  seinem  Leben  abstrahiert.!  Als 
echter  Pädagog  und  Psycholog  hatte  er  frühzeitig  angefangen, 
die^  Entwicklung  seiner  Kinder  zu  beobachten  und 
ihre  Bemerkungen,  ihre  Sprechübungen  mit  den  neuen 
Wortbildungen,  ihre  kindlichen  Einfalle  aufzuschreiben^ 
wie  denn  auch  die  Levana  an  einigen  Stellen  an  diese 
Aufzeichnungen  erinnert')  Es  war  Jean  Faul  Herzens- 
bedürfnis, sich  zu  den  Kleinen  herabzulassen,  ihre  Natur, 
ihren  Entwicklungsgang  zu  belauschen,  an  ihren  kleinen 
Freuden  und  Leiden  lebhaften  Anteil  zu  nehmen.  Nichts 
erscheint  uns  anziehender  an  dem  größten  Kindemanren, 
der  im  Berufe  des  Kindermädchens  die  lieblichste  Be- 
schäftigung findet,  dem  alles  am  Kinde^  selbst  der  Egois- 
mus, heilig  ist,  als  seine  herzliche  Teilnahme  an  den 
Kindern,  an  ihrem  Frohsinn  und  Glück,  wie  .an  ihrem 
Leide.  Daher  ergreift  ihn  unendliche  Sehnsucht  in  der 
Feme  nach  den  lieben  Kleinen:  »Alle  meine  Kinder  küßt 
meine  Seele;  hätte  ich  von  den  sechs  oder  acht  Augen 
nur  ein  einziges  hier.    Die  guten  Kindlein  seien  gegrüßt, 


')  Es  würde  zu  weit  fQhren,  ausführlich  auf  diesen  überaus  wobl- 
tuenden  Umgang  einzugehen  und  sei  hier  nur  verwiesen  auf  »Dentsofae 
Blätter  für  erziehenden  Unterricht  1882,  No.  1  und  2,<  sowie  auf 
»Wahrheiten  aus  Jean  Pauls  Leben  VII,  St  210  ff.« 

>)  Levana  §  73. 

^)  Dieselbe  ist  überhaupt  aus  11  solchen  Stndienbeften  hervor» 
gegangen.  Siehe  darüber  die  Biographie  von  Dr.  Lange.  —  Vergl. 
hierzu  Levana  §  49  und  129. 


—     62     — 

die  bald  wieder  um  meine  Kanapee  stehen  werdeii.€i) 
Überall  spricht  der  große  Einderfreond  zu  uns:  »LaS 
mich  ein  Kind  sein,  sei  es  mit!«  Sein  Auge  rahte  auf 
den  lieben  holden  Eindergestalten  mit  einer  wahren 
Wollust  Ihm  mußten  die  zarten  Seelen  ein  Oegenstand 
dauernder  Betrachtung  und  Reflexion  werden.  Dem- 
entsprechend gestaltete  sich  auch  der  Verkehr  mit  seinen 
eignen  Eindem.  Für  sie  hatte  er  stets  Zeit:  »Die  Ein- 
der  und  ich  sollen  die  Morgenfreude  der  Morgenstunde 
haben;  ich  kann  ja  später  lesen.«  Seine  einzige  Sorge 
war,  sie  heiter  und  froh  zu  sehen:  »Lieber  zehn  Einder- 
trommeln als  ein  Eindergeschrei;  denn  die  Freude  be- 
zeugt Bestimmtheit,  der  Jammer  die  Zukunft  der  LäDge.c 
Herzerquickend  wirkt  die  Schilderung  seiner  Tochter 
Emma  über  dieses  idyllische  Verhältnis  zwischen  Vater 
und  Eindern:  Die  Eleinen  krabbeln  zu  ihm  ins  Zimmer; 
sie  dürfen  mit  dem  Eichhörnchen  und  anderen  Tieren 
spielen.  Er  zeigt  ihnen  die  Ereuzspinne,  ein  paar  Mäuse, 
und  manchen  Scherz  treibt  er  mit  ihnen.  Die  Aufforde- 
rung: »Vater,  tanze  einmal«  wird  sofort  mit  einigen 
Sprüngen  durch  das  Zimmer  beantwortet.  Er  muß  fran- 
zösisch reden,  schneidet  dem  ältesten  Töchterchen  Federn, 
läßt  es  neben  sich  am  Schreibtisch  sitzen  und  freut  sich 
herzlich,  wenn  es  ins  Blaue  tunkt  und  so  dem  Vater 
nachschreibt,  ausstreicht,  malt.  Auf  dem  Sofa  liegend,  er- 
zählt er  ihnen  Märchen,  oder  er  spricht  von  Oott,  der 
Welt,  dem  Großvater  und  vielen  ähnlichen  Dingen.  Auch 
aus  der  eignen  Einderzeit  bietet  er  ihnen  liebe  Erinne- 
rungen, und  wer  wußte  wärmer  und  inniger  die  Einder- 
heimat zu  schildern  als  er?  Oern  führt  er  ihnen  seine 
Eindesgestalt  vor^  damit  sein  Beispiel  sie  aufmuntere 
und    leite.     Mit    der    größten    Oeduld    erzählt   er  ihnen 


^)  Verf^leicbe  dazu:  1.  Brief  seiner  Tochter  Emma  über  ihre 
Kindheit  und  das  Weihnachtsfest;«  2.  in  »Briefen  und  bevorstehender 
Lebenslauf«  die  5.  poetische  Epistel:  »Meine  Hausvaterschaft«  und 
»das  Kinderkonzert«.  Tl.  38,  St  124  ff.  und  3.  Jnbelfeier  Tl.  6, 
8t  29. 


—     63     — 

immer  wieder  die  alten  GeschichteD,  welche  die  Jugend 
80  gern  bort,  und  singt  sie  ihnen  wohl  auch  vor.    Er  wird 
nicht  müde,  ihnen,  so  oft  sie  wollen,  Bilder  zu  erklären. 
Er  läßt  auf  dem  Sofa  seine  Füße  vor  ihnen  miteinander 
spielen  und  toben.    Wenn  sie  dann  wieder  bei  der  Mutter 
sind,  steht    er   von  Zeit  zu  Zeit  von  seiner  Arbeit  auf 
um  nachzusehen,  wie  es  ihnen   geht.     Bei  seinem  Fort- 
gehen hängen  sich  die  Kinder  um  ihn,  schieben  ihre  Füße 
in  seine  Pantoffel,  um  ihn   so  festzuhalten.    Eins  springt 
vor  ihm   her,  die  beiden  andern   muß  er  an  den  Bock- 
schößen fortziehen  bis  an  die  Zimmertüre,  wo  sie  ihn  erst 
▼erlassen.     Die   Kinder   dürfen   alles   sagen,  sogar  jeden 
Spaß  über  ihn:  »Ich  lasse  mir  von  meinen  Kindern  alles 
gefallen,  was  bloß  nicht  schadet.«  ^)   Unvergeßlich  blieb  den- 
selben,  wie   er   ihnen    die    Tage  der   Weihnachten   ver- 
schönerte und  poetisch  verklärte.     Er  versorgte  auf  dem 
Weihnachtsmarkt    selbst   die    Einkäufe    und    kehrte   mit 
Schätzen  bepackt  nach  Hause  zurück.    Sein  Biograph  darf 
daher  wohl  mit  Recht    von    ihm  behaupten:    »Ein  solch 
inniger  Verkehr  mit  den  Kleinen  mußte  ihm  ihre  Seelen 
erschließen,  mußte    ihm    manches   psychologische  Bätsei 
zur    Lösung     anbieten ,     manch      köstliche     Perle     der 
Wahrheit  finden   lassen.     So    hat   kein    Pädagog    außer 
Pestalozzi  mit  so  liebender  Andacht  sich  in  die  Kindesseele 
versenkt,    um    ihre    kleinen    Freuden    und    Leiden,    die 
verborgensten   Seiten  des   Kindergemütes   zu    ergründen, 
keiner  hat  die  Kleinen  lieber  gehabt  als  er,  so  herzlich 
und  beredt  sie  gegen  rauhe,  tyrannische  Behandlung  in 
Schutz  genommen  als  er.« 

5.  Vorbedingungen  in  den   persönlichen   Eigenschaften 
Lockes,  Jean  Pauls  und  Herbarts. 

Je  nach  der  verschiedenen  Denkweise  und  Anlage,  je 
nach  dem  Auge,  mit  dem  die  sich  darbietenden  Verhältnisse 

^)  Aus  J,  Pauls  Tagebuch  über  seine  Kinder:  Mitteilongen  aus 
des  Dichters  ungedrucktem  Nachlasse,  Deutsche  Blätter  ffir  erziehen- 
deo  Unterricht  1882. 


—     64    — 

betrachtet  worden,  wird  aach  dae  aus   ihnen   geasogM^ 
Fazit   anders  lauten  und  ein  dementsprechendes  QeädA 
annehmen;   und    so   klingen   in   den   Anschauungen  d« 
drei    Pädagogen    auch    ihre    persönb'chen    Eigenschaften, 
bald  leiser,  bald  vernehmlicher,  an.    Loches  Ausführnngen 
kennzeichnen    den  praktischen,  weltmännisch  gewandten, 
nüchternen,  kalterwägenden  Engländer,  dem  aber  persön- 
lich eine  ungetrübte   Ruhe  und  herzliche  Ldebenswürdig- 
keit,  seltene  Selbstbeherrschung,  die  Fülle  eines  wahrhaft 
goldenen   Gemütes,  dem   auch    die  leiseste  Regung  von 
Selbstsucht  fernab  lag,  fleckenlose  Reinheit  des  sittlichen 
Wollens  nachgerühmt  werden  darf.  —  Jean  PatUs  Dar- 
legungen   zeigen    den   enthusiastischen   Stimmungs-,    G^ 
fühls-  und  Phantasiekünstler,  Herbarts  zerstreute  Bemerkun- 
gen den  logisch  und   mathematisch  kühlen  und  scharfen 
Denker,  den  sittlich  ernsten   und  reinen  Charakter.     Ans 
den  Worten   Loches  und  Herbaris  spricht  der  objektiTe, 
ruhig  erwägende  Denker,  aus  denen  Jean  PatUs  der  snb- 
jektiv  gestimmte  Gefühlsmensch.    Die  Ausführungen   der 
beiden  ersten  Pädagogen  tragen  den  Stempel  ruhiger,  be- 
scheidener Beobachtung  und   ernster  Forschung   an  sich, 
die  Jean  Pauls  lassen,  poesieumwebt,  ein  lyrisch  zart  be- 
saitetes Gemüt  zu  Worte  kommen;  im  Lehrer  spricht  die 
Eigenart  des  Dichters  mit,  in  dessen  Seele  kühne  Phan- 
tasie,   geistreiche   Reflexion    und   tiefes,    von    herrlichem 
Humor  begleitetes  Gefühl  einen  nicht  unerfreulichen  Bnnd 
schlössen.     In    seinen  Worten    kündet    sich    überall    die 
Wärme  und  Begeisterung  eines  starken,  tiefen  Gefühls  an, 
aus  ihnen  weht  außer  dem  sittlichen  Idealismus  ein  warmer 
Liebesodem,  der  überall  die  Liebe  zur  herrschenden  Macht 
erheben  möchte.     »Eine  wahre  Johannesseele  spricht  aus 
diesen  herzlichen  Worten :  ein  Pädagog  von  Gottes  Gnaden.«*) 
Dabei  waltet  bei  ihm  die  Phantasie  uneingeschränkt  und 
ohne  Gesetz.    Ihr  gegenüber  ist  er  fast  machtlos:  »Keine 
Gegenwart  kann   so  viele  Realterizionen,  Ruprechte  und 

^)  Dr.  Lange. 


f 


—     66    — 

Wauwaus  gegen  mich  zusammenbringen  als  mein  fataler 
frire  terribU^  die  Phantasie,  c  Um  seine  Ausführungen 
ToU  zu  verstehen,  ist  es  notwendig,  in  seine  Subjektivität 
hinabzusteigen.  In  ihr  wurzelt  jenes  lyrische  Element, 
jenes  tiefe  Gefühl,  jene  Zartheit,  Kindheit,  Unschuld  und 
Heiligkeit,  welche  seinen  Produkten  einen  so  eigenartigen 
Reiz  verleiht  »In  ihm  lebte  das  Ich  mit  einer  Stärke 
wie  nur  noch  in  Fichte,  aber  nicht  das  reine,  sondern  das 
empirische,  nicht  das  objektive  beurteilende,  sondern  das 
cur  empfindende,  nur  fühlende,  rein  subjektive,  die  Imagi- 
nation, welche  ihn  hinderte,  der  Außenwelt  gegenüber 
vielfach  die  rechte  Position  zu  finden,  mit  gewaltiger, 
eigenartiger,  lediglich  auf  der  Phantasie  begründeten 
Energie.  €  ^)  Dazu  gesellt  sich  als  weitere  Eigenart  von 
ihm  sein  mikroskopischer  Blick  für  die  Feinheiten  und 
kleinsten  Eigentümlichkeiten  der  kindlichen  Seele.  Nicht 
nur  Liebe,  sondern  Vorliebe  hat  er  für  das  Kleine  und 
Enge;  er  behandelt  es  mit  derselben  Wichtigkeit  wie  das 
Oroße,  und  gerade  in  seiner  Abhandlung  über  die  Spiele 
ist  dieses  Aufsuchen  des  Kleinen,  dieses  Versenken  in 
dasselbe  von  größter  Bedeutung  geworden,  wie  ja  über- 
haupt in  seiner  Levana.  Liebevoll  geht  er  den  ver- 
wickelten und  versteckten  Verhältnissen,  den  im  besten 
Sinne  des  Wortes  gemeinten  dunklen  Seiten  auch  in  der 
kindlichen  Seele  nach  und  zeigt  sich  auch  hier  überall 
im  kleinen  groß!  Diese  Seiten  sind  es  aber,  welche  die 
Vorzüge  seiner  Abhandlung  über  Kinderspiele  allen  dies- 
bezüglichen anderen  gegenüber  erklären. 

•6.  Vorbedingungen  in  der  Zeitlage  Lockes,  Jean   Pauls 

und  Herbarts. 

Schließlich  wirkt  aber  auch  die  Zeit,  deren  Kind  der 
Fädagog  ist,  mit  den  in  ihr  gegebenen  Bedingungen  auf 
dessen  Ansichten  ein,  sei   es,   daß  er  ihren  Forderungen 


^)  Dr.  LaDge. 
Fttd.  Mag.  320.    Weiler. 


—     66     — 

entgegenkommt,  oder  den  Kampf  gegen  sie  aufnimmt 
Die  Zeit,  in  welche  Locke  hineintritt,  ^)  bildet  für  den 
Pädagogen  keine  Augenweide.  Das  17.  Jahrhundert 
gleicht  in  Bezug  auf  Kunst  und  Wissenschaft  der  Päda- 
gogik einem  zweischneidigen  Schwerte :  der  Humanismus 
war  zum  »kraft-  und  saftlosen  Epigonentum c  herab- 
gesunken, in  einer  verknöcherten  Schulphilologie  erstarrt 
zu  inhaltsleeren  Formen.  Der  Geist  der  Erziehung  war 
gebannt,  die  Objekte  der  Erziehungslehre  wurden  in  grober 
Yoi  äußerlichung  behandelt.  Die  Unnatur  in  der  Erziehung 
hatte  den  Gipfel  erklommen  und  bedenkliche  Formen  an- 
genommen. Ein  Zug  der  Boheit  ging  durch  das  Schul- 
wesen. In  berechtigter  Reaktion  dagegen  begann  sich 
anderseits  der  Naturalismus  und  Realismus  langsam  Bahik 
zu  brechen,  ohne  sich  jedoch  vor  Locke  zur  dominierendeu 
Stellung  im  Schulwesen  aufschwingen  zu  können.  In 
England  war  die  Entfremdung  von  der  Natur  wohl  nie 
so  weit  gegangen  wie  auf  dem  Festlande,  wo  Herrchen 
und  Dämchen  ohne  frische  Luft,  ohne  Übungen  des  Kör- 
pers und  der  Sinne,  ohne  passende  geistige  und  leibliche 
Nahrung,  ohne  Spiel  im  Freien  aufwuchsen,  der  Tracht 
und  dem  Wesen  nach  kaum  Kinder  zu  nennen.  Es^ 
wurde  nur  doziert  und  gedrillt;  ohne  Rücksicht  auf  die 
praktische  Verwendbarkeit  wurden  die  Köpfe  der  Knaben 
mit  einem  Wust  unnützer  Dinge  vollgepfropft.  Die  Ver- 
arbeitung und  Aneignung  des  LehrstofTes  vollzog  sieb 
nicht  innerhalb  der  Schulstunden,  sondern  wurde  der 
Hausarbeit  zugeschoben;  und  auf  einem  noch  tieferen 
Standpunkte  befand  sich  die  Erziehung  des  weiblichen 
(Geschlechtes,  der  man  meist  ganz  aus  dem  Wege  ging. 
Das  Erziehungswesen  dieser  armen,  dürren  Zeit  macht  den 
Eindruck  eines  widerwärtigen  Treibens.  »Man  lehrte,« 
wie  Comenius  bezeichnend  sagt,  »die  Jugend  nach  Art 
der  Äsopischen  Krähe  sich  mit  fremden  Federn  schmücken  <• 


')  Vergleiche   über    den   BildungpstaDd    iu    England    um    1685: 
Macaulay  history  of  England,  Leipzig  1849. 


—     67     - 

Ein  wesentlicher  Wandel  hatte  sich  vollzogen  bis  zum 
Auftreten  der  beiden  Zeitgenossen  Herbart  und  Jean  Paul- 
Bousseaus  Naturruf  hatte  gezündet;  Pestalozzis  Anschau- 
ungsprinzip und  Vaterherz  hatten  Nacheiferung  erweckt; 
der  Humanismus  hatte  sich  mit  neuem  Inhalte  erfüllt, 
früher  nie  gekannte  Gesichtspunkte  in  der  Wertschätzung 
«ies  klassischen  Altertums  als  einer  an  sich  wertvollen  Ar- 
beits- und  Eulturleistung  geltend  gemacht;  führende 
Geister,  wie  Kant,  Goethe,  Schiller,  hatten  die  Beschäfti- 
gung mit  pädagogischen  Gedanken  nicht  abgelehnt;  und 
doch  vermag  auch  dieses  Schulwesen  in  seiner  Gesamt- 
heit trotz  einzelner  rühmlicher  Ausnahmen  heutigen  Forde- 
rungen nicht  zu  genügen.  Besonders  stark  litt  das  Volks- 
schulwesen unter  dem  Drucke  einer  althergebrachten 
Tradition,  unter  dem  Mangel  einer  genügenden  Vorbildung 
der  £rzieher.  Es  fehlte  an  der  Ausbildung  sachgemäßer 
Methoden;  die  Psychologie,  beherrscht  von  der  Annahme 
der  Seelen  vermögen,  stand  noch  auf  ziemlich  tiefer  Stufe; 
die  Eindesnatur  kam  nicht  zu  ihrem  Bechte;  und  die 
Behandlung  war  dementsprechend  noch  vielfach  eine  recht 
tyrannische,  rauhe  und  unpädagogische.  Das  »Maul- 
brauchen c  Pestalozzis  spielte  in  weiten  E^reisen  eine  große 
Bolle,  mechanische  Dressur  war  häufig  an  der  Tages- 
ordnung. Die  geistige  Überbürdung  nahm  dabei  nicht 
selten  bedenkliche  Formen  an;  die  physische  Seite  der 
Erziehung  fand  wenig  Beachtung.  Der  Zeit  fehlte  zum 
großen  Teil  noch  ein  Verständnis-  und  liebevolles  Sich- 
vertiefen in  das  Wesen  der  kindlichen  Natur,  die  daher 
noch  manche  Einengung  und  Einzwängung  durch  alther- 
gebrachte, vielfach  recht  geistlose  Formen  sich  gefallen 
lassen  mußte.  Die  durchaus  berechtigten  Forderungen 
derselben  nach  einem  freien,  ungezwungenen  Sichäußem 
in  heiterem  Scherz  und  Spiel  gingen  meist  leer  aus 
und  fanden  so  gut  wie  kein  Gehör.  So  wird  das  Streben 
der  nachfolgenden  Zeit  nach  Ausbildung  sach-  und  natur- 
gemäßer Methoden,  nach  tieferer  Vergeistigung  des  Unter- 
richtsverfahrens, nach  einer  psychologischen  Fundamentie- 

5* 


—     68     — 

TUDg  des  ünterrichtsbetriebes,  werden  die  dringender  »di 
erhebenden  Forderungen  zum  Schutz  der  Oeeundheit  in  den 
Schulen,  wird  die  starke  Betonung  der  physischen  Seite 
der  Erziehung  verständlich.  Bei  ihrer  optimistischen  Auf- 
fassung der  menschlichen  Natur  hatte  die  Anfklärangszeit 
dem  Intellekt  zu  viel  zugemutet,  bei  ihrem  Bestreben, 
die  Menschen  glücklich  zu  machen,  auch  im  Unterrichte 
wesen  das  Nützlichkeitsprinzip  zu  sehr  in  den  Vorder- 
grund gerückt,  den  Maßstab  des  Nützlichen,  Braachbaien 
zu  äußerlich  angelegt.  So  suchte  die  Reaktion  gegen  sie 
auch  für  die  Pädagogik  festere,  idealere  Ziele  zu  gewinnen, 
sie  nicht  nur  psychologisch,  sondern  auch  ethisch  auf  eine 
gesundere  Grundlage  zu  stellen.  Aus  dem  Vorhandenen 
aber  schöpfend,  es  positiv  verwertend,  oder  negativ  her 
kämpfend,  durch  eigne  Erfahrungen«  die  je  nach  den 
individuellen  Anlagen  und  Voraussetzungen  verschiedene 
Färbung  annehmen,  vertiefend  und  erweiternd,  und  das 
so  Gewonnene  mit  den  philosophischen  und  psychologischen 
Anschauungen  in  Einklang  bringend,  bauen  Locke,  Herbart 
und  Jean  Paul  nicht  nur  überhaupt  ihre  pädagogischen 
Ansichten  auf,  sondern  gelangen  sie  auch  zu  ihrer  Auf- 
fassung vom  Wesen  und  der  Bedeutung  der  kindlichmi 
Spiele. 


Kapitel  IV:   Ansichten  Lockes,  Jean  Pauls  und 
Herbarts  Ober  die  Spiele  der  Kinder. 

1.  AuBere  Form  und  Quellen  der  Ansichten. 

Weitaus  am  eingehendsten  und  gründlichsten  behandelt 
das  Spiel  der  Kinder  der  seiner  Natur  und  seinem  ganzen 
Wesen  nach  wohl  auch  Berufenste  und  Befahigste  dazu: 
Jean  Paul  Schon  äußerlich  tritt  seine  Wertschätzung 
derselben  dadurch  hervor,  daß  er  ihnen  ein  volles  Kapitel 
widmet,  während  Locke  und   mehr  noch  Herbart  nur  in 


—     69     - 

zerstreuten  BemerkuDgen  auf  sie  zu  sprechen  kommen.  Im 
Unterschiede  zu  seiner  sonstigen  Gewohnheit  hält  er  ge- 
rade auch  in  diesem  Kapitel  mehr  als  sonstwo  in  seiner 
Leyana  einen  logisch  wohlgeordneten  Gedankengang  ein,^) 
der,  in  Kürze  skizziert,  folgendes  Bild  ergibt  Bei  der 
hohen  Wichtigkeit,  welche  er  in  seinem  Erziebungsplane 
der  Heiterkeit  beimißt  als  der  dem  Kindesalter  einzig 
adäquaten  Stimmung,  deren  Bedeutung  für  den  ersten 
Lebensmorgen  er  verkündet  als  den  SelbstgenuB  der 
inneren  Welt,  welcher  das  Kind  dem  eindringenden  All 
öffiiet  und  alle  jungen  Kräfte  wie  Morgenstrahlen  aufgehen 
und  sich  und  der  Welt  entgegenstrahlen  läßt,  mußte  er 
notwendigerweise  zu  einer  Untersuchung  der  Mittel  ge- 
langen, durch  welche  dieselbe  erzeugt,  bezüglich  erhaltsn 
werden  kann.  Seine  scharfe  und  sichere  Beobachtungs- 
gabe sagt  ihm,  daß  eine  solche  Oemütsstimmung  nicht 
durch  sich  selbst  aufzehrende  Genüsse,  sondern  einzig 
und  allein  durch  ernste  Tätigkeit  herbeigeführt  werden 
kann.  Die  ganze  erste  Tätigkeit  der  Kinder  aber  besteht 
im  Spielen,  und  so  mußte  er  mit  innerer  Notwendigkeit 
zu  einer  Untersuchung  derselben  geführt  werden,  so 
schließt  sich  auch  in  seiner  Levana  an  das  zweite  Kapitel 
des  dritten  Bruchstückes,  dem  der  Heiterkeit  gewidmeten 
Abschnitte,  unmittelbar  das  die  kindlichen  Spiele  be- 
handelnde dritte  Kapitel  an.  Ausgehend  von  dem  Wesen 
der  Spiele  und  ihrer  Einteilung,  2)  schildert  er  zunächst 
ihr  inneres  Wesen  als  ernste  Tätigkeit,  sodann  ihre  äußere 
Form,  bestehend  in  den  leichtesten  Flügelkleidern.  Aus 
dieser  Natur  der  Spiele  ergeben  sich  ihm  mit  zwingender 
Notwendigkeit  die  Arten  derselben,  wobei  er  als  Ein- 
teilungsprinzip aufstellt  das  Verhalten  der  kindlichen 
Natur  bei  dieser  Tätigkeit,  und  so  unterscheidet  er  Spiele 


')  Derselbe  ist  daher  im  wesentlichen  der  nachfolgenden  Dar- 
atelloDg  der  einzelnen  Ansichten  der  drei  Pädagogen  sa  Grande 
gelegt 

*)  Levana  §  46. 


—     70     — 

der  empfangenden,  auffassenden  Kraft,  oder  die  theoretische 
Klasse,^)  Spiele  der  handelnden  und  gestaltenden  Kraft, 
oder  die  praktische  Klasse')  und  Spiele  des  sich  freioD 
Hingebens  an  die  Umgebung,  welche  auch  für  das  Kind 
nur  Spiele  sind.  3)  Aus  dem  Wesen  und  den  Arten  der 
Spiele  leitet  er  als  notwendige  Resultante  den  Nutzen  dw- 
selben  und  das  Verhalten  des  Erziehers  ihnen  gegenüber 
ab^)  und  findet  ihren  Nutzen  in  der  harmonischen  Oe- 
Samtausbildung  aller  Kräfte.^)  Dieser  Zweck  schließt  zu- 
nächst aus  ein  falsches  Verhalten  des  Erziehers  ge^nüber 
den  Spielen,  welches  besteht  in  der  einseitigen  Auswahl 
gewisser  Spiele  und  in  der  gesetzgeberischen  Tätigkeit 
desselben,^)  und  fordert  das  rechte  Verhalten  desselben 
ihnen  gegenüber,  weiches  einzig  und  allein  besteht  in  dem 
Feststellen  und  Beobachten  der  einzelnen  Spielarten.^ 
Dieser  Paragraph  bildet  in  gewissem  Sinne  eine  Ergänzung 
und  weitere  Ausführung  zu  §  46,  in  dem  er  näher  auf 
die  Unterschiede  der  kindlichen  Spiele  eingeht.  Während 
er  aber  dort  als  Einteilungsprinzip  lediglich  den  jeweiligen 
psychologischen  Zustand  des  Kindes  geltend  machte, 
nimmt  er  hier  besondere  Rücksicht  auf  die  verschiedene 
Altersstufe  des  Kindes,  sowie  auf  die  Objekte  des  Spieles 
und  beantwortet  gleichsam  die  2  Fragen:  »Wie  unter- 
scheiden sich  die  Spiele  hinsichtlich  der  Altersstufe  des 
Kindes,  und  welcher  Unterschied  ergibt  sich  hinsichtlich 
der  Objekte  des  Spieles?«  Auf  diese  Weise  gelangt  er 
zu  den  beiden  Arten  1.  Spiele  mit  Spielsachen  und 
2.  Spiele  mit  und  unter  Spielmenschen.  Nachdem  er  so 
die  einzelnen  Spielarten  festgestellt  hat,  geht  er  zur  Be- 
schreibung derselben  über,  und  so  schließt  sich  als  näch- 
ster Hauptteil  an  das  Spiel  mit  Spielsachen,  ^)  bei  dem 
er  folgende  Punkte  zur  Sprache  bringt:  a)  die  Spielsachen 
sind   an    und  für  sich    gleichgültig,    das  eigentliche    be- 


*)  §  46  Abschnitt  1.  —  »)  §  46,  Abschn.  2.  —  »)  §  46  Ab- 
schnitt 3.  —  *)  §  47  und  48.  —  »)  §  47.  1.  Hälfte.  —  •)  §  47, 
2.  H&lfte.  —  »)  §  48.  —  »)  §  49. 


—     71     — 

lebende  Element  ist  die  kindliche  Phantasie;^)  b)  die 
Folge  dieser  Phantasie  bildet  das  Beleben  der  toten  Natur 
um  sich  her,*)  und  c)  um  dieser  Phantasie  freien  Spiel- 
raum zu  gewähren,  muß  eine  dementsprechende  Auswahl 
der  Spielsachen  getroffen  werden.  Dieser  Gedankengang 
Jeaji  Pauls  setzt  sich  notwendigerweise  auch  im  weiteren 
Verlauf  des  Kapitels  fort,  indem  er  zunächst  verschiedene 
Anweisungen  für  einzelne  Spielsachen  gibt  3)  und  einige 
der  wichtigsten  Spielarten  und  Spielsachen  hervorhebt,*) 
um  dann  die  zweite  Gattung  der  Spiele,  die  mit  Spiel- 
raenschen,  anzuschließen,^)  wobei  er  sich  verbreitet: 
1.  über  die  Stellung  des  Kindes  dem  mitspielenden  Kinde 
gegenüber,  das  für  ihn  nur  eine  Ergänzung  der  Phantasie 
über  ein  Spielding  darstellt,*^)  2.  über  die  Bedeutung 
dieser  Spiele  als  rechte  Expeditionsstube  und  geistige  Er- 
werbsschule für  die  menschliche  Praxis  und  die  gesellschaft- 
lichen Tugenden '')  und  3.  über  den  Wert  dieser  Spiele 
als  Selbstzweck  und  ihren  Einfluß  auf  die  Zukunft.®) 
Den  Abschluß  seiner  Ausführungen  bilden  Vorschläge  und 
Wünsche  verschiedenen  Inhalts,^)  die  sich  außer  einigen 
Wiederholungen  schon  früherer  Gedanken  beziehen  1.  auf 
die  Wahl  der  Gespielen ,  ^^)  2.  auf  das  Verhältnis  von 
Spiel  und  Unterricht, i^)  3.  auf  die  Art  der  Spielplätze,^^) 
4.  auf  die  Lieblingsspiele  der  Kinder,  ^^)  5.  aut  den  Spiel- 
betrieb, welcher  fordert  Abwechslung  im  Spiele,^*)  Sparsam- 
keit im  Gewähren  von  Genüssen, ^^)  viele  Spiele,  aber 
wenig  ähnliches  und  gemeinsames  Spielzeug,^*)  Berück- 
sichtigung der  hygienischen  Ansprüche,  ^'^)  Freiheit  in  seinem 
Verlauf  1*)  und  Zweckmäßigkeit  in  Bezug  auf  das  spätere 


')  §  49,  Abschnitt  !.  —  •)§  49,  Abschn.  2.  —  »)  §  50.  — 
*)  §  51.  —  '^)  §  52  u.  53.  —  «)  §  52,  1.  Teü.  —  0  §  52,  2.  Teil.  — 
8)  §  53.  —  9)  §  54  __  10)  g  54^  Abschn.  1.  —  ^*)  §  54,  Abschn.  2, 

1.  Hälfte.  —  ")  §  54,  Abschn.  2,  2.  Hälfte.  —  *•)  §  54,  Abschn.  3, 
1.  Teil.  —  ")  §  54.  Abschn.  2,  2.  Hälfte.  —  ")  §  54,  Abschnitt  3 
und  4.  —  »«)  §  54.  Abschn.  5.  —  ^^  §  54,  Abschn.  8.  1.  TeU.  — 
^^  §  54,  Abschn.  8,  Mitte. 


—    78    — 

Leben.  ^)  Zum  Schluß  kommt  er  noch  zu  sprechen  6.  auf 
den  Zweck  der  Spiele  nach  der  jeweiligen  Entwicklungs- 
stufe des  Kindes')  und  7.  auf  das  schönste  und  reichste 
Spiel,  das  Spielsprechen.  <)  Um  jedoch  die  Ansiohtei» 
Jean  Pauls  über  Einderspiele  in  ihrer  Vollständigkeit 
kennen  zu  lernen,  sind  ergänzungsweise  zu  berücksichtigen 
§91  der  Levana:  Unterschied  der  Knaben-  und  Mädchen- 
spielsachen, §  112:  Spielsprechen  und  §  115:  Über  das 
Beleben  der  leblosen  Natur  durch  Kinder,  sowie  die  zahl- 
reichen Einzelbemerkungen,  weiche  in  seinen  dichterischen 
Werken,  Tagebüchern  über  seine  Kinder  und  in  seiner 
Selbstbiographie  enthalten  sind. 

Als  Quellen  für  die  entsprechenden  Ansichten  Loches 
kommen  in  Betracht  seine  Grundsätze  der  Erziehung, 
für  die  Herbarts  seine  Allgemeine  Pädagogik,  sein  Umrifi 
pädagogischer  Vorlesungen,  die  Berichte  an  Herrn  von 
Steiger,  Pestalozzis  Idee  eines  ABC  der  Anschauung,  die 
Renzension  der  Erziehungslehre  von  F.  H.  Ck.  Schtoarx^ 
seine  Aphorismen,  sowie  seine  Abhandlung  über  den 
Standpunkt  der  Beurteilung  der  Pestalozzischen  Unter- 
richtsmethode. Während  aber  die  Ausführungen  Jean 
Pauls  einem  in  sich  festgefügten  logischen  Schema 
untergeordnet  sind,  treten  dieselben  bei  Locke  und 
Herbart  nicht  nur  äußerlich  in  mehr  aphoristischer 
Form  als  gelegentliche  Äußerungen  auf,  sondern  auch 
ohne  jeden  inneren  Zusammenhang.  Eine  vergleichende 
Zusammenstellung  ihrer  sämtlichen  Bemerkungen  läßt 
aber  im  wesentlichen  dieselben  Gesichtspunkte  hervor- 
springen wie  bei  Jean  Pauly  so  daß  infolgedessen  auch 
ihre  Ansichten  in  durchgängiger  Parallele  mit  denen  Jean 
Pauls  skizziert  werden  können,  obgleich  die  des  letzteren, 
sphon  um  ihrer  äußeren  Vorzüge  willen,  immer  den  Aus- 
gangs- und  Kristallisationspunkt  bilden  mögen.  Natürlich 
darf  bei   der  überaus  reichen  Vieldeutigkeit,   welche  die 


*)  §  54,  Absohn.  8,  Schloß.  —  •)  §  54,  Abschn.  6.  —  *)  8  54, 
Abscbo.  7. 


—     73     — 

Spiele  in  pädagogischer  Hinsicht  zulassen,  auch  bei  diesem 
keine  erschöpfende  Monographie  über  dieselben  erwartet 
werden.  Seiner  Eigentümlichkeit,  in  mehr  aphoristischer 
Weise  die  Kernpunkte  der  Sache  nur  anzudeuten,  auch 
hier  folgend,  skizziert  er  aber  im  ganzen  den  Standpunkt, 
welchen  die  moderne  Pädagogik  den  Spielen  allenthalben 
anweist.  Was  er  bietet,  sind  lediglich  empirische  Tatsachen, 
das  Produkt  seiner  eigenen  Erfahrung  als  Kind  im  Eltern- 
hause, als  Erzieher  fremder  Blinder  und  als  Vater  seiner 
eigenen,  an  deren  Spielen  er  sich  ja  gerne  selbst  noch  ein- 
mal beteiligte.  1)  Dieses  reiche  Erfahrungsgebiet  bietet 
aber  gleichzeitig  auch  den  Schlüssel  zum  Verständnis  der 
Vorzüge  seiner  Abhandlung  nicht  nur  allen  diesbezüglich 
früheren,  sondern  auch  denen  Loches  und  Herbaris  gegen- 
über. Tritt  bei  diesen  bald  dieser,  bald  jener  Einzelzweck 
der  Spiele  mehr  in  den  Vordergrund,  ohne  auch  nur  an- 
nähernd ihre  vielseitige  Bedeutung  erschöpfend  zu  er- 
schließen, so  unterscheidet  sich  die  seinige,  obgleich  sie 
in  manchen  Punkten  mit  denen  seiner  Vorgänger,  bezüg- 
lich Zeitgenossen  übereinstimmt,  doch  von  allen  bis  dahin 
vorhandenen  durch  wesentliche,  nur  ihr  spezifisch  eigene 
Charakteristika,  die  ein  Vergleich  seiner  Ansichten  mit 
denen  Loches  und  Herbarts,  zwei  berufenen  Vertretern 
der  Geschichte  der  Pädagogik,  besonders  deutlich  hervor- 
treten lassen  wird. 

2.  Ansichten  über  das  Wesen  der  kindlichen  Spiele. 

Den  Ausgangspunkt  für  alle  ihre  ferneren  Betrach- 
tangen bildet  bei  jedem  der  drei  Pädagogen  seine  Ansicht, 
welche  er  vom  Wesen  der  kindlichen  Spiele  hat,  und 
welche  wiederum  in  engster  Verbindung  steht  mit  seiner 
psychologischen  Auffassung  und  Beurteilung  der  kind- 
lichen Natur  und  des  kindlichen  Wesens  überhaupt  In 
umfassendster  Anschauung  besteht  für  Jean  Paul  das 
eigentliche  wahrste  Wesen  der  kindlichen  Spiele  in  durch- 


')  Siehe  die  empirische  Grandlage  seiner  Ansichten  8t  54ff.I 


—     74     — 

aus  ernster  Tätigkeit,  welche  den  ganzen  ersten  Lebens- 
morgen  des  Kindes  ausfüllt.  »Was  heiter  und  selig  mackt 
und  erhält,  ist  bloß  Tätigkeit,  c  Mit  diesem  Satze  an  der 
Spitze  seiner  Abhandlung  schlägt  er  die  Brücke  von  seineo 
Anschauungen  über  Heiterkeit,  der  er  in  seiner  Erziehnng 
einen  Tempel  errichten  will,  hinüber  zu  seiner  AufTassnog 
vom  Wesen  der  kindlichen  Spiele.^)  Einzig  und  allein 
wird  jene  für  eine  gedeihliche  Entwicklung  der  jngend- 
lichen  Seele  unentbehrliche  heitere  Stimmung  nicht  nur 
erzeugt,  sondern  auch  ununterbrochen  erhalten  durch  fort- 
gesetzte ernste  Tätigkeit.  Für  das  Kind  aber  besteht  die- 
selbe lediglich  in  seinen  Spielen,  und  so  faßt  er  auch 
umgekehrt  die  ganze  erste  Tätigkeit  der  Kinder,  sofern 
sie  sich  selbst  überlassen  und  nicht  der  Autorität  der 
Eitern  und  Erzieher  unterworfen  sind,  als  Spiel  auf  und 
will  sie  als  solches  angesehen  wissen.^)  Eben  dämm 
vertreten  sie  bei  jenen  dieselbe  Stelle  wie  bei  den  Er^ 
wachsenen  die  beruflichen  Geschäfte.  Hierin  liegt  auch 
der  gewaltige  Unterschied  begründet  zwischen  den  Spielen 
beider.  Dienen  sie  hier  lediglich  zur  Erholung  und  wer- 
den auch  als  solche  empfunden^  so  sind  sie  dort  nichts 
anderes  als  Ausfluß  ernster  Tätigkeit,  oder  wie  er  an 
anderer  Stelle  ^)  sagt,  der  verarbeitete  Überschuß  geistiger 
und  körperlicher  Kräfte  zugleich  und  erscheinen  eben 
darum  dem  Kinde  nicht  wie  dem  Auge  des  Erwachsenen 
als    Spiel,   sondern   gleichsam  als   ernste  Berufstätigkeil 


^)  In  seiner  Levana  schließt  Jean  Paul  mit  diesem  Satse  an 
den  Inhalt  des  vorausgehenden  Kapitels  über  Heiterkeit  an  und 
greift  zugleich  mitten  in  den  Inhalt  des  neuen  Kapitels  über  Kinder- 
spiele hinein,  indem  er  auf  die  im  vorigen  Kapitel  sich  heraua- 
gestellte  Frage:  »Wodurch  wird  nun  jene  Heiterkeit  erzeugt?«  die 
Antwort  erteilt. 

*)  Dieser  weiteste  Begriff  vom  Wesen  des  Spiels  tritt  besonders 
klar  hervor  in  seiner  Äußerung:  »Für  reifere  Kinder,  welche  die 
Arbeit  übt  und  zwingt,  ist  schon  deren  Ende,  die  Freiheit,  ein  Spiel 
und  dann  die  freie  Luft.«    Lev.  §  54. 

*)  Levana  §  47. 


—     75     — 

Sie  sind  nichts  weniger  als  etwa  tändelndes  Verhalten,^) 
sondern  bilden  die  dem  jugendlichen  Alter  einzig  und 
allein  adäquate  Beschäftigung.  Ebensosehr  wie  von  den 
Spielen  Erwachsener  unterscheiden  sie  sich  aber  auch 
von  denen  der  Tiere.  Spielt  bei  diesen  nur  der  Körper, 
80  bei  jenen  die  Seele.  ^)  Die  wichtigsten  Kräfte  derselben 
sind  aber  auf  dieser  Altersstufe  der  Nachahmungstrieb  und 
die  dramatisch  gestaltende  Phantasie,  und  eben  darum 
sind  viele  Spiele  nichts  anders  als  geistige  Nachahmun- 
gen, 3)  Wirkungen  der  den  kindlichen  Geist  beherrschen- 
den Phantasie,  die  das  eigentlich  belebende  Prinzip  ihres 
wahren  Wesens  bildet.*)  —  Diese  Tätigkeit  ist  aber  trotz- 
dem grundverschieden  von  der  Berufstätigkeit  der  Er- 
wachsenen in  der  Form  ihrer  Äußerung.  Weit  entfernt 
von  allem  geschäftlichen  Ernste,  fern  von  allem  Zwang 
offenbart  sie  sich  vielmehr  heiter  und  ungebunden  in  den 
leichtesten  Flügelkleidern.  ^)  —  Mit  dieser  Auffassung  vom 
Wesen  der  Spiele  steht  Jean  Paul  zum  Teil  auf  dem 
Boden  von  Locke  und  Herbart^  ohne  sich  jedoch  voll- 
ständig mit  ihren  Ansichten  zu  decken,  indem  nicht 
selten  sogar  Differenzen  in  ihren  Orundanschauungen  zu 
Tage  treten.  Wie  er  erblickt  auch  Herbart  in  den  kind- 
lichen Spielen  einen  Ausfluß  des  Tätigkeitstriebes,  der  kind- 
lichen Phantasie.^)     Wie  jener  kennt  auch  er  ihre  spe- 


^)  Vergleiche  dazu:  »Ohne  Arbeit  und  Ernst  verdirbt  das  Beste 
in  der  Welt,  nicht  einmal  ein  rechtes  Spiel  ist  ooiögiich  ohne  rechten 
Ernst.«    Titan,  18.  St.  600.   —    ')  Levana  §  49. 

')  »Viele  Kinderspiele  sind  zwar  Nachahmungen  —  aber  geistige, 
sowie  die  der  Affen  körperliche  sind,  nämlich  nicht  etwa  aus  be- 
aonderer  Teilnahme  an  der  Sache,  sondern  bloß,  weil  dem  geistigen 
Lebenstriebe  daa  Nachahmen  am  bequemsten  fällt.«  Anmerkung  su 
§  47.  —   *)  Lev.  §  49.  —   *)  Lev.  §  46. 

^)  »Es  gilt  von  froh  auf  Übungen  der  Betriebsamkeit,  wozu  sich 
das  Kind  von  selbst  durch  umgebende  Gegenstände  aufgefordert  aieht, 
und  man  mag  hier  immerhin  mit  dem  Kinde  spielen,  wenn  man  bot 
den  Ernst,  der  in  dem  Spiel  der  Kinder  liegt  und  die  freiwillige 
Anstrengung,  womit  es  in  glücklichen  Aogenblioken  sich  aafarbeitet, 
zuvor  verstanden  hat« 


—     76     — 

zifische  Verschiedenheit  voa  deDen  Erwachsener  an«^) 
So  in  der  Beurteilung  der  Quantität  des  Wesens  der 
Spiele  mit  Jean  Paul  übereinstimmend,  unterscheidet  er 
sich  in  seiner  Auffassung  der  Qualität  derselben,  indem 
er  der  Phantasie,  der  Wurzel  der  Spiele,  eine  minder- 
wertige Stellung  anweist  als  jener.  Mit  zwingender  Not- 
wendigkeit ergibt  sich  seine  Auffassung  vom  Wesen  der 
kindlichen  Spiele  aus  seiner  Ansicht  über  die  psychischen 
Funktionen  des  Kindes:  »Bloße  Phantasie,  bloßes  Durch- 
einandermengen von  Reminiszensen,  das  von  den  daraus 
entspringenden  Absurditäten  keine  Notiz  nimmt,  ist  nichts 
als  die  rohe  Äußerung  der  geistigen  Existenz,  nichts  als 
rohes  Leben.  Es  ist  Stoff,  dessen  Quantität  ganz  er- 
wünscht sein  mag,  dessen  Güte  und  Wert  aber  von  einer 
Qualität  abhängt,  die  er  doch  erst  bekommen  soll.  Wenn 
wir  einem  Menschen  vorzugsweise  Phantasie  zuschreiben 
und  ihn  darum  rühmen,  so  ist  das  etwas  Ähnliches, 
wie  wenn  wir  einen  glücklich  nennen,  der  reich  ist«*) 
So  sind  auch  ihm  die  Spiele  Äußerungen  der  Lebens- 
kraft, aber  durchaus  nicht  Selbstzweck,  sondern  nur 
roher  Stoff,  welcher  noch  der  Verarbeitung  harrt,  ein  bloß 
willkommenes  Mittel  für  seine  Zwecke.  Immer  und  über- 
all steht  bei  ihm  im  Hintergrunde  die  Frage:  »Welchen 
Wert  haben  diese  Tätigkeiten  für  die  Ausbildung  eines 
festen  Gedankenkreises,  der  sittlichen  Persönlichkeit  des 
Zöglings  ?€  Daher  erblickt  er  im  Knabenalter  überhaupt 
nicht  nur  die  Periode,  wo   der  Knabe  seine  Naturkräfte 


^)  »Der  Knabe  spielt  in  der  Wirklichkeit,  spielend  realisiert  er 
dch  seine  Phantasien.  Wäre  einer  so  unglücklich,  daß  er  der  Gott- 
heit ihr  unsinnlicbes  Reich  mißgönnte  und  darin  f&r  seine  Fiktionen 
leeren  Baum  verlangte:  der  müßte  wenig  äußeres  Leben  haben.  Man 
müßte  seine  Diät  verbessern  und  seine  gymnastischen  Übungen  ver- 
mehren. Greift  der  Mensch  später  nur  zu  Spielereien,  wenn  die 
Wirklichkeit  nicht  mehr  befriedigt,  so  nimmt  der  Knabe  auch  die 
Wirklichkeit  als  Spiel,  und  all  seine  Phantasien  nehmen  reale  Gestalt 
an.  Die  Wirklichkeit  dieses  Gegensatzes  aber  ist  bei  beiden  eine 
umgekehrte.«    Über  die  ästhetische  Darstellung  der  Welt,  St  216. 

*)  Pestahxzis  Idee  eines  ABC  der  Anschannng. 


f 


—  Tr- 
übt und  stärkt,  ohne  viel  darauf  zu  merkoD,  ob  er  gut 
oder  böse  handelt,  wo  er  noch  nicht  Ansprach  darauf 
macht,  konsequent  zu  sein  und  nach  Grundsätzen  zu  han- 
deln, sondern  auch  die,  in  welcher  seine  Äußerungen  und 
somit  auch  die  Spiele,  nur  das  Werk  äußerer  Umstände 
sind,  die  meist  nur  Eörperkräfte  stärken  und  leidenschaft- 
liche Triebfedern  ins  Spiel  setzen.^)  Nicht  innere  Fak- 
toren geben,  wie  hauptsächlich  bei  Jean  Paul^  in  dieser 
Zeit  das  regulierende  Prinzip  für  die  Tätigkeit  des  Knaben 
ab,  diese  ist  vielmehr  nur  ein  Produkt  äußerer  Umstände; 
und  läßt  jener  die  ganze  erste  Tätigkeit  des  Kindes  im 
Spiele  aufgehen,  so  nimmt  Herbart  eine  strenge  Unter- 
scheidung zwischen  Spiel  und  ernster  Geistestätigkeit  vor 
und  schließt  im  vollen  Gegensatz  zu  ersterem  das  Spiel 
von  jener  aus.  Läßt  Jean  Paul  die  Phantasie  unein- 
geschränkt herrschen  und  walten,  stellt  er  ihr  gewisse 
Grenzen  und  will  sie  geleitet  wissen ;  läßt  jener  das  kind- 
liche Geistesvermögen  fast  ohne  Rest  in  derselben  aufgehen, 
unterscheidet  er  streng  zwischen  Begebren,  Bemerken  und 
Phantasieren,  legt  das  Hauptgewicht  auf  das  ruhige,  ver- 
weilende Anschauen  und  Betrachten  und  erwartet  von 
ihm  dasselbe,  was  jener  dem  Spiele  zuweist:  die  Funda- 
mentierung  des  späteren  geistigen  Besitzes.  Infolge  dieses 
Umstandes  kommt  er  auch  weniger  auf  das  eigentliche 
Wesen  der  Spiele  an  sich  zu  sprechen,  als  vielmehr  auf 
die  unterscheidenden  Merkmale  von  den  übrigen  psychischen 
Funktionen  und  Tätigkeiten  des  Geistes,  deren  Gehalt  ihm 
weit  wertvoller  erscheint;  und  sogar  wie  eine  leise  Ge- 
ringschätzung der  Spiele  möchte  es  klingen,  wenn  er  im 
Hinblick  auf  die  ersten  Übungen  im  Auffassen  des  Maßes 
ausspricht:  »Aber  auch  die  Übungen  im  Auffassen  des 
bloßen  Maßes  würden  so  einfach  ausfallen,  so  wenig  zu- 
sammenhängende Beschäftigung  darbieten,  daß  sie  sich 
eher  zu  jugendlichen  Spielen,  als  zu  irgend  einer  Lehre 
empfehlen  möchten.c  *)    Zwar  stimmen  diese  Spiele  mit 

')  2.  Bencht  an  Herrn  von  Steiger  St  31—32. 
*)  Umriß  pädag.  Vorl.  S208. 


—     78     — 

dem  EffahruDgskreis  des  Kindes  genau  überein,  aber  eben 
darum  stehen  sie  im  Widersprach  mit  der  wahren  Be- 
schaffenheit der  Din^e,  bedürfen  der  Ergänzung  durch 
den  analytischen  Unterricht,  welcher  Ordnung  in  die  Vor- 
stellungen, das  Abstrakte  in  die  Gedanken  bringt:  »Um 
die  Bedeutung  dieses  Unterrichtes  für  das  frühe  Knaben- 
alter zu  verstehen,  muß  man  überlegen,  wie  die  Erfahrung 
der  Kinder  beschaffen  ist.  Sie  sind  zwar  gewöhnt,  in 
ihrer  Umgebung  sich  umzusehen,  aber  die  stärksten  Ein- 
drücke überwiegen,  und  das  Bewegliche  zieht  sie  weit 
mehr  an  als  das  Kuhende.  Sie  zerreißen  und  zerstör«i, 
ohne  sich  viel  um  den  eigentlichen  Zusammenhang  der 
Hauptteile  eines  Ganzen  zu  bekümmern.  Ungeachtet  aller 
Fragen  nach  dem  Warum  und  Wozu  gebrauchen  sie  doch 
jedes  Gerät  ohne  Bücksicht  auf  seinen  Zweck,  sowie  es 
ihren  augenblicklichen  Einfällen  gerade  dienen  mag.  Sie 
sehen  scharf,  aber,  sie  beobachten  selten.  Die  wahre  Be- 
schaffenheit der  Dinge  bindert  sie  nicht,  nach  ihren  Phan- 
tasien mit  allem  zu  spielen  und  dabei  alles  für  alles  gelten 
zu  lassen.  Sie  empfangen  Gesamteindrücke  von  ähnlichen 
Dingen,  aber  sie  sondern  die  Begriffe  nicht  ab.  Das  Ab- 
strakte kommt  nicht  von  selbst  in  ihre  Gedanken.c^) 
Welch  ein  Unterschied  von  der  Auffassung  Jean  Pauls  f 
und  so  kennt  er  auch  nichts  von  jenem  ernsten,  gehalt- 
vollen Inhalt  der  Spiele,  den  jener  ihnen  beimißt,  findet 
vielmehr  das  unterscheidende  Merkmal  des  Knaben  vom 
Jüngling  darin,  »daß  der  Knabe  noch  keinen  festen  Zweck 
habe,  sondern  spielt  und  sorglos  in  den  Tag  hineinlebt, 
dabei  sich  eine  Männlichkeit  träumend,  die  in  der  Stärke 
der  Willkür  bestehen  würde.«  2)  —  Alles  in  allem  sind 
bei  ihm  dem  Begriff  des  Spieles,  dessen  Wesen  und  Äuße- 
rung er  an  und  für  sich  mit  Jean  Paul  übereinstimmend 
auffaßt,  bedeutend  engere  Grenzen  gesteckt  als  bei  jenem, 
und  an  die  Beurteilung  seines  Inhaltes  wird  ein  anderer 
Maßstab  angelegt     Nicht  die  Phantasie,  welche  das  Spiel 


')  umriß  pädag.  Vorl.  §  11.  —  •)  Ebenda  §  218. 


f 


—     79     — 

als  Selbstzweck  erscheinen  läßt,  sondern  die  Denkfanktionen, 
gegen  weiche  jene  in  den  Hintergrund  tritt,  nehmen  unter 
den  seelischen  Kräften  des  Kindes  die  wichtigste  Stellung 
ein.  — 

Näher  noch  als  Herbart  rückt  in  seinen  Grund- 
anschauungen  über  das  Wesen  der  kindlichen  Spiele  — 
obgleich  an  Widerspruch  nicht  völlig  frei  —  Locke  an 
Jean  Paul  heran.  Er  findet  dieselben  tief  begründet  im 
Wesen  der  kindlichen  Natur  und  erkennt  deshalb  in 
ihnen  eine  Naturnotwendigkeit,  den  Ausdruck  eines  den 
Kindern  von  der  Natur  mitgegebenen  Hanges.  In  wieder- 
holten Wendungen  bringt  er  diese  Auffassung  zum  Aus- 
druck, i)  Dabei  versäumt  Locke  nicht,  Aufschluß  über 
das  Wesen  dieses  Naturtriebes  zu  geben.  Ganz  im  Sinne 
Jean  Pauls  faßt  er  die  Spiele  auf  als  eine  Folge  speziell 
des  kindlichen  Tätigkeitstriebes,  der  mit  der  Macht  einer 
Naturkraft  seine  Befriedigung  fordert,  wobei  ihm  schließlich 
die  Art  der  Beschäftigung  völlig  einerlei  ist:  »Ich  halte 
es  für  eine  unstreitige  Wahrheit,  daß  die  Kinder  über- 
haupt eine  Abneigung  gegen  die  Untätigkeit  haben.  Es 
kommt  also  darauf  an,  ihren  Trieb  zur  Geschäftigkeit  mit 


*)  »Ich  sage  das  nicht,  als  wenn  ich  wollte,  daß  man  Kindern 
niemals  einen  Wunsch  befriedigte,  oder  als  wenn  ich  erwartete,  daß 
sie  in  hängenden  Ärmeln  den  Verstand  nnd  das  Betragen  eines 
Staatsministers  haben  sollten,  sondern  ich  betrachte  sie  als  Kinder, 
welche  eine  zarte  Behandlang  erfordern,  welche  Spiele  und  Spiel- 
sachen haben  müssen.«  Ed.  §  39.  »Übrigens  sollte  man  diesen 
Hang  zum  Spielen,  welchen  ihnen  die  Natur  so  weislich,  dem  Be- 
dürfnis ihres  Alters  gemäß  gegeben  hat,  und  der  zur  Vermehrung 
und  Stärkung  ihrer  Munterkeit,  Gesundheit  and  Kraft  dient,  ge- 
flissentlich in  ihnen  erhalten  and  nicht  einschränken  oder  unterdrücken. 
Das  Hauptstüok  besteht  Tielmehr  darin,  alle  ihre  kleinen  Geschäfte 
gleichfalls  in  Scherz  und  Spiel  zu  verwandeln.«  Ed.  §  63.  »Seine 
kindischen  Handlungen  und  seine  Munterkeit  sind  dem  Kinde  ebenso 
notwendig  sls  Schlaf  und  Speise.«  Ed.  §  99.  Zwischen  Spiel  und 
Schlaf  ist  die  Zeit  des  Kindes  geteilt:  »Ließe  man  die  Kinder  in 
Buhe,  so  würden  sie  sich  im  Dunkeln  ebensowenig  fürchten  als  bei 
hellem  Sonnenlicht;  das  eine  würde  ihnen  ebenso  willkommen  zum 
Schlaf  sein  als  das  andere  zum  Spiel.«     Ed.  §  138. 


—     80     — 

Bolchen  Dingen  zu  erhalten,  die  irgend  einen  Nutzen  fBr 
sie  haben.«  ^)    »Kinder  finden  in  Dingen,  die  sie  tun,  so- 
lange sie  ihrem  Alter  angemessen  sind,  wenig  Unterschied, 
wofern   sie  nur  irgend  etwas  tun.     Den  Torzag,   den  sie 
dem  einen  Ding  vor  dem  andern  geben,  borgen   sie  von 
anderen.    Was  ihnen   diejenigen,   welche  mit  ihn^i  uni> 
gehen,    zu    einer   Belohnung    für    sie   machen,    das    ist 
ihnen   eine.     Vermöge  dieses  Kunstgriffes  hängt  es  bloB 
von  ihren  Führern  ab,  ob   das   Springen   über    ein    ge- 
schnelltes  Seil   ihnen   eine   Belohnung    für   das   Tanzen, 
oder  das  Tanzen  eine  Belohnung  für  jenes  Spring^i  sein 
soll,  ob  der  Kreisel  oder  das  Lesen,  das  Ballschiagen  oder 
das  Studium  der  künstlichen  Erdkugel  ihnen  willkommener 
und  angenehmer  sein  soll;  denn  sie  wünschen  nichts  weiter 
als  geschäftig  zu  sein  und  zwar  in  Dingen,  die  sie  selbst 
zu   wählen   glauben   und  deren   Oestattung  sie  als  eine 
Ounstbezeugung  von  ihren  Eltern,  oder  Leuten,  für  welche 
sie  Achtung  haben  und  deren  Wohlwollen  sie  wünschen, 
aufnehmen.«^)    Paart  sich  in  dieser  Auffassung  Richtiges 
mit  Falschem,^)  so  ist  es  eine  durchweg  richtige  psycho- 
logische  Bemerkung  Lockes,    daß    die    Kinder  in    ihren 
Spielen  die  denkbar  größte  Geschäftigkeit  entfalten:    »Dm 
der  Mensch   im   kindischen  Alter  weit  tätiger   und   ge- 
schäftiger ist   als   in   irgend   einer  anderen   Periode  des 
Lebens  und  es  den  Kindern  gleichgültig  ist,  was  sie  ton, 
wofern  sie  nur  etwas  tun,  so  würde  das  Tanzen  und  das 
Springen  durch    ein   Seil  für  sie  einerlei  sein,  wenn  das 
Aufmunternde    und    Abschreckende    bei    beiden    Dingen 
gleich  wäre;«^)  denn  im  Spiele  wirken  ja  Vorstellungen, 
Gefühle,  Begehrungen  mit  den  körperlichen  Ejräften  und 
Fertigkeiten  harmonisch  zusammen;  die  Spielregeln   wer- 
den nicht  als  fremde,  von  außen  aufgenötigte  Schranken 
empfunden,   sondern   als  äußere  Betätigung  der  eigenen 
Innenweit.    Der  Charakter  des   Spiels  liegt  eben  in  der 


*)  Edac.  §  129.  —  •)  Edac.  §  129.  —  »)  Siehe  Beurteilung.  — 
*)  Edue.  §  76. 


—     81     — 

freien,  uneingeschräDkien  Betätigang  der  Phantasie;  und 
so  streng  Locke  sonst  den  Wünschen  derselben  gegen- 
über ist,  gesteht  er  ihr  doch  volle  Berechtigung  zu  für 
das  kindliche  Spiel  und  trifft  auch  hier  mit  Jean  Paul 
zusammen  in  der  Ansicht,  daß  jene  vorzugsweise  im 
Phantasieleben  des  Kindes  wurzeln  und  aus  demselben 
entspringen:  »So  streng  man  nun  aber  gegen  alle  Wünsche 
der  Phantasie  sein  muß,  so  gibt  es  doch  einen  Fall,  wo 
man  nachgiebig  gegen  dieselbe  sein  und  auf  ihre  Stimme 
merken  muß.  Erholung  nämlich  ist  für  Kinder  ebenso 
notwendig  als  Arbeit  oder  Nahrung.  Weil  aber  keine 
Erholung  ohne  Vergnügen  stattfindet  —  und  als  solches 
sieht  Locke  das  Spiel  an  —  und  dieses  nicht  immer  von 
der  Vernunft,  sondern  weit  öfter  ?on  der  Phantasie  ab- 
hängig ist:  so  muß  man  Kindern  nicht  allein  erlauben, 
sich  zu  vergnügen,  sondern  auch,  es  nach  ihrer  eigenen 
Weise  zu  tun,  solange  es  mit  Unschuld  und  ohne  Nach- 
teil ihrer  Gesundheit  geschieht.  In  diesem  Falle  also 
muß  man  sie  nicht  abweisen,  wenn  sie  eine  besondere 
Art  von  Erholung  vorschlagen.«  ^)  Indirekt,  freilich  mit 
Unterschätzung  der  Spiele,  erkennt  er  in  ihnen  wohl  auch 
ein  Mittel  zur  Befriedigung  des  kindlichen  Erkenntnistriebes, 
der  kindlichen  Wißbegierde:  »Neugier  bei  Kindern  ist 
nichts  anderes  als  Begierde  nach  Erkenntnis  und  muß 
deswegen  in  ihnen  genährt  und  unterhalten  werden,  nicht 
nur  als  ein  gutes  Zeichen,  sondern  als  das  große  Werk- 
zeug, welches  die  Natur  brauchte,  um  sie  aus  der  Un- 
wissenheit zu  reißen,  in  welcher  sie  geboren  sind,  und 
welche  sie  ohne  diesen  immer  regen  Forschungstrieb  zu 
blödsinnigen,  unnützen  Greschöpfen  machen  würde.  Ich 
weiß  gewiß,  eine  Hauptursache,  warum  viele  Kinder  oft 
sich  ganz  und  gar  den  einfältigsten  Spielen  überlassen 
und  ihre  Zeit  auf  eine  abgeschmackte  Weise  mit  Kleinig- 
keiten verderben,  ist  bloß  die,  daß  man  ihre  Wißbegier 
äffte  und  ihr  Fragen  nicht  achtete.    Hätte  man  sie  mit 


')  Educ.  §  108. 
päd.  Hag.  320.    Weiler.  6 


—     82     — 

mehr  Wohlwollen  und  Achtung  behandelt,  auf  ihre  Fragen 
gehörig  geantwortet  und  ihnen  Genüge  getan,  so  zweifle 
ich  nicht,  sie  würden  mehr  Vergnügen  daran  gefunden 
haben,  zu  lernen  und  ihre  Kenntnisse  zu  erweitern;  denn 
das  hätte  ihnen  weit  mehr  Veränderung  und  Mannig- 
faltigkeit verschafft,  und  das  ist  gerade,  was  sie  lieben, 
als  immer  und  ewig  zu  denselben  Spielen  und  Spiel- 
sachen zurückzukehren.«  ^)  Sein  Naturbestreben  sucht  den 
Spielen  gegenüber  überall  die  rechte  Stellung  zu  gewinnen, 
und  vollkommen  gerecht  wir«!  er  ihnen  in  der  Hervor- 
kehrung ihrer  charakteristischen  Merkmale,  bestehend  in 
der  Freiheit,  Mannigfaltigkeit  und  Veränderung  derselben, 
Eigenschaften,  welche  tief  im  Wesen  der  kindlichen  Natur 
begründet  sind;  denn  »wir  lieben  von  Natur  die  Freiheit 
und  das  von  der  Wiege  an  und  haben  daher  eine  Ab- 
neigung vor  vielen  Dingen  aus  keiner  anderen  Ursache, 
als  weil  sie  uns  auferlegt  werden.«*)  »Was  die 
Eander  am  meisten  von  allen  abschreckt,  was  wir  ihnen 
beibringen  wollen,  ist,  daß  wir  sie  erst  dazu  herbeirufen, 
.  .  .  wir  schelten  und  zerren  sie  dazu  hin,  oder  wenn  sie 
willig  daran  gehen,  so  werden  sie  solange  dabeigehalten, 
bis  sie  es  herzlich  überdrüssig  sind.  Das  alles  greift  zu 
sehr  in  ihre  natürliche  Freiheit  ein,  worauf  sie  ungemein 
eifersüchtig  sind.  Diese  Freiheit  ist  das  Einzige,  was 
ihren  gewöhnlichen  Spielen  den  anziehenden  Beiz  gibt«^) 
Diese  Eigenschaft  bildet  gleichzeitig  auch  den  einzigen 
Unterschied  ihrer  Spiele  von  ihren  Geschäften  und  ins- 
besondere vom  Lernen;  »denn  die  Mühe,  welche  sie  an- 
wenden müssen,  ist  auf  beiden  Seiten  gleich,  sie  ist  auch 
gar  nicht  das,  was  sie  scheuen:  denn  sie  mögen  gern  ge- 
schäftig sein,  und  Veränderung  und  Abwechslung  ist  das, 
was  ihnen  von  Natur  Vergnügen  macht.  Die  Ungleich- 
heit liegt  darin,  daß  sie  in  demjenigen,  was  wir  Spiel 
nennen,  mit  Freiheit  handeln  und  dabei  einen  frei- 
willigen Aufwand  von  Mühe  machen,  die  sie  überhaupt, 

')  Edac.  §  118.  —  »)  E'luc.  §  145.  —  «)  Educ.  §  76. 


—     83     — 

wie  ihr  leicht  bemerken  könnt,  niemals  spüren,  und  daß 
man  hingegen  dasjenige,  was  sie  lernen  soUen,  ihnen 
zwangsweise  auflegt,  sie  herbeiruft,  herbeitreibt,  herbei- 
zieht. Das  ist's,  was  sie  gleich  anfangs  kalt  und  ver- 
drossen macht,  sie  fühlen  sich  nicht  mehr  frei.«  ^)  Der 
Kraftaufwand  ist  auf  beiden  Seiten  gleich,  verschieden  ist 
nur  die  äußere  Form;  dort  herrscht  Zwang,  hier  freie, 
heitere,  ungebundene  Art  der  Äußerung,  welche  ganz  dem 
kindlichen  Wesen  entspricht;  denn  die  natürliche  Stim- 
mung der  Kinder  läßt  sie  mit  ihren  Gedanken  umher- 
schweifen, das  Neue  allein  zieht  sie  an.  ^)  Das  Kind  hängt 
keinem  ünlustgefüble  nach;  daß  es  in  diesem  Augen- 
blicke weint,  im  folgenden  lacht,  ist  ganz  natürlich.  Es 
hat  nur  eine  Laune,  den  Frohsinn,  welcher  ein  schöner,  be- 
neidenswerter Zug  im  kindlichen  Wesen  ist  Dieser  leichte 
Sinn,  tder  Jugend  froher  Gefährte«,  ist  ein  Zeichen  von 
Lebenskraft  und  Gesundheit,  äußerer  und  innerer  Reg- 
samkeit und  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  Leichtsinn, 
der  auch  zum  Bösen  und  Schlechten  verleitbar  ist;  denn 
Unachtsamkeit,  Sorglosigkeit,  Fröhlichkeit  sind  diesem 
Alter  eigentümlich.^)  Mit  dieser  Auffassung  des  Natur- 
verehrers Locke,  die  ebensogut  dem  Munde  eines  Jean 
Paul  entstammen  könnte,  steht  freilich  im  Widerspruch  die 
Auffassung  des  Utilitaristen  Locke^  der  den  Maßstab  des 
Nützlichen  vom  Standpunkte  des  Erwachsenen  aus  an  die 
kindlichen  Spiele  legt  und  es  dann  fertig  bringt,  dieselben  ge- 
radezu als  Fehler,  »die  zwar  mehr  ihrem  Alter  als  ihnen 
selbst  zu  schulden  kommen ,«  ^)  zu  bezeichnen.  Hierin  liegt 
gleichzeitig  ausgesprochen,  daß  er  ihnen  bei  weitem  nicht 
den  gehaltvollen  Inhalt  beizulegen  vermag  wie  Jean  Paul. 


^)  und  «)  Educ.  §  167.  -  »)  Educ.  §  80. 

^)  Educ.  §  63.  Vergl.  daza  Campe:  »Die  keine  Fehler  sind,  di& 
falschlich  dafür  angesehen  werden  und  als  solcJie  gerügt  werden,  die 
notwendige  und  zugleich  wünschenswerte  Ausbrüche  der  jugendlichen 
Fröhlichkeit  und  Tätigkeit  sind.  Ein  Kind,  welches  diese  sogenannten 
Fehler  nicht  begeht,  ist  eotwedei  krank,  oder  schon  geschwächt 
und  verdorben.« 

.6* 


—     84    — 

Oleich  Herbart  faßt  eben  aach  er  den  Begriff  des  SpieleSi 
dessen  Wesen  er  an  und  für  sich  mit  psychologiadiem 
Feinblick  scharf  charakterisiert,  bedeutend  enger.  Nicht 
die  ganze  erste  Tätigkeit  des  Kindes  geht  im  Spiele  anf^ 
vielmehr  ist  eine  scharfe  Grenze  zu  ziehen  zwischen  dem- 
selben und  den  kindlichen  Oeschäften»  insbesondere  den 
Lemübungen  und  auf  das  Praktisch-Nützliche  abswecken- 
den  Tätigkeiten;  und  während  letztere  unter  den  Begriff 
des  Nützlichen  fallen,  ordnet  Locke  jene  unter  den  der 
Erholung  und  des  Vergnügens,  sieht  sie  in  der  Haup^ 
Sache  an  als  eine  Erholung  von  ihrer  Lerntätigkeit,  durdi- 
aus  aber  nicht  als  ernstes,  gehaltvolles  Tun  an  sich.^) 
Eben  deshalb  fordert  er  auch,  »den  Eindem  jede  zu 
lernende  Sache  ebenso  zu  einer  Erholung  vom  Spiel  sa 
machen,  als  gewöhnlich  das  Spiel  ihre  Erholung  vom 
Lernen  ist«.  2)  Der  den  Spielen  beigemessene  Inhalt  ist 
bei  beiden  ein  grundverschiedener,  und  aus  ihm  fliefit 
eine  ebenso  verschiedene  Wertschätzung. 

3.  Ansichten  Ober  Arten  und  Einteilung  der  Spiele 

Freilich  ist  auch  für  Jean  Paul  nicht  jedes  Spiel 
solche  ernste  Tätigkeit.  Auch  für  das  Eind  existieren 
Spiele,  die  es  nur  als  solche  empfindet,  »nur  spielt,  nicht 
treibt^  noch  fühlt:  Scherzen,  sinnloses  Sprechen  mit  sich 
«eiber,  aus  dem  Fenster  schauen,  auf  dem  Orase  liegen, 
die  Amme  oder  andere  Einder  hören«.  Damit  ergeben 
sich  ihm  aber  ans  dem  Wesen  der  Spiele  nach  dem  je- 
weiligen Verhalten  der  kindlichen  Natur  diesen  gegen- 
über, nach  dem  Orade  der  inneren  Anteilnahme,  welchen 
die  kindliohe  Seele  dieser  Tätigkeit  entgegenbringt,  mit 
psychologischer    Notwendigkeit    drei    Arten    derselben.  >) 


*)  Vergl.  hierau  Edac.  §  76,  79  und  108.  —  •)  Edac.  §  79. 

')  Eine  Obersicht  und  Beschreibang  der  verBcbiedeneD  Kinder- 
spiele, auch  aus  der  ftlteren  Zeit,  gibt  Kevisionswerk  Bd.  8,  II.  Hälfte, 
meist  allerdings  »im  Grebrauch  der  Körperausbildnng,  damit  er  die 
Befehle  der  Seele  ausführen  kann«. 


—     85     — 

Die  erste  Erlasse  oennt  Jean  Paul  die  der  empfaDgen- 
den,  auffassendeD,  lernenden  Kraft,  oder  die  theoretische 
Klasse,  deren  Spiele  nichts  anderes  sind  als  eine  kind- 
liche Experimental-Physik- Optik -Mechanik.  Sie  umfaßt 
gleichzeitig  auch  die  meisten  Spiele,  als  deren  er  aufzählt: 
Drehen,  Heben,  Schlüssel  in  Löcher  stecken,  einem  elter- 
lichen Geschäfte  zusehen  und  ähnliches.  Geht  bei  ihnen 
die  Tätigkeit  gleich  den  Sinnesnerven  von  außen  nach 
innen,  so  schlägt  die  der  2.  Klasse  den  umgekehrten  Weg 
ein.  Der  Richtung  der  Bewegungsnerven  folgend,  geht 
sie  von  innen  nach  außen.  Diese  Spiele  -bezeichnet  Jean 
Paul  als  die  praktische  Erlasse,  oder  die  der  handelnden, 
gestaltenden  Kraft  Beide  Arten  stimmen  darin  überein, 
daß  sie  Äußerungen  ernster  Tätigkeit  sind,  unterscheiden 
sich  aber  in  dem  Verhalten  der  kindlichen  Seele  gegen- 
über dieser  Tätigkeit.  Während  im  ersten  Falle  sich  das 
Kind  mehr  rezeptiv  oder  passiv  aufnehmend  verhält,  wes- 
halb diese  Klasse  sachgemäßer  als  die  der  rezeptiv  oder 
passiv  aufnehmenden  Kraft  bezeichnet  werden  kann,  zeigt 
es  sich  bei  der  zweiten  aktiv  handelnd  und  produktiv  ge- 
staltend, so  daß  sich  diese  Klasse  als  die  der  produktiv 
gestaltenden  Kraft  bezeichnen  ließe.  Findet  bei  der  ersten 
Abteilung  mehr  eine  Aufepeicherung  geistiger  Kräfte,  mehr 
ein  Erfabrungsammeln  auf  empirischem  Wege  statt,  so 
bei  der  zweiten  ein  Entladen  des  geistigen  Überschusses. 
Spielt  bei  der  ersten  Art  der  Nachahmungstrieb,  welcher 
auf  dieser  Stufe  dem  geistigen  Lebenstrieb  am  bequem- 
sten fällt,  eine  Hauptrolle,  so  tritt  bei  der  zweiten  als 
Charakteristikum  die  dramatisch  gestaltende  Phantasie, 
die  freiere  körperliche  Bewegung,  überhaupt  eine  größere 
Freiheit  der  Selbsttätigkeit  hinzu.  Freilich  lassen  sich  die 
Grenzen  beider  nicht  mit  logischer  Konsequenz  scharf 
durchführen,  und  so  gesteht  Jean  Paul  selbst  zu,^)  wie 
auch  bei  den  Spielen  der  ersten  Klasse  die  dramatisch 
gestaltende    Phantasie    oftmals    eingreifen    wird.     Beide 

0  Lot.  §  46. 


—     86     — 

Klassen  aber  sind  Spiele  ernster  Selbsttätigkeit  und  eine 
Folge  der  überschüssigen  Kraft,  die  sich  das  eine  Mal 
durch  Nachahmung  und  durch  Aufnahme,  das  andere  Hai 
durch  dramatisches  Phantasieren  und  selbsttätiges  Ge- 
stalten äußert.  —  Diesen  beiden  Arten,  ihrer  Natur  nadi 
ernste  Tätigkeit,  stellt  Jean  Paul  noch  eine  dritte  gegen- 
über, welche  Selbsttätigkeit  und  innere  Anteilnahme  des 
Kindes  ausschließt.  Vom  kindlichen  Standpunkte  aus 
beurteilt,  tragen  ihre  Spiele  lange  nicht  denselben  Ernst 
an  sich,  nehmen  dieselben  die  seelischen  Kräfte  bei  weitem 
nicht  in  diesem  Maße  in  Anspruch.  Es  ist  vielmehr  ein 
Sicbgehenlassen,  ein  Sicbüberlassen  der  Umgebung  und 
ihren  Einwirkungen.  Sie  umfaßt  die  Spiele,  welche  auch 
das  Kind  nur  spielt,  bei  denen  es  behaglich  Gestalt  und 
Ton  gibt  und  nimmt,  und  die  sich  daher  kurz  bezeichnen 
läßt  als  die  Klasse  des  sich  freien  Hingebens  an  die  Um- 
gebung, die  zugleich  aber  auch  am  schärfsten  zum  Aus- 
druck bringt,  wie  Jean  Paul  das  ganze  kindliche  Tun 
und  Treiben  als  Spiel  auffaßt.  Mit  Rücksicht  auf  diesen 
Terschiedenen  Charakter  der  Spiele,  bedingt  durch  das 
innere  Verhältnis  der  kindlichen  Natur  zu  der  siich  äußern- 
den Tätigkeit,  unterscheidet  derselbe  daher  im  Leben  des 
vergnügten  Schulmeisterleins  M.  Wuz,^)  die  ersten  beiden 
Klassen  zusammenfassend,  zwei  Arten  von  Spielen,  ernst- 
hafte und  kindische.  Doch  nicht  nur  nach  der  inneren 
Beteiligung  der  geistigen  Kräfte  des  Kindes  unterscheiden 
sich  die  Spiele,  so  daß  die  verschiedenen  Arten  etwa 
parallel  nebeneinander  hergehen  könnten,  ein  Unterschied 
im  Wesen  derselben  zeigt  sich  auch  hinsichtlich  der  Zeit  und 
jeweiligen  Altersstufe  des  Kindes,  auf  welcher  sie  auftreten, 
sowie  hinsichtlich  des  Zweckes,  den  sie  verfolgen,  so  daß 


^)  Es  gibt  zweierlei  Kinderspiele,  kindische  und  ernsthafte.  Die 
ernsthaften  sind  Nachahmungen  der  Erwachsenen,  das  KanfmanD-, 
Soldaten-,  Handwerkspielen;  die  kindischen  sind  Nachahmungen  der 
Tiere  .  .  .  Glaubt  mir,  ein  Seraph  findet  auch  in  unseren  Kollegien 
und  Hörsälen  keine  Geschäfte,  sondern  nur  Spiele,  und  wenn  er  et 
hochtreibt,  jene  zweierlei  Spiele.«    Tl.  I,  St  353. 


—     87     — 

auch  diese  Gesichtspunkte  als  Einteilungsprinzip  aufgestellt 
werden  können^)  und  nach  ihnen  sich  ein  mehr  emp- 
findendes und  ein  mehr  schaffendes  Spielen  unterscheiden 
läßt.  In  der  Natur  und  jeweiligen  Individualität  des  Kin- 
des liegt  es  begründet,  daß  die  Spiele,  welche  den  ersten 
Lebensmorgen  ausfüllen,  mehr  den  Charakter  des  Emp- 
findens, die  des  späteren  Alters  mehr  den  des  selbsttätigen 
Schaffens  an  sich  tragen.  Bei  dem  schnell  wachsenden 
Körper  und  unter  der  einstürmenden  Sinnenwelt  kann 
sich  die  so  überschüttete  Seele  in  den  ersten  Monaten 
des  Lebens  noch  nicht  zu  einem  selbsttätigen  Spielen  auf- 
schwingen. Sie  will  nur  blicken,  horchen,  greifen,  tappen, 
so  beladen  kann  sie  mit  ihnen  wenig  machen  und  ge- 
stalten. Die  Seele  steht  gleichsam  der  Fülle  der  äußeren 
Einflüsse  gegenüber  wehrlos  da;  die  Menge  der  neuen 
Eindrücke  läßt  sie  nicht  zur  Selbsttätigkeit  kommen, 
nötigt  sie  zu  einem  lediglich  rezeptiven  Verhalten,  zum 
rein  empfindenden  Spiel,  das  infolgedessen  auch  noch 
keinen  Ausfluß  überschüssiger  Kraft  vorstellt.  Durch 
diese  Eindrücke  aber  vollzieht  sich  die  geistige  Ausbildung 
des  Kindes,  erhält  der  kindliche  Geist  seine  Nahrung,  den 
Stoff,  auf  Grund  dessen  er  zur  Selbsttätigkeit  gelangt.') 
Die  seelischen  Kräfte  werden  allmählich  auf  eine  höhere 
Stufe  gehoben;  das  Kind  baut  sich  seine  eigene  Vor- 
stellungs-  und  Gedankenwelt  auf.  Ein  Wort  um  das 
andere,  in  denen  dasselbe  im  Gegensatz  zu  dem  oft  nur 
konventionellen  Gebrauch  derselben  seitens  Erwachsener, 
wohl  gar  gegen  die  bessere  Überzeugung,  sein  wahrstes 
Innenleben  zum  Ausdruck  bringt,  verkündet,  was  es  denkt, 
tut  und  fühlt  und  spricht  den  Geist  immer  mehr  frei. 
Nachdem  aber  unter  den  äußeren  Einflüssen  sich  der 
kindliche  Geist  allmählich  zu  größerer  Freiheit  empor- 
geschwungen hat,   nachdem   in   den  fünf  Akten  der  fünf 


^)  Levaoa  §  48.  —  *)  Im  Gegensatz  zu  Jean  Patda  aprioristi- 
Bchen  AnschauuDgen  macht  sich  hier  eine  sensualistiBche  Auffabsong 
geltend. 


—    88    — 

Sinne  die  Erkenntnis  der  Welt  8ich  Tollzogen  bat,  wird 
die  erste  Klasse  der  Spiele  durch  die  zweite  yerdrängt 
Es  hebt  die  größere  Freiheit  des  Selbstspieles  an;  die 
Phantasie  beginnt  ihre  Flügel  zu  schwingen,  yerleibt  der 
kindlichen  Sprache  die  rechten  Worte,  und  es  tritt  nun 
ein  umgekehrtes  Verhältnis  ein.  War  früher  die  äußere 
Welt  das  leitende,  regulierende  Prinzip,  welches  gestaltttid 
auf  die  innere  einwirkte,  so  wird  jetzt  umgekehrt  die 
innere  Welt  des  Kindes  das  Leitmotiv,  welches  die  äofiere 
in  Bewegung  setzt  und  sich  untertänig  macht  Das  Kind 
projiziert  gleichsam  sein  Inneres  in  seine  Umgebung^ 
welche  deshalb  eine  modifizierte  Gestalt  für  dasselbe  an* 
nimmt.  Beide  Arten  sind  demnach  grundverschiedeu 
hinsichtlich  der  Zeit,  in  welcher  sie  auftreten,  sowie  des 
Zweckes,  den  sie  verfolgen,  unterscheiden  sich  aber  auch 
zum  Teil  durch  die  Objekte,  mit  denen  sie  es  zu  tun 
haben ;  denn  in  der  Natur  der  Sache  liegt  es  begründet, 
daß  bei  der  ersten  Klasse  das  Kind  hauptsächlich  auf 
seine  Spielsachen  angewiesen  ist,  während  sich  die  Spiele 
der  zweiten  Klasse  vorzugsweise  auf  dem  Spielplatze  und 
unter  seinesgleichen  vollziehen  werden;  und  so  gelangt 
Jean  Paul,  diesen  Gesichtspunkt  als  Einteilungsprinzip 
aufstellend,  zu  einer  dritten  Einteilung  der  Spiele:  zu 
solchen  mit  Spielsachen  und  solchen  mit  und  unter  Spiel- 
menschen. Beide  Arten  unterscheiden  sich  jedoch  nicht 
nur  hinsichtlich  der  Zeit,  sondern  auch  hinsichtlich  ihrer 
Natur  und  ihres  Zweckes.  Die  Spiele  der  ersteren  sind 
lediglich  solche  des  kindlichen  Geistes  mit  sich  selber 
und  stehen  ganz  unter  dem  Banne  der  ihn  beherrschen- 
den Phantasie!  Bei  den  Spielen  der  zweiten  tritt  das  Ich 
allmählich  aus  seiner  isolierten  Stellung  heraus,  gelangt 
in  Wechselwirkung  mit  seinesgleichen.  Zwar  sieht  in  den 
ersten  Jahren  das  spielende  Kind  den  mitspielenden  Ge- 
nossen nur  als  Spielsache  an,  nur  als  Ergänzung  der 
Phantasie  über  ein  Spielding;  aber  in  den  späteren  Jahren 
wird  das  »erste  Bändchen  der  Gesellschaft  aus  Blumen- 
ketten gesponnen;  spielende  Kinder  sind  europäische  kleine 


—     89     — 

Wilde  im  gesellschaftlichen  Vertrag  zu  einem  Spiel- 
zweck,« ^)  and  insofern  macht  sich  eine  fortschreitende 
Entwicklang  selbst  bei  den  Spielen  der  zweiten  Art  be- 
merkbar, lassen  sich  »zwei  Unterarten  anterscheiden,  von 
denen  die  erste  gleichsam  einen  Übergang  von  den  Spielen 
der  ersten  Klasse  zu  denen  der  zweiten  bildet  Diese 
letzteren  Spiele  nehmen  allmählich  einen  mehr  gesell- 
schaftlichen Charakter  an,  und  ihre  Bedeutung  liegt,  ent- 
gegengesetzt den  ersten,  in  der  Ausbildung  und  Funda- 
mentierung  der  sozialen  und  gesellschaftlichen  Tugenden 
»für  die  menschliche  Praxis«.  Fehlte  den  Spielen  der 
ersten  Klasse  gleichsam  noch  ein  fester  Zweck,  eine  feste 
Idee,  so  treten  bei  denen  der  zweiten  soziale  und  gesell- 
schaftliche Gesichtspunkte  in  den  Vordergrund.  Wie  Wilde 
schließen  die  spielenden  Kinder  einen  Vertrag,  'dessen  Idee 
der  Spielzweck  ist,  der  über  ihnen  steht  und  sie  zusammen- 
bindet, und  damit  tritt  im  spielenden  Kinde  selbst  ein 
Wandel  in  der  Beurteilung  seiner  Spielgenossen  ein :  Die- 
selben gelten  nicht  mehr  als  bloße  Spielsachen,  sondern 
als  gleichberechtigte  Individuen.  —  Ein  Unterschied  in 
den  Spielen  läßt  sich  schließlich  aber  auch  feststellen  mit 
Rücksicht  auf  die  Geschlechter:  Knaben-  und  Mädchen- 
spiele sind  zweierlei.  ^)  Deutlich  sprechen  sich  in  ihnen  die 
verschiedenen  Charaktere  beider  Geschlechter  aus,  lassen 
sich  die  besonderen  Charakterzüge  des  späteren  Mannes,  wie 
der  späteren  Frau  zum  Teil  schon  im  voraus  aus  ihnen  ab- 
lesen: »Die  Männer  lieben  mehr  Sachen,  die  Weiber  mehr 
Personen ;  schon  als  Kind  liebt  die  Frau  einen  Vexiermen- 
schen, die  Puppe,  und  arbeitet  für  diese;  ^  der  Knabe  hält 
sich  ein  Steckenpferd  und  eine  Bleimiliz  und  arbeitet  mit 
dieser.  Mädchen  spielen  länger  mit  ihren  Spielpuppen 
als  jene   mit  ihren  Spielsachen;«    und  dies  ist  eine  ganz 


*)  Le?.  §  52.  -   •)  Ler.  §  149. 

*)  Vergleiche  dazu  Roasseaa,  Emil  V,  St  446  ff.,  wo  RonsBeaa 
meint,  da£  durch  das  Spielen  der  Mädchen  mit  der  Puppe  der  6e- 
■ohmaok  and  die  Neigung  ta  den  Terschiedensten  weiblichen  Hand- 
arbeiten geweckt  werde. 


—    90     — 

natürliche  Folge  ihres  Wesens ;  denn  Spiele  sind  so  gans 
der  adäquate  Ausdruck  der  Mädcbennatur,  und  in  ihiea 
Spielen  kommt  daher  der  eigentliche  Charakter  des  SjHelSi 
seine  Heiterkeit  fördernde  Wirkung,  noch  mehr  zum  Aus- 
druck als  in  denen  der  Knaben.  Mehr  noch  als  den  letztereED, 
die  als  spätere  Männer  den  Ernst  des  Lebens  kennen 
lernen  werden,  ist  den  Mädchen  Heiterkeit  nötig.  Im 
Wesen  der  Frau  liegt  es,  Heiterkeit  und  Anmut  um  sidi 
zu  verbreiten,  und  darum  wird  Jean  Paul  in  voller  Über- 
einstimmung mit  Rousseau  ihrem  Charakter  so  ganz  ge- 
recht mit  seiner  Forderung:  »Ihr  Mütter,  gönnt  den  lieben 
leichten  Wesen  das  Spielen  um  die  Blumen,  die  Platter- 
minute  vor  langen  ernsten  Jahren.  Warum  soll  nicht  bei 
ihnen  wie  bei  den  Römern  das  Lustspiel  früher  da  sein 
als  das  Harmspiel?  —  Gibt  es  etwas  so  Schönes  und 
Poetisches  im  Leben  als  das  Lachen  und  Scherzen  einer 
Jungfrau,  welche,  noch  in  der  Harmonie  aller  Erätte,  mit 
und  auf  allen  in  üppiger  Freiheit  spielt?«^)  —  Als  eine 
besondere  Art  und  zugleich  als  das  schönste  und  reichste 
Spiel  hebt  Jeaii  Paul  das  Spielsprechen  hervor,  »nämlich 
das  des  Kindes  mit  sich  und  noch  mehr  der  Eltern  mit 
ihm«.  In  dem  Tagebuche  über  seine  Kinder  äußert  er 
sich  darüber:  »Kinder  sprechen  für  sich  viele  Redensarten 
—  ohne  Zusammenhang  —  bloß  um  die  Freude  des 
Sprechens  sich  zu  machen;  so  fragen  sie  Sachen,  die  sie 
wissen,  um  die  Freude  des  Hörens  zu  haben.  —  Für  das 


*)  Lev.  §  97.  Vergleiche  dazu  Kousseau,  Emil  V,  St.  455: 
»Ein  junges  Mädchen  soll  nicht  leben  wie  seine  Großmatter.  Es  soll 
lebhaft,  heiter,  mutwillig  sein,  singen,  tanzen,  soviel  ihm  gefällt,  und 
alle  unschuldigen  Vergnügen  seines  Alters  auskosten.  Die  Zeit  konamt 
nur  zu  bald,  wo  es  gesetzt  sein  und  eine  ernste  Haltung  anDehmen 
muß«,  sowie 

Emil  V,  St.  450:  »Nehmt  den  Mädchen  nicht  die  Heiterkeit, 
das  Lachen,  den  Lärm,  die  törichten  Spiele,  aber  verhindert,  daß  sie 
Gbersättigt  von  einem  zum  andern  laufen.  Duldet  nicht  einen  ein- 
zigen Augenblick  in  ihrem  Leben,  daß  sie  keine  Zügel  mehr  kennen. 
Gewöhnt  sie  daran,  sich  mitten  im  Spiel  za  unterbrechen  nnd 
ohne  Murren  an  die  Arbeit  zu  geben.« 


—     91     — 

Kind  ist  ja  schon  Plaudern  ein  Spiel.  —  Es  ist  in  der 
Sprache  der  Kinder  schwer,  die  aufgenommenen  Wen- 
dungen der  Eltern  von  ihren  zu  unterscheiden.  Die  Eltern 
können  sich  in  dem  Spielgespräch  der  Kinder  wider  Er- 
warten wiederholt  sehen.  Auch  wenn  ein  Kind  noch 
nicht  spricht,  muß  man  mit  ihm  sprechen,  als  verstehe 
es;  denn  Denken  versteht  es  doch  und  noch  mehr.  — 
Wie  man  den  Dichter,  den  Volksredner  im  Feuer,  also 
im  Meisterstück,  unterbräche,  wenn  man  ihm  die  kleinen 
Redefloreskeln  korrigierte,  so  die  Kinder,  denen  man  das 
Kleine  ewig  besserte,  jedes  Anhängsel  der  Freiheit.  Bessert 
nur  das  Ganze,  und  die  Neben  versagen  von  selbst« 
Besonders  im  Anfange  läßt  sie  der  Reiz  der  Neuheit  sich 
gern  diesem  Spiel  zuwenden :  »Sie  spielen  anfangs  gern  mit 
der  ihnen  neuen  Kunst  der  Bede,  so  sprechen  sie  oft  Un- 
sinn, um  nur  ihrer  eigenen  Sprachkunde  zuzuhören.«  In 
diesen  Worten  liegt  nicht  nur  ein  neuer  Beweis,  daß 
Jean  Paul  das  ganze  Tun  der  Kindes  als  Spiel  auffaßt, 
sondern  auch  der  Hinweis,  daß  er  gerade  diesem  Spiel 
einen  hohen  Wert  beimißt.  Der  Nachahmungstrieb  der 
Kleinen  findet  in  ihm  die  beste  Gelegenheit  zu  seiner 
Befriedigung,  der  kindliche  Wissenstrieb,  die  kindliche 
Wißbegierde  werden  gesättigt,  die  Phantasie  desselben 
wird  angeregt,  seine  Sprache,  seine  Ausdrucksfähigkeit  er- 
höht, seine  Denktätigkeit  gehoben  und  der  Schatz  seiner 
Vorstellungen  vermehrt.  Solche  Sprechübungen  sind  für 
das  Kind  gleichsam  Lehrstunden  der  freiesten  und  un- 
genehmsten Art,  und  deshalb  knüpft  er  an  dieselben  seine 
Mahnung:  tihr  könnt  im  Spiele  und  zur  Lust  nicht  za 
viel  mit  Kindern  sprechen,  sowie  bei  Strafe  und  Lehre 
nicht  zu   wenig!«  1)    —  So  ergeben   sich  für  Jean  Paul 


^)  Lev.  §  54.  Ver^I.  dazu:  Schwarx^  Erztebangslehre  11,  S.  255: 
»Mau  spreche  zn  den  Kindern  immer  in  einem  liebreichen,  nie  in 
einem  unfreundlichen  Ton;  die  Sympathie  bat  den  mächtigsten  Ein- 
fluß, es  zum  Gleichartigen  zu  stimmen.«  —  Ebendaselbst  St.  309: 
»Redselige  Mütter,  welche  munter  und  drollig!  mit  dem  Kinde 
sprechen,  wissen  selbst  nicht,  wie  wohltätig  sie  ihm  sind.« 


—    93    — 

oei  seiner  weiten  Auffassung  yom  Wesen  des  kindlichen 
Spiels  die  mannigfachsten  Arten  desselben.  fVeilich  sind 
die  Kinder  nicht  allen  diesen  mit  gleicher  liebe  zagettn, 
und  so  findet  der  Dichter  Jean  Paul  die  Lieblingssinele 
derselben  hauptsächlich  in  solchen,  an  die  sich  Hoff- 
nungen und  Befürchtungen  knüpfen:  »Die  Kinder  lieboi 
keine  Spiele  so  stark,  als  die,  worin  sie  zu  erwarten  oder 
gar  zu  befürchten  haben ;  so  früh  spielt  schon  der  Dichter  mit 
seinem  Knotenknüpfen  und  Lösen  im  Menschen!«^)  denn 
es  sind  ja  diejenigen,  in  denen  die  Phantasie  den  fracht- 
baisten  Boden  für  ihre  Betätigung  findet  —  Eine  solche 
scharfe  und  psychologisch  fein  detaillierte  Untersuchung 
über  die  einzelnen  Arten  der  Spiele  und  ihre  Unterschiede 
je  nach  dem  Verhalten  der  kindlichen  Natur,  der  Zeit 
und  Altersstufe,  der  Objekte  und  Oeschlechter,  sowie  hin- 
sichtlich der  Lieblingsspiele  der  Kinder  kennen  weder 
Herbart^  noch  Locke -^  wohl  aber  widmen  beide  dem  Spiel- 
sprechen Jean  Fauls^  den  häufigen  Kinderfragen,  einen  be- 
sonderen Abschnitt,  ohne  dasselbe  jedoch  als  Spiel  an- 
zusehen. Wenn  Jean  Faul  in  diesem  Spielsprechen  dem 
Nachahmungstriebe  der  Kinder  eine  große  Bolle  zuschreibt, 
so  findet  Herbart  das  größere  oder  geringere  Bedürfnis, 
sich  durch  Sprechen  zu  äußern,  tief  in  der  Individualität 
des  Kindes  begründet^)  und  erhebt  damit  die  Sprache 
eines  jeden  weit  über  bloße  Nachahmung,  weshalb 
auch  jede  Verbesserung  derselben  immer  von  den  Ge- 
danken auszugehen  habe,  die  sie  bezeichnet.  Die  be- 
kannten Kinderfragen,  die  nach  ihm  aber  wenig  Zweck 
haben,  meist  nur  von  augenblicklicher  Laune  abhängen, 
läßt  er  hervorgehen  aus  dem  Wissenstriebe  der  Kinder, 
aus  dem  Bestreben,  sich  das  Neue  anzueignen,  sobald  die 
Erfahrung  über  die  früheren  Phantasien  das  nötige  Über- 
gewicht erlangt  hat  Wie  Jean  Paul  aber  will  er  die- 
selben nicht  etwa  eingeengt  wissen,  sondern  reichlich  ge- 


0  LeT.  §  54. 

*;  UmriA  pftd.  VorL  §  272. 


—     93     — 

nährt,  da  sich  in  ihnen  ein  ursprüngliches  Interesse  offen- 
bart und  in  ihnen  eine  günstige  Gelegenheit  sich  dar- 
bietet, dem  späteren  Unterricht  den  Boden  zu  bereiten 
durch  Gewinnen  von  apperzipierenden  Yorstellungen* 
Selbstverständlich  kann  es  sich  aber  auf  dieser  Stufe  noch 
nicht  um  gründliche  und  zusammenhängende  Belehrungen 
handeln,  sondern  lediglich  um  gelegentliche  Erklärungen.^)  — 
Ähnlich  wie  Herbart  stellt  sich  auch  Locke  zu  den  Kinder- 
fragen, sieht  sie  an  als  ein  Mittel  zum  Verscheuchen  der  Un- 
lust, welche  der  Knabe  infolge  seines  Nichtwissens  emp- 
findet, und  empfiehlt  dieselbe  gewissenhafte  Beachtung,  wie 
sie  aus  den  Worten  Jean  Pauls  und  Herbarts  widerklingt.^ 


^)  »Wäbreud  der  Kreis,  worin  das  Kind  sich  frei  amherbewe^ 
sieb  erweitert,  während  es  darch  eigne  Versache  sich  immer  mehr 
Erfahrung  schafft,  und  überdies  noch  das  oft  höchst  nötige,  absichtlich» 
Umherfnbren  von  Seiten  des  Erziehers  hinsnkommt,  erlangt  die  Er- 
fahrung ein  Obergewicht  über  die  früheren  Phantasien,  wenn  auch 
bei  verschiedenen  Individuen  in  sehr  verschiedenem  Verhältnis.  Ans 
dem  Bestreben  aber,  das  Nene  sich  anzueignen,  entstehen  nun  die 
häufigen  Kinderfragen,  welche  den  Erzieher  als  einen  AUwissenden 
voraussetzen,  keinen  Zweck  haben,  sondern  von  augenblicklicher  Laune 
abhängen  und  größtenteils,  wenn  sie  nicht  gleich  beantwortet  werden, 
nie  wiederkehren.  Viele  derselben  betreffen  bloß  Worte  und  lassen 
sich  mit  irgend  einer  passenden  Benennung  des  fraglichen  Gegen- 
standes beseitigen.  Andere  gehen  auf  den  Zusammenhang  der  Er- 
eignisse, besonders  auf  die  Zwecke  menschlicher  Handlungen,  ohne 
Unterschied,  ob  von  fingierten,  oder  wirklichen  Personen  die  Rede 
ist.  Wiewohl  nun  manche  Fragen  nicht  können,  andere  nicht  dürfen 
beantwortet  werden,  so  muß  doch  im  ganzen  die  Neigung  zum  Fragen 
fortwährende  Ermunterung  finden ;  denn  es  liegt  in  ihnen  ein  Ursprung* 
liebes  Interesse,  welches  der  Erzieher  späterhin  oft  schmerzlich  ver- 
mißt und  durch  keine  Kunst  wieder  erzeugen  kann.  Die  Gelegenheit 
ist  hier  dargeboten,  sehr  viel  anzuknüpfen,  was  künftigen  Unterricht 
den  Boden  bereiten  muß.  Nur  darf  sich  die  Antwort  nicht  mit  on- 
zweideutiger  Gründlichkeit  in  die  Länge  ziehen,  sondern  der  Erzieher 
muß  schiffen  auf  den  Wellen  der  kindlichen  Laune,  die  gewöhnlieh 
nicht  mit  sich  experimentieren  läßt,  sondern  oft  ungelegene  Sprünge 
macht.«     Umriß  päd.  Vorl.  §  214. 

*)  »Obgleich  diese  Fragen  nun  oft  nicht  viel  Bedeutung  zu  haben 
scheinen^  so  sollten  sie  doch  ernsthaft  and  der  Wahrheit  gemäß  be- 
antwortet werden;  denn  Kinder  sind  Beisende,  welche  soeben  in  einem 


—     94    — 

4.  Ansichten  Aber  Nutzen  und  Bedeutung  der 

kindlichen  Spiele. 

Überragt  so  Jean  Paul  in  der  psychologischen 
i^ruppierung  der  Spiele  sowohl  Herbart  wie  Locke^  so 
nicht  minder  in  der  Wertschätzung,  welche  er  ihnen  zu 
teil  werden  läßt  Dieselbe  ist  das  notwendige  Produkt 
seiner  Ansicht  über  deren  Wesen  und  Arten ;  denn  wie 
edch  das  erstere  mit  der  fortschreitenden  Zeit  ändert,  wird 
auch  der  jedesmalige  Zweck  der  Spiele  ein  anderer.  Eine 
Wandlung  hinsichtlich  ihres  Wesens  erfahren  dieselben 
aber  zunächst  insofern,  als  sie  urspiünglich  der  ver- 
arbeitete Überschuß  der  geistigen  und  körperlichen  Kräfte 
zugleich  sind;  sobald  aber  die  Schule  alle  geistigen  Kräfte, 
wohl  gar  bis  zur  Ermattung,  in  Anspruch  nimmt,  leiten 
nur  noch  die  Glieder  durch  Laufen,  Werfen,  Tragen  die 
Lebensfülle  ab.  An  anderer  Stelle  ^)  sagt  Jean  Paul 
hierüber:  »Die  früheren  Spiele  sollen  der  geistigen  Ent- 
wicklung nachhelfen,  da  die  körperliche  ohnehin  riesen- 
haft fortschreitet,  die  späteren  aber  sollen  der  geistigen, 
die  durch  Schule  und  Jahre  vorläuft,  die  körperliche  nach- 
ziehen. Das  Kind  tändle,  singe,  schaue,  höre;  aber  der 
Knabe,  das  Mädchen  laufe,  steige,  werfe,  baue,  schwitze 
und  friere.«  Geistige  und  physische  Kräfte  sollen  sich 
in  ihrer  gegenseitigen  Entwicklung  unterstützen  und  för- 
dern. Harmonische  Gesamtausbildung  aller  Kräfte  ist 
schon  hier  das  Losungswort  Jean  Pauls^  und  die  Konse- 
quenz zieht  er  ohne  weiteres  im  nächsten  Satz.e:  »Folg- 
lich bildet  das  Spiel  alle  Kräfte,  ohne  einer  eine  siegende 
Bichtung  anzuweisen.«  ^)    In  der  gleichmäßigen,  harmoni- 


ihnen  bisher  fremden  Lande  angekommen  sind,  Fremdlinge  in  Bezog 
auf  alles,  was  uns  bekannt  ist.  Die  natürlichen  und  ungelehrten 
Vermutungen  wißbegieriger  Knaben  bringen  oft  Dinge  hervor,  die 
selbst  dem  Geiste  eines  denkenden  Mannes  zu  tun  geben.«   Educ.  §  120. 

1)  Lev.  §  54. 

')  Vergl.  Rousseau,  Emil  III,  St.  229:  »Das  große  Geheimnis 
der  Erziehung  ist,  daför  zu  sorgen,  daß  die  Übungen  des  Köipers 
aod  die  des  Geistes  sich  gegenseitig  als  Erholung  dienen.« 


*  w 


—     96     — 

sehen  Aasbildung  aller  Kräfte  erblickt  er  den  Zweck  der 
Spiele  und  geht  hier  über  die  meisten  Pädagogen  hinaus^ 
welche  bald  diesem,  bald  jenem  Einzelzwecke  eine  domi- 
nierende Stellung  anweisen.  Jean  Paul  ist  sich  seines 
Standpunktes  auch  bewußt,  wenn  er  ausspricht:  Ich 
weiche  ganz  von  dem  einen  oder  anderen  Schulhalter 
und  Eonduitenmeister  ab,  der  behauptet,  in  der  Einder- 
stube werde  nur  gespielt  und  nichts  gelernt  tür  die  Zu- 
kunft. Wahrlich,  die  Spielstunden  sind  nur  freiere  Lehr- 
stunden, und  die  Eindcrspiele  sind  die  Malerstudien  und 
Schulimitationen  der  ernstlichen  Geschäfte  der  großen 
Menschen  ohne  Einderschuhe  außerhalb  der  Einder- 
stube.« ^)  Insofern  sind  die  Spiele  auch  die  erste  Poesie 
des  Menschen,  während  das  Streben  nach  Essen  und 
Trinken  sein  erstes  solides  Brotstudium  und  Oeschäftsleben 
bildet.  Wie  in  der  Poesie  alle  Eräfte:  Verstand,  Phan- 
tasie, Herz  und  Gemüt  zur  Entfaltung  gelangen,  so  auch 
in  den  Spielen.  Poesie  sind  sie  aber  auch  insofern,  als 
sie  das  goldene,  glückliche  Zeitalter  des  Eindes  bilden» 
als  sie  es  über  jede  rauhe  Wirklichkeit  hinaus  versetzen, 
ihm  alles  im  poetischen  Zauber  erscheinen  lassen  in  un- 
getrübter Glückseligkeit  und  Heiterkeit.  Mit  dieser  Aut- 
fassung des  Zweckes  der  Spiele,  bestehend  in  der  Ent- 
faltung und  Ausbildung  aller  menschlichen  Eräfte,  macht 
Jean  Paul  seiner  Zeit  gegenüber  neue  Gesichtspunkte 
geltend  und  weist  den  Spielen  eine  fundamentale  Be- 
deutung zu  für  die  Ausbildung  und  Ausgestaltung  des 
individuellen  Idealmenschen  überhaupt,  für  die  Ausbildung 
des  Kindes  sowohl  für  seine  Gegenwart,  wie  tür  seine 
Zukunft.  In  intellektueller,  moralischer  und  sozialer  Hin- 
sicht, sowie  in  Rücksicht  auf  die  Entwicklung  und  Aus- 
bildung des  kindlichen  Charakters  geben  sie  den  Grund- 
bau ab;  in  ihnen  wurzeln  die  Eeime  aller  späteren  Fähig- 
keiten und  Tugenden,  durch  sie  wird  angebaut,  was  später 
ausreift,    sie  sind  die  Hebel-   und  Ansatzpunkte    für  die 


0  Jubelsenior,  Tl.  6,  St  3. 


—     96     — 

ganze  spätere  Ausbildang  des  Menschen.  Da  sich  das 
Leben  nicht  in  eine  Samme  von  Einzelzwecken  zerlegt, 
sondern  in  jedem  Augenblick  ein  Ganzes  and  als  solches 
Selbstzweck  ist,  so  gilt  ein  Gleiches  auch  von  dem  Leben 
der  Kinder;  »denn  ein  Ganzes  des  Lebens  ist  entweder 
nirgends  oder  überall.«^)  Sieb  so  gegen  alle  eudämonisti* 
sehen  und  utilitaristischen  Erziehungsziele  erklärend,  g^en 
die  Glückseligkeit  der  Philanthropisten  und  die  prak- 
tische Tüchtigkeit  Lockes,  sowie  gegen  jede  Pädagogik, 
die  das  Erziehungsziel  in  die  Ferne  rückt,  weist  Jean 
Paul  auch  den  kindlichen  Spielen  einen  ernsten  Gehalt  zu, 
dürfen  dieselben  nicht  angesehen  werden,  als  sei  das 
ordentliche  Leben  des  Kindes  als  Mensch  noch  gar  nicht 
recht  angegangen ;  vielmehr  ist  deren  Spielen  und  Treiben 
80  ernst  und  gehaltvoll  an  sich  und  in  Beziehung  auf  ihre 
Zukunft  als  unseres  auf  unsere.  2)  Das  frühe  Spiel  wird 
später  Ernst,  und  auf  dem  Spielplatze  wächst  der  künftige 
Lorbeer-  und  Erkenntnisbaum.  Zwischen  dem  Wesen  der 
früheren  und  späteren  Tätigkeit  besteht  kein  prinzipieller 
Unterschied,  sondern  nur  ein  solcher  in  der  Form,  in  der 
dieselbe  auftritt  Was  früher  im  Spiel  in  seiner  Jagend- 
form  erschien,  reift  später  aus  zu  herber  Männlichkeit, 
»der  Schaum  des  kindlichen  Spieles  sinkt  zu  wahrem 
Wein  zusammen,  und  ihre  Feigenblätter  verhüllen  nicht 
Blößen,  sondern  sü£e  Früchte.«  Manche  philosophische 
Lehre,  manche  tiefe  Weisheit  und  Lebensklugheit  liegen 
im  kindlichen  Spiele  verborgen,  und  ein  gut  Teil  späteren 
Tuns  erscheint  nur  als  ein  Nachhall  früheren  Spieles. 
Manchem  Verfasser  mögen  seine  Werke  durch  seine 
früheren  Kinderspiele  heimlich  eingegeben  worden  sein. 
In  ihnen  wird  der  Same  ausgestreut,  der  später  Früchte 
treibt  und  tiefe  Wurzeln  schlägt;  in  ihnen  werden  die 
Fäden  geknüpft,  die  später  weiter  fortgesponnen  werden. 


^)  Jean  Patd  gleicht  hier  Sehleiermaehert   der  auch  das  Kind 
als  Selbstzweck  behandelt  wissen  will. 
*)  Levana  §  53. 


—     97     — 

Allenthalben  werden  dauernde  und  bleibende  Fröchte 
durch  das  Spiel  gezeitigt  unwillkürlich  erinnern  aber 
all  diese  Ausführungen  an  das  Schührsohe  Wort:  »Ein 
tiefer  Ernst  liegt  oft  im  kindischen  Spiel.c  Daher  bilden 
dieselben  bei  Jean  Paul  kein  bloßes  Neben-Anderem, 
«ondern  einen  wichtigen  Faktor  in  der  Reihe  seiner  päda- 
gogischen Maßnahmen,  einen  Hauptbestandteil  seines 
pädagogischen  Systems,  soweit  von  einem  solchen  geredet 
werden  kann,  und  zwar  nicht  nur  als  Mittel  zur  Er* 
langung  der  Heiterkeit,  jener  unentbehrlichen  Stimmung 
und  Oemütslage  für  jede  gedeihliche  Erziehung  und  Eni* 
Wicklung,  obgleich  auch  in  dieser  Hinsicht  ihr  Wert  nicht 
zu  unterschätzen  ist;  »denn  Spiele,  das  heißt  Tätig- 
keit, nicht  Genüsse  erhalten  Kinder  heiter«;^)  und  hier 
kommt  insbesondere  auch  die  Bedeutung  der  Spielsachen 
zu  ihrem  Rechte.  Bieten  dieselben  zunächst  durch  ihr  Er- 
scheinen auch  bloß  Oenuß,  so  geben  sie  Heiterkeit  doch 
erst  durch  ihren  Gebrauch.  —  Bei  dieser  universeUen 
Wertschätzung  versäumt  Jean  Paul  keineswegs,  einzelne 
wertvolle  Seiten  der  Spiele  besonders  hervorzuheben.^) 
Hier  springt  in  erster  Linie  die  hohe  Bedeutung  der  ge- 
meinschaftlichen Spiele  für  das  Entfalten  der  sozialen 
Tugenden  hervor.  »Erst  auf  dem  Spielplatze  kommen  die 
Kleinen  aus  dem  Vokabeln-  und  Hörsaal  in  die  rechte 
Expeditionsstube  und  fangen  die  menschliche  Praxis  an.c 
Vokabeln-  und  Hörsaal  legen  ihnen  Zwang  auf.  Den  Eltern 
und  Erziehern  gegenüber  ist  ihnen  Gehorsam  und  Glaube 
verdienstlich,  freies  Widerstreben  verboten  und  verderblich. 
Eine  solche  fortwährende  gängelnde  Erziehung  aber 
echmiedet  nur  Lebensknechte  und  Sklaven,  die  nur  an 
ein  Klima  gewöhnt,  künftig  der  Allseitigkeit  der  Indi- 
vidualtät  g^enüber  verloren  sein  werden.  Seine  wahre 
Individualität,  das  rein  Menschliche  in  sich,  kann  das 
Kind  nur  entfalten  auf  dem  Spielplatze  unter  seines- 
gleichen;   »denn   wo    kann    denn    nun   das    Kind  seine 


^)  Levana  S  45.  •—  *)  Le?«na  f  52. 

FId.  Ifag.  820.    Weiler. 


—     98     — 

Herrscherkraft,  Reinen  Widerstand,  sein  Vergeben,  sein 
Geben,  seine  Milde,  kurz  jede  Blüte  und  Wurzel  der 
Gesellschaft  anders  zeigen  und  zeitigen  als  im  Ij'reistaate 
unter  seinesgleichen«?  Hier  kann  es  seinen  eigensten 
Regungen  folgen,  lernt  Bücksicht  nehmen  auf  andere,  er- 
lebt alle  sozialen  Verhältnisse  und  Konflikte,  tritt  in  lebendige 
Wechselbeziehung  zu  den  verschiedensten  Individualitäten, 
wird  durch  vielseitigen  Verkehr  gewitzigt,  lernt  mit  einem 
Worte  alle  gesellschaftlichen  Tugenden  hier  kennen  ohne 
Zwang.  Leben  zündet  sich  eben  nur  an  Leben  an,  und 
darum  fordert  Jean  Paul:  »Schulet  Kinder  durch  Kinder!« 
Es  trägt  einem  Knaben  mehr  ein,  Prügel  selber  auszuteilen, 
als  sie  zu  erhalten  vom  Hofmeister,  desgleichen  mehr, 
sie  von  seinesgleichen  als  von  oben  herab  aufzufangen. 
Doch  auch  geistige  Fertigkeiten  werden  in  Hülle  und 
Fülle  auf  dem  Spielplatz  erworben,  und  wie  eine  leise 
Unterschätzung  eines  methodisch  betriebenen  Unterrichtes 
könnte  es  klingen,  wenn  er  ausspricht :  »Daher  ist  der 
Eintritt  in  den  Kinderspielplatz  für  die  Kinder  einer  in 
ihre  große  Welt,  und  ihre  geistige  Erwerbsschule  ist  im 
kindlichen  Spiel-  und  Gesellschaftszimmer.«  Der  Knabe 
sammelt  die  verschiedensten  Erfahrungen.  Erfahrung  und 
Leben  aber  sind  die  zwei  großen  Quellen  der  Selbst- 
erziehung. Freie  Entfaltung  der  Kräfte,  Ausbildung  der 
Individualität,  Erziehung  zur  Selbständigkeit,  Vielseitigkeit 
der  Ausbildung  sind  für  das  Kind  nur  möglich  auf  dem 
Spielplatze;  Ausschluß  von  demselben  bedingt  Einseitig- 
keit —  Außer  dieser  intellektuellen,  sozialen  und  morali- 
schen Bedeutung  der  Spiele,  außer  dieser  Bedeutung  für 
die  innere  Ausgestaltung  des  Idealmenschen  ist  auch  ihr 
Gewinn  für  die  physische  Ausbildung  desselben  durchaus 
nicht  gering  anzuschlagen.  Wenn  auch  Jean  Paul  diesem 
Punkte  weniger  Beachtung  schenkt  als  den  ersteren,  ver- 
säumt er  doch  nicht,  wiederholt  auf  ihn  hinzuweisen, 
schon  um  deswegen,  da  ja  der  Körper  der  Panzer  und 
Küraß  der  Seele  ist,  welcher  vorerst  zu  Stahl  gehärtet, 
geglüht   und  gekühlt  werden   muß.     Die  Spiele  sind  die 


—     99     — 

beste  Schule  zum  Erwerb  männlicher  Eigenschaften,  zum 
Brtragenlemen  von  Schmerz,  zum  Erlangen  von  Mut 
Manchen  Schmerz  lernt  hier  das  Kind  verbeißen,  manche 
vielleicht  herbe  Wunde  nicht  achten;  »darum  ist  schon  die 
Gasse,  worin  der  Knabe  tobt,  rennt,  stürzt,  klettert  etwas; 
denn  Oassenwunden  sind  heilbarer  und  gesünder  als  Schul- 
wunden und  lernen  schöner  verschmerzen. c  ^)  Diese  mehr 
physischen  Eigenschaften  werfen  ihre  Schatten  oder  Licht- 
strahlen aber  auch  auf  das  geistige  Leben  des  Kindes  zu- 
rück: »Körperliche  Entkräftigung  macht  geistige,  aber 
alles  Geistige  läßt  festere,  ja  ewige  Spuren  nach.  Ist  die 
Gesundheit  die  erste  Stufe  zum  Mut,  so  ist  die  körper- 
liche Übung  ge^en  Schmerzen  die  zweite.  Man  sollte 
viel  mehr  Übungen  im  Ertragen  des  Schmerzes  erfinden, 
wie  denn  die  Knaben  selber  schon  ähnliche  Spiele  haben. c 
Die  Spiele  sind  eine  Quelle  männlichen  Mutes,  und  er 
mußte  dem  warm  empfindenden  Patrioten  in  der  trau- 
rigen, männerarmen  Zeit  als  eine  besonders  wertvolle 
Eigenschaft  erscheinen.  —  Schließlich  weiß  derselbe  dem 
Spiele  noch  einen  besonderen  Nutzen  für  die  Erwachsenen 
abzugewinnen.  Der  Anblick  der  Kinderspiele  erweckt  die 
Erinnerung  an  eigne  glückliche  Stunden  und  Zeiten,  läßt 
das  eigne  Morgenrot  des  Lebensfrühlings  noch  einmal 
aufdämmern;  »denn  der  Anblick  einer  fremden  Ent- 
zückung weckt  den  alten  Eindruck  der  unsrigen  aufc^ 
—  So  legt  Jean  Paul  den  Spielen  allenthalben  funda- 
mentale erzieherische  Bedeutung  bei.  Sie  werden  ihm 
ein  Hauptmittel  zum  Erzeugen  der  Heiterkeit,  das  grund- 
legende Mittel  für  die  harmonische  Gestaltung  des  ganzen 
Menschen  in  intellektueller,  moralischer,  sozialer  und  phy- 
sischer Hinsicht  und  genießen  von  ihm  im  Hinblick  auf 
die  Erziehung  durchweg  eine  universelle  Wertschätzung^ 
die  er  auch  überall  zum  Ausdruck  bringt.  Nicht  nur  in 
seiner  Levana,  auch  in  seinen  Dichtungen  setzt  er  ihnen 
manch  schönes  Denkmal.     Der  Held  der  Idylle  »Leben 


1)  Levana  §  104.  —  »)  Titan,  Tl.  15,  St.  16. 

50J5:<J3  '' 


—     100     — 

des  vergDügten  ScbuImeisterleiDs  Wuz«  hatte  unter  der 
Treppe  alle  seine  Spielsachen  aus  der  Kindheit  aufbewahrt 
lind  bekannte  noch  im  Alter,  als  er  schon  krank  und 
schwächlich  war:  »Wenn  ich  mich  an  meinen  ernsthaften 
Werken  matt  gelesen  und  korrigiert  habe,  so  schaue  ich 
stundenlang  die  Schnurrpfeifereien  an,  und  das  wird  hoflTent- 
lich  einem  Bücherschreiber  keine  Schande  sein«.^)  Quin- 
tus  Fixlein  wurde  durch  sein  Spielzeug  von  einer  Krank- 
heit, in  die  er  infolge  eines  Kummers  verfallen  war, 
wieder  geheilt,  und  der  Dichter  selbst  zählt  in  »Wahr- 
heit aus  meinem  Leben«  alle  seine  Kinderspiele  mit 
wahrem  Wohlbehagen  auf;  aber  trotz  dieser  Hingabe  an 
und  dieser  Vorliebe  für  das  Spiel  warnt  er  doch  vor 
übertriebener  Meinung  von  demselben,  bemerkt  er 
doch  von  seinen  eignen  Spielen,  daß  er  es  in  der  Tat 
außerordentlich  lächerlich  finde,  wenn  jemand  aus  diesen 
Spielereien,  aus  den  aufgelesenen  Bruchstücken,  wie  sie  in 
jeder  andern  Kindheit  umhergestreut  sind,  etwas  Besonderes 
zusammenlesen  wollte.  Wohl  soll  auf  das  Spiel  des  Kin- 
des geachtet  werden,  aber  nicht,  um  eine  künftige  Gröfie 
dabei  zu  entdecken,  sondern  nur  um  die  Spuren  und 
die  Eigenart  des  künftigen  Charakters  zu  erkennen,  mit 
«inem  Worte,  um  die  Individualität  zu  erforschen.  — 
Im  Gegensatz  zu  dieser  umfassenden  Wertschätzung  Jean 
Pauls  bleiben  Herbat  t  und  Locke  mehr  bei  der  Hervor- 
kehrung von  Einzelzwecken  stehen.  Bei  ersterem  nehmen 
die  Spiele  hauptsächlich  die  Stelle  eines  Begierungs-  nnd 
Zuchtmittels  ein,  und  so  betont  er  vorzugsweise  deren 
ethische  und  soziale  Bedeutung  zur  Entfaltung  und  Ver- 
wirklichung der  sittlichen  Ideen  und  gesellschaftlichen 
Tugenden,  wie  der  Idee  des  Wohlwollens,  des  Gefühls 
von  Recht  nnd  Billigkeit,  der  gegenseitigen  Rücksicht- 
nahme und  des  Respektierens  des  Besitzes,  sowie  endlich 
ihren  Wert  für  die  Bildung  des  Willens  und  die  Charakter- 
bildung überhaupt,  ohne  dabei  aber  auch  ihre  intellek- 


0  Titon,  Tl.  2,  St  381. 


—     101     — 

tuelle  und  physische  Wichtigkeit  völlig  za  li  bei  gehen. 
Gleich  Jean  Paul  sind  auch  ihm  die  Spiele  ein  Mittel^ 
das  kleine  Kind  zur  Heiterkeit  zu  stimmen,  freilich  nur 
unter  der  Voraussetzung  einer  gewissen  Hut  seitens  der 
Mütter,  deren  schöne  Pflicht  es  eigentlich  wäre,  den  Streit 
solange  als  möglich  entfernt  zu  halten,  um  den  Frieden 
der  Kindheit  lange  zu  wahren.^)  Als  Regierungsmittel 
dient  es  ihm  zur  Beschäftigung,  zur  Ausfüllung  der  Zeit, 
am  dadurch  dem  Müßiggange,  der  zum  Unfug  und  zur 
Zügellosigkeit  führt,  einen  Riegel  vorzuschieben,  wobei 
er  freilich  nützlichen  Beschäftigungen  und  solchen,  bei 
denen  etwas  für  die  Zukunft  gelehrt  und  gelernt  wird, 
den  Vorzug  einräumt^)  Als  Zucbtmittel  hat  es  die  Auf- 
gabe, die  sittlichen  Ideen  und  sozialen  Gesinnungen  an- 
zubahnen, in  den  Dienst  der  Willens-  und  Charakter- 
bildung zu  tretend) 

Damit  aber  der  Charakter  des  Wohlwollens  als  Ge- 
fühl, oder  der  Herzensgute  nicht  entbehre,  ist  den  Kin- 
dern in  den  Spielen  Gelegenheit  zu  geben,  daß  sie  viel 
miteinander  empfinden,  daß  sie  Gefährten  seien  in  Freud 
and  Leid>)  In  sozialer  Hinsicht  lernt  der  Zögling  durch 
den  Verkehr  mit  seinen  Mitgespieien  verschiedene  Ebren- 


')  Aphonsmen  200.  —  ')  Dmrifi  päd.  Vorl.  §  46  and  5ü. 

')  »Ich  bin  Oberzeugt«,  lautet  eine  seiner  ÄußeruDgen»  »daß  man 
das  eigentliche  härtende  Prinzip  für  den  Menschen,  der  nicht  bloß 
Körper  ist,  nicht  eher  finden  werde,  als  bis  man  eine  Lebensart  fftr 
die  Jugend  einrichten  lernt,  wobei  sie  nach  eigenem  Bechtssinn  eine 
in  ihren  Augen  ernste  Wirksamkeit  betreiben  kann,  Taten,  durch 
welche  das  innere  Begehren  als  Wille  sich  entscheidet,  ond  je  größer 
die  Tätigkeit  und  das  Bewußtsein  der  Tatkraft,  desto  mehr  Fähig- 
keit zum  entschlossenen  Willen,  und  dieser  bereitet  dem  Willen  nach 
Einsicht  den  Boden.  —  Für  das  Wohlwollen,  auch  fUr  das  Gefühl 
▼on  Recht  und  ßilb'gkeit  werden  wir  nicht  zusammenhängend  lehren, 
doch  desto  häufigere  Übungen  mit  Geschwistern  und  Gespielen  von 
selbst  entstehen  lassen,  wenn  Besitz,  Erwerb  und  dadurch  herbei- 
geftUurte  Einrichtungen  nur  nicht  ganz  in  diesem  kleinen  Kreise 
fehlen,  oder  gar  zu  indiskret  von  der  Zucht  behandelt  werden«. 
AUgem«  Päd.  St.  147. 

^)  AUgem.  Päd.  St  144. 


—     102     — 

punkte  kennen,  ^)  sowie  einigermaßen  auch  seine  natür- 
liche Stellung,  die  er  später  unter  Männern  einzunehmen 
hat;  »denn  was  erfreut  und  verletzt,  entspringt  so  viel- 
fach aus  geselligen  Verhältnissen,  daß  der  Zögling  in  sol- 
chen heranwachsen  muß;  am  unmittelbarsten  entwickeln 
sich  die  Gesinnungen  desselben  in  seinem  Umgang.*) 
Direkt  in  den  Dienst  der  Sittlichkeit  und  Charakterbildung, 
wenn  auch  mehr  nur  im  negativen  Sinne  und  als  Not- 
behelf, treten  die  Spiele,  wenn  es  sich  darum  handelt,  den 
vorzeitigen  Abschluß  des  objektiven  Teils  eines  noch  un- 
fertigen Charakters  zu  verhindern,  eines  Charakters,  bei 
dem  die  geistigen  Interessen,  die  sittliche  und  religiöse 
Bildung  zurückgeblieben  sind,  die  ästhetische  Beurteilung 
der  Willensverhältnisse  sich  verspätet  hat;  denn  hier  darf 
der  junge  Mensch  nicht  frei  umhergehen;  vielmehr  ist  ssu 
begünstigen,  daß  jugendliche  Zeitvertreibe,  selbst  knaben- 
hafte Spiele  sich  ungewöhnlich  verlängern  und  so  eine 
schützende  Wirkung  ausüben.  ^)  —  Nach  der  intellektuellen 
Seite  hin  macht  das  Eind  im  Phantasieren  und  Spielen 
die  ersten  Anfänge  zur  Verarbeitung  des  aufgefaßten  Stoffes 
und  gibt  sich  dadurch  Gelegenheit,  teils  noch  mehr  zu  be- 
merken, teils  an  dem  Bemerkten  auch  die  Verhältnisse 
und  Verbindungen  aufzufinden.^)  Freilich  bleibt  es  auch 
bei  diesen  Anfängen  stehen;  »denn  sofern  die  Phantasie 
diesen  Verhältnissen  und  Verbindungen  nachgeht  und 
nachgibt,  sofern  sie  von  der  Natur  des  Dinges  irgend  eine 
Leitung  annimmt,  geht  sie  schon  über  ins  Denken  und 
in  ästhetische  Wahrnehmung;  sie  findet  das  Wahre  und 
das  Schöne.«  ^)  Mehr  Gewinn  zieht  das  Vorstellungsleben 
an  sich  aus  den  Spielen;  denn  Spiel  und  Spielwaren  er- 
zeugen einen  reichen  Wechsel  und  eine  reiche  Verknüp- 
fung von  Vorstellungen,  die  nicht  selten  sogar  den  reifen 
Mann  als  Zuschauer  in  Erstaunen  versetzen.    Dabei  ver- 


*)  Umriß  päd.  Vorl.  §  170.  —  *)  Umriß  päd.  Vorl.  §  169  and 
§  182.  —  ')  Umriß  päd.  Vorl.  §  172.  —  *)  PesUlozzis  Idee  eines 
ABO  der  AnschaaaQg.  —  ')  Pestalozzis  Idee  eines  ABC  der  An- 
aobaaang. 


—     103     — 

bindet  sich  mit  diesem  lebhaften  Vorstellungsleben  ein 
nicht  zu  unterschätzender  Orad  von  Selbsttätigkeit,  die 
«chon  sehr  junge  Kinder  spielend  und  plaudernd  verraten. 
Insofern  ist  lebhaftes  Spielen  auch  immer  ein  erwünschtes 
Zeichen,  vorzüglich  aber  dann,  wenn  es  sich  bei  schwachen 
Kindern  noch  spät,  aber  kräftig  hervortut;^)  denn  aof 
diese  Weise  gewinnen  sie  allmählich  Teilnahme  und 
Interesse  selbst  für  andere  Dinge,  werden  sie  mit  der 
Zeit  zum  selbsttätigen  Handeln  geführt  und  erlangen 
«ine  größere  Beweglichkeit  in  ihrem  ursprünglich  schwer- 
fälligen Yorstellungsleben.  Hauptsächlich  sind  nun  im 
Spiele  und  Phantasieren  die  freisteigenden  Vorstellungen, 
wie  überhaupt  freies  Tun  und  Handeln,  vorherrschend, 
während  im  Unterricht  und  beim  Lernen  nicht  selten 
<lie  gehobenen  den  Vortritt  führen  und  den  Schüler 
zu  einem  mehr  passiven  Verhalten  nötigen.  Indem 
aber  die  Passivität  nicht  zu  einer  erdrückenden  aus* 
arten  darf,  werden  die  Spiele  ein  willkommenes  Mittel 
zum  Herstellen  der  wünschenswerten  Gleichgewichtslage 
zwischen  passivem  und  aktivem  Verhalten  des  Zöglings, 
führen  sie  zu  einem  Ausgleich  zwischen  gehobenen  und 
freisteigenden  Vorstellungen,  wirken  sie  nach  auf  den 
Unterricht,  der  es  mit  freisteigenden  Vorstellungen  zu  tun 
hat  und  leisten  dem  Interesse,  selbst  dem  vielseitigen 
seinem  Wesen  nach  ja  selbst  nichts  anderes  als  Selbst- 
tätigkeit, einen  nicht  unwillkommenen  Dienst.')  Nach 
<lieser  Seite  bin  werden  sie  besonders  auch  für  träge 
Naturen  wertvoll,  bei  denen,  da  sie  in  ihrer  Bequemlich- 
keit gestört  werden  müssen,  das  Anhalten  sonst  nicht 
immer  leicht  fällt  Bei  ihnen  ist  der  Reiz  munterer  Ge- 
spielen zu  körperlicher  Bewegung  immer  das  erste,  um 
sie  aus  ihrer  Bequemlichkeit  aufzurütteln,  ihrem  Wesen 
mehr  Leben  und  Bewegung  einzuflößen,  um  ihnen  so 
nach  und  nach  Interesse  und  Teilnahme  an  selbsttätiger 
Mitarbeit  beizubringen.  Überhaupt  bedarf  jeder  kräftige 
Geist  auch  eine  kräftige  Natur,  auf  die  er  sich  stützen 

1)  Umriß  päd.  Vorl.   8  22.  —  »)  Umriß   päd.  Vorl.   §  71. 


—     104     — 

und  gegen  die  er  siöh  stemmen  kann,i)  und  schon  hierin 
liegt  ein  Vorzug  des  Knabenalters  mit  seinen  Spielen, 
das  vorzugsweise  Eörperkräfte  übt  und  stärkt*)  Die 
schönste  Gelegenheit  bieten  aber  die  Spiele  zum  Erforschea 
der  kindlichen  Individualität,  und  hier  gibt  Herbari  ge- 
naue Anweisungen  über  die  anzustellenden  Beobach- 
tungen, schon  deswegen,  da  dieselben  die  Grundlage  für 
einen  gedeihlichen  Unterricht  abgeben  müssen  und  so- 
wohl für  dessen  Materie,  als  Form  bestimmende  Geltung 
erlangen;  denn  für  eine  zweckentsprechende  Gestaltung 
desselben  ist  Kenntnis  der  Bildsamkeit  jedes  einzelnen 
anerläßliche  Bedingung,  welche  wiederum  nur  durch  Be- 
obachtungen, am  besten  beim  freien  Spiele,  erzielt  wer- 
den kann.  Zu  erstrecken  haben  sich  dieselben  hierbei 
auf  die  vorhandenen  Vorstellungsmassen,  auf  die  leibliche 
Disposition,  auf  die  Temperamente,  die  Reizbarkeit  für 
Affekte,  ob  Furcht,  Zorn  die  ersten  natürlichen  Regungen 
sind,  ob  Lachen  oder  Weinen  den  Zögling  leicht  oder 
schwer  anwandelt,  sogar  auf  pathologische  Zustände,  wie 
die  Wirkungen  des  Gefaßsystems  auf  sehr  geringe  Anlässe 
hin  und  ähnliches.  Es  ist  das  Auge  zu  richten  auf  die 
Liebhabereien  der  Kinder,  darauf,  ob  die  Zöglinge  noch 
ganz  jeden  sich  darbietenden  Gegenstand  zum  Spiel  be- 
nutzen, oder  ob  sie  mit  wechselnder  Liebhaberei  die  Spiele 
absichtlieh  verändern,  ob  sich  bestimmte  Gegenstände 
eines  beharrlichen  Strebens  entdecken  lassen,  ob  das  Ge- 
lernte im  Spiel  zwanglos  nachklingt,  ob  die  Äußerungen 
oberflächlich  sind,  oder  aus  der  Tiefe  kommen;  und  so 
wird  der  Erzieher  bei  Gelegenheit  solcher  Beobachtungen 
nicht  nur  den  Charakter  seiner  Zöglinge,  sondern  auch 
teils  den  Rhythmus  der  geistigen  Bewegungen,  teils  die 
Beschaffenheit  des  Gedankenvorrates  derselben  erkennen^ 
um  hiernach  seine  unterrichrlichen  Maßnahmen  treffen  zu 
können.')     Besonderes  Gewicht  legt  Herbart  auf  die  Er- 


^)  umriß    päd.   Vorl.   §   166.  —   *)  2.   Bericht  an  Herrn   toq 
Steiger,  St  31—32.  -^  ^)  ümrii)  päd.  Vorl.  §  34. 


—     106     — 

fonchung  der  TemperameDte  ^)  durch  das  Spiel,  um  etwa 
Torhandene  Fehler  der  Zöglinge  kennen  lernen  und  die 
Art  ihrer  Behandlung  darnach  einrichten  zu  können.  Je 
nach  den  verschiedenen  Individualitäten  und  Temperamenten 
äußern  sich  die  Spiele  verschieden,  und  so  lassen  um- 
gekehrt ihre  Äußerungen,  wenn  sie  nur  der  Erzieher 
richtig  zu  beurteilen  versteht,  einen  Bückschluß  auf  die 
Temperamente  zu.  Daher  ist  bei  jedem  Spiel  zu  fragen^ 
welcher  Ernst  hinter  ihm  sei,  wieviel  Tiefe  unter  der  bewegten 
Oberfläche  sich  verrate.  »Hier  greift  das  Temperament 
ein.  Das  Spiel  des  Sanguinikus  vergeht,  aber  wo  Miß- 
laune habituell  ist,  da  droht  Gefahr,  wenn,  wie  zu  ge- 
schehen pflegt,  aus  Scherz  Ernst  wird.  Auch  das  Selbst- 
gefühl mischt  sich  ein,  auf  verschiedene  Weise  bei  dem- 
jenigen, der  seiner  Stärke  traut  (Leibes-  oder  Oeistes- 
stärke)  und  anderen,  die  ihre  Schwäche  kennen  —  mit 
oder  ohne  den  Vorbehalt  der  künftigen  List  und  Schlau- 
heit, und  so  auch  mehr  oder  weniger  Anerkennung  der 
überlegnen  Kraft  und  Autorität«  Um  dem  Erzieher  in 
der  Beurteilung  dieser  Äußerungen  bestimmte  Direktiven  zu 
geben,  versäumt  Herbart  nicht,  eine  spezielle  Beurteilung 
derselben  vorzunehmen.  Er  findet,  obgleich  hier  ein  Frage- 
zeichen gesetzt  werden  darf,  »daß  großer  Eiter  im  Spiel 
im  ganzen  wenig  Ernst  zeige,  wohl  aber  Empfindlichkeit 
und  Hang  zur  Dngebundenbeit«,  »daß  Klugheit  im  Spielen 
ein  Zeichen  der  Fähigkeit  sei,  sich  auf  den  Standpunkt 
des  Gegners  zu  versetzen  und  dessen  mögliche  Pläne  zu 
durchschauen«.  Infolge  dieser  mehr  vorbereitenden  Vor- 
teile für  die  Maßnahmen  des  Unterrichtes  und  der  Zucht 
ist  auch  Herbart  die  Lust  am  Spielen  weit  willkommener 
als  Trägheit,  schlaffe  Neugier  oder  finsterer  Ernst,  und 
zu  den  leichteren  Fehlern  rechnet  er  es,  wenn  zuweilen 
über  dem  Spiel  die  Arbeit  vergessen,  die  Zeit  versäumt 
werde;  aber  schon  diese  Worte  deuten  seine  geringere 
Wertschätzung  der  Spiele   und  ihrer  Äußerungen   an  als 


«)  Umriß  päd.  Vorl.  §  29  b. 


—     106     — 

bei  Jean  Paul  So  würdiget  er  wobi  ibren  eibischen  and 
sozialen  Wert,  ibre  I Heiterkeit  erregende  Wirkung^,  eiii- 
zelne  intellektuelle  Vorteile,  sowie  ibre  Bedeutung  für  das 
Erforscben  der  einzelnen  Individualitäten  und  Temperamente, 
kennt  aber  nicbts  von  der  allseitigen  erzieberiscben  Be- 
deutung, die  ibnen  Jean  Paul  beimißt  »Nicbt  wie  bei 
jenem  sind  sie  ihm  ernste  Tätigkeit,  vielmebr  nebmoa 
ihre  Äußerungen  den  erzieherischen  Zwecken  gegenüber 
nur  eine  untergeordnete  Stellung  ein.  Sie  geben  ihm 
Fingerzeige  und  Hinweise,  sind  aber  nicht  Selbstzweck. 
Es  ist  der  Maßstab  seines  geregelten,  wohlgeordneten  er- 
ziehenden Unterrichts  mit  seinen  Zwecken,  den  er  an  sie 
anlegt  und  der  ihm  eine  andere  Beurteilung  ihres  Wertes 
diktiert,  eine  Beurteilung,  die  dessen  Zweck  gegenüber 
nicht  selten  wie  eine  leise  Unterschätzung  derselben  klingt^) 
—  Mehr  noch  als  bei  Herbart  schrumpft  die  Bedeutung 
der  kindlichen  Spiele  bei  Tjocke  zusammen.  Ihren  haupt- 
sächlichsten Nutzen  gewähren  sie  ihm  im  Darbieten  der 
Gelegenheit,  die  Eigenart  des  Zöglings  in  ihrem  wahren 
Wesen  kennen  zu  lernen.  Dadurch  ermöglichen  sie  dem 
Erziehereine  zweckentsprechende  Auswahl  der  anzuwenden- 
den Methode,  eröffnen  ihm  eine  Perspektive  in  die  Zu- 
kunft, indem  sie  ihm  gestatten,  die  Richtung  der  Oe- 
danken  seines  Zöglings  schon  rorber  zu  beurteilen.  Mit 
einer  gewissen  Vorliebe  bebt  Locke  diese  Seiten  des 
Spieles  immer  wieder  hervor.^) 

0  »Die  Neigung,  Regeln  festzustellen,  sieht  raan  schon  in  den 
Spielen  der  Kinder.  Jeden  Augenblick  wird  befohlen,  was  sa  tun 
sei,  nur  werden  die  Imperative  schlecht  befolgt  und  häufig  ge- 
wechselt. £8  fehlt  auch  nicht  an  eignen  kindischen  Vorsätzen,  aber 
sie  können  nicht  viel  bedeuten,  solange  sie  sich  nicht  gleich  bleiben. 
Ganz  anders  ist  es,  wenn  Mittel  und  Zwecke  sich  zu  Plänen  ver- 
knäpfen,  wenn  die  Ausführung  unter  Hindernissen  gewagt  wird ;  end- 
lich wenn  die  Vorsätze  durch  allgemeine  Begriffe  gedacht  werden 
und  hiermit  Anspruch  machen,  auch  für  künftig  mögliche  Fälle  su 
gelten ,  wodurch  sie  sich  in  Maximen  verwandeln.«  Umriß  päd. 
Vorl.  §  173. 

')  »Es  gibt  nicht  mehr  Verschiedenheit  in  den  menschlichen  (3e- 
tichtem  und  in  den  äofleren  Umrissen  des  Körpers  als  in  den  Richtnngeii, 


—     107     — 

Außer  dieser  aber  lag  es  dem  Naturfreunde  Locke 
Dahe,  besonders  auch  die  physische  Bedeutung  der  Spiele 
als  Abbärtungsmittel  hervorzukehren,  und  so  betont  er 
ihren  Einfluß  auf  das  Ertragenlernen  körperlichen  Schmerzes 
und  der  dadurch  herbeigeführten  männlichen  Tugenden 
wie  Mut,  Entschlossenheit,  Herzhaftigkeit,  zu  welchen  er 
für  das  ganze  spätere  Leben  den  Orund  in  den  kindlichen 
Spielen   gelegt   wissen    will.     Diesem   Abhärtungsprinzip 

welche  die  Erftfte  der  Seele  Dehmen.  Nur  darin  lieji:t  der  ünter- 
Bchied,  daß  die  charakteristischen  Züge  des  Gesichtes  und  die  Um- 
risse des  Körpers  mit  der  Zeit  und  den  Jahren  bestimmter  und  sicht- 
barer werden,  die  Physiognomie  der  Seele  aber  bei  den  Kindern  am 
ähnlichsten  ist,  bevor  Kunst  und  List  sie  lehren,  ihre  häßÜcbeo 
Züge  verstecken  und  ihre  bösartigen  Neigungen  unter  einer  gleifien- 
den  Außenseite  verbergen.  Fangt  also  frühzeitig  an,  die  Gemütsart 
eures  Sohnes  auf  das  sorgfältigste  zu  beobachten  und  zwar  dann,  wenn 
er  am  wenigsten  anter  dem  Zwange  ist,  beim  Spiel,  und  wenn  er  glaubt, 
nicht  mehr  von  euch  gesehen  oder  bemerkt  zu  werden.  Seht  zu» 
welches  seine  herrschenden  Neigungen  und  Leidenschaften  sind,  ob  er 
wild  oder  sanft,  kühn  oder  schüchtern,  weichherzig  oder  unempfind- 
lich, offen  oder  zurückhaltend  ist:  denn  sowie  diese  Eigenscbafton 
bei  ihm  verschieden  sind,  so  müßt  ihr  auch  ganz  verschiedene 
Methoden  gebrauchen  und  auf  ganz  verschiedenem  Wege  euer  Ad- 
sehen  bei  ihm  wirksam  zu  machen  suchen ;  und  wenn  ihr  die  charakte- 
ristischen Züge  seiner  Seele  jetzt,  in  den  ersten  Sätzen  seines  Lebens, 
sorgfältig  beobachtet,  so  werdet  ihr  nachher  immer  im  stand« 
sein,  zu  beurteilen,  welche  Richtung  seine  Gedanken  nehmen  und  wo- 
hin er  zielt,  selbst  dann  noch,  wenn  er  heranwächst,  seine  Art  sa 
denken  und  zu  handeln  verwickelter  wird  und  er  sie  unter  mancherlei 
täuschenden  Anstalten  verbirgt«  Educ.  §  101  und  102.  »Aus  dieser 
Freiheit,  die  man  ihnen  in  ihren  Ergötzungen  verstattet,  wird  ferner 
auch  der  Vorteil  erwachsen,  daß  ihre  Gemütsarten  sich  äußern,  ihre 
Neigungen  und  Anlagen  sichtbar  werden;  und  einsichtsyoUe  Eltern 
werden  diese  Winke  benutzen,  teils  um  künftig  bei  der  Wahl  der 
Lebensart  und  Geschäfte,  zu  welchen  sie  sie  bestimmen,  darauf  Böek- 
sicht  zu  nehmen,  teils  um  zu  sehen,  welche  verschiedenen  Richtungen 
der  Charakter  der  Kinder  am  leichtesten  nehmen  möchte  und  in 
Zeiten  auf  die  besten  Mittel  dagegen  zu  denken.«  Educ.  §  106. 
»Vielfach  zeigt  sich  nun  bei  Kindern  eine  sorglose  Trägheit  ond 
Achtlosigkeit.  Um  sich  in  der  Beurteilung,  ob  dieser  Hang  zur  Träg- 
heit Natur,  oder  nur  tändelndes  Verhalten  bei  ihnen  sei,  keiner  Tin- 
schung  hinzugeben,  ist  besonders  genaue  Beobachtung  nötig;  und 
hier  müßt  ihr  den  Zögling  beim  Spiel  beobaobten,  wenn  weder  Zeit» 


—     108     — 

zuliebe  empfiehlt  er  auch,  die  kleinen  Unglücksfalle, 
welche  durch  Spiele,  Unachtsamkeit  oder  Unbesonnenheit 
entstehen,  welche  von  den  Kindern  aber  meist  gar  nicht 
als  Unglück  angesehen,  oder  sogar  absichtlich  von  ihnen 
veranstaltet  werden,  »ihnen  nicht  aufzumutzen,  oder  doch 
nicht  anders  als  mit  Sanftmut  zu  verweisen,  obgleich  der 
Schaden  bisweilen  beträchtlich   sein  mag«.^)   —   Schließ- 

Doch  Ort  ihn  zum  Leroen  Dötigeo,  wenn  er  sich  seinen  NeigongeD 
ongeetört  (iberläßt  und  alsdaDo  bemerken,  ob  er  tätig  und  wirksam 
ist,  ob  sein  Augenmerk  auf  irgend  einen  Gegenstand  gerichtet  ist, 
ob  er  diesem  Gegenstande  mit  Betriebsamkeit  und  Eifer  solaoge 
nach}iebt,  bis  er  am  Ziel  seiner  Wünsche  ist,  oder  ob  er  in  träger 
Saumseligkeit  seine  Zeit  verträumt.«  Educ.  §  123.  »Wenn  aber 
auch  eure  Augen  immer  auf  ihn  gerichtet  sind,  um  zu  beobachten, 
was  er  mit  der  Zeit  anfängt,  deren  Gebrauch  ihr  ihm  überlafit,  sa 
maßt  ihr  ihm  doch  nicht  merken  lassen,  daß  ihr  oder  ein 
anderer  ihn  beobachte;  denn  das  möchte  ihn  leicht  hindern,  seiner 
Neigung  zu  folgen.  Um  ganz  deutlich  zu  reden,  er  muß  bemerkt 
werden,  wenn  ihr  gar  nicht  bei  der  Hand  seid  and  ihm  auch  nicht 
die  bloße  Vermutung  eines  Beobachters  einigen  Zwang  auflegt;  in 
solchen  Stunden,  wo  er  völlig  frei  zu  sein  glaubt,  laßt  jemand,  auf 
den  ihr  euch  verlassen  könnt,  bemerken,  wie  er  seine  Zeit  anwendet^ 
ob  er  sie  auch  alsdann  untätig  verschleudert,  wenn  er  ohne  irgend 
eine  Einschränkung  ganz  seinen  Neigungen  überlassen  ist.  So  werdet 
ihr  aus  der  Anwendung  seiner  Erholungszeiten  leicht  beurteilen  können^ 
ob  seine  Unachtsamkeit  Fehler  des  Charakters  bei  ihm  ist,  oder  ob 
er  bloß  aus  zufälliger  Abneigung  gegen  sein  Buch  die  zum  Lernen 
bestimmte  Zeit  vertändelt.«     Educ.  §  125. 

*)  »Das  Kind«,  äußert  er,  »muß  Schmerz  ertragen  lernen.  Wie- 
viel die  Erziehung  dazu  tun  könne,  zeigen  ihre  Spiele  hinlänglich; 
and  wer  schon  soviel  über  sich  vermocht  hat,  daß  er  körperlichen 
Schmerz  nicht  mehr  als  das  größte  unter  allen  am  meisten  zu  fürchten- 
den t  beln  ansieht,  der  hat  schon  merkliche  Schritte  auf  dem  Wege 
zur  Tugend  gemacht.  Wir  sehen  ja  alle  Tage,  daß  Kinder  der- 
glei<-heii  voneinander  im  Spiel  ertragen.  Je  weicher  euer  Kind  ist, 
desto  mehr  müßt  ihr  schickliche  (lelegenheit  wahrnehmen,  es  auf 
diese  Weise  abzuhalten.  Die  garze  Kunst  besteht  nur  darin,  daß 
ihr  mit  ganz  kleinen  Schmerzen  anfangt  und  ihr  unmerklich  darauf 
weiter  gebt  während  der  Zeit,  da  ihr  mit  ihm  spielt  und  froher  Laune 
mit  ihm  seid  und  gut  von  ihm  sprecht  ...  So  wird  der  Grund  zu 
Mut  und  Entschlossenheit  gelegt  für  das  ganze  künftige  Leben ;  denn 
ILinder  müssen   zu  Mut   und  Entschlossenheit  erzogen  werden  und 


—     109     — 

lieh  bietet  ihm  das  Spiel  Doch  ein  willkommenes  Mittel 
zum  Befriedigen  der  kindlichen  Wißbegierde  and  Yer» 
stopfen  der  trägen  Achtlosigkeit,  selbst  wenn  dieselben  iii 
der  körperlichen  Konstitution  ihren  Sitz  haben.  Charaktere 
dieser  Art,  denen  die  Seelenkräfte  gelähmt  sind,  entbehreD 
nach  ihm  zwei  Haupttriebfedern  der  Tätigkeit:  Yoraoe- 
sehung  und  Wünsche,  »denn  wo  keine  Wünsche  sind, 
da  ist  keine  Tätigkeit c  .i)  Diesem  Mangel  gegenüber  hat 
neben  anderen  Mitteln  das  Spiel  die  Aufgabe,  ihn  zu  be- 
seitigen, Leben  und  Tätigkeit  in  einem  solchen  Zögling 
anzuregen,  ihn  zur  Geschäftigkeit  zu  reizen,  Wünsche 
wachzurufen,  ihn  dahin  zu  bringen,  daß  er  sich  rühre, 
»und  hier  ist  selbst  bei  einer  Steigerung  des  Appetites 
bis  zum  Übermaß  nichts  zu  fürchten.«  Beobachten  der 
kindlichen  Individualität,  physische  Abhärtung,  Beleben 
der  Seelenkräfte  bei  untätigen  und  krankhaften  Naturen 
sind  die  einzigen  Seiten,  welche  Locke  dem  Nutzen  der 
Spiele  abgewinnen  kann.  Aus  dieser  Auffassung  spricht 
der  praktische  Weltmann,  der  beobachtende  Arzt,  nicht 
der  ideale  Erzieher.  Von  der  Poesie  im  kindlichen  Spid 
und  dem  geistigen  Oehalte  desselben  hat  er  nichts  emp> 
funden.  Die  vielseitige  erzieherische  Bedeutung  derselben 
weiß  er  nicht  zu  würdigen.  Trocken  und  nüchtern  siebt 
er  sie  an  mit  dem  Auge  des  ütilitaristep,  der  sie  ep> 
niedrigt  lediglich  zum  Erholungsmittel.*)  Hoch  erhaben 
über  sie  stellt  er  die  nützlichen  Beschäftigungen,  die  aof 
das  Praktische  gerichteten  Geschäfte,  die  selbst  noch  als 
Erholungsmittel  einen  weit  höheren  Rang  einnehmen  als 
die  ihm   fast  wertlos  erscheinenden   Spiele;    »denn   sich 

das  nur,  daß  man  sie  während  der  Kindheit  ein  soviel  als  möf^Iicb 
freies,  selbsttätiges  Leben  führen  lasse,  dann  kommt  der  Mut  ?od 
selbst.«     Edoc.  §  116. 

')  Educ.  §  126  und  127. 

')  Der  Standpunkt  Loekes  bezüglich  der  Spiele  ist  im  wesent- 
lichen aach  der  der  Pbilanthropisten,  nar  mit  dem  Unterschiede, 
daß  sie  dieselben  nicht  auch  wie  Loche  als  Eniehnngsmittel,  sondeni 
lediglich  als  Ansfluß  des  kindUcheu  Titigkeitstriebes  aogeseben 
wissen  wollen. 


—     110     — 

erholen  heißt  nicht  etwa  müßig  sein,  sondern  dem  er- 
matteten Teil  durch  Veränderung  des  Oeschäftes  Er- 
leichterung schaffen.  Handarbeiten,  die  irgend  einen 
Nutzen  haben,  würden  die  beste  Ergötzung  und  Erholung 
sein.c^)  »Die  ernsthaften  Geschäfte  eines  jungen  Hannes 
sind  seine  Studien.  Erholungen  und  Ergötzungen  müssen 
körperliche  Übungen  sein,  welche  die  Seele  abspannen 
lind  die  Gesundheit  und  Stärke  aufrecht  erhalten.  Dies 
vermögen  aber  am  besten  Gartenbau,  Landwirtschaft  und 
allerlei  Arbeit  in  Holz.«  *)  Die  Spiele,  womit  Leute  von 
Stand  und  vornehmlich  die  Damen  soviel  Zeit  ver- 
schwenden, sind  Locke  ein  ganz  klarer  Beweis  dafür,  daß 
die  Menschen  nicht  ganz  müßig  sein  können  und  immer 
etwas  zu  tun  haben  müssen,  aber  eben  deshalb  empfiehlt 
er:  »Man  sollte  die  Zeiten  der  Erholung  dergestalt  zu 
ordnen  suchen,  daß  dadurch  derjenige  Teil  erleichtert  und 
erfrischt  würde,  der  vorher  angestrengt  und  ermattet  war, 
und  daß  doch  etwas  dadurch  hervorgebracht  würde,  das 
außer  dem  gegenwärtigen  Vergnügen  und  der  Erleichte- 
rung auch  einen  Nutzen  hätte,  dessen  man  sich  hemach- 
mals  erfreuen  könnte. c  s)  Bei  allem  Verständnis  für  den 
Geschäftigkeitstrieb  des  Kindes  verlangt  er:  »Man  sollte 
der  Geschäftigkeit  der  Kinder  allezeit  eine  Richtung  auf 
solcbe  Gegenstände  geben,  die  ihnen  nützlich  werden 
können,«^)  und  deshalb  schlägt  er  Handarbeiten  vor, 
welche  nicht  nur  die  Geschicklichkeit  vermehren,  sondern 
auch  der  Gesundheit  zuträglich  sind,  besonders  solche  in 
freier  Luft:  »Bei  diesen  lassen  sich  die  Vorteile  für  unsere 
(Jesundheit  und  für  die  Ausbildung  unserer  Kräfte  mit- 
einander verbinden,  und  von  solchen  sollte  man  einige 
schickliche  auswählen,  um  sie  zur  Erholung  derjenigen 
zu  machen,  deren  Hauptgeschäft  der  Bücherfleiß  ist.« 
Wie  eine  völlige  Absage  an  das  Spiel  aber  klingen  die 
Worte,  die  zugleich,  jeder  Poesie  und  jedes  ästhetischen 


^)  Educ.    §  206.   —  «)  Edac.    §  203.  —  »)  Educ.  §   207.   — 
*)  Educ.  §  202. 


—   111   — 

Gehaltes  bar,  das  NützlichkeitspriDzip  in  der  nacktesten 
und  grobsinnigsten  Form  zum  Ausdruck  bringen,  seine 
ganze  Stellung  den  Spielen  gegenüber  auf  das  schönste 
charakterisieren :  »Man  hat  noch  sehr  selten  gesehen,  daß 
einer  Geld  und  Silberminen  auf  dem  Parnaß  entdeckt 
hat  Poeterei  und  Spiel,  die  gewöhnlich  paarweise  gehen, 
gleichen  sich  auch  darin,  daß  sie  selten  einigen  Vorteil 
bringen  außer  solchen  Leuten,  die  so  oft  nichts  haben, 
wovon  sie  leben  könnten. c^)  Für  die  Macht  des  Schönen 
and  den  Zauber  der  Poesie,  der  aus  allen  Worten  Jean 
Pauls  spricht,  hat  der  kalt  erwägende  Engländer  weder 
Sinn,  noch  Verständnis.  Die  Spiele  sind  gewissermaßen 
nur  eine  inhaltsleere  Ausfüllung  der  Zeit,  die  besser  hätte 
verwertet  werden  können,  die  durch  sie  nur  auf  eine 
ungeschickte  Weise  verdorben  wird.*)  Grundverschieden 
ist  daher  auch  die  Stellung,  welche  er  dem  Erzieher  den 
Spielen  gegenüber  anweist  von  der,  welche  Jean  Patd 
ihnen  g^enüber  einnimmt. 

5.  Ansichten  Aber  das  Verhalten  des  Erziehers  gegenflber 

den  Spielen. 

Dem  von  diesem  aufgestellten  Zweck  der  Spiele  wider« 
spricht  es,  ja,  muß  es  geradezu  grausam  erscheinen,  wenn 
der  Erzieher  auf  eine  einseitige  Ausbildung  der  Kräfte,  da 
er  danach  auch  eine  dementsprechend  einseitige  Auswahl 
der  Spiele  trefien  müßte,  das  Hauptgewicht  legen  würde. 
Ihm  widerspricht  es  aber  auch  zweitens,  da  die  Auswahl 
und  Aufeinanderfolge  jener  lediglich  durch  den  Zufall 
bedingt  ist,  wenn  er  auch  nur  mit  leiser  Hand  allseitig 
und  allentwickelnd  dieselbe  herbeizulühren  bestrebt  wäre.^) 
In  warmempfundener  und  hochpoetischer  Sprache  warnt 
Jean  Paul  daher  vor  dem  rauhen  Hineintappen  in  dieses 
zarte  Befruchtstäuben  der  Einderblumen,  in  dieses  erste 
zarte  Knospen  und  Aufblühen  der  jugendlichen  Seelen- 
icräfte,  warnt  er  vor  dem  Selbstbetrug,  den  äußeren  Zufall 


^)  Educ.  §  174.  —  »)  Eduo.  §  118.  —  »)  Lev.  §  47. 


—     113    — 

durch  Mittel  zu  regeln,  welche  oft  nur  ein  innerer,  wenn 
auch  engbegrenzter,  zusammengewürfelt  hat  Präziser 
spricht  er  diese  Forderung  aus  mit  den  Worten:  »Bb 
regele  und  ordne  der  Lehrer  nach  den  Arbeiten  nur 
nicht  auch  wieder  die  Spiele!  Überhaupt  ist  es  besser, 
gar  keine  Spielordnung  zu  kennen  und  zu  machen,  als 
sie  ängstlich  zu  halten. c  i)  Kein  Spielkanon,  freies  Sich- 
gewährenlassen  der  kindlichen  Invidualität,  freies  Sich* 
entfaltenlassen  der  kindlichen  Seelenkräfte  ohne  fremdes 
Eingreifen  ist  sein  Losungswort,  und  so  tritt  auch  hier, 
wie  Überali  in  seiner  Levana,  seine  Ehrfurcht  vor  der 
Heiligkeit  der  kindlichen  Individualität  dem  Leser  eni> 
gegen,  spricht  sich  seine  individualistische  Pädagogik, 
sowie  der  Oedanke  scharf  aus,  daß  alle  Erziehung  nar 
bestehen  kann  in  dem  Befreien  des  inneren  Kristalls  von 
der  umhüllenden  Schlackenhülle,  ofTenbart  sich  eine 
Psychologie,  die  den  angeborenen  Kräften  und  Anlagen 
eine  große  Bolle  zuschreibt  und  jeden  Zwang  von  sich 
abweist  Kann  so  der  Erzieher  nicht  Gesetzgeber  der 
Spiele  sein,  so  kann  seine  Aufgabe  einzig  und  allein  not 
darin  bestehen,  die  Spiele  zu  markieren  und  zu  be- 
obachten, ^j  Denn  nur  bei  diesem  freien  Siebgewähren- 
lassen  entfaltet  sich  vor  seinen  Augen  die  kindliche  Natur 
in  ihrer  wahren  Gestalt,  kann  er  ihre  Interessen,  Neigungen, 
ihren  Charakter,  ihre  ureigenste  Individualität  bis  in  ihre 
tiefsten  Tiefen  verfolgen,  um  auf  diese  Beobachtungen 
seine  pädagogischen  Maßnahmen  zu  gründen.  —  Es  ist 
nicht  nur  der  Rousseausche  Standpunkt^  den  er  hier  ein« 
nimmt,  sondern  er  befindet  sich  zum  Teil  auch  in  völliger 
Übereinstimmung  mit  Herbart^  der  sich  gleichfalls  gegen 
zu  weitgehende  Einschränkung  und  Hemmung  der  kind* 


*)  LeF.  §  54. 

')  Lev.  §  48.  Vergleiche  dazu:  Sehwarx^  Erziehungslehre  III, 
1.  Abt  St  202:  »Es  macht  Unlust,  wenn  die  Eltern  oder  Lehrer 
das  machen  wollen,  was  sie  der  Freiheit  der  Kinder  fiberlaaaen 
sollten;  ja  selbst  die  angenehmsten  Spiele  der  Kinder  yerlieren  ihr 
Angenehmes,  wenn  sich  die  Erwachsenen  zu  viel  einmischen.« 


—     113     — 

liehen  Spiele  erklärt,  die  nnschuldigen  Spiele  der  Jugend 
nicht  durch  rauhes  Eingreifen  und  voreilige  Forderung 
«ines  gesetzten  Betragens  verleidet  und  das  spielende 
Treiben  lange  erhalten  sehen  will,  indem  man  es  nicht 
verkünstelt.  ^)  Freilich  ist  diesem  die  jeweilig  zu  ge- 
währende Freiheit  immer  nur  eine  bedingte.  Nach  ihm 
ist  eben  nicht  alle  Selbsttätigkeit  wünschenswert,  »sondern 
nur  die  rechte  am  rechten  Platze.« ')  Das  Maß  der  zu 
erlaubenden  Freiheit  ist  daher  immer  abhängig  von  ge- 
wissen mit  seinem  Erziehungsziele  im  Zusammenhang 
stehenden  Voraussetzungen,  oder  ist  beschränkt  durch 
sich  nötig  machende  Ergänzungen,  welche  in  der  Form 
anderer  pädagogischer  Maßnahmen  hinzutreten.  Damit 
ist  aber  seine  Stellung  den  Spielen  gegenüber  durchaus 
keine  asketische,  etwa  im  Sinne  der  pietistischen  Päda- 
gogik. Fem  von  aller  pessimistischen  Stimmung,  teilt 
er  in  diesem  Punkte  denselben  Optimismus  mit  Jean  Paul. 
Im  Einverständnis  mit  demselben  fordert  er,  daß  für  gute 
Laune,  für  heiteren  Scherz  die  freie  Äußerung  unbedingt 
gestattet  werden  müsse,  daß  die  Knabenjahre  dem  Zöglinge 
vergehen  mögen  unter  beständigen  Umtrieben  augenblick- 
licher Lust,  wenn  auch  hier  wieder  mit  der  Einschränkung, 
daß  derselbe  seiner  Eörperkraft,  seiner  Gesundheit,  seiner 
Freiheit  von  Bedürfnissen  und  seiner  inneren  Haltung 
gewiß  sei.^)  In  Übereinstimmung  hiermit  hält  er  auch 
die  Gesellschaft  des  Lehrers  beim  Spiel  nur  unter  schwer 
zu  erfüllenden  Bedingungen  für  ersprießlich,  bei  deren 
Nichtbeachtung  sie  mehr  Schaden  als  Nutzen  stiften  würde: 
»Die  Gesellschaft  des  Lehrers  kann  zwar  sehr  nützlich 
werden  durch  Erhaltung  fortdauernder  Tätigkeit,  auch 
beim  Spielen  und  des  beständigen  Frohsinns  ohne  Un<- 
gezwungenheit !  Aber  hier  muß  der  Lehrer  sehr  vor- 
bereitet und  sehr  gewandt  sein,  um  durch  mannigfaltige 


^)  2.  Bericht  aa  Herrn  yoq  Steiger.  —  ')  Umriß  p&d.  Vorl.  §  71. 

—  *)  ümriB  p&d.  Vorl.  §  155.  Über  ästhetische  Darstellung  der 
Welt  8t  211. 

F8d.  Mag.  320.    Weller.  8 


—     114     — 

Unterhaltung  alle  Langweile  zu  verbannen.  Dies  würde 
mehr  Vorbereitung  kosten  als  aller  Unterricht,  dabei  den 
Lehrer  unendlich  abspannen.  Sonst  schwächt  der  Umgang 
des  Lehrers  unendlich.  Viele  Arten  von  Entwicklung^ 
Stärke,  Kraft  und  Empfindung  sind  an  sich  nicht  schäd- 
lich, würden  es  aber  werden,  wenn  es  nicht  schiene,  al» 
ob  der  Lehrer  davon  nichts  wisse.«  ^)  So  will  auch  er 
bis  zu  einem  gewissen  Orade  freie  Entfaltung  der  In- 
dividualität, und  seine  aufgestellten  Bedingungen  stehen 
dem  Verlangen  Jean  Pauls  ^  welches  jede  Anteilnahme 
des  Lehrers  aussehließt,  nur  um  weniges  nach.  Führt 
aber  bei  jenem  die  Phantasie  eine  fast  uneingeschränkte 
Herrschaft,  so  bedarf  sie  nach  ihm  der  Leitung  durch 
methodisches  Eingreifen.  Sie  ist  ihm  Reichtum;  »ihn 
wirft  man  nicht  weg.  So  auch  soll  man  der  Phantasie 
nicht  herrisch  den  Flügel  rupfen,  nicht  ihre  Atmosphäre^ 
die  natürliche,  gesunde  Heiterkeit  durch  unnützen  Druck 
und  Zwang  vergiften:  aber  die  Phantasie  bedarf  der 
Leitung,  und  die  Begierden  bedürfen  eines  Gegengewichtes. 
Beides  leistet  ein  geschärftes  Aufmerken  auf  die  Dinge, 
wie  sie  sind,  das  heißt  bei  den  Knaben  zunächst:  ein 
geschärftes  Schauen  auf  die  Dinge,  wie  sie  gesehen 
werden.«  *)  Was  jener  durch  freie  Entwicklung  zu  er- 
reichen hofi^t,  erfordert  hier  methodisches  Zurechtlegen^ 
anstrengende  und  ergänzende  Arbeit,  erheischt  ein  Ein- 
greifen des  Erziehers.  Wie  jener  will  auch  er  die  Spiele 
nicht  gewaltsam  und  voreilig  endigen,  aber  bei  seinem 
engeren  Begriffe  derselben  sind  die  vorzugsweise  durch 
sie  in  Anspruch  genommenen  Oeistestätigkeiten  dadurch 
zu  ergänzen,  »daß  der  Erzieher  zugleich  die  Denkkraft  in 
Tätigkeit  setzt,  ihr  eine  Lebhaftigkeit,  Schnelle,  Dauer 
imd  Mannigfaltigkeit  der  Vorstellungen  verschafft,  von 
der  er  sich  nachher  ein  entschiedenes  Übergewicht  ver- 
sprechen   kann.«  ^)     Weiter   entfernt   er  sich  jedoch  von 

*)  2.  Bericht  an  Herrn  von  Steiger  St  31—32.  —  »)  Pestaloziie 
Idee  eines  ABC  der  Anschauung  St  88.  —  ^)  2.  Bericht  an  Herrn 
von  Steiger. 


—     116     — 

dessen  Ansichten,  wenn  er  sieb,  wenn  anch  nur  unter 
gewissen  Bedingungen,  Eingriffe  in  den  Spielbetrieb  selbttt 
erlaubt  »Selbstgewählte  Beschäftigungen  haben  zwar, 
wenn  alle  anderen  Interessen  sich  gleich  bleiben,  immer 
den  Vorzug;  allein  selten  weiß  die  Jugend  sich  hin- 
reichend und  anhaltend  zu  beschäftigen.  Bestimmte  Auf- 
gaben, dies  oder  jenes  zu  tun,  sichern  daher  die  Ord- 
nung besser  als  regellos  spielen,  welches  in  Langeweile 
zu  endigen  pflegt  Um  dieser  vorzubeugen,  ist  es  daher 
w&nschenswert,  daß  Erwachsene,  welche  Oeduld  genug 
besitzen,  wenn  nicht  immer,  doch  häufig  jugendlichen 
Spielen  nachhelfen,  Bilder  erklären,  erzählen  und  sich 
wieder  erzählen  lassen.«^)  Ist  Jean  Paul  zeitweiliges 
Vorkommen  von  Langeweile  im  Interesse  des  späteren 
Lebens,  aus  dem  dieselbe  nie  völlig  w^bleibt,  sogar  er- 
wünscht, sucht  ihr  Herbart  durch  Eingreifen  vorzubeugen. 
Ähnlich  hält  er  auch  schon  bei  den  ersten  Spielen  der 
Blinder  eine  gewisse  Hut  seitens  der  Mütter  für  nötig, 
um  ihnen  den  Frieden  und  die  Heiterkeit  der  Kindheit 
lange  zu  bewahren,  um  allen  Streit  von  ihnen  fem  zu 
halten;*)  und  auch  mit  den  »Gassen wunden«  Jean  Pauls 
kann  er  sich  nicht  ohne  weiteres  einverstanden  erklären. 
Alle  derartigen  Treibereien  erscheinen  ihm  mehr  als  ein 
Ausfluß  der  nicht  von  selbst  sittlichen  Triebe  des  Men- 
schen. Sein  Zögling  soll  darum  ein  mehr  gesittetes  Ver- 
halten annehmen,  »denn  wie  könnte  icli  zum  Beispiel  die 
Raufereien  auf  dem  Kirchhof  länger  dulden,  nachdem  ich 
einmal  vor  falschem  Ehrgeiz,  Zorn,  Schadenfreude  ge- 
warnt, Liebe  zu  allen  Menschen,  edelmütiges  Verzeihen, 
Verachtung  aller  niedrigen  Vergnügen  gepredigt  hatte?«  *) 
Infolge  der  Erbsünde,  deren  Einfluß  für  ihn  eine  fest- 
stehende Tatsache  ist,  vermag  er  nicht,  das  ganze  Tun 
des  Kindes  mit  dem  nur  Gutes  erblickenden  Auge  Jean 
Pat^b  anzusehen.  Sittliche  Gegenwirkungen,  intellektuelle 


*)  Umriß  päd.  Vorl.  §  47.  —  »)  Aphorismea  200.  —  »)  2.  Be- 
richt an  Herrn  ?oa  Steiger. 

8» 


—     116     — 

Ergänzungen  sind  vielfach  notwendig,  wenn  er  auch  sonst 
mit  derselben  Ehrfucht,  mit  demselben  Ernste  wie  j^aer 
an  das  Kind  herantritt  und  fordert:  »Niemand  darf  ein 
Kind  als  sein  Spielzeug  behandeln.c  ^  —  Mit  diesen  letzteren 
Maßnahmen  bildet  Herbart  einen  Übergang  von  dem  Ver- 
halten Jean  Pauls  den  Spielen  gegenüber  zu  dem  Loches^ 
der  durch  dasselbe  zur  Inkonsequenz,  ja  sogar  zum  Wider- 
spruch getrieben  wird.  Wie  sich  in  seiner  ganzen  Päda- 
gogik vielfach  zwei  Anschauungsweisen,  die  des  Natur- 
verehrers und  ütilitaristen  kreuzen,  so  liegen  dieselben 
auch  hier  miteinander  im  Kampfe  und  ringen  um  die 
Vorherrschaft.  Jene  stellt  sich  zum  Teil  ganz  auf  den 
Boden  von  Jea?i  Paul  und  Herbart  und  verlangt  mög- 
lichste Freiheit  und  Uneingeschränktheit  der  kindlichen 
Spiele,  oder  doch  eine  möglichst  milde  und  rücksichts- 
volle Beurteilung  derselben:  »Man  muß  ihnen -die  kleinen 
Possierlichkeiten  und  Kindereien  ihres  Alters  zugute 
halten  und  sie  nicht  zu  bemerken  scheinen.«  ')  »Man 
muß  ihnen  nicht  wehren,  Kinder  zu  sein,  oder  zu  spielen 
und  zu  handeln  nach  kindischer  Weise;  aber  man  muB 
ihnen  wehren,  unrecht  zu  handeln:  jede  andere  Freiheit 
muß  ihnen  verstattet  sein.«^)  Mancher  falschen  Behand- 
lungsweise,  mancher  verkehrten  Belohnung  und  Strafe  wür- 
den die  Kinder  enthoben  sein  bei  Beherzigung  der  Mah- 
nung; denn  ihre  Entwicklung  führt  sie  von  selbst  ohne 
jedes  Zutun  seitens  der  Erziehung  über  diesen  Standpunkt 
hinaus.^)     Freilich   die    Umgebung,   die    gesellschaftliche 


^)  Umriß  päd.  Vorl.  §  199.  —  »)  Ednc.  §  80.  —  »)  Edac  §  69. 

*)  »Wenn  man  nur  die  wahre  Behandlungsart  der  Kinder  an- 
wenden wollte,  so  wird  man  nicht  nötig  haben,  von  den  gewöhnlicben 
Belohnungen  und  Strafen  —  wie  sie  eben  seine  Zeit  in  völliger  Nicht- 
beachtung der  gerechten  Forderungen  der  kindlichen  Natur  anwandte 
—  soviel  Gebrauch  zu  machen,  wie  man  sich  falschlich  einbildet  und 
wie  fast  allgemein  eingeführt  ist;  denn  alle  ihre  unschuldigeo 
Possierlichkeiten,  Spielereien  und  kindischen  Handlungen  müMen 
ihnen  durchaus  frei  und  aneingeschränkt  gelassen  werden,  soviel,  als 
mit  der  schuldigen  Achtung  gegen  die  gegenwärtig  Erwachsenen  be- 
stehen kann  and  zwar  im  vollsten  Maße.   Wenn,  wie  geschehen  sollte, 


—     117     — 

Konvenienz,  das  ßchicklicbe  und  wohlaDständige  Betragen 
spielen  auch  hier  schon  herein.  Der  Wille  des  Vaters, 
<ler  Mutter  schwebt  über  den  kindlichen  Spielen  und  steckt, 
vrenn  auch  nicht  ihrem  Wesen,  so  doch  ihrem  Betriebe 
fi;ewi8se  Schranken  und  Grenzen:  »Wenn  etwa  das  Ge- 
räusch und  der  Lärm  ihrer  Spiele  sich  mit  der  Zeit,  oder 
mit  dem  Orte,  oder  der  Gesellschaft,  in  der  sie  sind,  nicht 
verträgt,  so  wird  ein  Blick,  oder  ein  Wort  vom  Vater 
oder  der  Mutter,  wofern  sich  diese  das  nötige  Ansehen 
zu  verschaffen  gewußt  haben,  hinreichen,  sie  entweder  zu 
entfernen,  oder  für  diesmal  zur  Ruhe  zu  verweisen.«  ^) 
Schroffer  in  das  Wesen  der  kindlichen  Spiele  greift  aber 
der  ütilitarist  Locke  ein,  der  dann  seinem  Naturprinzipe 
selbst  untreu  wird  und  sich  mit  seiner  Auffassung  in 
völligen  Gegensatz  zu  der  Ansicht  des  Naturverehrers 
stellt.  Im  Interesse  des  Lernens,  wie  überhaupt  nützlicher 
Beschäftigungen,  um  etwa  vorhandene  Trägheit  zu  über- 
winden und  um  das  schon  verleidete  Buch  wieder  an- 
genehm zu  machen,  schreitet  derselbe  zu  einer  zwangs- 
weisen Verwertung  des  Spieles,  erniedrigt  es  zum  Ge- 
schäft, benutzt  es  als  Kunstgriff  und  methodisches  Hilfs- 
mittel und  wendet  den  härtesten  Zwang  beim  indirekten 
Verfahren,  einem  pädagogisch  stets  bedenklich  erscheinen- 
den Mittel,  an.  Bis  zur  Übersättigung,  ja  selbst  his  zum 
Ekel  am  Lieblingsspiele  soll  das  Kind  getrieben  werden; 
Charakter  und  Wesen  des  Spieles,  die  Natur  des  Kindes 
müssen  sich  die  drückendste  Tyrannei  gefallen  lassen. 
Durch  solche  Vergewaltigung  des  Spiels  hofft  Locke^  dem 
Kinde  Lust  und  Liebe  zum  Lernen,  zum  Lesen  und 
Schreiben  einzuflößen.')    Gegen  alle  Neigungen  der  kind- 


dieselben  bloß  der  Zeit,  ihrem  Nacbahmongstriebe  und  den  reiferen 
Jahren  zu  heilen  überlassen  würden,  so  w&ren  die  Kinder  vieler  ver- 
kehrter und  unnützer  Strafe  überhoben.« 

0  Educ.  §  63. 

*)  »Ihr  müßt  veranstalten,  daß  das,  was  sie  tun  sollen,  eine  Er- 
holung für  sie  werde  und*  nicht  ein  Geschfift.«  Vergl.  data  die  rich- 
tige Bemerkung  Campes:  »Nicht  gerade  eine  Erholongi  tondeni  auch 


—     118     — 

licheD  Natur  strebt  er  eine  formliche  Organisation  dieeoB 
Verfahrens  an,  will  es  zor  Sitte,  znr  Regel  im  Haus  esr- 
hoben  haben:  »Und  wenn  unter  einer  kleinen  Gesell- 
schaft von  Kindern  erst  das  älteste  so  angeleitet  und  dies 
zur  Sitte  des  Hauses  gemacht  würde,  so  müßte  es  ebenso 
unmöglich  werden,  sie  von  dem  einen  abzuhalten,  als  es 
gemeiniglich  wird,  sie  vor  dem  andern  zu  verwahren.« 


ein  Geschäft,  aber  ein  interessantes,  ein  angenehmes  (JeschAft. 
Eigentliche  Erholung  yerlangen  Sander  höchst  selten.  Sie  wollen 
vielmehr  unaufhörlich  beschäftigt  sein,  aber  auf  ihre  eigene»  nicht 
auf  unsere  Weise.  Die  Kunst  ist,  sie  auf  ihre  Weise  zweckm&Sig 
und  nützlich  zu  beschäftigen.«  Bensionswerk  Bd.  IX,  §  129.  »Das 
Mittel,  dies  zu  tun,  ohne  daß  sie  gewahr  werden,  daß  ihr  die  Hand 
im  Spiele  habt,  ist  folgendes:  Macht,  daß  sie  dessen»  was  sie  enrar 
Absicht  nach  vermeiden  sollen,  überdrüssig  werden  dadurch,  daß  ihr 
es  ihnen  auferlegt  und  unter  dem  einen  oder  andern  Vorwand  sie  es 
solange  tun  laßt,  bis  es  ihnen  zuwider  geworden.  Z.  E.  euer  Sohn 
spielt  mit  dem  Kreisel  und  verfolgt  dieses  Spiel  zu  eifrig,  heißt  ihn 
täglich  einige  Stunden  damit  spielen  und  seht  darauf,  daß  er  es 
wirklich  tue;  so  werdet  ihr  sehen,  er  wird  es  bald  müde  werden  and 
sehr  geneigt  sein,  davon  abzulassen.  Wenn  ihr  auf  diese  Weise  die 
Erholung,  welche  ihr  mißbilligt,  ihm  zum  Geschäft  macht,  so  wird  er 
von  selbst  zu  denjenigen  Dingen  greifen,  die  ihr  von  ihm  getan 
wissen  wollt,  vornehmlich,  wenn  sie  ihm  als  Belohnungen  gestellt  wer- 
den dafür»  daß  er  ein  ihm  aufgegebenes  Spiel  eine  bestimmte  Zeitlang 
wirklich  getrieben  hat«  Vergl.  Campe:  >ünd  vorausgesetzt,  daß  man 
ihm  diese  bloßen  Geschäfte  wirklich  angenehm  zu  machen  weiß;  denn 
laßt  das  Kind  sich  noch  so  sehr  mit  Biskuits  überladen;  es  wird 
des  Biskuits  freilich  dadurch  überdrüssig  werden,  aber  den  Bbabarber 
deshalb  um  nichts  lieber  haben  als  vorher.«  »Denn  wenn  ihr  ihm  aUe 
Tage  befehlt,  seinen  Kreisel  zu  peitschen,  solange  bis  er  dessen  hin- 
reichend satt  geworden,  meint  ihr  nicht,  daß  er  von  selbst  eifrig  naeh 
seinem  Buche  greifen  und  daß  er  darnach  verlangen  werde,  wenn  ihr 
es  ihm  als  Belohnung  versprecht  dafür,  daß  er  seinen  Kreisel  wieder 
in  der  ganzen  dazu  ausgesetzten  Zeit  weidlich  gepeitscht  hat?«  VergU 
Campe  und  Eesewitx:  »Das  wohl  nicht,  aber  er  wird  eifrig  nach 
einem  andern  Spiel  greifen;  es  müßte  denn  sein,  daß  ihr  ihm  das 
Buch  ebenso  angenehm  als  ein  anderes  Spiel  zu  machen  wüßtet.« 
»Kinder,  die  man  so  bebandelte  und  vor  den  schlimmen  Beispielen 
anderer  verwahrte,  würden»  glaube  ich,  mit  ebensoviel  Ernst  und  LaMt 
lesen  und  schreiben  und,  was  man  sonst  will,  lernen,  als  andere  mit 
ihren  gewöhnlichen  Spielen  beschäftigt  sind.«     Educ.  §  129. 


—     119     ~ 

Wie  hier  das  Spiel  sich  ganz  nach  den  Absichten  de» 
Erziehers  zu  regeln  hat,  wie  es  auf  Kommando  betrieben 
wird  und  seinen  Charakter  geradezu  in  sein  G^enteil 
verkehrt,  wie  dem  Erzieher  jedes  Eingreifen  gestattet  ist, 
so  nicht  minder,  wenn  es  sich  darum  handelt,  die  Kinder 
überhaupt  dahin  zu  bringen,  daß  sie  ihre  Erholungszeiten 
nur  durch  nützliche  Beschäftigung  ausfüllen.^)  Als  ein 
notwendiges  Übel  besteht  nur  für  die  niederste  Stufe 
der  Ausbildung  Freiheit  im  Spiel;  im  Interesse  nützlicher 
Beschäftigungen  aber  sind  dieselben  bei  fortgeschrittenem 
^Standpunkte  gewaltsam  und  zwangsweise  einzuschränken. 
Um  seinem  Utilitarismus  zu  frönen,  kämpft  Locke  mit  Ge- 
walt gegen  eine  in  der  Natur  des  Kindes  tiefbegründete 
Erscheinung  an,  will  sie  gleichsam  durch  sich  selbst  ver- 
nichten, durch -»Übersättigung,  durch  Ekel.  Der  gleiche 
Gewaltakt  vollzieht  sich  an  der  kindlichen  Natur,  die  er 


^)  >Man  moß  dafür  sorgen,  daß  sie  das^  was  ihnen  vorteilhaft 
ist,  allemal  mit  Vergnögen  tun,  nnd  ehe  sie  noch  des  einen  mdde 
werden,  maB  man  schon  ihre  Aufmerksamkeit  auf  ein  anderes  nüts- 
liches  Geschäft  zu  leiten  suchen.  Wenn  sie  aber  noch  nicht  auf  der 
Stufe  der  Ausbildung  stehen,  daß  ihnen  eine  ntttzliche  Besebftftigiiiig 
zur  Erholung  werden  kann,  so  maß  man  sie  den  Spielereien  und 
ihren  kindischen  Phantasien  fiberlassen.  Man  soUte  sie  dadurch  vo» 
denselben  entwöhnen,  daß  man  sie  bis  zum  Ekel  ihnen  nachhäogen 
ließ;  aber  Ton  nützlichen  Beschäftigungen,  die  man  ihnen  anweist« 
eoUte  man  allemal  sie  abbrechen  heißen,  solange  ihre  Neigung  dasa 
noch  fortdauert,  wenigstens  sollte  man  sie  ja  unterlassen,  bevor  sie 
ihrer  müde  und  gänzlich  überdrüssig  werden,  damit  sie  ein  anderes 
Mal  daran  gehen,  als  ginge  eb  zu  einer  ihrer  Vergnügungen ;  denn  ihr 
müßt  ja  nicht  eher  glauben,  sie  auf  den  rechten  Weg  gebracht  su 
haben,  bis  sie  in  der  Obung  dessen,  was  gut  und  lobenswert  ist, 
Vergnügen  finden,  und  bis  die  Abwechslung  nützlicher  Übungen  fttr 
<len  Körper  und  für  die  Seele  ihnen  das  Leben  angenehm  und  su 
einer  Kette  von  Erholungen  machen,  wo  der  ermüdete  Teil  immer 
abgelöst  und  durch  einen  andern  ersetzt  wird,  und  wenn  man  so 
glücklich  gewesen  ist,  soviel  wahres  Leben  in  sie  zu  bringen,  so  mag 
man  frei  mit  ihnen  reden  über  das,  was  sie  am  meisten  ergötzt  ond 
sie  darauf  leiten,  oder  sie  ihrem  Hange  darnach  fiberlassen.«  Edue. 
«108. 


—     120     — 

doch  anderseits  geschoDt  wissen  will,  bei  seiner  zwanget- 
weisen  Verwertung  des  Spiels  zum  Überwinden  der  Träg- 
heit. Anstatt  die  durch  das  Spiel  entdeckten  Neigongea 
des  Zöglings,  sowie  jenes  selber  als  Anknüpfungspunkt 
für  den  Unterricht  zu  benützen,  greift  er  zu  demselben 
unpsychologischen  und  pädagogisch  verfehlten  Mittel,  da» 
Spiel  zu  tyrannisieren.  Es  ist  eine  gewöhnliche  Er- 
scheinung, daß  viele  Kinder  ihr  Spiel  dem  Buche  vor- 
ziehen. Hat  nun  hier  der  Erzieher  durch  den  Eifer,  wo- 
mit ein  solcher  Zögling  sein  Spiel  betreibt,  die  Über* 
Zeugung  gewonnen,  daß  jene  Trägheit,  wie  sie  Loche  be- 
zeichnet, kein  Fehler  der  Gemütsart  ist,^)  muß  er  ver- 
suchen, ihn  davon  zu  heilen.  Sobald  aber  alle  Heilungs- 
wie  Aufklärungsversuche,  alle  Belehrungen  über  seine 
Torheit  und  Zeitverschwendung,  alle  Vorstellungen  dar- 
über, daß  ein  solcher  Mann  wie  der  Erzieher  auf  diese 
Weise  nur  seine  Zeit  mit  ihm  verderbe,  nichts  fruchten, 
bleibt  für  Locke  als  Radikalmittel  nur  das  eine:  »Setzt 
ihn  wirklich  hin  an  sein  geliebtes  Spiel  und  haltet  ihn 
ernstlich  dazu  an,  daß  er  es  spiele  vom  Morgen  bis  an 
den  Abend,  bis  er  sich  völlig  damit  überladen  hat  und 
wünscht,  um  jeden  Preis  es  nur  auf  einige  Stunden  gegen 
sein  Buch  zu  vertauschen.  Aber  wenn  ihr  wollt,  daß  er 
auf  diese  Weise  mit  seinem  Spiel  beschäftigt  sei,  so  müßt 
ihrj  selbst  darauf  sehen,  oder  wenigstens  jemand  bestellen, 
der  darauf  sehe,  daß  er  wirklich  unablässig  damit  be- 
schäftigt sei,  und  es  muß  ihm  nicht  erlaubt  sein,  auch 
bei  diesem  Spiel  müßig  zu  sitzen.«  ^)  Ist  hier  die  Ab- 
neigung des  Schülers  gegen  sein  Buch  eine  ursprüngliche, 
80  kann  ihm  dasselbe  aber  auch  durch  Mißverstand  und 


*)  Vergl.  dazQ  Campe  und  Öedike:  »Trägheit  bei  Kindern  rührt 
entweder  von  körperlicher  Schwäche,  oder  von  Verwöhnung  her.  Im 
ersten  Falle  muB  man  sie  körperlich  zu  stärken  suchen;  in  beiden 
Fällen  aber  muß  man  ihnen  viel  Anlaß  und  Gelegenheit  geben,  sich 
anf  eine  ihnen  angenehme  Weise  zu  beschäftigen,  besonders,  durch 
lebhafte  Spiele  und  Handarbeit  in  freier  Luft.« 

*)  Educ  §  124. 


—     121     — 

ungescbicktee  Verfahren  erst  zuwider  gemacht  worden 
9ein.  Ist  dies  der  Fall,  so  ist  die  Eur  —  und  damit  er- 
fihrt  das  zwangsweise  Eingreifen  in  das  Wesen  des  Spiels 
die  letzte  und  höchste  Steigerung  —  an  einem  anderen 
Ende  anzufangen:  »Die  Bemühungen,  es  ihm  in  ein  Spiel 
zu  verwandeln,  würden  alsdann  zu  spät  kommen.  Ihr 
müßt  also  einen  ganz  andern  Weg  einschlagen.  Bemerkt 
nämlich,  welches  Spiel  er  am  meisten  liebt,  haltet  ihn  zu 
diesem  Spiel  an  und  laßt  ihn  den  Tag  über  soviel  spielen 
—  nicht  als  wenn  ihr  es  ihm  zur  Strafe  auflegtet  — 
sondern  als  wenn  das  ein  Geschäft  wäre,  das  ihr  ihm 
auftrügt.  Ich  müßte  mich  sehr  irren,  oder  dies  wird  ihm 
in  wenig  Tagen  sein  liebstes  Spiel  so  zuwider  machen, 
daß  er  lieber  nach  seinem  Buche,  oder  nach  jedem  anderen 
Dinge  greift,  und  vornehmlich,  wenn  er  sich  dadurch  zum 
Teil  von  dem  Spiele  losmachen  kann,  das  man  ihm  zum 
Geschäft  gemacht  hat  und  er  einen  Teil  der  dazu  be- 
stimmt gewesenen  Zeit  auf  sein  Buch  oder  eine  ander- 
weitig wirklich  nützliche  Übung  verwenden  kann.  Wenig- 
stens halte  ich  dies  für  eine  bessere  Heilungsart,  als  daß 
man  von  dem  Verbot,  welches  gewöhnlich  nur  die  Begierde 
reizt,  oder  irgend  einem  andern  Strafmittel  Gebrauch  mache, 
um  dem  Übel  abzuhelfen;  denn  wenn  ihr  einmal  seinen 
Appetit  überfüllt  habt,  welches  ihr  in  allen  Dingen  außer 
dem  Essen  und  Trinken  tun  könnt,  und  ihn  mit  dem  Genuß 
einer  Sache,  die  er  meiden  soll,  überladen^  so  habt  ihr 
eine  Abneigung  dagegen  in  die  Grundtriebe  seiner  Seele 
gepflanzt,  und  ihr  dürft  nachher  nicht  sehr  fürchten,  daß 
er  nach  derselben  Sache  noch  einmal  lüstern   werde.€  ^) 


>)  Educ.  §  128,  Vergl.  dazu  Campe^  Resewitx^  Oedike:  »Ich 
boffe,  daß  der  Verfaaser  hier  ganz  juDge  Kinder  im  Auge  hat,  denen 
man,  wenn  sie  nnn  einmal  dem  Willen  der  Natnr  zuwider  auch  schon 
schulmäßig  unterrichtet  werden  sollen,  das  ihnen  unnatürliche  Lernen 
nicht  leicht  zu  sehr  versüßen  kann.  Für  ältere  Knaben  hingegen 
und  Jünglinge  soll  das  Lernen  allerdings  zum  Geschäft  und  nicht 
SU  einem  widrigen,  sondern  zu  einem  angenehmen  Geschäft  gemacht 
weiden.  —  Diese  Kur  hilft  immer  nur  für  deo  Aogenbliok  und  er- 


—     122     — 

Klarer  als  durch  seine  eignen  Worte  kann  aber  kaum  der 
Widerspruch  Loches  zum  Ausdruck  kommen:  die  nadi 
seiner  Ansicht  in  der  Natur  des  Kindes  tief  begründeten 
und  als  Naturnotwendigkeiten  von  ihm  bezeichneten  Spiele 
will  er,  wenn  es  gilt,  ausrotten  durch  Abneigung  gegen 
diesen  Naturtrieb,  welche  er  in  andere  Orundtriebe  der- 
selben Seele  einpflanzt  unbekümmert  um  diesen,  die 
kindliche  Natur  negierenden  und  auf  falschen  psycho- 
logischen Voraussetzungen  fußenden  Widerspruch,  hat 
zu  seinem  Verfahren  unbedingtes  Vertrauen:  »Man 
ein  Kind  alle  Tage  zu  einer  bestimmten  Zeit  seinen  Ejreiael 
treiben,  es  mag  dazu  aufgelegt  sein  oder  nicht,  man 
fordere  von  ihm  als  eine  Pflicht,  daß  es  täglich  soviel 
Vormittagsstunden  und  soviel  Nachmittagsstunden  dabei 
zubringe  und  gebe  acht,  ob  nicht  das  Kind  auf  diese 
Weise  bald  eines  jeden  Spiels  müde  werden  wird.«  Diese 
Beschäftigung  trägt  aber  nur  noch  den  Namen  des  Spiels, 
ist  ihrem  Wesen  nach  nichts  weniger  als  ein  solches. 
Es  ist  methodisch  geordnete  Arbeit,  welche  auch  das  Kind 
als  solche  empfindet  Loches  ganze  Stellung  den  Spielen 
gegenüber  steht  wohl  im  Einklang  mit  seiner  Wert- 
schätzung derselben,  bleibt  aber  ein  unlösbarer  Wider- 
spruch zu  seiner  Auflassung  vom  Wesen  derselben,  welche 
sowohl  bei  Jean  Faul^  als  auch  bei  Herbart  dem  Er- 
zieher sein  Verhalten  vorzeichnet 

6.   Ansichten  Ober  Wesen,  Art  und  Beschaffenheit 

der  Spielsachen. 

Diese  ihre  Ansichten  über  das  Wesen  der  Spiele,  so- 
wie ihre  Wertschätzung  derselben  erklären  zum  guten  Teil 


zengt  keine  Neigung  für  das  Lernen.  Besser  ist  es,  den  Unterrteht 
recht  interessant  za  machen  teils  durch  die  Gegenstände,  teils  doich 
die  Art  und  Weise,  durch  die  Methode.  Überhaupt  bin  ich  nicht 
fär  künstliche  Spielereien,  die  natürlichen,  die  in  den  Dingen  selbst 
liegen,  sind  ohnstreitig  die  besten.  Es  gehört  nur  immer  ein  gotes 
Auge  dazu,  um  sie  zu  finden,  und  eine  geschickte  Hand,  am 
hervorzuziehen  und  wirksam  zu  machen.« 


—     123     — 

aber  aach  die  Anforderungen,  welche  die  drei  Pädagogen 
an  das^Wesen,  die  Art  und  Beschaffenheit  der  zu  ver- 
wendenden Spielsachen  stellen.  —  Bei  der  ungemein 
hohen  Wichtigkeit,  welche  Jean  Paul  der  Phantasie  zu- 
schreibt, sind  ihm  die  Spielsachen  an  und  für  sich  voll- 
ständig gleichgültig.  Das  eigentlich  belebende  Element 
der  Spiele  bildet  die  kindliche  Phantasie.^)  Obgleich 
äußerlich  mit  Spielsachen  beschäftigt,  ist  das  ganze  erste 
Spiel  durchweg  ein  solches  des  kindlichen  Oeistes  mit 
sich  selber.  Er  bildet  das  Zentrum,  von  dem  alles  Leben 
ausgeht,  und  von  dem  aus  das  Kind  seine  phantasievolle 
Welt  sich  aufbaut.  Sind  selbst  bei  Erwachsenen^  sofern 
bloßes  Einbildglück  entscheidet,  die  Sachen  an  und  fOr 
sich  gleichgültig,  so  noch  mehr  bei  Kindern,  vor  deren 
wundertätigen  Phantasie  jeder  Aaronsstecken  Blüten  treibt, 
die  jeden  Busch  als  Wald  erscheinen  läßt  und  den  kind- 
lichen BUmmel  hervorzaubert,  in  welchem  die  Wanzen 
wohlriechend  sind  und  Luther  ein  Lamm  bildet  Sie 
überträgt  die  Wirklichkeit  auf  das  Jenseits  und  baut  den 
kindlichen  Himmel  auf,  in  welchem  der  Vater  Oott  der 
Vater  und  die  Mutter  die  Mutter  Gottes  ist.')  Mächtiger 
noch  als  im  Jünglings-  wirkt  die  Phantasie  im  Eindes- 
alter, welches  Jean  Paul  daher  in  Parallele  setzt  zu  der 
Kindheit  eines  jeden  Volkes,  das  sich  in  diesem  Zustande 
seine  Oötter  schafft  und  nur  durch  Dichtkunst  redet  Die 
Phantasie  hat  nun  aber  zur  Folge,  daß  sich  das 
frohe  Wesen  des  Kindes  belebend  nur  mit  Leben  um- 
ringt Da  bei  ihm  nicht  wie  beim  Tiere  der  Körper, 
sondern  die  Seele  spielt,  so  sind  ihm  Tod  und  Totes  un- 
verständliche Begrifie;  daher  sind  die  Spielsachen  für  das- 
selbe keine  toten,  sondern  lebendige  Wesen,  und  ist  ihm 
eine  Puppe  ebensosehr  ein  Mensch  als  einem  Weibe  eine 
erwachsene.  Mit  anderen  Worten  drückt  Jean  Paul 
diesen    Gedanken   aus.     »Den   Kindern    eigentümlich   ist 


^)  Vergl.   daza  Erdmann:   Psychologische  Briefe,  4   Auflage» 
Leipzig  1868.  St  236—237.  —  *)  Levana  §  49. 


—     124    — 

die  Belebung  alles  Unbelebten,«  oder:  »Für  Kinder  sind 
Pappen  fast  so  groß  und  schön  wie  Kinder  für  tin8.c^> 
Yen  dieser  belebenden  Tätigkeit  seiner  ^  Phantasie  legen 
besonders  auch  die  bildlichen  Ausdrücke  des  Kindes  be- 
redtes Zeugnis  ab.  Alle  seine  ureigensten  Empfindungen 
and  Oefühle  verlegt  es  in  die  außersubjektiven  Oegen* 
stände  seiner  Umgebung  und  läßt  sie  dasselbe  denken^ 
tun  und  fühlen  wie  sich  selbst  Daher  ist  ihm  jedes 
Wort  heiliger  Ernst,  und  daher  auch  die  ernste  Auffassung 
der  kindlichen  Spiele  bei  Jean  Paul.  Da  nun  aber  die 
Phantasie  das  eigentlich  belebende  Element  der  kindlichen 
Spiele  bildet,  drängt  sich  von  selbst  die  Frage  auf:  »Wie 
müssen  die  Spielsachen  beschaffen  sein,  um  ihr  freien 
Spielraum  zu  gewähren?«  An  reicher  Wirklichkeit  — 
eines  seiner  goldenen  Worte  —  verwelkt  und  verarmt 
die  Phantasie.  Darum  seien  die  Spielsachen  einfach,  der 
Flachsrocken,  das  bloße  Material,  welches  die  kindliche 
Phantasie  zu  bunten  Oewändern  verweben  kann.  Beicht 
ihnen  die  Eier  nicht  bunt  und  mit  Gestalten  übermalt, 
sondern  weiß,  so  werden  sie  sich  aus  dem  Inneren  die 
bunten  Gefieder  schon  von  selbst  ausbrüten!  Das  Kind 
gewinnt  die  Spielsachen,  welche  seiner  Phantasie  und 
seinem  Tätigkeitstriebe  reichlich  Nahrung  bieten,  lieber 
als  künstlerisch  vollendete,  bei  denen  ihm  nichts  zu  tun 
übrig  bleibt.  Es  zieht  den  angeputzten  Stiefelknecht  des 
Vaters  und  eine  bis  aufs  Holz  heruntergekommene  Puppe 
vielfach  dem  Urbild  Bertuchscher  Abbilder  vor  und  hängt 
einer  unscheinbaren  Adamsrippe  leichter  Menschenglieder 
und  Putzgewänder  um,  als  beides  einer  Puppe,  die  nichts 
zu  bessern  übrig  läßt  und  bloß  der  Eitelkeit  des  Kindes, 
wie  der  Eltern  frönt.  Lakonisch  verzeichnet  Jean  Paul 
daher  auch  im  Tagebuch  über  seine  Kinder:  »Nach  der 
schönsten  Puppe  Stiefelknecht  als  Puppe.«  ^)     Doch  auch 


0  Palingenesien  Tl.  42,  St  103. 

^)  MitteiluDgen  aus  des  Dichters  uojifedracktem  Nachlasse.  Deotsch» 
Blfttter  flQr  erziehenden  Unterricht  1882,  No.  1  und  2. 


—     125     — 

in  der  Menge  der  dargebotenen  Spielsachen  ist  Sparsamkeit 
am  Platze.  Bei  den  Kindern  spielt  ein  Spielzeug  oft  alle 
Rollen,  so  wie  sie  es  gerade  begehren.  Darum  umringt 
eure  Kinder  nicht  wie  Fürstenkinder  mit  einer  Kleinwelt 
des  Drechslers,  deren  Phantasie  dadurch  schon  im  Keime 
erstickt  wird,  und  denen  auf  diese  Weise  der  edelste  Ge- 
nuß und  der  höchste  Gewinn  am  Spiele  geraubt  werden! 
So  fordert  Jean  Paul  Einfachheit  der  einzelnen  Spiel- 
sachen, Zweckmäßigkeit  derselben  in  Bezug  auf  die  Selbst- 
tätigkeit  und  Mäßigkeit  hinsichtlich  der  dargebotenen 
Menge  derselben,  um  die  Kinder  selbst  zu  Einfachheit, 
Mäßigkeit  und  Selbsttätigkeit  zu  erziehen  und  sie  zu  be- 
wahren vor  einem  anspruchsvollen,  eitlen,  zerfahrenen  and 
flatterhaften  Wesen.  Was  Jean  Paul  gibt,  sind  trefflidie 
und  beherzigenswerte  praktische  Anweisungen,  die  der 
scharf  beobachtende  Psycholog  so  ganz  aus  der  Erfahrung 
genommen  hat  Die  Auswahl  der  Spielsachen  hat  sidi 
der  geistigen  Individualität  des  Kindes  anzupassen.  Die- 
selben müssen  so  beschaffen  sein,  daß  sie  deren  Eigen- 
art gerecht  werden  und  dieselbe  fördern,  das  ist  das  Grund- 
motiv, welches  ihn  leitet  auch  bei  seinen  Anweisungen 
über  einzelne  der  Spielsachen.  ^)  Dieselbe  Phantasie, 
welche  den  Blättern  die  Farbe  aufträgt,  zieht  sie  ihnen 
auch  aus;  dieselbe  Putzjungfer  kleidet  an,  aber  auch  aus, 
und  so  gibt  es  für  Eünder  kein  ewiges  Spiel  und  Spiel- 
zeug. Ästhetische  Gesichtspunkte  aber  fordern,  ein  ent- 
kleidetes Spielzeug  nicht  lange  dem  sinnlichen  Auge  des 
Kindes  darzubieten,  sondern  es  einzusperren;  dton  nor 
zu  leicht  stellt  sich  sonst  demselben  gegenüber  eine  ge- 
wisse gleichgültige  Geringschätzung  und  Teilnahmlosigkeit 
ein,  welche  auch  dem  poetischen  Beseelen  die  Flügel  be- 
schneidet. Nach  längerer  Zeit  wird  das  abgeschiedene 
Stück  von  selbst  wieder  gewürdigt  werden.  Dabei  ist 
nicht  jedes  Spielzeug  für  die  Kinder  an  seinem  Platze. 
Die  rechten  Bilderbücher  für  dieselben  bestehen  nicht  in 


')  Levana  §  50. 


—     126     — 

dner  Folge  uDbekannter  Tiere  uDd  PflaDzeo,  denen  nur 
ein   gelehrtes  Auge  die  Unterschiede  abzugewinnen  ver- 
mag, soudern  in  historischen  Stücken,  welche  Handlungen 
▼on  Tieren  oder    Menschen  aus  dem  Einderkreise   vor- 
f&hren.    Später  mag  sich  die  Lebensgalerie  zu  gescbicht- 
Uchen  Gruppen  erheben,  zu  einem  Joseph  unter  seinen  ihn 
▼erkaufenden,  oder  ihn  wiedererkennenden  Brödem,    zu 
Hektors  Abschied    von  Weib   und   Kind  und   ähnlichen. 
Die  kindliche  Psychologie  und  Ästhetik  machen   andere 
Gesichtspunkte  geltend  als  bei  Erwachsenen.    Ihnen  geht 
noch  ab  das  Vermögen   der  scharfen  Unterscheidung  der 
feineren  Farbentöne,  wohl  aber  haben   sie  Sinn  für  den 
historischen  Zusammenhang.    Das  Nacheinander  fallt  dem 
kindlichen  Fassungsvermögen   leichter  als   das  kausallose 
Nebeneinander,    dem    es    nicht    die    genügenden    apper- 
zipierenden  Vorstellungen  entgegenbringt.  Handlungen  üben 
einen  weit  höheren  Reiz  auf  das  kindliche  Oemüt  und 
die  kindliche  Phantasie  aus,  entsprechen  seinem  starken 
Individualisierungstriebe  mehr  als  einzelne  Sachen,   mit 
denen  es  nicht  viel  anzugeben  weiß.    Farben  sind  über- 
haupt nur  für  ein-  und  zweijährige    Kinder  am   Platze, 
welche  noch  dieses  Stachels  bedürfen;  für  größere  Kinder 
sind  nur  Zeichnungen,  nicht  Oemälde  vonnöten.    Farben 
gleichen  den  Reichtümern  des  Spielzeugs,  beeinträchtigen 
durch  ihre  Wirklichkeit   die  Schöpfungskraft   und  engen 
die   Phantasie   ein.    Jedes   Spielzeug   muß    vielmehr   — 
und  diese  Grundforderung  klingt  aus  allen  Anweisungen 
Jean   Pauls   hervor    —    der    kindlichen    Phantasie    und 
Selbsttätigkeit  freien  Spielraum  lassen.    Dieser  Forderung 
widerspricht  es  aber,   wenn    ein  Spielzeug,  wie  etwa  ein 
Bergwerk,  schon  durch  Anschauen   vollendet  dem  Kinde 
dargeboten  wird;  dasselbe  tauge  vielmehr  nur  zu  einem 
Arbeitszeug,    das    wie    der   Baukasten   ein   ewiges   Um- 
gestalten, eine  reiche  Veränderung  und  Abwechslung  zu- 
läßt;   denn   nur    so    können    die    geistigen    Anlagen    die 
reichste  Betätigung  finden.    Der  kindlichen  Eigentümlich- 
keit zuliebe  ist  dabei  auch  E^leinheit   der  Bilder  immer 


—     127     — 

besser  als  Größe;  denn  Kinder  messen  mit  ihrer  kurzen 
Eile  und  messen  überall  so  leicht  Riesen  heraus.  Sollen 
sie  daher  die  Welt  in  ihrer  wahren  Gestalt  erkennen^ 
muß  ihnen  dieselbe  im  verjüngten  Maßstabe  vorgeführt 
werden.  Die  besten  Spielzeuge  für  die  ersten  Jahre, 
welche  allen  Anforderungen  genügen  und  außerdem  den 
Vorzug  des  Wohlfeilen,  Nachhaltenden  und  Angemessenen 
an  die  Geschlechter  besitzen,  sind  für  Knaben  Sand,  für 
Mädchen  Wasser.^)  Wie  bei  unkultivierten  Naturvölkern 
überwiegt  auch  beim  Kinde  ursprünglich  der  Stoff  über 
die  Form,  zu  welcher  es  sich  erst  emporringen  muß; 
und  so  hat  sich  auch  das  erste  Spielzeug  dem  Stoffbedürf- 
nis anzupassen.  Sand  und  Wasser  aber  bieten  einen 
Stoff,  der  die  vielgestaltigste  Verwendung  und  Hand- 
habung zuläßt  und  damit  auch  dem  kindlichen  freien 
Ideenspiel  und  Gedankenwechsel  nicht  nur  entgegenkommt, 
sondern  beides  auch  zu  beleben  vermag.^)  Eben  darum 
ist  es  Unsinn,  den  Kindern  immer  nur  die  kompliziertesten 
und  teuersten  Spielsachen  zu  kaufen! 

Ähnlich  wie  Jean  Paul^  ohne  jedoch  liebevoll  wie 
dieser  auf  einzelne  Anweisungen  einzugehen  und  auch 
dem  Kleinsten  und  Unscheinbarsten  nachzuhängen,  fordert 
Herbart  Mäßigkeit  und  Sparsamkeit,  Einfachheit  und  An- 
spruchslosigkeit bei  den  Spielsachen.^)    Dieselben  sollen 

0  Vergl.  SehwarXy  Erziehongslehre  11,  St.  503:  »Alle  diejenigen 
Spielsachen,  welche  das  Kind  schonen  and  erhalten  soll,  taugen  zu 
nichts,  als  daß  sie  das  Kind,  zn  Beflexionen  nötigen,  es  verdrießlich 
machen,  ihm  Verweise  zuziehen,  oder  daß  sie  ihm  wohl  gar  Liebe 
zum  Besitz  einflößen.  Sie  sind  lästiger  Quark,  weg  damit!  Gebt  den 
Kindern  dafür  Freiheit  in  einer  geräumigen  Stube  oder  draußen  und 
laßt  sie  Hölzchen,  Steinchen  und  dergleichen  zusammentragen,  allerlei 
Sachen  und  den  Knaben  und  Mädchen  das  finden,  was  jedem  zu 
seinem  Oebrauch  gefällt.« 

')  Vergleiche  hierzu  Schiller,  27.  Brief  aber  ästhetische  Er- 
ziehung, mit  dem  Jean  Paul  in  gewisser  Hinsicht  übereinstimmt. 

^)  »Das  Verwöhnen  durch  häufige,  unnötige  Genösse  stumpft  die 
Empfindlichkeit  ab  und  erschöpft  eine  Menge  kleiner  Hilfsmittel  der 
Zucht,  von  denen  bei  nicht  verwöhnten  Kindern  Gebrauch  gemacht 
werden   kann;   denn  es  bedarf  nur  wenig  Kunst,  auf  mannigfaltige 


—     128     — 

auch  bei  ihm  der  Betätigung  der  freien  Phantasie  keinen 
Abbruch  tun,  und  deshalb  fordert  er  hauptsächlich  be- 
wegliche Spielwaren,  da  gerade  diese,  und  selbst  die  un- 
bedeutendsten, einen  überaus  reichen  Wechsel  von  Vor- 
stellungen und  Verknüpfungen  derselben  veranlassen  und 
damit  der  Selbsttätigkeit  des  Kindes  die  beste  Nahrung 
bieten.  ^) 

Einen  Schritt  weiter  noch  als  Jean  Paul  und  Herbart 
geht  in  diesem  Punkte  Locke.  Auch  ihm  sind  die  Spiel- 
sachen an  und  für  sich  völlig  gleichgültig:  »Kinder  finden 
in  Dingen,  die  sie  tun,  solange  sie  ihrem  Alter  an- 
gemessen sind,  wenig  Unterschied,  wenn  sie  nur  irgend 
etwas  tun.  Kinder  wünschen  nichts  weiter,  als  beschäftigt 
zu  sein  und  zwar  in  Dingen,  die  sie  selbst  zu  wählen 
glauben,  und  deren  Gestattung  sie  als  eine  Gunstbezeigung 
von  den  Eltern  und  Erziehern  aufnehmen.«  Doch  mific 
er  denselben,  sowie  hierbei  zu  beobachtenden  Kleinig- 
keiten die  größte  Wichtigkeit  bei  um  der  Folgen  willen, 
die  sie  für  die  Zukunft  haben,  des  Einflusses  wegen,  den 
sie  auf  die  Kindesseele  ausüben.  Wie  Jean  latU  räumt 
auch  er  den  Spielsachen  einen  Einfluß  auf  die  Zukunft 
des  Zöglings  ein,  nur  sind  die  Gründe  hierfür  nicht  wie 
bei  jenem  psychologisch- ethischer  Natur,  sondern  von 
ökonomischer,  praktischer,  haushälterischer  Art  Seine 
Forderungen  sind  bedingt  durch  die  Rücksichtnahme  auf 
die  nützlichen  Eigenschaften,  welche  für  den  späteren 
Mann  bei  ihrer  Beachtung  daraus  entstehen  können.  Trotz 
dieser  verschiedenen  Begründung  gelangt  er  aber  zu  den- 
selben praktischen  Winken  und  Vorschlägen  wie  jener; 
denn  auch  sie  sind,  hier  wie  dort,  ganz  aus  der  Erfahrung 
geschöpft :  Kinder  lieben  Abwechslung,  schon  deshalb  sind 


Art  za  erfrenen,  wenn  große  Mäßigkeit  die  tägliche  Gewohnheit  ist; 
aber  man  maß  auch  eine  Art  von  Spareamkeit  beobachten,  am  mit 
wenig  viel  auszarichten,  denn  je  mehr  freieres  Phantasieren,  desto 
größerer  Gewinn,  desto  weniger  Beden klicbkeit.«  Umriß  pftd.  VoiL 
§  156. 

^)  Umriß  p&d.  Vorl.  §  22. 


L 


—     129     — 

verschiedenerlei  Spielsachen  für  sie  notwendig;  allein  sie 
dürfen  über  dieselben  nicht  frei  schalten  und  walten 
können.  Eltern  und  Erzieher  müssen  sie  in  Verwahrung 
4iaben,  und  dem  Kinde  darf  nie  mehr  als  ein  Stück  auf 
einmal  verabreicht  werden,  ja  nicht  einmal  ein  neues 
darf  ihm  gestattet  werden,  solange  das  alte  nicht  zurück- 
gegeben ist  Auf  diese  Weise  wird  von  früher  Jugend 
an  Sorge  getragen,  daß  die  Kinder  sorgsam  und  achtsam 
werden,  wird  verhindert,  daß  sie  zu  Verlierern,  Verderbern 
und  Verschwendern  gemacht  werden;  denn  jeder  über- 
flüssige Vorrat,  noch  dazu  in  eigner  Verwahrung,  macht 
dieselben  mutwillig  und  sorglos,  wird  ihnen  eine  frühe 
Anleitung  zur  Verschwendung,  lehrt  ihnen  nicht  die 
geringste  Schonung  ihrer  Sachen.  Obgleich  aber  ver-- 
schiedenerlei  Spielsachen  notwendig  sind,  dürfen  doch  den 
Kindern  keine  e:ekauft  werden.  Dadurch  wird  einer  zo 
großen  Mannigfaltigkeit,  mit  welcher  sie  nicht  selten  über- 
laden werden,  am  besten  vorgebeugt  und  wird  gleich- 
zeitig verhindert,  mach  Überfluß  und  immer  neuer  Ab- 
wechslung zu  verlangen,  unruhig  und  mißmutig  zu  sein, 
immer  die  Hand  nach  Mehreren  auszustrecken,  ohne 
eigentlich  zu  wissen  was  und  niemals  mit  dem  zufrieden 
2U  sein,  was  sie  besitzen.«^)  Selbstgenügsamkeit,  Zu- 
friedenheit, Bewahrung  vor  Flattersinn  und  Begehrlich- 
keit müssen  schon  durch  die  ersten  Spiele  angebahnt 
werden.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  wendet  sich 
Locke  gegen  die  Unsitte  höherer  Stände,  Kinder  mit  kost- 
barem Spielzeug  zu  beschenken,  um  dadurch  den  Eltern 
den  Hof  zu  machen ;  denn  dadurch  erhalten  jene  nur  eine 
Anleitung  zu  Stolz,  Eitelkeit  und  Habsucht,  noch  ehe  sie 
sprechen  können,  niemals  die  weit  nützlichere  zur  Mäßigung 
ihrer  Begierden.  Es  wird  nur  der  Grund  gelegt  zu  einem 
unzufriedenen  und  unglücklichen  Mann  für  das  spätere 
Leben.     »Spart   darum   euer   (}eld  in   Spielsachen   and 


')  Edac  §  130. 
Pid.  Mag.  820.    WelJer.  9 


-     180     — 

TäDdeleien,  in  Seide  und  Bändern,  soviel  ihr  immer  wollt 
und  könnt,  ^j  dringt  aber  darauf,  daß  eure  Kinder  sich 
ihre  Spielwaren  selbst  anfertigen,  um  das  Vergnügen  und 
den  großen  Nutzen  des  Selbstfindens  kennen  zu  lernen  T 
Solange  ihre  Selbsttätigkeit  ihnen  noch  keine  Hilfe 
leisten  kann,  bedürfen  Kinder  keiner  künstlichen  Spiel- 
sachen. Ein  glatter  Stein,  ein  Stückchen  Papier,  ein  Band 
Schlüssel,  oder  jedes  andere  Ding,  womit  sie  sich  keinen 
Schaden  tun  können,  macht  den  kleinen  Kindern  ebenso- 
viel Vergnügen,  als  jene  kostbaren  und  künstlerischen 
Spielzeuge  aus  den  Krämerbuden,  die  noch  dazu  so  ge- 
schwind verderben  und  entzwei  gemacht  sind.€  Die 
Kinder  empfinden  auch  gar  nicht  einen  solchen  Mangel, 
wenn  nicht  Verwöhnung  und  eine  falsche  Geschäftigkeit  der 
Erwachsenen  sie  erst  dazu  gebracht  haben.  Anweisangen 
und  Nachhilfe  bei  ihren  eigenen  Versuchen  können  und 
müssen  ihnen  zwar  gegeben  und  gereicht  werden,  aber 
durchaus  nicht  etwa,  solange  sie  selber  müßig  dabei 
sitzen  und  alles  von  den  Händen  anderer  erwarten,  ohne 
selbst  mit  anzugreifen.  Erziehung  zur  Selbsttätigkeit  muß 
überall  das  Losungswort  sein.  Wohl  kann  manchmal  dem 
Kinde  auch  ein  Spielzeug,  zu  dessen  Herstellung  seine 
Geschicklichkeit  nicht  hinreicht,  gegeben  werden,  aber 
nur,  um  seine  Kunst  und  seine  Kraft  daran  zu  üben; 
und  selbst  bei  diesem  muß  ihm  soviel  wie  möglich  selbst 
zu  tun  überlassen  bleiben.  Empfehlenswert  ist  es,  hier- 
bei solche  auszuwählen,  deren  Gebrauch  an  und  für  sich 
schon  einige  Anstrengung  und  Mühe  verursacht,  und  sind 
Kinder  nur  einmal  daran  gewöhnt,  daß  ihnen  solche 
Dinge,  sobald  sie  darauf  warten,  niemals  in  den  Schoß 
gelegt  werden,  so  werden  sie  von  selbst  ihre  Zuflucht  zu 
ihren  eignen  Kräften  nehmen.  Auf  diese  Weise  aber 
werden  Spiele  und  Spielsachen  »zu  Lehren  der  Mäßigung 
ihrer  Begierden,  Geschäftigkeit  und  Fleiß,  Sorgfalt  und 
Sparsamkeit,  Erfindsamkeit,  alles  Eigenschaften,  die  nicht 


')  Esküc.  §  90. 


—     181     — 

früh  genug  eingepflanzt  werden  und  nicht  tief  genug 
wurzeln  können,  da  sie  alle  diese  Eindrücke  mit  in  das 
Alter  hinüber  nehmen.€  ^) 

7.  Ansichten  Aber  den  SpMbetrieb. 

Diese  Ansichten  über  die  Spielsachen  werden  zum  Teil 
«ginzt  und  stehen  in  engster  Verbindung  mit  einzelnen 
Bemerkungen  und  Anschauungen  der  drei  Pädagogen^ 
welche  sich  auf  den  Betrieb  der  Spiele  überhaupt  be- 
ziehen. Feine  praktische  Winke  sind  es,  die  hier  Jean 
Paul  Erziehern  wie  Eltern  erteilt  und  ans  Herz  legt*) 
Zu  seiner  Forderung  der  Einfachheit  der  Spielsachen  fügt 
er  die  des  Unscheinbaren  hinzu,  um  das  Kind  zur  Ein- 
fachheit, Genügsamkeit  zu  erziehen,  um  vor  allem  der 
Phantasie  den  nötigen  Spielraum  für  den  kühnen  Aufbau 
ihrer  Gebäude  zu  gewähren;  denn  der  Genuß  wird  ver- 
ringert, wenn  das  Spiel  der  Wirklichkeit  zu  treu  nach- 
gebildet ist  und  der  schöpferischen  Phantasie  nichts  zu 
tun  übrig  läßt  Nur  zu  leicht  aber  entsteht  beim  Kinde 
der  Wunsch  nach  dem  Spielzeug  seines  Nachbars.  Um 
daher  Prozesse  zu  verhüten,  ist  durch  eine  gewisse  Ge- 
meinsamkeit ein  befriedigender  Ausgleich  herzustellen, 
müssen  die  Spielsachen  bis  zu  einem  bestimmten  Grade 
Gemeingut  aller  Geschwister  sein  nach  dem  Grundsatz: 
»Gleiches  Becht  ftLr  allec;  ist  das  Spielzeug  jeden  Abend 
in  einen  Stall  einzutreiben,  ist  dasselbe  Stück  für  Zwil- 
linge doppelt,  für  Drillinge  dreifach  auszuwählen.  Um 
indes  die  Kleinen  der  Freude  des  Tauschens,  des  Mit- 
teilens und  Annehmens  nicht  zu  berauben,  ist  des  öfteren 
wohl  auch  das  Verabreichen  eines  besonderen  Spielzeuges 
für  jeden  der  Spieigenossen  am  Platze.  Trotz  dieser  Be- 
scheidenheit in  den  Spielsachen  bleibt  aber  für  das  Kind 
die  Forderung  möglichst  vieler  Spiele,  möglichst  vielen 
Spielens  bestehen,  soll  sich  sein  Inneres   voll  und  ganz 


*)  £dac  §  130.  —  *)  Levaiia  §  54. 

9* 


—     132    — 

aasleben,  sollen  sich  seine  Kräfte  barmonisch  entfalten. 
Diesem  Bedürfnis  kommt  das  Kind  meist  schon  von  selbsl 
entgegen  durch  seinen  Wunsch  nach  Wechsel,  durch  sein 
Verlangen  nach  immer  neuen  Spielarten.  Diese  Ver- 
änderlichkeit in  seinem  Verhalten  ist  eine  gans  natürliche 
Erscheinung  und  daher  dem  Kinde  nachzusehen  und  zu 
yerzeihen;  denn  sie  ist  nicht  die  des  Luxus,  sondern  bat 
ihren  tieferen  Orund  im  kindlichen  Wesen  selber.  In  der 
Hauptsache  ist  sie  nämlich  die  notwendige  Folge  der 
schnellen  Einfaltreihen  des  Kindes,  seiner  rasch  wechseln- 
den Gedanken  und  Vorstellungen ^  seines  ununterbrochen 
sich  verändernden  Innern.  Das  eilig  reifende  Kind  schreitet 
schnell  von  Stufe  zu  Stufe  fort  und  sucht  in  jedem  neuen 
Lande,  auf  jeder  weiteren  Stufe  seiner  Ausbildung  neue 
Früchte.  Die  alten  munden  nicht  mehr,  sind  nicht  mehr 
der  adäquate  Ausdruck  der  jeweiligen  Individualität  Eine 
Verstärkung  erfahrt  dieses  Bedürfnis  der  kindlichen  Seele 
durch  einen  den  Kleinen  eigentümlichen  Mangel  an  Ver- 
gangenheit und  Zukunft  und  durch  das  desto  stärkere 
Oetroffen-  und  Erschöpftwerden  derselben  durch  die  Gegen- 
wart. Das  kleine  Kind  ist  noch  ganz  den  augenblick- 
lichen Einwirkungen  hingegeben,  Vergangenheit  und  Zu- 
kunft haben  noch  keine  Bedeutung  für  dasselbe.  Je  mehr 
es  aber  von  der  Gegenwart  gefangen  gehalten  wird,  um 
80  leichter  nimmt  auch  alles  eine  gewisse  Gleichförmig- 
keit für  dasselbe  an,  die  von  selbst,  gleichsam  wie  zu 
einem  Ersatz  für  Vergangenheit  und  Zukunft,  zu  augen- 
blicklichem Wechsel  hintreibt  Schließlich  hat  aber  auch 
die  Eigentümlichkeit  des  kindlichen  Maßstabes  ihre  Hand 
im  Spiele.  Vor  der  Kleinheit  des  Kindes  dehnt  sich  nicht 
nur  der  Raum,  sondern  auch  die  Zeit  aus.  Spielstunden 
wachsen  dem  engsichtigen  Wesen  aus  zu  Spieljahren;  seine 
einstündige  Beständigkeit  entspricht  der  einmonatlichen 
seiner  Eltern,  und  was  diesen  von  ihrem  Standpunkte 
aus  oft  unverständlich  erscheint,  ist  daher  nichts  anderee 
als  der  notwendige  i^usfluß  eines  anders  gearteten  psychi- 
schen Zustandes.    Diesea  an  sich  völlig  berechtigte  Ver- 


—     133     — 

langen  der  kindlichen  Natur  verleitet  aber  leicht  viele 
Eltern  za  falschen  Maßnahmen,  za  einem  Obermaß  im 
Gewähren  von  Genüssen.  Hier,  und  selbst  im  Ver- 
abreichen unschuldig  erscheinender  Genüsse,  ist  jedoch 
größte  Vorsicht  am  Platze.  Gleich  den  Erwachsenen 
gteigert  sich  auch  beim  Kinde  der  Appetit  mit  dem  Essen. 
Das  Sichhingeben  an  Genüsse  erzeugt  nur  das  Begehren 
nach  immer  neuen,  und  endlich  möchte  der  Wonnemonat 
32  Tage,  der  Freudentag  25  Stunden  besitzen,  um  nur 
alle  Wünsche  zu  befriedigen.  Einen  lauten  Protest  gegen 
die  Genußsucht  seiner  Zeit  und  die  einzelner  Stände^ 
gegen  den  von  einem  Vergnügen  zum  andern  eilenden 
Freuden-  und  Sinnen taumel  erhebend,  erklärt  sich  hier 
Jean  Paul  gegen  jedes  Haschen  nach  Genüssen,  gegen 
jeden  Anspruch,  den  die  Genußsucht  überhaupt  geltend 
macht,  da  sie  den  Bienenfiügeln  der  Psyche  jeden  Flug 
▼erklebt  Wie  die  Natur  die  Freudensteigerung  unseres 
immer  etwas  Stärkeres  begehrenden  Wesens  durch  die 
Eurückspannende  kühle  Nacht  selbst  abbricht,  ist  auch 
den  Kindern  die  gesunde  Nachtkühle  im  geistigen  Sinne 
notwendig,  um  sie  künftig  nicht  dem  Schmerze  der  Welt 
und  der  Freudenmenschen  preiszugeben.^)  Wie  der  kindliche 
Geist  mitunter  Buhe  zu  seiner  Erfrischung  und  Erquickung 
bedarf,  verlangt  auch  das  Spiel  zeitweilige  Unterbrechung, 
erfordert  Pausen.  Bei  Beachtung  dieser  Maßnahmen  werden 
die  Kinder  bewahrt  vor  der  nicht  selten  zu  Tage  tretenden 
Modekrankheit  der  Übersättigung,  der  Blasiertheit,  der  Be- 
gehrlichkeit und  Flatterhaftigkeit,  der  Genußsucht,  welche 
Wollüstlinge  und  Lebemenschen  erzeugt,  die  zuletzt  in 
ihrer  Übersättigung  selbst  für  Unscheinbares  dankbar 
sind.  Wenn  so  der  ganze  Spielbetrieb  in  erster  Linie 
darauf  bedacht  sein  muß,   geistigen  und  sittlichen  Go- 


*)  Die  ÜberschfittiiDg  der  Kinder  mit  GenüsseD,  das  Hineinstofien 
derselbea  in  den  Lqxub  verarteilt  Jtan  Paul  sehr  streng  in  seiner 
»Friedenspredigt,«  Tl.  43,  8t  23  ff.  Vergleiche  dazn  ancb  »Quintoa 
Fixlein,«  Tl.  3,  St  11  nnd  »Qointas  Fizlein,«  TL  3,  8t  lea 


—     134     — 

fahren  vorzubeugen,  darf  er  doch  keineswegs  auch  die 
anerläßlichen  hygienischen  Forderungen  vollständig  auBer 
acht  lassen.  Bei  seiner  geistigen  Erregbarkeit  bedarf  swar 
das  Kind  außer  dem  Ausschlafen  fast  nichts  weiter^  der 
Erzieher  und  Eltern  noch  weniger;  indes  haben  letztere 
doch  zu  bedenken,  daß  vor  dem  Einschlafen  ein  Aii9> 
brennen  des  Spielfeuers,  ein  wenig  Langeweile  höchst 
dienlich  ist,  insbesondere  für  lebhafte,  leicht  erregbare 
Kinder,  solche  von  reichem  Phantasieleben  und  solche, 
die  zur  Nervosität  neigen,  um  gerade  diesen  Naturen  die 
nervenstärkende  Kraft  eines  gesunden  Schlafes  zu  sichern. 
In  seiner  Gesamtheit  aber  hat  sich  der  kindliche  Spiel- 
betrieb uneingeschränkt,  ohne  alles  Gängeln  und  Leiten, 
zu  vollziehen.  Jede  Spielordnung,  jeder  Kanon  ist  vom 
Obel;  denn  jede  feste  Ordnung  begeht  einen  Selbstbetrug; 
sie  sucht  die  natürliche  Freude  durch  künstliche  Hilfs- 
mittel zu  ersetzen  und  zu  beleben,  »die  Zephiretten  der 
Freude  durch  künstliches  Gebläse  und  durch  Luftpumpen 
den  kleinen  Blumen  zuzuschicken. c  Törichter  Glaube 
der  Eltern  und  Erzieher  ist  es  daher,  zu  meinen,  etwa 
entstehende  Langeweile  durch  Eingreifen  fernhalten  za 
müssen.  Kinder  und  Wilde  empfinden  nie  solche,  und 
sie  würden  auch  von  keiner  augefallen,  wenn  man  nicht 
so  sehr  daran  dächte,  jede  abzuwehren.  Dieselbe  ist 
lediglich  ein  Produkt  der  Kultur,^)  deren  Gewitter-  und 
Alpdruck  auch  im  späteren  Leben  nie  wegbleiben  wird. 
Darum  mag  das  Kind  schon  in  seinen  Spielen  einige  er- 
leben, um  künftig  nicht  daran  zu  sterben.  Das  Spiel 
schon  hat  das  Kind  mit  allen  Lagen  seines  späteren 
Lebens  vertraut  zu  machen,  hat  ihm  die  ernstere  Form 
des  späteren  Daseins  schon  im  voraus  im  leichtesten 
Flügelkleide  erleben  zu  lassen:  »Das  Kind  probiere  oder 
versuche  sich  spielend  sein  künftiges  Leben  an,€  und  so 


^)  Yergl.  HespeniB,  Tl.  7,  St  108.  »Nichts  ist  ein  größerer  Be- 
weis der  allgemein  wachsenden  Verfeinerang  als  die  allgemaia 
wachsende  Langeweüe. 


I   »f 


—     135     — 

bat,  wie  das  einzelDe  Spiel,  auch  der  Spielbetrieb  im 
^nzen  mit  Rücksicht  auf  dieses  spätere  Leben  dem  Prin- 
^p  der  Selbsttätigkeit  überall  RechnuDg  jbu  tragen:  iSelbst 
versuche  das  Kind,  selbst  probiere  es!«  —  Fast  mit  der- 
selben Schärfe  wie  Jean  Paul  wendet  sich  auch  Herbart 
gegen  das  Überschütten  der  Kinder  mit  Genüssen;  und 
so  fordert  auch  er  wie  von  den  Spielsachen,  so  von  dem 
Spielbetriebe  überhaupt  weise  Sparsamkeit  im  Darbieten 
von  Genüssen,  große  Mäßigkeit  als  die  tägliche  Gewohn- 
heit.^) Im  Einklang  mit  dieser  Forderung  steht  seine 
zweite,  die  leise  die  wohltuende  geistige  Nachtruhe 
Jean  Patüs  anklingen  läßt:  »Nicht  schon  den  Knaben 
durch  seine  Spiele  allzusehr  in  den  Strudel  des  geselligen 
Lebens  hineinzuziehen,  damit  er  beizeiten  lemCi  seine 
Zeit  gehörig  auszufüllen.«  Als  wirksamstes  Gegenmittel 
.gegen  diese  hier  drohende  Gefahr  aber  empfiehlt  er  Ab- 
wechslung von  Geselligkeit  und  Zurückgezogenheit:  »Ge- 
selligkeit muß  mit  Zurückgezogenheit  wechseln.  Der 
Strom  des  geselligen  Lebens  soll  nicht  fortreißen  und 
nicht  mächtiger  werden  als  die  Erziehung.  Der  Knabe 
schon,  vollends  der  Jüngling,  soll  auch  lernen  allein  sein 
und  seine  Zeit  gehörig  ausfüllen.«')  —  Die  Summe  der 
Locke^ch&ck  Ansichten  über  den  Spielbetrieb  klingt  aus 
in  der  einen  Forderung,  denselben  allenthalben  so  za 
gestalten,  daß  nützliche  Eigenschaften  daraus  entstehen. 
Alle  Spiele  und  Zerstreuungen  haben  auf  gute  und  nüts- 
liche  Gewohnheiten  abzuzielen.  Gleichsam  als  Quint- 
essenz seiner  Untersuchungen  über  die  kindlichen  Spiele 
ergibt  sich  ihm  am  Schluß  seiner  Betrachtungen  der 
Satz:  »Alle  Spiele  und  Vergnügungen  der  Kinder  sollten 
so  geleitet  werden^  daß  künftig  gute  und  nützliche  Fertig- 
keiten daraus  erwachsen;  denn  sonst  entstehen  schlimme 
daraus.  Alles,  was  sie  tun,  läßt  Eindrücke  auf  ihr  zartea 
Alter  zurück:  und  aus  diesem  nehmen  sie  Neigungen  und 
Anlage  zum  Guten  oder  Bösen  in   das  spätere  Alter  mit 


')  Umrifi  p&d.  Vorl.  t  106.  —  *)  Umriß  päd.  YorL  %  169. 


—     186     — 

hiDüber,  und  was  einen  solchen  Einfloß  bat,  darf  ja  wohl 
nicht  vernachlässigt  werden.«  ^)  Das  Nützlichkeitsprinzip' 
diktiert  ihm  auch  hinsichtlich  des  Spielbetriebes  seine 
Gedanken  und  Meinungen. 

8.   Ansichten  Aber  Wahl  der  Gespielen. 

Der  Spielbetrieb  vollzieht  sich  aber  zum  größten  Teil 
im  Kreise  der  Gespielen.  Von  ihrer  Wahl  hängt  es  da» 
her  nicht  in  letzter  Linie  mit  ab,  ob  die  vom  Spiel  er- 
hofften Zwecke  sich  leichter  oder  schwerer  realisieren 
lassen.  Der  Verschiedenheit  dieser  letzteren  entsprechend, 
gestalten  sich  daher  auch  die  Ansprüche,  welche  jeder 
der  drei  Pädagogen  an  die  Auswahl  der  Mitspielenden 
erhebt  Spiellandsmannschaften  verlangt  Jean  Paul^  eine 
gewisse  Gharakteriestigkeit  der  Spielkameraden  Herbarty. 
Ausschluß  der  Schulgenossen  John  Locke.  In  der  ver- 
jüngten Spiel  weit  der  Kleinen  erblickt  Jean  Paul  da» 
Spiegelbild  der  großen  Welt. ')  Der  Zweck  jener  ist  da- 
her möglichst  vielseitige  Ausrüstung  für  diese.  Um  des- 
halb dem  Reichtum  später  ihm  entgegentretender  Ver- 
hältnisse gewachsen  zu  sein,  der  Allseitigkeit  der  späteren 
Interessen  und  der  Vielseitigkeit  der  Berührungspunkte 
mit  den  verschiedensten  Individuen  und  Ständen  gegen- 
über gewachsen  zu  sein,  mit  einem  Worte,  um  sich  io 
der  Welt  zurecht  zu  finden,  muß  das  Kind  schon  früh- 
zeitig einen  reichen  Erfahrungsschatz  sammeln.  Dazu 
muß  ihm  aber  sein  Spiel-  oder  Wirkungskreis  Gelegen» 
heit  bieten,  indem  er  es  in  vielseitigste  Berührung  bringt 
mit  den  verschiedenartigsten  Spielgenossen,  verschieden 
nach  Anlage,  Stand  und  Alter.  Verschiedene  Individuali- 
täten, verschiedene  Standes-  und  Altersgenossen,  als  nur 
irgendwie  auftreibbar  sind,  i müssen  sich  vereinigen  zu 
Spiellandsmannschaften,  um  so  das  Kind  im  orbis  picivs 
einer  veijüngten  Spielwelt  für  die  vergrößerte  auszurüsten c, 
and  so  klingen  Jean  Pauls  Worte  wie  eine  leise  Anti- 


0  Edoo.  §  130.  —  S)  Levana  §  64. 


—     137     — 

zipatioQ  der  Spielgemeinschaften  yon  heute.  —  Eine 
Schule  für  das  spätere  Leben,  besonders  nach  der  sozialen 
Seite  hin^  bildet  der  kindliche  Spielplatz  auch  für  Herhart. 
Im  Kreise  der  Oespielen  sollen  nicht  nur  die  sozialen 
Tugenden  reifen,  soll  das  Kind  auch  sonst  seine  gesell- 
schaftlichen Erfahrungen  sammeln  und  mit  den  sozialen 
Verhältnissen  des  späteren  Lebens  vertraut  werden.  Ein 
solcher  Zweck  setzt  aber  voraus  einen  Umgang,  der  im 
Stande  ist,  über  die  wahren  Verhältnisse  des  Lebens  auf- 
zuklären. Wenn  daher  auch  im  Interesse  der  Sittlichkeit 
schlechtes  Beispiel  und  Boheit  zu  verhüten  sind,  darf 
doch  auf  der  andern  Seite  der  Umgang  nicht  so  ängst- 
lich gewählt  sein,  als  ob  dem  Zögling  das  Gefühl  des 
Druckes  sollte  erspart  werden,  welcher  in  jeder  Gesell- 
schaft aus  dem  Streben  und  G^genstreben  der  Menschen 
entsteht.  Schon  die  Gespielen  müssen  eine  gewisse  Cha- 
rakterfestigkeit zeigen,  denn  allzu  große  Nachgiebigkeit 
derselben  bringt  Täuschungen  über  die  wahren  Lebens- 
verhältnisse hervor,  führt  zu  einer  einseitigen  Auffassung 
des  Lebens,  die  dem  späteren  Manne  bittere  Enttäuschungen 
nicht  ersparen  würde,  ^j  —  Während  aber  auch  er  großen 
Wert  auf  die  geselligen  Verhältnisse  schon  des  Kindes 
legt,  soll  der  Locke^he  Zögling  möglichst  von  solchen 
fern  gehalten  werden,  möglichst  unter  steter  Aufsicht  des 
Hofmeisters  oder  der  Eltern  von  der  Berührung  mit 
anderen  Spielgenossen  ausgeschlossen  bleiben,  oder  doch 
nur  mit  seinesgleichen  in  Gemeinschaft  treten;  denn  die 
gute  Lebensart  und  feine  Sitte,  das  schickliche  und  wohl- 
anständige Betragen,  auf  welche  Punkte  Lockes  Päda- 
gogik so  großes  Gewicht  legt,  lernt  der  aristokratische 
Zögling,  den  er  eben  auch  hier  im  Auge  hat,  nur  unter 
Gleichgesinnten  bei  sorgfaltiger  Überwachung,  abgeschlossen 
von  allen  sozialen  Klassen  und  Ständen,  die  vielleicht 
tiefer  unter  ihm  stehen.  Unter  den  stärksten  Ausdrücken, 
die  zwar  bei  Berücksichtigung  der  Schulverhältnisse  seiner 


')  Umriß  p&d.  Vorl.  §  169. 


—     138     — 

Zeit  zum  Teil  verständlich  werden  und  in  milderem  Lichte 
erscheinen,  erklärt  sich  Locke  anter  völliger  Verkeonung 
gerade  der  sozialen  Bedeutung,  die  als  ein  schwerwiegen- 
der Vorzug  dem  Schulleben  beigemessen  werden  moB, 
gegen  jeden  Verkehr  seines  Zöglings  mit  Schulgenoesen.^) 
Der  soziale  Standesunterschied,  die  gesellschaftlichen  Inter- 
essen bedingen  die  Auswahl  der  Gespielen,  eine  Auswahl, 
die  wohl  dem  Hagestolz  Locke  entsprechen  mochte,  nicht 
aber  den  Ansprüchen  modemer  Pädagogik,  der  es  bei 
den  immer  größer  werdenden  sozialen  Klüften  der  O^^ea- 
wart  auf  möglichste  Ausgleichung  derselben  ankommen  muA. 

9.  Ansichten  Aber  die  Art  der  Spielplätze, 

Mit  seiner  Ansicht  aber,  daß  die  Schule  auf  keinoi 
Fall  den  geeignetsten  Ort  für  kindliche  Spiele  abgeben 
kann,  leitet  er  von  selbst  über  zu  der  Frage  nach  der 
besten  und  zweckentsprechendsten  Art  der  Spielplätze. 
Auch  diese  Frage  nach  dem  Wo  der  Spiele,  dem  Orte 
ihrer  Ausführung,  findet  von  selten  der  drei  Pädagogen 


^)  »Denn  was  die  Dreistigkeit  and  den  Hat  betrifft,  welchen 
Knaben  anter  ihren  Gespielen  in  der  Schule  lernen,  so  ist  dabei 
wöhnhch  eine  solche  fieimischong  von  Roheit  und  Unverschinitheit| 
daß  diese  unedle  und  unanständige  Art,  sich  in  der  Welt  fortzahelfeoy 
wieder  verlernt  und  die  ganze  Tinktur  davon  wieder  weggewaaeben 
werden  muß,  um  besseren  Grundsätzen  nnd  einem  solchen  Betrageo, 
das  den  wirklich  braven  Menschen  bezeichnet,  Platz  zu  machen«  — 
Wie  aber  ein  junger  Mensch  dadurch  für  gesitteten  Umgang  und  für 
das  geschäftige  Leben  tauglich  werde,  daß  man  ihn  unter  eine  ver* 
mischte  Herde  wilder  Knaben  bringt,  und  er  bei  Spiel  ohne  Ord- 
nung sich  zanken  oder  betrügen  lernt,  sehe  ich  nicht  ein,  und  was 
für  Eigenschaften  er  unter  einem  solchen  Trupp  von  Spielgeaelleo» 
80  wie  sie  die  Schulen  gewöhnlich  von  Eltern  aus  allen  Klassen  ver- 
sammeln, bich  erwerben  können.  —  Das  Laster  reift  heutzutage,  wo- 
fern wir  der  allgemeinen  Klage  Glauben  beimessen  dürfen,  so  schnell 
und  schießt  bei  jungen  Leuten  so  früh  in  Samen  auf,  daß  ea  un- 
möglich ist,  einen  Knaben  vor  der  wütenden  Seuche  zu  verwahren, 
wenn  ihr  es  wapen  wollt,  ihn  von  euch  unter  die  Herde  zu  tun  und 
es  dem  Zufall  oder  seiner  eigenen  Neigung  zu  überlassen,  seine  Ge- 
spielen in  einer  öffentlichen  Schule  zu  wählen.«    Educ.  §  70. 


—     139     — 

eine  Terschiedene  BeantwortaDg.  Jean  Pauls  Ideal  der 
Spielplätze  ist  bedingt  durch  die  Ansprüche  der  Phan- 
tasie. Zu  reiche  Wirklichkeit  beschneidet  ihr  die  Flügel, 
lähmt  ihr  den  Lebensnerv.  Gleich  den  Einzelspielsachen 
haben  daher  auch  die  Spielplätze  der  Forderung  mög- 
lichster Einfochheit,  ja  einer  gewissen  Leere,  zu  genügen, 
um  ihr  nicht  durch  zu  reiche  Wirklichkeit  die  Nah- 
rung zu  entziehen.  Darum  schlägt  er  leere  Spielzimmer 
vor,  leer  wie  die  Zimmer,  an  deren  Spalierwänden  Baphaeb 
ewige  Blüten  glühen.  Die  kindliche  Phantasie  verleibt 
ihnen  schon  selbst  ihre  Ausstattung,  bevölkert  sie  mit 
den  nötigen  Bewohnern.  Gleichzeitig  wird  Jean  Paul 
einer  der  ersten  in  Deutschland,  der  Kindei^ärten  in 
Vorschlag  bringt,  indem  er  Spielgärten  und,  nach  dem 
Vorbilde  der  Niederländer,  Spielschulen  empfiehlt  und 
letztere  über  eigentliche  Lemschulen,  denen  sie  voraoB- 
gehen  müssen,  gestellt  wissen  will.^)  Die  Kindergärten 
von  heute,  sofern  sie  nur  Spiel-  und  nicht  Lemschulen 
sind,  würden  somit  ganz  seinem  Wunsche  entspreche, 
der  1840  in  Deutschland  seine  schönste  Verwirklichung 
fand,  indem  Fröbel  in  Blankenburg  in  Thüringen  den 
ersten  Eindergarten  eröffnete.  —  Herbart  wiederholt  die 
Forderung  von  Gomenius,  daß  jede  Schule  auch  einen 
Spielplatz  haben  müßte:  »Dringend  notwendig  ist  jeder 
Schule  nicht  bloß  ein  Lokal  mit  geräumigen  Lehizimmem, 
sondern  auch  ein  freier  Platz  zur  Erholung,«  ')  ohne  jedoch 
über  dessen  BescbafiFenheit  näheren  Aufschluß  zu  geben, 
wiewohl  er  über  den  Zweck  desselben  nicht  im  unklaren 
läßt:  Gegen  die  Forderungen  des  Unterrichtes  soll  er  ein 
heilsames  Gegengewicht  bilden,  dem  Erhalten  der  natür- 
lichen Munterkeit  der  Kinder  gewidmet  sein.  Physische 
und  hygienische  Forderungen  bedingen  seine  Notwendig- 
keit —  Aus  seinem  Abhärtungsprinzip  ergibt  sich  der 
geeiirnetste  Ort  zum  Spielen  für  Locke-.  »Man  soll  den 
Knaben  in  Wind  und  Schnee  ohne  Hut  sein  Spiel  treiben 


1)  Levana  §  54.  —  *)  ümriB  päd.  Vorl.  %  132. 


—   uo   — 

lassen,  c^)  Physisch  wertvolle  Eigenschaften  und  daran» 
entspringende  Tugenden  des  Charakters,  wie  Mut,  Entr 
schlossenheit,  Herzbaftigkeit,  bilden  für  ihn  ja  einen 
Hauptgewinn  der  Spiele,  und  dementsprechend  mufito- 
auch  die  Wahl  seines  Spielplatzes  getroffen  werden.  Die- 
ihn  bestimmenden  Gründe  faßt  daher  schon  Campe- 
richtig  zusammen  in  die  Worte:  ^)  *Locke  sagt  nicht  ohne- 
Ursache:  »Man  lasse  ihn  in  Wind  und  Schnee  sein  Spiel 
treiben;  denn  unter  Spiel  und  Freude  wird  es  dem  Enabea 
Dicht  nur  leichter,  jede  Beschwerlichkeit  der  Witterung^ 
8U  ertragen,  sondern  dies  ist  auch  die  Zeit,  da  sem 
Körper  allen  unangenehmen  Eindrücken  dieser  Art  am 
besten  widersteht,  teils  weil  er  nicht  darauf  achtet,  und 
also  das  Unangenehme  nicht  von  ihm  empfunden  wird^ 
teils  weil  er  dabei  unablässig  in  Bewegung  bleibt;  teila 
weil  seine  Liebensgeister  zu  einer  solchen  Zeit  mehr  ala 
gewöhnlich  rege,  seine  Muskeln  angestrengt  und  seine 
Nerven  gespannt  sind.  Wenn  man  daher  ein  schwaches, 
oder  schon  durch  weichliche  Lebensart  yerwöhntes  Kind 
abhärten  soll,  so  yeranstalte  man  ihm  Spiel  und  Freude 
in  freier  Luft  bei  jeglicher  Witterung. c 

10.    Ansichten   Ober  Gefahren   und  Fehler  beim  Spiele. 

Eine  gewisse  Vorsicht  ist  bei  diesen  Spielen  aber 
immer  geboten,  sollen  für  den  Zögling  keine  Gefahren 
daraus  entstehen.  Solche  je  nach  der  Beschaffenheit  des 
Spiel betriebes,  der  Wahl  der  Spielgenossen  und  der  Art 
der  Spielplätze  für  das  Kind  im  Spiel  überhaupt  erblicken 
zu  müssen,  ist  sowohl  Herbarts ^  als  auch  Lockes  feste 
Überzeugung.  Für  Jean  Paul  freilich  sind  nach  seiner 
ganzen  AufiTassung,  welche  er  vom  Wesen  und  Nutzen 
der  Spiele  hat,  irgend  welche  Nachteile  derselben  Yöllig 
ausgeschlossen.  Die  Spiele  sind  der  adäquate  Ausdruck 
der  an  sich  reinen,  unschuldsvollen  Kindesnatur  und  als 
solche   gleichfalls   unschuldsvoll    und    gut     Infolge    der 


>)  Edac.  §  9.  —  *)  BeWsionBwerk  Bd.  IX. 


—     141     — 

hohen  Bedeutung,  welche  er  ihnen  beimißt,  haben  sie  nvnr 
Licht-,  keine  Schattenseiten,  weshalb  er  sich  eben  auch 
keinen  Eingriff  in  sie  erlaubt  —  Anders  stellt  sich 
Herbart  denselben  gegenüber,  der  trotz  seiner  im  ganzen 
sonst  hohen  Meinung  vom  Spiel  als  solchem  doch  nicht 
jedem  einzelnen  bedingungslos  seine  Anerkennung  schenken 
zu  dürfen  glaubt.  Sittliche  Bedenken  stimmen  ihn  des 
öfteren  zur  Vorsicht.  Nach  ihm  ist  es  eine  gegebene 
Tatsache,  daß  viele  Spiele  von  Affekten  begleitet  sind. 
Wenn  nun  auch  nichts  zu  befürchten  ist,  solange  die- 
selben nicht  zu  häufig  auf  den  Leib  einwirken,  und  wenn 
sie  schnell  vorübergeben,  so  ist  doch  im  gegenteiligen 
Falle  nicht  selten  Gefahr  im  Anzug;  denn  heftige  und 
oft  wiederkehrende  Affekte  verdunkeln  das  Geistesleben 
und  trüben  mit  der  Zeit  auch  die  Gefühlswelt  des  Men*> 
sehen.  ^)  Im  Banne  des  Affektes  ist  der  Mensch  nicht 
sein  eigner  Herr,  sondern  Sklave  blinder  Zufälle  nnd 
leidenschaftlicher  Regungen.  Die  Disposition  zu  Leiden- 
schaften ist  überhaupt  überall  da  gegeben,  wo  in  ein 
unter  ganz  bestimmten  Regeln  oft  wiederholtes  Spiel  eine 
besondere  Geschicklichkeit  hineingelegt  wird,  wie  dies 
nicht  selten  bei  Karten-  und  Gewinstspielen,  welche 
deshalb  gänzlich  zu  verbieten  sind,  der  Fall  ist')  Solche 
Spiele  führen  außerdem  noch  leicht  zu  Streit,  der  schon 
an  und  für  sich  das  kindliche  Gefallen  erregt,  weil  er 
eine  gewisse  Kraft  zeigt.  Vielfach  suchen  ihn  Kinder  daher 
sogar  aus  Übermut.  Wenn  nun  auch  der  Wettstreit,  der 
selbst  nicht  Streit  ist,  in  seiner  harmlosen  Natur  bei  Sehens 


*)  Umriß  päd.  Vorl.  §  22. 

')  »Je  luehr  freies  Phantasie  reo,  je  mehr  Abweehslong,  desto 
wenii^r  Bedenklichkeit,  wenn  aber  einerlei  Spiel  sich  oft  nach  bleiben- 
den Regeln  wiederholt,  wenn  eine  Art  von  Stadium,  om  eine  bescsi- 
dere  Geschicklichkeit  za  erwerben,  hineingelegt  wird,  so  kann  Leidett- 
Schaft  entstehen,  wovon  das  Kartenspiel  suweilen  anch  ohne  Geld- 
gewinn die  Probe  liefert.  Gewinnspiele  sind  gänslich  sn  Terbieten. 
Das  Verbot  maß  aber,  wenn  man  der  Folgsamkeit  nicht  gans  siobsr 
ist,  überwacht  werden.c    UmrÜ  päd.  TorL  §  179. 


—     142    — 

und  Spiel  ein  willkommeoer  Ansporn  ist,  moB  doch  jenem 
dagegen  ein  entschiedener  Riegel  YOi^cescboben  werden; 
denn  dieser  wird  leicht  ungerecht  und  läßt  die  sittlichen 
Ideen  nicht  in  ihrer  Reinheit  zur  Ausbildung  kommen.^) 
Im  Verkehr  mit  seinesgleichen  wird  der  Knabe  überhaupt 
in  seinem  Urteile  leicht  irre  geführt,  indem  er  sich  selbst 
solche  bildet,  ohne  daß  sie  eine  sichere  Unterlage  besäfien. 
Die  nötigen  Zurechtweisungen  geschehen  nicht  immer  so 
schnell,  daß  sie  deren  Entstehen  verhindern  könnten,  und 
so  treten  dann  als  Folge  hiervon  Erscheinungen  soJ^  wie 
freiwilliges  Sichanschließen,  Haschen  nach  penOoliefaem  An- 
sehen, welches  sich  mitunter  bis  war  Usurpation  der  Ge- 
walt steigert^)  Die  empfindlichsten  Nachteile  aber  ent- 
stehen dann,  wenn  Verschwendung,  Gewinnsucht,  Ver- 
heimlichung oder  üble  Gesellschaft  sich  in  das  Spiel  ein- 
■ieefaen.  Hier  droht  dem  sittlichen  Charakter  unmittel- 
bar Gefahr,  indem  er  schon  von  frühester  Jugend  an  auf 
Abwege  geleitet  wird.  In  solchen  Fällen  ist  es  daher 
Pflicht  des  Erziehers,  mit  Entschiedenheit  einzugreifen. 
—  Sind  die  Bedenken  Herbarts  meist  sittlicher  Natur, 
hervorgegangen  aus  seinem  ethischen  Erziehungsziele,  so 
spricht  aus  denen  Loches  hauptsächlich  der  fürsorgende 
Arzt,  den  in  erster  Linie  die  Nachteile  für  das  physische 
Wohlbefinden  interessieren.  Der  Gesundheit  unzuträglich 
aber  ist  es,  wenn  beim  Spiel  im  Freien  sich  der  erhitzte 
Knabe  auf  den  kalten  Erdboden  setzt.  Auch  zu  eifriges 
Spiel  schadet  leicht  dem  Organismus  und  seinen  Funk- 
tionen, indem  berechtigte  Ansprüche  desselben  dabei  nicht 
selten   übersehen    werden.^)     Gewisse   Spiele  aber,  ins- 


0  Umriß  päd.  Vorl.  §  184. 

«)  Umriß  päd.  Vorl.  §  222. 

")  »Beim  Spiel  im  Freien  ist,  soviel  ich  weiß,  nar  eine  Gefahr 
za  fürchten,  nämlich  daß  der  Knabe  sich  auf  den  kalten  Boden 
niedersetze  oder  niederlege,  wenn  er  sich  darch  Laufen  erhitzt  hat.« 

»Man  bat  Ursach(^  zu  vermuten,  daß  die  Kinder,  die  gewöhnlich 
mit  ihren  Spielen  stark  beschäftigt  sind  und  sich  um  alles  Übrige 
sehr  wenig  bekümmern,  diese  Bewegungen   oft   vorübergehen  lassen 


—     143     — 

besondere  jene  unnützen  und  gefährlichen  Zeitvertreibe, 
welche  die  Mode  eingeführt  hat,  wie  Würfel-  und  Karten- 
spiel, geraten  indes  auch  leicht  mit  den  Forderungen  der 
Sittlichkeit  in  Kollision.  Gegen  sie  erklärt  sich  Locke 
daher  besonders  scharf,  wie  er  ihnen  denn  auch  persön- 
lich eine  weitgehende  Abneigung  entgegenbrachte. 

11.  Ansichten  Aber  die  Dauer  der  Kinderspiele. 

Wie  aber  diese  Ansichten  der  drei  Pädagogen  über 
etwa  drohende  Gefahren  beim  Spiele  nur  ein  Gegenstück 
bilden  zu  ihrer  Wertschätzung  derselben,  so  erklärt  diese 
letztere  schließlich  auch  das  Maß  der  Zeit,  welches  jeder 
Yon  ihnen  für  die  Ausdehnung  der  kindlichen  Spiele  be- 
ansprucht Nach  der  größeren  oder  geringeren  Bedeutung, 
die  jeder  ihnen  beilegt,  sollen  sich  dieselben  bald  über 
einen  längeren,  bald  über  einen  kürzeren  Zeitraum  er- 
strecken. Idem  Jean  Paul  ihnen  nur  Lichtseiten  ab- 
zugewinnen vermag,  nur  reichen  Gewinn  von  ihnen  er- 
wartet, ist  es  ganz  erklärlich,  daß  er  dieses  poesieumwobene 
Tun  und  Treiben,  diese  glücklichste  Periode  menschlichen 
Daseins  solange  als  nur  möglich  erhalten  wissen  will,  um 
der  heranreifenden  Menschenblume  den  oft  bitteren  Ernst 
des  Lebens  nicht  voreilig  kosten  zu  lassen,  um  die  Zeit^ 
in  welcher  derselbe  ohne  eignes  Zutun  von  selbst  seinen 
Machtspruch  erhebt,  soviel  als  möglich  abzukürzen  und 
einzuschränken,  und  selbst  noch  in  diese  Zeit  hofit  er 
einen  poetischen  Schimmer  aus  der  früheren  mit  hinüber 
zu  retten.  Am  liebsten  würde  er  daher,  wenn  es  in 
seiner  Macht  stände,  die  niedlichen  kleinen  Dinger  gar 
nicht  wachsen,  sondern  ewig  spielen  lassen;  denn  mit  dem 
Genuß  des  Glückes  und  der  Freude  paart  sich  gleich- 
zeitig reicher  geistiger  Gewinn  für  die  Ausgestaltung  des 
individuellen  Idealmenschen,  der  mit  der  Länge  der  Zeit 


und  vornehmlich  auf  die  sanfteren  Neigungen  der  Natur  nicht  achten 
und  dadurch,  daß  sie  die  gehörige  Zeit  versäumen,  sich  stufenweise 
zu  Hartleibigkeit  und  Verstopfungen  gewöhnen.«     Educ  §  10. 


—     144    — 

auch  seinem  Inhalte  nach  wächst:  »Je  länger  der  Morgmi» 
tau  in  den  Blüten  und  Blumen  hängen  bleibt,  desto 
schöner  wird  nach  den  Wetterregeln  der  Tag  —  und  m 
sauge  kein  frühzeitiger  Strahl  den  Tauschimmer  aus  den 
Menschenblumen.«  Auf  keinen  Fall  darf  daher  irgend- 
welche Einschränkung  der  Spiele  vorgenommen  werden. 
Voll  und  ganz  müssen  Kinder  sich  denselben  hingeben 
können,  bis  die  natürliche  Entwicklung  des  Menschen  sie 
von  selbst  über  diesen  Standpunkt  hinausführt  —  Oanz  der- 
selben Anschauung  huldigt  auch  Herbarty  der  findet,  »daB 
dieses  spielende  Treiben  lange  erhalten  bleibt,  wenn  man 
es  nicht  verkünstelt.«  ^)  Einen  gewissen  Abschluß  desselben 
erblickt  er  erst  in  der  Grenzscheide  zwischen  Knaben-  und 
Jünglingsalter.  Weil  aber  das  Spiel  in  der  kindlichen 
Natur  begründet  ist  und  einen  ganz  natürlichen  Zug  der- 
selben bildet,  verlangt  er,  »die  unschädlichen  Spiele  der 
Jugend  nicht  voreilig  durch  Forderungen  eines  gesetzten 
Betragens  zu  verleiden ;  denn  der  Ehrgeiz  treibt  sie  schon 
so  wie  so  nur  zu  früh,  nicht  mehr  Kinder  scheinen  zu 
wollen.« ')  Die  N^eigung  derselben,  schon  frühe  die  Er- 
wachsenen spielen  zu  wollen,  führt  nur  zu  naseweisen, 
altklugen  Wesen  und  darf  deshalb  auf  keinen  Fall  seitens 
der  Erziehung  einen  Vorschub  erhalten,  denn  auch  in  der 
Pädagogik  gilt  für  die  Behandlung  der  Lebensalter  das 
suum  cuique.  Schon  die  Bedeutung  der  Spiele  für  Üben 
und  Stärken  der  Naturkräfte,  ihr  Beitrag  zur  Heranbildung 
einer  kräftigen  Natur,  die  ein  kräftiger  Geist  zu  seiner 
Unterlage  bedarf,  um  sich  auf  sie  stützen  zu  können, 
ist  Herbart  Grund  genug,  »sie  nicht  voreilig  und  gewalt- 
sam zu  endigen«. B)  Räumt  er  ihnen  so  dieselbe  Zeitr 
dauer  ein  wie  Jean  Paul^  indem  er  ihr  Ende  nicht  durch 
künstliche  Eingriffe,  sondern  einzig  und  allein  durch  die 
natürliche  Entwicklung  des  Menschen  ^bedingt  sein  läfit. 


')  ümriB  p&d.  Vorl.  §  218. 
*)  Umriß  plUL  Vorl.  §  156. 
*)  2.  Bericht  an  Herrn  Ton  Steiger. 


—     145     — 

so  tritt  Locke  in  einen  gewissen  Gegensatz  zu  beiden.  — 
Bei  der  geringen  Wertschätzung  der  Spiele,  die  sein 
utilitaristischer  Standpunkt  ihm  eingibt,  wünscht  er  auf 
jeden  Fall  eine  möglichst  schnelle  Heilung  von  diesen 
Fehlern  des  kindlichen  Alters  herbei,  spricht  aus  allen 
seinen  Worten  das  Verlangen,  möglichst  schnell  über  die- 
selben hinweg  zu  kommen.  Bei  der  Art  und  Weise  der 
Heilung  aber  geraten  Naturverehrer  und  CJtilitarist  aber- 
mals in  Konflikt.  Im  Interesse  einer  naturvollen  Behand- 
lung der  Kinder  weist  der  erstere  den  Heilungsprozeß 
der  Zeit,  dem  kindlichen  Nachahmungstriebe  und  den 
reiferen  Jahren  zu  und  vertritt  damit  ganz  den  von  Jean 
Paul  und  Herbart  eingenommenen  Standpunkt,  der  natür- 
lichen Entwicklung  nicht  vorzugreifen.  ^)  In  völligen 
Widerspruch  dazu  tritt  die  einseitige  Forderung  des 
Utilitaristen,  den  Sohn  so  frühe  als  möglich  als  Mann 
zu  behandeln.  Von  der  falschen  Prämisse  ausgehend,  daß 
die  Kinder  das  Rechte,  sobald  sie  es  nur  erkannt  haben, 
notwendig  auch  tun  müßten,  gelangt  sie  zu  einem  ebenso 
falschen  Schluß:  »Daß  wir  unbemerkt  des  Kindes  Gemüt 
erheDen  über  die  gangbaren  Jugendvergnügungen  und 
jene  nichtigen  Beschäftigungen,  in  denen  die  Jugend 
gemeinhin  vergeudet  wird.«  ^)  Damit  aber  ergeben  sich 
für  LocA*e  zwei  völlig  unausgeglichene  Anschauungsweisen: 
dort  freies  Gewährenlassen  der  kindlichen  Spiele,  bis  die 
Jugend  von  selbst  über  sie  hinausgeführt  werde,  hier  im 
Interesse  nützlicher  Beschäftigungen  ein  möglichst  frühes 
Ende  derselben  durch,  wenn  auch  noch  so  leises,  Ein- 
greifen des  Erziehers.  Es  ist  der  alte  Widerspruch  der 
Lockeschen  Pädagogik:  »Hier  Naturfreund,  hier  Utilitarist!« 
nur  in  neuem  Gewände. 

12.  Ansichten  fiber  das  Verhältnis  von  Spiel  und  Unter- 
richt 

Dehnen  sich  so  auch  die  kindlichen  Spiele  lange  aus 

und  nehmen  sie  einen  großen  Teil  des  Knabenalters  in 

^)  Educ.  §  63.  —  0  Eduü.  §  95. 
FSd.Mag.320.    WelUr.  10 


—     146    — 

Anspruch,  füllen  sie  doch  nicht  die  ganze  Zeit  desselben 
aus;  denn  auf  der  anderen  Seite  macht  sich  auch  der 
Unterricht  mit  seinen  ernsten  Forderungen  geltend,  and 
so  mußten  Herbart,  Locke  und  Jean  Paul  ganz  von  selbst 
zu  Betrachtungen  über  das  Verhältnis  von  beiden  geführt 
werden,  über  ein  Verhältnis,  das  in  der  Qeechichte  der 
Pädagogik  bald  in  diesem,  bald  in  jenem  Sinn  beantwortet 
wurde,  indem  wie  bei  den  Philanthropisten  der  ganze 
Unterricht  schließlich  in  Spielerei  ausartete,  oder  wie  bei 
den  Pietisten  dem  Spiel  jede  Eonzession  verweigert  wurde, 
oder  indem  wie  bei  vielen  Pädagogen  ein  harmonischer 
Ausgleich  herbeigeführt  wurde,  so  daß  trotz  froher  and 
heiterer  Laune  einerseits  der  nötige  Ernst  auf  der  anderen 
Seite  nicht  fehlte.  Bei  der  Schwierigkeit  gerade  des  ersten 
Elementarunterrichtes,  bei  seiner  grundlegenden  Bedeutong^ 
für  das  spätere  Lernen  und  dem  verlockenden  Zauber  der 
Spiele  anderseits,  mußte  besonders  dieses  Verhältnis  zxk 
mancherlei  Versuchen  reizen,  so  daß  eine  rein  geschicht- 
liche Betrachtung  desselben  schon  an  und  für  sich  von 
nicht  geringem  psychologischen  und  methodischen  Werte 
ist.  Zum  Teil  spiegeln  sich  die  verschiedenen  Stand- 
punkte, welche  demselben  gegenüber  in  der  Geschichte 
der  Pädagogik  eingenommen  worden  sind,  auch  in  den 
Ansichten  der  drei  vorstehenden  Pädagogen  wider.  Jean 
Paul  äußert  sich  zwar  wenig  hierüber,  bringt  aber  doch 
seine  Meinung  scharf  zum  Ausdruck,  wenn  er  Freuden- 
und  Spielmeister  als  Vor-  und  Flügelmänner  der  Schal- 
meister fordert.^)  Spiele  haben  dem  eigentlichen  Dnter- 
richte  vorauszugehen,  Spiele  haben  denselben  zu  begleiten. 
Harmonische  Vereinigung  beider  und  gegenseitiger  Aus- 
gleich zwischen  Spiel  und  Unterricht  lautet  seine  Forde- 
rung. Beide  Gebiete  kennt  er  als  gleichberechtigte  Fak- 
toren an,  deren  jeder  seine  eigene,  nur  ihm  gehörende 
Domäne  besitzt,  so  daß  auch  beide  nicht  miteinander 
vermengt  und  verquickt  werden  können.    In  diesem  Sinne 


0  Levaoa  §  54. 


—     147     — 

erklärt  er  sich  gegen  die  Spielerei  und  Tändelei  der 
Pbilaothropisten  in  der  Schularbeit,  welche  den  nötigen 
Ernst  des  Unterrichtes  unterschätzt,  und  trug  durch  seine 
Pädagogik  nicht  unwesentlich  zur  Überwendung  einer 
falschen  Methode  bei.  Seine  ganze  Pädagogik  bestätigt 
die  Auffassung,  daß  er  trotz  der  Vorliebe  für  die  Spiele 
doch  auch  dem  Unterricht  den  nötigen  Ernst  gewahrt 
wissen  wollte,  daß  er  bei  aller  Liebe  und  Wärme  auf 
der  einen  Seite  des  nötigen  Ernstes  auf  der  andern  nicht 
vergaß.  —  Im  gleichen  Sinn  sucht  Herbart  den  Forde, 
rangen  der  kindlichen  Natur,  wie  sie  sich  in  den  Spielen 
äußern,  sowie  denen  des  Unterrichtes  gerecht  zu  werden. 
Beide,  Spiel  und  Unterricht,  sind  wohlberechtigt,  beide 
betreffen  verschiedene  Gebiete  mit  verschiedenem  Zweck, 
beiden  sind  bestimmte  Grenzen  gesteckt,  beide  haben  in 
wohltuende  Wechselwirkung  miteinander  zu  treten,  ohne 
jedoch  das  eine  in  das  andere  zu  übertragen.  Die  Spiele 
bilden  das  Feld  des  natürlichen  Frohsinns,  der  natürlichen 
Munterkeit,  der  Unterricht  das  Gebiet  ernster  Denk-  und 
Lerntätigkeit  Beide  in  ihrer  gegenseitigen  Ergänzung 
ergeben  erst  ein  wohlklingendes  Ganze;  nur  betont  Het' 
bort  den  Ernst  eines  geordneten  Unterrichtes  mehr  noch 
als  Jean  Patdj  da  ja  bei  ihm  der  erziehende  Unterricht 
mit  seinen  Zwecken  weitaus  im  Vordergründe  steht.  Auf 
keinen  Fall  aber  darf  derselbe  die  Zeit  der  Erholung  und 
der  Spiele  beeinträchtigen,  wie  umgekehrt  jene  nicht  den 
Ernst  und  die  Zeit  des  Unterrichtes.  Erstere  haben  viel- 
mehr als  notwendiges  Gegengewicht  zu  letzterem  hinzu- 
zutreten: »Bei  vorrückendem  Alter  nimmt  ein  immer 
größerer  Teil  der  Beschäftigungen  die  Form  des  Unter- 
richtes und  der  davon  ausgehenden  Übungen  an,  alsdann 
darf  das  nötige  Gegengewicht  der  Erholung  nicht  ver- 
naclüässigt  werden.«  ^)  Die  Eörperbildung,  der  vor  allem 
auch  die  Spiele  dienen,  darf  keineswegs  hintangesetzt 
werden:    »Dem  erziehenden  Unterricht  liegt  alles  an  der 


1)  Umri£  p&d.  Vorl.  §  47. 

10* 


—     148     — 

geistigen  Tätigkeit,  die  er  veranlaßt.  Diese  soll  er  ver- 
mehren, nicht  vermindern,  veredeln,  nicht  verschlechtem. 
Verminderung  aber  entsteht,  wenn  unter  vielem  LerDeD, 
Sitzen,  besonders  unter  dem  oft  unnützen  Schreiben  in 
allerlei  Schulbüchern  die  Eörperbildung  in  solcher  Art 
leidet,  daß  früher  oder  später  Nachteile  für  die  Gesund- 
heit erfolgen.  Daher  neuerlich  eine  Begünstigung  gym- 
nastischer Übungen,  bei  denen  aber  die  Heftigkeit  der 
Bewegungen  kann  übertrieben  werden.«^)  Sich  gegen 
jede  überbürdung  erklärend,  macht  Herbari  mit  Röck- 
sicht auf  die  Gesundheit  des  Zöglings  Forderungen  geltend, 
welche  die  Neuzeit  durch  das  dringende  Verlangen  nacdi 
Spielplätzen  sich  noch  mehr  zu  Gemüte  gezogen  hat:  »Der 
Unterricht  darf  überhaupt  nicht  mehr  Zeit  verlangen,  als 
wieviel  mit  der  Bedingung  bestehen  kann,  daß  der  Jugend 
ihre  natürliche  Munterkeit  erhalten  bleibe. .  . .  Dringend 
notwendig  ist  jeder  Schule  nicht  bloß  ein  Lokal  mit  ge- 
räumigen Lehrzimmern,  sondern  auch  ein  freier  Platz  znr 
Erholung,  dringend  notwendig,  daß  nach  jeder  Lehrstunde 
eine  Pause,  nach  den  ersten  zwei  Erlaubnis  zur  Be- 
wegung im  Freien  und  nach  der  dritten,  falls  noch  eine 
vierte  folgen  soll,  wiederum  dieselbe  Erlaubnis  erteilt 
werde.  Noch  dringender  ist,  daß  der  Schüler  nicht  durch 
aufgegebene  Hausarbeiten  um  die  nötige  Erholungszeit 
gebracht  werde.«  ^)  Begünstigt  so  Herbart  den  natür- 
lichen Frohsinn  der  Kinder,  so  steckt  er  ihm  anderseits 
seine  Grenzen  durch  die  Beschäftigungen  der  Regierung 
und  des  Unterrichtes:  »Schickliches  Betragen  verlangt 
die  Zucht;  natürlichen  Frohsinn  begünstigt  sie;  beides 
inwiefern  es  sich  mit  den  Beschäftigungen,  die  von  der 
Regierung  und  dem  Unterrichte  ausgehen,  vereinigen 
läßt.  Immer  soll  der  Zögling  den  Gegenstand,  womit  er 
beschäftigt  ist,  im  Auge  behalten.  Es  wäre  schlimm, 
wenn  ein  Bestreben,  sich  zu  produzieren,  oder  sich  zu 
belustigen,  das  Übergewicht  bekäme  und  die  Arbeit  ver- 


>)  Umriß  päd.  Vorl.  §  59.  —  ')  Umriß  päd.  Vorl.  §  132. 


—     149     — 

gessen  machte.«  ^)  Der  Unterricht  soll  durchaus  ernste 
Arbeit  sein  und  als  solche  auch  vom  Zöglinge  empfunden 
werden.  Deshalb  wendet  er  sich  gegen  das  Verfahren 
älterer  Methodiker,  den  Kindern  alles  spielend  und  tändelnd 
beibringen  zu  wollen,  erklärt  er  sich  gegen  das  Versüßen 
durch  allerlei  Unterhaltendes  und  Spielendes  und  sucht 
demgegenüber  auf  bleibendes  und  wachsendes  Interesse 
zu  dringen;  »denn  betrachtet  man  so  den  Zweck  als  ein 
notwendiges  Übel  und  das  Versüßen  als  das  Mittel,  um 
jenes  erträglich  zu  machen,  so  sind  alle  Begriffe  in  Ver- 
wirrung, und  bei  schlaffer  Beschäftigung  erfährt  die  Jugend 
nicht,  was  sie  vermag.c  ^)  Wenn  so  Spiel  und  Unter- 
richt auch  zwei  völlig  yerschiedene  Dinge  sind  und  das 
spielende  Verfahren  aus  dem  Unterrichte  auszuschließen 
ist,  kann  es  ihm  doch  in  besonderen  Fällen  gewisse 
Dienste  leisten  und  zwar  als  Palliativmittel  beim  Unter- 
richte junger  Kinder  und  bei  den  ersten  Anfangen,  wie 
dee  Griechischlernens  und  der  Buchstabenrechnung.  Ja, 
Herbart  hält  es  hier,  sowie  in  allen  den  Fällen,  wo  etwas 
nicht  schwer  ist,  aber  schwer  erscheint,  geradezu  für 
nötig,  um  den  Schüler  durch  ein  gewandtes  und  heiteres, 
fast  spielendes  Vorzeigen  dessen,  was  er  nachahmen  soU, 
in  Gang  zu  bringen,  während  hier  unnütze  Umständlich- 
keit und  Schwerfälligkeit  schon  durch  die  Langeweile,  die 
sie  erzeugt,  auch  das  Leichteste  mißraten  machte.^  Her- 
bort  entscheidet  sich  von  Fall  zu  Fall,  und  so  schädliob 
und  tadelhaft  ihm  auch  ein  durchgehendes  tändelndes 
Benehmen  erscheint,  wenn  es  einen  ernsten  und  gründ- 
lichen Unterricht  verdrängt,  benutzt  er  das  Spiel  doch, 
wo  es  gilt,  den  Zögling  nicht  zurückzuschrecken,  wo 
Gefahr  bei  demselben  droht,  die  Lust  zu  verlieren,  wo 
es  darauf  ankommt,  das  Gefühl  dessen,  was  er  vermag,  in 
ihm  zu  wecken.  Einen  zweiten  Dienst  bietet  dasselbe 
dem  Unterricht  noch  an  als  Ausgangs-  und  Anknüpfungs- 


')  Umriß  päd.  Vorl.  §  137.   —    •)  Umriß  p&d.  VorL  §  99.  — 
*)  Umriß  päd.  Vorl.  §  99. 


—     150    — 

punkt  für  dessen  Zweck;  denn  hier  liegen  reiche  appep- 
zipierende  Vorstellungen  bereit,^)  an  welche  jener  oidit 
nur  anschließen,  sondern  auf  denen  er  ancfa  weiter  auf- 
bauen kann.  So  können  Einderspiele,  welche  anf  Ardii- 
tektonik  hindeuten,  den  ersten  Anlaß  geben  su  Übungoo 
im  Messen  von  Linien,  Winkeln,  Kreissektoren  und  älm- 
liches,  kann  die  Zoologie  anschließen  an  das  kindliche 
Bilderbuch,  die  Botanik  an  selbstgesammelte  Pflansen.^ 
—  Stehen  auf  diese  Weise  die  Spiele  bei  Herbart  immer 
nur  am  Eingangstor  des  Unterrichts,  ohne  den  eigent» 
liehen  Boden  desselben  selbst  mit  zu  betreten  —  mid  sei 
es  auch  nur  in  der  Form  einer  methodischen  Fonktioo  — 
so  greifen  dieselben  weit  mehr  in  den  ünterridit 
bei  Locke,  Nicht  nur,  daß  er  die  Kinder  spieteweii 
zum  Lernen  herbeilocken  will,  mit  seiner  GeringBchStzuog 
eines  geordneten  Unterrichtes  hftngt  es  zusammen,  daS 
bei  ihm  das  Spiel  selbst  Unterrichtsmittel  wird,  indem 
alles  Lernen  in  Spiel  verwandelt  wird,  und  er  verBäumt 
hierbei  nicht,  an  einzelnen  praktischen  Beispielen  sein 
allerdings  geistloses  und  mechanisches  Verfahren  zu  er- 
läutern. Ausgehend  Yon  seiner  an  sich  wahren 
hauptung,  daß  aller  Zwang  dem  Kinde  yerhaßt  sei, 
langt  er,  demselben  Lust  und  Neigung  zu  dem  einzu- 
flößen, was  es  tun  solle,  ihm  dadurch  unangenehme  Be- 
schäftigungen in  angenehme  zu  verwandeln  und  ihm  mit 
spielender  Leichtigkeit  Kenntnisse  beizubringen.*)    Loehe 


')  ÜmriB  päd.  Vorl.  §  254.  ->  *)  umriß  päd.  YorL  §  209. 

')  »Kinder  lieben  Verändernng  und  Freiheit.  Aus  diesem  Omnde 
sollte  man  ihnen  ihr  Buch,  oder  was  de  lernen  sollen,  sei  eo,  was 
«s  wolle,  nie  zum  Geschäfte  macheo.  Eltern,  Ersieher  und  Lehrer 
▼ergeesen  dies  zu  leicht  Ihre  Ungeduld,  die  Kinder  bei  demjenigeo, 
was  sie  ihnen  zu  tun  geben,  recht  eifrig  beschäftigt  zo  sebeo,  g»- 
atatttet  ihnen  nicht,  sie  spielsweise  dazu  zu  locken.  Die  Kiodar 
anterscheiden  an  dem  wiederholten  Einschärfen  sehr  bald,  ob  Bsaa 
ihnen  etwas  als  Pflicht  auflegt  oder  nicht.«  Educ.  §  128.  —  »Bin 
Kind  lernt  dreimal  soviel,  wenn  es  zur  Sache  gestimmt  ist,  hingegen 
braodit  es  doppelt  soviel  Zeit  und  Mflhe,  wenn  es  Yerstimmt  daran 
geht,  oder  sich  wider  Willen  dazu  hinschleppen  lassen  moA.    W4 


—     161     — 

^eht  indes  noch  weiter;  er  glaubt,  überhaupt  jeden  Unter- 
schied zwischen  Lernen  und  Spielen  aufheben  zu  können, 
glaubt,  es  dahin  bringen  zu  können,  daß  Spiel  und  Lernen 
eine  ununterbrochene  Kette  Yon  Erholung  bilden:  »Wenn 
man  nur  gehörig  mit  ihnen  verführe,  so  könnte  man 
ihnen  ebensowohl  jede  zu  lernende  Sache  zur  Erholung 
vom  Spiel  machen,  als  gewöhnlich  das  Spiel  ihre  Erholung 
vom  Lernen  ist  Statt  sie  zum  Lernen  zu  rufen,  bringt 
sie  dahin,  daß  sie  den  Erzieher  selbst  bitten,  sie  etwas 
zu  lehren,  sowie  sie  oft  ihresgleichen  bitten,  mit  ihnen 
zu  spielen;«  ^)  und  hierbei  hat  sich  der  ganze  Unterricht»* 
betrieb  selbst  in  ein  Spiel  aufzulösen:  »Ich  habe  mich 
immer  mit  dem  Gedanken  getragen,  daß  man  das  Lernen 
den  Kindern  mehr  wohl  zum  Spiel  und  zur  Erholung 
machen  und  es  dahin  bringen  könne,  daß  sie  wünscbeiii 
unterrichtet  zu  werden,  wenn  man  es  ihnen  als  eiM 
Sache  vorstelle,  die  ihnen  Achtung,  Wohlwollen,  Yer» 
gnügen,  Erholung  verschaffe,  oder  als  eine  Belohnung  föt 
sonst  ein  Geschäft  und  wenn  sie  für  eine  Nachlässigkeit 
hierin  niemals  gescholten  oder  getadelt  würden,  c  *)     »Ist 

man  aber  das  gehörig  bed&chte,  so  würde  man  deo  Kindern  erlanbeo, 
sich  satt  ond  müde  sa  spielen,  and  es  würde  ihnen  noch  Zeit  genog 
übrig  bleiben,  za  lernen,  was  der  jedesmaligen  Fassungskraft  thrst 
Alters  angemessen  ist«  Edac.  §  74.  Vgl.  daza  StuM^  Trapp^  Cam^ 
Besewitx:  »Aach  dies  wiU  cum  grano  salis  verstanden  werden;  denn 
1.  werden  die  Kinder  zwar  wohl  eines  Spieles,  aber  nicht  des  Spieleos 
«überhaupt  matt  und  müde,  wenn  der  Spielenden  anders  eine  kiiH 
längliche  Anzahl  ist  und  sie  Gelegenheit  haben,  mit  mehreren  Spielen 
abzuwechseln;  2.  gehen  sie  daram  nicht  immer  von  selbst  an  die 
Arbeit,  wenn  sie  gleich  des  Spielens  müde  sind.  Sollen  sie  es  tnn, 
so  müssen  sie  dazu  gerufen  werden,  oder  sie  müssen  es  schon  g»> 
wohnt  sein,  auf  den  Olockenschlae  die  Arbeit  anzufangen.«  —  Bevi- 
sionswerk  Bd.  IX,  f  74. 

0  Educ  §  74.  Vergleiche  dam  Shtve  und  Trapp:  »Aach  dies 
ist  gewissen  Einschränkungen  unterworfen.  Nur  selten  werden  alle 
Umstände,  z.  B.  die  Talente,  der  Charakter  und  die  bisherige  Ge- 
wöhnung des  Kindes,  die  Einrichtungen  des  väterlichen  Hauses  und 
dergleichen  so  günstig  sein,  daß  man  gar  keinen  Unterschied  zwischen 
JSpiel  und  Lernen  zu  maehen  brauche.«  —  Bevisionswerk  Bd.  IX,  §  74^ 

•)  Educ.  §  145. 


—     152     — 

einmal  die  Oemütsart  des  Kindes  aasfindig  gemacht,  so 
ist  es  wohl  möglich,  in  der  Seele  desselben  Oedanken- 
entstehen  zu  lassen,  die  von  selbst  Liebe  zum  Lernen  bei 
ihm  hervorbringen,  die  bewirken,  daß  es  ebenso  nach  dem 
Buche  verlange  als  nach  jedem  anderen  Spiel  und  Zeit- 
vertreib.« ^)  Nur  eins  hat  der  Erzieher  hier  zu  bedenken^ 
ihm  das  Lernen  niemals  als  Tagewerk,  oder  Bosch  werde, 
oder  als  ein  Geschäft  aufzuerlegen:  >Man  sollte  Kindern 
nichts  auferlegen,  das  wie  ein  ernsthaftes  Geschäft  aus- 
sieht, weder  ihre  Seele,  noch  ihr  Körper  kann  das  er- 
tragen. Ihre  Gesundheit  leidet  darunter,  und  ich  bin 
gewiß,  die  unglückliche  Gewohnheit,  die  Kinder  an  ihre 
Bücher  zu  fesseln  in  einem  Alter,  das  allen  Zwang  haSt, 
ist  die  Ursache  gewesen,  die  ihnen  vielen  nachher  auf 
Lebenszeit  einen  unauslöschlichen  Haß  gegen  alle  Bücher 
und  alles  Lernen  gegeben  hat.«  ^)  Aus  diesem  Grunde 
empfiehlt  Locke^  Spielsachen  für  das  Lernen  zu  erfinden, 
die  wenigstens  einen  Zweck  hätten,  sowie  sie  gewöhnlich 
zu  keinem  da  sind;^)  und  er  selbst  macht  diesbezügliche 
Vorschläge,  empfiehlt  Würfel  und  anderes  Spielzeug,  mit 
Buchstaben  bezeichnet,  um  den  Kindern  spielend  das 
Alphabet  zu  lernen,^)  um  ihnen  durch  Täuschung  die 
Kenntnis  der  Buchstaben  und  das  Lesen  beizubringen, 
ohne  daß  sie  dasselbe  für  etwas  anderes  als  einen  Zeit- 
vertreib ansehen  und  so  spielend  dahin  kommen,  wohin 
andere  gepeitscht  werden  müssen.  ^)  Doch  beim  Vorschlag 
bleibt  es  nicht,  für  das  Lesen  baut  er  selbst  eine  eigene 
Methode  aus.  Er  konstruiert  einen  elfenbeinernen  Würfel 
von  32  oder  24  Seiten,  bezeichnet  jede  mit  einem  Buch- 
staben und  läßt  nun  in  Gegenwart  des  Kindes  von  Er- 
wachsenen das  Würfelspiel  ausführen,  an  dem  dasselbe 
als  besondere  Gunstbezeigung  dann  und  wann  auch  ein- 
mal teilnehmen  darf.  So  werden  Buchstaben,  so  Silben 
gelernt,  so  wird  mit  demselben  Würfel  eine  Art  Lotterie- 


*)  Educ.  §  148.  —  »)  Educ.  §  149.  —  •)  Edac.  §  150. 
*)  Educ.  §  128.  —  »)  Educ.  §  129. 


—     153     — 

spiel  getrieben,  werden  Nüsse  und  Äpfel  als  Gewinste 
aasgesetzt,  und  so  glaubt  er,  daß  jeder,  der  sich  für  diese 
Methode  interessiere,  leicht  noch  zwanzig  andere  Spiele 
zum  Erlernen  des  Lesens  erfinden  werden  könne.  ^)  Da- 
bei ist  er  Yon  der  Güte  seiner  Methode  derart  überzeugt, 
daß  er  alle  Mißerfolge,  wenn  der  Tätigkeitstrieb  des  Kindes 
Dicht  von  selbst  auf  nützliche  Sachen  gelenkt  werde,  ledig- 
lich der  Schuld  der  Erwachsenen  zuschreibt:  »Ich  habe 
gesehen,  daß  kleine  Mädchen  ganze  Stunden  lang  mit 
vieler  Mühe  sich  darauf  übten,  Fangstein  zu  spielen.  Ich 
dachte,  indem  ich  das  sähe,  es  brauchte  nur  einer  guten 
Erfindung,  um  sie  dahin  zu  bringen,  daß  sie  dieselbe 
Geschäftigkeit  auf  etwas  anderes  verwendeten,  das  ihnen 
nützlicher  wäre,  und  mich  dünkt,  die  Schuld  liegt  bloß 
in  der  Nachlässigkeit  der  Erwachsenen,  daß  es  nicht  so 
ist  Die  Kinder  verstehen  die  Kunst,  müßig  zu  sein,  bei 
weitem  nicht  so  gut  als  die  Erwachsenen,  und  auf  diese 
fällt  der  Tadel,  wenn  nicht  wenigstens  ein  Teil  jener  Ge- 
schäftigkeit auf  nützliche  Dinge  gelenkt  werde,  welche 
man  den  Kindern  meistenteils  ebenso  angenehm  machen 
könnte  als  die,  welche  sie  selbst  wählen,  wofern  die  Er- 
wachsenen nur  halb  so  geneigt  wären,  sie  auf  den  Weg 
zu  bringen,  als  diese  kleinen  Affen  sein  würden,  ihnen 
zu  folgen.«')  Beim  Unterricht  ist  jeder  Zwang  verpönt, 
nur  beim  Spiel  ist  derselbe  erlaubt  Jener  wird  ver- 
wandelt in  ein  Spiel,  dieses  erniedrigt  zum  Geschäft,  so 
daß  eine  tatsächliche  Umkehr  der  natürlichen  Verhältnisse 
stattfindet 

Kapitel  Y:   Übereinstimmende  nnd  sieh  nnter- 
seheidende  Punkte  In  den  Ansichten  Loches,  Jean 
Pauls  nnd  Herbarts  Aber  Kinderspiele:  eine  rer- 

glelchende  Zusammenstellung. 

Mit  diesem  Punkte  sind  aber  zugleich  die  Ansichten 
der  drei  Pädagogen  über  Einderspiele  erschöpft,  die  in 

>)  Edac.  g§  150,  151,  153  ood  154.  —  *)  Educ.  §  152. 


—     154     — 

ihrer  Gesamtheit  betrachtet,  manche  Beröhranisspiuikto 
zeigen,  mehr  aber  noch  voneinander  abweichende  Difl»* 
renzen  erkennen  lassen.  Ein  zasammenfiwsender  Über- 
blick zeigt  ein  völliges  Zusammengehen  der  in  Enge 
kommenden  Autoren^  obgleich  Herbart  auch  hier  sich 
wenig  ausführlich  äußert,  nur  in  ihren  Ansprüchen  aa 
die  Spielsachen,  nämlich  in  der  Forderung  der  EinfMh- 
heit,  Zweckmäßigkeit  und  in  Bezug  aof  die  Selbsttätigkeit 
und  Sparsamkeit  hinsichtlich  der  dargebotenen  Menge;  m 
der  AnerkennuDg  der  Bedeutung  der  Spiele  für  das  Br» 
forschen  der  kindlichen  Individualität,  in  der  Beurteüimg 
des  inneren  Wesens  derselben  als  einer  Natumotwesdig^ 
keit,  als  des  Ausflusses  des  sich  regenden  Tätigkeitstriebsei 
der  in  der  kindlichen  Phantasie  seinen  eigentlichen  Nihv- 
boden  findet;  wiewohl  dieser  Punkt  bei  Jean  PatU  be* 
sonders  scharf  betont  wird,  sowie  in  der  Charakterisieraag 
der  äußeren  Form  der  Spiele,  welche  besteht  in  leichtoelca 
Flügelkleidern,  und  Freiheit,  Zwanglosigkeit,  Mannigfaltig* 
keit  und  Veränderlichkeit  zu  ihren  charakteristiscbeD  Meifc* 
malen  zählt  Doch  schon  hier  treten  abweichende  unter» 
schiede  auf.  Nicht  nur,  daß  Jean  Paul  seine  Forderangea 
hinsichtlich  der  Spielsachen  an  einzelnen  deraeibes 
detailliert,  psychologisch  und  ästhetisch  begründet  uad 
dementsprechend  praktische  Anweisungen  für  die  wicb» 
tigsten  von  ihnen  gibt,  Herbart  zu  den  gemeinsamoB 
Forderungen  im  Interesse  eines  flüssigen  Vorstdlnng»» 
lebens  die  der  Beweglichkeit  der  Spielsachen  hinznfOg^ 
Locke  dem  Prinzip  der  Selbsttätigkeit  zuliebe  durch  4im 
Forderung  des  fast  ausschließlichen  Selbstanfertigens  einen 
Schritt  über  beide  hinausgeht,  auch  die  Begründung  ihrer 
Postnlate  ist  eine  verschiedene.  Während  Jean  Paul 
ethische,  psychologische  und  ästhetische,  Herbari  ethiscbe 
und  psychologische  Gesichtspunkte  geltend  machen,  sind 
dieselben  bei  Lfocke  mehr  ökonomischer  und  praktischer 
Natur.  Ebensowenig  fallen  ihre  Anschauungen  hinsicht- 
lich des  Wesens  der  Spiele  restlos  zusammen.  Trotz  der 
Übereinstimmung  in  der  Beurteilung  desselben  an  sieb. 


f  V 


—     166     — 

ist  doch  der  Begriff  dee  Spiels  nach  seinem  UmCange, 
sowie  zum  Teil  auch  nach  seinem  Inhalte  bei  ihnen  ein 
gnindrerschiedener.  Faßt  Jeofii  Paul  denselben  im  weite- 
sten Sinne  auf,  indem  er  das  ganze  erste  Tun  und  Treiben 
des  Kindes  als  Spiel  ansieht,  stecken  ihm  Herbart  und 
Locke  bedeutend  engere  Grenzen  durch  eine  scharis 
Unterscheidung  zwischen  Spiel  und  ernster  Tätigkeit,  unter 
welcher  jener  die  eigentlichen  Denk-  und  Lemübungen, 
dieser  überhaupt  die  aufs  Nützliche  gerichteten  Bescbfifti> 
gungen  erblickt,  wobei  sie  gleichzeitig  beide  Seiten  der 
kiDdlichen  Tätigkeit  streng  voneinander  ausschliefien.  Da- 
mit verrückt  sich  bei  ihnen  aber  auch  der  Inhalt  des 
Begriffes,  indem  an  dessen  Gtehalt  ein  verschiedener  MaB- 
Stab  der  Wertbeurteilung  angelegt  wird.  Bei  seinem 
weitesten  Begriff  der  Spiele  besteht  für  Jean  Paul  des 
wahre  innere  Wesen  derselben  in  durchaus  nur  ernster 
Tätigkeit.  Dieselben  sind  in  der  Hauptsache  der  ver- 
arbeitete Überschuß  geistiger,  wie  leiblicher  Kräfte,  anter 
denen  die  Phantasie  weitaus  die  erste  Stelle  einnimn^ 
Damit  fidlen  bei  ihm  die  Spiele  unter  den  Begriff  des  ge- 
haltvollsten Tuns,  im  weitesten  Sinne  unter  den  der  Kraft, 
so  daß  sich  für  seine  Auffassung  das  Schlagwort  prägen 
ließe:  »Spiele  sind  Kraft«.  lo  einem  gewissen  GF^geoanls 
hierzu  ist  bei  Herbari  die  Phantasie  nur  roher  Stoff,  wel- 
cher der  Bearbeitung  harrt,  bloße  Äußerung  geistigen  Da- 
seins, zwar  nicht  zu  verachtender  Beichtum,  weicher  aber 
gegen  die  eigentlichen  Denkfunktionen  weitaus  in  dea 
Hintergrund  tritt.  Sein  Begriff  der  Spiele  ffillt  i^eiobaam 
unter  den  einer  bloßen  indifferenten  Natnräußerua^ 
welche  zwar  an  sich  mit  Freuden  zu  begrüßen  ist,  ihre 
eigentliche  Güte  aber  doch  erst  erhält  durch  den  Oebrauob, 
der  von  ihr  gemacht  wird.  Spiele  sind  nicht  wie  bei 
Jean  Paul  Selbstzweck,  sondern  nur  Mittel  zum  Zweck, 
und  vollends  zwecklos  werden  sie  für  Locke  ^  der  ihnen 
gegenüber  einen  Januskopf  annimmt.  Indem  er  ihr 
Wesen  an  sich  und  die  äußere  Form  derselben  TOia 
Standpunkte  des  Naturverehr^rs  aus  beurteilt  als  Antfloft 


—     156     — 

des  Tätigkeitstriebes,  als  Naturnotwendigkeit  in  der  Qe- 
stalt  zwangloser,  freier,  mannigfaltigster  und  veränder- 
lichster Äußerung,  stimmt  er  mit  Jean  Paul  und  Herbart 
überein;  indem  er  ihren  Begriff  verengert  zu  Ounsten 
anderer  Tätigkeiten,  trennt  er  sich  von  Jean  Paul  und 
stellt  sich  mit  Herbart  auf  gleiche  Stufe;  indem  er  aber 
an  den  Inhalt  derselben  vom  Standpunkte  des  ütilitaristen 
und  Erwachsenen  aus  den  Maßstab  des  Praktisch-Nützlichen 
anlegt,  entfernt  er  sich  von  beiden,  sieht  die  Spiele  gleich- 
sam als  inhaltsleer  an.  Sie  sind  nicht  ernste  Tätigkeit, 
auch  kein  an  sich  wertvolles,  zwar  nur  rohes  Material, 
sondern  sie  sind  Fehler  des  jugendlichen  Alters.  Nur 
nützliche  Beschäftigungen  fallen  unter  den  Begriff  ernsten, 
gehaltvollen  Tuns,  die  Spiele  lediglich  unter  den  der  Er- 
holung, und  da  auch  diese  besser  durch  erstere  ersetzt 
würden,  sogar  unter  den  des  Zwecklosen,  der  bloßen  Zeit- 
vergeudung. Das  Produkt  eines  an  sich  berechtigen 
Natur-,  nämlich  Tätigkeitstriebes,  wird  zum  sinn-  und 
werüosen  Wesen.  Aus  der  verschiedenen  Beurteilung 
ihres  Inhaltes  resultiert  eine  ebenso  verschiedene  päda- 
gogische Wertschätzung.  Mißt  ihnen  Jean  Paul  eine 
universelle  Bedeutung  bei  für  die  Ausgestaltung  des  indi- 
viduellen Idealmenschen,  kennen  Herbart  und  Locke  nur 
spezielle  Zwecke.  Für  ersteren  besteht  der  Hauptgewinn 
derselben  in  dem  geistigen  Erwerbe,  in  der  harmonischen 
Ausbildung  und  Entfaltung  der  gesamten  Geisteskräfte, 
zu  deren  vollen  Entwicklung  er  den  Grund  in  den  kind- 
lichen Spielen  gelegt  wissen  will.  Wie  er  in  den  Kindern 
die  Hebelarme  der  Zukunft  erblickt,  so  in  den  Spielen 
die  Hebelarme  des  späteren  geistigen  Besitzes.  Herbart 
würdigt  ihren  ethischen  und  sozialen  Wert  für  die  Aus- 
bildung der  sittlichen  Ideen  und  gesellschafüichen  Tugen- 
den, ihre  Heiterkeit  erregende  Wirkung,  einzelne  intel- 
lektuelle Vorteile  für  den  ersten  Erwerb  geistigen  Besitzes 
und  für  das  Erlangen  eines  mannigfaltigen  und  reichen 
Yorstellungswechsels,  ihre  Bedeutung  für  das  Erforschen 
der  kindlichen  Individualität  und  der  verschiedenen  Tempe- 


—     157     — 

ramente,  sowie  ihren  Beitrag  zur  Gewinnung  einer  kräf- 
tigen Natur.  Indem  er  aber  überall  an  sie  den  Maßstab 
seines  wohlgeordneten  und  geregelten  erzieherischen  Unter- 
richtes anlegt^  ordnet  er  sie  allenthalben  den  eigentlich  er- 
zieherischen Zwecken  und  Maßnahmen  unter  und  gelangt 
nicht  selten  zu  einer  leisen  ünterschätzung  derselben. 
Noch  mehr  schrumpft  ihre  Bedeutung  bei  Locke  zusammen. 
Die  günstige  Gelegenheit,  welche  sie  bieten,  um  die  Eigen- 
art des  Zöglings  studieren  zu  können,  ihre  physische  Be- 
deutung als  Abhärtungsmittel  und  ihr  Gewinn  für  die 
daraus  entspringenden  männlichen  Tugenden,  ihr  Beitrag 
zum  Befriedigen  der  kindlichen  Wißbegierde  und  Ver- 
stopfen der  Achtlosigkeit,  selbst  bei  EonstitutionsfehlerD, 
sind  die  einzigen  wertvollen  Seiten,  welche  er  ihnen  ab- 
zugewinnen vermag.  Der  praktisch  gesinnte  'Weltmann 
und  engherzige  ütilitarist  hat  von  der  Poesie  des  Spiels 
und  seinem  geistigen  Gehalte  nichts  empfunden,  und  da- 
her ist  ihm  sein  eigentlich  erzieherischer  Wert  gleich  Null. 
Entsprechend  dieser  Wertschätzung  ist  auch  die  Stellung, 
welche  jeder  der  drei  Pädagogen  dem  Erzieher  den  Spielen 
gegenüber  anweist,  grundverschieden.  Wird  dieselbe  bei 
Jean  Paul  und  Herbart  bedingt  durch  ihre  Ansichten 
vom  Wesen  und  Zweck  der  Spiele,  so  bei  Locke  aus- 
schließlich durch  seine  Wertschätzung  derselben.  Zweck 
und  Wesen  der  Spiele  schließen  bei  Jean  Paul  eine  ein- 
seitige Auswahl  derselben,  sowie  eine  gesetzgeberische 
Tätigkeit  des  Erziehers  aus  und  gestatten  ihm  nur  ein 
objektiv  beobachtendes  Verhalten.  Mit  skeptischem  Auge 
begegnet  auch  Herbart  jeder  Gesellschaft  des  Erziehers; 
möglichste  Freiheit  ist  auch  sein  Losungswort  Bei  seinem 
Begriff  der  Spiele  ist  aber  das  zu  gewährende  Maß  der- 
selben immer  nur  ein  bedingtes,  abhängig  von  gewissen 
Voraussetzungen  und  hinzutretenden  Ergänzungen.  Die 
Phantasie  bedarf  der  Leitung  und  eines  Gegengewichtes 
durch  Weckung  der  Denkkrait,  zu  den  Spielen  haben 
Denk-  und  Anschauungsübungen  hinzuzutreten.  Eingrififo 
in  der  Form   von  Nachhilfe  sind  notwendig,  um  Regel- 


—     168    — 

lofiigkeit  und  Langeweile  vonabeugen,  eine  gewisse  Hut 
seitens  der  Mütter  und  Erzieher  ist  geboten^  um  Streit 
zu  verhüten  und  um  den  natürlichen  Neigungen,  die  nicdit 
von  selbst  sittlich  sind,  die  rechte  Richtung  zu  geben; 
denn  nicht  jede  Selbsttätigkeit  ist  wünschenswert,  sondeni 
nur  die  am  rechten  Platze.  In  der  Forderung  mögüch- 
ster  Freiheit  und  Oneingeschränkth^t  stimmt  mit  den  An* 
sichten  beider  überein  die  Anschauungsweise  des  Nator- 
verehrers  Locke  ^  nur  daß  sie  dem  Betriebe  der  Spide 
gewisse  Grenzen  steckt  durch  Umgebung,  geseUschaftUche 
Eonvenienz,  schickliches  und  wohlanständiges  Betrageo» 
In  schroffen  Widerspruch  zu  dieser  Auffassung  setzt  sich 
die  des  Utilitaristen  Idocke^  die  zu  einer  Emiedrigung  des 
Spiels  zum  Oeschäft  und  methodischen  Kunstgriff  führte 
im  Interesse  nützlicher  Beschäftigungen,  des  Lmiens  und 
Oberwindens  von  Trägheit  den  stärksten  Zwang  beim 
indirekten  Verfahren  ausübt.  In  Übereinstimmung  mit 
seiner  Ansicht  vom  Werte  der  Spiele,  aber  im  Widersinnch 
zu  seiner  Auffassung  vom  Wesen  derselben,  will  er  eine  Ab- 
neigung gegen  einen  Grundtrieb  der  Seele  in  einen 
anderen  Qrundtrieb  derselben  Seele  einpflanzen.  Ver- 
langt daher  Jea^i  Paul  auch  hinsichtlich  des  Spielbetriebes 
im  ganzen  völlige  Freiheit  und  Uneingeschränktheit,  er- 
klärt er  sich  gegen  jeden  Kanon  und  jede  Ordnung,  nur 
daß  die  unbedingt  erforderlichen  hygienischen  Rücksichten 
genommen  werden;  beansprucht  Herbart  zu  Gunsten 
ernster  Pflichterfüllung  nur  eine  gewisse  Regelung  durch 
Abwechslung  von  Einsamkeit  und  Geselligkeit,  unterwirft 
Ijocke  denselben  durchgehender  Ordnung  und  Leitung, 
um  der  Quintessenz  seiner  Untersuchungen,  dem  Ent- 
stehen nützlicher  Eigenschaften,  zum  Siege  zu  verhelfen. 
Schulter  an  Schulter  aber  kämpfen  alle  drei  gßgen  die 
geistige  und  sittliche  Gefahren  in  sich  beigende,  falsche 
Art  des  Spielbetriebes,  das  Kind  mit  Genüssen  zu  über- 
laden und  zu  überschütten  und  fordern  einmütig  im 
Interesse  der  Ausbildung  wertvoller  Charaktereigenschaften 
die  rechte  Sparsamkeit  und  Mäßigkeit   Dem  bald  weiter, 


—     169     — 

bald  enger  gefaßten  Zweck  der  Spiele  entsprechend,  er- 
heben jene  aber  aach  verschiedene  Ansprüche  an  die 
Aaswahl  der  Spielgenossen.  Bedingt  sind  dieselben  bei 
Jean  Paul  und  Herhcxri  dnrch  den  Zweck  der  Spiele  mit 
Rücksicht  auf  das  spätere  Leben,  nur  daß  bei  letzterem 
noch  die  besondere  Rücksichtnahme  auf  die  Charakter- 
bildung hinzutritt.  Soziale  Standesunterschiede  und  ge- 
sellschaftliche Interessen  bestimmen  dieselben  bei  Locke. 
Legen  daher  die  beiden  ersten  großes  Gewicht  auf  die 
geselligen  Verhältnisse  des  Zöglings  überhaupt  und  er- 
blicken in  ihnen  eine  Schule  für  das  spätere  Leben,  fordert 
deshalb  Jean  Paul  eine  möglichst  bunte  Mannigfaltigkeit 
der  Spielgenossen  nach  verschiedenen  Individualitäten, 
Ständen  und  Altersstufen,  Herbart  gleichfalls  einen  nicht 
zu  ängstlich  gewählten  Umgang,  nur  mit  der  Einschränkung 
einer  gewissen  Charakterfestigkeit  seitens  der  Mitspielen- 
den, um  über  die  wahren  Verhältnisse  des  Lebens  nicdit 
hinweg  zu  täuschen,  hält  Locke  seinen  aristokratischen 
Zögling  von  der  Berührung  mit  gesellschaftlich  tiefer- 
stehenden Spielgenossen  fem  und  gönnt  ihm  nur  den 
Verkehr  unter  den  Gleichgesinnten  seines  Standes.  Weiter 
noch  entfernen  sich  ihre  Ansichten  in  den  übrigen  Punkten, 
die  sie  in  ihren  Abhandlungen  berühren.  Während  Jeath 
Paul  die  Spiele  einteilt  nach  ihrem  innersten  Wesen  und 
nach  der  jeweiligen  psychischen  Individualität  des  Kindes 
in  solche  passiv  aufnehmender  Kraft,  deren  regulierendes 
Prinzip  die  eindringende  Außenwelt,  deren  Charakteristikum 
der  Nachahmungstrieb  und  deren  Zeit  der  Vorherrschaft 
der  erste  Ijobensmorgen  bildet;  in  solche  aktiv  gestaltender 
Kraft,  deren  regulierendes  Prinzip  die  Innenwelt,  deren 
Charakteristikum  die  dramatisch  gestaltende  Phantasie 
und  freiere  Selbsttätigkeit  und  deren  Zeit  ihrer  Vorherr- 
schaft das  spätere  Kindesalter  bildet,  und  in  solche  des 
sich  zwanglosen  und  freien  Selbsthingebens  an  die  Ein- 
drücke der  Umgebung;  nach  der  Zeit  und  jeweiligen 
Altersstufe  in  nur  empfindende  und  selbstgestaltende,  nach 
den  Objekten  in  solche  mit  Spielsachen  und  Spielmensohen; 


—     160     — 

nach  dem  Geschlechte  in  Knaben-  und  MädcheDspielei 
und  als  besondere  Gruppe  der  Lieblingsspiele  solche  des 
Ho£PeDs  und  Erwartens  und  die  besondere  Art  dee  Spiel- 
sprechens hinstellt:  kennen  weder  Herbart  noch  Locke 
eine  derartig  psychologisch  scharf  und  fein  detaillierte 
Einteilung  und  Gruppierung  derselben  und  widmen  nur 
dem  Sprechen  der  Kinder  einen  besonderen  Abschnitt, 
ohne  dasselbe  jedoch  als  Spiel  anzusehen.  Beide  mit 
jenem  übereinstimmend  in  der  Forderung  der  gewissen- 
haften und  sorgfältigen  Beachtung  und  Pflege  desselbra, 
unterscheiden  sie  sich  von  ihm  in  der  Beurteilung  dee 
Wesens  desselben.  Findet  nämlich  Jean  Paul  dasselbe 
begründet  im  Nachahmungstriebe,  Herbart  tiei  in  der 
Individualität  des  Kindes,  sieht  es  Locke  lediglich  als  ein 
Mittel  zum  Verscheuchen  der  Unlust  an,  welche  das  Kind 
infolge  seines  Nichtwissens  empfindet  Erblickt  J&m 
Paul  an  den  Spielen  nur  Lichtseiten,  wissen  Herbart  und 
Locke  nichts  von  einer  solchen  bedingungslosen  An- 
erkennung. Sittliche  Bedenken,  bestehend  in  den  üblen 
Folgen  häufiger  und  langandauernder  Affekte,  in  der  Dia» 
Position  zu  Leidenschaften  und  Streit,  in  der  leichten  Irre- 
leitung des  Urteils  und  dem  schädlichen  Einflüsse  schlechter 
Gesellschaft,  lassen  Herbart  Gefahren  für  den  zu  bUdenden 
Charakter  wittern.  Nachteile  für  das  physische  Wohl- 
ergehen stimmen  den  fürsorgenden  Arzt  Locke  bedenklich. 
Ist  bei  Jean  Paul  die  Beschaffenheit  der  Spielplätze,  als 
welche  er  leere  Zimmer,  Spielgärten  und  Spielschulen 
verlangt,  bedingt  durch  die  Forderungen  der  Phantasie, 
frei  und  uneingeschränkt  walten  zu  können;  bei  Herbartj 
der  einen  freien  Platz  zur  Erholung  bei  jeder  Schule 
fordert,  durch  hygienische  Maßnahmen,  so  bei  Locke^  der 
das  Spiel  im  Freien  bei  jeder  Witterung  betrieben  haben 
will,  durch  sein  Prinzip  der  Abhärtung.  Ganz  auf  dem- 
selben Boden,  sich  dabei  aber  von  Locke  trennend,  stehen 
Jean  Paul  und  Herbart  hinsichtlich  der  Dauer  der  Spiele 
und  des  Verhältnisses  zwischen  Spiel  und  Unterricht 
Lassen  beide  bezüglich  des  er8teL>PQi^I^tes  der  natürlichen 


—     161     — 

Entwicklung  des  Kindes  ihren  voUständig  freien  Lauf, 
zeigt  sich  bei  Locke  abermals* der  alte  Widerspruch  seiner 
Pädagogik,  der  des  Naturverehrers  und  ütiiitaristen.  Ersterer 
huldigt  der  gleichen  Anschauung,  letzterer  sucht  im  Inter- 
esse nützlicher  Beschäftigungen  durch  rauhe  Eingriffe  ein 
möglichst  frühes  Ende  derselben  herbeizuführen.  Gelten 
für  Jean  Paul  und  Herbart  Spiel  und  Unterricht  als 
zwei  gleichberechtigte  Faktoren  mit  eigenen  Domänen, 
erklären  sie  sich  gegen  das  spielende  Tändeln  im  Unter- 
richte und  verlangen  für  ihn  den  nötigen  Ernst,  ohne  da* 
hei  die  Dienste  des  Spieles  als  Palliativmittel  oder  An- 
knüpfungspunkt für  dessen  Zwecke  ganz  zu  verschmähen, 
findet  bei  Locke  eine  Umkehr  der  Verhältnisse  statt;  das 
Spiel  wird  getrieben  mit  pedantischem  Ernst,  der  Unter- 
richt aufgelöst  in  ein  heiteres  Spiel.  Spielend  wird  das 
Kind  zum  Unterricht  herbeigelockt,  spielend  wird  derselbe 
ihm  erteilt  —  So  zeigen  sich  mehr  Berührungspunkte 
zwischen  Jean  Paul  und  Herbart^  als  zwischen  jenem 
und  Locke;  so  nimmt  Herbart^  aufier  den  allen  drei  Päda- 
gogen gemeinsamen  Punkten,  hinsichtlich  des  Verhältnisses 
von  Spie^  und  Unterricht,  der  Dauer  der  Spiele,  der  Wahl 
der  Gespielen,  des  Spielbetriebes,  sowie  vielfach  hinsichtlioh 
der  Begründung  seiner  Ansichten  mit  Jean  Paul  über- 
einstimmend und  sich  von  Locke  entfernend;  in  seiner 
Auffassung  vom  Umfang  des  Begriffes  der  Spiele  und  in 
seiner  Annahme  von  der  Möglichkeit  drohender  Gefahren 
mit  Locke  übereinstimmend  und  sich  von  Jean  Paul 
trennend ;  in  seiner  Beurteilung  des  Inhaltes  des  Begriffes 
der  Spiele,  in  seiner  Wertschätzung  derselben,  in  seiner 
Meinung  von  der  Stellungnahme  des  Erziehers  diesen 
gegenüber,  sowie  in  der  Anforderung  an  die  Be- 
schaffenheit der  Spielplätze  zwischen  beiden  die  goldene 
Mitte  haltend;  überhaupt  eine  Mittelstellung  zwischen 
Locke  und  Jean  Paul  ein,  die  sich,  außer  in  ihrer 
Übereinstimmung  in  den  Anforderungen  an  die  Spiel- 
sachen, in  der  Beurteilung  des  Wesens  der  Spiele  an 
sich,   mehr    als    Extreme    gegenüberstehen.     Bedeutend 

Pldlfag.  330.    Weller.  11 


—     162     — 

von  den  beiden  anderen  unterscheidet  sich  aber  Jean  Patd 
in  seinen  Ansichten  und  gebt  zum  Teil  weit  über  de 
hinaus.  Nicht  nur,  daß  seine  Abhandlung  schon  ftoßer- 
lich  ein  logisch  in  sich  zusammenhängendes  Oanse  bildet, 
während  die  beiden  anderen  nur  gelegentlich  auf  die 
Spiele  zurückkommen,  auch  ihrem  Inhalte  nach  zeichnet 
sich  dieselbe  vor  den  beiden  anderen  durch  sieben  wesent- 
liche Charakteristica  aus:  1.  durch  die  scharfe  Betonoiig  der 
wahren  inneren  Natur  und  der  sich  daraus  ergebenden 
Einteilung  der  kindlichen  Spiele.  Mehr  als  jedem  anderen 
sind  ihm  die  Spiele  Naturnotwendigkeiten,  deren  Ein- 
teilung sich  mit  zwingender  Notwendigkeit  aus  der  je- 
weiligen psychischen  und  physischen  Beschaffenheit  der 
kindlichen  Natur  ergibt;  2.  durch  den  weitesten  Begriff 
vom  Wesen  der  kindlichen  Spiele,  der  die  ganze  erste 
Tätigkeit  des  Kindes  im  Spiel  aufgehen  läßt;  3.  durch 
das  Streben,  dem  Ich,  der  Individualität  voll  und  ganz 
gerecht  zu  werden.  Nirgends  tritt  sein  mikroskopischer 
Blick  fQr  die  kleinsten  Eigentümlichkeiten  der  kindlichen 
Seele  schärfer  hervor  als  gerade  hier;  überall  das  liebe- 
volle Herabsteigen  und  innige  Versenken  in  die  Geheim- 
nisse der  kindlichen  Seele,  überall  die  warmempfundene, 
ja  heilige  Verehrung  und  Respektierung  auch  der  un- 
scheinbarsten Eigentümlichkeiten;  4.  durch  die  eigenartige 
Wertschätzung  der  Spiele  für  die  harmonische  Oesamt- 
ausbildung  aller  Kräfte  und  die  Würdigung  ihrer  Be- 
deutung für  den  zukünftigen  geistigen  Besitz;  6.  durch 
die  besondere  Stellung,  welche  er  dem  Erzieher  den 
Spielen  gegenüber  anweist,  die  lediglich  in  einer  objektiv 
beobachtenden  Tätigkeit  bestehen  kann;  6.  durch  die 
eigenartige  und  uneingeschränkte  Wertschätzung,  welcher 
er  der  kindlichen  Phantasie  zu  teil  werden  läßt,  und  die 
sowohl  Auswahl  der  Spielplätze,  wie  der  Spielsachen  be- 
dingt. Nicht  die  an  und  für  sich  gleichgültigen  Spiel- 
sachen, sondern  die  Phantasie  bildet  das  belebende  Ele- 
ment der  kindlichen  Spiele  und  umringt  das  frohe  Wesen 
belebend  nur  mit  Leben  und  7.  durch  den  unverwüst- 


—     163     — 

liehen  Optimismus,  der  auch  nicht  eine  Schattenseite  am 
kindlichen  Spiele  zu  entdecken  vermag  und  daher  die  nur 
beobachtende  Tätigkeit  des  Erziehers  auf  den  ganzen 
Spielbetrieb  ausdehnt. 


Kapitel  TI:  Stellmig:  der  Spiele  in  den  Erzlehnngs- 
systemen  Loeiies,  Jean  Pauls  nnd  Herbarts. 

Je  nach  dieser  verschiedenen  Auffassung  weisen  Jean 
Paul^  Eerbart  und  Locke  den  Spielen  auch  ihre  besondere 
Stellung  in  ihren  Erziehungssystemen  an.  Jean  Paul 
unterscheidet  zwei  Hauptseiten  der  Erziehung,  die  ent- 
faltende und  bessernde.  Weitaus  die  wichtigste  von 
beiden  ist  die  erste.  Sie  kommt  für  den  ganzen  ersten  Lebens- 
morgen ausschließlich  in  Betracht  und  hat  für  die  Ent- 
wicklung und  Ausgestaltung  des  individuellen  Ideal- 
menschen fundamentale  Bedeutung,  indem  sämtliche  Keime 
desselben  hier  nicht  nur  zur  Entwicklung,  zum  ersten 
Treiben  gebracht  werden,  sondern  auch  die  Richtung  er- 
halten, welche  ihr  späteres  Wachstum  vorzeichnet.  Die 
zweite  tritt  erst  im  späteren  Alter  hinzu,  ist  nicht  von 
innen  heraus  entwickelnd,  sondern  von  außen  ein^virkend, 
von  mehr  negativ  unterdrückender,  hemmender  Natur, 
als  von  positiv  schaffendem  Charakter  und  daher  nur  von 
geringerem  Werte.  Bei  einem  normalen  Verlauf  der 
ersteren  und  dem  vollständigen  Zurgeltungkommen  der- 
selben würde  sie  von  selbst  überflüssig  werden,  wenn 
nicht  der  Zeitgeist,  die  Umgebung,  die  ältere  Generation 
verderbliche  Einflüsse  ausübten.  Die  ganze  erste  Zeit  der 
Kindheit  wird  aber  ausgefüllt  durch  die  Spiele,  welche 
daher  den  eigentlichen  Orund  und  Boden  für  die  ent. 
faltende  Erziehung  abgeben,  die  Atmosphäre,  in  welcher 
sich  dieselbe  vollzieht  Sie  sind  daher  nicht  nur  ein  Er- 
ziehungsmittel neben  anderen,  sondern  das  wichtigste 
pädagogische  Mittel  der  entfaltenden  Erziehung,  das  be- 
deutungsvollste Feld  der  ersten  erzieherischen  Betätigung 


—     164    — 

überhaupt,  ja,  sie  bilden  fast  ausschließlich  das  einzige 
pädagogische  Problem  der  ersten  Jahre,  das  ganze  ertrage- 
reiche Feld  der  entfaltenden  Erziehung. 

Das  Herbart  Qche  Erziehungssystem  unterscheidet  die 
drei  großen  Gebiete  der  Regierung,  der  Zucht  und  dee 
Unterrichtes.  Alle  drei  stehen  im  Dienste  der  sittlichen 
Charakterbildung,  indirekt  die  Regierung  durch  fort- 
laufende Beschäftigungen,  welche  dem  M&ßiggaoge  und 
dem  Entstehen  unrechter  Begehrungen  Yorbeugen,  sowie 
durch  ihr  Erzeugen  fester  Oewohnheiten  vom  frühesten 
Alter  an,  der  mittelbaren  Tugenden  Zillers;  direkt  und  aos- 
schließlich  die  Zucht,  welche  durch  Ausbildung  der  sitt- 
lichen Ideen,  der  ethischen  und  sozialen  Tugenden  ge- 
radewegs auf  die  Gewinnung  eines  sittlich  festen  Willens 
lossteuert;  unmittelbar  der  Unterricht  durch  Klärung, 
Ordnung  der  Begriffe,  durch  Anbahnen  eines  festen  Ge- 
dankenkreises, bestimmter  und  fester  Zwecka  Da  diee^ 
hauptsächlich  die  Denkfunktionen,  welche  nach  Herbaris 
Ansicht  ergänzend  zu  der  Phantasie  der  Spiele  hinzutreten 
müssen,  in  Anspruch  nimmt,  werden  jene  für  ihn  ein  an- 
nehmbares Regierungsmittel,  »da  selbstgewählte  Beschäfti- 
gungen zwar,  wenn  alles  Übrige  sich  gleich  ist,  den  Vor- 
zug verdienen,  allein  bestimmte  Aufgaben,  dies  oder  jenes 
zu  tun,  bis  es  fertig  ist;  die  Ordnung  besser  sichern,  ab 
regellos  spielen«,  ^)  sowie  zu  einem  willkommenen  Zucht- 
mittel infolge  ihres  ethischen  und  sozialen  Gehaltes. 
Indirekt  ist  freilich  das  Spiel  bei  ihm  —  obgleich  er  es 
zwar  selber  nicht  so  auffaßt  —  auch  ein  Unterrichts- 
mittel, indem  er  es  verwendet  als  Anknüpfung»-  und 
Ausgangspunkt  für  gewisse  Unterrichtsfacher,  sowie  als 
Palliativmittel  bei  den  ersten  Anfangen  des  Lernens. 

Locke  unterscheidet  physische  und  psychische  Erziehung 
als  zwei  völlig  koordinierte  Teile;  doch  thront  auch  bei  ihm 
über  beiden  die  ihm  viel  höherstehende  sittliche.  Da  ihm 
nun  die   Spiele  als  geistig  und  sittlich  völlig  inhaltsleer 


*)  Umriß  päd.  Vorl.  §  47. 


<  r 


—     165     — 

erscheinoD,  nehmen  dieselben  bei  ihm  nur  die  Stelle 
eines  physischen  Erzieh-  und  methodischen  Unterrichts- 
mittels ein.  Sie  sind  von  der  sittlichen  Erziehung  ganse 
ausgeschlossen^  beanspruchen  einen  breiten  Baum  in  der 
intellektuellen  Ausbildung,  in  dem  von  ihm  unterschätzten 
Unterricht,  allerdings  nur  als  Hilfsmittel;  denn  das  Lernen 
bleibt  immer  der  Selbstzweck  und  erhalten  eine  selb- 
ständige Stellung  nur  in  der  physischen  Erziehung,  in  der 
sie  bis  zu  einem  gewissen  Grade  als  Selbstzweck  gelten 
können. 


Kapitel  TU:  Einklang  der  Ansichten  Loekes,  Jean 

Pauls   und   Herbarts   über    Kinderspiele  mit  den 

ptdagogischen  Theorien  nnd  philosophischen 

Systemen  derselben. 

So  stehen  ihre  Ansichten  über  Einderspiele  nicht  nur 
im  engsten  Einklang  mit  ihren  pädagogischen  Systemen, 
ein  gut  Teil  ihrer  Anschauungen  über  Erziehung,  ein  gut 
Teil  ihrer  pädagogischen  Theorien  überhaupt  ließe  sich 
ans  jenen  ablesen.  Scharf  spricht  sich  in  Jean  Paulß 
Ansichten  seine  ganze  Psychologie  aus,  welche  den  an- 
geborenen Anlagen  und  Kräften,  unter  denen  die  Phantasie 
die  erste  Stelle  einnimmt,  die  größte  Rolle  zuweist,  welche 
aber  andrerseits  auch  die  Erfahrung  zu  ihrem  Rechte 
kommen  läßt,  sie  kennzeichnen  mit  einem  Worte  den 
Entwicklungs-  und  Erfahrungspsychologen,  der  auch  den 
dunkelsten  und  verstecktestan  Seiten  des  seelischen  Lebens 
im  Kinde  liebevoll  nachgeht.  Dieselben  spiegeln  aber 
auch  Orundanschauungen  seiner  Ethik  wider.  Aus  jedem 
Worte  spricht  die  sittliche  Reinheit,  die  väterliche  Milde, 
die  an  Pestalozzi  erinnernde  hingebende  Liebe  zu  den 
Kleinen,  die  den  Orundton  für  seine  ganze  Pädagogik,  wie 
überhaupt  für  seine  ganze  Ethik  und  Philosophie  abgibt 
Seine  Ausführungen  legen  Zeugnis  ab  von  seiner  streng 
individualistischen  Pädagogik,  welche  mit  heiliger  Ehr- 
forcht  und  Scheu  an   das  Kind  herantritt,  allen  Eigen- 


—     166    — 

tümlicbkeiten  desselben  die  größte  YerebruDg  and  HodH 
acbtung  entgegenbringt  and  das  Kind  nur  ab  Selbstzwedr 
bebandelt  wissen  will.  Deutlicb  tritt  das  Ziel  seiner  Fädth 
gogik  zu  Tage:  Harmoniscbe  Entwicklang  and  Aasbildnog 
aller  Kräfte.  Sie  verraten  ein  gat  Teil  seiner  pädagogischem 
Methodologie,  welche  der  freien  Entfaltung,  der  Bildung 
zur  Selbsttätigkeit  den  weitesten  Spielraum  l&Bt  ffie 
zeigen  synthetisch  vereinigt  den  Ideal-  und  Bealpädagogen, 
der  selbst  das  Kind  idealisiert  und  doch  andrerseits  <fi6 
kleinste  und  unscheinbarste  Wirklichkeit  berücksichtigt 
Sie  markieren  endlich  unzweideutig  seine  hohe  Meinung 
von  dem  Werte  des  ersten  Eindheitsalters  fär  die  Zu- 
kunft und  die  nachfolgende  Generation. 

Herbarts  Ausführungen,  wie  seine  Forderung  der  be- 
weglichen Spielsachen,  seine  Wertschätzung  der  Spiele 
lür  das  Zustandekommen  eines  reichen  Vorstell ungs wechsele 
geben  nicht  mißzuverstehende  Hinweise  auf  seine  das 
ganze  Seelenleben  in  Vorstellungen  auflösende  Psycho- 
logie. Seine  Anforderungen  an  die  Spielgenossen,  seine 
Wertschätzung  der  geselligen  Verhältnisse,  seine  Aus- 
sprüche über  die  drohenden  Gefabren  offenbaren  deat- 
lich  sein  ethisches  Erziehungsziel:  Bildung  zum  sittlicbea 
Charakter,  Ausbildung  der  sittlichen  Ideen  und  verraten 
bei  ihrem  Betonen  der  gesellschaftlichen  Tugenden  einen 
gewissen  sozialen  Zug  seiner  Pädagogik,  während  die  indivi- 
dualistische Neigung  derselben,  die  bestrebt  ist,  jederzeit 
dem  Ich  gerecht  zu  werden,  durch  seine  Bemerkangen 
über  die  Dauer  der  Kinderspiele  und  über  das  Verhalten 
des  Erziehers  jenen  gegenüber  klar  bekundet  wird.  Seine 
Darlegungen  über  den  Nutzen  der  Spiele,  über  das  Ver- 
hältnis zwischen  Spiel  und  Unterricht,  über  den  Spiel- 
betrieb legen  beredtes  Zeugnis  ab  von  seiner  Wertschätzung 
des  geregelten  und  methodisch  geordneten  erziehenden 
Unterrichtes,  dem  es  auf  die  Ausbildung  eines  festen  Ge- 
dankenkreises ankommt,  sowie  überhaupt  von  dem  Ge- 
ordneten, Geiegelten,  Ausgeglichenen,  überall  fein  Durch- 
gearbeiteten seiner  Pädagogik  und  lassen  die  Funktionen 


—     1«7    — 

der  Regierung,   der  Zucht  und  des  Unterrichtes  überall 
andeutungsweise  hervortreten. 

Nicht  minder  sprechen  sich  in  Loches  Abhandlung 
Oharakterzüge ;  seiner  Pädagogik  aus.  Seinem  auf  das 
Weltmännische  gerichteten  praktischen  EradehungszielOi 
seinem  einseitigen  und  engherzigen  ütiiitarismus,  dessen 
letztes  Ziel  die  Glückseligkeit  bildet,  seiner  Wertschätzung 
der  physischen  Erziehung  und  dem  damit  zusammenhängen- 
den, wohlbegründeten  Naturrufe,  seiner  Unterschätzung 
eines  zusammenhängenden,  geordneten  Unterrichtes,  seiner 
Antipathie  gegen  die  öffentliche  Erziehung,  dem  aristokn^ 
tischen  Zug  seiner  Pädagogik,  seiner  Vorliebe  für  den  Wert 
der  öffentlichen  Meinung,  der  Rücksichtnahme  auf  Um- 
gebung und  Oesellschaft,  seiner  Hochhaltung  schicklicher  und 
guter  Manieren,  seiner  Forderung  der  Selbsttätigkeit,  wie 
überhaupt  dem  Realismus  seiner  Pädagogik  hat  er  hier  über* 
all  ein  nicht  zu  verkennendes  Denkmal  gesetzt.  Wie  bei  Jecm 
Pcad  und  Herbart  findet  auch  bei  ihm  in  seinen  An* 
sichten  über  Einderspiele  gleichsam  eine  Eonzentration 
der  charakteristischen  Züge  und  Grundanschauungen 
seiner  Pädagogik  statt,  und  wie  diese  überhaupt,  sind 
daher  auch  jene  nicht  ohne  Einwirkung  auf  die  nach* 
folgende  Zeit  völlig  ungehört  verklungen. 


Kapitel  Till:  Stellung  der  Ansichten  Lockes,  Jean 
Pauls  und  Herbarts  Ober  Kinderspiele  in  der  be- 
schichte der  Spiele,  Ihre  Wirkungen,  Ihr  Elnflub 

und  Ihr  Verdienst. 

Freilich  sind  wohl  gerade  diese  Kapitel  ihrer  Päda- 
gogik bei  allen  drei  Erziehern  am  längsten  unberück- 
sichtigt geblieben,  und  von  einem  unmittelbaren,  direkten 
Einfloß  kann  nur  in  ganz  bedingtem  Haße  die  Rede  sein. 
In  der  pädagogischen  Praxis  sind  ihre  berechtigten  Forde- 
rungen zunächst  ohne  jede  Wirkung  geblieben.  Bis  in 
die  vierziger  Jahre  des  19.  Jahrhunderts  waren  die  Spiele 


—     168    — 

ein  UngekaDDtes  im  Schalleben,  und  sie  blieb^i  nocb 
Jahrzehnte  lang  das  Aschenbrödel  desselben.  Erst  1840 
realisierte  Fröbel  in  Blankenburg  einen  Teil  der  Ge- 
danken Jean  Pauls^  der  für  dessen  praktische  BeetrebuDgeo 
als  der  theoretische  Vorläufer  angesehen  werden  darl 
Doch  auch  dessen  unternehmen  traf  zunächst  der  Bann- 
strahl  eines  reaktionären  Zeitalters;  als  demokratisch  wurden 
die  Eindergärten  verboten.  Langsam  und  ganz  sporadisch 
wagten  sie  sioh  in  der  folgenden  Zeit  hervor  und  fristeten 
ein  kümmerliches  Dasein.  Die  deutsche  Schuljageid 
schien  in  diesen  Jahrzehnten  das  Spiel  vollends  verlenien 
zu  sollen.  Ein  Umschwung  vollzog  sich,  wie  schon  er- 
wähnt,^) erst  nach  den  Jahren  1870  und  71,  nachdeiQ 
allerdings  schon  seit  1868  die  Gemeindeschulen  in  Berlin 
als  die  ersten  in  Deutschland  öffentliche  Spielplätze  et- 
richtet  hatten.  Mit  der  Forderung  nach  größerer  Be* 
achtung  der  physischen  Erziehung,  nach  vermehrtem 
Schutz  der  Gesundheit  in  den  Schulen  hängt  es  zusammen, 
daß  auch  für  dieses  Kapitel  im  Kinderleben  das  Interesse 
wieder  angefacht  wurde.  Dringender  als  je  stellten  erst  die 
letzten  zwei  Jahrzehnte,  stellte  erst  die  Gegenwart  die  Forde- 
rung der  Schulspiele,  betonte  sie  wieder  deren  hervor- 
ragend erzieherischen  Wert.  Damit  kehrte  sie  aber  gleich- 
zeitig wieder  zurück  zu  den  Ansichten  Jean  Fauls^  die  nicht 
nur  gleichsam  wieder  neu  auflebten,  sondern  nunmehr 
auch  vielfach  erst  greifbare  Gestalt  im  Schulleben  an- 
nahmen und  an  vielen  Orten  Deutschlands  zum  Teil  in 
die  Wirklichkeit  umgesetzt  wurden.  Es  sind  Jean  PatUoche 
Grundanscbauungen,  die  in  den  modernen  Abhandlungen 
über  Kinderspiele  wiederkehren.  Seine  Theorie  über  das 
Wesen  derselben  als  Kraft  gewann  immer  mehr  namhafte 
Vertreter,  wie  Herbert  Spenzer  und  Voigt^  und  zählt 
heute  in  pädagogischen  und  turnerischen  Kreisen  zahl- 
reiche Bekenner  zu  ihren  Anhängern,  Seine  Auffassung 
vom  Nutzen  der  Spiele,  seine  Forderungen  an  das  Yer- 


^}  Siehe  Einleitung. 


—     169     — 

halten  des  Erziehers  dieseD  gegenüber  klingen  in  der 
Spielliteratur  der  Neuzeit  überall  hindurch.^)  Nicht  nur 
daß  diese  literarischen  Produkte,  wie  die  Jahrbücher  des 
Zentralausscbusses  für  deutsche  Jugendspiele,  zahlreiche 
Aufsätze  in  Lehrer-  und  Turner  Zeitungen,  Aufrufe  zur 
Unterstützung  der  guten  Sache,  in  der  Levana  eine  er- 
giebige Fundgrube  für  treffliche  Zitate  fanden,  auch  sonst 
meint  der  eingeweihte  Leser  nicht  selten  deren  Worte 
zu  hören.  Beginnen  sich  somit  die  Gedanken  Jean  Patds 
eigentlich  erst  in  der  jüngsten  Vergangenheit  und  moder- 
nen Gegenwart  im  Schulleben  Bahn  zu  brechen  und  feiern 
eine  Wiederauferstehung,  so  sind  sie  doch  auch  unmittel- 
bar nicht  Yöllig  wirkungslos  geblieben.  Zwar  nicht  in 
der  Schule,  aber  in  der  Familie,  an  die  sich  die  Levana 
zunächst  wandte,  und  besonders  in  den  Familien  höherer 
Stände,  ist  manches  fruchtbare  Samenkorn  aufgegangen. 
Hier  ist  Jean  Paul  gleich  einem  Goethe  ein  Erzieher 
seines  Volkes  geworden  und  hat  wesentlich  dazu  bei- 
getragen, daß  die  Erziehung  überhaupt  wieder  in  natur- 
vollere Bahnen  gelenkt  wurde,  daß  nach  einer  noch  nicht 
lange  vorausgegangenen  Zeit  der  Unnatur  und  Härte  der 
milde  und  verständnisvolle  Geist  der  Erziehung  auch  in 
den  Tempel  der  Familie  wieder  seinen  Einzug  hielt,  wobei 
naturgemäß  auch  dem  heiteren,  freien  und  leichten  Wesen 
der  Kleinen,  ihren  unschuldigen  Spielen  ein  verständnis- 
volleres Interesse  und  offneres  Auge  entgegengebracht  wurde. 
In  der  Natur  der  Sache  liegt  es,  daß  weder  Herbarta 
noch  Lockes  Anschauungen  die  gleiche  Wirkung  auszu- 
üben vermochten.  Schon  Uerbarts  Ausführungen  sind 
bf"!  weitem  nicht  in  dem  umfange  in  die  Allgemeinheit 
übergegangen  als  die  eines  Jean  Paul.  Mit  dem  Aus- 
breiten seiner  Schule  hängt  es  zusammen,  daß  seine  An- 

^)  Vergleiche  bierza:  Professor  Dr.  Koch^  »Der  erzieherische 
Wert  der  Jugendspiele;«  Direktor  Dr.  Lion^  >Der  SpielkaDOD;«  Pro- 
fessor Dr.  E,  Angerstein  ^  »Die  sittliche  ODd  physiologische  Be- 
deutung der  Bewegungsspiele;«  Dr.  med.  Jl  A,  Schmidt ^  »Bewegung» 
apiel  und  Lungenentwicklung.  € 


OB'O-WchBg.  ,orde„  ' 

iäissntonilieli  gestaitel  . 

»'l«Ke=  m,.    I„  «ij"  ; 

iMd  d„  Sp/elleben  .Is  »ij,  ^ 
ZM"'  ''■'"^■''  x 
""'   'iMch   8,i„.  starte  Beto 

fti™?    ■?"    "'"«•henden.   J 
P..™.e™eb„„g  « 

it  SersT'""'"" '"*««• 
lieh  IT  i'"™  'r'^  »"feM«' 


—     171     — 

gymnasiischer  Übungen,  welche  dem  späteren  Edelmann 
nützlich  vrerden  können,  eingeschränkt  wissen  wollte. 
Weniger  durch  seine  Ansichten  über  dieselben,  als  yiei- 
mehr  durch  seine  Forderung  der  physischen  Erziehung 
hat  er  dem  Wiederaufleben  der  Spiele  genützt.  Indem 
er  dazu  beitrug,  daß  in  die  Erziehung  wieder  etwas  toii 
Juvenals  mens  sann  in  corpore  sano  einzog,  hat  er  auch 
den  Spielen  die  Bahn  für  einen  ungehinderten  Eingang 
frei  gemacht.^)    Außer   diesem   mehr  indirekten  Einflofi 

*)  Es  ist  aber  zuviel  behauptet  und  bleibt  zum  wenigsten  miA- 
▼erstän^lieh,  wenn  Dr.  Oiisehmann  in  seinem  Werkchen  über  Locke 
ihn  als  einen  der  ersten  bezeichnet,  der  in  die  Pädagogik  jene  Ge- 
daoken  warf,  welche  für  die  frühe  Altersstufe  in  den  Fröbelschmi 
Kindergärten  lebendig  sind,  wenn  er  behauptet,  da£  die  konsequente 
Durchführung  und  detaillierte  Belebung  dieser  fruchtbaren,  aber  erst 
nach  länger  als  einem  Jahrhundert  allseitig  anerkannten  Gedanken 
erst  dem  pädagogischen  Genius  Friedrich  FröbeU  y orbehalten  war, 
übrigens  eine  Anschauung,  der  man  nicht  selten  auch  in  Geschichten 
der  Pädagogik  begegnet.  Man  fragt  sich  unwillkürlich,  wie  der  Ver- 
fasser zu  solcher  AuflTassung  kommen  konnte,  wenn  er  sieh  die  Mühe 
genommen  hätte,  die  Ansichten  Loches^  des  Gegners  der  Spiele,  in 
ihrer  Gesamtheit  zusammenzustellen  und  zu  prüfen.  Er  würde  dann 
nicht  nur  zahlreiche  Widersprüche  entdeckt,  sondern  auch  gefunden 
haben,  daB  der  Frö^sche  Kindergarten  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
eigentlich  einen  Widerspruch  gegen  Loches  Ansichten  bildet.  wen%* 
stens  würde  ihn  derselbe  als  nutzlos  bezeichnen  müssen.  Man  eelie 
sich  aber  seine  AusfOhruogen  an :  Er  vermengt  die  phjsieolMil 
Forderungen  Lockes  mit  dessen  Ansichten  über  die  Spiele  und  £aftt 
sie  als  eins  auf;  er  schiebt  Locke  seine  eignen  Gedanken  unter« 
die  in  der  Tat  Gedanken  Jean  hauls,  durchaus  aber  nicht  solche 
Lockes  sind.  Unmöglich  kann  Verfasser,  wie  schon  erwähnt,  die  An- 
sichten Lockes  im  Zusammenbang  geprüft  haben.  Er  stützt  mdk 
vielmehr  auf  einzelne  Bemerkungen,  die  er  durch  Jean  PaulBohe  nnd 
Her6ar^  sehe  Ausführungen  begründet  Zeugnis  hiervon  legen  aueh 
die  Zitate  aus  Jean  Paul  und  Herbart  ab,  die,  aus  dem  Zusammen- 
hang herausgenommen,  zwar  ähnlich  klingen,  aber  einen  grundver- 
schiedenen Inhalt  aufweisen.  Der  ganze  diesbezügliche  Passus  seinee 
Buches  trägt  daher  den  Charakter  des  Schiefen  und  Irreleitenden  an 
sich,  der  noch  gesteigert  wird  durch  die  Einzwäng ung  in  dne 
Herhart  nche  Schema,  indem  die  Spiele  lediglich  unter  den  Begriff 
der  Regierung  gebracht  werden.  Direkt  falsch  ist  daher  gleich  der 
Anfang.   »Eine  andere  BegierungsmaBregel,  welche  auch  Loc^  emp- 


und    viflf:L,lie    NarlKihninni 
(ilirch    Ri.LissfMusdu;     Hi-me 
Bind  auch  sonst   vielfach   in 
BO  insbesondere  in  die  der  P. 
in  die  Pädagogik  der  Aufklär 
▼or  allem   heilsam  eingevirl 
emehuDg  höherer  Kreise,  g< 
gehende  Unnatur  sie  ank&mp 
wieder  vorbildlich  geworden  f 
Frankreichs  und  Deutschland 
Spielsachen  tritt  er  als  direkte 
dessen  Anschanangen  sich  hie 
decken.    Uit  den  guten  Seite 
wich  die  schlechten  auf  die 
In     ihrem    tändelnden     und 
Unterrichtes  sind   die   Philan 
beeinflußt  worden,  die  überhai 
die    Einderspiele    mit   geringe 
Boden   stehen.     Trotz    dieses 
Anweisungen    und    Forderung 
Geltung  haben  und  beherzigeni 
die  meisten  seiner  diesbezüglit 


—     173     • 

Bord  geworfen,   und  das  mit  Recht;   denn  die  gerechte 
Kritik  darf  auch  die  Schwächen  nicht  übersehen. 


Kapitel  IX:    Beartellung   der  Ansichten  Loekes^ 

Jean  Pauls  und  Herbarts  Ober  Kinderspiele: 

kritische  Stellungnahme. 

unstreitig  wird  dieselbe  auch  heute  noch  der  Jean 
Pau/ sehen  Abhandlung  den  Vorzug  den  beiden  anderen 
gegenüber  erteilen.  Sie  gehört  zu  dem  Schönsten  und 
Originellsten,  was  je  über  Kinderspiele  geschrieben  wor- 
den ist  und  bildet  gleichzeitig  auch  den  originellsten  Teil 
seiner  Pädagogik.  Nicht  ein  Pädagog  hat  so  treffend, 
klar  und  bedeutungsvoll  über  Spiele  sich  geäußert  wie  er. 
In  ihrer  vollen  Bedeutung  und  Wichtigkeit  für  die  Er- 
ziehung hat  er  dieselben  behandelt.  Wenn  er  auch  hier 
keine  erschöpfende  Monographie  gibt,  streift  er  doch  fast 
alle  Seiten,  welche  bei  diesem  Kapitel  überhaupt  berührt 
werden  können.  Die  Stärke  gerade  dieser  Abhandlung 
li^  mehr  noch  als  sonstwo  in  seiner  Pädagogik  in  der 
liebevollen  Beachtung  des  Kleinen,  in  der  aufmerksamen 
Behandlung  des  Geringen,  das  sie  dadurch  zur  Bedeutung 
und  Wichtigkeit  erhebt.  Feinfühlig  und  liebevoll,  aber 
auch  durchaus  besonnen  und  realistisch  im  Urteil,  offen- 
bart er  mitunter  in  hochpoetischer  Sprache  hier  die  tief- 
sten Geheimnisse  der  Kindesnatur.  »Welche  Schärfe  des 
Blicks  in  die  Wirklichkeit,  welches  Falkenauge,  welche 
schneidende  Sachlichkeit,€  wie  Vischer  ruft,  besonders 
hier,  wo  er  mit  festem  Fuß  auf  dem  Boden  der  Wirk- 
lichkeit steht!  denn  es  ist  der  unübertreffliche  Vorzug 
dieses  Kapitels,  aus  ureigenster  Erfahrung  hervorgegangen 
zu  sein,  und  das  wird  ihm  bleibenden  Wert  und  dauernde 
Oeltung  verschaffen.  Kaum  wird  etwas  über  Kinderspiele 
geschrieben  werden,  ohne  daß  es  zu  Rate  gezogen  wird. 
Köstliche  Gedankenperlen  hat  er  in  dasselbe  eingestreut 
Was  er  über  die  Schonung  der  kindlichen  Individualität 


-     174    — 

oemerkt,  gehört  zu  dem  Ergreifendsten,  was  je  darfiber 
aufgezeichnet  wurde.  Hier  auf  dem  Betätigongogebiete 
der  kindlichen  Phantasie  mußte  sich  ja  wohl  auch  der 
Phantasiekünstler  Jean  Paul  völlig  heimisch  fühlen;  und 
doch  wird  der!  gegenwärtige  Standpunkt  der  Päda- 
gogik sich  nicht  mit  allen  seinen  Meinungen  eioTeiataiideD 
erklären  können.  Insbesondere  werden  theoretische  Be- 
denken vielfach  aufsteigen.  Hier  findet  schon  die  Orond- 
lage,  auf  welcher  seine  Ansichten  aufgebaut  sind,  heute 
unter  Pädagogen  wohl  nur  noch  wenig  Anhänger.  Ge- 
wiß darf  die  Individualität  des  Kindes  als  eine  durch 
Momente  der  Abstammung,  Vererbung  und  Anpaaeiuif 
an  den  gesellschaftlichen  Organismus  begründete  Tatsache 
schlechterdings  nicht  ignoriert  werden,  aber  die  Auffassung 
Jean  Pauls  von  der  Eindesnatur  ist  ein  Produkt  der  Auf* 
klärungszeit ,  erklärt  sich  aus  seinem  Bildungsgange, 
aus  seiner  Zeit  heraus  und  aus  seiner  Abhängigkeit  yod 
Rousseau  und  mußte  ihren  Halt  verlieren,  sobald  die 
Psychologie  auf  einen  höheren  Standpunkt  gerückt  war. 
Wie  Rousseau  läßt  er  alles  geistige  Leben  mit  fatalistischer 
Notwendigkeit  aus  gewissen  Keimen  sich  entwickeln.  Wie 
diesen  trifft  ihn  aber  auch  der  Vorwurf,  daß  er  angeborene 
und  gute  Eigenschaften,  also  ganz  verschiedene  Dinge, 
miteinander  verwechselt,  daß  er  die  Kindesnatur  in  dieser 
Hinsicht  mit  dichterischer  Freiheit  behandelt,  aber  nicht, 
wie  Schiller  sagt,  »mit  dem  Organ,  womit  man  sieht«; 
und  was  versteht  er  unter  den  angeborenen  Keimen? 
Sieht  er  sie  als  Seelenvermögen  an  ?  Diese  sind  aber  wenig 
mehr  als  allgemeine  Klassen  begriffe,  mit  denen  wenig  an- 
zufangen ist.  Sie  haben  methodologischen  Wert  als 
Mittel  zur  Ordnung,  nicht  aber  metaphysischen  als  Ur- 
sachen psychischen  Geschehens.  Darf  der  Mensch  auch 
auf  etwas  Gesetzmäßiges  in  sich  schließen,  so  doch  wohl 
nie  als  auf  eine  vollendete  Wahrheit,  sondern  nur  als  auf 
die  bloße  Möglichkeit  zu  dieser.  Durch  seine  Lehre  vom 
Idealmenschen  setzt  sich  Jean  Paul  an  anderer  Stelle 
über  diese  Schwierigkeiten  hinwQg,   verwischt   aber  da* 


—     176     — 

dorch  das  Verhältnis  der  Begriffe  nntereinaader,  wie  zu 
dem  der  angeborenen  Anlage.  Diese  Ansicht  wirft  nun 
zwar  ihre  Schatten  auch  auf  sein  Kapitel  über  Einder- 
spiele, aber  doch  nicht  in  dem  Maße,  dafi  dadurch  die 
Bichtigkeit  und  Gültigkeit  wesentlich  beeinträchtigt  wür- 
den; denn  hier  kommt  überall  die  Erfahrung  zu  ihrem 
Rechte.  Wohl  aber  zeigt  sich  auch  hier,  daß  Jean  Paul 
das  Kind  stark  idealisiert.  Er  rechnet  nicht  mit  schwachen 
und  unnormalen  Kindern,  mit  denen  der  Erzieher  in  Be- 
rührung kommen  muß.  Seine  eigne  Kindheit  überträgt 
er  auf  die  Gesamtheit  und  legt  so  an  die  Auffassungskraft 
des  Kindes  den  Maßstab  des  Erwachsenen.  Zum  Teil 
hängt  dies  zusammen  mit  seiner  Oberschätzung  der  Phan- 
tasie. Wohl  hat  er  recht,  wenn  er  als  Hintergrund  der 
eingebildeten  Welt  des  Kindes  die  Wirklichkeit  betrachtet, 
wenn  er  aus  der  Phantasietätigkeit  auch  der  Denktätigkeit 
Gewinn  ziehen  läßt;  denn  alle  Verstandestätigkeit  hat  die 
Phantasietätigkeit  zur  Voraussetzung,  sie  ist,  wie  Goethe 
sagt,  eine  Vorschule  des  Denkens,  oder  nach  der  Wundt- 
schen  Auffassung  ein  Denken  in  Bildern;  aber  sie  geht 
eben  nicht  über  diese  Wirklichkeit  hinaus;  auch  sie 
schöpft  nur  aus  der,  wenn  auch  veränderten,  Reproduktion, 
und  ersetzt  nimmermehr,  wie  der  Dichter  Jean  Paul  glaubt, 
das,  was  der  Wahrnehmung  entzogen  blieb.  Sie  reicht 
nur  soweit,  als  der  Erfahrungskreis  sich  erstreckt,  sie 
wächst  und  vermehrt  sich  mit  dem  Vorstellungsschatz; 
und  die  Stärke  der  Jugendeindrücke  erklärt  sich  nicht 
lediglich  aus  ihr,  sondern  zu  einem  guten  Teil  aus  der 
diesem  Alter  überhaupt  eigentümlichen  Frische,  sowie  aus 
der  Häufigkeit  der  Wiederholung  jener  Eindrücke.  Diese 
ganze  ideale  Auffassung  vom  Kinde  läßt  Jean  Paul  auch 
in  seinem  Optimismus  zu  weit  gehen,  wenn  er  im  Spiel 
nicht  die  geringste  Gefahr  zu  wittern  vermag.  Der  Ehr- 
geizige, der  zum  Herrschen  Geneigte  findet  auf  diesem 
Gebiete  doch  nur  zu  leicht  die  gewünschte  Nahrung  für 
seine  sittlich  bedenklich  erscheinenden  Triebe  und  wird 
zum  wenigsten  den  gewissenhaften  Erzieher  aufmerksam 


—     176     — 

und  behutsam  stimmen  müssen,  der  es,  wenn  er  im  öflFent- 
liehen  Dienste  steht,  Tielleicht  auch  als  einen  Mangel  der 
Ausfährungen  Jean  Pauls  empfinden  wird,  daS  er  die 
Schule  und  ihre  Verhältnisse  und  demzufolge  auch  die 
entsprechend  praktischen  Anweisungen  für  dieselbe  völlig 
beiseite  läßt.  Er  wird  es  aber  erklärlich  finden  bei  Be- 
rücksichtigung des  Zweckes  der  Levana,  die  sich  yor- 
zugsweise  an  das  Haus  wendet,  Privat-  und  Faaiüira- 
erziehung  im  Auge  hat;  und  selbst  hier  denkt  Jean 
Paul^  wie  mehrfache  Äußerungen  auch  in  seinem  Kapitel 
über  Einderspiele  beweisen:  die  Kinder  in  den  Saal 
heraufholen  und  ähnliche  mehr,  nur  an  die  Kinder  höherer 
Stände,  wenn  auch  seine  Ausführungen  für  die  aller 
Schichten  gleiche  Gültigkeit  haben.  Trotz  dieser  m^r 
rein  theoretischen  Bedenken,  die  zum  großen  Teil  ihre 
Erklärung  in  dem  tiefen  Standpunkte  der  damaligen  Zeit 
und  Psychologie  überhaupt  finden,  wird  aber  der  Erzieher 
auch  heute  noch  seinen  praktischen  Ausführungen  und 
Anweisungen,  die  er  hier  als  ein  Prophet  und  Seher  gibt, 
insbesondere  seiner  pädagogischen  Wertschätzung  der 
Spiele,  seinen  Anforderungen  an  die  Spielsachen,  seiner 
Auffassung  vom  Wesen  und  Zweck  derselben,  seinem  Ab- 
scheu gegen  die  Genußsucht,  seinem  Dringen  auf  Einfach* 
heit,  Selbstgenügsamkeit  und  Selbsttätigkeit,  seiner  zarten 
Rücksichtnahme  auf  die  kindliche  Individualität,  seiner 
Auffassung  des  Kindes  als  Selbstzweck,^)  rückhaltslos  zu- 
stimmen können  und  nur  bedauern,  daß  bei  der  alles 
nivellierenden,  schematisierenden  und  systematisierenden 
Gestaltung')  des  modernen  Schulwesens  der  praktischen 
Durchführung  seiner  berechtigten  Forderungen  nicht  selten 
bestimmte  Grenzen  gesteckt  sind. 

Gegen  diese  lebensvolle  Auffassung  und  Ausführung 
Jean  Pauls  tritt  die  Herharts  bedeutend  in  den  Hinter- 


')  Siehe  hierza  SclUeierniacher  ^  mit  dem  Jean  Paul  übereio- 
stimmt. 

*)  Vergl.  hierzu  Hegel^  Anmerkung  zur  Enzjklopftdie,  Vn,  St  B3L 


—     177     — 

grand.  Das  konstraktive  Element  seines  Systems,  die 
psychologische  Theorie,  das  ethische  Ziel  treten  su  sehr 
in  den  Vordergrund  und  lassen  die  breite  empirische 
Grundlage  vermissen,  auf  welcher  Jean  Paul  aufbaute. 
Daher  finden  sich  nirgends  wertvolle  praktische  Winke 
und  Hinweise,  nirgends  zeigt  sich  ein  lebensvolles  Hin- 
eingreifen in  den  Reichtum  der  Wirklichkeit  und  ihrer 
erläuternden  Beispiele.  Daher  kennt  er  kein  Kapitel  über 
die  Spielsachen  und  Spielplätze,  über  die  verschiedenen 
Arten  der  Einderspiele.  Die  pädagogische  Theorie,  die 
ethischen  und  psychologischen  Voraussetzungen  bedingen 
vielfach  seine  Ansichten  und  Forderungen  und  tragen 
infolgedessen  den  Charakter  des  mehr  Abstrakten  an  sich. 
Die  rationelle  Ausnutzung  und  Verwertung  des  Spiels  in 
der  Praxis  wird  überall  zu  wenig  betont.  Ihrem  Inhalte 
nach  suchen  seine  Ansichten  immer  den  goldenen  Mittel- 
weg zu  gehen,  bewahren  sich  dabei  einerseits  wohl  vor 
Extremen,  verlieren  aber  auch  andrerseits  von  ihrem  Ge- 
präge der  Originalität  Trotz  seiner  Übereinstimmung  in 
vielen  Punkten  mit  Jean  Panl^  trotzdem  die  Mehrzahl  der- 
selben auch  heute  noch  Zustimmung  und  Beifall  finden 
kann,  wird  er  doch,  einer  heute  unhaltbaren  psycho- 
logischen Theorie,  sowie  seinem  ethischen  Erziehungs* 
ziele  zuliebe,  dem  Spiel  in  seiner  Gesamtheit  nicht  über- 
all gerecht.  Der  Charakter  des  Geordneten  und  Geregelten 
seiner  Pädagogik  greift  mitunter  zu  drückend  auch  in 
dieses  Kapitel  ein  und  nimmt  dem  Spiel  etwas  von  dem 
ihm  eignen  freien  und  heiteren  Wesen.  Zu  Gunsten  ge- 
ordneter und  geregelter  Tätigkeit  findet  vielfach  eine  Ein- 
schränkung derselben  statt,  die  nicht  selten  wie  eine  leise 
Geringschätzung  derselben  überhaupt  aussieht  Hütend, 
vorbeugend  und  ergänzend  hat  doch  der  Erzieher  trotz 
des  Bestrebens  nach  möglichster  Schonung  der  Indivi- 
dualität und  der  natürlichen  Freiheit  die  Hand  überall 
im  Spiele.  Zum  großen  Teil  hängt  dies  zusammen  mit 
«einer  Wertschätzung  der  Phantasie,  die  den  eigentlichen 
Denkfunktionen   gegenüber  eine  untergeordnete  Stellung 

Pad.Mag.  320.    Weiler.  12 


—     178     — 

einnimmt,  die  er  aber  auch  vielfach  unteisch&tet  DeiD 
geistigen  Gewinn  der  Spiele,  so  sehrer  den  ethischen,  sozialen 
und  physischen  Wert  derselben  anerkennt,  wird  er  daher 
nicht  gerecht.  Der  durch  das  Spiel  erworbene  geistige  Besitz 
ist  durchaus  nicht  nur  rohes  Materiel,  nicht  nur  der  erste- 
Anfang  zu  Beobachtungen,  über  den  das  Kind  durch 
denkende  Betrachtungen  bald  hinausgeführt  wird.  Auch  auf 
dem  Spielplatze  bilden  sich  wertToUe  intellektuelle  Eigen- 
schaften aus,  wie  Geistesgegenwart,  Geistesschärfe.  Auch  das 
Spiel  nötigt  zum  Denken  und  vielfach  recht  scharfen  Be- 
obachten, wenn  es  gilt,  die  Blöße  des  Gegners  zu  er* 
spähen  und  die  Mittel  und  Wege  zu  seiner  Überwindong- 
auszusinneo.  Zu  dem  physischen,  sozialen  und  ethischen 
Nutzen  muß  auch  der  intellektuelle  hinzutreten.  Darin 
liegt  aber  schon  angedeutet,  daß  sich  das  Spiel  auch  nicht 
einseitig  und  engherzig  in  das  Schema  der  Regierung  und 
Zucht  einzwängen  läßt,  am  wenigsten  aber  eine  strenge 
Scheidung  nach  diesen  Begriffen  gestattet  Es  wird  die 
Zwecke  beider  immer  gleichzeitig,  niemals  aber  getrennt,. 
verfolgen,  wobei  auch  die  rein  intellektuellen  Tätigkeiten 
nie  ganz  leer  ausgehen  .werden.  —  Trotz  dieser  Mängel 
tragen  aber  auch  seine  diesbezüglichen  Ausführungen^ 
wie  die  seiner  Pädagogik  überhaupt,  den  Charakter  ob- 
jektiv kühler  und  besonnener  Erwägung  und  Betrachtungs- 
weise an  sich,  welche  es  verschmäht,  subjektive  Momente* 
in  ihre  Bestimmungsgründe  aufzunehmen. 

Stimmen  deshalb  auch  heute  noch  seine  Anschauungen 
im  großen  und  ganzen  mit  den  Forderungen  modemer 
Pädagogik  überein,  so  kann  dies  von  den  Ltocke  sehen 
nicht  in  dieser  Ausdehnung  behauptet  werden.  Der 
Grundfehler  seiner  Pädagogik,  dem  ütiiitätsprinzip  wich- 
tige Zugeständnisse  eingeräumt  zu  haben,  wirft  seine 
Schatten  auch  auf  dieses  Kapitel  seiner  Erziehungslehre. 
Trocken  und  nüchtern,  schwung-  und  poesielos  schaltet 
und  waltet  er  mit  den  Spielen,  wie  es  seinen  Zwecken 
dienlich  erscheint,  und  vernichtet  geradezu  ihren  Charakter 
als  Spiel,  ohne  die  geringste  Rücksicht  auf  die  kindliche 


—     179     — 

Natur  zu  nehnien,  die  er  andrerseits  doch  geschont  wissen 
will.  Wie  ein  roter  Faden  zieht  sich  durch  alle  seine 
Ausführungen  ein  innerer  Widerspruch  hindurch,  der 
(Gegensatz  zwischen  dem  Naturverehrer  und  dem  Utili- 
taristen,  der  in  den  meisten  Abhandlungen  über  Locke 
bisher  wohl  deshalb  übersehen  wurde,  weil  seine  Ansichten 
über  Kinderspiele  niemals  im  Zusammenhange  beleuchtet 
wurden.  Dieser  Gegensatz  bleibt  unausgeglichen  in  allen 
seinen  Ausführungen  und  zeigt  deutlich  d.en  Charakter 
einer  schnell  hingeworfenen  Pädagogik.  Die  Ansprüche 
des  ersteren  an  die  Spielsachen,  seine  Auffassung  des 
Wesens  der  Spiele  als  Naturnotwendigkeit  und  Ausfluß 
des  Tätigkeitstriebes,  seine  Forderung  möglichster  Freiheit 
und  üneingeschränktbeit  der  Spiele,  sowie  die  damit  zu- 
sammenhängende, die  Bestimmung  über  das  Ende  des 
spielenden  Treibens  der  natürlichen  Entwicklung  zu  über- 
lassen, verdienen  noch  heute  volle  Beachtung;  die  sich 
diametral  dazustellenden  und  leider  überwiegenden  An- 
sichten des  ütilitaristen  irren  durchweg  und  erfordern 
die  schroffste  Zurückweisung.  Die  Auffassungsweise  des 
letzteren  ist  einseitig  und  engherzig  und  führt  zu  einer 
Verdrehung  der  natürlichen  Verhältnisse.  Dem  Spiel 
wird  in  völliger  Verkennung  seines  Wesens  der  herbste 
Zwang  angetan  und  hört  auf,  Spiel  zu  sein.  Im  Interesse 
nützlicher  Beschäftigungen  wird  es  zum  Geschäft,  wird 
getrieben  bis  zum  Ekel.  Es  ist  ein  unnatürlicher  und 
rauher  Zwang,  dem  sich  die  kindliche  Natur  hier  beugen 
muß,  und  der  die  Bezeichnung  von  einer  Vergewaltigung 
und  Knechtung  derselben  nicht  zu  herb  erscheinen  läßt; 
und  selbst  hier  noch  gibt  sich  der  ütilitarist  leeren  Täu- 
schungen über  die  Wirkung  seiner  Mittel  hin.  Auch 
wenn  dem  Kinde  auf  eine  so  unnatürliche  Art  ein  Spiel 
verleidet  worden  ist,  wird  es  um  nichts  lieber  zum  Buche 
greifen  als  früher,  sondern  zu  einem  neuen  Spiel.  Locke 
müßte,  um  zum  Ziele  zu  gelangen,  die  Geduld  be- 
sitzen, die  Kur  an  sämtlichen  dem  Kinde  zugänglichen 
Spielen   zu   vollziehen;   und  selbst   dann  wäre  es   noch 

12  ♦ 


11"!";  "'*™»™.™..,  in^tici 

I.rlalirung  b„r.     Kinseiti;.. 

H'ertsobutaiing  jer  Spielet  V 

und  ergiebigen  Verwertung 

J«nn  »eder  im   theorelisch 

Ml  ihm  die  Kede  sein.    D« 

sie  als  Dehler  dee  ti„dlicl 

walte.»    za    GunetM    einer 

mndung  denelben  gegen  .i, 

Unnatur,  demKlben  Zwange 

und  laBl  ihren  Wert  i,,^, 

Wungsmittel.     In    «i,, 

Wesens  ist  es  ilim  niclit  gq, 

Kinde,  vereetsen   zu  tä„n„ 

bolung  „ohl  nur  selten,    dal 

Tätigkeit  »erluigt  „„j  daber 

»Ölung,  s„„j„„  1^       |_ 

■dentifiaert  das  Wesen  des  I 
t>piel  Erwachsener  und  legt  a 
«n,  derinderTateingrundve, 
er  nicht»  Ton  ihrem  ethischen, 
öehalt  und  »ersteht  nicht,  ih, 
utung  xa  wardigen.  Ihm   » 


—     181     — 

berrschenden  sozialen  Gegensätze  gelegen  sein  mnß,  aber 
setzt  er  sich  mit  seiner  sozial  und  standesnnterschiedlich 
bedingten  Auswahl  der  Spielgenossen.  Nicht  nur,  daß 
er  hier  einen  der  wichtigsten  charakterbildenden  Faktoren, 
den  Umgang,  gänzlich  unterschätzt,  es  fehlt  dem  Zögling 
auch  an  Gelegenheit,  Bekanntschaft  zu  machen  mit  der 
Mannigfaltigkeit  der  Individuen,  welche  draußen  im  Leben 
sich  begegnen,  welche  ihm  zur  Belehrung  dienen  können, 
wie  er  dereinst  selbst  im  Verkehr  mit  fremden  Personen 
sich  durchzukämpfen  habe.  Statt  dessen  werden  die 
sozialen  Gegensätze  nur  verschärft  Dieser  Punkt  weist 
aber  zugleich  hin  auf  einen  weiteren  empfindlichen  Mangel 
seiner  Ausführungen,  wie  seiner  Pädagogik  überhaupt. 
Seine  Anweisungen  haben  nur  Gültigkeit  für  den  durch 
Stand  ausgezeichneten  Zögling  aristokratischer  Kreise,  sie 
geben  keine  Lehren  und  Winke  für  die  Allgemeinheit, 
lassen  die  Hebung  und  Fortentwicklung  der  Volksschule 
gänzlich  außer  acht,  so  daß  sie  schon  um  deswegen 
keinen  Anspruch  auf  Allgemeingültigkeit  erheben  dürfen. 
Dabei  geht  Locke  der  weiblichen  Erziehung  ganz  aus  dem 
We^e  und  hat  daher  auch  nicht  ein  Vi^ort  für  die  Spiele 
der  Mädchen  und  ihre  charakteristischen  Seiten.  Ein  Ver- 
gleich seiner  sämtlichen  Ansichten  aber,  der  des  Natur- 
Yerehrers  und  ütilitaristen  zusammengenommen,  ergibt 
das  merkwürdige  Resultat,  daß  er  in  den  Grundanschau- 
nngen  über  das  Wesen  der  Spiele  vielfach  das  Rechte 
trifft,  in  der  methodischen  und  pädagogischen  Verwendung 
ond  Durcharbeitung  derselben  aber  seinem  Erziehungs* 
siele,  der  Glückseligkeit,  zuliebe  Irrwege  geht,  und  einen 
solchen  betritt  er  auch  mit  seiner  Forderung  des  spielen- 
den Unterrichtsbetriebes.  Während  er  dem  Spiele  an 
seinem  rechten  Platze  tyrannische  und  sklavische  Fesseln 
anschmiedet,  räumt  er  ihm  am  unrechten  Orte  einen  un- 
gebührlich weiten  Raum  ein.  Wohl  soll  sich  der  Über- 
gang vom  Spiel  zum  Unterricht  allmählich  und  unvermerkt 
Yollziehen,  wohl  muß  das  Gemüt  des  Kindes  beim  Be- 
ginn des  Unterrichts  eine  Stimmung  erlangt  haben,  welche 


Untorriclit     ist     eine     Vers 
^[«■lianisi'li    und    geistlos    i 
des    Lesenlernens,    übertriel 
Werte,  übertrieben  die  Fordi 
sprechen  gelernt  habe,  auch 
selbst  mit  dem  umstände  g 
ffihigkeit  des  Kindes  im  frt 
am  größten  ist     Summa  st 
seinen  Ausfühningen  behaa[ 
BruchstQcken  tod  verscbiedi 
einignng  als  Ganzes  von  Wid 
nicht  frei,  der  allseitig  barmt 
breiten  empirischeo  Gnindlag« 
gebenden  Sichversenhens  in  d 
berechtigten   Forderungen  ent 
Zaubers  nnd   phantasievollen 
eine  heute  über  Bord  geworfen 
jiT^eleitet  durch  ein  falsches 
Ansichten,  wohl  einzelne  Pei 
in  sich  bergend,   heute    in  < 
WQndeoer  Standpunkt;  and  c 
Teil  ihre  Erklärung  in  der  Z< 
hebers,  in  dwo""  —  "■ 


—     183     — 

dünken  schalten  und  walten  zu  können,  hofft  er,  in  einen 
Orundtrieb  derselben  eine  Abneigung  gegen  einen  an- 
deren pflanzen  zu  können ;  und  so  sehr  er  irrt,  liegt  doch 
gerade  hierin  ein  Vorzug.  Er  ist  nicht  nur  der  erste, 
weicher  die  Psychologie  zum  Regulator  der  Pädagogik 
überhaupt  machte,  er  ist  gleichzeitig  auch  der  erste, 
weicher  dem  Problem  der  Einderspiele  mit  psychologischen 
Hilfsmitteln  zu  Leibe  rückte,  so  daß  Jean  Paul  und 
Herbart  in  diesem  Sinne  das  von  ihm  begonnene  Werk 
gleichsam  weiter  fortsetzen,  i) 


Kapitel  X:    O^egenw artiger   Standpunkt  des  Splel- 

betrlebes  In  Deatschland   mit  Rflckslcht    aaf  die 

Forderungen  Leckes,  Jean  Pauls  und  Herbarts. 

Wenn  sie  dabei  auch  einzelnen  Täuschungen  unter- 
worfen waren,  kann  doch  die  Pädagogik  von  heute  sich 
mit  vielen  ihrer  Forderungen  aus  voller  Überzeugung  ein- 
verstanden erklären,  und  die  Frage  ist  wohl  am  Platze: 
»Inwieweit  sind  ihre  berechtigten  Ansprüche 
und  Ansichten  Gemeingut  der  Gegenwart  ge- 
worden ?€  —  Mit  Genugtuung  darf  dieselbe  wohl  von 
sich  bekennen,  daß  sie  die  Bedeutung  des  Spiels  für  die 
Jugenderziehung  in  ihrer  ganzen  Tragweite  wieder  erfaßt 
hat.  Einen  weiten  Kreis  von  Pädagogen,  insbesondere  aber 
turnerische  und  medizinische  Kreise,  beseelen  heute  die- 
selben Motive,  die  einst  für  einen  Jean  Paul  maßgebend 
gewesen  sind.  Fast  einstimmig  wird  das  Wesen  der  Spiele 
erklärt  als  das  Produkt  eines  Naturtriebes.  Allenthalben 
wird  wieder  betont  der  hohe  erzieherische  Wert  derselben 
für  Ausbildung  des  Willens,  des  Geistes  und  Charakters, 
ihre  Bedeutung  für  das   Erforschen  der  kindlichen  Indi- 


^)  Einzelne  der  in  der  Kritik  ausgeführten  Punkte  sind  swar 
schon  bei  Darlegung  der  Ansichten  der  einzelnen  Pädagogen  an- 
gedeutet Wurden,  mußten  aber  hier  der  Vollständigkeit  halber  im  Zu- 
sammenhang noch  einmal  bertüirt  werden. 


—     184     — 

yidualität,  für  die  harrooDische  Ausbildung  aller  Krftfte  des 
Zöglings;  ^)  und  doch  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daft 
sich  die  moderne  Wertschätzung  der  Spiele  gegenüber 
der  Jean  Pauls  zum  Teil  verrückt  hat  Trotz  der  An» 
erkennung  von  dessen  Ansichten  macht  sie  doch  vielfach 
andere  Gesichtspunkte  geltend.  In  Obereinstimroung  mit 
Locke  hebt  sie  mit  Vorliebe  den  reichen  Beitrag  derselben 
für  die  leibliche  Ausbildung  hervor.  Dazu  treten  vor 
allem,  dem  Geist  der  Zeit  entsprechend,  nationale  und 
soziale  Gesichtspunkte  hinzu.  Die  Spielfrage  vnrd  beute 
nicht  mehr  allein  als  eine  hochwichtige  Erziehungs-,  son- 
dern vor  allem  auch  als  eine  bedeutsame  nationale  Knltur- 
frage  angesehen.  Ein  Einblick  in  die  zeitgenöeaiache 
Tiiteratur  läßt  alle  diese  verschiedenen  Zwecke,  vrelche 
dem  Spiele  zugeschrieben  werden,  mehr  bald  den  einen, 
mehr  bald  den  andern,  deutlich  erkennen.  Dr.  med.  F.  A. 
Schmidt  in  Bonn,  ein  eifriger  Vorkämpfer  der  neuen  Rich- 
tung, schreibt:  »Vielfach  gilt  das  Spiel  heute  noch  als 
eine  Form  von  Leibesbewegungen,  welche  neben  dem 
strengen  methodischen  Turnen  für  die  eigentliche  körper- 
liche Erziehung  doch  eine  mehr  nebensächliche  Stellung 
einnehmen.  Diese  Anschauung  ist  uniichtig.  Das  Spiel 
ist,  richtig  betrieben,  ein  wichtiger  Zweig  des  Tamena 
selber.  Die  Turnübungen  sind  nur  nachgeahmte  Be- 
wegungen. Das  Spiel  erst  gibt  Gelegenheit  zur  seihst» 
schöpferischen  freien  Betätigung  des  Willens  in  geschickten^ 
schnellen  und  kraftvollen  Bewegungen  und  übt  die  selb- 
ständige allseitige  Körperbeberrschung,  welches  doch  eines 
der  vornehmsten  Ziele  des  Schulturnens  ist.  Das 
Turnspiel  ist  also  nicht  bloß  eine  wünschenswerte  Er- 
gänzung des  Turnens,  sondern  ein  wesentlicher  Bestand- 
teil desselben,  ja  in  mancher  Hinsicht  ein  Gipfel  turne- 
rischer Betätigung.  Turnen  ist  notwendig  zur  allseitigen 
Ausbildung   der  Bewegungswerkzenge    des   Körpers,    das 


^)  Ver^l.  Profeesor  Dr.  Koehj  »Der  erziehliche  Wert  der  Spiele;« 
Dr.  med.  SchmicU,  »Langenentwicklung  and  BewegungsspieL« 


—     186     — 

Spiel  ifit  die  freie  ADwendoog  derselben  und  dient  vor 
aUem  auch  der  Willensfibung:  Methodisches  Tomen  und 
Spiel  zusammen  erst  machen  ein  Ganzes  der  Leibes- 
erziehung aus.«  Professor  Dollinger  fährt  aus:  »Das 
Turnspiel  ist  in  der  Lehre  der  körperlichen  Bewegungen 
das,  was  für  die  Grammatik  das  Lesebuch.  Das  Kind 
liest  gern,  wenn  die  Lektüre  es  interessiert,  es  spielt 
gern,  wenn  der  Oeist  des  Spieles  sein  Interesse  wachruft 
In  der  Ordnung,  in  den  Begeln  des  Spieles  liegt  eine  ge- 
wisse Idee,  die  das  Kind  begeistert.«  Dr.  Oüßfeldt  hebt 
hervor:  »Die  Spiele  dienen  dazu,  die  Charaktere  seiner 
Schüler  in  einem  unverfälschten  Spiegelbiide  kennen  zu 
lernen.  Die  planmäßig  geleiteten  Spiele  haben  den  Zweck, 
die  Kräfte  des  Schülers  zu  entwickeln  und  gerade  solche 
Kräfte  zu  entwickeln,  welche  während  des  wissenschaft- 
lichen Unterrichtes  brach  liegen  mtissen.«  An  anderen 
Stellen  begegnen  dem  Leser  Worte,  wie:  »Die  Schule, 
welche  sich  rühmt,  eine  Trägerin  der  wahren  Bildung^ 
das  ist  der  harmonischen  Bildung  von  Gteist  und  Körper 
nicht  bloß  zu  heißen,  sondern  zu  sein,  soll  jede  (Gelegen- 
heit ergreifen,  die  von  ihr  oft  vernachlässigte  körperliche 
Erziehung  ihrer  Schüler  zu  vervollkommnen,  und  hat  sie 
darin  durch  die  Fürsorge  ihrer  Lehrer  und  durch  weise 
Einrichtungen  einen  Vorzug  vor  anderen  errungen,  so 
soll  sie  denselben  hüten  wie  ein  Kleinod  in  glänzendem 
Rüstzeug.«  —  »Wir  sehen  den  wesentlichen  Wert  des 
Jugendspiels  zumeist  dann  begründet,  daß  freie  Zeit 
durch  freie  Bewegung  ohne  den  Zwang  der  Schule  aus- 
gefüllt und  Gelegenheit  gegeben  werde,  daß  der  Schüler 
mit  seinem  Lehrer  außerhalb  der  amtlichen  Sphäre  in 
Berührung  trete  und  diesem  eine  weitgehende  Einwirkung 
auf  Herz  und  Gemüt  des  Knaben  im  nahen,  freundschaft- 
lichen Verkehr  ermöglicht  werde.«  »Sowie  das  Schul- 
spiel sich  einmal  allgemein,  und  im  lechten  frischen  Sinn 
betrieben,  an  unseren  Schulen  eingebürgert  hat,  ist  auch 
der  rechte  Untergrund  für  die  erholenden  Volksspiele  ge- 
schaffen;  dann  werden  gute   Volkssitten  entstehen,  das 


—     186     — 

Wirtshausleben  und  Skatspiel  nehmen  ab.  Wer  die 
Jugendspiele  hat,  hat  auch  die  Yolksspiele.  Die  Jugend- 
spiele sind  das  richtige,  fruchtbare  Saatfeld  fOr  die  Be- 
lebung der  Volksspiele.  Wenn  die  Jugend  aller  Schalen 
sich  erst  jahrelang  in  fröhlicher  Lust  und  ernster  Übung 
auf  dem  Spielplatz  getummelt  hat,  wenn  sie  bewußt  und 
unbewußt  den  Reichtum  aller  segensreichen  Einwirkungeo 
gut  organisierten  Spieles  in  Herz  und  (}emüt  aufgeeogeo 
und  dieses  Spiel  als  ein  unentbehrliches  Yergnfigen 
empfinden  gelernt  hat,  dann  sind  auch  die  Yolksspiele 
da.€  Noch  andere  erblicken  in  den  Jugendspieien  ein 
Mittel  zur  Bekämpfung  der  Frühreife  der  Jugend,  |snr 
Hebung  der  Gesittung  des  Volkslebens,  zur  Yerschonerung 
der  Jugendjahre,  zur  Heranbildung  eines  kräftigen,  an  Omei 
und  Leib  tüchtigen  sittlichen  (Geschlechtes.  Es  wird  betont 
der  Nutzen  derselben  für  die  Armee,  für  Weokunf?  und 
Pflege  der  Disziplin  und  Unterordnung,  für  Ertragenlemen 
von  Anstrengung,  für  Erlangen  von  Mut  und  Entschlossen- 
heit. Es  wird  hervorgehoben  die  Gelegenheit  zu  kluger 
Berechnung,  Benutzung  kleiner  Vorteile  und  zu  raschem 
Entschluß,  zur  Betätigung  der  Energie,  zum  Einsetzen 
aller  Kräfte  im  Dienste  eines  Oesamtzweckes,  im  Dienste 
der  Partei,  vor  allem  aber  ihr  Gewinn  für  die  physische 
Ausbildung,  besonders  auch  des  weiblichen  GeschlecfateSi 
für  Lungen,  und  Herztätigkeit,  für  die  Tätigkeit  der  Be- 
wegungs-  und  Verdauungsorgane.  ^)  Sind  so  die  Auf- 
fassung vom  Wesen  des  Spiels,  sowie  die  Wertschätzung 
desselben,  obgleich  hier  noch  neue  Gesichtspunkte  sich 
geltend  machen,  zum  Teil  dieselben  geblieben,  als  sie  Jean 
Paul  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  Herbart 
und  Locke  vertraten,  so  nähert  sich  die  Gegenwart  mehr 


^)  um  ein  getreoes  Bild  von  dem  gegenwärtigen  Standpunkte 
der  Spielangelegenheit  zu  erbalten,  sind  diese  Zasammenstellangvii 
vurgenommen  worden  nach  den  verschiedensten,  irgendwie  erreidi- 
baren  zeitgenössiscben  Abbandlungen  über  Spiele,  wie  sie  in  den 
Jahrbüchern  des  Zentralausschasses  für  Jugendspiele,  in  Lehrer-, 
Tnmerseitangen  und  pädagogischen  Fachschriften  niedergelegt  sind» 


—     187     — 

noch  Jean  Pauls  Ansicht  hinsichtlich  des  Spielbetriebes. 
Möglichste  Gewähr  von  Freiheit  wird  überall  angestrebt 
und  gefordert  Dr.  Ldon  äußert  sich  hierzu:  »Guts  Muts 
sagt:  »Alter  und  Geschmack,  Fähigkeiten  und  Kenntnisse, 
häusliche  Lage  und  Gesellschaft  der  Jugend^  der  beson- 
dere Geschmack  der  Eltern  und  Erzieher,  Tages-  und 
Jahreszeiten,  häusliche  (Imstande  machen  eine  große  Zahl 
von  Spielen  nötig.c  Die  einzelnen  Spiele  sind  ebensoviele 
eigentümliche  Kundgebungen  der  nun  einmal  dem  Men- 
schen als  eine  glückliche  Mitgabe  für  das  Erdendasein 
«ingepflanzten  Spiellust,  die  hier  und  da  gerade  diesen 
nnd  keinen  anderen  Ausdruck  sucht  und  gefunden  hat 
Ich  nehme  mit  dieser  Erklärung  insbesondere  Stellung 
gegen  die  wohl  zu  Tage  gebrachte  Meinung,  daß  es  ein 
verdienstliches  Werk  sei,  vorab  der  Jugend  allenthalben 
einen  festen  Kanon  von  Bewegungsspielen  nach  allgemein- 
gültigen Gesetzen  zuzurichten.  Eine  unbedingte  Rang- 
ordnung nach  Klasse  und  Namen  aber  läßt  sich  nicht 
wohl  feststellen.  Das  einzige  Kriterium,  welches  niemals 
im  Stiche  läßt,  finde  ich  darin,  daß  das  einzelne  Spiel 
durch  seine  besondere  Grundlage  die  Teilnahme  der  Spieler, 
während  es  gespielt  wird^  vollständig  in  Beschlag  nehmen 
muß,  so  daß  sie  zu  ablenkenden  Unterhaltungen  keine 
Zeit  haben.  Dann  erfüllt  es  als  Spiel  seinen  Zweck. 
Spiele,  welche  von  der  Jugend  des  einen  Ortes  stets  gern, 
ja  leidenschaftlich  gespielt  werden,  finden  an  einem  anderen 
Orte  wenig  oder  gar  keinen  Anklang.  Einzelne  Wahr- 
nehmungen lassen  mich  befürchten,  daß  man  gerade  jetzt 
zu  wenig  darauf  Bücksicht  nimmt,  was  orts-  und  landes- 
üblich ist,  indem  man  sich  mehr  bemüht,  etwas,  wovon 
man  irgend  einen  guten  Eindruck  empfangen  hat,  in  die 
Jugend  hineinzutragen,  anstatt  es  mit  besonnenem  Yorgeh^i 
aus  ihr  herauszulocken«!  Auf  Umgebung  und  Vorbild, 
Sitte  und  Tradition,  auf  die  individuellen  Eigenschaften 
des  Kindes  wird  Rücksicht  zu  nehmen  gesucht  Mit 
Jean  Paul  wird  gefordert:  »Nicht  vielerlei  Spiel,  sondern 
viele  Spiele  in   der  festgesetzten  Spielzeit  geben  einem 


lies  Lclions,  w.i  ni;ui  er 
lue  mit  AiisjiruL'li-ilii^if^liOJ 
lernen  soll."  ')  Mit  Lw-h 
im  Interösee  der  Selbstii 
du  Selbatanfertigen  tod  S 

Sind  Bo  die  geBunden 
gogen  in  der  Theorie  al 
smu*  die  Praxis  noch  mi 
steht  nicht  immer  im  Ein 
anob   hier  ein   weBentticbe 
getreten.    Raydt  schildert 
aebeo  Städte  und  das  Juge 
letzten  Jahrzehnt  die  Präs 
mit  folgenden  Worten:   «Mi 
werden,  daS  fast  alle  BtädtiBC 
spielen   warme   Teilnahme 
große  Bedeutung  derselben  f 
and  daß  sie  endlich  auch  % 
rang  derselben  zu  bringen. 
Ca,  die  sich  in   ihren  Antn 
19.  April    1890  prinzipiell 
gegolUberstellten.     Klagen 
•lohlich    iwViiF.i«-'.-  "  - 


—     189     — 

werden,  während  98  die  zwangsweise  Beteiligang  vor« 
gezogen  hatten.  Die  Spielzeit  an  den  einzelnen  Orten 
schwankte  zwischen  12  und  Y3  Stunden  in  der  Woche. 
In  Görlitz,  Berlin,  Bonn,  Braunschweig  und  Hannoyer 
sind  besondere  Ausbildungsstätten  für  Spielleiter  er- 
richtet worden.  Wo  keine  Spielplätze  vorhanden  waren, 
wurde  ein  Ausweg  zu  finden  gesucht,  indem  die  Schulr 
höfe  oder  Turnstunden,  wenigstens  die  letzten  im  Monat, 
zum  Spiel  verwendet  wurden.«  Wie  sich  dabei  der 
Spielbetrieb  im  einzelnen  gestaltete,  wird  besonders 
klar  aus  den  Berichten  der  einzelnen  Städte.  Dieselben 
zeigen,  daß  sich  überall  das  Bestreben  geltend  macht,  der 
freien  Auswahl  der  Schüler  soviel  als  möglich  Spielraum 
zu  lassen,  wenn  irgend  möglich,  einen  festen  Spielkaaon 
zu  vermeiden,  der  fortschreitenden  Entwicklung,  dem 
wechselnden  Geschmacke  und  anderen  Umständen  Rech* 
nung  zu  tragen,  die  Beteiligung  freiem  Entschluß  zu  über» 
lassen.  Der  gesunden  Seibstregierung  der  Schüler  wir4 
möglichst  Vorschub  geleistet;  die  Bildung  von  Spiel- 
vereinen unter  den  Schülern  wird  begünstigt.  Es  wird 
Gewicht  daraufgelegt,  daß,  wo  nur  angängige  die  Klassen- 
lehrer die  Spiele  leiten;  und  so  wird  vielfach  überräi- 
«timmend  in  den  Spielberichten  hervorgehoben:  »Mit  Rück- 
sicht auf  die  erzieherischen  Zwecke  wird  den  Schülern 
ein  großes  Maß  von  Freiheit  und  Selbständigkeit  gelassen* 
Man  sucht  alles,  was  an  Schulzwang  erinnert,  zu  va> 
meiden,  um  eben  den  Knaben  Gelegenheit  zu  geben,  sich 
im  freien  Spiel  körperlich  und  geistig  auszulebra.  Man 
ließ  ihnen  vielfach  alle  Freiheit  bei  der  Auswahl  der 
Spiele  und  bei  der  Leitung  derselben.  Als  eine  Schol- 
einrichtung  daraus  wurde,  mußte  freilich  vielfach  eine 
bestimmteSpielordnung  eingeführt  werden,  doch  beschränkte 
sich  diese  auf  die  notwendigsten  Bestimmungen  und  sog 
die  Schüler  selbst  wieder  mit  zur  Leitung  und  AuMdit 
heran!  Es  ward  dabei  streng  nach  dem  Grundsatz  ver- 
fahren, daß  auf  dem  Spielplatze  den  Schülern  möglichste 
Selbstregierung  gewahrt  werden  soll.    Es  bilden  sich  die 


—     190     — 

VereiDigungen  nach  freier  Wahl;   sie  wählen  die  Sjnele 
selber;    jüngere   Schüler  stehen    unter  der  Leitung   der 
älteren.    Die  Spielregel  ist  eben  das  Ordnende,  c^)     Tritt 
demnach  das  Bestreben,  der  kindlichen  Individualität  ge- 
recht zu  werden,  ihr  für  ihre  Betätigung  im  Spiel  mög- 
lichste Freiheit   und   üneingeschränktheit   zu   gewähren« 
deutlich  zu  Tage,  so  gestatten  freilich  andrerseits  die  so- 
zialen und  kulturellen  Verhältnisse  der  Gegenwart  nicht 
immer   die  volle  Yerwirklichung  von  Jean  Pauls   IdeaL 
Die  ganze  Organisation  des  gegenwärtigen   Schollebens^ 
der  dadurch  bedingte  Massenbetrieb  der  Spiele  machen 
vielfach  die  Handhabung  einer  gewissen  äußeren  Ordnung^ 
eines  gewissen  methodischen  Betriebes  notwendig,  fahren 
zu  SpielordnuDgen,  Spielplänen,  zum  Aufstellen  von  Kanons, 
erfordern  Spielwarte  und  Spielleiter.  Doch  wird  auch  hier 
möglichst  das  Drückende  der  Aufsicht  zu  vermeiden  gesucht, 
indem  sich  letztere  selbst  mit  am  Spiel  beteiligen,  indem 
sie   aufmuntern,   ordnen   und   beleben.    Nicht  selten  ist 
wohl  auch  bereits  die  Frage  erwogen   worden,  ob  nicht 
überhaupt    die  Spiele   obligatorisch   in   den   Stundenplan 
aufgenommen   werden  müssen,   ob   nicht  die  ünterrichts- 
verwaltungen  dazu  schreiten  müssen,  den  Spielen  in  den 
Erziehungsplänen  der  Lehranstalten  eine  besondere  Stelle 
anzuweisen,  »da  oft  gerade  diejenigen  Schüler,  welche  die- 
selben am  meisten  vonnöten  haben,  aus  Mangel  an  Willens- 
kraft, aus  angeborener  Trägheit  und  Oleichgültigkeit  sich 
fern  halten  und  daher  aus  Unverstand  sich  der  Vorteile 
des  Spielens  selbst   berauben,  c     Bei  dieser  Sachlage  der 
Verhältnisse  berichten  andere  Städte  wohl  auch:    »In  der 
ersten  Zeit   der  Einführung  wird  der  Lehrer  den  Mittel- 
punkt der  Spielbewegung   bilden  müssen.    Er  wird   die 
Regeln  mitteilen,  das  Spiel  überwachen.  Streit  schlichten, 
Unregelmäßigkeiten  ausgleichen,  den  Wechsel  der  Spiele 
bestimmen.     Ihm  muß  das  Material  so  bekannt  sein,  dafi 
Irrungen  ausgeschlossen  erscheinen.     Er  möge,  soweit  es 


^)  Braunacbweig. 


—     191     — 

seine  Kräfte  gestatten,  auch  mitspielen.   Die  Schüler  freuen 
sich,  wenn  er  jugendliche  Lust  und  heiteres  Vergnügen  mit 
ihnen  teilt;  sie  sehen  in  ihm  dann  nicht  mehr  den  steifen 
Gelehrten,  den  strafenden  Richter,  sondern   sie  verehren 
ihn  als  väterlichen  Freund   und  lieben   ihn  als  Genossen 
der  Jugendlichkeit.    Sein  Beispiel  wirkt  segensreich  über 
die  Schule  hinaus.     Haben   die  Spiele  in  einer  Anstalt 
festen  Boden  gewonnen,   sind   die  Hauptspiele   und  die 
Hauptregeln  unverlierbares  Eigentum  der  Schüler  gewor- 
den, so  wird  der  Lehrer  die  letzteren  freier  wählen  und 
bestimmen  lassen.    Je  sicherer  sie  das  Spiel  beherrschen, 
desto  erheblicher  wird  das  Interesse  am   Spiel   wachsen, 
und  desto  voUständiger  werden  die  Schüler  das  Spiel  und 
sich  selbst  beherrschen,  c^)  —  So  erfreulich  nun  auch  ein 
derartiger  Fortschritt  im  Spielleben  unserer  Schulen 
sein  mag,  über  gewisse  noch  bestehende  Mängel  vermag 
auch  er  nicht  hinweg  zu  täuschen.    Bei  allem  Bestreben, 
möglichste  Freiheit  zu  gewähren,  macht  sich  immer  noch 
ein  gewisser  Zwang,  eine  Art  Kommando,  ein  bestimmter 
methodischer  Betrieb  geltend.    Die  modernen  Schul-  und 
Kulturverhältnisse  mit   ihrem   nivellierenden   und  schab- 
ionisierenden Charakter  gestatten  nicht  die  Respektierung 
der    Individualität    im    Sinne    eines   Jean   Pauls,      Ein 
Schimmer  von  Kunst  legt  sich  über  die  ganze  Art  und 
Weise  dieses  Betriebes,  der  individueUen  Natur,  die  sich 
doch  dem  Ganzen  beugen  muß,  gewisse  Fesseln  anlegend, 
und  eine  Gefahr   bringt  ein  so  organisierter  Spielbetrieb 
immer   mit   sich:   auszuarten   zum   Sportbetriebe.    Dazu 
werden  von  den  Führern  der  ganzen  Bewegung,  die  be- 
zeichnenderweise  meist    medizinischen   und   turnerischen 
Ereisen  angehören,  die  nationalen   und  physischen  Ele- 
mente zu  einseitig  in  den  Vordergrund  gerückt,  werden 
die  psychologischen  und  erzieherischen  Gesichtspunkte  im 


^)  Die  Berichte  sind  so  gewählt,  daß  sie  die  zwei  großen  Lager 
charakterisieren,  welche  in  der  Tat  hinsichtlich  des  Spielbetriebes 
bestehen,  so  daß  sie  die  Verhältnisse  im  ganzen  za  kennzeichnen 
▼ermögen. 


—    192    — 

engeren  Sinne  zu  wenig  berücksichtigt,  wird  auf  die 
praktische  Ausbeute  der  Spiele  im  Dienste  der  Geistes- 
kultur,  der  sittlichen  Bildung  und  Endehung  im  engersB 
Sinne  zu  wenig  Gewicht  gelegt  Zweck  und  Abaicbt  siiid 
edel  und  gut  und  stiften  gewiß  auch  groGen  S^en,  aber 
die  Ziele  sind  zu  einseitig,  und  leicht  greift  man,  wie  ja 
bei  allen  Neuerungen,  deshalb  auch  in  der  Wahl  der 
Mittel  oft  fehl.  Nicht  dem  Leibe  allein,  oder  doch  fiul 
ausschließlich,  der  Seele  des  Kindes,  den  natürlichem 
Trieben  und  Regungen  derselben  muß  mehr  Rechnung 
getragen  werden,  als  dies  allenthalben  geschieht,  mit  einem 
Worte,  die  rein  pädagogische  Ernte  muß  eine  ergiebigefe 
und  ertragsreichere  werden.  Außerdem  kommt  der  Seg^ 
dieser  Einrichtung  immer  nur  einem  Teil  der  Ju^^d  la 
gute,  wo  eben  Verwaltungen  und  Schulen  derartige  Vor* 
kehrungen  getroffen  haben,  an  denen  aber  oft  nicht  ein- 
mal alle  Kinder  des  Ortes  teilnehmen.  Ein  falsches  BiM 
würde  sich  ergeben,  diesen  Maßstab  an  das  gesamte 
Schulleben  der  deutschen  Jugend  anlegen  zu  wollen.  Wie 
viele  Schulen,  abgesehen  von  größeren  Städten,  erfreuen 
sich  solcher  Einrichtungen;  wie  viele  Lehrer  unterziehen 
sich  dieser  Aufgabe?  Auf  dem  Lande  fehlen  jene  fast 
ganz,  in  den  kleineren  Städten  nicht  selten.  Die  Turn* 
stunden  sollen  das  Fehlende  ersetzen.  Abgesehen  davon, 
daß  hier  immer  nur  der  betreffende  Lehrer  oder  wohl 
gar  Fachlehrer  im  stände  ist,  die  Kinder  zu  belauschen, 
tragen  diese  Spiele  nicht  selten  den  Charakter  des  Ge- 
regelten an  sich,  beschränken  sich  auf  die  im  Lebrplan 
vorgeschriebenen,  welche  noch  dazu  nach  militärischem 
Kommando  eingeübt  werden.  So  bleiben  für  die  freien 
Spiele  der  Kinder  nur  die  kurzbemessenen  Pausen,  die 
I^'rei Viertelstun  den,  und  auch  hier  wird  vielfach  doch  nnr 
gespielt  der  Disziplin  wegen.  Die  natürliche  Fröhlichkeit 
und  Munterkeit  der  Kleinen  kommen  nicht  zu  ihrem 
Rechte.  Schulfeste  und  Schulspaziergänge,  die  dazu  meist 
noch  anderen  Zwecken  dienen,  bieten  fast  die  einzige 
Gelegenheit  zum   Spiel,    und  auch   hier  treten  zur   Be- 


—     193     — 

Ittstigung  einer  schaulustigen  Menge  nidit  selten  abge- 
ricbtete  Pappen  anf.  Bei  der  minutiösen  Einteilung  der 
Zeit,  bei  der  peinlichen  Verteilung  des  Lehrstofifes  selbst 
bis  auf  die  einzelnen  Stunden  nimmt  das  Schulleben  nur 
allzuoft  einen  gewissen  fabrikmäßigen  Betrieb  an,  der 
wohl  den  bloßen  Stundengeber  befriedigt,  ihm  eigne  Denk- 
arbeit erspart,  es  aber  dem  emstgeeinnten  Erzieher  schwer 
fallen  läßt,  oft  auch  nur  ein  Yiertelstündchen  für  be- 
rechtigte Forderungen  der  Kleinen  zu  erübrigen.  Zu  Tolle 
Klassen,  zu  bunt  zusammengewürfeltes  Schülermateriid 
erschweren  ihm  seinen  Zweck  vollends,  den  zu  erreichen, 
er  schon  gezwungen  ist,  seine  eigne  freie  Zeit  zu  opfern. 
Hier  aber  scheitert  seine  Absicht  nicht  selten  an  dem 
Widerstand  der  Eltern,  besond^B  der  niederer  Volks- 
schichten. Der  Sohn  des  Landmannes  wird  zur  Feldarbeit 
gebraucht;  die  Kinder  ärmerer  Stände  müssen  —  und 
mit  wie  vielen  Beispielen,  besonders  aus  größeren  Städten, 
ließe  sich  hier  trotz  mancher  Vorkehrungen  auch  heute 
noch  dienen  —  oft  schon  vor  dem  unterrichte  stunden* 
lang  ihren  Geschäften  nachgehen.  Für  sie  sind  aber 
Spiele  doppelt  notwendig,  für  sie  sind  sie  eine  hygienische 
Forderung  und  soziale  Notwendigkeit,  abgesehen  davon, 
daß  sie  gerade  in  den  Kreisen  dieser  Kinder  nicht  wenig 
dazu  beitragen,  ihre  natürlidie  ünbeholfenheit  ihnen  ab- 
zugewöhnen. Um  aber  diesen  Umstände  gere^  zu 
werden,  ist  d&t  Lehrer  gezwungen,  d^i  eigentlichen  Schid- 
stunden  selber  die  dazu  erforderliche  Zeit  abzugewinnen, 
vielleicht  gegen  die  Bestimmung  der  Vorschrift  Es  kann 
heute  keinem  Zweifel  mehr  unterliegen,  daß  gerade  nach 
dieser  Richtung  hin  sich  im  SchuUeben  der  Gegenwart 
ein  zu  drückender  Bureaukratismus  geltend  macht,  daß 
die  Verhältnisse  nur  zu  sehr  vom  grünen  Tisch  aus  be- 
stimmt werden,  ohne  mit  den  Forderungen  der  Wirklich* 
keit  zu  rechnen.  Noch  lange  nicht  sind  im  heutigen  Schulr 
leben  die  Forderungen  eines  Jean  Paul  in  Erfüllung  ge- 
gangen, und  wie  sieht  es  in  den  Familien  aus? 
Noch  ganz   derselbe  Luxus,  noch  ganz   dasselbe  Über- 

Pad.  Mag.  320.    Wellor.  13 


wenn   ^ichon   diu  Ju; 
abResehniackt  und  tei 
frühzeitig  die  Eindlici 
Benehmen  an  Dichte 
Eind  nicht  geradezu 
am  der  Eitelkeit  der 
leicht  dem  guten  Nach 
Spieleachen   aus?    Mol 
Spielwaren  nicht  jeden 
denken   einflößen  ?    Die 
nnr  eben  keine  Spielsoi 
prodnkte  von  größter  Zi 
Arbeitszeug  für  die  Zw 
Schonung,   aber  geatatti 
ihnen.    Weder  in  Schule 
Forderungen  eines  Jean 
Herbart  und  Locke,  in 
Noch  ein  reiches  Arbeit 
zu  bebauen. 


—     195     — 

sozialpolitischen  und  kulturellen  Verhältnisse  werden  in 
ihrer  gegenwärtigen  Gestalt  zwar  immer  eine  unüberscbreit- 
bare  Grenze  stecken,  so  daß  nur  eine  möglichste  Milde- 
rung der  bestehenden  Übelstände,  mit  denen  nun  einmal 
gerechnet  werden  muß,  angestrebt  werden  kann.  Dieselbe 
aber  ist  möglich,  ja  notwendig,  wenn  nicht  wieder  ver- 
gessen werden  soll,  daß  auch  den  Kleinen  eine  Seele  mit 
eigenen  Bedürfnissen  einwohnt.  In  den  gegenwärtigen 
Verhältnissen  das  Ideal  einer  Schule  erblicken  zu  wollen, 
dürfte  mehr  als  einem  Erzieher  schwer  fallen,  schwerer 
aber  noch,  in  einer  Zeit  des  Gährens,  des  Rütteins  am 
Alten,  des  Experimentierens  mit  Neuem  das  Richtige 
herauszufinden.  Wenn,  wie  begründete  Zeichen  andeuten,, 
die  gegenwärtige  Zeit  vielleicht  in  der  Geschichte  der 
Pädagogik  einst  den  Titel  einer  Übergangsperiode  tragen 
wird,  ist  es  Pflicht  dieser  Zeit,  berechtigte  Wünsche  zu 
hören;  und  solche  erhebt  auch  die  Eindesnatur  mit  ihrem 
Freiheitsdrange  und  Spielbedürfnis.  Offen  gestanden,  ließe 
sich  bis  zum  9.  und  10.  Lebensjahre  wohl  manches  Viertel* 
Stündchen,  das  in  zu  peinlicher  Sorgfalt  der  Stundenplan 
vorschreibt,  missen  und  im  Dienste  wirklicher  Erziehung 
der  Kleinen  verwerten.  Natur-  und  heimatskundliche 
Unterrichtsfächer  laden  zu  Ausflügen  ins  Freie  ein,  für 
manche  angesetzte  Stunde  läßt  sich  hier  der  dumpfe  Schul- 
raum mit  der  freien  Natur  selbst  vertauschen;  und  hier 
auf  grünem  Plan  findet  sich  wohl  auch  Gelegenheit,  so 
manches  halbe  Stündchen  freiem  Spiel  und  heiterem  Scherz 
zu  widmen.  Aus  eigner  Erfahrung  darf  bestätigt  wer- 
den,  daß  die  so  hingegebene  Zeit  doppelt  und  dreifach 
wieder  eingeholt  wurde.  Träge  und  saumselige  Naturen, 
bei  denen  sogar  pathologische  Zustände  den  Erklärungs- 
grund zu  ihrem  Verhalten  abgaben,  konnten  so  am  besten 
aufgerüttelt,  für  eine  lebhaftere  Teilnahme  auch  am  unter- 
richte gewonnen  werden;  und  werden  Turnstunden  und 
Pausen  in  ähnlichem  Sinne  verwertet,  so  kommt  der 
Unterricht  noch  recht  wohl  zu  seinem  Rechte,  aber  auch 
andrerseits  die  kindliche  Natur.  Dabei  müssen  die  Schüler 

13* 


—     196     — 

soviel  als  möglich  frei  schalten  and  walten  köonea.  Humi 
bleibe  die  Wahl  der  Spiele  überlaseen;  sam  wenigsleB 
aber  muß  der  Schein  dieser  Freiheit  ihnen  gewahrt  hleiben. 
Jede  Furcht  vor  Ausschreitungen  ist  onangebraoht  Schoa 
die  biofie  Gegenwart  eines  geliebten  Lehrers  geotlgt, 
im  Zaume  zu  halten  und  vor  Aasschreitungen,  die 
Spiele  nur  selten  und  auch  nur  bei  größeren  einmal 
kommen,  zu  bewahren.  Um  jeden  Glauben  an  eine  Übeir- 
wachung  zu  unterdrücken,  beteilige  sich  der  Enielur 
selbst  mit  am  Spiel,  werde  gans  einer  der  ihren.  Mü 
rechtem  Takt  und  rechtem  Sinn  angefangen,  läßt  eich  aaf 
diese  Weise  unendlich  viel  gewinnen  auch  för  die  Zwecke 
des  Unterrichtes  und  das  Gelingen  des  Erdehnngswerkee 
überhaupt.  Nur  ein  törichter  Glaube  kann  den  fiSrsiehflr 
befürchten  lassen,  sich  dadurch  von  seiner  Autorität  etww 
zu  vergeben.  Vielmehr  wird  es  für  ihn,  wenn  er  4ßm 
Gewinn  und  Genuß  solcher  Stunden  empfanden  bat,  eise 
köstliche  Erinnerung  bleiben,  wie  die  Augen  der  EleDMB 
aufblitzten,  wie  sie  ihn  umringten,  wie  ihre  Freade  hwI 
Munterkeit  gehoben  wurden,  wieviel  liebe  und  AnbfiiigUob- 
keit  er  erntete.  Die  Erfahrung  wird  ihm  lefaren,  daß 
sich  andrerseits  sogar  eine  förmliche  Enttäusohong  eia* 
stellte,  wenn  er  es  unteriieß,  sich  in  ihren  Kreis  moacr 
mischen;  und  muß  es  nicht  so  sein,  wenn  er  der  Freuidl 
der  Kleinen  in  dem  Funkte  wird,  wo  sie  am  beeten  m 
treffen  sind?  Ein  solches  Verhalten  empfinden  dteselbeB 
durchaus  nicht  als  Aufsicht,  vielmehr  erblicken  sie  in 
Erzieher  nur  einen  Spielfreund,  einen  ihrer  SpielgenoeseB. 
In  solchen  Augenblicken  darf  derselbe  aber  auch  selbst 
einmal  bestimmen  und  anordnen,  darf  aus  besondema 
Gründen  dieses  und  jenes  Spiel  vorschlagen.  Ohne  das 
leiseste  Empfinden  eines  Eingriffes  in  ihre  Freiheit  ordneo 
sie  sich  ihm  wie  jedem  andern  älteren  Spielkameraden 
willig  unter;  denn  sie  wollen  auch  neue  Spiele  kennen 
lernen  und  sehen  auch  den  Lehrer  unter  die  gemeinsam 
verbindende  Spielregel  gestellt  wie  sich  selber.  —  bi 
diesem  Sinne  muß  vor  allem  auch  jenen  Veranstaltange^i 


—     197     — 

welche  der  Belustigung  und  dem  Yergnttgen  der  Schul- 
jugend gewidmet  sein  sollen,  den  Schulfesten  und  Ausflügen, 
den  Schülerspaziergängen,  ihr  wahrer  Charakter  als  Er- 
holungs-  und  Belustigungsmittel  wieder  zurückgegeben 
werden.  Ihren  Zweck  erfüllen  sie  nur,  wenn  sie  das  Ge- 
präge als  Schaustellungen  für  Erwachsene,  als  Eitelkeits- 
kitzel für  Eltern  und  Erzieher  ablegen,  das  zu  erzielen, 
oft  ein  monatelanger  Drill  vorher  nötig  ist.  Wieviel  kost- 
bare Zeit  wird  verschwendet,  die  im  besseren  Sinne  hätte 
▼erwendet  werden  können,  wieviel  Gelegenheit  unbenutzt 
vorübergehen  lassen,  die  kindliche  Seele  sich  selbst  aus- 
leben zu  lassen,  anstatt  ihr  den  drückendsten  Zwang  auf- 
zuerlegen! Mögen  es  immerhin  nur  Kleinigkeiten  sein, 
ihre  Beachtung  wird  doch  dazu  beitragen,  daß  ein  freu- 
diger Geist  und  heiterer  Sinn,  daß  neues  Leben  auch 
wieder  in  die  Hallen  unserer  Schulen  einziehen.  Leider 
sind  sie  ja  heute  schon  oft  ein  getreues  Abbild  der 
Modernen  Hast  und  Überstürzung.  Es  wird  doziert  und 
experimentiert,  aber  zu  wenig  praktiziert.  Vorschläge 
auf  Vorschläge,  Versuche  auf  Versuche  überstürzen  sich. 
Diesem  Getriebe  g^enüber  muß  sich  der  Glaube  sieg- 
reich Bahn  brechen,  daß  es  doch  noch  möglich  ist,  den 
ganzen  Schulbetrieb  sinnreicher  und  individueller  zu  ge- 
stalten, als  dies  tatsächlich  der  Fall  ist  Hier  aber  er- 
wächst der  Schule  noch  eine  zweite  Aufgabe  im  Hinblick 
auf  die  Familie.  In  weiten  Schichten  des  Volkes,  in 
niederen  wie  höheren  Ständen,  fehlt  es  an  der  nötigen 
Aufklärung.  Dort  mangelt  es  an  der  Zeit,  hier  an  der 
Lust,  auch  einmal  ein  gutes  Buch  über  Erziehung  in  die 
Hand  zu  nehmen.  Die  Zeit  des  Vaters  nimmt  der  Ernst 
des  Geschäftes  in  Anspruch,  Mutter  und  erwachsene 
Töchter,  deren  schöne  Pflicht  es  wäre,  hier  das  Ihre  zu 
tun,  finden  in  Romanen  und  seichter  Lektüre  einen  viel 
anziehenderen  Stoff.  Hier  wird  es  Pflicht  der  Schule, 
Aufklärung  zu  schaffen  und  solche  zu  verbreiten.  In 
derartigen  Punkten  muß  sie  den  Zweck  und  die  Auf- 
gabe pädagogischer  Familienabende  erblicken,  wie  sie  an 


—     198     - 

einigen  Winkeln  unseres  Vaterlandes  bereits  eingeriditet 
worden  sind,  nicht  aber  in  EonzertvortrSgen  und  Deklama^ 
tionen.  Frei  und  ungeschmückt  müssen  hier  die  An- 
liegen vorgebracht  werden  können,  frei  und  ungeschmückt 
muß  aber  auch  die  Wahrheit  bekannt  werden,  unbe> 
kümmert  darum,  ob  sie  gehört  sein  will  oder  nicht:  der 
Yolkserzieher  warte  seines  Amtes!  Für  den  gesunden 
und  praktischen  Sinn  eines  solchen  aber  dürfte  es  sich 
empfehlen,  ihm  doch  einen  größeren  Spielraum  zu  lassen, 
als  dies  viele  Seh ulver waltungen  von  heute  für  gut 
befinden.  Würden  dieselben  ihre  Aufgabe  nicht  besser 
erfüllen  durch  vermehrte  Fürsorge  für  die  Gewinnung 
und  Heranbildung  solcher  Erzieher,  als  durch  das  Be-. 
streben,  durch  Verordnungen  alles  und  jedes  r^eln  zu 
wollen,  die  bei  aller  wohlgemeinten  Absicht  doch  immer 
nur  ein  Durchschnittsmaß  bleiben  und  einengen  nach 
oben,  wie  nach  unten?  Für  den  tüchtigen  Erzieher  wer- 
den sie  leider  nur  allzuoft  sogar  zum  Hemmschuh,  zur 
Zwangsjacke,  tür  den  weniger  Befähigten  zum  unverbrüch- 
lichen Dogma,  das  sich  fanatisch  gegen  jeden  wahren  Fort- 
schritt erklärt,  für  den  bloßen  Stundengeber  zum  will- 
kommenen Mittel,  ihn  auf  billige  Weise  ernsten  Selbst- 
nachforschens  und  Weiterstrebens  zu  entheben.  G^wifi 
lassen  sich  dieselben  unter  heutigen  Verhältnissen  nicht 
umgehen,  ein  Übermaß  aber  schadet  dort  wie  hier!  und 
Arbeit,  auch  für  die  Förderung  jugendfrohen  Spieles,  würde 
noch  genug  übrig  bleiben.  In  der  Fürsorge  für  gute 
Spielplätze,  für  die  nötige  Spielzeit,  in  der  Überwachung 
der  häuslichen  Schularbeiten  zu  Gunsten  der  erforder- 
lichen Zeit,  in  der  Gewinnung  und  Unterstützung  sich 
der  Sache  von  ganzem  Herzen  annehmender  Lehrer,  in 
der  Fürsorge  für  deren  Ausbildung  auch  nach  dieser 
Richtung  hin,  in  Vorkehrungen  und  Veranstaltungen  zur 
Aufklärung  des  Volkes,  in  der  BeschafTung  der  notwendigen 
Spielgeräte  fäode  sich  ein  Feld  von  reicher  Betätigung. 
Hier  käme  auch  die  mithelfende  Unterstützung  von  Ver- 
einen  und  Wohltätern  der  Menschheit  in  Frage, 


—     199     — 

^ie  tatkräftig  die  Hand  mit  ans  Werk  legten  und  ihr 
Scherflein,  das  so  oft  unnützen  Zwecken  gewidmet  ist, 
dazu  bestimmten,  der  Jugend  die  Schule,  so  oft  den 
einzigen  Ort  ihres  Ernstes,  gleichzeitig  auch  in  ein 
Paradies  ihres  Alters  zu  verwandeln.  Jeder  das  Seine 
hier  am  rechten  Platze,  dann  wird  auch  im  Schulleben 
der  Gegenwart  das  Ideal  Jean  Pauls  zum  Teil  Verwirk- 
lichung finden,  und  der  Einfluß  desselben  wird  wider- 
hallen im  Tempel  unserer  Familien:  »Dem  Kinde  bleibt 
seine  podsievolle  Welt  erhalten,  und  keine  rauhe  Hand 
vernichtet  das  zarte  Befruchtstäuben!« 


-x@®@>«- 


Omck  TOD  Hcnuuui  B«y«r  ft  BOhiio  (B«y«  ft  Hum)  in  Lugvisl». 


Verlag  von  Hermann  Beyer  ^  Söhne  (Beyer  dt  Mann)  in  Langemahi. 


Pädagogisches  Magazin. 

Attudlnuei  toi  ftelilete  der  PUuotlk  mil  Iknr  HIIftwUieiRliIlEL 


Friedrich  Mann. 

1.  Ka  ferste  in,  Dr.  H.,  Betraohtongea  fiberLebreibildnng.   2.  Aufl.  75  Ft 

2.  If  aennel,  Dr.  B.,  Über  pftdagogiache  DiskoaaioBen  and  die  Bedingai^eBr 
unter  denen  sie  nützen  können.    2.  Anfl.    45  Pf. 

3.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Fr.  Mykonias,  der  Beformator  ThOxiiitfaia.  25  FT. 

4.  Tews,  Job.,  Moderne  M&dchenerziehnng.  Ein  Toitrao.    2rAnfl*    30  FL 

5.  Ufer,  Christian,  Das  Wesen  des  Schwachsinns.    2.  Aofl.     25  FL 

6.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Otto  Frick.    Ged&chtnisrede,  gehalten  im  HaSs- 
sehen  Lehrer- Vereine.    40  Pf. 

7.  Holt  seh,  H.,  ComenioSvder  Apostel  des  Priedena.    30  Pf. 

8.  Sallwürk,  Dr.  £.  von,  Baumgarten  gegen  Diesterweg.     25  PL 

9.  Tews,  Job.,  Sozialdemokratische  Pftdag<^k.    3.  Aufl.     50  PL 

10.  Flügel,  0.,  Über  die  Phantasie.    Ein  Vortrag.    2.  Aofl.     30  PL 

11.  Janke,  0.,  Die  Beleuchtung  der  Sohnlzimmer.    25  Pf. 

12.  Schuller  US,  Dr.  Adolf,  Die  Deutsche  Mythologie  in  der  Eniehaiigi> 
schule.    20  Pf. 

13.  Kef  er  stein,  Dr.  Horst,  Eine  Herderstndie  mit  besonderer  Beziehnng 
auf  Herder  als  Pädagog.    40  PL 

14.  W  i  1 1 B 1 0  c  k ,  Dr.  Alb.,  Die  ÜberfßUung  der  gelehrten  Berofinweigeu  50  PL 

15.  Hunziker,  Prof.  0.,  Comenius  und  Pestalozzi.  Festrede.  2.  Aofl.  40  PL 

16.  Sallwürk,  Dr.  £.  von,  Das  Becht  der  Volksschulanfincht.  Nach  de» 
Verhandlungen  der  Württemberg.  Kammer  im  Mai  1891.     25  Pf. 

17.  Boss b ach,  Dr.  F.,  Historische  Bichtigkeit  und  Volkstümlichkeit  im 
Geschichtsunterrichte.    40  Pf 

18.  Wohlrabe,  Rektor  Dr.,  Lehrplan  der  sechsstofigen  Volkaachnle  is 
Halle  a.  S.  für  den  Unterricht  in  Geschichte,  Geographiey  NatorlebrBh 
Baumlehre,  Deutsch.    40  Pf. 

19.  Bot  her,  H.,  Die  Bedeutung  des  ünbewulsten  im  meneohl.  Seelsa* 
leben.    2.  Aufl.    30  Pf. 

20.  Geh  ml  ich,  Dr.  Ernst,  Beiträge  zur  Geschichte  des  ünterricfata  and 
der  Zucht  in  den  städtischen  Lateinschulen  des  16.  JahrhnndertB.    50  PL 

21.  Ho  11  kämm,  F.,  Erziehender  Unterricht  und  Massennnterridit.     60  PL 

22.  Janke,  Otto,  Körperhaltung  und  Schriftrichtung.    40  PL 

23.  Lange.  Dr.  Karl,  Die  zweckmäßige  Gestaltung  der  öffsntliöheD  Schal* 
Prüfungen.    30  PL 

24.  Gleichmann,  ProL  A.,  Über  den  blob  darstellenden  Unterricht  Hör- 
barts.    2.  Auflage.    60  PL 

25.  Lomberg,  A.,  Grofse  oder  kleine  Schulsysteme?    45  Pf. 

26.  Bergemann,  Dr.  P.,  Wie  wird  die  Heimatskonde  ihrer  80s.-ethiacfafla 
Aufgabe  gerecht?  2.  Aufl.    80  PL 

27.  Kirchberg,  Th.,  Die  Etymologie  und  ihre  Bedeutung  fQi  Schale  and 
Lehrer.    40  Pf. 

28.  Honke,  Julius,  Zur  Pflege  volkstüml.  Bildung  und  Gesittung.    50  PL 

29.  Ben  kauf,  ]^.  A.,  Abnorme  Kinder  und  ihre  Pflege.    2.  Aiä.    35  Ft 


Poesie  im  I.Schuljahr 


Von 


Hugo  Kfihn, 

Lehrer  am  Orossh.  S.  Sophienstift  in  Wehntr. 


Päda^ogrisches  Masrazin,  Heft  821. 


LftBMTtfffllgft 

Hermann  Beyer  &  Söhne 

(Beyer  ft  Mann) 

HflEKgl.  Sldii.  HoflwiohhihMner 

1908 

i     f  i^ 


•  RechU  TditielMUa. 


Die  Poesie  ist  neben  den  vielen  anderen  Dingen,  die 
wir  in  der  Elementarklasse  betreihen,  nicht  weit  über 
die  Stellung  eines  Aschenbrödels  hinausgekommen.  Unsere 
Schulerziehung  charakterisiert  ein  stark  utilitaristischer 
Zug.  Man  fordert  und  erwartet  von  der  heutigen  Schule, 
daß  sie  ihre  Zöglinge  zu  religiös-sittlichen  Charakteren, 
dann  aber  vor  allem  auch  zu  praktisch  tauglichen  Indi- 
viduen heranbilde,  die  ihren  Platz  dermaleinst  in  der 
menschlichen  Gesellschaft  selbständig  auszufüllen  imstande 
sind  und  einen  rüstigen  Fortschritt  modemer  Kulturarbeit 
gewährleisten.  Die  sich  täglich  steigernden  Ansprüche, 
die  der  Eampt  um  die  Existenz  an  die  Fähigkeit  und 
die  Arbeitsenergie  des  Individuums  stellt,  bedingen  natur- 
gemäß auch  eine  stetige  Steigerung  der  Ziele  unserer 
Yolksschule,  der  ja  bekanntlich  96  %  QDBeres  Volkes  ihre 
grundlegende  Ausbildung  verdanken.  Die  Lehrpläne  der 
Volksschule  lassen  in  ihrer  fortwährenden  um-  und  Neu- 
gestaltung erkennen,  wie  man  sich  in  heißem  Bingen,  in 
zäher  Arbeit  abmüht,  den  wachsenden  Forderungen  des 
Tages  Rechnung  zu  tragen.  Was  sich  nicht  als  un- 
bedingt notwendiger  Baustein  für  das  durch  die  nächst- 
liegenden Bedürfnisse  des  praktischen  Lebens  vor- 
gezeichnete Lehrplansystem  auszuweisen  vermag,  das 
findet  wenig,  meist  gar  keine  Gnade  vor  unseren  Augen. 
Bei  dieser  Auswahl  verfahren  wir  so  gewissenhaft,  daß 
wir  bereits  im  I.  Schuljahre  den  Schwerpunkt  des  Unter* 
hchts  auf  die  Unterrichtsgegenstände  veri^n,  die  einen 

Pld.  Ibg.  821.    Kfthn,  FOeiie  im  L  Sobnljalir.  1 


—     2     — 

unmittelbaren  greifbaren  Zweck  fürs  Leben  haben  oder  zu 
haben  scheinen.    Wie  anders  sollen  wir's  uns  sonst  er- 
klären, daß   noch  immer  Lesen  und  Schreiben   im  Ele- 
mentarunterricht das  Scepter  führen,  obgleich  doch  schon 
längst  hinreichend  erwiesen  ist,  daß  sie  eine  wahre  Oeißel 
für  unsere  Jugend  bilden.    Ja,  ließe  sich  der  frühzeitige 
Beginn  des  Schreibleseunterrichts  wenigstens  noch  durch 
einen  triftigen  Grund  rechtfertigen!    Oder  will  man  wirk- 
lich  ernstlich   behaupten,   daß  die  gründliche   Erlernung 
des  Lesens  und  Schreibens  einen  möglichst  zeitigen  Be- 
ginn dieser  Disziplinen  unbedingt  erfordere?    Oder  glaubt 
jemand  beweisen  zu  können,  daß  Ijosen  und   Schreiben 
dem    kindlichen    Interesse    ganz     besonders    nahelägen? 
Oder  fordert  ein   vom   Kinde  gefühltes  Bedür&iis  gebie- 
terisch   die    alsbaldige    Inangriffnahme   des    Schreiblese- 
unterrichts?  Nichts  von  alledem!   Und  doch  werden  auch 
Lesen  und  Schreiben  genau  so  wie  jede  andere  ünter- 
richtsdisziplin   ihre   Berechtigung  für   den  Lehrplan    des 
Elementarunterrichts  in   erster  Linie  aus  dem   Interesse 
und   Bedürfnis   des   Kindes    heraus    begründen    müssen. 
Beim  Rechnen  liegt  die  Sache  anders.     Der  Wunsch  des 
Kindes,  die  Dinge  seiner  Umgebung  zählen,  messen,  nach 
Umfang    und    Gewicht   vergleichen    zu   können,    bedingt 
und  rechtfertigt  den  alsbaldigen  Beginn  des  Bechenunter- 
richts.    Oft  und   energisch   genug    ist  gegen    den   öden 
Formalismus,  den  der  Schreibleseunterricht  in  der  Elementar- 
klasse notwendigerweise  mehr  oder  weniger  verkörpern 
muß,  zu  Felde  gezogen  worden.    Aber  immer  wieder  gilt 
es  ihn  zu  bekämpfen,   zu  bekämpfen  so  lange,    bis   er 
endlich    den   Dingen  Platz  macht,   denen   das  Kind  aus 
seinem   innersten    Wesen,  aus  seinen  seelischen  Bedürf- 
nissen  heraus   zunächst   entgegenstrebt.     Wie   langweilig 
und  öde  muß  es  dem  kleinen  Neuling  in  der  Schule  vor- 
kommen, wenn  er  seiner  ganzen  bisherigen  Entwickelung  ge- 
mäß verlangend  nach  lebendigem  Leben,  nach  wirklichen, 
greif-  und  sichtbaren  Dingen  ausschauend,  nun  hier  tag- 
tfiglich  stundenlang  mit  den  klappernden  Gerippen  toter 


Bachstabenbüllen  traktiert  und  bis  zur  Erschöpfung  er-' 
müdet  wird.  Der  »Beiz  des  Neuen«  versagt  hierbei  gar 
bald,  und  selbst  die  packendste  Methode  des  geschicktesten 
Elementarlehrers  wird  dem  Kinde  den  Schreibleseunter- 
richt auf  die  Dauer  wirklich  anziehend  und  fesselnd 
nicht  zu  gestalten  vermögen.  Wie  ein  eisiger,  tödlicher 
Beif  muß  sich  der  Buchstabendrill  auf  des  Kindes  Seelen- 
leben legen,  das  sich  bis  dahin  in  der  schönen  freien 
Gottesnatur  in  lebendigem  Verkehr  mit  den  Dingen  so 
reich  und  glücklich  entwickelt  hatte  und  nun  nur  noch 
des  belebenden  Sonnenkusses  durch  die  Schule  harrt,  um 
sich  zu  prächtiger  Blüte  zu  entfalten.  Aber  wo  ist  sie, 
die  ersehnte  Frühlingssonne  in  der  Schule,  um  Lust  und 
Leben  zu  wecken  allerenden,  wo  man  jetzt  mit  künst- 
lichen Mitteln  und  Mittelchen  einer  gewaltsamen  Treib- 
hauskultur des  Kindes  Geist  und  G^müt  glaubt  entwickeln 
zu  können? 

Es  ist  nur  eine  Folgeerscheinung  der  eben  gekenn- 
zeichneten Verschiebung  des  Schwerpunktes  unseres  Ele- 
mentarunterrichts nach  der  Seite  der  formalen  Dis- 
ziplinen hin,  daß  die  Poesie  noch  nicht  die  ihr  gebührende 
Wertung  und  Stellung  im  L  Schuljahre  gefunden  hat 
Wo  soll  man  aber  auch  hier  bloß  die  Zeit  hernehmen, 
nun  auch  noch  der  Poesie  eine  besondere  Stellung,  einen 
eigenen  Platz  einzuräumen?  Gilt  es  doch,  das  Kind 
innerhalb  Jahresfrist  fließend  lesen  und  das  Gdesene 
schreiben  zu  lehren,  es  mit  den  elementaren  Regeln  der 
Rechtschreibung  vertraut  zu  machen  und  ihm  die  sichere 
imd  geläufige  Operation  mit  den  vier  Hauptrechnungs- 
arten im  Zahlraum  von  1—10,  wenn  irgend  angängig, 
von  1 — 20  zu  ermöglichen.  Dazu  treten  noch  die  bibli- 
schen Geschichten,  die  das  Kind  dem  Hauptinhalt  nach 
wiedergeben  können  soll,  und  die  Sprüche  und  Lieder- 
verse, die  es  wortgetreu  reproduzieren  muß.  Wenn  dann 
bei  der  Visitation  die  im  Lehrplan  vorgeschriebenen  Stoffe 
tadellos  »gehen«  und  die  für  den  betr.  Zeitraum  ver- 
zeichneten  Pensen  alle  durchgearbeitet,  ich   will   lieber 

1* 


—    4    — 

sagen:  durchgenommen  worden  dnd,  dann  ist  der  ge- 
strenge Herr  Yisitator  befriedigt  ^  und  der  Lehrer  reibt 
sich  vergnügt  die  Hände,  daß  alles  »geklappte  hat.  Das 
ist  ja  das  Leidwesen  der  meisten  Visitationen,  daß  sie 
vornehmlich  prüfen  wollen,  was  die  Klasse  kann  und 
weniger  danach  fragen,  was  die  Klasse  ist  Liegt  es  da 
für  manchen  Elementarlehrer  nicht  nahe  genug,  in  seinem 
Unterrichte  mit  allem  Fleiß  zunächst  das  Notwendige 
zu  treiben  und  das  nur  Wünschenswerte  immer 
wieder  zurückzustellen?  Das  Wünschenswerte  wird  er 
in  unserem  Fall  in  der  Poesie  erblicken.  Dazu  kommen 
die  unglaublichen  Dinge,  die  sich  manche  Schale  leistet, 
um  die  Lehrziele  des  I.  Schuljahres  womöglich  noch  höher 
hinaufzuschrauben.  Maßloser  Ehrgeiz  kleinlicher  Streber- 
seelen und  nicht  zuletzt  die  Yerkennung  der  einzig  rich- 
tigen Maßstäbe  für  die  Oüte  des  Elementarunterrichts 
seitens  vieler  Eltern  leisten  solch  verwerflicher  Unnatur 
nur  zu  gern  Vorschub. 

Gewiß  wird  im  Elementarunterricht  hie  und  da  audi 
einmal  ein  Verschen  eingestreut,  wenn  es  sich  un- 
gezwungen als  belebendes  Moment  in  den  Gedankengang 
der  vorliegenden  Unterrichtseinheit  einfügt  und  einen 
Einzelgedanken  weiter  ausmalt  oder  den  Grundgedanken 
bezw.  die  »Anwendung«  dem  Kinde  in  knapper,  leicht  zu 
behaltender  Form  einprägt  So  finden  wir  im  »L  Schul- 
jahre von  Rein,  Pickel  und  Scheller  in  dem  Unterrichia- 
beispiel  zu  dem  Märchen  »FundevogeU  den  Anwendungs» 
imperativ: 

Geschwister  sollen  sich  vertragen 
in  dem  beigefügten  Merkvers  ausgedrückt: 

»Du  liebes  Schwosterlein, 
Wir  wollen  immer  reoht  artig  sein. 
Haben  dann  Vater  and  Matter  beide 
An  ans  Kindern  ihre  Freade.« 

Oder  in  demselben  Werke  wird  dem  Kinde  im  An- 
sdiluß   an  das  Märchen  »Strohhalm,  Kohle  und  Bohnec 


—    6    — 

der  vorsichtige  Umgang  mit  Feuer,  Licht  usw.  in  dem 

Reim  nahegelegt: 

»Messer,  Oabel,  Schere,  Lioht, 
Sind  für  kleine  Kinder  nioht.« 

Fechner  glaubt  des  Kindes  Interesse  für  das  Normal- 
wort »Ei«  beim  Leseunterricht  durch  folgende  Verse 
wecken  zu  können: 


oder: 


»Die  Schale  rein,  der  Dotter  frisch, 
Solch  Ei  kommt  auch  auf  Königs  Tisch.« 


»Ein  Ei,  das  schmeckt  nns  hart  und  weich, 
Willkommen  ist  es  arm  und  reich.« 

Wir    alle    kennen    den    auch   heute  noch  in   vielen 

Fibeln  prangenden  Yers,  in   dem  man  uns  ehedem  das 

Gebot  des  Tierschutzes  ans  Herz  legte: 

»Qaäle  nie  ein  Tier  zum  Scherz, 
Denn  es  fählt  wie  da  den  Schmerz!« 

Immer  noch  lernen  die  Kleinen  im  Anschluß  an  eine 

heimatkundliche  Besprechung  des  Kornfeldes  das  Gedicht 

(wenn  man  in  diesem  Fall  so  sagen  darf!): 

»Der  Baner  bant  mit  Müh  nnd  Not 
Das  Korn  fär  nnser  täglich  Brot. 
Znm  Maller  wird  das  Korn  gebracht 
Und  feines  Mehl  daraas  gemacht  asw. 

So  ließen  sich  noch  zahlreiche  Proben  von  solch 
eigenartiger  :» Poesie«  anführen,  die  den  Kleinen  an- 
zubieten man  sich  durchaus  nicht  scheut.  Sie  beweisen 
alle  mehr  oder  weniger,  wie  man  in  der  Elementarklasse 
meist  wähl-  und  skrupellos  nach  allen  möglichen  und 
unmöglichen  Gedichten  und  Reimen  greift,  sobald  diese 
nur  sich  voll  dienstfertiger  Bereitwilligkeit  in 
die  jeweilige  Unterrichtseinheit  einbeziehen 
lassen.  Dabei  reden  wir  neuerdings  in  allen  Tonarten 
von  Kunsterziehung  in  der  Schule.  Ich  bekenne  mich 
nicht  zu  jenen  Kunsterziehungsschwärmem,  die  mit  dem 
viel  mißbrauchten  Schlagwort  »Kunsterziehung  in  der 
Schule«  das  Allheilmittel  für  die  Gesundung  aller  Schäden 
und   Mängel  in    unserer   Jugenderziehung  gefunden   zu 


Kuii>t  lüildliauore, 
smIiui,;,'^'  «ji-  in  111 
nucli  so  [iianches  w 
Tätigkeit  vor  uns  b 
Blütenlese  von  Pro! 

Ich  gebe  ohne  w 
Ton  VeiBeo  der  gei 
einflussuDg  der  Kleii 
Aber  das  Vorkommet 
rieht  beweist  eben  d 
Stellung  der  Poesie  \ 
jabr  noch  wenig  gekl 
wortung  dieser  Frage 
Sache.     Die    vorliegenc 
weiter  sein   als   ein  g 
dem  Wege  zur  Lösung 

Zun&chBt  müssen  w 
in  der  Elemeutarklasse, 
Bicbtigung  des  kindlic 
künstlerisch  vollwertige 
Diese  Forderung  ersch 
Kind  dieser  Stufe  zu 
ihm  gebotenen  P"--"- 


—     7    — 

and  hartnäckig  verteidigt,  wenn  etwa  Vater  oder  Matter 
daheim  im  Scherz  oder  Ernst  eine  andere  Meinung  geltend 
machen!  Natürlich  nimmt  das  Eind  auch  die  ihm  in 
der  Schule  gereichten  Verse  und  Gedichte  ohne  weiteres 
als  etwas  Wertvolles,  Schönes  auf.  (»Schöne  ist  hier 
nur  im  weitesten  Sinn  des  Wortes,  nicht  etwa  in  der 
spezifischen  Bedeutung  von  ästhetisch  schön  gebraucht) 
Es  kommt  weiter  hinzu,  daß  das  Eind  von  Haus  aus 
eine  besondere  Neigung  für  Yers  und  Beim  bekundet 
und  solchen  gern  Gehör  schenkt.  Die  Empfänglichkeit 
des  Kindes  für  poetische  Gebilde  sichert  diesen  von  vorn- 
herein eine  besonders  wirksame  und  nachhaltige  Auf- 
nahme, seien  sie  nun  ästhetisch  schön  oder  poetisch  voU- 
kommen  wertlos.  Schon  das  kleine  Eind,  das  noch  gar 
nicht  sprechen  kann  und  seinen  Vorstellungen  und  Emp- 
findungen noch  keine  verständliche  Ausdrucksform  zu 
geben  vermag,  empfindet  sichtliche  Freude  an  den  Einder- 
reimen und  Einderliedem,  die  ihm  die  Mutter  vorspricht 
oder  vorsingt.  An  diesen  anspruchslosen  Gestalten  der 
Einderpoesie,  die  inhaltlich  wenig  oder  meist  gar  nichts 
zum  Ausdruck  bringen  wollen,  fesseln  die  Eleinen  wohl 
vornehmlich  die  rhythmische  Bewegung  des  Versbaus  und 
das  launische  neckische  Spiel,  das  im  Gleichklang  der 
Beime  in  Erscheinung  tritt  Also  der  sinnfällige  Aus- 
druck der  Bewegung  und  des  Spiels,  der,  rein  äußerlich 
betrachtet,  die  gebundene  Sprache  vor  der  Prosa  aus- 
zeichnet, wäre  demnach  der  Hauptgrund  für  das  Wohl- 
gefallen des  kleinen  Eindes  an  Vers  und  Beim.  Diese 
Vermutung  wird  durch  die  Beobachtung  bestätigt,  daß 
kleine  Kinder  den  Bhythmus  der  ihnen  vorgesprochenen 
Einderreime  durch  körperlich  rhythmische  Bewegungen 
begleitet  haben.  Bei  zunehmender  Sprachfertigkeit  be- 
reitet es  dem  Einde  dann  mehr  und  mehr  großes  Ver- 
gnügen, Verschen  und  kleine  Gedichte  memorieren  und 
ansagen  zu  können,  und  es  ist  ganz  erstaunlich,  mit 
welcher  Leichtigkeit  oft  Lieder  und  Verschen  schon  bei 
den  ganz  Eleinen  haften.    Es  beweist  dies  wiederum  die 


""'»*««.  Sehr'"'" 

Beta.  "„°^?'""'=i<  z. 


—    9    — 

UDseren  Zöglingen  mit  planyoller  Absichflichkeit  zu  bilden 
und  zu  fordern  uns  eifrig  bemühen:  die  Empfänglich- 
keit für  den  ästhetischen  Gehalt  der  Poesie 
unserer  Muttersprache. 

Man  begegne  dem  nicht  mit  dem  Einwand,  daB  von 
irgend  einer  Wirkung  des  ästhetischen  Moments  der 
Poesie  auf  das  dem  I.  Schuljahre  angehörende  Lebens* 
alter  noch  keine  Bede  sein  könne.  Damit  wäre  ohne 
weiteres  der  Stab  über  unsere  reiche,  zum  Teil  köstliche 
Einderpoesie  gebrochen,  um  jedem  Irrtum  vorzubeugen, 
sei  noch  einmal  ganz  ausdrücklich  hervorgehoben,  daß  es 
sich  bei  dem  Schüler  der  Elementarklasse  naturgemäß 
noch  nicht  um  ein  bewußtes  ästhetisches  Werturteil  über 
die  ihm  gebotenen  Yerse  und  dachte  handeln  kann  imd 
soll.  Aber  es  läßt  sich  doch  nicht  leugnen,  und  das  ist 
das  hier  Maßgebende,  daß  das  Kind  mit  edler  Poesie  un- 
bewußt zugleich  eine  Fülle  wertvollen  ästhetischen  An- 
schauungsmaterials in  sich  aufninmit,  das  bestimmend  auf 
sein  ästhetisches  Empfinden  einwirken  kann  und  wird. 

Ebenso  unrichtig  ist  es,  wenn  man  die  Behandlung 
poetischer  Stücke  in  der  Elementarklasse  ohne  weiteres 
eine  »unheilvolle  Yerfrühung«  nennt,  weil  die  in  der 
Poesie  zum  Ausdruck  kommende  Betrachtungsweise  der 
Dinge  und  ihres  Tuns  dem  Kinde   vollständig  femli^. 

Einige  psychologische  Beobachtungen  und  Erfahrungen 
innerhalb  der  uns  vorliegenden  Sjndheitsstufe  mögen  uns 
im  Gegenteil  zeigen,  da^  zwischen  der  kindlichen  Denk- 
und  Empfindungsweise  und  der  Eigenart  dichterischen 
Gestaltens  mancherlei  Wesensverwandtschaft  besteht 

Das  Kind  belebt  imd  personifiziert  das  ganze 
Universum,  ganz  so,  wie  wir  es  besonders  charakteristisch 
bei  Hebel^  einem  unserer  volkstümlichsten  Dichter  wieder- 
finden. Der  muntere  Waldbach  wird  dem  Knaben  zum 
frohen,  kecken  Spielgesellen,  der  gleich  ihm  in  froher 
Jugendlust  dahintoUt  Das  Mädchen  erwählt  sich  die 
sinnigen  Blumen  im  Wiesenhag  zu  seinen  Gespielinnen, 
die  es  in  trautem  Zwiegespräch  innig  herzt  und  küßt 


(Irin: 
liol-a 
Ulm 


■'■W    «im    [ 


■"««■»  Ged.„?  ''°- 
.'■*'■«  ij"«"- 
""o«»,  oft  .1  -  f'" 

«««■een  ist     t        '' 

unend  ejne,  n^j^ 


'taiiei.  ,1,°  ;  ""'' 

»nr  io    „„,    r?'"teah 


—  11  — 

Pferdes  setzten  diese  Zeichnungen  voraus,  die  der  Enabe 
ohne  jede  Vorlage  freihändig  vor  meinen  Augen  ausführte, 
zeigten  sie  doch  das  Pferd  in  solch  charakteristischen 
Stellungen,  wie  sie  wohl  nur  wenig  Erwachsene  genau 
beobachtet  haben!  Es  sind  das  beim  Kinde  natürlich 
unbewußte  Beobachtungen,  die  es  yermöge  einer  be- 
sonderen Anlage  des  Oehims  zur  gleich  formulierten  Auf- 
nähme  von  Eindrücken  ganz  zufällig  und  zunächst  un- 
absichtlich gemacht  hat. 

Von  diesen  Eindrücken  entlastet  sich  dann  das  Ge- 
hirn mit  Wohlgefühl  durch  die  zeichnerische  Wieder- 
gabe. Diese  ist  ein  Ausdrucksmittel  für  das,  was  des 
Kindes  Geist  lebhaft  beschäftigt.  Neun  Zehntel  der 
Kameraden  des  kleinen  Künstlers  mögen  ähnlich  kostbare 
Schätze  lebendigster  Anschauungen  und  intimster  Er- 
fahrungen aus  der  sie  umgebenden  Natur  in  sich  tragen; 
nur  sind  sie  nicht  in  der  glücklichen  Lage,  nun  auch  all 
das  bis  ins  einzelnste  und  kleinste  darstellen  und  aus- 
drücken zu  können,  was  ihr  Yorstellungsleben  bewegt 
Die  mangelnde  Sprachfertigkeit  des  Kindes  und  die  Un- 
zulänglichkeit des  gesprochenen  Wortes,  alles  auszu- 
drücken, machen  dies  unmöglich.  Würden  den  Kindern 
die  nötigen  Ausdrucksmittel  für  ihr  Innenleben  zu  Gebote 
stehen,  dann  könnten  wir  gewahren,  wie  sich  auch  in 
ihrer  Psyche  gar  manches  Objekt  ihrer  Erfahrung,  das 
durchaus  nicht  zu  dem  Außergewöhnlichen,  AufiSUigen 
und  Großen  gehört,  in  plastischer  Greifbarkeit  abgebildet 
hat  und  förmlich  den  Pulsschlag  warmen  Lebens  ver- 
spüren läßt 

Natuigemäß  ist  und  bleibt  der  Erfahrungskreis  des 
sechsjährigen  Kindes  ein  immerhin  beschränkter.  Man 
wird  auch  vom  Sande  gar  nicht  fordern  woUen  und 
können,  daß  ihm  alle  Dinge  vertraut  oder  auch  nur  an- 
nähernd bekannt  sind,  zu  deren  Beobachtung  es  Gtelegan- 
heit  gehabt  hätte.  Fragen'  wir  Erwachsenen  uns  doch 
einmal,  wie  weit  unser  Yorstellungskreis  die  Dinge  be< 
herrscht,   die  unsere  nächste  und  alltägliche  Um^- 


'»'"«  loloress« 


—     13     — 

nicht  aller  Welt  preisgibt.  Solche  Geheimnisse  müßte  die 
Schule  dem  Kinde  vor  allem  zu  entlocken  versuchen. 
Sie  würden  ihr  zeigen,  wie  das  Kind  die  Dinge  seiner 
Umwelt  betrachtet  und  wie  diese  Art,  die  Welt  zu  be- 
trachten, wiederum  nichts  anderes  ist  als  Poesie.  Diese 
Erkenntnis  sollte  sich  der  Elementarunterricht  recht  sehr 
zu  eigen  machen. 

Leider  versteht  es  die  Schule  in  ihrer  derzeitigen 
Form  und  Art  viel  zu  wenig,  bis  zum  Herzen  des  Kindes 
vorzudringen  und  dies  zu  vertrauensfreudigem  Sichgeben 
zu  erschließen.  Bitter  genug  beklagt  sie  sich  hinterher, 
daß  es  doch  so  sehr,  sehr  schwer  sei,  die  E^einen  zu 
fröhlichem  Plaudern  und  Erzählen  zu  veranlassen.  Unsere 
Kinder  werden  mit  dem  Schuleintritt  in  eine  andere,  ganz 
neue  Welt  versetzt.  Dieser  Satz  kUngt  zunächst  so  ver- 
heißungsvoll und  scheint  den  dem  bunten  Wechsel  so  zu- 
gänglichen Kinderherzen  eine  lange  ununterbrochene 
Reihe  herrlicher  Neuigkeiten  und  beglückender  Aus- 
sichten zu  eröffnen.  Und  doch  wird  dieser  von  dem 
sehnenden  Kindesherzen  zunächst  so  freudig  begrüßte 
Wechsel  nur  gar  bald  der  Anfang  zu  einer  langen  Kette 
bitterer  Enttäuschungen,  die  des  Kindes  Herz  und  Mund 
nur  fester  verschließen,  statt  sie  übersprudeln  zu  lassen 
von  fröhlichem  Erzähl-  und  Mitteilungseifer.  Aus  seinen 
kleinen  Erlebnissen  und  Erfahrungen  hat  sich  das  Kind 
vordem  seine  eigene  Welt  erbaut,  vollständig  unbekümmert 
und  unbesorgt  darum,  ob  dieser  duftige,  luftige  Bau  auch 
in  allen  Stücken  der  realen  Welt  entspreche.  Die  be- 
sonderen Neigungen  und  Wünsche,  die  kleinen  Sorgen 
und  Bekümmernisse,  das  ganze  Temperament  des  Kindes 
haben  den  Bau  geleitet.  Unwillkürlich  nahmen  in  den 
Vorstellungen  des  Kindes  alle  Dinge  die  Farben  seines 
Gemütes  an.  Mit  souveräner  Machtvollkommenheit  malte 
es  sich  die  Dinge  so  aus,  wie  es  ihm  gerade  beliebte, 
oder  wie  seine  jeweiligen  Bedürfhisse  und  seine  augen- 
blickliche Stimmung  es  erheischten.  Das  Große  erschien 
ihm  klein;  das  Unbedeutendste  konnte  ihm  zur  großen 


—    14    — 

Begebenheit  werden.  So  lebt  und  schwelgt  es  voll  nn^ 
befangener  Naivetät  in  einer  Welt  des  sdidnen  Scheins, 
genau  wie  der  Dichter,  der  ans  dem  Leben  um  sich 
her  neues  Leben,  eine  Welt  nach  sein^i  Gedanken, 
Wünschen  und  Ideen  erstehen  läßt  Mit  dem  Bau  der 
von  ihm  selbst  geschaffenen  Welt  beginnt  das  Kind,  wenn 
es  erst  den  allerkloinsten  Teil  von  der  wirklichen  Welt 
kennen  gelernt  hat.  Es  steht  noch  vollständig  auf  der 
Stufe  der  naiven  Weltanschauung,  wie  sie  die  Menschen 
im  Naturzustand  auch  eingenommen  haben,  und  wie  sie 
in  unseren  alten  Mythen  und  Märchen  ihren  dichterischen 
Ausdmck  gefunden  hat.  Diese  Parallele  zwischen  der 
Einzel-  und  der  Menschheitsentwicklung  hat  wohl  auch 
in  der  Pädagogik  mit  zu  der  bekannten  ZiUer-Reinschen 
Eulturstufentheorie  geführt  Wie  freilich  die  Menschheit 
sich  mehr  und  mehr  zu  einer  natürlichen,  wissenschaft- 
lichen und  religiös-ethischen  Betrachtung  der  Welt  empor- 
gerungen und  emporgearbeitet  hat,  so  soll  auch  das  Kind 
nach  und  nach  wenigstens  sich  in  die  elementarsten 
Prinzipien  solcher  Weltbetrachtung  einleben  lernen,  und 
hierbei  muß  die  Schule  ihm  wesentliche  Keiferdienste 
leisten.  Ganz  von  selbst  schon  wird  sich  ihm  die  Welt 
mit  der  Zeit  in  andrer  Gestalt,  in  anderen  Farben,  in 
anderen  Zusammenhängen  darstellen,  als  es  sie  bisher  zu 
sehen  gewöhnt  war.  Immer  nachdrücklicher  lernt  es 
empfinden  und  erkennen,  daß  sich  die  wirkliche  Welt 
nicht  mit  dem  raschen  kühnen  Flug  der  Phantasie  durch- 
messen, nach  Wunsch  und  Vergnügen  ausgestalten,  um- 
modeln, aufbauen,  niederreißen  und  wieder  aufbauen  läßt, 
daß  sie  dem  Wollen  und  Streben  des  Menschen  gar  viel- 
fach unerwünschte,  lästige  und  hemmende  Hindernisse 
und  Schranken  entgegenstellt  und  daß  doch  der  Mensch 
in  seinen  physischen  und  psychischen  Lebensbedingungen 
durchaus  an  ihre  Realität  gebannt  ist 

Nun  ist  es  aber  gar  nicht  notwendig,  ja  obendrein 
geradezu  schädlich,  daß  wir  das  sechsjährige  Kind  bereits 
in  unserem   Unterricht   bei  jeder   Gelegenheit    an   diese 


—     16     — 

Tatsache  heranführen.  Das  Kind  verträgt  diese  jäh  er- 
schütternde Umwälzung  nicht,  durch  die  die  »Individual- 
Zellen«  im  Gehirn  geschädigt  und  in  ihrer  Ausbildung 
gehemmt  oder  verhindert  werden.  Auf  der  Ausgestaltung 
des  Individuellen  aber  beruht  nicht  nur  das  Glücksgefühl, 
sondern  auch  der  Wert  der  Lebensleistung.  Weshalb 
wollen  wir  also  unseren  lieben  Kleinen  nicht  gönnen,  daß 
sie  zunächst  wenigstens  noch  auch  in  der  Schule  einen 
Teil  jener  schönen  Schein  weit  vorfinden,  in  der  sie  sich 
bis  dahin  so  sorglos  und  fröhlich  herumgetummelt  haben? 
Hierin  liegt  meines  Erachtens  ein  schwerwiegender  Fehler 
unserer  Schule  den  Kleinen  gegenüber,  auf  dessen  Konto 
wir  nicht  nur  das  Enttäuschtsein  des  Kindes,  sondern 
vor  allem  auch  so  manchen  offen  zugegebenen  Mißerfolg 
unseres  Elementarunterrichts  zn  setzen  haben.  Die  Schule 
erbaut  die  neue  Welt,  in  die  sie  das  Kind  einführen  will, 
viel  zu  wenig  auf  dem  Grund  der  Welt,  in  der  das  Kind 
bisher  gelebt  hat  und  glücklich  war,  glücklich  deshalb, 
weil  es  unerschüttert  blieb  nicht  nur  in  der  allgemeinen 
Kindesart,  sondern  auch  in  seiner  persönlichen  Art 
Dieser  aber  schlägt  die  Schule  ein  Brett  vor  den  Kopf. 
Mit  dem  nüchternen  Verstand  soll  das  Kind  nun  plötzlich 
die  Dinge  betrachten,  mit  denen  es  bis  jetzt  durch 
tausenderlei  Fäden  seines  Gemütes  sich  aufs  innigste  ver- 
bunden fühlte.  All  die  Gegenstände,  zu  denen  das  Kind 
vor  der  Schulzeit  in  persönliche  Beziehungen  getreten 
war,  die  mithin  für  das  Kind  eine  Beihe  von  Erleb- 
nissen bedeuten,  werden  ihm  in  der  Schule  in  ihrer 
natürlichen  Erscheinung  gezeigt  und  damit  all  des 
Zaubers  entkleidet,  der  sie  nicht  nur  zu  guten  Bekannten, 
sondern  zu  lieben  Freunden  und  innig  Vertrauten  der 
kindlichen  Psyche  werden  ließ.  (Wir  werden  uns  diesen 
Gedanken  weiter  unten  noch  an  einigen  Beispielen  klar 
zu  machen  versuchen).  Ist  es  aber  nicht  geradezu  grau- 
sam, dem  Kinde  zuzumuten,  daß  es  alle  persönlichen 
Bande,  die  es  mit  der  Umwelt  verknüpfen,  nun  plötzlich 
lösen   und  vergessen   soll?    Wir  reden  freilich  so  viel 


-^    16    — 

davon,  daß  wir  in  unserem  Unterrichte  immer  und  überall 
an  den  im  Kinde  vorhandenen  Anschauungs-  und  Ge- 
dankenkreis anknüpfen  wollen.  So  werden  wir  z.  B.  in 
der  Elementarklasse  kaum  in  eine  Besprechung  der  Maus 
eintreten,  ohne  vorher  gefragt  zu  haben,  wer  schon  die 
Bekanntschaft  einer  Maus  gemacht  habe,  wo  sie  sich  auf- 
halte, wie  sie  aussehe  usw.  Aber  mit  all  diesen  und 
ähnlichen  vorbereitenden  Fragen  werden  wir  wenig  über 
das  rein  empirische  Interesse  des  Kindes  an  dem  Gegen- 
stände hinauskommen  und  an  das  sympathetische  Interesse, 
das  das  Kind  am  innigsten  an  die  Umwelt  fesselt,  so  gut 
wie  gar  nicht  anknüpfen.  Wie  öde  mag  es  das  Kind  an- 
muten, wenn  etwa  bei  der  Betrachtung  des  Hasen  der 
arme  Kerl  nach  dem  bekannten  Schema  in  Kopf,  Hals, 
Rumpf  und  Beine  zergliedert  wird!  Das  also  macht  man 
hier  aus  der  Gestalt,  die  ihm  bis  jetzt  als  der  liebe  Oster- 
hase so  nahegestanden!  Wie  traurig  enttäuscht  wird  es 
dem  Unterricht  folgen  (oder  zu  folgen  versuchen!),  wenn 
er  ihm,  statt  vom  lichterfunkelnden  Christbaum  mit  seinem 
unsagbaren  Weihnachtsglück  und  Weihnachtszauber  zu 
erzählen,  voll  trockener  Gelahrtheit  auseinandersetzt, 
daß  man  besagten  Baum  eine  Fichte  heiße  und  ihn  zur 
Gattung  der  Nadelbäume  zähle,  weil  er  im  Gegensatz  zu 
den  Laubbäumen  Nadeln  trage  usw.  usw. 

Bei  Gelegenheit  eines  öffentlichen  Osterexamens  war 
ich  einmal  Zeuge  einer  Besprechung  des  Hundes  in  einer 
Elementarklasse.  Mit  einer  Geschwindigkeit,  die  den  Zu- 
hörer gar  nicht  zur  Besinnung  kommen  ließ,  schnurrten 
die  kleinen  Bekruten,  lauter  frische,  fixe  Jungen,  etwa 
folgende  Sätze  der  Reihe  nach  herunter:  »Der  Hund  bellt«, 
»Der  Hund  wachte,  »Der  Hund  springt«,  »Der  Hund  jagt« 
»Der  Hund  sieht  weiß  aus«,  »Der  Hund  sieht  schwarz 
aus«,  »Der  Hund  hat  vier  Beine«,  »Der  Hund  hat  einen 
Schwanz«  usw.  Als  der  Cyklus  dieser  monotonen  Sätze 
abgeleiert,  die  vorgesehene  Prüfungszeit  aber  noch  nicht 
abgelaufen  war,  begann  der  folgende  Knabe  die  Reihe 
von  vorn,  und  als  sich  dies  Schauspiel  wiederholte,  hatten 


^     17    — 

die  Eleioen  und  die  Gäste  dreimal  das  Vergnügen,  diese 
Art  von  Masterlektion  über  sich  ergetien  zu  lassen.  Wie 
verfliegen  da  die  Illusionen,  mit  denen  sich  das  Kind  die 
Herrlichkeiten  der  Schule  ausgemalt  hat!  Wohin  ent- 
schwinden all  die  schönen  Hoffnungen,  die  sich  das  Kind 
von   dem  Leben   in    der  Schale  gemacht  hat,  wenn  es 

hier  72  ^^^^  ^^^S  ^^^^  ^^^^^  länger  lernen  muß,  wieviel 
Wände  seine  Schulstube,  wieviel  Fenster  die  linke  Wand 
zähle,  wieviel  Stockwerke  die  Schule  habe,  wie  lang,  wie 
hoch  und  wie  dick  die  verschiedenen  Seiten  der  Um- 
fassungsmauern des  Schuihauses  seien,  und  wer  weiB,  wa^ 
noch!  Wie  mag  nur  der  Lehrer  dem  Kinde  vorkommen, 
der  an  solchen  Dingen  seine  Freude  und  sein  Gefallen 
findet  und  sich  immer  wieder  mit  ihnen  beschäftigt!  Das 
Kind  sucht  Leben  und  nichts  als  Leben,  und  wir 
stellen  es  mit  philosophischer  Buhe  vor  graue  Wände  und 
öde  Mauern.  Kalt  und  leblos  starren  sie  das  Kind  an. 
Was  soll  es  mit  ihnen  anfangen,  wo  es  das  Bedürfiiis 
hat,  mit  der  schöpferischen  Kraft  seiner  Phantasie  selbst 
das  Leben  noch  zu  »beleben«? 

Es  ist  ungemein  schwer  und  erfordert  ebensosehr  den 
psychologisch  geübten  Scharfblick  des  praktischen  Schal- 
mannes wie  das  glühende  Herz  des  wahren  Kinderfreundes, 
für  die  Kleinen  das  auszuwählen,  was  wirklich  Herz  und 
Geist  derselben  berührt.  So  vernehmlich  der  Buf  auch 
klingt:  »Der  Erzieher  sehe  im  Kinde  in  erster  Linie  das 
Kind« ;  die  Schule  läßt  sich  doch  selbst  bei  der  Erziehung 
der  Kleinen  schon  viel  zu  ängstlich  von  der  Sorge  um 
die  Zukunft  des  Kindes  leiten.  Mehr  und  mehr  tritt  in 
der  Elementarklasse  das  Moment  zurück,  das  ihr  vor  allein 
die  Signatur  aufprägen  sollte:  Das  sorglos  frohe  Er- 
leben und  Genießen  reiner  heiterer  Kindlichkeit 

Das  Vorwiegen  des  Genießens  schafft  auf  dieser 
Kindheitsstufe  die  Lebenslust,  die  die  G^hirnkraft  wachsen 
läßt  Langeweile  und  zu  frühzeitiges  Abstrahieren  dagegen 
erschlaffen  das  Gehirn  und  schädigen  es  direkt  in  seinem 
Wachstum,  in  der  Ausbildung  der  Gehirnwindungen. 

FId.  lia^.  821.    K&hn,  PoMteimLSoliiüjahr.  2 


—     18     — 

Der  Verkehr  mit  den  Eindem  zeigt  uns  Erwachsenen 
und  besonders  uns  Lehrern  immer  wieder  die  schmerz- 
liche Tatsache,  daß  es  uns  unendlich  schwer  wird,  uns 
in  die  Sinnen-,  Gedanken-  und  Gefühlswelt  des  Kindes 
einzuleben.  Weit,  weit  liegt  unsere  eigene  Kindheit  zu- 
rück, und  nur  dunkel,  verschwommen  und  überaus  sprung- 
und  lückenhaft  ist  die  Erinnerung  an  unser  Kindheits- 
paradies. Der  rasch  dahinbrausende  Zeitstrom  mit  seinem 
wechseivolien  Wellenspiel  hat  uns  weit  hinausgeführt  in 
das  ernste  Meer  des  Lebens.  Stets  galt  hier  unsere 
nächste  Sorge  den  Bedürfnissen  des  Augenblicks,  und 
selten  genug  war  es,  da  wir  wehmütig  zurückschauend  in 
sinnender,  verweilender  Betrachtung  der  eigenen  Jugend 
gedenken  konnten.  —  Auch  besitzen  wir  vor  der  Hand 
nur  ganz  vereinzelt  fortlaufende  authentische  Aufzeich- 
nungen über  die  eigenartige  Beschaffenheit  und  Entwick- 
lung des  kindlichen  Seelenlebens  im  vorschulpflichtigen 
Alter,  an  deren  Hand  wir  wenigstens  mit  einiger  Sicher- 
heit für  die  Kleinen  auswählen  könnten,  was  ihr  Herz 
sich  wünscht,  was  ihr  Sinn  begehrt.  Es  gibt  einzelne 
glückliche,  kindlich  gebliebene  Erwachsene,  die  bei 
solcher  Auswahl  stets  das  Rechte  zu  treffen  wissen. 

Aber  selbst  wenn  wir  durchweg  die  geeigneten  Stoffe 
für  das  Kind  gefunden  hätten,  so  würde  doch  vielfach 
die  Art,  in  der  wir  dieselben  dem  Kinde  nahezubringen 
suchen,  noch  wenig  des  Kindes  Herz  zu  öffnen  und  seinen 
Oeist  in  die  rechten  lebhaften  Schwingungen  zu  setzen 
vermögen.  Ich  glaube,  wir  vergessen  dabei  viel  zu  viel 
eine  Tatsache,  die  Tatsache  nämlich,  daß  sich  die  Er- 
fahrungswelt des  sechsjährigen  Kindes  vornehm- 
lich aus  Erlehnisinhalten  aufbaut. 

Die  Vorstellungen,  die  das  Kind  auf  rein  empirischem 
Wege  unter  vollständiger  Ausschaltung  aller 
persönlichen  Beziehungen  zu  dem  Erfahrungs- 
objekt sich  angeeignet  hat,  sind  jedenfalls  zu  zählen. 
Man  sollte  deshalb  z.  B.  auch  bei  der  Aufstellung  von 
Analysen  des  kindlichen  Gedankenkreises  das  Kind  weniger 


—     19     — 

fragen:  »Hast  du  schon  einen  Hasen,  ein  Beb,  eine  Lerche 
gesehen?«,  sondern  es  vielmehr  veranlassen,  sich  über 
seine  Erlebnisse  mit  diesen  Dingen  zu  äußern.  Erst 
dann  würden  wir  ein  genaueres  und  vollständigeres  Bild 
von  dem  kindlichen  Gedankenkreis  gewinnen.  Kurz,  der 
Elementarunterricht  wird  die  rechte  Wirkung  erst  dann 
ausüben,  wenn  er,  auf  dieser  Tatsache  fußend,  sich  dem 
Kinde  selbst  als  eine  Reihe  von  Erlebnissen  darstellt. 
Ich  fasse  hier  den  Begriff  »Erlebnis«  weitergehend  allerdings 
auch  in  dem  Sinn,  daß  eine  tiefe,  den  Menschen  packende 
Oedaukenerregung  bereits  recht  wohl  ein  Erlebnis  bedeutet. 
Nun  ist  es  freilich  leicht,  den  Elementarunterricht  als 
eine  Gestaltung  von  Erlebnissen  zu  fordern  und  nicht 
zugleich  auch  zu  verraten,  wie  dies  etwa  zu  denken  sei- 
Es  ist  das  aber  eine  Frage,  die  eingehende  und  umfang- 
reiche, weit  über  den  Rahmen  der  uns  gestellten  Aufgabe 
hinausgehende  Erörterungen  voraussetzt,  sobald  wir  sie 
nur  einigermaßen  erschöpfend  behandeln  wollen.  Doch 
es  mag  wenigstens  durch  ein  Beispiel  angedeutet  werden, 
worauf  es  dabei  ankommt,  und  zwar  soll  hierbei  kein 
Geringerer  als  Ooethe  unser  Lehrmeister  sein.  In  »Wahr- 
heit und  Dichtung«  läßt  Ooethe  vor  unseren  Augen 
auch  das  Bild  seiner  Vaterstadt  erstehen.  Durch  seine 
Darstellung  fühlen  wir  uns  mitten  hineinversetzt  in  das 
Markttagsgewühl,  »das  sich  um  die  Bartholomäuskirche 
herum  versammelte«  oder  »in  das  Gedränge  vor  den 
bürgermeisterlichen  Audienzen«  in  dem  altehrwürdigen 
Römer  oder  in  den  Festestrubel,  den  die  seltsame  Feier- 
lichkeit des  Pfeifergerichtes  verursachte.  Wir  sehen  nicht 
als  fernstehende  Zuschauer  die  alte  Kaiserstadt  Frankfurt 
mit  ihrem  bunten  Leben  und  Treiben  an  unserem  Auge 
vorüberziehen;  sondern  wir  durchstöbern  gewissermaßen 
mit  dem  Knaben  Ooethe  alle  Winkel  und  Gassen  seiner 
Vaterstadt.  Oder  denken  wir  daran,  wie  Ooethe  uns  den 
Umbau  seines  väterlichen  Hauses  in  jeder  Phase  genau 
verfolgen  läßt  und  uns  dabei  für  die  kleinsten  Details  in 
einer  Weise  interessiert,  daß   wir  an  den  einzelnen  Vor- 

2» 


.-  .-oL.migsiti  anscnatilic 

immer  unvergessen  bleiber 

Buch    schließlicb    biete 

Art  der  Darbietung  der  Stü 

GaraotieD  für  eine  erfolgrf 

liehe  Psyche.     Die  PersÖ 

dingt  hier  wie  kaum  auf 

so  sehr  den  Erfolg  oder  Mi 

Lehrer  für  den  Elementai 

Sorgfalt  verfahren  werden  i 

Dem  Innenleben  der  Klein« 

vor  allem  die  Saiten  ihres  i 

«rklingen  zu  laBsen,  ist  ein 

liehene  Gottesgabe.     Man 

^ementarkiasee  in  der  R^ 

einem  Lehrer  onterrichtet  v 

schem   Drill    and    aasgetüP 

Kflnstelei  za  jenen  bekannt« 

dreBsiert,  oder  ob  ein  pädag 

Gnaden  unter  ihnen  weilt,  d 

glaheodeo   Herzen   für  die 

SchÖpfeAraft  aus  seinen  St 

«Raffende  und  froh  genießen 

Kltdnra  schmieevn  sirh  an  b 


—     21     — 

Jündlich  unbefangenen,  natürlichen  Empfinden  und  Denken 
verständnisvoll  entgegenkomme  und  sich  zu  ihnen  herab- 
lasse. Das  ist  insbesondere  die  Hauptaufgabe  und  die 
Hauptschwierigkeit  für  den  Elementarlehrer.  Die  Kleinen 
verlangen  ihrer  ganzen  Natur  nach  einen  Lehrer,  der  es 
noch  nicht  verlernt  hat,  sich  kindlich  und  herzlich  mit 
ihnen  zu  freuen  über  das  lustige  Spiel  des  Fischleins  im 
Waldbach,  einen  gleichfühlenden  Gefährten,  der  mit  ihnen 
zittert  und  bebt  für  das  Leben  des  kleinen  nackenden 
Vögleins,  das  aus  dem  Neste  fiel  und  nun  in  kläglicher 
Unbeholfenheit  gar  ängstlich  um  sich  schaut,  einen  fröh- 
lichen Kameraden,  der  aus  Herzensgrund  mit  der  jugend- 
lichen Schar  zu  jubeln  vermag  beim  Anblick  der  lustig 
wirbelnden  Schneeflocken,  kurz,  einen  Lehrer,  der  in  des 
Wortes  schönster  Bedeutung  so  recht  von  Herzen  ein  Kind 
mit  Kindern  sein  kann.  —  In  der  Praxis  ist  es  meist 
leider  so,  daß  die  Kleinen  von  den  Lehrern  unterrichtet 
werden,  die  ihrer  Gedanken-  und  Gefühlswelt  am  fernsten 
stehen,  aus  psychologischen  Gründen  am  fernsten  stehen 
müssen!  Altem  Brauche  gemäß  werden  bei  uns  in  ge- 
gliederten Schulen  fast  ganz  allgemein  mit  der  Führung 
der  Incipientenklassen  die  jüngsten  Lehrer, bezw.Lehrerinnen 
betraut,  die  diese  Stelle  in  der  Regel  als  Durcbgangsposten 
nach  oben  betrachten.  Oder  hören  wir  etwa,  daß  der 
Unterricht  bei  den  ABC- Schützen  als  besonders  schwierig 
und  psychologisch  und  pädagogisch  künstlerisch  veranlagte 
und  durchbildete  Lehrerpersönlichkeiten  voraussetzend,  den 
erfahrensten  und  anerkannt  tüchtigsten  Lehrkräften  ge- 
wissermaßen als  Ausdruck  besonderer  Anerkennung  über- 
tragen würde?  Ist  es  nicht  vielmehr  so,  daß  die  aller- 
meisten Lehrer  mit  längerer  Praxis  es  geradezu  als  eine 
herbe  Zurücksetzung  empfinden  würden,  wenn  man  ihnen 
den  Elementarunterricht  zuweisen  wollte?  Der  junge 
Elementarlehrer  steht  erst  seit  kurzer  Zeit  im  praktischen 
Schuldienst.  Jeder  junge  Lehrer  wird  mir  aus  seiner  Er- 
fahrung bestätigen,  wie  ungemein  mühsam  es  ihm  anfangs 
wurde,  in  seinem  Geiste  zu  den  Kleinen  herabzusteigen^ 


—     22     — 

sich  in  ihre  eigenartige  Welt  elDzuleben,  sich  ihnen  ver- 
ständlich zu  machen,  ihnen  zu  Herzen  zu  reden.  Wie 
bitter  enttäuscht  findet  sich  in  den  ersten  Wochen  und 
Monden  gar  mancher  Jugenderzieher,  der  doch  voller  B^ 
geisterung  in  seinen  Beruf  eintrat!  Mit  dem  vorzüglich- 
sten pädagogischen  Rüstzeug  ausgestattet,  den  Sinn  voller 
Hoffnungen  und  Erwartungen,  voller  Entwürfe  und  Ideale, 
das  Herz  voll  ehrlichen,  treuen  WoUens  tritt  er  unter  die 
ihm  anvertrauten,  kleinen  hilflosen  Menschenkinder.  Doch 
nur  zu  bald  sieht  er  sich  durch  seinen  Verkehr  mit  ihnen 
vor  eine  Menge  von  Fragen,  Problemen  und  Rätseln  ge- 
stellt, deren  Beantwortung  und  Lösung  er  bei  allem 
Scharfsinn  nicht  findet. 

Wie  kommt  das?  Der  Elementarunterricht  ist  eine 
Kunst,  die  nicht  ohne  weiteres  erlernt  werden  kann, 
sondern  vor  allem  erlebt  sein  will.  Nicht  ganz  unrecht 
hat  Dr.  Ö.  Stanley  Hall^  wenn  er  sagt:  »Die  Lehrer  sollten 
weit  mehr  lernen,  als  nur  das,  was  sie  zum  Lehren 
brauchen,  und  anstatt  des  Kindes,  wie  es  in  den  Büchern 
steht,  sollten  sie  das  wirkliche  Kind  betrachten,  kennen 
lernen  und  lieben,  c 

Jahrelanges  Wirken  und  Schaffen  bei  und  mit  den 
Kleinen  verleihen  dem  Lehrer  erst  den  offenen,  sicheren 
Blick  für  die  eigenartigen  Bedürfnisse,  Neigungen  und 
Strebungen  der  kindlichen  Psyche.  Damit  soll  nicht  be- 
stritten werden,  daß  es  unter  den  jungen  Lehrern  und 
Lehrerinnen  einzelne  glücklich  veranlagte  Naturen  gibt, 
die  mit  angeborenem  Geschick  und  schönstem  Erfolg  die 
kindliche  Seele  zu  packen  verstehen. 

Es  kommt  ein  weiterer  Umstand  hinzu,  der  es  dem 
jungen  Lehrer  schwer  machen  muß,  sich  in  die  Welt  des 
Kindes  verständnisinnig  zu  versenken  und  seinen  Unter- 
richt der  Eigenart  des  kindlichen  Seelenlebens  anzupassen. 
Die  meisten  Menschen  durchleben  auf  dieser  Altersstufe 
die  Zeit  innerer  Oärung,  die  nach  einer  gereiften,  ab- 
geklärten Lebens-  und  Weltanschauung  ringt.  Irrtum  und 
Klarheit,  Zweifel  und  Wahrheit,  ideale  Phantasterei  und 


—     23     — 

nüchterne  Realität  kämpfen  in  der  jugendlichen  Brust  mit- 
einander und  lassen  den  Menschen  vielfach  noch  schwan- 
kenden Fußes  durch  diese  Weit  der  Widersprüche  dahin- 
taumeln.  Geraume  Zeit  dauert  es,  bis  er  der  Fülle  der 
auf  ihn  einstürmenden  Erscheinungen  und  Meinungen 
gegenüber  Herr  geworden  ist  und  seinen  eigenen  un- 
verrückbaren Standpunkt  eingenommen  hat.  Vor  der 
Hand  gleicht  sein  Innenleben  dem  aufgeregten,  sturm- 
gepeitschten Meere.  Welle  auf  Welle  bewegt  es  bis  in 
seine  innersten  Tiefen.  Neue  Wellen  drängen  heran,  da 
eben  noch  die  Psyche  mit  den  vorangegangenen  sich  ab- 
zufinden  bestrebt  ist.  Überall  tauchen  für  den  jugendlich 
empfänglichen  Oeist  neue  Probleme  und  Fragen  auf,  und 
es  reizt  ihn,  dem  ursächlichen  Zusammenhang  der  Dinge 
so  weit  als  möglich  nachzuspüren.  Von  der  bloßen  An- 
schauung und  Beobachtung  konkreter  Einzeldinge  sucht 
er  sich  loszuringen,  um  möglichst  zum  Gedanken,  zum 
abstrakten  Begrifi  zu  gelangen.  In  diesem  Streben  geht 
er  so  ganz  und  gar  auf,  daß  er  im  Verkehr  mit  den 
Dingen  der  realen  Welt  oft,  wie  man  zu  sagen  pflegt, 
»den  Wald  vor  Bäumen  nicht  mehr  sieht«.  Er  ist  viel- 
leicht am  wenigsten  geneigt,  die  Dinge  mit  jenem  un- 
befangenen, heiteren,  natürlichen  Blick  zu  betrachten,  mit 
denen  sie  das  Kind  anschaut.  Damit  entfernt  er  sich  am 
weitesten  von  dem  Verständnis  der  kindlichen  Psyche,  die 
über  die  frisch -sinnliche,  naive  Anschauung  der  Dinge 
kaum  hinausgeht  und  sich  auf  weitere  Spekulationen  kaum 
einläßt.  Der  Nährboden,  aus  dem  sie  ihre  kraftbildenden 
Stoffe  saugt,  ist  die  greifbare  Wirklichkeit  der  um- 
gebenden Welt.  Darum  muß  es  dem  jungen  Lehrer, 
in  dessen  Oeistestätigkeit  das  abstrahierende  Moment 
vorwaltet,  schwer  werden,  dem  Kinde  nur  Kindliches  und 
Naives,  ganz  Keusches  und  unberührtes  aus  der  Hand 
der  Natur  selber  zu  reichen.  Erst  im  abgeklärten  Alter 
lernt  der  Mensch  wieder  mehr  und  mehr  die  Dinge 
und  Erscheinungen  mit  jener  heiteren  Klarheit  und  un- 
befangenen Natürlichkeit  schauen  und  empfinden,  die  auch 


'I.in  tÜMclK  siol,  < 
l.,"'"»"«'"t  ".il  der 
ffi'  seine  Arbeit  find, 

•'■gellend  mi,  j,,  j,^ 

rerlraut  gem.el,t  hat    , 

•raogni.,,  e,„,rten  'a 

Oeheten  betätigt    Ist  „ 

JV/f"  Künstler  d„ 

Sctäpferh-aft  diu   Wert 

•ändernd  genieüen?    [T, 

-er  Weros  dem   K„„, 

"°<l  onlerriohtJicbe  »ti, 

J»  Bnlwicielung  der  pl 

•»»»lenandiet^rj 

«%   Br  .irlt  „ierdi.^ 

?«■"•  «estaltend,  d.B  er  e 

»•»toe  beran.)  ,,t^ 

£«:~ 

«l».eWt  „bjeltti,  dt  ,„ 


—    96     — 

Seele  des  Kindes  za  projiziereD,  sondern  beides  vom  Kinde 
80  nachschauen,  nachempfinden,  nachfühlen  za  lassen,  wie 
der  Lehrer  es  selbst  geschaut,  empfunden,  gefühlt,  mit 
einem  Wort,  erlebt  hat  Damit  aber  der  Unterrichts- 
gegenstand dem  Kinde  wirklich  zum  Erlebnis  werde,  ist 
es  unbedingt  nötig,  daß  der  Lehrer  so  vorzuempfinden 
vermag,  wie  das  Kind  empfindet. 

Nach  diesen  grundsätzlichen  und  grundlegenden  Er* 
örterungen  über  die  Eigenart  des  kindlichen  Seelenlebens 
im  Yorschulpfiichtigen  und  eben  schulpflichtigen  Alter 
durften  uns  unsere  weiteren  Untersuchungen  über  die 
Stellung  der  Poesie  im  I.  Schuljahre  allzugroße  Schwierig- 
keiten nicht  mehr  bereiten. 

JedeDichtung  ist  ein  gestaltetesErlebnis  desDichters. 

Ooethe  bezeugt  uns  das  von  seinen  Gedichten,  wenn 
er  sagt:  »Alle  meine  Oedichte  sind  Qelegenheitsgedichte ; 
sie  sind  durch  die  Wirklichkeit  angeregt  und  haben  darin 
Orund  und  Boden.  Von  Gedichten,  aus  der  Luft  ge- 
griffen, halte  ich  nichts.« 

Im  Erleben  der  Dinge  und  in  der  dichterischen 
Art,  die  Umwelt  zu  betrachten  und  zu  beseelen, 
erkannten  wir  vornehmlich  die  Eigenart  des  kindlichen 
Vorstellungs-  und  Empfindungslebens. 

Es  liegt  somit  gewissermaßen  von  Haus  aus  ein  Stück 
poetischen  Empfindens  im  Kinde.  Diese  Anschauung 
bestätigt  Dilthey  in  seinem  Werke  »Das  Erlebnis  und  die 
Dichtung«,  worin  er  an  einer  Stelle  ausführt,  daß  die 
Poesie  so  wenig  als  die  Sprache  im  Kinde  neu  aufgehe, 
sondern  als  eine  Art,  Zustände  und  Menschen  zu  be- 
trachten und  hinzustellen,  überliefert  werde. 

Ähnlich  führt  Franz  Magnus  Böhme  diesen  Gedanken 
in  seiner  Sammlung  »Deutsches  Kinderlied  und  Kinder- 
spiel« folgendermaßen  aus: 

»Was  jedes  Volk  auf  seiner  Kindheitsstufe  durch  seine 
dichterische  Begabung  zuerst  hervorbringt,  ist  Poesie, 
viel  später  entwickelt  sich  die  Prosa.  Ebenso  ist's  in  der 
geistigen  Entwickelung  des  Einzelmenschen.    Das  erste^ 


—     26     — 

was  er  als  Eiod  geistig  aufnimmt,  was  seine  Phantasie 
beschäftigt,  ist  Dichtung;  gewissermaßen  der  erste  Schritt 
im  Geistesleben  führt  über  den  Blamenpfad  der  Dichtung. 
Der  selige  Morgen  der  Kindheit,  welcher  nichts  weiß  von 
Sorgen  des  Lebens,  von  dem  Jagen  nach  Gewinn,  nach 
Sinnenlust  und  Ehre,  dieses  goldene  Traumleben  ist  an 
sich  ein  Stück  Dichtung;  ihre  einzige  gesunde  Nahrung 
kann  auch  nur  die  Dichtung  sein.c 

Führt  auch  die  in  den  letzten  Worten  ausgesprochene 
Forderung  etwas  zu  weit,  so  steht  doch  auf  jeden  Fall 
fest,  daß  wir  in  der  besonderen  Art  der  kindlichen  Psychoi 
sich  die  Welt  auszumalen  und  zu  gestalten,  nichts  anderes 
vor  uns  haben  als  ein  Stück  dichterischen  Schafifens. 
Es  erscheint  deshalb  vom  psychologischen  Standpunkt  aus 
nicht  nur  gerechtfertigt,  sondern  geradezu  geboten,  der 
Poesie  im  I.Schuljahr  wegen  ihrer  vielfachen  Berührungs- 
punkte mit  der  Sonderart  des  kindlichen  Geisteslebens 
den  gebührenden  Raum  zu  gewähren.  Dazu  sind  gerade 
wir  Deutschen  in  der  besonders  glücklichen  Liage,  unseren 
lieben  Kleinen  eine  Fülle  kostbaren  poetischen  Gutes 
bieten  zu  können.  Es  gilt  nur,  aus  der  reichen  Wunder- 
welt der  Poesie  mit  Sorgfalt  und  glücklichem  Geschick 
das  auszuwählen,  was  der  Altersstufe  des  I.  Schuljahres 
nach  Inhalt  und  Form  am  meisten  eignet,  was  der 
verlangenden  Seele  des  Kindes  am  weitesten  entgegen- 
kommt. 

Ein  jeder  gedenkt  mit  besonderer  Freude  jener  seligen 
fernen  Zeiten,  da  ihm  bei  den  Worten  »Es  war  einmalc 
der  duftige  blühende  Zauberwald  der  deutschen  Märchen 
aufging.  Seitdem  vor  allem  die  Gebrüder  Orimm  dem 
deutschen  Volke  das  Märchen  in  seiner  ganzen  Schöne 
gezeigt  haben,  ist  es  der  unbestrittene  Liebling  unserer 
Jugend  geworden.  Von  der  Art  seiner  Behandlung  in 
der  Schule  ist  so  oft  eingehend  gehandelt  worden,  daß  es 
sich  erübrigt,  hier  dahingehende  Fragen  zu  erörtern. 

Außer  dem  Märchen,  das  in  seinem  bunten,  phan- 
tastischen Gewand   das  Kind  immer  besonders  anziehen 


—     27     — 

wird,  begehren  aber  auch  die  vielen  köstlichen,  leicht- 
geschürzten Kinder  der  Poesie  Einlaß  in  des  Kindes  Seele, 
die  als  Kinderlieder  und  Kinderreime  dem  unversieglichen 
Bronnen  der  Dichtung  entsteigen. 

Ihnen  hat  man  volles  Heimatsrecht  im  Unterrichtsplan 
der  Elementarklasse  noch  nicht  zuerkannt.  Selbst  das 
Märchen  verdankt  seine  bevorzugte  Stellung  im  Elementar- 
unterricht wesentlich  dem  Umstände  mit,  daß  man  in 
ihm  an  Stelle  der  vielfach  unkindlichen  biblischen  Er- 
zählungen einen  geeigneteren  »Oesinnungsstoff«  gefunden 
zu  haben  glaubt.  Also  nicht  in  erster  Linie  um  ihrer 
selbst  willen  gibt  man  dem  Kinde  die  Märchen;  sondern 
als  »sittlich  bildende«  und  »lehrreiche«  Anschaunngsstoffe 
sollen  sie  im  Elementarunterricht  auftreten.  Das  Kind 
selbst  nimmt  die  ihm  gereichte  Oabe  nicht  unter  diesem 
Gesichtspunkt.  Es  läßt  das  Märchen  zunächst  ohne  den 
von  uns  beabsichtigten  Nebenzweck  auf  sich  wirken. 
Wenn  es  hierbei  aus  spontanem  Impuls  heraus  sich  voll 
warmer  Teilnahme  in  die  Erlebnisse  der  Helden  des 
Märchens  versenkt,  »ihre  Bangigkeit  und  ihre  HofTnnng, 
ihren  Zweifel  und  ihre  Gewißheit,  ihr  Leid  und  ihre 
Freude,  ihr  Vertrauen  und  ihre  Ergebung,  ihre  Ober- 
legungen  und  Entschließungen,  ihren  Gehorsam  und  ihren 
Herzensfrieden,  ihr  Beten,  Loben  und  Danken  durchlebt« 
(»Der  Unterricht  in  der  Volksschule«  von  Professor  J3. 
Ranitxsch,  Weimar,  H.  Böhlau),  so  wollen  wir  uns  dieses 
Gewinnes  fürs  Kind  freuen,  aber  es  nicht  von  vornherein 
durch  unseren  Unterricht  mit  hervortretender  Absicht- 
lichkeit unter  dem  Gesichtswinkel  der  Belehrung  und  sitt- 
lichen Veredelung  an  das  Märchen  heranführen. 

Bei  der  Auswahl  von  Gedichten  fürs  I.  Schuljahr 
dürfen  wir  uns  noch  weniger  durch  unterrichtliche  Neben- 
zwecke, die  außerhalb  des  Gedichtes  liegen,  leiten  lassen. 
Sobald  wir  den  BegrifT  »Kunst«  auf  die  auszuwählenden 
Gedichte  anwenden,  verbietet  sich  von  selbst  jeder  ihnen 
aufgedrängte  Nebenzweck.  Der  deutlich  ausgesprochene 
oder  in  erkennbarer  Weise  vei  folgte  Zweck  trübt  dem 


ethjsriira  H'irkunKm  der  P, 

jalirc  noch  nicht  die  Kedo  sc 

der  (Jen  Uli   in   den  Vordcj 

Kindern  dieser  Stnfe  bereit 

hierbei  ist  nicht  gedacht  ai 

den  das  Gedicht  als  Knnsti 

donm  auslöst    Die  hierzu  i 

tische  GenuBfahigkeit  ist  vii 

geschweige  denn,  einem  K 

OenuS  der  Beinen  an  der  Pi 

«her  die  Freude  am  Inhalt 

sinnliche  Wohlgefallen  an  Bl 

Oenngtuung,  iu   dem  öedio 

Selbaterleblea,  an  die  eigeni 

«n  8ndan,  nnd  allenfalls  noc 

Ahnen  des  Schönen  nicht  t 

ich  möchte  sagen;   naive  G 

Vorstufe  m  jener  ästhetischei 

•in  tiefeies  «sthetisch-ethischi 

Knnsluerko  spSter  allein  ermö 

dem  Kinde  zu  einer  Quelle  d 

•iisheni  wir  uns  damit  den  ui 

vom   Kinde  gern   und   fr.„ 


—    9§    - 

lidie  Erzeugnis  der  deutschen  Volkediditiing  nichts  weiter 
sein  als  der  frische,  naive,  natursinnige  Ausdruck  ym 
Einderfrobsinn,  heiterer  Lebenslnst  Das  Kinderlied  bat 
von  jeher  einen  Ehrenplatz  besonders  in  der  deutsehea 
Dichtkunst  eingenommen.  »Schwerlich  dtLrfte  ein  Ycdk 
eine  schönere,  herzlichere  Einderpoede  besitzen  als  das 
deutsche.«  Die  Kinderreime  sind  ein  uraltes  Eit)e  unserer 
ganzen  Kinderwelt  Zum  Teil  von  Muttern  und  Ammen 
nnd  ander^i  kinderfreundlicben  Erwachsenen  ersonnen, 
zum  Teü  von  Kindern  selbst  durch  mancherlei  Umbildungen 
u*  dgl*  gestaltet,  ist  diese  herzgewinnende  Maturdicfatung 
80  recht  geeignet,  dem  Kinde  die  erste  poetisdie  Anregung 
zu  geben.  Mit  Recht  haben  darum  auch  in  viden  Leee> 
büchem  unserer  Kleinen  einige  der  schönsten  Einderliedw 
Aufnahme  gefunden.  Auch  sind  mehrfach  Sammlungen 
unserer  Kinderlieder  veranstaltet  worden,  um  diesen  kost^ 
baren  Schatz  deutscher  Yolkspoesie  dauernd  zu  erhalten. 
Wir  erwähnen  die  schon  genannte  bedeutendste  und  ufl> 
fassendste  dieser  Art:  »Deutsches  Kinderlied  und  Kinder» 
spiel«  von  Frcmx  Magnus  Böhme.  Im  ganzen  aber  wird 
man  das  Kiuderlied  dem  vorschulpflichtigen  Alter  zuweisen 
müssen,  der  Zeit,  da  das  Kind  in  Reim  und  Lied  nichts 
weiter  sucht  und  findet  als  ein  gefalliges,  wohlklingendes 
Ausdrucksmittel  seiner  Lustgefühle.  —  Mehr  und  mehr 
aber  will  das  Kind  durch  die  Dichtung  auch  stofflich  an- 
geregt sein,  und  es  fragt  bei  jedem  Gedicht  nach  einem 
bestimmten  Sinn  und  Inhalt.  Wir  müssen  also  für  das 
1.  Schuljahr  solche  Gedichte  auswählen,  die  hinsichtlich 
ihres  Inhaltes  die  Wirkung  erhoffen  lassen,  die  die  Er- 
wartungen der  kindlichen  Psyche  erfüllt. 

Namhafte  Dichter  und  Jugendschriftsteller  haben  mit 
mehr  oder  weniger  Erfolg  eine  Fülle  von  Gedichten  für 
unsere  Kleinen  geschrieben.  Es  sind  darunter  eine  ganze 
Reihe,  die  voll  herziger  Naivität,  voll  köstlichen  Humors, 
voll  ursprünglicher  Natürlichkeit  dem  Kinde  in  durchaus 
kindlidiem  Tone  zu  sagen  wissen,  was  ihm  Vergnügen 
bereitet,  was  e^  fesselt  und  suglcäch  erhebt  —  Trotzdem 


«'«"den  ,.s  ,,.,,„„ 

"nil  tindlicli.    Es  J. 
""  »«treiben;   dazu  i 

Kuderhedern  i,t  „,,, 
Md  das  wiJI  ,,3  t, 
«»  eioe  Bch,ere  Auf, 
g;»cle„de„  To,z„,  , 
kwdiiohen  Seele  li„j 
«einer  Schrift  .C,,  j^ 
W:  •Mein  G„i,.,  „j^ 
"«"Che  Leule  die  SeeJ, 
«"  groUes  teff,i„|,^ 
f""'  je  in  Liej„„ 

'«en,  die,  n,ei,(.„.   .,, 


^ür  das  I.  Scliulial,, 
aelter  der  Bei„a„'  be, 

^»n™  diese.»  Grunde 
mit  ihm  zu  1 


—     31     — 

Ich  behaupte^  daß  wir  uns  mit  dieser  starken  Bevor- 
zugung der  ^e^schen  Fabeln  einer  Überschätzung  der 
Heyschen  Poesie  und  einer  ungerechtfertigten  ünter- 
schätzung  anderen  poetischen  Gutes  aus  dem  Gebiet  der 
deutschen  Jugenddichtuug  schuldig  machen.  Ich  weiß, 
daß  mir  diese  Ansicht  den  Vorwurf  kritteiiustiger 
Neuerungssucht  gegenüber  Altbewährtem,  Vorzüglichem 
eintragen  wird.  Viele  werden  mich  verweisen  auf  die 
helle  Freude  der  Kleinen  an  den  vorzüglichen  Illustrationen 
zu  den  Heyschen  Fabeln,  auf  ihre  gespannten  leuchtenden 
Mienen  bei  der  Darbietung  des  Fabelinhaltes,  auf  den 
Lerneifer  der  Kinder  bei  der  Einprägung  des  Wortlautes, 
auf  die  lebendige,  fröhliche  Beteiligung  aller  beim  Dekla- 
mieren besonders  in  den  Fällen,  da  dies  mit  verteilten 
Rollen  erfolgt  Aber  all  diese  Argumente  vermögen  mich 
noch  nicht  zu  einer  anderen  Meinung  zu  bekehren,  und 
auch  der  Hinweis  auf  die  langjährige  Verwendung  der 
Heyschen  Fabeln  im  Unterricht  bei  den  Kleinen  ist  für 
mich  noch  kein  unbedingter  Beweis  für  ihre  Güte.  Auch 
im  Schulleben  spielen  die  alte  liebe  Gewohnheit,  das  durch 
vieljährige  Tradition  geheiligte  Herkommen  und  der 
manchem  tief  eingewurzelte  Hang  am  Alten  eine  gar 
große  Rolle.   — 

Doch  sehen  wir  uns  die  ^e^  sehen  Fabeln  auf  meine 
Behauptung  hin  einmal  etwas  genauer  an.  Wir  alle 
kennen  die  Fabel  »Wandersmann  und  Lerche«.  Die 
Lerche  erinnert  den  Wandersmann  durch  ihr 
jubilierendes  Morgenlied  an  seine  Dankespflicht 
gegen  Gott,  so  etwa  könnten  wir  den  Grundgedanken 
des  Gedichtchens  aussprechen.  Ist  dies  nun  aber  wirklich 
der  erste  Gedanke,  der  dem  Kinde  beim  trillernden 
Aufstieg  der  Lerche  gen  Himmel  in  den  Sinn  kommt? 
Welche  Gedanken  es  sind,  die  der  Anblick  der  schmettern- 
den Lerche  im  Kinde  anregt,  ob  überhaupt  dadurch  die 
kindliche  Seele  zu  besonderen  Betrachtungen  veranlaßt 
wird,  wer  mag  es  wissen?  Viel  näher  scheint  mir  zu 
liegen,   daß   der  Anblick   der  jubilierenden  Lerche   und 


lierrliclie   yommerlandscli 
nieinl.)     Der    Jubel    und 
ihre  kleine  Brust  sprenge 
mit;  ihnen  iu  fröhlichem 
es  faierio  der  Lerche  non 
dem  Kinde  von  Natur  au 
als    die    ernste   Reflexion 
Menschen  gegen  Gott     I 
solch  f^ücUiche  Jmst,  du 
Gottes  erweckt,  nicht  sohl 
den  gütigen  Schöpfer?    Ob 
las  ich  einoia]   in  der  >H 
TrefQicbkeit   wegen    hier  i 
neben  dam  gestirnten  Hirn 
scheo  Gesete  in  uns  noch 
Dnd  innerlicher  2U  einer  0 
als  dies,  daß  wir  uns  fre 
etwas   OSltliches  in  uns. 
Warum    und  Weil  zu  tat 
Seele  aulsteigt  aus   einem 
perlend  QberqniUt  —   und 
kam  —  du  weißt  nur,  ei 
Gittern  dir  dorch  Senl«  »» 


—     33     — 

In  Heys  »WandersmaDii  und  Lerche«  nimmt  die 
Handlung  einen  Abschluß,  den  das  Ejnd  sicher  nicht  er- 
wartet hat  Die  Hinlenkung  des  Kindes  auf  religiöse 
Gedanken  ergibt  sich  aus  der  Fabel  durchaus  nicht  mit 
jener  überzeugenden  Natürlichkeit  und  Notwendigkeit,  die 
auch  das  Kind  als  das  Gegebene,  Selbstverständliche 
empfindet.  Das  haben  wohl  auch  Kehr  und  Kleinschmidt 
gefühlt,  die  in  ihrem  »Anschauungsunterricht  für  Haus 
und  SchuJe  auf  Grundlage  der  Hey-Speckterschen  Fabeln« 
auch  die  vorliegende  Fabel  eingehend  methodisch  be- 
arbeitet haben.  In  ziemlich  umfänglicher  Weise  suchen 
sie  dem  Kinde  begreiflich  zu  machen,  daß  sich  die 
Lerche  aus  dem  Bedürfnis  heraus,  dem  lieben  Gott  ihren 
schuldigen  Dank  darzubringen,  in  aller  Morgenfrühe 
singend  und  jauchzend  zum  Himmel  erhebt  und  damit 
zugleich  den  Wandersmann  an  seine  Dankespflicht  gegen 
Gott  erinnert.  Auf  weitem  Umwege  also  sucht  man  den 
religiösen  Grundgedanken  an  das  Kind  heranzubringen, 
der,  wenn  er  sich  dem  Kinde  als  das  Nächstliegende  dar- 
stellen sollte,  von  selbst  aus  der  Fabel  herauswachsen 
müßte.  So  aber  wird  er  vom  Fabeldichter  künstlich  in 
die  durch  die  Fabel  dargestellte  Begebenheit  hinein-^ 
getragen  und  dem  Kinde  damit  förmlich  aufgenötigt 
Sollte  die  in  »Wandersmann  und  Lerche«  etwas  gar  zu 
deutlich  ausgesprochene  religiöse  Zweckabsicht  des  Dichters 
nicht  den  Genuß  seiner  Kunst  beim  Kinde  beeinträchtigen? 

Noch  weniger  motiviert  erscheint  das  religiöse  Moment 

in  der  Fabel  vom  Täubchen.     Es  wird  doch  wohl   kaum 

jemand  im  Ernst  behaupten  wollen,  daß  auf  des  Kindes 

Frage: 

»Täubcheo,  du  anf  dem  Dache  dort, 
Sage,  was  girrst  da  in  einem  fort. 
Wendest  das  Köpfchen  so  her  und  bia?c 

des  Tänbchens  Antwort: 

»Weil  ich  gar  za  fröhlich  bin, 

Weil  mich  vom  Himmel  der  Schöpfer  mein 

Wärmt  mit  dem  lieben  Sonnenscheine 

Pld.  Mag.  321.    Küho,  Poeeio  im  I.  Schuljahr.  3 


oL.in;  gionrr  Kunst   Itofracl 
ilir    emiit;irii,'li.'li->s    lh.T/.    ?. 
Religion  d(;n  niliif^cii  l'latz 
nehttieu,  der  iLr  gebührt, 
zu  den  ältesten  gehört,  woi 
wecD    er   nicht    vertraut    i 
altem,  was  das  wechselnd 
der  Persönlichkeit  zuräckiii 
Aber  wir  tiberschätzen 
rischen  Vermögens  narh  d 
ans,  wenn  wir  im  Anscbli 
beliebigen    Oegenstandt 
Herzen   der  Kleinen   glaubi 
aber  tat  Hey  offenbar,   wen 
beispielsweise    gerade   das 
Lerche  aus  des  Kindes  Erfi 
sie  zu  OottesverkUndern  fürt 
allezeit  eins    der    schwierig 
ziehUDgskuDst  bleiben,  aut  v 
am  wirksamsten  mit  religiös 
jenem  Geist,   der  voll  tießi 
Bflchtig  verlangend  und   int 
Aboen  aufwärts  schaut  zu 
des  Wm»""    '■"■-   — ■ 


—     35     — 

wollen,  was  das  Menschenherz  überhaupt  bewegen  kann! 
Wenn  Vater  und  Eand  zu  heimlich  stiller  Nachtzeit 
sinnend  das  stemen besäte  Firmament  betrachten,  der 
Vater  mit  verhaltenem  Atem  andächtig  versunken  sich 
ganz  dem  überwältigenden  Anblick  hingibt,  und  dann 
seinem  Liebling,  der  aus  Sorge,  die  tiefe  feierliche  Stille 
zu  stören,  kaum  zu  atmen  wagt,  zuflüstert:  »Siehst  du, 
das  hat  Gott  gemacht,«  ja,  dann  wird  dieser  Klang  des 
Wortes  »Gott«  in  des  Kindes  Herz  Saiten  berühren,  die 
wunderbar  forttönend  nie  mehr  ganz  verklingen.  Hier 
empfindet  und  erlebt  das  Kind  tatsächlich  ein  Stück 
Religion,  und  in  solch  persönlichem  Erleben  der 
Gottheit  kann  der  Mensch  ihr  allein  naherücken.  Es 
ist  eine  weit  verbreitete,  aber  durchaus  nicht  begründete 
Ansicht,  daß  man  recht  viel  und  möglichst  bei  jeder  Ge- 
legenheit mit  den  Kindern  über  Gott,  seine  Güte,  Weis- 
heit und  Macht  sprechen  müsse.  Das  gefühlsinnige  Ein- 
dringen in  die  Tiefen  der  Religion  werde  sich  später  bei 
zunehmendem  Verständnis  und  größerer  Reife  schon  von 
selbst  ergeben.  Spricht  es  nicht  allem  religiösen  Emp- 
finden Hohn^  wenn  man  die  Kinder  im  Unterricht  und 
besonders  auch  bei  öffentlichen  Schul prüfungen  den  Namen 
»Gott«  mit  einer  Oleicbgtiltigkeit  und  Selbstverständlich- 
keit gebrauchen  hört,  die  bei  der  Lösung  rechnerischer 
Aufgaben  oder  bei  irgend  einer  anderen  nüchternen  ver- 
standesmäßigen Betrachtung  ganz  am  Platze  wäre,  sich 
aber  durchaus  nicht  ziemt,  sobald  wir  das  Heiligste  be- 
rühren, das  es  für  uns  Menschen  gibt?  Läßt  man  das 
Kind  immer  wieder  auch  bei  solchen  Dingen  von  Gott 
reden,  die  zunächst  nicht  des  Kindes  Herz  in  seinen 
innersten  Tiefen  ergreifen  und  erregen,  nötigt  man  ihm 
also  mehr  oder  weniger  religiöse  Betrachtungen  auf,  dann 
liegt  die  Gefahr  zu  nahe,  daß  ihm  die  Religion  wird,  wa» 
sie  durchaus  nicht  sein  soll,  leider  aber  gerade  in  unseren 
Tagen  bei  vielen  ist:  eine  Sache  des  Kopfes  und  etwas 
Alltägliches,   statt  eine  Angelegenheit  des  Herzens  und 


Ulis  er  seinen  -i-uiit 
kt'inp  andere  Ueiitun 
SU  wichtig,  daß  rfeo 
wirklichen  Wert  hat, 
UDserer  Gabe  gesagt 

Abel  ist  sie  nun 
fänger?    Sollen  sie  b 
DiDgen  hören?   —   0 
macben.   Die  Hand  au 
Ventand  unbegreiflich 
f(lr  den  UDsrigen,  eben 
es  glauben.    So  alle  d 
der  ganze  Zusammenfai 
geistigen  Welt,  zwischei 
zwischen  der  Welt  and 
baroDg  von  Anhog  bis 
mit  each  glauben,  was 

Lebens  sein  soll 0, 

Bimmel  . . .  kennen  un< 
wenn  unsere  kleinen  '. 
eine  L&oke  ansrüllen-c 

Durch  die  kleine  St 
dichtong  habe  ich  zu  2 


—     37     - 

Fabeln  nach  dieser  RichtuDg  hin  als  besonders  kindlich 
nicht  ansprechen  können.  — 

Weitere  CTntersuchungen  mögen  uns  zeigen,  daß  sie 
dies,  auch  von  anderen  Gesichtspunkten  aus  betrachtet, 
bei  weitem  nicht  in  dem  Maße  sind,  als  ihnen  vielfach 
nachgerühmt  wird.  Das  Kind  will  seiner  ganzen  Natur 
und  Eigenart  nach  selbsttätig  schaffen,  tun,  handeln,  er- 
leben und  so  viel  als  möglich  in  eigener  Person  in  das 
Geschehen  um  sich  her  eingreifen.  Die  ganze  Welt  be- 
trachtet es  nur  so  weit  mit  Interesse,  als  seine  eigene 
Person  durch  sie  berührt,  es  selbst  gewissermaßen  in  den 
Mittelpunkt  alles  Geschehens  gerückt  wird.  Das  Kind  ist 
eben  hierin  ein  ausgesprochener  kleiner  Egoist  und  wird 
es  immer  bleiben.  Nun  soll  die  Erziehung  gewiß  nicht 
diesen  Egoismus  durch  ein  unbedingtes  Eingehen  auf 
des  Kindes  Art  als  berechtigt  anerkennen  und  ihm  da- 
durch einen  unheilbringenden  Einfluß  auf  des  Kindes 
Charakterbildung  einräumen.  Gleichwohl  wird  der  ver- 
ständige Erzieher  nicht  umhin  können,  mit  dieser  Eigen- 
art des  Kindes  zu  rechnen  und  an  sie  da  und  dort  an- 
zuknüpfen, soweit  dadurch  die  Harmonie  des  religiös- 
sittlichen Charakters  nicht  weiter  gefährdet  erscheint 

Bei  den  meisten  Fabeln  Heys  muß  sich  das  Kind  mit 
der  bescheidenen  Rolle  eines  passiven  Zuschauers  be- 
gnügen. Und  wie  gern  würde  es  doch  selbst  mittuend 
beteiligt  sein  an  dem  heiteren  Spiel,  an  dem  heißen  Kampf, 
an  den  schelmischen  Streichen,  davon  die  Fabeln  erzählen. 
Wie  gewinnt  der  Fabelinhalt  doch  sofort  Leben  fürs  Kind, 
wenn  es  beim  Deklamieren  die  Bolle  des  klugen  Möps- 
chensy  des  siegreichen  Hahnes  oder  des  wehrhaften  Böck- 
chens, womöglich  mit  den  nötigen  Pantomimen  durch- 
führen darf!  Die  Fabeln  Heys  hätten  dem  Kinde  viel 
mehr  zu  eigenen  Erlebnissen  werden  sollen,  und  zwar 
dadurch,  daß  das  Kind  in  ihnen  auch  sich  selbst  und 
sein  eigenes  Tun  fand.  Wenig  verständlich  und  für  die 
Kleinen  erst  recht  befremdlich  ist  es,  wenn  der  Dichter 
in  seiner  Fabel: 


—     38     — 

»Seht  ihr  den  großen  Vogel  da? 
Ihr  kleineo,  kommt  ihm  nnr  nicht  nah', 
Daß  er  euch  nicht  etwa  ertappt 
Und  zehen  gleich  hinuntersohnappt.« 
»Ach  geh  mit  deinem  großen  Tier, 
Das  ist  ja  gar  nichts  als  Papiere 

die  Vögel  eine  dem  Kinde  ziemlich  gleichgültige  Unter- 
haltuDg  über  den  Papierdrachen  miteinander  führen 
läßt,  statt  das  Eind  mitten  hinein  zu  versetzen  in  sein 
fröhliches  Treiben  beim  Drachensteigen  auf  den  herbst- 
lichen Stoppeln.  Das  Eind  muß  geradezu  die  Gedanken, 
die  das  Bild  vom  Drachen  in  ihm  mächtig  und  zuerst 
anregt,  gewaltsam  zurückdrängen,  um  dem  ihm  femliegen- 
den Gedankengang  des  Dichters  folgen  zu  können.  — 
Wo  aber  Hey  das  Eind  tätig  in  die  Handlung  der  Fabel 
eingreifen  läßt,  da  erscheint  es  vielfach  entweder  in  ganz 
ungewöhnlichen  Situationen,  oder  es  vertritt  die  wenig 
begehrte  Rolle  eines  bösen  Eindes.  Wie  z.  B.  die  Ente 
in  der  Fabel  »Enabe  und  Ente«  auf  den  Gedanken  kommt, 
daß  ihr  der  Enabe,  der  nach  der  Zahl  ihrer  Jungen  fragt, 
wohl  gar  eins  wegstehlen  wolle,  dürfte  einem  unbe- 
fangenen, natürlichen  Einde  von  sechs  Jahren  doch 
wohl  kaum  einleuchten.  Die  Ironie,  mit  der  das  Eind 
in  der  Fabel  »Eind  und  Ochse«  den  blöden  Wiederkäuer 
behandelt,  ist  sechsjährigen  Eindem  doch  wohl  auch 
kaum  eigen.  Daß  sich  ein  Eind  mit  dem  mitleidslosen, 
verrohten  Enaben  in  der  Fabel  vom  »Fischlein«  identi- 
fizieren möchte,  dem  es  das  größte  Vergnügen  bereitet, 
tagelang  den  Fischlein  mit  seinem  marternden  Angelhaken 
nachzustellen,  kann  man  auch  nicht  annehmen.  Eurz, 
schon  diese  wenigen  Andeutungen  genügen  wohl,  um  uns 
wiederum  zu  zeigen,  daß  die  Poesie  Heys  nicht  so  selbst- 
verständlich als  die  »klassische  Dichtung  der  Einderwelt« 
zu  bezeichnen  ist.  Es  ließe  sich  dies  noch  an  sehr  vielen 
Beispielen  aus  dem  Inhalt  der  ^e^ sehen  Fabeln  beweisen« 
Sie  lassen  vielfach  den  zarten,  unberührten  Duft  kindlicher 
Natürlichkeit  und  Einfalt  vermissen,  der  uns  an  des  Eindes 
Denken  und  Fühlen  so  morgenfrisch  anmutet    Unnötig 


—     39     — 

oft  führeD  sie  das  sorglos  dahmlebende,  froh  genießende 
Kind  in  Sorge  und  Leid,  in  Angst  und  Weh  ein.  Die 
Tiergestalten  der  Fabeln  reden  für  das  sechsjährige  Kind 
fast  durchweg  zu  gescheit  und  welterfahren. 

Am  bedenklichsten  aber  erscheint  mir  an  den  Helden 
der  ^6^ sehen  Fabeln,  daß  sie  sich  dem  Kinde  oft  als 
aufdringliche  Lehrmeister  yorstellen.  Das  Kind  knüpft 
den  Verkehr  mit  den  dichterischen  Gestalten  nicht  an, 
um  von  ihnen  zu  lernen,  sondern  um  mit  ihnen  in 
fröhlicher  Gesellschaft  zu  spielen  und  zu  scherzen,  zu 
singen  und  zu  lachen,  zu  hüpfen  und  zu  springen.  Gerade 
der  vielfach  lehrhafte,  an  einigen  Stellen  stark  morali- 
sierende Ton  der  Hey  sehen  Poesie  zeigt,  daß  sie  nicht 
aus  der  Tiefe  kindlich  natürlicher  Empfindungs-  und  An- 
schauungsweise heraus  geboren  worden  ist,  sondern  ihr 
Entstehen  vornehmlich  der  Absicht  des  Dichters  verdankt, 
durch  sie  »wahrhaft  bildend  auf  Sinn  und  Gemüt«  der 
Kinder  einzuwirken.  Solche  Poesie,  mehr  durch  den  be- 
rechnenden Verstand  eines  wohlmeinenden  Erwachsenen  für 
die  Kinder  zurechtgemacht,  als  vom  Dichter  aus  der 
Stimmung  des  Kindes  heraus  empfunden  und  erlebt,  wider- 
spricht dem  poetischen  Sinn  des  Kindes.  »Im  Ausdrucke 
seiner  Gefühle  und  Gedanken  will  das  Kind  nicht  die 
am  Gängelbande  des  Verstandes  herangezogene  Spracbac 
Müssen  und  sollen  denn  auch  unsere  Kleinen  schon  aus 
allem  »etwas  lernen«?  Selbst  die  Poesie,  das  Gebilde 
künstlerischen  Spiels,  muß  dazu  dienen,  dem  Kinde 
geistbildende  Weisheiten  und  charakterentwickelnde  mora- 
lische Prinzipien  mitzuteilen.  Unsere  ganze  Unterricbts- 
und  Erziehungsmanier  läuft  viel  zu  sehr  auf  ein  künst- 
liches Zurechtstutzen  des  Kindes  hinaus  und  läßt  der 
dem  Kinde  innewohnenden  natürlichen  Kraft  und  deren 
Entfaltung  in  der  Entwickelung  des  kindlichen  Geistes 
und  Gemütes  viel  zu  wenig  Spielraum. 

Treffend  sagt  Ltidtmg  OurUtt  darüber  in  seinem  Buche 
»Erziehung  zur  Mannhaftigkeit«:  »Lassen  wir  doch  auch 
im  Frühling  des  Lebens  fröhlich  alle  Knospen  springen, 


>"'''«   aas  Ooel/u, 
■"'"»»""<«.  B., 

D„rj""'  "»'■  '•■' 

"■'«"IgIloHl.j., 
Für  das  natQrliol 

Z  "" "'  •"' 

»•'«,  solange  ala  „„, 
P"  Mndet    J,   ,'     ' 

:t  ■»**•,"/'; 


—    41     — 

und  deshalb  unverstäadlicben  Ausdruoksform  bewegt   Wo 

es  dagegen   in   der  sprachlichen  Form  und  eigenartigen 

Ausdrucksweise  der  Oedichte  wohlbekanntem,  liebem  Klang 

begegnet,   da  fühlt  es   sich  sofort  auch   angezogen  und 

öflPhet  auch  dem   Inhalt  der  Oedichte  gern   und  freudig 

Herz  und  Ohr.    Es  geht  ihm  in  diesem  Fall  ähnlich  wie 

den  Bauern,  die  Luthers  Deutsche  Bibel  mit  den  Worten 

freudigster  Oenugtuung  begrüßten: 

Deutsch  steht  es  hier,  deutsoh  Satz  für  Satz, 
So  wie  ich*8  selber  red'  nod  sohwutzl« 

Es  ist  das  dieselbe  Erscheinung,  die  sich  in  der  For- 
derung ausspricht,  die  Kinder  der  Elementarklasse  zu- 
nächst weiter  im  Dialekt  reden  zu  lassen,  wie  sie  es  bis 
zu  ihrem  Schuleintritt  fast  ausschließlich  getan  haben.  Ist 
es  uns  Erwachsenen  schon  nicht  immer  leicht  und  in 
manchen  Fällen  nur  der  innigen  Vertrautheit  der  Mutter 
mit  dem  Kinde  möglich,  all  das  aus  der  kindlichen  Bede 
herauszuhören  und  herauszufühlen,  was  das  Kind  in  sie 
hineinlegt,  so  erfordert  es  erst  recht  intimstes  Verständnis 
und  reiches  Können,  gemütvoll,  verständlich  und  schön 
in  der  Sprache  des  Kindes  zum  Kinde  reden  zu  können, 
unverkennbar  spricht  aus  der  Poesie  Heys  das  heiße 
Ringen  und  Mühen  des  Dichters,  in  seinen  Fabeln  den 
rechten  kindlichen  Ton  und  die  natürliche  Ausdrucks- 
weise der  Kleinen  zu  treffen.  Wie  weit  ihm  dies  ge- 
lungen, wie  weit  es  gute  Absicht  von  ihm  geblieben  ist, 
das  mögen  uns  wiederum  einige  Beispiele  aus  seinen  Fabeln 
zeigen. 

Auffallend  ist  die  Zahl  ganz  unkindlicher  Ausdrücke 
und  Redewendungen  und  ungewöhnlicher,  das  kindliche 
Verständnis  erschwerender  Wortstellungen  in  der  Hey- 
sehen  Sprache.  Das  treffendste  urteil  spricht  in  dieser 
Hinsicht  das  Kind  selbst.  Mit  vielen  Ausdrücken  und 
Bedewendungen  der  Fabeln  weiß  es  beim  besten  Willen 
nichts  anzufangen.  In  echt  kindlicher  Weise  greift  es 
zur  Selbsthilfe  und  sucht  sich  von  dem  durch  das  Nicht- 
verstehen  erzeugten  psychischen  Druck  zu  befreien,  indem 


-"^;  '-'«■  :mi„ 
»■"kl  «Nd,v.  B^^ 
"'••"'  Jungen  Z^ 
«oder,  deuten,  ais- . 
™  anderes  Kind  a 
taechal  gJeioi  .„,  , 
«;'«  Nene,  e«deok 

"""  B*n,    wi„„ 
I^«»  "'  ein.  Schwier, 
■'""■MbeiderBei.an 
ime  weitere  g,„f 
^"■■l  oft  „ei,,  i„« 

f":.  ß«  Ei«d  „J^  , 

'""•  ™  •"  ".  B.  in  Je, 
■War  d„  „„„  j 
J«.  ■!.  ho,«,,,  ji, 


J«l, 


""".  lit  B.i„, 


—     43     — 

Hast  des  dahinstürmeDdeD  Hirsches  recht  lebhaft  empfinden 
zu  lassen. 

Mit  berechtigter  Zähigkeit  sträuben  sich  die  Kinder 
beim  Einprägen  und  Deklamieren  der  Fabel  vom  »Hünd- 
chen und  Böckchen«  immer  wieder  gegen  die  ihnen  wider- 
strebende Wortstellung:  »Sind  mir  zwei  Hörner  gewachsen 
an.«  Sie  sagen  dafür  meist  richtig:  »Sind  mir  zwei 
Hörner  angewachsen«  oder  »Mir  sind  zwei  Hörner  an- 
gewachsen.« Welch  schwere  Geduldsprobe  das  Einprägen 
des  Fabelwortlautes  infolge  seines  vielfach  verzwickten 
und  naturwidrigen  Satzbaues  für  Lehrer  und  Schüler  oft 
bedeutet,  wird  jeder  Eiementarlehrer  aus  seiner  Erfahrung 
bestätigen  können.  Man  vergleiche  hierzu  folgende  Bei- 
spiele: 

»Er  breitete  seine  Flügel  aus 

Und  flog  dahin  weit  übers  Hans; 

Hoch  ans  der  Lnft  so  frisch  and  munter: 

,Hab  Dankl    hab  Daokl^  rief  er  herunter.«    (Rabe.) 

oder: 

>Läinmcben,  was  schreist  da  so  kläglich  dort? 
Meine  liebe  Matter  ist  fort. 
Fürchtest  da  dich,  daß  in  der  Zeit 
Irgend  jemand  dir  ta  ein  Leid? 
Fürchten,  ich  wüßte  nicht  was;   ach  nein, 
Möchte  nar  gern  bei  der  Matter  sein.« 

Man  vergegenwärtige  sich  bei  dem  letzten  Beispiel  nur 
einmal,  was  für  ein  komplizierter  Oeistesprozeß  seitens 
des  sechsjährigen  Kindes  erforderlich  ist,  damit  es  den 
Gedanken  aus  solch  doppelt  und  dreifach  umhüllender 
Satzform  herauszuschälen  vermag!  Wie  aber  soll  sich  die 
Sache  erst  für  noch  jüngere  Kinder  gestalten !  Bekannt- 
lich sagt  ja  Hey^  daß  seine  Fabeln  zunächst  für 
Kinder  von  »vier  (!)  bis  sieben  Jahren«  bestimmt  seien. 
Der  Lehrer  wird  sich  in  vielen  Fällen  nicht  nur  stark 
versucht,  sondern  geradezu  verpflichtet  fühlen,  die  Fabel 
rein  äußerlich  dem  Wortlaut  nach  zu  zerpflücken  und  in 
eine  dem  Kinde  geläufige  Form  zu  übertragen,  damit  dem 
Kinde  der  Sinn  nur  einigermaßen  klar  werde.    Wo  bleibt 


—     44     — 

aber  dann  das  Gedicht  als  solches?  und  wie  verhält  es 
sich  hierbei  mit  dem  Wohlgefallen,  das  schon  die  ioßeie 
Form  des  Gedichtes  dem  Kinde  abnötigen  soll? 

Das  Sprach  vermögen  und  das  Sprachverstftndois  des 
sechsjährigen  Kindes  reichen  über  die  Formen  ganz  ein- 
facher Satzbildung  nicht  hinaus.  In  dieser  Sphäre  aber 
bewegt  sich  das  Kind  dann  auch  mit  Hilfe  seines  schon 
leidlich  entwickelten  Sprachgefühls  ziemlich  sicher.  Diese 
leidliche  Zuverlässigkeit  des  kindlichen  Sprachgefühls  leistet 
uns  für  den  Elementarunterricht  nicht  hoch  genug  zu 
veranschlagende  Dienste.  Es  hilft  uns  im  mündlichen 
Verkehr  mit  dem  Kinde  über  ganz  bedeutende  Schwierig- 
keiten hinweg,  mit  denen  wir  sonst  in  unserer  ohnehin 
nicht  leichten  Lehrtätigkeit  in  der  Elementarklasse  gar 
manchen  harten,  aufreibenden  Strauß  zu  bestehen  haben 
würden.  Peinlich  sollte  daher  alles  vermieden  werden, 
was  die  Sicherheit  des  kindlichen  Sprachgefühls  zu  ge- 
fährden im  Stande  ist.  Eine  solche  Gefahr  aber  liegt 
nahe,  wenn  sich  das  Kind  Hey  sehe  Fabeln  einprägen 
muß,  die  sich  oft  aufiallend  weit  vom  üblichen  Sprach- 
gebrauch entfernen.  Wohl  bleibt  es  der  dichterischen 
Freiheit  unbenommen,  sich  über  Segeln  und  Normen  des 
allgemeinen  Sprachgebrauchs  zu  erheben.  Von  diesem 
Vorrecht  wird  er  besonders  dann  Gebrauch  machen,  wenn 
es  ihm  auf  die  Erzielung  besonderer  dichterischer  Wir- 
kungen ankommt  Zur  Erfassung  solch  ästhetischer  Fein- 
heiten würde  das  Kind  der  Elementarklasse  natürlich  gar 
nicht  befähigt  sein.  Sie  sind  aber  auch  aus  der  IZi^  sehen 
Poesie  gar  nicht  herauszulesen.  Hey  hat  sich  zu  seinen 
Abweichungen  von  der  Sprachnorm  offenbar  in  den  meisten 
Fällen  durch  eine  gewisse  Verlegenheit  um  den  metrischen 
Aufbau  seiner  Fabeln  nach  der  verstechnischen  Seite  so- 
wohl als  auch  nach  der  reimtechnischen  nötigen  lassen.  Ist 
aber  diese  Meinung  begründet  —  und  sie  drängt  sich 
jedem  bei  kritischer  Lektüre  der  ^e^  sehen  Poesie  deut- 
lich genug  auf  —  dann  sind  viele  der  J7<^ sehen  Fabeln 
hinsichtlich  ihrer  äußeren  Form  nicht  nur  als  unkind- 


—    45     — 

lieh,  sondern  auch  als  anpoetiseh  abzulehnen.  Sobald 
wir  überhaupt  die  ^e^  sehen  Fabeln  nach  den  Gesetzen  der 
Metrik  genau  untersuchen  wollten,  würden  wir  uns  auf 
Schritt  und  Tritt  überzeugen  können,  daß  sie  als  poetisch 
im  strengen  Sinne  des  Wortes  ganz  und  gar  nicht  gelten 
können. 

Doch  auf  solch  weitergehende  Erörterungen  wollen 
wir  uns  hier  einmal  gar  nicht  einlassen,  sondern  in  einer 
auch  dem  Laien  einleuchtenden  Weise  dartun,  daß  die 
Dichtungen  Heys  der  Poesie  vielfach  entbehren,  die  man 
billigerweise  auch  für  das  Eind,  ja  für  dieses  erst  recht 
von  ihnen  fordern  müßte.  Wollen  wir  die  ästhetische 
Geschmacksbildung  des  Kindes  von  allem  Anfang  an  in 
die  rechten  Bahnen  leiten,  dann  müssen  wir  es  von  vorn- 
herein durch  die  Darbietung  von  wirklich  klassisch  poeti- 
schem Sprachgut  an  das  ästhetisch  Schöne  in  der  Poesie 
gewöhnen. 

Ein  besonderer  Prüfstein  für  die  Werke  des  Jugend- 
dichters wird  immer  die  Frage  bilden,  ob  seine  Sprache 
in  allen  Stöcken  kindlich  und  verständlich  ist  und  dabei 
doch  nicht  jenes  eigenartigen  duftigen  Reizes  entbehrt, 
der  die  Poesie  vor  der  Alltagssprache  auszeichnet  Ge- 
rade die  feiertägige  Schönheit  der  poetischen  Sprache  ist 
es  ja  im  wesentlichen,  die  das  Kind  über  die  Alltäglich- 
keit seiner  Prosa  erheben  soll.  Wie  weit  die  JBisj^schen 
Fabeln  dieser  Forderung  entsprechen,  vermögen  wir  am 
besten  aus  der  ästhetischen  Wirkung  zu  erschließen,  die 
sie  auf  uns  selbst  ausüben.  Echte  Kinderpoesie  läßt  auch 
den  Erwachsenen  den  Zauber  taufrischen  Duftes  und 
Hauches  empfinden^  der  alle  Poesie  verklärt 

Hey  selbst  wünscht  und  erhofft  von  seinen  Fabeln, 
daß  »auch  Größere,  Kinder  und  Nichtkinder,  sich  daran 
erfreuen  wordene  Ich  greife  willkürlich  einige  Fabeln 
heraus  und  bitte  den  Leser,  sich  selbst  einmal  Rechen- 
schaft darüber  zu  geben,  wie  weit  er  sich  durch  dieselben 
ästhetisch  angeregt  fühlt 


"ocli  darf  |„, 
""  "üM  fcl,' 

Da  Jernsi  j, 
*'«ot.l  Im, 

K»  «Mm  ,1.  j, 
•"•?  «»il  »«1 

1""  •'».  d.m„ 

"•  »■«..  .te  , 

'f'"f- .ü.b..  8„j,. 

;'*""  'leb, 

Oarom  ist's  q^ 
li.a-  'IT'  "°  ""I  ' 


-      47     — 

dahin,  daB  die  Heyschen  Fabeln  gerade  das  oft  vermissen 
lassen,  was  ihnen  so  viel  nachgerühmt  wird:  Kindlich- 
keit und  Poesie. 

Das  ist  auch  die  Überzeugung  in  weiten  Kreisen  der 
deutsehen  Lehrerschaft;    mag  man   sich  auf  andrer  Seite 
noch  so  energisch  gegen  diese  Ansicht  verwahren.    Womit 
z.  B.  A,  Schultx   (»Der  Unterricht  im  Deutschen«)   seine 
temperamentvoll  aasgesprochene  Meinung:    »Uns  gilt  der 
Schatz   der  Meisterlieder   eines  Hey^   Oüll^  Löwensteiriy 
Hoffmann  von  Fallersleben  als  deutsches  Heiligtum  und 
jeder    Angriff    auf    ihn    als     pädagogische    Ent- 
gleisung« begründen  will,  soweit  dieselbe  Hey  betrifft, 
ist  mir  unerfindlich.    Man  wird  vielleicht  daran  erinnern, 
daß   die  Kleinen   der  Behandlung  Hey^ch&t  Fabeln   mit 
größerem  Interesse  folgen   als   anderen  Unterrichtsgegen- 
ständen unseres  I.  Schuljahres.    Wie  weit  aber  dies  Wohl- 
gefallen des  Kindes  durch  die  Fabeln  an  sich  bedingt  ist, 
das  bleibt  denn  doch   wohl  noch   eine  offene  Frage.     In 
der  Regel  erfolgt  die  Besprechung  Hey^ch&t  Fabeln  im 
Anschluß  an  die  Wandbilder  von  Wilh,  Pfeiffer  und  Alb. 
Kull^  und  in  den  Lehrplan  werden  meist  die  Fabeln  ein- 
gestellt,   zu    denen    Illustrationen    von    den    genannten 
Künstlern   vorliegen.     Die  Vorliebe   für   Bilder   ist   eine 
besonders  charakteristische  Eigenart  des  Sandes.    Die  Dar- 
stellungen von  Pfeiffer-Kull  sind  in  ganz  hervorragendem 
Maße  geeignet,  des  Kindes  Beifall  und  Entzücken  zu  er- 
regen.    In  lebendiger,  oft  mit  köstlichem  Humor  durch- 
würzter  Weise  (Pferd  und  Sperling)  geben  sie  gewöhnlich 
den  Höhepunkt  der  in  der  Fabel  dargestellten  Handlung 
wieder.     Daß   sie   sich    dem    Kinde   in   buntem   Kleide 
präsentieren,  vermag  das  Wohlgefallen  des  farbenfreudigen 
Kindes  erst  recht  zu  steigern.     Ich  will  nicht  endgültig 
entscheiden,   wie  weit  das  Interesse  und  die  Freude  des 
Kindes  auf  die  gelungenen  Illustrationen  der  Fabeln,  wie 
weit  sie  auf  die  Fabeln  selbst  zurückzuführen  sind.     In 
meiner   Unterrichtstätigkeit   habe   ich   immer   wieder   er- 
fahren, daß  des  Kindes  Interesse,  das  bei  der  Betrachtung 


"CS  onlsjuicl,,^  ob 
etl'illoo  ist  usw.     i 
»■"rgehobeo,  dau  j; 
■''Wl.oll  b.be.,  „„ 
S«   mrd   den,  »nde 


'ntt  mehr  „„d  me,,,' 
5°™  beaiupnicben  b 
"f»  'on  den    Ferfaase 

J»"  «Chi  „enig  be^ 

"»Ige«  iingetj    ^ 
und  n«„i.-t_         '°*  ^r& 


-•     40     — 

wohl  auch  vornehmlich  gewesen,  die  den  fleischen  Fabeln 
zu  ihrer  beispiellosen  Verbreitung  verhelfen  hat,  weniger 
aber  die  Art  und  Weise,  in  der  Hey  sie  dem  Kinde 
poetisch  darzustellen  versucht  hat. 

Nach  all  dem  ist  die  Bevorzugung  der  Heischen 
Fabeln  vor  anderen  poetischen  Stücken  im  I.  Schuljahre 
durch  nichts  gerechtfertigt,  und  zwar  ist  dies  um  so  weniger 
der  Fall,  als  wir  den  Fabeln  Heys  Eindergedichte  von 
Hoffrnann  von  Fallersleben^  Friedrich  Oüll,  Christian 
Dieffenbachj  Rudolf  Löwenstein^  Julius  Sturm^  Robert 
Reinick,  Enslin  und  vielen  anderen  Jugenddichtem  als 
mindestens  ebenbürtig  zur  Seite  stellen  können.  Ich 
brauche  zunächst  gewiß  nur  diese  Namen  zu  nennen,  und 
jeder  wird  sich  mit  Freuden  sofort  jener  sinnigen,  kind- 
lichen Poesie  erinnern,  deren  traute  Klänge  ihm  herüber- 
klingen aus  seiner  eigenen  Jugendzeit  Dem  Gedanken 
aber,  daß  wir  von  diesen  »anerkannten  Meistern  in  aus- 
reichendem Maße  klassisches  Lehrgut  besitzen,  das  einer 
Vermehrung  kaum  bedarf«,  den  Ritter  in  seinem  Werke 
>Der  deutsche  Unterricht  in  der  höheren  Mädchenschule« 
äußert,  brauchen  wir  denn  doch  wohl  nicht  ohne  weiteres 
beizupflichten.  Warum  sollen  wir  nicht  unseren  Kleinen 
klassische,  ausdrücklich  für  sie  geschriebene  Poesie  er- 
schließen und  ihnen  darbieten,  von  welcher  Seite  sie 
auch  komme? 

Wollen  wir  etwa  den  Werken  von  hervorragenden 
modernen  Jugenddichtem  den  Eingang  in  die  Schule 
sperren,  weil  wir  an  dichterisch  klassischem  Gut  für 
unsere  Jugend  gewissermaßen  an  Überfluß  litten?  Oder 
ist  für  diese  Poeten  kein  Raum  in  unserer  Schule,  weil 
sie  unserer  Zeit  angehören?  Und  doch  gebührt  manchem 
von  ihnen  im  Lehrplan  unseres  L  Schuljahres  weit  eher 
eine  Stelle  als  dem  viel  überschätzten  Hey. 

Es  gibt  unter  den  neueren  Jugenddichtera  einzelne, 
die  ganz  besonders  kindlich  und  herzig  zu  plaudern  ver- 
stehen, so  recht  natürlich  und  ursprünglich  mit  dem  Kind 

PKd.  Mag.  321.    Kühn,  Poesie  im  I.  Schuljahr.  4 


—     50     — 

empfindend,  daß  auch  die  Eltern  und  wir  Lehrer  noch 
zu  ihnen  in  die  Schale  gehen  können,  um  von  ihnen  zu 
lernen,  »worüber  ein  Eind  jubelt  und  wovor  es  zittert, 
was  ihm  gleichgültig  ist,  und   was  sein  Denken  err^t« 

Von  ihnen  möchte  ich  im  folgenden  einen  hervor- 
heben, dessen  Kinderliedchen  und  Verse  mir  besonders 
für  unsere  Kleinen  geeignet  erscheinen,  ohne  jedoch 
damit  sagen  zu  wollen,  daß  man  sich  nun  auf 
ihn  allein  beschränken  und  ihn  vor  allen  anderen 
bevorzugen  müsse.  Ich  meine  Wblrad  Eigenbrodt  und 
seine  Gedichtsammlung:  »Aus  der  schönen  weiten  Welt, 
Liedchen  und  Verse  für  unsere  Kleinen.«  R.  Voigtländers 
Verlag  in  Leipzig.  Daß  ich  gerade  seine  Qedichte  zum 
Ausgangspunkt  für  meine  weiteren  Betrachtungen  wähle, 
hat  mancherlei  Gründe,  nfcht  zuletzt  solche  persönlicher 
Natur.  Durch  längeren  persönlichen  Verkehr  mit  dem 
verehrten  Meister  ist  mir's  immer  wieder  zum  Bewußt- 
sein gekommen,  wie  warm  sein  Herz  gerade  für  unsere 
Kleinen  zu  schlagen  vermag.  Dazu  kommt,  daß  der 
Dichter  durch  langjährige  praktisch -pädagogische  Tätig- 
keit sich  einen  scharfen  Blick  für  des  Kindes  Eigenart 
und  Bedtirfhisse  angeeignet  bat. 

Die  Gedichte  Eigenbrodts  in  den  Kreis  meiner  Be- 
trachtung zu  ziehen,  mußte  mir  also  besonders  nabeliegend 
und  dankbar  erscheinen.  Eigenbrodt  hat  seine  »Liedeben 
und  Verse  für  unsere  Kleinen«  ursprünglich  nicht  für 
die  breite  Öffentlichkeit  geschrieben.  Für  sein  Töchter- 
chen waren  sie  zu  sinnig  anregender  Betrachtung  der 
9schönen  weiten  Welt«  bestimmt,  und  dieser  Absicht  des 
Dichters  verdanken  sie  einzig  und  allein  ihre  Entstehung. 
Dieser  Umstand  aber  macht  sie  uns  besonders  wertvolL 
Nicht  nur,  daß  sie  den  lebendigen  Herzschlag  innigster 
Liebe  des  Dichters  zum  Kinde  förmlich  verspüren  lassen, 
nein,  sie  sind  auch  im  unmittelbarsten  Verkehr  des  Dichters 
mit  dem  Kinde  entstanden.  Was  wir  bei  Eigenbrodt  zu 
liören  bekommen,  das  ist  nichts  Gemachtes,  für  das 
Kind  Erdichtetes,  sondern   im   natürlichsten  Sinn   des 


—     61     -- 

Wortes  wirklich  Erlebtes.  Gerade  dies  Moment,  dessen 
Nichtvorhandensein  wir  bei  Hey  als  einen  Hauptmangel 
bezeichnen  mußten,  tritt  bei  den  EJigenbrodt sehen  Einder- 
liedern sinnfällig  in  den  Vordergrund.  Wenn  Eigenbrodt 
vom  Wind,  von  der  Sonne,  von  den  Täubchen,  vom  Vög- 
lein u.  a.  spricht,  so  liegen  all  dem  ganz  bestimmte  Er- 
lebnisse des  Dichters  und  seines  Kindes  zu  Gründe,  die 
der  Dichter,  der  konkreten  Wirklichkeit  entsprechend, 
unseren  Kleinen  darstellt,  doch  so,  daß  diese  unmittel- 
baren Anteil  an  den  Erlebnissen  nehmen,  sie  nicht  nur 
nach-,  sondern  miterleben.  So  erfüllt  Eigenbrodt  das, 
was  Goethe  vom  Dichter  fordert:  »Der  Dichter  ist  an- 
gewiesen auf  Darstellung.  Das  höchste  derselben  ist,  wenn 
sie  mit  der  Wirklichkeit  wetteifert,  d.  h.  wenn  ihre  Schil- 
derungen durch  den  Geist  dergestalt  lebendig  sind,  daß 
sie  als  gegenwärtig  für  jedermann  gelten  können.«  Man 
stelle  z.  B.  einmal  der  J7e^ sehen  Fabel  vom  »Täubchen« 
Eigenbrodts  Gedicht  »Täubchen«  gegenüber.  Ich  lasse  zu 
dem  Zwecke  das  Gedicht  Eigenbrodts  im  Wortlaut  folgen: 

Täaboheo. 

Die  Täubleio  soboo  am  frühen  Tag 

spazieren  aus  dem  Taabensohlag 

und  wandern  auf  dem  Dach  herum 

mit  Ruckdiku  und  Rumdumdum. 

Auf  einmal  hasch,  husch,  husch, 

schwingen  sie  die  Flügel. 

Rasch  aber  Dach  und  Busch, 

hoch  über  Turm  und  Hügel 

flattern  sie  im  Blauen. 

Die  Fiüglein  blitzen  heil  im  Licht; 

ich  kann  sie  nicht  mehr  schauen, 

die  Sonne  sticht  mir  ins  Gesicht. 

Wo  sind  sie  hin?  —  Das  sollst  du  sehn. 

Komm,  Kind,  wir  wollen  suchen  geh*n. 

Rasch  wandern  sie  ins  Feld  hinaus. 
Da  bricht  das  Kind  in  Jubel  aus: 
»Ei  siehl  Ei  sieh,  da  sind  sie  jal 
Was  tun  sie  nur  im  Acker  da? 
Sie  laufen  ohne  Unterlaß 
und  suchen  was  und  picken  waslc 

4» 


—     52     — 

»Ei^  Kind,  dort  hat  der  Sämann  heut 

viel  tausend  Erbsen  hingeetreat 

and  denkt,  die  sollen  waohseo  bald 

and  Früchte  tragen  siebenfalt. 

Das  dumme  Täubohen  aber  denkt, 

die  Erbsen  seien  ihm  geschenkt. 

So  läuft  es  denn  im  Acker  dort 

und  frißt  die  besten  alle  fort. 

Es  pickt  und  schluckt  und  dockt  den  Kopf 

und  voll  und  voller  wird  sein  Kropf.  € 

Lang'  schaut  das  Kind  den  Täubchen  an. 

Auf  einmal  sind  in  einem  Nu 

sie  husch,  husch,  husch  im  Sonnensohein 

hoch  über  Feld  ins  Dorf  hinein. 

Und  wie  das  Kind  nun  kommt  nach  Haas, 

da  sitzen  sie  und  rasten  aus 

auf  ihrem  Dach  in  guter  Ruh 

mit  Ramdumdum  und  Ruckdika. 

Bei  Hey  erhält  das  Eind  auf  die  Spannung  erweckende 

Frage: 

tTäubcheo,  da  auf  dem  Dache  dort 

Sage,  was  girrst  du  in  einem  fort. 
Wendest  das  Köpfeben  so  her  und  hin?« 

alsbald  die  ihm  wenig  sagende  und  sein  Interesse  nicht 
befriedigende  Antwort: 

tWeil  ich  gar  zu  fröhlich  bin, 

Weil  mich  vom  Himmel  der  Schöpfer  mein 

Wärmt  mit  dem  lieben  Sonnenschein.« 

Damit  ist  die  Handlung  der  Fabel  vollständig  erschöpft 
Denn  was  dar  Dichter  dem  Kinde  noch  weiter  sagt,  das 
erschließt  dem  Kinde  kaum  neue  Gesichtspunkte  und  hätte 
daher  ebensogut  ungesagt  bleiben  können.  Der  tatsächliche, 
unmittelbare  Anteil  des  Kindes  an  der  Handlung,  wenn  man 
von  einer  solchen  in  der  ffe^schen  Fabel  überhaupt  reden 
kann,  beschränkt  sich  also  im  Grunde  genommen  auf  die 
sein  Interesse  erregende  Frage  im  Anfang  der  Fabel. 

Wie  ganz  anders  und  lebhaft  dagegen  weiß  Eigenbrodi 
des  Kindes  Interesse  von  Anfang  bis  zu  Ende  zu  fesseln! 
Bei  ihm  erlebt  es  so  viel  des  Reizvollen,  daß  es  sich 
durch  ihn  stets  in  der  spannendsten,  anregendsten  Weise 


—     53     — 

imterhalten  findet.  Mit  gespannten  Blicken  beobachtet  und 
verfolgt  es  die  auf  dem  Dache  hin  und  her  spazierenden 
Täublein  mit  ihrem  Buckdiku  und  Rumdumdum.  Da,  wa& 
ist  das?  Da  fliegen  sie  ja  auf  einmal  hurtig  und  flink 
iioch  in  die  Luft  So  weit  das  Kind  vermag,  folgt  e& 
ihnen  mit  seinen  Augen.  Aber  ach,  die  Sonne  blendet 
gar  zu  sehr,  und  nun  sind  sie  seinem  Gesichtskreis  ganz 
entschwunden.  Wie  schade!  Wo  mögen  sie  nur  hin  sein? 
Durch  diese  Frage  wird  die  Phantasie  aufs  lebhafteste 
und  willkommenste  beschäftigt  und  seine  Spannung  zu- 
gleich aufs  höchste  gesteigert. 

Sie  gilt  es  nun  zu  lösen,  und  der  Dichter  kann  die 
Handlung  fortführen  unter  dem  überaus  günstigen  Um- 
stände, daß  des  Kindes  Interesse  und  augenblickliche 
Bewußtseinslage  selbst  auf  die  Weiterführung  derselben 
hindrängt.  Oem  wird  es  mit  dem  freundlichen  Dichter 
hinauswandem  ins  Feld,  und  sein  Jubel  beim  Wieder- 
antreffen der  munteren  Täubchen  ist  die  natürliche  und 
das  Kind  erfreuende  Lösung  der  vorher  in  ihm  erregten 
Spannung.  Und  das  Tun  und  Treiben  der  »dummen« 
Täubchen,  das  das  Kind  hier  wahrnimmt,  ist  wiederum 
ganz  dazu  angetan,  des  Kindes  Sinn  eingehend  zu  be- 
schäftigen. Wie  anschaulich  stellt  aber  auch  der  Dichter 
dem  Kinde  die  Vorgänge  dar,  und  wie  geschickt  und 
treffend  ahmt  er  auch  äußerlich  in  der  Sprache  der  Täub- 
chen eifriges  Picken  und  Suchen  nach  den  köstlichen 
Erbsen  nach.  »Es  pickt  und  schluckt  und  duckt  den 
Kopf  . . .«  Ist's  nicht,  als  sähen  wir  förmlich,  wie  die 
Täubchen  hastig  und  ruckweise  die  Erbsen  aufpicken? 
Und  wenn  dann  das  Kind  lange  genug  dem  Treiben  der 
munteren  Tierchen  zugeschaut  hat  und  diese  gesättigt  und 
befriedigt  heimwärts  fliegen,  dann  tritt  es  auch  selbst  mit 
dem  Dichter  den  Heimweg  an  und  wird  sich  zum  Schlüsse 
voll  froher  Genugtuung  und  in  dem  erhebenden  Gefühl 
von  ihm  verabschieden,  an  seiner  Hand  so  viel  Schönes 
erlebt  und  gesehen  zu  haben.  Was  ist  in  solcher  Stim- 
mung natürlicher,  als  der  Wunsch  des  Kindes,  recht  bald 


—     54    — 

wieder  zu  dem  ft^undlichen  Dichter  zarückzukehren? 
Löst  aber  der  Dichter  durch  seine  Poteie,  und  zwar 
einzig  und  allein  durch  sie  selbst,  derartige  Wünsche 
im  Kinde  aus,  dann  hat  er  den  schlagendsten  Beweis  fir 
die  Kindlichkeit  derselben  erbracht. 

Wie  tief  Eigenbrodi  in  des  Kindes  Herz  geschaut  hat 
und  wie  genau  er  des  Kindes  Wünsche,  seine  kimuen 
Sorgen  und  seine  ganze  Denkweise  kennt,  das  sseigt  das 
Gedicht: 

Sonne. 

Sonoe,  gehst  da  sohon  wieder  fort? 
Was  tast  da  hinter  den  Berf^en  dort? 
Bleib  dooh  ein  Weilchen  noch  bei  mirl 
Es  ist  80  schön  im  GArtchen  hier. 
Ich  bin  so  wach  and  m  anter  doch, 
ich  möchte  spielen  and  springen  noch. 
Wenn  gehst,  so  kann  ich  nichts  mehr  sehn, 
maß  gleich  ins  dunkle  Bettchen  gehn.« 

Die  Sonne  sprach:   >M6in  liebes  Kind, 
dort  hinter  den  Bergen  aach  Kinder  sind. 
Die  lagen  im  Bettchen  die  ganze  Naoht, 
sind  nan  sohon  lange  aafgewacht 
and  warten  aaf  den  Sonnenschein, 
möchten  auch  in  den  Garten  hinein 
and  spielen  aod  laafen  und  springen  wie  da. 
Ade,  mein  Kmdl    Nao  geh  sar  Ruhte 

Das  Kind  sprach:  »Sonne,  geh  nur  schnell, 
and  mach  das  Gärtlein  drüben  hell! 
Ich  will  nun  gleich  ins  Bettchen  gehn.c 
Die  Sonne  rief:   »Auf  Wiedersehn  !c 

Welches  Kind  hätte  nicht  selbst  schon  erfahren  und 
empfunden,  wie  seinem  unermüdlichen  Spieleifer  and 
seiner  Spielfreude  am  Abend  durch  die  untergehende 
Sonne  Zeit  und  Ziel  gesetzt  wurde!  Die  in  dem  Gedichte 
dargestellte  Begebenheit  wird  darum  nicht  nur  der  ver- 
ständnisinnigen Teilnahme  des  Kindes  sicher  sein,  sondern 
unmittelbar  auch  die  Gefühle  und  Empfindungen  aus- 
lösen, die  sich  für  das  Kind  an  dieselbe  knüpfen.  80 
werden  in  diesem  Gedichte  des  Kindes  Sinn  und  Gef&bl, 


—     55     — 

Gedanke  und  Empfindung  in  glücklichster  Weise  gepaart. 
In  der  Poesie  bandelt  es  sich  nicht  bloß  um  rein  ver- 
standesmäßige Darstellung  und  intellektuelle  Er-» 
fassang  derselben  durch  das  betrachtende  Individaam. 
»Der  Poet  will,«  wie  Dilthey  in  seinem  genialen  Werk 
»Das  Erlebnis  und  die  Dichtung«  ausführt,  »nicht  bloß 
verständlich  werden:  ihm  ist  es  um  die  volle  Anschau- 
lichkeit und  den  starken  Eindruck  dessen  zu  tun,  was 
er  darstellt.«  Diese  Anschaulichkeit  wird  besonders  voll- 
ständig und  umfassend  und  der  Eindruck  besonders  stark 
sein,  wenn  das  im  Gedicht  Dargestellte  bereits  im  Indivi- 
duum lebt.  Der  Genuß  des  Schönen  ist  auf  andere 
Weise  überhaupt  nicht  möglich.  Herbart  weist  darauf 
hin,  wenn  er  sagt:  »Alles  Schöne  existiert  im  Zuschauer. 
Es  wird  ihm  zugemutet,  daß  er  die  einzelnen  Yorstellungs- 
reihen,  seien  es  Stimmen  oder  Figuren  oder  Charaktere 
samt  ihrem  Handeln,  in  sich  selber  ebenso  genau  und 
reinlich  gestalte,  wie  das  Kunstwerk  sie  ihm  darbietet.« 
Das  Kind  muß  an  das  Gedicht  herantreten  in  dem  Gefahl 
etwa,  mit  dem  wir  ein  künstlerisches  Bild  betrachten: 
Baum  und  Strauch,  Wald  und  Aue,  Hof  und  Hütte,  Dorf 
und  Straße,  die  auf  dem  Bilde  dargestellt  sind,  haben  wir 
in  Wirklichkeit  schon  gesehen;  aber  wie  uns  der  Maler 
diese  Dinge  schauen  läßt,  das  eben  bereitet  uns  den 
Genuß,  den  das  Kunstwerk  uns  geben  will.  Wie  der 
Künstler  die  dargestellten  Dinge  fühlt,  wie  sie  sich  in 
seinem  Empfinden  spiegeln,  das  vermittelt  uns  die  Kunst, 
die  »Sprache  des  Unaussprechlichen«.  Durch  das  Kunst- 
werk teilt  sich  des  Künstlers  Seele  der  unseren  mit.  und 
in  diesem  Seelenaustausch  beruhen  auch  der  Zauber  und 
die  Wirkung  der  Sprache,  die  der  Dichter  mit  dem  Kinde 
redet  Er  will  dem  Kinde  nicht  Neues,  ihm  gänzlich 
Unbekanntes,  sondern  im  Gegenteil  ganz  Naheliegendes, 
ihm  Wohl  vertrautes  zeigen.  Aber  er  lehrt  das  Kind  die 
Dinge  sehen,  wie  sie  sich  in  seinem  Herzen  und  in  den 
geheimen  Bewegungen  seines  Geistes  abgebildet  haben, 
und   daß   das  Kind   durch  die  Gedichte  hindurch  in  des 


•Soniie, 
Ich   tviN 

«"»«es  „j      ™ 
I»'«™».  de,  E„j^ 

f'gt,   »le  der  Di-h 

S»*  nioht  so 
^  tu  dir  Di 
W'  ..r  .„ 
»W  deine  »m 
'•"  Ol.«.  f„, 

;»»  «oll  „a 

MK  dir's,  . 


W 


—     67     — 

Vom  ZoDgleio  träuft  ihm  klaro  Fiat. 

Nuo  fäfigt  es  an  zo  fressen. 

Oelt,  armes  Tier,  das  schmeckt  dir  gut? 

Hast  lange  nichts  gegessen. 

So  weide  still  in  meiner  Hut 

von  Oras  und  Klee  und  Kressen! 

Wie  web  der  böse  Hnnger  tut, 

das  sollst  da  beut  vergessen. 

0  liebes  Tier!    Es  tritt  heran 
ganz  zahm,  ich  könnt  es  streichen.« 
Es  blickt  mich  sanft  aod  dankbar  an ; 
mein  Brot  will  ich  ihm  reichen  — 
0  weh,  da  kommt  der  Jägersmann  I 
Geschwind!   Da  mußt  entweichen! 
Ein  Schwang  —  da  fliegt  es  in  den  Tann 
hoch  über  die  jungen  Eichen. 

Viele  Kinder  kenneD  und  lieben  das  Reh.  Bei  ihren 
sonntäglichen  Aasflügen  mit  den  Eltern  ist  ihnen  das 
leichtfüßige  Tier  hie  und  da  einmal  im  Walde  begegnet 
Freilich  nie  haben  sie  es  in  der  Nähe  gesehen.  Nur  von 
fern  and  ganz  heimlich  konnten  sie  es  belaaschen.  Beim 
leisesten  verdächtigen  Geräusch  verschwand  es  im  schützen- 
den Gebüsch.  Als  das  Wesentliche  in  der  Vorstellung 
vom  Reh  drängt  sich  dem  Kinde  die  Scheu,  die  Angst, 
die  Bangigkeit  des  Tieres  auf.  Diese  Eigenschaften  des 
Rehs  müssen  durch  gewichtige  Gründe  bedingt  sein,  und 
das  Kind  erkennt  jene  Ursachen  gar  bald  in  den  Nach- 
stellungen, denen  das  Reh  durch  die  Jäger  ausgesetzt  ist 
An  diese  Gedankenreihen  knüpft  Eigenbrodt  in  seinem 
Gedicht  an  und  läßt  das  Kind  eine  Begegnung  mit  dem 
Reh  erleben,  die  in  hohem  Maße  erzieherisch  auf  das 
Ethos  des  Kindes  einwirkt  Das  scheue,  so  viel  gehetzte 
Reh  erregt  sein  Mitgefühl.  Ihm  die  Versicherang  zu 
geben,  daß  es  ihm  nichts  zu  leide  tun  wird,  ist  dem 
Kinde  Herzensbedürfnis.  Das  Mitgefühl  des  Kindes  setzt 
sich  sofort  auch  in  hilfsbereites  Tun  um.  Daß  dem 
Kinde  zu  solchem  Tun  im  Gedichte  Gelegenheit  gegeben 
wird  (es  erlebt  ja  innerlich  den  ganzen  Vorgang  mit)  ist 
wesentlich  und  für  die  Wirkung  des  Gedichtes  nach  der 


—     58     — 

ethischen  Seite  hin  besonders  bedentnDgsyoll.  Mit  kind- 
liehem  Eifer  und  lebhaftem  Impuls  ergreift  es  Partei  far 
das  Reh.  Dieses  wird  sein  Schützling.  Diesmal  darf  ihm 
der  Jäger  nichts  anhaben.  Sorgsam  wird  das  Kind  Aus- 
schau halten,  damit  es  seinen  Schützling  rechtzeitig  vor 
dem  bösem  Jä^er  warnen  kann.  Wie  freut  es  sich,  als 
das  Reh  wirklich  zu  fressen  beginnt  Heute  wenigstens 
soll  es  sich  einmal  so  ganz  ungestört  nach  Herzenslust 
am  Oras,  am  Klee  und  an  den  Kressen  laben  und  einmal 
ganz  vergessen,  »wie  weh  der  böse  Hunger  tute  So 
selten  kann  sich  das  arme  Tier  in  voller  Siciierheit  und 
Sorglosigkeit  satt  fressen.  Mit  herzlicher  Genugtuung 
schaut  das  Kind  zu,  wie  es  dem  Reh  vortrefflich  schmeckt 
Immer  weiter  tritt  es  auf  die  Wiese  heraus  und  sucht 
sich  die  süßesten  Kleeblättchen  aus.  Wie  lieb  und  herzig 
ist  doch  das  Tierchen,  und  wie  gutmütig  schaut  es  in  die 
Welt!  Wohlgefällig  betrachtet  das  Kind  eingehend  seinen 
Liebling  und  schließt  ihn  immer  inniger  in  sein  Hers. 
Wie  köstlich  schmeckt  ihm  nun  der  frische  Trunk  an 
der  labenden  Quelle!  Es  bereitet  dem  Kinde  sichtlich 
Genugtuung,  daß  sich  das  Reh  so  ausnehmend  wohlfühlt 
—  in  seiner  sicheren  Hut  Ach,  es  muß  dem  lieben 
Tier  noch  etwas  ganz  Besonderes  zu  gute  tun!  Sein  Brot 
will  es  ihm  reichen.  Da  durchfahrt  das  Kind  ein  jäher 
Schreck  —  der  Jäger  naht.  Zitternd  bebt  und  bangt  es 
für  das  Leben  des  gefährdeten  Tieres.  Mit  fli^;endein 
Atem  unterrichtet  es  das  Reh  von  der  Gefahr.  Aufe 
höchste  steigert  sich  die  bangende  Erregung  des  Kindes; 
könnte  es  doch  den  Lauf  des  fliehenden  Tieres  beflügeln! 
Da  —  ein  Schwung,  da  fliegt  es  in  den  Tann,  und  das 
Reh  ist  gerettet  Ein  tiefer  Seufzer  der  Erleichterung 
entringt  sich  der  kindlichen  Brust,  und  in  dem  unsagbaren 
Glücksgefühl  des  Kindes  über  die  Rettung  seines  Lieblings 
klingt  das  Gedicht  aus,  das  des  Kindes  Herz  und  Gemüt 
bis  in  die  tiefsten  Tiefen  erregte.  — 

Auch  der  Humor  blitzt  gegen  das  Ende  des  Gedichtes 
durch.    Es  vergnügt  das  Kind  sicherlich,  daß  des  Jfigen 


r    » 


—     59     — 

Anschlag  diesmal  mißlang,  daß  ihm  durch  des  Kindes 
Wachsamkeit  ein  Schnippchen  geschlagen  wurde.  Das  ist 
ein  weiterer  großer  Vorzug  der  Eigenbrodischen  Gedichte, 
daß  bei  ihnen  das  lach  begierige  Kind  durchaus  auf 
seine  Kosten  kommt.  Gilt  schon  allgemein,  daß  »die 
Leben&h*eude  die  Luft  ist,  in  der  die  Kunst  am  besten, 
vielleicht  allein  gedeiht t,  so  hat  dieser  Satz  für  unsere 
Kleinen  im  besonderen  seine  Geltung.  Sonnige  heitere 
Freude  und  Humor,  wie  sie  uns  z.  B.  aus  Ludtvig  Rickters 
Bildern  entgegenlachen,  sind  die  besten  Schlüssel  zum 
Herzen  des  Kindes.  Den  Kleinen  lacht  noch  die  ganze 
Welt  in  hellem  Sonnenglanze.  Dies  glückliche  Vorrecht 
ungetrübter  Lebensfreude  und  sorglosen  Lebensgenusses 
wollen  wir  ihnen  möglichst  ungekürzt  und  uneingeschränkt 
lassen  und  für  sie  besonders  solche  Gedichte  auswählen, 
die  ihrem  Bedürfnis  nach  Frohsinn  und  Humor  weit  ent- 
gegenkommen. Wie  weit  in  diesem  Zusammenhang  Wilr 
heim  Busch  geradezu  als  »Jugendkunsterzieherc  genannt 
werden  kann,  ist  vielleicht  doch  nicht  so  leicht  und 
schnell  entschieden,  wie  es  auf  dem  »Zweiten  Kunst- 
erziehungstage in  Weimarc  ausgesprochen  wurde. 

Meines  Erachtens  gehört  schon  ein  intimeres  Verständ- 
nis zur  Erfassung  des  feinen  Humors,  wie  er  bei  Wilhelm 
BvLseh  z.  B.  schon  in  der  äußeren  Sprachform  liegt,  als 
es  einem  sechsjährigen  Kinde  gemeinhin  eignet 

Auch  der  Ansicht  möchte  ich  nicht  uneingeschränkt 
beipflichten,  daß  für  die  Kleinen  nur  der  Humor  von 
möglichst  derber  Drastik  und  Komik  angebracht  sei.  Ich 
habe  das  Empfinden,  daß  ein  Gedicht  wie  »Das  Reh«  von 
Eigenbrodt  mit  seinem  lustigen  Ausklang  recht  wohl  des 
Kindes  Frohsinn  und  Humor  lebhaft  anzufachen  vermag, 
zumal  sich  hier  der  ins  Schalkhafte  hinüberspielende  Aus- 
gang der  Handlung  besonders  wirksam  von  dem  Ernst 
abhebt,  der  unmittelbar  vorher  das  Kindesgemüt  erfüllte. 
Ernst  und  Scherz,  sorgende  Bangigkeit  und  ausgelassene 
Schalkheit  in  sinnigem  Wechsel  werden  das  Kind  in 
seinen   innersten  Tiefen   erregen    und   es   dann   in   den 


—     60     — 

sonnigen  Gefilden  befreiender,  lachender  Freude  uro  so 
mehr  beglücken.  Der  Kontrast  zwischen  Licht  und  Schatten 
kann  unter  Umständen  viel  intensiver  wirken  als  die  rein 
positive  Farbe,  selbst  wenn  diese  in  den  stärksten  Tönen 
aufgetragen  ist. 

Über  die  Sprache  und  die  äußere  Form  der  Eigen- 
hrodtschen  Oedichte  brauche  ich  mich  gewiß  nicht  weiter 
auszulassen.  Ich  meine,  Eigenbrodts  Liedchen  und  Verse 
sprechen  in  dieser  Hinsicht  am  besten  für  sich  selber. 
Andeuten  möchte  ich  nur,  in  welch  trefflicher,  charakte- 
ristischer Weise  der  Dichter  die  äußere  Form  der  Ge- 
dichte stets  dem  jeweiligen  Gegenstand  anzupassen  ver- 
stoht  Man  vergleiche  hierzu  einmal  folgende  Stelle  aus 
seinem  Gedieht: 

Amsel. 

Die  Amsel  huscht  in  hurtigem  Lauf 

Zickzack! 
und  pickt  vom  Bodeo  die  Würmohen  auf 

ticktack ! 
Sie  bohrt  ihr  gelbes  Schoäbelein 
io  den  Orund  wie  eio  blitzendes  Säbeiein 

und  packt 

und  backt 
die  zappeloden  Würmcheo  zu  Stücken 
und  schluckt  sie  mit  Entzücken. 

Doch  kommst  du  ihr  nah'  — 

>Ha  —  hi  hi  hi  —  hall 

Wer  stört  mich  da?« 
So  kreischt  sie  und  zetert  und  schilt 
und  flattert  wild 
und  huscht  von  dannen 
unter  die  Tannen. 

Dies  charakteristische  Formgepräge  im  Rhythmus  und 
der  Lautmalerei  läßt  auch  das  Kind  schon  ahnend  emp- 
finden, wie  darin  besondere  Eigenheiten  des  hurtigen  Tier- 
chens nachgeahmt  und  zum  Ausdruck  gebracht  werden 
sollen.  Ja,  für  solche  hervortretenden  Besonderheiten  in 
der  äußeren  Sprachform  haben  die  Kinder  in  der  Regel 
ein  feines  Ohr.    Diese  Dinge  entgehen  ihnen  selten,  and 


—     61     — 

daran  haftet  ihre  Aufmerksamkeit  mit  besonderer  Vor- 
liebe. Der  sinnfällige  Ausdruck  solch  gelungener  Nach- 
ahmung bereitet  dem  Kinde  Vergnügen,  schon  deshalb, 
weil  diese  Art  der  Darstellung  an  seinen  eigenen,  stark 
entwickelten  Nachahmungstrieb  anknüpft.  In  meinem 
Unterricht  in  der  Elementarklasse  habe  ich  neben  Hey- 
sehen  Fabeln  mehrfach  Gedichte  von  Eigenbrodt  geboten. 
Dabei  ist  mir  aufgefallen,  daß  die  Kinder  bei  dem  Vor- 
trag der  Eigenbrodt  sehen  Gedichte  der  Hauptsache  nach 
immer  dem  Sinn  des  Gedichtes  gemäß  betonten.  Die  be- 
sonders charakteristischen  Stellen  wurden  regelrecht  von 
den  Kindern  in  entsprechender  Weise  hervorgehoben  und 
wiedergegeben.  Dabei  hebe  ich  ausdrücklich  hervor,  daß 
ich  ein  Gegner  jeder  eingelernten  Betonungsmanier 
bin.  Ich  überlasse  es  im  wesentlichen  den  Kindern,  auch 
den  Kleinen,  für  das  vorzutragende  Gedicht  selbst  die 
natürliche,  sinngemäße  Betonung  zu  finden.  Ist  das 
Gedicht  nach  Inhalt  und  Form  kindlich,  dann  wird  es 
vom  Kind  auch  in  sinnentsprechender  Weise  vorgetragen 
werden.  Das  Gegenteil  bemerkte  ich  häufig  bei  der  De- 
klamation ^e^  scher  Fabeln. 

Ich  kann  hiermit  zunächst  nur  aus  meiner  Erfahrung 
reden,  und  die  will  wenig  genug  besagen.  Immerhin 
regen  meine  Beobachtungen  vielleicht  zur  Nachprüfung 
an,  durch  die  meine  Darlegungen,  so  hoffe  ich,  in  man- 
chen Stücken  bestätigt  werden. 

Es  waren  wenige,  meist  nur  skizzenhafte  Bemerkungen, 
die  ich  über  die  Eigenbrodt  sehe  Poesie  gemacht  habe. 
Doch  die  Hauptgedanken,  auf  die  hinzuweisen  es  mir 
besonders  ankam,  glaube  ich  wenigstens  andeutungsweise 
berührt  zu  haben.  Fassen  wir  unser  Urteil  über  Eigen- 
brodts  »Liedchen  und  Verse  für  unsere  Kleinen c  zusammen, 
so  finden  wir,  daß  es  im  wesentlichen  folgende  Dinge 
sind^  die  die  besondere  Wirkung  dieser  Poesie  auf  das 
Kind  ausmachen: 

1.  Die  Gedichte  Eigenbrodts  knüpfen  in  ihrem  Inhalt 
an  die  Interessen  und  Wünsche,  an  das  Empfinden  und 


—     62     — 


i 


?i» 


Sehnen  des  Kindes  an  nnd  erzeugen  durch  diee  Einget 
auf  des  Kindes  Empfangsbedürfnis  die  Empfangsfren 
für  die  gebotene  Poesie. 

2.  Die   in    den   Gedichten   dargestellten   Oegenstän 
treten   ausnahmslos  handelnd  auf.     Die  Handlung  h 
das  Kind  bis  zuletzt  in  Spannung  und  steigert  sich 
bis  zu  dramatischer  Höhe.    (Vgl.  »Das  Rehe.) 

3.  Dem  Bedürfnis  des  Kindes  zu  reger  Betätigu 
trägt  die  Poesie  Eigenbrodta  in  weitgehendem  Mafie  Rrn 
nung.  Vielfach  versetzt  der  Dichter  das  Kind  mitl 
hinein  in  die  Handlang  und  läßt  es  den  dargestellt 
Vorgang  selbst  erleben.  Oder  er  regt  im  Kinde  Frag 
und  Gedanken  an  über  den  Fortgang  der  Handlung,  ül 
Ursache  und  Folge  von  Erscheinungen  und  Tatsachen,  i 
seiner  Erfahrungswelt  wohlbekannt  und  vertraut  sii 
Weiter  gibt  der  Dichter  dem  Kinde,  und  das  ist  ga 
besonders  wertvoll,  oft  Gelegenheit  zu  eigenen  Ei 
Schließungen,  zu  selbständigen  Willensakten.  Etgenbrt 
bietet  dem  Kinde  seine  Gedichte  nicht  als  etwas  na 
jeder  Richtung  hin  Fertiges  und  Abgeschlossenes,  zu  de 
es  selbst  nichts  mehr  hinzuzutun  braucht;  sondern 
läßt  die  Darstellung  unter  schöpferischem  Mit-  und  Nac 
schaffen  des  Kindes  vor  der  Seele  desselben  entsteh 
und  leiht  dem  Ganzen  gewissermaßen  nur  seine  schöm 
beredten  Worte. 

Mit  der  Gegenüberstellung  der  ^i^schen  und  d 
EigenbrodHohen  Poesie  wollte  ich  zunächst  nur  einn 
die  Frage  anzuregen  versuchen,  ob  wir  mit  der  bish 
üblichen  Auswahl  von  Poesie  für  unser  L  Schuljahr  imm 
das  Richtige  getroffen  haben.  Vielleicht  wird  diese  Pra 
daraufbin  noch  von  anderen  Seiten  aufgegriffen,  weil 
durchdacht  und  geklärt. 

Habe   ich    durch    meine  Ausführungen   hier   und 
zum  Widerspruch  herausgefordert,  so  ist  mir  dies  um 
lieber.     Erst  der  Widerstreit  der  Meinungen  schafft  d 
abgeklärten  Niederschlag   allgemein  gültiger  Wahrheit^ 
die  uns  dann  zu  brauchbaren  Ergebnissen  weiterfuhr 


—     63     — 

können.  Ich  habe  mich  mit  Hey  besonders  ansführlicb 
beschäftigt  und  mußte  es,  weil  er,  wie  schon  gesagt,  bis 
in  unsere  Tage  hinein  vielfach  noch  als  der  Dichter  für 
die  Einderwelt  srilt.  Daß  ich  meine  Anschauungen  über 
das  Wesen  trefflicher  Einderpoesie  an  den  Eigenbrodt- 
sehen  Gedichten  nachzuweisen  versuchte,  soll  natürlich 
keineswegs  den  Eindruck  erwecken,  als  ob  ich  nur  ihn 
oder  ihn  besonders  für  das  I.  Schuljahr  gelten  lassen 
möchte.  Es  gibt  zerstreut  eine  ganze  Fülle  köstlicher 
Perlen  klassischer  Einderpoesie.  Es  gilt  nur,  diese  kost- 
baren Schätze  zu  heben,  zu  sichten,  zu  sammeln  und  für 
den  Unterricht  bei  den  Eleinen  nutzbar  za  machen.  Da- 
bei wird  der  eine  diese,  der  andere  jene  poetischen  Stücke 
für  besonders  wertvoll  halten.  Das  Wesentliche  dabei 
ist  nur,  daß  wir  uns  über  die  Grundsätze  klar  sind,  nach 
denen  wir  unsere  Auswahl  zu  treffen  haben. 

In  den  Thüringer  Lesebüchern  für  Meiningen  fand  ich 
beispielsweise  für  die  Eleinen  folgende  Gedichte  mit  aus- 
gewählt, die  unseren  Anforderungen  entsprechen  würden: 

OnteD  Morgeol 

Nun  reibet  enoh  die  Äaglein  wach! 

Die  Schwalben  zwitschern  sohon  am  Dach, 

die  Lerche  singt  schon  in  der  Luft, 

die  Blume  prangt  in  Tau  und  Duft.  —  Gaten  Morgen  l 

Die  Sonn*  ist  längst  anf  ihrer  Bahn; 

auf  seinen  Posten  kräht  der  Hahn; 

die  Tauben  flattern  aus  dem  Schlag 

und  sonnen  sich  im  ros'gen  Tag.  —  Guten  Morgen! 

Schon  tönen  Lieder  und  Schal mei*n, 

der  Herde  Olöcklein  klingen  drein, 

und  seinen  Morgengruß  entbeut 

vom  Turme  weithin  das  Gel&ut:  —  Guten  Morgen! 

Was  nur  die  Hftnde  rähren  kann, 

das  schickt  sich  jetzt  zur  Arbeit  an. 

Die  Nachbarsleut  in  Stadt  und  Land, 

sie  drücken  sich  zum  Gruß  die  Hand:  —  Guten  Morgen  f 

Und  alles  regt  sich  nah  und  fem 
und  rüstet  sich  und  preist  den  Herrn. 


—     64     — 

Ihr  wollt  doch  nicht  die  letsteo  sein? 
Drum  stehet  auf  und  stimmt  mit  ein:  —  Onteo  Morgen! 

(LöwenstemJ 

Ein  schweres  Rätsel. 

Aaf  UDsrer  Wiese  gehet  was 

watet  durch  die  Sümpfe; 

es  hat  ein  weißes  Jäckleio  an, 

trägt  aach  rote  Strümpfe, 

fängt  die  Frösche  schnapp,  wapp,  wapp, 

klappert  lastig:  —  klapper  die  klapp  — 

wer  kann  das  erraten? 

Ihr  denkt,  es  ist  der  Elapperstoroh, 

watet  durch  die  Sümpfe, 

es  hat  ein  weiBes  Jäcklein  an, 

trägt  auch  rote  Strümpfe, 

fängt  die  Frösche  schnapp,  wapp,  wapp, 

klappert  lästig:  —  klapper  die  klapp. 

Nein,  nein!    *s  ist  eine  Störchin! 

(Hoffmann  v,  Fhüersleben.) 

Herhst-Segen. 

Der  Herbst,  der  Herbst,  der  ist  ein  Mann, 
den  ich  vor  allen  leiden  kann; 
er  kommt  doch  nicht  mit  leerem  Sack, 
bringt  einen  großen  Huckepack. 

Was  wird  darin  wohl  alles  sein? 
Kartoffeln  und  Rüben,  Äpfel  und  Pflaumen  — 
Birnen  und  Nüsse  für  Magen  und  Gaumen! 

Er  geht  zum  grünen  Feld  hinaus 
und  schüttet  seinen  Sack  dort  aus; 
die  Rüben  fallen  auf  den  Sand, 
Kartoffeln  regnefs  auf  das  Land; 

ei,  ei,  wie  schad*,  daß  doch  gerad 
Apfel  und  Pflaumen  hüben  und  drüben 
in  den  Bäumen  sind  hängen  geblieben. 

0  guter  Herbst,  sei  lieb  und  fein 
und  denk  doch  an  uns  Kinderlein; 
die  Apfel  schütte  in  den  Sand 
und  Birnen,  Pflaumen  auf  das  Land; 

denn  wir  sind  klein,  wir  Kinderlein! 
Wären  doch  lieber  Kartoffeln  und  Rüben 
in  den  Bäumen  dort  hängen  geblieben! 


—     65     — 

Da  lacht  der  Herbst,  der  gute  MaoD, 
Qod  faßt  die  Bäame  kräftig  an 
uod  sobüttelt  sie  mit  starker  Faast, 
daA  es  darch  alle  Zweige  saast.      i 

Hei,  was  ist  das?    Was  fällt  ins  Oras?  — 
Äpfel  Qod  PflaameD  —  o  welch  ein  Segen! 
Birnen  and  Nüsse  —  o  köstlicher  Regen! 

(O.  Chr.  Dieffenhach,) 

Zum  Schluß  mögen  noch  einige  Anmerkungen  über 
die  Art  der  Behandlung  der  Gedichte  hier  Platz  finden. 
Nach  meinen  bisherigen  Ausführungen  wird  man  von 
mir  nicht  erwarten,  daß  ich  mit  sogenannten  Muster- 
lektionen aufwarte,  die  sich  kurzerhand  kopieren  lassen. 
Ich  habe  über  diese  Unterrichtsbeispiele  meine  eigene 
Meinung.  Ein  Lehrer,  der  ihrer  nicht  entraten  könnte, 
wäre  in  meinen  Augen  nichts  als  ein  Handwerker  und 
noch  dazu  ein  recht  stümperhafter,  der  ohne  alle  mög- 
lichen Werkzeuge  und  Hilfsmittel  nicht  das  einfachste 
Stück  zu  fertigen  vermag.  Der  Lehrer  soll  aber  auch  in 
dem  Sinn  Künstler  sein,  daß  er  sich  über  vorgezeichnete 
Normen  und  Vorbilder  zu  erheben  und  seiner  Unterrichts- 
arbeit seine  Individualität  aufzudrücken  vermag. 

Jede  formulierte  und  fixierte  Musterlektion  kann  auf 
den  Leser  doch  nicht  viel  anders  wirken  als  die  blecherne 
Reproduktion  eines  von  Eünstlermund  gesungenen  Liedes 
durch  das  Orammophon.  Gerade  das,  was  mich  während 
meines  Unterrichts  im  Innersten  erfüllt,  was  sich  meinen 
Schülern  in  Miene  und  Oeberde  widerspiegelt,  was  un- 
sichtbar aus  meinem  Inneren  in  die  Seele  meiner  Schüler 
hinüberflutet,  diese  unmittelbare  Wirkung  von  Mensch 
zu  Mensch,  die  nicht  den  geringsten  Teil  des  Erfolges 
eines  lebensvollen  Unterrichts  ausmacht,  kann  ich  einem 
Dritten  gegenüber  ja  doch  nicht  zum  Ausdruck  bringen. 

»Spricht  die  Seele,  so  spricht,  ach,  schon  die  Seele 
nicht  mehr.« 

Der  Lehrer  versuche,  sich  in  die  Seele  des  Dichters 
einzuleben,  mit  ihm  zu  fühlen  und  zu  empfinden,  und 

Päd.  Mag.  321.    Kühn,  Poesio  im  L  Schaljahr.  5 


—     66     — 

bleibe  nicht  nur  an  den  Worten  des  Gtodichtes  äoßeriich 
haften  und  starre  sie  nicht  durch  die  Brille  des  Verstandes 
an,  dann  wird  er  selbst  inwendig  warm  werden  und  etwas 
von  dem  Leben  und  Empfinden  verspüren,  das  die  Worte 
des  Gedichtes  ausströmen.  Dann  überkommt  ihn  auch 
jenes  Gefühl,  das  ihm  sagt,  daß  er  der  Dolmetsch  sein 
kann,  sein  muß  für  das,  was  das  Gedicht  den  Kindern 
sagen  möchte. 

Ich  will  mit  einem  Gedicht  Goethes  schließen,  der 
auch  darin  wieder  so  treffend  ausdrückt,  was  mir  mit 
einem  großen  Aufwand  von  Worten  doch  nur  mühsam 
gelingen  würde: 

Oediohte. 

Oediohte  siod  gemalte  Feostereoheibeo  I 
Sieht  man  vom  Markt  in  die  Kirche  hineio, 
Da  ist  alles  danke!  und  düster; 
Und  80  sieht's  aach  der  Herr  Philister: 
Der  mag  denn  wohl  verdrießlich  sein 
Und  iebeoslang  verdrießlich  bleiben. 

Kommt  aber  nur  einmal  herein, 
Begrüßt  die  heilige  Kapeilet 
Da  i8t*s  aaf  einmal  farbig  helle, 
Geschieht*  and  Zierat  glänzt  in  Schnelle, 
Bedeatend  wirkt  ein  edler  Schein; 
Dies  wird  euch  Kindern  Gottes  taugen, 
Erbaat  euch  and  ergötst  die  Aogenl 


oa^o- 


Drack  von  Hermftim  Beyer  k  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  LengeoMUi 


Rudolf  Eucken 


und 


das  Problem  der  Kultur 


Von 


Dr.  Otto  Siebert. 


FädagogiBches  Magarin,  Heft  822. 


•  V^^^.'Xj»--^^  ^  '^".^"fc^S-'*^  s^ 


K^   «•X*    V*^ 


^ 


Langensalza 

Hermann  Beyer  &  Söhne 

(Beyer  &  Mann) 

Henogl.  Sllchs.  Hofbochliliidlor 

1907 


l--" 


f 


.o 


.1 


Das  MeDSchheitsleben  unserer  Tage  ist  voll  ernster 
Fragen.  Geschichte,  Gesellschaft,  Moral,  Kunst,  Erziehung, 
Religion  usw.  sind  heute  flüssige  Probleme  geworden,  und 
nirgends  scheint  sich  ein  fester  Punkt  zu  finden,  auf  dem 
man  innerhalb  der  Zeitströmungen  fußen,  von  dem  aus 
man  einen  sichern  Überblick  gewinnen  kann.  Wir  hängen 
an  der  Geschichte  und  leben  von  der  Geschichte,  zugleich 
aber  fühlen  wir  unser  eigenes  Leben  durch  sie  aufis  stärkste 
bedrückt  und  möchten  diese  Last  abschütteln,  und  sobald 
wir's  versuchen,  vertallen  wir  der  Leere  des  bloßen  Augen- 
blicks. Die  Gesellschaft  zieht  den  einzelnen  in  ihren 
Bannkreis,  die  gesellschaftliche  Lebensführung  will  das 
ganze  Dasein  des  Menschen  umspannen  und  alle  seine 
Wünsche  befriedigen,  und  daneben  erhebt  sich  der  einzelne 
und  kämpft  eifrig  gegen  die  ihm  drohende  Einengung  und 
Verkümmerung.  Die  Moral  hat  sich  mit  neuer  Macht 
erhoben,  sie  erscheint  in  der  ungeheuren  Erschütterung 
aller  heutigen  Verhältnisse,  in  dem  Wanken  aller  Über- 
zeugungen von  letzten  Dingen  als  der  Punkt,  wo  sich  am 
ehesten  ein  sicherer  Halt  zu  bieten  scheint,  und  zugleich 
ist  der  Widerspruch  gegen  sie  schärfer  erwacht  denn  je 
als  gegen  eine  Bedrückung  und  Einengung  des  Menschen, 
als  eine  Erniedrigung  des  Lebens.  Die  Kunst  erstrebt 
hier  eine  souveräne  Stellung,  sie  will  aus  eigenen  Mitteln 
leben  und  zur  Seele  des  ganzen  Daseins  werden,  und 
dort  wird  sie  als  Tünche  bekämpft,  und  gegen  eine  ästhe- 
tische Lebensanschauung  wird  aufs  energischste  Front  ge- 


—    4    — 

macht.  In  der  Erziehung  kämpfen  Sozialpädagogen  fär 
eine  Erziehung  im  Sinne  einer  Oesellschaftskuitur,  als 
wäre  der  Mensch  nur  ein  »politisches  Tier«,  und  andere 
sehen  die  Aufgabe  derselben  vor  allem  in  der  Pflege  des 
Geisteslebens  und  der  Bildung  zu  sittlichgefestigten  Cha- 
rakteren; Anziehung  und  Abstoßung,  Verwendung  und 
Verwerfung  nach  den  Maßstäben  des  äußern  Erfolges  und 
des  Nutzens,  bloß  menschliche,  bloß  naturhafte  Bewegungen, 
ein  Reich  des  Mechanismus,  eine  aufgeputzte  Weiterführung 
der  Naturordnung,  Herrschaft  des  Durchschnitts  und  der 
Flachheit,  das  ist  ihnen  die  vielgepriesene  Sozialpädagogik. 
Und  nun  gar  das  Oebiet  der  Religion!  Auf  der  einen 
Seite  ein  Kampf  und  Sturmlauf  gegen  sie,  wie  er  nicht 
schlimmer  zu  denken  ist,  ein  Protest  gegen  alles,  was  man 
nicht  mit  den  zwei  Augen  sehen  und  mit  den  zehn 
Fingern  greifen  kann,  eine  radikale  Auflösung  des  Heilig- 
sten, was  die  Menschheit  bis  heute  besessen  hat,  und  auf 
der  andern  Seite  ein  Ringen  und  Arbeiten,  ein  Forschen 
und  Suchen,  ein  opferfreudiges  Eintreten  für  ihre  Wahr- 
heit, wie  es  nach  der  Erschütterung  der  Religion  durch 
die  moderne  Weltanschauung  eigentlich  kaum  zu  ver- 
stehen ist. 

So  sehen  wir  unsere  Zeit  heute  voU  innerer  Wider- 
sprüche und  ernster  Probleme.  Wo  liegt  der  Grund?  Er 
liegt y  um  es  kurz  zu  sagen,  in  dem  Aufkommen  einer 
neuen  Kultur.  Der  Begriff  der  Kultur  selbst  ist  aller- 
dings ein  sehr  altes  Problem.  Schon  das  Altertum  konnte 
sich  der  Anerkennung  eines  großen  Gegensatzes  zwischen 
den  Völkern  sowie  der  verschiedener  intellektueller  Stufen 
innerhalb  eines  Volkes  nicht  entziehen.  Eine  volle  Würdi- 
gung fand  aber  das  Kulturproblem  erst  in  der  Neuzeit 
Seit  ihrem  Beginn  steht  die  Kultur  im  Mittelpunkt  der 
geistigen  Arbeit,  und  im  Kampf  um  sie  erscheinen  alle 
Gegensätze,  welche  die  Neuzeit  durchdringen.  Sie  hat 
seitdem  die  Stelle  eingenommen,  welche  vorher  die  Reli- 
gion besessen  hatte.  Diese  Wandlung  hat  sich  naturgemäß 
nicht  auf  einmal  vollzogen.    Im  fünfzehnten  und  sech- 


—    6     — 

zebDten  Jahrhundert  erfolgte  zanächst  die  Aasbildang  eines 
Kreises  weltlicher  Kultur  neben  der  Religion;  das  sieb- 
zehnte beginnt  dann  eine  universale  Idealkultur,  welche 
alle  Spaltung  von  Welt  und  Überwelt  überwinden  wollte, 
indem  sie  das  Oöttliche  gänzlich  in  unsere  Welt  aufnahm, 
zugleich  aber  diese  vergeistigte  und  verklärte;  das  neun- 
zehnte endlich  brachte  die  Herrschaft  einer  Bealkultur, 
welche  den  Menschen  durchaus  der  Natur  und  Oesellschafk 
einfügte  und  ihn  mit  ihren  Angaben  vollauf  beschäftigte, 
so  daß  die  Überwelt  immer  weiter  zurückwich  und  das 
sinnliche  Dasein  den  Menschen  immer  fester  als  seine 
ausschließliche  Welt  und  Heimat  umklammerte.  Bei  dieser 
Lage  der  Sache  und  bei  der  Bedeutung,  die  das  Kultur- 
problem heute  gefunden  hat,  dürfte  es  wohl  angebracht 
sein,  einmal  zu  erörtern,  worin  der  heute  yielleicht  tief^ 
sinnigste  deutsche  Denker  Rudolf  Eucken  den  Wert  und 
die  Bedeutung  der  Kultur  findet 

Für  Eucken  steht  zunächst  das  eine  fest :  so  sehr  auch 
die  Kultur  das  Sinnen  und  Streben  des  modernen  Menschen 
beherrscht,  sie  gehört  nicht  zu  den  Dingen,  deren  Wert 
außer  Zweifel  steht;  denn  wo  immer  sie  sich  zu  voller 
Blüte  entwickelte,  da  brachte  sie  arge  Schäden  mit  sich, 
und  diese  Schäden  wurden  leicht  so  stark  und  so  emp- 
findlich, daß  darüber  der  Qlaube  an  die  Kultur  selbst  ins 
Wanken  geriet  Es  sind  aber  vor  allem  drei  Haupt- 
erfahrungen und  mit  ihnen  drei  Arten  der  Erwägung, 
welche  die  Freude  an  der  Kultur  verleiden.  Vorgeworfen 
wird  ihr  zuerst,  daß  sie  den  Menschen  von  der  natür- 
lichen Basis  seines  Lebens  ablöse  und  mehr  und  mehr 
in  ein  künstliches  Dasein  verstricke,  damit  aber  ihn  ab- 
hängig, schwach  und  unglücklich  mache.  Bedürfnisse  über 
Bedürfiiisse  werden  ihm  künstlich  aogsil^ildet  und  machen 
ihn  zu  ihrem  Sklaven,  tausendfache  Abhängigkeitsverhält- 
nisse rauben  ihm  alle  Selbständigkeit  und  lassen  ihn  alles 
Heil  von  draußen  erwarten.  Das  Leben  wird  so  immer 
weniger  eigenes  Leben,  es  kann  bei  allem  Prunk  äußerer 
Erfolge  und  haltloser  Schwäche  nicht  glücklich  sein.   Dieser 


—     6     — 

Schwäche  aber  nahe  verwandt  ist  die  Unwahrfaaftigkeit 
Wer  sein  Olück  von  der  Meinung  und  Schätzung  anderer 
erwartet  wie  der  bloße  Kulturmensch,  der  wird  vor  allem 
jene  zu  gewinnen  suchen,  dem  steht  der  Schein  obenan. 
Bleibt  solche  Scheinhaftigkeit  ohne  Gegenwirkung,  so  wird 
sie  mehr  und  mehr  das  ganze  Leben  durchdringen,  auch 
Verhältnisse  wie  Liebe  und  Freundschaft  yeigiften,  selbst 
bei  Olück  und  Tüchtigkeit  den  Menschen  weniger  mit  der 
Sache  als  mit  dem  Spiegelbild  in  fremden  Qedanken  be- 
schäftigen. Kein  Wunder,  wenn  solche  Kultur  den  Mensdien 
und  sein  Leben  hohl  und  unecht  macht.  Endlich  sehen 
viele  in  der  mit  dem  Wachsen  der  Kultur  zunehmen- 
den Überspannung  menschlichen  Vermögens  eine  große 
Schädigung  von  Religion  und  Moral,  insofern  diese  eine 
Anerkennung  von  Schranken  und  eine  Unterordnung  unter 
allgemeine  Normen  und  Gesetze  verlangen,  die  Kultur 
aber  alle  Einschränkung  als  ein  Hemmnis  erachtet,  das 
überwunden  werden  muß. 

So  entwickeln  sich  kulturfeindliche  Stimmungen,  die 
gewöhnlich  die  Bewegung  als  ein  bloßer  Unterstrom  be- 
gleiten, von  Zeit  zu  Zeit  aber  stürmisch  hervorbrechen 
und  die  Menschheit  überwältigend  fortreißen.  Die  Freunde 
der  Kultur  lassen  sich  dadurch  allerdings  nicht  beirren; 
sie  halten  jene  Schäden  für  bloße  Begleiterscheinungen,  die 
ohne  Bedeutung  sind;  wo  Licht  ist,  da  ist  auch  Schatten, 
und  nur  der  Mensch  macht  klein,  was  im  eigenen  Wesen 
groß  ist.  Demgegenüber  erklärt  Eticken  mit  Becht,  daß 
die  Sache  denn  doch  nicht  so  einfach  liegt,  wie  die 
Kulturschwärmer  meinen.  Sie  hätten  recht,  wenn  sich 
bei  der  Kultur  geistiger  Oehalt  und  menschliche  Zutat 
stets  deutlich  voneinander  abhöben.  Aber  das  eben  ist 
nicht  der  Fall;  vielmehr  bildet  das  die  Hauptschwierig- 
keit, daß  hier  Menschliches  und  Geistiges  meist  zusammen- 
rinnen und  die  Arbeit  entstellen,  und  zwar  so  heftig, 
daß  das  Kleinmenschliche  die  Breite  des  Lebens  über- 
wuchert. Die  Schäden  der  Kultur  behalten  also  ihre 
Geltung. 


—     7     — 

Vielleicht  kommen  wir  einen  Schritt  weiter,  wenn  wir 
das  Verhältnis  von  Mensch  and  Kultur  näher  ins  Auge  fassen. 

Beim  Verhältnis  des  Menschen  und  der  Kultur  sind 
Ettcken  nur  zwei  Antworten  denkbar:  entweder  ist  die 
Kultur  für  den  Menschen,  oder  der  Mensch  ist  für  die 
Kultur  da.  Wäre  keins  von  beiden  möglich,  so  wird  die 
Lage  völlig  ratlos.  Nun  aber  ist  Eucken  keins  von  beiden 
möglich.    Wie  beweist  er  das? 

Die  Kultur  ist  nicht  ein  bloßes  Mittel  für  den  Menschen; 
denn  dies  könnte  nur  besagen,  daß  sie  seinem  Wohl  zu 
dienen,  sein  Olück  zu  erhöhen  habe.  Dagegen  wendet 
Eticken  ein,  daß  die  Kultur  erstens  nicht  glücklicher 
macht,  und  zweitens,  daß  ein  Voranstellen  der  Olücks&age 
die  Kultur  nur  schädigen  kann.  Die  Kultur  ist,  ernst 
genommen,  mehr  eine  Feindin  als  eine  Freundin  mensch- 
lichen Olücks.  Sie  macht  unsägliche  Mühe  und  Arbeit, 
sie  verwickelt  in  Sorgen  und  Aufregungen,  sie  verlangt 
Gehorsam  und  Opfer.  Sollte  das  wirklich  der  richtigste 
Weg  zur  Behaglichkeit  und  Zufriedenheit  sein?  Die  be- 
haglichen Zustände  erscheinen  in  Wahrheit  weit  mehr  bei 
niederen  als  bei  höheren  Kulturständen,  auch  weit  eher 
bei  Individuen  geringerer  als  höherer  Bildung.  Aber  ge- 
setzt auch,  daß  die  Kultur  zum  äußern  Glücke  führen 
würde,  so  würde  durch  das  Sichversteifen  auf  das  Glück 
des  Subjekts  das  Leben  selbst  eng  und  weichlich,  es 
müßte  im  Grunde  alle  Opfer  scheuen,  es  könnte  selbst 
den  sachlichen  Zwang  der  Arbeit  nicht  ertragen,  »und 
solche  kleine,  solche  spießbürgerliche  Art  sollte  die  Mensch- 
heit weiter  bringen  ?€ 

So  geht  es  also  nicht  Fragen  wir  darum,  ob  die 
Kultur  zur  Hauptsache  werden  und  sich  des  Menschen 
als  eines  Mittels  und  Werkzeugs  bedienen  kann. 

Diese  Fassung  ist  Evcken  an  sich  gewiß  weit  be- 
herzigenswerter als  die  vorige.  Die  Kultur  gewinnt  hier 
ein  selbständiges  Wesen  und  wächst  aus  der  Zerstreutheit 
des  ersten  Eindrucks  in  ein  Ganzes  zusammen,  auch  trägt 
sie  die  bewegende  Kraft  in  der  eigenen,  inneren  Not- 


-     8     — 

wendigkeit,  in  einem  unaufhaltsamen  Forttrieb  des  Lebens, 
während  der  Mensch  in  diesen  Strom  des  Wdtlebeos  allen 
Eigensinn  versenken  und  in  seinem  Miterleben  und  Arbeiten 
für  künftige  Geschlechter  ein  wahreres  Sein  und  eine 
echtere  Größe  finden  kann.  Aber  eine  tiefere  Betrachtung 
läßt  doch  auch  hier  Bedenken  über  Bedenken  ao&teigen. 
Bewegen  kann  uns  doch  schließlich  nur,  was  irgendwie 
unser  Selbst  angeht  Eine  feste  Beziehung  zu  unserem 
Selbst  müßte  also  auch  eine  Kultur  besitzen,  die  unser 
ganzes  Sinnen  und  Denken  beherrschen  soll;  sie  schwebt 
in  der  Luft  und  verliert  zugleich  allen  Sinn,  wenn  solche 
Grundlage  preisgegeben  wird.  Es  ist  doch  ein  wunder- 
licher Widerspruch  —  so  erklärt  Eueken  — ,  wenn  irir 
geheißen  werden,  mit  aller  Eraft  für  eine  Sache  zu  arbeiten, 
die  niemandes  eigene  Sache  ist,  Zeiten  zu  dienen,  die  wir 
nicht  kennen,  und  die  vielleicht  all  unser  unternehmen 
für  töricht  erklären,  die  selbst  ebensowenig  wissen,  was 
bei  dem  Ganzen  herauskommt,  die  nicht  anders  wie  wir 
dem  Moloch  Kultur  aufgeopfert  werden.  Die  Abstraktion 
eines  von  der  Menschheit  abgelösten  Kulturprozesses  ist 
also  eine  Fata  Morgana. 

So  sehen  wir,  daß  keiner  der  beiden  möglichen  Wege 
sich  als  gangbar  erweist.  Der  Mensch  zerstört  die  Kultur, 
wo  er  sie  zu  einem  bloßen  Mittel  macht,  und  gibt  zu- 
gleich seinem  eigenen  Sein  einen  höchst  dürftigen  Inhalt, 
die  Kultur  aber  entseelt  den  Menschen,  indem  sie  ihn  zu 
einem  bloßen  Werkzeug  herabdrückt,  so  daß  sie  ins 
Schattenhafte  und  Leere  verfallt  Damit  aber  haben  sich 
die  Zweifel  gegen  die  Kulturidee  nur  noch  gesteigert 
Vielleicht  kommen  wir  weiter,  wenn  wir  unsem  Blick 
auf  den  Inhalt  der  Kultur  richten. 

Kultur  kommt  von  colere  =  bauen,  pflegen.  Wie  wir 
den  Acker  bestellen,  so  belassen  wir  auch  das  ganze  Da- 
sein nicht  in  der  vorgefundenen  Lage,  sondern  suchen  es 
durch  Arbeit  und  Kampf  weiterzubilden;  in  unsere  Tätige 
keit  aber  legen  wir  unsere  Eigentümlichkeit  hinein  und 
bestärken  sie  damit.  So  bezeichnet  die  Kultur  die  Gesamt* 


ff 

—     9     — 

heit  dessen,  was  der  Mensch  an  Neuem  besitzt  and  er- 
zeugt, das  Mehr  seines  Lebens  and  Seins  gegen  die  bloße 
Natar. 

Aber,  so  fragen  wir,  was  ist  denn  nun  dieses  Mehr 
seines  Lebens,  and  wo  ist  der  Punkt,  an  dem  die  Tätig- 
keit des  Menschen  einsetzen  muß? 

Diese  Frage  ist  sehr  verschieden  beantwortet  worden. 
Namentlich  sind  es  drei  Lebenstypen,  die  hier  hervor- 
treten; wir  nennen  sie  mit  Eucken  eine  künstlerische, 
eine  ethische  und  eine  dynamische  Art  Sie  haben  im 
Oriechentum^  Christentum  und  modernen  Leben  eine  ge- 
schichtliche Verkörperung  gefunden.  Hören  wir,  wie 
Eucken  diese  drei  Typen  des  näheren  charakterisiert! 

Der  Kern  des  Geistesleben  bildet  im  Griechentum  die 
Verbindung  der  von  der  Natur  entgegengebrachten  Ele- 
mente zu  einem  harmonisch  gegliederten,  von  innerem 
Leben  erfüllten  Ganzen.  Diese  Verbindung,  Gliederung 
und  Belebung  kann  innerhalb  des  menschlichen  Kreises 
nur  durch  die  eigene  Tätigkeit  des  Menschen  erfolgen,  sie 
entringt  der  Flucht  sinnlicher  Eindrücke  ein  beharrendes 
und  zusammenhängendes  Weltbild,  sie  ordnet  die  ver- 
einzelten Kräfte  und  Triebe  der  Seele  zu  einem  Gesamt- 
werk des  Lebens,  sie  stellt  die  Individuen  in  das  sichere 
Gefüge  einer  Gemeinschaft,  sie  vollzieht  an  allen  Stellen 
eine  Wendung  vom  Chaos  zum  Kosmos,  wobei  auch  die 
Natur  veredelt  und  einer  höheren  Stufe  zugeführt  wird. 
Völlig  anders  ist  die  ethische  Gestaltung  der  Kultur,  wie 
sie  das  Christentum  vorhält  Hier  erscheint  ein  Problem 
im  tiefsten  Grunde  des  Lebens :  das  Handeln  widerspricht 
in  seiner  Hauptrichtung  unabweisbaren  Zielen,  so  daß  zur 
Hauptaufgabe  wird,  es  auf  den  rechten  Weg  zu  bringen; 
das  aber  kann  nicht  ohne  eine  völlige  Umwälzung  ge- 
schehen. Hier  genügt  es  auch  nicht,  ein  von  der  Natur 
übernommenes  Sein  weiterzuführen  und  zu  vollenden, 
sondern  es  gilt,  ein  völlig  neues  Leben  zu  erringen,  eine 
neue  Welt  des  sittlichen  Cteistes  gegenüber  dem  natür- 
lichen Dasein  aufzubauen.  Demgegenüber  wird  der  Neu- 


—     10     -^ 

zeit  zur  Hauptaufgabe  und  Hauptsache  die  Stei^rung  des 
Lebens  ins  üoermeßliche.  Das  vor  aliem  erhebt  hier  deo 
Menschen  über  die  Natur,  daß  bei  dieser  das  Leben  in 
gegebenen  und  bemessenen  Bahnen  verläuft,  seine  geistige 
Kraft  dagegen  es  unbegrenzt  zu  steigern,  ihm  neue  An- 
fänge zu  setzen,  neue  Wege  zu  bahnen  vermag.  Der 
Gedanke  eines  rastlosen  Fortschritts  fließt  hier  mit  dem 
der  Kultur  zusammen  und  läßt  die  Tätigkeit  gewaltig  an- 
schwellen, woraus  sich  ein  freudiges  Yorwärtastreben  er- 
gibt 

Diesen  geschichtlichen  Bildungen  liegen  offenbar  ewige 
Wahrheiten  zu  Grunde,  welche,  einmal  für  die  Mensch- 
heit  belebt,  ihr  nicht  so  leicht  entschwinden  können.  Jede 
hat  ihre  Bedeutung,  die  ihr  unmöglich  zu  rauben  ist 
Will  aber  eine  einzelne  das  ganze  Leben  beherrschen,  so 
wird  ein  unheilvoller  Kampf  unvermeidlich.  Die  künst- 
lerische Kultur  wird  die  ethische  für  eng  und  düster,  die 
dynamische  für  form-  und  ruhelos  erklären,  der  ethischen 
wird  die  künstlerische  als  zu  flach  und  nataigebunden, 
die  dynamische  als  trotzig  und  selbstisch  gelten,  die  dyna- 
mische wird  in  den  andern  Formen  zu  wenig  Forttrieb 
und  Bewegung  finden.  Wo  aber  dies  alles  auf  den  Menschen 
eindringt,  muß  er  da  nicht  zwischen  den  pegensätzen 
gleichsam  wehrlos  hin-  und  hergeworfen  werden?  An  Ver- 
suchen einer  Verbindung  der  verschiedenen  Kulturformen 
hat  es  ja  freilich  nicht  gefehlt,  man  hat  die  Gegensätze 
auszugleichen  und  damit  zu  überwinden  gesucht,  leider 
aber  umsonst  Bei  der  grundverschiedenen  Richtung  der 
einzelnen  Strömungen  wurde  dadurch  ein  Widersprach  in 
den  Kern  des  Lebens  gesetzt,  der  nicht  überwunden 
werden  konnte;  es  wurde  höchstens  ein  Kompromiß  ge- 
schlossen, durch  den  gerade  das  Wertvollste  der  Kultur- 
stufen verloren  ging. 

So  sehen  wir:  auch  die  Frage  nach  dem  Inhalt  der 
Kultur  steigert  die  Verwicklungen,  die  sie  mildem  sollte- 
Charakteristische  Züge  haben  sich  herausgebildet  und  halten 
uns  fest,  aber  sie  stoßen  einander  viel  zu  sehr  ab,  um 


—  11   — 

unmittelbar  in  ein  Ganzes  zasammengehen  za  können; 
und  eines  Ganzen  bedarf  es  doch  notwendig  zur  Einheit 
unseres  Wesens,  zur  Wahrhaftigkeit  unseres  Lebens,  zur 
geistigen  Selbsterhaitung  gegenüber  einer  fremden  oder 
feindlichen  Weit.  Gerade  heute  empfinden  wir  solche 
Notwendigkeit  mit  peinlicher  Stärke.  Eiicken  hat  sehr 
recht,  wenn  er  als  Korrespondenz  des  Mangels  einer  be- 
herrschenden Eulturidee  den  Mangel  einer  geschlossenen 
Gedankenwelt,  ja  den  kräftiger  Ideale  sieht 

So  finden  wir  nirgends  ein  sicheres  Ziel.  Unsicher 
ist  der  Wert  der  Kultur,  unsicher  ihr  Verhältnis  zum 
Menschen,  unsicher  auch  ihr  näherer  Inhalt  Nur  eins 
haben  wir  gewonnen,  nämlich  die  Überzeugung,  daß  die 
Kultur  keine  gegebene  Größe  ist,  die  wir  uns  mühelos 
aneignen  könnten,  sondern  sie  erscheint  nunmehr  als  ein 
ungeheures  Problem  und  als  eine  Sache  härtesten  Kampfes, 
womit  sich  für  ein  wahrhaftiges  Kulturleben  ernste  For- 
derungen ergeben.  Als  solche  stellt  Eucken  in  den  »Grund- 
linien einer  neuen  Lebensanschauungc  sowie  in  den 
»Geistigen  Strömungen  der  Gegenwart«  entsprechend  seiner 
Grundanschauung,  nach  der  die  Geistigkeit  in  letzter  Hin- 
sicht in  einer  alles  menschliche  Dasein  überragenden  in- 
telligiblen  Welt  begründet  wird,  die  als  jene  überlegene 
Macht  erscheint,  welche  alle  Wirklichkeit  trägt,  alle  Mannig- 
faltigkeit zusammenhält  und  die  beständig  tätige  Wurzel 
des  menschlichen  Lebens  bildet,  die  Notwendigkeit  einer 
tieferen  Begründung  und  einer  inneren  Weiterbildung  der 
Kultur  auf. 

Die  Kultur  kann  sich  den  Widersprüchen  unmöglich 
entwinden,  solange  sie  sich  eine  Selbstgenügsamkeit  zutraut 
und  allein  auf  ihr  eigenes  Vermögen  stellt;  es  gilt,  ihr 
einen  tieferen  Grund  zu  geben.  Diesen  aber  kann  für 
Eiichen  lediglich  ein  bei  sich  selbst  befindliches  Geistes- 
leben gewähren,  das  nicht  irgendwelchen  Au^utz  der 
menschlichen  Lage  bringt,  sondern  eine  neue  Stufe  der 
Wirklichkeit  einführt,  die  »Wendung  des  WelÜebens  zu 
seiner  eigenen  Innerlichkeitc  bedeutet    Es  gilt  also  zu- 


—  la  — 

Bichst  zu  zeigen,  daß  ohne  jene  Begründang  im  Geistes- 
leben die  Eoltor  allen  Halt  and  allen  Gehalt  verliert 
Ihre  Wahrheit  wie  ihre  Größe,  ihre  ürsprünglichkeit  wie 
ihre  Kraft  sind  daran  gebunden. 

Offenbar  erzeugt  die  Kultur  eigentümliche  Inhalte;  in 
jedem  geistigen  Inhalt  aber  stecken  Behauptungen,  die 
sich  aneinander  schließen  und  zu  einer  Gesamtwelt  zu- 
sammenstreben, welche  sich  als  den  Kern  der  Wirklich- 
keit gibt.  Wie  läßt  sich  nun  ein  derartiger  Anspruch 
durchsetzen,  wenn  die  ganze  KulturbewQgung  bloß  inner- 
halb des  Menschen  verläuft?  Sie  muß  vielmehr  der 
großen  Wirklichkeit  selbst  angehören,  sonst  ist  ihr  Aa- 
spruch  auf  Wahrheit  unhaltbar;  z.  B.  besagt  die  Herab- 
setzung der  Moral  zu  einer  Privatangelegenheit  des  Menschen 
eine  innere  Zerstörung.  Soll  also  in  der  Kultur  nicht  bloß 
der  Mensch  einer  fremden  Wirklichkeit  irgendwelche  selbst- 
gesponnene Gedanken  anhängen  und  mit  seinem  ganzen 
Streben  nach  Wahrheit  ins  Leere  fallen,  so  ist  jene  Be- 
gründung der  Kultur  in  einem  selbständigen  Geisteeleben 
unentbehrlich.  Nicht  anders  ist  es  bezüglich  der  Größe. 
Wo  der  Mensch  auf  das  Bloßmenschliche  beschränkt  bleibt, 
bleibt  er  trotz  aller  Überhebung  und  Eitelkeit  klein.  Eine 
wahrhafte  Erhöhung  des  menschlichen  Wesens  ist  nur  mög- 
lich, wenn  im  Menschen  etwas  Mehralsmenschliches  durch- 
bricht, dem  er  zugleich  eine  weite  Überlegenheit  zuerkennen 
muß,  und  das  er  doch  als  irgendwie  zu  sich  selbst  ge- 
hörig ansehen  darf.  Auch  eine  ürsprünglichkeit  könnte 
das  Kulturleben  nicht  wahren,  würde  nicht  in  ihm  eine 
neue  Stufe  der  Wirklichkeit  gewonnen;  denn  ist  Kultur 
nicht  mehr  als  ein  menschlicher  Zusatz  zur  Natar,  so 
würde  sie  das  Leben  nur  immer  gebundener  machen;  es 
würde  die  Jugendfrische  verlieren  und  die  Lust  zum  Tor- 
wärtsdringen,  Arbeiten  und  Kämpfen  würde  verschwinden; 
die  Kultur  würde  also  auch  einer  Triebkraft  entbehren» 
die  das  Leben  des  Lebens  erst  wert  macht.  Kräftig  er- 
r^n  und  zwingend  bewegen  kann  uns  immer  nur  die 
Erfahrung  und  Empfindung  eines  Widerspruchs  im  Leben 


—     13    — 

UDd  die  Unmöglichkeit,  sich  bei  ihm  zu  beruhigen;  ein 
wirkliches  Schaffen  kann  nur  geschehen,  wenn  die  Kultur- 
arbeit als  die  Erringung  eines  wahrhaftigen  geistigen 
Lebens  gilt 

So  sehen  wir:  echt  ist  nur  eine  Kultur,  die  den  Zn- 
sammenhang mit  dem  begründenden  Geistesleben  wahrt 
und  seiner  Entfaltung  dient,  unecht  dagegen,  die  unter 
die  Zwecke  des  bloßen  Menschen  gerät  und  auch  das 
Geistesleben  dahin  hinabzieht  Der  Kampf  beider  Formen 
—  hie  Geist,  hie  Mensch  —  durchdringt  die  ganze  Ge- 
schichte und  läßt  in  ihr  etwas  ganz  anderes  sehen  als 
einen  fortlaufenden  Triumph  des  Geistes.  Heute  aber  tut 
es  dringend  not,  daß  die  alte  Wahrheit  deutlicher  erfaßt, 
die  notwendige  Bedingung  echter  Kultur  klarer  heraus- 
gestellt und  die  Scheidung  der  Geister  hierher  oder  dort- 
hin kräftiger  vollzogen  werde. 

Wenn  so  die  Kultur  auf  ein  selbständiges  Geistesleben 
zu  gründen  ist,  so  hat  sie  natürlich  von  seiner  Eigen- 
tümlichkeit auch  ihre  nähere  Gestaltung  zu  erwarten. 
Nun  sieht  Eucken  im  Geistesleben  eine  Wendung  der 
Wirklichkeit  zu  ihrer  eigenen  Tiefe,  die  Herausarbeitung 
einer  Innerlichkeit,  wodurch  die  Welt  allererst  einen  In- 
halt und  einen  Sinn  bekommt,  und  diese  Wirklichkeit 
kann  sich  ihm  nicht  mit  der  Bolle  einer  Sonderwelt  neben 
andern  Welten  begnügen,  sie  hat  bei  sich  selbst  eine 
Wahrheit  nur,  insofern  sie  die  Wahrheit  der  gesamten 
Wirklichkeit  ist  Daraus  aber  ergibt  sich  als  wichtigste 
Folgerung,  daß  die  Kultur  den  Menschen  nicht  sowohl 
zu  neuen  Leistungen  aufzurufen,  als  ihn  zu  einer  neuen 
Art  des  Lebens,  zu  einem  geistigen  Beisichselbstsein  zu 
führen  habe.  Das  aber  kann  nur  geschehen  in  der  Zu- 
sammenfassung des  Lebens  zu  einer  Einheit  jenseit  der 
einzelnen  seelischen  Betätigungen  und  in  einer  Verlegung 
des  Schwerpunkts  in  diese  Einheit,  so  daß  jene  Betätigungen 
zur  Entfaltung  eines  substantiellen  Lebens  werden.  Daß 
sich  daraus  schwere  Aufgaben  für  den  an  das  unmittel- 
bare Dasein  gebundenen  Menschen  ergeben,  ist  natfirlich 


-     14    - 

selbstverständlich.  Das  Oetriebenwerden  durch  die  innere 
Notwendigkeit  der  Wahrheit,  das  alles  geistige  Leben  und 
Schaffen  tragen  und  beseelen  muß,  stößt  hart  mit  dem 
Naturtriebe  der  Selbsterhaltung  zusammen  und  steigert 
ihn  zu  einem  grenzenlosen  Egoismus  zerstörender  Art 
Eine  völlige  Umwälzung  wird  damit  unerläßlich  und  er- 
weist sich  als  die  Grundbedingung  alles  echten  Geistes- 
lebens. Und  das  hebt  außerordentlich  die  ethische  Auf- 
gabe. Aber  zugleich  behauptet  auch  die  £unst  eine  selb- 
ständige Bedeutung.  Was  im  Menschen  an  Oeistigkeit 
aufstrebt,  das  hat  zunächst  ein  rohes  und  seelenloses  Da- 
sein neben  sich  und  verbleibt  daher  selbst  in  einem 
Stande  der  Halb  Wirklichkeit;  erst  das  künstlerisc-he  Bilden, 
das  weit  über  die  eigentliche  Kunst  hinausreicht,  bringt 
die  verschiedenen  Seiten  und  Stufen  in  Wechselwirkung, 
gestaltet  in  der  Berührung  das  Innere,  belebt  das  Äußere 
und  führt  damit  das  Leben  in  sich  selbst  zusammen. 
Endlich  aber  behauptet  auch  die  Aufgabe  der  Lebens- 
steigerung eine  selbständige  Bedeutung.  Zum  Oeistes- 
leben  gehört  volle  Beherrschung  der  Wirklichkeit;  der 
Mensch  des  unmittelbaren  Daseins  aber  steht  unter  zahl- 
reichen Bedingungen  und  Einschränkungen,  so  daß  es 
einer  Steigerung  seiner  Kraft  und  einer  Erweiterung  seines 
Daseins  notwendig  bedarf. 

Aus  diesem  Nebeneinander  verschiedener  Lebens- 
richtungen müssen  schroffe  Spannungen  und  Zusammen- 
stöße erwachsen;  aber  wenn  dieser  Kampf  selbst  auch 
nicht  zu  vermeiden  ist,  so  ist  doch  aufs  Dringendste  zu 
verlangen,  daß  etwas  dem  Kampf  überlegen  bleibe  und 
den  Kampf  gegen  den  bloßen  Kampf  au&iehme.  Und  das 
ist  nur  möglich  bei  der  Zurückbeziehung  auf  ein  bei  sich 
selbst  befindliches,  wesenhaftes  Geistesleben  und  eine 
geistige  Wirklichkeit.  Ohne  die  Gegenwart  solcher  wesen- 
haften  Geisteswelt  droht  die  ethische  Lebensbewegung 
bloßes  Gesetzes-  und  Formelwesen  zu  werden,  zur  Ein- 
engung und  Bedrückung  zu  wirken,  auch  in  einen  selbst- 
gerechten Pharisäismus  auszulaufen;  die  künstlerische  G^ 


-     16    — 

staltung  führt y  auf  sich  allein  gestellt,  das  Leben  unTer- 
meidlich  ins  Genießende,  Weichliche,  Spielende,  die  dyna- 
mische ins  Selbstische,  Wilde  und  Brutale.  Es  hängt  die 
Wahrheit  der  Teilkulturen  durchaus  daran,  daß  sie  eine 
Wesens-  und  Oesamtkultur  hinter  sich  haben,  daß  jene 
Zurück  Verlegung  der  Kultur  erfolge,  die  nur  durch  An- 
knüpfung an  ein  selbständiges  Geistesleben  möglich  wird. 
Diese  Euckensche  Forderung  einer  Zurückverlegung 
und  festeren  Begründung  der  Kultur  wird  durch  die 
jetzige  Zeitlage  aufs  Dringendste  unterstützt,  zumal  letztere 
durch  ein  ZusammentrefTen  zweier  Tatsachen  eine  sehr 
kritische  geworden  ist.  Einmal  sind  die  geschichtlich 
überkommenen  Grundlagen  und  Inhalte  der  Kultur,  so- 
weit sie  wenigstens  das  Ganze  und  Innere  des  Menschen 
betreifen,  ins  Unsichere  geraten,  so  daß  wir  zweifelhaft 
geworden  sind,  ob  der  Mensch  das  sinnlich-natürliche  Da- 
sein überhaupt  irgendwie  überschreiten  kann,  und  ob 
nicht  alles,  was  er  an  Mehralsmenschlichem  zu  er- 
fassen glaubte,  nur  ein  Trugbild  sei,  und  in  eben  diese 
wankende  und  schwankende  Zeit  fallt  zweitens  das 
stürmische  Drängen  des  Menschen  nach  vollem  Teil- 
haben an  Kultur  und  Glück  samt  dem  Anspruch  über 
alles,  was  an  der  Kultur  gehalt-  und  wertvoll  sei,  selbst 
zu  entscheiden,  und  zwar  zu  entscheiden  nach  dem 
unmittelbaren  Interesse  und  der  unmittelbaren  Fassungs- 
kraft der  von  den  weltlichen  Bewegungen  der  Mensch- 
heit kaum  berührten  Individuen,  womit  eine  Bewegung 
erstand,  die  alles  mit  sich  fortzureißen,  zu  verengen  und 
zu  verflachen  droht.  Über  eine  solche  Krise  kann 
schlechterdings  nichts  anderes  hinausführen  als  eine  Ver- 
tiefung des  Geisteslebens  in  sich  selbst.  Yon  draußen 
kann  uns  das  Heil  nicht  kommen,  was  an  Stützen  und 
Hilfen  draußen  unwiderleglich  verloren  ging,  das  können 
wir  nur  dadurch  ersetzen,  daß  wir  bei  uns  selbst  zu  einer 
überlegenen  Welt  vordringen,  uns  darin  befestigen,  von 
daher  unserm  Leben  einen  Inhalt  geben  und  dann  zum 
Aufbau  einer  neuen  Kultur  streben.    Gelingt  solche  Ver- 


-    lö   - 

tiefong  und  Befestigimg,  so  kaim  die  bedrohliche  Krise 
zu  einer  Erneuerung  und  Yeijüngung  des  Lebens 
führen;  besteht  dagegen  keine  Hoflhung  einer  solchen 
Vertiefung,  ist  im  Menschenleben  keine  substantielle 
Geisteswelt  neu  zu  beleben,  so  müssen  dem  Wogen  der 
menschlichen  Leidenschaft  alle  Vernunft  und  Kultur 
schließlich  erliegen. 


■o<^@S@f>« 


Oraok  nm  B 


Btj«  k  SOhM  (B9jm  k  Mamn)  in 


Das 


Problem  der  Materie. 


Q.  Schilling  und  C.  8.  Cornelias. 

Bngeleitet  von 

O.  Flügel. 

FSdAffoeÜMhM  Hagaaln,  Haft  SSS. 


Langensalza 

Hermknn  Beyer  k  SQhne 
(Beyer  k  Mann) 

H««^  BUu.  HoIbnoUdndlv 


In  der  Aasgabe  der  Werke  Herbarts  von  Eehbbach 
Vn,  S.  348  wird  die  im  göttingschen  gelehrten  Anzeiger 
1829  (von  Bbandis)  erschienene  Besprechung  der  Meta- 
physik Herbarts  mitgeteilt.  Hier  wird  das  Unternehmen 
Herbarts  mit  einer  Beise  nach  dem  Nordpol  verglichen, 
man  bewandert,  heüBt  es  da,  den  kühnen  Mat  jener 
Männer,  die  nachdem  schon  Viele  im  Kampfe  mit  an- 
übersteiglichen  Hindernissen  vergeblich  bemüht  gewesen 
sind,  zam  Nordpol  za  gelangen,  sich  doch  nicht  abhalten 
lassen,  dasselbe  Wagstück  mit  Anwendung  größerer  Tor- 
sicht  and  besserer  Hilfsmittel  zu  bestehen.  Man  kann 
von  einem  solchen  Mut  nur  mit  Achtung  sprechen,  und 
sind  auch  bisher  alle  versuchten  Nordpolexpeditionen 
insofern  erfolglos  gewesen,  als  sie  den  Nordpol  noch 
nicht  erreicht  haben,  so  haben  sie  doch  ungemein  viel 
bisher  unbekannte  Dinge  entdeckt  So  meint  jene  Be- 
sprechung, wenn  auch  die  Herbartsche  Metaphysik  nicht 
alle  Fragen  dieser  so  viel  bearbeiteten  Wissenschaft  ge- 
löst hat,  so  hat  sie  uns  doch  der  Lösung  nSher  geführt 
und  andern  die  Wege  bereitet,  weiter  vorzudringen. 

Herbart  selbst  S.  353  bezeugt  seine  Freude  über 
diese  ehrenvolle  Vergleichung. 

Ganz  ähnlich  spricht  er  sich  an  einer  andern  Stelle 
aus.  ^)  HsomoTH  wollte  alle  Meti^hysik  abgetan  wissen 
und  sagte:  »weg  mit  der  Wissenschaft,  die  dem  Ab- 
soluten   nachlftuft,    wie   der  Knabe   dem   Regenbogen!« 


>)  H.  Xm.  616.    K.  Xm.  195. 


-     4     - 

Herbart  bemerkt  dazu:  Ich  dagegen  bin  der  Meinong, 
daß,  wenn  niemals  einer  dem  Regenbogen  nachgelaufen 
wäre,  man  sich  auch  nie  deutlich  überzeugt  haben 
würde,  er  schwebe  zu  hoch,  um  ergriffen  zu  werden. 
Die  vergeblichen  Versuche  sind  am  Ende  immer  be- 
lehrend. 

Diese  vergeblichen  Yersuche  bezieht  er  dort  auf  das 
Bemühen,  die  Materie,  die  uns  überall  zum  Anschauen 
dargeboten  ist,  auf  alle  Weise  zu  untersuchen.  Und  das 
ist  ja  das  Ziel  aller  Metaphysik,  die  Materie  zu  er- 
kennen, zur  Naturphilosophie  zu  gelangen.  Nach  diesem 
Ziele  wird  heute  noch  ebenso  lebhaft  als  sonst  gestrebt, 
ja  lebhafter,  als  zu  den  Zeiten,  die  oft  ganz  damit  be- 
schäftigt waren,  das  empirische  Wissen  von  der  Natur 
zu  bereichem  oder  daselbst  zu  praktischen  technischen 
Zwecken  zu  verwenden. 

Man  kann  sagen,  das  Problem  der  Materie,  oder  der 
Außenwelt  steht  noch  immer  im  Mittelpunkt  der  Speku- 
lation. 

Was  Herbart  hierin  geleistet  hat,  haben  andere  be- 
richtigend und  erweiternd  fortgeführt  wie  Drobisgh, 
Hartenstein,  Strümpell,  Zimmermann,  Schacht,  Kpauai^  q.  a. 
Namentlich  aber  G.  S.  Gorneuus. 

Wie  man  sich  aus  dem  Nachstehenden  überzeugen 
wird,  sind  seine  Fortbildungen  der  Herbartschen  An- 
sichten über  die  Materie  durchaus  nicht  veraltet  Viel- 
mehr führen  sie  uns  immer  noch  die  Wege,  auf  denen 
man  hoffen  darf,  tiefer  einzudringen  und  sich  der  Lösung 
zu  nähern. 

Es  kommt  dabei  namentlich  in  Betracht  die  Mole- 
kularphysik, i) 


^)  C.  S.  Cornelius,  Grandzüge  einer  Molekularphysik.  HaDe, 
bei  Schmidt,  jetzt  bei  Tanscher  in  Jena.  Dasa:  Zar  Molekular- 
phyBik.  Ebenda.  Ferner:  Über  das  Problem  der  Materie  anter 
Bezugnahme  auf  die  neuere  betreffende  Literatur.  In  der  Zeitschrift 
f.  exakte  Philos.  Bd.  Xu  und  Abhandlungen  zur  Natorwissenaohaft 
u.  Psychologie.  Langensalza,  Hermann  Beyer  k  Söhne  (Beyer  k  Mann). 


Die  Punkte,  in  welchen  hier  eine  Abweichung,  rich- 
tiger eine  Fortbildung  der  Herbartschen  Theorie  über 
die  Materie  stattfindet,   sind  folgende. 

Der  eine  besteht  darin,  daß  bei  Herbart  diejenigen 
Realen,  welche  als  eigentliche  Kernpunkte  der  Materie 
anzusehen  sind^  sich  selbst  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
unmittelbar  durchdringen,  indem  sie  die  kleinsten  Massen- 
teilchen bilden,  während  nach  dem  Verfasser  zwischen 
jenen  Realen,  die  miteinander  zu  einem  Massenteilchen 
verbunden  sind,  nur  vermittels  der  Äthersphären  eine 
Gemeinschaft  besteht  Prinzipiell  ist  das  eine  sowohl  als 
das  andere  zulässig:  ob  aber  in  Wirklichkeit  dieses  oder 
das  andere  statthat,  hängt  von  der  Art  des  Gegensatzes 
zwischen  den  Grundrealen  untereinander  und  dem 
Gegensatze  zwischen  diesen  und  den  Elementen  des 
Äthers  ab.  Denkt  man  sich  z.  B.  zwei  oder  mehrere 
Grundreale,  von  Äthersphären  umschlossen,  in  gegen- 
seitiger Annäherung  begriffen,  so  ist  nach  den  voran- 
gegangenen Prinzipien  ersichtlich,  daß  bei  tieferm  In- 
einandergreifen der  Äthersphären  die  Repulsion  zwischen 
den  Ätherelementen  auf  der  Innenseite  sich  fortwährend 
steigern  muß,  in  dem  Maße  als  die  Annäherung  größer 
wird.  Ein  Gleichgewicht  der  anziehenden  und  abstoßen- 
den Kräfte  muß  sich  hier  schließlich  herausstellen.  Es 
fragt  sich  nun:  tritt  dieses  Gleichgewicht  ein,  schon  bevor 
die  eigentlichen  Grundelemente  miteinander  in  unmittel- 
bare Berührung,  oder  Durchdringung  kommen,  wie  der 
Verfasser  will,  oder  erst  nachdem  diese  selbst  mit- 
einander in  Durchdringung  begriffen  sind,  wie  Hebbabt 
lehrt?  Es  erhellt,  daß  bei  einer  gewissen  Stärke  und 
Ungleichheit  des  Gegensatzes  der  Äther-  und  Grund- 
elemente, infolge  überwiegender  Abstoßung  der  Äther- 
elemente, das  Gleichgewicht  eintreten  muß,  noch  bevor 
die  Grundatome  selbst  in  ein  unmittelbares  Zusammen 
eingehen. 

Wollte   man  das  wahre  Sachverhältnis  a  priori  fest- 
stellen, so  müßte  uns  der  Grad  der  Stärke  und  der  Un- 


-     6     - 

gleichheit  (oder  Oleichheit)  der  Oegensätze  bekannt  sein. 
Da  dies  nicht  der  Fall  ist,  so  hängt  fOr  uns  die  Ent- 
scheidung der  Frage  davon  ab,  welche  der  beiden  An- 
sichten für  die  Erklärung  der  Tatsachen  brauchbarer  ist 
Der  Verfasser  zieht  die  erstere  Ansicht  auf  Grund  der 
Tatsachen  der  Porosität,  der  Diffusion  und  verschiedener 
anderer  Erscheinungen  der  zweiten  vor.  Da  nach  jener 
Ansicht  die  als  Grundatome  bezeichneten  realen  Wesen 
bei  der  Bildung  kleinster  Massenteilchen  in  bestimmten 
Abständen  voneinander  verharren,  so  steht  dieselbe  in- 
sofern der  gewöhnlichen  physikalischen  Atomistik  näher, 
als  die  ursprünglich  von  Herbart  gegebene  Lehre. 

Zweitens  hinsichtlich  der  Erscheinungen,  welche  in 
das  Bereich  der  sogenannten  Imponderabilien  gehören, 
finden  sich  noch  verschiedene  Abweichungen  von  den 
Erklärungen,  welche  Herbart  in  dieser  Beziehung  ge- 
geben hat.  So  huldigte  u.  a.  Herbart,  wie  es  bei  dem 
damaligen  Stande  der  Naturwissenschaften  natürlich  war, 
im  wesentlichen  noch  der  Emissionstheorie  der  Wärme 
und  nimmt  zur  Erklärung  der  Licht-,  Wärme-  und  elek- 
trischen Erscheinungen  für  jede  einzelne  Gruppe  noch 
eine  besondere  Ätherart  an.  Doch  geschah  dies  nicht 
willkürlich,  sondern  im  Zusammenhange  mit  den  Grund- 
prinzipien seiner  Metaphysik.  Bekanntlich  unterscheidet 
Herbart  in  Hinsicht  auf  die  mögliche  Yersohiedenheit 
des  qualitativen  Gegensatzes  unter  den  realen  Elementen: 
1.  starken  und  gleichen  (oder  doch  nicht  sehr  ungleichen) 
Gegensatz,  2.  starken  und  ungleichen,  3.  schwachen  und 
gleichen  (oder  doch  nicht  sehr  ungleichen),  4.  schwachen 
und  ungleichen  Gegensatz. 

Die  Elemente,  welche  in  einem  starken  und  gleichen 
(oder  doch  nicht  sehr  ungleichen)  Gegensatze  stehen,  be- 
trachtet der  Verfasser  mit  Herbart  als  die  eigentlichen 
Grundatome  (Kernpunkte)  der  Materie.  Den  zweiten  Fall 
deutet  Herbart  auf  die  Wärmeerscheinungen,  indem  er 
dieselben  aus  der  Wechselwirkung  der  Grundelemente 
mit   solchen   Elementen    ableitet,    welche  zu  jenen  in 


-     7     - 

einem  starken,  aber  imgleioiien  Gegensätze  stehen.  Diese 
Art  Yon  Elementen  faßt  Herbart  unter  dem  Namen 
Calorioam  eosammen.  Die  dritte  Art  des  Gegensatsees 
bezieht  Herbart  auf  die  elektrischen  Ersoheinungen. 
Diese  sind  nach  ihm  begründet  in  Elementen,  die  zn 
den  Grandelementen  der  Materie  m  einem  schwachen 
und  gleichen  (oder  doch  nidit  sehr  un^ddien)  Gegen- 
sätze stehen  (Electricam).  Elemente  endisch,  die  za  den 
Grundatomen  in  einem  8<4iwachen  und  sehr  ong^eidioai 
Gegensatze  stehen,  bedingen  nach  Herbart  die  Ersebei- 
nungen  des  Lichts  und  der  Grantation. 

Dagegen  denkt  der  Verfasser  bei  Ableitung  aller 
jener  Erscheinungen  (der  elektrisdien,  der  des  Lichts 
und  der  Wärme)  an  denselben  Äther  der  jedoch  nach 
ihm,  wie  oben  bemerkt,  aus  Mdekülen  besteht,  deren 
jedes  aus  einem  Zentralatome  und  gewissen  andern, 
unter  sich  qualitativ  gleichen  Atomen  zusammengesetzt 
ist,  die  j^ies,  sowie  auch  jedes  Gmndatom  der  Materie, 
sphärenartig  umschließen.  Es  ist  denkbar,  daß  bei  der 
Bildung  dieses  Äthers  die  oben  unter  2.  und  3.  befaSten 
Elemente  (Atome)  zumal  beteiligt  sind,  in  der  Art  etwa, 
daß  jene  Zentralatome  des  Äthers  solche  Elemente  sind, 
die  zu  den  Grundatomen  der  Materie  in  einem  i^elativ 
schwachen  und  glichen  (oder  doch  ni<^t  sehr  ungleichen) 
Gegensatze  stehen,  während  die  Elemente,  wdcbe  die 
eben  bezeichneten  Atome  (als  die  Zentralelemente)  Sphären- 
artig  einschließen,  zu  diesen  beiden  Arten  in  einem, 
wenn  auch  im  verschiedenen  Maße,  stariren  aber  un- 
gleichen Gegensatze  stehen  mögen. 

Es  ist  ersichtliidi ,  daß  a  priori  nidit  entschieden 
werd^i  kann,  ob  alle  Ätherarten,  welche  im  Betreff  der 
verschiedenen  Stärke  und  Ungleichheit  (oder  Gleichheit) 
des  Gegensatzes  unter  den  letzten  realen  Elementen 
(Atomen)  als  möglich  denkbar  sind,  in  Wirklichkeit  auch 
in  der  Natur  die  verschiedenen  Vorgänge  bedmgen.  Bs 
kommt  in  dieser  Beziehung  auf  immer  mehr  in  das 
Einzelne  gehende  Forschungen  an,   und  es  ist  hier  ein 


—     8     — 

nicht  geringer  Spielraum  einer  künftigen  üntersachong 
gegeben.  Der  Verfasser  selbst  hebt  am  Schlosse  seiner 
Betrachtungen  über  die  Elektrizität  hervor:  »daß  er 
gegen  einen  Versuch,  die  elektrischen  und  wohl  auch 
magnetischen  Erscheinungen  lediglich  auf  eine  oszilia- 
torische  Bewegung  des  Äthers  oder  der  Äther-  und  Orand- 
atome  zurückzuführen,  nichts  einzuwenden  hat,  obschon 
er  es  nicht  gerade  für  walirscheinlich  hält,  daß  diese 
Erscheinungen  lediglich  in  einer  solchen  Bew^ongsform 
begründet  sind.  »Vergegenwärtigt  man  sich  nun  die 
Hauptpunkte  unserer  Untersuchung,  so  wird  die  Be- 
ziehung zwischen  den  verschiedenen,  unter  den  Namen 
der  chemischen  Affinität,  Gohäsion,  Adhäsion  und  Gravi- 
tation bekannten  Kräften  klar  zu  Tage  treten.  Man  wird 
finden,  daß  ein  zuweilen  ausgesprochener  und  als  wahr 
geahnter  Satz  hier  auf  eine  bestimmte  Weise,  d.  h.  unter 
Zurückführung  der  Gravitation  auf  diejenige  Tätigkeit 
der  Atome,  welche  im  wesenüichen  auch  der  chemischen 
Aktion  zu  Grunde  liegt,  innerhalb  gewisser  Grenzen  be- 
gründet ist  Dieser  Satz  lautet  aber  dahin,  daß  die  Kraft, 
welche  den  Lauf  der  Planeten  regelt,  indem  sie  diese 
durch  weite  Bäume  hindurch  miteinander  verknüpft,  nicht 
wesentiich  verschieden  sei  von  der  Kraft,  welche  die 
gleichartigen  Teilchen  der  einzelnen  Körper  sowohl,  wie 
die  ungleichartigen  Teilchen  irgend  einer  chemischen 
Verbindung  zusammenhält  In  dem  qualitativen  Gegen- 
sätze und  der  dadurch  bedingten  Tätigkeit  der  Atome 
liegt  der  reale  Grund  aller  Anziehungen,  c 

Eine  Weiterbildung  der  Herbartschen  Gedanken  über 
die  biologischen  Erscheinungen  findet  sich  bei  C.  8. 
GoBNELms  namentlich  am  Ende  seiner  Schrift  über  die 
Entstehung  der  Welt^) 

Endlich  kommt  hier  in  Frage,  wenn  die  letzten  Ele- 
mente der  Natur  nach  Herbart  streng  einfach,  also 
völlig  unräumlich   oder  punktuell  zu  denken  sind,   wie 


^)  Bei  Tauscher  in  Jena. 


—     9     — 

ist  es  dann  möglich,  daß  diese  die  räumlich  ausgedehnte 
Materie  bilden.  Die  verschiedenen  Versuche  der  Lösung 
habe  ich  in  den  Problemen  der  Philosophie  No.  53 — 56 
auseinandergesetzt.  Die  Eigentümlichkeit  von  C.  S.  Cor- 
nelius besteht  nun  eben  darin,  daß  er  den  Charakter  der 
Einfachheit  streng  festhält  und  also  Ausdehnung  der 
Realen  nicht  einmal  in  der  Fiktion  zuläßt,  wie  Herbart 
tut,  und  also  auch  von  einer  partialen  Durchdringung 
absieht.  Cornelius  hat  auch  mehrfach  die  Herbartsche 
Lösung  mit  Hilfe  der  Fiktion  und  der  partialen  Durch- 
dringung versucht  Man  kann  nicht  sagen,  seine  Ansicht 
sei  schwankend,  er  kennt  eben  die  Schwierigkeiten,  jahr- 
zehntelang haben  wir  miteinander  alle  die  möglichen 
Ansichten  immer  von  neuem  durchgesprochen.  Ganz 
genügt  keine  der  versuchten  Lösungen.  Aber  es  wäre 
doch  zu  bedauern,  wenn  der  bedeutsame  Versuch  der 
Bildung  der  Materie  aus  ihren  einfachen  Elementen  in 
Vergessenheit  geriete.  Er  ist  nämlich  von  Cornelius 
angestellt  in  dem  von  ihm  herausgegebenen  physikalischen 
Lexikon.  Encyklopädie  der  Physik  und  ihrer  Hilfs- 
wissenschaften: der  Technologie,  Chemie,  Meteorologie, 
Geographie,  Geologie,  Astronomie,  Physiologie  usw.  nach 
dem  Grade  ihrer  Verwandtschaft  mit  der  Physik.  2.  Aufl. 
bei  Otto  Wigand  in  Leipzig  1856.     4.  Bd. 

I.  Historisches. 

Von  G.  Schilling. 

So  sicher  und  klar  die  materiellen  AuJßendinge  für 
die  sinnliche  Anschauung  erscheinen,  so  schwierig  ist 
es  für  das  Denken,  ihr  Wesen  oder  die  Natur  des 
Materiellen  überhaupt  zu  bestimmen.  Wenn  man  von 
allen  quantitativen  und  qualitativen  Unterschieden  der 
Dinge  absieht,  so  bleibt  immer  noch  als  gemeinschaftliche 
Eigentümlichkeit  derselben  die  Raumerfüllung  übrig,  und 
man  erklärt  hiemach  die  Materie  im  allgemeinen  als 
das  Reale,   welches    den  Raum  erfüllt   und  in   ihm  be- 


-     10     - 

weglich  ist.  Indessen  hat  man  damit  nur  eine  ^ameo- 
erklärung  aufstellt,  die  ans  über  die  Natur  dessen, 
was  den  Raum  einnimmt,  und  über  die  Art,  wie  dies  ge- 
schieht gänzlich  im  Dunkel  läßt  Die  Fragen  hierüber 
und  die  Versuche,  sie  zu  beantworten,  sind,  so  wie  der 
Begriff  der  Materie  selbst  Produkte  des  Denkens,  das 
über  die  nackte  Tatsache  der  sinnlichen  Wahmehmuzigeii 
mit  Notwendigkeit  hinausgetrieben  ward.  Den  geschicht- 
lichen Verlauf  der  betreffenden  Bemühungen  wenigstens 
der  Hauptsache  nadi  kennen  zu  lernen,  ist  kein  entbehr- 
licher Luxus.  Man  wird  vielmehr  dadurdi  aufgeklart 
worin  das  Rätsel  der  Materie  besteht,  und  was  die 
Wissenschaft  zu  leisten  hat  ^^^^  ^^^  räumlich  Existierende 
zu  begreifen  und  eine  allseitig  genügende,  woblbegründete 
Ansicht  über  das  Wesen  der  Materie  zu  geben.  Man 
lernt  die  Wege  kennen,  die  man  bereits  eingeschlagen 
hat  ]^^^  Rätsel  zu  lösen,  und  man  wird  in  den  Stand 
gesetzt,  besser  zu  beurteilen,  wie  weit  man  etwa  noch 
vom  Ziele  entfernt  ist.  Daher  wird  eine  kurze  ge- 
schichtliche Darstellung  der  Hauptansichten  über  das 
Wesen  der  Materie  dem  Zwecke  dieser  BetrachtungeD 
entsprechend  sein.  Manche  unter  ihnen,  die  nur  aus 
einer  sehr  unvollständigen  Auffassung  des  Gegebenen  her- 
vorgehen konnten,  nehmen  sich  freilich  wunderlich  genug 
neben  dem  Reichtum  der  heutigen  Naturkenntnisse  aus, 
der  durch  fortgesetzte  Beobachtungen  und  Versuche  und 
durch  ein  darauf  sich  stützendes  Denken  gewonnen  ist 
Dennoch  können  auch  solche  Ansichten  ein  gewisses 
kulturhistorisches  Interesse  haben,  während  andere  da- 
durch bedeutungsvoll  sind,  daß  sie  entschieden  auf  die 
eigentlichen  Schwierigkeiten  im  Begriffe  der  Materie 
hindeuten. 

Auf  dem  Standpunkte  der  bloßen  Anschauung  macht 
man  unbewußt  die  Voraussetzung^  nicht  nur  daß  die 
Dinge  um  uns  her  sind,  sondern  daß  sie  auch  so 
sind,  wie  sie  sich  der  sinnlichen  Wahrnehmung  dar- 
bieten.  Die  erste  Störung  dieses  kindlichen  Glaubens  wird 


—    11    — 

herbeigeführt,  wenn  man  bemerkt  daß  sich  die  Sinnen- 
dinge  verändern,  ja^  daß  sie  scheinbar  ganz  vergehen 
und  neu  entstehen.  Die  Veränderung  trifft  aber  nicht 
alle  Eigenschaften  gleichmäßig,  sondern  einige  sind  be- 
ständiger und  erscheinen  in  dem  Wechsel  häufiger 
wieder,  als  andere,  so  daß  sie  in  den  Reihen  der  Ver- 
änderungen wie  immer  wiederkehrende  Anfangspunkte 
sich  hervorheben.  Durch  dieses  Schauspiel  angeregt^ 
stellte  sich  Thaies  die  Frage:  woraus  sind  alle  Dinge 
geworden  und  worin  endigt  alle  Veränderung?  Auf 
Grund  einiger  wenigen,  jedenfalls  allznbeschränkten  Be- 
obachtungen gab  er  als  den  Anfang  aller  Dinge  das 
Wasser  an,  Anaximenes  dagegen  die  Luft:  aus  ihnen 
sollte  durch  Verdtinnung  und  Verdichtung  aller  Wechsel 
der  Dinge  entstehen.  So  würde  also  das  Wasser  oder 
die  Luft  als  ein  Etwas  zu  denken  sein,  das  seinem 
Wesen  nach  dasselbe  bleibt,  während  nur  seine  Zustände 
wechseln,  und  das  durch  den  Wechsel  in  letzterer  Be- 
ziehung die  Mannigfaltigkeit  und  die  Veränderungen  der 
Dinge  begründet  Mit  einem  Worte,  Thaies  wie  Anaxi- 
menes  dachten  ihr  Orundwesen  als  Element:  sie  haben 
diesen  Begriff  zuerst  erzeugt 

Allein  sowohl  die  von  Thaies  als  auch  von  Anaxi- 
menes  angegebene  Beschaffenheit  des  Elementes  fällt 
selbst  in  die  Reihe  der  Veränderungen  der  Sinnendinge, 
ihr  Vorrecht  vor  jeder  andern  sinnlich  wahrnehmbaren 
Beschaffenheit  ist  nicht  begründet;  mit  demselben  Recht 
dürfte  auch  jede  andere  als  die  wahre  Qualität  des 
Elementes  angesehen  werden.  Daraus  folgt,  daß  das 
den  Veränderungen  zu  Grunde  liegende  Wesen  keine 
von  allen  sinnlich  wahrnehmbaren  Beschaffenheiten  be- 
sitzen darf,  sondern  gleichsam  zwischen  allen  schweben 
muß  als  ein  qualitativ  Unbestimmtes,  das  aber  alle  be- 
stimmten, sinnlich  wahrnehmbaren  Beschaffenheiten  an- 
nehmen kann.  Das  ist  der  Sinn  des  unendlichen,  oder 
deutlicher  übersetzt,  des  Unbestimmten  bei  Anaximander, 
worunter   er  nicht  mehr  ein  Element  verstand,  sondern 


—     12     — 

den  reinen  Stoff,  der  selber  ohne  jegliche  bestimmte 
Qualität  ist,  aus  dem  sich  aber  alles  sinnlich  Wahrnehm- 
bare mit  seinen  mannigfaltigen  bestimmten  Beschaffen- 
heiten durch  Ausscheidung  bilden  soll.  Diese  Anfänge 
des  Theoretisierens  sind  ein  sprechender  Beleg  dafür, 
daß  die  Anschauung  nur  ganz  allmählich  mit  Produkten 
des  Denkens  versetzt  wurde,  und  daß  dieses  Denken 
anfänglich  sich  in  kleinen,  unsicher  tastenden  Schritten 
bewegte.  Man  nahm  an  der  Veränderung  der  Dinge 
Anstoß,  und  suchte  das,  was  als  Bleibendes  dem  Begriffe 
des  Seienden  besser  entspricht  und  dem  Yeränderlichen 
als  immer  Beharrendes  zu  Grunde  liegt  Um  aus  einem 
solchen  doch  auch  die  gegebenen  Yeränderungen  zu  er- 
klären, beschränkte  man  den  Wechsel  auf  seine  Zustände, 
geriet  aber  damit  unversehens  erst  recht  tief  in  die  Yor- 
stellungsweise,  die  man  vermeiden  wollte,  hinein.  Man 
fragte  nämlich  noch  nicht  darnach,  was  die  Umwandlung 
des  Elementes  oder  Stoffes  veranlasse,  d.  h.  man  hatte 
den  Begriff  der  verändernden,  bewegenden  Kraft  noch 
nicht  erzeugt,  sondern  mußte  annehmen,  daß  die  Um- 
wandlung zur  Natur  des  Elementes  oder  Stoffes  ge- 
höre. 

Dieser  Gedanke  wurde  jedoch  erst  zum  vollkonunen 
klaren  Bewußtsein  erhoben  und  bestimmt  ausgesprochen 
durch  Heraklit,  da  er  alle  Beharrung,  alles  Sein  für 
Sinnestäuschung  ansah,  dagegen  die  Yeränderung,  das 
Werden  für  die  wahrhafte  Natur  des  Realen,  für  etwas 
Ursprüngliches  erklärte.  Die  allgemeine  Yeränderung 
drückte  er  mit  dem  Bilde  aus,  daß  alles  fließt,  und  mit 
dem  widersprechenden  Begriffe,  daß  alles  zugleich  ist 
und  nicht  ist  Demzufolge  würden  zu  den  Yeränderungen 
der  Dinge  keine  Ursachen  oder  sie  bewirkende  Kräfte  zu 
suchen  sein,  sondern  das  Sichverändem  oder  Werden 
ist  ohne  Bedingung  und  Ursache,  es  ist  absolut  Um 
diesen  abstrakten  Begriffen  die  Haltung  der  sinnlichen 
Yorstellung  zu  geben,  brauchte  Heraklit  das  Feuer  als 
sinnlich   wahrnehmbares  Zeichen  oder  Symbol   der   ab- 


—     13     — 

soluten  Veränderung  und  Bewegung,  da  es  vor  allem  der 
Natur  eines  ursprünglich  und  unaufhaltsam  Beweglichen 
am  nächsten  zu  kommen  scheint.  Für  den  Zweck  dieses 
Artikels  ist  es  genug,  anzudeuten,  daß  aus  dem  Orund- 
begriffe  des  absoluten  Werdens  eine  einzige  Anfangs- 
und endlose  Beihe  von  Veränderungen  von  gleicher 
Richtung  und  Geschwindigkeit,  ohne  Absatz  und  ohne 
Wiederholung  folgt,  daß  aber  die  in  der  Erfahrung  ge- 
botenen Veränderungen  nicht  so  beschaffen  sind,  und 
daß  deshalb  Heraklit  selbst  genötigt  war,  seinem  Ge- 
danken die  Eonsequenzen  abzubrechen  und  anzunehmen, 
die  Natur  entwickle  sich  anders  als  der  Geist,  und  im 
Werden  liege  ein  ursprünglicher  Gegenlauf  der  Be- 
wegungen, wodurch  gegenseitige  Hemmung  und  ver- 
mittelst derselben  der  Schein  eines  dauernden  Bestehens 
herbeigeführt  würde. 

Während  sonach  die  genannten  Ionischen  Physio- 
logen damit  endigten,  das  wahrhaft  Existierende  lediglich 
als  ein  Veränderliches  oder  Werdendes  zu  denken, 
und  die  Ausdehnung  oder  Materialität  der  Dinge  noch 
gar  nicht  in  Betracht  zogen,  stellten  dagegen  die  Eleati- 
schen  Philosophen  den  Begriff  des  Seins  mit  Schärfe 
und  Entschiedenheit  an  die  Spitze,  und  brachten  auch 
die  Frage  nach  dem  räumlich  Existierenden  in  Anregung 
und  Verhandlung.  Das  Sein,  lehrten  sie,  ist  einfach,  un- 
teilbar, eines,  unveränderlich,  sich  selbst  gleich  und  nur 
im  Denken  zu  erfassen.  Alles,  was  ein  Anderswerden 
zeigt,  wie  die  ganze  Welt  der  uns  umgebenden  Dinge^ 
ist  Nichtseiendes,  ist  nur  Schein  und  Trug.  Nur  das 
Sein  ist  An  diesem  Begriffe  hielten  sie  so  konsequent 
fest,  daß  sie  seinetwegen  die  ganze  Sinnenwelt  als  Trug 
verwarfen  und  darauf  verzichteten  sie  zu  begreifen.  Um 
nun  dieser  mit  der  Erfahrung  geradezu  brechenden  Lehre 
von  der  Einheit  und  Einfachheit  des  Seins  mehr  Ein- 
gang zu  verschaffen  und  sie  zu  befestigen,  zeigte  Zeno 
von  Elea  mit  vielem  Scharfsinn,  daß  die  Annahme  einer 
Vielheit    von   veränderlichen ,    beweglichen   und   ausge- 


—     14    — 

dehnten  Dingen  zu  Wideiq[«tioben  führe.  Diese  Ais- 
einandersetsungen  kennen  wir  leider  noi  fragmentarisch: 
giücklicherweiae  aber  diejenigen  vollständig  genng,  die 
die  Ausdehnung  der  Dinge  betreffen,  und  an  dieaem 
Orte  Yorzüglich  interessieren. 

Wenn  man  die  Dinge  als  ausgedehnte  und  teilbare 
faßt,  und  ihre  Bestandteile  duroh  Teilung  suchen  und 
nachweisen  will,  so  wird  man  durdi  Zenoe  Dialektik  en^ 
weder  auf  das  Nichts  getrieben  oder  auf  das  ünendlidia 
Das  Ausgedehnte  wird  gedacht  als  ein  VieleSi  das  aus 
Teilen  besteht,  das  also  notwendigerweise  auch  letzte  Be- 
standteile haben  muß.  Wenn  nun  irgend  ein  Eöiper 
geteilt  wird,  und  man  behauptet,  man  habe  (wenn  auch 
nur  in  Gedanken  oder  dem  Begriffe  nach,  nicht  durch 
wirklich  ausgeführte  Teilung)  die  letzten  Bestandteile 
erreicht,  so  muß  jeder  derselben  einfach  sein.  Was  aber 
einfach  ist,  hat  keine  Größe:  zu  einem  anderen  hinzn- 
gefügt,  macht  es  dasselbe  nicht  größer,  Ton  ihm  hinweg- 
genommen, nicht  kleiner;  es  ist  deshalb  das  vorgebliche 
Einfache,  woraus  das  Viele  bestehen  soll,  nichts.  Will 
man  dagegen,  um  dieser  Ungereimtheit  zu  entgehen, 
jenem  vermeintlichen  Letzten  noch  ein^  Größe  belassen, 
so  hätte  es  aach  Teile,  diese  Teile  hätten  dann  wiederum 
eine  Größe,  folglich  wieder  Teile  und  so  ins  Unendliche. 
Darnach  müßte  jeder  kleinste  Körper  unendlich  viele, 
immer  noch  ausgedehnte  Teile  enthalten,  also  vielmehr 
unendlich  groß  gedacht  werden,  was  sich  ebenfalla  wider- 
spricht Hiermit  hat  Zeno  zuerst  die  Schwierigkeiten 
entdeckt  und  bloßgelegt,  die  in  der  Tat  im  Begriffe  der 
Materie  als  eines  räumlichen  Realen  eingeschlossen  sind 
Zu  ihrer  Überwindung  oder  Entfernung  machte  er  seibat 
keine  Anstrengungen,  sie  sollten  ihm  ja  bloß  dazu  dienen, 
die  eleatische  Lehre  von  der  Einheit  und  Unteilbarkeit 
des  lediglich  denkbaren  Seins  indirekt  zu  rechtfertigen. 
Allein  er  hatte  damit  neben  die  Veränderung  einen 
zweiten  Ausgangspunkt  gestellt  und  den  Denkooi  eine 
zweite  Aufgabe  gegeben,  nämlich  die  Körperlichkeit  der 


—     15     - 

Dinge  zu  begreifen  und  ohne  Widerqniiche  za  denken. 
Denn  zu  der  Resignation  der  Eleaten,  die  nur  mit  einem 
einzigen  einfachen  Begriffe  sich  begnügte  und  die  ganze 
Erfahrung  als  Trug  beiseite  ließ,  konnten  ach  selbst- 
redend nur  wenige  verstehen. 

Das  Denken  sdüug  neue  und  weitere  Wege  ein^  um 
die  Rätsel  zu  lösen,  die  von  der  Erfakrung  «nabUüssig 
in  derselben  Weise  angegeben  werden.  Man  erkannte 
zuvörderst,  daS  aus  dem  wahrhaft  Einen  nie  ein  Vieles 
werden  kann,  und  kam  so  wieder  zu  dem  riditigen  Satze^ 
daß  Vieles  ist.  Dabei  hielt  man  jedoch  andrerseits  fest« 
was  die  Eleaten  gelehrt  hatten,  daß  (4n  seine  Qualität 
änderndes  Seiendes  ein  Widerq)ruch,  eine  ünmc^cdikeit 
ist,  und  dies  trieb  zu  dem  Versuche,  alle  in  der  sinn- 
lichen Erfahrung  gegebenen  Veränderung^i  anf  bloße 
Ortsveranderung,  auf  Bewegimg  zurückzuführen.  Diea 
waren  die  gemeinsehaftliehen  Ansichten  der  sogenannten 
jungem  Ionischen  Physiologen,  an  die  sich  dann  bei 
den  einzelnen  einige  Verschiedenheiten  der  Lehre  an- 
schlössen. Empedokles  nahm  viererlei  Seiendes  an,  näm- 
hck  die  vier  Elemente,  die  er  zuerst  lehrte,  indem  er 
die  Erde  zu  den  übrigen  schon  vor  ihm  angenommenen 
hinzufugte;  jedes  einzelne  bezog  er  aber  noch  auf  Paare 
von  Gegensätzen,  das  Feuer  auf  das  Heiße  und  Trockne, 
die  Luft  auf  das  Heiße  und  Nasse,  das  Wasser  auf  das 
Kalte  und  Nasse  und  die  Erde  auf  das  Kalte  und  Trockne. 
Im  übrigen  dachte  er  die  Masse  jedes  Elementes  als  teil- 
bar und  diese  Teile  als  beweglich,  über  die  Ghrenze  der 
Teilbarkeit  jedoch  und  die  Form  der  kleinsten  Teile  be- 
stimmte er  nichts.  Dagegen  bezeichnete  er  die  Art  der 
Bewegung  als  Znsammenmischung  und  Entmisdiung,  die 
Bewegung  selbst  faßte  er  aber  nicht  als  etwas  Ursprüng- 
liches, sondern  als  die  Wirkung  von  zwei  verschiedenen 
Ursachen,  die  er  Haß  und  Freundschaft  nannte.  So  war 
Empedokles  der  erste,  der  dadurch,  daß  er  den  Begriff 
der  Kraft  erzeugte,  wodurch  der  qualitativ  unveränder- 
liche und  an  sich  selbst  regungslose  Stoff  der  Elemente 


—     16     - 

in  Bewegung   gesetzt  wird,    den  Grund   zu   der   rein 
mechanischen  Natorbetrachtimg  legte. 

Im  Gegensätze  hierzu  lehrte  Anaxagoras,  der  göttliche 
Verstand  sei  die  einzige  bewegende,  ordnende,  über  den 
StoEf  erhabene  Kraft:  er  ist  somit  der  üriieber  der  teleo- 
logischen Naturansicht,    die  zur  Naturerklimng    den 
Begriff  des  Zweckes  oder  die  Intelligenz    als    Ursache 
heranzieht    Auch  ließ  Anaxagoras  die  Empedokleischen 
Elemente  nicht  als  solche  gelten,  sondern  nahm  andere 
und  zwar  unbestimmt  viele  Elemente  an,  deren  gleich- 
artige Teile  er  Homöomerien  nannte ;  diese  Homöomerien 
dachte  er  als  unendlich  klein  und  sinnlich  nicht  wahr- 
nehmbar, obwohl  von  allen  möglichen  verschiedenen  Ge- 
stalten.   Hiemach  ließ  es  sich  Empedokles  wie   Anaxa- 
goras angelegen  sein,  vor  allem  den  von  den  Eleaten 
hervorgehobenen  und  geschärften  Begriff  des   Seienden 
festzuhalten   und    außerdem    die    Qualität  desselben  za 
bestimmen.  Auch  berücksichtigten  beide  die  Ausdehnung 
des  Realen,  aber  auf  eine  eigentliche  Lösung   der  von 
Zeno  darin  gefundenen  Schwierigkeiten  ließen  sich  aus- 
drücklich erst  die  sogenannten  Atomisten  Leukipp  und 
Demokrit  ein,  von  denen   der  erstere  ein  Schüler  des 
Zeno  gewesen  sein   soll.     Sie  lehrten  wie  Anaxagoras, 
daß  unbestimmt  Vieles  sei,   die  Qualität  dieser   Wesen 
sei  aber  keine  sinnlich  bekannte,  überhaupt  keine  an- 
gebbare, doch  müsse  sie  als  eine  gleiche,  als  eine  und 
dieselbe  für  alle  gedacht  werden.    Um  aber  den  Zenoni- 
scheu    Widersprüchen    zu    entgehen,    müsse    man    an- 
nehmen, jedes  Wesen  habe  eine  bestimmte,  aber  ihrer 
Kleinheit   wegen    unangebbare,    unsichtbare  Größe;    in 
Bezug  auf  diese  sei  und  bleibe  es  aber  stets  ganz,  un- 
veränderlich,   unteilbar,    weshalb    es   mit  dem   Namen 
Atom   zu  bezeichnen  sei.    Die  Gestalt  und  Größe  der 
Atome  soll  verschieden  sein;  alle  Atome  sind  aber  gleich 
voll  und  dicht,  absolut  hart  und  undurchdringlich,  daher 
sie  verschiedene  Schwere  besitzen  sollen.    Im  Gegensatz 
gegen  sie  als  die  festen  und  vollen  Seienden  dachten 


—     17     — 

die  Atomisten  den  Baam  als  das  Leere,  daram  Niobt* 
seiende,  aber  dennoch  Vorhandene.  In  diesem  Baauie 
«ollen  dann  die  Atome  wegen  ihrer  Schwere  ursprün^^ 
lieh  sich  bewegen,  und  durch  ihr  Zusammentreffen,  ihr^ 
Yermengong  und  Trennung  die  Dinge  und  den  Schein 
ihres  Entstehens  und  Vergehens,  des  Tuns  und  des  Leideim 
hervorbringen.  Die  Unterschiede  der  Atome  rüoi^cbt* 
lieh  ihrer  Gestalt,  ihrer  Anordnung,  ihrer  Lage  und 
Stellung  im  Baume  sind  die  einzigen,  die  in  Betracht 
kommen  können,  und  es  ist  soweit  alles  auf  quantiter 
tive  Verhältnisse  und  auf  mechanische  Gründe  zurück-» 
zuführen.  Dabei  wurde  angenommen,  daS  die  zusammeiv* 
gelagerten  Atome  stets  noch  durch  leere  Zwischenräume 
voneinander  getrennt,  daß  also  alle  gegebenen  Körper 
porös  wären.  Für  das  Feuer  und  die  Seelen  nahm  man 
kugelförmige  Atome  an,  weil  diese  am  leichtesten  durch 
alles  hindurchdringen  könnten.  An  diesen  Orundlehren 
der  Atomistik  änderte  Rpikur  fast  nichts,  außer  daß  er 
die  Atome  behufs  des  Zusammentreffens  zu  unbestimroten 
Zeiten  und  an  unbestimmten  Orten  von  der  senkrechten 
Richtung  ihrer  natürlichen  Bewegung  am  ein  unendlioh 
Kleines  abweichen  ließ,  und  zu  ihnen  noch  körperliche 
Götter  hinzufügte,  die  aber  keine  Einwirkung  auf  die 
Dinge  ausüben,  also  der  Herrschaft  der  mechanischen 
Notwendigkeit  und  des  Zufalls  keinen  Abbrach  tun  sollten. 
Dieser  erste  Versuch,  die  Materie  zu  begreifen,  ging 
also  von  der  gegebenen  Ausdehnung  der  Sinnendinge 
aus,  und  faßte  die  letzten  Bestandteile  derselben,  das 
wahrhaft  Reale  durch  den  Hauptbegriff  des  Seins.  T^ 
gegen  kam  das  Philosophieren  auch  von  seinem  ersten 
Ausgangspunkte,  der  Veränderung  der  Dinge,  zu  einem 
Begriffe  der  Materie,  aber  so,  daß  dann  anch  die  Ver* 
änderung,  das  Werden  das  Hauptmerkmal  blieb.  Im 
Altertum  sind  es  Platp  and  Aristoteles,  die  im  Anacdliloß 
an  Anazimander  auf  diesem  letzteren  Wege  ilure  Ansicht 
von  der  Materie  ausbildeten.  Nichtadestoweniger.  eeb  Plat^ 
vollkommen  deutlich  eint  ^^  ^^  qoalitaUve  VaiAn^keicmig 

Pld.  Mag.  828.    Fi«fjll.n«nobli*idflrM«tari0i  :  ,2        .     :,   : 


—     18    — 

etwas  Widersprechendes  ist,  weil  man  in  ihr  Sein  and 
Nichtsein,  Entgegengesetztes  als  Eins  denken  mufi.  Eben 
deshalb  ließ  er  auch  das  sinnlich  Wahrnehmbare  nicht 
als  wahrhaft  Seiendes  gelten«  sondern  das  letztere  könne 
als  ein  unveränderliches,  Sichselbstgleichbleibendes  nur 
im  Denken  erkannt  werden.  Sieht  man  nun  von  dem 
umstände  ab,  daß  die  Beschaffenheiten  der  Dinge  sich 
in  den  vielen  einzelnen  Dingen  bald  so  bald  anders  dar- 
stellen, d.  i.  dem  Wechsel  in  näheren  Bestimmungen 
unterworfen  sind,  faßt  man  sie  dagegen  in  unveränder- 
lichen  Begriffen  auf  als  etwas  Unsinnliches  und  un- 
wandelbares, 80  sind  diese  wandellos  gedachten  über- 
sinnlichen Qualitäten  der  Dinge,  und  in  weiterer  Aus- 
dehnung auch  die  Arten  und  Gattungen  der  Dinge  das 
wahrhaft  Seiende,  welches  Plato  die  Ideen  nennt 

Dieser  Vielheit  der  Seienden  stellt  er  jedoch  zur  Er- 
klärung der  gegebenen  veränderlichen  Sinnenwelt  den 
Anaximandrischen  Stoff,  den  Aristoteles  zuerst  Hjle 
nannte,  als  Sitz  der  Veränderungen  gegenüber.  Er  ist 
gleichsam  das  unbehauene  Bauholz,  das  Rohmaterial^ 
aus  dem  Oott,  der  Oute,  die  Sinnendinge  bildet  Die 
Ideen  werden  aber  bei  der  Weltbildung  nicht  mit  dem 
Stoffe  gemischt,  nicht  in  ihn  hineingebildet,  sondern  Oott 
schaut  nur  wie  ein  Künstler  die  immer  für  sich  bleiben- 
den Ideen  mit  Oeistesaugen  an  und  bildet  nach  ihnen 
als  Musterbildern  die  unvollkommen  entsprechenden 
Sinnendinge:  die  Ideen  sind  und  bleiben  außerhalb  der 
räumlichen  Sinnenwelt  Plato  fing  daher  zuerst  an,  den 
an  sich  qualitätslosen  Urstoff  der  Sinnenweit  dem  Räume 
gleichzusetzen,  wodurch  der  Begriff  des  bloßen  Stoffes 
in  den  der  Materie,  die  durch  die  Ausdehnung  charakte- 
risiert ist,  übergeführt  wurde. 

Wie  er  sie  sich  aber  hinsichtlich  der  Realität  Tor. 
stellen  sollte,  das  brachte  ihn  in  Verlegenheit  Wäre 
sie  geradezu  und  gänzlich  als  ein  Nichtseiendes  su 
denken,  so  könnte  man  unmöglich  einen  Begriff  von  ihr 
haben,    und   keinerlei   Beitrag   zur  Erklärung  der   yer- 


—     19    — 

anderliohen  Sinnenwelt  Ton  ihr  erwarten.  Als  seiend 
konnte  er  sie  aber  aaoh  nicht  denken;  sonst  wSre  sie 
eine  Idee  und  als  solche  unveränderlich  und  für  die 
Erklärung  der  Veränderungen  abermals  unbrauchbar. 
Daher  entschloß  er  sich  zu  dem  üngedanken,  sie  als 
ein  Zwischending,  als  ein  Mittleres  zwischen  Seiendem 
und  Nichtseiendem  zu  fassen,  war  aber  ehrlich  genug,  zu 
gestehen,  daß  er  sich  dabei  eher  wie  ein  Phantasierender 
und  Träumender  vorkomme,  denn  wie  ein  wahrhaft  er- 
keDDeuder  Philosoph.  Mit  einem  Worte,  es  ist  ihm 
nicht  gelungen,  eine  widerspruchsfreie  Erklärung  der 
Veränderungen  aufzufinden. 

Aristoteles  war  in  einem  viel  ausgedehnteren  Maße 
als  Plato  ein  Mann  der  Tatsachen,  und  er  hätte  sehr 
gern  die  uns  umgebenden  materiellen  Dinge  so,  wie  sie 
uns  erscheinen,  geradezu  für  real  erklärt,  wenn  ihn  daran 
nicht  teils  die  Erbschaft  der  über  diesen  reflexionslosen 
Standpunkt  mehrfach  hinausgeschrittenen  philosophischen 
Lehren,  teils  sein  eigenes  logisches  Verfahren  gehindert 
hätte.  Wenigstens  suchte  er  den  Sinnendingen  einen 
ungleich  größeren  Anteil  an  der  Realität  zu  vindizieren, 
als  ihnen  nach  der  Platonischen  Lehre  zukommt  Die 
Platonische  Ansicht,  als  hätten  die  Ideen  oder  das  Seiende 
nur  Existenz  außer  und  über  den  Dingen,  und  als  seien 
diese  letzteren  nur  Nachahmungen  von  jenen,  verwarf 
er  gänzlich.  Dos  Ideelle  oder  Beale  in  höchster  Instanz, 
was  er  Eidos  oder  Form  nannte»  setzte  er  vielmehr  in 
die  Dinge  hinein,  und  mit  der  Materie  geeinigt,  so  daß 
die  Dinge  Produkte  oder  Ganze  sind,  zusammengesetzt 
aus  Hyle  und  Eidos  oder  Materie  und  Form. 

Dabei  nannte  Aristoteles  beide  Faktoren  seiende,  aber 
er  nahm  Sein  nicht  mehr  in  der  metaphysischen  Strenge 
der  Eleaten  und  Piatos,  sondern  in  der  schwankenderen 
unbestimmten  Bedeutung  des  gemeinen  unphilosophisoheli 
Sprachgebrauchs  der  Unselbständigkeit,  und  Veränderlich- 
keit nicht  vom  Sein  ausschließt  Die  Materie  bezeichnete 
er  nämlich  als  das  der  Möglichkeit  nach,  potentiell  Seiende, 


—    20    — 

die  Formen  als  das  der  WirkKcbkeit  fluob,  «ktoall 
Seiende.  Die  eine  wie  die  andere  warep  ihm  yraacbep 
der  sinnlichen  Dinge,  die  Formen  Ursachen  der  beBtimmtep 
Existenz  und  Individualität  der  Dinge,  die  Materie  Ui^ 
ache  ihrer  Verändserlichkeit,  vermöge  deien  die  Dingr 
entstehen  und  vergehen,  ihre  GUgenschaften,  ihre  GröSe 
und  ihren  Ort  wechseln.  Die  Materie  ist  als  daa  Prinzip, 
welches  dem  Werden  und  der  YeranderoBg  der  Dinge 
zu  Grunde  liegt  (inoiuifiiyor)^  an  sieh  unbestimmbar  and 
unerkennbar:  sie  ist  weder  ein  bestimmtes  Ding  nodi 
eine  Beschaffenheit,  noch  eine  Oröfiei  soudem  nur  das 
zu  dem  Genannten  und  seinem  Gegenteil  dem  Yermögep 
jiach  Befähigte;  sie  ist  nur  die  mögliche  Körperlichkeit 
mit  allen  möglichen  damit  zusammenhängenden  Prädi- 
katen, ein  Inbegriff  von  Vermögen,  die  erst  noch  anf 
die  Kräfte  warten,  durch  welche  sie  in  Wirklichkeitan 
übergeführt  werden.  Dieses  allem  YeränderlicheiL  au 
Grunde  liegende  reale  Mögliche,  das  nach  dem  Ab- 
geführten  nicht  etwas  sinnlich  Wahrnehmbares  ist,  nannte 
Aristoteles  die  erste  Materie  im  Unterschied  von  dem 
einem  bestimmten  Dinge  zukommenden  sinnlich  wahr- 
nehmbaren Stoffe,  der  wie  das  Metall  und  das  Holz  im 
Verhältnis  zur  Statue  und  zum  Stuhle  eine  abgeleitete, 
sekundäre  Materie  ist  Nach  dem  aufgestellten  B^;ri£fe 
liegt  es  nämlich  in  der  Natur  der  ersten  Materie,  daS 
sie  als  das  Prinzip  der  Wandelbarkeit  von  selbst  schojn, 
auch  noch  ohne  auf  sie  einwirkende  formbildende  Prin- 
zipien, in  die  Reihen  ihrer  Möglichkeit  übergeht  und  fort- 
schreitet 

Aristoteles  sah  nun  als  die  allgemeinsten  Gegensfitse 
dieser  Möglichkeiten  das  Heifie  und  das  Kalte,  das  Nasse 
und  Trockne  an»  und  indem  er  daraus  die  bei  Empedokle^ 
angeführten  Kombinationen  bildete,  sah  er  darin  di^ 
Prinzipien  und  Ursachen  der  Enpipedokleischen  Elemente, 
die  er  demnach  schon  als  Erzeugnisse  des  aUgemeiuei 
noch  formlosen  Klementarprozesses  der  ersten  Mateiis^ 
4I9  zweite  Stufe  der  Materialität  oder  Körperlichkeit  a^r 


-    21    - 

sehen  raufite.  Diesen  Elementen  schrieb  er  eigene  ifatflr- 
Kehe  Bewegangen  zn:  dasFeaer  bewegt  sich  tiach  oben, 
die  Erde  nach  unten,  die  Luft  gleichfalls  nach  oben, 
aber  weniger  als  das  Veuer,  nnd  das  Wasser  gleichfalls 
nach  unten,  aber  weniger  als  die  Erde.  Nach  Analogie 
kam  dann  Aristotef^  nodi  darauf,  auch  für  die  andere 
fianptbewegnng,  nämlich  för  die  im  Kreise,  ein  mate-» 
rielles  Substrat  zu  setzen.  Er  nannte  dasselbe  den  Äther, 
nnd  ließ  aus  diesem  fünften  Elemente  (quinta  essentia)» 
dem  jede  Veränderung  aufler  der  stetigen  Ereisbewegunj^ 
abgeht  den  Himmel  und  die  Fixsterne,  wie  sie  materiell 
sind,  bestehen. 

So  entsteht  durch  den  Elementarprozefi  alle  stoffliche 
Hasse,  die  aber  immer  noch  unbestimmt  und  ohne  geM 
schlossene  Gestaltung  ist,  niit  edtiem  Worte  alles  UiH 
organische.  Das  Belebte,  die  Pflanzen  und  Tiere  entstehen 
erst  durch  Hinzutreten  der  Formen  m  der  abgeieiteten 
nnd  vorbereiteten  Materie:  die  Forlnen  sind  die  g^ 
ätaltenden,  belebenden,  beseelenden  Kiffte  des  MaM* 
riellen.  Über  den  Raum  selbst  und  dessen  Stetigkeit 
hat  Aristoteles  zwar  ünterstrchtmgen  angestellt,  die  ale 
die  ersten  in  ihrer  Art  sehr  bea^tenswert  sind.  Allein 
er  dachte  den  Raum  nur  als  Üe  Umgrenzung,  ah»  dfe 
Hülle  des  Körpers,  ron  dem  man  sftgt,  er  sei  im  Raomei 
nicht  als  den  Zwischenraum  zwischen  seinen  OrenzecL 
tndem  daher  nach  seiner  Ansicht  imnier  nur  das  Ufl4-» 
grenzende  die  Räumlichkeit  des  Umgrenzten  beetittitol^ 
gewann  auch  bei  Aristoteles  der  Begriff  der  Haieri^ 
noch  nicht  die  charakteristische  Ausbildung,  wonach  sie 
als  etwas  durch  den  Raum  sich  Erstreckendes,  als  solide, 
den  Raum  ausftUlende  Hasse  gedacht  wird.  Die  ttft»-> 
üche  Bestimmung  ersdieint  auch  bei  Aristotek»  iioeft 
als  etwas  Nebensädblicbes.  Er  liefi  sidi  nicht  blefl  tM 
der  Tatsache  der  Veränderung  treiben,  sondern  er  rer-^ 
wendet  atfch  ihren  Begriff  imr  Arter  euier  leicbleik 
Terhollung  zur  Bestimmaiig  dee  Kettlai,  wom  er  dMi 
Hyle  unbedenklich  mit  rechnet,  d*  er  «ü  diteeH  BegM^ 


—    22    — 

von  Plato  her  gewöhnt  war.  Allerdings  nennt  er,  wie 
schon  bemerkt,  die   Materie  und  die  Formen  Seiende. 

Ist  aber  die  Materie  nur  das  der  Möglichkeit  nach 
Seiende,  so  ist  sie,  genau  gedacht,  insoweit  eben  kein 
Seiendes,  als  sie  noch  ein  Unfertiges  ist  Sie  ist  aber 
durch  und  durch  ein  Unfertiges,  ein  blofi  Mögliches;  ihr 
ganzes  Wesen  besteht  in  Werden  und  Umwandlang:  und 
das  ist  der  Begriff,  der  sie  charakterisiert  Die  Formen, 
die  Aristoteles  als  die  höchste  Stufe  des  Realen  ansieht, 
bezeichnet  er  selbst  schon  offener  als  das  der  Wirklich- 
keit, (fer  Energie  nach  Seiende,  d.  i  als  Wirkendes, 
Tätiges,  Veränderndes. 

So  hat  Aristoteles  durch  Verbindung  des  Begrifb- 
paares  Möglichkeit  und  Wirklichkeit  mit  dem  Sein,  diesen 
letzteren  Begriff  soweit  abgestumpft  und  umgeändert, 
daß  er  für  ein  schärferes  Denken  fast  ganz  im  Werden 
aufgeht  Oleichwohl  ist  seine  Fassung  der  angegebenen 
Begriffe  für  lange  Zeit  die  maßgebende,  und  teilweise  bis 
auf  den  heutigen  Tag  die  Grundlage  weiterer  Um- 
bildungen geblieben.  Namentlich  beherrschte  seine  Vor- 
stell  ungs weise  das  Mittelalter,  und  gab  der  Scholastik 
Veranlassung  zu  den  Streitigkeiten,  ob  die  Entstehung 
der  Dinge  als  eine  Bestimmung  der  Materie  durch  die 
Form  (contractio  materiae  per  formam)  oder  als  eine  Ehit- 
Wicklung  der  Form  aus  der  Materie,  in  welcher  sie  der 
Möglichkeit  nach  schon  liege  (eductio  formae  ex  materia) 
anzusehen  sei,  und  überhaupt  zu  den  Fragen  und  Mei- 
nungen über  das  sogenannte  Prinzip  der  Indiyiduation. 
Die  Lehre  von  den  vier  Elementen  erhielt  sich  bis  ins 
16.  Jahrhundert  nach  Chr.,  wo  die  ersten  Versuche  auf- 
tauchen, die  chemischen  Elemente  im  Sinne  der  Neueren 
zu  bestimmen.  Auf  den  Aristotelischen  Begriff  der  Materie 
und  die  Empedokleisch  -  Aristotelische  Lehre,  daß  jedes 
Element  zwei  Gegensätze  in  sich  vereinige,  konnte  sich 
sehr  wohl  die  Meinung  stützen,  als  könne  ein  Element 
in  das  andere  übergehen,  und  die  Hoffnung,  die  Metalle 
ineinander  verwandeln  zu  können. 


—     23     — 

Als  mit  dem  Verfall  der  Scholastik  aach  die  Philosophie 
restauriert  wurde,  wurde  die  Atomistik  in  England  durch 
Hobbes,  in  Frankreich  durch  Oassendi  wieder  reprodu- 
ziert, von  letzterem  aber  vielfach  vermischt  mit  Aristote- 
lischen Begriffen  über  die  verschiedenen  Arten  der  Ur- 
sachen und  spiritualistisch- christlichen  Lehren  über  Gott 
als  Geist  und  Weltschöpfer  und  über  immaterielle  ver- 
nünftige Seelen.  Wohl  mehr  als  durch  diese  Denker 
wurde  das  neue  Emporkommen  der  Atomistik  gefördert 
^urch  die  Lehre  des  Cartesius,  obschon  er  sich  prinzipiell 
gegen  die  Existenz  von  Atomen  erklärte.  Außer  Gott 
dem  ungewordenen  Wesen  nahm  er  zwei  entgegen- 
gesetzte Klassen  von  erschaffenen  Wesen  an,  die  aus- 
gedehnte Substanz  oder  die  Materie  und  die  unausgedehnte 
Substanz  oder  die  Seelen,  die  Geister.  Die  Natur  des 
Materiellen  besteht  nach  ihm  nicht  in  der  Härte,  in  der 
Schwere,  in  der  Farbe  oder  sonst  in  einer  sinnlichen 
Eigenschaft,  sondern  lediglich  in  der  Ausdehnung  nach 
Länge,  Breite  und  Tiefe,  so  daß  der  Baum  von  der 
Materie  nicht  in  der  Tat,  sondern  nur  für  unsere  Auf- 
fassung verschieden  sein  soll.  Daraus  zog  er  dann  die 
Folgerung,  daß  es  keinen  leeren  Baum  gibt,  sondern 
daß  die  eine  unendlich  ausgedehnte  Materie  überall  im 
Universum  eine  und  dieselbe  gleichartige  ist,  daß  es 
aber  auch  keine  Atome  gibt,  sondern  jedes  Ausgedehnte 
immer  noch  weiter  teilbar  ist  So  behauptet  er  zwar 
die  unendliche  Teilbarkeit  der  Materie,  sagt  aber,  sie 
sei  für  den  endlichen  menschlichen  Verstand  unbegreif- 
lich, und  spricht  in  seiner  Kosmologie  und  Physik  immer 
nur  von  größeren  oder  kleineren  Massenteilchen. 

Außer  der  Teilbarbeit  kommt  der  Materie  noch  Be- 
weglichkeit in  ihren  Teilen  zu.  Aber  die  Bewegung 
selbst  ist  keine  Tätigkeit  der  Materie,  sondern  ein  Modus, 
der  ebenso  wie  die  Buhe  der  Materie  von  Gott  an- 
erschaffen ist  und  erhalten  wird.  Verschiedene  Körper 
können  sich  nicht  einmal  Bewegung  mitteilen,  d.  h.  es 
bewegt  kein  Körper  den  anderen,  und  wirkt  überhaupt 


-    84    — 

kein  Körper  auf  den  ftnderen,  aondem  aOe*  bew4|S[Mde 
Kraft  ist  Gottes,  der  bald  hier,  bald  dort  wirkt  &k 
dem  nan  Descartes  ans  teilbarer  Materie,  Bewegung  imd 
Knhe  die  Eörperwelt  im  Orofien  und  Kleinen  xa  er* 
klären  sachte,  verwarf  er  die  Elrklilnng  ans  Zweck- 
nraachen  gänzlich  und  hnldigte  yoUsündig  dem  Meeiuu 
nismus,  der  allein  eine  von  Bewegmigsarsacben  aUiingige 
Zusammensetzung  nnd  Lage  von  mehr  oder  minder  £0* 
sammengesetzten  Körperohen  kennt 

Leibniz  wollte  nun  zwar  in  der  Erforsobimg  der 
Körperwelt  den  Mechanismus  nicht  an^gebeii  wissen, 
aber  einerseits  konnte  er  der  Gleichstelhmg  von  Materie 
nnd  bloßer  Ausdehnung  nicht  zustimnlen,  andrerseits 
snchte  er  tiefere  Gründe  für  den  Mechanismiis  imd  die 
Gesetze  der  Bewegung.  Ausdehnung  sei  nar  Wieder* 
belang  oder  kontinuierliche  YervielRItigmig  and  Ko* 
existenz  von  Teilen.  Sie  setzt  dm  Begüff  eines  Etwas, 
welches  wiederholt  oder  ausgedehnt  ist,  voraus,  also  eine 
Substanz  oder  vielmehr  eine  Vielheit  von  Sabstansen» 
Denn  jedes  ausgedehnte  Ding  kann  als  ein  zosamroen- 
gesetztes  nur  gedacht  werden,  wenn  man  den  OedankM' 
des  Einfachen  voraussetzt.  Auch  besitzt  jeder  inirteriell^ 
Körper  außer  der  Ausdehnung  noch  Widerstand,  Ub- 
durchdringlichkeit,  d.  h.  er  zeigt  Tätigkeit  nnd  Leideov 
Es  müssen  also  Prinzipe  der  Tätigkeit  angenommen  werden^ 
wirkende  Substanzen  im  Ausgedehnten.  So  kam  Leibnis 
auf  seine  Monaden,  worunter  absolut  eis&ohe,  nnaos* 
gedehnte  Wesen,  reale  Einheiten  verstanden  werden«  die 
einerseits  Bedingungen  des  Zusammengesetzten  oder 
Materiellen  sind,  andrerseits  Quellpunkte  oder  Träger 
der  mechanischen  und  physischen  Tätigkeiten.  Dabei 
nahm  er  an,  daß  Sein  und  Wirken  oder  wenigstens  das 
Streben  danach  identisch  sind;  was  nicht  tätig,  das  ist 
auch  nicht  Jede  Monade  ist  der  Herd  nachhaltiger  !nfig- 
leiten. 

Obgleich  hiemach  die  Monaden  keine  matbematisdieil 
Mer  bloß  formalen  Punkte  sind,  sondern  reale,  so  dsoiili^ 


—     25     — 

Leibniz  die  materiellen  Körper  doob  niobt  als  Eoni- 
plexioDen,  als  ZuBammensetztingeii  ans  Monaden.  Die 
Körper  bestehen  nacb  ibm  nicbt  aas  Monaden  als  ibrmi 
einfecben  Elementen:  sie  flehen  bloS  in  das  Zusammen-* 
gesetste  ein,  das  Materielle  ist  in  anmidlich  viele  Teile 
^cht  bloß  teilbar,  sondern  wiri^liob  geteilt.  Auch  setaett 
4ie  Monaden  als  tätige  Kräfte  ein  leidendes  Sabstrat 
ihrer  Tätigkeit  voraas.  Wie  nun  Leibniz  seine  Monaden- 
lehre  nur  für  eine  Verbesserung  nnd  Emeuerung  der 
aristotelisch  scholastisohen  Lehre  von  der  substantiellen 
Form  ausgab,  so  verband  er  damit  noch  die  aristotelische 
Lehre  von  der  ersten  Materie,  als  dem  an  sich  untätigen 
leidenden  Substrat  der  monadischen  Tätigkeit,  die  durob 
die  Materie  beschränkt  wird.  So  ist,  abgesehen  von 
Gott,  der  duroh  keine  Materie  beschränkte  reine  Tätig- 
keit (actus  purus)  ist,  keine  Monade  ohne  Materie,  und 
die  materiellen  Dinge  sind  Resultate  aus  vielen  Monaden 
mit  erster  Materie,  also  zwar  an  sich  nicht  das  wahrhafb 
Reale,  jedenfalls  aber  wofalb^Qndete  nnd  geordnete 
Phänomene.  Daß  dies  die  wahre  Lehre  Leibiuaens  ist^ 
dafür  spricht  auch  noch  dies,  daß  er  ganz  aristoteliseh 
nur. dem  Belebten  nnd  Beseelten  eine  herrschende  und 
einigende  Zoütralmonade  zuschreibt,  alles  Unbelebte  ohne 
eine  solche  nur  als  Aggregat  denkt  Die  durch  eine  be- 
herrschende Monade  beeeelten  Pflanzen  und  Tierleibw 
sind  Organismen,  die  ins  uttendKohe  wieder  aus  kleineres 
Organismen  bestehen;  den  Organismns  als  Ausgedehntee 
aber  stellte  ich  Leibniz  immer  wieder  als  einen  feineren 
und  feineren  Mechanismus  vor. 

Schließlich  muß  jedoch  bemerkt  werden,  daß  man 
bis  auf  die  neneete  Zeit  allgemein  angenommen  hat, 
Leibniz  kenne  nur  Monaden.^)  Darum  sachte  man  dens 
bei  Leibniz  vergebens  nach  einer  beetimmtm  Antwort  anf 
die  Frage,  wie  er  aoe  seinen  ranmlosen  Monaden  dae 


^)  Vergl.  dazä  fmü),  Über  den  Begritf  der  Mateirie  bei  LeilmÜ. 
in  Utactt.  f.  exakte  Phfl.  XTH.  34. 


—     26     — 

Täumlich  Ausgedehnte  konstruiert  habe.  Allerdings  finden 
sich  darüber  bei  ihm  manche  yerschiedene  Angaben,  die 
nur  noch  fragmentarischer  und  unTereinbarer  ersebemeD, 
wenn  man  die  aristotelische  Lehre  Ton  der  Materie  nidil 
als  im  wesentlichen  von  Leibnis  acoeptiert  ToraneBetit 
Indessen  darf  man  auch  so  vermuten,  daS  Leibniz  mit 
seinem  Nachdenken  über  die  Materie  nicht  za  einem  ihm 
selbst,  geschweige  denn  anderen  genügenden  Absobluflsa 
gekommen  ist 

Um  so  leichter  mußte  es  Kant  werden,  von  s^em 
kritischen,  halb  idealistischen  Standpunkte  aus  die  Materie 
nur  als  Erscheinung  zu  betrachten  und  lediglich  die 
Kräfte  in  Untersuchung  zu  ziehen,  die  als  Bedingungen 
dieser  Erscheinung  anzunehmen  seien.  Die  Materie, 
lehrt  er,  erfüllt  den  Raum  nicht  durch  ihre  bloSe 
Existenz,  sondern  durch  repulsive  Krfifte  aller  ihrer  Teile; 
sie  ist  ins  Unendliche  teilbar,  und  zwar  in  Teile,  deren 
jeder  wiederum  Materie  ist  Aber  die  Materie  würde 
durch  ihre  repulsive  Kraft,  welche  den  Orund  der  Uii- 
durchdringlichkeit  enthält,  allein,  und  wenn  ihr  nicht 
eine  andere  bewegende  Kraft  entgegen  wirkte,  sich  ins 
Unendliche  zerstreuen.  Es  erfordert  daher  alle  Materie  wa 
ihrer  Existenz,  zweitens  eine  zusammendrückende  Kraft, 
Attraktionskraft,  die  ebenso  ursprünglich  und  eine  n 
ihrem  Wesen  gehörige  Grundkraft  ist,  wie  die  repulsiva 
Auch  die  anziehende  Kraft,  allein  vorausgesetzt,  würde 
alle  Teile  der  Materie  in  einen  mathematischen  Punkt 
zusammenziehen,  der  Baum  würde  leer,  mithin  ohne  alle 
Materie  sein. 

So  zeigte  Kant,  daß  nur  die  zwei  ursprünglicdien 
bewegenden  Kräfte  der  Abstofiung  und  Anziehang  im 
Konflikt  miteinander  einen  bestimmten  Grad  der  Er- 
füllung des  Baumes,  mithin  Materie  möglich  macheiL 
Die  aller  Materie  wesentliche  Anziehung  ist  eine  un- 
mittelbare Wirkung  derselben  auf  andere  durch  den 
leeren  Baum,  und  erstreckt  sich  von  jedem  Teile  der- 
selben auf  jeden  anderen   unmittelbar  ins  Unendliche. 


—     27     — 

Die  Wirkung  von  der  allgemeinen  Anziehung,  die  alle 
Materie  auf  alle  in  allen  Entfernungen  unmittelbar  aua- 
übt,  heißt  die  Gravitation;  die  Bestrebung  in  der  Rioh- 
tung  der  größeren  Gravitation  sich  zu  bewegen,  ist  die 
Schwere.  Die  Wirkung  von  der  durchgängigen  repnl- 
siven  Kraft  der  Teile  jeder  gegebenen  Materie  heiAt 
ihre  ursprüngliche  Elastizität  Diese  also  und  die 
Schwere  machen  die  einzigen  a  priori  einzusehenden 
allgemeinen  Charaktere  der  Materie,  jene  innerlich,  dieee 
in  äußeren  Verhältnissen,  aus;  denn  auf  den  Gründen 
beider  beruht  die  Möglichkeit  der  Materie  an  sich.  Zu* 
sammenhang,  wenn  er  als  die  wechselseitige  Anziehung 
der  Materie,  die  lediglich  auf  die  Bedingung  der  Be- 
rührung eingeschränkt  ist,  erklärt  wird,  gehört  nicht  zur 
Möglichkeit  der  Materie  überhaupt,  und  kann  daher  a  priori 
als  damit  verbunden  nicht  erklärt  werden.  Diese  Eigen- 
schaft würde  also  nicht  metaphysisch,  sondern  physisch  sein. 
Diese  Lehre,  daß  alles  Reale  der  Gegenstände  äußerer 
Sinne  als  bewegende  Kraft  angesehen  werden  müssei 
bezeichnet  Kant  als  Dynamik,  dynamische  Natur- 
philosophie, ohne  jedoch  unter  diesen  ursprünglichen 
Kräften  der  Attraktion  und  Repulsion  das  Reale  oder 
Seiende  im  strengen  Sinne  verstehen  zu  wollen.  Viel- 
mehr ließ  er  dies,  wie  in  seiner  ganzen  Lehre,  so  auch 
in  der  von  der  Materie  ganz  im  Dunkel  liegen,  weil 
nach  seiner  philosophischen  Ansicht  überhaupt  überall 
nur  Erscheinungen  von  uns  zu  erkennen  sind,  gemäß 
und  vermittelst  der  Begriffe,  die  unser  Verstand  ur- 
sprünglich besitzt  Nach  den  Verstandesbegriffen  der 
Kausalität  und  Wechselwirkung  reduziert  er  nun  die  Er> 
scheinungen  des  Materiellen  zunächst  auf  die  beiden 
Kräfte  der  Attraktion  und  Repulsion  als  ihre  nächsten 
Ursachen,  aber  als  etwas  selbständig  Bestehendes  dürfen 
diese  Kräfte  in  Kants  Sinne  doch  nicht  angesehen 
werden.  Kant  hat  nur  die  wirklichen  Träger  der  Kräfte, 
die  Leibnizschen  Monaden,  als  etwas  seiner  Meinung 
nach  Unerklärbares  beiseite  gelaasen. 


—    28    — 

Der  bedächtige  Kant  und  sein  halber  IdeaHsniiiir 
worden  sehr  rasoh  überboten  dnrcb  den  stGTinischeii 
Eichte  and  den  phantasiereiohen  Scfadling.  Fichte  er- 
klärte  das  Ich  für  das  einzige  Reale,  weil  er  die  not- 
wendigen Hand  längs  weisen  glaubte  nachweisen  zn  könneiL 
dnrch  welche  das  Ich  daen  komme,  sich  selbst  den 
Sehein  einer  objektiven,  materiellen  Welt  einzubilden. 
Er  faßte  nämlich  das  Ich  als  unbeschränkte  Tätigkeit, 
als  absolutes  Tun  auf,  das  eben  darum  sich  selber  setze^ 
aber  um  zum  Bewußtsein  seiner  selbst  zu  kommen,  sich 
zugleich  als  Anstoß  und  als  Schranke  seiner  T&tigkdt 
das  Nichtich,  d.  h.  die  Welt  der  Objekte,  die  Natur 
gegenüberstellen  müsse.  Eine  derartige  idealistische  An* 
sieht,  die,  um  auch  nicht  die  geringste  Erinnerung  aa 
das  Seiende  und  Beharrende  übrig  zu  lassen,  das  Idi 
nicht  als  Träger  der  Tätigkeit,  nicht  als  Tätiges,  sondern 
nur  als  abstraktes  Tan  zu  denken  erlaubt  ut>d  damit 
den  Begriff  des  absoluten  Werdens  obenan  stellt,  konnte 
tffn  so  weniger  der  Naturforschung  eine  theoretiseiie 
Unterlage  bieten,  als  Fichte  sich  vorzugsweise  im  geistige 
Gebiete  bewegte,  und  über  jenen  abstraktesten  Begriff 
der  Natnr  und  des  Materiellen  kaum  hinauskanm. 

Darum  machte  auch  Schelling  die  Naturphilosophie 
eine  Zeit  lang  zu  seiner  Spezialität,  ohne  jedoch  den 
Idealismus  aufzugeben.  Er  stellte  nur  allgemeiner  eine 
Identität  des  Subjektiven  und  Objektiven,  des  Idealen 
«md  Realen,  des  Denkens  und  Seins,  des  Geeistes  und 
der  Natur  an  die  Spitze  der  Philosophie,  und  setzte  der 
Ich-  oder  Oeistesphilosophie  die  Naturphilosophie  ale  die 
andere  notwendig  gleichberechtigte  Seite  der  ganzen  Pbiio^ 
Sophie  entgegen.  Die  materielle  Natur  wird  nnr  als 
relative  Identität  des  Realen  ui^d  Idealen  angesehen,  so, 
daß  das  reale  Prinzip  darin  vorherrscht,  und  die  Natur« 
Philosophie  hat  die  Aufgabe,  das  ideale  Prinzip  in  dem 
realen  überall  aufzuzeigen  und  aus  dem  realen  allmäh*» 
Geh  zu  entwickeln,  da  jenem  im  Grunde  doch  eifie 
höhere  Dignität  beigelegt  wird. 


—    29    - 

Unter  Anlebnong  an  Kant  gab  Stehelling  aine  Koi^ 
struktion  der  Materie^  die  von  der  Einaioht  ip  Eaolp 
Irrtum  ausging.  I^t  man  nftmlioh  wie  aufgegeben  wini^ 
Attraktiv-  und  Repulsivkraft  als  konträr  entgegengesetzt^ 
iiufeinander  wirken,  so  sind  sie  der  Quantität  jiaoh 
entweder  gleich  oder  ungleich.  Im  erstrai  Falle  wini 
das  ganze  Quantum  der  Bepulsivkraft  durch  die  gleiaii 
starke  Attraktionskraft  vollständig  gehemmt,  und  es-cep 
schiebt  nichts.  Im  zweiten  Falle,  wenn  die  Bqpulsivknyit 
die  stärkere  ist,  wird  das  der  Attraktivkraft  entsprechende 
Quantum  derselben  gehemmt,  und  der  ÜbersoboB  vßp- 
liert  sich  im  Ui^endlicben ;  ist  dagegen  die  Attraktivknifft 
überwiegend,  so  ereignet  sich  das  Umgekehrte;  beideoMi) 
geschieht  wieder  nichts.  Das  erkannte  Sobelling;  darum 
nahm  er  die  Schwerkraft  als  dritte  synthetische  JSxaft 
hinzu,  welche  die  unverträglichen  zusammenhalten,  un4 
in  der  sich  die  beiden  entgegengesetzten  so  durchdringt! 
sollen,  daß  das  ganze  Produkt  in  jedem  Punkte  Attiaktii^ 
und  Bepulsivkraft  zugleich  ist  Dadurch  soll  die  K(mr 
struktion  der  Materie  erst  vollendet  werden.  In  der  Tut 
aber  wird  nur  noch  mehr  Widersprechendes  hinsii- 
gebraoht,  das  durch  die  weiteren  Spezialisierangen  und 
die  Analogien  mit  dem  Kagnetismus,  der  Elektrizität  ooi} 
dem  Chemismus  nicht  gelöst,  sondern  mit  Pbantaaiep 
überwuchert  wird. 

Hegel  wollte  nur  methodisch  den  absolnlen  IdeaUsmiü 
durchführen:  das  Denken,  der  Begriff,  die  Idee  oder  vieir 
mehr  der  Prozeß,  das  immanmte  Werden  des  Begriffe 
ist  das  allein  Wirkliche  und  Wahre,  das  im  ewigen  Laofe 
seiner  Entwicklung  sich  aus  sich  entläßt  als  das  andeii^ 
.seiner  selbst,  d.  h.  als  Natur  oder  Materie,  nur  um  sioli 
aus  diesem  Anderssein  wieder  in  sich  selbst  zurückWr 
nehmen  zum  Geiste.  Diese  dialektische  Denkbewegmig 
ist  keine  andere  als  die  des  Fiehtesoben  loh,  welcbsp 
sich,  das  Nichtich  und  die  Identität  ron  Subjekt  und 
Objekt  setzt  Durch  keines  dieser  idealistischen  Sjsteme 
ist  das  Problem  der  materiellen  Existenz  seiner  IjSsuiii; 


—     30     — 

näher  gebracht  Da  sie  Einheit  des  Realen  lehren,  and 
dieses  als  absolutes  Werden  oder  Tan  faasen,  und  in 
keiner  Weise  durch  den  B^riff  des  Seins  denken,  sind 
sie  es  auch  nicht  im  stände. 

Im  Kampfe  wider  die  idealistischen  Systeme  seiner 
Zeit  hat  Herbart  eine  realistische  Lehre  anfgestellt,  die 
eine  unbestimmte  Vielheit  des  Realen  behauptet,  und 
dieses  durch  den  strengen  Begriff  des  Seienden  gedacht 
wissen  will.  Jedes  wahrhaft  Seiende  ist  ein  unanfhebliches^ 
unabänderliches,  unausgedehntes,  einfaches  Wesen.  Es 
ist  erlaubt,  die  Qualitäten  der  einfachen  Wesen  (Elemente) 
als  gleich,  als  rein  yerschieden,  als  konträr  entgegengesetzt 
anzunehmen,  wie  es  zur  Erklärung  der  g^ebenen  Er- 
scheinungen, die  aus  ihnen  resultieren,  nötig  ist  Im 
übrigen  sind  die  einfachen  Wesen  ihrer  Qualität  nach 
unerkennbar.  Sind  Wesen  von  teilweise  entgegengesetzter 
Qualität  zusammen,  so  kann  dieser  wechselseitige  Gegen- 
satz nicht  ohne  Folgen  sein,  sondern  jedes  Wesen  erhält 
sich  selbst  in  seiner  eigentümlichen  Qualität,  d.  h.  es 
wird  in  einen  inneren  Zustand  des  Widerstandes,  der 
Tätigkeit  gesetzt,  welche  unter  gewissen  umständen  ein 
unvollkommenes  Zusammen  oder  eine  partiale  Durch- 
dringung der  Elemente  zur  Folge  hat  Diesen  Begriff 
des  unvollkommenen  Zusammen  benutzt  Herbart,  um  von 
da  aus  zur  Bildung  eines  Moleküls  fortzuschreiten  und 
überhaupt  alle  die  Bedingungen  zu  entwickeln,  aus 
denen  sich  die  Erscheinung  des  Materiellen  fQr  ein 
wahrnehmendes  und  vorstellendes  Subjekt  als  Folge  ergibt 
Tätigkeiten  und  Kräfte  sind  nach  dieser  Lehre  das 
Sekundäre,  welches  sich  erst  unter  umständen  in  den 
Wesen  (durch  das  Zusammen  derselben)  erzeugt,  sie 
selbst  aber  in  ihrer  Qualität  nicht  verändert.  Irren 
wir  nicht,  so  sind  hier  zur  Anknüpfung  für  die  Natur- 
forschung brauchbare  und  haltbare  Gedanken  geboten. 

In  neuerer  Zeit  hat  Fischner  ^),   der  gleichfalls   ein- 

*)  Über  physikalische  und  philosophische  Atomenlehre.    Leipzig 
1865.  Yei^.  W.  Dbobxbgh  in  Zeitschrift  für  Phüosophie  und  phüos. 


—     31     — 

fache  Wesen  als  Orundelemente  der  Materie  anerkennt, 
gegen  die  Lehre  Herbarts  verschiedene  Einwendungen 
erhoben,  die  jedoch  teils  auf  MißTcrständnissen  beruhen, 
teils  darin  ihren  Grund  haben,  daß  Fbchneb  seinen 
eigentlichen  atomisdschen  Prinzipien  nicht  immer  in 
konsequenter  Weise  Rechnung  trägt.  Manche  seiner  Ein- 
wendungen gelten  sogar  Ansichten,  die  der  Lehre 
Herbarts  geradezu  widersprechen  oder  doch  zu  ihr  in 
keiner  notwendigen  Beziehung  stehen.  Die  einfachen 
Wesen  sind  bei  Herbart  nicht,  wie  Fechnsr  fälschlich 
berichtet,  etwas  (sogenannte  Schemens)  hinter  dem  (be- 
gebenen, sondern  die  letzten  Elemente  desselben,  durch 
deren  Tätigkeiten  alle  Erscheinungen  der  Sinnenwelt  be- 
dingt sind,  so  dafi  diese  aufier  den  Elementen,  abgetrennt 
Ton  denselben,  nicht  gedacht  werden  können. 

IL  Das  Wesen  der  Materie  von  Standpunkte  der  Physik 

Von  C.  8.  Cornelins. 

Es  ist  Tatsache,  daß  wir  die  Eörperwelt  zunächst  auf 
dem  Wege  sinnlicher  Wahrnehmung  kennen  lernen. 
Jeder  Körper  erscheint  uns  als  eine  Eomplexion  sinn- 
licher Merkmale,  die  aus  gewissen  Wirkungen  desselben 
auf  unsere  Sinnesorgane  resultieren.  Die  Kenntnis  dieser 
Merkmale,  welche  mancherlei  qualitative  und  quantitative 
unterschiede  verraten,  erweitert  sich  durch  vergleichende 
Beobachtungen  und  Versuche,  und  in  demselben  Mafie 
erweitert  und  verfeinert  sich  auch  unsere  Kenntnis  der 
verschiedenen  Körper,  von  denen  jeder  durch  eine  be- 
stimmte Gruppe  von  Merkmalen  charakterisiert  ist,  die 
ihn  leicht  von  anderen  unterscheiden  läßt 

Wenn  aus  einer  solchen  Gruppe  einzelne  Merkmale 
verschwunden  und  statt  deren  andere  in  derselben  auf- 


Kritik von  Fichte  osw.  Nene  Folge  Bd.  XXYIU.  Heft  1  (Halle 
1856)  S.  52  ff.  Über  die  FaamnESohe  Atomenlehre  findet  sich 
eine  aosführiiohe  Bearteihuig  von  C.  8.  Oobniuds  in  Ztschr.  1 
exakte  Pb.  Y.  398. 


-     32     — 

getreten  sind,  so  hat  der  betreffende  Körper  eiae  Ter» 
Änderung  erfahren.  Diese  Yerindemng  ist  aan  meist, 
wie  Beobachtungen  and  Y^rsucbe  mit  Bestimmtbait 
lehren,  eine  Folge  davon,  dafi  der  Feräaderte  Körper  mit 
einem  oder  mit  mehreren  anderen  Körpern  auf  ^wisae 
Weise  zusammengetroffen  ist  Die  Chemie  beseagt  duroh 
unzählige  Tatsachen,  daü,  wenn  ein  Körper  oder  Stoff 
eines  seiner  Merkmale  mit  einem  neuen  ▼ertausc^t,  diai 
die  Folge  seines  Zusammentreffens  mit  einem  änderet 
Stoffe  ist,  oder  die  Folge  davon^  daß  der  Körper  av 
seiner  bisherigen  Qemeinschaft  mit  gewissen  Btoffea 
heraus-  und  in  eine  neue  Gemeinschaft  mit  anderes 
Stoffen  eintritt  So  können  zwei  (oder  auch  mehren^ 
Stoffe,  die  entgegengesetzte  Eigensdiaften  zeigen,  wis 
z.  6.  Sauer-  und  Wasserstoff,  wenn  sie  anter  gehöriges 
Umständen  zusammentreffen,  einen  neuen  Körper  bilden, 
dessen  Eigenschaften  sehr  merklich  yerschieden  Toa 
denen  der  Bestandteile  sind.  Dies  zeigt  mit  ETideni 
jede  chemische  Verbindung,  die  überhaupt  eine  Ver- 
einigung ungleichartiger  Stoffe  zu  einem  ^eichartigen 
Ganzen  ist 

Die  Veränderung,  welche  hier  der  eine  Stoff  eiflttirt, 
hat  ihre  Ursache  in  dem  Zusammensein  mit  dem  anderen, 
und  so  umgekehrt.  In  dem  Augenblicke,  wo  diese  Ver- 
änderung stattfindet,  oder  eine  bestimmte  Gemeinschaft 
der  verschiedenartigen  Stoffe  sich  herstellt,  geht  zwischen 
den  letzteren  etwas  vor,  das  sich  durch  gewisse,  meist 
vorübergehende  Erscheinungen,  wie  Wärme  and  wohl 
auch  Licht,  bemerkiich  macht  Es  kann  aber  keinem 
Zweifel  unterliegen,  daß  zwischen  den  Bestandteilen 
dieser  Stoffe  auch  dann  noch  etwas  vorgeht,  nachdem 
die  Verbindung  derselben  zu  einem  neuen  Ganzen  bereits 
geschehen  ist  Und  dieser  Vorgang,  welcher  dasselbe 
sein  wird  mit  dem,  was  man  durch  das  Wort  »Wechsel- 
wirkung« bezeichnet,  ist  es,  wodurch  die  Gemeinschaft 
der  Stoffe  untereinander  und  die  Existenz  des  ans  ihnen 
bestehenden  Körpers  so  lange  erhalten  wird,   bis   mA 


—     33     — 

neue  chemische  Einwirkungen  von  außen  in  über- 
wiegender Stärke  geltend  machen.  Die  Erfahrung  lehrt 
aber,  daß  die  ungleichartigen  Stoffe  während  ihrer  Ge- 
meinschaft miteinander  ihre  eigentümliche  Qualität  keines- 
wegs einbüßen,  sondern  daß  sie  vielmehr  mit  allen  ihren 
früheren  Eigenschaften  wieder  unversehrt  daraus  hervor- 
gehen. Doch  ist  es  allerdings  möglich,  daß  ein  Stoff 
durch  seine  Verbindung  mit  anderen  in  gewisse  innere 
Zustände  gerät  und  dadurch,  ohne  wesentliche  Ver- 
änderung seiner  ursprünglichen  Qualität,  Eigenschaften 
gewinnt,  die  ihm  vorher  nicht  zukamen.  Es  gehören 
hierher  diejenigen  Modifikationen  der  chemischen  Grund- 
stoffe, welche  man  unter  dem  Ausdrucke  Allotropie 
(von  uXkog^  anders,  und  tqojii^^  Wendung)  zusammenfaßt 
Die  chemischen  Vorgänge  oder  Prozesse  sind  also, 
wenn  man  sie  lediglich  von  ihrer  empirischen  Seite 
auffaßt,  dadurch  ausgezeichnet,  daß  die  Gruppen  sinn- 
licher Merkmale,  welche  bestimmte  Körper  oder  Stoffe 
charakterisieren,  einen  Wechsel  darbieten,  der  seine 
Ursache  in  der  Verbindung  und  Trennung  dieser  Stoffe 
hat.  Von  denselben  zu  unterscheiden  sind  die  mechani- 
schen und  zum  großen  Teil  auch  die  physikalischen 
Vorgänge,  bei  denen  außer  der  Veränderung  der  Form, 
die  häufig  eine  nur  vorübergehende  ist,  keine  andere, 
namentlich  keine  sogenannte  qualitative  Veränderung 
vorkommt.  Keines  der  sinnlichen  Merkmale,  durch  welche 
zusammengenommen  wir  den  Körper  erkennen,  geht  hier 
verloren.  Die  Erscheinung,  welche  wir  wahrnehmen, 
resultiert  aus  gewissen  Bewegungszuständen,  in  welche 
entweder  der  ganze  Körper  oder  auch  nur  die  einzelnen 
Teilchen  desselben  geraten,  so  daß  in  diesem  letzteren 
Ealle  der  Körper  selbst  keine  merkliche  Ortsveränderung 
erfährt.  So  werden  die  Erscheinungen  des  Schalles  durch 
eine  schwingende  Bewegung  bewirkt,  welche  die  materiellen 
Teilchen  um  ihre  Gleichgewichtslage  vollführen.  Solche 
Erscheinungen  dauern  so  lange  als  die  sie  bedingendo 

päd.  Mag.  828.    Flügel,  Das  Problem  der  Materie.  3 


—     84     ~ 

Bewegung  der  Teilchen;  sie  beginnen  und  verscbwinden 
mit  derselben. 

Von  welcher  Art  aber  auch  die  Yerändening  sein 
mag,  welche  ein  Körper  erfährt,  immer  erscheint  er  uns 
als  ein  Ding,  welches  den  Raum  erfüllt  and  in  ihm  aus- 
gedehnt ist.  Das  den  Raum  Füllende  und  insofern  in 
ihm  Ausgedehnte  nennt  man  überhaupt  Materie;  die 
letztere  aber  als  bloße  träge  Masse  gedacht,  die  nur  durch 
etwas  anderes,  außer  ihr  Befindliche  zu  irgend  einer 
Tätigkeit  erregt  werden  könne,  wird  Stoff  genannt  Die 
Materie  ist  nun  freilich  mehr  als  bloßer  träger  Stoff. 
Jedes  materielle  Teilchen,  das  man  in  einem  und  dem- 
selben Körper  unterscheiden  kann,  sucht  die  Baumatelief 
die  es  im  Verhältnis  zu  den  übrigen  Teilchen  einnimmt^ 
zu  behaupten.  Wird  es  durch  irgend  eine  Ursache  aus 
seiner  Oewichtslage  verrückt,  so  verhalten  sich  dabei  die 
übrigen  Teilchen  nicht  gleichgültig,  sondern  es  erfahren 
auch  diese  eine  mehr  oder  weniger  beträchtliche  Orts- 
veränderung. Zwischen  den  verschiedenen  Teilchen  eines 
und  desselben  Körpers  besteht  also  ein  gewisser  Zu- 
sammenhang, vermöge  dessen  sie  ihre  gegenseitigen  räum- 
lichen Stellungsverhältnisse  aufrecht  zu  erhalten  suchen. 
Und  dies  ist  dasjenige,  was  man  die  Kohäsion  eines 
Körpers  nennt,  womit  man  eben  sagen  will,  daß  die 
gleichartigen  Teilchen  eines  und  desselben  Körpers  nicht 
gleichgültig  nebeneinander  liegen,  sondern  daß  sie  einen 
wechselseitigen  Einfluß  aufeinander  ausüben.  Diesen 
Einfluß,  welcher  die  Teilchen  nötigt,  in  einer  bestimmten 
gegenseitigen  Lage  zu  verharren,  erfährt  man  deutlich 
an  dem  Widerstände,  den  ein  starrer  Körper  dann 
leistet,  wenn  man  ihn  durch  Ziehen  zu  zerreißen  sucht 
Der  Körper  erfährt  dann  in  der  Richtung  des  Zuges 
eine  Verlängerung,  seine  Teilchen  rücken  weiter  aus- 
einander, bis  an  irgend  einer  Stelle  die  wirkliche 
Trennung  erfolgt  Überschreitet  aber  die  ziehende  Ge- 
walt eine  gewisse  Grenze  nicht,  so  kehren  die  Teilchen, 
nach   Wogfall    dieser  äußeren   GewÄlt,    wieder   in   ihre 


—     35     — 

frühere  Oleicbgewiebtslage  zarück.  Wird  dagegen  ein 
Körper  einem  äußeren  Druck  unterworfen,  so  rücken  die 
Teilchen  in  der  Richtung  des  letzteren  einander  näher; 
der  Körper  verkürzt  sich.  Aber  auch  dies  geschieht  nur 
mit  Überwindung  eines  bestimmten  Widerstandes  von 
Seiten  der  Körperteilchen,  welche  sich  wieder  soweit 
voneinander  zu  entfernen  streben,  als  zur  Rückkehr  in 
ihre  normale  Position  nötig  ist  Die  Teilchen  der  starren 
Materie  haben  also  sowohl  bei  der  Ausdehnung  als  auch 
bei  der  Zusammendrückung  derselben  das  Bestreben,  in 
ihre  gewöhnliche  Oleichgewichtslage  mit  einer  gewissen 
Gewalt  zurückzukehren;  und  hierin  besteht  das,  was  man 
die  Elastizität  der  Materie  nennt,  während  man  unter 
Kohäsion  nur  im  allgemeinen  die  Kraft  versteht^  womit 
die  Teilchen  eines  und  desselben  Körpers  zusammen- 
hängen. 

Wenn  demnach  die  Materie  ausgedehnt  wird,  so 
worden  ihre  Teilchen,  indem  sie  widerstreben,  über  die 
gewöhnliche  Oleichgewichtslage  hinaus  voneinander  ent- 
fernt; sie  suchen  sich  der  letzteren  wieder  zu  nähern, 
und  dies  scheint  die  Folge  einer  wechselseitigen  An* 
Ziehung  zu  sein.  Bei  der  Kompression  werden  um- 
gekehrt die  Teilchen  der  Materie  über  ihre  Oleiob^ 
gewichtslage  hinaus  einander  genähert;  sie  streben  wieder 
auseinander,  und  dies  scheint  die  Folge  einer  gegen- 
seitigen Abstoßung  zu  sein.  So  können  Anziehung  und 
Abstoßung  leicht  als  Grundkräfte  der  Materie  erscheinen, 
welche  bei  der  Konstitution  der  verschiedenen  Körper 
in  ein  gewisses  Gleichgewichtsverhältnis  treten,  das  aber 
infolge  äußerer  Einwirkungen  bald  zu  Gunsten  der  einen, 
bald  zu  Gunsten  der  anderen  Kraft  abgeändert  werden 
kann,  so  daß  z.  B.  bei  dem  gasförmigen  Aggregatzustande 
eines  Körpers  lediglich  die  abstoßende  Kraft  vorwaltet. 
Der  Begriff  der  Materie  erscheint  hiemach  als  zu- 
sammengesetzt aus  den  Begriffen  von  Stoff  und  Kraft, 
so  jedoch,  daß  die  letzteren  nur  in  der  Abstraktion  von- 
einander getrennt  werden  können.    In  dem  erfahr ungs- 


—     36     — 

mäßig,  auf  Grund  bestimmter  Tatsachen,  erzeugten  Be- 
griffe der  Materie  sind  beide  unzertrennlich  miteinander 
verbunden,  so  daß  der  eine  ohne  den  anderen  gar  nicht 
gedacht  werden  kann. 

Unter  dem  Worte  Trägheit  versteht  man  in  der 
Mechanik  die  Tatsache,  daß  ein  Körper  nicht  von  selbst 
aus  dem  Zustande  der  Buhe  in  den  der  Bewegung,  und 
nicht  von  selbst  aus  Bewegung  zur  Buhe  übergehen 
kann.  Wenn  aber  ein  Körper  aus  dem  einen  Zustande 
in  den  anderen  übergeht,  so  verhält  er  sich  dabei  keines- 
wegs ganz  passiv,  sondern  er  übt  dabei  eine  bestimmte 
Wirksamkeit  aus.  Trifft  z.  B.  ein  ruhender  Körper  mit 
einem  bewegten  zusammen,  so  überträgt  sich  die  Ge- 
schwindigkeit des  letzteren  auf  den  ersteren,  welcher 
eine  Geschwindigkeit  annimmt,  die  im  umgekehrten  Ver- 
hältnis zu  seiner  Masse  steht.  Beide  Körper  machen 
sich  im  Moment  ihres  Zusammentreffens  den  Baum 
streitig,  indem  zunächst  der  bewegte  in  den  Baum  des 
ruhenden  einzudringen  sucht;  dieser  wirkt  aber  mit 
einer  gewissen  Kraft  zurück,  bis  beide  eine  gemeinschaft- 
liche Geschwindigkeit  erlangt  haben.  Niemals  verhält  sich 
ein  Körper,  der  eine  bestimmte  Veränderung  erfährt,  sei 
diese  welche  sie  wolle,  lediglich  leidend.  Der  Unterschied 
zwischen  Aktivität  und  Passivität  ist  hier  völlig  illu- 
sorischy  und  kann  nur  eine  gewisse  relative  Bedeutung 
haben.  Man  kann  einen  Körper,  auf  den  man  gerade 
die  Aufmerksamkeit  richtet,  als  leidend  betrachten,  wenn 
er  durch  das  Zusammenkommen  mit  einem  anderen 
Körper  eine  Veränderung  erfährt,  und  zwar  um  dessent- 
willen  als  leidend,  weil  er  sich  diese  Veränderung  muß 
gefallen  lassen.  Der  andere  Körper,  dem  man  die  Ur- 
sache dieser  Veränderung  mit  Becht  zuschreibt,  erscheint 
dann  als  tätig,  obwohl  er  ebenfalls  der  Einwirkung  jenes 
Körpers  ausgesetzt  und  insofern  leidend  ist.  Kurz,  beide 
Körper  sind  aktiv  und  passiv  zugleich.  Und  dies  gilt 
allgemein,  da  man  es  bei  allen  mechanischen,  physikali- 
schen und  namentlich  auch  bei  allen  chemischen  Pro- 


—     37     — 

zessen  deutlich  genug  wahrnehmen  kann.  So  erleidet 
z.  B.  der  Wasserstoff  eine  bestimmte  Veränderung,  wenn 
er  auf  gewisse  Weise  mit  dem  Sauerstoff  zusammentrifft, 
aber  ebenso  erscheint  auch  dieser  durch  jenen  ver- 
ändert; beide  bilden  in  ihrem  Zusammensein  und  der 
dadurch  begründeten  Wechselwirkung  einen  neuen  Körper, 
das  Wasser,  dessen  Eigenschaften,  verschieden  von  denen 
der  beiden  Bestandteile,  sowohl  durch  die  Tätigkeit  des 
Sauerstoffs  als  auch  durch  die  des  Wasserstoffs  bedingt 
sind. 

Die  Materie  ist  teilbar,  und  es  fehlt  nicht  an  Bei- 
spielen, welche  zeigen,  daß  die  Teilbarkeit  der  Materie 
weit  über  die  Grenzen  sinnlicher  Wahrnehmung  hinaus- 
geht. Nimmt  man  nun  an,  wie  dies  von  der  sogenannten 
dynamischen  Ansicht  geschieht,  daß  die  Materie  den 
Raum  kontinuierlich  erfülle,  so  birgt  jeder  endliche 
Körper  eine  unendliche  Fülle  von  Teilen  in  sich.  Die 
Teilbarkeit  hat  dann  keine  Grenzen,  bei  dem  physischen 
Körper  so  wenig  als  bei  dem  geometrischen,  der  als  ein 
begrenzter  Teil  des  kontinuierlichen  Raumes  gedacht 
wird.  Wiewohl  nun  der  Augenschein  leicht  zu  der 
Meinung  verleiten  kann,  daß  die  Materie  den  Raum 
kontinuierlich  erfülle,  so  lehrt  doch  die  genauere  Be- 
obachtung und  das  Experiment,  daß  dies  nicht  streng 
genommen  werden  dürfe,  da  jede  Art  von  Materie  in 
ihrem  Innern  eine  Menge  von  Zwischenräumen  verrät 

Überträgt  man  aber  die  geometrische  Teilbarkeit,  die 
sich  auf  ein  vollkommenes  Kontinuum  bezieht,  im 
strengen  Sinne  auf  die  Materie,  auf  das,  was  im  Räume 
ist  und  diesen  füllt,  so  beginnen  wir,  indem  wir  Materie 
denken,  eine  Teilung,  die  ins  unendliche  tortgesetzt 
werden  muß,  weil  jeder  Teil  noch  als  ein  Ausgedehntes 
soll  gedacht  werden.  Unsere  Vorstellung  von  der  Materie 
ist  dann,  wie  Herbart  bemerkt,  jederzeit  noch  im  Werden 
begriffen  und  wird  niemals  fertig,  weil  alle  unendlich 
vielen  Teile  zusammengefaßt  werden  müssen,  um  das 
Ganze  zu  erhalten.    Das  unabhängige  Dasein  aller  mate- 


—    38    ^ 

riellen  Teilchen  erreichen  wir  im  Denket  niemals,  ae- 
lange  wir  die  Teilchen  erst  dardi  eine  Teüang  aus  dem 
Ganzen  (der  Materie)  hervorgehen  lassen-  Wir  erreichen 
demnach  auch  niemals  das,  was  an  der  Materie  wahr- 
haft ist,  denn  wir  kommen  nie  zu  allen,  nie  zu  den 
letzten  Teilchen,  eben  weil  die  Teilung  ohne  Ende 
fortgesetzt  oder  die  Unendlichkeit  derselben  übersprungen 
werden  müßte.  Der  Gedanke  der  unendlichen  Teilbarkat 
der  Materie  ist  ungereimt.  Denn  eine  Unendlichkeit  toh 
Teilen  annehmen,  heißt  soviel  als  nichts  annehmen.  IXo 
Unendlichkeit  läßt  sich  nicht  erschöpfen*  Man  denke 
sich  ein  beliebiges  Stück  Materie  und  führe  durch  das- 
selbe einen  bestimmten  Schnitt;  so  liegt  die  Möglichkeit 
am  Tage,  daß  man  diesen  nämlichen  Schnitt  auf  un- 
endlich vielfache  Weise  anders  hindurchführen  kann. 
Hiermit  ist  wirklich  die  ganze  unendliche  Teilung  aof 
einmal  vollzogen,  und  man  hat  die  letzten  Teilchen 
wenigstens  im  Denken  erreicht  Aber  was  sind  nun 
diese  Teile?  Jeder  Teil  muß,  wie  bei  einer  geometrischen 
Teilung,  gleichartig  sein  dem  als  gleichartig  gedachtm 
Ganzen.  Dieses  letztere  wurde  aber  nur  insofern  gleich- 
artig gedacht,  als  dasselbe  Materie  darstellt,  auf  deren 
besondere  Qualität  hier  nichts  ankommt  Also  ist  jeder 
Teil  wieder  Materie  und  kann,  weil  er  ausgedehnt  ist, 
auch  wieder  geteilt  werden.  Hierdurch  wird  nun  die 
vorige  Voraussetzung  der  schon  fertigen,  unendlichen 
Teilung  umgestoßen.  Man  beginnt  auf  dieselbe  Weise 
von  neuem  zu  teilen,  und  gerät  damit  in  einen  Zirkel, 
der  keinen  Ruhepunkt  darbietet  Diese  Betrachtung 
bietet  hinreichende  Veranlassung,  jene  falsche  Anwendung 
der  Geometrie  auf  die  Materie  zurückzuweisen  und  dea 
Schluß  zu  ziehen:  daß  die  Materie  zuletzt  nicht  wieder 
aus  Materie  besteht,  sondern  daß  ihre  wahren  Bestand- 
teile schlechthin  einfach  sind. 

Diesen  Schluß  würde  man  vielleicht  schon  längst  in 
weiteren  Kreisen  gezogen  haben,  wenn  nicht  die  Schwierig- 
keit,  aus   solchen    unräumlichen    Elementen   die    räum- 


—     39     — 

erfüllende  Materie  zu  konstruieren,  daran  gehindert  hätte. 
Die  Schwierigkeit  wird  aber  nur  scheinbar  durch  eine 
willkürliche  Fiktion  gehoben,  wenn  man  sich  alle  Körper 
aus  kleinsten  materiellen  Teilchen  zusammengesetzt  denkt, 
die  physisch  unteilbar  sein  sollen,  und  deshalb  Atome 
genannt  werden.  Diese  Atome,  so  klein  sie  auch  an- 
genommen werden  mögen,  haben  doch  immer  Ausdehnung, 
und  wo  Ausdehnung  ist,  da  gibt  es  auch  Teile,  gleich- 
viel ob  sie  sich  gesondert  darstellen  lassen  oder  nicht 
Man  sieht,  daß  der  obige  Zirkel  sich  auch  hier  wieder 
«instellt,  und  daß  man  nur  dadurch  aus  demselben 
herauskommt^  wenn  man  die  letzten  Elemente  der  Materie 
einfach  im  strengsten  Sinne  annimmt  Diese  Elemente 
wären  dann  die  eigentlichen  Atome,  und  es  würde  nun 
allerdings  eine  Aufgabe  der  höheren  Physik  sein,  nach- 
zuweisen, wie  aus  solchen  Elementen  die  mit  Baum- 
bestimmungen behaftete  Materie  sich  habe  bilden  können. 
Davon  soll  weiterhin  noch  die  Bede  sein. 

Neben  der  mechanischen  gibt  es  chemische  Teilbarkeit 
der  Materie,  welche  dann  zutage  tritt  wenn  ein  Körper, 
der  als  ein  gleichartiges  Ganze  erscheint^  in  ungleich- 
artige Bestandteile  zerfällt.  So  kann  man  z.  B.  Zinnober 
in  Schwefel  und  Quecksilber,  Wasser  in  Sauer-  und 
Wasserstoff,  die  Alkalien  und  Erden  in  Sauerstoff  und 
gewisse  metallische  Stoffe  zerlegen.  Die  Chemie  nennt 
nun  solche  Stoffe,  welche  auf  chemischem  Wege  nicht 
weiter  zerlegt  werden  können,  Grundstoffe  oder  wohl 
auch  Elemente,  behauptet  jedoch  keineswegs,  daß  diese 
Stoffe  nicht  weiter  zusammengesetzt  seien;  denn  die 
Möglichkeit  einer  Zusammengesetztheit  derselben  läßt 
sich  nicht  in  Abrede  stellen.  Es  ist  also  möglich,  daß 
ein  bestimmter  Stoff,  der  Bestandteil  eines  zusammen^ 
gesetzten  Körpers  ist,  abermals  aus  wenigstens  zwei  un^ 
gleichartigen  Stoffen  bestehe.  Wollten  wir  aber  so  ohne 
Ende  fortfahren  und  immer  von  neuem  annehmen,  daß 
ein  jeder  der  Bestandteile,  aus  welchen  ein  Körper  zu- 
sammengesetzt ist,    abermals   aus  zwei    ungleichartigen 


—     40     — 

Stoffen  bestehe,  so  würde  die  Ungereimtheit  einer 
solchen  Vorstellungsweise  sofort  in  die  Augen  springem 
Die  chemische  Teilbarkeit  muß,  wie  die  mechanische, 
wenn  sie  nicht  zu  Ungereimtheiten  führen  soll,  irgendwo 
ihre  Grenze  haben.  Zu  einer  wirklichen  Grenzvorstellong 
gelangt  man  aber  auch  hier  nur  durch  die  Annähmet 
daß  die  letzten,  wahren  Bestandteile  der  Materie  schlecht- 
hin einfach  sind. 

Indessen  setzt  die  chemische  Teilbarkeit  der  Materie 
der  mechanischen  eine  gewisse  Grenze.  Zwei  ungleich- 
artige Stoffe  können  sich,  wie  wir  wissen,  zu  einem 
gleichartigen  Ganzen  vereinigen,  wie  z.  B.  Schwefel  und 
Quecksilber  zu  Zinnober,  Wasser-  und  Sauerstoff  zu 
Wasser,  Salpetersäure  und  Kali  zu  Salpeter  usw.  Die 
mechanische  Teilbarkeit  eines  so  zusammengesetzten 
Körpers,  welche  bekanntlich  immerfort  Teilchen  liefert, 
die  dem  Ganzen  gleichartig  erscheinen,  ist  beendigt,  so- 
bald man  den  gegebenen  Körper  in  seine  ungleich- 
artigen Bestandteile  zerlegt  hat.  Und  es  bleibt  nun 
nichts  anderes  übrig  als  die  unendliche  mechanische 
Teilbarkeit  auf  diese  Bestandteile  zu  übertragen.  So  oft 
aber  die  letzteren  noch  in  einfachere  Bestandteile  zerlegt 
werden  können,  ebenso  oft  findet  die  mechanische  Teil- 
barkeit des  betreffenden  Stoffes  (in  gleichartige  Teilchen) 
ihre  Grenze. 

Der  Gedanke  einer  unendlich  mechanischen  Teil- 
barkeit der  Materie  wird  übrigens  auch  schon  durch  die 
Tatsache  zurückgewiesen,  daß  die  chemische  Verbindung 
ungleichartiger  Stoffe  nach  bestimmten  quantitativen  Ver- 
hältnissen von  statten  geht.  Dies  ist  nicht  einzusehen, 
wenn  die  Materie  den  Raum  kontinuierlich  erfüllt,  so 
daß  sie  demgemäß,  nämlich  infolge  der  unendlichen  Teil- 
barkeit, eine  beliebige  Verdichtung  und  Verdünnung  zu- 
läßt. Warum  sollte  dann  nicht  ein  Stoff  mit  irgend 
einem  anderen  in  allen  Quantitätsverhältnissen  in  Wechsel- 
wirkung treten,  und  sich  mit  ihm  zu  einem  neuen 
Körper  verbinden  können? 


—     41     — 

Die  dynamische  Ansicht,  insofern  sie  eine  kontinuier- 
liche Raumerfüllung  der  Materie  annimmt,  bringt  es 
nicht  einmal  bis  zur  evidenten  Erklärung  des  Risses, 
welcher  entsteht,  wenn  ein  Körper  durch  äußere  Zugkräfte 
zerrissen  wird.  Nach  ihr  kann  man  nichts  anderes  er- 
warten, als  daß  sich  der  Körper  immer  länger  dehnt. 
Dabei  nimmt  zwar  seine  Dichtigkeit  fortwährend  ab, 
aber  seine  Kontinuität  wird  und  muß  bleiben,  wenn 
nicht  der  Begriff  der  Materie,  so  wie  ihn  diese  Ansicht 
aufstellt,  in  sich  selber  zerfallen  soll.  Auch  bei  einem 
unendlichen  Wachstum  der  dehnenden  Kraft  sollte  nach 
ihr  nur  eine  unendliche  Abnahme  der  Dichtigkeit  des 
Körpers,  aber  kein  Reißen  desselben  stattfinden,  i)  Ähn- 
Uche  Schwierigkeiten  machen  sich  geltend,  wenn  man 
nach  dieser  Ansicht  die  Zerteilung  eines  Körpers  durch 
einen  äußeren  Druck  erklären  will. 

Die  Annahme  absolut  einfacher  Atome,  die  wir  als 
die  letzten,  realen  Elemente  der  Materie  betrachten,  ist 
an  sich  frei  von  jedem  Widerspruche.  Diese  Elemente 
sind  zwar,  da  sie  unserer  Anschauung  nicht  vorliegen, 
empirisch  unerfaßlich,  und  insofern  nur  Gegenstand  des 
Begriffs;  aber  ihre  Annahme  stützt  sich  doch  ganz  auf 
eine  analytische  Betrachtung  des  erfahrungsmäßig  Ge- 
gebenen und  auf  den  Fortschritt  eines  gesetzmäßigen 
Denkens.  Obgleich  dieselben,  als  ausdehnungslose  Wesen, 
keinen  Raum  einnehmen,  so  befinden  sie  sich  doch  im 
Räume,  der  sie  gewissermaßen  in  sich  enthält.  Wie 
nun  jedem  mathematischen  Punkte,  den  man  in  einem 
gegebenen  Räume  unterscheiden  kann,  ungeachtet  seiner 
Ausdehnungslosigkeit,  doch  eine  bestimmte  Stelle  in 
diesem  Räume  zukommt,  so  haben  auch  die  einfachen 
Atome  ihre  Raumstellen  (Orte),  die  sie  unter  Umständen 
aber  auch  verlassen  können,  um  zu  anderen  Stellen 
überzugehen.  Diese  Atome  unterscheiden  sich  von  den 
wesenlosen  mathematischen  Punkten,  denen  sie  in  Hin- 


*)  Vergl.  Fechner,  Über  physik.  u.  philos.  Atomenlehre.    S.  54. 


—     42     — 

sieht  auf  ihre  ränmlichen  Verhältnisse  vei^Ieicbbar  sind, 
durch  ihre  Qualität,  durch  welche  sie  positiv  bestimmt 
sind. 

Im  gewöhnlichen  sinnlichen  Yorstellen  erscheint  osb 
alles  in  räumlicher  Weise.  Das  am  meistea  Massenhafte 
macht  sich  nicht  selten  am  stärksten  geltend,  und  daB 
kleiner  Werdende  erscheint  dem  Bewußtsein  als  ein  Yer- 
schwindendes.  So  kann  eine  Scheu  entstehen  vor  der 
Annahme  absolut  einfacher  Atome,  die  uns  keine  an. 
schauliche  Vorstellung  gewähren,  und  dem  im  sinnlicbea 
Vorstellen  Befangenen  leicht  als  ein  Nichts  erscheineo. 
Wir  können  uns  dieselben  aber  denken,  so  gut  wie  wir 
uns  mathematische  Punkte  im  Räume  denken;  ja  wir 
müssen  uns  sogar  dieselben  denken,  wenn  wir  aus  ge- 
wissen Ungereimtheiten,  die  dem  gewöhnlichen  B^[riS 
der  Materie  anhaften,  herauskommen  wollen.  Es  wird 
niemandem  einfallen,  die  Realität  eines  Körpers  nach 
der  Größe  des  Baumes  zu  schätzen,  den  er  einnimmt 
Niemand  wird  anstehen,  einen  Körper,  der  den  zehn- 
tausendmillionsten  Teil  eines  EubikzoUs  einnimmt,  für 
ebenso  real  zu  halten,  als  einen  anderen,  welcher  ein^ 
zehntausendraillionsten  Mal  größeren  Baum  füllt  Der 
Begriff  der  Realität,  der  Begriff  dessen,  was  wahrhaft 
ist,  ist  völlig  unabhängig  vom  Begriff  der  Räumlichkeit, 
so  daß  dieser  zu  jenem  in  gar  keiner  notw^idigen  Be- 
ziehung steht  Lassen  wir  nun  bei  den  letzten  Bestand- 
teilen der  Materie  die  Räumlichkeit  ganz  fallen,  so  werden 
sie  darum  nicht  der  Realität  entbehren.  Die  einfacbea 
Atome,  die  realen  Elemente  der  Materie,  können  aber, 
obgleich  jedes  Element  an  sich  ganz  unräumlich  ist, 
dennoch  untereinander  in  gewisse  räumliche  Ver^ 
hältnisse  treten,  und  dadurch  auch  dasjenige  bilden« 
was  man  Materie  nennt  Wie  dies  geschehen  kann,  soll 
bald  Gegenstand   einer   genaueren  Betrachtung   werden. 

Die  Ansicht  von  einfachen  Wesen  (Elementen),  als 
letzten  Bestandteilen  der  Materie,  findet  sich,  wie  bereits 
im    historischen   Teil   dieses    Artikels    bemerkt   ist^    bei 


—     43     — 

Herbart  und  in  dessen  Schule.  Auoh  fehlt  es  nicht  an 
berühmten  Physikern,  welche  dieser  Ansicht  huldigeii. 
So  AifPiiRE,  Caücht,  Sequik,  Moigno,  Fechnjcr  und  gewisser- 
maßen auch  Faraday.  Fbchneb^)  führt  noch  W.  Websb 
an,  welcher  die  Möglichkeit  anerkenne,  die  Atome  aos- 
dehnungslos  zu  denken,  und  darauf  eine  geistige  Auf- 
fassung der  Atomistik  basieren. 

Man  sieht  es  als  eine  Wahrheit  an,  daß  einfache 
Punkte  den  kontinuierlichen  Raum  nicht  zusammensetzen 
können,  obwohl  man  sich  beliebig  viele  solcher  Punkte 
in  demselben  denken  kann.  Ebensowenig  nun,  wie  ein- 
fache Punkte  den  kontuierlichen  Baum  bilden,  wird  mau 
sagen,  werden  einfache  Atome  einen  Baum  erfüllenden 
Körper  konstituieren.  Und  dies  könnte  man  zugeben, 
wenn  die  Materie  den  Baum  wirklich  kontinuierlich  er- 
füllte. Dieser  Begriff  der  Materie  ist  aber  bereits,  als 
-ein  der  Wirklichkeit  nicht  entsprechender,  zurück- 
gewiesen worden.  Die  Materie  füllt  zwar  den  Baum, 
aber  sie  erfüllt  ihn  nicht  als  ein  Kontinuum. 

Man  denke  sich  in  einem  leeren  Baume  von  be- 
stimmter Größe,  etwa  in  einem  Kubikzoll,  eine  beliebige 
Anzahl  einfacher  Punkte,  und  in  diesen  ebenso  viele 
einfache  Atome.  Solange  nun  die  letzteren  in  gewissw, 
auch  noch  so  kleinen  Abständen  gleichgültig  neben- 
einander verharren,  werden  sie  zusammengenommen  nichts 
darbieten,  was  einem  Körper  verglichen  werden  könnte. 
Wie  aber  die  sichtbaren  Teilchen  eines  Körpers  einen 
wechselseitigen  Einfluß  aufeinander  ausüben,  so  muß 
dies  auch  von  den  einfachen  Atomen  gelten.  Dieselben 
müssen  in  einem  Kausalverhältnis  oder  in  einem  Yerhältnie 
der  Wechselwirkung  zueinander  stehen.  Jedes  Atom 
wirke  also  auf  das  andere  und  sei  rückwärts  dessen 
Wirkung  ausgesetzt.  Wirken  die  Atome  anziehend  und 
abstoßend  zugleich  aufeinander,  so  werden  sie  sich,  diesem 
gegenseitigen  Einflüsse  gemäß,  in  bestimmten  Abständen 


^)  Atomenlehre.    S.  161. 


—     44      — 

voneinander  zu  erhalten  suchen,    und  jeder   Angriff,  den 
ein  Atom  irgendwie  von   außen  her    erfährt,    wird  auch 
von  Erfolg  für  die  übrigen   sein,    so   daß,   wenn  das  an- 
gegriffene Atom   in  Bewegung   gerät,    auch    die   übrigen 
Atome  in  dieselbe  mit  hineingezogen   werden.     So  bilden 
die  einfachen  Atome,  infolge  ihrer   "Wechselwirkung,  ein 
Ganzes,   das  bestimmte  räumliche   Verhältnisse  darbietet 
weil  die  einzelnen   wirksamen    Glieder    desselben  in  ge- 
wissen Abständen  einander  gegenüberstehen.    Jedes  Atom 
strebt,  gestützt  durch  den  Einfluß    der   übrigen,   in  dem 
Punkte  zu  verharren,   worin  es  sieh    befindet,  und  kann 
aus  demselben  nur  durch  Überwindung  eines  bestimmtei^ 
Widerstandes  verdrängt  werden.      Wenn    demnach  eino^ 
andere  Gruppe  von  einfachen  Atomen,   die  ebenfalls  mit- 
einander,    vermöge   ihrer   gegenseitigen    Einwirkung,  zu 
einem  Ganzen  verbunden  sind,  in  jene  Atomgruppe 'ein- 
zudringen sucht,  so  werden  beide  Gruppen  einander  wider- 
stehen und  insofern  ündurchdringlichkeit  verraten.  Sachea 
wir  aber  selbst  vermittelst   unseres    Tastor^ns   in  den 
Raum  einzudringen,  worin  einfache  Atome  in  bestimmtefl 
Punkten  auf   die  angegebene   Weise    sich    befinden   so 
werden  wir  die   Einwirkung  und    demzufolge    auch  den 
Widerstand  dieser  Atome  überalJ,   am    ganzen    ümfanee 
des  betreffenden  Raumes  erfahren.     Daher  wird  uns  das 
Ganze,  welches  die  einfachen  Atome,  kraft  ihrer  Wechsel- 
wirkung,  zusammengenommen  darstellen     als    ein  Etwas 
erscheinen,  das  den  Raum  erfüllt 

Wollten  wir  an  die  Stelle  der  einfachen  Elemente 
materielle  Atome  von  unmeßbar  kleinen  Dimensionen 
setzen,  wie  das  gewöhnlich  in  der  Physik  geschieht  so 
würde  dadurch  unsere  Einsicht  in  das  Wesen  der  Materie 
nur  beschränkt  werden.  Denn  es  heißt  nicht  das  Wesen 
der  Materie  begreifen,  wenn  man  sich  die  letzten  Be- 
standteile, welche  die  Materie  konstituieren  sollen 
materiell  denkt  Auch  können  solche  Atome  die  er- 
fahrungsmäßig gegebene  Materie  so  wenig  konstituierea 
wie  die  einfachen  Atome,  wenn  sie  nicht  gleich  diesen  in 


I 


—     45     — 

einem  Verhältnis  der  Wechselwirkung  zueinander  stehen. 
Kämen  sie  bis  zur  Berührung  aneinander,  so  könnten  sie 
wohl  Materie  bilden,  aber  nicht  diejenige  Materie,  welche 
uns  erfahrungsmäßig  gegeben  ist;  denn  diese  läßt  sich 
zusammendrücken,  was  bei  der  vorausgesetzten  Undurch- 
dringlichkeit der  materiellen  Atome  unmöglich  wäre. 
Die  letzteren  müssen  also  gleichfalls  in  bestimmten  Ab- 
ständen voneinander  gedacht  werden,  was  auch  zu  ge- 
schehen pflegt  Dann  erscheint  jedoch  der  unmeßbar 
kleine  Baum,  den  diese  Atome  erfüllen  sollen,  völlig 
bedeutungslos.  Ihre  Wechselwirkung  bleibt  die  Haupt- 
sache. Die  Kraftverhältnisse  aber,  welche  dieser  Wechsel- 
wirkung zu  Grunde  liegen  und  die  Konstitution  der 
Materie  bedingen,  können  gewiß  nicht  ursprünglich  durch 
eine  Ausdehnung  der  Atome  bedingt  sein. 

Die  einfachen  Atome  müssen  also  auf  und  gegenein- 
ander wirken,  wenn  sie  einen  Körper  konstituieren  sollen. 
Diese  Wirkungen  sind  jedoch  nicht  zu  betrachten  als 
Äußerungen  selbstständiger  Kräfte,  welche  gewissermaßen 
hinter  den  Atomen  stehen  und  diese,  als  passiv,  im  Baume 
hin  und  herschieben.  Bei  einer  solchen  Annahme  er- 
scheinen die  Atome  selbst  als  eine  überflüssige  Zugabe; 
jene  Kräfte,  sofern  man  dieselben  nur  diskret,  als  punk- 
tuelle Intensitäten,  denkt  (wodurch  sie  freilich  in  gewisser 
Beziehung  mit  den  einfachen  Wesen  zusammenfallen 
würden),  reichen  dann  schon  allein  zur  Konstruktion  der 
Materie  aus.  Die  einfachen  Atome,  welche  den  wahren 
Stoff  der  Materie  bilden,  sind  vielmehr  selbst,  ihrem 
ganzen  Wesen  nach,  Kräfte,  wenn  sie  einen  bestimmten 
Körper  konstituieren,  so  daß  dieser  ein  Aggregat  von 
Kraftpunkten  ist.  Die  Kraftäußerungen  der  Materie  sind 
den  sie  konstituierenden  Atomen  wesentlich  zugehörige 
Tätigkeiten. 

Nun  findet  aber  jedes  Atom,  das  mit  anderen  einen 
Körper  bildet,  den  Orund  oder  die  Veranlassung  za 
seiner  Tätigkeit  nur  in  den  anderen  benachbarten  Atomen. 
Jedes  Atom  hält  das  andere  in  einer  bestimmten  Eni- 


-     46     — 

fernung  fest  und  wird  Ton  diesem  festgehalten.  Kein 
Atom  weiß  aber  etwas  von  seinem  Naohbaratome,  xmi 
es  ist  nicht  einzusehen,  wie  ein  Atom,  das  lediglich 
sich  selbst  gleich  ist,  durch  einen  auch  nooh  so  kleinen 
leeren  Raum  auf  ein  anderes  eine  Wirkung  ausüben  und 
von  diesem  eine  Wirkung  empfangen  kann.  Nehmen 
wir  an,  daß  jedes  Atom  auf  das  andere  anziehend  und 
abstoßend  zugleich  wirke,  so  ist  dies  schon  ein  Wider- 
spruch, wenn  solche  entgegengesetzte  Tätigkeiten  zugleich 
und  ursprünglich  in  einem  und  demselben  einfachen 
Wesen  stattfinden  sollen.  Sieht  man  davon  aber  auch 
ab,  so  können  diese  Tätigkeiten  bekanntermafien  doch 
keinen  Erfolg  für  ein  anderes  Atom  haben,  wenn  sie 
auf  dasselbe  in  gleichem  Maße  ausgeübt  werden;  sie 
müssen  sich  aufheben.  Anziehung  allein  würde  aber  die 
Atome  bis  zur  Berührung  nahe  bringen;  sie  könnten  dann 
keinen  Körper  bilden,  gleichviel,  ob  sie  materiell  oder 
ausdehnungslos  gedacht  werden.  Und  eine  alleinige 
repulsive  (abstoßende)  Tätigkeit  würde  sie  im  Baume 
zerstreuen,  also  ebenfalls  die  Bildung  eines  Körpers  ver- 
hindern. Es  scheint  also  doch,  als  ob  beide  T&tig^eiten, 
die  attraktive  und  repulsive,  zugleich  in  den  Atomen  vor- 
handen sein  müßten,  nur  so,  daß  die  eine,  die  Repalsion, 
bei  der  Annäherung  zweier  Atome  schneller  wachse  als 
die  andere,  die  Attraktion.  Die  vollständige  Berühning 
wird  dann  zugleich  mit  der  völligen  Zerstreuung  dar 
Atome  vermieden  sein.  Wie  es  aber  zugehe,  daß  ein 
Atom  durch  den  leeren  Raum  hin  auf  ein  anderes  wirke, 
ist  freilich  schlechthin  unbegreiflich.  Ja  es  ist^  solange 
man  sich  die  Atome  außereinander  denkt,  gar  nicht  zu 
begreifen,  wie  überhaupt  nur  eine  Wechselwirkung  von 
dem  einen  zu  dem  andern  hin  stattfinden  könne.  Wie 
kann  auf  diesem  Wege  ein  Atom  durch  andere  zu  einer 
Tätigkeit  veranlaßt  werden,  die  sie  innerhalb  gewisser 
Raumgrenzen  dauernd  zu  einem  Ganzen  vereinigt?  Und 
doch  müssen  sie  tätig  sein,  müssen  eine  Wechselwirkung 
ausüben,  falls  sie  einen  Körper  konstituieren  sollen.    Was 


—     47     — 

nun  den  Atomen  unmöglich  ist,  so  lange  sie  außer- 
einander  sind,  das  vermögen  sie  vielleicht,  wenn  sie  zu- 
sammen, d.  h.  ineinander  sind.  Es  ist  möglich,  daß  in 
einem  solchen  Zusammen  der  Atome  sich  zwischen  ihnen 
Kraft  Verhältnisse  bilden,  durch  welche  sie  wieder  aus- 
einander getrieben  werden,  jedoch  so,  daß  sie  in  be- 
stimmter Weise  beieinander  bleiben  müssen. 

Yon  der  an  sich  unerkennbaren,  einfachen  Qualität 
der  Elemente  läßt  sich  doch  so  viel  einsehen,  daß  die- 
selbe bei  mehreren,  falls  sie  wirklich  miteinander  ver- 
glichen werden  könnten,  entweder  gleich  oder  konträr 
entgegengesetzt  sein  müsse.  Im  ersten  Falle  werden 
die  Elemente,  wenn  sie  zusammen  kommen,  gleichgültig 
ineinander  verharren.  Denn  es  ist  nicht  abzusehen,  wie 
gleichartige  Elemente,  als  solche,  im  Falle  des  Zusammen- 
treffens aufeinander  einwirken  können.  Da  jedes  dem 
anderen  hiDsichtlich  der  Qualität  völlig  gleich  ist,  so  kann 
keinem  etwas  von  dem  anderen  widerfahren.  Es  müssen 
noch  andere  Bestimmungen  hinzutreten,  wenn  ein  Ein* 
fluß  gleichartiger  Elemente  aufeinander  möglich  sein  soll. 
Im  zweiten  Falle  ist  aber  an  den  verglichenen  Ele- 
menten Gleiches  und  Entgegengesetztes  zu  unter- 
scheiden. Das  Gleiche  und  Entgegengesetzte  sind  jedoch 
an  den  Elementen  keine  gesonderten  oder  trennbaren 
Stücke,  nur  die  Yergleichung  stellt  es  heraus.  Die 
Qualität  eines  jeden  Elements,  verglichen  mit  der  Qualität 
eines  anderen  von  der  nämlichen  Art  oder  Gattung,  er- 
laubt die  Unterscheidung  —  nicht  wirkliche  Trennung 
—  dessen,  was  dem  anderen  gleich  und  entgegengesetzt 
ist  Zwischen  den  Qualitäten  je  zweier  Elemente  kann 
das  Gleiche  oder  das  Entgegengesetzte  vorherrschend 
sein,  imd  die  Gegensätze  unter  den  Elementen  können 
sowohl  nach  Beschaffenheit  als  auch  nach  Größe  ver- 
schieden sein.  Sollte  nun  nicht  der  Gegensatz  zwischen 
den  Elementen,  im  Falle  ihres  Zusammentreffens  einen 
realen  Erfolg  haben?  Wahrscheinlich  ist  dies  im  hohen 
Grade.     Schon  die  chemischen  Prozesse  deuten  mit  Be- 


—     48     — 

stimmtheit  darauf  hin,  daß  Ungleichartigkeit  der  Stoffe 
oder  ein  gewisser  Gegensatz  zwischen  denselben  das 
Prinzip  der  Anziehung  oder  die  Bedingung  ihrer  Wechsel- 
wirkung sei.  Dieselben  Prozesse  zeigen  aber  auch,  daß 
die  Teilchen  ungleichartiger  Stoffe  miteinander  in  die 
innigste  Berührung  kommen  müssen,  wenn  eine  Wirkung 
zwischen  ihnen  stattfinden  soll.  In  Bezug  auf  die  ein- 
fachen Elemente  (Atome)  bietet  sich  nun  zunächst  fol- 
gendes dar. 

Steht  die  Qualität  eines  Elements  A  mit  der  Qualität 
eines  anderen  B  im  Gegensätze,  so  sollte,  sobald  diese 
Elemente  zusammen,  treffen,  das  Entgegengesetzte  ihrer 
Qualitäten  sich  aufheben.  Dies  ist  aber  insofern  un- 
möglich, als  das  Entgegengesetzte  kein  abtrennbares  Stück 
ist,  sondern  nur  in  unauflöslicher  Verbindung  mit  dem, 
was  nicht  im  Gegensatze  steht,  die  eigentümliche  Qualität 
des  Elements  ausmacht  Also  muß  jedes  der  Elemente, 
so  gewiß  es  unaufhebbar  ist,  sich  nach  seiner  eigenen 
Qualität  gegen  die  Störung,  die  ihm  von  dem  Entgegen- 
gesetzten des  anderen  droht,  behaupten  als  das,  was  es 
ist.  Man  kann  die  Qualitäten  zweier  entgegengesetzter 
Elemente  A  und  B  bildlich  durch  die  Formeln  a -|-  b 
und  a  -f-  ( —  b)  darstellen,  wo  aber  a  und  b  keine  wirk- 
lichen Glieder  in  den  Qualitäten  der  einfachen  Elemente 
darstellen,  sondern  in  unauflöslicher  Verbindung  mit- 
einander als  ein  vollkommen  sich  selbst  gleiches, 
substantielles  Eins  gedacht  werden  müssen.  Ebenso  be- 
zeichnet das  ( —  b)  in  der  Formel  für  die  Qualität  des  B 
etwas  durchaus  Positives,  aber  dem  -f-  b  im  A  Entgegen- 
gesetztes, was  durch  das  Zeichen:  -—  angedeutet  ist. 
Kommen  nun  solche  Elemente  A  und  B  zusammen,  so 
sollte  sich  ihr  Entgegengesetztes  (+  b  und  —  b)  tilgen 
und  nur  ihr  Gleichartiges  a  übrig  bleiben.  Da  aber 
letzteres  mit  dem  ersteren  ein  unteilbares  Eins  bildet, 
so  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  daß  sich  jedes  Ele- 
ment gegen  das  andere  in  seiner  Qualität  behauptet,  als 
das,  was  es  ist    Die  Störung,  welche  erfolgen  würde, 


—     49     — 

wenn  das  Entgegengesetzte  der  beiden  Elemente  sich 
aufheben  könnte,  gleicht  einem  Drucke,  das  Bestehen 
gegen  die  Störung  einem  Widerstände.  Die  Elemente 
bestehen  also  in  der  Lage,  worin  sie  sind,  in  und 
widereinander.  Man  erkennt,  daß  es  sich  hier  um  eine 
Abänderung  der  Qualität  handelt,  die  jedes  Element  des 
Gegensatzes  wegen  von  dem  anderen  erfahren  sollte, 
wogegen  es  aber  reagiert  und  sich  selbst  behauptet  als 
das,  was  es  ist  Eine  Störung  sollte  erfolgen,  die  Re- 
aktion hebt  die  Störung  auf,  dergestalt,  daß  sie  gar  nicht 
eintritt,  und  diese  Reaktion,  welche  unmittelbar  dem 
Gegensatze  gilt,  ist  eigentlich  dasjenige,  was  hier  wirk- 
lich geschieht. 

Die  Reaktion  ist  also  nichts  anderes  als  ein  Bestehen 
gegen  eine  Störung,  welche  in  dem  Verhältnisse  der 
Qualitäten  je  zweier  Elemente  liegt.  Auch  geschieht 
stets  zweierlei  zugleich,  nämlich  das  Element  A  be- 
hauptet sich  als  A  und  B  als  B.  Jede  Reaktion,  die 
von  einem  Elemente  ausgeht,  wenn  es  sich  gegen  ein  be- 
stimmtes andere  in  seiner  Qualität  behauptet,  hat  dem- 
nach ihren  eigentümlichen  Charakter.  Ist  der  Gegensatz 
zwischen  den  Elementen  A  und  C  ein  anderer  als  der 
zwischen  A  und  B,  so  muß  auch  die  Reaktion  des  A 
gegen  C  verschieden  sein  von  der  Reaktion  des  näm- 
lichen A  gegen  B. 

Die  Reaktionen  erfolgen  unausbleiblich  aus  dem 
Gegensatze  der  Qualitäten,  wenn  die  Elemente  zusammen- 
treffen. Sie  fallen  daher  ganz  weg  bei  vollkommen 
gleichartigen  Elementen,  wenn  nicht  ein  ihnen  ungleich- 
artiges Element  dazutritt  Wo  kein  Gegensatz  ist,  da 
kann  auch  keine  Störung  und  deshalb  auch  keine  Re- 
aktion  erfolgen. 

In  den  Reaktionen  liegt  der  Grund  der  Anziehung 
der  Elemente,  sowie  überhaupt  das,  was  man  Kausalität 
oder  das  Verhältnis  zwischen  Ursache  und  Wirkung  nennt 
Auch  zeigt  sich  hier  die  Notwendigkeit  eines  Zusammen 
(Ineinander)  der  Elemente,  weil  sonst  die  letzteren  einander 

Fld.JIag.82S.    Flügel.BM  Fh>bl«m  d«r  Mctori«.  4 


—     50     — 

tmzugänglich  bleiben  würden,  und  daher  auch  der  Gegen- 
satz ihrer  Qaalitäten  keinen  Erfolg  haben  könnte. 

In  dem  Gegensätze  der  Elemente  liegt  femer  das,  was 
die  Chemie  die  Verwandtschaft  der  Stoffe  za  nennen 
pflegt  Entgegengesetzte  Elemente  oder  Stoffe  sind  in- 
sofern verwandt,  als  sie  eben  wegen  ihres  Gegensatzes 
ineinander  greifen  und  gegeneinander  reagieren,  was  bei 
völlig  gleichartigen  Elementen,  als  solchen,  nicht  möglich 
ist;    diese  verharren  gleichgültig  in  oder  nebeneinander. 

Wenn  also  zwei  entgegengesetzte  Elemente  zusammen 
kommen,  so  verharren  sie,  vermöge  ihrer  gegenseitigen 
Reaktionen,  notwendig  ineinander.  Es  komme  nun  ein 
Element  B  zusammen  mit  zwei  anderen  A  und  A',  die 
unter  sich  von  gleicher  Qualität  seien,  während  jedes  von 
ihnen,  einzeln  genommen,  mit  jenem  ersten  im  Gegensatze 
stehe.  Dann  müssen  die  beiden  Elemente  A,  A',  sobald 
sie  mit  B  zusammen  sind,  sich  gegen  dasselbe  vollständig 
in  ihrer  Qualität  behaupten.  Aber  auch  B  mufi  sich  be- 
haupten, und  zwar  gegen  beide  A  zugleich,  da  es  mit 
einem  jeden  von  ihnen  in  demselben  Verhältnisse  des 
Gegensatzes  steht  Wenn  nun  die  Reaktion  eines  Ele- 
ments keiner  Steigerung  ins  Unendliche  fähig  ist,  sondern 
ihr  notwendiges  Maß  hat,  das  nicht  überschritten  werden 
kann ;  so  wird  in  dem  Falle,  daß  der  Gegensatz  zwischen 
den  Elementen  A  und  B  ein  gleicher,  d.  h.  ein  solcher 
ist,  daß  das  eine  Element  ebenso  sehr  von  dem  anderen 
als  dieses  von  jenem  gestört  wird,  schon  ein  einziges  A 
unter  Voraussetzung  eines  vollständigen  Zusammen  mit  B 
dieses  zu  dem  höchsten  Grade  der  Reaktion  veranlassen. 
Ist  aber  B  mit  beiden  A  zusammen,  so  muß  es  gegen 
dieselben  eine  zweifache  vollständige  Reaktion  ausüben, 
die  doppelt  so  stark  ist  als  diejenige  eines  einzelnen  A. 
Hierin  liegt  ein  Prinzip  der  Repulsion,  insofern  B  einer 
Steigerung  seiner  Reaktion  über  das  natürliche  Maß 
hinaus  widerstrebt  Da  jedes  A  wegen  des  Gegensatzes 
zu  B  gegen  das  letztere  reagieren  muß,  so  sollten  beide 
A  in   B  verharren.     Und    dies    kann  man   Anziehung 


—     51     — 

nennen.  Da  aber  B  der  zwiefachen,  vollständigen  Durch- 
dringung, die  ihm,  dem  einzelnen,  von  den  beiden  A 
zugemutet  wird,  nicht  entsprechen  kann,  so  scheint  es 
gegen  sie  eine  zurückstehende  Gewalt  auszuüben,  die 
wir  Repulsion  nennen. 

Hätten  nun  die  Elemente  eine  gewisse,  wenn  auch 
noch  so  geringe  räumliche  Ausdehnung,  so  könnte  man 
sagen:  während  B  gegen  beide  A  zugleich  reagiert,  ver- 
mindert sich  seine  Durchdringung  mit  den  letzteren  so 
weit,  bis  deren  Reaktionen  zusammengenommen  gleich 
sind  der  einen  vollen  (höchsten)  Reaktion  des  B,  welche 
schon  dann  stattfindet,  wenn  dasselbe  mit  einem  ein- 
zelnen A  vollständig  ineinander  ist  In  diesem  Falle 
einer  partialen  Durchdringung  bestände  ein  Oleich- 
gewicht zwischen  der  attraktiven  und  repulsiven  Tätig- 
keit der  Elemente.  Ist  nämlich  ein  Element  A  mit  B  voll- 
ständig zusammen,  so  kann  man  das  Maximum  der  Re- 
aktion, welches  jedes  Element  gegen  das  andere  ausübt, 
=  1  setzen.  Kommt  nun  noch  ein  zweites  A  hinzu,  so 
übt  dasselbe  gegen  B  ebenfalls  eine  Reaktion  =  1  aus, 
während  B  gegen  dieses  A  in  demselben  Maße  wie  gegen 
jenes  reagieren  muß,  so  daß  es  demgemäß  seine  Reaktion 
über  den  schon  gewonnenen  Maximalwert  hinaus  erhöhen 
sollte.  Dieser  Forderung  leistet  B  aber  kein  Genüge  oder 
es  leistet  ihr  nur  insofern  Genüge,  als  es  widerstrebt. 
Daher  müssen  die  beiden  A  aus  B  herausweichen,  und 
in  dem  Grade,  als  dies  geschieht,  ihre  Reaktion  gegen  B 
vermindern.  Das  Gleichgewicht  der  Attraktion  und  Re- 
pulsion von  B  gegen  die  beiden  A  ist  erreicht,  sobald  die 
Reaktionen  der  letzteren  einzeln  die  Hälfte  ihres  Maximal- 
wertes betragen.  Dann  sind  die  Reaktionen  der  beiden 
A  (V,  +  V,  =  1)  zusammengenommen  gleich  der  einen 
vollen  Reaktion  des  B,  indem  die  ersteren  sich  zu  dem 
Maximalwert  der  Reaktion  ergänzen.  Leicht  läßt  sich 
dieses  Resultat  auf  mehrere  gleichartige  Elemente  A 
übertragen,  wenn  sie  mit  einem  ihnen  entgegengesetzten 
B  zusammenkommen.    Je  größer  die  Anzahl  jener  Ele- 


—     52     — 

mente  ist,  desto  geringer  ihre  Darohdringang  mit  dem 
anderen  B.  Wären  z.  B.  der  gleichartigen  Elemente 
drei  vorhanden,  so  würden  dieselben  nnr  so  tief  in  B 
eindringen,  bis  ihre  Reaktionen  zusammen  der  vollen 
Maximalreaktion  von  B  gleichkämen.  Die  Reaktion  jedes 
einzelnen  A  würde  dann  Ys  ^^^  Maximums  betragen, 
das  die  Reaktion  in  einem  A  überhaupt  erreichen  kann, 
und  die  Reaktionen  aller  drei  A  würden  dann  insgesamt 

(Vs  +  Vs  +  Vs  =  1)  d^ö  ^öllö  Reaktion  ergeben,  welche 
mit  der  höchsten  Reaktion  des  B  in  einem  angemessenen 
Gleichgewichte  stände.  In  solcher  Weise  miteinander 
verbunden,  würden  die  Elemente  kleinste  materiale  Massen- 
teilchen bilden,  die  sich  wieder  untereinander  zu  einem 
größeren  materiellen  Ganzen  verbinden  könnten,  dem 
nicht  allein  eine  bestimmte  Kohäsion  nnd  Dichte,  son- 
dern auch,  wie  sich  leicht  nachweisen  ließe,  eine  be- 
stimmte Gestaltung  zukommen  müßte. 

Aber  einfache  Elemente,  wird  man  sagen,  haben 
keine  Ausdehnung  und  deshalb  kann  auch  keine  partiale 
Durchdringung  zwischen  ihnen  stattfinden.  Wenn  solche 
Elemente  zusammen  sind  oder  anf  irgend  eine  Weise 
zusammen  kommen,  so  mögen  zwischen  ihnen  immerhin 
die  erörterten  Eraftverhältnisse  auftreten;  sie  werden 
<iann,  infolge  derselben,  wieder  auseinander  getrieben, 
in  diesem  Außereinander  aber,  solange  keine  neuen  Be- 
stimmungen hinzukommen,  nur  ein  loses  Aggregat  bilden, 
-das  nichts  darbietet,  was  an  die  wirklich  gegebene  Materie 
erinnern  könnte.  Dennoch  hat  Herbart,  von  welchem  die 
eben  entwickelte  Lehre  in  der  Hauptsache  herrührt,  ge- 
stützt auf  die  Fiktion  einer  Teilbarkeit  des  einfachen 
Punktes  oder,  was  dasselbe  ist,  gestützt  auf  den  Begriff 
^ines  unvollkommenen  Zusammen  einfacher  Punkte,  eine 
Konstruktion  der  Materie  geliefert,  welche  auf  einer  par- 
tialen  (teilweisen)  Durchdringung  der  einfachen  Elemente 
{)emht.  Zwei  Punkte,  deren  Entfernung  =  0  ist,  müssen 
hiemach  nicht,  wie  es  die  gewöhnliche  Ansicht  verlangt, 
notwendig  als  ineinander  gedacht  werden,  sondern  sollen 


—     53    — 

aach  aneinander  gedacht  werden  können.  Zwischen 
dem  Aneinander  und  vollständigen  Ineinander  liegt  dann 
das  unvollkommene  Zusammen  dieser  Funkte  oder,  auf 
die  einfachen  Elemente  übertragen,  deren  partiale  Durch- 
dringung. Wir  können  dies  hier  nicht  weiter  zum 
Gegenstände  unserer  Betrachtung  machen,  sondern  müssen 
auf  die  betreffenden  Stellen  bei  Herbart i)  i^erweisen* 
Mir  selbst  hat  sich  eine  Ansicht  von  der  Bildung  der 
Materie  aus  einfachen  Elementen  dargeboten,  die  ich  in 
ihren  Hauptzügen  nachstehend  zur  Darstellung  bringen  will. 
Wenn  zwei  einfache  Elemente  A  und  B  von  ent- 
gegengesetzter Qualität  zusammen  sind,  so  muß  jedes 
gegen  das  andere,  auf  Orund  des  Gegensatzes,  eine  Be- 
akäon  ausüben.  Beide  Elemente  verharren  dann  nicht 
gleichgültig  ineinander,  sondern  jedes  sucht  sich  in  dem 
anderen  zu  erhalten,  indem  das  eine  gegen  das  andere 
reagiert  Hierin  liegt  das  Prinzip  der  Anziehung.  Kommt 
nun  noch  ein  zweites  dem  A  oder  B  gleichartiges  Ele- 
ment hinzu,  so  findet  natürlicherweise  auch  zwischen 
ihm  und  dem  entgegengesetzten  Element  (es  sei  dies 
beispielsweise  B)  eine  gegenseitige  Reaktion  statt  Damit 
entsteht  aber  zugleich  ein  Konflikt  zwischen  den  gleich- 
artigen Elementen  A;  sie  drängen  gegeneinander,  indem 
sich  jedes  gegen  das  andere  in  B  zu  behaupten  sucht, 
und  kraft  dieses  Konflikts  müssen  sie  einander  aus  B 
nach  entgegengesetzten  Richtungen  verdrängen.  Aber 
dies  geschieht  nur,  indem  jedes  A  so  viel  als  möglich 
widerstrebt;  denn  jedes  sucht  in  B  zu  verharren,  und 
ist  also  im  Augenblick  seines  Hervordringens  aus  letzerem 
zu  zwei  Bewegungen  in  entgegengesetzten  Richtungen 
angeregt.  Darum  ist  auch  die  Bewegung  der  beiden  A^ 
von  B  hinweg,  schon  im  Anfange  einer  Beschränkung 
oder  Hemmung   unterworfen;    und    da   sofort   mit   dem 


*)  Allgemeine  Metaphysik.  Teil  11.  S.  161  ff.,  S.  270  ff. ;  nach 
Hastenstein,  Onmdlehren  der  allgemeinen  Metaphysik.  Leipzig  1836. 
S.  358.   —    0.  Flügel,  Probleme  der  Philosophie.    No.  53-66. 


—     64    — 

Beginn  des  Anßereinander  dieser  Elemente  ihr  Konflikt 
yerschwindet,  während  ihr  Streben  zur  entgegengesetzten 
Bewegung,  nämlich  nach  B  hin  fortdauert,  so  moB  jene 
Bewegung  rückgängig  werden,  oder  die  Elemente  A 
müssen  wieder  von  entgegengesetzten  Seiten  her  in  B 
eindringen.  Hier  entsteht  derselbe  Konflikt  von  neuem; 
die  Elemente  A  dringen  wieder  aus  B  hervor,  kehren 
aber  auch  aus  demselben  Grunde  wieder  zu  ihm  zu- 
rück u.  s.  f.  So  vollziehen  die  beiden  Elemente  A,  in- 
folge der  Kraftverhältnisse,  welche  aus  ihrem  ersten  Zu- 
sammen mit  B  hervorgehen,  unaufhörlich  osziilatorische 
Bewegung,  die  ihr  Zusammensein  mit  B  ab- 
wechselnd aufhebt  und  wieder  herstellt  Wird 
aber  eines  der  Elemente  A,  etwa  A',  durdi 
irgend  eine  äußere  Ursache  in  seiner  Be- 
wegung aufgehalten,  so  daß  es  etwas  später  als  das 
andere  A  auf  B  trifft,  so  wird  dieses  A  mit  B  zusammen 
bleiben;  und  weil  es  im  Moment  seines  Zusammentreffens 
mit  B  den  Gegendruck  von  Seiten  des  A'  nicht  erfährt, 
so  kann  es  seine  Bewegung,  in  die  es  B  mit  hineinzieht, 
nach  A'  hin  fortsetzen.  Dadurch  kommen  aber  bald  alle 
drei  Elemente  wieder  zusammen;  es  entstehen  unter 
ihnen  von  neuem  die  beschriebenen  Kraftverhältnisse, 
und  durch  diese  auch  wieder  die  vorigen  Bewegungs- 
Verhältnisse.  Die  drei  Elemente,  so  miteinander  ver- 
knüpft, bilden  zwar  noch  kein  materielles  Molekül,  zeigen 
noch  keine  feste  räumliche  Gestaltung,  aber  der  Anfang 
zur  Bildung  der  Materie  aus  einfachen  Elementen  ist 
durch  diese  Bewegungsverhältnisse  gegeben.  Bevor  wir 
dies  jedoch  weiter  entwickeln,  wollen  wir  zunächst  an 
einiges  Bekannte  erinnern. 

Nach  der  gewöhnlichen  physikalischen  Atomistik  denkt 
man  sich  die  Körper  aus  unteilbaren  Elementen  oder 
Atomen  zusammengesetzt,  die  anziehend  und  abstoßend 
aufeinander  wirken,  über  deren  Gestalt  und  Ausdehnung 
aber  keine  bestimmte  Ansicht  vorliegt  Solche  Atome 
gruppieren  sich  nach  bestimmten  quantitativen  Verhält- 


—     55    — 

Hissen  zu  zusammengesetzten  Atomen  oder  sogenannten 
Molekülen,  welche  wieder  zu  einem  größeren  materiellen 
Oanzen  zusammentreten  können.  Der  Abstand  der  ein- 
zelnen Atome  wird  aber  größer  gedacht  als  ihre  Au&* 
dehnung,  falls  man  ihnen  eine  solche  zugesteht,  und  die 
zusammengesetzten  Atome  oder  Moleküle  sollen  in  noch 
größeren  Distanzen,  als  die  einzelnen  Atome,  vonein- 
ander abstehen.  Die  Atomgruppe,  welche  man  Molekül 
oder  kleinstes  Massenteilchen  oder  wohl  auch  ein  Atom 
höherer  Ordnung  nennt,  hat,  je  nach  der  Stellung  der 
einzelnen  Atome  in  derselben,  eine  bestimmte  Oestalt, 
durch  welche  natürlicherweise  auch  die  Gestaltung  des 
größeren  Ganzen  bedingt  ist  Wenn  nun  ungleichartige 
Stoffe  unter  den  gehörigen  umständen  zusammenkommen, 
so  entsteht  aus  ihnen  ein  neuer  Körper,  indem  die 
Atome  dieser  Stoffe  sich  auf  bestimmte  Weise  zu  zu- 
sammengesetzten Atomen  (Moleküle)  verbinden,  die  dann 
untereinander  den  neuen  Körper  zusammensetzen.  So 
bildet  z.  B.  1  Atom  Wasserstoff  mit  1  Atom  Sauerstoff 
1  Atom  oder  kleinstes  Massenteilchen  Wasser;  und  viele 
solcher  Massenteilchen  bilden  zusammen  eine  größere 
Wassermenge.  In  ähnlicher  Weise  entsteht  aus  1  Atom 
Schwefel  und  3  Atomen  Sauerstoff  1  Atom  (oder  kleinstes 
Massenteilchen)  Schwefelsäure,  und  aus  1  Atom  Sauer- 
stoff mit  1  Atom  eines  metallischen  Stoffes:  Kalium 
1  Atom  (Massenteilchen)  Kaliumoxyd  oder  Kali.  Beide, 
die  Schwefelsäure  und  das  Kali,  können  sich  wieder  zu 
einem  neuen  Körper,  zu  einem  Salze  verbinden,  das 
man  schwefelsaures  Kali  nennt,  indem  sich  je  l  Atom 
Schwefelsäure  mit  je  1  Atom  Kali  zu  einem  Massenteilchen 
gruppiert,  deren  viele  zusammen  ein  größeres  Quantum 
dieses  Salzes  bilden.  Jede  chemische  Verbindung,  die 
einen  bestimmten  Körper  darstellt,  erscheint  sonach  als 
eine  Gruppe  mehr  oder  weniger  zusammengesetzter 
Atome  oder  Massenteilchen,  deren  letzte  Glieder  jene 
nicht  weiter  teilbaren  Atome  sind. 

Die  Teilbarkeit   der  Körper,    welche  nicht  ins  Uii'^ 


—     56     — 

endliche  gehen  und  daher  auch  keine  kontinuierliche 
Raumerfüllung  durch  die  Materie  zulassen  kann,  und 
eine  Menge  von  Erscheinungen,  welche  die  Materie  in 
ihren  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften  dar- 
bietet, fordern  diese  atomistische  Vorstellungsweise.  Schon 
die  Natur  eines  jeden  Kristalles  weist  auf  eine  ato- 
mistische Konstitution  hin.  Diese  Atomenlehre  gewährt 
zwar  noch  keine  tiefere  Einsicht  in  das  eigentliche  Wesen 
der  Materie,  aber  sie  ist  einer  beträchtlichen  Erweiterung 
und  Verfeinerung  fähig,  und  kann  vielleicht  zu  einem 
selbst  die  höheren  naturwissenschaftlichen  Bedürfnisse 
befriedigenden  Abschlüsse  gelangen,  wenn  sie  die  Atome 
als  schlechthin  einfache  Elemente  auffaßt.  Ihre  weitere 
erfolgreiche  Ausbildung  hängt  dann  von  der  Beantwortung 
der  Frage  ab,  wie  diese  einfachen  Atome,  ohne  daß  sie 
unmittelbar  (durch  den  leeren  Raum)  aufeinander  wirken, 
doch  unter  sich  Eraftverhältnisse  entfalten,  welche  aus 
ihnen  ein  räumliches  Ganze  mit  solchen  Eigenschaften 
entstehen  lassen,  wie  sie  die  erfahrungsmäßig  gegebene 
Materie  darbietet 

Die  Erscheinungen  des  Lichts  und  der  Wärme,  obschon 
dieselben  sich  weit  über  den  Umfang  der  gegebenen 
Körper  hinaus  in  den  umgebenden  Raum  erstrecken, 
treten  doch  immer  an  der  wägbaren  Materie  hervor,  so 
daß  sie  jedenfalls  durch  die  Tätigkeit  der  letzteren,  wenn 
auch  nicht  ausschließlich,  so  doch  wenigstens  teilweise 
bedingt  sind.  Ähnliches  gilt  von  den  Erscheinungen  der 
Elektrizität.  Andrerseits  deuten  aber  diese  Erscheinungen 
wieder  auf  etwas  von  der  Materie  Unabhängiges  und 
Selbständiges,  als  auf  ihr  Ursächliches  hin.  Wenn  Licht 
und  Wärme  von  einem  Körper  ausgehen  und  auf  einen 
anderen  treffen,  so  werden  in  diesem,  allerdings  je  nach 
dessen  Natur,  Erscheinungen  bewirkt,  die  man  nicht  ohne 
weiteres  auf  eine  bloße,  durch  jenen  Körper  veranlaßte, 
Selbsttätigkeit  desselben  zurückführen  kann. 

Wenn  wir  sehen,  wie  ein  Körper  durch  die  Wärme 
ausgedehnt  wird,   wenn  wir  weiter  beobachten,   daß   der 


—     57     — 

Körper  seine  bisherige  Aggregatform  verliert  und  eine 
davon  verschiedene  erhält,  so  müssen  wir  wohl  annehmen, 
daß  etwas  von  den  Massenteilchen  der  Körper  Verschie- 
denes und  Selbständiges  in  den  Zusammenhang  der- 
selben eingreift  und  mit  ihnen  in  Wechselwirkung  tritt. 
Die  physikalische  Atomistik  hat  nun  auch  schon  längst 
außer  denjenigen  Atomen,  welche  als  Grundbestandteile 
der  wägbaren  Materie  betrachtet  werden  müssen,  noch 
andere  Atome  angenommen,  die  sie  unter  dem  Namen 
Äther  zusammenfaßt  Die  Atome  des  Äthers  sollen  sich 
gegenseitig  abstoßen,  während  zwischen  jedem  Atome 
der  wägbaren  Materie  und  Ätheratome  Anziehung  statt- 
findet So  ist  um  jedes  Atom  der  Materie  eine  Äther- 
sphäre gruppiert,  deren  Elemente  mancherlei  Einwirkungen 
von  Seiten  der  Körperatome  empfangen  können,  wenn 
diese  durch  irgend  eine  Ursache  aus  ihrer  Gleich- 
gewichtslage verrückt  werden.  Dadurch  können  die 
Atome  der  Äthersphären  und  weiterhin  auch  die  Äther- 
atome im  umgebenden  Räume  in  gewisse  Bewegungs- 
zustände  versetzt  werden,  die  sich  von  Atom  zu  Atom 
auf  benachbarte  Körper  foripflanzen  und  in  diesen  ent- 
sprechende  Veränderungen  hervorbringen.  Die  Fort- 
pflanzung der  strahlenden  Wärme  und  deren  Wirkung 
bietet  hierzu  ein  bekanntes  Beispiel. 

Gehen  wir  von  hier  aus  zurück  zu  unserer  oben 
begonnenen  Vergleichung  der  einfachen  Elemente,  so 
führt  diese  fast  von  selbst  zur  möglichen  Existenz  von 
solchen  Elementen,  die  man  in  der  physikalischen 
Atomistik  unter  dem  Namen  des  Äthers  zusammenfaßt. 
Die  Qualitäten  der  einfachen  Elemente  können  gleich 
sein,  aber  auch  in  bestimmten  Gegensätzen  untereinander 
stehen.  Der  Gegensatz  kann  nicht  allein  mehr  oder 
minder  stark  sein,  sondern  auch  noch  eine  andere  Art  ^ 
des  Unterschiedes  darbieten,  je  nachdem  entweder  schon 
Ein  Element  A  hinreicht,  um  ein  anderes  B  zu  einer 
vollständigen  Reaktion,  nämlich  zu  dem  möglichen  Maxi- 
mum derselben,  das  sich  aJs  Einheit  betrachten  läßt,  zu 


—    58    - 

veranlassen,  oder  erst  mehrere  El^nonte  a  denjenigea 
Grad  der  Reaktion  hervorzubringen  vermögen,  dessen  B 
überhaupt  fähig  ist,  so  daß  der  Grad  der  Beaktion,  zu 
welchem  B  durch  ein  a  gebracht  wird,  als  ein  BruditeU 
der  Einheit  anzusehen  ist  Diese  Verschiedenheit  lä£t 
sich  als  Gleichheit  und  Ungleichheit  des  GegensatsiEeß 
bezeichnen.  Stehen  also  die  Elemente  A  und  B  in  einem 
gleichen  Gegensätze  zueinander,  so  werden  sich  beide 
Elemente,  falls  sie  zusammen  sind,  zu  dem  höchsten  Grad 
der  B.eaktion,  dessen  sie  überhaupt  fähig  sind,  veranlassen. 
Kommt  aber  noch  ein  zweites  Element  A  hinzu,  so 
wirkt  B  abstoßend,  indem  es  der  Erhöhung  seiner  Re- 
aktion über  das  mögliche  Maximum  hinaus  widerstrebt. 
Ist  aber  der  Gegensatz  zwischen  zwei  Elementen  B  und 
a  ein  ungleicher,  so  daß  etwa  zwei  Elemente  der  Art  a 
nötig  sind,  um  in  B  das  Maximum  der  Reaktion  hervor- 
zubringen, so  wird  die  Reaktion  von  B  gegen  ein  ein- 
zelnes a:  »a  Ys  ^^^  ganzen  Reaktion  in  B  sein.  Die 
beiden  a  werden  in  diesem  Falle  mit  B  zusammen  bleiben 
können,  solange  bis  ein  drittes  a  hinzukommt,  wo  dann 
das  Element  B,  zufolge  der  geforderten  Erhöhung  seinw 
Reaktion  über  das  natürliche  Maximum  hinaus,  wieder 
abstoßend  wirkt  Doch  wird  auch  hier  zwischen  den 
Elementen  a  selbst  schon  früher,  noch  ehe  das  dritte 
hinzukommt,  Abstoßung  einti*eten,  insofern  sie  nämlich 
miteinander  in  Konflikt  geraten,  indem  jedes  gegen  das 
andere  in  B  zu  verharren  strebt.  Sie  verdrängen  sich 
aus  dem  letzteren  nach  entgegengesetzten  Richtongea, 
jedoch,  da  mit  dem  Außereinander  ihr  Konflikt  wegMlt, 
mit  der  Bedingung,  bald  darauf  wieder  (durch  eine  rück- 
gängige Bewegung)  in  B  einzudringen. 

Wie  bei  dem  gleichen,  so  können  auch  bei  einem 
ungleichen  Gegensatze  im  Grunde  nie  mehr  als  zwei 
qualitativ  entgegengesetzte  Elemente  (B  und  a)  zusammen 
bleiben;  sobald  ein  zweites  a  hinzukommt,  entsteht  not- 
wendig Abstoßung,  die  im  Verein  mit  der  Anziehung 
oder  dem  Bestreben  der  Elemente  a,  in  B  zu  verharven^ 


—     69     — 

zu  jener  oscillatorischen  Bewegung  der  Elemente  a  in 
Bezug  auf  das  eine  B  führt  Der  Unterschied  liegt  nur 
darin,  daß  bei  einem  ungleichen  Gegensatze  erst  dann 
eine  abstoßende  Tätigkeit  von  selten  des  einen  Elements^ 
das  wir  hier  B  nennen,  erwacht,  wenn  eine  gewisse  An-« 
2ahl  anderer  Elemente,  die  mehr  als  zwei  beträgt,  über^ 
schritten  wird;  während  dieselbe  bei  einem  gleichen 
Gegensätze  zwischen  den  Elementen  A  und  B  sogleioh 
hervortritt,  falls  ein  zweites  A  oder  auch  ein  zweites  B 
hinzukommt 

Die  Gleichheit  und  Ungleichheit  des  Gegensatzes  hat 
namentlich  Bedeutung  in  Hinsicht  auf  das  quantitative 
Verhältnis,  nach  welchem  sich  die  Elemente  zusammen 
gruppieren.  Eine  Ungleichheit  des  qualitativen  Geg^i-« 
Satzes  unter  den  Elementen,  über  deren  mögliche  Anzahl 
nichts  entschieden  werden  kann  und  auch  nichts  en^ 
schieden  zu  werden  braucht,  ist  aber  a  priori  gewü 
ebenso  wahrscheinlich  als  die  vollkommene  Gleichhttt 
desselben.  Der  Gegensatz  zwischen  einem  Element  B 
und  gewissen  anderen  c  kann  nun  auch  so  ungleiob 
sein,  daß  eine  sehr  große  Anzahl  dieser  Elemente  nötig 
ist,  um  jenes  erste  zum  Maximum  der  Reaktion  zu  vor* 
anlassen,  dergestalt  also,  daß  sehr  viele  derselben  mit  B 
zusammen  sein  können,  ehe  ihnen  von  selten  des  letzteiea 
eine  abstoßende  Tätigkeit  entgegentritt.  Vermöge  dea 
Konflikts  aber,  der  zwischen  den  Elementen  c  in  B  statt- 
findet, weichen  sie  aus  diesem  nach  allen  Seiten  (in  der 
Sichtung  der  Badien,  die  man  sich  von  B  aus  gezog^i 
denken  kann)  heraus,  um  bald  darauf  wieder  in  dasselbe 
einzudringen.  Und  wenn  sie  bei  dieser  osciUatorischea 
Bewegung  auf  andere  Elemente  c  (außerhalb  B)  treffen^ 
so  können  sie  diese  mit  in  die  Bewegung  hineinziehen, 
und  gewissermaßen  zu  B  hinführen.  Sobald  aber  in  B 
der  Elemente  c  sich  so  viele  begegnen,  daß  jenes  daa 
Maximum  seiner  Beaktion  überschreiten  müßte,  um  sie 
alle  in  sich  zu  erhalten,  gesellt  sich  zu  dem  Konflikt^ 
welcher  zwischen   den   einzelnen   Elementen   c   besteh)^ 


—     60     — 

noch  die  repulsive  Tätigkeit  von  selten  des  B,  wodurch 
eine  Vergrößerung  der  Schwingungsweite  der  oscillieren- 
den  Elemente  c  bewirkt  wird.  Die  letzteren  bilden  zu- 
sammen eine  verdichtete  Sphäre  um  das  eine  Element  B, 
das  für  ihre  oscillatorische  Bewegung  das  gemeinsame 
Zentrum  und  zugleich  der  Ursprung  ist  Alle  Elementer 
welche  sich  auf  einem  und  demselben  Radius  einer 
solchen  Sphäre  befinden,  beginnen  zwar  gleichzeitig  ihre 
Bewegung  nach  dem  Zentrum  hin,  können  aber  dasselbe 
nicht  alle  auch  gleichzeitig  erreichen,  sondern  während 
die  dem  Zentrum  zunächst  gelegenen  Elemente  aus  diesem 
schon  wieder  herausweichen,  sind  vielleicht  die  weiter 
zurückstehenden  erst  im  Begriff,  in  dasselbe  einzudringen. 
Es  werden  also  wahrscheinlicherweise  nicht  alle  Elemente 
einer  vollständig  ausgebildeten  Sphäre  mit  dem  Element  B 
wieder  ganz  zusammenkommen;  aber  alle  Elemente 
werden  doch  eine  gemeinsame  Bewegung  abwechselnd 
nach  diesem  Element  hin  und  von  demselben  hinweg 
haben.  Die  Sphäre  wird  sich  demgemäß  abwechselnd 
verdichten  und  ausdehnen. 

Diejenigen  einfachen  Elemente  nun,  welche  unter- 
einander in  einem  starken,  aber  gleichen  oder  doch  nicht 
sehr  ungleichen  Gegensatze  stehen,  betrachten  wir  als 
die  eigentlichen  Giiindbestandteile  der  Materie.  Die 
anderen  dagegen,  welche  mit  diesen  Grundelementen  und 
gewissermaßen  Kernpunkten  der  Materie  einen  sehr  un- 
gleichen Gegensatz  bUden,  und  sich  demgemäß  in  sehr 
großer  Anzahl  um  jedes  einzelne  derselben  dauernd 
gruppieren  können,  machen  zusammen  den  sogenannten 
Äther  aus,  dessen  mögliche  Existenz  sich  aus  einer  ver- 
gleichenden Betrachtung  der  Elemente  (bezüglich  ihrer 
Qualität)  ergeben  hat.  Auch  die  physikalische  Atomistik 
nimmt,  wie  bereits  erwähnt  ist,  Ätheratome  an,  von 
denen  sie  ohne  weiteres  voraussetzt,  daß  eine  sehr  große 
Anzahl  derselben  sich  um  jedes  Atom  der  wägbaren 
Materie,  vermöge  wechselseitiger  Anziehung,  gruppieren 
könne. 


—     61 


Kommen  nun  zwei  ungleichartige  Elemente  A  und  B, 
von  denen  jedes,  auf  die  angegebene  Weise,  mit  einer 
Äthersphäre  umgeben  ist,  einander  hinreichend  nahe,  so 
werden  ihre  Äthersphären  ineinander  greifen,  und  auf 
derSeit^,  wo  dies  stattfindet,  Elemente  der  einen  Sphäre 
mit  denen  der  anderen  zusammentreffen.  Diese  zu- 
sanmientreffenden  Ätherelemente,  obwohl  an  sich  gleich- 
artig, befinden  sich  doch,  da  [sie  den  ungleichartigen 
Elementen  A  und  B  angehören,  in  entgegengesetzten 
Beaktionszuständen,  und  können  deshalb  auch  gegen- 
einander eine  Beaktion  ausüben,  die  einer  Anziehung 
gleichgeltend  ist  Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  jeden- 
falls werden  die  Ätherelemente,  welche  beim  Inein- 
andergreifen der  beiden  Sphären  zusammentreffen,  sich 
in  ihrer  Bewegung  verzögern,  so  daß  die  auf  der  ent- 
gegegengesetzten  Seite  befindlichen  Elemente  in  dem 
Moment,  wo  die  Sphären  sich  zusammenziehen,  den  bis- 
herigen Druck   von  der  anderen  Seiten   her  nicht  mehr 


I. 


D 


in  dem  Maße  wie  sonst  erfahren  werden.  Die  Sphären 
müssen  also  infolge  der  Verzögerung,  welche  die  Ele- 
mente auf  der  Innenseite,  in  ihrer  Bewegung  nach  den 
Zentralelementen  A  und  B  hin,  erleiden,  (s.  Eig.  L)  auf 
die  letzteren  einen  stärkeren  Druck  von  der  Außenseite 
her  ausüben.  Und  deshalb  müssen  die  beiden  Elemente 
A  und  B  sich  einander  nähern,  bis  wieder  ein  neues 
Gleichgewichtsverhältnis  zwischen  den  oscillierenden  Äther- 
elementen sich  hergestellt  hat  Kommt  nun  zu  B  noch 
ein  zweites  Element  A*  hinzu,  so  wird  sich  zwischen 
beiden  das  vorige  Ereignis  wiederholen.  Doch  erfährt  B 
keine  Ortsveränderung,  insofern  es  auf  beiden  Seiten 
derselben  Einwirkung  unterliegt;  wohl  aber  müssen  die 
beiden  A  (s.  Fig.  11.),  weil  der  Druck  ihrer  Äthersphären 


—     62    — 

Aof  der  Außenseite  das  Übergewicht  hat,  in  der  Ricbtung: 
iler  Heile  zu  dem  Element  B  hindrängen,  bis  ein  ge- 
wisses Gleichgewicht  zwischen  den  Dmckrerhlütmssen 
aller  drei  Athersphären  eingetreten  ist  Dabei  können 
die  letzteren  dergestalt  ineinander  getrieben  werden,  dafi 
jedes  Zentratelement  innerhalb  der  iSphäre  des  benach- 
barten Elements  zu  liegen  kommt  Die  drei  Elemente 
A,  6  und  A'  verharren  nun  in  bestimmten  Abständen 
voneinander,  und  jede  Verrückung  des  einen  Elements 
wird  eine  entsprechende  Bewegung  des  anderen  Kur 
Folge  haben. 

Nehmen  wir  z.  B.  an,  daß  das  eine  Element  A'  dnrch 
iigend  eine  Ursache  etwas  von  dem  mittleren  enttent 
werde,  so  ist  das  Gleichgewicht  des  Druckes  von  aeiten 
der  beiden  Sphären  tun  A  gegen  B  hin  gestört  Die 
Sphäre  des  Elements  A  übt  jetzt  einen  stärkeren  Druck 
aus  als  die  um  A'.  so  daß  jene  samt  dem  Element  B 
nach  A  hin  fortrücken  muß.  Wird  umgekehrt  A'  durch 
irgend  eine  Ursache  in  B  tiefer  eingedruckt,  so  werden 
natürlicherweise  audi  die  beiden  anderm  Elemente  mit 
hren  Sphtiren  eine  Verrückung  in  demselbea  Sinne  er- 
fahren, falls  ihnen  in  der  Ricbtung  des  starkwea  Druckes 
freie  Bewegung  gestattet  ist  Auch  werden  die  drei 
Elemente  stets  eine  lineare  Anordnung  zu  behaupten 
suchen.  Wäre  das  zweite  A'  mit  B  nicht 
gerade  auf  der  entgegengesetzten  Seite 
zusammengetroffen,  sondern  irgend  «o 
anders ,  z,  B.  wie  die  Figur  III.  angibt; 
so  würde  die  Bewegung  der  Atberele- 
niente  zwischen  B  und  jedeni  A,  da  wo 
die  Sphären  ineinander  greifen,  wie  sonst 
verzögert  werden.  ^In  diesem  Falle  könnte  aber  das  Ele- 
ment B,  während  die  beiden  A  tiefer  in  dasselbe  einzu- 
dringen streben,  nicht  in  Ruhe  bleiben,  weil  es  nicht 
wie  oben  nach^Jentgegengesetzten  Richtungen  hin  dieselbe 
Einwirkung  erleidet,  sondern  es  gibt  jetzt  für  B  zwei 
Richtungen   des  schwächeren  Druckes,   die  miteinander 


—     63     — 

eiDen  Winkel  einschließen.  Nach  diesen  Richtungen,  die 
man  erhält,  wenn  man  sich  das  Zentrum  der  Sphäre 
um  B,  also  das  letztere  selbst  mit  den  beiden  anderen 
Zentralelementen  durch  gerade  Linien  verbunden  denkt, 
strebt  das  Element  B  nach  A  und  A'  hin.  Die  wirk- 
liche Bewegung  des  Elements  B  muß  demnach  in  einer 
mittleren  Richtung  erfolgen,  imd  daraus  resultiert,  indem 
B  zwischen  A  und  A*  tiefer  eindringt,  notwendig  eine 
lineare  Anordnung  dieser  drei  Elemente.  —  Drei  Ele- 
mente von  der  Art  A  werden  um  das  eine  Elemen  B 
ein  gleichseitiges  Dreieck,  vier  ein  Quadrat  und  acht 
einen  Kubus  um  dasselbe  formieren  (s.  Fig.  I.).  Da  nun 
die  Ätherelemente,  welche  den  nicht  in* 
einander  greifenden  Teilen  der  Sphären 
angehören,  gegen  die  betreffenden  Zentral- 
elemente A  einen  stärkeren  Druck  ausüben 
als  die  auf  der  Innenseite  befindlichen 
Ätherelemente,  so  werden  die  Elemente  A 
nach  dem  mittleren  Element  B  hingetrieben.  Sobald  aber 
dem  äußeren  Drucke,  nach  Herstellung  eines  gewissen 
Gleichgewichts,  wieder  ein  innerer  Druck  von  ange- 
messener Stärke  entgegenwirkt,  müssen  die  Elemente  A 
in  bestimmten  Abständen  vcn  B  verharren. 

Die  Atome  oder  Elemente  A,  so  durch  ihre  Äther- 
sphären mit  dem  Element  B  verbunden  und  um  dasselbe 
gruppiert,  bilden  Moleküle  oder  kleinste  Massenteilchen 
von  bestimmter  Gestaltung.  Jene  Elemente  können  nicht 
in  unbegrenzter  Anzahl,  sondern  höchst  wahrscheinlich 
nur  nach  einem  bestimmten  quantitativen  Verhältnis  sich 
um  das  eine  Element  B  in  angemessener  Weise  grup- 
pieren, so  daß,  wenn  ihrer  sehr  viele  mit  dem  letzteren 
zusammentreffen,  Bewegungsverhältnisse  entstehen,  durch 
welche  ein  Teil  derselben  entfernt  und  von  der  Ver- 
bindung ausgeschlossen  wird.  Dagegen  können  solche 
Elemente  A  mit  einem  neuen  B  ein  zweites  Massen- 
teilchen dieser  Art  bilden ,  u.  s.  f.  Die  Gestalt  dieser 
Moleküle  ist  aber  durch  das  eben  erwähnte  quantitative 


64 


Yerhältnis  bedingt  Wio  nua  zwei  Elemente  A,  falls  sie 
auf  ein  Element  B  treffen,  mit  diesem  eine  lineare  An- 
ordnung bilden,  so  müssen  auch  mehrere  A  sich  auf  eine 
bestimmte,  regelmäßige  Weise  nm  ein  B  gruppieren,  wie 
es  das  Gleichgewicht  zwischen  den  Dmckverbältnissen 
der  verschiedenen  Äthersphären  um  A  gegen  die  Sphfire 
um  B  verlangt 

Bei  anderen  Massenteilchen  bann,  gemäß  dem  Gegen- 
sätze der  sie  konstituierenden  Orundelemente,  das  quanti- 
tative Yerhältnis  und  die  Gestaltung  eine  andere  seia 
Wenn  z.  B.  ein  Element  C  sechs  andere  Elemente  von 
der  Art  A  dauernd  um  sich  gruppieren  kann,  so  werden 
die  letzteren  zusammen  ein  Oktaeder  um  das  erstrae 
bilden. 

Viele  Massenteilchen  von  derselben  Art  können  sich 
nun  zu  einem  größeren  gleichartigen  Ganzen  gruppieren, 


wenn  sie  miteinander  in  hinreichend  nahe  Beiührang 
kommen.  Treffen  z.  B.  zwei  wUrfelfönuige  Hassenteitchen 
zusammen,  so  wird  zwischen  den  Athersph&rea  A,  A' 
(Fig.  n.)  das  bereits  in  Erwägung  gezogene  Ereignis  statt- 
finden; die  Ätherelemente  an  der  Berühningsaeite  werden 
in  ihrer  Bewegung,  nach  den  Zentralelementen  hin,  ver- 
zögert, so  daß  der  Druck  nach  der  entgegengeeetzten 
Seite  hin  vermindert  wird.  Da  also  der  äußere  Druck  in 
der  Richtung  der  Pfeile  das  Obergewicht  hat,  so  werden 
die  beiden  Massenteilchen  tiefer  ineinander  gedrängt  und 
die  Hauptzentralelemente  derselben  einander  näher  ge- 
rückt; es  ist  so,  als  ob  zwischen  beiden  eine  gegenseitige 
Anziehung  stattfände     Aber  auch  hier  muß  sich   ein 


—     65     — 

bestimmtes  Oleichgewicht  zwischen  dem  inneren  und 
äußeren  Druck  herstellen;  und  wie  schon  jedem  kleinsten 
Massenteilchen  eine  bestimmte  Gestalt  und,  gemäß  dem 
Abstände  seiner  Orundbestandteile,  eine  bestimmte  Dichte 
zukommt,  so  gilt  dies  auch  von  dem  größeren  Ganzen, 
das  aus  einer  gewissen  Anzahl  von  Massenteilchen  ge- 
bildet ist.  Die  Grundelemente  der  letzteren  können 
durch  äußere  Einwirkungen  (Zug  und  Druck)  vonein- 
ander entfernt  und  einander  genähert  werden,  aber  sie 
streben  mit  Notwendigkeit  stets  wieder  zurück  in  die 
normale  Lage,  welche  durch  das  Gleichgewicht  der 
Druckverhältnisse  bedingt  ist  Daher  ist  die  Materie 
innerhalb  gewisser  Grenzen,  die  bei  verschiedenen  Arten 
natürlich  mehr  oder  weniger  weit  auseinander  liegen, 
vollkommen  elastisch. 

Aus  solchen  kleinsten  Massenteilchen  müssen  wir  uns 
alle  Körper  zusammengesetzt  denken,  unter  ihnen  auch 
die  Metalle,  sowie  überhaupt  die  sogenannten  chemischen 
Grundstoffe.  Die  Elemente  aber,  welche  diese  Massen- 
teilchen bilden,  können  durch  ihre  Kraftverhältnisse  so 
unauflöslich  miteinander  verknüpft  sein,  daß  nur  die 
Verbindung  der  Massenteilchen  untereinander  einer 
Trennung  fähig  ist  Die  Massenteilchen  ungleichartiger 
Körper  vereinigen  sich  dagegen  in  bestimmten  Verhält- 
nissen, welche  die  Chemie  lehrt,  zu  neuen  Massenteilchen 
höherer  Ordnung,  welche  sich  wieder  zu  einem  größeren 
Ganzen  gruppieren  können.  Dies  muß  im  allgemeinen 
nach  denselben  Gesetzen  geschehen,  welche  für  die  ur- 
sprünglichen Elemente  galten,  als  sie  sich  zu  jenen 
kleinsten  Körperteilchen  miteinander  vereinigten.  Was 
aber  die  Gestalt  der  Teilchen  (Moleküle)  des  neu  ent- 
standenen Körpers  betrifft,  so  hängt  dieselbe  natürlich  von 
den  Formen  der  kleinsten  Massenteilchen  (oder  Moleküle) 
ab,  welche  den  ungleichartigen  Stoffen,  aus  denen  er 
sich  bildet,  zugehören.  Aus  den  Betrachtungen,  die  wir 
darüber  angestellt  haben,  folgt,  daß  die  Gestalt  derselben 
meistens  eine  polyednsche  sein  wird. 

Pld.  Ifag.  828.    Flügel ,  Das  Problem  der  Materie.  5 


—    66    — 

Massenteilchen  von  bestimmter  r^elmäfiiger  Form 
können  sich  so  miteinander  verbinden,  dafi  das  aus  ihnen 
gebildete  Ganze  im  Innern  und  Äußeren  eine  große 
Regehnäßigkeit  zeigt,  so  daß  also  der  Abstand  der  Atome 
und  Massenteilchen  nach  allen  Richtungen  derselbe  ist 
Aber  es  lassen  sich  noch  mehr  Fälle  denken,  wo  dies 
nicht  stattfindet,  Fälle,  wo  der  Abstand  der  einzelnen 
Elemente  oder  Atome  nach  verschiedenen  Richtungen 
ein  «ingleicher  wird,  wenn  verschiedenartige  Massen- 
teilchen sich  zu  einem  neuen  zusammensetzen.  Dann 
wird  natürlich  auch  der  aus  diesen  neuen  Massenteilchen 
bestehende  Körper  nach  verschiedenen  Richtungen  eine 
ungleiche  Dichte  haben  müssen,  was  ebenso  für  den 
Äther  gilt^  der  um  die  einzelnen  Atome  gruppiert  ist  und 
mit  diesen  die  Materie  bilden  hilft 

Alle  Massenteilchen,  deren  Elemente  in  demselben 
quantitativen  Verhältnisse  zueinander  stehen,  müssen  die- 
selbe Gestalt  annehmen,  faUs  die  sonstigen  umstände 
gleich  sind.  Besteht  z.  B.  ein  Massenteilchen  aus  Einem 
Element  von  der  Art  b  und  acht  Elementen  von  der 
Art  a,  so  wird  seine  Gestalt  ein  Würfel  sein.  Dieselbe 
Gestalt  wird  aber  auch  ein  Massenteilchen  annehmen, 
welches  aus  den  Elementen  ß  und  a  in  dem  Verhältnisse 
von  1  :  8  zusammengesetzt  ist  Denn  in  dem  einen,  vvie 
in  dem  anderen  Falle  werden  die  acht  gleichartigen  Ele- 
mente sich  auf  Grund  derselben  Eraftverhältnisse  am  das 
entgegengesetzte  möglichst  gleichmäßig  zu  gruppieren 
suchen.  Die  Gestalt  wird  daher  dieselbe  sein,  mögen 
auch  die  Elemente  der  Massenteilchen  in  beiden  fälle 
noch  so  verschieden  sein.  Ein  gleiches  Verhalten  muß 
nun  auch  bei  verschiedenen  chemisch  zusammengesetzten 
Körpern  stattfinden,  deren  ungleichartige  Massenteilchen 
(Atomgruppen)  in  demselben  quantitativen  Verhältnisse 
zusammentreten.  Doch  kann  hier,  wo  die  nächsten  kon- 
stituierenden Bestandteile  nicht  einfache  Elemente,  son- 
dern Kombinationen  aus  denselben  sind,  bei  verschiedenen 
Körpern  neben  der  gleichen  äußeren  Kristallgestalt,   die 


—     67     — 

durch  das  gleiche  quantitative  Verhältnis  jener  Bestand- 
teile bedingt  ist,  auch  eine  gewisse  Verschiedenheit  in 
der  inneren  physikalischen  Konstitution  bestehen,  welche 
ihren  Orund  darin  haben  könnte,  daß  die  einfachen  Atome 
in  den  Massenteilchen  dieser  Körper  nicht  eine  vollkom- 
mene gleiche  Anordnung  besitzen. 

Die  Atome  derselben  Massenteilchen,  welche  in  be- 
stimmten quantitativen  Verhältnissen  einen  Körper  bilden, 
können  unter  verschiedenen  umständen  sich  auf  ver- 
schiedene Weise  gruppieren  und  dadurch  Verbindungen 
liefern,  welche  bei  derselben  prozentischen  Zusammen- 
setzung und  demselben  Atomgewichte  eine  sehr  merk- 
liche Verschiedenheit  in  ihrer  chemischen  Natur  zeigen. 
Derartige  Verbindungen  nennt  man  in  der  Chemie  meta- 
merische, während  man  unter  poljmerischen  Körpern 
solche  versteht,  welche  bei  gleicher  prozentischer  Zn- 
sammensetzung ein  verschiedenes  Atomgewicht  besitzen, 
so  daß  also  hier  die  absolute  Anzahl  der  verschieden- 
artigen Atomgrappen,  welche  in  die  Verbindung  eingehen, 
nicht  dieselbe  ist.  Die  organische  Chemie  gibt  zahl- 
reiche hierher  gehörige  Beispiele.  Zu  dem  letzteren 
Falle  gehören  in  der  unorganischen  Chemie  die  unter- 
schwefelige  Säure  (S*  0*)  und  die  Pentathionsäure  (8*0*), 
die  beide  aus  Schwefel  und  Sauerstoff  in  demselben 
relativen  Verhältnis  bestehen. 

Wenn  ungleichartige  Massenteilchen  sich  zu  einem 
neuen  Massenteilchen  höherer  Ordnung  zusanmiensetzen^ 
so  findet  dabei,  nach  den  bereits  dargelegten  Prinzipien, 
ein  tieferes  Ineinandergreifen  derselben,  also  eine  Ver- 
dichtung statt  Die  Elemente  der  Äthersphären  geraten 
in  neue  Oszillationszustände,  die  sich  durch  den  Äther 
im  umgebenden  Baume  auf  die  Äthersphären  anderer 
Körper  übertragen,  deren  Grundbestandteile  dann  gleich- 
falls einer  gewissen  Einwirkung  unterliegen  müssen. 
Man  erkennt  nun  leicht,  daß  hieraus  die  Erscheinungen 
des  Lichts  und  der  Wärme  folgen  können,  welche  mit 
chemischen  Verbindungen  und  !ßrennungen  so  häufig  ver- 


—     68     — 

bunden  sind.  Diese  Erscheinungen  haben  ihren  Ursi»img 
in  der  Materie,  insofern  als  der  Äther  einen  wesentlichen 
Bestandteil  derselben  ausmacht;  sie  gehen  von  der  Materie 
aus,  und  können  sich,  weil  jene  Bewegung  der  Äther- 
eleraente  auf  den  benachbarten  Äther  übergeht,  weiter 
im  ümgebungsraume  fortpflanzen. 

Wenn  nun  die  Ätbersphären  verschiedener  Elemente 
soweit  ineinandergreifen,  daß  jedes  Zentraleiement  der 
einen  Sphäre  von  der  anderen  umschlossen  ist  (s.  neben- 
stehende Fig.),  so  wird  dadurch  ein  festerer  Zusammen- 
halt zwischen  diesen  Elementen  bewirkt,  die  dann  nicht 
nur  in  bestimmten  Abständen  (s.  Fig.  L),  sondern  auch 
in   einer   bestimmten    gegenseitigen   Lage   zu    verharren 

streben.    Und  dies  entspricht  dem 
I  n.  Falle  der  starren  Materie.     Wenn 

aber  irgend  eine  Ursache  eine 
solche  oszillatorische  Bewegung 
der  Ätherelemente  veranlaßt  welche 
dem  Drucke  der  Äthersphären  von  Innen  nach  außen  das 
Übergewicht  verschafft,  so  werden  sich  die  Zentralele- 
mente bis  zur  Herstellung  eines  neuen  Gleichgewichts 
voneinander  entfernen  müssen.  Geht  nun  diese  Ent- 
fernung soweit,  daß  das  eine  Zentralelement  aus  der 
Sphäre  des  benachbarten  Elements  herausgerückt  (siehe 
Fig.  IL),  dergestalt  also,  daß  nur  noch  ein  Ineinander- 
greifen der  Äthersphären  stattfindet,  so  ist  die  Aggre- 
gation der  Elemente  eine  andere  geworden.  Die  eine 
Äthersphäre  wird  sich  jetzt  leicht  an  der  anderen  ver- 
schieben lassen,  wobei  das  betreffende  Zentralelement 
eine  Drehung  um  das  andere  erfährt  Diese  Elemente 
haben  dann  eine  leichte,  freie  Beweglichkeit  nach  all^i 
Richtungen  gewonnen,  und  dies  ist  das  charakteristische 
Kennzeichen  der  tropfbaren  Flüssigkeiten.  Es  versteht 
sich  aber  von  selbst,  daß  das  eben  Erörterte  noch  gerade 
so  gelten  wird,  wenn  man  anstatt  der  einfachen  Atome 
Atomgruppen  oder  Massenteilchen  als  Zentra  der  Äther- 
sphären annimmt    Wirkt  nun  die   Ursache,  wdohe  in- 


—     69     — 

folge  einer  oszillatorischen  Bewegung  der  Ätherelemente 
den  Druck  der  Sphären  von  innen  nach  außen  verstärkt, 
fort,  so  werden  die  Zentralmassenteilchen  immer  weiter 
voneinander  entfernt;  ihre  Sphären  greifen  nicht  mehr 
ineinander  ein,  hören  aber  darum  nicht  auf,  mittelst  der 
zwischen  ihnen  gelegenen  Ätherelemente  gegeneinander 
zu  wirken.  Und  hierdurch  ist  im  wesentlichen  der 
gasförmige  Aggregatzustand  der  Materie   charakterisiert. 

Die  Erscheinungen  der  Elektrizität  haften,  wie  die 
des  Lichts  und  der  Wärme,  an  der  Materie;  sie  treten 
an  derselben  durch  die  verschiedenartigsten  Ursachen 
hervor,  können  sich  aber  gleichfalls  weiter  in  dem  um- 
gebenden Raum  fortpflanzen  und  dadurch  an  und  in 
anderen  Körpern  auf  bestimmte  Weise  wiederholen. 
Auch  diese  Erscheinungen  werden  höchstwahrscheinlich 
durch  bestimmte  Gleichgewichts-  und  Bewegungsverhält- 
nisse der  Ätherelemente  bewirkt,  wobei  jedoch  noch  sehr 
fraglich  ist,  ob  alle  Erscheinungen  des  Lichts,  der 
Wärme  und  Elektrizität  durch  eine  und  dieselbe  Äther- 
art bedingt  sind.  Was  dagegen  den  Magnetismus  an- 
langt, so  weiß  man,  daß  derselbe  sein  Wesen  hat  in 
einer  Polarität,  d.  h.  in  einem  gewissen  Gegensatze, 
dessen  ungleichartige  Glieder  schon  in  jedem  kleinsten 
Massenteilchen  der  betreffenden  Körper  als  vorhanden 
angenommen  werden  müssen.  Da  nun  nach  unseren 
Prinzipien  die  kleinsten  Teilchen  der  Materie  ans  un- 
gleichartigen Elementen  konstituiert  sind,  so  ist  es  uns 
wahrscheinlich,  daß  der  Magnetismus  wesentlich  in  der 
Konstitution  der  Materie  begründet  ist,  so  jedoch,  daß 
eine  besondere  Anordnung  der  Grundelemente  erforder- 
lich ist,  wenn  derselbe  wirklich  hervortreten  soll.  Mit 
diesen  Erörterungen  müssen  wir  uns  hier  begnügen,  in- 
dem wir  auf  die  in  der  Einleitung  genannten  Werke 
verweisen. 

Die  Orundelemente,  aus  welchen  die  sichtbare  Natur 
konstituiert  ist,  werden  also  vermittelst  ihrer  Äther- 
sphären in  bestimmten  Abständen  voneinander  gehalten, 


—     70     — 

ohne  dafi  das  eine  Element  unmittelbar  aaf  das  andere 
wirkt.  Ans  der  oben  angestellten  XJntersuchang  läfit 
sich  aber  erkennen,  daß  die  Materie,  vermöge  der  An- 
ordnung oder  Gruppierung  der  sie  konstituierenden  ein- 
fachen Elemente,  überall,  sowohl  in  ihren  näheren  als 
auch  in  ihren  entfernteren  Bestandteilen  bis  za  den 
kleinsten  Massenteilchen  herab,  eine  bestimmte  Oliederung 
besitzen  muß,  die  wohl  mannigfach  modifiziert,  aber 
niemals  ganz  aufgehoben  werden  kann. 

Eine  unmittelbare  Wirkung  in  die  Feme  (durch  den 
leeren  Raum)  findet  nach  unseren  Prinzipien  weder 
zwischen  den  einfachen  Elementen,  noch  zwischen  den 
aus  diesen  bestehenden  Molekülen,  noch  endlich  zwischen 
größeren  Massen  statt,  welche  aus  solchen  Molekülen  zu- 
sammengesetzt sind.  Auch  deutet  die  Erfahrung  nur  in 
einzelnen  Fällen  scheinbar  auf  eine  derartige  Wirkung 
hin.  Die  chemischen  Prozesse  erfordern  durchweg  eine 
innige  Berührung  der  Eörperteilchen ,  und  von  den 
meisten  physikalischen  und  mechanischen  Prozessen  gilt 
dasselbe.  Ebenso  ist  es  bei  der  Wechselwirkung  zwischen 
den  Körpern  und  unseren  verschiedenen  Sinnesorganen, 
durch  welche  wir  die  sinnlichen  Eigenschaften  der  Körper- 
weit  kennen  lernen.  Das  Tastorgan,  welches  uns  die 
Materie  als  etwas  Raumerfüllendes  zu  erkennen  gibt, 
muß  mit  derselben  in  Berührung  kommen,  und  auch 
das  Geschmacks-  und  Geruchsorgan  reagieren  nur  gegen 
Körperteilchen,  mit  denen  sie  in  wirkliche  Berührung 
treten.  Die  Erscheinungen  des  Schalles  haben  aber  be- 
kanntlich ihre  Ursache  in  einer  schwingenden  Bewegung 
der  Körperteil  eben ,  welche  auf  die  Teilchen  der  um- 
gebenden Luft  sich  überträgt  und  hierdurch  zu  unserem 
Gehörorgane  gelangt,  das  gleichfalls  mit  der  Luft  in  Be- 
rührung steht.  Sollten  nun  die  Körper  dem  Auge  un- 
mittelbar ihre  Gestalten  aufdringen?  Oder  werden  nicht 
vielmehr  die  Empfindungen  desselben  ebenfalls  durch 
irgend  etwas  vermittelt,  das  zwischen  dem  Sehorgane 
und  dem  sichtbaren  Körper  vorhanden  ist? 


—     71     — 

Wir  können  diese  Frage  nur  bejahen;  denn  alle  Er- 
scheinungen des  Lichts  lassen  sich,  wie  man  weiß,  mit 
Evidenz  aus  der  schwingenden  Bewegung  gewisser  Äther- 
elemente erklären,  durch  eine  Bewegung,  die  von  der 
Materie  aus  angeregt  wird,  so  daß  zwischen  diesen  Er- 
scheinungen und  denen  des  Schalles  eine  gewisse  Ana- 
logie besteht  Auch  von  den  Wirkungen  der  Elektrizität 
und  des  Magnetismus  können  wir  mit  Grund  behaupten, 
daß  dieselben  durch  eine  gewisse  Yermittelung  von 
einem  Körper  auf  den  anderen  übergehen.  So  bleibt 
nur  noch  ein  Fall  einer  scheinbar  unmittelbaren  Wir- 
kung in  die  Ferne  übrig.  Was  sollen  wir  nämlich  halten 
von  jenen  Körpern  im  Himmelsraume,  die,  wie  nicht 
geleugnet  werden  kann,  nach  einem  gewissen  Gesetze  in 
weiten,  aber  bestimmten  Abständen  beieinander  gehalten 
werden,  so  daß  sich  jeder  Körper  in  einer  gesetzmäßigen 
Bahn,  die  durch  den  Einfluß  der  übrigen  (zu  einem 
größeren  Ganzen  gehörigen)  Körper  bedingt  ist,  bewegt? 
So  besteht  unser  Sonnensystem  aus  einer  Menge  von 
selbständigen  Körpern,  die  alle  in  demselben  Sinne  um 
die  Sonne  kreisen,  während  gleichseitig  einige  wieder  die 
Zentralkörper  von  anderen  kleineren  sind.  Dies  alles 
erklärt  sich,  wenn  man  annimmt,  daß  zwei  Körper  sich 
wechselseitig  im  direkten  Verhältnisse  der  Massen  und 
im  umgekehrten  des  Quadrates  ihrer  Entfernung  anziehen; 
und  eben  daraus  erklärt  sich  die  freie,  beschleunigte 
Bewegung  der  Körper,  wenn  diese  in  einem  gewissen 
Abstände  von  der  Erdoberfläche  sich  selbst  überlassen 
werden. 

Während  hier  nur  die  Anziehung  zwischen  der  Erde 
und  dem  fallenden  Körper  wirkt,  welche  den  letzteren 
in  Berührung  mit  der  Erde  bringt,  findet  bei  den 
Körpern  im  Himmelsraume  noch  eine  tangentiale  Wir- 
kung statt,  die  im  Yerein  mit  der  Anziehung  und  der 
hierdurch  bewirkten  Bewegung  nach  dem  Zentralkörper 
hin  eine  kreisende  Bewegung  in  geschlossener  Bahn 
hervorbringt    Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß 


—     72     - 

die  Himmelskörper  nach  einem  bestimmten  C^eseüse  in 
bestimmten  Entfernungen  beieinander  gehalten  werden, 
während  sie  ihre  Bahnen  im  Weltenranme  vollführen, 
aber  die  Erfahrung  sagt  uns  gewiß  nicht,  daß  dies  die 
Folge  eines  unmittelbaren  wechselseitigen  Einflusses  der 
betreffenden  Körper  sei,  obschon  man  sich  allerdings 
denken  kann,  daß  die  Bewegungserscheinungen  derselben 
so  vor  sich  gehen,  als  ob  sie  durch  eine  gegenseitige 
Anziehung  bewirkt  würden,  welche  im  direkten  Verhält- 
nisse der  Massen  und  im  umgekehrten  des  Quadrats  der 
Entfernung  je  zweier  Eöiper  oder  Eörperteilchen  steht 
Indessen  kann  man  diesem  Gesetze  einen  mehr  tatsäch- 
lichen Charakter  verleihen,  wenn  man  sagt:  Zwei  Körper 
(oder  Körperteilchen)  im  Baume  haben  die  Tendenz,  sich 
zueinander  hinzubewegen,  dergestalt,  daß  dieselbe,  in  der 
eben  ausgesprochenen  Weise,  von  ihren  Massen  und 
ihrer  Entfernung  abhängig  ist  Die  Frage  nach  der  Ur- 
sache dieser  Tendenz  (oder  auch  der  Gravitation)  kann 
man  dann  einstweilen  dahingestellt  sein  lassen.  Wollten 
wir  jedoch  eine  unmittelbare  Anziehung  zwischen  diesen 
Körpern  (durch  den  leeren  Raum)  annehmen,  so  möchte 
eine  solche  Hypothese  wohl  sehr  wenig  geeignet  sein, 
unsere  Einsicht  in  den  wahren  Zusammenhang  der  be- 
treffenden Erscheinungen  zu  fördern.  Wie  wenig  aber 
Newton  selbst,  der  jenes  Gravitationsgesetz  auffand,  einer 
derartigen  Annahme  geneigt  war,  ergibt  sich  aus  fol- 
gender Stelle^),  die  in  seinem  dritten  Briefe  an  Bkntley 
vorkommt:  »daß  der  Materie  die  Schwerkraft  angeboren, 
inhärierend  und  wesentiich  sei,  so  daß  ein  Körper  auf 
einen  anderen  in  der  Feme  durch  ein  Vakuum  wirken 
könnte,  ohne  Vermittelung  von  etwas,  womit  und  wo- 
durch die  Wirkung  und  die  Kraft  von  dem  einen  zum 
anderen  fortgeführt  würde,  ist  für  mich  eine  so  große 
Ungereimtheit,  daß  ich  glaube,  keiner,  der  in  philosophi- 
schen Dingen  eine  kompetente  Fähigkeit  des  Denkens 


^)  Newtons  Works,  Hobsleys  Edit.  4«,  1783.    Vol.  IV.    p.  43a 


—     73     — 

besitzt,  könne  jemals  in  dieselbe  verfallen.  Gravitation 
muß  durch  ein  beständig  nach  gewissen  Gesetzen  wir- 
kendes Agens  erzeugt  werden.«  Ob  aber  dieses  Agens 
als  materiell  oder  immateriell,  und  wie  es  als  wirksam 
zu  denken  sei,  überläßt  Newton  einer  ferneren  Unter- 
suchung. 

Unsere  Prinzipien  führen  nun,  konsequent  verfolgt,  ge- 
wissermaßen von  selbst  dahin,  daß  der  Äther  nicht 
allein  die  einfachen  Grundelemente  der  Materie  xmd  die 
aus  ihnen  konstituierenden  Massenteilchen  zusammen- 
halte, sondern  auch  zwischen  den  größeren  aus  solchen 
Massenteilchen  bestehenden  Körpern  eine  gewisse  Ge- 
meinschaft unterhalten  müsse.  Wie  der  Äther  sich  um 
jedes  Grundelement  und  Massenteilchen  der  Materie  grup- 
piert, so  wird  derselbe  auch  um  jeden  größeren  Körper 
eine  Sphäre  bilden,  die  sich  abwechselnd  ausdehnt  und 
zusammenzieht,  indem  ihre  Elemente  abwechselnd  zu  dem 
Körper  hin-  und  von  ihm  hinweggehen.  Die  Ver- 
breitung einer  solchen  Sphäre  im  Baume  wird  von  der 
Masse  und  Größe  des  Körpers,  welchem  sie  zugehört^  ab- 
hängen. Denken  wir  uns  nun  zwei  Körper,  etwa  zwei 
Kugeln,  in  einer  gewissen  Entfernung  voneinander,  so 
daß  ihre  Sphären  ineinander  greifen  können,  so  wird 
zwischen  beiden  Körpern  eine  Verzögerung  der  os- 
zillierenden Bewegung  des  Äthers  stattfinden;  dadurch 
gewinnt  der  äußere  Druck  der  Äthersphären  das  Über- 
gewicht, zufolge  dessen  sich  diese  Körper  zueinander  hin 
bewegen  müssen,  so,  als  ob  sie  sich  gegenseitig  anzögen. 

Ist  aber  der  eine  Körper  im  Verhältnis  zum  andern 
sehr  klein  und  in  die  Äthersphäre  des  letzteren  ein- 
getaucht, so  wird  derselbe  bei  jeder  Kontraktion  dieser 
Sphäre  einen  Antrieb  zur  Bewegung  nach  dem  größeren 
Körper  hin  erlangen.  Jede  einzelne  Wirkung  dieser 
Art  wird  zwar  nicht  so  energisch  sein,  als  wenn  zwei 
ungleichartige  Elemente  oder  Massenteilchen  mit  ihren 
Sphären  gegenseitig  ineinandergreifen,  aber  es  findet  hier 
eine  Summation  der  Wirkungen  statt,  aus  der  eine  be- 


—     74     — 

trächtliche  Oesamtwirkong  hervorgehen  kanxL  In  dem 
Moment  also,  wo  die  Sphäre  des  größeren  Körpers  sidi 
zusammenzieht,  wird  auf  den  kleineren  ein  Druck  aas- 
geübt, der  ihn  nach  jenem  hintreibt,  so  als  ob  hier  eine 
Anziehung,  die  Gravation,  ihren  Sitz  hätte.  Diese  Be- 
wegung, welche  sich  fortsetzt,  während  die  Sphäre  sich 
ausdehnt  und  verdünnt,  wird  durch  jede  folgende  Kon- 
traktion des  Äthers  verstärkt  Alle  Massenteilchen  des 
bewegten  Körpers  erfahren  von  selten  des  sich  zusammen- 
ziehenden Äthers  denselben  Druck,  und  wenn  dieser 
Körper  im  Verhältnis  zum  andern  von  sehr  geringer 
Ausdehnung  ist,  so  werden  alle  seine  Massenteilchen  von 
gleichen,  parallelen  Druckkräften  getrieben.  Hiervon 
können  wir  nun  sogleich  eine  Anwendung  machen  auf 
die  nähere  Bestimmung  der  Wirkung,  welche  irgend  ein 
Weltkörper  auf  andere  kleinere  Körper  ausübt,  die  sich 
innerhalb  seiner  Äthersphäre  befinden,  z.  B.  auf  die 
Wirkung  der  Erde  gegen  irgend  einen  Körper,  wenn  der- 
selbe in  einer  gewissen  Entfernung  von  ihrer  Oberfläche 
sich  selbst  überlassen  wird. 

Jede  Kontraktion  des  schwingenden  Äthers,  der  um 
die  Erde  in  der  Form  einer  Sphäre  gruppiert  ist,  er- 
teilt einem  solchen  Körper  eine  gewisse  Oeschwindig- 
keit,  die  durch  jede  folgende  Kontraktion  vermehrt  wird. 
Diese  Einwirkung  wiederhole  sich  allemal  nach  Verlauf 
des  mten  Teiles  einer  Sekunde,  die  als  Zeiteinheit  an- 
gesehen werde.  Der  Körper  wird  dann,  während  dieser 
Zeiteinheit,  eine  Anzahl  m  jener  Einwirkungen  erfahren, 
die  zusammen  ihm  eine  bestimmte  Geschwindigkeit  «i  g 
erteilen  werden.  Die  Geschwindigkeit,  welche  durch  eine 
einzige   Kontraktion    des    oszillierenden  Äthers    bewirkt 

er 

wird,  ist  demnach  — ^-  =  p,  und  der  Weg,  welchen  der 

Körper  mit  derselben  in  dem  Zeitteilchen =Tdurch- 

m 

ff 
fällt,  «a— ^^  =  p  T.    Mit  Bücksicht  auf  die  nacheinander 


—     75    — 

folgenden  Zeitteilohen,  o,  t,  2  t,  3t,....  n  t  hat  man 
nun  für  die  von  den  Emwirkungen  des  Äthers  herrühren- 
den Geschwindigkeiten,  am  Anfange  eines  jeden  solchen 
Zeitteilchens,  der  Reihe  nach  p,  2  p,  3  p, . . . .  n  p,  und  für 
die  während  dieser  Zeitteilchen  durchlaufenen  Wege  p  t, 
2  p  T^  3  p  r,  ....  n  p  r.     Die  Summe  aller  dieser  Wege 

ists=pT(l  +  2  +  3  +  ....  +  n)  =  pr(l  +  n)^ 

oder,  wenn  man  für  p  und  t  ihre  obigen  Werte  setzt, 

2     \m«    ^    m»/' 
Bezeichnet  man  nun  die  beliebige  Anzahl  von  Zeit- 

1  Tl 

teilchen,  deren  jedes  =  —  ist,  nämlich  — ,  mit  t  so  hat 
'  m  m 


man 


n  =  m  t  und  daher  auch  s  =  -f-  ( — z-  +  — r- 1 

2     \m*  m*  / 


gt«  ^    gt 


2     ^   2m' 

Das  zweite  Glied  dieser  Formel  wird  aber  um  so 
kleiner,  je  größer  m,  d.  h.  je  schneller  die  Eontraktionen 
des  schwingenden  Äthers  aufeinander  folgen,  oder  in 
je  kürzerer  Zeit  die  Ätherschwingungen  vollendet  werden. 
Nimmt  man  nun  an,  daB  die  Schwingungszeit  außer- 
ordentlich klein  ist,  oder  daß  die  Schwingungen  ungemein 
rasch  aufeinander  folgen,  so  kann  man  n  =  oo  setzen, 
zufolgedessen  das  zweite  Glied  jener  Formel  verschwindet 

Daher  s  =  V,  g  t*. 

n  IT 

Setzt  man  aber  in  dem  Ausdrucke  n  p  =  — ^  der 

'^  m 

durch  n  Ätherkontraktionen  bewirkten  Geschwindigkeit: 
n  =  mt,  so  erscheint  c  =  gt  für  die  Geschwindigkeit, 
welche  der  Körper  während  der  Zeit  t  erlangt  hat,  wo  g 
immer,  seinem  obigen  Begriffe  gemäß,  die  in  der  Zeit- 
einheit erzeagte  Geschwindigkeit  ist 

Die  Formeln  c  =  gt  und  s  =  Vi  g'*  drücken  nun 
bekanntlich  die  Bewegungsgesetze  der  frei  nach  der  Erde 


—     76     — 

hi&  fallenden  Körpw  aus.  Das  Besiiltst  jener  Äther* 
Schwingungen  ist  also  dasselbe,  als  ob  die  Bewegung 
dieser  Körper  von  einer  kontinuierlich  wirkenden  Kraft 
herrührte.  Man  betrachtet  die  Schwere  als  eine  solche 
Kraft,  nimmt  jedoch  häufige  um  die  betreffenden  Oesetze 
abzuleiten,  an,  daß  dieselbe  stoßweise  wirke.  Dadurdi 
zerlegt  man  die  gleichförmig  beschleunigte  Bewegung, 
der  eben  dargelegten  Entwicklung  gemäß,  in  eine  Folge 
von  gleichförmigen  Bewegungen,  die  zusammen  sich  jener 
um  so  mehr  nähern,  je  schneller  die  stoßweisen  Wir- 
kungen aufeinander  folgen.  Es  kann  aber  keinem  Zweifel 
unterliegen,  daß  die  Ätherkontraktionen  eine  gleichförmig 
beschleunigte  Bewegung  der  fallenden  Körper  bewirken 
werden,  sobald  nur  die  Schwingungszeit  des  Äthers  so 
klein  ist,  daß  das  zweite  Glied  in  der  obigen  Formel  für  s 
in  Bezug  auf  das  erste  vernachlässigt  werden  kann.  Auch 
kann  man  bei  der  Betrachtung  des  freien  Falles  der 
Körper  von  verhältnismäßig  geringen  Höhen  annehmen, 
daß  die  aufeinanderfolgenden  Kontraktionen  des  schwingen- 
den Äthers  gleich  sind.  Sonst  muß  aber  die  Wirkung 
mit  der  Entfernung  von  der  Erde  abnehmen;  denn  je 
weiter  die  Ätherschichten  von  der  Oberfläche  der  Erde 
entfernt  liegen,  desto  geringer  ist  ihr  Zusammenhang  mit 
der  letzteren,  und  von  diesem  Umstände  hängt  die  In- 
tensität der  Wirkung  ab.  Da  nun  die  Oberflächen  ver- 
schiedener Kugelschichten  sich  verhalten  wie  die  Quadrate 
ihrer  Halbmesser,  so  wird  die  Wirkung  mit  dem  Qua- 
drate der  Entfernung  abnehmen. 

Wie  die  Körper  über  der  Oberfläche  der  Erde  sich 
zu  dieser,  so  werden  sich  die  verschiedenen  Planeten  in 
der  Äthersphäre  der  Sonne,  ihres  Zentralkörpers,  ver- 
halten, soweit  es  ihr  Bestreben  betrifft,  sich  nach  dem 
letzteren  hinzubewegen.  Viele  Weltkörper  zusammen- 
genommen können  aber  den  Äther  zu  einem  solchen 
Systeme  von  Schwingungen  veranlassen,  als  ob  dasselbe 
von  ihrem  gemeinschafüichen  Schwerpunkte  ausginge. 
Die   Kontraktion  oder   Biickwirkung   des   schwingenden 


—     77     — 

Äthers  wird  sie  dann  alle  gegen  ihren  gemeinsehafüichen 
Schwerpunkt  hintreiben,  so  als  ob  in  diesem  die  Gravi- 
tation ihren  Sitz  hätte. 


Der  groBe  Reichtum  von  Erscheinungen,  welchen  die 
gegebene  Natur  darbietet,  läßt  sich  durch  eine  ver- 
gleichende Betrachtung  in  verschiedenartige  Gruppen 
sondern,  deren  jede,  in  Hinsicht  auf  ihr  Ursächliches, 
Gegenstand  einer  Spezialuntersuchung  werden  kann.  Die 
Körper  aber,  an  welchen  die  mannigfachen  Naturerschei- 
nungen zutage  treten,  sind  bis  zu  gewissen  Grenzen 
chemisch  und  mechanisch  teilbar.  Die  chemische  Teil- 
barkeit führt  jeden  zusammengesetzten  Körper  zurück 
auf  eine  Mannigfaltigkeit  einfacherer  Bestandteile,  die  in 
einem  gewissen  Gegensatze  zueinander  stehen.  Die 
mechanische  Teilbarkeit  liefert  dagegen  Teilchen,  die  dem 
Ganzen,  aus  dem  sie  hervorgehen,  gleichartig  erscheinen. 
Von  den  kleineren  Teilchen  gelangt  man  im  Denken, 
gestützt  auf  die  Analjsis  des  Gegebenen,  zu  kleinsten 
Massenteilchen,  die  noch  die  Natur  des  größeren  mate- 
riellen Ganzen,  das  sie  zusammen  bilden,  an  sich  haben. 
Die  kleinsten  Massenteilchen  eines  jeden  Körpers  sind 
endlich  Kombinationen  jener  absolut  einfachen  Atome,  aus 
deren  Kraftverhältnissen  sie  (die  Massenteilchen)  resul- 
tieren. Es  liegt  nun  im  Begriff  dieser  Atome,  daß  sie 
auf  eine  Mannigfaltigkeit  noch  einfacherer  Bestandteile 
nicht  zurückgeführt  werden  können.  Mit  der  Annahme 
derselben  sind  wir  zu  einer  notwendigen  Grenzvorstellung 
gelangt,  die  wir,  solange  man  im  Bereiche  der  uns  ge- 
gebenen Natur  verweilt,  nicht  zu  überschreiten  brauchen. 
Doch  liegt  die  Möglichkeit  vor,  daß  selbst  die  einfachen 
Atome  noch  durch  etwas  anderes,  von  ihnen  völlig  ver- 
schiedenes, bestehen,  das  aber  für  sie  alle  dasselbe  sein 
muß,  und  von  dem  sie  alle  auf  gleiche  Weise  abhängen 
werden.  Die  Art  und  Weise  indes,  wie  die  vielen  ein- 
fachen Wesen  (Atome)  von   dem  Einen  abhängen,  ver- 


—     78    — 


mögen  wir  hier,  auf  dem  Standpunkte  der  Phyalk,  nicbt 
näher  zu  bestimmen.  Wir  stehen  Tor  der  Pforte  da 
religiösen  Glaubens  und  schließen,  indem  wir  die  Mög- 
lichkeit dieser  Abhängigkeit  anerkennen ,  mit  dem 
Spruche  des  Apostel  Paulus:  »Es  sind  manchedei 
Kräfte,  aber  es  ist  Ein  Oott,  der  da  wirket  alles  m 
allen.  < 


Terlag  von  Hermann  Beyer  ft  Söhne  (Beyer  ft  Mann)  in  Langensalza. 


Pädagogisches  Magazin. 

AUimiuf  ei  TU  IXlilete  ler  PidttoHk  ui  llrer  HUftimaicliIta. 

H«nMiaf«c«b«B  Ton 

Friedrich  Mann. 

Uli 

1«  Keferstein,  Dr.  H.,  Betraohtonjg;en  über  Lehierbildimg.  2.  Aufl.  75  Pt 

2.  Maennel,  Dr.  B.,  Über  p&dac^ogiache  DiskuBsionen  und  die Bedingnngw, 
nnter  denen  de  nützen  können.    2.  Aufl.    45  Ff. 

3.  Wohlrabe,  Dr.W.,  Fr.  Mykonins,  der  Beformator  Thüringens.  25  Ff . 
4w  Tew8,  Job.,  Moderne  Mädchenerziehnng.  Ein  Vortrag.  2.  Aufl.  30  Fl 
5.  Ufer,  Christian,  Das  Wesen  des  Schwachsinns.    2.  Aufl.    25  Ff. 

8.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Otto  Friok.  Gedftohtnisrede,  gehalten  im  Halla- 
schen Lehrer-Yereine.    40  Ff. 

7.  Holt  seh,  H.,  Comenins,  der  Apostel  des  Friedens.    30  Ff. 

8.  Sallwürk,  Dr.  £.  Ton,  Baomgarten  gegen  Diesterweg.    25  Ff. 

9.  Tews,  Joh«,  Sozialdemokratische  F&di^ogik.    3.  Aufl.    50  Ff. 

0.  Flügel,  0.,  Über  die  Phantasie.    Ein  Vortrag.    2.  Aofl.    30  Ff. 

1.  Janke,  0.,  Die  Beleuchtong  der  Schnlzimmer.    25  TL 

2.  Schnllerus,  Dr.  Adolf,  Die  Deutsche  Mythologie  in  der  Eniehanga- 
schnle.    20  Ff. 

.3.  Kef  er  stein,  Dr.  Horst,  Eine  Herderstadie  mit  besonderer  Beziehung 
auf  Herder  als  F&dagc^.    40  Ff. 

4.  Wittstock,  Dr.  Alb,,  Die  ÜberffiUong  der  gelehrten BemJbzweige.  50  FL 

5.  Hnnziker,  Frof.  0.,  Gomenios  and  Pestalozzi.  Festrede.  2.  Aofl.  40  FL 

6.  Sallwürk,  Dr.  £.  Ton,  Das  Becht  der  YolksscholaofsiGht  Nach  den 
Yerhandlmigen  der  württembeiK.  Kammer  im  Mai  1891.    25  Ff. 

7.  Bossbach,  Dr.  F.,  Historisime  Bichtigkeit  and  Volkstümlichkeit  im 
Geschichtsanterrichte.    40  Ff. 

8.  Wohlrabe,  Bektor  Dr.,  Lehrplan  der  sechastnfigen  Volksschnle  so 
Halle  a.  S.  für  den  Unterricht  m  (beschichte,  Geographie,  NatorlehrSb 
Baomlehre,  Deatsdi.    40  Ff. 

9.  Bother,  H«,  Die  Bedeutong  des  ünbewolsten  im  menschl.  Seelen- 
leben.   2.  Aafl.    30  Ff. 

0.  Gehmlich,  Dr.  Ernst,  Beitrige  zur  Geschichte  des  Unterrichts  and 
der  Zacht  in  den  städtischen  Lateinschalen  des  16.  Jahrhanderts.   50  Fd 

1.  Hollkamm,  F^  Erziehender  Unterricht  and  Massenanterricht    60  Fd 

2.  Janke,  Otto,  ^rperhaltang  and  Schriftrichtang.    40  Ff. 

3.  Lange,  Dr.  Karl,  Die  zweckm&Cnge  Gestaltang  der  öitetliclien  Sehol- 
mrfifangen.    30  Ff. 

4.  Gleich  mann,  Prof.  A.,  Über  den  blob  darstellenden  Unterricht  Hei^ 
barts.    2.  Auflage.    60  Ff. 

5.  Lomberg,  A.,  Grolse  oder  kleine  Schalsysteme?    45  Pf. 

6.  Bergemann,  Dr.  F.,  ^e  wird  die  Heimatskande  ihrer  soi.»ethisch<B 
Aufgabe  gerecht?  2.  Aufl.    80  Ff. 

7.  Kirchberg,  Tb.»  Die  Etymologie  und  ihre  Bedeutung  fttz  Schule  und 
Lehrer.    40  Ff. 

8.  Honke,  Julius,  Zur  Pflege  Tolkstüml.  Bildung  und  Gesittung.    50  Ft. 

9.  Beukauf,  Dr.  A«,  Abnorme  Kinder  und  ihre  Pflege.    2.  Aiä.    35  Fd 


Sa 


"Bot 

s   /"*"> 


-„     t  — =  IIB 


51.  f'i^-'lu 

SS  sifef.  ( 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

70.  Linz,  F.,  Zar  Tradition  u.  Reform  des  französ.  ünterriohtB.    1  M  20  Pf . 

71.  Trtiper,  J.,  Zur  Pädagogischen  Pathologie  und  Therapie.    60  Pf. 

72.  Xirst,  A.,  Das  LebensbUd  Jesu  auf  der  Oberstufe.    ^  Pf. 

73.  Tews,  J.,  Kinderarbeit    20  Pf, 

74.  Mann,  Fr.,  Die  soziale  Grundlage  Ton  Pestalozzis  Pädagogik.   25  Pf. 

75.  Kipping,  Wort  und  Wortinhalt.    30  Pf. 

76.  Andreae,  Über  die  Faulheit    2.  Aufl.    60  Pf. 

77.  Fritzsche,  Die  Grestalt  d.  Systemstufen  im  Geschichtsunterr.    50  Pf. 
78   Bliedner,  Schiller.    80  Pf. 

79.  Keferstein,  Bich.  Rothe  als  Pädagog  und  Sozialpolitiker.    1  M. 

80.  Thieme,  Über  Volksetymologie  in  der  Volksschule.     25  Pf. 

81.  Hiemesch,  Die  Willensbildung.    60  Pf. 

82.  Flügel,  Der  Rationalismus  in  Herbarts  Pädagogik.    50  Pf. 

83.  Sachse,  Die  Lüge  und  die  sittlichen  Ideen.    20  Pf. 

84.  Reukauf,  Dr.  A.,  Leseabende  im  Dienste  der  Erziehung.     60  Pf. 

85.  Beyer,  0.  W.,  Zur  Geschichte  des  Zillerschen  Seminars.    2  M. 

86.  Ufer,  Chr.,  Durch  welche  Mittel  steuert  der  Lehrer  aulserhalb  dei 
Schalzeit  den  sittlichen  (refahren  d.  heranwachs.  Jugend?  6.  Aufl.   40  Pf. 

87.  Tews,  J  I  Das  Volksschulwesen  in  d.  gr.  Städten  Deutschlands.    30  Pf. 

88.  Janke,  0.,  Schäden  der  gewerblichen  und  landwirtschaftlichen  Einder- 
arbeit.    60  Pf. 

89.  Foltz,  0.,  Die  Phantasie  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  höheren  Geiste?- 
tätigkeiten.    40  Pf. 

90.  Fick,  Über  den  Schlaf.    70  Pf. 

91.  Keferstein,   Dr.  H.,   Zur  Erinnerung   an   Philipp  Melanchthon   als 
Piaeceptor  G^rmaniae.     70  Pf. 

92.  Staude,  P.,  Über  Belehrungen  im  Anschl.  an  d.  deutsch.  Aufsatz.  40  Pf. 

93.  Keferstein,  Dr.  H.,  Zur  Frage  des  Egoismus.    50  Pf. 

94.  Fritzsche,  Präp.  zur  Geschidite  des  groüsen  Kurfürsten.    60  Pf. 

95.  Schlegel,  Quellen  der  Berafsfreudigkeit     20  Pf. 

96.  Schleichert,   Die  volkswirtschaftl.  Elementarkenntnisse  im  Rahmen 
der  jetzigen  Lehrpläne  der  Volksschule.     70  Pf. 

97.  Schullerus,  Zur  Methodik  d.  deutsch.  Grammatikunterrichts.  (ü.d.Pr.) 

98.  Staude,   Lehrbeispiele   für  den  Deutschunterr.  nach   der  Fibel    von 
Heinemann  und  Schröder.     60  Pf.    2.  Heft  s.  Heft  192. 

99.  Hollkamm,  Die  Streitfragen  des  Schreiblese-Ünterrichts.    40  Pf. 

100.  Muthesius,  K.,  Schillers  Briefe  über  die  ästhetische  Erziehung  daa 
Menschen.     1  M. 

101.  Bär,  A.,  Hilfsmittel  f.  d.  Staats-  und  gesellschaftskundl.  Unterricht 
n.  Kapital    1  M. 

102.  Gille,  Bildung  und  Bedeutung  des  sittlichen  Urteils.    30  Pf. 

103.  Schulze,  0.,  Beruf  und  Berufswahl.    30  Pf. 

104.  Wittmann,  H.,  Das  Sprechen  in  der  Schule.    2.  Aufl.    20  Pf. 

105.  Moses,  J.,  Vom  Seelenbinnenleben  der  Kinder.    20  Pf. 

106.  Lobsien,  Das  Censieren.    25  Pf. 

107.  Bauer,  Wohlanständigkeitslehre.    20  Pf. 

108.  Fritzsche, R.,  Die  Verwertung  der  Bürgerkunde.    50  Pf. 

109.  S  i  e  1  e  r ,  Dr.,  A.  Die  Pädagogik  als  angewandte  Ethik  u.  Psychologie.  60  Pf. 

110.  Honke,  Julius  Friedrich  Eduard  Beneke.    30  Pf. 

111.  Lobsien,  M.,  Die  mech.  Leseschwierigkeit  der  Schriftzeichen.  80  Pf. 

112.  Bliedner,  Dr  A.,  Zur  Erinnerung  an  Karl  Volkmar  Stoy.   25  Pf. 

113.  K.  M«,  Gedanken  beim  Schulanfemg.    20  Pf. 


, 


t 


—    78    — 

mögen  wir  hier,  aal  dem  Standpunkte  der  Physik,  nid 
näher  za  bestimmen.  Wir  stehen  vor  der  Pforte  d« 
religiösen  Glaubens  und  schlieBen,  indem  wir  die  Mo{ 
lichkeit  dieser  Abhängigkeit  anerkennen ,  mit  dei 
Spruche  des  Apostel  Paulus:  »Es  sind  mancherli 
Siräfte,  aber  es  ist  Ein  Gtott,  der  da  wirket  alles  i 
allen.« 


*! 


Verlag  von  Herauum  Beyer  fr  Söhne  (Beyer  fr  Mann)  in  Langensaha. 


Pädagogisches  Magazin. 

iUiilluf  n  Tn  Bttlete  itr  PUunitt  nl  llrer  HUftUwiitlifla. 

H«nmaf8t«b«i  tob 

Frledrloh  Mann. 

Bmh 

1«  KeferBtein,  Dr.  H.,  Betraehtongen  fiber  Lehierbildong.  2.  Aufl.  76  PL 

2.  Maennel,  Dr.  B.,  ÜWr  pidagogiacfae  Diakuaaionen  und  die BedingnngeBt 
unter  denen  ne  nfitien  iGnnen.    2.  Aufl.    45  Pf. 

3.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Fr.  Mykonins,  der  Beformator  Thüringens.  25  Pf • 
4«  Tews,  Joh.,  Moderne  Mftdchenersiehnng.  Ein  Vortrag.   2«  Aofl.    30  PL 

5.  Ufer,  Christian,  Das  Wesen  des  Schwachsinns.    2.  Aufl.    25  PL 

6.  Wohlrabe,  Dr.  W.,  Otto  Frick.    Gedächtnisrede,  gehalten  im  Halla- 
schen Lehrer- Vereine.    40  Pf. 

7.  Holtsch,  H.,  Comenins,  der  Apostel  des  Friedens.    30  PL 

8.  Sallwfirk,  Dr.  £.  von,  Baomgarten  gegen  Diesterweg.    25  PL 

9.  TewB,  Joh.,  Sozialdemokratische  Pidi^ragik.    3.  Aofl.    50  PL 

10.  Flfigel,  0.,  Über  die  Phantasie.    Ein  Vortrag.    2.  Aufl.    30  PL 

11.  Janke,  0.,  Die  Beleachtnn^  der  Schulzimmer.    25  PL 

12.  Schuller  US,  Dr.  Adolf,  Die  Deutsche  Mythologie  in  der  Eniehnng»- 
schule.    20  Pf. 

13.  Keferstein,  Dr.  Horst,  Eine  Herderstudie  mit  besonderer  Bedehnng 
auf  Herder  als  Pftdagt«.    40  PL 

14.  Witt  stock,  Dr.  Alb.,  Die  ÜberfUlung  der  gelehrten  Berufuweige.  50  PL 

15.  Hunziker,  ProL  0.,  Comenius  und  Pestalozzi.  Festrede.  2.  Am  40  PL 

16.  Sallwark,  Dr.  £.  von.  Das  Becht  der  Volksschulaufinoht  Nach  den 
Verhandlungen  der  wfirttemberg.  Kammer  im  Mai  1891.    25  PL 

17.  Bossbach,  Dr.  F.,  Historis^e  Bichtigkeit  und  VolkstOmlidiksIt  im 
(JeschichtBunterrichte.    40  PL 

18.  Wohlrabe,  Bektor  Dr.,  Lehrplan  der  sechsstnfigen  Volksschule  n 
Halle  a.  S.  fflbr  dm  Unterricht  m  (beschichte,  Geographie,  Naturlehrsb 
Baumlehre,  Deutsch.    40  Pf. 

19.  Bother,  H.,  Die  Bedeutung  des  ünbewulsten  im  mensehl.  Seelen- 
leben.   2.  Aufl.    30  Pf. 

20.  Gehmlich,  Dr.  Ernst,  Beitrige  zur  Geschichte  des  Unterrichts  und 
der  Zucht  in  den  stftdtisdien  Lateinschulen  des  16.  Jahrhunderts.   50  PL 

21.  Ho  11  kämm.  F.,  Erziehender  Unterricht  und  Massenunterricht.    60  PL 

22.  Janke,  Otto,  Körperhaltung  und  Schrifirichtung.    40  PL 

23.  Lange,  Dr.  Karl,  Die  sweckmifirige  Gestaltung  der  GifontUchen  Sdnil- 
prOfimgen.    30  PL 

24.  Gleichmann,  ProL  A.,  Über  den  blob  darstellenden  Unterricht  Bat- 
barts.    2.  Auflage.    60  Pf. 

25.  Lomberg,  A.,  Grobe  oder  kleine  Schulsysteme?    45  Pf. 

26.  Bergemann,  Dr.  P.,  Wie  wird  die  Heimatskunde  ihrer  sos.-ethiaclMn 
Aufgabe  gerecht?  2.  Aufl.    80  PL 

27.  Kirchberg,  Th.9  Die  Etymologie  und  ihre  Bedeutung  fOi  Schule  md 
Lehrer.    40  Ff. 

28.  Honke,  Julius,  Zur  Pflege  Tolkstfiml.  Bildung  und  Gesittung.    50  PL 
.  Beukauf ,  Dr.  A.,  Abnorme  Kinder  und  ihre  Pflege.    2.  Aufl.    35  Ft 


Verlag  von  Hcrmaiiii  Beyer  fr  SShnt  (Beyer  8i  Mann)  in 

H«ft 

30.  Foltz,  0.,  Einige  BemerkongeD  tiber  Aatibetik  und  ihr  VezhiUiiii  m 
P&dagogik.    80  Pf. 

31.  TewB,  J.,  Eltomabende.  (Pftdag.  Abende,  SehiÜAbendA.)  2.  Aufl.  25  PI 
32«  Rade,    Adolf,   Die  bedeutendsten  EyangeliMdieD   SohcdordnimgeD  te 

16.  Jahrhunderts  nach  ihrem  pftdagogisohen  Gehalte.     75  Pf. 
33*  TewB,  J.,   Die  Matter  im  Arbeit^rhaose.    Eine    soael-pidaffoeiKhi 
Skizze.    2.  Aafl.    30  Pf. 

34.  Schmidt,  M.,  Zur  Abrechnung  zwischen  Endehong  o.  Begienmg.  40  FL 

35.  Richter,  Albert,  Geschichtsunterr.  im  17.  Jahrhundert.     35  PL 

36.  P^rez,  Bemard,  Die  Anfänge  des  IdndL  SeelenlebeoB.    2.  Anfl.   60  11 

37.  Bergemann,  Dr.  P.,  Zur  Scholbibelfirage.    50  Pt 

38.  SchnlleruB,   Dr.  Adolf,   Bemerkungen  sur  Schweizer  Famflieobibd 
Ein  Beitrag  zur  Schulbibelfrage.    20  PI 

39.  Staude,  Das  Antworten  d.  Schüler  L  lichte  d.  PaychoL   2.  Anfl.  25  R 

40.  Tews,  Volksbibliotheken.    20  Pf. 

41.  Keferstein,  Dr.  Horst,  E.  Morita  Arndt  als  Pidagw.     75  PI 

42.  Gehmlich,  Dr.  £.,  Erziehung  und  Unterricht  im  18.  Jahilinndert  naflk 
Salzmanns  Roman  Karl  y.  Karlsberg.    50  FL 

43.  Fack,  M.,  Die  Behandlung  stotternder  Schüler.    2.  Anfl.     30  Fl 

44.  Ufer,  Chr.,  Wie  unterscheiden  sich  gesunde  und  krankhafte   CiirtM 
zust&nde  beim  Kinde?    2.  Aufl.    35  Pf. 

45.  Beyer,  0.  W.,  Ein  Jahrbuch  des  franz.  Volksschulweaeiia.     20  PL 

46.  Lehmhaus,  Fritz,  Die  Vorschule.    40  Pf. 

47.  Wen  dt,  Otto,  Der  neusprachliche  ünterr.  im  Lichte  der  nenen  Lbbt' 

El&ne  und  Lehraufgaben  für  die  höheren  Schulen.    30  PL 
lange,  Dr.  K.,  Rückblicke  auf  die  Stuttgarter  LehrerFereammlnng.  3011 

49.  Busse,  H.,  Beiträge  zur  Pflege  des  ästhetischen  Geffihls.    40  PI 

50.  Keferstein,    Dr.  H.,    Gemeinsame  Lebensaufgaben,    Tntnmmion    vai 
wissenschaftliche  Grundlagen  tou  Kirche  und  Schule.     40  PL 

51.  Flügel,  0.«   Die  Religionsphilosophie  in  der  Schule  Herbaita.    50  Ff. 

52.  Schnitze,  0.,  Zur  Behandlung  aeutsdier  Gedichte.     35  PL 

53.  Tews,  J.,  Soziale  Streiflichter.    30  Pf. 

54.  Göring,  Dr.  Hugo,  Bühnentalente  unter  den  Kindern.     20  PL 

55.  Keferstein,  Dr.  H.,  Aufgaben  der  Schule  in  Beziehonn^  anf  dae  ■odil' 
politische  Leben.    2.  Aufl.    50  Pf. 

56.  Steinmetz,  Th.,  Die  Herzogin  Dorothea  Maria  Jim  Weimar  nnd  fhm 
Beziehungen  zu  Ratke  und  zu  seiner  Lehrart.    50  PL 

57.  Janke,  0.,  Die  Gesundheitslehre  im  Lesebuch.    60  Pf. 

58.  Sallwürk,  Dr.  E.  v..   Die  formalen  Aui^ben  des   dentufaen  VnUh 
richte.    1  M. 

59.  Zange,  F.,  Das  Leben  Jesu  im  ünterr.  d.  höh.  Schulen.    50  PL 

60.  Bär.  A.,  Hilfsmittel  für  den  Staats-  u.  gesellsohaftakandL  üntenUt 
I.  Heeresverfassungen.     1  M  20  Pf. 

61.  Mittenzwey»  L.,  Pflege  d.  Individualität  i.d.  Schule.  2.  Aufl.  7611 

62.  Ufer,  Chr.,    Über  Sinnestypen  und  verwandte  Erscheinnngen.   40  PL 

63.  Wilk,  Die  Synthese  im  naturkundlichen  Unterricht.    60  PL 

64.  Schlegel,  Die  Ermittelung  der  ünterrichtsergebnisae*    45  PL 

65.  Schleichert,   Exper.  u.  ^obacht.  im  botan.  üntenidit.    20  PL 

66.  Sallwürk,  Dr.  E.  ▼.,  Arbeitskunde  im  natorw.  Unterricht    80  PL 

67.  Flügel,  0.,  Über  das  Selbstgefühl    Ein  Yortras.    30  PL 

68.  Beyer,  Dr.  0.  W.,  Die  enieh&che  Bedeutung  d.  oohnteartena.     90  Ft 
60.  Hitschmann,  Fr.,  Über  die  Prinzipien  der  Blindenpi/ugogik.     20  FL 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

70.  Linz,  F.,  Zar  Tradition  u.  Beform  des  französ.  ünterriohtB.    1  M  20  Pf . 

71.  Trüper,  J.,  Zur  Pädagogischen  Pathologie  und  Therapie.    60  Pf. 

72.  Xirst,  A.,  Das  Lebensbüd  Jesu  auf  der  Oberstufe.    ^  Pf. 

73.  Tews,  J.,  Kinderarbeit    20  Pf. 

74.  Mann,  Fr.,  Die  soziale  Grundlage  von  Pestalozzis  Pädagogik.   25  Pf. 

75.  Kipping,  Wort  und  Wortinhalt.    30  Pf. 

76.  Andreae,  Über  die  Faulheit    2.  Aufl.    60  Pf. 

77.  Fritzsche,  Die  Gestalt  d.  Systemstufen  im  G^eschiohtsunterr.    50  Pf. 
78  Bliedner,  Schiller.    80  Pf. 

79.  Keferstein,  Rieh.  Rothe  als  Pädagog  und  Sozialpolitiker.    1  M. 

80.  Thieme,  Über  Volksetymologie  in  der  Volksschule.     25  Pf. 

81.  Hiemesch,  Die  Willensbildung.    60  Pf. 

82.  Flügel,  Der  Rationalismus  in  Herbarts  Pädagogik.    50  Pf. 

83.  Sachse,  Die  Lüge  und  die  sittlichen  Ideen.    20  Pf. 

84.  Reu  kauf,  Dr.  A.,  Leseabende  im  Dienste  der  Erziehung.    60  Pf. 

85.  Beyer,  0.  W.,  Zur  Geschichte  des  Zillerschen  Seminars.    2  M. 

86.  Ufer,  Chr.,  Durch  welche  Mittel  steuert  der  Lehrer  aulserhalb  der 
Schulzeit  den  sittlichen  Grefahren  d.  heranwachs.  Jugend?  6.  Aufl.   40  Pf. 

87.  Tews,  J  ,  Das  Volksschulwesen  in  d.  gr.  Städten  Deutschlands.   HO  Pf. 

88.  Janke,  0.,  Schäden  der  gewerblichen  und  landwirtschaftliciien  Einder- 
arbeit.    60  Pf. 

89.  Foltz,  0.,  Die  Phantasie  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  höheren  Geistes- 
tätigkeiten.   40  Pf. 

90.  Fick,  Über  den  Schlaf.    70  Pf. 

91.  Keferstein,   Dr.  H.,   Zur  Erinnerung   an  Philipp  Melanchthon   als 
Praeoeptor  G^rmaniae.    70  Pf. 

92.  Staude,  P.,  Über  Belehrungeo  imAnschl.  an  d.  deutsch.  Aufsatz.  40  Pf. 

93.  Keferstein,  Dr.  H.,  Zur  Frage  des  Egoismus.    50  Pf. 

94.  Fritzsche,  Präp.  zur  Geschidite  des  groüsen  Kurfürsten.    60  Pf. 

95.  Schlegel,  Quellen  der  Berafsfreudigkeit     20  Pf. 

96.  Schleichert,   Die  volkswirtschaftl.  Elementarkenntnisse  im  Rahmen 
der  jetzigen  Lehrpläne  der  Volksschule.     70  Pf. 

97.  SchuUerus,  Zur  Methodik  d.  deutsch.  Grammatikunterrichts.  (ü.d.Pr.) 

98.  Staude,   Lehrbeispiele   für  den  Deutschunterr.  nach   der  Fibel    von 
Heinemann  und  Schröder.     60  Pf.    2.  Heft  s.  Heft  192. 

99.  Hollkamm,  Die  Streitfragen  des  Schreiblese-Ünterrichts.    40  Pf. 

100.  Muthesius,  K.,  Schillers  Briefe  über  die  ästhetische  Erziehung  dm 
Menschen.    1  M. 

101.  Bär,  A.,  Hilfsmittel  f.  d.  Staats-  und  gesellschaftskundl.  Unterricht. 
IL  Kapital    1  M. 

102.  Gille,  Bildung  und  Bedeutung  des  sittlichen  Urteils.    30  Pf. 

103.  Schulze,  0.,  Beruf  und  Berufswahl.    30  Pf. 

104.  Wittmann,  H.,  Das  Sprechen  in  der  Schule.    2.  Aufl.    20  Pf. 

105.  Moses,  J.,  Vom  Seelenbinnenleben  der  Kinder.    20  Pf. 

106.  Lobsien»  Das  Censieren.    25  Pf. 

107.  Bauer,  Wohlanständigkeitslehre.    20  Pf. 

108.  Fritzsche,  R.,  Die  Verwertung  der  Bürgerkunde.    50  Pf. 

109.  S  i  e  1  e  r ,  Dr.,  A.  Die  Pädagogik  als  angewandte  Ethik  u.  Psychologie.  60  Pf. 

110.  Honke,  Julius  Friedrich  Eduard  Beneke.    30  Pf. 

111.  Lobsien,  M.,  Die  mech.  Leseschwierigkeit  der  Schriftzeichen.  80  Pf. 

112.  Bliedner,  Dr  A.,  Zur  Erinnerung  an  Karl  Volkmar  Stoy.   25  Pf. 

113.  K.  M.,  Gedanken  beim  Schulanfang.    20  Pf. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  6i  Mann)  in  Langeonhi' 

Htfi 

114.  Schulze,    Otto,   A.   H.  Franckes  Pädagogik.     Ein    Gedenkblatt  n 
200  j&hr.  Jubelfeier  der  Franckeschen  Stütongen,  1698A89a    80  R 

115.  Niehus,  F.,  Über  einige  MSzigel  in  der  Rechenfertigkeit  bei  der  n 
der  Schulpflicht  entlassenen  Jugend.    40  Ff. 

116.  Kirst,  A«,  Fr&parationen  zu  zwanzig  HeVschen  Fabeln.   6.  Anfl.   1  IL 

117.  Grosse,  H.,  Chr.  Fr.  D.  Schubart  als  Schulmann.     1  M  30  Ft. 

118.  Sellmann,  A.,  Caspar  Domau.    80  Ff. 

119.  Grofskopf,  A.,  Sagenbildung  im  Geechichtsunteiricht.     30  Ff. 

120.  Ge hm  lieh,  Dr.  Ernst,  Der  GefQhlsinhalt  der  Sprache.     1  M. 

121.  Keferstein,  Dr.  Horst,  Volksbildung  und  Yolksbildner.     60  Ff. 

122.  Armstroff,  W.,   Schule  und  Haus  in  ihrem  Verbftltnia   sn   einandsr 
beim  Werke  der  Jugenderziehung.    4.  Anfl.    50  Ff. 

123.  Jung,  W.,  Haushaltungsunterridbt  in  der  Mfidchen-VolkBachnle.  50  FL 

124.  Sallwürk,  Dr.  E.  von,    Wissenschaft,   Kunst   und    Praxis   des  fr 
ziehers.    50  Pf. 

125.  Flügel,  0.,  Über  die  persönliche  Unsterblichkeit.     3.   Anfl.     40  Fl 

126.  Zange,  Prof.  Dr.  F.,  Das  Kreuz  im  Erlösungsplane  Jesu.     60  Ff. 

127.  Lobsien,  M.,  Unterricht  und  Ermüdung.     1  M. 

128.  Schneyer,  F.,  Persönl.  Erinnerungen  an  Heinrich  Schanmberger.  30  FL 

129.  Schab,  B.,  Herbarts  Ethik  und  das  moderne  Drama.     25  Pf 

130.  Grosse,  H.,  Thomas  Platter  als  Schulmann.    40  Pf. 

131.  Kohlstock,  K.,  Eine  Schülerreise.    60  Pf. 

132.  Dost,  cand.  phil.  M.,  Die  psychologische  und  praktische  Bedentong  dn 
Gomenius  und  Basedow  in  Didactica  magna  und  Elementanrerk.  50  FL 

133.  Boden  stein,  K.,  Das  Ehrgefühl  der  Kinder.    65  Pf. 

134.  Gille,  Bektor,  Die  didaktischen  Imperative  A.  Diesterwega  im  lidito 
der  Herbartschen  Psychologie.     50  Ff. 

135.  Honke,  J.,  Geschichte  und  Ethik  in  ihrem  YerhAltnis  aneinander.  60 FL 

136.  Staude,  F.,  Die  einheitl.  Gestaltung  des  kindL  GredankenkreiBea.  75  Fl 

137.  Muthesius,  K.,  Die  Spiele  der  Menschen.    50  Pf. 

138.  Schoen,   Lic.  theol.  H.,    Traditionelle  Lieder  und  Spiele  der  Knab« 
und  M&dchen  zu  Nazareth.    50  Pf. 

139.  Schmidt,  M.,  Sünden  unseres  Zeichenunterrichts.    30  Pf. 

140.  Tews,  J.,  Sozialpädagogische  Beformen.     30  Pf. 

141.  Sieler,   Dr.  A.,  Persönlichkeit  und  Methode  in  ihrer  Bedentang  ftx 
den  Gesamterfolg  des  Unterrichts.    60  Pf. 

142.  Linde,    F.,    Die   Onomatik,    ein  notwendiger   Zweig    des   dentidMB 
Sprachunterrichts.    65  Pf. 

143.  Lehmann,  0.,  Verlassene  Wohnstätten.    40  Ff. 

144.  Winzer  H.,  Die  Bedeutung  der  Heimat.    20  Ff. 

145.  Bliedner,  Dr.  A.,  Das  Jus  und  die  Schule.    30  Pf. 

146.  Kirst,    Ä..,   Bückerts  nationale  und  pädagogische  Bedentang.     50  PL 

147.  Sallwürk,  Dr.  E.  von,  Interesse  und  ämdeln  bei  Herbart    20  Fl 

148.  Honke,  J.,  Über  die  Pflege  monarch.  (Besinnung  im  Unterricht.  40  FL 

149.  Groth,  H.  H.,  Deutungen  naturwissensch.  Beformbestiebangen.   40  FL 

150.  Bude,   A.,   Der  Hypnotismus  und  seine  Bedeutung,   namentlich  dii 
pädagogische.    2.  Aufl.    90  Pf. 

151.  Sallwürk,  Dr.  E.  von,  Divinität  u.  Moralität  in  d.  Ersiehang.  50  Ff. 

152.  Staude,   P,   Über   die   pädagog.  Bedeutung   der  alttestamentlicbes 
Quellenschriften.    30  Pf. 

153.  Berndt,  Job.,    Zur  Beform   des  evangelischen   Beligionsantenieliti 
Tom  Standpunkte  der  neueren  Theologie.    40  Ff. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

Heft 

154.  Kirst,  A.,  Grewinnnng  d.  Kupfers  u.  Silbers  im  Mansfeldschen.  60  Pf. 

155.  Sachse,  E.,  Einflols  des  Gredankenkreises  aof  den  Charakter.    45  Pf. 

156.  Stahl,  Verteilung  des  mathematisch  -  geogr.  Stoffes  auf  eine  acht- 
klassige  Schule.    25  Ff. 

157.  Thieme,  F.,  Kulturdenkmäler  in  der  Muttersprache  tOi  den  Unter- 
richt in  den  mittleren  Schuljahren.     1  M  20  Pf. 

158.  Böringer,  Fr.,  Frage  und  Antwort  Eine  peychol.  Betrachtung.  35  PL 

159.  Okanowitsch,  Dr.  Steph.  M.,  Interesse  u.  Selbsttätigkeit     20  PI 

160.  Mann,  Dr.  Albert,  Staat  und  Bildungswesen  in  ihrem  Verhältnis  ni 
einander  im  lichte  der  Staatswissenschaft  seit  Wilhelm  ▼.  Humboldt  1  IL 

161.  Begener,  Fr.,  Aristoteles  als  Psychologe.    80  Pf. 

162.  Göring,  Hugo,  Kuno  Fischer  als  Literarhistoriker.  L    45  Pf. 

163.  Foltz,  0.,  Über  den  Wert  des  Schönen.    25  Pf. 

164.  Sallwürk,  Dr.  E.  von,  Helene  Keller.    20  Pf. 

165.  Schöne,  Dr.,  Der  Stundenplan  n.  s.  Bedeutung  f.  Schule  und  Hans.  50  PL 

166.  Zeissig,  K,  Der  Dreibund  von  Formenkunde,  Zeichnen  und  Hand- 
fertigkeitsunterricht in  der  Volksschule.  Mit  einem  Vorwort  iron  Pro! 
Dr.  0.  Willmann-Prag.    65  Pf. 

167.  Flügel,  0.,  Ober  das  Absolute  in  den  ästhetischen  Urteilen.   40  PL 

168.  Grosskopf,  Alfred,  Der  letzte  Sturm  und  Drang  der  deutschen 
Literatur,  insbesondere  die  moderne  Lyrik.    40  Pf. 

169.  Fritzsche,  B.,  Die  neuen  Bahnen  des  erdkundlichen  Unterrichts. 
Streitfragen  aus  alter  und  neuer  Zeit    1  M  50  Pf . 

170.  Schleinitz»  Dr.  phil.  Otto,  Darstellung  der  Herbartschen  Inter- 
essenlehre.   45  Pf.  [Volksschnlerziehung.    65  PL 

171.  Lembke,    Fr.,    Die    Lüge    unter    besonderer  Berücksichtigung    dar 

172.  Förster,  Fr.,  Der  Unterricht  in  der  deutschen  Bechtschreibnng 
vom  Standpunkte  der  Herbartschen  Psychologie  aus  betrachtet   50  PL 

173.  Tews,  J.,  Konfession,  Schulbildung  und  Erwerbstätigkeit    25  PL 

174.  Peper,  Wilhelm,  Über  ästhetisches  Sehen.    70  PL 

175.  Pflugk,  Gustav,  Die  Übertreibung  im  sprachlichen  Ausdruck.    30  Pf. 

176.  Eismann,  0.,  Der  israelitische  Prophetismus  in  der  Volksschule.  30  PL 

177.  Schreiber,  Heinr.,  Unnatur  im  heut  Gesangunterrioht    30  Pf. 

178.  Schmieder,  A.,  Anregungen  zur  psycho!.  BetriKshtung  d.  Sprache.  50  Pf« 

179.  Hörn,  SLleine  Schulgemeinden  und  kleine  Schulen.    20  Pf. 

180.  Bötte,  Dr.  W.,  Wert  und  Schranken  der  Anwendung  der  Formal- 
stufen.    35  PL 

181.  Noth,  Erweiterung  —  Beschränkung,  Ausdehnung  -^  Vertiefang  des 
Lehrstoffes.    Ein  ^trag  zu  einer  noch  nicht  gelösten  Frage.     1  M. 

182.  Das  preuls.  Fürsorge-Erziehungsgeseta  unter  besonderer  Berücksichtig, 
der  aen  Lehrerstand  interessierenden  (Gesichtspunkte.   Vortrag.    20  Ft, 

183.  Siebert,  Dr.  A.»  Anthropologie  und  Beligion  in  ihrem  Verhältnis 
zu  einander.    20  Pf. 

184.  Dressier,  Gedanken  über  das  Gleichnis  vom  reichen  Manne  und 
armen  Lazarus.    30  Pf. 

185.  Keferstein,  Dr.  Horst,  Ziele  und  Aufgaben  eines  nationalen  Kinder- 
und  Jugendschutz -Vereins.    40  PL 

186.  Bötte,  Dr.  W.,  Die  Gerechtigkeit  des  Lehrers  gegen  s.  Schüler.   35  Pf. 

187.  Schubert,  Bektor  a,  Die  Schülerbibliothek  im  Lehrplan.    25  Pf. 

188.  Winter,  Dr.  jur.  Paul,  Die  Schadensersatzpflicht,  insbesondere  die 
Haftpflicht  der  Lehrer  nach  dem  neuen  bürgerlichen  Becht    40  Pf. 

189.  Muthesius,  K.,  Schulaufsicht  und  Lehrerbildung.    70  PL 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8e  Sohne  (Beyer  6i  Mann)  in 

190.  Lobsien,  M.,  Über  den  relativen  Wert  Tersch.  Binnestypen.     90  PL 

191.  Schramm,   F.,    Saggestion    and   Hypnoie   nach    ihrer   Ersdieinaiii 
Ursache  and  Wirkung.    80  Pf. 

192.  Staude,   P.,  Lehrbeispiele  für  den  Deutachonterricht  nach  dar  FHmI 
von  Heinemann  und  Schröder.    (2.  Heft)    25  Pf.     1.  Heft  a.  Heft  9& 

193.  Pick  er,  W.,  Über  Konzentration.  Eine  Lehrplanfrage.     40  Pf. 

194.  Borne  mann,    Dr.  L.,   Dörpfeld  und  Albert  liange.     Zur  Einffihroig 
in  ihre  Ansichten  üb.  soziale  Frage.    Schale,  Staat  o.  Kirche.    45  ?L 

195.  Lesser,  Dr.,  Die  Schale  und  die  Fremdwörterfrage.     25  Pf. 

196.  Weise,  B.,  Die  Fürsorge  d.  Volksschule  ffir  ihre  nicht  achwachainnign 
Nachzügler.    45  Pf. 

197.  Staude,  P.,  Zur  Deutung  d.  Gleichnisreden  Jesu  in  neuerer  Zeit.  25  FL 

198.  Schaefer,  K.,  Die  Bedeutang  der  Schülerbibliotheken.     90  PL 

199.  Sallwürk,  Dr.  K  y.,  Streif züge  zur  Jugendgeechichte  Herbarta.  60  PL 

200.  S  i  e  b  e  r  t ,  Dr.  0.  y  Entwickelungsgeschichte  d.  Menschengeechlechta.  25FL 

201.  Schleichert,  F.,  Zur  Pflege  d.  &8thet  Interesses  i.  d.  Schale.    25  Ft 

202.  Mo  11  her g,  Dr.  A.,  Ein  Stück  Schalleben.    40  Pf. 

203.  Richter,  0.,  Die  nationale  Bewegung  und  das  Problem  der  naticoaki 
Erziehung  in  der  deutschen  Gegenwart     1  M  30  Pf. 

204.  Gille,    Gerb.,   Die  absolute  Gewüsheit  und  Allgemeingiltigkeit  6m 
sittl.  Stammurteile.    30  Pf. 

205.  Schmitz,  A.,  Zweck  und  Einrichtung  der  Hilfsschulen.     30  Pf. 

206.  Grosse,  H.,  Ziele  u.  Wege  weibl.  Bildung  in  DeutschUnd.    1  M  40  Pf. 

207.  Bauer,  G.,  Klagen  über  die  nach  der  Schulzeit  hervortretenden  M&ngd 
der  Schulunterrichtserfolge.    30  Pf. 

208.  Busse,  Wer  ist  mein  Führer?    20  Pf. 

209.  Friemel,  Rudolf,  Schreiben  and  Schreibonterricht.     40  Pf. 

210.  Eeferstein,  Dr.  H.,  Die  Bildungsbedürfnisse  der  Jugendlichen.  45  FL 

211.  Dannmeier,  H.,  Die  Aufgaben  d.  Schale  i.  Kampf  g.d.Alkoholiamna.  35FL 

212.  Thieme,  P.,  Gesellschaftswissenschaft  and  J^iehnng.     35  Pf. 

213.  Sallwürk,  Prof.  Dr.  Edmund  von,  Das  Gedicht  als  Kunstwerk.  25  PL 

214.  Lomberg,  Aug.,  Sollen  in  der  Volksschule  auch  klasa.  Dramen  uad 
Epen  gelesen  werden?    20  Pf. 

215.  fi orn,  Rektor,  Über  zwei  Grandgebrechen  d.  heutigen  Yolkaachole.  60  FL 

216.  Zeifsig,  Emil,  Über  das  Wort  Konzentration,  seine  Bedeatong  vad 
Verdeutschung.    Ein  Vortrag.    25  Pf. 

217.  Niehas,  P.,  Neuerungen  in  der  Methodik  des  elementaren  Geometrie 
Unterrichts.    (Psychologisch-kritische  Studie.)    25  Pf. 

218.  Winzer,   H,   Die  Volksschule  und  die  Kunst    25  Pf. 

219.  Lobsien,  Marx,  Die  Gleichschreibung  als  Grandlage  dea  dentadMi 
Rechtschreibunterrichts.    Ein  Versuch.    50  Pf. 

220.  Bliedner,  Dr.  A.,  Biologie  und  Poesie  in  der  Volksschule.   75  Pf. 

221.  Linde,  Fr.,  Etwas  üb.  Lautveränderung  in  d.  deutsch.  Sprache.  30  FL 

222.  Grosse,  Hugo,  Ein  Mädchenschal -Lehrplan  aus  dem  16.  Jah^ 
hundert:  Andr.  Muskulus*  »Jungfraw  Schule«  Tom  Jahre  1574.    40  FL 

223.  Baumann,  Prof.  Dr.,  Die  Lehrpl&ne  von  1901  beleuchtet  ans  ihnai 
selbst  und  aus  dem  Lexisschen  Sammelwerk.     1  M  20  Pf. 

224.  Muthesius,  Karl,  Der  zweite  Kunsterziehungstagin  Weimar.   35  Ft 

225.  Dorn  heim,   0.,   Volkssch&den  nnd  Volksschule.    60  Pf. 

226.  Benson,  Arthur  Christopher,  Der  Schulmeister.  Stndia  sa 
Kenntnis  des  englischen  Bildnngswesens  und  ein  Beitrag  sor  Lehre  toi 
der  Zucht    Aus  dem  Englischen  übersetzt  von  K.  Rein.     1  M  20  Fl 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8t  Mann)  in  Langensalza. 

gf*  ^*  ^inter'd  jLUBf^ttoäfilU  pä5anonir(Qt  St^riften.  mit  (Einleitungen 
2Inmerfungen,  foipie  einer  Cl^arafteriftif  bcs  ^lutors  herausgegeben  oon 
^r.  SeiDel.    2.  2Iufl.    2  öbe.    preis  6  m.  50  pf.,  eleg.  gebb.  8  ITT.  50  pf. 

3.  *il»  ^afeboto'd  päöaßOöirtS^  S^riftcn.  ITTit  Bafeboro's  öiograpl^ie 
Ijerausgeg.  o.Dr.fJugo  (Söring.  lob.  preis  sITT.,  eleg.  gebb.ftlTT.  20  pf. 

tlitfiufl  l^ermanti  9Heinei|err  (Srunörä^e  5fv  (Sviiilinng  nn5  5e0  UnfiF« 
riiftts.  ITTit  (Ergänsung  bes  gefd)id?tlid?  •  literarifAeu  (Eeils  unb  mit 
niemeyei's  Öiograpljie  Ijerausgegeben  von  Dr.  IDilbelm  Hein. 
2.  Jlufiage.    3  öänbe.     preis  8  ITT.  50  pf.,  eleg.  geb.   \  \  ITT.  50  pf. 

3*  &*  {^tc^te'd  Vitbtn  an  öie  öcutrcQe  flafion.  ITTit  2lnmerfungen  unb 
fid?te*5  Biographie  l^erausgegeben  von  Dr.  (Ebeobor  Dogt,  Prof.  an 
ber  IPiener  Uniüerfität.  2.  2iuff.  preis  2  ITT.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  ITT  so  pf. 

Sfaaf  3fclitt'd  PäöaflOfiififtt  Stßriffw  nebft  feinem  päbagogifd?en  Brief- 
roed^fel  mit  Job-  Cafpar  Carater,  Ulvffes  pon  Balis  un^  3-  ^-  -d?loffer. 
£7<»rausöegeben  üon  Dr.  liugo  (Söring.  ITTit  3ffli"'s  Biographie  von 
Dr.  (Ebnarb  ITTever.     \  Banb.     preis  3  ITT.,  eleg.  gebunben  4  ITT. 

3*  ^odt*9  <5(5anßen  ä6ev  (Sriiefiunp«  ITTit  (Einleitung,  2Inmerfungen  unb 
£orfe*s  Biographie  berausgcg.  üon  Dr.  (E.  üon  Sallmürf.  (Srots^3gI. 
Bab.  0berfd)ulrat.  2.2lutT.   \^b.    preis  2  I.i.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  ITT.  50  pf. 

9vichxid^^9  bed  (Stoffen  pä5a(|ooir<$£  £>rfiviflen  un5  Stu^rrunn^n.  ITTit 
einer  ZIbbanblung  über  ^riebrid)'s  bes  <5rogen  Scbulreglement  nebft  einet 
Sammlung  ber  t^auptfäcblid^ften  Sd^ulreglements,  Keffripte  unb  (E.'laffe 
überfe^t  unb  l^erausgegeben  oon  Dr.  Jürgen  Bona  ITTev^r,  Prof.  bei 
pi^ilofopbie  unb  päbagogif  in  Bonn,     preis  3  ITT.,  eleg.  geb.  4  ITT. 

3ean  ^aul  ^rtcbrtcb  9<ti4tcr'c^  X^uana  nebft  päb.  Stncfen  aus  feinen 
übrigen  lOerfen  unb  betn  leben  bes  vergnügten  Scbulmeifterlcins  ITTaria 
It>U5  in  Jluentbal.  ITTit  Einleitungen,  2lnmerFungen  unb  Kid)ter's  Bio: 
graphte  rerfeben  oon  Dr.  Karl  lange,  Direftor  ber  \.  BürgerfAuIc  5U 
planen  i.  Pgtl.  2.  ^lufl.   \  ^t.  preis  3  ITT.  50  pf.,  eleg.  geb.  4  ITi.  50  pf . 

Sf^ndon  un5  5ie  Titerafuv  5tF  mei6Iii6en  Btl5unn  in  Franlireld}. 
i^erausgegeben  pon  Dr.  €.  p.  Sallroürf,  (Sro§^er3ogI.  Babifctem  Obcr- 
fcbulrat.     \  ^an^.     preis  3  ITT.  50  pf.,  eleg.  gebunben  4  ITT.  50  pf. 

ür.  $1.  2\J.  ^JD^a^er'd  Ctutft^E  JBürntrft^uIe.    fcbreiben  an  einen  Staats 
mann,     lierausgegeben    pon    Karl    €bcrbarbt,    (örojgl^erjogl.  5ä»tf. 
f  d3ulratu.Be3irfsfd?ulinfp.  i  Banb.  preis  i  ITT.  Hopf., eleg. geb. 2 ITT. 80 pf. 

I)r.  3){ttrttn  ^utl^er'c^  päöanooirrQp  Siiiriften  un5  ;3uAerunotn.  2Ius 
feinen  lUerfen  gefammelt  unb  in  einrr  (Einleitung  5ufammenfaffenb 
Aaraftcrifiert  unb  bargcftcUt  pon  Dr.  f>.  Kcf  erftcin,  Seminaroberlebrer 
3U  r^amburg.     \  }5an^.    preis  3  ITT.,  pleg.  gebunben  4  Hl. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Veriag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langemala. 

272«  BubinBtein,  Dr.  SusaDna,  Die  Energie  ala  Wilhahn  r.  HnmboUti 
sittliches  Gnmdprinzip.    20  Pf. 

273.  Eoehler,  Joh.,  Das  biologische  Prinsip  im  Sachnntn  rieht.    50  Ft 

274.  Heine,  Heinrich,  Über  thflriDgisch-sficfaaischo  OrtKumMn.    25  FL 

275.  Rubinstein,  Dr.  8asanna,  SäiiUers  Btellnng  snr  Religion.  ^PL 

276.  Haustein,  Dr.  A.,  Der  geogr.  Unterricht  im  1§.  Jahrhundcnrt  80 FL 

277.  Scheller,  A.,  Die  Schrankenlosigkeit  der  formalen  Stofen.    30  Pt 

278.  Zeißig,  Emil,  Vorbereitung  auf  den  Unterricht     1  M  50  PL 

279.  Schneider,  Dr.  Gustav,  Emil  Adolf  Bofim&fller  ala  Pftdagog.  90Ft 

280.  Arnold,  Dr.  0.,  Schopenhauers  p&dagogiache  Anaichten.    1  M  ÖO  FL 

281.  Troll,  M.,  Die  Reform  des  Lehrplans.    80  FL 

282.  Krusche,  G.,  Das  Atmen  beim  Sprechen,  Lesen  and  Bingen.    60  FL 

283.  Köhler,  E  0.,  Die  praktische  Verwertung  bdimatknndL  Stolb.    1  M. 

284.  Haltenhoff,  Dr.  phil.  Julius,  Die  Wisseo^aft  Tom  alten  Orisata 
ihrem  Verhältnis  zu  Bibelwissenschaft  und  Offenbarangaglaoben.    1  IL 

285.  König,  Eduard,  Dr.  phiL  u.  theol.,  ordentL  Prof.  a.  d.  üniv.  Boai^ 
Moderne  Anschauungen  über  den  Ursprung  der  iaraelit.  Religion.    80  FL 

286.  Richter,  A.,  Religionsunterricht  oder  nicht?    1  M. 

287.  Fö rste  r.  Fr.,  Die  psychol.  Reihen  und  ihre  pftdag.  Bedentong.        65  PL 

288.  Grosse,  H.,  Eduard  Mörike  als  Lehrer.    60  Pf. 

289.  Noatzsch,  R.,  Die  musikalische  Form  unserer  Chorftle.     35  Pf. 

290.  Redlich,  J.,  Ein  Blick  i.d.  allgemeinste  BegriffBnetsd.Aatrometne.  30  FL 

291.  Schubert,  C,  Die  Eigenart  des  Kunstunterrichts.     30  Pf. 

292.  Sallwürk,  Dr.  £.  von,  Kunsterziehung  in  neuer  und  alter  Zeit.  20 PL 

293.  Dobenecker,  R.,  Ober  den  pfidagogiachen  Grundsati:  »Heimatkuods 
nicht  bloß  Disziplin,  sondern  Prinzip.«    40  Pf. 

294.  Perkmann,  Prof. Dr. J.,  Die  wissenschaftl.  Grundlag.  d.  Pidag.    70  PL 

295.  Hüttner,  Dr.  Alfred,  Die  Pädagogik  Schleiermachera.     1  M  20  FL 

296.  Clemenz,  Bruno,  Kolonialidee  und  Schule.    2.  Aufl.     60  Pf. 

297.  Flügel,  0.,  Herbart  über  Fichte  im  Jahre  1806.    25  Pt 

298.  Lobsien,  Marx,  Ober  Schreiben  und  Schreibbewegangen.    90  PL 

299.  Dams,  W.,  Zur  Erinnerung  an  Rektor  Dietrich  Hom.     40  PL 

300.  Vogel,  Dr.  P.,  Fichte  und  Pestalozzi.    2  M. 

301.  Winzer,  Schulreife  und  Gharakterbilduog.    20  Pf. 

302.  Pottag,  Zur  Mimik  der  Kinder.    25  Pf. 

303.  Wilhelm,  Lehre  vom  Gefühl.     1,50  M. 

304.  Schmidt,  Der  sittliche  Geschmack  als  Kristalliaationspunkt  der  sitt- 
lichen Erziehung.    20  Pf. 

305.  Leidolph,  Über  MeÜiodik  u.  Technik  des  GesdiichtaunterTidita.  40  PL 

306.  Köhler,  Schule  und  Kolonialinteresse.    40  Pf. 

307.  Clemenz,  Die  Beobachtung  und  Berücksichtigung  der  Eigenart  dar 
Schüler.    60  Pf. 

308.  Dietrich,  0.,  Wie  kann  die  Schule  bei  der  Fürsorge  nm  die  srfaal- 
entlassene  m&nnliche  Jugend  mitwirken?    40  PL 

309.  Bau  mann,  ProL  Dr.,  Universitäten.     1  M  20  Pf . 

310.  Jungandreas,  Zur  Reform  des  Religionsunterrichts.    40  Pf. 

311.  Hermann,  Dr.  med.,   Heilerziehungsh&user  (Kindeiirramnatalten)  all 
Ergänzung  der  Rettungshäuser  und  Irrenanstalten.    25  PL 

312.  Michel,  0.  H.,  Die  Zeugnisf&higkeit  der  Kinder  Tor  Gerieht.    1  M. 

313.  Prümers,  A.,  Zwölf  Kinderiieder.     Eine  analytiadie  Studie.    30  PL 

314.  Upper  mann,  E.,   Dr.  Horst  Keferstein«    Gedenkblatt  aeinea  Lebens 
und  Wirkens.    50  Pf. 


Verlag  von  Hennann  Beyer  8e  Söhne  (Beyer  8e  Mann)  in  Langensalza. 

Heft 

315.  Schramm,  F.,  Sexaelle  Aufklärungen  und  die  Schule.     60  Pf. 

316.  Staude,  F.,  Jeremia  in  Malerei  und  Dichtkunst.    30  Pf. 

317.  G  dring,   Dr.  H.,   Von  Kuno  Fischers  Geistesart.    Ein  Nachruf  des 
Dankes.    30  Pf. 

318.  Vogel  sang,  W.,  Vorschläge  zur  Beform   der  Allgem.  Bestimmangea 
vom  15.  Oktober  1872.    50  Pf. 

319.  Barheine,  W.,  Visuelle  Erinnerungsbilder  beim  Rechnen.    60  Pf. 

320.  Well  er,   Dr.  phiL,  Die  kindlichen  Spiele  in  ihrer  pädagogischen  Be- 
deutung bei  Locke,  Jean  Paul  und  Herbart.    2  M. 

321.  Kühn,  Hugo,  Poesie  im  I.  Schuljahr.    80  Pf. 

322.  Sieb  er  t,  Dr.  0.,  Rudolf  Eucken  und  das  Problem  der  Kultur.   20  Pt 

323.  Flügel,  0.,  Das  Problem  der  Materie.    1  M. 

324.  Uphues,  Dr.  Goswin,  Der  geschichtÜohe  Sokrates,  kein  Atheist  und 
kein  Sophist.     1  M. 

325.  Foltz,  O.,  Luthers  Persönlichkeit.    40  Pf. 

326.  Förster,  Fr.,  Zur  Reform  der  höheren  Mädchenschule  in  PreoAen. 
20  Pf. 

327.  Friemel,  R.,  Trennung  der  Geschlechter  oder  gemeinschaftliche  Be- 
schulung?   25  Pf. 

328.  Hofmann,  Joh.,  Die  Strafen  in  der  Volksschule.    60  Pf. 

329.  Schreiber,  H.,  Für  das  Formen  in  den  unteren  Klassen  an  der  Hand 
von  Sätzen  wider  dasselbe.    30  Pf. 

330.  Fritzsch,  Dr.  Theodor,  Ernst  Tillich.    (U.  d.  Pr.) 


Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8e  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  LangensiIzL 

BtbliotI?ef 
Päbagogifcber  Klaffifcr. 

(Eine  Sammlung  5cr  beöcutenbftcn  pdöagogifd^en  Schriften 

älterer  unö  neuerer  5cil. 

öeraasgrgeben  vor. 

^ruttldf  VHann. 


1fie{taio^V&  jlusoetDäQItt  VdtvUt.    IHtt  (Einleitundien,   ^Xnmcrfungrn  nn$ 

peftalo33i'ö  Sioijrapbic  l^erausgeuicben  oon  jrtebrid^  XII  ann.    a  21n1. 

4  i^üfibc.    preis  n  nr.  50  pf.,  elegant  gebunden   ib  ITT.  50  pr. 
€4(ctcrma4er'«^  Pä5.  f^i^rifltn.    mit  einer  Darfteilung   feine«   ftbtm 

bcrausgcij  ivd.plat^.  3.2Iuf!.  ^  23b.  preis5in.40pf.,  eIeg.geb.toITT.60p^ 
3.  3.  iKouffcnu'^  (Emil,    llberfeftt,  mit  (Einleitungen  unb  Jlnmerfunaw 

rcrfcben    von    '>r.    vH.   d.  Sdllwürf,    (Sro6l^er3ogL    ^abifcbem   (DUv 

fcbiilrat,  mit  Kouffcairs  ^lograpl^ie  oon  Dr.  (Lljeobox  Dogt,  profejFor 

an  bcr  zricncr  llnuierfität.    3.  ^ufi,   2  Bänbe.   preis  6111.,  eleg.  geb.  slü. 
(»erbart'tif  Päöan-  £>diritlpn.  ITTit  lierbart's  Biograptjie  ron  Dr.  ^riebrid? 

^artholomäi.    :.  ^hifl.,  neu  bearbeitet  u.  mit   erldut.  21nmerftinafn 

rcrfcl'cn  v.  l»r.  €.  v<n  Sallmürf.  2  öbe.   preis  6  ITl.,  eleg.  geb.  8  IK. 
3ol)aun  "ilmuv«  C*?omcnin€^'  i&vofii  llnItrrtiQtsItQFt.     äberfegt.  mit  ^n< 

merfiniacn    ini>>    bei^    Cotncaius'    ^iograpl^ic    oerfetjen    oon    prof.   Pr. 

CEb    fioii.      :..  ^hiflayc     i   i^anb.    preis  3  HT.,  eleg.  gebnnben  *  2u. 
5.  'Jl.  (<ümcninc<'  Schcla  Ludus  b.  i.  Dir  SifiulB  a[9  Spiti     3ns  Deoti*« 

übcrtuMcii  von  IPilbelm  i^öttidycr,  Oberlehrer  am   "Realgymnafrum 

lul^  t^vriiiKiMiini  in  baacn  i.  W.    \  ^-^aiib.    preis  3  ITT.  eleg.  geb.  4  ITi. 
O* '2i,  C< omi ninv<*  1 :: ; ' Z : . :.:  A T  :k IU^:.  ©gi  Äutter 5tftul  beraasgegebcn 

ron  pioT>f»oi  I  'r.  ;£.  Ci  p.  £  i  0  n.  i  i^anb.  preis  »iO  Pf.,  eleg.  geb.  i  ITi.  20pT. 
^unnft  «S^crmiuni  »'vinnrtc'c«  T^äbanonifrfjt  St^riflfn  ncbft  einer  Darnrl- 

liniij  loi'ii'r  icicw:  nll^  ü-iiuT  f tirtnn.jcn,  herausgegeben  oon  (Setfeimrat 

pro:iüii-  !'r.  ^^V  h  ra 'i; er    cbcm.  Pireftor  ber  ;Jr an rfe^djen  Stiftunatn. 

2.  vluriaar.     ;   l\i»i^.     preis  ;  IV...  eleg.  gcbunben  5  ITI. 
iX){icl)cI  ^c  :V>'uuiiiif|nc.    riuolötiiil  päöanonifd^ev  5ttidit  aus  inontatgnrs 

v£fl'aviv  iil'ciii't;r  -or.  v£r;:ü  f»i;'!inb.     2.  ^luflage.     i   &änbi)en.    preis 

:.()  pf..    cica.  .jchii:iC^i^:i    :    111.    in  pf. 
^iniitnuncl  ^Xaiit,  -illirr  l^ai^anüiiü*»-  ^Uit  Kants  i^iograpbie  neu  berausjca. 

P.prof.  ]»r.  eih.  Toat.    -.  :iiifl.     i  i^b.  preis  l  lli.,  ^:eg.  geb.  \  XIX.  75  ff. 

Zu   Ix'zirliLMi  <!ii]Tii  j«'(lr  lUicIihaiidlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8t  Mann)  in  Langensalza. 

9.  i».  ^inter'd  3ln0fletiiälilft  pä5aoootr(Qi  StQFtftem  mit  (Einleitungen 
2Inmerfungen,  foipie  einer  Cl^arafteriftif  bcs  Tutors  l^erausgegeben  oon 
^r.  SeiDel-    2.  2lufl.    2  öbe.    preis  6  IR.  50  pf.,  elea.  gebb.  8  ITI.  50  pf . 

3.  «•  ^afeboto'd  PäöaßOoiWE  Sr^riftcn.  mit  Bafebom's  Biographie 
l^erausgeg.  ü.Dr.fJugo  (Söring.  \7Sb.  preis  sm.,  eleg.  gebb.^m.  20pf. 

ttufinfit  ^ermann  '9litmtptt,  (Srunüfä^t  btv  (SviiiQnnn  nn5  5t0  1lnfiP= 
rit^ts.  mit  (Ergänsung  bes  gefd)id?tlid)  •  literarifd^eu  (Eeils  unb  mit 
nicmeyet^s  Öiograpl^ie  l^erausgegeben  von  Dr.  IDilbelm  Kein. 
2.  2Iuflage.    3  Bänbc.     preis  8  ITi,  so  pf.,  eleg.  geb.   n  m.  50  pf. 

3*  &*  Stc^tc'd  %tbm  an  öit  5eutr(QE  flation.  mit  2Inmerfungen  unb 
fid?te*s  öiograpl^ie  l^erausgegeben  pon  Dr.  (Ll^eobor  Dogt,  Prof.  an 
ber  UMener  Unioerfität.  2.  2iufl.  preis  2  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  m  50  pf . 

3föaf  Sfelin'd  päöanoflififtt  SJtßriflEn  nebft  feinem  päbagogifd?en  Brief- 
roed?fel  mit  ^ob.  (£afpar  £apater,  IHvfF^s  pon  Salis  unb  3-  ^-  Scblojfer. 
I7«»rau5öegcben  üon  Dr.  5ugo  (So ring,  mit  3ffJ»"*s  Biograpl^ie  oon 
Dr.  (Ebuarb  meyer.     \  Banb.     preis  3  m.,  eleg.  gebunbcn  4  m. 

3*  ^ode'^  (!3p5anrien  ühtv  (Sr|ier]unn»  mit  (Einleitung,  ^Intnerfungen  unb 
£ocfe*s  Btograpl^ie  berausgeg.  pon  Dr.  (E.  00 n  Sallmürf,  <Sro|^l^3gI. 
Bab.  0berfd?ulrat.  2. 2lufl.   i  ^b.    preis  2  I...  50  pf.,  eleg.  geb.  3  m.  50  pf. 

gftiebrtc^'d  bcd  &xo^cn  pä5a0OoiftQe  Scfiriflrn  un5  Stu^trunnEu.  mit 
einer  21bhanblung  über  ^friebricb's  bes  (Srogen  Scbulreglement  nebft  einet 
Sammlung  ber  t^anptfad^Iid^ften  Scbulreglements,  Heffripte  unb  <E:Iaffe 
überfeftt  unb  l^erausgegeben  pon  Dr.  Jü^iJ^"  Bona  meyer,  Prof.  bei 
pl^ilofopt^ie  unb  päbagogif  in  Bonn,     preis  3  m.,  eleg.  geb.  4  m. 

3eait  '^aul  ^vxebxitb  dtiiftter'd  Xeüana  nebft  päb.  f  tücfen  aus  feinen 
übrigen  irerfen  unb  betn  leben  bes  pergtiügten  rd)ulmeifterlcins  maria 
Il>U3  in  2Iuentl^aI.  mit  (Einleitungen,  ^Inmerfungen  unb  Kiditer's  Bic-- 
grapbte  perfel^en  pon  Dr.  Karl  lange,  Direftor  ber  {.  Bürgerfdjulc  3U 
planen  i.  Dgtl.  2.  2lnfi.   [  ^b.  preis  5  m.  50  pf..  eleg.  geb.  4  m.  .'So  pf. 

tf^nclon  un5  bit  Titcvafuv  6tv  m»6Ii(^fn  Btl5unn  in  Fvanhreid;. 
^herausgegeben  pon  Dr.  (E.  p.  Salin? ürf,  (5ro§l^er3ogI.  Babif(tem  0bcr^ 
f*ulrat.     \  Banb.     preis  5  m.  50  pf.,  eleg.  gebunben  4  m.  50  pf. 

Dr.  H.  20.  ÜDtagcr'd  CcutfiftE  JBürnerfdiulE-  Scbreiben  an  einen  Staats^ 
mann,  herausgegeben  pon  Karl  (Eberbarbt,  <bro6l?er3ogl.  Säitf. 
Scbulrat  u.  Be3irFsf*ulinfp.  j  Banb.  preis  i  m.  Hopf.,  eleg.  geb.  2  211.  so  pf. 

Dr.  'JO^eirtüt  ^utl^cr'd  pä5anonif(Qe  Sdirifteu  unö  Suljerunpin.  ^lus 
feinen  IPerfen  gefammelt  unb  in  einrr  €inliMtung  3ufamfnenfajfenb 
Aaraftcrificrt  unb  bargcfteUt  pon  Dr.  li.  Kef  crftcin,  Seminaroberlebrer 
3U  liamburg.     i  T^^anb.    Preis  5  m.,  rleg.  gebunben  4  m. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung:. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8e  Söhne  (Beyer  ft  Mann)  in  Langensalza. 

Bal^maun^^  SlusnttDäQlti  ScQriflen.  f^erausge^eben  von  €.  ^dtv 
mann,  (Srop.  5äd?f.  Scbulrat  u.  Dir.  b.  Karolinenfd^ule  n.  b.  fel^rennnen- 
fcminars  3U  (Etfcnad).    2.  21uflage.    2  öanbe.   preis  5  ITT.,  eleg.  geb.  ilTl 

SKiltou'd  Pä5aoooir4)t  SfQrifItn  nn5  Sufttvnngtn.  mit  Einleitung  mift 
^nmcrfnngen  beraiisgeoicbcn  von  Dr.  3fir9«n  Sona  Ttitytt,  prof.  bei 
pbilofopl^te  u.  päb.  3U  TSonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunden  \  XXI.  50  Pf. 

Dr.  'I^ilficlm  ^avniW^  1^an56u($  für  5a0  btutfi^t  Volhaf^ulmt^n. 

mit  ^lumrrfuiigen   unb  flarnifd^'s  Biogropt^ie   t^etausge^eben   von  Dr. 
^'ricbrid?  Bartels,    preis  3  HI  50  pf.,  eleg.  gebunden  ^  m.  50  pf. 

^ludetr    l>r.  grrtcbrtd^  ^luguft^   %\is^malilU  päöagogiri^t   SiQvifln. 

:  }^'dn'i>t.    preis  5  HI.  50  pf..  eleg.  gebmiben  7  fll.  so  pf. 

Ubolf  Xtcftettucg.  2)ar(tg((unn  feines  TeBtns  un5  Ttintv  XtQrt  nnl 
Susuialjl  aus  feinen ßj^riflen.  l^erausgegeben  ©onDr.  (£.  p.  Sallronrf. 
cQel^.  i^ofrat.     5  öänbe.     preis  :o  lU.,  eleg.  gebunden   (3  IXl. 

^ettt^oih  8igtdmunb'<^  JtuspetDäQIte  Si^riflen.  f^erausaegeben,  mit 
2?iograpbic  nnö  ilnmcrfuitJien  rerfeljen  pon  Dr.  Karl  lITar f fd>ef fei. 
I   öanb.     preis  4  111.  30  pf.,  eleg.  gebunben  5  in.  50  pf. 

3.  W.  |»crbcr'c<  Paöanopifdiir  Sr^rifltn  un6  äufterunflen.  IRit  Einleitung 
luib  ^InincrFunacn  herausgegeben  von  Dr.  l^orfi  Kef  erflein,  feminar« 
Oberlehrer  a.  D.     i   ^^..itb.     preis  2  IR,  eleg.  geb.  3  ITT. 

(C-ruft  dHorili  «Irubf«*  3-Tön»"P"te  üücr  IHrnft^enBilbunR.    IXad}  ber  (Dri- 

amalansiuibe  neu  hcransucg.  von  (Scb.  Keg.'I^at  Prof.  Dr.  IV,  ITTünc^ 
luib  Köiiigl.  O'^bcrbibliolbcfar  Di.  i).  lUeisner.  \  ob.  prei?  2  ITT.  40  Pf 

elca.  gobnll^ClI  ."1  IH.  40  pf. 

371  rorbcrcitiiiM  bcyi^ncu  finb:  JrÖbCl,  f •  3^- |Polf,  gottdl,  CffltHO  "•  a. 

Tc!itii1)c  ^^Mätici,  "il^nlaiK  ,^m  ü^avtciiKuibc,  1872,  9tr.  19:  .  .  .,öii« 
iLMi  uoii  LMiinn  llntciiu'üniciT  Mcut  ?lrt  ucvlanc^en  fönncn,  Bolibi^ 
tiit  büi  \lll)iiiiit  unb  Vlih>fiituinu-|,  ein  flav  bcjirci^ter  ^.^lan,  eine  «tit  (Wofdniiacf 
unb  featlilniuiuiö  r-cihiniDouc  roviimU  für  bn^  (y>anit^Q  wk  für  ba<$  [iUmlnt, 
biiö  ifi  in  ^cv  ^M(  nuiriihiMi  'iMbliot^cf  iieleiftct." 

S\  X'  V.  i ,  ^i .i  b.  ^iM  ü 1 1  c V  f.  ij  c I)  V c  i  bi I  ^ ii.  1 S70,  .t'>eft  6 :  . .  ^^'öir  5cii]cn  ba« 
Ciliiboilicii  Mcu"!  inib.  .Sllan'iin  mii  i^ciii  ^>UMiicrren  an,  bnfj  bie  ^^omen  bcr  .öcr: 
niiö.u-;ar  'iii  bic  ii-n-nic  To.tiiuiÜLMi  bei  ^nii^jiiat^eii  bürden.  !öon  bdonbcrcm 
^iiHitf  fiiib  L>io  ooii  bdr.  :!in'ilni  innniiviu'fdiitficu  Woi^rapliiccn.  5)a  finbct  man 
C:iclIoin'ir.MiM:i,  niiln  ^Ml!iiii;vfpfr:  lvc<  ifi  eine  3r«"bc,  ,^u  fol)cn,  mit 
»nnboi  liior  bio  aiun  Hib-ino  Dvi  ^4i,ibai^in]ir  ^u  Inne  flcförbeit  uicrben."      Krh. 

Zu  hpziclion  durch  jodo  Bucliliandliing. 


Pädagogisches  Magazin. 


^ 


'.-''•,. 


I. 


AbhandluDK«  tod  fleliiet«  der  Pädagogik  md  ihrer  HifemieBMinBM. 


Hai«U(*(t«b*ii  TOS 

Friedrich  Mano. 


312.  Heft. 


Die 


Zeugnisfähigkeit  der  Kinder 


vor  Gericht. 


Ein  Beitrag  zur  Aussagepsychologie 


von 


' 


O.  H.  Michel 

in  Menden. 


Langensalza 

Hermanu  Beyer  &  Söhne 
(Beyer  &  Mann) 

Tlorzogl.  Säch-s.  Hofbuchhttndlor 

1907 

Preis  1  M. 


X 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza. 

23ibHotI?cf 
Päöagogtfdjcr  Klafftfcr. 

(Eine  Sammlung  5er  be^eutenöften  pdbagogifd^en  Schriften 

älterer  un6  neuerer  5^W- 

örcansgpgrben  Don 

^vUbvidf  TXlann. 


"^eftalo^Vi^  SnanttDäQItt  1^erf\e.    mit  (Etniettttngen,  ^Inmerfungm  und 

peßaIo53rs  Biogropt^ie  t^erausgegeben  von  ^xxtbtxdf  Ulann.    b.  2Iufl. 

^  Bänb2.    preis  u  HT.  so  Pf.,  elegant  gebunbeu  Xb  Xtt,  so  pt. 
^d^kiertnad^er'd  l^äö.  St^vifltn.    mit  einer  Darstellung  feines    (ebens 

Ijerausgeg.  o.(£.pIaö.  3.21ufl.  (5b.  preissm.^opf.,  eleg.geb.  6m.60pf. 
3«  3«  9louffcau'd  (Emil.    Überfe^t,  mit  (Einleitungen  unb  21nmfrfungen 

rerfeljen   von   Dr.   (£.   r.  Sallmürf,    (Sro6l?er3ogI.    Babifdjem    (Dber^ 

fd^ulrat,  mit  Houffeau*5  Btograpl^ie  von  Dr.  (Et^eobor  Dogt,  profeffor 

an  ber  IPiener  Uniuerfttät.    3.  2Iufl.   2  Bänbe.  preis  6  m.,  eleg.  geb.  8  Xtl. 
^CvbaxV^  Päöafl.  Sdjrifttn.  mit  fterbart's  Biographie  von  Dr.  ^riebrid) 

Bartl^olomäi.    7.  2litjl.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erläut.  Zlnmerfungen 

uerfehcn  v.  Dr.  (£.  Don  Sallroürf.   2  Bbe.   preis  6  Ul.,  eleg.  geb.  8  m. 
3o^aun  flmo«^  6^otncnine^'  (Bro^E  llnttvviiQfeltQrE.    Überfe^t,  mit  ^In* 

merfungcn   «nb    bcs    <tomcnius'    Biograpljie    oerfeljen   von    prof.    Dr. 

^ll.   £ion.      5.  ^Infliage.     i  Banb.    preis  3  KL,  eleg.  gebnnben  -^  IM. 
S«  31.  ^omcniue^'  Schola  Ludue  b.  i.  IDte  St^ult  als  Spiti    3"*  DeutfAe 

übertragen  t>on  lOilbelm  Böttid?er,  0berIebrer  am  Healgymnafium 

unb  (Symnafium  in  l7jgcn  t.  IV,    \  Banb.    preis  3  m.  eleg.  geb.  4  m. 
a*5(.^omcmufit'lNFCR:vTAT0RIUM.  ©nÄuttt  r  Si^ul  l^erausgegeben 

Donprofcffor  Dr. d.  «Ib.  £ton.  l  }5anb.  preisftopf.,  eleg. geb.  i  m.zopf. 
tlu^uft  ^ermann  ^vancfc'ei  PabagogifriiE  Stc^riften  nebft  einer  Darftcl^ 

liuig  feines  Gebens  unb  feiner  Stiftungen,  herausgegeben  von  (Sehetmrat 

profeffor  Dr.  C5.  Krämer,  el?cm.  Direftor  ber  ;Jrancfe*fd?en  Stiftunacn. 

2.  ^luflage.     i   l^anb.     preis  4  m.,  eleg.  gebunben  s  m. 
tl)Hd)cl  t)C  '.)J{uutnin"c.    ilusmal)l  päöanonifr^Ef  StüAt  aus  IHontaignes 

€ffays,  überi'ct3t  ron  v£ruft  f  dimib.     2.  2Iuflage.     [  Bänbd>fn.     preis 

'^()  pf,,   eleu.  .Jeb^nI^eu   i    HT.   lo  pf. 
Sntiiinuucl  Maut,  lilbrr  päöanonil^-  mit  Kants  Biogrupt^ie  neu  bcraiisgeg. 

V.  prof.  l'r.  Cl  b.  1-iUU.   :>.  2[\iH.    i  Bb.  preis  {  IM.,  eleg.  geb.  \  HI.  75  pf. 

Zii   lif'zn'lMMi  iUivch  jede  liuchhandlimg. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza. 

9f«  <B«  ^intet^d  SuBgetDäQltt  päöagogiriQi  £)(Qrtf!en*  mit  (Einleitungen 
2Inmerfnngen,  foroie  einer  Cbaraftertjlif  bes  ^lutors  t^erausgegeben  oon 
^r.  SeiöeL    2.  Hufi.    2  öbc.   preis  6  m.  50  pf.,  cicg.  gcbb.  8  ITT.  50  pf. 

3*  ia.  (Bafcboto'd  l^äöagonifi^t  SiQrtftcn.  mit  3afeboro*5  Biograpltic 
Ijerausgeg.  o.Dr.f^ugo  (Söring.  ^öb.  preis  sm.,  eleg.  gebö.em.  20pf. 

tlugufl  f^ermantt  9liemei9et,  (Brunöfä^e  ttv  (SriitQung  unö  5t0  Unter« 
vt($l8.  mit  (£rgän5ung  bes  gefd^id^tlid?  <  litcrarifd^eti  (Teils  unb  mit 
niemeyet^s  Biograpl^ie  t^erausgegeben  von  Dr.  IDilbelm  Hein. 
2.  2IuiTage.    3  Bänbe.     preis  8  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  i  [  IXi,  50  pf. 

3*  (B*  Sfid^tc'd  Be5en  an  öie  5cutriQe  üatton.  mit  2lnmerfungen  unb 
(fid^te's  Biograpt^ie  t^erausgegeben  oon  Dr.  (Lt^eobor  Pogt,  prof.  an 
ber  IDicner  Unioerfität.   2.  2IufI.   preis  2  Ul.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  m  50  pf . 

3faa(  Sfelitt'd  1^ä5agofltrtQe  ScQrtflsn  nebft  feinem  pabagogifcben  Brief- 
roed^fel  mit  3ol?-  (Eafpar  Cauater.  Ulvffes  ron  f  alis  unb  3.  (5.  Sd^Iojfer. 
^^rausgegeben  oon  Dr.  £>ugo  (Söring.  mit  3f^^J"'s  Biograpl^ie  oon 
Dr.  (Ebuarb  meyer.     \  Barib.     preis  3  IM.,  eleg.  gebunben  4  lU. 

3«  ^0(fe*d  (Be5ani\en  ubtr  (EviteQung*  mit  €inIeituTtg;  2Inmerfungen  unb 
Cocfe's  Biograpl^ie  herausgeg.  oon  Dr.  (E.  oon  Sallmürf.  (5ro|^b5gI. 
Bob.  (Dberft^ulrat.  2. 2lufl.  \  75b.    preis  2  Li.  öo  pf.,  eleg.  geb.  3  m.  50  pf. 

gFticbrtd^'d  bcd  (Broftcit  päöagonifi^e  Scficifltn  un5  StugerungEn.  mit 
einer  21bhanblung  über  ^riebrid)'s  bes  (5rogen  rcbulreglement  nebft  cinei 
Sammlung  ber  t^auplfädilid^ften  Scbulreglements,  Heffripte  unb  £;laf[c 
überfe^t  unb  herausgegeben  oon  Dr.  Jürgen  Bona  meyer,  prof.  ber 
philofopl^ie  unb  päbagogif  in  Bonn,     preis  3  m.,  eleg.  geb.  4  m. 

3tatt  $aul  g^riebrtc^  ^Kti^tcr'c^  Xeuana  nebj)  pjb.  Stücfrn  aus  feinen 
übrigen  lUerfen  unb  bem  £ebcn  bes  oergnügtcn  rcbnimeiftcrieins  maria 
H?U3  in  2luentbal.  mit  v£inleitungc?i,  ^inmerfun^jen  unb  Kicbter's  Bio: 
grapljie  ocrfel^en  oon  Dr.  Karl  lange,  Direftor  ber  (.  Bürgerfdjule  5U 
planen  i.  Pgtl.  2.  21ufi.   i  Bö.  preis  3  m.  50  pf..  eleg.  geb.  4  m.  öu  pf. 

gr^ndott  unb  5ie  Xiterafur  ber  uiEiblidjpn  Silbung  in  l^üanBreid}. 
herausgegeben  oon  Dr.  €.  0.  rallujürP,  (Sro]5bcr3ogI.  Babifihem  ©ber- 
fcbulrat.     \  ^Sanb.     preis  3  m.  f>o  pf.,  eleg.  gebunben  4  m.  50  pf. 

Dr.  ft.  5Ö.  t)iy}a^cr'c<  i)putrt^8  BürgcrfrijulE.  5d>rctbcn  an  einen  Staats- 
mann. I^eransgegeben  oon  Karl  vEbciharbt,  (Öro^ber5ogl.  Säfbf. 
5*ulratu.Be5irfsfd>ulinfp.  r  Banb.  preis  i  111.  h()pf.,elcg.  geb.2m.8Opf. 

Dr.  9)l(ittin  Üutf^ct'9  päbanogifrliE  £>d)riftFn  unö  .Hulirvunntn.  ^(us 
feinen  IPerf cn  gefammelt  unb  in  einer  ^inloitung  ^nfammenf affenb 
cbarafterifiert  unb  bargcftcllt  oon  Dr.  T).  Ki*|  crftoiu,  f  cminarobcrlebrer 
3U  Hamburg,     i   }5anb.     preis  3  111.,  »'leg.  gcbn!i>en  *  m. 

Zu  bo/ipfien  (hirch  jcch*  HucliliaiHlliir.ij;. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza. 

Zai^mann^9  SuggttnäQlfe  BcQvifttn.  ^herausgegeben  von  (2.  21  cf  er- 
mann, (5rogl{.  Sädf\.  Sd^ulrat  u.  Dir.  b.  Karolmenfd^ule  u.  h.  (ef^rertnnen^ 
femtnars  511  (Etfenad^.    2.  2Iuf!a9e.    2  Bänbe.   preis  5  IR.,  eleg.  geb.  7  Hl. 

IKilton^d  1^ä5anonir<Qe  SiQriftin  un5  SuAtrungtn.  mit  Einleitung  nnb 
2Inmerfungen  l^erausgegeben  oon  Dr.  3ntgen  Bona  Hleyer,  Prof.  ber 
philofopl^te  u.  pSb.  5U  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunden  {  JXl.  50  pf. 

Dr.  SdU^dtn  ^axniW^  Sanöbut^  für  5as  öeutriQt  Volfiuft^nltjatStn. 

mit  21umerPungen   unb  £>arnif(b*s  Biogropt)ie  ({erausgegeben  oon   Dr. 
^rtebri(^  Bartels,    preis  3  m  50  pf.,  eleg.  gebunben  ^  m.  50  pf. 

Blinder,   Dr.  gfricbrid^  iHugufl,   auBflttnäQIft  pä6agogtrcQt   SiQnfrrii. 

2  Bänbt.    preis  5  m.  50  pf.,  eleg.  gebunben  7  m.  so  pf. 

Hbolf  ^ieftertoeg.  IDavßeKung  feinta  TtQtna  ttn6  ftintv  TtQrt  nnb 
Susmaf]!  aus  ftinen  SiQriften.  ^herausgegeben  oon  Dr.  (S.  d.  Sallipurf. 
(Set),  ^ofrat.    3  Bänbe.    preis  ;o  Kl.,  eleg.  gebunben  (3  IR. 

^crtl^olb  ^igidtnunb'd  SnsgEtDäQUe  BiQvifltn«  £?erausgegeben,  mit 
Biograpl^ie  und  2InTnerPungen  oerfel^en  oon  Dr.  Karl  marffd^cf fei. 
{  Banb.     preis  ^  m.  50  pf.,  eleg.  gebunben  5  m.  50  pf. 

3.  <^.  f^erber'd  l^äbanogiri^E  SiQnflen  unö  Sufttrungen.  mit  (Einleitung 
unb  2lnmerfungen  herausgegeben  oon  Dr.  ^orf^  Kef  erlern,  feminar? 
Oberlehrer  a.  D.     \  ^  Mb.    preis  2  m.,  eleg.  geb.  5  m. 

C^ft  mortti  9ltnhf»  Jüvagmenfe  über  BfenfiQenbilbnng.  rtad?  bcr  (Dri- 
gtnalansgabe  neu  t^eraitsgeg.  oon  (Set^.  Heg.-Hat  prof.  Dr.  IP.  XTlüncb 
unb  Königl.  CDbcrbibliotbefar  Dr.  ^7.  meisner.  \  Bb.  preis  2  ITT.  ^0  Pf. 

eleg.  gebunben  3  m.  '^o  pf. 

Jn  Porbereitung  begriffen  fmb:  |rÖllfl,  f  3i.  ifllolf,  ^atiti  iefltng  n.  a. 

Xeutfclie  v^Iättcr,  SScilage  ,s«v  Oiartenlaube,  1872,  92r.  19:  ..„So« 
toix  uon  einem  lluterucOmcn  bic|er  9(rt  verlangen  fönnen,  3oIibi« 
tat  bei-  :i?lbfid)t  unb  ^lu^fülnunc;,  ein  flar  begrenzter  $Ian,  eine  mit  0(cfcf)ina(f 
unb  8a(f)fcuntniÄ  uerbunbenc  Sorgfalt  für  ba«  ÖJan.^e  »le  für  baS  C^ini^elne, 
bart  in  in  bev  ^Unn'fdjcn  5ölbliotl}cf  geleiftet." 

,S"lcnr,'i)inb. 'JBIötterf.  ficfjreibilbg.  1876,  ^eft 6 :  . .  „©ir  jetgen  ba« 
Cii^cliciucii  ^ickn•  päb.  illnififcr  mit  bcm  5^cmcrfen  an,  baft  bie  9iamen  bcr  $eT= 
auöiicbcr  für  bie  genaue  Xertvcuiiiün  bcr  '^luSgaben  bürgen.  4^on  befonberem 
SiH'ite  finb  bie  bcn  betr.  ^JxVrfcn  norau^gcfchtcften  53iogropöieen.  3)0  pnbct  man 
Cuellenfiiibium,  --  nicin  '?lUtag«foftl  (£'d  ift  eine  grcube,  ^u  feljen,  wie 
inuber  liier  bie  alten  3cliäl^e  ber  ^>öbagogif  ^u  Togc  geförbcrt  werben."     xebt. 

Zu  beziohon  durch  jede  BuchhaDdlung. 


fl 


K- 


Pädagogisches  Magazin. 

Abhudliiiip!«  TOD  MiMt»  dor  Pidag«^  md  flmr  Hübrinmdi^ 


.1  ■ 


B«rMUg«g«b«ii  TOD 

Friedrich  Kann. 


313.  Heft. 


/ 


V 


Zwölf  Kinderlieder. 


Eine  analytisclie  Studie 


von 


Adolf  Prümers. 


Langensalza 

Hermann  Beyer  &  Söhne 
(Beyer  &  Mann) 

Honogl.  Sftchs.  Horbachhftndlor 

1907 


Preis  SO  Ff. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza. 

-     BtbltotI?cf 
Päbagogtfd?er  Klafftfer. 

(Eine  Sammlung  5er  beöcutenöften  päöagosifc^en  Schriften 

älterer  unö  neuerer  ^eit. 

^rie^ric^  mann. 


ißeftalo^Vi^  SuSQEtDäQnt  Wtvfit,  mit  ^tnleitnngen,  2<nmerfnngen  und 
peftaIo55t*s  Btograpt^ie  ({erausgegeben  oon  jrtebrid^mann.  ö  2lnfi, 
^  Bänbe.    preis  u  m.  50  pf.,  elegant  gebunben  \b  ITT.  so  Pt. 

^d^Iciertnac^eir'd  l^äö.  Schriften.  IHit  einer  Darf^ellung  feines  febrns 
Ijerausgeg.  D.(£.plafe.  3.2Iuff.  ^  Sb.  preissin.^pf.,  clcg.gcb.6in.60pt. 

3«  3«  9{ouffeau'd  (Emil.  Ubcrfc^t,  mit  (Einleitungen  nnb  ZInmerfungen 
Dcrfel^en  oon  JJr.  (H.  v.  Sallwnvf,  (SrogtjersogL  Babifc^cm  (Dhcx- 
fd^ulrat,  mit  Honffeau's  Biograpt^ie  von  Dr.  (Ebcobor  Dogt,  Profeffor 
an  ber  lUicner  UnioerTttät.    3.  2iufi.    2  Bänbc.   preis  6llt.,  eleg.  geb.  8  ZH. 

9cvbaxf9  Päöafl.  Siftdfltn.  W.t  l7crbart 's  Biograpl^ic  ron  Dr.  ^rtebrid^ 
Bartl^olomäi.  7.  2IufI.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erlfiut.  2Inmerfnngen 
ocrfcticn  o.  Dr.  €.  von  Sailmnxf.  2  ISbt.   preis  6  VX.,  eleg.  geb.  8  HI. 

3o|^auit  ^mod  (S^omcniud'  (Sro^E  llnltrriiQIgUQre.  Überfe^t,  mit  2in* 
merfungcn  u^^  bcs  Comcnius'  Biograpl^ic  ©erfetjen  oon  Prof.  Dr 
(rt(.   £iou.      5.  21uflage.     i  }5anb.    preis  3  ITT.,  eleg.  gebunben  ^  111. 

3.  $1. 6:omcittud'  Schola  Ludue  b.  i.  IDit  SiQuli  alt  Spitt.  3ns  Deutfcbe 
übertragen  oon  lüilbclm  Böttid?cr,  0berIcl?rcr  am  Healg^mnafium 
unb  (Symnafinm  in  l^agcn  i.  VO,    \  ^anb.   preis  3  ITT.  eleg.  geb.  4  HT. 

a^tl^eomcniu«*' INFORM  ATORIUM.  ©EiÄutttrSiftuL  £?erausgegeben 
oonprofcfforDr. C  (El?.  £ion.  i  ^anb,  preis 60 pf., eleg. geb.  i  in. 20 pt. 

tlufiuft  Hermann  ^ranctc'd  1>ä5aoogifiQt  BiQriflen  nebft  einer  Z)arf^cU 
lung  feines  £ebens  nnb  feiner  Stiftungen,  t^crausgegcben  oon  (5cl^ctmrat 
profeffor  Dr.  (S.  Krämer,  el^em.  Direftor  ber  jrancfe*fd7cn  Stiftungen. 
2.  2Iuflage.     \  Banb.    preis  4  IXi.,  eleg.  gebunben  5  ITT. 

9)2tc4c(  bc  9)2ontat()nc.  SlustuaQI  päöaflogifdjEF  Stutfte  aus  ITIontaigncs 
Cffays,  überlebt  oon  (£rnft  Sd^mib.  2.  Jluflfage.  \  Bänbi^en.  preis 
50  Pf.,  eleg.  gebunben  \  IM.  lo  pf. 

SmutanucI  flaut,  llbtv  päöanoniH-  ITTit  Kant's  Biograpt^ie  nen  f^eransgeg. 
0.  Prof.  Dr.  üb.  Pogt.   5.  ^lufl.    i  15b.  preis  \  XTl,  eleg.  geb.  \  m.  75  pf. 

Zu  beziehen  diiroh  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

af.  <B*  ^intet'd  ^usgetDäQdt  pä5aflogtfiQi  Sf^rifttn.  mit  (Einleituuden 
^Inmerfungen,  foiDie  einer  Ct^araftrriftif  bes  2lutors  l^eraus^egeben  oon 
^r.  Seiöel.   2.  ZIufT.    2  öbe.   preis  6  ITI.  50  pf.,  eleg.  gebb.  8  Vfi.  so  pf. 

3*  41«  tBafcboto'd  1^ä5aoofltfiQe  Si^viftcn.  lUit  Bafeöov^s  Biograpl^ic 
Ijerausgeg.  o.Dr.f7ugo(Söring.  i  ob.  preis  5 ITT,,  eleg.  gebb. 6 lU.  20  pf. 

tlitgufl  l^crmaitit  9litmtt^tt,  (Brunöfä^e  ötv  (Er|teQung  unö  ött  Vnttr^ 
vi($l8.  init  (£rgän5ung  bes  gefc^id^tlid; '  literarifd^ct;  Cetls  unb  mit 
Hiemeyet's  Biograpl^ie  l^erausgegeben  oon  Dr.  IPilt^elm  Hein. 
2.  2luiiage.    3  Bänbe.    preis  8  ITI.  so  pf.,  eleg.  geb.  i  \  ITl.  so  pf. 

3«  (B*  Sfif^te'd  Bt5tn  an  5it  5eutfiQe  Hatton.  ITlit  2(nmerfungen  unb 
(fid^te's  Biograpt^ie  l^erausgegeben  üon  Dr.  (Lbeobor  Dogt,  prof.  an 
bcr  IDiener  Unioerptat.  2.  2Iufl.  preis  2  IH.  so  pf.,  ele^j.  geb.  3  ITT  so  pt. 

3fttttt  3f(Ii><'^  l^äöagogifi^e  StQrifltu  nebft  feinem  päbagogifdien  Brief* 
roed^fcl  mit  3ol^.  Cafpar  Caoater.  UlYff^s  von  Salis  unb  3-  ®-  5d?lojfcx. 
^nausgegeben  üon  Dr.  i^ugo  (Söri ng.  ITTit  3fclnrs  Biographie  pon 
Dr.  (Ebuarb  ineY^r.     i  Banb.     Preis  3  ITT.,  eleg.  gebunben  4  ITT. 

3*  ^ocfc'd  (Be5anl\eu  über  (Eciierjuno«  ITIit  «Einleitung,  ^Inmerfungen  unb 
Cocfe's  Biograpl^ie  I^erausgcg.  pon  Dr.  €.  Pon  5a liiuür f.  (ßrofibsgl. 
^ab.  0berf(^ulrat.  2. 2IufI.   i  75^.    preis  2  i.i.  50  pf-,  eleg.  geb.  3  ITT.  so  pf. 

9rriebricl^'d  bcd  (Broftctt  pä5anoßif(i|c  £>cf2rtftEu  un5  jtufjerunnpn.  IHii 
einer  2Ibbanblung  über  ^Jricbriit's  bcs  <Sro]gen  Scbulreglemeni  ncbft  cinei 
Sammlung  ber  t7auplfäd7lict>ften  Scbulreglemcnts,  Heffiiptc  unb  «£:Ijf)'c 
überfeftt  unb  herausgegeben  pon  Dr.  Jürgen  Bona  Jireycr,  prof.  ber 
pt^ilofophie  nnb  päbagogif  in  Bonn,     pteis  3  211.,  eleg.  geb.  4  ITT. 

3eatt  $aul  Stiebrtd^  ^iRii^tcr'c)  TeUaua  nebft  ^a^.  rtücfer.  aus  ftincn 
übrigen  IDerfen  unb  bem  £eben  bes  pergnügten  fcbulmetfterleins  ITTuria 
iru5  in  2iuentt7al.  IlTit  (Einleitungen,  ^(nmerfungen  unb  ^id^ter's  Bic: 
grapbie  perfel^en  pon  Dr.  Karl  £ange,  Pircftor  ber  \.  Bürgeifci?ulc  3U 
planen  i.  Pgtl.  2.  Tlnfl.  \  75t.  preis  3  ITT.  50  pf.,  eleg.  geb.  4  ITT.  so  pf. 

g^itclon  un5  5ie  ITitcratuF  btv  iDEi6Ii(QEn  Bilöunn  in  l^rauhreidi. 
lierausgegeben  Pon  Dr.  €.  p.  Salin? ürf,  (Sro6l^cr3ogl.  BabtfAem  0ber^ 
fAulrat.     \  25anö.    preis  3  ITT.  so  pf.,  eleg.  gebunben  4  ITT.  so  pf. 

Dr.  St.  $ö.  ^JDlager'c^  IDeufff^e  Sürn^rffQulE.  Schreiben  an  einen  Staats- 
mann, iierausgegcben  pon  Karl  (Eberl^arbt,  (öroötjerjogl.  Särtif. 
Schulrat  u.  Be3irfsfchulinfp.  \  }5an^.  preis  \  ITT.  ho  pf .,  elrg.  geb.  2  JXl.  80  p^ 

Dr.  Martin  ^utf^ex'^  päöagonircQe  iS^djriftEn  un5  Sugsrunoen.  ^lus 
feinen  IPerfcn  gefaminclt  unb  in  einer  (Einleitung  3ufannnenfaffcnb 
ct^araftcrifiert  unb  bargeftcUt  pon  I)r.  I7.  Kef  erftcin,  Seniinaioberlel^rer 
3U  Hamburg.     \  }5a\it.     preis  3  ITT.,  plcg.  gebunben  4  lU. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung?. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza. 

^al^manu*^  9u9ntb>äQ(te  BcQvifttn.  £7eraus9egeben  von  €.  21  cf  er- 
mann, (Srogl^.  Sädf\.  Scfoulrat  u.  Dir.  b.  Karoünenfd^nle  n.  h.  f  cl^rerinncn: 
feminars  30  (Eifenad?.    2.  2Iiif[age.    2  Sänbe.   preis  5  HT.,  e!eg.  geb.  7  JH. 

SKiltott'd  PäöanootfcQe  Sc^Fifttn  unö  Su^eFungtn.  mit  Einleitung  unb 
2Inmerfungen  l^erausgegeben  pon  Dr.  3firgen  Bona  Hleyer,  Prof.  ber 
pbilofopl^ic  u.  päb.  3U  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunden  {  in.  50  Pf. 

I)r.  fOil^cIm  f^arnifc^'d  f  an56ut$  ffiv  5a0  aiuff^e  7iülh§i^nltB9ftn. 

mit  ZInmerfungen   unb  I^urnifcb^s  Biogropt^ie  t^erausgegeben   oon   Dr. 
Jfricbrit^  Bartels,    preis  3  m  50  pf.,  eleg.  gebunden  <^  HT.  50  pf. 

aflitoer,  Dr.  ^ricbttdb  ^«fiufit,  auanttnäQUi  pä6anoflir4t  Sc^rifttiL 
2  Bänbc.    preis  5  m.  fto  pf.,  eleg.  gebnnben  7  m.  50  pf. 

nbolf  ^tcftcrtoefi.  ]Dav0ElIunn  ftinea  TtBeni  un5  Ttintv  TtQrt  nnft 
SufiluaQI  aus  fEingn  St^rtflen.  ^herausgegeben  oon  Dr.  C  v.  Sallvurf. 
(5eb.  i7ofrat.     3  Bänbe.     preis  :o  m.,  eleg.  gebunden  ^5  IIX. 

^ert^olb  i^tgtdtnunb'd  JIusnEtDäQIfe  BiQmflen.  f^erousgegeben,  mit 
Biogropl^ie  nn^  JInmerfungen  rerfel^en  pon  Dr.  Karl  marffd^ef fei. 
\  Banb.    preis  ^  Xtl.  r>o  pf.,  eleg.  gebunden  5  m.  50  pf. 

3.  ©.^crbcr'd  Päöanonifc^E  StQrifttn  un5  Su^i^unntn.  mit  (Einleitung 
inid  ^himerfiniaen  herausgegeben  pon  Dr.  I^orf^  Kef erftein,  feminars 
Oberlehrer  a.  D.     \   B ;»  >.     preis  2  m.,  eleg.  geb.  3  m. 

^•mft  morilf  9lmbf ^  JPFanniEnfE  über  THEnfi^enBiiaunn.  Zta<h  der  (Dri' 
gnialaiisoabe  neu  beransgeg.  von  (5eb.  Keg.'Hat  prof.  Dr.  W,  münd) 
und  KÖTiiul.  O'^berbtbliothefar  Dr.  IV  meisner.  \  Bd.  Preis  2  ITT.  40  Pf 

clea-  iicbundcn  '»  111.  40  pf. 

3n  Torbercitung  begifffen  find:  fröbel,  |.  Ji.  9olf,  ^atiti  WUng  «.  a. 

TcHtidic  ^^Miittcr,  5^cilnne  .^ui  Wartculaube.  1872,  9?r.  19;  ..^Sq« 
MMv  luMi  cinom  llntcviichmcn  bicfcv  ?lrt  ücriangen  fönnen.  3o(ibis 
tut  bcv  "?U>iidn  un^  '?luofiUiiunfl,  ein  flnv  be(ireu,^ter  ^ian,  eine  mit  (V^cfdimad 
u^^  enctifnmtni'j  iicibuiibonc  ^oviifnlt  für  ba^  Wan.^c  »Ic  für  ba§  C$in;(elne, 
boo  ifi  in  ^ov  ^IVanirjiiicn  '^Mbliotlief  flelciftet." 

Mchv,  ^;Mib.  ^^Mättevf.  L'cbrcibilbfl.  IST«,  JBcftO:  . .  ^©ir  jetflen  da« 
L^nMicincn  ^il■icl•  in'ib.  Mlaiiifor  mit  bcin  '^cmerfeii  an,  bnfe  bic  9?anien  der  ©er= 
nu^?ilcL»a'  Mir  bii-  i^'nauc  Tortreuifion  bei  \!luögabcn  bürj^en.  i^on  beionberem 
^XH'ito  fiiib  bic  bcii  hoti.  'üi^crfcn  innau«c^ciditcftcn  ^ioqrapblecn.  3)a  findet  man 
CucIIcunnbium,  iiüht  ^ilUtacvjfouI  C£d  t|t  eine  Rrcnbe,  ^u  feljeu,  wie 
inuber  hiev  bie  alten  3clini\c  bor  ^iöbnc^iHiif  \u  Tage  gefördert  »erden.*     Kebt. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Pädagogisches  Magazin. 

Abbaidlutii  nn  Miili  dir  tUlg^  nd  bar  SilliiniKllllll. 


Dr.  Horst  Keferstein. 

Gedenkblalt 
seines  Lebens  und  Wirkens. 


Edmund  Oppermann, 


# 


LangeuBalza 

IT<Tinanii  Ituyei  &  Söhni; 
(Ik-.vLT  &  Mann) 

»tnml  Klk')».  Holbuehhlndlar 

1907 


_^, 


Veriag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalzt. 

BtbItotI?cf 
Päbagogifd^er  Klaffifer. 

£inc  Sammlung  6er  beöcutenöften  päöagogifc^en  Schriften 

älterer  un6  neuerer  3^W- 

^rie6ric^  mann. 

^tftalo^V9  SngnitoäQIft  fBtvKe.  Hltt  (Einleitungen,  ^Inmerfnngen  nnt 
pepal033t*s  Biograpl^ie  l^erausgegeben  oon  (friebrid^ZTIann.  6  2lnfl. 
^  Bänbe.    preis  u  HT.  50  pf.,  elegant  gebnnben  (b  ZTL  50  pf. 

Z^Uictmad^tv'9  1^ä5.  SiQrifItn.  mit  einer  Darfiellnng  feines  Gebens 
t?eransgeg  ü.(£.p(ag.  3.2Iufr.  i  Bb.  preis5in.-^opf.,  eIeg.9eb.6Zn.6Opf. 

3.  3.  9)oitffeatt'd  (Smil  ober  Über  bie  (Ersiel^nng.  Überfe^t,  mit  Bio' 
grapl^ic  n.  Kommentar,  oon  Dr.  (E.  d.  5a Ilroürf,  (Selj.  Kat  u.  Direftor  bes 
(Srogl?.  bdb.  (Dberfdjulrates.  '^.  2IufI.  2  Bänbe.  preis  6  IIT.  50  pf, 
eleg.  geb.  8  lU.  no  pf. 

(^crbart'^  l^äöa».  Sdivifltn.  m*t  £7erbart's  Btograpt^ie  ron  Dr.  ^riebrid) 
Bartl^olomäi.  7.  2IufI.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erlSut.  2Inmerfnngen 
uerfeben  0.  Dr.  €.  DonSalliPÜrf.  2  Bbe.  preis  6  in.,  eleg.  geb.  8  HI. 

^of^aun  fimoi^  ^omeniud'  l^äöanonifi^e  SiQrifttn.  ^  Banb:  iSroge 
Untcrridytslcl^rc.  llberfe^t,  mit  2InmcrFungen  unb  einer  Crbensbefctrei- 
bung  bcs  Comenius.  t)craiisgegebcM  oon  Prof.  Dr.  C.  CE!^.  £ion, 
Diplommttglifb  bcr  (Tomenius-cScfcüfd^aft.  5.  2InfL  preis  5  TR.,  eleg. 
geb.  ^  in.  -  -  2.  Banb:  Sdiola  ludus  b.  i.  Die  Sd^ule  als  Spiel.  3n$ 
Dcutffhe  übertr.  pon  Prof.  W\\\:\.  Böttid?cr.  2.  2lufl.  preis  3  TU,,  eleg. 
geb.  4  m.  —  .-.  Banb:  I.  Der  IHutter  Sd?ul.  II.  Dibaftifdje  Jlbrenlefe. 
ßcransgcgcbcn  t>on  prof.  Dr.  d.  (Elj.  £ion,  Diplommitglieb  ber  <£o» 
mcTiini  CQefelJfibaft.     2.  ^Uifl.     preis   \  Hl.  20  pf.,  eleg.  geb.  2  m. 

tlu()uft  •t'crmanu  ^ranctc'd  PäöanogiftQt  ffiQrtften  nebf^  einer  Darftri: 
lung  [eines  Gebens  unb  feiner  Stiftungen,  t^erausgegeben  oon  (5et)cimrot 
profcffor  Dr.  (55.  Krämer,  e!^em.  Direftor  ber  jrancfe'fd^cn  Stiftungen. 
2.  Zliiflaae.     i  V^anb,    preis  4  IH.,  eleg.  gebunben  5  HI. 

9)Ud)cI  bc  'J!}2ontatf|nc.  IlustuaQI  fiäöanogifd^tF  Sfuifie  aus  Xnontaignes 
^£ifav5,  überi'etjt  ron  (Ernft  Scbmtb.  2.  2luflage.  {  Banbi^en.  preis 
.')()  pf.,   cicg.  acbll^^en   \   !H.   lo  pf. 

SntutanucI  Sinnt,  llbrr  päöanoniß-  I^it  Kaut's  Btograpt^ie  ntn  t)eransgeg. 
D.  prof.  Dr.  CCb.  Po^t.   :^.  llufl.    i  Bb.  preis  \  in.,  eleg.  geb.  \  m.  75  pf. 

Zu  hoziolien  duiTii  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  Vi  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

9.  <B.  ^ititet'd  SuBgibiäQlft  päöagooifiQi  SiQvifttn«  mit  (Einleitungen 
2Inmerfttngen,  foiDie  einer  Ct^araPteriftif  bes  2Intors  l^erausgegeben  von 
fr.  Seiöel.    2.  2lufl.    2  Bbe.   preis  6  m.  50  pf.,  eleg.  gebb.  8  IH.  50  pf. 

3«  tt«  Q^afcboto'd  1^ä5agogifiQt  SiQnftcn.  mit  BafeboiD^s  Biograpl^ic 
tjeransgeg.  D.Dr.f^ugo  (Soring.  (8b.  preis  5m.,  eleg.  gebb.em.  20pf. 

titigitfit  l^etmaitti  9tietnei|eir,  (Srunöfä^e  5tr  (EriieQung  un5  5es  llnttr« 
rtd}f0.  mit  €rg5n5ung  bes  gefd^id^tlic^  •  literarifd^en  (Teils  unb  mit 
Hiemeyet's  8iograpt{te  l^erausgegeben  oon  Dr.  IPill^elm  Hein. 
2.  Auflage.    3  Bänbe.    preis  8  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  u  m.  50  pf. 

3.  ®«  gfid^tc'd  Beötn  an  5it  btuU^t  Katton.  mit  2lnmerfnngen  unb 
fic^te's  Biograptjie  t^erausgegeben  von  Dr.  (Et^eobor  Pogt,  prof.  an 
ber  IPiener  Uniperfitflt.  2.  2Iufl.  preis  2  m.  so  pf.,  eleg.  geb.  3  m  50  pf . 

3faaf  Sfdin'd  Pä5agogiriQt  SiQrifltn  nebft  feinem  pabagogifc^en  Brief« 
roet^fel  mit  3ol^.  Cafpar  laoater,  UlYffes  von  Salxs  unb  3-  <S-  Sd^loffer. 
f^nausgegeben  von  Dr.  ^ugo  (Söriug.  mit  3fcltn*s  Biograpl^ie  oon 
Dr.  (Ebuarb  meyer.     \  Banb.    preis  3  m.,  e[eg.  gebunbcn  4  m. 

3*  !^0(fc'd  (Bt5ani\en  über  (SviUQung*  mit  (Einleitung,  ^(nmerfungen  unb 
todt*s  Btograptfie  l^erausgeg.  oon  Dr.  (E.  oon  5a Üwürf,  (Rro^\:\iq\. 
Bab.  (Dberft^ulrat.  2.  Unfi,  \  Bh.    preis  2  l.i.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  m.  so  pf. 

Sricbridl^^d  bed  (Broften  f^äaaoogiffQE  Stljviffen  un5  SleugecungEn.  mit 
einer  2lbbanblung  über  f  riebrid^'s  bes  (Srojßen  5d?ulreglement  nebft  einer 
Samminng  ber  tfauptfäd}Ii(^flen  5d}ulreglements,  Heffripte  unb  (Erlaffc 
nberfe^t  unb  herausgegeben  oon  Dr.  3»r9^n  Bonamcver,  prof.  ber 
Ptjilofopl^ie  unb  päbagogtf  in  Bonn,     preis  5  m.,  eleg.  geb.  4  m. 

3ean  ^aul  9ttcbridb  ^ii^tcr'^  TeDana  nebft  päb.  5tüc!en  aus  feinen 
übrigen  IPerfen  unb  bem  £eben  bes  vergnügten  5d}ulmeifter[eins  maria 
Wn^  in  ^luentt^al.  mit  (Einleitungen,  ^Inmerfungen  unb  Hicf^ter's  Bio= 
gropl^ie  rerfel^en  pon  Dr.  Karl  £ange,  Direftor  ber  {.  Bürgerfcbule  3n 
Plauen  i.  Pgt[.  2.  2lufl.   i  }5r>.  preis  5  m.  so  pf.,  eleg.  geb.  ^  m.  so  pf. 

9^ne(oit  un5  5tt  XiterafuF  50r  uiEiblitiiEn  Sil5unn  in  ITrani^rtid). 
herausgegeben  oon  Dr.  €.  p.  Sallroürf,  (Srojgbcrjogl.  Babifcbem  0ber= 
ftfcnirat.     i   }5an\>.    preis  3  IM.  so  pf.,  cleg.  gebunöcn  4  m.  so  pf. 

Dr.  ft.  S8.  !9D2af)er'<^  {^tufft^g  BürnprfdiulE.  rductben  an  einen  Staats- 
mann, i^erausgegebcn  pon  Karl  €bcrbarbt,  c5roßl]cr3ogI.  Sädyf. 
5d?uIratu.Be3irfsfd>uIinfp.  i  Banb.  preis  i  m.  80pf.,eleg.  gcb.2m.8Opf. 

Dr.  9Kartin  ^utl^ct'd  päöagonifciir  jSifjriffFu  un5  S&u^evunoen.  2lus 
feinen  lücrfen  gcfammclt  unb  in  einer  vEinUitung  3ufa?nmenfaffenb 
Aaraftcrifiert  unb  bargcftellt  pon  Dr.  I^.  Kcf  crftein,  Seininaroberletjrer 
3n  Hamburg.     1  }5>anl>.    preis  5  IM.,  pleg.  gebunben  4  m. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchiiandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensala. 

^al^manu'd  SuaotmäQltt  Bc^ripen.  ^herausgegeben  von  €.  Tldtf 
mann,  (Srogt).  Säd^f .  Sd^ulrat  u.  Dir.  b.  Karoltnenf c^ule  u.  ^.  f  et)reniinen- 
femtnars  3n  (Etfenad;.    2.  ^luflagr.    2  ^änbe.   preis  5  Kl.,  eleg.  ^eb.  7  Ili 

aKUtoii'^  1^ä5aflOflif4e  BiQrtflen  un6  Su|ivungtn.  mit  Einleitung  nnb 
Jlnmerfungen  l^erausgegeben  oon  Dr.  Jürgen  öona  ITley er,  prof,  ber 
pbilofopl^ie  u.  päb.  5U  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunben  \  Ul.  50  pf. 

Dr.  SldU^eltn  $antif4'<^  ^anbau^  für  boB  btutWt  Vol^f^uümtnu 

IXixt  21nmei  funken   unb  l^urnifd^'s  Biograpl{ie   t^e rausgegeben   Don  Dr. 
;Jricbrid?  öartels.    preis  3  Hl  so  pf.,  eleg.  gebunben  <^  ITT.  50  Pf. 

ffUifIcrr   Dr.  Sfricbric^  tlugnfl,   Susgetoä^Itt  pä5anogtr4i  Bc^nfltM. 

:  Bdube.    prei»  5  IH.  50  pf.,  eleg.  gebunben  7  01.  50  pf. 

Hbolf  ^teftcrtocfi.  Dar0tUung  reines  Tebeni  unb  ftintv  XtQrt  unb 
JBusmaQI  aus  ftinen  SiQvifltn.  li^erausgegeben  oon  Dr.  €.  0.  Sallioflrf. 
(Seb.  ^ofrat.    5  Bänbe.    preis  ;o  m.,  eleg.  gebunben  (5  Hl. 

CIcrtliolb  ^ifiidtnunb'«^  SlusgetDälilte  BiQviflen.  ^herausgegeben,  mit 
Biographie  und  21nmerfunjien  perfet^en  oon  Dr.  Kart  ntarffd^effel. 
[  i3anb.     preis  *  lU.  30  pf.,  eleg.  gebunben  5  ITI.  50  pf. 

3.  (0.  ^^crbcr'd  PäbagonifcQe  SiQriften  unb  Sufttrungen.  mit  Einleitung 
iiiib  ^Inmerfuiigen  herausgegeben  uon  Dr.  Iiorf^  Kef  erftein,  femtnars 
Oberlehrer  a.  D.     (   B  .  b.     preis  2  m.,  eleg.  geb.  3  m. 

C^ntft  MorUi  9lrnbf<(  JP.ranmrnlE  fiber  BlenriQenbUönng.  TXadf  ber  (Drt* 
atnaUusaabe  neu  l^erausgeg.  oon  (Sel^.  Keg.«Kat  prof.  Dr.  W,  münd) 
nriö  KöiUijl.  Oberbibliotl^cfar  Di.  t).  meisner.  \  Bb.  preis  2  ITT.  -^o  pf. 

elc^.  aebunbeii  3  lU.  40  pf. 

3n  rorbereituTig  begiiffen  fmb:  Iribtl,  |.  3^.  9olf,  itottll,  Sefftll  n.  a. 

Tciitidic  ^^Miittcr,  ^H'ilafle  ^uv  O)artcnloubc,  1872,  9?r.  19:  . .  ,.®a* 
toxi  upii  CTiuMii  llnteviiciinieii  biefev  9(rt  uerlaugen  lonnen,  ^olibi* 
tat  ber  '?ltM*i(t)t  m\\>  'Jlnömhiinu^,  ein  flar  begrenjjter  $lan,  eine  mit  Q^efdjmad 
iinb  €a(f)fcimint«  oerbunbcnc  rini]falt  für  bai  i^an^t  tok  für  baS  (Einzelne, 
bno  ift  in  ^cr  ^IV a u n * icl)cn  'i^tbliothcf  geleiftct." 

.Vlcbi.  iiab.  ^^lätteif.  Vclncibilbg.  1876,  ^eftC:  . .  „®ir  ^eiflen  \>ii^ 
Ciiiclieiiicii  Moior  inlb.  .^llaifitcv  mit  ^cIn  ^^cmerfen  an,  bafe  bie  92amen  ber  4>eT= 
Qu^iU'Ocr  »iii  bic  (genaue  Tortrcuinon  bor  '^luögabcn  bürflcu,  ^on  befonberem 
?iU'itc  finb  bic  bell  botr.  ^i^Jcifcii  lunaihjiiciiiiirften  Siiogropbiecn.  3)a  finbet  man 
Cucllcnftiibium,  —  nictit  '?lUtaivMoft!  il<i  ift  eine  JJ^^eubc,  ^u  fe^en,  rote 
jaiibcv  hier  Me  nlteii  3i1nii',c  ber  ^*öbaiic»i]if  ju  Xagc  geförbert  werben. "     x»bf. 

Zu  beziuhcn  durch  jede  Buchhandlung. 


m" 


Pädagogisches  Magazin!. 

na  Mim  iir  tUi^  ud  iknr 

Friadriah  Hkan. 
""^I      31B.  Heft.    11 


Sexuelle  Aufklärungen 

ond 

die  Schule. 


Paul  Schramm, 


^_ 


Jl"l;<.>r  in  Fjtun 


LangMisaln 

Hermann  Ileyer  *  Sohnii 
(Beyer  t  Mann) 

Hoiogl.  Stlclu.  Hulbuchhtndlv 

1907 


.m 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza. 

3ibliot(?ef 
Päbagogifcf?er  Klafftfcr. 

(Eine  Sammlung  5er  beöeutenöften  päbagogifc^en  Sc^riflm 

alterer  unö  neuerer  ^eit. 

ßftaasgfgfbnt  oon 

^rie^ric^  mann. 


^tftalo^V9  %nii^ttDäfilU  fBtvßt.  tXTtk  Einleitungen,  2Inmerfnn9fn  nnb 
pej)aIo53t's  Biograpt^ie  t^eransgegeben  oon  (friebrid^ITIann.  6  2Iuif. 
^  Bänb2.    preis  \\  in.  50  pf.,  elegant  gebunben  (b  ITT«  50  pf. 

^d^Iciermac^er^d  |^ä6.  B^vifttn-  mit  einer  Parfiellung  feines  £ebens 
tierausgeg.  P.(£.p(a^.  3.2Iufr.  ^  Bb.  preis5in.<U)pf.,  eIeg.geb.6nT.60pf. 

3*  3.  9{ouffeait'd  (Smil  ober  Über  bie  (Ersiel^nng.  &berfe|(t,  mit  Bio- 
grapt^ie  n.  Kommentar,  oon  Dr.  €.  o.  Sallmfirf,  (Set).  Kat  n.  Direftor  bes 
(Srogt).  bab.  (Dberfd^ulrates.  ^.  2Iufl.  2  Bänbe.  preis  6  ITl,  eleg.  geb.  8  Ol. 

(^erdnrt'd  Pä5afl.  SiQrtfltn.  in«t  ^erbart's  Biograpt^ie  oon  Dr.  ^riebricb 
Bartl^olomai.  7.  2(uf[.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erlänt.  2Inmerfungen 
oerfcl^en  o.  Dr.  €.  oon  Sallroürf.  2  Bbt.  preis  6  IH.,  eleg  geb.  8  Ilt. 

Sonaten  ^mod  ^.omeniud'  |^ä5aoonirtQe  ißt^rifTtn.  \.  Banb:  <Sroge 
lIiitcrrtil^tsIctYie.  Aberfet^t,  mit  2Inmer!ungeu  unb  einer  £ebensbef<^rei« 
bung  bes  Comenius.  l^erausgegeben  oon  prof.  Dr.  C.  (Elj.  £ion. 
Diplommitglifb  bcr  Comctiius  (SefcUfAaft.  5.  2Infl.  preis  3  ITT.,  eleg. 
geb.  ^  in.  —  2.  Banb:  Sohola  ludus  b.  i.  Die  5d?ule  als  Spiel.  3"* 
Deutfcbe  übertr.  ooii  prof.  irill^.  Böttid?er.  2.  21ufl.  preis  3  Hl.,  eleg. 
geb.  4  ni.  —  3.  Banb:  I.  Per  Hlutter  Sd?ul.  II.  Dibaftifd^e  ^"(l^renlefe. 
I7erausgcgcbcn  oon  prof.  Dr.  (E.  (Et).  £ion,  Dtplommitglieb  ber  (£o* 
mcni5'(5efeUf*aft.     2.  2Iufl.     preis  3  IH,  eleg.  geb.  <^  HT. 

ittuf)uft  ^ermann  ^rnncec'd  päöanoflifiQe  Bi^vipen  nebft  einer  Darftel« 
lung  feines  £cbens  unb  feiner  Stiftungen,  t^erausgegeben  oon  <0el)eimrat 
profcffor  Dr.  C5.  Krämer,  eliem.  Direftor  ber  jrancfe*f(^en  Stiftungen. 
2.  2Iuflage.     \  Banb.    preis  ^  IM.,  eleg.  gebunben  5  III. 

Vttc^el  bc  ^{ontatfiuc.  'HustDaljI  iiäöa^onifi^tr  Stuifie  aus  Hlontaignes 
^ffays,  übcrfetjt  pon  v£rnft  S*mib.  2.  2luflage.  \  Bänb^i^en.  preis 
50  Pf.,  eictj,  gebunben  \  2TI.  lo  Pf. 

3ntiitanncl  Kiant,  ilber  päöanoniti-  Hlit  Kant's  Biographie  neu  t^erausgeg. 
0.  prof.  Dr.  (Eb.  Pogt.   7>.  21ufl[.    i  ^b.  preis  \  Vfl.,  eleg.  geb.  \  in.  75  pf. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

9*  ^*  ^intcr'd  AuBgttDälilft  päöaoooifiQi  ScQrtpen«  mit  Einleitungen 
^Inmerfungen;  foiDte  einer  Ct^arafteriftif  bes  2(utors  t^erausgegeben  oon 
^r.  Selbe I.    2.  2lnfl.    2  Bbe.   preis  6  ITT.  50  pf.,  eleg.  gebb.  8  ITI.  50  pf. 

3«  tt«  Q^afcboto^d  1^ä5afl09iriQe  SiQriftrn  mit  Bafebon?*s  Biograpltic 
tjeransgeg.  o.Dr.£7ugo(5dring.  (Bb.  preis  sm.,  eleg.  gebb.em.  20pf. 

titifitill  l^etiiiaitit  Stiemc^er,  (Svunörä^e  btv  (SciteOuno  un5  5es  Unter« 
rtd}fa.  mit  (£rg5n5ung  bes  gefd^ic^tlid?  •  literarifd^en  (Eeils  unb  mit 
Hicmeyer^s  Biograpt^ie  l^erausgegeben  Don  Dr.  IDilt^elm  Hein. 
2.  Auflage.    3  Bänbe.    preis  8  m.  so  pf.,  e(eg.  geb.  u  m.  50  pf. 

3.  ®.  Sfidi^te'd  Be5ni  an  5it  öeuIfiQt  Kation,  mit  2InmerPungen  unb 
^ic^te's  Biograpl^ie  t^erausgegeben  oon  Dr.  (Lbeobor  Dogt,  prof.  an 
ber  rDiener  Unirerfität.  2.  2Iufl[.  preis  2  m.  50  pf.,  eleu.  geb.  3  m  50  pf . 

3fiiaf  Sfdin'd  l^äöagonifcQe  ScQriflin  nebft  feinem  päbagogifd^en  Brief« 
mec^fel  mit  3ol?.  <£afpar  Jaoater,  Ulyffes  oon  5alis  xinb  3.  <S.  Sdyloffer. 
f^^ransgegeben  ron  Dr.  ßugo  (So ring,  mit  3f^Iin*s  Biograpt^ie  oon 
Dr.  Ebnarb  meyer.     \  Banb.    preis  3  m.,  eleg.  gebunben  4  m. 

3«  ^ocfc'd  (Seöanßen  über  (Sviteljun^)«  mit  (Einleitung;  2lnmerfungen  unb 
£ocfe's  Biograpl^ie  l^erausgcg.  oon  Dr.  €.  oon  Saliwürf,  <SroSli3gI. 
Bab.  (Dberft^nlrat.  2.2lufl.  i  Bb.    preis  2  1  i.5o  pf,  eleg.  geb.  3  m.  öopf. 

9riebrid(^^d  bcd  Otogen  pä5agoflir(QE  ScQviffen  unö  StugErun^En-  mit 
einer  ^bl^anblung  über  ^Jriebricb's  bes  (Srogen  5d?ulreglement  nebft  einer 
Sammlung  ber  I^auptfäd?Iid)ften  Stbulrcglements,  Heffripte  unb  E.Iaffe 
überfegt  unb  t^erausgegebcn  von  Dr.  3"^^^"  Bona  meyer,  prof.  ber 
pt^ilofopl^ie  unb  päbagogtf  in  Bonn,     pieis  3  IM.,  eirg.  geb.  4  m. 

3ean  Vaul  Sf^tcbrid^  Stii^ter'd  Ttüana  nebft  päb.  Stücfen  aus  feinen 
übrigen  IPerfen  unb  bem  (eben  bes  Dergnügteu  Scbulmeifterleins  maria 
lDu5  in  21uentl}al.  mit  Einleitungen,  ^Inmerfmujcn  unb  Hid^ter's  Bic: 
grapl^ic  pcrfet^en  oon  Dr.  Karl  £ange,  Direftor  ber  \.  Bürgerfd^nle  3U 
planen  i.  Pgtl.  2.  ^lujl.   i  3t>.  preis  3  m.  50  pf..  cleg.  geb.  4  m.  so  pf. 

gf^ncloit  un5  ött  ITiteratur  5fF  lUEißlir^Eu  Bil5unn  in  ITranhrEtiQ. 
herausgegeben  pon  Dr.  €.  p.  Sallroürf,  (5roßbcr5ogI.  Babifcbem  Ober« 
fd)ulrat.     [  Banb.     preis  3  l\X.  so  pf.,  cleg.  gebunben  4  m.  so  pf. 

Dr.  ft.  S8.  9>{ager'^  Deufft^e  BürnErfiQulE.  Scbreibcn  an  einen  Staats^ 
mann,  herausgegeben  pon  Karl  Eberl^arbt,  <Sro]5l^er3og[.  Säcbf. 
Sd^ulrat  u.  Be5irfsfcbu[infp.  \  Banb.  preis  i  m.  ho  pf .,  elcg.  geb.  2  m.  80  pf. 

Dr.  9Kartiit  2tttf^cx*^  päöanoQifcQE  jSrijriftEU  un5  üSufievunflen.  21us 
feinen  lüerfen  gcfammelt  unb  in  einer  Einicttung  sufammenfaffenb 
Aaraftcriftert  unb  bargeftcUt  pon  Dr.  IV  Kef  crftcin,  Seminaroberletjrer 
3U  EJamburg.     \  Banb.    preis  5  m.,  ricg.  gebunben  4  m. 


Zu  beziehen  ciiirch  jede  Buchhandlung. 


Veiiagr  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza. 

C^alsmann^d  SniQttDäQKtt  8cQrt(ltn.  f^erausgegebm  von  €.  tiefer« 
mann,  (Srogt?.  5äd?f.  Sd^nlrat  u.  Dir.  h.  KaroImcnf<^nIf  n.  ^.  itf^ttnunm^ 
fetninars  }n  Cifenac^.    2.  Auflage.   2  Bänbe.   preis  5  01.,  eleg.  geb.  7  XYl. 

IRiltoti^d  Pä5aflOfltr4e  BiQvtfttn  nn5  fiultrnngni.  mit  Ctnlcitnng  nn^ 
2Inmerfiingen  l^erausgegeben  von  Dr.  3nr9en  Bona  Vfltytr,  prof.  bei 
pbiIofopt)ie  u.  pab.  5U  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  ^thnnben  \  1X1.  so  pf. 

Dr.  CBU^cIm  ^ütniW^  SAn55u4  für  5ai  5tutr4t  SoIRsfdittllDtrtn. 

mit  ^lumerfungen   unb  f^urnifd^'s  Biogropl^ie  Ijevansgegeben   von  Dr. 
^riebrid^  Bartels,   preis  3  m  50  pf.,  eleg.  gebunben  ^  ZYT.  so  pf. 

fftttget,  Dr.  gfriebrid^  tlufiufl,  SnigtmäVft  päöagogir^t  Betrifft«. 
2  Bänbe.    preis  5  m.  50  pf.,  eleg.  gebanben  7  m.  so  pf. 

Hbolf  ^ieflertocg.  Dav0eHung  fttutg  Tt6tni  nnft  Ttintv  TtQvt  nnb 
JBusmaQI  aus  ftintn  SiQi^intn.  f^erausgegeben  von  Dr.  €.  o.  SallviLrr. 
(Seif,  ^ofrat.    5  Bänbe.    preis  ;o  m.,  eleg.  gebunben  ^3  XXt. 

t^crt^olb  ^igidmititb'd  SusgebiäQKti  BiQriftm.  £?eransgegcben,  mit 
Biograpt)ie  und  2lnmerfun^en  oerfetjen  oon  Dr.  Karl  marffc^ef fei. 
I  Banb.    preis  ^  m.  üo  pf.,  eleg.  gebunben  5  m.  50  pf. 

3.  ®.  I^evbcr'd  l^äbanogifi^e  SiQriptn  unb  Sn^rungtu.  mit  Ctnlettnng 

unb  ^Inmerfungen  t^erausgegeben  von  Dr.  f^orft  Kefer^cin,  fcminar: 
Oberlehrer  a.  D.     ^  B  ib.    preis  2  m.,  eleg.  geb.  3  m. 

fStttft  m<irtt|  9Imbf <(  Jüranmenfe  übtv  BfenFtQtnbilbnng.  Ttadf  ber  Ori' 
gtnalausgabe  neu  t^erausgeg.  von  <5etf.  Heg.'Hat  prof.  Dr.  IP.  mfind^ 
unbKönigl.  Oberbibliott^efar  Dr.  Bf.  meisner.  \  Bb.  preis  2  m.  <^o  pf. 
eleg.  gebunben  3  ITT.  40  Pf. 

3n  Porberettung  begaffen  fmb:  |rSbtl,  |.  3^  Polf,  ftottäl,  SeflHI  u.  a. 

T-ciitjctic  ^^Uätler,  iöctlacjc  ^ui  O^artcnlaube,  1872,  9ir.  19:  . .  „»a« 
wir  uon  einem  Itnteruebmen  biefer  9(rt  uerlangen  fönnen,  3oIibi> 
tat  ber  9lbfid)t  unb  9Ul«^fiil)vun(),  ein  flar  bec^ren^ter  $lQn,  eine  mit  O^efdimact 
unb  <bacl)fenntui^  uerbuubene  3or(|fQlt  jür  bad  Q^an^e  mit  für  baS  (Sin^elne, 
bao  iit  in  ber  >iDiann*ict)cn  ^.Bibliothef  gelciftet.'' 

.^icbr,  ^äb.  »lätterf.  üel)rerbilbg.  1876,  ^eft6:  . .  ^©ir  jetgen  baft 
CSrirtieinen  bieier  päb.  Älaififcr  mit  bcm  ^^emerfen  an,  baft  bie  9?amen  ber  ^er* 
QUAi^cbcr  für  bie  c^enaue  7c;rtveuiuon  ber  ^(udgaben  bür()en.  ^on  befonberem 
?i'erte  fiiib  bie  beii  betr.  ^^i^crfen  üoran^flcicbicften  ^iogropbieen.  3)a  ftnbet  man 
Cuelleiiüubiiim,  —  ntriit  "illlltaflefoftl  (Jd  ift  eine  greube,  ^u  fe^en,  wie 
faubcr  bier  bie  alten  3(t)ät\e  ber  ^^^baqontf  ju  Xage  gefiJrbert  »erben. '^     xtirr. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


■"=-B" 


\ 


Pädagogisches  Magaziii. 

Abhiodnnpi  fon  Gebiet«  der  PUag(^  und  ihrer  Mt 

Friedrich  Mann. 


'.■'^.•-    :■ 


\  • 


j»   .' 


■  3 


316.  Heft. 


Jeremia 


m 


Malerei  und  Dichtkunst 


Von 

Paul  Staude, 

Rektor  der  Johannis-  und  Neustadtschulen  in  Altenburg^. 


Langensalza 

Hermann  Bevor  k  Söhne 

(Beyer  k  Mann) 

Hor20;rl.  SlUihs.  Ilofliuclihändlor 

1907 


Preis  30  Pf. 


o.. 


-b 


:A*- 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

Btbliot^ef 
Päbagogtfdjcr  Klafftfer. 

£inc  Sammlung  6er  bcöeutenöftcn  pd^agogifc^en  Sd^riftcn 

älterer  un6  neuerer  <5^it- 

bnausqtqthtn  Don 

^Hc6Hc^  tltatttt. 

Veftalossi'i'  JlusflitDäQIti  fBtvßt.  IHtt  Ctnieitungen,  ^Inmtrfungen  nn^ 
peftaIo55t*s  Biograpt^te  tteransgegeben  von  ^rtebrtd?  IH an n.  b  2lnfl. 
'^  Bänb2.    preis  u  ITT.  50  pf.,  elegant  gebunben  ^  m.  50  pf. 

^li^lcitrmac^cr'^  |^ä5.  St^riHtn.  ITTtt  einer  Darfiellung  feines  f ebens 
berausgeg.  D.C.pIag.  3.2lufl.  i  Bb.  preis5in.40pf.,cleg.geb.6lll.60pf. 

3»  3.  9iottffcau'^  (Emü  oöcr  Über  bie  ^raieljung.  llberfeßt,  mit  Bio* 
grapljic  u.  Kommentar,  von  T^t.  <E.  d.  Salin) ürf,  (Sei?.  Hat  u.  Bireftor  bes 
(Srogb.  bab.  CDberfd?uIrates.  ^.  2(ufl.  2  öänbe.  preis  6  IIi.  50  pf., 
eleg.  geb.  8  III.  50  pf. 

(^crbart'd  Päöan-  Sdjrifltn.  ITTit  ^erbart's  Biograpl^ie  oon  Dr.  ^riebri* 
Bartt?olomäi.  r.  2infl.,  nen  bearbeitet  u.  mit  erlänt.  2Inmerfungen 
Derfchcn  r.  Dr.  €.  doti  Sallmürf.   2  3bt.  preis  6  JXl.,  eleg.  geb.  8  ITT. 

Sotiatin  ilmotf  i^omcmu^'  pä5aoontr<Qe  SiQriftcn  i.  Banb:  (Sio^e 
Uiitcrricbtslel^ic.  äbcrfct)t,  mit  Jlnmerfungen  unb  einer  febensbefctrei- 
buiig  bcs  <Iomciiius.  l^ci ausgegeben  oon  prof.  Dr.  vi.  (Tlj.  üon 
Piplommitglifb  ber  domcniiis  (5cfcüfd?aft.  5.  2lufl.  preis  3  ITT.,  eleg. 
geb.  4  211.  -  -  2.  Banb:  Srlnila  ludu.s  b.  t.  Die  5d?ule  als  rpiel.  3"* 
Peutfitc  übcrtr.  ron  pro?.  lUill].  Böttid?er.  2.  2lufl.  preis  3  ITT.,  eleg. 
geb  4.  in.  ',.  Baiib:  I.  Der  ITTutter  5d?ul.  11.  Dibaftifdye  ^llbrenlefe. 
berjusgegcbcii  ron  prof.  Dr.  (Z.  (Elj.  £ton,  Diplommitglieb  ber  v£o« 
mcTiiu5=^^cicllfd?att.     2.  ^lufi.     preis  i  IH.  20  pf.,  eleg.  geb,  2  ITT, 

ttuf)uft  ^ctmauu  i^tauctc'0  päbanoflifdit  Bi^vifttn  nebft  einer  DarfteU 
hing  feines  Gebens  inib  feiner  ftirtungen,  tjerausgegeben  oon  (Sebetmrat 
profeffor  Dr.  cÄ.  Kram  er,  eifern.  Direftor  ber  f  ranrfe'fd?en  Stiftungen. 
2.  2luflagc.     J   i3aiib.     preis  ^  HI.,  eleg.  gebunben  5  ITT. 

VHcficl  bc  'J!}2ontatf|uc.  flunluaiil  iiäöanonifdivr  5tud)f  aus  ITTontaignes 
vEjfavs.  übcrfet^t  non  vErnfr  f  dnuibt.  2.  Auflage.  \  Bänb'i^en.  preis 
r»o  pf..   eleg.  ijebimben   1   III.   10  pf. 

Smiitanucl  Hoitt,  Über  PäöanoniH.  IHit  Kants  Bjograpl?ie  neu  t^erausgeg. 
0.  prof.  Dr.  (£b.  Pogt.   :..  3lufl     I  Bb.  preis  \  ITI.,  iieg.  geb.  i  ITT.  75  pf. 

Zu   l)ezi('h(Mi  «luri'li  jede  Huclihan<lliin^. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Sohne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza 

9*  ®«  ^inter'd  JftusgttDäQIft  pä5agogtr<^i  Sdirifttn«  ITTtt  (Etnleitnngen 
^Inmerfungen,  foipie  einer  €t|araftertfltf  bes  2Iutors  tierausgegeben  von 
ijr.  Seibel.    2.  Zlufl.    2  Sbe.   preis  6  HI.  50  pf.,  eleg.  gcbb.  8  HI.  50  pf. 

3«  IB«  iBafeboto'd  1^ä5agogtr<$i  8<$vif!cn.  mit  Bafeboip^s  Biograpt^te 
Ijeransgeg.  ©.Dr.fjugoööring.  ^  Sb.  preis  5111.,  eleg.  gebö.<iXn.  20  pf. 

ititgitfit  ^ermanit  ffliemc^cv,  (Brun5rä^e  5fr  (EriitQung  un5  tts  Unttv» 
di^ts.  mit  €rgän5ung  bes  gefdpid^tlid?  *  literarifd^eu  detls  unb  mit 
Zltemeyet's  ^iograpt^ie  t^erausgegeben  von  Dr.  IDiltielm  Hein. 
2.  2lufiage.    3  Bänbe.     preis  8  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  u  m.  50  Pf. 

3*  &*  ^iö^tf^  Bf5tn  an  öit  5iutr<^t  ICation.  mit  ^Inmerfungen  unb 
fid?te's  Biographie  l^erausgegeben  von  Dr.  CLl^eobor  Dogt,  Prof.  an 
ber  IDiener  Unioerfität.   2.  2IufT.  preis  2  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  m  50  pf . 

3faaf  Sfditt'd  |^ä5agogir(Qf  5(Qrtf!sn  nebft  feinem  päbagogifd^en  Brief- 
n?ed?fel  mit  ^ob.  Cafpar  £apater,  lllvffes  oon  5alis  unb  3.  <S.  Sdjlojfer. 
£J»»rausgegcben  Don  Dr.  If)ugo  (Söriug.  mit  3fclin's  Biographie  pon 
Dr.  €buarb  meyer.     \  }5anb.    preis  3  Ul.,  eleg.  gcbunben  4  m. 

3.  ^ocfe*^  <Be5anütn  Ü6er  (Eriiff^ung*  mit  (Eitileitung,  ^Inmerfungen  unb 
fo(fe*s  Biographie  l^erausgeg.  oon  Dr.  €.  von  Sallujürf,  (Sro]Bl^3gI. 
Bab.  0berfc^ulrat.  2. 2i\xfi.  [  75b.   preis  2  l.(.  50  pf-,  eleg.  geb.  3  m.  50  pf. 

9riebrtc4'd  be<^  ^roftcn  pä5anogiriQe  Schriften  un5  Säuberungen,  mit 
einer  2lbhanblung  über  Jfriebrid^'s  bes  (5roßen  SAulreglement  nebft  einet 
Sammlung  ber  l^auptfäcblid}ften  Sdpulrcglements,  Hcffiipte  unb  (Erlaffe 
überfe^t  unb  herausgegeben  ron  Dr.  Jürgen  Bona  meyer,  prof.  ber 
pijilofopl^ie  unb  päbagogif  in  Bonn,     preis  3  m.,  eleg.  geb.  4  m. 

3can  V^ul  ^rtcbric^  Oiii^tcr'c^  Heuana  nebft  päb.  5tüc!en  aus  feineu 
übrigen  irerfen  unb  bem  £cben  bes  ocrgnügtcn  Scbulmeifterleins  maria 
lPu3  m  2Auentl}al.  mit  (Eitileitungeu,  ^Inmerfuuaen  nnt  Hidpters  Bio: 
grapljie  oerfel^en  üon  Dr.  Karl  £ange,  Direftor  ber  i.  Bürgerfdjule  3U 
planen  i.  Dgtl.  2.  ^lufl.   \  }}t>.  preis  3  m.  50  pf..  eleg.  geb.  4  m.  50  pf. 

8f6nclou  un5  5ie  Titeratur  69r  uieißliifieu  Bilöung  in  |rranl\rei(6. 
herausgegeben  von  Dr.  €.  p.  Salin? ürf,  (Srotjher3ogl.  Babifd?em  0ber= 
fd^ulrat.     \  l^anb.    preis  5  IM.  5ü  Pf.,  eleg.  gcbunben  4  m.  so  pf. 

Dr.  $t,  fSQ,  3)Ugct'<^  Deutrdie  BürnerfdiuU.  f  «.treiben  an  einen  Staats^ 
mann,  f^erausgcgcben  pon  "Karl  €berharbt,  (Öroßl^erjogl.  Säcbf. 
Scbulrat  u.  Be3irfsf  Aulinfp.  \  }}anb.  preis  \  m.  ho  pf .,  eleg.  geb.  2  ITT.  80  pf. 

Dr.  SHavtttt  ^ut^ct'i^  päöagonirrlie  £)ff)riften  nnö  '^uüerunntn.  ^lus 
feinen  lüerfcn  gefammelt  nnb  in  einer  ^Einleitung  3ufammenfajfenb 
djarafteriitert  unb  bargeftcUt  pon  Dr.  Ir  Kcf  erftcin,  Seminaroberlel^rer 
3U  Hamburg.     \  73>anb.     preis  3  UX.,  eleg.  gcbunben  ^  m. 


Zu  bcziohen  durch  jede  Buchhiindiung:. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8e  Mann)  in  Langentala. 

€ai^mann^9  SnagtmäQltt  Sc^rtfltn.     {^eraufde^eben  von   C  Ziffer« 

mann,  (Srogt^.  Säc^f.  Sd^ulrat  u.  Dir.  b.  KaroItnenfd>nle  n.  h.  f  el^rcrtnneni 

feminars  5U  Ctfenad^.    2.  21nflage.    2  Bänbe.   preis  5  IIT.,  eleg.  geb.  7  HL 
flRilton'd  1^ä5ago0iff4i  Sti^vtfttn  ttn6  Snfttvnngin.    mit  Ctnleitnng  und 

^Inmerfungen  l^erausgegeben  oon  Dr.  3ttr9sn  Bona  ITleyer,  prof.  ber 

pbilofopl^ie  u.  päb.  5U  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunden  (  m.  50  pf. 
Dr.  ftQil^tlm  ^arnif^'^  S^nbau^  für  5a9  5iufr4t  BoUffi^nlmtrtii. 

mit  2Inmerfungen   unb  ^arnifcb's  Biogropt^ie   t^eransgegeben  oon  Dr. 

^riebrid?  Bartels,    preis  3  m  50  pf.,  eleg.  gebunben  4  m.  50  Pf. 
BFittfietr   Dr.  9ttebtid^  9lttgitflt,   SnsgtmäQItt  päftai^ogiriQt  SiQriftta. 

2  Bänbe.    preis  5  m.  50  pf.,  eleg.  gebunben  7  m.  50  pf. 
0bolf  Sieftevtoeg.    Savfitllung  rtints  TiBtns  nn6  rtintv  XtQtt  nnft 

SustuaQl  aus  ftintn  Si^vifltn.   ^herausgegeben  von  Dr.  C  o.  Sali  murf. 

(Set),  ^ofrat.    5  Bänbe.    preis  ;o  Vfl.,  eleg.  gebunben  (5  m. 
t^ertfeolb  ^tgtdmnnb'd  JlnsgttDäQItt    St^rifltn.     ^herausgegeben,  mit 

Btograpt^ie  und   ^Inmerfun^en  verfetten  Don  Dr.  Karl  marffd^effel. 

(  ^anb.    preis  ^  m.  50  pf.,  eleg.  gebunben  5  m.  50  pf. 
3.  (B.^ctbet'd  l^äbagopiriQf  5i$viffin  un6  Su^trungtn.  mit  Cinleining 

unb  ^Inmerfunaen  t^erausgrgeben  Don  Dr.  f^orft  Kefer^ein,  feminar> 

Oberlehrer  a.  D.     ^  B  «ib.     preis  2  m.,  eleg.  geb.  5  m. 
^mft  Wuti^  9lrnbf ^  Jragmtnfc  üBer  BIfnriQtn6ü5nng.    riad?  ber  (Dri- 

ainalausaabe  neu  t)erausgeg.  oon  (Set^.  Heg.>Hat  Prof.  Dr.  W.  mnncb 

unb  Konigl.  Obcrbibliott^efar  Dr.  £J.  meisner.  {  Bb.  preis  2  m.  ^o  pf. 

eleg-  acbitnbcn  3  m.  40  pf. 

3n  Dorbcreitung  begriffen  finb:  JrÖbfl,  f.  J.  9olf,  Katt^,  fentn|  u.  a. 

Tciitidie  ^^lättcr,  ^Beilage  .^iiv  (»artcnlaubc,  1872,  9?r.  19:  . .  ^f^a% 
mir  luui  einem  llnternelimcn  bicfer  91rt  uerlangcn  fönncn,  rolibi* 
tnl  bor  'illbfidit  iinb  ^?(u$fiil)rung,  ein  flar  begrenzter  ^lan,  eine  mit  (V^eid)macl 
mib  8aclifciintiuö  ucibunbenc  Sorgfalt  filr  ha^  Wan^^e  wie  für  bad  ^inj;elne, 
b([\^  ift  in  ber  ^iDi a n n ' f d)on  53ibliotl)ef  gclciftct." 

Xlcbr,iMib.  ^:iMättcrf.  l»clircibilbg.  1876,  ,t)eft6:  . .  „3Bir  jcigen  ba« 
•Cfriitcüicn  bicicr  ;^äb.  Älaififer  mit  bcm  ÜBemertcn  an,  bnft  bie  92ameu  ber  C^er« 
nn^^j^cber  für  bie  genaue  ^ertreutfion  ber  ?lu§gaben  bürgen,  ^on  befonberem 
■iiicvtc  finb  bie  bcn  betr.  'Jx^crfen  norauÄgefdiirften  ^iogra|>hiccn.  ^a  finbct  man 
Cncllcnfrnbium,  -  nidil  'i)(ntag<>foft!  ^^  ift  eine  Srrcube,  ^u  feben,  wie 
Innbcr  hier  bie  nlten  3dui|3e  ber  ^>äbagogif  ju  Tage  geförbcrt  werben.""     Ktbt. 

Zu  bezichen  durch  jede  Buchhandlung. 


•* 


Pädagogisches  Magazin. 

AUawiluDgti  TOD  Gdbicte  dtr  Pädagogik  ond  ihrer  BJKnrinenduflM. 

Friedrich  Mann. 


^ 


/' 


317.  Heft. 


Sy 


Von 


Kuno  Fischers  Geistesart. 


Ein  Uachnif  des  Dankes. 


Vou 


Dr.  Hugo  Göring. 


Langensalza 

Hermann  Beyer  A:  Söhne 
(Beyer  &  Mann) 

Hor/Ofl.  Sllchs.  Ilofbuchhandlwr 

1907 


Preis  30  Pf. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8e  Mann)  in  Langensalza. 

BtbItotI?c! 
Päbagogtfcfcer  Klaffifer. 

(Eine  Sammlung  6cr  bebeutcnöften  pdbagogifc^en  Schriften 

älterer  un6  neuerer  «^eit. 

Brtoasgrgrben  oon 

Veftalossi'i'  SusQttDäQIft  fBttKt.  mit  ^tnleitnngen,  ^(nmerfnn^en  nitb 
peflaIo53t's  Biographie  f^eransgegeben  oon  jriebrid?  man n.  ö.  2liif. 
<^  Bänbe.    preis  u  m.  50  pf.,  elegant  gebnnben  ib  m.  50  pf. 

^t^Mtvmad^tt^^  |^ä5.  SiQtintn.  mit  einer  Dar^edung  feines  febens 
t^erausgeg.  D.CpIa^.  s.^lufl.  ^3b.  preis5m.^pf.,e(eg.geb.6m.60pf. 

3*  3.  9)ottffean'd  «mil  ober  Über  bie  «rsiel^ung.  fiberfeftt,  mit  Bio. 
grapt^ie  u.  Kommentar,  oon  Dr.  €.  o.  Sann>ttrf,  <9et).  Hat  u.  Direftor  bes 
<5rogt}.  bab.  (Dberfd^ulrates.  ^.  2(ufl.  2  BSnbe.  preis  6  m.  50  pf , 
eleg.  geb.  8  m.  so  pf. 

^cvbart'^  |^ä5ag-  SiQrifItn.  mit  6erbart*s  Biograpl^ie  oon  Dr.  ;(riebrt(b 
Barttfolomai.  7.  2(uf{.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erifiut.  2Inmerhingen 
oerfeben  o.  Dr.  €.  Don  5a lim ür f.  2  Bbe.  preis  6  1X1.,  eleg.  geb.  8  m. 

3otia«tt  ^mod  ^omcniud'  1^ä5a[)0QiriQt  SiQrifltn  x-  ^anb:  <5roge 
Unterrid^tslet?re.  Öberfe^t,  mit  2Inmerfnngen  nnb  einer  £ebensbef6rei' 
buiig  bes  Comenins.  f^eraiisgegeben  oon  Prof.  Dr.  €.  (Ti;.  £ion 
Diplommitglieb  ber  Comenius  (Scfellfd^aft.  5.  2In1I.  preis  3  Vfl.,  eleg. 
geb.  4  m.  —  2.  ^arib:  Schola  Indus  b.  i.  Die  5d?ule  als  Spiel.  3"* 
Deutfrf>c  übcrtr.  oon  prof.  lüill?.  Böttid?er.  2.  21nfl.  preis  3  Vft.,  eleg. 
geb.  4  m.  —  3.  Banb:  I.  Der  muttcr  5*ul.  11.  Dibaftifd?e  5HrenIcff. 
I7erausgegeben  von  Prof.  Dr.  C  dt^.  £ion,  Diplommitglieb  ber  (£o> 
mciüus.(ScfeUfd)aft.    2.  21ufl.    preis  \  Vfl.  20  pf.,  eleg.  geb,  2  m. 

9lttfluft  ^ermann  Srrancfc'd  |^ä5agogtriQt  {(tQmfItn  nebfi  einer  DarfteU 
lung  feines  Cebens  nnb  fetner  Stiftungen,  t^erausgegeben  oon  (Sef^etmrot 
profeffor  Dr.  <S.  "Krämer,  eljem.  Direktor  ber  jrancfe'fd^en  Stiftungen. 
2.  2Juflage.     (  öanb.    preis  4  m.,  eleg.  gebnnben  5  m. 

Wickel  bc  tU{ontaif)nc.  SludtuaQI  ;)ä5agoniri^er  Stüifit  ans  montaignes 
^ffays,  uberfeöt  ron  €ruft  5  Am  ib.  2.  21uflage.  (  Bänb^en.  preis 
50  Pf.,  eleg.  gebnnben  i  Xil.  \o  Pf. 

3niiitanucl  ^ant,  Über  |>äöanogift.  mit  Kant's  Btogropt^ie  neu  herausgeg. 
0.  prof.  Dr.  CCb.  Pogt.  3.  21ufl[.    {  Bb.  preis  \  Vfl.,  eleg.  geb.  \  ITT.  75  pf. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  i&  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

9.  ®*  ^iitter'd  %uB^M\BäfilU  ;)ä5agogtftQi  Sd^riRen*  HTtt  (Einleitungen 
Jlnmerfungen,  foipie  einer  Cljarafteriflif  öes  2lutors  l^erauscjegeben  pon 
^r.  Seibel.    2.  2Iuf!.    2  Sbe.    preis  b  ITT.  50  pf.,  eleg.  gebb.  8  ITT.  50  pf. 

3.  ^Ji.  l^afeboto^d  |^ä5a8ogir<$t  Sf^riftcn  mit  Bafebotp's  Biograpt^te 
tjerausgeg.  D.Dr.l^ugo  (Söring.  {"Bb,  preis  5llT.,  eleg.  gebb.blTT.  2oPf. 

itngttft  ^ermanit  9lieme^crr  (Brun6fä^t  btv  (Erittliunf)  un5  bts  Unttr« 
Fitfjtfi.  IHit  <£rgän5ung  bes  gefd7id;tlid}'literari(dpen  detls  unb  mit 
ITiemeyet^s  Biographie  t^erausgegeben  von  Dr.  IPilf^elm  Hein. 
2.  Jlufloge.    5  Bänbe.     preis  8  IH.  50  Pf.,  eleg.  geb.  [  \  ITJ.  50  pf. 

3*  ^.  ^tdptc'd  Bt5tn  an  5ie  5eutr<^f  ftation.  HTit  2Inmerfungen  unb 
fid?te*5  Biograpl^ie  tjerausgegeben  von  T)r.  (tljeobor  Togt,  Prof.  an 
ber  rUiener  Unioerfttat.   2.  2IufI.  preis  2  IH.  50  pf.,  ele.j.  geb.  3  HT  50  pf . 

3faat  3fc(in'd  l^äbagofliri^e  SiQcifttn  nebft  feinem  päbagogifd^en  Brief* 
roedyfel  mit  3ol?.  Cafpar  Caoater,  Ulytt^s  Pon  ralis  unb  3-  <S-  3(bloffer. 
£i<»rausoegeben  oon  Dr.  ^ugo  (Söring.  lUit  3^Ji"'s  Biographie  pon 
Dr.  (Ebuarb  nTeyer.     i   Ban^.    preis  3  ITT.,  eleg.  gebunben  ^  lU. 

3*  ^ocfc'd  (Bt5anRen  ühtv  (EriieQung*  ITTit  Einleitung,  2Inmerfuugen  unb 
Corfe's  Biograpl^ie  herausgeg.  oon  Dr.  <E.  von  5alln>ürf,  (6ro|^l^3gI. 
Bob.  Oberfcbulrat.  2. 2lufl.   \B^.    preis  2  iv.  no  pf.,  eleg.  geb.  3  ITT.  50  pf. 

9tiebrtdp'^  bed  ^toftcti  päbanopifi^e  £>tliFirteu  unö  S^ulieFunncn.  ITlit 
einer  2JbbanbIung  über  Jfriebrich's  bes  (Srojjrn  Sd^ulrcglement  nebft  cinei 
Sammlung  ber  hauptfächliAften  Sc^ulreglements,  Keffiipte  unb  €rlajfc 
überfe^t  unb  l^erausgegeben  pon  Dr.  3»f9^"  Bona  ITTeyer,  Prof.  ber 
Pl^ilofophie  unb  päbagogif  in  Bonn,     preis  3  ITT.,  eleg.  geb.  4.  lU. 

3<ait  ^aui  ^rtcbttc^  ^Hti^tct'd  Trliana  nebf^  päb.  ftücfer.  aus  feinen 
übrigen  IPerfen  unb  beni  £eben  bes  pergnügten  rchulmeifterleius  ITTaria 
lDn5  in  2IuenthaI.  IlTit  Einleitungen,  ^InmerFunaen  un^  Hid^ter's  Bio: 
graptjie  perfel?en  pon  Dr.  Karl  Cange,  X)ttcftor  ber  \.  Bürgeifcfaulc  3U 
planen  i.  Pgtl.  2.  ^ufl.   \  13t>.  preis  3  ITT.  50  pf..  eleg.  geb.  *  IlT.  .=iO  pf. 

SP^nclott  unö  5ie  TiferatuF  bsr  meibltr^^n  Biiöunn  in  Franl^reidj. 
herausgegeben  pon  Dr.  €.  p.  Salin? ürf,  <ßro6her3ogI.  Babif4>em  (Dber-- 
fcbulrat.     [  Z3ant>.     preis  3  IIT.  50  pf.,  eleg.  gebunben  4  ITT.  5o  pf. 

Dr.  Jl.  aö.  VUgcr'«^  DBUtfdjf  Pürncrfrijule.  5d?reiben  an  einen  f  taats= 
mann,  herausgegeben  pon  Karl  Ebcrharbt,  CDroi5ber3ogl.  Säitf 
5d?uIratu.Be3irfsfd)uIinfp.  i  Biinb.  preis  i  ITT.  80pf..clcg.  geb.2lTT.ftopf. 

Dr.  9KatHti  ^ut^cr'«^  |>ä5anonirrlip  ^tfiriftEn  unö  dufjierungin.  2ius 
feinen  IPerFcn  gefammelt  unb  in  einer  (Einleitung  3n fa mm enfa ff enb 
d^arafterifiert  unb  bargeftellt  pon  Dr.  IV  Kef  erftein,  Seminaroberleljret 
3u  Hamburg.     \  Bant>.     preis  5  ITT.,  rlcg.  gebunben  *  ITT. 


Zu  bezielien  durch  j<.Mio  Buchhandluiiir. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  LangenMlzi. 

Zai^mann^i^  SusgttuäQltt  StcQvifItn.  f^erausgegeben  von  €.  21  cf  er- 
mann, (Srogt).  5äd>f.  5d)ulrat  u.  Dir.  b.  KaroUnenfcbuIe  u.  b.  (et^rerinnem 
femtnars  3U  €ifenad^.    2.  21uflage.    2  Bänbe.   preis  5  Vfl.,  e(e$.  geb.  7  Hl. 

mUtoit^d  1^ä6agoQifdit  Stf^rifltn  un5  Sultvnngtn.  mit  Einleitung  nnb 
^Inmerfungen  t^erausgegeben  Don  Dr.  3ürgen  Bona  Hleyer,  prof.  bti 
pbilofopltie  n.  päb.  5U  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunden  (  m.  50  pf. 

Dr.  f&i(tie(m  ^atniW^  San56u<$  füv  5a0  5iutr(9f  IdülM^uUatUn. 
mit  ^inmerfungen  unb  Barnifd^'s  Btogropt^ie  l^erausgegeben  oon  Dr. 
Jpriebrid)  Bartels,    preis  3  ITI  50  pf.,  eleg.  gebnnben  ^  XTT.  50  pf. 

fflitfievr  »r.  gfi^icbnd^  tlugufir,  ausottnäQItt  päftaQoyircftt  BiQnfItii. 
2  Bänbe.    preis  5  ITT.  50  pf.,  eleg.  gebunben  7  ITI.  50  pf. 

ttbolf  ^icftcrtocg.  X)aF(!eIIuno  rtints  TtBent  un5  Uintv  Tt^vt  nnb 
Sustuaf]!  aus  feinen  jSt^rifltn.  herausgegeben  oon  Dr.  €.  d.  Sallvurf. 
<Sel^.  ^ofrat.    5  Bänbe.    preis  :o  ITT.,  eleg.  gebunben  {5  ITI. 

t^erttiolb  ^tgtdmutib'c^  Stuspetnä^Ite  jSiQrifltn.  I^crausgegeben,  mit 
Biographie  unö  21i!merfun|jen  rerfel^en  oon  Dr.  Karl  ITTarffcbeffel. 
^  ^anb.     preis  ^  ITT.  30  pf.,  eleg.  gebunben  5  ITT.  50  pf. 

3.  &.  .^crbct'd  f^äöagogift^e  Schriften  un5  JlugtFunQen.  ITTit  Einleitung 
unb  ^Inmerfnngen  herausgegeben  pon  Dr.  ßorfi  Kef  erftein.  feminar^ 
obcrlcl^rer  a.  V.     {  B  •  b.     preis  2  ITT.,  eleg.  geb.  3  ITT. 

iPvnjt  m0t\ii  rnttibf^  T^ranmenfe  u6tF  BIfnriQ9n6t(6un(|.  Xtadf  ber  (Dri- 
giiialansaabe  neu  herausgeg.  üon  <5eb.  JTeg.-Hat  Prof.  Dr.  W.  ITT  und} 
nrtM\ÖTntjl.  0berbibIiotl>efar  Dr.  I7.  ITTeisner.  {  ^b.  preis  2  ITT.  ^0  Pf. 

clca-  acbiinbeii  ')  IlT.  40  pf. 

3ti  Vorbereitung  begaffen  fmb:  ftüljel,  f.  J.  Polf,  gottÄI,  MfLUi  u.  a. 

Teutu-lic  ^.IMöttcr,  ^eilane  i^ur  Gartenlaube,  1872,  92r.  19:  . .  ^f5a« 
mir  iHMi  eintMii  lliitevuc()nien  bicjer  9lrt  uerlauflen  fönncn,  3olibis 
tat  bei  '.Hbiirf)t  unb  'ilhiofühnmg,  ein  f(ar  begvenj^tcr  'JjSlau,  eine  mit  G^cfd)ma(f 
unb  8ailifcniitni-?  iH'ilniubcnc  3orijfolt  für  bo^  i^awf^t  wie  für  bad  C&in^dne, 
^a^s  in  in  bor  ^}.\'nuirjd)cu  ^iUbliothef  cjelciftet." 

Vichi,  "^.Mib.  iiMätter  f.  iichvcihilbg.  1876,  ^z\t^:  . .  „fBir  geigen  boÄ 
(ivjdietnen  ^icicr  päb.  .SMaJMter  mit  bem  '^cmcrfen  on,  ba6  bic  ^ll^amen  ber  6cr= 
nuc>i]clHv  füv  bic  genaue  lo.ticiMiion  bcv  9lu^gabcn  bürgen,  ^on  befonbcrem 
'Ji.icric  liub  bie  bcu  hctr.  :Ji.H'ifeu  iHnauögcfdncftcn  ^iograp^iccn.  2)a  finbct  man 
üucllonfiubiuui,  -  iiian  \llUtog<jfoit!  &  ift  eine  JJ^^cube,  ^u  fcftcn.  wie 
inubci  hier  bic  altcu  Bduii^e  Der  "iMiDagogif  .^u  Tage  gcförbcrt  werben.*     Krbt. 


Zu  hiy/Ävhen  durch  jede  Buchhandlung. 


"* 


Pädagogisches  Magazin. 


•     • 


.f 


Abtuuidliuif^  im  Sebieto  der  Pidigogik  and  ihrer  HflfswiiiendtttoL 

Harausireffebttn  TOn 

Friedrich  Mann. 


318.  Heft. 


YorscUäge  zur  Reform 


der 


Allgemeinen  Bestimmungen 


vom  15.  Oktober  1872. 


Voo 

W.  Vogelsang, 

l{«kt4ir  in  üarinon. 


Langensalza 

Hermann  Bevor  &  Sohne 

(Boyer  k   Mann) 

Hor/osrl.  Säch»j.  HofbiichhJlndlor 

1Ü07 


Preis  50  Pf. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

Päbagogifd^er  Klafftfcr. 

£inc  Sammlung  6cr  beöeutcnöftcn  pdöagogifd^cn  Scbriftcn 

älterer  un6  neuerer  ^eit. 

tfnausqtqtbm  von 

$eflal0S5i'<'  9tt9(|ttDäQItt  Wtvfit.  mit  Ctnieitnngen,  ^Inmerfongen  uit: 
peflaIo35rs  Biograpt^ie  beransgegeben  von  ^rtebrtd^nTann.  5  21tif[. 
<(  Bönbe.    preis  u  HI.  50  pf.,  elegant  gebnnben  (b  m.  50  pf. 

^d^ltittmaö^tt'^  1^ä5.  Si^dflnt.  HTtt  einer  Darfiellung  feines  febens 
beransgeg.  D.CpIaQ.  3.2InfI.  (  Bb.  preis5in.40pf.,eIeg.geb.6nT.60pf. 

3*  3.  9)ottffcan'd  Ämil  ober  Über  bie  €r3ieljung.  flberfefet  mit  Bio- 
grapl^ie  u.  Kommentar,  oon  Dr.  €.  d.  Sallmürf ,  (5et?.  Hat  u.  Direftor  bes 
(Srogt).  bab.  (Dberfd^ulrates.  ^.  2(ufl.  2  ^änbt.  preis  6  IR.  50  pf , 
eleg.  geb.  8  ITI.  50  pf. 

C^erbart'd  |^ä5a[)-  SiQvifItn.  UTrt  Qerbart's  3iograpl)ie  ron  Dr.  ;(riebrid> 
Bartbolomöi.  7.  2Iu^.,  nen  bearbeitet  u.  mit  erl&nt.  2Inmerfangen 
oerfel]en  ©.  Dr.  €.  oon  Salin) ür f.  2  Bbe.  preis  6  IH.,  eleg.  geb.  8  ITI. 

Softtttttt  ^moi^  ^omcniud'  päbaRoniffQ^  ßt^riflen.  \.  Banb:  <5roge 
Untcrri*tslel?rc.  Überfe^t,  mit  2Inmerfnngen  nnb  einer  febensbefcbrei* 
bung  bc5  Comenius.  herausgegeben  ron  prof.  Dr.  (£.  (Tb.  fion 
Diplommitglieb  ber  €omeniu5»(ScfeUfd?aft.  5.  2Ln%  preis  3  ITT.,  eleg. 
geb.  ^  in.  —  2.  Banb:  Schola  ludus  b.  i.  Die  Sätult  als  fpicl.  3"* 
Peutfcbc  übcrtr.  oon  prof.  lUiIl|.  Bötticber.  2.  21nff.  preis  3  ITT.,  eleg. 
geb.  -^  in.  —  3.  }5anb:  I.  Der  HTutter  Scbul-  H.  Dibaftifdpe  Sljrenlefe. 
l7erausgegcbcn  oon  Prof.  Dr.  €.  (Elj.  £ion,  Diplommitglieb  ber  <£o» 
mcniuS'CßefeUfdjaft.    2.  2lufl.     preis  ^  IH.  20  pf.,  eleg.  geb.  2  ITT. 

tlufluft  ^ermann  J^tancfc'd  l^äbanogtrcftt  {(tQrifttn  nebft  einer  DarfteU 
lung  feines  Cebens  nnb  feiner  Stiftungen,  herausgegeben  oon  (Sebetmrat 
profeffor  Dr.  <S.  Kramer,  ebem.  Direktor  ber  ^ranrfe'fd?en  Stiftungen. 
2.  Jluflage.     \  Öanb.    Preis  ^  ITI.,  eleg.  gebunden  5  ITI. 

9}l\d$ci  bc  ^Ji){ontaif|nc.  ^ustuaQl  iiäbanogifiSfr  Sfäifie  aus  ITTontaignes 
(Effays,  überlebt  oon  €rnft  Sdpmib.  2.  iluflage.  \  "Bänbiten.  preis 
50  Pf.,  elcij.  gebunbcn  \  HI.  lO  pf. 

3miitanucl  füänt,  liber  päöananift-  mit  Kant's  Biograpljie  neu  t^erausgeg. 
0.  prof.  Dr.  C£b.  Dogt.   3.  Üufi.    \  Bb.  preis  i  ITI.,  eleg.  geb.  \  ITI.  75  pf. 

$(.  C<).  ^intct'i!^  'Ausn^luäfiltp  päbänopifri^i  £^d;nf!rn«  ITIit  (Einleitungen 
Unmcrfiinacn,  foanc  einer  ^Il^araftcriftif  bes  ilutors  t^erausgegeben  oon 
,f  r.  5  ci^c"I.    2.  2lutl.    2  Bbe.    preis  6  HI.  50  pf.,  eleg.  gebb.  8  HI.  50  pf. 

3.  'iL  ©ofcbülu'cJ  päöanoniri^K  StSriftrn.  ITIit  Bafeboro's  Biographie 
berausgca.  r.  hr.bugo  cßöring.  (  Bt>,  Preis  5 ITI.,  eleg.  gebb.  1» ITI.  20  pf. 

UuQuft  $>crmann  9Hcmct|crr  (i^runbrä^e  5ft  (Eriie^unfl  unö  5td  1lnttF= 
ririjts.  IMxt  v£rgän3ung  bcs  gefAicbtlid?  •  literarifdyeu  ^cils  unb  mit 
nicmcyei's  Biographie  herausgegeben  oon  Dr.  IPill^elm  Hein. 
2.  Jluflage.    3  B'änbe.     preis  8  III.  50  pf.,  eleg.  geb.  u  ITT.  50  pf. 

3.  ©•  5«**c'tf  Beötn  an  bie  öeulfrijB  flation.  IHit  2lnmerfungen  unb 
^'xdite^s  Biographic  berausgeaeben  oon  Dr.  (El^eobor  t)ogt,  prof.  an 
ber  lüiener  llniperfttat.   2.  2lufl[.  preis  2  ITI.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  ITX  50  pf. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung.^ 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza 

Sfaaf  Sfeült'd  l^äbagogiff^t  BiQcifltn  nebft  feinem  pabagogifd^en  ^rief* 
tped^fel  mit  3olj.  Cafpar  taoater,  Ulyffes  von  Balis  unö  3.  (6.  SAloffer. 
C^nansgegeben  pon  Dr.  £^ugo  (5öriug.  ITlit  3felm's  Biographie  oon 
Dr.  (£buarb  nreyer.     \  Ban6.     preis  3  Ilt.,  eleg.  gebunben  ^  HT. 

3*  ^OCfc*d  <St6anRen  nbtv  i&viiifiün^*  IHit  (Einleitung,  21nmerfungen  unb 
£orfe*s  Btograpljic  l^crausgeg.  oon  Dr.  €.  von  SaWwnif,  (ßro]il^3gl. 
Bab.  (Dberfd?ulrdt.  2.21uff.   iB^.    preis  2  I.t.  50  pr,  eleg.  geb.  3  ITT.  50  pf. 

9riebtidp'd  bed  ®voftcti  i^äöagogifiQe  ScflFtflen  un5  Stulerungen.  iritt 
einer  Zlbl^anblung  über  jfnebncb  s  bes  (5rogen  Scbulreglement  nebfit  einei 
Sammlung  ber  jfauplfäd^ltd^ften  Sd^ulreglements,  Keffiipte  unb  (Erlaffc 
überfegt  unb  Ijerausgegeben  ron  Dr.  3ürgen  }5ona  IHeyer,  Prof.  ber 
pi)iIofopt}ie  nnb  päbagogtf  in  Bonn,     preis  3  111.^  eleg.  geb.  4  in. 

3ean  ^aui  9rtebvtc^  ditd^tet'd  Xcliana  nebft  päb.  ftürfen  aus  feinen 
übngen  IPerten  unb  bem  £eben  bes  nergnügten  Scbulmetfrerletns  IRuria 
Wui  in  2luentt]al.  ITIit  Einleitungen,  ännierfungen  unb  Hicbter's  Btc: 
grapt^ie  verfeiten  Don  Dr.  Karl  lange,  Dtreftor  ber  (.  Bürgerfd^nle  3U 
Plauen  i.  Dgtl.  2.  21ufl.   \  Bö.  preis  3  IH.  so  pf..  eleg.  geb.  ^  HI.  so  pf. 

g^nelott  un5  öit  Xitsratur  bsv  tDei6lid}en  23il5un{|  in  ITranhretd}. 
herausgegeben  ron  Dr.  €.  d.  Sallwürf,  <Sro|5ber5ogl.  Babifitem  (Dbers 
fdjulrat.     I  V>an^.    preis  3  ni.  50  pf.,  eleg.  gebunben  4  ITI.  50  pf. 

Dr.  $t.  f£&.  Wagcr'd  X)eutr<^t  Sürnerfd^ult.  f  cbceiben  an  einen  Staats^ 
mann,  ^herausgegeben  ron  Karl  vEberbarbt,  vDro|5t{er5ogl.  5äd)f. 
Sd^ulrat  u.  Besirfsf d^ulinfp.  ^  'Banb.  preis  \  lil.  ho  pf ..  f  leg.  ^eb.  2  ITT.  80  Pf. 

Dr.  !99iarttn  Sutl^ct'd  l^äöagonifc^t  i5diFiftEn  uu5  '^utierungin.  21us 
feinen  IPerfen  gefammelt  unb  in  einer  Einleitung  3utammenfaffenb 
dyarafterifiert  unb  bargefteüt  oon  Dr.  F).  "Kcf  erftcin,  5eminaroberletjrer 
30  £^amburg.     \  Banb.     preis  3  ITI.,  eleg.  gebunben  4  ITI. 

^al^mantt'c^  ;jHndi)EluäliItt  Sciiriften.  iKrausgegebeu  ron  £.  ^cfet* 
mann,  (Srogt^.  Säd^f.  Scbulrat  u.  Dir.  b.  üarolineujcbule  u.  b.  £el?rerinnen- 
feminars  3U  EifenaA.    2.  2luflage.    2  Bänbe.    preis  5  ITI.,  eleg.  geb.  7  ITI. 

VHltoti'd  f^äöagogif^p  St^vifUn  uuö  liu^erunpEn.  ITitt  Einleitung  unb 
2lnmerfungen  herausgegeben  ron  Dr.  3ürgen  i^ona  ITieyer,  prof.  ber 
Pbilofopljie  u.  if>äb.  3U  Bonn,    preis  75  pf..  elca.  aebunbcn  \  ITi.  50  pr. 

Dr.  fi^il^dm  ^atitif^'c^  l^anöbuiti  für  öas  öeutfdjp  JBoIhsrtijulUiefEn. 
ITIit  2Inmerfungen  unb  liurnifit's  Biographie  l?crausgegebcn  pon  Dr. 
^riebrid?  Bartels,    preis  3  ITI  50  pf.,  eleg.  gebunden  ■;  ITI.  50  pf. 

gflitfierr  l>r.  $ttcbn4  '}tuguft,  '^usn^toälilte  paöanouif^s  Sdjrtflvn. 
2  Ißän^e,     preis  5  ITI.  50  pf.,  eleg.  gebunben  7  ITI.  5ü  pf. 

nbolf  ^tcftcrtocfi.  Darftellunn  feines  Hebend  unö  feiner  Xefire  uu5 
Jlusuialil  aus  feinen  jöi^riflen.  IVuausgcgeben  con  Dr.  E.  p.  5  a  1 1  u)  ii r  f . 
öeb.  i)ofrat.     3  Bänbe.     preis   ',0  ITI.,  ele.jj.  gcbuni^cn   \5  ITI. 

<6ert^o(b^tgidmuub'<^  Susneluälilte  iPrijriften.  bcranscjeaebcn,  mit 
Biograpl^ie  unö  ^InnicrfiuiJien  rcrfeben  ron  Dr.  "Karl  ITIar  f  f  d?ef  f  el. 
\  Banb.     preis  4  ITI.  5o  pf.,  eleg.  gebunben  5  ITI.  50  pf. 

3.  ®.^crbcr'd  l^äöaflonifrfje  iPriiriften  unö  Jlul^erunneu.  ITIit  Einleitung 
unb  2Inmerfungen  herausgcgrbcn  ron  Dr.  horft  Kererftein,  feminar^ 
oberlel^rer  a.  D.     i   B  -b.     preis  2  ITI.,  elcvv  a-eb.  5  ITI. 

(gtttfl  Wutilf  %ttihr^  JFranmeiile  über  IHcnfrijenbilöuni].    ilacb  ber  (Dri- 
gmalansgabe  neu  beransoeg.  oon  cScb.  Kcg.^Hat  prof.  Dr.  W.  ITI  und) 
unb  Königl.  0berbibliothe"fa"r  Im.  i).  ITIeisn'er.  [  ^b.  preis  2  ITI.  40  pf 
eleg.  gebunben  .^  111.  40  pf. 

Jn  Dorbereitung  begicffen  fmb:  JrÖiJfl,  f  3l.  giolf,  gattÄI,  £ef|tnO  u.  a. 
Zu  beziolien  durch   jede  Buchhandlung?. 


^^^^m 


Verlag  von  C.  Bertelsmann  in  Gütersloh. 


Gesammelte  Sctiriften  Yon  F.  W.  Dörpfeld. 

Zfrnlf  Bände.    Kplf.  35  M,  geb.  40  M 

I.  Rind:  Beiträge  zur  paldnsr.  PsycIioIoiB:le.    2,5*1  M, 

1.  Über  Denken  uml  Gedächtnis.    10.  Aufl.    2  M,  ^eb.  2,r»0  M. 

2.  Die  Bi'hulmäili^e  Hildiini;:  der  Be^jriff«».     5.  Aufl.     50  Pf. 

II.  I3and:  Zur  all&:enieiiieii  Didaktik.  :{,2oM,^reb. 3,80 M. 

1.  (rrnndlinien  einer  Theorie  des  Lehrplans.     4.  Aufl.  1,80  M, 
geb.  2,:50  M. 

2.  Der  didaktische  Materialismus.  5.  Aufl.   1,40  M,  ^eb.  I.IK)  M. 

III.  iJand:  Rellsxloiisunterriclit.   3,40  M,  K^b.  4M. 

1.  Kelitfiösos  und  Keli^ionsunterrichtliehes.    2.  Aufl.   2.20  M. 

2.  Zwei  Worte  über  Zweck.  An1ut|:e  und  Gebrauch  des  Eochiridions 
der  biblischen  Ciescliichte.     4.  Aufl.     1,20  M. 

IV.  Band:    Realuntcrridit.    2,30  M,  geb.  2,80  M. 

1.  Der  Sachuuterricht  als  Grundlage  des  Sprachunterrichts. 
1,80  M. 

2.  Die  GeselUchaftskunde.  eine  notwendige  Ergänzung  des  Ge- 

Kchichtsunlerric.hts.     4.  Aufl.     .jO  Pf. 

V.  Ban.i:   Real-  II.  Sprai'liuiiterrielit.  2,30  M,  geb.  2.S«)  M. 

1.  Zwei   drintrliciie  Ki?fonn».'n   im   Real-  und  Sprachunterricht. 
4.  Aufl.     l,r)0  M. 

2.  Heimatkunde;    Vorschläge   und  Ratschläge  aus   der   Schul- 
arboit.     SO  Pf. 

VI.  Band:    LelllTridealo.      2  M,  geb.  2„">0  M. 

VU.  Ban.i:  Das  FlllldaUUMltstfick  einer  gerechten  gesunden, 
freien  unii  friedlichen  Stdiul Verfassung.  2.  Aus«;.  3,50  M. 
i:Au  4.20  M. 

Vill.  Band:    ScIllliverfalSSUng.    .j..^0  M.  geb.  0,20  M. 

1.  Teil:  IHe  fi'ric  Seliulgemeiiide.    2.  Aun.    3,30  M, 

geh.  4  M 

2.  T.il:  Die*  drei   Oruilds^ebroelien   der  hergebrachten 
Schulvcrtiissung.     2.  Aufl.     1,40  M. 

:;.  ivii:  Zwei  püdasroiriseheC-utachten.  3.Au.-?g.S(>Pf. 
IX.  ii.uii:   Ein   Iteitrau:    zur  Leideiisgeselilc-hto    der 

Volkssehuie  nebst  Vorschlägen  zur  Reform  der  Seh ul- 
xcrwaUun;:.     WXM  M.  geb.  4.2U  M. 

X.  Band:   Soz!alpjida«:oti:lsclies  und  Venuisclit^^s. 

:i.S()  M,  ir.'b.  4.4«.»  M. 

1.  T.ii:  Sozial pädatroirisehes.    1,10  M. 
j.  r.ii:  Venniselite  Selirirten.    2,70  M. 

XI.   i>ati'l:    /ur    Ktluli.      ].    Die   irehi-inuMi  Fesseln    der    wi.«$on- 

K.'liaftln'li»'ii    und    |trakii-riien   Tlu^ologie.      Km    Beitrag 
7.iir  Api.lt'jftik.    2.   Kiniiie  lirmidlra^ren  der  Ethik.    3  M. 

X!I.  Band:  Die  llrilslelire  -,i„  tisch  entwickelt  au.s  der  Heils- 
u'i'vrliii-lrie.  Zw.-itr-.;  Kiirliiridiun  ;:um  Vcrs^tändnis  der 
hjldiMh.(;oMli!.-lit..  ipd.si  llandh.u-h.  3.tiO  M,  geb.  4.20  M. 


f  •■•.;•• 


••1 


"(* 


■t 


Pädagogisches  Magazin. 

AUnoduDf^  fon  Gebiet«  der  P«iag(^  und  ihrer  Hüttwittendlato, 


r:. 

A 


Friedrich  Mann. 


|i 


319   Heft. 


II 


:■> 


Yisnelle  Erinnerungsbilder 


beim 


Rechnen 


Von 


W.  Barheine, 


Langensalza 

IlcnnJinii  n»»v«^'r  vV  Söhnte 
(Beyer  &  Mjiun) 

Hoiv-L'l.  Sii.-Iis.  HiifliiichhÄndlor 
11)07 


Preis  GO  Ff. 


Verlag  von  Hennann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8e  Mann)  in  Langensalza. 

^ali^maitn'd   '|lu0fletuäl]lte   Schriften.     X^eransgegebeti   von    2.   2l<ftv 

mann,  (Sroßh.  Sä*f.  f  cbulrut  u.  Dxv.  b.  l\aroIinenfd)ule  u.  ö.  tebrertnnen: 

fcininars  311  €ifenad).    2.  2lufla.je.    2  ^äube.   pvcis  5  IIX.,  eleg.  ath.  7  HI. 
SKtItoit'd  päbanoflirt^t  SdjriRen  un5  Sufitrungtn.    IHit  €inlettuna  un( 

2lnmerfiingen  l^eraiisgcöicben  von  Dr.  3"^^^"  i^ona  ülever,  prof.  der 

pbilofopbic  u.  päb.  5U  ^onn.    preis  75  pf..  elcg.  gebunden  i  ITT.  so  pf. 
Dr.  '^tlficlm  ^atntfd^'«^  f^anöbuiQ  für  6a0  5eufr<Qe  ^BoiasfdiiiliDtrtii. 

Ilüt  2JnmerFintgen   unb  l7arntfd?*5  ^lograpbie   beraiisgegeben   von  Dr. 

Jf  rieb  rieb  Bartels,    preis  3  111  50  pf.,  eleg.  gebunden  *  111,  50  pf. 
l|fittc|crr    l>r.  i^rtcbrtdi  'itngufr,    Butntuiälilte  (läöanooirfQt  Sdjrifltii. 

:  i^änbe.     preis  5  111.  00  pf..  eleg.  gebunden  7  ITI.  50  pf. 
Itbolf  ^tcftcrtiic0.    DarftcIIunn  Uints  Tthtna  un5  feintr  Tt^rt  nn5 

Huslualil  aus  Uinm  iS^diriflpn.    I^erausgegeben  dou  Dr.  £.  r.  Sallmürf. 

^ßeh.  iiofrat.     ^  ^ände.     preis   10  111.,  eleg.  gebunden  I3  HI. 
^ertliolb  «tgt^mnnb'«^  SluspptDäQItE    5diriften.     IVrausgegeben,  mit 

i^iogruphic  nn^   ^InmerfnuJieft  rerfeben  t»on  Dr.  Karl  lUarffcbeffel. 

I   i^aiid.     preis  *  111.  .')0  pf.,  eleg.  gebunden  5  111.  50  pf. 
X  (>K^crbcrV  Päöanonifriit  it^dirinfn  uu5  BuMrunntn.  IHit  (Einleitung 

und  ^Imncrfiuujcn  bciMiisgcgibcn  rou  Dr.  üorft  Kef  crfiein,  feminari 

Oberlehrer  a.  P.     i   ^^  .  d.     preis  2  111.,  eleg.  g*b.  3  IH. 
«Titft  ^JÜInrilf  ^rubf <^  JRrannunf^  iibPF  3Ipnr(iien6iI5unn.    Hacb  der  <Drt' 

gnuilausgabe  neu  bcrausueg.  von  <Scb.  Keg.»l^at  prof.  Dr.  IV.  111  ü neb 

lind  Köniul.  iObcrbibliotbcfar  Di.  I7.  lUeisner.  \  l^d.  preis  2  ITT.  *Opt. 

cli\j.  .lobmiden  .")  lU.  4.(»  pf. 

3n  l\Mi'ncitnng  bciutffc»  n»^:  ItÖÜel,  f •  3^- ffOlf,  gtttltll,  Cffttng  n.  a. 


T  •.:•!'.;••  ;•  ^<!>i:ittcr,  'iV'iloiie  .^uv  (shiiicnlaube.  1872,  Tix.  19:  . .  „f$a* 
ii"!  .^;'r  i:r-. 'i:  II iitc; nehmen  diciov  ^Hrt  ucrlanncn  fönuen.  rolidi: 
:•::  r  .  .1  :••■!■!  ;::i^  V!i;v?ii!'ninii,  ein  flnv  bciiren^ter  '}5lan,  eine  mit  (HW'iMnnQc! 
iM!:^  (.-:.!  !lvHi:"i'c  ^clblUJ^u:c  rounalt  für  da*>  (^inn.^e  tute  für  da*j  vSiu^clne, 
f^ •'.-.'  ■. M  1:1  "•••'   "i^V-.Miir'.r.'.n  'iMl'liotlicf  i^cl eiltet." 


>.-  •;  •  •.  t^  "  '.'^ :  .1 : :  •; ;  •' .  V  v b  r i*  i  bi l D <i.  1  S7< ;,  .v>ef t  ü :  . .  „5i*ir  jct jieu  l>iii 
Ifi' '.  vu;.'.:  •■■'•.:  i"i-"  >{'.  i'''-\:\  :;::'  ."^'»m  '^^cmcrfeii  an,  dafj  Me  ^Wimen  der  .öcr-- 
auv-.:.'".r  '":  ^■:.'  .\:v..,\\.  1  .i\\<i-'y'\"\  t\:\  \Mu*>ciiUH'n  büijien.  ^4>on  beicnderen 
'iiH-v.i  "!'.'■  ^'1  ■n  !■:..  x'vviu:;  V-.  ;.v,i;Mv'Miufteu  '^Mu:]rapliieen.  7><i  fiuDet  mcn 
C.  :t  ■:  1 '. . '."  1'.  :•  ■.'  ■  11 ::;  ":.:••  '}\ ;'.'.;.  -f  m'i  !    ^j^  in  eine  Jyvnide ,   .;^u  «el?en ,  wie 

iflulvv  :  :.•  ^:-.  .-.li'.'.  r     •!•    •••i  "'.^  ■:...!  ;;i\.iif  ',11  Tafle  iicfördevt  merden."     Kebr. 


Zu   h«'/i«'n«Mi  ilm\'h  ]•'(!«'  Hiiohliandlunir. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza 

9.  O«  Siittet'd  :au0getDäQlti  pä6a0ogiriQl  SiQdfttn*  ITTtt  (Einleitungen 
^Inmerfungen,  foioie  einer  Ct^arafteri^if  bes  2lutors  t^erausgegeben  von 
^r.  5  ei  bei.   2.  2lu%    2  8be.   preis  6  HI.  50  pf.,  eleg.  gebb.  8  ITI.  50  pf. 

3«  IB.  H^afeboto'd  1^ä5agogir4f  Sti^mftrn.  mit  Bafebotp^s  Btograpt^ie 
tjeransgeg. o.Dr.^ugo  (Söring.  xTSb.  preis  sHT.,  eleg.  gebb.fiin.  20pf. 

itndttfl  ^etmantt  ffliemc^tv,  (Brunbfä^e  btv  (Eriteliung  un5  5i9  llnftv* 
vi<$t0.  mit  (Ergän5ung  bes  gefd^id^tlic^  •  literarifd^eri  deils  uttb  mit 
Zliemeyet's  Biograpt^ie  l^eransgegeben  von  Dr.  IPilt^elm  Hein- 
2.  ^luflage.    5  Bänbe.    preis  8  m.  50  pf.,  e(eg.  geb.  u  m.  50  pf. 

3«  O«  Sfiii^te'd  Bi5tn  an  öit  5tufr<^e  ICation.  mit  ^Inmerfungen  unb 
^id^te's  3iograpt)ie  Ijerausgegeben  von  Dr.  Ct^eobor  Dogt,  Prof.  an 
ber  lüiener  Unioerfttat.  2.  2lufl.  preis  2  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  ITT  50  pf . 

3fttttf  3felitt'd  |^ä5agogir(Qf  SiQrtflen  nebft  feinem  päbagogifd^en  Brief- 
ved^fel  mit  3otj.  Cafpar  faoater,  lUyffes  von  Balis  unb  3-  <S.  fcbloffer. 
fi^rausgegeben  pon  Dr.  I^ugo  (So ring,  mit  Z^tlin's  Biographie  oon 
Dr.  (Sbuarb  meyer.     \  ^anh.    preis  3  m.,  eleg.  gebunben  4  m. 

3*  Socfe'd  <Si5anßen  übnv  (EriieQung*  XHit  Einleitung,  ^Inmerfungen  unb 
focfe's  Biograpt^ie  t^erausgeg.  oon  Dr.  £.  oon  Saiimüvt ,  <Sro6t|5gI. 
Bab.  0berfc^ulrat.  2. 2Iurl.  \Bb.    preis  2  l.i.öo  pf.,  eleg.  geb.  3  m.  50  pf. 

9viebtid^'d  bed  ®tofteti  |^ä5agogifiQe  ScQmfttn  un5  Siugerunnen.  mit 
einer  ^Ibt^anblung  über  (friebrtd^*s  bes  (Srogen  Scbulreglement  nebft  einei 
Sammlung  ber  t^auptfäd^Iid^ften  Sdpulreglements,  Heffripte  nn^  €rlaf[c 
nberfeftt  unb  bcrjusgegebcn  oon  Dr.  3ürgen  Bona  mey^r,  prof.  ber 
pljilofopljie  unb  päbagogif  in  Bonn,     preis  3  IIX.,  eleg.  geb.  •*  m. 

3ean  4^au(  9vtcbtt4  O^ii^tcr'tit  XtUana  nebft  päb.  Stücfrn  aus  feinen 
übrigen  IPerfen  unb  bcm  Cebcn  ^is  oergnügtcn  Sdjulmeiftcrleiiis  maria 
IVu^  in  24uentbal.  mit  Einleitungen,  ^Inmerfun^jen  unb  Hid?ter's  Bic-- 
graptjie  oerfeben  oon  Dr.  Karl  £ange,  Direftor  ber  \.  Bürgerfitulc  3U 
planen  i.  Dgtl.  2.  2lufl.   j  Bö.  preis  3  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  4  m.  50  pf. 

S^nclon  un5  5ts  Tit^ratur  55r  uiciBHißEn  Sil5unn  in  Fvanhreidi. 
Berausgegeben  oon  Dr  €.  o.  5allu>ürf,  c5roJ5bcr3ogl.  Babifcbem  (Dbci- 
fd)ulrat.     \  Vtan^.     preis  3  IM.  so  pf.,  cicg.  gebunben  ^  m.  50  pf. 

Dr.  lt.  SSÖ.  ÜlOlagcr'd  DeutfdiE  iBürncrfrijuIe.  Sd^reiben  an  einen  rtaat5= 
mann.  l7erausgcgebcn  oon  Karl  Eberbarbt,  O5ro^ber3oal.  räcbf. 
Sd?uIratu.Be3irfsfct)ulinfp.  i  Banb.  preis  i  111.  Hopf.^elcoi.acb.zm.HOpf. 

Dr.  Wattin  ^utt|ct'<5  pä5anonirtlis  £>djrirtpn  un5  '«nuftEFungin.  21us 
feinen  IDerFcn  gefummelt  unb  in  einer  Eiiilcttuna  3uianHncnfaffenb 
d?arafterifiert  unb  bar^icftcllt  oon  Dr.  Ir  Kcf  crftcin,  reminaroberlel^rer 
3u  £)amburg.     \  Banb.     preis  5  UX.,  pleg.  gebunben  4  m. 


Zu  beziehen  diiroh   ']M{}  liuchluunlliin<r. 


Veriag  von    Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  LangensihL 

BtbltotI?ef 
Päbagogifc^er  Klafftfet. 

(Eine  Sammlung  5er  beöcutenöften  päöagogtfd^en  Scbriftcn 

älterer  unb  neuerer  JSeit. 

^tlcbtidf  mann. 

"^eftalo^V^  jlttsnttDariltt  WtTftt.  ITTtt  Ctniettunaen,  2Inmrrfnnaen  ui 
peftaIo35rs  Biographie  berausgeaeben  x>on  ^rte^ri^niann.  3  2iii 
4  Banbe.     preis  ( (  IH.  50  pf.,  elegant  gebunben  ( b  Hl.  50  pf. 

^d^lcietmad^et'd  Pä5.  St^mfltn.  mit  einer  Darftellung  feines  frbrns 
lieransgeüi.  P.C. plag.  3.2iufl.  (  Bb.  preis5l]l.40pf.,eleg.geb.to!n.60p*. 

3«  3.  9<ouffcau'd  (Emil  ober  Über  bie  ^rjiebung.  Überfegt.  mit  B»' 
gtapbie  u.  Kommentar,  uon  Dr.  <E.  d.  5a Ifmürf,  (Set?.  Hat  u.  Direftord» 
(ßrogti.  bab.  (Dberfd^ulrate«.  4-  ^ufl.  2  Bänbe.  preis  6  Ht.  50  pi. 
eleg.  oicb.  8  ITI.  .")()  pf. 

C»(rbart'^  Päöag  Si^rifltn.  mit  ^erbart's  Biograpljie  pon  Dr.  jricbri^ 
Barlbolomäi.  7.  ^luf!.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erI5nt.  2Inmerfnn^ca 
rcrffheit  0.  IM-.  €.  Pon  Sallmürf.  2  Bbe.   preis  6  JXl,,  eleg.  geb.  d  TR. 

^oiiaun  ilnto«^  ($^ontcniu0'  pä6aflOflir(Qt  Sf^rifltn  ^  3anb:  (Srotc 
lIntctrulMf letzte.  Übcrfet^t,  mit  2Inmerfnngen  unb  einer  {ebensbefcbcct« 
btiiiui  bc5  <£omettiiis.  lieraasgegeben  Pon  Prof.  Dr.  <£.  (£Yi.  üos 
Piplomnntalitb  bor  Comeniiis  (SefeUfd)aft.  5.  21ufl.  preis  3  m.,  rle«. 
acb.  ;  Ül  2.  i^aiib:  S<liula  Indus  b.  i.  Die  5d?ule  als  fpiei.    3^ 

Pcnthbc  libertr.  ron  prof.  lUilb.  Böttidyer.  2.  Tlnfl.  preis  3  m.,  elff 
acb  4.  in.  .5.  i^anb:  1.  Der  mutter  Sd?nl.  11,  Dibaftifdje  Stjrftilcif. 
l^cian^acaebcn  poti  Prof.  Dr.  (£.  St).  £ion,  Diplommitgiieb  bcr  <£c* 
nu'i;iu^  O'^cicUfitatt.     2.  21ufl.     preis  {  JXl.  20  pf.,  eleg.  geb.  2  ül. 

^luftuft  ^ermann  ^rancfc'cf  |>a6aQ0gir(Qt  Ftftnfttn  nebft  einer  Damh 
hwux  feines  £cbcn5  unb  feiner  Stiftungen,  t)eransgegeben  oon  (Set>eimr3t 
proTcfi'or  IM.  c5.  Krämer,  et?em.  Direftor  ber  ^rancfe'fd^en  Stiftunacn. 
2.  ^hitUiae.     l  I^aiib.    preis  4  m.,  eleg.  gebnnben  5  TR, 

^lidhcl  bc  'J>J2untaif|nc.  BustoaQI  päbanogiriütv  5fuifit  ans  montaignrs 
*£ffjy&  iilHTict^t  ron  vErnfi  5d)mibt.  2.  21uflage.  (  Bänb4)en.  Preis 
.■.«»  p?.,   cica.  c^ebnn^c^  i   211.   lo  pf. 

^ntiiianucl  Haut,  libn  päöagof^iit.  mitKant's  Biograpt^ie  neu  t^erausaeq. 
p.  prof.  I>r.  d  b.  Poat.   .^.  ilufl.    i  ob.  preis  \  m.,  eleg.  geb.  {  m.  75  pf. 

Zu  Ix'ZH'Ihmi  «iiircli  jede  Buchhandlung. 


>* 


Pädagogisches  Magazin. 

AbhandluDgen  vom  Gebiete  der  Pädagogik  und  ihrer  HilfswisttOtfffiBeLL^ 


Herauafcetfeben  tou 

Friedrich  Mann. 

■'!     320.  Heft,     ij  "■ 


Die 


kindlichen  Spiele 

in  ihrer 

pädagogischen  Bedeutung 

bei 

Locke»  Jean  Paul  und  Herbart 


von 


Dr.  phil.  Weller, 

Schuldirektor. 


Langensalza 

n ermann  liyvor  äc  Sohne 
(Beyer  &  Mann) 

Hcr/oirl.  SUchs.  H'ilbuc-hhändlor 


Preis  2  M. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  8c  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalzi 

Sal^rnntur«  BusotUiär^Itv  Sffirifteii.  iScrans^e^ebeu  con  £.  :iin* 
manu.  cQro^b.  Säcbf.  fcbuirat  u.  Dir.  d.  haroIinrniituU  u.  d.  ttbrttitKtn 
fcminars  511  €ifendd>.    2.  ^luflaac.    2  i^diiöe.    preis  5  HI.,  rlra.  aeb.  iHi 

3)Mltoir^  päöanogirdiF  Siiiriftrn  mi5  Üugtrnnptn-  Xllit  <£inleitun4  aal 
2himerfiniacii  bcraiis^cacben  von  l)r.  3"*'9*"  i?0!iwi  llieyer.  prof. ör 
pbiloi'opbie  u.  päb.  3U  ^oiiit.    preis  75  Pf..  elCi).  aebiiiiden  1  III.  50  p 

l)r.  ^ll^tllielm  ^arittfd^'<i  {)an5budi  für  6a8  ötutTi^r  BoIftfififinliDtfn. 
Hiit  ^liimci fluiden  unb  l7arnii\t*3  Stogrjpbtf  berjus^eaeben  von  Dr 
.yriebrid»  i^artels.    preis  3  l\\  50  pf.,  eleg.  aebiiiiöcn  4  TW.  öü  ff 

:  i^än>e.     preis  ^  IH.  5(i  pf..  eleg.  »jebunben  7  IM.  bo  pf. 
^bolf  Ttcftcttueg.    Parfttllunp  Ttints  TrOrns  un5   Uintv  Xrf)ri  on5 

'jAuQluafil  aus  fFintn  ^d^rlflpu-    iV^i^ii^S^^f^^^n  von  ].>r.  vE.  p.  SallDörr. 

v.^eb.  i^ofrat.     5  yän^e.     pvci>   !ü  IXl.,  ele»j.  gebun5en   J3  in, 
^crthulb   3if|icitniiitb'<i  StuQnrtDälillv    Sdiriflrii.      l^crjusacjeben,  mii 

^Mi^Udpbie  HHw»    JlnmcrFiinjien  prrfeljen  von  Dr.  Karl  IHarfft^effel. 

t    ivlll^.     preis   i  JH.  ji»  pf,  elea.  aebunbcii  5  111.  .'lO  pf. 
[t.  (%K^crdcr'{|(  päöanonif^^  f^i^riften  uii5  Su^tFun.qrn.   IHit  ftnieimna 

llIl^  riuiiierfuiiaen  berausaeai'bcii  von  Hr.  t^orft  Kcf erftcin.  femin« 

oboilcbrcr  a.  D.     i   i>  . •^.     preis  2  111.,  cica.  ^eb.  3  IH. 
«ruft  'JlKoritt  'Ifrn^f €^  }Pranmeutp  üürr  BIrnrtQsn6i(5nnn.    ZTad?  ber  0n- 

.iiiialjiisaj^c  neu  bcransaea.  von  <5cb.  Kea.'Kat  Prof.  Dr.  ir.  IHüni 

nlI^  Ixoiisal.  O'^berbibliothefar  Di.  Iv  lUeisner.i  ob.  preis  2  !1T.  4opf 

cltM    v\cbini>cii  :.  IVi.  40  pf. 

3n  Poil'iTCiiinu  be^,lffen  ünb:  ^röllfl,  f    A-  UlOlf,  SqUÖ),  Cfffinfl  u.  a. 


y  v:;!i.i  .    \'^liiiia,  "iin-ihhic  \\n  (^^aitcnlaiibe,  1S72,  ^Vr.  DJ: :!sü* 

1:1  vii;  i".  lt.  1:1  U  iiti-MiiMMMcMi  ^iouM-  \Mrt  uevlanc^cn  fönucn.  3oIi^i- 
! ::  :■  -.'iful-:  1:11:  Viiio»iilniiitii,  ein  fiav  bciucn^ter  "^ian,  eine  mit  (^dihmad 
i.:;.  -r.- :  IvKiiiiüv  iMl'uiibir.o  ron]iali  für  bn^  Wan.^e  wie  für  ba«  iSinj^dne. 
:  .  ■■  ;  'i  i ; .  .  .  1   ^"t  a  n  r. ' fil-cn  '^m  b  1  i 0 1  h c f  i^ el c i fi c t." 


^i  .1.  l-.i\  ^^^l.ittci  !.  Vclm'ibilbii.  1S70,  ^eftö:  . .  „53ir  ^eic^en  ba« 
oiv:  .•::■. -.1  iv'v':  ll;^.  .NCuiiioi  i:ii:  Dem  ^Ix'mcrfen  an,  bnf;  bie  ^\'amen  bcr  vcr: 
Oll..:-. ■••  'iii  ^u  vui5.iiii  TiiiiiiMiioii  Der  '.Mnoivibcn  büriien.  'i^on  befonbcrem 
"hv'.'v  i  =  ::-  ■-■■:  .  vii  iii:.  ;»ih:!i'u  lUManvi^cfdHcfion  il^io^rapliieeiT.  Ta  finbct  man 
C.:!.. :■;:':.,  ^i::i:!,  \\l\'\  \nilM;K'fiM"i'  ^^  ift  eine  gvcube,  .^u  fcben.  mit 
'niiiKi  !-hi  ^I..■  dlicij  r.iuiuc  i\'i  tiöDaiUH]ir  .^u  lüijc  flcforbcit  lucvöeii."     ntbr. 

/u  l)(v,i('lifn  (lurcli  jt'de  BuchhaDdlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza^ 

9.  Q^*  ^intev'd  jiuagttDäfilfs  päöagonirriii  r^c^riften*  mit  (Emleitiinaen, 
^Inmerfungen,  fotvie  einer  (Ebarafteriftif  bcs  2Iutors  herausgegeben  Don 
^r,  Seibcl.    2.  Zliifl.    2  öbe.    preis  6  ITT.  50  pf.,  eleg.  gebb.  8  ITT.  50  pf, 

3«  S«  Oafe^om'd  PädanogifiQE  StQriftrn.  mit  BafeboiD^s  ^iograptiic 
Ijeransgeg.  t).Dr.l7ugo(8örin9.  1 33b.  preis  5m.,  eleg.  gebb.ftm.  20pf. 

tittflilfl  l^etmatttt  9ticinet)er,  (Bvunöfä^t  btv  (Eriit^unfl  nn5  &fs  Unltr^ 
vicQta.  mit  <£rgän3ung  bes  gefd^icbtlicb  ^  Iiterarifd^eu  Ceils  unb  mit 
ntemeyet's  Biograpl^ie  l^erausgegeben  von  Dr.  U?  übe  Im  Hein. 
2.  2Iuflage.    3  Bän^e.    preis  8  m.  50  pf ,  eleg.  geb.  n  m.  50  pf. 

3.  Q^«  9idlH'9  Si5tn  an  5iE  6tuir4t  ftalion.  mit  2Inmerfungen  unb 
fid?te*s  Biograpt^ie  l^erausgegeben  ron  Dr.  ^heobor  Dogt,  Prof.  an 
bei  lüiener  Unitjerfitat.   2.  ^lufl.   preis  2  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  m  50  pf . 

3faaf  Sfelin'd  Pä&a$|onir4if  StQciflvn  nebft  feinem  päbagogifcben  Brief- 
med^fel  mit  3ol?.  Cafpar  Caoater.  Ulyffes  t»on  5 alis  unb  3-  ^-  rd?ioffer. 
^«»rausgegeben  ron  Dr.  l7ugo  (Söring.  mit  3fcJ'"'s  Biographie  oon 
Dr.  ^buarb  mever.     i   Banb.     preis  3  IXl.,  eleg.  gebunben  *  m. 

3.  (focfe*^  6t6anRfn  üBtr  (Sriiffiunfl.  mit  (Einleitung,  :inmerfungen  unb 
£ocfe*5  Biographie  t^erausgeg.  ron  Dr.  (£.  von  5a (Imürf.  (5rogt{3gI. 
Bab.  CDberfd^uIrat.  2. 21ufi.   i  Bb.    preis  2  l.i.  5o  pf.,  eleg.  geb.  5  m.  50  pf. 

9tiebtii('d  bed  Stoffen  |>ä5apofltri49  j^rfiriflrn  unb  Sltu^rrunnen.  mit 
einer  21bl{anblung  über  ^riebrici)'s  bes  (ßrogen  Schulreglement  nebft  einex 
Sammlnng  ber  t^auptfad^lid^ften  Schulreglements,  Heffripte  unb  (£rlajfc 
überfegt  unb  herausgegeben  oon  Dr.  3ürgeu  Bono  meyer,  Prof.  ber 
pifilofopljie  unb  päbagogiF  in  Bonn.     Preis  3  IXl.,  eleg.  geb.  ^  m. 

Scan  Vani  9ttrbricb  :!Hii^t(t'<^  XrDana  nebft  päb.  Stücfen  aus  feinen 
übngen  It^erfen  unb  bem  £eben  bes  rcrgnügten  Schul meifterleins  maria 
Wni  in  21uenthal.  mit  (Einleitungen,  ^Inmerfungen  unb  Hid^tef s  Bio= 
grapt{ie  perfehen  pon  Dr.  Karl  Cange,  Direftor  ber  \.  Bürgerfd^ule  3U 
Plauen  i.  Pgtl.  2.  ^utl.   1  St>.  preis  5  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  ^  m.  50  pf. 

g^nelon  unb  5it  Xitvralur  ötr  mrißUdirn  Sil&unn  in  ITranhFrift;. 
herausgegeben  pon  Dr.  (£.  p.  Sallujürf,  (ßroBber3ogl.  Babifchem  0ber=: 
fd^ulrat.     I  Banb.     preis  3  m.  50  pf.,  eleg.  gebunben  4  m.  so  Pf. 

Dr.  ^.  fßd,  9Ragcr'd  JDEutft^e  Vücn^rfiiinlr.  Sdireiben  an  einen  Staats^ 
mann,  herausgegeben  pon  Karl  fberharbt,  (5ro^h^<'3<>(3t-  Sächf. 
5d?nIratu.Be3irfsfd)uIinfp.  i  Banb.  preist  m.  8opf.,elfg.  geb.2m.8Opf. 

Dr.  Wavttn  ^nt^ct'd  päbaHOdifr^e  £?>ii2riftEn  unö  ^luMrungtn.  2Jus 
feinen  IPerfen  gefjmmelt  unb  in  einer  Einleitung  3ufammcnfajfenb 
d^araherinert  unb  bargcftellt  pon  Dr.  Ir  Kef  erftein,  Semiiiaroberlehret 
3»  Hamburg.     {  Banb.     preis  3  m.,  eleg.  gebunben  ^  m. 


Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung:. 


Verlag  von    Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8c  A4ann)  in  Langensalza. 

BtbHotI?cf 
Päbagogtfc^er  Klafftfcr. 

(Eine  Sammlung  6er  beöeutenöften  pdbagogifc^en  Schriften 

älterer  un6  neuerer  ^eil. 

^ticbtidf  atanti. 

Veftaio^Vi^  SttagttDäQItt  Wtrßt.  ITTit  (Etnleitnneen,  ^Inmrrfnngen  nni 
Pef)aIo55t*s  Biograpijte  t^eransgegeben  von  ^rtebrtd^niann.  6  Tinfi. 
^  Bänbe.    preis  u  ITI.  50  pf.,  elegant  gebunben  {b  ITT.  so  pf, 

^^ieictmadltt*^  Pä5.  Bt^rintn.  nTtt  einer  Dar^ellung  feines  Cebcns 
herausgeg.  D.Cplag.  3.2lufl.  \:&b.  preissin.^pf.,  eleg.9eb.6Zn.60pf• 
3«  3.  9{ouffeau'd  £mtl  ober  Über  bie  (Ersiebung.  dberfegt.  mit  8to< 
grapt^ie  u.  Kommentar,  Don  Dr.  <E.  p.  5alfa>ürf,  (Set^.  Hat  n.  Dircftorbes 
(Srogt^.  bab.  (Dberfd^ulrates.  <(.  2(ufl.  2  Bänbe.  preis  6  ITi.  so  pf.» 
eleg.  geb.  8  Kl.  so  pf. 

^etbavV^  Pä5a(|  giQpifltn.  mU  ^erbart's  Biograpt)ie  oon  Dr.  ^f  rtebri(b 
Bartt^olomäi.  7.  Tiufi.,  neu  bearbeitet  n.  mit  erlAnt.  ^Inmerfnngen 
oerfcben  o.  Dr.  €.  oon  Sallmürf.  2  ^bt.  preis  6  Hl.,  eleg.  geb.  8  31. 

So^atin  flmod  ^omeuiud'  l^äöagoQifiQt  SiQvifltn.  {-  Banb:  (Brofie 
Unterrid)t5lcbrc.  Uberfc^t,  mit  2Inmerfungen  nnb  einer  Cebensbefd^rei' 
bung  bcs  (Eomenius.  £)erausgegeben  Don  prof.  Dr.  C.  dti.  lion 
Diplommitgliib  ber  (£omenins^(SefeUfd^aft.  5.  2InfI.  preis  3  ITL,  eleg. 
geb.  ^  IM.  —  2.  Banb:  Schola  ludus  b.  i.  Die  Sd^nle  oIs  Spiel.  3"^ 
Deiitfcbe  übertr.  pon  prof.  IDillj.  Böttidyer.  2.  Jlufl.  preis  3  HI.,  eleg. 
geb  4.  m.  —  3.  }5anb:  1.  Der  IHutter  Sd?ul.  II.  Dibaftifd?e  Sljrenlefe. 
f7erausgegcbcn  pon  Prof.  Dr.  €.  Cl?.  £ion,  Dtplommitglieb  ber  (£o» 
menius.(Se[eUfd?dtt.     2.  21ufl[.     preis  {  IH.  20  pf.,  eleg.  geb.  2  Jlt, 

tluguft  {^ermann  Sfrancfc'd  l^aöagogiftQt  Ftftrifttn  nebfl  einer  Dar^l^ 
lung  feines  £cbens  unb  feiner  Stiftungen,  herausgegeben  oon  (Set^eimrat 
profejfor  Dr.  (S.  Kram  er,  eifern.  Direktor  ber  ;( rancfe^fd^en  Stiftungen. 
2.  21uflage.     \  ^anb.    preis  ^  XTI.,  eleg.  gebunben  5  HI. 

aRifd^cI  be  3){untaignc.  'BusmaQI  päöaflogiriQtr  5tü(fit  aus  montatgnrs 
(Effays,  überfe^t  ron  (£rnfk  Scbmtbt.  2.  2luflage.  \  Banbd^en.  preis 
50  pf.,  clca.  gebunben   [  l\l.  \o  Pf. 

3mutanuel  iXant,  llBer  päöanogilt.  ITTit  Kant*s  Biograpl^ie  neu  t^eransgeg. 
D.  prof.  Dr.  (£  l?.  D ogt.   3.  2lufl.    \  ob.  preis  ^  IH.,  eleg.  geb.  \  Hl.  75  pf. 


Zu  beziehen  rjureh  jede  Buchhandlung, 


^J 


Pthe; 

Pädagogisches  MagazwP«^'^  ^^ 

reo  OebHie  der  Pidistfik  ud  ihrar  Iübii 

Friedrich  Kann. 


-^_   .1     321,  Heft. 


Poesie  im  I.Scliuljahr. 


Hugo  Kühn, 

Lehrer  am  Orotsh.  S.  Snphlenatifl  in  Weimar, 


^. 


Langensalza 

Hermann  Bej-ur  A:  SÜI 
(Beyur  &:  Muiiii) 

Homi;!.  Sticht.  J1oMj.ivliUu.dli 

mw 


Verlag  von  Hermann  JBeyer  6c  Söhne  (Beyer  8e  Mann)  in  Langensalzi. 

€ai^mann*(^  SuenttDälilfr  ScQrtfttn.     l7erau5gedeben   oon   £.   2ItfeT' 

m  d  11  ti ;  (Sroglf.  Säcbf .  rcbulrat  n.  Dir.  b.  KaroHnrnfcbuU  u.  b.  Cel^rerinnen^ 

fcmtnurs  511  Ctfenad;.    2.  ^luflage.    2  Bunbf.   preis  5  nx.,  efeg.  geb.  7  lU. 
SRiUoti'«^  PäöanonifdiE  St^rifttn  unö  jäugtcungtn.    Hlit  Einleitung  nn( 

2lnmerfungen  herausgegeben  von  Dr.  3ürgen  Bona  lUeyer,  prof.  ber 

pbilofopbie  u.  päb.  3U  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunbcn  \  Hl.  50  pf. 
ür.  SLMl^elm  {)attiif4'^  f  an56ucQ  für  5aj  atulftQr  BoIRfrdjnltDtfrn. 

niit  2lnmerfuitgen   unb  r)arnifd}*s  Btograpt^ie   herausgegeben  oon  Dr. 

Jf riebrieb  Bartels,    preis  5  IH  50  pf.,  eleg.  gebunben  4  HI.  50  pf. 
Syiufietr    l^r.  ^ticbticb  t(U0ufl,   9ufnttDäQltt  päöaQOuirdit  SiQnflra. 

2  Bünbe.     preis  5  lU.  so  pf.,  eleg.  gebunben  7  ITT.  5ü  pf. 
tlbolf  v^icftcttucd.    TarRtllunn  ftints  t*t6tttf  unö  rtlntv  YtQrt  Qn5 

JRuflluarjl  au0  ff  inen  f^J^rifltn.    tierausgegeben  oon  Dr.  €.  r.  Sallmärf. 

ißeb.  i70fr.it.     5  Bänbe.    preis  ;o  HI.,  eleg.  gebunben  X5  VI. 
<^crti|Olb  Sigidmunb'«^  SluDn^tnäQUi    StQrintn.     ^herausgegeben,  mit 

Biographie  uiiö   ^InmerfunJiert  rerfetien  pon  Dr.  Karl  ITIarffd^effel. 

I   Baiib.     preis  4  lU.  jo  pf.,  eleg.  gebunben  5  IH.  50  pf. 
3.  (H.  $»crbct'{^  päöanoniff^s  ScQriflin  un6  Su^tFungt n.  mit  Einleitung 

iiiib  ^ItunerFinigen  herausgegeben  von  Dr.  Rorjt  Kef  erfiein,  feminar^ 

Oberlehrer  a.  V.     \   B  "b.    preis  :  ITT.,  eleg.  geb.  3  ITT. 
C^hmft  9Doritf  Slrnbrc^  |:ranmrnte  fibtr  BItnfiQtn6i(öunn.    llad)  ber  (Du' 

atUwilausaabe  neu  hcraiisgeg.  oon  (Seh.  Heg.»Rat  prof.  Dr.  W.  ITTnncb 

unM(önial.  0>berbibliothefar  Di.  I7.  ITTeisner.  \  ^b.  preis  2  ITT.  40  pf. 

eleg    acbunben  .')  111.  40  pf. 

3n  Porbcrcitnng  begiiffen  finb:  frÖUel,  t  3^.  gjolf,  Sottd),  Jefllnö  u.  a. 

Teimclic  ^iMättci,  '^^cilni^e  ,^iiv  Gartenlaube,  1872,  9?r.  19:  . .  ^Sa« 
rjii  luui  einem  lluteviiehmen  bicicv  ^trt  oerlangcn  fönnen,  3oIib!s 
tiit  ber  Vll'ücln  iiiu^  '^lU'^füluiino,  ein  finr  bct^ren^er  $Ian,  eine  mit  (VJcfdnnacf 
ull^  iraditeumiii-^  iH'üninbeiie  ^in^fali  für  ba^  Wan;^e  wie  für  ba^  ^in.)elne, 
ba-f  ifi  in  ^er  IV luurjilien  '^Wbltothef  ^elciftct." 

>{elii,  iMib.  ^.JUiittevf.  I^'ehrei bilbfl.  1870,  ^cft6:  . .  „©ir  jeigen  baS 
(iiid)ciiieH  Meier  i^üD.  Mlajfifei  mit  beni  ^^emcrten  an,  boB  bic  9iamcn  bcr  ^er* 
nuCjielHv  Miv  bie  iieiuiue  TeitreiMMoii  ^el•  9luv?c^abcn  bürden,  ^on  bcfonberem 
'hn'ite  fiui^  bie  ^cll  beti.  :!iM'ilen  uoniuoiieiiliicftcn  '.Biüara|)bieen.  3)o  finbet  man 
CiielleiiiiiiMiiin,  -  niiDi  ^HIltivi-Moü:  (ivj  iü  eine  ^rcube,  ju  feben,  wie 
iniihei  ijicr  bie  allen  Bdnm  ^er  ^MibaiuHiir  ',u  lacjc  3efi5rbert  werben. "     -h^. 


Zu  bu/j<'f)on  durch  ji*(le  Buchhandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

9.  ®.  ^intct'd  ^usgttDäQllt  päöagogirt^t  f^djrifttn«  mit  ftnleitnngeTi, 
^InmerFun^en,  foiDte  einer  (Ebaraftertftif  bes  2lutors  berausae9eben  Don 
;Jr.  Seibel,    2.  ^lufl.    2  öbe.    preis  6  lU.  50  pf.,  eleg.  gcbb.  8  ITT.  50 pf . 

3«  ®«  iOafe^olti'd  1^ä5ago(|ir(^t  54vlflcn.  mit  Bafebom^s  ^3ioarapt)tc 
Ijerausgeg.  o.Dr.f7ugo  (Söring.  {'Sb,  Preis  sm.,  eleg.  gebb.^m.  20pf. 

tlugnfl  ^ctmann  ^Mcmc^et,  (Bvun5rä^t  5tv  (Erjitfiung  un5  ö^o  llnftr= 
riiQts.  mit  (Ergänsung  bes  gefd^td^tlid^'literarifd^et.  (Teils  unb  mit 
Hiemeyet^s  öiograpljie  l^erausgegeben  von  Dr.  IPill^elm  Heir. 
2.  2Iufiage.    3  Bänbe.    preis  8  m.  50  pf.,  eleg.  geb.   { {  IW.  50  pf. 

3.  (&*  ^id^te'd  St5tn  an  &it  5tutr(^e  flation.  mit  2lnmerfuiigen  unb 
Jid^te's  Siograptjie  Ijerausgegeben  von  Dr.  (El^eobor  Dogt,  Prof.  an 
ber  lUiener  Unioerfitat.   2.  2lufl.   preis  2  m.  so  pf.,  elea.  geb.  3  m  50  pf . 

Sfaaf  Sfditi'd  päöagooiftftt  Ätfirin^n  nebft  feinem  pabagogifc^cn  iJriei- 
iDed?feI  mit  3oh-  Cafpar  faoater,  lIlYJfes  von  Balis  unb  3-  ^-  Sd^iojfcr. 
Q<»ransgegeben  oon  Dr.  f^ugo  (So ring,  mit  ^itUn's  Biograpl^ie  oon 
Dr.  €buarb  meyer.     [  }5anb.     preis  3  m.,  eleg.  gebunben  ^  m. 

3*  ^ode*9  6t5anKtn  u6tv  (Er|itf)ung*  mit  (£inleitnng,  ^dimerfungen  unb 
Corfe's  Biographie  I]crausgeg.  oon  Dr.  (E.  dou  5a II  n>ürf,  (8ro|ilj5gI. 
Bab.  Oberfd^ulrat.  2. 21ufl.   i  Bb.    preis  2  l.t.50  pf,  eleg.  geb.  3  m.  50  pf. 

^tichtW^  bed  troffen  pä5agogir($t  StQciftvn  unö  Ssuliprunnsn.  mit 
einer  2lbl^anblung  über  ^riebrid^'s  bes  (Srogen  Scbulreglement  nebft  einei 
Sammlung  ber  ijauptfäd^Iicbften  Sd^ulreglements,  Heffripte  unb  €rlaf|e 
uberfeftt  unb  l^erausgegeben  pon  Dr.  Jürgen  Bona  meyer,  Prof.  ber 
pl^ilofopt^ie  unb  päbagogiF  in  Bonn,     preis  3  m.,  eleg.  geb.  ^  m. 

3eait  Vaul  S^ticbticb  SRitifttct'd  XfUana  nebft  päb.  Stürfcn  aus  feinen 
übrigen  IPerfen  unb  bem  iehtn  bes  ocrgnügten  Scbulmeifterletns  maria 
VOn^  in  21uentt7a(.  mit  (Einleitungen,  ^Inmerfunuen  unb  Hid^ter's  Bio: 
grapl^ie  oerfeben  oon  Dr.  Karl  Cauge,  Direftor  bei  ;.  Bürgerf(i?ule  5U 
Plauen  i.  Pgtl.  2.  2Iufl.   [  ISti.  preis  3  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  4  m.  50  pf. 

gf^itctoit  un5  5it  ICiftrafuc  5tr  inriBIit^tn  fiilöung  in  FranürEittj. 
herausgegeben  oon  Dr.  (E.  o.  Salin? ürf,  (ßrolßber3ogl.  Babifctem  (Dber- 
fd?nlrat.     {  Banb.     preis  3  m.  50  pf.,  eleg.  gebunben  ^  m.  50  pf. 

Dr.  ft.  S8.  !SRa0er'd  IDEufft^t  BürnerffQuIe.  Sd^reiben  an  einen  5taats= 
mann.  Berausgegeben  ron  Karl  »Eberl^arbt,  (Srob'l?er5ogl.  5äcbf. 
Sd?ulrat  u.  Besirfsf cbulinfp.  \  Banb.  preis  \  IM.  ho  pf .,  eleg.  geb.  2  m.  80  pf . 

Dr.  9Rartin  ^ut^et'd  |^ä5anogirrf)t  iSi^riftpn  unö  'jhu^EFunpEn.  2lus 
feinen  IDerfen  gefammelt  unb  in  einer  vEinliMtnng  3ufdmmcnfaffenb 
d?arafterifiert  unb  bargefteüt  pon  Dr.  f>.  Kef  erftein,  feminaroberlebrcr 
3»  Hamburg.     {  ^an^.     preis  3  m.,  eleg.  gebunben  ^  m. 


Zu  beziehen  durch  jode  Buchhandlung. 


Verias:  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalza. 

3ibItotM 
Päbagogifc^cr  Klafftfer. 

(Eine  Sammlung  6er  bcöeutenöften  pdbagogifc^en  Schriften 

älterer  un6  neuerer  ^eit. 

9eflalo^i'0  SttsgrtDäfillt  Vtv^t.  mit  (Einleitungen,  SInmrrrnngen  nn) 
pefiaIo53i*s  Biograpijie  t^eransgegeben  oon  ^riebrid^Hlann«  6.  ^nfL 
<(  Bänbe.    preis  u  m.  so  pf.,  elegant  gebnnben  (5  nt.  so  pf. 

^dlltittmatbtt^9  ^äb.  S^vifltn.  mit  einer  Darfiellung  feines  Cebens 
lierausgeg.  D.C.pIafe.  3.2IufI.  \Bb.  preissm.v)pf.»eleg.geb.6m.60pf. 

3«  3*  fRonffeau'd  £mil  ober  Über  bie  (Eraiet^ung.  flberfegt,  mit  Bio- 
gropt^ie  u.  Kommentar,  pon  Dr.  €.  d.  SaUiDÜrf,  (Sel^.  Hat  n.  DireFtor  bes 
(Srogl^.  bab.  0berfd?nlrate5.  ^.  2lufl[.  2  Bdnbe.  preis  €  m,  so  pf., 
eleg.  geb.  8  m.  so  pf. 

I^ttbatt'9  1^ä5a(|.  SiQnfltn.  mU  f^erbart 's  Biograpl^ie  oon  Dr.  ^riebri(b 
Barit^olomai.  7.  21nfl.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erlänt.  2lnmerfungen 
t)erfcl]en  o.  Dr.  <£.  oonSalliPürf.  2  Bbe.  preis  6  m.,  eleg,  geb.  8  UT. 

So^attn  fimo(^  ^omcnia^'  Pä5agoQtrr^e  StQvifttn  i.  Banb:  (Sroge 
Unterrid^tslet^te.  llberfegt,  mit  ^Inmerfnngen  unb  einer  Icbensbefcbrei* 
bung  bes  Comenius.  tierausgegeben  pon  Prof.  Dr.  (E.  CIj.  Cion 
Diplommitglifb  ber  (Eomcuius=(ScfeUfcbaft.  s.  2Iuj!.  preis  3  XXL,  eleg. 
geb.  'k  in.  —  2.  Banb:  Scbola  ludus  b.  i.  Die  Sd^ule  als  Spiel.  3"* 
DeutfAe  übertr.  ron  prof.  lüill^.  Böttid?er.  2.  21nfl.  preis  3  TXt.,  eleg. 
geb  ^.  ni.  —  3.  }5anb:  I.  Der  multcr  Scfeul.  II.  Dibaftifd?e  ^lit^renlefe. 
IJerdusgegebcn  von  Prof.  Dr.  C.  ^l?.  Cion,  Diplommitglieb  ber  Co- 
mciiins.cSefeUfcbatt.     2.  2IufI.     preis  \  JM.  20  pf.,  eleg.  geb.  2  m. 

tluguft  ^^crrnann  ^(rancfc'd  päöagodifi^t  Bt^rift^n  nebfl  einer  DarfteU 
lung  feines  Gebens  unb  feiner  Stiftungen,  tjeransgegeben  uon  <5el;etmrat 
Profeffor  Dr.  <S.  Kram  er,  ehem.  Direktor  ber  ^ranrfe'fd?en  Stiftungen. 
2.  2Iuflage.     (  }5anb,    preis  ^  Xtl.,  eleg.  gebunben  s  m. 

Wflidici  bc  3}{ontaionc.  itlusmaQI  päöaQopifiQtr  StuAt  aus  montaignes 
(Effays,  übcrfeftt  Pon  € r nfl  Scbmibt.  2.  2Iufl[age.  ^  Banb'l^en.  preis 
so  Pf.,  clcg.  gebunben  [  211.   ^o  Pf. 

Sntutanucl  ^ant,  lÜber  l^äöagonili*  mit  "KanVs  Biograpt^te  neu  t^eransgeg. 
p.  prof.  Dr.  Cb.  Oogt.   3.  2Iufi.    i  Bb.  preis  \  m.,  eleg.  geb.  i  m.  7S  pf. 

Zu  hozielien  (iurch  jede  Buchhandlung. 


Pädagogisches  Magazin. 

AbhudhiHf;«!  TOB)  GilMtt  der  PUigogik  imd  ihrer 


Friedrich  Kann. 


V-1— ;     322.  Heft. 


Rudolf  Eucken 


das  Problem  der  Kultur. 


Dr.  Otto  Siebert. 


^ 


Langensalza 

Ili-rniann  Keyei  &.  Kül 
(Bi-Vür  i:  lliinn) 


Vertag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8e  Mann)  in  Langensalza. 

BtbHotf?cf 
Päbagogtfc^er  Klaffifer. 

(Eine  Sammlung  6er  beöeutenöften  pabagogifc^en  Schriften 

älterer  unb  neuerer  ^eit. 

^aasgtgfbn  oon 

^ticbtldf  VXann. 

^tftülo^Vi^  %UBfimäffltt  WtvRE.  mit  (Einleitungen,  ^Inmrrrnngen  und 
pefia(053t*s  Btogropl^te  t^eransgegeben  von  Jrtebrid^mann.  b  2lufl. 
^  Bänbe.    preis  u  m.  so  pf.,  elegant  gebnnben  (5  IR.  so  pf. 

^^Mtvmatbtt^9  ^äb.  StQmfltn.  mit  einer  Darfiellung  feines  Cebens 
t?eransgeg.  D.CpIag.  3.2Iuf!.  ^  Bb.  preis5m.^pf.,e(eg.geb.6m.60pf. 

3«  3.  fRonffcau'd  £mtl  ober  Über  bie  frjiebung.  fiberfet|t,  mit  Bio- 
grapt^ie  n.  Kommentar^  von  Dr.  €.  d.  SaUiDÜrf,  (5et}.  Hat  u.  Dtreftor  bes 
(5rogti.  bab.  (Dberfd^ulrates.  ^.  2lufl.  2  Bdnbe.  preis  6  m.  so  pf., 
eleg.  geb.  8  m.  so  pf. 

^erbatt'd  1^ä6ag.  Si^rifttn.  mit  f^erbart's  Biograpt^ie  oon  Dr.  ^friebrtd^ 
Bartt{oIomai.  7.  2(ufl.,  neu  bearbeitet  u.  mit  erlfiut.  2Inmerfungen 
oerfeljen  d.  Dr.  €.  oon  SalliDürf.  2  'Bbt.  preis  6  m.,  eleg.  geb.  8  ITT. 

3o4atm  fLmo(^  ^omeniud'  Pä5agonir(^t  StQviftsn  h  Banb:  <Sroge 
Unterrid^tslet^re.  Überfe^t,  mit  ^Inmerfnngen  unb  einer  Cebensbefd^rei« 
bung  bes  Comenius.  ^herausgegeben  von  Prof.  Dr.  C.  Cfc.  £ton 
Diplommitglicb  bcr  €omenius*(SefcUfd?aft.  s.  21ufl.  preis  3  XXL,  eleg. 
geb.  ^  m.  —  2.  Banb:  Schola  ludus  b.  i.  Die  5d?ule  als  fpiel.  3"* 
Deutfd^e  übertr.  von  prof.  lUilt}.  Bdttid^er.  2.  ZInfl.  preis  3  Xtl.,  eleg. 
geb  ^.  m.  —  3.  Banb:  I.  Der  mutter  Scfeul.  II.  Dibaftifd?e  ^It^renlefe. 
herausgegeben  oon  Prof.  Dr.  C.  ^^.  £ion,  Diplommitglieb  ber  Co* 
meniuS'(SefeUfd?ajt.    2.  2lufl.     preis  t  m.  20  pf.,  eleg.  geb,  2  m, 

9ltt0ttfl  l^ermautt  ^tancfe'd  l^äöagoQtfiQE  Ftftriftrn  nebfl  einer  DarfteU 
lung  feines  Cebens  unb  feiner  Stiftungen,  Ijeransgegeben  oon  <5el)etmrat 
profejfor  Dr.  (5.  "Krämer,  el^em.  Direftor  ber  f  ranrfe'fd?en  Stiftungen. 
2.  ^luflage.     \  Banb,    preis  ^  m.,  eleg.  gebunben  s  m. 

Wflxdici  be  9){ontatf)nc.  HusmaQl  päöaflogirtQtr  Sfücftt  ans  montaignes 
Cffays,  überfeftt  üon  €rnfl  Scbmibt.  2.  21uflage.  ^  Bänb'i^en.  preis 
50  Pf.,  cleg.  gebunben  ^  m.   lO  pf. 

3mutanncl  ftnntr  Übet  |^ä5agonii^«  mit  Kant's  Biograpt?te  neu  t)erausgeg. 
V.  prof.  Dr.  (Eb.  Oogt.  3.  Zlufli.    {  Bb,  preis  ^  m.,  eleg.  geb.  ^  m.  75  pf. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Veriag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

9-  ^«  ^inttt'9  2ftu8gttDaQItt  pa&agogiriQt  SiQmfttm  mit  (Einlettnngen, 
2(nnierhin9en,  foiDie  einer  ^l^arafteriftif  bes  21utor5  t^eraus^egeben  doti 
Jr.  Seibel.   2.  2(ufl.    2  3be.   preis  6  HT.  50  pf.,  rieg.  gebb.  8  ITT.  50  pf. 

3«  e«  ®afe^olti'd  l^äöaoogirtftt  SiQpiftcn.  mit  Bafebotp's  Siograpl^ic 
tieransgeg.  D.Dr.f^ngoiSoring.  ](3b.  preis  5m.,  eleg.  gebb.^m.  20pf. 

^ngttfl  ^ctmanu  92iemet)etr  <Bvun5rä^t  btv  (SviitQung  un5  5ts  Untti*' 
vtcQt0.  mit  €rgSn5ung  bes  gefcbid^tlid? '  literarifd^en  (Ceils  unb  mit 
Hiemeyet^s  Biograpt^ie  I^erausgegeben  von  Dr.  IDilbelm  Hein. 
2.  2Infi[age.    3  Bönbe.    preis  8  lU.  50  pf„  eleg.  geb.  ( (  m.  50  pf. 

3.  Q^«  9i4^^'^  St5tn  an  &it  5tutr(Qt  fCafion.  mit  2Inmerrungen  nnb 
^id^te's  Biograpt)ie  ({erausgegeben  von  Dr.  (Et^eobor  Pogt,  prof.  an 
ber  tDiener  Unioerfttat.  2.  2(ufl.  preis  2  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  3  m  so  pf . 

Sftttt^  Sfdilt'd  1^ä5agogif(Qf  StQvtfltn  nebft  feinem  päbagogifd^en  Brief- 
»edjfel  mit  3ol{.  Cafpar  Caooter,  Ulvjfes  von  Saus  unb  3-  <S-  Sdjiojfer. 
£^<»ransgegeben  oon  Dr.  ^ugo  (Soring.  mit  3fe(in's  Biographie  von 
Dr.  €buarb  meyer.     \  V>anb.    preis  3  m.,  eleg.  gebunben  *  m. 

3«  Socfc'd  <Bf5anßtn  ü6ei*  (EciitQung«  mit  (Einleitung,  2lnmerfungen  unb 
todt's  Biograpl^ie  t^erausgeg.  von  Dr.  £.  oon  SalimürF.  <5ro^t{5gI. 
Bab.  0berfd^nlrat.  2. 2Iufl[.  i  Bb.    preis  2  Li.  no  pf-,  eleg.  geb.  3  m.  50  pf. 

9ticbtid^'d  ht9  CE^ro^en  l^äöagoniftQt  Scfiriflfn  un5  Btugvrunntn.  mit 
einer  ^bt^anblung  über  ^riebrid^'s  bes  (5ro]geu  Scbulreglement  nebft  einex 
Sommlnng  ber  l^anptfädjlid^ften  5d?ulrcglements,  Heffripte  unb  €claffe 
nberfegt  nnb  l^erausgegeben  con  Dr.  3ür9C"  Bona  meyer,  prof.  ber 
pt^ilofopt^ie  unb  päbagogiF  in  ^onn.    preis  3  m.,  eleg.  geb.  ^  m. 

Scan  $atil  9i^ebni6  dltd^tet'd  Tsüana  ncbfi  päb.  Stücfen  aus  feinen 
übrigen  IDerfen  unb  bcm  Ceben  bes  rergnügten  5cbulmetfter[eins  maria 
U?n3  in  2Iuentl^al.  mit  (Einleitungen,  ^InmerFuuvtcn  unb  Rid^ter's  Bio: 
grapl^ie  rerfel^en  non  Dr.  Karl  £ange,  Dircftor  ber  [.  Bürgerfd)ule  3U 
planen  i.  Pgtl.  2.  2Iufl.   [  ISt.  preis  3  m.  50  pf.,  eleg.  geb.  ^  m.  50  pf. 

Sf^ncloit  un6  5it  ICürrafur  bsv  mriblii^en  Xülöung  in  ITranfirtid}. 
herausgegeben  oon  Dr.  (£.  d.  Sallmürf,  (5ro5her3ogl.  Babifd^em  0bers 
fdjulrat.     {  Banb.    preis  5  m.  50  pf..  eleg.  gebunben  ^  m.  50  pf. 

Dr.  ft.  S8.  3)lager'd  JOrulft^t  Bürnerfi^uU.  Sd^reiben  an  einen  Staats- 
mann,  herausgegeben  Don  Karl  (Ebcrt^arbt,  (5rogt)er3og[.  5äd>f. 
5d?uIratu.Be3irfsfd)uIinfp.  i  Banb.  preis  i  m.  80  pf.,  eleg.  geb.  2  m. 80 pf. 

Dr.  9Rattin  Sut^et'd  l^äöagogirt^t  S^vifltn  un5  ^lugccungEn.  2lus 
feinen  IDerfen  gefammelt  unb  in  einer  (Einleitung  3ufammenfajfenb 
djaraherifiert  unb  bargeftellt  oon  Dr.  £7.  Kef  er  (lein,  Seminaroberlel^ret 
3n  f^amburg.     \  'Banb,    preis  3  m.,  eleg.  gebunben  ^  m. 


Zu  bezieben  durch  jede  Buchbandlunp:. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

€ai^mann'(^  SusgtmäQll»  StQvifttn.  ^traus^e^thtn  von  <£.  ^cf  er- 
mann, (5rogt{.  Sädfi,  Sd^ulrat  u.  Dir.  b.  Karoltnenfd^nle  n.  b.  Cet^rerinnen« 
fcminars  ju  (Eifenad?.    2.  Jlufage.   2  Bänbe.   preis  5  HI.,  ciejj.  geb.  7  Hl. 

SKUtoit'd  Pä&agooifdit  Sf^vifttn  unö  SuMvunotn-  nitt  (Etniettnng  unb 
2Inmcrfungen  Ijerausgegeben  von  Dr.  3ür9en  öonalUever,  prof.  ber 
pljilofopl^ie  u.  päb.  30  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunben  i  ZU.  so  pf. 

Dr.  SGSir^elm  ^atniW^  SanöSuiQ  für  öas  aenffi^t  BoIRBfi^ttlbitrtii. 
lUit  2lnmerfungen  nnb  5aruifd>*s  Biogropt)ie  t)eransgegeben  von  Dr. 
;f  ricbrid?  Bartels,    preis  3  Hl  so  pf.,  eleg.  gebunben  ^  ITT.  so  pf. 

9ltt(|ct,  Dr.  gptie^tid^  Sugufl,  ausQEbiäQlft  pa6agogir4t  StQnfttii. 
2  Bänbe.    preis  5  tXl.  so  pf.,  eleg.  gebunben  7  ÜT.  so  pf. 

tibolf  ^ieftettucg.  IDacÜtlluno  rtints  ICtBEns  nn6  ftinET  XtQrt  und 
9u0maQl  aus  ftinrn  ^tQrifltn.  herausgegeben  uon  Dr.  €.  p.  Sallmfirf. 
(Sei),  i^ofrat.    3  Bänbe.    preis  ;o  ÜT.,  eleg.  gebunben  ^3  ÜI. 

^ert^olb  ^igidmuitb'd  StusgttDäQItt  ScQviftrn.  f^eransgegeben,  mit 
Biograpl|ie  unö  2Inmcrfnngen  rerfel^en  von  Dr.  Karl  ITIar  ff  (Reffet. 
(  Banb.    preis  ^  IlT.  JO  pf.,  eleg.  gebunben  s  HI.  so  Pf. 

5*  ^*  $crbct'{^  päbagogirt^E  St^rifttn  un5  SufttvunQtn.  mit  Einleitung 
unb  2lnmerfungen  l^erausgegcben  oon  Dr.  ^orft  Kef  erfiein,  feminar« 
öbcrlcl^rer  a.  D.     \  B..iib.    preis  2  Vd,  eleg.  geb.  3  HL 

(r*mft  mot^  9itnW^  JRvapmtnft  ü6tr  BItnr(QEn6iI5unß.  Zladf  ber  (Dri* 
guialausgabe  neu  l^erausoeg.  von  (Set).  Heg.'Hat  Prof.  Dr.  W,  ITlüncb 
unb  Königl.  ©berbibliotl^cfar  Dr.  f).  Hl  eis n  er.  \  ^h,  preis  2  ITT.  40  Pf. 
eleg-  gebunben  3  HI.  40  pf. 

3n  Dorbereitung  begiiffen  fmb:  IroM,  |.  Ji.  yolf,  f^attl),  fef|ill|  u.  a. 

5^cutid}c  ^^lätter,  ^^eilafle  jui  Gartenlaube,  1872,  9Zr.  19:  . .  ,Sa» 
tiui  uon  einem  llntevncbmcn  bicjer  ?lrt  verlangen  fönnen,  BoÜbi* 
tiit  bei  '?lbii(f)t  unb  'i?fu§füt)vuno,  ein  flar  begrenjtcr  $Ian,  eine  mit  G^cfc^mad 
unb  8ad)feuutni*5  ucibunbeue  Sorgfalt  für  ba^  (VJanjc  toic  für  bad  (^injelne, 
ba«j  ifr  iu  bev  ilVann'fd)cn  '^ibliotbef  geleiftet." 

,ncbr,lMib.  <Blätterf.  lücbrerbilbg.  1876,  ©cft6:  . .  „©ir  jeigen  ba« 
CSnriieineu  bicjev  pab.  Älajfifer  uiit  bem  33emcrfcu  an,  ha^  bic  92amen  ber  ^er* 
au-Jiie^^^'^'  i"v  bic  genaue  ^c;rtvemfion  ber  'Jluögabcn  bürgen,  ^on  befonberem 
5i?citc  finb  bie  bcn  betr.  '^^erfcu  Dinaus^gefd)icftcn  33io9ra|)öiccn.  3)a  finbet  man 
C.uclleuftubium,  —  uidit  ^llltagefoftl  C£ö  ift  eine  JJrcubc,  ju  fcften,  wie 
jßuber  l)icr  bic  alten  Bd)ii{\t  ber  ^^öbagogif  ju  Xage  gcförbert  werben.*     Xrtr. 


Zu  be/jehen  durch  jede  BuchhaDdiung. 


/[/■ 


'1t 


^ 


Mlllf'i-I* 


^1  "- ^ 

Pädagogisches  Magazin. 


m  (MMi  dr  PU^l>gil  tat  h« 


Friadrich  Kkna. 
77^  "-llj    323.  Heft. 


J 


Das 


Problem  der  Materie. 


O.  Schilling  und  c.  S.  ComelinB. 


O.  Flügel. 


LaagsBBalsa 

Ih-rmanti  Ituyer  &  Sühne 
(Beyor  k  Mann) 

rim<K;1.  Sat'hs.  K.ilbitt'hhtiultar 


Verlas:  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  8c  Mann)  in  Langensalzi. 

Calsmattti'd  SuagitDa^ltt  SrQnfttn-  herausgegeben  von  €.  liefet* 
mann,  (Srogt}.  Säd^f.  Sd^nlrat n.  Dir.  b.  Varoltnenfc^nle  u.  b.  f ebreiiBitn.- 
femtnars  sn  Cifenad;.    2.  ^Inflage.   2  Bände,    preis  5  ZIT.,  eleg.  geb.  ;E 

miiou^^  Pa5agogir4t  04Tt(ltn  und  Snltvnngtn.  mit  Einleitung  wA 
SInmrrfnngen  t^erausgegeben  von  Dr.  Jürgen  ^ona  meyer,  Prof,  ^n 
pbtIofopt{te  n.  pSb.  3'u  Bonn,    preis  75  pf.,  eleg.  gebunden  i  Hl.  sa  pf. 

Dr.  Cdil^elm  ^^LtniW^  l^anlkbntft  fup  öas  6tntrd|t  IBolfiafi^nliDifii. 
mit  Zlnmerfungen  nnb  £^urnif(b*5  Btogropl^ie  l^eransgegeben  von  Dr. 
^riebrid?  Bartels,   preis  3  IM  50  pf.,  eleg.  gebnnben  4  Hl.  so  pf. 

ffliifiev,  Dr.  9ticbviii^  Httgiifl,  SufntmaVtt  päöagogir^t  Si^rifbi. 
2  Banbe.    preis  5  ITl.  50  pf.,  eleg.  gebunden  7  Hl.  50  pf. 

tibolf  Sieftettoeg.  IDaTpftllung  rtinta  Ttbtna  nn5  rtintv  Trl^n  biI 
JRusmaQI  aus  ftinttt  Sf^PifTtn-  herausgegeben  von  Dr.  €.  d.  SallDarr 
(Seh.  ^ofrat.    3  Bänbe.    preis  :o  m.,  eleg.  gebunden  (3  Ul. 

Oert^olb  ^igtömunb'd  ansQttDäQn»  SiQvifltn.  £>eransgegeben»  mit 
Btograpl^ie  nnb  ^Inmerfun^en  verfetten  von  Dr.  Karl  IlTarffcbeffrL 
(  Band,     preis  4  Hl.  50  pf.,  eleg.  gebunden  5  Itl.  so  pf. 

3.  ^.  ^etbct'd  l^äöagontriQt  StQrifttn  nnö  Sufttrnngtn.  mit  (Einlettwif 
und  2(nmerfiingen  l^eransgegeben  von  Dr.  £)orfl  Kef erfletn,  femin«: 
oberlel^rer  a.  D.     (  B  nd.    preis  2  Hl«,  eleg.  geb.  3  m. 

etnft  9lloti4  tirtibf  ^  JlpaQmtnte  &6tr  BItnr4tn6t(5nnfl.  Hacb  der  0h' 
giitalausgabe  neu  t^eransgeg.  von  (Sei;.  Heg.«Hat  prof.  Dr.  ID.  Ulan 6 
und  Kontgl.  ^berbibliotl^efar  Dr.  £^.  ZHeisner.i  TSb.  preis  2  Hl.  40  pf. 
eleg.  gebunden  3  ITt.  40  pf. 

3n  Porbereitung  beönffen  find:  fröliel,  |.  J.  yolf,  Satfi|,  Uftn  ^  a 


Teutjdie  ^J31ätter,  Beilage  ,^uv  öartcnlaube,  1872,  9?r.  19:  ..«"So« 
wir  uoii  einem  Unterucömcn  biefer  %rt  verlangen  fdnnen,  3olibi» 
tut  bcr  "?lbfid)t  unb  ?iu^füt)rung,  ein  Kar  begrenzter  $Ian,  eine  mit  (Bcfcbmod 
und  8acl)!cuntni$  uerbunbene  ©orgfalt  für  ha^  Skinje  »ie  für  baS  (Ein^efnc 
bnÄ  ift  in  ^cr  'iDUnn'fdien  ^ibliotbef  gcfeiftet." 

.Üoi)r,'ipäb.<PIättcrf.  iiehrcibildg.  1876,  4>eft6:  . .  „«ir  jeigen  bo« 
l£i]d)einen  bicjer  päb.  Älaffifcr  mit  dem  ©cmcrfen  an,  bog  die  92anien  der  6c^ 
auö(|cbcr  für  die  genaue  Teftrenifion  der  9lu«gaben  bürgen,  «on  befonbctot 
?i^erte  iinb  bie  bcn  betr.  3iicr(en  üorau^gcfcfticften  9iogra))^teen.  3Ja  findet  nwB 
Cuellenftubium,  —  nid)t  9lütag«füft!  G8  ift  eine  grreube,  ^u  fe^en,  nrfe 
JQuber  hier  bie  alten  3d)ät<e  bcr  «ßfibagogif  gu  läge  gefördert  werben."    n^ 


Zu  beliehen  clurch  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 

9.  O*  ^itttet'd  SusgttDäQIft  |iä5anogtfiQl  Si^vifttn*  tlTit  (EiiileitimgePp 
^Inmerfungen,  fovie  einer  €l)arafteri|lif  bes  2Iutor$  l^erausijf^eben  Don 
jr.  5  et  bei.    2.  2lufl.    2  8be.   preis  6  ITT.  so  pf.,  fle$.  gebb.  8  ITT.  so  pf. 

3*  IB*  eafeboto'd  l^ä5anDgifiQt  S^riflcn.  ITTit  Bafeöooi^s  Bto^rapl^ic 
tierausgeg.  D.Dr.l7U90  (Söring.  \Bb.  preis  öIH.,  e!e9.  üleb^.6In.  2oPf. 

tliifiitfi  ^ermann  9lUmtl^tt,  (Brun5fä4e  5cr  (Eriit^nng  un5  bts  llnttr» 
rti^fa.  mit  (Ergänsung  bes  gefcbid^tlicb  >  Iiterarifd^en  (Teils  nnb  mit 
niemeyet^s  Biograpl^te  t^ernusgegebcn  von  Dr.  IPilbelm  Hein. 
2.  2Iiiliage.    3  BSn^e.     preis  8  IlT.  so  pf.,  eleg.  geb.   n  Hl.  so  pf. 

3.  O*  9idSli^'^  Bt5tn  an  5it  5tutriQf  flation.  IlTit  2Inmerfuiigen  unb 
^tc^te's  3iograpt)ie  ({erausgegeben  dou  Dr.  dbeobor  Oogt,  prof.  an 
ber  lüiener  Untuerfitat.  2.  2lufl.  preis  2  HI.  so  pf.,  elcg.  geb.  5  IH  so  pf . 

3faaf  Sfelin'd  l^äöagogifc^t  StQrifttn  nebft  feinem  päbagogifd^en  ^rief- 
med^fel  mit  3ob.  ^afpar  Caoater,  Ulvffes  von  Salxs  unb  3.  C5.  rcbiojfer. 
£7^rausgegeben  von  Dr.  l7ugo  (5 dring,  mit  ^f^Ii^'s  Biographie  Don 
Dr.  (Ebuarb  meyer.     \  Banb.     preis  5  VH.,  eleg.  gebunben  4  m. 

3^  Vocfe'd  <5t5anRiii  ü6if  (Sriitfiung«  mit  vEinleitung,  ^(nmerfungen  unb 
tocfe's  Biograpific  t^erausgeg.  von  Dr.  £.  Don  Salloiürf.  (SroBt?3gl> 
8ab.  ©berfdyulrat.  2.2Iufl.   i  ob.    preis  2  i  ».r>o  pf..  cleg.  geb.  3  m.  .-»o  pf. 

9viebridSl'd  bcd  ^roften  f)ä5anogiriQ?  S>rr]rtt'teu  un5  Slcufifrunnpn.  mit 
einer  Zlbt^anbluug  über  Jfriebrid^'s  bes  (Srogen  Scbulreglement  ucbft  cinei 
Sammlung  ber  l{auptfäd)Iid7flen  Scbuircgiements,  HefFripte  unb  fjlajfe 
überfe^t  unb  bcrausgegeben  ron  Dr  Jürgen  i^ona  meyer,  prof.  ber 
pifilofopt^ie  unb  päbagogif  in  Bonn,     preis  5  m..  eleg.  geb.  4  m. 

Scan  i^atil  i^rtcbrtcft  iNid^tcr'c^  ll^Uana  nebft  päb.  rtücfrn  aus  feinen 
übrigen  lUcrfen  unb  bem  (eben  bes  rcrgniigten  5d)ulmcifter!piiis  maria 
IVui  in  2IuenthaI.  mit  Einleitungen,  ^InmerFunucn  unb  Hiit^ter's  Bios 
grapbie  rcrfebcn  von  Dr.  Kari  fange,  X^ircftor  bei  i.  Bürgei f ii?ule  ju 
planen  i.  Dgtl.  2.  21ufl.   i  BD.  preis  .',  m.  oo  pf..  elcg.  geb.  i  IM.  r^o  pf. 

gf^itclon  un5  5tf  Ttfsratur  bsv  mnblidjeu  IBilöunn  in  Franhrdd}. 
herausgegeben  pouDr  €.  p.  Sallroürf,  (ßrof^ber3c»gI.  Babifitcm  (HbiT- 
fdjulrat.     i  Banb.     preis  3  IM.  50  pf.,  dcg.  gebun^ell  4  m.  ')0  pf- 

Dr.  $t,  SB.  ^JiltadCi:'«^  Dpuffrhr  jpürn^friiule.  fd^reibm  an  einen  ftaat«* 
mann.  Iierausgegeben  ron  "Karl  vEbcibaröi,  cöroyber^ogl.  fj*tf. 
Sdjulratu.Be3irfsfct)ulinfp.  1  Banö.  preis  i  m. ^op»., elcg, geb. zm. Hopf 

Dr.  SKcittin  ^ut^cr'i^  Pä5anonifcQp  5rf|rtnen  unö  :tiufierunntu.  ^lu: 
feinen  lUevfcn  gefiimmelt  unb  in  einer  ^iiiu*!tuna  3;u)ainminf äffen J 
d^arafterifiert  unb  bargcftcUt  ron  Dr.  i^.  Kcf  crftcin,  femiiuiobcrlebrer 
3U  Hamburg.     [  ^Jin\>.     preis  3  m.,  rieg.  gcbunbcu  4  m. 

Zu  bczic^hon  durvh   j'do  Biichliandlunir. 


Mi 


'rn\ 


1  I  .. 


■  # 


11 


J 


'B'D.  DEC  211912 


^      ■ 


\  \