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Perſien.
Das Land und ſeine Bewohuer.
Ethnographiſche Schilderungen
Dr. Jakob Eduard Polak,
ehemaligem Leibarzt des Schah von Verſien und Lehrer an der mediciniſchen Schule
zu Teheran.
Erſter Theil.
Leipzig:
% 4. Brodhanus.
1865.
0/48
0/4138
VII
ſcheiden, ob die guten oder die ſchlechten Eigenſchaften über⸗
wiegen, ob letztere in der Organiſation des iraniſchen Typus
begründet, oder auf Rechnung des langen despotiſchen Druds,
dem das Volk unterworfen, zu ftellen jeien.
In meinem Buch babe ich mich bemüht, die Verhältnifle
frei von aller Boreingenommenheit möglichit objectiv darzu-
ſtellen. Ein neunjähriger Aufenthalt im Lande, die Kennt:
niß der perfiihen Sprache und der einichlagenden Literatur,
die ich mir dajelbit angeeignet, meine Stellung als Lehrer
an der medicinifchen Schule zu Teheran und fpäter als
Leibarzt des Schah, vielfache Reifen in die verjchiedenen
Städte und Provinzen, jegten mich in die Lage, bie Haupt⸗
ſtadt jomol wie alle Gegenden des meitgeftredten Reichs,
feine nad Abſtammung, Sprade und Religion vielgeftalteten
Bewohner, die politifchen, ethifhen und Gulturzuftände, ſo⸗
weit es dem Fremden möglich iſt, kennen zu lernen. Es
verſteht ſich außerdem von ſelbſt, daß über den weiblichen
Theil der Bevölkerung, ſowie über das Familienleben im
Orient überhaupt, nur der Arzt einen auf eigener Anſchauung
fußenden Bericht zu geben im Stande iſt.
Ich vermied bei der Abfaſſung, fremde Quellen zu be:
nugen; ich wollte, daß das Buch mir gehöre, daß ich allein
für feine Vorzüge und feine Fehler einzuitehen hätte:
Beſſer fteht mein eigen Wams, geflidt,
Als erborgtes, reich mit Gold geftidt. (Saabi.)
Ich darf daher wegen mander Lüden um Nachſicht
bitten; jeder, der die Verhältniſſe kennt, wird einräumen,
VIII
wie ſchwer es dem Europäer wird, ins orientaliſche Leben,
beſonders in das der Familie einzudringen oder von den
Landesbewohnern zuverläſſige Auskunft darüber zu erlangen.
Was die Orthographie der perſiſchen Worte betrifft, ſo
ſuchte ich fie der deutſchen Ausſprache möglihft anzupaſſen.
Den eigenthümlichen Laut des langen a, welches ungefähr
dem a im engliſchen Wort all entſpricht, bezeichnete ich durch
a; das kurze a, dem deutſchen & fich nähernd, durch æ, fo
in peder, der Bater; für das arabiſche Khaf bediente ich
mi des k; den Unterfchied des Ain und Ghain aber glaubte
ih um fo eher unberüdjichtigt Laffen zu dürfen, als e8 felbft
dem Perſer felten gelingt, diefe den Arabern eigenthümlichen
Laute richtig wiederzugeben. |
Schlieplih fühle ich mich verpflichtet, meinem Gefährten
und Freunde Dr. J. ©. Haͤntzſche, welcher Leid und Freud
in Perſien mit mir getheilt, für einige von ihm erhaltene
werthvolle Notizen an dieſer Stelle meinen Dank auszu⸗
ſprechen.
Wien, im Februar 1865.
Dr. J. E. Polak.
| Inhalt des erſten Theils.
L Voltszahl, Abſtammung und Stände. Schätzung ber Seelen⸗
zahl. Beſtandtheile der Bevöllerung. Perſer und Meder (Körper⸗
bildung, Charakter ber Fuzul, Freimaurerei, Gruß und Titel,
Schimpfworte und Flüche, Betheuerungen). Turko⸗Tataren.
Kurden. Armener. Juden (Charakter und Beſchäftigung, das
Efberbentmal in Ecbatana, Echtheit des Buches Eſther).
Gebern. Turlomanen. Afgbanen und Belubfchen. Zigeuner.
Die Eolonie der Europäer. Prinzen. Prinzen früherer Dynaftien.
Shane. Ehrentitel. Schreiber. Seiide. Lutis. Derwiſche.
Soldaten (die Wehrkraft, Offiziere, Artillerie, Angriff, Scalpe,
Schlußbemerlung). . > > >: 20m nen
1. Wohnhänſer, Städte, Gärten, Sommerfige nnd Zeltinger.
Ausdehnung ber. Wohnungen. Rafcher Berfall. Baumaterial.
Sauleute. Innere Einrichtung. BVentilation. Heizung. Aboxte.
Höfe. Frauengemächer. Die Stabt Teheran (Lage, Befeftigung,
Stadtviertel, Gaſſen, Beleuchtung, Reinigung, Bazare und
Karavanſerais, Bäder, Mofcheen und Madraffes, Amphitheater,
Plätze, Miethswohnungen, Hunde, Fliegen, Müden, Zeden,
Storpione unb Golpugen). Die Eitabelle von Teheran. Phy-
fiognomie anderer Städte (Jopahau. Die beweglichen Minarets).
Gärten. Sommerfite. Zeltlager...» 222 ne.
II. Epeifen nud deren Zubereitung. Mahlzeiten. Nationalgerichte:
Tihillam.. Bilew und Aſch. Brot. Fleiſch, Wild, Geflügel.
|
\
Muezzin. Walfahrten. Almofen und Bettler. Faſten. Feſte
und Feiertage. Die Paffionsfpiele. Verbote. Hazarbipiel.
Schachſpiel. Wucher. Aberglaube. Selten (bie Scheidi; bie
A Allah; die Babiß) . . 2: 2 ren
(Babediener). Das Färben der Haare. Babepr
Die Frauenbäder. Vorzüge und Nachtheile des perſiſchen
Babes. Tod und Beerdigung. Friedhöſe. Transport ber
Leihen nah den heiligen Orten . . . 2-2 2 2 men
XI. Bäder und Begräbnißftätten. Deffentliche Bäder. Der Dalgk
XII. Der Naurnz (Das Nenjahrsfeit). Zeitrechnung. Vorberei-
tungen zum Feſte. Inveflitur ber Gouverneure. Derwiſche.
Salam für die Priefter und Würbenträger. Aelteſte Gebräuche.
Neujahrscour beim Großvezier. Oratulationscour ber Ger
ſandten. Oeffentliche Audienz. Das Volksfeſt. Der Frauen-
ſalam. Beſuche. Pferderennen. Der Tette Feſttag.....
Seite
320
I.
Dolkszahl, Abſtammung und Stände,
Schätzung der Seelenzahl. Beſtandtheile der Bevölkerung. Berfer und
Meder (Körperbilbung, Charakter ber Zuzul, Sreimaurerei, Gruß und
Titel, Schimpfworte und Flüche, Betheuerungen). Turko⸗Tataren.
Kurden. Armener. Juden (Charakter und Beihäftigung, das Eſther⸗
denkmal in Echatana, Echtheit des Buches Eſther). Gebern. ZTurfo-
manen. Afghanen und Beludfchen. Zigeuner. Die Colonie der Euro-
päer. Prinzen. Bringen früherer Dynaſtien. Chane Ehrentitel.
Schreiber. Seiide. Lutis. Derwiſche. Soldaten (die Wehrkraft,
Offiziere, Artillerie, Angriff, Scalpe, Schlußbemerkung).
A. Dolkszahl.
Die Größe der Bevölkerung Verfiens läßt ſich äußerft
ſchwer beftimmen, da feine Geburt3- und Sterbeliften ge⸗
führt werden, auch niemals eine Volkszählung vorgenommen
wurde. Wollte man nah der Zahl der Familien und Häu-
jer, melde fih allenfalls ausmitteln ließe, auf die der Be
völkerung ſchließen, fo würde man, namentlich in den Städten,
leiht auf bedeutende Irrthümer gerathen, weil eine Familie
mit Dienerfhaft, Sklaven und Clienten, die entweder ge
kauft oder fonft der Familie einverleibt wurden, oft auf
80 —100 Perſonen anwächſt. Dieſes Verhältniß gilt jedoch
Bolat, Berfien. 1. 1
32
erlaubt balten. Während ihrer innern Fehden ruft oft ein
Stamm die Hülfe der Perjer. an, welche ihrerfeit3 die Ge-
legenheit günftig glauben, um über ihre Feinde berzufallen.
Doch Faum find fie erihienen, jo verbinden ſich die Strei-
tenden wieder zu eimer Cpalition und fallen dann gemein-
I&aftlih über die Helfer und Bebränger ber.)
Afgbanen,
von der reinften kaukaſiſchen Raffe, find an ihrer hohen Sta:
tur und kräftigen Geftalt, an den geiftvollen Phyfiognomien,
großen Glotzaugen (tscheschme chireh) und an ihrem ent=
ſchloſſenen Auftreten zu erkennen. Sie leben nur in Heiner
Zahl, als Flüchtlinge, von Stipendien des Schab, daher -
man fie unter dem Bolfe fpottiweife musche-chazineh, d. i.
die Mäufe des Staatsſchatzes, nennt.
Belndichen
find nur bier und da, als Sklaven, zu finden, fie nähern
ih dem Hindutypus. Kreuzungen des Iran'ſchen und Bes
ludſchenblutes aber trifft man fehr, häufig an, namentlic
in Siltan.
Zigeuner (kauli, karatschi)
finden fih als mwandernde Stämme (ils) in vielen Theilen
des Reichs. In Phyſiognomie, Sitten, Gebräuden, Yage-
rung, Lebensweife, Annahme jedweder Religion und Hal:
ten an feiner, gleihen jie volllommen ihren Stammes:
genoffen in Europa. Sie find befannt als muntere Tänzer
*), Die meiften ftatiftifhen Angaben iiber Turkomanen verbanfe
ih meinem Freunde Dr. 3. C. Häutzſche, welcher acht Jahre in Reſcht
am Kaspifhen See als Arzt gelebt bat.
33
und Mufifanten; fie prophezeien aus den Lineamenten ber
Hand, aus dem Würfellnochen der Schafe, oder aus einem
gedrudten Blatt.*) Sie treiben das Schmiedehandiwerf,
machen ſchöne Ketten und Siebe, fliden Keſſel, verzinnen
Serätbichaften und bilden eigene Ils unter einem Nomaden:
hei. Sie gelten auch ald gute Läufer, daher alle Scatirg
(Läufer) des Königs ihrem Stamm angehören.
Die Heine Kolonie der Europäer
umfaßt, mit Ausſchluß der Gejandtichaften und Conſulate
der verſchiedenen Mächte, eine beſchränkte Anzahl von Kauf:
leuten (Franzofen, Griechen, Deutihe, Schweizer und
Aufien), einige im Dienfte des Königs ftehende Offiziere,
Aerzte und mehrere zugewanderte Handwerker, im ganzen
faum mehr als hundert Individuen. Sie leben in Tabris
und Teheran, drei Familien in Reſcht, eine in Schiraz.
Der Europäer findet ſich bier nicht heimiſch, ſondern iſolirt
und von den Eingeborenen gemieden. Mancher ijt unfrei-
willig im Lande geblieben und liegt in perſiſcher Erde
begraben, aber bisjett fam fein Fall vor, daß ein Euro:
päer Berfien als zweites Vaterland adoptirt hätte, wie
dies in Aegypten und der Türkei häufig der Fall ift.
Durh die Schwierigkeit der Communication mit Europa
von der civilifirten Welt abgeſchnitten und ganz auf jich be:
fhräntt, von der weiblichen Bevölkerung durch Geſetz und
Sitte jo vollitändig getrennt, daß er faum in Jahren ein
*) So erzählte mir Dr. Cloquet: „ALS ich im königlichen Lager
zu Sultanieh war, kam eine Zigeunerin unb wollte mir aus einem
großen Blatte mwahrfagen; ich erlannte eine Nummer des «Journal
des Debats», bie ihr, wie ich fpäter erfuhr, General Ferrier für einen
geleifteten Dienft geſchenkt hatte.“
Bolat, Verſien. 1. 3
35
C. Stände.
Es gibt in Perfien durchaus Feine grellen Kaften« oder
Ständeunterjchiede, einen eigentlihen alten Adel. Einen
Stammbaum befigen nur einige Chef3 von Nomadenftämmen,
welche ihr Geſchlecht aus den Leiten Dſchengi's, QTamer:
lan’3 und felbit von den Saſſaniden ableiten. Man bört
zwar oft das Wort nedschäbet (Adel) und nedschib (ade:
ih); e8 wird jedoch darunter mehr die Stellung, melde
dad Individuum in der Gefellihaft einnimmt, verftanden.
Bei dem fabelhaft fchnellen Glückswechſel, wie man ihn nur
in dieſem Lande fieht, fteigt eine Familie plötzlich, nimmt alle
Civil: und Militärftellen ein und wird nedſchib, um ebenſo
raſch zu finten und in Vergeſſenheit zu geratben. So gibt
es im Lande wenige Familien, welche durch drei Genera-
tionen (puscht dar puscht) in Glanz und Anſehen geblieben
wären. Ä
Der höchſte Adelstitel ift Schähzädeh, Prinz aus der
regierenden Dynajtie; er ift durch Nachſetzen des Wörtchens
Mirzä tenntlih, jo Abbas Mirzä (Prinz Abbas). Weil
aber die Nachkommen Feth Ai Schahs feit etwa achtzig Jah—
ren auf mehr als zweitaufend männliche Sproßen angewach⸗
fen find, traf man eine Unterſcheidung zwiſchen denjenigen,
welche von jeinem Sohne Abbas Mirza, dem, Kronprinzen,
und denjenigen, welche von andern Söhnen ftammen. Erftere
gelten als nächite Verwandte des Königs; fie functioniren
meift als Statthalter und befigen Würden und Vermögen.
Die andern bingegen leben von geringen Benfionen; ſie
jind arm, werden vom Schah wie vom Bolt misachtet, aus
Furcht vor Anſprüchen auf den Thron zu feiner militäriichen
Stelle zugelaflen, und können wegen ihrer hoben Geburt ebenfo
wenig zu einer bürgerlichen Beichäftigung oder zu einem
3*
N
Handwerk greifen; man dichtet ihnen mit Recht oder Unrecht
allerhand Laſter an; fie find für das Land, welches fie er:
näbren muß, eine Laſt; dur langen Müßiggang verloren
fie alle militäriihe Tugend und Tapferkeit der Kadſcharen,
es blieb ihnen nichts als deren Vorurtbeile Bei ihrer
beifptellofen Vermehrung kann es gar nicht fehlen, daß zu:
lebt der Schag für die Penfionen nicht ausreihen wird, und
daß fie fchließlih den Prinzentitel ablegen müllen, um fid)
mit dem Volke zu vermifchen: ein Weg, den bisjegt nur
wenige von ihnen eingefchlagen haben.
Außerdem leben noch viele Defcendenten aus den frü:
bern Bynaftien der Säfis, von Kerim Chan und Nadir:
Shah; man nennt fie zum Unterſchied Mirzädeh. Erftere
waren vorzüglich ftark in Ispahan vertreten; in der neueften
Zeit wurden fie aber wegen politiiher Umtriebe erilirt und
in ferne Städte des Reichs internirt. In Ispahan traf
ih im Bazar einen Baummollichläger (hallätsch), der ein
Abkömmling des erlaudten Monarchen Kerim Chan mar.
Die Abfümmlinge Nadir-Schahs haben fich häufig mit den
Kadicharen verſchwägert.
Der eigentlie Adelstitel, Durch dus dem Namen nad:
geſetzte Wörtchen Chän bezeichnet, z. B. Iſſa Chan, mird
entweder durch ein Diplom vom König verliehen, oder er
iſt von den Aeltern angeerbt, oder man legt ihn ſich, wenn
man zu Vermögen gekommen iſt, ſelbſt bei. Er hat aber
ſo wenig Wichtigkeit, daß viele Staatsbeamte den Titel
Mirza vorziehen. Wenn eine Familie verarmt, ſo geht der
Titel ſtillſchweigend wieder verloren; nur manche führen ihn
ſelbſt als Stallknechte u. ſ. w. noch fort.
Leuten türkiſchen Stammes, beſonders den Militärs,
wird der Titel Beg gegeben, dem jedoch nicht etwa die Be—
deutung eines Beg oder Bei der Türkei zufommt.
Mehr angeltrebt find die Ehrentitel (lækæb), welche
‘
42
bekleidet und auf guten Pferden beritten. Ich begleitete oft
den König zur Revue. Die Mannſchaften ſahen gut und
tüchtig aus; fait alle Flinten waren mit Silber beichlagen,
die Pferde Fräftig und mwohlgenährt. Ihre Beitimmung ift
ähnlich wie die der Koſacken; fie plündern, Schaffen Proviant,
beunrubigen den Feind, machen nächtliche Ueberfälle, und
leiten bejonder8 gegen die Angriffe der irregulären Cava—
lerie der Turkomanen die vortrefflichiten Dienfte. Ueber:
baupt murde jede tapfere Waffenthat während meiner neun:
jährigen Anweſenheit nicht von der regulären, fondern von
. der irregulären Truppe ausgeführt. Sie ftehen immer unter
dem Commando ihres Tribuschef3 oder ſeines Sohnes.
Die reguläre Truppe bejteht aus Fußvolk (piädeh
nizam), Artillerie (tubchäneh) und aus etwa 300 Manu
Gavalerie (sawäreh nizam). Vom Fußvolk gibt es an
84 Bataillone (fautsch), jedes nominel zu 800 Mann,
doch jind felten mehr als die Hälfte im Dienft. An der
Spite des Bataillons fteht ein seertip (General); ihm unter:
jtehen die andern Grade, als: serheng (Oberſt), javer
(Major), sultan (Hauptmann), näjib (Lieutenant), wekil
(Feldwebel) und dehbäschi (&orporal). Die Anzahl der
im Dienst ftehenden und disponibeln Offiziere ift übermäßig
groß und würde für wenigſtens den doppelten Armeeitand
binreihen. Zehn Bataillone unterftehen dem Mirtuman,
an der Spike der ganzen Armee ftehen der sepäh sälär
(Feldinarfhall), der adschutän bäschi (Kriegsminiſter) und
der leschke nswis bäschi (oberiter Kriegscommiſſar). Die
Soldaten werden für die Dauer des ganzen Lebens geitellt,
daber findet man auch unter ihnen viele gebrechliche Greiſe.
Jedes Regiment fol der Regel nah ein Jahr dienen, im
andern auf Urlaub fein; doch wird bei größern Erpeditionen
biervon abgefehen, indem dann der Urlaub erft nach zwei
bis drei Jahren eintritt.
44
großen Erpedition, 3. B. nad Herat, werden dem Soldaten
1—2 Dulaten angewieſen, fonft ift für feine Verpflegung
nicht gejorgt; der Proviant wird ihm um erftaunlich hohe
Preiſe verkauft, und nicht felten zieht es der Offizier vor, die
Nahrungsmittel an den Feind zu verlaufen, ſodaß die Bes
lagerten beſſer als die Belagerer verpflegt find. Die Leute
baben fein Recht, ſich zu beichweren; jede Klage wird als
Snfubordination beftraft. Ich war einjt felbft Zeuge davon.
Der Schah hielt Revue über mehrere Regimenter, welde
nach Herat zogen; im Vorbeimarſchiren jammerte ein Soldat,
daß er vor Hunger erliege, da ihm fein Sold nicht bezahlt
werde. Der Schah fragte den Kriegäminifter, was er dazu
fage. . Diefer erwiderte: „Der Mann ift närriih und ſtör⸗
rig“, und verfeßte dem Armen, da der Shah ihn zu ftrafen
befahl, in persona einige Maulfchellen. Bei dem Mangel
an Fuhrweſen Faufen ſich gewöhnlich je drei Soldaten einen
Ejel zum Tragen ihrer Effecten. Die große Zahl vieler
magern Thiere im Nachtrab erjchivert und verzögert ſehr
den Marih, und wird der Nachtrab abgeichnitten, jo findet
fih das ganze Heer der Mittel entblößt. Der Offizier bleibt,
wenn es zum Angriff (hamleh, maarikeh) fommt, meit hin:
ter der Front; er verftedt ſich in einer Grube, ja er läßt
ih fogar von feinen Soldaten zu dem Zwed eine graben.
Es ift daher höchſt jelten, daß ein Offizier verwundet oder
getödtet wird.
Unter diejen Umftänden darf e3 nicht befremden, dab
die Disciplin ſehr gelodert ift, daß die Soldaten in den
Garnijonen Kleinhandel treiben, Eier, Früchte u. |. w. ver:
faufen, oder durch Plünderung und Diebftahl fi Unterhalt
verichaffen, daß fie unmwillig ans Erercitium gehen und, mit
Schreden an eine Erpedition denken, denn fie willen, daß
jie verlauft und verratben find. Bei ihrer gewohnten Ge
nügſamkeit ſuchen fie ich unterwegs verfchiedene Kräuter
46
das große Arjenal von Woolwich gezeigt. Als echter Perſer
äußerte er nicht im mindeften Bewunderung oder Erftaunen.
Beim Abſchied endlich gefragt, wie er die Anftalt gefunden
babe, fagte er nur die wenigen Worte: „Ihr habt nicht
dag große Arjenal von Teheran gejehen.” *)
Der Schah hält feine Artillerie für die beite der Welt,
Bei den Schiegübungen, die er jehr häufig veranftaltet, pflegt
er jelbjt einigemak die Kanonen zu richten; trifft er ins
Ziel, fo erhält er vom Premier zur Belohnung 50 Dulaten,
welche er dann unter die Mannfchaft vertheilt. Im Meidan
des königlichen Schloffes befinden lich zwei Kanonen von
mädtigem Kaliber; fie wurden m Bender Abbas zu Zeiten
der Säfi-Könige von den Bortugiefen erbeutet und jpäter nad
Teheran geführt; man nennt fie tube murwärid (Perl⸗
fanonen). Meift werden fie von Menfchenhänden mit uns
laglider Mühe, bisweilen auch mit Berluft von Menſchen⸗
leben, auf die Schießftätte gezogen.
Einmal forderte auch mich der Schab auf eine Kanone
zu richten. Ich unterzog mich nur mit Angft diefem Ge
Ihäft, denn ich fürchtete, einen von den Wächtern der Schieß-
jtätte zu treffen; doch lief alles glüdlih ab, und Tein
Menjchenleben war der königlichen Laune zum Opfer ges
fallen.
Trog der disciplinirten Armee darf man ſich im Kriege
auf feinen combinirten Angriff einlaffen. Die Offiziere blei-
*) Diefer Huffein Chan gilt felbft in Teheran als Prototyp eines
- Lilgners und Prahlers. Durch feine eleganten Manieren wußte er fih
überall bemerkbar zu machen. Als bei feiner Durchreife durch Wien
die Fürftin Metternich die Schärfe feines kameh (Dolch) beivunberte,
antwortete er ihr mit dem in Perfien üblihen Compliment: „Er ver-
wunbet nicht fo tief wie Ihre Augen.” Bor meinem Abfchieb von-
Teheran bat er mich, der Fürſtin viele Grüße von ihm auszurichten.
Ihr wohlgelungenes Miniaturbild bewahrt er mit vieler Pietät.
ww
47
ben binter der Fronte zurüd, und der Soldat mag zufeben,
wie er ſich, gut oder ſchlecht, aus der Affaire zieht. Ber:
wundet, überläßt man ihn feinem Schidjal; zeichnet er fich
ans, belohnt man ihn nicht, benimmt er fi feig, jo wird
ihm verziehen, denn niemand bemerlt ed. Nach einem Sieg
werden die Köpfe der gefallenen und verwundeten Feinde
abgeſchnitten und die präparirten Skalpe ald Trophäe nad
Teheran gebracht. Natürlich figurirt auch mancher perfifche
Stalp darunter, es gejchieht ad majorem regis gloriam.
Die Präparation beiteht darin, daß der Kopf einige Zeit
unter die Erde vergraben, dann herausgenommen und ge-
Hopft wird, wobei die harten und weichen Theile heraus:
fallen und nur die Haut zurüdbleibt; diefe wird mit Stroh
ansgefült und auf eine Pike geftedi. Ich ſah mehrere:
folder Sfalp-Revuen, die größte nad) dem Siege über die
Araber von Mäscat. Der Imam, welcher längere Zeit den
Strih von Bender:Abbas in Pacht hatte, verweigerte nämlich
den Pachtſchilling und machte Miene, feine Souveränetät
geltend zu machen. Gegen ihn z0g Abdullah Chan, ver
Sohn de3 Gouverneurs von Kirman. Er nahm eine tüch-
tige Dofis Haſchiſch und vertheilte auch einiges an feine
Soldaten ; der Angriff ward durch den europäiichen Arzt
Fugergreen, einen Schweden, der in perſiſchen Dienften fteht
und in Schiraz anfällig ift, gut geleitet; die Araber wurden
gegen das Meer gejagt, viele wurden getödtet, andere er:
tranten. Ich ſah den Zug der Skalpe, untermifcht mit den
gefangenen Arabern und Beludjchen, melde zum Tode ver:
urtheilt waren; das Todesurtheil wurde jedoch nicht voll:
zogen, da der Imam den Pacht erneuerte und vicle Beutel
Thereſienthaler an den Schah ſchickte.
Im ganzen drängt ſich dem Beobachter die Bemerkung
auf, daß von der regulären Truppe in ihrem gegenwärtigen
Zuftand weder für den König noch für das Land etwas Tüch—
48
tiges zu erwarten fei, und daß fie im Kriege gegen eine euro:
päiſche Macht faft gar keinen Widerftand zu leiſten vermöchte.
Gegen innere Unruhen und die Scharmügel mit den Turko⸗
manen würde ein Drittbeil der Mannichaft ausreihen. Bei
gehöriger Verpflegung und Bejoldung, und unter Führern,
bie fich das Vertrauen der Leute zu erwerben wüßten, könnte
das Land ein treffliches Heer beſitzen; denn die Soldaten
ftammen aus demfelben Blut wie die, mit denen einft Nadir
Shah nit nur fein Buterlgnd von zahlreihen Feinden,
den Afghanen und Türken, befreite, jondern ganz Afien
zittern machte und jelbit Rußland Achtung gebot. Leider
aber wird das vortrefflihde Material ohne ‚Sinn und nuglos
vergeubdet.
Ueber die andern Stände, ald: Priefter, Kauf: und
Gewerb3leute, Aderbauer und Nonaden, wird am
geeigneten Orte Näheres mitgetheilt werden.
11.
Wohnhäufer, Städte, Gärten, Sommerfibe
und Zeltlager.
Ausdehnung der Wohnungen. Raſcher Berfal. Baumaterial. Bau⸗
leute. Innere Einrichtung. Bentilation. Heizung. Aborte. Höfe.
Frauengemäder. Die Stabt Teheran (Lage, Befefligung, Stadtviertel,
Gafſen, Beleuchtung, Reinigung, Bazare und Karavanferais, Bäder,
Moſcheen und Madraffes, Amphitheater, Plätze, Mietbswohnungen,
Hunde, Fliegen, Müden, Zeden, Storpione und Solpugen). Die
Sitabelle von Teheran. Phyflognomie anderer Städte (Ispahan. Die
beweglichen Minarets). Gärten. Sommerfige. Zeltlager.
A. Wohnhänfer.
Es iſt eine Eigenthümlichkeit des Perſers, daß er ſich,
ſobald er zu Stellung, Einfluß und Reichthum gelangt, eine
neue Wohnung aufführen läßt und ſie übermäßig, faſt ohne
Zweck und Plan, vergrößert; er liebt zu bauen und zu er:
weitern. Ring? um fein Haus fiedeln jich feine Stammes:
genofien,. Glieder deſſelben Tribus (täife), ferner Diener
und Glienten an, jodaß in Furzer Zeit der Compler einen
ganzen Stadtbezirf einnimmt. Da nun beim Mangel an
alten adelihen Familien ein fortwährendes Emporkommen
und Sinken von Individuen ftattfindet, jo bevölfern ſich
Polak, Berfien, 1. 4
50
einzelne Stadttheile in wenigen Jahren; fie gelten dann als
die beliebten (marghub), um ebenfo rafch wieder einzugehen,
denn jeder trachtet in der Nähe des aufgehenden Sterns jei-
nen Sig zu nehmen und von dem untergehenden fi zu
entfernen. Nachdem im Sabre 1851 Mirza Agha Chan
Großvezier (sader aazam) geworden war, brachte feine Fa⸗
milie einen ganzen Stadttheil an fi und bebaute ihn mit
neuen Baläften; aber ſchon fieben Jahre fpäter, beim Fall
des Veziers, ftanden die Häufer leer, herrenlos, ihrem nahen
Verfall entgegenfehend, denn die Beliger lebten im Eril oder
juchten fih den Bliden der Regierung zu entziehen. Um
dieſe Zeit ftieg der Glüdsftern der Familie des Feruch
Chan Amin uddauleh auf; fie begann eine ähnliche Rolle zu
ipielen, um, wie vorauszuſehen war, ebenfall® bald einer
andern zu weichen. Aber damit nicht genug; auch in andern
ferngelegenen Städten werden ganze Stadttheile, welche dem
Tribus eines abgejegten Minifters gehören, nach feinem Fall
auf Befehl der Kegierung nievergeriffen und geitampft*),
wie dies mit dem Nur-Biertel in Schiraz nad der Exe—⸗
cution des Ibrahim Chan, Vezierd des Feth Ali Schab, und
mit den Quartieren der Makuͤi nach Erilirung des Minifters
Hadſchi Mirza Agaſſi geſchah.
Der Plan dieſer ſchnell aufſproſſenden Häuſer iſt ge—
wöhnlich ſo weitläufig angelegt und wird bei neu hinzukom⸗
menden Geldquellen ſo oft modificirt, daß das Gebäude nie
zu Ende geführt wird, oder daß bei dem unſoliden Bau der
eine Theil bereits zuſammenſtürzt, während der andere
noch im Fortbau ſich befindet. Da wechſelt plötzlich die
Stellung des Eigners, er verarmt, verliert ſeine Würde,
*) Stampfen (kubiden) iſt ein Zeichen ber vollendeten Zerſtörung
und bes Berbots ber Wiederaufrichtung, äbnlih wie das Salzftreuen
im Mittelalter.
58
Gegenüber dem Haupteingang befindet fih der große
Saal (tälär), wo der Herr des Haujes die Gäſte empfängt und
die Tagesgeihäfte abmadt. Er iſt ſehr hoch und geräumig,
mit vielem Luxus ausgeftattet, mit Wandmalereien gef hmüdt
und mit den foftbarften Teppichen bededt. Yu beiden Sei⸗
ten des Saals führen Treppen auf eine kleine Eftrade, von
wo der Eingang in den Talar ftattfindet. Der Saal (A)
bildet ein Parallelogramm mit vorfpringendem Raum (B)
gegen den Hof. Die vordere Wand (dd) beiteht aus einem
großen Fenfter (urusi). Auf diefes Fenſter wird viel Kunft
und Sorgfalt verwendet, e3 koſtet oft die Summe von
2—300 Dukaten; die obere Hälfte defjelben wird nämlich
durch feingefügtes, einer zierlichen Stiderei ähnliches Holz
werk ausgefüllt, in verſchiedenen geometrischen Figuren Sterne,
Poligone und Flechtwerk der originelliten Art bildend, und
dem Künſtler liegt e3 ob, ſtets neue Mufter zu erfinden,
damit nie ein Fenfter dem eines andern Haufes gleiche. In
die Lücken des Flechtwerks werden verſchiedenartig gefärbte
Gläſer eingejett, jodaß der Gelammtanblid den Figuren
eines Kaleidoſkops entipricht. Die untere Hälfte der Feniter:
mand wird durch fünf bis fieben ſenkrechte Ballenjäulen
unterbrochen, in melden ſich ſchwere Eonlifjenfenfter bewe⸗
gen, die zwar einfacher, doch ebenfalls mit buntfarbigen
Gläſern verſehen find. Diele Toftipieligen Fenſter bieten
54
zwar einen impofanten Zotaleindrud, doch laſſen fie fich
wegen ihrer Höhe und delicaten Zufammenfetung fehr ſchwer
rein balten und waſchen; auch habe ich nie bemerft, daß ein
Perſer es nothwendig fand, eine ähnlihe Manipulation
daran vorzunehmen. Daber füllen fih in kurzer Zeit alle
Fugen mit Staub; die Meinen Glasftüde löſen fih ab, und
der Wind pfeift dann ungehindert dur den Saal. Troß-
dem wird nie ein Fenſter ausgebeflert, es wäre dies tiber
den Grundſatz des Perſers. Im jchlimmiten Fall werden
die Lüden im Winter mit Papier verklebt, daber die Be:
bauptung, das Fenitermacdhen ſei ein dem Perſer angeborenes
Handwerk. *)-
Während des Tags werden die Feniter fait nie ge-
ſchloſſen, und es fommt dem Europäer fonderbar vor, im
Winter bei offenen Fenitern ein lebhaftes Kaminfeuer brennen
zu jeben. Das Schließen wäre auch wegen der vielen Lüden
nur eitle Mühe. Dem ſchlechten Verſchluß der Fenfter und
Thüren iſt e8 zuzufchreiben, daß, obgleih die Erwärmung
bei den ärmern Klaſſen mittels eines Kohlenbeckens gefchieht,
doch Fälle von Asphyrie durch Kohlenoxyd faſt unerbört
find. Dank diefer mangelhaften Einrichtung ift der Geruch
in perfiiden Zimmern nie fo penetrant wie in Europa in
den Wohnungen der Armuth, ſowie auch deshalb die Skro—
*) Der Emir tubchane, Commandant ber Artillerie, wurde zum
Borwand einer Gelberpreffung vom Grofßvezier aufgefordert, ſämmtliche
Rechnungen aus den breifig Jahren feiner Verwaltung vorzulegen. Der
arme Mann, der faum nothbürftig fehreiben konnte, war in großer
Berlegenheit. Gebrängt wegen bes Ausweijes, fagte er endlich: „Da
müßte ich ja alle Fenſter hertragen laſſen, denn an ihnen find die Rech⸗
nungen aufgeklebt.“ in Geſchenk von 5000 Dulaten an den Bezier
überhob ihn der Mühe des Transports. Als ausgezeichnetes Klebe-
mittel dient das Bulver ber Wurzel von Asphodalus (serisch), welche
fih häufig in ben hoben Bergthälern findet.
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fulofe jeltener und Erfältungsfrantheiten faſt gar nicht vor⸗
fommen. Zur Abhaltung der Kälte von 2—5 Grad R. dient
ferner ein langer Rollvorhang, der die ganze fehlende Wand
zu beveden vermag.
Die Thüren (dier) beftehben aus zwei mit eleganten
Arabesten, Vögeln und andern Thieren bemalten Flügeln.
Sie haben eine mwenigftens einen Fuß hohe Schwelle und
find fo niedrig, daß der Europäer, der an diefe Einrihtung
nicht gewöhnt ift, entweder mit dem Scienbein oder mit
dem Kopf anrennt.*) Sie drehen fih nicht in Angeln,
fondern um Zapfen, und werden nicht mittels Schnallen,
fondern durch ein Kettchen, oben an dem Querballen, ge-
fchloffen. Uebrigens findet dag Schließen der Thür während
des Tags nie ftatt, welches auch bei der bejchriebenen Con⸗
ftruction unnüß fein würde. Des Anſtands halber iſt an
jeder Thüre ein Vorhang (perdeh) angebracht, bei den Are
men aus leihtem Baummollitoff, bei den Reihen jedoch aus
perfiihem oder indiſchem Shaml.
Durch das gleichzeitige Deffnen aller Thüren und Feniter,
ſodaß die Luft ungehindert von allen Richtungen eindringt,
- wird der europäifche Ankömmling oft jehr beängftigt, denn -
er fürchtet die Zugluft; allein dies ijt etwas, das der Perſer
nicht begreifen Tann, er bat in feiner Sprade kein Wort
für Zugluft; von Jugend auf daran gewöhnt, fühlt er vom
Zug feinen nachtheiligen Einfluß. Dem Gaft wird in heißen
Tagen derjenige Ort als Ehrenplag angewiefen, mo der
*) Es famen mir bei Europäern Fälle ſchwerer Kontufionen und
ſelbſt leichte Gehirnerſchütterungen infolge des Anftoßens gegen ben _
Thürbaffen vor; boch nie begegnet ein ähnlicher Unfall einem Berfer,
weil er an die Eonftruction gewöhnt ift, eine hohe Müte trägt, beren
Herabfallen ihn an die Pfofte mahnt, unb der allgemeinen Sitte gemäß
beim Paffiren durch einen engen Raum den Kopf nicht vorwärts, fon-
bern rückwärts neigt, um das Hinberniß ftet6 im Auge zu behalten.
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Wind von allen Seiten durditreiht und die Luft abkühlt.
Tritt der Berfer in ein geichloffenes Gemach, fo ruft er
aus: „Chaffeh est!’ (Es ift erjtidend!) und läßt jogleich alle
Zugänge öffnen.*)
Die innern Wände diefer Säle find prächtig bergerich-
tet; eine Reihe Nifchen (täktsche), mit reliefartigen Gewin⸗
den und Arabesfen verziert, zieht ih daran bin. Diefe
Reliefs werden aus freier Hand mit Kohle gezeichnet und
dann geſchickt in Stud abgeformt; ich ſah deren viele in
Ispahan, welche an Leichtigkeit und Eleganz der Zeichnung
wie an Feinbeit der Ausführung alle Borjtelungen über:
boten. Um die Riſchen herum, wie an den Karniejen und
Borfprüngen, überall befinden jih Malereien, Blumen:
fträußhen, Blütenbüfchel, Vögel und Frauengeltalten in
liebliden Verſchlingungen daritellend, die zwar der Ber:
Ipective und des Schatten? ermangeln, aber durch die an:
muthige Erfindung und die Friſche der Farben einen beſon⸗
dern Reiz gewähren. Den Glanzpunft der Malerei und
der Stuccaturarbeiten bildet der Plafond, auf deſſen Aus:
Ihmüdung die meifte Sorgfalt verwendet wird. Aus feinitem
Spiegelglas gefügte künſtliche Figuren mechleln bier mit
bunten Gemälden in goldenen Rahmen, mit Porträts von
Monarchen, Generalen, Frauen und Knaben, jodaß das
Ganze einem Quodlibet nicht unähnlich ſieht. Ein folder
Plafond mit feinen Stuccaturen, Malereien und Bergol:
dungen koſtet oft 500—800 Dukaten, und bedenft man
dazu, daß die flahen Dächer felten einem anhaltenden Re—
gen widerjteben, die durch Näſſe entitehenden Beichädigungen
aber niemals reftaurirt werden, fo muß man über die kin—
*) Ich kannte nur zwei Perfer, welche gegen Zugluft empfindlich
waren; boch beite batten ala Geſandte lange Zeit in Europa gelebt,
wo fie auf deren Schäbfichleit aufmerkſam gemacht murben.
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diſche Verſchwendung ftaunen.. In der Neuzeit begann man
allerdings den Saal mit einem fchrägen Dad (schirwäni)
zu verfehen, allein das jchledhte Bauholz verleiht auch dieſem
felten die nöthige Feitigfeit.
Der Eftrih ift nicht gedielt, jondern nur mit einer
glatten Gipglage überzogen; er wird mit den berühmten per-
fifhen Teppihen und Filzen bededt. Einen. Teppich nad)
europäischer Weile über das ganze Zimmer zu fpannen, ift
nicht Sitte, weil die perfiihen Teppiche wegen ihrer Dide
und Dichtigfeit zu ſchwer gehoben oder transportirt werden
fönnten.*) Man belegt die Seiten mit zwei diden Yezder⸗
Filzen (kaenäre); zwifchen beide wird ein feiner, gemujterter
Teppih aus Farahan (käli) gebreitet, und an die Thür
fommt wieder ein fehmaler il; (serneschin). Der oben
mit B bezeichnete Raum am Fenfter erhält den koſtbarſten
Teppich, den schäh-neschin, d. i. Königs: oder Herrenliß.
In einem der Seitenwinfel liegt noch ein dider, feiner
Flanell (patu), meift carminroth, worauf der Eigenthümer
oder Vorjigende Pla nimmt.
Bei den minder Wohlhabenden erſetzt die Stelle der theuern
und ſchweren Teppiche ein ſteifes, feites, buntfarbiges Ge⸗
webe, welches jehr dauerhaft, zum Niederligen auf perlifche
Meile aber nicht weih genug if. Man nennt es gelim,
und es gilt fprihwörtlid als Zeichen der Genügſamkeit und
*) Auf meiner Durdreife durch Ispahan wurde ih im Schloffe
Anguriftan einquartiert. Der Gouverneur befahl, mir einen Teppich
unterzubreiten; elf Faraſche (Diener und Aufwärter) fchleppten ſich da⸗
mit, vermochten ihm aber nicht zu heben, fondern er mußte durch das
Fenſter hereingezogen werben, Diefer Teppich, von Schah Abbas flam-
mend, war mehr als zweihundert Jahre alt und noch fo gut erhalten, bie
Farben fo frifh, die Zeichnung fo zart, wie ich in biefer Art nie etwas
Aehnliches gefehen.
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von welcher Richtung er auch kommen mag, verfängt fid
darin; e3 entſteht zmijchen der obern und der Kellerluft eine
Circulation, oft in dem Maße, daß ein poröfes, mit Wafler
gefülltes Thongefäß, kurze Zeit dem Luftſtrom ausgejegt,
frifh und Ealt wird. An der Stelle, mo ver Schlau in
den Keller mündet, hat der Boden des Saals eine vergitterte
Deffnung; dadurch entiteht auch dort ein ſtarker Luftzug, der
in einiger Entfernung erfriihend wirft.
Eine andere Einrihtung, um die Luft abzutühlen, ohne
die unangenehme Nebenwirtung des Kelleraufentbalts ertra-
gen zu müſſen, findet fih in Häufern der Reichen, wo
fließendes Waſſer vorhanden ift; fie heißt serd-äb und be⸗
ftehbt aus einem ebenerdigen, etwas vertieften Zimmer 'oder
vielmehr Durchgang, dem gegen die Gärten zu beide Wände
fehlen. Durch die Mitte läuft eine Rinne nit fließendem
Wafler. Der Durdzug der Luft, verbunden mit der Strö⸗
mung und Verdunſtung des Wallers, machen dieſes Gemach
zu einem ſehr angenehmen, erquidliden Aufenthaltsort in
beißen Sommertagen. ‘
Für die Heizung wird, wie in allen ſüdlichen Län;
dern, jehr wenig Sorge getragen; nicht etwa daß es in Ber:
fien nicht falt oder die Kälte nicht empfindlich wäre, aber
fie dauert zu kurz, und fich wegen einer vorübergehenden Un⸗
gemädhlichkeit in Mühe und Unkoften zu verfegen, das wider:
firebt der Natur des Perſers. Nur in Häufern der Reichen
befinden jich einige Eleine, niedrige Winterzimmer, in welchen
Kamine (buchäri) angebracht find. Diejelben beitehen aus
einer Höhlung in der Mauer, von wo ein Schlauch gegen das
Dach fteigt; die äußere Verkleidung ift mit Stuccaturen, Ver:
goldungen, Arabesten und mit Verſen verziert. Man büllt fich,
wenn es kalt ift, in Pelzwerk, fauert nahe am Kamin zuſam⸗
men und ziebt fo direct die Wärme ein, ohne viel von Rauch
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manche Genitalleiden von dieſer Sitte herrühren, ift wol nicht
zu bezmeifeln.
Handiwerfer und Kaufleute, welche frei im Bazar han⸗
tieren, zünden ein kleines Kohlen- oder Holsfeuer an und
erwärmen jich abmwechjelnd die eritarrten Finger.
Der Berbrauh an Kohle ift in Perjien jehr bedeutend;
fie ift zur Bereitung von Thee, Kaffee, Nargbile, Käbab
(Braten) ſowie für verſchiedene Gewerbe unentbehrlich. Man
bringt .jie aus den Wäldern Mafanderang nad Teheran, mo
das Chalvar zwiſchen 1,8 bis 2,3 Dulaten koſtet. Auch
Steinfohlen finden ji in bedeutenden Lagern und vortreff:
lider Qualität. Wegen der mangelhaften Einrihtung der
Defen, und da jie zum Anzünden des Narghile untauglich
iind, weiß man fie jedoch nicht zu verwertben.
Unrathskanäle bat man in den perſiſchen Städten
nicht, Sondern tiefe Senkgruben, welde in einer gewiſſen
Tiefe horizontal ausgebuchtet nnd erweitert find. In Ispa⸗
han und andern Agriculturbezirfen endet der Schlaud in
ein minder tiefes, fellerartiges Gewölbe, von mo aus die
Ercremente, mit Stroh und Abfällen gemijcht, von den Land:
leuten als Dünger mweggeführt werden. Wenn diefe Trang-
porte nur des Nachts gejhähen und die Räumung in kurzen
Friſten jich wiederholte, jo wäre die Einrichtung in Städten
von mittlerer Bevölkerung ſowol für die Agricultur als auch
für den Gefundheitszujtand gewiß die zuträglichite.
Der Abort bejteht in einem Tleinen Appartement über
dem Schlau, tin deſſen Mitte auf dem Boden ein länglicher
Ausschnitt fih befindet, zu beiden Seiten mit einem Ziegel
zum Daraufitelen der Füße verjehen. Der Berfer verrichtet
bie Excretio alvi et urinae in bodender Stellung, aus
Furcht, feine Kleider zu beihmuzen, wodurch er geſetzlich
unrein würde. Nichts -ift ihm am Europäer unausftehlicher,
al® daß diefer die Excretio urinae fiehend verrichtet
70
Luft, und verfuht es im Zimmer, bödhiten3 bei offenen
FSenftern, zu jchlafen; allein die Hite fowol wie die Müden
beläftigen ihn bergeftalt, daß er fi) ganze Nächte fchlaflos
berummwälzt und endlich erkrankt. Beſſer alfo, man ahmt
die Landesfitte nach und verſucht nicht das Unmöglihe. Da
die Luft faſt beitändig troden ift, jchadet das Schlafen auf
dem Dache nicht, nur muß man fih gehörig zudeden, weil
ohne diefe Vorfiht die plößlihe Abkühlung der Luft nad
Mitternacht leicht Fieber erzeugt.
Gegen Sonnenuntergang begeben fich alle Bewohner bes
Hauſes einfchlieglih der Frauen auf das Dad. Aus diefem
Grunde beitimmt das Geſetz, daß jedes Haus zur Abwehr
neugieriger Blide mit überragenden Feuermauern verjeben
jei, jowie e8 auch ftreng verboten ift, die Augen auf ein
fremdes Dad hinüberſchweifen zu laſſen: ein Verbot, das
Europäern nicht genug eingefchärft werden Tann, wollen fie
nit muthwillig ſich großer Gefahr ausfegen.*) Desgleichen
ift e8 verboten, ein Haus fo hoch anzulegen, daß man von
beilen Dach das des Nachbars überfchaut.
In den meitläufigen Häufern der Prinzen und hoben
Beamten beiteht noch ein eigener Seitenhof mit bejonderm
Eingang und mehrern feingemalten Zimmerchen (chalvet, ®e-
heimgemach). Hierher zieht fich der Beliger zurüd, wenn er
ungeftört ih mit jemand unterreden oder, Gejchäfte vor:
Ihügend, dem dolce far niente ſich überlaffen will.
Bon dem birun (Männergemad) oder manchmal ſchon
von dem Hauptthor aus führt ein Gang zum harem
(Frauengemach). Diefer Gang, häufig im Zickzack angelegt,
*) Ich gab im Jahre 1854 einem Europäer Gaftfreunbfchaft. Ob⸗
wol ich ihn mit der Landesfitte befannt machte, fonnte er doch in mei-
ner Abweſenheit der Neugierde nicht wiberfiehen. Es erfolgten Stein:
wärfe und andere Unannehmlichkeiten, ſodaß ich große Mühe hatte, bie
Aufregung beizulegen.
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lich der Anblid von Monumenten, ausgedehnten Friedhöfen,
hervorragenden Thürmen und Kuppeln, daß er fi gegen
das Centrum des Landes bewege. Nichts von alledem darf
man bei Teheran erwarten. In einer fchledht bewäflerten
Ebene gelegen, nabe dem Rande der Wüfte, ohne alle
Straßen und Verbindungswege außer denen, welche der Tritt
der Saum: und Laſtthiere bezeichnet bat, bietet die Stadt
fein Öffentliches hervorragendes Gebäude, Keine Thürme und
Minarets, keine bochgemölbten Moſcheen; die Häufer aus
grauem Thon und die flachen, fahlen Dächer geben ihr den
Anblid einer Gruppe von unregelmäßigen Erdhügeln.
Dörfer befinden fih zwar zahlreich in der Umgegend, aber
fie find wie Dafen in der meiten Ebene zeritreut oder am
Fuße des Elburz durch eine Hügelkette maslirt. Die Stadt
bat abfolut feine Induſtrie, daher auch Tein Fahrifgebäude,
der Handel bejchränft fih rein auf das locale Bedürfniß,
daher Fein lebhaftes Zuftrömen von Waaren; kurz nichts er:
innert an eine Großſtadt. Als ich bei meiner Ankunft im
Sabre 1851 in unmittelbare Nähe der Stadt gelangt war,
ja als ich bereits die Thore paffirt hatte, wegen Unkenntniß
der Sprache aber Feine nähern Erfundigungen einziehen
fonnte, ſchien es mir unglaublich, daß ich wirklich die Nefi-
denzitadt vor mir hätte.
Teheran, in der trodenen Hochebene am ſüdlichen Ab:
bang der Elburzfette, 3308 Fuß über dem Meeresfpiegel ge⸗
legen, bildet ein unregelmäßiges Polygon, von neun geraden
Linien begrenzt; feine größte Ausdehnung ift von Dft nad)
Weit. Das heutige Teheran ift ftreng genommen nur eine
Fortfegung oder Verrückung der alten mächtigen Stabt
Rages oder Ray, welche vielfach) durch Kriege verheert, von
den Mogulen unter Dichengis und Tamerlan zerftört, end-
lich ganz unter Trümmer begraben wurde, und deren Wieder-
aufbau Aberglaube und Borurtheil. verhinderten, indem die
174
Tabris, Ispahan, Kaſchan und Hamadan mit Manufacturen
und Waaren verforgt. Das mangelnde Waſſer kann leicht
durch Fünftliche Leitungen mittels unterirdiiher Kanäle, ſelbſt
im großen durch Ableitung der Flüſſe Dihediherud und
Keretih und des Sees Tar, oberhalb der Stadt Demamend,
beichafft werden. Die zahlreihen Gebirgsdörfer am Fuße und
in den Thälern des Elburz bieten die herrlichſten Pläge für
Sommerquartiere und Lager; die fetten Triften von Laar
geben hinreihendes Futter für die Eöniglihen Pferde; der
Bedarf an Holz und Kohlen ift dur Anbahnung von Wegen
aus den Urwäldern am Kaspiſchen Meere berbeizuichaffen;
Schöne Glanzkohle findet fi) in mächtigen Lagern wenige Mei-
fen öftlid von der Stadt am Fuße des Gebirgs, fie ftreicht
zwar nur in ſchwacher Schicht vor Teheran vorbei, erjcheint
jdoh an den füdlichen Abhängen in unermeßliden Lagern
wieder; die grauen Marmorbügel bei Ray liefern einen vor⸗
treffliden Bau- und Kalkitein, weiterhin ziehen ſich mächtige
Gipslager, der Thon ift plaftiih und eignet fih zum
Erdbau. |
Diefe letztern Umftände, obmwol fie bei der Wahl ver
Hauptitadt gewiß am menigften berüdlichtigt wurden, hatten
auch den Beltand der alten, volkreichen Stadt Rages ermög-
liht, melde zwar unter günftigern Bodenverhältniflen ge
legen und vor den Weſtwinden mehr geſchützt war, aber dod, .
nur den erwähnten VBortheilen ihre Größe verdantte.
Im Umfang von 4000 Klaftern ijt die Stadt Teheran
durch einen Erdwall aus geftampftem Lehm, worauf hundert
Thürme (burdsch) errichtet find, und von einem Graben
(chandek) umgeben. Ein öftlihes, ein norböftliches, zwei
ſüdliche und zwei nördliche Thore — das eine der leptern
das Eitadellentbor — führen in das Innere; fie heißen Der-
waze Dawleh, D. Schemiran, D. Dulab, D. Nau und
D. Kaswin.
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ein fernere3 Hinderniß für die Paſſage. Werben fie be:
bedt, jo gejchieht es nur mittels einiger dünner Balken und
baraufgeitreuter Erde; die ſchwache Dede ſinkt bald wieder
ein, und nun bleibt die Grube lange Zeit offen. Dennod
ereignet fich jelten ein Unglüdsfall, denn jeder jieht behutſam
vor fih bin, und wer bineinfällt, hat das Unredt, die nö-
thige Achtſamkeit verſäumt zu haben.*)
Es gibt auch eigentliche Brunnen in Teheran, allein das
Waſſer darin iſt ſalzig und bitter, und kann nur als Spül⸗
waſſer benutzt werden. Anders verhält es ſich mit den
Brunnen von Ispahan, welche zu jeder Jahreszeit ein
gutes und 14 Grad kaltes Waffer in binreihender Menge
liefern.
Beleuhtung. Bis 10 Uhr abends werden die Ballen
durch Eleine, von Strede zu Strede aufgeftellte Dellämpchen
jpärlich beleuchtet. Doch reicht ihr Licht nicht bin, und es
ift Gebrauch — aud von der Sicherheitspolizei angeordnet —,
daß man nachts auf der Straße mit einer Laterne (fanus)
verjehen ſei. Die Eonjtruction diefer Laternen ift eigenthüm:
li; fie beitehen aus einem Unterſatz und einer Dede von
Kupfer, zwiſchen denen ein etwa 2, —3 Fuß mefjender be:
ölter Bapiercylinder auf Dräbten ausgejpannt if. Gewöhn⸗
lid werden zwei Stüd von den Dienern vorgetragen. Bon
Gaſtmählern werden die Gäfte mittels Windlichtern (ma-
schale), aus mit Naphtha getränftem und auf hohe Stangen
*) Bor einigen Jahren follte ich einen zweiunbfiebzigjährigen Greis
am Staar operiren. Als ich früh mit meinem Gehülfen hinkam, erfuhr
ih, daß er Tags vorher in eine Grube gefallen und einen Rippenbruch
erlitten hatte. Ich glaubte an fein nahes Ende und überließ ihn feinem
Schickſal. Ein Jahr fpäter ftellte fich derfelbe Greis wieder bei mir ein.
Mit Affiftenz des Dr. Didjon vollzog ich nun bie Operation, worauf er,
geheilt, eine Walfahrt nach Kerbelah unternahm, auf welcher ihn das
Fatum ereilte.
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beftedtem Werg beftehend, nad) Haufe begleitet. Erft in der
neueſten Zeit ließ der König die dem Sclofle parallel Tau:
fende Gaſſe durch zahlreiche Laternen auf eüropäiſche Weife,
jedoh mit Talgterzen, beleuchten.
Der Perſer liebt eg überhaupt nicht, fi nachts viel zu
beihäftigen; die Arbeit wird während des Tags abgemadıt,
denn das Gebot des Morgengebet3 zwingt ihn, auch im
Sommer mit Sonnenaufgang aufzujtehben. Bei den ärmern
Klaffen brennt abends eine mit Ricinuzöl gefüllte Lampe. *)
Die mittlern Stände bedienen ſich der Talgkerzen, melche
jedoch nicht wie in Europa dur Eintauchen, jondern durch
Uebergießen des Dochts mit geſchmolzenem Talg gefertigt
werden, daher jie fpindelförmig auslaufen. In die Häufer
der Keichen - und Beamten fanden jedoch auch fchon die
Stearinferzen Eingang; fie werden von Rußland aus impor:
tirt und beißen schame käfuri, d. i. Kampberferzen. Zur
Berhütung des -Abtropfens find hohe, in der Mitte aus:
gebauchte Glascylinder (mardengi) im Gebraud, welche als
ausländiide, meiſt öjterreihiihe Waare hoch im Preiſe
fteben. Der König und der Hofituat lieben beſonders die
Hängeleucdhter (tschehil-tscheräk), freilich ein jehr koſtbarer
Zurusartifel. Der Gebraudh der Illumination (tscheragäni)
zur Feier eines glüdlichen Ereignifjes, 3. ®. der Einnahme
einer "Stadt, der Ernennung des Thronfolgers, der Hochzeit
des Königs mit einer neuen rau u. |. w., wurde durch den
jegigen König eingefühtt. Da jedoh die Häujer feine
Fenſter nach der Straße haben, iſt eine Slumination im
europäiichen Sinn nicht möglich; es werden einige Lämpchen
vor den Thüren angezündet und dergleichen auf dem großen
2*) Am Kaspifhen Meer wendet man zur Beleuchtung meift das
Naphthabl an, welches von ben Turlomanen in ber Nähe von Aftrabab
auf Heinen Ediffen verführt wird.
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deren Mitte eine gemauerte, etwa 4 Fuß hohe Plateforme ſich
befindet. In ihnen werden im Monat Muharrem die Baf-
fionsipiele aufgeführt, zum Andenken an die unglüdliche
Schlacht bei Kerbelah, wo die Aliden durch die Yeziden bei-
nahe gänzlich ausgerottet. wurden. Sie mehren ſich durch
Fundationen und fromme Legate noh von Tag zu Tag; als
Baumerke verdienen fie kaum Erwähnung.
Bon öffentlichen Plätzen hat Teheran nur einen ein:
zigen aufzumweilen: das Säbfimeidan. Er ijt unter der Re:
gierung de3 jegigen Königs geebnet und gepflaftert worden.
Ringsum von hübſchen Läden mit Eftraden und Berandas
umſchloſſen, macht er einen recht angenehmen Eindrud. Einige
feine Pläge dienen zum PVerfauf von Pictualien oder als
Friedhöfe.
Es ift Sitte, daß, mit Ausnahme der ärmiten Klaffen,
nur je eine Familie in einem Haufe wohnt, wenn dieſes
auch noch jo groß ift. Jeder trachtet danach, ein eigenes
Haus zu befigen; nur Fremde nehmen manchmal ein Haus
in Miethbe. Der Miethzins ift in der Hauptſtadt nicht un⸗
beträchtlich, er beläuft fich unter Umftänden auf 200—365 Du:
katen jährlih. Hat jedoch jemand ein Haus mehrere Jahre
bewohnt, jo hält es jchwer, ihn daraus zu verdrängen,
jelbjt wenn er die Miethe nicht bezahlt, denn er bat durch
längeres Wohnen gleihfam ein Eigenthumsrecht erworben.
Daher vermeidet e8 der Wirth, den Miethcontract auf meb:
rere Jahre zu verlängern. Wenn um ein Haus Proceß ge:
führt wird, fo ſucht jede der streitenden Parteien factiſch
Beſitz zu ergreifen, und dies wird als gefchehen angenommen,
jobald es ihr gelingt, ein Geräth hineinzuftellen. Es wird
zu dieſem Zweck oft ein Möbelftüd über das Dach ind Hau?
geworfen. Ich mohnte mehrere Jahre in einem ſolchen be:
ftrittenen Haufe, und meine perfifhen Freunde belebrten
mich, daß ich nicht allein Feine Miethe zu entrichten bätte,
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diefer Thiere in der Halsgegend vermöge der ſtarken An-
Ihmellung und der jchnellen Rejorption des Gifts tödlich
verlaufen können; doc find die Fälle äußerſt felten. Ich
ah viele von diefen Thieren Geftochene, und nur drei Indi⸗
piduen gingen daran zu Grunde In Kalkan fragte ich
einen gelehrten perfiihen Arzt über den Befund, auch er
berichtete mir, daß tödliche Fälle äußerſt felten vorkämen,
daß jedoch oft bedeutende Anichwellung der gebillenen Glie⸗
der erfolge und leichte, allgemeine Bergiftungsiymptome fich
zeigten; ein Fall fei ihm befannt, wo ein Knabe, der im
Schlaf von einem Skorpion binter dem Ohre geftodhen wor⸗
den, innerhalb zwei Stunden erlag. Nach "meinen eigenen
Erfahrungen in Perlien und Aegypten, und nad glaubwür⸗
digen Berichten von Nerzten in Berfien, Aegypten und Tunis
it hiermit feftgeitellt, daß der Stich des Skorpions und der
Solpuge äußerit felten tödlich verläuft, daß indeß einzelne
Fälle mit lethalem Verlauf vorfommen, und zwar 1) wenn
der Stidy am Hals oder Kopf ftattfand, 2) im zarten Kindes:
alter. Uebrigens find gefährliche Folgen überhaupt nur in
beißen Sommermonaten zu befürdten, in anderer Jahres:
zeit ift der Verlauf durchgängig ein jehr milder. Die Be-
handlung feitens der Eingeborenen beiteht in jöfortigem Ans:
jaugen der Wunde, monad ein poröjer, Eiter auflaugender
Stein angellebt wird; zum innerlihen Gebraud reiht man
Erdpech, Mumiai und Teriak. Mir leiftete gewöhnlich die
unmittelbare örtliche Anmendung von Salmiafgeift gute
Dienite. Dem ängitlihen Reiſenden ift für alle Fälle zu
empfehlen, daß er mit einem Fläſchchen diefer Subftanz ver-
ſehen sei.
C. Die Citadelle von Teheran.
Bon dem Hauptplat der Stadt, Szebsi-meidan genannt,
gelangt man vermittels einer Fleinen Brücde über den Graben
89
in die Gitadele. Innerhalb diefer ſteht die königliche Ne:
fidenz mit allen ihren Gärten, Höfen, Kiosks und Harems;
fie ift im Umfang von 6000 Klaftern mit einer hohen Lehm:
mauer umſchloſſen. Außerdem enthält die Citadelle noch
mehrere Paläfte, die des erften Minifters und des Kriegs:
minifter3, das ruffiihe Gejandtichaftshotel, die Militär:
alademie, ein mneueingerichtetes® Geſchützdepot, vom diter:
reichiſchen Major Kıziz reorganilirt, und einige kleine Lehm:
hütten, beftimmt zur Aufnahme der ala Geifel zurückgehal⸗
tenen Turfomanen.*) Sämmtlicher Grund und Boden der
ausgedehnten Eitadelle gehört dem König; es fteht ihm das
Recht zu, denfelden nah Willlür, ohne Entihädigung für
die darauf errichteten Gebäude, in Belig zu nehmen, und
obwol er nur jelten**) von feinem Vorrechte Gebrauch madht,
*) Zu Zeiten Feth Ali Schahs wurden biefe Familien, vom Stamme
ber Telle- Zurlomanen, durch ben Prinzen Seif u bauleh nach Teheran
gefhidt; fie erhielten Quartiere und eine DBrotration. Doch erwice
fi die Maßregel als zwedlos, denn die Nomabenflämme ließen fich
dadurch nit von fernern Einfällen abhalten. Die Nadylönmlinge, den
Romabenfitten treu, pflegen Pferde, bienen ale Curſchmiede und er-
zeugen einige Gewebe ber Steppenbemwohner. Auch Tracht und Kopf:
bekleidung behielten fie bei. Sie find Sunis und ſchon deshalb bei ben
Perſern verachtet. Ihre Phyſiognomie bietet den reinmogolifhen Typus
mit ſchiefen Augen, ſtarken Badentnocden, kargem Bartwuchs (rische
kusse), ſtarkem Schnurrbart und Mangel an Badenbart. Die rauen,
obwol von gelblicher Farbe, find in der Jugend ziemlich hübſch, werben
aber in vorgerldterm Alter auffallend häßlich.
”*) Es geſchah dies meines Wiſſens nur zweimal: nach gebämpfter
Empörung bes Rebellen Salar murden ſämmtliche Häufer ber Familie
und ber Angehörigen beffelben geftampft und ber Grund eingezogen;
und während des letzten englifch- perfifchen Kriege wurde das Palais
des englifhen Schütling®, bes Prinzen Seif-ebbauleh, zur Erweiterung
der königlichen Refidenz verwendet. Auch nah dem Friebensichluß
tonnten die Engländer keine Einſprache thun, meil das Eigenthbumsredht
des Könige auf ben Boden feftfteht.
%
jo ift doch der Werth diefer Bejigungen eben wegen ber
möglichen Confiscation fehr gering.
Bleih über der Brüde führt eine Heine Gaſſe durch
das Thor der Nagare Chane*) auf den großen Platz (mei-
dan-e-Schah), der in der Länge 120, in der Breite 60 Klaf-
ter mißt. Es ift der Erercirplag der Artillerie; ringss
berum find Logen für die Artilleriemannſchaft angebradit;
in der Witte erhebt fi eine Plateforme (seku), wo die drei
unter Schab Abbas den Portugiefen abgenommenen großen
Kanonen (tube murwärid) aufgeftellt find. Dielen Kanonen
wird bejondere Verehrung eriviefen; fie gelten als Aſyl für
Verbrecher und merden bei großen Schiegübungen auf Be:
fehl des Königs vor die Stadt geführt. Auf diefem Platze
finden aud die Revuen der irregulären Truppen (radif),
die Feuerwerke und öffentlichen Spiele bei großen Feiten und
Feierlichkeiten ftatt. Zu dem Zweck befindet ſich dafelbit eine
hohe Tribüne, auf welcher der Schab, die Würdenträger und
Geſandten als Zuſchauer beimohnen. Seitwärt3 in der Ede
bemerft man auch ein Heine Thürmchen, von wo aus ber
König oft unbemerkt mit dem Fernrohr die Vorbeiziehenden
muftert und die Erercitien der Artillerie beobachtet.
Durch ein ziveites gegemüberliegendes Thor (äali kapi,
bobes Thor) gelangt man, einen winkelig gebrochenen Gang
paflirend, in den eriten Hof (bäge salam, Salamgarten; jo
genannt, weil dort der große Salam abgehalten wird). Er
ift fehr geräumig, mit hohen, ftämmigen Platanen bepflanzt
und wird durch den großen Salamfaal in zwei gleiche Hälfs
ten getheilt. Bon bier kommt man wieder durd . einen
großen Thorweg in den zweiten Hof, die eigentliche Reſidenz
des Königs, genannt diwän-chäneh. Diejer Hof ift links
angebaut, während ihn gegen die Mitte eine Häuferreihe in
*) Siehe Kapitel „Neujahrsfeſt“.
92
der Schab von vorzüglidher Größe, aber etwas gelb, mie
fie aus alter Zeit datiren. Die vielen goldenen mit Juwe⸗
len beſetzten Gefäße, die aus Gold prächtig emaillirten Trink:
gefchirre, die ganz mit Edelfteinen incruftirten Gürtelplatten,
dag Reichsſcepter und das Reichsſchild u. |. m. müſſen jeden
Kenner zur Bewunderung binreißen.
Der Empfangjaal, der größte im ganzen Schlofie,
ftelt eigentlih eine offene Halle dar, denn die beiden
Hauptmände fehlen und werden durch mächtige Säulen er:
ſetzt. Zwei Gobelinteppiche von höchſter Meifterfchaft, ein
Geſchenk des Königs Ludwig Philipp, und der berühmte
Pfauenthron (tachte-täus), welchen Nadir Schah von der
Plünderung Delhis nad Perfien brachte, fallen hier zumeift
ing Auge. In diefem Saal werden Audienzen ertbeilt und
Bejandtichaften empfangen. Die zwei feitlihen Thüren füh⸗
ren in die Bibliothef und in die Rüftlammer. In der Näbe
befindet fih auch die fönigliche Bildergalerie, deren Beſchrei⸗
bung mir an einem andern Orte geben.
Aus der Diman chaneh gelangt man durch eineh Bid:
zadgang in das königliche Enderun. Es beſteht aus
drei großen und einem Kleinen Hofe, die alle von Woh⸗
nungen für die fönigliden Frauen, ihre Sklavinnen und ihr.
Gelinde umgeben find. Nad außen wird es durch ſehr hohe
Lehmmauern abgegrenzt und durch aufgeitellte Poften ſorg⸗
tältig bewacht. Weder der Bau noch die Ausfhmüdung ver:
rathen eine Spur von orientalifhem Lurus, wie man fidh ihn
porzujtellen pflegt. Die Einrichtung der Zimmer ift einfacher
als in andern Harems der Stadt. Erft in den lebten Jah⸗
ren ließ der König für feine Lieblingsfrau im erften Hofe
ein nach perfiihem Geſchmack prädtiges Gebäude aufführen.
Dafjelbe leidet jevohd an allen Mängeln der neuern inlän-
diihen Baufunft; die Lehmmauern find mit Gips und Mar:
mor überfleidet, die mit Stud übertündhten Säulen find
93
bünn und ſchmächtig, die Treppen jteil und eng, die vielen
Fenſter, Thüren, Erker, Niihen, Balkone und Galerien
mahnen an ein Kartenhaus, das beim leijeiten „Stoß zu:
jammenzubreden droht.
D. Phyſiognomie anderer perhfcher Städte.
Richt viel verfchieden von der Teherang iſt die Phyſiognomie
der andern großen Städte, wie Tabris, Kaswin, Hamadan,
Kum, Kaſchan u. |. m. Ueberall diefelbe Bauart, diefelben
Auinen, derjelbe Schmuz in den Gaflen, und dafjelbe Trei-
ben und Leben in den Bazaren und Karavanſerais. Weberall
Häuier im Verfall und andere in Aufbau. Eine Ausnahme
bildet Ispahan, welches feine großartigen Ruinen, feine
Moicheen, Bärten, Brüden, Karavanjerais, Bazare, Fabrik:
anlagen, jein Acker- und Gartenbau, jeine Weingärten
und Melonenfelder ſehenswerth machen. Es iſt der einzige
Drt Berfiend, der auf den Namen einer Haupt= und Reſidenz⸗
ſtadt Anſpruch erheben kann, und jede vernünftige Ktegierung _
wird in Zukunft dort ihren Stüß- und Gentralpuntt fuchen.
Ueber die Ruinen Ispahans ift in neuelter Zeit jo
viel gefchrieben worden, daß ich es für überflüflig erachte,
auf den Gegenftand näher einzugeben. Ich will hier nur
von den beweglichen Minaret3 ſprechen, deren Beichreibung
ih überall vermiffe, während doch ihre Conjtruction dem
Iharffinnigften Beobachter unbegreiflich erjcheinen muß. Etwa
eine Stunde von Ispahan, in dem Flecken Chaledan, ſteht
eine Mofchee von mäßiger Größe; fie ift gewölbt und birgt
in ihrem Innern das Grab eines Santon. Weber der Wöl:
bung, welche an mehreren Stellen Riſſe zeigt, erheben jich zwei
Thürmchen (Minarets) von etwa 15 Fuß Höhe, durch einen
Zwiſchenraum von etwa 20 Fuß voneinander getrennt. lim:
faßt man eins dieſer beiden Thürmchen und rüttelt daran,
fo bewegt es jich merklich, und diefe Bewegung tbeilt fich
94
dem andern Thürmdhen, dem Gewölbe jammt allen daran
befeftigten Gegenftänden und den Wänden des Tempels mit.
Ich hatte, auf dem Gewölbe ftehend, während mein Diener
an dem Thürmchen rüttelte, dag Gefühl, als wanke, durch
ein Erdbeben erjchüttert, der Boden unter mir. Und troß
der öÖftern Bewegung, troß der vielfächen Riſſe des Gewölbes
behauptet jich der Bau ſchon durch mehrere Jahrhunderte. Ob
die Beweglichkeit defjelben im urfprüngliden Blan des Bau-
meiſters lag, oder ſich erft fpäter durch Zufall einftellte, weiß
man nicht. Kein europäiſcher NReifender bat bisher das
Räthſel der jich fehüttelnden Minaret3 (minäre dschunbän)
zu löſen vermocht; die Berfer aber fchreiben fie der Wunder:
kraft des Heiligen zu.
Einigermaßen abweichend von den Städten des kahlen
Hodlandes ift nur die Bauart in der von einer reichen
Vegetation, von üppigen Baumgruppen umgebenen Städten
am Kaspifhen Meere, indem bier die häufigen Regen zur
Anlage ſchräger Ziegeldächer nöthigten.
E. Gürten.
Die Gärten der Stadt Teheran umfaſſen nach Meſſung
des öſterreichiſchen Major Krziz ein Areal von 80000 Quadrat⸗
Klafter. Die größten und üppigften find im füdweftlichen und
nordöftliden Stadttheil gelegen. - .
Gewöhnt an die Kargheit der natürlichen Begetation,
namentlih den Mangel an Bäumen in der Ebene, fegt den
Perjer ein Bächlein mit fließendem Waller in Entzüden, an
deffen Rand er unter einigen Weiden- oder Bappelbäumen
Schatten findet, feine frugale Mahlzeit einnehmen und im
Sommer fein Nachtquartier auffhlagen kann. Sieht er gar
in einer Umzäunung eine Gruppe von Wuld- und Frucht⸗
bäumen und einige Rofenft:äuche, fo erklärt er den Garten
für herrlich, für paradiefifch, zur Poeſie begrifternd. Doch
100
beide find aber ebenfalls behufs Gewinnung von Bauholz
ftarf geplündert. Uebrigens muß der König dad Bauholz
aus feinen eigenen Gärten theuer bezahlen.
Der Garten bei Fin (Kajchan), berühmt als Schauplag
der Ermordung des mächtigen Miniſters Mirza Taghi Chan,
weilt einen kräftigen Baumwuchs auf und ift von Tlaren,
friſchen Bächen durdzogen. Kein Reifender follte verfäumen,
das Bad, wo der Emir ermordet wurde, und die ſchlanken
Cypreſſen anzujeben.
Die einit berühmten Gärten von Ispahan: Tſchehil⸗
ſutun, Tſchehar bag, Hezar Dſcherib, Anguriftan u. ſ. w.,
von frühern Reiſenden ſo ſehr geprieſen, ſind jetzt ganz in
Verfall; ſie werden mit Getreide, Taback und Gemüſen
bepflanzt.
Einer beſſern Pflege erfreuen ſich die Gärten von
Schiraz, weil ſie dem Strahlenglanz der geheiligten Majeſtät
und den Blicken der raubſüchtigen Cohorten ferner gerückt
ſind. Die reiche Vegetation der Orangen, Limonen, Man⸗
darinen, Cedras u. ſ. w., die weithin ihre Düfte verſtreuen⸗
den Blüten mahnen uns an Saadi und Hafis, deren Poeſie
ſich an ihrer Schönheit begeiſterte. Die Grabmäler dieſer
beiden Dichter, von gutbewäſſerten Parkanlagen umgeben,
laden die Bewohner von Schiraz zu fleißigen Pilgerfahrten
dahin ein.
F. Sommerſitze und Zeltlager.
Bei der gänzlichen Verabſäumung aller Sanitätsmaß⸗
regeln für Reinigung der Stadt werden im Sommer die
Straßen ſo ſchmuzig und unflätig, die Luft ſo peſtilenziös,
heiß und drückend, das Waſſer in den Baſſins ſo faul und
ſtinkend, die Mücken und Fliegen ſo beläſtigend, daß es
unumgänglich nöthig iſt, während der Sommermonate einen
102
momentane Bedarf an Laftthieren ift dann außerordentlich
groß. Alle fremde Maulejel- und Kameltreiber, deren man
babhaft werden kann, jelbit die Karavanenführer, werden
meift unentgeltlich zu dem Zuge gepreßt; man überlaftet ihre
Thiere und jorgt nicht einmal für hinreichende Futter. Da:
ber ſuchen fie vorher aus der Stadt zu flüchten; fie ver-
fteden ihre Thiere in Ruinen oder treiben fie in hohe Berge,
bis die Gefahr vorüber ift. Den europätichen Geſandtſchaften
wird es leichter, Lajttbiere zu befommen, weil man meiß,
daß jie den Dienft nicht ohne Bezahlung verlangen.
Es ift felbitverftändlih, daß fih um das Königliche
Dorf Niaveran die meiften Beamten und andere Stabtbewoh-
ner Scharen. Darum wird in Furzer Zeit auch bier Luft und
Wafler jo verpeitet, daß der Aufenthalt feine Erfrifhung
mehr gewährt. Alzdann bricht der Hof nah den fernen
Bergen auf, nah dem Engthale Laar, in das waſſerreiche
Keſſelthal Amameh, nach Lauroſcheriſtanek am füdlichen Ab⸗
bang des Elburz, in die Nähe der Stadt Demamend u. |. w.;
und da e3 dort feine Behaufungen gibt, jo werden Zelte
aufgefchlagen und ein Lager bezogen. Dem Perſer Flebt noch
jo viel von Nomadenthum an, daß er jich in Zelten heimiſch
und behaglich fühlt, auch weiß er fie bequem und mohnlid
einzurichten, und nicht mit Unrecht jagt man, jein Zelt
gleicht einen Haus, fein Haus einem Zelt. Der zum Lager -
beitinmte Bla, an einem frifchen Bach oder an einer waſſer⸗
reihen Quelle gelegen, wird mit Leinwandwänden (seraperde)
umſpannt, deren innere Seite mit allerhand Figuren bemalt
it. Für die königlichen Zelte wird ein Ort gewählt, der
leiht von den Wachen abgeiperrt und überjehben werden
kann. Für die übrigen wird der Boden durch aufgeworfenes
Erdreich erhoben und geebnet. Um die Sonnenftrablen ab:
zubalten, bejtebt jedes Belt aus einem äußern und einem
innern. Das äußere (puscht), aus rother Leinwand gefers
105
Lagerplatz fehr geeignet, um jo mehr als Wechjelfieber und
Dysenterie dort nicht vorkommen und die Cholera ſich noch
nie dort gezeigt bat.
Eine große Menge von Argalig, Antilopen und Wild:
fchweinen bietet Gelegenheit zu ergiebiger Jagd. Allein bei
dem Abgang aller Ordnung und Aufliht über Reinigung
des Lagerd wird felbft bier zuletzt die Luft verdorben, die
Forellen wandern aus oder fterben ab, und jo ſieht ſich der
König gezivungen, den Lagerplag entweder weiterhin zu ver-
legen oder gänzlich zu verlaffen und mit einer andern Ge:
gend zu vertaufchen.
Segen Ende Auguft Tehrt der Hof ins Luftihloß am
Fuße des Elburz zurüd, um im Monat October wieder die
Stadt Teheran mit feiner Gegenwart zu beglüden. Der
Rückzug geht nicht minder tumultuarifch vor ſich mie die
Hinreife. Sind die aftrologiihen Zeichen für den Eintritt
in die Stadt ungünftig, jo wartet der König einige Tage
in einem nahegelegenen Garten, gewöhnlich in Negriftan oder
Nizamieh, bis glüdlichere aftrologifhe Conftellationen ihm
den Eintritt durch ein beftimmtes Thor erlauben.
IM.
Speifen und deren Bubereitung. Mahlzeiten.
Nationalgerichte: Tſchillaw, Pillam und Aſch. Brot. Fleiſch, Wild,
Geflügel. File. Speifegefepe. Milch, Käſe. Sauere Eonferben unb
Scherbets. Süßigkeiten. Früchte. Gemüſe. Getränte. Eis und
Eisgruben. Gewürze. Küche und Küchengeräthe. Tafelgeſchirr. Die
Mahlzeit. Gaſtereien und Trinkgelage. Die königliche Tafel. Volle⸗
verpflegung. Billigkeit und Theuerung ber Lebensmittel.
Der Perſer iſt ſehr einfach in ſeiner Lebensweiſe, und
im allgemeinen mäßig in Speiſe und Trank. Cerealien,
Reis, Vegetabilien, Obſt und Milchproducte bilden ſeine
Hauptnahrung; Fleiſch genießt er wenig. In den Städten,
namentlich unter den wohlhabenden Klaſſen, dient der Reis
als das wichtigſte Nahrungsmittel; ebenſo in einigen Pro⸗
vinzen am Kaspiſchen Meer, wo Cerealien aus vorgefaßter
Meinung, daß fie nicht gedeihen, gar nicht angebaut werden .
und Brot daher vom Volke faum gekannt if. Aus Neig
werden die drei Nationalgerichte: Tſchillaw, Pilam und Aſch
bereitet; tie fjpielen im Haushalt des Perſers eine große
Rolle, und ohne Ambroſia-Pillaw vermag er fich Fein Bara-
dies zu denfen.*) Nachitebend eine ausführliche Beichreibung
derfelben.
*) Ich las einft mit meinem Mirza (Privatfchreiber) ein Kapitel
107
Unter Tſchillaw veriteht man in Waſſer abgefottenen,
nur wenig fetten Reis; er wird entweder als befonderes Ge⸗
richt oder als Ingredienz an Ragouts, Fleifchforten und
Milchproducten verzehrt und ift eine leichtverdauliche Speife,
die ſelbſt Kranke und Reconvalefcenten gut vertragen. Man
ißt fih ihn, wie dad Brot, nie zum Ueberdruß; es gibt
Zeute, die ihr ganzes Leben lang jeden Tag zweimal Tſchillaw
genießen, und denen er nebit etwas Fleiſch, Brot und fauerer
Milch faft als ausfchließlihe Nahrung dient. Auch Euro:
päer gewöhnen ſich daran, eſſen ihn ein- bis zweimal des
Tags und befinden ſich wohl dabei.
Die Art der Bereitung it folgende: Man nimmt Reis
von guter Qualität, vorzüglich die nur wenig mucilaginöfe
Sorte von Maſanderan (Amberbu) oder von Schiraz
(Tichampe), läßt ihn 1—1"/, Stunden in kaltem Waffer
fteben, um den Reit der mucilaginöfen Beftandtbeile zu ent:
fernen, und feiht ihn dann durch. Hierauf füllt man einen
großen Kupfertopf A zur Hälfte aq mit —
geſalzenem Waſſer und ſtellt ihn, durch @ B
einen gemölbten, genau Tchließenden
Hut B bededt, an offenes, ſtarkes
Feuer. Sobald das Waſſer ſiedet,
wirft man jchnel den Reis binein,
läßt ihn 8—10 Minuten lang kochen
und macht dann die Probe; fängt er
an etwas zu jchwellen, ſodaß er zwiſchen den Fingern zer:
drüdt werden kann, fo giebt man das Waller ab und läßt
aus Saadi, das liber Genügſamkeit handelt; ich verfland eine Stelle
nit, da erffärte ber Mirza, um mir bie Sache beutlich zu machen,
den Sinn folgendermaßen: „Du mußt nicht jeden Tag einen fetten
Pillaw effen, fondern dich auch manchmal mit Brot und Käſe be-
“u
guügen.
116
unverlauft bleibe. Deshalb fühlt man auch nicht das Bedürf⸗
niß nah Eisfellern oder Fühlen Aufbewahrungsplägen für
das Fleifch. | "
Die Eingemeide, Herz, Leber, Lunge und Gedärme,
werden entweder weggeworfen, wo jie dann den zahlreichen
Hunden zur Speife dienen, oder faft umjonft an die ärmiten
Klaſſen abgegeben. Die Milz jedoch wird immer den Hun:
den überlaffen.
1) Das Fleiſch wird in Waſſer abgekocht und mit Kücher:
erbjen verjett, die Brühe beißt dann næchud ab oder äbe-
guscht; jie wird mit einem Theil des Fleiſches ferpirt, der
größte Theil defjelben wird jedoch vor dem vollen Barmer:
‚den herausgenommen und dem Pillaw einverleibt. Wird die
Brühe mit Reis und mit Früchten oder Gemüſen verjekt,
fo nennt man jie Aſch (ſ. oben).
2) Das Fleifh wird in dünne Scheiben gefchnitten, die
mit Schichten Fettichmanz vom Tatarenichafe abmwechjeln, an
den Spieß oder Laditod geitedt und über Kohlen gebredt,
zumeilen auch mit Butter und Citronenfaft beftriden und
mit etwas Pfeffer betreut, bis es gebraten ift. Hierauf
wird es in einen dünnen laden Brot eingebüllt zu Tiſch
gebracht. Diefe ift die beliebtejte und ſchnellſte Fleiſchberei⸗
tung der Perſer; ter Braten fehlt daher bei feiner guten
Mahlzeit. Friſch genoffen ift er in der That äußerit ſchmack⸗
haft und leicht verdaulid; man nennt ihn sich-kebäb
(Spießbraten). unge Hühner und große Stüde zarten Lamm⸗
fleifches werden unzerfchnitten auf diefe Weife zubereitet.
3) Das Fleifh wird mit gleichen Theilen Zwiebeln zu
einem feinen Brei gebadt, hierauf auf einem jchwertartigen.
Spieß geformt, über Kohlen gebaden und mit dem Pulver
von Rhus coriaria (sumäk) beftreut. Dieſes ift die Lieb:
lingsſpeiſe der mittlern Klaffen; fie beißt schisch-kebäb,
120
Hierzu find auch die verfchiedenen Scherbets zu red:
nen. Unter Scherbet verfteht man einen mit Zucker verſetz⸗
ten, zur Sirupceonfiftenz eingelochten fauern Saft, welder
mit Eiswafler vermischt wird. Er bildet das Lieblings:
getränk der Perfer. Man unterjcheidet je nah den mannid:
faltigen Ingredienzien den Scherbet von Eſſig oder Oxymel,
von Rheum riwas, von Citronen, Granaten, unreifen Traun:
ben, Quitten, Weichjellirihen, unreifen Tamarinden, Ber:
beris u. |. w.
Neben den Säuren werden die Süßigkeiten (schirini)
von groß und Klein mit Vorliebe genoffen; fie jind zu jeder
Feftlichkeit unerlaßlih, jede Gabe, jedes Geſchenk wird von
ihnen begleitet. Der Perjer bereitet fie mit bejonderer Ge⸗
Ichilichfeit, ja die perſiſchen Zuderbäder (ksennädi) halten
ih in ihrem Zah für die eriten Künftler der Welt. Die
beiten Sorten fommen aus Ispahan und Yezd. Als In—
gredienzien veriwendet man den raffinirten oder yezder Buder,
zu den mittlern Sorten auh Honig, Melaffe und ein:
gedicten Traubenfaft. Der Zuder wird nit Reismehl, ran:
zigen Fett, Stärke, Citronenfaft u. |. w. gemifcht und in
verjhiedene Formen gegoflen. Dem Europäer munden bie
Schirini nicht. Die überzuderten Früchte beißen nukl, bie
Erzeugnifje in Beltchenform kurs. Als vorzüglidites Schi:
rini gilt das Peſchmek; der Zuder wird mit Fett gefnetet,
und die daraus entitandene elaftische Subftanz von zmei Eräf:
tigen Perjonen mehrere Stunden lang wie Strähne aus:
gezogen, bis fie der Flachsfaſer ähnlich ift, daher der Name
peschmek (Wollfafer). Andere Süßigkeiten, als: das
Baghlewa, Magcati u. |. w., jind ebenfalls beliebt und fehlen
bei Teinem Felt. Selbit der Kandigzuder (næbat) erfreut fich
einer befondern Gunft; es werden aus demſelben Schüffeln
mit ftalaktitartigen Säulen anfryftallifirt und ala Angebinde
überreicht. Ein Stüd Kandis fehlt felten in der Tafche des
121
Perſers.*) Als ſchmackhafteſte Süßigkeit gelten die Fladen
aus der Gez-manna (Gezengebin), melde mit Mandeln,
Piſtazien, Cardamomum verjegt, im Ofen gebaden, mit Mehl
und Kätzchen von Salix sygostemum beftreut und im ganzen
Lande verjchidt werden. Wenn Zuder, zur Sirupconfiften;
gekocht, mit wohlriechenden Subſtanzen verjegt wird, jodaß
eine zähe, fchmierige Maſſe entitebt, jo heißt er hælwa.
Ran veriendet dazu die Blumenblätter von gelben und
rothen Rojen, die Blüten von Aepfeln, Duitten, Jasmin
u.j.w., wonach das Hälwa verjchiedene Nanıen empfängt.
Unter rub verfteht man dideingefohte Pflanzenfäfte
von Öranatäpfeln, Rheum riwas u. j. w. Der Honig (assal)
iſt vom Volk fehr geliebt und wird häufig verwendet; es
gelten eigene VBorfichtsmaßregeln für deſſen Genuß, da er bei
ungeitigem Gebrauch durch feine erhigenden Eigenfchaften
ſchwere Krankheiten erzeugen fol. Auch von giftigem Honig
habe ih erzählen hören.
Zu den Beitandtheilen eines guten Mahls gehören auch
die verichiedenen in Zuder eingemachten Früchte, in deren
Vereitung die Perſer Meilter find; fie beißen mursbba.
Für die beften gelten die von Quitten, Nepfeln, Orangen,
Cedratſchalen, Ingwer, Berberis von Choraſſan u. f. m.
Eine wichtige Role unter den Nahrungsmitteln des -
Volls fällt den Früchten (miweh) zu, die wegen ihrer
Öiligkeit auch dem Nermften zugänglich find und oft, nebft
etwas Brot und Käfe, feine einzige Nahrung ausmachen.
In den Sommermonaten hält die arbeitende Klaffe mit Fei-
gen (andschir), Maulbeeren (tut), gelben Pflaumen (älu-
zerd), Melonen, Trauben ihren erften Imbiß und verzehrt
* Der Zuder gilt für „warm“ (erhigend), der Kandis für
„alt“ (Hühfend), daher bie Getränke für Fieberkranke mit letzterm
Krfüßt werben,
124
polizeilihen Zarif feitgeftelt. Zur Bereitung des Eifes
beftehen in der Stadt und deren Umgebung Eisgruben
(jech tschäl), parallelogrammurtige Vertiefungen von etwa
2— 300 Quabdratllafter, deren drei Seiten mit einer hoben
Lehmmauer eingefriedet find, während nur die vierte, nad
Norden gelegene, offen bleibt, ſodaß die Sonnenftrahlen nicht
eindringen können. Im Winter füllt man dieſe Gruben mit
Water, und ſobald fih nachts eine dünne Eiskruſte bildet,
wird fie immer durch aufgegoffenes Waſſer friich beriefelt,
bis das Eis zur gehörigen Stärke anwädlt; es wird dann
in Tafeln zerfchlagen und im Keller aufbewahrt. Infolge
der trodenen LZufi erhält e3 fjich den ganzen Sommer .und
Herbſt hindurch, in Ispahan fogar zwei Jahre lang. Ich
ſah in legterer Stadt einen Eisfeller, deffen Gewölbe ein-
geftürzt war, und in dem dennoch das Eis, nur mit einer
Schichte Stroh und Reijig bededt, den ganzen Sommer bin:
durch nicht aufthaute. Das in der Stadt Tünftlich bereitete
Eis ift unrein, weil die Gruben im Sommer zur Ablagerung
von Kehricht und Aas benußt werden; man reinigt fie zwar
im SHerbit, doch hindert dies nicht, daß auf dem Grund
eine dide Humuslage zurüdbleibt. Das Eis enthält daher
organische Subjtanzen, welde um jo ſchädlicher wirken, da
der Perſer feine Getränke nicht in Eis abfühlt, fondern
Stüde deffelben bineinwirft. Viele Fälle von Dysenterie
find gewiß dem Genuffe unreinen Eifes zuzuschreiben. Weit
vorzüglicher ift das Eis, welches jede Nacht friih von den
hoben Schneegedirgen geholt wird, an deren Fuß die meiften
größern Städte liegen. Auch Teheran liegt in der Nähe
eines ſolchen Gletſchers, daria jach (EiSmeer) genannt. Den
Perjern iſt der beftändige Genuß des Eijes eine Nothwendig⸗
keit, und ich bemerkte bei ihnen nie, die Reinheit des Eijes
vorausgejegt, eine jhädlide Wirkung davon. Anders bei
den bier lebenden Europäern, welche ſich an dafjelbe nicht
125
gewöhnen können, meil e3 ihnen Gaſtralgie verurſacht. Für
fie find in Eis gefühlte Getränfe vorzuziehen; wenigſtens
dürfen ſie nur Sehr Meine Quantitäten Eis unter das Ge:
traͤnk miſchen, jonft entiteht leicht, befonders wenn der Hör:
per erbigt ift, eine Erampfbafte Zuſammenziehung der Speife:
röhre. Um das Waller längere Zeit Fühl zu erhalten, jeßt
man es auch in poröjen Thongefäßen aus Kum dem Luft:
zug aus.
®emwürze (adwijeh) iverden in der perjüüchen Küche
nicht viel angewendet, bier und da etwas Pfeffer (fulful ),
Zimmt (därtschini) und Cardamomum (hil), am meilten
Safran (zaaferun), welcher dem Neis und jelbit dem Luru3:
brot beigemifcht wird. Deito häufiger ift der Gebrauch der
aromatiihen Kräuter, Wurzeln und Samen, wie Majoran
(marsendschusch), Quendel (häschä), Kiimmel (zireh),
Fenchel, Münze, Zwiebeln und Knoblauch. Der Confum
von Knoblauch ift in den Marſchländern am Kaspiſchen
Meer erftaunlih groß. Rohe Zwiebeln find auch bei den
befiern Klaſſen beliebt.
Mahlzeiten hält der Berfer nur ivenige. Früh mor:
gend nimmt er als erften Imbiß (tschäscht) ein Täßchen
bittern Kaffee oder eine Taſſe Thee, zumeilen mit einem
Stückchen Zwiebad und etwas Käſe. Das Volk ißt mit nüchter-
nem Magen Früchte in erftaunlien Malen. Man bält das
Dbft in den Morgenitunden am zuträglichften, während man
e8 nach der Mahlzeit genoffen für ſchädlich erflärt. Gegen
11 Uhr wird das Frübftüd (nehär) eingenommen. Die
Hauptmahlzeit bildet das Abendbrot (schäm), einige Stun:
den nach Sonnenuntergang. „sn reichen Häufern pflegt man
noch nachmittags als Zwiſchenmahlzeit Thee und Früchte zu
genießen (asräneh); im allgemeinen aber bält der Perfer
wur zwei Mahlzeiten, die andern koͤnnen wegen ihrer ge-
ringen Qualität und Quantität kaum als ſolche gelten. In
132
Hunde nicht hungerig bleiben.” Die von Europäern liegen
gelaffenen Refte werden nämlich von den Dienern verihmäht
und den Hunden überlaffen.
Die Lebensweiſe des Schah ift folgende: Früh
gegen 8 Uhr verläßt er den Harem und nimmt eine Schale
Thee mit etwas Zwieback, melde ihm vom Oberfaffeemeifter
(kahwetschi bäschi) gereiht wird. Zwiſchen 9 und balb
12 Uhr, je nah Appetit und Laune, ertönt fein Auf:
„Nehär biär!” (Bringt das Frühftüd!), und hierauf die fie:
reotype Antwort: „Beli kurban schawsem!’” (a, ih will dein
Opfer fein!) Der Kämmerer, an den der Befehl gerichtet
iſt, ertbeilt ihn dem Oberwaſſer-, diefer dem Oberteppich⸗
meifter, diefer endlich einem acht- bis neunjährigen Pagen;
nicht felten vergißt das Kind die Commillion, bis der König
ungeduldig den Befehl wiederholt und nun endlich bedient
wird. Der Küche ftehen der Oberkoch (tsebbäch bachi) und
der Oberhofmeiſter, „das Auge des Reichs“, vor. Etwa
funfzehn Diener tragen auf dem Kopfe, unter Vortritt des
„Auge des Reichs“, die großen filbernen, mit Shawltüchern
ummundenen Plateaux herbei. Wären die Speilen nicht
ſchon fett genug, diefe Shamls könnten ihnen von ihrem
Fett etmas abgeben. Zugededt find die Schüſſeln von Kine
ſiſchem Porzellan mit Tonifhen, aus Gold fein emaillirten
und mit koſtbaren Edeljteinen bejegten Stürzen, die eine be
fondere Eoftbare Bierde bilden.
Auch der König bat Fein beftimmtes Speifesimmer, ſon⸗
dern läßt in dem anrichten, wo ihn gerade der Appetit
überraſcht. Hier wird das mit Kattun überzogene Ledertuch
entfaltet; die Plateaur werden nur bis zur Schwelle von
den Hofdienern, von da durch Kämmerlinge aufgetragen.
Statt der Serviette ſoll dem König jeden Tag ein neues,
ungeſäumtes weißes Kattuntuch hingelegt werden; dies wird
aber aus Fahrläſſigkeit faſt jeden zweiten Tag vergeſſen, ſo⸗
133
daß der König felbit erft daran erinnern muß, und ift dann
der Sclüffel zum Magazin nicht zu finden, fo zieht ein
Rämmerling fein weißes Schnupftud aus der Tafche, es als
Serviette überreichend.
Mit der Maffe der Speilen, welche dem König täglich
vorgeſetzt werden, könnten an hundert Perſonen jich jättigen;
doch ſpeiſt er nach der jetzt beftebenden Sitte ganz allein.
In einiger Entfernung ſtehen die Leibärztee Ein Höfling
lieft Erzählungen aus der Chronik oder die Rechnungen über
die Staatdeinnahmen und Ausgaben vor, die dann der
König nah dem Frühſtück mit feinem sahihh est (vidi, eis
gentlich: richtig) unterzeichnet. Er greift nad) der Landesſitte
ebenfall3 mit den Fingern in den Tichillam und weiß, ohne
binzufeben, durh das Gefühl, den guten vom jchledhten zu
unterfcheiden; daher ich ihn oft jagen hörte, er begreife nicht,
wie man mit Werkzeugen ejlen könne, da doc der Geſchmack
bei den Fingern anfange.
Hat der Shah auch gar feinen Appetit, jo hebt er doch,
von Zeit zu Zeit ganz Kleine Biffen in den Mund jchiebend,
die Tafel nicht vor einer halben Stunde auf, denn die per-
ſiſche Etikette fordert, daß der Schah immer bei Appetit fei.
Endlid langt er nach den füßen Conſerven, Früchten und
Käfe, welde das Mahl bejchliegen. Einmal wurde ihm ein
Roob von Granatäpfeln in einem Kryftallglafe jervirt. Er
nahm ein Stüd davon, und als er die Finger abledte, blieb
ihm ein Slasiplitter im Gaumen fteden. Böſe Abjicht ver:
muthend, befahl er, jofort den Scherbetmeilter zu tödten;
doch gelang e3 unferer gemeinfchaftlichen Fürſprache, den
armen Zeufel zu retten, der mit einer Tracht Prügel auf
die Fußſohlen davonkam.
Der König trinkt nur Eiswaſſer oder in Eis gefühlte
fauere Milh und Scherbets; letztere werden ihm auf chine:
ſiſchen Schüſſeln, das Wafler wird in emaillirten Goldvafen
134
(tung) oder in Thonkrügen fervirt. Nach der Mahlzeit reicht
ihm ein Kammerdiener ein goldene? Waſchbecken zum Rei⸗
nigen der Hand und Ausfpülen des Mundes, ein anderer
präjentirt das Narghile und ein Täßchen Mokka. Nachmit-
tags (asräne) werden ihm Früchte, Eid, Melonen, friſche
Gurken, Lactuca u. |. w., was eben Neues auf den Markt
fommt oder aus den Provinzen eingefhidt wird, vorgejfekt.
Abends fpeift er in feinem Enderun. Daß ſtets eine fo
große Maſſe von Speisen die Töniglihe Tafel bededen muß,
bat mehrfache Gründe. Erſtens verlangt es jo der orienta-
liche Bomp; fodann bildet das Mebrigbleibende die Mahlzeit
für ſämmtliche Hofleute; drittens aber dient e8 zum Schug
der perjönlichen Sicherheit des Schah, denn da er nach jeder
der vielen Schüffeln greifen Tann, fo ift eine Vergiftung
durch Thädliche Zuthaten kaum ausführbar, zumal auch hun⸗
dert andere von den aufgetragenen Speilen genießen. Trotz⸗
dem erhält der König täglih von feiner Mutter ein ver:
ttegeltes, vom erften Eunuchen begleitetes Plateau mit Spei:
jen und ‚Getränfen. Das Siegel wird vor dem Deffnen
ſorgſam unterfucht und verificirt.
Bisweilen wird der König von einem Minifter oder
andern hohen Staatsbeamten zur Xafel geladen. Da ein
ſolches Gaftmahl mit Hinzurehnung der unerlaßliden Ge
ſchenke an Shawls und Geld menigftens 2000 Dukaten
foftet, fo veranftaltet man es nur in der Abficht, entweder
ih in Gunſt zu erhalten oder ein neues einträgliches Amt
zu erfaufen, fi und feiner Familie eine reiche Geldquelle
zu eröffnen. Die Anzahl der vollen Schüffeln, womit bei
diefen Gelegenheiten der Boden eines großen Saals buch⸗
ttäblih von einem Ende zum andern bededt wird, ift enorm
und zur Sättigung von .wenigftens fünfhundert Perſonen
hinreichend. Der König genießt jedoch nur von Speilen,
welche er ſich aus feiner eigenen Küche binbringen läßt; die
135
fremden berührt er nicht, fie fallen nah der Mahlzeit
(der König fit an diefer reichbejegten Tafel allein) den
KRammerberren und dem Troß der Dienerfhaft und Be:
gleitung zu.
Schon in frühbern Zeiten, unter der Mogulendynaftie,
wurden Verordnungen über VBollsverpflegung in den
Städten, über Beauffihtigung der Nahrungsmittel, Früchte,
Gaftbäufer und Kneipen, der Bäder, Fleifchhauer u. ſ. mw.
erlaffen und anfangs mit Strenge durchgeführt. Allein deren
Haudhabung wurde immer bald wieder vernadhläffigt, ſodaß
was von oben für die Volköverpflegung geſchieht, mehr zur
Ausbeutung des Volks als zum Nuten und Frommen bes:
jelben dient.
Bei dem Mangel an Communicationswegen, welcher
bewirkt, daß oft eine ganze Stadt nur von einem einzigen
Bezirk aus verjorgt werden kann, tritt in minder gejegneten
Jahren leicht Hungersnoth ein, wenn diefer Bezirk ſich in
den Händen eines die Zufuhr bindernden Auffäufers (mur-
takeb) befindet. Zwar wird alle‘ vierzehn Tage ein Tarif
der Nahrungsmittelpreife (taasir-e-idschnas) ausgegeben;
was bilft aber der Tarif, ſobald es an Vorrath fehlt, der
Preis aljo ein imaginärer ift? In guten Jahren find da-
gegen die Nahrungsmittel in ſolchem Weberfluß vorhanden,
daß fie unmäßig verbraucht werden; dann verjchleudert man
fie, ohne an die Zukunft zu denken.
Deffentlide Gaſt-, Kaffee» und Weinhäufer gibt e3 in
den perfiihen Städten nicht. Nebitvem aber, daß, wie jhon
erwähnt, die Eingeweide des Schlachtviehs von der Wohl:
habenden Klaffe der ärmern faft umfonft überlaffen werden,
ift auch durch die Auskocher in den Bazaren für billige Be:
töftigung des Volks gejorgt. Diefe verkaufen die beim Volk
fo beliebten abgefochten Schafsfüße und Köpfe (kele pätsche),
Leber, Lungen und Därme (beriäne) um einen fehr niedri-
136
gen Preis. Trogdem daß ihre Auslagen unendlich gering
iind und ihnen Pferdemift als Brennmaterial dient, gewinnen
fie an der Speifung von etwa 3—400 Perſonen dod nur
fo viel, daß fie ſelbſt dabei ſich fättigen fünnen. Zum Frühe
ftüct werden Linſen, in großen Keſſeln gekocht, und rothe
und gelbe Rüben, in heißer Badeaſche gebaden, für jehr
geringen Preis verlauft. |
Eine andere jehr billige Kochweife ift befonders unter
den Soldaten, aber auch bei manchen armen Familien in
Gebrauch. Es werden nämlich Eleine Krüge mit Gemüſe,
Erbfen, etwas Fleifh und Waſſer gefüllt, gut zugebedt,
dann in Reihen aufgeftelt und mit Pferdemijt umgeben,
den man anzündet. Durch das langſame und ftete Feuer
kochen die Subjtanzen vollfommen gar. Man nennt dieſes
Product Jächni; es bildet ſammt etmas Brot die Haupt:
nahrung vieler Familien, beſonders von türkiſcher Abkunft.
Diefe Kochweifen, der geringe Profit, womit die Auskocher
ih begnügen, der Umftand, daß alles nad dem Gewicht
und nit nah Augenmaß und Willfür verkauft wird, alles
dag begünftigt fehr die Billigfeit der öffentlichen Belöftigung.
In guten und ergiebigen Jahren ift daher niemand um ſei⸗
nen Unterhalt im mindeiten befümmert. Früchte und an-
dere Lebensmittel find erſtaunlich billig, die Großen laſſen
jo viel kochen, daß jeder ohne große Mühe Refte genug
findet, um fi) zu fättigen; felbit den Hunden wird hinläng-
licher Fraß in die Winkel geworfen. Doch in Jahren der
Theuerung jtirbt viel Bolt an Hunger; die Auffäufer jchließen
ihre Magazine oder verfaufen nur zu fehr hohen Breifen,
jelbft der König benupt die Gelegenheit zum Gewinn. Da
bricht endlih an mehrern Punkten Meuterei aus, hungernde
Weiber werfen fih mit ihren abgemagerten Kindern vor das
Pferd des Shah und ftoßen Verwünfchungen aus. Der
137
Shah beginnt für fih zu fürdten; es fallen einige
Köpfe als Sühnopfer; man öffnet die Speicher. Allein
Ihon im nächſten Jahre der Fülle ift wieder alles vergefjen,
denn jeder lebt nur für den Tag und denkt nicht an das
Morgen.
IV.
Kleidung, Schmuck und Waffen.
Syſtem ber Belleidung in Bezug auf bie Gefunbheit. Die Kopf-
bebedung. Das Hemd. Das Taſchentuch. Das Wams. Der Rod.
Der Gürtel. Der Leibrod. Der Ueberwurf. Die Beinkleider. Yuß-
beffeidung. Handſchuhe. Hoftracht ber Magiftratsperfonen. Haus-
Meibung bes Schah. Allgemeine Regeln für bie Bekleidung. Pelze.
Der Sharolftoff. Kleidung verfchiebener Stämme. Schmudjaden
(Uhr, Rofenkranz, Betfchafte, Ringe, Ebelfteine und Perlen). Waffen.
Kleidung und Schmuck ber Frauen.
Der Perſer beobachtet das Entgegengefegte der in
Europa geltenden Geſundheitsregel „Halte den Kopf kalt,
die Füße warm, den Bauch mäßig erwärmt”; denn er hält
den Kopf jehr warm, die Füße kalt, den Rüden warm,
Btuſt und Bauch faſt fühl. So viele Argumente der Er:
fahrung und der Theorie, namentlich den größern oder ge:
ringern Blutzufluß zu den verjchiedenen Körpertbeilen, die
Europäer auch für die Zmedmäßigfeit ihrer Regel haben
mögen, jie wird doch dadurch widerlegt, daß ganze Völker⸗
Ihaften dem umgekehrten Syſtem huldigen und trotzdem
einer guten Gejundheit und einer langen Lebensdauer fi)
erfreuen. Es iſt Mar, daß wenn ein Körpertheil von früber
Jugend an falt oder warm gehalten wird, er das Entgegen:
gefeßte nicht ungeftraft verträgt. So 3. B. zieht ſich der
'
140
Vernachläſſigung, wie fie in andern muſelmaniſchen Ländern
beimiih il. Demgemäß dreht ih aud die Converlation
der jungen Leute meijt um Kleidung und Pferde, für welde
beide Artifel die bedeutenditen Summen verausgabt werden.
Für den widtigiten Theil der Kleidung gilt die Kopf:
bededung, indem ſich durch jie ganze Stämme, die Bewoh—
ner verjchiedener Städte jomwie einzelner Stände voneinander
unterfcheiden. In früherer Zeit war der Turban (amäameh,
dilbend) die allgemeine Tracht; jeine Faltung, Größe, Form,
Farbe, der überragende oder eingeichlagene Zipfel machte
die Bewohner der verjchiedenen Länder und Bezirke Fennts
lid. Sept tragen ihn nur noch einige Volksſtämme, die
Kurden, Afghanen, Beludihen, und von gewiſſen Ständen,
‚den Seiiden, Briejtern, Schullehrern, Aerzten, Droguiften
u. ſ. w., ward er als Abzeichen beibehalten. Statt jeiner
ift feit der Herrihaft der Kadfcharen die jpige, ſchwarze
tatariihe Lammfellmüge (kulläh) üblid geworden. Sie be
ſteht au3 einem etwa 15 Zell hohen, geſtutzten Hohlfegel,
defien oberes Ende eingeitülpt wird; die eingeftülpte Seite
wird nach vorn oder etwas feitli getragen. Bon innen
wird fie durch eine Papierſchablone jteif erhalten und mit
blumigem rothen Kattun gefüttert. Die Müßen der Reihen
und Vornehmen jind aus feinfien Buchara⸗Lammfellen, und
zwar aus den auserlejenen Streifen des Rückens, welche
nur Fingerbreite haben, künſtlich zuſammengeſetzt, und koſten
in erſter Qualität zwiſchen 10—14 Dukaten; für weniger
Bemittelte fertigt man deren aus den ſchönen Fellen der ein-
beimifchen Lämmer, befonders von Schiraz und Kum, zum
Preiſer von 2—5 Dukaten. Unter der Kullah wird ein
Schweißkäppchen (arzektschin) getragen, welches die Frauen,
namentlih in Ispahan, jehr kunftreih mit verjchiebenen
Muftern auszunähen verftehen. Man fann ih für ein
Reitervolf, das doch die Perfer find, feine unbequemere
142
Stunden im Borzimmer warten ließ. Müde und gelangweilt
Ichlief ih auf dem Teppich ein. Died wurde dem König
binterbradht; er näherte fich leife und rief plögli mit lauter
Stimme: ‚„Hekim berchiz!” (Stehe auf!) Halb fchlafend
raffte ih mich auf, ftotterte einige Worte der Entihuldigung
und nahm zum Gruße auf europäiſche Weije die Kullah ab.
Allgemeines Gelächter des ganzen Hofes ftrafte mi für die
fen groben Berftoß gegen die Sitte des Landes.
Die Kullah muß jo getragen werden, daß fie den
größten Theil der Ohrmuſchel verbirgt: ein Gebraud,
welcher zur Zeit al3 das Ohrenabſchneiden jehr im Schwunge
war, aufgeflommen fein mag. Man erinnere ih nur an
die Geſchichte des Pſeudo-Smerdis und die Kunſtgriffe, die
dazu gehörten, um den Abgang der Ohrmuſcheln zu conftas
tiren. Dadurch daß die Mufcheln von frühelter Jugend auf
an die Schläfe gedrüdt find, werden fie flach und anliegend,
doch Fonnte ich nicht bemerken, daß dies den Gehörfinn im
mindeften beeinträchtige. Für den’in Perſien bebienfteten
Europäer ift es nicht ſtricte nothwendig — wie in der Tür:
fei den Fes — die Kullah aufzujeßen, obwol der Schah
es gern ſieht; im Gegentheil verfchafft eine europäiſche Kopf:
bededung in den Augen des Boll mehr Anſehen; man
wird als Frengi (Franzoſe) oder fogar als Inglis (Engläns
der) reipectirt. Allerdings muß bei der Intenſivität der
Sonnenftrahlen der Kopf dur eine dichte Bebedung gegen
Sonnenſtich gefhügt fein, wozu eine gewöhnliche eng anlie-
gende Tuhmüße oder ein dünner Filzhut nicht ausreicht;
allein man kann diefen Schuß dur einen Filz: oder Strob-
hut, welcher, wie e3 die bindoftanischen Engländer maden,
mit mehrern Lagen Batift oder Muffelin überzogen it, am
beften erreihen. Weberdies ſchützt die Kullah keineswegs die
Augen gegen die Sonnenftrahlen; auf Reifen bindet man
deswegen einen beweglihen Leberihirm (aftäbgerdun) um
144
wird, um den Hals Treisfürmig ausgeſchweift, am Schlitz
und an der Ausichweifung mit ſchwarzen Bändchen ein-
gefaßt, und reicht vom Schlüffelbein bis an den Nabel. Der
mwohlhabendere Perſer beligt zwei jolcher Hemden, welche ab⸗
wechſelnd gewaſchen und erneuert werden; ber Reiche Läßt
feine Hemden nicht wachen, ſondern vertheilt die einmal
getragenen an die Diener und fchafft wieder neue an; der
Proletarier bebilft fih mit einem Hemd, das er nad Um⸗
ftänden im nächſten Bache oder in der Waflerleitung wäſcht;
bei belem Sonnenſchein trodnet es in einer Biertelitunde.
Die Hemden der arbeitenden Klafien find von bemfelben
Schnitt, aber indigoblau gefärbt und aus einem gröbern
Baummollftoff, den man Kerbas nennt. Am Kaspiſchen
Meer werden Hemden aus Robfeide getragen. In neueiter
Beit wurde bei Hofe auch die Mode der gefalteten und ge-
plätteten europäifhen Hemden (pirähen nizämi) eingeführt.
Das zweite Stüd der Wälche, das Taſchentuch (desmäl),
fpielt beim Perſer eine bedeutende Rolle. Er braucht es ſel⸗
ten als Schnupftuch, denn erftens ift die Secretion ber Nafe
bei ihm auffallend gering*), und zmeitens leiftet dem ge
meinen Perfer die Hand diefe Dienfte, ſondern hauptfächlich,
um die verfchiedenften Gegenftände: Acten, Briefe, Fleiſch,
Gemüſe, Grünzeug u. |. m. darin einzufchlagen, und ſodann
zum Abtrodnen der Körpertheile nach der geſetzlichen Ablu⸗
tion. Den Europäer mag e3 oft efeln, wenn ihm gekochte
*) Man fieht höchſt felten einen anftändigen Perfer ſich ſchnauben,
niemals in Gegenwart eines Großen. Merkwürdig ift eine hierauf
bezügliche Stelle in Xenophon Cyrop., VII, 8: „Es gab bei
ihnen ein Geſetz, welches zu fpeien und fi zu fohnauben verbot.
Offenbar beabfichtigte der Geſetzgeber damit nicht, daß bie Flüſſigkeit
im Körper zurüdbleiben, ſondern daß fie ala Schweiß ber Arbeit ent-
fernt werben follte. Die Nachlommen behielten die Gewohnheit, nicht
zu fpeien und fich nicht zu fchnauben, bei; aber bie Liebe zur Arbeit
ging ihnen verloren.“
152
Der Perſer Eleivet fih warm und wechſelt bei jedem
Temperaturmwechfel, der Tages- und Jahreszeit gemäß oft
dreimal des Tags, die Kleidung. Er unternimmt Teinen
Ausflug, felbit im Sommer, ohne mit Kleivungsitüden zum
öftern Wechfeln verjehen zu fein. Bedenkt man den rajchen
Umschlag der Temperatur, und daß der Unterjhied im Laufe
des Tags oft an 15° R. beträgt, indem nad der Elevation
auf einen beißen Tag gegen Abend plögliche Abkühlung und
empfindlide Kälte zu folgen pflegt, jo wird man die Noth-
wendigfeit und Zmedmäßigfeit dieſer Vorjicht begreifen.
Europäer, melde den flimatilchen Berhältniffen des Landes
bierin nicht Rechnung tragen, bezahlen ihren Mangel an
Borficht nicht felten mit Gefundheit und Leben; ich Tann
nicht genug darauf aufmerkſam mahen, dab Erfältung und
Unterdrüdung der Hautthätigfeit dort nicht Rheumatismus
und Katarrhe, fondern ſchwere Wechlelfieber und Dysenterien
mit allen ihren böfen Folgen nach ſich ziehen.
Wie jeder Orientale liebt auch der Perſer das Berbrä-
men oder Füttern der Kleider mit Pelzwerk, ja es jcheint
ihm ſowol zur Erwärmung al3 auch zum Entfalten eines
gewilfen Pompes unentbehrlid. Sein Land felbit bietet
zwar mandes gute und brauchbare Pelzwerk, wie Fuchs,
Bär, Otter, Hyäne, Marder u. |. w., allein alle diefe Thiere
gelten für unrein, ihre Felle werden daher nad) Rußland
erportirt, während zum Gebrauch im Inlande die ſchwarzen
Bucharafelle, das jogenannte Feh (seimur) und Nerze
(chez) als erlaubt eingeführt werden. Nur die niebern und
armen Klafjen tragen Pelzwerk von Schaffellen, unter denen
die aus Kabul (pustine käbuli) wegen ihrer Schmiegjamleit
und Reſiſtenz gegen die Näffe am gejuchteften jind und fidh
der befondern Gunft der Mullas erfreuen.
Die langen und weiten Gewänder verleihen dem Drien-
talen, zufammen mit feiner ihm eigenthümlichen Ruhe und
156
ihöne Savonette:Uhr, einen Ring mit Türlifen und einen
einfachern aus einem Fleinen Karneol mit amuletartig ein-
gegrabenen Hieroglyphen. Außerdem führt er einen Rofen-
franz, ein Petichaft, ein Tintenfaß und ein Federmeſſer
bei ich.
Eine gute Uhr (saat) wird von ihm fehr in Ehren ge
halten; er verwahrt jie jorgfältig in einem Shawlbeutelchen,
im Monat Ramazan ift fie fein einziger Troft, denn fie zeigt
die Stunde und die Minute, die ihn von Hunger, Durft
und der Enthaltung vom Narghile erlöft. Er zeigt feine Uhr
gern dem Europäer und fragt ihn um deren Werth und
Preis, in der Borausjegung, diefer müſſe ſich jo gut darauf
verftehen, wie er jelbft auf fein Pferd und feinen Shaml.
Einer Uhr engliihden Fabrikats gibt er den Vorzug, und
zwar ausſchließlich der Savonette-Uhr (saate schikäri), weil
ein zerbrochenes Glas im Lande fchwer zu erjegen ift.
Der Roſenkranz (tesbih) dient ihm theil zum Spies
len, indem er an müßigen Tagen oft ftundenlang die Körner
durch jeine Finger gleiten läßt, theils ala Orakel in zweifel⸗
baften Sällen (istechäret). Die Körner werden aus wohl:
riechendem Holz, aus Anthracit, aus der Erde vom heiligen
Grab in Sterbelah u. f. m. geformt, und jind bei den höhern
Ständen oft mit großen Zahlperlen untermildt.
Das Petſchaft (muhr) iſt jedem Berfer unentbehrlich,
weil nur die Beidrüdung des Siegels einem Briefe oder eis
ner Urkunde Rechtskraft verleiht; das Siegel vertritt die
Stelle der Namensunterjchrift. In einen Karneol wird der
Name des Eigners oder ein Attribut der Gottheit Tunftfertig
gravirt und mit feinen, flachen Arabesten und Gewinden
umgeben, jodaß eine Nahahmung äußerft jchwierig if. Die
Faſſung des ovalen oder vieredigen Steins befteht aus Sils
ber oder Gold; nah oben wird ein Kleiner Edelftein eins
gelaffen, damit man das Siegel nicht verkehrt aufprüde.
161
Fall der Trennung meift die einzige Habe find, welche diefe
unglüdlichen Wejen mitnehmen dürfen, jo wird man nad:
fihtiger über fie zu urtbeilen geneigt jein. An Zeiten der
Noth wird ein Stüd nah dem andern verpfändet, big end-
lich der Vorrath erſchöpft ift. Geht jedoch eine Frau auf
der Straße, oder reitet fie in Begleitung der Diener aus,
jo trägt fie eine weite indigoblaue Hülle (tschäder), welche
den ganzen Körper von Kopf bis Fuß dominvartig ver:
mummt. Bor dem Gefiht hängt ein langes, jchmales,
weißes Tuch (rubend), das in der Gegend der Augen einen
gitterförmigen, ovalen Ausſchnitt zum Sehen hat. Diefer
dichte Schleier iſt bejonders im heißen Sommer ſehr be:
läftigend, daher die Frauen ihn von Zeit zu Zeit ein wenig
zu lüften gezwungen find. Der Anftand erheifcht, daß man
bei Begegnung einer Frau die Augen abmwende. Ueber die
Unterlleider wird beim Ausgehen noch eine grünliche oder
bläulihde Seidenhoje angezogen, melde die Füße von den
Zehen bis zur Hüfte befleidet, aljo einer Hofe mit angenäb:
ten Strümpfen gleicht (tschaechtschur). Die Pantoffel jind
eigentbümlich gebaut; fie find jo Klein, daß eigentlih nur
die Fußſpitze darin Plaß findet und die Sohle Taum big zur
balben Ferſe reiht. Die Frauen künnen daher nur mit der
Fußipige auftreten, mas jie jedoch nicht merklich im Geben
bindert. Im ganzen ift allo das Straßencoftüm der Per:
ferinnen ebenſo ungraziös — denn e3 hüllt den Körper fad:
artig ein und läßt feine Formen und feine Haltung er:
fennen, Fein Alter unterfcheiden — mie läftig, denn es
erichwert die Reſpiration; allein es leijtet zwei im Orient
für jehr weſentlich erachtete Dienfte, inden es erftens das
Antlig der Frau jedem profanen Blid entzieht, zweitens der
Trägerin felbit die Möglichkeit verichafft, unerfannt geheinte
Ausflüge zu unternehmen und Orte zu befuchen, welche ihr
fonft nicht zu beiuchen geftattet wäre. So begegnet man
Bolat, Berfien. I. 11
162
im Bazar Frauen in Ichledhter, abgenußter Hülle, die beim
Spreden dDurd die Eleganz ihrer Ausdrucksweiſe verratben,
daß lie den höhern Ständen angehören. Der europäiiche
Arzt wird nicht felten in feinem Haufe von einer Frau, dem
Anfcheine nach aus dem Volke, wegen einer geheimen Krankheit
confultirt; er fühlt ihr den Puls und entdedt ein Eoftbares
Armband. Häufig Tam es mir in den fpätern Jahren meis
nes Aufenthalt vor, daß ih, zum eriten mal in ein Haus
gerufen, von einer der Damen gefragt wurde, ob ich fie
nicht kenne, jie habe mich ja ſchon beſucht und fih von mir
behandeln laffen.
Natürli Lieben die perliihen Frauen auch Schmuck—
fachen aller Art, als Ohrringe, Spangen zur Befeitigung
des Schleiers, Arm: und Sußbänder (päbend und destbend).
Leptere, gemöhnlid von Perlen, verleihen ihnen, bei dem
graziöfen Gang und der feinen Bildung der Ertremitäten,
vorzüglid um das Fuß: und Handgelenk, befondern Reiz.
Damen vornehmen Standes pflegen einen Diamantftrauß
von hohem Werth zu tragen. Die Sitte, einen Ring durch
den Nafenknorpel zu ziehen, ilt nur bei einigen tatarifchen
und afghaniihen Stämmen üblich.
V.
Ruhe und Bewegung. Jagd. Gymnaſtik.
— — ee t—
Sitzen und Stehen. Schlafen und Wachen. Kneten. Öchlafftelle.
Wo foll der Europäer ſchlafen? Geben und Laufen. Reiten. Reiſen.
NReiteripiele. Jagd (bie Falkenjagd, königliche Jagden, Iagbabenteuer,
Berſchenken des Wildes, Kamelkampf, die jagdbaren wilden Thiere).
Gymnaſtik (Heilgymnaſtik, Turnanſtalten, die verſchiedenen Uebungen,
Saadi's Erzählung, Schwimmen, Fechten, Schießen). Schluß—
betrachtung.
A. Ruhe und Bewegung. |
Beim Berfer gilt das phyſikaliſche Geſetz der Trägbeit
und Bewegung. Sich felbit überlaffen, buldigt er gern der
erſtern; doch einmal durch Umftände in Bewegung gefekt,
leiftet er Erftaunliches, ja er würde bis ins Unendliche fich
fortbewegen, wenn ihn nicht Reibungen in den frühern
Zuſtand der Ruhe und Trägheit zurückverſetzten. Dies gilt
ſowol für die körperliche wie für die geiftige Thätigfeit und
Ruhe, wie wir im Verlauf des Kapitels erjehen werben.
Zum Sitzen (nischesten) bedient ſich der Orientale be:
kanntlich nicht der Seffel. Der Berfer hat nicht einmal
Divans, fondern figt auf diden Filzen und untergebreiteten
Teppichen, und zwar nicht auf türkiſche Weiſe mit gekreuzten
Veinen, ſondern er ahmt dem Kamel nach, er beugt die
11*
164
Unterſchenkel im Knie, fchlägt ſie nach rückwärts, ftredt den
Fuß im Sprunggelenf, ſodaß er mit dem Unterjchenkel faft
einen Winkel von 180 Grad macht, und jebt ſich jo, daß
die Sigfnorren auf die Ferfenbeine zu liegen Tommen und
‚hiermit der Schwerpunft des Körpers faft ganz auf lep-
tern rubt. Man nennt diefe Politur tschehär zanu ni-
schesten, d. i. auf vier Knien (Gelenken) figen. In der
Regel wird der Nüden nicht geftügt, er bleibt frei; nur
wer ſich's zu Haufe bequem maden- will, lehnt ſich an ein
cylinderförmiges Polſter (bälisch) ala Stützpunkt. Das Nieder:
jegen erfordert eine gewiſſe Eleganz; man darf fi) dabei
nicht mit den Händen ftügen und muß feine Kleider jo ord⸗
nen, daß fie die Knie und Füße vollkommen deden, be
jonders aber von letztern nicht3 gejehen wird. Der Ankömm⸗
ling nimmt je nad) feinem Rang entweder unaufgefordert
jofort neben den Herrn des Haufes Pla, oder ſetzt ſich
abfichtlid in meiter Entfernung von demjelben, um feine
Submijfion anzuzeigen, bi3 er erſt nach vielen Betheue-
rungen und Aufforderungen näher rüdt. ine ähnliche
Gtifette beobachtet auch der Hausherr felbft; er erhebt ſich,
gemäß dem Range des Eintretenden, ganz oder nur zum
Theil, oder er macht nur Miene e3 zu thun; dazwiſchen
liegen jo viele Nuancen, daß man fie erft nad längerm
Aufenthalt im Lande zu würdigen verfteht. Daſſelbe Gere
moniel gilt auch beim Aufftehen. Der Berjer erhebt fid)
nicht gern vor dem Europäer, obmwol er in diefem Punkte
nicht die gleiche Strenge wie der Türfe beobadtet; doch meiß
er durch allerhand Eleinlihe Vernachläſſigung des Ceremo:
niellg feine Superiorität anzudeuten. Der mit der perſiſchen
Gtifette unbefannte Europäer glaubt jich oft dur die Auf:
nahme bejonders geehrt, während die kundigen Zeugen den
Mangel des Herkömmlichen gleich bemerken und nit unter:
laſſen, feine Leichtgläubigfeit zu belächeln.
165
Erft nachdem er fich niedergelafien, grüßt der Ankömm—
ling dur Blide oder dur Beugung des Oberfürpers die
verfammelte Geſellſchaft fowie jeden einzelnen in der Reihen:
folge des Ranges, den er in feinen Augen einnimmt. Syn
diefer hockenden Stellung verharrt man oft ftundenlang; ſich
zu bewegen; verbietet der Anjtand, bejonders wenn man in
Geſellſchaft von Leuten höhern Ranges fich befindet. Dem
Europäer wird jie ſehr läftig, fchon wegen der engen
Beinfleidver nach europäilhem Schnitt. Er bat bei längerer
Dauer ein Gefühl wie von Ameijentriechen, und endlich tritt
vollkommenes Einſchlafen der Ertremitäten ein, fo zwar daß
. er beim Auffteben nur mit Mühe ji auf den Beinen er:
halten Tann, oder gar wieder zujanımenjinft; doch gewöhnt
er fih mit der Zeit auch an die Sitzweiſe der Perſer und
ahmt fie vollkommen und ohne Beichwerde nach, wie es bei
mir der Fall war. Wenn nicht öfters, wie man vermuthen
joflte, Entzündungen des Kniegelenks oder des Schleinbeu:
tel3 der Knieſcheibe entftehen, jo erklärt ſich dies dadurch,
daß der Schwerpunkt des Körpers nicht wie bei gemöhn-
lichem Knien auf der Kniefcheibe, fondern auf dem Ferſen—
bein ruht. Beſuchenden Europäern merden nicht jelten
Stühle angeboten, deren in guten Häufern zwei bis drei
Stüd vorräthig zu fein pflegen. Der Perſer findet das
Sigen auf Stühlen unbequem, er weiß nicht, was er mit
ben Unterfhhenteln anfangen fol; nad einiger Zeit vergißt
er ih und figt wieder nach perfiiher Weife, was ihm dann
beim Erheben und Aufiteben vom Seſſel große Schwierig-
Teiten bereitet.
Nichts ift dem Berfer fo unbequem als Stehen (istäden),
Daber er fih nur im Nothfall dazu bequemt. In Gegen:
wart des Schah müſſen alle ohne Ausnahme ftehen; nur
bier und da ladet er bei längern Geichäften, 3. B. be:
hufs der Einlihtsnahme in ein Scriftitüd u. 1. m., zum
166
Siten ein. Auch mir wurde immer die Erlaubniß zum
Sitzen gegeben, wenn ih dem Shah Unterricht ertbeilte
oder ihm eine europäiſche Zeitung in perfifcher Sprade vor:
las. Kinder, gleichviel welchen Alter3, müſſen in Gegen:
wart ihrer Aeltern oder des Chefs des Haufes fteben, wenn
ihnen nicht fpeciell zu jigen erlaubt wird, was jedoch nur
jelten geſchieht. Dafjelbe gilt von den Dienern. Iſt der
Perfer zum Stehen gezwungen, jo ſucht er die Hände ent
weder in den Aermeln zu verbergen oder er kreuzt fie über
der Bruft, ſodaß die Finger nicht jichtbar werden. Muß er
an einem Ort, wo feine Teppiche ausgebreitet find, längere
Zeit verweilen, fo wählt er die Stellung, melde bei ber
Evacuatio alvi ftattfindet; bei geftügtem Rüden kann er
darin, ohne zu ermüden, erftaunlich lange Zeit aushalten.
Der Schah figt abwechſelnd auf perſiſche oder türkifche
Weile. Auch find in feinen Sälen mehrere mit Türfifen
oder Moſaik ausgelegte Seſſel, Divans und Ruhebetten auf:
geitellt; doch bedient er fich ihrer fat nie zum Siken, megen
der Unbehaglichkeit, welche ihm die Stellung der Unters
Ichentel verurfachen würde. Zwingt er ſich dennoch dazu, fo
bält er die Fußſpitzen nad einwärts gegeneinander gelehrt.
Obgleich dies einen unfchönen Anblid gewährt, pflegen ihn
perſiſche Maler in diejer Stellung abzubilden.
Schlafen und Wachen (chäb u bidäri) hat der Ber:
jer merkwürdig in feiner Gewalt. Wenn ihm Beſchäftigung
mangelt, wenn er feines Amts verluftig geworden, kann er
faft Tag und Nacht fchlafen, während er bei gegebener Ar:
beit wieder durch Monate und Jahre die Schlafzeit auf
wenige Stunden herabfegt. Im Ramazan wechjelt er plöß-
ih einen ganzen Monat lang die Lebensweife; er fchläft
dann den Tag über, während er nachts Nahrung zu fi
nimmt und feinen Geſchäften obliegt. Nah Ablauf dieſes
Monats Fehrt er wieder zur gewöhnlichen Tagesordnung
168
ebenfall3 oben mit einem Spiegel von Indienne, Seide oder
Shawl veriehen; und aus dem cylinderförmigen, an beiden
Seiten mit jtarfen Quaſten verzierten Polfter (balisch, auch
mutakko). Der Gebraudh von Leintüchern jcheint dem Per:
ier überflüjiig, weil er in ſeinem Xeibrod ſchläft, aljo die
Raubigleit des Sammts nicht empfindet. Unmittelbar nad
genommener Abendmahlzeit legt er jich fchlafen; er ift der
Meinung, daß die von den genofenen Speifen erzeugten
Dämpfe (buchäre-geezä) den Schlaf unterftügen. Die Ober:
leider werden abgelegt und eine dide Nachtmütze (scheb-
kulah) über die Ohren gezogen. So liegt er ausgeitredt
auf der Matratze, welche nur bis zum Halfe reicht, ſodaß
Hals und Kopf blog auf dem Kiffen ruhen. Die Füße
ragen gewöhnlich über der kurzen Unterlage hervor, ſelbſt
im Winter, während aud im Sommer und im Hochſommer
bei der Siejta die Dede jorgfältig über den Kopf gezogen
wird. Im Sommer jedod ift es in den Städten faft un-
möglih in den Zimmern zu jchlafen, denn erſtens wird die
Luft jo drüdend (chefleh), daß man kaum athmen kann,
und zweitens lajjien im geſperrten Raum die beläftigenden
Müden feinen Schlaf zu.
Man unterjcheidet zweierlei Arten von Müden, die
großen (peschsche) und die Kleinen, kaum fichtbaren,
erdfarbigen (chaki). Der Stih der legtern iſt um jo
empfindlicher, als der Schmerz nidt auf eine Urticaria=
Quaddel beihränft bleibt, jondern jih über große, weite
Körperſtellen verbreitet. Gegen die eritern kann man fi
allenfalls durch ein dünnes Florgewebe (peschedän) fügen;
legtere find aber jo Elein, daß fie durch das feinite Ges
webe dringen, andererjeit3 vermögen fie nicht gegen die
ſchwächſte Luftitrömung zu jteuern, daher jie wol im Zimmer,
doch ſehr wenig im Freien beläjtigen. Aus diefen Gründen
Ihläft der Verjer während des Sommers auf dem platten
170
Geficht und alle unbededt gemejenen Körpertbeile ganz mit
Blutjuffufionen bededt fanden, ohne daß ich dadurch im Schlafe
geftört worden mar. Darum balte ich die andere Erflärung
für wahrſcheinlicher, daß nämlich im eriten Jahr eine Art
Smpfung mit dem Inſektengift ftattfindet, welche nad bin-
länglider Sättigung de3 Körpers eine Immunität gegen
die Fortpflanzung der Urticaria erzeugt. Mit legterer Hy-
potheje erkläre ich mir auch folgende Thatfahe. Als ich
im Sommer 1359 von Schiraz zurüdtehrte, fam ih auf
Einladung des Ilchani vem Stamme Kaſchkäi in eine Sta:
tion weitlihd von Berfepolis, wo unfere Pferde von einer
Bremfe dermaßen zugerichtet wurden, daß alle zarten Theile
unter dem Bauche bluteten; ich mußte fchleunigft mit ihnen
die Station verlajten, denn es war mir ſchon früher erzählt
worden, daß nicht felten Thiere an dem verurfadhten Blut:
verluft jterben. Und doch meiden zahlreidhe einbeimifche
Heerden an diefer Stelle und verweilen wochenlang daſelbſt,
ohne zu erfranten. — Da in Ermangelung von Bettitellen das
Bettzeug, nur in eine weite Seidendede (tschäder -scheb)
gehüllt, auch Tags über in einem Winfel des Zimmers lie-
gen bleibt; da es nie gewechjelt, gelüftet oder gewaſchen
wird, und da der Perſer in den Kleidern fchläft: darf es
übrigens nicht befremden, daß jich viele Inſekten darin einniften,
beſonders Kleiderläufe, welche faft in feinem Haufe fehlen.
Es entſteht nun die wichtige, man fann jagen die Le:
bensfrage für den im Drient reifenden oder domicilirenden
Europäer, ob er der perliihen Sitte gemäß eritens im
Freien, und zmweiten3 auf dem platten Boden jchlafen jo.
Sehr erfahrene Reifende widerrathen eriteres entichieden, in-
dem fie Erfranfung an Fiebern und Dysenterien al® un:
ausbleibliche Folge davon angeben. So jagt Heinrich
Barth in feinem großen Reiſewerke, IL, 583: „Leider
ließ ich mich durch die frifhe Kühlung in meiner « Saure »
172
rubende Iuftige Hütten werden ficherlich für europäiiche Reis
jende in diefen Gegenden von unendlich mwohlthätiger Wir⸗
fung ſein.“ Bedenkt man überdies, daß in den meiften
Höfen Beden mit ftagnirendem Wafler und Gärten mit
niederer Bufchvegetation fich befinden, welche vorzüglid die
Mücken berbeiziehen und Fieber begünftigen, fo wird bie
Zweckmäßigkeit des Schlafens auf den Dächern mit erhöhter
Unterlage um jo mehr einleuchten. Mehrere Fuß Elevation
iind ſchon ein bedeutendes Moment zur Hintanhaltung ber
genannten Uebel. Als Beweis mag die allgemein conitatirte
Erfahrung gelten, daß bei herrichenden Wechlelfieberepidemien
Perſonen, welche in obern Gemädern (bälächäne) wohnen,
jeltener erfranten als die Bewohner der Erdgeſchoſſe. Aus
diefem Grunde werben etwa 3—5 Fuß über dad Hofniveau
iich erhebende Erdgeſchoſſe mit darunter befindlihdem Keller
vorgezogen. Auch greift die Sitte immer mehr um fi, in
grogen Xagerplägen ein Feldbett als Schlafitelle mit jich zu
führen. Ich kann nicht genug die Beobachtung diefer ſchein⸗
baren Kleinigleiten empfehlen, denn ſchon oft ift leider das
Leben europäischer Reifender durch ihre Vernachläſſigung der:
wirkt worden.
Für Säuglinge bat man eine Art Wiege (gewäre), ei
nen E£leinen Kaſten, der vermitteld Zapfen an den feitlichen
Boftamenten gejchwungen wird. Häufiger jedoch ift eine
fleine Matte in Gebraud, die, mit Striden an zwei Bäume
oder Pfähle gebunden, einmal in Bewegung gefekt, Lange
Zeit fortihmingt und unterdeß die Verrihtung häuslicher
Geſchäfte geitattet. |
Der Umstand, daß der Perfer faft zu jeder Tagesftunde
ichlafen kann, wird oft al3 Vorwand benugt, um Befucher
abzuweiſen. Der Diener antwortet dann auf die Frage nad
jeinem Herrn: „Chäb-est!’ (Er fchläft!), gegen welchen Be
ſcheid nichts übrigbleibt als unverrichteter Sache. abzuziehen,
173
oder dem Diener fein Anliegen vorzutragen und ihm, was
namentlich der Arzt immer thun muß, zu befehlen, daß er
den Schlaf des Herrn unterbrece.
Zu Fuß gebt der Perſer nur, wenn er muß, bei
befondern Peranlafjungen und wegen Mangel an einem
Pferde. Einen Spaziergang der Bewegung halber zu unter:
nehmen, iſt nicht gebräudlih. Nur Frauen und Leute der
untern Klaſſen machen Promenaden in die nahegelegenen
Gärten oder in die Bazars der Stadt, meilt aus Neugierde
und um ein Spectafel (temäschä) zu ſehen. Der Gang des
Perſers iſt graziös, feine Haltung ſchön und gerade. Es gibt
Boten (piädeh käsed), weldye weite Wege mit der halben
Schnelligkeit eines Boftkuriers durchlaufen; ebenſo find Knechte
und andere Leute des Boll, wenn e3 jein muß, oft
ganze Tage im rajchen Schritt auf den Beinen, ohne zu er:
müden. Man merkt ihnen, wie es bei den Türfen wol
der Sal it, durchaus nicht ihre Sikart an. Die Läufer
des Königs (schätire-shäh), melde ihn auf feinen raſchen
Kitten ſtationsweiſe begleiten, erregen mit ihrer Schnellig:
feit Bewunderung und Mitleid. Sie werden durd den
Bürtel und eine feite Bandage um die Unterjchenkel in ihrem
Lauf unterftügt.
Die gewöhnliche Locomotion wird zu Pferde, zu Ejel,
Maulthier oder Kamel gemacht. Der Berjer ijt ein gebore-
ner Reiter; zu Pferde fühlt er jich frei, kennt er feine Er:
müdung. Ebenjo menig wie jein Pferd abgerichtet wird,
ebenfo wenig lernt der Perjer das Reiten; es verftebt ſich
bei ihm von ſelbſt, wie das Gehen; das Kind wird ſchon
mit drei Jahren auf Reilen von der Mutter auf dem Sattel
gehalten. Er tigt ſehr kurz im Bügel, jo zwar daß die
Knie in mehr als rechtwinkeliger Beugung find. Fällt er,
was nicht jelten gejchieht, vom Pferde, jo madt er nicht
dad mindefte Aufheben davon, jondern befteigt, unter Fort:
174
jegung der angefangenen Gonverjation, gleihmüthig wieder
jein Roß. Er reitet gewöhnlich einen guten Schritt (kadem)
oder den Paßgang (jurge), jelten Galop; der Trab ift ihm
faft unbelannt. Durchſchnittlich macht man auf Reiſen eine
Station von 5— 5%, Meilen, im Nothfall auch 9—12 Meis
len des Tags auf demfelben, 18 — 20 Meilen auf gewechſel⸗
ten Pferden. Frauen jiten auf diefelbe Weile zu Pferde mie
die Männer, und ich ſah Frauen bei vorgefchrittener
Schwangerſchaft reiten, ohne daß es einen nachtheiligen Ein
fluß auf ihren Zuftand gehabt hätte. Es fcheint hiernach
ein Vorurtbeil, daß die einfeitige Reitmethbode für Frauen
nothwendig fei; fie ift auch nur für Kleinere Luxusritte an-
wendbar, bei größern Neilen aber für Frau wie Pferd
gleich unpraftifch, weil weder das nothwendige Gleichgewicht
noch die richtige VBertheilung der Laft mit ihr erreicht werden
kann. Dem Perfer gilt es als Regel, daß die zeitweilige
Ueberbürdung eines Thieres diefem durchaus nicht fchade,
wenn e8 nur auf beiden Seiten gleichmäßig beladen iſt, daß
jedoch ſchon eine geringe Belaftung, wenn ungleich vertbeilt,
e3 zu Grunde richte.
Für eine weite Reife bereitet der Perſer jih und feine
Thiere vor, indem er mehrere Tage vorher Kleinere Uebungs⸗
ritte mit ihnen unternimmt, um fi und feine Thiere, mit
Beobachtung der nothiwendigen Uebergänge, aus dem Bu:
ftand der Roheit — wie er ſich ausdrückt — herauszubringen.
In derjelbden Abjicht legt er am erjten Reiſetag nur eine
Heine Strede zurüd und beginnt ſtets den Weg, welche Eile
er auch haben mag, im langjamen Schritt; erft allmählich,
wenn NReiter und Roß warm geivorden, treibt er e3 zu
vafcherm Laufe an. Es ift eigenthbümlih, daß die Pferde
aus Gewohnheit und Inſtinet diejelben Regeln befolgen; aus
Stall geführt, geht das edelite Araberroß den erften
8 Weges ganz langſam, fodaß der Unkundige
Sımun meinen, ar ar om vun Immamem werden:
im Irre: fin IE:ır länaır: Je mom, Sa der Schweiß
ölia zbesiecine ir Ach iR rn im mie togleid
Zattel und Tedin, icadem at nr Vorlayt eniaer Stum:
zn, weil icnit lat: AtSeeren un) Smurlerud oder
(2elententzundungen enit:ın. Eben teg: er telbr nice
szuber bie Hiitztleiter 2, als Bis er nd vellnändig ab
sefüblt bit. Er reite ment nachts, cũ niemali mittags,
um wäbrend de: Tags db und sein Thier vilegen zu
fönnen und die übeln ‚scigen Der Scnnenbige zu meiden.
In dieiem Punkt ſündigt jebr bäuñg ver Europäer, der
ieine Nachtruhe nit epfern mag. Da Die Hige in freier
Luft nidt to drückend erihein:, alä man nad Dem Tbermo-
meteritande voraustegen icllte, fjchreibt er tie Borndt der
Landesbewohner ihrer Indolenz zu und will zeigen, Daß er,
obwol unter einem falten Himmelsitrib geboren, doch mehr
als jene auszuhalten vermöge Fieber, Rubr und Sonnen:
jtich find nicht jelten die ;solge jeines Tünfels. Ueberbaupt
fann man häufig das Phänomen beobachten, daß nordiſche
Antömmlinge in den eriten Jahren die Hitze meniger empfin-
den als die Eingeborenen und ala jie jelbit in der Ipätern
Beit ihres Aufenthalts, wo ihnen diefelbe unerträglich wird,
bis ein vieljähriges Verweilen jie hierin mit den Eingeborenen
gleichſtellt. Die Urſache Icheint in der mitgebrachten Energie
und Reſiſtenz zu liegen, welche fich endlich erfehöpfen und
größerer Abſpannung Plap machen.
Bei dem Mangel an Herbergen und gebahnten Straßen
wäre es zu bewundern, mit welcher Leichtigkeit der Perſer ſich
nach den oft dreißig bis vierzig Tagreijen entfernten Provinzen
und Wallfahrtsorten auf den Weg begibt, wüßte man nicht,
daß er den Werth der Zeit zu wenig ſchätzt und daß er zu
ſehr an das Nomadenleben gewöhnt ift, um vor ben
177
Beihwerden biefer Art des Fortkommens zurüdzufchreden.
Die Zwecke feiner Reifen find Geichäfte am Hofe, Handels:
angelegenheiten, Walfabrten u. ſ. w. Selbſt Derwifche rei:
tim, um anftändiger ihren Bettel zu holen. *)
Beſonders anftrengend für den nicht daran Gemöhnten
had die Qurier ritte (tschäpäri), wobei mit unterlegten Pfer:
den an 18— 24 deutſche Meilen des Tags gemacht werden.
Da die PVoftpferde faft immer jchlecht jind, fo ift man-ge:
zwungen, fie fortwährend durch Schenfelbewegung und Hicbe
zit einer langen Peitſche anzutreiben. Den eriten Tag ift
der ganze Leib wie gebrochen; läßt man ſich aber dadurd)
verleiten, einen Tag zu raften, fo verläuft der dritte Tag
deito ärger, und dann ift faum mehr an ein Fortlommen
in denken. Man muß daher troß der Müdigkeit ſich weiter
ttagen lafien, bis endlich der Körper fich an die Anftrengung
gewöhnt. Der Berjer beobachtet auch hierbei die Regel, den
etſten Tag nur einen mäßigen Ritt zu machen, und erft in
den folgenden, Tagen die Reife zu befchleunigen. Ich felbit
tt einmal in einem Zuge von Teheran nad) Kaswin, etiva
22 Meilen; dort angefommen, mußte ich aber vom Pferde
gehoben werden und, troß des guten Willens weiter zu rei:
fen, einen Rafttag und - fpäter langjamere Nitte machen.
Rothwendig ift bei ſolchen Parforcetouren, daß man vorher
wenig und nur leichte Nahrung, mie Eier, Mil, Thee
und Butter zu ſich nehme und dieje Diät mehrere Tage fort:
jege. Der Kurierritt gebt jo raſch, daß man von dem nörd—
liden Ende Perſiens, von Chui, bis Buſhir nur zehn bis
elf Tage braucht. Allein wie ftrapaziö3 auch diefe Art zu
reifen ift, theilt fie doch andererſeits nicht die Fährlichkeiten
und Pladereien einer Karavanenreife, namentlich ijt man
*) Auch in Stalien fand ich berittene Bettler, in Venedig fogar
Bettler mit eigener Gondel.
Bolat, Berfien. I. 12
178
weniger Krankheiten und Fiebern ausgefegt; fie kann baber
dem Europäer, mwelder keine andern Zmede als die des
möglichit ſchnellen Ankommens an feinem Reijeziele bat, ſehr
empfohlen werden.
Auch faft alle feine Wege in der Stadt macht der Ber:
fer zu Pferde ab, und allerdings würde bei dem bodenlofen
Koth im Winter und der drüdenden Hike im Sommer
das Geben ſehr beichwerlih fein. Der Anftand verlangt,
daß er äußerſt langſam und begleitet von einem zahlreichen
zu Fuße folgenden Diemertroß durch die Straßen reite. So⸗
bald er aber die Stadt verläßt und etwa in ein nabes Dorf
fih begibt, find auch die Diener beritten, und der Zug jegt
fich in rafhere Bewegung.
Kehrt der junge Perſer heiter aus einem luſtigen Kreife
zurüd, fo liebt er es, wenn er einen muntern Gaul unter
fih fühlt, das altparthifde Manöver auszuführen. Im ra-
fenden Galop dahinfaufend, erhebt er ſich plöglich im Bügel,
wendet fih rüdwärts, drüdt fein Gewehr gegen einen fingir-
ten Feind ab, und jprengt im rafcheiten Laufe weiter; oder
er macht Schnelle Spiraltouren, wirft während.derjelben feinen
Stod vor fih hin und fängt ihn beim Zurüdiprallen von ber
Erde wieder auf (dscherid); oder er fenkt ſich im raſchen Ritt
gegen den Bauch des Pferdes; oder endlich er galopirt auf
einen tiefen Graben oder Abgrund zu und hält, am Rande
angefommen, mit jähem Ruck plögli das Pferd an, ſodaß
es ftraff auf die Hinterfüße zurüdprallt. Dieje Fühnen Ve
bungen, da fie oft von unberufenen Knechten mit ihrer Ob⸗
but anvertrauten Thieren ausgeführt werden, find bie Ber:
anlaffung, daß faft alle Pferde an Erfchlaffung der Gelenke
und am Spat leiden.
Außer diefen Erercitien zu Pferde find vie wichtigſten
körperlichen Uebungen die Jagd (schikär) und die Gym⸗
naſtik (werzesch).
180
beimifchen, vortrefflicden Ylinten mit damascener Läufen
(tufenk-e-dschäheri), meil fie zu ſchwer und foftfpielig,
außerdem auf Feueritein eingerichtet jind, fondern der euro:
päilchen, die man engliihe (tufenk-e-inglis) nennt.
Zur gewöhnlichen Jagd braudt man einige berittene
Bediente, die das Wild zutreiben, und arabiide Hunde
(täzi), welche e3 verfolgen. Letztere laufen jo vorzüglich,
daß ihnen felten ein Hafe entmwilcht, e3 fei denn, was aller:
dings in den Ebenen häufig geichieht, daß er fih in die
Löcher der Wafferleitungen flüchtet. Sie find aud die ein-
zige Hundevarietät, welche der Perjer pflegt und im Winter
mit einer Dede zum Schuß gegen die Kälte verjieht, wäh:
rend er alle andern als unrein zu berühren jcheut.
Bei größern Jagden bedient man fih auch der Falken
(bäz, gutsch), vorzüglich zum Sagen von Geflügel, feltener von
Gazellen. Die Falkenjagd befteht, ähnlich wie bei uns im
Mittelalter, noch in ziemlicher Ausdehnung; es gibt ganze
Abhandlungen (bäz-nämeh) über Pflege und Drefjur der
Falken. Ihre Zucht ift jedoch fehr Eoftipielig, denn der
Falke verlangt ſorgſame Pflege, einen eigenen berittenen
Diener, der ſtets feiner Richtung folgt und ihn vom Ber-
zehren des gefangenen Wildes abhält, da man es nicht ver-
jtebt, ihn fo abzurihten, daß er die Beute verſchont und
dem Herrn überläßt; außerden verirrt er jich leicht, und es
tojtet dann große Mühe, ihn wieder einzufangen, oder er
wird von einem der großen Bergabler (karagusch) verjpeift.
Es bietet ein eigenthümlihes Schaufpiel, wenn der Falle,
deſſen Anblid das fanfte Rebhuhn dermaßen in Schreden
jeßt, daß es fih wehrlos den Krallen des XTodfeindes über:
liefert, nun felbit feinen Meijter findet; der kühne Aar
Ihmebt majeſtätiſch in der Höhe und ſchießt plögli auf fein
Opfer berab, dus, vor Angit Taun mehr die Flügel regend,
jeine fichere Beute wird. Alles das, beſonders aber ber
184
Soldaten die dominirenden Hügel” beſetzt; fie treiben nun
dem König das Wild zu, damit er es mit gefegneter Hand
erlege. Rennt ein Argali oder eine wilde Ziege vorüber, fo
wird von mehrern Schüten aus feiner Umgebung zugleich
darauf geſchoſſen. Natürlih ift e8 immer die Kugel des
Schah, welde das Wild erlegte.
Ich war Zeuge einer Scene, die von den fonderbaren
Schmeicheleien, womit man den Schah bei foldhen Gelegen:
beiten überhäuft, einen Begriff geben mag. Im Jahre 1856
befanden mwir und am däußeriten Ende des beichriebenen
Jagdreviers. Auf einem ijolirten Hügel mar ein Meines,
prächtig decorirtes Zelt aufgefchlagen, worin der König das
Frühftüd einnahm; vor dem Hügel gähnte ein mehrere
Klafter breiter Abgrund, auf defien Boden ein Bach dahin
raufchte; jenfeit des Baches ftieg eine Felswand jäh und
ſchroff empor. Plötzlich erfholl der Auf, ein Argali babe
ih ins Lager verirrt. Das arme Thier mar von einem
Wolf gehetzt morden, der bei Anficht des Lagers umkehrte,
und flüchtete in feiner Angit auf den Punkt zu, mo es das
mindefte Gedränge wahrnahm, auf den Hügel mit dem kö⸗
niglihen Zelte. Raſch ergriff der Schah eine Flinte, ich
und einige Leibjäger folgten ihm. Er war faum zwanzig
Schritt von dem Wild entfernt, dem nur die Wahl blieb,
entweder in verzweifeltem Kampf ſich gegen feinen Angreifer
zu menden oder 'in den Abgrund binabzuftürzen. Der Mo:
ment war kritiſch, und der König in augenſcheinlicher Ges
fahr. Allein in diefem entſcheidenden Augenblid zog das
hier die Füße wie in einen Knäuel zuſammen und fprang
mit mädtigem Sag auf einen bervorragenden Punkt des
gegenüberliegenden Felſens zu. Noch ehe es fein Biel ers
reihen fonnte, fielen mehrere Schüfle, das Thier rollte töd⸗
Üch getroffen in den Abgrund; es war ein prächtiger Widder
mit fechzehn Jahresringen. In dem allgemeinen Jubel bes
186
Schah deshalb mismuthig, fo wird eine Jagd impropifirt.
Man gibt vor, auf einem fteilen Hügel einen Leoparden ge
eben zu baben. Bon allen Seiten werden Jäger aus:
gefickt; der König- bewaffnet fih von Kopf: bis Fuß; er
ftroßt von Dolchen und Revolvern. In feiner unmittelbaren
Nähe halten Leibjäger mit Spitzkugeln geladene Slinten be
reit; man fucht ganze Stunden, der Schah prüft jeden Fels;
endlich heißt es, der Leopard ſei in einem entfernten Revier
geſehen morden, und es fei ihm gelungen, durchzubrechen.
Taufend Flüche, wie peder suchte pelenk (Leopard, defien
Bater Giaur), folgen dem Phantafiethier nad. Doch der
med ift erreiht: der König wurde in Emotion und Span-
. nung verjekt.
Oder es wird eine eingefangene oder zahme Gazelle auf
den Jagdplatz getrieben und als vorgebliches Wild gejagt.
Ich ſah einmal, mie ein foldhes zahmes mildes Thier, das
ſich ſehr ungelegen .vol Anhänglichkeit an feinen Herrn
ſchmiegte, nur durch heftige Streiche von demſelben getrennt
werden Fonnte.
Abends vertreibt fih der König die Zeit mit Schach
oder Kartenipiel; die Prinzen und Granden werden dazu
geladen und ihnen zugleih die Summen vorgejchrieben,
welche fie mitzubringen haben. Natürlid begünftigt das
Glück immer den König; den Gewinn vertheilt er unter die
Dienerſchaft.
Gegen Ende der Jagd, gewöhnlich am fünften Tage,
pflegt man zwei brünſtige männliche Kamele zum Kampf
vorzuführen. Dieſe ſonſt ſo ſanften Thiere werden wüthend
(mæst) gemacht, der Schaum quillt ihnen aus dem Munde,
die Fleinen Augen funfeln, und fie erjpäben, ein häßliches
Gebrül ausftoßend, den Augenblid, wo fie fi mit dem
langen Halſe umwinden fünnen. Dann fuchen fie ſich gegen-
188
eingefangen und von den Schirazern zur Bollsergögung im
Lande berumgeführt. Endlich werden
die Fifchotter (sekmähi) und der Biber (dschunde-
bidester) bier und da erlegt und vermertbet.
C. Gymnaſtik.
In den perſiſchen Städten wird viel Gymnaſtik ge:
trieben, jomwol des Vergnügens balber als zu Heilzweden,
und es gibt eigene öffentlihe wie Privatanftalten dafür.
Gritere beitehen in einer mäßig großen Arena, mworin ein
octogoner, etwa 7 Fuß vertiefter Raum fich befindet, deſſen
Boden elajtiich it, indem man ihn 2 Fuß hoch mit dürrem
Reiſig bededt und einen Yilzteppich darüber fpannt. Rings
um die Vertiefung find Bänke angebradt zum An- und
Auskleiden, und eine fathederartige Erhöhung für den
Trommeljchläger, der den Takt angibt. Der Eintritt ift für
ein kleines Entgeld geitattet; den Unterricht ertheilt ein alter,
erfahrener Ringer (pahlewän). Hier werden die Bahlewans
(Vorturner, Turnlehrer) ausgebildet; fie erhalten nad) er=
- langter Fertigkeit leicht eine Bedienftung in großen Häufern,
wo jte jungen Männern, die eine gewiſſe Gejchmeidigkeit und
Kraft der Glieder fih aneignen wollen, Privatunterricht er⸗
theilen. Am bäufigften werden fie jedoch von Perſonen bes
juht, denen Leibesübungen (maschk) als Mittel gegen alls
gemeine Schwäche nah erichöpfenden Krankheiten, gegen
ihmwere Verdauung, Konftipation, und bejonder8 gegen
Milzanfhoppungen infolge von Wedjelfieber und
Hämorrhoidalleiden verordnet find. Und in der That
ſah ich von diefen Uebungen oft die ſchönſten Erfolge, wie fie
durch den Gebrauh von Medicamenten nicht erzielt werden
tonnten. Auf ärztlihen Rath fteigen ernfte Leute von vor:
gerücdtem Alter, oft meit über funfzig Jahre, mit Turban
und grauem Bart — falls er nicht gefärbt iſt — in die
1%
in mirbelnden Bewegungen über dem Kopf; @eübtere wer:
fen bald die eine bald die andere in die Höhe und fangen
fie geſchickk wieder auf. Diefe Bewegung ſtärkt befonders
die Arm: und Bruftmusfeln, welche daber bei den renoms
mirten Pahlewans von bejonderer Mächtigkeit find.
Bewegung mit Tafeln (seng). Man legt fih auf
den Nüden, zieht die Schenkel etwas an, ergreift zwei
ſchwere Holztafeln, jede von etwa 50—70 Pfund Gewidt,
in deren Mitte ein Loch mit einem Querholz ſich befindet,
und bemwegt diejelben über der Bruft nach innen und außen
bin und ber. Dieſe fchwierige, anftrengende Uebung nimmt
nebft den Bruſt- und Bauchmuskeln auch jene des Nüdens
ſehr in Anſpruch.
Schwimmbewegung (schina). Man legt ſich der⸗
geſtalt auf den Boden, daß man ihn nur mit den Zehen
und Handtellern berührt, der übrige Körper aber frei⸗
ſchwebt; dann beginnt man eine Bewegung, wo abwechſelnd
die Zehen oder die Hände den Stützpunkt abgeben und beim
Vorwärtsſchieben (ſogenanntem Katzenbuckel) die Stirn immer
ganz dicht über den Boden ſtreift. Ich ſah von Pahlewans
dieſe anſtrengende Uebung an achthundertmal hintereinander
machen. Es ſind die Rückenmuskeln und insbeſondere die
in der Lendengegend, welche vorzüglich dabei in Thätigkeit
kommen.
Der Bogen (kebäde). Ein eiſerner, an 40 Pfund
ſchwerer Bogen, deſſen Sehne eine eiferne Kette vertritt, wird
abwechſelnd geipannt und gelöft.
Das Ringen (kuschti), meift nur durch Ringer von
Profeſſion ausgeführt. Es kommt hierbei nicht blos auf
Kraftentfaltung an, fondern auch auf richtige Anwendung
der Kunftgriffe, mittel3 melcher der Gegner, ohne daß er es
fich verfieht, zu Boden gejchleudert wird. Nur durch ftete
Uebung Tann man fich die erforderliche Gemandtheit aneignen
192
ſchnellt den Pfeil mit befonderer Fertigleit ab. In der
Praris wurde jedoch der Bogen überall durch Feuergewehre
verdrängt. Auffallend ift die große Anzahl alter Pfeilſpitzen,
welche man bei den Ruinen aller großen Städte einfammeln
kann; ſie deutet auf dort ftattgefundene anhaltende Kämpfe.
Das Fechten Sieht der Perſer nicht als eine eigene
Kunſt an. Er meint, daß e3 dazu nichts als einer gewiſſen
Kraft und eines guten Säbels bebürfe, und da er beides zu
befigen glaubt, fo hält er jich für den beiten Fechter (schem-
schiri), höchſtens räumt er den Afghanen einen Vorzug bierin
ein. Eine eigenthümlihe Art, die Güte eined Säbels zu
prüfen, bejteht darin, daß man ein Schaf mit einem Hieb
‚in die Lende in zwei Hälften zu fpalten ſucht. Es erfordert
dies nicht blos außerordentliche Kraft des Arms, fondern
auch große Gemwandtheit, da der Hieb ſich in den Weichthei-
len des Bauchs abftumpft. Einft befand ich mich bei einer
tleinen Jagd in der Begleitung des Schah. Er war bei
guter Laune, und al3 man ihm einen neuen Säbel von
Shiraz bradte, ließ er fünf Schafe holen, um den Probe:
bieb zu thun. An dreien mislang der Verſuch. Da men-
dete er fih zu mir und fagte: „Hackim, bezsen!” (Hekim,
baue ein!), indem er mir den Schemſchir reichte. Sch ent:
fchuldigte mich mit meiner zu geringen Kraft; der Schah be
barrte; endlich gejtand ich offen, daß ich fein Blut vergieße,
worauf er jcherzend antwortete: „Du vergießeft ja genug
Blut (auf meine Operationen deutend) und tödteſt jogar
Menichen.” ch entgegnete jedoch: „Dies thue ich ftet3 nur
in Abficht der Hülfe und Lebensrettung‘‘, und fchlug hiermit
fein Anfinnen rund ab.
Schießübungen (tir seendäzi) werden häufig auf den
Landſitzen oder Spaziergängen angeftellt. Zum Biel nimmt
man gewöhnlich eine in gewiſſer Entfernung hingeſetzte Ta-
tarenmüße, die mit der Kugel umgeworfen werden fol. Oder
193
es wird mit aufgelegter Flinte nah einem Ei geſchoſſen.
Oder man wirft eine Münze in die Höhe und fucht fie im
Fallen mit der Kugel zu treffen; in dieſem Manöver wird
oft Sehenswerthes geleiftet.
Alles vorftehend Erzählte beweift, daß beim Perſer die
eigenthümlichften Verhältniſſe zwiſchen Ruhe und Bewegung
obmwalten. Nachdem er fi durch Umftände zu mehrjähriger
Ruhe verurtbeilt ſah, während welcher Zeit er, um nicht Ver:
dacht zu erregen, kaum einmal jein Haus zu verlaffen wagte,
an vierzehn Stunden des Tags jchlief, und die andere Zeit
im Harem müßig zubradhte, treibt ihn der Wechjel der Ver:
haͤltniſſe ind entgegengejegte Ertrem: er ſchläft nur fünf big
ſechs Stunden, iſt raftlos thätig in feinem Geſchäft, unter:
zieht ſich den anftrengendften Strapazen, ift mit einem Wort
unermüdlich, bis er, durch abermaligen Wechſel genöthigt,
wieder in den alten Zuftand zurüdfält. Aber mas auch
fommen mag, er nimmt alles mit Gleichmuth auf, denn
„Allah ift groß und feine Verfügungen find unergründlich.”
Bolat, Berfien. 1. 13
v1.
Das Samilien- und Geſchlechtsleben.
— —— —
Ernährung und Pflege der Kinder. Beſchneidung. Vornamen. Unter⸗
richt im Anſtand. Frühes Heirathen. Ehen unter Verwandten.
Die Menſtruation. Die Brüſte. Leichtigkeit des Heirathens. Die
Aldi und die Sighe. Polygamie und Monogamie. Der Trauuugtact.
Das Hochzeitsfeſt. Die Iungfraufchaft. Scheibungsgrünbe. Häufigkeit
ber Empfängniß. Sterblichkeit ber Kinder. Abortus. Berbalten wäh⸗
rend ber Schwangerfchaft. Die Entbindung. Körperbefchaffenheit und
Charakter der Berferinnen. Aberglaube. Der Harem (ber Arzt, Be:
ſchäftigung und Behandlung der Frauen). Das patriarchalifche Syſtem.
Der Harem bes Schah (Prinz Muzzafer ebbin und fein Bruber Kafem
Chan. ZTrauriges Los ber königlichen Frauen). Aberrationen bes
Geſchlechtslebens.
Tacheschme chumar. “AAyrdova owBalnwv.
Hafıs. Pistarch,
Menn bei allen Völkern der Erde das Gejchlechtsleben
eine mächtige Rolle ſpielt, fo ift dies um fo mehr bei den
Mufelmanen der all, welche daſſelbe als Vorfpiel und als
Duelle der bimmliihen, im fünftigen Dafein nie endenden
Genüffe betrachten. |
Begreiflichermeife hält es im Orient äußerft ſchwer,
eine genaue Kenntniß und Einfiht in die hier einjchlagenden
Verhältniffe zu erlangen, und nur der Arzt ift nah mehr:
jährigem Aufenthalt und anhaltender Beobachtung einiges
196
wurden (heemshireh, Milchgenoſſen), find geſetzlich ver:
boten. '
An Händen und Füßen ziemlich feft gemwidelt, wirb das
Kind in eine Wiege (gewähreh), zumeift jedoch in eine
Hängematte gelegt, meil die Schwingungen der leßtern an-
baltender find und der Mutter längere Entfernung geitatten.
Zur Beförderung des Schlaf wird ihm bäufig schaerbete
chäsch chäsch (Syrupus diacodii) gereicht; im zweiten Jahr
erhält es nebenbei Reiskoſt, in ärmern Familien auch ver:
fchiedene Früchte. Geht die Mutter oder die Amme aus, fo
trägt fie das Kind auf dem Arme; reitet fie aus, fo bält jie
es vor fih auf dem Sattel. Die Kinder gedeihen bei dieſer
Lebensweiſe vortrefflih: fie find fett, von guter Geſichts⸗
farbe und von auffallender Schönheit, denn fie befinden fich
die meifte Zeit in freier Luft im Hofe oder auf dem Dache
des Haufes; troßdem werden gegen Ende des zweiten Jahrs,
beſonders zur Zeit des Entmöhnens, viele von der Cholera
ablactatorum (hayze) ergriffen, welcher die Befallenen nad
acutem, meift jedoch chroniſchem Verlauf rettungslos unter:
liegen. Wenigitens ein Drittheil ſämmtlicher Kinder in den
Städten wird, befonder8 während der Herbitmonate, von
diefer Krankheit binmweggerafft; weder die zahlreihen Amu⸗
lete, welche man ihnen gegen den böfen Blid anhängt, noch
die Schwarze Augenfchminte (surmeh), momit man zu dem:
ſelben Zweck ihre Lidränder beftreicht, vermögen fie vor dem
furchtbaren Uebel zu ſchützen. Andere fterben am Keuch⸗
buften oder an Steinleiden, wenn ein Steinden in der
Harnröhre fteden bleibt, oder an acuten Ausfchlägen. Auf:
falen muß es dabei, daß die Sterblichkeit der Knaben
größer ift als die der Mädchen. Dieſe Erfcheinung ift fo
offentundig, daß fie in der allgemeinen Klage der Mütter,
es fei fo jchmer einen Knaben groß zu ziehen, ihren Aug:
druck findet.
197
Die Zeit bis zum fiebenten Jahre bringt das Kind in
Gefelihaft der Mutter, der Mägde und Sflavinnen im
Harem zu, und zwar meilt mit Spielen unter freiem Himmel.
Das Gemiſch der fih tummelnden Kinder, verihieden an
Alter, Geſchlecht und Hautfarbe, und des zahlreichen Haus:
geflügel macht auf den Beſucher den Eindrud einer fleinen
Menagerie. Nicht jelten fällt ein Kind in das offene Baſſin,
welches die Mitte des Hofraums einnimmt, und fommt aud
wol, wenn nicht Hülfe bei der Hand ift, darin um. Kinder
der ärmern Klaffen bewegen fih ohne alle Auffiht vor den
Häufern oder auf den Mifthbaufen in den engen Straßen;
jedoch ift troß der vielen Reiter ein Unglücksfall unerhört,
denn das Pferd weicht jelbft im fchnelliten Lauf einem Kind,
einem in der Mitte der Straße jchlafenden Hund und ‚einem
Haufen Miftläfer aus.*)
Die Kinder begleiten oft die Mutter in die Öffentlichen
Bäder, dort werden den Mädchen von der zarteften Kindheit
an die Haare mit Henna gefärbt, den Knaben werden fie
in der Mitte des Haupts abralirt.
Um das dritte oder vierte Lebensjahr findet die Be:
ſchneidung (sunnet) ftatt; jie ift nicht wie bei den Juden
an einen beitimmten Tag gebunden, jondern es genügt,
daß fie bis zum dreizehnten Jahre vollzogen ſei. Obwol
dieſe Seremonie ftreng genommen fein Dogma des Islam,
fondern nur ein traditioneller Gebrauch (sunnet) ift, jo
wird fie doch immer geübt, ja das Volk, welches überall
— —
*) Dieſe Miſtkäfer findet man auf Karavanenwegen in großer Menge,
jedes Thier weidht ihnen mit Scheu aus, daher fic trog ber frequenten
Paſſage ungeflört verweilen können. Ich machte mehrmals ben Verſuch,
mein Pferd mit Gewalt barüber wegzuführen, doch es gelang mir nie.
Der fchlafende Hund findet es ebenfalls überflüſſig, wegen eines ans
rennenden Pferbes ben Ort zu wechleln, er Überläßt das Ausweichen
bem Pferde.
198
gern an Formeln hängt, bält fie für den wichtigſten Act
bei der Belehrung zum Slam. Die Operation wird durch
Einzwängen de3 Präputiumd in ein gejpaltenes Rohr und
Abtragen befielben mittel3 eines Rafirmeflers vom Barbier
(dalak) vollzogen. Sie unterfcheidet fi von der der Juden
dadurch, daß der zmeite Act, nämlich das Einreißen bes
innern Blatt3, bei den Perſern megbleibt. Die Blutftillung
wird mittel3 fiyptifher Bulver bewirkt; die Application von
Waſſer ift ftreng verpönt. Unglüdsfälle kamen mir, mit
Ausnahme zweier Verlegungen der glans, nicht zur Kennt:
niß. Die Ceremonie ift zwar von einigen Feftlichfeiten bes
gleitet, man vertheilt Spenden unter die Armen, es werden
Gäfte geladen und mit Süßigkeiten bewirthet, der Operirte
erhält ein neues Kleid; im ganzen jedoch entfaltet man Fein
ſolches Gepränge dabei wie in andern mujelmanifhen Län-
bern. Weber die Beſchneidung der Mädchen, wie fie nad
Chardin's Berichten bei einigen Nomadenftämmen im Ge:
braud fein ſoll, konnte ih trog aller Nachfragen nichts
conjtatiren.
Familiennamen fennen die Perſer nicht, fondern nur
Vornamen; diefe find theils arabifhen, wie Ali, Huſſein,
tbeils - perfiihen, wie Ferhad, Firuz, Schabas ( Dionisios
Sabasios), theils türfifhen Urfprungs, wie Alair, Teimur
u.|. m. Um Verwechſelungen vorzubeugen, wird der Name
des Stammorts, wie Ali Ispahani, oder des Stammes, wie
Mahmud Kara Kuslu, beigefügt; oder man braucht charal-
teriftiihe Beinamen, wie ketschdamägh (Sciefnafe), kätir
(Maulihier), benghi teriaki (Haſchiſch- oder Dpium-
eſſer) u. }. m.
Im jiebenten Jahre verläßt der Knabe den Harem, um
NH von nun an im Birun (Männergemah) zu bewegen.
In den vornehmern Ständen erhält er einen Ludimagifter
(laleh), der ihn in den Regeln des Anftands (adab), im Leſen
200
nah erlauftem Dispens des Prieſters die Verheirathung
ſchon im fiebenten Lebensjahre ftattfand; in guten Häufern
jedoch werden die Töchter erft im Alter von zwölf oder
dreizehn Jahren ausgeſtattet. Ein wohlgeſtaltetes Mädchen
gilt ihren Xeltern ala lebendiges Kapital; denn der die Toch⸗
ter zur Frau begehrt, muß ihnen einen Kaufpreis (schir-e-
buhä, d. i. Milchpreis) dafür zahlen, und außerden der
Braut, je nad) ihrer Förperlihen Schönheit und Entwide-
lung, ein bedeutendes Heirathsgut (mahrieh) verjchreiben.
Der Ceſſionspreis erreicht bismeilen Die Summe von 500 Du⸗
taten. Daher verwenden die Xeltern auf Pflege, Nahrung
und Kleidung der Mädchen alle mögliche Sorgfalt, follten
auch die übrigen Hausgenoſſen darben müfjen; ift man doc
der Heimzahlung aller ausgelegten Koſten ziemlich ficer.
Bei einem förperlih jchöngebilveten Mädchen wird felten
nah Familie und Abftammung gefragt, fie fann die Frau
eines Stammhaupts, des angejehenften Staatsbeamten, ja
des Königs ſelbſt werden, wie tägliche Beifpiele bemeifen.
Häufig werden fhon Kinder in der Wiege füreinander
beftimmt , befonders Coufin und Couſine; Yamilienheirathen
bilden jogar die Regel. Wird dann jpäter aus irgendwelchen
Rückſichten das Mädchen ihrem Better verjagt, jo gilt dies
ala ſchwere Beleidigung und als Urſache zu Feindfchaft und
Fehde. Ich habe übrigens durhaus nicht entdeden fünnen,
dab die Ehen unter Verwandten nachtheilig auf die Progeni-
tur einmwirkten; die gezeugten Kinder waren ſowol körperlich
gefund und mohlgebildet als auch geiftig aufgemwedt. Weber:
haupt kommen Misbildungen, Verfrümmungen und flrofus
löſe Leiden unter den dortigen Kindern auffallend Selten vor.
Auch die Beobachtung, die man in neueiter Zeit gemacht
haben will, nämlich das häufige Vorkommen taubftummer Kin⸗
der infolge ehelicher Verbindung unter Verwandten, beftätigt
ih meines Willens in Perfien nicht; ich fand in den befiern
202
ih eingeftelt hat. Sie beginnt im nördliden Perſien erft
gegen das dreizehnte Jahr, im ſüdlichen jedoch ſchon gegen
das neunte oder zehnte Jahr; in letzterm Alter auch bei
Judenmädchen, welche troß ihrer fheinbaren Anämie, infolge
der gebrüdten Lebensverhältniſſe, früher menftruirt werben.
Ueberhaupt ſcheint das frühere oder fpätere Eintreten und
Erlöſchen der Menftruation mehr von der Raſſe ald vom
Klima abzuhängen, und obmwol fie durch ein kaltes, nörd⸗
lies Klima verzögert werden Tann, jo vermwilcht ſich doch
in allen folgenden Generationen nicht der Einfluß der Rafle.
Als Beleg hierfür dienen die Jüdinnen in Europa und die
Negerinnen in Perfien und den amerifanijchen Golonien.
In Shiraz ſah ich Frauen von zwölf Mondjahren, welde
bereit3 Mütter waren, mährend in Teheran felten eine Frau
vor dem vierzehnten Sabre gebiert. Oft find Weiber von
30 Jahren Ihon Großmütter; Töchter und Mütter kommen
zugleich nieder. Dagegen bört die Menftruation durchſchnitt⸗
lich ſchon gegen das zwei- bis fünfunddreißigfte Lebensjahr
und damit auch die facultas generandi auf, zu welcher Beit
die demnach Anvolutionsperiode beginnt. Ausnahmen finden
freilich hier und da ftatt; jo jah ich eine Frau von 48 Jah⸗
ren gebären, doch erregte diefer Fall in Teheran allgemeines
Staunen. Die Scherifes (meibliche Seiiden, d. i. Ablömm-
linge des Propheten, alſo arabiihen Urfprungs) menftruiren
und gebären länger als Vollblut-Perſerinnen, was jedoch dort
nicht dem Rafjenunterfchied zugefchrieben, ſondern als Mi-
rafel ausgelegt wird. Die Frauen im Orient controliren
ihre Menftruen weit leichter als die Frauen in Europa,
weil jene nach dem dort gebräuchlichen Kalender des Mond:
monats zählen, jodaß fie genau den Mond-Tag ihrer
Menftruation kennen. Daſſelbe gilt auch von der Berech⸗
nung bes Tag der Geburt, melde fih genau mit dem
tage der zehnten Menftruationgepocde einftellt. Bei jungen
204
unter dieſer zurüd, mit Ausnahme der Weiber vom arme
niſchen Stamm, deren Brüfte meit ausgebildeter find. Schon
nad einigen Entbindungen werden fie ſchlapp, daher viele
Frauen jie dur Suspenforien ſtützen. Sie jecerniren jedoch
viel Mild. Bei gefunden Müttern ift der Fall, dab ihre
Milch für den Säugling nicht binreicht, äußerſt felten; viel:
mehr fieht man als etwas ſehr Gemöhnliches, bei Erkrankung
oder beim Tod der Mutter, eine Nachbarin das Säugungs⸗
geihäft mit übernehmen und zwei Kinder genügend ernähren;
‚außerdem wird ein Theil der Mil zu Heilzwecken verwen-
det. Tritt bei einer zum erften mal Gebärenden die Warze
(hulmeh) nicht gehörig hervor, fo werden, wie in der Türe
fei, junge Hunde (tule-sek) angelegt, deren es in den Ba:
zars ftet3 eine große Menge gibt. Daffelbe findet auch bei
Milchitafen ftatt. Krankheiten der Bruft, mie Bruftentzün-
dungen mit Eiterung, Schrunden der Warzen u. ſ. w. kom⸗
men in jehr beſchränktem Maße vor, was wol darin feinen
Grund haben mag, daß die Bruft frei, ohne einengenden
Schnürleib, nur leicht mit Flor bededt, getragen wird, und
jo die Empfindlichkeit gegen Erfältung und andere Witterungs-
einflüffe fi abitumpft. Zu auffallender Größe entwideln
ich oft die Bruſtdrüſen bei Eunuchen; ih kannte den be
rühmten grufiihen Eunuchen Cosruw-Chan, der im Alter
von 75 Jahren noch enorm ausgebildete Brüfte hatte.
Die nicht fpecifiihen Krankheiten der weiblichen Geni-
talien kommen dem europäifhen Arzt wenig zu Geſicht.
Hebammen erzählten mir indeß auf Befragen, daß Scheiden-
vorfall nicht felten jei. Skirrhus des Muttermundes fand
ih nur einmal, bei einer funfzigjährigen Armenerin, welche
in frühern Jahren einen ausſchweifenden Lebenswandel ge
führt; fie erlag ihrem Leiden. Da die Mädchen oft vor ers
langter Pubertät verheirathbet werden, hatte ih Dammriſſe
auch außer infolge der Entbindung zu beobadıten.
206
Wahl gelaffen wird, fondern die Aeltern allein über fie ver-
fügen, jo werben die meiften Heirathen durch weibliche Ans
verwandte oder Unterhändlerinnen (deläleh) zu Stande ges
bracht. Eine ſolche begibt fich zu dem heirathsluſtigen Mann,
rühmt die körperlichen Borzüge der ihm zugedachten Braut,
gewöhnlich hervorhebend, daß fie weiß fei, große, offene
Augen, ein rundes Gefiht (mähru, Mondgeſicht), gewölbte
Augenbrauen und eine Cypreflengeftalt habe. Weil die Pers
jerinnen faft nie jo blendendmweiß find wie die Occidenta⸗
innen, wird diefe Eigenichaft beſonders geſchätzt. Die De
laleh kommt bierauf ins älterlihe Haus des Mädchens und
bringt den Geldpunft in Richtigkeit. Hiermit find die Prä-
liminarien gefchloffen, denn freie Wahl und Selbitbeitimmung
jeitend des Mädchens findet nur äußerft felten ftatt. Männer
nahe dem fiebzigiten Jahre heirathen ein zehnjähriges Kind,
ohne daß dies irgend Aufſehen oder Gerede in der Stdbt
veranlaßt. Seltener find die Fälle vom Gegentheil, nämlich
daß ein junger Mann von 16 Jahren eine ältere Witwe
beirathet, und dann geſchieht dies tet? nur aus Familien-,
Standes oder Geldrüdfichten.
Der Begriff der Liebe, wie er bei uns im Dccident aufe
gefaßt wird, eriftirt kaum bei den Drientalen; die Liebe,
welche die perfiihen Dichter in ihren Poefien befingen, Hat
entiveder einen ſymboliſchen oder einen höchſt profanen Sinn;
auf das Wort ischk (Liebe) folgt immer der Begriff was,
d. i. die fleiſchliche Vermiſchung.
Der Knabe reift ums vierzehnte Jahr. Iſt er von gu⸗
tem Hauſe, jo wird ihm gegen das ſechzehnte oder fiebzehnte
Jahr, manchmal auch ſchon mit dem zehnten Jahre, eine
Vertragsfrau (sigheh) von den Aeltern zugetheilt; erſt nach⸗
dem er eine Stellung und die volle Reife erlangt hat, geht
der Mann die wirkliche Ehe (eekdi) mit einem Mädchen von
angefehener Familie, mit feiner Coujine oder einer Prinzeſſin
208
ein gewiſſes Entgeld und gegen feftgefeßte Entſchädigung
bei eintretender Schwangerſchaft geheirathet wird. Während
diefer firirten Zeit genießt fie die vollen Rechte einer legalen
Ehefrau. Nah Ablauf des Vertragsterming aber if fie,
wenn derſelbe nicht verlängert oder erneuert wird, dem
Manne gejeglich verpönt. Für die mit ihr erzeugten Kinder
ift der Mann zu jorgen verpflichtet, weshalb ſich die Sighe
nit eber als vier Monate nach der Trennung an einen
andern verheiratben jol, doch wird dieſer Punkt häufig ums
gangen.
Es ift Sitte, dag der Perſer auf Reifen, Expeditionen
oder Bedienftungen in der Provinz nie feine Frau mitnimmt,
jondern faft an jeder Station, mo er länger verweilt, eine
Sighe beirathet. In der Stadt Kirman pflegen die Mulas
jedem Ankömmling, der nur einige Tage fi) dort aufhält,
ein Weib zur Sighe anzubieten. Hierdurch entftehen oft
jehr ernſte Vermwidelungen, indem junge Leute aus fernen
Provinzen mit wahren oder gefäljchten Documenten zugereift
fommen und Aniprüde auf Erbichaft erheben, womit fie
auch, menn der Vater den Nachmeis des Alibi nicht zu
führen vermag, bisweilen reuffiren.
Die Kinder aller diefer drei Klaſſen find nad dem Ge
jeg bei der Erbichaft gleichberechtigt; doch finden bierin auch
wilfürlide Ausnahmen ftatt. So nimmt 3. B. eine verwit⸗
wete Prinzeſſin oft für fih und ihr Kind die ganze Erbfchaft
in Befchlag, obgleich der theo⸗-demokratiſche Islam eigentlich
feinen Unterſchied der Stände anerkennt.
Dem Borftehenden gemäß könnte der Perfer Weiber in
unbeihränfter Zuhl nehmen, was auch von einigen Großen
weib gleichgeftellt. Ein folder mird gewöhnlid nur ba abgefchloffen,
wo bereits vier legale Frauen vorhanden find; auf biefe Weife umgeht
man das Geſetz, benn das fünfte Weib ift nun ben übrigen eben-
bürtig.
u 210
Sind die Präliminarien zwiſchen dem Bewerber und
den Xeltern des Mädchens vereinbart, jo wird’ zur Hochzeit
geihritten. Der Trauungsact jelbft (akd-ennikah) ift nad
mufelmanifdem Gefeg — ähnlich dem jüdifchen — fehr ein-
fa; es genügt, daß der Mann dem zur Pubertät gelangten
Mädchen den Antrag macht und diefe darauf zur Antwort
gibt: „Ich übergebe mich dir.” Das Ausiprechen dieſer
Formel reiht auch ohne die Anmejenbeit von Zeugen zur
Schließung einer legalen Ehe bin. Aus Belorgniß jedoch,
daß ſpäter Zweifel über die Gültigkeit der Ehe erhoben
werden Tönnten, und weil nach dem Geſetz diefe Formel in
gutem arabifhen Accent geiprocdhen werden muß, was ein
Perſer felten im Stande ift, wird immer ein Mula zu dem
Trauungdact zugezogen.
In reihen Häufern wird die Hochzeit mit vielen Bomp
gefeiert und dauert meilt fieben bis acht Tage. Während
diefer ganzen Zeit werden ſowol im Haufe des Bräutigams
als auch im älterliden Haufe der Braut Gaſtereien und
andere Ergötlichleiten veranftaltet. Am eriten Tage findet
die eigentliche Trauung ftatt. Der Bräutigam begibt ſich
in Begleitung zmweier. Zeugen zu den Xeltern der Braut
und bringt gewöhnlich die behandelte Ueberlaſſungsſumme,
das Milhgeld, mit. Hierauf wird der Ehecontract (akd-
ennikah) niedergejchrieben und darin der Abfindungsbetrag
(mehrieh), melden die Frau im Sterbe: oder Scheidungss
fall zu erhalten hat, genau verzeichnet. Es veritebt fich vor
jelbft, daß dieſes Actenftüd, da es die Anſprüche der Fran
feftftellt, in ihrer Verwahrung oder in der ihrer Aeltern
verbleibt. Der Mula lieſt nun dag Gebet (chutbeh) und
fügt au einige Worte der Ermahnung hinzu. Dann feßt
ih der Vater der Braut oder im Ermangelungsfall deſſen
Vertreter (vekil) dem Bräutigam gegenüber, fie reichen ſich
bie rechte Hand und der Mula fpricht dabei die arabifche
212
Freunden begleitet, ind Bad. Unterdeſſen werden die Hab:
feligteiten der Frau, beitehend in Teppidhen, Kleidern,
Kupfergelhirr und anderm Hausrath, aus dem älterlichen
Haufe in jenes des zufünftigen Gemahls gebradt. Mehrere
Maulthiere, Eoftbar gezäumt, find je mit einem Baar Koffer
(jachdän) beladen, über welde jih ein rother Tuchteppich
breitet. An ihrer Seite ziehen die gejchenkten Sklaven,
voran der fünftige Eunuche des Haufes. So burdhfchreitet
der pomphafte Zug unter Trommelwirbel die Straßen.
Diefe Mitgabe der Frau heißt dschehäz; fie bleibt immer
und unter jeder Bedingung deren ausfchließliches Eigenthum.
Man ftrebt danah, den Zug möglichſt groß erjcheinen zu
lafien, um den Neihthum der Dame Tundzugeben, daher
jehr häufig die Jachdans leer oder nur mit Ballaft gefüllt
jind. Erit gegen Mitternadht wird die Braut zu Pferde,
unter Trommeljchlag und Flintenſchüſſen und unter Vortrag
von Windlichtern (maschal), durch ihre Genoſſinnen ins
Haus des Mannes geleitet, der fie nun endlich zum eriten
mal zu jeben befommt.*) Der Anftand verlangt, daß er
jie mit Gewalt entjchleiere, und dab fie dabei Widerftand .
leifte. In dem Momente, wo ji der Schleier Lüftet, ruft
der Mann: „Bismillah errahman errahim!” (Im Namen
Gottes, des Barmherzigen!) Nach einem berrihenden Bors
urtbeil wird derjenige von den Gatten, weldem es gelingt,
zuerſt auf den Fuß des andern zu treten, die Oberhand im
Haufe haben, daher man ſich beiderjeit3 in eifrigem Wett⸗
*) Daß e8 hierbei an Enttäufhungen, welde dann das Etabt
gefpräh bilden, nicht fehlt, ift erlärlih, um fo mehr als bie Aeltern
eine häßliche Tochter vor jedem profanen Blick zu verbergen fuchen unb
fih auch wol den unjcdhuldigen Betrug erlauben, beim Beſuche bes
Bräutigam eine andere, wohlgebilbete Dame vor ihm paffiren zu lafjen,
welche zufällig!) den Schleier Tüftet und dann mit größter Wahr-
ſcheinlichkeit von ihm für feine künftige Gemahlin gehalten wird.
L
214
Pflichten von feiten des Mannes. Außer dem zulektgenann-
ten Grund kann der Mann zur Ertheilung des Scheidebriefs
nicht gefeglih angehalten werden, doch wird er oft durch
Machthaber mitteld Drohung und Preffion dazu gezwungen.
Folgender Fall, der zugleich als Beitrag zur Sittengefchichte
des Hofs dient, liefert hiervon einen eclatanten Beweis.
Als Nafjerevdin Schah im Jahre 1848 auf den Thron Fam,
zwang er feine Schweiter Melik-zadeh, den Premierminifter,
den vielgenannten Emir, zu beirathen, um ibn durch Fami⸗
lienbande fefter an ſich zu fetten. Die Prinzefiin, ein zwölf:
jährigeg Mädchen, mwiderjtrebte lange, weil der Emir, zwar
ein ſchöner, kräftiger Mann, doch ſchon in ziemlid vor⸗
gerücktem Alter ftand und bereit3 aus eriter Ehe einen er:
wachjenen Sohn hatte. Allein fie mußte endlich nachgeben;
der Emir verabjchiedete feine erite Frau und beirathete bie
Schweſter des Schab. Durch feine Energie und Geiftesfraft
wußte er die Prinzeflin bald dermaßen zu felleln, daß fie
ihm, als er drei Jahre fpäter in Ungnade fiel und ertlirt
wurde, wider alles Erwarten ins Eril folgte, aus Yurdt,
dag er vergiftet werden möchte, ihm ſelbſt die Speiſen be-
reitete und ihn feinen Augenblid aus den Augen verlor.
Dennoch gelang es, einen Moment der Trennung des Paare
zu benußen, um dem Emir. im Bade die Adern zu Öffnen.
Melek-zadeh Lehrte nach Teheran zurüd. Einige Monate
jpäter zmang fie der Schah, den Sohn des neuen Premier:
minifter3 zu heirathben. Die Verbindung war ihr aus meh-
rern Gründen verhaßt; einmal trug die Familie Schuld an
dem Tode ihres geliebten Mannes, ſodann war der ihr aufs
gedrungene Bräutigam ein unerfahrener, geiftesarmer junger
Menſch. Sie fügte fich den Befehl des Königs, jedoch mit
den Worten: „Ich gebe dir die Erlaubniß, mich mit Kaſem
Chan und mit allen folgenden Miniftern zu verheirathen.”
Wie vorauszufehen, mar die Ehe Feine glüdlide. Ich
216
hält fie dann für ein böſes Omen und ſucht ſich ihrer zu
entledigen.
Eine verftoßene Frau Tann der Perfer nach beitimmter
Friſt wieder ind Haus nehmen, nad) der zweiten Scheidung
jedoh nur in dem Fall, wenn ſie indeſſen an einen andern
verbeirathet war und von diefem den Scheibebrief erhielt.
Um dem Geſetz bierin Genüge zu leiten, wird gewöhnlich
irgendjemand gemonnen, der einige Tage ald Mann figurirt.
Freilih fann niemand zur Grtheilung des Sceidebriefö ges
feglih gezwungen merden, und ich erlebte wirklich einen Fall,
mo die formelle Verbindung zu einer bleibenden wurde. Bei
der Sighe kommt die Scheidung nicht in Frage, da der Ber-
trag mit ihr von felbft nach beftunmter Zeit abläuft.
Dem Mann ift ferner geitattet, eine Frau, die er als
Afdi veritoßen, als Sighe wieder zu beirathben. Als ber
jegige König, der bereit? vier legitime Frauen hatte, mit
einer Sighe, der Mutter des Kronprinzen, jich legitim vers
beiratben wollte, erhielt eine feiner Akdis den Scheidebrief
und blieb dann unter dem Namen einer Sighe im Harem,
womit dem Gejeb genügt worden ar.
Frauen, melde für ihre Kinder Ammen halten, enıpfangen
raſch nacheinander und gebären fait jedes Jahr, während
in den ärmern Klafjen, wo das Kind bis zum dritten Jahr
von der Mutter gejäugt wird, Empfängniß und Geburten ſich
langſamer folgen; doch gefchieht e3 au, daß Frauen wähs
rend und troß der Lactation im zmeiten Jahr wieder mens
ſtruirt werden und, allerdings zum Nachtheil des Säuglings,
empfangen. XLeidet eine rau während des Säugend? am
Wechfelfieber, jo nimmt die Mil ab und ſchwindet endlich
ganz, und das Kind erkrankt an der Ruhr. Durchſchnittlich
gebären die Perſerinnen ſechs- bis achtmal; danach follte
man auf eine raſche Zunahme der Bevölkerung jchließen, -
218
fie jeßen maſſenhaft Blutegel an, machen Aderläſſe an den
Füßen, nehmen Brecdhmittel aus Sulfas Cupri, Draftica
oder die Sprofien von Dattelfernen; und fruchten alle diefe
Mittel nicht, fo laſſen fie fih den Unterleib walfen und tre
ten. Viele geben an den Folgen diejer roben Behandlung
zu Grunde. Sehr häufig ermwiderten mir ſolche Unglüdliche,
wenn ich ihnen die Bitte um ein Abortivmittel unter Ber
weifung auf meinen geleifteten Eid abihlug: „Euer Eib
mag mol für Frengiltan gut fein, wir aber können nidt
gebären, ſonſt werden wir fammt dem Finde getöbtet.” Wer
möchte es ihnen unter folden Umftänden verargen, wenn fie
ih an einen gefälligern Fachmann wandten?
Hingegen berricht der Misbrauch, welcher in den höhern
Ständen der Türkei allgemein ift, daß die Frau, nachdem
fie zwei Kinder geboren hat, mit Wifjen ihre8 Mannes von
nun an abortus hervorruft, theil8 um ihre Körperfchönbeit
zu erhalten, theils um die Nachkommenſchaft zu verringern,
nirgends in Berlien. Denn erſtens ift es außerordentlich fel-
ten, daß eine Berjerin mehr ala zwei Kinder am Leben er-
bält, fie ftrebt daher nach Erſatz; und zweitens ſetzt fie einen
Stolz darein, eine zahlreihe Nachkommenſchaft zu befiten,
die ihr in ihren alten Tagen zur Stütze dienen Tann.
Wenn Unfruchtbarkeit von den Frauen aller Länder als ein
Misgeſchick angejehen wird, jo it dieſelbe in Perſien wirklich
das größte Unglüd; die Unfruchtbare wird faft immer vom.
Manne veritoßen, von andern rauen des Harems verhöhnt,
und fteht in ihren alten Tagen, wo die Mutter gewöhnlich
das Obdach ihres Kindes in Anſpruch nimmt, ifolirt und
bülflos da. Nur in den ärmſten Klaffen fommt es bismeilen
por, daß eine Mutter ihr Kind heimlich an die Schwelle einer
Moſchee ausſetzt; doch findet e8 dort immer einen Abnehmer,
denn der Orientale, welder dem Hunde, obgleich er ihn für
unrein bält, Brot zum Fraß binmwirft, .erbarmt ſich ſicher
220
nichts einftehen Fünne. Während dieſes Geburtsactes werden
Gebete für die glüdliche Entbindung vom Dache des Haufes
ausgerufen (izät).
Nah der Entbindung wird die Wöchnerin ins Bett ges
bracht; in den erften drei Tagen erhält fie nur vegetabilifche
Nahrung, mit Zuder und Fett vermifcht, und wird forgfäl:
tig vor Erfältung gebütet. Nach fieben bis zehn Tagen führt
man fie, falls jomol die allgemeinen wie die örtlihen Symp⸗
tome fi) günftig zeigen, ins Bad und falbt dajelbft ben
Körper mit friiher Butter und einem Zuſatz von verſchiede⸗
nen Gewürzen, bejonder® Zedoaria, bis jie gehörig in
Schweiß kommt. Alsdann darf fie die Mofchee befucdhen,
ihrem Manne ift fie jedoch erft nah Verlauf von vierzig
Tagen wieder erlaubt.
Die Hebamme badet das Kind, führt dabei ihre mit
beiliger Erde beitrichenen Singer in deifen Mund und drüdt
fie gegen den Gaumen, um diejem die gehörige Wölbung
zu geben, aud die Gauntenbeine, fall3 diefelben getrennt
wären, zufammenzufügen (!) Das Bolt fegt einen ſolchen
Slauben in die Wirkung diefer Operation, daß ein Wolfe:
rachen jtet3 der ungejchidten Manipulation ber Mama zu:
geſchrieben mird.
Ich nahm Schon früher Gelegenheit, der leichten Ent:
bindung der periifhen Frauen, bejonder3 der Nomaden:
weiber zu erwähnen. Krankhafte Zuſtände während der
Schwangerſchaft gehören zu den Seltenheiten, ebenfo An-
Ihwellungen und Krampfadern, mwenigitens wurde ich nie
deshalb confultirt, und das Volk Tennt feinen Namen für
biejes Leiden. Die wenigen Fälle von Kindbettfieber, welche
mir in meiner dortigen Praxis vorgelommen, hatten meift
einen gutartigen Verlauf. Obwol mir keine ftatiftifchen
Angaben zur Hand find, fteht es doch nach genauen Er
tundigungen feit, daß die Anzahl der Frauen, melde beim
222
Blüdsftern, böjen Blid ‚(sehr u dschädu, bsecht, bed
nezer), bejonder8 in Sachen der Liebe, und wendet allerlei
Mittel und Amulete von jonderbaritem Inhalt an, um fidh
einen Mann zu verjchaffen, feine Liebe zu fefleln, den böfen
Blick zu beſchwören, fruchtbar zu werden oder die Frudt-
barkeit ihrer Genoflinnen zu bindern. Berühmt ift ein
Minaret, genannt kune-birindschi (natibus aereis), in
der Nähe von Ispahan, zu welchem Mädchen und Witwen,
um einen Mann zu befommen, mallfahrten. Es führen
zwölf Stufen hinan; auf jede derjelben wird eine Nuß ge
legt, melde die Pilgerin podice fnaden und dabei folgende
Strophe recitiren muß:
Ai minär-e-kun-e-birindschi
Heerfet mizenem nersendschi
. Hüwenk-e-men deste miehuähed
Merd-e kemer beste michuähed.
Oh minaretum podicis aerei
Tecum loquor non irascere
Mortarium meum pilum vult
Virum renibus einctis vult.
In gleicher Abficht ſetzen ji) die Mädchen auf bie
Deichjel einer von Pferden getriebenen Papiermühle und
laflen jih darauf zweimal um die Säule ziehen. Wirb eine
Frau, ohne ihr Wiffen, mit Schweinefett bejchmiert, fo
glaubt man, fie werde unfruchtbar, und da Schweinefett
ſchwer zu haben ift, wurde ich häufig von Nebenbuhlerinnen
um eine Portion deffelben angegangen.
Mufcheln, obſcöne Theile von der Hyäne, vom Hafen
u. ſ. w., die Früchte von Anacardium werden als Amulete
getragen.
Bei der Geburt eines Knaben erjcheint nad) dortigen
Borftellungen in der Nacht die Fee Aal, um das Kind zu
tödten; man fpaltet deshalb mit einem Schwert die Luft
224
bebeutet sacrum, das Heiligtum, zu welchem jedem Fremden
der Zutritt fireng verboten ift. Der Eindringling fanrı leicht
fein Unternehmen mit dem Tode büßen. Sind mehrere
Frauen im Haufe, jo bewohnt jede eine bejondere Abthei⸗
(ung, in den Häufern der Reichen mit eigenem Hof, eigener
Bedienung und Küche, eigenen Sklaven und Eunuden. Stets
eine bosbafte Abficht fürdhtend, berührt feine Frau, weder
für ih no für ihr Kind, die Koft ihrer Nebenbublerin.
Weil der Perſer dag Enderun als Heiligthum betrachtet,
ſpricht er nie in Gelellihaft von feinen Frauen oder Kin-
dern; er nennt nie den Namen einer Frau, jondern bezeich:
net fie im Notbfall als die Mutter diejes oder jenes Kindes,
als Tochter feines Oheims u. |. wm. Es wird ſelbſt als grober
Verſtoß angejehen, wenn der europäilche Arzt beim Manne
nad) dem Befinden von deſſen kranker Frau oder Tochter fi
erkundigt. Als vor Ausbruch des engliſch-perſiſchen Kriegs
auf Befehl des engliichen Botichafters Farafche zur Vornahme
der Pfändung in einen Haren drangen, drohte ein Aufruhr
in der Stadt. Die Faraſche mußten ſich flüchten, um ihr Leben
zu retten. Hingegen ift e8 ungegründet, daß der Arzt, wie
man gewöhnlid annimmt, nur den Buls einer Patientin zu
fühlen befommt; er darf, wo er es für nothwendig erklärt,
auch die weitere phufifaliiche Erploration vornehmen. Das
allerlegte jedoch, was ihm die Kranke zeigt, ift ihr Ge
jicht, fie glaubt fih dadurch zu proftituiren; allein auch dafür
weiß die wahre Tochter Eva's ein Ausfunftsmittel; jie bat
zuerit an den Zähnen etwas zu verbeflern, und bebt den
Schleier big zur Naſe; dann findet ſich ein led auf der
Stirn, und fie ſenkt die obere Hälfte des Schleiers, ſodaß
der Arzt nur zu addiren braudt, um die Totaljumme zu
erhalten.
Der Titel, welder einer Frau von Rang zufommt, ift
chänum; Frauen untergeorbneten Ranges werden begum
226
Schmerz, welcher der Frau widerfahren kann, ift eine neue
Heirath ihres Mannes oder Vernadläfiigung von feiten
deffelben, indem er einer andern mehr Liebe jpendet als ihr.
Sie ift dann troftlos; viele Tamen in dieſer Noth zu mir,
um ärztliden Rath zu holen, und auf die Frage, was ihnen
fehle, gaben fie an: „Bäd-e-wräz därem!” (cd babe An-
mwandlungen von Kummer!) Wird eine Frau gewahr, baf
ihr Mann mit Heirathsideen umgeht, ſo verſucht fie durch
Drohungen, Weinen und Bitten ihn davon abzubringen;
gelingt ihr dies nicht, dann beginnt fie die Auserwählte zu
verunglimpfen und zu verdächtigen; endlich aber ergibt fie
ih in ihr Schidjal und ſchließt mit ihrer Nebenbubhlerin
(häveh) Frieden. Es tritt eine Art Compromiß, jelbft
Freundichaft zwiſchen ihnen ein, und beide rächen fi durch
Untreue an dem Mann. Am Sommer 1853 ritt ich nad
Hamadan,; unterwegs überholte mich eine Dame, melde
mitteld Kurierritt3, eine von Frauen höochſt felten unter:
nommene Anjtrengung, ebendahin reiſte. Sie gab Sich für
eine Brinzeliin aus. Sn Hamadan angelommen, hörte ich,
die Pſeudo-Prinzeſſin jei die Frau des königlichen Elefanten:
treiberd, und auf die Kunde, daß ihr Dann fich dort ver:
beiratben molle, auf fchnellitem Wege zu ihm geeilt. Sie
batte 35 Meilen in zwei Tagen zurüdgelegt und war wirklich
jo glüdlih, die Sache rüdgängig zu maden.
In der Regel nimmt diejenige rau, welde aus ber
Verwandtſchaft ift, den oberften Rang ein; fie führt das
Hausweſen, vertheilt die täglichen Portionen Reis, Holz,
Brot u. |. w., beftimmt jelbjt das jus noctis und übt oft
eine ſolche Autorität über die andern Frauen aus, daß Diele
in ihrer Gegenwart ‚ohne Erlaubniß nit niederiigen und
nicht rauen dürfen. Hat jedod nur eine der Frauen Kin⸗
der geboren oder allein das Glück gehabt, fie nicht durd
den Tod zu verlieren, fo pflegt fie ftatt der aus ber
228
müſſe fich glüdlich preifen, daß der Vater ihm noch ein Hans
gelaffen, da er beide hätte nehmen können.
Die Glieder einer Familie bilden unter fih ein Ganzes,
und fließen fich als folches wieder an ein hervorragendes
Stammbaupt an, welches ala Chef fämmtlidyer dazu gebd-
riger Familien (ser-e-täife) verehrt wird. Gelangt der Chef
zu einer beſonders einflußreichen Stellung, 3. B. zur Würde
eines Großveziers, fo trachtet er zunächſt, mit Hint
anſetzung aller Fremden, die ganze Schar feiner, ſelbſt ent⸗
fernteſten Verwandten aus der Dunkelheit hervorzuziehen
und ſie mit den verſchiedenſten Aemtern in der Hauptſtadt
wie in den Provinzen zu verſorgen. Freilich werden auch
andererſeits alle wieder in feinen Sturz mit hineingeriſſen.
Pan konnte dies in Perſien fehen, als raſch nadyeinander,
das 208 der aus ihnen bervorgegangenen Minijter theilend,
der Stanım von Maku, von Nur, von Farahun ans Ruder
fumen und ebenfo jchnell wieder ſanken.
Der Perſer Tann nicht begreifen, wie man lange Zeit
fern von feiner Familie leben oder dieſelbe vernachläſſigen
fünne. So fragte mich einmal der Großvezier, ob ich denn
in Europa feine Anverwandten hätte, und bemerkte, nad
dem ich die Frage bejaht, ſpöttiſch: „Meger chische-gaum-+
kadschari däri?” (Du häliſt es wol mit der kadſchariſchen
Familie?)*)
Stirbt ein Familienvater, ſo gilt es als ſelbſtverſtänd⸗
lich, daß die hinterbliebenen Witwen und Waiſen das Haus
ſeines Bruders beziehen und dort Unterhalt und Pflege
empfangen; eine Verweigerung in ſolchem Fall wäre uner—⸗
hört. Einem Fortreiſenden, der einen Bruder im Lande
*) Die kadichariſche, d. i. Mnigliche Familie, ſteht nämfid in bem
Ruf, Daß fie in ſich zerriſſen fei wad ihre Glieder fich gegenfeitig nicht
unterfiüßen.
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232
Namen? Dſchayramb-Chanum verſchenkt, fpäter farughe
sultaneh (die Fadel des Königthums) genannt, die Tochter
eines armen Tifchler3 aus dem Dorfe Tedſcheriſch, nahe bei
Teheran. Sie war Tänzerin der Königin: Mutter geweſen
und weder Schön noch anmuthig; auf der linfen Wange hatte
fie eine große Boutonnarbe. Dennoch gewann fie fo großen
Einfluß auf den Schah — man fchrieb es einem Zauber zu —,
daß fie alle die andern legitimen Frauen, welde nun in
Trübfal und Zurüdgezogenheit leben mußten, aus feiner
Gunſt verdrängte. Ihr Vater wurde Gouverneur einer Bro:
vinz, ihr Bruder und Schwager, obgleich beide nicht fchrei-
ben fonnten, wurden Kämmerlinge des Königs. Sie gebar
zwei Söhne und eine Tochter, der ältere Sohn erhielt den
Namen. Kajem Chan. Als nun im Jahre 1856 der zweite
Kronprinz an der Cholera geftorben war, befchloß der Schah,
mit Hintanſetzung des Prinzen Muzzäfer-eddin, ihren Sohn,
Kaſem Chan zum Thronfolger zu ernennen. Da jedoch der
Vertrag im Wege ſtand, wurde ich angegangen, ein Docus
ment des Inhalts auszuftellen, daß Muzzäfer-eddin Törpers
lich und geiftig ſchwach, daher zur Thronfolge unfähig fe.
Ich mies natürlich dies Anfinnen, das mir von einem Agens
ten des Großvezierd zufam, mit Entrüftung zurüd; aud
glaube ih nicht, daß es vom König felbft ausging. Wie
dem auch fei, Kaſem Chan wurde wirklich zum Thronfolger
ernannt. Es herrſchte damals große Eiferfuht zwiſchen ber
ruffiihen und engliihen Gejandtichaft wegen der Vermides
lungen mit Herat; beide vermieden deshalb, die Wünſche des
Königs zu durchkreuzen. Die ehemalige Tänzerin ftieg nun
auf den höchſten Gipfel der Macht; ihr Einfluß machte ſich
in allen Staatsangelegenheiten geltend; der König lebte nur
für- fie und ihren Sohn Kafem Chan; ihren zweiten Sohn
ernannte er in der Wiege zum Sommandanten der Artillerie
(emir-e-tubchäneh), während er die Kinder feiner andern
234
rung) bei, hoffend, verfelbe werde fein Nachfolger auf dem
Throne werden.
Bor einiger Zeit lafen wir jedoch mit Befriedigung in
den Zeitungen die Nachricht, daß endlidy dem Ältejten Prinzen
fein gutes Recht geworden, indem ihn der Schah nach vielen
MWandlungen zum Thronfolger und zum Gouverneur von Tabris
ernannt, wohin er fih, in Begleitung feiner Mutter und
eines ehrlichen kurdiſchen Generals, Aziz Chan, begeben habe.
Im ganzen ift das %03 der föniglichen Frauen fein be-
neidenswerthes. Nicht allein daß der König ſich gewöhnlich
an Eine hält und die andern vernadläfiigt, jo leben fie in
vollfommener Abiperrung, beinahe in Gefangenschaft, und
dabei fließen ihnen felbjt die Subfiltenzmittel äußerft ſpärlich
zu. Der durchichnittlihde Gehalt von etwa 50 Dukaten
monatlich reicht kaum zur Beftreitung der nothwendigen Aus:
gaben bin, da jede vermöge ihres Ranges und ihrer per:
ſönlichen Sicherheit wegen eine eigene Küche führen und
eigene Dienftboten zum Verkehr mit der Außenwelt unters
balten muß. Außerdem werden jie von ihren Xeltern und
Brüdern in Aniprudy genommen, welche gemöhnlidy ganz von
ihrer Unterftügung leben wollen. Es gilt zwar nach Landes
jitte nicht für unfhidlih, daß die Schmäger des Königs im
Bazar ein Geſchäft oder Handwerk treiben und in ärmlichen
Verhältniſſen leben; doc) juchen fie natürlich von dem hoben
Rang der Schweſter möglichiten Nutzen zu ziehen. Die koſt⸗
baren Shamlfleider und die Juwelen, welche die Frauen bes
Königs erhalten, bleiben Kroneigenthbum und können nicht
veräußert werden, höchftens geht wol einmal durch Zufall
ein Stein verloren. Wehe vor allen denjenigen unter ihnen,
welche unfruchtbar find oder das Unglüd hatten, ihre Kin⸗
der durch den Tod zu verlieren; fie ermangeln des Troſtes,
im Alter den Harem verlaffen und bei einem verheiratheten
Sohn ihre Jahre beſchließen zu können.
235
Man geht daher in guten Häuſern der Ehre aus dem
Wege, eine Tochter ind Enderun des Königs zu liefern,
indem ſchöne Mädchen von den Xeltern forgfältig verborgen
gehalten werden, damit fie nicht die Aufmerkfamfeit der kö—
niglichen Familie auf. fich lenken, oder man jucht fie, falls dies
dennoch geſchehen, jchnell zu verheirathen, um jo mehr als
es ſich ſchon öfter ereignet hat, daß der Schah nad einigen
Tagen die junge Frau mit einer Kleinen Geldentihädigung
ins älterlihe Haus zurüdihicdte, in welchem Fall fie nur
mit bejonderer Erlaubniß der Königin: Mutter fich wieder
verbeirathben darf. So leben in Teheran zwei jolder vom
König gejchievdenen Frauen, deren eine jpäter einen Buch:
binder, Die andere einen Schüler aus dem königlichen Colle-
gium gebeirathet bat.
Die äußern Gemächer des königlichen Schloffes dürfen
für gewöhnlich von den Frauen nicht betreten werden; nur
manchmal entläßt der König feine gefammte männliche Um-
gebung und erlaubt dann den Frauen, ih im Schloß zu
ergeben; man nennt dieſes kuruk. Unternimmt der König
eine Reife oder eine Expedition, jo läßt er fih nur von
einer Frau begleiten; die andern müfjen unterdejjen einen
feiner Landjige beziehen. Wenn eine königliche Dame aus:
weitet, was nur auf Reifen oder bei Weberfievelungen ge- -
ſchieht, da ihr fonft nicht geftattet ift, das Schloß zu ver:
fen, jo müffen alle dem Zug Begegnenden auf den Ruf
der Eunuchen fich verbergen oder weite Ummege nehmen.
Gin Weigerungsfall jeitens eines europäiichen Diplomaten
führte einft zu fehr complicirten Erörterungen und ernftem
Rotenwechfel.
Die jetige Königin- Mutter, Valideh, erfreut ſich eines
großen Einfluffes, welchen fie befonders bei Belegung der
Gonverneurftellen, bei einem Minifterwechjel und bei den
Heirathen des Schahs geltend macht. Ihre Abenteuerfucht
236°
gibt reihen Stoff zu böfem Leumund; übrigens fol fie viel
Wis und Geift befigen, aud im Dichten und Blumenmalen °
ih verſuchen. | |
Die jungen Prinzen erhalten eine Amme und werben
von der Mutter forgjam überwacht. Man läßt ihnen bie
Wohlthat der Impfung angedeihen, doch fterben die meijten
in zartem Alter wegen Mangel an*zuträglier Diät, weil
die Mütter, in der Meinung, dadurdh ihr Wahzthum zum
fördern, fie mit Nahrung zu überhäufen pflegen. Die meiften
Kinder des jegtregierenden Schahb haben Anlage zu Hydro-
cephalus.
Mit dem fünften Jahre wird der Prinz einem Lubi-
magifter (laleh) übergeben, welcher ihn in den erjten Ele
menten des Wiſſens und in den Regeln des Anftands
(adæb) unterrichtet. Sehr früh führt er einen eigenen, von
dem der Mutter getrennten Haushalt. Sobald er aber eine
jelbftändige Stellung einnimmt, folgt ihm die Mutter in fein
Haus. Dadurch, daß der König einzelne feiner Söhne vor
den übrigen bevorzugt, erwächſt Haß zwiſchen den Brüdern
verjchiedener Mütter, der bei. Gelegenheit in Thätlichkeiten
übergeht und nicht felten zu Brudermord führt. So wurden
viele Söhne des Feth-Ali Shah auf Befehl ihrer Brüder
geblendet, andere endigten im Kerker oder Eril. Auch der
Bruder des jegigen Königs befindet fih im Eril zu Bagdad.
Welches 208 die den Vater überlebenden Söhne des Schah
erwartet, wird die Geſchichte Lehren.
Wir hätten in diefem Abjchnitt noch über die Proftitus
tion und die Aberrationen des Geſchlechtslebens überhaupt
zu ſprechen; doch find diefes Gegenjtände, welde nur unter
Fahmännern zur Sprade fommen follten. Diefe vermweifen
wir auf unfern Aufjaß über ‚‚Proftitution in Berfien”
(Wiener Mediciniihe Wochenſchrift, 1861, Nr. 32).
ee — — — — 3—7*
237
Im allgemeinen ſei hier nur bemerkt, daß weder
Eunuchen noch ſonſtige Ueberwachung die Tugend der Frauen
zu ſchützen vermögep, daß widernatürliche Laſter leider in
den Städten ſehr verbreitet find, und daß ſie nicht jo all-
gemeine Entrüftung hervorrufen, wie e3 im Intereſſe der
ganzen Menfchheit zu wünſchen wäre. Selbitverftändlich je-
doch gibt es unter allen Klafjen auch jehr ehrbare Frauen,
die ſelbſt durch DVerirrungen des Mannes ſich nicht beivogen
fühlen, nur einen Schritt breit vom Pfade der Pflicht und
ehelihen Treue abzumeichen. Beſonders zeichnen ſich die
Frauen der Nomadenftämme in diefer Hinficht rühmlich aus.
VII.
Diener, Sklaven und Eunnchen.
Große Zahl der Diener. Ihr Lohn und indirectes Einkommen. Patri⸗
archaliſches Berhältnig zum Herrn. Strafen. Unbrauchbarfeit euros
päiiher Diener im Orient. “ Kategorien ber Dienerfchafl. Milde
Behandlung. Schwarze und meiße Sflaven. Berwenbung unb
ihonende Behandlung berfelben. Frübzeitiges Abfterben ver Schwarzen.
Ihre Eprade und Bildungsfähigleit. Preife der Sklaven. Eunuchen
(ſchwarze und weiße, Freie und Sklaven, künſtliche und natürliche).
Körperbefhhaffenheit und Charakter der Eunuchen. Gefchichte bes
Eunuchen- Chefs Baſchir Chan. Der Eunuch Cosruw Chan. Abnahme
der Zahl und bes Einfluffes der Eunuchen.
A. Diener.
Zu dem orientaliihen Bomp, welchen der Perſer mit
dem Worte teschächchüs bezeichnet, gehört nebit den Pfer:
den, Zelten, Teppichen, Gewändern und Schmuckſachen aud
eine Schar von Dienern (nauker) und Sklaven männlichen
‚und weiblichen Geichleht3, von Bagen und Eunuchen. Ihre
Zahl überfteigt in Häufern der Reihen alle Vorftellungen,
welche wir in Europa von Dienerichaft haben.
Die männlichen Diener werden jelten zu häuslichen Ar-
beiten verwendet, ſondern faft nur zum Luxus gehalten. Gie
240
guter Dienft gilt nur ein folder, der viel per fas et nefas
abwirft. Man nennt diefes indirecte Einfommen madächel,
So viel Lohn auch ein Diener befommt, er fühlt fih uns
bebaglih, wenn die Duelle des Mädadjel nicht reichlich fließt;
mismuthig klagt er: „Madächel kem est!” (Der Gewinf -
it gering!), und ift er ein Mann von Grundjäßen und
Conſequenz, jo verläßt er bald wieder dag Haus.
Biele Diener hoher Beamten beziehen gar feinen Lohn
und beanjprudhen auch Teinen, denn fie leben aus fremdem
Sädel und von gelegentlicher Beute. Sie werden mit verſchie⸗
denen Commijjionen betraut, oder tragen kleine Geſchenke von
Obſt, Wild u. ſ. w. aus, wofür fie je nach der Stellung des
Mannes, von dem fie gejendet werden, 1—5 Dulaten als
Geſchenk (inaam) erhalten. Andere werden mit Briefen oder
Aufträgen in die Provinzen geſchickt, fo namentlich die Die
ner der Minifter, und gelangen auf diefe Weile zu einem
Einfommen, welches das der höchſten Staatsbeamten in
Europa übertrifft und fie in den Stand jest, ſelbſt einen
großen Haushalt mit mehrern Frauen zu führen und ihrer
ſeits mieder Diener zu unterhalten. Hiernach iſt es erklärs
(ih, daß bei einem Chan oder Prinzen, dem plöglich eine
neue Würde übertragen worden, ſchon am andern Tage eine
Cohorte ‘ven mindeltend hundert Dienern fich einftclt, um
den neuaufgehenden Stern zu begrüßen; daß fie gar nidt
abwarten, bi3 er fie in feinen Dienft aufnimmt, fondern in
der Hoffnung auf Protection oder des zu erwartenden Mä:
dachels ihn begleiten. Auch Europäer jehen ſich unaufgefordert
mehrere Tage lang von einem unbekannten Diener begleitet,
der auf die Frage, was er eigentlich wolle, antwortet:
„Naukeri mikunem!” (ch thue Dienfte!); wird er nicht
ausprüdlih fortgefhicdt, fo rechnet er ih zur Zahl der Be
dienfteten und verlangt die Gewährung der Emolumente.
Die meilten Ehune nehmen jedody Bediente aus ihrem
242
Diener, daß fich der Herr mit feinen Angelegenheiten befaffe,
ihn über feine Zuſtände ausfrage und ihn familiär behandle;
wo dies nicht ftattfindet, fühlt er jich fremd im- vauſe und
bleibt nur unwillig in einem ſolchen Dienſt.
Den Begriff des patriarchaliſchen Communismus pflegt
er jelbit auf die Kaffe jeines Herrn auszudehnen. Gibt man
ihm 3. B. mehrere Dulaten zu Einfäufen, jo wirft er das
Gold in ein Beutelhen, in dem bereit einige Eleine Münze
fich befindet; kurz darauf zurüdigerufen und befragt, wie viel
Geld er habe, fummirt er in feiner Antwort das Empfangene
mit dem frübern Inhalt feiner Börje. Auf dem Narkte
macht er dann alle Ausgaben, ſowol die für fich als die für
den Herrn, aus der gemeinschaftlihen Kaffe. Um die Ned:
nung ift er nie verlegen, denn der Sitte gemäß darf er für
jeden Einkauf 10 Procent mehr anfegen als wirklich bezahlt
worden, und megen des darüber noch fehlenden Betrags hat
er ſtets Ausflüchte und Zügen bei der Hand. Ebenjo madt er
fih fein Gemwifjen daraus, Mundvorräthe aus dem Haufe zu
tragen; wird er dabei ertappt, jo trifft ihn Feine große
Strafe, weil er gleichlam als zur Samilie gehörig angejehen
wird. Hat er aber einen ſchweren Fehler begangen, fo will
er nit, daß man ihn ſchimpfe, da die gebräuchlichen
Schimpfworte den Vater im Grabe oder feine Frauen ent:
ehren, jondern er wirft ſich platt auf den Rüden, hebt die
Füße in die Höhe und ruft: „Gäh churdem!” (Ich aß
Koth, d. i. Ich fehlte!), zum Zeichen, daß er die Baftonnabe
zu empfangen bereit fei. In jedem Haufe mit zahlreicher
Dienerfchaft befindet ji ein Baltonnadenpfahl (tschubeh-
felek); nur durch den zeitweiligen Gebrauch oder wenigſtens
durch den fteten Anblid defjelben ift es möglich, fie in Zudt
zu erhalten. Die Baftonnade empfangen (tschub churden,
d. i. den Stod efjen) gilt übrigens durdaus nicht für eine
Schande. Nach überftandener Strafe erhält vielmehr ver
— —
243
Gezüchtigte ein Ehrenkleid, womit er dann vollſtändig re—
habilitirt iſt.
Vorzugsweiſe träge zeigt ſich der perſiſche Diener in
Verrichtung der Hausarbeiten, was darin mit ſeinen Grund
haben mag, daß wegen der großen. Zahl der Diener der ein-
zelne wenig zu thun bat und deshalb aud) dies Wenige zu
thun verſäumt. So 3. 3. ift man mit zehn Dienern kaum
im Stande, ein Zimmer ohne Möbel rein zu erhalten; fie
begnügen ſich, einmal des Tags die Teppiche abzukehren,
während in den etwas höher gelegenen Niſchen der Staub
monatelang liegen bleibt und nur einmal im Jahre abgefegt
wird. Ich Eonnte jo feſt auf diefe gewohnte Nadpläffigkeit
rechnen, daß ich oft mehrere hundert Dufaten, die ih im
Koffer nicht fiher glaubte, frei auf die erhöhte Nifche legte
und auch jtets unberührt wieder vorfand. Sie geben ſich
xiht einmal die Mühe, alle Tage das Kehricht zu entfernen,
fondern verbergen e3 häufig unter dem Teppich, und fat
.. sie bekommt man ein fauberes Gefäß oder eine reingemwafchene
Kaffeeſchale. Auf Reifen und in Lagerpläßen bingegen ift
der Diener unermüdlich und fortwährend in Thätigfeit; da
beriteht er es, in der ödeſten Gegend feinem Herrn eine er:
träglihe Eriitenz zu bereiten. Den ganzen Tag läuft er,
kelbit bei dem ftärkften Sonnenbrand, vor deffen Pferd her,
ohne über Ermüdung zu klagen. An der Station angelangt,
liebt er e3 aber, ſchwatzend und rauchend auf dem Teppich
ju liegen. Er wartet unverdrofien an einer Stelle ganze
Loge und Nächte hindurch wie ein Hund auf feinen Herrn.
Sol er vor demſelben ericheinen, fo zieht er fein beftes
Kleid an und reibt beim Eintritt den Unterfchentel vom
Anie bis zur Ferſe mit der Hand, als Beiden der Unter:
thänigfeit; nie erlaubt er ſich eine unhöfliche Aeußerung
gegen ibn, ſelbſt wenn er mit ungeredhten Vorwürfen über-
bäuft wird.
16*
244
‚ Dem in Perjien jih aufhaltenden Europäer werden dieſe
Diener ſehr läftig. Ihr ftetes Herumſpioniren um feine
Perſon, die Gütergemeinschaft, die Unmöglichkeit im Haufe
nur einen Schritt zu gehen ohne von einen Diener ge
folgt zu fein, jelbjt beim Gang zum geheimen Gemad) , oder
auf der Straße fih zu bewegen ohne immer einige vor fi
bergehen zu haben, jind Beläftigungen, an die man fich nur
nach langer Zeit gewöhnt. Im Begriff auszugeben, muß
man fo lange verweilen, bis ſich die Diener gejammelt und
in die gehörige Poſitur gejegt haben. Kein Bejuch findet Ein-
laß, ebe er fih von den Dienern die Erlaubnig verichafft
oder durch Geld erfauft hat, jonjt fchläft der Herr oder er
it inn Enderun. Anfangs wird man wol, wie auch id) es
that, öfter mit den Leuten wecjeln; allein man überzeugt
jih ‚bald, daß alle deſſelben Schlags jind und man dabei
nicht gewinnen, höchſtens verlieren fann. Dazu fommt die
Erbeblichkeit des Stojtenpunfts. Gin Diener erbält monatlich
21, Dukaten Zohn, mit den Geſchenlen und Aneignungen
aber beläuft fich die inonatlide Ausgabe auf + Dulaten;
man verausgabt alfo, da vier Bediente der geringfte Ber:
jonalbeftand find, jährlih eine Summe von 200 Dufaten,
und erntet dafür nichts als Verdruß und Unannehm:
lichkeiten.
Nun meint man vielleiht, es jei am zmwedmäßigiten,
einen Diener aus Europa mit ind Land zu bringen oder
einen ſolchen dort in Dienft zu nehmen; allein unter allen
Uebeln würde man damit das größte gewählt haben. Dem
europäifhen Diener, der Landesſprache unkundig, iſt jeder
Verkehr mit jeinesgleichen abgefchnitten, dazu ſelbſt der Anblid
eines weiblihen Wejens verfagt, auch jein Herr fpricht nad
europäilher Sitte wenig mit ibm; fo befindet er fi in voll
kommener Sjolirung, faum anders wie im Zellengefängniß.
uEr wird dadurch ftörrig und unleidlich, verfällt in Melancholie
244)
Behandlung und vieler Nachſicht. Ihrem Chef liegt nur die
Ueberwachung und die lebte Vollendung der Speilen ob,
während zahlreihe Küchenjungen (aschpss schägird) die
gröbere Arbeit verrichten.
5) Der Kahwedſchi jorgt für den Thee, Kaffee und
Narghile. Auf Reiſen reitet er ein Maulthier; vor fich bat
er einen Querſack mit dem Mundvorrath für den Herrn,
während von einer Seite ein Beden mit glühenden Kohlen,
von der andern Seite ein Waſſerſchlauch (käbul-mangal)
berabhängt, jodaß er in jedem Moment die Pfeife in Be-
reitihaft ſetzen kann.
6) Der mirächur, d. i. Herr der Krippe, bat die
Obhut über den Stall. Bei Ausritten bilft er dem Herrn
in und aus dem Sattel und gebt, eine reihe, aus verfchieden
gefärbtem Tuch moſaikartig zujammengefeßte sin-pusch
(Satteldede) über der Schulter tragend, unmittelbar vor dem
Pferde ber. Der Kauf oder Verlauf eines Pferdes Tann
nur durch jeine DVermittelung gejheben; umgebt man ihn
dabei, jo weiß er jtet3 den Handel zu vereiteln oder derart
zu wenden, daß derjelbe zum Schaden des Herrn ausichlägt.
Ihm unteriteben die Pferdeknechte (melıters), deren jedem
die Sorge für zwei bis drei Pferde übertragen iſt.
1) Die gulämbetscheh (Bagen) iind meift körperlich
ihöngebildete Knaben, welde den Verkehr zwilchen dem
Harem und dem Birun (Männerabtbeilung) vermitteln,
übrigens häufig Anlaß zu böfem Yeumund geben. Auch jie
erhalten Eojtbare Kleidung.
S) Der käptschi (Portier) ift ſtets ein bochbejahrter
Mann, mwelder die Zugänge zum Harem mit Argusaugen
bewadt.
9) Karaüls (Soldatenwadhen) werden häufig den
Großen von den Regimentern zugetbeilt, um zur Vermeb:
248
um menfhlihe Weſen mit conjequenter Unbarmberzigkeit
auszubeuten, fie mit den Thieren auf gleiche Stufe zu ſtellen.
Kriegsgefangene blicben daher im Orient nie durch mehrere
Generationen Sklaven; war der erjte Racheact nach der Be
fiegung vollzogen, fo machte fi bald die angeborene mils
dere Gefinnung geltend; die Beliegten oder ihre Kinder mur:
den frei und traten in die Rechte der Eingeborenen.
Noch heutzutage wiederholen ſich diefe Vorgänge in
Buchara, Chima und Turkiſtan; es werden dort jährlich eine
Anzahl Berfer, früher auch Rufen, geitohlen, als Sklaven
verfauft und als Viehhüter oder Adersleute verwendet, doch
nah Verlauf einiger Jahren gelangen fie wieber zur Freiheit
und jiedeln fih im Lande an.
Darun fam e3 aud) im Orient niemals zu jenen blu⸗
tigen Sklavenempörungen, movon die römilche und die Ger
Ihichte der neuern Zeit jo entſetzliche Beifpiele Aufiweift, und
fand man ſich infolge deſſen dort nicht zu jo graufamen Ne
preſſivmaßregeln veranlaßt.
Die meilten in Perſien lebenden Sflaven (zerchserid,
für Gold gefauft, khulam der männlidhe, keniz der weib-
lihe Sklave) find in Afrifa geboren und in ihrer Kindheit
über Buſhir von Mascat, ein Feiner Theil auch über
Bagdad von Arabien eingeführt. Man unterjcheidet zwei
Raſſen: 1) die Habeſchi mit dünner, nicht eingebrücdkter
Nafe, nur menig aufgeworfenen Lippen und Kraus- doch
nicht Wollhaar; 2) die Zengi aus Zengebar mit dem vollen
Negertypus. Eritere find wegen ihrer Körperfchönbeit and
Intelligenz gefhäßter und theuerer als die letztern.
Die Zahl der weißen Sklaven beſchränkt fi auf einige
Individuen aus dem Stamme der Zurfomanen (Mogolen)
und Beludſchen; denn die Kriege der Perſer mit diefen an-
grenzenden Stämmen find meift paffiver Natur, und gelingt
es auch bei den Streifzügen einige Gefangene zu maden, jo
250
abgeſprochen werden und .derjelbe gezwungen fein, ihn ent⸗
weder an einen andern zu verkaufen oder ganz freizulaſſen.
2) Einen Sklaven an einen andern Herrn zu verkaufen,
gilt nicht für anſtändig; man entſchließt ſich nur im Fall
der. äußerſten Noth dazu, oder wenn er ſich fo halsſtarrig,
widerſpenſtig und boshaft zeigt, daß ſein Bleiben im Hauſe
unerträglich wird. Doch findet ſich dann ſelten ein Käufer,
ſodaß man ein ſolches Subject nolens volens emancipiren
oder einfach ohne Ertheilung eines Freibriefs wegjagen muß.
Ferner verlangt es die Sitte, beim Eintritt eines glücklichen
. Familienereigniſſes, bei Geburten, Hochzeiten u. |. w., ebenſo
durch teftamentarifshe Verfügung, einem oder mehrern Skla⸗
ven die Freiheit zu ſchenken. 3) Die Sflavenarbeit würde
zu theuer kommen; denn obwol die Einfaufspreije ſehr mäßig
find, jo gewinnt doch die Kapitalanlage durch den traurigen
Umftand an Bedeutung, daß die Schwarzen in Perſien nur
furze Zeit am Leben bleiben. Das Klima des iraniſchen
Plateaur jagt ihnen nicht zu. Viele erliegen den Blattern,—
zu denen jie insbefondere bei ihrer Ankunft disponirt ſind;—
nur wenige erreichen eine Lebensdauer von über 30 Jahren,
die meilten fterben früher an Tuberkuloſe und Sfrofulofe.—
Während die genannten Krankheiten bei der weißen iraniſchen
Kaffe nur höchſt ausnahmsweiſe vorfommen, erkranken faft
ale Schwarzen in den zwanziger Jahren daran und unter:
liegen denjelben nah mehrjährigem Siechthum. Befonders
werden Mütter bald nach der Entbindung davon befallen.
Ihre Kinder läßt man zwar forgfältig durch Ammen ernähren,
denn man ſieht gern einen im Haufe geborenen Schwarzen
(chänezäd*) mit den eigenen Kindern aufwachſen; dennoch
*) In der lutheriſchen Bibelüberfegung (Prediger, II, 7) wirb
ra +33 mit Gefinde überſetzt; das Wort entfpridht jedoch ganz bem
perfiichen chäneh zäd und bebeutet: im Haufe geborene Sprößlinge von
Sklaven.
252
frühefter Kindheit perſiſch ſprechend, ja daß felbft die im Lande
geborenen an der platten Ausſprache unfehlbar als Neger
fenntlih find. Es führt dies zu der Annahme, daß die
einer Sprache eigenthümlichen Laute und Accente wenigfteng
ebenfo ſehr von der Raſſe des betreffenden Volks und der in
ihr vorherrſchenden Bildung. des Kehlfopfs und der jenftigen
Stimmorgane, ala von der Gewohnheit abhängen. Jüdiſche
Knaben 3. B., mögen fie auch von frübefter Kindheit an
unter Chriften gelebt und von ihnen deutsch, franzöjijch oder
eine andere Sprache gelernt haben, werden doch von Juden
an der Ausfprache leicht als Stammgenofjen erlannt; und
nicht felten wird in jüdiihen Yamilien ein Kind geboren,
das beim Spreden mit der Zunge anjtößt und dadurch uns
willkürlich die Ziſch- und Kehllaute des femitiich-arabifchen
Jargons bervorbringt, die es doch nie früher gehört hat.
In ihrer Kleidung lieben die Sklaven noch mehr als
die Perſer Schreiende Farben. Die Sflapinnen tragen auf
der Gafle ebenfalld den Schleier und den Dominomantel,
fodaß fie fih in der Tracht von den perfiihen Frauen nicht
unterſcheiden. Die körperliche Ausdünjtung der Schwarzen
ift, namentlih bei großer Hiße, dem Weißen höchſt wider:
lid, ja faſt unerträglid. Sie find trogig und ftörrig wie
die Maulthiere, und haben fie fih einmal in den Kopf ge
legt, daß ein Geſchäft oder eine Arbeit nicht für fie paſſe,
jo vermag feine Drohung oder Strafe fie dazu anzubalten.
Eine Sklavin, melche einmal die Gunft ihres Herrn genoffen
bat, wird eiferfüchtig und ift im Stande, den Gegenfland
ihrer Eiferfucht, die legitime Frau, zu vergiften. Ich erlebte
den all, daß eine Sflavin, um ſich an der legitimen Frau
zu rächen, deren Säugling mit Opium vergiftete; es gelang
mir, das Kind zu retten; die Sklavin erhielt die Baftonnade
und wurde ohne Freibrief aus dem Haufe gejagt. Ohne
Freibrief (äzäd-nämeh) entlaffene Sklaven oder Sklavinnen
254
Generationen fortgejetten Bildung Tann die höchſte intel-
lectuelle Kraft erreicht werden. Man wende uns nicht ein,
daß oft Kinder von Gelehrten ſchwachen Geiftes jind, wäh:
rend Söhne von Arbeitsleuten zur böchften geiltigen Ent
widelung fih emporſchwingen. Gelehrte befinden ſich zus
mweilen in anormalem Zuftand, indem ihre geijtige Thätigfeit
die zur Fortpflanzung nothwendige körperliche Kraft zurüd-
drängt; und andererfeit3 gibt es auch unter Bauern tüchtige
Denker, melde das intenlive Denkvermögen auf ihre Nach⸗
kommen forterben können. Sedenfall3 wäre erft die Brobe
zu maden, ob nicht bei länger fortgefegter Cultur die An-
lagen der Neger denen der Kaufajier ebenbürtig merden.
Bei der numerifh geringen Einfuhr von Sklaven und
der humanen Behandlung, die ihnen in Perſien zutbeil
wird, darf es nicht wundernehmen, daß die engliihe Re
gierung feinen Eifer zeigt, ihrem Aliirten, dem Imam von
Mascat, in dem Handel damit binderlih zu fein. Den
Gentralpuntt für den perſiſchen Sflavenhandel bildet die
Stadt Schiraz; von dort aus werden die Neger mittels
Karavanen in die andern Städte des Landes geführt. Der
Preis eine Sflavenfnaben varürt zwiſchen 12—18 Dufaten.
Den höchſten Preis, 70 Dulaten, ſah ich für eine fehöne
Habejjinerin bieten. Der Gouverneur von Shiraz fauft von
Zeit zu Zeit Sklaven und Sklavinnen auf, und fendet fie als
Geſchenk an den fönigliden Hof und an die einzelnen
Großen. Es iſt Sitte, einer hochgeftellten Dame bei ihrer
Bermählung einige Sklaven als Heirathsgut mitzugeben. —
Den Europäern ijt es nad) perſiſchem Geſetz eigentlich
nicht geftattet, Sflaven zu halten; dod wird davon Umgang
genommen: ſowol in Schiraz als aud in Teheran haben
einige Europäer Sflaven im Haufe. Xebtere können aller-
dings nad Belieben das Haus verlajjen; fie brauden nur
zu erklären, daß fie als Mufelmanen nicht in einem chrift:
255
lichen Haufe dienen wollen, jo find fie entweder frei oder
müſſen an andere Herren verkauft werden. Ebenjo dürfen
diejenigen Perſer, welche engliſchen oder ruſſiſchen Schuß
‚genießen und daher als Unterthanen diefer Mächte betrachtet
werden, jtreng genommten feine Sklaven befigen, und kommt
3 zu einer officiellen Klage deshalb, jo wird auch ihren
SHaven die Freiheit zuerfannt, wie folgender Fall bemeilt.
‚Ein zugereifter engliiher Conſul genoß die Gaftfreundichaft
des engliihen Schützlings Hadſchi Abdul Kerim Herati in
Teheran und wohnte in deifen Haufe. Da ftellten fih ibm
eined Tags die ſämmtlichen Sklaven des Haujes vor und
Derlangten, dem englijchen Gejeg gemäß, Löſung aus den
Banden der Sklaverei. Der Conſul ſah fih in der Noth—
iwendigfeit, die genofjene Gaftfreundfchaft mit dem bedeuten:
‚den Scaben feines Gaftfreundes zu vergelten und die Skla—
ven defjelben frei zu erklären.
Aus allem vorftehend Gefagten erbellt, daß, mit Aus-
nahme der allerdings höchſt traurigen Sanitätsverhältniffe,
das Los der Sklaven in Perſien fein hartes ift, ja daß man
überbaupt diefen Zuftand Faum mit dem Namen Sklaverei
bezeichnen kann.
C. Eunuchen.
Als Hüter der Harems find nad orientaliicher An—
Mauung die Eunuchen unentbebrlih. Größtentheils Sklaven,
gibt es doch auch einige in Perfien, melde den Freibrief
‚erhielten oder ursprünglich jchon Freie waren; dieſe dürfen
natürlich nach Belieben ihren Aufenthalt wählen und ihre
Dienfte für Entgelt anbieten. Bei weitem die Mehrzahl find
‚Schwarze, die in ihrer Kindheit von Afrika eingeführt wur:
den. Da die meilten Kinder an biefer Operation, bei
welcher befanntlich die Gejchlechtstheile vollftändig abgetragen
werden, zumal bei dem roben Verfahren, zu Grunde geben,
m
256
fo ift der Breis für Eunuden wenigftens dreimal fo hoch
als für andere Sklaven. In frübern Zeiten, als die Perſer
häufig im Kaukaſus Kriegsgefangene machten oder ihnen
Knaben von dort verkauft wurden, erijtirten auch viele weiße
Eunuchen; der legte diefer Kategorie ftarb während meiner
Anmwefenheit im Sabre 1856. Außerdem kam es fonft in
den Bürgerfriegen vor, daß die Nachkömmlinge von Partei:
chefs verjtümmelt wurden, um tie zur Thronfolge unfähig
zu maden. Den Gründer der jet berrichenden Kadicharen:
Dynaftie, Chadſche Mehmed Chan, traf z.B. diejes Los. Jetzt
wird die Verjtünmelung nur noch als Strafe für ein un-
natürliches Verbrechen, wenn Nothzucht dabei ftattgefunden,
verhängt. In Teheran felbit ereignete jich zur Zeit meines
dortigen Aufenthalts nur ein Fall diefer Art, aus der Pro:
vinz jind mir aber mehrere zur Kenntniß gelangt. Selbit:
verftändlich jind es ftet3 erwachſene Perſonen, melde diejer
graujamen Strafe unterliegen, daher jelten einer mit dem
Leben davonfommt. Wer aber die Operation überftebt,
findet dann in einem Harem glänzende Unterkunft, da weiße
Eunuchen als befonderer Lurusartifel ſehr geſucht jind.
Eine dritte Kategorie bilden die natürliden Eunuchen.
Die Zahl der mit misbildeten oder Taum angedeutefen Ges
nitalien Geborenen ift nämlich auffallend groß; ich Fannte
deren viele in Zeheran: ein Sohn des Premierminijters z. B.,
Alidſchan genannt, gehörte dazu, und in der Tleinen chrift:
lihen Gemeinde zu Ispahan fand ich zwei dergleihen Sn:
dividuen. In Sprade, Phyfiognomie, Kehlkopfbildung und
Bartmangel gleichen jie ganz den Fünjtlihen Eunuden; fie
jind ebenfall3 für die Harems jehr begehrt. Doc laufen
auch viele Kryptordhiten mit unter, die dann, nachdem der
Irrthum entdedt worden, wieder aus dem Eden verwiejen
iverden.
Die Körperbildung der Eunuchen nähert ji, wie
260
Diener, von dem er jedoch als Kind gepflegt und erzogen
worden war, wol gereut haben.
Zu Zeiten Feth-Ali's und Mehmed Schahs gelangten
mehrere Eunuchen zu den höchſten Stellen und Würden des
Reichs. Es waren dies Georgier, welche Agha Muhamed Chan,
der erfte Kadicharenfürft, auf feinem Raubzug erbeutet hatte.
Zwei von ihnen, Mutammed eddauleh und Cosrum :Chan
Bali, ftehen heute noch bei den Perjern in großem Ruf;
der erite, Gouverneur von Ispahan, ſtellte die Sicherheit
der Wege und Straßen ber, zeritörte die einzelnen Raub⸗
fhlöffer und befeftigte das geloderte Anjeben des Schah in
der rebellifhen Provinz Arabiltan; der andere, abwechlelnd
Gouverneur in Yızd, Kurdiltan, Kaswin, zeichnete ſich durch
feine befondere Körperftärfe, von der man im ganzen Land
die abenteuerlichiten Anekdoten erzählt, aus. Ich lernte ihn
als Greis von einigen Jiebzig Jahren in Teheran kennen, und
ih habe allerdings nie einen Eräftigern Knochenbau gejeben.
Er erzählte mir mit großer Geſchwätzigkeit von feinen frühern .
Waffenthaten und führte mohlgefällig jeine Pferde vor,
denen er alle mögliden Droguen verordnen ließ, während
er ſelbſt niemal3 Medicamente nahm. Beſonders gern
ſprach er über religiöfe Gegenftände. Bis zu jeinem jechzehn-
ten Jahre Ehrift, dann zum Uebertritt zum Islam ges
zwungen, neigte er jich jpäter dem Judaismus zu, in der
Meinung, als Ablömmling einer georgiihen PBatricierfamilie
jei er urfprünglid von jüdiihem Stamm.*) Eines Tags
erzählte er mir, wie er felbft lange über feine Abitammung
in Bmeifel gewejen und deshalb um ein Traumgefiht —
das gewöhnliche orientaliihe Auskunftsmittel — zu Gott
geflebt habe. In der nächſten Nacht fei ihm der König
*) Der Reifende Iſhak Kaswini behauptet daſſelbe von ben geor-
gifhen Fürſten.
261
Dawud (David) in vollem königlichen Schmud erjchienen,
um ihn al3 directen Nachkommen von fih zu begrüßen.
Geitdem mwäre er feiner Sache gewiß; er habe bebräifch ge:
lernt und bereite jih alle Speijen ſelbſt nach jüdiſcher Bor:
ſchrift. Seine Religion beftand aus einem Gemiſch von
Judaismus, Chriftentbum und Islam, oder vielmehr er war
einen Tag Jude, den andern Chriſt, den dritten Mohamme—⸗
Daner. Als er endlih, von Apoplerie getroffen, ſchwer er:
Tranfte, fchenkte er Summen Geldes zu gleichen Theilen an
den Rabbi, den Mula und den Keſchiſch (chriſtlichen Priefter),
und verfäumte nicht, aud) dem Mabed (Gebernpriefter) feinen
heil zukommen zu laſſen; denn, fagte er, vielleiht bejigt
Diefer die rechte Fürſprache. Nah feinem Tode fiel fein
reicher Belig an den Schab, da er bis zum Ende Sklave
geblieben war, der Sklave aber rechtlich feinen Beſitz er:
werben kann, fondern mit Leib und Vermögen dem Beliter
gehört; er heißt immer BZerhärid (mit Gold erfauft), aud)
wenn er, wie dies mit Cosrum Chan und mit mebrern
feiner Genoffen der Yal war, als Kriegsgefangener in
Sklaverei gerieth.
Unter dem jetigen Schah ift der Einfluß und das An:
feben der Eunuchen fehr gefunfen; die weißen wurden aus
übertriebener Eiferfucht gänzlih aus den Harems verbannt.
Der Chadſche baſchi hat zwar noch die Schlüffel der Fünig-
lichen Chatoulle in Verwahrung und verfiegelt noch die für
den Schah beitimmten Speifen, um fie vor gefährlicher Bei-
miſchung zu fihern; fein Einkommen aber wurde ſehr be-
ſchränkt, und er ift wieder ausfchließlih an den urſprüng⸗
lihen Beruf, die Bewahung der königlichen Frauen
verwiefen. Auch merben bereit3 in reihen Häuſern die
Eunucden, meil der Preis derſelben in ftetem Steigen be-
griffen ift, durch alte Leute (risch-sefid) erjeßt.
— — —
vm.
Bildung, Wienshaften und Künfe,
Bildungserforderniffe. Sprade. Schrift. Dialekte. Ausſprache. Die
Schreibſchrift. Kalligraphie. Schreibmaterial. Elementarfchufen und
weiterer Unterricht. Einfluß der Nationaldichter. Die neuen Poeten.
Poecta laureatus. Gaffenpoefie. Chronogramme. Erdkunde. Gefchichte
und Geſchichtſchreibung. Buchdruck und Lithographie. Manuſeripte.
Bibliotbeken. Officielle Zeitung. Macht der Preſſe. Stil und Form
ber Briefe. Die Munſchi. Arithmetif. Alchemie. Aftrologie. Zeil«
rechnung und Kalender. Philoſophie. Studien in den Madrafſes.
Abnahme der Bildung. Schrift der Armener, Chaltäer und Juden.
Malerei. Die Bildergalerie des Schab. Gefang, Muſik und Tanz.
Von der Anfiht ausgehend, eritens alle Naturphänos
mene lafjen ſich fpeculativ erklären, zweitens mit den Griechen
und Arabern babe das menſchliche Willen feinen Abſchluß
gefunden, widmet der Berfer den eracten Wiſſenſchaften ges
ringe Pflege. Seine Anforderungen an eine gute Erziehung
beſchränken ji auf oberflädhlide Kenntniß der arabifchen
Sprade (arabiet), des Briefitild und der Nationaldichter.
Wer überdies die Negeln des Anſtands (adeb) innehat und
bier und da ein Gelegenheitsgedicht zu machen veriteht, der
it zu allen Würden und Aemtern befähigt, zum General
jewel wie zum Großvezier; und bat er dag Glüd, Chef
eines Tribus zu fein, jo kann er unter günftigen Umftänden
264
nahzuahmen; er aboptirte daher die Worte, ohne jedoch
jeine bisherige Ausſprache oder die Syntar weſentlich untzu-
wandeln. Aus diefem Grunde ift es äußerft ſchwierig und
nur nad langem Studium der arabijhen Grammatif möglich,
das Verfiiche richtig zu fchreiben. Bezeichnendermeije gibt &
auch zwar verfchiedene, im Lande gedrudte arabiſche Gramma⸗
tifen und Syntaren, aber feine einzige perſiſche Grammatik.
Uebrigens Elingt die Sprade, wie fie von den Gebildeten
geſprochen wird, Schön, und Träftig; fie eignet fih zum poe
tiihen Ausdrud wie zu ſchönen Wendungen und Wortipielen.
Auch die meilten Leute vom Volk, obmwol fie untereinander
ihren Sargon Sprechen, verftehen doch die Sprache der Ge
bildeten. Saft jede Stadt hat ihren eigenthümlihen Accent
(laadscheh), moran die Einwohner erkannt werden; am
Ihärfften betonen die Kaſchaner, am mohlflingenditen ſprechen
die Schirazer.
Da der Berler die Kenntniß feiner Sprade nicht durch
grammatiihe Studien erwirbt, fjondern, außer dur Ume
gang, durh das Lejen und Hören der guten Poeten, fo
macht ſich in feiner Rede ftet3 ein gewiſſer poetiſcher Schwung
bemerkbar; er beobachtet unmillfürlich die Gejege der Eupho-
nie und Projodie; er ſucht den Sat abzurunden und fügt,
wo es der Wohlklang zu erheiſchen ſcheint, tautologifche
Wörtchen ein. Dictirte ich meinem Mirza einen Brief oder
jelbit ein Kapitel aus der Anatomie, fo feßte er oft finn:
entitellende Worte zu, und wenn ih ihm dann befahl, fie
wieder zu ftreihen, las er meinen Sat laut vor und jagte,
plöglich mit der Stimme ftodend: „Sahib, bier fehlt etwas!“
So opfert der Perſer häufig den Sinn einer Rede dem fchönen
Klang der Worte auf. Als Zeichen feiner Bildung gilt
es, viele arabiſche Epitheta anzuhäufen und Synonyma zu
brauden, die fich miteinander reimen. Man nennt bie
268
angefeuchtet, zu welchem Zweck das Löffelhen dient. Bu
der perſiſchen Schrift ift eine didflüffige, jubftantiöfe Tinte
erforderlih ; die europäifche ift dazu nicht anwendbar. Das
Papier (kägses) wird vor dem Gebraud forgfältig geglättet
(mureh), weil fih nur auf foldem die perſiſchen Schrift
züge mit Zeichtigfeit zeichnen laſſen; es ift meiſt europäiſches
Fabrikat, dem man eine blaue oder gelblishe Färbung zu
geben liebt. Chineſiſches Papier (chän bälek) findet fi
jelten, ift aber wegen feiner Feftigfeit zu Urkunden fehr
geſucht.
Begibt ſich ein Mirza ans Schreiben, jo beobachtet er
eine ceremoniöſe Umſtändlichkeit, welche die Größe ſeiner
Aufgabe an den Tag legen ſoll: er ſetzt ſich nach perſiſcher
Weiſe auf den Teppich nieder, ſchlägt ein wenig die Aermel
zurück, ſtellt das Tintenfaß vor ſich auf den Boden, löſt
aus der Rolle ein Stückchen Papier, glättet es noch einmal,
und ſchneidet ſich das Kalam. Endlich beugt er den rechten
Unterſchenkel, unterſtützt das Papier mit der linken Hand
und ſchreibt ſo ohne feſte Unterlage, das Papier hin- und
herſchiebend, um die Abrundung der Buchſtaben zu erreichen.
Auf einem Tiſche oder einer andern Unterlage iſt es ihm
unmöglich ſchön zu ſchreiben.
Interpunktionen gibt es in der perſiſchen Schrift nicht,
die einzelnen Worte werden nicht einmal durch Zwiſchen⸗
räume getrennt, ſondern ohne Unterbrechung aneinander:
gehängt. Rechnet man noch hinzu, daß auch ſämmtliche
Bocale ausgelaſſen werden, jo wird man es begreifli
finden, daß genaue Kenntniß der Sprache und eine
wenigitens beiläufige des Inhalts zum Leſen der Schrift
unbedingt erforderlich ift. Freilich thut die Gemohnbeit fehr
viel; denn der Perſer it umgelehrt 3. B. die in London mit
Snterpunktionen und Zwiſchenräumen der Worte gedruckte
Bibel nur fchwer zu lefen im Stande.
270
gegenüberliegenden Werkitätte jih zu unterhalten — alles
Gewohnheitsſache.“ Bon Zeit zu Zeit läßt der Achun fen
Stäbchen auf den Fußſohlen der Nachläſſigen und Säumiger
tanzen, theild um fie auf die fommenden Dinge vorzuberei
ten, theils um jeinen Eifer im Lehren zu documentiren.
Denn nach der berrihenden Anficht muß der Unterricht, wenn
er haften ſoll, mit Strenge beigebradht werden. Man berufi
fi dabei auf eine finnige Erzählung Saadi's. „Ih 309“,
fo erzählt derjelbe, ‚eines Tags an einer Dorfichule vor:
bei und fand die Schüler, Kinder mit mahren Engel:
gelichtchen, in Fleiß und Thätigfeit, aber jeufzend unter-bem
Drud eines Pedanten, eines ftrengen Schultyrannen. E⸗
wurden deshalb Klagen gegen den Lehrer laut, und man
fand fi bewogen, jtatt feiner einen Lehrer von mildem
Charakter anzujtellen. Ein Jahr fpäter kam ich wieder durch
daffelbe Dorf. Da fand ich die Rollen vertauscht: der Lehren
wurde von den Kindern tyrannilirt, aber an Stelle des
frühern Fleißes waren Faulheit und Nachläſſigkeit ein
gerifjen.”
Der Unterricht beginnt mit dem abdsched (A-b⸗c);
jobald das Buchſtabiren eingeübt ift, begibt man fih au
das Leſen des Korans, welcher vom Lehrer mit arabiſchem
Accent und in näjfelndem Ton vorgelejen, von den Kindern
ohne Weberjegung oder Verſtändniß des Inhalts nach
geſprochen und auswendig gelernt wird. Gleichzeitig nimmt
der für dag Leben wichtigſte und zugleich ſchwerſte, dei
Schreibunterriht, feinen Anfang. Der Adhun jchreibt eine
Zeile mit dazu paſſend fcheinenden Worten vor, und die
Schüler haben die Aufgabe, die Schriftzüge auf einem Blatt
Papier in gejchildeter Weile nachzubilden.
St der Koran ein= bis zweimal durchgelefen, jo gibt
man den Kindern Saadi’s „Guliſtan“ in die Hand. Sit
leſen die vielen ſchlüpfrigen Erzählungen des Werks, ohne
272
Gebildeten wie der Ungebildeten. In Saadi, dem didactiſchen
Dichter, welcher fait alle möglichen Lebensverhältniſſe be
Ipriht und in Epigrammen (bayt) weile Berhaltungsmaß-
regeln gibt, ſucht und findet der Perſer, jo oft er an einem
Scheideweg fteht, analoge Fälle, an denen er ſich Ruth ers
holen Fann. Die Bücher des Hafis offenbaren ihm fein
203 (fal); er ftiht hinein, und der Sag, der ih zufällig
bietet, dient ihm als Drafel, welchem er blindlings folgt.
Der göttliche Ferdauſi begeitert ihn dermaßen, daß er deſſen
Fabeln für hiſtoriſche Facta nimmt, an den durch mehrere
Sahrhunderte fortgefegten Kampf Ruſtam's mit Turan
glaubt und ernithaft die Frage aufmirft, ob Ruſtam's
Thaten oder die des verehrten ‚Chalifen Ali größer ges
wejen feien!
Beim Necitiren von Verſen achtet der Perſer jorgfältig
auf den Rhythmus, befonders die Reime betunend; ohne die
Negeln der Proſodie zu kennen, markirt er ftet3 die Cäfur.
Nicht Leicht entgeht ihm ein Fehler des Verſes; doch auf:
gefordert denjelben anzugeben, antwortet er nur: „In
schæer nist!“ (Das ift nicht Poeſie!) Ich batte einft,
ich erinnere mich nicht mehr bei welcher Veranlaſſung, einige
perfifhe Verſe gemacht, die wegen ihres ſatiriſchen Inhalts
jehr gefielen; aber troß der correcten Reime mußte ich die
beihämenden Worte hören: „In schæer nist!“
Freilich hat die Poeſie und die Beichäftigung mit ihr
auch ihre Auswüchſe; ‘die Zahl der Verſifexe ift in Perſien
Legion; ſie überbieten fih in bombaftifhen Epitheten und
erzwungenen Wortipielen, und kommt ja einmal ein guter
Gedanke zum Vorſchein, jo ift er fiher frühern Poeten ent:
lehnt; fie betrachten die Poeſie als Erwerbszweig des Bettelg,
um einen neuen Rod oder einen Schmaus zu erbeuten.
Als ich einft dem König vorlas, wie Peter der Große bei
feiner Anweſenheit in Paris von den Poeten fo fehr beläftigt
213
wurde, daß er eiligit die Stadt verließ, bemerkte der Schab:
„Wahrlich, ich werde auch zulegt genöthigt fein, meine
Hauptftadt der Poeten wegen zu verlaſſen.“
Selbit Könige machten Anſpruch, unter die Zahl der
Poeten gerechnet zu werden. Einige Gedichte von Feth Ali
Shah würden in der That, vorausgefegt, daß fie von ihm
berrühren, den Anſpruch rechtfertigen. Auch der jeßige König
ergebt fich bisweilen in poetifchen Berfuchen, und man Tann
feinen Reimen wenigſtens Gorrectheit nicht abipredhen. Am
Hofe befindet jich ſtets ein Poeta laureatus, welcher nach
alter Sitte ein Epitheton als Namen wählt, unter dem er
dann in der Literatur bekannt wird; der jetzige nennt ſich
schaamsesch-schäerä (die Sonne der Sänger). Seine Auf:
gabe ift es, glüdliche Ereigniffe und Feite des Hof3 zu be-
fingen. Doch reihen zu gleicher Zeit auch andere, mehr oder
weniger armfelige Poeten ihre Ghaſelen ein und erbetteln fich
damit ein neues Gewand.
Es fehlt auch nicht an einer von unbefannten Autoren
ausgeübten Gaſſenpoeſie (hadschw und tesnifek), durch welche
unliebiame Perſönlichkeiten oft recht bitter und witzig gegeifelt,
ſtandalöſe Vorfälle ins Publikum gebracht oder Regierungs—
waßregeln einer beißenden Kritik unterworfen werden.
Ein großes Ereigniß, z. B. die Einnahme einer Stadt,
den Tod des Monarchen u. ſ. w., beeifern ſich die Poeten des
Landes durch ein treffendes Chronogramm zu fixiren, wozu
die Sprache, da bekanntlich die arabiſchen Buchſtaben auch
Zahlen bedeuten, ſich beſonders eignet. So wurde z. B. für
das Todesjahr Nadir Schahs der Sa gefunden: „Nadir
derek ræſt!“ (Nadir zog in die Hölle!), für den Tod des
dom Volk verehrten Emirs Mirza Taghi Chan: „Ai wäi
emir ræft!“ (D web, der Emir ſchied!) Für das ge:
lungenfte Ehronogramm erhält der Dichter ein entjprechendes
Geſchenk.
Polar, Berfien. 1. 18
274
Im ganzen it von der heutigen poetiihen Production
zu jagen: Obgleich bier und da gute Verſe gefchrieben wer-
den, welche die Beitgenoffen hochpreifen und den Arbeiten
der beiten frühern Meifter zur Seite ftellen, und obgleich faft
jeder König eine Sammlung (diwän) von modernen Poeſien
veranjtaltet — jo Feth Ali Schah den Diwan Alteſchkädeh,
und der jebige König, der einen Diwan auf Staatätoften
bruden ließ —: jo find doc diefe Erzeugniffe denen ber
alten Meifter nicht im entfernteiten ähnlih, fondern nur
ephemere Erjcheinungen, die alles innern Werths entbehren.
Bon der Erdkunde (ilm-e dscheagraphiä) haben bie
Berfer ſehr ſpärliche Kenntniffe, fie glauben noch an das
Ptolemäifhe Syitem und halten die Erde für eine vom
Deean (dariä muhit) umgebene Scheibe. Bon Europa
fennen fie weiter nicht? als die Namen der ‚Nationen, mit
denen fie in Berührung kommen oder die einjt Repräfentans
ten an den Hof ſchickten, aljo die Namen: Inglis, Fraenseh,
Nemse (Defterreih), Arus (Rußland), Lehistan (Bolen),
Italia, Valendis oder Flamenk (Holland), Ispaniul (Spa⸗
nien), endlich Portugal wegen der Orangen, welche mit die
jem Namen bezeichnet werden. Auch der Name Pruss ift
ihnen befannt, und fie lieben ihn, weil er mit Arus reimt;
doch können ſie nie begreifen, daß der padischäh austria
und der kral-e-pruss*) beide Nemjeh fein follen. Wenn ich
den Schah in der Geographie unterrichtete, war dies feine
*) Dem Stolze orientalifcher Potentaten koſtet es viel Ueberwin⸗
dung, einem europäifhen Monarchen, mit dem fie nicht in naber Be
ziehung fteben, ben Titel Padifhah zu geben; er Tonnte in früberer
Zeit erft nah vielen biplomatifhen Verhandlungen fir den beutfchen
Raifer erlangt werben; fie behelfen fi) mit bein flawiihen Wort kral.
Für den König von Preußen braudt man erft feit kurzem, nachdem bie
preußifche Regierung einen Repräjentanten an ben perſiſchen Hof ge»
jandt, den Ausbrud padischah.
276
erft mit dem Islam; mas fich vorher begeben, concentrirt
ih für ihn in jener Reihe von Sagen, die er im Helden⸗
lied Ferdaufi erzählt findet. Philipp (Filakus) und Alerans
der (Iskander) von Macedonien Tennt er in mythiſcher
Hülle, da die Züge des letztern ins Reich der Finfterniß
(zalumät) das Lieblingsthema vieler epiihen Gefänge bilden.
Bon den eigenen Kämpfen der Berfer mit den Griechen,
von der Dynaftie der Seleuciden, von den Parthern (meluk
el tewäif) und ihren glorreihen Kämpfen mit den Römern
finden fi nur die dürftigften Spuren. Erft mit den Safla-
niden dämmert das hiſtoriſche Licht, doch erft mit dem Islam
beginnt die eigentlihe Geſchichte oder Chronik. So gründ:
lih gelang es dem Islam, alle frübern Quellen, die Ers
innerungen an glorreihe Perioden und Dynaftien, die Zeits
rehnung, die Münze, die Schrift, die Jahrbücher des
Volks zu vernichten und an ihre Stelle fih felbit zu ſetzen.
Der gebildete Perſer Tieft fleißig die Gefchichte der nın=
ſelmaniſchen Epodhe in dem berühmten Buche „Ruzet es
sefä’, von Mirchand. Faſt in allen guten Häuſern findet
ſich dieſes Buch; es erlebte mehrere Auflagen in Bombay
und Teheran; der Schah läßt fih mährend des Frühſtücks
oft ein Kapitel daraus vorlefen, und mweiß e3 daber faft aus:
wendig. In der Geſchichte der Säfavieh-Dynaſtie fcheint
die perſiſche Geſchichtsſchreibung viele Lücken zu haben,
wenigſtens erfahren wir aus derſelben viel weniger, als von
einigen europäiſchen, wahrheitsliebenden Reiſenden dieſer
Epoche, von Chardin, Tavernier, Olearius u. |. w. berichtet
wird. Die Gefchichte Nadir Schahs wurde vortrefflih vor
feinem Secretär Mirza Meihdi niedergefchrieben, fie ift jedoch
wegen der zu gewählten, viel mit Arabijch vermifchten Diction
nur äußerſt wenigen zugänglich.
Unter der Negierung des vorigen Königs wurde die Ge
ſchichte Napoleon's nach dem Buche von Walter Scott, ſowie
280
gilt, das heilige Buch zu überſetzen. Trotzdem erſchien eine
Ausgabe mit nterlinearüberfegung ; fie ift jedoch ſehr
- jelten.
Gedrudte Bücher liebt der vornehme Perſer überhaupt
nicht, er trachtet nach dem Belig von Manufcripten, und
wie der Kunftfenner am Gemälde den Maler oder die Schule,
fo Eennt er an der Schrift die Meiſterhand des Schreibers.
Früher befchäftigte ih in jeder Stadt eine Anzahl Schön-
Ichreiber mit dem Copiren von Büchern, jest jcheint aber
diefe Kunft nicht mehr jo lohnend. Ein Manufcript, dem
der Kenner bleibenden Kunſtwerth beilegt, muß auf dhineii-
ſchem Bapier gejchrieben jein, von Anfang bi3 Ende ein
Buchftabe wie der andere, die gleihen Buchitaben fogar
mathematiſch congruent, der Eingang und die Kapitelanfänge
‘mit zarten Goldarabesfen in blauem Felde aufs geſchmack⸗
vollite verziert, der Einband (sehäfi) aus zwei auf dem
Rüden gehefteten Bappdedeln beſtehend, mit Malereien von
Shiraz oder Ispahan geihmüdt. Bei Tarationen fhäßt
man oft den Werth eines einzelnen Buchs auf die Summe
von 500 Dufaten. Machthaber willen durch Drohungen und
andere Künfte jih manches Manufcript anzueignen, das fonft
um feinen Preis feil gewejen märe.
Die Hausbibliothef beſchränkt ſich gewöhnlich auf einen
Koran, einige Diwans bekannter Poeten, ein Lerifon und
ein größeres Geſchichtswerk. Umfafjende Bücherſammlungen
find äußerft ſelten; außer denen einiger Imamzadehs befindet
ih meines Wiffens nur im Schloffe des Königs eine
Bibliothek. Doch auch bier umfaßt die perjiich -arabifche
Sammlung (katäb-chäne) nit mehr als etwa 300 Ma:
nufcripte und einige gedrudte europäiſche Bücher, melche in
einem fleinen Zimmer in drei mäßigen Schränten Platz
finden. Die Bücher liegen horizontal übereinander, mit dem
Rüden gegen die Wand, mit dem Schnitt nad außen ge-
284
daß der mittlere Raum nicht hinreiht, jondern die Fort-
jegung auf die beiden eingejchlagenen Ränder zu ſtehen
fommt. Ferner verlangt die Eleganz, am Ende jeder Zeile
einige Worte fchräg übereinander hinaufzufchreiben. Iſt der
Brief fertig gejchrieben, jo wird er jorgfältig mit der Schere
beichnitten, manchmal auch einer Ede abgeitugt, welche Ber:
ftümmelung die Unvollkommenheit alles menſchlichen Thuns
andeuten fol. Dann wird er gerollt, geplättet und mittels
eines gummirten Papierftreifens, an defien Klebeitelle das
Siegel mit Tinte aufgevrüdt wird, verfchloffen. Die
Adrefje erfordert wieder diefelben Umftändlichteiten wie Die
Anrede.
Der König erläßt oft Handichreiben an die Würden:
träger, man nennt ein ſolches deste-ch@t-mebärek (gejegnetes
Handbillet); die zur Veröffentlichung beftimmten werden in
der Hofzeitung abgedrudt. Berliert ein Würdenträger jeine
Stellung, jo werden ihm die empfangenen königlichen Hand-
billet8 wieder abgefordert, zu welchem Zweck ſich der Schab
deren Abjendung in feinem Journal genau notirt.
- Wegen der faft unüberwindliden Schwierigkeiten, welche,
wie erwähnt, die perſiſche Orthographie ſowie die richtige
innere und äußere Form der Briefe bietet, ift in jedem gu-
ten Haufe eigens für die Correfpondenz .ein Mirza (scriba)
angeitelt. Hohe Perſonen engagiren noch einen mit den
Regeln der Rechtſchreibung beſonders vertrauten Secretär,
munschi genannt; wenn ein Minifter oder Gouverneur einen
Brief von Wichtigkeit fchreibt, jo richtet er von Zeit zu Zeit
an den in einiger Entfernung figenden Munſchi Fragen,
wie: wird diefes Wort mit he hæwæs oder hutti (mit aſpi⸗
rirtem oder gewöhnlichem h) gejchrieben? u. ſ. w. Die Zahl
ber guten Munſchis ift übrigens ſehr gering, und ausgezeich⸗
nete Leiſtungen in diefem Fach bahnen oft den Weg zu den
höchſten Staatsämtern. Der jebige Minifter des Aeußern
285
Mirza Seyd Ehan z. DB. verdankt feine Stellung nur feiner
Gewandtheit in der Orthographie (imlä).
Früuüher war der Stil (inschä) noch complicirter, der
riſchwall und die Anhäufung von Synonymen fo groß,
* der eigentlihe Sinn (metleb) faft ganz darunter ver
ſchwand oder nur mit vieler Mühe erratben werden Eonnte.
Die berühmte „Anweiſung zum Briefftil“ ſelbſt (das Inſcha
bon Meihdi Chan) wird, weil das Buch jo furchtbar mit
arabiſchen Ausdrüden überladen ift, nur von wenigen Per:
fern verftanden. In neuerer ‚Zeit bat der jetzige Schab,
welcher die bombajtiiche Redeweiſe nicht liebt, fie vielmehr
bei Gelegenheit lächerlich macht, vortheilhaft auf die Verein:
fabung des Stils eingewirkt. Hauptſächlich ift die befjere
Geihmadsrihtung den befannt gewordenen Ueberſetzungen
von Briefen europäiſcher Monarchen zuzuſchreiben, mas
daraus hervorgeht, daß man in den Briefen und Manifelten
bes Schah häufig Säten und Wendungen aus der Eorre
fpondenz Napoleon’s, Nikolaus’ I., Peter’s des Großen und
Karl's XII. begeanet.
Ich bejige noch mehrere Briefe und Stilübungen aus
der guten alten Zeit, unter andern ein vom Minifter des
Leußern an mich gerichtetes Billet; im Eingang wird von
Rachtigallen, Frühling, Roſen, Nareiſſen, Freundſchaft und
Gewogenheit geſprochen; der Gegenſtand jedoch iſt der, daß
der Freund (der Schreibende) einen cariöſen Zahn hat und
im Namen der Freundſchaft und Einigkeit davon befreit zu
fein wünſcht. Schluß: „Natürlih werden Sie die Zange
nicht vergejjen.”
Die berühmteften Mirzgas und Munſchi fommen aus
dem Fleden Täfrifh in die Hauptftabt, daher die meiſten
Staatöfecretäre, Muftafis u. ſ. w. von dort gebürtig find.
Die höchſte Blüte der Kalligrapbie und des Inſcha wird
im Eöniglihen firman (Batent, Ordre) entfaltet. Unter dem
288
Die engliide Gejandtihaft war im Begriff die Stadt
Shiraz zu verlaffen. Da erflärten die Aftrologen, nad) der.
Gonjtellation der Sterne fei die Stunde, da3 Thor zu pal-
jiren, nicht günftig. Allein die Gejandtjchaft beftand wegen
dringender Geſchäfte auf fofortiger Abreiſe. Um nun feine
Säfte nicht ins Unglüd zu ftürzen, ließ der Gouverneur die
Stadtmauer durdhbreden, und die Engländer zogen obne
Unfall durch die Lüde.
Während der Belagerung Herat3 war ein Aftrolog fo
glüdlih gewejen, den Tag der Uebergabe vorher zu be
ftimmen, mofür ihm ein reiches Geſchenk zutheil wurde. Die
Sade verhielt fich indeß fehr einfah. Durch die ſchweben⸗
den Unterhbandlungen war die Uebergabe jchon im Princip
feftgeftelt; nun bejtimmten die Ajtrologen, nad untereins
ander getroffener Berftändigung, verſchiedene Tage, von
denen natürlich einer der rechte fein mußte.
Die Sternfundigen bedienen ſich der Tafeln (sitsch)
ded berühmten Ajtronomen Chadihe Näſſir aus Märageh,
der fogenannten Tafeln des Ilchani, und der des italienifchen
Aftronomen Caſſini zur Beitimmung des Jahrsanfangs
(nauruz), de3 Eintritt der Jahrszeiten (fass’]), der Sonnen-
und Mondfinfterniffe (kseschuf-e-äftab u mäh), desgleichen
zur Abfafjung der Ephemeriden und des Almanachs (takwim),
welcher jährlich” Tithographirt wird und nach alter Weile
auch die Empfehlung derjenigen Tage enthält, an melden
es gut it, zur Ader zu laffen, zu baden, zu beiratben u. |. w.
Der Zeitpunkt, mo der Mond ſich dem Sternbild des Skor:
pions nähert (kemer dar »greb), wird als ungünftig für
irgendeine neue Unternehmung angejehen. Zu ihren Beob:
achtungen benugen die Aftronomen das Aſtrolab und einen
Quadranten.
Für die Zeitrechnung (tärich), beſonders bei Beſtimmung
der religiöfen Seite und ſelbſt im bürgerlichen Kleinverkehr,
290
(öffentlide Seminarien), in melden fie Wohnung, Bücher,
Koft und aus dem Stiftungsvermögen eine kleine Penfion
erhalten. Doch genießen die zahlreihen inländiishen Ma-
draffes keines befondern Rufs, weshalb viele Perſer die
Schule zu Kerbelah bei Bagdad befuchen, um fi für den
böhern Briefterftand (itschtehad) vorzubereiten. Die Dis:
ciplinen, welche jie ftudiren, find: Grammatik und Eyntar
(nahw u særf), Rhetorit (el maanæwi wa-l-bayan), Pro:
jodie (arus), Logik (maentik), Theologie (tauhid), Aus-
legung des Korans (tefsir), die Traditionen (hadıs), Ju⸗
risprudenz (el-fikh), Arithmetif (el hesab) und Algebra.
Gegen früher hat die Bildung im ganzen an Ertenfität
zu:, an Intenfität aber abgenommen. Es gibt jet mehr
Zeute, welche lefen und ſchreiben können, fehr wenige aber,
bie ernftlih dem Streben nach wiſſenſchaftlichem Fortichritt
buldigen; außer einigen ſophiſtiſchen Thejen über religiöje
Dinge wird nicht3 Neues gejchrieben. Perjer ſelbſt geftanden
mir, wenn bier und da ein Mula aus Buchara nad Tebe:
ran komme, jeße er alle Schriftgelehrten Perſiens in Ber:
legenheit, da er fie, obgleich ein Suni, in Kenntniß der "
arabiihen Sprade und in den humanijtiihen Zweigen der
Bildung weit übertreffe.
Zu erwähnen wäre noch, daß fait alle im Lande leben:
den Armenier ihre kleinen winkeligen, und ebenjo die Chal:
däer ihre großen quadratiichen, den hebräifchen ähnlichen
Lettern ſehr elegant zu jchreiben verjtehen. Die Kinder der
eritern werden in den Schulen der Keſchiſchs (Geiſtliche)
unterrichtet, die der legtern von den Mijlionaren der ameri-
fanijhen Methodiiten in Selmas und der Fatholiichen Laza-
riften in Urunieb. Die in Perſien lebenden Juden fchreiben
das Perſiſche mit hebräiſchen Buchftaben.
Die Perſer haben Talent zum Zeichnen und Malen;
viele würden bei gutem Unterricht Erkleckliches darin leiſten.
292
Der Berjer Tiebt zwar über die maßen Gejang, Muſik
und Tanz, hält es aber nicht für Shilih, als freier Mann
diefe Künfte felbit zu üben, fondern will jie nur für Ent-
gelt von andern ſehen und hören. Bei öffentlichen Feften,
Wettrennen, Hochzeiten u. |. m. werden Künftler gemietbet,
welche durch ihre Productionen das Publitum oder bie
Säfte unterhalten müffen. Sie fingen meift einige Lieder
von Hafis oder Strophen aus Ferdauſi, mit dem oft wieder:
bolten Refrain: „Däd bi däd, amän amän amän.” Gute
Sänger find fehr geihäst und merden hoch honorirt. Man
rühmte mir bejonders einen Sänger mit den Worten:
„Wenn er fingt, läßt fih ein Bulbul auf feine Schultern
nieder.” An Inftrumenten dienen zur Begleitung eine Art
Guitarre (tär) und eine Zither (kentär). Der beite Tar-
jpieler in Teheran beißt Ali-ekber. Europäiſche Muſik ift
dem Orientalen völlig unverftändlih, ja ein Greuel, und
die Anekdote, dab ein Drientale das Stimmen des Orchefters
für die Duverture bielt, ift gewiß buchſtäblich zu nehmen.
Sah ich doch jelbft eine hochgeftellte Berfon, weil die Taften,
welche fie anſchlug, tönten, in Entzüden darüber ausbredhen,
daß ſie das Piano fpielen könne. Weder die Zeit noch ein
längerer Aufenthalt in Europa fann hierin eine Nenderung
bervorbringen. Wie bejtimmt er es auch in Abrede ftellen
mag, jede Oper wird den Perſer langweilen; und doch
rühren ihn heimiſche Weiſen bis zu Thränen.
Tänze (raks) werden in den Harems von gemictheten
Frauen und Sklavinnen ausgeführt; in öffentlichen Cirkeln
der Männer find es unbärtige Jünglinge, weldye, al3 Frauen
gefleidet, durch ihre objcönen Stellungen und wirbelnden
Bewegungen das Publikum ergögen. Die Tänze mit Ca:
jtagnetten gleichen der italieniſchen Tarantella. Sänger und
Tänzer gelten für Leute, die es mit den Vorſchriften der
Religion und Sittlichfeit nicht genau nehmen, namentlid
293
das Berbot von Wein und andern Spirituofen als nicht
für fie vorhanden anſehen, in welchem Betracht man fie mit
den Lutis in eine Kategorie zu ftelen pflegt. Die meiſten
Tänzerinnen find vom Stamme der Susmani und kommen
aud der Umgegend von Kirmanſchah in Kurdiltan. Die
Honorare für dergleihen Productionen überjteigen oft alle
Borftellung; außer mit bedeutenden Geldfummen belohnt man
die Künftlerinnen auch noch mit foftbaren indiihen Shawls.
Eine Sängerin in Kairo erntete bei jedesmaligem Auftreten
100 Pfd. St. In Sachen der Liebe und in der Belohnung
von Sang und Tanz kennt der Drientale Feine Sparjamfeit.
IX.
Verſuche zur Einführung der enropäifchen
Civilifation.
Inftructoren der Armee. Engländer und Franzofen. Reformbeftre-
bungen des Emir Nizam. Berufung der Tefterreicher. Unſere Reife.
Ankunft in Teheran und ungünſtige Aufpicien. Sturz und Tod bes
Emir. Gründung der Militärfhule und der Lehranſtalt für Mebicin.
Meine Lehrthätigkeit. Die Polyklinik. Deine Lehrbücher der Anatomie
und der Chirurgie. Operationen. Mein Plan zu einem Spital. Die
Ausführung. Meine Sanitätsinftruction für Offiziere. Perſiſche Stu-
dirende der Medicin in Paris. Yeprofenhäufer. Der Geniehauptmann
Zatti. Der Mineur Czarnotta. Baron Gumoens. Colonel Matrazzo.
Der Artilleriehauptmann Krziz. Der Savalerieoffizier Nemird, Unſer
Abſchied. Geſpräch mit dem Schah. Franzöſiſche Miffion unter
Commandant Brognart.
Wahrend des engliſch-perſiſchen Kriegs rief der Schaf
einmal vol tiefen Unmuths aus: „O bätte doch nie ein
Europäer feinen Fuß in mein Land gejett, dann mären ung
alle die Duälereien erfpart worden; da die Fremdlinge aber
nun leider eingedrungen find, will ich fie wenigitens jo viel
und jo gut als möglich benugen!” In diejen Worten Liegt
der Schlüffel aller Maßregeln, melde er zur Verbreitung
europäilher Bildung ergriffen bat; er fühlt den Drud der
Großmädte auf ſich Taften und ftrebt danach, fie mit ihren
296
höchſtens eine formelle Verwahrung ein, wo ihre Ideen mit
jenen „des göttlichen Worts“ nicht übereinſtimmten.
Der als Reformator berühmte Abbas Mirza, Sohn des
Feth Ali Schah, nahm mit Bewilligung der engliſchen Regie—
rung einige engliſche Offiziere als Inſtructoren der Armee
in ſeinen Dienſt. Daß es meiſt tüchtige und ihrer Aufgabe
vollkommen gewachſene Männer waren, dafür ſprechen die
Namen eines Colonel Shiel und eines Rowlinſon, welche
beide ſpäter als Botſchafter ihr Land am perſiſchen Hofe
vertraten. In der That ift das wenige von Dizciplin, was
fi noch in einigen perfifhen Negimentern beſonders in der
Artillerie erhalten bat, auf ihre Bemühungen zurüdzuführen.
Gleichzeitig wurden mehrere junge Perſer nach England ges
hit, um dort ihre Studien zu machen. Einer derjelben,
Mirza Baba, ward nah der Rückkehr Leibarzt Mehmed
Schahs; ein anderer, Mirza Dichafer Chan, fchrieb ein
gutes Lehrbuch der Arithmetif und Algebra und befleibete
zweimal den perlifhen Gejandtichaftspoften in London.
Allein ald unter der Regierung Mehıned Schahs und feines
den Rufen ergebenen Veziers Hadſchi Mirza Agaſſi die Ver-
wickelungen mit Herat eintraten, quittirten die englifchen
Offiziere den Dienft. Statt ihrer berief man mehrere Fran-
zojen in Land, worunter auch der Sartip (General) Terrier,
der jich jpäter durch fein Buch über Afghaniftan befannt ge:
macht bat. Bei der Blanlofigfeit der damaligen Regierung
dienten die Europäer jedoch nur zur Schau, etwa wie Ele
fanten und Giraffen; fie bezogen zwar anfehnliche Gehalte,
ihre Dienfte aber wurden nie in Anſpruch genommen, und
fo ift, einige Anekdoten abgerechnet, Fein Andenken an fie
zurüdgeblieben. Eine Ausnahme madte nur Dr. Erneft
Cloquet, der fih ftet3 durch Biederfeit des Charakter und
befonders in den eriten Jahren dur ſein willenjchaftliches
Streben auszeichnete. Als tüchtiger Operateur mard er vom
298
ein; er ließ eine Inſtruction aus dem Englifchen überſetzen,
lithbograpbiren und vertheilen; er ſchickte Impfärzte mit guter
Bezahlung in die verjchiedenen Provinzen.
Seiner Abfiht nad follten die zu berufenden Lehrer
. den politifchen Verhältniffen des Landes möglichft fernfteben,
damit fie ſich mit ungetbeiltem Intereſſe ihrer Lehrthätigkeit
widmeten. Deshalb nahm er von den Rufen und Englän-
dern wie von den Franzojen Umgang, und jchidte einen ihm
ganz ergebenen, ſehr achtbaren Mann, Mirza Däwud Chan,
“einen Armenier, nah Wien, um dort die geeigneten Kräfte
anzumwerben. Binnen Turzem "gewann derjelbe die öfterreis
chiſchen Offiziere: Hauptmann Zatti für dag Genieweſen,
Hauptmann Gumoens für die Infanterie, Oberlieutenant
Krziz, jeßt penfionirter k. k. Major, für die Artillerie, Ober:
lieutenant Nemiro für die Cavalerie. Für das Montanifti-
cum wurde Hr. Carnotta engagirt, und dur gütige Ver:
wendung der twiener Profeſſoren von Dumreicher und Dietl
fiel auf mi die Wahl als Lehrer der Arzneiwiſſenſchaft.
Da die Faiferlihe Militärbehörde bei dem Mangel einer
directen diplomatiſchen Vertretung Defterreihg in Perſien
unliebjame Bermwidelungen bejorgen modte, wurde den
Herren Offizieren vor ihrer Abreije eröffnet, daß man ihre
Unternehmung als reine Privatangelegenheit anjebe; es bleibe
ihnen zwar vorbehalten, nad der Zurüdfunft in ihre re-
Ipectiven Chargen wieder einzutreten, bis dahin jedoch hör⸗
ten fie auf, zur kaiſerlichen Armee zu zählen.
Diejer Zwitterzuftand mar, wie jede halbe Maßregel,
für die ganze Erpedition — der Name Miſſion würde nicht
paffen, meil jeder auf eigene Hand zu wirken hatte — uns
beilbringend, indem er die Offiziere des nöthigen Stützpunkts
beraubte. Die öfterreihiihe Regierung brauchte fi nicht
im geringiten meiter um fie zu Fümmern, und bat aud in
der That nicht ein einziges mal weder direct noch indirect
300
viele in den medicinifhen Lehrbüdern angeführte Symp⸗
tome des Fiebers fehlten; ich hatte nur bier und da bald
Hige, bald einen flüchtigen unregelmäßigen Schauer, doch
feinen Schweiß, dagegen nahmen Mattigkeit und Mangel
an Appetit in einem Grade zu, daß ich apathifch dem nahen
Tod entgegenfah. In diefem Zuftand mußte ich gleichwol
reitend Tag für Tag dem Zuge folgen, denn zurüdzubleiben
war unmöglich. Endlich, vier Stationen vor Teheran, über:
mannte nich die Schwäche vollftändig; ich ſank vom Pferde
und ſchlief auf dem Felde ein. Der Führer bielt in einiger
Entfernung mit den Thieren. Etwa nach einer Stunde er:
wachte ih und ließ mich wieder auf das Pferd heben.
Abends an der Station angefommen, ward ich erft gewahr,
dag mir 40 Imperiales, die ich bei mir getragen, fehlten;
fie mußten mir mäbhrend der Lethargie entiwendet worden
fein. Meine Gefährten drangen in mich, ich möge ftrenge
Durchſuchung anftellen; allein ih gab ihnen, wie ich mid
erinnere, zur Antwort: „Ich ziwveifele, daß ich lebend in
Teheran ankommen werde, brauche aljo fein Geld; follte
aber meine Vermuthung ſich nicht beftätigen, fo merde ich
dort verdienen, joviel ich bedarf.“
.Am 24. November 1851 langten wir in Teheran an.
Der Empfang war kalt; niemand kam uns zur Begrüßung
entgegen, und bald erfuhren wir, daß die Scene fih in-
zwifchen fehr zu unſerm Nachtheil verändert hatte. Einige
Tage vor unferer Ankunft war nämlich der Emir infolge
von Balaftintriguen, befonders von feiten der Königin-Mutter,
einer erbitterten Gegnerin jeines energiichen Strebens nad
Fortſchritt, in Ungnade gefallen. Der unzeitige Schuß, den
ihm eine europäifche Gefandtichaft aufdrang, gab jeinen Fein-
den, obgleid) er ihn conjequent zurüdwies, weitere Waffen
in die Hand, um ihn vollends ind Verderben zu ftürzen; er
wurde im Schloffe Fin, nahe bei Kaſchan, gefangen gehalten
302
Hinrichtung legte er als Act der Nothwehr aus, indem das
Anjehben des Emir fo hoch geftiegen mar, daß nur er vom
Volk gefannt und gefürchtet wurde, die Autorität des Königs
‚ aber ganz in den Schatten trat. Allerdings modte die Be
ſorgniß nicht ungegründet fein, daß troß der Ergebenbeit und
Uneigennüpigkeit de3 Emir derjelbe mit der Zeit durch die
Berhältniffe dahin getrieben worden wäre, die Rolle eines
Uſurpators zu fpielen. Dergleihen Beiſpiele finden ji in
der perſiſchen Geſchichte ziemlich häufig, und gerade um die
jelbe Zeit war der Vezier von Herat auf ähnliche Weije zum
Chanat gelangt. *)
Man beichloß daher, uns zu dulden. Wir wurden in
einer öffentlihen Audienz vom König gnädigft empfangen,
bejonders zeigte er großes Intereſſe an den mitgebrachten
Snftrumenten und Apparaten, melde er jih durd einen
Dolmeticher erklären ließ. Allein der Minifter wußte e8 zu
verhindern, daß mir die üblichen Ehrenfleider (chalat) er-
bielten; auch die Wohnung und Koft, welche uns als Gäften
zufam, war unjferm Range nicht entiprechend.
Auf Befehl des Schah trat eine Commiſſion zujammen,
um über die Statuten der Schule zu berathen. Durch Dols-
metjcher verftändigte man ung über den Gang der Berhand:
lungen. Diejelben drehten jih um die wichtige Frage des
Brüdenbaus, obwol das Land feinen einzigen namhaften
Fluß befigt und die Schüler kaum über das Ginmaleing
*) Als ih fpater viel un den König war, fonnte ich bemerten,
daß er gefliffentlih jede Erwähnung des Emir vermied. Nur ein
mal fragte er mih, ob ich denu nie von dem Emir babe fpreden
hören. Ich antwortete ausweihend, worauf er nur die Worte fprad:
„Adem-e-szecht bud!“ (Er war ein harter Dann!) und fogleih das
Geſpräch auf einen andern Gegenftand lenkte. Seinem Sohn war er
jedoch jehr gnädig; er hielt ihn zwar fern vom Hof, übertrug ihm aber
Aemter und Würden.
304
%
Bald Fam ich jedoch dahinter, daß er mid gar nit ver-
ftand, fondern den Schülern die faljhen Lehren der per-
ſiſchen Bücher beibradhte, die ich fpäter die größte Mühe
batte, wieder auszurotten. Da warf ih mich denn, troß
der Xcclimatifationsfranfbeiten, an denen ich in den erften
zwei Jahren litt, der Wechjelfieber und Dysenterien, bie
mich fat an den Rand des Grabes bradten, mit allem Eifer
auf das Studium der perfifchen Sprade; ich fuchte die tech⸗
niſchen Ausdrüde in verſchiedenen Wörterbüchern auf, und
indem ich fie durch Zwiſchenworte verband, gelangte ich nad
ſechs Monaten dahin, mit Hülfe der Finger, Zeichen, eich:
nungen und Präparate einen, wie ich- glaube, ziemlich ver-
ſtändlichen Eurſus zu geben. Wenigftens jchließe ich dies
aus den Aufzeihnungen meiner Zuhörer, welche ich in pä-
tern Jahren berichtigte.e Ich hatte mir ein vollitändiges
Stelet*) fowie mehrere getrodhnete, injicirte und andere in
Weingeift aufbewahrte Präparate aus der Heimat mitgebracht,
und meine Schüler überwanden das Vorurtheil, durch Ans
fallen der Knochen merde man gejeglih unrein (naedschis),
jo gründlid, daß jie felbft behuf3 des Studiums Schädel
aus den Gräbern holten. Weberhaupt machten die meiften
von ihnen, der Mangelbaftigfeit aller Einrichtungen und der
ſprachlichen Hindernilfe ungeachtet, in der eriten Zeit über:
raſchende Fortichritte; leider jedoch erfaltete ihr Eifer ebenfo
raid. Das liegt eben im Charakter des Drientalen; er faßt
und begreift leicht, wähnt jich aber fhon nah den erſten
Schritten an der Grenze des Wiffens angelangt und läßt
dann ſchlaff die Arme jinfen. Der anhaltende Fleiß, das
nulla dies sine linea jind ihm unbefaunte Dinge. Rechnet
*) Das ſchön zufammengefügte Stelet war lange ein Gegenſtand
der Neugier. Der Schah und bie Großen verfäumten nie, wenn fie
die Schule bejuchten, es fih von mir zeigen zu lafjen, und richteten
babei flet8 eine Menge ragen an mich.
306 .
Einer meiner Zöglinge, Mirza Abdul-Ali, jegt in Täbris
anfäflig, fteht im Rufe eines guten Operateurd; Steinfchnitt
und fonjtige lebensgefährliche Operationen find ihm bereits
mehrfach gelungen.
2) Behufs gründlicher Erlernumg der perliihen Sprache
las ih auch die vorhandenen medicinifhen Werke. Dies
fette mich in den Stand, jelbit ein Lehrbuch der Anatomie
und eins der Chirurgie in der Landesſprache niederzufchreiben.
Das Lehrbuch der Anatomie enthielt nur die Anfangsgründe,
meine Sprachltenntniß war, ala ich es fchrieb, noch zu uns
genügend; überdies ſchien mir auch ein tieferes Eingehen aus
dem Grunde nutzlos, weil das beitehende religiöje Vorurtheil
mir nicht geftattete, Sectionen zu maden, jelbit nicht an Ber:
brechern. Nur einmal, während der mafjenhaften Hinrich
tungen der Babis, einer Communiftenjette, welche ſich eines
Attentat3 auf den Schah fehuldig gemacht hatten, ftellte man
das Anſuchen an mich, die Sadaver der Hingerichteten zu
feciren, damit lie no nad) dem Tode gejchändet würden.
Ich hatte jedoch Feine Luft, als Werkzeug der Rache zu die:
nen und den Haß einer ganzen Sekte auf mich zu laden.
So behalf ih mich beim anatomifchen Unterridt mit Sectio:
nen an Thieren, mit Bildern und Präparaten. Weit gründ-
liher und ausführlicher verfaßte ich jpäter das Lehrbud der
Chirurgie in zwei Bänden mit einem Anhang über Augen:
franfheiten. Hier jtand mir außerordentlich reiches, durch
Erfahrung gemonnenes Material zu Gebote, denn ich habe
allein bundertachtundfunfzigmal den Steinfchnitt gemacht, und
es verging fein Tag, wo nicht eine oder mehrere, namentlich
Augenoperationen vorfamen. Hauptſächlich der gefunden
und frifhen Luft fchreibe ich e3 zu — denn ih unternahm
alle Operationen unter freiem Himmel und ließ die Operirten
nie im Zimmer, fondern unter Verandas und Bäumen las
gern —, daß mir die meilten Curen glüdten und die Zahl
308
ging damit wie mit dem Entwurf zum Tempelbau im Buche
Esra. Der Generalzen=Chef, ein Kurde und Anverwandter
des Oberfeldarztes, jah das Unternehmen ‚mit ungünftigen
Augen an. Sch fand daher, als ich nach einigen Monaten
vom Landaufenthalt in den Bergen zurüdfehrte, meinen
Plan gänzlih geändert; ftatt großer, Iuftiger Säle hatte
man, um an den Koiten der Wölbung zu jparen, enge,
fellerartige Zimmerdhen gebaut. Glüdlichermeile jebte ich es
durch, daß alles niedergeriffen und nach meinem Grundriß
wieder aufgeführt werden mußte. Die Bäume zur Anpflans
zung, die ich aus eigenen Mitteln beichafft, wurden ohne
Wurzeln eingejeßt oder geftohlen und als Brennholz ver-
brannt. Im innern Hof lieg ih Klee anbauen, da auf
andere Weife im beißen Sommer, jelbft bei jteter Berieje-
lung, fein Raſen zu .erhalten ift; das lodte die Recons
valefcenten, fie Fonnten der perliihen Vorliebe für robe
Vegetabilien, Grünzeug und Klee nicht mwiderftehen ‚- ſondern
mweideten mir buchſtäblich die Pflanzen ab.”)
Die Hauptichwierigkeit fand ſich aber erit, als es fich
um die Unterhaltungsfoften handelte: nicht etwa meil fie zu
gering bemeſſen wurden, ſondern weil man von anderer Seite
gerade die rechtlihe Verwendung der angewielenen Gelder
fürdtete. Bisher hatten nämlich die jogenannten Militärs
ärzte in den Kaſernen die Rechnungen über Verpflegung und
*) Es ift erftaunlich, in welchen Maſſen die Perjer rohe Yactuca,
Gurken, Lauch, Zwiebeln, Münze, Dracunculus, Ecorzonera und bie
Blätter der Rettichpflange, deren Wurzeln fie verfhmähen, conjumiren.
Auf den Märſchen erbält ſich Der perfiihe Soldat faft ganz von den
Kräutern, die er am Wege findet. Bat er noch überdicß eine Hand
voll Mehl, Reis oder Bohnen, fe fodt er ſich Damit feine beliebte
Suppe (äsch). Der perſiſche Diinifter rühmte einft gegen einen euro«
päilchen Diplomaten: „Euere Soldaten wollen verpflegt fein, die un.
jern können von Gras (selaf) Teben und doch gut marſchiren!“
310
Bon den Verpflegten erhielt ich wohlthuende Bemeife der Er-
fenntlichfeit, und mährend anfangs ein widerwilliged Bor:
urtheil gegen die Anftalt herrichte, baten die Erkrankenden
zulegt ſelbſt um Aufnahme.
Als Später meine Stellung als Leibarzt, weil bamit
bäufige Reifen verbunden waren, nich binderte, das Spital
jelbft zu leiten, wurde e3 gänzlich den perjiihen Helms
übergeben. Da fahb ich denn freilich bei gelegentlihen Bes
juchen Greuelfcenen, die mich mit Graujen vor meiner eige
nen Schöpfung erfüllten. Typbus- und Dysenteriefranfe
wälzten ih auf dem nadten Ziegelboven budftäblih in
ihrem Koth; das Kleefeld war abgemeidet, jede Anpflanzung,
jeder Baum verſchwunden!
Auf ſolche Weile von der Unverbeijerlichfeit dieſer ge
wiſſenloſen Hefims überzeugt, jcehrieb ih nun eine mehr für
Offiziere berechnete Inſtruction bezüglich des Verfahrens bei
Erfranfungen der Soldaten. Ich bebandelte darin ſpeciell
Intermittens, Dosenterie, Typhus und Grfälfungsfrant:
beiten: diejenigen Uebel, welche die meilten Todesfälle in
Garniſonen wie anf Märfchen zur Folge baben, und um die
Anweiſung verftändlih zu machen, richtete ich fie in cafuiiti-
Ihe Paragraphen ein. Zu meiner großen Befriedigung ver:
nahm ih von Offizieren, daß es ibnen mit Hülfe diejer Ins
ftruction gelungen fei, felbit in fehr berüchtigten Gegenden,
wie in Arabiſtan, um Disful und Schuſchter (Schuſchan)
u. ſ. w., die Sterblichkeit ihrer Truppen auf ein früher nicht
gefanntes Minimum zu veduciren.
Nah vierjäbrigem Unterridt wurden drei von meinen
Schülern, melde die Zeit auch zur Erlernung der franzö—
ſiſchen Sprache benußt batten, und einige Jahre ſpäter nod
vier andere, bebufs ihrer völligen Ausbildung nad Paris
geſchickt. Die eritern erlangten in den Jahren 1860 und
1861 an der parijer Facultät ihr Doctordiplom; einer von
—
311
ihnen, Mirza Houſſein, ſchrieb dort eine mir gewidmete
Theſe „Ueber Behandlung des Wechſelfiebers mit arſeniger
Säure, nach Erfahrungen am Spital zu Teheran“, eine
fleißige Arbeit, welche beachtenswerthe Aufſchlüſſe über dieſe
Heilmethode gibt und um ſo intereſſanter iſt, da der Ver—⸗
faſſer an ſich ſelbſt deren Wirkungen beobachtet hat. Auch
die beiden andern ſchrieben jeder eine gut compilirte ‘Thefe. *)
Ueber Fleiß und Befähigung derſelben fprachen jich bei meiner
legten Anweſenheit in Paris die Profefforen lobend aus.
Und fo bleibt mir ſtets das frohe Bemußtfein, menigfteng
einige Keime zur Fortbildung in der Medicin, Naturwiſſen⸗
haft und freien Forſchung bei den Perſern gelegt zu haben,
welde Hoffentlich mit der Zeit gute Früchte tragen werden.
Sn frühern Jahrhunderten muß es eine ganze Anzahl
Spitäler (dar et schæfa **) und PVerforgungshäufer im
Lande gegeben haben, wie aus den hezüglihen Statuten
(tzgwuk) und zahlreichen Verordnungen des Teymur leng
(Tamerlan.) hervorgeht. Däs "einzige von allem aber, das
Ad) erhalten hat, iſt das reich fundirte Hospiz in Meſchhed
zu Ehren des Imam Neza, „des Protectors der Fremden“. ***)
Sonft finden fih nur in Azerbeivfhan, Chämſeh und Chal-
Hal einige Ajyle für die Lepröjen (dschezami). Es jind
elende, in weiter Entfernung von den Städten ftehende
— — —— —
*%) Do la Polyurie, par le Dr. Mirza Reza ben Mokim (Paris
186); Du diagnostique et du traitement des hydropisies enkystees,
par le Dr. Mirza Ali Naghi (1861).
**) Dar ct schafa, d. i. Pforte ber Gefundbeit, ift der ſchöne
Name für Spital; möchte doch die Wirklichleit dem Namen ent-
fprechen !
***) Mit dem Hospiz ift eine Speifeanftalt verbunden, wo bie Xei-
fenten im Namen tes Imams bewirtbet werben. Daher bört man
oft erzählen: „Wir murden vom Propheten (hezret) mit Reis, Thee,
Kaffee u. |. w. bewirthet.“
— —
312
Lehmbütten, die eher den Schlupfwinkeln der Raubtbiere,
als menſchlichen Behanfungen gleihen. Die Unglüdlichen,
denen fie zum Aufenthalt dienen, leben von milden Gaben
der Umgegend oder der an ihrer Colonie vorbeiziehenden
Fremden. Bismweilen fpendet ihnen zwar der Schah einige
hundert Ladungen Getreide; allein gewöhnlich ißt, wie man
mir fagte, der Gouverneur die ganze Sendung, und den Uns
glüdlihen fommt fein Körnden davon zu. Betteln können
fie nur von den vorüberziehenden Karavanen,; in Städten
und Fleden werden fie nicht eingelaffen, denn fie gelten für
unreip und ihre Krankheit für erblid. Man kann fih kaum
einen Begriff von dem traurigen Zuſtand dieſer Elenden
machen, für melde der Tod die größte Wohlthat ift. Ein-
mal gelang e3 mir, einen meiner Schüler zu den Leprofen-
bäufern abzujhiden; er jollte ſehen, mas fih thun ließe,
und menigitend das Todte von Lebenden jcheiden. Nach
ſechs Monaten fehrte er mit glänzenden Zeugniffen und Be:
rihten von jeinen glüdliden Euren zurüd; doc. fürdhte ich
jehr, daß alles erlogen war. Auch bier muß man aljo die
Hoffnung auf Befferwerden in die Zukunft jeßen, nach dem
bibliihen Sprud: „Es fällt fein Tropfen vom Himmel,
der nicht, ehe er verdunitet, die Erde befruchtet.“
Im Jahre 1858 bewog ich einige angejehbene Chane in
Teheran, zu einem Spital für Zugereijte zujammenzufteuern.
Ich fand auch ein leerſtehendes, paljendes Local, der reichiten
Prinzeflin des Landes, der Zieh jultaneh, gehörig. Sie
willigte anfangs in die Ueberlafjung der Räume zu dem ge⸗
nannten Zweck, fragte mich aber dann, ob niemand in dem
Spital fterben werde, und da ich dieje Verliherung nicht
geben konnte, zog jte mit dem Ausruf: „Ihr könnt doc
nicht verlangen, daß mein Haus zu einer Leichenfammer
(murdeschur chäneh) gemacht merde!” ihr Wort zurüd.
Der vielgenannte Emir batte in feinem letzten Willen der
314
in Chiffren geführt; die binterlafjene reihe Mineralienſamm⸗
lung wurde nah Wien geichidt, langte jedoch dafelbit nicht
an. Sein Tod und fchon vorher feine verkehrte Geiftes-
richtung waren für den willenschaftlihen Erfolg unjerer Er:
pedition von unberechenbarem Nachtbeil, denn, von der Ne:
gierung mit allen Mitteln reichlich ausgerüftet, hätte er für
die Geognoſie Perſiens Großes leiten Tünnen. Durch den
Berluft der Mineralien ging auch die lebte Spur von feinem
Wirken unter.
Baron Gumoens, ein geborener Schweizer, widmete
ih dem Dienft der Infanterie. Als Offizier von geradem,
offenem Charakter begann er den Kampf gegen die Unter:
Ichleife, den Nepotismus in Beſetzung der Offizieritellen und
die vielen andern beitehenden Misbräude. Allein die Ver:
hältnifje waren ftärker als er, zumal er e3 verfäumte, das
Terrain, auf dem er wirken follte, und die Leute, mit denen
er e3 zu thun hatte, zu ftudiren. Hauptſächlich aber wurde
jeine Wirkſamkeit durch den Umſtand gelähmt, daß-bald nad
uns auf engliihe Verwendung ein Colonel Matrazzo mit
noch fünf Offizieren in perfifhe Dienfte trat. Dieſer Ma-
trazzo, gewandt und jchlau (smart), ein Jonier und als
jolder ein halber DOrientale, wußte fi gleich in den erften
Tagen zuredtzufinden und die Verhältniffe zu feinem Bor:
theil auszubeuten. Er errichtete ebenfalld eine Schule für
die Infanterie, kleidete feine Zöglinge in goldgeftidte Uni-
formen und umgab ſich mit einer Leibgarde, die er Generals
ftab nannte. Knaben, die e3 kaum bis zum Einmaleins
bringen Tonnten, geritten ji dabei als Generale und
empfingen ſogar entiprechenden Gehalt, während fähige und
fleißige Schüler überjehen und zurüdgejegt wurden. Aud
Manöver veranftaltete er, Schlacht von Marengo, Aufterlig
u. ſ. w. getauft; und da er unfere Offiziere zivingen wollte,
als Subalterne bei denfelben mitzuwirken, kam es zu
316
fie die beiten Reiter und Fechter der Welt feien und daber
feines Reit und Fechtunterricht3 bedürften. Wie kann über-
baupt "eine reguläre Gavalerie beitehben, wo der Sold fo un:
regelmäßig gezahlt wird, daß der Soldat, um fein. Pferd zu
ernähren, oft genötbigt ift, Waffen und Reitzeug als Pfand
zu verfegen? Auch er wurde übrigeng mit den Särtiptitel
und der entſprechenden Decoration beehrt.
Machten unjere Offiziere dem Großvezier Borftelungen
über das, was zu ihrer gedeihlihen Wirkſamkeit mangele,
jo fragte er feinen Secretär, ob die Herren ihren Gehalt
‚richtig erhalten hätten, und wurde dies bejaht, fo erwiderte
er ihnen: „Säbib (Herr), ich begreife die Urſache Ihrer
Klagen nicht, da Sie ja pünktlich bezahlt werden.”
Wol blieben bei jo unüberwindlichen Hinderniffen unfer
aller Leiſtungen im ganzen weit hinter unjern Abjichten zu-
rüd; dennod können wir behaupten, daß die von ung aus:
geftreute Saat nicht ganz auf unfrudhtbaren Boden gefallen
ift, daß wir unjerm Mutterland, obgleich e8 uns beharrlich
ignorirte, Ehre gemacht, daß während der ganzen Zeit von
feinem Mitglied der Erpedition ein Schritt geihah, der ihm
zur Schande gereicht hätte, und daß vor uns noch niemals
Inftructoren in Perſien jo tüchtig ihre Aufgabe erfüllt
haben.
Die periiihe Regierung bielt die gegen ung übernom-
menen Verbindlichkeiten dem Wortlaut nach ein, aber freilich
war fie meit entfernt, den Pflihten, melde fie uns als
Lehrern und als von einer befreundeten Regierung anver:
trauten Gäſten jhuldig war, in jeder Hinlicht nachzukommen.
Wir ſchieden gegenjeitig sine odio et amore.
Zur Beltätigung des Geſagten mag das folgende Ge-
ſpräch dienen, welches am 25. April 1860 zwifchen dem
König und mir bei ©elegenheit meiner Abfchiedsaudienz
ſtattfand.
317
Schah: „Du haft wol viel Geld gefammelt?”
Ich: „Ich habe wenig Bedürfniffe, ich bin ein Derwiſch.“
„Haft du 20000 Dulaten?”
„SG will dein Opfer fein; mache felbit die Rechnung.
Sn den eriten vier Jahren bezog ic 900 Dukaten jährlich)
ala Profeſſor, jpäter gegen 2000 Dukaten; die Geſchenke
waren nicht bedeutend, die Einnahmen aus meiner Praris
jehr mäßig.“
„Würdeſt du, im Fal dein Land Krieg führte, Militär-
dienite nehmen?”
„Allerdings.“
„Denn aber eine Kugel deine Kullah (Mütze) träfe?”
„Um die Kullab wärs nicht fchade, aber ein Kopf
findet fi nicht alle Tage wieder.”
„Bas maht Karaczay?“
„Er genießt eine gute Penſion; ich glaube etwa 200 Du:
faten.”
„Das nenuft du gut? Warum verlangen dann die
Hrengis joviel Geld von mir?”
„Ich ſelbſt habe nie etwas verlangt. Die Europäer
wollen in der Fremde Geld zurüdlegen, denn den Lebens:
unterbalt verdienen fie auch zu Haufe; und da ihnen im
perſiſchen Dienft feine Benfion in Ausficht fteht, fuchen fie
im Gehalt Entihädigung.”
„Denn dih dein Kaifer zum Minifter des Aeußern
machte?”
„Das würde ich nit annehmen.”
„Barum nit?”
„Ich fühle in mir einige Fähigkeit zum Heim, aber
feine zum Vezier.“
„Und doch —
„Große Btinifter des Aeußern, wie Pitt in England,
318
Talleyrand in Franktreih und — Mirza Seid Chan*) in
PVerfien, ‚find rar.”
„Was wirft du in Europa anfangen?”
„Ih werde reifen, um die Spitäler zu befichtigen.”
„Komme bald mit deiner Frau zurück.“
„Inſchallah.“
Um dieſelbe Zeit kam auch eine franzöfiihe Miſſion uns
ter Leitung des Commandanten Hrn. Brognart ins Land.
Mir Defterreiher waren ſchon nicht mehr neu, wir waren
abgenugt; neue Formen und neue Phyſiognomien wurden
gewünſcht. Die Franzoſen, meilt Offiziere der afritanifchen
Armee, konnten fich jedoch viel weniger in die Verhältmniſſe
Ihiden; von Disciplin und Subordination war bei ihnen
feine Rede. In Bezug auf den Commandanten Brognart
ward das Bonmot in Umlauf gefeßt: ‚Die öfterreichifche
Million reuffirte nicht, weil ſie feinen, die franzöjifche,
weil fie einen Commandanten an der Spige hatte.” Faft
alle verließen fie nach kurzer Zeit wieder ihren Bolten, ohne
irgend Nennenswerthes ausgerichtet zu haben, wie überhaupt
der Franzoſe nur wo er en masse und in fteter Verbin⸗
dung mit feinem Vaterland, ſpeciell mit Paris auftritt, ſich
nützlich machen Tann; iſolirt in einem uncivilifirten Lande,
wird er fih nie, weder geiftig noch Törperlich, acclimatifiren.
Von dem Erfolg der civilijatoriihen Betrebungen der
Milfionäre zu Urumieh und Selmas fonnte ich nirgends
etwas wahrnehmen; jie jcheinen ſich auf Verbreitung religiöfer
Lehren und einiger Kenntniß der engliihen und franzöfiichen
Sprache zu beichränten.
Nachdem ih mi zur Genüge überzeugt, wie wenig
unter den obwaltenden Umftänden von im Lande felbit ges
*) Er wird von ben europäifchen Diplomaten flatt ministre aux
'affaires etrangeres fpottweife ministre etranger aux aflaires genannt.
X.
Religion und Geſetz.
. Sumniten und Sciiten. Die Priefterichaft. Die Mulas als Richter.
Ihre Verderbniß. Die Scheriet und das Urf. Strafen. Xortur.
Gebet. Der Muezzin. Walfahrten. Almojen und Bettler. often.
Fefte und Feiertage. Die Paffionsfpiele. Verbote. Hazardſpiel.
Schachſpiel. Wucher. Aberglaube. Selten (die Scheidi; die Alt
Allah; die Babis).
Der Perſer ift befanntlih Schiite. Als folder rühmt
er fi: ‚„Musulman em!” (Sch bin Mohammedaner!),
welchen Namen er den Sunniten nicht zugefteht. Man ver-
gleicht oft den Schiismus des Islam, meil er die Sunna,
die interpretation des Korans, nicht anerkennt, mit dem
Proteftantigmug des Chriftenthbums. Der Vergleich paßt
aber nicht; denn die Schieblehre ift im Gegentheil die’ com-
plicirtere, fih mehr vom Monotheismus entfernende und
von den miderlinnigften Sagen (haedis) entitellte, während die
Sunna den uriprüngliden Islam nur infomweit umgeftaltet
bat, al3 e3 nothwendig war, um das für Nomaden gegebene
Gele den Verhältniſſen einer ſeßhaften Geſellſchaft anzu:
paſſen. |
Der Sunnite betet: „„Lä ilah il allah muhammed rasul
allah!” (E3 gibt fein göttlicheg Weſen außer Allah, und
321
Mohammed ift fein Apoftel!) Er braucht nit an die Wun-
der Mohammed’3 zu glauben, weil feine einfache und klare
Lehre aller Wunder leicht entbehren Tann. Der Schiite aber
jeßt zu obiger Sormel noch hinzu: „Ali wali allah!” Das
Wort wali bat, wie viele andere arabiihe Worte, die ver-
ſchiedenſten Bedeutungen: Sklave, Diener, Vertrauter, Stell-
vertzeter u. |. w., und in den verichiedenen Bedeutungen diejes
Worts liegen au die mannichfahen Nuancen der Scieh:
lehre. Die meiften nehmen es in dem Sinn des locum
tenens; andere aber betrachten Ali als Incarnation Gottes,
fe jchreiben ihm zahlreihe Mixakel zu und ftelen ihn hoch
über Mohammed. Der Berjer ruft daher nie den Namen
„Mohammed an; fein gewöhnlicher Ruf, den er faſt bei jedem
Schritt und jeder Bewegung wiederholt, ven man an alle
Wände geichrieben, in die Rinde der Bäume eingefchnitten
findet, it: „Ja Ali!” Nur felten vernimmt man daneben:
„Ai chuda!” (D Gott!) Dem Ali zunächit genießt fein
Sohn Huſſein die größte Verehrung, derfelbe, welcher in der
Schlacht zu Kerbelah ums Leben fam.
Das Dogma der Schiüten bejteht eigentlih nur in Ne-
gationen. Sie leugnen da3 Succeſſionsrecht Omer's, die
Zegitimität der drei erften Chalifen Abubekr, Osman und
Dmer, indem dag Chalifat rechtmäßig dem Ali gehört babe,
und die Ehrbarkeit Aniha’s, der Frau Mohammed’. In
Betreff Dmer’s ftügen fie fih auf die Sage: „Ein gottes-
fürdtiger Mann ſah einft im Traum einen verjtorbenen »
Milfethäter hoch im Himmel ſitzen und erhielt auf die Frage,
wie ſich das Ichide, zur Antwort, derjelbe babe noch in der
Sterbeſtunde die Formel «Fluch dem Umer» ausgeſprochen.“
Deshalb unterlaffen jie nie, dem Namen Omer „Laanet
ber!” (Fluch dem Omer!) beizufügen. Cie dichteten dieſem
Helden von hiltoriicher Sittenreinbeit allerhand objcöne Ge:
ſchichten an und behaupten, jein Mörder Abu Lulu jei
Bolat, PBerfien. 1. 21
322
nach gelungener That mittels einer nächtlichen Himmelfahrt
nah Kaſchan verſetzt morden. Dort wurde letterm ein
Maujoleum erbaut, welches bis auf den heutigen Tag viele
fromme Gläubigen anzieht; ala ich jelbit im uni 1859
daran vorbeizog, zeigte mir mein Führer voll Andacht den
geweihten Drt. Ein Mittwoch im Jahre wird ala Gedenk:
tag der Ermordung Omer's im ganzen Land dur Freuden-
feuer, Feuerwerk und Flintenſchüſſe gefeiert (aide omer-
kuschi, $eit der Omertödtung); in manchen Gegenden wird
eine Omer voritellende Buppe auf einem Ejel unter Muſik⸗
begleitung von Lutis dur die Straßen geführt und mis-
handelt, was an Orten, wo ſich Sunniten befinden, häufig
Anlap zu Zank, Streit und ernitlihen Thätlichfeiten gibt.
Die Regierung verbot zwar zur Vermeidung diefes Unfugs
mehrmals dergleiden Proceſſionen, allein nie mit dem notb-
wendigen Ernft, weil fie nit wagte, gegen eine im reli-
giöfen Dogma begründete Ceremonie mit Strenge einzu-
ſchreiten. |
Der Sunnite verrichtet nicht gern in einem Zimmer fein
Gebet, wo unverzerrte Abbildungen von Menſchen oder
Thieren Sich befinden; foweit geht feine Scheu vor dem
Bilderdienit. Ich ſah häufig, daß Afghanen, melde mwäh-
rend der Verwidelungen mit Herat in Teheran lebten, 3. 8.
der feingebildete Mir Alem Chan, ein Neffe des Fürften
von Kandehar Kohendil Chan, alle Bilder verdeden oder
» aus dem Zimmer fchaffen ließen, ehe ſie ihr Gebet ſprachen.
Anders die Schiiten: fie lieben die Bilder, und fait in jedem
Haufe des Volks ift ein ſchlechter Holzichnitt, den Propheten
Ali vorftelend, zu finden. Da man. jedoch jagt, fein Ge
fiht fei von jo vollfommener Schönheit geweſen, daß Fein
Maler fi daran wagen fünne, wird er immer verfchleiert
dargeitellt. Der König glaubt ſich im Beſitz des wahrhaften
Sonterfeis Ali’. Es fol ihm aus Indien zugelommen fein
324
an deſſen Stelle, die andern bilden ſich eigene individuelle
Anfichten, oder adoptiren das philojephilche Syitem von Der:
wifchen, die fie dann als ihre Leiter (murschid) verehren.
Aus den legtern beftehen die zahlreichen Sekten der Sufis;
doch gelten alle äußerlich für Schiiten. Nach dem Grundjag
des Täffieh glaub: ſich jeder Perſer zur Scheinheiligfeit be-
rechtigt; überdies gebietet ihm ſchon feine befannte Vorſicht,
mit der wahren Wleinung zurüdzubalten, bevor er das
Terrain genau jondirt bat, und felbit dann verclaufulirt er
fi noh in einer Weile, daß man ihm nicht leicht bei-
kommen fan.
Sp darf behauptet werden, daß der Schiismus, obgleich
die in Perſien berrichende und verbreitetite Religion, Die
menigiten Anhänger aus Weberzeugung zähle.
Man könnte demnah zu der Annahme verſucht ein,
das Land müſſe einen günjtigen Boden zur Verbreitung des
Chriſtenthums bieten, allein man würde ſich hierin täufchen.
Saft noch nie bat ih ein Muſelman aufridtig zum Chriften-
thum befebrt; das Dogma der Zrinität ift ihm unfaßlich,
ebenfo der Begriff chrijtlicher Tugend und Entjagung. Man
lefe die ebrlihen Berichte der Mifjionare, und man wird in
die Wahrheit des Borjtebenden feinen Zweifel jeßen. Die
mit jo bedeutenden Koſten gedrudten, cingebundenen und
gratis vertbeilten Bibeln werden von den Enpfängern fofort
aus” den Dedeln gerijjen und im Bazar als Vaculatur ver:
braucht. Der einfache Bibelftil ijt dem Orientalen zuwider;
er liebt pomphafte Worte, eine blumige, bilderreiche Sprache,
der er gern Gedanken und Inhalt aufopfert. Zuweilen ließ
ih der Schah zur Beluftigung einige Sapitel aus der Bibel
vorlejen, und jedesmal Draden er und die Höflinge fehr
bald in lärmendes Gelächter aus, ſodaß an ein Fortſetzen
der Xettüre nicht zu denken war. Damit dem Koran nicht
troß jeiner Heiligkeit ein ähnliches Schidjal zutheil werde,
326
notoriih das Gut der Witwen und Wailen von ihnen „ver:
ſpeiſt“ (churde) wird. Während fie vor der Welt Armuth
und Demuth heucheln, ſammeln fie für fih, ihre Familie
und die Moſcheen Reichthümer an; denn auch die Erträg-
niffe des Mofcheengut3 (mäkufat) fallen. ihnen zu. Sie
ſuchen glänzende Verbindungen, ſelbſt mit Prinzeſſinnen ein-
zugehen. Die ärgiten Rabuliften und mit allen Spihfindig-
feiten des Gefeges vertraut, beugen fie dag Recht, zumal
oft beide Parteien durch denfelben Priefter- Richter vertreten
find, nad der Seite derjenigen Partei, welche ihnen am
meiften zahlt.
Da es in Perſien feine Grundbücder gibt und der
Beſitz nirgends regiftrirt, jondern einfach in einem Contract
(kaebäleh) von einzelnen Mulas beftätigt wird, kann ſich
leicht jemand durch Beitehung eines Mula ein falſches Do:
cument frühern Datums verjchaffen, auf Grund deſſelben
den Beſitz eines längſt in andere Hände übergegangenen
Grundftüds in Anſpruch (idea) nehmen und, falls es ihm
nit gelingt, feine fingirten Anſprüche durchzuſetzen, doch
eine hohe Abfindungsjumme erprefien. Denn das mufel-
maniſche Gejeß kennt fein Verjährungsrecht; vor ſechs Jahren
wurde zwar ein folches, auf 20 Jahre lautend, vom König
gegeben und durch das officiele Organ promulgirt, e3 er:
langte jedoch, wie viele andere Geſetze, feine Rechtskraft.
Manche Häufer in der Stadt Teheran, ja ganze Dörfer fin:
den deshalb feine Käufer und verfallen, weil man die, Gel:
tendmadhung veralteter Aniprüche ſeitens irgendeines frühern
Beſitzers fürdtet. Kaum verbreitet ih die Kunde, daß
dieſer oder jener Chan der Gunſt des Hofs verluftig gegangen
jei, al3 auch jhon von allen Seiten Rechte auf feine Befiß-
thümer angemeldet werden. Mein Nachbar in Teheran
faufte eine Ruine; er baute ſich an deren Stelle ein ſchönes
Haus und hatte es bereits zehn Jahre lang inne, da kam
328
Richter- Priefter (mutschtehid) auf feiten Gehalt und vin
dicirte der Krone das Recht der Inveſtitur. Mit dem Amt
antritt ſeines Nachfolgers, des Sader Aazam, athmeten die
Priefter wieder freier auf; von neuem wurden die Aſyle re
ipectirt, und da3 Unjehen des IJmam=dichumeh von Ispahan
ftieg zu bebrobliher Höhe. Dieſen günftigen Umſchwung
ihrer Lage verdankten fie dem Umftand, daß von den Babis
ein Attentat auf den König verübt worden war und er num
zu jeiner Sicherheit ‚die Religion oder vielmehr das Anſehen
der Briefter ſtärken zu müſſen glaubte, es entitand ein fürm-
liher Mli-Fanatismus. Doc) bald erntete der Schah die bittern
Früchte diefes Beginnend. Die Provinz Reicht wurde durch
den Mutichtehid Hadſchi Mula Rafi zum Aufruhr gereizt,
beffen Dämpfung viel Menfchenblut koſtete. Nun ftrebte
man, die Prieftermadht wieder einzufchränfen. Da drobten
die Mutjchtehidg das Land zu verlaſſen; viele waren bereitd
nah Schah abdulazim ausgewandert, fie wurden aber unter
Berjprehungen zurüdgerufen. Im Jahre 1856 war es end:
lih beiden Theilen Klar, daß weder die Regierung ſich auf
die Priefter ftügen künne, noch dieſe der Regierung vertrauen
dürften.
Neben der priefterlichen Rechtspflege (scheriet) wurde eine
weltliche (urf) eingeführt, welche von dem König, den Go:
verneuren und dem hoben Gericht3hof (diwän-chäneh) ge
bandhabt wird. Man Fanıı das Urf nicht eigentlich Gefeg
nennen, weil es fi) weder auf Antecedenzien noch fefte Nor:
men gründet, jondern nur auf augenblidiihem Bedürfniß,
Staatsrüdfihten und auf Willfür beruht. Welche Angelegen:
beiten der Scheriet, welde dem Urf zufallen jollen, darüber
gibt es Feine Regeln. Die Mulas erkennen natürlich die
Sompetenz des Urf nicht an; fie erklären deſſen Decrete fin
ungejeglich; allein der König übt die Geriht3barfeit de facto
aus. a felbit al3 von drei Sektirern ein Attentat auf ben
336
fünnte, die andern heiligen Orte aber, als außer Landes
gelegen, begreiflicherweiſe gar nicht in Betracht Tommen.
Kum bat außerdem noch den Vorzug, daß mehrere Fürſten
der Kadſcharendynaſtie daſelbſt beigejegt find.
Meber das Almojengeben (zekut) enthält das Re
ligionsgefeg beftimmte VBorfchriften, in denen auch dag PTi
nimum normirt it. Obwol der gewöhnlide Mann an diee ſe
Norm fih nicht hält, weil feine Mittel dazu faum ausreich ei
würden, gibt er doch viel Almojen an Thiere wie Menihdezst;
er folgt ohne Heuchelei dem Zuge feines Herzens und fer ht
in diefem Punkt dem Europäer voran. Auch den Gelübe er
(næzær besten), die er in fchwierigen Lebenslagen the,
bleibt er die Erfüllung nicht ſchuldig. Soll das Alm en
gottgefällig fein, jo muß es von rechtmäßig erworben U
Geld gegeben werden, und da der Perſer diefe Eigenſch it
feinem Geld nicht immer zutraut, fo verpfändet er haͤu FU
ein fojtbares Geräth oder einen Shawl, verfchenkt das daf it
erhaltene Geld und löſt jpäter fein Pfand wieder cin. V mM!
dem Opferfeſt wurde ich häufig von Würdenträgern um & ®
Darlehn von 5—20 Dufaten angegangen; ich glaubte & 2%
fange, es gejchehe aus wirklichem Geldmangel, überzeug!
mid) aber dann, daß es feinen andern Grund batte, ae %
weil jie meinen Erwerb für ehrli und deshalb mein Ge
zum Almoſen geeignet bielten. "Sch konnte bei Gelegenh
die Bemerkung nicht unterprüden, daß man am Guropäessf!
alles für unrein halte, nur nicht, wie es ſcheine, fein Ge
Bei Krankheiten geliebter Angehörigen ſchlachtet man Scha
und vertheilt das Fleiſch an die Armen.
Infolge der Bereitwilligkeit zum Almoſengeben iſt auch c
Zahl der Bettler ſehr groß. Die Blinden werden vorzugsweiſ ⸗
reichlich bedacht, ſodaß manche von dem Erlös ihres Bettel⸗
mehrere Weiber anftändig erhalten, andere nicht unbedeutend“
Summen vergraben haben follen. Es herrſcht unter den Blinder
338
zu enthalten habe; darauf wird das Morgengebet verrichtet
und man legt ſich zu Bett. Nachmittags füllen ſich die
Moſcheen mit Andächtigen; andere verweilen bis Sonnen-
untergang auf dem großen Plaß, mo eine Art Markt oder
Ausftellung europäiſcher Wuaren ftattfindet.
Der Ramazan ift unbedingt für nit arabiſche Klimate
eine höchſt widerſinnige Einrichtung. In einem Staat, deſſen
meifte Bewohner vom Ertrag der Arbeit leben, wo aljo die
Geſchäfte ihren regelmäßigen Gang haben müſſen, erfordert
er die größten Opfer an Zeit und Arbeitsfräften. Er ruinirk
jowol die Gefundheit ald das Hausweſen, denn die Erſpar—
niß an Koft ift nur eine jeheinbare, die Conſumtion iſt im
Gegentheil größer und Eoftipieliger al3 in der gewöhnlichen
Zeit, und viele Familien fteden jih in Schulden, un dem
Aufwand für Nahrung und Beleuchtung zu genügen. Neute,
denen nothwendige ſchwere Geſchäfte cobliegen, Ddispenjirt
zivar das Gele vom Falten; allein gerade dieſe verfchmähen
in der Hegel den Dispen3, während Müßiggänger fich felbft
dispenſiren oder durch vorgeſchützte Krankheit Mittel finden,
von den gebotenen Entbehrungen Umgang zu nehmen.
Außer dem Freitag jeder Woche gelten als große Feſte:
der Neujahrztag (ayde nawruz), das Opferfeft (ayde kur-
ban), da8 Ramazanfeft (ayde bairam); als Heine: der Ge
burtstag Mohammed's (ayde maulude peig®mber) und bie
pom jegigen König Deigefügten: der Geburtstag Ali's und
das Felt des Imam der Wuferjtebung (imame ächere
zemän), des Jmam Mehdi. Im Tterengen Sinn werden die
Feſte jedoch nur von den zum Hofe Gehörigen, den Regie
rungsbeamten, Offizieren u. |. w. gefeiert; das Volk kennt
mit Ausnahme des Neujahrsfeftes keinen Feiertag. Am Frels
tag find alle Bazare geöffnet, die Gewerb3- und Handels:
leute geben ihren Gefchäften nach, der Laudmann bearbeitet
jein Feld wie an den übrigen Wochentagen. Der König und
339
die Gouverneure aber ertheilen Freitags und an fonftigen
Feſttagen feierlihe Audienz (salam), die Minifter und
Bürdenträger laſſen jih Glückwünſche darbringen; die ge:
bräuchlide Formel lautet: „ Ayde schumä mæbarek bäd.“
Allgemein, von hoch und niedrig, wird nur der Nauruz
nebft den darauffolgenden Tagen fejtlich begangen.
Das Opferfeft fällt auf den 10. des Mondmonats Bil:
tabeh ‚und trifft daher nad) einem Cyklus von Jahren mit
dem Verjühnungstag der Juden zuſammen. Beiden liegt
dieſelbe Tradition, das Opfer Abraham's zu Grunde, nur
daß die Moslims Ismael für Iſaak fubititwiren. Während
bei den heutigen Juden dag fymbolifche Opfer ji auf das
Schlachten einiger Hähnchen am Vorabend des Feſtes be-
ſchränkt, wird es von den Muſelmanen im großartigen Maß:
Rab ausgeführt. Ganze Heerden von Opferfchafen merden
in die Städte getrieben; in manden Häufern ſchlachtet man
deren zehn, und es gibt kaum eine Familie, welche nicht
wenigſtens ein Schaf opfert. Fleiſch ift daher um dieſe Zeit
fo häufig, daß, obgleich jeder Arme nad Belieben davon
bolen Tann, doch noch vieles verdirbt und auf die Straße
geworfen mwird. Hier bleibt es jammt den Reiten und Ein:
geweiden mehrere Tage liegen, denn die Hunde und Scha—
tale vermögen die großen Maffen nicht fo rajch zu conſumi—
ren, und es entitehen infolge deſſen fat immer Dysenterien
und andere Krankheiten. Wird das Opferfeft im Somnıer:
lager des Schah gefeiert, fo muß der Plag am folgenden
Tag geräumt werden, da die verpeitete Luft und das von
bineingemworfenen Eingeweiden verunreinigte Waller längern
Aufenthalt dafelbft unmöglid machen. In Jahren, mo die
Eholera herrſcht, Tann man ftet3 nach dem Felt eine geitei-
gerte Heftigfeit der Epidemie wahrnehmen. Gleich dem Faſt—
nachtsochſen in Paris, wird in Teheran ein Kamel mit
Mufit und unter großem Gepränge durh die Straßen
22*
342
ſo lebhafter Theilnahme, daß fie die Perſon, melde den
Jezid vorftellt, zerfleifchen möchten. In den uncivilifirten
Gegenden von Luriftan fol es wirklich vorgefommen fein,
daß ein Ncteur fein allzu täufchendes Spiel mit dem Leben
büßte; der Böfewicht pflegt daher, um die Illuſion abzu-
ſchwächen, bei den ergreifendften Scenen ſelbſt mitzumeinen.
Nah der Tradition fol ein europäischer chriftliher Ge—
jandter im Lager des Jezid erfchienen fein, um für die un-
glüdlihen Opfer Fürſprache einzulegen, und da ſeine Bitten
fein Gehör gefunden, er ji zum Islam befannt und eben-
fal3 den Märtyrertod erlitten haben. Auf diefe Scenenreibe,
welche am fiebenten Tage aufgeführt wird, verwenden die
Dariteller allen Wi und alle Erfindungsgabe Der erfte
europäijche Gejandte, der an den perliichen Hof fam, trug
ein Fernrohr bei fih: darum hält man es für die Wahrheit
der Darftellung erforderlih, daß der Gejandte ftet3 mit
einem Fernrohr unter dem Arm auf der Bühne erfcheine.
Zu Seiner Coftumirung werden Kleider von den Europäern
entlehnt, wodurd nicht ſelten die lächerlichiten Garicaturen
entjtehen. So ſah id, wie der Gejandte (iltschi), mit feiner
Tochter, einem Knaben in Crinoline und Damenkleidern, in
einem Sabriolet figend, vorfuhr; er ftieg aus, das unver:
meidlihe Sernrohr unter dem Arm, fang mehrere Arien und
Duette und ftarb endlich jammt Fräulein Tochter den Mär:
tyrerfod. Einmal erfuchte auch mich der Krieggminifter,
einige Kleidungsftüde aus meiner Garderobe für den Iltſchi
zu leihen; ich gab Frad und Hofe, doch der Hut fehlte, da
ih die perfifhe Müge trug. Man bebalf fih mit einem
vorräthigen öfterreihifhen Dragonerhelm, und fo erſchien
der Gefandte in Frad und Helm.
Auch unter den Zufchauern fehlt es nicht an komiſchen
Auftritten; die armen Frauen, welche viele Stunden lang
eingepfercht auf den Teppichen Inien, gerathen bisweilen zur
343
Beluftigung des ganzen Publikums in Streit; fie fahren
einander ins Geſicht, reißen ſich die Schleier herunter und
laſſen nicht eher ab, bis fie durch königliche Diener getrennt
werden. Dan jagt, der Schah unterhalte eigene agens
provocateurs, welche 'die Frauen zum Streit reizen müffen.
Am achten Tage wird die Taazieb de3 Emir Teimur
(Tamerları) aufgeführt, vermischt mit Iuftigen Schmänfen und
Farcen. Endlich am zehnten Tage findet auf einem großen
Öffentlichen Plat die Apotheofe der Märtyrer ſtatt. An
einem Seil fährt eine den Erzengel Gabriel vorftellende
Buppe herab und empfängt die Seelen der Imams, um fie
in die Gefilde des Paradiefes zu geleiten. Vorher laffen die
Großen ihre reichgezäumten und mit köſtlichen Shawls ge:
ſchmückten Galapferde auf dem Plage berumführen. Der
« Europäer hat bier Gelegenheit, manches edle Thier zu be=
wundern, das ihm ſonſt nie zu Geficht gefommen märe.
Die Sitte der Taaziehipiele it fo allgemein, daß fich
lein Großer ihr entziehen Tann, obgleich fie jehr bedeutenden
Roftenaufwand verurfadhen; denn abgejehen von dem Entgelt
für die Acteure, müffen die Gäfte während der Vorftellung
‚mit Sorbets und nad) derjelben mit einem fplendiden Souper
.bewirthet werden. Da außerdem mährend der langen Zeit
- bon zwei Monaten alle Gejchäfte ftoden und die Arbeit zu—
rückbleibt, jo iſt es Klar, daß auch diefe Seite viel zum Ruin
des Hauſes und zur Verſchuldung der Familien beitragen.
Bon Strenggläubigen werden übrigens die fcenifchen Dar:
ſtellungen für unerlaubt, für eine Entheiligung der Imams
and für Gößendienft erklärt; ſie befchränfen die eier der
Paſſionstage auf die Vorträge (taazieh), welche darin be-
fteben, daß ein Sänger vom Podium herab in Form von
Recitativen die Paſſionsgeſchichte der Aliden abſingt. Die
vortrefflihe Modulation der Stimme nah dem Alter und
Geſchlecht der handelnden Berjonen beweift, daß der Perjer
345
mat, tobt, jondern von dem perſiſchen, welches, ähnlich dem
deutſchen „matt“, abgeipannt, zerrütteten Geiftes bedeutet).
Das Schachſpiel ift in den befjern Klaſſen ſehr beliebt, wird
aber mit weniger Studium und Nachdenken gejpielt als in
Europa, obwol die Regeln ganz diefelben find, unge
Leute aus den niedern Klaſſen fieht man ziemlich häufig beim
Morafpiel. Ein auf Kenntniß der Haffiihen Epigramme be
rubendes Spiel bejteht darin, daß von dem einen ein kurzes
Sinmgedicht eitirt wird, worauf der andere raſch ein foldhes
berjagen muß, das mit demjelben Anfangsbuchſtaben beginnt,
mit weldem das erite endigte. Jh wohnte einem derartigen
Wettkampf bei, der über eine Stunde dauerte, bis endlich
fein paffender Sat mehr aufgefunden wurde.
Das Verbot, Wucher zinſen zu nehmen, läßt fi wol
bei einem Nomaden, nicht aber bei einem Handelsvolk, welches
bie PBerjer find, aufrecht erhalten. Es wird daher gänzlich
umgangen. Der geiegliche Zinsfuß (teenzil) beträgt 12 Pros
cent; bei den ungeregelten Ausgaben aber, durch Eoftipielige
Heiratben, Feite, Falten, der Prunkſucht in den böhern
Ständen und den alles Maß überfchreitenden Luxus der
Frauen verurſacht, jowie bei dem augenblidlichen Bedarf
großer Summen, um duch Beitechung eine Anklage nieder:
zuſchlagen oder ein Amt zu erkaufen, darf es nicht befrem-
den, daß Gelder zu weit höhern Zinſen, bis zu 80 Procent,
und ziwar mit monatlihem Zuſchlag der Zinjen zum Kapital,
aufgenommen werden, und dab es kaum jemand in Berfien
gibt, der nicht entweder Schuldner (gharsdär) oder Gläu—
biger (talabdar) wäre. Selbſt Priejter leihen durd Ber:
mittelung von Agenten Gelder auf bobe Zinfen aus. Der
glückliche Zuftand des Derwiſchthums, d. h. der Unabhängig:
feit, wird mit den Worten bezeichnet: „Ne ghars därem
ne talab!” (Ich bin weder Schuldner noch Gläubiger!) Die
Zahl diejer Glüdlichen mag jedoch eine äußerſt geringe fein.
b
347
- (ehusch und bied kadam) an drei Dingen ſich fundgeben:
am der Frau, dem Pferde und dem Haufe. Begegnet dem
er bei Erwerbung eines derjelben etwas Günftiges, fo
entledigt er fich ihrer um feinen Preis; ftößt ihm bingegen
eiivas Webles zu, jo ſucht er fie jo raſch als möglich wieder
108 zu werden. Manche Frau des Shah mußte blos des-
| balb den Harem verlaffen, weil fie „bed kadam“ war.
Mappen und Pferde mit einem weißen Hinterfuß bringen
Unglüd. Die Zahl 13 ift befonders jchlecht angejchrieben,
der Kaufmann vermeidet jogar fie beim Zählen zu nennen,
auf 12 läßt er ziädeh, d. i, plus, und fodann gleidy 14 fol-
gen. Jeder Tribus bat feine eigenen glüdlichen und unglüd-
AUchen Wochentage. Doch nirgends findet ſich der Glaube an
Geipenfter, für welche auch die Sprache fein Wort befist. Oft
bört man Märchen von menſchenfreſſenden, in Wüften haufen-
den Ghuls, den Werwölfen in europäifchen Sagen entiprechend.
- 7 Ein im ganzen Orient üblider Brauch ift es, an gewiſſen
Moöoſcheen, Bäumen, Steinbaufen oder auf hoben Bergen Kleine
eben der Kleidung als Vota anzubeften (vota suspendere).*)
Sm Teheran fteht nahe dem Schemirantbor eine Kapelle, deren
Gitter mit Taufenden von Lumpen bebangen ift, und auf
dem Wege nad) Abegerm am Demamwend jah ich eine einzeln:
ftebende mächtige Juniperus excelsa, an ver fein Worüber:
giebender ein Stüd aus feiner Kleidung hängen zu laffen
berjäumt. Der ihm zugeichriebenen Heiligkeit verdankt der
Baum feine Erhaltung. In Ermangelung eines Baums
trägt auch an gewiſſen Stellen jeder Neifende einen Stein
berzu; mit der Zeit entiteht eine Byramide, und in ihrem
Schub wächſt bald ein Rhamnus auf, an welchem danıt Die
Bota befeftigt werden.
Für bejonders vertraut mit den Dims und Dibins
*) Bol. Kremer, Aegypten (Beipjig 1863), ©. 151.
& En. Pr
348
gelten die Schlangenbefhwörer : Derwifche, melde allerlei
giftige Schlangen, Storpione und Warnechſen auf öffentlichen
Plätzen produciren. Sie reizen die Thiere, ſchlingen fie ih
um den Hals, fteden die Hand in ihren Rachen, und thei⸗
len, unter Anrufen der Dſchins und Afrit (Kobold), auch
andern Perſonen für ein Entgelt die Unverleglichfeit (afsun)
vom Biß giftiger Thiere mit. Manche behaupten, das Affun
nur in der rechten oder linken Hand zu beiten, ſodaß fie
nur mit diejer giftige Thiere berühren und fangen könnten.
All dergleihen Beihmörungen und Bauberkünfte find
vom Gejeß verpönt; allein jie finden in der Praxis mehr
Anerkennung als die Religion, melde fie verbietet.
Allgemein refpectirt wird nur das Verbot, Schweine
fleiih und das Fleiſch von erfticdtem Vieh zu genießen. Der
Drientale, auch der im Orient lebende Ehrift, bat eine aus⸗
gejprochene Antipathie dagegen. Jedes Thier, von dem er ge:
nießen foll, muß fo gefchlachtet fein, daß dem Blut gehöriger
Abflug geitattet wurde. Er weicht hiervon nur im äußerften
Nothfal ab, denn die Macht der Gewohnheit und der Efel,
der ihm von Kindheit auf gegen dieſe Speifen eingeflößt
wird, unterftügen das religiöje Verbot.
Bon den Schiiten wenig unterjchieden iſt die Sekte der
Scheidi. Sie hat ihren urjprüngliden Sit in Kirman⸗
ſchah, wo viele jchlagfertige Männer mit den Waffen für ihre
Lehre einftehen; doc leben auch Anhänger derjelben in vers
Ihiedenen Städten zeritreut, felbft in der Reſidenz. Trog
der Anfeindungen von jeiten der Mulas mußten die Scheichi
ihre Gleichberechtigung zu behaupten; jie befigen eine Mo:
ihee in Teheran und Wriefter, welche Predigten halten.
Eine vorgejchlagene Disputation mit den Schiehprieftern
wurde von dielen nicht angenommen. Ihre Lehre befchäftigt
ih vornehmlich mit fubtilen Unterfuhungen über die Form
der Exiſtenz des Imam Meihdi, welcher am Tage der
350
in Rurdiftan, in Azerbeivichan, am Berfiihen Golf, in Ta:
liſch und am Kaspilchen See.
Biel Auffehben erregte in neuefter Zeit die Sekte der
Babis. hr Stifter, ein gelehrter Seide (Propheten -Abr
kömmling), nannte fih bab eddin (Pforte des Glaubens).
Er fchrieb einen Kanon in arabiiher Sprache, leugnete den
Koran, führte den Communismus der Güter und die volle
Emancipation der Frauen ein, und lehrte, daß, mer für die
Bertheidigung und die Ausbreitung des von ihm verfündes
ten Glaubens falle, unfterblih jei und im Moment des
Todes an einem andern Ort wieder auflebe.
Diefe Lehre, eine Erneuerung und Fortjegung der in
der Saffanidenzeit von Mäzdak aufgeltellten Dognıen, ges
warn bald zahlreihe Anhänger in Schiraz, Maſanderan,
Ardiftan, Sendihan und in andern Städten, vornehmlich
unter den Seiden, den Gelehrten des Reichs. Auch viele
durch Geift und Willen ausgezeichnete Frauen jchloffen fidh
ihr an; unter ihnen ward bejonders die gelehrteite Frau
Perſiens, Gurret el ayn (Augenweide), als eifrige Be:
fennerin genannt. Die einen traten aus Ueberzeugung zu
der Sekte über, andere ließen fih im Raufh, vom Genuß
des Haſchiſch in einen Zuftand der Seligfeit verjegt, dazu
werben. Demnach wurde diejes Narkotifum von den Babis
zu gleihem Zweck wie von den Affafinen benusßt.
Im Anfang der Regierung des Naflereddin Schub beging
der Großvezier Emir nizam den Fehler, daß er den Bab⸗
eddin, weil er feine Lehren nicht widerrufen wollte, anitatt
ihn als Schwärmer und Narren durch Einiperrung unſchäd—
lich zu maden, zun Tode des Erſchießens verurtbeilte.
Bei der Erecution, welde in Tabris ftattfand, wurde der
Delinquent gegen eine Mauer gejtellt, und eine Eleine Ab:
theilung Soldaten hatte auf Commando zu ſchießen. Da
aber die Soldaten wahrſcheinlich jehr ungern dem Befehl
351
gebordten, drüdten fie ohne zu zielen ihre Gewehre ab.
Babeddin benugte den entftandenen Pulverdampf, um durd
das Loch einer MWafferleitung zu fchlüpfen. Bu feinem Un-
glüd und zum Glüd des Landes wurde er jedoch auf der
andern Seite der Mauer entdedt und nun wirklich erfchoffen.
Wäre er nicht aufgefunden worden, jo hätte das Volk un-
bedingt an feine Himmelfahrt geglaubt, und diefes Wunder
bätte bingereicht, den größten Theil der Bevölkerung zu
feiner deftructiven 2ehre zu befehren, da man ohnehin, von
der herrihenden Religion unbefriedigt, lich nad) etwas Neuem
ſehnt.
Bald nach dem Tode Babeddin's erhoben ſeine An—
hänger die Fahne der Empörung. Sie nahmen mehrere feſte
Orte in Maſanderan und kämpften mit Löwenmuth, ſodaß
ſie nur durch die ungeheuere Uebermacht und erſt nach
langen Kämpfen erdrückt werden fonnten. Einzelne, obgleich
ſchlecht befeitigte Orte, wie Sendſchan, bielten jie viele Mo:
nate gegen die Kanonen der Töniglihen Truppen; allein jie
wurden endlich völlig bejiegt, und damit fchien die Sefte
erlojchen.
As im Spätfommer 1852 der Schah in Begleitung
von etwa 500 Dann Garde von feinem Luſtſchloß Niaveran
aus einen Spazierritt unternahm, kamen drei Männer auf
ihn zu, moven der eine à bout portant eine Biftole auf
ihn abfeuerte. An das parthifche Reiterkunſtſtück gewöhnt,
glitt der Schah im Nu unter den Bauch feines Pferdes; Die
Garde, mie Ein Mann zurücdweihend, überlich ihn feinem
Schidjal, denn alle waren der Meinung, er jei todt herab:
gefunken und auf Anftiften eines Prätendenten ermordet
worden; megen einer Leiche aber e3 mit den Lebenden zu
verderben, bielt man für überflüfiig Nur ein fremder
Diener bemerkte, daß der Schab ſich regte, er trat beberzt
hinzu und ergriff einen der Mörder. Es entitand ein Kampf,
352
in welchem der Diener einen Dolchſtich in den Bauch erhielt;
unterdeffen "traten aber andere hinzu, padten die Mörder —-
und der König war gerettet. Wie ſich ergab, hatten ihm
nur einige Kleine Schrotförner in der Gegend der Gejäß:,
musfeln getroffen. In den Xttentätern erfannte man fana=
tiſche Babis, meldhe den Tod ihres Propheten rächen woll-
ten. Die PBiftolen und die Munition, deren fie ſich bedient,
waren aber jo ſchlecht, daß ſie nur durch ein Wunder ihr
Ziel hätten erreichen können. Der Schah zeigte ſich fogleih .
dem Bolt, um allen böswilligen Gerüchten zuporzulommen.
Einem Prinzen, der ihm Glüd wünſchte, daß Gott ihn ges.
rettet babe, erwiderte er: ‚‚Allerdings hat Gott mich ge=
rettet, denn ihr habt mich ſämmtlich im Stich gelaffen.”
Nun begannen die Berfolgungen. Man beftärkte den
Schah in dem Glauben an ein meitverzweigtes Complot der
Babis; man binterbradhte ihm, unter den Negimentern,
Staatsbeamten, Leibdienern, Prieftern, Lehrern, Garden, in.
jedem Haufe befänden ſich Seftirer und er jei feinen Augen:
blid mehr feines Lebens jiher. Sogar die Frau des Groß-
veziers, die aus Maſanderan gebürtig mar, bejchuldigte
man, zu der Sekte zu gehören; mit mehr Grund murde ‚der
Oberſte der Läufer, Schatir baſchi, und jeine Familie der
Kegerei angeflagt. Bon allen Seiten in Angit und Schreden
gejeßt, verfiel der Schah auf ein macchiavelliſtiſches Mittel
zur Ausrottung der Verſchwörer. In Teheran lebte der
Oberite der föniglihen Faraſche (feerasch bäschi), Hadſchi
Ali Chan, ein Mann ohne Herz und auf Commando zu
jeder Grauſamkeit bereit; ihm gab er den Befehl, alle Babis
auszuforihen und ins Gefängniß zu werfen. Dann ver:
ordnete er, jedem Gorp3, jeder Branche des Civil- und
Militärftandes ſolle wenigſtens ein Babi zur Hinrichtung
übergeben werden, damit, fall3 in einem oder dem andern
Corps „noch heimliche Anhänger der Sekte wären, fie fi
353
durch die Theilnahme an der Erecution für immer bei ihren
Blanbensgenofjen compromittirten. Diejer Plan wurde auch
ausgeführt. Hadſchi Ali, ein erfinderiicher Kopf, eriann die
gräßlichiten, qualvollftien Zodesarten. Das Wegblaſen vor
der Kanonenmündung wurde als zu gelind nur einmal an⸗
gewandt; man amputirte ſtückweiſe, räderte, brannte, trieb
Hufeilen in die Sohlen und zwang den Gemarterten damit
zu tanzen, bohrte Löcher in den Leib und ftedte brennende
Kerzchen hinein u. |. w., und mit aller Strenge" wurde
darauf gehalten, daß jeder einzelne im ganzen Corps ſich
bei Berübung der Martern betbeiligte.e Die Märtyrer be-
wiefen den Muth und die Standhaftigkeit des Fanatismus;
feiner widerrief, feinem entjchlüpfte ein Schmerzensſchrei.
Ich war Zeuge von der Hinrihtung der Kurret el ayn, die
vom Kriegsminifter und feinen Adjutanten vollzogen wurde;
die jchöne Frau erduldete den langfamen Tod mit über:
menſchlicher Stärke.
Viele andere wurden unter der Anklage des Babismus
von Hadſchi Ali ihres Vermögens beraubt, und auch in den
Brovinzen vollftredten die Gouverneure mafjenhafte Ere-
eutionen. Dennoch dürfte die Gefahr für das Land wie für
den König keineswegs befeitigt fein. Die Anhänger Bub:
eddin's bejiten das von ihm verfaßte Geſetzbuch*), fie haben
einen Propheten und viele Märtyrer, alſo den vollftändigen
Apparat zu einer feitgegründeten Religion. Sie zogen id)
in die entfernten Provinzen zurüd und verbergen nad) dem
ſchiitiſchen Grundſatz (takkieh) ihren mahren Glauben;
andere flüchteten nad) Kerbelah, wo fie vielleicht auf eine
neue Schilderhebung finnen.
— — —
*, Ein Exemplar dieſes Kanons befindet ſich in ber königlichen
Bibliothek zu Teheran; eine Abſchrift davon ſoll für die kaiſerliche
Bibliothet in Petersburg genommen worden fein.
Bolat, Berfien. I. 23
354
Bon den -andern Religionsgenoſſen: den Armeniern,
Suden und Gebern, war jhon im Anfangsfapitel die Rede.
Es wäre nur noch zu erwähnen, daß am Urumiejee die La-
zariften und die Methodiſten ſich daS Seelenheil einiger
armer fleißiger Chaldäer-Neftorianer ftreitig machen, und daß
e3 ihnen bereit gelungen ift, unter diefer kleinen Heerde
viel Zwietraht und Bruderlampf zu ftiften — ad majorem
Dei gloriam!
‚3m ,»
3. )0
mehr zum eigenen Gebrauch des Beſitzers, ſtehen aber 3V
gewiſſen Stunden für Entgelt auch dem Publikum offen.
Die Heizung geſchieht mit getrocknetem Pferdemiſt; er Fl
mit Rohr gejchichteter Düngerhaufen läßt immer auf die Nähe
eines Bades jchließen. Den Eingang des Gebäudes ſchmücken
Abbildungen, gewöhnlich die Heldenkämpfe Ruſtan's mit
den Diws darftellend, wobei die beliebtejte Yigur ein vom
"Sieger mittendurd) gefpaltener Reiter zu fein ſcheint, deſſen
eine Hälfte bereit vom Pferde jinft, während die andere
ih no aufredht halt. Die Bäder felbit befinden fi in ge- ;
wölbten Sonterrains, welche das Licht von oben durch zahl:
reiche glälerne Halbfugeln empfangen. Das erfte Zimmer
beißt das Kühlzimmer (ser-e-hamam). Um einen in defjen
Mitte jprudelmden Springbrunnen zieht ſich rings an ben
Münden eine mit Teppichen bededte Baluftrade bin. Hier
entfleidet man ih und jchürzt ein Tuch (lung) um die
Lenden. Dann tritt man in das zweite Zimmer. Es ent
hält ein großes, mit Waſſer gefülltes Baſſin, unter deſſen
aus einer mächtigen Bronzeplatte (tun) beftehendem Boden
ein gelindes „euer brennt. Für die gejeplihe Reinigung
(wuzu) genügt mehrmaliges Untertauchen in dieſem Baſſin.
Das zu eimer beftimmten Quantität darin befindlide Waſſer
wird nicht erneuert, ob aucd hundert Perſonen nadeinander
baden, denn es fann der mohammedaniſchen Satzung gemäß,
troß der Neberfüllung mit animaliſchen Subjtanzen, nie un
rein werden.
Gilt es jedoh, der Gejundheit oder Annehmlichkeit
wegen ein Bad zu nehmen, jo begibt man ſich in das dritte
Zimmer. Der Fußboden dejjelben bejteht aus Ziegel- oder
Marmorfteinen, welche mittel3 unterirdiiher Nöhren durd)
Waſſerdampf erbigt werden. Man wird fogleih von dem
Dalaf (Bader und Kneter) in Empfang genommen und ver:
bleibt ihm mwenigftens zwei volle Stunden zur unbeichräntten
362
anderer Familienchef den leergewordenen Play ausfüllen
wird, daß feine Kinder von den Verwandten aufgenommen
und verjforgt, daß feine Frauen durch Wiederverheiratbung
ihren Lebensbedarf deden werden. Er macht zwar in Gegen:
wart eines Mula fein Teſtament (wassiet), do betrifft
daſſelbe mehr Legate zur Anlage von Brüden, Karavanferais,
Moſcheen, Madrafjes u. |. w., als die PVertheilung feiner
Güter unter die Erben, da das Erbrecht durch feite gejegliche
Beftimmungen geregelt iſt. Wenige unterlafien es, eine
Summe für den Transport ihrer Leihe an eine der heiligen
Grabftätten feftzufeßen. In den legten Augenbliden ums
geben die Koranlefer (käri) das Lager des Sterbenden, mit
lauter Stimme die mohltönenden Verſe de3 heiligen Buchs
vorleſend.
Sowie der legte Lebenshauch (ræmæk) entflohen, be
ginnt das officiele Geheul der Frauen, melde Wüthenden
gleih umherfahren, fi die Haare ausraufen und die Fäuſte
in? Geſicht ſchlagen oder dermaßen mit dem Kopf gegen die
Wand rennen, daß nicht Selten die Bildung des Staars
daraus erfolg. Bei den armen Klajjen wird fofort zur
Beerdigung (deef’n) geichritten, zumal wenn der Todesfall
am Donnerstag nachmittags eintrat, denn man bält es für
unbeilbringend, am Freitag eine Leiche im Haufe zu haben;
bei den Wohlhabenden wartet man mwenigjtens einige Stun:
den, um den nötbigen Pomp berzurichten und die Freunde
des BVerftorbenen zum Leichenzug einzuladen. Nur die Be
erdigung eine3 Ermordeten juchen die Angehörigen jo lange
zu verhindern, bis der Mörder ausgemittelt und der Blut:
rache übergeben morden.
Die Leiche wird auf einer Bahre, gewöhnlich mit einem
Shawltuch bedeckt, unter Begleitung der Freunde und dem-
ununterbrochenen eintönigen Klagegeſang: „La ihla il Allah!”
auf den nächſten Jmamzadeh (Friedhof) getragen. Hier
364
um den Leihnam vor Ausgrabung dur Hyänen zu ſchützen.
Die Grabfteine find meift unanfehnlih, gewöhnlich bezeichnet
nur ein ſenkrechter Schieferftein das Borhandenfein eines
Grabes. Nur über den Grabjtätten einiger weniger vor⸗
nehmer Perſonen erheben ſich maſſiv aus gemeißelten Steinen
errichtete, mit Anfchriften verfehene Denkmäler (deechmeh).*)
Dergleihen Dächmehs fteben 3. B. auf den Gräbern von
Saadi und Hafis in der Nähe von Schiraz und auf dem
Grabe Avicena's in Hamadan, welches die Inſchrift trägt:
„Hekimel hukemä afsel el fazela scheich ib’n Ali Sina” .
(Dem Doctor der Doctoren, dem Borzüglichften der Vorzüg⸗
lien, dem Avicena.)
Bei der beichriebenen Lage und mangelhaften Einrichs
tung der Friedhöfe darf es nicht wundernehmen, daß die
benachbarten Stadtviertel beitändig von Dysenterien heim:
gefucht find und durch Cholera- oder Typhus-Epidemien bes
fonder8 hart mitgenommen werden. Es gibt zwar aud
Friedhöfe außerhalb der Stadt — jehr ausgedehnt und berühmt
ift der von Ispahan, auf welchem, wie es heißt, hundert:
vierundzwanzig Propheten begraben liegen —, am meiften
benußt aber werden die in der Stadt gelegenen, weil es
für die Hinterlaffenen bequemer ift, dort die vorgeſchriebenen
Gebete am Grabe zu verrichten.
Die Ueberrefte wohlhabender und angejehener Perſonen
werben entweder fogleih oder nad erfolgter Wiederaus-
grabung zum Imamzadeh eines der geheiligten Orte Ker—
belab, Meihhed, Kum oder Schah abdul aazim abgeführt.
Auf diefen gemeihten Imamzadehs kommt eine Grabftätte jehr
bo zu ftehen. Der Preis mwechjelt je nad) dem Grad der
Heiligkeit de8 Orts und der größern oder geringern Ent:
*) Ganz ähnliche Grabmonumente flieht man auf dem alten Frieb-
bof in Prag.
365
fernung vom Heiligen Grabe (saneh) zwiſchen 5— 2000 Du-
Taten. Da ferner auch der Stand des Verftorbenen auf die
Beftimmung des Preifes von Einfluß ift, fo laffen manchmal
die Angehörigen eines Würbenträgers, um einer zu hohen
Forderung zu entgehen, die Leiche incognito nach Kerbelah '
bringen und dort beerdigen; es war die 3. B. mit den
Meberreiten Suliman Chan's, eine Onkels des Königs,
der Fall.
Behufs des Transport3 werden die Leihen mit Filz
ummidelt, an zwei feitliche Stangen befeitigt und quer über
den Rüden eines Maulthiers gelegt. Gewöhnlich überläßt
“man dem Maulefeltreiber allein den Conduct, zumweilen aber
wird eine Schar Diener und Knechte zur Begleitung mit |
gegeben. "
Auf Reifen begegnet man oft einer Todtenfaravane;
ihre Annäherung macht jih im Sommer jhon aus meiter
Ferne dem Geruch bemerkbar. So offenfundig indeß die
Nachtbeile ſolcher Leichentransporte für die Gejundheit der
Lebenden jind, ſcheint e3 doch unmöglich, das tief eingewur-
zelte Vorurtheil auszurotten. Als Dr. Cloquet und id
während einer berrichenden Cholera-Epidemie e3 bei der Re—
gierung durchgejegt hatten, daß nur nad .bejonderer von
uns und dem Kalamter einzuholenden Erlaubniß Leichen
ausgegraben und transportirt werden jollten, erhob jich ein
folder Sturm des Unmillens in der Bevölkerung, daß wir
bald inne wurden, etwas Unausführbares und unfere Ber:
Jon aufs äußerſte Gefährdendes angeitrebt zu haben. Schon
nah einigen Zagen blieb die füniglihe Verordnung un-
beachtet.
Wer die hrijtlichen Gottesader zu Tabris, Teheran, Ispa—⸗
ban und Schiraz bejucht, wird dort die Namen mancher verdien-
ten europäifchen Reifenden lefen, welde in dem ungewohnten
366
Klima ein frühzeitige Grab fanden. Fern von den St
gebettet, find doch ihre Namen nicht vergeffen, denn
bar „haben die Annalen der Wiſſenſchaft verzeichnet,
der einzelne zur Erweiterung menjchlicher Erfenntnif
getragen. Friede ihrer Ace!
368
dung oder Verbeflerung des Pflugs zuichrieb, da allerdingg Am
ein fortgejegter Landbau ohne regelmäßig wiederkehrende 1x
Ssahresperioden nicht wohl möglich ift. Der Islam ſchaffte
natürlich alle beidnifchen Felte ab, und man darf annehmen,
daß der kluge Mohammed hauptſächlich deshalb ftatt deg Bie
dahin geltenden Sonnenjahr3 das Mondjahr einführte, aM
in die Daten der alten, zum Theil noch zäh im Voll h «r
tenden Feſttage Verwirrung zu bringen; die agrariſchen > €
hältniffe lagen ihm als Nomaden zu fern, als daß er mi
diefelben hätte Rüdjicht nehmen follen. Nur die Feier >®
Neujahrsfeftes (nauruz), die zu tief mit dem iraniſch? en
Stamm verwachfen mar, wagten die fpätern Gejeßgeber wa
Eroberer nicht anzutaften. Man fand eine plaufible Zoe"
für deren Fortbeftand, indem man fie dem Andenten vo €
Siege des vierten Chalifen, des in Perlien beſonders hoc*?
verehrten Ali, weihte. Der Nauruz iſt daher nu der ie
sige Feiertag, welchen die Schiiten mit den im Lande leber #
‚den Gebern (Parſen) gemein haben.
Erit unter der Regierung des Seldichufidenfürftese*
Melik Schah Dſchelal-eddin ftellte der gelehrte Aſtrono
Chadſche Näſſir genaue Beobachtungen an, melde ein
Wiederannäherung an das alte Sonnenjahr zur Folge hatten.
Doch kennt auch das perfiihe Sonnenjahr. keine Schalttage;
e3 beginnt mit der Secunde, wo die Sonne in das Zeichen
des Widder tritt; fein Anfang fällt aljo in die verjchiedenen
Tag: und Nachtſtunden der Frühlingsäguinoctien.
Das Neujahrsfeit ift epochemakhend im öffentlichen und
Familienleben des Perſers und fann in mander Beziehung
mit der in einigen Ländern Europas üblihen Weihnachts:
feier verglihen werden. Schon zwei bis drei Monate vor
ber beginnen die Vorbereitungen dazu. Fabelhafte Maffen
von Süßigfeiten (schirini) werden in den Städten Ispahan
und Yezd fabricirt und von dort mit Karavanen durchs
370
Kamelot: und Baummollitoffen, während er feinerjeitd das
ganze Perſonal feines Harenıs jammt der zahllofen Diener
ichaft zu befchenfen, fomie den Staatsbeamten und Gouver:
neuren Ehrenkleider (chalat) zu überfchiden hat. Bis vor
etwa zehn Jahren erhielten ſogar noch der uralten Sitte des
Dihemihid gemäß faſt alle Diener und die Offiziere der Ar
mee jeder einen Shaml im Preiſe von 8 — 100 Dukaten, Die
hohen Würdenträger und Gouverneure aber fertige, bis
40) Dukaten Eojtende Tunicas (dschubbe) aus Shawl, mit
Perlenquaſten und Goldtreffen bejegt, von König verehrt. Die
bierzu erforderlihen Ausgaben waren ebenjo belajtend für
den Staatsſchatz als erträgnißlos für den Empfänger; denn
ihon beim Einkauf wurden die angewiejenen Summen falt
zur Hälfte unterfchlagen; alsdann ſchnitt ſich der Ueber:
bringer ein Stüd von dem Shawl ab, um e3 zu verkaufen;
endlih mußte der Beichenkte für die Ehre der königlichen
Spende wenigſtens den vollen Werth des Erhaltenen in
Geld entridten. Seit dem Jahre 1854 wurden deshalb die
officielen Gaben auf die Minifter, die höchſten Würden-
träger, die Gouverneure und die anweſenden europäifchen
Gejandtihaften beihränft mit Ausnahme der engliichen,
welche von jeher das Geſchenk ablehnte.
Für die Gouverneure der Brovinzen hat übrigens das
königliche Ehrenkleid die Bedeutung einer wirklichen Inveſti⸗
tur; das Ausbleiben deijelben gilt als Zeichen für die bevors
ftehende Anıtsentjegung, denn am Nauruz muß der Gouper-
neur entweder in jeiner Würde beitätigt oder ihm ein
Nachfolger dejignirt werden. Bor lieben Jahren wurde eine
Verordnung erlaſſen, wonach die jämmtlichen Gouverneure
ih zum Nauruz in der Nefidenz einfinden jollten; natürlich
war es dabei auf die von ihnen mitzubringenden Geſchenke
für den König und die Minijter (haddieh) abgejeben. Allein
der Befehl kam nie zur Ausführung, jondern es blieb wie
312
Teppiche, Eunuchen und andere Sklaven zum Geſchenk erhält,
jo vermag die Sendung in eine gute Provinz den zerrütteten
Vermögensverhältnilfen eines Mannes gründlich wieder auf
zubelfen. Ä |
Sowie der König im großen, muß jeder in feinem
tleinern Kreis den Dienern und Clienten Geſchenke zulommen
laſſen, die jedoch zumeift nur in Kleidern von Tuch und
Ranking beftehen.
Einige Tage vor dem Felte jchreitet man zum Scheuern
der Wohnungen und zum Ausflopfen der Teppiche (farsch-
tekun), und zwar geſchieht leßtered nur dies eine mal im
Jahr, obgleih von den Dienern häufig der zufammengefehrte
Staub unter die Teppiche verborgen wird. Um das Farſch⸗
tefun in der,fönigliden Wohnung vornehmen zu laffen, bes
gibt fih der Schah nad einem jeiner Zuftichlöffer und ver:
weilt dajelbit, bi3 das Geſchäft vorüber ijt.
Zwei bis drei Wochen vor dem Nauruz ftrömen bie
Derwiihe aus den verichiedenen Theilen des Landes in Die
Städte. Sie ftellen jih ihrem Chef, den Derwiſch-Baſchi,
vor und erhalten von ihm Anweiſung auf Unterkunft bei
den mohlhabenden Einwohnern. Bor dem ihm zugewiefenen
Hauje angefommen, jchlägt der Derwiſch jeinen mit eiferner
Spige verjehenen Stod in die Erde und ruft mit gellender
Stimme jein Xojungswort: „Ja hakk!” (Göttlide Wahr:
baftigleit!) Hierauf lehnt er ein Halbzelt neben die Haus:
thür, gräbt rings umber den Boden auf, fürt Gerfte und
einige Frühlingsblumen, und richtet ſich völlig heimisch ein.
Der Wirth hat die Pflicht, für feinen Unterhalt zu forgen
und nad dem Felt ihm ein hübſches Sümmchen als Viaticum
zu jchenten. Unterläßt er es, ſo ſetzt ſich der Derwiſch
mehrere Monate an jeiner Hausthür feit, während welcher
Zeit derjelbe verpflegt werden muß und überdies die Aus
und Eingehenden mit jeinem unaufhörlicden Ruf: „Ja hakk!“
374
ziere der Armee, in Reih und Glied poftirt, des entfcheiden 1°
den Moments barren. . a
Etwa zwanzig Minuten vor dem Jahreswechſel erſcheint W'
der Schah. Er trägt ein fo ſchwer mit Berlen, Smaragden 1
und Rubinen befeßtes Staatökleid, daß er nur mit Mit
unter deſſen Wucht fich fortbewegen kann. Auf jeinem Hamm!
figt die Schwarze Lammfellmütze, ebenfalls von Diamanz iM
ftrogend und überragt von dem mächtigen NReiherbuid
(dschiggeh), der oben in einen breiten Bart von bett
farbigen, gejponnenen Glasfäden endet. Vor und hinter IM
Ohren mwallt, der herrichenden Mode gemäß, eine Haarlde
hervor. Um jeden Arm ſchlingt ſich eine goldene Span QDe⸗
die eine enthält den großen Krondiamanten daria enr®-
(das Meer des Lichts), eine große, flache Tafel von reinf se"
Waſſer, die andere den in Delhi erbeuteten größten Ru” in
der Erde, auf deſſen Balis die Namen fämmtlider Mogole= sr
herrſcher eingravirt jind, Der Gürtel von Goldtreffen, v0
durch eine reich mit Eojtberen Steinen bejeßte Platte ge
Ihloffen, Epauletten aus Demantſchnüren und ein Hind
fäbel mit ebenfalls reich incruftirtem Griff ergänzen de #
pompöjen Anzug.
Beim Eintritt in den Saal iſt der König von eine *
Eunuchen und einigen Känunerlingen begleitet. Cr ſchreite
auf ſeinen Platz in der Fenſterniſche zu, ſetzt ſih mit unter⸗
ſchlagenen Beinen auf den ſeidenen Teppich und lehnt ſich
gemächlich an das Polſterkiſſen. Unmittelbar nad ihm tre
ten einige Mutjchtehiden: Seiden (Prieiter höhern Rangs)
ein und nehmen, einer alten Prärogative zufolge, ohne
deſſen Erlaubniß abzuwarten, neben dem König Platz. Die:
fer richtet einige Worte an fie, gewöhnlih das Wachsthum
der Macht und der Heiligbaltung des Islam betreffend, morauf
fie ftet3 etwa Folgendes erwidern: „Unter dem Schatten
Euerer Majeftät, dem Aſyl des Glaubens, ſchlägt die Religion
376
die übrigen im Saal befindlihen Perjonen einzeln vor, und
jeder fängt in den zujammengehaltenen Hohlhänden die
Spende auf, welche er zum Zeichen des Dankes an Herz
und Stirn drüdt. Zuweilen richtet der Schah einige ver
bindlihe Worte an den Empfänger. In derielben Keibe
verlaffen die Beichenkten den Saal. Der Schah jedoch
bleibt, von den Hofcharzen umgeben, auf feinem Plag und
vertheilt nun in gleicher Weile auch an die Draußenftehen-
den durch das offene Fenfter die königliche Gabe. Die Ce
remonie (ayde-tahwil, das Felt der Austheilung) dauert
an zwei Stunden. Nach Beendigung derjelben zieht jich der
König ermüdet in die innern Gemächer zurüd.
Die Gebräuche beim Eintritt des Nauruz, wie fie in
den älteiten Zeiten ftattfanden, bejchreibt der gelehrte Richard»
fon folgender Art: „Kurz vor dem Eintritt des Jahres
wecjel3 wurde ein wohlgeftalteter Jüngling, allegoriich das
neue Jahr darftellend, an die Thür des königlichen Schlaf
gemachs poſtirt. Im Yugenblid, wo die Sonne über dem
Horizont erihien, trat er unangemeldet ein. Der König
fragte ihn: «Mer bift du? Woher fommit du? Wohin
gehit du? Wie heißt du? Was bringit du?» Worauf der
Süngling ermwiderte: „Ich bin beglüdt und gejegnet; ich
bin von Gott zu dir geihidt; ich bringe das neue Jahr. »
Ein anderer bradte eine Schüjlel vol Weizen, Bohnen,
Linſen, Sejam und Reis, ferner einen Klumpen Juder und
zwei neugeprägte Münzen. Dann überreihten die Minifter
und Wiürdenträger des Reichs einen Laib Brot. Der Schah
foftete davon und vertheilte dag übrige unter die Anweſen⸗
ben, twobei er die Worte ſprach: «Das it der nene Tag
des neuen Jahres der neuen Zeit, wo alles Beſtehende jich
erneuert.» BZulegt beichenfte er die Großen mit neuen Ge
wändern und andern Gaben.” Man erliebt aus dieſer
Schilderung, daß die Gebräude, wenn auch nicht ganz, doch
381
ridter mit Ruthen und Beilen. Königlihe Garden, mit
Langen Stäben bewaffnet, halten die Ordnung aufredt;
außerdem liegt in der Nähe ein Bündel Ruthen, damit auf
eribeilten Wink augenblidlih die Strafe der Baftonnade voll-
aogen werden fann.
Ein Kanonenfchuß verfündigt das Ericheinen des Schab.
Derſelbe befteigt den Sulimanthron und läßt fi) langſam
serit unterjchlagenen Beinen darauf nieder. Sein Gewand
aßR dermaßen mit Juwelen überladen, daß vom Nefler der
Sonnenſtrahlen das Auge geblendet wird. Zur Seite bes
DThrons ftellen fi) der Reichsichildträger (speherdär) und
Der Scepterträger (täpuzdär) auf. Alsbald beginnt ein
wahrhaft betäubendes und oft obrzerreißendes Getöje; es
wird nämlich eine Salve von hunderteinundzmwanzig Kanonen-
ächüſſen gegeben, und gleichzeitig ftimmt am Eingang bes
großen Platzes (maydan) die fünigliche Hauskapelle (neghäre-
chäneh), aus etwa vierzig Spielleuten beftehend, auf Hör-
nem, Binten, Trompeten, Keſſelpauken, Schalmeien, eine
barbariiche Mufif an. Die Näkare Chaneh ijt eine, wie es
heißt, von Dſchemſchid eingeführte Prärogative des Königs.
Sie producirt jich jeden Tag bei Sonnen: Aufgang und «Unter:
gang, jpielt ferner zur Feier großer Feite und Siege, und be:
gleitet den König überall auf feinen Reifen. Nur Brätendenten
wagen es, ſich ebenfalls eine eigene Kapelle zu halten, und
legen eben dadurd ihre Prätentionen an den Tag Man
kann jih in der That von diefen Mistönen feinen Begriff
machen; dennoch gewöhnen fih die Menſchen daran, nur
Pferde, welche zufällig in die Nähe fommen, werden jcheu
und gehen mit ihrem Reiter durd. Außerdem bemühen fich
auch noch verfchiedene Militärmujitbanden, die einen euro-
päiſche, die andern perſiſche Weiſen jpielend, -die Kanonen,
die Näkare-Chaneh und das Plätſchern der Springbrunnen
zu übertönen.
383
überragt mächtig die ganze
— ‚xt zu Ende, jo zieht der
— — ru, Die Sonne der Sänger)
— — .ı Shawl-Ehrenkleid und lieſt
Bu — tel zum Preiſe des mächtigen
‚r Nönige, vor. Mit den Reizen
— “an Luft und der nie fehlenden Gul
Rachtigall) beginnend, fommt er mit
ang auf die Körperichönheit, Stärfe
unigs und auf deilen stämpfe mit Löwen
‘ Wied, jelbit nicht das gebeimfte, bleibt
‚ae verihont. Dann beiingt er die könig—
ton und ermahnt den Welteroberer, da er
‚sitantinopel) bereit3 fertig geworden, nod)
rocken China nicht zu verihmähen. Belonders
Endreime betont er nad perſiſcher Sitte mit
Aule, die noch lange nachher in den Thren
manchen Jahren wird noc ein Kurier vorgeführt,
tanzug, ganz mit Staub bededt, als jei er Soeben
Lierde geitiegen, der von neuen Siegen über die Turfo:
nr Bericht eritattet. Oder zufällig anmwejende Deputirte
= den tributpflichtigen Reichen Afghaniſtan, Siltan, Be:
üdſchiſtan bringen ihre Huldigung dar; jo jah ich deren aus
den Stamme der Hezare aus Afghaniftan. Zum Schluß
vertheilt der Finanzminiſter an die Umitehenden neue Silber:
münzen. Der Schab erhebt ſich und fehrt in gemefjenem
Schritt in den Harem zurüd. Hiermit it der Salame aam
beendigt.
Eine halbe Stunde danach beginnen die öffentlichen
Spiele auf dem großen Meydan (maydan-e-tubchäneh).
Der König licht von einem Baltonfeniter dem Treiben zu;
Die Länge der Rennbahn beträgt einen halben Phar—
fd; fie bildet einen weiten, durch Meilenfteine in vier
Stationen getheilten Kreis. Gegen Nordoſt fteht ein Fleines,
unanfehnliches Häuschen (imärete-sesp-dewäni, der Rent:
polaft), worin der König und die Würdenträger dem Schau-
fiel beimohnen. Zu beiden Seiten defjelben find Zelte für
die eüropäiſchen Bejandten aufgejchlagen. Auf einer Blatt:
form gegenüber nehmen die königlichen Spielleute und Tän-
fr Platz. Ein dröhnender Kanonenfhuß gibt das Zeichen,
dah der Schah fein Schloß verlaffen habe. -« Er kommt in
einem großen Galawagen angefahren. Voranſchreitet der
große Elefant, mit rothem Tuch behangen und nach indiſcher
Beife ein Zelthäuschen auf dem Rüden tragend. Eine zahl—
tädhe Ramelartillerie, die decorirten Hofchargen und ber
Dberſchatzmeiſter mit dem Kleinen Kronſchild verherrlichen den
Ing Dichte Scharen von Stadtbewohnern, zu Fuß oder
auf Pferden und Ejeln reitend, füllen den äußern Raum.
Sobald der Schah ausgeftiegen, was durch eine Artillerie-
ſalve verfündigt wird, und ſich auf den reichen Teppich
riedergelaffen hat, merden die Pferde einzeln vorgeführt,
Wobei der Geremonienmeifter die Kennzeichen, die Raſſe und
den Befiger eines jeden ausruft. Die Rennen jind in drei
Ahtbeilungen getheilt: in der erften muß der Umkreis der
Bahn ſechsmal, in der zweiten viermal, in der dritten nur
jweimal durchlaufen werden. Bei dem ſechsmaligen Umlauf
ermatten die meiſten Pferde lange vor Erreihung des Fiels,
endere werden dadurch zurüdgehalten, daß man ihnen auf
Anftiften von Mitbewerbern Sand in die Augen ftreut. Naht
fi das vorderfte dem Ziel, fo fpringt der Jockey des Eig:
ners hinzu, faft es mit einem rafhen Griff am Zügel und
langt gleichzeitig mit ihm an, um den ausgefeßten Preis in
Empfang zu nehmen, welchen er in einem Beutel auf dem
Kopf davonträgt. Natürlid mird ſtets dafür geforgt,
daß nicht eine misliebige PBerfönlichfeit den Preis erlangt
und daß vor allen die Pferde des Schah als Sieger her—
porgebeit.
Die Turkomanenroffe bewähren ſich zwar in ihren hei—
matlihen Steppen und auf Raubzügen als die wildeſten
Nenner, an Ausdauer und Sntelligenz aber fteben fie dem
Pferden arabiiher Raſſe nah, melden Iegtern daher faſt
immer der Preis zufällt.
Während der Paufen verkürzen die Spielleute dur
Muſik und die Tänzer durch ihre lasciven Sprünge und
Pantomimen der barrenden Menge die Zeit. ,
Auch die Föniglihen Läufer haben eine Tour um die
Rennbahn zu mahen. Diejer Wettlauf von einer balben
Meile ſieht übrigens anftrengender aus, als er in der That tft,
denn nachdem die eriten einen Theil der Bahn durdlaufen,
werden fie, ohne daß e3 das Publikum merkt, von andern
abgelöft, dieſe wieder von andern, bis die legten ſcheinbar
athemlos da3 Ziel gewinnen. Den empfangenen Preis thei-
len die Sieger laut vorberigem Webereinfommen mit .ibren
Kameraden. Der Schab nimmt unterdeß ein Frübltüd ein
und kehrt dann, fehr befriedigt von der Vortrefflichkeit der
perſiſchen Pferde, in feine Nejidenz zurüd.
Endlich erjcheint der dreizehnte, der letzte Tag des
Feſtes. Nah einer alten Tradition jollen an diefem Tag
die Häufer mit Einfturz bedroht fein. Es wandert deshalb
alles vor die Thore der Stadt den Gärten zu, bejonders die
weibliche Bevölkerung, welche neben der Furcht vor Gefahr
wol auch noch andere Motive ind Yreie loden. Um Ddiefe
weibliche Auswanderung einigermaßen zu beſchränken, wird
auf Anordnung des Polizeimeifterd von jeder durch das
Thor PBajjirenden eine Lleine Acciſe erhoben.
Hiermit endet dag fröhlide Nauruzfeſt. Dem Bauer
dient es zugleich als Beitabjchnitt, wonach er die Beftellung
389
bed Bodens, die Ausfaat und Ernte beftimmt; er weiß, daß
diefer oder jener Same zwanzig Tage vor oder nach dem
Feſt ausgeftreut, diefer oder jener Baum foviel Tage vorher
oder nachher gepfropft werden müſſe. Im allgemeinen: ift
der Nauruz unter dem ſchönen Frühlingshimmel Irans ein
Felt der Wonne und des Ergößend; doch bleiben in vielen
Haushaltungen wegen der übermäßigen Kojten, die er ver:
urfacht, allerdings die Nachwehen nicht aus.
Drud von F. A. Brodhaus in Leipzig.
Perſien.
Das Land und ſeine Bewohner,
Zweiter Theil.
Derfien.
Das Land nnd feine Bewohner.
Ethnographifhe Schilderungen
Dr. Iakob Eduard Polak,
ebemaligem Leibarzt des Schah von Perfien und Lehrer an der mediciniſchen Schule
zu Zeheran
Leipzig: *
5 N. Brockhaus.
1865.
Der Berfaffer behält fich das Recht ber Ueberſetzung in frembe Sprachen vor.
Inhalt des zweiten Theils.
Seite
I. Naſſereddin Shah, feine Regierung und fein Hof. Titel bee
Schah. Sein Vater Mehmed Schah. Seine Jugend und Er-
ziehung. Seine Thronbefteigung. Der Großvezier Emire Nizam.
Deffen Nachfolger der Sader-azam. Die Erpebition nad) Merm.
Blünberzug bes Ehan von Chiwa. Die Einnahme von Bender:
Abbas. Anfichten Über den Befiß Herats. “Plane auf Kandahar.
Die Expedition nach Herat. Tod bes Kronprinzen. Ermor-
dung bes Prinzen Schahzadeh Juffuf. Ernennung Kaſem Chans
zum Thronfolger. Ausbruch bes englifch -perfifchen Kriegs. Die
Engländer befegen Buſchir. Das Treffen bei Burazoſchan. Das
Bombarbement von Muhammereh. Der Frieden. Tod bes
Krenprinzen Kajem Chan. Sturz des Sader-azam. Unglüd-
fihe Expedition nach Seraechs. WPerfönlichfeit und Charakter bes
Schah. Despotie und Geſetz. Batriarhalismus. Königliche
Prärogative. Der Sonnenlöwenorden. Die Würbenträger.
Souverneure und Souvernements. Hofbeamte und Hofbieners>
haft. Die Diplomatie. Die europäifchen Gefandtichaften in
Teheran. Betrachtungen über die Zukunft des Landes... . 1
11. Das Neifen in und nad Perſien. Beichaffenheit ber Wege.
Mangel an gebahnten Strafen. Brüden. Yolgen ber erfehwerten
Communication. Karavanferais. Berfchiedene Arten bes Trane-
porte. Kurierpofl. Die wichtigſten Karavanenwege. Reiſe⸗
routen von Deutfchlanb nach Perſien. Gefunbheitsregeln für
Reifende. Sicherheit des Reiſens mit ber Karavane. Unſichere
Gegenden. Maßregeln zum Schuß ber Reifenden. Zeitweilige
Unficherheit. Raubfucht der Soldaten . . - - . 22-20. 49
VI
II. Deffentlide Sicherheit in den Städten. Aſyle. Waarennieder⸗
lagen. Reſpectirung des Siegels. Barate (Schuldfcheine).
Hausdiebftähle und Mittel zur Wiebererlangung bes Geftohlenen.
Die Sicherheitspolizei. Beftrafung ber Diebe. Afyle, beſchränkte
und unverletliche. Afyle für Bittfteler. Das Aſylrecht ber
europäifchen Sefandtfchaften -. . . - > >> 2: 2 2 nee.
IV. Viehzucht und Bodencultur. Das Nomabenthbum. Urfachen
beffelben. Sitten und Charafterzüge der Nomaden. Schafe.
Ziegen. Rinder. Kamele. Eſel und Maulthiere. Nomaden⸗
lager. Weibepläte. Abgaben. Das Pferb (Hafen. Geftüte.
Geſchlecht. Farbe. Preis. Dreffur. Yütterung. Stallung.
Sattelzeug. Hufbefchlag. Wartung. Krankheiten und Seuden).
Aderbau. Künſtliche Bewäflerung. Dörfer. Befſitzverhältniſſe.
Srundfteuer. Methode des Feldbaus. Heufchreden und Wanzen.
- Biehftand. Körnerfrüchte. Gemüfe Wein und Obſt. Seiben-
vaupenzudt. Oelfrüchte. Farbepflanzen. Baummolle. ofen.
Zuckerrohr. Wälder... 22: oo onen
V. Gewidt, Maß und Münze. Gewichte. Juwelen⸗ und Me-
dicinalgewicht. Längenmaße. Edle Metalle. Gold» und Silber-
münzen. Sceidemünze. Abnahıne bes Geldes. Gepräge. Ber-
ichlechterung und Fälſchung der Münzen. . . . . 2.22...
VI. Induſtrie und Handel. Baumwolle Wolle. Shawlfabrifation.
Teppiche. Filze. Patu und Abbi. Strümpfe. Einfuhr von
Zuchen. Seibenftoffe. Färberei und Bleiche. Leber. Pelz-
wert. Metalle und deren Verarbeitung. Kupfer. Eifen. Mef-
fing. Blei. Zink. Kobalt. Mangan. Schwefel. Kochſalz.
Salpeter. Steinlohlen. Edelſteine. Glae. Porzellan. Fayence.
Thon. Seife. Metallmoſaik. Miniaturmalerei. Mislungene
Berfuche zur Errichtung von Fabriken nach europäiſchem Mufter.
Handwerker. Handel. Der perfiide Kaufmann. Fremde Kaufe
leute. Handelsplätze. Handelswege. Zölle. Confulate . .
VI. Aerzte und Heillunde. Mangelhafte Berufsbilbung ber per-
fifchen Aerzte. Juden als Aerzte. Mebicinifhe Kenntniffe ber
Laien. Die Praris, Confultationen. Die Dſcherah (Ehirur-
gen). Die Dallal (Bader). Der Schilefte-bänd. Das Im-
pfen. Geridtlihde Mebicin. Augenärzte. Hebammen. Eur-
ſchmiede. Europäiſche Aerzte. Der Helim baſchi (Leibarzt bes
Shah). Militärärzte. Ouadfalber. Arzneikrämer. Einkom⸗
men ber Aerzte. Bollsmebicin. Klyſtiere. Aufldfende Mittel
Eeite
77
157
. 165
VII
unb Purganzen. Frühjahrscuren. Mineralquellen. Mediei⸗
niſche Theorie. Krankheitsurſachen. Heilmittel. Wundercuren.
Der Puls. Aderlaß. Blutegel. Schröpfen.- Fontanelle und
Saarfeil - >. on
VIII. Raristila, Gifte und Gegengifte. Halhiih. Opium. Ta—
bad. Stechapfel. Bilſenkraut. Alraunwurzel. Taftwurzel.
Brechnuß. Eiſenhut. Bittermandelöl. Thee. Kaffee. Wein.
Brauntwein. Bier. Kumiß. Arſenik. Erden. Mumiai. Bezoar
IX. Pflanzenerſndate. Fundorte. Gummi⸗Reſinapflanzen (Do-
rema ammoniacum, Ferula galbanum, F. asa dulcis, F.
asa foetida, F. sagapenum, F. kurdica, Terebinthaceen, Sar-
totalla). Manna, (gez-engebin, ter-engebin, schir-chischt,
bid-chischt, Tragantgummi). Berpflanzung ber perfifchen
Umbelliferen nah Europa . . . 2. 2 2 Er nn
X. Sranfpeiten und Epidemien. Epidemien. Allgemeiner Kranf-
heitscharalter. Rötheln. Rothlauf. Blattern. Mafern. Schar-
lach. Neffelfudht. Furunkel und Karbuntel. Pemphigus. Kräte.
Acne. Aleppofnoten. Ausſatz. Syphilis. Diarrhöe. Kolik.
Ruhr. Cholera ablactatorum. Hämorrhoiden. Cingemweibe-
würmer. Leberleiden. Stein. Harnruhr. Blutharnen. Kind-
bettfieber. Potenz. Keuchhuſten. Chronifcher Lungenkatarrh.
Zungentuberkulofe. Herzklopfen. Krampfabern. Geiftestranfe.
Strofel. Krebs. Wechielfieber. Typhus. Cholera. Augen-
frankheiten. Schagugulus. Wunden . . . . 2. 22.22...
XL Altlimatifation. Sterblichkeit der Europäer in Berfien. Alkli⸗
matifation ber Lanbesbewohner und ber Neger. Vorſichtsmaß⸗
regeln für Reiſende. Berhalten bei Krankheiten und Epibe-
mien. SMleibung. Diät. Behandlung ber Diener. Berkehr
mit ben Großen. Belämpfung bes Mismutbe . . . . .. . .
XII. Gesgraphifdge. Romencatur . -. . . .. >. 22
Seite
277
6
Dem jungen Schab, aller Mittel zur Bejoldung der Truppen
entblößt, bot fi nun die Schwierigkeit dar, nad) Teheran
zu, gelangen; denn fchon waren mehrere Kronprätendenten
aufgetreten. Einer von ihnen, der Prinz Seif eddauleh, er-
Härte fih in Kaswin zum König, nahm dem ruſſiſchen Kurier,
welcher mit einigen taufend Dukaten nach Teheran eilte, die
Baarichaft ab und gab ihm dafür eine Anmweilung auf den
Staatsihag. In Teheran vereinigten fi die Notablen zu
einer Art republifanifchen Zunta (dschumhuriä), um wenig-
ſtens der Plünderung Einhalt zu thun.
Unter den Freunden und Leidensgenoſſen des Prinzen
befand fih ein Mirza Namens Taghi, ein Mann von au:
gezeichneten Fähigkeiten. Derfelbe, früher Conful in Erzerum,
batte dafelbit viele Kaufleute kennen gelernt und fi große
Gemandtheit in Geichäften erworben. Er fchaffte in ver
Ihmierigen Lage Rath, indem er bedeutende Summen von
den Kaufleuten und Conſulaten entlehnte und damit einige
Regimenter befoldete. Unter ihrem Schuß Tonnte der neue
König, welcher fogletch den Mirza Taghi, Sohn eines könig⸗
lihen Kochs, unter dem Namen Mirza Taghi Chan Emire
nizam zu feinem Großvezier ernannte, den Zug nad) Teheran
antreten. In Kaswin nahmen die Truppen den Prätendenten
Seif evdauleh gefangen. Die Thore der Refidenz öffneten fi)
dem König, und Nafjereddin befticg den Thron von Dſchem⸗—
ſchid und Käus.
Jetzt galt es, Schwierigkeiten anderer Art zu überwinden.
Der achtzehnjährige Herrſcher verſtand nicht im geringſten,
die königliche Würde zu repräſentiren; entweder blickte er
ſcheu zur Erde, oder er ſchnitt Grimaſſen und brach mitten in
wichtigen Geſprächen in lautes Lachen aus. Seine Umgebung
hatte ſtets türkiſch mit ihm geredet, daher ſprach er das
Perſiſche ſchlecht und vermochte bei den salams (Audienzen)
nur ſchwer und fehlerhaft ſich auszudrücken. Im Schatz war
10
die Feindieligkeiten der Einwohner gegen die Eroberer; man
tritt nicht mit offener Gewalt auf, ſondern conſpirirt im
geheimen, indem man tie Zufuhr abichneidet, den Anbau
hindert, far; den Feind auszubungern ſucht. In ähnlicher
Weiſe ſah ih bald die periihe Beiagung in Merw bart
bebrängt. Der Schah beitimmte zwar bedeutende Summen
zum Ankauf und zur Hinjendung von Getreide; allein der
größte Theil des Geldes wurde bereits in Meſchhed unter-
Schlagen, und den für den Reit angelauften Proviant fingen
die Turfomanen auf, ſodaß nichts in die Feitung gelangte. Pie
Mannſchaft mar von Mangel aufs äußerfte getrieben; troßs
bem fütterten die Offiziere noch mit der menigen übrigge-
bliebenen Gerfte ihre Luruspferde. Da ftellte jih ein Corporal
Namens Huflein, aus dem Stamme der Turſchis in Chorafjan,
ein Mann von großer Energie, aus eigener Macdhtvolllommen-
beit an die Spige. Die Offiziere mußten ihm gehorchen, die
£uruspferde |murden vor die Kanonen gejpannt, die Köpfe
der Leichen aufgeladen, damit fie nicht als Trophäen zurüd-
blieben, und jo führte er unter beitändigen Kämpfen mit den
Zurfomanen die Befagung glüdlih in das damals befreun-
dete Herat und von da unangefochten bis an die perlifche
Grenze nah Meſchhed. Dort angelommen, erfannte Huffein
erit, welche Gefahr er durch feine verdienftlihe That über ſich
beraufbeihworen; denn die degradirten Offiziere murrten
wegen ber untergeordneten Stellung, die er fie einzunehmen
gezwungen hatte. Er floh nah Turſchis zu feinem Stamm,
mo er vor jeder Verfolgung fiher mar. Doch die Rachgier
der Offiziere rubte nicht. Der Commandant von Meſchhed,
Abbas Kuli Chan von Urumieh, genannt Kätir (das Maul:
thier), welcher ſich unter ihnen befand, überſchickte Huffein
ein königliches Patent der Straflofigkeit, in welchem ihm jogar
eine glänzende Belohnung verfproden wurde. Huffein ging
in die Falle und ftellte fich in Meſchhed; von dort wırrde er in
34
er jtieß den Kopf gegen die Mauer und nahm mehrere Tage
faft gar feine Nahrung zu fih. Alle feine übrigen Kinder
vernachläffigend und mit Abneigung betradhtend, hatte er zu
dieſem Sohne eine jo leidenichaftlide Liebe gefaßt, daß er
faum einen Augenblid deſſen Gegenwart entbehren mochte.’
Er war fogar mit dem Gedanken umgegangen, jobald Kaſem
Chan das fiebzehnte Jahr erreicht haben würde, zu Gunften
deffelben vom Throne zu fteigen. Wenigſtens fagte er oft
zu mir: „Hekim, in einigen Jahren, wenn mein Balieht
erwachlen fein wird, will ich in schallah! eine Reife nad
Frankiltan (Europa) unternehmen. Du wirft mich begleiten.“
Einmal ging ich näher auf feine Neifeprojecte ein. Ich ſetzte
ihm auseinander, daß der bequemjte Weg nad Europa der
über Tiflis fei; da verfinfterte fih aber fofort feine Miene,
wahrſcheinlich meil Tiflis einft zu Iran gehört batte, und .
kurz abbrechend fpradh er: „Ich werde einen andern Weg
wählen.” |
Der damals noch mächtige Großvezier wurde, gewiß mit
Unrecht, beichuldigt, den Tod des Prinzen veranlaßt zu ha⸗
ben; Palaſtintriguen beuteten dieſe Gerüchte aus, und im
Herbite deſſelben Jahres erfolgte fein Sturz ſowie natürlid
der feiner ganzen Familie. Der Schah hatte den Sader—
azam, obgleich er ihn öffentlich feinen Wohlthäter, Vater und
VBormund ‚nannte, im Herzen doch immer gehaßt; jener mußte
ihn aber in der Meinung zu erhalten, daß fein anderer das
Land regieren könne und daß feiner Abjegung allgemeine Re⸗
volution auf dem Fuße folgen werde. Voll ängftlicher Be:
jorgniß begab fi daher der Schah, nachdem er den Befehl
zur Verhaftung gegeben, unter ftarkfer Begleitung auf die
Jagd. Erft als ihm die Nachricht von der vollzogenen Felt-
nahme überbracht worden war, kehrte er in fein Luftfchloß
Niaveran zurüd. Auch bier ſpähte er noch furchtſam durchs
Zenfter, ob nicht die Volkshaufen ſich feiner untenstehenden
35
Pferde bemächtigen würden, und da nichts dergleichen geſchah,
rief er endli freudig aus: „Ich hätte nie geglaubt, daß
der Sturz meines Beziers jo ruhig ablaufen mwerbe, fonft
hätte ich ihn ſchon vor mehrern Jahren vom Amte entfernt.”
Aus den bisherigen Erfahrungen belehrt, wie gefährlich
es jei, ale Macht in Einer Hand zu concentriren, faßte
Naffereddin den Entichluß, das Amt eines Großvezierd von
nun an gar nicht mehr zu bejegen. Er ernannte Fachminiſter
für die einzelnen Zmeige der Verwaltung, für die äußern
Angelegenbeiten, für das Innere, die Juftiz, den Handel, den
Krieg, und außerdem in der Perjon des Mirza Dzafer Chan,
der mehrmals Gefandtichaftspojten in Europa bekleidet hatte,
einen Minifter ohne Portefeuille, fich felbft die Ueberwachung
der verfchiedenen Dilafterien vorbehaltend. Eine Zeit lang
conferirte er mit ven Secretären und andern untergeordneten
Beamten; er bildete fih ein, auf diefe Weile nicht nur zu
berrichen, fondern auch zu regieren. Wie ji) bald ergab,
batte er jedoch abermals nur den Herrn gewecdjelt. Die
Königin Mutter und einige Höflinge gewannen jegt um
jo unbeſchränktern Einfluß auf ihn, je mehr er das Anjehen
der Minijter untergrub und jie als nußlofe Diener behan-
delte. Unter diefen Umftänden war e3 eine lächerliche Idee,
ein Ober: und Unterhaus errichten zu wollen; der Unterjchied
zwijchen den beiden Häufern jollte darin bejtehen, daß dem
Oberhauſe einige Schüffeln Neis zum Frühſtück mehr geliefert
würden. Was das Land von einer folchen Repräfentation
zu hoffen hätte, kann man ſich denen.
Sn der jüngften Zeit nahmen die Einfälle der Turko—
manen wieder jehr überhand; ganze Gegenden wurden durch)
jie entoölfert und die Bewohner als Sklaven nach Chiva und
Buchara verkauft. Man rüftete endlich im Winter 1860 eine
Erpedition gegen Serächs aus. Die perlifchen Truppen be:
fegten ohne Widerftand die Stadt und machten fie zu einem
3%
36
feften Waffenplag. Allein man ſchickte ihnen, wie gewöhnlich,
feine Verftärkung nad, ſondern überließ fie ihrem Schidfal.
Es mwährte nicht lange, fo gelang es den Turkomanen, dur
Abſchneiden der Zufuhr die Befagung auszuhungern. Sie
mußte fich ergeben und jämmtliche Soldaten wurden in bie
Sklaverei verkauft. Der Erpedition war ein europäifcher
Photograph zugetheilt, damit er die Siege der glorreidhen
Armee photographiſch aufnehme. Statt deſſen ſah ſich nun der
Unglüdlie gezwungen, viele Monate Sflavendienfte als
Kamelhüter zu thun, bis man ihn durd ein hohes Löſegeld
befreite.
Sn Vorftehendem gab ich eine flüchtige Skizze der be
merkenswertheſten Ereigniffe, welche jih, mit Einſchluß des im
erften Theil erzählten Aitentat3 der Babis, big zu dem Zeit-
punkt, wo ich das Land ‚verließ, unter der Negierung des
Naſſereddin Schah zutrugen. Ich fchließe hieran eine Furze
Schilderung feiner Perjönlichkeit. Der Schah ftand damals
im 32. Lebenzjahre. Er ift von mittlerer Größe, eher mager
ala beleibt. Das Geficht bildet ein gefälliges Oval mit dunfel-
braunen Augen, ſtark gemölbten und über der Nafe zufammen-
gewachſenen Brauen, etwas furzem Kinn und umrahmt von
einem üppigen, nach türkifher Weiſe Furz geichoregen Bart,
wogegen der Schnurrbart fehr lang über den Mund berab:
hängt. Seine Hände find ſchön geformt, dagegen die Unter:
ſchenkel nach einwärts gebogen, welcher Fehler, zwar durch
meite Beinkleider werdedt, Tich Doch im Gange bemerkbar macht.
Zu Pferde ift feine Haltung fühn und elegant. Abgerechnet
eine ſchwache Verdauung und eine erbliche Anlage zu Hä—
morrhoidalleiden, erfreut er fich guter Gefundheit. Er ſpricht
ſehr rafch, abgebrochen und ſtoßweiſe — eine Eigenthimlichkeit
des Kadicharenftanımes —, weiß aber im Geſpräch nach per:
fiiher Manier jedem etwas BVerbindliches zu jagen. Bor
jeiner Thronbefteigung wortkarg und unbebolfen, drückt er fich
38
Verehrung zollt er dem verftorbenen Czaren Nicolas, welcher
ihn als Kind, bei einer Zuſammenkunft am Arares, auf den
Schos genommen, und nicht geringere dem Namen Napoleon;
es jchmeichelt ihn, wenn Louis Napoleon den Titel Schah
mit „Kaifer” überjegen läßt und ihn in Briefen ‚Bruder‘
anredet. Nicht graufam von Natur, Ipart er doch Fein Blut,
wenn ihm feine perfönliche Sicherheit oder das Staatswohl
gefährdet fcheint, wie die Hinrichtung feines Lehrer? und
Wohlthäters des Emir, die Ermordung des Prinzen Juſſuf
pon Herat, die maflenhaften Erecutionen der Babis und zabl:
reihe andere Fälle bemweifen. Seit dem Attentat der Babis
ſchwebt er in beftändiger Furcht; Tein Unbekannter, die Euro:
päer audgenommen, darf ſich ihm auf Schußweite nähern.
Oft war ich auf unfern Reifen Zeuge, wie Landleute, welche
fich, von Neugier getrieben, etwas zu nahe herangewagt, fofort
auf königlichen Befehl mit Ruthenftreichen gezüchtigt wurden.
Zieht der Schah durd) eine Stadt, fo werden die Dächer. aller
Gebäude von feinen Dienern befegt, um jeden Unberufenen
fern zu halten.
Infolge der Untreue von Perfonen, die er durch Wohl:
thaten jich verbunden zu haben glaubte, namentlich des Ver—
rath3 feiteng feines ehemaligen Bufenfreundes Paſcha Chan,
welcher dem Großvezier von der geheimen Correfpondenz
Mittbeilung machte, hat er überhaupt das Vertrauen zu den
Menſchen eingebüßt. Eigennutz gilt ihm für die alleinige
Triebfeder menschlicher Handlungen. So äußerte er zu mir,
al3 von den in Rußland entdedten Unterfchleifen während
des Krimkrieges die Rede war: „Die Welt ift überall die-
jelbe, man ftieblt und ißt das Geld in Europa ebenfo tie
in ran.” Auch feinem feiner Diener und Beamten traut
er Gutes zu. Wenn er ihnen fchmeichelt, fie befchentt und
mit Lob überhäuft, jo gejchieht eg nur aus Bejorgniß, daß
fie ihn fonft verrathen oder ihm ſchaden möchten. Darım
42
und Löwenordens (schire-churschid) zu. Es gibt verjehie-
dene Grade und Kategorien: mit und ohne Band (hemäil),
für AInländer und für Fremde (leßterer heißt sitarehdär).
Die Verleihung ift ftet3 von einem Firman begleitet. Den
höchſten Würdenträgern wird die Decoration gewöhnlich mit
dem von Diamanten eingefaßten Bildniß des Königs (timsäl)
verlieben. Die Farbe des Bandes fol zwar je nad dem
Ordensgrade verſchieden fein; allein man nimmt eine Farbe,
wie fie fich eben im Bazar vorfindet. Ein Löwe mit darüber
aufgehender Sonne bildet au das Wappen des Landes;
beitimmte Landesfarben fennt man nit.
Die höchſte amtlihe Würde ift die des Großveziers; fie
wird durch verſchiedene Titel bezeichnet: Emir eddauleh,
Itemad eddauleh, Sader-azam, Emir, Kaimakam. Ihm
find nah Umftänden beis oder untergeordnet: der Vezier der
auswärtigen Angelegenheiten (vezir däwelet chäredscheh );
ber Vezier des Innern (mustäfi el memälek); der Vezier
der Finanzen (muajir el memälek); der Vezier der Juſtiz
(vezir adälet); der VBezier de3 Handels (vezir tedschäret);
ber Dezier für die Verwaltung der Yundationen (vezir
maukufät); der Minifter ohne Bortefeuille (muschir eddauleh);
der Kriegsminifter (sepäh sälär); der Minifter der Wiflen-
Ihaften (vezir älum); der Wolizeimeifter der Hauptitadt
(kalanter). In gleihem Range ftehen noch die beiden Abd:
mirale in partibus (dariäbeghi), welche am Kaspifhen Meer
und am Berfifchen Meerbufen ftationirt find, obwol die Ne:
gierung nicht eine einzige Schalupe beligt.
In den Provinzen gehören zu den Würdenträgern (arkan
u zjäneh daulet, die Pfeiler und Stüßen des Reichs): Die
Gouverneure (häkem), melde wieder Veziere für bie ein-
zelnen VBermaltungszmweige zur Seite haben. Der Gouver:
neur wird vom Schab felbit auf ein Jahr ernannt, die Subgou:
verneure können von dem Gouverneur ein= und abgejegt werden.
45
bereit und im Stande it Anbernjall muıb fie Beleivigungen
fillibweigend hinnehmen oder ich am eine beirenndete Macht,
+ 3. au England oder Rußland wenden, um Genugthunng
zu erlangen: beides im höchſten Grabe erniedrigende Alter-
nativen. Aus Dieien Gründen merten immer nur Gelandt-
ihaften ven ben beiten großen Nachbarſtaaten Rurland und
der Zürfei und nächſtdem die von England, ſolange es jein
Uebergewidt zur See und deu Beiig von Indien behauptet,
mit Rugen in Teheran reidiren fönnen. Schon die von
Aranfreih beruht eigentlich blos auf Convention und Dul⸗
dung wegen der Adtung, die der Echab dem Namen Rapo-
leon zollt. Eine unter Louis Philipp nah Periien gekom⸗
mene, von Grafen Sartiges geleitete iranzöñſche Geianntichaft
ſah tfih bald wieder zur Rückkehr genöthigt.
Werfen wir zum Schluß einen Blid auf die allgemeine
Lage des Landes, ic finden wir eine Dynaſtie, welde bi3
jegt nur ſchwache Wurzel gefaßt hat, einen König, dem zwar
nicht guter Wille abgeſprochen werden kann, der aber weder
Kraft noch Ausdauer beiigt, um feine Abiichten durchzuführen,
und eine entartete Priefterfajte, von welcher ver Schah nicht
als legitimer Herrſcher anerkannt wird, meil er nicht aus der
Familie des Propheten ſtammt, die in ihren Augen allein
zum Chalifat beredtigt ift. In den Provinzen, ven Bedrückun⸗
gen der Gouverneure preiögegeben, herrſcht Unzufriedenbeit:
der Süden war jeher ſchwer zu regieren und jtet3 in halber
Empörung; der Dften iſt von Turkomanen und Chimanern
bedrängt und durch Wegführung der Bewohner entoölfert;
die reihen und ergiebigen Provinzen am Kaspiſchen Meere
wurden durd lange Misregierung dahin gebracht, daß fie
nichts ſehnlicher als eine rufiiiche Occupation münfchen und
in der That auch Schon zweimal darum anbielten; felbit vie
der Dynaftie bisher treuejte Provinz Azerbeidichan haben die
Gouverneure durch fyitematifches Ausjaugen zur Verzweiflung
47
getrieben; kurz nirgends findet fih eine Spur von Liebe und
Anhänglichleit an König und Thron. Die Induftrie liegt
danieder, weil fie mit den Fortjchritten der europäischen nicht
concurriren Tann. Aus alledem möchte man fchließen, daß
mit der Zeit das Land eine Beute der europäifhen Mächte
werden, daß namentlich das Gebiet am Kaspiichen Meer un-
vermeidlihd an Rußland fallen müffe Bei der allgemeinen
Unzufriedenheit der Bevöllerung wäre allerdings ein Zug von
10000 Mann, wie zu Zeiten Xenophon's, nichts Unmöglicheg,
ja die Hälfte dürfte wielleicht genügen, um ganze Provinzen
zu erobern. Anders ftellt jih die Frage, ob und wie das
Eroberte auf die Länge zu erhalten fein würde. In einem
alten Gulturlande kann man nit tabula rasa machen.
Mag der Sieger die unterjodhte Nation mit Güte oder mit
Strenge behandeln, fie wird die Erinnerung an ihre Selb:
jtändigfeit nicht aufgeben und aus der Gefahr, ihre Natio:
nalität zu verlieren, immer neue Kraft zum Widerftand
ſchöpfen.
Man ſagt, es ſei das Fatum von Großſtaaten, daß ſie,
ohne es zu wollen, ihre Grenzen beſtändig erweitern müſſen.
Sie können Beleidigungen von kleinen Nachbarſtaaten nicht
ungerächt ertragen; es kommt zu Beſchwerden, zu Drohun—
gen, endlich erfolgt die Beſitznahme. So werde auch Ruß—⸗
land über kurz oder lang Peter's des Großen dee, das
Kaspiſche Meer zum ruſſiſchen Binnenfee zu machen, verwirk—⸗
lihen müffen. Sei dem wie ihm wolle, e8 wird Rußland nie
gelingen, diefe Provinzen fih zu afjimiliren, auch nicht
durch Errihtung einer Secundegenitur im Kaufafus, die
übrigens dem Mutterlande keinesfalls großen Segen bringen
tünnte |
Betrachte ich die reihen Hülfzquellen, melde Perſien
befitt, vor allem aber die fräftige und aufgemwedte
48
Kaffe feines Volks, jo Tann ib nit umhin, an die
Wiedererhebung des Landes aus feiner gegenwärtigen
Letbargie zu glauben. Ein Reich geht unter, wenn die
Mate feiner Bewohner der Depravation verfiel. Dies ift
in Perfien nicht der Fall, und darum jteht ihm noch eine
Zufunft bevor. Dasjenige Volt jedoch, welchem wegen feiner
Bildungsfähigleit, feines. kriegerifhen Muths, feines Selbft-
vertrauens und Unabhängigfeitägefühls mit der Zeit die Herr-
Ihaft über Sentralafien zufallen wird, dürften die Afghanen
von rein iraniſcher Abſtammung fein.
50
Eine einzige furze Strecke, von der Station Imamzadeb
Haſchem am Sefidrud durch den Gilaner Wald bis Reicht,
wurde. vor einigen Jahren auf dringende Verwendung des
ruſñiſchen Conſuls zu Reicht, des Herrn Tegoborsky, gebaut.
Der Boden des alten Weges war nämlich ic aufgewühlt und
ausgetreten, daß zur Regenzeit ruifiihe Waaren unmöglich
von Enzeli nad Teheran transportirt werden konnten. Man
lichtete an diefer Stelle den Wald, zog Abzugsgräben und
madte eine Unterlage aus Holzlohlen, die dann mir Fluß⸗
fies bevedt wurden. Bon Reicht aus bis zum Kanal Bire
bazar*) führt aber immer nody der Weg eine deutiche Meile
weit durch Moraſt und Dididt. Der Kanal ſelbſt in ie
fhmal und flah, daß zwei mäßig große Kähne nur jchwer
einander ausweichen können, und wird außerdem durch Die
vom Ufer hineinreihendzen Baumäfte verengt; denn es darf bei
Strafe des Handabhauenz kein Ajt beruntergeichlagen werten.
Shah Abbas der Große ließ einige Karavanenwege am
Kaspiifhen Meer und den Uebergang über den Kaflankuh
auf dem Wege nach Tabris mit großen Steinen pflaftern
(chiaban). Da aber feit etwa 200 Jahren nichts für die
Ausbeſſerung geſchah, find von jenen Arbeiten kaum noch dürf:
tige Spuren zu finden.
Unter den Urſachen der Verabſäumung von Straßen:
bauten ſteht natürlih obenan die Jndolenz der Regierung,
welde die reiche Productionsfähigkeit des Lundes nicht zu
benugen mweiß und von dem Umfang der trog aller Hemm⸗
niſſe beitehenden Ausfuhr von. Roh: und Kunfterzeugnifien
feinen Begriff hat. Der Schab äußerte einmal zu mir:
„Perſien beutet den Schag feiner edeln Metalle nit aus,
wir gewinnen unjer Gold und Silber durch Alchemie.” Die
*) Diefer Kanal, etwa eine Meile lang, minpet in das Murb-ab
(todtes Waſſer), welches durch Haffbildung vom Meere gefchieben if.
52
gang möglich iſt, hemmt die Schabhaftigkeit einer Brüde oft
für lange Zeit die gefammte Communication.
m Sommer 1854 Tehrte ih von Maſanderan längs
des Fluſſes Häras nah Teheran zurüd. Da diefer Fluß
zwiichen fteilen Yelswänden fi) durchwindet, wäre das Thal
unzugänglid, wenn nicht Schah Abbas einige Stellen in den
Kalkfelfen eingehauen und fo, bald das rechte bald das Linke
Flußufer benugend, eine Art Straße gefhaffen hätte Allein
‚viele der Brüden und Dämme find bereit3 verfallen, und der
Weg ift nur noh im Sommer bei trodenem Wetter, und
auch da nur unter großen Schwierigkeiten und Gefahren zu
paffiren. Eine Stunde vor der Station Ask überfiel uns
ein heftiger Regen, an das Fortjegen der Reife war nicht
zu denken, die Karavane blieb in einem elenden Karavanjerai;
wir aber mußten wegen Mangel an Platz in einer Höhle,
dergleichen zu diefem Zweck an verſchiedenen Orten Fünftlich
in den Lehmbügeln eingegraben find, Unterkunft ſuchen. In
der Nacht wurde die vor uns liegende Brüde weggeſchwemmt,
ſodaß nichts übrigblieb ald auf improvilirten Wegen an den
Ihroffen Felswänden binzullimmen. Anfangs verfuchte ich,
zu Fuß meiter zu fommen, doch ich bemerkte bald, daß mein
Pferd mweit ficherer ging als ich ſelbſt, und überließ mich rei-
tend meinem Schidfal; ja ich gab fogar, da ich fehon mehrere
Nächte ſchlaflos zugebracht, zeitweife der unübermwindlichen
Neigung zum Sclafe nad, erſt beim Erwachen gewahr mer:
dend, über welch gefabrvolle Stellen das Thier mich glüdlich
binmweggetragen hatte. Seit diefer beſchwerlichen Reife fand
ich feinen Weg mehr ſchlecht und unprakticabel. Nach zehn:
ftündigen Kreuz: und Querzügen gelangten wir endlih in
das Städtchen Ast. Bon der Karavane, welche fehr zahlreich
war, denn die Thalbewohner bezoger eben, von Amel in
Mafanderan Fommend, ihr Yeylok (Sommerquartier) in den
Bergen von Laridfehan am Demawend, verunglüdte aber eine
7
®
54
geboten, ein ganzer Bezirk zerftört und entwölfert, und 50
Menſchen kamen dabei ums Leben. Selbitveritändlih muß
das mit enormen Koften begründete Unternehmen ohne allen
Ertrag und Nugen bleiben. °
Auch beim Transport von Kanonen und Munitions:
wagen in die fernen Provinzen wird viel Kraft, Zeit und
Menschenleben vergeudet. Steinfohlen, welche in unerjchöpfs
lihen Maſſen ſechs Meilen von der Hauptitadt zu Tage liegen,
werden auf dem Rüden von Eſeln transportirt. Daher ift
der Preis der Kohle in Teheran etwas höher als in Wien;
530 wiener Pfund werden durchſchnittlich mit 1 — 1%, boll.
Dukaten bezahlt.
Der König und einige Große des Reichs beſitzen Des
Bompes halber Kutſchen (koliskä), fo ſchwerfällig diefelben
auch fortzubewegen find. Die Diener müfjen den Wagen an
abihüfligen Stellen zu beiden Seiten mit Striden halten und
über Waflerriffe nach echt argonautiſcher Weife auf ihren
- Schultern binübertragen.
Selbſt von der Hauptftadbt bis in das nächſte Luſtſchloß
des Shah, Niaveran am Fuße des Elburz-Gebirged nur
1Y/, Meile in der Ebene entfernt, wird troß der bedeutenden
Frequenz feine Straße unterhalten; Gerölle, Erdriffe und
offene Wafferleitungen durchſchneiden an vielen Stellen
ben Weg.
Um die Felder zu bewäſſern, namentlich die Reisfelder
am Kaspiihen Meer, leitet man nicht felten das Waffer von
einem zum andern quer über den Weg und verwandelt da-
durch lange Streden in einen grundlofen Sumpf. Die Kara-
vanen mögen ſehen, wie fie fich weiter helfen. Paßt es dem
Landmann, fo benugt er den Öffentlichen Weg zum Anbau oder
zur Vereinigung zweier Grundftüde, und die Aufgabe der Rei⸗
jenden ift es dann, fih einen neuen Weg zu fuchen.
Gafthäufer im europäischen Sinne des Wort find un-
66
Höhe von beiläufig 6000 Fuß verliert das Klima vollftändig
feine verderblihe Wirfung.
Weit überſchätzt werden gewöhnlich die Gefahren für die
Sicherheit der Berfon und des Eigenthums, denen der Rei:
ſende in Perſien ausgefegt if. ch habe das Land in den
verfchiedenften Richtungen durchreiit, in Karavanen, blos in
Begleitung meiner Diener, auf Boftpferden, oft nachts viele
Meilen weit durch Steppen und Einöden, und nie ift mir
etwas Erhebliches auf dem Wege zugeftoßen. Meines Wiſſens
wurde in den legten zehn Jahren Fein Europäer gemaltiam
des Lebens oder Vermögens beraubt.
Die meifte Sicherheit bezüglih der Perfon ſowol wie
des Gut3 gewährt der Anſchluß an eine Karavane. Nur
höchſt felten Fommt. e8 vor, daß eine Karavane mit Gemalt
angegriffen wird, und, wenige Fälle ausgenommen, merden
dann die Räuber ſehr bald entvedt und zur Strafe gezogen.
Denn da der gefammte Handel des In: und Auslandes durch)
Karavanen vermittelt wird, muß die Regierung auf deren
Schub bedacht fein und jede Beraubung derjelben aufs ftrengfte
ahnden. In den meiten Ebenen kann ein Ueberfall nur zu
Pferde, und megen der Stärke der Karavane nur durch eine
Schar von 20— 30 Berittenen ausgeführt werden. Nun
find aber faſt alle Dörfer mit hoben Mauern umgeben, aus
welchen ein einziges des Nacht3 verfchloffen gehaltenes Thor
ins Freie führt. Es ift aljo unmöglih, daß ein Haufen
Berittener ohne Willen und Zuftimmung der ganzen Ein:
wohnerſchaft aus: und einpaffire. Ebenſo wenig können von
weiten berfommende Räuber unentbedt .bleiben, wenn der
Gouverneur des Bezirks die erforderlihen Maßregeln ergreift.
Aus diefem Grunde wird man die Einrichtung ganz praktiſch
finden, daß menn eine Karavane geplündert worden, zunächſt
ber Gouverneur den Schaden erfegen muß. Belonders können
Europäer, weil die Regierung die Neclamationen der Geſandt⸗
BEE.
.
Arabeöien. Es gibt Steiichneider in Ferien, welche & in
ihrem Jah zu großer Meinerichaſt gebracht baben.
Der Engrrd-Berlaut ven Buuren geſchiedt mein gegen
geñegelten Barat (Schuldichein) auf 6 Menat Ziel mit Zus
ſchlag von 12 Procent Tiẽſcont. Im allgemeinen iſt der
Kaufmannskand ſolid, umd die eingegangenen Berbindlic:
feiten werden, wenn aud nicht immer zur feitgejegten Zeit,
redlih erfüllt. Bankrotte Tommen äußerft jelten ver, ſodaß
e3 bei Abwidelung kaufmãnniſcher Geichäfte fait nie der Inter⸗
vention des Handelsminiſters (gegenwärtig Mahmud Chun
Karaghuslu, früher Botihafter am Hofe zu St. Petersburg)
oder eines eurepäiſchen Conſuls bedarf. Richt je prompt
pflegen die Ehane und die Beamten, welche oft Gelder gegen
Barat mit enormen Zinjen aufnehmen, ihren Zuhlungsver:
bindlichleiten nachzulommen. Sie machen zur Verfallgeit Ein:
mwendungen, oder verreijen, oder jind inzwiſchen infolge von
Erprefiungen feitens ihrer VBorgefegten verarmt. Von den
Bläubigern werden dann langwierige Proceſſe geführt und
die europäifchen Conſuln um Vermittelung angegangen, die
ihnen aber, da es fich meift um wucheriſche Darlehne handelt,
nicht gewährt werden kann. Daher jene häufige unbegründete
Klagen, die Conſuln vernadläfjigten die Interelien ihrer -
Nationalen und Schußbefohlenen. Früher waren es befone
ders Armener, ruffiiche Unterthanen, welche dergleichen Wuchers
geſchäfte betrieben und viele Familien dadurh zu Grunde
richteten. Dank den anerlennenswerthen Bemühungen eines
ruffiihen Diplomaten haben ſich jedoch in den legten Jahren
dieje Verbältniffe wejentlich zum Vortheil verändert.
Auch die Regierung ftellt bei ihren Ankäufen und Bu
ftellungen von Tuch, Waffen und andern Armeebedürfniſſen
einzelnen, gewöhnlich europäiihen Kaufleuten Barate aus,
die auf den Steuerertrag einer beftimmten Provinz angewiefen
und immer bonorirt werden. Ebenjo erhalten die in pers
IV.
Viehzucht und Bodencultur.
Das Nomabenthum. Urfachen beffelden. Sitten unb Charakterzige ber
Nomaden. Schafe. Ziegen. Rinder. Kamele. Ejel und Maulthiere.
Nomadenlager. Weidepläge. Abgaben. Das Pferb (Raſſen. Geſtüte.
Geſchlecht. Farbe. Preis. Drefjur. Fütterung. Stallung. Sattel.
zeug. Hufbeſchlag. Wartung. Krankheiten und Seuchen). Aderban.
Künftlihe Bewäfferung. Dörfer. Beſitzverhältniſſe. Grundſtener. Me-
thode bes Feldbaus. Heufchreden und Wanzen. Biehftand. Körner-
früchte. Gemüſe. Wein und Obſt. Seidenraupenzudt. Delfrüchte.
Farbepflanzen. Baumwolle. Roſen. Zuckerrohr. Wälder.
A. Die Nomadenwirthſchaft.
Mehr als ein Drittheil der Bevölkerung Perſiens be
fteht gegenwärtig aus Nomaden. Mancherlei Urfachen haben
dazu mitgewirkt, daß in dem einft ganz von feßhaften, ader-
bautreibenden Völkern bewohnten Lande das Nomadenthum
ih ausbreiten Fonnte. Die bauptjählihfte darunter war
das Eindringen der Religion Mohammed's, denn der Islam,
von Wanderftämmen ausgegangen, entiprit vorzugsweise
den Bedürfniſſen des Nomadenlebens.
Die big dahin in Berfien herrſchende Lehre Zerdufcht’s
(BZoroafter’3) leiftete mit weiſer Abficht der Bodencultur allen
102
noch ein Kleines Tuppelartiges Zelt (aletschek) aus gebogenen
Holzreifen und mit didem Filz überzogen, welches ihm und
feiner Familie bei raubem Wetter zum Aufenthalt dient.
Ringsumber, oft weit über die Steppe zerjtreut, gruppiren
fih die Zelte der einzelnen Yamilien de3 Stammes. Gie
befteben aus ſchwarzem Ziegenhaar und enthalten den geringen
Hausrath nebit einigem Geflügel. Ihre vordere offene Seite
wird durch einen im Halbfreis aufgeichichteten Steinwall ab-
gegrenzt. An Verſchluß feiner Habe denkt der Nomade nit;
denn Diebitahl im eigenen Stamm iſt felbjt bei den raub-
jüchtigften Horden unerhört. Die Männer hüten den Tag
über zu Fuß oder zu Roß, von ihren Hunden begleitet, die
Heerden, während die Frauen ſich mit der Milchwirthſchaft
und dem Hausweſen beſchäftigen.
Iſt ein Lagerplatz abgeweidet, oder nöthigt die raube
Sahreszeit oder eine ausgebrochene Biehjeuche zum Verlaſſen
dejlelben, jo paden fämmtlihe Familien ihre Zelte zufammen
und paſſiren gruppenweis mit ihren Heerden vor dem Chef
die Revue (sän), welche bei zablreihen Stämmen mebrere
Tage dauert. Mit dem Zelt: und Hausgeräth find die Ka—
mele beladen; die Weiber und Kinder Tauern auf Efeln,
Pferden und Maulthieren; der Mann aber geht, mit einem
diden Stabe bewaffnet und von jeinem Hunde begleitet, zu
Fuß nebenher, denn es gibt ftet3 etwas zur Erhaltung bes
Gleichgewicht? an den Laften zu ordnen, mitunter auch wol
. einen feindlichen Angriff abzumehren. Zulegt bricht der Chef
jelbjt auf, und die bis dahin fo belebte Gegend wird einfam
und öde, fogar alle Vegetation fcheint von ihr verſchwunden;
doch die zurüdgebliebenen animaliſchen Stoffe befruchten den
Boden für die nädhltjährige Saifon zum wiederermachenden
Leben. |
Der meitausgedehnte Zug eines auf der Wanderung be
griffenen Nomadenjtamms bietet einen böchft malerifchen An
104
den firirten Abgaben dem Schah ſowol wie. den Miniftern
Geld, Shawls, Pferde u. ſ. mw. als unfreiwilliges Geſchenk
zu überjenden. Wo die Stüdzahl des abgabepflichtigen Viehes
vonder Regierung nicht ermittelt werden Tann, 3. B. bei
dem großen Stamm der Kaſchgai, zahlt der Ilchani nad
eigener Schäßung eine jährliche Abfindungsfumme Außer⸗
den hat jeder Tribus ein Regiment zu den regulären Truppen
zu ftellen und eine Schtvadron irreguläre Cavalerie (säwäre-
radif) auszurüften, welche zeitweilig den Dienft an den Landes:
grenzen verliebt. Ich ſah mehrmals ſolche Reitertrupps auf
dem Durchmarſch durch Teheran vor dem Schah die Revue
pafjiren und bewunderte ihre prächtigen Pferde, ihre filber:
verzierten Waffen und die lungen Flintenläufe aus Damas-
ceneritahl. Viele SI, darunter die Legs und Bachtiaris in
Arabiſtan, fuchen ſich jedoch der Oberhoheit des Schah zu
entziehen und verweigern regelmäßig die Steuern, bis der
Gouverneur einen Tſchapaul gegen fie unternimmt und alles
Vieh nebit ſonſtigem Beſitzthum, deſſen er habhaft werden
kann, mit ſich fortführt.
B. Das Pferd.
Das Pferd (asb, in zujammengelegten Namen asp,
wie Lorasp, Histasp: Ritter von ..) bat zwar feine un:
mittelbare praftifche Bedeutung für den perjifhen Haushalt,
injofern Kamele, Ejel und Maulthiere zum Transport fowol
bon Saden wie Menſchen dienen und der Pflug ausſchließlich
von Rindern gezogen wird; dennoch greift das Pferd tief
ins Nationalleben der Perſer ein, die fid) immer noch mit
Stolz ein Neitervolf nennen. Pferd und Schwert (asb u
schemischir) gelten ihnen für Zeichen des freien Mannes und
find in den meilten ihrer Traditionen unzertrennlich mit
einander vermebt.
106
deren rafhen NRaubzügen, wobei fie oft 100 geographilche
Meilen in 6— 8 Tagen zurüdlegen müffen, erzogen. „Das
Pferd muß Knochen und Sehne werden” fagt der Turko⸗
mane, und er gewöhnt es daran, daß es fich unterwegs mit
etwas Gerfte und mit Fettihwanz zur Stillung des Durftes
begnügt, daß e3 fih nie von dem Haufen trennt*) oder zurück⸗
bleibt, und daß es fih durch Beißen und Ausſchlagen mit
den Hufen am Kampfe betbeiligt. Unter der Behandlung der
Perſer hingegen degenerirt die Rafje; fie wird ftörrig, dumm,
ift auf unebenem Terrain, bejonders bergab kaum zum Reiten
zu brauchen, bedarf um die Hälfte mehr Futter ala das
arabiſche Roß und leidet häufig an Katarrh und andern Krank⸗
beiten. Demungeacdtet find die Turkomanenpferde bei den
perfiihen Großen zum pomphaften Ritt durch die Straßen
der Stadt ſehr beliebt. Bei Feten und religiöjfen Spielen
läßt man diefelben, reich angejchirrt, ala Handpferde (jedek)
umberführen, und auf Neijen der- Gouverneure, Prinzen und
Geſandten dem Zuge vorausgehen. Gute Reſultate ergibt
ihre Kreuzung mit arabiihem Blute.
3) Das kurdiſche Pferd gilt zwar nicht für edel,
*) Dieje Gewohnheit behält e8 auch in Perfien bei. Ich ritt einft
auf einem ſchönen Turkomanenroſſe, einen Geſchenk des Schab, durch
die Witte nach Teheran. Noch etwa zwei Meilen von ber Stadt entfernt,
löſte fih dur Zufall der Zügel und in rafender Eile fprengte das Thier
mit mir davon. Ich Hammerte mich, fo gut es ging, mit ben Schen⸗
feln feft, jeden Augenblid fürdtend, in einen offenen Kanal geworfen
zu werden. Zu meinen Erftaunen aber hielt e8 nach einem Laufe von
dreiviertel Meilen plöglic an und ftellte fi ruhig zu einem Rubel dort gra-
fender Pferde, die es aus fo weiter Ferne gewittert hatte. Aus Berbraß
über den Vorfall verkaufte ih e8 Tags darauf für 65 Dulaten. Ginige
Zeit nachher fragte mich einmal ber Schah, was ich mit meinem Pferbe
gemadt babe, Ich erzäblte das Gefchebene, worauf er, nıich belehrend,
äußerte: „Du thateft unrecht, das ſchöne Thier um einen fo billigen
Preis wegzugeben. Es war bei weitem mehr werth und folgte in jenem
Galle nur der ihm anerzogenen Gewohnheit.‘
116
Wechſel der Herrihaft und befämpften einander in blutigen
Schlachten; die aderbautreibende Klaſſe aber überlebte alle
Stürme, immer wieder der Cultur des Bodens fich zuwen⸗
dend. Sofehen wir aud in den jegt nicht mehr zu ran gebö-
renden Ländern, in Segiftan, Chima, Buchara, Afghaniftan
u. ſ. w., die unterjochten Ureinwohner, unter Dem Namen der
Tadſchik Aderbau, Gewerbe und Handel treiben.
Seiten? der gegenwärtigen Regierung Perfiend erfreut
fih der Landbau night der geringiten Förderung; dennod
rafft er fich ftetS wieder auf, jobald nur einigermaßen Rube
und Ordnung im Reiche herrihen. Die Landwirthbe maden
feinen Anſpruch auf Unterftükung durch Rath und That;
fie find zufrieden, wenn die Erpreffungen der Regierung nur
nit einen Grad erreihen, der ihnen die Erijtenz unmöglich
macht.
Culturfähiger Boden iſt im Ueberfluß vorhanden, aber
es gilt unter dem regenloſen Himmel Irans vor allen Dingen,
ihm die nöthige Feuchtigkeit zuzuführen, ſoll er nicht zu un-
fruchtbarem Staube verdorren. Das Bedürfniß macht erfin-
deriſch, und jo haben die Perſer von jeher ihren Scharflinn
angeftrengt, um auf mannichfahe Weile den Mangel an
Wafjerniederijhlägen zu erjegen. Als die gebräudlichften
Anftalten zur fünftliden Bemwäfferung der Felder
nennen wir: 1. Unterirdihe Leitungen (ksenät), 2. ger:
theilen und Ableiten der Flüſſe, 3. Dämme und Schleufen,
4. Brunnen.
Das Aufjuhen von Uuellen und die Anlage von Leis
tungen und Kanälen bildet ein eigenes Gewerbe, das der
Mulanni (Brunnengräber). Aus der Geftaltung des Ter-
raind wie aus gewiſſen Merkmalen der Vegetation fchließt
der Mufanni mit ziemlicher Sicherheit auf eine in der Tiefe
ſprudelnde Duelle. Um jebod feine Wiffenfchaft mit einem
myſtiſchen Schein zu umkleiden, gibt er gemöhnlich vor, ein
120
aus denen man im Frühling und Sommer durch geöffnete
Schleufen die Felder tränkt. Ein ſchönes Werk diefer Art
ift das, welches die Gebirgämäfler des Engpaſſes Kahrud
auffängt und der Kaſchan-Ebene zuführt. Durch den Bau
eines ähnlichen Baflins am Engpaß bei Paskaleh ließe fi
die ganze Umgegend von Teheran fruchtbar maden; allein
die jetige Regierung bat nicht den Willen, für gemeinnütige
Zwecke Summen zu verausgaben, obgleich fie in der Zukunft
hundertfältige Zinfen tragen würden. In frühern Jahrhun⸗
derten ftaute man auch durch Wehre die großen Ströme in
der Ebene von Perjepolis und in den weltlichen Theilen des
Reichs, wodurd weite Gebiete der Cultur gewonnen mwurben,
die jegt vertrodnet und brach liegen.
Außer den bisher genannten Bemäfferungsanftalten be-
dient man fi no der Schöpfbrunnen, um' das für den.
Feldbau nöthige Wafler zu erhalten. Der Eimer wird an
einem langen Strid herabgelaſſen; ift er gefüllt, jo ziehen.
ihn Ochſen, welche an die Welle geipannt find, indem fie
einen vor dem Brunnen befindlichen Heinen Abhang hinab:
getrieben werden, mit feiner Waflerlaft herauf. Dergleichen
Brunnen fah ich in den Bärten und Feldern um Ispahan
und Schiraz, bejonders viele in dem Flecken Sergän bei
Perſepolis.
Uebrigens gibt es auch Gegenden in Perſien, wo der
im Frühling fallende Regen den Boden zur Aufnahme der
Saat hinlänglich erweicht, ſodaß deimi (Naturbau, im Ge:
genſatz zum äbi, dem Anbau mittels künſtlicher Bewäſſerung)
getrieben werden kann. Das Getreide der Deimſaat iſt nas
türlich ſchwerer und kerniger, denn feine künſtliche Bewäſſe⸗
rung vermag den Regen des Himmels vollkommen zu er⸗
ſetzen. So enthält 3. B. der Agyptiiche Weizen, ungeachtet
ber Bewäſſerung des Bodens mit dem ſehr bumusreichen Nil-
waſſer, viel weniger Kleber al3 der in Europa erzeugte.
122
förmig übereinander. Als ein Beiſpiel dieſer Bauart bat ſich
ber. Sleden Yezdechaſt erhalten; Ruinen folder Gügelbörfer
findet man noch häufig. Unmittelbar um die Ringmaner bes
Doris liegen die Aecker und Gärten, an der äußern Peri⸗
pherie durch eine zmweite dünnere Lehmmwand eingebegt. Die
Häufer find ebenfal3 von geitampftem Lehm unb enthalten
einen nad vorn offenen Raum, der zugleich als Küche dient,
und zu jeder Seite deflelben ein Gemach, dad Männers und
das Frauengemach. Längs der Fronte läuft eine auf abge
.Ichälten Pappelſtämmen rubende Beranda bin, unter deren
Schutz in großen, mit Thon und Kuhmiſt verdichteten Weiden:
törben das Getreide und anderer Mundvorrath lagert. Huf
den flachen Dächern wird Heu und Winterfutter in Schobern
aufgehäuft. Ställe und Scheunen umgeben zu beiden Seiten
die anſehnlichern Gehöfte.
Unter den Bauern herrſcht faſt durchgängig Monogamie.
Die Weiber verrichten ſelten Feldarbeit, ſondern beſchäftigen
ih mehr mit der Küche und Milchwirthſchaft, mit Inſtand⸗
baltung und Augbefjerung der Hütte, mit Anfertigung von
Filzen, Teppichen oder allerhand groben Geweben aus Wolle
und Samelot. Das Getreide zum Brodbaden mahlen fie in
Handmühlen. Zum Buttern bedienen jie fich nicht eines Faſſes,
jondern eines Schlau. Derfelbe wird, nachdem die Sahne
bineingefchüttet, wie eine Matte zwiſchen zwei Bäumen aufs
gebangen und jolange geſchwungen, bis die Butter ſich ab:
gelondert bat.
Hinfihtli der Beſitzverhältniſſe zerfällt das bebaute
Land in folgende Kategorien: 1) Arbäbi; 2) Rayeti; 3) Walf;
4) Chaleſſe; 5) Zujul; 6) Milkechãs.
Arbäbi heißen die einem einzelnen Beſitzer (arbäb)
ſcheinlich bienten fie zu religiöfen Zweden; auch als Signalftationen mögen
fie benußt worben fein.
123
ungeheuere Summen die Gouverneure erprefien, mag man
daraus abnehmen, daß zwei Onkel des Schab, Sa Chan
und Amir Aslan Chan, mährend mehrjähriger Verwaltung
ihrer Stellen troß de8 großen Aufwandes jeder beinahe eine
Million Tuman auf die Seite gebracht haben jollen. Der
Schah weiß das ſehr wohl, glaubt aber e& nicht ändern zu
fönnen. Er gab in meiner Gegenwart dem Nachfolger Iſſa
Chans bei feinem Abgange nach der Provinz Chamſe folgende
Inſtruction: „Mein Onkel hat die Provinz ziemlich hart
mitgenommen; fieh zu, daß die Leute leben können, denn fie
find arm und geduldig (fakır ädem est).” Dennoch ward
.turze Zeit darauf demfelben Iſſä Chan das Gouvernement
einer andern Provinz anvertraut, und das in der officiellen
Zeitung abgedrudte Diplom lautete: „In Betracht, daß
fa Chan durch gute Behandlung der Rayets (rayet-peresti)
und durch Pflege der Landescultur jich bejonders ausgezeichnet,
ernennen wir ihn zum Gouverneur von Ispahan, damit er
in gewohnter Weile das Wohl diejer Provinz fürdere ...“
Mitteld der unter dem jehigen Schah ind Leben getres
tenen Einrihtung, wonach dem Gouverneur ein ad latus
(Vezir) beigegeben wird, wollte man der Willfür der Gou⸗
verneure eine Schrante ſetzen. Leider ift aber das Uebel da-
dur) nur verjchlimmert worden. In der Verwaltung madt
ih feitdem ein hemmender Ziviefpalt der Negierungsorgane
bemerkbar, während beide in den Beitreben, das Land fo:
viel als möglich auszubeuten, volfommen miteinander eins
verjtanden find. Man muß fi in der That wundern, daß
die gequälten Bewohner nicht öfter gegen die furchtbare Mis:
regierung der Gouperneure in offene Empörung ausbreden.
Solange ih mid) in Lande aufbielt, geſchah dies nur zwei:
mal in-Gilan und cinmal in Tabris (Azerbeivihan). In
legterer Provinz bat der Gouverneur ſtets einen ſchweren
Stand, weil bier vor länger als einem halben Jahrhundert
130
unterweg3 von den Spionen des Gouverneurs aufgegriffen
und für feine Verwegenheit gezüchtigt zu werden. Falls er
aber glüdlih die Hauptſtadt erreicht, wie fol er dem Schah
feine Klage vorbringen, da fein Unbelannter demfelben auf
Schußmeite ji) nahen darf und jeder, der etwa aus der Ferne
durh Schwingen einer Bittichrift (arizeh) deſſen Aufmerk—
ſamkeit auf ſich zu lenken jucht, von der höfifchen Umgebung
als ein Wahnmigiger (diwäneh) bezeichnet und Jofort den
Augen des Herrſchers entzogen wird! Die einzig mögliche
Ausficht auf Erfolg bietet das Aſyl bei einer: einflußreichen
Perſon.
Außer der ungerechten Beſteuerung hat die ackerbautrei—
bende Klaſſe noch eine Menge anderer Plackereien zu erdulden.
Von den Schädigungen, welche ſich durchmarſchirende Truppen
an Häuſern, Bäumen, Vieh und Feldern der Dorfbewohner
ungeſcheut erlauben, iſt jchon die Rede gemejen. ch erwähne
bier noch, al3 einer befonders drüdenden Lajt für dag Land, die
Reifen des Schah und der Negierungsbeanten. In jedem
Dorf, das der Schah auf feinem Wege berührt, müſſen ihm
Geſchenke überreiht und Lebensmittel für fein ganzes Gefolg:
ohne Entgelt geliefert werden. Wohlhabende Gemeinden jenden
daher Geſchenke an die Kammerherren, damit diete durch aller:
band PVorfpiegelungen den Schah zur Wahl einer andern
Route beſtimmen. Es gelingt ihnen in der Regel, und der
Zug geht dann gerade durch die ärmern Bezirke, welche dir
Mittel zur Beltehung der Höflinge nicht aufbringen Tonnten.
Wenn ein Negierungsbeamter reift, jo läßt er ſich eine Mari:
und Verpflegungsfarte (taalike) ausitellen, auf deren Bor:
zeigung die Dorfgemeinden gehalten find, ihn und feine Leute
mit allen Reifebedürfniffen (sursät) zu verſehen. Oft begnügt
er tich aber nicht mit den nöthigen LZebensmitteln und dem
Futter für die Reit: und Laſtthiere, jondern verlangt aud
obendrein Yuder, Thee, Stearinferzen, kurz Dinge, melde
132
bins und berzichen. In Niebuhr’3 Arabien”, ©. 158,
Taf. XV. H., befindet fi eine Abbildung Diefes fehr prakt:
tiichen Apparats.
Im allgemeinen werden die Felder nicht mehr als einmal
des „Jahres bebaut und bleiben, weil in den meiften Gegenden
die zu befchaffende Waflermenge für das cultivirte Land nigt
binreicht, das nächſte Jahr brach (bäjır) liegen. Nur in
der Umgebung größerer Städte und in den Bezirfen Ispahan
und Yezd ilt die Anwendung des Dünger (kut) zum Be
fruchten der Gärten und Felder in Gebrauch. Dort zieht
man nad) der eriten Ernte noch Melonen, Surfen und Rüben.
Man unterjcheidet demgemäß Winterfrudt (schatui) um
Sommerfrüdte (seifi). In der Stadt Ispahan bildet fo
gar die Düngerfabrifation einen nicht unbedeutenden Induſtrie⸗
zweig; es werden nach verjchiedenen Necepten tbieriiche Ab
fälle, faule Blätter, Sand, Gips, Kalt, Aſche u. ſ. w. man
nichfach gemischt, geformt und nach erfahrungsmäßigen Grund:
lägen diefe oder jene Aecker und Saaten damit gevüngt. Auch
Thürme zur Aufhäufung von Taubenmiſt, deren Conftruction
Chardin in jeinem Reiſewerk gefhildert hat, ſind dafelbit von
der Gemeinde angelegt; der gewonnene Guano wird gleid:
mäßig unter die Bürger verthbeilt, doch bleibt es dem em:
zelnen unbenommen, für ſich allein ebenfalls einen Tauben
tburm zu bauen.
Der Schnitt und das Einheimjen der Frucht erheifcht
in Persien nicht ſolche Eile wie in europäiſchen Ländern.
Anbaltend trodenen Wetterd um die Erntezeit ficher, Tann
der Landwirth diefem Geſchäft mit aller Muße nachgeben.
Die Zeit der Ernte varüirt fowol zwischen weit voneinander
entfernten Provinzen — in Nrabiltan bereits im März be
ginnend, nimmt fie in Kaſchan erit im Juni, und in der
Umgegend von Teheran im Juli ihren Anfang —, als aud
ebenso ſehr zwiſchen nahen, aber auf verjchiedener Höhenſchicht
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Baba 22 SS STLTiNEn Zeituesir. Zurt Od
werte vr: Z Ubreden sin mim Soac ans dom Bricht
„er zizziz, ben "turdus purpsireus (murgsär) getedtet.
Kehb zinem unter den Kerken sdgemein verbreiteten Aber:
aleuien lodt Las Wanſer ven ciner Imamzade bei Meichbed
11 Murqgiars herbei, tocgegen Lie Armener dem Wamſer vom
Mlojter Udiſch miazin Die gleiche Kraft zuichreiven. (Niebuhr,
„Arabien“, 2. 174). Faſt ebenſo gerürdtet wie die Heu:
ſchreden it eine Wanze, Graphozona Iineata (sin), welde
die urlinen Mörner verzehrt und mandes Jahr to majjenhaft
156
perennirt; jauere Gerfte (dschau-tursch), die zuerft purgi-
rend wirft, dann aber das Vieh fett- macht, daher man von
ihr fagt: „schikem wä mikuned“, d. h. fie öffnet den Leib
und ftärkt die Verdauung, und zu deren Ausfaat man, wie
nir berichtet wurde, Geritenlörner nimmt, die mit den Excre⸗
menten der Thiere abgingen. Gutes Winterfutter für Schafe
geben auch die getrodneten Blätter und Sproſſen verjchiedener
Umbelliiferen, befonders der Ferulaceen. F. gummi galba-
num, vom Volke kuma genannt, bringt auf die Pferde,
wenn friih genoſſen, eine aufregende Wirkung bervor. In
der Gegend zwiſchen Ispahan und PMezdechalt freſſen die
Schafe im Frühling Dorema gummi ammoniacum, zwiſchen
Berjepolis und Parlagird ſogar Asa fetida, wovon Butter
und Käſe einen böchft unangenehmen Geſchmack annehmen.
Von Geflügel zieht man nur Hühner, namentlich viele
fogenannte Kalkuttahühner. Da jie nie gefüttert werden,
fondern ihre Nahrung im Straßenkoth ſuchen müffen, ijt das
Fleiih wenig ſchmackhaft. Zruthühner (bukalamu), ſchon
vor 200 Jahren von den Jeſuiten in Ispahan gepflegt, waren
gänzlich verſchwunden und find erit in neuefter Zeit wieder
eingeführt worden, daher noch jehr rar. Gänfe und Enten
werden in großer Menge wild geichoffen, aber nicht aufge
zogen, weil der Perſer ihr Fleiih verachtet. Tauben hält
man fi in den Städten zun Vergnügen; es gibt paſſionirte
Zaubenliebhaber (käfterbäz), die ganze Tage auf den Dächern
zubringen und fi mit dem Anloden und Wegfangen fremder
Zauben bejchäftigen. Daß wilde Tauben des Guano wegen
berbeigelodt werden, habe ich oben erwähnt.
Culturpflanzen producirt das Land in reicher Mannid:
faltigkeit. Nachftehend feien die wichtigiten Arten aufgeführt.
Die Körnerfrühte (galleh) gedeihen fait in allen
heilen des Reichs; doch find vorzüglich die Provinzen Azer:
beidſchän, Chamfe, Hamadan und Kirmanfchäh als Getreide
138
und zur Reife zu bringen, haben die gelungenen Verſuche,
welche in jüngjter Zeit von einzelnen intelligenten Landwirthen
mit dem Anbau gemacht wurden, genügenden Beweis gelie-
fett. Bon den verichiedenen Sorten des Reiſes gilt die
unter dem Namen tschampe befannte als die vorzüglichite.
Sie wird um Shiraz gebaut, ftanımt aber aus Pifchawer,
woher auch nad) einigen Jahren, jol die Pflanze nicht dege—
neriren, der Same wieder frifch bezogen werden muß. Der
Vorzug des Tſchampe-Reiſes bejteht hauptſächlich darin, daß
er wenig fchleimt, folglich die Körner beim Kochen nicht an-
einanderkleben. Ihm zunächſt an Güte fommt der amberbu
von Mafanderan, der gleichfall8 nicht viel Schleim abfondert,
aber während des Kochens einen eigenthümlidhen, mie von
Mäufen berrührenden Geruch verbreitet. Aus den geringern,
mehr Schleim enthaltenden Sorten kocht man die mucilagi-
nöfen Suppen, das Lieblingsgericht der mittlern Volksklaſſen.
Um die Reiskörner von den Hülfen zu befreien, werden ſie
mit Salz vermiiht und dann mittel eines Fallbalkens ge
pocht. Händler mischen aber auch betrüglicheriweife Salz unter
den Reis, damit er ſchwerer ins Gewicht fallen fol. Ein
Man (51, Pfd.) majanderaner Reis koſtet in Teheran zivi-
hen 0,025 — 0,1 Dulaten. Nah Rußland über das Kas—
piſche Meer erportiren die Perſer von dem in Lande gezo:
genen Reis, doch ijt die Ausfuhr nicht von großer Bedeutung.
Hülſenfrüchte (habubat) werden in allen in Europa
befannten Arten gebaut und kommen gut fort, bis auf die
Erbfen (chäller), welche klein bleiben, herb und holzig jchme:
den. Küchererbſen, Bohnen (lubiä), namentlich viel Sau:
bohnen (bakla), efjen die Perſer in ungedörrtem Zuftande;
Widen, Ervum Ervilia (mäsch), geröftet zum Reis; Linſen
(addas), behufs des fchnellern Garwerdens mit etwas Sal:
jolapflanze gekocht, find das gewöhnliche Frühſtück der arbei-
tenden Klaſſen.
140
von Citrus cedra ein lebhafter Ausfuhrhandel nah Ruß—
land ftatt. .
Obſt (miwedschat) wird im ganzen Lande und meiit
mit gutem Erfolg gezogen. Es liefert nit nur den Ein:
wohnern ein erfrifchendes, bei dem heißen Klima jo noth:
wendiges Genußmittel, namentlich als Zufpeife zu trodenem
Brot und Käfe, woraus die gewöhnliche Nahrung der är:
. mern Klaffen beiteht, fondern bildet auch für manche Gegen:
den al3 Erportartifel eine wichtige Duelle des Erwerbs. Ein
perlifches Dorf unterfcheidet ih ſchon auf den erjten Blid
durch feine Baumzucht, ift dielelbe auch oft nur auf Anpflan:
zung einiger Weiden, Pappeln und Ulmen beihräntt, von
den fahlen türkiſchen Dörfern. Freilich zieht man nur die:
jenigen Objtjorten, welche gerade in diejer oder jener Gegend,
durch die Ortslage begünitigt, ohne vieles Dazuthun am
beiten gedeiben, bier nur Granatäpfel, dort nur Pfirjichen
oder Piltazien u. ſ. w. Doch gibt es auch Ausnahmen: Drte,
wo die Horticultur auf einer hohen Stufe ſteht. In der
Stadt Ispahan 3. B. wenden die Obitzüchter alle Mittel der
Kunſt und Erfahrung an, um die mannidhfachiten und edelſten
Früchte zu erzeugen.
Am allgemeinften verbreitet ift der Weinſtock (rez),
der noch in Höhen von 4500 Fuß über der Meeresfläche fort:
kommt. Die Neben werden entiweder an Spalieren aufge:
rankt, oder durch Pfähle geftügt, oder um Pappeln und
Eichen gewunden, deren Vegetation jie bald erſticken, oder
endlih etwa 1’, Fuß über dem Boden abgefchnitten, wo:
nach die Zweige ſich in horizontaler Richtung ausbreiten.
Im Süden ſenkt man die Stöde reihenweile in 5—7 Fuß
tiefe Gruben und füllt dann letztere bis zu drei Viertel wieder
mit Erde aus: ein Verfahren, welches die Wurzeln der Ge
walt der jengenden Sonnenftrahlen entzieht. Hingegen müffen
in nördlidern Gegenden die Stöde vor Froft geſchützt und
142
wird, bis er ſämmtliche Zrauben abgelefen und herunter:
gebracht hat.
MWeintrauben dienen dem Perſer einen großen Theil des
Jahres hindurch als jaftige Zufpeife zum Brot. Außerdem
bereitet er daraus: Moſt (schire), ſauern Traubenjaft (ab-
e-gurre, franz. vert jus), Nolinen und Korinthen (sebib,
daher Zibeben; Rofinen von rez, Weinjiod), Wein, Brannt:
wein und Ejlig.
Der zur Honigconſiſtenz eingedidte Most kommt in Bod:
felihläuden zum Markt und wird von den Unbemitteltern
jtatt Sirup und Zuder zur Bereitung der beliebten Süßig-
feiten gekauft. Der Ab-e-gurre, aus unteifen Trauben
geprepte und abgegorene Säure, bildet das Hauptbeitandtbeil
der Scherbet3, ſpielt aber überhaupt in der perliichen Koch—
Eunft ſowie in der Medicin eine wichtige Rolle. Die Trau:
benfrantheit, welde in den „Jahren 1855 — 58 einzelne
Stöde befiel, erreichte feine größere Ausdehnung und er:
. lofh fpontan. Die Ausfuhr von Roſinen und Korin:
then nad Indien und Rußland ift jehr bedeutend und nod
immer im Zunehmen begriffen; infolge deſſen ſtieg der Preis in
den legten Jahren auf mehr als das Doppelte. Aus den jchlech:
ten Qualitäten dejtillirt man ein ſtark Deraujchendes Getränk.
Wein darf, weil das mohanmedaniihe Geſetz deſſen
Genuß verbietet, nur von Juden und Armenern gefeltert
werben, und auch dieje jind dabei vielen läſtigen Reftrictionen
unterworfen. Nicht jelten werden ihnen die Gefäße zertrüm:
mert und hohe Gelditrafen auferlegt. Die Bereitungsart it
eine jehr unvollfonmene Man- zeritampft die Trauben in
Heinen Baſſins mit den Füßen, füllt den berausfließenden
Saft nebit einem Theil des Marks in irdene Krüge und ſtellt
dieje offen au einen fühlen dunfeln Ort. Hat die Gärung
begonnen, jo.dedt man die Krüge zu. Gegen Mitte April
hält man den Wein für hinreichend geklärt und zieht ihn auf
144
Prinz Ali Kuli telegraphiih zum Minifter der Wiſſenſchaften
(vezir-e-alum) ernannte! Genug, fein Perſer, vom König
bi3 zum Bettler, Tann begreifen, wie man in einem Lande
leben könne, mo es feine Melonen gibt, und noch weniger,
wie e8 möglich fei, Melonen mit Zuder betreut zu genießen.
Die Melonenfrudt zeigt eine erſtaunliche Menge von
Varietäten; denn kaum irgendein anderes Gewächs modiftcirt
ſo leiht Geftalt, Größe, Farbe und Zeichnung der Winde,
Aroma, Geihmad und Dauerbarkeit je nah dem Boden oder
Klima, der Düngung oder fonftigen Pflege. Zwei Nachbar:
dörfer von anfcheinend ganz gleicher Lage erzeugen oft jchen
völlig verfchiedenartige Broducte. Einige Sorten werden, ob:
wol reif, erſt durch längeres Liegen genießbar, laſſen ſich
aber, wenn fie gehörig vor Drud und Kälte geſchützt find,
bis in den April hinein aufbewahren. Auf das Wachstbum
der Melone hat der Samummwind (bäde-samunm, auch bäde-
germ) fehr nachtbeiligen Einfluß. Er verſengt die Blätter
und trodnet die Pflanze aus; felbft diejenigen Früchte, die
ihm widerſtehen, verlieren durch feinen glühenden Hauch an
Dauerbarfeit, fodaß fie troß forgfältigiter Aufbewahrung ſchnell
verderben.
Berühntt jind die Zudermelonen von Ispahan, wo man
ihrer Bflege befondere Aufmerkſamkeit widmet. Der Boden
wird fleißig bejtelt und mit Guano aus den Taubenhänfern,
welcher erfahrungsgemäß der Melone am zuträglichiten ift,
gedüngt; bei Anlage der Furchen und Kämme wird genau da:
rauf geachtet, daß nur die Wurzeln vom Waller beipült werden.
Um die feinften Früchte zu erzielen, läßt man nicht mehr als
zmei bis drei Stüd an einer Staude reifen. Nachdem fie
etwa zur Fauſtgröße erwachſen find, beitreut man jie zum
Schub vor Inſekten und Sonnenbrand fowie vor verfrübter
Beitigung mit loderm Sande und mendet fie immer nad)
ein paar Tagen wieder um, bis fie, im September und
156
das bekannte Sakkes-Harz liefern, große Eihenwälder. Ferner
wächſt bier die Prunus mahaleb, aus deren Holz; die im
Drient jo allgemein beliebten Pfeifenrohre gefertigt werden.
Wie in den übrigen Provinzen der Aderboden, jo barren
auch dieſe Wälder nebit den in der Nähe befindlichen Stein-
fohlenlagern no der Ausbeutung, wenn erit Eifenbahnen
das Land durchſchneiden und durch entwidelte Schiffahrt auf
dem Kaspiichen Meer die Broducte an fremde Küften gelangen
werden.
Nachträglich fei erwähnt, daß mit Baumwollſamen,
den ih aus Perjien mitgebracht und dem k. f. Minifterium
für Handel und Aderbau übergab, in Dalmatien und Süd:
ungarn vier Jahre nadheinander Verſuche gemacht wurden.
Das Reſultat ift ein fo günftiges, daß die Baummollcultur
in jenen Gegenden gelichert fein dürfte, falls die nöthigen
Kapitalien fich dauernd derielben zumenden.
158
Das früher übliche Medicinalgewicht bejtand aus diram
(Drachme), aukieh und dung.
Auch alle flüjligen Waaren, wie Milch, Wein u. f. w.,
verfaufen die Perſer nad) dem Gewicht, daher fie fein eigenes
Flüffigfeitsmaß haben.
Als Längenmaß gebraudt man das Zer oder Arkdin.
Auch dieſes variirt in den verjchiedenen Städten. In Teheran
mißt 1 Ser 104 Gentimeter, in Tabris ift e8 länger, 1 Ber
— 4 Tſcherek, 1 Tiheref = 8 Girre.
Für das MWegemaß bildet der farsäch oder farsenk (nad
den früher üblichen Meilenjteinen jo benannt, türkiſch agatsch,
Meilenbaum) die Einheit. Seine Länge ift jedoch ebenfalls nicht
diefelbe in den verfchievenen Provinzen. Durchſchnittlich
rechnet man auf 1 Farſach 5065 Meter, in manchen Ge
genden jedoch 12000 Schritte, ungefähr 6110 Meter, und
auf eine Zagreife (mzenzil) durchſchnittlich 5Y, — 6 Fleine
Farſach.
Der Flächenraum (musäfet) wird nad Duadrat-Zer ge
meſſen, der Kubifinhalt nach Kubil-Zer (zer kaab). Größere
Feldercomplere mißt man nad) dem dscherib, an den meiften
Orten = 1066 Quadrat: ger.
In alten Zeiten wurden im perliichen Reich viel edle
Metalle gewonnen, ſelbſt ganz in unmittelbarer Nähe der
Stadt Ray (Rages) ſchmolz man Silber aus den Bleierzen
von Bibi Scherbann; gegenwärtig aber wird mit Ausnahıne
von etwas Blei, Eilen und Kupfer fein Metallerz ausgebeutet.
Eine geringe Menge Gold wird bei Hamadan am Fuße des
Elend gewaſchen. "Das im Lande befindlide edle Metall
ftammt entweder aus Umjchmelzung alter Münzen und Ge
fhirre, oder von dem Erporthandel mit Rußland und der
Türkei, oder aus der Plünderung von Delhi nach Einnahme
der Stadt durch Nadir Schab.
Das circulirende Geld beſteht aus Gold: Silber: und
159
Rupfermünzen. Papiergeld gibt es in Perfien nicht. Das Recht,
Geld zu prägen, wird als die erfte und wichtigite Prärogative
eines orientaliihen Herrſchers angejehen; es gilt als Zeichen
der Beſitznahme des Reichs, ipeciell derjenigen Stadt, deren
Rame auf der Münze genannt if. Darum werden bei der
Thronbefteigung neu geprägte Münzen vertheilt, und Präten—
denten beeilen jih, Geld mit ihrem Namen fchlagen zu laſſen.
Nächft dem Ramen bes Herrihers bildet der volljtändige,
unverkürzte Name der Prägeftadt den Hauptbeitandtbeil der
Inſchrift. Der Eroberer einer Stadt prägt vor allen Dingen
Münzen mit feinem und ihrem Namen; ja bereits während
der Belagerung von Herat ließ der Schah Geld mit dem
Ramen der Stadt Schlagen, um fofort nach der Uebergabe,
an der man nicht zweifelte, Münzen zum Vertheilen bei der
Hand zu haben. Im Namen des Königs Geld prägen be:
deutet, wie die chutbeh (da3 öffentliche Gebet für die Er:
haltung des Staatsoberhaupts), Anerkennung feiner Souve—
ränetät. In diefem Sinne jchlugen vor einigen jahren Die
Siftaner, als ihr Chan eine perjiihe Prinzeſſin beirathete,
Münzen im Namen de3 Schah.
Die allgemein gebräuchliche Münzeinheit ift der tuman.
Die Tumane wechjelten häufig im Werthe, fie waren jchiwerer
beinahe bis zum doppelten Gehalt des jebigen Tuman, der
unter der Regierung Mehmed Schahs (F 1848) eingeführt
wurde. Sein Gehalt fommt ziemlich genau dem holländischen
Dulaten glei: 100 derjelben = 101 Tuman. Wegen feines
unvolllommenen Gepräges und der auf das Land beichränften
Gangbarkeit ſteht er aber immer etwas geringer im Werthe,
fodag man bei Zahlungen ins Ausland 1%, — 3 Procent
Aufgeld zulegen muß.
Der Tuman wiegt, wenn er neu aus der Münze kommt,
18 Nächud — %, Miskal = 491, Gran diterreihiichen Me-
bicinalgewichts. Allein die Stüde werden, namentlich von
162
Silbergeld zu nehmen und man jet tbeim Einwechſeln von Gold
gegen Silber, umgelehrt wie früher, 7%, Procent braufgahlen
muß. Wenn trogdem die Maſſe des circulirenden Geldes,
wie ich von Kaufleuten und Geldmällern täglich bören konnte,
fortwährend abnimmt, fo erklärt fich dies Leicht durch folgende
Umftände. Nur in guten Getreidejahren mag der Erport
Perſiens dem Import gleih kommen, vielleiht ſogar den
letztern etwas überfteigen. Finden aber mehrere Jahre hinter
* einander Misernten itatt, infolge deren die Getreideausfuhr
todt oder ganz aufhört, fo gebt viel Geld für Waaren ims
Ausland, ohne wieder von dort zurüdzufließen. In jüngſter
Zeit verfchlangen ferner die phantaftiichen Erpebitionen nad)
Herat und Turkiſtan fowie der Anlauf von Waffen in Europa,
veranlaßt durch den engliſch⸗perſiſchen Krieg, bedeutende Gelb»
beträge. Zeitweiſe der Eirculation entzogen werden die oft fehr
erhebliden Baarfummen, deren Zahlung die Willfür de
Herrſchers unter allerlei Vorwänden in Ungnade gefallenen
Großen als Strafe auferlegt und die auf der Stelle beichafft
werden müflen, um dann lange unbeweglih im Schage zu
ruben; ebenjo die kleinern und größern Gelbbeträge, melde
von den Belitern wegen Mangel an Bertrauen und an Ge:
legenbeit zu ficherer Kapitalanlage altorientalifcher Sitte gemäß
unter der Erde vergraben werden.
Die Inſchrift der Gold: und Silbermüngzen lautet auf
dem Avers in arabiiher Sprade: Ber Sultan, Sohn des
Sultans, Sohn des Sultans, Sohn des Sultans, Naſſereddin
Schah Kadſchar; auf dem Never: Präge der Chalifenftadt *)
Teheran (oder der Stadt der Wiſſenſchaft Schiraz, der Stadt
der Anbetung Yezd, der Stadt der Sultane Tabris, der
*) Die Könige aus ber herrſchenden Kabfcharendynaftie haben, ba
fie nicht zur Familie ber Seide gehören, fein Recht auf den Chalifentitel,
bebielten ihn aber ale Beiname der Refibenzftabt bei.
154
pernihe Handel nah Indien if überwiegend paſſwer
Katur.
Münztälihung wird mit Abbauen beider Hände be
ſtraft. Ich hörte jevch nie, das ein Falichmünzer ergriffen
und beitraft worden wäre. Da man übrigens bei Annahme
von Zahlungen jedes Golvitüd zu wiegen pflegt, werden die
falſchen bald an dem zu leichten ſpecifiſchen Gewicht erkannt.
Ten Geldverkehr vermitteln die Geldwechsler oder Mäfler
(seraf) und die großen Kaufleute (tädscher). Letztere
übernehmen auch, nachdem mebrmals Geldtransporte aus den
Provinzen unterwegs von Räubern angefallen worden, fe:
daß man zulegt glücklich bi3 an die Thore Teherans gelangte
Convois in feftlidem Zuge unter Baufenfhall in die Stadt
geleitete, die Zumittelung der von den Gouverneuren abzu-
liefernden Steuerbeträge und der aus den verjchiedenen Münz:
ftätten kommenden Gelder an die Regierung zu Zeberan,
teils durch Anweifungen (barat) auf zwei bis drei Monate,
tbeil3 durch fofortige Baarzahlung gegen Abzug des Disconts.
Bei dem hohen Zinsfuß von 18 — 30 Procent ziehen natürlich
die Kaufleute aus dieſen Transactionen enormen Profit,
wovon fie indeß einen großen Theil dem protegirenden Gou-
verneur abgeben müſſen.
In Anbetracht aller der berührten Umftände ift mit Sicher:
heit vorauszuſehen, daß wenn dem Lande ſich nicht neue Geld:
quellen eröffnen, oder wenn noch ferner jo unglüdliche mili-
„tärifhe Erpebitionen unternommen werben, der Baarvorrath
in fteigender Progreffion ſchwinden und über kurz oder lang
gänzlich erfhöpft fein werde. Ein etwas befferes Verhältniß
ſoll fich übrigens in der jüngiten Zeit durch den infolge des
ameritanifchen Kriegs fehr geftiegenen Baummollenerport nad
Rußland und England bergeitellt haben, der bedeutende Geld⸗
junmen ins Land 309.
16%
boben Zinsfuß und die geringe Ausbildung des Creditweſens:
ic muß man ſich billig vermundern, wie doch noch mandıe
inländiihe Jnduitrieerzeugnifie mit den ausländiſchen concur-
riren können.
Seit zwei Jahrhunderten, ſeit Chardin das Land bereilte,
bat freilich die perttiche Induſtrie Feine Fortſchritte, vielmehr
Rückſchritte gemacht. Gegenüber der immer näher gerüdten
europäiihen Concurrenz lohnt die Anfertigung vieler Artikel
nit mehr, und es ijt vortbeilbafter, die Robitoffe zu ver:
faufen. Anderntheild wurden durch langjährige innere Kriege,
die Centren der Induſtrie, Jspahan, Yezd, Kirman, befon-
der3 ſchwer getroffen. Mit den Arbeitern ging auch ihr Ge
werbe zu Grunde, denn nirgends ig wie in Berlien find ge:
wiſſe Jndujtriezweige an einzelne Städte gebunden; man
fchreibt dies hauptſächlich der abweichenden Beſchaffenheit des
Waſſers an den verſchiedenen Orten zu.
Die erzeugte Baummolle (panbeh) wurde bis vor fur:
zem meift im Lande zu einem groben, feiten Zeug, kerbäs*)
genannt, verarbeitet, welches, wie bei uns die grobe Leinwand,
als Kleidungsitoff für die mittlern Klaſſen, größtentbeils aber
als Zeltbezug Verwendung findet. Kum, Simnan und Abadeh
bei Shiraz betreiben die Kerbasfabrifation gewerbsmäßig;
außerdem aber webt faft jede Hausbaltung jo viel, ala fie
zum eigenen Bedarf gebraudt. Das Stück (tub) hält
6— 8 Meter. Beſſere, nanfingartige Stoffe (gedek) fahri-
ciren Ispahan, Yezd und Kaſchan, in Heiner Quantität auch
Buſchir; fie find dicht und egal gewebt und von vorzüglicher
Haltbarkeit der Farbe, daber in Perſien wie im Kaukaſus
zu Sommerkleidern der Stadtbewohner fehr beliebt. Früher
wurde auch die natürlich gelbe Baumwolle dazu verwendet
(gedek-e-chudreng); dieſelbe läßt fich jedoch wegen ihrer
*) Das METZ der Bibel (Buch Efther, Rap. 1).
16%
e-kusse) im Preife von 5— 5 Dukaten. Rah dem ver:
ihiedenen Muftern und Farben unterſcheidet man folgende
Eortn: läakı, lädschewerdi, butei, schäche-gewez'n,
zhrämi, tirmeh, zengäri. Ein mäßiger Erport von per
jiihen Shawls findet nad Konitantinopel und Alerandrien
ftatt. Im Smlande wird der Shawlſtoff in ſchmale Streifen
(häschieh) zerſchnitten, auch viel zum Belegen und Einfafien
der Kleider benugt. Die Shawlfabrikation Perfiens nahm
vor einigen Jahren infolge der Bemühungen des Großveziers
Emir einen bedeutenden Aufſchwung. Es wurden Shawls
zu 50 — 60 Dukaten gewebt, welde den indiſchen wenig
nachgaben. Mit feinem Tode ging. jebod dieſe Induſtrie
wieder zurüd, ſodaß jetzt ein großer Theil der Kaſchmirwolle,
deren Preis fehr geitiegen iſt, roh nach Indien verkauft wird.
Die perjifhen Teppiche (fersch) zeichnen ich weniger
durch Lebhaftigkeit der Farben al3 durch deren Dauer und
die Dichtigleit des Gewebes aus. Die größern (kalı) find
5 Meter lang und 3 Meter breit; der Preis eines folchen
bewegt fich zwifchen 12 und 4O Dukaten. Auch dieje Induſtrie
ift im Rückſchreiten begriffen. Teppiche, die vor zwei Jahrhun⸗
derten gewebt wurden, übertreffen die heutigen bei weitem
an Pracht der Zeihnung und Friſche der Farben. Eine
kleinere Art (kälitsche), vornehmli zur Unterlage beim
Gebet dienend, koſtet 4 — 10 Dukaten. Die jchöniten Tep⸗
piche Liefert die Provinz Faraban bei Kirmanfhah. Zweite
Qualitäten fertigen die Nomaden in Kurdiltan, Hamadan,
Mianeh zu ziemlich niedrigem Breife; fie willen ihrem Er-
zeugniß durch bellbraune Grundirung mit Kamelmwolle ein
befonders gefälliges Anjehen zu geben. Bekommt der Teppich)
eine Falte (gis), jo verliert er die Hälfte feines Werths,
weil diefer Fehler unverbeflerlih ift und die Stelle fich bald
abreibt und kahl wird. Sonſt iſt die Haltbarkeit der pers
fiihen Teppiche in ber That eritaunlid. Im zweiten Jahre
172
fteigerung dieſes Artikels in Europa dorthin ausgeführt wurbe,
Im allgemeinen find die perfiichen Seidenzeuge dauerhaft und
von lebhafter Farbe; man verftehbt e8, durch Binden der
Strähne beim Färben zart nüancirte geflammte Mufter zu
erzeugen; an Glanz und Gleichheit des Fadens erreichen fie je
doch nicht die europäischen Sorten. Taffete (täfteh, Kænavis)
werben glatt in Mejchhed und Kaſchan, bunt carrirt zu Bette
deden in Yezd und Ispahan, zu Thürvorbängen (perdeh)
in Gilan am beften gefertigt. Moires (chäräh*) und däräh)
ftehen in jeder Beziehung dem europäiſchen Manufact nad).
Atlas (gätni) fabricirt nur Kaſchan, doch nie ganz aus Geide,
fondern mit Einihlag von Baumwolle. Ebendaſelbſt fertigt
man allein nod) Brocate (zerbäfi) mit eingemebten goldenen
Blumen, freilihd den einft fo berühmten perfiihen Brocaten
faum mehr zu vergleihen, und Sammte (machmal), die den _
franzöfifhen zwar nit an Feltigfeit, aber an Weiche und
Farbenpracht nachſtehen; einige Farbennuancen, namentlid
blauſchwarz, können die Perjer gar nicht erzeugen, am beiten
gelingt ihnen noch orange und ponceau. Einen eigenthüm⸗
lihen Seidenftoff Liefert Dezd unter dem Namen schal abri-
schum; er ift nad Art der indiſchen Shawls mit Balmen
und Gemwinden durchwebt, von. zartgezeichneten Borduren ein-
gefaßt, und der einzige, von dem einige Ausfuhr nah Ruß⸗
land und Konftantinopel ftattfindet. Dagegen bildet die Aus⸗
fuhr von Rohſeide, wie oben erwähnt, eine der wichtigſten
Hülfsquellen des Landes, Eingeführt werden von Seidenftoffen
nur lyoneſer Fabrikate, vorzüglid Damalt und Brocat, doc
auch in nicht erheblidem Betrage.
Flachs wird fehr wenig verarbeitet, nur zu Schnupftüchern
und Leibbinden. Der Flahsbau beſchränkt fih auf einige
Heine Streden im Bezirt Mafanderan.
*) “ir der Bibel (Buch Eſther, Kap. 1).
173.
Die Farbeftoffe, deren man fich zur Fabrikation be
dient, find theils Producte des Landes, wie Krapp, Saflor,
Indigo, Granatäpfelrinde, Galläpfel, Eiſen- und Kupfer:
vitriol, eſſigſaures Eifen u. ſ. w., theils werden fie von In—
dien bezogen. Die Cochenille fommt über Europa, wird je-
doch häufig dDurh die am Ararat vorfommende Porphyro-
phora Hamelii erjegt. Durch Zuſatz einer indiſchen Ninde,
Liter ( ze), erhöht man die Intenfivität der Cochenillefarbe.
Mit der Farbenbereitung beihäftigen ji die Nomadenweiber
nad althergebrachten Necepten; als Säuren verwenden fie
dabei Eitronen= und duch Verbrennung von Schwefel mühſam
gewonnene Schwefeljäure; ala Alkalien den Urin der. Kübe;
Bei jo. verjchiedenartiger Eoncenftation der Stoffe iſt es na—
türlich ſehr ſchwer, genau diejelbe Nuance bervorzubringen,
und an Teppichen wie Shawls bemerkt man daher ‚nicht jelten,
zumal die Anfertigung lange Seit, gewöhnlich ſechs Monate
in Anſpruch nimmt, Eleine Farbenabweihungen an einzelnen
Stellen. Dagegen find die Farben durchgehends echt und wider-
ſtehen länger ald die in Europa gebräudlichen den verzeb:
renden Strahlen der perfiichen Sonne, Alle größern Fabrik—
ftädte baben eigene Färbereien (sabbagh), von denen die
meilten nur in einer Farbe arbeiten. Ebenſo findet man
überall große Bleiben, bei Ispahan z. B. ſah ich die Ufer
des Bainderud weit und breit mit Garnen und Geweben
bedeckt.
Die Lederfabrikation wird am ſtärkſten in dem Städt:
den Hamadan betrieben. Aus vortrefflih gegerbten Schaf:
fellen bereitet man bier jchöne farbige Maroquins, tscherme
hamadäni genannt, und aus dem Rüdenfell des wilden Eſels
vorzüglides Chagrinlever (saghri), deſſen jhillernd grüne,
mit Grünjpan erzeugte Farbe gleich wie die Heinen griezlichen
Erbabenbeiten, welche mittels Amaranthusjanen hervorgebracht
174
werden, ſich bis zur völligen Abnutzung usneriehrt erhalten.
Auf die Jabrifarion ven Sämiichleder aus deu Felen ber
wilden Ziegen und Argaliä verucht man ah nur im der
Stadt Kirman; in den übrigen Theilen des Reichs werken
die Zelle von Hirichen, Reben, Guzellen, Argalis, wilden
Biegen und Steinböden als nuglcs weggavorien Die Ge
fuhr von Leder iſt ganz ohne Bedeutung, weil vom Ausland
fommendes Leder dem Perſer tür geſetzlich unrein gilı. Auch
die Benugung der Häute von getallenen Thieren verbietet das
Religionsgeieg. Geringe Quantitäten ſchwarzbraun gefärbte
Hirfchleder werden unter dem Ramen dschir an kanukaſijſche
Stämme zu Rüſtungen verkauft. Etwas erbeblidyer iR die
Ausfuhr von rohen Lamm⸗ und Ziegenfellen.
Zu Pelzwerk werden von inländiichen Fellen nur die
Lammfelle von Shiraz und Kum benupt. Bon Natur ſchon
ſchwarz, erhalten lie noch durch Färben mit eſſigſanrem Eiſen
und Granatäpfelrinde einen tiefihwarzen Glanz Die wohl⸗
babendern Klaſſen tragen indeß ſchwarze Fammfelle von Be
chara (puste-buchära) oder aus Rußland eingeführte Feb
und Nerze. Da aber andererfeits ein ziemlich” ausgedehnter
Erport der für unrein geltenden elle von Löwen, QTigern,
Xeoparden, Füchſen, Wölfen, Schafalen, Hyänen, Geparden,
Dttern und Mardern ftattfindet, jo dürfte diefer den Import
wenigſtens aufwiegen. Der Pelzhandel wird ausfchließlid
von Armenern betrieben, da fein Mujelman die unreinen
elle berühren darf. Es geht daher ein großer Theil der
‚ Selle wie überhaupt der Beſtandtheile von gejeglich unreinen
Thieren der Verwertbung und Benutung verloren.
Im Reichthum an Metallen, namentlih an Kupfer,
kann fih kaum ein anderes Land der Erde mit Perſien mefjen.
Eine Kupfermine (maadene mis) hat fait jeder Diftrict, ja
am nördlichen Abhang des Elburz bei Teheran zählt man
deren 20, und ebenjo viele in der nächſten Umgegend vor
177
Induſtrie nachtheilig einwirkt. Zwar machte ber jegige Schah
mehrmals Berfuche, unter Zuziehung von Europästn Eifen-
erze. jchmelgen zu laffen, fie blieben jedoch, obgleich große
Summen verjehlingend, ohne Reſultat, ſodaß er zulegt 05
li daran verzweifelte, daß Eiſen in feinem
werben Tünne. „Das erite Man (5!
perliihem ‚Mineral gemonner nn b da )
„würde ich mit Go 3 al 7, 4
Fu 4 / /
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Kobalt lc
ih in vorzüg
Dorfe Samlar.
Arſenik lagert
in großen Mafjen u
win; der Export nad
Manganerde (mu
wird um Kirman gemo
Bolat, Berfien. II.
116
(nischädur), der überdies unrein iſt, reicht nicht hin für den
Berbraud. Borar (bureh) lietern die Seen Mediens.
Wie die Kupfer, ſo bleiben auch die reihen Eifenminen
des Yandes vernadläiigt. Was aus den Minen von Maſan⸗
deran und Charaſſan an Eijenerzen gefördert wird, jind kaum
nennenäwerthe Quantitäten. Alles übrige Eifen (ähen) fommt
vom Ural auf der Wolga und über das Kaspiihe Meer nad)
Perñfien; nur die ſüdlichen und jüdöftliden Provinzen ver:
forgen_jih auch zum Theil von Indien. Perſiſche Eiſen⸗
arbeiten waren einſt bochberübmt, und noch jetzt haben die
Damascenerklingen von Shiraz und Meſchhed einen guten
Auf, Doch können Jie ih den alten Klingen und Flintenläufen
an Güte, namentlih an Schönheit der künſtlichen Gravi⸗
rungen auf Stahl mit eingelegten Goldplättden nicht an
die Seite ftellen. In den Arfenalen von Ispahan, Sciraz
und Teheran werden Schießwaffen, beſonders Flinten und
Piſtolen nach europäifhem Mufter, jelbft mit genauer Nad-
abmung der Fabrikzeichen gefertigt, die den Originalen in
der That ziemlih nabe fommen. Weniger gelingt die Fa⸗
brifation der ebenfall3 den europäischen nachgeahmten Jchnei-
denden Werkzeuge, 3. B. der von Ispahan aus in den Handel
kommenden Federmeſſer. Der Perſer bält ſehr viel auf ein
gutes Federmeſſer; er zeigt das einige dem Europäer und
fragt ihn, ob e3 echt englifches Fabrikat fei. Häufig zog der
Minijter, wenn ich bei ihm war, aus feinem Shamlbeutelchen
ein Federmeſſer hervor, um fi über Werth und Güte des:
jelben durch mich unterrichten zu laffen. In dem Roman
„Madschi baba“ charakteriſirt daher ein Gejandter, vom König
über die Eigenthümlichfeiten der werfchiedenenen europäiſchen
Nationen befragt, die Engländer mit den Worten: ‚Das ift
die Nation, melde die Federmeſſer verfertigt.” Bei dem
„u rer
thenern Preife des Eifens ift der Verbrauch zu Gerätbfchaften .
und Werkzeugen natürlich fehr beichräntt, was auf die gefammte
177
Induſtrie nachtheilig einwirkt. Zwar machte ber jetzige Schah
mehrmals Verſuche, unter Zuziehung von Europäern Eifen .
erze jchmelzen au laſſen, fie blieben jedoch, obgleich aroße
Summnu vart A.I2.
ã
8 1
N ‘ "die: '
RL ne A 1
178
Schwefel (gugird) gibt es im Ueberfluß in den ver-
ſchiedenen Theilen Perfiend, und fiher wird einft, von er-
leichterten Sommunicationswegen begünftigt, eine fehr erheb⸗
lihe Ausfuhr diejes Artifeld nah Europa ftattfinden. Der
ſchönſte hyacinthrothe Schwefel tritt nahe unter dem Gipfel
des Demamwend zu QTage, wo ihn während der Sommer:
monate die’ Bewohner des Städtchens Ask einfammeln. Er
beißt im Handel gugird-e-ahmer oder demawendi zur
Unterſcheidung von dem Stangenſchwefel, der gugird - e- farsi
genannt wird.
Kochſalz und Ehilifalpeter als kryſtalliniſche Aus-
ſchwitzung kommt jo häufig vor, daß man faft nur die Trang-
portkoften dafür bezahlt. Außerdem finden ſich zahlreiche
Lager von Stein- und Kryſtallſalz (nemek-e-turki). Etwas
Salpeter (schure) fol, wie ich hörte, nach Indien erportirt
werden. Mit feinem Reichthum an Kochſalz und andern
falpeterfauren und fchmwefelfauren Salzen wäre Berfien die
ganze Welt zu verforgen im Stande.
Steinkohlen, welde in mächtigen Flötzen zum Theil
offen liegen, werden bizjegt wegen Mangel an Straßen und
induftrielem Bedarf nicht gefhürft. Der Perſer fagt, Stein-
kohlen könne er nicht zu feiner Waflerpfeife benügen. Das
Kohlenflöß auf dem nördlichen Abhange der Elburzlette bei
Teheran erjcheint jchon unterhalb Kaswin im Dorfe Sf,
taucht dann im Laarthal, befonders in einem Seitenthal des:
jelben, genannt Dimalia, wieder auf, und zeigt ſich endlich
in der Nähe des Städtchens Ast am Fluffe Heras. Weber:
baupt ift die Steinfohlenformation fehr reich vertreten.
Bon Edelfteinen liefert Berfien nur Türkiſe (firuze),
und da die frühern ergiebigen Minen wegen Anfüllung mit
Waller unzugänglih find, befchräntt man fich jeßt auf die
Durchſuchung der alten Stufen. Seitdem ift der Preis der
Türkiſen fehr geftiegen, und e3 kommen nur kleinere Stüde
180
für die beften. Scheibenglas jedoch können die Perjer nur
in Tafeln von fehr mäßiger Größe beritellen. Als Lauge
zur Fabrikation dient das Varec (kaliab-kumi), welches aus
den Solfolapflanzen (uschnun) der Wüfte Durch Verbrennen und
Bufammenfintern gewonnen wird. Die Einfuhr von Spiegeln
und Krpitallgläjern über Konftantinopel und aus Rußland iſt
fehr beträchtlich; fie zieht alljährlih große Geldfummen aus
dem Lande. |
Porzellan wird wenig und von geringer Qualität er:
zeugt, am braudbariten find noch die Gefdirre von Kum
(käse kumi). Daher ift das echte hinefiihe Prozellan
(tschini), über Hindoſtan fommend, fehr begehrt; auch eng:
liche und ruſſiſche Waare, namentlih Thee- und Kaffee:
geiehirre, findet gute Abnahme. Etwas befler veriteht man
fih auf die Erzeugung von Fayence (käschi). Berühmt
find die glafirten Ziegeln, aus denen allerhand Bilder, Jagd:
ſcenen, Landſchaften u. |. mw. zufammengefeßt werden. Das
darzuftellende Bild wird nämlich mit feuerfeiten Farben auf
eine Tehmplatte gebracht, die man dann in Ziegeln zerfchneidet.
Hierauf werden die Ziegeln gebrannt und in der Ordnung
wie auf den: Bilde mittels Kitt und Mörtel zujammengefügt.
Dergleihen Moſaiken dienen zum Belleiden der Wände und
Kuppeln in Mofcheen, Madraffes, Bädern und andern öffent:
lihen Gebäuden. Doch auch diefe Kunft ift in Verfall ge:
rathen. So fchöne Farben, wie fie an ven Belleidungen äl-
terer Gebäude in Ispahan noch zu ſehen find, vermag man
beute nicht mehr bervorzubringen. Die beften farbigen Ziegel
liefert jeßt Kajhan, daher ihre Benennung käschi. Aus
Thon verfertigt man die poröfen Alkarazzas: Trinfgefchirre,
in denen ſich das Wafler friſch erhält und die auch zum Fil:
triren des Waflerd dienen. Man liebt es, fie mit Figuren
und Arabesken zu verzieren, bejonders zeichnen ſich die in
Kum gefertigten (kuze kumi) durch gefhmadvolle Formen
182
zeichneten Firnis (rugan-e-kemun) überzogen, erhalten
ich die lebhaften Farben frifch und glänzend. Man bezahlt
für dergleihen Malereien, je nah dem Rufe des Meifters,
oft fabelhafte Breife, für ein bemaltes. Taſchenſpiegelchen 3. B.
50 Dulaten, und zeigt einen folden Schaß gern dem Euros
päer, mobei es jchidlih ift und erwartet wird, daß der Be-
Ihauer in entbufiaftiiche Bewunderung des Kunſtwerls aus:
breche.
Um dem fortwährenden Geldabfluß zu fteuern, machte
der jetzige Schah, mie ich bereit3 an verſchiedenen Stellen
erwähnt, mehrfache Verſuche zur Erridtung von Fabriken
europäifcher Conftruction. Beſonders zur Seit der engliſch⸗
perſiſchen Wirren ftrebte die Regierung eifrig danach, das
Land von dem englifhen Markt zu emancipiren. Sie gab
fih dabei den unfinnigften Hoffnungen hin. Mit einer kleinen
Spinnfabrif glaubte man in Furzer Zeit alle engliſchen Spin:
nereien entbehrlich machen zu können; als eine Papiermühle
angelegt wurde, fragte der Schab den Vorſteher dieſes im
Bau begriffenen Etabliſſements, ob es möglich fein werde,
Papier darin zu erzeugen, worauf derjelbe raſch erwiderte:
„Sa, ih will dein Dpfer fein, in wenigen Jahren iverden
wir jo viel Papier an das Ausland liefern, daB in ganz
Frengiſtan Fein Bogen mehr fabricirt werden faın.” Natür-
lih entſprach das Reſultat diefer vereinzelten Anläufe, fo
bedeutende Summen aud darauf verwendet wurden, nicht
im geringiten den geträumten Erwartungen. Ich nahm mehr:
mals Gelegenheit, meine Anfichten darüber dem Schah aus:
einanderzufegen, erntete aber nur Undank und üble Nachrede
davon, weil man mich als Europäer in Verdacht hatte, ih
wolle dem Aufſchwung der inländischen Induſtrie binderlich
fein, und jpäter, nachdem alles fo gelommen, wie ich es
porausgejagt, war man zu ftolz, mir Gerechtigkeit widerfahren
zu laſſen.
184
reitung ber Schiefelfäure wurde eine Bleifammer eingerichtet,
die aber Feine ftärfere Säure producirte, als etwa eine
milde Limonade befitt; die ungeſchickten Hände der Arbeiter
verdarben den Mechanismus der Preſſen; und nah Ber:
ausgabung von über 8000 Dulaten hatte man glüdlid
einige Pfund Kerzen mit perſiſchem Stempel und dem koͤnig⸗
lihen Wappen zu Stande gebradt. Die böſe Welt wollte
zwar wiſſen, das Stearin dazu fei aus Europa gelonmen;
allein wie dem auch fei, der europäliche Director erhielt vom
Shah ein Ehrenkleid. Hiermit war jedoch die ganze Unter⸗
nehmung zu Ende. 2) Eine Bapiermühle wurde dicht an
der Stadtmauer von Teheran erbaut, wo feine genügende
Waſſerkraft vorhanden it; für den Betrieb waren einige Ar:
beiter aus Rußland verjchrieben worden. Die mislungenen
Verſuche, aus Lumpen Papier zu machen, dauerten mehrere
Sabre, bis endlih aus reiner Baummolle ein paar Bogen
ungeglättetes graue Papier zum Vorſchein kamen. Inzwi⸗
ſchen jtarb ein Theil der fremden Arbeiter, der andere ver:
fümmerte, und der Betrieb jchlief gänzlich wieder ein. Bon
der Bapierfabrifation, welche im 13. und 14. Jahrhundert
in Charaſſan geblüht haben fol, ift nichts übriggeblieben
als einige Kleine mit Erzeugung von Pappen bejchäftigte
Etabliffement3 zu Ispahan. 3) Für eine neue Glas:
fabrit murden zwei vorzüglihe Arbeiter in Sraufreid
angeworben, die aber ihre Kenntniffe bier um fo weniger
nußbar machen konnten, da e3 nicht gelang, feuerfeften re
fractorifhen Thon aufzufinden. Doch hatte ihre Kurze Wirk:
ſamkeit wenigftens das Gute, daß die Perjer ihnen mande
Bortheile abſahen und auf die heimische Probuctionsweife
übertrugen. 4) Die größten Anftrengungen machte man zur
Errihtung einer Spinnfabrik nah europäiſchem Muiter.
Dampfmaſchinen und fonftige Apparate mußten aus Rußland
mit unjaglider Mühe, nämlich meift durch Menfchenhände,
186
verfallen. Handwerker, die es über eine mittlere Wohlhabens
beit gebracht, lernte ich nicht Fennen. Auf Meiſterſchaft können
nur die Graveure (hekkak) Anfpruh machen und allen:
fals die Gold», Silber: und Emailarbeiter von Schiraz.
Der König befigt ſehr kunſtvoll emaillirte Goldgefhirre von
neuerm Datum, bejonders Nargileb; auch der in jüngfter
Beit renovirte Pfauenthron zeigt recht zierliche in Goldemaille
ausgeführte Inſchriften und Arabesfen.
Gewöhnlich nimmt ein einzelnes Gewerk einen Bazar _
für fih ein, der nad ihm den Namen trägt, jo der Bazar
ber Schuhmacher, Polamentiere u. f. wm. Es herrſcht volle
Gewerbefreibeit und Teinerlei Zunftzmang, doch wählen die
Meifter eines Gewerks aus ihrer Mitte einen Chef, Baſchi
genannt, zur Vertretung der gemeinjamen Intereſſen.
Als die vorzüglichften Fabrik- (karchäneh) und Indu⸗
ftrieftädte (sanaet)) find zu nennen: Ispahan, Kaſchan, Yezd,
Kirman, Schiraz, Hamadan (Leder) und Tabris. Reſcht
am Kaspiſchen Meer verarbeitet etwas Seide, auch werben
daſelbſt jehr jaubere und Fünftliche Stidereien auf Tuch ger
fertigt. Die Refidenzitadt Teheran befitt gar feine Induſtrie
im größern Maßitabe, die dortigen Handwerker vermögen faum
dem Bedarf der Stadt ſelbſt zu genügen.
Der Handel (tedscharet) befindet fi, mit wenigen Aus⸗
nahmen, in den Händen perlifher Kaufleute. Unter allen
Ständen genießt der Kaufmannzitand die meifte Achtung; fein
Eigentbum wird in den feltenften Fällen angetaftet, die Re
gierung ſcheut fih, über ihn DVerationen zu verhängen, von
denen andere Untertbanen ſchonungslos beimgejucht werden.
Während meiner neunjährigen Anmejenheit fam es mir nicht
zur Kenntniß, daß ein Kaufmann von einer Vermögenscon⸗
figcation betroffen worden wäre. Saadi fagt: „Drei Dinge
können obne drei Dinge nicht beftehen: der Staat nicht ohne
Gerechtigkeit, die Wiſſenſchaft nicht ohne Discuffion, das
188
Binfen von Darlehen zu nehmen, verbietet zwar das
mufelmanifche Geſetz; felbftveritändli aber wird das Verbot
vielfach umgangen. Der geſetzliche Zinsfuß iſt auf 12 Procent
firirt, doch werden in geldfnappen Zeiten 18 — 30 Brocent
bedungen. Solide Kaufleute zahlen jelten weniger, noch jeltener
mehr ala 10 Procent Discont auf ihre Wechſel (barat); letztere
werben über Kapital (ras el mäl) und Zinfen (tzenzil) ausgeſtellt
und beim Verfall gegen eine Quittung (Kæbs) eingelöjt. Höchſt
felten geihieht e8, daß ein Kaufmann feine Zahlungen ein:
jtellt (werschikesten), in welchem al er immer in ein
Aſyl flüchtet, bis feine Angelegenheiten geordnet find. In
Betracht der Menge ſich darbietender Aſyle und der Möglich⸗
feit, dort unangefohten die etiwa mitgenommenen Summen
zu verzehren, muß man ftaunen, daß jo wenig Bankrotte
porfommen. "
An der Spige der Kaufleute jeder Etadt jteht ein von
innen gewählter Vorſtand (melek-e-tudschar), deſſen Auf:
gabe e3 iſt, ſowol im allgemeinen die Intereſſen der Cors
poration zu wahren, als aud Streitigkeiten zwiſchen deren
Mitgliedern zu ſchlichten, ſäumige Schuldner zur Zahlung
anzubalten und die Urſachen der Banfrotte zu ermitteln.
Bor einigen Jahren hatte die Regierung einen Handelsminifter
(vezir-e-tedscharet) in der Perjon des Mahmud Chan
Karaguslu eingefegt und demjelben auch die Function der
melek-e-tudschar übertragen; bald liefen aber feitens der
Kaufleute jo zahlreihe Beſchwerden über Drud und willkür⸗
lihe Behandlung ein, daß man vorzog, den alten Stand der
Dinge mwiederherzuitellen.
Die fremden Kaufleute, welche in Berfien Handel treiben,
iind Rufen, Franzoſen, Schweizer, Griechen, Türken, Ar:
mener. Eine Rujlifch-perfiihe Compagnie, obwol von ber
ruffiihen Regierung fubventionirt und Dampfſchiffe auf dem
Kaspiihen Meere zur Verfügung habend, vermochte bisjept,
191
von einigen arabiichen Barken ausgeübt. Doch beſitzen mehrere
Kaufleute in Buſchir Segelichiffe, welche den Handel zwifchen
Indien und Perfien vermitteln. Der von den Armenern in
frübern Beiten jo ſchwunghaft betriebene Handel nach Europa,
befonders Benedig, hat in neuerer Zeit gänzlich aufgehört.
Die armenijchen Kaufleute wanderten theils nah Rußland,
theil3 nach Indien und Java aus und gründeten in diefen
Ländern anſehnliche Handlungshäufer.
Der periiihe Gejandte Ferruch Chan hatte während feiner
Anweſenheit in Europa mit vielen Staaten Handelöverträge
adgejchloffen. Als er über einen foldhen mit einem kleinen
deutfhen Staat in Unterhandlung trat und deshalb nad)
Teheran berichtete, jchrieb ihm der Großvezier Saderazam,
der auf feine Erfolge eiferfüchtig war: „Teheran bat nicht
Kaum für fo viele Gejandte und Conſuln, gleidhwie auf deiner
Bruft nicht alle die verliehenen Orden Platz finden.” Zu
dem König aber fagte der Sader im öffentliden Salam:
„Denn jo große Dinge von einem deiner geringiten Diener
ausgeführt werden, ift dies nicht das Verdienſt des Gejandten;
es ist vielmehr der erhabene Ruf des Königs der Könige, mwel-
chem alle Botentaten ihre Huldigung darzubringen fich beeifern.“
vi.
Aerzte und Heilkunde,
Mangelhafte Berufsbildung der perfiihen Aerzte. Juden als Xerzte.
Mebicinifche Kenntniffe der Laien. Die Praris. Confultationen. Die
Dicherah (Chirurgen), Die Dalak (Bader). Der Schikeſte⸗bänd.
Das Impfen. Gerichtlihe Mebicin. Augenärzte. Hebammen. Cur⸗
ſchmiede. Europäifche Aerzte. Der Hekim bafchi (Leibarzt des Schab).
Mititärärzte. Quackſalber. Arzneiträmer. Einlommen ber Aerzte. Bolls—
mebicin. Klyſtiere. Auflöſende Mittel und Purganzen. Frühjahrscuren.
Mineralquellen. Mediciniſche Theorie. Krankheitsurfachen. Heilmittel.
Wundercuren. Der Puls. Aderlaß. Blutegel. Schröpfen. Fontanelle
und Haarfeil.
Die perſiſchen Aerzte (hekim-tz=bib) glauben ſich im
Belit einer von der europäiſchen oder fränkiſchen ganz ver:
ichiedenen, dem Klima von Iran und den Lebensbedürfnifſen
jeiner Bewohner angepaßten ſpecifiſch perſiſchen Heilkunde;
fie haben feine Ahnung davon, daß ihre geringe medicinifche
Kenntniß nichts als ein Ausfluß, zum Theil eine Caricatur
der Galeniſchen Humoralpathologie ift, von der jie die Form,
aber nicht den Geijt entlehnten. Meine Schüler hielten es
baber, als fie tn die Praxis traten, für angemefjen und vor:
theilhaft, ſih als Doctores utriusque, der perliihen und
europäiihen Medicin, anzufündigen.
194
mit einem breiten Shaml, in bem eine Rolle Papier und ein
Tintenfaß ftedt, trägt einen hohen Stab und PBantoffeln von
grünem Ehagrinleder, geht mit gemeflenen pathetifhen Schritten
einher, ſpricht in ſalbungsvollem Zone, oder murmelt, wäh:
rend er einen grobförnigen Rofenfranz durch die Finger gleiten
läßt, arabiihe Gebetformeln — und der Arzt ift fertig. Be-
figt er überdies einige Kenntniß der arabiſchen Sprache und
des Korans, fo bringt er es bald zu Ruf und Anſehen und
zu einem Einfommen, da3 ihn in den Stand Teßt, einige
Weiber zu heirathen, Pferde, Diener und Eflaven zu halten,
überhaupt ein Hausweſen (destgäh) auf großem Fuße zu
führen. Durch die Straßen fieht man den Arzt gewöhnlid)
auf einem Maulthier reiten, welches er zu diefem Zweck dem -
Pferde vorzieht.
Biele Aerzte find Juden oder jüdiiher Abkunft, nament:
lich befindet fih in Kurdiftan und Turkiſtan die ärztliche
Praris faft ausfchlieglih in den Händen von Juden, und es
fcheint dies von jeher der Fall geweſen zu fein, wenigftens
befagt eine Votiotafel am Grabe Eſther's in Hamadan, daß
im 13. Jahrhundert das Grabmal dur drei Brüder, welche
jämmtlid Aerzte maren, reftaurirt worden fei. Auch in
Teheran gehören vier Brüder aus einer jüdischen Familie
zu den beichäftigtften Nerzten der Stadt. Einer von ihnen,
Namens Hal näzär, mar einige Zeit Leibarzt des vorigen
Königs Mehmed Schah, und der Umftand, daß er, obgleich
fowol diefer Fürft als auch der geliebtefte, zum Thronfolger
beſtimmte Sohn des jeßt regierenden Schah unter feiner Behand⸗
am Scheitel und an jeder Seite zwei Loden, die eine vor, bie anbere
binter bem Ohr. Nur Priefter, Gelehrte und Überhaupt Leute, welche
ein befchauliche® Leben führen, rafiren ben Kopf ganz kahl. Derwiſche
Dagegen, die ſtets barhäuptig geben, und einzelne Gefe und Sitte ver-
achtende Lutis laſſen das Haar in wirren Loden ungehemmt um Kopf
und Schläfe wallen.
197
zeugt, wie ich meinem Collegen in franzöfiiher Sprache be-
merkte, daß ein Aderlaß den ſtarken Mann nicht tödten würde,
glaubten mir doch bei unferm Botum verbarren zu müflen,
und um ihm Geltung zu verihaffen, beſchuldigten mir die
Gegenpartei, fie wolle „das gejegnete Haupt‘ unter die Erde
bringen. Der Großvezier, dem fomit nur die Wahl geitellt
war, mit oder ohne Abderlaß aus dem Leben zu fcheiden, ent-
ließ vorläufig die ganze Verfammlung. Wir wurden in den
Garten geführt und, nachdem wir uns dort auf einen diden
Filzteppich gelagert, mit Thee, Kaffee und Nargileh geftärkt.
Uebrigend nahm die Debatte ihren Fortgang. Mancher ſchleppte
dide Folianten herbei und fuchte feine Anfiht ſchwärz auf
weiß zu begründen. In der Hibe des Gefechts fielen auch
mitunter Scharfe Worte, die man. jedoch dem Eifer für das
Wohl der „Erften Perſon“*) zugute hielt. Unterdeffen hatte
ber Kranke beichlofien, die Entfcheidung zwiſchen den zwei
entgegenftehenden Anjichten dem Koran anbeimzugeben. Bald
erichien der zu diefem Behuf in das Haus befchiedene mutsch-
tehid (Prieſter höhern Ranges); vor ihm ber wurde ein fil-
bernes Käftchen getragen. Er öffnete es unter allerlei Gere:
monien und Gebeten, nahm das Buch (den Koran) heraus,
befreite e3 von feiner dreifachen Hülle von Brocat, von
Sammt und von Seide, und begab fih damit ganz allein
ind immer de3 Großveziers. Diefer, der fchon öfter ders
gleichen Anfälle von Kolik überftanden hatte, mochte ihm unter
vier Augen zu veritehen gegeben haben, daß er die einfachere
Behandlung vorziehe; denn der aufgefchlagene Spruch lautete
dem bon ung ertbeilten Rathe günftig, während er unlere
*) „Erſte Berfon‘‘ (schachse awal) ift ebenfo wie atabek, „Starfe
Bruf, „Stüte des Reihe”, ein Zitel des Grofveziers. Sein Sohn
erhielt den Titel „Disciplin bes Reichs“ und „Zweite Perſon“. DerSchah
in feiner Würde fleht Aber allen Berfonen , tft unperſönlich.
198
Gegner mit den Prädicaten Hunde und Schweine belegte.
Da der Priefter zum Befragen des Drafels ſich immer defjelben
Koraneremplar bedient, fo wird e8 ihm natürlich nicht ſchwer,
eine den Wünfchen des Fragenden entiprecdhende Stelle zu
treffen. Dem Ausspruch des heiligen Buchs gemäß unterblieb
alfo der Aderlaß, und Iran erfreute fich feiner von der Kolit
befreiten „Leuchte“ noch mehrere Jahre, bis fie jodann ſpontan
erloſch. Auf meine Bemerkung, der Koran habe ji) diesmal
den Ungläubigen günftiger erwieſen als den Gläubigen, ward
mir nur entgegnet: „Das Wort Gottes ift ſtets gerecht.”
Um fi den Laien gegenüber ein gelehrtes Anſehen zu
geben, werfen die Nerzte viel mit arabiihen Ylosfeln um
fih, die aber meift ohne Sinn und Verſtändniß angewandt
find. Ihre frengiihen Collegen juchen fie, in der Voraus:
ſetzung, daß diejelben der Sprade nicht vollfommen mächtig
jeien, duch einen Schwall leerer Worte in die Enge zu
treiben; gelingt ihnen dies aber nicht, dann ftügen fie ihre
Argumentationen auf eine Stelle aus dem Koran, auf welchem
Gebiete fie nicht widerlegt werden können, denn der Koran
lügt nit, und an feinen Ausfprücen zu zweifeln wäre
Blasphemie! Anfangs mußte ich mich bei den Eonjultationen
ebenfalls in dieſer Weiſe abfertigen laffen; ſpäter jedoch, ala
ih mir größere Geläufigfeit im Sprechen des Perſiſchen er:
worben, belämpfte ich die Herren mit ihren eigenen Waffen
und ftellte gleich ihnen meine heiße und kalte, trodene und
feuchte Diagnofe.
Die Chirurgen (dscheräh) bilden eine befondere Klaffe
des ärztlichen Standes. Sie werden nur bei äußern Uebeln
zu Nath gezogen und find noch ungebildeter und unwiſſender
als die Hekims. Ein witziger Perſer, den ich um den Unter:
Ihied zwifchen Hekim und Dſcherah befragte, antwortete mir:
‚Der Helim muß lefen und fchreiben Fünnen, der Dicherah
darf es nit.” Der Chirurg fteht in der gelellfchaftlichen
206
auch falls es nöthig geweſen wäre, meine Hülfe in Anſpruch
genommen hätte, will ich dahingeftellt fein laſſen.
Die Thierheillunde (baytali) beſchränkt ſich auf die
Behandlung einiger Krankheiten der Pferde und Maulthiere
und wird von den Curſchmieden (beytal) und von Turko⸗
manen (Mogulen) ausgeübt. Nächſt dem Glübeifen (dägh)
und dem Haarfeil (chuscheh) find am bäufigften Abführ-
mittel im Gebrauch. Daß infolge des Mangels jeglidder me
dicinalpoligeilihen Maßregeln durch Ausbreitung von Seuden
der Viehſtand ſehr gelichtet. wird und ganze Nomadenftämme
verarmen, wurde bereit bei einer frühern Gelegenheit er
wähnt.
Europäiſche Aerzte waren zur Zeit meines Aufent⸗
halts im Lande: in Teheran drei, in Tabris und Reſcht je
einer, in Schiraz einer, der Schwede Fagergreen, der ſchon
ſeit 15 Jahren daſelbſt prakticirte, und in Buſchir einer, dem
engliſchen Conſulat attachirt. Im allgemeinen hat der Perſer
geringes Vertrauen zur Kunſt eines europäiſchen Arztes, wenn
es ſich um innere Krankheitszuſtände handelt, und dieſes mes
nige wird noch durch die Verleumdungen der perſiſchen Col⸗
legen untergraben, welche die Europäer beſchuldigen, daß ſie
mit Giften und Eſſenzen (dschäher) curiren. Der Kranke
nimmt daher mit großer Beſorgniß ein Mittel aus der Hand
des Frengi und täuſcht ihn in der Regel, indem er vorgibt,
eine wunderſame Wirkung davon zu ſpüren, während er es
doch weggeworfen hat und hinter dem Rücken des Arztes ſich
äußert, er würde ſicher, wenn er es genommen hätte, ſchon
längſt im Grabe liegen! Daß die Geſandtſchaftsärzte, beſon⸗
ders der engliſche, vielfach in die Häuſer der Großen gerufen
werden, geſchieht aus dem Grunde, weil man durch ſie in⸗
direct mit der Geſandtſchaft in Verbindung kommen will;
darum richtet ſich auch der Umfang ihrer Praxis nach dem
jeweiligen Anſehen der Gejandtichaft, welcher fie angehören.
208
will dein Opfer fein.) Mit Nein darf man niemals ant-
worten, und wenn er den Mond verlangte, mogegen man
auch nicht gehalten ift, fein Wort einzulöfen.
Während des Frühltüds, das in der Regel eine Stunde
dauert, läßt ſich der Schah gern Geſchichten aus der ärztlichen
Praris erzählen, oder er veranlaßt eine Disputation mit einem
anmwejenden perfiihen Arzt über die Anwendung Falter und
warmer Mittel, oder er ftellt allerlei ragen über euro:
päiſche Verhältniſſe. Mir mar noch die bejondere Aufgabe
zutbeil geworden, nachmittags den König in der franzöſiſchen
Sprade, in Geſchichte und Geographie zu unterrichten. Mit
einem guten Gedächtniß begabt, machte er nicht unbedeutende
Fortſchritte. Er war auch fo ftolz auf diefelben, daß er mid
eines Tags fragte: „Nicht wahr, ich Tpreche beſſer franzöſiſch
als du?” worauf ih im perjiichen Hofftil erwiderte: „Aller:
dings, jedes Wort des Königs iſt eine halbe Million werth,
das meinige aber it eitel.” In Gegenwart des Schah muß
fonjt jedermann ftehen, beim Unterricht war mir jedoch er:
laubt, mich binzufnien: eine große Bergünftigung, da nicht
einmal die Brinzen vom Haufe fich niederfegen dürfen. In
diejer Stellung hatte ich auch die Ehre, vom Schah in ſchwarzer
Kreide gezeichnet zu werden.
Den Eönigliden Harem befucht der Hekim baſchi nur auf
augdrüdlichen Befehl des Shah. Ein Eunude, der ihn ein-
führt, ruft an der Thür das Wort „‚berul” („geht!“), worauf
alle weiblichen Bewohner ſcheu wie die Rehe in ihre verſchie⸗
denen Zellen flüchten uyd nur verjtohlen durch die Fenfter:
Iufen den VBorübergehenden betrachten. Geſenkten Blicks folgt
der Arzt jeinem Führer. Begegnet ihnen auf dem Gange ein
mweibliche3 Wejen, das ſich verjpätet oder den Warnungsruf
überhört bat, fo breitet der Eunuche feinen weiten Mantel
wie einen Vorhang vor das Gelicht des Arztes, big der ver:
fängliche Gegenitand dem Anblid entrüdt iſt. Jede Frau bes
212
Stamme. Als die legte unglüdliche Erpedition nach Serädt
ausgerüftet wurde, bewog ich einen meiner Schüler, als Ark
mitzugehen; ich ftellte vor, daß man ihm einige chirurgifde
Snftrumente verschaffen müſſe; die Anſchaffung wurde abe
verweigert, wie e3 hieß „damit. er Fein Unheil anftifte”, im
Grunde aber nur, mweil man die Eleine Ausgabe jcheute. Auf
einer Reife nach Kaswin im März 1852 begegnete ich mehren
Regimentern aus Teheran, welche wegen der dort berrichenden
- Sholeraepidemie in die Heimat geihidt wurden; da ſah ih
‘
Erkrankte, die nicht mehr weiter fonnten, in Maſſen am Wege
liegen, mit dem Tode ringend und ohne Hülfe verſchmachtend
Welche Klaſſe von Leuten ala Militärärzte angeftellt ſind,
fann man fi nad dem Gefagten wol denten. Der Offizier
ernennt gewöhnlich feinen Bedienten oder einen unwiſſenden
Bader dazu, um defjen Dienjte für ji zu benußen, ode
den Gehalt mit ihm zu theilen. Ich fette es durch, daf
wenigftens den Garnifonen einiger größern Städte, fo Meſchhed,
Schiraz, Tabris, Schüler von mir als Aerzte zugetbeilt wur
den; doch iſt ohne einen völligen Syſtemwechſel Feine Belle
rung der troftlofen Zuſtände zu erwarten.
Neben den Aerzten treiben natürlihd auch eine Menge
Quackſalber (baytar) in Perjien ihr Weſen. Sie beutn
in Geftalt von Derwiſchen, Mulas, Seiden, Santons das
leihtgläubige Volk aus, indem fie ihm die Electuaria
aphrodsiaca, von Perlen, Rubinen, Korallen und Smaragden
bereitet, echte Mithrivat-Latwerge, heilige Erde und Waſſer,
Amulete (muhre) und Talismane für theueres Geld verkaufen.
Paffirt e3 ihnen, daß durch ihre Experimente ein Batient
vergiftet morden, jo verihminden fie fchleunigit, um in
einer andern Stadt ihre Schwindeleien fortzufegen. Unter
den Namen Tansure-chataäi (Ginfeng), wofür fabelbafte
Preije bezahlt werden, liefern fie die Wurzel von Aconitum
ferox (bisch), welcher Betrug während meiner Anweſenheit
216
Wenn ein Patient unter der Behandlung de Arztes
ftirbt, fo verliert Teßterer nicht nur allen Anfprud auf Ho:
norar, fondern man legt ihm auch direct die Schuld an ber
eingetretenen Auflöfung zur Laſt; denn es herrſcht die Au⸗
ficht, daß ohne Zuthun des Arztes der Kranke nicht gejtorben
wäre. Sobald daher ein Krankheitsfall tödlih zu enden
drobt, pflegen die Aerzte fi) zurüdzuziehen, wodurd dem
Kranken und jeiner Familie gewiſſermaßen officiell angelün-
digt wird, daß das Ende nabe ſei. Macht unglüdlicherweije
ber Arzt, mweil er nicht weiß, daß der Kranke bereit3 ver:
Ihieden ift, noch einen Beſuch im Haufe, fo Tann er leicht
in Gefahr fommen, von den Weibern und dem Gelinde thät-
lich mishandelt zu werden. Aus diefem Grunde unterhält
jeder perfiihe Arzt — und auch ih war dazu genöthigt —
in der Umgebung feiner gefährlichen Patienten Spione, die ihn
jofort von dem erfolgten unglüdliden Ausgang in Kenntniß
jegen. Freilich begegnete es mir auch einmal, daß ein in
meiner Cur befindlidher Kranter mir auf diefe Weife als todt
gemeldet wurde, den ich ſechs Jahre Später zu meinem nicht
geringen Erftaunen lebendig wiederſah.
Sn frübern Zeiten mußte fih der Arzt, unter deſſen
Behandlung ein Mitglied der königlichen Familie gejtorben
war, eine Weile verbergen oder ins Aſyl flüchten*), jegt
.baben fih die Anfhauungen in diefem Punkte etwas ge:
mildert. Als Mehmed Schah ftarb, genügte es, daß fein Leib:
arzt Dr. Cloquet in den nädhftfolgenden Tagen feine Wohnung
nicht verließ. Bei dem Tode des zum Thronfolger defignirten
gieblingsfohns des jetigen Königs wurden dem perfifchen
Heim zwar die Stride feines Zeltes abgefchnitten, doch traf
ihn zum ®lüd der Balken nicht und er hatte Zeit, ein Aſyl
*) Diefe Sitte herrſchte noch zu Enbe bes 16. Sahrbunderts im
moscowitiihen Reihe (Dlearius, ©. 163).
222
Burgiren den Körper ſchwächt, geht die befte Zeit zum Han⸗
bein verloren. Roma deliberante Saguntum perit!
Wie in früherer Zeit in Europa, fo berrfcht in Verfien
jegt noch die Sitte, im Frühling eine Depurationgcur des
Körpers vorzunehmen, vorzüglich zu dem Zmed um die an⸗
gehäufte ſchwarze Galle (saudä) zu entleeren. Zweierlei
Umftände tragen bier zur Aufrechthaltung dieſes Gebrauchs
bei: erften3 der unerfchütterte Glaube an die alte Galenifche
Lehre von den fi) anfammelnden humoribus peccantibus,
welche von Zeit zu Zeit in Fluß gefegt und durch Evacuantia
binausgejchafft werben müfjen; zweitens die irrige, aber dem
Naturmenſchen nahe liegende Meinung, daß man Erfahrungen
ex juvantibus et nocentibus bei Thieren ohne weiteres auf
den menſchlichen Organismus übertragen dürfe. Da nun
fein Thier dem Perſer näher jteht als das Pferd und e3 das
einzige ift, deſſen Natur er ftudirt, deſſen Zucht und Ber:
edelung er fi angelegen fein läßt, jo nimmt er gern die an
diefem gemachten Beobadhtungen zur Richtſchnur für die Be
bandlung des eigenen Körpers. Wie die Pferde im Frühjahr
durch Fütterung mit grünem Getreide jtatt mit Stroh und
Gerſte, worin das ganze übrige Jahr ihr Futter beiteht, und
durch Fernhaltung von allen Strapazen einer Regenerationdcur
unterzogen werden, ift im fünften Abjchnitt diejes Theils be⸗
richtet worden. Ganz analog hält der Perſer eine durch⸗
greifende Reinigungscur im Frühjahr an fich jelbit für noth:
wendig.
Man wählt dazu die Zeit zwiſchen Mitte April und Ende
Mai. Nachdem man von feinem Hefim genaue Berhaltungs-
regeln in Bezug auf Gebrauchsmweile (destur el amal) und
Diät eingeholt bat, bereitet man ſich durch fünf bis acht:
tägigen Gebrauch von Solventien vor, nimmt dann ein Ab:
führmittel, ein zweites nach zwei Tagen, jelten ein drittes,
und geht bierauf zur eigentlichen Cur über, welche 30 — 40
224
Gonorrhöe und ihre Folgen, jowie als ultima ratio in allen
chroniſchen Krankheiten, wo andere Mittel nichts Frächteten,
angewendet. Glaubt der Batient Nuten von der Eur zu
verfpüren, jo wiederholt er fie mehrere Frühlinge biuterein-
ander. Manche laſſen fi) die Eur während der Faſtenzeit
vom Arzte verordnen, um dadurch von den vorgejchriebenen
Entbehrungen dispenfirt zu fein. Es mag dahingeftellt blei-
ben, welcher Antheil der veränderten Lebensweiſe oder dem
Zufall daran beizumeffen ift, aber ich habe vom Gebrauch der
Ehinamurzel jehr jchöne Erfolge gejehen und würde ihr wenig⸗
ſtens vor der Sarfaparille unbedingt den Vorzug geben.
Die Sarfaparille (uschpeh) wird jelten allein genom-
men, häufiger dem Decoct der China nodosa beigemilcht; da⸗
ber beveutet „Tschini-uschpeh churdem”: „Ich brauchte die
Pflanzencur”. Turkomanen und Mogulen genießen die China
nodosa als Leckerbiſſen.
Gegen chroniſche Bruſtleiden aller Art gilt friſche Ejels-
milch (schire auläg) für ein ſpecifiſches Heilmittel. Die
Ejelin, von der die zur Eur beftimmte Mil fommt, muß
ein ftarfes, gejundes Thier fein und erſt Fürzlich ein Junges
geworfen haben. Sie erhält während der Zeit ausſchließlich
Grünfutter, vorzüglich viel Lactuca. Dan beginnt die Cur
mit 50 Miskal (7 Ungen), jteigt allmählich bis 200 Miskal,
und von da in den legten zehn Tagen wieder abwärts mit
der Quantität. Natürlich it während der Eur der Genuß
bon Früchten und fauern Speijen unterfagt. Leidende an
chroniſchem Lungenkatarrh, Emphyſem oder unvollflommen ges
löfter Pneumonie erhalten fih durch Efelsmilh, wie ich
mehrfach zu beobachten Gelegenheit hatte, noch mehrere Jahre
am Leben; die Anfälle werden gemildert und die Winter Ieid-
licher überftanden. Ueber die Wirkung in Tuberculofen ftehen
mir Feine Erfahrungen zu Gebote, da biefe Krankheit zu ſelten
im Lande vorkommt.
242
doch laſſen fich auch bier die zahlreichen guten Erfolge nicht
wegleugnen.
. Seltener bringt man bei Menſchen ftatt der Fontanelle
das Haarfeil zur Anwendung. Es wird faſt immer im Naden
getragen und leiftet bei ſchweren Augenübeln vortrefflice
Dienfte. 3 babe mich in meiner Praris mit Vorliebe des-
felben bedient, weil ich feine gute Wirkung, und zwar nidt
blos in der Augenklinik, fondern auch bei verſchiedenen ans
dern Leiden, 3. B. bei einfeitiger Lähmung, durchaus be
jtätigt fand.
VIII.
Narkotika, Gifte und Gegengifte.
Haſchiſch. Opium. Tabad. Stechapfel. Bilfenfraut. Alraunmurzel.
Taftwurzel. Brechnuß. Eiſenhut. Bittermandeldil. Thee. Kaffee.
Wein. Branntwein. Bier. Kumiß. Arſenik. Erden. Mumiai. Bezoar.
„Raum und Zeit ſind es, in denen ſich der Menſch
bewegt, in dieſen liegen ſeine Freuden und ſeine Leiden; er
ſucht das Beſſere, er ahnt das Unendliche, er wird jedoch
durch zeitliche und räumliche Verhältniſſe an die Wirklichkeit
gemahnt, er ſtrebt daher nach Mitteln, welche ſie ihn ver⸗
geſſen machen, dieſe findet er in den Narkoticis. So begeht
er einen momentanen Selbſtmord mit dem angenehmen Ge:
fühle des Schlafens, Träumend und — Erwachens.“ — Mit
diefen Worten erklärt Profeffor Unger in feinen „Botanischen
Streifzügen” ſehr wahr und treffend den Hang fo vieler
Menſchen, ja ganzer Völkerſchaften zum Genuß betäubender
Stoffe. Namentlih die orientaliihen Völker haben von
jeher diefem Hange gefröhnt, und emjig forſchten fie ſtets
nah narkotiihen Kräften in den ihnen erreihbaren Naturs
producten. Es erregte daher durchaus Fein Aufſehen bei den
Perſern, als ic im Jahre 1852 zuerſt mit Aether und Chloro⸗
form dajelbft debutirte.
16°
244
Nachſtehend theile ich die Erfahrungen und Beobachtungen
mit, welche ich über die in Perſien gebräuchlichſten Narkotika
gelammelt babe.
Haſchiſch,
d. h. das Kraut, iſt der allgemeine Name für die Blätter der
Canabis indica (perſ. shähdänen, Königsforn, arab. canab).
Speciell heißen die Blätter im Naturzuſtande beng, als Prä—
parat, zu Pillen und Kugeln gefnetet, tschers. In Bezug
auf feine Wirkungen gibt man dem Haſchiſch verſchiedene Bei-
namen, als: Fröhlichkeitserreger, Geſchlechtserwecker, Troſt
der Betrübten, Moyfterium u. |. m.
Die Pflanze, unferm Hanf ehr ähnlih, nur Fräftiger
entwidelt, wird aus Samen gezogen. Sie gedeiht faft in
allen Gegenden Aliens, in Hindoſtan, Kafhmir, Bengalen,
Fars, Irak, Damaskus, doch genießt das Haſchiſch von ein:
zelnen Provinzen und Orten, 3. B. das von Afghaniltan
und Kaſchmir, den Vorzug, meil die Bewohner mehr Sorg:
falt auf den Anbau verwenden und fich beijer auf die Prä-
paration des Tſchers veritehben. Un Teheran bauen Der:
wifche einige Felder mit Canabis indica. Das befte Berg
kommt von Herat; es wird nicht öffentlich feilgeboten, fon:
dern durch Afghanen und Derwilche in großen blaßgrünen,
etwa 2 — 3 Unzen ſchweren Kugeln unter der Hand verkauft,
während das Tſchers, von ſchwarzbrauner Farbe und ge:
wöhnlih in Päckchen zu 1, Drachme, in den Bazars zu
baben if. Miſcht man geriebene Tſchersblätter unter friiche
Milch und buttert diefe, fo erhält man das Bengöl (rugan-
e-beng), ein jehr ftarfes Haſchiſchpräparat. Tſchers berauſcht
am fchnelliten, wenn es, auf das Kohlenbeden des Nargileh
gelegt, in Dampfform eingeathmet wird. Es Tann länger
ald Beng aufbewahrt werden, ohne durch Verdünſtung feine
Kraft einzubüßen.
Die erften Verſuche im Genuß des Haſchiſch bringen,
245
wie die eriten Studien im Tabackrauchen, peinliche Körper:
zuftände hervor, ſodaß Europäer, welche die Wirkung des
Haſchiſch an fich jelber kennen lernen, gewöhnlich nicht eben
angenehme Empfindungen davon verjpüren. Fortgefebte
Uebung befähigt aber den Organismus zur Aufnahme des
Giftes, ohne daß bei mäßigem Gebrauch Abnahme der Ber:
ftandesfräfte und des Zeugungsvermögens oder directe Lebens—
verfürzung nothwendige Folgen find. Im Gegentheil gilt
es als ausgemacht, daß gewohnheitsmäßiges Tſchersrauchen,
wenn die gehörigen Schranfen eingehalten werden, lebhafte
Gefihtsfarbe, gejunden Appetit und vermehrte Potenz erzeuge,
daß es die Phantaſie anrege, zu Heiterkeit und Frohſinn ftimme
und dem Geilt eine gewilfe Schwungfraft verleihe. Faft alle
Afghanen rauchen täglich Tichers, und fie find in der Mehr:
zahl aufgemedte, muntere, tapfere und entichloffene Leute.
Der befte lebende Dichter Perfiens, Hekim Kani, infpirirte
ih jeden Tag durch Wein und Haſchiſch.
Ebenſo gewiß aber wirft der übertriebene Genuß depri-
mirend auf den Körper wie auf den Geift. Das Gefiht wird
fahl, das Auge matt und ftier, das Blut verdirbt, Appetit
und Potenz nehmen ab, „die Gehirnmafle trodnet aus” („fein
Gebirn ijt feucht” heißt: er ift bei Laune, aufgelegt, beitern
Sinnes; „fein Gehirn ift troden” will fagen: er ift dumpfen,
blöden Geiſtes); Niedergefehlagenheit, Unluft, Zaghaftigkeit
(dschebun), Mangel art Energie und Willenskraft kennzeich—
nen den Bengefjer (benghi), er endet in Melandolie und
Blödfinn.
Das Marimum einer einmaligen Dofis, das der Körper,
ohne unmittelbar vergiftet zu werden, ertragen Tann, dürfte
mol fein: von Tſchers 8 Gran, von Beng "/, Dradme in
einer Schale Milch, von Bengöl höchſtens 4 Gran. |
Eine eigenthümliche Wirkung des Haſchiſch find die Vi—
fionen und Sinnestäufhungen. Das Auge des Beraufchten
246
fieht, fein Obr Hört anders. Ein Kleiner Stein im Wege
ericheint ihm als gewaltiger Felsblod, den er mit hocherho⸗
benem Bein zu überfchreiten jucht, ein ſchmales Rinnfal als
breiter Strom, er begehrt ein Schiff, das ihn ans andere
Ufer trage; die menſchliche Stimme jhalt ihm wie Donner:
gerol ind Ohr. Er glaubt, Flügel zu haben und fich über
bie Erde erheben zu können. Don joldem durch Bengraufd
erzeugten Wahne befangen, ſtürzte ein Unglücklicher in den
Stadtgraben; mir war es beſchieden, feinen Flügel, nämlid
das gebrochene Bein wieder zufammenzubeilen.
Zu allen Beiten haben religiöjfe und politiihe Seftirer
im Drient diefen Zuftand einerfeitd der Ekſtaſe, andererjeitt
der Täufhung und Willenlofigkeit benugt, jowol um ihre
eigene Phantaſie bis zu Viſionen zu fteigern, al3 auch um
neue Anhänger und Neophyten zu gewinnen, und man Tann
behaupten, daß an den Revolutionen, welche die mujelma:
niihe Welt von Hindoftan bis Marokko und Zimbultu er:
ihütterten, das Haſchiſch einen weſentlichen Antbeil batte.
Nachweisbar ift ein folder Einfluß bei der Sekte der Iſsmae⸗
liten, welche im Jahrhundert der Kreuzzüge unter Führung
des Haſſan Sabah von Alamud, des ogenannten Alten vom
Berge, ihr Weſen trieben, und bei der in neueiter Zeit auf:
getretenen Communiftenfette der Babis.
Ale Derwiſche ohne Ausnahme find dem Tichersrauchen
ergeben, woraus jich vieles in ihrem abfonderlihden Gebaren
erflärt, ihr Cynismus, ihre Graltationen, die blinde Folg-
ſamkeit und Verehrung der Jünger (Murid) gegen ihre Obern
(Murſchid), deren Speichel fie fogar als gebeiligte Reliquie
bewahren. Sonft gilt häufiger Genuß des Haſchiſch in der
Öffentlihen Meinung für ein Lafter, und nur wenige Män-
ner, noch meniger Frauen wagen es, demjelben zu fröhnen,
ftet3 aber im geheimen und in nächtlicher Verborgenheit.
Leider bat durch die vielen Afghanen, melde infolge der Be
248
chinensis, mehrere Arumarten, Datura stramonium, Hy-
oscyamus und Aconitum ferox.”)
Opium (Teriaf).
Die Dpiumpflanze (chäsch-chäsch oder cäcnär) ge
deiht in PVerfien nicht füdlicher als bis Rages (Ray, 35°)
und ebenfo wenig in den nördlichen Hocebenen. Man un
terjcheidet nach den Orten des Anbaues folgende Sorten: -
1) Terial-e-Arabiftani aus der Umgegend von Schufcter
und von Disful (dem bibliichen Schuſchan), die ftärkite Sorte;
2) T. Mähan, bei Kirman gebaut, jehr Träftig,; 3) T. Heft
deft, um Ispahan; 4) T. Dezd; 5) T. Ispahan aus un
mittelbarer Nähe der Stadt; 6) die Ihlehten Qualitäten aus
Schahabdulazim, Kaſchan, Kum, welche in bellbraunen Stän-
gelchen in den Bazaren verkauft werden und jehr mit Pflan⸗
zenreften und Amylum verfälicht iind; 7) eine jehr ſtarke
Sorte von dunkelbrauner Farbe aus der Gegend von Sari
und Balafrufh in Mafanderan am Kaspiſchen Deere.
Der Gebrauch des Dpiums ift allgemein, er ift nicht
verboten, nicht entehrend, wie der des Haſchiſch, ſondern öffent:
lih gebilligt. Saft jeder Perſer, der die Ausgabe erſchwingen
fann, nimmt mwenigftens einmal des Tags eine Opiumpille.
Bejonders viel Opium wird in den Marjchländern des Kas—⸗
piihen Meeres conjumirt, weil man glaubt, daß feine aus:
trodnende Eigenichaft dem ſchädlichen Einfluß der dort herr:
Ihenden Feuchtigkeit entgegenwirfe. Schah Abbas II. wollte
das Verbot des Weins ftreng aufrecht erhalten; infolge deffen
griff aber der Genuß des Opiums (cäcnär und Syrupus
diacodii) in der Armee dermaßen um fi, daß er fich ge
nöthigt ſah (1621), das Verbot wieder zu mildern, wogegen
er nun Verkäufer wie Käufer von Cacnar mit dem Tode beftra-
*) Arbeiten der kaiſerlich⸗-ruſſiſchen Geſandtſchaft zu Peling (Berlin
1858), II, 467.
252
zu ftatten, während der Europäer, weil er mit feinem leb-
baftern, unrubigern Temperament ji nit Jahr aus Jahr
ein an die feitgezogene nothwendige Schranke zu binden ver:
mag, bald die Doſis vermehrt, bald gar zum Morphium greift,
namentlich aber der Verfuhung nicht widerſteht, zu andern
als den beitimmten Stunden des Tages oder der Nacht da3
Narkotitum zu nehmen, durch fortgejegten Opiumgenuß Ge
jundheit und Leben aufs Spiel ſetzt. Ebenſo verfallen die
Derwiſche und Falire, welche ein umberichweifendes müßiges
Leben führen, faft alle der Unmäßigfeit; fie werden Teriakhi,
d. i. Opiumeſſer und Opiumrauder von Profeliion, und be
finden ih in fortmährender, Körper und Geift zerftörenber
Narkofe. In meiner Gegenmwart verfpeilte ein Derwiſch nicht
weniger al3 6 Stangen, nahe an 7 Dradhmen Opium auf
einmal.
Die Entwöhnung von Opium nad jahrelangem Gebraud
kann ebenfall3 ohne nachtheilige Folgen geicheben; nur muß
der Uebergang ein jehr langjamer und allmählicher fein.
Manchen allerdings ift der Genuß dermaßen zum Bedürfniß
geivorden, daß der ganze Organismus franft, bis fie wieber
zur alten Gewohnheit zurüdfehren.
Perfonen, deren Körperconftitution das Opium ganz
mwiderjtrebte, die beim mäßigſten Gebrauch deffelben abma-
gerten und an hartnädiger Leibesverftopfung oder Schlaflofig:
feit litten, fand ich jehr wenige. Dagegen gibt es Indivi—⸗
duen, die es ohne Beeinträchtigung ihrer Geſundheit auf
20 — 30 Gran per Tag bringen und eine Reihe von Jahren
dabei aushalten. So erzählt Sir John Malcolm, der gründ:
lichite Kenner iraniſcher Zuftände, in feinen „Skizzen aus
Berlien” folgenden al: „Ich Hatte an dieſem Tage das
Vergnügen, mit meinem alten Freunde Mohamed Riza Ehan
Byat zufammenzutreffen, der aus Schiraz zugereift am. Er
galopirte Ted wie ein Jüngling auf mich zu und rief fchon
254
er beſaß noch Geifteskraft genug, um mir in einer lebhaften
Discuffion die Vorzüge des Islam auseinanberzufeßen.
Nah alledem könnte man mol vom Opium, das cons
fequente Fefthalten an ber gewohnten mäßigen Doſis voraus:
gefegt, ebenfo wie vom Kaffee fagen: wenn es ein Gift if,
ſo muß e8 doch ein fehr langſam wirkendes fein.
Unbedingt von ſchlimmen Folgen ift das Opiumrauchen,
um fo mebr, da der Dampf nicht durch das Nargileh, - welches
einen großen Theil der Alkaloide im Waller zurüdhält, jons
dern durch die kurze türfiihe Pfeife eingefogen wird. &&
ift in Berfien bei weitem weniger verbreitet als in der Tür
fei; durch die öffentliche Moral verdammt, wird es nur aus:
nahmsweiſe und in tiefiter Verborgenheit geübt. Nach kurzer
Zeit zeigen ih an dem Opiumraucher die befannten Symp⸗
tome der chroniſchen Narkofe: eingefallenes Geficht, ftierer
Blid, jtrohgelbe Gefichtöfarbe, fchlotternder Gang, Schlaf:
und Appetitlojigfeit, geiftige Erfchlaffung, confufes Denken,
zulegt ‚wirklicher Irrſinn.
ALS acutes Gift mird Opium namentlih von Selbit-
mördern gebraudt. Wie bei allen an ein unabänderliches
Fatum glaubenden Völkern ift bei den Perſern der Selbft
mord zwar nicht eben häufig, aber er fommt doch dann und
wann vor. Auffallend dazu geneigt find Neger und: Nege
rinnen. Das Rettungsverfahren bei acuter Opiumvergiftung
beitebt im Darreichen von Brechmitteln und ftarkem Schwarzen
Kaffee unter beitändigem Rütteln des Körpers und Beiprigen
defjelben mit faltem Waſſer. Damit die noch unverdaut im
Magen liegenden Opiumftüde mit fortgehen, thut man gut,
por dem Brechmittel etwas Wein zu geben. Ich behandelte
das zehnmonatliche Kind des Füniglihen Secretärs Mirza
Abbas Munſchi, dem eine Negerin aus Rache gegen bie
Mutter 9 Opiumpillen in den Mund geitopft hatte. Als ih
gerufen wurde, lag es bereits, blau und mit verengter Bus
256
gefhieht, und auch der Name deutet auf fremdländifche Ab-
kunft bin. Sie ſcheint einen etwas falzigen Boden zu Lieben;
wenigſtens jah ich in der Nähe von Tombalipflanzungen immer
viele Salfolen wuchern. Nördlicher ald 349 gedeiht fie nit
im Zafellande Iraks, ebenfo wenig fommt fie in den feuchten
Marſchländern am Kaspiichen Meere fort. Der höchſte Punkt,
wo ich fie fand, ift Afepas, auf einer Hochebene zwiſchen
Shiraz und Ispahan gelegen. Es war am 26. Suli, al
ih den Ort paſſirte; das Thermometer zeigte als Mari
mum der Tagestemperatur 24°, Waller fochte bei 93%. Su:
deß zweifle ich, dab die Pflanze dort zur Reife gelangt, denn
die Blütenfnospen waren noch nicht einmal angedeutet.
In der Provinz Laar, ſüdlich von Schiraz, wächſt bie
befte Sorte, der Tambäkü Schirazi. Er bat viel Aroına und
gewinnt durch das Alter an Güte; 1 Man (5Y, Pfund)
foftet in Teheran %, Dulaten. Der größte Theil wird im
Lande confumirt, das übrige geht nah Konftantinopel, au
nad Petersburg und dem Kaufafus. ALS zweite Sorte gilt
das Gewächs von Ispahan, das weniger aromatiſch ift,
Kragen im Halſe verurfaht und fich nicht lange aufbewahren
läßt. Andere Sorten, wie die von Kaſchan, Yezd u. ſ. w.,
werden nur von den ärmern Klaffen geraudt oder nad
Bagdad und Konftantinopel verkauft. Die Ausfuhr ift be
trächtlich und hat namentlich jeit dem Krimkriege zugenommen,
weil ſeitdem der perſiſche Tabad auch in Europa beliebt wurde;
fie erreicht einen jährliden Werth von 2 — 300000 holl.
Dufaten.
Anfangs Mai legt man zu Ispahan den Samen ziemlich
dicht in die Erde. Nah Verlauf eines- Monats werben die
etwa 3 Zoll hohen Pflänzchen ausgehoben und meitläufiger
in Beete, ähnlich unfern Kartoffelbeeten, verjeßt, die zu beis
den Seiten von tiefen Furchen zum Zweck der Bemäflerung
eingefaßt find. Allzu viel Näſſe fcheint die Pflanze nicht zu
262
wurde mir von feinem Vater zugeführt, weil das Uebel ihn
binderte, die arabiihen Gebete, zu denen der Perjer vom
dreizehnten Jahre an verpflichtet ift, deutlih auszuſprechen.
Durch innerliden Gebrauch friſch pulverifirten Daturaſamens,
begleitet von Falten Umfchlägen auf den Kopf, gelang es mir,
ihn binnen zwei Monaten zur Berrihtung der vorgejcrie-
benen Gebete zu befähigen.
Schwarzes Bilfenfraut (Hyoscyamus),
perſiſch bezer ul bendsch oder benk, kommt in allen feinen
verichiedenen Arten vor. Dr. Buhze (vergl. deſſen „Geſam—
melte Pflanzen in Tranzfaufafien und Perſien“, 1860) be
obachtete und bejchreibt ven H. niger, persicus, Camerari,
Seneccionis, bipennatisectus, pusillus. Mit den Samen
werden beraufchende Latwerge verjegt, vornehmlich das Opium:
barſch. Das Kraut wirkt, äußerlich angewendet, Ihmerzitillend.
Alraunmwurzel (Mandragora),
perfiih merdum giäh (Mannskraut), mehr-e-giäh (Liebes:
fraut), jabrudsch -es sannam, biche-lzfäh, sek - kun,
findet jih nur im jüdlichen Theil des Landes, am häufigften
um Shiraz. Man fchreibt der Wurzel, wie ehemals in
Europa, übernatürlihe Kräfte zu und trägt jie als Amnlet
zur Verhütung von Epilepfie, Unfruchtbarkeit, Abortus, Un-
treue de3 Mannes oder der Frau, Ungnade des Königs,
jowie zum Schuß gegen Bezauberung und dämoniſche Einflüſſe.
Taftwurzel (Scopolia mutica),
perliich bich-e-Taft, risch-e-Taft, schukerän, durs, wächſt
im Bezirf Taft unweit Yezd und bildet einen Beſtandtheil
der meilten narkotiſchen Latwerge. Auch miſcht man zumeilen
feine Quantitäten dem Zuderbrot bei, um jih an den un:
willkürlichen raftlofen und lasciven Bewegungen derer, bie
276
ein im Magen der Bergziege ſich bildender meiſt eiförmiger,
an der Oberfläche abgeglätteter, im Innern zwiebelartig häu—
tiger Stein, deſſen Kern ein Stengelchen, bei den Fugelför:
migen die ruht vom Kraute Muchalefjeh bildet. (Mucha—
leffeb ift, wie ich glaube, ein fabelhaftes Kraut; denn auf
mein Befragen wurde mir immer wieder eine andere Pflanze,
über ein Dußend ganz verfchiedene Gewächſe, als Muchalefjeh
bezeichnet.) Mit Eſſig gerieben, nimmt der Stein eine röth:
lihe Farbe an; in feinem Innern finden ſich oft mollige
Faſern. Der Bezoar von Hinduftan ift ſchwärzlich und von
ſchwächerer Wirkung als der von Schiraz. Der echte Bezoar:
ftein ift ein Gegengift gegen jämmtliche Gifte, ftärft den
Magen, zertheilt kalte Geihmwülfte und ſchützt vor der Bet.
Aeußerlich bewährt er fich gegen Stiche von Inſekten, beion:
ders der Bienen.’ "
perlüd sarbmedsch, moron abaeieniet
Zeit häufig auf dem Tradiptgebirge ziwifhen Aspaban und
Mabiar. Dorthin kamen jährlih im Frühling die Auguzeh⸗
Ausbeuter aus Choraffan; fie umgaben die Pllange mit einem
Wal von Steinen, fchnitten den Stod ab und fammelten
dann das Harz. Da fie aber keine Stöde zum Samenaus—
ftreuen übrigließen, finden ſich jeßt nur noch vereinzelte Erem-
plare dort. Hingegen fol fie zwiichen Ababeh und Murgab
noch bäufig fein, wo aud wie in Laar (füblihe Provinz)
die Aa gejammelt wird. Um Ababeh nähren ſich im Früh:
ling die Schafe von den Blättern der Pflanze; Milch und
Butter ſoll davon, wie mid alaubivürbige Männer verſicher⸗
ten, jo ſtinkend jein, daß fie nur Eingeborene geniehen mögen.
Aud aus Herat bradte mir ein engliſcher Arzt mebrere
Sprofien, welche mit Harptbränen ganz bebedt waren, Aus
dem Borfommen im beißen Zaor und ambern Gegeben Ifi
erſichtlich, daß bie Planze ein märmeres Mlima und ein⸗
geringere Meeresböhr verlangt.
Das meifte Hary ber F. as fortida wird nad Indien
erperürt, mo 23 zu culinariſchen Zweden bient; eb bildet
F ein häufiges Ingredienz ber Saucen zum Pillaw. Geine me
diciniſche Anwendung in Verſien if jebr auegedehnt, beſon⸗
Ders gegen Krampfleiden, es gibl Leute, Die ſich fo bazalı
en, DE ae, iwie den DOpinmeflern bas ”
Ferula sagup
X.
Rrankheiten und Epidemien.
Epidemien. Allgemeiner Krankheitscharafter. Rötheln. Rothlauf. Blat-
tern. Maſern. Scharlach. Neſſelſucht. Furunkel und Karbunfel.
Pemphigus. Krätze. Acne. Aleppoknoten. Ausſatz. Syphilis. Diarrhöe.
Kolik. Ruhr. Cholera ablactatorum. Hämorrhoiden. Eingeweibe⸗
würmer. Leberleiden. Stein. Harnruhr. Blutharnen. Kinbdbettfieber.
Potenz. Keuchhuſten. Chroniſcher Lungenkatarrh. Lungentuberkuloſe.
Herzklopfen. Krampfadern. Geiſteskranke. Skrofel. Krebs. Wechſel⸗
fieber. Typhus. Cholera. Augenkrankheiten. Schagugulus. Wunden.
Eine allgemeine Darſtellung der in Perſien herrſchenden
Krankheiten durfte in dieſem Buche, das ein Geſammtbild
des Landes und ſeiner Bewohner zu entwerfen beſtimmt iſt,
nicht ganz übergangen werden. Wenn ich mich veranlaßt
ſah, einige Krankheiten, wie Wechſelfieber und Ruhr, ſogar
ausführlicher abzuhandeln, ſo geſchah es, weil darauf die
Geſetze der Acclimatiſation beruhen, auf die ich ein beſon⸗
deres. Gewicht lege. Aerzte mögen die Oberflächlichkeit, Nicht:
ärzte die Weitläufigfeit meiner Darftellung entichuldigen.
Die.in Europa gemachte Beobachtung, daß Epidemien
einen fehr unerheblichen Einfluß auf Verminderung der Popu⸗
lation ausüben, indem der etwaige Ausfall ſich raſch wieder
erfegt, bat feine Gültigkeit für den Orient, wo durch Epi⸗
291
demien die Sterblichkeit in einem Grade fteigt, daß z. B.
Gegenden, in denen vor 33 Jahren die Peſt wüthete, ſich
heutigen Tags von dem Menſchenverluſt noch nicht erholt
haben, und Lüden, die Cholera=, Blattern-, Mafern: und
Keuchhuften-Epidemien gerifjen, fi äußerſt langjam wieder
ausfüllen. Nur infolge des mangelnden Verkehrs und Danf
den bedeutenden Elevationen des Landes erlöfchen Epidemien
und Viehſeuchen zulegt in fich jelbjt; der Menſch, vom Glau—
ben an das Fatum beherrſcht, ergreift feine Maßregeln da—
gegen, höchſtens verlaſſen einige Reiche den inficirten Drt,
um in Selten zu wohnen, und der Nomade treibt fein Vieh
in eine andere Gegend; die große Maffe der Unbemitteltern
jedoch, die nicht im Stande find, den Ort zu wechſeln, fällt
wehrlos der verheerenden Seuche zum Opfer. Daß aber ein
verbältnigmäßiger Erſatz des Menihenverluftes nicht ftatt-
finden fann, liegt in den gefammten Einrichtungen des ehe—
lichen Lebens begründet, wie fie im fechsten Abſchnitt des
erften Theils geichildert worden find,
Das Negiiter der Krankheitsarten ift wenger reichhaltig
als in Europa; dagegen treten die einzelnen bei weitem
maſſenhafter auf: wie etwa die Vegetation mancher obwol
üppig bewachſenen Gegend doch dem Botaniker geringe Aus:
beute gewährt, Am ganzen gehören Entzündungen, beſonders
der Bruftorgane, zu den Ausnahmen; vorberrihend aber find
Krankheiten des Uitterleibes, der Leber, der Milz, der Ge
bärme, vor allen Fieber und Ruhr. Fa am Kaspiſchen Meer
verdrängen die legtern beiden faſt alle andern Krankheiten oder
prägen ihnen wenigitens ihren Charakter auf. Mandye Krant:
. beiten find Perfien eigenthümlich; die Knoten: und Glieder-
lepra, der Aleppofnoten, der Medinawurm, die Vitiligo, die
endemische Gangräne, ein typhoides Fieber. Andere fehlen
oder find fo jelten, daß fie in der Aufzählung kaum mit ge
nannt werden können, jo die Tuberkuloſe, die Strofulofe
19*
292
und die Rhachitis unter der weißen Raſſe; ferner Krebs,
Scharlach, Lupus, Krupp und Kondylosmen.
Hautkrankheiten jind zwar, weil der Perſer große
Sorofalt auf die Pflege der Haut verwendet, nicht ganz ie
häufig wie in andern heißen Ländern, aber immerbin, k-
ſonders in einigen Städten, zahlreih genug, und der It
bat um fo mehr Gelegenheit Studien darüber zu machen, je
ängftlicher der geringfte Hautausfchlag beachtet und Arztlider
Rath dagegen eingeholt wird. Man fieht in jedem Haut
leiden den Ausprud einer allgemeinen Krankheit, daher mar
fih auch felten mit blos örtliden Mitteln begnügt.
Hautausshläge und Hautentzündungen.
Rötheln und Erythrema erjcheinen im Frühling nik
jelten, find jedoch gewöhnli von kurzer Dauer und von ki
ner bejondern Bedeutung.
Rothlayf (bäde-surch oder bäde mebarek) Iomst
bäufig jporadifh vor, wird aber auch zu Zeiten cpideid.
Mehrere Epidemien diefer Art, die ich beobachtet Habe, wer:
liefen gutartig, nur wenige Fälle endeten, wegen Entzündey
der Hirnhaut, tödlih. infolge Übertriebener Anwenday
von Blutegeln, Abführmitteln und Einreibungen mit arm
ſchem Bolus feitens der einheimifhen Aerzte Titten vu
Neconvalefcenten an langdauernder Blutleere. Auch ein—
Fälle von wandernder Rofe (Eryſipel) ſah ih glüdlich w
laufen.
Die Blattern (äbeleh, dschudderi) tragen eine Ham
ſchuld an der großen Sterblihleit der Kinder, mithin an
Abnahme der Bevölkerung. Ferner werden neu
mene Regimenter, ſowie die Neger: und Beludfchen
hart davon mitgenommen. Wer je, wie ich einmal,
war, daß von 20 während einer Blatternepidemie in Tepe
297
auf. In Rußland fand ih ihn nur vereinzelt in Trans—
taufafien in der Stadt Gendſchè (Elifabetbpol), doch foll er
auch in Baku vorkommen.
Das Geſchwür firirt ih vornehmlid) um den Jochbogen,
am äußern Augenwinfel, am untern Augenlid, an der Wange,
an ber Bade, an der Naſenſpitze, feltener an der Nafen-
wurzel, der Stirn, dem obern Augenlid, der Ohrmuſchel und
den Lippen, niemals am Bart und dem behaarten Klopftheil.
An den Ertremitäten erjcheint es bei Eingeborenen felten,
häufig dagegen bei Fremden und Zugewanderten, und zwar,
wie ich übereinjtimmend mit Brof. Riegler beobachtete, mehr
an den untern als obern Ertremitäten. Die Schleimhäute
werden nicht davon affieirt; ſo bleiben bei Bontons am
Augenlid, im innern Augenwinfel und jelbit wo wegen An-
ihwellung des Lides das Auge mehrere Wochen geſchloſſen
war, die Thränendrüfen unverlegt. Ich ſah den Anoten
zweimal am Halie, waanahuriineiie am Gange; einmal an
der Kniejheibe, mehrmals auf dem Handrüden und Fuß-
blatte, fein einziges mal aber im Handteller, auf der Fuß:
johle, zwiſchen den Fingern oder Zehen, am Rüden und an
den Genitalien.
Zumeift werden Kinder vom erften bis zum fiebenten
Lebensjahre davon ergriffen, einheimiſche Erwachſene jelten,
weil dieſe entweder nicht dazu disponirt find oder die Krank:
beit jhon in der Jugend durchgemacht haben. Da letzteres
bei Fremden nicht der Fall ift, find fie in jedem Alter dem
Uebel unterworfen, ebenjo in den verfchiebenften Friſten nad)
wurde im zweiten Jahre feines Aufenthalts im Lande am
Wadenbein, ich jelbft im fiebenten an ber innern Rniefläde,
der Franzoſe Richard im funfzehnten, der Engländer Thomion
im achtzehuten, von einer Reife nah Bagdad zurüdtehrend,
ber Pole Sokolomfti erft im zwanzigften von ber Krankheit
322
fein, Sondern mir allein die Verantwortlichkeit für alle Fol:
gen zufallen.” (Folgt das Siegel Abbas Ali's und das feiner
Enkel und zweier Briefter.) — Was mir die Operation zuiveilen
erichwerte, war der Mangel an Fundigen Aſſiſtenten; id
batte oft nur Diener zur Seite, die beim Anblid von Blut
in Ohnmacht fielen. Bei der Operation eines Knaben konnte
ich feinen andern Affütenten finden ald einen Scharfrichter;
doch auch er wurde im Verlauf der Operation obnmädhtig.
Als ich ihm nachher feinen Kleinmuth vorwarf, erwiderte er:
„IH Tann nur Blut jeben, wenn ich es jelbft vergieße, nicht
aber wenn die That von andern vollbradyt wird.” Anderer:
feit3 bat die mit einiger Geichidlichkeit ausgeführte Stein-
operation in Perſien nicht viel mehr auf fih als in Europa
die Deffnung eines Abjceffes, denn man kann faft mit mathe
matiſcher Sicherheit die volljtändige Genefung auf den vierzehn:
ten oder funfzehnten Tag vorausbeitimmen. Das Wunodfieber
ift gering; bereit am zweiten oder dritten Tage ftellt ſich
guter Appetit ein, und die Nachbehandlung reducirt fih auf
Null. Oft Spielen die Kinder mit noch offener Wunde auf
dem flahen Dache, ohne daß die Heilung dadurch meientlich
beeinträchtigt oder verzögert würde.
Harnruhr beochachtete ih nur dreimal, an zwei Män-
nern und einer Frau; in dem einen Falle trat infolge reid)-
lien Genuſſes von Granatäpfeljaft und jauerer Milch erft
Stillitand, dann Beflerung ein.
Blutharnen findet man, außer in Begleitung von
Harnſteinen, bei vielen von Kerbelah bei Bagdad zurüd:
tehrenden Wallfahrern. E3 dauert oft mit Unterbrechungen
mehrere Monate, jelbit ein bis zwei Jahre, ohne jedoch große
Beſchwerden zu verurfahen, und hört dann von felber auf:
eine räthſelhafte Ericheinung, welche Larray auch bei franzö-
ſiſchen Soldaten während der Erpedition nach Aegypten be-
obachtet hat.
326
Lage des Landes und dem übermäßigen Genuß von Thee
und Kaffee herrühren mag. Es raubt oft monatelang den
Schlaf, erreicht einen ſolchen Grad, daß der Kranke mittels
Fortpflanzung des Tons dur die Unterlage hindurch bie
Schläge jeine® Herzens vernimmt, und verihiwindet dann
wieder für längere Zeit ohne erkennbaren Grund.
Krampfadern an den untern Ertremitäten, daher aud)
chroniſche Fußgeſchwüre, finden fi in jehr geringem Maße;
felbft während der Schwangerfchaft werden fie kaum ſchmerz⸗
baft oder im Geben binderlih. Sch hatte mich früher gerade
mit diefer Krankheitsform viel beihäftigt und eine Abhand⸗
lung darüber gejchrieben; meine Erwartung, daß ſich mir in
Perſien neues Material dazu bieten würde, blieb unerfüllt.
Krankheiten des Rervenipftems fpielen Feine große
Role im Berzeihniß der herrſchenden Törperlicden Leiden,
denn der Perſer ift durchaus nicht nervöſer Eonftitution.
Seine Erziehung, jein leidenſchaftsloſes QTemperament, Die
Gleichgültigfeit, womit er der Zufunft entgegenlieht und nur
der Gegenwart lebt, furz feine ganze Denk- und Anihauung?:
weile bewahrten ihn vor Aufregungen, mie fie das Leben in
unſern europäiſchen Verhältniffen mit fih bringt. Das rail:
Iofe Streben des Europäers erfcheint ihm unbegreifli; er
nennt ihn wegen feines lebhaften Temperament und Ge-
berdenausdruds diwäneh oder sefih, was fi etwa mit:
„et bat einen Sporn zu viel’ überjegen läßt.
Kaum in irgendeinem andern Lande ift die Zahl der
Geiſteskranken eine jo beſchränkte, in Teberan 3. B. be:
trug fie nicht mehr ala 8 — 10. Es madt fih daher aud
nicht das Bebürfniß von Srrenhäufern fühlbar. Blödfinn
entfteht fait nur durch äußere Verlegungen, einen Stoß,
Schlag, Fall auf den Kopf, bei Derwiſchen allerdings auch
von ftarlem Haſchiſchgenuß. Manie und Tobfucht find ebenfo
328
ih in Verbindung mit langandauernden Wechielfiebern, be
ſonders häufig fein. Daß Europäer in Perſien an Rheu⸗
matismus gelitten hätten, hörte ich nie, obgleich man infolge
der mangelhaften Conjtruction von Fenftern und Thüren
fortwährend der Zugluft ausgeſetzt ift. Gicht (naekres) fin-
det fih mitunter bei Männern in den vermögenden Klaſſen.
Eingemwurzelt ift fie in der regierenden Familie der Kadſcharen;
der vorige König Mehmed Schah ift an der Gicht geftorben.
Skrofel finden in Perlien, wo die Kinder. den größten
Theil des Tages im Freien, auf dem Dache, im Hofe oder
auf der Gaſſe ſich bewegen und auch die fenfterlofen Zimmer
nicht von der äußern Luft abgeiperrt find, Teinen frucht⸗
baren Boden. In der That beſchränkt fih die Sfrofulofe
(chänäsir) auf einzelne Halsdrüfen. Bei den eingeführten
Negern dagegen trifft man fie unter den scheußlichiten For⸗
men; die wenigen, welche der Tuberkulofe entrinnen, geben
an Skrofelſucht zu Grunde.
Die engliihe Krankheit (Rhachitis) ift fo felten, daß
die perliihe Sprache feinen Namen dafür hat. Nur eine
Familie in Teheran war damit behaftet, und aus Un—⸗
fenntniß bielt man fie deshalb für ein geborene Zwergen⸗
geichlecht.
Auh für den Kropf befikt die Sprade fein Wort;
doch jah ich acht bis zehn Fälle von ſchwach ausgebildeten
Cyſtenkröpfen. Von Eretinismus findet fi im ganzen Lande
feine Spur, er jcheint ein Erbtheil der celtiihen Kaffe
zu jein. |
Der Sforbut ift in den höher gelegenen Theilen Ber:
fiens unbekannt, wenigſtens begegnete mir fein einziger Fall
ber eigentlichen Morbus maculosus Werlhofii, wie überhaupt
deren Bewohner der Anlage zu Blutflüffen, mit Ausnahme
der Hämorrhoiden, ermangeln. Am Kaspiihen Meer aber
33)
mann ans Add, der au ver äubern Flüde des rechten
Zeigefingers ein Naurom ven der Größe eines Haufteru⸗
hatte und unfaglihe Schmerzen litt, heilte ich durch glũcllich
vollrfährte Abnahme des ergriifenen Fingergliedes
Das Wechſelfieber (febris intermittens, perĩ. tæbe lzrz',
in vielen Gegenden nur endemixh, in andern zu geminen Zeiten
auch epidemiſch auftreten, ift die in Berfien am bänfigitem vor:
fommmende Krankheit und fowol für jich allein wie im jeimen
zolgen und feinen Complicationen mit andern Uebeln Haupts
factor der gefammten Sterblichkeit unter den Eingeborenen.
Auch faft alle ins Land fommende Europäer erfranfen duram,
gewöhnlich bald nad ihrer Ankunft, mandymal and erft nad)
mebhrjährigem Aufenthalt. Im ihm Liegt die größte Schwie
rigteit der Altlimatilation, und jeder, der Periien bereit,
bat jih daher mit den Symptomen, dem Berlauf und der
Behandlung diefer Krankheit vertraut zu machen, will er nicht
muthwillig jein Leben in Gefahr geben. Sehr menige Ra-
turen zeigen feine Dispotition dafür, doch auch von ihnen
die Mehrzahl nur fcheinbar; fie erfranfen fpäter und dann
um fo gefährlider. Meine nachſtehend mitgetheilten GErfab:
rungen über die Krankheit habe ich zwar nur in Perfien ge:
fammelt, ich glaube aber mit Grund annehmen zu dürfen,
daß fie auch für andere Fieberländer maßgebend jind.
Mit mie verfchiedenen Symptomen auch da3 Wedhiel:
fieber fih äußern mag, der beitimmte Charakter der Krank:
beit bleibt unter allen Verhältniſſen derjelbe; Beweis ift, daß
die Formen in einander übergehen over fich folgen, und daß
fie alle zur felben Jahreszeit auftreten und wieder verfchwin:
den. Dan unterjcheivet jedoch drei Cardinalformen: 1). das
einfache, 2) das continuirlidh remittirende, 3) das perniciöfe
Fieber (Fibris maligna ).
334
geringe oder gar feine Milztumoren zurüdlaflen. Bei dem
einen vergeben fie raſch, bei andern bleiben fie 10 — 20
Sabre hindurch flationär. Manche damit Behaftete empfinden
außer etwa ſchlechter Verdauung feine Beichiwerden; jede Er:
fältung zieht aber jofort wieder einen Fieberanfall zu. Am
Kaspiſchen Meer reagiren die Wechjelfieber mehr auf die Leber
als auf die Milz, daber fie dort häufig Leberanſchwellungen
zurüdlaffen. Gelbſucht, wenn fie im Beginn des Herbſt⸗
fiebers auftritt, weicht fchnell der Behandlung mit Chinin und
ausleerenden Mitteln; ſehr bedenklich aber ift ihr Erjcheinen
in einer vorgejchrittenen Krankheitsperiode, denn fie weit
dann auf Degeneration der Leber hin. Dysenterie, Cholera
während einer berrichenden Epidemie, am Kaspiſchen Meer
Skorbut, verbinden jich gern mit den Mechlelfiebern. Unter
die möglichen Folgen gehören ferner Schwähe des Seb>
vermögens, Hemeralopie, Waſſerſucht, und bei jungen Leuten
das Gelüft nach dem Berfchluden ſchädlicher, auffallende Blafe
geräujhe im Herzen und den großen Gefäßen erzeugender
Erden. Das Heimmeb äußert jih in Perſien gemöhnlich als
continuirlich remittirendes Fieber. Gleichzeitig mit den Wechſel⸗
fieberepidemien im Herbit grafliren auch die Cholera ablacta-
torum und die Keratitiven. Niemald aber berrichen gleich:
zeitig mit dem Fieber Typhus oder andere entzündliche Krank:
beiten; erjt wenn im Beginn des Winters der epibemifche
Charakter des Wechtelfiebers aufhört, fangen Typhus und
entzündlide Krankheiten überhaupt zu grafliren an, und
ebenſo umgefebrt.
Was die Urfachen der endemiſchen mie der epidemifchen
Wechjelfieber betrifft, jo führen fie fih alle direct oder in-
direct auf die klimatiſchen Verhältniffe des Landes zurüd.
Häufiger Regen im Frühjahr begünftigt die Verbreitung ber
meilt einfachen Frühlingsfieber, während im Gegentheil ein
rechtzeitiger Regen im Herbſt mit einem Schlage die Epi-
336
Typhus Contin. remitt. Fieber
graſſirt meiſt im Winter, graſſirt im Spätſommer und
Herbſt,
in den Städten und unter den in Sumpfgegenden und unter
Ankömmlingen von der Hoch- von da in die Hochebene kom⸗
ebene, menden Perſonen,
es zeigt ſich faſt immer eine fehlt,
Roſeola, |
Urin ohne Sediment, Urin mit ziegelrotbem Se
diment,
in den erften Tagen Fein partielle Schweiße,
Schweiß,
feine bemerkbare Remiſſion, auffallende Remiſſion,
Chinin bleibt ohne weſentliche Chinin hemmt die Gewalt der
Wirkung. Krankheit.
Das perniciöſe Fieber zeigt keine typhöſen Symptome
und unterjcheidet fich eigentlich nur durch gefteigerte Heftig⸗
teit und Gefährlichkeit von dem einfahen Fieber. Um es
nit mit Schlafſucht, Schlagfluß, Scheintod oder Cholera zu
verwechjeln, muß man erftens auf die Jahreszeit achten, da
e3 ausfchließlih nur in der Zeit vom Monat Auguft bis
Ende October vorkommt; zmeitend auf die Antecedentien:
immer gehen ihm einige leichte Fieberanfälle vorher; drittens
auf das plötzliche Schwinden aller beunrubigenden Symptome
nach einem allgemeinen oder partielen Schweiß. Die richtige
Diugnofe ift hier von entjcheidender Wichtigkeit, denn da der
zweite Anfall bereit3 den Tod bringen kann, find dem Arzt
nur wenige Stunden‘ für die Behandlung gegönnt.
Sehr viel Analogie hat das Wechjelfieber mit dem fuppu-
rativen und mit dem urämiſchen Fieber, und es ftebt zu er-
warten, daß man mit der Zeit einen urſächlichen Zuſammen⸗
bang zwiſchen diefen Krankheiten oder irgendein gemeinfchaft:
348
Beit. Höchſt felten trat jecundäre Blutung oder der Brand
ein, niemals Erysipelas. Und zwar findet diefer gutartige
Berlauf nicht blos in der trodenen Luft der Hochebene, fon-
dern auch in den feuchten Marſchländern am Kaspifchen
Meere ftatt, ebenjo bei einer Tageshitze von 28° R. wie bei
der Temperatur von 4° R. im Winter. Statt der Eharpie,
die ich bort nicht haben Tonnte, verwandte ich ſtets rohe
Baummolle, und ih fand, daß fie die Eharpie in jeber Be
ziehung vollflommen erjeße, auch durchaus nicht, wie man bei
ung allgemein annimmt, Erhigung der Wunden hervor:
rufe oder befördere. Die Rarkotifirung mittel® Aether oder
Chloroform wurde meilt gut vertragen und batte, fo oft ich
fie angewandt, niemals üble Folgen.
6)
zweiter Reibe auf Rubr und Eholera; je einer eriolgie au
Typhus, Schwindfucht und pernicidtem Yieber; Drei warden
durch äußere Zutälle veraulaßt. Lieber acht Behutel Ttarben
im Späfiommer und Frühherhii. Die meilien erlagen zu:
weder ihren auf der Reiſe, oder Iurz nad) der Aufunit, ter
im eriten unb zweiten Jahre ihres Aufenthalts, ſechs auf we
kurzen Reife von Teheran nad) Tabris theil an remittiren-
dem Fieber, theils an Cholera; mehrere holten cd) anf der
Durchreiſe durch Biaueh (|. ThL I, E. 86 fg.) in dem
dortigen den Fremden gefährlichen Klima ben Tob.
Berhältnuikmäßig viel weniger erfranfen und erben von
dem Geſandtichafts⸗ und Eontulatäperiomal, Das übrigens mebr
als ein Drittheil fämmtlider Europäer in Perfien ausmacht
Eie find meiſt ſchon an Reilefirapazen und häufigen Wechſel
bes Aufenthalts gewöhnt; es fehlt ihnen nicht au ausreichen⸗
den Mitteln, um ſich unterwegs pafiende Unterkunft und guie
Rahrung zu verſchaffen, umd bei ihrer Ankunft am Orte ber
Beſtimmung finden fie ſogleich Landsleute vor, mit benen fie
verfehren und ſich ausiprehen können. Der gewöhnliche
Reilende hingegen, der Sprade und Landesfitie unkundig,
bat mit allen Schwierigleiten und Entbehrungen der Reiſe
zu kämpfen und trägt in der Regel ſchon bei der Ankunft
den Keim des Fiebers in ſich. In der erften Zeit ganz itolirt,
befällt ihn Schwermuth und Heimweh, das mit dem ſchlei⸗
chenden Fieber ſehr nahe verwandt ift und zu allen Kraul:
beiten prädisponitt.
Perſonen, welde aus dem Drient zugereift kamen, aus
Konftantinopel, Smyrna u. f. w., ferner folde, die vorher
längere Zeit in Algier zubradhten, find in geringerm Maße
den Acclimatiſationskrankheiten unterworfen, weil faft alle
ſchon dort die Dysenterie durchgemacht haben und jelbft für
das Mechfelfieber, weil in jenen Gegenden bereit3 an die
Malarialuft gewöhnt, weniger Empfänglicleit mitbringen.
‚358
zu rüdhaltslofem Genuß fpirituöfer Getränke verleiten ; jo geben
tüchtige Arbeitskräfte, wie ih nur zu oft zu beobachten Ge—
legenbeit hatte, kurze Zeit nah der Ankunft in Periien zu
Grunde.
Bei Starker Hige bleibe man nah Landesſitte rubig im
Schatten des Hauſes, unternehme namentlih feinen Ritt.
Wird man unterwegs vom Durft genöthigt, aus einer Quelle
zu trinfen, fo jege man rafh den Weg fort und juche fi
im Schweiß zu erhalten. Dieſe Regel gilt für den Reiter
wie für jein Pferd. An der Station angelangt, gehe man
nicht jogleih zur Rube über, fondern made mit jeinem Pferde
immer langjamer werdende Gänge, bis der Schweiß gehörig
abgetrodnet ijt. Für eine längere Reife bereite man jich
einige Tage durch Kleine Ausflüge vor, damit der Körper die
Bewegung ertragen lerne, ohne fogleih in Schweiß auszu-
brechen. Auch die Gefahren des Uebergangs aus einem Klima
in ein weſentlich verſchiedenes ſchwäche man, wenn es irgend
angeht, dur Verweilen an den Grenzorten ab. Reiſende,
welche Dysenterie und Wechlelfieber früher einmal glüdlich
überftanden haben, können jich in diefer Beziehung ſchon
etwas mehr zutrauen.
Alzu viel Neifegepäd beläftigt, doch nehme man aud
nicht zu wenig mit, da unterwegs das Fehlende nicht ergänzt
werden kann. Es ift gut, wenn der europäifhe Reiſende
einige mediciniſche Kenntniſſe bejitt, ſodaß er jich felbit im
Notbfall zu helfen und andern Hülfe zu leilten im Stande
it. Jeder Europäer wird a priori für einen Arzt gehalten.
Ebenjo find einige Begriffe von der Kochkunſt von großem
Nutzen.
In Anbetracht, daß der ungebildete Mann ſich viel
ſchwerer acclimatiſirt, den nachtheiligen Einwirkungen der
Fremde auf Temperament und Charakter nicht zu widerſtehen
vermag und gewöhnlich bald dem Heimweh unterliegt, bringe
360
den Eingeborenen. Rur jo wirb man dad Heimweh über:
alles Fremde mit Boreingenommenheit beiradhtet, wer fein
Interefie an den Gegenitänden nimmt, wer nicht durch Stu⸗
dien den Geiſt zu beidhäftigen verfteht, der bleibe lieber zu
Haufe oder Tehre bald in die Heimat zuräd, damit er in
Frieden lange lebe!
362
türkifh=tatarifher und arabifcher Stämme manche Namen aus
deren Sprachen entlehnt; jedoch verdrängten fie die iranilchen
nirgends vollfommen, fondern combinirten fi bier und da
mit iranischen Worten; fo ift in talchsu (Bitterwaffer) talch
perſiſch, su tatariſch; oder iranische Namen erhielten eine tür-
kiſche Endſilbe, 3. 8. in chudabendelu (Stamm der Gottes:
bündler). In Azerbeidſchan jind türfiihe, in der Provinz
Hrabiftan und am Perſiſchen Golf arabiihe Namen vormie:
gend; armenifhe und chaldäiſche finden jich jelten, meijt zwi⸗
hen dem Urumieh- und Wanfee. |
Eine Schwierigkeit, die Identität der Namen kleinerer
Ortſchaften feitzuftellen, liegt in dem Umftande, daß häufig
der neue Bejiger eines Dorfs ihm einen neuen Namen gibt,
indem er dem Worte äbäad (Anfiedelung) feinen Berfonen:
namen anhängt, und nun der früher verzeichnete Name mit
der Zeit in Vergeſſenheit geräth. Außerdem jind ehemalige
Anfiedelungen durch Berjiegen der Kanäle bis auf den Namen
verſchwunden.
Um die Namen richtig abzuleiten, muß man die gebräuch—
lien Kürzungen berüdtichtigen, 3. B. sistan ftatt segistan
(Stand der Sefen), Kandahar ftatt Iskandahar (Aleran-
drien), pur ftatt puter, hauptjäcdhlich aber die Ummwandlungen,
welche Conſonanten und Bocale nicht nur in der alten, ſon⸗
dern noch in der neueften Zeit erfuhren. Zu den bäufigiten
Uebergängen der Conſonanten gehören:
w in g und b; fo lauten 3. B. die deutſchen Worte: warm,
Weide, Witwe, im Perſiſchen: germ, bid, biweh. Merwäb
wurde in Murgäb ungemanbelt;
g in dsche: Sengän in Sendschän, Burugird in Burud-
schird;
r in Il: Hirmend in Hilman, Dan in Irän;
pin f: Pars in Fars, Ispahan in Isfahan, Dispul in
Disful;
366
bum (Binnenland);
sähil (Uferland);
chiabän (Allee, Kunititraße).
Nach der Begetation:
serw (Cypreſſe): Sewistan;
kunär (Aujuba): mehrere Orte im füdlichen Berfien;
kahur (Accacia gummifera): Kahuristän;
girdu (Nuß): Dehgirdu;
bid: Dehbid;
bagh (Garten): Bäghe Schäh;
bagistan (Gartenland): abgekürzt Bustam;
bischeh (Gebüfh): Pischawer (Buſchtragend);
dschengel (Wald): Dschengel Masanderan;
ney (Rohr): Neyschäpur.
Nah der Temperatur:
germesir, ketschläk türkiſch (Wärmeland);
serhed, serdesir, jeylok türkiſch (Kaltland);
germ (warm): Germerud, Abe germ;
serd.(falt): Serderud (Kaltbady);
tab (fieden): Tabris, Tiflis, Tabarieh = Teplice.
Nach der Farbe:
sefid, ak türfiih (weiß): Sefidkuh (Weißberg), Sefidrud,
Sefidkaleh, Akkaleh;
siäh (ſchwarz, jchaurig), kara türfifh: Siähderreh
(Schwarzthal), Karadengis (dag Schwarze Meer):
surch (roth), gizil türkiſch: Surchhissar, Gizil-uzun;
zerd (gelb): Rudezerd;
kabud (blau): Kabudkäleh;
firuz (bimmelblau): Firuzabad, Firuzkuh.
Nah dem Geihmad:
schur (ſalzig): Schuräb;
schureh (falpetrig);
schirin (füß): Kas’r -schirin;
368
(Goldfandfluß bei Hamdan), Altunsu bei Sulimanieh
in Kurdiften, Zerafschän (goldftreuend) bei Ehod
ſchend; | |
sim, gumisch (Silber): Gumischchäneh;
fuläd (Eifen, Stahl): Fulädkub; Ä
gir (Erdpeh): Bendegir, Rud girgur (wo Alexander
Naphthaquellen vorfand).
» Nah Königen und Fürften:
schäh: Unzählige Zufammenfegungen mit diefem Wort,
‚welches oft schir lautet, Schährud, Kumischeh, Kir-
- manschah, Nischapur, Schäpur, Schirwän, Nurman-
schir, Schehmirän, Ardeschir;
Däräb (Darius): Darabgird;
kosru: Kosrowa (chaldäiſches Dorf).
Nach der Richtung:
bala (oben): Balarud;
zir (unten): Zir tacht kanar;
puscht (hinter): Puschtekuh (Hinterland);
pas (nad): Passetir (Nebenfluß des Tigris), Paskaleh;
miäneh (Mitte): Stadt gleiches Namens, Miäntschu;
su (Richtung): Tschehär su (Bierweg);
kenär (neben): Kenaragird.
ach der Größe:
buzurg (groß) und kutschik (klein): Läre buzurg,
Läre kutschik (Groß: und Klein-Laar). Das Dimt
nutiv wird auch häufig Dur Anhängung von ek aus:
gedrüdt: Käschänek, Isfahanek, Ruschanek , Scheri-
stanek (Klein-Kaſchan u. ſ. w.).
B. Zuſammenſehungen mit Vor- und Hachfilben.
abäd (Colonie, Anjiedelung, entfprechend dem deutichen Bo⸗
den, engliih abode, lateiniſch habitare): die meiften
Dorfnamen, wie Jussufabad, Schädschehän - äbäd;
Y tal: w "Ti
J F—