HX64057992
D121 K67 Pathologisch-histolo
KLeyn
Pathologisch-histologische studie über
epidermis-transpiantation auf das ulcus
rodens
RECAP
HEäLTH
SCIENCES
Digitized by the Internet Archive
in 2010 with funding from
Open Knowledge Commons
http://www.archive.org/details/pathologischhistOOkley
Pathologiscli-lilstologisclie Studie
über
Epidermis -Transplantation
auf das
Ulcus rodens.
?
5naiiguFa('-!Di!5seFfafion
verfasst und der
hohen medizinischen Fakallät
der
Kgl. Bayer. Julius-Maximilians-ÖDiversitäl Wlirzburg
zur
Erlangung der Doktorwürde
in der
Medizin, Chirurgie und Geburtshülfe
vorgelegt von
Rieh. Kleyn> prakt. Arzt
auH DüHseldorf a. Uli.
-**M*-
WURZBURG.
Huclidruckerci der „Neuen Hayeri8(dieri Landeszeitung"
1895.
Referent:
Herr Hofrat Professor Dr. von Rindfleisch.
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Cl.
Seinen teuren Eltern
in Liebe und. Dankbarkeit gewidmet
vom
Verfasser,
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Bei der Heilung von Substanzdefekten der äusseren
Haut und der Schleimhäute spielt als ein sehr wesent-
licher Faktor die epitheliale Ueberhäutung mit. Man
hat sich besonders in den letzten Decennien viel mit
diesem Vorgange beschäftigt und ist dann weiterhin sehr
bald dahin gelangt, grade in der Neubildung der epithe-
lialen Decke das wesentliche Element der Vernarbung
zu finden. Wenn auch diese Lehre sich späterhin als
nicht ganz richtig herausgestellt hat, indem auch der
bindegewebigen Neubildung eine wichtige Aufgabe vor-
behalten ist, so hat doch diese theoretische Anschauung
zu einem praktisch sehr wichtigen Ereignisse geführt;
denn einer der grossartigsten therapeutischen Fortschritte,
die auf dem Gebiete der Heilunggranulierender Flächen ge-
macht worden sind. dieThiersch'sche Hautüberpflanzung,
ist zum Teil wohl sicherlich von diesem Gesichtspunkte
aus zu Stande gekommen.
Doch ehe ich auf diese letzteren Verhältnisse —
den eigentlichen Zweck meiner kleinen Arbeit — ein-
gehe, will ich zur besseren Orientierung vorher ver-
suchen, die anatomischen und histologischen Vorgänge
bei der Wundheilung überhaupt kurz zu rekapitulieren,
weil diese ja direkt in den epithelialen Ueberhäutungs-
prozess eingreifen.
Die anatomischen Vorgänge bei der Wimdlieilung
sind zuerst besonders von C. Thiersch eingehend studiert
worden, und alle neueren Forscher sind von seinen durcl»-
aus zutreffenden Angaben ausgegangen. Wir unterscheiden
im Wesentlichen zwei Arten von Wundheilung: 1) Die
direkte primäre Verklebung der durchtrennten Teile, die
sog. Heilung per primam intentionem und 2) Die Wund-
heilung unter Bildung von Granulationsgevp^ebe resp. unter
Eiterbildung, die Heilung per secundam intentionem.
Die Heilung per primam intentionem beobachten
wiv bei allen frischen aseptischen Wunden besonders bei
den Operationswunden, deren Wundränder durch die
Wundnaht in dauerndem Kontakt gehalten werden, bis
die primäre Verklebung erfolgt ist. Die macroscopischen
Vorgänge bei der Wundheilung per primam intentionem
z. B. genähter Wunden an gefässhaltigen Weichteilen sind
kurz folgende : Wir finden zunächst, dass die Wund-
ränder durch ein aus Blut und Lymphe bestehendes
Koagulura verklebt sind. In den nächsten 4—6 -8 Tagen
wird die Vereinigung der Wundränder eine definitive,
indem das Koagulum in und auf der Wundspalte durch
eine zellige, gefässhaltige I^eubildung ersetzt wird, welche
sich allmählich in die aus fibrillärem Bindegewebe be-
stehende Narbe umwandelt.
Die Wundheilung per secundam intentionem durch
Granulationsbildung, durch Eiterung, beobachten wir z B.
bei stark gequetschten Wunden , bei Substanzverlusten,
wo eine direkte Verklebung der durchtrennten Teile
unter Zuhülfenahme der Naht nicht möglich ist, ferner
bei vernachlässigten, nicht aseptisch behandelten Wunden
und bei den durch Microorganismen infizierten Wunden.
Makroscopisch lässt sich bei der Wundheilung per se-
cundam intentionem z. B. bei Wunden gefässhaltiger
Weichteile etwa folgendes konstatieren. Bis etwa 24
Stunden nach der Verletzung sind die einzelnen Gewebe
im Grunde der Wunde noch deutlich von einander zu
unterscheiden. Später werden dann die Grenzen der
— 7 —
einzelnen Gewebsbestandteile in der Wunde durch einen
gallertigen Belag verwischt, die Wunde sezerniert eine
rötlich-gelbe Flüssigkeit , ein Gemisch von Blutserum
und Lymphe. Xach etwa 2 — 3 Tagen beginnt die gallert-
ige, graurütliche Wundfläche eine körnige, rote Beschaffen-
heit anzunehmen, die Wunde beginnt zu „granulieren",
d. h. gefässreiches, zelliges Keimgewebe, sog. Granulationa-
gewebe zu bilden, von welchem gewöhnlich ein mit zahl-
reichen Rundzellen versehenes Exsudat, d. h. Eiter pro-
duziert wird. Bei aseptischer Wundheilung infolge sorg-
fältigster Desinfektion der Wunde und streng durchge-
führter aseptischer Wundbehandlung ist die Wundsekre-
tion gering, ja oft fehlt eig. Eiterbildung. Nur bei nicht
aseptischem Wundverlauf tritt profusere Eiterung auf.
Bei Quetschwunden, bei Zertrümmerung resp. Nekrose
der Gewebe werden die abgestorbenen Gewebsteile zu-
nächst durch die Granulation abgestossen, die Wunde
„reinigt sich**.
Die Ueberhäutung der Granulationsttäche geschieht
hier, wie auch bei der Heilung per primam intentionem,
allmählich von den Wundrändern her unter gleichzeitiger
Schrumpfung des Granulationsgewebes durch Wucherung
der Zellen des rete Malpighii. Man bemerkt schon meist
macroscopisch deutlich eine Einziehung der Oberfläche
an der Stelle, bis zu welcher die Behäutung vorgedrungen
ist. Ist aber die Cutis nicht ganz zerstört , sind noch
Reste der Malpighi 'sehen vorhanden oder ist das Epi-
thel der Hautdrüsen intakt, so erfolgt auch von hier aus
in der Granulationsfläche selbst die Ueberhäutung der
granulierenden Fläche.
Die histologischen Vorgänge bei der Wundheilung
in gefässhaltigen Gewoben sind im Wesentlichen dieselben,
mag nun eine Wunde mit oder ohne Eiterbildung heilen.
Die Heilung per primam intentionem ist charakterisiert
durch die Bildung eines minimalen , die Wundränder
vereinigenden Keimgewebes, Lei Heilung per secundam
intentionem ist die Menge des Keimgewebes viel be-
trächtlicher.
Betrachten wir nun zunächst die Entzündung, welche
sich überall einstellt, wo eine stattgehabte Kontinuitäts-
trennung die Wiedervereinigung der getrennten Teile
erforderlich macht. Zunächst wissen Avir, dass wir an
keiner Stelle des Körpers einschneiden können, ohne den
Blutgefässbindegewebsapparat zu treffen. Dieser nun
ist es eben, welcher durch Entzündungsprozesse von ganz
typischem Verlauf die Wiedervereinigung bewirkt. Wir
haben es bei der secunda intentio mit einer treien Ober-
fläche zu thun, welche gewöhnlich Eiter produziert. An
unzähligen Punkten derselben dringen junge Zellen her-
vor, mit den Zellen eine an gelösten Eiweisstoffen sehr
reiche Flüssigkeit, welche natürlich vorwiegend ein Trans-
sudat aus dem Blute sein muss. Dieser Zustand hält
so lange an, als noch irgend welche tote, abgestorbene
Gewebe an der Oberfläche haften oder die letztere noch
durch Einnisten von Microorganismen gereizt wird. Ist
die Wundreinigung perfekt , so nimmt die Eiterung ab
und der Geschwürsgrund überzieht sich mit einer con-
tinuirlichen Schicht von Granulationsgewebe. Die Granu-
lationen verraten durch ihre lebhaft rote Farbe ihre
innige Beziehung zu der arteriellen Hyperämie. Es
kommt ja natürlich bei der Wundheilung vor allen Dingen
darauf an, dass die gewaltsam unterbrochene Cirkulation
wieder hergestellt wird ; es geschieht dies im Allge-
meinen durch Gefässneubildung infolge Wucherung der
Gefässwandzellen von den noch wegsamen Capillaren her.
Diese etwas komplizierten Verhältnisse sind von
Thiersch und neuerdings von den verschiedensten Au-
toren eingehender studiert und durch nicht un-
— 9 —
wesentliche Beiträge ergänzt worden. Jedoch würde es
den Rahmen dieser kleinen Arbeit überschreiten, wenn
ich hierauf näher eingehen wollte. Die flächenhafte Aus-
breitung des Keimgewebes bietet zwar der Ernährung
an sich günstige Chancen dar, trotzdem aber greift hier
sehr frühzeitig eine reichliche Gefässneubildung fördernd
in den Gang der Dinge ein , ja man kann behaupten,
dass schon die erste Ausbreitung des Granulationsge-
webes im Wesentlichen als ein Haftenbleiben der Bil-
dungszellen an den oberflächlichen Gefässchlingen ange-
sehen werden müsse. Hat eine angeschichtete Masse
von Keimgewebe eine gewisse Mächtigkeit erreicht, so
bildet sich selbstverständlich von der alten Capillar-
schlinge aus ein neuer Gefässbogen, doch entzieht sich
der Werdeprozess desselben unserm Auge. Man weiss
nur, dass zu einer gewissen Zeit in der Axe der strang-
förmigen Anlagebildung der Blutstrom sichtbar wird, dass
durch denselben die Zellen der letzteren auseinander ge-
drängt werden und sofort als Wandung des neuen Ge-
fässes erscheinen. Rindfleisch nimmt an, dass die
ganze Gefässwand durch die entzündliche Reizung in
einzelne Zeilen aufgelöst und dadurch in einen Zustand
versetzt werde, welcher einem Durchbreclien der Blut-
bahn keine besonderen Schwierigkeiten in den Weg lege.
Für den weiteren Fortschritt der Vaskularisation, bei
welcher die jungen, noch ganz aus Zellen bestehenden
Gefässe selbst wiederum Gefässchlingen entstehen lassen,
sei eine solche Vorstellung gar nicht zu entbehren. Wie
nämlich aussen die Ablagerung des Keimgewebes fort-
schreitet, so rückt auch inncai die Capillarbildung nach.
Senkrecht, mit langen parallelen Schenkeln streben die
GerässchUngen in die Granulationen empor, sie reichen
bis dicht ujiter die Eiter absondernde Oberfläche, die
Umbcugestellen sind etwas erweitert.
— 10 —
Wir sind auf dem Punkte der üppigsten Produktion
angelangt. Das unverrückte Fortschreiten in dieser Rich-
tung führt nun auf einen Abweg, nämlich zur Bildung
des sogenannten wilden Fleisches. In der Regel tritt
jetzt eine weitere Metamorphose ein , welche geeignet
ist , einer allzu üppigen Produktion an der Oberfläche
Einhalt zu thun und die Ueberhäutung, worauf ja alles
ankommt, vorzubereiten. Das embryonale Bindegewebe
verwandelt sich in Narb enge webe. Diese Umwandlung
beginnt in den tiefsten Lagen der Granulationen und
zeigt dieselben Phasen und Uebergänge, wie bei der
prima intentio. Zuerst entsteht Spindelzellengewebe. Die
Schichtungsebene der Spindelzellen bestimmt die Rich-
tung , in welcher die ersten Fibrillen sichtbar werden.
Dann folgen die Bildung des Narbengewebes und die
retraktive Verkürzung desselben. Insofern diese Erschei-
nung zuerst In den tiefsten Schichten der pyogenen
Membran auftritt, so verkleinert sich zunächst die Basis,
auf welcher die Granulationen aufsitzen. Die Wund-
fläche zieht sich zusammen, was aber zunächst von dieser
Zusammenziehung betroffen wird, sind die Gefässe, welche,
wie erwähnt, senkrecht durch den narbigen Grund hin
zur Oberfläche streben. Die Gefässe werden konstringiert,
verlieren an Kaliber , ja sie obliterieren zum Teil voll-
ständig. In gleichem Masse verlieren die Granulationen
an Saftreichtum und Volumen, die Eiterproduktion geht
allmählich in ein langsameres Tempo über. So bereitet
sich durch ein wahrhaft überraschendes Ineinandergreifen
der verschiedenen Entwickelungsmomente der letzte Schritt
vor, der noch zu thun übrig bleibt : es ist die Ausschei-
dung einer epithelialen Decke , die Ueberhäutung der
Granulationsfläche.
Die Behäutung Gehreitet in der Regel vom Rande
der Granulationsfläche nach der Mitte zu fort. Wie
— 11 —
schon bei der Beschreibung des macroscopi sehen Bildes
erwähnt wurde, sieht man dabei gewöhnlich eine Ein-
ziehung der Oberfläche an der Stelle, bis zu welcher die
Bedachung vorgeschritten ist. Das junge Epithel endet
hier mit einem leicht verdickten Saum, welcher sich in
die weiche Substanz der Granulationen so zu sagen
eingräbt. An den schönen Riffzellen, welche diesen Saum
bilden, bemerkt man zahlreiche Kernteilungen, so dass
hier wohl eine lebhafte Zellneubildung durch Thei-
lung stattfinden muss. Ob dieser Befund aber genügt,
um die Behäutung der Granulationsfläche als eine
auschliessliche Leistung des anstossenden Epithels zu
betrachten, wie es die Mehrzahl der Autoren thut, wäre,
besonders da diese Vorgänge mit der Frage der künst-
lichen Ueberhäulung , die der Ausgangspunkt meiner
Untersuchungen gewesen , in engstem Zusammenhang
stehen, noch besonders in Erwägung zu ziehen, und kämen
wir hiermit zu der Frage der Regeneration überhaupt.
Die Wundheilung im engeren Sinne geschieht, wne
wir gesehen, mit den Mitteln des Entzündungsprozesses
und kann, im Falle sie einen stattgehabten Substanz-
verlust zu ersetzen hatte, als eine regenerative Entzün-
dung betrachtet werden. Wir müssen uns nun fragen,
in welchem Umfange kommt auf letzterem Vorgange be-
ruhend, eine Regeneration von verlorenem Gewebe beim
Menschen vor? Die Antwort lautet: Ganze Organe
wachsen dem Menschen nicht wieder, wenn er sie ver-
lor, wohl aber findet sich eine Regeneration von ein-
zelnen Geweben , welche sich zumeist mit der geschil-
derten regenerativen Entzündung vergesellschaftet. Die
Narbe ist zwar das Universal-Ersatzmittcl , welches der
BlutgcfäHH-Hindegewcbsapparat für alle Substanzverluste
bereit hält. Mit Narbeiigewebe ersetzt er seine eigenen
Einbuasen und die Einbuasen aller zusammengesetzten
— 12 —
Organe des Körpers, die Knochen ausgenommen. Aber
in, auf und neben der Narbe finden wir Gewebsregene-
rationen und von diesen interessieren uns in Bezug auf
unser Thema in erster Linie diejenige des Epithels.
Auf einer Regeneration der Deckepithelien beruht
die so eben erwähnte Behtäutung jeder Narbe an der
Haut- und Schleimhautoberfläche. Für das „Wie" dieser
Regeneration sind nur zwei Möglichkeiten vorhanden.
Entweder nämlich entstehen die neuen Epithelzellen
durch Teilung der alten oder sie entstehen durch Nach-
schub aus dem Bindegewebe. Beide Ansichten haben
zur Zeit noch ihre warmen Vertreter , und sind grade
über die Regeneration des Epithels eine Menge Abhand-
lungen in den letzten Jahren erschienen. Rindfleisch
glaubt sich mehr der Ansicht zuneigen zu müssen, dass
die jungen Epithelzellen aus dem Bindegewebe hervor-
wachsen , indem sich Manches vereinige , was ihn be-
stimme , dieser Ansicht das Wort reden zu müssen.
Burkhardt bezeichnet zum ersten Male die oberste
Schicht des Bindegewebes als raatrix der Epithelzellen.
Als dieser Forscher im Jahre 1859 schilderte, wie nach
seiner Meinung die jungen Zellen aus dem Bindegewebe
auftauchen, sich aufrichten und dann als jüngste Epithel-
zellen erscheinen, konnte sich wohl Mancher eines Zweifels
nicht erwehren. Seitdem aber hat v. Recklinghausen
das Wandern von Bindegewebszellen an dei Cornea di-
rekt beobachtet und dadurch der Vorstellung, dass der
Ersatz der Epithelzellen durch eine Auswanderung der
jüngsten Elemente aus dem Bindegewebe bewirkt werde,
ungleich näher gerückt. Die Thatsachen der pathologi-
schen Histologie wiedersprechen derselben nicht nur nicht,
sondern bringen Mancherlei , was uns den Vorgang der
Auswanderung erläutern könnte. Erwähnt sei hier nur
die interessante Beobachtung Biesiadetzki's und Pagen-
— 13 —
stecher's, welche nat-h leichten und oberflächlichen Haut-
Entzündungen (Ekzem und Blasenbildung) in allen jugend-
lichen Epidermidalstratis wandernde Zellen auffanden,
welche mit anderen noch im Papillarkörper befindlichen
Wander2ellen vollkommen übereinstimmten
Aber ein Umstand wird immer wieder von Neuem
gegen diese Anslclit in's Feld geführt, es ist die aller-
dings leicht zu konstatierende Thatsache , dass nach
partiellen Verlusten der epithelialen Decke das neue
Epithelium mit Vorliebe , ja vielleicht ausnahmslos nur
im Anschluss und in unmittelbarer Kontiguität mit den
vorhandenen Epithelien entsteht. Dieses offensichtliche
Hinüberwachsen des Epithelrandes über eine unbedeckte
Schicht von Bindegewebe hat etwas unmittelbar Ueber-
zeugendes für sich. Ausserdem muss man sagen, dase,
wenn ein unverhältnismässig grosser Epithelverlust zu
ersetzen ist und der Ersatz durch das vorhandene Epi-
thelium geschieht und dieses sich durch microscoplsche
Analyse des Epithelsaumes auch im Detail sicher stellen
lässt, dass dann sicherlich auch die geringeren Verluste,
welche der physiologische Verbrauch eines Epithelstratums
herbeiführt, aus den Wachstumsmitteln des Epithels er-
setzt wird. Hier haben auch alle neueren Beobachter
(Arnold, Eberth, Hoff mann u. A. m.) den Hobel
angesetzt und sind allmählich zu dem übereinstimmen-
den Resultate gekommen, dass die jüngeren Epithelzellen
durch eine modifizierte Teilung, eine sogenannte Spros-
8ung, aus den älteren hervorgehen. Das fjieblingsübjekt
für diese Untersuchungen bildet die Hornhaut des Frosches.
An ihr wird mit scharfem Instrument ein oberflächlicher
Subatanzverlust erzeugt und dann die Ueberhäutung des-
selben unt(!r dem Microscop studiert. Man sieht dann,
wie die zu äusserst gelagerten Epithelzellen unregel-
mässig gestaltete hyaline Fortsätze über die zu behau-
— 14 —
tende Bindegewebsfläche hinüberschieben, wie in diesen
flachen , zungenförmigen Sprossen Kernkügelchen und
Kerne entstehen. Haben dann die Sprösslinge ungefähr
die Grösse einer Epithelzelle erreicht, so schnüren sie
sich von ihren Mutterzellen ab, werden körnig und treten
als neue Glieder zu dem Zellmosaik des fertigen Epithels
hinzu. Sie teilen sich hierauf aber in der gewöhnlichen
Weise noch mehrmals, so dass hierdurch der Rand des
jungen Epithels immer etwas verdickt erscheint. Später
tritt dann eine festere Schichtung der Zellen und damit
eine gewisse Abplattung des ganzen Stromas ein.
Das Epithelium der offen mündenden Drüsen ist
bekanntlich genetisch gleichwertig mit dem Epithelium
der Haut- und Schleimhäute. Beide Systeme gehen aus
ein und derselben Embryonalanlage hervor, bewahren auch
während des ganzen Lebens ihren räumlichen Zusammen-
hang in der Art, dass man das Drüsenepithelium als
eine direkte Fortsetzung resp. Einstülpung des Ober-
flächenepitheliums ansehen kann. Diese Solidarität der
Deck- und Drüsenepithelien spricht sich auch darin aus,
dass Verluste des Deckepithels der Häute , wie bereits
oben erwähnt wurde , von den erhaltenen Drüsenfundis
aus ersetzt werden können.
Ich will an dieser Stelle zum Belege für die zuletzt
erwähnte Thatsache nur kurz auf die interessanten "Ver-
suche Schweninger's, die er in der Mitte der sieb-
ziger Jahre auf der v. Nussbaum'schen Klinik in München
an Menschen und Tieren anstellte, hindeuten. Schwe-
ninger gelang hierdurch erstens der Beweis, dass Haare,
denen an der Wurzel Zellenschichten der äusseren Wurzel-
scheide noch anhaften, auf frische Granulationen gebracht,
anheilen können und dass von dieser Stelle aus dann
leicht eine Ueberhäutung zu stände kommt. Ferner fand
er aus einer zweiten Versuchsreihe, dass solche Haar-
- 15 —
wurzelscheiilen sogar mit der Iris direkt verwachsen
bezw. anheilen können, sowie dass nach ihrem ursprüng-
lichen Typus von diesen Zellen aus eine selbstständige
Wucherung entsteht.
Die Erfahrungen nun, welche man über die Rege-
nerationsfähigkeit einzelner Gewebe gemacht, mussten
den denkenden Chirurgen zu der Frage und dem Ver-
suche anregen , ob nicht die grosse und selbstständige
Lebensenergie, welche das Epithel- auch das Knochen-
und Narbengewebe bei ihrer Regeneration beweisen, ob
diese nicht hinreicht, selbst völlig abgelöste Stücke dieser
Grewebe so lange am Leben zu erhalten, bis möglichst
günstige Bedingungen , welche man für ihre Ernährung
an einem ihnen übrigens fremden Orte bereitet , neuer-
dings zur Aufnahme derselben in den organischen Ver-
band, sei es desselben, sei es eines anderen Individuums,
geführt haben. Und die wirkliche Lösung dieses Pro-
blems seitens der Chirurgen durch die Entdeckung der
nunmehrigen T h i e rs ch' sehen Transplantationsmethode
hat zu einer der wichtigsten Errungenschaften der jüngsten
Zeit geführt, die den Erfolgen unserer Tage in Bezug
auf die Bekämpfung der Infektionskrankheiten würdig an
die Seite gestellt werden kann.
Die Geschichte der Transplantation reicht zwar bis
in die frühesten Zeiten zurück, und ist dieselbe als
plastische Operation den Chirurgen längst bekannt. Aber
während man früher den transplantirten Teil bis zur An-
heilung durch eine gefässhaltige Brücke mit dem Mutter-
boden in Verbindung Hess, haben wir erst in der neueren
Zeit eine Transplantation speziell der Haut ohne Brücken-
bildung kennen gelernt.
Zwar wusste man längst, dass vom Ki'irper getrennte
Teile wie Fingerspitzen, Ohrläppchen, Nasenstücke,
Knochensplitter, Zähne und <lergl. gelegentlich anheilen
— 16 —
können, wenn sie nur möglichst rasch und gut wieder
mit den zugehörigen Teilen in Verbindung gebracht
werden. Auch finden sich bei Aelteren wie Dionis,
Garengeot, Bünger Mitteilungen zum Teil ganz merk-
würdiger Art über gelungene Transplantationen. Ebenso
haben Hunter, Dieffenbach, Dzondi, Wiesmann
U.A. Versuche über Transplantationen erwähnt, und bei
Olli er und Bert finden sich bereits Studien über den
histologischen Vorgang bei der Wiederanheilung nach
Tierversuchen. Zu einer Methode und praktischen Ver-
wendbarkeit aber gelangte die Transplantation erst durch
die Erfahrungen, welche J. L. Reverdin im Hospital
ISTecker zu Paris gemacht hatte und die er Ende des
Jahres 1869 veröffentlichte. Auf die ursprüngliche
E.everdin'sche Transplantationamethode will ich aus dem
Grunde etwas näher eingehen, weil sie der direkte Vor-
läufer der Thiersch'schen Methode ist, resp. weil letztere
eigentlich nur als eine allerdings sehr glückliche und
die Nachteile der ersteren fast gänzlich vermeidende
Modifikation derselben zu betrachten ist. Bei der Be-
obachtung von Brandwunden, bei denen die Zerstörung
der Haut wohl selten eine gleichmässige ist, hatte
Reverdin bemerkt, dass die Epithel-Neubildung nicht
nur von den Wundrändern allein ausging, sondern auch
von einzelnen Teilen innerhalb der Wundfläche, an
denen das Stratum Malpighii erhalten geblieben war,
das heisst also, dass eigentlich von dem Stratum Mal-
pighii aus eine Epithel-Neubildung stattfinde. Durch
diese Beobachtungen kam Reverdin auf den glück-
lichen Gedanken, solche Stellen, „centrale Narbeninseln"
inmitten der Wundfläche künstlich zu erzeugen, um den
langwierigen Prozess der Ueberhäutung zu verkürzen,
und so transplantierte er bei seinem ersten Versuch zwei
kleine Hautstückchen auf eine Granulationsfläche. Der
— 17 —
Versuch gelang vollkommen, indem die Hautstückchen
anheilten und feste Yernarbung der ganzen Fläche ein-
trat. Er setzte seine Versuche mit dieser Operation,
welche er „greife ^piderniique** nannte, fort und erzielte
im Ganzen gute Resultate.
Offenbar aber war er sich nicht klar über die Dicke
der zu transplantirenden Hautstiicke. Denn während er
bei seinem ersten Versuche nach seiner Ansicht nur
Epidermis genommen hatte , zeigte sich später an der
Narbenbildung, dass er die ganze Cutis mit abgetragen
hatte. Bei dem zweiten Versuche nämlich wurde er
auf diesen Punkt aufmerksam, denn dort hatte er ausser
der Cutis sogar noch einen Teil der Tela subcutanea
transplantiert, und dieser Versuch misslang.
Der Umstand nun, dass Reverdin bei der Ver-
öffentlichung seiner Methode keine bestimmten Angaben
über die Dicke der Hautläppchen gemacht hatte, führte
zu den verschiedenartigsten und abenteuerlichsten Ver-
suchen in dieser Richtung. Einige Chirurgen begnügten
sich damit, die Haut mit einem Bistouri abzuschaben
und die so gewonnene Epidermis vermittels eines Pinsels
aufzutragen , andere glaubten sogar, die aus Vesicator-
blasen gewonnene Flüssigkeit, die einzelne Epidermis-
zellen enthält, genüge zur Epithelüberhäutuog und Narben-
bildung. Wenn bei solchen Versuchen wirklich einmal
Heilung erfolgte, so wird dieselbe wohl durch andern
Nebenumsfände bedingt worden sein. Andere Chirurgen
bewegten sich im anderen Extrem und nahmen zur Trans-
plantation die Cutis mit anhängendem Unterhautfettge-
webe, wodurch sie auch nur Misserfolge zu verzeichnen
hatten.
Es herrschte also damals auf den verschiedenen
Kliniken bei der Ausführung der Transplantation die
grösste Mannigfaltigkeit und Willkür, und so war es
— 18 —
wohl auf Grund der wechselnden Erfolge nicht zu ver-
wundern, dass der Jubel, der beim Bekanntwerden der
Reverdin'schen Methode die medicinische Welt erlüllt
hatte , bald einem immer mehr sich steigernden Miss-
trauen Platz machte. Hatte man sich doch der sichern
Hoffnung hingegeben, endlich einmal ein Verfahren für
eine erfolgreiche Behandlung von Defekten und Geschwüren,
deren dauernde Heilung schon seit so langer Zeit eines
der Hauptprobleme der Medicin gewesen , gefunden zu
haben! Grade die neue Reverdin'sche Methode aber
schien ja allen Anforderungen zu genügen , die an ein
erfolgreiches Verfahren gestellt werden mussten : Die
Defekte schienen bei dieser Behandlung rasch zur Ver-
narbung zu gelangen , die Vernarbung eine dauerhafte
zu sein und endlich die Narben keine Störung, nament-
lich keine Kontraktur zu bewirken.
Auch damals \ wo sich bald zeigte, dass die Hoff-
nungen und Erwartungen zu hoch gestellt waren und
dass die neue Methode an vielen Mängeln zu leiden hatte,
sollte man, wie es so häufig zu geschehen pflegt, eben-
falls erst durch Nacht zum Licht gelangen. Das grosse
Verdienst nun , in diesem Dilemma den richtigen Aus-
weg gefunden und so die Chirurgie um eine sehr wert-
volle Operationsmethode bereichert zu haben , gebührt
allein Thiersch. Nachdem es ihm durch langjährige
Erfahrungen in der Leipziger Klinik gelungen war, die
Reverdin'sche Methode in der allein richtigen Weise
zu modifizieren und zu präzisieren, veröffentlichte er sein
Verfahren auf dem XV. Chirurgencongress in Berlin 1886.
Die Unterschiede zwischen der Reverdin'schen und
Thiersch'schen Methode sind kurz folgende: Reverdin
hielt streng darauf, dass die Grösse der zu transplan-
tierenden Hautstückchen 1 quem nicht überschreite.
Thiersch wählte demgegenüber Hautstreifen von einer
— 19 —
Lange bis zu 20 cm und bis 3 cm Breite und schnitt
sie so dünn als nKiglich, indem er richtig eriiannte, dass
die plasmatische Zirkuhation, welche wohl ganz allein
das transplantierte Hautstüclc ernähren muss, durch be-
deutendere Dünnheit und Grösse des letzteren wesent-
lich begünstigt werde. Es ist auch ferner klar, dass
die Transplantation nach Revordin einer grösseren An-
zahl kleinster Hautstückchen eine viel mühsamere Ope-
ration und die Heilung weit schwieriger zu überwachen
ist. Ausserdem deckte Reverdin niemals die ganze
Granulationsfiäche, sondern Hess zwischen je zwei Haut-
läppchen immer eine Lücke, während Thiersch durch
fortgesetzte Versuche erkannte, dass es am besten sei,
die Streifen sich dachziegelförmig decken zu lassen.
Dieses ist aber ein in kosmetischer Beziehung nicht zu
unterschätzender Faktor, indem eine viel geringere und
weniger entstellende Narbenbildung darnaeh einzutreten
pflegt.
Was nun die Technik der eigentlichen Operation
der Hautüborpflanzung, um dem Leser auch über diesen
ebenso einfachen wie interessanten Modus ein Bild zu
entwerfen, anbelangt, so darf ich mich in dieser Bezieh-
ung wohl kurz fassen; ich halte mich hierbei an das
Verfahren , wie es auf der Würzburger chirurgischen
Klinik unter der Leitung des Hrn. Hofrat Prof. Dr. 8 chön-
b o !• n schon seit Jahren geübt wird, welches sich in
einigen Punkten von der ursprünglich von Thiersch
angegebenen Methode unterscheidet.
Die Operation an und für sich ist nicht so schmerz-
haft, dass die Narcose unbedingt erforderlich wäre. Auch
die E s m a r c h'sche Blutleere ist nicht nötig. Thiersch
besteht nur auf aseptisclior Wundbehandlung. Im Gegen-
satz hierzu gebrauchen nanientli(di H i 1 1 roth und Schön-
borii Antiseptika unbeschadet des Erfolges, jedoch
— 20 —
dürfen die letzteren nicht zu konzentrirt genommen
werden. Die Streifen nimmt man bei den Kranken am
besten von ihrem Oberschenkel, wo dies nicht angeht,
vom Oberarm. Die Streifen von anderen Individuen zu
entnehmen, ist zum Mindesten unappetitlich, wenn nicht
gefährlich durch die Möglichkeit, Krankheiten zu über-
tragen. Die Entnahme der Streifen erfolgt am besten
mit eigenen dazu konstruirten, der Mikrotomklinge nach-
gebildeten Messern. Die Hautläppchen müssen dünn
geschnitten werden , d, h. , sie dürfen nur die Papillen
und die obersten Schichten des glatten Hautstromas ent-
halten, so dass man beim Schneiden durch die Haut
hindurch sehen kann. Die Streifen selbst lassen sich
bis 30 cm lang und bis 4 cm breit gewinnen. Dies ist
für den Arzt vorteilhafter und für den Kranken jeden-
falls schonender, als die öftere Entnahme kleinerer Läpp-
chen. Dieselben werden alsdann auf der Wunde glatt
ausgebreitet wie der Microtomschnitt auf dem Objekt-
träger. Der ganze Defekt wird hierauf gedeckt und
zwar am besten so, dass die Streifen denselben etwas
überragen , einander an den Rändern dachziegelförmig
decken und dann mit feuchter Gaze angedrückt werden.
Als die Transplantationen schützendes Verbandmaterial
können Protective, Silk, Stanniol, durchlöchertes Gummi-
papier , Borsalbeläppchen oder auch wenig reizendes
Pulver benützt werden. Der Yerband wird dann durch
Gaze etc. vervollständigt, und kann auch noch zweck-
mässig die Schienung des Gliedes angeschlossen werden.
Wir hätten jetzt den wichtigsten Moment zu be-
sprechen, der erst ein beredtes Zeugnis von der Yorzüg-
lichkeit und Vielseitigkeit der Thierse h'schen Methode
ablegt, es ist die Frage der Indikation. Es eignen sich
zur Deckung mit Hautstreifen natürlich vor allem frische
Hautdefekte , seien sie nun durch Trauma oder durch
— 21 —
operativen Eingriff entstanden und zwar immer dann,
wenn sie lebensfähigen nicht gequetscliten Grund be-
sitzen und nicht nielir in nennenswertem Masse bluten.
Auf allen Geweben können Hautatreifen zur Anhcilung
gelangen, auf gut ernährten, wie z, B. auf Muskeln leicht,
auf anderen wie z. B. compakten, des Periostes beraub-
ten Knochen schwerer. Es ist natürlich für das spätere
Schicksal der Transplantationen erforderlich, dass die
Wunde aseptisch sei. Besteht ein Grund, daran zu
zweifeln, so empfiehlt es sich, für einige Tage zu tampo-
nieren, denn auch sekundär lässt sich die Transplanta-
tion ausführen, so gut wie die Wundnaht.
Aus dem eben Gesagten ergiebt sich schon eine
grosse Menge von Indikationen. Fälle von llautab-
rcissungen von einer Grösse , dass sie durch die Naht
nicht geschlossen werden können, werden jetzt am besten
gleich nach Thiersch gedeckt. Nach Operationen wie
z. B. Excision von Naevis, Cancroiden, Lupusherden etc.
entstehen häufig flache, mehr oder weniger ausgedehnte
Defekte. Diese werden gleichfalls am einfachsten so-
fort in einer Sitzung mit Hauistreifen überkleidet. Da-
durch wird die technisch schwierigere und eingreifendere
Methode der Ueberdachung durch gestielte Lappen um-
gangen, und es erwächst daraus auch noch der Vorteil,
dass für spätere plastische Operationen , die durch Ex-
stirpation tiefer greifender event. Recidivc nötig werden
können , das umliegende TIautmaterial verfügbar bleibt.
Die durch Formierung gestielter Lappen geschaffenen
Defekte werden jetzt wohl meist nach der Thiersch '-
sehen Methode behandelt.
Ein weiteres , praktisch sehr wichtiges Objekt für
die Hauttransplantation bilden granulierende Defekte.
Betreffs der erfolgreichen Anwendung für diese Fälle
spielt aber, wie aus den l*ul)likationen hervorgeht, die
22
individuelle Erfahrung eine grosse Rolle, da hier die An-
heilung weniger sicher ist, als bei der Deckung frischer
Wunden und von verschiedenen Faktoren , die wohl in
Rechnung zu ziehen sind, abhängt.
Zunächst nämlich niuss man scharf zwischen Granu-
lationen, die aus infizierten Wunden hervorwachsen und
solchen trennen , bei denen keine Infektion im Spiele
war. Bei der letzten Gruppe braucht man gewöhnlich
nicht lange zu warten. Sobald die Granulationen das
Niveau der umliegenden Haut erreicht haben , wenig
mehr secernieren, eignen sie sich zur künstlichen Deckung.
Zu derselben ist es nur nötig, dass die lockere , obere
Schicht mit dem scharfen Löffel gründlich entfernt werde.
Die Blutung ist nach energischer Ausschabung meist ge-
ring und pflegt bald nach Kompression zu stehen. Anders
verhält es sich jedoch bei der ersten Gruppe. Bei dieser
kann man nicht lange genug warten , denn die Misser-
folge, die meist durch eitrige Ablösung der Streifen be-
dingt werden, sind hierbei sehr häufig, besonders wenn
die Deckung zu früh vorgenommen wurde. So lange
noch punktförmiger Zerfall des granulierenden Defektes
bei reichlicher Sekretion besteht oder auch letztere allein,
so ist von der Transplantation abzuraten. Erst wenn
die Granulationen tadellos aussehen, relativ trocken sind
und vom Rande her schon die Ueberhäutung begonnen,
dann erst ist am besten die Ueberdachung zu versuchen.
Durch die Möglichkeit der Deckung granulierender
Flächen vermittels der Thiersch'schen Transplantations-
methode ist grade die praktische Verwendbarkeit der-
selben eine äusserst vielseitige geworden. Hier ist wohl
zuerst an die vorzüglichen Leistungen dieser Methode
bei granulierenden Defekten nach ausgedehnten Ver-
brennungen zu denken. Wer es weiss, wie grosse Schwie-
rigkeiten sich noch bia vor Kurzem der Heilung grösserer
— 23 —
Brandwunden, sobald die Cutis in ihrer ganzen Dicke
verbrannt war, entgegenstellten, der weiss auch den
Segen zu würdigen, den wir dem neuen Thiersch'schen
Verfahren xu verdanken haben. Vor allen Dingen können
die bisher mit Recht so gefürchteten Contrakturen durch
Narbeneinziehung jetzt leicht vermieden worden. Hier-
hin gehören namentlich auch hartnäckige Geschwüre der
verschiedensten Form , die sonst häufig der Einwirkung
jeder anderen Therapie zu spotten pflegen, ich meine
hauptsächlich solche luetischen oder tuberkulösen Ur-
sprungs und in erster Linie die gewöhnlichen Unter-
schenkelgeschwüre, wie sie nach Varicen aufzutreten
pflegen, und die von jeher die crux medicorum gewesen.
Im Allgemeinen kann man wohl von vornherein schon
behaupten, dass die Wirkung der Transplantation bei
solchen Ulcerationen , wie ja auch oben bereits ange-
deutet wurde, eine weniger sichere ist und bedarf es
deshalb hierfür erst einer geeigneten Vorbehandlung.
Es ist ja auch leicht verständlich, dass Geschwüre eine
schlechtere Unterlage für die Anheilung aufgepfropfter
Hautstücke abgeben, wenn man bedenkt, dass hier immer-
hin das Gewebe mehr oder woniger pathologisch ver-
ändert ist. Einen recht ungünstigen Boden bilden nun
wohl in dieser Beziehung die erwähnten Ulcera cruris,
und s'iid die wechselnden Erfolge bei der Behandlung
derselben durch die Thiersch'schc Transplantations-
JNIethode in den letzten Jahren vielfach in der liittcratur
ventiliert worden. Es wurde hierbei mit Kecht betont,
dass in jeder Beziehung eben die Unterschenkelge-
schwüre infolge des schlechten Bodens, den sie für das
zu überpflanzende Epithelium abgcbcm, als Prüfstein für
die Transplantationsbeliandlung angesehen werden können.
Jedoch werden wir weiter unten sehen, dass man später
sogar auf noch schlechtere Unterlage mit Erfolg Haut
24
aufgepflanzt hat, nämlich direkt auf karzinomatöse
Flächen.
Wie steht es nun aber mit den Dauerresultaten,
wonach im Allgemeinen doch nur der Wert des Thlersch'-
schen Verfahrens bemessen werden kann ? Auch diese
kann man jetzt, wo grosse Beobachtungsreihen vorliegen,
im Grossen und Ganzen als recht gute bezeichnen. Waren
die Streifen auf gut ernährtes Gewebe gesetzt, so liefer-
ten sie eine resistente Bedeckung, die auch bei solchen
Leuten gut gehalteu, die infolge ihres Berufes vielerlei
Läsionen ausgesetzt waren. Andere Resultate zeigten
sich natürlich da, wo schlecht ernährtes Gewebe den
Irrund bildete. Da kamen natürlich nicht selten neue
Ulceiationen zur Beobachtung. Doch hat auch Thiersch
wiederum und zwar grade für die Ulcera cruris gezeigt,
dass durch individualisirende Nachbehandlung in Bezug
auf dauernde Erfolge noch Vieles erreicht werden kann.
Ich schliesse im Folgenden, damit sich der Leser
ein besseres LTrteil betreffs der Endresultate des Thiersch-
schen Transplantationsverfahrens zu verschaffen imstande
ist, verschiedene Berichte aus den einzelnen Kliniken,
soweit sie mir bei der Durchsicht der einschlägigen
Litteratur zur Hand waren und hiefür von Interesse zu
sein schienen, der Zeitfolge nach geordnet an.
Zuerst referirt Plessing (Arch. f. klin. Chirurgie
XXX, Heft 1) auf Inspiration von Thieisch in einem
zusammenfassenden Berichte aus der Leipziger Klinik
über 40 Fälle, die bis zum 1. Oktober 1886 dort zur
Operation kamen ; die Resultate waren zum grössten
Teile recht gute, die Misserfolge glaubt er in der In-
fektion mit Lues und Eitercoccen zu finden.
Des Weiteren berichtet Gras er (Mch. med. Wchschrft.
1887 No. XII) über mehrere, mit bestem Erfolge aus-
geführte Hautverpflanzungen aus der Erlanger Klinik.
— 25 —
Rathey (Dtsch. med. Wchschrft. 1886 No XXVI)
stellte in der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell-
schaft einige Patienten aus der Bergmännischen Klinik
vor und bezeichnete hierbei seine Resultate über die
Versuche mit Ueberpflanzung von Hautstückchen von
frischen Leichen und Amputationsstümpfen als durchweg
ungünstige.
Nagel (Beitr. z. klin. Chirurgie Bd. IV p. 321)
teilt aus der Brun'schen Klinik mehrere Fälle mit und
meint, dass die hierbei erzielten Resultate doch weniger
günstig deien, als man wohl hätte annehmen sollen.
Die in der Baseler Klinik mit einiger Abweichung
in Bezug auf Anwendung der Antiseptik, Länge und
Dicke der Streifen und Ausführung der Technik geübte
Methode ergab nach dem Bericht von Hübscher (Beitr.
7. klin. Chirurgie Bd IV p. 321) in 40 Fällen recht be-
friedigende Erfolge.
Nach Eiseisberg (Wien, klin. Wchschrft. No. 34,
35) wurde in der Bülroth ■sehen Klinik an 42 verschie-
denen Individuen fünfzig Mal die Transplantation nach
Thiorsch ausgeführt, davon 37 primär mit 33 Erfolgen
und 13 sekundär mit 11 Erfolgen.
Held (J. A. D. Mch. 1«90) führt 9 Fälle aus dem
Augsburger Krnnkenhausc an, die nach Thiersch unter
ausgiebigster Anwendung der Antiscptica operiert wurden;
die Resultate waren zufriedenstellend.
Ferner beschreibt v. Hacker (Wien, klin. Wchschrft.
1890) die von ihm im Wiener Erzherzogin - Sophie-
Hospitale in 8 Fällen von (Jeschwüren mit relativ günst-
igem iM-folge ausgeführten Transplantationen nach
Thiersch. In drei Fällen von ausgedehnten tuberku-
lösen Geschwüren heilten die Streifen leicht und gut an,
— 26 —
und da der Bestand der üeberdachung nach vielen Mo-
naten noch festgestellt wurde, so dürften hier auch die
weiteren Resultate als gesichert gelten.
Desgleichen berichtet Jungengel (Verhdlg. der
Physic. med. Gesellschaft zu Würzburg N. F. B. 25,
1881), der sich mehrmals in den letzten Jahren in Wort
und Schrift als ein warmer Vertheidiger der Thiersch'-
schen Methode gezeigt hat, eingehend über die Erfolge,
die in der Würzburger chirurgischen Klinik mit dem
neuen Verfahren erzielt wurden und die den besten Be-
weis für die Yorzüglichkeit desselben liefern. Trans-
plantationen nach Thiersch wurden aus den verschieden-
artigsten Anlässen bei 93 Kranken vorgenommen und
ergaben 84,11 % totale, 11,76 % teilweise Erfolge und
nur 4,11 <>/o Misserfolge Die sichersten Resulate wurden
bei frischen, aber auch bei granulierenden Wunden er-
zielt, wenn nur der Zeitpunkt für die Operation richtig
gewählt wurde.
Ferner sei die umfassende Nachricht Urban's
(Ztschrft. f. Chirurgie 1892) hier erwähnt. Sein Bericht
schliesst sich an die oben von Plessing aus der
Thiersch'schen Klinik angeführten Fälle von Hautver-
pflanzung an und umgreift den Zeitraum vom 1. Okt.
1886 bis 1. Okt. 1891. Im Ganzen wurden hier Trans-
plantationen in 350 Fällen der verschiedensten Art vor-
genommen; der Erfolg war relativ sehr gut.
Der letzte Bericht stammt von Czygan (J. A. D.
Königsberg 1893) aus der Königsberger Klinik und be-
handelt die Fälle von Thiersch'schen Transplantationen,
die bei 85 Personen gleichfalls aus den verschiedensten
Anlässen ausgeführt M'urden. Auch hier finde ich nur
8 Misserfolge erwähnt, und sollen diese zumeist durch
ein Versehen in der Antiseptik oder Verbandstechnik
bedingt sein.
— 27 -
Eine ganz neue aber, praktisch wie theoretisch eben-
so interessante Anwendungsweise — von hier aus hat
eben meine kleine Arbeit ihren Ausgangspunkt ge-
nommen und ist deshalb die Geschichte der hierüber
veröffentlichten Fälle von ganz besonderer Wichtigkeit
— hat das Thicrsch'schc Transplantationsverfahren
weiterhin durch Krasko (Mch. med. Wchschft 1889 Nr. 1)
gefunden, der dasselbe mit Erfolg zur Deckung von in-
operabelen Geschwüren maligner Tumoren verwandt hat.
In zwei Fällen, das erste Mal bei einem Epithelial-
karcinom der Kopfschwarte, das zweite Mal bei einem
Recidiv eines Mammacarcinoma versuchte Kraske die
künstliche Bedeckung der Geschwiirsflächen ; die An-
heilung gelang beide Male vollkommen, nachdem vorher
in dem karcinomatösen Gewebe eine reine Schnittfläche
angelegt war. Fünf bzw. drei Monate später, als Kraske
die Patientin zuletzt sah, war noch kein Durchbruch
wieder eingetreten und hatte sich das subjektive Be-
finden der Patienten wesentlich gebessert. In einem
dritten Falle , bei einem schrumpfenden zum Teil ulce-
rirt<>n Carcinom der Brustwand erzielte Kraske die
Ucberhäutung gleichfalls ohne Schwierigkeiten.
Spätere Versuche in der Billroth'schen Klinik in
Bezug auf den Vorschlag Krasko's haben nach dem
Berichte v. Eiselberg's (Wien, Kl. Wchschrft. 1880,
Nr. 34, 35), wo er über die Erfolge d(!r in den letzten
Semestern ausgofülirton 42 Operationen nach Thiersch
referiert, zu den gleichen günstigen Resultaten geführt.
Eh heist dort; „Kosondcre Beobachtung verdienen die
zwei letzten Fälle, wo der Vorschlag Kraske's ausge-
führt wurde, Tiunsplantationcn auf ulcerierte, jauchige
Tumoren zu machen. Es handelte sich das erste Mal
um ein itioperabeles Sarcom , das zweite Mal um da«
Recidiv eines Mammacarcinoms, das zu häufigen Blu-
— 28 —
tungen Anlass gegeben. In beiden Fällen gelang es,
die Geschwürsfläche mit Haut künstlich zu überkleiden. "
Sehr wenig ermutigend dem gegenüber aber klingt,
was Kraske's Vorschlag anbetrifft, der Bericht Urban's
aus der Thiersch'schen Klinik, den wir oben zu eitleren
bereits Gelegenheit nahmen. Wenn Urban auch zugiebt,
nie recht über einen Fall verfügt zu haben, der sich
zur Behandlung nach der angegebenen Methode geeignet
hätte, so ist es ihm doch möglich gewesen, indirekt
dieser Frage näher treten zu können. Jn einem seiner
Fälle nämlich, der eigentlich als inoperabel hätte ange-
sehen werden müssen, versuchte er es — es handelte
sich um einen grossen Krebs der Brustdrüse — die Ge-
schwulst zu cxstirpieren. Es wurde alles kranke Ge-
webe bis auf die Intercostal-Muskeln entfernt und die
zurückleibende, grosse Wundfläche mit Haut besetzt.
In 8 Tagen war zwar Heilung derselben eingetreten,
aber schon nach wenigen Monaten zeigte es sich , dass
recidivirende, neue Geschwulstknötchen rasch die aufge-
setzte Haut durchbrochen und in geschwürigen Zerfall
übergegangen waren. Hieraus, meint nun Urban, wäre
nach allen Regeln der Analogieschlüsse anzunehmen,
dass die Haut, die unmittelbar auf krebsigen Untergrund
aufgesetzt würde , noch weniger widerstandsfähig wäre.
Ferner berichtet Kraske an derselben Stelle, dass später
noch zwei Mal unbeabsichtigt an der Leipziger Klinik
dasselbe Operationsverfahren eingeschlagen worden sei,
welches Kraske für inoperable Carcinome empfohlen
habe. Bei einer Kranken, Henriette Wagner, die 1888
auf dem Chirurgen-Congrcss von Thiersch vorgestellt
wurde und die an einem ausgedehnten Carcinoma frontis,
das bis auf den Knochen ging, litt und die deswegen
zwei Mal mit nachfolgender Transplantation operiert
worden war, war weder das erste noch das zweite Mal
— 29 —
die Neubiidung vollständig entfernt worden. Die Haut
wurde also beide Mal auf carcinomatösen Boden über-
pflanzt und sliess sich das erste Mal nach 4 Wochen,
das zweite Mal nur etwas später wieder ab.
Die von Kraske empfohlene künstliche Ueberhäu-
tung von Carcinomon finde ich fernerhin in der schon
angeführten Jungen gel 'sehen Abhandlung und zwar in
seinem Kapitel „Tnoperabele Tumoren" erwähnt. Es
handelte sich hier um ein weit in die Tiefe gewuchertes,
profus und foetid secernierendes Epithelialcarcinom der
Submaxillargegend von 8 '4 cm Durchmesser. Hier wurde,
um das subjektive Befinden der Patientin wenigstens
einigermassen zu heben, nach oberflächlicher Abtragung
der ulcerierten Schichten direkt auf das carcinomatöse
Gewebe vom Oberschenkel transplantiert. Es erfolgte
glatte Heilung, es war jedoch, was leider zu bedauern
ist, über das weitere Schicksal der Patientin nichts zu
erfahren gewesen.
So reich und interessant nun in jeder Beziehung,
wie wir gesehen, die Publikationen zur Transplantations-
frage , besonders wenn wir die Kürze der Zeit in Be-
tracht ziehen , geliefert worden sind , so sind auch auf
der anderen Seite die macroscopischen und microscopi-
schen Vorgänge bei der Anheilung der Hauptstreifen in
der Litteratur entsprechend gewürdigt worden, und will
ich auf die hierbei gewonnenen Resultate au8 dem Grunde
ebenfalls eingehen , weil sie in Bezug auf den speziell
von mir in dieser liichtung untersuchten Fall vielleicht
zur Erläuterung und Ergänzung dienen können. Tch will
hier nur kurz erwähnen , dass die ersten Mitteilungen
über die feineren Vorgänge bei der Anheilung der Haut-
läppchen auf granulierende Flächen vonThieiscIi selbst
und dann von Karg Htarnnien. Dann behandelt weiter-
hin in grösserer Abhandlung Goldmann die Anheilung
30
der transplantierten Streifen auf Carcinome, zu welcher
Frage ich selbst weiter unten einen kleinen Beitrag zu
liefern versuchen werde. Ferner beschäftigt sich mit
der Anheiiung auf frische Wunden die umfassende Ar-
beit öarrö's. Noch vor dem Erscheinen derselben hatte
Jungengel Gelegenheit, einzelne Präparate von inter-
current verstorbenen Kranken zu untersuchen und konnte
er zu denselben noch obendrein mehrere experimentell
gewonnene fügen. Nach Jungengel können Streifen,
die nur oder vorwiegend aus Epidermis bestehen, direkt
verkleben, sind deswegen da zu verwenden, wo die An-
heiiung schwerer zu erfolgen pflegt. Wo aber Papillen
und glattes Hautstroma im Streifen enthalten sind, da
bildet sieh nach Resorption des Blutextravaaates Granu-
lationsgewebe; dies entsteht aus der Wunde, es ver-
mittelt die Anheiiung und entsendet Gefässsprossen in
die Streifen hinein, ähnlich wie wir es bei der Heilung
per secundam intentionem gesehen haben. Dieser Vor-
gang aber bei dem weiteren Schicksal der Transplan-
tationen ist wichtig zum Verständnis des klinischen Ver-
laufes. War nämlich der Defekt noch so tief, so hebt
er sich allmählich , in vielen Fällen wird auch das Ni-
veau der umliegenden Haut erreicht. Dabei verkleinert
sich aber die transplantierte Fläche nach allen Durch-
messern, weil sich das Granulationsgewebe später in
Narbengewebe umwandelt. Das Letztere kann als eine
Schattenseite der Transplantations-Methode angesehen
werden. Wo nämlich eine solche Kontraktion entstellend
wirkt, wie z. B. in der Nähe der Augenlider, soll man
sie deshalb nicht anwenden.
Weitere interessante Beobachtungen gewann in der
neuesten Zeit G o 1 dm ann durch genaues Studieren einer
grösseren Anzahl von Präparaten, indem er sich zur Auf-
gabe stellte, für die verschiedenen klinischen Merkmale
— 31 —
beim HeiTungsprozess der Hauttransplantationen eine ana-
tomische Giundlage zu gewinnen. Die iilinischen Er-
scheinungen , im Anschluss , an welche er seine Unter-
suchungen anstellte, fasst er folgendermassen zusammen:
Haben sich die Hautläppchen dachziegelförmig gedeckt,
ist es zur Anlieilung ohne Granulationsbildung gekommen,
so finden wir nach Monaten an Stelle des überhäuteten
Bezirkes eine leicht gerötete, in der ersten Zeit noch
mit lamellösen Schüppchen bedeckte , etwas glänzende
Hautpartie , welche im Niveau der umliegenden Haut
sich befindet und auf der Unterlage mehr oder weniger
verschieblich ist, endlich häufig eine normale Sensibilität
sowohl für taktile wie thermische Reize. Es bestehen,
wenn günstige Bedingungen vorlagen , nur geringfügige
Erscheinungen narbiger Schrumpfung hierselbst. Die
sich aus diesen klinischen Beobachtungen ergebenen
Fragen glaubt G o 1 d m a n n auf Grund seiner Studien
an zahlreichen Präparaten nun folgendermassen beant-
worten zu müssen :
1. Die Abschuppung der transplantirton Haut ist als
Ausdruck der veränderten Pjrnährung der aufgepfropften
Epidermis aufzufassen. Erst nach Monaten hört die Ab-
schuppung auf. In dieser Zeit ist die Ernährung der
Haut eine andere geworden, als w^ährend der ersten
Wochen nach der Transplantation,
2. Betreffs der Frage, binnen welcher Zeit die über-
häutete Hautstelle das Niveau der umliegenden Haut
erreiche , lassen sich genaue Zeitangaben nicht machen.
Man kann sagen, dass, falls die Transplantationen auf
gefässreichem Boden geschehen sind, wohl kein Ausgleich
der Niveaudifferenzen rascher erfolgt. Eine grüsseie
Verschiebliclikeit der Umgel>ung des Defektes beschleunigt
den Ausgleich.
-- B2 —
3. Worauf beruht die Verschieblichkeit der trans-
plantirten Haut? Ihr Eintreten ist sicherlich abhängig
von dem Mutterboden, der Umgebung und zum Teil auch
von der Grösse des Defektes. Bei kleineren Defekten,
die günstigere Bedingungen bieten, findet man, dass die
Verschieblichkeit sich binnen 6 — 8 Wochen herstellt.
4. Die Wiederkehr der Sensibilität lässt am längsten
auf sich warten. Bei sehr grossen Defekten kann sie
sogar vollständig fehlen oder sie ist auf den Rand des
Defektes beschränkt. Es scheint ihm in dieser Bezieh-
ung aus verschiedenen Beobachtungen hervorzugehen,
dass die Sensibilität überhaupt eher am Rande als im
Centrum des Defektes wiederkehrt.
Ich komme nun zum letzten Teil meiner Arbeit,
indem ich in der Lage bin , über einen Falle berichten
zu können, wo ich Gelegenheit halte, selbst den Anhei-
lungsprozess Thi ersch'scher Transplantation auf einer
carcinomatösen Fläche und zwar der eines Ulcus rodens
der Wange histologisch genauer studieren zu können.
Doch ehe ich auf dieses Thema näher eingehe , sei es
mir vorher vergönnt , diese eigentümliche Geschwürsart
nach den verschiedenen Richtungen hin etwas näher zu
charakterisiren.
Die Geschichte des Ulcus rodens ist noch verhält-
nismässig jung. Jacob machte zuerst (Uublin Hosp.
Rep. IV. 1827) auf dieses Geschwür aufmerksam, indem
er es beschrieb als ein „Geschwür mit eigentümlichem
Charakter, welches die Lider und andere Teile des Ge-
sichtes angreift." Nach ihm nannte man es trotz dieser
nichtssagenden Schilderung lange Zeit und jetzt noch
hie und da das Jacob'sche Geschwür. Sein jetzt noch
gebräuchlicher Name Ulcus rodens stammt von Lebert,
nachdem er es zuerst als ulcere cancroide bezeichnet
hatte (1845). Schon 1846 vermuteteRokitansky, dass es
- 33 —
sich hierbei um eine dem Epithelkrebs verwandte AfFektion
handele, glaubte jedoch, dass es nur eine Vorstufe da-
zu sei. Lebert und v. Bruns waren die ersten, die
den Nadnveis lieferten, dass es sich um eine Ansamm-
lung epithelialer Zellen handle ; hierauf brachten zuerst
in Frankreich Broca und in Deutschland Pohl die Epithel-
zapfen , den Hauptbestandteil des Geschwüres , in Zu-
sammenhang mit den rete Malpighii und den Haarbälgen,
In England hielt Hutchinson (1860) die Geschwürsbildung
wohl verwandt aber nicht direckt für Hautkrebs. Auch
heute ist die Fehde über die Natur des Ulcus rodens
noch nicht vollständig ausgetragen, indem besonders die
Dermatologen immer noch neue Thesen in dieser Hin-
sicht aufzustellen und zu verfechten suchen. Bei dem
jetzigen Standpunkte der pathologischen Anatomie ver-
stellen wir nun unter Ulcus rodens gegenüber dom tiefer-
greifonden Hautearcinotn die von Thiersch als flacher
Hautkrebs „Carcinoma cutis superficiale" bezeichnete
Form.
Das carcinüse Epitheliom der Haut bietet in seinem
anatomischen Verhalten sehr verschiedene Erscheinungs-
formen dar. Arnold unterscheidet deren drei :
I| Tuberöse Form; es sind vers>chiedene Geschwülste,
die auf der Unterlage mit breiter Basis aufsitzen und
mehr oder weniger stark prominiren.
2) Papilläre Form, die durch eine Menge Zotten-
bihlungen am Kuppenteil charakterisirt ist.
3) Infiltrierte Form; dieselbe tritt mehr flächen-
artig auf und führt in grosser Ausdehnung zur Verdickung
der Haut.
Im weiteren Verlauf entstehen dunn durch Zerfall
der Neubildungen krebsige Oeschwüie. In Berücksich-
tigung des verrtchiedenartigeti llobergreifens der Neu-
bildung auf die tiefer liegenden Gewebstoile unterscheidet
34
Thiersch zwei Hauptklassen: den flachen Hautbrebs,
auch Ulcus rodens genannt, und den tiefgreifenden.
Diese Einleitung gründet sich auf einen wichtigen, klinisch-
anatomischen Unterschied im Verhalten der epithelialen
Wucherung. Jedoch möchte ich hier darauf aufmerk-
sam machen, dass dieser Unterschied nicht immer deut-
lich ausgeprägt ist und dass ferner die beiden Formen
häufig ia einander überzugehen pflegen.
Der flache Hautkrebs ergreift besonders die eigentl.
Cutis , häufig nicht einmal das Unterhautbindegewebe.
Er bildet in der Regel nur eine oberflächlichliche Schicht
epithelialer Neubildung , die nur einen sehr geringen
Tiefendurchmesser zu haben pflegt , sich von dem da-
runter liegenden Gewebe aber in ziemlich scharfer Linie
absetzt. Das Ulcus rodens tritt deshalb fast nur als
flache Ulceration auf, eine Geschwürsbildung, die durch
wenig verdickte Ränder charakterisiert ist, die sich je-
doch meist gegen die Umgebung ziemlich scharf ab-
grenzen und nur in geringe Entfernung ihre Fortsätze
serpiginös in das gesunde Gewebe hineinschickt. Es geht
dieses Umsichgreifen der malignen Neubildung in der
Regel verhältnismässig langsam vor sich. Die Destruk-
tion des Mutterbodens geschieht so, dass sich in der
Umgebung der primären Geschwulst kleine Knoten bilden,
die allmählich mit der primären verschmelzen und weiter-
hin zerfallen.
Die tiefgreifende Form des Epithelialkrebses lässt
dem gegenüber in der Regel eine solche beschriebene,
scharfe Abgrenzung nicht wahrnehmen. Seine epithe-
lialen Massen bilden keine oberflächliche Schicht, sondern
breiten sich in verschiedene Tiefen aus. Er bildet in
der Regel ebenfalls Geschwüre, doch zeigen diese eine
äusserst unregelmässige Form, haben verdickte und stark
abfallende Ränder. In der Umgebung derselben und im
— 35 —
Untergrunde des kraterförmig vertieften Geschwüres finden
sich gewöhnlich harte Knoten von sehr wechselnder Grösse.
In Bezug auf die Wege die das Ulcus rodens bei
seiner diifusen Ausbreitung einschlägt, ist es von vorn-
herein leicht erklärlich, dass es am ehesten in der Rich-
tung des geringsten Widerstandes fortkriechen wird und
sind dies jedenfalls die physiologisch bestehenden Spalt-
räurae, die zur Cirkulation der Lymphe dienen. Köster
war es , der diese Verhältnisse durch seine Präparate
mit Silberbehandlung an Flächenschnitten ganz über-
zeugend nachgewiesen hat, jedoch mit der Einschränkung,
dass er hierbei eine oppositionelle Vergrösserung durch
die metamorphosirten Endothelien der Lymphgefässe an-
nimmt und kein solbstständiges Wachstum der Epithel-
sprossen, was von Thiersch, Billroth und Anderen
aufgestellt und jetzt auch allgemein anerkannt wird.
Doch halte ich ausser dieser Fortpflanzung auf dem
Lymphwfge auch die Annahme für berechtigt, dass auch
ein direktes Hineinwuchern in die Bindegewebsbündel
stattfinden muss. Zu berücksichtigen ist hierbei vor
allen Dingen auch, dass das in der normalen Cutis ent-
haltene, derbe, verfilzte Bindegewebe durch die klein-
zellige Infiltration und durch die frisch entstandenen
Granulationen zu einem weichen Substrat umgeschaffen
und 80 viel leichter vor den andrängenden Epithelzapfen
maschenförmig auseinander weichen wird.
Indem ich bezüglich der weiteren histologischen
Verhältnisse des Ulcus rodens auf den unten von mir
angeführten microscopischen Befund bei meinen Prä-
paraten verweise , will ich jetzt nur noch einige Worte
über die Rückbildung des Epithelialkrebscs reden. Die
Ursachen hierzu sind hauptsächlich Cirkulationsstörungen
im Centrum der Geschwulst : nämlich der konstant sich
vergrössernde Wachstumsdruck und die dadurch zuerst
— se-
in der Axe des Epithelzapfens herbeigeführte Degene-
ration der Epithelien , welche zur Bildung zahlreicher
atheromatöser Abscesse führt. Diese sind ursprüng-
lich von einander getrennt, confluiren aber allmählich zu
einer einzigen, den Zapfen der Länge nach durchsetzen-
den Höhle. Schliesslich erfolgt der Durchbruch nach
Aussen, die hohlgewordenen Zapfen öffnen sich und
entleeren ihren Inhalt an die Oberfläche. Hierauf sinkt
die Geschwulst zusammen und die Verschwärung, die
Absonderung von Eiter und Atherombrei, beginnt (Rind-
fleisch).
So sind denn in klinisch-pathologisch-anatomischer
Beziehung die Untersuchungen über den Epithelialkrebs,
indem sie sich auf dem Fundament der Thicrsch'schen
Lehren weiter aufgebaut haben, zu einem gewissen Ab-
schluss gelangt. Zwischen der Arbeit von T hier seh
und heute liegen die grossen Fortschritte , welche die
Medicin auf dem Gebiete der Infektionskrankheiten an-
knüpfend an die Arbeiten Koch's und Pasteur's ge-
macht hat. Der pathologisch -anatomischen und histo-
logischen Seite der Forschung hat sich nunmehr als eine
nicht minder wichtige Aufgabe die Forschung nach der
Aetiologie der Krankheitsbilder ebenbürtig an die Seite
gestellt. So bedeutend aber auch die Resultate dieser
Forschungen auf dem Gebiete der Infektionskrankheiten
und besonders gerade in den letzten Jahren geworden
sind, für den Krebs haben die Methoden, die dort so
Glänzendes geleistet, bis jetzt versagt. Ich will hier
nur andeutungsweise von den verschiedenen Versuchen,
den Krebs gleichfalls auf die Thätigkeit von Parasiten
zurückzuführen, den erwähnen, dass man angeblich teils
mit positivem teils mit negativem Erfolge Krebssaft auf
Tiere und Menschen übergeimpft hat.
37
Doch ist hier nicht der Ort, auf solche und ähnliche
Experimente und Hypothesen, wie sie ja auch wieder
auf dem diesjiUirigen Cliirurgencongress zu Berlin auf
der Tagesordnung standen , näher zu erörtern , wir sind
eben in der Erforschung der Aetiologie des Krebses noch
vollständig auf Vennucungcn angewiesen. Ich möchte
nur dem Rahmen meiner kleinen Arbeit entsprechend
einige Faktoren anführen, die bis jetzt als mit Carcinom-
bildung und zwar hauptsächlich der Hautcarcinome in
ursächlichen Zusammenhang stehend angenommen werden.
\\^ic bei allen Oarcinomen so ist es auch bei dem Haut-
krebs das autfallendste Moment', dass wir ihn fast aus-
schliesslich im höheren Alterfinden, und zwar sind Frauen,
— sehen wir ab von dem bei Männern wegen des Rauchens
so häufig vorkommenden Unterlippenkrebs — da bei
ihnen die Senescenz bekanntlich früher beginnt, mehr
davon befiillcn. Was nun die etwaigen ätiologischen Mo-
mente anbelangt, so ist sowohl die 'klinische wie patho-
logisch-anatomische Erfahrung reich an Beispielen, welche
die Entwickelung eines Epithelialcarcinoms im Anschluss
an die veischiedensten Hautaffektionen nachweisen. Nach
Rindfleisch kommen in Betracht:
1. Hyperplasien der Epidermis und des Papillar-
körpers und zwar vorzugsweise solche, von denen von
Hause aus der epidermoidale Teil der Neubildung vor-
wiegend ist: die Hautliörncr, die harten Warzen und die
Papillome.
2. Hypertrophische und ektatische Haarbälgo und
Talgdrüsen, Athoromcysten und
3. Narben, namentlich der Kopfhaut. Doch neben
dieser physiologischen und pathologischen Disposition
kommen auch sicherlich Iteize in Betracht, weh'he die
carcinomatöso Degeneration direkt auslösen. Auch in
dieser Beziehung haben uns die klinischen Erfahrungen
— 38 —
hie und da einen Fingerzeig gegeben. Lokale Irritationen
mechanischer oder chemischer Art sind für die Entste-
ung der Hautkrebse wohl ohne Zweifel von Bedeutung.
Auch scheint die Disposition zu Hautkrebs oft ererbt
zu sein.
Die Prognose ist bei den Epithelcarcinomen der
Haut in Berücksichtigung der Bösartigkeit der Krebse
überhaupt eine verhältnismässig günstige. Es sind viele
Fälle mitgeteilt, bei denen die Erkrankung 15 — 20 Jahre
bestand, bis schliesslich der Tod infolge allgemeiner
Schwäche eintrat. Doch wird sich die Prognose des
Hautkrebses je nach seinem Sitz verschieden verbalten
müssen. Günstig ist es immerhin für die Patienten,
dass eigentümlicherweise eine Infektion der benachbarten
Lymphdrüsen selten und erst spät einzutreten pflegt und
dass Metastasen in inneren Organen nur ausnahmsweise
beobachtet worden sind.
Eine genanere Besprechung der Therapie kann hier
füglich unterbleiben , da wir auch in dieser Beziehung
noch keinen Schritt weiter gekommen sind alsThiersch
zur Zeit der Veröffentlichung seiner Arbeit. Die Hoff-
nung, die er selbst damals hegte , dass es dereinst ge-
lingen würde, gegen den Krebs, die schrecklichste und
heimtückischste der Krankheiten, ein anderes Heilmittel
zu finden als Messer und Glüheisen , hat sich bis heute
leider noch nicht erfüllt.
Zu den Versuchen nun, die mannigfachen Leiden
der Krebskranken wenigstens zum Teil zu lindern und
aufzuheben , gehören wohl in erster Linie diejenigen,
welche den Zweck haben, die Sekretion der krebsigen
UIcerationen zu beseitigen resp. einzuschränken und so
den Patienten einen wesentlichen, wenn auch naturgemäss
nur temporären Nutzen zu bringen. Es ist aber wohl
allgemein bekannt, wie schwierig dies manchmal ist, und
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suclit man sich in vielen Fällen mit Ab- nnd Ausschaben
der zerfallenen Krebsmassen mit oder ohne nachfolgende
Cauterisation zu helfen.
Wie wir nun bereits oben an der Hand verschie-
dener Beispiele gesehen haben , ist man diesem Ziele
durch das Yerlaiiren Kraske's jetzt näher gekommen,
indem es gelingt, durch Anfrischen der gesclnvürigen
Krebsfläche und Deckung derselben durch T hier sc h-
schc Hauttransplantationen den offenen Krebs, wenn
auch wohl in den meisten Fällen nur zum Teil, in einen
Cancer occultus umzuwandeln und so den Kranken bis
zu ihrem Ende hin wesentlich einträglichere Verhältnisse
zu schaffen.
Von diesem Gesichtspunkte war man, wie ich erfuhr,
in dem vorliegenden Falle des Ulcus rodens der Wange,
dessen excidierte Geschwürsfläche mir Plerr Hofrat Pro-
fessor Dr. Rin d fleisch mit bekannter Güte zum weiteren
Studium überlassen hatte, auch ausgegangen. Betreffs
der klinischen Geschichte dieses Falles und der genauen
Herkunft des Präparates war trotz meiner eifrigen Re-
cherchen nichts Bestimmtes zu ermitteln.
Microscopisctaer Befand.
Von der grossen Geschwürsfläche wurde eine Stelle
ausgewählt, wo sich einerseits eine off'ene Granulation
befand, anderseits verschiedene Epidermislagen in mehr
oder minder starker Befestigung die Cutis bekleideten.
Dieses Stück der Geschwürsfläche wurde nun in Spiritus
gehärtet, in absol. Alkohol nachgehärtet und in Celloidin
eingebettet. Von den jetzt hergestellten Schnitten, die
senkrecht zur Axe gelegt wurden , wurde eine Serie
mit Hämatoxylin, bis sie die richtige dunkel veilchen-
blaue Farbe angenommen hatten , gefärbt. Die botr.
Schnitte kamen zu diesem /wecke aus Wasser 4 Mi-
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nuten in Hämatoxylin , wurden hierauf gründlich abge-
spült und ^dann durch 3 Minuten langes Verweilen in
absol. Alkohol entwässert. Schliesslich wurden sie noch
in Xylolcarbol aufgehellt und dann in Canadabalsam
eingeschlossen. Die zweite Serie von Schnitten wurden
einer Doppelfärbung unterworfen, indem sie nach ihrer
Tinction mit Hämatoxylin noch weitere 24 Stunden einer
sehr verdünnten, wässerigen Eosinlösung — 1 Tropfen
Eosin auf eine Schale Wasser — ausgesetzt und dann
weiterhin gerade wie die erste Reihe behandelt wurden.
Die so in grösserer Anzahl hergestellten Präparate boten
zum Teil sehr schöne, der Hauptsache nach überein-
stimmende Bilder, die bald ein Urteil über die durch
die stattgefundene Transplantation eingetretenen Ver-
änderungen und über die Natur des unterliegenden Ge-
webes gewinnen Hessen.
Was nun zunächst den Unterschied der frisch auf-
gepflanzten Epidermis von der alten anbelangt, so ist
die neu aufgelagerte Epidermis durch eine entschiedene
Tendenz zur Lamellirung der verhornten Schichten und
raschen Ablösung derselben ausgezeichnet. Schichten,
welche nur der Schätzung nach circa 20 Hornschüppchen
dick sein können, lösen sich als besonderes Blatt von
den nächstfolgenden ab und dies wiederholt sich durch
die ganze Dicke der Hornschicht. Die Schleimschicht
ist unverhältnissmässig dünn und fast eben über das
Cutisgewebe ausgespannt. Dieses letztere lässt eine
Gliederung der obeiflächlichen Papillen nirgends mehr er-
kennen und besteht je nach der Entfernung von dem
unbedeckten Granulationsgewebe aus mehr oder weniger
organisirtem, der normalen Cutis ähnlichem Bindegewebe.
Je mehr man sich nun dem unbedeckten Granulations-
gewebe nähert, um so zellenreicher wird die Cutis, in-
dem immer dichtere Massen von Rundzellen in dem
— 41 —
Bindegewebe Platz greifen, bis schliesslich in dem Be-
reich des Granulationsgewebes selbst nur noch Zellen
von embryonalem Bindegcwebstypus zu sehen sind. Ver-
folgt man nun das Deckepithel in dieser Richtung, so
werden die Schichten des rete Malpighii immer weniger
zahlreich, bis schliesslich nur zwei Schichten mehr unter-
schieden werden können: nämlich eine untere, welche
aus niedrigen Cylinderzellen besteht, deren Kerne sich
mit Ilämatoxylin besonders dunkel gefärbt haben, und
eine äussere, welche aus etwas grösseren und blasseren
Zellen des rote Malpighii besteht. Endlich verwischt
sich auch dieser Unterschied. Die Zellen der untersten
Schicht fangen an, schräg 7ai stehen, schliesslich sieht
man ihre länglichen Kerne der Ilautoberfläche vollstän-
dig parallel gerichtet. Sic unterscheiden sich von da
nicht mehr für das Auge von den übrigen Zellen des
rete Malpighii, sondern sie bilden mit ihnen zusammen
ein ganz dünnes, durch Granulationen vielfach unter-
brochenes Zellenstratum. Charakteristisch in unscrm Falle
ist ein Unterschied zu der gewöhnlichen Behäutung, in-
dem hier nirgends ein Rundwulst des zur Behäutung
schreitenden Epithelsaumes sieh vorfindet. In diesem
Randwulst finden, wie svir oben gesehen, bekanntlich
die wichtigsten Teilungen der wachsenden Epithelzellen
statt. Ilicr, wo die Besamung mit frischem Epithel von
zahlreichen Punkten der Oberfläche zu gleicher Zeit er-
folgt, fehlt natiiiiicli je nach Ausdruck eine besondere
Wachstuniszorie. Dafür sieht man bald hie bald da
Inseln von Epithel, die mit den Griinulations/ellen eine
harmonische Verbindung eingegangen sind. Durch diese
dünnsten Epithelschichtm waiidorn otlcrihar noch eine
Zeit lang Hundzellen nach aussen, bis die erhebliche
Verdickung der angewachsenen Kpithcldeckc einen solchen
Auswanderungsprozess verbietet. Dass aber die Ver-
— 42 —
bindung der einzelnen Epithelzellen auch fernerhin noch
viel zu wünschen übrig lässt, zeigt die schon erwähnte
Neigung des äusseren Abblätterns dünner Hornlamellen.
Was nun die Frage der Einwirkung des aufgesetzten
Epithels in Bezug auf das Wachstum des Ulcus rodens
betrifft, so werden wir, wenn wir die Präparate in dieser
Richtung hin weiter verfolgen, bald erkennen, dass der
Erfolg der künstlichen Ueberhäutung nur ein teilweiser
ist, indem die carcinomatöse Wucherung nicht etwa hier-
durch zum Stillstand bezw, zur Schrumpfung gekommen
ist. Wir sehen in die Cutis eingesprengt randliche und
polygonal geformte Zellenhaufen und Stränge, die sich
von der bindegewebigen Umgebung durch ihre intensive
Färbung abheben und sich in mannigfachen Verzweigungen,
die ab und zu eine kaktusblattartige Form angenommen,
nach allen Richtungen hin in die Tiefe erstrecken. Auch
mehrfache Epithelperlen, deren Zellenschichten zwiebel-
öchalenartig concenirisch angeordnet erscheinen, sind hier
und da sichtbar, so dass uns also hier das ausgesprochene
Bild eines Epithelialcarcinoms vor Augen tritt, welcher,
wie das für das Ulcus rodens die Regel ist, in den Lymph-
gefässen der Haut weiterwuchert. Je mehr wir uns
jetzt der Tiefe nähern, finden wir die Krebskörper in
Bezug auf Grrösse und Anzahl zu Gunsten eines stark
gewucherten Bindegewebes zurücktreten. Was die Tex-
tur des letzteren anbelangt, so erscheint es bald mehr
in Auflockerung begriffen bald fest und derb zusammen-
gefügt.
Was die Talgdrüsen betrifft, so erscheinen sie in
ihren Ausführungsgängen erweitert und ihre kolbigen
Endigungen bedeutend vermehrt und vergrössert. Die
ganze Drüse verliert immer mehr von ihrem eigentlichen
Charakter, indem sie von einem immer dichter werdenden,
die krebsige Degeneration verratenden, Mantel von epi-
— 43 —
thelialen Zellen umschlossen wird. Auch eine Abweich-
ung von der Richtung macht sich manchmal bemerkbar,
indem sie durch die andrängenden Zellenhaufen ver-
schoben, schief im Cutisgewebe liegend erscheinen.
Aehnliche Befunde lassen auch die Haarbälge erkennen,
jedoch sind diese meist nach der Tiefe sozusagen ge-
zerrt, denn hier und da findet man plötzlich mitten in
einem Zellenhaufen ein in Degeneration begriffenes Haar
selbst oder dessen Haarwurzel. Ferner schienen mir
die M. arrectorea pili verkürzt zu sein, manchnuil ganz
zu fehlen. Weniger Veränderungen zeigen uns die
Schweissdrüsen ; ihre tiefe Lage schützte sie jedenfalls
vor einem Hineinziehen in die krebsige Degeneration
Betreffs des Verhaltens der Gcfässe, die in dem
bindegewebigen Faschwerk verlaufen, erlaubt uns die be-
deutende Anzahl von Durchschnitten verhältnismässig
grosser Gefässlumina wohl den Schluss, dass eine reich-
liche Vaskularisation stattgefunden haben musste. Ferner
sind auch in dem Lumen mehrerer Gefässdurchschnitte
Häufchen von Plattenepithelzellen zu finden.
Wenn uns also auch der microscopische Befund da-
rüber belehrt, dass die Krebskranken durch die neue
Thiersch'sche Methode keine Heilung ihres Leidens zu
erwarten haben, so vermag man ihnen doch für die Folge-
zeit immerhin durch die Möglichkeit, die Geschwürsflächo
künftig künstlich mit Haut bedecken zu können, ganz
wesentliche Vorteile zu bringen. Pfiegt sich doch nach
dem Schwinden ihrer subjektiven Beschwerden nach der
Umwandlung der offenen Ulccration in eine bedeckte
auch das allgemeine Wohlbefinden der Patienten gewöhn-
lich zu bessern, ihr Gemütszustand, indem sie jetzt leichter
die Natur ihres Leidens vergessen, sich zu heben und
ihre gesunkene [Hoffnung wieder von Neuem aufzu-
richten! Denn unter den mannigfachen Beschwerden,
— 44 —
welche weiter vorgeschrittene Krebse der äusseren Haut
machen, stehen ja diejenigen in den Vordergrund, welche
mit der mehr oder weniger starken Absonderung der
UIceration zusammenhängen. Für viele Kranke fängt
ja überhaupt ihr Leiden an, der Krebs zu sein, wenn
der Aufbruch erfolgt ist, und nicht selten ist es allein,
oder doch zum grössten Teil die Jauchung und Blutung,
welche den Gegenstand der Klagen jener Unglücklichen
bilden. Heute weiss jeder Arzt, dass sich seine Sorge
bei einem Krebskranken, dessen Leiden einer radikalen,
operativen Behandlung nicht mehr zugänglich ist, wesent-
lich auf die Beseitigung resp. Beschränkung der Sekretion
zu richten hat, und ist es oft ganz wunderbar, welch'
grossen Eindruck der Arzt durch dies erfolgreiche Be-
ginnen sowohl auf die Umgebung als auch besonders
auf die meist in den Zustand der tiefsten Verzweiflung
und Trostlosigkeit verfallenen Patienten ausüben kann.
Wenn wir also auch in der Möglichkeit, das Ulcus rodens
künstlich mit Haut bekleiden zu können , kein Mittel
gefunden haben, die epitheliale Wucherung herabzusetzen,
zu hemmen und zum Schrumpfen zu bringen, so scheint
doch dieses Verfahren bei der Einfachheit und Gering-
fügigkeit des Eingriffes vor allen Dingen geeignet zu
sein, bei der Behandlung von ulcerirtcn Carcinomen der
äusseren Haut für die Folgezeit ein wichtiges Hülfs-
mittel zu bilden. Im Uebrigen können wir aus unserer
Beobachtung für die Therapie des Ulcus rodens einst-
weilen auch die praktische Lehre ziehen, die Neubil-
dung, wenn die Diagnose feststeht und die Geschulst
überhaupt noch operabel ist, möglichst frühzeitig auf
operativem Wege zu entfernen. Wenn wir also auch
auf diese Weise wiederum in der siegreichen Bekämpf-
ung des Krebses um eine Hoffnung ärmer geworden sind,
so darfauch hier die Zuversicht, einmal weiterzukommen.
- 45 —
nicht aufgegeben werden. Was wir vergeblich erstrebt,
werden vielleicht spätere Geschlechter finden. Uns aber
bleibt die Aufgabe, den Krebs, dieses Schreckgespenst
der Menschheit, dem alljährlich so viele zum Opfer fallen,
müglichst in allen seinen Eigenschaften kennen zulernen.
Nur auf diese Weise werden wir dem Ziele, den schlim-
men Feind einmal mit Erfolg bekämpfen zu können, immer
näher kommen, und sind deshalb alle Versuche in dieser
Richtung, wenn sie auch nicht mit dem gewünschten
Resultate gekrönt sein sollten , nur mit Ereuden zu be-
grüssen. Wer weiss , ob nicht doch bald einem der
Forscher die Palme winkt!
Es haben sich ja auch bei dem Studium der An-
heilung von Transplantationen auf das Ulcus rodens in
unserem Falle ganz interessante Beobachtungen ergeben.
Wir sehen in dem microscop. Bilde, dass, wiewohl sich
die Zellen des gesunden Plattenepithels mit den erkrankten
berühren, ja sogar von einem Piasmastrom im Anfang
ernährt werden müssen, sie selbst nicht carcinomatös
entarten. Es tritt also hier in keiner Weise eine Nach-
barinfektion von Zelle zu Zelle ein, sondern das aufge-
pflanzte Epithelium behält die Eigenschaften seines
Mutterbodens und bleibt als selbstständiges Ganze be-
stehen. Es muss sich uns im Anschluss hieran die Ver-
mutung aufdrängen, dass die Epidermis, welche längere
Zeit, ohne der Zerstörung anheimzufallen, die Bedach-
ung eines Krebses gebildet hat, im stände sein wird,
den aus der Tieto andrängenden Krebsmassen einen ge-
wissen Widerstand entgegenzusetzen. Wie lange sie
C8 aber aushalten wird, das wird natürlich von dem
einzelnen Falle abhängen. Immerhin rätselhaft vor allen
Dingen aber bleibt die aus unserer Beobachtung sich
ergebende Thatsache, dass eine feste Vereinigung von
Epidermis und ausgesprochenem Carcinom ohne eine
bindegewebige Zwischenschicht hat erfolgen können.
— 46 -
Zum Schlüsse möge es mir noch gestattet sein,
meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Hofrat Professor
Dr. V. Rindf 1 e i s ch, für die gütige Ueberweisung des
Themas und die Uebernahme des Referates meinen ver-
bindlichsten Dank auszusprechen.
Ingleichen bin ich zu Dank verpflichtet, Herrn
Dr. Albrecht Freiherr v. NottliaflPt, früheren T. Assis-
tenten am hiesigen pathologischen Institut, für seine
liebensvs^ürdige Unterstützung bei der Anfertigung der
microscopischen Präparate.
j^ITTERATUPy
1. Fischer: Expeiini. Untersuch, über d. Heil. v. Schnittwunden
der Haut. I. A. D. Tüb. 1SS8.
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Arch. f. klin. Chirurg. Bd. XVH.
COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES (hsl.stx)
RD121K67C.1
Patholonisrh h,cto!nn(crhQ cturi^P "Über
2002149109
J
NOV 17 1959