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/
PII
D" A. PETERMANN’S
MITTHEILUNGEN
AUS
JUSTUS PERTHES’ GEOGRAPHISCHER ANSTALT.
HERAUSGEGEBEN
VON
D* E. BEHM vs» DR M. LINDEMAN.
25. BAND, 1879.
GOTHA: JUSTUS PERTHES.
INHALTS-VERZEICHNISS
NACH DEN ERDTHEILEN GEORDNET.
RZARTEN.,
0200. Tafel 13
ZBuropa: — Adustuca. Caes. bell. Gall. V, 24—B7; VI, 32—43 auctore Alb. v. Kampen . . . . . .
. . . . . . . l
3
Asien: — Das Quellgebiet des Oxus . . . . . . . .
6
Dr. A. Woeikof’s Reisen in Japan, 1876. Von A. Petermann .
Die Hauptresultate von A. Tschekanowski’s Forschungen in Nord- Sibirien im Gebiete der Flüsse Olenek, Lena und Jans, 1874 u. 1875
Hydrographische Skizze der Ebene von Yedo. Auf Grandiage einer nach Kaipping’s Aufnahme und nach japanischen Quellen bearbeiteten
. 7
Specialkarte. Von B. Hassenstein .
Das jetzige Tokio .
Die Sumidagawamündung in den Jahren Chogen (1028—1036) _-—_ Die Sumidagawamündung in der Zeit Eroku (1568—1509) .
. 139
. Tafel !u 10
Die Plover-Bai .
Specialkarte von Nord-Sibirien zwischen Lena und Bering- „Strasse. Bearbeitet und gezeichnet von B. "Hassenstein
Originalkarte der neuesten Schiffscurse durch das Karische Meer in die Mündangsbuchten der nordesibirischen Flüsse Ob und d Jeniej, 1877
und 1878. Carton: Capt. C. Dahl’s Aufnahme des Unteren Ob-Stromes im August 1877 . . . . 135
. Selte 293
Übersichtsskizze von Dr. J. Rein’s Reiserouten in Japan, 1874 bis 1876 .
Die Umgegend der Bai von Tokio und des Vulkans Foji-no-yama. Mit Unterstützung von \ Prof. J. "Bein und Tedachi Banda geseichnet
. . Tafel 19
von B. Hassenstein .
Topographische Skizae des Fuji-no-yama-Gipfels. Nach Dr. B. v. Drasche und Dr. J. Rein entworfen von B. Hassenstein . . Seite 369
Bear-
Karte von Dr. A. Regel’s Reisen in Central-Asien 1876—79, so wie der Routen von Kuropatkin 1876—77 und Prsewalsky 1877.
beitet von B. Domann . . . Tafel 20
Geologische Karte von Vorder-Indien "reducirt von H. B. Medlicott und w. T. Blandford’s „Preiiminary Sketch of the Geologr of India”
. 31
auf A. Petermann’s Karte in 2 Bl. . . . .
Afrika: — P. Savorgnan de Brasza’s Reise auf dem oberen Ogowe und zu den westlichen Zufüssen des Conee, 1876 bie 1878 . . . Beite 104
en 278
298
Die Strombarren des Bahr el Djebel .
Provisorische Skizze der Serpa Pinto’schen Expedition durch Süd-Afrika .
Karte der Routen. in den Mudirien Ladö und Makaraks, so wie in das
Dr. W. Junker’s Reisen in NO- und Central-Afriks: Blatt Nr. 1.
Quellgebiet des Jei und L’eile, Januar 1877 bis Februar 1878. Mit Benutsung einer Houtenconstruction von W. H. Fritzsche eatw. und
. . Tafei 23
ges. von B. Hassenstein . . . . .
Amerika: — Der obere Lauf des Amazonenstromes und seine peruanischen Nebenflüsse, bearbeitet. von H. Habenicht . . 5
Karte der Halbinsel Yucatan, hauptsächlich nach der von Joachim Hübbe und Andres Asnar Peres susammengestellien und von C. Hermann
“ [} ıı
Berendt revidirten und vermehrten Mapa de ls Peninsula de Yucatan von 1878 .
Karte zur Übersicht der Verbreitung der Indianerstämme in Californien. Nach Stephen Powers. . . . . . . . . 13
16
Karte der Salzwüste Atacama und des Grenzgebietes zwischen Chıle, Bolivia und Peru
Francisco P. Moreno’s Erforschung eines Theiles von Patagonien, 1876 und 1877. Mit Benuteung älterer Quelten hanpteichlich reducirt
von Moreno’s Originalkarto (Buenos Aires 1879)
Polar-Regionen: — Professor Nordenskiöld’s Fahrt um die Nordspitze Asiens im Dampfer „Voga” ‚ 1. bis 37. Angst 1878. Nach Capt.
P-
Palander’s Originalkarte eingezeichnet in A. Petermann’s Karte von Nord-Sibirien
Originalkarte des West-Sibirischen Eismeeres mit der Insel Einsamkeit”, 0 entdeckt von R Capt. E H. Jobansen aus Tromsd im August 18:8,
. s
Entworfen von H. Mobn . .
Übersichtskarte der Beiträge der Norweger : zur arktischen Geograpbie . Beite 39
August 1876. Übersicht der bisherigen arktischen Forschungen
23
Die Fahrt des russischen Klippers „Wessednik’ , Lioutenant Onatzewitsch,
nordwestlich der Bering-Strasse . . Iaiel 8
Originalkarte der neuesten Schifiscurse durch das Karische Meer in die Mündungsbuchten der nordaibirischen Flüsse vb und Jenissej. 1877
und 1878 . 15
Specialkarte von Nord-Sibirien zwischen Lena und Bering-Strasse mit Professor Nordenskiöld’s Cars | im Dampfer „Voga”. “ Bearbeitet und
* . “ ® 1i
gezeichnet von B. Hassenstein
Allgemeines: — Übersichtskarte von dem Verbreitungsgebiete des schwarzen Todes in den Jahren 1346 bis 1851 und den Aussersten Grea-
zen der Postepidemien zwischen 1351 und 1696. — Die äussersten Gren:en der Portepidemien. des achtzebnten Jahrhunderts. — Die
. . . . . . . . 14
Pestepidemien des neunzehnten Jahrhunderts. Von Dr. Carl Martin
Die Tempersturzonen der Erde. Von Alex. Supan . . . . . . . . . . . 18
Temperatursouen des nördlichen Circumpolarbeckens, Von Ale. "Supan . . . . . . . . . Beite 354
ıv Inhalts - Verzeichniss.
L. EUROPA,
l, Aufsätze. Seite
Descriptione nobsilissimorum apud classicos locorum. Von A,
v. Kampen . . . . . . . 216
Neue Karte des Deutschen Reiches. Vier Blätter in 1:1 500 000.
Von ©. Vogel . . . . . . . . . 338
2. Geographische Monatsberichte.
Die Kämpfe Österreichs seit dem Jahre 1495 oo. . . 28
" Elsass-Lothringen. Statistische Beschreibung ee 28
Elsass. Historische Karte . . 29
Mendez Guerreiro, Rede de Caminhos de ferro &c. in Portugal . 29
Militärgeogr. Institut, Karte der Balkan-Halbinsel . ..29
Kanitz, Originalkarte des Fürstenthums Bulgarien . . ..29
Gebiet” von Spica . . . . 29
Curtius und Kaupert, Atlas von Athen . . . . 2.80
Elsass-Lothringen. Neue topogr. Specialkarte . . . . 68
Köppen, Bilder aus der schwäbisch-bayor. Hochfläche . . . 69
Bavier, Strassen der Schweiz . . . ..69
Die Hauptstämme der Russen . 69
Witterungstelegraphie und Sturmwarnungen im Deutschen Reich . ‚ıu
Hann, Meteorol. Beobachtungen auf dem Schafborg ‚111
Nullpunkt der preuss. Landesaufnahme. . . 112, 358
Benecke und Cohen, Geogn. Karte der Umgegend von Heidelberg . 112
Sidenbladh, Sudde. Expos6 statistique. . . . 112
Lange, Wandkarte der Herzogth. Bremen und Verden &e. 154
Czoernig, Deutsche Sprachinsel Gotschee in Krain . . . 154
Hildebrandsson und Rundlund, Seen in Schweden. 154
Pettersen, Hebung oder Senkung von Oontinentalmassen 154
Pigonneau und Drivet, Carte hypeomötrique de la France 155
Italia. Carta geogr. postale . 156
Udinese. Annuario statistico . 156
Blackstone und Tuckett, Bergbesteigungen in Griechenland 156
Heger, Höhenmessungen in Griechenland . 156
Ungarische Wandkarten . . . 187
Zeitschrift des Deutschen und Österr. Alpenvereins . 229, 358
Mojsisovics, Geolog. Recognoscirung von Bosnien . . 23239, 482
Drasche, Geolog. Skizze der Sierra Nevada in Spanien . 229
Goebel, Forschungsreise nach Kanin . 230
Registrande des Preuss. Grossen Generalstabs 304
Siegfried, Internationale Weltausstellung 1878 304
Heller, Schirmeck und seine Umgegend . 305
Penck, Geschiebeformation Norddeutschlands . 805
Toula, Hydrogr. Verhältnisse der Donau-Theiss-Niederung 305
l. Aufsätse,
Das Quellgebiet des Oxus. Von E. Behm . . . . ..9
Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt. Von F. v, Stein 23, 60
Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876. Von Dr. A.
- Woeihaf . . 41
Reisenachrichten aus Sibirien. I. "Fahrt auf dem I enissej von der
Mündung bis Jenissejsk im Sommer 1878. (Aus dem Tagebuche
eines Bremer Kaufmanns) . 81
II. Capt. Dahl’s Fahrten im Mündungsgebiet des ob, 1876 u. 1877 281
Die Lens und ihr Flussgebie. Von N. Latkin . . 91
Über die Ebene von Yedo. Von Dr. E, Naumann . . . 121
Die Fahrt des Dampfers „Lena’”’ von der Lena-Mündung bis J 2-
kutsk. Von Capt. Johannesen .
Die Nordküste Bibiriens zwischen den "Lens - - Mündungen und der
. 151
Bering-Strasse. Von M. Lindeman . . 161
Kartographische Bemerkungen. Von B. "Hassenstein . 234
Höhenbestimmungen in Japan während der Jahre 1874 und 75.
Von J. Ben . . 292
Der Fuji-no-yama und seine Besteigung. Von J. Bein. . . . 865
Reisen in Central-Asien, 1876—79. Von Dr. A. Regel 878, 408
Geologische Übersichtskarte von Indien . 405
Über den Handel und die Industrie der Kreise Y Werchojansk und
Kolymsk im nordöstlichen Sibirien . . . . 418
Seite
Waltenberger, Stubai, Oetzthaler- und Ortiergruppe . 306
Lehmann, Wildbäche der Alpen . . . 806
Jahrbuch dee Schweizer Alpenclub 1878/7 9. . . 806
Hansen, Die Sturmfluth vom 13. Novbr. 1872 &c. . 306
Nielsen, Norwegen, Schweden und Dänemark . 306
Baedeker, Schweden und Norwegen &e. . . . . 806
Geolog. Aufnahme von Finland . . . . . . . 306
Ritter’s hundertjähriger Geburtstag . . 358
Baumrucker, Communications-Übersichtskarte von Tirol &e. . . 358
Marki, Ungar. Werke über Geographie . . 358
Ostschweizer. Geogr.-Comm. Gesellschaft. Geogr. Ausstellung . 859
Gradmessung zwischen Spanien und Algier . . 359
Knoblauch, Karte der Gerichtsorganisation &e. . . . 397
Wolf, Geschichte der Messungen in der Schweiz . . . . 897
Riedel, Regenkarte des Flussgebiets der Theise . 897
Pettersen, Terrassedannelser og gamle Strandlinier . 897
Kjerulf, Udsigt over det sydlige Norges Geologi . . 397
Karte des Gouvernements Olonez . . . 397
Griechenland. Volkszählung . 898
Gtimbel, Geognostische Beschreibung des Fichtelgebirgen &. . 431
Wagner, Wandkarte des Deutschen Reichs und seiner Nachbargebiete 432
Jahresbericht der Geographischen Gesellschaft in Bern . . 432
Erslev, Höhenkarte der Inseln Laaland und Falster . 432
Hann, Regenverhältnisse von Österreich-Ungarn . 462
Topogr. och statist. uppgifter om Kronobergs Län . . 462
Bavenstein, celtische Sprachen auf den britischen Inseln . 462
Rijkens’ Schoolatlas van Nederland en zijne Bezittingen . . 462
8. Geographische Literatur.
Europa . . . . . . . . . . 86, 817
Deutsches Reich . . . . . . . . . 37, 318
Österreich-Ungarn ne. 87, 819
Schweiz . . . . . . 88, 321
Dänemark, Norwegen und Schweden . . . 88, 321
Niederlande und Belgien . . . 2. . . 89, 321
Gross-Britannien und Irland. . . . . . . 89, 321
Frankreich . . . . . . . . 39, 322
Spanien und Portugal . . . . . . . . 40, 323
Italien . . . 40, 324
Staaten der Balkan-Halbinsel, Türkisches Reich. Oypern . 7, 362
Russisches Reich in Europa und Asien . 78
363
364
Istwestija d. Kais. Russ. Geogr. Gesellsch., XIV, Nr. 1-4 78,
Istwestija der Kauk. Abth. d. Kais. Russ. Geogr. Ges., V, Nr. 4
23. Geographische Monatsberichte,.
Manzoni, Reise in Jemen . . . 80, 187, 188
Oschanin’s Expedition durch Hissar nach Karategin . . 80, 71
Muschketow’s Erforschung von Forgana . . . 30
Discon, Reise in Japan . . . . 31
Dickins und Satow, Visit to "Hachijo in 1878 . . . . 831
Sassenay, Chypre, histoire et g6ographie . . 70
Schneider, Naturw. Beiträge zuf Kenntniss der Kaukasusländer . 70
Ujfalvy’s Reise nach Russisch-Turkestan . 71, 231
Wilson, 20-Blattkarte von Afghanistan . . . . 1
Rousset, Reise von Hankeu nach Lantschen-fa, 1874 . . . 1
Szöchönyi’s Expedition nach Tibet . . 71, 114, 309, 482
Cameron’s Reise von Paktoi nach Yünnan . . . 71, 308
Lyman, Geolog. Survey of the oil lands of Japan . . . 7a
Sumsatra-Expedition . . . . 1
Cluysenaer, Karte des Padang’schen Binnenlandes . . . . 72
Wallon, Erkundigungen über Atschin . . . . . 72
Schick, Antike Wasserleitungen bei J erusalem . . 118
Negri, Eisenbahnverbindungen zwischen Europa und Asien . 113
Recueil d’itindraires et de voyages dans l’Asie centrale. . 113
Finsch’s, Brehm’s, Waldburg-Zeil’s sibirische Expedition . 113, 359
Trautvetter, Flora riparia Kolymensis . . ‚114
Prasowalski’s Expedition nach Tibet . 114, 381, 898
Inhalts - Verzeichniss.
Beite
Baber’s Reise in Sze-tschuan . .114
Bericht über den Verkehr in den Tractatshäfen China’s ‚116
Markham, Pässe über den Hindukusch . . 114
Woodthorpe und Harman, Subansiri und Teanpo . . . 114
und Overbeek, Beobachtungen an den Küsten von Are. 115
Burton, The Land of Midien revisited . . . 156
Schindler’s Reisen im südwestlichen Persien . . 187, 188
Transkaspischer Militär-Besirk . . . . . . 187
Lomakin’s Marsch am unteren Atrek . 158
Rawlinson, Gebiet von Merw . . 158
Ableitung des Amu-Darja zum Kaspischen Meer . 158
Jadrinzew, Ssiowzow, Balkaschin in Weoestsibirien . . 158
Aminow, Canal zwischen Ob und Jenissei . . 158
Potanin, Reise in die nördi. Mongolei . . 158
Bastian’s Reise in Assam und Jara . . 158
Nikolaus Konstantinowitsch, oentral-asiatische Eisenbahn . 188
Untersuehung des Usboi und Ssary-Kamysch . 188
Harmand’s Reisen in Mekong und Husd . . . 188
Dichy, Reise im Himalaya . . 188, 308
Milne, Journey across Europe and Asia . . . . . 189
Skinner, Geogr. of the Malay Peninsula . . . . 190
Neue japanische Kartenwerke (Nippon, Japan, Korea) . . 190
Wissenschaftliche Expeditionen in ‚Russ.-Turkostan 1878 . 230
Goldlager in Ussa . . . 230
Dutreuil de Rhins, Annam . 281
Myors, Some account of Wen-Chow . 2331
Tokio, Einwohnersahl . . . 331
Neujshrsfest in Loo-Choo . . 281
Liu-Kiu-Inseln in Japan einverleibt . . 231
Ufergebist der NO-Küste des Kaspischen Meeres . . 306
Grodekow’s Reise von Hissar nach Herat . 807
Seewerzow’s Pamir-Reise . . 307
Ryall’s Reise in Hundes . . 807
Kinney’s Erforschung des westlichen Quellgebiste des Ganges . 308
Wada, Notisen über die Provinz Kai . . 309
Wagener, Biwa-Bee und Uji-Fliuss . . . .
Bonin-Inseln, Bevölkeruzg . . . . . . .
Vetb, Fauna van Nederlandsch Indie . . . . . .
Hillier, Nordprorinzen Chinas . . . . . . .
Geological Survey of India . . . . . . .
Medlicott und Blanford, Geology of India . . . .
Tozer und Crowder, Besteigung des Argasus .
Birschfeld’s archäologische Reise in Klein-Asien, | 1874. .
Walker’s Map of Turkestan . . . .
Fritsche, Climate of Eastern Asis . . . .
Naumann, Geolog. Aufnahme von Japan . . .
Geographische Gesellschaft in Tokio . . 898,
Arzruni, öconomische Lage der Armenier in der Türkei 0.
Matwäjew, Reise von Kuldscha nach Schicho 1878 . . .
Awaji-Insel im Japanischen Binnenmeer . . .
Knipping’s Generalkarte von Japan . . . . .
Plan von Tokio . . . . . .
Neue Eintheilung von Jeso .
Niederländisch-indische geographische Gesellschaft in Bamarıng
Thieme, Posten der Chalifen
Kuropatkin, die Toke-Turkomenen . . . .
Samara-Expedition . . . .
Majew’s Bericht über die Expedition von 1878 .
Begel’s Reise zum Juldus .
Rafailoff, Karte der Mongolei
Pewstoff von Kobdo durch die westliche Mongolei
Onstzewitsch’ Expedition in die Amur-Prorvinz
Korea Eröffnung von Häfen
Black, Abstract of the reports of the survoys in India, 1877—78
Mul: ah’ s Aufnahme des Swat-Flussee . .
Desgodins, Reise von Patang nach Tatienlu . .
Forschung auf der Malsyischen Halbinsel und Perak
8. Geographische Literatur.
Asien . . . . . . . . . 79,
Il AFRIEA,
1, Aufsätse,.
Über die Bibär-bilä-m&. Von Gerhard Rohblfs . 1
Klima am Vietoria-Nyanza. Nach den meteorologischen Beobach-
tungen von Dr. Emin-Bey und Rer. Wilson zu Rubaga in Uganda,
von Prof. Dr. J. Haun . 64
P. Sevorgnan de Brassa’s Reise auf dem oberen Ogowe und zu
den westlichen Zuflüssen dos Congo, 1876—78 .
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’ 6 mit
Bemerkungen über Land und Leute. Von Dr. Emin-Bey, Gou-
verneur der ägyptischen Äqustorial-Provinsen . 179, 220, 388
Gerbard Rohlfs’ Rücktritt von der Leitung der Deutschen Afrike-
Expedition . . 371
Die Strombarren des Bahr el Djebel. Von Dr. Emin- -Bey 273
Major Serpa Pinto’s Reise durch Süd-Afrika . 297
Nachrichten vom Gabun. Von H. Soyaux . 844
Die Europäer im Sudan und die Selavenfrage Von Capt. M. "Cam-
perio
Die ägyptischen Äquatorial - - Provinzen. Reisen im Westen des
Weissen Nil. Von Dr. W. Junker . . . .
3. Geographische Monatsberichte.
ital. Comm. Expedition nach Abessinien . . .. 8», 190, 434
Matteucci’s und Geesi’s Reise nach Fadasi . . . . . 83
Ital. Expedition nach Schoa . . . . 32, 312, 399, 434
Hildebrandt’s ostafrik. Reisen . . . . 32, 115, 399
Isternstionele Erpedition in Ostafrika . . . . 83, 159, 399
Missionsexped. nach Udschidschi . . . . . 32, 233, 399
Sehttt’s Exrpedition . 32, 159, 312, 466
Afriksnische Gesellschaft in Deatschland 33, 159, 191, 195
Savorgnan de Brassa’s Reise . 32, 73
Lenz, Ethnographische Karte des Ogowe-Gebietes . . . . 3
Ribeiro, A Prorvineia de S. Thomsd &e.. . . . . 83
Portugies. Expedition in Süd-Afrika ss, 159, 191, 234, 434
Peondo-Land anneetirt . . . . . . . . 83
“ET m rn
Paulitschke, Erforschung des afrik. Continentse . . . .
Rohlfs’ Expedition . 72, 159, 238, 310, 361,
Berlioux, Hauptstadt der Garsmanten . . . . . .
Marno, Slatin und Glaser im ägypt. Sudan . ...
Schweinfurth, la terra ineognita dell’ Egitto. . . .
Comber’s Exrped. nach dem Congo . . . . 73,
Ookiep in Klein-Namaqualand . . . . .
Stanford’s Map of Africa
Johnston’s Map of Africa . . . . .
Missionsexpedition nach Uganda . . . 115, 159, 312,
Denhardt am Dans . . . . . . . .
Farler, Usambara . . . . . . .
Buxton, Fahrstrasse von Dar-es -Salaam
Verkehrsmittel in Afrika . .
Richard’s Exped, nach Rhedames .
Eisenbabnen in Äquatorial-Afrika . .
Telegraphische Verbindung mit Std-Afrika
Martins und De6sor, Binnenmeer in der Sahars
Soleillet’s Reise nach Begu . .
Zarb, Pfund’s Sammlung von Pflanzen .
Btanley’s Expedition nach West-Afrika . 189, 233,
Station der Afrikanischen Ossellsebaft . . . . 159,
Buchner’s Expedition . . . . 159, ım, 3ı2,
Geossi’s Zug gegen Siber . . . . 159,
Serpa Pinto’s Zug durch Büd-Afrika . . . . 189,
Wild, Von Kairo nach Massaua . . . .
Mechow’s Expedition .
Erforschung des Cunene .
Wauters, Waltsemüller’s Karte von 1513 . . . . .
Comber’s Reise im Camerun-Gebirge . . . . . .
Patterson, Bamangwato-Land . . . . . .
Elton-Cotterill’s Reisewerk . . . . . . . .
Stanford’s map of Zulu-Land . . . . . . .
L’Afrique explorse & civrilide . . . . . .
Berlioux, Karte der Sahara . . . . . . . .
Ä 158, 190,
VL. Inhalts - Verzeichniss,.
Seite
Lenz’ Expedition nach Marokko . . . . . . . 233
Junker’s Sammlungen . . . . . . . 233
Manzoni’s Reise in die Somali-Länder . . . . . . 233
Erforschung Afrika’s mit Hülfe von Elophanten . . . 233, 469
Debaize’s Expedition . . . . . . 233, 313
Mullen’s Expedition . . . . . 233, 399
Stewart’s Umschiffung des Nyassa-Sees. . . . . 233
Laws’ Reise im W dos Nyassa-Sees . . . . . . 233
Paiva d’Andrada’s Handelserpedition . . . . . 234, 434
Jeppe, Transvaal Book Almanac . . . . . . . 234
Stecker, Position von Djalo . . . . . . . . 911
Sahara-Bahn . . . . . . . . 311
Dahse, Goldfelder in Wassaw . . . . . 311
Marche, Trois voyages dans l’Afrique oceidentale . . . . 312
Internationale Expedition nach W-Afrika . . . . 312, 399
Hübbe-Schleiden, Rentabilität Afrika’s . . . . . . 312
Strombarren im Weissen Nil . . . . . . . 812
Algierische Missionsexpedition nach Uganda . . . 313, 434
Jobnston’s Expedition . . . . . . . . 813
Holub, Marutse- Mambunda-Reich . . . . . . . 313
Tromp, Erinzerungen aus Süd-Afrika . . . . . . 813
Gorringe und Schröder, Mediterrancan Sea . . . . . 860
Mason’s Positionen aus Darfur . . . . . . . 361
Purdy’s Positionen aus Darfur . . . . . . . 361
Holub’s Reisen in Süd-Afrika . . . . . . . 361
Seite
Aldabra-Insel . . . . . . . 361, 400
Amici, Statistik von Egypten . . . . . . . 398
Messedaglia, Karte von Darfur . . . . . 398
Bohndorff’s Reise im W des Bahr-el- Gazal . . . . 398
Gordon’s Rundreise in Darfur . . . . 399
Buchta’s Reise nach Uganda . 399
Nachtigal, Sahara und Sudan . . . 400
Soyaux, Aus West-Afrika . . . . . . 400
Jourdan, Carte de la province d’Alger . . . . 434
Schweinfurth, Übersichtskarte des Bahr-el-Ghasal &e. . . 434
Explorirung des Galima-Thales . . . 434
Fischer, Das Wapokomo-Land und seine Bewohner . . . 434
Depelchin, Reise nach dem Zambesi . . . . . 435
Wauters, Monographie über den Zambesi . . . 435
Speer, Reise auf dem Gambia-Flusse . 435
Höhen einiger Stationen zwischen Ladö und dem Mwutan . 465
Meteorologische Beobachtungen in Uganda . 465
Revoil, Reise an der Somali-Küste . 465
Güssfeldt, Falkenstein, Pechuäei-Lösche, Lonnpo- Expedition .
IV. AUSTRALIEN UND POLYNESIEN.
1. Aufsätze,
Die Colonisationsfäbigkeit Neu-Guinea’s. Von L. M. D’Albertis . 275
2. Geographische Monateberichte,.
Buchner, Reise durch den Stillen Ocean . . . . . 83
Pinart, Besuch der Oster-Insel . . . . . . . 83
Goldgräber in Neu-Guinea . . . . . . . . 73
M‘Farlane übor Neu-Quinee . . . . . . . . 73
Eckardt, die Neucn Hebriden . . . . 74
Quoenslander- Expedition . . . ur, 235, 400
Müller’s projectirte Expedition . . . . 117
Forrest’e Expedition in West-Australien ur, 314, 434
Victoria, geolog. Aufnahme . . . . . . . . 117
New Zealand Institute, Transactions . . . . . . 117
Young’s Expedition . . . . . 159, 400
Barclay- Winnecko’s Expedition . . 159, 235
V. AMERIKA, NORD-,
1. Aufsätze.
Nord - Amerika.
Von G. Gerland. . . . . 241
Mittel - Amerika.
Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko.
Von A. Woeikof . . . . . . . . . Al
Die Indianer Californiens.
Süd- Amerika.
Die Juan-Fernandez- (Robinson) Inseln. Briefliche Mittheilungen
von A. v. Rodt . . 66
Die pernuanischen Expeditionen zur Erforschung des oberen Ama-
zonenstromes und seiner Nebenflüsse. Von H. Habenicht.. . 89
Nachrichten über Venezuela. Von P. Jonas. . . . . 212
Die Salzwüste Atacama . . . . 301
Das Quellgebiet des Rio Santa Cruz in Patagonien . . . 427
2. Geographische Monatsberichte.
Nord - Amerika.
Geographische Gesellschaft in Quebec . . . . . . 192
Navigation of Hudson-Bay . . . . . 192
Ger'and, Zahl der Indianer Nord- Amerika’ 8. . . . . 192
Fremont, Binnenmeer in Arizona . . . 235
Geologische Aufnahme der Vereinigten Staaten unter King . . 235
Mittel - Amerika.
Ratzel, Reiseskizzen aus Mexiko . . . . . . . 33
Karte des Rio Mexcala . . . . . . . . 84
|
|
|
467
Lux, Von Loanda nach Kimbundu . . . 467
Greef und Gasser nach St. Thom . 469
’ 8. Geographische Literatur.
Afrika . . . . . . . . . . . 118, 442
Goldio’s Rückkohr aus Neu-Guinea . . . . . . 160
Kleinschmidt, Viti-Inseln . . . . . .. . 160
Graeffe, Samoa-Inseln . . . . . . . . . 160
Tietkens’ Erpeditin . . . . 192, 400
Raffray's Reisebeschreibung über Neu-Guinea . . . . 192
Finsch’s Reise nach dem nördlichen Stillen Ocean . . . 192
Artesische Brunnen in Süd-Australien . . . . . . 235
Jung, Australien und Neu-Seeland . . . . . 313
Shillinglaw, Historical Records of Port Philipp . . 314
Miclucho-Maclay’s Expedition nach Neu-Guinea . . 314
Vertröge des Deutschen Reiches mit den Samoa-Inseln &. . . 314
Werner, Bemerkungen über Insel-Gruppen des Stillen Oceans . 314
Inseln der Torres-Strasse Queensland einverleibt . . ...400
3. Geographische Literatur.
Australien und Polynesion . . . 120, 470
MITTEL- UnD SUD.
Wyse, Reclus und Sosa, Exploration de l’isthme am£ricain . . 235
Internationaler Congress für die Durchstechung der Darischen
Landenge . . . . 235
Richardson und Morphy, Besteigung des Citlaltepotl . 400
Süd-Amerika.
Engel, Studien unter den Tropen Amerika’s. . . . 34
Sachs, Aus den Llanos . . . . . 84
Crevaux’s Expedition in Guyana . 34, 192, 401
Selfridge, Aufnahme des Madeira . . . 34
Mackie und Scott, Handel auf dem Amazonenstrom . . 84
Lange, Süd-Brasilien . . . . 84, 193
Zeballos, La conquista de quinze mil leguas. . . . . 34
Wertlicman’sche Karte der Flüsse Perone und Tambo . . . 192
Einwanderung in den Chaco. . . . . 193
Sellin, Süd-Brasilien und deutsche Einwanderung . . 193
Koch, Argentinische Republik . . . . . . 193
Atacama-Wüste . . . . 235, 401
Instituto historico e geographico in Rio de Janeiro . . . 401
Lista, Reise durch das südliche Patagonien . . . . . 413
Douglas, Postdampferreise längs der Westküste . . . . 436
Mathews, Up tbe Amazon . . . . . . . 436
8. Geographische Literatur.
Nord-Anerike . . . . . . . . . 196,
Mittel-Amerıka . . . . . . . . . 197,
Süd-Amerika . . . . . . . . . 198,
412
473
473
“u
Inhalts - Verzeichniss.
VL. POLAR-REGIONEN,
l. Aufsätze, Seite
Die Fahrt der „Voga” um die Nordspitze von Asien . . . 11
Dio Insel Einsamkeit im Sibirischen Eismeere, entdeckt von Capt.
As H. Johansen aus Tromsö. Von Prof. H. Mohn . . 57
Sibiriakoff’s Expedition in das Sibirische Eismeer durch die
erine -Strasse im Sommer 1879 . . . 109
Die Fahrt dos russischen Klippers „Wesadnik” im Norden der
Bering-Strasse, 1876. Von Marine-Lieutenant Onatzewitsch . 136
Die Vorexpedition der Florence”, Capt. G. E. Tyson, nach dem
Cumberland-Goltf, 1877/78, (Capt. Howgate’s Polarcolonie.) . 142
Capt. Dabl’s Fahrten im Mündungsgebiete des 0b, 1876 und 1877 281
J. G. Bennett’s Polar-Expedition . . . . . . 303
Berichte der schwedischen Polar-Expedition . . . . 325
Nachrichten aus dem Polarmeere . . . . . . . 325
Polar-Nachrichten. Von M. Lindeman . . . . . . 458
2. Geographische Monatsberichte.
Winterfang in Spitzbergen . 34
Niederländische Polar-Expeditionen 1878. u. 79 34, 75, 194, 238, 315
Schwedische Polar-Expedition 74, 235, 314, 437
Sibiriakoff’s Polar-Expedition . . . 75, 194, 235
Cl. Markham, neue engl. Polar-Expedition . . . . . 7%
Cheyne’s Polar-Expedition . . . . . . . 76
Förster, das Nordlicht . . . . . . . . 76
VI. OCBANE.
l, Geographische Monatsberichte.
Wolf, Luksch, Köttstorfer, Adriatisches Moer . . . . 76
Krümmel, mittlere Tiefe der Meeresräume . . . . . 76
Franklin, Outline chart of the Mediterranoan &ec. . . . . 194
Bericht der Adria-Commission der K. K. Akademie . . 194
Boguslawski, die Tiefsee und ihre Boden- und 'Temperatur-Verh. . 194
vVI. ALLGEMEINES,
1, Aufsätze.
Geographische Nekrologie des Jahres 1878. (Monteiro, Crespel,
Kurz, Macs, Bleeker, Montgomerie, Höpfner, Rasch, Waugb,
Bonomi, Wilmanns, Forbiger, Pickering, Hartt, Mayerse, Fils,
Kampf, Cooper, Berendt, Thonison, Hagemeister, Henry, Behn,
Bernoulli, Reichel, Gabb, "Roe, Bibra, MacGahan, Paulus, Clarke,
Wallis, Back, Varnhagen, Oldham, Daintree, Sachs, Jones, Grif-
fith, Belt, Petermann, Gued&onow, Mosquera, Dohrandt, Bab-
bage, Koll, Flemming, Rutenberg, Kbanykof, Taylor, Blaram-
berg, Buff. — Aus dem Jahre 1877 sind nachzutragen : Smith,
Kopp, Seymour, Smyth, Swinhoe, Popow, Smith, O’Neill, Elton,
Mohammed-el-Gatroni) . . . . 95
Resultate auf dom Gebiete der Anthropometrie. Von Dr. Karl
v. Scherzer . . ‚147
Die neue Lieforungsausgabe® von 'Stieler 8 Hand- Atlas. Von H.
Habenicht . . 175
Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
Von Dr. Carl Martin‘ . . . . . . 257
August Grisebach +. Von Oscar Drude . . . 269
Über die Schreibweise geographischer &c. Eigennamen. Von 6.
Boblfse . . . . 347
Die Temperaturzonen der Erde. Von Prof. Dr. Alex, Supan . 349
2. Geographische Monatsberichte.
Keil, der gegenwärtige Standpunkt der Schulkartographie . . 35
Portugiesische Colonien . . . . 88
Kurze, Aus fernen Zonen . . 35
Arondis, Deutsche Rundschau für "Geographie und Statistik . . 35
Socidte de geographie de la province d’Oran 35, 195
Geografiska Sektionens Tidskrift . . . . 85
Central-Verein für Handelsgeographie in Berlin 36, 195, 469
Sitzungsberichte des Pariser Geogr. Congr. von 1875 . . 36
|
vII
Seite
Bennett’s Amerikanische Polar-Expedition . . 160, 236
Young’s arktische Reisen . . . . . . 160
Weyprecht, Metamorphosen des Polareises . . . . . 193
Steen, Klimatologie Nowaja Semlja's . . . . . . 194
Jensen’s Forschungen in Grönland . . . . 236, 315, 437
A. H. Markham’s Fahrt auf dem „Isbjörn” . . 236
Schwatka’s Expedition zur Aufsuchung von Franklin- Reliquien . 236
Howgnte’s Polarexpedition . . . . . 236, 402
Handelsschifffahrt aus Europa nach Sibirien“ . . . 236, 315
Kurtz, Pflanzensammlung der westsibirischen nspedition . . 236
Weyprecht’s cireumpolare Beobachtungsstationen . 237
Sandeberg’s Etablissement an der Murmanischen Küste. . 814
Bardenfleth, Expedition der „Fylla” . . . 315
Beiträge zur Kenntniss der Meteorol. d. arkt. Regionen . . 315
Johnstrup, Giesecke’s Bericht einer mineral. Reise in Grönland . 315
Bessels’ amerikanische Nordpol-Expedition . . . 815
Weirauch, Anemometrische Resultate . 316
Purnell, Antarktische Forschung . . . . . 402
Rodwell, Wanderung durch Island . . . . . . 436
Thoroddsen, Karte von Süd-Island . . . . . . 437
8. Geographische Literatur.
Polar-Regionen . . . . . . 199, 474
„ Tuscarora’’-Tiefseemessungen . . . . 816
Herrle, Gnomonische Karte des Indischen Oceans . . . . 316
Wolf, Untersuchung des Humboldt-Stromes . . 403
2. Geographische Literatur.
Oceane. . . . . . . . . 204, 474
Zweigvereine der Afrik. Gesellschaft in Deutschland . . 195
Geograpbische Nachrichten für Welthandel und Industrie . 195
Verein für Erdkunde zu Metz . . . . 195
Ostschweizerische Geogr.-commerc, Gesellschaft 195, 359
Manchester Society for commercial geogr. . . . . . 195
Societ& de g&ographie de l’Est in Nancy . 195
Sociöt& normande de g&ographie in Rouen . 195, 316
Socist& de g&ographie du Nord in Lille . 195
Boci6te de gäographie in Rochefort . . . 195
Groupe geographique du sud-ouest in Bordeaux . . 195
Societ6 de gdographie commerciale de Paris . . . . 195
Revista geogräfica y estadistica . . . . 195
Kaltbrunner, Manuel du voyageur . 195
Woeikof, Winde des Erdballs . 196
Andree, Verzeichniss ethnographischer Karten . 196
Andree-Putzger, Gymnasial- und Realschul-Atlas . . 196
Jornal de Viagens e Aventurass . . . . . . . 316
Pütz, Lehrbuch der vergl. Erdkunde . . . . . 316
Lippert, die Oberfläche der Erde . . . . . . 816
Löffler, Reflexions sur les ötudes geogr. . 316
‚ Bertz, La conquöte du globe . . 316
Torrell, Erscheinungen der Eisperiode . . 316
Hann, Wissenschaftl. Beobachtungen auf Alpenreisen . 316
Wallace, Tropical nature . . . . . . . 316
Schumacher, Petrus Martyr . . . . 817
Wissenschaftliche Roise um die Welt, D. „Juno” . . . . 404
Normand, Trac& proposs &c. . . 404
Embacher, Zusammenstellung der Entdockungsreisen . 404
Luksch und Mayer, Weltkarte zum Studium geogr. Entdeckungen 404
Evangelische Heidenmission in diesem Jahrhundert . . ‚437
Seibert, Zeitschrift für Schulgeographie . . . . . 437
Dozy, Aardrijkskundig Weekblad . . . . . . . 437
Guyot, Correspondance grapbique . . . 438
;
Y
i
i
N
}
;
'
i
N
Y
:
'
i
!
{
}
|
{
Journal of the R. Geogr. Society . .
Klein und Thomöd, Die Erde und ihr organisches Leben
Engler, Entwickelungsgeschichte der Pflanzenwelt .
Wappäus, Ritter’s Briefwechsel mit Hausmann
Ritter, Erdbeschreibung für Gymnasien &c. .
Wagner, Quthe’s Lehrbuch der Geographei
Bos’ Schoolatlas der geheele aarde
Seite
Adris-Commission . . 194
Afrika 32, 72,115, 159,190,
234, 310, 360, 398, 438,
465
Afrikan. Forschung mit Ele-
phanten . . . 233, 469
Afrikanische Gesellschaft
in Deutschland 32, 159,
191, 196
Aldabre-Insel . . 362, 400
Algier. Karte . . . 434
Algierische Mission 312, 434
Alpenreisen. Beobacht. 316
Amerika 83, 192, 235, 400,
486
Amerik. Polar-Exp. 160, 236
Amici, Statistik . . . 398
Aminow, Ob- Jenissei-
Canal. . . . 158
Amur - Provinz. "Auf-
nahmen. . . 465
Andree, Ethnogr. Karten 196
Andree-Putzger, Atlas . 196
Antarktische Forschung 402
Arendts, Geogr. Rundschau 35
Argaeus-Besteigung . . 360
Arizona, Binnenmeer . 235
Artesische Brunnen in 8-
Australien . 235
Arzruni, Armenier . 432
Asie centrale. Itindraires 113
Asien 30, 70,113, 156, 188,
230, 306, 359, 398,432,
463
Atacama-Wüste . 193, 401
Australien 33, 78, 117,159,
192, 234, 318, 400, 435
Awsji-Insel . . . . 483
‚Baber in Sze-tschuan 114
Baedeker’s Schweden u.
Norwegen &c.. . . 306
Balikan-Halbinsel. Karte 29
Balkaschin in Westsibirien 158
Barclay’s Exped.. 159, 234
Bardenfleth „‚„Fylla”’-Exp. 315
Bastian’s Reise . . 158
Baumrucker, Karte von
Tirol. . 2 2....838
Bavier, Strassen d. Schweiz 69
Benecke, Geognost. Karte
v. Heidelberg . . . 112
Bennett’s Polar-Exp. 160, 236
Bergsma, Küste von Atjeh 115
Berlioux, Garamanten . 72
Karte der Sahara 233
Bern. Geogr. Gesellsch.. 432
Bessels, Nordpol-Exped. 315
son 8. Geographische Literatur. Seite |
, "438 Geogr. Lehr- und Handbücher, Statistik . . 237, 475
. . 469 Mathematische und physikalische Geographie . 238, 475
. 469 Weltreisen, Sammelwerke, Verschiedenes . 239, 476
100 Atlanten, Weltkarten, Globen . 240, 476
. 470
Seite Seite Seite Seite
Bianchi in Abessinien . 434 Douglas, W-Küste Süd- Glaser im Sudan. . . 72| Jahrbuch Schweizer-Al-
Black, Indian surveys . 4655| amerika . . . . . 436 | Goebel nach Kanin . . 229) penclub . . ...5806
Blackstone, Höhen in Dozy, Aardr. Weekblad 437 | Goldie's Rückkehr . . 160 |Japan . 381, 71, 190, 231,
Griechenland . . 156 | Drasche, Sierra Nevada 229 | Gordon in Darfur . . 399 309, 398
Blanford, Manual. . 360 | Drivet, Carte hypsomötr. 155 | Gorringe, Mediterr. Sea 360 Geolog. Aufnahme 398
Boguslawski, Tiefsee . 194 | Dutalis’ Exped. . 233 |Graeffe, Samoa-Inseln . 160 Karten . . 190
Bohndorff’e Reise . . 398 DutreuildeRhins, Annam 281 |Greef in St. Thomd. . 469 | Japanische Karten . . 190
Bonin- Inseln. Bevölke- Eckardt, Neu-Hebriden 74 | Griechenland. Höhen- „Jeannette”-Exp. . 160, 286
rung . 310 | Egypten, Statistik . 3898| meossungen . . . 156 | Jensen in Grönland 236, 315,
Bordeaux, Soc. de, geogr. 195 | Eisenbahnen in Afrika . 116 Volkszählung 398 437
Bosnien, Geolog. Recogn. 229, Elder’s Expeditionen . 159, |Grodekow’s Reise 280, 307 | Jeppe, Almanao . 234
132 192, 400 |Guerreiro, Rede de Ca- Jeso. Eintheilung . 438
Bos’ Schoolatlas . . 470 | Elsass, Histor. Karte 29| minhos &c.. . . . 29 | Johnston’s Exped. . 812
Buchner’s Exp. 159, 191, 312, Elsass-Lothringen. Sta- Gümbel, Fichtelgebirge . 431 Map of Africa 115
tist. Beschreibung . 28 | Guthe’s Lehrbuch . 470 | Johnstrup, Giesecke’s
Stiller Ocean. 33 Topogr. Specialkarte 68 | Guyot, Corresp. graph.. 4388| Reise. . . . + 815
Buchta in Uganda . 399 | Elton-Cotterill’s Werk . 191 | Hallmann, Ssary-Ka- Jornal de Viagens ... 816
Burton, Midian . 156 | Embacher, Entdeckungen 404 | mysch. . „. . . . 188|Jourdan, Karte v. Algier 434
Buxton’s Strasse . . 115 Engel, Tropen Amerika’s 34 | Hann, Alpenreisen . . 316 | Journal R. Geogr. Soc. 438
Bykow am Amu-Darja . 230 , Engler, Pflanzenwelt . 469 Beobacht. Schaf- Jung, Australien. . . 818
Cameron durch 8W- Erslev, Höbenkarte . . 432 berg . . . 111) Junker’s Sammlungen . 233
China. . . . 71, 308 Europa 28, 68, 111, 154, Regenverhältnisse „Juno”. Weltreise . . 404
Cameruns-Geb. . „ . 191 187, 229, 304, 368, 897, inÖsterr.-Ung. 462 | Kaltbrunner, Manuel . 195
Cameruns-Geb.. . . 191. 431, 462 Hansen, Laaland und Kanitz, Karte von Bul-
Celtische Sprachenkarte 462 : Europäische Gradmessung Falter . . - . 806) garien . . 2. «29
Contr.-Asiat. Eisenb. 188,464 zwischen Spanien und Harman, Subensiri . . 114 |Kasp. Meer. NO-Küste 306
Central-Verein. f. Han- Algier . . . 359 | Harmand, Karte des Me- Kaupert, Atlas von Athen 30
delsgeogr.. 386, 195, 469 | Evangel. Heidenmission. 437 | kong . . 188 | Keil, Schulkartographie 35
Chaco, Einwanderung . 193 | Export . 0.469 | Heger, Höhen. in Grie- King, Geolog. Aufnahme 235
Cheyne’s Ballonexped. . 76'Farler, Usambara . 115) chenland. . . . „1156| Kjerulf, sydl. Norges
China’s Tractathäfen . 114 | Favenc, Queensl.-Exp.. 100, Heller Schirmeck . . 305. Geol.. . . . 897
Chypre, histoire et göogr. 70 | 235, 400 | Herrle, Indischer Ocean 816 Klein, Die Erde und ihr
Citlaltepetl. Besteigung 400 Folkin’s ‚Reisejournal . 812 | Hertz, oonquöte du globe 816 | organ. Leben . . . 488
Cluysenser, Padang . . 72 | Fetissow’s Forschungen 230 | Hildebrandsson, Seen in ı Kleinschmidt, Viti-I.. . 160
Cohen, Geognost. Karte
von Heidelberg. . . 112
Comber am Congo 73,234, 334
Cotterill-Elton’s Werk . 191
Orevaux in Guyana 84, 193,
401
Crowder, Argaeus - Be-
steigung . . 360
Cunene-Erforschung. . 191
Curtius, Atlas von Athen 30
Ozoernig, Gotschee, . . 154
Dahse, Wassaw . . 311
Darfur, Positionen . 361
Karte .
Debaize’ Exped. . 233, 312
Döchy im Himalaya 188, 808
Desgodins’ Reise. . . 465
Denhardt am Dana . . 115
Depelchin, Zambesi-Reise 435
Desor, Binnenmeer . . 116
Dickins, Visit to Hachijo 31
Discon, Reise in Japan 31
Dodgshun’s Tod . . 399
Inhalts - Verzeichniss.
Fichtelgebirge . .
Finland. Geol. Aufnahme 306 | Hildobrandt’s Exped, 32,
Finsch in Polynesien
Reisewerk 118, 859
Fischer, Wapokomo-Land 434
Forrest’s Exp. 117, 314, 435
Förster, Nordlicht
Franklin, Mediterr. Sea 194 | Howgate’s Polarexp. 236, 402
Fremont, Binnenmeer
Fritsche, Climate.
„Fylla” - Tiefseomessun-
gen . .
Galima-Thal .
. . . 398 | Gasser in St. Thom
Gedroyc in Usboi
Geogr. Nachrichten 193, 195
. 431 Schweden . .
. 235 | Hudson’s, Bay Navig. . 192
. 154 Knipping’s Mittheilungen 31,
115,j 71,189,231, 309, 398, 433
. 192 399 Karte von Japan 493
Hillier, Nord-Chins . . 359 | Knoblauch, Gerichtsor- ?
Hindukusch. Karte . . 114 | ganisation . . 897
Hirschfeld’s Reise . . 398 Koch, Argent. Republik 193
6| Holub’s Reisen . 312, 361 Köppen, Schwäb.-bayer.
Hochfläche . 69
Köttstorfer, Adriat. Meer 76
. 898 Hübbe-Schleiden, Renta- Korea., Häfen: . 465
bilität . » .. .. .812 Karte . . 190
. 315 | Humboldt-Strom . . 403 Kronoberg’s Län. . 463
. + 434 | India. Geolog. Survey. 0!
. 469 : Indian Surv. 77—78 . 465.
. 188 | Instit. hist. &c. Rio de komanen. .
Janeiro . . . . . 401 |Kurts, Pflanzen
Krümmel, Tiefe d. Meere 76
Kuropatkin, Teke-Tur-
. 463
236
Geogr. Sektionens ridj- ı Internat. Exped. . 32, 159, | Kurze, Aus fernen Zonen 35
skrift . 5 313, 399 Lad6. Höhe. . . . 465
Gerland, Indianer . . 1921| Italia. Carta geogr. Laland-Falster . 806, 433
Gessi gegen Siber. 159, 8312| postale . . . . 156 , L’Afrique explorde 192, 312
in Fadasi . . . 82|Itsl. Expedition . 32, 812, | Lange, Bremen u. Verden 154
Giesecke’s Reise in Grön- | 399, 434 "Std-Brasilien 34, 198
land . . . 3165 ' Jadrinzew in W-Sibirien 158 | Laws, Nyassa . . 288
Inhalts-Verzeichniss.
8: lte Seite, Seite
Leder, Käferfauns . 71, Mullah, Swat-Fluss . . 465 , Pondo-Land 20. 32
Lehmann, Wilddäche . 306 | Müller, project. Exp. . 117, Portug. Exped. 323, 159,
Lens, Ethnogr. Karte . 92 |
Marokk. Exp. . 233
Lil!e, Soc. de geogr.
Mullen’s Exped. . 2833, 399| 191, 233, 434
Muschketow in Ferghana Potanin’s mongol. Exp. 158
30, 230 Przewalski nach Tibet
. 465 | 114, 231, 398
. 195 ı
Lippert, Oberfläche der Mwutan-Höhe.
Erde. . . . . ..316 Myers, Wen-Chow . . 231 'Purdy, Positionen . 361
Liste, Südi. Patagonien 402 Nachtigal’s Reisewerk. 400 ! Purnell, Antarkt. For-
Liu-Kiu. Annexion. . 231 ' Nancy, Soc. de göogr. . 195 _ schung . 402
Losngo-Exped. . 467 ı Naumann, Geol. Aufnahme 398 , Pütz, Lebrbuch . . . 316
Löffler, &tudes geogr. . 316 Negri, Eisenbabnverbin- Quebeo, Geogr. Ges. . 192
Lomakin am Atrck . duog © . 2... 113 Queenslander-Exped. 117,
Loo-Choo. Neujabrsfest 231 Neu-Guinea 73, 160, 192, 235, 400
Luksch, Adriat. Meer 76 314 Rafalloff, Mongolei . . 464
Weltkarte . 404 Neu-Hebriden . „74 Refray, Nou-Quines . 192
Luz’ Reisewerk . 467 New Zealand Institute . 117 Ratzel, Mexiko 33
Ravenstein, celt. Sprache 462
Rawlinson, Merw . 158
Regel’s Forschungen 230, 164
Lyman. Oillands of Japan 71 ‚ Nicolaus Konstantino-
Mackey in Kagei . . 312° witsch, Eisenbahn . 188
Mackie und Scott am Ma- r Niederl. Polar-Exzp. 84, 75,
ran. . 2.20. 196, 236, 315 Registrande Preuss.
Madeira. Aufnahme . 34 | Nielsen, Norwegen, Schwe- Gereralst. . 304
Mejew, Exped. 1878 230,464, den &.. . . . . 306 Bein, jap. Karten . 190
im Usboi. . . 188 | Nordenskiöld 74, 235, 314 , Rerista geogr. y osta-
Malay Halbinsel. . 465 Normal-Null für Preus- distia . . . . . 195
Manchester Soc. f. comm. sen... 0. 119, 358 Böroil, Somali-Küste . 465
. 195 Normand, Tracd . . 404 Ribeiro, 8. Thom6 &e.. 32
geogr. . .
ManzoniinJemon 30,157, 188 | Nyasaa-Sos. .
im Somali-Lande 233
Marche, Trois Voyages. 313 Ob und Jenisne) 300
‘ 96, sı8. |
Markbam, Hiodukusch Österreich’s Kämpfe. 28 | Biedeh, Re . er
Route sam Pol 75; gonu, oem vorbältnisse 62 | io Mexcala. Karte . 34
re... guojOnntsomitsch” Reise. . 465 mine, oojehr. Ger
Märki, Ungar. Geogr. 0
TE purtetag. . , 368
Schrift |Oran, Soc. degsogr. 35, 196 | Briefwechsel . 469
Marno im Sudan
. Oschanin nach Karategin os | Rochefort, Soc. de geogr. 195
Martins, Binnenmeer , Rodwell, Island . . 436
Mason, Positionen
93 | Roblfe’ Exp.
Matbows, Amazon &c. .
Mattoucei in Fadasi..
Matteucci’s comm. Ex-
. 233 | Richard nach Rhadames 116
315 Riebardson, Pik von Ori-
403 zaba . oo. . 400
358
72
Fr ' Oster-Insel.
436 | Ostschweis. Geogr.-
| Comm. Gesellsch. 195, 359
ı Overbeek. Küste von
Atjeh..
310, 361, 468
| Romanowski’s Expedition 230
115 | Roudaire’s Project . 116
32, 190, 434 . Rouen. Soe. de geogr. 196, '
Mehuejene Exped. 230, 432 ' Paiva d’Andrada 234, 435 316
Mayer, Weltkarte ‚404 Panama-Canal. . . . 235 Rousset nach Lantscheu-
MeFarlane, Neu-Guinee 73 | Paris, Soc. de geogr. | Rn... 2220. .71
Mechow’s Erped. . . 191: comm. 00. 195 Rucsow am Syr-Darja . 230
Mediterr. Bes. Chart. . 194 | Pariser Geogr. Congress. | Rundlund, Seen in
Medlieott, Manual . . 360! Sitzungsber. . ..86| gehweden 154
Messedaglis, Darfur. . 398 , Paulitschke, Afrik. Forsch. 72 Russen. Hauptstämme 69
Meteor. d. arkt. Rogionen 318 | Penck, Geschiebeforma- Ryall in Hundes. . . 307
305 Sache, Aus den Llanos 34
Metz, Verein f. Erdk. . 195, tion
159 Sahara-Bahn . 311
"314 | Penrose's Tod . . .
Miklucho-Maclay.. . ..
Middendorf's Expedition 330 Perak. Forschungen . 465 gamara-Expedition . . 464
Militärgeogr. Institut, ! Perene, Aufnahme . 192 Samarang, Geogr. Ge-
Karte der Balkanbalb- ı Pettersen, Bäculare Ho- sellsch. . . . . .434
mel. 29 bung. .» - .» . . 154 Gamos-Inseln . . 160, 314
Mılse, Across Europe Terrassedannelser 397 gundeberg’s Etabl. . . 314
and Asia . . . . 189 Powtsoff’e Reise . Sassenay, Chypre . 70
Missionsexped. in Ost- Pisggis in Fadasi . 434 Satow, Visit to Hachijo 31
399, Pigeonneau, Carte hyps. 155 gavorgnan de Brassa 32, 72
434 | Pinart, Oster-Insel . . 33 Schick, Jerusalem . 113
229, | Polar-Regionen 34, 74,160, Schindler in Persien 157, 188
432 198, 235, 314, 402, 436 Schneider, Kaukasus-
. 464 | Polynesien 33, 73,160,19%, länder. . ... 70
314 Schröder, Mediterr. Sea 360
Afrika 33, 159, 233,
Mejsisovics in Bosnien
Mongolei. Karte .
Morphy, Pık v. Orizaba 400
EL IPLI GIGS LP GLS ILLL EL LESS LÖLL GL
12, 159, 234, |
ıxX
Selte Belte
Schütt’s Exp. 32, 159, 312, | Tranekasp. Militärabth. 157
466 | Trautretter, Flora . 114
Schumacher, Petrus Mar- Tromp, Erinnerungen . 312
Ir 22222. 316
Schwatka’s Eıp. . . 236 .
Schwedische Polar-Exp. | Turkestan. Expeditionen 230
, 14, 235, 314, 487 | „Tuscarora”-Tiofseemess. 316
Schweinfarth, Arab. Wüste 72 | Udine. Annuario statist. 156
Bahr-el-Gbasal 634 | Jdachidschi. Missionsstat. 32
Seibert, Schul-Geograpbie 437 Uganda. Motsorologi
ul . gie. 465
Selfridge, Madeira 94 ‚Ujfalvy, Russ. Turke-
Sellin, Süd-Brasilien . 103 sten 20.0, 2331
Songstacke, D. „Nor- Ungarische Wandkarten 187
denskiöld” 75, 194, 235 Usboi. Untersuchung . 188
Serpa Pinto 159, 234, 435 | Ugsa. Goldlager . „230
ıSbillinglaw, P. Philipp. 314 .
Sibiriakoff's Exp. 75, 194,235 | yerkehramittel in Afrika 116
Somali-Gebiet. . 233, 465 u" 310
Sidenbladh, Schweden . 113! Victoria, Geologie " 117
Siegfried, Internat. Aus- ER j
304 Viti-Inseln . . 160
stellung . -. . .. u
Skinner, Malay Pevin- ! Wada, Prorinsz Kai. . 309
sula . 2. 2 22.190 ' Wagener, Biwa-See . . 310
Slatin im Sudan. .„ . 72 Wagner, Karte . . . 432
Soleillet’s Exp. 158, 190, 399 | Qutho’s Lehrb. 470
Soyanx, Westafrika . . 400, Walker's Map of Tur-
Speer, Gambia-Reise kestan Pa
Spica. Das Gebiet von Wallace, Tropical nature
| Spitzbergen. Winter- Wallon, Atschin . . .
ı fscherei . „2... 34 | Waltenberger, Stubai &c.
|Ssary-Kamysch Höbe . 188 Wappäus. Ritter’s Brief-
Ssewerzow's Eıp. 230, 307 ! wechsel . . . ..
Sslowzow in W-Sibirien 158 | Wassaw-Goldfelder .
' Setoletow nach Kabul . 230 | Wauters, Hylacomilus .
| Stanford’s Map of Africa 118 Zambesi
| Zulu-Land . 191 | Wautier’s Tod .
Stanler's Exped... 159, 233 Weirauch, Anemome-
Stecker, Djalo .su trische Resultate .
Steen, Klimatol. Nowaja Weisse Nil, Strombarren
‚ Bemlja’s . „194 | Wenchow wenn
| Stewart, Nyassa . . 233 | Wertheman’sche Karte .
Stiller Ocean, Inseln . 314 | Westesibirien. Expedit. .
Sturmwarnungen . ‚in Weyprecht, circampolare
'Sumatra-Erpedition. . 71 Stationen ..
ı Swat-Fluss. Aufnahme 465 | Metamorphosen
Szöchönyi’s Exped. 71, 114, | Wild, Von Kairo &e.
309, 432, Wilson in Uganda
ı Tambo, Aufnahme . . 192 Wilson, Karte von Af-
ı Teke-Turknanen ‚463 gbanistan rn
'Telegraph nach 8-Afrika 116 | Winnecke's Exped. 159,
ı Thieme, Posten der Cha- Witterungstelegraphie .
len > 2 2... 463 | Woeikof, Winde .
: Thoms, die Erde u. ihr Wolf, Adrist. Meer . 16
org. Leben . . . . 438 | Wolf, Humboldt-Strom 403
Tboroddsen, S-Islend . 437 | Wolf, Vermessungen in
Tietkens’ Exped. „ 192, 400 der Schweiz ..
Tokio, Beröikerung . . 231 | Woodthorpe, Subszsiri. 114
Geogr. Gesell- | Wyee, Bapports . 238
schaft . 398, 434 YVoung’s arkt. Reisen . 160
Plan . . . 433 Young, austral.Exrp. 159, 400
Torell, Eisperiode . . 316 Zerb, Pfansen . . . 159
Torres-Strasse, Inseln . 400 Zeballos, Patagonien . 34
Touls, Donau - Theiss- Zeitschrift des Deutsch-
Niederung . . . . 305 Üsterr. Alpearer. 229, 358
Toser, Argseus-Bestei- Zulu-Land. Karte . . 191
gung . .
Tuckett, Höhen in Grie-
chenland . . 156
®
398
316
7»
397
360
x Inhalts - Verzeichniss.
BERGÄNZUNGS-ZIBFTE.
Nr. 57. Edelmetall-Production und Werthverhältniss zwischen Gold und Silber seit der Entdeckung Amerika’s bis zur Gegenwart. Von Dr. Adolf
Soetbeer. Mit 3 Tafeln graphischer Darstellungen.
Nr. 58. Studien über das Klima der Mittelmeerländer. Von Theobald Fischer. Mit 7 Karten auf 3 Tafeln.
DRUCKFEHLER UND BERICHTIGUNGEN.
Seite 1, Spalte %, Zeile 5 v. o. lies Conjecturen statt Konjunkturen. Seite 56, Spalte2, Zeile20 v. o. lies Zusikawa statt Jusikawa,
„65 u nn 10v.0. ,„ Silex statt Silax. » 9%, » u „» 2 v.o. „ Minuten statt Fuss.
„7 „ I „ 10v.u. ,„ vor unserer Expedition statt von &c. »„ 9, „ %& „ 147v.u. „ keinen statt einen.
»O, nn % „ 10v.0o. „ Tatoi statt Talol. „ 9 „» % „» 5v.u n» Salzsiederei statt Theemaschinenfabrik.
„3 nn 1, » 19 v.u „ Caconda 13° 44° 0° statt 13° 0° 44°. „10, „ % „ 9v.u ,„ 1877, 8. 188, statt 1876, 8. 1.,
„MM, nn ı » Ivo. „ SBingon statt Siugon. ..»160, » % „ 2 v.o. „ Kandarvu statt Kantavu.
„4%, » 1) „ 12v.0. „ Marlamakawa statt Marlumakawa. „2% nn 1, „ 80 v.o. „ aber statt oben.
„6, „ L, „m 21v0. „u Iaja statt Itajo. „233, „ %& » 19 v.u ,„ London Miss, Soc. statt Church Miss. Soc.
„ad, nd m 123 v0. „ Caladium statt Colladium. „257, „ 1, „ 83v.o. „ Die vom Btastsrath Dr. O. Duhmberg iu Bar-
„I, un » Av.u. „ Benten statt Bentin. naul &c. Pflanzensammlung harrt noch
„#9, nn 1 „ 10v.u. ,„ Nasimono-Benten statt Nasimone-Beuten. der Bearbeitung.
n 50, „ bo „» 1@v.o. „ Bin statt Riu. „29, „ % „ 14v.u. „ 15° 18' 8. Br. statt N. Br,
„ 51, » & „ 23 v.o. „ Tenno statt Temio. „8%, „ 1 „ 3v u. ,„ Aullagas statt Antlagas.
„5, nn u » 8wo. „ Caladien statt Calsddenu. „808 „ 1, „ 11 v. 0. „ Liullaillacoo statt Liullallaos.
55 5 m BVv.u „ Sindjo statt Siudjo. „318, „ 1, „ 85v.u. „ Luba-König statt Lebe-König.
„ 55, n„ 3 „ Tv... „ Tagan statt Flagawa, „5, » 8% „ 49 v.u. „ Plantains statt Platanis,
„565 » 1, nn 16v.u „ Onlu statt Onin. „WM, » %, „ 29 v.u. „ Yapura statt Yapara,
Uber die Bihär bil&-mä.
Von Gerhard Rohlis.
Eine der wichtigsten Aufgaben von denen, welche. un-
serer Expedition in die Libysche Wüste vorgeschrieben
waren, bestand in der Untersuchung der „leeren Fluss-
betten”, der sogenannten Bihär-bilä-mä. Die Frage war
zuerst wieder von Dr. Zenker angeregt worden. Im J. 1872
wiess er in einem in Nr. 8 der Zeitschrift der Gesellschaft
für Erdkunde veröffentlichten Aufsatz „über das Depressions-
Gebiet der Libyschen Wüste und den Fluss ohne Wasser
(Bahr-belä-mä)” darauf hin, wie nützlich es sein würde,
durch genauere Untersuchungen festzustellen, ob wirklich
eine Depression vorhanden sei. Sodann wurde in der
Sitzung des Institut ögyptien, welche bei Gelegenheit der
Anwesenheit der Expeditions-Mitglieder in Cairo abgehalten
wurde, gleichfalls diese Frage in Anregung gebracht, und
man darf sich kaum wundern, dass die Gelehrten dieser
Gesellschaft nicht nur in dem Wahne befangen waren,
dass das auf den Karten verzeichnete Bahr-bilä-mä ein
„leeres Flussbett” sei, sondern dass sie auch mit ziemlicher
Sicherheit annahmen, in vorgeschichtlicher Zeit habe der
Nil durch dieses Rinnsal seine Fluthen ergossen. Ja, als
durch unsere Untersuchungen der Sachverhalt schon fest-
gestellt war, Untersuchungen, welche auf eigene Anschauun-
gen — nicht auf Aussagen der Eingeborenen — basirten,
glaubte ein Mitglied dieser gelehrten Versammlung, an der
von französischen und deutschen Gelehrten früher auf-
gestellten Hypothese festhalten zu müssen. Es war diess
um so mehr zu verwundern, als die französischen Explors-
teure nur dasjenige Bahr-bilä-mä gesehen ‚hatten, welches
in unmittelbarster Nähe der Natron-Seen gelegen ist; über
die übrigen aber nur nach Hörensagen sich ein Urtheil
hatten bilden können.
Bei dem Nachweise, dass man es in der Libyschen
Wüste nicht mit einem leeren „Flussbett’”’ zu thun habe,
kommt es in erster Linie darauf an, zu untersuchen, ob
der arabische Ausdruck PR ', el-bihär richtig übersetzt
worden ist, denn eine falsche Übersetzung verbindet natür-
lich mit dem Objekt einen falschen Begriff. Da müssen
wir denn leider gestehen, dass hier von vornherein Über-
setzungsfebler gemacht worden sind. Hätten Pöre Sicard,
Pocock und Savary, ferner die französische Expedition bei
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft L
ihrem Besuche des Bahr-bilä-mä im Jahre 1799 das Wort
richtig verstanden . und demgemäss übersetzt, so wäre die
irrige Annahme eines in vorgeschichtlicher Zeit westlich
verlaufenden Nils nie aufgekommen, und alle jene zahl-
reichen Konjunkturen wären unterblieben.
Einer unserer gründlichsten Orientalisten, und nicht
nur besonders bewandert in der Interpretation arabischer
Geographen, sondern berühmt durch seine Forschungen
unter arabischen Triben an Ort und Stelle, Konsul Wetz-
stein in Berlin, hat mir hierüber mit grösster Bereitwillig-
keit Auskunft gegeben. Denn wenn es mir wohl bekannt
war, dass das magribinische el-behar nichts Anderes als
„das Meer” bedeutet, so wollte ich doch als Empiriker in
linguistischen Dingen Nichts behaupten, was dem sonstigen
Sprachgebrauch des Arabischen gegenüber möglicherweise
ungenau hätte sein können oder gar falsch. Konsul Wetz-
stein nun theilte mir Folgendes mit:
„Das Wort bäher !), auch behar gesprochen, bedeutet
im Alt- und Neu-Arabischen bei Hadari und Bedawi (An-
sässigen und Nomaden) „das Meer” oder „der Landsee”;
sein Plural ist bihär und buhür „die Meere, die Seen”.
Von einem kleineren Landsee braucht man das Diminutiv
boheira, was im magribinischen Idiom, welches den Diph-
thong ei hasst, bohira gesprochen wird. Das Wort geht
auf einen Verbal-Stamm bahar zurück, welcher „sich weit
ausbreiten” bedeutet, und Manchem für ein transponirtes
rahab gilt, was in allen semitischen Sprachen dieselbe Be-
deutung hat. Daher kommt es, dass die Bezeichnung bäher
im gemeinen Leben auch von einem sehr grossen Strom,
wie dem Nil oder dem Euphrat, gebraucht wird, ohne
darum die Bedeutung ‚Fluss” zu haben. Bäher en-Nil
- bedeutet auch dem Araber „das Nil-Meer”. Es ist also eine
') Das Wort Bäher rechnet die semitische Grammatik zu den so-
genannten Segolat-Formen, in welchen die drei Radikale nur einen
Vokal haben. Im syro-ägyptischen Dialekt liegt dieser Vokal (hier
ein a) ausnahmslos zwischen dem ersten und zweiten Radikal, so dass
das Wort bäh*r und bähr lautet. Dagegen bei den Beduinen der Halb-
insel Arabiens und den von dorther eingewanderten Stämmen Libyens
und Mauritaniens ist es Regel, diesen Vokal zwischen den zweiten und
dritten Badikal zu setsen, wenn der zweite ein Guttural ist, so dass
das Wort bei ihnen b’här oder böbär lautet, da solche Bildungen in
der modernen Poesie den Werth eines Jambus haben. Wetzstein.
1
2 Über die Bihär bilä-ma.
hyperbolische Redeweise, die leicht Missverständniss er-
zeugen kann und deshalb in den Schriften der früheren
einheimischen Geographen auch vermieden wird. Sie be-
zeichnen jeden Fluss, er mag klein oder gross sein, mit
dem Worte näher, dessen Plural enhar und nuhira ist”.
Deutlicher kann uns die ursprüngliche Bedeutung von
bah®er nicht gemacht werden, wie es uns so eben, von Wetz-
stein auseinandergesetzt worden ist. Das Wort ist also mit
„Meer” oder „See” zu übersetzen. „Ja, aus eigener Erfah-
rung !) kann ich noch bestätigend hinzufügen, dass auch die
heutigen arabischen Geographen, wenn sie ihn auf den
Nil?) und andere grosse Flüsse anwenden, den Begriff
„Meer” dabei festhalten. Es lässt sich diess auf eine über-
zeugende Weise daran erkennen, dass sie den Nil mit Vor-
liebe „bah°r el-hflu”, „das süsse Meer” nennen, im Gegen-
satz zu bah’r el-malfh, dem „salzigen Meere” oder bah'r
el-milah, „dem Salzmeer”. Wir finden diese Bezeichnung
sonderbar, müssen aber bedenken, dass sie beduinischen
Ursprungs ist, wie denn überhaupt der grösste Theil der
naturgeschichtlichen Nomenklatur in den Ländern arabi-
scher Zunge auf die Beduinen zurückgeführt werden muss,
„Die ganze Arabische Halbinsel besitzt kein einziges
Gewässer, welches den Namen „Fluss” verdiente, und selbst
ihre Bäche verlieren sich in der heissen Jahreszeit meistens
schon in der Nähe der Quellen. Zwar verwandelt sich
nach starken und während längerer Zeit anhaltender Regen-
güsse das Rinnsal oder Torrens in einen „Seil”, „Wild-
bach”, welcher oft gewaltige Wassermassen fortwälzt, aber
nach wenigen Tagen ist es wieder völlig wasserlos und
trocken”.
„Die grosse Syrische Wüste hat nicht einmal ein pe-
rennirendes Bächlein. Welch’ einen Eindruck muss daher
der Anblick des Euphrat und des Schatt al-Arab (der ver-
einigte Euphrat und Tigris) mit seiner Jahr aus Jahr ein
majestätischen Wasserfläche auf die Bewohner jener Wüsten
machen. Bei der muselmanischen Eroberung Ägyptens kam
mit den Nomadenstämmen arabische Sprache und Vor-
stellungsweise dahin, und wie früher der Euphrat, so
wurde jetzt der Nil zum Meere, welcher sich dieses Namens
um so würdiger zeigte, als er in der Zeit der periodischen
Überschwemmung, wo er das Delta überfluthet, das Bild
einer Meeresfläche gewährt. Um aber dieses Meer von dem
wirklichen zu unterscheiden, nannten sie es kurzweg und
durchaus bezeichnend „das süsse” und jenes „das salzige”.
Dieser Auseinandersetzung Wetzstein’s kann ich noch
hinzufügen, dass für die Araber Afrika's die Bedeutung
!) wörtlich nach gütiger Mittheilung von Wetzstein.
2) Ibn Batutah, der grosse arabische Reisende, sagt zwar aus-
drücklich: Kein anderer Fluss hat den Namen bahr. Voyages d’Ibn
Batoutah, Tome I, p. 77.
des Wortes „el bahr en-Nil” und „Süsswasser-Strom” jetzt
ganz identisch geworden sind. Kommen die Araber nach
Central-Afrika, so ist das Erste, was sie beim Anblick eines
grossen Stromes ausrufen: el bahr en-Nil. Sie wollen
damit keineswegs sagen, dass der betreffende Strom der
ägyptische Nil sei, sondern einfach ausdrücken, er sei ein
grosser Süsswasserstrom. Es hat diess zu verschiedenen
Irrungen Veranlassung gegeben, wie denn die Arabischen
Kaufleute den Niger ebenfalls el bahr el-hflu oder äuch
bahr en-Nil nannten. Europäische Geographen folgerten
hieraus sodann, die arabischen Geographen und Kaufleute
hielten diese beiden Ströme für einen und denselben. Frei-
lich wurden sie zum Theil dazu veranlasst und in ihren
Glauben bestärkt durch Ibn Batutah, welcher bei seiner
Reise nach dem Sudan und dem Lande der Neger sagt:
„Dieser Fluss (der Nil) kommt von hier nach Cabarah,
dann nach Zaghah: diese beiden letzten Lokalitäten haben
zwei Sultane, welche dem Sultan von Melli untergeben sind.
Seit Langem haben die Bewohner von Zaghah den Islam
angenommen, sind sehr fromm und haben für die Wissen-
schaften viel Sinn. Von Zaghah geht der Nil nach Tim-
buktu und nach Caoucaou, Städte, von denen wir später
reden werden; dann nach Mouli, Ort, welcher zu Limig-
goun gehört und den letzten Distrikt von Melli bildet.
Der Fluss fliesst von Mouli nach Youfi, einem der wich-
tigsten Länder des Sudan und dessen Sultan einer der
mächtigsten Fürsten der Gegend ist. Kein weisser Mann
darf nach Youfi hinein, die Neger würden ihn eher tödten.
Der Nil dringt ins Land der Nubier, welche Christen sind,
und kommt dann nach Dongolah, ihrer Hauptstadt. Der
Sultan dieser Stadt, welcher Ibn Kenz eddin heisst, be-
kehrte sich zur Zeit des Königs Näcir zum Mohammeda-
nismus. Der Fluss geht dann nach Djenadid (Nil-Katarak-
ten) hinab, wo das Ende der Negerheimath ist und der
Distrikt von Ogouän (Assuan oder Syene) in Ober-Ägypten.
&c. &c”.
Es bleibt uns nun, ehe wir zur Beschreibung der ver- _
schiedenen Bihär bilä-mä gehen, zu erforschen übrig, wer
zuerst von diesen Depressionen oder „Seen” ohne Wasser
gesprochen hat, denn so müssen wir von jetzt an Bihär
bil&-mä nennen. Und festzuhalten ist, dass alle Bihär bilä-m&
Depressionen sind — ob echte?) oder unechte, das kann
für uns vorläufig einerlei sein — und in ihrer äusseren
') Voyages d’Ibn Batoutah, teste arabe, accompagns d’une tra-
duction par O. Defremery et le Dr. B. R Sanguinetti. Paris 1858.
#) Unter echten Depressionen sind die zu verstehen, welche tiefer
gelegen sind als der Ocean, während unechte solche sind, welche nur
Eiusenkungen bilden bezüglich der sie umgebenden Erdformationen.
Siuah z. B. ist eine echte, Dachel eine unechte Depression ; oder man
könnte auch sagen, Siuah ist eine absolute, Dachel eine relative De-
pression.
Über die Bihär bilä-mä. 3
Erscheinung allerdings meistens die grösste Ähnlichkeit mit
leeren Seebecken zeigen.
Bei den alten Schriftstellern der Griechen und Römer
finden wir keine Stelle, welche sich auf ein ‚leeres See-
becken beziehen liesse, und gar wunderbar müsste es gein,
wenn ein Bihär bilä-mä, wie es auf den Karten der letzten
Jahrzehnte verzeichnet ist, den Nachforschungen eines Hero-
dot, Strabo u. A. entgangen sein sollte; denn keineswegs
lassen sich die Stellen des Strabo, wo er nach Erathosthenes
von Salz und Muscheln auf dem Wege nach dem Ammo-
nium redet, mit denjenigen verschiedenen Bihär bilä-mä
zusammenbringen, welche uns hier beschäftigen, sondern
Strabo redet von der Oase des Ammon. Vielleicht aber
haben Strabo’s „Trümmer gescheiterter Schiffe” und die
„zum Schauspiel der Kyrenaeer gesandten und auf kleinen
Säulen aufgerichteten Delphine” nicht wenig dazu beige-
tragen, dass die leicht erregbare Phantasie eines früheren
Reisenden glaubte, qu’on trouve dans la vallde du Fleuve
sans eau des mäts et des debris de navires, wenn auch
Andreossy auf diese Äusserung des Pöre Sicard gleich
hinzufügt: nous n’avons rien apercgu de tout cela. Dann
aber, entschuldigend, dass P. Sicard eine derartige Beobach-
tung gemacht habe, welche ihnen, Berthollet, Fourier, Re-
doute und Andreossy entgangen sei, noch unmittelbar darauf
hinzufügt: il est vrai que nous n’avons vu qu’un endroit
de la vallee.
Und wenn Herodot im 2. Buche $ 99 sagt: „Menes,
der erste König von Ägypten, hat fürs erste, sagten die
Priester, auch Memphis ausgedämmt. Der Fluss sei näm-
lich ganz längs des sandigen Gebirges gegen Libyen hin-
gölaufen”, so heisst das, dass der Nil längs des westlichen
Sandufers strömte; und wenn er weiter fortfährt: „und
nun habe Menes weiter hinten, 100 Stadien von Memphis,
seinen mittäglichen Arm zugedämmt”, so erfahren wir
daraus, dass der Nil das Nilthal auch zu der Zeit schon
in mehreren Armen durohströmte. So fliesst er heute ja
auch durch einen Hauptarm längs des Ostrandes des Thales
und durch den westlichen Bahr el-Jussuf. Herodot !) sagt
ferner, nachdem dann der mittägliche Arm zugedämmt „und
das alte Flussbett ausgetrocknet, den Fluss aber in einem
Rinngraben zwischen den @Gebirgen durchgeleitet”, &o.
Diese Durchleitung kann sich natürlich nur auf diejenige be»
ziehen, welche zum Fayum führt, denn nördlich von Memphis
ist kein Gebirge mehr, und durch das von Bergen be-
grenzte Nilthal floss der Nil ohnediess. Wir können, wie
gesagt, in den eben citirten Stellen keine Berechtigung
finden, ein altes leeres Nilbett in der Libysohen Wüste
vermuthen zu wollen,
1) Deutsche Übersetzung von Schöll und Köhler.
Auch ist im Herodot wohl die Stelle nicht misszuverste-
hen, wenn er B. II, $ 149, sagt: „Das Wasser in diesem See
(Möris-See) hat nicht dort seinen eigenen Ursprung; denn
hier ist daa Land sehr wasserlos, sondern es ist aus dem
Nil durch einen Rinngraben hineingeleitet, und zwar läuft
es sechs Monate in den See hinein, sechs andere Monate
in den Nil heraus”.
Herodot fährt allerdings $ 150 desselben Buches fort:
„Noch sagten mir die Eingeborenen, dass dieser See sich
in die Libysche Syrte ergiesse, indem er sich unter der
Erde, längs des Gebirges, hinter Memphis, gegen Abend
in das Binnenland hineinziehe” &c. Es deutet diese Stelle
offenbar an, dass die damaligen Fayum-Bewohner Kenntniss
von der Depression der Natron-Seen hatten, denn nur diese
kann gemeint sein als Örtlichkeit, wohin sich unter der
Erde das Wasser aus dem Möris-See ergösse. Dass ein
Zusammenhang zwischen den Seen und Quellen der Liby-
schen Wüste und dem Nil besteht, wird allerdings kaum
geleugnet werden können, da die Veränderungen der Was-
sermengen des Nils eine solche in den Quellen und Seen
bedingen. Nur ist wohl zu beachten, dass die Breite der
Landkarten Nichts damit zu thun hat, dass z. B. eine Ver-
änderung in der. Menge des Wassers der Natron-Seen kei-
neswegs herzurühren braucht von den Wasserverhältnissen,
welche im Nil etwa unter dem 30° N. Br. Statt haben,
sondern vielleicht von einer ganz anderen Stelle aus be-
dingt ist. Und wenn die Menge des Wassers der Quellen
von Dachel ein Steigen und Fallen zeigt, so braucht dieser
Wechsel keineswegs bedingt zu sein von den Wasserver-
hältnissen des Nils bei Esneh etwa. Es ist ausserdem
längst nachgewiesen, dass die Depression der Natron-Seen
Nichts mit einem bahr bilä-mä zu thun hat.
Wenn wir somit nicht im Stande sind, bei den klassischen
Geschichtsschreibern und Geographen des Alterthums eine
Stelle nachzuweisen, welche auf ein Bahr bilä-m& anwen-
dung finden könnte, so ist eben so wenig von einem Ara-
bischen Geographen des Mittelalters auch nur der Ausdruck
Bahr bilä-mä gebraucht. Dr. Wetzstein, welcher sich die
Mühe nicht hat verdriessen lassen, alle arabischen Geo-
graphen darauf hin zu konsultiren, giebt die bestimmteste
Versicherung ab, dass bei Keinem ein Bahr bilä-mä ge-
nannt wird,
Es läge uns demnach ob zu untersuchen, welcher von
den neueren Reisenden und Geographen zuerst sich des
Wortes Bahr bilä-mä bedient hat. Die älteste Erwähnung
finden wir in der von Paulus herausgegebenen Beschreibung
der Reise von Wansleb !), welcher 1663 eine Reise nach
!) Von Dapper, der die ausführlichste Beschreibung von Afrika
giebt, wird ein Bahr bilä-m& nicht genannt. Dapper’s Afrika ist
von 1671.
1 *
4 Über die Bihär bilä-mä.
Ägypten unternahm. Dort wird gesagt, dass zwischen
Fium (Fayum) und Benesuef „sie quer durch das Bett des
Bahr bela-ma oder des Flusses ohne Wasser mussten, was
unglaubliche Mühe machte”. Es ist hier natürlich nur vom
Bahr bilä-mä der Provinz Fayum die Rede.
Fussend auf Pocock und Savary, kann aber als der
geistige Vater der grosse französische Geograph Jean
Baptiste Bourguignon d’Anville betrachtet werden. In sei-
nem Handbuch der alten Erdbeschreibung T. IV, p. 31
(Deutsche Übersetzung von Bruns), lesen wir: „Nach
Pocock zieht sich von diesem See (Möris-See) an noch
jetzt eine Art von Thal fast bis ans Mittelländische Meer,
welches die Araber Bahr bela-ma, Thal ohne Wasser, nen-
nen. Vermuthlich war diess einer der alten Ausflüsse des
Nils. Um nicht zu viel Wasser durch denselben zu ver-
lieren, schnitt man ihn ab, und so entstand die für die
niedere Provinz Arsinoe nutzbare Wassersammlung, der
See Möris, den man nun bald zum Ablauf des überflüssigen
Nilwassers bei reichen Überschwemmungen, bald wenn diese
karg waren, zum Aufhalten desselben gebrauchen konnte”.
Richard Pocock !), ein Engländer, der von 1737—1742
Ägypten bereiste und ein mehrbändiges Werk über den
Orient und einige andere Länder verfasste, sagt T. I,
p. 179, bei Beschreibung des Möris-Sees: „Je crois, qu’an-
ciennement le Nil avait une branche, de ce cöte-lä, la-
quelle allait se rendre & la mer par la vallde appellee
Beher Bellomah ou la mer?) sans eau, qui s’ötend depuis
l’extremite occidentale de ce lac jusqu’& la mer. &c”. Po-
cock kannte also aus eigener Anschauung gar nicht die
Bihär bilä-m& und die Örtlichkeit bei den Natron-Seen, es
ist daher unvorsichtig, dass darauf hin ein so bedeutender
und tonangebender Geograph nach einer blossen Meinung
des Englischen Reisenden so bestimmt sich nicht nur über
den Verlauf des Bahr bilä-mä ausspricht, sondern auch die
für die geographische Welt maassgebenden Karten entwer-
fen konnte.
Eben so viel wie Pocock’s Vermuthung mochte auch
Savary’s Reisebericht dazu beigetragen haben, die Geogra-
phen in der Annahme eines „leeren Flussbettes’” zu bestär-
ken. Aber auch dieser Forscher berichtete nicht über ei-
gene Untersuchungen, sondern nur nach Aussagen der Ein-
geborenen und der von diesen ausgestreuten Hypothesen.
In seinem ersten Briefe über Ägypten?) p. 12 sagt der
Verfasser, nachdem er von der von Herodot erzählten Ver-
änderung des Nil-Bettes bei Memphis geredet: „Au moment,
’) Es steht mir nur die aus dem Englischen nach der 2. Auflage
gemachte französische Übersetzung, welche bei Costard in Paris er-
schien und 1772 herauskam, zu Gebote.
3) Hier ist das Wort wenigstens richtig übersetzt.
3) Lettres sur l’Egypte, Paris 1788.
ou j’eoris, ce canal (das alte Wüsten-Nilbett) n’est point
ignor6; on le suit & travers le desert; il passe A l’ooci-
dent des lacs de Natron. Des bois petrifies, des antennes,
debris des batiments, qui y naviguaient, en marquent encore
la trace. Les Arabes ont conserve & ce canal, presque
comble, le nom de Bahr bela ma, mer!) sans eau”. Und
dann noch deutlicher T. II, p. 16: On suit encore actuelle-
ment la trace de l’ancıen lit, que les Arabes nomment Bahr
bela ma, mer sans eau. Il est parsem& dans toute sa lon-
gueur des debris des bateaux qui y naviguaient et qui
sont petrifi6s. J’en ai vu rapporter au grand Caire de
superbes morceaux.
Volney 2) aber, der von 1783 bis 1785 in Ägypten und
Syrien reiste, meint T. I: „Je suis donc porte & croire que
le course barre par Mends etait seulement une derivation
nuisible & l’arrosement du Delta, et cette conjecture parait
d’autant plus probable, que, malgr6 le t6moignage d’Hero-
dote, cette partie de la vall&ee, vue des pyramides, n’offre
aucun 6tranglement qui fasse croire & un ancien obstacle.
D’ailleurs il me semble que Savary a trop pris sur lui de
faire aboutir & la digue mentionndee au dessus| de Mem-
phis le grand ravin, appel& bahr bela ma ou fleuve sans
eau, comme indiquant l’ancien lit du Nil. Tous les voya-
geurs cit6s par D’Anville, le font aboutir au Faioume, dont
il parait une suite plus naturelle ?). Pour &tablir ce fait
nouveau, il faudrait avoir vu les lieux; et je n’ai jamais
oui dire au Kaire, que Savary se soit avanc6 plus au Sud
que les pyramides de Djize”. Er fügt sodann noch als
Anmerkung hinzu: ‚en effet, on serait plus porte, sur l’in-
spection de la carte, & croire que ce fut la jadis le cours
du fleuve; quant aux petrifications de mäts et de vais-
seaux entiers dont parle Sicart, elles auraient bien besoin,
pour ötre crues, d’ötre constat6es par des voyageurs plus
6olaires que ce missionnaire”.
Obgleich Volney somit die Sache für sehr zweifelhaft
hält, erscheint die Existenz eines Bahr bilä-mä am Ende
des vorigen Jahrhunderts als so unanfechtbar, dass, als die
französische Expedition unter Napoleon nach Ägypten kam,
die Gelehrten derselben ein Bahr bilä-mä als ein altes
„leeres Flussbett” als eine vollkommen ausgemachte Sache
betrachteten. Berechtigt durch die Angaben jener Reisen-
den, gestützt auf die Lehre der damaligen Geographen,
konnte Andröossy in seinem „Memoire sur la Topographie
de la vallde du fleuve sans eau” sagen: „l) Il parait que
le Nil, et plus vraisemblablement une partie des eaux de
1) Auch richtig übersetzt.
2) Voyage en Syrie et en Egypte par Volney. 2. Vol. Paris,
an VII.
3) Auf der Volney’s Buche beigegebenen Karte ist vom Fayum bis
zum mareotischen See ein wunderhübsches Thal eingetragen.
Über das Bihär bilä-mä. 5
ce fleuve coulait dans l’interieur des deserts de la Libye
par les vallees de Natron et du fleuve sans eau; 2) que
les eaux furent rejetees dans la vallde actuelle on expli-
quera peut ötre par la, pourquoi du temps d’Herodöte, les
eaux de l’inondation #’dlevaient & quinze coudees, tandisque
du temps de Moeris, elles ne s’elevaient qu’& huit et que
de nos jours elles ne vont qu’& dix-huit coudees; 3) que
le Nil aprds cette operation coula en entier le long des
collines de la Libye et forma le berceau, que l’on voit
dans la basse Egypte et dans une partie de l’Egypte
moyenne; que le Nil fut rejet6 sur la rive droite et que
cette Epoque precdda immediatement la disposition regulidre
des sept branches du Nil et la formation des Delta. Les
temoignages göologiques, qui attestent les faits preoedents
confirment en outre ce que nous avons dit dans le möme
memoire, que les esux du Nil ont une tendance & se por-
ter vers l’ouest !), tendance indiqude en Egypte comme
elle l’est dans un autre pays pour tout autre point pour
la topographie generale du terrain”.
Wenn sich somit durch den Besuch des Natron-Thales
Seitens der französischen Expedition bei General Andr&ossy
ganz bestimmt die Ansicht befestigte von der Existenz
eines verlassenen Nilbettes in der Libyschen Wüste —
obschon die Expedition nie das Bahr bilä-mä der Länge
nach abgegangen und untersucht hatte — , so finden wir,
dass Hornemann, welcher um dieselbe Zeit Ägypten ver-
liess, um seine Reise nach Central-Afrika anzutreten, und
der doch ganz unter dem Einflusse der französischen Auf-
fassung die Topographie der Gegend betrachtet, dennoch
nicht ansteht zu sagen ?): „Wenn es noch Spuren von dem
westlichen Arme des Nil gäbe, dessen die Schriftsteller des
Alterthums erwähnen, so müsste man sie, denke ich, in
irgend einem Theile dieser Wüste treffen. Ich entdeckte
sie nicht auf dem Wege, den unsere Karawane nahm”.
Dann ferner: „Wenn man als ein vorzügliches Kennzeichen
des Bahr-bella-ma die Stücke von versteinerten Mastbäumen
und von anderem Schiffsbauholz angiebt, die man darin
finden soll, so verdient die ganze Wüste diesen Namen.
Man dürfte alsdann Bahr-bella-ma nicht „Fluss ohne Was-
ser’, sondern man müsste es das „Meer ohne Wasser”
übersetzen”. Wir haben oben schon hervorgehoben, dass
1) Die hier ausgesprochene Ansicht Andr&ossy’s, die Gewässer des
Nils hätten eine Tendenz, sich nach Westen zu richten, also links zu
drängen, ist durch Nichts gerechtfertigt. Im Gegentheil! Ohne die
Vertheidigung des Baer’schen Stromgesetzes übernehmen zu wollen, be-
lehrt mich ein Blick auf die Karte, dass der Nil, sobald er bei Edfu
ein breiteres Thal erreicht, nach rechts drängt und das Ostufer be-
spült. Und so bleibt es überall, bis er nördlich von Cairo aus der
Gebirgsspalte heraustritt. Hinzufligen kann man noch, dass die Buko-
lische, östliche Verästelung mehr Wasser dem Mittelmeer zuführt, als
die westliche Bolbinitische.
2) Fr. Hornemann’s Tagebuch, herausgegeben von König, Weimar
1802, 8. 12.
Letzteres überhaupt die allein richtige Übersetzung ist. —
Hornemann fährt dann fort: „Dieser Name würde wirklich
ganz passend für diese Wüste sein, denn der Boden gleicht
vollkommen einem niedrigen Gestade, über welches die
Fluthen während des Sturmes geströmt und Holz neben
anderen Sachen zurückgelassen haben. Spuren von verar-
beitet gewesenem Holze habe ich übrigens nirgends finden
können. Das was man für Mastbäume gehalten hat sind
Stämme, die dreissig bis vierzig Fuss lang waren und in
mehrere Stücke zerbrochen sind, welche noch jetzt neben
einander liegen”. |
Die vom Major Rennell über Hornemann !) angestellten
Betrachtungen, dass die Bahr bilä-mä und die Natron-Thäler
sich auf mehr als 40 (deutsche) geographische Meilen, näm-
lich nördlich bis zum mareotischen und südlich bis zum
Möris-See erstreckten, haben gar keinen Werth, weil sie
aus des Reisenden Beobachtungen mit Sicherheit sich nicht
folgern lassen; eben so wenig ist die Behauptung Renneil’s
aus Hornemann’s Berichten zu schliessen, „es sei ausgemacht,
dass die Ausfahrt oder die Öffnung bei Sakkara noch jetzt
oberhalb des Nils sich befände”.
Hornemann muss nach allen seinen Aufzeichnungen,
welche er uns hinterlassen hat, als einer der zuverlässigsten
Beobachter betrachtet werden; eben so unumwunden, wenn
nicht noch schlagender ist die Aussage Browne’s, welcher
etwas früher als Andreossy, Berthollet und Fourier die
Natron-Seen besuchte, und später Einsicht nahm von dem
von Andreossy verfassten Memoire. Er sagt?): „the shape
of the valley (Natron-Thal) differs materially from the idea
which I had formed of it, and which was by no means
that of the bed of a river or current of water”. Bei eben
dieser Gelegenheit tritt Browne auch gegen die Behaup-
tung Andreossy’s auf, welcher die Seen im Natron-Thal
vom Nil aus ihr Wasser erhalten lässt. Browne sagt:
„This contradicts the assertions both of the religious (in
dem: Natron-Thal sind Klöster der Kopten), and the pea-
sants who procure the natron from the lakes, and who
essured me, that the water rose highest after the rains of
winter and was lowest after the heats of summer. They
are certainly in part supplied by springs but otherwise
this account is sufficiently conformable to my own obser-
vation”.
Browne führt sodann aus, dass falls Andrdossy annähme,
_ die Natron-See’n würden vom Nil aus gespeist, durch unter-
irdische Abflüsse, man auch annehmen müsse, dass die Oasen
der Libyschen Wüste auf diese Weise ihr Wasser bekämen,
was ihm aber, da sie durch Räume von 30—40 Miles vom
1) Hornemann, herausgegeben von König, Weimar 1802, 8. 164.
2) Browne, Travels. London 1806, p. 46.
6 Über die Bihär bilä-mä.
Nil getrennt wären, nicht glaubwürdig erscheine. Indess
ist hier Browne offenbar im Unrecht, der geringe Regen-
fall in Ägypten und in der Libyschen Wüste kann unmög-
lich die Quellen in den Oasen und die Seen im Natron-
Thal speisen, und e8 ist auch ganz einerlei, ob die Fülle
der Quellen vor, mit oder nach dem Steigen des Nils ein-
tritt, da die Durchsickerung, oder die Wasserzufuhr nicht
aus den Orten, die auf der Landkarte sich etwa auf den-
selben Breitengraden des Nils befinden, zu kommen braucht,
Trotzdem Browne und Hornemann ein bahr bilä-mä
nicht finden konnten, siegte doch die Meinung d’Anville’s
immer mehr. Auch Rennell sprach sich dafür aus, und
Andröossy erhob die Vermuthung eines ehemals vollen,
jetzt leeren Flussbettes zu einer unumstösslichen Gewiss-
heit. Ritter !) selbst führt nicht nur Andreossy, Berthollet
Fourier und Redoute an, um die Existenz eines Bahr bilä-
mä nachzuweisen, sondern sagt auch: „die arabischen Geo-
graphen ?) nennen dort hinwärts ein trocknes Thal Libyens
den Bahr bel& mä, d. h. Fluss ohne Wasser, die einhei-
mischen Araber aber den Bahr el farigh, d. h. den leeren
Fluss”. So bekam die Existenz des bahr bilä-mä durch
Ritter eine neue noch höhere Weihe.
Sehen wir uns nun aber um, wie sich die neueren
Wüstenreisenden über diesen Gegenstand aussprechen, so
finden wir, dass Cailliaud bei seiner Reise vom Fayum nach
Siuah und von hier nach Uah-el-Beharieh &c. eines bahr
bilä-mä nicht erwähnt; auch nicht bei der Örtlichkeit Qarah
el amrah, wo er verweilte und die Karten doch ein bahr
bilä-mä verzeichnen. Cailliaud spricht sich an keiner ein-
zigen Stelle, weder für noch gegen die Existenz eines bahr
bilö&-m& aus. Nur ganz en passant erwähnt er beim Ver-
lassen des Fayum, dass die von Hornemann erwähnte Wüste
mit dem versteinerten Holze sich weiter nördlich befände.
Nicht so Belzoni. Dieser Reisende, welcher von 1815
bis 1819 in Afrika war und vom Fiayum aus bis Rejen el
Cassar dieselbe Route verfolgte, welche kurz vor ihm Cail-
liaud genommen hatte, dann aber abbog und statt nach
Siuah nach Uah el Beharieh ging, und zwei Tagemärsche
später eine Örtlichkeit Behar-bela-ma genannt, erreichte,
welche nach ihm „all the appearance of water having been
in it” hatte. Belzoni will sogar Wasserzeichen an den
Ufern und Inseln (Zungen) bemerkt haben, welche Wasser-
marken selbstverständlich wohl nichts anderes gewesen sind,
als verschieden gefärbte Schichten im Kalkfelsen.
Der französische General-Konsul Drovetti, welcher 1820
durch die Wüste Libyens reiste, auch Dachel besuchte und
!) Die Erdkunde im Verhältniss zur Natur &c., 1. Bd. Afrika,
von Carl Ritter. Berlin 1822, S. 860 u. f£.
3) Diess ist, wie wir oben 8. 1 u. 2 ausgeführt haben, gar nicht
der Fall.
durch die dort bahr bilä-mä genannte Örtlichkeit kam, trug
auch dazu bei, den Glauben an das Bett eines ehemaligen
westlich geflossenen Nil zu bekräftigen, obschon weder Cail-
liaud noch auch Edmonstone !) es der Mühe werth erachtet
hatten, diess bahr bilä-mä in Dachel zu erwähnen. Als
immerhin bemerkenswerth glauben wir aber hervorheben
zu müssen, dass auf der von Somard 1822 publicirten Karte
zu Drovetti’g Reisen ein bahr bil&-mä nicht eingetragen
worden ist.
. Eine bedeutende Stütze finden die Verfechter der Theo-
rie eines bahr bilä-mä in General-Konsul Minutoli, welcher
auf seiner Rückreise von Siuah in das von Andreossy be-
schriebene bahr bilä-m& kam, dessen Bett er mit seiner
Expedition in schräger Richtung von Südwest nach Nord-
ost durchschritt. Aber der Länge nach hat also auch Mi-
nutoli das bahr bilä-mä nicht durchzogen und erforscht.
Er sagt darüber 2): „Ausser beträchtlichen Lagern des
schon erwähnten versteinerten Holzes findet man auf dem
Abhange des Thales gerollten Quarz, Silax, Jaspis, Gyps
und andere unverkennbare Spuren, die auf eine frühere
Wasserströmung deuten”. Minutoli meint dann fernerhin,
dass bei ungewöhnlich hohem Wasserstand des Nils das
Wasser des Möris-Sees sich durch das bahr bilä-mä ent-
laden habe, und stützt sich dabei auf Herodot IL, 150:
„noch sagten mir die Eingeborenen, dass dieser See sich in
die Libysche Wüste ergiesse, indem er sich unter der Erde
längs dem Gebirge &o. &0.” Man kann nicht leugnen, dass
dieser Ausspruch des Herodot sehr verführerisch klingt,
zumal angesichts der südlich vom Libyschen Küsten-Plateau
sich entlang ziehenden Depression; aber da wir vor der
Tihatsache stehen, dass östlich von Siuah die Depression
nicht mehr existirt, dass dort alle Formationen von fluvialer
Bildung fehlen, so können wir auch hierin keine Bestäti-
gung der Existenz eines alten Flussbettes erblicken.
Und wenn gleich darauf Minutoli hinzufügt: „hat aber
wirklich ein Arm des Nils sich hier ergossen, so muss
dieser durch das bahr bilä-m& beim Vorgebirge Lubba vor-
bei sich in den mareotischen See oder in die Schlucht bei
dem Brunnen el Hammam in’s Mittelländische Meer ent-
laden haben, während eine Verzweigung desselben Armes
in das Thal von Mogara einen Abfluss fand und nach el
Gara hin sich verlor”, so muss man dagegen die Thatsache
im Auge behalten, dass im bahr bilä-mä noch Niemand
Nil-Schlamm oder fluviale Bildung gefunden hat. Man muss
festhalten, dass eine von Bir Hammam ausgehende und
nach dem Mittelmeer sich erstreckende Schlucht nicht exi-
stirt, sondern von Alexandria an bis zur Cyrenaika das
ganze Ufer ein einziges und zusammenhängendes Kalkge-
') Siehe Edmonstone, a journey &e. London 1822, p. 40 &e.
?) Minutoli, herausgegeben von Tölken, Berlin 1824, 8. 190.
Über die Bihär bilä-mä. 7
rüst ist, und dass auch westlich von Mogara nach el Gara
zu, hoher und massiver Felsboden sich befindet.
Als kurze Zeit nach Minutoli Ehrenberg von Norden
her nach der Oase des Jupiter Ammon kam und von dieser
sodann direkt nach dem Nil-Thal zurückkehrte, spricht
er zwar von einem bahr bilä-mä nirgends, aber auf. der
seiner Reisebeschreibung beigegebenen Karte verläuft ein
solches und mündet in’s Mittelmeer. Auf der Karte steht:
„die Thäler (d. h. das Bahr bilä-mä) münden nicht in’s
Meer, sondern sind durch Dünen-Hügel ganz verschlossen”.
Hieraus erhellt ganz klar, dass Ehrenberg der Ansicht war,
das leere Flussbett habe einst sich in’s Meer ergossen. Es
ist das aber wie gesagt unmöglich, da der Abschluss am
Mittelmeer nicht aus Sand oder Dünenhügel besteht, son-
dern die Wüste von demselben durch eine compakte Kalk-
masse, das sog. Libysche Küsten-Plateau abgetrennt ist.
Spätere Reisende, wie Hoskins !), Edmonstone, Hammil-
ton, St. John und Brugsch, nehmen keine Notiz vom bahr
bilä-mä; aber das „leere Flussbett” im Westen der Lybischen
Wüste, ja, die Annahme, dass ehemals im Westen der Nil
geflossen, war auch längst unumstössliche Thatsache ge-
worden. Die besseren und besten Geographen, Ritter voran,
brechen nach dem Vorbilde d’Anville’s eine Lanze für die
Existenz eines „leeren Flussbettes”. So sehen wir auch
ein solches auf der Karte von Lange zu Barth’s Wande-
rungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres verzeichnet.
Heinrich Barth aber, der von Cyrenaika an bis Alexandria
längs des Meeres reiste, berichtet nirgends von einer Mün-
dung oder einem ehemaligen Ausfluss; auch ist auf der
Karte die Begrenzung des Meeres nur durch Gebirgsfor-
mation angegeben.
Sehen wir jetzt aber, in wie fern die bihär bilä-mä
als leere Meeres- oder Seebecken, um nicht den Ausdruck
„leere Flussbetten’” zu gebrauchen, in der Lybischen Wüste
noch existenzberechtigt sind, und ob es nicht am besten
ist, uns darauf zu beschränken, den arabischen Namen als
unpassend, aber eingebürgert für die Örtlichkeit festzuhalten.
Hierbei können wir die 18623 erschienene zehnblätterige
Karte?), Blatt II, von Petermann und Hassenstein zu
Grunde legen, weil auf dieser Karte von allen über die
Lybische Wüste herausgegebenen Aufzeichnungen, welche
von unserer Expedition vorgenommen sind, die verschiedenen
bihär bilä-mä& am detaillirtesten verzeichnet stehen. Und
wenn wir nun ein bahr bilä-mä nach dem anderen vor-
nehmen, so ergiebt sich:
1) Hoskins in seinen Travels in Ethiopia, London 1835, erwähnt
bei Durchkreuzung der Wüste eines Bahr bela ma und richtig über-
setzend sagt er p. 20: „and encamped behind a small hill at the com-
mencement of a large plain called Atmoor bahr bela ma, that is, the
sea without water”.
2?) Ergänzungsband Nr. II der Petermann’schen Mittheilungen.
1. Das bahr bilä-mä in Dachel selbst ıst als „leeres
Flussbett” nicht mehr zu betrachten. Diess als „leeres
Flussbett”” durch Drovetti zuerst eingeführte bahr bilä-m&
verlangt Berechtigung der Existenz nur noch als ein ein-
gebürgerter Name, und auch nur noch in so fern, als dieser
der Beschaffenheit der Lokalität nach ganz unzukömmliche
Name bahr bilä-mä einmal von der dortigen Bewohnerschaft
adoptirt ist. Das haben wir aus eigener Anschauung und
Untersuchung während unserer Expedition konstatiren kön-
nen. Es ist dort nichts zu finden, als eine muldenförmige
Einsenkung, in welcher vielleicht eine Wasseransammlung
hätte sein können. Zittel in seinen „Libysche Briefe”,
p. 85, sagt ausdrücklich: „das vielgenannte balır bilä-m& (in
Dachel) schrumpft auf ein Thälchen am Nordwestrande von
Dachel zusammen”. Jeder Gedanke an ein „leeres Fluss-
bett” muss von nun an immer ausgeschlossen bleiben.
Wir haben hier einen „Namen”, schlecht gewählt aller-
dings, welcher aber einmal eingebürgert ist.
2. Das bahr bilä-mä, welches als vermuthlicher Lauf
des bahr bilä-mä nordwärts von Dachel ausgehend, sich in
Nordrichtung bis nach dem Belzoni-Pacho’schen bahr bilä-mä
hinzieht, ist absolut nicht vorhanden. Es existirt in der
Einbildungskraft der Kartographen; man hat damit die
weissen Flecke der sonst so leeren Karte der Lybischen
Wüste schmücken wollen. Das ganze Plateau zwischen
dem Nilthal einerseits und den Uah-Oasen andererseits be-
steht aus einer zusammenhängenden Kalksteinmasse. Nir-
gends stiessen wir, weder zwischen Siut und Farafrah, noch
zwischen Chargeh-Esneh auf ein grösseres Thal, aus welchem
man die Berechtigung hätte herleiten können, auf ein ehe-
maliges Flussbett zu schliessen. Zittel, gewiss competent
in Beurtheilung dieser Frage, sagt in seinen eben ange-
führten „Libyschen Briefen”, p. 84, über ein ehemaliges
westliches Nil-Bett: „Man hat bisher angenommen, dass der
Nil in vorhistorischer Zeit einen westlichen Arm durch die
Wüste, oder doch durch die jetzigen Oasen entsendet habe,
und auf allen geographischen Karten findet sich dieses ehe-
malige Flussbett mit grösserer oder geringerer Bestimmt-
heit eingetragen. Der Nachweis von der Nichtexistenz
dieses problematischen Nils gehört sicherlich zu den wich-
tigsten Resultaten unserer Expedition”.
3. Das bahr bilä-mä, welches auf der Zehnblatt-Karte
zwischen der Oase Siuah und Uah el Baharieh verzeichnet
ist als „leeres Flussbett”, muss ebenfalls von den Karten
als solches verschwinden. Professor Jordan, welcher diesen
Theil der Wüste eigens zu diesem Zweck bereist hat und
eingehend untersuchte, sagt darüber'): „Zwei und eine halbe -
Tagereise westlich von Baharieh, auf der Strasse von Siuah,
1) Potermann’s Mittheilungen 1875, 8. 212.
8 Über die Bihär bilä-m&.
stösst man auf eine 3, Stunden lange und etwa eine
Stunde breite Einsenkung von 20-30 Meter Tiefe, ganz
von derselben Art, wie solche mehrfach zwischen Siuah und
Ssittrah vorkommen. Der Boden ist mit Nummuliten be-
deckt. Diese Einsenkung führt den Namen bahr bilä-mä
kebir (grosser See ohne Wasser), und östlich davon ist eine
zweite Einsenkung von sehr geringer Tiefe, deren Name
bahr bilä-mä serir (kleiner See ohne Wasser) ist. Dass
diese zwei Einsenkungen nicht Theile eines verlassenen
Flussbettes sind, zeigt ihr Anblick zur Genüge”. Also auch
diess bahr bilä-m& darf höchstens als ein allerdings un-
passender Name auf den Karten beibehalten werden.
4. Haben wir sodann das wichtigste bahr bilä-mä in
den Kreis dieser Betrachtung zu ziehen, mit dessen Exi-
stenz sämmtliche Geographen den Begriff eines vorgeschicht-
lichen westlichen Nil-Arms mit verknüpft haben. Diess bahr
bilä-mä ist durch einen Sandrücken von den Natron-Seen
geschieden. Von der französischen Expedition besucht, aber
nicht erforscht, wurde diess bahr bilä-m& auch von Horne-
mann durchschnitten und nach ihm von vielen anderen
Reisenden. Das Ziel von Reisenden ist es nie gewesen,
obschon es sozusagen vor den Thoren von Cairo liegt. Und
doch wurde speciell mit diesem bahr bilä-mä, welches man
vom Fayum nach dem Mittelmeer auf den Karten ver-
laufen liess, die Vorstellung eines ehemaligen Nil-Laufs ver-
knüpft, als ob sich das ganz von selbst verstände.
Es soll hier aber nicht unerwähnt bleiben, dass trotz
d’Anville, Ritter u. a. auch schon in älterer Zeit Gegner
sich erhoben. Der ausgezeichnete Reisende Olivier z. B.,
der zweifelsohne mit den Mitgliedern der grossen franzö-
sischen Expedition persönlichen Verkehr und Gedanken-
austausch über diesen Gegenstand gehabt hatte, sagt p. 263
der Deutschen von Ehrmann und Sprengel herausgegebenen
Übersetzung !): „Jetzt ist uns nur noch die Untersuchung
übrig, ob der Nil iin der Arabischen (d. h. Libyschen) Wüste
durch den bahar bela m6 oder den Fluss ohne Wasser
fliessen konnte, wie dieses einige neuere Reisende geglaubt
zu haben scheinen. Savary, welcher den Sinn Herodot’s
umändert, glaubt, dass der Nil längs durch die Libysche
Bergkette südlich von Memphis hinflösse, sich in Libyen
verbreite und in den Arabischen Meerbusen (?) ergösse.
Aber Herodot sagt ja ganz bestimmt, dass der Nil längs der
Libyschen Bergkette hingeflossen sei, ehe Menes seinen Lauf
geändert und in einer gleich grossen Entfernung zwischen
dem afrikanischen und arabischen Ufer hingeleitet hätte.
Und in der That, wenn man nur die Libysche Bergkette
1) Guillaume Antoine Olivier, französischer Entomolog, geb. am
19. Januar 1756 zu Les arcs bei Frejus, bereiste wäbrend der Schreckens-
zeit den Orient und Ägypten; sein Voyage dans l’empire ottoman, Egypte
ot la Perse erschien in Paris 1798.
gesehen hat, so wird man überzeugt sein, dass nie ein
Fluss hindurchfliessen konnte. Denn in einer sehr frühen
Epoche, und zu einer Zeit, wo das Delta noch nicht vor-
handen war, musste auch das Bett viel tiefer sein, als es
jetzt ist. Wenn er nun übrigens quer durch die Libysche
Bergkette geflossen wäre, so müsste man doch an irgend
einer Stelle eine Zerreissung oder eine Spalte bemerken,
durch welche das Wasser gehen konnte. Wenn der Nil
durch den bahar bela m6 gegangen wäre, so hätte diess
nirgends anders Statt finden können als durch Fayum, wie der
Bürger Andredossy muthmasset. Die Franzosen, welche
diese Gegend untersuchten, würden vielleicht bemerkt ha-
ben, ob der Boden in dieser Provinz einige Anzeichen von
irgend einem Laufe des Wassers wahrnehmen liesse”.
Nachdem Olivier sich sodann des Weiteren über den
Schlamm und Absatz ausgesprochen, welchen der Nil ım
bahr bilä-mä oder auch im Thale der Natron-Seen zurück-
gelassen haben müsste, sagt er: „Wenn aber nun der bahar
bela me heutzutage keine aus einem Bodensatz erzeugte
Erde, welche der in Ägypten entspricht, zeigt und wenn
man auf, dem Grunde des Arabischen (?) Meerbusens nur
Fels und Sand antrifft, so können wir kühn behaupten,
dass der Nil, ungeachtet der Benennung des Flusses ohne
Wasser nie durch diese Gegenden geflossen ist”,
Es ist auffallend genug, dass Olivier’s Stimme damals
vollkommen unbeachtet blieb.
Wir haben aber mittlerweile über diess letzte bahr bilä-mä,
welches wir unter Nr. 4 erwähnten, sicheren Aufschluss
durch Herrn Prof. Dr. Ascherson erhalten. Über seine
nach der kleinen Oase unternommene Expedition sagt der-
selbe S. 63 der „Mittheilungen der geographischen Gesell-
schaft in Hamburg” (1876—77): „Am 30. März Nachmittags
3 Uhr erreichten wir die Hattiet-el-talhah, nach einem
stundenweit sichtbaren, wohl 10 Meter hohen Baum der
Talch- Akazie so benannt, der in dieser bis dahin völlig
vegetationslosen Einöde um so mehr überrascht. Eine
Stunde später standen wir unvorbereitet am Rande des viel
besprochenen Bachr-belä-mä (nach der Aussprache meines
Führers Behar beläme). Selbstverständlich erwartete ich
nicht ein wirkliches Fiussbett zu finden, war aber doch
überrascht, dass der wirkliche Befund Belzoni’s Schilde-
rung auch nicht im Entferntesten entsprach. Statt in
ein lang gedehntes Uadi, stieg ich mit geringem Niveau-
unterschied (etwa 20 m) in ein neues Charaschaf hinab,
gleichsam in ein mit zahllosen Felseninseln besäetes See-
becken, dessen Grenzen, da nirgends eine freie Übersicht
möglicb war, mir unklar blieben, das sich aber jedenfalls
an beiden Seiten des Weges weithin erstreckt. Die von
Belzoni entdeckten „Wasserstandsspuren” erwiesen sich als
eine bis in gleichförmiger Höhe verbreitete Decke von
Das Quellgebiet des Oxus. 9
dunklem Kiese. Ich muss bemerken, dass mir wegkundige
Bewohner der Oase mit aller Bestimmtheit versicherten,
dass die Bebar belä-mä, welche mehrfach an den nach Osten,
Norden und Nordwesten von der Oase ausgehenden Strassen
erwähnt werden, unter einander und mit der Einsenkung
der Oase keineswegs in Verbindung stehen”. Herr Pro-
fessor Dr. Ascherson brauchte vier Stunden, um das bahr
bilä-mä zu durchziehen.
Aus der ganzen vorstehenden Auseinandersetzung er-
giebt sich aber deutlich, dass die „leeren Flussbetten”
als solche von den Karten verschwinden müssten; es giebt
in diesem Theile der Libyschen Wüste keine wirklichen
bihär bilä-mä. Auch das bahr bilä-mä von Hoskins ist
kein „leeres Flussbett”. Die unter 1. 2. 3. und 4. nam-
haft gemachten bihär bilä-m& haben aber in so fern ein
Anrecht auf den Karten fortgeführt zu werden, als auf-
dem obnediess so leeren Raum der Topographie der Libyschen
Wüste eine Örtlichkeit damit bezeichnet wird. Aber auch
nur deshalb, nicht etwa als ob man mit dem Namen die
Vorstellung eines ehemaligen Seebeckens oder gar eines
„leeren Flussbettes” zu verbinden hätte,
Das Quellgebiet des Oxus.
Begleitworte zu Tafel 1.
Seit Wood im Jahre 1838 den südlichen Theil des
Pamir-Plateau’s betrat und dort die Quelle des Oxus in
dem Victoria-See entdeckte, blieb der Zuwachs unserer
Kenntniss von jener gewaltigen Bodenerhebung 30 Jahre
hindurch auf Erkundigungen und Kombinationen beschränkt.
Da kam Hayward’s zündende Schilderung der den Ost-
abfall des Plateau’s bildenden Kisil-jart-Kette, die er von
der ostturkistanischen Ebene aus bei seinem Zuge nach
Kaschgar (1869) gesehen, und in demselben Jahre die Reise
des Geometers Mirza-Sudja, der im Auftrag der indischen
Landesvermessung von Badachschan über den südlichen oder
Kleinen Pamir nach Kaschgar ging und eine sehr gute
Routenaufnahme ausführte, wenn ihm auch zu anderweitigen
wissenschaftlichen Beobachtungen die Vorkenntnisse fehlten.
Im Laufe des letzten Decenniums aber wurde die Er-
forschung des Pamir mit solcher Energie weitergeführt,
dass fast jedes Jahr bedeutende Erfolge zu verzeichnen
hat. Nachdem Fedtschenko 1871 von Fergana her das
Alai-Plateau erreicht, das bis zu 22 500 Engl. F. anstei-
gende Transalai-Gebirge entdeckt und vermöge seines natur-
wissenschaftlich geschulten Blickes unsere Vorstellung von
dem geologischen Bau und der Bodengestalt des Pamir
reformirt hatte, verbreitete Forsyth’s Gesandtschaftsreise
nach Kaschgar von 1873—74 helles Licht über den süd-
lichen Theil des Plateau’s, indem Oberst Gordon mit Dr.
Stoliczka und den Captains Biddulph und Trotter von
Jangi-Hissar über den Kleinen Pamir nach Wachan und
zum Theil auf anderem Wege zurück nach Jarkand ging.
Ihre Beobachtungen im Verein mit den Fedtschenko’schen
und manchen anderen in den zunächst angrenzenden Ge-
bieten gaben Veranlassung zur Konstruktion der Karte im
Ergänzungsheft 52 der „Petermann’schen Mittheilungen”,
Potermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft I.
die den damaligen Standpunkt unserer Kenntniss ziemlich
vollständig zur Anschauung bringt. Darauf folgten aber
1875 die Rekognoscirungsreisen des Oberst Majew von Sa-
markand durch Hissar nach dem Westabfall des Pamir,
wo sie für die Richtigstelluug der nördlichen Zuflüsse des
Oxus und den Lauf des Hauptflusses selbst von Bedeutung
wurde, und 1876 die militärische Expedition des General
Skobelew von Fergana nach Alai, wobei eine Abtheilung
mit Kapitän Kostenko bis zum Karakul und südöstlich von
diesem See bis zum Usbel-Pass vordrang.
Diese neuen Aufnahmen liess General v. Stubendorf
als Chef der kartographischen Abtheilung des kais. rus-
sischen Generalstabs mit vielem anderen, während der letz-
ten Jahre für die umliegenden Gegenden angesammelten
Material zu einem grossen Kartenblatt verarbeiten, das im
Mai 1878 unter dem Titel „Karte des oberen Laufes des
Amu-Darja” erschien. Sie umfasst bei sorgfältiger Aus-
führung denselben Erdraum wie unsere Tafel 1 und ist
derselben in der Hauptsache zu Grunde gelegt; aber schon
Ende Juli gab der russische Generalstab ein anderes grös-
seres Kartenwerk heraus, das in der turkistanischen
kriegs-topographischen Abtheilung zu Taschkent bearbeitet,
auf 12 Blättern einen bedeutend ausgedehnteren Länder-
raum vom Kaspischen Meer bis zum Lob-nor zur Darstel-
lung bringt und den Titel „Turkistanischer Militärbezirk,”
trägt. Obwohl zu dieser Karte eine Menge neues Material
benutzt wurde und sie an vielen Stellen die bisherigen
Karten überholt, trägt sie doch das Gepräge des Flüchtigen,
vielfach Ungenauen und es entstanden deshalb Zweifel, ob
bei Zeichnung einer Karte wie Tafel 1 ihre Angaben, wo
sie von denen der „Karte des oberen Laufes des Amu-
Darja” abweichen, benutzt werden dürften. Die Differenzen
10 Das Quellgebiet des Oxus.
zwischen den beiden russischen Karten zeigten sich, soweit
unsere Tafel 1 ın Betracht kommt, namentlich beim Lauf
des Murghab, der auf der 12Blatt-Karte bestimmter und,
wie es scheint, nach Itinerarien von Asiaten nieder-
. gelegt ist; beim Lauf des Amu-Darja (Oxus) zwischen Kila-
chumb und der Einmündung des Surchab, den die 1 Blatt-
Karte ebenfalls nur gestrichelt andeutete; bei der Lage
von Kila-Wamar, das auf der 12 Blatt-Karte westlicher,
und von Kila-chumb, das südlicher angesetzt ist, wodurch
die Entfernung zwischen beiden Orten fast um die Hälfte
verringert und die zwischen dem Oxus und dem Surchab
bedeutend vergrössert wird; bei dem Lauf des Chuliab und
seiner Verbindung mit dem Kleinen Surchab, und dann
besonders noch bei der Lage des Sarafschan, der auf der
12 Blatt-Karte oberhalb des um mehr als 5’ westlicher
gelegten Samarkand um 5 bis 10’ südlicher
tragen ist.
In solcher Ungewissheit wendeten wir uns an General
v. Stubendorf und erhielten in liebenswürdigster Weise
folgenden Bescheid: „Die Karte vom Quellgebiet des Oxus
(in 1 Blatt) ist hier in Petersburg unter Benutzung der
besten, ja ich möchte sagen der einzig vorhandenen Quellen
zusammengestellt worden. Der nördliche Theil beruht aus-
schliesslich auf russischen Aufnahmen, der südliche auf
englischem Material. Bei Benutzung der Walker’schen
Karten, die nach der Forsyth’schen Expedition erschienen
sind, habe ich mir einige Abweichungen erlaubt, die sich
beim Durchlesen des Textes als wünschenswerth heraus-
stellten. Was nun die Karte von Turkistan in 12 Blättern
anbelangt, so ist dieselbe eine Arbeit unserer topo-
graphischen Abtheilung in Taschkent, voll von phantasti-
schen Aufzeichnungen, zumal in den Theilen, für die uns
vorläufig nur ausländisches, resp. englisches Material vor-
liegt. Da die Karte hier in Petersburg gedruckt wurde,
so haben wir Alles aufgeboten, um sie mit unseren gegen-
wärtigen Vorstellungen und Kenntnissen über das Pamir-
Land in Einklang zu bringen, doch an eine gründliche
Korrektur konnte dabei nicht gedacht werden und so ent-
stand denn eine Karte, die im grossen Ganzen uns ein
recht deutliches Bild von Central-Asien giebt, in ihren De-
tails aber vieles zu wünschen übrig lässt.
„Nach dieser offenherzigen Abschätzung der beiden
Karten werden Sie selbst sehr gut einsehen, welche von
den beiden Ihr grösseres Zutrauen verdient. Trotz der auf-
merksameren Bearbeitung der (1 Blatt-) Karte vom Quell-
gebiet des Oxus enthält jedoch auch dieses Kartenwerk
einen Fehler, den ich meinem Zeichner bis jetzt nicht ver-
geben kann. Ich meine nämlich den Lauf des Sarafschan,
der auf Grundlage einer Reihe von, freilich nicht ganz ge-
nauen, Breitenbestimmungen südlicher verlegt werden muss.
einge-
Auch die Länge von Samarkand erleidet eine kleine Ver-
schiebung nach Westen nach der letzten Bestimmung des
Oberst Scharnhorst. Ich theile Ihnen die astronomischen
Positionen mit, wie sie uns gegenwärtig bekannt sind:
Oburdan . . 39° 23,6 N. Br.|FestungWarziminor 39° 25',5 N. Br,
Paldorak . . . 39 26,0 „ ,, Zusammenfluss des
See Iskanderkul. 393 3,4 „„ ,, | Iskander-sua mit
Ende des Sarsaf- dem Jagnab?) . 39 17 5, „
schan Gletschers ! 39 37,5 ,, ,, |StadtPendschakent?) 39 37 ,5 „ ,
Samarkand . 39° 39’ 23”,6 „
„Die Breiten sind bis auf 2 oder 3’ genau, die
Länge von Samarkand ist 36° 38’ 21” Östl. von Pulkowa.
In den militär-topographischen Notizen über das während
‘der Iskanderkul-Expedition von 1870 erforschte Gebiet von
Baron Aminow findet sich ein Itinerar nach Erkundigungen
aufgezeichnet, welches die südlichere Lage des Sarafschan
vollkommen bestätigt. Das Itinerar lautet wie folgt:
Von Dorf Ansob bis Dorf Paguze . . „. . 8 Werst
Pass Ansob . . „ 11 Werst: „ Jeju . 5 „
Dorf Ibala . . . ».. 5 5 1 m Bagar. . ...4 „u
„ Wamaza. . .1 5, Fort Warzob . . .. 4 „5
Flecken Zigdii . . . 3} „ Dorf Naubat . . 4
Dorf Pentschok . . . 8 , ! Stadt Duschambe 8 „
„ ÜUschare . . . .12 „ |
„Da Ura-tjube und Zaamin astronomisch bestimmte
Punkte sind, so wird man die durch die südlichere Lage
des Sarafschan verursachte Ausdehnung des nördlichen Ge-
birgslandes bloss bis zur Verbindungslinie zwischen den
beiden erwähnten Punkten sich erstrecken lassen dürfen”,
Im grösseren Vertrauen auf die Petersburger 1Blatt-
Karte war in Tafel 1 der Sarafschan nach ihr in der, wie
wir nun wissen, fehlerhaften Lage eingezeichnet worden und
die Belebrung des Herrn General v. Stubendorf kam leider zu
spät, als dass die beträchtliche Korrektur möglich gewesen
wäre. So bedauerlich diess ist, so tröstet uns dosh die
sichere Aussicht, bald Besseres mit den Resultaten neuer
Expeditionen bringen zu können. Für Gebiete, wo For-
schungsreisen so rasch auf einander folgen wie hier, können
die Karten nicht völlig gleichen Schritt mit ihnen halten,
noch während ihrer Herstellung geschehen neue Ent-
deckungen und Aufnahmen, die nicht mehr berücksichtigt
werden können. Sosehen wir auch auf den beiden russischen
Kartenwerken die Ergebnisse der Pamir-Reisen von 1877
und 1878 noch nicht eingetragen, die des Geologen Musch-
ketow (1877) vielleicht ausgenommen, der vom Alai-Plateau
über den Pass Ters-agar (10 000 F.) zum Muk-su, dann zurück
und über den Pass Kysyl-art nach dem Kara-kul ging, um
schliesslich über den, von Niemanden vorher beschrittenen
Dschiptyk-Pass nach Osch zurückzukehren *),. Einige
1) Nach der 12 Blatt-Karte 89° 27’,6.
2) Nach der 12Blatt-Karte 39° 7,5.
3) Nach der 12 Blatt-Karte 39° 27',6.
*) Siehe „Die geologische Reise von J. W. Muschketow nach dem
Alai und dem Pamir im Jahre 1877” in Röttger’s „Russische Revue’’
1878, Heft 8, 8. 185.
Das Quellgebiet des Oxus. 11
Routen und Höhenzahlen der Karten scheinen von Musch-
ketow herzurühren. Dagegen sind weder die Routen von
Korostowzew, der 1877 von Norden her über den Kara-kul
und Usbel-Pass hinaus bis zu den Quellen des Kaschgar-
darja gelangte, aber kurz nach der Rückkehr starb !), noch
die beiden Sewerzow’schen Reisen von 1877 und 1878 2), noch
auch die Routen von Oschanin’s Expedition, die 1878 durch
Hissar nach Karategin und dem Pamir gelangte °), noch Musch-
ketow’s neueste Explorationen zwischen dem Alai und dem
Tschatyr-kul *) aufden bisherigen Karten eingetragen. Sewer-
zow’s Reisen zumal werden wieder viel Neues bringen, ganz
abgesehen von seinen zoologischen und sonstigen naturwissen-
schaftlichen Beobachtungen, denn im Herbst 1877 untersuchte
er u. A. das Koksai-Thal östlich vom Kysyl-art-Pass und
1878 gelang es ihm, die noch ganz jungfräulichen Theile
1) Siehe Peterm. Mittheilungen, 1878, 8. 160. .
2) Siehe Peterm. Mittheilungen, 1878, 8. 315, und Röttger’s „Rus-
sische Revue” 1878, Heft 10, 8. 379.
3) Siehe „Globus”, 1878, Nr. 21 u. 22.
*) Journal de St.-Pötersbourg, 24. Novbr./6. Decbr. 1878.
des Pamir im Süden des Kars-kul, die mit den Einzel-
namen Ran-kul, Saris und Alitschur bezeichnet werden, zu
bereisen, und somit die Lücke zwischen den russischen
Forschungen im Norden und den englischen im Süden zu
einem wesentlichen Theil auszufüllen.
Diese neuesten Reisen hatte General‘ v. Stubendorf im
Sinne, als er den Brief an uns mit den Worten schloss:
„Hoffentlich werden wir zum Frübjahr 1879 eine Menge
neuer Materialien bekommen, die uns in den Stand setzen
werden, unsere Karte vom Quellgebiet des Amur (mit einer
Verlängerung nach Westen und möglicherweise auch nach
Süden) einer gründlichen Umarbeitung zu unterziehen. Bis
jetzt wissen wir nur, wo unsere Reisenden ungefähr ihre
Forschungen ausgeführt haben, die Resultate selbst sind
uns jedoch noch unbekannt. Auf Grundlage all’ ihrer Nach-
richten hoffe ich Sie im künftigen Jahre (1879) mit dem
reichhaltigsten Material über dieses noch so wenig aufge-
klärte Gebiet Asiens bereichern zu können”.
E. Behm.
Die Fahrt der „Vega um die Nordspitze von Asien.
(Mit Karte, s. Tafel 2.)
Durch das Wohlwollen des bekannten Mäcen der Polar-
forschung, Herrn Oscar Dickson in Gothenburg, ist diese
Zeitschrift in den Stand gesetzt, ihren Lesern die Karte
der denkwürdigen Fahrt Professor Nordenskiöld’s von der
Mündung des Jenissei zu der der Lena vorzulegen. Im
Original sind der Kurs des Expeditionsschiffes „Vega” und
die von ihm aus rekognoscirten Küstenlinien des Taimyr-
Landes auf eine russische Kopie der Petermann’schen „Spe-
cialkarte von Nord-Sibirien zwischen Jenissei und Lena”
(„Mittheilungen”, 1873, Tafel 1) eingezeichnet, und so haben
auch wir diese Petermann’sche Karte benutzt, um uns dem
Original möglichst anzuschliessen und um die Abweichungen
der neuen Küstenlinien von der bisherigen Darstellung auf
einen Blick erkennen zu lassen, denn diese neuen Umrisse
des Taimyr-Landes sind das nächste und augenfälligste Err
gebniss der Expedition.
Die äusserste Nordspitze des Alten Kontinents liegt nach
den schwedischen Beobachtungen in 77° 42’ N. Br. und
104° 1’ Östl. L.!), etwas nordwestlich von seiner bis-
herigen Position auf den Karten. Es ist diess eine neue
Bestätigung von der Vertrauenswürdigkeit Tscheljuskin’s,
t) Nach Prof. Nordenskiöld’s Brief in 77° 41’ N. Br. und 104°
1' Östl. L., nach einem Briefe Lieut, Palander’s in 77° 43' N. Br.
und. 104° Östi. Länge, nach der Karte in 77° 42' N. Br. und 104°
1’ Ostl. L.
|
der von der Chatanga aus die Küste nordwärts zu Schlitten
verfolgend, am 19. Mai 1742 die äussersten Landspitzen
erreichte und die Breite seines „Nordöstlichen Vorgebirges”
(Sjewero Wostotschnyj) zu 77° 34’ bestimmte.
Beträchtlicher wird die Küste der westlichen Taimyr-Halb-
insel verschoben. Kap Sterlegow, am 20. Aprill740 von dem
Steuermann Minin’s, ebenfalls auf Schlitten, vom Jenissei
aus zuerst erreicht und zu 75° 26’ N. Br. bestimmt, liegt
5 Längengrade westlicher als auf der Petermann’schen
Karte. Die Karte, die Sokolow in den Sapiski des hydro-
graphischen Departements der russischen Admiralität von
1851 seiner Bearbeitung jener alten russischen Entdeckungs-
reisen beigab, kam hierin der Wahrheit näher, sie legt
nach Minin’s Aufnahme das Kap Sterlegow noch etwa 1°
westlicher als die schwedische Karte. Die östlichere Lage
auf Petermann’s Karte, die von Laptew’s und Tscheljuskin’s
Aufnahmen herrührt, findet man auch auf v. Middendorff’s
Karte, dagegen bestätigt die schwedische Expedition die
Ansicht v. Middendorff’s, dass der westlichen Taimyr-Halb-
insel im Norden eine grössere Insel, die Taimyr-Insel, vor-
liegt, und erklärt zugleich durch die Enge der sie vom F'est-
land trennenden Strasse, wie Laptew 1741 diese Abtrennung
übersehen konnte.
Am bedeutendsten ist durch die schwedische Expedition
| die Gestalt der östlichen Taimyr-Halbinsel verändert wor-
21%*
12 Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien.
den. Nach v. Middendorff’s „Ethnographischer Karte vom
Regierungsbezirk Turuchansk” in dem Atlas zu seinem
grossen Reisewerk verläuft die Küste zwischen Kap Techel-
juskin und dem Chatanga-Busen im Ganzen genommen fast
in meridionaler Richtung, sie wölbt sich nur etwa um 2° nach
Osten hervor. v: Middendorff’s Karte enthielt gegenüber
den älteren russischen Darstellungen so viel Neues, das
sich um die eigenen Beobachtungen dieses ausgezeichneten
Reisenden gruppirte, und war so viel bestimmter in ihren
Angaben als jene älteren Karten, dass sie überall Eingang
fand und man eine Reihe von Jahren hindurch auf allen
Karten der asiatischen Nordküste die Gestalt des Taimyr-
Landes nach v. Middendorff angegeben sah. Erst nach-
dem Petermann 1873 die Sokolow’sche Arbeit seiner Karte
hauptsächlich zu Grunde gelegt hatte, erschien auch auf
anderen Karten die grosse östliche Ausbauchung des
Taimyr-Landes zwischen der Thaddäus-Bucht und der Cha-
tanga. Sokolow liess die Ostküste des Taimyr-Landes den
118. Längengrad erreichen, während v. Middendorff sie nur
bis 1041°, oder wenn man die westlichere Lage des Kaps
Tscheljuskin bei v. Middendorff in Rechnung zieht, bis 107°
Östl. L. ostwärts vortreten lässt. Wie nun die schwedi-
schen Beobachtungen darthun, liegt die Wahrheit in der
Mitte, denn die schwedische Karte legt die Ostküste des
Teimyr-Landes in 113 bis 114° Östl. L. Die östliche Tai-
myr-Halbinsel hat also durch die schwedische Karte gegen-
über der Sokolow-Petermann’schen eine Verkürzung um ca 4°
erfahren und dieselbe Korrektur erstreckt sich auf die
Chatanga-Bucht, wogegen die Küstenstrecke zwischen der
Nordwik-Bucht und der Olenek -Mündung um ebenso viel
verlängert wird.
Wie die Karte deutlich zeigt, haben die Schweden nur
einen Theil der Küste des Taimyr-Landes gesehen, nament-
lich entzogen sich die tieferen Einbuchtungen ihrer Be-
obachtung und selbst die auf der Karte niedergelegten
Küstenstrecken konnten meist nur im Vorüberfahren skiz-
zirt werden, eigentliche Aufnahmen beschränkten sich auf
wenige Punkte. Trotzdem haben sie diese bedeutenden Be-
richtigungen der bisherigen Karten ermöglicht und uns zum
ersten Mal mit einer vertrauenswürdigen Darstellung des
Taimyr-Landes in seinen Hauptumrissen beschenkt.
Dass bald eine Vervollständigung ihrer Rekognoscirungen
erfolgen wird, unterliegt wohl kaum einem Zweifel, besteht
doch ihr zweites und grösstes Verdienst darin, die Mög-
lichkeit einer überseeischen Verbindung mit der Lena er-
wiesen zu haben, und sicherlich werden die patriotischen
Russen, die schon so viele Opfer für die Herstellung des
Schiffsverkehrs mit dem Jenissei und Ob gebracht haben,
in den nächsten Jahren Schiffe nach der Lena senden.
Ob diess alljährlich gelingen wird, muss die Zukunft lehren;
aber wenn auch 1878 im Karischen Meere ausnahmsweise
günstige Eisverhältnisse obwalteten und man daraus viel-
leicht schliessen darf, dass auch bei Kap Tscheljuskin we-
niger Eis zu bekämpfen war, als in anderen Jahren, so ist
doch nicht zu vergessen, dass Prof. Nordenskiöld selbst
aus der Beschaffenheit des angetroffenen Eises zu der
Überzeugung kam, dass in jedem Jahre längs der Küste
eine fahrbare Strasse sich öffne, wesentlich begünstigt durch
die Massen erwärmten Wassers, welche sich aus den sibi-
rischen Strömen in das Eismeer ergiessen. Wenn Pron-
tschischtschew Ende August und Anfang September 1736
östlich von Kap Tscheljuskin durch Eis aufgehalten wurde
und wenn Laptew gegen Ende August 1740 seine Scha-
luppe vor der Olenek-Mündung im Eis verlassen musste,
go erinnere man sich, dass diess kleine gebrechliche Fahr-
zeuge waren, während man jetzt solche Fahrten auf
Dampfern von besonders verstärktem Bau unternimmt.
Man muss ferner in Betracht ziehen, dass einer ersten
Pionier-Fahrt Schwierigkeiten entgegenstehen, welche bei
Wiederholungen wegfällig werden. |
Der Muth und das Geschick, mit denen die „Vega” und
„Lena” in gänzlich unbekannten Gewässern, bei Nebel,
durch schärenartige Insel-Archipele geführt wurden, ohne
Schaden zu leiden, fordert unsere vollste Bewunderung
beraus. Nachfolgende Schiffe können sich die gewonnenen
Erfahrungen zu Nutze machen, sie kennen die geeignete
Jahreszeit, sie wissen, wo sie die Begegnung mit Eis zu
erwarten haben, dass sie sich jenseit Kap Tscheljuskin nahe
der Küste halten müssen, deren Verlauf nun bekannt ist, und
man wird bei öfterer Wiederholung der Fahrt vermuthlich
dieselbe Sicherheit erlangen, wie bei den jetzigen Kursen
durch das Karische Meer, das ja noch vor wenigen Jahren
aus Unkenntniss der geeigneten Jahreszeit und Routen all-
gemein für eins der schwierigsten Fahrwasser galt.
Die Karten und die Briefe der Expeditions-Mitglieder !),
die im Nachstehenden abgedruckt sind und deren Über-
setzung aus dem Schwedischen resp. Dänischen wir Herrn
H. Martens in Hamburg verdanken, gelangten mit der
„Lena”, den Lena-Fluss hinauf, am 21. September nach
Jakutsk und von dort mit der Post am 23. November nach
Schweden. Eine Korrespondenz der „St. Petersburger Zei-
tung” aus Jakutsk schreibt darüber Folgendes:
„Nachdem wir bereits alle Hoffnung auf das Erscheinen
1) Die Theilnehmer der Expedition sind, ausser dem Chef Professor
A. Nordenskiöld, schwedischer Marine-Lieutenant L. Palander, Befehls-
haber des Expeditionsschiffes; schwedischer Marine- Lieutenant E. C.
Brusewitz, zweiter Befehlshaber der „Vega’”’; Docent Dr. Kjellman,
Botaniker ; Dr. Stuxberg, Zoolog; cand. med. Almquist, Arzt; Premier-
Lieutenant in der dänischen Marine A. Hovgaard und Premier-Lieute-
nent in der italienischen Marine Giacomo Bove; endlich ein junger
russisch-finländischer Offizier, Lieutenant Nordquist.
Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien. 13
.des nach Jakutsk bestimmten Eismeer-Dampfers „Lena”
aufgegeben hatten, war unsere Freude um so grösser, als
am 9. (21. Sept.) das Schiff plötzlich doch erschien und
unweit der Stadt vor Anker ging. Kapitän Johannesen
hatte das Segelschiff „Vega”, auf welchem Prof. Norden-
skiöld gesonnen ist, seine grosse Expedition zur Erforschung
eines Seeweges von Norwegen durch das Polarmeer zur
Behringsstrasse auszuführen, bis zur Mündung der Lena
begleitet, nach welchem .Flusse auch der Dampfer seinen
Namen führt.
„Hier verliess die „Vega” am 24. Aug. (5. Sept.) den
Dampfer „Lena”, und Prof. Nordenskiöld schlug eine öst-
liche Richtung zur Behringsstrasse hin ein. Mit dem Auf-
suchen des Fahrwassers in dem Wirrwarr von Inseln und
zahllosen Mündungsarmen der Lena verbrachte Kapitän
Johannesen fernere vier Tage; seine Anstrengungen wurden
jedoch von Erfolg gekrönt. Das rechte Ufer des äussersten
östlichen Mündungsarmes des Lena-Stromes bildet nämlich
ein Promontorium; von diesem noch östlicher liegt der
Küste gegenüber eine lange schmale Insel, etwa eine eng-
lische Meile vom Lande entfernt. Zwischen dieser Insel
nun und dem Festlande und dann weiter um das genannte
Kap herum fand endlich der Dampfer sein Fahrwasser,
und als er, um das Vorgebirge biegend, in die eigentliche
Lena hineinfuhr, war die allgemeine Freude unter der mit
dem Kapitän nur acht Mann zählenden Mannschaft des
Dampfers wahrlich gross.
„In Folge dessen benannte Kapitän Johannesen die Land-
spitze oder vielmehr das Kap mit dem Namen „Kap der
Freude”. — Von dort fuhr der Dampfer vorsichtig strom-
aufwärts und legte die mehr als 2000 Werst betragende
Streoke bis Jakutsk in ferneren 12 Tagen zurück und traf
am 9. (21.) September wohlbehalten hier in Jakutsk ein.
„Allen Aufenthalt unterwegs abgerechnet, brauchte der
Dampfer zu seiner ersten Fahrt von Tromsö bis zur Lena-
Mündung und von dort bis Jakutsk im Ganzen 55 Tage.
Was bisher für unmöglich gehalten worden, ist dennoch
gelungen, und für Jakutsk dürfte wohl ein goldenes Zeit-
alter für den Handel erblühen. Herrn Sibiriakow, auf
dessen Kosten die „Lena” ihre Expedition nach Jakutsk
ausgeführt hat, fühlen wir Bewohner von Jakutsk uns alle
zu unendlichem Danke verpflichtet. Doch nur die Zeit
wird es lehren, ob unsere gute Stadt sich durch dieses
epochemachende Ereigniss aus ihrem antediluvianischen
Schlaf wird aufrütteln lassen, und ob sie es verstehen wird,
aus dem neu entdeckten Seewege einen vernünftigen Nutzen
zu ziehen”. E. Behm.
1. Briefe von Prof. A. Nordenskiöld an den Gross-
händler O. Dickson in Gothenburg !).
An Bord der „Vega”, östlich vom Kap
Tscheljuskin, den 20. Aug. 1878.
Wir haben soeben Kap Tscheljuskin umsegelt. Wie
es scheint, wird Eis die Fortsetzung der Expedition we-
nigstens bis zur Mündung der Lena nicht hindern. Dort
wird die „Vega” sich von ihrer bisherigen treuen Begleiterin
„Lena” trennen, welche den Fluss hinauf nach Jakutsk
gehen soll. Ich habe daher Aussicht, nach einigen Tagen
Ihnen über Jakutsk und Irkutsk den Bericht über die
Reise von Dickson’s Hafen bis hier übersenden zu können,
welchen ich jetzt niederzuschreiben beginne Zu meiner
grossen Freude kann ich anfangen : „Alles so gut wie möglich”.
Nach der Trennung vom „Fraser”’ und „Express”, welche
am Morgen des 9. Aug. nach den etwas weiter stromaufwärts
belegenen Simowen (Winterhütten) abfuhren, liess ich die
„Vega” noch einen Tag bei Dickson’s Hafen verweilen, um
Lieutenant Bove Gelegenheit zu, geben, die Aufnahme
dieses herrlichen, von allen Seiten geschützten und daher,
wie ich hoffe, für die Zukunft wichtigen Hafens zu vollen-
den. „Vega” und „Lena’” lichteten somit erst am 10. August
Morgens die Anker, um die Expedition fortzusetzen. Der
Kurs wurde auf die westliche Kamenni-Insel gerichtet,
welche vor dem Mündungsbusen der Pjasina liegt. Der
Himmel war bedeckt; die Temperatur der Luft erreichte
+ 10°,4 C., des Wassers anfangs + 10°, später 8°; sein
Salzgehalt war unbedeutend. Kein Eis zeigte sich im
Laufe des Tages. Begünstigt von einer frischen Brise aus
SO. konnte die „Vega’” daher mit vollen Segeln ihre Reise
antreten. Später am Tage begann jedoch das Meer sich
mit Nebel zu bedecken. Dieser nöthigte uns, mit grosser
Vorsicht vorwärts zu gehen, zumal wir im Laufe des Tages
eine Menge kleiner Inseln passirten, welche nicht auf der
Seekarte verzeichnet waren.
Schönes Wetter und eisfreies Meer begünstigten auch
die Fahrt des nächsten Tages. Der Nebel wurde jedoch
jetzt so dicht, dass wir schon am Morgen einige Stunden
bei einer der vielen kleinen Inseln, welchen wir auf unserm
Wege begegneten, anlegen mussten. Die Insel bestand aus
einem nur spärlich mit Sand bedeckten Gneisslager, welches
theils vollständig kahl, theils von einer äusserst dürftigen
Vegetation von verkrüppelten Moosen und Phanerogamen
überkleidet war. Dagegen hatte das in diesen Gegenden
während der Sommermonate herrschende feuchte Wetter
an Steinen und Berghalden eine üppige Flechtenvegetation
hervorgerufen, welche dem Dr. Almquist eine reiche Ernte
!) Veröffentlicht in Göteborgs Handels- och Sjöfarts- Tidning
23. November 1878.
14 Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien.
lieferte. Das Meereswasser war nicht sehr salzig, wenigstens
an der Oberfläche, und Meeres-Algen fehlten daher fast voll-
ständig, wogegen das Schleppnetz den Zoologen eine nicht
geringe Ausbeute an zum Theil reinen Meeresformen lieferte.
Am Nachmittag (den 11. August) war das Wetter etwas
klarer geworden, so dass wir weiter segeln konnten. Es
zeigten sich jetzt bier und da Eisstücke, und zur Nacht-
zeit nahm das Eis in beunruhigendem Grade zu, jedoch
nicht in solcher Menge, dass es hemmend auf die Fahrt
wirkte. Eher war es dadurch von Vortheil, dass es jeg-
lichen Wellenschlag dämpfte, ein Umstand, der besonders
förderlich für die Untersuchungen der Temperatur des
Meeres in verschiedenen Tiefen und der Dreggungen war,
welche zwei Mal täglich vom Fahrzeug aus vorgenommen
werden.
Das Eis war fast ausschliesslich Baı-Eis, welches so
zerfressen war, dass es eher aus zusammenhängendem Eis-
brei, als aus wirklichem Eise bestand. Es war klar, dass
es nach wenigen Tagen vollständig verschwunden sein
würde. Trotzdem sich zeitweilig ein so schwerer Nebel
auf das Meer senkte, dass die Fahrzeuge mit Hülfe der
Dampfpfeife einander von ihrer Lage unterrichten mussten,
setzten wir unsere Fahrt gen Nordosten auf einem unbe-
kannten Wege, voll von Holmen (kleinen Inselchen oder
Schären) und vermuthblich auch unsichtbaren Sandbänken,
fort, zuweilen, wenn der Nebel zu dicht wurde, an einer grös-
seren Eisscholle oder einer der grösseren oder kleineren Inseln,
welche zwischen Dickson’s Hafen und Kap Tscheljuskin
einen Gürtel längs der Meeresküste bilden, beidrehend.
Dass wir während dieser Fahrt nicht ein einziges Mal auf-
stiessen, ist ein Beweis für die ausgezeichnete Führung des
Fahrzeuges Seitens des Lieutenant Palander und der unter
seiner erfahrenen Leitung den Weachtdienst versehenden
Offiziere, der Lieutenantse Brusewitz und Hovgaard.
Nach und nach nahm der Salzgehalt des Wassers zu,
während seine Temperatur abnahm. Gleichzeitig ward auch
das organische Leben auf dem Meeresgrund reicher, so dass
z. B. Dr. Stuxberg mit Netzen in der Nacht vom 13. zum
14. August, während das Fahrzeug an einer Treibeisscholle
vertaut war, eine Menge prachtvoller reiner Seeformen auf-
nahm, z. B. grosse Exemplare der merkwürdigen Crinoiden,
Alecto Eschrichtii, eine Menge Seesterne (Asterias Linckii
und panopla), Pycnogoniden &. Die Arbeiten mit dem
Schleppnetze in der Nähe des Landes lieferten jetzt auch
dem Dr. Kjellman verschiedene grössere Meeresalgen.
Dagegen war das höhere Pflanzen- und Thierleben auf dem
Lande so dürftig, dass die Küste hier eine vollständige
Einöde im Vergleich mit dem Felsenstrande Spitzbergens
und West-Nowaja Semlja’s bildete. Alken, Lummen, Teisten
und See-Schwalben, welche man bei Spitzbergen zu Tausen-
den und aber Tausenden trifft, fehlen hier vollständig.
Möven und Tauben (Lestris), welche dort mit ihrem be-
ständigen Schnattern, Schreien und Pfeifen die Luft er-
füllen, kommen hier nur spärlich vor, je mit 2 Arten,
welche sich hier weniger mit einander zu zanken scheinen.
Nur Schneeammern, sechs oder sieben Arten und einige
Gänsearten trifft man in grösserer Anzahl auf dem Iande.
Fügt man hierzu die eine oder andere Schneehuhn-, eine Eulen-
(Strix nyotea) und eine Falkenart, so ist die ganze Vogel-
fauna der Gegend, wenigstens soweit wir dieselbe beobach-
ten konnten, hergerechnet. Von warmblütigen Thieren in
dem aussenliegenden Meere begegneten uns nur zwei Wal-
rosse, einige Robben (Phoca barbata) und eine Horde See-
bunde (Ph. hispida). Fische kommen hier wahrscheinlich
reichlich vor.
Eines sehr bemerkenswerthen Fuundes muss ich noch
Erwähnung thun. Während das Fahrzeug in der Nähe eines
der wenigen Treibeisstücke war, welche wirin einer Stärke und
Grösse antrafen, die hinreichte, um vielleicht 20 Männer
zu tragen, begaben Lieutenant Nordquist und ich uns aufs
Eis, um nachzusehen, ob hier nicht eine Spur des merk-
würdigen Staubes kosmischen Ursprunges zu finden, wel-
chen ich 1872 auf dem Eise an der Nordküste Spitzbergens
antraäf. Hier war indessen nichts derartiges zu finden,
Statt dessen lenkte Lieutenant Nordquist meine Aufmerk-
samkeit auf einige gelbe Flecke auf dem Schnee, welche
ich in der Annabme, dass sie von Distomeenschlamm her-
rührten, zu sammeln und den Botanikern der Expedition
zur Untersuchung zu überreichen bat. Bei der Unter-
suchung, welche alsdann angestellt wurde, ergab sich jedoch,
dass man es hier nicht mit einem organischen Stoffe zu
thun hatte, sondern mit einem grobkörnigen Sand, welcher
ausschliesslich aus sehr gut ausgebildeten Krystallen von
einem Durchmesser bis zu einigen Millimetern bestand.
Ich habe noch keine Zeit und Gelegenheit gehabt, nähere
Untersuchungen anzustellen, kann aber als geübter Mine-
ralog sehen, dass man es hier nicht mit einem gewöhnlichen
terrestrischen Mineral zu thun hat, vielleicht jedoch mit
einer unter der strengen Winterkälte vom Meereswasser
auskrystallisirten Materie.
Vom 14. bis zum 18. August lagen wir, auf klares
Wetter wartend, in einem im Sunde zwischen der Taimyr-
Insel und dem Festlande belegenen reizenden Hafen vor
Anker, welchen ich, wegen der vielen Actinien, die wir
hier vom Meeresgrunde heraufgezogen, Actinia- Hafen
nannte.
Das Land war schneefrei und mit einem grau-grünen
Pflanzenteppich bedeckt, der aus einem dichten Gemisch
von Grasarten, Moosen, und sonstiger niedrigen Vegetation
bestand. Die Zahl der Arten phanerogamer Gewächse war
Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien. - 15
eine äusserst geringe; die niedere Vegetation war dagegen
reichlich genug. Das Ganze bildet deutlich eine Ren-
thierweide, weit besser als die, welche in den renthierreichen
Thälern im Bel-Sund, Eisfjord und Storfjord auf Spitzbergen
gefunden werden. Russische Robbenfänger haben sicher
seit Jahrhunderten diese Gegenden nicht besucht, und doch
sahen wir hier nur wenige Renthiere, leider allzu scheu für
den Eifer unserer Jäger. Kapitän Johannesen schrieb vielleicht
mit Recht dieses Verhältniss dem Umstande zu, dass sich
Wölfe in der Gegend befinden. Er sagte nämlich, dass er
Spuren von Wölfen und ein kürzlich von Wölfen getödtetes
Renthier gesehen habe.
Auf der mitgeführten Dampf-Barkasse machte Lieutenant
Palander, begleitet von Lieutenant Hovgaard, einige Aus-
flüge zur Untersuchung des Sundes, welcher die Taimyr-
Insel vom Festlande trennt. Dieser Sund war, wie sich
herausstellte, zu seicht und unrein, und die.im Sunde west-
wärtse gehende Strömung zu stark, um mit Sicherheit an-
nehmen zu können, dass „Vega” im Stande sei, auf diesem
Wege nach dem Taimyr-Busen zu gelangen. Dagegen kann
ich für den Fall, dass eine Observations-Station nicht am
Kap Tscheljuskin selbst sollte errichtet werden können,
Actinia-Hafen als Stationsort für die meteorologischen Be-
obachtungen befürworten, welche dem Weyprecht’schen
Vorschlage gemäss, gleichzeitig an verschiedenen Stellen
im hohen Norden sollten angestellt werden. Der Hafen
bildet nämlich eine von allen Seiten geschützte Bucht mit
gutem Ankergrund.
Obgleich der herrschende Nebel sich noch nicht ver-
theilt hatte, lichteten die „Vega” und „Lena” am 18.
wieder die Anker, um ihre Fahrt gen Kap Tscheljuskin
fortzusetzen. Die Erfahrung, welche wir später in Betreff
der Witterungsverhältnisse in diesen Gegenden gewannen,
zeigte, dass wir richtig gehandelt hatten. Man hätte
wahrscheinlich auf klares Wetter warten müssen, bis das
Meer wieder mit Eis belegt war. Wir dampften längs
der Westküste der Taimyr-Insel weiter. Diese wird von
einer Menge Inseln umgeben, welche auf den Karten nicht
verzeichnet sind, und welche möglicherweise selbst vom
Sunde in mehrere Theile getheilt sind. Im Übrigen scheint
die Nordspitze der Taimyr-Insel nioht so weit gen Norden
zu gehen, als die Karten angeben. Eis begegneten wir nur
in geringen Quantitäten und nur Bai-Eis, so zerrissen, dass
man kaum ein Stück sah, das stark genug gewesen wäre,
ein paar Mann zu tragen. Alles dieses Eis musste bald
geschmolzen sein. Die Taimyr-Bucht selbst war fast eis-
frei. Hin und wieder hatten wir später auf derselben
auch etwas Seegang.
Am 19. August dampften und segelten wir längs der
Küste der Halbinsel Tscheljuskin weiter, fortwährend in
einem äusserst dichten Nebel, welcher nur zeitweise sich
so weit vertheilte, dass die Landcontouren unterschieden
werden konnten. Im Laufe des Tages dampften wir an
einem weitgestreckten Felde ungebrochenen Eises vorüber,
welches eine Bucht an der westlichen Seite der Halbinsel
Tscheljuskin aufnahm. Im Nebel schien das Eis durch die
Luftspiegelung, welche durch die Strahlenbrechung am Ho-
rizont hervorgerufen wurde, grob und hoch, als wir aber
zur Eiskante selbst kamen, zeigte es sich, dass auch dieses
feste Eis fast ebenso zerfressen war als das, welches die
Eisstreifen bildete, denen wir hier und da auf dem Meere
begegneten. |
Der Nebel verhinderte die Fernsicht,, und ich befürch-
tete schon, dass die nördlichste Spitze Asiens so von Eis
umgeben sei, dass wir auf derselben nicht landen könnten.
Bald. schimmerte jedoch wieder eine eisfreie Spitze im Nord-
osten durch. Eine kleine gegen Norden offene, zur Zeit
eisfreie Bucht schnitt hier in’s Land hinein. In dieser
warf das Fahrzeug am 19. August 6 Uhr Nachmittags unter
Flaggen und Salutschüssen aus einer der kleinen Kanonen,
welche die „Vega” mit sich führte, Anker. Wir hatten das
erste Ziel unserer Expedition erreicht — die nördlichste
Spitze der alten Welt!
Die Luft war klar, und die Landzunge lag eisfrei und
von der Sonne beschienen vor uns. Gleichwie 1875 bei
der Ankunft am Jenissei, so wurden wir auch hier von einem
grossen Eisbären empfangen, welcher, schon bevor die Anker
gefallen waren, am Strande auf und nieder spazierte, hin
und wieder nach der Bucht hinaus blickend und schnüffelnd,
deutlich in der Absicht, sich darüber klar zu werden, welche
ungebetenen Gäste sich jetzt einer Gegend näherten, wo
der Bär bisher eine unbestrittene Herrschaft ausgeübt hatte.
Verscheucht durch die Salutschüsse trollte er jedoch schnell
von dannen und entging dadurch den Kugeln unserer Jäger.
Um eine astronomische Ortsbestimmung von diesem
wichtigen Punkte zu erhalten, und um unsern Zoologen und
Botanikern Musse zu einigen Exkursionen zu lassen, blieb
ich hier bis zum folgenden Mittag.
Kap Tscheljuskin wird von einer niederen Landzunge
gebildet, welche durch die Bucht, in der das Fahrzeug
Anker geworfen, in zwei Theile getheilt ist. Eine Berg-
höhe mit allmählich abfallenden Seiten läuft von dem öst-
lichen Strande parallel mit der Küste gen Süden. Nach
ungefährer Berechnung mittelst der astronomischen Beob-
achtungen und Triangelmessungen, welche vorgenommen
wurden, liegt die westliche Spitze 77° 36' 37" N. Br,
und 103° 25,5’ Ö. L. von Greenwich, die östliche etwas
nördlicher, nämlich 77° 41’ N. Br. und 104° 1' Ö.L.
Weiter in’s Land hinein scheint der Bergrücken sich bis
zu einer Höhe von 1000 Fuss zu erheben. Sowohl diese
16 Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien.
Höhe wie das Flachland waren fast schneefrei. Nur hier
und da sah man grosse weisse Schneefelder auf den Ver-
tiefungen an den Bergabhängen oder in der einen oder an-
deren tieferen schmalen Kluft auf der Ebene. Am Strande
selbst lag jedoch das Eis noch an den meisten Stellen fest.
Der Boden des Flachlandes besteht aus Thonfeldern,
welche zum Theil kahl und in mehr oder weniger 6sei-
tigen Scheiben aufgesprungen, theils von einem von den-
selben Gräsern und Moosen gebildeten Pflanzenteppich
bedeckt sind, wie die, welche wir an der Stelle trafen, wo wir
am Tage vorher landeten. Die Gebirgsart war jedoch hier
nicht Granit, sondern aufrechtstehende, keine Versteinerungen
führende Schieferlager, reich an Krystallen von Schwefelkies.
Auf der äussersten Spitze des Vorgebirges wurde das Schiefer-
lager von mächtigen Quarzgängen durchschnitten. Von
Phanerogamen konnte Dr. Kjellman hier nur 24 Arten ent-
decken, die meisten zeichneten sich duroh eine besondere
Neigung aus, dichte wulstartige Rasenflecke zu bilden.
Auch die niedere Vegetation war nach Dr. Almquist ein-
förmig, wenn gleich üppig entwickelt. Es schien fast, als
ob die Pflanzen der Halbinsel Tsoheljuskin von hier aus
versucht hätten, weiter nach Norden zu wandern, da sie
aber auf das Meer stiessen, auf der alleräussersten Spitze
Halt machten. Hier fand man nämlich auf einem sehr
kleinen Umkreise fast alle Pflanzen, sowohl Phanerogamen
wie Kryptogamen, welche das Land darzubieten hat, und
manche von ihnen suchte man vergebens weiter in’s Land
hinein.
Das Thierleben auf dem Lande wetteiferte mit dem
höheren Pfianzenleben an Dürftigkeit. Von Vögeln wurden
nur eine Menge Schwimmschnepfen, einige Tringa-(Strand-
‚läufer)Arten, eine Lumme, eine äusserst zahlreiche Schaar
Ringelgänse (Anser bernicla), einige wenige Eidergänse und
Überreste einer Bergeule gesehen. Auf dem Meere draussen,
das jetzt bis auf einige herumtreibende Eisstücke eisfrei
war, erblickte man ein einziges Walross, zwei Weisswale
(Delphinopterus leucas) und einige wenige Seehunde (Phoca
hispida) — auch hier gab es ersichtlich wenige warmblü-
tige Tbiere. Dagegen wurden durch das Schleppnetz vom
Meeresboden verschiedene grössere Algen (Laminaria Agardhi
u. A.) und eine Menge niederer Thiere heraufgebracht,
darunter sehr grosse Exemplare Idothea entomon, eine Iso-
podenart, welche auch in der Ostsee und in unseren grös-
seren Landsee’n vorkommt, was als ein Beweis dafür gelten
kann, dass letztere zur Eiszeit mit dem Eismeer zusammen-
hingen. Die Algenausbeute war insofern von Interesse, als
sie einen weiteren Beweis für das Verkehrte der lange ge-
herrschten Ansicht lieferte, dass das Sibirische Eismeer
höherer Algen vollständig entbehre.,
Auf der Fahrt zwischen Kap Tsoheljuskin
und ÖOlenek vom 21. bis 26. August.
Als die „Vega” am 20. August Mittags die Anker lich-
tete, war das Meer in der nächsten Nachbarschaft der Nord-
spitze Asiens so eisfrei, dass ich hoffte, wir würden nicht
nur offene See längs der Küste finden, welche sich östlich
von Kap Tscheljuskin eine Strecke gen Süden hin zieht,
sondern auch in gerader östlicher Richtung bis zu den
Neu-Sibirischen Inseln. Dem Programme der Expedition ge-
mäss wurde daher der Kurs scharf O. zu 8, gesetzt, unter
Anderem in der Hoffnung, auf diesem Wege eine westliche
Fortsetzung der Neu-Sibirischen Inselgruppe zu treffen.
Am 20. und 21. Aug. dampften wir in der genannten
Richtung zwischen Treibeis vorwärts, welches fortdauernd
sehr zerstreut war, aber stärkere und grössere Schollen
bildete, als wir sie bisher auf der Reise angetroffen hatten.
Leider wurde die Fahrt durch einen so dichten Nebel er-
schwert, dass man nur die Eisfelder und Eisstücke in un-
mittelbarer Nähe des Fahrzeuges sehen konnte. Es war
in Folge dessen unmöglich, einen Überblick über die Aus-
dehnung und Lage des Eises zu erhalten.
Nachdem wir in der Nacht zum 22, ein ziemlich dich-
tes Eisfeld durchsegelt hatten, konnten wir später am Tage
in östlicher Richtung nicht weiter kommen. Der Kurs
wurde jetzt mehr südlich gesetzt, aber auch in dieser Rich-
tung stellten sich bald Eishindernisse ein, wenigstens so
weit sich in dem dichten Nebel beurtheilen liess. Um kla-
rereg Wetter abzuwarten, drehten wir zur Mittagszeit an
einer der grösseren Eisschollen bei. Aus der Ferne sah
diese stark und gross aus, als wir aber dieselbe betraten,
erwies sie sich so zerfressen, dass es klar war, sie würde
binnen Kurzem vollständig wegschmelzen. Als das Wetter
sich etwas aufgeklärt hatte, dampften wir weiter. Es dauerte
jedoch nur kurze Zeit, bis wir wieder genöthigt waren,
mittelst Eisanker das Fahrzeug an einem anderen Eisfelde
zu vertauen. Wir hätten sonst Gefahr gelaufen, uns bei
dem Nebel in dem Eislabyrinth zu verirren, in welches
wir gekommen waren, so dass die schwedische Expedition
von demselben Schicksale betroffen wäre, welches die öster-
reichisch-ungarische vor 6 Jahren hatte.
Früh Morgens am 23. wurde die Luft etwas klar. Die
Eisanker wurden eingezogen und wir begannen zwischen
. den Eisfeldern weiter zu dampfen, um offenes Wasser zu
suchen. Obgleich das Eisfeld, welches uns jetzt umgab, so
mürbe war, dass wir jedenfalls nicht weit vom Rande des
Treibeisfeldes sein konnten, vermochten wir doch in dem
Nebel, der uns bald wieder umgab, weder nach Osten noch
nach Süden eine passirbare Rinne zu finden. Um heraus
zu kommen, blieb uns daher nichts Anderes übrig als zu
suchen, in nördlicher oder nordwestlicher Richtung die Öf-
Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien. 17
nung zu erreichen, durch welche wir in das Eisfeld hinein
gesegelt waren. Hierzu gebrauchten wir fast einen ganzen
Tag, so dass wir erst am 23. 64 Uhr Nachmittags uns
wieder im offenen Wasser befanden.
Die Meerestiefe, welche während unserer Irrfahrten im
Eise zwischen 33 und 35 Faden wechselte, begann jetzt
eine geringere zu werden, was die Nähe des Landes an-
deutete. Dieses "bekamen wir um 8 Uhr 45 Minuten Nach-
mittags in Sicht. Es war die nordöstliche Spitze der öst-
lichen Taimyr-Halbinsel, belegen ungefähr 76° 30’ N. Br.
und 113° Ö. L. von Greenwich. Das Meer war auf einer
Entfernung von 15 bis 16 Minuten vom Lande vollständig
eisfrei. Sechs Minuten vom Lande wechselte die Tiefe
zwischen 6 und 12 Faden.
Das Wetter hatte sich geklärt. Eine nordwestliche
Brise führte das Fahrzeug rasch ohne Mitwirkung des
Dampfes über eine vollständig glatte See. Die Höhen am
Strande nahmen bald zu und zeigten jene eigenthümlichen,
in pyramiden-ähnliche Spitzen zerrissenen Formen, welche
dem östlichen Strande des Jenissei zwischen Mesenkin und
Jakovicva eigen sind. Etwas weiter landeinwärts zeigten
sich tüchtige Berge von wenigstens 2000 bis 3000 Fuss
Höhe. Gleichwie der Strand, waren die Abhänge, Spitzen
und Kronen der Berge eisfrei, wenige kleine Eisansamm-
lungen von geringem Umfange in den Klüften der Berge
ausgenommen. Auch einige kleine Gletscher scheinen vor-
zukommen, die jedoch schon auf einer Höhe von, wie ich
schätzte, 800 bis 1000 Fuss über dem Meeres-Spiegel ab-
schlossen,
Das Thierleben wurde jetzt ein sehr reiches. Schon
als wir vertaut an der Eisscholle in dem so eben erwähn-
ten Treibeisfelde lagen, hatte Dr. Stuxberg mittelst des
Schleppnetzes aus einer Tiefe von 35 Faden eine uner-
wartet grosse Menge prachtvoller mariner Thierformen her-
aufgefördert, darunter drei Exemplare einer auf Stengel
befestigten Crinoide, vermuthlich junge Individuen der
Alecto Eschrichtii, welche zugleich in unzähligen vollstän-
dig ausgewachsenen Exemplaren angetroffen wurde. Massen
von Seesternen (z. B. Solaster papposus, endeca, furcifer,
Pteraster militaris, Asterophyton eucnemis) und von der
sonst äusserst seltenen Molpadia borealis, zwei Tintenfische,
eine kolossale Pycnogonide von 180 Milimeter Durch-
messer &. Nicht minder reich, obgleich mit theilweis
anderen Formen, war das niedere Thierleben in geringerer
Tiefe. Die hier vorkommenden Thiere sind sämmtlich deut-
lich reine Eismeerformen, ohne irgend welche Einwande-
rung aus südlichen Meeren, wie es ohne Zweifel der Fall
mit der Spitzbergen-Fauna ist. Die Sammlung derselben
dürfte daher von grossem wissenschaftlichen Interesse für
die Untersuchungen werden, welche seit Längerem von den
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft I.
Naturforschern des Nordens betreffs der an unseren Küsten
vorgekommenen lebenden und fossilen glacialen Thierformen
angestellt werden, und welche Fragen von grosser Wich-
tigkeit für die Kenntniss des letzten Periodenwechsels der
Geschichte des Erdkörpers berühren.
Häufig konnte man vom Fahrzeuge aus keine Spur von
Eis sehen. Gleich wie wir schon vorher weit hinaus Land
trafen, wo man auf den Karten das Meer befährt, so segeln
wir jetzt, wie Sie aus der beigefügten Seekarte ersehen
können, über Gegenden dahin, welche auf den Karten mit
Land bezeichnet sind.
Um 11 Uhr Vormittags des 24. August wurde „Land
in Sicht, voraus auf Backbordseite” gemeldet. Es war offen-
bar die Insel, welche unter dem Namen Preobraschenski-
Insel auf den Karten am Eingange der Mündung der Cha-
tanga verzeichnet sind. Sie ist jedoch vier Längengrade,
d. h. 10 schwedische Meilen weiter westlich als die See-
karten angeben, belegen. Als wir näher kamen, zeigte es
sich, dass die Insel aus jäh abgeschlossenen horizontalen Kalk-
schichten bestand, in welchen ich Versteinerungen zu finden
hoffte. Theils aus diesem Grunde, theils um den Doctoren
Kjellman und Almquist Gelegenheit zu einer Land-Exkursion
in dieser vorher von keinem Gelehrten besuchten Gegend
zu geben, liess ich das Fahrzeug an dieser Stelle einige
Stunden ankern. Der nordöstliche steile, nach den Messun-
gen des Lieutenant Nordquist 300 Fuss hohe Abhang am
Strande der Insel diente unzähligen Alken und Möven
(Larus tridactylus) zum Aufenthalt und während die Anker
fielen, bemerkte man unten am Strande zwei Bären, welche
alsbald erlegt wurden, der eine von Lieutenant Brusewitz,
der andere von Kapitän Johannesen. Die grasbewachsenen
südlichen Abhänge zeigten eine sehr üppige artenreiche
Vegetation und lieferten daher den Botanikern eine reiche
Ernte. Ausser Alken und Möven wurden hier verschie-
dene Bergeulen und Teisten gesehen, Von Insecten wur-
den eine Art Staphylinus, drei Exemplare einer Chryso-
melen-Art, neben einigen Dipteren, Poduren und Arach-
niden gesammelt. Meine Hoffnung, in der Kalkschicht reich-
liche Versteinerungen zu finden, wurde dagegen getäuscht.
Nur ein Belemnit wurde angetroffen, ein Zeichen dafür, dass
die Insel aus jenen in der Secundär-Periode gebildeten La-
gern besteht, welche weitgestreckte T’heile des nordwest-
sibirischen Flachlandes einnehmen.
Da wir uns sehnten weiter zu kommen, lichteten wir
um 10 Uhr Nachmittags wieder die Anker. Wir sind jetzt
auf 73 bis 74° N. Br., und die Nächte beginnen dunkel zu
werden, was Lieutenant Palander zu grosser Vorsicht beim
Steuern veranlasst, zumal die Küste unsicher abflacht und
das aussenan liegende Meer so seicht ist, dass wir auf der
nachfolgenden Fahrt bis zur Lena-Mündung meistens nur
3
18 Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien.
eine Tiefe von 5 bis 8 Faden hatten. Dagegen sind wir
seit dem 23. Abends von einem herrlichen Wetter und
einer vollkommen eisfreien See begünstigt worden.
Nach der Erfahrung zu urtheilen, die wir in diesen
Tagen gemacht haben, würde somit die Nordküste Sibiriens
im Spätsommer nicht mehr von Eis belästigt sein, als z. B.
das Weisse Meer im Hochsommer. Der Grund hiervon ist,
worauf ich schon in dem Programm für die Expedition hin-
wies '), in den Massen warmen Wassers zu suchen, welches
die sibirischen Flüsse während des Sommers ins Meer hin-
ausführen. Diese Verhältnisse werden näher durch die
hydrographischen Untersuchungen während des Verlaufes
der Expedition beleuchtet.
Unabhängig von den Bestimmungen der Temperatur
des Meer-Wassers an der Oberfläche, welche in Zusammen-
bang mit den gewöhnlichen meteorologischen Beobachtungen
sechs Mal des Tages angestellt werden, haben wir 2 bis
3 Mal am Tage die Temperatur des Wassers und dessen
Salzgehalt in verschiedenen Tiefen bestimmt. Zu diesen
Untersuchungen, welche vorzugsweise von den Lieutenants
Palander und Bove bewerkstelligt werden, ist Professor
Ekman’s wärme-isolirender Wasseraufnahme- Apparat ver-
wendet worden. Derselbe arbeitet wenigstens in geringeren
Tiefen, in welchen wir Gelegenheit hatten denselben zu
prüfen, ausgezeichnet gut. Das Resultat ist Folgendes ge-
wesen:
Wenn die Tiefe wenigstens 30 Meter erreicht, wechselt
die Temperatur auf dem Grunde zwischen —1,0° und
— 1,4° C. Die Schwere des Wassers erreicht dort 1,026
bis 1,027, entsprechend einem etwas geringeren Salzgehalt
als dem des Wassers des Atlantischen Oceans. An der Ober-
fläche ist die Temperatur dagegen äusserst wechselnd ge-
wesen. So z. B. + 10° bei Dickson’s Hafen, + 5,4°
etwas südlich vom Taimyr-Sund, + 0,8° im Treibeis dicht
vor demselben Sund, + 3,0° vor der Taimyr-Bucht, —0,1°
bei Kap Tscheljuskin, + 4,0° vor der Chatanga-Bai, -+1,2°
bis + 5,8° zwischen Chatanga und Lena. Die Schwere
des Oberwassers hat während dieser Zeit in einer breiten
Rinne an der Küste niemals 1,023 überstiegen, häufig er-
reichte sie nur 1,01 oder darunter. Die letztgenannte Zahl
entspricht einer Mischung von ungefähr einem Theil See-
wasser und zwei Theilen Flusswasser. Diese Zahlen be-
weisen unwiderleglich, dass eine warme und wenig salzige
Oberwasser-Strömung von den Mündungen des Ob und Je-
nissei ausgeht, zunächst längs der Küste gen Nordost und
später unter dem Einfluss der Rotation der Erde weiter
gen Osten. Andere gleichartige Strömungen werden durch
die Chatapga, Anabara, Olenek, Lena, Jana, Indigirka und
—om
') Petermann’s Mittheilungen 1878, 8. 67 u. 141.
—
‚ Kolyma bewirkt, welche sämmtlich ihr unter dem heissen
“ Sommer Sibiriens erwärmtes Wasser ins Eismeer ergiessen
und dieses während einer kurzen Zeit des Jahres längs
der Küste fast eisfrei machen. Es war eine richtige Auf-
fassung dieser Verhältnisse, welche mich veranlasste, den
Plan für die jetzt begonnene Expedition zu entwerfen.
Bisher ist Alles nach Berechnung vor sich gegangen.
Möchten die Berechnungen nur auch ferner Stich halten,
so dass ich noch diesen Herbst die Freude haben kann,
von einem Hafen der Küste des Stillen Oceans Telegramme
nach der Heimath zu senden. Alle Theilnehmer an der
Expedition sind begeistert für dieses grosse Ziel und Jeder
ist auf seinem Platze bestrebt, zu dessen Verwirklichung
beizutragen.
P.S.
12’ nördlich von der Mündung der Lena,
am 27. August 1878.
Es war ursprünglich meine Absicht in der Mündung
der Lena zu ankern. Aber guter Wind und eisfreies Meer
bieten eine so vortrefiliche Gelegenheit weiter zu gehen,
dass ich mich nicht für berechtigt halte, dieselbe zu ver-
säumen. Wir werden uns daher jetzt in der Nacht vom
27. zum 28. vom Dampfer „Lena’” trennen, um von hier
direkt nach der Fadejew-Insel zu segeln, wo ich einige
Tage zu rasten gedenke. Von dort geht es weiter nach
der Bering-Strasse und Japan. Die Aussichten, vorwärts zu
kommen, sind die bestmöglichsten. Alles wohl am Bord.
Das Fahrzeug ist in vortrefflichem Zustande. Der Kohlen-
vorrath ist ausreichend.
Am Bord der „Vega” vor der Mündung
der Lena, den 27. August 1878.
Zugleich mit dem beigefügten ausführlichen Rapport
über den bisherigen Verlauf der Expedition will ich in aller
Eile unserm wohlthätigen und grossmüthigen Gönner pri-
vatim einige Grüsse von den Theilnehmern an der Expe-
dition senden. Alles geht so vortrefflich wie möglich, der
Wind ist gut, die See vor uns vollständig eisfrei. Der
Kurs wird zunächst auf die Fadejew-Insel gerichtet, wo ich
naturhistorischer Untersuchungen wegen einige Tage zu
verweilen "gedenke; alsdann geht’s direkt nach der Bering-
Strasse und später nach Yokohama in Japan. Die Aus-
sichten auf einen vollständigen Erfolg sind so gut wie mög-
lich. Am Bord Alles wohl.
Ich bitte Sie, den Rapport gütigst ins Französische,
Englische oder Deutsche übersetzen zu lassen und densel-
ben an Herrn Sibiriakoff !) zu senden. Die Karte kann
vielleicht unserer geographischen Gesellschaft mit der Be-
!) Der um den überseeischen Verkehr nach den sibirischen Flüssen
hochverdiente russische Millionär, der neben O. Dickson die Nordenskiöld’-
schen Eismeer-Expeditionen mit reichen Mitteln unterstützt hat.
Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien. 19
rechtigung zugestellt werden, dieselbe als vorbereitende
Mittheilung über die Route der Expedition zu publiciren.
In dem beigelegten offenen Brief an ‚„Ny Illustrerad Tid-
ning” befindet sich eine Zeichnung von Kap Tscheljuskin,
welche vielleicht die Gönner der Expedition und das schwe-
dische Publikum interessiren wird. Um nicht unnöthigen
Aufenthalt zu verursachen, muss ich hier schliessen. Möge
die Fortsetzung der Reise ebenso glücklich und erfolgreiclı
verlaufen, als der bisherige Theil derselben.
3. Brief von Marine-Lieutenant L.
Kapitän E. G. Edelfelt ').
„Vega” auf der Fahrt, den 26. August 1878,
Wenn Du diesen Brief erhältst, wirst Du, wie ich an-
nehme, schon durch Zeitungs-Telegramme erfahren haben,
dass wir wenigstens den halben Weg um Asiens Nordküste
glücklich zurückgelegt haben. Seitdem wir Diokson’s Hafen
am 10. August verliessen, haben wir fast ununterbrochen
Nebel gehabt, was die Fahrt um so mehr erschwerte, als
wir keine Karten hatten, nach denen wir uns richten konnten.
Nach dem Besteck habe ich mehrere Mal gerade über Land
geeegelt und bin mehrere Tage dabei geblieben, in Wirk-
lichkeit war ich aber 100 engl. Meilen von der Küste des
auf den Karten verzeichneten Landes entfernt. Inseln und
Schären sind in dem Nebel mehrfach gerade vor uns auf-
getaucht, aber es gelang uns bisher, Unfälle zu vermeiden.
Am 19. August passirten wir Kap Tscheljuskin, Asiens
nördlichste Spitze, 77° 43’ N..Br.; seitdem folgten wir
der Küste. Besonders schlimmes Treibeis haben wir auf
unserer Fahrt nicht gehabt. An der Lena, wo ich morgen
einzutreflen hoffe, falls der Nebel nicht zu stark wird,
wird der Dampfer „Lena” uns verlassen und den Fluss
gleichen Namens hinaufgehen; mit der „Lena’” senden wir
unsere Briefe und Telegramme.
Palander an
Am 27. August 1878.
In grösster Eile! Wir verlassen jetzt „Lena’” gleich
nördlich von der Mündung des Lena-Flusses und setzen selbst
die Reise ostwärts fort, begünstigt von gutem Wind und
gutem Wetter und belebt von den besten Hoffnungen, bald
nach Japan zu kommen.
3. Aus einem Privatbriefe von Marine-Lieutenant
L. Palander ?).
Dampfschiff „Vega”, den 26. August 1878,
4 Uhr Morgens.
73° 40° N. Br., 120° Östl. L.
Seit meinem letzten Briefe von Dickson’s Hafen ist das
Glück mit uns und der „Vega” gewesen, und ich hoffe,
t) Göteborgs Handels- och Sjöfarte-Tidning, 23. November 1878.
9 Veröffentlicht im Stockholmer ,„Post- och Inrikes- Tidning”,
23. November.
dass es uns nicht verlassen wird. Aus vorstehender Breite
und Länge ersieht man, dass wir längst Kap Tscheljuskin
passirten und ein gutes Stück auf dem Wege nach der
Bering - Strasse zurückgelegt haben. Am 10. August ver-
liessen wir Dickson's Hafen und steuerten seitdem parallel
mit dem Taimyr-Lande, welches Land, gleichwie alles an-
dere Land, das wir in Sicht gehabt haben, 3—5 Längen-
grade westlicher liegt als die Karten angeben. Gleich vom
10. August an haben wir bis auf einen Tag (den gestrigen)
mehr oder minder dichten Nebel gehabt, welcher die Fahrt
in diesen unbekannten und seichten Fahrwassern in hohem
Grade erschwert. Bei der Passage längs dem Taimyr-
Lande waren wir einige Male zwischen Inseln und Schären
festgerathen, aus denen wir uns in dem Nebel nur mit
Mühe wieder herausfinden konnten. Am 14. August kamen
wir zur Taimyr-Insel, die nicht eine einzelne Insel ist,
sondern aus einer ganzen Anzahl Inseln und Holmen, letz-
tere aus Granitblöcken gebildet, besteht. Diese Schären-
Gruppe (Skärgärd) erstreckte sich etwa 30 engl. Meilen
NO. von der auf den Karten verzeichneten Taimyr-Insel.
Vier Tage hielten wir uns bei der Taimyr-Insel auf und
stellten verschiedene Untersuchungen an.
Da das Eis sich ziemlich bei den nördlichen Inseln zu-
sammengedrängt hatte, hoffte ich den Sund zwischen der
Taimyr-Insel und dem Festlande passiren zu können, dieses
liess sich aber nicht machen, da der Sund nur 5—6 Fuss
tief war. An der schmalsten Stelle befindet sich auch eine
Strömung von 4 Knoten. Am 18, August setzten wir die
Reise fort und steuerten gen Kap Tscheljuskin, wo wir am
19. Nachmittags anlangten. Unsere erste gewonnene
Schlacht wurde durch Flaggen und Salutschüsse gefeiert,
Kap Tscheljuskin liegt 77° 43’ N. Br. und 104° Ö.L.
Von Dickson’s Hafen bis Kap Tscheljuskin haben wir
uns in fast eisfreier See bewegt, nur hier und da durch
kleine Eisbänder gesperrt, welche wir leicht durchbrechen
oder umgehen konnten. Das Eis war nur ein Jahr alt
und arg mitgenommen. Längs dem Lande bei Kap Tschel-
juskin befand sich eine 6— 8 engl. Meilen breite offene
Rinne, im Norden aber war dichtes und starkes Treibeis.
Bei Kap Tscheljuskin hörten wir auf, dem Lande zu folgen,
wir waren sogar des Eises wegen genöthigt, denselben
Weg zurück zu suchen, den wir gekommen waren. Glück-
lich dem Eise entronnen, folgten wir treulich dem Lande
und bewegten uns in reinem Wasser; seit drei Tagen sahen
wir kein Stückchen Eis.
Das Land östlich von Kap Tscheljuskin liegt 5° west-
licher, als die Karten angeben. Unser Kurs auf der Karte
ging daher direkt über Land und 100’ von der Kuste,
Am 24. August langten wir in der Chatanga-Bucht an.
Wir statteten der Insel in der Mündung dieser Bucht einen
5®
20 Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien.
mebrstündigen Besuch ab. Hier wurden einige Eisbären
geschossen, von denen es in diesen Gegenden recht viele
giebt. Mit Ausnahme des Renthieres, welches ich bei
Dickson’s Hafen schoss, ist während der Expedition keines
erlegt worden. Von Chatanga bis hier haben wir uns in
ziemlich seichtem Wasser, 5—7 Faden, bewegt, obgleich
wir weit genug, wenigstens 10’ vom Lande entfernt fahren.
Die Flüsse Anabara und Olenek haben wir passirt.
Ich hoffe heute Nacht oder morgen nach der Mündung
der Lena zu kommen; es hängt davon ab, ob deren Länge
richtig ist oder nicht. Im Allgemeinen sind die Breiten
richtig aber die Längen unrichtig und zu weit östlich an-
gegeben. Seitdem wir Kap Tscheljuskin passirten, haben
wir, auch als wir am weitesten vom Lande entfernt waren,
nicht über 35 Faden Tiefe gehabt. In letzterer Zeit be-
nutzen wir den englischen Trawl-Apparat, welcher sich dem
alten Schleppnetz weit überlegen zeigt. Während wir mit
letzterem nur ein Kübel Bodensatz erhielten, bekommen
wir jetzt eine ganze Badewanne voll mit Thieren. Die
Zoologen haben grossartige Sachen erhalten. Auch die
Botaniker sind keine Stiefkinder gewesen. Die Vegetation
ist hier ziemlich reich. Man trifft hier nicht wie auf Spitz-
bergen grosse unfruchtbare Steinwüsten. Man sieht hier
ununterbrochen nur den gewöhnlichen arktischen wellen-
förmigen Grasteppich. Kein Gebirge, kein Schnee. Die
Natur ist daher äusserst einförmig. Seitdem wir Kap
Tscheljuskin verlassen, habe ich nur eine einzige Gebirgs-
kette gesehen, welche das ewige roth-grüne, nur wenig
hügelige Land unterbrach.
Wenn wir nicht von einem zeitigen Winter überrascht
werden, hoffe ich nur 3 Wochen oder 1 Monat in der
Bering-Strasse zu sein. Mit Ausnahme eines einzigen
Tages ist die Maschine stets in Thätigkeit gewesen, seit-
dem wir Dickson’s Hafen verliessen; und wenn wir auch
auf dem ganzen Wege von hier nach der Bering- Strasse
Dampf gebrauchen sollten, müssen wir doch einen Über-
schuss von 3500 Kubikfuss Kohlen haben. Ich füge eine
in Eile ausgeführte Karte bei, welche „Vega’s” Kurs vom
Jenissei und die Veränderungen der Küsten, die wir ge-
funden haben, enthält. Die Küstenstrecke kann selbstver-
ständlich keine Ansprüche auf Zuverlässigkeit machen, wenn
man in Betracht zieht, dass wir fast stets im Nebel ge-
fahren sind und nur hier und da Land gesehen haben.
Auf der Chatanga-Insel habe ich das „Göta-Coldinus-Kreuz”
aufgepflanzt.
Am 27. August Mitternacht. Wir verlassen jetzt die
„Lena” in eisfreiem Wasser 20° nördlich der Lena-Mün-
dung und setzen, begünstigt von gutem Wind und klarem
Wetter — eine Seltenheit für uns — die Reise fort. Die
letzte Nacht ist eine recht schlimme gewesen: Sandbänke,
2//a—3 Faden Wasser mit Nebel. Jetzt haben wir 10
Faden Wasser.
4, Aus einem Briefe von Marine-Lieutenent
A. Hovgaard'!).
Vor der Lena-Mündung, 27. August.
Meinen letzten Brief sandte ich aus Dickson’s Hafen
den 9. August. Am nächsten Tage segelten wir weiter
und machten sofort die Entdeckung, dass die Karten falsch
waren, da die Küste weit westlicher lag, als man annahm.
Als wir Dickson’s Hafen verliessen, war herrliches, klares
Wetter; aber schon am nächsten Morgen hatten wir Nebel,
welcher uns fast ohne Unterbrechung folgte. Es ging in-
dessen trotz des Nebels rasch vorwärts und schon am
nächsten Tage, am 11., passirten wir Kap Sterlegow, den
äussersten Punkt, bis zu welchem bis jetzt ein Schiff
gekommen. Auf unserem Wege begegneten wir täglich
Inseln, welche nicht auf den Karten verzeichnet waren.
Schon am Montag Vormittag, 12. August, hatten wir Eis,
aber es war so unbedeutend, dass wir es nicht beachteten.
Nachmittags begegneten wir indessen dichteren Eisgürteln,
welche wir vergebens zu durchbrechen versuchten. Es war
eine ganz eigenthümliche Fahrt: mit voller Kraft stiessen
wir gegen die fadendicken Eisflächen, um sowohl uns selbst
wie der kleinen „Lena”, die von Eisen ıst und also nicht
so viel verträgt als „Vega’s” 23zöllige Eichenseiten, den
Weg zu bahnen. — Nach einiger Zeit mussten wir um-
kehren; es war unmöglich an dieser Stelle durchzukommen.
Erst gegen Abend fanden wir eine Passage, und weiter
steuerten wir jetzt gen Osten.
Es war eine unvergleichliche Fahrt. Im Süden stand
das Taimyr-Land feuerroth in der Mitternachtssonne, welche
von der Refraction hoch über den nördlichen Horizont ge-
hoben wurde, während das Eis sich in den Lüften spie-
gelte und die phantastischsten Formen annahm. Ein Bär
war unvorsichtig genug, zu nahe an die „Lena” heranzu-
schwimmen; er musste diese Unvorsichtigkeit mit seinem
Leben büssen. Über die spiegelblanke Fläche des Meeres
glitten die Schiffe weiter, mehrere kleine Holme passirend,
an deren Kanten noch Eis lag. Aber die Herrlichkeit
dauerte nicht lange, schon am nächsten Tage mussten wir
wieder wie gewöhnlich zwischen dichtem Treibeise manövri-
ren, und plötzlich bekamen wir gerade vor uns, in kaum
1000 Ellen Entfernung, Land in Sicht. Selbstverständlich
warfen wir sofort Anker und warteten eine Klärung ab,
welche auch Nachmittags um 3 Uhr erfolgte; aber schon
nach 2 Stunden stellten sich wieder Nebel und Eis ein.
Mit diesem trieben wir ostwärts, bis wir mit der ersten
!) Veröffentlicht im Kopenhagener „Dagblad”.
Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien. 21
sich darbietenden günstigen Gelegenheit eine kleine Bucht
in dem Sunde zwischen der Taimyr-Insel und dem Fest-
lande aufsuchten. Nach einer Polypen-Art, die sich in
grossen Massen vorfand, nannten wir die Bucht „Actinia-
Hafen”. Von hier aus machten wir mehrere Ausflüge mit
der Dampf-Barkasse.
Am 18. August wurden wir endlich aus unserem Zwangs-
aufenthalte im Actinia-Hafen erlöst, indem der Wind sich
änderte und das Eis forttrieb, Wie gewöhnlich im Nebel,
stenerten wir nach Tscheljuskin hinüber, welches wir am
nächsten Page in Sicht bekamen. Ohne das Land selbst
zu sehen, sondern dem Eisrande desselben folgend, erreich-
ten wir gegen Abend die von Tscoheljuskin angegebene
kleine Bucht westlich von der Nordspitze Asiens. Mit
welchen freudigen Gefühlen segelten wir diesem vorläu-
figen Ziele unserer Bestrebungen entgegen! Mit wehender
Flagge von allen Masten und die ehrwürdige Nordspitze
der Alten Welt mit fünf Schüssen salutirend, fuhr „Vega”
stolz in die kleine Bucht hinein. Um das Fest zu einem
vollständig freudigen zu machen, brach die Sonne durch
den Nebel und zeigte uns ein hohes schneebedecktes Gebirge
im Hintergrunde. Von der Spitze eines grossen Eisberges
stierte ein Bär erstaunt auf diese unerwarteten Gäste und
trollte alsdann, nachdem er einige Schrammschüsse bekom-
men, in die Berge zurück. Am nächsten Morgen, als un-
sere Beobachtungen beendet waren, errichteten wir einen
Steinberg, in welchem wir ein Document, enthaltend Auf-
klärungen über den Fortgang unserer Expedition und un-
seren Plan für die Zukunft, legten. Um 1 Uhr Nachmit-
tags am 20. August lichteten wir die Anker und steuerten
ostwärts.
Wir hatten wieder mehrere Tage mit Nebel und Eis
zu kämpfen, bis wir die Küste der östlichen Taimyr-Halb-
insel erreichten, wo wir ein fast offenes Fahrwasser fanden.
Am 25. August ankerten wir bei einer Vogel-Insel in der
Mündung der Chatanga-Bucht; sofort waren alle Büchsen
in Thätigkeit. Zwei Bären mussten mit dem Leben büs-
sen. Alsdann richteten wir unsere Schritte zum Vogel-
berg, der sich lothrecht bis zu einer Höhe von 250 Fuss
erhebt. Am F'usse des Berges hatte der herabgestürzte Sand
einen schmalen Vorstrand gebildet, und von diesem aus
wurde jetzt Tod und Verderben über die Alken verbreitet,
so dass unser Tisch täglich mit dem wohlschmeckenden
Fleisch derselben besetzt war. Nachdem alle Beobachtun-
gen beendet waren, segelten wir weiter und sind jetzt in
der Mündung der Lena, wo wir die „Lena” verlassen,
die nach ihrem künftigen Heimathsort Jakutsk geht, wohin
sie zugleich unsere Post befördert. Nach wenigen Monaten
hoffen wir in Japan zu sein und die Nordost - Passage ist
dann von einem Schiffe befahren.
5. Aus einem Briefe von Dr. F. R. Kjellman ').
Kein Sturm oder starker Wind und kein Seegang hat
uns belästigt, seitdem wir Dickson’s Hafen verliessen. Mei-
stens hatten wir Windstille oder fast Windstille, und nie-
mals ist der Wind auch nur halb so stark gewesen, als er,
auch während des Sommers, in den arktischen Regionen
zu sein pflegt. Es kam uns dieses sehr zu Statten, denn
in hartem, stürmischem Wetter würde die Schifffahrt in
diesem Fahrwasser , besonders in der Nähe der Lena, fast
unmöglich oder wenigstens doch sehr gefährlich mit einem
so tief gehenden Schiffe wie „Vega” sein. Die See ist hier
nämlich auch in grosser Entfernung vom Lande sehr seicht,
und draussen in der See liegen hier Sandbänke von bedeu-
tender Ausdehnung, welche aus der Oberfläche des Was-
sers hervorragen. Nach unserer Abreise von Chabarowa
an der Jugor-Strasse haben wir kein menschliches Wesen
angetroffen. Jedoch haben wir Spuren von Menschen ge-
sehen. Auf einer Insel des Archipels bei Dicksun’s Hafen
fanden wir eine verfallene Russenhütte und in der Nähe
der Mündung der Chatanga - Bucht sahen wir vom Fahr-
zeuge aus am Strande ein kleines Haus, welches, so viel
wir sehen konnten, wohlerhalten war.
6. Aus einem Briefe von Dr. A. Stuxberg).
Nebel und Eis vereint, gewährten uns auf unserer Fahrt,
nachdem wir nördlich vom 76. Breitengrade gekommen
waren, geringe Unterbrechung, und wie es stets wenig
rathsam ist, gegen die Übermacht zu kämpfen, so fanden
auch wir es für gerathen, einen passenden Ankerplatz auf-
zusuchen und dort das Weitere abzuwarten. Der Zufall
fügte es, dass wir gerade an der Stelle der westlichen
Taimyr-Halbinsel vor Anker gingen, hinsichtlich welcher die
Karten ungewiss sind, ob man es mit einer tieferen Bucht
oder einem Sunde zu 'thun hat, welcher die sogenannte
Taimyr-Insel vom Festlande trennt. Laptew ist der erste,
welcher dort war (es war Anfang Juni 1741, als das
Eis noch die Küsten umgab). Er hat aber nicht entschei-
den können, ob es ein Sund oder eine Bucht war; sein
Weg führte über das Eis in einiger Entfernung vom Lande,
Unseren Geographen lag somit ein ungesuchter Fall vor,
eine streitige Frage zu entscheiden. Nach wiederholten
Ausflügen mit der kleinen Dampf-Barkasse gelang es zu
constatiren, dass die Taimyr-Insel eine Wirklichkeit, nicht
nur eine Vermuthung ist, dass sich dort wirklich ein Sund
befindet, und man war obendrein glücklich genug, einige
Sonnen-Observationen für die geographischen Bestimmungen
des Platzes anstellen zu können und den Sund theilweis
auf die Karte zu bringen.
!) Veröffentlicht im Stockholmer „Dagblad”.
2) Veröffentlicht im Stockholmer „Aftonblad”.
22 Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien.
Wir brachten 33 Tag im Taimyr-Sunde zu, in einer
kleinen vor den Winden gut geschützten Bucht, welcher
wir den Namen Actinias- Hafen gaben, weil die Schlepp-
netzzüge dort fast ausschliesslich Actinien lieferten. Der
Nebel stellte unsere Geduld auf eine harte Probe, aber wir
verstanden, unsere Geduldsprobe weniger fühlbar durch kleine
Ausflüge aufs Land und in die See zu machen. Stets gab
es einige Abwechselung: Möven, Schneeammern, Schwimm-
schnepfen &c. wurden dann und wann als Jagdbeute der Insel
entführt, ein Theil derselben nahm seinen Weg in die
Küche, während ein anderer Theil präparirt ins Magazin
der Zoologen wanderte. Nach dreitägigem Aufenthalt im
Taimyr-Sunde wurde indessen beschlossen, die Pein so
kurz wie möglich zu machen.
Für den Fall, dass uns ein Unglück auf unserer Fahrt
gen Nordosten und Osten zustossen sollte, wurde am
17. August Abends in einer zu dem Zwecke am Strande
hergerichteten Warte folgendes in schwedischer, englischer
und russischer Sprache abgefasstes Schreiben niedergelegt:
„Die schwedische arktische Expedition des Jahres 1878,
mit den Dampfern „Vega” und „Lena”, verliess Dick-
son’s Hafen am 10. August, gelangte nach hier in fast eis-
freier See, ging hierselbst vor Anker am 14. August, liegt
seitdem hier, um in Fortsetzung der Reise westlich und
nördlich um die Taimyr-Insel herumzugehen, sobald der
jetzt herrschende dichte Nebel es erlaubt. Am Bord Alles
wohl. — Seid so gut, dieses Schreiben Sr. Majestät dem
König von Schweden zu übersenden.
Am Bord des Dampfers „Vega”, den 17. August 1878.
A. E. Nordenskiöld”.
Am nächsten Tage, den 18. August, verliessen wir den
Taimyr-Sund, umsegelten die Nordspitze der Taimyr-Insel
und steuerten dann über die Taimyr-Bucht nach Kap Tschel-
juskin.
Endlich nahte der bedeutungsvolle Tag. Der 19. Au-
gust kam. Den 77° N. Br. passirten wir zur Mitternachts-
zeit und um 1 Uhr Morgens bekamen wir die Westküste
der östlichen Taimyr-Halbinsel in Sicht. Der arge Nebel,
welcher uns, wie gesagt, seit unserer Abfahrt von der
Mündung des Jenissei verfolgt hatte, dauerte an; nur dann
und wann schob die niedrige Küstenstrecke ein schmales
Eisband vor, welches noch mit dem Strande in Verbin-
dung stand und das die Stürme noch nicht aus seiner Ge-
fangenschaft zu befreien oder die Sonne noch nicht zu
schmelzen vermocht hatte. Wir gingen den ganzen Tag
auf dem Deck auf und nieder, neugierig nach Nordosten
ausspähend, um nicht des ersten möglichen Anblicks von
Kap Tescheljuskin verlustig zu gehen, dem Ziele unserer
geistigen Träume, dem Gegenstand unserer täglichen Unter-
redungen und unserer Bücher- und kartographischen Studien,
vor der Abreise von Schweden der vermuthete sohwerste
Sieg, welchen wir uns in einer näheren oder ferneren Zu-
kunft erkämpfen sollten oder der uns vielleicht, wie so
Vielen vor uns nach getäuschten Hoffnungen, gänzlich ent-
gehen sollte. Ich will eg ungesagt sein: lassen, wie viel
Mal der Name Kap Tescheljuskin täglich genannt wurde;
sicher waren es Legionen.
In demselben Maasse, wie wir uns dem entscheidenden
Augenblicke näherten, vertheilte sich der Nebel und um
6 Uhr Nachmittags begann die Sonne die Umgebung weit
herum zu beleuchten. Eine halbe Stunde später hatten
„Vega” und „Lena’” Anker geworfen, die schwedischen und
norwegischen dreifarbigen Flaggen wehten stolz vom Top der
Fahrzeuge hernieder und „Vega’” gab durch fünf Kanonen-
schüsse die Ankunft der schwedischen Expedition am Kap
Tscheljuskin kund, welches, so weit bekannt, zum ersten
und letzten Mal im Mai 1742 von Menschenfüssen betreten
ward. Ich weiss nicht, welche Gedanken meine Kamera-
den in diesem für uns feierlichen Moment durchzuckten,
aber noch wird mir eigenthümlich zu Muthe, wenn ich
mich drei Jahre zurückversetze in die Zeit, als ich am
19. August 1875, in Gesellschaft Nordenskiöld’s in unserem
kleinen gebrechlichen Fahrzeuge längs der Westküste des
Taimyr-Landes den Jenissei-Fluss hinauffuhr. Wohl dach-
ten wir damals an unsere Theuren im Heimathlande, an
den langen Weg, welchen wir noch zurückzulegen hat-
ten, und an die ungewissen Gefahren, welche uns mög-
licherweise auf den Wogen des Jenissei begegnen konnten,
aber sicherlich träumte keinem von uns, dass wir drei
Jahre später die nördlichste Spitze der Alten Welt betre-
ten und in wesentlicherer Weise zur Lösung der Frage
beitragen würden, die unter der Benennung „Auffinden der
Nordost-Passage” bekannt ist und die seit drei Jahrhunder-
ten, stets ohne das beabsichtigte Resultat, so viel persön-
lichen Muth wie pecuniäre Opfer gefordert hat.
Schon bevor wir Anker geworfen hatten, gewahrten wir
einen grossen und prächtigen Eisbären, welcher am Strande
spazierte und dann und wann stille stand und unserem
Fahrzeuge einen neugierigen Blick zuwarf. Sein Fell war
bereits als Geschenk für den König bestimmt, aber er
muss durch das Gerassel der Ketten und den Kanonen-
donner verscheucht worden sein, denn als Brusewitz etwas
später, in der Absicht, ihm das Leben zu nehmen, ans
Land ging, war er nicht mehr zu sehen. Er wird es ver-
muthlich vorgezogen haben, sein freudenloses Leben noch
einige Zeit zu geniessen, als so ganz unvermuthet dem
Rachen des Todes zu verfallen.
Einige Boote wurden sofort herabgelassen, und so Viele,
wie vernünftigerweise konnten, sputeten sich ans Land zu
kommen, um auf die beste Weise die kurzen Minuten aus-
Die Fahrt der „Vega” um die Nordspitze von Asien. 23
zunutzen. Vor der Hand wusste ja Niemand, wie lange
wir hier bleiben konnten; es rüstete sich daher Jeder so
gut und so zweckmässig wie möglich aus. Einige Ruder-
schläge — und dann sah man auf der Landzunge eine
zahlreiche Gesellschaft mit den verschiedegartigsten Arbei-
ten beschäftigt. Hier war Einer mit einem Quecksilber-
Horizont und Sextanten beschäftigt, die geographische Lage
der Landspitze genau zu bestimmen, dort ein Anderer, sein
Inclinstorium aufzustellen, um die Inclination, Declination
und Intensität zu erforschen; hier sah man Jemanden mit
Meissel und Hammer in der Hand fleissig aus Steinen Stücke
herausbrechen und meisseln, dort einen Anderen mit einem
gewaltigen Porteur auf dem Rücken Alles nehmend, was
an phanerogamen Pflanzen zu nehmen war; hier ging Je-
mand mit einem halben Dutzend spritgefüllter Flaschen
vorsichtig die Steine wendend und nach Staphilinen &oe.
spähend, dort am Strande ein Anderer mit der Büchse in
der Hand, um einige Sandläufer oder Strandvige zu er-
legen, und dort hinten auf einem aufgethürmten Eisblock
sah man endlich Einen mit gierigen Blicken nach dem
fortgelaufenen Bären umherspähen. Und gleichzeitig be-
sorgte ein Theil der Mannschaft die Aufziehungen aus der
See, um möglichst die Algologen oder Zoologen bei ihrer
Rückkehr mit dem einen oder anderen guten Fund zu
überraschen.
Am Strande an der Ostseite des Taimyr-Landes, sahen
wir vom Fahrzeuge aus die Hütte, welche Prontschisch-
tschew am 26. August 1736 auf seiner Fahrt gen Norden
besuchte, und von welcher er vermuthete, dass sie von
russischen Robbenfängern bewohnt war, weil er bei sei-
nem Besuch dort frisches Brod und einige Hunde vorfand.
Diese Hütte wird von Prontschischtschew nach dem 74° 48’
N. Br. verlegt, aber sie befindet sich nach unseren Sonnen-
Obseryationen etwas nördlicher. Sie ist einst die nörd-
lichste Sommerstation an der Ostküste des Taimyr-Landes
gewesen; jetzt ist sie gänzlich bedeutungslos.
Am 23. August Abends passirten wir einen Eisberg,
welcher sich wenigstens 30 Fuss über die Oberfläche des
Meeres erhob. Dass der Eisberg auf dem Meeresgrund
stand, ging daraus hervor, dass nahe dabei nur 9 Faden
Tiefe war.
Am folgenden Tage hatten wir fast eisfreie See. Der
Nebel vertheilte sich, die Sonne drang durch, und gegen
Abend gingen wir bei der Preobraschenski-Insel, welche in
der Mündung der Chatanga-Bucht unter 74° 40' N. Br. und
113° Östl. L. v. Gr. belegen ist, vor Anker. Die Insel
steigt an der nordöstlichen Seite jäh bis zu einer Höhe
von 300 Fuss aus dem Meere empor und zeigt dort ihre
wagerechten, unberührten Lager von abwechselnd harten
und losen grauen Kalk- und Sandsteinschichten. Wir be-
finden uns jetzt vor der Lena-Mündung und werden, das
günstige Wetter benutzend, unverzüglich unsere Fahrt nach
der Bering-Strasse fortsetzen. Erst auf einer der neu-
sibirischen Inseln, welche nordöstlich von hier liegen, ge-
denken wir längere Zeit zu verweilen, um die reichen Mam-
muth-Überreste aufzusuchen, welche sich dort vorfinden
sollen.
Ich verspreohe vom ersten Hafenplatz, den wir anlau-
fen (wahrscheinlich irgendwo südlich oder südöstlich von
Kamtschatka) Ihnen weitere Berichte über unsere Expedi-
tion zu senden. Wenn Alles der Berechnung gemäss ab-
läuft, dürften wir uns in zwei oder drei Monaten in Japan
befinden.
IIND GE SG LEG GIG N DL. IN GL LT IGGL LCD
Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt.
Zur Orientirung in der afghanischen Frage.
Von F. v. Stein.
(Fortsetzung !).)
Die Gegend am Hamun-Sumpf hat im Sommer eine -
erdrückende Hitze, die durch den Wüstensand noch ge-
steigert wird. Eben so heiss ist der südöstliche Theil
Afghanistans, wie denn die an dem südlichsten Theile der
Biegung des Hilmend belegene Landschaft Garmsir par
1) Den Anfang siehe im Jahrgang 1878, 8. 466; die zugehörige
Karte ebenda Tafel 25.
excellence „das heisse Land” genannt wird. Das Kabul-
Thal hat ein kühleres, gutes und äusserst regelmässiges
Klima, so dass sich die vier Jahreszeiten der gemässigten
Zone in regelmässiger Wiederkehr und gleicher Dauer von
je drei Monaten kennzeichnen. Der Winter, der daselbst
im Anfange des December einzutreten pflegt, ist zwar nicht
sehr kalt, bringt aber oft so viel Schnee, dass die Strassen der
Stadt Kabul förmlich verschüttet sind und der Verkehr
24 Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt.
stockt. Auch von der Umgegend von Herat behauptet
Kapitän Marsh, dass daselbst im Winter alle Flüsse zu-
frieren. Eben so haben das hoch gelegene Ghasni und das
Land der Hesare und Aimak einen nicht gerade heissen
Sommer und einen anhaltenden Winter mit Eis und Schnee,
Die Alpen-Gegend des Hindukusch ist gleichfalls rauh und
kalt, nur die Thäler sind wärmer. Die Provinzen im Nor-
den des Hindukusch haben je nach ihrer Lage auch ein
verschiedenes Klima. Das hohe Badachschan ist rauh, die
niedriger gelegenen Provinzen Kundus und Balch sind warm.
Die Niederschläge sind im Allgemeinen gering und betra-
gen nicht volle 127 cm im Jahre. Periodische Regen hat
Afghanistan nicht, da der Monsun die Ostgrenze kaum
erreicht.
Der Bodengestaltung und dem Klima angemessen sind
auch die Producte, die sich eben so mannigfaltig wie jene
erweisen. Obgleich in den höheren Thälern auf dem Süd-
abhange des Hindukusch noch Getreide und die Bäume der
gemässigten Zone, ja sogar noch die Reben gedeihen, und
der Baumwuchs erst auf den höheren Staffeln des Gebirges
dürftig wird, ist der Ackerbau daselbst doch nicht die vor-
herrschende Beschäftigung. Die an herrlichen Weideplätzen
reichen Bergeshänge begünstigen aber die Viehzucht und
die Alpen-Wirthschaft, so dass die Heerden, namentlich
Rinder und Schafe, und die von ihnen gewonnenen Pro-
ducte den Hauptreichthum der Bewohner ausmachen. Pferde,
Esel und Maulthiere sind seltener, und am Swat gedeihen
auch die Schafe nicht mehr. Ähnlich sind die Verhältnisse
auf dem Nordabhange des Hindukusch. Die tieferen Thäler
des Südabfalls mit dem herrlichen Klima der Vorberge in
der Nähe des Kabul-Flusses erzeugen in Fülle herrliche Pro-
ducte einer südlicheren Zone: Mais, Reis, Zuckerrohr, Baum-
wolle, Feigen-, Aprikosen-, Pfirsich-, Quitten-, Äpfel-, Bir-
nen-, Granatäpfel-, Mandel-, Maulbeer- und Wallnuss-Bäume
und ganz vorzügliche Trauben. Weiter im Innern wird
in der Nähe der Flussläufe, besonders am Hilmend und
Argandab, fleissig Obst-, Gemüse- und Getreidebau getrie-
ben und unter Zuhülfenahme der Überrieselung reicher
Ertrag an Baum- und Hülsenfrüchten aller Art, an Mais,
Weizen und Gerste gewonnen. Die Gegend um Herat wird
ihrer Fruchtbarkeit wegen die Kornkammer Central-Asiens
genannt. Früchte, frisch und getrocknet, sind denn auch
mit den aus dem Getreide- und Gemüsebau gewonnenen
Producten die hauptsächlichsten Ernährungs- und Ausfuhr-
Artikel. Von anderen Nutzpflanzen gedeiht die, welche
die Asa foetida liefert, wild bei Herat und Farah, wo die
nomadisirenden Eingeborenen den erhärteten Saft der Wur-
zel einsammeln. Krapp wird bei Ghasni und Kandahar
gebaut. Bei Herat hat auch die Rosenzucht behufs Ge-
winnung des Rosenwassers einige Bedeutung. Allerdings
ist in diesen Strichen die Weide für Rindvieh nicht geeig-
net, dafür aber um so besser für Pferde, Kameele, Ziegen
und Schafe (mit Fettschwänzen). Die Pferde aus dem ei-
gentlichen Afghanistan, die auch in Britisch-Indien bekann-
ten und viel benutzten Yabus, sind nicht gerade schön,
denn sie sind klein und unansehnlich, dafür sind sie aber
starkknochig, ausdauernd und vortrefflich zum Lasttragen
auf steilen Gebirgspfaden geeignet. Sehr schön und gut
sind jedoch die Pferde aus der Umgegend von Herat, wo
auf ihre Zucht viel Sorgfalt verwendet wird. Die vortreff-
lichsten Pferde, die den arabischen an Schönheit und
Leistungsvermögen gleichkommen, werden in den Provinzen
Balch und Kundus gezüchtet und bilden einen der haupt-
sächlichsten Export-Artikel.e Berühmt ist der Pferdemarkt
in Maimene, auf welchem diese edelen Thiere zum Verkauf
kommen. Fast alle Pferde der britischen Cavallerie in In-
dien stammen aus diesen Provinzen. Kameele sind sehr
zahlreich; sie gehören zur zweihöckrigen Art und sind
unter dem Namen „Baktrische Kameele” weit und breit
bekannt. Auch an wilden Thieren ist das Land reich. In
den Waldungen der Gebirge Kabulistans hausen Leoparden,
Hyänen, schwarze und braune Bären und Wölfe, in den
Wäldern des Innern Hyänen, Wölfe, Schakale und Füchse.
Im Suliman-Gebirge kommen auch wilde Schafe und Ziegen
vor. Rothwild und verschiedene Antilopen-Arten durch-
schweifen alle nicht zu hohen Gebirge, Eichhörnchen nisten
in den Wäldern; in den niedrigeren Dickichten tummeln
sich Wildschweine und Hasen und sind auch Rebhühner
nicht selten, während wilde Gänse und Enten, Wasser-
hühner, Pelikane, Reiher und Kraniche die Flüsse um-
schwärmen. An Metallen und Mineralien ist Afghanistan
nicht reich; wenigstens sind die Schätze, die es vielleicht
in seinem Schoosse bergen mag, noch nicht gehoben. Etwas
Gold wird in den Minen bei Kandahar, Silber in denen
am Chawk-Passe, Blei im Lande der Hesare durch ein
Verfahren der primitivsten Art erbeutet. Steinsalz liefert
das Salzgebirge in Menge und wird auch aus der die Step-
pen und Wüsten bedeckenden Salzkruste gewonnen, Lapis-
lazuli liefert die Grube an der Kokscha, Rubinen findet
man bei Dscherm, Marmor in der Nähe von Meidan, Eisen
und Antimonium im Gorband-Thale, letzteres jedoch auch
bei Kandahar.
Der Handel ist jetzt nur insofern von höherer Be-
deutung, als er Britisch-Indien betrifft. Die Hauptausfuhr-
artikel sind Pferde und Rohstoffe, von letzteren namentlich
Getreide, Früchte, Wolle, Seide &. Von Indien werden
Zucker, Thee, Baumwolle und andere Manufacturwaaren
eingeführt.
Die adminıstrative Eintheilung des Landes südlich vom
Hindukusch rührt von Dost- Mohammed her, der die ver»
Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt. 25
schiedenen Stämme fester zu einem einheitlichen Ganzen
verband und dieses unter gewisser Berücksichtigung der
historischen Entwickelung und der ethnographischen, klima-
tischen und orographischen Eigenthümlichkeiten in die Pro-
vinzen Kabulistan im Nord-Osten, Herat im Westen und
Kandahar (das alte Arachosia) im Osten eintheilte. In der
ersten liegt die Hauptstadt des ganzen Reiches mit dem
Sitze der Landes-Regierung, in den anderen beiden pflegt
der Emir seine nächsten Angehörigen als Gouverneure ein-
zusetzen. Die nördlich vom Hindukusch und von dessen
westlichen Fortsetzungen belegenen Provinzen werden als
erobertes Land betrachtet. Sie bilden die vier Verwal-
tungsbezirke Badachschan, Chulum, Balch und Andchui,
von denen jeder seinen Gouverneur und Truppenbefehlshaber
hat, die beide direkt vom Emir ernannt werden. Dem Gou-
verneur von Balch sind die drei anderen Gouverneure
untergeordnet, so dass er die Stelle eines General-Gouver-
neurs einnimmt,
An Städten ist Afghanistan nicht gerade reich. Die
Hauptstadt ist Kabul, das Cabura, nach Anderen das Ortos-
pana der Alten, dasselbe liegt 6000 Fuss hoch in einer
dreieckigen Ebene, die nach Westen hin von nackten, die
Stadt beherrschenden Felshügeln eingeschlossen ist, welche
neben dem Durchbruch des Kabul nur einen engen Raum
für die Strasse nach Ghasni freilassen. Überdiess ist dieser
einzige Zugang noch durch eine mit runden Thürmen ver-
sehene Mauer geschlossen, welche bei der im Südosten der
Stadt, auf der Spitze eines Felsenvorsprunges, belegenen
befestigten Residenz des Emirs Schir Ali, dem Fort Bala-
Hissar, beginnt, auf dem Rücken der Felshügel fortläuft,
den Pass schliesst, sich jenseit desselben noch eine Strecke
längs der Hügel fortsetzt und so die Stadt nach Westen
ganz abschliesst. Von Osten nach Westen ist die Stadt
eine Meile, von Norden nach Süden eine halbe Meile auage-
dehnt und von einem hohen aber nicht starken Erdwalle
ohne Graben umgeben; sie besitzt zwei geräumige Bazare,
aber die Strassen sind eng und krumm, von hohen Häu-
sern aus Lehmziegeln mit glatten Dächern eingefasst und
bilden Stadttheile, die durch Mauern abgesperrt sind und
nur durch enge Thore zusammenhängen. Es bedingt diese
Einrichtung das düstere Aussehen der ohnehin stark herab-
gekommenen Stadt, in der noch mehr Schmutz herrschen
soll, als diess sonst in den Städten des Orients der Fall ist.
Durch ein Erdbeben am 14. October 1874 wurden gegen
1000 Häuser zerstört, wodurch die Stadt ein noch arm-
seligeres Aussehen erhalten hat. Das einzige einigermaassen
hervorragende Gebäude ist ein zweiter Palast des Emirs,
der mit den Gärten und einem Bazar zwischen dem Fort
Bala-Hissar und der Stadt auf einem Abhange liegt. Ober-
halb des Forts befindet sich die Citadelle. Der Kabul, der
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft I.
durch den nordwestlichen Theil der Stadt fliesst, ist im
Spätsommer und Herbst. nur ein Bach, schwillt jedoch zu
Zeiten so stark an, dass er die Wälle der Stadt bedroht.
Die Zahl der Einwohner beträgt ca 60000. Nach Osten
ist die Gegend um Kabul offener und schliesst sich an das
Thal, durch welches die Strasse nach dem 193 Meilen ent-
fernten Pischäwar führt, das weiter oben durch ein Quer-
joch mit dem engen, bereits beschriebenen Churd-Kabul-
Pass geschlossen wird. Im Westen von Kabul, aber durch
die dasselbe umgebenden Felsrücken getrennt, liegt eine
8 Meilen breite und 10 Meilen lange Ebene, die auf allen
Seiten von amphitheatralisch ansteigenden Höhen umgeben
ist, über deren Gipfeln immer höher ansteigende Berge,
zuletzt die Eiskuppen des Hindukusch sichtbar werden.
Diese von vielen Bächen reich bewässerte reizende Ebene
ist überaus fruchtbar. Herrliche Pappeln und Weiden um-
geben iippige Wiesen und Getreidefelder, und am schattigen
Ufer des Kabul erheben sich überall die befestigten Häuser
der vornehmen Afghanen und Dörfer.
Von Kabul 366 Meilen entfernt liegt Kandahar, die
zweitgrösste Stadt, die jedoch nur noch ein Schatten von
dem ist, was sie früher war. Sie liegt 3500 Fuss über
dem Meeresspiegel in einer Ausweitung des Tarnak-Thales,
ist aber durch eine kurze Hügelkette, die Torkanna-Hügel,
vom Flusse geschieden, so dass die Stadt ihr Wasser durch
Kanäle aus dem Argandab herbeileiten muss, Kandahar
bildet ein Viereck, und aus dem in der Mitte belegenen
Bazar führen vier Hauptstrassen nach den Thoren in den
vier Seiten der duroh eine Mauer gebildeten Umschliessung
des Ganzen. Die mit Brustwehren und Schiessscharten ver-
sehene Mauer hat einen Graben und wird von 54 Halb-
thürmen flankirt, die auch Geschütz aufnehmen können.
Die Citadelle an der Nordseite der Stadt liegt wie der
Palast in Trümmern, aber ein grosses Bastion deckt die
Südfront, und je 4 Thürme vertheidigen die West- und
Ostseite. Die Häuser der Stadt bestehen meist aus
Lehm, seltener aus Steinen, sind gewöhnlich zweistöckig,
von Mauern umschlossen und durch Gärten getrennt. Die
Ruinen der alten Stadt auf der Stelle des von Alexander
dem Grossen erbauten Archotischen Alexandria sind 5 Mei-
len entfernt und bedecken einen Raum von ca 2 Meilen.
Die Einwohnerzahl wird verschieden angegeben, indem
Einige sich mit 15000 begnügen, Anderen aber 60—80 000
nicht zu viel sind. Ersteres scheint wohl richtiger zu sein,
denn die Stadt muss öde genug sein, da der fünfte Theil
ihrer 5000 Häuser leer steht. Im Mai 1874 stürzte ein
Theil des Stadtwalles ein, wodurch 400 Häuser zerstört
und viele Menschen getödtet wurden. Kandahar ist reich
an Denkmalen seiner Blüthezeit und auch jetzt noch für
den Handel einer der wichtigsten Plätze Afghanistans, da
4
26 Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt.
es auf dem Knotenpunkte der aus Indien nach verschie-
denen Richtungen führenden Karawanenstrassen liegt. Die
nächste Umgebung Kandahars ist reich durch Kanäle be-
wässert und fruchtbar, doch schon 3 oder 4 Meilen von
der Stadt beginnt eine steinige, baumarme und dürre Fläche
mit Steppencharakter, die sich nach Süden erstreckt und
an die Belutschi-Wüste anschliesst.
Die Stadt Herat, das Aria der Alten, ist 219 Meilen von
Kabul und 329 Meilen von Kandahar entfernt und liegt
im fruchtbaren Thale des Heri-Rud, der ihr seine Wasser
durch Kanäle zusendet. Auch diese Stadt ist ein von Erd-
wällen und Wassergräben umgebenes längliches Viereck,
zu dem fünf stark befestigte Thore führen. Die Haupt-
strasse, die von Norden nach Süden führt, ist die Haupt-
ader des Verkehrs; in ihr liegen die Bazare und die Kara-
wansereien. Der übrige Theil der Stadt besteht aus engen,
schmutzigen Strassen mit schmalen, hohen, ziemlich arm-
seligen Häusern; die prächtigen Bauwerke aus der Blüthe-
zeit liegen in Trümmern, oder sind spurlos verschwunden.
Durch seine Lage am Endpunkte langer, nach Osten sich
erstreckender Gebirgszüge und am nordöstlichen Rande der
Wüsten Persiens ist Herat von jeher das viel umstrittene
Thor Indiens und der beständige Zankapfel zwischen Per-
sien und Afghanistan gewesen, 50 Mal belagert und oft
zerstört worden. Daher ist es denn auch kein Wunder,
dass es eigentlich nur noch eine Ruinenstadt ist. Als
Durchgangspunkt für den Handel Indiens mit Persien und
Europa ist es auch jetzt noch von hoher Bedeutung, denn
hier ist der Knotenpunkt der strategisch und commerciell
bedeutendsten Strassen; von hier geht es ohne grosse Hin-
dernisse nach der Oase Merw, die wieder das Thor zu Herat
ist, von wo aus der Weg über Kandahar und Ghasni nach
Kabul keine unüberwindlichen Schwierigkeiten mehr bietet,
da der Tscherade-Pass zwar 7000 Fuss hoch, aber sehr
leicht zugänglich ist. So wichtig erschien dieser Punkt den
Engländern, dass sie 1837, als der persische Schah Mo-
hammed zur Eroberung Herats auszog, durch eine Demon-
stration intervenirten und 1856 sogar einen Krieg mit
Persien führten, um dieses an der Annexion Herats zu
verhindern. Herat ist auch der industriellste Ort Afgha-
nistans. Berühmt ist es durch seine Schwertklingen, doch
fabricirt es auch Baumwollenzeuge, Teppiche, Tuche u. dgl.
Der Rosenkultur behufs Herstellung des Rosenwassers ist
bereits gedacht worden.
Nordöstlich von Kandahar, 232 Meilen von diesem und
86 Meilen von Kabul entfernt, liegt Ghasni, gleichfalls eine
entthronte Herrscherin im Wunderlande des Orients, in
welchem die Geschicke der Völker in kaleidoskopisch-buntem
Wechsel sich bewegen. Diese nun verödete Residenz der
ersten mohammedanischen Dynastie, die in Indien regierte,
der Ghasnawiden, deren Herrschaft in ihrer Blüthezeit
(1030) sich bis nach Bagdad und Georgien im Westen,
bis Buchara im Norden und bis nach Delhi und den Indus-
mündungen im Osten und Süden erstreckte, liegt in 7730 F,
Meereshöhe auf dem Tafellande, welches von den vom
Unai-Passe ausgehenden, nach Südwesten streichenden Ge-
birgszügen gebildet wird, am oberen Laufe des in den See
Ab-Istada mündenden Ghasni-Flusses. Die starken Festungs-
werke wurden von den Engländern, die es 1839 in Sturm
genommen, bei der zweiten Einnahme im Jahre 1842 ge-
schleift, scheinen jetzt aber erneuert zu sein, denn es
wird von einer die Stadt umgebenden Mauer und einer
Citadelle berichtet. Auch seine Bedeutung als Stapelplatz
für die aus Indien nach Persien gehenden Waaren hat es
verloren, seitdem der Verkehr durch den Kuram-Pass über
Kabul geht, so dass die Annahme von 3000 Einwohnern
wahrscheinlich nicht unter der Wirklichkeit bleibt, obgleich
Andere dem Orte 10000 Bewohner zuerkennen. Zu mer-
ken ist noch, dass bier 1868 die Schlacht Statt fand, in
welcher Schir Ali seinen Bruder besiegte und sich die
Herrschaft in Afghanistan sicherte,
Von den kleineren Orten im eigentlichen Afgbanistan
wäre zunächst das am Kabul belegene, 87 Meilen von
Pischäwar entfernte Dschellälabad zu nennen. Es ist eine
kleine, schmutzige Stadt, aber wichtig als Durchgangspunkt
für die durch den Cheiber-Pass gehenden indischen Waaren
und als Mittelpunkt der fruchtbaren Ebene im Kabul-Thale.
Interessant sind auch die in der Nähe befindlichen uralten
Gräber, die von den Eingeborenen als Gräber Lamech’s,
Lot’s und anderer Patriarchen des Pentateuch bezeichnet,
von Masson aber einfach für muselmännische Grabstätten
gehalten werden, und viele andere Grabhügel. Hier findet
man auch ganze Gruppen von Dägoban oder Topen, glocken-
förmige Massivbauten, die wahrscheinlich zur Aufbewah-
rung buddhistischer Reliquien errichtet worden sind. Be-
sonders zahlreich sind diese Alterthümer in der Beghram
genannten Gegend, 1'/,; oder 2 Meilen westlich von Dschel-
lälabad, wo alte Münzen aus der Zeit Alexander’s des Grossen
bis auf die mohammedanische Herrschaft gefunden worden
sind. Die gleichfalls Beghram benannte Ebene am Einfluss
des Flusses Kohdam in den Pandschir enthält die Ruinen
einer grossen Stadt, aus welchen eine zahllose Menge alter
Münzen und andere Dinge gegraben sind, und die Masson
für das alte Alexandria ad Caucasum hält. Mohammed-Asım
am Kuram ist ein starkes Fort, das mit anderen kleineren
Forts die wichtigste Strasse von der britischen Grenzstadt
Thall durch das Kuram-Thal vertheidigt. Bamijan, 8500 F.
hoch, am gleichnamigen Passe zwischen hohen Felswänden
gelegen, war einst ein zahlreich besuchter buddhistischer
Wallfahrtsort, in dessen Nähe sich noch drei kolossale
Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt.
Götzenbilder befinden, die, obgleich durch die Mohamme-
daner Timur’s und Nadir Schach’s arg verstümmelt, doch
noch als buddhistische Götzen zu erkennen sind. Die Fels-
wände des Thales sind von so zahlreichen Höhlen durch-
löchert, dass dieselben nach Burnes das Aussehen einer
Honigwabe erhalten. Wahrscheinlich haben diese aus der
Troglodytenzeit stammenden Höhlen den herbeigeströmten
Pagern und Asceten als Wohnung 'gedient. Des Forts
Ali Musdschid ist bereits gedacht worden. Von den grös-
seren Städten der im Norden des Hindukusch belegenen
Provinzen ist besonders Balch, das alte Bactra oder Bactria,
die einstige Hauptstadt Bactriana’s, zu erwähnen. Von der
Herrlichkeit des alten Bactra’s ist keine Spur mehr vor-
handen; denn Dschingis-Chan’s Horden zerstörten es 1220
bis auf den Grund, und die Trümmer bedecken einen
mehrere Meilen weiten Plan. Zur Zeit seiner Zerstörung
soll es noch 11000 Moscheen gehabt haben, und auch
Marco-Polo, der es 1271 sah, fand noch Spuren seiner
einstigen Pracht. Wenn auch die Ansicht der Asiaten,
welche Balch für die älteste Stadt der Welt halten, be-
zweifelt werden mag, so ist es doch eine uralte Stadt, von
der nach Heeren’s Annahme die jetzige europäische Civili-
sation ausgegangen sein soll. Berühmt ist sie als Geburts-
ort Zoroasters, oder doch wenigstens als Wiege seiner
Lebre. Zur Zeit der Blüthe des Buddhismus war Balch
ein Mittelpunkt buddhistischer Heiligkeit und Gelehrsamkeit.
Jetzt weht der alles Leben ertödtende Sand der Turk-
menen-Wüste immer näher heran, und nur durch Zerthei-
lung der Arme des vorüberfliessenden Balch-Flusses wird
noch einige Ertragsfähigkeit des Bodens erhalten. Die in
diesen Theilen belegenen Städte Faisabad, Hauptort von
Badachschan, Kundus und Chulum sind nur in so fern von
Bedeutung, als die Karawanen-Strassen durch die Pässe des
Hindukusch über sie führen. Eine Abzweigung dieser
Strassen führt über Andchui, das gleichfalls als Karawanen-
“ Station wichtig ist. Auch soll hier Alexander der Grosse
328—327 sein Winterquartier gehabt haben. Dsherm ist
noch wegen seinen Rubinen-Gruben, Maimene wegen seines
berühmten Pferdemarktes zu nennen.
Wir kommen endlich zu den Bewohnern des beschrie-
benen Landes. Man nennt sie mit dem Collectivnamen
Afghanen, doch gebührt derselbe nur zwei Dritteln der
südlich vom Hindukusch, oder — genauer bezeichnet —
eine Linie von Herat nach Kabul, lebenden Bevölkerung,
da diese Gegend auch noch von Tadschiks, Belutschen und
Indiern bewohnt wird. Nördlich von jener Linie sind fast
nur Tadschiks und Usbeken anzutreffen.
Die eigentlichen Afghanen bewohnen das Gebiet, das
vom Hindukusch im Norden bis zu dem von der Lora
27
durchströmten Pischin-Thale im Süden, vom Hilmend im
Westen bis zum Meridian von Attok im Osten reicht.
Wie die meisten von den heutigen Centren der Civili-
sation fern lebenden Völker wissen die Afghanen selbst
nichts von dem Namen, unter welchem sie der europäischen
Welt bekannt sind. Sie nennen sich selbst Paschtun oder
(wie es im Osten gesprochen wird) Pachtun, in der Mehr-
‚heit Pachtanah., In diesem letzteren Wort hat man den
Namen Paktyes, mit welchem Herodot eine im Perserheere
auftretende Völkerschaft benennt, wieder erkannt, und aus
demselben scheint denn auch der Name „Afghanen” her-
vorgegangen zu sein. Eine bessere etymologische Erklä-
rung desselben ist wenigstens bisher nicht gegeben worden,
denn die auf afghanischen Quellen beruhende Ansicht, nach
welcher der Enkel des Königs Saul, Afghan oder Afghanah
genannt, der Stammvater und Begründer des Namens un-
serer Afghanen gewesen sein soll, diesen also eine semitische
Abstammung vindicirt wird, ist entschieden unbegründet,
obgleich namhafte Autoritäten unter den Engländern, so
auch Dr. Bellew annehmen zu können glaubten, dass die
Afghanen von den in die babylonische Gefangenschaft ge-
führten Juden herstammten, von dergn weiterem Verbleib
allerdings die Geschichte nichts zu berichten weiss. Dass
die Sprache der Afghanen, die Paschtu genannt wird, nicht
semitischen Ursprungs ist, unterliegt keinem Zweifel mehr,
Auch der lange geführte Streit über ihre iranische oder
indische Abstammung ist durch Professor Trumpp !)’ ge-
schlichtet, der bewiesen hat, dass sie vorzugsweise indisches
Gepräge hat, wenngleich auch in grammatischer sowohl, wie
in lexikalischer Hinsicht sehr viel Iranisches darin enthalten
ist, so dass sie als ein besonders gearteter Zweig der in-
dischen Sprachgruppe erscheint. Wenn Mohammed das
Paschtu als die „Sprache der Hölle” charakterisirt, so ist
diess zwar hart, aber nicht ganz unrichtig geurtheilt, denn
die Sprache der Afghanen ist — übrigens wie die aller
Hochgebirgs-Bewohner — äusserst rauh und hart.
Aber nicht nur die Sprache, sondern auch ihre physi-
schen Merkmale kennzeichnen die Afghanen als ein Glied
des arischen Menschenstammes, und zwar als eines seiner
schönsten und kräftigsten Glieder. Sie sind im Allgemeinen
von grossem, schlankem Wuchse, doch ist der Hals oft
kürzer als diesem Wuchse angemessen wäre, so dass der
Kopf tief in den Schultern zu sitzen scheint. Charakte-
ristisch ist ein lang gezogenes Gesicht mit grossen, dunklen
und glänzenden Augen, deren lange und horizontale Augen-
!) Prof. Trumpp in München war früher Missionar und hat sich
lange in Britisch-Indien aufgehalten. Seine Darstellung in den vor-
trefflichen von der „Augsburger Allgemeinen Zeitung” veröffentlichten
Artikeln folgen wir vorzugsweise bei unseren ethnographischen Schil-
derungen.
4*
23 Geographischer Monatsbericht.
spalte jedoch nicht so weit wie bei den Iraniern geöffnet
ist. Die Züge sind oft scharf, namentlich ist die Nase
meist lang, aber vorn nicht spitz, sondern etwas abge-
plattet. Die Unterlippe ist häufig etwas dicker, als strenge
Regelmässigkeit gestatten würde. Die Haare und starken
Bärte sind gewöhnlich schwarz, die Hände, besonders die
Finger lang. Die Haut hat einen sammetartigen, matten
Glanz und schimmert — was namentlich im Süden bäu-
figer vorkommt — etwas ins Olivenbraune.
Solchen körperlichen Vorzügen entsprechen auch die
geistigen Anlagen. Die Afghanen sind ein aufgewecktes,
wissbegieriges Volk, das sich gern über Dinge ausserhalb
der Grenzen seines engen Lebens unterrichtet. Es ist
durchaus nicht richtig, wenn sie als ein in orientalische
Unwissenheit und Indolenz versunkenes Geschlecht ge-
schildert werden. Fast in jedem Dorfe oder Lager be-
findet sich ein Mullah, der Schulmeister und zugleich Vor-
beter in der Kirche ist und die Knaben lesen, schreiben
und die üblichen Gebete lehrt, so dass vielleicht der vierte
Theil der Bevölkerung über diese Elementarkenntnisse ge-
bietet. Der Unterricht wird in afghanischer Sprache er-
theilt, doch lernen sie auch Persisch, welches überhaupt
!
|
die Schriftsprache in Kabul, Kandahar und Pischäwar auch
die Umgangssprache der höheren Klassen ist und im Westen
fast ausschliesslich gesprochen wird. Die Schulen der
Städte sind sehr gut, und in denselben gehört das Persische
und Arabische zu den gewöhnlichen Unterrichtsgegenständen.
Die höhere Sohule in Pischäwar, deren Cursus den ganzen
Kreis der mobammedanischen Wissenschaften umfasste, war
sogar in ganz Central-Asien berühmt. Alle Afghanen sind
Bekenner der Lehren der Sunna und theilen den religiösen
Fanatismus mit allen ihren mohammedanischen Glaubens-
genossen. Nur die gebildeten Classen sind tolerant, neigen
zum Sufismus und zeigen sich oft ziemlich indifferent hin-
sichtlich der Lehren des Korans.
Im Charakter zeigt der Afghane etwas Einfaches, Offenes
und Männliches. Er ist gleichweit entfernt von der de-
mäthigen Unterwürfigkeit des Hindu, wie von dem anmass-
lichen Dünkel, den die in der Abgeschiedenheit lebenden
Völker von entschieden kriegerischer Anlage nur zu leicht an-
nehmen, Stolz auf seine individuelle Freiheit und die seines
Stammes ist jedem Afghanen eigen und begleitet ihn durchs
ganze Leben. (Schluss folgt.)
Geographischer Monatsbericht.
Europa.
Vom österreichischen Generalstab ist auf einer Karte
des mittleren und westlichen Europa „Die territoriale Aus-
dehnung und die Intensität der Kämpfe Österreichs in den
Kriegen seit dem Jahre 1495” !) zur Darstellung gebracht
worden, ein merkwürdiges Blatt, das durch rothe Farben-
töne gleichsam die Dichtigkeit der österreichischen Gefechts-
zonen und Schlachten ausdrückt, und eine charakteristische
Ulustration zu den gerühmten civilisirten Zuständen Eu-
ropa’s abgiebt. Von 1495 bis 1601 währte der Kampf
fast ununterbrochen, von letzterem Jahre bis zur Gegen-
wart aber sind nur 116 Friedens-, gegen 160 Kriegsjahre
zu zählen, die verschiedenen kriegerischen Affairen er-
reichten innerhalb 375 Jahren die Summe von 6839 und
die nachweisbaren, weit hinter der Wirklichkeit zurück-
bleibenden Verluste der Österreicher beziffern sich auf
261 Generale, 17096 Officiere und 1068574 Manı, wie in
der beigegebenen historisch-statistischen Legende zu lesen ist.
Das statistische Bureau des kaiserl. Oberpräsidiums zu
Strassburg giebt eine „Statistische Beschreibung von Elsass-
Lothringen” heraus von der uns die erste Abtheilung vor-
liegt?2). Wir finden darin zunächst die gesetzlichen Be-
stimmungen über Grenzen und politische Eintheilung mit
——
!) Wien, in Commission bei ©. J. Wawra.
2) Strassburg, Fr. Bull, 1878.
|
einer Tabelle der Areale für Kreise und Cantone, sodann
als umfangreichsten Abschnitt die geologische Beschreibung
des Reichslandes, verfasst von Prof. Dr. Benecke, und ein
inhaltreiches Kapitel über die Flüsse, von den Ingenieuren
Klimm und Fecht, woran sich eine Charakteristik der kli-
matischen Verhältnisse, hauptsächlich nach Ch. Grad, an-
schliesst. Die Bevölkerungsstatistik, die den Rest des Ban-
des füllt, wird auch in die zweite Abtheilung übergreifen,
welche ausserdem die wirthschaftlichen Verhältnisse, die
Kulturstatistik, die Statistik des Communalwesens und der
Staatsverwaltung zur Darstellung‘ bringen soll. In dem
bis jetzt vorliegenden Theil der Bevölkerungsstatistik wird
u. A. eine Schätzung der Sprachverhältnisse der Bevölkerung
versucht, und zwar mit folgendem Ergebniss. Von der
Civilbevölkerung, die nach der Zählung von 1875 1499 020
Seelen beträgt, gehören 1160015 oder 77,39 Procent dem
deutschen Sprachgebiete an, 181736 oder 12,12 Procent
sprechen ausschliesslich französisch und 157269 oder 10,49
Procent wohnen in Gebieten, in welchen beide Sprachen
neben einander gebraucht werden. Unter-Eisass zählt unter
seinen Einwohnern nur 23 940 oder 4,09 Procent französisch
sprechende Personen, welche in 5 Gemeinden des Kreises
Schlettstadt und 22 Gemeinden des Kreises Molsheim leben.
Ober-Elsass hat 353066 oder 78,71 Procent deutsch spre-
chende, 16617 oder 3,71 Procent ausschliesslich französisch
redende und 78866 oder 17,58 Procent gemischte Bevöl-
Geographischer Monatsbericht. 29
kerung. Die französisch sprechenden Gemeinden liegen im
südlichen Theile des Kreises Altkiırch und im Kreise Rap-
poltsweiler, die gemischten Gemeinden gehören allen Kreisen
mit Ausnahme des Kreises Mülhausen an und liegen theils
im Kreise Altkirch, theils in den Vogesenthälern. Selbst
in Lothringen macht die nur französisch sprechende Be-
völkerung nicht mehr als 30,37 Procent (141 179 Personen)
der Gesammtbevölkerung aus, 16,38 Procent (76135 Per-
sonen) gehören dem gemischten Sprachgebiete an und 53,25
Procent (247 584 Personen) sind rein deutsch.
Anschliessend hieran sei nachträglich eine Asstorische
Karte des Elsass !) erwähnt, die im Sommer 1878 erschienen
ist. Sie bringt die politischen Verhältnisse des Landes,
wie sie unmittelbar vor dem westphälischen Frieden und
dem Übergang des Landes an Frankreich bestanden, zur
Anschauung, ist in der geogr. Anstalt von Wagner & Debes
in Leipzig ausgeführt, sauber und deutlich in Farben ge-
druckt und, was die Hauptsache, auf Grund eingehender
Quellenstudien fleissig gearbeitet. Von den letzteren wird
man sich überzeugen, wenn man die Erläuterungen liest,
die der Verfasser in dem Osterprogramm 1878 der städti-
schen Realschule zu Duisburg gegeben hat. Zur topo-
graphischen Grundlage ist die französische Generalstabs-
karte genommen, denn der Verfasser machte die auch hier
in Gotha bestätigte Erfahrung, „dass weder die Homann’sche
(1750) noch eine der älteren Karten.vom Elsass zur Grund-
lage einer historischen Arbeit genommen werden darf, son-
dern dass sie höchstens zur Vergleichung heranzuziehen
und nur mit grosser Vorsicht und Kritik zu gebrauchen
sind’.
Mit welchem Interesse man fortgesetzt C. Vogel’s Karte
von „Spanien und Portugal” in Ad. Stieler's Hand-Atlas in
jenen Ländern selbst betrachtet, das geht am deutlichsten
aus zahlreichen an die Geogr. Anstalt von J. Perthes ge-
langenden Zuschriften und Sendungen hervor, welche die
Currenthaltung und Vervollkommnung dieser Karte zum
Zweck haben. So erhielten wir jüngst von Herrn Inge-
nieur J. V. Mendes Guerreiro in Lissabon eine Karte in
1:1000000: Rede de Camınhos de ferro projectada &o.”,
welche sämmtliche zur Zeit in Portugal in Betrieb und
im Bau befindliche, so wie die projectirten Eisenbahnlinien
und die Industriebahnen enthält, wie solche von einer Com-
mission von Civil-Ingenieuren festgelegt und eingezeichnet
worden sind. Dabei lag eine auf durchsichtiges Papier ge- '
zeichnete, zum Copiren eingerichtete Manuscriptkarte. Es
ist selbstverständlich, dass diese sehr gütige und dankens-
werthe Mittheilung in dem oben angedeuteten Sinn sofort
verwerthet worden ist. Eine andere aus derselben Quelle
stammende nicht minder werthvolle „Carta da Rede tele-
graphica e dos Pharoes de Portugal e Ilha da Madeira”
entbält in einer ebenso detaillirten wie verständlichen
Weise das am 1. Januar 1878 im Königreich vorhandene
Netz der Telegraphen in vier Unterscheidungen: a. inter-
nationale Linien (submarine Kabel) nach Gibraltar, Brasi-
lien, Vigo und Falmouth; b. nationale Linien; co. Zwischen-
linien und d. projectirte Linien mit allen auf den Dienst
bezüglichen Nachweisen. Eben so vollständig sind die am
1) Elsass im Jahre 1648, entworfen von Dr. M. Kirchner. 1:320 000.
Duisburg, in Commission bei H. Raske, 1878.
genannten Termin existirenden und projectirten Leucht-
feuer an den portugiesischen Küsten mit der auf Farbe
und Drehung bezüglichen Erklärung eingetragen. Beide
Karten geben ausserdem Zeugniss davon, dass auch in tech-
nischer Beziehung Portugal bestrebt ist, mit anderen Län-
dern gleichen Schritt zu halten,
Zu unserer Freude können wir berichten, dass das
K. K. AMilitärgeographische Institut in Wien vor Kurzem
die bis dahin noch fehlenden Sectionen seiner Karte der
Balkan- Halbinsel herausgegeben hat, so dass diese beste
aller vorhandenen Karten der europäischen Türkei nun
vollendet vorliegt. Die neuen Blätter sind: L15: Philia-
taes (Corfu), M15: Arta, N15: Phersala, Ol3: Xanthı,
14: Kastro, P13: Dimotika, 14: Gallipoli, Q13: Constanti-
nopel, 14: Brussa. Zugleich sind auch die Blätter über
Bosnien, Herzegovina, Serbien und Montenegro, von denen
1876 eine provisorische Ausgabe erschien, nunmehr in
berichtigter Form reproducirt worden (Blatt I 10: Glina, 11:
Spalato, 12: Lissa, K10: Brod, 11: Bosna Serai (Mostar),
12: Ragusa, L10: Belgrad, 11: Uzice, 12: Soutari, M10:
Orsova, 11: Krudevac, 12: Priötina). Sie sind hergestellt
durch Heliogravüre in Kupfer, vervielfältigt durch Um-
druck auf Stein, und lassen im Vergleich mit der ersten
Ausgabe wesentliche Änderungen und Nachträge erkennen,
sowohl in der Schreibweise der Namen, als auch in der
Situation und besonders in den Grenzen von Montenegro,
Der Visitor vrh (Berg) z. B. liegt um 9' weiter östlich,
der Lauf des Morata und seiner Zuflüsse ist beträchtlich
corrigirt &c., auch sind die neuen Grenzen nach dem Ber-
liner Vertrag eingetragen, wobei jedoch Spica auffallender-
weise nicht von Montenegro abgetrennt und mit Dalmatien
verbunden, und auf Blatt M10 Ada-Kaleh ebenfalls nicht
in die österreichische Grenzlinie eingezogen wurde.
Die „Orsginalkarte des Fürstenthums Bulgarien und des
Balkans” nach seinen eigenen Reise- Aufnahmen in den
Jahren 1870—74 ausgeführt von F. KXanstz ist nun auch
in einer würdigeren Gestalt erschienen (Wien, k. k. Hof-
und Staatsdruckerei), nachdem ihre erste Ausgabe (s. Peter-
mann’s Mittheilungen 1877, Tafel 16*) technisch ver-
unglückt war.
Über das Gebiet von Spica, welches durch den Berliner
Friedensvertrag an Österreich-Ungarn gekommen und dem
benachbarten Dalmatien einverleibt ist, enthalten die dem
österreichischen Reichsrath vorgelegten Documente be-
schreibende Angaben. Zwischen der neuen montenegri-
nischen Grenze, dem Adriatischen Meer und dem dalmatini-
schen Bezirk Cattaro gelegen, hat es eine Längenausdeh-
nung von 9, eine Breite von 3,7 km und einen Flächen-
inhalt von 35,9 qkm. Die südwestlichen Gehänge des den
Scutari-See vom Adriatischen Meere scheidenden Suturman-
Gebirges reichen nur südlich von Spica bis nahe an die
Küste, weiter nördlich enden sie an einer der Küste parallel
laufenden Senkung, jenseit deren sich am Meere felsige
Berggruppen erheben‘, die durch tiefe Schluchten von ein-
andern getrennt werden. An der Grenze von Montenegro
erreicht das Suturman-Gebirge eine Höhe von 600 bis
950 Meter, die vorgelagerten Berggruppen sind nur 160
bis 500 Meter hoch. Das Profil der Berghänge ist im
oberen Theile steil, im unteren flach, Der obere Theil der
Hänge ist mit Ausnahme einiger kleiner Waldparcellen
30 Geographischer Monatsbericht.
kahl, der untere grösstentheils mit Getreide bebaut, der
Rest mit Waldungen oder niederem Buschwerk bedeckt.
Von Spica bis zur Südgrenze des Gebietes erstreckt sich
an der Küste ein ca 2 km breiter, als Acker und Wiese
kultivirter, bewässerter Saum. Im Allgemeinen ist der
Boden trotz sorgfältiger Bearbeitung nicht ergiebig genug,
er ernährt die Bevölkerung nicht ausreichend, auch be-
schränkt sich die Industrie auf die Herstellung von Haus-
geräthe und der Handel ist sehr gering, so dass 10 bis
15 Procent der männlichen Bevölkerung in das Ausland
gehen, um ihren Unterhalt zu erwerben. Natürlich liegen
unter solchen Umständen die Verkehrsmittel noch in der
Kindheit. Ein Saumweg, der von Uglica bis Susana das
Gebiet von Nordwest nach Südost durchzieht und weiter
nach Antivari führt, ist die Hauptstrasse, ausser ihr be-
stehen meist nur Fusswege. Die Gewässer sind Bäche mit
starkem Gefäll und tiefen steilen Ufern. Die Bevölkerung,
auf 1700 Köpfe geschätzt, ist vorwiegend albanesisch, spricht
aber serbisch und albanesisch. Man zählt 120 griechisch-
katholische Familien in den Dörfern Midic, Gjurman und
Papani, 246 katholische Familien in den Dörfern Miljevic,
Zagradje, Zankoc, Brkani, Sotomori oder Spica, Brza, Mag-
jari und Sudana. Die Häuser dieser Ortschaften, meist aus
Bruchsteinen gebaut, einstöckig und mit Ziegeln gedeckt,
liegen weit aus einander, so dass die Dörfer eine grosse
Ausdehnung erlangen, obwohl sie nur aus wenigen Häu-
sern bestehen. Von befestigten Punkten sind zu nennen:
Nehaj, eine kleine alte Bergfoste auf einem 200 Meter
hohen, schroffen, nur von einer Seite zugänglichen Felsen
gelegen, von welchem der Weg nach Spica, so wie der
Küstensaum beherrscht werden kann, und das neu erbaute
Strandwerk Tabia auf dem Golo-Brdo, welches die Rhede
von Spica beherrscht. Letztere ist nur gegen die Bora
einigermaassen gedeckt und bietet grösseren Schiffen, selbst
Küstenfabrern nur geringen Schutz.
Für das Studium der Geschichte bietet der in reichster
Ausstattung erschienene Atlas von Athen von Curtius und
Kaupert ') ein höchst wichtiges und reichhaltiges Material.
Derselbe enthält einen von Kaupert aufgenommenen Plan
von Athen in 1:12500 (Kupferstich von H. Petters in
Hildburghausen), Alt-Athen in seinen nachweislichen Denk-
mälern, Plätzen und Verkehrsstrassen, das südwestliche
Athen 1:4000 und auf 9 Tafeln Ansichten und Pläne der
wichtigsten Punkte von Gräbern &c. in Lithographie und
Lichtdrucken, so wie zahlreiche Durchschnitte, Grundrisse &c.
in Holzschnitten in Text. Das deutsche Archäologische
Institut hatte bereits seit Gründung der Zweiganstalt in
Athen die Herstellung einer genauen Karte von Attika als
eine seiner wichtigsten Aufgaben erkannt und schon 1868
das bis dahin gewonnene topographische Material in den:
„Sieben Karten zur Topographie von Athen. Gotha, Justus
Perthes” veröffentlicht. Durch die wirksame Unterstützung
des preussischen @Generalstabs, welcher den Vermessungs-
Inspector Kaupert 1875 und 1877, und den Premier-Lieu-
tenant von Alten 1876 nach Athen beurlaubte, so wie
durch einen ansehnlichen Zuschuss des Unterrichts-Mini-
1) Atlas von Athen. Im Auftrage des Kaiserlich Deutschen Archäo-
logischen Instituts herausgegeben von E. Curtius und J. A. Kaupert.
85 88. und 12 Tafeln. Berlin, D. Reimer, 1878. Preis 24 M.
steriums zu den Kosten der Triangulation und Aufnahme
der Ebene von Athen, wodurch das ganze Unternehmen
erst gesichert wurde, gelang es den eben Genannten mit
Unterstützung des Geh. Bauraths Adler und Baumeisters
Peltz ein so reichhaltiges Material zu gewinnen, dass eine
Anknüpfung an die bereits erschienenen Sieben Karten nicht
angemessen schien. Der Plan von Athen ist das erste einer
Reihe von Blättern, die in 1:35000 die ganze Umgebung
von Athen umfassen wird; die Sectionen Athen, Piraeus,
Taloi erscheinen in 1:12500. Nach dem vorliegenden
Werke. darf man auf die weiteren Publicationen mit Recht
gespannt sein.
Asien.
Ein Italiener, R. Manzons, bereist Jemen seit dem Sep-
tember 1877. Von seiner ersten Tour, die von Aden aus-
gehend über Kattaba und Dahmar bis Sanah sich erstreckte
und von der er im April 1878 nach Aden zurückkehrte,
hat Camperio’s „Esploratore”’ einen Bericht veröffentlicht;
ausserdem sind als Früchte derselben eine genaue Routen-
Aufnahme mit Höhenmessungen, ein ausführlicher Stadtplan
von Sanah (ebenfalls im „Esploratore’”’ erschienen) und eine
Anzahl Photographien zu nennen. Am 15. Juni 1878 nun
begann Manzoni seine zweite Reise von Aden aus, die er
nordwärts bis Asir und gegen Osten bis Hadramaut aus-
zudehnen beabsichtigte. Diese zweite Reise wird auf Rech-
nung von G. Cora’s „Cosmos” ausgeführt, der zu diesem
Zweck eine Subscription eröffnet hat. Wie in dieser Zeit-
schrift (1878, I) mitgetheilt wird, war der Reisende am
1. August in Sanah angekommen, nachdem er unterwegs
Lahag, Tes, Dhobaneh, Mocha, Zebid, Hodeideh und Me-
nacha berührt hatte. Leider hören wir, dass er in Sanah
erkrankt ist.
Von Oschanin’s Expedition durch Hissar nach Karategin
sind einige Briefe im „Globus” (1878, Vol. XXXIV,
Nr. 21 und 22) abgedruckt, wonach derselbe über Karatag,
Kafırnihan, Faisabad und am Surchab hinauf im Sept. 1878
nach Germ oder Garm, dem Hauptorte von Karategin, ge-
langt war. Von dort wollte sie weiter nach dem 'Muksu
und dem Pamir-Plateau. Der Eintritt in Karategin, das
wir bis jetzt nur aus Erkundigungen kannten, ist dadurch
möglich geworden, dass der Emir von Buchara den Landes-
fürsten in den Kerker geworfen und einen Gouverneur in
‘Germ eingesetzt hat. Dieser bucharische Gouverneur ist
in gleicher Weise mit dem Fürsten des benachbarten Dar-
was verfahren, man darf daher erwarten, dass die Russen
auch dieses noch fast ganz unbekannte Ländchen dem-
nächst bereisen werden.
Der Geolog Muschketow hat im J. 1878 seine Explora-
tionen von Fergana aus bis zum Tschatyr-kul ausgedehnt.
Er begab sich im Juli von Osch über Gultscha und den
Schart (12500 engl. F.) nach dem Alai-Plateau, wo er sich
der Truppenabtheilung des General Abramow anschloss.
Auf diese gestützt ging er über den Pass Ton - Murun
(11000 F.) nach Irkeschtam und Egin im Thal des kasch-
garischen Kysyl-su und von diesem Militärposten aus konnte
er gemeinschaftlich mit dem Astronomen Schwartz und
dem Topographen Azeew nordwestlich bis zum Beliauli-Pass
(15000 F.) vordringen. Nach Irkeschtam zurückgekehrt,
unternahm er einen zweiten erfolgreichen Ausflug über den
Geographischer Monatsbericht. 31
Suek-Pass zum Tschatyr-kul. Die südlich von diesem See
sich erhebenden schwarzen Gipfel, die Stoliczka für erlo-
schene Vulkane gehalten hatte, sehen nach Muschketow
allerdings Vulkanbergen täuschend ähnlich, zeigen aber
keine Spur vulkanischer Gesteine, sondern bestehen aus
Porpbyr und Diorit. Von Tschatyr-kul kehrte Muschketow
durch das Arpa-Thal und den Pass Tschaor-Talp nach
Fergana zurück und reiste Ende September von Taschkent
nach St. Petersburg ab !).
Über einige japanische Reisen schreibt uns Herr E.
Knipping Folgendes: Die „Japan Weekly Mail” vom 13. und
20. Juli 1878 entnimmt den „Transactions of the Asiat. Soc.”
„Some scenes between the ancient and the modern capitals of
Japan” von W.@. Discon: Die Reise ging von Tokio über den
Koshukaido bis nach Shimonosuwa, den Nakasendo bis Oi
(in Mino), durch das Horikawa-Thal nach Nagoya und von
da über den Tokaido bis Kioto. Im Katsuragawa (bei
Obara am Koshukaido) werden Forellen (Ai) in origineller
Weise gefangen. Ein lebendiges Exemplar wird mit dem
Maul an eine Schnur befestigt, seine Kameraden kommen
ohne Arg an den Gefangenen heran und werden mit
leichter Mühe gefangen. Kofu, die Hauptstadt von Yamanashi
Ken, zählt etwa 12000 Einwohner, hat eine Seiden-
spinnerei, die durch Wasserkraft getrieben wird und 200
Arbeiter beschäftigt; ausgedehnten Obstbau; Trauben wer-
den in Menge cultivirt; auch wird schon Weiss- und Roth-
wein daraus gewonnen; das Seminar hat 14 Lehrer und
122 Schüler. Im ganzen Ken giebt es 270 Schulen mit
13000 Schülern. In der Nähe von Daigahara wurde der
wenig bekannte, aber sehenswerthe Komagataki (taki =
Wasserfall) besucht. Der Fluss bei Seba (Saikawa K.)
wird als Tambagawa angeführt. Von Oi aus führte der
Weg durch das wohlbebaute Horikawa-Thal über Takayama
nach Tajimi (durch sein Porcellan bekannt), Ikeda und von
da über einen Pass (die Grenze von Gifu und Aichi Ken)
nach Utsutsu. Dann wurden der Katsugawa und Yamada-
gawa überschritten und Nagoya besucht. Der Thurm des
weiten Schlosses hat eine Höhe von 240 Fuss (73 m. K.)
über dem Schlossgraben. Die Stadt, die sich meilenweit
nach S. und N. erstreckt, hat eine Menge von Tempeln,
ein Seminar und eine Medicinschule. In Kiyosu, einige
Meilen westlich von Nagoya, liegt das ältere, kleinere
Owari-Schloss, Auf dem Wege nach Kuwana (Ise) wurden
fünf breite, tiefe Flüsse überschritten, alle zum Kiso-
gawa gehörend. Von Kioto aus wurden die Katsuragawa-
Stromschnellen besucht. Man geht erst über einen Pass
nach Tamba hinein, um dann zwischen hohen (1—2000 F.)
Wänden hindurch die drei Schnellen hinunterzufahren. Die
Boote sind etwa 12 m lang, 1,4 m breit und haben einen
ganz flachen elastischen Boden, um die heftigen Stösse an
den seichten Stellen besser aushalten zu können. Die Höhe
des Hiyesan wird zu 2700 Fuss (= 873 m relativ), resp.
3000 F. (= 914 m absolut), angegeben.
Ebenfalls aus den „Transactions of the Asiat. Society”
findet man in der „Japan Weekly Mail” vom 27. Juli ff.
„Notes of a wisst to Hachsjo ın 1878” von F. V. Dickins
und Z. Satow, die über alle möglichen Verhältnisse dieser
Insel eingehend berichten. Die drei Nachbarinseln sind:
Y) Sitzungsbericht der Kais. Geogr. Gesellschaft vom 20. Nov. 1878.
Awogashims, Koshima (nicht Kodsine Sima, wie es in der
engl. Admiralitäts-Karte Nr. 996 heisst) und Mikura. Die
Länge der Insel beträgt von NW. nach SO. 10 bis 12 engl.
Meilen, die Breite 3 bis 4. Die Insel ist durchweg vul-
kanisch, mit Bimsstein und hier und da Trachyt an der
Ostküste, und fällt mit Ausnahme weniger Punkte steil
zum Meere ab. Der nördliche Berg Fuji, auch Nishi-no-
yama genannt, von anscheinend jüngerer Formation, hat
eine Höhe von 862 m, ohne Rücksicht auf Temperatur
berechnet, welche unten 53°, oben 48° F, betrug (März).
Der Fuji zeigt einen vollständig erhaltenen Krater von
ı/, Meile Durchmesser mit einem vielfach zerrissenen Pla-
teau in der Mitte. Die südliche Bergmasse der Insel,
Oyama genannt, nur durch einen 75 m hohen Sattel vom
Fuji getrennt, bildet mächtige ampbhitheatralisch geordnete
Züge, die sich durch Basalt charakterisiren, und wahr-
scheinlich auch einen grossen Krater bilden, deren Erfor-
schung aber durch üppigen Pflanzenwuchs unübersteigliche
Hindernisse in den Weg gelegt sind. Der Oyama erreicht
eine Höhe von 716, resp. 676 m (Temperatur oben 49°,
unten 52° F.) und entsendet nach Osten einen Ausläufer,
der steil zum Meere abfällt. Über den letzteren führt in
300 m Höhe der Pfad von Mitsune nach Suyeyoshi. Die
Dörfer der Insel sind: Okago, Sitz der Verwaltung von
Hachijo, mit 2000 Einw. (an der Westküste, mit der Lan-
dungsstelle Yaye no minato); Nakanogo, 1500 Einw. (eine
halbe Stunde davon entfernt liegen die Landungsstellen
Shoma und Akionga, bei der Observations-Bai eine dritte,
Boroaza genannt); Suyeyoshi (oder Suyeshi) mit 1000 Einw.;
Mitsune mit 2000 Einw. (an der Ostküste, mit der Lan-
dungsstelle Kaminato) und Kashidate mit 1300 Einw. Da
die Landungsstellen auf drei Seiten der Insel vertheilt sind,
wird es ausser in schweren Stürmen immer möglich sein,
irgendwo zu landen. — Hachijo zählte 1729 5770 Einw.
in 629 Häusern, im Jahre 1829 8658 Einw. in 968 Häu-
sern. Koshima, die ‘Nachbarinsel, hat 576 Einw. in 56
Häusern; Awogashima 188 Einw. in 38 Häusern. — Von
Pflanzen kommen vor: Quercus cuspidata; eine hamayu ge-
nannte starke, den Amaryllideen (oder Orchideen?) zuge-
hörige Pflanze; eine Euphorbien - Art; Nephrolepis cordi-
folia; Niphobolus lingua; angebaut werden Reis, Gerste,
Satsuma-Kartoffeln (Batatas edulis), letztere das Hauptpro-
duct der Insel, aus dem auch ein geistiges Getränk berei-
tet wird; Angelica Kuisiana Max. (ashita-na), dessen klein
gehackte Blätter mit Satsuma-Kartoffeln oder Gerste die
Hauptnahrung ausmachen; eine Colocasia- Art, an sumpfi-
gen Stellen gedeihend, liefert die Sato-imo (Süsse Kartof-
feln). — Als Flächenmaass für Ländereien gilt das Sho
maki (= 64 tsubo); zum Besäen (jap. maki) einer solchen
Fläche ist nominell ein Sho (in Wirklichkeit nur die Hälfte
5 go) Samen nöthig, daher der Name. Der Preis eines
Sho maki beträgt etwa 12 Yen; das beste Land würde
demnach per engl. Morgen auf etwa L 42 kommen. —
Der Fischfang ist unbedeutend und wird entweder mit
Angel und Schnur betrieben, oder mit der Harpune, in
dem der Fischer tauchend seine Beute beschleicht. Ausser
Bonitos werden noch Haliotis (vielleicht H. tuberculata)
gefangen; eben so eine grosse Trochus-Art und kleinere
Schalthiere. Die Abgaben werden in Seide entrichtet und
betragen 713 Stück (St. = tan = 35 F) ——— Saiden-
32 Geographischer Monatsbericht.
zeuges (tsumugi). Fünf Stück tsumugi gelten im Werth
einem Stück Tangoshima (gefärbtes Seidenzeug) gleich. Der
Werth eines tan variirt von 2—50 Yen. Die nur auf
Hachijo vorkommenden Färbstoffe, Pflanzenwurzeln und
Baumrinde, sind ein Geheimniss der Insulaner. — Die so-
ciale Stellung der Frauen, die sich nur um den Haushalt
und den Webstuhl kümmern, ist eine sehr freie. — Alle
Inseln der Kette: Oshima (Vries), Rishima, Nujima, Miyake,
Mikura, Hachijo und Koshima sind früher als Verbannungs-
plätze benutzt, aber nicht etwa erst von Verbannten be-
völkert und oultivirt worden. Hachijo wurde 1487 von
den Japanern entdeckt; von 1597—1866 wurden 1606 Ver-
bannte dahin übergeführt, davon aber 861 begnadigt. —
Die Sprache erinnert in manchen Punkten an den alten
Dialekt der östlichen Provinzen Japans und den heutigen
- von Kioto; sie enthält eine Menge von Wörtern, die der
japanischen ganz fremd sind, und auch solche, die in ganz
anderem Sinne gebraucht werden; die Betonung der Silben,
Bildung der Adjeotiva, der Verneinung und der Endung
der Zeitwörter u. a. weisen bedeutende Abweichungen von
der japanischen Sprache auf.
Afrika,
Herr Camperio benachrichtigt uns, dass Dr. Matteucch
seine commercielle Expedition nach Abessinien angetreten
hat. Er befand sich am 12. December in Suez und wollte
von dort nach Massaua und dann nach Adoa sich begeben,
um über Gopdar oder Gelabat nach Süden zu gehen. Die
für dieses Unternehmen zusammengebrachte Summe beläuft
.sich auf 40000 fres. — Briefe von Matteuccei und Gesss
über ihre Reise von Chartum nach Fadasi (1878) sind in
Cora’s „Cosmos” (1878, I, p. 19) abgedruckt.
Über die stalienische Expedition in Schoa bringen die
„Memorie” der Geogr. Gesellschaft in Rom ausführliche
Briefe und Berichte, die bıs Ende 1877 reichen und von
der Reise nach Schoa so wie von dem dortigen Aufenthalt
handeln. Man findet da u. A. Positions-Bestimmungen zwi-
schen Zeila und Litsche in Schoa, meteorologische Aufzeich-
nungen, ein Vocabular der Isa-Somali, eine Übersicht der
Europäer, die seit 1840 in Schoa gewesen, einen Abschnitt
über die neueste Geschichte des Landes &c. Die astrono-
mischen Positionen auf der Route von Zeila nach Litsche
sind folgende:
N. Br. öÖ.L. v. Gr. N. Br. Ö.L. v. Gr.
Zeile. . 11°22'43” 43°29'10" Tul-Harrd 9°50' 7" 41°21' 0°
Tocoscha. 11 23 10 43 23 0 Carab 952 0 41 A 24
Mordali . 10 46 13 42 30 0 DBonta 9 32 30 40 30 35
Tarot . 1012 83 41 45 5 Litsche . 9 43 14 39 21 34
Arue . . 10 715 41 32 20
Eine kurze Übersicht der ostafrikanischen Reisen von
J. M. Hildebrandt mit Hinweis auf ihre botanischen Resul-
tate enthält ein Vortrag von F. Kurts in den „Verhand-
lungen des botanischen Vereins der Provinz Brandenburg”,
1878, XIX.
Von der Brüsseler Expedition, die durch Desertion ihrer
Träger am 23. Juli vor. J. in ihrem Marsche nach Unia-
mesi einige Monate aufgehalten wurde, lauten die letzten,
vom General-Secretär der internationalen Association be-
kannt gemachten Nachrichten wieder günstig. Wautier und
Dutrieux hatten mit 360 Trägern am 15. Oktober Mpwapwa
verlassen und befanden sich am 27. October zu Mwumi in
Ugogo. Dort erhielten sie von dem vorausgegangenen Cam-
bier die Anzeige, dass er in Kasisi, zwei Tagereisen von
Urambo, angekommen sei. Sie gingen in Begleitung von
Mirambo’s Schwiegersohn, Mr. Broyon, welcher mit 350 Trä-
gern das für die englische Mission in Ujiji bestimmte Ge-
päck transportirte. Die von der London Missionary So-
ciety abgesandten Missionare J. B. Thomson, Hore und
Hutley waren inzwischen am 23. August in Ujiji ange-
kommen und haben sich 3 engl. Meilen davon, dicht an
der Kinegoma-Bai, eine Station angelegt. König Mirambo,
der sich ihnen sehr behülflich erwies, hat sich in 4° 37’ 30°
S. Br., 3815 engl. F. über dem Meeresspiegel eine neue
Residenz (Urambo) gebaut. Zwischen Ugogo und Urambo
fanden die Missionare die Tsetse-Fliege sehr häufig, die
Ujiji- Strasse ist demnach auch ın dem hoch gelegenen
Tbeil des Binnenlandes nicht für Ochsenwagen zu gebrau-
chen. Thomson schlägt vor, die Missions - Gesellschaften
sollten gemeinsam eine Eisenbahn von Kiloa nach dem
Nyassa und von dort nach dem Südende des Tanganjika
bauen ').
Ingenieur Schütt meldete am 17. August vom Rio Lui,
einem westlichen Nebenfluss des Quango, dass es ihm nicht
gelungen sei, den Quango zu überschreiten, er vielmehr
im Lande der Bangala ausgeraubt und mit dem Tode be-
droht worden sei. Wirklich hatte schon sein Begleiter
Paul Gierow das voreilige Gerücht von Schütt’s Ermor-
dung gehört und nach Berlin berichtet. In einem Brief
vom 1. September kündigt Schütt an, dass er versuchen
werde, zwischen den Bangala und den Hollo hindurchzu-
kommen und so den Quango zu überschreiten. Er habe
eine Karte von dem ganzen Plateau zwischen 8 und 10°
S. Br., allen den zahlreichen Wasserläufen, die ihm ent-
springen, dem Laufe des Quango und Lui, so wie des Lu-
handa anfertigen können und eine bedeutende Vogel-Col-
lection zusammengebracht.
Zur Belehrung über den ganzen gewaltigen Angriff, der
von Berlin aus gegen das Congo-Gebiet begonnen worden
ist, bieten sich als vortrefflliches Hülfsmittel die neuen
„Hittheilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland”
dar, die als officielles Organ dieser Gesellschaft gewisser-
maassen die Fortsetzung des Afrikanischen Correspondenz-
blattes bilden. Unter der Redaction des Dr. W. Erman
berichten sie, unmittelbar aus der Quelle schöpfend, über
die Thätigkeit der Gesellschaft und ihrer Aussendlinge,
knüpfen aber daran auch Nachrichten über Alles, was mit
der brüsseler internationalen Association in Verbindung
steht, so wie über anderweitige afrikanische Reisen. Sie
befriedigen ein wirkliches Bedürfniss, da man sich seit dem
Eingehen des Afrikanischen Correspondenzblattes stets im
Halbdunkel über die Berliner Unternehmungen in Afrika
befand.
Savorgnan de Brassa ist am 6. November aus dem In-
nern in Gabun angekommen und wird in der nächsten
Zeit in Europa erwartet.
Dr. Oscar Lens veröffentlicht in den „Mittheilungen
der K. K. Geogr. Gesellschaft in Wien” (1878, Nr. 10)
eine ethnographische Karte vom Stromgebiet des Ogowe, die
!) Ohroniole of the London Missionary Society, November 1878,
p- 236.
Geographischer Monatsbericht. 33
eine sehr deutliche Übersicht gewährt, und seine Zeichnung
des Ogowe vom Dorfe Lope aufwärts bis zur Mündung des
Schebe-Flusses, dem äussersten von ihm erreichten Punkt.
Diese Karte ist etwas roh, enthält aber in Bezug auf die
Nebenflüsse und die Uferdörfer viel neues Detail.
Ein über 700 Seiten starkes portugiesisches Werk von
M. F. Ribeiro: „A Provincıa de 8. Thomd e Principe 6
suas dependencias” (Lissabon 1877) bietet weit mehr als sein
Titel verspricht. Ein Haupttheil beschäftigt sich allerdings
ausschliesslich mit den beiden genannten Inseln im Golf
von Guines und giebt darüber nicht nur eine bis ins Ein-
zelnste gehende topographisch - statistische Beschreibung,
sondern auch eben so Specielles über das Klima und die
Krankheitsverhältnisse, welchen letzteren der Verfasser als
Arzt ganz besondere Aufmerksamkeit schenkt; diesem be-
sonderen Theil geht aber ein allgemeiner voraus, worin die
ganze Quinea-Küste, sämmtliche davor liegende Inseln, die
portugiesischen Kolonien in Südost-Afrika, die tropischen
Kolonien anderer Staaten in Asien und Amerika, sogar
Brasilien nach den wesentlichsten Gesichtspunkten beschrie-
ben und wiederum insbesondere nach ihren klimatischen
und @Gesundheitsverhältnissen charakterisirt werden. Die
Masse des thatsächlichen Materials ist ausserordentlich, aber
Dank der guten Anordnung und dem ausführlichen Inhalts-
verzeichnies findet man sich leicht darin zurecht. Zu der
Geographie der portugiesischen Kolonien ist es ein werth-
voller Beitrag, wenn auch die statistischen Angaben nicht
überall die neuesten sind. Eine Anzahl landschaftlicher Bil-
der erfreuen das Auge, das #on den langen Zahlenreihen
ermüdet ist, aber die Karte kann weder auf Schönheit noch
auf Correctheit Anspruch machen,
Zur Ergänzung der Notiz über die portugiesische Expe-
dition in Südwest-Afrika (s. Jahrg. 1878, S. 442) entleh-
nen wir der Wochenschrift „Nature’” einige Positions-Be-
stimmungen, die von jener Expedition ausgeführt worden
sind und beträchtliche Verschiebungen in den bisherigen
Karten verursachen. Die Längen sollen chronometrische sein:
Benguela „ 12°34' 17° 8.Br.,13°25'21"Ö.L.v.Gr, 7 müb.d.Meere
Dombe
Grande . 12 5 12 5 .,13 7 0 WB ınnn
Qnillengues 14 3 10, „‚4 5 3, un» Wo u uno
Caconda „13 0A, 915 IB ET
Bih6e. . . 1222 40, 1649 DU 5 un un 9 1670
Aus Natal-Zeitungen erfahren wir, dass die Engländer
den letzten bis noch vor Kurzem unabhängig gebliebe-
nen Theil von Kaffraria, das Pondo-Land, thatsächlich be-
setzt haben, nachdem der Häuptling Umquikela zuvor, im
Laufe des Krieges, seines Landes verlustig erklärt worden
war. Commodore Sullivan und General Thesiger nahmen
die Mündung des St. John’s River oder Umzimvubu und
deren Umgegend auf und errichteten am 31. August 1878
einen Militärposten am linken Ufer dieses Flusses, der das
Pondo-Land von Nordwest nach Südost durchfliesst. Der-
selbe ist an der Mündung 750 Fuss, 12 engl. Meilen
weiter oben noch 600 Fuss breit und seine Tiefe beträgt
bis 7 engl. Meilen oberhalb der Mündung 4 bis 7 Faden.
Die Barre, über der bei gewöhnlicher Fluth nur 7 Fuss
Wasser stehen, beabsichtigt man durch Baggerung zu ver-
tiefen und die Einfahrt in den Fluss durch die Anlage
von Hafendämmen zu verbessern. Unmittelbar vor seinem
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft I,
Erguss in den Ocean fliesst der St. John’s River eine
Strecke von 2 engl. Meilen weit zwischen zwei, nur 1 engl.
Meile von einander abstehenden Bergen hindurch, deren
Fuss mit üppigem Walde bekleidet ist, die aber weiter
oben in fast senkrechten Felsenwänden von 1000 bis
1100 Fuss aufsteigen. Weiter vom Meere entfernt sind die
Uferlandschaften des Flusses fruchtbar und wellig, mit
waldbewachsenen Hügeln am Horizont. Bambus fasst schilf-
artig den Fluss zu beiden Seiten ein und hier kommen
noch Flusspferde vor, die nach Rev. Fr. Fleming („Kaff-
rarıa and its inhabitantse”’) aus dem südlicher gelegenen
Britisch-Kaffraria schon vor einem Vierteljahrhundert ver-
schwunden waren. Das Pondo-Land hat nach unserer Be-
rechnung auf Reichel’s Karte ein Areal von 9267 qkm,
seine Bewohnerzahl ist unbekannt !),
Australien und Inseln des Grossen Oceans,
Max Buchner’s „Reise durch den Stillen Ocean” ?) schil-
dert eine Seefahrt von Hamburg nach Neu-Seeland, eine
Landreise durch die Nordinsel des letzteren, einen Besuch
der Viti- und Sandwich -Inseln und die Rückreise über
San Francisco und New York. Der Verfasser ist Arzt und
demgemäss auch naturwissenschaftlich gebildet. Das Buch
ist indessen von jedem gelehrten Anstrich frei, macht keine
Ansprüche darauf, der Wissenschaft Neues einzufügen, giebt
aber bei ungemeiner Frische und Lebhaftigkeit der Schil-
derung eine sehr unterhaltende Lectüre ab, so dass wir
von Dr. Buchner, der jetzt im Auftrag der Afrikanischen
Gesellschaft in Deutschland dem Muata Yanvo einen Be-
such abstatten will, höchst anschauliche und lesbare Be-
schreibungen aus Süd-Afrika erwarten dürfen.
Alohonse Pinart erzählt in „Tour du Monde” (Vol.
XXXVI, 20° gsemestre de 1878, p. 225) seinen Besuch auf
der Oster-Insel im Jahre 1877. Wie die eingefügte Karte
zeigt, umgingen er und die Officiere des französischen
Schiffes, auf dem er dahin gekommen war, die ganze Insel
und lernten auch einige Theile des Innern kennen. Von
dem Krater des Ronororaka ist eine interessante Abbildung
gegeben, auch viele der vielbesprochenen Steinfiguren sind
abgebildet, die Frage von den Verfertigern dieser Figuren
so wie der Hieroglyphen auf Holztafeln scheint aber durch
Pinart ihrer Beantwortung nicht näher geführt worden zu
sein. (8. auch „Bulletin dela Soc. de geogr. Paris”, Sept. 1878.)
Amerika.
Seinem Buche über die Vereinigten Staaten hat Prof.
Ratzel Reiseskissen aus Mexiko?) folgen lassen. Er nennt
sie unbefangene Bilder der Natur und des Lebens, die
nichts Gelehrtes an sich trügen, denn zur Zeit, als er im
Auftrag der Kölnischen Zeitung Amerika bereiste, habe er
noch nicht daran gedacht, einst Professor zu werden. Trotz-
dem kann man gar Manches aus dem Buche "lernen, sowohl
aus der Beschreibung der besuchten Gegenden und Städte —
die Reise ging von Acapulco über die Hauptstadt Mexiko
und den Pic von Orizaba nach Veracruz, alsdann über die
Landenge von Tehuantepec und von da nach Oaxaca und
') Siehe „Die Bevölkerung der Erde” V, Ergänzungsheft der „Peter-
mann’schen Mittheilungen”, Nr. 55, Seite 60.
2) Breslau, J. U. Kern, 1878. Preis 10 M.
3) Aus Mexiko, Reiseskizzen aus den Jahren 1874 und 1875. Von
Dr. Fr. Ratzel. Breslau, J. U. Kern, 1878. 10 M.
34 Geographischer Monatsbericht.
Tehuacan —, als namentlich auch aus den Abschnitten
über die eigenthümliche Culturentwickelung in Mexiko, die
socialen Zustände, das Unterrichtswesen &c.
Cora’s „Cosmos” (1878, Heft II) bringt eine Karte des
Rio Mezcala (Balsas), der die Grenze zwischen den mexi-
kanischen Staaten Michoachan und Guerrero bildet. Sie
beruht auf einer speciellen Aufnahme aus dem J. 1870
durch die Ingenieure R. B. Gorsuch und Fr. Jimenez, ist
mit reichlichen Höhenmessungen und Positions-Bestimmungen
ausgestattet und wird von einem ausgiebigen Text be-
gleitet.
Unter dem Titel „Studien unter den Tropen Amerika’s” hat
Dr. Fr. Engel eine Anzahl seiner in Zeitschriften erschienenen
Aufsätze als Ganzes herausgegeben (Jena, bei Fr. Mauke,
1878). Es sind Schilderungen und Betrachtungen, die sich
auf langjährige eigene Beobachtungen und Erlebnisse stüt-
zen: Land und Leute des tropischen Amerika, die klimati-
schen und territorialen Zonen des tropischen Amerika,
National- und Räcentypen, das Sinnen- und Seelenleben
des Menschen ,: der tropische Urwald, Nacht und Morgen
unter den Tropen.
Das Buch von Carl Sachs „Aus den Llanos, Schilderung
einer naturwissenschaftlichen Reise nach Venezuela” (Leip-
zig, bei Veit, 1879), bedarf keiner Empfehlung mehr, seine
Vorzüge sind durch zahlreiche Auszüge allgemein bekannt
und wirklich dürfte ein Reisebuch selten so ungetheilten
Beifall gefunden haben als dieses. Wenn wir es hier noch
erwähnen, so geschieht es nur, um dem Andenken des früh
verstorbenen Verfassers unsere Huldigung darzubringen.
Dr. Crevaux, der im J. 1877 eine erfolgreiche Reise
durch Französisch-Guyana ausführte, indem er den Maroni
hinauffahr, die Tumao-Humac-Berge überschritt und am
Yari hinab zum Amazonenstrom gelangte, hat 1878 eine
zweite Forschungsreise durch Französisch-Guyana zurück-
gelegt. Er kam in Cayenne am 28. Juli 1878 mit dem
Dampfboot an und begann Ende August den Oyapock hinauf
zu gehen, dessen Becken er bis zu den Quellen durch-
wanderte, um schliesslich bei letzteren die Tumac-Humac-
Berge nochmals zu überschreiten und. wieder auf einem der
Nebenflüsse des Amazonenstromes nach Para zu gelangen.
Die Karte seiner Reise von 1877 ist nebst Beschreibung
zuerst in G. Cora’s „Cosmos’” (1878, I, Tafel 1) publicirt,
eine etwas grössere Karte derselben, auf der noch ver-
schiedene andere Reiserouten in Französisch -Guyana ein-
gezeichnet sind, so wie eine Specialkarte des Yari nach
Crevaux’ Compass- Aufnahme bringt das Bulletin der Pa-
riser Geogr. Gesellschaft.
Als eine Vorarbeit zu der projectirten Eisenbahn längs
der Stromschnellen des Madeira liess das Navy Department
zu Washington 1878 durch Commander 7%. O. Selfridge
eine Untersuchung dieses Flusses von seiner Mündung in
den Amazonenstrom aufwärts bis zum Beginn der Fälle bei
San Antonio vornehmen. Das practische Ergebniss war,
dass Schiffe von 16 F. Tiefgang während 9 Monaten des
Jahres von Para direct bis San Antonio gelangen können
und ein 6 bis 8 -F. tiefes Fahrwasser das ganze Jahr hin-
durch besteht. Commander Selfridge dehnte seine Unter-
suchungen auch auf den Amazonenstrom selbst aus, der „New
York Herald” vom 23. October 1878 veröffentlichte gleich
nach seiner Rückkehr eine lange Liste astronomischer Po-
sitionen, die auf diesem Strome von den Lieutenants Baker
und Perkins im Verlauf der Expedition bestimmt worden
sind, und seine Karten des Amazonas und Madeira werden
in Washington zur Publication vorbereitet.
In naher Beziehung zu Commander Selfridge’s Auf-
nahmen steht ein Unternehmen der Herren Mackie und
Scott: ın Philadelphia, welchem ebenfalls die Tendenz zu
Grunde liegt, die Handelsverbindung zwischen Brasilien und
dem Amazonenstrom zu fördern. Mackie als Chef der Ex-
pedition, Gorham als sein Vertreter, Lockwood als Minera-
log, Keasby als Geograph, Rennington als Arzt, Morris als
Naturforscher und eine Anzahl anderer Mitglieder der Ex-
pedition wollten im August 1878 bei den Fällen des Ma-
deira zusammenkommen und die Flüsse Mayttata, Beni,
Mamore, Guapore &c. aufnehmen.
Dr. Z. Lange hat für die „Annalen der Hydrographie
und maritimen Meteorologie” (1878, Heft XI) eine Karte
vom unteren Flussgebiet des Itajahj mit den Kolonien Blu-
menau, Itajahy-Brusque &c. ausgearbeitet (Mast. 1:500 000)
und ihr eine werthvolle Übersicht des Kartenmaterials bei-
gegeben.
Dem Atlas der argentinischen Pampa, den der Kriegs-
minister Dr. Alsina seinem Me&moire über die 1877 gegen
die Indianer vorgeschobene befestigte Linie beigegeben hat
(s. Peterm. Mitth. 1878, S. 77), folgt jetzt ein werthvolles
Textwerk, hervorgerufen durch das Project des Kriegs-
ministers General Roca, welcher die Grenze gegen die
Indianer an den Rio Negro und Neuquen verlegen und
dadurch die Pampa ihrer Sanzen Ausdehnung nach bis
nach Patagonien der Besiedelung eröffnen will. Das Buch
von Z. $. Zeballos, das sich eingehend mit diesem Pro-
ject beschäftigt, trägt daher den Titel „Ze conquista de
quince mil leguas” (Buenos Aires 1878). Nachdem es die
politische und die Entdeckungsgeschichte unter Beigabe meh-
rerer Karten abgehandelt, giebt es eine ausführliche Be-
schreibung des zu öffnenden Gebietes mit besonderer Rück-
sicht auf die Flüsse und als Anhang dazu eine sehr schät-
zenswerthe Bibliographie mit kritischen Notizen.
Polar - Regionen.
Der Fang bei Spitzbergen geht jetzt nur im Sommer
vor sich. Erfahrene Eismeerfahrer halten es aber für eine
an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass die Ver-
hältnisse bei Spitzbergen von der Beschaffenheit sind, dass
auch im Winter Fang betrieben werden könne. Was eine
dort überwinternde Expedition kosten würde, wird natür-
lich sehr von der vollkommeneren oder unvollkommeneren
Aussteuer derselben abhängen. Von in solchen Dingen
kundigen Leuten hat die „Tromsöpost” indessen angeben
hören, dass eine einigermaassen befriedigende Ausrüstung
von 6 Mann für einen einjährigen Aufenthalt auf Spitz-
bergen etwa 12000 Kronen (= 13500 Mark) erfordern
würde. Als Hauptposten sind da aufgeführt: ein Fahrzeug
für 3200 Kronen, Boote und Geräthschaften 1600 Kronen,
Proviant, 20 Kronen für den Mann monatlich, 1440 Kro-
nen, ein eindachiges Haus 2400 Kronen &. Von dem
Hause der Schweden im Eisfjord meint man, dass es auf
einer so unbequemen und der Witterung so sehr ausge
setzten Stelle steht, dass es nicht wohl zur Überwinterung
benutzt werden kann, wogegen bei demselben Zimmerholz
Geographischer Monatsbericht. 35
für zwei andere Häuser zurechtgehauen liegt und vermuthlich
für mässigen Preis erworben werden kann. Die „Tromsö-
post’’ hat diese Angelegenheit wieder zur Sprache gebracht,
weil ihr bekannt ist, dass einige erfahrene und zuverläs-
sige Eismeerfahrer sich zu dem Versuch entschlossen haben,
durch Subscription die nöthigen Mittel zu einer solchen
Expedition zu sammeln.
Nachdem vom Commändanten de Bruyne der Aolländsı-
schen Polar- Expedition im „Willem Barents” ein Bericht an
das Comit6 im „Nieuwe Amsterdam’sche Courant” vom 13.
und 15. October 1878 veröffentlicht worden, erhielten wir
kürzlich auch eine Übersichtskarte dieser Polarfahrt, die in
ganz netter Ausführung mit der holländischen Zeitung „Het
nieuws van den dag” ausgegeben worden ist !., Obwohl
wir daher die ausführlichere Beschreibung der Reise und
die Bearbeitung der Resultate erst in einiger Zeit erwarten
dürfen, liegt doch schon eine befriedigende Übersicht der-
selben vor. Das Schiff verliess Bergen am 18. Mai, steuerte
bei Jan Mayen vorbei nach der nicht fern davon ange-
troffenen Eiskante und längs derselben nach der Nordküste
von Spitzbergen, wo die Mündung der Wijde-Bai den End-
punkt nach dieser Richtung bildete. Von dort ging es
südwärts über die Bären-Insel nach Vardö und hier begann
am 22. Juli der zweite Theil der Reise, dessen Schauplatz
die Barents-See, d. h. das Meer zwischen Lappland, Spitz- _
bergen und Nowaja Semlja bildete. Bei zwei Vorstössen
in das Eis, welches dieses Meer im Norden begrenzt, ge-
langte das Schiff am 3. August bis 77° 51’ N. Br. (44°
Östl. L.) und am 8. August bis 77° 44' N. Br. (36°
Östl. L.), steuerte dann südöstlich nach dem westlichen
Eingang zur Matotschkin Scharr und an der Westküste
von Nowaja Semlja hinauf bis in die Nachbarschaft von Kap
Nassau, von wo ein dritter Vorstoss gegen Norden unter-
_ nommen wurde. Diessmal erreichte der „Willem Barents”
im Meridian des Franz Josef-Landes (55° Östl. L.) am
7. September die Breite von 78° 17’, ging von dort an
der Eiskante entlang nach Westen und war am 26. Septbr.
in Hammerfest. Bemerkenswerth sind auf der Karte als
Ergebnisse der Expedition besonders eine grössere Anzahl
schätzbarer Tiefenmessungen.
Allgemeines.
Wer sich in der grossen Menge von kartographischen
Hülfsmitteln für den Unterricht in der Geographie orien-
tiren will, der wird mit Nutzen einen Aufsatz von W. Keil
in Kehr’s „Pädagogischen Blättern” (Bd. VIII, Heft 1)
lesen: „Der gegenwärtige Standpunkt der deutschen, öster-
reichischen und schweizerischen Schulkartographse und unser
heutiges Recensententhum”. In klarer Disposition werden
hier auf nur 32 Seiten eine bedeudende Anzahl von Schul-
atlanten, Wandkarten, Globen &c. namhaft gemacht und
mit gutem Urtheil charakterisirt. Wenn der Verfasser bis-
weilen etwas zu scharf kritisirt, so ist andererseits dankens-
werth, dass er die sehr gewöhnliche Belobung mittelmässiger
Karten von Seite der Behörden und Journale durch drasti-
sche Beispiele geisselt.
Ein anonym erschienenes Buch über die Portugsesischen
!) Kaart der noordelijke ijszee met reisroute der Willem Barents,
Kommandant A. de Bruyne 1878.
Kolonien!) muss schon deshalb willkommen geheissen werden,
weil es in französischer Sprache geschrieben ist, enthält
aber auch über jede einzelne Kolonie schätzbare statistische
Nachweise neuesten Datums, besonders in Bezug auf den
Handel.
Mit dem October 1878 sind in Deutschland zwei neue
geographische Monatsschriften ins Leben getreten. „Aus
fernen Zonen’, redigirt von Pfarrer @. Kurze zu Mörsdorf
in S.-Altenburg (Commissionsverlag von Oswald Mutze in
Leipzig, Preis 4 Mark pro Jahr), stellt sich vorzugsweise
auf den Boden der Missions-Literatur, sie entnimmt ihr Ma-
terial in der Hauptsache den Reisen und Forschungen pro-
testantischer und katholischer Missionare. Wie reich das
‚geographische Material in den zahlreichen Missions-Zeit-
schriften ist, brauchen die „Mittheilungen” nicht hervorzu-
heben, da sie fortlaufend auf diese Quelle geographischer
Nachrichten aufmerksam gemacht und wichtigere Arbeiten
der Missionare weiter verbreitet haben. Nach der Probe-
nummer zu schliessen, wird der Herausgeber bemüht sein,
ausser den Missionsreisen auch andere die Geographie mehr
oder weniger berührende Notizen in Menge zusammenzustel-
len, so dass die Zeitschrift den Charakter einer Art geographi-
scher Zeitung annimmt. Auch Anzeigen und Besprechungen
neuer Bücher sind in das Programm eingeschlossen.
„Deutsch a Rundschau für Geographie und Statistik”
nennt sich die zweite der neuen Zeitschriften. Sie will
in weitem Rahmen „Kunde von den Fortschritten und Er-
gebnissen aller wissenswerthen geographischen und sta-
tistischen Beziehungen in allgemein populärer Form” bieten,
Reiseschilderungen, Entdeckungen, physische Geographie,
politische Veränderungen, Abstammung, Culturleben und
sittliche Entwickelung der Völker, Statistik der Bevölkerung,
der Production, des Handels, der Finanzen, Armeen, Ver-
kehrsmittel &c. in ihr Programm, aufnehmen und den reich-
haltigen Text mit Abbildungen und Karten illustriren. Sie
sucht ihre Verbreitung hauptsächlich in Österreich, wo ein
ähnliches Organ noch nicht besteht. Der Herausgeber ist
Prof. Dr. C. Arendts in München, als Stifter der dortigen
Geographischen Gesellschaft und Bearbeiter von Balbi’'s
Handbuch der Erdbeschreibung rühmlichst bekannt. Die
Zeitschrift erscheint im Verlag von A. Hartleben in Wien;
gut ausgestattet, zum Preis von 8 Mark jährlich.
Auch im Ausland haben die letzten Monate des vorigen
Jahres einige neue geographische Zeitschriften erstehen
sehen. Die am 14. Juli 1878 eröffnete „Soosdtd de geogra-
phie de la Province d’Oran”' hat die erste Nummer ihres
„Bulletin herausgegeben, welche die Statuten, das Mit-
gliederverzeichniss und die Eröffnungsrede des Vorsitzen-
den, Marinelieut. Trotabas, enthält. Da die Sitzungen nur
gelegentlich, nicht in bestimmten Fristen Statt finden sol-
len, wird für das Bulletin wohl auch keine regelmässige
Periodicität ins Auge gefasst sein.
Eben so erscheint die von der „Svenska Sällskapet för
Antropologi och Geografi” in Stockholm herausgegebene
„Geografiska Sektionens Tidskrift”' fürs Erkte in zwanglosen
Heften, deren seit October drei publicirt sind. Die seit
1873 bestehende schwedische Gesellschaft für Anthropologie
') Les Colonies portugaises, court expos& de leur situation actuelle.
Lisbonne, Imprimerie nationale, 1878. 8°, 136 pp.
5®
36 Geographischer Monatsbericht.
hat sich im December 1877 neu organisirt, in der Weise,
dass sie zwei gleich "berechtigte Sectionen für Anthropo-
logie und Geographie umfasst, die beide ihre besonderen
Sitzungen ausser den gemeinschaftlichen halten, ihren be-
sonderen Vorstand wählen und auch ihre Verhandlungen
getrennt herausgeben. Während der Präsident des Commerz-
collegiums Dr. Waern dem ganzen Verein vorsteht und
Dr. Hans Hildebrand die Secretariatsgeschäfte besorgt, finden
wir an der Spitze der geographischen Section den Prof.
Nordenskiöld, Dr. E. Sidenbladh vom Statistischen Central-
Bureau, den Chef der lithogr. Anstalt des Generalstabs
A. Börtzell, den Vicepräsidenten der Akademie der freien
Künste J. Frhrn. von Nordenfalk, den Chef des Marine-
Departements v. Otter, und den Prof. O. Torell, Chef der
geol. Aufnahmen. Unter solchen glänzenden Sternen sind
die Auspicien dieser schwedischen geographischen Gesell-
schaft sicher die günstigsten, ihre Zeitschrift wird sich ohne
Zweifel in kurzer Zeit zu einer der kräftigsten Stützen
unserer Wissenschaft heranbilden.
Anschliessend hieran begrüssen wir die Entstehung eines
„Central-Vereins für Handelsgeographie und Förderung deut-
scher Interessen im Auslande su Berlin”, an dessen Spitze
der Nationalöconom Dr. Jannasch, der Afrikareisende Dr. O.
Kersten, der Geograph Dr. H. Lange und andere bekannte
Namen stehen. Neben der Förderung der Handelsgeogra-
phie stellt er es sich besonders zur Aufgabe, sich der deut-
schen Auswanderung anzunehmen und die deutschen In-
teressen im Auslande zu pflegen. Ein ständiges Bureau
soll errichtet werden, welchem obliegt, auf Grund sorgfäl-
tiger Erkundigungen Auskunft über deutsche Ansiedelungen
ım Auslande zu ertheilen, fortlaufende Berichte über die-
selben zu veröffentlichen, die Garantien für wirksamen
Rechtsschutz der Auswanderer zu vermehren, Stellengesuche
von Arbeitern, Kaufleuten, Lehrern, Lehrerinnen, Tech-
nikern und Anderen zu vermitteln, Verbindungen für com-
mercielle und wissenschaftliche Zwecke anzubabnen und zu
unterhalten, deutsche Factoreien und Ackerbaucolonien an-
zulegen, durch Preisschriften und Vorträge, insbesondere
durch das Studium der Colonialpolitik anderer Staaten,
kurz durch Förderung nationaler Interessen im Auslande
und durch Erforschung der Zustände desselben zur Ver-
breitung des Einflusses deutscher Cultur beizutragen und
das Verständniss für die Aufgaben derselben gegenüber dem
Auslande zu vermehren.
Eine angenehme Erinnerung für die Theilnehmer an
dem Pariser geogr. Congress von 1875 sind die Sslzungs-
berichte, deren 1. Band vor einigen Monaten ausgegeben
wurde '., Er enthält in der Einleitung eine kurze Ge-
schichte des Congresses, die bekannten Verzeichnisse der
Mitglieder des Commissariats und der Ehrenmitglieder des
Congresses, dann die erste vollständige Liste der Theil-
nehmer, deren Zahl ca 1500 betrug, endlich die schon vor
dem Congress vertheilten Fragen für die einzelnen Sectio-
nen. Danach folgen die Berichte über sämmtliche Sitzun-
gen der 7 Sectionen oder Gruppen nebst den darin vor-
getragenen Abhandlungen, die hier in der Zahl von 5l
vollständig abgedruckt, zum Theil auch durch Karten und
Abbildungen erläutert sind. Da die Sections - Sitzungen
meistens gleichzeitig Statt fanden, man also nur einzelnen
beiwohnen konnte, so enthalten die Protokolle auch für die
Theilnehmer am Congress sehr viel, was sie dort nicht
selbst vernommen haben, und die 51 Abhandlungen bilden,
wenn auch etwas spät publicirt, eine hübsche Summe wis-
senschaftlichen Materials. Der geographischen Gesellschaft
in Paris, welche die Mühe der Redaction übernommen hat,
gebührt dafür unser besonderer Dank. E. Behm.
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nick; 10: Neugolz; 11: Freudenfier; 12: Betkenkammer; 17: Breiten-
stein; 18: Alt-Lebehnke; 33: Ossowitz; 34: Bromberg; 52: Thorn;
53: Gremboczin ; 55: Podgorz; 56: Schilno. — West-Gruppe. Bl. 61:
Gr.-Freden; 62: Lamspringe, 63: Hahausen; 64: Goslar; 65: Ein-
beck ; 66: Gandersheim; 67: Seesen;- 68: Zellerfeld ; 69: Moringen ;
70: Westerhof; 71: Osterode; 72: Riefensbeck; 73: Nörten; 74:
Lindau; 75: Giebeldehausen; 76: Lauterberg; 77: Göttingen; 78:
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furt; H9: Triest; H10: Pola; Hi1: Zara; J7: Wien (I 7: Wien
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Spalato; J12: Lissa; K7: Komorn; K 8: Budapest; K9: Esseg;
K10: Brod; Ki1: Vigorae; K12: Ragusa; L7: Erlau; L8: Szol-
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Rupperswil; 152: Schönenwerd; 153: Gränichen; 215: Kirch-
berg. — — Lief. 12. Bl. 7: Therwil; 9: Blauen; 10: Gempen ;
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nova, 4: Leonessa, 5: Amatrice (2 Bl.), 7: Atri (2 Bl.), 8: Citts
ducale, 9: Aquila degli Abruzzi (2 Bl.), 11: Chieti, 13: Tagliacozzo
(2 Bl.), 18: Oapistrello (2 Bl.), 19: Trasacco, 26: Sona (2 BL),
83: Monte 8. Biagio, 34: Pontecorvo (2 Bl.), 41: Lago di Fondi,
42: Gaeta (2 Bl.), 43: Teano (2 B].), 51: Isole Ponze, 52: Capus
(2 Bl), 53: Caserta (2 Bl.), 61: Napoli (2 Bi.), 62: Castellammare
di Stabia (2 BL), 71: I. di Capri, 72: Sorrento (2 BL.).
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4
(Geschlossen am 31. December 1878.)
Petermann's Geoßrapische Mitiheilungen Tockatyr.kul
7197 GE Jahrgang 1873, Tafe:
Reise durch das mittlere und südliche J apan, 1876.
Von Dr. A. Woeikof '). Ä
(Mit Karte, s. Tafel 3.)
Den Anfang des September benutzte ich dazu, die °
Merkwürdigkeiten Tokio’s zu besehen und weitere Erkun-
digungen über das Land zu sammeln; mit statistischen
Daten jedoch war ich nicht besonders glücklich, vielleicht
weil ich nicht Zeit genug darauf verwendete. Der Herbst,
namentlich von Ende September bis Ende November, ist
eine sehr gute Zeit zum Reisen in Japan, die lästige Hitze
des Sommers ist vorbei und das Wetter gewöhnlich schön,
Ich entschloss mich, Kioto und das südwestliche Nippon zu
besuchen, letzteres weil es, trotzdem dass Japan jetzt von
so vielen Europäern bereist wird, doch noch sehr wenig
bekannt ist. Es hat keine so hohen Berge und schöne
Scenerie, wie das centrale Bergland Japans, daher auch
weniger Anziehungskraft. Meine Bekannten waren auch
der Meinung, es lohne sich nicht dorthin zu reisen, es sei
ein armes uninteressantes Land. Ich bereue jedoch nicht,
meinen Plan befolgt zu haben; von allen Gegenden Japans,
die ich eben so leicht und in eben so kurzer Zeit hätte
besuchen können, war diese in Europa am wenigsten be-
kannt, die Insel Sikoku ausgenommen.
Nach langer Dürre trat im September Regen ein, der
in der Mitte des Monats sehr stark wurde. Am 17. hatten
wir einen nicht besonders heftigen Taifun; das Wasser
richtete viel mehr Unheil an, als der Wind. Diese Regen
nöthigten mich, da ich nicht länger warten wollte, auf die
Reise längs der schönen Bergstrasse Nakasendo zu verzich-
ten, denn dort hätte ich Tage lang durch das schlechte
Wetter aufgehalten werden können.
Diessmal hatte ich einen ausgezeichneten Reisebegleiter
in Herrn Siga, früherem Gesandtschafts-Sekretär in St. Pe-
tersburg, und daher mit der russischen Sprache vertraut;
ihm verdanke ich zum grössten Theil den guten Erfolg
meiner zweiten Reise.
Wir verliessen Jokohama am 19. September, besuchten
zunächst Kamakura und den berühmten Daibutz, dann die
Insel Enosima, und kamen in F'udsisawa auf den Tokaido,
1) Die Beschreibung der unmittelbar vorausgegangenen Reise durch
das nördliche Japan, deren Itinerar auf Tafel 3 ebenfalls eingetragen
ist, siehe in Jahrgang 1878, 8. 176.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft II.
die grosse Küstenstrasse von Tokio nach Oosaka und Kioto.
Bei der bedeutenden Stadt Odawara beginnt die Besteigung
der Hakone-Berge, welche Gegend ich schon früher besucht
hatte. Die frische Luft, die schöne Scenerie und nament-
lich die vielen warmen Bäder machen sie zu einem belieb-
ten Aufenthalte für Einheimische und Fremde während der
heissen Sommermonate. Jenseit des Hakone-Passes (371 m)
ist das Klima schon bedeutend wärmer, und es beginnt die
Cultur des Zuckerrobres. Ausserdem steht auch die Cultur
des Mais und der Baumwolle in grösserer Blüthe als nörd-
lich von Tokio.
Von dem Hakone-Passe folgte ich dem Tokaido bis nach
Tojehasi am Golfe von Isse (Owari), Diese Gegend ist
von den Jesuiten und holländischen Reisenden im 17. Jahr-
hundert an so oft beschrieben worden, dass wohl wenig Neues
darüber zu sagen ist. Ich fand die Bevölkerung nicht so
dicht, wie von früheren Reisenden beschrieben, aber bin
doch nicht geneigt, dieselben für Lügner zu halten. Seit
dem Aufhören der grossen Daimiozüge und den regelmäs-
sigen Dampfschifffahrten, welche jetzt einen grossen Theil
der Reisenden und Waaren befördern, hat der Verkehr
hier sehr abgenommen, und damit auch die Bevölkerung
an der Strasse. Sie zog sich dorthin, wo mehr zu ver-
dienen war, u. A. nach Jokohama, welches in 18 Jahren
von einem Fischerdorfe zu einer reichen Stadt von 60000
Einwohnern anwuchs,
Die Regen hatten die Strasse verdorben, an vielen
Orten waren verheerende Überschwemmungen gewesen, und
manche Bergströme waren vom 17. bis 22. September gar
nicht zu passiren (Brücken giebt es über die grösseren nicht).
Am 24. Abends mietheten wir ein Segelboot, um auf
die andere Seite der Bucht von Isse zu fahren. Am näch-
sten Tage war es fast ganz still, und am 26. Abends waren
wir am Ziel, dem Hafen von Furu-itschi, von wo die Stadt
erreicht wurde. Hier sahen wir einen in ganz Japan be-
rühmten historischen Tanz (odori), Es war eine Art lang-
samer Marsch, von 20 Frauen in alten, prächtigen Ge-
wändern ausgeführt. Dazu wurde Samiseng (japanische
Guitarre) gespielt und gesungen.
6
42 | Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876.
Am 27. besuchten wir die alten, berühmten Tempel
von Isse, Nai-Ku und Gei-Gu. Eine sehr gute Beschrei-
bung davon hat Herr Satou gegeben !), welcher ihr Alter
auf 1800 Jahre angiebt, während Ortstradition von 3000
spricht. Dieses Alter ist so zu verstehen, dass seit 1800
Jahren hier Tempel existiren. Alle 21 Jahre werden die
früheren abgebrochen und neue daneben gebaut, aber genau
nach dem früheren Muster, aus Hinoki-Holz mit Stroh-
dächern. Der Ort hier wurde als so heilig betrachtet, dass
man sich nicht die kleinste Veränderung vom Hergebrachten
erlaubt, und so sieht man denn hier den echten uralten
Sintostyl ohne jegliche buddhistische Neuerung, welche bei
allen anderen Tempeln mehr oder weniger durchdrang. Die
Umgegend der Tempel ist flach, nur einzelne alte Bäume
geben ihr einigen Reiz.
Von den Tempeln fuhren wir, über den Mija gawa
setzend, durch die Stadt Rokken nach der Stadt Oonoki.
Die sebr bevölkerte Gegend war flach und meistens mit
Reisfeldern erfüllt. Wegen des beständigen Regens am
Nachmittag war wenig in der Ferne zu sehen.
Am 28. setzten wir über den Oonoki kawa und fuhren
thalaufwärts nach West. In dem engen Thale waren Reis-
felder, die Dörfer aber waren kleiner als gestern. Granit
kam zu Tage, meist stark verwittert. Bald wurde Kaito
erreicht, von wo aus der Weg so schlecht wurde, dass er
nur zu Fuss oder im Kango zu passiren war. Der grösste
Theil des Weges von hier nach Awo war unbewohnt, theil-
weis fanden sich Wiesen mit hohen Graminsen und Legumi-
nosen ganz unbenutzt stehend, bald Wald überwiegend
aus Mazu und Sugi. Die Passhöhe (499 m) bildet die
Grenze zwischen Isse und Iga. Bei Awo waren wieder
Reisfelder, dann erreichten wir ein anderes Thal, wo zur
Bewässerung der Reisfelder zwei grosse eingedämmte Teiche
waren. Abends kamen wir nach Nabari, in einem breiten
Thale gelegen. Herr Siga bemerkte, dass hier in der
Sprache, wie in den Sitten und Gebräuchen des Volkes
der Einfluss von Kioto bemerkbar wird, bis bier war wenig
Unterschied mit dem, was bei Tokio gilt.
. Am 29. überschritten wir den Nabari kawa, bogen links
in ein Seitenthal ein, bei dem Dorf Sambomatz vorbei,
überstiegen einen kleinen Pas, um zur Stadt Hajbara
hinabzusteigen. Das Gestein war noch immer (Granit,
welcher bei seiner Zersetzung einen armen Sandboden
giebt; die Dörfer waren klein und ärmlich, aber die Be-
arbeitung der Felder sorgfältig, ziemlich steile Abhänge
waren in Reisfelder verwandelt. Bei den Städten Haj-
bara und Hasse verschwindet der Granit und bald wird
auch die Vegetation schöner. Ein steiler Abhang führt in
ı) 8. Journal Asistical Soo. of Japan.
das Thal von Hasse. Hier besuchten wir den berühmten
Tempel Cho-Kokudsi, Haupttempel der buddhistischen Sekte
Siugon. Einige Ähnlichkeit mit katholischen Kirchen in
der ioneren Einrichtung war nicht zu verkennen. Um den
Haupttempel waren eine Menge Klostergebäude, Kapellen,
Galerien &o. gebaut. Im Gasthause, wo wir einkehrten,
waren eine Menge Holztafeln mit farbiger oder goldener
chinesischer Schrift aurgehängt, von den hier einkehrenden
Pilgergesellschaften hinterlassen.
Von Hasse an geht es thalabwärts, das Thal wird immer
breiter, bis es eine Ausdehnung von etwa 10 km bei Miwa
erreicht, wo sich auch ein berühmter Tempel befindet,
Abends kamen wir nach der grossen Stadt Nara und be-
suchten am nächsten Morgen den Tempel Kasuga. Nach-
dem wir die Pforte (Torii) passirt hatten, befanden wir
uns in einem grossen, schönen Park, wo zahlreiche Hirsche
sich ohne Scheu uns näherten. Sie werden hier gehalten
und gefüttert, weil der Ortsheilige auf einem Hirsche hierher
gekommen sein soll. Der Tempel selbst ist sehr einfach,
fast eben so wie die von Isse. Eine Unmasse steinerner
Candelaber standen herum —- alles Opfer reicher Pilger.
Aus dem Russe des verbrannten Öles wird eine in Japan
berühmte Tusche gemacht. In demselben Parke giebt
es noch viele andere Tempel, u. A. einen buddhisti-
schen, in dem eine colossale, 53 Fuss hohe Statue des
Buddha in sitzender Stellung steht. Als Kunstwerk ist dieser
Daibutz viel weniger bemerkenswerth, als derjenige bei
Kamakura.. Im Tempel war eine Ausstellung ihm geh‘
riger Sachen, u. A. ausgezeichnete Lackwaaren, alte Bronoe
und Waffen.
Der Weg nach Oosaka nimmt jetzt eine südwestliche
Richtung, um die auf dem direkten Wege liegenden
Berge zu vermeiden. An der Stadt Koorijama vorbei er-
reichten wir bald die Grenze von Jamato und Kawatschi,
setzten über den Jamato gawa und gelangten in die Ebene
von Oosaka. Bei der Stadt Hirano waren sehr ausgedehnte
Baumwollfelder, in der Stadt war die Reinigung der Wolle
von den Samen in vollem Gange, theilweis wurde sie mit
amerikanischem Gius gethan. Die hiesige Baumwolle wird
nicht ausgeführt, sondern die Webstühle von Oosaka und
andere japanische Städte damit versorgt. Abends kamen
wir nach Oosaka, der zweiten Stadt des Landes; ihre Ein-
wohner sind sehr rührig und namentlich im Seehandel ge-
schickt. Die Ursachen, welche der Stadt zu ihrer Bedeu-
tung verhalfen, sind folgende:
Die Stadt liegt nahe an der Mündung eines bedeuten-
den Flusses des Adschino gawa, welcher sich in mehrere
Arme theilt, so dass alle Stadttheile an den Vortheilen der
Wasserverbindungen Theil nehmen. Diesem ist durch zahl-
reiohe Kanäle noch nachgeholfen, so dass Oosaka nicht selten
Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876. 43
das japanische Venedig genannt wird. Viel wichtiger noch
ist das Verhältniss zum inneren Meere. Hier, zwischen
den Inseln Nippon, Kiusiu und Sikoku, in der Nähe der
ältesten Schauplätze der japanischen Civilisation, fanden
sich alle günstigen Verhältnisse für die Schifffahrt eines
wenig seetüchtigen Volkes, Schutz vor den hohen Wellen
des Oceans, zahlreiche Häfen und Inseln. Dazu ist noch
die Regelmässigkeit der Land- und Seswinde besonders zu
erwähnen. Der NW-Monsun des Winters und der Süd-
Monsun des Sommers sind hier, auf dem inselreichen Meere,
durch die umliegenden Berge sehr abgeschwächt, so dass
die Land- und Seewinde viel ungestörter auftreten können,
als an den Küsten des Grossen Oceans und des Japanischen
Meeres. Stürme sind im inneren Meere selten, ausser den
meistens nur ein- oder zweimal im Jahre sich ereignenden
Taifuns. So waren hier die Verhältnisse noch günstiger
für die angehende Schifffahrt der Japaner, als im östlichen
Mittelmeer für diejenige der Griechen. Die Bucht von
Oosaka aber ist als ein Theil des inneren Meeres zu be-
trachten. Die Lage an einer reichen, fruchtbaren Ebene
und die Nähe der Hauptstadt sicherte Oosaka einen hervor-
ragenden Platz in dieser Schifffahrt. Dazu kam ein an-
derer Umstand. Die Insel Nippon ist hier ziemlich schmal,
und der grosse See Biwa, durch schiffbare Flüsse mit der
Bai von Oosaka verknüpft, macht die Verbindung mit dem
Japanischen Meere zu einer leichten und bequemen, denn
der Landtransport auf dieser Linie ist sehr kurz. So ent-
stand denn schon früh ein bedeutender Austausch zwischen
den Provinzen am Japanischen Meere und dem südlichen
Japan über den Biwa-See. Oosaka war der natürliche
Stapelplatz dieses Handels und versorgte die Häfen des
inneren Meeres mit den von Norden kommenden Woaaren,
namentlich Reis, Fischen und Seetang. Später bildete sich
der Handel mit den Häfen des Japanischen Meeres auch
auf dem Seewege über die Strasse von Simonoseki aus,
aber bei der schwerfälligen Bauart der japanischen Dschunken
findet derselbe meistens nur von April bis September, Statt.
In den anderen Monaten, wenn im Japanischen Meere stür-
mische Westwinde vorwalten, hört die Schifffahrt fast auf
und der Handel geht dann wieder tiber den Biwa-See.
Obgleich sich jetzt durch den Handel mit Europa und
die Dampfschifffahrt die Verhältnisse verändert haben, hat
Oosaka seinen Einfluss nicht eingebüsst. Es ist immer
das Handelscentrum des inneren Meeres, zahlreiche kleine
Dampfschiffe vermitteln diesen Verkehr, der sich jetzt auch
weiter, bis an die Westküsten von Kiusiu und sogar die
Liu-kiu-Inseln erstreckt; andererseits ist es aber der Stapel-
platz für den Reis von Kaga und Etschigo, das Bauholz,
die gesalzenen und getrockneten Fische und den Seetang
der Küsten des Japanischen Meeres und der Insel Jesso,
und für die japanischen und europäischen Manufacturwaa-
ren, welche nach diesen nördlichen Gegenden verschickt
werden. Auch der Gewerbfleiss in Oosaka ist bedeutend,
hier werden zwar keine der in Europa so berühmten
Artikel fabricirt, es wird mehr auf Massenconsum und Bil-
ligkeit gearbeitet, und manche europäische Erzeugnisse,
welche vor 3—4 Jahren grossen Absatz hatten, werden
jetzt nicht begehrt, denn Oosaka fabricirt sie selbst, wenn
auch schlechter, aber dafür billiger.
Obgleich Oosaka einer der sieben offenen Häfen ist,
hat sich der Handel mit dem Auslande nicht entwickelt,
denn grosse Fahrzeuge können die seichte Barre nicht pas-
siren. Die europäischen Firmen haben sich in Hiogo etablirt,
dessen tieferer, geräumigerer Hafen alle erwünschten Vor-
theile bot. Hiogo ist der zweite Handelsplatz für Im- und
Export, und mit Oosaka durch Eisenbahn verbunden. Ich
besuchte Hiogo und machte von dort einen Ausflug nach
dem schon 2000 Jahre bekannten Badeort Arıma. Auf
dem Wege dorthin sah ich zum ersten Mal Zeichen von
schädlicher Waldverwüstung. Die Höhen bei dem Pass
Obunezusi sind ganz kahl. Auf dem Sandboden wächst an
vielen Orten sogar kein Gras. Später, als ich durch die
Provinzen zum inneren Meere reiste, fand ich diess sehr
oft, und der Schaden ist schon sehr fühlbar. Trotz bedeu-
tender Werke zur Stauung der Gewässer leiden die Reis-
felder an Wassermangel, wenn ein dürrer Sommer wie
1876 kommt. In den nördlich von Jeddo gelegenen Pro-
vinzen, wo die Gebirge überall bewaldet sind, ist der
Wasserzufluss viel beständiger.
Dann besuchte ich die alte Hauptstadt Kioto, wohin
die Eisenbahn eben eröffnet war. Reisenden wird jetzt
keine Schwierigkeit gemacht, die Stadt zu sehen, selbst
das früher unnahbare Heiligthum, der Palast des Mikado,
wird willig gezeigt. Das Äussere ist sehr einfadh, um
nicht zu sagen ärmlich, und auch im Innern Nichts von
dem Luxus zu sehen, den wir in einem Palaste zu finden
erwarten; freilich finden sich nicht wenige der schönsten
Erzeugnisse der japanischen Kunstindustrie. Die Umgegen-
den der Stadt sind sehr hübsch, namentlich waren jetzt
die verschiedenen Farben des Herbstlaubes schön. Die Ja-
paner sind grosse Liebhaber desselben, und pflanzen manche
Bäume speciell wegen ihrer schönen Herbstfarben.
Auch die Kunstindustrie von Kioto ist sehenswerth;
wenn auch viele Gewerbe gegen frühere Zeiten sehr ge-
sunken sind, so liefert die Stadt doch noch manche schöne
Fabrikate. Einige Gewerbe, wie die Seidenweberei, werden
von der Regierung begünstigt. Es wird alles Mögliche ge-
than, dass die Stadt durch die Übersiedelung des Hofes
nach Tokio nicht viel zu leiden hat.
Nach Oosaka zurückgekehrt, um mir ein japanisches _
6*
44 Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876.
historisches Drama anzusehen (der einzige Ort, wo man die
alten, reichen Costüme und die alte Bewaffnung sehen kann,
ist das T'beater), verliessen wir die Stadt im Dampfboot,
in dem wir den Adscohino und Jodo kawa bis zur Stadt
Fusimi in der Nähe des Biwa-Sees hinauffuhren. Auf der
kurzen Strecke von Fusimi bis zum See ist das Gefälle zu
bedeutend, als dass dort Dampfer fahren könnten. Von
hier aus wurde Udsi besucht, wo der beste japanische Thee
gedeiht. Die Pflanzungen sind in einer ganz ebenen Fläche
angelegt auf mit Steinen gemischten Lehmboden. Von dort
kamen wir nach der grossen Stadt Ootsu, am Südende des
Biwa-Sees gelegen, und besuchten am nächsten Tage einige
berühmte Aussichtspunkte in der Nähe. Der Biwa hat viel
weniger von dem Charakter eines Gebirgssees, als ich nach
Beschreibungen europäischer Reisenden erwartete. Mit sei-
nem schön blauen Wasser und seinen hügeligen Ufern er-
innerte er mich an den nördlichen Theil des Genfer Sees.
Das westliche Ufer ist im Ganzen höher als das östliche,
doch erheben sich die höberen Berge nicht über 200 m
über den See. Bis nach Omidsu am Westufer des Sees
reisten wir im Dampfboot, von dort nach Imadsu gingen
wir zu Fuss. Am 15. October ging es nach NW, d. h.
nach dem Japanischen Meere. Am See war eine kleine
Ebene, dann stiegen wir etwa 46 m auf ein Plateau mit
Reisfeldern, bald fing die Steigung auf den Hoosaka-toge
an, eine grosse Wasserscheide, die niedrigste der fünf von
mir überschrittenen (296 m). Die umliegenden Berge waren
kaum 100 m über dem Passe. Im Norden schienen die
Berge etwas höher zu sein. Jedenfalls ist hieraus leicht
zu sehen, wie niedrig diese zwischen dem Biwa-See und
Japanischen Meere liegenden Berge sind. Bedenkt man, dass
auch die Breite des Gebirgszuges keine bedeutende ist, so
ist es nicht zu verwundern, dass man schon vielfach an
eine Kanalverbindung dachte.
Der Abstieg nach dem Dorfe Kumogawa war ziem-
lich steil; schwarzer Thonschiefer kam hier zu Tage. Von
Kumogawa bis Obama an einer ziemlich geräumigen Bucht
mit steilen, waldigen Ufern gelegen, blieb der Weg immer
in demselben, ziemlich engen Thale. Hier sammelte sich
eine grosse Menschenmenge, um mich zu sehen. Auf der
sehr angenehmen Fahrt im Boote nach Wada bei Taka-
hama erreichten wir bald eine andere Bucht, still und
ruhig wie ein See, in welcher die untergehende Sonne
das Wasser und den vor uns liegenden steilen Pik Ao-
Bassa sehr schön beleuchtete.
Bei Takahama waren die Meeresufer wie früher, steil
und bewaldet. Bald gingen wir in einem Thal aufwärts
über den Rokuro-toge. stiegen in ein anderes Thal hinab
und erreichten kurz vor Itschiba das Meer. Zwischen
Itschiba und Maidsoru (Tanabe) war wieder ein Pass zu
überschreiten, dann ging es einige Zeit längs einer stillen
Bucht mit schönen Ufern, wonach der Öfune-toge über-
schritten wurde Wir stiegen zum Dorf Nakejama hinab,
passirten den Ookawa und kamen Abends nach der Stadt
Jura, nahe der Mündung dieses Flusses. Den ganzen Tag
sah ich eine sehr schöne Vegetation, namentlich auf Hügeln
und zwischen den Feldern. Es waren meistens gemischte
Wäldchen von Laub- und immergrünen Bäumen, letztere
meistens aus Eichen und Camellien bestehend. In der
Umgegend von Jura wachsen viele Orangenbäume, deren
Früchte ausgezeichnet sein sollen. Die Felsart war noch
immer Schiefer, hellgelb bis orangenfarben.
Bald nach Jura trat Granit und Gneiss zu Tage, der
Boden wurde sandig und die Vegetation ärmer als früher.
Nachdem wir einen Pass erreicht hatten mit sehr schöner
Aussicht auf inselreiche Buchten, ging es eine Stunde
lang steile Hügel auf und ab. Der Wald bestand aus
Mazu. Zwischen dem Dorfe Kunda und der Stadt Mjasu
entfernte sich der Weg vom Meere, erreichte aber bei letz-
terer dasselbe wieder. Wir besuchten dann den Ort Amano-
kasidate, bei welchem eine lange, sehr schmale Land-
zunge sich weit ins Meer erstreckt, so dass eine grosse
Bucht von demselben abgetrennt wird. Der Ort ist wegen
seiner Schönheit in Japan berühmt, obwohl ich nicht ein-
sehen konnte, worin sie eigentlich bestand. Eher mag das
Absonderliche die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt haben.
Am 18. verliessen wir Mjasu und erstiegen bald die
steilen Uferhügel, von welchen wir eine schöne Aussicht
auf das Meer hatten, kamen wieder ans Ufer und passirten
dann den höheren Ofune-toge, von wo noch immer die
Bucht von Mjasu zu seben war, und kamen in ein Thal
nach Kutschiono hinab. Von da bis Minejama ging es in
einem Thale mit Reisfeldern, dann kam der Hidgiama-toge,
225 m hoch. Die umliegenden Berge waren höher. Es
war, wie mir schien, im Ganzen die Höhe der Bergketten,
die überall in der Nähe des Meeres sich erheben, ungefähr
dieselbe wie dort, wo ich die Wasserscheide zwischen
Imadsu und Obama passirte.e Auf der nächsten Station,
zwischen Nonaka und Kumihama, waren drei kleine An-
höhen zu passiren, sonst Thäler mit Reis- und anderen
Feldern. Von hier aus verliess ich das Ufer des Japani-
schen Meeres, in dessen Nähe ich mich von Obama an be-
ständig befunden hatte. Diese Gegend ist eine der den
Europäern am wenigsten bekannten in Japan, weshalb ich
noch einige allgemeine Anmerkungen über dieselbe an-
schliesse.
Die N. Br. ist 353° bis 35}°, also sehr nahe derje-
nigen von Tokio (35° 39’). So viel ich erfahren konnte,
ist hier der Winter nicht besonders rauh, aber Schnee
bleibt zuweilen einige Tage liegen, auch in der Nähe des
Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876. 45
Meeres. Spätherbst und Winter sind trüber als an den
Küsten des Grossen Ooceans und des inneren Meeres, aber
nicht so trüb und reich an Niederschlägen wie in und bei
Niigata, was seine Ursache darin hat, dass die Küste hier
von West nach Ost verläuft, auch die Berge im Innern
viel niedriger sind, als weiter im Norden. Die Vegetation
scheint darauf zu deuten, dass der Winter nicht rauher
ist als bei Tokio, denn immergrüne Gewächse finden sich
sehr häufig, wild wachsend wie gepflanzt. Von letzteren .
sind z. B. Orangenbäume sehr verbreitet, besonders in und
bei Jura. Von Pflanzen, welche ein noch wärmeres Klima
anzeigen, finden sich hier wie bei Tokio Palmen und Bana-
nen, jedoch weder hier noch dort häufig, auch reifen die
Früchte der Bananen nicht. Ich habe schon früher er-
wähnt, dass ich auf dem Wege von Utsanomija nach Tokio
die ersten Palmen unweit von Kaskabe fand, welche Stadt
schon südlich vom 36° liegt. Auch in anderen Cultur-
gewächsen konnte ich keinen, durch das Klima bewirkten
Unterschied finden. Das Zuckerrohr fehlt an der Küste
des Japanischen Meeres eben so wie bei Tokio, es wird
erst südwestlich vom Hakone-Passe am Tokaido cultivirt.
Alles diess deutet darauf, dass das Klima an der Küste
des Japanischen Meeres zwischen Obama und Kumihama
nicht rauher ist ale in der Ebene von Tokio, welche unter
denselben Breitengraden liegt.
Ich fand an dieser Küste mehr Laubbäume als bei
Tokio, welcher Umstand darin seine Erklärung findet, dass
in der Ebene nahe der Hauptstadt fast alles Land cultur-
fähig ist und auch cultivirt wird, an dieser Küste aber
viele steile, gebirgige Stellen sind, und auch überhaupt die
weniger dichte Bevölkerung die natürliche, theilweis aus
Laubbäumen bestehende Vegetation, an vielen Orten un-
berührt liess. Die Landschaft ist im Ganzen schön, wozu
diese natürliche Vegetation aus einem Gemisch von Laub-,
Nadel- und immergrünen Bäumen bestehend, wie auch das
Meer und die Berge sehr viel beitragen. Manche stille
Meeresbuchten, mit ihren steilen waldbedeckten Ufern in
der klaren Herbstluft waren entzückend. Aber auch wo
das Meer nicht gesehen wurde, machten die Wälder und
Baumgruppen, auf Hügeln zwischen den Feldern zerstreut,
einen angenehmen Eindruck. Selbst dort, wo der Boden
sandig war, wie u. A. bei Mjasu, waren die meisten Hügel
mit hochstämmiger Waldung bedeckt und boten manche
schöne Aussicht. Einige Tage nachher folgte ich den
Küsten des inneren Meeres zwischen Himedsi und Simono-
seki und fand, dass die Ufer des Japanischen Meeres viel
schöner waren. Am inneren Meere fehlte namentlich eine
üppige Vegetation, die meisten Berge sind entwaldet, und
oft befindet sich auf dem kahlen Sandboden gar keine
Vegetation. Ja sogar die Dörfer, welche sonst in Japan
in einem so schönen Baumschmuck prangen, waren dort
fast ohne Bäume, namentlich zwischen Himedsi und Okajama.
Die Bodencultur ist sehr sorgfältig, aber, wie im nörd-
lichen Nippon, auf die Thäler und sanften unteren Berg-
gehänge beschränkt. Ich reiste schon nach der Reisernte,
und die Bauern waren fleissig beschäftigt, den Boden für
Winterweizen und Gerste zu bereiten. An vielen Orten
waren sie bereits gesäet. Die Baumculturen sind beschränkt,
mehr für den eigenen Gebrauch. Am häufigsten werden
Bambus und verschiedene Fruchtbäume angepflanzt. Thee-
und Maulbeerpflanzungen waren klein.
Ausser dem Ackerbau lebt die Bevölkerung vom Fisch-
fang. Fischerdörfer waren häufig, und wird eine namhafte
Quantität Fische von hier exportirt. Die Hautfarbe der
Bewohner war hier heller als bei Oosaka und Kioto, und
ich sah mehr rothe Wangen — die Bevölkerung mehr
derjenigen des nördlichen Nippon ähnlich. An dieser gan-
zen Küste wird Hornvieh zum Transport gebraucht, Pferde
sieht man höchstens in grösseren Städten.
Wir verliessen Kumihama am 19. und kamen bald an
das Ufer einer der an dieser Küste so häufigen, stillen
Buchten. Bald verschwand die Felsart des Gneissgranits, und
damit wurde auch die Vegetation üppiger. Wir passirten
einen 136m hohen Pass an der Grenze von Tango und
Tadschima. Nach der neueren Eintheilung, durch welche
einige der früheren kleinen Provinzen zu einem Ken ver-
einigt sind, ist hier die Grenze der Ken von Kioto und
Hiogo. Dann gingen wir über einen anderen, niedrigeren
Pass, fubren über den Toj6oko kawa und waren bald in
Kinosaki, wo sehr viele heisse Schwefelquellen entspringen.
Die Temperatur konnte ich nicht bestimmen, denn alle
waren in Holzbauten gefasst.
Von hier aus gingen wir nach Süden am linken Ufer
des Tojöoko kawa hinauf. Die Felsart war hier Porphyr,
und ich bemerkte, dass die Berge oft eine konische Form
annahmen, während in der Granitgneissregion von Jura bis
Kumihama lange Bergrücken vorwalteten. Auf den Bergen
war viel Laubwald, der in den schönsten Herbstfarben
prangte. Der Weg ging oft auf einem Damme, inmitten
grosser Maulbeerpflanzungen. Jenseit der ziemlich grossen
Stadt Tojeoka wurde das Thal breiter, der Weg führte
immer auf einem Damme. Durch die Überschwemmung am
17. September war derselbe an mehreren Orten durch-
brochen und der Weg dadurch sehr schwierig. Er ging
durch ausgedehnte Maulbeerpflanzungen, die grössten, die
ich seit dem Thale von Jonesawa gesehen hatte. Ausser
den gewöhnlichen Bambus und Fruchtbäumen sah ich bier.
häufig Pflanzungen von Weiden, welche zum Korbflechten,
einer Hauptbeschäftigung der hiesigen Einwohner, benutzt
werden. Abends kamen wir nach Jehara, woselbst ich
46 Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876.
einen Typus sehr verbreitet fand, welchen ich an der Küste
des Japanischen Meeres von Obama an selten sah, nämlich
flache Gesichter mit hervortretenden Backenknochen und
schmalen Stirnen.
Zwischen Jehara und Wadajama folgten wir noch immer
dem Tojöoka kawsa, im Ganzen nach Südost fahrend. Die
Berge wurden höher, sogar die nächsten oft 150 m über
dem Thale. Hier war noch viel Reis im Felde, durch den
Sturm am 17. September zu Boden gesenkt, meistens in
einer Richtung von N nach 8. Bald nach Wadajama
wurde die Steigung bemerkbarer, die Berge, namentlich im
W höher. Nach Überschreiten des Mariumakawa fing der
Anstieg auf den Ikuno-toge an. Es ist ein wirklicher Pass,
etwa 150—200 m niedriger, als die umliegenden Berge.
Die höchsten Berge sah ich im NW und S, sie sollen
etwa 900m über das Meeresniveau sich erheben.
Der Ikuno-toge ist eine grosse Wasserscheide, die
fünfte der von mir überschrittenen. Hier die Höhe der-
selben, von Norden anfangend:
Grenzpsss Akita-Mijagi . . . . 876 m
Itajo-toge zwischen Fukusima und Jonesawa . . . 773 „
Pass zwischen Wakawats und Sirakawa . . 760 „
Hoosaka-toge zwischen Imadsu am Biwa-See und Obama. 296 „
Ikuno-toge zwischen Kumihama (Tojöoka) und Himedsi . 345 „
Die Massenerhebung scheint demnach höher zu sein im
nördlichen Nippon als im südwestlichen (zum nördlichen
rechne ich den nördlich vom 37° gelegenen Theil, zum
südwestlichen die Gegend westlich vom Biwa-See), Am
höchsten sind die Massenerhebungen im Centrum der Insel,
wo ich keine grosse Wasserscheide passirt habe. Die Pässe
zwischen dem Biwa-See und Japanischen Meere sind wahr-
scheinlich die niedrigsten grossen Wasserscheiden der Insel.
Unter grossen Wasserscheiden verstehe ich diejenigen zwi-
schen dem Japanischen Meere einerseits, dem Grossen Ocean,
resp. inneren Meere andererseits.
Vom Ikuno-toge wurde bald die Stadt Ikuno erreicht,
wo bedeutende, der Regierung gehörige Minen und Schmelz-
werke sind, denen ich am nächsten Tage einen Besuch
abstattete. Die Einrichtung ist eine ausgezeichnete, sie
wurde von den Herren Coignet und Mouchet ins Werk ge-
setzt. Der letztere Herr ist jetzt technischer Leiter der
Werke und zeigte mir dieselben mit der grössten Bereit-
willigkeit. Es wird jetzt nur Gold und Silber gewonnen
und direct an die Münze von Oosaka abgeliefert, die rei-
chen Kupfererze werden nicht verschmolzen, da es sich
nicht lohnen soll. Ikuno ist jetzt das bedeutendste der
metallurgischen Werke in Japan. Alle umliegenden Höhen
wurden ihrer Wälder beraubt, um Holz nach Ikuno zu
liefern, und es wächst jetzt dort fast nur Gebüsch, unter
welchem Camellien und Azalien vorwalten. Im Frühling,
wenn sie in Blüthe stehen, soll der Anblick prachtvoll sein.
Ich bestieg einen direct über dem Schmelzwerk sich erhe-
benden Berg und fand dessen Höhe zu 710 m. Der Weg
dorthin war sehr beschwerlich, namentlich wegen des mas-
senhaft verbreiteten Zwergbambus, jedoch belohnte eine
ausgedehnte Aussicht für die ausgestandenen Strapazen ; eine
grosse Menge fast gleich hoher Spitzen war sichtbar, von
denen die höchsten im S zu liegen schienen; ich sah aber
keines der beiden Meere.
Von Herrn Mouchet orbielt ich auch einige Notizen
über das Klima. In fünf Jahren war die niedrigste beob-
achtete Temperatur — 13°, die höchste 34,5°, beide 1876,
doch sinkt das Thermometer jedes Jahr bis auf — 10°.
Schnee fällt höchstens bis 13 Fuss und bleibt nicht lange
liegen, überhaupt ist das Wetter im Spätherbst und Winter
meistens schön. Die Frühlingsmonate, eben so Juni und
September sind sebr regnerisch. Taifune richten zuweilen
viel Schaden an, wie z. B. 1874. Derjenige vom 17. Sep-
tember 1876 verursachte eine Überschwemmung, so dass
das Wasser des nahen Baches um 30 Fluss stieg. Jenseit
des Ikuno-toge (im N) soll mehr Schnee fallen, zuweilen
3—4 Fuss.
Am 22. October verliessen wir Ikuno. Der Weg nach
Himedsi wurde von französischen Ingenieuren gebaut und
soll der beste in ganz Japan sein. Gleich südlich war ein
Pass, höher als der Ikuno-toge, aber keine Wasserscheide
bildend.. Dann ging es auf der macadamisirten Strasse
viele Kilometer einen sanften Abhang hinunter. An der
ersten Hälfte des Weges war wie bei Ikuno die Felsart
Porphyr, später ein grobkörniger Granit. Das Thal war
ziemlich einförmig, die Höhen theils waldlos, theils nur mit
Gestrüpp bedeckt, näher bei Himedsi waren einige Berge
sogar ganz von Vegetation entblösst, wie ich solche früher
zwischen Hiogo und Ariıma gesehen hatte.
Himedsi ist eine grosse Stadt, am unteren Itschikawa
in der Nähe des inneren Meeres gelegen. Sie ist wegen
ihrer Lederarbeiten berühmt, die in ihrer grossen Mehrzahl
wirklich schön sind, auch hat sich dieses Gewerbe freier
von europäischer Nachahmung erhalten als manche andere
in Japan, was daher kommt, dass Himedsi noch wenig von
Fremden besucht wird.
Von Himedsi nach Hirosima folgte ich dem grossen
Wege, der Fortsetzung des Tokaido, welcher früher die
Hauptverbindung von Jeddo und Kioto mit dem südwest-
lioben Theile Nippons und der Insel Kiusiu herstellte.
Hier bewegten sich die langen Daimiozüge nach und von
dem Hofe des Siogun. Jetzt ist hier viel weniger Be-
wegung. Von Jokohama nach Hiogo, Simonoseki und Na-
gasaki führt man mit den Dampfern der japanischen Ge-
sellschaft Miteu-Bishi, auch giebt es eine Menge kleiner
Dampfschiffe, welche den Verkehr zwischen den Küsten-
Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876. 47
punkten vermitteln. Die ganze Strecke bis Hirosima ist
mit Ginrikischa zu befahren, obgleich an manchen Orten
der Weg schwierig genug ist. Nirgends habe ich die Fahr-
preise so billig gefunden als hier, wie denn überhaupt die
Bevölkerung arm zu sein scheint. Sie thut alles Mögliche,
um aus ihrem wenig fruchtbaren Boden Nahrung zu ge
wionen, nirgends in Japan sah ich eine so sorgfältige
Terrassencultur als hier, aber doch genügen die Ernten
nicht, die zahlreiche Bevölkerung zu ernähren. Der Wald-
mangel macht sich sehr fühlbar, unmittelbar durch Theue-
rung des Bau- und Brennholzes, und mittelbar durch den un-
sioheren Wasserzufluss in den Bächen, welche die Reisfelder
bewässern. Am 22. kam ich bis Katasima, meistens in der
Nähe des Meeres durch Thäler fahrend. Von da bis Une
ging der Weg auch meistens durch Thäler, die nahen Hügel
erboben sich um 150—200 m, spärlich mit Wald bewachsen.
Von hier zur Stadt Mitsuischi waren zwei Pässe, der zweite,
etwas höhere, bildete die Grenze von Harima und Bisen.
Jenseit Mitsuischi fand ich Marmorbrüche, die ersten,
welche ich in Japan gesehen habe, dann folgte noch ein
Pass, weiter kamen Schiefer zu Tage. Dann folgten bis
zur Stadt Katakamı und jenseit derselben breite Thal-
Bächen mit Reis und anderen Feldern. Wir passirten ein
Dorf, wo sehr originelle Thonwaaren fabricirt wurden, dann
den Fluss Jasidakawa, die Städte Schtoitsch und F'udsii und
kamen Abends nach Okajama, einer bedeutenden Stadt,
früher Residenz eines Daimio, dessen Jashiki inmitten eines
grossen Parkes noch jetzt zu sehen ist.
Am 324. weiter fahrend, fand ich bis Kawabe breite
Ebenen, die bis ans Meer reichten, dann bis Jakake engere
Thaler, durch sehr niedrige, nur 20—30 m hohe Pässe
getrennt. Die Berge waren theils kahl, theils mit jungem
Walde bedeckt, auch in den Dörfern war nur ziemlich arme
Vegetation. Jenseit Jakake fanden sich öfter Tempel mit
Baumgruppen, aber bei weitem keine so schönen Bäume
wie im Norden der Insel und an den Küsten des Japa-
nischen Meeres; ziemlich oft waren jetzt Baumwollfelder,
Dämme theilten die verschiedenen Felder, namentlich die-
jenigen des einen Dorfes von dem anderen. Dass hier
sparsam mit dem Wasser umgegangen wurde, sah man
ganz klar. In den Dörfern sammelten sich zahlreiche Neu-
gierige, was gestern nicht der Fall war. So ging es bis
Kannabe. Dann hatten wir engere Thäler zwischen Hü-
gein oder richtiger Theilen eines Plateau von etwa 150
bis 200m Höhe zu passiren, gingen über einen niedrigen
Pass, die Grenze von Bisen und Bingo, und waren Abends
in Onomitschi, einer bedeutenden Stadt am Meere, welche
einen lebhaften Seehandel mit Oosaka, der Insel Sikoku
und anderen Häfen des inneren Meeres treibt. Am näch-
sten Morgen besuchten wir den Tempel Senkosi, von wo
eine in Japan berühmte und wirklich schöne Aussicht war.
Dann wurde der nächste Hügel, 150m hoch, bestiegen.
Die Felsart war ein grobkörniger, an Glimmer armer
Granit, der leicht zerfällt, aber einen wenig fruchtbaren
Boden giebt. Die Aussicht von oben war sehr ausgedehnt,
sie erstreckte sich über eine Menge hoher Inseln im inneren
Meere. Im Osten und Norden schienen die Hügel ebenso
hoch zu sein, wie der bestiegene, im Westen höher. Die
oberen Theile der Hügel waren sorgfältig bebaut, ebenso
an den Abhängen womöglich Terrassen angelegt. Da wegen
Mangel an Wasser kein Reis wachsen konnte, bauten die
Bewohner viel Colladium, Zwiebel, Bohnen, Baumwolle &c.
Nach Onomitschi zurlickgekehrt, gingen wir weiter. Bis
Mihara ging es steile Granithügel auf und ab, wobei wir
oft schöne Aussichten auf Meer und Inseln hatten. Mihara
hat eine grosse alte Festung, welche, wie andere derselben
Zeit, aus grossen Steinblöcken ohne Cement gebaut ist —
ein wahrer Cyclopenbau, Sie gehörte dem früher in Hiro-
sima wohnenden Daimio von Akı. Dann passirten wir
Hongo, überschritten den Nasidakawa, dann ging’s ein
Seitenthal hinauf zum Pass Sinjono-Tau, 235 m hoch, der
von etwa 50 m höheren Bergen umgeben war, dann hinab
in ein Thal mit Reisfeldern, und ein anderes hinauf zum Dorf
Tamari. Später war wieder eine Steigung, aber diessmal
kein eigentlicher Pass, sondern ein Plateau mit röthlichem
Sandboden und sehr armer Vegetation, aus Kiefern und
Gebüsch, 376m hoch. Am Abend kamen wir nach Jok-
kaitschi, in einem kleinen Kessel mitten in der Hochebene
gelegen. Am nächsten Tage ging es wieder aufwärts auf
dasselbe, hier aber etwas niedrigere Plateau (340m) dann
steil hinab zum Dorf Kamiseno. Bald wurde die Stadt
Hirosima erreicht.
Nabe der Mündung eines in das innere Meer fallenden
Flusses gelegen, ist Hirosima die zweite Handelsstadt an
diesem Meere und die wichtigste Stadt Nippons westlich
von Oosaka und Kioto. Einige Ähnlichkeit mit Oosaka ist
nicht zu verkennen in der grossen Zahl der Flussarme und
Brücken und den sehr belebten Strassen. Von hier nahmen
wir ein Boot, um nach der Insel Aki-no-Mijasima im inneren
Meere zu fahren. Ganz am unteren Ende der Stadt ist
der Park des früheren Daimio von Aki, mit vielen schönen
Mazu bestanden. An der Mündung des Flusses angekom-
men, hatten wir eine Aussicht auf viele hohe Inseln und
landeten endlich bei der Stadt Mijasima am westlichen Ufer
der obengenannten Insel.
Die Insel, eine der grösseren im Golfe von Hirosima,
wird der Göttin Bentin heilig betrachtet. Sie soll ver-
boten haben, sich bier mit Acker- oder Gartenbau zu
beschäftigen, weshalb alle Nahrungsmittel für die Bewohner
der Stadt und der sechs Dörfer der Insel vom Festlande kom-
48 Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876.
men müssen. Wenn am Morgen die Boote mit Reis, Ge-
müse &o. kommen, so sieht man Hunderte von Hirschen
ans Ufer eilen und sich direkt den Bootsleuten nähern,
sicher, dass jeder ihnen etwas giebt. Kein Mensch thut
ihnen etwas zu leide, und ihretwegen ist es verboten,
Hunde auf die Insel zu bringen.
Die Bevölkerung besteht aus Priestern, Gastwirthen
und ihren Dienern, Fischern und Holzschnitzern, welche
den Pilgern eine grosse Menge ihrer Waare verkaufen.
Einige ihrer Arbeiten sind ganz hübsch und alles sehr
billig. Wir kamen schon nach der eigentlichen Pilger-
saison ; im Hochsommer ist eine Masse Menschen hier, na-
mentlich am 6. August. Die buddhistischen Anschauungen
hatten hier so festen Fuss gefasst, obgleich der berühmte
Tempel ein sintonistischer ist, dass es bis 1868 verboten
war, auf der Insel Fleisch zu essen, ebenso konnten auch
keine Todten begraben werden. Wer hier starb, musste
auf das Festland gebracht werden. Die Verwandten muss-
ten mit dem Todten gehen, durften erst nach Verlauf
von 50 Tagen zurückkehren und mussten dann noch
50 Tage in einem besonderen mit einer Mauer umringten
Hause bleiben. Man zeigte uns die Ruinen des Hauses.
Das Heilighalten der Insel hat es bewirkt, dass man
den Wald schonte und nach Abholzen für Nachwuchs
sorgte. So steht denn das Grüne hier in so angenehmen
Contrast gegen die kahlen Höhen des nahen Festlandes
und der anderen Inseln. Überall sielt man hochstämmigen
Wald, obgleich der Boden der Insel aus demselben gro-
ben Sande besteht, wie bei Hirosima und östlich davon.
Die Felsart ist ein leicht verwitternder Granit.
Der Haupttempel ist aus Holz von höchst einfacher
Bauart, an dessen Seiten offene Galerien, auf Pfählen
ruhend, errichtet sind; ein hölzernes Torii ist noch weiter
vorgebaut. Bei Fluth tritt das Meer ganz nahe heran,
so dass Boote hindurchsegeln, bei Ebbe erreicht man es
trockenen Fusses. Die Galerien enthalten von Pilgern
geweihte Bilder aus Holz, von denen viele sehr alt und
historisch merkwürdig sind, denn der Tempel wurde bereits
im Jahre 587 n. Chr. vom Kaiser Sui-nin gebaut. Es
giebt Bilder mit Scenen aus der chinesischen Geschichte
alter Zeit, Portraits berühmter Dichter, von ihnen selbst
geschenkt &. Der Gastwirth, bei dem ich wohnte, hatte
eine volle und sehr sorgfältige Beschreibung der Insel, mit
Abbildungen dieser Votivbilder, Copien der vielen Inschrif-
ten &c. Ich wollte das Buch kaufen, aber er ging darauf
nicht ein, denn es soll sehr selten geworden sein.
Am 28. verliesen wir Mijasima und landeten in
Sinminato, von wo bald die Stadt Iwakuni erreicht wurde.
Bald fing eine Steigung an, und metamorphische Schiefer
traten zu Tage. Der Boden wurde fruchtbarer, aber die
Hügel waren doch oft von Wald entblösst. Später er-
reichten wir einen 224 m hohen Pass, dessen umliegende
Berge etwa 30-—-40m höher waren. Im SSW und SW
wurden noch höhere Berge gesehen. Dann passirien wir noch
‘Kuga und Imaitsch und kamen Abends nach Hanaoka. Auf
der letzten Strecke wurde die Vegetation üppiger, nament-
lich die immergrüne, und am Wege war eine schöne Mazu-
Allee; Maulbeerpflanzungen waren von Iwakuni an sehr
verbreitet. Ich sah kein Packrindvieh mehr, sondern nur
Packpferde.
Am 29. erreichten wir bei Tokujama das Meer, und
führte der Weg längere Zeit in der Nähe desselben. Bei
Fukukawa sah ich eine bedeutende Salzgewinnung aus
Meerwasser. Dann folgte die Stadt Tonomi, ein Pass, von
wo an wieder Granit zu Tage trat, und die Stadt Miaitschi.
Hier und in der Umgegend waren wieder viele Tempel,
unter denen ich einen ziemlich wichtigen besuchte. Auf
dem Torii desselben stand die Inschrift: Diess sei der
Haupttempel der Provinz (d. h. das officielle Heiligthum).
Auf dem ganzen Wege von Hanaoka an war die Bearbei-
tung der Felder sehr sorgfältig, und ziemlich steile Ab-
hänge in Terrassen verwandelt. Jenseit der Stadt ging es
ziemlich steil bergauf bis zur Passhöhe, die 167m mit
80—-100 m höheren umliegenden Bergen betrug. In dem
Thale, in welches wir hinabstiegen, und welchem wir bis
Jamagutschi folgten, sahen wir eine sehr schöne cultivirte
Vegetation, Kampferbäume waren in Menge vorhanden, es
waren die grössten Bäume, dann sah ich häufig Camellien,
Orangen, besonders schöne Bambus und Mazu; letztere bil-
deten Alleen am Wege und kleine Gehölze Je näher an
die Stadt, desto schöner wurde die Vegetation. Auch die
Berge wurden allmählich waldiger.
Abends waren wir in Jamagutschi, einer kleinen Stadt,
aber seit wenigen Jahren Hauptort eines Ken. Früher,
als hier noch die Daimio von Choshiu (Nagato) herrschten,
war Hagi am Japanischen Meere die Hauptstadt. Dorthin
wollte ich fahren und hatte schon die Kangos bestellt, als
man sagte, die Leute wollten nicht gehen, denn bei Hagi
sei ein Aufstand ausgebrochen. Als Herr Siga in den
Kencho ging, um nähere Erkundigungen einzuziehen, fand
er das Gebäude von Truppen umringt und trotz der spä-
ten Abendstunde alle Beamten noch dort. Man sagte ihm,
es wären einige Tausend bewaffnete Samurai bei Hagi,
welche sich nicht zerstreuen wollten; Truppen seien schon
beordert und von Tag zu Tag erwarte man eine Schlacht.
Für einen Fremden sei es gefährlich, nach einem solchen
Orte zu gehen, denn die Samurai-Klasse wären mit allen
neueren Reformen unzufrieden und namentlich mit der Be-
günstigung, welche die Regierung den Fremden zu Theil
werden lasse. Herr Siga rieth mir daher auch, nicht nach
Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876. 49
Hagi zu gehen, und da er, wenn ich trotzdem das Wag-
niss unternehmen wollte, seine fernere Begleitung verwei-
gerte, so blieb mir Nichts übrig, als diese Reise aufzu-
geben. Wie ich nachher erfuhr, war der Aufstand in Hagi
Theil eines weit verbreiteten Planes, der aber durch die
Energie der Regierung nioht zur vollen Ausführung kam.
Überall wurden die nach alter japanischer Art bewaffneten
Aufständischen rasch von den Truppen bewältigt, und in
drei Wochen war der Aufstand zu Ende.
Wir kehrten denn auf demselben Wege nach Miaitschi -
zurück und fuhren gleich nach dem Hafen Mitadschiri,
dann in einem kleinen Dampfer nach Simonoseki. Als Herr
Siga sich erkundigte, inwiefern der jetzt von mir gefasste
Plan, über den nördlichen Theil der Insel Kiusiu nach
Nagasaki zu reisen, ausführbar sei, erfuhr er, dass dort
zwar kein Aufstand sei, doch erhielt er den Rath, nicht
nach Kokura gegenüber Simonoseki hinüberzufahren, sondern
per Boot etwas weiter nach Westen. So mietheten wir
denn ein Boot, das uns nach dem Dorfe Kuroseki auf
Kiusiu brachte, und fuhren am 1. November von dort
weiter nach Hakata, wo wir Abends eintrafen. Bis nach
Akama war die Gegend im Ganzen hügelig, ziemlich gut
bearbeitete Felder wechselten mit Laub- und Nadelwäldern.
In den Dörfern walteten die immergrünen Bäume vor,
namentlich Kampferbäume, die grössten Bäume in Kiusiu
überbaupt. Wachsbäume (Rhus) waren sehr häufig; ihre
Blätter hatten sie schon verloren, aber die Früchte hingen
noch in Menge herab. Nach Atscheno war die Gegend
minder schön.
Hakata bildet mit dem benachbarten Fukuoka eine
Stadt, sie werden nur durch einen Fluss getrennt. Letz-
tere war die Residenz des Daimio von Tschikusen, die
Adel- und Beamtenstadt, während Hakata ein bedeutender
Sitz von Handel und Industrie ist. Sie hat besonders viel
Seidenwebereien. Namentlich ist ein schwerer Seidenstoff
(eine Art Faye) und Gürtel hier berühmt. Die Umgegend
ist voll von Tempeln und historischen Erinnerungen.
Am nächsten Tage gingen wir erst nach der nahen
Stadt Hakosakı, wohin eine Allee schöner, alter Mazu führt.
In der Nähe, am Ufer der Bucht, steht der Tempel Nasi-
mone- Beuten, wo ein steinerner Mast gezeigt wird. Er
soll auf dem Schiffe der Kaiserin Dsingu-Kogu gestanden
baben, als dieselbe im 3. Jahrhundert n. Chr. Korea er-
oberte. In der Stadt selbst ist der Tempel Hadgiman ihrem
Sohne gewidmet. Auf dem Rückwege besuchten wir die
ansgedebnten Begräbnissplätze der Daimio von Tschikusen
und ıhrer Vasallen. Eine (srabstätte wird bier besonders
vom Volke besucht, die des Matasajemon-Kato, eines Rathes
des Daimio, der in den funfziger Jahren um Wiederher-
stellung der Macht des Mikado bat. Der Siogun war zu
Petermann’e Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft IL
der Zeit noch so mächtig, dass Kato und seine Freunde
zu Hara-Kiri verurtheilt wurden. Natürlich war die jetzige
Regierung besorgt, ihnen nach dem Tode Ehren zu er-
weisen, wie sie auch in der hiesigen Gegend die Erinne-
rungen von der Macht und dem Ruhm der alten Mikados
auffrischte. Hingegen wurde der auf einem Hügel in der
Stadt Fukuoka gelegene Tempel des Jeijas zerstört. Frü-
her waren in allen Daimio-Residenzen solche dem Gründer
der Tokugawa-Dynastie gewidmete Tempel.
Von Fukuoka aus giebt es zwei Wege nach Nagasaki,
von denen der eine über Saga direct nach Süden führt,
welcher auch der bequemere ist. Die ganze Gegend zwi-
schen der Bucht von Fukuoka im N und der Bucht von
Saga (oder Simobarra) im S ist niedrig, kein Punkt an
dem Wege erhebt sich über 100 m. Die Berge der nord-
westlichen Halbinsel, auf welcher Nagasaki liegt, sind also
ganz getrennt von den östlicheren. Der andere Weg, über
Karatsu und Imari, führt erst nach Westen, der Küste
parallel, und ist viel beschwerlicher, denn es giebt auf
dieser Strecke ziemlich hohe steile Berge.
Wir fuhren Abends in südöstlicher Richtung nach dem
Tempel Dasaj-Fu durch ein sehr breites Thal mit Reisfel-
dern. Hie und da waren, wie auch bei Fukuoka, schöne
Gruppen von Kampher- und anderen Bäumen. Im Süden
und Osten wurden Berge gesehen. Der Tempel Dasaj-Fu
wird von den Japanern sehr hoch gehalten, obgleich er nur
200 Jahre alt st. Um ihn herum finden sich, wie ge-
wöhnlich, viele Bildhauerarbeiten und Candelaber, dann
zahlreiche Kampher- und Pflaumenbäume. Die Gegend wird
hier schon hügelig, im Südost sieht man den Hooman-
jama, etwa 600m, den höchsten Berg von Tischikusen.
Rund herum befinden sich eine Menge Tempel, die schon
von Weitem durch die sie umringenden Bäume bemerkbar
sind. Bei dem alten buddhistischen Tempel Saikaidan sind
die Fundamente des Palastes zu sehen, welchen der Mikado
Tenji bewohnte. Bis jenseit der Stadt Futsukaitschi war
die Gegend ebener, dann fingen Wälder an, in denen Nadel-
holz vorherrschte, es ging auf und ab, und jenseit des
Dorfes Harada passirten wir die Grenze von Hisen, auf
welcher Strecke auch Granit wieder zu Tage trat. Bald
wurde die Stadt Todoroki erreicht, von wo der Weg bis
Kansaki durch Felder führte.
Am 4. November verliessen wir die Stadt Kansaki,
welche 1874 von Aufständischen verbrannt worden war,
und fuhren nach SSW. Im NW waren Hügel sichtbar,
im SO höhere Berge. Wir fuhren meistens durch Reis-
felder, am Wege waren zahlreiche Wachsbäume. Bei Sa-
kambara vor der grossen Stadt Saga wendete sich der Weg
nach Westen. Von hier aus gingen wir dem Meere pa-
rallel über eine ausgedehnte Ebene mit einem Ausblick auf
7
50 Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876.
im Westen liegende Hügel und passirten bei Usitzu einen
ziemlich breiten schiffbaren Fluss. Bei dem Dorfe Oda kam
wieder Schiefer zu Tage; der Weg ging durch Hügelland,
wobei wir kleine Anhöhen überschritten, und nachdem das
Dorf Kitakata passirt war, erreichten wir bald Takewo (Ika-
saki), wo sich zahlreiche warme Salzquellen befinden, die im
Sommer stark besucht werden. Nach altem Brauch gehören
die Bäder den Stadtbewohnern, welche sie unentgeltlich
benutzen, aber für Reparatur zu sorgen haben, wogegen
von Fremden am Eingange ein Riu (d. i. etwa !/, Pfennig)
erhoben wird.
Am 5. fuhren wir weiter, bald ging es bergauf bis zu
einer Höhe von 110 m, dann durch ein Thal, und einen
anderen, etwa gleich hohen Pass. Im Thale waren viele
kleine Theepflanzungen, deren Sträucher gerade in Blüthe
standen. Dann kam das Dorf Uresino, mit heissen Schwe-
felquellen, bei dem wir den Fuss der Berge von Hisen er-
reichten, die wir passiren mussten, aus welchem Grunde
die Reise nur im Kango oder zu Fuss fortgesetzt werden
konnte. Wir reisten erst thalaufwärts, wo noch viel Reis
im Felde war; die Bodenoultur fanden wir sehr sorgfältig,
zahlreiche Steinterrassen an den Berggehängen. Die Pass-
höhe betrug 236 m, die nahen Berge erhoben sich noch
um mehr als 100 m. Dann kamen wir in ein Thal mit
Reisfeldern, und erreichten bald Sonoki an der Bucht von
Omura, die sebr gut geschützt ist und daher fast einem
See gleicht. Oft fährt man von Sonoki über die Bucht
nach Tokitsu, welcher Ort ganz nahe bei Nagasaki liegt,
aber jetzt wollten es die Schiffer wegen der starken West-
winde nicht wagen. Wir schifften uns nach dem direct
südlich liegenden Omura ein, einer ziemlich bedeutenden
Stadt, von wo wir am 6. nach Nagasaki weiter reisten.
Die Umgegend von Omura ist schön, die steilen Abhänge
oft terrassirt und in Gärten verwandelt, höher hinauf sieht
man waldige Berge. Bald ging es hinauf bis auf eine Höhe
von 245 m, dann folgten kleinere Hügel, bis wir nach
Jeischoo kamen, wo sich ein Weg abzweigte nach der
hohen vulkanischen Halbinsel Simabarra.. Bald wurde die
Stadt Jagami erreicht, dann folgte das Dorf Himi am
Meere, von wo ein steiler Abhang nach dem gleichnamigen
Passe führte, auf dem wir eine prachtvolle Aussicht auf
die Bucht von Nagasaki mit ihren grünen, hohen Ufern
und zahlreichen Inseln hatten.
In Nagasaki trennte ich mich von Herrn Siga, der mit
dem nächsten Steamer nach Tokio zurückkehren musste,
Hier machte ich die Bekanntschaft des russischen Consuls
Herrn Olarowsky, welchem ich viele interessante Nachrich-
ten über die hiesige Gegend wie über die Insel Jesso ver-
danke. Herr Olarowsky machte vor einigen Jahren, als
er Consul in Hakodade war, Reisen durch sehr wenig be-
kannte Theile letzterer Insel, welche er leider nirgends ver-
öffentlicht hat. Ich traf auch Dr. vau Leeuwen, der meteoro-
logische Beobachtungen macht und deren Resultate dem
berühmten DUtrechter meteorologischen Institute mittheilt;
ich konnte bei ihm mein Aneroid vergleichen.
In der Stadt waren die verschiedensten Gerüchte über
den Ende October in Kumamoto ausgebrochenen Aufstand,
und die meisten Europäer hielten denselben für sehr ernst,
Da ich die Absicht hatte, nach Satsuma zu reisen, und be-
sorgen musste, die japanische Regierung würde mir, aus
Besorgniss vor dem Aufstande, keinen Pass dazu geben,
ging ich, um ins Klare zu kommen, mit Herrn Olarowsky
zum Kenrai von Nagasaki, welcher mir sagte, der Aufstand
sei zu Ende, und meiner Reise stände Nichts entgegen.
Ich telegraphirte daher an Herrn v. Struve, und bald er-
hielt der Kenrai von seiner Regierung den Befehl, mir
einen Pass zur Reise nach Satsuma und Higo zu geben.
Diessmal musste ich mich mit der Begleitung eines ge-
wöhnlichen Dolmetschers begnügen, wodurch ich meine
früheren Reisebegleiter, die Herren Siga und Watanabe,
um so mehr schätzen lernte.
Ich miethete ein Boot, um zur See nach Itschiku-Mi-
nato in der Nähe von Kagosima zu gelangen, welche Fahrt
bei dem damals herrschenden NWWinde eine sehr schnelle
war. Nachdem auf der Insel Amakusa übernachtet worden
war, erreichte ich am Abend des 15. November Itschiku
nach einer höchst interessanten Fahrt längs der Westküste
von Kiusiu, die mit ihren vielen Inseln, hohen Ufern und
Buchten sehr schön, viel schöner ist als das viel gerühmte
innere Meer. Von Itschiku aus kam ich noch an demsel-
ben Abend nach dem südöstlich gelegenen Orte Junomoto.
Am 16. November waren bis zum Dorfe Idsüin einige
Hügel, aus Sand und vulkanischer Asche gebildet, zu er-
steigen, deren Abhänge sehr steil, aber doch meistens mit
Vegetation bedeckt waren, welche überhaupt sehr üppig
war, namentlich bei den Dörfern. Nadelholz und immer-
grüne Bäume walteten vor. Die Dörfer waren weitläufig
gebaut, meistens war jedes Haus von einem Erd- oder
Steinwall umgeben, auf welchem Bäume gepflanzt waren.
Ich sah einige Brücken mit Steingewölben, ein sicheres
Zeichen europäischen Einflusses (noch aus dem 16. und
17. Jahrhundert), Terrassirte Felder waren häufig, auf
denen ausser Reis auch Awa (eine Art Sorgho) vorzüglich
gedieh. Jenseit Idsüin war eine Zeit lang die Gegend
eben so, dann namentlich ein etwas höheres Plateau zu
ersteigen (132m), von dem die Spitzen der Insel Sakura-
sima zu sehen waren, wie auch einige andere hohe Berge
im Osten. Bald war auch Kagosima erreicht, der Hauptort
von Satsuma,
Die Stadt ist ausgedehnt und ziemlich volkreich, nach
Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876. 51
Kumamoto wohl die grösste Stadt der Insel, aber Wohl-
stand war nicht zu sehen, die Häuser waren niedriger und
schlechter gebaut, als in anderen grossen Städten. Sie
batte sich noch nicht erholt von dem Bombardement durch
die Engländer 1865, wo sie fast ganz abbrannte. Die-
ses Ereigniss hatte einen entscheidenden Einfluss auf die
japanischen Angelegenheiten. Die Samurais von Satsuma,
welche viel kriegerischer waren, als diejenigen der anderen
Provinzen, sahen ein, wie sehr sie gegen die Europäer in
der Kriegskunst zurück waren, und waren von nun an,
unter der Leitung von Saigon, des einflussreichsten Rathes
ihres Daimio, bemüht, sich darin zu vervollkommnen, und
im Anfange von 1868 konnte Satsuma ausgezeichnet be-
wafinete und disciplinirte Truppen stellen, welche ın der
Wiederherstellung der Macht des Mikado die Hauptrolle
spielten.
Ich hatte gehofft, hier im kriegerischen Satsuma noch
Etwas von den Sitten und Gebräuchen des altjapanischen
Adels zu finden, namentlich das Tragen von Waffen, wel-
ches 1874 verboten wurde, Es war genügend bekannt,
dass den Leuten hier viele Reformen in Tokio nicht ge-
fielen, und oft hörte ich die Meinung, dass die Regie-
rung nicht die Kraft hätte, das Tragen der Waffen in
Satsuma zu verbieten. Doch war dieses nicht der Fall.
Selbst in entfernten Dörfern sah ich keine bewafineten Sa-
murais mehr.
Die chinesische Gelehrsamkeit wie auch einige an China
erinnernden Gebräuche waren früher hier besonders in
Ehren; so z. B. die Sorge für das Begräbniss, denn die
zwei Begräbnissplätze in Kagosima nehmen fast eben so viel
Platz ein, wie die Stadt selbst. Vor etwa 10 Jahren wurden
alle buddhistischen Bonzen aus Satsuma verbannt, und viele
ihrer Tempel zerstört. Als in diesem Jahre die Bonzen
zurückkehren durften, kamen ihrer über 100, ihre Predig-
ten waren stark besucht, und es war klar, dass der Bud-
dhismus eben so viel Einfluss gewinnen würde, als früher.
Am 18. machte ich einen Ausflug nach der schönen,
vulkanischen Insel Sakurasima. Der jetzt erloschene Vulkan
nimmt die ganze Insel ein. Der westliche, gegen Kagosima
gekehrte Abhang ist weniger steil als die anderen, und
sehr sorgfältig bebaut. Von hier aus kommen die Früchte
und Gemüse für Kagosima. Der vulkanische Boden ist
sehr fruchtbar. Im Süden und Osten ist die Insel steiler,
und es giebt hier einige warme Quellen.
Den 19. trat ich meine Reise nach Kumamoto an. Erst
im Boot nach Kadschiki am Nordende der Bucht. Dieselbe
ist selbst in der Nähe der Küste sehr tief, so dass, trotz-
dem sie gut geschützt ist, bei starkem Winde ein bedeu-
teuder Wellenschlag erzeugt wird, so dass Schiffe bai Kago-
sims oft in Gefahr sind. Der nördliche Theil der Bucht
hinter Sakurasima ist besser geschützt. Ich passirte einige
bedeutende Fabriken am Ufer, namentlich eine Baumwollen-
spinnerei und eine Waffenfabrik, die noch vor 1868 ge
gründet wurden, als nach dem Bombardement von Kago-
sima die Nachahmung europäischer Künste und technischer
Leistungen in Satsuma Mode wurde, und gehören jetzt ei-
nigen reichen Samurais und Kaufleuten; es wurde sogar
behauptet, dass die Regierung selbst dabei betheiligt sei.
In der Spinnerei sind alle, vom Director bis zum letzten
Arbeiter, Japaner. Bald verschwand Kagosima hinter einem
Vorgebirge, und nun wurde die Gegend entzückend schön.
Die Berge rund herum sind vulkanisch, die Bergformen und
die Beleuchtung nicht minder schön als bei Neapel, wäh-
rend die Vegetation unvergleichlich üppiger ist. Am west-
lichen Ufer der Bucht erhoben sich die Berge etwa 300 m,
nur senkrechte Abhänge waren kahl, sonst waltetien immer-
grüne Bäume vor, auch Laubbäume mit schönen Herbst-
farben und Nadelhölzer fehlten nicht, Am Ufer waren
viele Lavatrümmer. Im S wurde die Spitze des Kaimon
take gesehen, nach NO der schöne, eben mit frischem
Schnee bedeckte Berg Kirisima, der in der japanischen Ge-
schichte eine Rolle spielt. Von hier aus soll der erste
japanische Herrscher Djimmu-Temio nach seiner Landung
auf Kiusiu sich die Umgegend angesehen haben, weshalb
noch jetzt zahlreiche Pilger im Sommer dorthin wandern.
Auch das Nordufer der Bucht ist reich an schönen vulka-
nischen Bergformen, unter anderen sah ich einen grossen,
theilweis durchbrochenen Krater.
Bei Kadschiki war das Meeresufer mit Steinquais ein-
gefasst, welche das Ein- und Ausladen erleichterten und
daher die dahinter liegenden Reisfelder vor dem Meer
schützten. Als Hafen ist Kadschiki viel besser als Kago-
sima, und auch für das Hinterland ist die Stadt bequemer
gelegen. Diess wäre einer der wenigen Häfen, deren Eröff-
nung für den auswärtigen Handel Nutzen bringen könnte.
Der Tabak von Satsuma ist sehr gut, namentlich wird er
zu Umschlagblättern für Cigarren gebraucht. Im Jahre 1876
ging eine bedeutende Quantität nach Cubs, um dann in
Europa als Havana-Cigarren zu erscheinen. Jetzt muss der
Tabak den Umweg über Nagasaki machen, um in’s Ausland
zu gehen. In Kadschiki, wie auch weiter, waren Wohnung
und Pferde bestellt, Dank den Bemühungen des Sanji
(Vicegouverneurs) von Kagosima, den ich besuchte. Jedoch
hatte bei widrigem Winde die Bootfahrt so lange gedauert,
dass ich in Kadschiki übernachten musste.
Am 20. reiste ich weiter erst durch Reisfelder, aber
bald ging es bergauf. Die erste Stufe ist in der Nähe des
Nord- wie des Westufers ungefähr gleich hoch. Ich hatte
bis 296 m zu steigen, bis ich eine Art Plateau erreichte,
auf welchem ich bis zam Dorf Misobe fortritt. Seit Anfang
7°
52 Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876.
der Steigerung waren keine Reisfelder mehr sichtbar, da-
gegen sah ich oft gemischten Wald. Hinter Misobe ging
es steil bergab, einige Thäler und eine Anhöhe waren bis
nach Jokogaa zu passiren. Die Leute hier schienen arm
zu sein, sie batten sogar keinen Reis; hauptsächlich wer-
den hier Knollengewächse gebaut, z. B. Bataten (von Ja-
panern Satsuma-Imo, d. h. Satsumawurzel, genannt) und
Caladdenu. Dann ging es wieder bergauf, und später
führte der Weg auf einem langen, mit Gras, Gebüsch und
einzeln stehenden Mazu und Sugi bewachsenen Bergrücken,
auf dem Felder selten waren. Im W und O sah ich hö-
here Berge. Dann stieg ich herab nach Juno und passirte
gleich darauf den Senrigawa in einem Boote, dann folgte
ein Plateau, etwa 50—60 m Höhe über dem Thale. Hier
fiel ich vom Pferde und zerbrach dabei das Thermometer
meines Aneroids, so dass die von hier an folgenden Höhen-
zablen weniger sicher sind, als die früheren. Ich über-
nachtete in Usijama in einem Thale, etwa eben so hoch
wie Juno gelegen. Das Dorf war gross, so dass es in der
Dunkelheit schwer war, das für mich bestimmte Quartier
zu finden. Fast alle Häuser waren mit grösseren Hecken
umringt, und von Kampfer- und anderen immergrünen
Bäumen beschattet.
Von Usijama ging es erst in demselben Thal mit Reis-
feldern aufwärts. Es wurde allmählich enger, der Weg
wendete nach NW und W um, dann war ein von N
nach S fliessender Bach einige Male zu passiren. Die Stei-
gerung war bis etwa ll km von Usijama sehr sanft, dann
fing ein steiler Abhang an, mit Thonboden, später ging es
auf und ab. Der Kirisima war im Südost sichtbar. Bei
einer Hütte (499 m) wurde Halt gemacht, um die Pferde
ausruhen zu lassen, dann ging es einem breiten Bergrücken
herauf bis zum Grenzpass Satsuma-Higo (572m), von wo
ich eine ausgedehnte Aussicht hatte. Im NW war das Meer
zu sehen, mit. tief einschneidenden Buchten und hohen
Inseln, im SO die Spitze Kirisima, mit Schnee bedeckt.
Die höheren Bergrücken waren ungefähr eben so hoch, wie
der von mir bereiste, und theilweis mit Wald, theilweis,
wie dieser selbst, mit Gras und Zwergbambus bedeckt.
Die Richtung war meistens N nach S. Der abwärts führende
Weg war sehr steil, meistens eine Steintreppe, so dass ich
innerhalb ?/, Stunden 350 m abgestiegen war, bis zu einem
Bache, wo der steile Weg aufhörte.e Im Thale, welches
sich allmählich verbreiterte, befanden sich schon Reisfelder,
näher an’s Meer waren die Berge gut bewaldet. Es war
noch früh, als ich nach Midsumata kam, an einem schiff-
baren Fluss ganz in der Nähe des Meeres gelegen, von
wo ich in einem Boot nach Hinago reisen wollte; aber viel
Zeit wurde verloren, ehe die Bootsleute kamen, und dann
wollten sie wegen der widrigen (NW) Winde nicht fahren.
Es ist in dieser Jahreszeit sehr leicht, von N nach S in
Segelbooten zu reisen, aber schwer in umgekehrter Rich-
tung, denn N und NWWinde wehen sehr beständig
(Winter-Monsun).
Am 22. reiste ich daher zu Pferde weiter, es waren
zwei kleinere Anhöhen zu übersteigen, dann kam eine
grössere Steigerung bis zu 283 m, von wo ich wieder eine
sehr schöne Aussicht batte; im SW das Meer, im O
viele ungefähr gleich hohe Bergrücken. Ich war hier schon
lange aus der vulkanischen Gegend heraus, lange Berg-
rücken waren vorwaltend, die Felsart Gneissgranit. Wo
dieselbe vorwaltete (wie z. B. auch bei Mjasu am Japani-
schen Meere), waren die Gebirge überhaupt lang gestreckt,
ohne besonders hervorragende Spitzen. Die Berge waren
mit hochstämmiger Waldung bedeckt, namentlich waren
schöne Sugi häufig. Nach Übersteigung eines zweiten nie-
drigeren Abhanges war ich in Sasiki (Hanaoko). Dann
ging es wieder bergauf durch einen Mazuwald, eine Ge-
gend, welche mich an die schönen Ufer des Japanischen
Meeres, zwischen Obama und Kumihama erinnerte. Lange
Zeit ging es auf einen nicht über 20m breiten Rücken,
mit Abgründen an beiden Seiten, und schönen Aussichten.
Die Passhöhe betrug 286 m, dann wurde bald ein Dorf
am Meere erreicht. Eine Menge Bauern sah ich auf den
Feldern beschäftigt mit Pflügen, Säen des Weizens &c.;
Palmen und Bananen sah ich in den Dörfern in der Nähe
des Meeres (wie auch in Satsuma), aber nirgends in gros-
ser Zahl. Schieferfelsen traten hier zu Tage. Hinter dem
Dorfe überstieg ich einen etwa 170 m hohen Pass, dann
führte der Weg durch ein enges Thal zum Meere, und
ziemlich hoch über demselben, nach dem Dorfe Hinago, wo
gut eingerichtete warme Bäder sind. Das Wasser schien
mir nicht gerade reich an mineralischen Bestandtheilen zu
sein, es hatte weder einen Salzgeschmack, noch einen
Schwefelwasserstoffgeruch, noch zeigte es eine Reaction auf
Eisen.
Nachdem ich fünf schöne Tage genossen hatte, bei
welchen die Reise sehr angenehm vor sich ging, fing es
am 23. an zu regnen. Von Hinago an war die Reise schon
im Ginrikischa zu machen, bis da war ich von Kadschiki
geritten. In Satsuma und anderen südlichen Provinzen
von Kiusiu ist diess, wie im Norden von Nippon, die ge-
wöhnliche Art zu reisen. Auch Waaren werden mittelst
Packpferde transportirt. Die Pferdezucht ist denn auch in
Satsuma bedeutend, und die Rage ziemlich gut.
Der Weg nach Kumamoto, wo ich Abends ankam,
führt durch eine flache gut bebaute Gegend in der Nähe
des Meeres. Vor der Stadt Jatsusiro wurden zwei Arme
des Kumakawa passirt. Weiter war die Spitze der Halb-
insel Simabarra, und ein anderer doppelter Konus im Norden
Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876.
von Kumamoto, der Hunmiosijama zu sehen. Gegen Abend
klärte sich das Wetter auf und es wurde sehr kalt. Vor
Kumamoto passirte ich nooh den Midorikawa und Sira-
kawa.
Kumamoto ist eine bedeutende Stadt, die grösste auf
Kiusiu, aber ich finde die Zahl von 300000 Einwohnern,
welche ıbr in „Behm und Wagner, Bevölkerung der Erde”
gegeben wird, doch sehr übertrieben. Ich würde 100000
für richtiger halten. Hier war Ende October ein Auf-
stand der Samurai ausgebrochen, die schwache Besatzung
wurde überrumpelt, einige höhere Beamte getödtet. Man
fürchtete, die kriegerischen Satsuma-Leute würden daran
Tbeil nehmen und die Sache ernst werden. Aber Satsuma
rührte sich nicht, und so war, als ich einen Monat später
Kumamoto besuchte, Alles zu Ende '),. Nur die ziemlich
grosse Menge Militär und die abgebrannte Kaserne in der
Festung erinnerte an den Aufstand. Diese Festung ist in
der alten japanischen Art aus grossen Steinquadern gebaut
und die höchste von mir gesehene. Hier war die Residenz
des Daimio von Higo. Jetzt ist der Kencho dort, ausser
Kasernen und anderen Regierungsgebäuden. Dann besuchte
ich noch einige andere Orte, u, a. den Hügel Honmiodschi-
Kiuden, wo früher ein berühmter buddhistischer Tempel
stand. Er wurde auf Befehl der Regierung auf einen an-
deren Platz transportirt, und es bleibt jetzt nur ein Holz-
gitter. Aber das Volk hatte seine Anhänglichkeit an den
alten Ort bewahrt, und eine Menge Menschen waren ver-
sammelt, liessen von den Bonzen Litaneien hersingen, brann-
ten Wachskerzen und beteten lange. Überhaupt sah ich
keinen Ort in Japan, wo die Leute ihrer Religion so zuge-
tban waren, wie hier, während die Japaner sonst ziemlich
lau in religiösen Sachen sind. Eine Menge Bettler, welche
in der breiten, zum alten Tempel führenden Allee sassen
und näselnd um Almosen baten, machte den Wallfahrts-
ort einem italienischen noch mehr ähnlich. Von dem
naben Tempel Fudsisaki war eine ausgedehnte Aussicht
auf Stadt und Umgegend. Das Thal von Kumamoto ist
ziemlich breit, das Meer wird nicht von dort gesehen.
Abends fuhr ich nach Kumamoto-Minato, von wo aus in
der Nacht ein Boot mit der Ebbe ausfuhr, und mich am
nächsten Morgen nach der Stadt Simabarra brachte. Vom
Meere war eine schöne Aussicht auf Insel und Berge. In
der Nähe stehen meistens viel Dschunken, welche durch
widrige Winde auf dem Wege von Saga nach Nagasaki
aufgehalten werden. Ich ging über die vulkanische Halb-
insel Simabarra nach Westen, bis ich Obama erreichte. Der
Gang war ein sehr angenehmer, Dank dem schönen Herbst-
t) Wie bekannt, brach später im Februar 1877 in Batsuma ein
Aufstand aus, der erst im September bewältigt wurde.
53
wetter und den prachtvollen Aussichten. Von Obama ging
es per Boot nach Aba, dann über den Pass Himi nach
Nagasaki zurück.
Ich fuhr bald mit dem russischen Dampfer „Batrak”
nach Shanghai zurück, wo ich mich in einem der grossen
Messagerie-Dampfer nach Neapel einschiffte.
Schliesslich will ich noch einige Worte über die Dich-
tigkeit der Bevölkerung hinzufügen. Ich habe oft von Euro-
päern in Japan gehört, die Einwohnerzahl von über 33 Mil-
lionen, welche die japanische Statistik anzeigt, sei sehr
übertrieben, ja in einer der sonst ausgezeichneten Schriften
von @. Bousquet in der Revue des deux Mondes will der
Autor nicht über 20 Millionen gelten lassen.
Die Insel Jesso und die Kurilen bei Seite lassend,
haben wir für jede der drei grossen Inseln Nippon, Sikoku
und Kiusiu mit den umringenden kleineren Inseln, das
eigentliche Japan, eine Dichtigkeit von 111 Menschen
per qkm. Ist Jiess eine so ausserordentliche Dichtigkeit,
dass sie unmöglich schiene? Der Norden von Nippon ist
freilich, wenigstens die Berge, nicht dicht bevölkert. Aber
er nimmt auch einen ziemlich unbedeutenden Raum ein
(ich zähle nur das Land nördlich vom 38° dazu). In vie-
len anderen Provinzen aber sind oft ziemlich steile Ab-
hänge bebaut. Nach den von mir gesammelten Nachrichten
ist. auch die Insel Sikoku zu den stark bevölkerten zu zäh-
len. Der Reis, die Hauptnahrung der Japaner, ist wie be-
kannt, selır ergiebig, namentlich wenn die Bearbeitung und
Düngung so ausgezeichnet sind, wie in Japan. Dann muss
der Fischreichthum in Betracht gezogen werden. Die Küsten
Japans sind überhaupt darin glücklich gelegen, aber na-
mentlich ist der Norden wahrscheinlich nicht weniger reich
in dieser Hinsicht, als die Bänke von Neu-Fundland. Grosse
Ladungen getrockneter und gesalzener Fische werden nach
den bevölkerten südlichen Provinzen von Jesso aus spe-
dirt, aus den weniger werthvollen Fischen, den Köpfen &c,
Thran gesotten und die Rückstände als Dünger gebraucht.
Auch andere Producte des Meeres, als Krabben, verschie
dene Mollusken und Seegras dienen zur Nahrung, während
fast Alles, was der Ackerbau liefert, direct für die Nah-
rung des Menschen verwendet wird, denn der Consum von
Fleisch, Milch &c. ist sehr unbedeutend, so dass nur die
Lastthiere von den Producten des Aockerbaues zehren.
Die Bebauung der Felder wird fast ausschliesslich durch
Menschenkraft gethan. Ein- und Ausfuhr von Ackerbau-
producten ist unbedeutend, so dass Japan seinen Consum
selbst deckt.
Vergleichen wir Japan mit einigen anderen asiatischen
Ländern. Die Insel Java (mit Madoera) hat eıne Volks-
dichtigkeit von 135 per qkm, also bedeutend mehr als
Japan. Das Volk nährt sich auch dort hauptsächlich von
54 | Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876.
Reis, und da das Klima wärmer ist, so ist Ackerbau bis
zu viel grösseren Höhen möglich, als in Japan. Diess wäre
ein, einer grösseren Dichtigkeit der Bevölkerung günstiger
Umstand. Aber andererseits giebt es in Java ausgedehnte,
fast gar nicht besiedelte Gegenden, welche in diesem Um-
fange in Japan (Jesso und die Kurilen ausgenommen) nicht
vorkommen. Ich meine namentlich die südlichen Theile
der Regentschaften Bantam und Preanuger im westlichen,
Java, und die Regentschaft Banjuwangi im Osten. Ferner
ist der Ackerbau, namentlich die Reiscultur sehr zurück
bei den Javanern und daher auch eine gleiche Bodenfläche
weniger productiv, was nicht immer durch die Möglichkeit
einer zweiten oder dritten Ernte compensirt wird. Dann
ist auf Java eine sehr bedeutende Fläche solchen Produc-
ten gewidmet, welche nicht zur Nahrung der Einwohner
dienen, namentlich Zuckerrohr und Kaffee. Endlich ist
auch der Fischreichthum der Küsten und Flüsse von Java
nicht bedeutend, und die Einfuhr von Fisch aus Siam ist
auch nicht sehr gross. Auch wird auf Java ein bedeuten-
der Theil der Oberfläche durch Gebirge der Cultur ent-
zogen, wahrscheinlich relativ nicht weniger, als in Japan.
In Britisch-Indien haben drei der grossen Abtheilungen
eine viel grössere Volksdichtigkeit als Japan, Bengalen 149,
die Nordwest-Provinzen 146, Audh 180 Menschen per qkm.
Freilich ist dort das Land ebener und das Klima wärmer
als in Japan, aber dafür ist die Bewässerung sehr mangel-
haft, daher oft die schreckliche Hungersnoth, welche
Millionen Menschenleben kostet, und für welche Britisch-
Indien so traurig berühmt ist. In guten Jahren ist aber
die Menge zur Ausfuhr kommenden Ackerbauproducte be-
deutend, während die Einfuhr derselben Null ist. Es ist
bekannt, dass der Census von 1871—-72 in Britisch-Indien
eine viel grössere, in manchen Districten doppelte Bevöl-
kerung gab, als die früheren Schätzungen.
In Europa will ich zum Vergleich mit Japan ein Land
nehmen, dessen Bevölkerung sich auch überwiegend von
Vegetabilien und Seethieren nährt und ziemlich wenig Fleisch
gebraucht, nämlich Italien. Die Volksdichtigkeit im ganzen
Königreiche beträgt 93 Seelen per qkm, also wenig klei-
ner als in Japan, obgleich so viele Provinzen darin ein-
geschlossen sind, wo der Ackerbau sehr mangelhaft und
die Bevölkerung wenig dicht ist, wie Sicilien, Sardinien,
viele neapolitanische Provinzen, die römische Campagna &c.
Diejenigen italienischen Provinzen, welche im Ackerbau
vorgeschritten sind, haben meistens eine höhere Dichtigkeit
der Bevölkerung als Japan, so z. B. Campanien 156, die
Lombardei 151, Ligurien 144, Venetien 116 &c.
Alle diese Beispiele scheinen darauf zu deuten, dass
die sich bei dem Census von 1872 und 1875 ergebende
Volksdichtigkeit von 111 Seelen per qkm bei den Verhält-
nissen Japans nicht unwahrscheinlich ist. Andererseits weiss
ich aus sicheren Quellen, dass wirkliche Volkszählungen
vorgenommen wurden, nicht Schätzungen. Eine Volkszäh-
lung aber kann schwerlich eine zu grosse Zahl geben, eher
ist es wahrscheinlich, dass einige, bei mangelhafter Organi-
sation selbst viele, der Zählung entgehen, während bei
einer Schätzung natürlich eben so wohl zu viel, wie zu
wenig herauskommen kann. Ich meinerseits halte es für
wahrscheinlicher, dass die Bevölkerung von Japan grösser
sei, als von der officiellen Statistik angegeben, als um-
gekehrt.
Wie die Dinge jetzt stehen, ist Japan wissenschaftlichen
Reisenden vollständig geöffnet; der zum Reisen in’s Innere
nöthige Pass ist: in diesem Falle nur eine Förmlichkeit,
welche die Gesandten und Consuln aller in Japan vertre-
tenen Mächte willig besorgen. Die japanische Regierung
fürchtet die Ausbeutung des Landes durch fremden Handel
und eine zu thätige religiöse Propaganda, daher wird in
jedem Passe ausdrücklich bemerkt, dem Inhaber sei Handel
und Propaganda im Innern verboten. Man kann sagen,
die japanische Regierung verhält sich den verschiedenen
Reisenden gegenüber in folgender Art: Missionären und
Kaufleuten werden nur die, in den Tractaten förmlich zu-
geständenen Rechte gewährt, d. h. Residenz in den sieben
offenen Häfen und Reisen in einem kleinen Umkreise,
Touristen lässt man auch weiter ins Innere gehen, wissen-
schaftliche Reisende werden entschieden begünstigt. Für
letztere ist Japan jetzt eins der am meisten versprechen-
den Länder. Dank der aufgeklärten japanischen Regierung
können sie überall hin, und mit eben so wenig Gefahr wie
in den civilisirten europäischen Ländern, und doch giebt
es noch so vieles zu erforschen. Die dichte Bevölkerung
des Landes und die alte Civilisation bringen es mit sich,
dass man im eigentlichen Japan (d. h. Jesso und die Ku-
rilen ausgenommen) von den lästigen Sorgen für Transport-
mittel, Wohnung und Nahrung frei ist, Alles findet man
an Ort und Stelle, wenn man auch manchen gewohnten
Komfort vermissen muss. Diess macht den Reisenden frei
in seinen Bewegungen, erlaubt ihm, sein Gepäck auf ein
Minimum zu reduciren und mindert die Kosten sehr be-
deutend, für Manche ein gar empfindlicher Punkt. So ist
es denn zu hoffen, dass Japan mehr und mehr wissen-
schaftlich erforscht wird. Jedoch damit will ich nicht an-
deuten, die japanische Regierung sei der Sorge für eine
systematische, wissenschaftliche Erforschung ihres Landes
enthoben. Privatanstrengungen sind in solchen Sachen
immer zu zerstreut und auch die Mittel dazu zu klein, um
alles Nöthige zu leisten. Was die geologische Erforschung
des Landes betrifft, so ist diese Wahrheit schon seit langer
Zeit anerkannt, und zahlreiche europäische und amerikani-
Reise durch das mittlere und südliche Japan, 1876. 55
sche Bergleute und Geologen haben das Land im Auftrag
der japanischen Regierung bereist. Leider aber liegen die
meisten ihrer Berichte in den Ministerien in Tokio, und
werden nicht veröffentlicht.
Die geographische Aufnahme des Landes wäre noch
immer Sache der Regierung, denn hier handelt es sich
um lang fortgesetzte Anstrengungen. In diesem Fache,
welches auch für so viele praktische Regierungsaufgaben
einen so hohen Werth hat, ist in Japan sehr wenig ge
schehen, und dieses wenige ist sehr zerstreut. Von vielen
Ausländern habe ich die Äusserung gehört, in den hohen
Regierungskreisen in Tokio sei zu wenig Ausdauer und
kluge Berechnung, um eine solche Arbeit aufzunehmen,
welche unmittelbar nur Ausgaben verursachen würde, wäh-
rend die Resultate nur erst später zu erwarten seien. Nach
dem, was ich vom Lande gesehen, halte ich eine solche
Meinung für unrichtig und hoffe, dass eine baldige Organi-
sation der Landesaufnahme die oben erwähnten Zweifler
Lügen strafen wird.
Auch eine Organisation der meteorologischen Beobath-
tungen kann eigentlich nur von der Regierung ausgehen.
Ich will auch hier von Privatbeobachtungen nicht gering
urtbeilen, namentlich nicht von denen verschiedener Nieder-
länder in Nagasaki und des Herrn Knipping in Tokio.
Viele praktische Regierungsaufgaben sind mit einer Kennt-
niss des Klima eng verbunden, so z. B. die Ausdehnung
des für Japan so wichtigen Seidenbaues. Die Seidenbau-
regionen, die ich besuchte, lagen alle in einiger Entfernung
vom Meere, und meistens waren sie sogar durch Berge
von demselben geschützt, Ist diess durch das Klima be-
dingt? Der Mangel an Beobachtungen im Innern macht es
unmöglich, auf diese einfache Frage zu antworten. Und es
giebt zahlreiche andere derselben Art. Wenn auch, wie
ich oft bemerkte, der Ackerbau in Japan überhaupt hoch
steht, so wäre es doch möglich, viel unbenutztes Land, sei
es als Ackerland, sei es als Weide zu gebrauchen, und
eine genauere Kenntniss des Klima’s dazu sehr wünschens-
werth. Eben so, und noch mehr, wenn es sich um die
Einführung neuer Gewächse und Thiere handelt. Wie
Japan jetzt organisirt ist, kann in solchen Sachen die
Initiative nur von der Regierung kommen, der Bauer wird
sich hüten, Experimente zu machen. Der japanischen Re-
gierung haben schon manche solcher Experimente, nament-
lich die Insel Jesso betreffend, Geld genug gekostet, weil
dieselben ohne die nöthigen wissenschaftlichen Kenntnisse
vorgenommen wurden.
Mit diesen wenigen Bemerkungen und Wünschen , für
eine glückliche Zukunft ende ich den Bericht über eine
Reise, die mir so angenehme Erinnerungen gelassen, Erin-
nerungen, zu welchen das Land selbst wie das Volk in
gleichem Maasse beigetragen haben.
Höhenbestimmungen ') und Itinerar.
Abkürzungen bei der Art des Reisens: B. = Segel- oder Ruderboot, Db. = Dampfboot, E. = Eisenbahn, F. = zu Fuss, Gn. = im Ginrikischs,
einen von Menschen gezogenen zweirädrigen Karren, K. = im Kango, einer Bänfte, Pf. = zu Pferd. — Bei den Ortsnamen: D. = Dorf. Fi. = Fluss,
1.= Insel, MW. — Mineralwässer, P. = Pass, St. = Stadt, T. = Tempel. — Bei den Höhen: a. M. = am Mocere.
Wegemanss: 1 Ri = —= 36 Cho = 3,92737 km.
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Von Jokobama über Kams-, | P.. 2 2 00 e0..653 Gn 19 aikul, Ise-Tempel I 29,3
kura und länge des Tokaido: Gn.: 31 5 Ä St. Kambara . . . ..:'.98 Gn 1 Ger-gu | BY
nach Tojähssi (am Golfe , Gn. | 3, 9. St. Kurosaws . -. . . .ıa.M. Ufer des Mijsgaws . . .| 1,0
von Owari). Gn. | 4 4! St. Siduoka . . » . . ı 590 Gn. 6 St. Rokkn. . » 2... 98
er 5 Kamakura , Haupttempel | ID. Bakasta . . 1109 Gn.. 3 St. Oonoki . . . ......, 178
Dafbutz Gn. | 1124 ıP. (W. Ende des Tunnels) ı 157,2 Ufer des Oonoki sur PR
P. Gn. |! 3,26 St. Fudsijeda . . ı 63,7 Gu. 3 D. Kaito . . . 0, 9,5
a 3? 1. Enosima, oberer Theil . Gn. | 3 24: St. Kanaja . . .' 109,4 P. ee \I {RR |
Ga. 2? St. Fudsisawa IP. (D. Sajano-Naksjano) . 304,1 Im Thale . . 2.0... 356,3
GR 8 16 St. Odawarı . 2.58 M. K. |1,24'8t. Nisaka. . . 101,4 P. Ao-jama (Grenze von
MW. Motoju „. . . . .. 113,8 On. | 6' 8 St. Miteke . . -. » 2.1. 24,6 Ise und In) . . . . 498,9
MW. Bata. . . . ...14079 Gn. 3 22 St Hamamatıu . . . ., aM. D. lseedji . » 2»... 218,2
PD. 222202020200, 8019 Db. 5118 8t. Binde . . » -.. aM K 414 BeAwo. . 2... 0... 1708
K. 4 8 Bee Hakone (bei dem Dorfe Gn.!2 —ı8t. Fagzawm . .... 22,8 Pe... 2 2 2 2 nn. 228,5
desselben Namens) . . | 739,0 Gn. |; 1,24 St. Tojbssi . -» ». . .ıu.M K 8 St. Saber! a | 7 96 |
Hakone-Pass 00.20.34 871,2 | , Fl. Nabari kaws . . +. 1519
D. Jamanıka 0. 1396 | ı | Vom Tojöhasi über den Golf: D. Sambomatzs. . - . . 347,7
D. Misija . . ..|090, | : von Owari und die Tempel | en. 3319
K. 328 St Misim. . 0.2.0. 2008 | von Iso nach Oosaka. K, «18 8i Haben 177
Ga. 126 St. Numesu .. . 0... 24,1 B. 2? | Hafen von Furu-Itschi . . ae. M. P. 0. .. 336,1
Ge 335 D. Kasiwabern . . . ., 25,» Gn.: I 24, St. Furu-Itschi ...220 K. 118 St Hase. 22.2.0. 135,6
?) Mein Anerold habe ich in Nagasaki mit dem Barometer des Dr. van Lesuwen vor und mach der Reise nach Setsuma vergliehen.
56
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D. . 2. 2 2 2 2 20.0 a M. Gn. 3 St. Matsubasi . .. | 163 F |'5 MW. Kodgigoku . 688,0
P.. 22 2 2 200% | 148,0 @n.. 5 Bt. Kumamoto, Keneke. ., 181 F. | 3 MW. Obama . . ‚@. M.
PL 5, 9 MW. Hinago ee, | ı Daselbst T. Fudsisaki . . ı 24,0 B. A D. Abe . 2. 2 2 2020. aM.
a. 3 ‚ St. Jatsusiro . 0. | a. M. Gn. 1|18| 8t. Kumamoto-Minsto . aM. F. | 2 St. Nagasaki a M.
u u DB GC KT GEL
Die Insel Einsamkeit
im sibirischen Eismeere, entdeckt von Kapitän E. H. Johansen aus Tromsö.
Von Professor H. Mohn, Director des norwegischen Meteorologischen Instituts.
(Mit Karte, s. Tafel 4.)
Kapitän E. H. Johansen !), derselbe Eismeerschiffer,
welcher im Jahre 1869 das Karische Meer durchsegelte 2)
and 1870 die nördliche Insel Nowaja Semlja’s umschiffte ?),
hat auf seiner letzten Reise im Sommer 1878 wieder die
arktische Geographie durch die Entdeckung einer bisher
ganz unbekannten Insel im sibirischen Eismeere bereichert.
Nach seinem meteorologischen Tagebuche, welches mir zu-
gleich mit einer Karte von Herrn Advocat Ebeltoft in
Tromsö zur Verfügung gestellt worden ist, habe ich die
folgende Beschreibung seiner Reise nebst dazu gehöriger
Karte ausgearbeitet.
Kapitän E. H. Johansen, Führer des Schooner „Nord-
land” aus Tromsö, segelte am 22. Mai 1878 nach Nowaja
Semlja ab. Er sah das erste Eis am 4. Juni unter 71° 49’
N. Br. und 42° 50' Ö. L. v. Gr. Am 6. Juni erreichte
er Nowaja Semlja aın Gänselande unter 71° 30’ N. Br.
Er segelte dann nordwärts längs der Westküste von No-
waja Semlja, war am 21. Juni bei den Pankratjew-Inseln,
pessirte einen Monat später Kap Mauritius am 22. Juli
und steuerte ausserhalb der Ostküste, welche er mit Eis
umlagert fand, nach Süden. In den Vormittagsstunden des
25. Juli beobachtete er unter 76° 50’ N. Br. ein starkes
Gewitter) mit heftigem Regen bei einer Lufttemperatur
von 4° C. und schwachem südöstlichen Winde Am 30.
war er ausserhalb Barents’ Hafen und kehrte am folgenden
Tage wieder nach Norden um. Am 10. August verliess er
Nowaja Semlja und steuerte ostwärts., Er traf auf dem
Wege nur wenig Eis, hatte aber viel Nebel und zum Theil
Regen. Am 16. August Nachmittags lichtete sich der
Nebel und Land wurde gesehen in der Richtung nach SSO
und S, während der Horisont gegen Osten noch vom Nebel
N) Er schreibt seinen Namen nicht „Johannessa”.
9 Geogr. Mitth. 1870, 8. 149.
®, Ebenda 1871, B. 35.
%) Das nördlichste Gewitter, von dem ich Kunde erlangt habe, ist
ia West-Spitzbergen zwischen Belsund und dem Eisfjord unter 78° Breite
beobachtet worden.
Petermsan’s Geogr. Mittbeilungen. 1879, Heft II.
eingehüllt blieb. Das in der Richtung nach SSO beobach-
tete Land hatte das Ansehen einer Insel, deren Gipfel
über die Umgebungen emporragte. Ihre Höhe schätzte
Jobansen zu 500 Fuss (157 Meter) und den Abstand zu
8 Seemeilen (Minuten). Er bemerkt indessen, dass die
neblige Luft die Schätzung des Abstandes unsicher machte.
Die vermuthete Insel hatte einen hohen, schroffen und
etwas langen, mit Schnee bedeckten Abhang auf der nord-
östlichen Seite. Das in südlicher Richtung gesehene Land
war niedriger, es neigte sich in nordwestlicher Richtung
gegen das Meer hinab, und wurde der Abstand desselben
auf 12 Fuss geschätzt.
Wenn man den Schiffsort Johansen’s in Petermann’s
„Specialkarte von Nord-Sibirien zwischen Jenissei und Lena”
(„Geogr. Mittb.” 1873, Tafel 1) einträgt, so findet man,
dass ausserhalb desjenigen Theils der sibirischen Küste, wo
Jobansen sich aın 16. August befand, eine Insel gelegen
ist, welche als „hohe, felsige Insel” bezeichnet und von
Leptew im Juni 1741 besucht worden ist. Es wird sodann
ganz wahrscheinlich, dass es diese Insel ist, welche Jo-
hansen gesehen hat.
Mit Rücksicht auf den Kurs Johansen’s, welcher auf
der beifolgenden Karte eingezeichnet ist, sind folgende Be-
merkungen zu machen. Die Schiffsorte Johansen’s, nach
dem Journal in die Karte eingetragen (geltend gewöhnlich
für Mittag, bisweilen auch für 8b Morgens oder Abends),
zeigen, dass dieselbe an der Küste von Nowaja Semlja nach
einer anderen Karte bestimmt worden sind, als derjenigen,
welche ich benutzt habe. Am Rande der vom Kapitän
Johansen geseichneten Karte steht folgende Bemerkung ein-
getragen: „Nordspitze Nowaja Semlja’s in 77° 12’ N. Br,
71° Ö. L.”, und ist ein diesen Angaben entsprechender
Umriss der Ostküste auf der Karte gezeichnet. Diesem
entsprechen die Schiffsorte im Journal. Die von mir be
nutzte Karte ist diejenige, welche in den „Geogr. Mitth.”
1872, Tafel 20, gegeben ist, dessen Längen auf Beobach-
8
58 Die Insel Einsamkeit.
tungen auf dem Lande mit künstlichem Horizont beruhen
Werden nun die Positionen Johansen’s, welche durch Pei-
lungen bestimmt angegeben sind, in diese Karte eingetra-
gen, so finde ich, dass die „beobachteten Breiten” Johan-
sen’se durchschnittlich um 5’ grösser sind als die auf
meiner Karte stehenden. Die Ursache der Nichtüberein-
stimmung kann für einen grossen Theil in den Unregel-
mässigkeiten der terrestrischen Refraotion liegen, welche
die wahre Kimmtiefe von der angenommenen verschieden
macht. Meine eigene Erfahrung von der letzten Nordmeer-
Expedition hat mir gezeigt, dass man in den arktischen
Gegenden alltäglich dem ausgesetzt ist, die Sonnenhöhen
um bis über 6 Minuten falsch zu bekommen durch Beob-
achtung über dem natürlichen Meereshorizont.
Die neue Bestimmung der Lage der Taimyr-Küste durch
die Nordenskiöld’sche Expedition, welche mir gütigst von
Herrn Dr. Behm zur Verfügung gestellt worden ist, zeigt,
dass Johansen’s „beobachtete Breiten” an dem östlichen
Ende seiner Fahrt zu klein sind. Indem ich annehme, dass
Johansen’s Peilung (SSO 8’ ab) richtig und die von Lap-
tew und Johansen gesehene Insel dieselbe ist, welche auf
der Nordenskiöld-Palander’schen Karte in 76° 18’ N. Br.
und 93° 46’ Östl. L. liegt, habe ich durch gleichmässige
Correction rückwärts bis zum 11, August und vorwärts bis
zum 27. August Johansen’s im Journal angegebene Breiten
und Längen verändert. Da die Breiten-Correctionen bei
Nowaja Semlja negativ und beim Taimyr-Lande positiv aus-
fallen, habe ich für die Insel Einsamkeit Johansen’s Orts-
angaben unverändert beibehalten. Zwar kommt durch diese
Änderungen Johansen’s Kurs vom 20.—21. August über
die nördlichste der drei nach Palander zwischen dem 90.
und 91. Längengrade liegenden Inseln, weshalb ich auf
dieser Strecke seinen Kurs etwas nördlicher gezogen habe,
aber in diesen Tagen wird in Johansen’s Journal das Wet-
ter stetig als starker Nebel notirt und der Strom mag ihn
nach Norden versetzt haben. Die Wassertiefe war am 20.
30 Faden und am 21. 23 Faden, welche Tiefe vielleicht
für die nördliche Seite der 3. Insel am meisten spricht.
Als Johansen am 16. August Land sah, hatte er eine
Wassertiefe von nur 6 Faden und etwas Treibeis. Er
nahm an, dass hier eine Untiefe wäre, auf welcher das Eis
fest lag, denn sonst war kein Eis zu sehen. Von hier
steuerte er westwärts und später nordwärts, und hatte dann
und wann etwas Eis in Sicht. Am 28. August um 6 Uhr
Nachmittags sah er in Nordwesten eine Insel. Bis zum
l. September kreuzte er südlich von der Insel, segelte
darauf längs ihrer Westküste nach Norden, passirte ihre
Nordspitze und versuchte dann zurück zu kreuzen; aber
der Strom war so stark von Norden her, dass er am
3. September dem Strom folgte und südwärts längs der
|
Ostseite der Insel steuerte. Er umsegelte in dieser Weise
die ganze Insel.
Kapitän Johansen giebt folgende Beschreibung von ihr:
Sie ist in der Richtung von Norden ‚nach Süden etwa
23 geogr. Meilen lang. Die Westseite ist sohroff und er-
hebt sich bis 30 Meter über dem Meere. Ausserhalb der
Westküste ist der Meeresbolen felsig und bis zu.einer Ent-
fernung von 13 geogr. Meilen vom Lande voll von Untie-
fen. Die Ostseite dagegen ist ganz niedrig, kaum 3 Meter
hoch. Hier lag eine Menge von Treibholz, zum Theil weit
ins Land hinein. Von dieser Seite aus mag die Insel zu-
gänglich sein, wenn kein festes Eis vorhanden ist. In einem
Abstand von einer kleinen halben geogr. Meile von der
Ostküste ist die Wassertiofe 20 Faden. Ausserhalb der
ganzen Südseite lag eine Masse von aufgethürmtem Schrauben-
eis, segelnden Schiffen ähnelnd, zwischen grossen Steinen
und Untiefen festgehalten. Im jinneren Theile der Insel
schien ‘ein See zu liegen, der durch einen Bach an der
Südseite Auslauf hatte. Die Insel war ganz frei von Schnee,
aber ohne Graswuchs.
Von Thieren wurden gesehen an’Säugethieren: Eisbären
(Ursus maritimus) 3 Stück, einzelne Wallrosse (Trichechus
rosmarus) und mehrere Blau-Robben (Phoca barbata); an
Vögeln: Teiste (Uria grylie) in Schaaren, Terne (Sterna
arctica), Sturmvögel (Procellaria glacialis), Elfenbeinmöven
(Larus eburneus) und einige Vögel mit rundem'Rumpfe und
langem Schnabel. Im Wasser wurden mehrere Thiere der-
selben Arten gesehen, die Johansen früher an ‘der Nord-
seite von Nowaja Semlja und !bei West-Spitzbergen beob-
achtet hatte. Die Temperatur der Meeresoberfläche wech-
selte von —0,6° bis + 2,9°.
Der Strom setzte auf der Nordostseite der Insel stark
nach Süden, und das Treibeis fand Johansen von der Insel
aus südwärts sich erstreokend unter allen wehenden Windes-
richtungen. Zwischen der Insel und dem Festlande Sibi-
riens waren die Meerestiefen abwechselnd, 16, 20, 30, 36
bis 48 Faden. ‘Auf dem Meere ward kein Treibholz beob-
achtet.
Die Lage der Insel ist nach der Karte zwischen 77° 31’
und 77° 42' N. Br. und auf etwa 86° Ö. L. nach einer
von Johansen erhaltenen Längenbeobachtung. Die magne-
tische Abweichung ist, nach Peilungen der Sonne zur Culmi-
nationszeit, etwa 30° östlich.
Nach der Karte ist der Flächeninhalt der Insel (incl.
des Süsswassersees) 202 qkm oder 3,7 geogr. Q.-Meilen.
Am 3. September segelte Johansen südlich an der Insel
vorüber nach Westen, dann in einem Bogen gegen Nord
bis nahe an ‘den 78. Breitengrad, ohne Eis zu treffen.
Am 6. war er unter der Ostseite von Nowaja Semlja,
welche jetzt eisfrei war, am 10, bis ll. am Kap Mauritius,
Die Insel Einsamkeit. 59
wo der Strom am erstgenannten Tage ihn stark ostwärts
versetzte. Am 27. September kam er nach Tromsö zurück.
Kapitän Johansen’s Fahrt hat in bedeutendem Grade
unsere Kenntniss vom Eismeere nördlich von West-Sibirien
erweitert, indem wir jetzt die Grenzlinie des unerforschten
Gebietes vom Franz Josef-Land über die Insel Einsamkeit
nach Kap Tscheljuskin und den von Nordenskiöld im letz-
ten Herbste durchsegelten Gegenden ziehen können.
Wir fügen eine kleine Übersichtskarte bei, um die Lage
der Insel Einsamkeit, so wie die übrigen von norwegischer
Seite gemachten Beiträge zur arktischen Geographie zu
zeigen. Die angemerkten Punkte sind: Jan Mayen (Karte
und verbesserte Längen durch die Nordmeer-Expedition),
Advent-Bai, Eisfjord, Spitzbergen (Karte von derselben Expe-
dition, noch nicht publicirt), östliche Ausdehnung vom Nordost-
lande Spitzbergens durch Kapitän Ulve, König Karl-Land,
Nord-Nowaja Semlja, Insel Einsamkeit, die meteorologischen
Stationen der Norweger im Eisfjorde, Tobiesen’s auf der
Bären-Insel, Tobiesen’s auf Nowaja Semlja und Kapitän
Bjerkan’s an der Moller-Bai (die Resultate sind im norwe-
gischen Meteorologischen Jahrbuche für 1876 gegeben).
Die Fahrt der norwegischen Nordmeer-Expedition auf der
„Vöringen” 1877 und 1878 ist ebenfalls eingetragen worden.
Übersichtskarte der Beiträge der Norweger sur arktischen Geographie.
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Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt.
Zur Orientirung in der afghanischen Frage.
Von F. v. Stein.
(Schluss !).) |
Die Liebe der Afghanen für Freiheit und Unabhängig-
keit ist eine der Ursachen, dass die staatliche Einheit, die
äusserlich zwar schon duroh Achmed Schach geschaffen und
durch den klugen Dost Mohammed noch weiter entwickelt
wurde, sich noch nicht so befestigt hat, wie Schir Ali es
wohl in diesem Augenblicke wünschen mag. Es ist diess
aber historisch begründet; denn von jeher zerfielen die
Afghanen in Stämme von scharf ausgeprägter Eigenthüm-
lichkeit und diese wieder in viele Unterabtheilungen, deren
Zahl im Ganzen von afghanischen Genealogisten auf 395
geschätzt wird. Diejenigen Stämme, welche sich in com-
pacter Masse zusammengehalten, haben das Gefühl der
Stammeseinheit bewahrt, diejenigen jedoch, deren Unter-
stämme durch Verhältnisse von einander getrennt worden,
sind desselben ziemlich verlustig gegangen. Früher bilde-
ten diese Stämme ganz unabhängige Demokratien, und bei
der bestehenden Sitte der Blutrache und dem abenteuer-
lichen, jeder Centralisation abholden Sinne an und für sich
kriegerischer Menschen kam es oft zu langen und blutigen
Fehden zwischen denselben. Die Zersplitterung wird da-
durch noch erhöht, dass die bei weitem grössere Mehrzahl
der Afghanen Nomaden ist und nur nebenbei Landbau treibt,
am allerwenigsten sich entschliessen mag, ein Handwerk
zu erlernen. Hierduroh erklärt sich auch der Mangel an
neueren grösseren Städten, die der Afghane überhaupt nicht
gern bewohnt. Nur die bereits an Luxus gewöhnten vor-
nehmen Afghanen und die grossen Karawanenhändler zie-
hen die Städte vor. Es ist nun wohl hier der Ort, auf
diese Theilung und Zerklüftung des Volkes näher einzuge-
hen, weil dieselbe wesentliche Unterschiede zwischen den
einzelnen Bestandtheilen der Bevölkerung bedingt.
In geographischer und ethnographischer Hinsicht, d. h.
mit Rücksicht auf ihre Wohnplätze und auf die Einflüsse,
welohe die Nachbarvölker auf die Gestaltung des Charak-
ters und Typus ausgeübt haben, theilt man die Afghanen
in die östlichen — nach afghanischer Bezeichnung, die un-
teren —, die westlichen — oberen — und die indischen.
Die westlichen haben viele iranische, die indischen viele
indische Elemente in sich aufgenommen.
Von den westlichen Afghanen wohnt der Stamm der
Duranai, der auch zugleich der bedeutendste und zahl-
!) Siehe die früheren Abschnitte in Jahrg. 1878, 8. 466, und
1879, Heft I, S. 23; die zugehörige Karte s. in Jahrg. 1878, Tafel 25.
reichste von allen ist, am weitesten nach Westen, und zer-
fällt in neun Unterstämme (Chel), Da er compact beisam-
men wohnt, ist das Gefühl der Stammeseinheit bei ihm
sehr lebbaft entwickelt, was zum Theil auch dem Umstande
zuzuschreiben ist, dass diesem Stamme, und zwar der Fa-
milie Sadozai vom Unterstamm der Popalzai die afghani-
schen Könige entnommen wurden. Ihr Gebiet, das sie den
Persern abgenommen, grenzt im Norden an die Aimak und
Hesare, reicht im Westen und Südwesten bis an die per-
sische Grenze, im Osten bis an den Tarnak, im Süden
bis an die Ebene Schorawak und umfasst den fruchtbar-
sten und grössten Theil Afghanistans. Die Duranai be-
schäftigen sich je nach der Beschaffenheit des Bodens ent-
weder mit Ackerbau oder mit Viehzucht, viel lieber jedoch
mit letzterer. Sie sind der gebildetste Stamm und besitzen
auch einen alten angestammten Adel, der auf seinem Grund
und Boden eine patriarchalische Gewalt ausübt, in den
Städten aber, die von Beamten der Regierdng verwaltet
werden, weniger zu sagen hat. Dieser über ein weites
Gebiet verbreitete, begüterte Adel ist mit seiner conser-
vativen Gesinnung die beste Stütze der Regierung, in deren
Namen er Recht und Ordnung aufrecht erhält. Der alte
demokratische Zug, der durch das ganze Volk geht, ist
freilich auch bei ihnen vorherrschend, so dass auch sie dem
Emir nicht vollkommen unterthan sind, dieser vielmehr in
allen wichtigeren Angelegenheiten bestrebt sein muss, im
Einverständniss mit ihnen zu handeln.
Der zweitgrösste Stamm ist der der Ghilzai, die gleich-
falls eine bedeutende Vergangenheit hinter sich haben, und
einst sogar Persien erobern und durch ihre Stammesgenossen
beherrschen lassen konnten. Sie zerfallen in sieben Unter-
stämme und bewohnen den Raum, der im Westen an die
Wohnsitze der Duranai stösst, im Norden bis an das Ko-
histan von Kabul reicht, aber die Hauptstadt Kabul noch
einschliesst, im Osten vom Suliman-Gebirge begrenzt wird
und im Süden sich in die Wüste verliert. Zu den Ghilzai
werden übrigens noch mehrere andere kleine Stämme, die
mit ihnen verwandt zu sein angeben, gezählt, wie die
Sahak, Schirpa, der Wanderstamm der Nasir und andere.
Sie unterscheiden sich wesentlich von den Duranai durch
ihr unruhiges, räuberisches Wesen und auch durch ihre
Verfassung, da sie theils ihren eigenen Chanen huldigen,
theils kleine demokratische Gemeinwesen bilden.
Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt. 61
Die östliohen Afghanen sind von den verfeinernden Ein-
flüssen der persischen Cultur unberührt geblieben und tre-
ten daher mehr in afghanischer Urwüchsigkeit auf, werden
dadurch aber als Repräsentanten eines Urzustandes für den
Beobechter nur noch interessanter. Sie wohnen zwischen
dem Hindukusch, dem Indus und dem Suliman-Gebirge,
welcheg letztere der uralte Sitz der Afghanen zu sein
scheint. Der wichtigste Stamm sind die Jusufzai, die ihre
Wobnsitze in dem Gebirgslande nördlich vom Kabul, zwi-
schen den Flüssen Kameh (Konar) und Indus haben. Sie
und ganz unabhängig und haben ihre alte Stammverfas-
sung bewahrt, die ganz demokratisch ist, und sie nicht
einmal einheimische Chane über sich dulden lässt. Nachdem
sie das jetzt von ihnen eingenommene Land in der Mitte
des 14. Jahrhunderts von den indischen Eingeborenen er-
ebert und diese zu Hörigen gemacht hatten, vertheilten sie
dasselbe durch das Loos unter ihre Unterstämme, innerhalb
deren jedoch die einzelnen Geschlechter alle zehn Jahre
wieder loosen und, wie die Loose es bestimmen, eine neue
Thailung vornehmen müssen. Es hat diess natürlich stete
viel Unordnung und Streit im Gefolge, ist aber einmal als
nstionale Sitte, die an den russischen Gemeindebesitz er-
innert, fortbestehen geblieben, hat auch weniger Nachtheile
im Gefolge als bei den Russen, weil der Landbau auf einer
sehr niedrigen Stufe steht und die Viehzucht die Haupt-
beschäftigung ist. Die Hörigen sind Eigenthum der ein-
seinen Familien, müssen die Äcker der Herren bestellen
und andere Dienste thun. Der Herr kann sie nach Be-
beben strafen und sogar tödten, im Allgemeinen werden
se aber milde behandelt, und es ist ihnen sogar gestattet,
fortzugieben, was jedoch selten geschieht, weil sie alsdann
ganz schutzlos sind. Jedes Dorf oder jedes Geschlecht
wählt Einen aus seiner Mitte, gewöhnlich den Reichsten
und Angesehensten, zum Vorsteher, in dessen Wohnung
die Berathungen Statt finden, und wo die Männer wie in
einer Art Ressource sich jeden Abend versammeln, um sich
sa unterbalten und den von Mund zu Mund umgehenden
Kaljän (Wasserpfeife) zu rauchen. Der Unterstamm tritt
Abrlich einmal zu einer Versammlung zusammen, in wel-
cher die Ältesten, deren Zahl zwischen 6 und 12 variirt,
and welche alle Geschäfte führen, gewählt werden. Bei
suwerordentlichen Gelegenheiten können die Ältesten auch
den Unterstamm zu jeder beliebigen Zeit zu einer Ver-
mmmlang einberufen. Die Männer erscheinen bei solchen
Gelegenheiten alle mit dem langen afghanischen Messer und
anem Luntengewehr bewaffnet, viele führen ausserdem noch
ane lange Lanze. Wenn es in früheren Zeiten galt, sich
einen äusseren Feindes zu erwehren, wurde der ganze Stamm
zu einer allgemeinen Volksversammlung einberufen, um den
Feldzug zu beschliessen, in welchem dann ihre Ältesten
den Oberbefehl führten. Jetzt, wo ihnen keine äusseren
Feinde mehr drohen, kümmern sich die einzelnen Unter-
stämme nicht mehr viel um einander. Die Jusufzai sind
ganz besonders stolz auf ihre Unabhängigkeit und ver-
achten die anderen Afghanen, welche sich unter der Ge
walt des Emirs zu Kabul oder gar der britischen Regie-
rung befinden. Ihre Rechtsstreitigkeiten werden nioht nach
den Vorschriften des Koran geschlichtet, wie bei anderen
mohammedanischen Völkern, sondern nach ihrem alten Ge-
wohnheitsrecht, dem „Pachtunwal”. Westlich von den Ju-
sufzai wohnt noch der Stamm der Torkolanai und der kleine
Untergtamm Usman, die beide aber von jenen abhängig sind.
Zu den östlichen Afghanen gehören ferner die drei
Cheiber-Stämme: die Afridi, Schinwarai und Wurukzai, die
im Ganzen gegen 150000 Köpfe stark sind. Es sind diess
hegere, aber muskulöse Menschen mit hohen Nasen und
Backenknochen ; sie gehen nie unbewaffnet und tragen min-
destens immer das lange atghanische Messer in ihrem Gürtel.
Sie sind die am wenigsten von der Cultur beleckten afgha-
nischen Stämme und berüchtigte Wegelagerer, von denen
die Schluchten des Cheiber- und Kuram -Passes manches
blutige Abenteuer erzählen könnten und gegen welche die
Engländer manche bewaffnete Expedition haben entsenden
müssen. Sie stehen zwar nominell unter dem Emir von
Kabul, dessen Macht reicht jedoch meist nur so weit, als
er sie durch Gewalt zwingen oder erkaufen kaun. Eben
so hat die englische Regierung sich die Cheiberi durch Ge-
schenke zu verpflichten gesucht. Eine eigentliche Regie-
rung haben sie nicht, sie stehen unter selbst gewählten
Ältesten, die auch ihre Streitigkeiten schlichten, wenn sich
die Parteien ihrem Ausspruch unterwerfen, widrigenfalls
jeder sich selbst Recht zu verschaffen sucht, so gut er kann.
Der bedeutendste und stärkste dieser Stämme sind die
Afridi, die allein 29500 Familien zählen sollen und das
Gebirge bewohnen, welches das weit nach Afghanistan vor-
springende Thal von Pischäwar umsäumen, bis hinauf zu
den höchsten Weidegründen des schneebedeckten Sefid-Kuh.
Sie zerfallen in mehrere Unterstämme (Chel), von denen
jeder in seinem Heimathsthale ein kleines republikanisches
Gemeinwesen bildet, an dessen Spitze ein gewählter Älte-
ster steht. Der stärkste Unterstamm ist der Adam-Chel;
die politisch einflussreichsten sind der Hassan-Chel, südlich
von Pischäwar, und der Kuli-Chel, dem sich der Zakka-
Cbel angeschlossen hat, westlich von Pischäwar, im Cheiber-
Passe. Die Vorberge der von den Afridi bewobnten Ge-
birgsgegend sind mit Buschwerk bewachsen, older auch ganz
vegetationslos in grösserer Höbe finden sich ausgedehnte
Waldungen, die schönes Bauholz liefern. Die afridischen
Dörfer, deren Häuser aus Fachwerk und Lehmziegeln auf-
gebaut sind, haben keine Befestigungen, wohl aber Thürme
62 Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt.
zur Ausschau ins Land. Wenn eine Gefahr naht, werden
Weiber, Kinder und Heerden in die verstecktesten Klüfte
des Gebirges geflüchtet. In den Tbälern wird zwar Acker-
bau getrieben und Rindvieh gehalten, jedoch nur so viel,
als zur Befriedigung des eigenen Bedürfnisses gehört; den
eigentlichen Reichthum der Afridi bilden ihre Schafheer-
den. Kriegerisch angelegt, wie sie es sind, leben die Afridi
in steter Feindschaft mit ihren Nachbarn, besonders mit
den Mohmand, die ihre Wohnsitze mehr nördlich, am Swat,
haben, und ihr Hang, mit der geringsten Arbeit das Nöthige
zu erwerben, macht sie zu gefährlichen Feinden der acker-
bautreibenden Nachbarn und der Handelskarawanen. Als
Grenzbewohner haben die Engländer sie nach dem be-
zeichnenden Ausdrucke des Sir Bartle Frere „als Puffer”
zwischen sich und dem Emir benutzt, und sie zeigen sich
auch nur zu geneigt, eine Macht gegen die andere auszu-
spielen, so dass das Verhältniss der Afridi zu den Englän-
dern einerseits und dem Emir andererseits ein sehr un-
sicheres ist.
Am unteren Kabul im Gebirge Attok gegenüber sitzen
die Hatak, weiter oben die Mohmand und auf dem Nord-
abhange der Cheiber-Berge die Bangasch, einst grössere
kriegerische Stämme, jetzt aber stark zusammengeschmol-
zen. Im nördlichen Theil des Suliman-Gebirges, an die
Hatak und Bangasoh grenzend, hausen die Wasirai, von
denen ein Theil auf britischem Boden wohnt und der in-
dischen Regierung viel zu sohaffen macht, so dass diese sie
mehrfach wegen ihrer Raubeinfälle durch militärische Ex-
peditionen hat züchtigen müssen. Ihre Unterstämme auf
afghanischer Seite stehen theils unter Chanen, theils sind
es demokratisch verwaltete Gemeinwesen, an deren Spitze
ein gewählter Ältester steht. Südlich von den Wasirai
leben die Daulat, am den Tukht-i-Suliman die Schiravai und
südlich davon die Smarrai. Alle diese Stämme erfreuen
sich einer vollständigen Ungebundenheit naturwüchsigster
Art; von einer eigentlichen Regierung wissen sie Nichts.
Kleinere Streitigkeiten werden von den Ältesten der
Familien entschieden, grössere Verbrechen, die übrigens
selten vorkommen sollen, kommen vor die Volksversamm-
lung. Sie sind alle Hirten, und Ziegen bilden ihren Reich-
thum; nur in den Thälern wird etwas Weizen gebaut.
Mit der Regierung in Kabul stehen sie nur dem Namen
nach in Verbindung, und der Emir muss, wenn er sie Sei-
nen Wünschen geneigt machen will, zunächst die Ältesten
zu gewinnen suchen.
Die indischen Afghanen, die auf britischem Gebiete
leben, sind nicht mehr in Stämme geschieden, sondern
leben, in Familien aufgelöst, für sich und beschäftigen sich
meist mit Ackerbau. Sie sind zwar auch noch von dem
trotzigen afghanischen Sinn erfüllt, aber durch eine starke
Regierung im Zaume gehalten, haben sie sich an Ordnung
und Beobachtung der Gesetze gewöhnen müssen und be-
reits viel von ihren nationalen Eigenthümlichkeiten ein-
gebüsst.
Wichtig für die Beurtheilung des Volkslebens ist die
Stellung, welche den Frauen durch die Sitte angewiesen
wird, und bei den Afghanen zeigt sich in dieser Hinsicht
manches von der sonstigen mohammedanischen Art Ab-
weichende Zwar kaufen sie die Frauen für den Kalym,
aber da die Trennung der Geschlechter besonders bei den
Hirtenstämmen nicht sehr strenge und der Verkehr zwi-
schen jungen Männern und Mädchen nicht gerade ganz un-
möglich ist, findet sioh wohl Gelegenheit, dass auch eine
wirkliche, ernste Neigung zur Heirath führt. Die Afghanen
sind vielleicht das einzige mohammedanische Volk in Asien,
bei dem das Wort Liebe im Sinne europäischer Völker
verstanden wird. Die Polygamie ist zwar gestattet, aber
nur bei den Reichen möglich, da die Ärmeren nicht das
Kaufgeld für mehr als eine Frau erschwingen können und
sich ohnehin oft die grössten Entbehrungen auferlegen müs-
sen, um das für eine Frau zu entrichtende zusammenzu-
bringen.
Die Frauen der Afghanen sind im Allgemeinen sehr
schön und von zartem Bau. Wo sie das Haremleben füh-
ren müssen, sollen auch Intriguen nicht selten sein, und
während der Herr und Gebieter in der Hujar, einer Art
Club, in welchem geraucht und geplaudert wird, oder in
der Moschee ist, oder sich auf einem Raubzuge befindet,
weiss die Frau zuweilen unter dem Schutze ihrer Burka,
einer weiten die ganze Gestalt verbergenden Umhüllung,
die Wachsamkeit der Wächter zu täuschen, um einem
Liebesabenteuer naghzugehen. Wehe ihr aber, wenn sie
dabei ertappt wird. Auf einem Esel reitend, mit gescho-
renem Haupte und beschmutztem Gesicht wird sie durch
den Ort geführt und der öffentlichen Schande Preis gegeben.
Im Südesten Afghanistans wohnen in einem Theile der
alten Provinz Siwistan Belutschen, ein iranischer Stamm.
Dieselben sind den Lehren der Schiah ergeben und werden
schon deshalb von den sunnitischen Afghanen gehasst und
verachtet, haben im Ganzen auch keine Bedeutung für das
Volksleben im Allgemeinen. Ganz anders ist es mit einer
anderen nicht afghanischen Bevölkerungsgruppe: den Ta-
dschiks oder Parsiwans, die grosse Strecken des heutigen
Afghanenreiches, im Südwesten um den Hamun-Sumpf
berum, längs der Westgrenze bis zum Farrah-Rud im Osten
und bis Herat im Norden, bewohnen und in grösseren und
kleineren Gruppen in allen fruchtbareren Theilen des Lan-
des, selbst um Kandahar und Kabul und auch unter den
usbekischen ‚Stämmen im Norden des Hindukusch gefunden
werden. Die Tadschiks sind Iranier, Reste der alten von
Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt. 63 .
den Afghanen unterworfenen persischen Bevölkerung, die
such jetzt noch persisch sprechen und den persischen Typus
bewahrt haben, obgleich sie sich hier zur Sunna bekennen.
Nach der Unterwerfung durch die Afghanen und Usbeken
wurden sie zwar ihrer Ländereien beraubt, doch liess man
sie da, wo sie in dichteren Massen beisammen sassen, im
Genusse ihres Besitzes, wenn sie sich den Schutz eines
Edein des Duranai - Stammes zu verschaffen wussten. Wo
diess nicht der Fall war, mussten sie freilich dienstbar
werden, aber durch Ausdauer, Fleiss und Geschick haben
sie sich bald eine günstige Stellung zu erringen gewusst;
denn die Afghanen überlassen den Anbau des Landes gern
den Tadschiks, die denn auch die cultivirtesten Gegenden
um Kabul und Kandahar in Besitz haben. In den Städten
treiben sie fleissig allerlei Gewerbe. Gerühmt werden ihre
Gewebe mit dick aufgetragenen, aber doch haltbaren Farben
und die Pelze, welche sie aus Schaffellen, in die sie bunte
Muster einziehen, bereiten. Im Norden von Kabul, in dem
sogenannten kabulischen Kohistan — zum Unterschiede
von dem im Osten von Kafıristan, von mohammedanischen
Ariern bewohnten Gebirgslande so benannt —, leben gleich-
falls Tadschiks, ein tapferes Völkchen, das seine fruchtbaren
und lieblichen, tief in den Hindukusch einschneidenden
Hochthäler an den Flussläufen des Gorband, Pandschir und
Kunar gegen alle Angriffe der Afghanen zu vertheidigen
gewasst hat. Sie haben ihre eigenen Chane und werden
der Regierung von Kabul zuweilen sehr unbequem.
Ein den Tadschiks verwandter Stamm von Neupersern,
die schiitischen Kisilbaschi, Nachkommen der von Nadır
Schsch hier angesiedelten Stämme, wohnen in der Stärke
von 12000 Familien theils in Kabul selbst, theils in der
Vorstadt Tsohandol.
Indier, in Afghanistan Hindki genannt, sind, den Juden
gleich, als Händler überall anzutreffen, werden aber trotz
des Reichthums, den sie sich zu erwerben verstehen, sehr
verachtet, obgleich sonst auch die Afghanen nicht abge-
neigt sind, sich durch Betreiben von Handel zu bereichern.
In den Provinzen im Norden des Hindukusch, die, wie
wir bereits bemerkt, als erobertes Land eine besondere
Verwaltung haben, bilden die Usbeken den eigentlichen
Grundstock der Bevölkerung. Dieselben sind — wie auch
die Kirgsen — aus jenen grossen tatarisch - türkischen
Völkerverbindungen hervorgegangen, die in immer neuen
Wellen sich aus dem Innern Asiens über die Welt ergos-
sa haben. Im 16. Jahrhundert überschritten sie den Ja-
zartes, vertrieben die Nachkommen der Horden Timur’s aus
dem Taranischen Hochlande, in welchem sie nun herr-
schend wurden bis Nadır-Schach sie unterwarf, über den
Oxzus trieb und ihre Gebiete seinem Reiche einverleibte,.
Als nach Nadir-Schach’s Ermordung Achmed -Schah das
Afghanenreich gründete, fielen ihm auch die zwischen Hin-
dukusch und Oxus belegenen usbekischen Provinzen zu-
Die Usbeken haben ihren tatarıschen Typus, kleinen unter-
setzten Wuchs, breites Gesicht mit hervorstehenden Backen-
koochen, schwachen Bartwuchs und kleinen schief liegenden
Augen, bis heute bewahrt, sprechen ihren tatarischen Dia-
lekt, haben sich zum grössten Theil angesiedelt und treiben
Ackerbau. Nur ein kleiner Theil nomadisirt und lebt in
Filzjurteo. Die Usbeken sind jetzt ein friedliches, ruhiges
Volk, das freilich durch Anwesenheit einer starken afgha-
nischen Armee in gehöriger Unterwürfigkeit gehalten wird.
Im Süden von Andohui wohnt ein anderer türkischer
Stamm, die Kiptschak verkommene Reste der früheren
Invasionshorden.
Im Südwesten von diesen Provinzen, in !dem nördlich
von Herat belegenen rauhen und unfruchtbaren Gebirgs-
lande, das gegen 300 Meilen lang und 200 Meilen breit
ist, leben gleichfalls zwei nicht afghanische Völker: die
Hesare im nördlichen, die Aimak im südlichen nach Herat
herabfallenden Theile dieses Hochlandes. Sie sind entschie-
den tatarischen Ursprungs, wie diess ihr ganzer Typus
verräth, und gehören gleichfalls zu den Überbleibseln jener
sohon so oft erwähnten Völkerwogen, die verderbenbringend
aus Asien hervorgebrochen sind. Die Hesare sprechen
jetzt aber persisch und haben mit der Sprache auch das
schiitische Bekenntniss angenommen, Sie sind ein unru-
higes Volk und leben in beständiger blutiger Fehde unter
einander und oft auch mit der Regierung, die dann ihrer
Renitenz ein blutiges Ende macht. Sie treiben Viehzucht,
leben theils in Dörfern, theils in Zelten und zerfallen in
viele kleine Stämme, die uuter Häuptlingen stehen, welche
absolute Macht selbst über Leben und Tod ausüben, aber
die Oberhoheit der Regierung anerkennen. Eigenthümlich
ist bei ihnen die von mohammedanischer Sitte ganz ab-
weichende völlig emancipirte Stellung der Frauen.
Die Aimak sind ein echtes Hirtenvolk, dessen Haupt-
reichthum seine Schaf- und Ziegenh:erdenpsind, das aber
auch gute Pferde züohtet und fast ausschliesslich in Zelten
lebt. Sie zerfallen in verschiedene Stämme, deren Chane
zwar von der Regierung ernannt werden, sonst aber die
absoluteste Gewalt nach echt asiatischem Stil ausüben. Die
Stämme sind in kleine Lager getheilt, deren Älteste der
Chan ernennt. Annähernd an die Hesare halten sich die
gleichfalls persisch sprechenden Aimak zur Sunna. Beide
Völker entrichten einen Tribut an den Emir.
Was nun die Seelenzahl aller dieser Völker betrifft, so
schätzt man dieselbe bei gänzlichem Mangel zuverlässiger
Nachrichten annäherungsweise auf 4 Millionen. Über die
Truppenmacht, welche der Emir aus dieser Bevölkerung
aufstellen kann, fehlen zuverlässige Angaben. Die reguläre
64
Infanterie soll 16 Regimenter zu 800 Mann bilden, also
12800 Mann stark und mit gezogenen Vorderladern, zum
Theil auch mit Hinterladern bewaffnet sein. Die Cavallerie
wird als sehr zahlreich angegeben und soll 28 Regimenter
a 600 Mann, folglich 16800 Mann zählen, Die Artillerie,
für welche Schir Ali eine besondere Vorliebe hegt, wird
mit 4 schweren, 5 reitenden und 17 Maulthier- Batterien
berechnet. Ausserdem giebt es eine irreguläre Infanterie
und Miliztruppen, deren Stärke sich jedoch der Berechnung
entzieht; nach ungefährer Schätzung sollen dieselben 150 000
Mann, darunter 95000 Reiter stellen können.
Einer der eigenartigsten und interessantesten Stämme
sind die Kafiri (Ungläubige), welche das Hochgebirgsland
Kafıristan, d. h. die unzugänglichen nordöstlich vom Pan-
tschir belegenen bis zum Tschitral reichenden Hochthäler,
bewohnen. Sie sind Arier, sprechen eine dem Sanskrit
verwandte Sprache und bekennen sich zum Buddhismus, der
allerdings noch von vielen uralten schamanischen Elemen-
ten durchsetzt ist. In ihrer sie wie eine feste Burg schüt-
zenden Gebirgsheimath haben sie ihre gänzliche Unabhän-
gigkeit, die sie über Alles lieben, zu behaupten gewusst,
und auch der mit Feuer und Schwert operirende Bekeh-
rungseifer der Mohammedaner — Araber, Mongolen, Per-
ser, Afghanen — hat sie nicht zur Annahme des Islams
bewegen können. Gegen diesen in unerbittlicher, ja grau-
samer Weise zu kämpfen, betrachten sie vielmehr als ihre
vorzüglichste Lebensaufgabe. Durch die Gebiete der wilden
Jusufzai und der Mohmand von dem britischen Territorium
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Afghanistan in seiner gegenwärtigen Gestalt.
getrennt, sind die Kafıri ziemlich unbekannt geblieben, und
nur zwei Männer haben sie bisher in ihrer Heimath flüch-
tig beobachten können: der Mulla Nudschib, den die bri-
tische Gesandtschaft in Kabul 1809 dahin entsandte, und
Captain Wood, der durch einen Zusammenfluss besonders
günstiger Umstände 1840 Gelegenheit fand, einen Blick in
ihr Land zu werfen. Die Kafıri, auch Siapusch, d. h.
Schwarzgekleidete, genannt, welcher Name schon bei Strabo
in der Form „Sibax” vorkommt, sind ein schöner, überaus
kräftiger und intelligenter Menschenschlag mit blauen Augen,
hellen Haaren, von fast europäischem Typus. Sie beschäf-
tigen sich vorzugsweise mit Viehzucht und Jagd, treiben
aber auch Bienenzucht und Weinbau. Honig und Wachs
sind einer ihrer wichtigsten Handelsartikel, die sie nach
Norden exportiren. Sie bereiten auch einen guten Wein,
den sie gern und viel trinken. Ihr Hass gegen die Mo-
hammedaner und selbst gegen ihre östlich von ihnen in
Kohistan wohnenden und zum Islam übergetretenen Stam-
mesgenossen, die Teschitrali, ist go tief, dass kein Kafır sich
eher verheirathen darf, bis er mindestens einen Mohamme-
daner getödtet hat. Jeder Kafır trägt so viele Federn auf
seiner Kopfbedeckung, als er Feinde, d. h. Mohammedaner,
erschlagen hat. Die Kafırfrauen werden ihrer grossen
Schönheit wegen gerühmt und bilden die herrlichste Beute,
die Afghanen aus ihren Einfällen in das Kafırgebiet gewin-
nen können. Über die Stärke der Kafiri-Bevölkerung fehlen
zuverlässige Angaben.
Klima am Viectoria-Nyanza.
Nach den meteorologischen Beobachtungen von Dr. Emin-Bey und Rev. Wilson zu Rubaga in Uganda,
von Prof. Dr. J. Hann.
Die „Geogr. Mittheilungen” haben im Jahrgang 1863,
S. 388, eine Schilderung des Klima’s an dem Grossen Üke-
rewe-See oder Victoria-Nyanza gebracht, nach den meteoro-
logischen Aufzeichnungen von Speke und Grant. Wir sind
jetzt in der Lage, diese Mittheilungen wesentlich zu er-
gänzen durch die Resultate zweier Serien regelmässiger
meteorologischer Aufzeichnungen zu Rubaga, der Residenz
des Königs Mtesa von Uganda. Die erwähnten Beobach-
tungen wurden angestellt von dem Missionär Rev. Wilson
während der Monate August bis December 1877, und von
Dr. Emin-Bey, jetzt Gouverneur der ägyptischen Äquato-
rial-Provinzen in der Periode Ende Juli bis 25. August 1876
und Januar bis März 1878. Herr Dr. Behm war so freund-
lich, mir diese Aufzeichnungen zu übersenden; ich habe
Mittelwerthe aus denselben abgeleitet, welche man nebst
den nöthigen Anmerkungen über die benutzten Instrumente
und die Methoden der Beobachtungen weiter unten zusam-
mengestellt findet, desgleichen sind alle interessanten Wit-
terungsmotizen beigefügt.
Die aus den Temperatur - Aufzeiohnungen Wilson’s ab-
geleiteten Mittel-Temperaturen sind unsicherer als die aus
Dr. Emin’s Aufzeichnungen sich ergebenden. Die letzteren
konnten nach der Formel (75 + 2% + 9b + 9b): 4 abge-
leitet werden, stellen also sehr nahe wahre Mittel dar. Bei
der mässigen täglichen und sehr geringen jährlichen Varia-
tion der Temperatur in dieser Gegend dürften sich aber auch
Klima am Victoria-Nyansa.
die aus Wilson’s Aufzeichnungen folgenden Mittel sich
wenig von der Wahrheit entfernen, und glaube ich, dass
man nur um einige Zehntel Grade wird fehlen können,
wenn man die mittlere Jahrestemperatur von Rubaga zu
21,5° C. annimmt. Die Monatsmittel dürften höchstens
zwischen 19° C. (Juli, August) und 23° C. schwanken,
und das Maximum der Wärme scheint zwischen December
und März einzutreten. Die höchste aufgezeichnete Tempe-
ratur war 34,5°, die niedrigste 10,0°.
Dass auch die mittleren Barometerstände sich nicht zu
weit von der Wahrheit entfernen, dürfte aus der nahen
Übereinstimmung, welche die beiden Beobachtungsweisen
hierin zeigen, geschlossen werden können. Freilich ist Dr.
Emin’s Augustmittel 652,7, das von Wilson 657,. Auf
solche Differenzen muss man aber von vornherein gefasst sein,
um so mehr, als nicht bekannt ist, ob der Beobachtungsort
in beiden Reihen genau derselbe war. Der mittlere Luft-
druck scheint im December und Januar am niedrigsten zu
sein, um die Mitte unseres Sommers am höchsten. Aus
einigen mehrstündlichen täglichen Beobachtungen Dr. Emin’s
lassen sich Andeutungen über den täglichen Gang des Luft-
druckes ableiten, wobei freilich der niedrige Stand noch in
den späteren Abendstunden auffallend bleibt.
Mittl. Luftdruck ') (8 Tage) 600 mm +
Ta a.M. 9% 10h 11% 1b Nm. 4 55h 6h $h
SB 563 Bi Bü BU 58,3 58,0 52,8 52,9
Als mittleren Luftdruck zu Rubaga nehme ich aus
beiden Reihen 654mm an (mit Schwere-Corr. 656mm, da
keine Temperatur-Corr. angebracht werden kann, dürften
aber die Stände ohnehin schon zu hoch sein). Wenn man
nach Buchan’s Isobaren-Karten den mittleren Luftdruck am
Meeresniveau in dieser Gegend zu 759,5 mm annimmt, die
mittlere Lufttemperatur in diesem Niveau zu 27° C., so
erhält man als Seehöhe von Rubaga:
Mit 654mm nach Gauss’ Tafeln 1313,5m = 4310 F.
mit 656 mm nach Rühlman’s Tafeln 1291,2 m = 4236 F.
Die zweite Berechnung wurde nur als Controle der ersten
angestellt.
Die Seehöhe von rund 1300 m ist beträchtlich grösser
als die auf Tafel 21, Jahrgang 1878, angegebene See-
höhe von Rubaga, d. i. 1036 m. Es lässt sich diess durch
die Niveau-Ungleichheiten in der Umgebung Rubaga’s er-
klären, und bezieht sich vielleicht die letztere Angabe auf
die Niederung. Mir scheint jedoch die Seehöhe von circa
4300 F. engl. sogar besser zu stimmen mit der angegebenen
Seehöhe des Victoria-Nyansa (4163 F.) und der Terrain-
seichnung auf Tafel 21, da Mtesa’s Residenz auf einer Art
Wasserscheide liegt, welche den Viotoria-Nyansa nach Nor-
den hin abschliesst.
r, Theilweis interpolirt.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft II.
65
Reducirt man die mittlere Jahrestemperatur Rubaga’s
von 21,5° C. mit einer Wärmeänderung von 0,56° C. auf
100m auf das Meeres-Niveau, so erhält man 28,8°
Cels. Das stimmt ganz gut mit der Annahme von Buchan,
der auf seinen kleinen Isothermen-Kärtchen (Handy book
of Meteorology) im Innern Afrika’s eine in sich geschlossene
Jahres-Isotherme von 30° C. annimmt, welche aber noch
westlich vom Victoria-Nyansa bleibt !). Ich führe diess an,
weil man daraus schliessen muss, dass die Temperatur auf
dem äquatorialen Plateau von Central-Afrika mit Rücksicht
auf die Seehöhe nicht abnorm kühl genannt werden darf,
wie diess Grant in der Eingangs erwähnten Schilderung des
Klima’s am Ukerewe thut.
Die Aufzeichnungen von Dr. Emin und Wilson bestä-
tigen, so weit sie reichen, die aus den Beobachtungen
Speke’s und Grant’s abgeleitete Vorstellung von der jähr-
lichen Vertheilung der Niederschläge in Uganda. Der
Hauptregenmonat scheint der November zu sein, Septem-
ber und October geben ihm wenig nach. Der April soll
ein zweites Maximum des Regenfalls bringen. Eine eigent-
liche Trockenzeit mangelt, sie besteht nur in einem Nach-
lassen.der Regen, welches von Februar bis März und viel-
leicht wieder im Juli und August noch am meisten
hervortritt. Wir finden hier also den Typus der Regen-
vertheilung der Äquatorial-Zone: Regen zu allen Zeiten
des Jahres, mit zwei Maximis nach den Äquinoctien (den
Zenithständen der Sonne).
Bemerkenswerth ist, dass, nach den übereinstimmenden
Angaben von Wilson und Dr. Emin, die Gewitter stets
aus den nördlichen Quadranten kommen (meist N u. NW),
wenn auch die untere Windrichtung gleichzeitig südlich
oder östlich war.
Meteorologische Beobachtungen zu Rubaga / Uganda) von
Rev. C. F. Wilson. Die folgenden meteorologischen Auf-
zeichnungen sind täglich um Mittag angestellt, wenn meine
Beschäftigung mich hinderte, auch zu anderen Zeiten.
Mein Thermometer war von Newton, London, mein Ane-
roid-Barometer von Browning. Das trockene und das nasse
Thermometer befanden sich innerhalb einer Beschirmung
in einer luftigen Verandah. Das Minimum - Thermometer
war im Hause selbst, das aber viele Thüren und Fenster
hatte, welche die ganze Nacht offen waren. Ich hatte
keinen Regenmesser und kann daher nur die Tage an-
geben, an welchen mehr oder weniger Regen fiel. Es sind
einige Lücken in meinen Aufzeichnungen, welche durch
Krankheit verursacht wurden.
1) Es ist zu bemerken, dass sich Buchan bierbei auf die etwas zu
boch angegebenen Tempersturen von Gondokoro und Kuka gestätst
haben dürfte, die Wärme- Insel mit einer mittleren Jahrestemperatur
von 30° daher noch kleiner sein dürfte.
9
66 Klima am Victoria-Nyansa.
Rubaga (Uganda) 0° 20’ N. Br. 32° 45' Ö. L.
Mittel, Max. ‚Psychromet. Zahld.
Barometer Mitt. Temp. (Mit- |(Mit- Min. Regen-
Mittel | Max. | Min. | Mitte.| Min. | tag) | tag) |Nacht.mittl grösste] tage.
Aug. 667,4 658,4.655,#| 24,1° 117,7 120,9 127,2: 15,6 2,81 6,7 ' 13
Sept.| 55,6 | 57,0] 54.0124,» 168 [20,90 27,2|14,4 , 3,5: 6,7 | 20
Oct. | 55,3 57,3 52.81 24,6 | 18,8 21.5 197,8 172 | 3,5] 5.6 | 28
Nor. 54,8 56,6 52,8] 24,7 118,3 21,5 |28,8| 17,2 , 3,3] 5,0 ı 25
|
Dec.| 54,4(?)| 56,1] 52,8 26.0 18,10 22,1 |28,9| 16,1 ı 4,0, 6,7
Witterungsnotizen. August. Regen hel zumeist um die
Mitte des Monats, zu allermeist bei Gewittern, welche stets von N u.
NW kamen. Die Temperatur stieg bis Ende des Monats, wie sich die
Sonne dem Zenith näherte. Es herrschte im Allgemeinen während des
Tages eine stetige Brise von Süd, nur wenige Compasspunkte nach O
und W abschwenkend.
September. Es fiel sehr viel Regen in diesem Monat, gewöhn-
lich von Gewittern begleitet, welche oft sehr heftig waren. Der Wind
kam wie im vorigen Monat hauptsächlich von Süd, nur wenig nach
O oder W sich drehend.
October. Auch in diesem Monat fiel reichlicher Regen. Der
Wind kam von Süd, die Gewitterstürme jedoch kamen stets von NO,
N oder NW.
November. Es gab vieß Regen in diesem Monat. Der Wind
kam von S mit einer Tendenz sich nach O zu drehen gegen Ende des
Monats.
December. In diesem Monat fiel beträchtlich weniger Regen,
namentlich gegen Ende des Monats, Der Wind kam den grösseren
Theil des Monats von Süd, am 21. jedoch drehte er sich nach N und
blieb in dieser Richtung von da an.
Beobachtungen von Dr. Emin Bey zu Rubaga.
Luftdruet » Temperatur Celsius wölkg Reg.- | Gew,
Mittel! Maz. Min. | 7b | 3b gb Mittel! Max. | Min. |0—-10| Tage
1878 | | |
Januar | 51,0 | 53,0, | 49,0 |18,8/28 ‚„)o, 0| 21 E 34,5,16,0 4,9 | 16 9
Febr. | 51,6 63,5 ;49,5)18,5129,6119,5 218 34,5 16,5 | 3,0 | 12 9
Märs |51,6| 53,5 , 50,0 |19,6/29,7|20,3 23,5 34,5 17,0' _- | —
1876
August! 52,7
16 | 16
Häufigkeit der Winde.
N NO 0 SO 8 SW W NW Stillen
Januar 1878 3 18 17 9 0 6 6 12 27
August 1876 O0 3 513 ı 3 0 0 68
Von Februsr und März 1878 fehlen die Windaufseichnungen fast
gänzlich.
Über die benutzten Instrumente schreibt Dr. Emin:
Das benutzte Thermometer war von Kapeller in Wien von — 30 bis
+ 80° R. und — 40 bis 100° C. getbeilt. Die Ablesungen wurden
stets nach der hunderttheiligen Scala gemacht. Das Aneroid ist von
Naudet in Paris (Nr. 1339) circa 8cm im Durchmesser. Es bat sich
vorzüglich gehalten, doch mag es einer Correctur bedürfen, die ich
leider nicht ermitteln kann.
Witterungsnotizen. Januar 1878. Nächte stets warm, starke
Niederschläge.
Februar 1878. „Niederschläge gering und selten, Nächte warm.
Täglich Donner. Zu wiederholten Malen Nachdämmerung (Zodiakal-
Licht wahrscheinlich), Kegel mit breiter Basis auf dem Horizonte,
aufglühend und wieder verglimmend. Das Funkeln der Sterne sehr in-
tensiv, auch im Zenith selbst, meist mit rothem Licht”.
Am 5. findet sich die Bemerkung: Jedesmal "/, bis 1 Stunde vor
Eintritt des Regens erfolgt ein bedeutendes Sinken der Temperatur,
um 2—3°. Die Regen sind stets Gewitterregen und werden immer
von starken Winden eingeleitet und geschlossen. Regen meist an Ta-
gen hohen Barometerstandes.
12—16. Früh klar, gegen 9b a.m. beginnen Nebelschleier die
Sonne zu verdecken, die sie nur ab und zu durchbricht. Um Mittag
empfindlich warm, Wärmemaximum ih Nachts keine Niederschläge.
Winde variabel. Mond häufig von Höfen umgeben.
Märs 1878. Winde in diesem Monat vorwaltend aus S und SW,
Niederschläge gering oder ganz fehlend. Eine eigenthümliche Erschei-
nung waren viele Gewitter mit Blitz und Donner ohne Regen.
Funkeln der Sterne sehr auffallend, förmliches Flackern. Jeden
Morgen ist der Himmel bewölkt, dann klärt er sich auf, bis gegen 2b Nm.
wieder einzelne Wolken erscheinen. Die untergehende Sonne ist stets
von Wolken umlagert.
Die Blitze sind entweder breite Feuerstreifen oder ein Aufleuchten,
das !/, des sichtbaren Himmels erhellt, oft in O und W zu gleicher
Zeit. Der Doner in seinen Intonationen ist unbeschreiblich.
Im Februar und März öfters Sternschnuppen gesehen, meist im Norden.
August (1876). Nächte in dieser Jahreszeit furchtbar kalt. Mini-
mum der Temperatur 10,0°° um 55 Morgens am 31. Juli 1877. Die
Niederschläge (doch wohl der Thaufall) sind so reichlich, dass, wenn
man im Zelte ist, es draussen zu regnen scheint. Kommt dann die
Sonne, so wird es auf einmal drückend heiss, da der rothe eisenschüs-
sige Boden stark zurückstrahlt. Alle Gewitter, die ich sah, zogen, trotz
des unten herrschenden SO-Windes von N und NW heran. Sie wer-
den stets von wüthenden Winden eingeleitet und gesetzt. Hagel nur
ein Mal beobachtet (Stücke von der Grösse von Kirschen). Jeden Abend
Wetterleuchten!
17. August Maximum des Luftdruckes 10h 32ma.m. 656,0 mm.
20. » 15 3m—1h55mp.m. Gewitter, Hagel, Sündfluth.
De
Die Juan - Fernandez- (Robinson) Inseln.
Briefliche Mittheilungen von A. v. Rodt.
Nachdem ich in Valparaiso erfahren hatte, dass die
chilenische Regierung die Inseln Juan-Fernandez wiederum
zu verpachten- suche, und ich mich auf einer kurzen Reise
dorthin überzeugt hatte, dass sich durch Arbeit und mit
einem kleinen Kapital das Unternehmen rentabel gestalten
werde, gelang es mir nach ziemlich langweiligem Anti-
chambriren die Pachtung zu erhalten. Seit Anfang Mai
1877 bin ich nächst der Republik Chile unumschränkter
Gebieter der Inseln Mas-a-tierra (= Mehr nach dem Lande)
85 qkm, Mas-a-fuera (= Mehr nach aussen) 95 qkm und
Santa Clara 5 qkm mit ca 60 Einwohnern, 100 Stück
Vieh, 60 Pferden, vielleicht 7000 Ziegen, ungerechnet die
Seehunde, Hummer, Fische, welche massenhaft vorkommen.
Die Inseln, welche bis jetzt vernachlässigt worden sind,
eignen sich vorzüglich zur Viehzucht und bieten Raum für
ungefähr 1000 Stück Vieh, welches in Valparaiso stets
einen Markt zu hoben Preisen finden wird.
An den Staat habe ich eine jährliche Pachtsumme von
1500 Dollars zu zahlen, welche ich allein aus dem Ertrage
der Ziegen bestreiten kann. Das Holz bringt jährlich circa
3000, die Seehunde 1500—3000 Dollars, Fische und Hum-
ıner ungefähr ebensoviel, und nach einigen Jahren kann
ich bei einem Besitze von 1000 Stück Vieh auf eine jähr-
liche Einnahme von ca 20000 Dollars rechnen. Die erste
Reise, die mein kleiner Dreimaster machte, brachte mir
allein an Brennholz und Ziegenhäuten einen Ertrag von
1000 Dollars.
Meine Unterthbanen hier auf Juan-Fernandez sind die
Die Juan-Fernandez- (Robinson) Inseln. 67
ruhigsten und gehorsamsten Menschen, die man sich nur
denken kann, fleissig und arbeitsam, wie die ohilenischen
Bauern überhaupt, und überglücklich durch die Aussicht
auf Arbeit und Verdienst, die ihnen meine Ankunft bietet.
Das Klims ist gemässigt, nur durch starke Winde hat man
etwas zu leiden. An landschaftlicher Schönheit und Wild-
heit lässt mein kleines Königreich Nichts zu wünschen
übrig.
Die chilenische Bevölkerung entsandte, um mir die In-
seln officiell zu übergeben, die Corvette „Chacabuco” unter
dem Commando des Marine-Kapitäns Oscar Viel, welcher
nach seiner Rückkehr an die Intendantur von Valparaiso,
zu deren Verwaltungsbezirk Juan-Fernandez gehören, einen
Bericht über den damaligen Zustand der Besitzung er-
stattete I), Daraus sind folgende Bemerkungen hervorzu-
heben.
Ihren Namen haben diese Inseln von dem spanischen
Seefahrer Juan Fernandez erhalten, weloher sie auf der
Fahrt von Peru nach Chile 1653 entdeckte, als er, um
die Fahrt abzukürzen, welche durch den entgegenwirkenden
antarktischen Peru-Strom wesentlich verzögert wurde, den
glücklichen Einfall hatte, weiter in den Ocean hinauszu-
steuern und erst dann nach Süden seinen Kurs zu richten.
Der finstere Aberglaube und die Unwissenheit jener Zeit
schrieb den erzielten Erfolg freilich Zauberkünsten zu, wes-
halb der unerschrockene Seefahrer sich nicht geringen Ver-
folgungen ausgesetzt sab. Der Entdecker setzte einige Zie-
gen auf den Inseln aus, die sich ausserordentlich schnell
vermehrten. Als gegen Ende des 17. Jahrhunderts die
Flibustier die spanischen Niederlassungen an der West-
küste Süd-Amerika’s unablässig plünderten, war ihnen der
Ziegenreichthum der Juan-Fernandez-Gruppe ein sehr er-
wünschtes Mittel, ihre Schiffe mit Fleisch zu verprovian-
tiren. Die Spanier machten deshalb den Versuch, ihnen
diesen Stützpunkt zu entreissen, indem sie Hunde dort
aumetzten, um die Ziegen auszurotten. Wenn sich ihre
Zahl Anfangs auch sehr verringerte, so schlug dieser Ver-
such doch fehl, ındem die Hunde allmählich zu Grunde
Im Jabre 1704 setzte Kapitän Hardling vom Schiffe
„Cinoo Portos” den berühmten Alexander Selkirk hier aus,
weicher nach einem einsamen Aufenthalte von 4 Jahren
8 Monaten 1709 von Kapitän Rogers aufgenommen wurde.
Seine Schicksale veranlassten Daniel de Foe zu seiner be-
rähmten Dichtung des Robinson Crusoe.
Die im Jahre 1741 von den Spaniern gegründete Co-
lenie ging noch in demselben Jahre in Folge eines Erd-
bebens zu Grunde. 1761 fand sie Carteret unbewohnt,
®) Veröffentlicht in der Zeitung „El Deber” 25. Mai 1877.
|
doch scheint sie, nach einem von Viel aufgefundenen, mit
einer lateinischen Inschrift versehenen Steine zu urtheilen,
schon im folgenden Jahre von den Spaniern wieder besetzt
worden zu sein. Später diente die Gruppe als Staats-
gefängniss für chilenische Patrioten, welche revolutionärer
Bestrebungen gegen die spanische Herrschaft verdächtig
waren. Die Gefangenen lebten in Höhlen, welche jetzt
zerfallen sind. Nachdem 1819 die Republik Chile von den
Inseln Besitz genommen hatte, dienten sie noch bis 1855
als Gefängniss, in welchem Jahre die Strafoolonie nach dem
kurz zuvor annectirten Punta Arenas in der Magellau’s-Strasse
verlegt wurde. Diese Inselgruppe wurde jetzt an Privat-
leute verpachtet, aber aus Mangel an Unternehmungsgeist
der verschiedenen Besitzer verfiel die Besitzung immer
mehr. Das Fort, welches die Spanier erbaut hatten, liegt
in Trümmern. Von der Kirche und vielen Häusern exi-
stiren nur noch 3 kleine Wohnungen aus Lehmziegeln
und 7 elende Strohhütten. Früher zählten die Inseln 800
Bewohner, jetzt 64, von denen 10 mit der „Chacabuco’”’
nach Chile zurückkebrten, während die übrigen in die
Dienste des neuen Pächters traten. Statt 800 Stück Vieh
sind jetzt kaum noch 100 vorhanden.
Die Insel Mas-a-tierra, welche 360 Seemeilen von Val-
paraiso entfernt liegt, hat eine Ausdehnung von 10/, See-
meilen von O nach W und 5 von N nach 8. Sie ist sehr
bewaldet, besonders im nordwestlichen Theile, der verhält-
nissmässig flache südwestliche Theil ist dagegen fast un-
fruchtbar. Der höchste Berg, Yunque, erreicht 983 m, von
der halben Höhe des Berges an ist der Baumwuchs ver-
kümmert, doch ist er noch bis fast an seinen Gipfel mit
dichtem Gebüsch bewachsen. Unter den Baumarten kom-
men vereinzelt Naranjillen (kleine Orangen), Myrten und
Sandelholz vor, die meisten liefern aber nur Brennholz.
Doch eignet sich die Gruppe sehr wohl zum Anbau besserer
Baumarten, unter welchen sich namentlich die Pinie
empfehlen würde, welche schnell wächst, und deren Holz
für den Schiffsbau sehr werthvoll ist. Solche Anpflan-
zungen müssten allerdings sehr sorgfältig gegen die Ziegen
geschützt werden, denen kein Zaun zu hoch ist.
Eine Ausnutzung des Waldes wurde bisher durch die
Unwegsamkeit der Insel verhindert. Vor Allem ist es
geboten, eine Strasse um die Insel herum anzulegen, denn
das Terrain ist an vielen Stellen so zerrissen, dass eine
Communication zu Lande selbst für Fussgänger unmöglich
ist. Bisher war es den Pächtern auch untersagt, in den
Wäldern Brennholz zu schlagen, aus Furcht, dass eine Ab-
holzung des Berges Wassermangel zur Folge haben könnte,
was nach den meteorologischen Beobachtungen jedoch un-
begründet zu sein scheint. Unter anderen Pflanzenpro-
duoten der Insel sind zu nennen: Harzpfirsiche, Quitten,
9°
68 Die Juan-Fernandez- (Robinson) Inseln.
Erdbeeren, Kirschen, auch einige Reben — alles wild
wachsend. Sassaparille und Maqui (eine Art Ingwer) fin-
det sich ebenfalls in Menge. Korn soll gut gedeihen, ebenso
Kartoffeln und verschiedene Gemüsearten, deren Anpflan-
zung bisher nur in sehr bescheidenem Maasse versucht
worden ist. Die grössten Feinde solcher Anpflanzungen
sind die Ratten, deren Ausrottung bisher noch nie in ernst-
hafter Weise betrieben worden ist.
Die Viehzucht wird sicherlich einst eine Haupterwerbs-
quelle der Insel bilden. Die verschiedenen Schluchten,
welche dieselbe durchziehen, bilden zahlreiche durch die
Natur abgeschlossene Räume, gleichsam natürliche Gehege,
in denen das Vieh mit Leichtigkeit gehütet werden kann.
Bisher verhinderte jedoch die Unwegsamkeit der Insel die
Benutzung der meisten zu diesem Zwecke. Die Anzahl
der Ziegen, welche seit langen Jahren sowohl die Bewohner,
als auch hier anlegende Schiffe, namentlich Walfischfänger,
mit frischem Fleisch versehen, wird auf 3000 geschätzt.
Im letzten Jahre wurden allein von Mas-a-tierra 800 Häute
nach Valparaiso ausgeführt. Auch Tauben sind verwildert
und vermehren sich stark.
Der Mangel an Unternehmungsgeist hat die bisherigen.
Pächter auch verhindert, die Producte, welche die See ihnen
bietet, in gehöriger Weise auszubeuten., Pesca fernandi-
siana (?), hier Stockfisch (bacalao) genannt, kommt an den
Küsten in grossen Mengen vor, trotzdem wurden nicht
mehr als 10 Centner gesalzene und getrocknete Fische
ausgeführt. Auch der Hummer, der hier sehr zahlreich
vorkommt, und von vorzüglicher Qualität ist, findet nur
geringe Verwerthung. Beide Thiere sollen übrigens bei
Mas-a-fuera noch weit häufiger sein, was auch bei den
Seehunden der Fall ist. Durchschnittlich wurden in der
letzten Zeit jährlich 700 Felle an den Markt gebracht.
m
Das Klima der Inselgruppe ist natürlich ein feuchtes.
In den Monaten September bis März sind die Vormittage
bedeckt und regnerisch; wenn sich die Seebrise erhebt, zer-
streuen sich die Wolken und das Wetter wird schön, allein
in der Nacht sammeln sich wieder Wolken an den Berg-
gipfeln und entsenden reichliche Regengüsse von heftigen
Winden begleitet. Die Monate April bis September be-
zeichnen die eigentliche Regenzeit, starke Nord- und Nord-
ostwinde machen dann den Haupthafen S. Juan Bautista !)
unsicher. Eine einigermaassen regenfreie, schöne Jahreszeit
giebt es also nicht, aber trotzdem gilt das Klima als ein
gesundes.
Von der SO-Spitze Mas-a-tierra’s, durch einen nur eine
Seemeile breiten Kanal getrennt, liegt die Insel Santa Clara,
welche etwa 4—5 Meilen Umfang hat und sich ca 350m
über die See erhebt. Sie zeichnet sich durch grossartigen
Reichthum an Ziegen aus, weshalb sie auch den Namen
Goat-Island führt, Das Landen ist schwierig und stellen-
weis gefährlich.
Die Insel Mas-a-fuera ist 9 Seemeilen lang und 21,
breit; ihre grösste Höhe beträgt 1850 m über der See.
Sie ist dicht bewaldet und zahlreiche Wasserfälle stürzen
über ihre Abhänge und ergiessen sich ins Meer. An Zie-
gen, Seehunden, Stockfischen, Hummern ist sie reicher als
Mas-a-tierra, aber es existirt kein nur einigermaassen sicherer
Ankergrund und deshalb ist die Ausbeute ihrer Producte
eine sehr schwierige.
!) Aus einem Berichte des Fregatten-Kapitän O. Viel entnehmen
die Annalen der Hydrographie 1878 No. 11, 8. 539, die Notiz, dass
in der Cumberland-Bucht eine Mole erbaut und auf derselben ein 4 bis
5 Seemeilen weit sichtbares festes Feuer errichtet worden ist, wodurch
das Laden und Löschen, so wie der Verkehr mit dem Lande sehr
erleichtert wird. Walfischfahrer können sich in der Cumberland - Bucht
jetzt mit Leichtigkeit Erfrischungen verschaffen und zum Theil ihren
Bedarf an Lebensmitteln und Brennholz daselbst ergänzen.
Geographischer Monatsbericht.
Europe.
Während nach dem Krieg von 1866 mit der Erwerbung
Hannovers und Kurhessens &c. auch das Material der be-
züglichen Landesvermessungen in den Besitz Preussens
überging, hatte der Deutsch - Französische Krieg 1870/71
für das Deutsche Reich hinsichtlich Elsass - Lothringens
nicht dieselbe Consequenz. Die Kupferplatten der franzö-
sischen Generalstabsaufnahme in 1:80000 und diejenigen
der Ms20000 Karte, welche auf das nunmehr deutsche
Reichsland fielen, blieben im Besitz Frankreichs, und wenn
irgendwo, so war gerade hier sowohl aus militärischen wie
aus Gründen der Verwaltung die möglichst schnelle Be-
schaffung einer guten topographischen Specialkarte für die
neuen Reichsbehörden eine Nothwendigkeit, um so mehr,
‘des Deutschen Reichs”
als seit dem Heimfall Elsass-Lothringens dort die wesent-
lichsten Umgestaltungen Statt fanden, von welchen wir hier
nur die neue politische Eintheilung, die Wiederherstellung
deutscher Ortsnamen, die sehr ansehnliche Vermehrung
des Eisenbahn- und Strassennetzes, die Veränderung in
den Culturen, Flusscorrectionen &0. nennen. — Der grosse
Generalstab in Berlin nahm denn auch sofort diese Ange-
legenheit in die Hand, indem er zunächst mit der Trian-
gulation des Landes begann, an welche sich schon vom
nächsten Jahre ab die Feldaufnahme in 1:25000 schliessen
wird, deren Sectionen später auf den Maassstab von 1: 100 000
reducirt, als Theile der „Allgemeinen topographischen Karte
erscheinen werden. Eine solche
Aufnahme erfordert ein gewisses Minimum an Zeit und es
ist nicht anzunehmen, dass die auf das Reichsland ent-
Geographischer Monatsbericht. 69
fallenden Sectionen selbst bei Heranziehung’ aller z. 2. vor-
handenen und abkömmlichen Kräfte vor dem Jahr 1888
vollendet vorliegen werden. Für diese Zwischenzeit hat
die geographisch-statistische Abtheilung des grossen General-
stabs in Berlin eine dem praktischen Gebrauch mehr als
genügende Karte bearbeitet, welche soeben unter dem Titel
„Neue topographische Spesialkarte von Elsass- Lothringen” der
Öffentlichkeit. übergeben wurde. Dieselbe, in 38 Blättern,
im Maassstabe 1:80000 entworfen, stützt sich auf umfäng-
liche, von Officieren in den Jahren 1875—1877 ausge-
führte Recognoscirungen, unter Benutzung der vorhandenen
wichtigeren Originalmaterialien, besonders der bez. Sectionen
der Carte de F'rrance, der Forst- und Strassenkarten und
dergleichen. Die Blätter sind durch Phototypie verviel-
fältigt und in der königl. Staatsdruckerei in Berlin ge-
druckt, und wenn dieselben auch von Seiten der heraus-
gebenden geographisch-statistischen Abtheilung speciell als
„eine provisorische Arbeit” eingeführt werden, so haben
wir uns doch überzeugt, dass die ausserordentlich fleissig
und geschickt bearbeitete Karte dazu befähigt ist, auch
über jene Zeit hinaus die besten Dienste zu leisten, und
wir bezweifeln nicht, dass diess so schnell entstandene
höchst ’verdienstliche Unternehmen in allen betreffenden
Kreisen die günstigste Aufnahme finden wird.
C. Vogel.
„Unser deutsches Land und Volk. Vaterländische
Bilder aus Natur, Geschichte, Industrie und Volksleben des
deutschen Reichs”, betitelt sich eine Heimathskunde, die
in zweiter gänzlich umgestalteter Auflage unter Redaction
von Prof. G. A. v. Klöden und F. v. Köppen in 12 Bän-
den bei O. Spamer in Leipzig erscheint. Der zweite kürzlich
herausgegebene Band enthält: „Bilder aus der schwäbisch-
bayerischen Hochfläche, den Neckar- und Maingegenden von
F. v. Köppen”. Reich illustrirt und sehr hübsch ausge-
stattet, führt sich das Buch schon durch sein freundliches
Äussere ein, es hält aber auch durch seinen Inhalt was
es verspricht. Es ist ein Volksbuch im besten Sinne, worin
Beschreibendes mit Geschichtlichem zu einem lehrreichen
und unterhaltenden Ganzen verbunden wurde, knapp, ohne
Breite, und doch abgerundet und mit einer Fülle fesselnder
Einzelheiten.
Die Schweiz erfreut uns fort und fort durch ihre geo-
graphischen Publicationen. Es wird ihr leicht, denn beim
Lesen ihrer Bücher und beim Anschauen ihrer Karten
wird die Erinnerung an das, was ihre herrliche Natur uns
hat empfinden lassen, wieder lebendig, aber ihre Produc-
‚tionen verdienen auch unsere Vorliebe durch die Gediegen-
heit der Arbeit und den hohen Grad der Vollendung, den
sie namentlich in Bezug auf die Karten erreicht haben.
So ist auch das im Auftrag des schweizerischen Ingenieur-
und Architekten-Vereins vom Ingenieur $. Bavier bearbeitete
Werk über „Die Strassen der Schweiz” (Zürich, bei Orell,
Füssli & Co., 1878) geeignet, uns in ungewöhnlichem Maasse
anzuregen. Neben vielen Seiten mühsam zusammengetra-
gener Statistik der Strassen in den einzelnen Cantonen
mit Angabe ihrer Länge und Breite, der Bauperiode und
der Baukosten, enthält es eine grosse Zahl sehr interes-
santer Abbildungen von Wege- und Brückenbauten, mit
Details über ihre Construction, Querschnitten und Auf-
rissen, und eine Geschichte des Strassenbaues in der Schweiz
in klarer Disposition. Unter Beigabe mehrerer Karten
wird darin gezeigt, welche Kunststrassen zur römischen
Zeit die Schweiz und ihre Gebirge durchzogen, wie dann
1’/, Jahrtausende der Wegebau fäst ganz schlummerte, bis
am Beginn des 19. Jahrhunderts auf Napoleon’s Befehl
die Simplon-Strasse hergestellt und von da an mit grossem
Eifer das Versäumte nachgeholt wurde, so dass heutzutage
die Schweiz das wegsamste aller Gebirgsländer genannt
werden muss. Einen passenden und willkommenen Schluss
bildet alsdann eine Geschichte des schweizerischen Post-
wesens, der wir einige Zahlen über den Personenverkehr
über die Alpenpässe in den Jahren 1852 und 1876 ent-
nebmen:
Reisende ‚Beisende
Pässe 1852 1876 Pässe 1852 1876
Simplon . . . 21483 28190 |Bemina . . —_— 5265
Gotthard . „. . 21292 69547 Landwasser-Route _ 5829
Splügen . . . 7174 30205|Albulae. . . . _ 9874
St. Bernhardin . 5216 11113 |Brünig. . . . 18573 24281
Julier . . „. . 2220 18081 |Purkae. . _ 2675
Mala . . . 986 19191 Simenthal-Ronte 26738 25811
Oberalp . . . 1155 11866 Summe 64621 278884
Füela ... 847 21956
In Bezug auf den Aufsatz über die Hauptstämme der
Russen in Petermann’s Mitteilungen 1878, S. 3235, schreibt
man uns aus Russland: „Der Autor huldigt der Idee, das
grossrussische Volksthum sei auf finnischer Basis aufge-
wachsen. Dass in einigen Gegenden (irossrusslands eine
tbeilweise Mischung mit Finnen existirt, ist freilich wahr,
aber das grossrussische Volksthum hat sich in Gegenden
gebildet, welche, soweit die Geschichte reicht, niemals fin-
nisch waren, d.h. inden Gouvernements Pskow, dem grösseren
Theile von Nowgorod und Twer, Kaluga, dem östl. Theile
von Smolensk, dem westl. Theile von Orel &c. Der Autor
selbst spricht davon, die Hauptorte der reinen Ostslawen
wären Kiew und Nowgorod. Ich sage, der grossrussische
Stamm hat in diesen westlichen, alten slawischen Gegenden.
seine Besonderheiten ausgebildet, denn jetzt findet man
keine irgend erheblichen Unterschiede von der Grenze
Livlands bis nach Sibirien. Die Ursache ist einfach die:
nach den östlicheren, von Grossrussen bewohnten Gegen-
den, wurden diese Eigenschaften von den grossrussischen
Colonisten übertragen, welche auch dort, wo sie sich mit
den Aborigenen mischten, ihnen ihren eigenen Stempel auf-
drückten, um so mehr als die Mischung einen bedeutenden
Grad erreichte. Wäre das grossrussische Wesen auf fin-
‚nischem Boden und durch Mischung mit Finnen entstanden,
wie hätte es sich nach Westen, auf die rein slawische Be-
völkerung von Nowgorod, Pskow, Twer &c. verbreiten
können? Nach dem, was der Autor sagt, sollte man
erwarten, dass die Bewohner der Gouvernements Nowgorod,
Pskow &c. denjenigen von Kiew und Poltawa näher
stehen, als denjenigen von Moskau oder Kostroma.
Der Unterschied im Dialekte, den Sitten &c. der Gross-
russen ist äusserst gering von West nach Ost, während
ein etwas grösserer zu Süd und Nord existirt. Nach
Turgenjew’s Schilderung ist er jetzt zu bemerken auf der
Grenze der Gouvernements Kaluga und Orel, also in altem
Slawenlande, noch mehr zeigt er sich zwischen den Gou-
vernements Moskau und Rjäsan, also in sehr alten Colonien
der Slawen, seit dem 11. Jahrhundert von ihnen besiedelt.
70 Geographischer Monatsbericht.
Mehr verwischt wird dieser Unterschied in jüngeren Colo-
nien, namentlich an der unteren Wolga, zwischen Kasan und
Zaritzin, eben weil die Grossrussen des Südens und Nordens
zusammen an der Colonisation dieser Länder Theil nahmen.
„Noch ärger steht es mit der citirten Stelle aus Dela-
marre, wo über die unteren Wolgagegenden gesagt ist:
Die Bewohner dieser Länder bildeten verschiedene Völker,
sämmtlich turanischer Abstammung, unter welchen das tür-
kische oder tatarische Element vorherrschend war. Nie-
mand sollte doch wohl den Slawen diese Völker zuzählen
können, die erst im 17. Jahrhundert begannen, eine ala-
wische Sprache zu reden und für Islam und Judenthum (!)
die christliche Lehre umzutauschen, und dennoch zögert
man nicht, auch diesen Theil Moskowiens als slawisch an-
zusehen. (S. 330.)
„Ein Blick auf die Karte Rittich’s könnte doch den Autor
überzeugen, dass in allen diesen von Russland im 16. (nicht 17.)
Jahrh. eroberten Ländern noch zahlreiche ural-altaische Völ-
ker bis jetzt wohnen. Die Russen, welche dort existiren, sind
Nachkommen von Colonisten. Kein einziges der dort vor-
gefundenen Völker ist ganz russificirt, alle existiren noch
als getrennte Volksindividuen mit ihren Sitten und Spre-
chen. Am meisten haben sich die Mordwinen den Russen
genähert, aber auch bei ihnen giebt es nicht wenige abge-
legene Dörfer, wo die Frauen kein Russisch verstehen. Noch
weiter sind die Mongolen oder sog. Tataren durch ihre
Religion den Russen näher gerückt.
„Ein sehr wichtiger Umstand ist der (siehe die Karte
in Peterm. Mitth. 1877, Tafel 1), dass in dem nördlicheren
Theile des Gebietes, dem Gouvernement Kasan, der Pro-
centsatz der ural-altaischen Völker ein sehr grosser ist
und sich nach Süden zu vermindert; südlich vom 52° N.
Br. verschwinden sie, bis man an die noch jetzt nomadischen
Kirgisen und Kalmücken kommt. Es erklärt sich dadurch,
dass im Chanat Kasan, einem ziemlich geordneten Staate,
eine zahlreiche sesshafte Bevölkerung sich fand, deren
Nachkommen die noch jetzt dort wohnenden Tataren, Wot-
jaken, Tscheremissen, Tschuwaschen, Mordwinen sind, die
russischen Colonisten fanden wenig Plätze, um sich anzu-
siedeln. Je weiter nach Süden, desto dünner war die vor-
gefundene ackerbautreibende Bevölkerung, desto mehr Platz
fanden also die Russen, und desto grösser ist also der An-
theil der russischen Bevölkerung. In den 2 nördlichen
Distrikten von Simbirsk (Buinsk und Kurmisch) bilden die
Russen weniger als die Hälfte der Bevölkerung, im süd-
lichsten (Sysran) aber 88 Procent. Im Gouvernement Sara-
tow finden sich zahlreiche ural-altaische Einwohner in den
zwei nördlichen Distrieten Kusnetzk und Chwalynsk, im
Süden aber findet man ausser den Russen noch Deutsche,
auch Colonisten neuer Zeit. In diesen Gegenden, südlich
von 52° N. Br., fand sich zur Zeit der russischen Erobe-
rung eine nomadische Bevölkerung, sie wurde zurückge-
drängt und die Russen (an einigen Orten die Deutschen)
waren die ersten Ackerbauer dieser Gegenden. Nomaden
finden sich jetzt weiter südlich, dort wo das Klima zu
trocken ist zu einem erfolgreichen Ackerbau.
„Die unbedeutenden Erfolge der Russification in diesen,
von Russland so lange besessenen Ländern erklärt sich da-
durch, dass eine gut organisirte Volksschule und eine all-
gemeine Wehrpflicht fehlte. Die preussischen Despoten
des 17. und 18. Jahrhunderts wussten wohl, dass der Schul-
zwang sehr viel für die Germanisirung ihrer slawischen
und littauischen Unterthanen thun würde, und im 19. Jahr-
hundert kam dazu die allgemeine Wehrpflicht. In Russland
ist die Volksschule noch sehr zurück und nur seit 1874
existirt die Wehrpflicht für alle Stände mit kurzer Dienst-
zeit, früher mussten die Soldaten so lange dienen, dass sie
den Ihrigen ganz entfremdet wurden, und also auch keinen
Einfluss haben konnten, ausserdem, wie natürlich bei so
langer Dienstzeit, kamen relativ Wenige in die Armee.
„Die von dem Autor behauptete absolute Reinheit des
Stammes der Kleinrussen ist auch ein Irrthum. Ich be-
rufe mich auf die Autorität Kostomarow’s, des berühmten
Historikers, welcher einer bedeutenden Ansiedelung ural-
altaischer Stämme im Gouvernement Kiew, an dem Flusse
Ross erwähnt. Auch sonst, bei den Kosaken Kleinruss-
lands, wurden verschiedene Fremde, auch Tataren, ange-
nommen, wenn sie nur Christen wurden und gegen die
Ungläubigen kämpften. Die oftmaligen furchtbaren Ver-
wüstungen des Landes im 16. und 17. Jahrhundert konn-
ten auch nicht ohne Einfluss bleiben auf die Reinheit des
Stammes; wie viele Male wurde Kleinrussland nicht von
Neuem besiedelt. Die vom Autor behauptete Schwärze
der Hasre und Augen ist nicht ein den Slawen ursprüng-
lich eigenes Merkmal, aber, beiläufig bemerkt, findet sich
diess auch nicht überall bei den Kleinrussen. So z. B.
kenne ich wenige Gegenden, wo blonde Haare und blaue
Augen so stark vorwalten, als bei Kolomea in Galizien,
einer jedenfalls rein kleinrussischen Gegend, welche auch
von den Verwüstungen im 16. und 17. Jahrhundert mehr
verschont blieb. Jedenfalls sind die Weissrussen der reinste
der drei russischen Stämme, wenngleich auch derjenige,
welcher sich am wenigsten entwickelt hat. Dieses Zurück-
bleiben ist aber keineswegs aus ethnographischen Ursachen
zu erklären, sondern durch die ungünstigen natürlichen und
historischen Ursachen, namentlich den langen Druck der
Polen und die Erstickung von Handel und Gewerbe der
Bauern durch die Juden”,
Asien.
Den zahlreichen Schriften und Karten über Cypern, die
seit der englischen Besitznahme der Insel erschienen sind,
reiht sich eine Broschüre des Marquis de Sassenay an:
„Chypre, histoire et gdographie” (Paris, Ch. Delagrave), die
uns als Separatabdruck aus L. Drapeyron’s Revue de g6o-
graphie vorliegt. Kurz und übersichtlich orientirt sie über
Geographie und Geschichte der Insel, ist hübsch geschrie-
ben, daher für gebildete Leser in weitesten Kreisen ge-
eignet. Auch ist eine Karte beigegeben und eine Liste der
wiohtigeren Schriften über Cypern.
Dr. Oscar Schneider in Dresden hat die meist zoolo-
gische, zum Theil auch botanische und mineralogische Aus-
beute seiner Kaukasus-Reise von 1875 in Gemeinschaft
mit verschiedenen Fachgelehrten bearbeitet und mit 5 Ta-
feln Abbildungen herausgegeben als „„Naturwissenschaftliche
Beiträge zur Kenniniss der Kaukasusländer” (Dresden, Bur-
dach, 1878). Seinem in den Sitzungsberichten der natur-
wissenschaftlichen Gesellschaft Isis zu Dresden (1876,
Heft I und II) veröffentlichten vorläufigen Reisebericht soll
im Jahre 1879 ein ausführlicher folgen. Inzwischen ist auch
Geographischer Monatsbericht., 71
die von einer grösseren Anzahl Specialgelehrter vorgenom-
mene Bearbeitung der von Dr. Schneider und von JZ. Leder
in Transkaukasien gesammelten Käfer, als Band von 360 SS.
mit 6 Tafeln Abbildungen im Druck erschienen: „Besträge
zur Kenntniss der kaukasischen Käferfauna”’ (Sonderabdruck
aus dem 16. und 17. Bd. der Verhandl. des naturf. Ver-
eins zu Brünn), und hier findet man als Einleitung eben-
falls einen kurzen Reisebericht von Dr. Schneider, so wie
einen solchen von H. Leder, der u. A. eine Exkursion mit
Dr. Radde nach Chefsurien ausführte.
Von dem Werke über Ch. E. de Ujfaloy’s Reise nach
Russisch-Turkistan und West-Sibirien 1876-77 liegt jetzt
der erste Band vor, welcher Kohistan, d. h. das obere‘ Se-
rafschan-Thal, Fergana und Kuldscha behandelt !.. Wie
schon aus seinen Briefen und vorläufigen Reiseberichten
bekannt, verfolgte er ethnographische Zwecke, das Buch
enthält denn auch reichliches darauf bezügliches Material,
viele Tabellen . mit Körpermessungen, statistische Nachweise,
eine Anzahl ethnographischer Karten u. dergl.
Oschanin ist am 12. September 1878 mit seiner Expe-
dition von Garm, dem Hauptorte Karategins, wieder auf-
gebrochen, am Surchab hinauf nach dem Alai-Platesu und
von diesem über den Pass Ters-agar am 22. Sept. an den
Muk-su gelangt; seine Versuche, an einem der Quellflüsse
des Muk-su aufwärts vorzudringen, scheiterten aber an den
Schwierigkeiten der Wege, und so kehrte er über Ters-
agar, das Alai-Plateau und den Taldyk-Pass nach Gultscha
in Fergana zurück 2).
Von der 20-Blattkarte von Afghanistan, die Major C.
W. Wilson für das India Office bearbeitet hat, die aber
eben so wenig veröffentlicht wurde wie Oberst Mac Gre-
gor’s Textwerke, zieht die Kartographie zum ersten Male
Nutzen durch die Publication einer schönen Karte in den
„Proceedings of the R. Geogr. Soc.” (1879, No. 1), die von
Kabul und Kandahar bis zum Indus reicht und den nörd-
lichen Theil von Belutschistan mit umfasst.
Das October-Heft des „Bulletin de la Soc. de geogr.
de Paris” bringt einen kurzen Bericht von Z. Rousset über
seine Zeise von Hankeu nach Lantscheu-fu in Kansu 1874,
mit einer kleinen Übersichtskarte. Er ist jedoch, gleich
dem früheren im Genfer „Globe”, nur der Vorläufer eines
Buches, das Rousset unter dem Titel „A travers la Chine”
herausgegeben hat. Das Beispiel Rousset’s, das aspirirte h
mit r wiederzugeben, daher Ran-kiang statt Han-kiang &c.
zu schreiben, wird schwerlich viel Nachahmung finden
und ist geeignet, nur noch mehr Verwirrung hervorzu-
rufen.
Der Expedition des Grafen Bela Szdohenyi eröffnen sich
jetzt günstige Aussichten. Wie Prof. v. Richthofen am
4. Januar in der Berliner Gesellschaft für Erdkunde mit-
theilte, hat der Graf beim chinesischen Hofe ein ausser-
ordentliches Entgegenkommen gefunden, es wurden ihm
sogar Pässe nach Tibet gegeben, was noch keinem F'rem-
den gewährt worden ist. Graf Szöchenyi will daher an
die Ausführung seines ursprünglichen Programmes gehen
!) Expedition seientifique francaise en Russie, en Sibsrie et dans
le Turkistan. Le Kohistan, le Ferghana et Kouldja, avec un appen-
dice sur la Kachgarie, par Ch.-E. de Ujfalvy de Mezökövesd. Paris,
E. Leroux, 1878.
?, Globus, 1878, XXXV, No. 2, 8. 29.
und über Kuku-nor in die Gegenden zwischen Lob-nor und
Khotan vorzudringen suchen.
Wie wir in der „Academy” lesen, ist ein Mitglied der
China Inland Mission, James Cameron, der schon vor Jahres-
frist aus Südwest-China nach Barma gereist war, neuer-
dings von Pakhoi aus, dem neu eröffneten Hafen im Süd-
westen der Provinz Kuang-tung, nach Yünnan-fu gelangt.
Aus Japan erhalten wir durch Herrn Knipping’s Güte
zwei officielle Berichte von B. S. Zyman über die „@eo-
logscal survey of the oil lands of Japan” (Tokei 1877 und
1878). Noch stark mit Ausarbeitung der Karten über seine
geologischen Aufnahmen auf Jesso beschäftigt, erhielt
Lyman den Auftrag, die Petroleum-Quellen in den Pro-
vinzen Shinano und Echigo zu untersuchen. Mit zehn
geologischen Assistenten und anderem Personal verwendete
er die Zeit vom Juni 1876 bis Januar 1878 zu Reisen,
Untersuchungen und Aufnahmen, so dass seine Karten und
ausführlichen Mittheilungen, falls sie veröffentlicht werden,
einen sehr werthvollen Beitrag zur Geographie und Geo-
logie Japans bilden werden. Die Petroleum-Quellen selbst
werden indessen den amerikanischen keinen nennenswerthen
Abbruch thun. In Echigo giebt es 522 productive Quellen
und Bohrlöcher, welche zusammen ca 9500 Fass Öl im
Werthe von 31 650 Dollars pro Jahr liefern. In Shinano
produciren 22 Quellen nur ca 1900 Fass Öl im Werthe
von 6250 Dollars. Die ganze Öl-Production der beiden
Provinzen erreicht also nur die von zwei durchschnitt-
lichen Öl-Quellen Pennsylyaniens. Auch über die Berg-
werke, die heissen und Mineral-Quellen enthalten die bei-
den Broschüren viele Notizen.
Der nach dem Tode Schouw Santvoort’s zum Leiter
der wissenschaftlichen Sumatra- Expedition ernannte Marine-
Lieutenant Cornelissen war am 17. April 1878 in Padang
angekommen und begann seine Thätigkeit nach einem Be-
such in Batavia und Buitenzorg mit einer Flussfahrt auf
dem Djambi und dessen Oberlauf Batang Harı im Juni
1878. Er wiederholte die Fahrt im Juli, verfolgte auch
den Nebenfluss Tembesi eine Strecke weit aufwärts und da
schon im Februar desselben Jahres, zur Zeit des höchsten
Wasserstandes, der Resident von Palembang, Pruys van
der Hoeven den Batang-Hari befahren und durch die Herren
Makkink und Dröher bei dieser Gelegenheit hat aufnehmen
lassen, so hat die Geogr. Gesellschaft in Amsterdam Spe-
cialkarten des Flusses, beruhend auf astronomischen Posi-
tionsbestimmungen und Compass-Peilungen, erhalten, die
der Zeichnung einer Übersichtskarte in 1:500000 in dem
6. Bericht über die Sumatra-Expedition !) zu Grunde ge-
legt sind. Über jede der drei Flussfahrten wird im Text
Bericht erstattet, woraus hervorgeht, dass der Batang-Hari
ein sehr beachtenswerthes Verkehrsmittel mit dem Innern
darbietet. Er wurde von der benutzten Dampfbarkasse
von 1,6 m Tiefgang von Djambi aufwärts 270 engl. Meilen
weit bis Semalidoe befahren, das unter 1° 7’ 20” 8. Br.
und 101° 57’ 33” Östl. L. liegt.
Das gleichzeitig ausgegebene 4. Heft (1878) der „Tijd-
schrift van het Aardrijkskundig Genootschap te Amsterdam”
1) Sumatra-Expeditie. Berichten ontleend aan de rapporten en cor-
respondentien ingekomen van de leden der Sumatra-Expeditie. Bij-
blad, behoorende bij het Tijdschrift van het Aardrijkskundig Genootschap
te Amsterdam. No. 6. Amsterdam, C. L. Brinkman.
72 ‚Geographischer Monatsbericht.
hat zum Hauptinhalt Beschreibung und Karte eines Theils
der Padang’schen Binnenlande durch J. L. Cluysenaer, mit
einigen Nebenkarten.
Über das Gebiet von Atschn im Nordwesten von
Sumatra findet man in den „Annales de l’Extröme Orient”
(December 1878) Erkundigungen von Z. Wallon, der als
Bergingenieur verschiedene Reisen an den Küsten und im
Innern von Sumatra gemacht hat; Atschin selbst konnte
er so wenig wie Andere vor ihm besuchen. Nach dem, was
er darüber in Erfahrung gebracht, ist es keineswegs, wie man
bisher annahm, ein sehr gebirgiges Land, im Gegentheil
bildet sein hauptsächlichster Theil eine grosse Ebene, die
von der Strasse von Malaka bis an den Indischen Ocean,
von ONO nach WSW sich erstreckt und in ihrer Mitte
einen grossen Binnensee von ca 47km Länge umschliesst.
Diesem von den Eingeborenen Putschut Laut genannten
See sollen die grössten Flüsse des Landes, der südlich von
Point Diamond in die Malaka-Strasse mündende Simpang-
Ulim und die in den Indischen Ocean fallenden Tenom,
Huela und Analabu entspringen. Solchen Wundernetzen
von Flüssen begegnet man überall in der Geographie un-
gebildeter Völker und die Entscheidung, welcher Fluss in
Wirklichkeit mit dem Putschut Laut in Verbindung steht,
muss künftiger Untersuchung vorbehalten bleiben. Nord-
westlich von dem See erstrecken sich weithin unbewohnte,
elephantenreiche Wälder, während die offenere Ebene am
See selbst von den Gajus bewohnt wird, die zwischen Bat-
taks, Malayen und Atchinesen ihren Sitz haben, nach Sitten,
Gebräuchen, Charakter und Temperament zu den Atchinesen
gehören, mit diesen jedoch wenig Verkehr unterhalten,
wie sie auch von den Battaks durch alte Feindschaften
und Antipathien geschieden sind.
Afrika,
Die gewaltigen Anstrengungen, die gegenwärtig zur
Ausfüllung der in unserer Kenntniss von Afrika noch
vorhandenen Lücken von Deutschen, Engländern, Franzosen,
Italienern, Portugiesen, Ägyptern &. gemacht werden,
erwecken das Bedürfniss, sich über den bisherigen Gang
der Erforschung Afrika’s zu orientiren. Den verschiedenen
Hülfsmitteln, die sich hierzu darbieten, gesellt sich eine
Schrift des Gymnasiallehrers 7%. Paulitschke bei, welcher
„Die geographische Erforschung des afrikanischen Continents
von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage” (Wien, bei
Brockhausen & Bräuer, 1879) in kurzer Darstellung vor-
führt, chronologisch und nach natürlichen Abtheilungen des
Erdtheils geordnet, so wie mit zahlreichen literarischen Nach-
weisen versehen. Auf 16 Seiten werden die Leistungen
des Alterthums, auf 11 Seiten die des Mittelalters abge-
handelt und 137 Seiten sind denen der Neuzeit von 1492
bis 1878 gewidmet. Zweckmässig erscheinen die tabella-
rischen, nach den Jahreszahlen geordneten Übersichten der
Reisen bei den ‚einzelnen Abschnitten, sehr dankenswerth
die fleissige Ausnutzung der geographischen Zeitschriften;
für eine neue Auflage würde sich aber eine specielle In-
haltsübersicht und womöglich ein alphabetisches Register
empfehlen.
Inzwischen nimmt die Erforschung Afrika’s ihren wei-
teren Verlauf. G. Rohlfs ist mit seiner Expedition zu
Weihnachten von Tripolis abgereist, die Verwirklichung
seines grossartigen Planes hat somit begonnen. Er dachte
zunächst in Sokna auf die Ankunft der nicht lange vor
Weihnachten erst von Berlin abgegangenen Geschenke des
Kaisers an den Fürsten von Wadai zu warten, weil die
Verpflegung seiner Karawane in Tripolis selbst auf die
Dauer zu kostspielig wurde, dann aber will er über die
Oasen der östlichen Sahara, sei es über Audjila und Kufrah,
oder von Fesan über Borgu nach Wadai zu gelangen suchen,
um dieses zum Ausgangspunkt einer Reise nach dem mitt-
leren Laufe des Congo zu machen. Die Festlegung der
von Eingeborenen jetzt wieder sehr begangenen Karawanen-
strasse von Audjila über Kufrah nach Wadai, oder, wenn
sich diess wegen der fanatischen, Kufrah, beherrschenden
Anhänger des Snussi, nicht ausführbar erweist, schon die
Niederlegung des Weges von F'esan nach Borgu und Wadai
würde ein langgefühltes Desideratum der afrikanischen
Geographie befriedigen, denn dadurch würden nicht nur
die Oasengruppen der östlichen Sahara in ihrer Lage fixirt
werden, sondern auch die Orte des nördlichen Wadai, über
deren Breite die bisherigen von West nach Ost gehenden
Itinerare noch beträchtliche Zweifel bestehen liessen. Eine
Reise über Kufrah nach Wadai würde in der That die
Recognoscirung der östlichen Sahara zum glücklichen Ab-
schluss bringen. Fast noch grössere Aufgaben erwarten
die Expedition weiter im Süden, wo sie in das wasser-
reiche Äquatorialgebiet eintreten soll. Die Erreichung
des oberen Schari, die Entscheidung der Frage über den
Bahr Kuta, die Feststellung der Wasserscheide zwischen
Schari und Congo, schliesslich die Verbindung der Routen
mit dem mittleren Congo, das sind Ziele allein in hydro-
graphischer Beziehung, von denen jedes einzelne würdig
ist, von einem G. Rohlfs errungen zu werden.
Sollte Rohlfs den Weg über Tibesti einschlagen, so
wird er vielleicht Gelegenheit finden, die von ihm erkun-
deten Ruinen von Araby (Peterm. Mittheil., Ergänzungsheft
Nr. 25, S. 33) aufzusuchen, welche Prof. Berliour für die
Reste der alten Hauptstadt der Garamanten hält !).
Herr Z. Marno befindet sich wiederum in den Nillän-
dern. Er schreibt uns aus Chartum, dass ihn Gordon-
Pascha zum Vice-Gouverneur der Provinz Galabat ernannt
habe und er am 9. Decbr. von Chartum dorthin abreisen
wollte. Dass er auch in diesem neuen Wirkungskreise für
die Vervollständigung unserer geogr. Kenntnisse thätig sein
wird, ist bei ihm selbstverständlich. Nach dem oberen Nil
ist am 20. Decbr. auch ein Herr Slatin von Wien abge-
reist und hat meteorologische Instrumente von der k. k.
Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus mit-
genommen, auch wird ihm ein Assistent der Wiener Stern-
warte, Herr Glaser, dahin folgen.
Als Separatabdruck aus verschiedenen Heften von.
Camperio’s „Esploratore” ist eine zusammenfassende Arbeit
von Dr. Schweinfurth über die von ihm mit so grosser
Ausdauer durchwanderte ostägyptische oder Arabische Wüste
erschienen („La Terra incognita dell’ Egitto propriamente
detto”. Mailand 1878), mit einem Facsimile seiner Über-
sichtskarte und mehreren interessanten Illustrationen.
!) E.-F. Berlioux, La premiöre &cole de göographie astronomique
et la prochaine döcouverte du pays des Garamantes. Lyon 1878.
—
Geographischer Monatsbericht. 73
Die Reise Savorgnan de Brassa’s, dessen Rückkehr nach
Europa vor Kurzem gemeldet wurde, stellt sich in ihrem
letzten Theil noch werthvoller heraus, als man zu erwarten
wagte. Seit der Nachricht vom 25. Juli 1877, wonach
de Brazza’s Begleiter Dr. Ballay am Oyowe oberhalb Dume
bis zu den Fällen von Pubara hinaufgegangen war, wusste
man nicht, was aus den Reisenden geworden sei, bis endlich
ihre Rückkehr nach dem Gabun erfolgte. Ein lithographirtes
Cirkular der Pariser Geogr. Gesellschaft theilt mit, dass es
in Folge der Erpressungen und der Unwilligkeit der Aduma
erst im März 1878 gelang, die ganze Expedition bis zu
den Fällen von Pubara vorzuschieben und dass sie von
dort nach einigen Tagen der Ruhe vom Flusse ab ostwärts
vorzudringen begann. Die Frage eines etwaigen Zusam-
menhanges des Ogowe mit Seen oder mit dem Congo war
dadurch verneinend entschieden, dass man den Fluss ober-
halb Pubara nur noch als ein unbedeutendes Gewässer
fand; de Brazza wollte sich aber mit diesem Resultat nicht
begntigen, er miethete von Neuem eingeborene Träger, und
als er mit diesen nicht vorwärts kam, kaufte er 40 Sklaven
und so gelang es ihm, durch die Gebiete der Udumbo,
Umbete und Bateke, welche letztere bekanntlich bis an den
Congo sich ausbreiten, das Becken des Ogowe zu verlassen
und einen ostwärts fliessenden Fluss Alima von 150 Meter
Breite und 5 Meter Tiefe zu erreichen, der ohne Zweifel
zum System des Congo gehört. Die Reisenden folgten die-
sem Fluss, zuerst am Ufer, dann in Kähnen, bald wurden
sie aber von beiden Ufern her mit Flintenschüssen an-
gegriffen, es erfolgten wie bei Stanley’s Congo-Fahrt förm-
liche Gefechte; aber mit nur 50 Flinten und stark redu-
eirter Munition konnte die Reise auf dem Fluss nicht fort-
gesetzt werden. Man verliess ihn und wendete sich gegen
Norden, wo man weniger ungastliche Eingeborene antraf;
dennoch nöthigte eintretender Mangel an Provisionen, das
Gros der Expedition unter Dr. Ballay’s Führung nach dem
Ogowe zurückzuschicken, während de Brazza seinen Weg
nordwärts bis jenseit des Äquators fortsetzte. Er über-
schritt dabei noch mehrere nach Osten, also jedenfalls zum
Congo, fliessende Gewässer. Nach fünfmonatlichem Marsche
mit unbekleideten Füssen, mit Wunden an den Beinen und
durch Nahrungsmangel geschwächt, entschloss sich de Brazza
endlich auch zur Umkehr, zumal die Regenzeit bevorstand,
er stiess im September am Ogowe wieder zu seinen Ge-
fährten und gelangte mit ihnen am 30. November nach
Gabun. Die Lage von de Brazza’s fernstem Punkte wird in
einer provisorischen Karte zu 0° 30’ N. Br. und 12° 45’
Östl. L. angegeben; die von ihm in unbekanntem Gebiet
zurückgelegte Reiseroute soll 1300 km betragen, wovon
gegen 800 km zu Fuss durchwandert wurden.
W. Comber, der im vorigen Jahre mit C. Grenfell von
der Baptist Missionary Society nach dem Congo entsendet
wurde, giebt eine kurze Beschreibung der Reise mit einem
Übersichtskärtchen und einer Photographie seiner Beglei-
tung im „Missionary Herald” (Januar 1879). Bei Mussuca
oberhalb Boma verliessen die Reisenden den Fluss und
gingen von da über Land nach San Salvador, wo sie am
8. August ankamen und eine solche Aufnahme fanden, dass
nach Comber’s Vorschlag dort die Hauptstation der beab-
sichtigten Mission einzurichten wäre. Von San Salvador
wanderten sie weiter NNO nach Tungwa in Makuta, das
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft II.
Lieut, Grandy nur von einem benachbarten Hügel hatte
sehen, aber nicht betreten dürfen, wogegen den Missionären
ein viertägiger Aufenthalt in der hübschen, ca 2000 Ein-
wohner zählenden Stadt erlaubt wurde. Zu ihrem Leid-
wesen gestattete man ihnen jedoch nicht, sich an den nahen
Congo zu begeben, sie mussten vielmehr nach San Salvador
zurück und gelangten auf demselben Weg wieder nach
Mussuca. Rev. Grenfell hat sein Missionswerk am Came-
runs wieder aufgenommen, Rev. Comber aber verabredet
jetzt in England mit dem Comit6 die ferneren Unterneh-
mungen am Congo und wollte im April dahin zurückkeh-
ren, um nach Errichtung einer Station in San Salvador
womöglich den Congo oberhalb der Katarakten zu erreichen
und denselben auf einem dahin zu bringenden Dampfer zu
befahren.
In Xlen- Namaqualand, 6 engl. Meilen nördlich von
Springbockfontein an dem Wege nach Steinkopf, liegt Oo-
kiep, ein wichtiger Ort, den man aber trotzdem auf den
meisten Karten des Kaplandes vergebens sdftht (angegeben
ist er u. A. in Dr. Grundemann’s Missionsatlas). Von dort
schreibt uns Herr L. Ameler: „Nach den Diamantenfeldern
ist Ookiep unstreitig der bedeutendste Platz in Süd-Afrika
für Bergwerkbetrieb. Es befindet sich hier eine der reich-
sten Kupferminen der Erde, welche jährlich etwa 12000
Tonnen Kupfererz zum Schmelzen nach England versendet
und von der Cape Copper Mining Company mit glänzen-
dem Erfolg ausgebeutet wird, so dass die Dividende auf
die ursprünglich eingezahlte Aktie von 7 L schon 4L im
Jahre betragen hat. Ookiep ist mit Port Nolloth durch
einen ca 96 engl. Meilen langen Schienenstrang verbunden,
auf welchem das Erz in von Maulthieren gezogenen Wagen
befördert wird. Die angestellten Schmelzversuche an Ort
und Stelle haben sich nicht als lohnend erwiesen, aber in
England wird das Erz, das sehr reich ist, mitunter 70 Proc.
Kupfer enthält und sich sehr leicht schmelzen lässt, theurer
bezahlt als das Product anderer Gruben. Der Platz selbst
‘ wird von etwa 1500 Menschen bewohnt, wovon Hotten-
totten und Damaras die Mehrzahl bilden. Die weisse Be-
völkerung bilden meistens Bergwerks-Arbeiter aus Cornwall
und Deutsche aus dem Mansfelder Seekreise”. Herr Ameler
wollte in diesem Winter eine Reise am Öranje-Fluss auf-
wärts nach den Diamantenfeldern unternehmen.
Australien und Inseln des Grossen Oceans,.
Die Goldgräber, welche von Port Moresby aus in Neu-
Guinea eingedrungen sind, kehren nach und nach erfolglos
nach Australien zurück, decimirt durch Krankheiten und
durch blutige Conflikte mit den Eingeborenen. Der Eifer
der australischen Kolonisten für die Annectirung des öst-
lichen Neu-Guinea scheint sich denn auch schon bedeutend
abgekühlt zu haben. In Bezug auf das, was der Handel
von diesem Gebiete zu erwarten hat, gab der bekannte
Neu-@Guinea- Missionar und Reisende S. M°Farlane eine
lehrreiche Zusammenstellung in einem zu Cooktown im nörd-
lichen Queensland gehaltenen Vortrag '):
„Die grosse Mehrheit derjenigen, welche sich für Neu-
Guinea interessiren, thun diess auf Grund seiner muth-
masslichen commerciellen Bedeutung. Über den Reichthum
an Mineralien will ich mich nicht aussprechen, da er noch
'!) Theo Manchester Examiner, 28. Decbr. 1878.
10
74 Geographischer Monatsbericht.
ungewiss ist. Dass Gold in Neu-Guinea existirt, ist schon
seit längerer Zeit bekannt, ob es aber in genügender Menge
vorkommt, ist ein Problem,‘ welches noch der Lösung harrt.
Spuren, welche im Bette dortiger Flüsse gefunden wurden,
scheinen auf den Fundort hinzudeuten, aber da das Gold
zu den Metallen gehört, welche sich über weite Strecken
verbreiten, so können jene Goldkörner sehr leicht aus einer
Entfernung stammen, welche die Ausbeutung des Lagers
practisch unmöglich macht. Schon jetzt muss man all-
seitig einräumen, dass, wenn ein Goldfeld in noch grösserer
Entfernung als den bis jetzt erreichten Punkten — 60 miles
von Port Moresby — entdeckt werden sollte, es schon sehr
reichhaltig sein muss, um rentabel zu sein. Das Land ist
sowohl seines gefährlichen Klima’s als auch seines bergigen
Charakters wegen ein in hohem Grade anstrengendes.
„Unter den Producten, deren Vorhandensein wir ken-
nen, muss ich an erster Stelle der Schätze Erwähnung thun,
welche die See bietet. Sie sind eine Quelle fast unerschöpf-
lichen Reichthums in Gestalt von Tripang (biche-de-mer)
und Perlmuscheln, dazu noch Schildpatt in beträchtlicher
Menge, Schätze, welche ohne bedeutende Auslagen und
persönliches Risico zu gewinnen sind. Nächst diesen muss
ich Copra (getrocknete Kokosnuss) nennen. An fast allen
Punkten, welche wir längs der Küste zwischen dem Baxter-
Flusse und dem Ostkap besucht haben, eine fast 600 miles
lange Strecke, findet sich grosser Überfluss an Kokosnüssen.
Von der Yule-Insel bis zur Ostgrenze des Port Moresby-
Districtes in der Nähe der Hood-Bai sind sie freilich sel-
tener, aber in der Hood-Baı scheint die Zufuhr factisch
unbegrenzt zu sein. Längs der Ufer des Kemp Welch-
Flusses dehnt sich ein förmlicher Wald von Kokosnuss-
bäumen aus. Auch ostwärts von der Orangerie-Bai kom-
men sie reichlich vor, so dass ein einträglicher Handel mit
Copra nnd Kokosnussöl sich leicht in’s Werk setzen liesse.
Sago, der in grossen Quantitäten aus dem Papua-Golf und |
von der Ostspitze der Insel zu erhalten wäre, könnte eben-
falls ein Ausfuhrartikel werden.
dem District von Port Moresby unternehmen alljährlich
Reisen nach dem ersteren Punkte in grossen Canoes oder
richtiger kleinen Schiffen, welche durch Verbindung von
6—8 Canoes und Errichtung eines Verdecks auf denselben
hergestellt werden, und kehren mit grosser Landung von
diesem Artikel zurück, welchen sie im Austausch für ihre
Tbonwäaren erbalten. Auch an der Ostspitze der Insel ist
er in beträchtlichen Mengen für Bandeisen zu erhalten.
Einen anderen Handelsartikel könnte Jute liefern, welche
in guter Qualität vorkommt und leicht und billig auf
der Ostspitze der Insel, d. b. östlich von der Orangerie-
Bai, eingetauscht werden kann. Auch Yams sind hier in
Überfluss gegen Bandeisen zu erhalten.
„Einheimische Nahrungsmittel sind reichlich vorhanden;
selbst Schweine, welche gewöhnlich mit grossen Schwierig-
keiten in Neu-Guinea zu erlangen sind, können um Gerin-
ges eingehandelt werden. In der Milne-Bai kostete uns ein
fettes Schwein im Gewicht von 200 Pfund ein Beil und
10 Stück Bandeisen von je 7 Zoll Länge im Werthe von
15 Pence (M. 1,25). Besonders muss ich noch die Auf-
merksamkeit auf das werthvolle Bauholz hinlenken, welches
auf der südöstlichen Halbinsel vorhanden ist. Cedern,
Ebenholz, Eisenholz und Mahagoni können an verschie-
Die Eingeborenen aus '
denen Punkten in Menge eingekauft werden. Gute Häfen
und Ankerplätze, welche wir längs der südwestlichen Küste
der Halbinsel finden, erleichtern den Erwerb dieser Handels-
artikel”.
Über die Neuen Hebriden hat M. Eckardt eine fleissige
Monographie ausgearbeitet '!), unter Benutzung von Mitthei-
lungen des Kapitän Michelsen aus Sonderburg. Eine Über-
sicht der Literatur, zwei Tafeln mit Abbildungen von Uten-
silien und die Photographie einer Gruppe von Eingebore-
nen sind beigegeben.
Polar - Regionen.
Als sich die „Vega” am 27. Aug. vor. J. vor dem
Mündungsdelta der Lena von ihrem Begleitschiff „Lena”
trennte, schrieb Prof. Nordenskiöld: „Wir werden von hier
direct nach der Fadejew-Insel segeln, wo ich einige Tage
zu rasten gedenke. Von dort geht es weiter nach der Be-
ring-Strasse und Japan. Die Aussichten, vorwärts zu kom-
men, sind die bestmöglichen”. Und Marinelieut. Palander
bestätigte diess mit den Worten: „Wir verlassen jetzt
„Lena’” und setzen die Reise ostwärts fort, begünstigt von
gutem Wind und gutem Wetter uud belebt von den besten
Hoffnungen, bald nach Japan zu kommen”. Kein Wunder,
dass nach dem überaus glücklichen Verlaufe der gefürch-
teten Reise um Kap Tscheljuskin die Leser jener Briefe
die Zuversicht theilten und noch bis in den November
hinein das Telegramm aus Japan über die Ankunft der
„Vega” erwarteten. Aber es blieb aus, man musste sich
mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Schweden
irgendwo im Sibirischen Eismeere, vielleicht schon bei den
Neusibirischen Inseln, vielleicht an dem mysteriösen Kellet-
Land ihr Winterquartier eingerichtet hätten. Da kam die
überraschende Meldung aus San Francisco, dass sie aller
Wahrscheinlichkeit nach bis dicht an die Bering-Strasse
gelangt und erst hart vor dem Ziel vom Eise festgehalten
sind. Am 18. November lief der Walfischfänger „Norman”,
Capt. Campbell, in den Hafen von San Francisco ein und
erzählte, er habe am 23. October in der S. Lorenz-Bai,
die in die Westküste der Bering-Strasse nahe südlich vom
Ostkap einschneidet, von den dortigen Tschuktschen erfah-
ren, dass einer ihrer Landsleute drei Tage zuvor, also am
20. October, einen grossen Dampfer nordwestlich vom Ost-
kap im Eise gesehen habe. Er liege fest von Eis um-
schlossen nahe an der Küste, ohne Aussicht, frei zu kom-
men. Der Eingeborene war sicher, dass es kein Walfisch-
fänger sei, und bezeichnete das Fahrzeug als russisches
Kriegsschiff, wahrscheinlich weil es ihm in Gegensatz zu
den Walfischfängern Ähnlichkeit mit der russischen Cor-
vette „Wssadnik” zu haben schien, die 1876 die West-
küste der Bering-Strasse besuchte. Capt. Campbell setzt
alles Vertrauen in die Aussage und man nimmt allgemein
an, dass es die „Vega” ist, die beim Ostkap eingefroren
liegt. Über ihre Position enthalten die amerikanischen
Nachrichten einige Widersprüche. Zuerst hiess es, das
Schiff liege 20 naut. Meilen nordwestlich vom Nordkap,
dann wurde die Entfernung zu 40, auch zu 42 naut. Min.
angegeben. Nach dem einen Brief soll es dicht am Ufer
in einer Bucht gelegen sein, nach einem anderen hofften
!) Der Archipel der Neu-Hebriden. Verhandlungen des Vereins
für naturwissenschaftliche Unterbaltung in Hamburg, Januar 1879.
‚Geographischer Monatsbericht. 75
die Tschuktschen über das Eis in Verkehr mit dem Schiff
treten zu können. W. H. Dall von der Küstenvermessung
in Washington vermuthet es in einer kleinen Bucht, die
nordwestlich vom Ostkap einen durch eine Insel geschütz-
ten Ankerplatz abgiebt, die aber auf den meisten Karten
fehlt. Wie dem auch sei, unfern des Ostkap ist die „Vega”
vom Eise besetzt, falls die Nachricht Capt. Campbell’s sich
bewährt. Wenige Tage früber wäre sie vielleicht noch in
die Bering- Strasse und somit in den Grossen Ocean ge-
langt, aber auch so wird ihr der Ruhm, die „nordöstliche
Durohfahrt” ausgeführt zu haben, nicht vorenthalten werden,
Ob dieser Erweis einer Möglichkeit der nordöstlichen
Durchfahrt für die Praxis von Nutzen sein wird, müssen
spätere Erfahrungen entscheiden. Erst, wiederholte Fahr-
ten können Gewissheit darüber bringen, dass die Verhält-
nisse im J. 1878 nicht ausnahmsweise günstige waren und
dass die Zeit, wo das Meer an den Nordküsten Asiens schiff-
bar ist, alljährlich zu der Reise von Europa nach dem
Grossen Ocean ausreicht. Die „Vega” hätte wohl noch ei-
nige Tage ersparen können, die sie am Taimyr-Land und
an den Neusibirischen Inseln zugebracht, aber sie hat auch
früher, als Prof. Nordenskiöld zu hoffen wagte, Kap Tschel-
juskin umfahren können, die Ausschlag gebende Verzöge-
rung muss zwischen Lena und Bering-Strasse vorgekommen
sein, und ob sie durch Eis veranlasst war oder wie sonst,
werden wir erst aus den später zu erwartenden Nachrichten
erfahren.
Ob man wirklich hoffen darf, noch im Laufe des Win-
ters Nachrichten von der „Vega” zu erhalten, wie von
manchen Seiten ausgesprochen wurde, erscheint zweifelhaft.
Die „Göteborgs Handels- och Sjöfarts- Tidning”, welohe
die Herrn Oscar Dickson zugehenden Nachrichten ver-
öffentlicht, sagt in Bezug darauf: „Die Entfernung zwi-
schen dem Ort der Überwinterung und der nächsten russi-
schen Telegraphenstation Albasin (am oberen Amur) kann
man auf 250 bis 300 schwed. Min. annehmen. So gross
dieser Abstand auch erscheint, ist er in jener Gegend nicht
unüberwindlich. Durch die Tschuktschen, welche an der
Bering-Strasse wohnen und an lange Reisen mit Hunden
und Schlitten gewöhnt sind, kann möglicherweise eine Bot-
schaft zu der genannten Telegraphenstation gesandt werden,
Ein Gespann von 11 Hunden mit einem Mann und 400 Pfund
Belastung läuft 6 bis 7 Meilen täglich und kann mit An-
strengung selbst 15 Meilen im Tag zurücklegen. Eine Reise
von 300 Meilen wäre also in 40 bis 50 Tagen zu machen...
Die am weitesten vorgeschobene russische Militärstation
Anadyrsk liegt 40 bis 50 schwed. Meilen vom Ostkap.
Dort können also unsere schwedischen Seefahrer mit ande-
ren Menschen in Berührung kommen... Es ist also keine
Unmöglichkeit, dass wir während des Winters unmittelbare
Nachrichten von Nordenskiöld und seiner Mannschaft er-
halten. Sollten sie nicht eintreffen oder in irgend einer
Weise Grund zu Beunruhigung eintreten, so sollen, wie
Herr O. Dickson uns mittheilt, nach Berathschlagung mit
der englischen geogr. Gesellschaft Anstalten getroffen wer-
den, um der Expedition die nöthige Hülfe zu bringen. .. .”
Die angegebenen Entfernungen sind jedoch viel zu knapp
bemessen. Die vom Ostkap nach Albasin beträgt in ge-
rader Linie reichlich 500 deutsche oder 350 schwed. Meilen,
die nach Anadyrsk 125 deutsche oder 90 schwed. Meilen;
ı
.
und nach Albasin würde ein Bote vom Ostkap wohl nur
über Irkutsk oder über Nikolajewsk an der Amur-Mündung
gelangen können.
Da die „Vega” von der Küste aus sichtbar ist oder
sogar dicht an derselben liegt und diese Küste von Tschuk-
tschen bewohnt ist, so dürfte auch in dem ungünstigsten
Falle, dass das Schiff zertrümmert würde, die Rettung der
Mannschaft wahrscheinlich sein; ist das Schiff heil, so darf
mit Sicherheit erwartet werden, dass es Mitte Juli frei wird
und seine Fahrt nach Japan fortsetzt. In Europa trifft
man aber inzwischen alle Vorbereitungen, um sich Gewiss-
heit über das Schicksal der Schweden zu verschaffen und
ihnen, wenn nöthig, zu Hülfe zu kommen. Wie O. Dickson
sich zu diesem Zweck mit der engl. geogr. Gesellschaft be-
rieth, so hat die russische Gesellschaft zur Förderung der
Industrie und des Handels auf den Antrag des Herrn
Michael Sidorof’ den General-Gouverneur von Ost-Sibirien
per Telegramm ersucht, der schwedischen Expedition alle
erforderliche Hülfe zu leisten, ja Herr Alex. Sibiriakoff
bat den General- Gouverneur von Ost-Sibirien, auf seine
Kosten eine Expedition zu organisiren, welche die „Voga”
aufsuchen und ihren Insassen beistehen soll.
Damit nicht genug, wird Herr Sibiriakoff spätestens im
Mai einen Dampfer via Suez nach der Bering - Strasse
schicken, welcher das schwedische Schiff zu suchen und
anzusprechen zur nächsten Aufgabe hat. Die Führung
dieses Dampfers, der jetzt in Malmö gebaut wird und den
Namen „Nordenskiöld” erhalten soll, ist dem Kapitän
H. Sengstacke übertragen, der als erster Officier der „Ger-
mania’ auf der zweiten deutschen Polarfahrt seine Studien
über die arktischen Meere gemacht hat und als einer un-
serer tüchtigsten und gebildetsten Seeleute bekannt ist.
Ihm wird von Herrn Sibiriakoff die grossartige Aufgabe
gestellt, das was die Schweden in der Richtung von West
nach Ost vollbracht, in umgekehrter Richtung zu wieder-
holen. Wenn er die Bering-Strasse passirt und die Schwe-
den besucht hat, soll er in die Lena-Mündung einlaufen,
dort Kohlen einnehmen, die ihm die „Lena” von Jakutsk
hinabbringt, und dann womöglich noch in demselben Som-
mer um Kap Tscheljuskin nach dem Jenissei steuern.
So verwirklicht sich schon jetzt die Hoffnung, dass das
Beispiel der Nordenskiöld’schen Fahrt andere Versuche nach
sich ziehen werde. Aber nicht das Sibirische Eismeer al-
lein nimmt man sich zum Ziel. Der glückliche Erfolg der
Schweden hat den Angriff auf die arktische Region auch
von anderen Seiten aus neu belebt.
Der Augsb. Allgem. Zeitung wird aus dem Haag vom
14. Januar geschrieben: „Nachdem der Ausschuss, welcher
die frühere Nordpol-Expedition (von 1878) organisirte, die
Versicherung des Marineministers erhalten hatte, dass der-
selbe bereit sei, einer etwaigen zweiten Expedition eben-
falls seine Mitwirkung angedeihen zu lassen, geht der Aus-
schuss nunmehr mit dem Plane um, das Schiff „Willem
Barendss’ im Monat Mai 1. J. von Neuem abgehen zu
lassen. Die Kosten dieser zweiten Reise sind auf minde-
stens 20 000 fl. veranschlagt, wozu von Neuem Sammlungen
im Lande veranstaltet werden sollen”.
Ferner befürwortete in der Sitzung der Londoner geogr.
Gesellschaft vom 9. Decbr. 1878 07. R. Markham, unter-
stützt von Sir Leopold M“Clintock, Admiral Hamilton und
10*
76 Geographischer Monatsbericht.
anderen arktischen Autoritäten, eine neue englische Polar-
Expedition mit dem Programm, die Westküste des Franz
Josef- Landes zu erreichen und dieselbe zur Basis einer
möglichst weit nach Norden ausgedehnten Recognoscirung
zu machen !).
Endlich laufen auch durch die Zeitungen ausführliche
Angaben über den kühnen, aber ganz ernstlich gemeinten
und, wie es scheint, finanziell gesicherten Plan des Com-
mander Cheyne, vom Lancaster-Sund und Queen’s Channel
aus mit Hülfe mehrerer an einander gekoppelter und mit
der Erde in Verbindung bleibender Luftballons dem Nordpol
zuzustreben und die Nordküste von Grönland festzustellen.
Über das prachtvollste Phänomen der Polarzone, das
Nordlicht, hielt der Director der Berliner Sternwarte, Prof.
Förster, vor Kurzem einen lehrreichen Vortrag in der Ber-
liner Gesellschaft für Erdkunde. Ein Referat darüber in
der Voss. Ztg. vom 11. Januar, von Prof. Förster, selbst
durchgesehen und gebilligt, zeigt, dass er sich der Theorie
des Stockholmer Physikers Edlund anschliesst, die im We-
sentlichen auch mit einer früher von Förster ausgesproche-
nen Hypothese übereinstimmt. Nach der Edlund’schen
Theorie reducirt sich das ganze Phänomen der Gewitter
(Äquatoriallichter) und der Polarlichter, also sämmtliche
derartige elektrische Processe in unserer Atmosphäre, höchst
einfach auf einen besonderen Fall der zuerst von F'iaraday
entdeckten Erscheinung der unipolaren Induction. Für die
vorliegende tellurische Aufgabe in der einfachsten Fassung
verhält es sich damit folgendermaassen: Wenn ein Magnet,
der mit einer leitenden Umhüllung umgeben ist, eine Rots-
tion erfährt, und zwei Punkte dieser Umhüllung, deren
einer z. B. in der Nähe eines Poles, der andere in der
Nähe der Äquatorzone liegt, noch ausserdem unter einander
in leitende Verbindung gesetzt werden, so dass ein Kreis-
lauf gegeben ist, so entsteht in der so formirten Leitung
ein elektrischer Strom, dessen Richtung von der Richtung
der Rotation und der Lage der Magnetpole abhängt. An-
gewandt auf die Erde, erhellt Folgendes: Die Erde ist ein
rotirender Magnet, dessen leitende Umhüllung die Erdkruste
ist, die höheren Schichten der Atmosphäre figuriren hierbei
als der Leitungszweig, welcher den Strom schliesst. Unter
diesen Umständen wird folgende Erscheinung bewirkt: Vor-
zugsweis in der Äquatorzone steigt ununterbrochen positive
Elektricität ın die Höhe, welche unmittelbar über dem
Äquator selbst zwar keine Tendenz zur seitlichen Bewe-
gung hat, aber auf beiden Seiten des Äquators nach den
Polen zu abfliesst. Weiter vom Äquator entfernt, fliesst
die auch dort aufsteigende positive Elektricität gleichfalls
nach den Polen ab, es wächst ihre Tendenz, diess zu thun
etwa bis zur Mitte zwischen Pol und Äquator. Nun wissen
wir mit einem Mal auch, warum und woher diese positive
Elektricität in die höheren Schichten unserer Atmosphäre
kommt. Diese positive Elektricität, welche durch In-
fluenz &c. die negative Elektricität in der Erdkruste über-
wiegen macht, wird nun naturgemäss einen Rückweg (Aus-
gleichung) suchen, ihn aber nur dann in der Nähe finden,
wenn grosse Wolkenmassen ihren verdichtenden Einfluss
geltend mächen. Geschieht diess, so wird die Rückströ-
mung bei bedeutend angewachsener Spannung endlich in
!) Proceedings of the R. Geogr. Soc. 1879, No. 1, p. 31.
Form der acuten Entladung, Blitz und Donner Statt finden.
Die Spannung muss aber hierfür sehr gross werden, denn
die durch den Erdmagneten hervorgerufene aufsteigende
Tendenz der positiven Elektricität wirkt hier der Ausglei-
chung, besonders unter den Tropen, direot entgegen. Daher
rührt die Stärke der äquatorialen Gewitter. |
Gehen wir in höhere Breiten über. Wenn auch bereits
ein Theil der positiven Elektricität durch die Gewitter am
Äqustor ausgeglichen wird, so wächst dennoch in der Höhe
der Vorrath derselben, da sie überall in die Höhe steigt
und nach den Polen abfliesst, ausserdem erfolgt auch durch
die Verengung der Parallelkreise eine Verdichtung. Unter-
wegs tritt in gewissen Fällen abermals die Möglichkeit der
directen Rückströmung auf die Erdoberfläche ein, und es
entstehen die subtropischen Gewitter &c., die in höheren
Breiten in gewisse Verschiedenheiten der Erscheinung und
Mischformen übergehen. Endlich in höheren Zonen, in
denen die magnetische Richtkraft der Erde der langsameren
Ausgleichung in Form der Glühlichter immer günstiger
wird, entstehen die Phänomene der Polarlichter, deren
Maximalzone aber nicht die magnetischen Pole selbst sind,
sondern eine Zone, welche z. B. in Nord - Amerika noch
17 Grad davon entfernt liegt. Es überwiegt nämlich be-
reits in einem gewissen Abstand von den Polen die Aus-
gleichungstendenz nach der Erdoberfläche hin über die
Weiterbewegung nach den Polen. Der Vortragende ging
noch specieller auf Details ein, besprach dann aber auch
die Periodicität des Erscheinens der Polarlichter in niederen
Breiten, welche man sich vielleicht durch die Annahme
erklären könne, dass in gewissen Zeiten der Vorrath der
positiven Elektricität in den oberen Schichten der Atmo-
sphäre auf kosmischem Wege verstärkt werde. Man könne
ziemlich sicher die Sonne als Ursache dieser Erscheinung
bezeichnen. Der Vortragende ermahnte dringend, zu beob-
achten und Thatsachen zu sammeln, namentlich auf polaren
Stationen,
Oceane.
Der Güte der Herren Professoren J. Wolf, J. Luksch
und J. Köttstorfer in Fiume verdanken wir ein Exemplar
ihrer nicht in den Buchhandel gekommenen „Berichte an
die königl. ungarische Seebehörde in Fiume über die physi-
kalıschen Untersuchungen im Adriatischen Meere”. Diese Be-
richte beziehen sich auf die vier Jahre von 1874 bis 1877
und legen unter reichlicher Beigabe von Tabellen, Profilen
und Karten das sehr bedeutende Material verarbeitet vor,
welches die drei genannten Herren, im ersten Sommer ge-
meinschaftlich mit Prof. E. Stahlberger, in Bezug auf Tem-
peratur und specifisches Gewicht des Seewassers in ver-
schiedenen Tiefen und auf seine chemische Zusammen-
setzung durch ihre Untersuchungen gewonnen haben. Ihre
Arbeiten erstreckten sich auf alle Theile des Adriatischen
Meeres und sind zum Abschluss gelangt, so dass nunmehr
die Adria zu den am gründlichsten erforschten Meeres-
theilen zu zählen ist.
Dr. O0. Krümmel, Docent der Erdkunde in Göttingen,
hat eine grössere Arbeit über die Morphologie der Meere
zum Abschluss gebracht, die voraussichtlich als Ergänzung»-
Heft der Petermann’schen Mittheilungen veröffentlicht wer-
den wird. Daraus theilt Prof. Wappäus in den „Göttinger
Gelehrten Anzeigen” (1878, S. 556) die Hauptresultate
Literatur. 77
mühsamer Berechnungen der mittleren Bodentiefe der Meeres-
räume mit, sowie des Cubikinhaltes der Meere und ihres Ge-
wichtes in Vergleich mit. dem der Erdfesten. Die mittlere Tiefe
des Atlantischen Oceans wird berechnet zu 3681 m bei
1394375 Q.-Meilen Areal, die des Indischen Ooeans zu
3344 m bei 1340295 Q.-Meilen Areal, die des Grossen
Oceans zu 3887 m bei 2850890 Q.-Meilen Areal, die
Tiefe der Mittelmsere durchschnittlich auf 1353 m (Mittel-
ländisches Meer 1339 m, Ostsee 67 m, Rothes Meer 444 m,
Persisches 37 m, Australasiatischer Archipel 891 m, West-
indisches 1832 m, nördliches Eismeer 1545 m), die der
a 0 Vo
Randmeere auf 706 m (Nordsee 89, Kanal 86, St. Lorenz-
Golf 290, Ostchinesisches Meer 121, Japanisches Meer 2200,
Ochotskischee 1515, Berings-Meer 1000 m), so dass sich’
die durchschnittliche Tiefe des ganzen Weltmeeres bei
6630700 Q.-Meilen Areal auf 3432 m oder 1877 Faden
herausstellt. In den Meeresräumen, die 3138000 Cubik-
meilen betragen, können die Frestlandmassive 2,443 Mal unter-
gebracht werden, und da das specifische Gewicht der Erd-
festen nach allgemeiner Annahme 2,5 beträgt, so stehen
die Massen der Erdfesten (vom Meeresboden ab gerechnet)
und des Meeres nahezu im Gleichgewicht. E. Behm.
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nn 1 nn
Iswestija der Kaiserlich russischen Geographischen Gesellschaft. Bd. XIV,
Heft 1 bis 4. St. Petersburg, 1878. (In russ. Sprache.)
Das 1. Heft enthält die Berichte über mehrere Sitzungen der Gesellschaft;
des Verwaltungsrathes und der Abtheilungen derselben. In der Sitzung dee
Etbnographischen Abtheilung am 26. November 1877 machte Herr Minajew
Mittheilungen über den Inhalt der von ihm im Auftrage der Gesellschaft ver-
fassten und nun beendigten „Sammlung der Nachrichten tiber die Gegend am
oberen Laufe des Amu- Darja” und wurde beschlossen, die „Sammlung” im
IX. Bande der „Memoiren” der Abthellung zu veröffentlichen. In der Sitzung
der Commission zur Verbesserung der von der russ. Geographischen Gesell-
schaft herausgegebenen Karte des europäischen Russlands vom 18. November
wurde der Beschluss gefasst, dass die Verbesserung der Im Jahre 1863 In
12 Blättern im Maassstabe von 40 Werst auf den Zoll erschienenen Karte sich
auf die Eintragung der neuen Eisenbahnen und anderer neuen geographischen
Augaben beschränken und die neue Karte nicht von den vorhandenen Kupfer-
latten abgedruckt, sondern lithographirt werden solle. In der Sitzung der
sellechaft am 7. December wurde kurz tiber die Fahrt des von Kapitän
Schwanenberg geführten Segelfahrzeuges „Sarjä” aus dem Jenissej nach Pe-
tersburg, über die von dem Berg - Ingenieur J. W. Muschketow im Sommer
1877 ausgeführte Reise nach dem Pamir und über die beabsichtigte Expedition
des Aksdemikers Middendorff zur Erforschung der landwirthschaftlichen und
überhaupt ökonomischen Verhältnisse Turkestans berichtet. — Von grösseren
geographischen Artikeln bringt das Heft 1) eine Abhandlung des Herrn Mak-
schejew über das „Buch des Grossen Planes”, so weit es von den Kirgisen-
steppen und Turkestan handelt. Das »Buch” ist der erläuternde Text zu dem
„Grossen Plane”, d. h. der ersten Karte des Russischen Reiches, zu deren
Herstellung Jobann der Schreckliche um die Mitte des 16. Jahrhunderts den
Befehl ertheilt hatte und welche später mehrmals aufgelegt wurde. Die Karte
selbst ist verloren, die im 2. Jabrzebnt des 17. Jahrh. erschienene Brläute-
rung, das „Buch” aber noch erhalten. Dem Artikel ist eine Kartenskizze der
erwähnten Länder mit den im alten „Buche” gebrauchten Namen beigegeben.
8) Die Resultate tiber die anthropologischen Untersuchungen bei den Mord-
minen des Geschlechts Ersja im Kreise Nishni-Nowgorod, von W. N. Mainow. —
Von den Miscellen ist ein Brief des Herrn Przewalski zu erwähnen, in wel-
chem derselbe mittheilt, dass er seine Weiterreise nach China ungünstiger
politischer Verhältnisse halber habe unterbrechen müssen und dass er nach
Petersburg zurlicksukebren beabsichtige, um im Januar oder Februar 1879
abermals aufzubrechen, falls die Umstände alsdann die Reise gestatten sollten.
Heft 2: Der Weinbau in Russland in den Jahren 1870—73 , von J. J. Bock,
Aus den Berichten über die Reise in Japan, von A. J. Woeikoff. — Miscel-
lien: Das SBibirische Nivellement. Fahrten der Dampfer „Luise”" und „Mos-
ksau” nach der Jenissej-Mündung. Weltumsegelung des Dampfers „Picardie”.
Der Handel Frankreichs in den ersten Hälften der Jahre 1877 und 1878. Die
Fabriktbätigkeit im Gouvernement Irkutsk. Bechenschaftsbericht des statisti-
schen Gouvernements-Comitd's In Kasaw. — Beilagen: Versuchsweise entwor-
fenes Programm für Erforschung der Natur des Gemeindebesitses von Land,
Katalog der Literatar über Anthropologie, Ethnographie und Alterthumskunde
für 1876, von W. Koner,
Heft 8: Expedition nach der Gegend der Wasserscheide zwischen Ob und
Jenissej, bebufs Feststellung der Möglichkeit einer Wasserverbindung zwischen
den genannten beiden Strömen vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten
entsendet, von A. K. Sidensner. — Der Pelew-Archipel. Skizzen aus der Reise
in das westliche Mikronesien und das nördliche Melanesien, von Miklucho-
Maclay. — Nekrolog W. J. Tschaslawski’s, von N. N. Wakulowski. — Mis-
osllen: Reise N. A, Majew’s in das stidliche Buchara. Russische Dampfer In
der Mündung des Ob und des Jenissej u. a.
Heft 4. Längere Artikel: Paläontologische Ergänzungen und Erläuterungen
zu dem Briefe N. J. Danilewski’s über die Resultate seiner Reise zum Ma-
nytsch. Von W. J. Möller. — Angaben über die Temperatur und Dichtigkeit
des Wassers in dem Murmanischen und Weissen Meere. Von A. W. Grigor-
jew. — Ueber die Communioationsstrassen in den südlichen Theilen des -
nats Buchars und Bemerkungen Über diese Theile. Von N. A. Majew, —
Miscellen: Expedition des Prof, Nordenskiöld. Russ. Handelsschifffa im
nördlichen Eismeer. Expedition des Barons B. A. Aminow zur Wasserscheide
zwischen Ob und Jenissej. Geologische Expedition J. W. Muschketow’s nach
dem Alai und dem Tschatyr-kul. Expedition N. A. Ssewerzow’s nach dem Pamir.
Reise J. B. Poljakow’s in das Oks - Thal behufs anthropologisober und natar-
wissenschaftlicher Forschungen. Forschungen Im Innern Grönlands. Die nor-
wegische Expedition in das nördl. Eismeer. Die neu entdeckte Insel „Ensom-
beden” Im nördl. Eismeer. Die Betheillgung Turkestans an der anthropo-
logischen Ausstellung in Moskau. Das Museum des Statistischen Comitd's in
Wladimir. Bevölkerung des Gouvernem. Wladimir. Indische Ackerbauer im
Gouvernem. Minsk. Altgläubige im Gouvernem. Minsk. Sobafpelz - Industrie
von Schuja (Gouvernem. Wladimir) und Einfluss des letzten Krieges auf die-
selbe. Historisch-statistische Erforschung Podoliens, „Briefe aus Indien”, neue
Publication des spanischen Unterrichts-Ministeriume, Kanal durch die Land-
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INSEL „EINSAMKEIT
entdeckt von Capt.E.H. Johansen aus Tromsö
im August 1878.
Entworfen. von H. Mohn.
Mittlerer Maafsstab 1: 2000000.
Capitan EH.Johansens Kurs Juli - Sept 1878.
30- Tiefen in Englischen Faden, (is-LoChungen obns erreichten Grumä).
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Druck von. C Bali
Reisenachrichten aus Sibirien.
I. Fahrt auf dem Jenissej von der Mündung bis Jenissejsk im Sommer 1878.
(Aus dem Tagebuch eines Bremer Kaufmanns.)
Das Wort, welches Prof. Nordenskiöld, nachdem er im
Sommer 1875 mit dem kleinen Fahrzeug „Pröven” die
Mündung des Jenissej erreicht hatte, und in der ersten mit
einer Telegraphenstation versehenen Stadt Sibiriens ange-
kommen war, in die Welt sandte: „Die Seehandelsstrasse
nach Nordsibirien ist eröffnet!”, ist bereits drei Jahre
später, im Sommer 1878, in ziemlich umfangreicher Weise
zur Wahrheit geworden. Eine ganze Reihe von Schiffen
wurde nach dem Ob und nach dem Jenissej gesandt, und
diese Reisen haben von Neuem ergeben, dass im Hoch-
sommer während sechs Wochen die Schifffahrt zwischen
Europa und den Mündungen des Ob und Jenissej durch
Eis so gut wie gar nicht behindert wird. Wohl aber hatte
eine der Unternehmungen, diejenige des Baron Knoop von
Bremen und mehrerer russischer Kaufleute, mit dem dop-
pelten Missgeschick zu kämpfen, dass der zuerst dafür ver-
wendete Dampfer „Louise” an der norwegischen Küste stran-
dete, und dass ein ähnliches Missgeschick auch das zum
Ersatz eintretende Schiff, den Steamer „Zaritza”, dadurch
traf, dass es auf einer Felseninsel in der Mündung des
Jenissej auflief. Das Schiff wurde später wieder flott und
von einem anderen aus dem Jenissej kommenden Fahrzeug
zurückgeleitet. Für die Transporte auf dem Strome war
ein kleiner Dampfer, „Moskau’”, unter Führung des Kapitän
Dallmann, der Expedition beigegeben worden. Der letzte-
ren hatten sich als commercielle Pioniere ein Kaufmann
aus Bremen, Herr Helwig Schmidt, und ein Beamter des Kais,
russischen Finanzministeriums, Herr Ehlertz, angeschlossen.
Beide Herren reisten mit der „Moskau” den Strom auf-
wärts bis Jenissejsk und kehrten von da vor Kurzem nach
Europa zurück. Über diese Flussreise liegen uns durch
gefällige Mittheilungen sehr ausführliche Aufzeichnungen
vor, aus denen wir im Nachstehenden einen Auszug geben.
Den 4. September Abends ankerte der Dampfer „Mos-
kau” in der Nähe Goltschicha's am rechten Ufer des Je-
nissej’s auf drei Faden Wasser. Am Morgen des 5. fuhren
die Herren Kapt. Dallmann, Ehlertz und Schmidt an Land.
Das Boot konnte seine Insassen nicht unmittelbar auf trocke-
nen Boden führen, vielmehr musste eine grosse Strecke
durch niedriges Wasser gewatet werden. Goltschicha liegt
auf einer kleinen Insel, gebildet durch einen unbedeutenden
Fluss, der sich ober- und unterhalb der Niederlassung in
zwei Armen in den Jenissej ergiesst. Das Flüsschen über-
setzte man in einem Boot. Die Niederlassung wird von
einem Russen, Iwan Antonowitsch, bewohnt, und zwar seit
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft III.
fünf Jahren im Winter und Sommer. Derselbe ist von
dem Kaufmann Kitmanoff angestellt, um Handel mit den
Samojeden zu betreiben, und hat zwei andere Russen und
einige Samojeden als Arbeiter bei sich. Iwan ist ein hüb-
scher blonder Mann von 30 Jabren mit freundlichem sym-
pathischen Gesicht. Kapitän Dallmann kannte ihn bereits
vom vorigen Jahre her, und wurden wir auf das Zuvorkom-
mendste von ihm aufgenommen und bewirthet. Durch eine
niedrige Thür gelangt man zuerst in einen geräumigen Vor-
raum, der zur Aufnahme von allerlei Proviant und Handels-
artikeln dient, von da durch eine zweite kleine Thür in
den Wohnraum, welcher der halben Länge nach durch
eine Scheidewand in das Ess- und Wohnzimmer und das
Schlafzimmer andererseits getrennt ist. Beim Eintreten sieht
man rechts den grossen steinernen Ofen, der zum Kochen
und Heizen dient, daneben einen kleineren eisernen, der
bei wärmerem Wetter benutzt wird; rings an den sauber
geweissten Wänden stehen einige hölzerne Bänke und vier-
beinige Böcke, auf einer Console, der Thür gegenüber, drei
Heiligenbilder und ein paar geweihte Kerzen. Wir waren
ziemlich durchgefroren und durchgeweht; es kam uns daher .
der sehr gute Tbee und in Jenissejsk gebraute ziemlich
geniessbare Korn gut zu Statten. Iwan’s Frau, eine kleine
sehr dicke Russin, hatte gerade frisches Weizenbrod gebacken,
dazu gab esKringel und Zuokerwerk aus Westsibirien und die
hier massenhaft wachsenden Maroschkas, blass rothe Beeren,
ın der Grösse und Form unserer Himbeere, mit Zucker zu-
recht gemacht; demnach für uns ein Frühstück, wie wir
es uns gar nicht besser wünschen konnten. Das Wetter
wurde während der Zeit recht unfreundlich durch heftigen
Wind und kalten Regen. Als Lootse zur Weiterfahrt bis
zu den Inseln sollte Iwan dienen. Dort wurde ein Lootse
erwartet. Die Abfahrt verzögerte sich durch schlechtes
Wetter, und wurde diese Zeit zu einer Orientirung in
Goltschioha benutzt. Iwan’s Haus liegt dicht an dem obe-
ren Arme des Goltschicha-Flusses. Letzterer ist: wasser-
reich genug für Leichter, die nur einige Fuss tief gehen.
Die Insel ist bedeckt mit auf den Sand gespülten Holz-
stämmen, die massenhaft im Frühjahr angeschwemmt wer-
den. Die älteren Lagen dieses Flusstreibholzes sind mit
Moos und Kraut bewachsen, und auf diese Weise bildet
sich allmählich eine Humusdecke, unter der die Stämme
verschwinden. An den Ufern des Flüsschens spült das
Wasser auf weite Strecken den Sand unter dem neu ge-
bildeten Lande wieder fort, und letzteres sinkt dann in
s
11
82 Reisenachrichten aus Sibirien.
grossen Erdschollen nach. Im Frühjahr tritt der Jenissej
über die Insel '), Iwan hat sogar schon häufig in seiner an
höchster Stelle gelegenen Wohnung mehrere Fuss Wasser
gehabt. Innerhalb der vor der Insel gelegenen Sandbank
können grössere Schiffe nicht ankern, ausserhalb derselben
scheint bei schlechtem Wetter mangelhafter Schutz zu sein.
Ausser Omul, Njelma und Moksun, drei sehr schmackhaften
Fischsorten, fängt Iwan hier in starken Netzen auch Weiss-
wale, aus denen ein ziemlich braun aussehender Thran gekocht
wird, der hier das Pud 34 Rubel werth ist. Das Mittagsessen
bestand ausschliesslich aus Fischen, und zwar Omul in ver-
schiedener Bereitung. Der Omul gilt hier als der feinste Fisch,
er kommt erst im Spätsommer, und wird diese Gattung daher
weniger als Moksun und Njelma nach Jenissejsk versandt.
Am .anderen Morgen wurde die Fahrt stromaufwärts
fortgesetzt, mitunter aufgehalten durch niedrigen Wasser-
stand (bis zu 5 Fuss). Am Abend traf die „Moskau” den
Dampfer „Nikolai”, dessen Rheder der bekannte Sotnikoff
ist. Er hatte eine Barge im Schlepptau. Am Abend wurde
zwischen Inseln geankert. Ein verbannter Pole, mehrere
Samojeden und später auch der Kapitän des „Nikolai”
kamen zu Besuch an Bord. Letzterer theilte mit, dass der
Dampfer „Fraser” und das Segelschiff „Express” in näch-
ster Zeit von Dudinskoje ihre Rückreise stromabwärts antre-
ten würden. Das Segelschiff „Express” hat einen Tiefgang
von 14 Fuss. In der Nacht, wo es bereits ziemlich reifte,
wurde die Dampfbarkasse stromaufwärts nach den dort er-
richteten Niederlagen vorauf gesandt. Einige von der „Mos-
kau” unternahmen einen Jagdausflug auf eine der Inseln.
Das Ergebniss war eine Schnepfe, zwei weisse Schwäne
und einige Enten. Am folgenden Tage wurde die Fahrt
fortgesetzt, jedoch mit Unterbrechungen wegen des niedri-
gen Fahrwassers. Wie ein Boot, welohes den Lootsen
brachte, meldete, hatte die rückkehrende Barkasse wegen
ungünstigen Wetters die Fahrt unterbrechen und wieder
nach den Niederlagen zurückkehren müssen. Abends 9 Uhr
wurde Tolstoi Noss, ein weit vorspringendes, etwa 200 Fuss
hohes Vorgebirge passirt, und bald darauf das als Signal
bei den Niederlagen errichtete Feuer erblickt. Montag den
9. September früh kam der Dampfer „Fraser” mit dem
„Express” bei den Niederlagen an. Beide Schiffe hatten
ihre Getreideladung in Saostrowskoje, 45 Werst unterhalb
Dudinskoje, genommen. Kapitän Nielsen erklärte sich bereit,
die Mannschaft der „Zaritza” auf den beiden Schiffen nach
Norwegen zurückzunehmen. Da das Wetter gut war, so
wurde am anderen Tag die „Moskau’” mit einem Leichter
!) Bei Goltschicha fing der Jenissej an zu treiben: 1877 den
20. Juni n. St. und war am 24. Juni eisfrei; fror am 22. Ootober 1877
zu, brach am 24. October wieder auf, und kam 15. November dauernd
zum Stehen. — 1878 brach das Eis ebenfalls am 20. Juni auf und war
am 23. Juni der Fluss eisfrei.
nach der Strandungsstelle bei den Korsakow-Inseln, 320 Werst
unterhalb, gesandt, um noch einen weiteren Theil der La-
dung zu bergen. Diess wurde am 12. September glücklich
bewerkstelligt, da die Fahrt bis zur Strandungsstelle nur
45 Stunden in Anspruch nahm. Es wurde noch eine Partie
Zucker, Baumöl und Petroleum geborgen. Am 14. früh war
man wieder bei den Niederlagen zurück. Am 16. Abends
konnte die Fahrt stromaufwärts fortgesetzt werden. In der
Niederlassung blieb zur Bewachung während des Winters
eine russische F'amilie aus dem nahe gelegenen Dorfe Tol-
stoi Noss, Erwähnt sei noch, dass auf der zweiten Fahrt
von der Strandungsstelle bis Karaul überall sehr tiefes Fahr-
wasser gefunden wurde, selten unter 60 Fuss.
Während der zwei Tage Aufenthalt in Karaul, dem
Ort der Niederlassung, habe ich mich gehörig in der Tundra
müde gelaufen. Die Gegend ist nicht ganz ohne Reiz, da
Thal und Höhen mit einander abwechseln. Die höher g«
legenen Punkte sind ziemlich kahl, manche der Thäler da-
gegen ganz hübsch grün, mit dichten Birken- und Erlen-
büschen bewachsen, dabei übersieht man von den Höhen
viele höher und niedriger gelegene Seen verschiedener
Grösse mit herrlich blauem Wasser. Enten und Schwäne
hatten hier schaarenweise gebrütet, waren aber bis auf
wenige bereits südwärts gezogen, so dass es nicht viel zu
schiessen gab. Den in dem dichten Gebüsch weilenden
Schneehühnern war ohne Hund auch schwer anzukom-
men, eben so den einzeln vorkommenden Hasenkaninchen;
letztere sollen auch von Geschmack schlecht sein. Etwas
stromabwärts von der Niederlage am Strande liegt die Leiche
eines hier erschlagenen Samojeden. Man nennt einen in
Tolstoi Noss wohnenden Russen als den Mörder. Der Todte
liegt in einem kleinen Holzgebäude, welches etwa 4 Fuss
über und ungefähr eben so viele Fuss unter der Erde er-
richtet ist, und zwar auf einem schrägen Brette in fast
aufrechter Stellung mit Pelzen bekleidet und ganz mit
Fellen bedeckt. Dicht dabei befinden sich alte Reste
einer Samojeden - Niederlassung mit Kirchhof. Stromauf-
wärts unweit der Niederlagen stehen ein paar armselige
Erdhütten, in denen einige aus Russland verbannte Skop-
sen wohnen. Von dieser Secte, die den Bibelspruch:
„Argert dich dein Auge &o.” auf so verabscheuungswerthe
Weise auslegt und bei sich und anderen in Anwendung
bringt, sind viele Mitglieder nach Sibirien verbannt; in
nächster Nähe von Turuchansk befindet sich z. B. ein
grösseres, nur von ihnen bewohntes Dorf „Schwanowskoje”.
Von Karaul ab haben wir noch ein zweites Fahrzeug,
eine mit einigen Fässern gesalzener Fische beladene zwei-
mastige Barge zum Schleppen bekommen. Der Fischfang
ist in diesem Jahre fast überall wenig ergiebig gewesen.
Überhaupt ist der Fluss lange nicht so fischreich, als ich
Reisenachrichten aus Sibirien. 83
nach den früher entworfenen Schilderungen geglaubt habe ').
Trotsdem würde man viel mehr Fische fangen können,
wenn nicht der grösste Theil der am unteren Strome, in
dem fischreichsten Gebiete, lebenden Samojeden und Ju-
raken so entsetzlich faul wäre. So lange solch’ ein Kerl
noch Fische zu essen hat, geht er nicht auf Fang aus
trotz des günstigsten Wetters. Ist der Vorrath zu Ende
und das Wetter zum Fischen zu schlecht, so muss er mit
seiner Familie hungern oder sich das Nöthigste zusammen-
betteln und leihen, Das zerrissene Netz wird nicht etwa
in dieser unfreiwilligen Mussezeit ausgebessert, sondern erst
dann, wenn er bereits im Boote das Land verlässt. Sobald
dann ein glücklicher Zug mit dem Netze gemacht ist, wird
das Fischen wieder eingestellt. Der Wintervorrath ist fast
immer unzureichend und werden die für die Hunde ge
trookneten Fische gewöhnlich von den Besitzern selbst
aufgezehrt. Eben so geht es in jeder anderen Beziehung.
So haben die Renthiere z. B. zwar wenige, aber äusserst
fette und nahrbafte Milch, doch nur die nördlich wohnen-
den Dolganen, überhaupt ein entschieden höher gebildeter
Stamm, melken die Thiere. Die Samojeden dagegen kaufen
von zuweilen durchziehenden Dolganen Milch, aber keinem
fällt es ein, seine eigenen Thiere zu melken. Die hier
wachsenden Beeren, vor Allem die den ganzen Winter hin-
durch haltbare Maroschka, sind eine sehr angenehme Speise
und bei dem häufig vorkommenden Soorbut von wohlthä-
tiger Wirkung. Ausser den Russen verwendet sie aber
Niemand hier.
Am Abend des 16. wurde noch 10 Werst weiter ge-
dampft und die Reise sodann erst am anderen Morgen ziem-
lich langsam bei zeitweiligem Nebel fortgesetzt. Die Tempe-
ratur betrug 8 Uhr Morgens nur +2° C., Mittags +5*,
während wir Abends zuvor noch +8° Wärme gehabt
hatten. Tagr über war das Wetter still bei hoher bedeckter
Luft. Wir fuhren ziemlich dicht am rechten hohen Ufer
entlang, wo wir 5 bis 16 Faden Wasser fanden. 3 Uhr
Mittags bekamen wir in der Nähe der Nikitinsky-Insel die
ersten, allerdings Anfangs nur spärlichen Lärchenbäume zu
sehen. Gegen Abend machte sioh ein recht lebhafter Süd-
wind auf, und ankerten wir um 7 Uhr bei Saostrowskoje,
bei den Niederlagen des Herrn Sibiriakoff, etwa 140 Werst
oberhalb Karaul gelegen, wo Dampfer „Fraser” und „Ex-
press” gelöscht und geladen hatten.
Während Karaul am rechten Ufer liegt, sind die Sibiria-
*) Nach Jenissejek kommen jährlich oa 35 000 Pud gesalzene Fische.
ı Pad Njeima und Ossioter (Stör) mittlerer Preis 3 Rubel, Moksun
100 Stück (jeder Fisch 4 Pfund schwer) 25 Rubel, gesalsene Häringe
pre Pad 1877 = 1 Rubel, 1878 = 3—3} Rubel, geräucherte Häringe
1877 = 5 Rubel, 1878 = 10 Rubel pro Pad, Thran 1877 pro Pad
6 Rubel, 1878 = 8 Rubel. Fischblase_ (jährlich ca 100 Pud) von 40 bis
110 Rubel pro Pad.
koff’schen Niederlagen am linken Ufer erbaut. Der Strand
steigt allmählich an, ungefähr bis zur Hochwasserlinie, dann
geht es 50 bis 60 Fuss steil in die Höhe, noch etwas
höher hinauf auf der Tundra befindet sich der sehr geräu-
mige zweistöckige Schoppen, erst zur Hälfte unter Dach.
Trotzdem es in der letzten Zeit ungewöhnlich wenig ge-
regnet hatte, war die Umgebung, besonders der zum Schop-
pen und dem etwas tiefer gelegenen Hause führende Weg
der reinste Schlamm. Es muss viele Arbeit kosten, die
Waaren vom Flusse aus in den Schoppen, den steilen Weg
hinauf, zu bringen. Ein Theil der vom Dampfer „F'raser”
mitgebrachten Waaren befand sich auf dem Wege nach
Jenissejsk ; der Kosake Sotnikoff hatte mit seinem Dampfer !)
„Nikolai” den Transport übernommen.
Nach Verabredung mit dem Vertreter des Herrn Sibi-
riakoff ergänzte der Dampfer „Moskau” seine Kohlenvor-
räthe aus der Niederlage, zu deren Bewachung während
des Winters ein alter Russe zurückgeblieben war. Am
18. September 4$ Uhr Morgens wurde wiederam Anker
gelichtet. In der Nacht hatte es etwas gefroren; um 8 Uhr
früh zeigte das Thermometer + 1* C. bei ziemlich starkem
Herbstnebel, der aber gegen 10 Uhr verschwand. Gegen
Mittag ankerte die „Moskau” auf 12 Faden Wasser und
schlechtem Ankergrunde bei Dudinskoje, nahe dem Wohnsitze
Sotnikoff’s. Letzterer war mit seinem Dampfer nach Je-
nissejsk unterwegs, an seiner Stelle begrüssten uns jedoch
der Polizeibeamte und der Pope. Die Wohnung Sotnikofl’s
macht einen recht freundlichen Eindruck; es ist ein statt-
liches Haus mit vielen Fenstern und einem zweistöckigen
thurmartigen Anbau mit zwei tiber einander liegenden Bal-
oons. Das Dach ist von Holz und grün angestrichen,
Fenster und Fensterläden sind mit allerdings nur einfacher
Schnitzerei verziert und blau und weiss bemalt; vor jedem
Fenster standen Blumen in Töpfen. Neben dem Hause
ist ein grosser Hof mit Schoppen für Pferde, Schlitten &c.
Nicht weit davon lag ein Haufen Kohlen und Kupfererze
aus den Norilbergen, welche sich etwa 130 Werst land-
einwärts von Dudinskoje, an der Dudinka, einem zur Sommer-
') Auf dem Jenissej fahren 4 hölzerne Baddampfer, Eigenthum
verschiedener Kaufleute:
Dampfer „Jenisse)”, 60 Pferdekraft, 1862 gebaut,
„ „Nicolai’”, 50 Pferdekraft, 1870 gebaut,
» Alexander”, 35 (?) Pferdekraft, 1874 gebaut,
" „Opit” (Versach), 20 Pferdekraft, 1863 gebaut,
welche Bargen von 4000 bis 15 000 Pad schleppen.
5 Segler, die stromauf zeitweilig von Pferden geschleppt werden :
1 & 2500 Pud, 1 & 2000 Pud und 3 & 800 Pad.
8 Böte (Iimeky, nach der Stadt Ilimsk am Ilm, einem Neben-
flusse der Angara, benannt), die 300 und 400 Pad gross sind, und vos
denen 4 zwischen Turuchansk und des stromab liegenden Dörfern den
Verkehr vermitteln.
Ausserdem einige Barken (plumpe 5- oder Gockige Kasten mit
plattem Boden, in denen Mebl stromab geführt wird, und die an ihrem
Bestimmungsplstse su Bau- oder Brenahols verwandt werden.
11°
84 Reisenachrichten aus Sibirien.
zeit nicht sehr bedeutenden Nebenflusse des Jenissej, er-
heben. Es scheinen Braunkohlen zu sein; die von uns
gesehenen Kupfererze sind Schieferstücke, schwach grün
angelaufen, leicht und nur von geringem Metallgehalt.
Ausser Sotnikoff, dem Popen und Polizeibeamten giebt es
nur noch wenige Einwohner in Dudinskoje. Die Kirche, eine
kleine Kapelle, bietet nichts Erwähnenswerthes; vier Glocken
verschiedener Grösse hängen neben derselben an einem
Holzgerüste. Der Kirchhof schien wenig gepflegt, und sahen
die paar Gräber recht verfallen aus. In Folge grösserer
Concurrenz waren die Schnapspreise von 1 Rubel für die
Flasche auf 50 Kopeken herabgesetzt; unsere Arbeiter ver-
säumten daher nicht, sich reichlich damit zu bedenken.
Abends 7 Uhr fuhren wir weiter und ankerten nach
2Stunden Fahrt beim Gribowkaflus. Am 19. früh 4 Uhr
setzten wir die Fahrt fort und zwar bis 8 Uhr Abends,
wo wir bei dem Dorfe Lipatnikowskoje ankerten. Wir ver-
sorgten uns hier mit Holz. Die Temperatur war Mittags
+10° C., und legte das Schiff 140 Werst zurück. Am
folgenden Tage, dem 20., wurden 145 Werst bei gutem
Segelwinde zurückgelegt und bei Igarskoje Abends gean-
kert. Am 21. Abends war das Dorf Jermakowskoje erreicht.
Am 22. konnte wegen Nebels die Fahrt erst um 11 Uhr
fortgesetzt werden. Später wurde der Dampfer „Nikolai”
mit Sotnikoff an Bord überholt. Letzterer stattete den
Herren an Bord der „Moskau” mit seiner Dampfbarkasse
einen Besuch ab. Abends 83 Uhr warf die „Moskau’” etwas
nördlich von der Kureika-Mündung Anker. Am 23, Mor-
gens versorgte sich die „Moskau” oberhalb des Dorfes
Garoschinskoje mit Holz. Der Preis desselben beträgt
hier etwa 150 Kopeken per Faden (diese Summe re-
präsentirt; nur den Arbeitslohn, da das Holz selbst Nichts
kostet; 1 Faden ist 7 engl. Fuss lang, eben so hoch und
2 engl. F., die Länge der einzelnen Scheite, breit). In der
Nähe lag der Dampfer „Themse”, welchen Kapt. Wiggins
aus England hierher geführt hatte. Das Schiff, etwa 100 F,
lang und 24 F. breit, war beim Eisgang im Frühjahr 1877
beschädigt worden, und nachdem es reparirt, bei dem Dorfe
Igarskoje gestrandet. In diesem Zustande kauften es drei
Jenissejsker Kaufleute und brachten es in diesem Frühjahr
in eine geschützte Bucht. Der Proviantvorrath wurde durch
eine in dem nahen Dorfe gekaufte Kulı ergänzt, und zwar
_ zu dem für diese Gegend, wo das Vieh schlecht fortkommt,
billigen Preise von 18 Rubel. Wenn freilich die Leute
hier nur ordentliche Ställe bauen und das im Sommer
massenhaft vorhandene Futter in genügender Menge für
den Winter einsammeln wollten, würde das Vieh schon
noch fortkommen; allein trotz des Reichthums an Holz
sorgen die Menschen hier nicht einmal genügend für ihre
eigenen Behausungen. Was die Thiere hier vertragen kön-
nen, beweist das in Karaul herumlaufende Pferd, welches
in dieser hohen Breite, 70° N, ohne Stall und Futter, den
Winter verbracht hat, zum Ziehen und Tragen aber frei-
lich nicht mehr zu gebrauchen war.
Am Mittag wurde die Fahrt bei stellenweis sehr nie-
drigem Wasser fortgesetzt. Um 5 Uhr Abends gerieth
die „Moskau” sanft an Grund, trieb aber glücklicherweise
bald wieder ab. Abends 7% Uhr ankerte das Schiff auf
steinigem Grunde bei 17 F. Wasser. Das Bett des Jenissej
ist, besonders oberhalb Karaul, fast überall steinig; der
Fluss selbst scheint sehr wenig Sand mit sich zu führen.
Die vorhandenen Sandbänke sind theils Verlängerungen von
Inseln, oder vom Ufer abgespülter Boden, theils werden
dieselben durch die in den Jenissej fliessenden Nebenflüsse
gebildet, von denen manche sehr viel Sand mit sich brin-
gen und je nach ihrer Grösse und Wassermenge denselben
mehr oder weniger weit in den Strom des Hauptflusses
hineinschwemmen.
Am 24. September setzten wir Morgens 44 Uhr unsere
Reise fort. Wir hatten Tags über frischen SO und OSO
bei bewölkter Luft, Abends Regen. Wir passirten Turu-
chansk, den ersten grösseren Platz am Jenissej, gleichzeitig
die nördlichste Poststation. Dasselbe liegt auf einer durch
zwei Arme des Flusses gebildeten Insel, jetzt weit vom
Fahrwasser entfernt. Im Frühjahr wird fast die ganze
Insel und häufig der Ort selbst überschwemmt und ist das
Klima daher ungesund und feucht bei sehr schlechtem
Trinkwasser im Sommer. Der Ort wird von etwa 200 Men-
schen bewohnt, die grösstentheils im Sommer weiter strom-
abwärts mit Fischen beschäftigt sind. Hier hatten die Rei-
senden die grössere Hälfte ihrer Flussreise bis Jenissejsk
hinter sich, mussten sich aber sagen, dass die noch bevor-
stehende Reise wegen der kürzeren Tage und der stellen-
weis stärkeren Strömung muthmasslich reichlich so viel Zeit
wie die erste Hälfte in Anspruch nehmen würde. Am 24.
Abends ankerte die „Moskau” in der Nähe des Troitzkoi-
Klosters, letzterem konnte jedoch kein Besuch atbgestattet
werden, weil dazu keine Zeit war. Am 25. klärte sich das
Wetter gegen Mittag wieder auf. Die Fahrt ging längs
des Ostufers, oft nahe an dasselbe heran. Einzelne kahle
Felsenstellen unterbrechen den dichten Tannen- und Lär-
chenwald, der schon recht stattliche schlanke Stämme zeigt.
Abends 6% Uhr ankerten wir 6 Meilen südlich vom Dorfe
Suchotunguskoje, wo wir 11 Faden Holz einnahmen.
Obgleich es bereits dunkel war, machte ich noch einen
kurzen Spaziergang in den Wald. Weit konnte ich über-
haupt nicht eindringen, da das Gehen ungemein besohwer-
lich in demselben war; zwischen den umgefallenen und
vermoderten Holzstämmen sank und brach ich oft 3 bis
4 Fuss tief ein, während die dicht in einander fassenden
Reisenachrichten aus Sibirien. 85
Zweige der noch aufrecht stehenden Bäume, um vorwärts
zu kommen, mit Mühe zur Seite gebogen und gebrochen
werden mussten. Die Nacht war sehr schön und gewährte
das Ufer, an welchem die Leute, um beim Heruntertragen
des Holzes nicht zu fallen, mehrere grosse Feuer angezün-
det hatten, einen hübschen Anblick. Am 26. hatten wir
Nachmittags frische Brise aus NNW mit Regen und den
ersten Schnee; Abends wurde das Wetter wieder gut,
Nachts war herrlicher Sternenhimmel und etwas Frost;
um 7 Uhr Abends ankerten wir nach 90 Werst Fahrt beim
Dorfe Baklanowskoje auf 4 Faden Wasser und sandigem
Boden. Am 27. hatten wir kalten steifen Nordwind und
hohe bedeckte Luft und kamen, da wir Segel beisetzen
konnten, gut vorwärts. Um 8 Uhr Morgens ankerten wir beim
Dorfe Wereschags, und am Abend 6 Uhr bei Swerja-
nowo.
Das Holzladen wurde, um Zeit zu sparen, möglichst nur
Abends und Nachts vorgenommen. Die russischen Arbeiter
können den ganzen Tag über schlafen und fällt ihnen die
paar Stunden Nachtarbeit nicht schwer. Ich bekomme
leider auf diese Weise weniger von Land und Leuten zu
sehen. Die Dörfer bieten übrigens alle ungefähr dasselbe,
nur, dass die Niederlassungen weiter nach Süden mehr
Bewohner haben und die Kirchen stattlicher werden. Feste
Niederlassungen von Samojeden, Juraken &c. giebt es am
Ufer des Jenissej wenige, während man am Ob viele Dörfer
der Ostjaken &c. antrifft. Die hier lebenden Völker ziehen
mit ihren Heerden mehr umher, um diese Jahreszeit sind
die meisten bereits in den dichten Wäldern, stromauf an
den Nebenflüssen des Jenissej.
Die höchste Temperatur am 27. war Mittags 12 Uhr
+32° C. Tags darauf, am 28., hatten wir Mittags auch
nur 4° C., das Wetter war aber angenehmer, da fast gar
kein Wind herrschte. 6 Uhr Abends ankerten wir bei
Werchneinbatskoje, einem grösseren Kirchdorfe. Unser dor-
tiger Holzlieferant Koschewnikoff ist einer der wohlhabend-
sten Leute in dieser Gegend und bewohnt ein grosses zwei-
stöckiges Haus. In der oberen Etage nimmt die ganze
Front desselben das beste Zimmer ein, in welchem wir
beim Scheine dreier Talgliohter, die den weiten niederen
Raum nur dürftig erhellten, auf das Zuvrorkommendste be-
wirtbet wurden, ausser dem üblichen Thee mit Gebäck,
allerlei Imbiss, Sardinen in Öl, einem ganzen gekochten
Schinken, verschiedenen Schnäpsen, Madeira, Haut-Sauter-
nes &c. Ein grosser Mahagoni-Schreibtisch, eine Spieluhr
and andere in dieser Gegend nicht vermuthete Luxus
gegenstände, dazu eine ganze Reihe höchst unbequemer
Stähle waren immerhin noch nicht hinreichend, den grossen
Raum genügend zu möbliren. Der grosse russische Ofen
in der Stube verbreitete eine wahre Treibhaushitze und
machte den Aufenthalt in derselben auf die Dauer unleid-
lich, Die Russen können im Allgemeinen viel Hitze ver-
tragen. So kommen unser Lootse und der Kapitän des von
uns geschleppten Fahrzeuges selbst bei dem schönsten Wet-
ter gar nicht aus ihren Pelzen heraus.
Nach weiterer zweitägiger Fahrt war endlich bei dich-
tem Schneefall am 1. October 54 Uhr Abends die Mündung
der felsigen (steinigen) Tunguska erreicht. Die drei Tun-
gusken sind die bedeutendsten Nebenflüsse des Jenissej.
Der grösste derselben, die obere Tunguska, meist Angara
genannt, mündet etwa 100 Werst oberhalb der Stadt Je-
nissejsk. Die untere Tunguskr. fliesst unweit Turuchansk in
den Jenissej, ist ebenfalls ein sehr weit schiffbarer Fluss,
der nach Osten in’s Lena-Gebiet hineinreicht, und wird
eine Verbindung zwischen Jenissej und Lena vermittelst
dieses Flusses für ausführbar gehalten. Die mittlere, wegen
ihres steinigen Flussbettes und Ufers die steinige Tunguska
genannt, ist die kleinste von den dreien, aber immerhin
ein recht respeotabler Fluss mit breiter, sehr tiefer Mün-
dung. An seinem rechten Ufer beim Einfluss in den Je-
nisse) liegt ein nach ihm genanntes Dorf. Am linken Ufer
wurde nach Steinkohlen gesucht, die dort lagern sollten,
indess vergeblich. Sieben Werst in’s Land hinein sollen
reiche Kohlenlager sich befinden. Von der Höhe des Ufers
hatten wir eine hübsche Aussicht über die beiden breiten
Flüsse, deren dunkles Wasser sich scharf von dem schnee-
bedeckten, weissen Ufer abhob, Tannen und Kiefern waren
zart vom Schnee überzuckert und glänzten im Scheine der
am Ufer angezündeten Feuer. Mitten im Dorfe standen
drei Kinder, dürftig bekleidet, mit nackten Füssen im
Schnee um einen Topf mit Fischen. Im Dorfe versorgte
man sich mit Kartoffeln und sogenannten Rettigen.
Am 2. October Morgens 5 Uhr wurde die Fahrt in
Begleitung von zwei Lootsen aus dem Dorfe Podkamennoi
Tunguskoje bei gutem ruhigem Wetter fortgesetzt. Das
Fahrwasser war stellenweis seicht und hatte fast überall eine
sehr starke Strömung, da das Flussbett durch hohe, felsige
Inseln, die mit dichten Bäumen bewachsen sind, sehr be-
engt wird. Die Ufer sind ebenfalls hoch und schroff ab-
fallend, mit schönem Walde von Birken, Tannen und (Ce
dern (Pinus Cembra) bedeckt. Ich bemerkte hier die ersten
Fichten mit ihren röthlichen Stämmen. Der Fluss macht
viele kurze starke Biegungen und bietet die Gegend hübsche
Punkte. Um 4 Uhr Nachmittags gerieth erst der Leich-
ter, der etwas tiefer als die „Moskau” geht, an Grund,
und warf die sehr heftige Strömung gleich darauf auch
unseren Dampfer auf eine aus kleinen Steinen bestehende
Bank. Die Strömung war so stark, dass sie das Kies
geröll am Boden in fortwährende Bewegung setzte. Wir
brachten sofort zwei Anker aus und versuchten den Dam-
86 Reisenachrichten aus Sibirien.
pfer durch Winden auf denselben und Arbeiten der Ma-
schine abzubringen. Da es indess nicht möglich war, das
. festliegende Vordertheil gegen den Strom zu drehen, indem
die Anker nicht festhielten, begannen wir eiligst Proviant
und Kohlen aus den Bunkern an Land zu schaffen, womit
wir bis 8 Uhr Abends fortfuhren. Nachts liessen wir, um
den Dampfer so leicht als möglich zu machen, auch das
Wasser aus dem Kessel und schafften am 3. Morgens noch
ein Boot mit dem Rest des schwer wiegenden Proviants
an Land. Trotzdem bekamen wir durch Winden auf den
Ankern das Schiff nicht frei. Die Strömung war noch hef-
tiger als Tags zuvor, da ein ziemlich starker, unangenehm
kalter Südwind den Fluss hinunter blies. Der Kessel wurde
wieder mit Wasser gefüllt und geheizt und aus dem Walde
ein paar Bäume geholt, um das Schiff abzubäumen. Es
gelang uns denn auch, mit denselben das Vordertheil so zu
drehen, dass der Strom, der von Backbordseite kommend,
das Schiff auf die Bank geworfen und festgehalten hatte,
jetzt den Vordertheil der Steuerbordseite fasste und unter
gleichzeitigen Vorwärtsarbeiten der Maschine, das Schiff mit
grosser Schnelligkeit, vom Ufer ab, weiter in den Strom
in tieferes Wasser warf. Mittags 13 Uhr lagen wir un-
beschädigt vor Anker.
Nachdem noch einige neue Schwierigkeiten glücklich
überwunden, wurde am 4. Morgens zunächst das eine der
bisher geschleppten Fahrzeuge bis zur nächsten Holzstation,
Osinowa, geführt. Diese kurze Strecke von 7 Werst gilt
für die gefährlichste auf dem ganzen Jenissej bis zur Stadt
Jenissejsk. Der Fluss hat hier ein starkes Gefälle, und ist
sein Bett sehr felsig. Bei dem jetzigen niedrigen Wasserstande
ragen mehrere Reihen Felsen aus dem Wasser etwas hervor
und bilden heftige Stromschnellen. Mit einiger Vorsicht
ist die Stelle indess ganz gut zu passiren. Wir liessen die
Barkasse voranfahren und lothen;; das niedrigste war 10 Fuss
Wasser, überall sehr unebener Grund, in ganz kurzen Ent-
fernungen 5—6 Fuss Differenz in der Tiefe. Trotzdem
wir nur ein Schiff zu schleppen hatten und mit vollem
Dampf gingen, kamen wir nur langsam vom Fleck und
gebrauchten auf den kurzen Weg gute 2 Stunden. Zurück
kamen wir in etwa 20 Minuten. Erst am 5. Abends war
der zurückgelassene Leichter wieder flott und beladen. Am
Lande, das hier mit Wald bedeckt war, lagen mächtige
Stämme kreuz und quer durcheinander; besonders auffällig
waren die gleichmässig gewachsenen schlanken Birken, die,
ohne Äste anzusetzen, 40—50 Fuss hohe Stämme bildeten.
Auf der etwa 40 Werst langen Strecke zwischen ÖOsi-
nowa und Worogowa, einem auf einer Insel nahe dem
linken Ufer gelegenen Kirchdorfe, welches am 7. October
Morgens erreicht wurde, soll die Zahl der grösseren und
kleineren Inseln im Flusse gegen 80 betragen, die fast
alle schön bewachsen und von Enten und Schwänen belebt
. waren. Der Jenissej, welcher allmählich schmäler gewor-
den und seit einer Reihe von Tagen sich uns als ein, wenn
auch immerhin noch respectabler Fluss von 4—7 Werst
Breite gezeigt hatte, also doch zu übersehen war, nimmt
hier wieder oolossale Dimensionen an. Die hohen Ufer
verschwinden dem Auge in blauer Ferne und soll die Breite
des Flusses an einzelnen Stellen über 20 Werst betragen.
Die ganze Gegend ist selbst den Anwohnern noch sehr
unbekannt, kein Mensch kennt die Zahl der Inseln, trotz-
dem dass einzelne von nicht geringer Ausdehnung sind.
Unsere Karte, die unterhalb Turuchansk recht gut war,
von dort weiter stromauf aber ungenau und mangelhaft
wurde, hat hier nicht die geringste Ähnlichkeit mit der
Gegend und ist das reinste Phantasiegemälde.
Worogowa hat eine hübsche, weit stromauf sichtbare
Kirche mit vier Kuppeln. Ihr stattlicher Bau steht in
schroffem Gegensatz zu den ärmlichen Holzhäusern der
Einwohner, die indess einen zahlreichen Viehstand besitzen.
Am Abend ankerte die „Moskau” bei dem am linken Ufer
mündenden Worogowkaflusse. Am 9. Vormittags wurde die
sogenannte Säule passirt, ein am rechten Ufer steil abfal-
lender Kalkfelsen, und gegen Mittag die flache, sandbank-
reiche Mündung des Flusses Sym (westliches Ufer). Das
Wetter war den ganzen Tag über bei südlichem Winde
angenehm. Hierbei sei des Projectes erwähnt, mittelst das
Sym nach dem Tym einen Kanal und somit, da der Tym
in den Ob mündet, eine Wasserverbindung zwischen Ob
und Jenissej herzustellen. Am 9. Nachmittags ankerte die
„Moskau” 7 Werst unterhalb Jarzewskoje, wo 37 Faden
Holz eingenommen wurden. Fast auf unserer ganzen Tour
haben wir Birkenholz zum Brennen erhalten, welches hier
allgemein für ein besseres Brennmaterial gilt, als die hier
wachsenden Nadelhölzer. Wenn trocken, brennt das Birken-
holz sehr gut, nicht zu rasch und giebt viel Hitze Es
wird hier im Frühjahr gefällt, so dass es den Sommer
austrocknet, manchmal bekommt man auch schon mehrere
Jahre altes Holz.
Mittags des 10. wurde das Dorf Serebrennikowa pas-
sirt. Hier und weiter oberhalb noch an einigen Stellen
tritt der sonst weiter landeinwärts sich erstreckende Höhen-
zug des rechten Ufers dicht an den Fluss heran, auf 5 bis
600 Fuss Höhe ziemlich steil abfallend und mit herrlichem
Tannenwald, auch mit einzelnen weissstämmigen Birken
bewachsen. Eine grössere Insel theilt dann den Fluss in
zwei ungefähr gleich breite Arme. Wir wählten den Weg
am rechten Ufer, wo überall gutes Fahrwasser ist. In den
linken Flussarm, in welchem sich ziemlich viele Sandbänke
befinden, mündet der Kas, welcher in diesem Jahre auf eine
etwa herzustellende Verbindung mit dem Ket, Nebenfluss
Reisenachrichten aus Sibirien. 87
des Ob, untersucht wurde !). Bei Nischnaja Schadrina ver-
einigen sich beide Arme wieder. Am 11. October Abends
gelangte man bis 5 Werst unterhalb des Dorfes Nasimowa.
Temperatur Morgens 5 Uhr —1,5°, Nachmittags 4 Uhr
+2° C. Unweit Nasimowa mündet am rechten Ufer der
Tis. An den Zuflüssen desselben befinden sich mehrere er-
giebige Goldwäschereien, und gegenüber dem Dorfe liegen
die Proviantniederlagen verschiedener Gesellschaften, welche
sich mit diesem riskanten und grosse Auslagen erfordern-
den Betriebe beschäftigen. Im Ganzen werden gegen
15000 Menschen in den Goldwäschereien des Jenissejsk’-
schen Gouvernements verwendet.
Am 14. October Mittags wurde der für den Dampfer
bestimmte Winterhafen im Tschornaflusse, der in einen
seichten, jetzt nicht einmal für die Barkasse zugänglichen
Arm des Jenissej am rechten Ufer mündet, erreicht. Auch
die am 15. Morgens erreichte Mündung eines kleinen Zu-
flusses des Jenissej, welcher die Winterlage des nach die-
sem Strom genannten Dampfers bildet, war vollständig ver-
sandet. Der Dampfer bleibt bis zum Hochwasser des Früh-
jahrs im Jenissej liegen und treibt beim Eintritt desselben,
so zu sagen von selbst, in den kleinen Fluss, die Tscher-
menka. Das Eis des Jenissej ist um diese Zeit noch nicht
aufgebrochen, das Wasser steigt inzwischen mehr und mehr
und #ährt mit ihm der Dampfer bis 5 Werst stromauf in
den kleinen Fluss, wohin das Eis des Jenissej nicht kom-
men kann. Es finden hier oberhalb zwei Eisgänge Statt.
Nachdem das Jenissej-Eis vorüber ist, bricht etwa acht Tage
später die Angara auf. Ist auch das Eis aus derselben
vorbeigetrieben, so beginnt der Fluss, der bei der Stadt
Jenissejsk ungefähr 30 Fuss gestiegen war, oft ziemlich
rasch zu fallen. Als Winterhäfen müssen die Schiffe Flüsse
wählen, die im Herbste fast ganz ausgetrocknet sind, da
etwas grössere Flüsse selbst zu viel Eis herunterführen,
welchem, da es eher als das Eis des Jenissej kommt, die
in Letzterem eingefrorenen Schiffe nicht würden auswei-
chen können. Während des F'rostes, bis Mitte December,
steigt das Wasser, welches jetzt noch fortwährend fällt, in
einigen der Flüsse um mehrere Fuss. Da dieselben ausser-
dem gewöhnlich oberhalb der Mündung durch kleine Seen
1) Die am 3. December 1878 ausgegebene Iswestija der Kaiserl.
Russ. Geogr. Gesellschaft in St. Petersburg bringen einen vorläufigen
Bericht des Baron Aminow, welcher mit dem Studenten Portzel die
Untersuchungen an Ort und Stelle vornimmt. Für die Herstellung des
Kanals wären die Flüsse Ket, Asernoi, Lomowatoi, der Kleine und der
Grosse Kas, und der Kas-Seoe zu benutzen. Die Wasserscheide zwi-
schen Ob und Jenissej ist ein Sumpf, durch den der Kanal zu graben
wäre. Die Flüsse Jasewoi und Kleine Kas (obere Hälfte) bieten wegen
ihrer Krümmungen und der Enge ihres Flussbettes besondere Schwie-
rigkeiten. Zur Zeit des Hochwassers im Frühjahr, während welcher
die Voruntersuchung Statt fand, wurde der Wasserstand in allen unter-
suchten Flüssen auf mindestens 5 engl. F. festgestellt. Die Nivellirung
sollte von beiden Seiten aus durch je zwei Topographen in Angriff
genommen und bis zum October beendet werden.
fliessen und tiefer sind als an ihren Einflüssen in den Jenissej,
die häufig durch Sandbänke gesperrt sind, so führen diese
jetzt unbedeutend erscheinenden Flüsse zum Theil ganz
stattliche Eismassen im Frühjabr mit sich. Nachdem der
Eisgang vorüber ist, müssen die Führer der Schiffe wohl
darauf achten, dass sie aus den dann häufig schnell fallen-
den Flüsschen wieder rechtzeitig in den Strom hinaus ge-
langen. In diesem Sommer und Herbst sind die Flüsse
ganz besonders wasserarn. Herr Boiling (ein Helgoländer,
der schon seit langen Jahren in Jenissejsk lebt) meint, den
Jenissej nie so niedrig gesehen zu haben. Etwas stromauf
von der Tschermenka, die am rechten Ufer mündet, be-
findet sich am linken der Winterhafen des Sotnikoff’schen
Dampfers „Nikolai”, der noch nicht stromauf bis Jenissejsk
gekommen ist. Derselbe liegt ebenfalls bis zum Hochwas-
ser, durch eine kleine Landzunge geschützt, im Jenissej,
und zieht sich dann vor dem Eise in ein auf der Karte
nicht benanntes Flüsschen zurück, welches jetzt ganz trocken
zu sein scheint, wenigstens lag vor der Mündung desselben
mehrere Fuss hoher Sand. Das Wetter war recht unan-
genehm, dichte Massen feinen Schnee’s fielen ununter-
brochen, dabei wehte ein kalter südlicher Gegenwind.
Unweit der Stadt Jenissejsk hörte es gegen Nachmittag
auf zu schneien. An dem bereits ganz winterlich ausse-
henden Ufer erschienen die elf Kirchen der Stadt, die mit
ihren vielen goldverzierten Kuppeln sich recht stattlich aus-
nahmen. Um 4 Uhr warfen wir nahe dem Ufer, an welchem
eine grosse Menge Menschen auf das melodische Pfeifen der
„Moskau” zusammengeströmt war, Anker. Da die Stadt keine
Boote zu Wasser besitzt, so konnte auch Niemand von den
Neugierigen zu uns herüber. Der erste, den wir am Lande
begrüssten, war unser Landsmann Boiling, ein mittelgrosser
alter Herr mit gelblich grauem langem Vollbart und Haupt-
haar, kleinem Filzhut mit schmalem Rande auf dem Kopf und
bekleidet mit einer grautuchenen, mit weissem Schaffell ver-
brämten und mit Eisbärfell unterfütterten kurzen Jacke.
Man sieht dem Manne, der geistig und körperlich frisch und
rege, nicht an, dass er bereits nahe den Siebenzigen ist.
Unsere Hauptsorge ist nunmehr, die Schiffe nach Ent-
löschung des Leichters in ein gutes Winterquartier zu
bringen; wir machten daher gestern mit Boiling per Bar-
kasse eine F'ahrt 8 Werst stromauf. Wir hatten noch den
kalten Südwind mit abwechselnden Schneeschauern. Am
rechten kälteren Flussufer setzte sich bereits aus den ober-
halb mündenden Flüssen kommendes Eis fest, auch einige
grössere Schollen trieben in der Mitte des Stromes. Am
Ufer standen im Schnee grosse Heerden Pferde, die aus
den Wäschereien gekommen waren, um in Jenissejsk und
den umliegenden Dörfern für den Winter untergebracht zu
werden. Da dieselben den 260 Werst weiten Weg fast ohne
88 Reisenachrichten aus Sibirien.
Futter und Aufenthalt hatten zurücklegen müssen, so scharr-
ten sie jetzt hungrig im tiefen Schnee nach Futter.
Der besuchte Fluss, dessen Mündung wegen zu flachen
Wassers nicht per Barkasse zu erreichen war, schien uns
für einen Winteraufenthalt weniger geeignet, als die 40 Werst
unterhalb Jenissejsk gelegenen Tschorna.. Am Abend schlug
das Wetter um und hatten wir am 17. Thauwetter mit
Westwind. Der Leichter wurde nahe an’s Ufer gebracht
und mit Löschen begonnen. Mittags hatten wir +7° C,,
blauen Himmel und Sonnenschein.
Die Kaufleute in Jenissejsk haben bis jetzt für die
ihnen aus dieser neuen Verbindung erwachsenden Vortheile
äusserst wenig Verständniss, glauben sich im Gegentheil
durch eine neue Concurrenz bedroht, und zeigen daher
wenig Entgegenkommen. Der Handel hier wird hauptsäch-
lich durch die Goldwäschereien bedingt, die meisten Kauf-
leute sind Eigenthümer von solchen oder haben Antheile
darin. Die 12—15000 beim Waschen beschäftigten Ar-
beiter und mehrere tausend Pferde consumiren ganz Er-
kleckliches an Mehl, Hafer !) &o., und werden überhaupt von
hier aus mit allem Nöthigen versehen. Dabei sind viele
Wäschereien auch jetzt noch recht lohnend. Einer der Wä-
scher soll z. B. dieses Jahr 40 Pud Gold, im Werthe von
800000 Rubeln erhalten haben, wovon etwa 50 Procent
für Kosten abgehen, also ein ganz hübscher Verdienst für
den Mann, wenn auch nicht Alles für seine alleinige Rechnung
geht. Ausserdem macht er noch gute Geschäfte mit Lieferun-
gen von Proviant für viele der unbemittelten Goldwäscher.
Hier in der Stadt, die bei 6000 Einwohner 157 Schen-
ken zählt, sind vier kleinere Schnapsfabriken. Den Haupt-
nutzen aus diesem vortheilhaften Geschäft. zieht ein ange-
sehener Kaufmanı, der die einzige Brennerei und eine bedeu-
tende Schnapsfabrik oberhalb der Stadt, ebenfalls einen
Dampfer und Goldwäschereien besitzt und für den reich-
sten Mann in Jenissejsk gilt. Der Handel mit den unter-
halb der Stadt gelegenen weiten Länderstrecken ist ohne
Zweifel recht lohnend, aber wegen der geringen Bevölke-
rung dort nicht sehr umfangreich. Mehl, Zucker, Thee,
Tabak und vor Allem Schnaps werden dort gegen Pelz-
werke und Fische ausgetauscht. Von Fischen kommen, wie
ich erfahren habe, in guten Jahren an 40000 Pud hierher,
das Pud durchschnittlich höchstens 8 Rubel werth. An
dem unteren Jenissej soll der Fang sehr durch die massen-
haft vorkommenden gefrässigen Weisswale leiden.
In den nächsten Tagen fuhr die „Moskau” nach ihrem
Winterquartier unweit der Mündung der Angara, die hier
1) Die ersten Gersten-, Hafer- und Roggenfelder wurden gegenüber
dem Dorf Ponomarewa auf etwa 60° N. Br. bemerkt. Die natürliche
Grenze des Getreidebaus liegt weiter nördlich, wird aber nur deshalb
hier nicht eultivirt, weil Getreide vom Süden her zu billigeren Preisen
bezogen wird.
breiter und wasserreicher ist als der Jenissej selbst. Die
Flussufer der Angara sind hoch, steinig und mit Wald be-
wachsen. Durch die von den beiden Flüssen gebildete
Halbinsel fliesst ein ziemlich seichter, sich mehrfach bie-
gender Arm des Jenissej; an demselben liegen zwei Dör-
fer, Strjelka und Konowschina, dicht neben einander. Bei
dem letztgenannten mündet ein in jetziger Jahreszeit aus-
getrookneter Arm der Angara, das Dorf nach der einen
Seite umfassend, und eine ebenfalls jetzt fast trockene
grabenartige Vertiefung, die an derselben Stelle in den
Jenissej-Arm mündet, aber an der entgegengesetzten Seite
des Dorfes sich hinzieht. In diese muss die „Moskau’ bei
steigendem Wasser im Frühjahr vor dem Aufbrechen des
Eises gebracht werden. Das Land zwischen dem Graben
und dem Jenissej-Arme ist so hoch, dass das durch diesen
treibende Eis nicht darüber kommen kann. Der jetzt keine
Strömung zeigende Jenissej-Arm war bereits gefroren, aber
so dünn, dass wir Abends noch ohne Mühe hindurch kamen
und den Dampfer auf 5 Fuss Wasser, nahe dem Eingange
des Grabens, vor Anker brachten. Am nächsten Tage fror
es ziemlich stark und hätte einen Tag später das Durch-
eisen schon ziemliche Arbeit erfordert. Die Boote wurden
an Land gebracht, der Dampfer abgetakelt, die Maschinen-
theile so weit wie nöthig abgeschraubt &c.
Ich machte während der Zeit einen grösseren Streifzug
in die Gegend. Am 22. Mittags 11 Uhr fuhren wir
im Schlitten nach Strjelka, dann mit einem kleinen Boote,
zum Theil durch Eis über den Jenissej zu dessem linken
Ufer, wo uns ein offener dreispänniger Schlitten erwartete.
Mit diesem ging es durch Dick und Dünn, durch Wälder
und ausgetrocknete Flussbetten nach Ustj Tunguskoje, einem
grösseren Kirchdorfe, wo die die Angara stromab kommen-
den Waaren, besonders ein Theil des Kiachta-Thee’s aus-
geladen und per Fuhre weiter verladen werden. Wir
mussten hier und an noch zwei anderen Poststationen um-
steigen und gelangten Abends 11 Uhr wieder nach Jenis-
sejsk. Die Fahrt war ganz angenehm. Anfangs hatten wir
leichten Schneefall, nachher den schönsten Sternenhimmel
und ruhiges mässiges Frostwetter, höchstens —6 Grad,
bei welcher Temperatur man im Schlitten beinahe trans-
spirirt.
Das Leben hier in Jenissejsk ist höchst einförmig, Un-
terhaltungen giebt es fast gar nicht. Wir sitzen daher
jeden Abend gewöhnlich in unserer sehr geräumigen, wenn
auch nicht eben gemüthlichen Wohnung ; Sopha und Stühle,
letztere in grosser Menge vorhanden, scheinen mit wahrer
Virtuosität möglichst unbequem construirt zu sein. In un-
serer grössten Stube, eigentlich zwei, durch einen bogen-
förmigen Durchgang verbundene Räume, sind nicht weniger
‚als acht Fachfenster nach drei verschiedenen Seiten ge
Die peruanischen Expeditionen zur Erforschung des oberen Amazonenstroms und seiner Nebenflüsse.
legen, natürlich ohne Rouleaux und Gardinen, glücklicher-
weise mit dreifachen Scheiben versehen, wie hier zu Lande
üblich. Im Übrigen ist das Haus gut gebaut, und ver-
breitet der coolossale Ofen eine gleichmässige angenehme
Wärme. Die Schiffswerft von Boiling, dem der Verfasser
einen Besuch abstattete, liegt 30 Fuss über dem Wasser-
spiegel des Flusses in dem vor seinem Hause befindlichen
Hofe. Der Kiel eines grösseren Fahrzeuges, 80 Fuss lang
und aus einem Stücke, war sein grösster Stolz, ausserdem
die von ihm angewandte Methode, die Planken nicht zu
biegen, sondern in ihrer späteren Form gleich aus dem
Balken zu sägen. Er bekommt so aus den dicksten Bäu-
89
men nur zwei Bohlen; da ihm jedoch, wie jedem Anderen
hier zu Lande das Holz Nichts kostet, so kann er sich den
Luxus schon erlauben. Ich fürchte nur, dass diese so ge-
sägten Planken, bei denen tiberall die Faser zerschnitten
ist, leicht absplittern werden.
Der Verfasser erzählt schliesslich noch einen Jagdaus-
flug, den er mit Boiling unternahm. Beide verirrten sich
und mussten die Nacht bei einem angezündeten Feuer und
— 13* ım' Freien verbringen.
Ende October war der Jenissej bei der Stadt noch
nicht zugefroren. Am 28. war die Temperatur + 2° R.,
am 30. dagegen — 12° R.
Die peruanischen Expeditionen zur Erforschung des oberen Amazonenstroms
und seiner Nebenflüsse.
(Bemerkungen zu Tafel 5.)
Von H. Habenicht.
Die von der peruanischen Hydrographischen Commission
seit dem Jahre 1868 ausgeführten Flussaufnahmen sind
für die Kartographie des nördlichen Peru von so grosser
Wichtigkeit, dass es sich bereits lohnt, die bisher ver-
öffentlichten Resultate, besonders zahlreiche astronomische
Positionen, mit dem älteren Material verarbeitet in einer
Karte zu publiciren, um so mehr, da die Veröffentlichung
des Endberichts der Commission vielleicht noch lange auf
sich warten lassen wird.
Dieser Bericht wird von grossem Werth und Interesse
sein; der ihn begleitende Atlas wird einige vierzig Blatt
von 30 engl. Zoll Breite und 15 Zoll Höhe nebst einer
Übersichtskarte von 5 Fuss im Quadrat enthalten. Ausser-
dem werden dem Bericht Tabellen von geographischen
Breiten und Längen, magnetischen Variationen, Höhenmes-
sungen, Entfernungen, Temperaturen &c. beigegeben.
Die Aufnahmen erstrecken sich auf 2945 engl. Meilen
Flussiauf oder die ganzen für Dampfboote schiffbaren
Strecken des Marafion oder Amazonenstroms oberhalb Iqui-
tos und seiner Nebenflüsse. Die Commission wurde befeh-
ligt vom Admiral Tucker, die Bestimmung der Breiten und
Längen hervorragender Punkte wurde von Kapitän Ro-
chelle, die meteorologischen und ethnologischen Beobach-
tungen, die von der Smithsonian Institution publicirt wer-
den sollen, sind von Dr. Galt ausgeführt.
Die astronomischen Positionsbestimmungen der Hydro-
graphischen Commission bilden im Verein mit den Küsten-
vermessungen der englischen Marine die Basis der bei-
Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft III.
gegebenen Tafel, der das’ vorhandene theilweis sehr man-
gelhafte Kartenmaterial angepasst worden ist.
Das fundamentale Kartenwerk von Peru bildete bisher
der „Atlas Geographioo del Peru por Marino Felipe Paz
Soldan”, Paris 1865. Er enthält specielle Karten von je-
dem einzelnen Departement mit zahlreichen Details, so dass
alle neueren Karten und Messungen im Anschluss an die-
ses Kartenwerk, d. h. insofern sie dasselbe berichtigen, zu
betrachten sind.
Die erste Liste von Positionsbestimmungen am Ama-
zonenstrom und seinen Quellflüssen, zum Theil von der
Hydrographischen Commission des Amazonas 1868, zum
Theil von Arthur Wertheman, Ingenieur des peruanischen
Departements Amazonas, im Jahre 1871 sorgfältig und mit
guten Instrumenten ausgeführt, findet sich in den Procee-
dings of the R. Geogr. Soc. XVI, 1872, No. III, p. 271
—274, mitgetheilt von J. H. Rochelle.
Die Positionsbestimmungen des Ingenieur Wertheman
im Departement Amazonas, am unteren Huallags und Rio
Mayo haben eine Verschiebung der Situation nach Westen
um 20 bis 40 Minuten bewirkt, während diejenigen der
Hydrogr. Commission am Ucayali nur den oberen Lauf
dieses Flusses westlicher, den mittleren aber östlicher als
auf Paz Soldan’s Karten verlegen. Diese letzteren Positio-
nen wurden aber wieder durch die Messungen derselben
Commission im Jahre 1873, deren Resultate Orton’s neuem
Werk: „The Andes and the Amazon”, New York 1876, bei-
gegeben sind, um circa 20 Minuten nach Westen verschoben.
13
90 Die peruanischen Expeditionen zur Erforschung des oberen Amazonenstroms und seiner Nebenflüsse.
An Kartenmaterial von den Aufnahmen der Commission
hat bei Bearbeitung von Tafel 5 leider nur wenig vor-
gelegen, nämlich eine kleine Skizze vom peruanischen
‚Schiffslieutenant J. Salaverry, welche seinen Bericht über
die Schifffahrt auf dem oberen Amazonenstrom in der geo-
graphischen Zeitschrift Ocean Highways vom October 1873
begleitet; und T. Saunder’s Karte von Peru zu einem
Aufsatz über die Geschichte des Reiches der Incas von
R. Markham. Die Karte führt den Titel: „Ttahuantin-
suyu or the Empire of the Incas” und ist dem Journal
der Londoner Geographischen Gesellschaft von 1872 bei-
gegeben. Dem sorgfältigen Bearbeiter lagen Manuscript-
zeichnungen vom Ucayali, die ihm Salaverry mitgetheilt
hatte, sowie die peruanisch-brasilianische Aufnahme des
Javari zur Benutzung vor. Die Verschiedenheiten zwischen
den Details, Krümmungen der Flüsse &c. auf diesen beiden
Karten, verglichen mit den entsprechenden auf Paz Sol-
dan’s Karten, sind durchweg so bedeutend, dass man Mühe
hat, sie wieder zu erkennen,
Die Positionen der Hydrographischen Commission von
1868 correspondiren im Ganzen mit dem Flusslauf des
Ucayali auf Saunder’s Karte, mit Ausnahme einiger Punkte
wie Sara-yacu und Cashiboya, wo wir die Details nach
den Positionen, so gut es eben ging, eingerichtet haben.
Von grossem Werth für die Zeichnung der beigegebe-
nen Karte war die einzige bis jetzt erschienene Section
Ancachs der Mapa del Peru por A. Raimondi, die seinem
Werk: „El Departamento de Ancachs y sus Riquezas Mine-
rales’”’, Lima 1873, beigegeben ist. Sie ist im Maassstab
von 1:500000, also bedeutend grösser als die betreffende
Karte aus Soldan’s Atlas, sorgfältig ausgeführt, enthält zahl-
reiche Details und scheint auf genauen Aufnahmen zu beruhen.
Der obere Lauf und die Quelle des Maraüon kommen
nach dieser Karte um etwa 20 Minuten westlicher zu lie-
gen als nach Paz Soldan, was sowohl mit den Positionen
des Ingenieur Wertheman in Amazonas als auch mit denen
der Hydrogr. Commission von 1873 am Palcazu und Pa-
chitea correspondirt.
Endlich ist noch eine kleine Übersichtskarte vom Ma-
rafion und seinen Nebenflüssen zu erwähnen, die dem oben
angeführten Werk Orton’s beigegeben ist. Sie enthält zahl-
reiche Ortsangaben, Höhenquoten, so wie Zahlen für Strö-
mung, Breite und Tiefe der Flüsse &c.
M. Marcoy’s Karten vom Ucayali und Amazonenstrom
aus dem grossen Werk über seine Reise im Jahre 1860
wurden eingesehen. Sie sind jetzt wegen ihrer geringen
Übereinstimmung mit neueren guten Messungen von ge-
ringem Werth.
Ausser diesem Kartenmaterial sind auf Tafel 5 kleine
Verbesserungen nach Orton’s Werk und dem oben erwähnten
Aufsatz von Salaverry im Ocean Highways eingetragen,
letzterem sind z. B. einige Positionen, die andere Listen
nicht enthalten, so wie der grösste Theil der hier folgen-
den geschichtlichen Daten entnommen.
Grosse Anstrengungen sind in den letzten Jahren von
der peruanischen Regierung gemacht worden zur Herstel-
lung einer Dampfschiffverbindung auf den schiffbaren perua-
nischen Zuflüssen des grossen Amazonenstroms und auf dem
Theil des Hauptstroms, weleher durch peruanisches Gebiet
fliesst. Das grosse Interesse, welches die peruanische Re-
gierung an der Herstellung einer directen Handelsverbin-
dung zwischen den reichen Provinzen der Anden und dem
Atlantischen Ocean hat, leistete hier der Geographie die
besten Dienste, |
Seit dem Jahre 1863, wo peruanische Dampfschiffe zu-
erst den Amazonenstrom befuhren, nachdem sie die Passage
durch Brasilien zum Theil mit Gewalt erzwungen hatten,
fand ununterbrochen bis auf den heutigen Tag Dampfschiff-
fahrt auf dem peruanischen Theil des Amazonenstroms
Statt, und zwar bis vor einigen Jahren zwischen folgenden
Stationen: Tabatinga, Loreto, Peruate, Mancallacta, Pevas,
Iquitos, Nauta, San Regis, Parinari, Urarinas, La Laguna
und Santa Cruz und Jurimaguas, seit einigen Jahren sind
noch Rumi Callarina am Huallaga, so wie Sara-yacu und
Cashiboya, zwei Missionsstationen am Ucayali, hinzuge-
kommen.
Im Jahre 1866 erforschte eine peruanisch-brasilianische
Grenzcommission den Javari, wurde aber auf 6° 47’ 30”
Südl. Br. und 73° 56’ Westl. L. v. Gr. von den wilden
Mayoruna-Indianern angegriffen und gezwungen, in ihren
Canoeg, umzukehren, mit Verlust der beiden anführenden
Offkiciere und aller Instrumente.
In demselben Jahre wurde der Dampfer „Putumayo”
zur Erforschung des Ucayali und Pachitea ausgeschickt,
auch hier wurden der Kapitän Tavara und sein Lieutenant
von ZEingeborenen, die dem Casibo-Stamm angehörten,
während einer Landung bei der Chonta Isla im Pachitea
ermordet, worauf das Schiff sofort umkehrte.
Zum Zweok der Bestrafung der Casibos wurden sofort
in demselben Jahre die drei Dampfschiffe „Morona”, „Napo”
und „Putumayo” ausgeschickt, welche ihren Zweck auch
vollkommen erreichten.
Im darauf folgenden Jahre, also 1867, machte der pe
ruanische Dampfer „Napo” eine Recognoscirungsfahrt auf
dem Morona und fand auf beträchtliche Entfernung kein
Hinderniss. In demselben Jahr beauftragte die Peruani-
sche Regierung den Lieutenant Don Meliton Carbajal, den
Huallaga in einem Dampfer zu untersucken, er fand ihn
nur bis zum Salto de Aguirre schiffbar.
Ausserdem ernannte 1867 die peruanische Regierung
Die peruanischen Expeditionen zur Erforschung des oberen Amazonenstroms und seiner Nebenflüsse. 91
eine Hydrograpbische Commission, welche von Lima über
Land nach Huanuco und Puerto Prado reiste. Hier schiff-
ten sich die Mitglieder in Canoes ein und fuhren den Pal-
cazu und Pachitea hinab, von wo sie an Bord eines Dam-
pfers nach Iquitos fuhren. Der Ingenieur Wertheman, ein
Mitglied dieser Commission, projeotirte eine Strasse von
Huanuco nach Puerto Prado.. Es wurde oonstatirt, dass
der Pachitea und Paloazu bis Puerto Prado während der
nassen Jahreszeit schiffbar sind.
Admiral Tucker, der Präsident der Hydrographischen
Commission, wurde hiernach beauftragt, den Pichis zu er-
forschen, er reiste mit dem Dampfer „Napo” im Jahre 1868
den Ucayali hinauf, um auf Befehl der Regierung zunächst
den Perene zu untersuchen, konnte aber wegen starker
Strömung auf dem Tambo nur kurze Strecke vordringen,
kehrte daher um und fuhr den Urubamba etwa 50 engl.
Meilen hinauf, fand ihn schiffbar, kehrte aber wieder um,
da er seinen eigentlichen Zweck nicht erreicht hatte.
Im J. 1869 untersuchte auf Befehl der Regierung Don
Meliton Carbajal an Bord des „Napo” den Wasserfall „Pongo
de Manseriche” oberhalb Borja, welcher der Schifffahrt auf
dem Amazonenstrom das erste Hinderniss entgegenstellt.
In demselben Jahre untersuchte der Ingenieur Werthe-
man die Escurrebragas-Fälle und überzeugte sich von ihrer
Unpassirbarkeit für Schiffe.
Unter Admiral Tucker’s Leitung wurde ein neues gegen
starke Strömung geeignetes Dampfschiff, der „Tambo”, ge-
baut, welches im Ootober 1870 von Iquitos abfuhr nach dem
Fluss, dessen Namen es trägt. Im Januar 1871 stiees das
Schiff auf dem Ene, wie der Tambo oder Apurimac in
seinem oberen Laufe heisst, auf einen Wasserfall zwischen
zwei enormen 2000 Fuss hohen Felsen, der das Schiff zur
Umkehr zwang. Ungefähr 30 engl. Meilen oberhalb dieses
Falles soll der Perene in den Ene münden.
Zur selben Zeit, als Admiral Tucker mit dem „Tambo’”
Iquitos verliess, ging eine Landexpedition von Tarma ab
ihm entgegen, indem sie dem Lauf des Perene abwärts
folgte. Aber auch sie erreichte ihr Ziel nicht, sondern
musste aus Mangel an Lebensmitteln umkehren. Der Pe-
rene wurde zwar schiffbar befunden, aber die Fälle des
Ene sollten jede Communication verhindern.
Auf Befehl der Peruanischen Regierung ging im selben
Jahre eine Expedition von St Ana aus unter Don Ray-
mondo Estrella den Urubamba hinab. Leider fehlten die-
sem Forscher Instrumente und Kenntnisse zur Aufnahme
des Flusses.
Auch wurde im Jahre 1871 noch eine zweite Grenz-
commission ausgeschickt, welche mehrere Jahre hindurch
Untersuchungen anstellte, deren Resultate uns bisher un-
bekannt blieben.
Endlich machte in diesem Jahre Herr Arthur Werthe-
man, Ingenieur des peruanischen Departements Amazonas,
seine astronomischen Positionsbestimmungen am Marafion,
Utcubamba, Huallaga, Paranapura und Rio Mayo.
Im Jahre 1873 ging die Hydrogr. Commission unter
Admiral Tucker zur Untersuchung des Pichis aus, bestimmte
den Lauf des Ucayali genauer wie bisher und fand den
Pichis bis zu 10° 22’ 55” Südl. Br. schiffbar, wo ein
Wasserfall das weitere Vordringen zu Schiff verhindert.
Im Jahre 1876 hat der Ingenieur Wertheman die Flüsse
Perene und Tambo erforscht und erklärt, dass die Strom-
schnellen im oberen Tambo ohne Schwierigkeit beseitigt
werden können. Das Nähere hierüber siehe „Geogr. Mitthei-
lungen” 1877, 8. 440.
Die Lena und ihr Flussgebiet.
Von N, Latkin.
(Nebst Karte, s. Tafel 6 !).
Die Lena, der grösste Fluss Ostsibiriens, entspringt im
Beikal-Gebirge in einer Entfernung von 380 Werst vom See
t) Durch den im September 1878 glücklich ausgeführten Versuch,
«einen directse Schifffahrtsrerkehr swischen Europa und der Lena in’s
Leben ıu rufen, so wie durch die für den Sommer 1879 projectirte
neue Eıpedition des hochherzigen sibirischen Kaufmanns Bibiriakoff,
weilebe unter Führung von Kapt. Sengstacke den Beoweg swischen der
Bering-Strasse und der Mündung der Lena eröffnen soll, ist die all-
gemeine Aufmerksamkeit gegenwärtig auf diesen Fluss hingelenkt wor-
den, so dass es angebracht erscheint, die Publikation dos vorhande-
nen »ouen Materials über dieses Gebiet Ostsibiriens nicht länger zu
versögern. Leider liegen noch keine Aufnahmen, falls solche überhaupt
gleichen Namens, und nach einem Laufe von 3800 Werst
ergiesst sie sich, ein grosses Delta bildend, in’s nördliche
gemacht wurden, und detaillirte Berichte von Kapt. Jobannsen vor, wel-
cher das Dampfschiff „Lewa’' nach Jakutsk führte, wechalb das Mate-
rial, das der Zeichnung unserer Tafel su Grunde liegt, sich fast dureh-
weg auf die Hauptresultete der wichtigen Forschungen Techekanows-
ky’s und seines Begleiters des Astronomen Müller, so weit sie uns bis
jetst in den Nachrichten der Kaiserl. Russ. Gsogr. Gesellschaft vorliegen,
beschränkt. Es sind diess eine Übersichtskarte der Reisen von 1873
und 1874 mit dem Titel: „Karte des nördlichen Tbeils von Ostsibirien
zwischen den Flüssen Jenissei und Jana”, naclı den Forschungen A. L.
Tschekanowsky’s und F. F. Müller’s in den Jahren 1873 und 1874 im
92 Die Lena und ihr Flussgebiet.
Eismeer. Sie hat ein Flussgebiet von 45110 Q.-Meilen.
In seinem oberen Theile ist der Fluss unschiffbar, hat
viele Strudel und strömt 150 Werst weit durch ein enges
Bergthal mit undurchdringlichen Wäldern. Vom Dorfe Ka-
tschuga an wird er schiffbar, ist nicht mehr als 30 Faden
breit bei einer Tiefe des Fahrwassers von 3 Arschin
(7 Fuss). Von hier bis zur Mündung der Ilga sind die
Ufer der Lena felsig und sehr malerisch, ihr Lauf ein
sehr rascher. Die aus rothem Sandstein bestehenden Fel-
sen sind mit Nadelholzwäldern, wie Tannen, Fichten, Lär-
chen- und Zirbelbäumen, auch sibirische Ceder genannt,
bewachsen; im Flussbett giebt es viele, gleichfalls mit Wald
und Gesträuch bewachsene felsige Inseln. Denselbeu Cha-
rakter behält das Thal der Lena während 1020 Werst bei
bis zur Mündung des Flusses Witim, wobei sie einen sehr
raschen und zuweilen sich schlängelnden Lauf hat, wie z. B.
zwischen der Ustkutskischen Salzsiederei und der Stadt
Kirensk, wo sie an einer Stelle eine grosse Krümmung,
Krummbogen genannt, bildet. Hinter der an der Mündung
des Flusses Kirenga gelegenen Stadt Kirensk erreicht die
Lena eine Breite von 170 Faden, bei einer Tiefe des Fahr-
wassers von 7 Faden. Die Ufer sind hier sehr malerisch,
so giebt es 250 Werst stromabwärts von Kirensk steile,
senkrechte Felsen, „Backen” genannt, die an beiden Seiten
der Lena eine Höhe von 100 Fuss erreichen, aus Kalkstein
Maassstabe von 1:588000 herausgegeben unter der Redaction F. F.
Müller’s 1876. Ihr verdanken wir die Zeichnung des Olenek von dem
Punkt, wo sich unsere Karte an die im Jahrgang 1877 publicirte
Tafel 6 der Wasserscheiden zwischen Lena und Jenissei, Olenek und
Chatanga auschliesst, bis zur Mündung, in einigen Punkten ergänzt
durch die bereits 1876 (8. 270) publicirten Positionen Müller’s; aber
leider sahen wir uns durch den gänzlichen Mangel von Terrainzeich-
nung in unserer Quelle genöthigt, im nordöstlichen Theil unserer
Karte ebenfalls auf eine solche zu verzichten. Da der verdienst-
volle Forscher von dieser ersten Reise neben reichen Resultaten eine
Menge neuer Fragen mit heimbrachte, so brach er im Auftrag seiner
Regierung im Sommer 1875 zum zweiten Mal nach dem nördlichen
Sibirien auf, und eine bedeutende Errungenschaft dieser Expedition
bildet die zweite Hauptquelle unserer Karte: die Aufnahme der Lena
zwischen Jakutsk und Bulun, so wie die des ganzen Janalaufes, ver-
öffentlicht im 1. Heft der Istwestija von 1877 unter dem Titel: „Karte
eines Theils der Lena und des Theils des Gebiets von Jakutsek zwi-
schen der Lena und der Jana, zusammengestellt von A. Tschekanowsky
1876, im Maassstab von 50 Werst auf 1 Zoll (1: 2000000)”. Welch’
reiches Detail diese werthvolle Karte enthält, zeigt unsere Reduction,
nur Schade, dass sie den nördlichsten Theil der durchforschten Gebiete,
die Tundra zwischen Bulun und dem unteren Olenek, nicht mit ent-
hält! Wir waren daher genöthigt, denselben nach dem vorläufigen Reise-
bericht zu skizziren, der im 2. Heft der erwähnten Nachrichten ver-
öffentlicht und im „Globus” von 1876, Bd. XXX, 8. 217 und 232,
wiedergegeben ist, hoffend, dass auch die längst in Aussicht gestellte
Specialkarte des Olenekgebietes, ebenfalls in 1:2 000000 gezeichnet,
nicht lange mehr auf sich warten lassen möge. — Bei Zeichnung der
Lena- und Jana-Mündungen waren wir auf die älteren Karten Anjou’s
von 1821 bis 1823 angewiesen; der Flusslauf des Witim endlich ist
nach der „Karte der in den Jahren 1858 und 1854 von der sibiri-
schen Abtheilung der Kaiserlich Russischen Geographischen Gesellschaft
in das Witimland ausgesendeten Expedition’ (Baer & Helmersen’s rus-
sische Beiträge, Bd. XXVI) den neuen Positionen von Jakutek und
oberen Olenek angepasst und wird wohl ebenfalls in nicht gar langer
Zeit bedeutenden Berichtigungen unterworfen werden müssen. B. H.
bestehen und hie und da mit Fichten und Lärchen bewach-
sen sind, deren Wurzeln stellenweis, langen Faden ähn-
lich, herabhängen. Diese Kalksteinfelsen, in denen auch
Höhlen vorkommen, begleiten den Lauf der Lena bis zur
Mündung des Witim in dieselbe, an welcher Stelle in Folge
ihres. raschen Laufes und ihrer Krümmungen die Schiffe
einige Gefahr laufen,
Die Gegend am mittleren Laufe der Lena von ihrem
Nebenfluss Witim an bis zur Mündung des Aldan in einer
Entfernung von 1420 Werst trägt einen anderen Charak-
ter; bier erreicht die Lena eine Breite von 300 Faden
‚ und darüber, ihre Ufer werden flach, die aus rothem Sand-
stein und aus Kalkstein bestehenden Berge treten zur Seite,
runden sich ab und sind mit diohtem Wald bedeckt; nur
stellenweis, wie z. B. beim Dorfe Kamensky, werden die
Ufer steil und felsig und erreichen eine Höhe von mehr
als 300 Fuss. Zwischen den Dörfern Totschilna und Bere-
sowsk erheben sich am rechten Ufer die aus bunten Sand-
steinschichten bestehenden Gusselny-Berge. Unweit der
Stadt Olekminsk, die Lena hinab, trifft man auf niedrige
Inseln; hinter Olekminsk wird die Lena eine Werst breit
und ist von da, 600 Werst weit, bis zur Stadt Ja
kutsk an Inseln reich. Ihre Ufer sind immer noch bergig
und bilden stellenweis eine Art Wand, so den Dörfern
Sinaja und Batama gegenüber, wo sich die unter dem
Namen Lena-Säulen bekannten schönen Felsen befinden,
die beim ersten der Dörfer 2 Werst und beim zweiten
15 Werst lang sind. Diese Felsen bestehen aus horizontal
liegenden Kalksteinlagern, die steinernen Säulen ähnlich
sind und zuweilen an Ruinen erinnernde phantastische
Formen annehmen. Die Ufer sind sehr waldig und wer-
den allmählich niedriger, obgleich sich noch immer von
Zeit zu Zeit schroffe einzelne Felsen dicht am Flusse er-
heben. Vom Dorfe Bestiak an kommen am linken Fluss-
ufer Steinkohlenlager vor, die sich 1600 Werst weit strom-
abwärts bis zum unweit des Flussdelta gelegenen Dorfe
Bulun erstrecken.
In ihrem unteren Laufe von der Mündung des Neben-
flusses Aldana bis zum Ocean theilt sich die Lena in zahl-
reiche Arme und wird sehr breit, so dass sie hier stellen-
weis eine Breite von 25 Werst erreicht; bei der Stadt
Jakutek ist sie 7 und beim Dorfe Schiginsk ca 15 Werst
breit. Bei Schiginsk sind die Ufer waldig und werden von
Kalkstein-Erhöhungen begleitet; nach Schiginsk werden die
Wälder seltener und allmählich durch die Tundra ver-
drängt, beim Beginn des Delta, nach der Lärchenbaum-
Insel, hören sie ganz auf. j
Das Lena-Delta wird, wie schon oben angedeutet, durch
unzählige Flussarme gebildet, von denen der am westlioh-
sten gelegene der sieben Hauptarme, Anatartych benannt
Die Lena und ihr Flussgebiet. 98
ist. Bei seiner Mündung in den Ocean erhebt sich 56 Fuss
hoch das Eiskap (Ledjanoi) und bei seinem Ausgang aus
der Lena liegt am linken Ufer der zackige Berg Sangarar-
Tas, der eine Höhe von 105 Fuss erreicht. Parallel mit
dem westlichen Arme, in nordwestlicher Richtung, erstreckt
sich der Arm Bjelkoi, rechts in nördlicher Richtung der
Arm Tumatsky. Wiederum rechts vom Tumatsky, an des-
sen Mündung im Jahre 1739 der russische Seefahrer Lap-
tew ein Merkzeichen errichtet hat, das noch bis heutzutage
erbalten ist, fliessen die drei Hauptarme Kychistach, Troßfi-
mowsky und Kischlach in nordöstlicher und östlicher Rich-
tung; der äusserste östliche Arm heisst Bykowskoi, an
dessen östlicher Seite, dicht an der Mündung, das Bykowsky-
Kap gelegen ist. Die Delta-Arme haben eine Länge von
560—100 Werst und bei ihrer Mündung in’s Meer, wie
z. B. der Bykowsky-Arm, eine Breite von 10 Werst. Zwi-
schen den Armen liegen viele Inseln, von denen die grössten
Hangaloteky und Borchaja sind; letztere ist hügelig, wäh-
rend alle anderen flach sind. Diese Inseln sind im Sommer
mit Gras und Moos bedeckt und haben viele fischreiche
Teiche.
Die Lena ist im April beim Dorfe Katschuga vom Eise
frei, bei Jakutak geht sie erst Mitte Mai auf, beim Dorfe
Bulun zu Anfang Juni und in ihrem Delta erst im Juli;
sie gefriert in ihrem Delta und bei Jakutsk zu Ende des
Octobermonats, eben so auch beim Dorfe Katschuga.
Die Lena ist sehr reich an Fischen, wie Sterlet, Stör,
Nelma , Aesche, Häring, Hecht &. Die Störe sind hier
ungewöhnlich gross, wiegen häufig 5 Pud (200 Pfund),
Asschen giebt en A 3, Nelma & 2 Pud. In den Flus-
armen des Delta und den Fluss hinauf bis Bulun sammeln
sich Häringe in ungeheueren Massen, die jedoch nur in ge-
ringen Mengen eingefangen werden, da weder grosser Ab-
satz, noch Arbeiterhände vorhanden sind, wie denn über-
haupt der Fischfang hier nur zur Befriedigung der Be-
dürfnisse der Ortsbewohner betrieben wird.
Ausser dem Reichthum an Steinkohlenlagern trifft man
an der Lena nützliche Metallerze, Mineralien &o.; so giebt
es beim Flecken Orleng im Kreise Kirensk Silberbleierze,
beım Dorfe Ustkutsk salzreiche Quellen, aus welchen die
Ustkutsky-Salzsiederei jährlich an 25000 Pud Salz liefert,
Bei der Mündung des Flüsschens Big in die Lena trifft
man auf Kupfererze; 15 Schwefelquellen sprudeln aus den
Uferfelsen zwischen den Dörfer Nyssinsk und Parschiwa;
unterhalb Schiginsk, neben den Steinkohlenlagern, giebt es
reiche Eisenerze, bei den Uferfelsen auch Jaspis und Carneol.
Die Schifffahrt mit Booten, Barken und Kajuken fängt
beim Dorfe Katschuga an und besteht hauptsächlich im Flös-
sen der Waaren nach Olekminsk zum Bedarf der dortigen
Geldwäscher und nach Irkutsk zum Unterhalt der Bewoh-
ner der ganzen Gegend. Die im Herbst aus Jakutsk und
den Niederungen des Flusses zurückkehrenden Schiffe sind
wiederum mit Fischen, Foellen, Mammuth - Elfenbein, s&-
mischem Leder und anderen Waaren beladen. Heutzutage
giebt es auch Dampfschiffe auf der Lena, die aber haupt-
sächlich den Witim’schen und Olekmin'schen Goldwäsche-
reien zu Gebote stehen; im Ganzen gab es in letzter Zeit
an 300 Fahrzeuge und zwei Dampfschiffe excl. des im
September 1878 daselbst eingetroffenen Dampfers „Lena” auf
dem Flusse. Die Haupthäfen auf der Lena sind folgende:
das Kirchdorf Katschuga, das Städtchen Werchalensk, die
Fabrik Ustkutek, das grosse Dorf Witim, Olekminsk, Ja-
kutsk und Bulun.
Die Einwohner des Lenathales sind in der Gegend
ihrer Quelle ausschliesslich Russen, weiterhin aber, an sei-
nem mittleren und unteren Laufe, besteht die Bevölkerung
ausser diesen noch aus Jakuten und Tungusen. Vom Dorfe
Petrowsk an im Oberlena-Bezirk bis zum Dorfe Du-
browsk ım Kirensk-Bezirk giebt es unter den Bewoh-
nern viele mit Kröpfen versehene. Im Bezirke der obe-
ren Lena beschäftigen sich die Einwohner mit Erfolg mit
Ackerbau, Viehzucht, Jagd und Schiffbau. Von der Mün-
dung des Ilga an nimmt der Ackerbau ab und die Haupt-
beschäftigung der Bewohner ist die Jagd; ferner das Sam-
meln der sibirischen Cedernüsse und die Viehzucht. Von
Ustkutsk bis zur Stadt Kirensk ist die Bevölkerung recht
dicht und Dörfer sind häufig; hinter Kirensk nehmen die
Ansiedelungen, wie die Bevölkerung ab, noch seltener wird
Beides hinter Jakutak, wo die Einwohner sich mehr an
den Zuflüssen der Lena, als an den Ufern des Flusses
selbst niederlassen. Die äussersten nördlichen Ansiedelun-
gen befinden sich auf den Inseln des Delta, nämlich die
jakutskischen Dörfchen Tumat, Sagostyr und Chotinginsk.
Der Fischfang wird am mittleren, hauptsächlich aber am
unteren Laufe des Flusses betrieben, wo auch die Jagd
auf Pelzthiere sehr erfolgreich ist, aus welchem Grunde
das Flussgebiet der Lena die meisten sibirischen Pelzwaa-
ren liefert. Einen nicht zu übersehenden Erwerbszweig
bildet die Ausbeute der Mammuthzähne, deren alljährlich
mehrere 1000 Pud am Delta des Flusses, wie auch auf
den Inseln Ljachowsky, Neu-Sibirien u. a, gewonnen werden.
Die Hauptansiedelungen an der Lena sind folgende:
das grosse Dorf Katschuga nebst Hafen und Jahrmarkt;
das grosse Dorf Kamaonsk nebst Hafen; das Dorf Nischny-
slobodsk; die Bezirksstadt Wercholensk mit 970 Einwoh-
nern; die Theemaschinenfabrik Ustkutsk mit 160 Einw.;
die Bezirksstadt Kırensk mit 1000 Einw., einem grossen
Jahrmarkt, welcher einen Umsatz von 400000 Rubel hat;
der Handelsflecken Ust-Witimsk mit 400 Einw.; das Dorf
Kyllach auf der Insel gleichen Namens mit Jakutenjahrmarkt
94 Die Lena und ihr Flussgebiet.
mit einem Umsatz von 70000 Rubel; das Bezirksstädtchen
Olekminsk mit 380 Einw. und jährlichem Jahrmarkt bei
einem Umsatz von 570000 Rubel; die Provinzialstadt Ja-
kutek mit 4900 Einw. mit einem grossen, hauptsächlich
für Pelzwasren bestehenden Jahrmarkt und einem Umsatz
von etwa einer Million Rubel; Wiljusk mit 385 Einw.;
Bulun mit 100 Einw. und einem Handelshafen.,
Am dichtesten ist die Bevölkerung an der unteren
Lena; die Gesammtbevölkerung des Flussgebietes kann
folgendermaassen bestimmt werden: im Wercholensk-Bezirke
54880 Einw., davon 29707 Christen, 207 Juden, 137 Mo-
hammedaner und 24829 heidnische Buräten; im Kirensk-
Bezirke 34700 Einw. (Christen, mit Ausnahme von 73 Mo-
hammedanern und Juden), darunter 1890 Jakuten und
3400 Tungusen; im Wiljuisk-Bezirke 56000 Einw., davon
51660 Jakuten, 3700 Tungusen, die übrigen Russen; im
Olekminsk-Bezirke etwas mehr als 12500 Einw., davon
8760 Jakuten und 795 Tungusen; im Jakutsk - Bezirke
140000 Einwohner, Jakuten allein 129000. Die Gesammt-
bevölkerung des ganzen Flussgebietes der Lena beläuft sich
auf 298 000.
Der Schifffahrtsverkehr der Lena vertheilte sich im
Jahre 1874 folgendermaassen: vom Katschuga-Hafen aus
wurde vermittelst 66 Booten und Barken eine Ladung von
265000 Pud im Werthe von 2372000 Rubel den Fluss
hinab geflösst; vom Wercholensk-Hafen wurden mit 100 Boo-
ten und Barken 465000 Pud, von Nischnyslobodsk mit
37 Barken und Kajuken 402000 Pud; von den Häfen
Kaimanowsk und Muksk 30 Fahrzeuge mit 112000 Pud,
hauptsächlich Getreide, transportirt.
Die Hauptnebenflüsse der Lena sind rechts die Kirenga,
der Witim, die Olekma und der Aldan; links die Ilga, die
Kuta, der Wiljui und die Muna, von denen einige aus-
führlicher zu betrachten sind.
Der Nebenfluss Wiljui entströmt dem grossen See
Tsingei, worauf er 2000 Werst weit eine grösstentheils
östliche Richtung beibehält und sich schliesslich, in drei
Arme theilend, in die Lena ergiesst. In seinem oberen
Laufe hat er viele Stromschnellen, an seinem mittleren
wird er 100 Faden breit und strömt durch ein offenes
Thal, hat aber auch hier Stromschnellen, von denen die
grösste Ulochan ist, die, 1000 Werst weit von der Mün-
dung des Flusses, eine Länge von 3 Werst erreicht, mit
einem 4 Faden hohen Falle; von da an wird der Fluss
schiffbar. An seinem unteren Laufe ist er eine Werst,
auch mehr breit, hat viele Inseln und fliesst durch ein
offenes, niedriges Thal. Im Frühjahr, im Mai, ergiesst
sich der Wiljui weit über das Thal und überschwemmt es
4 Werst breit; in der ersten Hälfte des October ist er mit
Eis bedeckt. An seinen Ufern stösst man auf Steinkohlen-
und Jura-Formation, in welcher Versteinerungen, häufig
auch Mammuthüberreste vorkommen.
Der Kreis Wiljuisk mit dem aus 400 Einw. bestehen-
den Bezirksstädtchen Wiljuisk hat eine Ausbreitung von
20000 Q.-Meilen und wird in vier Amtsbezirke getheilt,
Ober-Wiljuisk, Mittel-Wiljuisk, Marchinsk und Suntarsk; er
ist im Ganzen sehr schwach bevölkert und enthält 60 000
Einw., davon 5000 Russen. Dieser zu beiden Seiten des
mittleren und unteren Wiljui sich erstreckende Kreis ist
reich an grossen Seen, darunter auch salzige, wie der
Tschankada; auch giebt es viele Salzquellen, uhd trifft man
sogar zuweilen zu Tage liegendes, ausgezeichnetes Stein-
salz; am häufigsten sind diese Salzquellen im Thal des
Zuflusses Kempendsi. Am mittleren Wiljui giebt es gute
Eisenerze, aus denen sich die Eingeborenen ihre nöthigen
Werkzeuge verfertigen. Ausserdem kommen noch Gyps-
und Schleifsteinlager in den Flussbetten vor, wie z. B.
im Flusse Marchi, auch Edelsteine, wie Chalcedon und Opal.
Der Wiljui- Bezirk ist an seinem südlichen und südöst-
lichen Theile reich an Wiesen und Nadelholz, wie sibiri-
sche Cedern, Fichten, Lärchen- und Tannenbäume; ausser-
dem kommen aber auch Birken, Erlen und Pappeln vor.
Der Wald verschwindet unter 66° N. Br.; der nördliche
und nordöstliche Theil des Bezirks besteht aus einem wei-
ten Sumpfe. Das Klima ist hier überhaupt rauh, die mitt-
lere Sommertemperatur übersteigt nicht + 11—12° R,,
im Winter ist die Temperatur —30°. Die Einwohner
beschäftigen sich meist mit Viehzucht, und um mehr
Wiesen zu haben, trocknen die Jakuten die am Ufer des
Wiljui gelegenen Seen aus, was sie z. B. mit dem grossen
Sturbinsk-See gethan, indem sie sein Wasser durch einen
Kanal in den Wiljui leiteten, wodurch sie prächtige Wie-
sen erlangten. Stellenweis wird auch Gerste gesäet, die
ganz gut gedeiht, wenn kein Frost dazwischen kommt;
mit Gemüsezucht heschäftigen sich nur ausnahmsweis die
Russen. Eine Hauptbeschäftigung gewährt der Fang von
Fischen, Vögeln und Pelzthieren ; letzterer jedoch geräth
allmählich in Verfall.
Das Thal des Aldan, des zweiten grossen Nebenflusses
der Lena, ist bis jetzt noch wenig erforscht worden; von
seinem Ursprung weiss man nur, dass er aus der wilden
Berggegend der Jablony - Bergkette herrührt. Der Lauf
des Flusses bis zur Mündung des Zuflusses Maja ist rasch,
auch sind Stromschnellen häufig; von der Mündung der
Maja an wird der Aldan schiffbar und erreicht eine Breite
von 300 Faden, die nach seiner Vereinigung mit der
Amga noch zunimmt, so dass er bei seiner Mündung in
die Lena eine Breite von 14 Werst erreicht. Sein Wasser
steigt im Frühjahr bis zu 40 Fuss Höhe, so dass das Land
nach beiden Seiten hin mehrere Werst weit überschwemmt
Die Lena und ihr Flussgebiet.
wird. Der Fluss ist sehr reich an Fischen, ganz besonders
berühmt sind seine Sterlet und Störe, die eine ganz aus-
serordentliche Grösse erreichen. Auch hier beschäftigen
sich die Einwohner mit Viehzucht, beuten auch stellenweis
die Eisenerze für ihre Bedürfnisse aus. Diese Gegend ist
die eigentliche Heimath des Zobels und die Jagd auf dieses
Thierchen bringt den Einwohnern grosse Vortheile, da der
Aldan-Zobel sehr kostbar ist, und die Jagd davon nicht
weniger als 3000 Stück jährlich liefert.
Die Amga, ein Zufluss des Aldan, ist 800 Werst lang,
schiffber und reich an Fischen. In ihrem Thale leben
8500 Einwohner, davon nur ",o Russen, und zwar in
zwei kleineren Dörfern und dem grösseren Dorfe Amginsk.
Diese Russen sind ganz jakutisch geworden und haben ihre
Muttersprache beinahe verlernt. Der Ackerbau ist hier er-
giebiger als an der Lena und dem Wiljui, denn es wird
auch Roggen, Gerste und Weizen gesäet. Fischfang und
Jagd wird um Amginsk, wo guter Wald ist, getrieben;
auch ist das Klima hier milder als in Jakutsk. Ein an-
derer Zufluss des Aldan, die Maja, entspringt einer Neben-
kette des Jablony-Gebirges und durchfliesst eine Strecke
von 1000 Werst; bei ihrer Vereinigung mit der Judima
ist sie ®/, Werst breit und ganz schiffbar von der Mün-
dung des Zuflusses Uja an, 600 Werst weit vor der Mün-
dung der Maja in den Aldan. Der Lauf der Maja ist rasch,
wird aber ruhiger nach ihrer Vereinigung mit der Judima.
Die Eisenerze, die in ihrem Thale vorkommen, werden
nicht verarbeitet.
Der dritte grosse Nebenfluss der Lena, die Olekma, ent-
springt dem nördlichen Abhang des Jablony - Bergrückens,
durchfliesst eine Strecke von 1400 Werst, ist reissend, und
bat viele Stromschnellen; in ihrem unteren Laufe ist sie
aber schiffbar. Der Olekma-Bezirk hat nicht beständig,
I
95
sondern nur zeitweis Bewohner auf den Goldwäschereien,
die an den Flüssen Teschara, Schuja und Moemo gelegen
sind.
Das Olekma-Thal ist reich an Wäldern, die viel Pelz-
thiere, wie Zobel, Füchse und Eichhörnchen bergen; der
hiesige Zobel wird noch höher als der Aldan’'sche ge
schätzt.
Der Fluss Witim erreicht eine Länge von 2000 Werst
und entspringt einem auf den Höhen des Baikal-Gebirges
gelegenen See, hat eine nordwestliche Richtung, theilt sich
in drei Arme und ergiesst sich in die Lena, wobei seine
Breite derselben nicht nachsteht; er ist 540 Werst weit
stromaufwärts bis zur grossen Stromschnelle Diljunuran
schiffbar, wo er sich bis 300 Faden verengert. Die Ge
gend, die der Witim durchströmt, ist sehr bergig, und nur
am unteren Laufe erweitert sich das Thal, überhaupt ist
der Fluss reissend, sein Bett ist von Kieselsteinen bedeckt.
Der Witim-Bezirk ist von undurchdringlichen Wäldern be-
deckt und bietet daher eine reiche Jagd; ausser dem Zobel,
deren man hier jährlich an 1600 Stück erlegt, macht man
noch Jagd auf Eber, Bären, schwarzbraune Füchse und
Elenthiere.e Am Witim wurde früher viel ausgezeichneter
Glimmer gewonnen. Jetzt giebt es an seinen Zuflüssen Tsipa
und Mäma reiche Goldwäschereien, von denen die bekann-
testen an den Flüssen Katami und Negri gelegen sind;
erstere gehört dem durch seine vielen Geldopfer zu nütz-
lichen Unternehmungen bekannten Herrn Sibiriakoff und
liefert alljährlich von 200—350 Pud (& 40 Pfund) Gold;
die zweite ist Eigenthum des Herrn Basilewsky und giebt
jährlich von 50—100 Pud Gold. Alle diese Goldwäsche-
reien liegen meistentheils im Bargusin’schen Bezirke in
Trans-Baikalien. Der Witim bildet auf einer Strecke von
400 Werst die Grenze des Jakutsk-Bezirks.
Geographische Nekrologie des Jahres 1878.
Montsero, J. J., der sich namentlich um unsere Kennt-
nisse über die portugiesische Colonie Angola verdient ge-
macht hat, starb am 6. Januar in Lourenco Marques an
der Deiagoa-Bai. Nachdem er in der School of Mines in
London sich zum Bergmann herangebildet. hatte, ging er
1858 als Leiter der Kupferbergwerke von Bembe, Benguela
und Cuio nach Angola und siedelte sich 1865 als Kauf-
mann in Ambriz an. In seinen Mussestunden trieb er
ssturwissenschaftliche Studien, bei denen er die Verwend-
berkeit der Baobab-Fasern zur Papierfabrikation entdeckte,
auch machte er wiederholt kürzere geographische Ent-
deckungsreisen in jenen Küstenländern, deren Resultate er
in dem Werke: „Angola and the River Congo’ niederlegte.
1876 begab er sich mit seiner Gattin nach der Delagoa-Bai,
um in deren Umgebung naturwissenschaftlichen Studien
obzuliegen.
Crespel, L., Mitglied der internationalen Expedition nach
Äqustorialafrika, belgischer Generalstabsofficier, geb. 4. De-
cember 1838 in Tournai, starb am 14. Januar in Zanzibar
an den Folgen des Sonnenstiches, ohne dass es ihm ver-
gönnt gewesen war, den Continent selbst zu betreten.
Kwrs, Sulpicius, Curator des Herbarium Office und des
botanischen Gartens in Calcutta, starb am 15. Januar auf
der Insel Penang. Aus Deutschland gebürtig war er in
den Dienst der holländischen Regierung getreten, um die
Flora von Java zu untersuchen. Nach mehrjährigem Aufent-
halt in Buitenzorg wurde er als Director des botanischen
Gartens nach Calcutta berufen, von wo aus er wiederholte
96 Geographische Nekrologie des Jahres 1878.
Reisen in die Urwälder Burma’s, so wie auf die Andama-
nen und Nikobaren unternahm, deren Ergebnisse er grössten-
theils im „Journal of the Asiatic Society of Bengal” ver-
öffentlichte. Sein Hauptwerk, „Forest Flora of British
Burma”, erschien kurz vor seinem Tode, der ihn auf einer
Reise zur Untersuchung der Flora der malayischen Küste
und Java’s ereilte.
Maes, A., belgischer Naturforscher, Mitglied der internatio-
nalen Expedition nach Äquatorialafrika, geb. 24. März 1854,
erlag am 24. Januar in Zanzibar der Dyssenterie und dem
Fieber.
Bleeker, P., berühmter Ichthyolog, geb. 10. Juli 1819
in Zaandam, starb am 24. Januar in Amsterdam. Nach-
dem er 1840 das Examen als Wundarzt und Apotheker
abgelegt hatte, setzte er in Paris seine naturwissenschaft-
lichen Studien fort, ging 1842 als Militärarzt nach Batavia
und war daselbst ungemein thätig in der naturwissenschaft-
lichen Erforschung von Niederländisch-Indien. 1844 wurde
er Mitredacteur des Natuur- en Geneeskundig Archief,
1846 Secretär der Bataviaasch Genootschap und 1850 Präsi-
dent der auf seine Veranlassung gegründeten Natuurkun-
dige Vereeniging in Nederlandsch Indie. In den Jahren
1846 durchreiste er einen grossen Theil von Java, 1855
begleitete er den Gouverneur Van Twist zu den Molukken
und Minahassa. 1860 kehrte Bleeker nach Europa zurück,
wurde wegen seiner gründlichen Kenntnisse der indischen
Verhältnisse 1862 zum Staatserath im auswärtigen Amt er-
nennt und leitete daneben von 1863—1866 die Redaction
der Tijdschrift voor Nederlandsoh Indiö. Hauptsächlich wid-
mete er aber seine Arbeitskraft seinem grossen Werke:
„Atlas ichthyologique des Indes Neerlandaises”, dessen
Vollendung er nicht mehr erleben sollte. Von den 2000
Arten, welche in den bisher erschienenen 8 Bänden be-
sprochen werden, sind 1100 von diesem hervorragenden
Forscher entdeckt und bestimmt worden. Seine literarische
Thätigkeit, die sich fast ausschliesslich auf geographische
und naturwissenschaftliche Verhältnisse von Niederländisch-
Indien beschränkte, war eine überaus grosse (s. ausführ-
liches Verzeichniss in Tijdschrift van het Aardrijkskundig
Genootschap. Amsterdam 1878, p. 263).
Montgomerie, Th. G., der berühmte Vermesser Kasch-
mir’s, geb. 23. April 1830 zu Ayr, starb am 31. Januar
zu Bath. 1849 trat er als Lieutenant der Bengal Engi-
neers in den Dienst der Ostindischen Compagnie und wurde
1852 zur trigonometrischen Vermessung unter Oberst Waugh
abcommandirt. Nachdem er bei der zweijährigen Aufnahme
von Katch und Karachi Proben seiner Tüchtigkeit abge-
legt hatte, wurde ihm das schwierige Werk der Vermes-
sung von Kaschmir übertragen, die er .in 10jähriger rast-
loser Arbeit glücklich durchführte. Gleichzeitig wurden
Streifzüge in die Grenzländer gemacht, die hierdurch
geographischer Forschung erschlossen wurden. Ein beson-
ders hervorragendes Verdienst erwarb sich Montgomerie
dadurch, dass er die Ostindische Regierung zu einem Ver-
suche veranlasste, Eingeborene zur Erforschung der den
Europäern verschlossenen indischen Grenzländer zu ver-
wenden. Er selbst leitete ihren Unterricht in Aufnahme
von Routen, Bestimmung von Längen, Breiten und Höhen &o.
So gab er den ersten Anlass zu den hervorragenden Reisen
des Punditen Nain Singh 1865 bis 1875 und vieler Anderer.
Nach Vollendung der Aufnahme von Kaschmir 1865 zwang
seine wankende Gesundheit Montgomerie zu einem zweijäh-
rigen Aufenthalt in England, wo ihm von der R. Geo-
graphical Society die goldene Medaille verliehen wurde.
Nach seiner Rückkehr nach Indien functionirte er 1870
—1872 als stellvertretender Chef der trigonometrischen
Aufnahme, wurde aber schon 1873 durch Krankheit zur
definitiven Rückkehr in seine Heimath gezwungen. 1875
war er Vertreter der Gross- Britannischen Regierung auf
dem internationalen geographischen Congress zu Paris.
Höpfner, W., geb. 5. Octbr. 1850 zu Friedrichslohra bei
Nordhausen, starb am 7. Februar in Porto Novo bei
Lagos, bevor er der Verwirklichung der von ihm beabsich-
tigten Erforschung des Niger-Gebietes hätte näher treten
können.
Rasch, Gustav, bekannter Reiseschriftsteller, starb am
14. Februar in Schöneberg bei Berlin. Ausser einer gros-
sen Menge von Schriften politischen Inhalts veröffentlichte
er. Schilderungen seiner Wanderungen und Reisen, die sich
auf fast sämmtliche Staaten Europa’s erstreckten. Hervor-
zuheben sind seine Beschreibungen von Algier und die der
Staaten der Balkan-Halbinsel.
Waugh, A. Sc., langjähriger Chef der trigonometrischen
Vermessung Indiens, geb. 1810 in Madras, starb am 21. Fe-
bruar in London. 1832 trat er in die trigonometrische
Vermessung Indiens unter Oberst Everest ein, dem er 1844
in der Leitung derselben folgte. Nach demselben benannte
er den Gaurisankar, den höchsten Berg der Erde, dessen
Höhe 1848 von ihm nachgewiesen wurde, Mt. Everest.
Seine hervorragenden Verdienste um die Aufnahme Indiens
wurden durch seine Ernennung zum General-Major (1861)
und durch Verleihung der goldenen Medaille der R. Geo-
graphical Society 1857 gewürdigt. 1861 trat er von sei-
nem Amte zurück und lebte seitdem in London.
Bonomi, Joseph, hervorragender Ägyptolog und Hiero-
glyphenzeichner, geboren 1796 in London, wohin sein
Vater, ein italienischer Architect, eingewandert war, starb
daselbst am 3. März. Nachdem er sich als Schüler der
königlichen Academie der Bildhauerkunst gewidmet hatte,
begab er sich 1822 auf eine Studienreise nach Italien,
aber schon im nächsten Jahre wandte er sich nach Ägyp-
ten, wo er 8 Jahre zum Studium der Hieroglyphen ver-
wandte. Unter dem Schutze arabischer Tracht und Lebens-
weise ging er 1833 mit Arundale nach Sinai, Palästina und
Sinai. Nach seiner Rückkehr nach England beschäftigte er
sich mit Zeichnungen zu Werken über Ägypten, bis er
1842 die grosse Lepsius’sche Expedition als Künstler be-
gleitete, über deren Thätigkeit er u. A. einen Bericht in
Hieroglyphen in die grosse Pyramide von Gizeh eingrub.
Nach seiner Rückkehr veröffentlichte er viele Artikel über
den Orient, Ägypten und ägyptische Bauwerke, und machte
sich namentlich um die Aufstellung der ägyptischen Alter-
thümer im British Museum verdient.
Wilmanns, Gustav, Professor der klassischen Alterthums-
kunde an der Universität Strassburg, geb. 30. Deobr. 1845
zu Jüterbogk, starb am 7. März in Baden-Baden. Im In-
teresse des Corpus insoriptionum latinarum hat er in den
Jahren 1873 und 1874 ausgedehnte Wanderungen durch
Tunesien und Algerien unternommen, auf denen er na
mentlich im ersteren Lande viele noch unbekannte Wege
Geographische Nekrologie des Jahres 1878. 97
berührte. Seine Notizen und Skizzen werden von Prof.
H. Kiepert in Berlin zu einer Karte von Tunesien in
2 Blatt verarbeitet. s
Forbiger, Albert, geb. 2. Novbr. 1798 zu Leipzig, starb
am 11. März in Dresden. Er war seit 1824 an der Nicolai-
Schule zu Leipzig angestellt, deren Conrector er 1835 wurde;
1863 emeritirt. Ausser Schriften philologischen Inhalts ver-
öffentlichte er: „Handbuch der alten Geographie. 1842—48”,
3 Bde,
Prekering, Ch., amerikanischer Naturforscher und Ethno-
log, starb am 17. März in Boston im 74. Lebensjahre.
Nachdem er 1826 an der Massachusetts Medical School
promovirt hatte, lebte er einige Jahre als praktischer Arzt
in Philadelphia. Im Jahre 1838 wurde er dazu. auserlesen,
als Naturforscher die von der amerikanischen Regierung
ausgerüstete Wilkes’sche Expedition zu begleiten. Schon bald
nach der Rückkehr von derselben unternahm er 1843 eine
mehrjährige Reise nach Ägypten, Arabien, Indien und Ost-
Afrika, Als Resultate seiner Beobachtungen veröffentlichte
er 1848: „The Races of Men and their Geographical Dis-
tribution”; 1854: „The Geographical Distribution of Ani-
mals and Plants”, Vol. I. (Der zweite Band ist nie er-
schienen.) Bei seinem Tode befand sich ein drittes grös-
seres Werk: „Man’s Record on his own Existence” unter
der Presse.
Hartt, C. F., Professor der Geologie an der Cornell-
Universität, geb. 1840 in Fredericton, Neu-Braunschweig,
starb am 19. März in Rio de Janeiro am gelben Fieber.
1865 begleitete er seinen Lehrer Agassiz als geologischer
Assistent auf dessen Expedition zum Amazonenstrom, durch
welche er die Anregung erhielt, seine spätere Thätigkeit
Brasilien zu widmen. 1874 wurde er mit der geologischen
Aufnahme der südlichen Provinzen! beauftragt, welche er
leider nicht hat beendigen können. Sein bedeutendstes
Werk: „Geology and Physical Geography of Brazil” er-
schien 1870.
Mayers, W. S. F., Secretär der engl. Gesandtschaft in
Peking, hervorragender Sinolog, geb. 7. Januar 1831 in
Tasmania, starb am 24. März in Shanghai. Seine literari-
sche Thätigkeit war eine sehr bedeutende. Er veröffent-
lichte an Werken geogr. Inhalts: „Panthays of Yün-nan”.
Vortrag in der Brit. Association, Brighton 1872; „The
Treaty Ports of China”; „Government of China”. Um das
Studium der chinesischen Sprache machte er sich sehr ver-
dient, indem er dem Britischen Museum eine Abschrift von
„Imperial Compendium of Chinese Literature” in 5020 Bän-
den verschaffte.
Fils, A. W., kgl. preuss. Major a. D., bekannt durch
seine barometrischen Höhenmessungen in Mitteldeutschland,
geb. 23. Februar 1799 zu Jordansmühl, Regierungsbezirk
Breslau, starb am 28. März in Schleusingen. 1814 trat er
als Junker in die Artillerie des preugs, Heeres ein, wurde
im Laufe der 20er Jahre zum topographischen Bureau des
Grossen Generalstabes commandirt und war bei der Landes-
vermessung von Schlesien und der Provinz Sachsen thätig,
bei welcher er sich auf Prof. Heinr. Berghaus’ Veranlas-
sung schon viel mit Höhenmessungen beschäftigte. Während
dieser Zeit wie auch später lieferte er wesentliche Bei-
träge zu der Reymann’schen Specialkartee 1850 erhielt
er auf sein Ansuchen seinen Abschied und siedelte nach
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft III.
Thüringen über, um dessen Topographie er sich durch
werthvolle Beiträge und Berichtigungen von Höhenangaben
verdient machte. Er veröffentlichte Höhenmessungen sämmt-
licher Theile des Thüringer Waldes, ferner Karte von Bad
Ilmenau und Umgegend 1869, Höhenschichtenkarte des
Thüringer Waldes und des Kreises Schleusingen 1870, des
Kreises Schleusingen mit seinen Forsten 1873 u. a. Peter-
mann's Mittheilungen enthalten an Beiträgen von ihm:
Physik.-geogr. Skizze vom Herzogthum Coburg, mit Karte.
1855, S. 160; Die Höhenverhältnisse des Thüringer Wal-
des, mit Karte. 1856, S. 135; Die Centralgruppe des Thü-
ringer Waldes, mit Karte. 1859, S. 256; Höhenmessungen
in Meiningen. 1859, 8. 195; in Thüringen. 1861, S, 313;
Höhenlage der sächsischen Eisenbahnen. 1868, 8. 267.
Kampf, F., starb, 36 Jahre alt, am 30. März in Wash-
ington. In Bonn erzogen wanderte er 1870 nach den Ver-
einigten Staaten aus, nahm zunächst Antheil an der Küsten-
aufnahme und begleitete von 1873 an als Astronom die
Wheeler’schen Expeditionen zur Erforschung von Arizona,
Neu-Mexiko &c.
Cooper, T. T., Agent der indischen Regierung in Bahmo,
Barma, geb. 13. April 1837 in Sunderland, wurde am
6. April von einem Sepoy seiner Begleitung ermordet.
Schon im Alter von 16 Jahren trieb ihn die Lust an
Abenteuern nach Australien, wo ihn plötzliche Verarmung
‚seiner Familie zwang, sich einem Berufe zu widmen. Nach-
dem er verschiedene Beamtenstellungen in West-Australien
bekleidet hatte, hielt er sich mehrere Jahre in indischen
Städten als Kaufmann auf, bis er sich endlich in Shanghai
niederliess. Hier fasste er den Entschluss, durch Erschlies-
sung einer Landroute zwischen China und Indien die Ent-
wickelung des Handels zu befördern. Sein Versuch miss-
glückte jedoch; er gelangte 1868 nur bis Weisi-fua im
nördlichen Theil von Yünnan, wo er mit Lebensgefahr und
nur durch Bestechung aus dem Gefängnisse entkam. Über
diese Reise veröffentlichte er: „Travels by a Pioneer of
Commeroe”. Vom Viocekönig von Indien unterstützt ver-
suchte er 1870 abermals in umgekehrter Richtung eine
Handelsstrasse durch China zu öffnen, aber mit demselben
Misserfolg. Er gelangte nur bis zum Dorfe Prum im Thale
des Brahmaputra. Eine Schilderung dieser Reise erschien
1873 unter dem Titel: „The Mishmee Country”. Die Ent-
schlossenheit und Unerschrockenheit, mit der er sein Ziel
verfolgte, lenkte die Aufmerksamkeit der indischen Regie-
rung auf ihn und veranlasste seine Ernennung zum Stell-
vertreter des Agenten in Bahmo. Gesundheitsrücksichten
veranlassten jedoch bald seine Rückkehr nach Europa, von
wo er nach kurzem Aufenthalte in ehrenvoller Mission zur
Kaiser -Proclamation nach Indien zurückging und seinen
Posten als politischer Agent der indischen Regierung in
Bahmo wieder antrat.
Berendt, C. H., Erforscher Central-Amerikanischer Ge-
genden und bedeutender Ethnolog, geb. am 12. Novbr. 1817
in Danzig, starb am 12. April in der Stadt Guatemala.
Nach Absolvirung des Gymnasiums in Königsberg i./Pr.
widmete er sich seit 1838 dem Studium der Medicin, war
eine kurze Zeit in Breslau Privatdocent, seit 1846 prakti-
scher Arzt in Graudenz und wanderte 1851 nach Amerika
aus. Schon bald wandte er sich nach Üentral-Amerika, wo
er neben seinem ärstlichen Berufe sich mit ethnologischen,
13
98 Geographische Nekrologie des Jahres 1878,
naturwissenschaftlichen und geographischen Forschungen
beschäftigte. Bis 1853 hielt sich Berendt in Nicaragua,
dann 2 Jahre in Orizaba auf und siedelte nun nach Versa-
cruz über, wo er bis zur französischen Invasion 1862 blieb.
In diese Zeit fallen verschiedene Arbeiten, die in Peter-
mann’s Geogr. Mittheilungen veröffentlicht wurden: „Mit-
theilungen aus Mexiko (1862, S. 171, 215, 256, 336;
1863, S. 389, Um den politischen Unruhen aus dem
Wege zu gehen, wandte er sich in die Provinz Tabasco,
bis ihn auch hier 1864 die französische Invasıon vertrieb,
worauf er in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, um
Quellenstudien für seine Sprachforschungen anzustellen. Im
Auftrage der Smithsonian Institution unternahm Berendt
1866 eine sechsmonatliche Reise in den District von Peten
(Guatemala), 1868 für das Peabody-Museum zu Sammel-
zwecken eine Reise nach Merida und Campeche, von wo
er 1871 nach New York zurückkehrte. 1874 liess er sich
in Coban (Guatemala) nieder, unternahm 1877 im Auf-
trage der Berliner Museen Ausgrabungen in Santa Lucca
de Cotzamalguapan (Guatemala), wo seine schon seit Jahren
wankende Gesundheit den letzten Stoss erhielt. Im Früh-
jahre 1878 zwang ihn ein heftiger Fieberanfall zur schleu-
nigsten Rückkehr nach Guatemala, ohne hier Heilung fin-
den zu können. Unter seinen Arbeiten sind hervorzu-
heben: „Cartilla en Lengua Maya, 1871”; „Die Indianer des
Isthmus von Tehuantepec” (Ztschr. für Ethnologie 1873);
„Centres of ancient civilization in Central America, 1876”.
Mit Karte. Auch hat er eine Revision der Karte von Yu-
catan von Hübbe & Perez 1878 vorgenommen. Berendt
hat zahlreiche Manuscripte hinterlassen, worunter besonders
eine Grammatik der Maya-Sprache zu nennen ist.
Thomson, Thomas, berühmter Botaniker, geb. 4. De
cember 1817 in Glasgow, starb am 18. April in London,
Nachdem er 1839 in Glasgow das Studium der Medicin
vollendet hatte, ging er 1840 als Wundarzt nach Indien,
in welcher Stellung er am Afghanischen Feldzuge 1841—
1842 Theil nahm und durch die Capitulation von Ghusni
in die Gefangenschaft der Afghanen gerieth. Es gelang
ihm, dem drohenden Verkauf in die Sklaverei auszuweichen
und seinen Loskauf zu erwirken. Bis zum Jahre 1847 war
er mit einer kurzen Unterbrechung durch den Satladsch-
Feldzug, in Maradabad, Lahaur und Firospur stationirt,
wodurch er Gelegenheit erhielt, die Ebenen und die Thäler
des Himalaya einer gründlichen botanischen Untersuchung
zu unterziehen. Mit Major Cunningham und Capt. Strachey
erhielt er 1847 den Auftrag, die Grenze zwischen Kaschmir
und den tibetanischen Provinzen China’s aufzunehmen.
Zur Ordnung seiner reichhaltigen Sammlungen und Auf-
zeichnen seines Reiseberichtes nahm er einen längeren Ur-
laub zur Rückkehr nach England, verzichtete aber auf den-
selben, um mit dem Naturforscher J. Hooker den östlichen
Theil des Himalaya-Gebirges zu erforschen, wozu sie
1% Jahr verwendeten. Mit vollständig zerrütteter Gesund-
heit kehrte Thomson 1851 nach England zurück, von der
ostindischen Compagnie so sehr mit Undank belohnt, dass
er, wie er schon seine letzte Reise auf eigene Kosten hatte
unternehmen müssen, jetzt auch seine Werke: „Western
„Himalaya’s and Tibet” und „Flora of British India” auf
eigene Kosten veröffentlichen musste. 1854 kehrte er als
Direotor des botanischen Gartens und Professor der Botanik
am Medical College nach Calcutta zurück, doch schon 1861
zwang ihn andauernde Kränklichkeit, in England Erholung
zu suchen, die er jedoch nicht dinden sollte. Nochmals ging
er 1871 auf kurze Zeit als Secretär der Expedition zur
Beobachtung der Sonnenfinsterniss nach Indien. 1866 er-
hielt er von der Geogr. Gesellschaft in London die gol-
dene Medaille für seine Verdienste um die Erforschung des
Himalaya-Gebirges und Indiens.
Hagemeister, Jul. von, Senator und Staatssecretär, starb
am 24. April in Riga. Nachdem er 1825—28 in Dorpat
Militärwissenschaften studirt hatte, widmete er sich nach
Übersiedelung nach St. Petersburg besonders dem Studium
der Volkswirthschaft und der‘ Finanzen Russlands. Nach-
dem er im Auftrage der Regierung die fremden HHafen-
plätze am Schwarzen Meer und im östlichen Theil des
Mittelmeeres zur Erforschung der russischen Handelsbezie-
hungen daselbst besucht hatte, wurde er Dirigirender der
Creditabtheilung im Finanzministerium. Von ihm stammen
eine Reihe von Schriften über Gebiete der älteren Geschichte,
als auch über volkswirthschaftliche und finanzielle Fragen
Russlands. An den Arbeiten der Kais. Geogr. Gesellschaft
nabm er hervorragenden Antheil.
Henry, Joseph, Director der Smithsonian Institution,
geb. in Albany, New York, am 17. Decbr. 1799, starb in
Washington am 13. Mai. Von niederer Herkunft hat er
es verstanden, sich durch eigene Kraft eine höchst geach-
tete Stellung in der Wissenschaft zu erringen. Schon im
Jahre 1826 war er Professor der Mathematik an der Al-
bany Academy. 1846 wurde er zum ersten Secretär und
Director der Smithsonian Institution erwählt. Er hat zahl-
reiche Abhandlungen naturwissenschaftlichen Inhalts ver-
fasst, namentlich über Elektricität, Elektro - Magnetismus,
Meteorologie &. Um die Hebung der Smithsonian Insti-
tution hat er sich hervorragende Verdienste erworben.
Behn, W. F. G., Präsident der Kais. Leopoldinisch-
Carolinischen Akademie zu Dresden, geb. am 25. Decem-
ber 1808 zu Kiel, starb am 14. Mai in Dresden. Nach
Beendigung seiner medicinischen Studien in Göttingen, Kiel
und Paris wurde er 1837 zum ausserordentlichen Professor
der Anatomie in Kiel ernannt. Auf seine Anregung ver-
anlasste 1845 Christian VIII., der in fast freundschaft-
lichen Beziehungen zu ihm stand, die wissenschaftliche Ex-
pedition der „Galathea” um die Erde, an welcher Behn
als Naturforscher selbst Theil nahm. An der Westküste
von Süd-Amerika verliess er dieselbe im Februar 1847,
um, von nur einem Diener begleitet, von Cobija aus quer
durch den Kontinent zum Atlantischen Ocean zu wandern,
den er im November bei S. Paulo erreichte. Nach seiner
Rüokkehr wurde er im Sommer 1848 zum ordentlichen Pro-
fessor ernannt, welche Stellung er bis 1867 behielt, als er
missmuthig über die Umgestaltung der politischen Verhält-
nisse seines engeren Vaterlandes seine Entlassung forderte
und erhielt. 1869 wurde er zum Präsidenten der Leop.-
Carol. Akademie ernannt, deren Reorganisation ihm we
sentlich zu verdanken ist. Die Bearbeitung seiner Reise
ergebnisse ist bisher leider ungedruckt geblieben.
Bernoulii, Gust., geb. am 24, Januar 1834 zu Basel
starb am 18. Mai in San Francisco, gerade im Begriff
nach 20jähriger Abwesenheit sich dauernd in der Heimath
niederzulassen. Von 1852 an studirte Bernoulli in Basel,
Geographische Nekrologie des Jahres 1878.
Würzburg, Berlin und Paris Medioin mit vorwiegender Be-
rücksichtigung seines Lieblingsstudiums, der Botanik. Nach-
dem er 1857 promovirt hatte und sein Project, sich der
Deutsch - Afrikanischen Expedition unter Munzinger und
Heuglin anzuschliessen, durch verschiedene Umstände ver-
eitelt worden war, wandte er sich hauptsächlich auf den
Rath Alex. v. Humboldt’s nach Guatemala, wo er, erst in
der Hauptstadt, später in Mazatenango und Retalulen als
Arzt ansässig, sich eifrig botanischen Studien hingab. Ausser
zahlreichen, zu naturwissenschaftlichen Sammelzwecken un-
ternommenen kleineren Streifzügen („Briefe aus Guatemala”,
Geogr. Mitth. 1868, 8. 86; 1869, 8. 424; 1870, S. 435)
hat er die geographische Kenntniss Guatemala’s wesentlich
durch drei grössere Reisen gefördert: 1870 Reise im östl.
Theile im Grenzgebiet von Honduras (Geogr. Mitth. 1873,
S. 373; 1874, S. 281); 1876 im nordwestl. Theil; 1877
im Norden der Republik und in der mexikanischen Pro-
vinz Chisapas. Eine Biographie Bernoulli’s von Dr. F.
Mueller erschien in den Verhandlungen der „Naturforschen-
den Gesellschaft” in Basel, 1878, VI, Nr. 4, S. 710—737.
Reichel, L. Th., geb. 1812 zu Bethlehem, Nord-Ame-
rika, starb am 23. Mai in Berthelsdorf bei Herrnhut als
Bischof der Brüder-Gemeinde und Mitglied der Unitäts-
Direction. Auf seinen mehrfachen Reisen zu den Missions-
stationen, besonders in Labrador, war er überaus thätig
für die geogr. Wissenschaft. In Petermann’s Mittheilungen
veröffentlichte er 1863: „Labrador, Land und Leute”, mit
2 Karten. Er war gleichfalls ein hervorragender Mitarbeiter
am Grundemann’schen Missions-Atlas.
Gabb, Will. M., der bekannte Geolog und Erforscher
Central-Amerikanischer Gegenden, geb. am 20. Januar 1839
in Philadelphia, starb am 30. März in seiner Vaterstadt.
Als Knabe bereits zeigte er grosse Vorliebe für Minera-
logie und Paläontologie, und unter Leitung von Prof.
J. Hall konnte er sich schon früh dem Studium dieser
Wissenschaften hingeben, welches er später in der natur-
wissenschaftlichen Akademie in Philadelphia fortsetzte. Von
1860 an nahm er an der unter Whitney’s Leitung stehen-
den geologischen Aufnahme von Californien Theil und führte
1867 mit Ross, Brown und v. Loehr im Auftrage der
Lower Californ. Comp. eine Durchforschung der Californi-
schen Halbinsel aus, worüber in den Memoirs of the Calıf.
Academy of Natural Sciences, Bd. 1, ein ausführlicher Be-
richt erschien. Die Karte der Halbinsel wurde in den
Geogr. Mitth. 1868, Tafel 14, veröffentlicht. Unmittelbar
nach der Beendigung dieser Expedition wurde er beauf-
tragt, die Ländereien der $. Domingo Land und Mining
Comp. geologisch aufzunehmen, welche Arbeit er in so um-
fassender Weise ausführte, dass er 1872 eine Karte der
ganzen Republik im Maassstabe von 1:375000 veröffent-
lichen konnte. Der Bericht über diese Aufnahme erschien
in den Transactions of the Philos. Soc. Philadelphia, ‘Bd. 15.
Im Auftrage der Regierung von Costa-Rica führte er in
den Jahren 1873—76 eine geologisch-topographische Auf-
nahme dieser Republik aus, studirte aber gleichzeitig die
naturwissenschaftlichen und ethnologischen Verhältnisse des
Landes und übermittelte dem National-Museum in Wash-
ington sehr reiche Sammlungen. Die Karte seiner Auf-
nahmen erschien nebst einem Berichte in den Geogr.
Mitth. 1877, Tafel 18. Weitere Berichte über diese Expe-
dition wurden in Silliman’s American Journal, Bd. 8 u, 9,
veröffentlicht. 1876 besuchte er nochmals S. Domingo, er-
krankte daselbst an der Lungenschwindsucht und erlag
derselben kurz nach seiner Heimkehr. Ein umfangreiches
Werk über die Geologie und Paläontologie von Costa-Rica
ist von ihm hinterlassen worden.
Roe, John Sept., Commander R.N., der erste Surveyor
General von West-Australien, starb Anfang Juni in Perth.
Bis zum Jahre 1829 diente er als Lieutenant in der bri-
tischen Marine, trat dann in den Dienst der Kolonie West-
Australien und hat in einer 40jährigen amtlichen Thätig-
keit den grössten Theil des cultivirbaren Landes vermes-
sen. Auch an mehreren Entdeckungsexpeditionen nahm er
Theil, so 1830 längs der Südküste, 1835 nach dem King
George Sund, 1847 nordöstlich von der Champion Bay.
Bibra, Ernst Freiherr v., verdienter Naturforscher und
Reisender, geb. am 9. Juni 1806 auf dem Rittergut Schweb-
heim in Unterfranken, starb am 5. Juni in Nürnberg. Auf
der Universität Würzburg wandte er sich vom Studium der
Jurisprudenz, dem er sich anfänglich gewidmet, bald dem
der Naturwissenschaften, besonders der Chemie zu. Im
Jahre 1849 unternahm er eine grössere Reise nach Brasi-
lien, ging dann um das Kap Horn nach Chile, welches er
nach allen Seiten durchstreifte. Ausser kleineren Aufsätzen,
wie: „Die Algodonbai in Bolivien” 1852, „Beiträge zur
Naturgeschichte von Chile 1853”, veröffentlichte er über
diese Reise: „Reisen in Süd-Amerika 1854”, 2 Bde., „Er-
innerungen aus Süd- Amerika 1861”, 3 Bde., „Aus Chile,
Peru und Brasilien 1862”, 3 Bde. Sehr zahlreich sind
seine Schriften und Abhandlungen naturwissenschaftlichen
Inhalte, wie auch seine belletristischen Werke.
MacGahan, J. A., ein auch auf geographischem Ge-
biete bekannter Journalist, starb, 33 Jahre alt, am 9. Juni
in Constantinopel. Nachdem er als Berichterstatter des
New York Herald den deutsch-französischen Krieg mitge-
macht, so wie den Aufstand der Commune in Paris erlebt
hatte, folgte er, trotz des Verbotes der Regierung, der rus-
sischen Armee nach Chiwa. Er veröffentlichte seine Er-
lebnisse unter dem Titel: „Campaining on the Oxus”,
1875 begleitete er Sir Allen Young auf der Fahrt der
„Pandora” und schrieb über diese Reise: „Under the Nor-
thern Lights”. Zuletzt ging er als Berichterstatter der
„Daily News’ nach der Türkei, wo ihn ein Fieber hinweg-
raffte.
Paulus, Ed. v., königl. württembergischer Finanzrath
und Director des Statistisch- Topographischen Bureau’s in
Stuttgart, geb. zu Speier am 29. Januar 1803, starb am
15. Juni in Stuttgart. Nachdem er sich auf den Forst-
dienst vorbereitet hatte, wurde er von dem Dirigenten der
württemb. Landesvermessung, v. Mittnacht, in deren Dienst
berufen und war in derselben bis zu deren Beendigung
thätig. Von den 55 Karten des topographischen Atlas hat
er allein 23 ausgeführt. Im Jahre 1841 veröffentlichte er
eine Karte von Württemberg, 1:40000, die erste wirklich
gute Karte des Königreiches, welche sich noch jetzt weiter
Verbreitung erfreut. Sein liebstes Studium war die Erfor-
schung der römischen Alterthümer in seiner engeren Hei-
math ; zahlreiche Schriften und Karten bezeugen seine un-
ermüdliche, bis an sein Lebensende fortgesetzte Thätigkeit
in diesem Fache, unter welchen besonders hervorzuheben
Br ...: 13*
100 Geographische Nekrologie des Jahres 1878.
sind: „Die Oberamtebeschreibungen seit 1842”, deren zahl-
reiche Bände Paulus mit wenigen Ausnahmen verfasste;
„Beschreibung Württembergs”, 1863; „Archäologische Karte
Württembergs”, 3. Ausgabe 1876; „Die Alterthümer in
Württemberg”. 1877. Ausserdem hat er zahlreiche Ab-
handlungen in den Berichten des von ihm mitgegründeten
württembergischen Alterthumvereins veröffentlicht, Daneben
hat er den bis jetzt in 36 Blättern erschienenen „Geognosti-
schen Atlas von Württemberg” mitredigirt und zu vielen
Blättern den Text geschrieben.
Clarke, Rev. W. B., hervorragender australischer Geo-
log, geb. am 2. Juni 1798 ; in East Bergholt (Suffolk), starb
am 16. Juni in Sidney. Obwohl er sich dem geistlichen
Stande widmete, arbeitete er schon von früher Jugend an
mit Vorliebe in der Geologie. Nach Beendigung seiner
Studien fand er neben seiner amtlichen Thätigkeit als Pre-
diger Gelegenheit, sich durch wissenschaftliche Reisen durch
Gross-Britannien und auf dem Kontinente in seinem Lieb-
lingsfache auszubilden. 1839 wanderte er nach Neu-Süd-
Wales aus, wo er von 1846—1870 Prediger in Sidney war.
Um die Entwickelung der Kolonie hat er sich durch geo-
logische Untersuchungen sehr verdient gemacht, wobei er
schon vor Hargrave’s erster Goldentdeckung die Wahr-
scheinlichkeit des Vorbandenseins dieses Metalls betont.
hatte. Im Beginne der fünfziger Jahre machte er die erste
geologische Aufnahme der Kolonie. Das Werk, welches
seinen Ruf als Geolog begründete, war: „The Southern
Goldfielde”.
Wallis, Gust., geb. in Lüneburg in Detmold 1. Mai
1830, starb am 20. Juni in Cuenga in Ecuador. Im Jahre
1860 ging er im Auftrage des brüsseler Kunstgärtners,
van Linden, nach Süd-Amerika, um neue Pflanzen nach Europa
zu importiren, zu welchem Zwecke er 8 Jahre lang Brasi-
lien, Peru, Bolivia, Ecuador, Columbia, Venezuela, Panama
und Costa-Rica durchkreuzte, überall reiche Sammlungen
anlegend. 1868 unternahm er im Auftrage einer Londoner
Firma eine botanische Reise nach den Philippinen, aber schon
1871 wandte er sich wieder in den nordwestlichen Theil
Süd-Amerika’s, den er nicht wieder verlassen sollte. Er
starb in dürftigster Lage im Hospital. Wallis hat über
1000 neue Pflanzenspecies nach Europa geschafft.
Back, George, Admiral, berühmter Nordpolarfahrer, geb.
6. November 1796 in Stockport (Cheshire), starb am
23. Juni in London. Im Alter von 12 Jahren trat er als
Midshipman in die englische Marine ein, begleitete 1816
Capt. Buchan auf einer Entdeckungsfahrt nach Spitzbergen,
nahm 1818 an Franklin’s Expedition von der Hudsons-Bai
bis zum Kupferminen-Fluss Theil, den er auch 1825 auf
der Expedition zur Aufsuchung: der Nord-West-Passage be-
gleitete. Als Franklin selbst mit wenigen Begleitern zum
Grossen Bären-See aufbrach, führte Back die Expedition
nach Fort York an der Hudsons-Bai zurück. 1833 wurde
er, inzwischen zum Commander avancırt, zum Führer der
Expedition ausersehen zur Aufsuchung d’es nach 4jähriger
Abwesenheit für verschollen gehaltenen John Ross, auf
welcher er den Grossen Fish- oder Back-River bis zu seiner
Mündung verfolgte. Er veröffentlichte hierüber : „Narrative
of the Arctic Land Expedition to the Mouth of the Great
Fish River and along the Shores of the Arctic Ocean
1833—35”. Zum Captain befördert trat er schon 1836
eine neue Reise in die Polar-Regionen an, welche jedoch
gänzlich missglückte, denn schon im August wurde sein
Schiff kurz vor der Repulse-Bai vom Eise eingeschlossen
und kehrte 1837 im traurigsten Zustande nach England
zurück. Über diese Expedition berichtete er in dem Werke:
„Narrative of the expedition in H. M. Ship „Terror” under-
taken with a view to geographical discovery in the arctic
shores in 1836—37”. Von der Londoner, wie der Pariser
Geogr. Gesellschaft erhielt er die goldene Medaille. 1867
wurde er zum Admiral befördert.
Varnhagen, A. v., Vicomte von Portoseguro, brasiliani-
scher Gesandter am österreichischen Hofe, starb am 26. Juni
in Wien. Im Jahre 1855 veröffentlichte er sein Werk:
„Historia geral do Brazil”. Eine Kritik desselben von
d’Avezac, an die Pariser Geogr. Gesellschaft gerichtet, ver-
anlasste ihn zu zwei Entgegnungen: „Vespuce et son pre
mier voyage”, so wie „Examen de quelques points de
l’histoire geographique du Brezil”, worin er die Angriffe
und Widerlegungen d’Avezac’s bekämpfte.
Oldham, Th., verdienter ost-indischer Geolog, geb. im
Mai 1816 zu Dublin, starb am 17. Juli in Rugby. Nach-
dem er die Universitäten Dublin und Edinburgh besucht
hatte, wurde er 1839 geologischer Assistent des mit der
Aufnahme Irlands betrauten Obersten Portlock, 1845
Professor der Geologie in Dublin und 1846 Director der
geologischen Aufnahme von Irland. 1851 trat er an die
Spitze der neu gegründeten Geological Survey of India,
leitete die geologische Aufnahme des Landes, die Heraus-
gabe der öfficiellen geologischen Karten und der dazu ge-
hörigen Berichte. Seit 1861 redigirte er auch die Heraus-
gabe der Palaeontologia Indica. 1876 kehrte er nach Eu-
ropa zurück.
Daintree, R., bekannter australischer Geolog, starb im
Juli in London, 47 Jahre alt. In den Jahren 1854 bis
1864 betheiligte er sich an der geologischen Aufnahme
von Victoria, an der Erforschung des Bass- Flusses &c.
1864 liess er sich als Squatter in Queensland nieder, wurde
1869 zum Regierungsgeologen für die nördliche Hälfte der
Kolonie ernannt und gab in dieser Eigenschaft eine geolo-
gische Karte derselben heraus. Auf zu diesem Zwecke
unternommenen Reisen entdeckte er mehrere wichtige Gold-
felder. 1872 wurde er zum Generalagenten seiner Kolonie
in London ernannt.
Sachs, Karl, Assistent am physiologischen Institute zu
Berlin, verunglückte am 17. August bei der Besteigung
des Gletschers am Monte Cevedale bei Bormio. Im J. 1876
unternahm er mit Unterstützung der Humboldt-Stiftung eine
Reise nach Calabozzo in Venezuela behufs Fortsetzung der
von Al. v. Humboldt begonnenen Untersuchungen der Gym-
noten. Kurz vor seinem Tode erschien ein Bericht dieser
Reise: „Aus den Llanos”. Kürzere Mittheilungen erschie-
nen in: Geogr. Mitth. 1876, 8. 1.
Jones, F., Captain, starb am 3. September in Fernside.
Nachdem er seit 1830 mehrere Jahre als Zeichner bei eng-
lischen Küstenaufnahmen thätig gewesen war, bereiste er
1844 mit H. Rawlinson die türkisch - persische Grenze,
worüber er ein Mömoire mit Karte „Narrative af a Journey
through Parts of Persia and Kurdistan in company with
Major Rawlinson”, 1849, veröffentlichte, befuhr 1846 den
Tigris von Bagdad bis Samarrah, nahm 1848 den alten
Geographische Nekrologie des Jahres 1878. 101
Naharawan-Kanal auf, und schrieb eine Geschichte des-
selben von seiner Erbauung an, welche er mit einer
Karte begleitete. 1850 nahm er das alte Bett des Tigris
auf, 1852 die Ruinen von Ninive, 1853 publicirte er eine
Karte von Bagdad, 1854 eine Karte von Babylonien in
3 Blättern. 1855 wurde er politischer Resident in Buschir,
1857 in Bagdad, von wo er bei dem Ausbruch des persi-
schen Krieges mit Oberst M. Green den Sochat-el-Arab
und Karün aufnahm. 1858 kehrte er nach England zurück.
Seine letzte Arbeit, bisher nur Manuscript, ist eine Karte
der Euphrat-Tigris-Länder in 4 Blättern.
Griffith, R. J., bedeutender englischer Geolog, geb.
20. September 1784 in Dublin, starb daselbst am 22. Sep-
tember. Er machte sich namentlich verdient durch eine
geologische Karte von Irland, die in den Jahren 1815
—1855 erschien.
Beit, Th., bekannter Geolog, starb im 46. Lebens-
jahre am 22, September in Denver Colorado. Nach der
ersten Goldentdeckung in Neu-Süd-Wales wandte sich Belt
1851 dorthin und hat seitdem als Minen - Ingenieur in
Australien, Asien, Amerika gelebt. Sein Hauptwerk ist:
„Ihe Naturalist in Nicaragua” 1874; weitere Schriften
geographischen Inhalts sind: „On the Steppes of Southern
Russia” (Quart. Journ. Geol. Soo., Bd. 33); „On the Gla-
cial Period in the Southern Hemisphere (Quart. Journ. of
Science 1877).
Petermann, August H., geb. 18. April 1822 zu Bleiche-
rode, Reg.-Bezirk Erfurt, starb am 25. September in Gotha
(s. Geogr. Mitth. 1878, Vorwort zu Heft X).
Gudddonow, E., Privat-Secretär S. M. des Kaisers von
Russland, starb am 15./27. September. Auf geogr. Gebiete
hat er sich bekannt gemacht durch ein im Jahre 1845
begonnenes, leider unvollendet gebliebenes Werk über Russ-
land in histor.-geogr.-statist. Beziehung. Ausgeführt ist von
demselben nur die Beschreibung der Gouvernements Now-
gorod, Archangel, Olonetz und Wologda.
Keller, H., hervorragender Kartograph, Verfasser zahl-
reicher Reisekarten über die Schweiz, starb Ende Septem-
ber in Zürich.
Mosquera, T. C. de, General und ehemaliger Präsident
der Vereinigten Staaten von Columbia, starb, 80 Jahre alt,
am 7. October in Coconuco, Cauca. Als Geograph hat er
sich bekannt gemacht durch sein Werk: „Memoria sobre
la geografia fisica y politica de la Nueva Granada”. New
York 1852, in engl. Übersetzung 1853.
Dohrandt, C. F., Director des physikalischen Observato-
riums in Tiflis, starb am 22. October zu St. Petersburg.
Geboren am 3. April 1847 in Pernau, studirte er nach
Absolvirung des Gymnasiums in Riga, 1865—69 in Dorpat
und Heidelberg Chemie. In St. Petersburg wurde er auf
das Studium der Meteorologie hingelenkt, in welches er sich
so schnell hineinarbeitete, dass schon 1874 die Kais. Russ.
Geogr. Gesellschaft ihn zum Chef der meteorologisch-magne-
tischen Abtheilung ihrer Amu-Darja-Expedition erwählte,
über deren Thätigkeit er folgende Mittheilungen veröffent-
lichte: „Astronomische Ortsbestimmungen und magnetische
Messungen am Unterlaufe des Amu-Darja” (Wild, Reper-
torıum, VI); „Meteorologisches Beobachtungsmaterial, ge-
sammelt während der wissenschaftlichen Expedition an den
Amu-Darja 1874—75”. St. Petersburg. 2 Bde. Gemein-
schaftlich mit Prof. Schmidt in Dorpat: „Wassermengen und
Suspensionsschlamm des Amu-Darja in seinem Unterlaufe”
(Möm. de l’Acad. imp. des Sciences de St.- Pötersbourg.
T. XZxXV).
Babbage, B. Herrschel, bekannter australischer Ent-
deokungsreisender, starb am 22. October in St. Mary's bei
Adelaide im 64. Lebensjahre. 1851 siedelte er als Inge-
nieur nach Australien über Nachdem Swinden 1857 die
Existenz einer Landzunge zwischen Lake Torrens und dem
Spencer-Golf nachgewiesen hatte, wurde im folgenden Jahre
Babbage zur Leitung einer Expedition berufen, welche
diese Entdeckung weiter verfolgen und im Westen des er-
steren nach Norden vordringen sollte. Babbage fand zwi-
schen dem Torrens- und Gairdner-See eine grosse Zahl
kleiner Seen und Lagunen und gelangte unter 29° S. Br.
an das westliche Ufer des schon 1840 von Eyre entdeck-
ten und jetzt nach ihm benannten See's. Da er in Folge
seiner sorgfältigen Aufnahmen den gehegten Erwartungen
schnellen Vorrückens anfänglich nicht entsprochen hatte,
wurde er im November durch Major Warburton ersetzt,
doch wusste er sich vor der Untersuchungscommission gegen
die wider ihn erhobenen Anklagen glänzend zu rechtfer-
tigen. Namentlich dadurch hatte er sich ein Verdienst
erworben, dass er der Erste unter den australischen For-
schern war, welcher in den durchzogenen Gegenden Höhen-
messungen vornahm, 1870 und 1871 war er an der Her-
stellung des australischen Overland-Telegraph thätig.
Kohl, Joh. Georg, bedeutender Reiseschriftsteller und
Geograph, starb am 28. October in seiner Vaterstadt Bre-
men. Geboren am 28. April 1808, widmete er sich seit
1828 in Göttingen, Heidelberg und München dem Studium
der Rechtswissenschaft, musste dasselbe jedoch in Folge des
Todes seines Vaters nach 2 Jahren wieder aufgeben und
ging als Hauslehrer nach Kurland, wo er 6 Jahre blieb.
Wäbrend dieser Zeit bereiste Kohl Kurland, besuchte spä-
ter auch andere Theile des russischen Reiches, namentlich
Süd-Russland und liess sich 1838 in Dresden nieder, wo er
seine ersten umfangreichen Schriften veröffentlichte: „Peters-
burg in Bildern und Skizzen”, 3 Bde., 1841; „Reisen im
Innern von Süd-Russland”, 3 Bde.; „Die Deutsch-Russischen
Ostsee-Provinzen”, 2 Bde., 1841. Der Beifall, welchen die-
selben fanden, veranlassten ihn, sich ganz dem Berufe als
Reiseschriftsteller zu widmen, und in den nächsten zwei
Jahrzehnten durchwanderte er daher fast sämmtliche euro-
päische Länder, so wie einen Theil Nord-Amerika’s, über
welche Reisen er in zahlreichen Bänden berichtete. Neben
diesen verdanken wir Kohl höchst werthvolle Beiträge zur
Entdeckungsgeschichte Amerika’s, die er theilweis im Auf-
trage der U. S. Coast Survey verfasste: „Entdeckungs-
geschichte der Küsten der Vereinigten Staaten”; „Geschichte
des Golfstroms und seiner Erforschung” (Deutsch, Bremen
1868), „History of the disoovery of the East Coast of North-
America partioularly the coast ofMaine”. Mit 22 Kten. 1869
(im Auftrage der Historischen Gesellschaft zu Maine); fer-
ner: „Geschichte der Entdeckung Amerika’s von Columbus
bis Franklin”; „Die ältesten Generalkarten von Amerika
1527 und 1529”; „Geschichte der Entdeokungsreisen und
Schifffahrten zur Magellan-Strasse”, 1877. Auch auf dem
Gebiete der wissenschaftlichen Erdkunde war Kohl thätig
gewesen, wie die Schriften zeigen: „Der Verkehr und die
102 Geographische Nekrologie des Jahres 1878.
Ansiedelungen der Menschen in ihrer Abhängigkeit von
der Gestaltung der Erdoberfläche”, 1841; „Die Völker Euro-
pa’s”, 1872; „Die geogr. Lage der Hauptstädte Europa
1874; „Über die natürlichen Lockmittel des Völkerver-
kehrs”. 1858 kehrte Kohl aus Amerika zurück und liess
sich in seiner Vaterstadt nieder, die ihn 1863 zum Stadt-
bibliothekar ernannte. Seine letzte Arbeit: „Geschichte der
Fahrten zur Auffindung der nordwestlichen Durchfahrt”,
wird der Verein für Erdkunde ın Halle veröffentlichen.
Flemming, C., Besitzer des bekannten kartographischen
Verlags, geb. 10. November 1806 in Gröbern bei Leipzig,
starb am 1. November in Glogau. Ihm gebührt das Ver-
dienst, zuerst in Deutschland zur Herstellung billiger Schul-
karten die Lithographie zur Anwendung gebracht zu haben.
Unter der grossen Zahl von Karten, die in seinem Verlage
erschienen, ist besonders der Sohr-Handtke’sche Hand-Atlas
und Reymann’s Karte von Deutschland zu erwähnen.
Rutenberg, Ad., junger Afrikaforscher, wurde, 27 Jahre
alt, Ende November in der Gegend von Beravi, im Distriot
Minterano auf Madagascar, durch den Stamm der Sacalava
ermordet. Aus Bremen gebürtig, ging Rutenberg nach
Beendigung seiner medicinischen Studien 1877 nach Süd-
Afrika, reiste von Capstadt zu Lande über West-Griqua-
land und Bloemfontein nach Natal, von dort über Mauritius
nach Madagascar, besuchte die Hauptstadt Antananarivo und
das Ankaratra-Gebirge und brach im Mai 1878 von Nossi B6
auf, um auf bisher unbekannten Wegen die Insel von
Nord nach Süd bis Fort Dauphin zu durchkreuzen.
Khanykof, Nicol., berühmter Orientalist, geb. 24. Oc-
tober 1819 in Russland, starb am 15. December in Ram-
bouillet bei Paris. Er nahm Theil an General Perowsky’s
Expedition gegen Chiwa und war später langjähriger russi-
scher Consul in Persien, in welcher Eigenschaft er aus-
gedehnte Reisen in Central-Asien unternahm. 1843 ver-
öffentlichte er im Auftrage des asiatischen Departements
des Ministeriums eine Beschreibung des Chanats Buchara,
von dem 2 Jahre später eine englische Übersetzung: „Bok-
hara: its Amir and its People” erschien. Von ferneren
Schriften sind hervorzuheben: „Memoire sur la Partie M6-
ridionale de l’Asie Centrale”, 1861; „Etudes sur l’Instruction
publique en Russie”, 1865; „Memoire sur l’Ethnographie
du Perse”, 1866. Auch übersetzte er Ritter's Werk über
Persien in’s Russische. 1861 wurde ihm von der Geogr.
Gesellschaft in Paris die grosse goldene Medaille verliehen.
Taylor, Bayard, Gesandter der Vereinigten Staaten von
Nord - Amerika in Berlin, berühmter Dichter und Reise-
schriftsteller, starb in Berlin am 19. December. Geboren
enı 11. Januar 1825 zu Kennett Square, Pennsylvanien,
hat er es verstanden, durch eigene Kraft sich aus ärm-
lichen Verhältnissen zu angesehener Stellung emporzu-
schwingen. Mit dem 17. Jahre wurde er Buchdrucker-
lehrling, widmete sich daneben der Journalistik, welche
Thätigkeit ihn in den Stand setzte, 1844—46 Deutsch-
land und andere Theile Europa’s hauptsächlich zu Fuss
zu durchwandern: „Views a foot”, 1846. 1849 besuchte
er Californien und Mexiko, „El Dorado”, 1849, unternahm
1851 eine Reise in den Orient und in’s Nilgebiet, „A
journey to Central Africa”, 1854, „Lands of the Saracen”,
1855, und reiste 1852 durch Klein- Asien nach Indien
und China, wo er sich Perry’s Expedition gegen Japan
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2”,
anschloss. „Visit to India, China, Loo-Choo and Japan”,
1856. Die Jahre 1856—58 brachte er auf Reisen durch
Skandinavien, „Northern Travel”, 1857, Griechenland und
Russland zu, „Travel in Greece and Russia, with an Ex-
cursion to Crete”, 1859, wurde 1862 Gesandtschaftssecretär
in St. Petersburg, von wo er schon im nächsten Jahre nach
New York zurückkehrte, um sich mehrere Jahre schrift-
stellerischen Arbeiten zu widmen. 1872 besuchte er Kasch-
mir und Tibet, „Central Asia”, 1874, und machte 1874 einen
Ausflug nach Ägypten und Island, „Egypt and Iceland”,
1874. Er veröffentlichte ferner: „At Home and Abroad”,
1859—62, „Cyclopaedia of Modern Travel”, 1856. Die
meisten dieser Schriften wurden von seiner Gemahlin, Toch-
ter des berühmten Astronomen Hansen in Gotha, in’s
Deutsche übersetzt.
Blaramberg, J. v., russischer General-Lieutenant, geboren
zu Frankfurt a. M., starb, 78 Jahre alt, am 22. December zu
Sympheropol. Nach Beendigung seiner Studien in Deutsch-
land trat er in russische Dienste und betheiligte sich als
Ingenieur im Generalstabe an dem türkischen Kriege 1828
—29, so wie an mehreren Expeditionen gegen die Tscher-
kessen. 1835 nahm er an Karelin’s Expedition zur Unter-
suchung der Ostküste des Kaspischen Meeres Theil, bei
welcher er weit in’s Innere vordrang. Später wurde er
der russischen Gesandtschaft in Persien beigesellt, und 1856
Director der militär-topographischen Abtheilung im Kriegs-
ministerium, welchen Posten er bis 1867 bekleidete. Seine
Memoiren erschienen 1874—76 in Berlin in Deutscher
Sprache.
Buf, H., Professor der Physik, geb. 1805 in Rödel-
heim bei Frankfurt a. M., starb am 24. December in Gies-
sen. Wir verdanken ihm ausser einer grossen Anzahl
Schriften über Physik mehrere werthvolle Untersuchungen
über den Einfluss der Erddrehung auf die Bewegungen an
der Erdoberfläche, über Meteorologisches &c., die sich in
der Schrift: „Zur Physik der Erde”, 1850 finden.
Aus dem Jahre 1877 sind nachzutragen:
Smith, John, welcher als Arzt die Expedition der
Church Missionary Society nach Uganda begleitete, geboren
1852 in Half Morton, Schottland, starb am 11. Mai 1877 ın
Kagei am südlichen Ufer des Ukerewe-See’s an den Folgen
der Dyssenterie.
Kopp, welcher Dr. W. Junker als Präparator auf sei-
nen Reisen im Ägyptischen Sudan begleitete, starb Ende
Juni 1877 in Wändy im Makarakä-Gebiete.
Seymour, H. D., starb im August 1877 im Alter von
57 Jahren. Nach Beendigung seiner Universitäts -Studien
machte er eine jährige Reise durch West-Asien, die Kau-
kasus- Länder, Krim und Süd-Russland, während welcher
Zeit er an Layard’s Ausgrabungen in Ninive Theil nahm.
Er bestieg auf dieser Reise den Ararat. Nach Ausbruch
des Krimkrieges besuchte er diese Gegenden nochmals und
legte die Resultate dieser Reisen nieder in dem Werke:
„Russia in the Black Sea and Sea of Azoff”. Ein weiteres
Verdienst erwarb er sich, indem er fremde hervorragende
Werke durch Übersetzungen dem englischen Publicum zu-
gänglich machte, namentlich Ferrier’s: „Caravan Journey”
und Brugsch Bey’s: „Ägyptische Geschichte”.
Smyth, William, Contre-Admiral, starb am 25. Septem-
Geographische Nekrologie des Jahres 1878. 103
ber 1877. In den Jahren 1834— 1836 führte er eine
Reise quer durch Süd-Amerika von Callao bis Par& aus.
Durch den Widerstand der Indianer an den Ufern der
Pachitea wurde er verhindert, seine ursprüngliche Absicht,
auf dem Ucayale, dessen Schiffbarkeit er erforschen wollte,
zum Amazonenstrom zu gelangen, durchzuführen, sondern
er musste dem Laufe des Huallaga bis zum Maraüon folgen.
Noch in demselben Jahre seiner Rückkehr, 1836, begleitete
er Capt. Back auf dessen Expedition zur Repulse-Bai.
Swinhoe, Rob., langjähriger englischer Consul in chine-
sischen Häfen, geb. 1836 in Calcutta, starb am 28. Octo-
ber 1877 in London. Wenn seine wissenschaftliche Thä-
tigkeit sich auch hauptsächlich der Zoologie zuwandte, so
hatte er durch seine wiederholten Reisen in seiner amt«-
lichen Thätigkeit auch vielfach Gelegenheit, im Interesse
geographischer Wissenschaft thätig zu sein. Er veröffent-
lichte als Resultate seiner Reisen: „Notes on the Island of
Formosa’”’ (Journal der Lond. Geogr. Gesellsch., Bd. 34);
„Trip to Kalgan in the autumn of 1868” (Proceed., Bd. 14);
„Special-Mission up the Yang-tze-Kiang”. Mit Karte (Jour-
nal &c., Bd. 50). Mit völlig zerrütteter Gesundheit musste
er 1874 seinen Abschied nehmen.
Popow, A. N., bekannter russischer Historiker, starb
am 16. (28,) November. Ausser einer grossen Anzahl
Schriften juristisch-historischen, so wie kunstgeschichtlichen
Inhalts, die auch in geographischer Beziehung von Wich-
tigkeit sind, wie „die Beziehungen Russlands zu Chiwa und
Buchara während der Regierung Peter’s des Grossen” ver-
öffentlichte er Schilderungen einer Reise in Montenegro, in
die westslavischen Länder und Italien.
Smith, G. Shergold, Lieutenant und Rev. O’Nerll, Mit-
glieder der Expedition des Church Missionary Society nach
Uganda, wurden am 7. December 1877 vom König der Insel
Ukerewe, Lukongeh, getödtet, weil sie in einen Streit zwi-
schen diesem und dem Araber Songoro verwickelt worden
waren. Kurz zuvor hatten sie die Aufnahme des südöst-
lichen Theiles des Ukerewe-See’s, des Speke-Golf und seiner
Zuflüsse Shimeyu und Ruwana ausgeführt.
Elton, James F'., Captain und englischer Consul in Mogam-
bique, geb. am 3. August 1840, starb am 13. Dechr. 1877
bei Usekhe in Ugogo, Central-Afrika.. Nachdem er 1857
in die ostindische Armee eingetreten war und am chinesi-
schen Feldzuge Theil genommen hatte, schloss er sich 1863
der französischen Occupationsarmee in Mexiko an, worüber
er: „With the French in Mexico” veröffentlichte. In den
Jahren 1868—71 unternahm er mehrere Reisen in Natal
und den Transvaal-Ländern, unter welchen seine Expedi-
tion von Tati bis zur Mündung des Limpopo besonders
hervorragt, über welche er in Bd. 42 des Journal der
Geogr. Society of London einen Bericht nebst Karte publi-
eirte. 1873 wurde er Viceconsul in Zanzibar, 1875 Consul
in den portugiesischen Besitzungen der Ostküste Afrika’s,
um die Unterdrückung des Sklavenhandels zu überwachen,
zu welchem Zwecke er wiederholt Reisen längs der Küste
unternahm, über welche er in Bd. 44 des Journal of the
R. Geogr. Society of London berichtete. Ein grösseres
Werk über denselben Gegenstand erschien nach seinem Tode
unter dem Titel: „Notes and Sketches in East Africa
and on the Suppression of the Slave-trade 1873—77”. Im
Juli 1877 ging er zum Nyassa-See, um die Missionsstatio-
nen zu besuchen, Handelsverbindungen mit den Häuptlingen
anzuknüpfen und die Möglichkeit einer Strasse vom Nord-
ende des See’s nach Quiloa zu erforschen, bei welchem
Versuche er mit seinem Begleiter Cotterill weiter nach
Norden abgedrängt wurde. Durch die Anstrengungen und
Enntbehrungen, welchen die Reisenden in verwüstetem Lande
ausgesetzt waren, zog er sich starke Fieberanfälle zu, denen
er am 13. December erlag. Die humanitären Bestrebungen,
Afrika der Civilisation zu erschliessen und den Sklaven-
handel zu unterdrücken, haben durch den Tod Elton’s
einen schweren Verlust erlitten.
Mohammed-el-Gatroni, der bekannte treue Begleiter der
deutschen Entdeckungsreisenden im Gebiete des Tsad-See’s,
Barth, v. Beurmann, Rohlfs und Nachtigal, starb Ende 1877
hochbetagt in seiner Heimath Gatron bei Mursuk. Sämmt-
liche Reisende rühmen übereinstimmend die Treue und
Redlichkeit, mit der er selbst in Zeiten der Noth und Ent-
behrungen bei ihnen ausbarrte,
nen
P. Savorgnan de Brazza's Reise auf dem oberen Ogowe
und zu den westlichen Zuflüssen des Congo, 1876—78.
Als Savorgnan de Brazza im J. 1875 seine Reise nach
dem Ogowe antrat, herrschte noch allgemein die Ansicht,
dass dieser ansehnliche Strom weit im Innern des Äqua-
torialgebietes von Afrika seinen Ursprung nehme und wahr-
scheinlich aus einem See komme, den die Anwohner seines
unteren Laufes wiederholt den Europäern als See Tem im
Lande N’Dua bezeichnet hatten. Die Aussagen der Ein-
geborenen, wie sie u. A. durch Admiral Fleuriot de Langle
bekannt wurden (s. Peterm. Mittheilungen 1872, 8. 55),
mussten die Vorstellung erwecken, dass der Ogowe ober-
halb der Katarskten, die er beim Durchbruch durch die
Serra do Cristal bildet, eine günstige Wasserstrasse bis weit
in das Innere darbiete. Einzelne Geographen in Frank-
reich nährten auch die Hoffnung, der Ogowe werde sich
als Unterlauf des Lualaba oder wenigstens als ein Mün-
dungsarm des Congo herausstellen. So lange de Brazza
unterwegs war, drang auch die Kunde von Stanley’s gros-
sem Erfolg nicht zu ihm, es blieb ihm daher unbekannt,
dass sich die Identität des Lualaba mit dem Congo bestä-
tigt hatte, und dass der Congo, östlich vom Gebiet des
Ogowe von Nordost nach Südwest fliessend, eine weite
Erstreckung des Letzteren nach Osten hin unmöglich er-
104 P. Savorgnan de Brazza’s Reise auf dem oberen Ogowe u. zu den westlichen Zuflüssen des Congo, 1876—78.
scheinen liess. So kam es, dass de Brazza erst nach seiner
Rückkehr erfuhr, dass es ihm gelungen sei, ausser der
Quellgegend des Ogowe auch die Wasserscheide desselben
gegen den Congo zu überschreiten und mehrere westliche
Zuflüsse dieses grössten afrikanischen Stromes zu ent-
decken.
Hat die Savorgnan de Brazza’sche Expedition einerseits
den Nimbus zerstört, in welchem der Ogowe als ein ver-
meintlich grosser Strom Westafrika’s eine Zeit lang erschien,
so erfreut sie sich andererseits des sehr schönen Erfolges,
diesen Fluss, an dem so viele Reisende ihre Kräfte ver-
suchten, bis zu seinen Quellen verfolgt und noch weit
darüber hinaus einen Theil des Congo-Gebietes erforscht zu
haben.
SS
m
pr
eine Verkleinerung, getreu nachgebildet auch in Bezug auf das
Netz, obwohl die Positionen sich wahrscheinlich später etwas
verändern werden. Wie uns Herr Ch. Maunoir, dessen
grosser Gefälligkeit wir ein Exemplar der Karte und des
Vortrags verdanken, brieflich mitzutheilen die Güte hatte,
Zum würdigen Empfange der Expedition veranstaltete
die Pariser Geogr. Gesellschaft am 24. Januar d. J. bald
nach ihrer Rückkehr eine ausserordentliche Sitzung im
grossen Saal der Sorbonne, da die Räumlichkeiten in ihrem
neu erbauten Hötel nicht ausreichten. Bei dieser Gelegen-
heit hielt de Brazza einen Vortrag, worin er den Verlauf
der Reise kurz erzählte, das Hauptsächlichste der gewonne-
nen Resultate mittheilte und die wichtigsten Erlebnisse
schilderte. Den Anwesenden wurde zum besseren Ver-
ständniss des Vortrags eine Karte eingehändigt, die zwar
einen ganz provisorischen Charakter trägt, aber eine vor-
treffliche Orientirung über den Gang und die Ausdehnung
der Reise, wie über die Lage der neu entdeckten topogra-
phischen Objeote gewährt. Von ihr, ist unsere Chemietypie
werden de Brazza’s astronomische Ortsbestimmungen gegen-
wärtig erst berechnet, und wird wahrscheinlich der End-
punkt seiner Reise am Lebai Ooua ca 20’ östlicher liegen
als auf der provisorischen Karte. Die Verschiebung nach
Westen auf dieser Karte beginnt schon am westlichen Rande
P. Savorgnan de Brazza’s Reise auf dem oberen Ogowe u. zu den westlichen Zuflüssen des Congo, 1876—78. 105
bei Lope, welches Walker in 9° 35’ Ö. L. v. Paris legte,
also reichlich '/,° östlicher als die Karte, De Brazza er-
wähnt in seinem Vortrage, Lope liege in 9° 17’ Ö. L,,
also etwa in der Mitte zwischen den Positionen bei Walker
und auf der Karte, aber diess wird auch noch keine end-
gültige Bestimmung sein, und so müssen wir spätere Publi-
cationen abwarten. Es ist diess auch nur eine untergeord-
nete Frage, im Grossen und Ganzen liegen die Resultate
, der Expedition in dieser provisorischen Karte klar genug
vor Augen, und der Vortrag, aus dem wir im Nachstehen-
den einen Auszug geben, befriedigt schon in sehr dankens-
werther Weise unsere Neugierde hinsichtlich der Umstände,
unter denen diese Erfolge errungen wurden, so wie hin-
sichtlich der allgemeinen Naturbeschaffenheit der bereisten
Länder.
In Begleitung des Marinearztes Dr. Ballay und A. Mar-
che, welcher sich bereits 1873—74 an der Erforschungs-
expedition auf dem Ogowe unter Marquis Compiögne bethei-
ligt hatte, verliess Savorgnan de Brazza im August 1875
Bordeaux, berührte kurz St. Louis in Senegambien, wo die
Begleitungsmannschaft, bestehend aus dem Quartiermeister
Hamon und 13 Senegalesen, sich anschloss, und traf am
20. October am Gabun ein. Hier wurde die Mannschaft
noch durch 4 Gabonesen verstärkt, welche als Dolmetscher
dienen sollten. Ein französisches Dampfschiff brachte die
Expedition bis Lambarene, unterhalb der Mündung des Ngu-
nie in den Ogowe, wo schon die Schwierigkeiten anfıngen,
mit denen alle bisherigen Forscher im Gebiete dieses Flusses
zu kämpfen gehabt haben, die sich von hier aus fast täglich
wiederholen sollten und die Fortschritte der Expedition
wesentlich verzögerten. Erpressungen der Eingeborenen,
Desertionen der Ruderer und Träger, Fieber &c. liessen
die Expedition erst am 10. Februar 1876 in Lope ein-
treffen, wo ein mehrmonatlicher Aufenthalt genommen wer-
den musste, um Unterhandlungen mit den flussaufwärte
wohnenden Völkerschaften anzuknüpfen. Auch weigerten
sich die Eingeborenen zur Zeit des hohen Wasserstandes,
die Expedition weiter zu führen. De Brazza liess aber
die Zwischenzeit nicht unbenutzt verstreichen; er sandte
Dr. Ballay nach dem Gabun zurück, um mehrere erkrankte
Leute der Begleitung zurückzuschaffen und durch andere
zu ersetzen, so wie für einen grossen Betrag Waaren,
welche durch einen Unfall auf der Fahrt nach Lope ver-
loren gegangen waren, Ersatz zu schaffen, während er selbst
Verhandlungen mit den Fan anknüpfte, deren Angriffe
2 Jahre zuvor Compiögne’s und Marche’s Expedition an
der Mündung des Ivindo hatten scheitern lassen. In Be-
gleitung ihres Häuptlings Mamiaka machte er einen Aus-
flug zu den Stromschnellen bei Boue, oberhalb der Mün-
dung des Ofuö, und mit dem Neffen desselben, Zaburet,
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft III.
eine längere, äusserst anstrengende und mühselige Expedi-
tion zu Lande in’s Gebiet der Sebe.
Hier traf er wieder mit dem von der deutsch-afrikani-
schen Gesellschaft ausgesandten Forscher Dr. O. Lenz zu-
sammen, mit dem er schon in Lope einige Zeit verlebt
hatte. „Nach vielen vergeblichen Versuchen, in’s Innere
vorzudringen, war er von einer Völkerschaft nach der an-
deren unter verschiedenen Vorwänden im Stiche gelassen
worden. Seit 2 Jahren entfaltete er die grösste Energie
und Ausdauer, aber jetzt begannen seine Gesundheit und
seine Hülfsmittel zu schwinden. Trotzdem machte er in
diesem Augenblick einen neuen Versuch vorzudringen, unter-
nahm in Begleitung der Fan eine Landreise und holte mich
im Gebiet der Sebe ein. Bis in’s Gebiet der Aduma blie-
ben wir zusammen, wo ich Halt machte, während er noch
bis zur Mündung des Sebe einen Vorstoss längs des noch
unbekannten oberen Laufes des Ogowe ausführte. Nach die-
sem seinem letzten Erfolge kehrte er nach Europa zurück”.
Inzwischen waren Ballay und Marche wieder am Ogowe
eingetroffen und erreichten de Brazza in Dume, als er ge-
rade im Begriff stand, nach Lope zurückzukehren, um über
seine Gefährten Erkundigungen einzuziehen. Da seine Ge-
sundheit stark gelitten hatte, übernahm Ballay die Führung
der Expedition, während Marche einen Vorstoss den Ogowe
stromaufwärts machte und noch 75 km weiter als Lenz,
bis zur Mündung des Lekele gelangte. De Brazza selbst
kehrte nach Lope zurück, um den Rest der Expedition,
welcher zur Bewaohung der Waaren, die nicht hatten fort-
transportirt werden können, daselbst zurückgeblieben war, so
wie frischen Proviant zurückzubringen, so dass im April 1877
die ganze Expedition wieder in Dume sich vereinigte. Doch
stand ihr schon ein neuer Verlust bevor, da Marche durch
seinen geschwächten Gesundheitszustand gezwungen wurde,
nach Europa zurückzukehren, und durch diesen kamen die
letzten Nachrichten über die Expedition nach Europa.
Die Hauptschwierigkeiten begannen erst jetzt. Die
Aduma, auf welche man zur Erlangung der nöthigen Ru-
derer und Träger angewiesen war, verzögerten unter allerlei
Vorwänden die Abreise, um die Expedition so viel als mög-
lich auszunutzen, so dass es nur durch Anwendung von
List gelang, wenigstens einen Theil derselben unter Ballay
im Juli 1877 bis zu den Fällen von Pubara, 75 km ober-
halb des von Marche erreichten Punktes, vorzuschieben.
Der Rest derselben unter de Brazza selbst konnte sich erst
im März 1878 mit dem vorausgegangenen Theil hier im
Gebiete der Awumbo vereinigen. Hier erreichte die Er-
forschung des Ogowe ihr Ende, denn es stellte sich heraus,
dass statt eines mächtigen, weit landeinwärts zu verfolgen-
den Stromes zwei unbedeutende Flüsschen, Rebagni, der
Hauptarm, und Passa vorhanden waren, welche nicht mehr
14
106 P. Savorgnan de Brazza’s Reise auf dem oberen Ogowe u. zu den westlichen Zuflüssen des Congo, 1876—78.
zur Communication zu benutzen waren. Nur sehr kleine
Piroguen vermitteln den Verkehr der beiden Ufer, und noch
eine kurze Strecke weiter stromaufwärts sind beide so seicht,
dass man sie durchwaten kann. Ihre Quellen liegen nur
wenig südlicher in der Serra Complida, deren Westabhang
einige unbedeutende Flüsse in den Atlantischen Ocean ent-
sendet.
So hatte die Expedition nach zwei mühevollen Jahren
ihre Hauptaufgabe, die Frage nach dem Ursprunge des
Ogowe, gelöst. Er bildet keinen Verkehrsweg in’s unbe-
kannte Innere, wie man angenommen hatte. De Brazza
entschloss sich jetzt, den Ogowe zu verlassen, da es ihm
mit Recht wichtiger erschien, nach Osten vorzudringen, als
die Quellen dieses Flusses aufzusuchen. Er wollte ver-
suchen, wenigstens theilweis den Schleier zu lichten, wel-
cher das weite Gebiet bis zum Nil und Tanganika verhüllt.
Da jetzt der Wasserweg verlassen werden musste, so
entstand zunächst die Schwierigkeit, die nöthige Anzahl
Träger zum Transport des Gepäcks zu erlangen, zumal
in den zunächst zu betretenden Gebieten Handelsverkehr
nie bestanden hatte. Nach vielen vergeblichen Bemühun-
gen, die Bewohner dieser Distriote, die Umbete, gegen hohe
Bezahlung als Träger zu verwenden, blieb nur der ein-
zige Ausweg übrig, Sklaven zu kaufen, doch brauchte de
Brazza, durch böse Erfahrungen belehrt, die Vorsicht, den-
selben nicht sofort die Freiheit zu schenken, sondern ihnen
dieselbe erst nach ihrer Rückkehr in Aussicht zu stellen.
Da die inzwischen eingetretene Regenzeit jeglichen Vor-
marsch unmöglich machte, so benutzte er diese Zeit un-
freiwilliger Musse, um bei den umwohnenden Häuptlingen
die nöthige Anzahl Transportmittel, d. h. Sklaven, zusam-
menzubringen.
„In der waldreichen und fruchtbaren Gegend, welche
wir passirt hatten, herrschte ein verhältnissmässiger Über-
fluss an Lebensmitteln. Dagegen wurde uns das Gebiet
der Bateke, in welches wir im Begriffe standen vorzudrin-
gen, in den düstersten Farben geschildert: bewohnt von
Menschen, die sich nur mit Krieg und Plünderung beschäf-
tigen, von Lebensmitteln entblösst und daher für die Ver-
proviantirung die grössten Schwierigkeiten bietend, zumal
wir unser Personal verdreifacht hatten. Durch zwei Re
cognoscirungen, durch welche ich den besten Weg für den
weiteren Vormarsch ünserer Expedition ausfindig zu machen
beabsichtigte, konnte ich die Wahrheit dieser Gerüchte we-
nigstens zum Theil bestätigen. Das Land glich in der That
einer Sandwüste, stellenweis durchschnitten von tiefen
Schluchten, in denen Granitfelsen emporragten. Ich be-
merkte hier Spuren von Löwen, deren Gebiet auf das der
Elephanten und Gorilla, welche an den Ufern des Ogowe
hausen, zu folgen schien.
„Schon vor einiger Zeit hatten wir eine böse Erfahrung
gemacht. Die eiserne Kiste, welche unseren Vorrath an
Schuhzeug enthielt, und welche wir für vollkommen wasser-
dicht gehalten hatten, hatte sich bei unserem ersten Un-
fall auf dem Ogowe mit Wasser gefüllt, und ihr Inhalt
stellte sich, als wir sie in Pubara öffneten, als unbrauchbar
heraus, so dass wir, da unsere bisher gebrauchte F'uss-
bekleidung nur noch aus Lumpen bestand, gezwungen
waren, barfuss zu marschiren. So praktisch diese Fort-
bewegung auch für die Schwarzen sein mag, uns kam sie
sehr hart an; doch mussten wir uns 7 Monate lang daran
gewöhnen, was uns erst leichter wurde, als unsere zer-
lumpten Kleidungsstücke auch unsere Beine dem Gestrüpp
und dornigen Gebüsch aussetzten.
„Obwohl die Regenzeit noch nicht zu Ende war, mach-
ten wir uns, vor Ungeduld unseren Marsch fortsetzen
zu können, wieder auf den Weg, ohne der Regen zu
achten, welche ein unbarmherziger Himmel allabendlich
über uns ergoss. Von jetzt ab wurde unser Marsch schnel-
ler; in 20 Tagen durcheilten wir das Gebiet der Umbete
und gelangten in das der Bateke”.
Hier stiessen die Reisenden zum ersten Male auf einen
ostwärts strömenden Fluss, von den Eingeborenen N’gambo
genannt, dessen Breite nur 20 m betrug, der aber eine be-
trächtliche Tiefe besass. Indem sie seinem Laufe folgten,
gelangten sie zu einem weit bedeutenderen Flusse, Alima
genannt, in welchen der N’gambo mündete und welcher
mit sehr geringer nördlicher Abweichung auch nach Osten
floss. Seine Breite beträgt durchschnittlich 100m, bei einer
mittleren Tiefe von 5 m, seine Stromgeschwindigkeit 1'/, bis
2 Meilen pr. Stunde, die sich jedoch weiter stromabwärts,
wo sich die Ufer einander mehr nähern, auf 3 Meilen steigert.
Nach einem Laufe von 6 Tagen ergiesst sich die Alima nach
den Aussagen der Eingeborenen in einen grossen Strom,
von welchem her Pulver und Gewehre zu ihnen gelangen, -
und besitzt er auf dieser Strecke keine Stromschnellen.
De Brazza glaubte in diesem Augenblicke, dass die Alıma
schliesslich in einen grossen Binnensee südlich von Wadai
sich ergiessen würde, in welcher Ansicht er noch dadurch
bestärkt wurde, dass das Salz, welches auf diesem Wege
hierher gelangte, nicht das Product salzhaltiger Pflanzen,
sondern eine Art Soda war, welches unbedingt in grossen
Gefässen verdampft worden war.
De Brazza liess sich hier die verlockende Gelegenheit,
auf der Alima weiter nach Osten vorzudringen, nicht ent-
gehen, trotzdem die Hülfsmittel der Expedition schon auf
die Neige gingen und die Gesundheit aller Theilnehmer
durch die zweijährigen Strapazen stark gelitten hatte. Man
stiess hier zum ersten Male auf den kriegerischen Stamm
der Apfurus, deren eigentliche Wohnsitze weiter strom-
P. Savorgnan de Brazza’s Reise auf dem oberen Ogowe u. zu den westlichen Zuflüssen des Congo, 1876—78. 107
abwärts liegen, die aber in diese Gegend kommen, um
Manioc und Elfenbein einzutauschen,, wofür sie Pulver, Waf-
fen und Kleidungsstücke einhandeln. Es gelang de Brazza,
gegen hohe Bezahlung sich in den Besitz mehrerer Piroguen
zu setzen, auf denen die Expedition ihre Fahrt stromabwärts
begann. Doch die Hoffnung, der man sich hingegeben
hatte, auf diese Weise schneller verwärts zu kommen als
auf der langwierigen Landreise während der letzten 3 Mo-
nate, sollte sehr bald eine Enttäuschung erfahren.
Dieselben kriegerischen Scenen, welche Stanley ein
Jahr zuvor auf seiner Congofahrt erlebt hatte, wiederhol-
ten sich hier für die französische Expedition; die Apfurus
zeigten sioh als eben so begierig nach Menschenfleisch wie die
Mangala &c. am mittleren Congo. Schon am ersten Tage
ihrer Fahrt stromabwärts wurde die Expedition bei jeder
Niederlassung mit Flintenschüssen empfangen, von einer
grossen Anzahl Piroguen weithin verfolgt und von beiden
Ufern angegriffen. Am Abende wurde die Zahl der Einge-
borenen, von denen die Expedition.an den Ufern und in Ce-
noes erwartet wurde, eine so grosse, auch war ihre Wach-
samkeit eine so rege, dass man es nicht wagen konnte, im
Dunkel der Nacht diese gefährlichen Punkte zu passiren, son-
dern sich am Ufer verschanzte. Am folgenden Tage fand hier
ein förmliches Gefecht Statt, in welchem jedoch die Treff-
sicherheit und das Schnellfeuer der modernen Feuerwaffen
sehr schnell den Sieg davon trug ‚trotz aller Tapferkeit
und Unerschrockenheit der Eingeborenen. Im ersten Augen-
blick gedachte de Brazza diese Gelegenheit zu benutzen,
um weiter nach Osten vorzudringen, aber die sehr zu-
sammengeschmolzene Munition verlangte das Aufgeben die-
ses Planes, zumal man bisher auch nicht mit der Haupt-
masse der Apfurus, sondern nur mit ihren Vorposten zu-
sammengerathen war, und de Brazza nicht wissen konnte,
wohin die Alima ihn schliesslich führen würde.
Der Führer der Expedition entschloss sich deshalb, die
weitere Erforschung des Flusses aufzugeben und in nörd-
licher Richtung vorzudringen, nachdem man trotz der be-
ständigen Angriffe in 2 Tagen eine Strecke von 100 km
in gerader Linie zurückgelegt hatte. Aber auch in dem
Gebiete der gastlicheren Bateke, in deren Achtung die Ex-
pedition durch die Abweisung der Angriffe der Apfurus
bedeutend gestiegen war, sahen sie sich neuen Leiden aus-
gesetzt, da hier grosser Mangel an Lebensmitteln herrschte,
Es gelang aber trotzdem, um 2° nördlicher vorzudringen
und das Gebiet eines noch wichtigeren Flusses zu errei-
chen, der reich an vielen Zuflüssen ist.
„Der erste dieser Zuflüsse, welchen wir tiberschreiten
mussten, war der Oba, welchen Namen auch die Bewohner
seiner Ufer tragen. Später kamen wir zum Lebai N’gouco,
180 km von der Alima entfernt, welchen wir zur Zeit nie-
drigen Wasserstandes überschritten. Er besass eine Tiefe
von 1!/, bis 2!/, m; in den Schwellzeiten aber muss sein
Wasserspiegel sich mindestens um 2 m heben, wie ich nach
den Spuren des natürlichen Wasserstandes annehmen muss.
Hier machten wir Halt. Die Schwierigkeit, uns Lebens-
mittel zu verschaffen, wurde von Tag zu Tag grösser, eine
Anzahl unserer Träger war schon ganz von Kräften gekom-
men, so dass es unter diesen Umständen nicht möglich war,
weiter vorzudringen. Ich entschloss mich deshalb, unsere
Expedition zu theilen, behielt für mich nur die kräftigsten
Leute zurück und schickte den Rest mit Dr. Ballay und dem
Quartiermeister Hamon in kleinen Tagemärschen zum Ogowe
zurück, wo ich schliesslich wieder mit ihnen zusammentref-
fen wollte,
„Mit dem Entschlusse , so weit als möglich vorzudrin-
gen, frei von jedem Hemmniss, überschritt ich am 19. Juli
1878 den Lebai N’gouoo mit 10 Trägern und 6 Mann Be-
gleitung; aber trotz der besten Absichten, mich nach Osten
zu wenden, musste ich wieder eine nach Norden gerichtete
Marschroute einschlagen, weil wir uns dem Gebiet der
Anghie näherten, wohin uns Keiner der dortigen Bewohner
führen wollte, denn dieselben sind ein kriegerischer und
von ihren Nachbarn gefürchteter Stamm, welche, mit Feuer-
waffen ausgerüstet, häufig Razzien über die Grenzen ihres
Gebietes machen. Sie bewohnen die Ufer eines grossen
Flusses. Die Sklaven, welche sie auf ihren Razzien erbeuten,
werden in so entfernte Gegenden geschleppt,‘ dass seit
Menschengedenken Keiner wieder gesehen worden ist.
„30 km 'nordwärts vom Lebai N’gouco gelangte ich zum
Flusse Likona, welcher an der Stelle, wo ich ihn über-
schritt, nur wenig unbedeutender ist als die Alima. Seine
Breite betrug 100 m; seine Tiefe bei niedrigem Wasser-
stande schwankte zwischen 3 bis 5 m, aber sein Niveau
steigt in den Schwellzeiten um 3 m. Sein Lauf fällt fast
mit dem Äquator zusammen in der Richtung von West
nach Ost, vereinigt sich ein wenig stromabwärts mit sei-
nen Zuflüssen Oba und Lebai N’gouco und wird nach den
Aussagen der Eingeborenen bald so mächtig, dass die Über-
fahrt von einem Ufer zum anderen einen halben Tag in
Anspruch nimmt. Die Händler, welche die von den Anghie
geraubten Sklaven holen und diese menschliche Waare in
Gegenden davonschleppen, aus denen Niemand zurückkehrt,
sollen Monate lang sich auf diesem Flusse zu Schiffe auf-
halten. Nachts suchen sie auf Inseln Zuflucht. Eben diese
Händler sind im Besitze von Pulver, Gewehren und weissen
Kleidungsstoffen von europäischer Herkunft. Diese An-
gaben, welche mir damals unglaubwürdig erschienen, recht-
fertigen sich heute, wenn ich bedenke, dass die Einge-
borenen den Unterlauf des Likona mit dem Congo ver-
wechseln,
14*
108 P. Savorgnan de Brazza’s Reise auf dem oberen Ogowe u. zu den westlichen Zuflüssen des Congo, 1876— 78.
„Nach unserem Aufbruche vom Likona wurde unsere
Reise im höchsten Grade beschwerlich; meine Beine, denen
das Gestrüpp arg mitepielte, waren mit Wunden bedeckt;
meine Begleiter und Träger befanden sich kaum in einem
besseren Zustande, trotzdem ihnen diese Wanderungen im
Busche nicht ungewohnt waren. Die Waaren gingen auf
die Neige, so dass ich kaum noch eine genügende Menge
zur Sicherung meines Rückmarsches besass. Das Heran-
nahen der Regenzeit, welche das Land weithin überschwemmt,
drohte, mich von der Rückkehr abzuschneiden. Trotzdem
‚gelangte ich bis zum Flusse Lebai Ocua, '/° N. Br., d.h,
55 km nördlich vom Äquator; sein nördliches Ufer wird
von den Okanga bewohnt. Aber die Regenzeit war da;
am 11. August machte ich mich traurigen Herzens auf den
Rückweg zum Ogowe. Fast auf den Tag waren es 3 Jahre,
seitdem ich Europa verlassen hatte.
„Lebai Ocua bedeutet in der Sprache der Eingebore-
nen Salzfluss, denn dieses in Afrika so werthvolle Product
wird hier durch die Verdampfung des Wassers kleiner Ge-
wässer gewonnen, welche von Erhebungen, die reich an
Salz sind, herabfliessen. Diese Entdeckung liess mich wie-
der an der Existenz von Seen in der Gegend von Wadai
zweifeln, wohin nach meiner Ansicht die Alima uns führen
würde. Das Problem der afrikanischen Hydrographie wurde
für mich immer unklarer, da ich nicht daran denken konnte,
dass mir entgegen von Osten her der Congo seine majestä-
tischen Wellen fliessen liesse. Selbst besser Unterrichtete
als ich zweifelten an dieser ausserordentlichen Thatsache
bis zu ihrer endlichen Bestätigung durch Stanley. Was mich
betrifft, so wurde mir, sobald ich die erste Kenntniss
von dem Zuge dieses Foorschers erhielt, mit Einem Schlage
Alles klar; die Wasserläufe, die ich nach einander über-
schritten hatte, ergossen sich in den grossen Strom Living-
stone’s und Stanley’s.
„In diesem Augenblicke begriff ich, dass die Entdeckung
der Alima, welche nicht weit von dem Punkte, wo die
Schifffahrt in Piroguen auf dem Ogowe aufhört, schiffbar
wird, von grosser Bedeutung sei nicht allein für die Geo-
graphie, sondern auch für den Handel. In der That ist
die Entfernung beider Flüsse eine sehr geringe; sie be-
trägt ungefähr 50 Meilen, und ist das Terrain für den
Transport sowohl von Waaren, als auch zerlegbarer Canoes
sehr günstig, denn die Gegend, welche die Wasserscheide
zwischen Ogowe und Congo bildet, besteht aus sandigen
Hügeln von mässiger Höhe, welohe mehrere sehr bequeme
Übergänge gewähren ohne die Schwierigkeit einer dichten
Vegetation. Dampfboote von grossem Tonnengehalt können
auf der Alima fahren von dem Punkte an, wo wir ihn er-
reicht haben, und erreichen den Congo oberhalb der Fälle,
welche diesen Fluss vom Verkehr mit der atlantischen Küste
abschneiden, und welcher Punkt in Folge der Feindse-
ligkeit der Bevölkerung, die den Handel monopolisirt,
schwierig zu erreichen ist. Wenn auch der Ogowe kein
directer Weg in’s Innere ist, so ist er es doch indirect,
weil er den Zugang zum Congo öffnet, und hierdurch er-
langt er eine grosse Bedeutung. Unsere Beharrlichkeit, die
Erforschung nicht auf den Lauf des Ogowe zu beschränken,
und trotz des traurigen Zustandes, in dem wir uns befan-
den, weiter vprzudringen, war also von einem Erfolg ge
krönt, welcher unsere Erwartungen übertraf.
„Unser Rückmarsch zum Ogowe war um Nichts kürzer
oder weniger beschwerlich als für die Invaliden, welche ich
kurz zuvor unter der Führung von Dr. Ballay und Hamon
zurückgesandt hatte. Endlich fand sich unsere kleine Expe-
dition an den Ufern des Ogowe wieder vereinigt — — —.
„Unsere Fahrt stromabwärts den Ogowe war eine sehr
schnelle; wir hatten die geschicktesten Ruderer zu un-
serer Verfügung, deren Eifer noch durch den Gedanken
angespornt wurde, dass sie uns dorthin zurückführten, wo
man vielleicht schon an unserer Rückkehr verzweifelte.
Jeder wetteiferte mit dem anderen in Geschicklichkeit und
Frohsinn. Die guten Beziehungen, welche wir mit den
Uferbewohnern angeknüpft hatten, konnten unserer Reise
kaum ein anderes Hinderniss in den Weg legen, als die
Beweise ihrer Freundschaft zu erwiedern. Es würde ein
Triumphzug gewesen sein, wenn ein Unglücksfall uns nicht
daran erinnert hätte, dass alle Triumphe ihre Kehrseite
haben. Als Stanley erfuhr, dass der Atlantische Oosan nahe
sei, hatte er den Schmerz, in den letzten Stromschnellen
des Congo seinen letzten europäischen Gefährten zu verlie-
ren. Dasselbe Unglück hätte mich fast in den letz-
ten Stromschnellen des Ogowe betroffen; mein Freund
Dr. Ballay, mit dem lange Erfahrungen mich so eng ver-
bunden hatten, wäre fast vor meinen Augen umgekommen.
Meine Pirogue hatte gerade die Stromschnellen passirt,
als ein Flusspferd sich auf das Fahrzeug Dr. Ballay’s
stürzte, welches mir in einer Entfernung von ungefähr 50 m
folgte. Gerade im stärksten Strudel wurde die Pirogue von
dem ungeheueren Thiere erreicht, umgestürzt und trieb wie
ein gebrechliches Rohr inmitten des Flusses. Glücklicher-
weise hatte Dr. Ballay sich am Fahrzeuge anklammern
können, so dass ich ihn rechtzeitig erreichen und aus sei-
ner gefährlichen Lage befreien konnte.
„So waren wir endlich im Gebiete der Okanda einge-
troffen und hatten damit, wenn auch keine civilisirte, so dooh
eine befreundete Völkerschaft erreicht”. Am 30. November
erreichte die Expedition durch Eintreffen am Gabun ihr
Ende. ’
109
Alex. Sibiriakoffs Expedition in das Sibirische Eismeer durch die Bering - Strasse
im Sommer 1879.
Seit Ende December v. J. cursiren in Europa eine Reihe
unklarer, zum Theil sich widersprechender Gerüchte über
das Schicksal der schwedischen Polarexpedition. Die erste
Meldung brachte der New York Herald vom 11. December
in einem Telegramme aus San Francisco vom 10. December.
Danach hatten „zwei aus der St. Läwrence-Bucht zurück-
gekehrte amerikanische Walfänger von glaubwürdigen Ein-
geborenen aus der Gegend des Ostoaps die Mittheilung er-
halten, dass sie im” Norden des Ostcaps angeblich auf
40 Miles von der Küste ein russisches Kriegsschiff im
Eise eingeschlossen gesehen hätten”. Die Nachricht machte
sofort die Runde durch amerikanische und europäische Zei-
tungen. Obne genügenden Grund entstanden die lebhaf-
testen Besorgnisse für die Sicherheit des Schiffes, welches,
wie man annahm, kein anderes sein könne, als die „Voga”.
Inzwischen wurden die bisherigen Berichte durch weitere
Meldungen von jenseit des Oceans ergänzt, ohne dass in-
dess die Zuverlässigkeit dieser Nachrichten irgendwie nach-
gewiesen werden konnte. Es hiess, dass das Schiff nicht 40,
sondern 10 Miles von der Küste, ziemlich geschützt in einer
Bucht zwischen einer Insel und dem Festlande westlich
vom Ostcap liege, und dass hier ein Tschuktschendorf im
Fall des Schiffbruchs Unterkunft und Lebensunterhalt bie-
ten werde. Auch wurde darauf hingewiesen, dass die
„Vega” für die Überwinterung im Eismeer gebaut und
vollständig verproviantirt sei. Die russische Regierung gab
dem Gouverneur von Ostaibirien, Baron Friedrichs, den Auf-
trag, eine Landexpedition zur Aufsuchung von Nordenskiöld
auszusenden, eine Seeexpedition verbot sich von selbst, da
im Winter die Passage durch die Bering-Strasse vom Eise
gesperrt ist. Wie indessen Latkin in einer Zuschrift an
die Bremer Geographische Gesellschaft bewies, ist die Auf-
gabe der Landexpedition keine leichte, jedenfalls eine zeit-
raubende, da es mindestens 125 Tage erfordert, mit einer
Hundeschlittenexpedition von Jakutsk das Ostoap zu er-
reichen.
Durch Vermittelung eines Freundes in Washington er-
hielten wir den aus San Francisco den 21. Januar datir-
ten Bericht eines zuverlässigen Mannes, der die Führer
der beiden Schiffe, welche die erste Nachricht gebracht
hatten, der Barks „Thomas Pope” und „Norman”, genau
befragte.e. Nach der Mittheilung dieses Mannes, Kapitän
E. P. Herendeen in San Francisco, erscheint der erste tele-
graphische Bericht insoweit bestätigt, als Eingeborene,
welche um Mitte October von den beiden Walern in der
Plover-Bai gesprochen wurden, in der That ausgesagt haben,
dass sie ein russisches Kriegsschiff im Eise des Arktischen
Oceans besetzt gesehen hätten. Unser San Francisco-Ge-
währsmann fügt das Folgende hinzu: „Dieser Bericht stammt
offenbar von eingeborenen Händlern (Traders), welche, von
Norden kommend, zum grossen Koliutschinfluss südwärts
zogen. Es ist die allgemeine Meinung der Woaler, dass das
gesehene Schiff auf irgend einem Punkte in der Nähe des
sibirischen Festlandes südlich vom Wrangel-Land sich befin-
det, da gerade hier eine Blockirung durch Eis am wahr-
scheinlichsten ist. Mehrere Kapitäne sagten mir, dass in
diesem Jahre einige von ihnen nur auf 10 Miles Entfer-
nung vom Cap Serdze waren, und dass sich wenig oder
gar kein Eis zeigte. Ohne Zweifel ist die Position von
Nordenskiöld nicht weit von einer Linie, welche man sich
südlich vom Wrangel-Land zum Festland gezogen denkt. All-
gemein ist man der Ansicht, dass die „Vega” ohne Schwie-
rigkeit durch den Winter kommen werde, und selbst wenn
das Schiff verloren gehen sollte, so zeigt das Beispiel des
Schiffes „Citizen” von New Bedford, welches westlich vom
Cap Serdze im Jahre 1852 verloren ging, dessen gesammte
Bemannung aber von den Eingeborenen aufgenommen, ver-
pflegt und glücklich durchgewintert wurde, dass auch dann
Nordenskiöld und seine Gefährten gerettet werden dürften.
Indem wir uns dieser letzteren Annahme gern anschlies-
sen, theilen wir einiges Nähere über die von Herrn Alexan-
der Sibiriakoff, dem bekannten freigebigen Förderer aller
Sibirien-Forschungen, zu organisirenden Expedition des Dam-
pfers „Nordenskiöld” mit. Dieses jetzt in Malmö auf den
Werften der Actiengesellschaft von Kockum in Bau begrif-
fene Fahrzeug soll unter der Führung des Kapitän Hein-
rich Sengstacke (erstem Officier der zweiten deutschen Polar-
expedition) im Mai dieses Jahres durch den Suezcanal und
den Indischen Ocean zur Bering-Strasse gehen, und von da,
Nordenskiöld aufsuchend, zur Lenamündung vordringen,
hier an einer näher verabredeten Stelle (auf 71° 40’
N. Br. und 129° 30’ Ö.L.) den von Jakutsk kommenden
Dampfer „Lena’” treffen, von diesem Kohlen einnehmen
und wo möglich noch durch die Bering-Strasse wieder in
den Stillen Ocean zurückkehren.
Bei dem hohen wissenschaftlichen Interesse, welches
sich an diese Reise knüpft, und das Herr Sibiriakoff voll-
kommen würdigt, hat derselbe sich entschlossen, diese Ex-
pedition, welche in hydrographischer und nautischer Be-
ziehung schon in Rücksicht auf den treffllichen Führer der-
selben, Herrn Sengstacke, erhebliche Resultate verspricht,
noch weiter für die Wissenschaft daduroh nutzbar zu machen,
°
110 Alex. Sibiriakoff’s Expedition in das Sibirische Eismeer durch. die Bering - Strasse im Semmer 1879.
dass er zwei Gelehrte eingeladen hat, an der Fahrt Theil
zu nehmen. Es ist diess zunächst Herr Baron A. v. Danckel-
man, zur Zeit Vorstand des Meteorologischen Buresus zu
"Leipzig. Auf Empfehlung von Justus Perthes’ geographi-
schem Institut erklärte sich Herr v. Danckelman bereit,
die Expedition zu begleiten. Derselbe hat die meteorologi-
schen Beobachtungen der Güssfeldt'schen Loango-Expedition
(Leipsig, bei P. Frohberg, 1878) bearbeitet und ist auch
sonst als tüchtiger Meteorolog bekannt. So erschien von
ihm in der Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für
Meteorologie (1877, Nr. 21 und 22) ein Verzeichniss der
im Jahre 1877 thätig gewesenen meteorologischen Statio-
nen der europäischen Staaten mit Angabe ihrer Position
und Höhe, wozu die einzelnen Daten meistens brieflich zu-
sammengetragen wurden, so wie (1878, Nr. 27) eine Ab-
handlung „Zur Klimatologie des Herero-Landes”.
Die Polarforschung des letzten Jahrzehnts hat sich aus-
schliesslich auf die atlantischen Zugänge zur arktischen
Centralregion beschränkt, keine der zahlreichen Expeditio-
nen hat ihren Weg ‘durch die Bering-Strasse genommen,
jenseit welcher unsere zuletzt von Kapitän Long 1867 in
etwas ergänzte geographische Kunde in weit tieferen Brei-
ten aufhört, als diess im europäischen Eismeere der Fall
ist. Um so verdienstlicher sind die in diesem Jahre nach
der Bering-Strasse ausgehenden Expeditionen. Es kommt
bekanntlich die Bennett’sche Fahrt der „Jeannette”, welche
im Monat Mai San Francisco verlassen soll, hinzu. Hoffent-
lich fügt ee ein günstiger Zufall, dass die schwedische Ex-
pedition irgendwo angetroffen wird, damit die Nachfolger
erfahren, in welohen Richtungen Nordenskiöld gearbeitet
hat, und worauf sie ihr Augenmerk zu richten haben. Ei-
nige neue Kunde über Meerwasser-Temperaturen, Strömung
und Tiefen im ‘Norden der Bering-Strasse verdanken wir
der Sommerkreuze des russischen Kriegsschiffes „Wasadnik”
1876. Von Walern und Handelsschiffen werden die Küsten
der Bering-Strasse allsommerlich besucht. Im vorigen Som-
mer belief sich die Zahl dieser (amerikanischen) Fahrzeuge
auf 38. Sie treiben mit den Eingeborenen Tauschhandel, und
zwar bestehen die Tauschgegenstände u. A. in Branntwein,
Flinten, Messern und sonstigen Werkzeugen, Tuch, Tabak,
Streichhölzern, Pulver und Kugeln &c. Im Ganzen wurden
120000 Pfd. Barten, ferner Walrosszähne &o. mitgebracht.
Die geographische Kunde, welohe die Waler in den letzten
Jahren aus dem Meere im Norden der Bering-Strasse mit-
brachten, war eine spärliche So erfuhren wir z. B., dass
Kapitän Keenan „auf dem Meridian von 179° Ö. L. auf
73° N. Br. war, und dass sein Steuermann oben aus dem
Mast Land gerade voraus sah”.
Für den Umfang der geographischen und überhaupt
wissenschaftlichen Erfolge wird es entscheidend sein, ob
der Dampfer „Nordenskiöld” noch im Herbst von der Lens
aus dem Eismeere zurückkehrt oder dort den Winter über
verweilt. Geographisch wird es sich zuerst darum han-
deln, die von Nordenskiöld mitgebrachte Karte durch
neus und wiederholte Aufnahmen und astronomische Orts-
bestimmungen zu erweitern. Hierbei ist aber daran zu
erinnern, dass wegen der ausserordentlichen atmosphäri-
schen Refraction und wegen der starken Kälte im Winter
die Ortsbestimmungen der einzelnen Reisenden selbst bei
den besten Instrumenten oft unter einander abweichen wer-
den. Photographische Aufnahmen, Zeichnungen &c. wer-
den die Beschreibung der allgemeinen geographischen Ver-
hältnisse ergänzen. In zweiter Linie»*kommen die meteoro-
logischen und magnetischen Beobachtungen, namentlich mit
Unterstützung durch einen oder den anderen von der
Schiffemannschaft, stündliche Beobachtungen des Luftdrucks,
der Temperatur &c. Von hohem Werth würden die Nord-
lichtbeobachtungen sein, vielleicht dürfte es auch gelingen,
einige gute Abbildungen von besonders glänzenden Er-
scheinungen zu erhalten, die ja noch so selten sind. In
dritter Linie dürften denn noch geologische, ethnologische &0.
Beobachtungen kommen.
Im Fall einer Überwinterung würden magnetische Va-
riationsbeobachtungen nach Möglichkeit anzustellen sein und
auch ein festes meteorologisches Observatorium eingerichtet
werden. Dass specifische Gewichtsbestimmungen des Meer-
wassers, Tiefseemessungen, Grundproben nicht vernachläs-
sigt werden, dafür wird sioher Kapitän Sengstacke sorgen.
Der neue Dampfer „Nordenskiöld” ist ein sogenannter
Composite-Schraubendampfer und soll gegen den 10. Mai
fertig gestellt werden. Die Werft garantirt einen mittleren
Tiefgang von 103 engl. Fuss und eine Geschwindigkeit von
acht Knoten bei guten Wetterverhältnissen. Der Lade
raum unter der Unterkante der Deocksbalken beträgt we
nigstens 14000 engl. Kubikfuss, ausser den im Maschinen-
raum befindlichen Kohlenbunkern, welche 40 Tons fassen
sollen. Es wird ein Kohlenverbrauch (gute New Castler oder
South-Yorkshire Kohlen) von 450 bis 500 Zollpfund in der
Stunde bei obiger Geschwindigkeit garantirt. Die Dimen-
sionen des Schiffes sind folgende: die Länge über die Ste
ven auf dem Decke 140 Fuss, die Länge zwischen den
Perpendiculairen in der Wasserlinie 135 Fuss, die Breite
aussenbords 25 Fuss, dieselbe im Laderaum von Ober
kante Bodenstück bis Oberkante Decksbalken 12 Fuss,
Mitteltiefgang mit 340 Tons todtem Gewicht (dead weight)
inclusive Kohlen in den Bunkern 11$ Fuss. Das Schiff
wird mit Holzbekleidung auf Eisenspant (Composite) und
bezüglich der Material-Dimensionen entsprechend den For-
derungen des „Englischen Lloyd”, um die höchste Klasse
zu erreichen, gebaut. Die Steven mit Aufklotzung und
Geographischer Monatsbericht. 111
Kielhölzern werden vom besten schwedischen Eichenholz
angefertigt, Aussenkante und Deck vom besten schwedi-
schen Föhrenholz. Die Spanten, Contraspanten, Boden-
stüoke und Kielplatten sind aus schwedischem Eisen, Bal-
ken und sonstige Verbindungen von englischem Material;
Verbolzungen im Kiel und dem Steven, so wie auch in
der Aussenkante sind aus galvanisirtem Eisen. Das Schiff
wird ausserdem versehen mit einer Spiekerhaut von 3 Zoll
Föhrenplanken in einer Strecke von 15 bis 20 Fuss am
Bug, von etwa 2 Fuss über der Lastwasserlinie bis an den
Kiel und an den Seiten mit zweizölligen Planken in einer
Breite von ungefähr 4 Fuss bis nach hinten. Es wird be-
kleidet mit einer Eisenhaut in einer Dioke von !/, Zoll im
Bug, abnehmend bis auf !,s Zoll auf der Seite und von
einer Höhe von ungefähr 8 Fuss. Das Schiff wird mit
einem Brunnen gebaut, um den Propeller heben zu können,
und das Ruder zu leichtem Abnehmen in See eingerichtet.
Ferner wird ein Halbdeckachter in der Höhe der Reling,
worunter eine Kajüte und Hütte für den Kapitän, Steuer-
mann, Zimmermann und Maschinisten, so wie eine Passagier-
kammer, eine Proviantkammer und eine Panterie her-
gestellt.
ISIS
Geographischer Monatsbericht.
Europe.
Über Witterungstelegraphie und Sturmwarnungen im Deut-
schen Reich schreibt Dr. Engel’s „Statistische Correspondenz”
vom 1. Februar: „Seitdem das Deutsche Reich in der Kais.
Seswarte zu Hamburg eine Centralstelle für maritime Me-
teorologie erhalten hat, ist auch hier das System der Witte-
rungsprognosen und Sturmwarnungen weiter ausgebildet und
vervollkommnet worden, und es erfreut sich dieser Zweig
des meteorologischen Dienstes seit mehr als zwei Jahren
einer vortrefflichen einheitlichen Organisation. Welchen Um-
fang die Thätigkeit der Seewarte in dieser Richtung an-
genommen hat, geht daraus hervor, dass im Jahre 1877
an 307 Tagen 2888 Aussichten für Wetter, Wind und
Temperatur, im Jahre 1878 aber an 304 Tagen 2010 Aus-
sichten für die Küste, 2319 Aussichten für das Binnenland
(davon 1853 für beide gemeinsam) ausgegeben worden sind.
Diese Wetterprognosen gelten für Deutschland, insbesondere
für Nord - Deutschland und vor Allem für die Küste, die
Sturmwarnungen ausschliesslich für letztere, über welche
mehr als 40 eigens eingerichtete und mit den üblichen
Signalen und Apparaten ausgestattete Signalstellen ver-
theilt sind.
„Dass es einer so umfassenden Thätigkeit nicht an Er-
folgen fehlen kann, ist naheliegend. Thatsächlich ergiebt
eine Vergleichung der ausgegebenen Aussichten mit den
wirklich eingetretenen Witterungsverhältnissen, dass von
den Prognosen bezw. Warnungen mit den nachfolgenden
Thatbeständen übereinstimmten (a — für die Küste, b — für
das Binnenland)
im Jahre 1877 im Jahre 1878
Aussichten für gut theilweis nieht gut theilweis nieht
Procent Prosent
1 68 22 10
. [N 71 20 8
Wind bb 69 18 13 67 99 1
8 70 22 8
Temperatur ..)» 75 19 6 68 5 7
überhaupt . . . 69 19 12 6 22 9
„Werden, wie zulässig erscheint, diejenigen Fälle, in
denen die Aussichten nur theilweis mit den nachfolgen-
den Thatbeständen übereinstimmten, zur einen Hälfte den
günstigen, zur anderen den ungünstigen zugerechnet, so sind
von den ausgegebenen Prognosen eingetroffen (a = Küste,
b = Binnenland)
im Jahre
1877 1878
für Wetter . . ’ 77 Procent J 2 Prooent
.
„ Wind. .
”
„ Temperatur. 84 „ eo >
überhaupt er ” 80 „
„Dieses glänzende Kohn ist nicht allein für die
Wissenschaft ein Triumph, sondern hat auch für wichtige
materielle Interessen der Nation eine weitgehende Bedeu-
tung. Schiffe, welche beim Passiren der Signalstellen das
Sturmwarnung-Signal beachten, können meist noch den
sicheren Hafen erreichen oder sich auf die Begegnung des
Sturmes vorbereiten, und auslaufende Schiffe werden durch
die Witterungstelegramme gar häufig vor dem Hineinlaufen
in einen Sturm abgehalten. Erhaltung von Menschenleben,
Fahrzeugen und deren Ladung ist der unberechenbare prak-
tische Nutzen der Witterungstelegraphie und der Sturm-
warnungen, deren Bedeutung noch dadurch erhöht wird,
dass sie auch den von Sturmfluthen gefährdeten Strand-
gebieten zu Gute kommen”,
Auf dem Schafderg (1782 Meter) bei Ischl (467 Meter)
werden seit Juni 1871 regelmässige meteorologische Beobach-
tungen angestellt, und obgleich dieselben nur in Ablesungen
des Barometers und trockenen Thermometers, so wie in
Aufzeichnungen über Wind, Regen und Nebel bestehen,
im Sommer vom Wirth des Hötels, im Winter von einem
Knecht besorgt werden, so gleicht doch die vorzügliche
Gipfellage des Hauses die mangelhafte Ausrüstung mit In-
strumenten einigermaassen aus, und die Resultate der Beob-
achtungen liefern in Prof. J. Hann’s Bearbeitung !) einen
werthvollen Beitrag zur Physik der höheren Luftschichten,
zumal die Bearbeitung auch auf theoretische Untersuchun-
!) Zur Meteorologie der Alpengipfel. Sitsungsberichte der K. Aka-
demie der Wissenschaften zu Wien, II. Abtbeil., Bd. LXXVIU, Octo-
ber 1878.
112 Geographischer Monatsbericht.
gen eingeht, namentlich über die Theorie der Berg-
und Thalwinde eine besondere Abhandlung eingeflochten
wird. Veranlasst wurde Prof. Hann zu dieser Arbeit da-
durch, dass ihn das permanente Comits des internationalen
Meteorologen-Congresses in seiner Conferenz zu London 1876
mit einem Referat an den nächsten Congress zu Rom über
die bisherigen Beobachtungen auf hohen Bergen und auf
Ballonfahrten beauftragt hat. Einige Betrachtungen über
solche Beobachtungen, die er seiner Arbeit vorausschickt,
dürften von allgemeinstem Interesse sein. Er sagt darin:
„Es wird allgemein zugestanden, dass eines der grössten
Hindernisse, die sich den Versuchen einer vollständigen
Ergründung der meteorologischen Erscheinungen entgegen-
stellen, darin besteht, dass die Beobachtungen, auf welche
wir uns dabei stützen müssen, ganz nahe am Erdboden in
den am meisten local beeinflussten und deshalb weniger
maassgebenden Luftschichten angestellt werden. Wir kleben
mit unseren meteorologischen Beobachtungen recht eigent-
lich an der Scholle. Wenn man von einem höheren Berg-
gipfel in den weiten freien Luftocean hinausblickt, in un-
gemessener Höhe über sich noch die Wolken ziehen sieht,
und dann niederschaut in die Thäler und Niederungen, wo
nun selbst stattliche Bergzüge zu flachen Bodenwellen sich
beruhigt haben und Kirchthurmhöhen dem Auge entschwin-
den, da möchte man fast verzagen bei dem Gedanken an
die kümmerlichen Mittel, mit welchen wir die so veränder-
lichen Zustände des unermesslichen Luftoceans studiren zu
wollen uns erkühnen. Denn da unten in der Tiefe, wo die
Luftschichten trüb und schwer von Rauch und Staub am
Boden stagniren, wo seichte Nebelschichten in den Thal-
gründen und längs der Flussläufe lagern, da haben wir
die Instrumente aufgestellt, mit denen wir die Strömungen
so wie die Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse des
ganzen Luftmeeres messend verfolgen wollen. Von diesem
Standpunkte aus wundern wir uns nicht mehr darüber, dass
wir noch an so vielen Punkten den Schlüssel zur Einsicht
in den Causalzusammenhang der atmosphärischen Erschei-
nungen nicht haben auffinden können, wir wundern uns
vielmehr darüber, wie uns diess doch in einigen Fällen hat
gelingen können.
„Man hat zwar schon oft auf kühnen Ballonfahrten die
meteorologischen Instrumente hoch hinauf in den Luftocean
getragen und dessen Zustände an einzelnen Punkten damit
zu messen gesucht. Wäre die Atmosphäre im vollständigen
Gleichgewichtszustande, dann könnten wohl selbst so ver-
einzelte in Raum und Zeit verstreute Beobachtungen einige
Anhaltspunkte zur Ableitung allgemeinerer Gesetze gewäh-
ren; bei dem thatsächlichen Zustande fortwährender Bewe-
gung und Veränderungen in der Atmosphäre können sie
diess nioht leisten. Nur die sogenannten „Ballons captifs’’
versprechen bessere Erfolge, aber doch wohl nur für die
unteren Luftschichten.
„Was aber selbst in einem „Ballon captif”’ auszuführen
unmöglich sein dürfte, die Anstellung regelmässiger, oonti-
nuirlicher Serien von Beobachtungen aller meteorologischen
Elemente zu allen Jahreszeiten und bei jeder Witterung,
das lässt sich recht wohl auf Bergen ausführen. Nur muss
als Beobachtungspunkt eine möglichst freie und hohe Berg-
spitze gewählt werden, welche über einer wenig massigen
Basis sich erhebt. Denn wo der Erdboden in grosser Masse
in die Atmosphäre emporsteigt, da geht der Vortheil der
grossen Seehöhe, das Eintauchen in höhere Luftschichten,
fast völlig wieder verloren, weil dann die Instrumente doch
wieder in die vom Erdboden beeinflussten und zurückge-
haltenen Luftschichten zu stehen kommen. Deshalb strebt
man jetzt darnach, solche Observatorien auf freien Berg-
gipfeln zu etabliren. Frankreich ist hierin vorangegangen,
indem ein vollständiges Observatorium auf dem Puy-de-Döme
schon eröffnet worden ist, und eine gute Beobachtungs-
station zweiter Ordnung geit einiger Zeit auf dem Pic du
Midi in Thätigkeit sich befindet”.
Generallieut. v. Morozowiez, Chef der königl. preuss.
Landesaufnahme, erwähnte in einer Abhandlung über die
Nivellements und Höhenbestimmungen dieser Aufnahme
(Peterm. Mittheilungen 1877, S. 249), dass als Nullpunkt
bisher das mittlere Meeresniveau bei Neufahrwasser benutzt
wurde, bei der Genauigkeit der jetzigen Nivellements habe
es aber keinen Sinn, dieselben auf das schwankende mitt-
lere Meeresniveau zu "beziehen ; zum Ausgangs- oder Normal-
punkt eigne sich ein Punkt des Festlandes, in einiger Tiefe
unter der Oberfläche der Erde vor störenden Einwirkun-
gen möglichst geschützt, weit besser, und Verhandlungen
zur Herstellung eines solchen wären ihrem Abschluss nahe.
Darauf bezüglich erfahren wir nun aus „Jordan’s Zeitschrift
für Vermessungswesen” (Februar 1879, 8. 94), dass die
preussische Landesaufnahme gegenwärtig den Ausgangspunkt
shrer Nivellements in der Berliner Sternwarte hat, wo an
einem tief fundirten Pfeiler der Normal-Höhenpunkt für
das Königreich angebracht ist und die Bezeichnung „37 Me-
ter über Normal-Null” führt, d. h. Normal-Null für den
ganzen preussischen Staat liegt 37 Meter unter jenem Normal-
Höhenpunkt. Dadurch ist Normal-Null genau in die Höhe
von Null-Amsterdam gekommen, wie dieses durch gemein-
same Operationen der Landesaufnahme und der niederlän-
dischen Geodäten festgestellt worden ist.
Im J. 1867 begannen die Geologen Dr. E. W. Br
necke und Dr. E. C. Cohen die Vorarbeiten für eine googno-
sisscha Karte der Umgegend von Heidelberg, die für die
Studirenden wie für Touristen ein wirkliches Bedürfnis
war. Der seitdem verstorbene Lehrer Fritschi in Carlsruhe
zeichnete die topographische Karte in 1:50000 auf Grund
der Originalaufnahmen und mit Beibehaltung von deren
Höhencurven, wogegen die badische geologische Landes-
aufnahme die mit Schraffen versehenen Blätter der Gene-
ralstabskarte benutzt; der Rahmen der Karte entspricht
aber den beiden Sectionen Heidelberg und Sinsheim der
Generalstabskarte, umfasst demnach vom Rheinthal östlich
theils den Odenwald bis Weinheim im Norden, theils das
Hügelland zwischen Odenwald und Schwarzwald bis Ubstadt
im Süden. Im J. 1874 erschien die südliche Hälfte der
Karte, Blatt Sinsheim, im J. 1877 die nördliche Hälfte,
Blatt Heidelberg, und vor Kurzem ist nun auch der zu-
gehörige Text als „Geognostische Beschreibung der Umgegend
von Heidelberg” bei K. J. Trübner in Strassburg zur Aus-
gabe gekommen, wenigstens in seinem ersten, das Grund-
gebirge behandelnden Theile. Wir machen dabei besonders
auf die einleitende topographische Beschreibung des Ge-
bietes aufmerksam.
Als Nachtrag zu unserer Notiz über die geographisch
bemerkenswerthen Kataloge und Brochuren zur Pariser
Geographischer Monatsbericht. j 113
Ausstellung (s. Seite 391 des Jahrg. 1878) erwähnen wir
Dr. Elis Sidenbladh’s „Exposd statistique” über Schweden
(Stockholm 1878), ein starkes, elegant gedrucktes Buch,
das in übersichtlicher Ordnung ein reichhaltiges geogra-
phisch - statistisches Compendium abgiebt. Wenn auch der
%/, Jahr später publicirte Almanach de Gotha für 1879
für einzelne Abschnitte, z. B. Bevölkerung und Finanzen,
um ein Jahr voraus ist, so tritt uns in dem Expos6 eine
Ausführlichkeit, Vollständigkeit und Mannigfaltigkeit ent-
gegen, die allen Anforderungen und Wünschen gerecht
werden dürfte. Besonders machen wir aufmerksam auf die
Abschnitte über Unterricht und wissenschaftliche Hülfsmit-
tel, wobei u. A. die Geschichte der schwedischen arktischen
Expeditionen kurz resumirt wird, über die Karten, die
Wälder, Fischereien, die Eisenbahnen, Telegraphen, Ka-
näle, die Post &. Das Eisenbahnnetz ist auf einem Über-
sichtskärtchen in 1:5000000 dargestellt. Der Verfasser
hat die günstigen Verhältnisse, die ihn als Seoretär des
Statistischen Centralbureau’s begünstigten, in einer Weise
benutzt, die seinem guten Ruf als Statistiker und Schrift-
steller vollkommen entspricht.
Asien.
Die „Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins” (1878,
Heft 2 und 3) bringt einen Plan der antiken Wasserleitun-
gen bei Jerusalem, von Baurath C. Sohick nach eigenen Mes-
sungen aus dem J. 1870 entworfen, Mst. 1:80000. Die
unter Redaction von Professor Kiepert mit Terrain in brau-
ner Kreide ausgeführte Karte ist von Specialplänen und
Aufrissen umgeben und kann auch als Karte der Umge-
bungen von Jerusalem gute Dienste leisten.
Chr. Negre erörtert in der „Revista Marittima” vom
December 1878, eingehend, in beredter, allgemein interes-
santer Weise die verschiedenen englischen und russischen
Projekte von Eisenbahnverbindungen zwischen Europa und
Asien ').
Die Ecole des langues orientales vivantes in Paris hat
als 7. Band ihrer Publicationen einen „ZAecuesl d’itinerasres
et de voyages dans Ü’Asie centrale et V’extröme orient”’ heraus-
gegeben (bei E. Leroux in Paris, 1878). Es ist diess eine
Sammlung von Übersetzungen aus dem Chinesischen, Rus-
sischen und Persischen und enthält folgende einzelne Rei-
sen: 1. Das Tagebuch einer Reise von Peking nach Söul in
Korea im J. 1866 von Koei-ling, aus dem Chinesischen
von F. Scherzer, mit einer Karte (theilweis abgedruckt in
L. Drapeyron’s Revue de göographie, T. I, 1877); 2. die
Reise eines gebildeten Chinesen in Annam 1836, die aus
dem Chinesischen in’s Russische übertragen 1872 im „Wo-
stotschnyi Sbornik” erschien und hier von L. Leger aus
dem Russischen in’s Französische übersetzt ist. 3. Von
L. Leger sind auch die ziemlich ausführlichen, hier zum
Theil abgekürzten Reisenotizen A. P. Khoroschkin’s von
1875 über Russisch-Turkistan incl. Fergana aus dem Rus-
sischen übersetzt, so wie 4. eine Beschreibung der Moschee
Hazret in der Stadt Turkestan von Mir Salih Bektschurin,
die im „Wojenny Sbornik” vom August 1866 publicirt ist,
und 5. Th. Radloff’s Reise im Thal des mittleren Seraf-
’) Riflessioni geografiche e politiche sui progetti inglesi e russi
die nuove comunicazioni ferroviarie fra l’Europa e l’Asia. 8°, 51 pp.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Hoft III.
schan aus den Memoiren der Kais. Russ. Geogr. Gesell-
schaft. Den Schluss bildet 6. das von C. Schefer aus dem
Persischen übersetzte Itinerar des Mohammed Abdul Kerim
Munschi von Peschaur über Kabul und Kandahar nach
Herat.
In dem Jahresbericht der Bremer Geogr. Gesellschaft
vom 15. Februar d. J. ist u. A. von dem Werk über die
sibirssche Expedition der Herren Dr. Finsch, Dr. Brehm
und Graf Waldburg-Zeil die Rede, die bekanntlich von der
Bremer Geogr. Gesellschaft ausging. Nachdem gesagt wor-
den, dass E. Wallroth in Berlin den Verlag übernommen
hat, heisst es weiter: „Die Bearbeitung hat Dr. Finsch
allein übernommen, nachdem eine Vereinbarung hierüber
mit den beiden anderen Herren der Expedition Statt ge-
funden hatte, und seit Niederlegung seines Amtes als Di-
rector der hiesigen städtischen Sammlungen für Natur-
geschichte unausgesetzt und mit grosser Hingebung so ge-
fördert, dass die Herstellung des Textes jetzt beendigt ist
und dem Erscheinen in zwei Monaten entgegengesehen wer-
den kann. Der erzählende Theil des Werkes wird .etwa
40 Bogen stark, 35 ganzseitige und 21 in den Text ge-
druckte Abbildungen enthalten, die fast ausnahmslos von
Dr. Finsch nach der Natur gezeichnet und unter seiner
Leitung von M. Hoffmann in Berlin übertragen wurden.
Dieselben werden daher bis in die kleinsten Details natur-
wahr sein. Ferner werden dem Werke vier Karten bei-
gegeben, deren drei von Graf Waldburg-Zeil entworfen
worden. Es verdient hierbei vielleicht noch bemerkt zu
werden, dass die Reise durch die Steppe südlich von Ser-
giopol bis zum Ala Tau und von hier über den Tarba-
gatai, Nor Saissan und Grossen Altai bis Altaiskaja Sta-
nitza bisher von Deutschen noch nicht gemacht wurde und
grösstentheils unbeschrieben blieb; eben so die Reise von
Obdorsk bis zur Kara-Bai, über welche bis jetzt nur die
spärlichen Aufzeichnungen Sujew’s vom Jahre 1771 vor-
lagen. Die seiner Zeit in unseren Protokollen mitgetheilten
Reiseberichte des Dr. Finsch haben in den weitesten Krei-
sen, namentlich in der in- und ausländischen Presse Ver-
breitung gefunden, wesentlich dazu beigetragen, unsere Ge-
ellschaft als eine unternehmende bekannt zu machen, und
dadurch die Aufmerksamkeit des Publicums im Voraus auf
das Werk gerichtet. An geographischen Abhandlungen
brachten Dr. Petermann’s Mittheilungen zwei durch Karten
erläuterte Berichte. An wissenschaftlichen Bearbeitungen
erschienen: Prof. Virchow, Berlin: Über die Schädel der
Samojeden und Ostjaken; Prof. Peters, Berlin: Verzeichniss
der Säugethiere, Reptilien, Fische; Prof. v. Martens, Ber-
lin: Verzeichniss der gesammelten Conchylien (2 neue Ar-
ten); Dr. L. Koch, Nürnberg: Verzeichniss der Spinnen
(4 neue Arten); v. Harold, Berlin: Zwei neue Käferarten;
Prof. Müller, Genf: Verzeichniss der Flechten; Dr. Finsch:
Ornithologische Briefe, Nachrichten über das wilde Kameel,
über einen neuen Staar. Die Botanik wurde von Stud.
F. Kurtz in Berlin bearbeitet und wird demnächst ver-
öffentlicht. Eben so liegt die Bearbeitung der Wirbelthiere
vor und wird hoffentlich noch vor der Abreise des Dr.
Finsch erscheinen können. Die wissenschaftlichen Samm-
lungen wurden sämmtlich von Specialisten bestimmt und
leitete Dr. Finsch die Verhandlungen unter Einsendung des
Materials ein. Folgende Gelehrte haben die Bestimmung
15
114 Geographischer Monatsbericht.
übernommen: Prof. Virchow, Berlin (Anthropologie); Prof.
Peters, Berlin (Fische, Reptilien); Prof. v. Hochstetter,
Wien (Geologie); Prof. v. Websky, Berlin (Mineralogie);
Prof. v. Martens, Berlin (Conchylien); Dr. v. Harold, Ber-
lin (Käfer); Dr. Stein, Berlin (Schmetterlinge, Hymenopte-
ren, Hemipteren); v. Röder-Hoym (Dipteren) ; Baron v. Selys-
Longchamps, Lüttich (Orthopteren); Koebell, Wien (Acari-
den); Dr. Koch, Nürnberg (Spinnen); Dr. v. Martens, Ber-
lin (Gammariden); Dr. Finsch (Säugethiere und Vögel);
Stud. F. Kurtz, Berlin (Botanik); Prof. Müller, Genf
(Flechten); Dr. Zöller, Stuttgart (Algen)”.
Das neueste Heft (T. V, Fasc. II) der „Aota Horti
Petropolitani” (St. Petersburg 1878) enthält u. A. eine
„Flora riparia kolymensis” von E. R. v. Trautvetter. Die
ihr zu Grunde liegende Pflanzensammlung rührt von Dr. Th.
Augustinowicz her, der 1875 und 1876 die Kolyma von
Werchne-Kolymsk bis zur Mündung in’s Eismeer und wie-
der zurück befuhr, an vielen Uferstellen und in der Um-
gegend von Ssredne-Kolymsk botanisirend.
Die beiden Expeditionen, welche von ganz entgegen-
gesetzten Richtungen auf Tibet lossteuern, haben ihre Reise
dahin angetreten. Graf Bela Szechenyi verliess am 7. De-
cember mit seinen Begleitern Shanghai, um den Jangtse-
kiang bis Hankau und den Han-Fluss bis Siangjang hinauf-
zufahren; von da beabsichtigte er über das Tsinling-Gebirge
und den Gelben Fluss bei Lantschau nach Sutschau in
Kansu zu gehen, das er Mitte März erreichen zu können
hoffte. Über den Reiseplan des Oberst Przewalski, der am
1. Februar von St. Petersburg abgereist ist, enthält das
„Journal de St.-Pötersbourg” einige nähere Angaben. Der
Oberst wird begleitet von dem Fähnrich Eclon, dem Fähn-
rich Roborowsky als Zeichner und zwei ausgezeichneten
Schützen von dem in Kronstadt garnisonirenden Caspischen
Regiment. In Zaissan wird die Expedition durch fünf Ko-
saken und einen aus Kuldscha dahin beorderten Dragoman
vervollständigt. Dieser Dragoman reiste schon früher mit
Oberst Przewalski und dieser kann auf seine Ergebenheit
bauen. In Zaissan, wohin die Expedition den gewöhn-
lichen Weg über Orenburg, Omsk und Semipalatinsk ein-
schlägt, wird sie auch das Gepäck an sich nehmen, das der
Oberst von seiner vorigen centralasiatischen Reise dort
zurückliess, und ihre Karawane aus 30 Kameelen und ei-
nigen Pferden bilden. Ihr Gepäck wird etwa 150 Pud
(6000 Pfund) wiegen. Von Zaissan geht die Reise nach
Chami, Schatscheu, den an Pflanzen und Thieren so reichen
Gebirgen von Kansu und von dort nach Lhassa.. Wenn
keine Hindernisse entgegen treten, werden die Reisenden
im Februar 1880 den Himalaya längs des Brahmaputra er-
reichen. Der Frühling und Herbst des nächsten Jahres
sollen dann auf die Erforschung dieses Flusses und der be-
nachbarten Gebirge verwendet werden. Die Sammlungen
will der Oberst von dort unter dem Schutz von Kosaken
auf der Pilgerstrasse nach Urga schicken, selbst aber über
Khotan, Kaschgar und Frergana zurückkehren. Er wird dann
die asiatischen Besitungen Russlands zum siebenten Male
durchkreuzen. Dank der Liberalität der Regierung und der
Kais. Russ. Geogr. Gesellschaft ist die Expedition auf das
Beste equipirt; 20000 Rubel wurden zu diesem Zwecke
angewiesen. Sie verfügt über gute Gewehre, geodätische
Instrumente, Medicamente &c.”
Über eine neue Reise Z. C. Baber’s in Sze-tschuan er-
fahren wir aus „Allen’s Indian Mail” vom 27. Januar 1879,
dass er den Fluss Tatu von Su-tschau bis Kiating ver-
folgte, von hier über die Berge nach Fu-lin ging, weiter
westlich die Residenz Tzutali eines Sifan-Häuptlings be-
suchte und von dort auf einem Gebirgspfad nach der fran-
zösischen Missionsstation Ta-tsian-lu unfern der Grenze von
Tibet gelangte. Am Nordabhang des zuletzt überschritte-
nen schnee- und waldbedeckten Gebirges fand er Jaks wei-
dend, Sanskrit-Inschriften bemerkte er auf vielen Steintafeln
und Sprache und Aussehen der Bevölkerung liessen ihm
keinen Zweifel, dass die tibetanische Race weit über die
Ostgrenze von Tibet hinaus bis an die Ufer des Tatu
reicht; eine Bestätigung der Aussagen Cooper’s und An-
derer.
Im Jahrgang 1877 der Berichte über den Verkehr in
den Tractatshäfen C’hina’s !) findet man ausser den Handel-
berichten über die einzelnen Häfen und dem zusammen-
fassenden Bericht des statistischen Secretärse der Pekinger
Generalzollinspection, F. Hirth, wiederum einige, die Geo-
graphie in speciellerem Sinne interessirende Abschnitte, wie
namentlich die instructive Abhandlung über die Verbin-
dungen des 1877 geöffneten Hafens Pakhoi mit dem Binnen-
lande der Provinz Kuangsi, so wie die Notizen über Wen-
tschau und Wuhu. Zur besseren Einsicht über Lage und
Beziehungen dieser neuen Tractatshäfen sind auch Karten
der betreffenden Provinzen beigegeben, auch ein Stadtplan
von Wentschau und die aus den „Annalen der Hydrogra-
phie” bekannte Karte dieses Hafens von Kapitän v. Reiche.
Eine Tabelle der meteorologischen Beobachtungen zu Wen-
tschau umfasst die Zeit vom April bis December 1877.
Auch enthält das Buch wieder Diagramme über den wos
serstand des Jangtsekiang bei Hankau und Kiukiang, be
züglich auf das Jahr 1877.
Die Hauptkarte im 2. diessjährigen Hefte der „Pro
ceedings of the R. Geogr. Soc.” ist eine Darstellung des
Hindukusch und seiner Vorberge, südlich bis zum Kabul-
Thal und nördlich bis zum Amu-Darja. In dem’ zugehö-
rigen Text bespricht C/. Markham besonders die Pässe über
den Hindukusch.
Im Winter 1877-—-78 waren Capt. R. @. Woodthorpe
und Lieut. Zarman an der Nord- und Nordost-Grenze von
Assam mit topographischen Arbeiten beschäftigt und haben
dabei Gelegenheit gehabt, die Godwin-Austin’sche Hypotheee
von dem Zusammenhang des Subansiri mit dem 'Tsanpo oder
Fluss von Tibet zu beseitigen. Sie fanden, dass das Vo-
lumen des Subansir‘ nur !/, von dem des Dihong botrage,
es wird also auch hierdurch die Annahme bekräftigt, dass
der Tsanpo durch den Dihong den Brahmaputra erreicht,
Immerhin ist der Subansiri ein ganz stattlicher Fluss. Bei
Ganditula strömt er mit grosser Schnelligkeit in einer Breite
von 70 Yards dahin; vor seinem Austritt in die Ebene
passirt er prachtvolle Schluchten mit senkrechten Felswän-
den, und hier erreicht der Fluss stellenweis die Tiefe von
70 bis 80 Fuss. Schiffbar ist er nur wenige engl. Meilen
über Sidang Mukh hinaus, aber nach Lieut. Harman’s Be
!) Reports on trade at the treaty ports in China, for the year
1a Published by order of the Inspector General of Customs. Shang-
1878.
Geographischer Monatsbericht. 115
rechnung kommt ein beträchtlicher Theil seines Volumens,
wenigstens 9000 Kubik-Fuss per Secunde, von dem Gebiete
nördlich des 28. Parallelgrades !).
Der Güte des Herrn Dr. P. A. Bergsma, unter dessen
Leitung bekanntlich das meteorologische und magnetische
Observatorium in Batavia steht, verdanken wir ein von
ihm und Marinelieut. Z. Baoker Overbeek bearbeitetes Heft
über eine Serie von meteorologischen Beobachtungen an den
Küsten von Atjeh?). Als im J. 1873 die Blokkade von
Atjeh, jenem noch immer nicht ganz unterworfenen nörd-
lichsten Theil von Sumatra, in’s Werk gesetzt wurde, be-
auftragte der Commandant der niederländisch-indischen See-
macht die betheiligten Officiere, an den sieben Stationen
der blokkirenden Schiffe, die sich auf die Ost-, Nord- und
Westküste vertheilen, regelmässige Aufzeichnungen über
Windrichtung und Windstärke, Regen und Zustand der See
durchzuführen. Diese Aufzeichnungen, vom 1. Juli 1873
bis 30. Juni 1876 reichend, sind hier, in fachgemässer
Weise bearbeitet, in tabellarische Übersichten gebracht und
durch eine graphische Darstellung der Windrichtungen er-
gänzt. Die Kenntniss von Wind und Wetter des nördli-
chen Sumatra, die man aus den „Uitkomsten van Weten-
schap en Ervaring, uitgegeven door het K. Nederl. Meteorol.
Instituut, 1856”, Horsburgh’s „India Directory”, Findlay’s
„Sailing Directory for the Indian Archipelago’”, Capt. Evans’
„Wind Chart for the Pacific, Atlantic and Indian Ocean”
schöpft, wird durch diese holländische Arbeit vervollständigt.
Afrika.
Hatten wir im vorigen Jahre J. Chavanne’s Wandkarte
von Afrika als ein gutes physikalisches Gesammtbild dieses
Erätheils zu begrüssen, so kommen uns jetzt zwei englische
Karten desselben zur Hand, die für die Nähe berechnet,
keinen Versuch machen, einen plastischen Ausdruck der
Bodengestalt zu erzielen, wie er der Chavanne’schen Karte
zum Vorzug gereicht, "dafür aber sehr viel mehr topogra-
phisches Detail enthalten. „Stanford’s Library Map of
Africa, constructed by A. Keith Johnston” (1:6000000),
wurde im J. 1866 publicirt, liegt aber jetzt in einer Aus-
gabe vor, die bis September 1878 aufcorrigirt ist, daher
alles Neue von Bedeutung enthält und bei ihrem für eine
Übersichtskarte schon sehr ansehnlichen Maassstabe eine
stattliche Karte in 4 grossen Blättern abgiebt. Haben wir
an ihr den vortrefflichen Stich, die grosse deutliche Schrift,
den günstigen äusseren Eindruck, daneben u. A. auch die
Angabe der wichtigeren Reiserouten zu loben, so zeichnet
sich die „General Map of Africa, constructed by Keith
Johnston jun.” (1:8420000), dadurch aus, dass sie ganz
neu gezeichnet, nicht hie und da noch die älteren Umrisse
beibehalten hat, überhaupt wohl als die dem gegenwärtigen
Standpunkt unserer Kenntniss am vollständigsten entspre-
chende Gesammtkarte von Afrika angesehen werden kann.
Während z. B. auf Stanford’s Karte der Tanganjika - See
noch die ältere Form der Livingstone’schen Karte zeigt,
hat ihn Johnston jun. nach Cameron’s Aufnahme einge-
tragen, diese gewiss mit gutem Grunde der Stanley’schen
!) Proceedings of the R. Geogr. Soc., 1879, II, p. 126.
3) Bijdrage tot de Kennis der weersgesteldheid ter Kuste van Atjeh.
Uitgegeven op last der Nederlandsch Indische Regering. Batavia 1877.
vorzishend. Der Mwutan reicht bei Stanford südlich noch
weit über den Äquator hinaus, während der jüngere John-
ston die Dimensionen dieses See’s bereits nach Mason ein-
schränkt. Auch in den politischen Abgrenzungen giebt er
manches Neue, z. B. versucht er zum ersten Mal, die
Grenze zwischen Rua und Lunda ihrem ganzen Verlaufe
nach anzugeben, Uniamuesi von den Umgebungen abzu-
grenzen, das Gebiet der Hova auf Madagaskar von den
übrigen Theilen der Insel zu trennen, &. Da Johnston
ein Kenner der Geographie von Afrika ist wie wenige, dür-
fen wir auch da, wo er von unseren eigenen Ansichten ab-
weicht, z. B. bei der Trennung des Baringo vom Ukerewe,
bei der Grenze der portugiesischen und englischen Territo-
rien südlich der Delagoa-Bai, sicher sein, dass er bestimmte
Gründe für seine Darstellung hatte, und überhaupt müssen
wir seinem Werke das grösste Vertrauen auf die kritische,
sachverständige Arbeit entgegenbringen. Das Einzige, was
wir im Allgemeinen daran auszusetzen hätten, gegenüber-
der Stanford’schen Karte, ist der etwas harte und steife
Terrainstich und namentlich das Fehlen der Reiserouten,
die bei Afrika zum grossen Theil noch die einzige Grund-
lage der Topographie abgeben und daher bei einer schon
8o speciellen Karte nicht wohl entbehrt werden können.
Missionar Wilson, dem wir eine Serie von meteorologi-
schen Beobachtungen zu Rubaga in Uganda verdanken
(s. Peterm. Mittheil. 1879, Heft II, S. 65), hat im Juni
bis August 1878 die westlichen Uferländer des Ukerewe be-
reist, indem er von Uganda südlich und östlich bis Kagei
ging. An letzterem Orte, dem bekannten Punkt am Süd-
ufer, östlich vom Jordan Nullah, traf er seinen Collegen
Mackay, der von Zanzibar über Unjanjembe dahin gekom-
men und u. A. den Missionsdampfer „Daisy” wieder in
Stand gesetzt hat.
Cl. Denhardt hat den Dana nur eine kurze Strecke
(15 d. Meilen) von der Mündung aufwärts verfolgen und
aufnehmen können und ist nach Zanzibar zurückgekehrt.
In den „Zihnographischen Notisen über Wakdmba und
ihre Nachbarn” von J. M. Hildebrandt (Zeitschrift für
Ethnologie, 1878, Heft V, 8. 347) giebt dieser vortreffliche
Erzähler in wohlgeordneter Folge eine Masse interessanter
Einzelheiten über Lebensweise, Sitten und Gebräuche eini-
ger ostafrikanischer Völkerschaften,
„Die afrikanische Schweiz”, das von Pangani nordwest-
lich gelegene, ziemlich häufig von Europäern besuchte Ge-
birgsland Usamdara wird in den „Proceedings of the R.
Geogr. Soc.” (1879, II) vom Missionar J. P. Farler, der
Jahre lang in Magila wohnte, unter Beigabe einer manches
Neue enthaltenden Karte beschrieben. Bei der Discussion
über diesen Vortrag sprach Sir T. Fowell Buxton über die oft
erwähnte Fahrstrasse, die von Dar-es-Salaam gegenüber dem
Südende von Zanzibar nach dem Nyassa herzustellen be-
gonnen worden ist. Seit Mitte 1877 in Arbeit, war sie
bis gegen Ende 1878 erst 40 engl. Meilen weit fertig ge-
stellt, vier dabei beschäftigte Europäer hatten wegen Krank-
heit rasch nach Hause reisen müssen und der Leiter des
Unternehmens, Sergeant Mayes, kann das Klima ebenfalls
nicht vertragen und wird jetzt durch Mr. Beardall abgelöst.
Die Beendigung der Strasse bis zum Nyassa dürfte daher
in weiter Ferne liegen, zumal die Instandhaltung des Weges
gegenüber der überwuchernden Vegetation und bei dem
15 *
116 Geographischer Monatsbericht.
Mangel eines Wagenverkehrs grosse Schwierigkeiten bietet.
Die Neger sind so daran gewöhnt, einzeln hinter einander zu
gehen, dass sie diese Gewohnheit auch auf jener Strasse
beibehalten und deshalb nur ein schmaler Pfad auf ihr von
Vegetation frei bleibt.
Trotz dieser übeln Erfahrung und der nicht besseren,
die man mit der Fahrstrasse von Saadani nach Mpwapwa
gemacht hat, trägt man sich mehr als je mit Projecten
zur Herstellung von Verkehrsmitteln in Afrika. Obwohl
der Stabskapitän Baudot in der Sitzung der Geogr. Gesell-
schaft zu Lyon vom 26. Dechbr. v. J., eben so wie früher
Delesse u. A., die Schwierigkeiten hervorgehoben hat, die
einer Eisenbahnanlage von Algerien nach Timbuktu im
Wege stehen würden, und sie geradezu einen schönen
Traum, die Illusion eines enthusiastischen Geistes nannte,
so zeigen doch die von Seite des Vorstandes gemachten
Bemerkungen, dass man in der Lyoner Gesellschaft das
Project Duponchel’s durchaus nicht für so aussichtslos hält.
Als Duponchel zuerst damit hervortrat, geschah es mittelst
einer Karte, die während der geographischen Ausstellung
von Paris im J. 1875 im Eingang zum Orangerie-Gebäude
auf der Terrasse des Tuilerien- Gartens hing und einfach
einen geraden rothen Strich von Algier nach Timbuktu
mit der Überschrift „Mr. Duponchel’s Project einer Eisen-
bahn &c.” zeigte. Später hat aber Duponchel selbst das
Project eingehender studirt und viele andere Franzosen
haben sich damit beschäftigt, theils als Gegner, tbeils als
Anhänger. Duponchel selbst wurde beauftragt, in Algerien
Untersuchungen anzustellen, und hat ein schönes Buch
darüber geschrieben, und ganz neuerdings soll mit diesem
Project die Expedition eines Mr. Richard zusammenhängen,
der von Algier nach Rhadames ging, hier mit zwei von
Tripolis ausgegangenen Landsleuten sich vereinigte und
eine Reise nach dem Sudan beabsichtigte !.. Wenn in der
Geogr. Gesellschaft zu Lyon geäussert wurde, selbst die
Fremden hätten die Nützlichkeit und Ausführbarkeit einer
Eisenbahn durch die Sahara nach dem Sudan anerkannt,
und hielten nur einen anderen Ausgangspunkt für vortheil-
hafter für ihre Nation, so ist damit offenbar auf das Pro-
ject von G. Rohlfs hingedeutet, der sich für eine Bahn
von Tripoli nach Bornu aussprach; seit Rohlfs aber wieder
in Afrika weilt, giebt es wohl in Deutschland Niemand
mehr, der sich ernstlich mit diesem Gedanken beschäftigt.
Dagegen werden in englischen Handelsstädten grosse Mee-
tings gehalten, um die Möglichkeit und Rentabilität von
Eisenbahnen im äquatorsalen Afrika zu discutiren und noch
eifriger wird das Problem einer telegraphischen Verbindung
mit Süd-Afrika erörtert, die jetzt bei dem so unglücklich
begonnenen Feldzug der Engländer gegen die Zulus als
eine dringende Nothwendigkeit sich fühlbar macht. Eine
Deputation von hochangesehenen Herren, unter denen sich
auch berühmte Kenner von Afrika befanden, wie Sir H.
Barkly, Colonel Grant, General Rigby &c., befürworteten
vor dem Staatsseoretär der Kolonien das schon vor einigen
Jahren aufgestellte Project einer Telegraphen - Anlage vom
oberen Nil südwärts nach Transvaal und der Kapkolonie.
Der Staatssecretär erklärte indess das Project nicht für aus-
!) Brief von G. Roblfs an Mr. Ch. Normand in „L’Exploration”
vom 9. Februar 1879.
gearbeitet genug und in seinen finanziellen Ansprüchen zu
unbestimmt, um es ernstlicher in Erwägung ziehen zu
können !), und wahrscheinlich wird man, um eine rasche
Verbindung herzustellen, ein Kabel an der Ostküste von
Afrika hinaufführen.
Wie Kapitän Baudot den enthusiastischen Fürsprechern
einer Sahara-Bahn kühle Bedenken entgegenhält, so giessen
die Professoren Ch. Martins und Ed. Desor kaltes Wasser
auf die Schwärmer für ein Binnenmeer in der algerischen
Sahara (Comptes rendus des seances de l’Academie des
sciences, 10 fevrier 1879). Die Bohrungen, welche Kapitän
Roudaire im Winter 1878—79 auf dem Isthmus zwischen
dem Golf von Gabes und den Schotts vorgenommen, liessen
die Herstellung eines Durchstiches zum Einlass des Meeres
in jene Schotts insofern leicht erscheinen, als festes Gestein
nicht angetroffen wurde; aber die beiden gelehrten Profes-
soren, die 1863 mit dem seither verstorbenen A. Escher
von der Linth das Schott-Gebiet bereisten, machen zunächst
darauf aufmerksam, wie sehr ein Nivellement in der Sahara
durch die Luftspiegelungen erschwert werde und wie ver-
hängnissvoll bei den geringen hier in Betracht kommenden
Niveau-Differenzen (das Nordwest-Ende des Schott Mel-Rhir
soll nach Roudaire 313 Meter unter dem Meeresspiegel lie-
gen) schon ein kleiner Irrthum für das ganze Project werden
könne. Sie weisen ferner darauf hin, dass die Dattelkultur
und damit die ganze Existenz der Bewohner des Ued-Suf
gefährdet ist, sobald Meerwasser durch den Sand bis in die
Ritans oder Vertiefungen, in denen die Palmen gezogen
werden, sich Eingang verschafft. Endlich treten sie der
so vielfach ausgesprochenen Meinung entgegen, dass durch
die Anfüllung der Schotts mit Wasser die algerische Sahara
ein feuchteres Klima erhalten werde. „Das ist”, sagen sie,
„unserer Ansicht nach eine grosse Dlusion. Obwohl die
Gesetze der allgemeinen atmosphärischen Bewegungen noch
wenig bekannt sind, weiss man doch, dass das Atlantische
Meer das grosse Reservoir bildet, aus dem sich die Dünste
erheben, die sich über dem europäischen Festland und wahr-
scheinlich auch über Nord-Afrika zu Regen verdichten. Be-
trachtet man eine Weltkarte, so sieht man, dass das Mittel-
meer nur eine verhältnissmässig beschränkte Ausbuchtung
des Atlantischen Oceans ist, und die Vergrösserung um
13280 qkm, welche nach General Fav6 dasalgerische Binnen-
meer einnehmen würde (Comptes rendus, Tome LXXXIV,
p. 1119), kann seinen klimatischen Einfluss nicht erhöhen.
Man hat Berechnungen über die Wassermenge angestellt,
die von dem neuen Meere verdunsten würde, aber nach
M. Angot (Comptes rendus, Tome LXXXV, p. 396 und 512)
herrschen in Biskra und Tugurt Nordwinde. In der That
sahen wir die Stämme aller Sträucher im Suf (Retama,
Ephedra , Calligonum) gegen Südosten gebogen. Die aus
dem neuen Binnenmeer aufsteigenden Dünste würden mithin
nach der Wüste getrieben”. Sind doch auch die Steppen
um das Kaspische Meer und den Aral-See durch ihre Trocken-
heit berühmt. Ausserden, fügen die Verfasser hinzu, würde
die geringste Veränderung im Klima des Suf den verderb-
lichsten Einfluss auf die Dattelkultur ausüben, die gerade
die dortige heisse und trockene Luft zur Voraussetzung hat.
1) Siehe „The Mail”, 14. Februar 1879.
Geographischer Monatsbericht.
Australien und Inseln des Grossen Oceans.
Die von der Zeitung „@Queenslander” ausgesandte Expe-
ditson erreichte am 5. October 1878 die Confluenz des Al-
bert und Kankin River und sollte, wie man erwartete, Ende
November bei Daly Waters am südaustralischen Überland-
Telegraphen (zwischen 16 und 17° S. Br.) eintreffen. Die
Expedition fand bis dahin die direote nordwestliche Linie
gegen Port Darwin hin für die Anlage der projectirten
Eisenbahn günstig, nur litt das Land auf eine weite Strecke
an Wassermangel.
Baron Ferd. von Mueller schrieb uns am 14. December
aus Melbourne: „Ich mache eben den Versuch, eine neue
geographische Expedition für weitere Forschung in Central-
Australien auszurüsten, falls es mir gelingt, die nöthigen
Geldmittel zusammenzubringen. Meine Absicht ist, unter
Giles’ Befehl aus den Hintergegenden Carpentaria’s mit
Kameelen das Land in der Richtung von Lake Amadeus
durchstreifen zu lassen, auf dem Wege die fruchtbaren
Basalttriften am oberen Viotoria-Flusse und an der Sturt’s
Creek, die ich selbst mit Gregory 1855 und 1856 bereiste,
durch sichere Reiselinien mit den Stationen an der Überland-
Telegraphen-Linie in Verbindung zu bringen. Der grosse
Landsee Lake Amadeus kann dann auch in seiner noch unbe-
kannten nordwestlichen Ausdehnung verfolgt werden, zumal
da es mir nicht genügend scheint, sein Dasein allein von
dem Wasserabfluss aus den Petermann- und Rawlinson-
Gebirgen und dem Gills Range abzuleiten; vielmehr kommt
es mir als wahrscheinlich vor, dass ungekannte Gebirgszüge
oder Berghöhen ihre südöstlichen Gewässer zum nordwest-
lichen Theil des Amadeus-See’s ergiessen. Dann drängt sich
mir auch der Gedanke auf, dass Leichhardt’s Todesstätte
westlich von der grossen Telegraphen-Linie zu suchen sei,
denn die Heerdenbesitzer von Queensland sind jetzt schon
über die Grenze in Südaustral- Territorium eingedrungen,
und das reiche Weideland östlich von der Telegraphen-Linie
ist so vielfach durchkreuzt, ohne die geringsten Spuren des
seit 30 Jahren verschollenen deutschen Naturforschers auf-
zudecken. Vielleicht — indessen — ist diess Mr. Alex.
Forrest vorbehalten, der sich eben rüstet, um von Nickol-
Bai aus, wo er mit seinem berühmten Bruder neue Triangu-
lationen vollendete, ganz Nordwest-Australien bis nach Port
Darwin geographisch zu bereisen. Die beiden Feldmesser
Mess. Carey begleiten ihn”,
In dem fünften Fortschrittsberscht über die geologische
Aufnahme von Victoria!) sind in geographischer Hinsicht
wieder die Untersuchungen in Gippsland besonders bemer-
kenswerth. Unter Anderen nahm Mr. Murray dort die aus-
gedehnten Basaltplatesux auf, die als Hochebenen von Bo-
gong und Dargo einen Theil der Wasserscheide zwischen
dem Murray-Fluss und der Südküste bilden. Diese Plateaux,
4—6000 F. über dem Meeresspiegel gelegen, bestehen aus
offenen welligen Ebenen, steinig, grasbewachsen, hie und
da mit Gruppen und Streifen Eucalypten. In ihrer Nach-
barschaft erheben sich die höchsten Berge Victoria’s, so
1) Geological Survey of Vietoria. Report of Progress, by the
Secre for mines. No. V. 8°, 215 pp. mit vielen Plänen, Durch-
schnitten, Ansichten &c. Melbourne 1878.
117
der Bogong (6508 engl. F.), Feathertop (6303), Fainter
(6160), Hotham (6101), Cope (6015); durch niedrige Sättel
mit ihnen verbunden sind andere Plateaux von 2—3000 F.,
Höhe, die in steilen, waldbewachsenen Böschungen zu den
Thälern des Dargo- und Cobungra-Flusses abfallen. Der
spitze Gipfel des Feathertop, die sanfteren Umrisse der
Hotham- und Bogong-Berge, die rauhen Granitspitzen des
Fainter und in der Ferne die sägeförmigen Rücken des
Buffalo-Gebirges verleihen den Fernsichten in dieser schö-
nen Gegend den Charakter des Grossartigen, während das
Grün, die Quellen und klaren Bäche einen willkommenen
Gegensatz zu dem im Sommer vertrockneten Tiefland bil-
den. Vier Monate lang sollen diese Hochlande durch Schnee
unwegsam gemacht werden, und selbst im Sommer kommen
starke Fröstd vor, so dass Ackerbau unmöglich wäre, aber
zur Sommerweide für das Vieh scheinen sie sich zu eignen.
Wie aus der beigegebenen Karte zu ersehen, bilden unter-
silurische Schiefer und Sandsteine nebst metamorphischen
Schiefern das Grundgestein der ganzen Gegend. Darauf
liegen stellenweis Kies-, Sand- und Thonschichten der Mio-
cen-Periode und diese werden wieder von Lavaergüssen
verschiedener Mächtigkeit bedeckt, aus denen die Hoch-
plateaux bestehen.
Der 10. Band der „Zransactions and Proceedings of the
New Zealand Institute”, unter der Redaction des verdienst-
vollen Geologen Dr. J. Hector in Wellington herausgege-
ben, bringt wiederum eine grosse Anzahl einzelner Beiträge
zur Naturgeschichte Neu-Seelands und daneben Einiges,
was auch die Geographie specieller angeht... W. T. L.
Travers vertheidigt gegen die Ansichten Croll’s in dessen
„Climate and Time” die Annahme, dass die Ursache des
wärmeren Klima’s, dessen sich höhere nördliche Breiten
nach Ausweis ihrer fossilen Fauna und Flora in früheren
geologischen Perioden zu erfreuen hatten, hauptsächlich in
der Wärmeausstrahlung des Innern der Erde gegen die Ober-
fläche zu suchen sei. Prof. v. Haast weist in seiner Präsi-
dentenadresse darauf hin, dass die Flüsse der neuseeländi-
schen Provinz Canterbury in auffallender Weise das Baer’-
sche Gesetz bestätigten, wonach die Flüsse der nördlichen
Hemisphäre nach rechts, die der südlichen nach links drän-
gen, je mehr sie in meridionaler Richtung laufen. Hieran
anknüpfend sucht A. C. Baines nachzuweisen, dass nicht
durch die Erdrotation diese Erscheinung erklärt werde, wie
Baer meinte, sondern durch die ungleiche Schnelligkeit in
der Fortbewegung des Wassers am Boden und an der Ober-
fläche der Flüsse. Rev. J. W. Stack hat aus dem Munde
von Maoris Traditionen in Bezug auf ihre Wanderungen
über die südliche Insel und die Verwandtschaftsverhältnisse
ihrer einzelnen Stämme niedergeschrieben, auch auf einem
Kärtchen veranschaulicht. W, Colenso discutirt die Frage,
an welchem Tage Cook’s Besitznahme von Neu-Seeland er-
folgt sei, und kommt entgegen der gewöhnlichen Annahme,
dass diess am 15. November 1769 in der Messury Bay ge-
schehen, zu dem Schlusse, Cook habe bereits am 9. oder
10. October in der Poverty-Bai die Besitznahme vorge-
nommen. Im Appendix findet man u. A. die von R. L.
Holmes für 1877 fortgeführten meteorologischen Beobach-
tungen zu Delanasau auf den Fidschi-Inseln.
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Tahnkand 1872 Tafel 6.
Pelermanns |
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Jahrßang 1873,
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1874 &1873.
Maalsstab 16.000.000.
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Über die Ebene von Yedo.
Eine geographisch - geologische Studie.
Von Dr. Edmund Naumann.
(Mit 1 Karte, «. Taf, 7, und 6 Figuren im Text.)
Unter den 13 Provinzen des japanischen Reiches, auf
die der stolze Fuji herabschaut, zeichnen sich Ost-Musashi
und Shimosa in nicht sehr vortheilhafter Weise aus. Ihnen
fehlen die Berge. „In der Wüste Musashino” — so heisst
es in einem altjapanischen Gedichte — „giebt es keine
Erbebung, hinter welcher der auf- oder niedergehende Mond
sich verbergen könnte, wenn weisse Nebelmassen die Spitzen
der Gräser umhüllen”. Eine Wüste war Musashi, als im
Jahre 360 n. Chr. von dem regierenden Tenno ein Bote
nach dieser Gegend entsandt wurde, der eine öde und un-
bebaute, nur von wilden Thieren bewohnte Länderstrecke
fand. Jetzt allerdings ist die Landschaft nicht mehr so
melancholisch stimmend wie in jenen alten Zeiten. Am
Rande der weiten Ebene und der Bai liegt die Kaiserstadt,
von der alle Lebensadern ausstrahlen, und durch das flache,
dicht bevölkerte Land ziehen grosse Strassen, nach den
östlichen und nördlichen Theilen des Landes führend. Von
grossem Interesse für die Geologie ist die Geschichte des
Grundes und Bodens, auf welchem die östliche Hauptstadt
erbaut ist, eine Leuchte, die uns einführt in das Dunkel
der Entstehung der Ebene.
In der nördlichen Ausweitung der Yedobai münden drei
Flüsse: der Yedogawa, der Nakagawa und der Sumidagawa.
Letzterer, welcher aus Nordwesten kommt und ca 3 naut.
Meilen aufwärts der Mündung eine fast rechtwinklige Bie-
gung macht, durchströmt Tokio ') und trennt so die links
gelegene unbedeutende Neustadt von der Altstadt, in deren
Centrum Oshiro, das Schloss, liegt.
Dieses Innerste, das auch das Gebäude des Hohen
Staatsrathes, die Baracken der kaiserlichen Leibwache, die
Schatzkammer &c. enthält, wird von einem rings geschlos-
senen, breiten und tiefen Graben begrenzt. Parallel diesem
zieht sich ein zweiter grosser Graben bogenförmig um die
*) Pür die Hauptstadt des japanischen Reiches ist jetst der Name
Tekio, d. h. östliche Hauptatadt, in Gebrauch. Der ältere und eigent-
liche Name der Stadt ist Yedo, was Thür einer Bucht oder eine Farth
bedeutet. Nach einer älteren Schreibweise bedeutet Yedo Land des
Yo, einer Pflanze, aus der man Öl bereitet.
Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft IV.
Fig. 1.
Das jetsige Tokio.
innerste Stadt, dooh ist er nicht geschlossen, sondern offen;
der eine Ausläufer mündet in den Sumida, der andere in
die Bai, und zwischen beiden liegt die Flussmündung. Diese
Gräben liegen nur zum Theil im Bereiche der Moeresfluth;
in der westlichen Hälfte der inneren Stadt befinden sie sich
hoch darüber and werden hier hauptsächlich von einem
Canale gespeist, der das Wasser es Tamagawa herzuführt.
Auch der Kandagawa, ein von den westlichen Hügeln
berunterkommender Bach, führt Wasser herbei.
Die äusserste Grenze der Altstadt läuft in ihrer all-
gemeinen Richtung wieder dem äusseren Graben parallel,
etwas nördlich vom Asakusa, das ungefähr 2 naut. Meilen
18
122 Über die Ebene von Yedo.
aufwärts der Mündung am Flusse liegt, ansetzend. Nur
im südlichsten Theile folgt die äussere Grenze auf einer
Strecke dem Laufe der Küste Was die Terrainverhält-
"nisse betrifft, so liegt das westliche Tokio hoch. Dasselbe
ausgedehnte Hügelplateau, das wir im Westen der oberen
Tokiobai finden, zieht sich von Shinagawa bis Shiba, von
hier nach Tameika, über das Kogakurio und Nagatababa
längs der westlichen Seite des inneren Grabenwinkels hin.
Bei Mitoyashiki findet eine geringe Ablenkung nach Westen
Statt, weiter nördlich verbindet es sich mit dem Zug Suru-
gadai—Sedo—Kaga-yashiki—Komagome, welchem der pa-
rallele Zug Uyeno—Negishi &c. zur Seite steht. So wird
ein Thal gebildet, das, vom Shinobazunoike beginnend,
hinaufzieht bis nach dem Sumidagawa. Das Plateau selbst
aber bildet eine dem rechten Ufer des Sumida entlang
ziehende Terrasse. Dieses sind die Hauptzüge in der Con-
figuration der in Tokio gegen 100 F. hohen und nach
Westen zu allmählich ansteigenden flachen und weit aus-
gebreiteten Erhebung.
Der merkwürdige Umstand, dass eine Alge, Porphyra
vulgaris Ag., die man jetzt hauptsächlich am Gestade der
Bai fischt, den Vulgärnamen Asakusa nori führt, leitete
mein Augenmerk zuerst auf die merkwürdigen Verände-
rungen, die in Bezug auf die Vertheilung von Wasser und
Land an der Sumida-Mündung noch in historischer Zeit
vor sich gingen. Der japanische Name der Porphyra vul-
garis deutet darauf hin, dass diese Pflanze, die im Fluss-
wasser nicht gedeihen kann, früher in unmittelbarer Nähe
Asakusa s gefischt wurde und dass sich somit in alter Zeit
das Meer bis in die Nähe von Asakusa ausgedehnt haben
muss, und in der That ist diess so gewesen. Es wird, um
die geologischen Umwandelungen, denen in historischer Zeit
die Sumida-Mündung unterlag, zu verfolgen und zu wür-
digen , nöthig sein, die wichtigsten Episoden aus der Ge-
schichte der östlichen Hauptstadt hier in gedrängter Kürze
mit einzuflechten.
Die Stadt spielt erst seit wenigen Jahrhunderten eine
bedeutungsvolle Rolle, und aus ältester Zeit besitzen wir
nur wenige Nachrichten. Die erste überlieferte Kunde da-
tirt aus dem Jahre 360 n. Chr. und hat bereits oben Er-
wähnung gefunden. In den Jahren 593—628 wurde zu
Asakusa von Fischern ein kleiner Tempel errichtet — auf
einem Hügel, wie die Chroniken berichten — , dessen Er-
bauer später als Heilige verehrt wurden. ’ „Es hat wohl
nie einen Tempel gegeben”, so heisst es, „nach dem im
Laufe der Jahrhunderte so viele Menschen gewallfahrtet
sind, wie nach diesem Asakusatera”, Auch der jetzige
Tempel in Asakusa erfreut sich unter allen Gotteshäusern
der Residenz der grössten Frequenz, steht aber unzweifel-
haft an ganz anderem Orte, als jener alte Kwannontempel.
Nördlich des jetzigen, durch sein ewig dauerndes Volksfest
berühmten Asakusa, liegt auf waldiger Anhöhe, oa 30 F.
über dem Wasserspiegel des Flusses, der Tempel Shoteng.
Der hier waltende Priester erzählte uns mit Stolz, dass wir
uns an der Stelle des altehrwürdigen Kwannon befänden.
Er will wissen, dass der Hügel ursprünglich um Bedeuten-
des höher und breiter gewesen, und erzählte uns, dass das
älteste Bauwerk der Hauptstadt, der eigentliche Kwannon
selbst, ein Raub der Flammen geworden.
Nach dem Jahre 628 scheint es auf dem Boden, der
das jetzige Tokio trägt, bereits lebendig geworden zu sein,
da die Reisenden, die von Miako kommend, nach dem Osten
oder Norden gingen, ihren Weg über Asakusa nahmen.
Bis in das 11. Jahrhundert hinauf fehlt nun jedwede, eini-
germaassen wichtige Nachricht.
In dem Buche Yedo zusetzu shuran steht geschrieben :
„Unter der Regierung Shogen (1028— 1036) zog Yorino,
der Statthalter von Kodzuke, gegen Tadatsune in’s Feld.
Des Letzteren Wohnsitz lag jenseit der Bai an einer Bucht,
die weit in’s Land hineinreichte. Hätte Yorino den Weg
über Land genommen, so würde er vielleicht 7 Tage ge-
braucht haben, während er zu Wasser noch an demselben
Tage drüben anlangen zu können glaubte Nun war kein
Fahrzeug da, um die ganze Kriegerschaar überzusetzen.
Anfangs stand der Führer rathlos am Ufer, doch dachte
er schliesslich daran, dass es im Wasser seichte Stellen gäbe”.
Der Wohnsitz des Tadatsune, so bemerkt nun der -Ver-
fasser, muss in Shimosa gelegen haben und diese Fähre
die jetzige Sumidagawafähre sein. Die gegebene Erzählung
und die vorliegende Karte werden genügend sein, zu be-
weisen, dass die ganze Gegend (nämlich die zwischen Asa-
kusa und Shimosa, einen Theil der letzteren inbegriffen)
eine weite Bucht bildeten.
Aus den Jahren 1046—1052 wird ein Ereigniss berich-
tet, das sehr an das eben erzählte erinnert. „Yoshige, ein
Daimio, wollte zu Wasser nach Shimosa hinüber, doch hin-
derten ihn die hochgehenden Wellen des Meeres. Er
warf seine Rüstung in das aufgeregte Wasser, um es zu
beruhigen, und gelangte schliesslich hinüber”. Verschiedene
andere Berichte heben jeden Zweifel darüber, ob die bei-
den erwähnten Episoden in der That auf die Gegend des
jetzigen Tokio zu beziehen sind, auf. Bezüglich der Karte
besitzen wir keine genauere Altersangabe. Sie ist über-
schrieben „älteste Karte von Yedo”. Die Methode der
topographischen Zeichnung ist hier ausserordentlich primitiv
und deutet: auf ein hohes Alter. Wie es scheint, ist die
Karte jedoch nicht von einem Zeitgenossen des darin dar-
gestellten Zustandes der Sumidamündung entworfen, son-
dern in einer noch sehr frühen Zeit nach Traditionen zu-
sammengestellt. Die Karte zeigt Folgendes:
Über die Ebene von Yedo.
Fig. 2.
Die Sumidagawamündung in den Jahren Chogen
(1028-1088).
Das Meer reicht bis weit über die jetzige Sumidafähre
hinaus, der Fluss hat seine Mündung noch da, wo er gegen-
wärtig 3 Meilen aufwärts von seiner Mündung in’s Meer
in fast rechtem Winkel aus einer östlichen Richtung in
eine südliche umbiegt. Das nördliche Asakusa, die Stadt-
teile Toshimsgori, Minowa, Mikawashima, Negishi, Uyeno
und das südliche Asakusa bilden zusammen eine gestreckte
Insel, die ein mit dem Meere durch relativ schmalen Ein-
gung verbundenes Wasserbecken enthält. Auch das lange,
fische Thal, welches sich zwischen den Hügeln von Hongo
und Komagome einerseits und Uyeno und Negisbi anderer-
seits ausdehnt, war noch mit Wasser gefüllt. Ein Kanal
zog sich hier durch, der Fluss und Meer verband, und auf
dessen östlicher Seite die Asakusa-Insel lag. Die Karte
kann nicht viel weiter zurückreichen als in die Zeit des
kriegerischen Yorinobu. In der Zeit 1455—1457 erbaute
Oota Dokuwan Niyuto die Burg. Schon dieses muss ein
Anlass zu schnellem Heranwachsen der Stadt gewesen sein.
Auf den Zeitraum Eroku (1558—1569) nun bezieht
sich die zweite der dem Yedo zusetzu beigegebenen Karten,
Innerhalb der verflossenen 5 Jahrhunderte hat das Delta seine
Gestalt vollständig geändert. Wir sehen zunächst, dass das
Land zwischen Sumida und Yedogawa um eine recht bedeu-
tende Distance (über 9} naut. Meilen) vorgeschritten ist.
123
Fig. 3,
Die Sumidagawamündung in der Zeit Eroku (1558-1688).
Fukagawa (die südliche Neustadt) steht noch unter
Wasser. Ganz Tokio ist zu dieser Zeit noch ein kleiner
Archipel; Seen und Inseln bilden das Delta. Der breite
Wasserarm, der sich um das Jahr 1000 vom Sumida aus
über Oji nach Uyeno hinzog, hat sich bedeutend verengt
und nur in dem noch jetst existirenden Shinobazunoike
ein bedeutsames Überbleibsel hinterlassen. Aus dem lang-
gestreckten Hafen der Asakusa-Insel ist der See Ubagaike
hervorgegangen, mit dem Flusse nur noch durch einen sehr
engen Eingang verbunden. An der Stelle des jetzigen
Mitoyashiki liegt ebenfalls ein weiter See, mit Namen Kan-
dagawanoike, und ein kleineres Becken Otamagaike finden
wir westlich der heutigen Riogokubashi. An letztgenannter
Stelle liegt die Mündung. Tekiji ist noch Insel. Ein Netz
von zum Theil bereits künstlichen Kanälen verbindet Fluss,
Seen und Meere.
Durch schriftliche Überlieferungen erfahren wir, dass
noch im Jahre 1573 das damals mit Fischerwohnungen
bedeckte Yayosugashi von den Wellen des Meeres bespült
wurde. Vor Abschluss des 16. Jahrhunderts war Yedo
noch ein Complex von Dörfern, erst mit Iyeyas, dem Ge-
waltigen, wuchs es zur Beherrscherin des ganzen Reiches
heran. Iyeyas bestimmt einen Raum von 4 Q.-Ri für die
Stadt, und auf seinen Befehl wird in der Zeit 1596—1613
das grosse Schloss erbaut. In den Jahren 1694—1643
10°
124
wird nun Yedo sehr lebhaft und zur grössten Stadt Japans.
Es gelang mir bei meinen Nachforschungen, in den Maga-
zinen der hiesigen Buchhändler eine Karte aus dem Jahre
1682 aufzutreiben. Schon zu dieser Zeit war Yedo, obwohl
eine verheerende Feuersbrunst im J. 1657 fast Alles zerstört
hatte, von dem jetzigen T'okio in nur wenigen und unwe-
sentlichen Zügen verschieden, Prüfen wir dieselbe auf die
Vertheilung von Wasser und Land in dieser Zeit, so stellt
sich heraus, dass auch in dieser Beziehung nur unbedeutende
Differenzen obwalten. Südlich von Fukagawa hat sich ein
Küstensaum von !,—!, naut. Meile Breite angesetzt, und
auch längs des Tokaido können wir in der Nähe der Stadt
eine Erweiterung des festen Landes constatiren.
Die Änderungen in der Vertheilung von Wasser und
Land können, wie es zu erwarten war, nicht ausschliesslich
dem natürlichen Gange der Dinge zugeschrieben werden.
Die Menschenhand hat sich besonders während und nach
der Zeit Iyeyas’ gar oft mit der Umgestaltung der Deltas
zu schaffen gemacht. So erfahren wir (s. den modernen
Plan von Yedo, Fig. 1), ganz abgesehen von der kunst-
vollen Anlage eines Systems grösserer ‚und kleiner Canäle,
dass Surugadai, ein Hügel am Kandagawa und bei Megane-
bashi gelegen, durch den Mitofürsten geschaffen wurde,
dass ferner Teppodzu, ein Theil von Tskiji durch Auf-
schüttung entstand, dass ganz Reiganjima durch einen
Priester aufgeschüttet wurde, dass der Otamagaike (auch
Sakuragaike genannt) sein Verschwinden dem Eingriffe der
Menschen zu verdanken hat, und dass endlich in den Jah-
ren 1688—1703 auf Befehl des Shoguns im Osten des
Tempels Hachiman Land aufgeschüttet wurde. Über wei-
tere bedeutende Aufschüttungen habe ich trotz mühevoller
Nachforschungen Nichts erfahren können.
Es drängt sich nunmehr die Frage auf, welchen um-
gestaltenden Einflüssen das Zurückweichen des Meeres in
der Bai von Yedo zuzuschreiben ist. Es sind zwei Ur-
sachen, deren vereinte Wirkung wir in den besprochenen Ver-
änderungen erkennen: Deltabildung und säculare Hebung.
Bekanntlich sind die Bedingungen für eigentliche Delta-
bildung überall da am ungünstigsten, wo die Gezeiten einen
nachhaltigen Einfluss ausüben und ein schützender Ufer-
damm nicht vorhanden ist. So sind die Verhältnisse schein-
bar im Golfe von Yedo. Nach den Angaben auf den
Admiralitätskarten beträgt die Höhe der gewöhnlichen Nipp-
fluth im Hafen von Ooshbima 4 F., zu Yokohama 4% F.
(letzterer Werth auch nach den im Benten-lighthouse de-
partment gemachten Beobachtungen) ; die bezüglichen Werthe
für die Springfluth sind 5 und 6% Fuss. Einer Mitthei-
lung des japanischen Kriegsministeriums zu Folge ist die
Höhe der Nippfluth bei dem zweiten Daikuwan (Fort)
5 shaku 1” =5 engl. Fuss, Die Fluth ist demnach in
Über die Ebene von Yedo.
der Bai bedeutender als in der benachbarten offenen See,
was sich durch die eigenthümliche Form des Golfes erklärt.
Eine Vergrösserung der Fluthwelle findet ja besonders da
Statt, wo sie sich durch einen engen Eingang in eine
weite Bai zu zwängen hat,
Die Flussgebiete des Tonegawa und Sumidagawa um-
fassen zusammen gegen 270 geogr. Q.-Meilen. Ein Ver-
gleich mit unserem deutschen Rhein nun, dessen Strom-
gebiet sich über 4700 Q.-Meilen erstreckt, legt klar, wie
unbedeutend die Gewässer sind, welche die Ebene von
Tokio durchfliessen. Durch blosse Zufuhr von Sediment-
massen also kann das sehr bedeutende Vorschreiten des
Landes um 3 Seemeilen in 9 Jahrhunderten kaum bedingt
gewesen sein. Die Fluth steigt, nachdem sie das nördliche
Gestade der Bai erreicht hat, in den Flüssen weit aufwärts
und staut so die Wasser. Bei Asakusa lag der Wasser-
spiegel des Sumida am 12. Juni, nach langer regenloser
Zeit, etwa 43 F. unter dem Niveau der Fluth, woraus man
schliessen könnte, dass das Eindringen der Fluth im Sumi-
dagawa bis ca 6—7 naut. Meilen stromaufwärts der Mün-
dung bemerkbar sein dürfte. Die Stauung des Wassers zur
Fluthzeit hat überall dort im Flusse, wo Stillstand der Ge-
schwindigkeitsverminderung verursacht ist, den Absatz von
schwebenden Theilen zur Folge. Tritt dann die Ebbe ein,
so werden diese entstandenen Sedimente wieder aufgewirbelt,
mit bedeutend gesteigerter Geschwindigkeit abwärts gerissen
und weiter. hinein in die Bai geführt. Die Wirkung der
Gezeiten läuft also auf eine Ausbreitung der von den Flüs-
sen herbeigeschafften Sedimente auf ein grösseres Areal
hinaus. Der Einfluss der Gezeiten bleibt aber nicht immer
derselbe. In den Monaten Juni und Juli schwellen die
Flüsse an, ihre Wasser eilen mit vermehrter Geschwin-
digkeit der Tiefe zu und führen mehr Material mit sich
als sonst. Zur Zeit des Hochwassers ist Fukagawa über-
schwemmt, das Wasser steht also im Flusse über dem
Fluthniveau. Unter derartigen Bedingungen wird die Gegen-
wirkung der Gezeiten ausserordentlich gering sein, der Zu-
wachs an Schwemmgebilden wird so bedeutender und nicht
nur bedingt durch die Ablagerung sohwebender Theile, son-
dern auch durch die Anhäufung von Geröllmassen.
Dass übrigens die Flüsse im Norden des Golfes von
Yedo eine in Anbetracht der ziemlich ungünstigen Bedin-
gungen bedeutende absetzende Thätigkeit ausüben, zeigt
der Charakter der Böschung, unter welcher die Schwemm-
gebilde gegen den Boden des Golfes hin abfallen. Ein
Profil, das wir von der an der Mündung gelegenen Insel
Ishikawa aus nach der tiefsten Stelle des nördlichen Thei-
les der Bai hin entwerfen, zeigt folgende Form !). Bis
1) Die Tiefenangaben sind englischen Admiralitätekarten entnommen
und beziehen sich auf niederen Wasserstand.
Über die Ebene von Yedo.
24 Min. südlich der Mündung beträgt die Tiefe ''/, Faden;
für die nächste halbe Meile registriren wir einen Abfall
von Y, Faden auf einen Faden Tiefe; in ungefähr 33 Min.
Entfernung von Ishikawa beträgt die Tiefe schon 33 Faden,
in 4? Min. 5 Faden, in 63 Min. 8 Faden, in 7? Min.
10 Faden. Ein plötzlicher Abfall zeigt sich demnach am
Rande der der Sumidamündung vorliegenden Sandbank.
Nach diesem Abfall verflacht sich die Böschung wieder ganz
allmählich, ein Verhältniss, wie wir es an den Mündungen
der grössere Deltas bildenden Flüsse anzutreffen gewohnt
sind. Die erwähnte Sandbank vertritt gewissermaassen die
Stelle eines Uferdammes. Der Sumida hat nahe Asakusa
bei niederem Wasserstand eine Tiefe von 3—5,5 m. Auf
die abwärts gerichtete Bewegung der Wassermasse zur Ebbe-
zeit muss also die Sandbank unbedingt hemmend einwirken,
und Bewegungshemmung bedingt hier die wenigstens theil-
weise Wiederablagerung der bei der Stauung abgesetzten,
bei der Ebbe wieder abwärts gerissenen Sedimente.
Ähnlich gestalten sich die Verhältnisse beim Yedo-
gawa, doch bringt der Sumidagawa viel grössere \Vasser-
massen und Sedimentmengen mit sich. Der Yedogawa ist,
wie wir später sehen werden, eine schwache Abzweigung
des Tonegawa. Der zwischen beiden Flüssen gelegene Naka-
gawa ist höchst unbedeutend und übt auf die Gestaltung
des Delta’s keinen wesentlichen Einfluss aus.
Ich habe schon bei früherer Gelegenheit ausgeführt,
dass verschiedene Thatsachen eine Hebung der Bai von
Yedo in der jüngsten Erdperiode beweisen. Zunächst ist
es das Vorkommen von Muschelbänken mit recenten For-
men tiber dem Wasserspiegel, zweitens sprechen die etwa
10 F. hohen Bohrmuschellöcher am Bluff bei Yokohama,
drittens die topographischen Verhältnisse der Umgegend
von Tokio, Yokohama und Kanasawa, viertens das Vor-
kommen von durch Meerwasser gewaschenen, in einer Reihe
gelegenen Höhlungen an den steilen Hügelwänden bei Kana-
sawa, und fünftens die Form der Ebene von Tokio für
eine solche Hebung. Die regelmässige, fast ungestörte Lage-
rung der Schichten bis Kanasawa hin, wie auch die Gestalt
der Ebene deuten auf eine sehr lang andauernde und gleich-
mässige Hebung. Die historischen Veränderungen der Su-
midamündung aber beweisen eine Fortdauer dieser Hebung
bis in die Gegenwart.
Die Ebene dacht sich von den Bergen her nach dem
Meere zu ganz sanft und allmählich ab und die unmittel-
bare Umgebung der Hauptstadt ahmt diese Abdachung im
Kleinen nach. Ein Theil desjenigen Gebietes, das um das
Jahr 1000 noch sich unter dem Wasserspiegel befand, liegt
jetzt ausserhalb des Bereiches des Hochwassers. Die jüngst
über dem Wasser erschienenen Landtheile liegen am tief-
sten, die ältesten am höchsten. Alle diese Thatsachen be-
125
weisen deutlich und klar, dass das Vorschreiten des Landes
bei Tokio zum grossen Theil der säcularen Hebung zuzu-
schreiben ist. Auch die Trockenlegung des Kandagawa-
noike wie des UÜbagaike wird so am besten verständlich.
Von hohem Interesse ist die Frage, wie viel die Hebung
in einer gewissen Zeit beträgt. Zur erschöpfenden Lösung
dieses Problems wären erforderlich:
1. genauere Angaben über die Vertheilung von Wasser
und Land in früheren Perioden, besonders genauere Tiefen-
angaben für diejenigen T'heile des alten Meeres, die später
trocken gelegt wurden;
2. genaue Nivellements des jetzigen Tokio, und
3. genaue Daten über den Einfluss der absetzenden
Thätigkeit der Flüsse auf den Zuwachs des Landes. Solche
Daten liessen sich nur aus einer langen Reihe, Jahre lang
fortgesetzter Beobachtungen ableiten.
Wir werden es hier versuchen, an der Hand der gege-
benen Thatsachen zu einem Resultate zu gelangen, das der
Wahrheit möglichst nahe steht.
Nachstehende Tabelle, die mir von Seiten des hiesigen
japanischen Vermessungsbureau’s freundlichst übermittelt
wurde, enthält die Höhen verschiedener Theile von Tokio
(s. Fig. 1).
Höbe
Nr Name des Ortes in
i _ _ Meter.
1. : Hoonji, Honpjo 1,36
2. _Benten, Susaki 1,18
83. , Kita-teuji-bachi . . . . . . . 1,68
4 BHachiman . . . . . . 1.287
6 | Atzuta, Asakusa, Yoshinocho . . . . 3,31
6. Honganji (Monuseki), Asakusa 23,0
7. | Choremba, Kaigunsbo . . . . . . 2,
8. Shin-o-hashi (Ostende) . . . . . | 9,»
2. » » » (Westende) . . . . . 2,0
10. | Naeri-hira-bashi, Honjo 2,68
1l. Adsumabashi 2,64
1%. Mishima, Shtaya Kansungi . . . . . . . 3,93
13. Ichikokubashi . . . . . . ee 7,
14. _Susanoo bei Senji . . . . . . . , 4,18
15. , Miojin, Torikoye .. . . . . . .., 8317
16. Shtaya torishimachi . . . . . . 3,
17. _ Eitabasbi (Ostende) . . . . . 3,0
18, ” (Westende) ‚ 3,73
19. Bawasekimon . 3,78
30. Meganebashi I 4,86
21. Kandabashi . ı 4,0
22. BRiogokubashi (Westende) . . . . . . 4,88
23. „ (Ostende) . . . . . . 1 4,88
24. Chorakuin, Uyeno . . . . . . ., 5,5
25 Kyobashi . . . . . . . 481
26 Shinanosaka, Uyeno 5,08
37 Nihonbashi . 4,%
28 Sakurstamon 7,28
29 Hanjomon 28,06
30 Yotzuyamon 30,8
Fukagawa befand sich, wie die Fig. 3 zeigt, noch in
der Mitte des 16. Jahrhunderts unter dem Wasserspiegel.
Anfang des 17. Jahrhunderts bereits wurde es bebaut, und
eine Karte aus dem Jahre 1682 zeigt den Stadttheil schon
126 Über die Ebene von Yedo.
fast ganz in seiner jetzigen Gestalt. Daraus folgt, dass
Fukagawa im Anfang des 17. Jahrhunderts über dem
Fluthniveau lag, und nehmen wir an, dass um das Jahr
1600 etwa das Fluthniveau erreicht war, so ergiebt
sich für die letztverflossenen 280 Jahre eine Hebung um
ca 75 cm, pro Jahrhundert also und cm = 27 cm.
Nun ist allerdings zu berücksichtigen, dass Fukagawa,
der am tiefsten gelegene Stadttheil von ganz Tokio, nicht
so selten dem Hochwasser ausgesetzt ist, doch kann die
Masse des hierdurch gebildeten Sedimentes kaum einen
verticalen Zuwachs von 81—120 cm bedingt haben. Aus-
serdem ist zu beachten, dass die Neustadt beinahe eben so
lange existirt wie der Grund und Boden, auf dem sie
ruht. Hätte sich das im 16. Jahrhundert dem Wasser ent-
wachsene Land durch Sedimente erhöht, so müsste sich
irgend eines der aus alter Zeit herstammenden Denkmäler
der Cultur in den Boden eingesenkt finden. In Fukagawa
nimmt man Nichts derartiges wahr. Alles erscheint wie
auf ursprünglicher Oberfläche. Bedeutende Höhe erreicht
übrigens das Hochwasser in Fukagawa höchst selten, es
steht in der Regel nicht über 1 F. hoch.
Wenn nun der eben angegebene Werth ein zweifel-
hafter ist, da vor der Hand nicht festgestellt werden kann,
um wie viel sich Fukagawa in den letzten 280 Jahren
durch Ablagerung suspensischer Theile erhöht hat, so kann
doch unserer Berechnung wenigstens in einer Richtung eine
bestimmte Form verliehen werden; wir sind nämlich im
Stande, den Maximalwerth ausfindig zu machen. Auf kei-
nen Fall betrug die Hebung in den letzten 3 Jahrhunder-
ten mehr als 30 cm oder 1 FE.
Meinem Dafürhalten nach kann wenn das Hochwasser
wirklich durch die wiederholte Bildung von Schlammkrusten
zur Erhöhung von Fukagawa beigetragen hat, hierdurch
ein Zuwachs von höchstens ca 30 om bedingt worden sein,
und so ergiebt sich dann der Werth des Hebungsindex zu
15 cm oder ", engl. F.
Bei Erörterung dieser Frage ist übrigens vor Allem zu
berücksichtigen, dass zur Zeit des Hochwassers auch in
Fukagawa besonders die oberen Schichten von einer fortwäh-
renden Bewegung ergriffen sein müssen, da der Hochwasser-
spiegel um Bedeutendes über dem Fluthniveau liegt.
Überblicken wir nochmals die seit dem 11. Jahrhundert
vor sich gegangenen Umwandelungen, so erscheint es in
hohem Grade beachtenswerth, dass das Vorschreiten der
Ebene in sehr ungleichmässiger Weise Statt gefunden hat.
Während vom 11.—16. Jahrhundert der Zuwachs zwischen
Sumidagawa und Nakagawa etwa 23 naut. Q.-Min. betrug,
sehen wir in den folgenden 2 Jahrhunderten eine Fläche
von nur !/, naut. Q.-Meile Inhalt aus dem Wasser empor-
tauchen, Von 1682 bis in die Gegenwart hinein setzt sich
ein Küstensaum an, der bei Fukagawa /,—!/; naut. Meile
Breite hat, so dass also die in dieser Zeit entstandene
Landfläche nur die Hälfte der in der vorhergehenden Pe-
riode entstandenen betragen würde.
Östlich von Tokio bildet das Land einen im Tonegawa-
point spitz auslaufenden Vorsprung, so dass der Sumida-
gawa in einen dreieckigen Ausschnitt einmündet. Ganz
dasselbe wiederholt sich jenseit des Tonegawapoint. Der
Vorsprung trennt so zwei dreieckige Ausschnitte, deren je
einer dem Sumida und dem Yedogawa vorliegt. Beide
‚ Dreiecke sind durch den Detritus der Flüsse versandet,
Wie schon oben erwähnt, stellen sich diese breiten Sand-
bänke der Abwärtsbewegung den Wassermassen entgegen
und befördern so die Ablagerung von Sedimenten. Die
Schiffe, die von Süden kommend nach Tokio gehen, miüs-
sen einen ganz bestimmten Cours einhalten, abgesehen
davon, dass nur Fahrzeuge kleineren Calibers bis dicht an
die Stadt heranzukommen vermögen. Die Fahrlinie führt
zwischen den mittleren der in der Nähe von Shinagawa
gelegenen Forts durch und dann nahezu ", naut. Meile
vom Ufer entfernt und parallel demselben in erst 1 Faden,
dann ?/, und zuletzt !/, Faden tiefem Fahrwasser hin, dann
geht sie zwischen Ishikawa und Tskiji und zuletzt zwi-
schen Reiganjima und der Altstadt durch. Auch auf der
östlichen Seite befindet sich ein solcher Canal, der aber
im oberen Theil bereits auf !/, Faden Tiefe versandet ist.
Eine nur geringe Hebung ist hier nöthig und eine Fläche
von nahezu 8 naut. Q.-Meilen liegt bei Ebbe vollstän-
dig trocken. Schon jetzt liegt die grosse Sandbank von
Tokio zur Ebbezeit theilweis dicht unter dem Wasserspie-
gel, man sieht dort Fischerboote, die sichtlich im Sande
stecken.
Nordöstlich vom Tonegawapoint würde unter gleichen
Bedingungen eine Fläche von etwa 6 naut, Q.-Meilen, von
der zur Ebbezeit ein grosser Theil bereits nahezu trocken
liegt, über Wasser erscheinen. Hebt sich das Land um
ca 27 cm im Laufe eines Jahrhunderts, so sind nach we
niger als (a =) 7 Jahrhunderten die dreieckigen Sand-
bänke über das Fluthniveau gehoben. Da die Ablagerung
von Schwemmgebilden jedoch einen beschleunigenden Einfluss
auf diese Trockenlegung ausübt, so wird sie zweifelsohne
schon früher vollzogen sein. Nach einer Reihe von Jahr
hunderten werden somit die Forts, denen sich schon in den
Jahren ihrer Erbauung ein grösseres Kriegsschiff unmög-
lich auf Schussweite hätte nähern können, ein gar merk-
würdiges Denkmal abgeben für den Anbruch einer neuen
Periode in der japanischen Geschichte, für die Zeit des Ab-
schlusses der Verträge mit den weissen Fremdlingen,
zum Schutz gegen welche die sechs Inselvesten errichtet
wurden.
Über die Ebene von Yedo.
Wir wenden uns nun zu allgemeineren Betrachtungen.
Die Yedobai ist ein Theil des Golfes, den die beiden
Halbinseln Idzu und Kadsusa-Awa begrenzen. Wenn man
von den vielen Landvorsprüngen, den Nasen — wie die
Japaner sie nennen — und den eben so zahlreichen Buch-
ten absieht, so kann die Form der Bai als die eines recht-
winkligen Dreieckes bezeichnet werden. Yedo selbst läge
dann in der Eoke .des rechten Winkels, und in der genau
südlich davon gelegenen Spitze und zwar in einer Entfernung
von 28 naut. Meilen fänden wir den Rubioonpoint, dessen
vis-a-vis die in der Hypotenuse unseres Dreieckes gelegene,
sich weit vorschiebende Saratoga-Landzunge ist. Hier liegt
das eigentliche, nur 5 Meilen breite Thor zur Yedobai.
Südlich der Hauptstadt verläuft die Küstenlinie in sich
schwach nach Westen krümmendem Bogen bis zum Kawa-
sakipoint, um dann im Verlaufe bis zum Rubiconpoint
einen viel längeren, weiteren und vielfach gebrochenen
Bogen zu beschreiben. An dieser weiten Biegung und
mitten zwischen Yedo und Rubiconpoint liegt Yokohama,
Südlich von Yokohama finden wir die Mississippibucht, darauf
folgt die Kanasawabucht, weiterhin an der von nun an ge-
zackten Küste die Yokoskabucht und ganz zuletzt die
Susquahanabucht.
Auf gegenüberliegender Seite alsdann stossen wir in
der Hypotenuse unseres Dreieckes aufwärts gehend auf die
anter gleicher Breite mit Yokohama gelegene Bansuhana.
Die dritte Ecke des Dreieckes liegt zu Lande, und in der
nördlichen Kathete ist nur der in den Tonegawapoint aus
laufende schon erwähnte Vorsprung bemerkenswerth. Der
Hauptdurchmesser des Wasserbeckens hat eine nordwest-
liche Lage. Zwischen Bansubana, der Bansunase und Ka-
wasaki hat der nördliche Theil der Bai die grösste Tiefe,
die hier 18 Faden beträgt. In der Nähe von Yokohama
(2} naut. Meilen SO) ist das Becken 27 Faden, südlich
davon 20, dann 25, 30, 35, 30 Faden tief. Im nordöst-
lichen Theile ist die Bai 6—10 Faden tief, im mittleren
10—17 Faden und im südlichen bis 30 Faden. Südlich
der engen Pforte zur Bai liegt der Uraga-Canal. Ihn trennt
eine kleine Halbinsel mit 210 m hoher Erhebung von der
Odawarsbai. Zwischen dem kleinen Bergstock der Uraga-
balbinsel und den Awabergen scheint eine unterseeische
Verbindung zu bestehen. Der Uraga-Canal gehört in sei-
dem unteren Theile bereits der Tiefsee an. Er bat bis
300 Faden Tiefe.
In der Nähe des Einganges der Bai beweist das Vor-
handensein des sandıgen Vorsprunges von Saratogs sowohl,
wie auch die beträchtliche Breite der Uferbank zwischen
Seratoga und Bansu und das Vorkommen von Sandbänken
babe der Mississippibucht, dass hier die Kräfte ablagernd
und aufhäufend wirken, und dass somit bei genügend langer |
127
Fortdauer der hier waltenden Verhältnisse die Bai einmal
geschlossen und vom Meere getrennt werden müsste,
Die Bai von Tokio wird eingefasst von den folgenden
Provinzen: Erst östlich Awa und Kadsusa, beide bergig,
weiter nördlich Shimosa und dann nordwestlich Musashi.
Westlich von der Bai liegt Sagami mit dem Ooyama im
Mittelpunkt der Uragahalbinsel.
Shimosa liegt ganz in der Ebene, von Musashi nur die
östliche Hälfte. Von den drei Provinzen Hitachi, Shimo-
tsuke und Kodzuke beansprucht die Ebene nur den süd-
lichen Theil. Orientiren wir uns von Tokio aus, so liegen
die Berge im Südwesten und Westen am nächsten. Im
westlichen Theile von Musashi stossen wir in einer Entfer-
nung von etwa 30 naut, Min. von Tokio auf altes Gebirge
mit Thonschiefer, Chlorit und Talkschiefer, Quarzit, Ser-
pentin, Kalkstein - Conglomeraten &c.; im Nordwesten lie-
gen zwei Massive vulcanischen Ursprungs: Harna und
Akagi. Die Entfernung in dieser Richtung beträgt unge-
fähr das Doppelte der vorbergenannten. Nordöstlich vom
Akagi liegen die ebenfalls vulcanischen Berge von Nikko,
ungefähr 70 naut. Meilen NW von Tokio. Eine Berg-
kette, von Norden aus zwischen Küste und Nikko nach
Süden hinziehend, schiebt sich mit einer kegelförmigen Er-
hebung, dem Tskubasan (ca 60 naut. Meilen von Tokio
und in etwas nach O abweichender nördlicher Richtung ge-
legen) endend, in die Ebene ein.
Ein westlicher Ausläufer der Ebene erstreckt sich zwi-
schen den Bukobergen und Akagi durchlaufend, bis über
Takosaki hinaus an den Fuss des Gebirges; ein nörd-
licher Ausläufer zieht sich zwischen dem Tskubazuge und
Nikko durch, und ein dritter, gleichfalls in nördlicher Rich-
tung verlaufend, geht dem Tekubazuge parallel an der
Küste aufwärts,
Durch die Ebene führen, von Tokio ausgehend, vier
grosse Strassen. Der Oshiukaido ist die Strasse über Utzo-
nomiya, Shirakawa &c. nach dem äussersten Norden. Der
Nakasendo verbindet die östliche Hauptstadt Tokio tiber
Takasaki, Oiwake am Fusse des Asamayama, Wadatoge u. s. f.
mit der westlichen Hauptstadt Miako. Eine südliche über
Odawara bei Hakone und dann grösstentheils nach der
Küste verlaufende Verbindung der gleichen Punkte ist der
Tokaido. Nach Westen endlich geht der Korshukaido, der
nach Kofu, der Hauptstadt der Provinz Koshu, führt. Die
nachstehenden annähernden Höhen zeigen das Ansteigen des
Tieflandes nach den Bergen zu.
Nakasendo Oshlakasdc. ne ın
ltabashi.. . . . . . . . . . 8
Omiys . . . 0. . . . . 10
Okegawıa . . . er . . . . ı2
Fokiage . . . . . . . . . . . 13
Koga. . . . 16
128
Nakasendo, Oshiukaldo. ker
Kumagaye .| Mamada . . . . 18
Fukaya . . . . . . . 26
Oyama . . . . 29
Honjo . . . . . 37
Shimmachi 45
Kuragano . . . . . . 53
Kogane . . . . 55
Takasaki . . . . . . 60
Ishibashi . . . . 69
Susumiya . . . . 94
Utzonomiya 128
Ein complicirtes Netzwerk von Flüssen und Wasser-
läufen, Seen und Lachen breitet sich über die Ebene aus.
Dieses so eigenthümliche Flussgewirr erscheint im Ver-
gleich mit den grösseren Bewässerungssystemen der Erde
allerdings verschwindend klein, und denkt man an so wich-
tige und grossartige Phänomene, wie an die Bifurcation des
Orinoco und seine Verbindung mit dem Amazonenstrom, wie
an die Verbindungen des Irawadi und Palaun, so will das
Interesse für die eigenthümlichen Erscheinungen, welche
die Ebene von Tokio bietet, fast verschwinden. Nichts
desto weniger verdient das Flussnetz der Ebene unsere
volle Aufmerksamkeit, besonders da wir im Stande sind,
die Entwickelung besser zu verfolgen als anderswo, wenn
die Verhältnisse zu grossartiger Natur sind,
Zwei Hauptflüsse bewässern das Tiefland: der Sumida-
gawa und der Tonegawa. Jeder der beiden bietet eine aus-
gezeichnete Bifurcation. Der Sumidagawa hat seine Quelle
annähernd nordwestlich von Tokio in der nach dieser Seite
liegenden Ecke von Musashi. Auf seinem Wege durch die
Berge empfängt er viele Zuflüsse, und kaum in die Ebene
getreten, theilt er sich bei Kumagaye in zwei Arme. Der
östliche Arm, Ayasegawa genannt, vereinigt sich wieder mit
dem Hauptzweige dicht bei Tokio. Ein Nebenfluss des
Ayasegawa ist der. Motoarakawa. Er mündet wenig ober-
halb der Wiedervereinigung des Ayasegawa und Sumida in
ersteren ein. Wegen seiner mehrfachen Verbindung mit
benachbarten Wasserläufen hat er an und für sich keine
Bedeutung, verdient aber deshalb besonders hervorgehoben
zu werden, weil er nach japanischen Berichten der Furoi-
sumidagawa, der Alt-Sumidagawa, ist. In seiner Fluss-
linie soll das Bett des Sumida ursprünglich gelegen haben.
Er mag noch um das Jahr 1000 viel grösser gewesen
sein als heutzutage, wenigstens scheint mir diess aus
den alten japanischen Karten hervorzugehen. Neben dem
Sumidagawa her verläuft der nördlich von Kumagaya sei-
nen Ursprung nehmende und ebenfalls in die Bai mün-
dende Nakagawa. Zwischen Ayasegawa und Nakagawa giebt
es viele kleine Bifurcationen und Verbindungen, so dass
das ganze Sumidagebiet ein Gewirr von Wasserwegen dar-
stellt. Es darf hier nicht Wunder nehmen, dass selbst der
Über die Ebene von Yedo.
Hauptfluss in verschiedenen Theilen des Laufes verschie-
dene Benennungen erfährt. Er heisst erst Sumidagawa,
dann bei Asakusa Asakusagawa, bei Sanya Miyatogawa, dort,
wo er den Nakasendo schneidet, Todagawa, und im oberen
Laufe Arakawa.
Der Tonegawa entspringt auf dem Berge Monjiusan im
Kori Tone der Provinz Kodzuke. Von seiner Quelle bis
zur Choshispitze am Ocean, wo die Mündung liegt, misst
er über 70 Ri, während’ die Länge des Sumidagawa etwa
40 Ri betragen dürfte. Die erste Stadt von einiger Be-
deutung an den Ufern des Tone ist Numata. Wenig unter-
halb dieses Ortes nimmt er auf der rechten Seite den
Adzumagawa auf. Bei Maöbashi theilt sich der Strom in
ein Netzwerk von Wasserläufen, die sich nach Aufnahme
der Akagibäche dort, wo der Karasugawa einmündet, wie
der vereinen. Nachdem nun der Tone die Wasser des
Watarasegawa empfangen hat, welche die Provinz Shimo-
tsuke durchfliessen, theilt er sich gegenüber der Stadt Kuri-
hashi am Oshiukaido in zwei Arme. Der südliche Arm
wird Gongendogawa genannt. Er hat eine Länge von
2 Ri und wird bei Pekiyato zum Yedogawa, der sich bei
Horiye-Shinden in die Bai ergiesst. Nördlich von Sekiyato
nun theilt sich ein zweiter Arm vom Hauptstrome ab, eine
Verbindung mit dem Yedogawa herstellend.. Er heisst
Sakasegawa und schneidet die Gabelungsecke des Bifur-
cationsdreieckes, welches die Provinz Shimosa einnimmt,
quer ab. Unter gewöhnlichen Verhältnissen fliessen die
Wasser des Sakasegawa nach Süden und vereinigen sich
mit denen des Yedogawa, bei Überschwemmungen aber
fliessen sie in umgekehrter Richtung, daher der Name
(Sakasegawa bedeutet umgekehrter, aufwärts fliessender
Fluss). Der Hauptstrom trägt zwischen Kurihashi und
Sekiyato den Namen Akahorigawa, oberhalb Kurihashi
heisst er Kamitonegawa und unterhalb Sekiyato Nakatone-
gawa. Nachdem der Tonegawa den Kinugawa aufgenom-
men, der auf der Grenze zwischen Shimotsuke und Iwashiro,
nördlich von Nikko entspringt und noch die überschüssigen
Wasser zahlreicher Seen wie des Aga-numa, Iba-numa und
Naga-numa in Shimosa und des O-urs, Kasumi-ura und
Saka-ura in Hitachi empfangen hat, mündet er bei Choshi
in den freien Ocean.
Die beiden Flusssysteme des Tone und Sumida sind
deutlich, doch nicht vollständig von einander geschieden.
Der Nakagawa steht in der Nähe seines Ursprunges mit
dem Tonegawa in Verbindung, und auch im Unterlauf des
Nakagawa besteht eine solche Verbindung mit dem Yodogawa.
Es mögen hier einige dem Buche Tonegawadzushi
entnommene Überlieferungen Platz finden, die beweisen,
dass auch das Gebiet des unteren Tonegawa in historischer
Zeit wichtigen Umwandelungen unterworfen war.
Über die Ebene von Yedo.
An der Stelle der Vereinigung der drei langgestreck-
ten Seen O-ura, Kasumi-ura und Saka-ura, die nördlich vom
Tone in unmittelbarer Nähe der Mündung liegen, befinden
sich die Djurokuto, die 16 Inseln. Ihr eigentlicher Name
ist Shinshima, was neue Inseln bedeutet. Das Buch Kado-
rishi erzählt: Im Verlaufe einer Reihe von Jahrhunderten
entwuchsen dem Meere Sandbänke, die sich nach und nach
vergrösserten. Im Jahre 1590 fing man an, die Inseln zu
bebauen.
Ein Mann Namens Saito berichtet Folgendes: Der
District von Soma war dort, wo in alten Zeiten der kaiser-
liche Palast stand, von Seen umgeben und eignete sich
vorzüglich zur Vertheidigung gegen Feinde. Erst um die
Jahre Kanei (1624— 1643) grub man ein neues, südlicheres
Bett für den Kinugawa. Zur selben Zeit entstanden Tau-
sende von Reisfeldern, und noch jetzt findet man in ihrer
Mitte hier und dort Teiche, in denen die Lotospflanze üppig
gedeiht. "
In den alten Büchern finden auch die Namen Shima-
hiroyama und Hotokeshima (beide bei Soma gelegen) Er-
wähnung. Ersterer soll einst ein weiter Inselberg gewesen
sein, daher der Name (Shima, Insel; hiro, weit; yama,
Berg). Hotokeshima heisst Todteninsel. Auch der Name
des Ortes Sarushima bei Soma deutet auf diesen Urzustand
hin. Vor vielen, vielen Jahren befand sich in dem See
Teganuma ein Damm. Durch spätere Überschwemmungen
wurde er theilweis zerstört. Die übrig gebliebenen Theile
ragen gleich natürlichen Inseln hervor.
Die Dörfer südlich von Teganuma nennt man Tegashima.
Auch hier sollen einst Inseln gestanden haben, und auf
diesen Inseln standen fünf Dörfer.
Fukama-shinden ist eine Insel, die zwischen den beiden
Flüssen Shiogengawa und Shimotonegawa liegt. Sie ist
3 Ri breit und 1 Ri lang. Erst um die Jahre Genroku
(1688—1703) bebaute man sie, und erst nach dieser Zeit
entstanden hier 25 Dörfer. Das Alter dieser Insel kennt
Niemand, doch Wird uns in alten Büchern erzählt: „Anfangs
war sie eine Sandbank, die sich mit der Zeit vergrösserte,
so dass sie endlich eine bewohnte Insel wurde”,
Das Buch Kadorishi theilt uns Folgendes mit: „Zubaki-
no-umi (Kamelien-See) ist von dem Tempel Kadori etwa
6 Ri entfernt, liegt auf der Grenze der drei Districte Ka-
dori, Sooss und Unagami, und hat einen Umfang von 10 Ri”.
Dieser See ist jetzt nicht mehr vorhanden, an seiner
Stelle liegen Reis- und Ackerfelder. Manerzählt sich: „Dort
stand ein riesenhafter Kamelienbaum, der später von selbst
aumfiel. An dem Orte, wo sich in alter Zeit dieser wunderbar
grosse Baum befand, bildete sich ein Ses!). Noch jetat
!) Bier könnte eine instante Senkung Statt gefunden haben.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft IV.
129
feiert man zum Andenken au diese Begebenheit an dem
Ort, wo sie Statt gefunden, jährlich zwei Mal und an be-
stimmten Tagen das Fest der Kamelien: Zubaki-no-mazuri.
In der alten Zeit hatte der Tonegawa einen vom jetzi-
gen ganz verschiedenen Lauf. Sein Bett lag südlicher.
Während, wie oben gezeigt worden, im nördlichen Theile
des Golfes von Yedo, dort, wo die Hauptstadt selbst steht,
ein förmliches Delta vorliegt, an dessen Fortbildung der
südliche Arm des Tone, der Yedogawa, einen, wenn auch
nicht so bedeutenden Antheil nimmt, liegt an der freien
Ostküste, an der Seite des Grossen Oceans, in fast genau
östlicher Richtung von Tokio, ein Ästuarium vor, das durch
die Mündung des grossen, eigentlichen Tonegawa gebildet
wird. Die eigenthümliche Form dieser Mündung, die Seen-
bildungen in der Nähe des unteren Tonelaufes, die in der
Seekarte verzeichneten Klippen unmittelbar südlich der
Mündung, all’ diese Verhältnisse liessen es mir wünschens-
werth erscheinen, den östlichen Theil der Ebene zu durch-
kreuzen. Im Monate April wurde es mir endlich möglich,
eine viertägige Excursion zu unternehmen, über die ich in
Folgendem kurz berichten will.
Wir verliessen Tokio Freitag am 29. April Mittags
1 Uhr, gingen bei Iwatamura über den Yedogawa und von
hier in nordöstlicher Richtung nach Kioroshi, das am Tone
liegt und ca 20 Ri von der Mündung entfernt ist. Wir
langten Abends an, fuhren dann während der Nacht per
Dampfschiff den Fluss hinunter und kamen am frühen Mor-
gen des 30. nach Koyamura, an der Mündung. Der Sonn-
abend wurde zu kleinen Ausflügen an der Küste benutzt.
Sonntag, am 1. Mai, fuhren wir per Djinrikisha nach Narto
(auf südlich gehender Strasse), übernachteten hier und ge-
langten am 2. Mai, theils Djinrikisba benutzend, theils mar-
schirend, nach Odaki. Am 3. Mai überschritten wir quer
die Berge von Kadsusa, um an's Gestade der Bai zu ge-
langen. Nach anstrengendem Marsche langten wir spät in
der Nacht in Kisaratzu an der Küste an. Ein Boot brachte
uns folgenden Tages nach Tokio zurück. Die Strecke, die
wir so in 3} Tagen zurückgelegt hatten, beträgt mit Abzug
der Bootfahrt 68 Ri, mit Abzug der Dampferfahrt 46 Ri,
also für die 3} Tage zu Land pro Tag 13 Ri, eine für
Japan recht leidliche Geschwindigkeit des Reisens, wenn
man bedenkt, dass unterwegs noch diese und jene Beobach-
tung gemacht sein will.
29. April: Tokio—Kiorosbi . . 12 Ri
29.—30. April Nachts: Kioroshi— Koyamara . 212 „
1. Mai: Koyamura— Narto . 1
3. Mai: Narto— Odaki . . . . . 11,
3. Mei: Odaki—Kisaratzu . . . . . 1% „
4. Mei: Kisarstzu— Tokio . . . . . 13 „
Wer sich unter der Ebene einen weiten Sumpf von
Reisfeldern vorstellt, der nur unterbrochen wird von
17
130 Über die Ebene von Yedo.
buschigen Inseln, aus deren Grün zuweilen ein Tempel
hervorlugt, der hat ein nur theilweis richtiges Bild. Zwi-
schen dem östlichen und südlichen Arme des Tone dehnt
sich ein weites, länglich gestrecktes, doch mehrfach unter-
brochenes, 30—45 m hohes Hügelplateau aus, dessen flacher
Rücken wohlgepflegte Fichtenwaldungen trägt. In den Lich-
tungen erscheint das frische Grün von Weizenfeldern und
freundlich grüssen hübsche Bauernhäuser. Gefällige, von
stattlichen und sorgsam gepflegten Hecken umschlossene
Gärten zeugen von einem gewissen Wohlstand.
Die beiden ausgedehnten Lagunenreste Taga-numa und
Iba-numa liegen zwischen den Hügeln und dem Tone. Kio-
rosbi liegt zwischen beiden Seen. Hier ist der Fluss schon
ziemlich breit und bei der Mündung beträgt die Breite nahezu
eine nautische Meile. Circa 10 Ri von der Mündung auf-
wärts münden zwei lang gezogene, sich auf der nördlichen
Seite fingerförmig ansetzende Wasserbecken. Das auf der
Seeseite liegende verläuft in nordnordwestlicher Richtung,
ist gestreckt, schmal, gleichmässig in Form und geht der
Küste parallel. Das zweite Becken hat seine Hauptausdeh-
nung in nordwestlicher Richtung. An dem oberen Ende
verzweigt es sich in drei fingerförmige Fortsetzungen. Die
Gestalt dieses Mittelarmes ist ein Miniaturbild des ganzen
Ästuariums. Dieser merkwürdige Umstand weist darauf hin,
dass jene obere Abtheilung des mittleren Beckens unter
genau denselben Bedingungen entstanden ist, wie das ganze
Ästuarium. Es kann kaum eine bessere und einfachere
Erklärung für die Bildung geben als die, dass der Fluss
ursprünglich in den südlichsten Ausläufer der mittleren
Lagune einlief. Zu dieser Zeit existirte vielleicht ein viel
weiter, als der jetzige landeinwärts gelegene Uferwall. Das
Wasserbecken, welches diesen Wall vom Meere abtrennt,
wurde allmählich ausgefüllt, und die Überbleibsel davon
sind die Seen von Hitachi. Die Shimosa-Seen Iba-numa uud
Taga-numa sind, wie bereits angedeutet, gleichen Ursprun-
ges, gehören aber einer noch viel älteren Periode des Tone-
Ästuariums an, als die Hitachi-Lagunen.
Während der fortdauernden Ausfüllung des Beckens, in
welches der alte Tonegawa einmündet, versandete das un-
tere Bett des Flusses, der so gezwungen ward, sich eine
andere Strasse zu babnen. Er bog südlicher aus und fand
den Weg nach der offenen See. Früher, als der Tone in
das fast vollständig geschlossene Becken einmündete, konnte
ein guter Theil des Silt in der Nähe der Mündung zu
Boden sinken, und so sperrte sich denn das Thor zur La-
gune von selbst, der Tonegawa wühlte sich ein neues Bett
und ist nun durch den Einfluss der Gezeiten für lange
Dauer gegen eine Wiederholung seines alten Schicksals ge-
sichert.
Die Tonemündung liegt an einem felsigen Vorsprunge.
Dieser Vorsprung, unter dem Namen Inuboyesake bekannt,
ist einer der am meisten gefürchteten Punkte an der- gan-
zen japanischen Küste. Gar viele Fahrzeuge zerschellten
schon an den schwarzen Klippen, und zwei mächtige Ka-
nonenrohre, die halb vergraben im Sande der Küste liegen,
erzählen von einem historischen Schiffbruch, den ein Kriegs-
boot der Tokugawapartei vor nunmehr 9 Jahren hier er-
litten hat.
Auf der linken Seite liegt jenseit der Klippen die un-
tere Spitze einer langen Nehrung. Als wir am frühen
Morgen des 30. April in Koyamura anlangten, war das
erste, was uns auffiel, ein dumpfes, donnerähnliches Rollen.
Die Brandung arbeitete mit lautem Getöse, doch dringen
die Wellen keineswegs in den Fluss ein, dessen Fläche
glatt und ruhig daliegt, da eine Barre als Fortsetzung der
Nehrung quer über den Fluss zieht. Sie nimmt die Kraft
der Wellen auf. Bei Ebbezeit erscheinen zwei Theile die-
ser Barre als Inseln über dem Wasser. Koyamura, ein
hübsches Dorf, liegt auf der rechten Seite. Gegenüber,
gerade an der Südspitze des langen mit Dünenhügeln be-
deckten Uferwalles, liegt Toshima, ebenfalls ein Dorf. Aus
der Ferne nimmt sich Toshima recht eigenartig aus, unter
warmem Frühlings-Sonnenschein wie eine Winterlandschaft.
Kommen wir an Ort und Stelle, so finden wir uns inmit-
ten von Küchenabfällen , welche die Toshimaner unseres
modernen Zeitalters hier im Rücken der Dünen zu recht
ansehnlichen Hügeln von bis 60 F. Höhe aufgehäuft haben.
Diese weissen Muschelberge liegen hinter dem Dorf. Auch
die Dächer sind mit den weissen Schalen überschüttet.
An der flachen, sandigen Küste liegt in dem am Ufer
parallel sich hinziehenden Streifen viel Magneteisensand,
den man auch beim Aufwühlen der Sandschichten entdeckt.
‚Die Natur vollzieht hier einen Waschprocess, indem sie durch
den Wellenschlag die specifisch leichteren Silicatkörner
unter Zurücklassung der schwarzen Erztheilchen am Ufer
weiter hinaufbringen lässt. Auch in der Bai von Yedo
finden sich an der Küste von Kadsusa solche Magneteisen-
sande, hier bis Fuss dicke Lagen bildend. Unser Tone-
gawa durchfliesst in seinem oberen Laufe vulcanisches Ge-
biet; auch die meisten seiner Nebenflüsse haben sich durch
vulcanische Massen hindurcharbeiten müssen. Das von den
Flüssen dem Meere zugeführte Material ist das zerkleinerte
Trümmerwerk der Gesteine, auf welche die Wasser in ih-
rem Oberlauf ihre erodirende Wirkung ausgeübt haben.
Das Magneteisen der Andesite hauptsächlich ist es, das
durch die Wellenbewegung an der Küste von Hitachi und
Shimosa von den kieseligen Mineralien gesondert wird.
Die Ebene nördlich vom unteren Tonegawa besteht aus
Schwemmgebilden und Dünensand; südlich haben wir das
Hügelplateau, das in seinem unteren Theile aus Tuff, oben
Über die Ebene von Yedo.
aus Sandschichten aufgebaut ist. Merkwürdigerweise be-
gegnen wir an der rechten Seite der Mündung auch jün-
geren Eruptivgesteinen. In auf- und niedertauchenden gro-
tesk gezackten Klippen ragen sie in einer Entfernung von
50—200 F. vom Ufer aus dem Wasser hervor. Auch auf
dem Lande dicht am Wasser finden wir dasselbe Gestein.
Ein weisser, zum Theil in Zersetzung begriffener Rhyolith
durchdringt das Hauptgestein eines dunkelgrauen Augit-
andesit in Form von Gängen und Schnüren. Die Durch-
setzungen sinken bis zu bedeutender Dünne herab, daher
wohl die theilweis leichte Zersetzbarkeit der sonst ausser-
ordentlich festen, compacten Rhyolithen. Der Augitandesit
ist ebenfalls compact. Er muss in hohem Grade zerklüftet
gewesen sein, als die sehr dünnflüssige Lava in ihm auf-
setzte: denn an mehreren Stellen ist eine ganz deutliche
Breccie entwickelt. Der Rhyolith ist dünnplattig bis fein-
schiefrig abgesondert, der Andesit zeigt zum Theil Platten-
form, auch polyedrische Absonderung. Ein flacher, hinter
Koyamura in der Richtung nach der kaum '!/, Stunde weit
entfernten Küste gelegener Hügel gewährt durch eine Sand-
grube einen Einblick in seine Structurverbältnisse.
Fig. 4.
Sand- und Geröllschichten bei Choshi.
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Zu oberst finden wir Sand, dann Geschiebe mit fast aus-
schliesslichem Quarzit und hier und da Tufifragmente, die
gerundet, ‘aber zerfällig sind. Unter dem Geschiebe kommt
eine dicke Lage Sand mit auffallender Structur. Gekrümmte,
regelmässig geschichtete Sandlagen sind, wie es beigegebene
Skizze zeigt, über einander geschachtelt, eine Structur, welche
Dana „flow and plunge structure” nennt. Dieses Verhält-
nis» zeigt sich durchgehends in der zu oberst liegenden
Sandmanse vom Tone bis Kadsusa,
Begeben wir uns jetzt nach der sandigen Küste und
geben eine kurze Strecke südwärts, so stossen wir plötzlich
auf Riffe, die schon von der Flussmündung aus sichtbar
sind. Zunächst finden wir einen sehr dichten, hellgrauen,
wohlgeschichteten Tuff mit Sandschichten. Kleine Verwer-
fangen zeigen sich an dieser Stelle. Über dem Tuff liegt
os
131
dann geschichteter gelber Sand. Die steil abgeschnittenen,
ca 70 F. hohen Klippen weisen prächtige Unterwaschungen
auf. So ragt dort, wo die Terrasse beginnt, eine mauer-
artige Masse in die See hinein. Dicht am Ufer hat sie
einen Durchbruch, der ein von Strebepfeilern getragenes,
regelmässiges Gewölbe bildet. Ein zweiter bogenförmiger
Durchbruch der Mauer findet sich weiter seewärts. Iso-
lirte, hut- (mützen-) und thorförmige Blöcke stehen im
Wasser. Auf den Tuff folgt weiter an der Küste hin ein
kalkiger, ungemein harter und compacter dunkelgrauer Sand-
stein, dessen eckige Blöcke ein feinerdiges tuffartiges Mittel
zwischen sich haben. Auf den kalkigen Sandstein folgt
Quarzit, in kleine Polyeder zerklüftet. Wir gelangen schliess-
lich nach Kuroe. Hier erblicken wir wieder in grösserer
Entfernung vom Strande die unheimlichen schwarzen Klıp-
pen, in unmittelbarer Nähe des Ufers aber liegen mächtige
Conglomeratblöcke. Die Rollstücke, die dieses Conglomerat
bilden, bestehen sämmtlich aus Quarzit und sind meist
faustgross. Zwischen die grösseren Fragmente drängt sich
ein feineres Material, das Bindemittel ist kieselig und das
Ganze in Folge dessen ausserordentlich hart und zäh. Aus
dem Sande schauen hier noch einige Schichten der kalkigen
Sandsteine hervor. Sie zeigen Einlagerungen des eben
beschriebenen Conglomerates. Sämmtliche Schichten fallen
schwach geneigt nach der Landseite zu ein.
Die Küste ist noch auf 4 Ri steil, dann biegt sie plötz-
lich in scharfem Winkel um, bedingt eine weit geöffnete
stumpfwinklige Einbuchtung des Meeres und wird dann
dort, wo sie wieder umbiegt, zur Flachküste, um in sanft
geschwungenen Linien einen südsüdwestlichen Lauf einzubal-
ten. Die Hügel treten südwärts des westlichen Einbiegens
der Steilküste weit zurück. Auf dem Wege nach Narto
bleibt die Terrasse jedoch immer in Sicht. Der Tempel
des Fudosan zu Narto steht auf isolirtem Felsen, dessen
schroffe Abhänge besonders ım oberen Theile zerrissene
Gesteinsmassen zeigen. Der etwa 200 F. hohe Hügel be-
steht unten aus sandigen Schichten mit Lagen lockeren,
nach oben dichter werdenden Sandsteines. Die Mächtigkeit
dieses unteren Complexes beträgt 60 F. Oben finden wir
einen sehr compacten und harten Sandstein. Chona liegt
schon mitten in den Hügeln, die sich aus Tuff mit Zwi-
schenlagen von Sand oder Sandstein aufbauen. Genannte
Localität zeichnet sich überdiess noch durch das Vorkom-
men von Versteinerungen aus. Der sehr dichte, aber lockere
Tuff entbielt Steinkerne von Bivalren, wenige Gastero-
poden, einen See-Igel und ausserdem tütenförmige, cylın-
drisch bis conisch fingerdicke Körper mit centralem Canal
in oolossaler Menge, wahrscheinlich Schwämme. Die Fauna
trägt einen recenten Habitus und ist jedenfalls tertiär. Gegen
ein höheres Alter sprechen auch die Lagerungsrerhältnis«e.
17°
132 Über die Ebene von Yedo.
Während von Narto bis Chona die Schichten noch eine
ganz regelmässige horizontale Lagerung bekundeten, treten
wir nun in ein Gebiet ein, dessen ursprüngliche Verhält-
nisse Störungen erlitten haben. Fast ganz Kadsusa kann
als eine sich aus Sandsteinen, Tuffen und Sanden zusam-
mensetzende grosse Scholle bezeichnet: werden, die von einer
Seite gehoben ist. Die Neigung ist gering, sie beträgt bei
einem Einfallen nach N—NW etwa 4—5°. Die Berge
steigen mit den Schichten in der Richtung nach Awa zu
an. So kommt man, nach Süden wandernd, höher und
höher hinauf. Ein plötzlicher Abfall zeigt sich etwa 1 Ri
vor Odaki. Der Weg führt hier steil abwärts, bis man sich
im weiten Thale des Fukuhara befindet. Einer der präch-
tigsten Aussichtspunkte in Kadsusa ist wohl der T'skiteyama,
eine der höchsten Erhebungen in weiter Umgebung.
Die Oberfläche hat von hier aus ein eigenthümlich ge-
furchtes Ansehen. Scharfe Bergrücken verlaufen in fast
geraden oder sanft geschwungenen Linien auf weite Er-
streckung hin. Stumpfkantige Joche ziehen sich an den
Gehängen hinab in die sich nach unten schnell verbreitern-
den T'häler, welche sich bei nur geringer Neigung nach der
Tiefe zu ausdehnen und so dem Ackerbauer die theilweise
Nutzbarmachung selbst der höheren Theile der Provinz ge-
statten, die sonst auf ihren Höhen nur spärliches Wachs-
thum zeigt.
Der Kern Awa’s, der südlichen Provinz der Halbinsel,
scheint aus Gesteinen des primitiven Zeitalters (Serpentin,
Quarzit &c.) zu bestehen. An der Küste von Awa aber
stossen wir wieder auf jüngere Sedimentärgesteine. Tuffe
und kalkige Conglomerate bilden hier hauptsächlich die
steilen Ufer.
Profil durch die Küstengegend von Awa zwischen Futsusaki und BSusaki.
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Figur 5 zeigt die Stellung der Schichten an der Awa-
küste. Sie fallen nach derselben Richtung ein wie die Kadsusa-
Schichten, sind jedoch steil aufgerichtet. Bei Susaki, also
im südlichsten Theil Awa’s, finden wir eine Antiklinale.
Hier also muss die Aufrichtung hauptsächlich vollzogen
worden sein. Es ergiebt sich gleichzeitig, dass die ganze
sich wahrscheinlich über ganz Awa und Kadsusa, wie auch
über die Distriote im Westen des Uraga-Canales erstreckende
Dislocation nach Ablagerung der jüngeren Tuffschichten,
vermuthlich noch in tertiärer Zeit sich vollzogen hat,
Eine die Tuffmassen discordant und horizontal überlagernde
Geröllschicht (s. Fig. 6°) beweist, dass die Aufrichtung
schon längst ihren Abschluss gefunden hat. Das Streichen
der Schicht an der Küste von Awa ist im Allgemeinen
N 40° O, das Fallen durchschnittlich 30° NW.
Die Ufer der Bai sind im Osten und Norden flach,
westlich aber — mit Ausnahme einer weiten Fläche zwischen
dem Riogokugawa und Kanagawa — fast durchgängig steil.
An der östlichen Seite des Uraga-Canales treten die hahen
Awa-Berge bis dicht an das Meer heran und bedingen so
an vielen Stellen hochansteigende Klippen. Das Material,
das an der Zusammensetzung der Hügelplateaux sowohl,
wie überhaupt der unbedeutenderen Erhebungen der Ebene
und der ihr benachbarten Regionen den wichtigsten Antheil
nimmt, ist Trachyttufl. Bei Kanagawa zeigen die durch
Steinbrüche wohlaufgeschlossenen Hügel einen ziemlich regel-
mässigen Wechsel dünner Sandschichten und dickerer Tuff-
lagen. Nachstehende Profile mögen genügen, über die Schich-
tenfolge der Hügel specielleren Aufschluss zu geben !),
I. Hodogaya am Tokaido, etwa 1 Ri von Kanagawa entfernt.
‚Tuf . . . ungefähr 8m Bimssteinsand . . . . 0,08 m
Lignit, stellenweis mit Tuff Tuffmit Bimssteinfregmenten 2,8
vermischt . . . 0,27 Sand mit Bimssteinfrag-
Geschiebe, zum Theil durch menten . . + 0,57
Brauneisenerz verkittet . . 1 Tuff mitSand und Bimsstein-
Tuff. oo 2 2200020. 2,67 fragmentn . . . ...—
II. Kanagawa, neben dem Tempel Kangiosi.
Tuff . 2. 2 2 2 202.88m Sand. . .» 220 202..007m
Sand . . + 0,07 Tuff . 2.2 22.20..08
Tuff mit Bimesteinfragmenten 3,04 Tuff . 2. 2 2 2020020. 98%4
Sand . .. . 0,3 Sand. . 2 2.222.044
Tuff . 2.220000] Tuff . 2. 2-2 2202.09
Sand. . . 2. .2.2..0.02 Sand . . . 2. 2.2.2..091
TuUfl .:. 2. 2 2 202020. 1,80 Tuff . . 2 2.2.2.2.08
Sand -. . . 2 2.2....60,07 Sand . . 2 2.202.202
Tuff 00.0.0385
Die in \ Fig, 6 a und b (s. folgende Seite) gegebenen
Aufrisse zeigen denselben Wechsel von Tuff und Sand wie
obiges Profil II. Sie sind auch noch in anderer Hinsicht
von Interesse. Der erste Aufriss zeigt eigenthümliche Ver-
werfungen, der zweite eine Gerölllage, die discordant über
den verworfenen Tuffschichten liegt.
Bemerkenswertb ist das Vorkommen von Bimsstein in
und mit den trachytischen Tuffen. An der Küste von Awa
1) Die hier gegebenen Profile, wie auch die in Fig. 5 und Fig. 6 a
und b zur Darstellung gebrachten, sind von meinen beiden Assistenten,
den Herren Wada und Nakano aufgenommen,
Über die Ebene von Yedo.
Fig. 6.
Aufschlüsse in der Yokoskabucht.
finden sich mächtige Schichten von Bimssteintuff; die Zwi-
schenschichten der dicken Tufflagen bei Kanagawa beste-
hen zuweilen aus einem Bimssteinsand, und in den Tuffen
und Sanden finden sich oft Bimssteinfragmente in grosser
Zahl. Es ist nicht anzunehmen, dass die durch ihr ge-
ringes specifisches Gewicht ausgezeichneten Bruchstücke von
den vulcanischen Herden aus, die in einer Entfernung von
mehr als 60 naut. Meilen liegen, bis an den Ort ihres
jetzigen Vorkommens geworfen wurden. Bekanntlich sinkt
in’s Wasser geworfener Bimsstein nicht unter, sondern
schwimmt an der Oberfläche. Am einfachsten dürfte sich
das Vorkommen von Bimssteinstücken in den Tuffen dem-
psch in der Weise erklären, dass die leichtesten Auswürf-
linge der Vulcane der Oshimakette schwimmend nach dem
Orte ihrer jetzigen Lagerstätte gelangten. Auf ihrer Reise
pach Norden sogen sie sich allmählich voll und sanken
schliesslich zu Boden. An diese Erklärung, die als höchst
wahrscheinlich hingestellt werden darf, knüpft sich eine
interessante Schlussfolgerung. Gemäss der Voraussetzung,
dass eine Strömung vorhanden sein musste, um den Trans-
port der Bimssteine nach Norden zu bewerkstelligen, kön-
pen wir folgern, dass zur Zeit der Bildung der oberen
Tufflager der Hügelplateaux eine Abzweigung des Japan-
Stromes, des Kuro-Shiwo durch den jetzigen Uraga-Canal und
die Tokio-Bai durchging, um zwischen dem Tekubavor-
sprung und den Kadsusa-Bergen einen Ausweg zu finden,
und sich dann wiederum mit dem Hauptstrome zu verei-
nigen.
Keinem Zweifel kann es unterliegen, dass das ganze
Tiefland von Musashi und Sbimoss mit sammt seinen Aus-
läufern, die es in die Provinzen Kodzuke, Shimotsuke und
Hitachi hinein entsendet, durch die vereinte Wirkung der ab-
lagernden und ausgleichenden Thätigkeit der Gewässer und
der säcularen Hebung entstanden. Das Meer reichte ur-
sprünglich bis an die Berge hinan. Damals bildete der
Tskubezug noch einen felsigen Vorsprung nach Süden, da-
183
mals standen Kadsusa und Awa vereinsamt als Insel in
der Fluth, und ein kleines Eiland bildeten die Berge der
Uraga-Halbinsel. Utzonomiya liegt etwa 128 m über dem
Wasserspiegel, die entsprechende Höhe auf dem Naka-
sendo liegt zwischen Takasaki und Masuida. Vor ca 43000
Jahren also, oder sagen wir besser, vor mehr als 43 000
Jahren wurden die Vorberge von Nikko von den Wellen eines
Meeres bespült, dessen Gestade sich von bier nach Masuida
hinzog, mit Vulcanmassen im Norden, die wahrscheinlich
damals noch ihre feurige Kraft entfesseln konnten. West-
lich arbeitete der Wogenschlag an den Schichten alter
Schiefer, Conglomerate &c.,
Vergegenwärtigen wir uns den Zustand der Ebene einer
Zeit, in der das Meer noch bis über Sekiyato hinaufreichte,
in der die Hügel von Musashi und Shimosa eben aus den
Wassern emporzutauchen begannen. Damals wälzten sich
die Wogen der Fluth noch über eine unterseeische Ebene.
Sicher waren die Oberflächenformen der noch unter Wasser
begrabenen Gefilde von Ost-Musashi und Shimosa nicht die-
selben wie heute. Eine Unterbrechung des Hügelplateau’s
existirte schon. Die theilweise Zerstörung der weiter aus-
gedehnten Tufftafel war wohl in viel früherer Zeit durcoh
den zwischen Kadsusa und Sagami durchgehenden Zweig
des Kuro-Shiwo, für den ich mich oben ausgesprochen habe,
vollzogen. Um diese auf den ersten Blick etwas kühn er-
scheinende Annahme in ein günstiges Licht zu stellen, er-
innere ich an die submarinen Thäler der Nordsee und
mache darauf aufmerksam, dass gerade den besprochenen
Verhältnissen zufolge, nämlich bei langsamer und fort-
dauernder Hebung, die Meeresströmung, die doch füglich
gleich einem Landstrome sich langsam entgegenstellende
Hindernisse ‚stetig überwindet, die westliche Abzweigung
des Kuro-Shiwo (und höchst wahrscheinlich hat einmal eine
solcbe existirt) auf den Untergrund, über den sie sich weg-
wälste, doch eine vertiefende Wirkung ausgeübt haben
dürfte. Das im Laufe der Jahrhunderte erfolgende Zurück-
weichen des Meeres. die damit verknüpfte Volumverminde-
rung der Wassermasse des Stromes mag seiner Wirkung
allmählich ein Ziel gesetzt haben. Auch der durch die
Uraga-Strasse eintretende Flutbstrom kann in alter Zeit
und noch späterhin eine analoge Wirkung gehabt haben.
Als die Hügel von Musashi und Shimosa nun mit ihrem
oberen Tbeile die weite Wasserfläche überragten, hatte das
Meer das Werk seiner Zerstörung begonnen, seine Wellen
nagten an den niederen Küstenwänden, um so lange als
möglich die Herrschaft zu behaupten die ihm durch das
Emporsteigen des Landes entrissen werden rollte. Ost-
Sbimosa, kaum dem Wasser entstiegen, stützte sich an sei-
nen zwei extremen Punkten aut feste Bollwerke. Am süd-
lichen Ende lag die grosse Bergmasse von Kadsusa, am
134 Über die Ebene von Yedo.
Nordende aber lagen die den Wellen trotzenden schwarzen
Klippen der Choshi-Spitze. Mit dem Emportauchen der Hügel
brach eine neue Periode für die Flüsse an. Ihre Mündun-
gen lagen nun gegen das Andringen der Meeresfluth viel
geschützter. Es. ist nicht anzunehmen, dass in dieser Zeit
“sich Deltas bilden konnten, und entschieden zu bezweifeln,
dass die Gabelungen bei Sekiyato und Kumagaye ursprüng-
liche sind. Merkwürdig bleibt es immerhin, dass die Gabe-
lungsstellen in ziemlich gleicher Höhe liegen. In der Nähe
von Sekiyato lagen noch in historischer und, wie es scheint,
nicht so sehr weit zurückgelegenen Zeit ausgedehnte Seen.
Demnach dürfte bei Sekiyato ein Ästuarium bestanden haben.
Zur schliesslichen Vereinigung von Musashi und Shi-
mosa mögen die Fluthstürme, die sich zwischen beiden Pro-
vinzen begegneten, nicht Unbeträchtliches beigetragen haben.
Nach dieser Vereinigung scheint nördlich von Tokio ein
durch die Sumida-Mündung gebildetes Ästuarium existirt zu
haben, wenigstens deutet der hier liegende See darauf hin.
Nach der Bildung der Tokio-Bai hat sich der Tone ver-
schiedene Male eine neue Strasse gebahnt.
Das Meer, das seine Herrschaft -über die oben bezeich-
neten weiten Grenzen erstreckte, barg eine von der jetzigen
in wesentlichen Zügen verschiedene Fauna. An den.Küsten
der Awa-Insel entfalteten in jungtertiärer Zeit riffbauende
Korallen ihre Pracht und bauten aus kalkigen Massen einen
ausgedehnten Wall. Da die felsbildenden Polypen der ja-
panischen Meere der Jetztzeit fremd sind, so ergiebt sich
eine Temperaturabnahme für die letzten Phasen des jüng-
sten geologischen Zeitalters ',, Als die riffbauenden Ko-
rallen die Küsten von Awa bevölkerten, mag die Tempe-
ratar um ungefähr 6 Grad wärmer gewesen sein als in
der Gegenwart.
Ein anderer Fund beweist nun, dass das Klima wäh-
rend der Diluvialzeit kälter war als heutzutage. Vor nun-
mehr 10 Jahren wurde, angeblich beim Abstechen eines
der grossen Docks, in Yokoska der Unterkiefer eines Mam-
muth ausgegraben, der sich jetzt im hiesigen Hakubuzu-
quan befindet. Leider ist es mir trotz eifriger an Ort und
Stelle angestellter Nachforschungen nicht gelungen, über
die Tiefe, in welcher man auf die fossilen Reste stiess,
irgend etwas Zuverlässiges in Erfahrung zu bringen. Ver-
schiedenen Mittheilungen zufolge hat der Unterkiefer unter-
halb oder doch wenig oberhalb des Wasserspiegels gelegen,
ı) Herr Nakano fand die Korallen in der{Tatiyama-Bai nahe der
Küste am Fusse eines Hügels, etwa 50 Fuss über dem Meeresspiegel.
Das massenhafte Vorkommen der Riffbilder (es sind hauptsächlich
Astraeiden und Fungiden) beweist, dass ein ausgedehnter Polypenbau
vorhanden war. Die Korallen finden sich in so grossen Massen, dass
man vor Kurzem einen Versuch machen konnte, einen Handel damit zu
beginnen. Die Unternehmer bringen Bootladungen der weissen zeolligen
Klumpen nach Yokohama, um sie hier als Gartensteine zu verkaufen.
und erscheint diess auf den ersten Blick mit unserer He-
bungstheorie nicht recht vereinbar, doch sind die geotek-
tonischen Verhältnisse in der Nähe von Yokoska so un-
regelmässiger und complicirter Natur, dass auf die Tiefe,
in welcher man die Mammuthreste fand, schliesslich nicht
viel ankommt.
Herr Dr. Hilgendorf verbreitete sich in einer Sitzung
der hiesigen Ostasiatischen Gesellschaft über Fossilien von
Shinagawa. Er hob das Vorkommen einiger jetzt nur
im nördlichen Japan verbreiteten Formen hervor, z. B. der
Pecten jessoensis, und gab damals schon als Grund dieser
merkwürdigen Erscheinung an, dass das Klima zur Diluvial-
zeit, während welcher die Shinagawa-Schicht höchst wahr-
scheinlich gebildet sein dürfte, kälter gewesen sein müsse,
als das jetzt herrschende. Der eben besprochene Mammuth-
fund steht mit diesem Resultate in vollkommenem Einklang.
Noch sei bemerkt, dass das Vorkommen des Mammuth in
so südlichen Breiten hervorragendes Interesse beansprucht.
Meines Wissens ist diess die südlichste aller bekannten Fund-
stellen. Wir hätten also für Japan klimatische Verände-
rungen zu constatiren, ganz analog denjenigen, die in Eu-
ropa seit der Neogenzeit Statt fanden: im jüngeren Tertiär
ein wärmeres Klima als heutzutage, in der Diluvialzeit eine
durch die Glacialerscheinungen bedingte Erkaltung in der
nördlichen Hemisphäre.
Eine instante Hebung zweier Districte der Ebene ereig-
nete sich Ende April 1875. An demjenigen Theile der
Küste von Kadsusa, der den Namen Kujukuri trägt, enthob
sich eine Sandbank dem Schoosse des Meeres und erweiterte
das Gebiet auf eine Entfernung von 12 Ri. Der Hafen
Mito in der Provinz Hitachi, der eine Tiefe von über 50 m
hatte, wurde plötzlich durch eine 10 Sho lange und 5 Sho
breite Sandmasse ausgefüllt, die sich in einer einzigen Nacht
gebildet hatte und das Meer um 8 Fuss überragte. Sieben-
zehn japanische Schiffe, die sich im Hafen befanden, als
dieses merkwürdige Phänomen Statt hatte, wurden theils
umgeschlagen und gingen unter, theils wurden sie auf die
Seite geworfen oder in den Sand versenkt. Solche paroxys-
mische Wirkungen könnten sich auch früher in der Ebene
geäussert haben, doch sind instante Hebungen und Sen-
kungen meist localer Natur, und wird ein ausgedelinteres
Gebiet betroffen, so hinterlassen sie doch deutlich erkenn-
bare Spuren.
Es mag etwas absurd erscheinen, dass ich mich oben
auf eine dem Zweifel zugängliche Zeitbestimmung einge
lassen habe. Doch sei es ausdrücklich erklärt, dass ich
jenen Zahlen keinen zu grossen Werth beimesse, am aller-
wenigsten einen allgemeinen. Die gegebene Zeitbestimmung
ist nicht besser und nicht schlechter, wie jede andere sich
auf die Dauer geologischer Perioden beziehende. Wenn
Über die Ebene von Yedo.
gesagt wurde, dass das Meer vor mindestens 43 000 Jahren
bei Utzonomiya gestanden haben dürfte, so soll damit ein
ungefährer Minimalwerth für die Dauer einer Periode ge-
geben sein, die Ziffern sollen nur eine Idee geben von der
ungebeueren Länge der Zeiträume, welche die Kräfte be-
ansprachen, von denen in dieser Abhandlung die Rede ge-
wesen. Die Form der Ebene ist den Hauptzügen nach eine
ausserordentlich gleichmüssige, wenigstens so weit diess er-
wartet werden kann, und darin liegt eine gewisse Garantie
für die ununterbrochene und gleichmässige Fortdauer der
säcularen Hebung. Dass vor der Hebung eine Senkung
Statt gefunden hat, ist recht wohl möglich, doch haben
wir bis jetzt keine Belege hierfür.
Bei geologischen Zeitbestimmungen macht man immer
die Voraussetzung, dass die beobachteten Vorgänge wäh-
rend der zu bestimmenden Zeit sich fortdauernd gleich ge-
blieben seien, und die Unwahrscheinlichkeit einer solchen
Annahme, wie die Unmöglichkeit, die in der Mehrzahl der
Fälle ohne Zweifel ungemein feinen, oder doch einfluss-
reichen Öscillationen ihrem Wesen und ihrer Dauer nach
zu erkennen, liegt auf der Hand.
Zum Schluss mögen nur noch einige Bemerkungen Platz
finden, die anzudeuten scheinen, dass die Hebung eine all-
gemeinere ist.
In der Sendai-Bai beobachtete Dr. Rein deutliche An-
zeigen einer Hebung.
Einer meiner Schüler theilte mir mit, dass es in der
Provinz Higo, die auf Kiushiu am Simabarra-Golf liegt,
viele Orte gäbe, die, jetzt mehrere Meilen von der Küste
entfernt, in früher Zeit am Meeresufer lagen.
In Shikok haben in historischer Zeit sicher beträcht-
liche Niveauveränderungen Statt gefunden. Die Japaner
erzählen mir, dass man über eine instante Senkung eines
Theilee von Shikok ganz bestimmte Berichte habe, und
dass sich die Insel jetzt noch hebe.
In dem Buche Tosanizukitiriben sind die Veränderun-
gen der Toss-Bucht kurz besprochen. Dieser Schrift sind
sogar 2 Karten beigegeben, die den früheren und jetzigen
Zustand der Bucht und der benachbarten Küste zur Dar-
stellung bringen. Die Bucht hat sich den Karten nach
bedeutend verengt, die Küste scheint etwas vorgerückt
zu sein. Der Verfasser erklärt sich das Alles durch „Sand
und Kies, die das wogende Meerwasser nach der Küste
185
brachte”. Die Namen der an der Tosa-Bucht gelegenen Dör-
fer Nakashima, Nsiozudzishima und Tanabeshima weisen auf
den Urzustand zurück. Über die Stelle, wo der Ominato
(grosser Hafen) !) gestanden hat, streitet man sich seit
Anfang des 18. Jahrhunderts. Es giebt nicht weniger als
fünf verschiedene Ansichten über die Stelle des alten Omi-
nato.
Nahanotomari war ebenfalls ein Hafen, liegt jetzt land-
einwärte. Dasselbe war mit Narashidzu der Fall.
An der Westküste der Hauptinsel, besonders im Nord-
westen, soll es viele Ortschaften geben, deren Namen das
Wort minato führt. Die Insel Sado soll sich an der West-
küste heben.
Wird durch diese sich gegenseitig unterstützende An-
gaben fast unwiderlegbar klar bewiesen, dass der grösste
Theil des japanischen Archipels in Hebung begriffen ist,
so bleibt auf der anderen Seite die interessante Frage
offen, um wie viel sich das Land in verschiedenen weiter
entfernten Theilen des Reiches hebt.
Eine nähere Untersuchung dieser Frage würde wahr-
scheinlich ergeben, dass die Hebung an verschiedenen Orten
sehr verschieden ist. Auf Shikok z. B. scheint die He-
bung viel bedeutender zu sein als in der Ebene von Yedo.
Bei meinen Wanderungen durch die Provinz Echichiu, die
im Westen und der Halbinsel Noto gegenüber liegt, fand
ich am Fusse des bis 3000 m hohen Gebirges, mit dessen
wilden Thälern ich mich auf jenen Wanderungen befreun-
det hatte, ein mächtiges, von der Streichlinie des Gebirges
abfallendes Schichtensystem (mit jungem Gebilde im obe-
ren Theile), In unmittelbarer Nähe dieser aufgerichteten
Schicht fand ich nur wenige Ri von der Küste entfernt
günstige Flussterrassen, die mir ein Fortdauern der Hebung
des Gebirges bewiesen. Flussterrassen sind überdiess in
Japan durchaus nichts Ungewöhnliches. Sollte ee sich viel-
leicht in Zukunft einmal herausstellen, dass der Werth des
Hebungs-, resp. Senkungsindex nur für diejenigen Areale
derselbe ist, die eine gewisse topographische und geologi-
sche Gleichmässigkeit bieten, und sollte eine Beeinflussung
der Hebung solcher Gebiete durch Gebirgsbebungen Statt
finden können”
1) O== gross, minato =- Hafen.
irn DE GT HOLE EL HS PEN
136
Die Fahrt des russischen Klippers „Wssadnik’ im Norden der Bering-Strasse, 1876.
Von Marine-Lieutenant Onatzewitsch.
(Mit Karte, s. Tafel 8.)
Nachdem ich mich schon seit dem Jahre 1874 im Auf-
trage des russischen Marine-Ministeriums mit hydrographi-
schen Untersuchungen und astronomischen Beobachtungen
in den die russischen Küsten begrenzenden Theilen des Stil-
len Oceans beschäftigt hatte, wurde ich 1876 beordert, an
der Expedition des russischen Klippers „Wssadnik” unter
Kapitän Nowosselski in’s Arktische Meer Theil zu nehmen,
auf welcher Fahrt ich Gelegenheit hatte, einige interes-
sante Beobachtungen in diesem zwar beschränkten, doch
wenig erforschten Gebiete zu machen.
Abgesehen von den Expeditionen der Kosaken und Han-
delsleute im 17. Jahrhundert sind diese Gegenden bisher
von folgenden Seefahrern besucht worden: 1778 und 1779
von Cook und Clerke mit den Schiffen „Resolution” und
„Discovery’”’; 1849 von Kellett und Moore mit den Schiffen
„Herald” und „Plover”; 1855 von Rodgers mit dem „Vin-
cence”’; 1867 vom Walfischjäger Long mit dem Schiffe
„Nile”. Cook ') ging, als er am 17. August unter 70° 41’
N. Br. und dem Meridian des Eiscaps undurchdringlichen
Eismassen begegnete, an deren Grenze zum asiatischen
Festlande am Nordcap hinüber. Kellett’s?) Expedition be-
rührte die bezeichnete Strecke nur in ihrem östlichen Theile.
Kapt. Rodgers?) erreichte 72° N. Br. und 1764° Ö. L.,
kam also weiter nach Norden und Westen als frühere Ex-
peditionen. Auf seinem Rückwege gelang es ihm, eine
grosse Anzahl Tiefseemessungen vorzunehmen. Der Fahrt
des Walfischjägers Long verdanken wir die Bestätigung vom
Vorhandensein des Wrangel- (Kellett-) Landes, so wie den
Beweis der Schiffbarkeit des Arktischen Oceans bis zum
Cap Schelagskoi.
Ausser diesen sind noch zwei russische Forscher zu er-
wähnen: Lieutenant Baron Wrangel und Kapitän-Lieute-
nant Schischmarew. Der Erstere recoguoscirte, wie bekannt,
auf seinen Schlittenreisen die nördlichen Küsten Asiens,
doch war es ihm nicht möglich, ohne Schiffe die im Nord-
westen der Bering-Strasse gebliebene Lücke auszufüllen.
Schischmarew lief am 17./29. Juli 1821 in das Eismeer ein,
war am 19./31. Juli fast auf der Breite von Serdze Kamen,
verliess aber schon am 10./22. August die Bering-Strasse
nach Süden. Gleich nördlich vom Ostoap traf er Eis an
') A directory for the navigation of the Pacifle Ocean. By Find-
lay. 1851. Vol. I, p. 553, 562 und 563.
?) Petermann’s Geogr. Mitth. 1868, S. 4 ff. — 1869, S. 32 und
Tafel 2. — Findlay’s Directory, p. 556-560.
3) Bering’s Sea and Arctic Ocean. Hydrographic offiee U. 8. Navy.
July. 1868.
der Küste, zuerst in schmalen Streifen, unter 66° 45’
N. Br. aber und nordöstlich von Serdze Kamen in einer
Ausdehnung von 25 naut. Meilen. Von ihm stammt die
Aufnahme der Küste von der Insel Gwosdend (St. Diomed-I.)
bis zum Serdze Kamen.
Am 8. August 1876 Morgens verliessen wir die St. Lo-
renz-Bai und näherten uns gegen 6% Uhr Abends der fel-
sigen Spitze des Ostcap.. Auf dieser kurzen Fahrt stieg
die Temperatur der oberen Wasserschicht von + 5° auf
-+6,62° C. und die Luftwärme von +7,87° auf +10,37° C.
Als die Entfernung bis zum Ufer nooh gegen 1 naut. Meile
betrug, fiel die Temperatur wiederum, die des Wassers auf
5,5° und die der Luft auf 9,5°, Da der Klipper sich hier bis
10 Uhr Abends aufhielt, gelang es, die Temperatur in einer
Tiefe von 18 Faden mit 5,2° zu bestimmen. Die ganze
Tiefe betrug 28 Faden. Der Wind blies mässig aus N,
und die Strömung an der Oberfläche des Meeres war, nach
den Ufern zu urtheilen, schwach aus dem Bering-Meer. In
der engen Schlucht des steilen Ufers und zum Theil auf
dem schmalen Küstensaum lag ein Dorf, das mehr als 40
Jurten und gegen 300 Einwohner zählte, die wohlhabender
schienen als alle bisher von uns gesehenen T'schuktschen,
denn viele trugen europäische Kleidung und besassen be-
deutende Pelzniederlagen, wodurch die Erzählungen von
der Bedeutung des Handels am Ostcap vollkommen bestä-
tigt wurden.
Für die hervorragenden Erscheinungen, welche mit der
Bewegung und der Lage des Eises in Verbindung stehen,
ergab unsere Fahrt nach dem meteorologischen Journal
folgende Resultate:
1. Die Temperatur der oberen Wasserschicht erhöht
sich mit zunehmender Entfernung vom asiatischen Festland;
2. Die Dichtigkeit des Wassers nimmt unter denselben
Bedingungen zu ');
3. Es findet eine allgemeine Strömung des wärmsten
und dichtesten Wassers des Oceans nach NW und W Statt.
(Tabelle 1.)
Am Serdze Kamen, nördlich von der Koliutschin-Bucht,
wie auch in der Nähe des Eisrandes wurde eine be
!) Unter dem 67° N. Br. wurde nur ein Resultat erreicht, näm-
lich dass die Dichtigkeit des Wassers östlich vom 169° W,. L. aufs
Neue sich verringert, aber wahrscheinlich wirkt in diesem Falle die Bei-
mischung des Flusswassers der amerikanischen Küste ein. Capt. Beechey
fand die Dichtigkeit des Wassers in der Schischmarew-Bucht zu 1,0250%,
am Point Hope aber nur zu 1,0173, in beiden Fällen bei einer Tempers-
tur von 58° F.
Die Fahrt des russischen Klippers „Wesadnik” im Norden der Bering-Strasse, 1876.
deutende Anbäufung von Treibbolz wahrgenommen. Die
Strömung war an: den beiden ersten Orten nur schwach
and veränderlich; die niedrigste Temperatur der oberen
Wasserschicht fand sich nicht an der Küste, sondern in
einiger Entfernung von derselben.
Die Zunahme der Temperatur, wie auch die Schnellig-
keit der westlichen Strömung ändern sich bedeutend mit
der Annäherung an das Nordcap. Letztere erreicht hier
14} bis 18 naut. Meilen in 24 Stunden, wobei das speci-
fische Gewicht des Wassers bei einer Temperatur von 0*
nur 1,0242 beträgt. Vielleicht hängt diess davon ab, dass
zwischen der Koliutschin-Bai und dem Nordcap einige Flüsse
in den Ocean münden, die mit ihrem Lauf die allgemeine
Strömung des Oberflächenwassers nach W und NW ver-
stärken. Die Veränderung der Temperatur der oberen
Wasserschicht ist hier aber ersichtlich abhängig von der
Nähe der Eismassen. Diese allgemeinen Erscheinungen be-
weisen die beständige warıne Strömung, welche sich in der
oberen Wasserschicht vom Polarkreis bis zur Eisgrenze er-
streckt. Ausserdem muss das Treibholz, welches wir an
den auf der Karte bezeichneten Stellen in Gestalt von
Stöcken und ästigen Stämmen antrafen, bei gänzlichem
Waldmangel auf der Tschuktschen- Halbinsel durch diese
warme Strömung von der amerikanischen Küste oder aus
dem Bering-Meer hergeschwemmt sein.
Capt. Beechey fand, dass die Geschwindigkeit der Strö-
mung an der amerikanischen Küste 1} bis 33 Meilen
pr. Stunde beträgt, so wie dass dieselbe nur eine Tiefe
von 9 bis 12 F. beträgt und beständig der Küste entlang
nach Norden gerichtet ist. Aus dem Umstande, dass die
Dichtigkeit des Wassers an der Küste nur eine geringe
war, folgerte derselbe Beobachter, dass die Hauptursache
dieser Oberflächenströmung in der Wassermasse zu suchen
sei, welche die Flüsse der amerikanischen Küste in’s Meer
entsenden. Wenn man auch dieser Schlussfolgerung in Bezug
auf die Küstenströmung beistimmen muss, so kann man
doch nicht zugeben, dass die allgemeine Strömung des
Polarwassers bei einer Entfernung von ca 400 naut. Min.
vom amerikanischen Continent dieser einen Ursache zuzu-
schreiben ist, wenn auch eine bedeutende Verstärkung der
beständigen westlichen warmen Strömung durch den Zu-
Äuss von Flusswasser aus dem Kotzebue-Sund &c. Statt
finden wird. Die durch hydrographische Untersuchungen
im östlichen Theile der Bering-Strasse nachgewiesenen Strö-
mungen aus dem Bering - Meer ıin’s Eismeer !), so wie die
östlichen und nordöstlichen Strömungen, die auf der Fahrt
des „Senjawin”2\, und der schwache nördliche Strom,
r) Pindlay’s Directory, p. 537 und 540.
?) Reise um die Welt in der Schaluppe „Sepjewin” (in russischer
Speasbe), p. 190.
Potermaan’s Geogr. Mittheilunges. 1879, Heft IV.
137
welcher von uns im westlichen Theile der Bering-Strasse
bemerkt wurde, finden, wie wir mit grosser Wahrschein-
lichkeit behaupten können, ihre Fortsetzung in der bestän-
digen westlichen Strömung im Eismeere.
Diesem Zuflusse warmen Wassers, der noch verstärkt
wird durch die Wassermassen der amerikanischen Flüsse,
muss begreiflicherweise der Abfluss kalten Wassers ent-
sprechen. Doch sind die Angaben der Karten, wie auch
unseres meteorologischen Journals zu ungenügend, um con-
statiren zu können, ob derselbe in Form einer beständigen
kalten Oberflächenströmung in der Nähe der asiatischen
Küste oder einer Unterströmung in der Bering-Strasse Statt
findet. Das kalte und weniger dichte Wasser an den
Küsten, das an die Küsten, auch in der Nähe der Koliu-
tschin-Bai angeschwemmte Holz '), die häufigen Schwankun-
gen der Wassertemperatur, welche auf so geringem Raume
in fast gleichen Zeitabständen (Tab. III) wahrgenommen
wurden, und endlich die nach Geschwindigkeit und Rich-
tung verschiedenen Strömungen, — alles diess lässt auf ört-
liche Fluthungen an der asiatischen Küste schliessen.
Grösstentheils wehten gelinde Winde aus verschiedenen
Vierteln des Kompasses, häufiger aus N, als aus S und
etwas frischer aus W, als aus O. Der Himmel war fast
beständig bewölkt, bei N und NW-Winden trat dichter
Nebel ein. Mit der Annäherung an das asiatische Festland
sank die Lufttemperatur sehr bedeutend, vom Ostcap bis
Serdze-Kamen in 2% Tagen von 9,54° C. auf 2,25°. Von
hier bis zum Verlassen des Eismeeres stieg die Tempera-
tur nicht über 5,12°, nur am 19. August erhob sie sich
auf 6,62°. Die niedrigste Temperatur war in der Nähe
des Eises 0,87* C.
In Folge des trüben Himmels und dichten Nebels, welche
das rasche Fallen der Temperatur des Wassers begleiteten,
waren die Küsten selten sichtbar; im günstigsten Falle
zeigten sich nur die Niederungen und Vorsprünge, die
Berghöhen waren fast immer verdeckt. Am 11. August
passirte der Klipper Serdze-Kamen in einer Entfernung von
16% naut. Meilen und bestimmten wir seine Lage zu 67°
3,1° N. Br. und 188° 27,7’ Ö.L.v.Gr. Nach Wrangel ?)
ist seine Lage 67° 12’ N. Br. und 188° 20° Ö.L.; nach
der Karte von Schischmarew 67° 34’ N. Br. und 188° 10,5’
Ö. L.; nach der Karte Nr. 1495 der K. Russ. Admiralität
67° 3$' N. Br. und 188° 3’ Ö. L. Der Unterschied in
der Längenangabe dieses Caps beträgt demnach ca 25 Mi-
nuten. Die Lage des Ostcaps wurde nach 11 Chronometern
für seinen südöstlichen Ausläufer mit 190° 7’ Ö. L. be-
stimmt, während Beechey sie zu 190° 16’ und die Karte
'!) „Senjewin” a. a. O, p. 200—207.
N Pisdlay, Directory &c., p. 562.
138 ‚ Die Fahrt des russischen Klippers „Wssadnik” im Norden der Bering-Strasse, 1876.
Nr. 1495 zu 190° 12,5’ angiebt. Da unsere astronomi-
schen Beobachtungen auf dem Meere in grösserer oder ge-
ringerer Entfernung von der Küste gemacht wurden, so
enthalten ihre Ergebnisse unvermeidliche Unrichtigkeiten
in der Bestimmung der Küstenpunkte.
Die von uns vorgenommenen Tiefseemessungen lassen
in Verbindung mit den Kellett’schen und Rodger’schen Mes-
sungen folgende Schlussfolgerungen zu. Die Senkung des
Bodens ist im Verhältnies zur Entfernung von der Küste
nur eine sehr unbedeutende und allmähliche., 5 Meilen
vom Ufer entfernt wurde südlich von Serdze-Kamen auf einer
Strecke von 164 Meilen eine Tiefe von 18 F'aden gefun-
den, nördlich von demselben Cap 28 Faden, 32 Meilen von
der Mündung des Flusses Anguem entfernt 22 Faden. Die
grösste Tiefe auf der erforschten Strecke betrug nur 30 Fa-
den. Die Linie gleicher Tiefe weicht vom Nordcoap weiter
von der Küste ab als am Serdze-Kamen. Die grössten Tiefen
liegen in der Bering-Strasse näher dem asiatischen Fest-
land ; zwischen Serdze-Kamen und Cap Golowin (Point Hope)
näher dem letzteren; zwischen der Herald-Bank und dem
asiatischen Frestlande in der Mitte der Entfernung. In der
Nähe der Küste ist der Grund meistens feiner Sand, in
weiterer Entfernung wie überhaupt in grösserer Tiefe grü-
ner Thon (mud). Gegenüber der Koliutschin-Bai sind dem
Sande kleine Muscheln beigemischt; in grösserer Tiefe fan-
den sich in dem dichten Thon wie auch im festen Sande
kleine Krebse und deren Eier, eben so Thiere von gelber
Farbe, deren ovale Körperchen mit beweglichen, an ihren
Enden verzweigten Fühlern besetzt sind. Die Temperatur
des Grundes betrug bei einer Tiefe von 23 Faden 2,85°C.
Walfische wurden nur bis zur Breite von Serdze-Kamen
und nicht westlich vom 1704° W. L. bemerkt. Selbst in
diesen Strichen waren sie selten, übertrafen aber an Grösse
die Wale des Bering-Meeres und Stillen Oceans. Walrosse
bedeckten das Eis in grossen Heerden. Eine Menge See-
vögel der verschiedensten Arten folgten fast, beständig dem
Schiffe. Unter 69° 31’ N. Br. und 176° 0’ W.L. kamen,
als das Eis sich schon in vereinzelten Stücken zeigte, aus
SW und W ganze Schwärme Vögel, die in der Richtung
nach NO und OÖ weiter flogen. Auch kleine Vögel kamen
häufig von der Küste her auf’s Schiff geflogen. Auf der
Oberfläche des Wassers fanden wir durchsichtige Mol-
lusken.
Am 13. August um Mitternacht befand sich der „Wesad-
nik” unter 69° 28,4’ N. Br. und 175° 7,5’ W.L. auf der
Fahrt in der Richtung zum Wrangel-Lande (Tab. IV).
Obgleich der Himmel noch immer bewölkt blieb, war den-
noch die Witterung durchaus nicht trübe; der Wind blies
schwach aus Viertel NO. Das Barometer wies 30,11 und
stieg, die Luft war um 1,1? R. kälter als das Wasser.
Alle Umstände vereinigten sich somit, eine fernere günstige
Fahrt anzudeuten, aber leider trat ein plötzlicher Um-
schwung ein. Ein dichter Nebel mit schnellem Fallen des
Thermometers trat ein und bald zeigten sich die ersten
Eisstücke unter 69° 42’ N. Br. und 175° 48' W.L,
Langsam bewegte sich der Klipper vorwärts, um einen ge-
fährlichen Zusammenstoss zu vermeiden, und befand sich
am 14. August 4 Uhr Morgens um 0° 6’ nördlicher und
0° 5,6’ westlicher, während im ganzen Gesichtskreise Eis
von den wunderlichsten Formen umherschwamm, wie sie
schon Capt. Cook beschrieben hat.
Auf einer Grundlage in Gestalt eines Flosses von 15
bis 20 Faden Breite, dessen Ränder sich 6 bis 12 F. in’s
Wasser senkten, häuften sich unregelmässige Blöcke bis
zu 20 F. Höhe. Abgesondert schwimmende Blöcke, 8 bis
10 F. hoch und 6 bis 10 Faden breit, hatten die Form
von Pilzen. Trafen wir auch nicht jene riesigen Eiswände,
so war doch die Vielartigkeit der Blöcke für das Auge
überraschend. Erwähnen wir noch den sonderbaren Ton
beim Zusammenstossen des Eises, beim Herabstürzen der
abgethauten Bruchstücke, beim Anprall der Wellen an die
überhängenden Theile des Eises, die durchdringende Kälte
bei einer Temperatur von + 0,8° R., den dichten und in
grossen Tropfen niederschlagenden Nebel, so erhalten wir
eine genügende Vorstellung von den Reizen des hohen
Nordens. Die ganze Eismasse bewegte sich sichtbar mit
dem Winde bei einer Schnelligkeit von !, bis ", Meile
pr. Stunde. Stellenweis zeigte sich auch schwimmendes Holz.
Unter solchen Umständen konnte an eine Fortsetzung
der Fahrt nach Westen nicht gedacht werden, denn ‘wenn
der Nordwind stärker wurde, konnten die Durchgänge sich
schliessen und einen Rückzug unmöglich machen. Obwohl
nur 80 naut. Meilen vom Wrangel-Lande entfernt, welche
Entfernung unter gewöhnlichen Umständen nur die Fahrt
eines halben Tages in Anspruch genommen hätte, mussten
wir für diessmal wenigstens darauf verzichten, jene Küsten
zur See zu erreichen. Der Curs des Klippers wurde des-
halb nach Süden gewendet und, wo nur die Durchgänge
es gestatteten, nach SW gesteuert. Nachmittags 2% Uhr
hatten wir unter 69° 26’ N. Br. und 175° 44' W. L.
die Eisgrenze wieder erreicht und steuerten nun abermals
nach Westen. Aber schon am nächsten Tage, am 15. Au-
gust um Mitternacht, kamen wir unter 68° 48' N. Br.
und 178° 55’ W. L. wiederum in die Nähe von Eis, so
dass wir am folgenden Tage unter dem Meridiane des Nord-
capse nach der Bering-Strasse zurückkehren mussten. Das
Eis war hier von wesentlich anderer Beschaffenheit als
jenes am 13. und 14. August von uns angetroffene Es
waren zusammenhängende Felder von 3 bis 5 F. Höhe
mit durchwühlter Oberfläche, welche ohne Bewegung lagen.
Die Fahrt des russischen Klippers „Wssadnik” im Norden der Bering-Strasse, 1876.
Auf ihnen wurden dunkelgraue Fleoken wahrgenommen.
Auf den Rändern der zwischen NW und ONO sichtbaren
Felder thürmten sich Bruchstücke bis zu 10 F. Höhe auf.
Auch war auf ihnen von den Wellen ausgeworfenes Treib-
holz sichtbar.
Am 20. August erreichte der Klipper wieder die Bering-
Strasse.
Die die Ufer des Bering-Meeres und des Polarmeeres
bewohnenden Tschuktschen zerfallen in die Küsten- und
Renthier-Tschuktschen. Die Küsten-Tschuktschen sind in
ihrer Lebensweise völlig auf’s Meer angewiesen ; theilweis
nähren sie sich von Fischen, die sie entweder roh verzeh-
ren oder zum Aufbewahren trocknen, hauptsächlich aber
dienen die Seekälber zu ihrem Unterhalt, die in starken,
aus Walrossfell angefertigten Netzen gefangen werden. Die
Haut des Thieres, welches durch einen Faustschlag auf den
Kopf oder einen Speerstich in’s Auge getödtet wird, wird
zur Fussbekleidung verwendet; das Fett — ich fand zu-
weilen Speckschichten bis zu 2% Zoll Dioke — dient zur
Beleuchtung der Jurten, das Fleisch zur Nahrung. An den
Küsten des Polarmeeres, vorzugsweis aber in der Koliu-
tschin-Bai, in welcher sich das Eis fast das ganze Jahr
hindurch erhält, da es durch nördliche Winde immer wie-
der hineingetrieben wird, wird die Walrossjagd eifrig be-
trieben. Auch die Heilige Kreuz-Bai ist in dieser Hinsicht
sehr ergiebig. Das Fell des Walrosses dient zur Beklei-
dung der Baidaren und Jurten, das Barthaar zu Nähnadeln,
die Zähne und Knochen gelangen in den Handel. Die
Küsten - Tschuktschen sollen auch Jagden auf Walfische
unternehmen, doch habe ich nie erfahren, auf welche Weise
und mit welchem Erfolge. An Pelzwaaren bringen sie nur
Felle vom Wolf, Steinfuchs und Eisbären in den Handel.
Im Frühjahre besuchen amerikanische Schooner die Küsten
des Bering-Meeres, laufen die St. Lorenz-Bai, Glasenapp-,
Tkatschben- und Providence- oder Plover-Bai an und tau-
schen gegen Kleider, Schiesspulver und Metallwaaren vor-
zugsweis Walrosszähne, Knochen und Fussbekleidung ein.
Die Renthier- Tsohuktschen treiben in anderer Weise
Handel. Im Frühjahre wandern sie mit ihren Renthieren
zar Ostküste der Halbinsel und bringen aus Anadyrsk und
Kolymsk russischen ordinären Tabak, der am Ostcap auf-
gestapelt wird, bis der Zustand des Eises in der Bering-
Strasse die Verbindung mit den Diomed-Inseln auf Baidaren
gutattet. Hier treflen sie mit den Tschuktschen des ame-
rikanischen Festlandes zusammen, von denen sie gegen ihren
Tabak Pelzwaaren, Felle des Fjellfrasses, rothen und schwar-
sen Puchses eintauschen, welche so in die Niederlagen Ost-
&biriens gelangen; theilweis werden sie auch in der St. Lo-
renz-Bai an amerikanische Walfischjäger gegen Kleider,
Syrup und Whisky eingetauscht.
|
TE En Tl
139
Die Plover-Bai').
Die Tschuktschen sind im Allgemeinen kräftige, mun-
tere Leute. Greise giebt es nur wenige unter ihnen, und
auch diese waren noch immer in voller Körperkraft. Dieser
Umstand veranlasste mich, nähere Erkundigungen einzuzie-
hen über die Gerüchte, dass sie ihre hinfälligen Greise
tödteten. Die mir gewordene Auskunft ging dahin, dass
die umherziehende Lebensweise und die Nothwendigkeit,
ihren Lebensunterhalt durch schwere Arbeit zu erlangen,
von ihnen feste Gesundheit und Körperkraft erfordere, aus
welchem Grunde hinfällige Greise zum Selbstmord ihre
Zuflucht zu nehmen pflegten, da sie einsähen, dass sie der
Familie zur Last fielen. Inwieweit ein solcher Vernunft-
DT
ı) Wir reprodueiren obige Skisse des Port Providenoe, oder wie
derselbe jetst allgemein genannt wird, Plover-Bai, nach der Aufnahme
L 0. Norton’s, des Capitäns eines der Schiffe, welche im Auftrage der
der V Staaten Ende der 60er Jahre unter W. H.
Dall’s Leitung (Potermann’s Mitth. 1871, 8. 38, oder Dail’s Alaska 1870,
p. 511 f&.) die Vermessung der Küsten von Alaska und den Alöuten
ausführten., Ihre Reproduction schien uns nicht allein im Hisblick auf
die in diesem Jahre Statt findenden arktischen Expeditionen durch die
Bering-Strasse von augenblicklichem,, sondern auch von bleibendem Ia-
teresse, da dieser Hafen alljährlich gewissermasssen der Sammelpunkt
der amerikanischen Waler und Handelsschiffe ist. Den Namen, weichen
die Bucht jetzt führt, verdankt sie der Überwinterung dee auf einer
Expedition zur Aufsuchung Franklin’s begriffeaen englischen Schiffes
„Plover” unter Capt. Moore im Emma- Hafen vom 28. October 1848
bis 13. Juni 1849.
Die Position der Beobschtungsstation auf Bald Head ist das Mit-
tel aus 9 von Lieut. J. Darison 1866 vorgenommenen astronomischen
Beobachtungen. Der Hafen soll, nach einer Notis auf der Karte, auch
in seinen hinteren Theilen reichlich mit Wasser versehen und frei vom
verborgenen Klippen sein, wie schon die bedeutende Tiefe als unter
50 Faden andeutet. B. H.
18°
140 Die Fahrt des russischen Klippers „Wssadnik” im Norden der Bering-Strasse, 1876.
schluss von Seiten der Greise und sein Resultat, die Selbst-
aufopferung, richtig und glaubhaft sind, lasse ich dahin-
gestellt.
Die jungen Tschuktschen zeichnen sich besonders durch
hohe Brust und starke Muskelentwickelung der oberen Glied-
maassen aus, wie es scheint, zum Nachtheil der Entwicke-
lung der Beine. Als Kleidung dient ein kurzer Pelzüber-
wurf'!) aus Renthierfell, welcher am Kragen und an den:
Ärmeln mit Bärenpelz verbrämt ist. Bei schlechtem Wet-
ter wird ein Regenkleid von demselben Schnitte getragen,
welches aus den Eingeweiden von Seekälbern angefertigt
ist. Zur Fussbekleidung wird Seekalb- und Seelöwenfell ver-
wendet. Im Gürtel befindet sich stets ein Messer und eine
kleine Schleuder, aus welcher sie gewandt Steine werfen
und Möven selbst im Fluge erlegen.
Das weibliche Geschlecht, namentlich das jüngere, ist
durchaus nicht hässlich, ja in einigen Gegenden, wie an
der Metschigmen-Bai, trifft man sehr regelmässige und lieb-
liche Gesichter. Die Oberkleider unterscheiden sich fast
nicht von denen der Männer. Das Haar wird gewöhnlich
gescheitelt und in zwei Flechten geordnet getragen, an den
Seiten werden besondere Haarbüschel in kleine Stränge
geflochten, auf welche grosse Perlen und Knöpfe gereiht
werden. Als Hals- und Armgeschmeide werden Perlenschnüre
und Ringe getragen. Das Gesicht wird mit feinen blauen
Linien gezeichnet, deren Muster auf den Wangen ein sehr
mannigfaltiges ist, während die Linien bei Allen gleich-
mässig von der Unterlippe bis zum Halsge berab gezeichnet
sind. x
Beide Geschlechter sind äusserst unsauber und waschen
sich nie. Ihr ganzes Leben verbringen sie in ihren schmut-
zigen Jurten, die von dem widerliohen Geruche von Fett und
faulenden Speiseresten durchdrungen sind; wie mir scheint,
giebt es nichts Erstickenderes als den Dunst des leicht ge-
bratenen Seekalbfleisches, welches ihnen als höchste Delica-
tesse gilt. Die Küsten - Tschuktsehen leiden grösstentheils
an entzündeten Augen, vermuthliob in Folge des bestän-
digen Rauches von dem Scheiterhaufen, der gewöhnlich in
der vorderen Hälfte der Jurte zur Bereitung der Speise
glimmt. Da die Rentbier-Tschuktschen eine andere Lebens-
weise haben und sich weniger in dieser stinkenden Um-
gebung aufhalten, sind sie von diesem Übel mehr verschont,
Alle Tschukf&chen huldigen der Vielweiberei, doch be-
gnügen sie sich gewöhnlich mit zwei Frauen. Die reiche-
ren unter ihnen, namentlich die Renthier - Tschuktschen,
haben deren vier bis fünf. Nach getroffener Wahl ver-
handelt der Tschuktsche seine künftige Frau gegen Was-
ren, hauptsächlich Tabak. Die bei der Hochzeit üblichen
!) Ein Kleidungsstück, welches keinen Längeneinschnitt bat und
über den Kopf gezogen wird.
Gebräuche sind mir unbekannt geblieben. Die Beschaffung
des Lebensunterhaltes liegt ausschliesslich den Männern ob;
die Frauen beschäftigen sich mit der Wirthschaft und der
Erziehung der Kinder, doch arbeiten jüngere auch häufig
als Ruderer auf den Baidaren.
Tabelle 1.
| |
Schnelligkeit
Datum der Richtung de Richtung und Stärke
Beobachtung. | Strömung, j F- 34 Stunden des Windes.
Am Osteap . . N gering N, mässig
. und 12. August NW 89° 5 0SO und WNW,
schwach u. still
13. und 14. August | NNW !/, 6,9 N u. NO, schwach
15. August | NW 48° 14,3 O, schwach
16. August NW 85° 18 | ONO, schwach.
| Tabelle II.
!
Schnelligkeit
Dat d Richt Riebt d Stärk
Beobachtung. der Strömung. j den des Windes. .
9. August . | w | gering | NNW, mässig
10. n . NO 42° gering ! NW, still und sehr
schwach
17. » 0. | So 5° 7,8 ‚ still
18. » . SW 80° 8 | sehr schwach
Tabelle IIL
Aausserste
Zwiscbengeit der
Datum | Stunde. I: em Warner Iidehm Tem eraturen
| ! in Stunden.
9, August 4 | PrYr}
20 | 7,5 32
10. n | 12 8,5 82
In ! 4 | 6,87 82
20 sn | 28
12. » | 8 ut 20
16 | 3,5
Tabelle IV.
c Kenner In°C.
© | Nördl. | Westl. L. des Eis d
Datum. | 5 | Breite. v. Gr. er | 4 Zustand der Witterung.
7} Wassers. _
18, Aug. 8 |69°11° |174°23’ Fan +45 |
12 [69 28 175 8 | 3,6 | 5,0 |Klar, bewölkt.
4| — _ Ä _ 8,62
1 ko 42 1175 48 1,25 1,5 |Klar, um °/, 15h dichter
Nebel; um 155 rings
umber Eis in grossen
| Dimensionen.
‚16 169 42,6 1175 53,6 | 1,0 0,87 |Rings umher Eis, dich-
| ter Nebel, Niederschlag
| in Tropfen.
20 |69 35 [175 51,8| 0,87 | 2,25 Dichter Nebel, Eis in
| kleinen Stücken.
22 —_ — —_ — |Das Eis nimmt mehr
und mehr zu.
14. | 0 |69 81 1176 1,44 | 1,5 |Kleines Eis, weniger
Nebel.
1 —_ —_ —_ — Das Eis nimmt zu.
|2| — - | 23
| 24169 26 |175 44 _ — |Frei vom Eise, Nebel.
|8 _ _ 8,62 | 3,87 |Nebel.
| 8 _ _ 5,13 | 4,62
15. » 5 _ | _ —_ — Im SW ein Streifen dän-
nen Eises etwas näber
| als 44 naut. Meile.
12 168 48 1178 55 2,75 2,87 |
Die Fahrt des russischen Klippers „Wssadnik” im Norden der Bering-Strasse, 1876. 141
r | ‚Temperatur in ®O.'
Nördi._ Westl. L. | _ _ -
Detem. 5 Breite. | v. Gr. der des
® Luft. Wassers.
|
” _
des Bises und
‘ Zustand der Witterung.
Viel Eis nach N u. NW,
über dem Eise dicht
| gehäufte Wolken.
Eis nach SWs8 u. Wz8.
Eis nach W, über der
| Küste dichter Nobel.
' 2,87 |Eisnach W, etwas näher
| als 3 naut. Meilen.
179 42 1,5 | 2,87 |Eis nach SW,
I — |Eis nach N, von ONO
20 69° 0° Jurararı +1,00 Hager
a! — - I-' ZI
t 1
16. Aug.| 0 69 18
ll
f bis NW.
|4 69 ı2 Jı7s a 2,97 | 8,37 Kein Eis,
Tabelle V.
aa | war 1 Wassertemperatur in ® C, Tiefe Unterschied
NöärdL : Westl. L. |
in der in Fade» er
Breite. vr. Oberfäche. | ion. 4.8 Fr ongl. Temperatur.
Am ÖOstcap +58 58 | 18 i 0,8
(LAZY ZuBe Tr SE GV Be 7 ey
ww 217380 . a 89 2 07
758 17858 wa 8l 3» | 1%
Bemerkungen zur Karte, Tafel 8.
Die auf der Karte eingetragene Route Cook’s unter-
scheidet sich in wesentlichen Punkten von den bisherigen
Aufzeichnungen, wie sie dieser Seefahrer selbst, allerdings
in vielfachem Widerspruche mit seinen Berichten '), nieder-
gelegt hatte. Wir haben es deshalb versucht, die betref-
fende Route zu oonstruiren und geben in Folgendem die
hauptsächlichsten Punkte des Cook’schen Werkes, auf welche
unsere Zeichnung fusst.
„Am Morgen des 29. August 1778 sahen wir Land in
der Richtung WSW in Gestalt zweier Hügel, welche an-
fänglich Inseln zu sein schienen; bald aber stellte es sich
heraus, dass es Festland war. Bei unserer Annäherung
nabm die Tiefe des Wassers sehr schnell ab, so dass wir
bei einer Entfernung von 3 miles nur 8 Faden hatten.
Der äusserste Vorsprung des Landes endete in einer sehr
schroffen Felsspitze, einer der zuerst gesehenen Hügel. Da
das Wetter sich einigermaassen aufklärte, hatten wir einen
ziemlich guten Ausblick auf die Küste, welche in jeder
Beziehung der amerikanischen ähnlich ist, d. h. ebenes
Land am Meere mit Erhebungen im Hintergrunde. Sie
war vollkommen ohne Baumwuchs, auch frei von Schnee,
aber dem Anscheine nach mit Moos bedeckt, welches ihr
einen bräunlichen Schimmer gab. In der Ebene zwischen
dem Meere und den Hügeln befand sich ein See, welcher
sich weiter nach SO erstreckte, als wir sehen konnten. Wir
gaben diesem ungefähr unter 68° 56’ N. Br. und 180° 51’
Ö. L. gelegenen Punkt den Namen Nordcap. Die Küste
N) A Voyage to the Pacifie Oosen &c. under the diree-
Usa of Captsins Cook, Cierke and Gore. London 1784. Vol. II,
». 465 8.
muss von hier aus eine stark westliche Richtung haben,
da wir nach Norden zu kein Land sehen konnten. .... .
„am 380. August segelten wir in einiger Entfernung
längs der Küste, wobei wir uns wesentlich von dem Senk-
blei führen lassen mussten. Um 10 Uhr kam uns die
Küste wieder zu Gesicht in einer Entfernung von 4 miles,
wo wir 7 Faden Tiefe hatten. Eine sehr niedrige Land-
spitze erstreckte sich nach SSW, östlich von welcher sich
ein schmaler Canal zu befinden schien, welcher vielleicht
den oben erwähnten See mit dem Meer verbinden mag.
Als gegen Mittag der Nebel sich auf kürzere Zeit lichtete,
hatten wir einen verhältnissmässig guten Überblick auf das
Land, welches sich in der Riohtung SO nach NWzW er-
streckte. Wir setzten unsere Fahrt längs der Küste bei
einer Entfernung von 2 leagues (& 3 Seemeilen) bis 10 Uhr
Abends fort, nahmen sie aber nach Tagesanbruch wieder
auf und kamen auch bald in Sicht der Küste, welche sich
hier von W nach SOzO erstreckte. Um 8 Uhr befanden
wir uns 4 bis 5 miles entfernt von einer kleinen Insel
von 4 bis 5 miles Umfang von mässiger Höhe mit steiler
felsiger Küste, welche ungefähr 3 leagues vom Festlande
entfernt auf 67° 45’ N. Br. gelegen ist und von uns den
Namen Burney-Insel erhielt. ... . .
„Ungefähr in der Richtung der Küste setzten wir un-
seren Curs nach SSO fort bis Nachmittags 5 Uhr, als Land
in Sicht kam, welches sich S 50° O erstreckte und sich
als Fortsetzung der Küste herausstellte. ... .. . Am 1. Sep-
tember 8% Uhr hatte die Küste eine Richtung 8z0 bei 6 oder
7 miles Entfernung. Zu derselben Zeit kam ein Vorgebirge
in Sicht, welches sich Oz8 halb S erstreckte, und kurz
darauf konnten wir die ganze Küste zwischen beiden Punk-
ten, so wie eine in geringer Entfernung liegende kleine
Insel aufnehmen. .... Um 7 Uhr Abends zeigten sich
zwei Landspitzen in einiger Entfernung von dem östlichen
Vorgebirge in der Richtung nach 8 37° O. Jetzt war ich
von meiner Vermuthung überzeugt, dass wir uns am Tschuk-
tschen - Lande und an dem Punkte befanden, bis wohin
Bering 1728 vorgedrungen war. Derselbe heisst, wie Mül-
ler mittheilt, Serdze-Kamen, nach einem herzförmigen Steine
auf dem Vorgebirge. Seine Lage ist 67° 3’ N. Br. und
188° 11' Ö.L. .... Am Mittage des 2. September
befanden wir uns auf 66° 37' N. Br.; Serdze-Kamen er-
streckte sich nach N 52° W. 13 leagues entfernt, und
der südlichste Punkt, welcher in Sicht war, nach 8. 41° O,
Der nächste Punkt der Küste war 2 leagues entfernt; die
Tiefe betrug 22 Faden. Bei gutem Wetter und Sonnen-
schein segelten wir ın einer Entfernung von 4 miles an
der Küste entlang und passirten am Abend das Ostcap, wo
die Küste nach SW umwendet”, B. H.
EOGLGFCLGBGE KDGGG
142
Die Vorexpedition der „Florence', Capitän 6. E.Tyson, nach dem Cumberland-Golf, 1877778,
(Capt. Howgate's Polarcolonie.)
Capitän Howgate hat uns mit verschiedenem gedruck-
ten und handschriftlichen Material versehen, welches über
den Verlauf der Expedition, die den Anfang mit der von
ihm geplanten Polarcolonie machen sollte und darum den
Namen „Preliminary expedition” trägt, einen ziemlich voll-
ständigen, wenn auch in wissenschaftlicher Beziehung nur
vorläufigen Bericht zusammenstellen lässt. Bekanntlich er-
strebt Capitän Howgate mit der Gründung jener Colonie
an der Küste von Lady Franklin-Bai auf 81° 40’ N. Br.
die Lösung der geographischen und naturwissenschaftlichen
Fragen in Beziehung auf die nördlichsten Theile des ameri-
kanischen Continents und Grönlands bis zum Pole hin.
Diese Colonie sollte so lange erhalten werden, bis das Ent-
deckungsgebiet in jener Richtung erschöpft, oder die Un-
möglichkeit weiteren Vordringens klar dargethan sei. In
gewissem Sinne reiht sich Howgate’s Plan auch dem Wey-
precht’schen Programm circumpolarer Beobaohtungsstationen
ein, nur wurde darin die geographische Entdeckung mehr
in den Vordergrund gestellt.
Der Ort der Colonie liegt in unmittelbarer Nähe des
von der englischen Expedition 1875/76 gefundenen Kohlen-
lagers und des Winterquartiers der „Discovery”. Wahr-
scheinlich wird diese Örtlichkeit jährlich ohne Schwierig-
keit durch ein Dampfschiff erreicht werden können, und es
ist damit die Frage der Zuführung von Vorrätben und
Hülfe für die Colonie gelöst. Die Colonie selbst sollte aus
50 weissen Männern, unter ihnen Offiziere der Marine,
Ärzte und Vertreter der verschiedenen Wissenschaften, be-
stehen, und durch Eskimos von den Küsten des Cumber-
land-Golfes verstärkt werden. Die Colonie ist zunächst auf
drei Jahre berechnet und sollte jährlich von einem Schiffe
besucht werden, das frische Vorräthe und für den Theil
der weissen Männer, welche erkrankten oder aus irgend
welchem sonstigen Grunde zurückzukehren wünschten, Er-
satz brächte. Selbstverständlich sollten für die Colonie so-
lide Wohnhäuser errichtet und durch Hinzuziehung von
Offizieren des Landheeres und der Vereinigten Staaten-
Marine ein leitendes Element, so wie die Einführung einer
geregelten Disciplin gesichert werden. Die wissenschaft-
liche Aufgabe sollte unter die Oberleitung der National
Academy of Science gestellt und Alles, was die moderne
Technik der Wissenschaft an Hülfsmitteln bietet, so na-
mentlich der Ballon und der elektrische Telegraph, Ver-
wendung finden.
Von Haus aus wurde darauf gerechnet, dass ein so weit
angelegtes Unternehmen nur mit Hülfe der Vereinigten
Staaten-Regierung in’s Leben treten könne. Eine Vorexpe-
dition schien indess erforderlich, um sich so früh als mög-
lich den nöthigen Bestand der Colonie an Eskimos, Hun-
den und Schlitten, so wie an Kleidung für 50 Personen
während dreier Jahre zu sichern. Mit der den Amerika-
nern eigenen Energie wurde ohne Zögern an die Ausfüh-
rung dieser Vorexpedition gegangen und die dazu erfor-
derliche Summe durch Privatsubscription gezeichnet, wie
sich denn überhaupt bei der Bevölkerung der Vereinigten
Staaten die vielseitigste Sympathie für das Unternehmen
bethätigte.
Die Hauptaufgabe der Expedition war die eben bezeich-
nete. Daneben schien es gerathen, auch mit dieser Vorexpedi-
tion wissenschaftliche Zwecke zu verbinden, und es wurden
ihr daher ein Meteorolog in der Person von O. T. Sherman
von New Haven (auf Empfehlung des Professors Elias Loomis
von Yale College) und ein Naturforscher in der Person von
Ludwig Kümlein (auf Empfehlung von Professor Spencer
F. Baird, Secretär des Smithsonian Institution) mitgegeben.
So weit der Hauptzweck der Expedition es zuliess, sollte
auch Walfischfang betrieben und auf diese Weise die Aus-
gabe thunlichst wieder gedeckt, die Mannschaft reichlicher
für die gehabten Mühen entschädigt werden. Die Führung
des Schiffes, eines für den Walfischfang gebauten Schoo-
ners von 56 Tons Tragfähigkeit von New London, wurde
dem von der Polaris-Expedition her wohlbekannten Capitän
George E. Tyson übergeben, und das Schiff, dessen Mann-
schaft aus zehn ausgewählten Leuten bestand, auf 15 Mo-
nate verproviantirt. Capitän Tyson erhielt von Capitän
Howgate Instructionen im obigen Sinne.
Die „Florence” verliess New London am 3. August 1877
und nahm, da die Jahreszeit bereits ziemlich weit vorge-
schritten, den directesten Weg durch die Belle Isle-Strasse.
Am 20. August begegnete man einer grossen Bark, die
nach Schottland bestimmt war, und der man Briefe mitgab.
Dichte Nebel herrschten während der Fahrt und verhin-
derten auch eine Landung auf Resolution Island (2. Sep-
tember), wo man Eingeborene für die Colonie mitnehmen
wollte. Bald nachher entging die „Florenoe” mit genauer
Noth einem verhängnissvollen Zusammenstoss mit einem
Eisberg. Am 12. September wurde Niantilic-Hafen er-
reicht, Hier erwartete die Expedition eine Enttäuschung.
Schottische Waler hatten sich der Dienste aller Eingebore-
nen nach ihrer noch zu erwartenden Rückkehr von der
Renthierjagd in den Bergen gesichert. Es entstand in Folge
dessen ein unfreiwilliger Aufenthalt, den die Gelehrten für
ihre Zwecke ausnutzten. Am 27. September kamen end-
lich eine Anzahl Eingeborene: Männer, Frauen und Kinder,
Die Vorexpedition der „Florence” nach dem Cumberland-Golf, 1877/78, . 143
an Bord, sämmtlich im höchsten Grade schmierig und
schmutzig, da sie sich während eines Jagdlebens von zwei
Monaten nicht gereinigt hatten. Manche von ihnen waren
mit Capitän Tyson von früher her bekannt.
Am 1. October verliess die „Florenoe” Niantilic-Hafen
zu einer sehr stürmischen Fahrt weiter in den Golf hinein.
Bei den Kickerton- Inseln wurde kurze Zeit verweilt und
Annuit- (Annanatuk-) Hafen, das Winterquartier, am 7. Oo
tober erreicht. Annanatuk ist eine Inselgruppe an der West-
küste des Cumberland - Golfes oder Hogarth - Sundes, nach
0. T. Sherman’s Bestimmung in 66° 13’ 45” N. Br. und
67° 18° 39” W.L. Hier kamen noch verschiedene Eskimo-
Familien hinzu, so dass die Polaroolonie vollständig organi-
urt werden konnte. Von dieser Zeit an bis zur Abfahrt
des Schiffes, im Juli 1878, wurden 30 bis 40 Eingeborene
unterhalten. Während des Monats October, bis das Eis
die Fischereisaison schloss, wurde Jagd auf Wale gemacht;
nur zwei konnten harpunirt werden und einer entschlüpfte,
so dass die Barten und der Thran nur eines Fisches neben
wenigen Barrel Seehundsthran und Seehundafellen die ganze
Fischereiausbeute der „Florance” bildeten. Dieser Wal wurde
such erst gefangen, nachdem die Eskimos die Geister um
Begünstigung ihres Vorhabens angefleht hatten. Der Wal
wurde etwa 40 miles vom Schiffe gelandet, die Barten
herausgelöst und die Beute während des Winters auf Schlit-
ten zu dem Schiffe gebracht. Einer der Seeleute litt bei
dieser Gelegenheit stark unter der Kälte.
Am Lande wurde zunächst ein Beobachtungshaus für
den Meteorologen Sherman errichtet und später mit Schnee
wällen zum Schutz gegen die Kälte aussen, so wie mit
einem Ofen im Innern versehen. Am 1. December hatte
sich überall, so weit der Blick reichte, Eis gebildet. An
diesem Tage wurde eine Büchse geöffnet, welche Colonel
Lupton vom Ministerium des Innern in Washington, ein
Freund des verstorbenen Hall, der Expedition mitgegeben
batte. Sie enthielt ein Bild Hall’s und jene kleine Flagge,
weiche schon Kane und Hayes auf ihren an Drangsalen
reichen Expeditionen mit sich führten. Beides befindet sich
gegenwärtig im Besitz des Capitän Howgate, welcher die
Hofnung ausspricht, dass es dereinst gelingen werde, die
Flagge am erreichbaren nördlichsten Punkte aufzupflanzen.
Der Winter verfloss ohne bemerkenswerthes Ereignias.
Wie sich aus dem weiter unten mitgetheilten vorläufigen
Bericht des Meteorologen Sherman ergiebt, war der käl-
teste Tag der 21. Januar (52° F. unter 0), aber die längste
Kälteperiode war im März, vom 5. bis zum 13., nämlich
ständig 40° unter 0 bei klarem beiteren Wetter. Im
letzten Theile des Monats März wurde die Witterung mil-
der und die Eingeborenen gingen an den Fang junger
Seehunde, die sich zu Tausenden auf dem Eise vorfanden.
Es ist eine der klimatischen Eigenthümlichkeiten der Ge-
gend, dass selbst in der kältesten Zeit das Wasser an ge-
wissen Punkten nicht gefriert. Das stärkste Wintereis hat
hier und da Löcher und Waken, welche durch Strömung
und Gezeiten hervorgebracht sind. Bekanntlich halten sich
in diesen Löchern die Seehunde vorzugsweis auf. Das mas-
sive Eis, welches die „Florenoe” umgab, wurde durch die
Gezeiten um 24 Fuss gehoben und gesenkt. Am 5. April
zeigte sich ein kleiner schneeweisser Vogel. Um Mitte
dieses Monats wurde das Wetter warm, und Mannschaft wie
Eingeborene unterhielten sich durch Ballspiel auf dem Eise.
Über den Kennedy-See, ein ziemlich umfangreiches
Süsswasser-Becken im Westen des Winterquartiers der
„Klorence”, giebt Capitän Tyson folgenden Bericht: Der
See liegt annähernd auf 66° N. Br. und 73° W.L. Eine
genaue Bestimmung der Lage desselben hat noch nicht
Statt gefunden, denn so viel bekannt, wurde der See von
weissen Leuten vor dem Jahre 1876 nicht besucht; die
Eingeborenen dagegen sprechen oft von diesem grossen See,
seinem bedeutenden Umfange und seinem Reichthum an
Fischen und Jagdthieren. Das umliegende Land ist eine
weite stein- und baumlose Ebene oder Prairie, aber im
Sommer mit hohem Gras bedeckt, welches Renthiere in
unendlichen Mengen beweiden. Die Eingeborenen besuchen
den See jedes Frühjahr zur Renthierjagd und tödten viele
dieser Thiere. Alle stimmen darin überein, dass der See
sehr gross sei und dass es hier Fische und Wild im Über-
fluss gäbe. Im Frühjahr nisten hier Tausende von Vögeln,
unter diesen befinden sich verschiedene Arten von Gänsen,
deren Junge die Eskimoweiber in grossen Mengen tödten,
um sie als Hundefutter zu benutzen. Der Boden am Ses-
ufer hat eine dunkle Farbe und ist reich an Fossilien.
Herr Kümlein schloss sich gelegentlich den Ausflügen der
Eskimos zu diesem See und den von ihnen hier betriebe- .
nen Jagden an.
Auch durch den Monat April währte das schöne Wet-
ter, und das Tagebuch des Capitän Tyson spricht mit
Enthusiasmus von der Schönheit, Klarheit und dem Glanz
des Himmels und der Sonne in ihrem asilberweissen Licht.
Geblendet durch die fortwährend hell leuchtenden Schnee-
flächen wurden einige der Leute von der „Florence” schnee-
blind. Leider war es übersehen worden, Schneebrillen mit-
zunehmen, und so musste man zu den Schneebrillen der
Eingeborenen greifen, Brillen aus Holz mit Sohlitzen für
die Augen und einem kleinen Schutsdach darüber. Sie
werden mit einem Seehundsfellstreifen befestigt und ge-
währen trotz ihrer rohen Construction einen wirksamen
Schutz. Gegen den 23. April hatte die Nacht tbatsächlich
aufgehört; um Mitternacht war es hell genug, um grossen
Druck lesen zu können, und eine Woche später vermochte
144 Die Vorexpedition der „Florence” nach dem Cumberland-Golf, 1877/78.
man um diese Zeit auch feinen Druck zu erkennen. Am
10. Mai war ein Regentag, der erste in dieser Region seit
1860 im Monat Mai beobachtete. Im letzteren Theil die-
ses Monats zeigte sioh Gras in kleinen Mengen, und einige
wenige Blumen suchten sich ihr Dasein an den Südseiten
zu erkämpfen. Fliegen waren reichlich und eben so be
lästigend wie in südlichen Klimaten. Das Eis fing an, rasch
aufzubrechen, und Stellen offenen Wassers von Ausdehnung
mehrerer miles wurden im Norden und Westen sichtbar,
doch der Ausgang nach Süden war noch immer durch eine
Barriere festen Eises blockirt, welches sich quer durch den
Golf von Küste zu Küste erstreckte.
Beachtenswerth sind eine Reihe von Beobachtungen über
das Leben und Treiben der Eskimos, welche mit der Ex-
pedition überwinterten. In der Jagdzeit gingen die Män-
ner täglich auf den Seehundsfang aus, während die Frauen,
dem Aberglauben folgend, erst dann, wenn das Wasser ge-
froren, an der Jagd Theil nehmen. Im Februar wurde
einer der Eskimo-Familien ein Kind geboren. Während der
Geburt verweilt die Mutter allein in einer für sie eigens
zu diesem Zweck eingerichteten Schneehütte. Kindermord
findet in ausgedehntem Maasse Statt, doch werden nur we-
nige Knaben getödtet. Unter den westlichen Stämmen ist
die Tödtung der Mädohen in dem Maasse verbreitet, dass
es zur Zeit nicht genug F'rrauen für die Männer giebt.
Diese müssen daher sich ihre Weiber bei anderen Stäm-
men holen.
Die Eskimos, mit welchen die Expedition zusammen-
lebte, glauben an ein höchstes Wesen und auch an einen
Ort künftiger Strafe. Stirbt einer der Männer, so geben
sie ihm seine Jagdgeräthe mit in’s Grab, damit er mit
Hülfe derselben seinen Weg in das Jenseit finde. Dank
dieser Sitte konnte Herr Kümlein viele Eskimogeräthe er-
langen. Die Hinterlassenen scheinen wenig Pietät für den
Todten zu haben, denn mit Vergnügen standen sie Herrn
Kümlein in der Ausbeutung der Gräber bei, dagegen miss-
billigten die Seeleute diese Gräberentheiligung und die be-
treffenden Gegenstände konnten daher nur heimlich an
Bord der „Florence’”’ geschafft werden. Einige dieser Ge-
genstände sind von hohem wissenschaftlichen Werth, und
es ist daher erfreulich, dass sie glücklich nach den Verei-
nigten Staaten kamen, um den Sammlungen der Smithso-
nian Institution einverleibt zu werden.
Auch eine Eskimo-Hochzeit fand Statt, und zwar im
Monat März. Am Tage nach derselben brach das junge
Paar zu einer Fahrt auf den Seehundsfang auf, und zwar
in einem von drei guten und einem lahmen Hunde gezo-
genen Schlitten. Zur Ausrüstung nahmen sie Renthier-
felle, Speck und Seehundsfleisch, so wie ein wenig Mo-
lasse und Thee von den Vorräthen des Schiffes mit. Am
l. April kam von Katernuna ein Eingeborener, um in der
„Elorence’”’-Colonie sein Weib, welches ihm weggelaufen
war, zu suchen. Ohne Schwierigkeit wurde sie gefunden,
allein sie verweigerte hartnäckig, sich der Autorität ihres
Ehemannes zu unterwerfen, und so musste er ohne sie
zurückkehren.
Die Eingeborenen sind fast fortwährend auf Reisen,
entweder in den Bergen zur Renthierjagd oder auf den
schneegepanzerten Eisfeldern auf der Suche nach Seehun-
den oder Bären. Leicht, stark und muskulös haben sie
grössere Ausdauer als die schwereren und: weniger beweg-
lichen weissen Leute. Sie können auch, wenn sie ermüdet
sind, auf dem Eise schlafen und ihren Hunger mit Dem,
was das Land bietet, stillen. Wie das Beispiel von Capi-
tän Hall, welcher einmal acht Jahre unter den Eskimos
lebte, beweist, können aber auch Weisse solche Lebens-
gewohnheit sich aneignen, und es ist eben aus dieser Rück-
sicht die Polarcolonie geplant worden. Einer der Eskimo-
Knaben zeigte sich, obwohl nur erst fünf Jahre alt, beson-
ders muthig und geschickt, er fing während der Überwin-
terung der „Florence” sechs junge Seehunde. Dabei eig
neten er, wie die jungen Eskimo-Mädchen sich von den See
leuten die Gewohnheit des Tabakrauchens und Kauens und
des Rumtrinkens an.
Einer der Eingeborenen, Namens Tschuni, war sehr
intelligent und theilte den Weissen manche Legenden und
Traditionen seines Volkes mit, unter Anderem die folgende
Erzählung über die Art und Weise, in welcher die Eskimos
die ersten Hunde erhielten: Die ersten Eskimos empfanden
früh das Bedürfniss, ein Thier zu haben, mit Hülfe dessen
sie ihre Kreuz- und Querzüge zur Jagd unternehmen
könnten. Sie wandten sich an den grossen Geist um Hülfe,
verfertigten ein rohes Geschirr aus Seehundsfellstreifen,
legten dieses in die Nähe eines der grossen weissen Felsen
im fernen Norden und kehrten dann heim. Nach kurzer
Zeit erschien ein schönes vollständig aufgezäumtes Gespann
von Hunden.
Eine eigenthümliche Manier haben die Eskimos, um
Entfernungen auszudrücken. Kontuk bedeutet eine kleine,
100 Yards bis auf wenige miles lange Strecke; Koning®
twadle dagegen eine solche Entfernung, die nur mit Hülfe
von Dampf oder Segeln und bei gutem Wetter zurück-
gelegt werden kann; Weser-puk endlich bedeutet eine so
unermessliche Entfernung, dass sie noch von Niemandem
hat zurückgelegt werden können,
Die winterliche Unthätigkeit erzeugte bei Manchem unter
den Seeleuten ausserordentliche Fettsucht, so erreichte der
18jährige Cajütenjunge, ein zarter Bursche, als er New
London verliess, ein Gewicht von 170 Pfund im folgenden
April. Er wurde ein Liebling der dunklen Eskimoschönen.
Die Vorexpedition der „Florence” nach dem Cumberland-Golf, 1877/78. 145
Schliesslich mag noch hervorgehoben werden, dass die
beiden Gelehrten, deren einer von Connecticut und der
andere von Wisconsin stammt, übereinstimmend erklären,
dass dieselbe Kleidung, welche sie in der Heimath wäh-
rend des Winters warm halte, diesen Zweck in gleich voll-
kommener Weise in Annanatuk-Hafen erfüllen würde, und
daher möglicher Weise besser sei, als die schwer lastenden
Fell- und Pelzkleider der Eingeborenen.
Am 11. Juni verliess die „Florence” ihren Winter-
hafen, und von diesem Tage bis zum 13, Juli, wo die
Kikkerton-Inseln erreicht wurden, war das kleine F'ahrzeug
und seine Bemannung allen Gefahren der arktischen Schiff-
fahrt ausgesetzt. Mehrere Male musste man hinter einer
schützenden Insel oder einem Eisberg Zuflucht suchen. Die
Gelehrten waren auch während diesen Gefahren fortwährend
in Thätigkeit bald an der Küste, bald auf dem Eise, bald
an Bord. Nachdem 15 Eskimos, welche mit der Expedition
nach Norden gehen wollten, 28 Hunde, mehrere Schlitten
und sonstiges Geräth an Bord genommen waren, verliess
die „Florence” die Kikkerton-Inseln am 17. Juli und er-
reichte nach einer stürmischen und gefahrvollen Fahrt
Disoo-Hafen am 31. desselben Monats. Hier wurde das
Schiff von dem Gouverneur, welchem von schottischen Wa-
lern die falsche Kunde überbracht war, dass unter den
Eingeborenen der Gegend, wo die „Florencoe’” überwinterte,
eine Epidemie herrsche, bis zum 13. August unter Quaran-
taine gelegt. Capitän Tyson und die beiden Gelehrten
machten während dieser Zeit Ausflüge in die Blauen Berge
und brachten Proben von Meteorerz mit, welches sich hier
in grossen Mengen findet. Nach Aufhebung der Quaran-
taine war der Gouverneur sehr entgegenkommend und lie-
ferte dem Schiff alle Artikel, die es benöthigt war. Am
22. August musste Capitän Tyson alle Hoffnung aufgeben,
dass die erwartete Hauptexpedition aus den Vereinigten
Stasten noch kommen werde. Bekanntlich hatte der Con-
gress die Mittel dafür nicht bewilligt. In Gemässheit sei-
per Instruotion kehrte er daher mit den Eingeborenen, den
Hunden und dem anderen im Winterhafen erlangten Ma-
terial nach Niantilio zurück, welcher Hafen am 30. August
erreicht wurde. Hier entliess er die Eskimos und bezahlte
sie reichlich, gab ihnen auch noch so viel an Ausrüstung»
gegenständen und Lebensmitteln, als er entbehren konnte.
Auch sie bedauerten beim Abschiede das Ausbleiben der
Hauptexpedition und versprachen, im Sommer 1879, wenn
se komme bereit zu sein, um sich ihr anzuschliessen,
Am 12. September ging die „Florenoe” von Niantilic in
See und erreichte nach einer sehr stürmischen Fahrt am
30. October nach 1ömonstlicher Abwesenheit wieder New
London.
Nach Capitän Howgate’s Ansicht hat die Vorexpedition
Petermasa’s Gsogr. Mittheilungen. 1879, Heft IV.
ihre Aufgabe vollständig gelöst und die practische Durch-
führbarkeit seines Projects erwiesen. Hoffentlich wird der
Congress in diesem Jahre die Mittel bewilligen'), ohne welche
die mühevolle Vorarbeit der „Florenoe” so ziemlich frucht-
los sein würde. Besondere Anerkennung verdienen die bei-
den Gelehrten für die Hingebung, mit welcher sie sich der
Lösung einer Aufgabe unterzogen, bei welcher von vorn
herein der Ruhm und Glanz der Entdeckung ausgeschlos-
sen war!
Kurse Übersicht der Resultate der meteorologischen
Beobachtungen,
angestellt an Bord des Schiffes „Florenoe’’ in Annuit- (Annenatuk-) Hafen
während des Wintere 1877,78 von O. J. Sherman, Meteorolog der
Expedition ?).
Das Schiff wurde am 10. October 1877 in den Winter-
hafen Annuit Harbour gelegt. Nach Beobachtungen von
Sherman wurde die Breite dieses Ortes zu 66° 13’ N
ermittelt; diess ist, um mehr als 2° südlicher, als die
über diese Gegend veröffentlichten Karten angeben, ein
Irrthum, der nicht selten in der Geschichte arktischer For-
schung vorkommt.
Die meteorologischen Beobachtungen wurden, so weit
irgend möglich, am Tage stündlich, Nachts zweistündlich
angestellt, und umfassen dieselben Ablesungen des Baro-
meters, des Thermometers, des Psychrometers und des
Haarhygrometers. Der Wind, Richtung, Geschwindigkeit
und Stärke, wurde durch zwei Robinson’sche Anemometer
gemessen, welche eben so wie die meisten anderen Instru-
mente vom Chief signal office für die Zwecke der Expe-
dition zur Verfügung gestellt waren. Die Beobachtungen
erstreckten sich ferner auf die Wolken, ihre Art, Häufigkeit
und Bewegungsriohtung;; die Farbe des Himmels sowohl im
Zenith, wie in einer Höhe von 45° ; Regen, Schnee und
sonstige bemerkenswerthe Erscheinungen des Wetters, Mee-
restemperaturen und specifisches Gewicht des Meerwassers,
die Farbe, Richtung, Bewegung und Stärke der Wellen.
Ebbe- und Fluthbeobachtungen wurden vom 13. Januar bis
26. April 1878 angestellt, die Reihe ist indess in den er-
sten Monaten vielfach unterbrochen. Das Nordlioht wurde
sorgfältig beobachtet und hervortretende Eigenthümlichkei-
ten desselben notirt, so wie rohe Skizzen der Umrisse und
der Lage desselben gezeichnet. Winkelmessungen von Neben-
sonnen und Höhen wurden mit dem Sextanten vorgenom-
men, wenn thunlich, auch rohe Skizzen gezeichnet. Beobach-
!) Capt. Howgate theilt uns aus Washington, 4. Märs, mit,
dass der Congress, durch dringendere politische Aufgaben in Anspruch
genommen, die nachgesuchte Bewilligung noch nicht ausgesprochen habe,
Er hofft jedoeh ein günstigeres Resultst von der am 18. März begin-
nenden Nachsession. Anmerkung der Redaction,
N) Siebe Ausführlicheree in „The North American Reriew”, Pe-
bruar 1879, p. 191.
146 Die Vorexpedition der „Florence” nach dem Cumberland-Golf, 1877/78.
tungen des Thaupunktee wurden mit einem BRegnault'-
schen Hygrometer versucht, doch ohne viel Erfolg im Win-
ter. Im Frühjahr und Herbst wurden indess gute Resul-
tate erzielt. Beim Verlassen des Winterhafens wurden die
Beobachtungen fortgesetzt, doch nur dreistündliche Able-
sungen gemacht. Unter den gemischten Beobachtungen
finden sich einige in Betreff der Bildung und Zersetzung
des Eises, über Sternschnuppen, über eine F'euerkugel, über
den Durchgang des Merkurs und über die Höhen der Berge.
Der Winter war sehr gelinde, und fand während des-
selben eine fast ununterbrochene Folge von Stürmen, Regen,
Schnee und Winden Statt. Erst am letzten Tage des No-
vember fror das Schiff ein, und nach Mitte Mai wurde das
Eis für Ebbe- und Fluth-Beobachtungen unsicher. Die nie-
drigste Temperatur wurde am 21. Januar 1878, —52° F.,
beobachtet; die höchste am 8. Juni 1878 +55,5° F. Der
längste Zeitraum hoher Kälte war vom 5. bis 13, März;
in dieser Zeit stand das Thermometer gegen —40° F. Im
letzteren Theile des März war der Stand desselben eben
so viel über 0°. Die Veränderung der Temperatur mit
dem Winde war bemerkenswerth, oft 6 bis 8° in einer
Stunde. Der Schnee charakterisirte sich durch seine Fein-
heitı Bei einer oder zwei Gelegenheiten blieben die Flocken
auch am Boden getrennt und knisterten unter dem Fuss-
tritt wie trockene Blätter. Die Winde erreichten bei ihrer
grössten Stärke eine Geschwindigkeit von 40 miles in der
Stunde, und bei Stössen war dieselbe oft noch weit bedeu-
tender. Zwei Mal wurde die Expedition von Winden über-
fallen, deren Spuren an den nackten Felsen deutlich er-
kennbar waren. Der hohe Stratus war die vorwiegende
Form der Bewölkung, der Cumulus wurde selten gesehen.
Der Cirrus variirte sehr. Die vorwiegende Form desselben
vor einem Sturme war nicht diejenige, welche die Seeleute
mit Marestails bezeichnen, sondern es waren schräge Strei-
fen, deren Richtung fortgesetzt aus einem westlichen
Punkt kam.
Bemerkungen über die Resultate der naturwissen-
schaftlichen Arbeiten.
Von Ludwig Kümlein, Näturforscher der Expedition.
Die Gegend, in welcher die Expedition überwinterte,
war zuvor noch nicht von einem Naturforscher besucht
worden, und ist wenig bekannt. Viele Thierarten, beson-
ders Vögel, deren Vorhandensein man an dieser Stelle ver-
muthete, existiren hier nicht. Die Fauna ist, so weit meine
Beobachtungen reichen, ziemlich identisch mit derjenigen
des Nordens der Baffin-Bai und des Smith-Sundes, jedoch
mit einigen bemerkenswerthen und dem Anschein nach nicht
erklärlichen Ausnahmen. Es wurden einige nordpacifische
Species und eine europäische gefunden. Ferner wurden
sechs Species von Vögeln des gemässigten Nord - Amerika,
vermuthlich Verirrte, gesammelt. Empidonax flaviventris,
Haliaötus albicilla wurden als regelmässige Sommerbewoh-
ner angetroffen. Ich sammelte nur 43 Species von Vögeln.
Die Gelegenheit zum Sammeln war sehr ungünstig und
viele Species sind ohne Zweifel meiner Beobachtung ent-
gangen, gleichwohl wurde genug gefunden, um den Cha-
rakter der Fauna festzustellen. Vögel in grosser Zahl kom-
men nicht vor, ausgenommen vielleicht die Eiderenten
(Somateria mollissima). Einige seltene Eier wurden gesam-
melt, von denen sich vielleicht einige noch nicht in den
amerikanischen Collectionen finden, z. B. Fringa subarquata,
Lomvia arra, Larus leucopterus, Saxicola oenanthe (Ame-
rika) &. Wir haben auch werthvolle Notizen über seltene
und wenig bekannte Arten.
Eine hübsche Serie von Skeletten junger Seehunde und
das Skelett eines Weisswals wurde gesammelt, ferner Beob-
achtungen über die Lebensgewohnheiten und Verbreitung
der Seehunde gemacht. Geringes konnte geschehen in Betreff
der Land -Säugethiere, nur wenige wurden angetroffen;
darunter ein einziges Exemplar des Lemming, der hier
'ehedem nach den Berichten der Eskimos sehr zahlreich
verbreitet war.
Die Flora der Region von Nord-Cumberland schien
äusserst dürftig zu sein. Dieselben Species wurden weit
reichliocher an der Küste von Grönland auf 70° N. Br.
gefunden. Flechten waren reichlich, und viele wurden ge-
sammelt. Eine hübsche Sammlung von Algen wurde zusam-
mengebracht, litt aber sehr durch Wasser auf der Heimreise.
Nur zehn Species von Fischen wurden angetroffen, unter
ihnen einige interessante Formen. Cottus scorpius und
Salmo salar waren die einzigen Species, welche wir in ge-
nügender Anzahl zur Speise uns verschaffen konnten. Von
den verschiedenen Formen mariner wirbelloser Thiere wur-
den von Zeit zu Zeit nach bestem Vermögen Sammlungen
gemacht, und wahrscheinlich werden einige interessante
Resultate erzielt werden.
In geologischer Beziehung bekam ich nichts als einige
wenige silurische Fossilien von Lake Kennedy und anderen
westlichen und nördlichen Punkten des Innern, sie reichen
aber aus, um die geologische Formation annähernd zu be-
stimmen. Einige wenige Mineralien wurden gefunden.
Die entomologische Collection besteht aus fünf Species
Lepidopteren, zwei Tages- und drei Nachtschmetterlingen
und vielleicht einem halben Dutzend Species von Dipteren.
Bedeutende Unterstützung erhielt ich von den Eskimos,
und betrachte ich eine kleine Anzahl dieser Eingeborenen
als eine höchst werthvolle Ergänzung für jede Polarexpe-
dition. Sie können und wollen, wenn richtig behandelt,
sich ausserordentlich nützlich machen. Die Frauen werden
Resultate auf dem Gebiete der Anthropometrie. 147
die Fellbekleidung der Expedition in gutem Zustande er-
halten, was Weisse nicht vermögen. Mit Hülfe der Eski-
mos wird die Ausrüstung einer Expedition bedeutend län-
ger aushalten. Von besonderem Nutzen werden sie bei der
Errichtung von Schneehütten sein, mögen diese nun zu
zeitweiliger oder dauernder Unterkunft dienen. Als Jäger
und Führer sind sie ausgezeichnet, sie vermögen Spuren
zu entdecken und den Aufenthalt eines Thieres zu ermit-
teln durch Anzeichen, die einem Weissen vollständig un-
bemerkt bleiben müssen. Sie haben eine Ausdauer bei der
Jagd von Seehunden, welche die Geduld eines Weissen bei
weitem übersteigt. Ihre primitive Art, Thiere und Vögel zu
fangen, wird sich in vielen Fällen unseren modernen Verbes-
serungen überlegen zeigen. Bei der Jagd muss man sie ganz
sich selbst, ihrer Erfahrung und ihrem Urtheil überlassen-
Als Bedenken gegen die Begleitung einer Expedition
durch die Eskimos wird oft geltend gemacht, sie seien zu
gefrässig. Aber nach meiner Ansicht wird dieser Fehler
reichlich dadurch aufgewogen, dass durch ihre Geschicklich-
keit eine Menge frischen Fleisches erlangt wird. Als Trei-
ber, Fütterer und Pfleger von Hunden sind sie sehr nütz-
lich. Scharfsichtig und im hohen Grade ausdauernd, wer-
den sie sich als Führer und Gehülfen auf arktischen Reisen
brauchbar erweisen.
.
Resultate auf dem Gebiete der Anthropometrie.
Von Dr. Karl v. Scherzer.
Pope’s altbekanntes, viel citirtes Sprichwort: „The proper
study of mankind is man” ist eigentlich erst in den letzten
dreissig Jahren einigermaassen zur Geltung gelangt. Wäh-
rend die kleinsten thierischen Organismen bereits gründlich
untersucht und ihnen Platz und Namen im grossen wissen-
schaftlichen Systeme angewiesen worden sind; während der
geschulte Blick des Botanikers selbst das zarteste, unschein-
barste Blümchen nach gewissen systematischen Kennzeichen
ohne Schwierigkeit neben jene Pflanze einzureihen vermag,
zu welcher es in nächster morphologischer Verwandtschaft
steht: hatte das Studium der Anthropologie, die Diagnostik
der Racen, bisher nur geringe Fortschritte gemacht. ÄlI-
tere Forscher begnügten sich mit der unsicheren und un-
bestimmten Eintheilung der Völker nach zumeist unwesent-
lichen äusseren Unterschieden, wie z. B. Farbe der Haut,
Farbe und Form der Haare &c., oder nach ihrem muth-
maasslichen geographischen Ursitz in bald vier (Leibnitz,
Lacepede und Linn6), bald fünf (Blumenbach), bald sechs
(Buffon), bald wieder elf (Prichard), in Bezug auf Form
und Structur verschiedene Menschenracen, und wagten
nicht an jener „fable convenue” der Abstammung von Einem
Paare zu rütteln. Sie befürchteten wahrscheinlich, dass
eine gründlichere Plüfung der abweichenden Eigenthümlich-
keiten der verschiedenen Racen jene fromme Sage über den
Haufen werfen würde, welche ein tausendjähriger Köhler-
glaube zum Dogma erhoben hatte.
Erst in neuester Zeit mit der grösseren Freiheit auf
allen Gebieten der Forschung hat man auch den anthropo-
logischen Studien und der Untersuchung des Menschen als
Racen-Repräsentanten eine unbefangenere Sorgfalt zu Theil
werden lassen und für diese eine bestimmtere Basis zu gewin-
nen versucht. Und es erscheint als ein gar launiges Spiel
des Zufalles, dass gerade im bibelfesten England die erste
Bresche in die Legende der Sohöpfungsgeschichte geschossen
wurde, dass gerade englische Gelehrte, wie z. B. der noch
immer unbekannte Verfasser der „Vestiges of creation”,
oder Naturforscher wie Lyell, Huxley, Darwin, Carpenter ')
1) Gleichwohl herrscht in England gegen derlei Forschungen noch
immer eine eigenthümliche Scheu, und ihre gelehrten Vertreter sind
mehr gefürchtet als verehrt oder beliebt. Ich will hier in dieser Be-
ziehung nur Ein Beispiel anführen. Während meines jüngsten mehr-
jährigen Aufenthaltes in England wurde mir auch das Glück zu Theil,
mit Mr. Charles Darwin in nähere Beziehungen und persönlichen Ver-
kehr zu treten. Eines Tages war Darwin, welcher auf einem ent-
legenen, schwer zugängigen Landsitze, Down bei Beckenham, wohnt,
nach der Hauptstadt gekommen und bat mich mit ihm im Hause eines
seiner Kinder das Gabelfrühstück einzunehmen. Der schlichte, gastliche
Gelehrte öffnete mir selbst die Hausthür und führte mich nach einem
einfachen Zimmer im ersten Stockwerke. „Erstaunen Sie nicht”,
sagte er nach dem ersten Höflichkeite-Austausch, „wenn Sie heute bei
mir mit einem Geistlichen zusammentreffen. Ich kenne ihn selbst noch
nicht, aber er hatte den Wunsch ausgesprochen, meine Bekanntschaft
zu machen, und meine Frau hat ihn hierauf eine Einladung für heute
zum „Luncheon” zugeschickt. Er ist einer der „chaplains” der Kö-
nigin, und soll sich such viel mit Anthropologie beschäftigt haben’.
In der That liessen sich bald darauf Canon F. und dessen Gemahlin
anmelden. Darwin wechselte nur wenige Worte mit ihm und brachte
die Rede sogleich auf meine Reisen und die neuesten anthropologischen
Forschungen. Aber Canon F. meinte, er habe sich in früheren Jahren
allerdings mit diesem Studium beschäftigt, die vielen Obliegenheiten sei-
nes geistlichen Berufes hätten ihm jedoch nicht gestattet, den neuesten
Fortschritten auf diesem Gebiete zu folgen. Er schnitt das Gespräch rasch
ab und wandte sich zu den daneben sitzenden Damen. Darwin zog mich
in ein Nebenzimmer und meinte, die Geistlichkeit sei ihm niemals hold
gewesen. Jeden Sonntag, wenn seine Frau und seine Kinder im Dorfe
zur Kirche gehen, weiss der Pfarrer seine Predigt immer so einzurich-
ten, dass irgend ein offener Angriff auf die ketzerischen Naturforscher
vorkommt, oder eine sarkastische Anspielung auf jene gottlosen Ge-
lehrten, welche den Menschen, das Ebenbild Gottes, vom Affen abstam-
men lassen. Vielleicht hofft die Geistlichkeit, Darwin auf indireotem
Wege zu bekehren, dessen in die verschiedensten Gesellschaftsschichten
geärungene Descendenztheorie der orthodoxen Kirche und ihren Dog-
men weit mehr Schaden zugefügt hat, ale Kopernicus und Galilei, so
dass nur unser aufgeklärteres Zeitalter den kühnen englischen Forscher
vor Kerkerhaft und Scheiterhaufen schützt.
19*
148 Resultate auf dem Gebiete der Anthropometrie.
es waren, von welchen die ersten Lichtstrahlen jener genia-
len Theorie ausgingen, mit deren Weiterentwickelung gegen-
wärtig vorurtheilslose Forscher in allen Culturländern der
Erde unverdrossen und emsig beschäftigt sind.
Anstomen, Anthropologen und wissenschaftliche Rei-
sende haben Messungen der verschiedenen Dimensionen des
menschlichen Körpers als ein Hauptmittel erkannt, um ein-
mal dahin zu gelangen, den normalen Europäer mit dem
normalen Malayen, Mongolen, Papua, Neu-Seeländer, In-
dianer &c. vergleichen zu können. Man hat endlich auch
für das Studium des Menschen Humboldt’s tiefsinnige Be-
merkung zum Grundsatz erhoben: dass bei allem Beweg-
lichen und Veränderlichen im Raume mittlere Zahlenwerthe
der letzte Zweck, ja der Ausdruck physischer Gesetze sind,
welche uns das Stetige in dem Wechsel wie in der Flucht
der Erscheinungen zeigen, und dass auch in unserem Jahr-
hundert und zwar im erweiterten Sinne die einzigen, in un-
serer Schrift übrig gebliebenen und weit verbreiteten hiero-
glyphischen Zeichen, die Zahlen, als Mächte des Kosmos
auftreten !
Vor Allem handelte es sich darum, zu untersuchen und
zu bestimmen, was gemessen und gewogen werden soll; ein
System festzustellen, welches mit den einfachsten Werk-
zeugen durchgeführt werden kann, und endlich über ein
einheitliches Maass sich zu verständigen, welches die Ver-
gleichung der von verschiedenen Forschern erhaltenen Re-
sultate unmittelbar, ohne weitere Reduction durch Umrech-
nung, ermöglicht. Man begann zuerst mit todtem Materiale,
mit dem Messen von Racenschädeln nach verschiedenen von
Welcker, Virchow, Baer, Huxley, Lucae u. A. zuerst aufgestell-
ten oder erweiterten Systemen. Aber es zeigte sich bald, dass
weit wichtigere Resultate von Untersuchungen erwartet wer-
den konnten, welche den ganzen lebenden Menschen zum
Gegenstande haben. Das von Quetelet für die Bestimmung
des Durchschnittsmenschen in Europa eingeführte System
der Messung dehnte man nun auch auf die verschieden-
sten Stämme und Racen aus. Die Hauptsache dabei war,
für jede Messung feste Punkte zu gewinnen, welche man
an allen übrigen Objeoten der gleichen Forschung leicht
wieder finden mochte, und jene Linien oder Ebenen zu
bestimmen, von welchen aus zu weiteren Punkten über-
gegangen werden konnte. Von höchster Wichtigkeit war
es, eine möglichst grosse Anzahl von Messungen vorzuneh-
men, und den lebenden Menschen derart auszumessen, dass
man ein ziemlich vollständiges Bild des gemessenen Kör-
pers erhält..
Auf Anregung des Professors Dr. Carl Vogt in Genf
wurde ein solches systematisches Schema von meinem Reise-
gefährten, dem seither verstorbenen Corvetten- Arzt Dr.
Eduard Schwarz, entworfen und gemeinschaftlich mit mir
während der wissenschaftlichen Weltfahrt der österreichi-
schen F'regatte „Novara” in Anwendung gebracht; und ich
darf hier wohl, ohne für unbescheiden zu gelten, hinzu-
fügen, dass die Novara-Expedition als der Ausgangspunkt
einer wissenschaftlichen Untersuchungsmethode der Men-
schenracen angesehen werden kann. Es wurden von uns
zuerst Alter, Geschlecht und Namen des zu messenden
Individuums, die Farbe und Struotur der Haare, die Aus-
bildung des Bartes, die Farbe der Augen, so wie sonstige
Besonderheiten notirt, die Kraft, welche der Gemessene zu
entwickeln vermag, mittelst des Regnier’schen Dynamo-
meters geprüft, und endlich das Gewicht des nackten Kör-
pers, so wie dessen Höhe an einem Rekrutenmaass be-
stimmt. Sodann wurden die Messungen des Kopfes (21),
des Stammes (17) und der Extremitäten (17) vorgenommen
und in das zum Voraus angefertigte Register eingetragen.
Obschon diese verschiedenen Messungen mit den einfach-
sten Werkzeugen, nämlich einem Meterstab, einem Band-
maass und einem Tastercirkel durchgeführt und nach einem
practischen Schema derart vorgenommen wurden, dass man
jedes Messinstrument erst aus der Hand legte, nachdem alle
damit zu nehmenden Maasse erschöpft waren, so erheischte
diese Aufgabe gleichwohl mehrere Stunden und wurde durch
den Argwohn, die Angst und den Aberglauben der zu
messenden Eingeborenen (bei selten weniger als + 20° R)
noch mühseliger gemacht. Während der Dauer der Ex-
pedition wurden in vier Erdtheilen gegen hundert, den ver-
schiedensten Racen angehörende Individuen gemessen und
über 7000 Messungen vorgenommen. Diese Anzahl er-
scheint trotz der aufgewendeten Mühe und Geduld aller-
dings sehr geringfügig bei Untersuchungen, welche noth-
wendigerweise mit vielen Fehlerquellen behaftet sein müs-
sen, und wo solche Fiehler nur dann ausgemerzt und auf
ihr Minimum reducirt werden können, wenn man die Mes-
sungen so häufig und an so verschiedenen Individuen von
gleichem Lebensalter, gleichem Geschlechte und gleicher Be-
schäftigung wiederholt, um aus der Masse der gewonnenen
Resultate eine Mittelzahl gewinnen zu können, welche das
Gesetz darstellt, um dessen Norm herum die einzelnen
Resultate schwanken.
Aus diesem Grunde kann es nicht hoch genug ange-
schlagen werden, dass Herr Dr. A. Weisbach, gegenwärtig
Chefarzt des österr.-ungarischen Spitals in Constantinopel,
derartige Messungen mit eiserner Geduld und nimmermüdem
Fleiss gewissermaassen zur Hauptaufgabe seiner wissen-
schaftlichen Forschungen gemacht hat. Kein Anthropolog hat
unseres Wissens bisher so zahlreiche Messungen an leben-
den Menschen angestellt und das ihm zur Verfügung ge-
stellte grossartige Material mit mehr Fachkenntniss und
scrupuloserer Gewissenhaftigkeit bearbeitet, als der genannte
Resultate auf dem Gebiete der Anthropometrie. 149
Gelehrte. Derselbe hat nicht allein die von der Novara-
Expedition mitgebrachten anthropometrischen Aufzeichnun-
gen bearbeitet und als integrirenden Theil der Novara-
Publicationen veröffentlicht, sondern auch die Resultate
jener Körpermessungen publicirt, welche während meiner
dritten Weltreise am Bord der österr. Fregatte „Donau”
vom Linienschifisarzt Dr. Janka an Höttentotten, Kaffern,
Congo-Negern, Javanesen, Bugis, Dajaken, Siamesen, Chine-
sen, Japanern, Kanaken und Patagoniern nach dem oben
geschilderten Schema vorgenommen worden sind. Diese
beiden interessanten Publicationen werden noch durch jene
Resultate in der belehrendsten Weise ergänzt, welche
Dr. Weisbach in Folge der von ihm selbst zu verschiede-
nen Zeiten an Sudan-Negern, Tagalen, Zigeunern, Juden,
Magyaren, Rumänen und Nordslaven vorgenommenen Mes-
sungen gewonnen hat!), und ich kann hier das lebhaf-
teste Bedauern nicht unterdrücken, dass Dr. Weisbach
sas Familienrücksichten nicht in der Lage war, die er-
wähnte Expedition nach Ost-Asien mitzumachen, für welche
derselbe in erster Reihe in Aussicht genommen war. Welche
herrliche Ernte hätte dieser unermüdliche Forscher wäh-
rend jener Reise eingeheimset, und welche grossartigen
Resultate wären für die anthropologische Wissenschaft
daraus erwachsen |
Dr. Weisbach’s Bearbeitung fremder, sowie dessen ei-
gene Messungen beziehen sich auf 19 Völker, sowie auf
mehr als 200 Individuen aus den verschiedensten Theilen
der Erde, was bei dem Mangel an einschlägigen, in gleicher
Weise ausgedehnten Untersuchungen keineswegs als gering
anzusehen ist, wenn schon die einzelnen Völker nicht in
gleicher Individuenzahl (1—326) vertreten sind.
Von den angestellten Untersuchungen erwecken nament-
lich jene über den Puls, die Körperlänge, den Umfang des
Kopfes, die Höhe und Länge der Nase, sowie die Ver-
geichung der Länge der Arme und Beine mit einander ein
ganz besonderes Interesse. So z. B. wechselt die ZaAl der
Pulsschläge in weiten Grenzen: die Congo-Neger (62) und
ihnen zunächst die Hottentotten und Rumänen (64) zeich-
pen sich durch den langsamsten Puls aus; ihnen schliessen
sch die Zigeuner (69), Magyaren und Kaffern (70), Nord-
taren (72) und Siamesen (74) an, welche wieder an Häu-
£gkeit des Pulses von den Sundanesen und Sandwichs-Insu-
lanern (78), den Juden, Javanern, Bugis (77,, dann von den
Amboinesen und Japanern (78) und endlich von den Chi-
N) „Körpermessungen verschiedener Menschenracen”. Von Dr. A.
Weisbach, Regimentsarıt im K. und K. österr.-ungar. Nationalspital
su Osastantinopel. Berlin, Verlag von Wiegandt, Hempel & Parey,
1876. Ein Werk, welches nicht nur dem Verfasser, sondern auch den
mathigen Verlegern, welche in einer so kritischen, für derlei Unterneh-
muagen so ungünstigen Zeit, die Herausgabe desselben unternahmen,
zus grossen Ehre gereicht.
nesen (79) übertroffen werden. Den lebhaftesten Puls unter
den oben genannten Völkern besitzen die Tagalen (80),
die Maduresen und Nikobarer (84).
Es sei mir jedoch die Bemerkung gestattet, dass der
Puls bei Messungen von Halbwilden nur als ein sehr
trügliches Merkmal für die mehr oder minder schnelle Blut-
bewegung betrachtet werden kann. So weit wenigstens
meine persönlichen Erfahrungen reichen, habe ich gefunden,
dass Naturvölker durch die beabsichtigten Messungen stets
in grosse Aufregung versetzt werden und die Zahl ihrer
Pulsschläge im Verhältniss der Erregung sich sofort be-
trächtlich steigert.
Die kleinsten unter den gemessenen Völkern sind die
Hottentotten (1286 mm), deren Körperlänge weit hinter
jener aller anderen zurückbleibt; dann folgen die Tagalen
(1562) und Japaner (1569) mit nahezu gleicher Statur,
ferner die Amboinesen (1594) und Juden (1599); grösser
sind die Zigeuner (1609), Australier (1617), die Siamesen
(1622), Maduresen (1628), Südchinesen (1630) und Niko-
barer (1631); noch grösser sind die Rumänen (1643),
Sundanesen (1646), die Javaner (1657) und Magyaren
(1658), welohe wieder von den Bugis (1661), Nordslaven
(1671), Nordohinesen (1675) und Congo-Negern (1676)
übertroffen werden. Der ansehnlichsten Körpergrösse aber
erfreuen sich die Sandwichs-Insulaner oder Kanaken (1700),
die Kaflern (1753) und die Maoris oder Neu -Seeländer
(1757 mm). Fügen wir, um einen Vergleich anstellen zu
können, die Körperlänge mehrerer europäischer Völker bei,
so ergiebt sich nach den veröffentlichten Messungsangaben,
dass die mittlere Statur der Engländer und Irländer 1690 mm,
der Schottländer 1708, der Schweden 1700, der Norwe-
ger 1728, der Dänen 1685, der Deutschen 1680, der Fran-
zosen 1667, der Italiener 1668 und endlich jene der Spa-
nier und Portugiesen 1658 mm beträgt.
Den grössten Umfang des Kopfes haben die Patago.nier
(614 mm) und die Maoris (600 mm). Diesen folgen mit
abnehmender Grösse die Kaffern (575), Nikobarer (567),
Nordslaven (554), Congo-Neger, Südchinesen und Kana-
ken (553), die Tagalen, Sundanesen und Rumänen ,552),
ferner die Japaner (550), Bugis und Juden (545), Amboi-
nesen (544), Javaner (542) und Hottentotten (540), bis
endlich die Zigeuner und ganz besonders die Siamesen
(529 mm) mit dem kleinsten Umfange die Reihe der ge-
messenen Racen abschliessen.
Körpergrössse und Kopfumfang stehen im Allgemeinen
nahezu im entgegengesetsten Verhältnisse; bei Zunahme
des einen Maasses vermindert sich das andere, wenngleich
auch hier Ausnahmen Statt finden, wie diess die Siamesen
mit kleiner Statur und kleinem Kopfe, so wie andererseits
die Patagonier mit gromem Wuchse und grossem Kopfe
[|
150 | Resultate auf dem Gebiete der Anthropometrie.
beweisen. Im Allgemeinen haben die Malayen (338), Ost-
asiaten (335), Europäer (334) und Polynesier (333) nahezu
gleich grosse Köpfe; die Kaffern und Congo-Neger dagegen
kleinere Köpfe (321).
Die Breite der Nasenwursel, bei den Patagoniern (41 mm)
am ansehnlichsten, vermindert sich bei den Congo-Negern
(36), Australiern, Maoris und Südchinesen (35), den Sunda-
nesen, Amboinesen, Bugis, Nikobarern, Tagalen und Kanaken
(34), den Nordchinesen, Kaffern, Nordslaven, Rumänen,
Magyaren und Zigeunern (33), bis sie bei den Juden, Ja-
panern, Siamesen, Javanern und Hottentotten (32) auf die
geringste Ziffer herabsinkt.
An Länge der Nase übertreffen die Juden, so wie die
gemessenen Patagonier (71 mm) alle übrigen Völker. Unter
diesen gehen die Kanaken (54), Rumänen (53), Nordslaven
und Maoris (52), die Tagalen (51), Japaner und Nordchi-
nesen (50) den Sıamesen, Magyaren, Zigeuner, Maduresen
(49), Amboinesen (48), Nikobarern (47), Sundanesen, Java-
nern, Südchinesen, Kaffern (46) und Hottentotten (44), so
wie den Congo-Negern (42), Bugis (41) und namentlich den
Australiern (30) mit den absolut kürzesten Nasen voran.
Der Breite der Nass nach beobachten die genannten
Völker eine ganz andere Reihenfolge; die absolut breitesten
finden wir bei den Australiern (52 mm), Congo-Negern (48),
Kaffern und Patagoniern (44); schmälere bei den Tagalen
(42), Nikobarern (41), Hottentotten, Sundanesen (40), den
malayischen Stämmen (39), Südchinesen (37), Nordchinesen
(36), und die schmälsten bei den Japanern, Nordalaven,
Rumänen, Zigeunern (35), Magyaren und Juden (34 mm).
Wenn wir die Körperlänge und die grösste Breite des
Gesichtes mit der Nasendreite vergleichen, so kommt eine
ganz merkwürdige Übereinstimmung der verwandten Völker
zum Ausdruck: die Australier besitzen mit den Afrikanern
die breitesten Nasen, die Polynesier wohl etwas schmälere,
aber doch breitere als die übrigen, unter welchen die Sia-
mesen den Malayen, beide wieder den Japanern und Chi-
nesen an Breite der Nase vorangehen, während die Ost-
europäer die schmalsten Nasen zeigen; von diesen bilden
die Zigeuner mit ihren etwas breiteren Nasen gleichsam die
Verbindungsbrücke mit den Asiaten.
Was den Brustkasten betrifft, so haben die amerikani-
schen Indianer und Polynesier einen viel weiteren als alle
übrigen gemessenen Völker; ihnen zunächst kommen die
Nord-, Mittel- und Osteuropäer, dann mit noch engerem
Thorax die Westeuropäer, Neger und erst nach diesen die
Südeuropäer, welchen wieder die ÖOstasisten und zuletzt
die Malayen folgen, die in dieser Beziehung mit den Kaf-
fern jedenfalls minder reichlich ausgestattet sind. Unter
den drei ostasistischen Nationen haben die Japaner den
weitesten, die Nordchinesen den engsten Brustkasten.
Wenn wir die europäischen Völker nach den Stämmen
gruppiren, so finden wir den engsten Thorax bei den Semi-
ten (529), einen etwas weiteren bei den Romanen (532),
Celten (536), Finnen (539) und Zigeunern (540), den wei-
testen bei den Germanen (541) und besonders bei den
Slaven (544).
Ein hohes Interesse knüpft sich an die Verglei-
chung der Längen der Arme und Beine mit einander; bei
den Osteuropäern sind die Beine durchaus länger als die
Arme, trotzdem zu den ersteren eigentlich noch die Höhe
des Fusses fehlt, welche die Beinlänge erst vollständig
macht; bei den Australiern, Polynesiern und namentlich
bei den Ostasiaten und Patagoniern sind die Beine wieder
kürzer als die Arme; bei den Afrikanern haben nur die
Congo -Neger längere, die übrigen aber kürzere Beine als
Arme und endlich bei den Malayen die Mehrzahl ebenfalls
kürzere Beine als Arme, wovon nur die Maduresen und
Tagalen mit längeren Beinen und die Amboinesen, wo beide
Gliedmaassen gleich lang sind, eine Ausnahme machen.
Zieht man die Veränderlichkeit der verschiedenen Kör-
pertheile, bei den untersuchten Völkern in Procenten aus-
gedrückt, in Betracht, so lässt sich feststellen, dass die
Länge (4,1 Proc.) und Breite (4,2 Proc.) des Kopfes, am
Rumpfe die Schulterbreite (6,1 Proc.), so wie die Länge
der Gliedmaassen (des Armes 5,7, des Beines 5,6 Proc.) am
meisten variiren und somit in diesen Theilen die Aauptsäch-
lichsten Unterschiede zwischen den einzelnen Völkern sich
aussprechen. Dieses Ergebniss ist um so wichtiger, als ge-
rade die Länge und Breite des Kopfes für dessen Gestal-
tung (Kurz-, Mittel- oder Langköpfe) maassgebend sind, was
schon von Retzius anerkannt und seitdem als Grundsatz
festgehalten worden ist, wennschon in einer viel zu weit
gehenden Zersplitterung durch Unterabtheilungen, welche
in einem, den ganzen Körper berücksiohtigenden Einthei-
lungssysteme unmöglich Platz finden können.
Die verschiedene Länge der Arme und Beine in ihrem
Verhältnisse zur Gesammtlänge des Körpers ist aus dem
Grunde von nicht minderer Wichtigkeit, weil in ihr einer
der Hauptunterschiede des menschlichen Körperbaues von
jenem der zunächst stehenden Affen beruht, bei welchen
allen (Gorilla, Chimpanse und Orang) die Beine viel kürzer
als die Arme sind.
Die Eintheilung der Menschenracen muss daher noth-
wendigerweise auf die eben angeführten Maasse sich grün-
den, welche die Hauptverschiedenhesten der einzelnen Völ-
ker in sich fassen und ausserdem den anatomischen Bau des
Körpers als Eintheilungsgrundlage hinstellen. Demgemäss
erfolgte auch die Eintheilung der Menschenracen in Kurz-,
Mittel- und Langköpfe, und ferner, je nach der gegenseitigen
Länge der Arme und Beine in /angarmige (die Arme länger
Die Fahrt des Dampfers „Lena” von der Lena-Mündung bis Jakutsk.
als die Beine), in gleschgliedrige (beide gleich lang) und in
kursarmige (die Arme kürzer als die Beine), aus weloher
Bintheilung im Ganzen 18 Varietäten hervorgingen. Davon
stehen die langarmigen prognathen Kurzköpfe dem Typus
der anthropomorphen Affen am nächsten, dagegen die kurz-
armigen, orthognathen Langköpfe demselben am fernsten
and haben daher die Aöchste Stufe des Körperbaues erreicht.
Da nach den vorliegenden Resultaten das Studium der
15]
körperlichen Dimensionen der verschiedenen Völker noch
die meisten Anhaltspunkte zu einer logischen, auf anato-
mischer Basis gegründeten Eintheilung des Menschenge-
schlechtes bietet, so bleibt nur zu wünschen, dass Herr
Dr. Weisbach in seinen bereits von so schönen Erfolgen
begleiteten Untersuchungen unermüdet fortfahren und darin
von den Fachgenossen gleichwie von der Presse kräftigst
unterstützt werden möchte! —
Die Fahrt des Dampfers „Lena” von der Lena-Mündung bis Jakutsk.
Bericht an Herrn Alexander Sibiriakoff.
Von Capitän Johannesen !).
In der Nacht vom 27. zum 28. August trennten wir
uns, wie Sie bereits wissen, vor der Mündung der Lena
von Herrn Prof. Nordenskiöld. Noch im Laufe des Tages
erreichte unser kleiner Dampfer die nördlichste Spitze des
Lena-Delta’s, für welche die von mir vorgenommenen Ob-
verrationen die Position 73° 47' N. Br. und 125° 31’
Ö. L. ergaben?2). Dieser Punkt sollte das Vorgebirge
Tumulle ?) sein, wo ich nach der getroffenen Verabredung
enen Lootsen für die Fahrt durch das Delta vorfinden
wärde. Wen ich aber nicht fand, war der Lootse. Um
nach demselben zu suchen, fuhr ich noch 6 geogr. Meilen
in westlicher Richtung längs des Ufers, kehrte dann wie-
der um und landete an dem erwähnten Punkte. Ich fand
hier eine sehr alte Hütte, welche in diesem Jahrhundert
wohl von keinem menschlichen Fusse betreten worden ist;
im Innern war sie mit Erde angefüllt. Wilde Renthiere
wurden in grossen Mengen bemerkt.
De laut des Contractes mit dem Lootsen vom Cap Ole-
Bek aus Flagge und Signalthurm sichtbar sein sollte, schlug
ich nochmals einen westlichen Curs ein, wobei ich dem
Lande so nahe als möglich blieb. Das Fahrwasser wurde
immer seichter, so dass ich mich bei WSW-Curse 6 geogr.
Meilen vom Lande halten musste und selbst da nur 6 Fuss
Wasser hatte. Von Flaggen oder Signalthurm war Nichts
zu entdecken. Als ich so die Hoffnung aufgeben musste,
mit dem Lootsen zusammenzutreffen, entschloss ich mich,
!) Yergl. die Karte 1879, Tafel 6.
?) Diese Position bedarf jedenfalls der Berichtigung, denn die Nord-
epitze des Lena-Delta’s würde hiernach im Curse der „Voga”, wie
Tafel 2 1879 zeigt, liegen. d. Red.
®, Auf Tafel 6 1879 ist nach russischen Soekarten und Tscheks-
sewakie Bericht das Vorgebirge Tamul als nördlichster Punkt des öst-
mäen Olenek - Ufers angegeben, durch welches Missverständniss das
Verfetien des Lootsen seine Erklärung finden mag. d. Red.
—n
selbst einen Weg durch das Delta zu suchen und dampfte
am 80. August 6 Uhr Nachmittags zurück, um den Archipel
in östlicher Richtung zu umfahren, da die Karten auf die-
ser Seite einen grossen Mündungsarm verzeichnen, auf des-
sen Benutzung auch die Routen der Expeditionen von 1735
—1740 hindeuten.
Mit frischem Winde bei nebeliger Luft behielten wir am
31. August die östliche Richtung noch bei, wobei ich mich
von der Richtigkeit einer Behauptung überzeugte, die ich
am Abende vor unserer Trennung dem Lieutenant Palander
gegenüber gemacht hatte. An jenem Abend hatten wir
nämlich einige Inseln vor uns, welche wir nördlich umfah-
ren mussten, und die ich, was sich jetzt auch als richtig
erwies, zum Lena-Archipel rechnete, während Palander sie
für Inseln ansah, welche der Olenek-Mündung vorlägen.
Das Lena-Delta ist nämlich auf den Karten um 4 Längen-
grade zu weit östlich angegeben, wie diess auch bei der
Chatanga - Bucht der Fall ist. Sechs geogr. Meilen östlich
von der Nordspitze des Lena -Delta’s, Tumulle, liegen drei
Sandbäuke, und muss man, um dieselben zu umfahren,
einen ONO-Curs einhalten. Erst dann wird das Fahrwasser
tiefer, und kann man mit SSO-Curs längs der Ostseite des
Delta’s hinfahren, doch muss man sich mindestens ?/, geogr.
Meilen vom Lande halten. Am 1. September 9 Uhr Nach-
mittags warf ich in einer Bucht (Guba Tiksi?) des Fest-
landes Anker.
Da grössere Schiffe nach meinen Erfahrungen die Mün-
dungsarme des Delta’s unmöglich passiren können, möchte
ich diese Bucht für den geeignetsten Punkt ansehen, wo
die „Lena’” mit dem hierher bestimmten Dampfer zusammen-
treffen könnte. Folgende Bemerkungen werden daher für
die Benutzung des Fahrwassers von Nutzen sein. Dir
Lena -Delta erstreckt sich bis 129° Ö. L. Vor der ge
152 Die Fahrt des Dampfers „Lena” von der Lena-Mündung bis Jakutsk.
nannten Bucht liegt in NNW-Richtung eine lange schmale
Insel, von deren Mitte sich eine Landzunge !) zum Fest-
lande hin erstreckt. Ich habe den Canal zwischen dieser
und einer östlich davon liegenden Insel (Ostrow Mostach ?)
mit 18 Fuss Wasser passirt, möchte aber doch rathen, dass
hierher bestimmte Schiffe die letztere Insel in östlicher
Richtung umfahren und dann dem Feestlande nach Westen
folgen. Hierbei passiren sie zwei kleine, aber steile Inseln
und müssen schliesslich noch eine Insel südlich umfahren,
welche gerade vor der Bucht liegt, wo ich mit ihnen zu-
sammenzutreffen gedenke. Der Witterungs- und Eisver-
hältnisse wegen kann ich mich aber nicht länger als bis
Mitte September aufhalten. Sollte ich mich veranlasst sehen,
vor dem Eintreffen des Schiffes zurückzukehren, so würde
ich an der geeignetsten Stelle die Kohlen, falls ich solche
überhaupt mitbringen kann, aufstapeln und aus Treibholz
weithin sichtbare Zeichen aufrichten.
Nach einem mehr als 24stündigen Aufenthalte, welcher
zur Reinigung der Maschine erforderlich war, lichteten wir
am 3. September 23 Uhr Vormittags die Anker, passirten
die Halbinsel in nördlicher Richtung und suchten den
Mündungsarm zu erreichen, welchen Lieutenant Pronsjewa
(Prontschischtschew ?) 1735 zur Einfahrt benutzt hat. Ich
fand hier auch eine sehr schmale Rinne mit 24 bis 30 Fuss
Wasser, aber um 10 Uhr Vormittags geriethen wir auf
Grund und konnten, zumal die Ebbe mit sehr schnellem
Fallen des Wassers eintrat, trotz aller Arbeit nicht wieder
flott werden. Erst gegen 1 Uhr Vormittags des nächsten
Tages wurde wieder ein Steigen des Wassers bemerkbar,
und um 8 Uhr waren wir nach vieler Mübe endlich wieder
frei. Während wir auf der Untiefe fest sassen, kamen neun
Tungusen in je einem Canoe herangerudert, welches, aus
einem Baumstamme verfertigt, gerade gross genug war,
um einen Menschen zu tragen; sie blieben bei uns, bis der
Dampfer wieder flott wurde. Ich machte ihnen dann durch
Zeichen verständlich, dass sie sich entfernen sollten, was
sie auch sofort thaten.
Bis zum Nachmittage suchte ich jetzt nach einem ge-
ntigend tiefen Fahrwasser, jedoch vergebens, denn fortwäh-
rend geriethen wir in Gefahr, auf Sandbänke zu stossen,
so dass ich endlich die nutzlose Arbeit aufgab, südwärts
steuerte und eine dem Festlande vorliegende Insel umfuhr,
wo die Karten einen breiten Arm angeben. Das Auslothen
der Tiefe war hier mit sehr schwieriger Arbeit und grosser
Mühe verbunden, schliesslich musste ich ein Boot aussetzen,
um den breiten Flusslauf zu suchen, aber ohne Resultat,
denn derselbe existirt gar nicht. Die Karten, welche nach
!) Die so gebildete, im Anfange dieses Jahrhunderts noch mit dem
Festlande verbundene Halbinsel ist bekannt durch den Fund des sogen.
Adam’schen Mammuths 1806. d. BR.
den vor 140 Jahren angestellten Beobachtungen gemacht
wurden, sind eben gänzlich unbrauchbar. Das Delta ist im
Laufe dieser Zeit den vielfältigsten Veränderungen unter-
worfen gewesen. Wo damals nur Sandbänke vorhanden
waren, sind jetzt hohe mit Wald und Gras bedeckte In-
seln; an anderen Stellen dagegen sind damals existirende
Inseln inzwischen verschwunden, indem sie vom Flusse weg-
gewaschen wurden.
Fast rathlos kehrte ich zur Tungusen -Colonie zurück,
um den Versuch zu machen, ob mich einer der Bewohner
als Loootse durch das Delta führen könne, aber es gelang
trotz aller Mühe, welche sich der Dolmetscher gab, nicht,
uns ihnen verständlich zu machen. Ich versuchte deshalb
mein Heil nochmals an demselben Punkte, wo ich der Sand-
bänke wegen schon die Hoffnung aufgegeben hatte, gutes
Fahrwasser zu finden, und war endlich so glücklich, eine
schmale, aber genügend tiefe Rinne hart neben einer trocke-
nen Sandbank zu entdecken. Die Fahrt ging freilich nur
sehr langsam von Statten, da ich oft Boote zum Lothen
vorausschicken musste, aber am 7. September 11 Uhr
Vormittags hatte ich das Delta glücklich durchfahren und
konnte in den Fluss einlaufen, wo das Fahrwasser auch ein
wesentlich besseres wurde. Dass ein grösserer Mündungsarm
der Lena sich in westlicher Richtung ergiessen sollte, er-
scheint mir unwahrscheinlich, denn einestheils strömt im
Verhältniss zu der Wassermenge der Lena ein zu grosses
Volumen in östlicher Richtung, anderentheils aber enthalten
die von mir berührten westlichen und nördlichen Verzwei-
gungen der Mündung nur Salzwasser, während das Wasser
der östlichen Mündungsarme ganz süss und frei von jeg-
lichem Salzgeschmack ist.
Am 8. Vormittags 53 Uhr erreichte ich die erste Nieder-
lassung an der Lena, Tas-Ary, warf Anker und ging mit
dem Dolmetscher an’s Land, um Erkundigungen nach der
Beschaffenheit des Fahrwassers flussaufwärts einzuziehen.
Da aber such hier nur Tungusen wohnten, wurde ich in
dieser Beziehung nioht klüger und fuhr desbalb sofort wei-
ter. Nachmittags 4 Uhr erreichte ich die zweite Nieder-
lassung, Bulun, wo ich auch nur Tungusen vermuthete und
daher gar nicht anzuhalten gedachte. Kaum aber kamen
wir in Sicht, als die Einwohner an’s Ufer eilten und uns
mit Gewehrschüssen begrüssten. Sobald wir Anker gewor-
fen hatten, kamen der Pope und die beiden Aufsichtsbeam-
ten (die dortige Behörde) an Bord, wo der erstere für un-
sere glückliche Ankunft ein Dankgebet gen Himmel sandte.
Es waren Russen, die hier unter den Tungusen ein recht
langweiliges Leben führen müssen. Wir erhielten Proben
der hier gefundenen Steinkohlen, welche auch ganz gut
brennen, doch will ich in Folge meiner späteren Erfahrun-
gen nicht entscheiden, ob sie wirklich brauchbar sind, so-
|
Die Fahrt des Dampfers „Lena”
bald sie allein und ohne Mischung zur Heizung des Kes-
sels Verwendung finden sollen. Da ich erfuhr, dass der
Fluss von Schigansk an zahlreiche Inseln und Sandbänke
enthalte, so dass ohne Lootsen nicht durchzufahren sei,
eogagirte ich einen alten Jakuten, welcher 30 Jahre lang
den Strom befahren hat, für 100 Rubel als Lootsen.
Am 9. Vormittegs 4 Uhr wurde die Fahrt stromauf-
wärts fortgesetzt. Der Pope und die Aufsichtsbeamten be-
gleiteten uns, bis Sektjuk (Siktäch), wo ich dieselben, da
sich diese hohen Personen inzwischen vollständig betrunken
batten, vom Schiffe entfernen musste. Am 11. erreichten
wir eine kleine Niederlassung, aus welcher die Bewohner
an’s Ufer eilten, um uns zu sehen, aber, sobald ich die
Dampfpfeife hatte ertönen lassen, nach dem Walde zu flo-
ben, was sie nur laufen konnten. Am 13. September Vor-
mittags 8 Uhr passirte ich Schigansk und warf '/, Stunde
später etwas stromaufwärts Anker, um Proben der hier
gefundenen Kohlen einzunehmen. Dieselben erwiesen sich
aber als ganz unbrauchbar. Der Fluss erreicht hier eine
Breite von 4 geogr. Meilen und enthält viele Sandbänke
und Inseln; das umliegende Land ist ganz flach. Um
ll Uhr verliessen wir die Kohlengruben und passirten
'', Stunde später den Polarkreis,
Wie am 14., so geriethen wir auch am 15. zwei Mal
auf Grund, das letzte Mal Nachmittags 2% Uhr und kostete
es uns grosse Anstrengungen, wieder frei zu werden. Wir
arbeiteten bis Abends 9 Uhr, als es zu dunkel wurde, mit
Tagesgrauen wurden die Arbeiten wieder aufgenommen,
aber erst um 8 Uhr wareh wir frei. 6 Uhr Nachmittags
ankerten wir an der Mündung des Flusses Wiljui, da die
Weiterreise durch Frostnebel verhindert wurde. Am 17.
mussten wir Nachmittags 7 Uhr landen, um Holz zu schla-
gen, da die Kohlen schon stark auf die Neige gingen; diess
beschäftigte uns bis 1 Uhr Nachte. Um 5 Uhr Morgens
dampften wir weiter, aber nur sehr langsam, da wir mit
der Holzbeizung keinen grösseren Dampfdruck erhalten
konnten als 40 Pfund, während wir mit Kohlen 70 bis
% Pfund erzielten. Wir waren alle mit Sägen und Spal-
ten des Holzes beschäftigt, als um 9 Uhr Etwas in der
Maschine platzte, so dass Anker geworfen werden musste;
est am Nachmittage konnte die Fahrt fortgesetzt werden.
Am 19. psssirten wir um 9} Uhr Vormittags die Mündung
des Aldan, Nachmittags 5 Uhr hatten wir wieder Holz-
mangel, waren aber so glücklich, ohne grosse Arbeit sehr
von der Lena-Mündung bis Jakutsk. 153
trockenes und gutes Holz zu bekommen, denn am Ufer
stand eine verlassene Jakuten-Hütte, von welcher der Fluss
schon eine Seite weggeschwemmt hatte, während wir die
drei anderen mitnahmen. Dieses Holz reichte bis Jakutsk,
wo wir am 21. September 10 Uhr Vormittags ankamen
und von den Einwohnern sehr freundlich empfangen wurden.
Da ich nach der Verabredung, die wir vor meiner Ab-
reise getroffen hatteu, von hier aus über Land nach Hause
zurückkehren sollte, Herr Kolessoff, an den ich mich wegen
Ablohnung der Mannschaft &o. zu wenden hatte, aber nach
Witim gefahren war, so entschloss ich mich, ibm mit dem
Dampfer dorthin zu folgen, weil ich dadurch auch fast den
halben Weg bis Irkutsk sparen konnte. Nachdem ich gutes
Holz eingenommen batte, die Maschinisten inzwischen auch
vertrauter geworden waren, damit zu heizen, dampften wir
am 28. September von Jakutsk ab und kamen auch ziem-
lich schnell vorwärte. Am 8. October war ich nur noch
220 Werst oder 30 ‘geogr. Meilen von Witim entfernt, als
wir bei dem Dorfe Njaskaja mit Herrn Kolessoff auf dessen
Rückreise zusammentrafen und auf seine Mittheilung, dass
bei Witim der Fluss nicht mehr genügende Tiefe besässe,
mit ihm zurückzukehren beschlossen. Leider wurden wir
durch seine Geschäfte so sehr aufgehalten, dass nicht mehr
daran zu denken war, Jakutak zu erreichen. Am 13. traf
ich 30 Werst nördlich von Olekminsk auf Eis, welches so
schnell zunahm, dass ich am folgenden Tage den Dampfer
in einer Bucht auf den Grund fahren liess, wo er durch
eine kleine Landzunge gegen Eisandrang geschützt lag.
Am 15. trat mit westlichen Winden glücklicherweise wie-
der mildes Wetter ein und gelang es jetzt, die „Lena’” in
ihren Winterhafen 185 Werst oberbalb Jakutsk zu bringen.
Nachdem auf dem Dampfer Alles in den Schiffsraum ge-
bracht, Thüren und Luken verschlossen und versiegelt wor-
den waren, kehrten wir am 22. October per Schlitten nach
Jakutsk zurück. Ich habe noch einige Reisen gemacht,
um geeignete Kohlen zur Heizung des Dampfkessels aufzu-
finden, doch bisher ohne günstigen Erfolg. In nächster
Zeit werde ich zu demselben Zwecke eine Expedition zum
Aldan machen, wo sich bessere Kohlen befinden sollen.
Gelingt es mir dort, solche zu finden, so müssten sie per
Prabm bis Schigansk transportirt werden, um die „Lena”
damit zu beladen, da der Fluss bis dortbin zu flach ist,
Von Schigansk bis Bulun und sogar bis zum Delta besitzt
der Strom genügende Tiefe für die grössten Schiffe.
LE BAT BELLE LT BE MEGA Er A LETELRAE LE LTE Dal
Petarmaan’s Geogr. Mittbeillangen. 1879, Heft IV.
20
154
Geographischer Monatsbericht.
Europe.
Seit seinem Eintritt in das Statistische Bureau in Ber-
lin hat Dr. Henry Lange zwar seiner früheren hervorra-
genden Thätigkeit als Kartograph keineswegs entsagt, von
grösseren Werken indessen, wie seinem Schul- und Hand-
Atlas, Atlas von Sachsen &c, &c. ist seit jener Zeit nur
wenig zu vermelden gewesen. Um so angenehmer über-
rascht seine soeben bei A. Pockwitz in Stade herausgekom-
mene vierblätterige, zum Zusammensetzen eingerichtete
„Wand-Karte der Horsogthümer Bremen und Verden und des
Landes Hadeln (Landdrostei Stade)” im Maassstab von
1:100000 der natürlichen Länge. Das wegen dem Mangel
jeder grösseren Erhebung keineswegs günstige Terrain für
eine Wandkarte ist dem routinirten Verfasser augenschein-
lich wieder einmal eine erwünschte Gelegenheit gewesen,
seine ganze Erfahrung und Fertigkeit in der Anordnung
und Bewältigung der hier vorzugsweis in Betracht kom-
menden Momente zu zeigen. Überall deutlich und bestimmt,
ist namentlich seine Darstellung und Auseinanderhaltung
der Marsch, der Moore und Brüche eine ausserordentlich
glückliche, welcher sich in der Elbe, Weser und Nordsee
die Watten nach den neuesten Aufnahmen des Kaiserlich
Hydrographischen Bureau’s und des Hamburger Senats in
ansprechender Signatur anreihen. Auf die Vollstähdigkeit
im Eisenbahn- und Strassennetz ist besondere Sorgfalt ver-
wandt, die zahlreichen Leuchtfeuer markiren sich in ange-
messener Weise, und die Ortschaften sind je nach der Ein-
wobnerzahl in vier Klassen geschieden. Die Einzeichnung
und farbige Hervorhebung der Kreis- und Amtsgrenzen,
so wie die vorhin genannten Eigenschaften machen die
Karte gleichmässig für die Schule, das Haus und Bureau
geschiokt. Das etwas skizzenhaft und dabei doch detaillirt
gehaltene Terrain in braunem Ton, meist nur Flussränder
und einzelne Hügel, wirkt aus der Entfernung besser als
bei näherem Betrachten. In der Ecke links unten sieht
man zwei interessante Cartons der Umgegend von Üux-
haven und Stade in grossem topographischen Maassstab.
Die recht gelungene technische Herstellung hat die Geogr.
lith, Anstalt von C. Korbgeweit in Berlin besorgt.
Die deutsche Sprachinsel @otischee in Kran behandelt
ein Vortrag des Frhrn. C. v. Czoernig in der „Zeitschrift
des Deutschen und Österr. Alpenvereins” (1878, Heft 3).
Danach sind von Deutschen bewohnt: der Gerichtebezirk
Gottschee mit Ausnahme der slovenischen Orte Kostel und
Össiuniz; vom Gerichtebezirk Tschernembl die Orte Stocken-
dorf, Maierle, Bresoviz, Saderz, Tscheplach und Winkel;
vom Gerichtsbezirk Möttling die Orte Bresie, Gaber, Per-
bische, Rosenthal, Sela, Wertschitsch und Semitsch; vom
Bezirk Rudolfswerth die Orte Tschermoschnitz (fast ganz)
und Pöllandl; vom Gerichtsbezirk Seisenberg der grösste
Theil des Ortes Langenthon ; und vom Gerichtsbezirk Reif-
nitz die Gemeinde Masern. Die Zäblung von 1869 ergab
für diese sämmtlicben Orte eine Bevölkerung von 21301
Seelen, und rechnet man dazu ca 3540 Männer, die zur
Zeit der Zählung als Hausirer abwesend waren, so er-
hält man für die Gottscheer-Deutschen die Gesammtzahl
von 24841 oder nach Abzug der unter ihnen wohnenden
Slovenen (ca 1000), aber mit Berücksichtigung der natür-
lichen Vermehrung für die Gegenwart die runde Zahl 25 000.
Auf einer beigegebenen Karte sind die rein deutschen Ge-
biete von den slovenischen und den gemischten unterschieden.
Über die Zeit des Zufrierens und Aufgehens der Seen in
Schweden haben H. Hildebrand Hiuldebrandsson und Ü. A.
Rundlund der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Up-
sala eine kurze, aber inhaltreiche Arbeit eingereicht !). Eine
Tabelle giebt für eine grosse Anzahl von Seen Position,
Höhe über dem Meere, Datum des Zufrierens und Auf-
gehens mit der Zahl der Tage, um welche dieses Datum
schwankt, und die Dauer der Eisbedeckung nach Tagen; auf
drei Karten aber sind Curven des gleichzeitigen Gefrierens,
des gleichzeitigen Aufgehens und der gleichen Dauer der
Eisbedeckungen gezogen. Aus dem Verlauf dieser Curven
ersieht man, dass der Winter von Nordosten her seinen
Einzug in das Land hält, und zwar frieren die Seen des
nördlichen Schwedens im Innern des Landes früher als an
den Küsten und namentlich auch als nahe der norwegischen
Grenze. Diess letztere Verhältniss ist um so auffallender,
als die Seen in der Nähe der norwegischen Grenze die
höchstgelegenen des Landes sind, und dass sie trotzdem
erst um den 20. November, d. h. um dieselbe Zeit wie die
Seen bei Stockholm, zufrieren, glauben die Verfasser der
Einwirkung des Golfstromb zuschreiben zu müssen. Weiter
im Süden, wo der breiteste Theil Norwegens den Einfluss
des Atlantischen Meeres abschwächt, frieren dagegen die Seen
auf dem Plateau südlich vom Wettersee ebenso früh zu
(10. Novbr.) wie im Norden bei Umeä. Merkwürdigerweise
aber verlieren die hochgelegenen Seen an der norwegi-
schen Grenze am spätesten von allen (10. bis 20. Juni)
ihre Eisdecke. Der Einfluss des Atlantischen Meeres, der
sich im Herbst so fühlbar machte, ist also im Frübjahr
nicht zu bemerken.
Karl Petitersen in Tromsö hatte die Güte, uns als
Separatabdruck aus den „Tromsö Museums Aarshefter”
(I, 1878) seine Abhandlung über Jangsame säoulare Hebung
oder Senkung von Continentalmassen („Continentalmassers lang-
somme seculare stigning eller saenkning”) zu schicken, die
sich natürlich vorzugsweis mit Skandinavien beschäftigt. Die
Hebung Skandinaviens in jüngster geologischer Vergangen-
heit (mit Ausnahme Schonens) ist ja freilich über allen
Zweifel erhaben, aber ob sie langsam und ihrer Geschwin-
digkeit nach gleichmässig oder aber „stossweise”, „ruck-
weise’, d. h. mit dazwischen liegenden Ruhepausen vor
sich gegangen, darüber ist unter den skandinavischen Ge-
lehrten, namentlich seit etwa einem Jahrzehnt, heftiger
Streit. Pettersen und Sexe sind für das Erstere, Kjerulf,
der bedeutendste Geolog Norwegens, für das Letztere. Kje-
rulf hat diese seine Meinung begründet durch den Hinweis
1) auf die Terrassen (Anhäufungen losen Materials mit an-
scheinend fast horizontaler, in Wirklichkeit ein klein wenig
thalabwärts geneigter ebener Oberfläche und steilem Ab-
sturz unter einem Winkel von 25 bis 30° am unteren
!) Prise et döbäcle des lacs en Sudde, automne 1871 — prin-
temps 1877. Upsala 1879.
Geograpbischer Monatsbericht, 155
Ende), welche sich fast in allen Thälern Norwegens deut-
lich und in einer Mehrzahl gefunden haben, aber hie und
da auch abseits der Thalausgänge an den Küsten vorhan-
den sind; und 2) auf die „alten Strandlinien’”, horizontale,
bald in nur kurzen Stücken erhaltene, bald in langen Bah-
nen und oft zu zweien oder zuweilen sogar dreien über
einander zu verfolgende wegartige Einschnitte in die Fels-
hänge, welche sich von Weitem wie scharfe Horizontal-
linien über den Fels gezagen ausnehmen, in der Nähe aber
nicht selten undeutlich (weil stark zerstört) sind, oft aber
und namentlich im nördlichen Norwegen genau so aus-
sehen, wie wenn man dort durch seitliche Einsprengung in
die Felswand einen Weg angelegt hätte. (Einiges Nähere
über die „Strandlinien” findet sich in Dr. Lehmann's Be-
sprechung (Nr. 187) einer Mohn’schen Schrift in der Jen.
Lit-Zeitung 1878, Nr. 12.) Kjerulf’s Gegner haben diese
Beweise zu entkräften versucht und auch Pettersen hat in
seinem Gebiet die Beweise einer langsam gleichmässigen
Hebung zu erbringen sich bemüht. Er bat davon schon
in verschiedenen Schriften 1872, 1874, 1878 gehandelt.
Der vorliegende Aufsatz knüpft nun an an die Beobach-
tung einer grösseren Zahl von horizontal verlaufenden leich-
ten Furchen im sanft geneigten (aus Band mit Muscheln
bestehenden) Unterland des nördlichen Theiles der Troms-
insel (Tromsö), welche er im vorigen Jahre von einer Höhe
aus entdeckte und dann näher untersuchte. Diese Furchen,
in der Nähe nicht immer leicht wiederzufinden, steigen
vom gegenwärtigen Meeresspiegel bis etwa 8 m Höhe über
demselben empor und gleichen denjenigen, welche das Meer
auch noch heute an sandiger Küste nach etwas höherem
Wellengang hinterlässt. Bis 8 m steigt nun bier fern von
der offenen See der Wellengang bei weitem nicht, hier liegt
also die Spur einer Hebung vor und zwar, so folgert der
Verfasser weiter, die Spur einer ganz gleichmässigen —
denn sonst wlirde die See tiefere Einschnitte in den Höhen
der Wasserstände der Ruhepausen hinterlassen haben. Also
für die letzten 10 bis 12 m, so fährt er fort, muss die
Steigung dieser Gegenden ganz gleichmässig gewesen sein.
Nun baben aber die von Mohn gemachten Beobachtungen
‘worüber die erwähnte Recension nachzulesen) eine ziem-
liche Gleichartigkeit der Hebung für die ganze Küste von
Bergen bis zum Varangerfjord (russ. Grenze) gezeigt, und
Verfasser hat sich auch selbst durch Begehung weit aus-
gedehnter „Strandlinien”’ von deren Horizontalität über-
seagt. So sei es, meint er, sehr wahrscheinlich, dass diese
gleschmässige Bewegung sich über diesen ganzen Strich
ausgedehnt habe (jedenfalls sei für die „ruckweise” oder
„stossweise” Hebung durchaus kein zureichender Beweis
erdeacht). Bei anderen grossen Hebungen, fährt er weiter
fort, sind die grossen Dislocationen da, hier fehlen sie für
jene Zeit, und die betreffenden jüngsten Bildungen, eben
jene Bänke von Band, Geröll, Thon, Muscheln (die Ter-
rassen) sind für die ganze Küste gleichartig vorhanden.
Gewiss sei eine Reihe von Hebungen und Senkungen des
Landes auf der Erde wirklich vorbanden, aber von mehr
localer Natur —, so allgemeine und weit verbrei-
tete und, wie er glaubt, gleichmässige Niveauveränderungen,
wie die erwähnten Norwegens, würden ihm eher durch die
Annahme eines veränderlichen Meeresstandes erklärlich sein.
Wäre soiche Annahme gestattet, so würde sich, meint er,
alles in Norwegen ganz wohl erklären. Freilich gestatte
der Stand des Materials in dieser Frage noch keinen defini-
tiven Schluss.
Eine in dem grossen Verlag von Eugene Belin in Paris
erschienene „Carte Aypsometrique de ls France” in 9 Sec-
tionen und im Maassstab von 1:800000 (nicht, wie im
Titel irrthümlich angegeben 1,800000), bearbeitet von
H. Pigoonnsau und F. Drivet, Namen von gutem Klang,
stellt sich bei näherer Betrachtung als eine so tüchtige
Leistung und von so reichem Inhalt heraus, dass wir die-
selbe an dieser Stelle nicht mit Stillsohweigen übergehen
dürfen. Der Hauptsache nach auf den (Generalstabsauf-
nahmen von Frankreich und den angrenzenden Ländern
beruhend — von Deutschland und der Schweiz wurden
auch die beztiglichen Arbeiten von Papen, Stieler und
Ziegler benutzt — , gewährt die zusammengesetzte Karte
in ihrer Ausdehnung bis tief in Spanien, Italien, die
Schweiz, Deutschland und Belgien hinein ein respeotabeles
Bild der extremen Höhenverhältnisse von den Alpen und
Pyrenäen bis zum Meer, das als Übersicht betrachtet, na-
mentlich für alle Diejenigen, welchen das Lesen und Ver-
stehen einer Karte nicht so geläufig ist, verständlicher wirkt,
als diess z. B. eine schraffirte Karte zu thun im Stande
wäre. Sechszehn Höhenschichten in Stufen von 100, 20U
und weiter nach oben von 400 m sind durch 12 Farben
auseinander gehalten, deren Anordnung, bez. Aufeinander-
folge zwar nicht jedes Mal als mustergültig zu betrachten,
dafür aber überall deutlich ist. Darüber liegt in an-
spreohender Signatur der Wald. Die nach M. Delesse ein-
gezeichneten Linien gleicher Meerestiefe in Abständen von
50, 100 und tiefer von 500 m ergänzen das hypsometri-
sche Bild, dessen hauptsächlichste Punkte durch einge-
schriebene Höhenzahlen markirt sind. Was vielleicht aus
dem grossen Maassstab der Karte zu vermuthen, nicht aber
aus dem Titel derselben zu erwarten, das ist ihre überaus
grosse Vollständigkeit in der Bitustion und anderen An-
gaben, die ihr die Eigenschaft einer Specialkarte ver-
leihen. Während die politische Bedeutung der Orte, ob
Depertements-, Arrondissements- oder Cantons-Hauptort,
aus der Schrift zu erkennen, sind die verschiedenen Zeichen
maassgebend für die Einwohnerzahl derselben, welche in
sieben Stufen von 3000 bis über 100000 Seelen wechselt.
Dem entsprechen die eingestochenen Grenzen bis herab zum
Arrondissement, wie nicht minder die dreifach unterschie-
denen Wegeverhältnisse, die zahlreichen in Betrieb und im
Bau befindlichen Eisenbahnen und Canäle und manches
andere Detail. Und wenn wir nicht hin und wieder, so
z. B. in den Cottischen und Meer-Alpen, manchen Namen
ungern vermissten, so wie den Umstand, dass sich Schrift
und Zeichen nicht immer zweifellos decken, als störend be-
zeichnen müssten, vielleicht auch für die Bergnamen eine
mehr unterscheidende Schrift zu wünschen hätten, so wür-
den wir dieser Carte hypsometrique nach ihrer wissen-
schaftlichen und inhaltlichen Bedeutung ein nahezu unein-
Lob zollen. Was die technische Seite betriflt,
so lässt der schwarze Umdruck gleich anderen Karten,
welche aus Frankreich, resp. Paris stammen, an Schärfe
Manches zu wünschen übrig, auch könnten die Farben der
Höhenschichten oft besser aneinander passen. Nichts desto
weniger macht die Karte in ihrer Gesammtheit den an-
„u *
156 Geographischer Monatsbericht.
genebmsten Eindruck, und wenn wir uns dabei der früher
erschienenen brillanten Wandkarte von Erhard. und anderer
schon hier genannten Karten über Frankreich von franzö-
sischen Autoren erinnern, so mag das für uns Deutsche
eine beachtenswerthe Mahnung sein, uns nicht von dort,
wo man bisher unsere Präponderanz in kartographischen
Dingen ohne weiteren Vorbehalt anerkannte, einholen oder
gar überflügeln zu lassen.
Die bereits im vorigen Jahre auf der Pariser Welt-
ausstellung gesehene und dort prämiirte l5blätterige „Carta
geografica postale d’Italia”’ im Maassstab von 1:400000,
welche nach den Angaben des Präsidenten der Postverwal-
tung des Königreichs Cav’* Felice Salivetto von dem Secre-
tär ebendaselbst Domenico Marchisio gezeichnet und in der
litbograpbischen Anstalt der Gebrüder Doyen in Turin
lithographirt und veröffentlicht worden ist, liegt nunmehr
in officieller Ausgabe — bis Ende 1878 — vor uns und
fordert gleichmässig durch ihre Grösse, ihren erschöpfenden
Inhalt und die harmonische Ausführung der einzelnen Blät-
ter unser Interesse heraus. In dem ziemlich ausführlich
vorbandenen Gerippe der Karte, die Gewässer blau ‘und
das Terrain in zurücktretender silbergrauer Farbe, letzteres
oft etwas verschwommen, liegt das gesammte Eisenbahn-
und Strassennetz Italiens mit seinen Verzweigungen bis in
die entferntesten und kleinsten Orte, so weit solche noch
mit der Post in irgend einer Verbindung stehen. Die
Eisenbahnen mit ihren Stationen sind schwarz eingezeichnet
und ein Vergleich verschiedener dieser Linien mit den
hier vorhandenen Original-Trac&es ergiebt eine hinreichende
Genauigkeit, Das nach seiner Wichtigkeit, bez. Fahr- und
Gangbarkeit in 3 Klassen geschiedene Strassennetz zeigt
die Entfernungen zwischen den einzelnen Ortschaften in
Kilometern an und ist gleichwie die nach ihrer Bedeutung
hervorgehobenen Ortszeichen entweder roth oder schwarz
eingedruckt, je nachdem dort Postverkehr Statt findet oder
nicht. Dabei ist genau ersichtlich gemacht, welche der
verschiedenen Postbehörden, vom Ober-Postamt herab bis
zur niedersten Stelle in dem betreffenden Orte ihren Sitz
hat. Provinz- und Distrietsgrenzen sind schwarz einge-
stochen. Was nach der technischen Seite hin unseren be-
sonderen Beifall verdient, ist die auf allen Sectionen überaus
gleichmässig aufgetragene blaue Farbe, wie denn überhaupt
die ganze Karte nach dieser Richtung eine recht aufmerk-
same Belıandlung erkennen lässt. Vielleicht wäre es rich-
tiger gewesen, den zur Zeit in voller Trockenlegung be-
griffenen Lago Trasimeno, ebenso wie diess beim früheren
Lago di Fucino geschehen, schon jetzt als Land zu zeigen.
Keinenfalls wird es einem Zweifel unterliegen, dass eine
derartige so zuverlässige Karte auch ausserhalb Italiens,
besonders Reisenden dorthin, eine sehr nützliche Hülfe zu
gewähren im Stande ist.
Von dem „Annuarso statistico per la provincia di Udine”,
das 1876 von der Akademie der Wissenschaften zu Udine
zum ersten Mal herausgegeben wurde, liegt jetzt der zweite
Band mit der Jahreszahl 1878 vor, eine Publication, die für
die speciellere Kenntniss der Provinz von grösstem Belang
und unentbehrlich ist. Zu der im ersten Bande eingehend be-
bandelten Orographie sind mehrfache Nachträge gegeben,
während die ausführlichen Kapitel über Hydrographie und
Geologie diess Mal weggeblieben, Klima und Bevölkerung
auch nur kürzer behandelt sind, wogegen der zweite Band,
namentlich Production, Industrie und Unterrichtswesen, auf
Grund eines reichen statistischen Materials darlegt.
Bei einigen Bergbesteigungen in Griechenland fanden
1878 die Herren F. E. Blackstone und F. F. Tuckett ')
mittelst Aneroid und Kochthermometer ziemlich beträcht-
liche Differenzen mit der Carte de la Gröce des Depöt de
la guerre von 1852. Es beträgt die Höhe des
nach der franz, Karte nach Tuckett
Dirphe od. Delphi in Eubda 1745m — 5725 engl. F. 1770,8m = 5809 e. FE.
Parnass . . . 2459 =8068 » 2517,4 = 8259 »
Zirie od. Cyllene in Morea 2374 = 7789 nn 2446 =8025 n
Fast übereinstimmend damit ergaben Beobachtungen mit
einem Heberbarometer, die Franz Heger auf einer 1876 mit
Dr. A. Bittner unternommenen Reise durch Nord-Griechen-
land ausführte, für den Parnass die Höhe von 2522 Meter.
Daraus zu schliessen, dass die Höhenzahlen der französi-
schen Karte unzuverlässlich, namentlich viel zu niedrig
seien, wäre indess voreilig, denn im Allgemeinen bewährten
sich dieselben nach Heger’s Erfahrung ziemlich gut, wie
aus folgender Nebeneinanderstellung ersichtlich:
franz. Karte Heger franz. Karte Heger
Acropois . . „ 154 154 Moriki . . 113 114
Hymettus . . . 1027 1039 Ptous . . . . 726 743
Pontelicon . . . 1110 1119 Klomo . . . .1081 1101
Parnes . . . . 1413 1423 ÜÖernoki . . . 9%6 930
Listbani . . . 236 235 Arachova . „ . 985 982
Beletsi . . . . 841 848 Parnas. . + 2459 (?) 2522
Sagmata . . . 749 759 Arguliki . . .„. 559 562
Dass die Heger’schen Beobachtungen meist um einige
Meter höhere Ergebnisse lieferten, schreibt er selbst dem
Umstand zu, dass sie auf den höheren Berggipfeln meist
um die Mittagszeit ausgeführt wurden. Beim Parnass gilt _
die Zahl der französischen Karte möglicherweise nicht für
den höchsten Gipfel. Die 224 Höhenbestimmungen Heger’s
findet man im 40. Bande der Denkschriften der mathemat.-
naturw. Classe der Wiener Akademie der Wissenschaften.
Asien.
R. F. Burton’s „7he Land of Midian revisited” (2 Bde.
London, Kegan Paul, 1879), das Werk tiber seine 1877—78
unternommene zweite Bereisung von Midian, deren Verlauf
und wesentlichsten Resultate in einem unserer früheren Mo-
natsberichte (1878, 8. 275) berührt wurden, gehört zu dem
Besten , was Capt. Burton geschrieben hat, keins seiner
Werke seit dem Buch über die Reise nach dem Tanganjika
enthält so viel positiv Neues für die Geographie, als dieses.
Man vergleiche nur G. A. Wallin’s Kärtchen seiner grossen
Reise durch Nord-Arabien mit der von ägyptischen Gene-
ralstabs-Officieren unter Burton’s Leitung angefertigten. Auf
jener (Journal of the R. Geogr. Society, 1850 und 1854), die
allerdings eine sehr viel grössere Ausdehnung landeinwärts
hat, findet man für den ganzen Küstenstrich, der Burton’s
Reisegebiet abgab, die Orte Moila und Wedge nebst eini-
gen wenigen Landschaftenamen ; Burton’s Karte dagegen
enthält in fünf Mal grösserem Maassstab eine Fülle von
topograpbischen Objecten, ein dichtes Netz von Wadis, ein
reich gegliedertes Terrain mit einer Menge von örtlichen
}) Mountain excursions in Greece The Alpine Journal, Februar
1879, p. 157.
Geographischer Monatsbericht. 157
Benennungen. Keine der bisherigen Karten, die sich in
der Hauptsache nur auf Wallin stützen, bietet auch nur
annähernd etwas so Vollständiges. Burton selbst bezeichnet
die Karte nur als eine provisorische und weist auf die
Nothwendigkeit einer regelrechten Vermessung hin für den
Fall, dass die Bearbeitung der aufgefundenen zahlreichen
Erzlager in Angriff genommen werden sollte; aber als die
erste ausführliche Karte des Landstriches, in wenigen Mo-
naten auf raschen Recognoscirungen hergestellt, verdient sie
alle Anerkennung und ist als eine der wesentlichsten Be-
reicherungen unserer Karten von Arabien hoch willkommen.
Auch der Text ist reich an mannigfaltiger Belehrung über
ehemalige und gegenwärtige Verhältnisse des so selten be-
suchten, von der Welt fast vergessenen, und doch in so
mancher Beziehung interessanten J,andes.
Der italienische Reisende AR. Manzon! hat von Sanah
plötzlich nach Aden zurückkehren müssen, weil sich der
Fanatismus der mohammedanischen Bewohner gegen ihn
erhoben hatte. Er floh während der Nacht, und obgleich
der Gouverneur von Sanah mit 20 Maria-Theresien-Thalern
Strafe Jeden bedrohte, der dem Flüchtling Unterkommen
oder Nahrung gewähre, kam er doch glücklich und wohl-
behalten nach Aden. Es ist dieser gezwungene Rückzug
um so mehr zu bedauern, als Manzoni im Begriff stand,
seine Wanderungen von Sanah aus fortzusetzen.
General A. HZ. Schindler's Reisen im südwestlichen Per-
sin 1877 — 78 veröffentlicht Prof. Kiepert in der „Zeit-
schrift für Erdkunde zu Berlin” (1879, Heft 1), die schon
1877 die Reise des Generals von Semnan nach Meschhed in
Nord-Persien gebracht hatte. Im Maassstab von 1:600000
ist die Route von Burudjird über Chorremabad, Dizful,
Schuschter, Ispahan und zurück nach Burudjird mit Ab-
zweigungen von Schuschter südwärts bis zum Schatt-el-
Arab auf einer Karte dargestellt, während der Text ausser
den wünschenswerthen Wegebeschreibungen auch Höhen-
messungen, statistische Angaben und dergl. bietet.
Über die Organisation des russischen Gebietes im Osten
vom Kaspischen Meer lesen wir in den „Iswestija der Kau-
kasischen Abtheilung der Kais. Russ. Geogr. Gesellschaft,
Bd. V, 1878, Nr. 4”, folgende, auf officiellen Documenten,
besonders dem Rechenschaftsbericht des Chefs der trans-
kaspischen Militärabtheilung, Generalmajor Lomakin, beru-
hende Angaben:
„Nach verschiedenen bis zu Peter dem Grossen hinauf-
reichenden Versuchen, sich im Osten des Kaspischen Meeres
festzusetzen, ist es den Russen erst mit der Besitznahme
von Krasnowodsk im Jahre 1869 gelungen, trotz des 1870
ausgebrochenen Aufstandes der Kirgisen von Mangischlak,
vollständig festen Fuss daselbst zu fassen. Krasnowodsk
wurde hauptsächlich aus dem Grunde besetzt, um eine Basis
zur Anknüpfung von Handelsverbindungen mit den central-
asiatischen Märkten zu gewinnen. Durch die 1870, 1871
und 1872 von hier aus unternommenen Recognoscirungen
machten sich die Russen mit dem Lande bekannt, und be-
festigten sie ihren Besitz.
„Durch die Verordnung von 1874 wurde der occupirte
Landstrich unter dem Namen „Transkaspische Militär-Abthei-
lung” organisirt und unter die Oberverwaltung des kauka-
sischen Statthalters gestellt; er reicht von dem Meerbusen
Mertwy-kultuk bis zum Flusse Atrek und vom Ostufer des
Kaspischen Meeres bis zur Westgrenze des Chanats Chiwa.
Die Localverwaltung ist dem Chef der Militär-Abtheilung,
der seinen Sitz in Krasnowodsk hat, übertragen. Das Ganze
zerfällt in die beiden Unterabtheilungen (Pristawstwo, d. h.
ein unter einem Pristaw, Aufseher, stehender Bezirk) Kras-
nowodsk und Mangischlak, deren Grenze eine Linie durch
die Meerenge Karabugas, durch den Busen gleichen Na-
mens, über die Brunnen Iltedsche und Aibugir bezeichnet.
Der Pristaw von Mangischlak hat seinen beständigen Aufent-
halt im Fort Alexandrowski, die Verwaltung von Krasno-
wodsk führt der Chef der Provinz selbst.
„Die nomadische Bevölkerung wird in administrativer
Hinsicht in vier Woloste (Gemeindebezirke) getheilt, die
ihrerseits wieder in Aule (Dörfer) zerfallen. Erstere stehen
unter Verwaltern, letztere unter Ältesten, die alle vom
Chef aus den Eingeborenen erwählt werden. Die vier Wo-
loste sind: 1) die Busatschische mit 3356 Kibitken auf der
Halbinsel Busatschi; 2) die 'Tjub-karagan’sche mit 1909
Kibitken im Süden der ersteren, von dieser durch die Ge-
birge Ak-tau und Ak-dshul geschieden; 3) die Mangischlak’-
sche mit 2295 Kibitken, den östlichen grösseren Theil der
Halbinsel Mangischlak zwischen den in den Uferstrichen
des Kaspischen Meeres nomadisirenden Turkmenen und dem
Ust-urt einnehmend, während im Süden eine Linie über
die Brunnen Defe-tscheganak und Karry-schagly die Grenze
bildet; 4) die Turkmenische mit-800 Kibitken auf dem
westlichen kleineren Theil der Halbinsel Mangischlak. Die
zuletzt genannte Wolost hat turkmenische, die anderen
haben kirgisische Bevölkerung.
„Es soll jetzt aus den zur Pristawstwo Krasnowodak
gehörigen turkmenischen Jomuden, die zwischen Krasno-
wodsk und dem Karabugas und auf den Inseln Tscheleken
und Ogurtschinsk nomadisiren, eine neue Wolost, die Kras-
nowodskische, gebildet werden, die ca 1200 Kibitken um-
fassen würde. Die zwischen Krasnowodsk und dem Atrek
nomadisirenden Turkmenen haben ihre Winterlager zwischen
Atrek und Gurgen auf persischem Gebiet, ohne jedoch die
persische Oberhoheit anerkannt zu haben. Im Sommer
überschreiten sie den Atrek und ziehen acht Monate lang
auf russischem Gebiete umher. Auf diese Nomaden bezie-
ben sich die Vorschriften vom 13. August 1874, die haupt-
sächlich den Schutz der Russland unterworfenen Stämme
und des Handels bezwecken; in ihre inneren Angelegen-
beiten mischt sich die russische Verwaltung nicht.
„Die russische Bevölkerung Transkaspiens steht unter
den allgemeinen russischen Gesetzen, die jedoch den loca-
len Verhältnissen angepasst sind, und bewohnt die Forts
Krasnowodsk und Alexandrowski und das Dorf Nikolajews-
kaja. Nur die beiden ersteren haben die Rechte der Step-
penstädte; das Dorf Nikolajewskaja ist dem Civilressort über-
wiesen, hat aber seine Freiheiten in Betreff der Steuern,
des Fischfanges und der Salzausbeute behalten.
„Krasnowodsk, das 1874 nur aus den Militärbaracken,
einem ÖOfficierwohnhause, der Kirche und zwei oder drei
Blockhäusern, sonst aber nur aus Erdhütten und Kibitken
bestand, hat jetzt gegen 50 kleine, aber hübsche und be-
queme, meist massiv gebaute Häuser mit 85 Wohnungen
und 77 Läden und ein Militärcasino. Zur Erbauung von
weiteren 15 Häusern und einem persischen Badehause ist
die Genehmigung ertheilt. Der Ort zählt ohne das Militär
_
158 Geographischer Monatsbericht.
427 Einwohner (Russen, Armenier, Perser), darunter 284
Männer, 98 Frauen und 45 Kinder. Es sind daselbst fast
alle nothwendigen Handwerke vertreten. Das Fort Alexan-
drowski, dessen Verhältnisse sich weniger schnell entwickeln,
hat nur 83 Einwohner (55 Männer und 38 Frauen) in
30 Häusern mit 19 Kaufläden und einer Kapelle. Mit dem
Handel beschäftigen sich hier Astrachan’sche Armenier.
Das Fischerdorf Nikolajewskaja, auf der Landspitze Tjub-
karagan gelugen, hat jetzt 85 Häuser mit 276 Einwohnern
(141 Männer und 135 Frauen) und besitzt bereits eine
Schule. Poststationen sind in Krasnowodsk und Alexan-
drowski. Postdampfer vermitteln alle zwei Wochen die
Verbindung zwischen Krasnowodsk und Baku und zwischen
Alexandrowski und Astrachan. Im Winter hört diese Ver-
bindung auf”.
Briefliche Nachrichten über General Lomakin’s vorjäh-
rigen Marsch am unteren Atrek und Sumbar hinauf gegen
Kysyl Arwat hat Sir Henry Rawlinson einer auch sonst
viel Interessantes bietenden Abhandlung über das Gebiet
zwischen Kaspischem Meer und Merw einverleibt ').
Der Austritt des Amu Darja aus seinem jetzigen in
sein altes Bett: bis zum Sary Kamysch, der im vorigen
Jahre so viel von sich reden machte, weil er die Hoffnung
erweckte, der Fluss könne durch den Usboi bis zum Kas-
pischen Meere seinen Lauf nehmen und so die Verbindung
zwischen letzterem und Chiwa begünstigen, wird eine ge-
nauere Untersuchung dieser ganzen Frage, die nur durch
präcise Nivellements entschieden werden kann, zur Folge
haben. Der Chef des russischen Ministeriums für Wege
und Verkehrsanstalten, Vice- Admiral C. Possiet, hat eine
Commission an Ort und Stelle geschickt, um die erforder-
lichen Aufnahmen auszuführen. Dieser Commission, die
aus Delegirten des Kriegs-, Marine, Finanz-, Domänen- und
Wege-Ministeriums besteht, hat die Kais. Russ. Geogr. Ge-
sellschaft auch ihrerseits ein Mitglied in der Person des
Herrn Gluchowskoi beigegeben.
In der Sitzung der Kais. Russ, Geogr. Gesellschaft vom
19. März erwähnte der Secretär bezüglich der erst seit
1877 bestehenden Westsibirischen Section der Gesellschaft,
dass dieselbe im J. 1878 bereits drei Expeditionen auf
verschiedenen Gebieten Westsibirsens unterhalten habe. Der
Schriftsteller Jadrinsew machte ethnographische Studien im
Altai mit besonderer Rücksicht auf Colonisation; Selowsow
war mit naturhistorischen Forschungen im Kreise Karkara-
linsk beschäftigt, und Balkaschen unternahm Recognoscirun-
gen im Norden von Westsibirien. Die Section begann den
Druck des ersten Bandes ihrer Memoiren und machte den
Anfang zu einem Museum.
Baron Aminow ist nach Beendigung der Nivellements
für einen Kanal zwischen Ob und Jenissei nach St. Peters-
burg zurlickgekehrt. Die Möglichkeit der Ausführung hat
sich erwiesen, die Kosten sollen auch nur ungefähr 1 Mil-
lion Rubel betragen, doch wird erst noch ein genauerer
Kostenanschlag ausgearbeitet.
Der durch seine Reisen in der Mongolei bekannte Po-
tanın trat am 14. März d. J. eine neue Expedition nach
der nördlichen Mongolei und dem oberen Jenissei an, aus-
gerüstet von der Kais. Russ. Geogr. Gesellschaft.
!) Proceedings of the R. Geogr. Boc., 1879, Lil.
Prof. 4. Bastian befand sich nach den in Berlin ein-
gelaufenen Nachrichten auf dem Wege nach Java, nachdem
er in Assam erfolgreiche ethnologische und anthropologi-
sche Studien unter den Bergstämmen getrieben und werth-
volle Sammlungen zu Stande gebracht hatte.
Afrika,
Vor .einiger Zeit wurde erwähnt, dass Paul Solesllet auf
einer Reise vom Senegal nach dem Niger begriffen sei, in
der Absicht, schliesslich über Timbuktu nach Algier zu
geben. Am 22. März wurden wir nun durch die Ankunft
eines Briefes von ihm erfreut, der aus Segu Sikoro am oberen
Niger vom 15. Oct. 1878 datirt und fast fünf Monate bis
Saint-Louis am Senegal unterwegs war. Der Brief lautet:
„Durch die Zeitungen werden Sie wahrscheinlich erfah-
ren haben, dass ich im März (1878) von Frankreich nach
dem Senegal abgereist bin; am 17. April verliess ich St. Louis,
nachdem ich von der Regierung der Colonie den Auftrag
erhalten hatte: den Handelsweg wieder aufzusuchen zwi-
schen dem oberen Niger und den französischen Besitzungen
im Norden Afrika’s einerseits und denen der Westküste an-
dererseits. Ich brach sofort nach Segu Sikoro auf, wo ich
am 1. October angekommen bin. Ich hätte viel schneller
reisen können, aber ich habe mich bemüht, so langsam als
möglich vorzurücken, indem ich in jedem Dorfe mich auf-
hielt und längere oder kürzere Stationen machte, so oft ich
Gelegenheit oder einen passenden Vorwand fand. Meine
Ausrüstung ist so einfach wie nur möglich; ich habe ein
Maulthier, das ruhigste Reitthier, keine Escorte, sondern
einen einzigen Begleiter, einen eingeborenen Corporal der
Schützen vom Senegal, welcher 7 oder 8 Dialecte dieser
Gegenden spricht und mir daher gleichzeitig Dolmetscher
und Diener ist. Er ist ein Sonnink6 (Sarakoli), ein alter
Soldat, der sehr intelligent, sehr ordentlich und mir sehr
ergeben ist. Seit 6 Monaten nennt er sich: Yaguelli Suliman
Dieng. Ich lebe wie die Eingeborenen, kleide mich wie die
Eingeborenen, und da ich mich gegen Alle freundlich be-
nehme, sehe ich mich von vieler Sympathie umgeben. Ich
reise als christlicher Taleb und treibe viel Medecin.
„Bei Mussalla oberhalb Bakel bin ich auf das linke
Ufer des Senegal hinübergegangen und brach von hier aus
nach Yamina auf, indem ich unterwegs Konniakary, Dyalla,
Farabubu, Yanguerde, Guigue, die erste grössere Handels-
stadt seit Bakel, und Tuba berührte. Von Yamina aus er-
reichte ich zu Schiffe Segu Sikoro.
„Ich hegte den Wunsch, mich sofort stromabwärts nach
Timbuktu begeben zu können und trug mich sogar mit der
Idee, den Fluss bis Bussa zu verfolgen, was jedoch augen-
blicklich unmöglich ist. Ende des Jahres werde ich daher bis
Nioro stromaufwärts gehen, indem ich Burre durchkreuze, und
von hier aus nach Guigue zurückkehre, wo ich Verbindung
mit Massina haben werde. Meine Absicht geht dahin, zu-
nächst zu Tidiani, König von Massina, zu gehen, und mit
seiner Genehmigung Timbuktu zu erreichen. Von hier werde
ich über Tuat nach Algier zurückkehren und denke, Ende
1879 oder Anfang 1880 wieder in Europa zu sein und 80
eine Forschung zu Ende geführt zu haben, welche 1872
begonnen wurde, und der ich mich seit 1865 gewidmet habe.
„Die Frage der Sahara-Eisenbahn, zu welcher ich die
erste Anregung gab, lasse ich keinen Augenblick ausser
Geographischer Monatsbericht. 159
Acht, und die Untersuchungen, mit welchen ich mich gegen-
wärtig beschäftige, werden mich nach meiner Rückkehr in
den Stand setzen, die zu benutzende Strecke zu bestimmen
und die Hülfsmittel anzugeben, welche diese Gegenden
einem Verkehr mit Europa bieten werden. Ich habe mich
stets nur von der Absicht leiten lassen, diese Untersuchung
zu Ende zu führen, die Ausführung meiner Idee aber Fiach-
leuten zu überlassen”.
Dr. Pfund, der im August 1876 in Darfur starb, bat
eine beträchtliche Sammlung von Pflanzen, Samen, Höl-
zern &c. hinterlassen, die er auf den Expeditionen des
Oberst Colston und Commander Prout in Kordofan und des
General Purdy in Darfur zusammengebracht hat. Auf Ver-
anlassung des General Stone-Pascha arbeitete Dr. J. 4. Zarb
ein Verzeichniss dieser Pflanzen aus, das mit Angabe der
Fundorte vom ägyptischen Generalstab herausgegeben wor-
den ist !). .
Die internationale afrikanische Association hat wiederu
einen Unglücksfall in ihrem ostafrikanischen Unternehmen
zu verzeichnen. Lieut. Wautier ist am 19. Decbr. 1878
der Dysenterie erlegen, und zwar zu Hekungu beim See
Tschaia, jenem kleinen Binnensee jenseits Ugogo, in dessen
Nähe auch Missionar Penrose, der auf der Reise von Mpwapwa
nach dem Victoria Nyanza begriffen war, kürzlich von Räu-
bern erschlagen worden ist. Die Association soll nun, wie
es heisst, HZ. Stanley für ihre Zwecke gewonnen haben,
und wenn diesem Heros unter den Afrika - Reisenden sein
bisheriges Glück treu bleibt, so würde die Association für
alles Missgeschick, das bis jetzt ihre Expedition verfolgte,
reichliche Entschädigung finden. Ferner sendet sie eine
zweite Expedition von Zanzibar aus in’s Innere, und zwar
den Capitän Popelin, Lieut. Dutalis und Dr. med. Van den
Heuvel. Auch hat sie der Afrikanischen Gesellschaft in
Deutschland einen Beitrag von 40000 frcs angeboten für
die Einrichtung einer der Stationen der südafrikanischen
Etappenstrasse, welche die Verbindung der Ostküste mit dem
oberen Congo herstellen soll. Die Kosten der Station wür-
den, glaubt man, ausser jenen 40000 frcs noch 20 bis
25000 M in Anspruch nehmen.
Briefe von Schütt bis 1. September 1878 (siehe S. 32
dieser Zeitschrift), von Buchner aus Loanda vom 11. De-
cember 1878, von Rohlfs und Steckner aus Sokna bis 1. Fe-
bruar 1879 sind abgedruckt in den „Mittheilungen der
Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland”, Heft II. Herr
v. Cstllagh hat sich von Rohlfs’ Expedition getrennt und sich
nach Mursuk begeben, dagegen schloss sich ein Sohn Mo-
hammed Gatroni’s, Namens Ali, freiwillig der Expedition an.
Nachrichten aus Schekka vom 30. November, die am
9. Februar nach Chartum gelangten und von Bischof Com-
boni bekannt gemacht wurden, melden einen Sieg des Capi-
tän Gesss über den Rebellen Siber Pascha. Letzterer soll
2000 Mann Todte und Verwundete und 700 Gefangene
verloren haben, er selbst sei nach Dar Fertit entkommen.
Einen hübschen Erfolg hat die portugiesische Expedition
errungen. Major Serpa Pinto, der sich im Mai 1878 zu
Bihe von seinen Reisegefährten getrennt hatte, ist quer durch
!) Rapport fait A S. E. Gön6ral Stone Pacha sur les spöcimens
botaniques colliges en 1875 et 1876 par le Dr. Pfund. Döterminds et
classes par le Chevalier Docteur J. H. Zarb. Le Caire 1879. 4°,
40 pp.
das Innere von Süd-Afrika am 12. Febr. ngch Pretoria in
Transvaal gelangt. Bis jetzt liegt nur ein Telegramm von ihm
aus Pretoria (ohne Datum) an den Minister der Colonien in
Lissabon vor, das nach einer Mittheilung der Lissaboner
Geogr. Gesellschaft vom 17. März folgenden Wortlaut hat:
„Ich küsse die Hände Sr. Majestät. Ich befinde mich 6 Tage-
reisen vom Indischen Ocean, im Begriff meine Durohkreuzung
Afrika’s von der Westküste her zu beendigen. Ich habe
egen Hunger und Durst, wilde Thiere, wilde Menschen,
berschwemmungen und Trockenheit zu kämpfen gehabt,
aber alle diese Hindernisse glücklich überwunden. (Geret-
tete Arbeiten: 20 geographische Karten, drei Bände wich-
tiger Coordinaten, meteorologische Studien, drei Bände
Zeichnungen, ein umfangreiches Tagebuch. Ich habe viele
Leute verloren. Vollständige Erforschung des oberen Zam-
besi, 72 Katarakten' und Stromschnellen. Plan der Ka
tarakten. Die Eingeborenen wild, beständige Kriege. Das
Geheimniss des Cubango. Ich schreibe mit der Post”. —
Es lässt sich aus diesen Andeutungen noch nicht ersehen,
welchen Weg Major Pinto verfolgt hat. Da er vom oberen
Zambesi spricht, und da er nach einer früheren Nachricht
am 17. Juni in 12° S, Br. und 18° Östl. L. v. Gr., also
östlich von Bihe, gewesen sein soll, so möchte man ver-
muthen, dass er ungefähr auf Magyar’s Route von 1851
nach dem oberen Zambesi ging, an diesem hinab und dann
durch die bekannten Gegenden nach Transvaal gelangt sei.
Dass er dabei bis jetzt unbekannte oberste Arme des
Zambesi-Laufes erforscht habe, scheint auch aus einem Ar-
tikel des „Transvaal Argus” vom 15. Febr. hervorzugehen. Es
heisst darin: „Nachdem der Major Bihe verlassen, liess er
sich angelegen sein, die Flusssysteme des Zambesi und Congo
zu erforschen, deren obere Zuflüsse von einer gemeinschaft-
lichen Wasserschaide in dieser Gegend entspringen. An
einer Stelle konnte Major Pinto das Wasser von vier nach
vier verschiedenen Richtungen laufenden Flüssen trinken,
und dort glaubt er den Hauptzufluss des Congo entdeckt zu
haben. Er ging darauf am linken Ufer des Zambesi hinab
bis zu den Victoria-Fällen und von diesen durch das Mate-
bele-Land nach Pretoria”. Wie uns Herr Jeppe aus Pre-
toria schreibt, stimmt Pinto’s Breitenbeobachtung der Vic-
toria-Fälle sehr gut mit Mohr’s Resultat, aber die Länge
(durch Monddistanzen) differirt um 39’, die Position ist näm-
lich nach Mohr 17° 55’ 81” S. Br. und 26° 29’ Östl.L.
Pinto 17 56° O0 „ » n2 50
Bezüglich seiner Positionsbestimmungen zwischen Ben-
guela und Bihe (s. Peterm. Mitth. 1879, S. 33) lässt uns
Major Pinto durch Herrn Jeppe darauf aufmerksam machen,
dass die Breite von Caconda nicht 13° 0’ 44”, sondern
13° 44’ 0” ist, und dass alle seine Längen nicht chrono-
metrische sind, sondern Sternbeobachtungen, in deren Ge-
nauigkeit Herr Jeppe volles Vertrauen setzt.
Australien und Inseln des Grossen Oceans.
Von Sir Thomas Elder ist Mr. Young, der Begleiter Giles’
auf dessen dritter Reise, mit einer neuen Dromedar-Expedi-
tion durch das Innere von Australien beauftragt worden.
Mr. Barclay der von der südaustralischen Regierung
ausgesandt war, um noch unbekannte Gegenden des nörd-
lichen Territoriums zu erforschen, hat einen Bericht an den
Surveyor-General eingeschickt, aus dem die Deutsche Süd-
160 Geographischer Monatsbericht.
australische Zeitung Einiges veröffentlicht. Danach war
er die Überland - Telegraphenlinie bis zur Alice Springs-
Station hinaufgereist und daselbst am 17. November 1877
eingetroffen. Dort traf er seine Vorbereitungen zum Antritt
seiner Reise in die unbekannten Gegenden nordöstlich von
den Alice Springs und zur Aufnahme des Herbert-Flusses.
Nachdem er die nähere Umgebung der Alice Springs-Station
durchreist, kam er.zu dem Entschlusse, seine Mannschaften
in zwei Partien zu theilen. Von der einen übernahm Herr
Winnecke, der zweite Führer, das Commando mit dem Auf-
trage, Vorbereitungen zur trigonometrischen Vermessung
der Umgegend zu treffen; die andere, aus drei Männern
bestehend, übernahm er selbst zur Erforschung und Auf-
nahme des Herbert. Am 31. Januar 1878 brach er dahin
auf. Aus seinem eingesendeten Journal geht hervor, dass
die gesammten durchforschten Gegenden ganz vorzüglichen
Acker- und Weideboden enthalten, wo überall Wasser durch
Anlegung von Brunnen zu erlangen ist, und viele Gegen-
den sich ausserordentlich gut zu Anlegung von Wasser-
becken durch Aufschüttung von Fangdämmen eignen. In
Folge der vorhandenen Gebirgszüge regnet es häufig und,
obschon mitten in der trockenen Jahreszeit, war das Gras
überall ausgezeichnet. Die Gegenden, die er durchzog, eig-
nen sich sehr gut für Strassen zum Durchtreiben von Vieh
und sind reich an Futter und Wasser. Barclay ist über-
zeugt, dass sich in nicht langer Zeit hier glückliche und
grosse Farmen an Farmen reihen werden, so wie ihnen
die Mittel geboten sind, ihre Producte nach einem Markte
zu schaffen. Eben so eignen sich die Gegenden vorzüglich
zur Schafzucht, und die Heerde der Regierung auf den
Burt Plains gedeiht ausserordentlich gut und hatte in die-
sem Jahre nicht weniger als 96 Procent Lämmer. Die
Gegenden sind mit Nutzhölzern wohlbewaldet. Zur näheren
Bestimmung der geologischen Verhältnisse der durchreisten
Länder fehlte es ihm an Zeit, jedoch führt er an, dass die
Strangway-Bergkette südlich an seinem Wege grösstentheils
aus Granit, Glimmerschiefer, Eisenstein und Quarz besteht,
die Jervois- Gebirge nördlich hauptsächlich aus Sand und
Eisenstein. Mit Ausnahme des Eisens, das in mannigfachen
Formen vorkömmt, hat er keine Erze bemerkt, indess viele
Gegenden haben ganz die Anzeichen von Goldreichthum.
Das Strangway-Gebirge ist an einer Stelle äusserst reich an
Granaten. Die meisten der Wasserläufe enthalten in ihrem
Bette weissen Pfeifenthon unter dem Sande, und die Flüsse
Marschall und Plenty zeigen an den durchbrochenen steilen
Ufern Merkmale, welche beweisen, dass sie in der Regen-
zeit ungeheuere Wassermassen enthalten, die sich wahr-
scheinlich nach dem See Eyre ergiessen. Die Gräser sind
grösstentheils dieselben, wie um Alice Springs, und eine
grosse Sammlung derselben hat er eingesendet. Das Wild
war zahlreich, doch sehr scheu, wahrscheinlich wegen der
grossen Zahl der Eingeborenen, die diese Gegenden be-
wohnen. Dennoch wurden Kängurus, Emus, Weallabys,
Puten, Papageien und Tauben in genügender Zahl geschos-
sen, um Proviant sparen zu können. Auf Eingeborene ist
er nicht häufig gestossen, weil er ihnen, gemäss der em-
pfangenen Instructionen, aus dem Wege ging. Eben so
waren diese selber sehr bemüht, der Partie auszuweichen;
wo sie indess bei einzelnen Gelegenheiten aufeinander tra-
fen, zeigten sie sich friedlich und eilten, aus ihrem Bereiche
ie
zu entkommen. Die gesammten durchforschten Districte sind
sehr zahlreich von Schwarzen bewohnt, die den Stämmen
an den Alice Springs sehr ähnlich sind, jedoch einen völlig
anderen Dialecot sprechen, so weit diess ihm zu erforschen
möglich war. Am Schlusse lobt er das Betragen der ihm
untergebenen Leute, namentlich das des Karl Pfitzner, den
er der Regierung besonders empfiehlt.
Mr. Goldie ist nach 18monatlichem Aufenthalt in New-
Guinea nach Sydney zurückgekehrt mit sehr reichen zoo-
logischen und botanischen Sammlungen.
Das „Journal des Museum Godefiroy”, das unter L. Frie-
derichsen’s Redaction fortgesetzt eine Fülle der verschie-
densten naturhistorischen und ethnographischen Beiträge
über die Südsee-Inseln bringt und von Anbeginn den werth-
vollsten Quellenwerken für diesen Theil der Erde sich an-
gereiht hat, enthält in dem 14., einen starken Quartband
mit 16 Tafeln bildenden Hefte unter vielen, hauptsächlich
zoologischen Arbeiten, eine Reihe von Mittheilungen von
Th. Kleinschmidt über seine Reisen und Sammlungen auf
den Piti-Inseln im J. 1876. Er besuchte von Levuka aus
die Ostküste von Viti Levu, ferner Kantavu, wo er in Ge-
sellschaft von Max Buchner den Buke-levu bestieg, sodann
Vatulele, über dessen geologische Verhältnisse und Be-
wohner er ganz besonders eingehend berichtet, Mbenga und
Ono. Landschaftliche und ethnographische Abbildungen sind
beigegeben. In demselben Hefte bespricht Dr. EZ. @raefe
in einer Fortsetzung seiner Monographie über die Samos-
Inseln den Racencharakter und die Krankheiten der Samoa-
Insulaner.
Polar - Regionen.
Die „Jeannette” , welche James Gordon Bennett in die-
sem Frühjahr von San Francisco aus nach der Bering-
Strasse entsendet, wird von Capt. De Long commandırt,
dem J. W. Dannenhower als Lieutenant zur Seite steht.
Das Schiff soll zunächst St. Michel in Alaska anlaufen, um
dort Schlittenhunde an Bord zu nehmen, und dann das
Wrangel- oder Kellett-Land zum Gegenstand seiner For-
schungen machen. (L’Exploration, 16. März 1879. p. 445.)
Während sich die zur „Jeannette”’ umgetaufte „Pan-
dora” zu neuen Thaten im arktischen Meere rüstet, kommt
uns ein Buch zur Hand, das ihre beiden Fahrten unter
Sir Allen Young 1875 und 1876 schildert !, Zwar sind
Verlauf und Ergebnisse dieser Fahrten, deren erste durch
den Lancaster- in den Peel-Sund, die zweite nach dem
Smith-Sund gerichtet war, durch Berichte von Allen Young
selbst, go wie von seinen Begleitern Lillingston, Koolemans
Beynen, Becker und Mac Gahan hinlänglich bekannt, doch
ist der vorliegende ausführliche Auszug aus dem Schiffs-
journal als authentisches Document vom Commandeur selbst
immer noch willkommen. Die Übersichtskarte und die ge-
nauere Karte der Curse, zwei grosse Blätter, bieten wenig
Neues, nachdem Koolemans Beynen in einem Beiblatt der
Amsterdamer geogr. Zeitschrift die Curskarte bereits ver-
öffentlicht hat; ungern vermisst man an diesen Cursen An-
gaben über Meerestemperaturen und Tiefen, zumal Young
davon spricht, dass Negretti-Casella’sche Thermometer an
Bord waren. E. Behm.
!) The two voyages of the „Pandora” in 1875 and 1876. By Bir
Allen Young. London, Stanford, 1879.
(Geschlossen am 91. Märs 1879.)
Petermmune Geographische Mittheihungen
BB0nlich liche Länge von Greenwich
n .
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s GOLFvVvos Yımo
HYDROGRAPHISCHE SKIZZE j
EBENE vor YEDO.,
Auf Grundlage einer nach Rnippings Aufnahmen
u. nach japanischen Quellen bearbeiteten Specialkarte
von B. Hassenstein.
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ü
Maalsstab 1: 1200.000.
GOTHA: JUSTUS PERTHES
Petermanr's Geographische Mittheilungen Beige rerinäge Dual im Jahrgang 1873, Tufi 8.
SSADNIK,
-1876,
orschungen
Wites
mit hei
Sipr
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
(Mit 2 Karten, s. Tafel 9 und 10.)
Die bevorstehenden neuen Expeditionen in das Sibiri-
sche Eismeer, so wie die Aussichten auf werthvolle geogra-
phische Ergebnisse, welche wir in diesem Jahre aus jenem
ausgedehnten Theile des Eismeeres durch die Rückkehr der
schwedischen Expedition zu erwarten baben, lassen es wün-
schenswerth erscheinen, unter Ergänzung und Vervollstän-
digung früherer Mittheilungen !) einen Rückblick auf die
Entdeckungsgeschichte jenes Gebietes und eine Beschreibung
der Küsten und Inseln desselben auf Grund des vorbande-
nen Materials zu geben.
I. Entdeckungsgeschichte.
1. Fahrten der Promyschlenniks, 1630—1724. — Mit
der Ausbreitung der russischen Herrschaft über die sibiri-
schen Volksstämme beginnt die Entdeckungsgeschichte der
hier in Betracht kommenden Küstenstrecke. 1630 gelan-
gen Kosaken an die Mündung der Lena; 1637 und 1638
werden die Olenek-, Jana- und Indigirka-, 1644 die Ko-
Iyma-Mündung entdeckt. Die erste Schifffahrt auf dem
Eismeere, östlich von der Kolyma, wird im Jahre 1646
von einer Gesellschaft Pelzjäger unter Leitung von Jasaj
Ignstiso ausgeführt, welche muthmaasslich die Tsobaun-Bai
erreichte. Vollständigere Nachrichten haben wir über die
unter Anführung von Fedot Kolmogorsow im Juni 1647
in 4 Fahrzeugen von der Kolyma ausgehende Expedition
von Pelzjägern, welcher sich der Kosak Semen Deschnew im
Auftrage und Dienste der russischen Krone anschloss. Die
Expedition, welche den Anadyr erreichen sollte, kehrte
unverrichteter Sache nach Nischni Kolymsk zurück. Der
Kosak Staduchin, welcher bereits mehrere Jahre an den
eibirischen Küsten als Pelzjäger herumgestreift war und
namentlich 1644 nahe der Kolyma-Mündung eine Winter-
niederlassung, die spätere Stadt Nischni Kolymsk, angelegt
hatte, erhielt von Tschuktschen Mittheilungen über eine
anbekannte grosse Insel nördlich von der Küste, so wie
über einen östlich von der Kolyma in das Eismeer mün-
denden und in 3 Tagen von da aus erreichbaren Strom.
Um beide Punkte aufzusuchen, unternahm Staduchin im
7) Petermann's Mitth. 1868, 8. 1; 1869, 8. 26; 1878, 8. 9.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft V.
Jahre 1649 in 2 Fiahrzeugen von der Kolyma aus eine
Fahrt nach Osten, kehrte aber nach Ttägiger Reise, ver-
muthlich bei Cap Schelagskoi, wegen Mangels an Lebens-
mitteln wieder um,
Weit bedeutender und erfolgreicher war die Expedition
des schon erwähnten Kosaken Deschnew 1648—-1652. Die-
selbe bestand aus 7 Fahrzeugen, sogenannten Kotschen:
Plattböten von 12 Faden Länge mit Verdeck. Als An-
führer von dreien dieser Böte werden Deschnew, Ankudi-
now und Kolmogorzow genannt. Die Abfahrt von der
Kolyma-Mündung erfolgte am 20. Juni 1648, Leider sind
die Berichte über diese kühne Unternehmung sehr unvoll-
ständig, namentlich enthalten sie nur sebr wenig tiber die
eigentliche Seefahrt, doch darf man annehmen, dass die
Hindernisse, welche das Eis der Expedition bereitete, nicht
erheblich waren, da an einer Stelle gesagt wird, „das Meer
sei nicht immer so frei von Eis”. Deschnew’s Bericht über
diese Fahrt erwähnt zunächst eines bedeutenden Vorge-
birges, des Swjatoi Noss (nach Wrangel das jetzige Cap
Schelagskoi), wo das Fahrzeug Ankudinow’s scheiterte.
Danach kam die Expedition an den ganz aus schroffen Felsen
bestehenden Grossen Techukotskoi Noss, wo die Küste nach
dem Anadyr herumbog. Westlich von diesem Cap ergoss
sich ein Flüsschen in’s Meer, bei dessen Mündung die
Tschuktschen eine Art von Thurm aus Walfischrippen er-
baut hatten. Dem Cap gegenüber lagen 2 Inseln, bewohnt
von Tschuktschen mit durchstochenen und mit allerlei Zier-
rath aus Walrosszähnen geschmückten Unterlippen. Nach
Wrangel’s Vermuthung ist das Grosse Tschukotskoi Noss
das jetzige Ostoap der Bering-Strasse.
Nachdem noch 2 Fahrzeuge, auf denen sich Kolmogor-
zow befand, in einem Unwetter von der Expedition getrennt
worden waren, warf ein Sturm das Fahrzeug Deschnew's
Ende October südlich von der Mündung des Anadyr, wahr-
scheinlich in der Gegend der Bucht Omodorskaja, an die
Küste. Deschnew überzeugte sich von der Unmöglichkeit,
sein Fahrzeug wieder flott zu machen und marschirte nun
mit seinen 25 Leuten während 10 Wochen bis zur Mün-
dung des Anadyr. Hier überwinterte er unter grossen Ent-
behrungen, denen mehrere seiner Begleiter zum Opfer fielen.
21
162
Mit dem Reste derselben ging Deschnew im Sommer des
nächsten Jahres in Böten den Strom hinauf, wo er einen
kleinen Völkerstamm, der sich selbst Anauly nannte, unter-
warf und Anadyrskoi Ostrog gründete. Von bier aus unter-
nahm er in den folgenden Jahren mehrere Reisen nach der
Mündung des Anadyr. Die Absicht, auf einer zu erbauen-
den grossen Kotsche den von den verschiedenen Völker-
schaften erbobenen Tribut, Jassak, im Jahre 1652 über Meer
zur Lena zu bringen, gab er wieder auf, theils weil es
ihm an den nöthigen Eisengeräthschaften zur Fertigstellung
des Schiffes fehlte, theils weil er von den Tschuktschen
hörte, „dass das Meer längs den Küsten des Tschuktschen-
Landes nicht immer so frei vom Eise sei, als er es im
Jahre 1648 auf seiner Herfahrt gefunden”. Mit dem Jahre
1654 endigen leider, so berichtet Wrangel, alle Nachrich-
ten über die weiteren Schicksale des in so vieler Hinsicht
merkwürdigen Mannes, welcher 6 Jahre hindurch mit wirk-
lich beispielloser Thätigkeit, Ausdauer und Beharrlichkeit
seinen Zweck verfolgte und alle Hindernisse und Gefahren,
die ihm das furchtbare Klima, der Mangel und Hunger sowohl
als auclı die wilden Bewohner der von ihm entdeckten
Landstriche entgegenstellten, überwand.. Ob er endlich
zurückkehrte, ob er ein Opfer seines gewagten Unterneh-
mens wurde, ist nicht bekannt, wie denn überhaupt der
ganze Verlauf der Desohnew’schen Fahrt erst durch den
Geschichtsschreiber @. F. Müller um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts aus den Archiven von Jakutsk an die Öffent-
lichkeit gebracht wurde.
Noch sei erwähnt, dass Kolmogorzow und seine Gefähr-
ten den Kamtschatka-Fluss erreichten, dort eine Zeit lang
unter den Kamtschadalen lebten und schliesslich in einem
Streit von diesen erschlagen wurden.
Aus den weiteren Expeditionen des 17. Jahrhunderts
ist noch die des Kosaken 7imofej Buldakow hervorzuheben,
welche von der Lena ausging. Das Fahrzeug wurde in
der Nähe der Indigirka vom Eis zertrümmert, doch er-
reichte Buldakow nach unzähligen Beschwerden und Ent-
behrungen die Winterniederlassung Ujandinsk,
Im Anfange des 18. Jahrhunderts taucht die erste
einigermaassen bestimmte Kunde von verschiedenen Inseln,
welche der sibirischen Küste, namentlich Swjatoi Noss und
der Kolyma-Mündung vorgelagert seien, auf. In Folge
eines in diesem Sinne lautenden Berichtes des Kosaken-
Ältesten Pormäkow rüstet der jakutskische Woiwode Trauer-
nioht zwei Expeditionen aus, die eine nach Kolymsk, die
andere nach der Jana. Die letztere unter der Anführung
des Kosaken Wagın ging im Herbst 1711 von Jakutsk nach
der Niederlassung Ustjansk an der Mündung der Jana ab;
im Mai 1712 geht die Fahrt in Begleitung Permäkow’s
auf Narten (Hundeschlitten) nach dem Swjatoi Noss und
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
von da in gerader Richtung nach Norden. Man gelangt
zu einer baumlosen Insel, welche ungefähr 9—12 Tage-
reisen im Umkreis hatte, jedenfalls der ersten Ljachow'schen
Insel, sah noch eine andere Insel und kehrte dann zum
Festlande zurück. Hier tritt Mangel an Lebensmitteln ein
und das Unternehmen endet mit der Katastrophe, dass
Permäkow und drei andere Anführer von ihren eigenen
Leuten, welche sich den Strapazen einer neuen Reise nicht
unterziehen wollten, ermordet werden. Die von der Ko-
lyma ausgehende Expedition erzielte keine nennenswerthen
Ergebnisse.
Eine im März 1714 von dem Kosaken Markow zu
Schlitten von der Jana-Mündung aus nach Norden unter-
nommene 7tägige Schlittenfahrt blieb ohne Resultate. Mar-
kow berichtete dem Woiwoden in Jakutek, das heilige Meer,
Swjatoje more, sei sowohl im Sommer als auch im Winter
ganz mit festem Eise bedeckt. Land wurde nicht gesehen.
Im Juli 1724 ging der Bojarensohn Fedot Amossow zu
Schiffe von Nischni Kolymsk aus, um eine von der Jana
bis zur Indigirka-Mündung sich erstreckende grosse Insel,
welche der Promyschlennik (Pelzjäger und Fischer) Iwan
Wilejin im November 1720 auf Narten erreicht haben wollte,
zu erforschen, kehrt jedoch wegen Treibeis bald zurück.
Zu Schlitten erreicht er wirklich im November 1724 diese
Insel, kehrte aber nach kurzem Aufenthalte wegen Mangels
an Lebensmitteln zurück. Nach Wrangel’s Meinung war
dieses Eiland kein anderes als die schon länger bekannte
erste Bären-Insel und die von Wilejin von der Jana aus
erreichte die erste Ljachow’sche Insel, deren Zusammen-
hang Beide annahmen.
Es folgt nun die erste grosse russische See-Expedition
nach dem Sibirisohen Eismeer vom Stillen Ocean aus.
Peter der Grosse, dessen auf die Entwickelung einer russi-
schen Kriegsmarine gerichtete Bestrebungen auch zu Ver-
suchen, die nordaibirischen Küsten von Europa aus zur See
zu erreichen, geführt hatten, beschloss auf Vorstellung des
Admirals Apraxin die Ausführung einer Expedition, welche
die trotz der Descohnew’sohen Expedition bisher unbekannt
gebliebene östliche Begrenzung Sibiriens durch eine Küsten-
fahrt vom Stillen Ocean her feststellen sollte. Die Aus
führung wurde dem Dänen PFitus Bering, welcher bereits
20 Jahre in russischen Diensten gestanden hatte, anver-
traut, und der Plan auch nach dem im Januar 1725 er
folgten Tode Peter’s des Grossen von seiner Nachfolgerin
Katharina I. aufrecht erhalten. Bering und zwei ihm unter
geordnete russische Seeoffiziere, Spangberg und Techirikow,
reisten ım Frrühjahre 1725 von Petersburg über Land nach
Ochotsk, wo zwei Fahrzeuge, Fortuna und Gabriel, für die
Expedition erbaut wurden. Erst am 20. Juli 1728 konnte
Bering von der Mündung des Kamtschatka-Flusses aussegeln.
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Er lief längs der Küste der Kamtschatka-Halbinsel, passirte
am 10. August die von ihm benannte S. Lorenz - Insel,
durchsegelte dann die Strasse, welche Amerika von Asien
trennt und seitdem seinen Namen trägt, und ging nord-
westlich bis Serdze Kamen. In der Überzeugung, seine
Aufgabe, die östliche Begrenzung des russischen Reiches
festzustellen, vollständig gelöst zu haben, kehrte er am
15. August nach Kamtschatka zurück, ohne seltsamerweise
weder die Diomed-Inseln, nooh die amerikanische Küste
gesehen zu haben. Beide wurden erst 1730 durch den
Landvermesser Gwosdew entdeckt.
2. Wissenschaftliche Expeditionen 1735—1775. — Wäh-
rend bisher Abenteuerlust und die Absicht, fremde Völker
dem Tribut der Krone zu unterwerfen, die Triebfedern der
Unternehmungen gewesen waren, beginnen mit dem Jahre
1734 die von wissenschaftlich gebildeten Männern unter-
nommenen Reisen längs der Nordküste Sibiriens. Der
Leiter derselben ist von Jakutsk aus Vitus Bering, wel-
cher bekanntlich im Jahre 1741 selbst ein Opfer der
Wissenschaft werden sollte. Für die hier in Betracht kom-
mende Küstenstrecke haben wir zunächst die Expedition
des Lieutenant Lassinsus zu erwähnen, welche gleichzeitig
mit der westlich von der Lena bis Archangel hin in An-
griff genommenen Erforschung den Auftrag erhielt, mit
einer Doppelsloop womöglich durch die Bering-Strasse nach
Kamtschatka oder zur Mündung des Anadyr zu gehen. Er
trat am 30. Juni 1735 seine Fahrt stromabwärts von Ja
kutsk aus an, erreichte am 2. August die Mündung der
Lena, durch deren östlichsten Arm, die Bykow’sche Mün-
dung, er in das Eismeer einlief. Schon am 13. August
wurde die weitere Fahrt durch grosse Eisschollen aufge-
halten; die Winterquartiere wurden am Flusse Chariulach
in einem aus Treibholz erbauten Hause 120 Werst östlich
von der Lena-Mündung bezogen. Im Laufe des Winters
brach der Scorbut aus, dem der grösste Theil der Mann-
schaft und auch ihr Führer erlag.
An seine Stelle tritt Dmsitrd Laptew !), welcher auf
flachen Fahrzeugen die Lena hinunter fährt. An ihrer
Mündung musste er dieselben verlassen, da er noch zu viel
Treibeis im Meere fand, und gelangte am 18. Juli in klei-
nen Böten längs der Küste bis an den Chariulach, von wo
er am 30. Juli in See ging. Als er aus dem Treibeise heraus
in’s „offene Meer” kam, hielt er die Jahreszeit für zu weit
vorgerückt, um noch weiter östlich vorzudringen und kehrte
deshalb zur Lena zurück, deren Bykow’sche Mündung am
22. August erreicht wurde. Am 27. liefen Laptew und seine
Leute in den eigentlichen Strom ein, wo sie anfänglich 20,
1) Nicht su verwechseln mit Chariton Laptew, welcher in den Jah-
ren 1789-—1741 die Gegenden zwischen Lena und Jenissej erforschte.
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163
15 und 10 Faden, weiter hinauf aber nur 5, 3 und 2 Faden
Tiefe fanden. Am 6. September zogen sie ihr Schiff in
den Fluss Chomutowka, wo überwintert wurde. Als das
Resultat seiner Reise berichtet Laptew an Commodore Be-
ring nach Jakutsk, dass die Umschiffung der beiden nörd-
liobsten zwischen der Lena und Indigirka belegenen Vor-
gebirge Borchaja und Swjatoi Noss unmöglich sei, weil nach
der einstimmigen Versicherung mehrerer dort lebender Ja-
kuten die denselben vorliegenden Eismassen nie schmelzen.
Er erhält in Folge dessen die nachgesuchte Erlaubniss, nach
Jakutsk zurückkehren zu dürfen. Auf der Fahrt dahin
nahm er den Strom, dessen Tiefe auf 3—4 Faden ermit-
telt wurde, so wie seine Ufer möglichst genau auf.
Auf Laptew’s von Karten und Journalen begleitete Vor-
stellung entschied der Senat in St. Petersburg, dass noch
ein Versuch zu machen sei, das Eismeer östlich von der
Lena zu befahren; wenn auch dieser missglücke, solle die
Aufnahme der Küsten zu Lande erfolgen. Diese neue und
erfolgreichere Expedition trat Laptew am 7. Juni 1739 von
Jakutsk aus an und erreichte die Bykow’sche Mündung
am 21. Während das Schiff durch Treibeis am Vorgebirge
Bykow festgehalten wird, nimmt der Steuermann Schtscher-
binin die Küste bis zum Cap Borchaja auf, welches am
8. August von Laptew selbst umfahren wurde. Am 11. August
ankerte die Expedition vor der Jana, in deren Mündung nur
6—7 Fuss Wasser gefunden wurde, während weiter strom-
aufwärts sich eine Tiefe von 3 bis 10 Faden ergab. Am 13,
setzte Laptew seine Fahrt fort und erreichte am 15. Swjatoi
Noss; Y, naut. Meile von der Küste war eine Wassertiefe
von nur 2 Faden. Am 21. August traf man auf eine
starke Gegenströmung, welche das Laviren sehr erschwerte.
Am folgenden Tage verkündete Süsswasser die Nähe eines
grossen Flusses, und wurde deshalb ein Boot zur Recognos-
cirung ausgesandt. In den Tagen des 24. bis 31. herrschte
heftiger Sturm, und das Schiff konnte nur mit Mühe am
Anker gehalten werden. Da das Boot nicht zurückkehrte,
wurde ein zweites nachgesandt, welches zugleich den Auf-
trag erhielt, nach einem passenden Überwinterungshafen
zu suchen. Ein heftiger WSW-Wind trieb das Schiff end-
lich in die Nähe der Küste, wo es am 9. September auf
einer Tiefe von 12 Fuss einfror. In dieser hülflosen Lage
blieb die Bemannung des Schiffes bis zum 20. September.
An diesem Tage kehrte der mit dety zweiten Boote aus-
gesandte Steuermann zu Fuss über das Eis zurück und
meldete, dass der nächste Mündungsarm der Indigirka nur
50 Werst entfernt sei und an demselben sich eine russi-
sche Winterwohnung befinde. Diese bezieht die ganze
Mannschaft am 24. September. Die Zeit bis zum Frühling
benutzt Laptew zu Localuntersuchungen; er sendet den
Geodäten Kindäkow zur Explorirung der Küste bis zur
21 *
164 Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Kolyma, während er selbst die Strecke bis zur seichten
Mündung des Flusses Chroma erforscht. Er fand die Ufer
flach.
Ende Juni 1740 wurde das Fahrzeug durch einen in’s
Eis gehauenen Canal an die Küste gezogen und nach Repa-
ratur desselben ging Laptew am 31. Juli wieder in See.
Am 2. August wird die Mündung der Alaseja erreicht und
am ‚3. eine Insel (die erste der Bären-Inseln) entdeckt,
welcher der Name des heiligen Antonius beigelegt wurde.
Durch ziemlich eisfreies Meer wurde die Fahrt bis zur
mittleren: Kolyma-Mündung fortgesetzt und das Fahrwasser
dieses Stromes durch ein Boot untersucht. Erst am 14.,
beim Grossen Baranow-Felsen, erreichte die Reise nach
Osten durch ein mit dem Ufer zusammenhängendes, un-
übersehbares Eisfeld ihr Ende. Am folgenden Tage fand
man bei dem Einlaufen in die Kolyma zuerst nur 9 bis
14 Fuss, nachdem jedoch der auf der Insel Werchojansk
liegende Hügel Kamenoj passirt war, 2 bis 7 Faden Tiefe.
In Nischni Kolymsk wurde überwintert und der unermüd-
liche Laptew baute hier zwei grosse Böte für die Fort-
setzung der Fahrt im folgenden Jahre, welche leider nicht
jenseit des Grossen Baranow-Felsens ausgedehnt werden
konnte, da das Fahrwasser wiederum durch Eisfelder ge-
schlossen war. Schon am 7. August kehrte die Expedition
nach Nischni Kolymsk zurück. Zwei Monate später, am
27. October, ging Laptew mit seiner Mannschaft auf 45 mit
Hunden bespannten Narten zu Lande in der Richtung nach
dem Anadyr ab und erreichte in der That am 17. November
1741 Anadyrsk, Von hier aus brach die Expedition am
9. Juni 1742 in während des Winters erbauten Böten
nach der Mündung auf, bei welcher man am 11. Juli ankam.
Die Aufnahme der Ufer des Anadyr war wegen Über-
schwemmungen nicht möglich. Laptew kehrte ım Herbst
nach Anadyrsk und von da über Nischni Kolymsk nach
Jakutsk zurück. In St. Petersburg erstattete er persönlich
Bericht über seine 7jährigen Expeditionen.
Der nächste Versuch eines Vordringens von der Lena
ostwärts datirt 20 Jahre später. 1760 erbaute der jakuts-
kische Kaufmann Schalaurow auf eigene Kosten ein Fahr-
zeug zur Umschiffung der nordöstlichen Küste Asiens, mit -
welchem er im Juli des folgenden Jahres aus der Jana in
See ging. Am 6. September umfuhr er Swjatoi Noss und
erblickte die schon von Permäkow und Wagin im J. 1712
besuchte erste Ljachow’sche Insel. Am 17. war er vor
der Mündung der Indigirke, am folgenden Tage am Aus-
fluss der Alaseja. Treibeis zwang Sohalaurow zum Einlau-
fen in die Kolyma, an deren Ufern er mit seinen Leuten
in einem zu dem Zweoke erbauten geräumigen Hause über-
winterte, und da Überfluss an Renthieren und Fischen vor-
handen war, vor Scorbut bewahrt blieb. Am 21. Juli 1762
geht Schalaurow wieder in See, nach einwöchentlicher un-
behinderter Fahrt wird er jedoch durch widrige Winde und
Windstille genöthigt, bis zum 16. August vor Anker zu
liegen. Am 18, erreicht er Sandcap, den westlichsten Punkt
der im Eingang der Tschaun-Bai belegenen Ajon-Inseln.
Das Schiff war dann bis zum 23. im Eise besetzt und
Schalaurow konnte Cap Schelagskoi nicht umfahren. Er
kehrte indessen erst dann zur Kolyma zurück, nachdem er
die Tschaun-Bai in ihrer ganzen Ausdehnung umfahren
und somit wenigstens diesen bisher noch unbekannten Theil
der sibirischen Küste bestimmt hatte,
Zu seiner nächsten und letzten Reise im Jahre 1764
erhielt er von der russischen Regierung einige Geldmittel.
Er erreichte auf dieser Fahrt in der That Cap Schelagskoi,
ja er drang sogar ungefähr 70 miles weiter östlich vor.
Hier wurde sein Fahrzeug vom Eise zertrümmert, und er
rettete sich an das Ufer. Veranlasst durch die Erzählung
eines Jakuten suchte Herr v. Matiuschkin, Mitglied der
Wrangei’sohen Expedition, im März 1823 die Stelle in dem
Küstenlande östlich vom Flusse Werchon auf, wo sich
in der That die Reste einer zur Überwinterung erbauten
Hütte vorfanden. Matiuschkin konnte keinen Zweifel hegen,
dass hier Schalaurow mit seinen Gefährten ihr Ende fan-
den. Wrangel begleitet diese Mittheilung in seinem Reise-
werke mit folgenden Bemerkungen: „Es ist mehr als wahr-
scheinlich, dass Schalaurow, nachdem es ihm gelungen war,
Cap Schelagskoi zu umschiffen, an dieser öden Stelle stran-
dete, wo ein grausamer Tod seinem von rastloser Thätig-
keit und seltenem Unternehmungsgeiste beseelten Leben
ein Ende machte. Schalaurow’s Name ist in ganz Sibirien
bekannt, und die herzliche Theilnahme, welche selbst die
ganz ungebildeten Begleiter der Expedition bei dieser Er-
innerung an ihn äusserten, war eine rührende, dem An-
denken des merkwürdigen Mannes gewidmete Todtenfeier”.
Die Entdeckungsfahrt des Kosakensergeanten Andrejei,
welcher im Auftrage des Gouverneurs von Sibirien von der
Mündung des Flusses Krestowoj etwas östlich vom Cap Gross-
Baranow am 4. April 1763 nach Norden aufbrach, um die
unverbürgte Annahme, „dass Amerika sich an der Paral-
lele der Kolyma-Mündung vorbei bis zu den Küsten Sibi-
riens erstrecke”, aufzuklären, ist insofern über die unmittel-
baren Resultate hinaus von Bedeutung geworden, als An-
drejew’s freilich sehr unbestimmte Erzählung über ein Land,
welches er von der östlichsten der Bären-Inseln, der Vier-
Pfeiler-Insel, in blauer oder sohwärzlicher Ferne gesehen
haben wollte, eine der Veranlassungen zu den Reisen von
Wrangel und Anjou gewesen ist. Andrejew besuchte, wie es
scheint, alle Bären-Inseln ; seine Angaben ber Länge, Um-
fang und Entfernung derselben von einander und vom
Festlande sind freilich unzuverlässig und daher werthlos.
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Die genaue Aufnahme dieser Inseln, welche durch Wrangel
nur unbedeutende Berichtigungen erfuhr, fand in den ersten
Monaten der Jahre 1769 bis 1771 durch die Geodäten
Leontjeo, Lyssow und Puschkarew Statt. Bei jedem Be-
suche versuchten sie zu Schlitten über das Eis nach O
und NO vorzudringen mit der Absicht, das von Andrejew
gesehene unbekannte Land zu erreichen. Das Resultat
war jedoch ein negatives, obwohl sie im März 1770 von der
östlichsten Insel über 172 Werst nach NO vorgedrungen
waren.
Wenn auch die Ljachow'schen Inseln, wie wir ge-
sehen haben, bereits im Jahre 1712 entdeokt, und später,
1759 oder 1760, vom Jakuten Eterikan erreicht worden
waren, so gebührt doch dem Kaufmann Zyjachow die Ehre
ihrer vollständigen Entdeckung. Er besuchte sie im März
1770 von Swjatoi Noss aus, und in Folge seines Berichtes
an die Regierung verlieh ihm diese das Privilegium, auf
den von ibm entdeckten und etwa in Zukunft noch zu
entdeckenden Inseln, nach Mammuthszähnen und -Knochen
zu graben, Polarfüchse daselbst zu jagen &. Auch ward
befohlen, diese Inseln nach seinem Namen zu nennen. Auf
einer Bootfahrt von der zweiten Insel nach Norden ent-
deckte Ljachow im Sommer 1773 noch eine dritte Insel,
die bergig und von weit grösserem Umfange schien, und
deren Küste mit Treibholz bedeckt war. Einer von der Mann-
schaft liess auf derselben einen Kessel zurück, welchen 1775
der von der Regierung mit der Aufnahme der Inseln be-
auftragte Geodät Chwosnow wieder fand, und trägt die Insel
seitdem den Namen Koteljnoi, d. h. Kesselinsel. Auf der
Insel brachte Ljachow den Winter zu und kehrte mit
reicher Ausbeute an Pelzwerk und Mammuthsknochen nach
Ustjansk zuriick.
Auf dieser Reise war ein Kaufmann, Namens Protodia-
konow, sein Begleiter, und dem Berichte dieses Mannes an den
Secretär der Billing’schen Expedition, M. Sauer !), verdan-
ken wir die ersten ausführlichen Angaben über die Lja-
chow’schen und Neusibirischen Inseln. Auf der Seefahrt
nach den Inseln ging die Strömung westwärts und das
Meerwasser war sehr salzig. Die erste Insel ist, drei oder
vier unbedeutende Felsberge ausgenommen, flach und san-
dig; in der Mitte wurde ein sehr seichter See von be-
trächtlicher Grösse entdeckt. Wenn die Sommersonnenhitze
das Eis wegthaut, kommen Mammuthszähne und -Knoochen
in grossen Mengen zum Vorschein. Nach Chwojnow’s eige-
nen Worten scheint die ganze Insel aus Lagern von Mam-
muthsknochen zu bestehen, in welchen sich Schädel und
Hörner eines büffelartigen Thieres und Rhinoceroshörner
f) An Acoount of a Geographical and Astronomical Expedition to
ibe Kortbern Parts of Russia. London 1802, p. 105 f
165
vorfinden. Es fanden sich einzelne sehr lange und ge-
rade Knochen vor, die schraubenförmig gewunden waren.
Auch die niedrige zweite Insel, welche Chwojnow nur
nach Angaben der Promyschlenniks in die Karte ein-
trug, war reich an Mammuthresten ; wie auf der ersten,
gab es auch auf dieser viele Polarfüchse. Die Oberfläche
der Insel besteht aus einer ziemlich dichten Schicht Moos,
es fanden sich nur wenige niedrige Pflanzen.
Auf der dritten Insel Koteljnoi fand man einen be-
trächtlichen Fluss, welchem der Name Zarewa gegeben
wurde. Die Küsten waren mit sehr zerstreut liegendem
Treibholz bedeckt. Die Spitze eines sehr hoben Berges
wurde bestiegen, von wo man bei klarem Wetter nach
Osten, Westen und Norden bergiges Land erblickte. Es
wurden noch drei weitere Flüsschen entdeckt, welche reich
an Fischen, namentlich an einer auch in Ochotzk und Kam-
tschatka vorkommenden Lachsart waren. Eine regelmässige
Ebbe und Fluth wurde nicht bemerkt. Die höhere Thier-
welt war ausser den Polarfüchsen noch durch Eisbären,
Wölfe, Renthiere, Wale, namentlich Weisswale vertreten.
8. CooX’s Erpedition ım Norden der Bering-Strasse 1778.
— Im Sommer 1778 passirte Cook !) auf seiner dritten
grossen Entdeckungsreise am 10. August die Bering-Strasse
in der Absicht, zur Baffın- Bai vorzudringen. Auf dieser
Fahrt wurde er durch das Eis zur sibirischen Küste ab-
gedrängt, welcher entlang er vom Nordcap bis zur Bering-
Strasse fuhr. Cook selbst wie auch der Astronom Bailey
glaubten auf dieser Fahrt verschiedene Merkmale zu finden,
aus welchen sie auf die Nähe eines nach Norden hin lie-
genden Landes schlossen. Die beinahe unmerkliche Zu-
nahme der Meerestiefe bei Entfernung von der amerikani-
schen oder asiatischen Küste; die Schwärme von wilden
Gänsen und Enten, die jetzt, im August, zu der gewöhn-
lichen Epoche von Norden nach Süden zogen; die Gestal-
tung der Eisschollen und mehrere andere Umstände dien-
ten, nach Burney’s Meinung, zum Beweise, dass sich im
Norden dieser Durchfahrt ein noch unentdecktes Land be-
finden müsse. Strömungen wurden zwar nicht bemerkt,
aber das Eis trieb sichtbar nach Süden.
4. Billinge und Hedenströom’s Expeditionen 17867— 1411.
— Die Ergebnisse der Reise Cook’s gaben den Anstoss zur
Ausrüstung einer neuen russischen See-Expedition, welcher
von der Regierung die Aufgabe gestellt wurde, die Küsten
des Eismeeres zu untersuchen, die Lage der Inseln zwi-
schen Asien und Amerika zu bestimmen und die Möglichkeit
einer Durchfahrt aus dem Eismeere in den Stillen Ooean
durch die Bering-Strasse zu erproben. Der Oberbefehl wurde
dem Capt.-Lieut. J. Billings übertragen. Auf dem Flusse
1) Petermann’s Mittb. 1869, 8. 37; 1879, 8. 161.
166
Jassaschna, einem Nebenfluss der Kolyma, wurden zwei
Seefahrzeuge, „Pallas’”’ und ‚Jassaschna,” von 50, resp. 36 F.
Kiellänge erbaut; die Führung des ersteren übernahm der
Oberbefehlshaber, die des anderen Capt. Sarytschew. Am
25. Mai 1787 erfolgte die Abfahrt, Nischni Kolymsk wurde
am 18. Juni, der östliche Mündungsarm der Kolyma am
22, erreicht und nach mehrtägigem Aufenthalte am 27. Juni
in’s Eismeer eingelaufen. In der Strommündung fand man
die von D. Laptew’s Ermittelungen abweichende Tiefe von
3—5 Faden. Die Fahrt ging zunächst längs der Küste
hin, am 28. Juni befand sich die Expedition zwischen dem
Kleinen und Grossen Baranow -Felsen, wo am Ufer ein
Observatorium errichtet wurde Am 1. Juli wurde eiu Ver-
such gemacht, nach Norden vorzudringen, doch war man
schon nach einer Fahrt von 20 miles in der Richtung nach
NO zur Rückkehr genöthigt, weil das ganze Meer, so weit
man sehen konnte, mit ungeheueren Schollen bedeckt war,
was nach unseren heutigen Erfahrungen über die Eisver-
hältnisse im Frübsommer durchaus nicht zu verwundern ist.
Erst am 19. Juli konnte der Grosse Baranow - Felsen
passirt werden, schon 11 miles östlich, wo man schwim-
mende Eisberge traf, glaubte Billings, dass eine Weiter-
fahrt unmöglich sei, und entschied sich für die Umkehr
nach Nischni Kolymsk, obwohl Capt. Sarytschew, unter-
stützt von zwei anderen Officieren der Expedition, die
Meinung vertrat, dass es sehr wohl möglich sein werde,
in einer offenen von sechs Mann geruderten Baidare wei-
ter nach Osten vorzudringen und sich erbot, selbst diesen
Versuch zu wagen. Am 26. Juli war die Expedition wie-
der in der Kolyma-Mündung und 6 Tage später in Nischni
Kolymsk.
Da man somit die Unmöglichkeit eingesehen zu haben
glaubte, die Caps Schelagskoi und Tschukotskoi zu Wasser
zu erreichen, wollte man zu Lande mit Narten vordringen,
allein auch diess musste verworfen werden, weil man es
für unmöglich hielt, die zu einer Reise von mehr als
200 Werst erforderliche Quantität Hundefutter mitzufüh-
ren. Man beschloss nun von Ochotsk aus in dort ausge-
rüsteten Fahrzeugen durch die Bering-Strasse vorzudringen.
Billings ging über Irkutsk nach Ochotsk und fuhr 1791
von der Awadscha-Bucht (Peter-Paulshafen) mit dem Fahr-
zeug „Slawa Rossü” nach der Bering-Strasse aus. Als er
unterwegs in die Lorenz-Bai eingelaufen war und hier von
den Tschuktschen hörte, „dass das Eismeer so sehr mit
Treibeis bedeckt sei, dass es nicht einmal mit Baidaren
befahren werden könne”, beschloss Billing, obwohl seine
eigenen Beobachtungen auf der Cook’schen Expedition ihn von
der Unwahrscheinlichkeit dieser Angaben überzeugt haben
mussten, die weitere Seefahrt aufzugeben und die beschwer-
liche Reise durch das Tschuktschen-Land nach Nischni
|
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Kolymsk zu unternehmen. Billinge ging am 13. August
mit 14 Baidaren ab, welche ihn bis an die Bucht Metschig-
men brachten, von wo er auf Renthierschlitten mit einer
Tschuktschen-Carawane seine Landreise antrat. Der Geodät
Gilew erbielt den Auftrag, mit einer Baidare die östliche
Halbinsel bis zur Insel Koliutschin aufzunehmen und ihm
dort entgegenzukommen ; er war auch nur nooh 90 miles von
diesem Punkte entfernt, als die Tschuktschen, welche ihn be-
gleiteten, sich weigerten, ihm bis dahin zu folgen. Mit
Billings traf er bei dem Flusse Jugnej zusammen und beide
befuhren jetzt noch die Koliutschin-Bai. Am 17. Februar
traf die Expedition in der ersten russischen Niederlassung
am Grossen Aniuj an der Mündung der Angarka ein.
Inzwischen waren die Schlittenfahrten russischer Pelz-
jäger von dem sibirischen Festlande nach den nördlichen
Inseln fortgesetzt worden. Sannıkow, der Bevollmächtigte
der Erben des Kaufmanns Ljachow, entdeckte westlich von
der Insel Maloi, d. h. Kleine Insel, die Insel Stolbowoj
(Säulen-Insel), dann im Jahre 1805 die Insel Faddejew, so
genannt nach dem Promyschlennik, welcher hier zuerst ein
Winterlager errichtete. Endlich wurde 1806 durch den
Kaufmann Sirowatskoi die in der Folge mit dem Namen
Neusibirien bezeichnete grosse Insel entdeckt und die
Aufschliessung des ganzen Archipels durch den Bürger
Bjelkow, welcher die nach ihm benannte Insel fand, im
Jahre 1808 abgeschlossen. Streitigkeiten, welche zwischen
den Kaufleuten Sirowatskoi und Protodiakonnw in Betreff
der Ausübung des von dem ersteren ausschliesslich in An-
spruch genommenen Ljachow’schen Privilegiums auf Aus-
beutung der nördlichen Inseln entstanden, lenkten die Auf-
merksamkeit der Regierung auf die Angelegenheit, und sie
beschloss in Folge dessen die Inseln untersuchen zu lassen.
Sie entsandte im Jahre 1808 den Irkutsker Titularrath
Hedenström, welcher während der drei nächst folgenden
Jahre mit der Erfüllung dieser Aufgabe sich beschäftigte.
Sein Begleiter war der Bürger Sannikow. Die eigentlich
geodätischen Aufnahmen wurden theils von Koschewin,
theils von Pschenizyn ausgeführt; dieselben waren jedoch
sehr mangelhaft, wir verdanken erst dem Marinelieute-
nant Anjou die bis jetzt zuverlässigsten Ortsbestimmungen.
Aus den verschiedenen mit unermüdlicher Ausdauer in den
Jahren 1809—1811 unternommenen Schlittenreisen sei noch
Folgendes erwähnt. Bei seinem zweiten Besuche der Insel
Neusibirien im März 1810 machte Hedenström den Ver-
such, über das Eis nach Osten vorzudringen und legte in
4 Tagen 70 Werst zurück, bis offenes Wasser die Weiter-
fahrt unmöglich machte. Am 13. April erreichte er die
Mündung der Kolyma und unternahm von hier, nachdem
er sich mit frischem Proviant und neuen Narten versehen
hatte, eine Fahrt über das Eis nach Norden. 250 Werst
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse. 167
vom Baranow-Felsen wurde auch diese Fahrt durch einen
15 Faden breiten Wasserstreifen abgeschnitten. Im J. 1811
erblickte Sannikow „von der Nordküste der Insel Kotelnoi
nordwärts hohes Land”, dem er sich auf dem Eise bis zum
offenen Meere näherte. Die Entfernung betrug nach seiner
Schätzung nur noch 24 Werst.
5. Wrangel’s Sohlittenfahrtn 18621—1823. — Die letzte
grössere Expedition, welche von der Regierung zur Erfor-
schung der Küsten und Inseln des nördlichen Osteibiriens
zu Lande ausgesandt wurde, ist die bekannte unter Füh-
rang der Marine - Lieutenants F. v. Wrangel und P. F.
Anju in den Jahren 1821—1823. Letzterer erhielt den
Auftrag, die Aufnahme der Küsten zwischen den Mündun.
gen der Flüsse Olenek und Kolyma, so wie der nördlich die-
ser Küstenstrecke liegenden Inselgruppen vorzunehmen; das
Forschungsgebiet Baron v. Wrangel’s erstreckte sich auf
die Küste östlich von der Kolyma, auf die Bären - Inseln,
so wie auf das nach den Beriohten der Tsohuktschen häufig
vom Cap Jakan aus gesehene Land !). Beide Abtheilungen
der Expedition verliessen St. Petersburg am 23. März 1820;
von Moskau aus ging Wrangel mit Matiuschkin nach Ir-
kutsk voraus, wo er am 18. Mai eintraf. Über Jakutsk
wurde Nischni Kolymsk am 2. November erreicht und hier
die weiteren Vorbereitungen für die im Frühjahre zu be-
ginnenden Schlittenreisen getroffen. Am 19. Februar 1821
trat Wrangel in Begleitung des Steuermanns Kosmin und
drei Leuten mit drei Narten und Proviant für einen Monat
die erste Schlittenreise an; dieselbe ging längs der Küste
auf 50 bis 300 Faden Entfernung von derselben über das
festgefrorene, mit einer ebenen Sohneekruste bedeckte Meer.
In Zeiten wurde übernachtet. Der Kleine und Grosse Bara-
now-Feelsen wurden paessirt, die Meserenge Sabadej zwischen
dema Festlande und den Ajon-Inseln überschritten und am
5. März Cap Schelagskoi erreicht. Auf der Rückreise wurde
die Tschaun-Bai von der Insel Arautan aus gekreuzrt, und
am 14. März traf die Expedition wieder in Nischni Ko-
iymsk ein, nachdem sie 1122 Werst zurückgelegt hatte,
Die zweite Schlittenfahrt, welche der Erforschung der
Bären-Inseln gewidmet war, wurde schon am 26. März an-
getreten. Die Vier-Pfeiler-Insel wurde am 29. erreicht und
an diesem wie am folgenden Tage durch Wrangel und
Matiuschkin untersucht und aufgenommen. Die Fahrt wurde
bes zum 4. April in der Richtung nach Norden über die
stellenweis mit einer dioken Salsschicht bedeckte Eisfläche
fortgesetzt. Spalten und Risse im Eise konnten häufig nur
believe Rahel liegt in deutscher Bearbeitung von
Berlin 1889, vor. Ein Aussug aus der Instruction und
die 3 Echlitianreisen Trangel'e Ins bereite
in Petermaan’s Mitth. 1869, 8. 38 f., gegeben.
in der eiuchen Aufefkluug der Hatdeckungeruisen
Läche eintreten zu isssen, auf ein kurzes Risumt.
durch übergelegte Bretter passirt werden. Nachdem die
nördlichste Breite, 71° 37$', erreicht worden war, ohne
Land zu seben, wurde ein Streifzug nach SO gemacht,
der an Beschwerden und Entbehrungen reich war, aber zu
keiner Entdeckung führte. Von der Vier- Pfeiler - Insel,
wo man am 19. wieder eintraf, wurde die Aufnahme der
Bären-Inseln in zwei Abtheilungen während 5 Tagen glück-
lich beendet. Am 28. April war die Expedition wieder in
Nischni Kolymsk, nachdem in 32 Tagen eine Strecke von
1210 Werst zurückgelegt worden war. Wegen der Unmög-
lichkeit, genügende Proviantvorräthe für die nächste Expe-
dition von den Eingeborenen zu erlangen, wurden während
des Sommers eine Anzahl Fischer zum Fischfang ausge-
sandt, der besonders eifrig an der Kleinen Tschukotachja
betrieben wurde. Mit Hülfe eines von Kosmin erbauten
Bootes nahm Wrangel die Mündungen der Kolyma auf,
während Matiuschkin den Lauf des Grossen und Kleinen
Aniuj feststellte, und Steuermann Kosmin die Küste zwi-
schen der Mündung der Kleinen Tschukotschja und der
Indigirka vom Juli bis October aufnahm.
Am 10. März 1822 brach Wrangel mit Matiuschkin,
dem Steuermann Kosmin und einem Matrosen zu seiner
dritten Schlittenreise mit fünf Narten von Nischni Kolymsk
auf, Von der nördlichsten Spitze des Baranow-Felsens ging
die Fahrt in nordöstlicher Richtung auf das Meer hinaus,
Nach grossen Mühseligkeiten wurde am 12. April die Breite
von 72° 2’, in gerader Richtung 266 Werst vom Grossen
Beranow-Felsen, erreicht, wo dünnes Eis und Anzeichen
eines nahen grossen Bruches zur Umkehr nöthigten. An-
fänglich wurde die Fahrt nach SO fortgesetzt, dann eine
westliche Richtung eingeschlagen und am 1. Mai die Küste
wieder erreicht, ohne dass eine Spur von Land hatte ent-
deckt werden können. Nach einer Abwesenheit von 57 Ta-
gen, in welchen 1355 Werst zurückgelegt worden waren,
traf die Expedition wieder in Nischni Kolymsk ein. Den
Sommer 1822 benutzte Wrangel zu Untersuchungen in der
Steinigen Tundra. Von Nischni Kolymsk fuhr er am 23. Juni
zu Boot nach dem Dorfe Pantelejewa, bestieg daselbst den
Berg Pantelejew und setzte dann seine Reise zu Pferde
nach dem Grossen Baranow-Felsen fort, wo er am 6. Juli
ankam. An der Mündung des Flusses Baranıcha. wurde
ein längerer Aufenthalt genommen, um astronomische Beob-
achtungen anzustellen, und hier traf Wrangel mit Matiusch-
kin zusammen, welcher den Lauf des Kleinen Aniuj ver-
folgt hatte und sich jetst zur Aufnahme der West- und
Süd-Ufer der Tschaun-Bai wandte. Wrangel selbst nahm
die Baranicha stromaufwärts auf, verfolgte dann einen west-
lichen Zufluss und traf am 20. August wieder in Nischni
Kolymsk ein, wo auch Matiuschkin nach fast dmonatlicher
Abwesenheit am 24. September glücklich ankam.
168 Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Die letzte und ausgedehnteste seiner Schlittenreisen,
welche nach Osten gerichtet war, trat Wrangel am 22. Fe-
bruar 1823 an. Er erreichte am 8. März Cap Schelagskoi
und begann am 13. von der Mündung des Flusses Werchon
eine neue Fahrt nach Norden, wohl die beschwerlichste und
mühseligste von allen. Um das Vordringen durch die Torossen
(Eisklippen, engl. hummocks), über die angehäuften Schnee-
massen und die Eisspalten zu erleichtern, liess Wrangel nach
2tägiger Fahrt über das Meereis 8 Proviantnarten zurlick-
gehen und den grössten Theil des Proviants im Eise ver-
graben. Die Reise wurde bis zum 23. nach Norden fort-
gesetzt; da versperrte eine an der schmalsten Stelle 150
Faden breite Spalte den Weg, und von einem hohen Toross
erblickte Wrangel das offene Meer voll schwimmender Eis-
berge, aber keine Spur von Land. Am 29, März war
Wrangel wieder am Flusse Werchon und setzte jetzt seine
Reise an der Küste nach O fort. Von Renthier-Tschuktschen,
welche an der durchzogenen Küstenstrecke nomadisirten,
hatten Wrangel’s Begleiter, Matiuschkin und Dr, Kyber,
erfahren, „dass von einem Orte, den sie Jakan nannten, öst-
lich vom Flusse Werchon, an heiteren Tagen im Norden
hohe Berge zu sehen seien”, weshalb sich Wrangel ent-
schloss, diesen Ort, das Cap Jakan, aufzusuchen. Am 8, April
erreichte er den genannten Felsen und berichtet: „Mit der
grössten Aufmerksamkeit betrachteten wir lange den Hori-
zont, in der Hoffnung, bei der reinen Atmosphäre vielleicht
etwas von dem Lande im Norden zu entdecken, welches
die Tschuktschen von hier aus gesehen zu haben behaup-
teten. Da wir durchaus gar keine Anzeichen der Art be-
merken konnten, so zogen wir in östlicher Richtung wei-
ter”. Wrangel erreichte den östlichsten Punkt seiner Fahrt,
die Insel Koliutschin, am 16. April und traf am 10. Mai
wieder in Nischni Kolymsk ein, nachdem er in 78 Tagen
2300 Werst zurückgelegt hatte. Von hier aus kehrte er
im Laufe des Herbst nach St. Petersburg zurück,
6. Anjou’s Erforschung der Neusibirischen Inseln 1821
—1823. — Wir wenden uns jetzt zu den gleichzeitigen
Expeditionen des Lieutenant Anjow!), Nach der Instruc-
1) Wir berichten über diese Expeditionen ausführlicher, da über
ihren Verlauf so gut wie Nichts bekannt geworden ist. Das Wrangel’-
sche Reisewerk enthält zwar auf der Karte eine Bezeichnung des Cursos
der Anjou’schen Schlittenfahrten, die aber unzuverlässig ist, im Texte
steht Nichts über ihren Verlauf und ihre Resultate. Die obigen Mitthei-
lungen sind den Sapiski des Hydrogr. Departements des K. Marine-Mini-
steriums, St. Petersburg 1849, Bd. 7, p. 117—121, entnommen. Die-
selben beruhen im Wesentlichen auf den im Archiv der genannten Be-
hörde aufbewahrten Journalen und Berichten Anjou’s, anderen offciellen
Actenstücken, so wie schriftlichen und mündlichen Mittheilungen An-
jou’s. Die von demselben geführten Mömoiren, so wie andere auf die
Expedition sich beziehende Documente sind leider bei einer in seiner
Wohnung ausgebrochenen Feuersbrunst vernichtet worden. Hieraus er-
klärt sich auch wohl, dass über Anjou’s Reisen, die geographisch min-
destens von gleicher Bedeutung waren wie die Wrangel’s, kein eigenes
Werk erschien.
tion, welche diese Abtheilung erhielt, sollten bei Eintritt
der bellen Frühlingstage Anfang März gleichzeitig zwei
Partien nach Norden ausgehen. Die erste, unter Anjou’s
persönlicher Führung, sollte von Ustjansk nach einer Sta-
tion 100 Werst östlich von Swjatoi Noss, wohin bereits
früher Hundefutter zu schaffen sei, vorgeschoben werden
und von hier durch die Meerenge Blagowjeschtschinsky,
welche 'Neusibirien von der Insel Faddejew trennt, nach
Norden vordringen, um das von Sannikow 1811 gesehene
Land zu erreichen und die Ausdehnung desselben festzu-
stellen. Auf der Rückreise sollte, wenn thunlich, die Lage
der Inseln Faddejew und Neusibirien genauer ermittelt wer-
den. Die zweite Abtheilung unter Führung des Steuer-
manns Djin sollte von der Insel Blischnij, d. h. Nahe
Insel, nach der Südspitze von Kotelnoi gerichtet werden,
das Südwestufer bis zur NW-Spitze befahren und endlich
die Bjelkow-Insel aufnehmen. Wenn diese Aufgaben in
einem F'rrühling nioht zu beenden seien, sollten sie im Früh-
jahre 1822 fortgesetzt, der Sommer des Jahres 1821 aber
zur Aufnahme der Küste zwischen der Lena und Kolyma
in einer zu erbauenden Baidare verwendet werden. Es
wurde jedoch Anjou durch die Instruction freie Hand ge-
lassen, je nach den Umständen von diesen Vorschriften
abzuweichen.
Am 1. October 1820 erfolgte die Ankunft in Ustjansk,
wo gerade die Hundeseuche herrschte, weshalb die Expe-
dition zunächst genöthigt war, Renthiere als Zugkräfte zu
verwenden. Die für die Reise ausgewählten Hunde wur-
den, um sie vor dem Erkranken zu bewahren, bei Eintritt
des Winters nach der kleinen Insel Simovjelach bei Cap
Bykow geschafft, von wo sie der Ende Februar von Ust-
jansk ausgehenden Expedition entgegenkamen. Am 2. März
fuhr man längs des Westufers der Borchaja-Bucht hin und
erreichte am 4. März die Station Chariulach. Hier traf
man die hierher gesandten Hunde, schickte nun die Ren-
thiere zurück und brach nach Simovjelach auf, Der Weg
ging durch die Tiksi-Bucht und über eine niedrige Landzunge
zur Bykow-Bucht, an deren Nordufer die Station liegt.
Nach 4tägigem durch starke Schneewehen veranlassten Auf-
enthalt erfolgte am 16. März der Aufbruch nach Norden
in 34 Narten, die von je 12 Hunden bespannt waren. Die
angestellten sorgfältigen Untersuchungen über die Schnellig-
keit der Fahrt ergaben, dass im Durchschnitt 5 Seemeilen
in einer Stunde zurückgelegt wurden, so lange die Hunde
nicht ermüdet und das Terrain nicht zu ungünstig war.
Am 18. wurde Barkin, eine Zufluchtshütte der Promyschlen-
niks, erreicht; von hier fuhr man am 21. ab und gelangte
nach 4tägiger Fahrt am 24. Abends zur Insel Stolbowoj.
Unterwegs hatte man nur ebenes, neu gebildetes Eis, wel-
ches sich von dem alten durch eine grünliche Farbe unter-
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse. 169
scheidet, und nur wenig Eisklippen und Schnee getroffen.
Das Nachtquartier wurde in Zelten hinter Torossen auf-
geschlagen und das Feuer zur Bereitung der Speisen und
des Thoes in Eislöchern angezündet. Als man sich dem
Ufer näherte, bemerkte man eine Nebelschicht, die nach
Aussage der Promyschlenniks selbst bei den klarsten Tagen
nicht schwinden soll.
In den folgenden beiden Tagen wurde Stolbowoj auf-
genommen und am 27. Kotelnoi erreicht, an dessen Süd-
seite sich die Expedition behufs Erforschung der Insel in
zwei Abtheilungen theilte. Der Steuermannsgehülfe Beresch-
nıch wurde mit der Aufnahme des Süd- und ÖOstufers be-
traut, während Anjou selbst die westliche und nördliche
Küste untersuchte. Von einem auf der ersteren unter
75° 36’ N. Br. belegenen Punkte wurde am 5. April der
Instruction gemäss der erste Versuch gemacht, das Land,
welches Sannikow gesehen haben wollte, zu erreichen.
Anjou schlug zunächst eine Richtung NWzW ein; der Weg
war schwierig durch hohe Torossen, dennoch drang er in
einem 3tägigen Marsche bis 76° 36’ 23” N. Br. und
137° 26' Ö. L. v. Gr. vor, wo dünnes Eis ihn zur Um-
kehr nöthigte. Nach NW lagerte dichter Nebel; als der-
selbe sich verzog, war kein Land zu sehen. Sannikow’s
Angabe, dass von der Nordseite der Insel Kotelnoi in nörd-
licher Richtung in Entfernung von 70 Werst Berge sichtbar
seien, erwies sich demnach als vollkoınmen unrichtig ').
Die Tiefe des Meeres betrug an diesem Punkte 16 Faden,
der Grund war flüssiger Schlamm.
Nach der Insel zurückgekehrt untersuchte Anjou die
Nordküste, wandte sich dann nach Süden und ging am
11. April unter 75° 46’ 36” N, Br. nach Faaddejew hin-
uber, wo er mit Bereschnich wieder zusammentraf, welcher
inzwischen die Ostküste von Kotelnoi aufgenommen hatte.
Am 14. April brach man von Neuem in der Richtung
NzW !/, W wiederum zu einer Fahrt über das Eis auf, die
schon, nachdem 7 miles zurückgelegt waren, des dünnen
Eises wegen abgebrochen werden musste. Man ging noch
24 Werst zu Fuss, musste aber umkehren, da die Beschaffen-
beit des Eises sich nicht änderte. Die Tiefe des Meeres
betrug 14 Faden bei schlammigem Grunde. Am 16. wurde
die Küste vom Cap Nerpitschji bis Cap Blagowjeschtschinski
aufgenommen und am 17. unter 75° 28' 27” N. Br. nach
Neusibirien übergegangen. Von dem nördlichen Cap, Wys
1) Nach Wrapngel, S. 111, ging die Aussage Sannikow’s jedoch dahin:
Von der Nordküste der Insel F'addejew sah Bannikow naeh Norden ein
La2d mit hohen Bergen und machte sich zur näberen Untersuchung auf den
Weg; er batte aber nur erst 25 Werst zurückgelegt, als er auf eine
grosse offene Polynja stiess, die sich nach allen Seiten hin erstreckte.
Das obige Land sah er jetzt ganz deutlich und schätzte die Entfernung
desselben von hier auf 24, folglich von der Insel auf $5 Werst. Die
Stelie, wo Anjou das von Sannikow gesichtete Land zuchte, war dem-
sach weit entferat von der Gegend, wo os Sannikow gesoben haben will.
Petermann’s Oeogr. Mittheilungen. 1879, Heft V.
soki (Hohes Cap), sah man auf 5 miles Entfernung von der
Küste das Meer mit treibenden Eisschollen. Von Cap Rjabi
aus wurde am 21. ein neuer Vorstoss über das Eis in der
Richtung nach NNO gemacht, der unter 75° 26' N. Br.
und 151° 16° Ö. L. wegen unüberschreitbarer Torossen
abgebrochen werden musste. Nachdem noch die Caps Ka-
mennoi und Peszowy aufgenommen worden waren, kehrten
Anjou und seine Gefährten nach Ustjansk zurück, wo sie
am 8. Mai eintrafen.
Während des Sommers, und zwar vom 29. Juni bis
12. August, nahm Anjou vom Lande aus zu Pferde, da für
eine Wasserfahrt das Meer zu seicht war, die Küste von
der Jana bis zum Dorfe Russkoje Ustje an der Indigirka auf.
Der Generalgouverneur von Sibirien, Graf Speranski, wel-
cher von Anfang an für die Unternehmungen Wrangel’s und
Anjou’s das „lebhafteste Interesse bezeigt hatte und dem
auch die Oberleitung übertragen worden war, entschied sich
für Fortsetzung der Versuche, das unbekannte Land im
Norden der Neusibirischen Inseln zu entdecken, überliess
es aber Anjou, die geeignetste Jahreszeit hierfür zu wäh-
len. Dieser hielt die Sommerzeit für ungeeignet, weil
nach den Berichten der früheren Reisenden während der
Sommermonate gewöhnlich dichte Nebel die Inseln umgeben
sollten. .
Im Februar 1822 übertrug er dem Steuermann ’Ijin
die Aufnahme der Küste von der Jana bis zum Ölenek,
während er selbst mit dem Steuermannsgehülfen Beresch-
nich seine Arbeiten auf den Neusibirischen Inseln fort-
setzte. Am 28. Februar verliess er Ustjansk mit 12 Nar-
ten, ging von Swjatoi Noss zur Insel Blischni und dann
nach Maloi, deren Aufnahme am 15. März beendet wurde.
Während Bereschnich nach Ustjansk zurückkehrte, setzte
Anjou seine Fahrt nach Norden fort und erreichte am
17. März die Sandbank, welche zwischen Kotelnoı und
Faddejew sich erstreckt. Auf ihrem Südrande entdeckte er
eine über den Sand sich erbebende Erdinsel, deren Länge
von O nach W 5 miles und deren Breite 2} miles betrug.
Am 17. März erreichte Anjou die Insel Faddejew auf
75° 20' N. Br. und die dort gelegene Grosse Wintersta-
tion, und fuhr am 21. auf der sich nach NW erstrecken-
den Landzunge bis zu deren Ende, welches Cap Beresch-
nich genannt wurde. „Von da”, so lautet der Bericht,
„sahen wir am Abend in NW 20° eine blauliche Ferne,
welche dem Anblicke eines entfernten Landes glich, auch
führte eine Renthierspur dabin. Am folgenden Tage schlu-
gen wir diese Richtung ein, aber nachdem wir 10 miles
zurückgelegt hatten, merkten wir, dass wir uns getäuscht
hatten. Jene Ferne war nicht Land, sondern ein Toross ;
die Renthierspur verschwand. Nach den Berichten der
hiesigen Promyschlenniks ziehen namlich die Renthiere dex
22
. 170
Salzwassers wegen vom Lande über das Eis bis zu offenen
Stellen des Meeres”. Nach einer weiteren Fahrt von 23 miles
wurde das Eis sehr dünn, die Tiefe des Meeres wurde zu
103 Faden ermittelt, der Grund bestand aus Schlamm mit
feinem grauen Sande.
Als sie noch 7 miles zurückgelegt hatten, bemerkten
sie südwärts eine kleine Insel, welche betreten und nach dem
Arzt Figurin benannt wurde. Hier verweilte die Expedition
am 23. und 24. März bei NW-Wind, Schneetreiben und
einer Temperatur von —23° R.; am folgenden Tage ging
die Fahrt NWzW 18 miles weiter durch Torossen. Das Eis
war 3 Zoll dick, die Tiefe des Meeres 93 Faden, der Grund
bestand aus grauem feinen Sande. Darauf wurde die Fahrt
10 miles SWzW über dünnes mit Meerwasser bedecktes
Eis fortgesetzt; von einem Toross konnte man das offene
Meer erblicken, und Nachts wurde das Bersten des Eises
gehört. Am 26. nahm man auf einer Strecke von 73 miles
einen WSW-Curs, der durch dichte Torossen ging, nach
NW zeigte sich das offene Meer. Bei darauf eingeschla-
gener SW-Richtung fand man unter 76° 21’ N. Br. und
138° 43’ Ö.L. das Meer 124 Faden tief, und als Grund
feinen grauen Sand. Nach NW traf man schon nach
einer Fahrt von 300 Faden das offene Meer, in welchem
das Eis von Ost nach West trieb, obgleich der Wind west-
lich *war. Noch 13 miles nach SW fahrend, hielt man sich
in geringer Entfernung vom Meere; die Beschaffenheit des
Eises an demselben deutete darauf hin, dass es erst kurz
zuvor, wahrscheinlich während der Stürme vom 23.—25.,
aufgebrochen sein musste.
Noch ım Laufe des Tages kehrte Anjou vom 76° 12’
N, Br. und 138° 10' Ö. L. nach Kotelnoi zur Mündung
des Flusses Rjeschetnikow zurück. Der Übergang nach
Faddejew erfolgte an derselben Stelle wie im vorigen Jahre.
Vom 31. März bis 4. April wurde die West- und Südküste
aufgenommen, und von Cap Peszowy nach Neusibirien über-
gegangen. Vom 4. bis 8. April wurde das Südufer dieser
Insel zwischen den Caps Roschin und Peszowy untersucht,
am 9. April ging die Fahrt von Cap Kamennoi in östlicher
Richtung auf das Meer. Am Tage schmolz der Schnee
bereits; um daher den Hunden das Ziehen der Schlitten zu
erleichtern, reiste man des Nachts. Unter 75° 26’ N. Br.
und 154° 50' Ö. L. wurde am 14. April Abends eine
südlichere Richtung eingeschlagen. In dieser Nacht fiel
das Thermometer auf — 22° R., während die Abendtempe-
ratur bisher —5 und 6° gewesen war. Die Tiefe des
Meeres betrug 14$ Faden, der Grund bestand aus Schlamm.
Bei der Weiterfahrt wurden die Torossen so zahlreich und
mächtig (einzelne bis 12 Faden Höhe), auch die Hunde so
ermüdet, dass Anjou am 20. April auf 74° 3' N. Br. und
158° 10’ Ö. L. die Richtung südlich auf das Festland
.—— _ [u ——
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
einschlug, welches am 27. April bei der Mündung des
Flusses Chrestowaja erreicht wurde. Am 5. Mai traf er in
Nischni Kolymsk ein. Die Unpassirbarkeit der Wege zwang
ibn, bis zum 22. Juli hier zu bleiben, worauf er zu Pferde
nach Ustjansk abreiste.
Inzwischen hatte der Steuermann Iljin die Aufnahme
der Küste von der Jana bis zum Ölenek ausgeführt. Am
27. März brach er mit 5 Narten von Ustjansk auf, erreichte
das Dorf Murasch an der Mündung der Jana am 29. und
folgte jetzt, der Küste in der Entfernung von 1 mile. Am
2. April wurde Cap Borchaja passirt und vom 3, bis 5. April
das Ostufer der Borchaja-Bucht, bis zum 9. April das West-
ufer derselben aufgenommen. An diesem Tage wurde auf
der Insel Simovjelach Halt gemacht. Bereschnich wurde
von hier aus zur Aufnahme der Bykow-Bucht und des un-
teren Laufes der Lena bis zur Ansiedelung Bulun ausge-
gesandt, während Ijin selbst quer durch das Delta sich
zum nördlichsten Mündungsarm Tumatskaja wandte, von wo
aus er die Untersuchung der Küste bis zum ÖOlenek zu
Ende führte,
Im Mai 1822 machte Anjou dem Generalgouverneur
von Sibirien, Speranski, den Vorschlag, nunmehr, nachdem
die verschiedenen Schlittenexpeditionen zur Aufsuchung des
von Sannikow gesehenen Landes erfolglos geblieben, den
Versuch zu machen, im Sommer mittels einer ungedeckten
Sloop vom Nordufer der Inseln Kotelnoi oder Faddejew
nordwärts vorzudringen, da eine Möglichkeit vorliege, dass
‘ das Eis unter Einwirkung von Winden zu dieser Jahres-
zeit an einzelnen Stellen vom Ufer abtriebe. Das Marine-
Ministerium entschied sich jedoch leider auf die Vorstellung
von Speranski, welcher das von Anjou vorgeschlagene Unter-
nehmen für zu gewagt und zu wenig Erfolg versprechend
hielt, gegen dasselbe und ordnete an, dass im Frrühjahre
1823 die Aufnahme der Insel Bjelkow ausgeführt und der
Versuch gemacht werde, von hier so weit als möglich nach
W oder NW über das Meer vorzudringen, um auch diesen
Theil des Meeres nicht unerforscht zu lassen.
Am 10. Februar bricht Anjou mit 4 Narten von Ust-
jansk auf, erreicht am 14, die Insel Simovjelach und am
23. die Station Barkin, von wo aus am 26, Jie Fahrt nach
Norden angetreten wurde. Bis zum 1. März wurde eine
Entfernung von 83 miles in nördlicher Richtung zurück-
gelegt; man wandte sich dann, weil das Eis dünn wurde,
östlich, dann südöstlich zur Aufnahme der Inseln Wassiljew
und Ssemenow. Am 6. März wurde die Fahrt nach Norden
wieder aufgenommen und die nördlichste Breite unter 75°
54' und 136° 24’ Ö.L. erreicht, wo Brüche im Eise die
Nähe offenen Wassers anzeigten. Die Tiefe betrug bier
gegen 21 Faden, der Grund bestand aus Schlamm. Am
12. März war die Temperatur bis auf — 34° R. gesunken.
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Aus der Schichtung des Schnees wurde der Schluss gezo-
gen, dass im Winter die Winde aus NW, SW und S vor-
berrschen. In den Tagen des 13. bis 15. März wurde die
Insel Bjelkow untersucht und dann nach Kotelnoi gefahren.
Eine Zeit lang befand sich die Expedition dadurch in arger
Verlegenheit, dass das nach der Verabredung hier in der
Station Durnow niederzulegende Hundefutter sich nicht vor-
fand. Dasselbe hatte wegen Unwetters nicht rechtzeitig ge-
liefert werden können und traf erst am 17. auf der Station
Jegorow ein. Am 19. wurde Cap Medwjeschi (Bären-Cap),
die südlichste Spitze von Kotelnoi, erreicht, und von hier
die Fahrt nach dem Festlande zur Jana-Mündung gerich-
tet, wo die Expedition am 21. eintraf. Am 28. war sie
in Ustjansk, von wo Anjou seine Rückkehr nach St. Peters-
burg antrat,
Seitdem hat die wissenschaftliche Erforschung jenes
Theils der sibirischen Küstengegenden lange geruht. Erst
in den Jahren 1868 bis 1870 wurde eine neue Expedition
von der K. Russ. Geogr. Gesellschaft unter Leitung des
Baron v. Maidell in den östlichsten Theil dieses Gebietes
gesandt, deren Hauptzweck die gründliche Erforschung des
Tschuktschen-Landes und die Einziehung von Nachrichten
über das 1867 von den amerikanischen Walfischjägern Long
und Craynor gesehene Polarland war. Über den Verlauf die-
ser Expedition liegt ein Bericht des Astronomen K. v. Neu-
mann !) vor, aus welchem einzelne Abschnitte auch in deut-
scher Sprache veröffentlicht worden sind?2),. Nachdem im
Februar 1870 ein Versuch, die Inseln zu erreichen, wegen
Unwetters hatte aufgegeben werden müssen, brach Neumann
am 13. April abermals von Nischni Kolymak auf, betrat
das Eismeer am 18. an der Mündung der Agafonowka,
besuchte alle sechs Inseln und kehrte über den Baranow-
Felsen am 29. April nach Nischni Kolymsk zurück. Das
zahlreiche Kartenmaterial, auf welches bereits früher ?)
hingewiesen wurde, ist bisher leider nicht veröffentlicht
worden.
7. Neuere Expeditimmen im Norden der Bering- Strasse. —
Im Jahre 1848 erhielt Capt. Z. Kellett‘), Befehlshaber
des englischen Kriegsschiffes „Herald”, welcher an der West-
küste Central-Amerika’s mit Vermessungsarbeiten beschäf-
tgt war, den Auftrag, der letzten Franklin’schen Expedi-
tion von der Bering-Strasse aus zu Hülfe zu kommen. Bei
seinem zweiten Streifzuge im Sommer 1849 drang das Schiff
zwei Mal nordwärts in das Eismeer ein. Von der ameri-
kanischen Küste segelte Kellett nordwestlich, entdeckte am
——
1) Istwestija der Sibirischen Abtheilung der K. Russ. Geogr. Ge-
sellschaft 1871, Heft 1 und 32.
’) Globus 1874, Bd. 26, Nr. 20 f.; 1875, Bd. 28, Nr. 3—3.
3) Geogr. Mitth. 1878, 8. 211.
*) Geogr. Mitth. 1868, 8. 3 £.; 1869, 8. 31.
171
13. August unter 171° W. L. die nur 7 Faden tiefe
Herald-Bank und am Morgen des 17. die Herald-Insel, auf
der er landete. In einer Entfernung von 60 miles glaubte
er bei klarem Wetter ein von Wolken umgebenes, aus
säulen- und pfeilerartigen Felsen und zerrissenen Berg-
spitzen bestehendes hohes Land zu sehen, dessen Existenz
jedoch von Commodore ZAodgers !), welcher im Jahre 1855
an derselben Stelle war, bestritten wird. Nach einem Be-
suche der Herald-Insel segelte er der sibirischen Küste ent-
lang, ohne die nach den Berichten der Tschuktschen von
Cap Jakan aus gesehenen Berge zu erblicken, obwohl er
sich nur etwa 4 bis 8 d. Meilen von denselben befand.
Erst im Jahre 1867 sollte die Existenz dieses so vielfach
bestrittenen Landes durch die Fahrt des amerikanischen
Walers Capt. Zong ?) ausser Zweifel gestellt werden. Der-
selbe segelte in den Tagen des 14. bis 16. August auf
15 miles Entfernung südlich von demselben hin. Die Lage der
Südwestspitze des in hohen Bergen aus der See aufsteigen-
den Landes, Cap Thomas, bestimmte er auf 70° 46' N. Br.
und 178° 30' Ö. L.; die Lage der Südostspitze, Cap
Hawaii, auf 70° 40’ N. Br. und 178° 51’ W. L. Fast
gleichzeitig wurde dieses Land auch von dem Capt, COraynor
auf dem Schiff „Reindeer” gesichtet. Seiner Angabe nach
liegt die Südwestapitze auf 70° 50’ N. Br.?) und 178° 15'
Ö.L., die Südostspitze auf 71° 40’ N. Br. und 176° 40’
Ww.L.
Prof. Nordenskiöld hat in seiner Denkschrift an den
König Oscar von Schweden *) darauf hingewiesen, dass
der geringe Erfolg der früheren Seefahrten im Sibirischen
Eismeere sich u. A. durch die frühe Jahreszeit, in welcher
sie unternommen wurden, erkläre. Die nachfolgende Über-
sicht unterstützt diese Auffassung, denn gerade die Expe-
ditionen, welche die längsten Strecken in einem Sommer
zurücklegen konnten, wurden im Unterschied zu den anderen
erst im September zu Ende geführt:
Deschnew führt 1648 Juni bis October von der Kolyma zum Ansdyr.
Buldakow fährt 1649 Juli bis September von der Lena zur Indigirka.
Amossow geht 1724 14 Juli von der Kolyma aus, kehrt bald wegen
Treibeises um.
Lassinius gelangt vom 2. bis 13. August 1735 von der Lena zum
Chariulach,.
Laptew’s Pahrten gehen 1736 30. Juli bis 11. August vom Chariulach zur
11. August bis 22. August von der Lena
östlieb und zurück,
1739 24. Juli bis 9. September von der Lens
sur Indigirka,
1740 31. Juli bis 14. August von der Indi-
girka zur Kolyms,
1741 8. Juli bis 5. August von der Kolyma
bis Gross-Baranow.
1) Geogr. Mitth. 1855, S. 375; 1868, S. & f.; 1869, 8. 32.
”%) Geogr. Mitth. 1868, 8. 1; 1869, 8. 88%.
3) Nautical Magazine 1868, p. 100, giebt 75° 50° N. Br, an, was
jedenfalis auf einem Druckfehler beruhen muss.
*) Geogr. Mitth. 1878, 3. 147.
172
Schalaurow fährt 1761 vom Juli bis 19. September von der Jana
zur Kolyma,
1762 vom 21. Juli bis 21. August von der Kolyma
sum Cap Schelagskoi.
Billinge gelangt 1787 vom 27. Juni bis 19. Juli von der Kolyma bis
11 miles östlich von Gross-Baranow.
In dem Theile des Sibirischen Eismeeres östlich von
Cap Schelagskoi werden die Eisverhältnisse nicht durch das
Zuströmen erwärmten Flusswassers modificirt, und stellen
sich daher die Resultate der Reisen in diesem Gebiete
anders.
Bering kehrt am 15. Augut 1728 bei Serdze Kamen um.
Cook segelt am 29. August 1778 vom Nordcap nach Süden.
Rodgera segelt 1855 am 19. August in der Long-Strasse bis 177° 40’
. L. v. Gr.
Long erreicht 1867 am 1. August in der Long-Strasse 170° 20' Ö. L.
v. Gr.
Onatzewitsch kehrt 1876 am 15. August vom 180° Ö. L. v. Gr. nach
Süden um.
II. Beschreibung der Küsten und Inseln.
Während wir über den westlichen Theil der sibirischen
Eismeerküste von der Lena-Mündung bis zum Karischen
Meer eine Reihe von Berichten wissenschaftlicher Reisen-
den, vor Allem das grosse Werk von Middendorff besitzen,
ist unsere geographische und naturwissenschaftliche Kunde
für die Gegend von der Lena bis zur Bering-Strasse eine
sehr lückenhaftee Die Küsten und Inseln sind freilich
durch die oben erwähnten Reisenden, namentlich durch
Wrangel und Anjou, dem Anscheine nach genau und zu-
verlässig bestimmt worden, dagegen haben bis jetzt Natur-
forscher von Fach diese Gegenden fast gar nicht besucht.
Wir müssen uns deshalb darauf beschränken, aus den An-
gaben, welche sich in den Berichten der verschiedenen Rei-
senden vorfinden, ein allgemeines Bild von der Beschaffen-
heit der Küsten und Inseln zusammenzustellen.
1. Die Küsten des Festlande. — Zwischen der Lena
und der Bering-Strasse sind die Ufer meistentheils niedrig
und flach; einige Werst von denselben entfernt zieht sich
eine Erhebung hin, die sich an die hart am Meere liegen-
den, vereinzelten hohen Küstenpunkte anschliesst, unter
welchen namentlich das Grosse Baranow-Vorgebirge (Schaf-
Felsen, so genannt, weil hier das Argali in Heerden wei-
det), besonders bemerkenswerth ist. Es besteht aus zwei
fast parallel sich erhebenden Felsen; aus der Ferne gese-
hen bat es die Gestalt eines flachen Berger, auf welchem
ein niedriges Zelt errichtet zu sein scheint. Der west-
liche von diesen Felsbergen besteht aus weissem Granit,
der östliche aus schwarz- blauem Schiefer. Auf dem er-
steren nimmt man verschiedene aus isolirten Granit-
blöcken gebildete Gestalten, die mit dem Namen Kekury be-
zeichnet, wahr, wie sich dergleichen überall am Eismeere,
wo das Ufer aus Granit besteht, vorfinden. Der ersten
‚ Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Ljachow’schen (Blischni-) Insel gegenüber liegt ein ähn-
liches Felsencap, Swjatoi Noss (Heiliges Cap), das, weit
in’s Meer hinaustretend, steil zu einer Höhe von 25 Faden
aufsteigt. Noch bedeutender erhebt sich in schwarzen senk-
recht emporsteigenden Säulen das Cap Schelagskoi. Auch
Cap Jakan, in dessen Sicht die amerikanischen Waler,
wenn die Eisverhältnisse günstig sind, zuweilen kommen,
ist ein solches Felsencap. Das Nordcap, welches in seiner
Gestaltung grosse Ähnlichkeit mit dem Cap Schelagskoi
haben soll, besteht aus einem 105 Fuss hohen, in’s Meer
binaustretenden Schieferfels, der durch eine sehr niedrige
Landzunge mit dem Festlande zusammenhängt.
Die in einiger Entfernung vom Meere sich hinziehende
Erhebung ist wahrscheinlich in älterer Zeit der Küstenrand
gewesen, da sich an ihren Abhängen viele Spuren von
verwittertem Treibholz befinden, stellenweis 50 Werst vom
jetzigen Strande entfernt, bis wohin seit langer Zeit die
Wogen niemals haben dringen können, Unter den Ein-
geborenen ist die Meinung allgemein verbreitet, dass das
Meer an seinen Ufern zurücktrete, folglich dass der Spiegel
desselben sinke. Diess ist wohl richtiger dahin zu ver-
stehen, dass das JI,and sich hebt, wofür ausserdem eine
Reihe tbatsächlicher Beweise vorliegen. U. And. theilt Neu-
mann mit, dass er die von Wrangel 1822 bereits vermes-
sene Höhe des Otpriadysch, eines zwischen den beiden
Baranow - Vorgebirgen gelegenen Felsens, nachgemessen,
wobei sich ergeben habe, dass 1870 die Höhe 384 Fuss
gegen 30 Fuss im Jahre 1822 betrug. Auf den hier und
da angeführten Umstand, dass die von Schalaurow verzeich-
nete Diomed-Insel östlich vom Swjatoi Noss sich als solche
jetzt nicht mehr vorfinde, daher mit dem Lande verwach-
sen sein müsse, ist nicht allzu grosses Gewicht zu legen,
da nach Wrangel’s Mittheilungen diese Insel schon 40 Jahre
später nicht mehr vorhanden war.
In ihrem westlichen Theile ist die Küste durch ein-
zelne Buchten und grössere Flussdeltas vielfach gegliedert.
Von den ersteren sind hervorzuheben die von dem Steuer-
mann der Anjou’schen Expedition Iljin 1822 aufgenommene
Borchaja-Bucht mit vielfach hohen und felsigen Ufern, ferner
die durch eine breite, nach NO sich zuspitzende Landzunge
von einander geschiedenen seichten Buchten Omuljagskaja
und Chromskaja, endlich die von Schalaurow, Wrangel und
Matiuschkin besuchte Tschaun-Bai, an deren westlichen Ein-
gang die bergigen Ajon-Inseln liegen, welche durch die
51 Werst breite Sabadej- Strasse vom F'estlande getrennt
sind. Von der Tschaun-Bai bis zum Ostcap wird die ziem-
lich einförmig verlaufende Küste nur durch die Koliutschin-
Bai unterbrochen, welche sich 60 miles südlich in’s Techuk-
tschen-Land erstreckt und nach Billings eine Breite von
höchstens 7 miles haben soll.
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Ausser einer grösseren Anzahl von Küstenflüssen ergiessen
sich folgende grössere Ströme, die theils im Werjochanski-
schen, theils im Stanowoi-Gebirge entspringen, in’s Eismeer,
indem sie in ihren Mündungen Deltas bilden: 1. die in
ihrem Laufe sich vielfach windende, etwa 1000 Werst
lange Jana mit der Hauptmündung Muraschka von 3 Werst
Breite und zahlreichen Nebenmündungen; 2. die ca 1200
Werst lange Indigirka mit drei Hauptmündungen; 3. die
kleinere nur 560 Werst lange Alaseja mit zwei Ausflüssen ;
endlich 4. der bedeutendste Strom des ganzen Gebietes, die
über 1500 Werst lange Kolyma mit drei Mündungsarmen.
Die gleichartigen Verhältnisse veranlassen beim Aufbrechen
des Eises im Frübsommer auch in dieser Osthälfte Sibiriens
eben solche Überschwemmungen, wie sie uns vom Ob, Je-
nisse] und Lena bekannt sind, zum Verderben der geringen
Bevölkerung, welche sich an den Ufern der Ströme ange-
siedelt hat. Wrangel war Ende Mai 1822 in Nischni
Kolymsk Zeuge einer solchen Wassersnoth, welche ihn
zwang, Tage lang auf dem platten Dache seines Hauses
zuzubringen. Über das Gefälle und Volumen der Ströme
bei verschiedenen Wasserständen, ein für die Hydrographie
des Landes höchst wichtiges Moment, ist bisher Nichts be-
kannt geworden.
Die Waldgrenze reicht an der Jana bis 30 Werst nörd-
lich von Ustjansk, an der Indigirka bis zum 70° N. Br.
and an der Kolyma bis in die Nähe der Mündung. An
der Jana sieht man noch bis Werchojansk Bestände gerad
aufgeschossener Lärchenbäume, von da an nördlich giebt
es nur noch Krüppelholz. Die Flüsse durchziehen in ihrem
unteren Laufe die sumpfigen, moosbedeckten Tundren, welche
das Küstengebiet bedecken. In diesen findet man eine
grosse Zahl tiefer fischreicher, zum Theile sehr ausge-
dehnter Seen, während fliessende Gewässer nur in geringem
Maasse in ihnen entstehen. Im Frühling belebt sich die
trostlose Einöde der Tundren durch Schaaren von Zug-
vögeln, die hier nisten. Im Sommer stellen sich unüber-
sehbere Heerden wilder Renthiere ein. Die wichtigsten
Fische der grösseren Flüsse sind der Hering und drei
Renken-Arten: Moksun, Njelma und Omul.
Die Bevölkerung des ganzen Gebietes ist, wie bei den kli-
matischen Verhältnissen erklärlich, eine äusserst geringe. In
dem ostlichstenTheil bis zur Tschaun-Bai wohnen die Tschuk-
tschen, von hier bis ungefähr zur Jana die Jukahiren, mit
Ausnahmen des Gebietes zwischen der Mündung der Indi-
girka und dem Swjatoi Noss, in dessen östlicher Hälfte
Jakuten, in dessen westlicher Tungusen leben. Die russi-
sche Bevölkerung beschränkt sich auf die wenigen kleinen
Städte und Ortschaften an den grösseren Flüssen, nament-
sch Nischni, Sredni und Werchni Kolymsk an der Kolyma;
Seschiwersk an der oberen Indigirka; Werchojansk und
5
173
Ustjansk an der Jana. Die Beschäftigung der Bevölkerung
besteht hauptsächlich in Fischfang und Jagd.
2. Die Inseln. — Die Gruppe der Bären-Insein besteht
aus sechs Eilanden, unter denen die dem Lande am näch-
sten — etwa 40 Werst — liegende Erste oder Kreuz-Insel die
grösste ist. Auf ihr erheben sich zwei hohe Berge ; die Küsten
an der Ost- und Nordseite bestehen aus steilen Felsen, das
westliche Ufer fällt allmählich ab. An der Südseite mündet
ein kleiner Fluss, in welchem Neumann Lachse fand. Nach
der Menge von Thierlagern und Gruben zu urtbeilen, die
sowohl Wrangel als Neumann hier antrafen, wird diese
Insel stark von Polarfüchsen, Wölfen, Bären, wie auch von
Renthieren besucht; besonders häufig sollen nach Wran-
gel’s und Neumann’s Berichten Mäuse sein, vermuthlich sind
Lemminge gemeint. Die Zweite Insel, welche eine Länge
von °/, Werst und eine Breite von 250 Faden hat, besteht
aus einer Gruppe grösserer und kleinerer Granitblöcke. Die
Dritte Insel erhebt sich nur wenig über das Meer, hat je-
doch steile Ufer; ihre Breite beträgt gegen 2 Werst. Die
Ausdehnung der Vierten Insel wird von den Reisenden
nicht angegeben, ihre Oberfläche besteht aus hartem Granit
und Dammerde. Auf der im Übrigen niedrigen Insel er-
heben sich an der Ost- und Südostküste zwei längliche
Berge, die Nordküste wird durch fast senkrecht stehende
Felsen gebildet. Hier behauptete der bereits oben erwähnte
Kosakensergeant Andrejew einen künstlichen Festungsbau
vorgefunden zu haben, der seiner Ansicht nach nicht von
Russen errichtet worden sei. Wie sich aus Wrangel’s und
Neumann’s Reiseberichten ergiebt, beruht diese Erzählung
Andrejew's auf Erfindung. Auch von der Fünften Insel
erfahren wir nicht viel mehr, als dass sie hohe und steile
Felsufer habe. „Die Bochste oder Vierpfeiler-Insel, von
Wrangel nach den vier weithin sichtbaren, granitnen (?)
Felsensäulen so benannt, ist kleiner als die Kreuz- (Erste)
und die Vierte Insel, grösser als die drei übrigen; sie hat
die Gestalt einer auf dem Wasser sitzenden Ente und kann
als doppelt angesehen werden, wenn der niedrige Isthmus,
welcher den Kopf dieser steinernen Ente mit dem Rumpfe
verbindet, vom Wasser überfluthet wird. Die geologische
Formation des Kopfes, dunkeler Schiefer mit Quarzadern,
ist gänzlich verschieden von der des Rumpfes, die baupt-
sächlich aus Gneis und Granit (?) besteht. Besonders in-
teressant war mir der Kopf dieser Insel; es befinden sich
dort eine Menge Bärenlager in einer Entfernung von 80
zu 80 Schritten, und der ganze gegen 10 Faden hohe und
etwa 5 Werst im Umfange breite Felsen ist rings mit
Millionen von Nestern des Plectrophanes nivalis (Schnee-
ammern) beklebt” !), Die Vegetation der Gruppe beschränkt
!) Neumann im Globus 1875, Bd. 28, 8. 75.
174 Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
sich ausschliesslich auf Moos, nur hin und wieder findet
sich ein wenig dürres Gras, auf der Sechsten Insel wachsen
auch Blaubeeren.
Die Zyjachow-Inseln bestehen aus den Inseln Blischni,
Maloi, Stolbowoj, Ssemenow und Wassiljew. Die erste
Ljachow’sche (Blischni-) Insel liegt ungefähr 70 Werst
nördlich vom Swjatoi Noss. Das Südende derselben bilden
die felsigen Caps Kisseljach und Titka; in der Nähe der
Nordspitze erhebt sich der Fels Kowrischka und in der
Mitte näher zur Ostseite der Felsen Chaptagai, an welchem
fast alle Flüsschen der Insel entspringen. Hinter den theils
steilen, theils sanft abfallenden Ufern der Nordküste steigt
in einiger Entfernung eine Bergkette auf. Von dem Ufer
erstrecken sich an vielen Stellen Sandbänke in’s Meer. Auf
der Insel pflegen die Promyschlenniks den Sommer zuzu-
bringen, um Mammuthknochen und -Zähne, die sehr zahl-
reich vorhanden, zu graben und Eisfüchse und Renthiere
zu jagen, auch haben sie hier zwei Winterstationen erbaut.
Die kleine Ljachow’sche Insel, Maloi, hat einen bedeutend
geringeren Umfang als die Blischni-Insel, auch ist ihre Er-
hebung keine so bedeutende. Die Insel Stolbowoj (Pfeiler-
Insel) liegt westlich von den beiden eben genannten und
beträgt ihre Ausdehnung von S nach N 35 Werst, ihre
Breite 5 Werst. Ihre Ufer bestehen aus schwarzen Schiefer-
felsen, welche sich 7 bis 9 Faden hoch erheben. Die
beiden westlichsten Inseln Wassiljew und Ssemenow wur-
den 1815 von dem Jakuten Maxim Ljachow entdeckt, als
er sich auf der Fahrt von der Station Barkin nach Kotelnoi
befand. Die erstere hat eine Länge von 4 miles in der
Richtung von N nach S und ist "/, mile breit; Ssemenow
bat ungefähr die doppelte Ausdehnung. Beide erheben sich
terrassenförmig bis zu 8 Faden Höhe, und nur die sich
gegenüberliegenden Enden, die Nordspitze von Wassiljew
und die Südspitze von Ssemenow, laufen in flache Land-
zungen aus.
Die Gruppe der Neussbirischen Inseln im Norden der
Ljachow’schen Inseln besteht aus drei grösseren und zwei
kleineren Inseln. Die ersteren sind Kotelnoi, Faddejew und
Neusibirien, die letzteren Bjelkow und Figurin. Von Ko-
telnoi giebt Anjou folgende Schilderung: Die Westseite der
Insel ist felsig, ihre Ufer haben eine Höhe von 6—10 Fa-
den, nur an dem hier gelegenen Landsee ist das Terrain
niedrig und sandig. Längs den Ufern ziehen nicht sehr ent-
fernt von demselben Bergzüge hin. Die Insel hat zahl-
reiche seichte Flüsse, unter welchen der bedeutendste die
fischreiche Zarewa ist. An der Dragozjennaja — d. h. die
Schatz führende — werden zuweilen Ammoniten gefunden,
welche in Thonkugeln eingeschlossen sind und von den
Promyschlenniks für wertbvoll gehalten werden. Diese haben
hier drei Stationen errichtet: Jegorow und Durnow auf der
Westseite, und Wolokitina im Süden an dem Flüsschen die-
ges Namens. |
An der Ostseite von Kotelnoi dehnt sich eine grosse
Sandbank weit in’s Meer aus, deren nördliches Ende bis
zur Insel Faddejew sich erstreckt. Auf derselben befinden
sich einzelne mit Röhricht bewachsene Erdhügel. Die Ufer
von Fiaddejew steigen terrassenföürmig zu einer Höhe von
8 Faden auf und bestehen aus Thon und Torf. Die nach
NW sich erstreckende schmale Landzunge hat dieselbe For-
mation. Winterstationen befinden sich zwei auf der Insel,
die grosse an der Nordküste, die kleinere an der Südküste
an dem Bache Dyrowato. Der Umfang der Insel wird auf
450 Werst angegeben.
Faddejew wird von Neusibirien durch die 15 Werst
breite Meerenge Blagowjeschtschinski geschieden. Die Aus-
dehnung dieser Insel beträgt 119, die Breite 75, der Um-
fang wird auf 470 Werst angegeben. Das Nordufer bilden
8—15 Faden hohe Dünen von Treibsand; die Süd- und
Ostufer sind ebenfalls grösstentheils hoch, nur zwischen den
Flüssen Abuohowa und Nadjeschnjaja senkt sich das Ter-
rain. Es giebt zwei Winterstationen auf der Südseite. Eine
besondere Merkwürdigkeit der Insel Neusibirien sind die
längs des Südufers sich vorfindenden zwischen 15 und 30
Faden hohen sogenannten Holzberge. Dieselben bestehen
aus Lagern von Kies und Sandstein, in welchen sich nach
verschiedenen Richtungen 2—6 Zoll dicke Stämme bitumi-
nösen Holzes eingebettet finden, welches glänzend schwarz
aussieht, bröcklich ist und beim Brennen einen harzigen
Geruch giebt.
Die Ufer der .westlichsten Insel dieser Gruppe, Bjel-
kow, sind grösstentheils felsig; nach Westen ergiessen sich
eine grössere Anzahl Bäche. Nördlich vom Nordrande
ragen mehrere Klippen bis zu 14 Faden Höhe aus dem Meere
hervor.
Das kleine Inselchen Figurin hat die Gestalt eines
Trapezes, dessen Parallelseiten in der Richtung von West
nach Ost gehen.
Die Pflanzenwelt der Ljachow’schen und Neusibirischen
Inseln ist eine äusserst kiimmerliche. Sie besteht aus Moos
und hier und da vorkommenden Gräsern, Salzpflanzen.
Ausser an den Nordufern von Faddejew und Neusibirien
findet sich überall Treibholz. Die Thierwelt ist die ge-
wöhnliche arktische: Eisbären, Renthiere, weisse, selten
blaue Füchse, Lemmiuge; die Vogelwelt ist durch das
Schneehuhn , die weisse Ohreule, Trauerente, den Taucher
und eine Art schwarzer Gänse vertreten. In den Gewäs-
sern finden sich der Seewolf und der Stichling.
Bekannt ist der Reichthum der neusibirischen Inseln
an Fossilien, namentlich Mammutbsknochen und -Zähnen.
Die neue Lieferungsausgabe von Stieler’s Hand-Atlas. 175
Am ergiebigsten in dieser Hinsicht galten bisher die
Ljachgw-Inseln, namentlich die erste, deren Boden nach
einem Bericht Sannikow’s fast ganz aus fossilen Knochen
zu bestehen scheint. Die reichste Ausbeute lieferte eine
Sandbank an der Westküste, und es scheint nach den Be-
richten der Promyschlenniks, dass auch das umgebende
Meer derartige Fossilien in Menge enthält; wenigstens ist
diese Sandbank, wenn sie durch anhaltende Ostwinde trocken
gelegt wird, mit einer Menge vom Meere ausgespülter
Zähne bedeckt. Noch heute bilden diese Fossilien einen
nicht unbedeutenden Handelsartikel Sibiriens.,. Die jähr-
liche Ausbeute, gegenwärtig auf 6000 Pud geschätzt,
Die neue Lieferungsausgabe
Von der bereits in einer Beilage zum ersten Heft
dieses Jahrganges der „Geogr. Mitth.” angekündigten neuen
Ausgabe von Stieler’s Hand-Atlas sind 3 Lieferungen er-
schienen.
Da jede Lieferung ein vollständig neu bearbeitetes Blatt
enthalten wird, die Bemerkungen über die dabei benutzten
Materialien aber erst am Schluss der ganzen Lieferungs»-
ausgabe gegeben werden können, so mag es manchem Abon-
nenten nicht unwillkommen sein, schon während der Publi-
cation der einzelnen Neuzeichnungen einige. darauf bezüg-
liche Bemerkungen zu finden.
Von den 29 neuen Blättern dieser Lieterungsausgabe
sind 15 von Dr. A, Petermann entworfen und unter
seiner Leitung angefangen worden und werden von seinen
Schülern vollendet.
Man hat mitunter den Petermann’schen Karten In-
oonsequenz sowohl in Bezug auf Wahl der Höhen- und
Tiefenmaasse als in Bezug auf Schreibart der Namen,
theils mit Recht, theils aber auch mit Unrecht vorge-
worfen.
Es ist richtig, dass das Pariser Fussmaass und die
deutsche geographische Meile, welche beide nicht mehr im
(sebrauch sind, dem Metermaass zu weichen haben, wenn
es auch aus Mangel an Zeit in dieser Lieferungsausgabe
noch nicht möglich sein wird, damit vollkommen auf-
zuräumen. Diess gilt besonders für den grössten Theil
von Europa. Wenn man aber für die englischen Colonien,
far die Vereinigten Staaten von Amerika und das grosse
Russische Reich, so wie für alle Tiefseemessungen das
Metermaass einführen wollte, so würden bei den fortwäh-
renden Nachträgen, die vielfach nur durch Vergleiche
scheint früher ergiebiger gewesen zu sein, denn im
Jahre 1809 soll Sannikow 10000 Pfund, 1821 ein Ir-
kutsker Kaufmann 20000 Pfund gesammelt haben. Auch
die Reste anderer Vierfüsser, namentlich die Schädel eines
büffelartigen Thieres (Moschusochse?), sind, wie berichtet
wird, vielfach gefunden worden.
Alle diese dürftigen Angaben und Nachrichten sowohl
über die Inseln als auch die Küsten des Festlandes werden
hoffentlich durch reiche geographische und naturwissen-
schaftliche Resultate der jetzigen Forschungsreisen berichtigt
werden,
M. Lindeman.
RILERE GELEGT
von Stielers Hand-Atlas.
gefunden werden können, dem Zeichner doppelte und drei-
fache Umrechnungen erwachsen, und es wäre für dieje-
nigen, welche die Karten zum Verfolgen eines Reise
berichtes oder zur Benutzung bei irgend einem officiellen .
Werk gebrauchten, höchst unangenehm. Stieler's Hand-
Atlas ist nicht nur für das Inland berechnet, er hat nicht
den Zweck eines methodischen Sohul-Atlasses. Dazu kommt,
dass das Metermaass für geographische Zwecke, wenn man
so sagen darf, ziemlich unhandlich ist. Die Tausender,
welche sich dem Gedächtniss zunächst einprägen, bilden
beim Fussmaass bessere Stufen, die sich den natürlichen
Isohypsen, wie Verbreitung der Pflanzen, Grenzen des ewi-
gen Schnees &c. besser anschliessen als beim Meter; Stu-
fen von 100 zu 100 dieses Maasses sind zu klein, solche
von 1000 zu 1000 zu gross. Eben so ist der Kilometer das
unpractischste Längenmaass, was sich denken lässt, 111,s
gleich einem Äquatorgrad. Da ist doch die englische geo-
graphische oder nautische Meile (60 = 1°) viel handlicher,
sie schliesst sich unserer Grad- und Zeiteintheilung an und
ist ungefähr gleich einer halben Stunde Weges —, das sind
Eigenschaften eines geographischen Maasses, die zur An-
schaulichkeit beitragen.
Ähnlich verhält es sich mit der Durchführung der
Meridianzählung.
Ferro ist als Ausgangspunkt längst verworfen, weil
der nach dieser Insel benannte Meridian in der Luft
oder vielmehr im Wasser schweben würde. Pariser Länge
mag für einige Länder Europa’s zweckmässig sein, am
genauesten bestimmt aber, absolut und relativ, von allen
Punkten der Erde ist die Lage der Sternwarte zu Green-
wich bei London. Die Engländer haben sich durch die
176 Die neue Lieferungsausgabe von Stieler’s Hand-Atlas.
Küstenaufnahmen ihrer Admiralität vor allen Ländern
der Erde das unstreitige Recht erworben, dass man auf
Karten aussereuropäischer Länder ihren Meridian angiebt,
und diess ist auch schon längst von anderen Nationen
anerkannt, z. B. von den Amerikanern und Russen, wel-
che den Meridian von Greenwich fast immer neben jenem
von Washington oder Pulkowa auf ihren Karten an-
geben. So ist auch auf Petermann’s Karten von ausser-
europäischen Ländern fast ausnahmslos der Meridian von
Greenwich ausgezogen, während er auf den wenigen, wo
dem von Paris der Vorzug gegeben wurde, wenigstens im
Rand angegeben ist. "
Mit mehr Recht trifft die Petermann’schen Karten der
Vorwurf der Inconsequenz in der Schreibart der Namen.
Die Sache bat ihre zwei Seiten; wenn man ganz conse-
quent sein will, so kommt man leicht zum Absurden, viele
Namen werden völlig verballhornisirt. Durch strenge Con-
sequenz wird mancher Name 30 verschieden von der ge-
bräuchlichen Schreibart, dass er von Laien gar nicht wieder
erkannt wird. So ist z. B. auf der Karte des Pamir-
Plateau’s im 52. Ergänzungsheft die russische, resp. deut-
sche Schreibart absichtlich neben der englischen gelassen
worden, damit man bei jedem einzelnen Namen verfolgen
kann, von welchen der beiden grossen Mächte Asiens die
betreffende Reise oder Vermessung ausging. Das ist jeden-
falls für den, der die Karte benutzt, angenehmer, als wenn
Alles nach einer Schablone ist; für Übersichtskarten kleine-
ren Maassstabes dagegen ist mehr Cpnsequenz nach dieser
Richtung am Platz.
Strenge Consequenz lässt sich in der Kartographie nicht
durchführen, jeder practische Kartenzeichner wird auf einer
specielleren Karte von Nord- Amerika englische Schreibart
und englisches Maass anwenden, auf einer von Süd-Amerika
dagegen spanische Schreibart und Metermaass,.
Es mag hier noch eine allgemeine Bemerkung Platz
finden über Terrain - Darstellung, Auf Generalkarten be-
merkt man oftmals übertrieben lange Abhänge, wo in der
Natur nur kurze, vielleicht kaum merkliche sind. Das er-
klärt sich folgendermasssen. Wenn der Kartenzeichner ein
übersichtliches Bild von einem Lande liefern will, auf dem
die charakteristischen Grundzüge jedem Beschauer sofort
in’s Auge springen sollen, auf dem man z. B. plateauartige
Massenanschwellungen des Bodens, die sich über ganze
Continente erstrecken, erkennen soll, so ist er gezwungen,
zu übertreiben, eben so wie er einen Fluss oder einen Weg
zwanzig Mal breiter, ein Ortszeichen vielleicht hundert Mal
grösser darzustellen hat, muss er viele Abhänge länger
zeichnen, als sie sich in der Natur vorfinden. Bei den
Terrain-Darstellungen der hier in Rede kommenden Blätter
ist besonders Sorgfalt verwendet auf die Streichungen der
grossen Parallelkettengebirge, auf die Unterscheidung von
felsigem und abgerundetem Gebirge, endlich auf die Dar-
stellung tief eingeschnittener Flussthäler, wie das des Great
Cafon of the Colorado.
Die Salz- oder periodischen Seen sind auf Petermann's
Karten durch besondere Schraffirung mit Punktirung von
den Süsswasserseen unterschieden, und dadurch gleichzeitig
die abflusslosen Gebiete gekennzeichnet, deren Wichtigkeit
für die physikalische Geographie Freiherr v. Richthofen in
dem ersten Bande seines grossen prachtvollen Werkes über
China so anschaulich dargelegt hat.
Ferner sind bei den neueren Bearbeitungen die eigent-
lichen Sandwüsten durch Punktirung streng von den wlsten
steinigen Hochländern (Hammada in der Sahara genannt)
unterschieden, während man auf anderen Karten noch
vielfach z. B. die ganze Sahara als Sandwüste angegeben
findet.
Endlich ist grosse Sorgfalt verwendet auf Darstellung
der Untiefen und Tiefseebodenverhältnisse, von welchen
letzteren unsere Kenntniss in den letzten Jahren einen un-
geahnten Aufschwung genommen hat.
Für die politische Eintheilung und Colonien oder Be-
sitzungen europäischer Mächte in fremden Erdtheilen boten
die geographisch-statistischen Ergänzungshefte von Behm &
Wagner willkommenen Anhalt. Für die Auswahl des Auf-
zunehmenden wurden die besseren geographischen Hand-
bücher, wie Klöden, Daniel, Stein benutzt.
Wir gehen, jetzt zur Besprechung der einzelnen Blätter
über.
Die Neuzeichnung der ersten Lieferung ist Nr. 69,
Nordwest-Afrika im Maassstab von 1:12500000, sie füllt
eine lange empfundene Lücke im Atlas aus, indem sie die
beiden neueren Blätter von Nordost- und Süd-Afrika er-
gänzt.
Beim Vergleich dieses Blattes mit seinem 1848 von
Fr. v. Stülpnagel gezeichneten Vorgänger fallt der grosse
nach Norden gekrümmte Bogen auf, den das Plateau von
Tasili mit seiner westlichen, nach Duveyrier gezeichneten
Fortsetzung Tanesruft und Aftut bildet. Er findet nach
Südosten eine noch deutlicher ausgeprägte Fortsetzung in
den Gebirgen von Tibesti und Wadschangs, er lässt sich
weiter verfolgen in den Gebirgen von Abu Harras, Marrah
und bildet mit dem Gangara-Gebirge und den westlichen
Randgebirgen des grossen Seengebietes gewissermaassen die
Centralaxe des ganzen Continentes, der sich die Krümmung
der Küsten ziemlich genau anschliesst, und es dürfte wohl
in dem inneren Bau des Continentes begründet sein, dass
gerade an der Stelle der stärksten Krümmung diese Axe
rechtwinkelig von den beiden Oasenketten durchschnitten
Die neue Lieferungsausgabe von Stieler’s Hand-Atlas. 177
wird, welche, wenn man sie nach Süden verlängert, die Baien
von Benin und Biafra mit den beiden Depressions-Gebieten
der grossen und kleinen Syrte verbinden, und welche die
natürlichen Trac&s boten für die beiden grossen, den mitt-
leren Sudan mit der Nordküste verbindenden Karawanen-
strassen über Asben und Kauar.
Andere Abweichungen dieser von der älteren Karte
finden sich natürlicherweise trotz der vielfachen Aufcorrigi-
rung der letzteren in den Küsten, welche den neuesten Aus-
gaben der englischen Seekarten entnommen sind und im
Verein mit den Aufnahmen der Franzosen im Nordwesten,
der englischen Aufnahme des River Kwara (Niger) vom
Lieut. J. H. Glover 1857 — 1859 und den Ortsbestim-
mungen unseres unglücklichen Landsmannes Ed. Vogel (ohne
welche dieser ganze Theil Inner-Afrika’s noch heute in der
Luft schweben würde) die astronomische Basis der Karte
bilden.
Das Kartenmaterial für das in Rede stehende Blatt ist,
wie das der meisten aussereuropäischen, noch nicht regel-
recht aufgenommenen Länder, sehr complicirt, besteht aus
einer grossen Anzahl oft gar nicht unter einander harmoni-
render Karten von den verschiedensten Werthen, Maass-
stäben, Sprachen und aus den verschiedensten Zeiten stam-
mend, welche zu einem einheitlichen Ganzen verarbeitet
werden mussten. Die Arbeit des Zeichners war bei diesem
Blatt wenigstens insofern wesentlich vereinfacht, als er nicht
dis zu Constructionen nach Itineraren oder unbestimmten
Angaben von Reisenden zurückzugehen brauchte, indem
diese ın den zahlreichen Karten zu Barth’s Reisen, in den
verschiedenen Jahrgängen der „Geogr. Mitth.” und ande-
rer geogr. Zeitschriften verarbeitet sind. Die Entscheidung,
welcher von zwei sich widersprechenden Karten der Vorzug
zu geben, ist bäufig schwierig, es muss genau untersucht
werden, in welchen Theilen und in welchen Beziehungen
jede Karte mehr oder weniger Vertrauen verdient, in ein-
seinen Fällen muss der Zeichner sein durch Erfahrung ge-
bildetes Gefühl bestimmend sein lassen.
Es kann natürlich nicht Zweck dieser Zeilen sein, jeden
einzelnen derartigen Fall zu besprechen, denn damit könnte
man leicht Bände füllen; es soll hier nur eine gedrängte
Übersicht gegeben werden.
Für die Atlasländer Algerien, Marocco und Tunis bot
sich in den französischen Generalstabskarten, gezeichnet im
Depöt de la@uerre, verhältnissmässig das beste Material, näm-
lich: Carte Generale de l’Algerie & l’Echelle de 1:1 600.000,
Paris 1874, Carte de l’empire duMaroc, par le Cp"® Beau-
douin, Paris 1848, und Carte de la Regence de Tunis,
Paris 1857, 2 grosse Blatt. Diese Karten wurden berich-
tigt und ergänzt durch zahlreiche, meist in dem Bulletin
de ia Soci6t6 de Geographie publicirte Vermessungs- und
Potermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft V.
Routenkarten, wie: Itineraires d’Ain-Ben-Khelil & 1'Oued-
Guir et au Figuig, par le Cp"* Kessler 1870 et par le
Cp®® Parisot (Exped. milit. de Wimpfen & de Colomb)
1872, Carte du Nivellement exdcutd par la Mission des
Chotts, 1875, E&quisse du Rivage Probable de la Mer Al-
görienne, par le Cp®* Roudaire 1874, Carte du Bassin des
Chotts von demselben 1876, Itineraire de l’oasis d’el Golea
& l’oasis d’In-Cälah, dressse sur les relövements de Paul
Soleillet par Gabriel Gravier 1877, Itineraires dans le Pays
des Ch4-anba, par C. Rose 1871 & Cp®* Parisot 1873.
Das Project der Fruchtbarmachung eines Theiles der nörd-
lichen Sahara durch Schaffung eines Binnenmeeres hat der
Geographie gute Dienste geleistet. Das unter dem Meeres-
spiegel liegende Gebiet erscheint freilich jetzt bedeutend
kleiner als man es sich früher wohl vorstellte.
Hier sind noch zu erwähnen: Carte du Plateau Central
du Sahara, par Henri Duveyrier (Exploration du Sahara
1859 —61), Itineraire d’un Voyage d’Exploration dans le
Sahara, par V. Largeau 1874—75 (Le Globe 1875, p. 25),
die in den „Geogr. Mittheilungen” publicirten Karten der
Reisen von Gerh. Rohlfs im Maroccanischen und dem Nor-
den des Tuareg-Gebietes in den Jahren 1861 und 1864
—65, Voyage & la Cöte du Maroc, par A. Beaumier, Consul
de Franoe 1855— 75, Esquisse Topographique d’une Partie
du Royaume de F'es, par C. Tissot, und im Wadi Nun: Visjes
de D. Joaquin Gatell (Memoriak de la Sociedad Geogräfica
de Madrid).
Auch im Westen bilden zum Theil französische Quellen
die Grundlage der Karte, z. B. Carte du Sendgal, de la
Fal&m6 et de la Gambie, publide par ordre de l’empereur
sous le Ministöre Comte de Chasseloup-Laubat 1861, aug-
mentee 1864, Carte du Soudan oocidental par E. Mage 1866.
Die Verbindung zwischen Marocoo und Senegambien
wird durch einige Reiserouten hergestellt (L. Panet 1850,
Bu-el-Moghdad 1860, Vincent 1860). Östlich und stidöst-
lich hieran stösst das grosse Gebiet von H. Barth’s Reisen
1850—55 und Erkundigungen, welche sich nordwestlich
an einige ältere Reiserouten, wie die von Cailli6 1828,
Mungo Park 1796—1805, Mage 1859—64, südlich an eng-
lische Forschungen anschliessen: The Rivers Kwara and Bi-
nueh, expl. by W. B. Baikie 1854, dessen Landreise 1862.
und Clapperton’s und Lander’s Routen 1825—27.
Die jetzige Gestalt des östlichen Theiles der Karte ist fast
ausschliesslich das Werk deutscher Forscher. An die beiden
grossen von Barth, Richardson, Overweg, Vogel, Rohlfs,
Nachtigal u. A. mehrfach bereisten Karawanenstrassen über
Asben und Kauar schliessen sich die kartographischen Resul-
tate der Reisen von Hornemann 1798, Beurmann 1862,
@. Rohlfs’ Reise von Tripolis nach Alexandrien 1869,
Nachtigal's Reise nach Tibesti 1869, nach Borku 1871,
23
178 Die neue Lieferungsausgabe von Stieler’s Hand-Atlas.
welcher wir die Lage und Gestalt der ausgetrockneten See-
betten im Gebiet des Bahr-el-Ghasal und die Lage von
Wadschanga, durch welche die Strecke bis Kufarah bedgutend
auseinandergedehnt wurde, verdanken. Auch südlich hier-
von in Wadai, Bornu, Bagirmi, Dar-Rungs &c. sind es die
theils in der Berliner geographischen Zeitschrift, theils in
den „Geogr. Mitth.” publicirten Routenkarten der Reisen
von Rohlfs 1867 und Nachtigal 1873, welche sich an die
von Barth anschliessen. Die gegen früher etwas verän-
derte Gestalt des Tsade-Sees ist ebenfalls nach Nachtigal
gezeichnet.
Baikie's Aufnahme des Kwara und Binueh 1854 wurde
durch eine Vermessung des unteren Kwara (Niger) von
Lieut. J. H. Glover 1857 — 59 und durch eine solche,
ebenfalls englische, am Nigerdelta (Boler & Knight 1877)
ergänzt. Im Camerun-Gebiet ist zu erwähnen Mr. Gren-
fell’e Exploring Journey (Missionary Herald, September
1877).
Auch den Küstenländern von Nord- oder Ober-Guinea
liegen meist englische Quellen zu Grunde: A map of the
Gold Coast and Parts of Ashanti, publ. by Ed. Stanford,
London 1873 (Kriegskarte), Map of the British Territories
on the Gold and Slave Coasts by E. G. Ravenstein (Ocean
Highways, July 1873), Specialkarte der Länder an der
Goldküste („Geogr. Mitth.” 1874, Tafel 2), die Reise des
Negers Benj. Anderson vorm Monrovia nach Mussardu, New
Route from Sierra Leone to the River Niger by Winwood
Reade 1869, Karte des Volta-Flusses von M. J. Bonnat
(Explorateur 1875). Endlich erwähnen wir noch den im
hiesigen Verlag befindlichen Missions- Atlas von Dr. R.
Grundemann.
Die Neuzeichnung der zweiten Lieferung ist Nr. 79,
Blatt 1 der 4-Blatt-Karte von West-Indien im Maassstab von
1:7500000. Sie soll gleichzeitig eine Übersichtskarte im
halben Maassstab der 6-Blatt-Karte von den Vereinigten Staa-
ten sein, ähnlich wie die von den verschiedenen europäischen
Staaten im Atlas. Die Wiederholung wird ausserdem ge-
rechtfertigt durch den Umstand, dass gerade seit dem Er-
scheinen der 6-Blatt-Karte die epochemachendsten Ver-
messungs- und andere Kartenwerke von den Vereinigten
Staaten erschienen sind, welche zum Theil die Grundlagen
auf so grosse Strecken verändern, dass nur eine ganz neue
Karte den gegenwärtigen Standpunkt genau wiedergeben
kann, ferner wird der ganze hauptsächlich besiedelte Theil
von Canada in dieser Karte gegeben werden, und wenn der
Atlas vollendet ist, so wird man in demselben Karten von
fast ganz Nord-Amerika, ganz Central- und Süd-Amerika
in ein und demselben Maassstab haben.
Der Titel „West-Indien” in der Überschrift der Karte
ist nur eine Abkürzung, der ganze Titel wird heissen:
West-Indien, Central-Amerika bis zum Südlichen Canada.
Der Name West-Indien sollte im Gegensatz zu Ost-Indien
im Atlas enthalten sein, und liess sich der Umfang der
Karte nicht wohl besser bezeichnen, wenn man auch unter
West-Indien im engeren Sinne nur die centralamerikani-
schen Inseln zu bezeichnen gewohnt ist, so umfasst es doch
im weiteren Sinne den ganzen Continent.
Die Vermessungsarbeiten in den Territorien Nevada,
Utah, Colorado, Arizona und Neu-Mexico, welche sich haupt-
sächlich an die Namen Wheeler und Hayden knüpfen, sind
in den letzten Jahren mit einer in der Geschichte der Ver-
messungen geradezu beispiellogen Schnelligkeit ihrer Voll-
endung nahe gerückt, so dass es dem Zeichner von Gene-
ralkarten nur mit grosser Anstrengung gelingt, mit ihnen
gleichen Schritt zu halten. Wie sehr durch sie das Bild
der Rocky Mountains verändert worden ist, zeigt ein Blick
auf die Karte. Das einem länglichen Viereck ähnliche Pla-
teau des Colorado - Flusses mit seinen östlichen und west-
lichen Randgebirgen, welches im Norden eine starke Zu-
sammenschnürung erhält, im Süden in dem fast senkrecht
abstürzenden Black Mesa und dem Mogollon-Gebirge seinen
Abschluss findet, und von dem Tausende von Fuss tiefen
senkrechten Einschnitt des Great Cafon of the Colorado
seiner Länge nach durchkreuzt wird, ist in dieser Gestalt
vollkommen neu.
Auch ist es in dieser Karte zum ersten Male versucht
worden, die Ausdehnung der nordamerikanischen Sand-
wüsten anzugeben.
Die Resultate der oben erwähnten Aufnahmen sind
hauptsächlich niedergelegt in den beiden Kartenwerken:
Topographical Atlas to illustrate Geographical Explorations
and Surveys West of the 100! Meridian of Longitude,
prosecuted in acoordance with acts of Congress under the
authority of Hon, W” W, Belknap, Secretary of War, em-
bracing results of the different expeditions under the com-
mand of 1° Lieut. Geo. M. Wheeler, corps of engineers
(Näheres über diese Expeditionen siehe in den verschiede-
nen Aufsätzen von O. Löw in den „Geogr. Mitth.”), und
Geological and Geographical Atlas of Colorado and Portions
of Adjacent Territory by F. V. Hayden, U. S. Geologist
in Charge, 1877.
Sehr nützlich für die Bearbeitung dieses Blattes war
ferner der von Dr. Petermann bei seinem Besuch zur Welt-
ausstellung in Philadelphia unter zahlreichen anderen Karten
erworbene, im General Land Office, Department of the
Interior angefertigte Geographical and Political Atlas of
the States and Territories of the United States of America,
in which the Public Land Surveys are now in operation.
S. S. Burdett, Commissioner. Washington City, 1876. Die-
ser Atlas enthält alle bis auf 1876 behufs Eisenbahn- und .
Die neue Lieferungsausgabe von Stieler’s Hand-Atlas.
Strassenbaues, Anlegung neuer Orte oder Bergwerke, Forst-
oder Ländereieintheilung ausgeführten Vermessungen, mit
Angabe aller Townships, militärischen und Indianer-Reser-
vationen.
Das Trac der Central Pacific Rail Road konnte nach
diesem Atlas zum ersten Mal richtig eingetragen werden,
indem durch telegraphische Längenbestimmungen eine Rich-
tiglegung des mittleren Theiles dieser Strecke mit den
anschliessenden Gebieten (Great Salt Lake &c.) erreicht
wurde, welche eine um 10—15 Minuten östlichere Lage
ergiebt als auf den bisherigen ‚Karten.
Für den östlichen Theil der Karte boten die von der
Postbehörde der Vereinigten Staaten herausgegebenen und
von dem Topographen derselben, W. L. Nicholson, bearbei-
teten Karten, meist im Maassstabe von 1:650 000, in ihren
neuesten Ausgaben willkommenen Anhalt. Ferner ist hier
noch zu erwähnen: Atlas Accompanying Volume II. Geo-
logical Survey of Wisconsin, by T. C. Chamberlin, Chief
Geologist, 1877. °
Das Seengebiet zwischen Lake Winnipeg und Lake
Nipigon, so wie die westlich daran stossenden Theile von
Canada sind vollständig neu nach einer Map of the Country
to be traversed by the Canadian Pacific Railway, to’ aocom-
pany progress report on tbe exploratory surveys 1877, by
Sandford Fleming, Engineer-in-Chief.
Für ältere Materialien verweisen wir auf den Vorbe-
richt zu der vorigen Ausgabe von Stieler's Hand-Atlas,
so wie auf die Bemerkungen von A. Petermann in den
„Geogr. Mitth.” 1872, 8. 397, und 1873, S. 34, welche
sich auf die 6-Blatt-Karte der Vereinigten Staaten im Hand-
Atlas bezieben.
‘So hat sich in den wenigen Jahren seit dem ersten
Erscheinen der 6-Blatt-Karte fast die ganze kartographi-
sche Grundlage der Vereinigten Staaten verändert, so dass
die weitgehendsten Correcturen auf dieser Karte nöthig
F
179
sein werden, welche sich in diesem jungen Lande nicht nur
auf Eintragung neu vermessener Gebiete, neu entstandener
Eisenbahnen, Strassen und Orte zu beschränken haben,
sondern auch auf Beseitigung verlassener Ortschaften ge-
richtet sein müssen, deren Anzahl in manchen Theilen
keine geringe ist.
Letzteres gilt besonders auch für den südlichen Theil
von Blatt 32 von West-Indien, der Neuzeichnung der dritten
Lieferung. Sie ist für diesen Theil vielleicht die erste
Generalkarte, auf der nur Orte angegeben sind, die heute
noch existiren.
Für die Zeichnung des südlichen Theiles von Canada,
der auf dieses Blatt fällt, war vom grössten Werth: The
New Standard Atlas of the Dominion of Canada, oompiled
from the latest official maps and surveys, Walker and Miles.
Montreal and Toronto, 18785.
Dieser Atlas ist für die Kartographie von Canada epoche-
machend,, er vereinigt alle topographischen, geologischen,
Forst- oder Waldland-, Post- und Eisenbahn-Vermessungen,
die bis in die neueste Zeit dort gemacht wurden.
Der Carton von den Atlantischen Stasten zwischen
Washington und Boston wird Manchem eine willkommene
Zugabe sein, besonders da er die Grafschaftsgrenzen ent-
hält, welche bei der häufigen Wiederkehr derselben Orts-
namen in den Vereinigten Staaten von grosser Wichtigkeit
sind. Zugleich machen wir auf einen Stichfehler aufmerk-
sam, der in den ersten Abdrücken dieses Blattes stehen
geblieben ist: der Maasestab des Cartons ist nicht im Ver-
hältniss wie 1:1500000, sondern wie 1:2 000000.
Die neuen Blätser der vierten und fünften Lieferung wer-
den sein: Höhen und Tiefen der Erde, von H. Berghaus,
und Afrika, Übersichtsblatt, entworfen von A. Petermann,
über welche seiner Zeit in diesen Heften berichtet werden
wird. H. Habenicht.
II BELA EGBGB BL LüÖL LEBE LG L LEBE LE RL BELEG GELBE
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro's
mit Bemerkungen über Land und Leute’).
Von Dr. Emin-Bey, Gouverneur der ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
Es war im Mai des Jahres 1877, dass Se. Exo. Gordon
Pesche , beseelt vom Wunsche eines guten Einvernehmens
") Karte in Geogr. Mitth. 1878, Tafel 21.
mit den Negerfürsten im Süden, mir den ehrenvollen Auf-
trag gab: wo möglich den König Unyöro's, Kabröga, der
seit Baker's Rückzuge von Massindi stets uns feindlich
gegenüber gestanden, zu besuchen und mit ihm eine befrie-
digende Lösung der obwaltenden Schwierigkeiten zu ver-
323°
180 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Lente.
suchen. Vom Glücke begünstigt, gelang mir diese Aufgabe,
und meinem Aufenthalte bei Kabrdga entstammen die fol-
genden Blätter. Wenige Reisende haben bis jetzt Unyöro
gesehen , vielleicht mag dieser Umstand den Notizen mehr
Werth verleihen. Auch fiel mir beim Durchlesen der Ba-
ker’schen Bücher stets auf, dass sie In Bezug auf Notizen
über Land und Leute, Sitten und Gebräuche gar so dürftig
sind; so habe ich es mir denn angelegen sein lassen, Alles,
was ich überhaupt in dieser Beziehung erfahren konnte,
zusammenzutragen, wobei mich meine Kenntniss der Lan-
dessprache wesentlich unterstützte.
‘ Der Marsch von Mrüli, von wo wir am 13. September
1877 aufbrachen, nach Kissüga auf der uns von früher
wohlbekannten Strasse führt über leicht hügeliges, mit der
liebenswürdigen Acacia fistulosa besetztes Land, welches
vom Flussrande sich nach dem Innern leicht senkt und
sein Wasser zum Chor Käfu sendet. Sehr langsam ist der
Anstieg nach Westen zu, bemerklich dadurch, dass alle hö-
heren Stellen durch Abschwemmung freigelegten, rothen
Thonboden aufweisen, während die Vertiefungen mit dem
für hier oharakteristischen, grauen, feinkörnigen, lehmigen
Detritusboden erfüllt sind. Wir begegnen hier Mengen von
Aloö-Pflanzen. Ein kreisrundes, in den rothen Boden gleich-
sam eingeschnittenes Becken mit klarem Wasser gewährt
einen erwünschten Rastplatz für meine Träger, die nach
kurzem Anhalt sich wieder auf den Weg machen, um nach
zweistündigem Marsche an einer Baumgruppe mit Wasser-
pfützen Mittagsruhe zu halten. Neu für mich war ein
Strauch mit dunkelgrünen, glänzenden Camelien - Blättern
und weissen, Passifloren ähnlichen Blüthen, deren Staub-
fäden gelbweiss und deren Pistill roth und gelb gefärbt
sind. Die rothen Beerenfrüchte werden von Kindern ge-
gessen.
Es fiel mir auf, dass mein Begleiter Kapempe, ein Ma-
töngali (Chef) Kabrega’s, in höchst drolliger Weise die Ge-
berden derer nachmacht, die ihre Lasten zu schwer finden.
Auch die Erstaunens-Äusserung, eine brüske Erhebung der
geballten Fäuste auf den Vorderkopf, über den sie kraft-
voll nach der Stirn gezogen werden, war mir neu. In der
Ferne grollender Donner und dunkle Wolken spornten zum
Aufbruch; kaum waren wir jedoch unterwegs, so ergoss
sich der Regen stromweis über uns. Alle Augenblicke
bleibt ein Träger stehen, um ein Bananenblatt über sich
zu decken oder die ihm als Kleid dienende Rindshaut ab-
zunehmen und vor dem Regen zu schützen, der sie hart
macht. Natürlich ist dann die ganze Colonne zum Halt
gezwungen, sehr angenehm bei dem Regen, der einem zum
Kragen hinein und zu den Stiefeln heraus läuft. In aller
Eile geht es dann wieder vorwärts durch Bananen und
quirlige Eriodendren, bis nach 7$stündigem Marsche Station
Kissüga erreicht wird, wo, um unsere Sachen zu trocknen,
während des nächsten Tages gerastet werden muss.
Als es endlich zum Abmarsche kommen sollte, war einer
der beiden mich begleitenden Soldaten krank geworden, wie
ich vermuthe, aus Furcht vor der als gefährlich geglaubten
Reise. Es blieben mir nur ein Soldat zur Wartung des
mitgenommenen Pferdes und meine beiden Diener, Knaben
von 10—12 Jahren — eine jedenfalls stattliche Escorte!
Durch Baker’s Erzählungen von Kabrega’s Bettel-Talent
erschreckt, liess ich Alles, was mir nicht durchaus unent-
behrlich, hier in Kissüga, sogar mein Gewehr, und auf der
früher schon begangenen Strasse durch hohes Gras und
viele Bananenwälder, in denen rothgelbe Passifloren ihre
Ranken über den Weg ziehen, richten wir uns nach Londü.
Die Träger marschiren ohne alles Geräusch im Gegensatz
zu den immer lärmenden Wagända, keine Noggära (Trommel)
begleitet sie. Sehr häufig wird gehalten, und sehr verhungert
scheinen die Leute, die bei jeder Gelegenheit ein Paar
Bananen oder Cajaten (Batatas edulis) aufpacken. So ge-
langen wir gegen Mittag zu der ehemaligen Station Londi,
deren verwahrloste Estacade mit den vielen schwarzen
Brandstellen einen recht peinlichen Eindruck machen. Die
Seriba ist nicht von den Negern besetzt worden, weil eine
gewisse abergläubische Scheu sie vom Bewohnen ehemals
von uns occupirter Häuser abhält. Ganz nahe sind kleine
Trupps von Rindern und Ziegen, wie auch einzelne Leute
sichtbar.
Nachdem wir uns bestmöglich arrangirt, wird zum nahen
Districts-Chef gesandt, um Träger für morgen zu requiri-
ren, da Kabrega mir dieselben zugesagt hat. Ich hätte gern
meine eigenen Träger von Mrili mitgebracht, um in mei-
nen Bewegungen freier sein zu können, doch weigerten Sich
Riönga’s Leute entschieden, mir in das Land ihres Tod-
feindes zu folgen, und so bin ich denn auf Kabröga’s Leute
angewiesen. Der hier befehlende Matöngali, Biäbo, ein
junger, corpulenter Mann mit wenig prognathem Gesichte,
machte mir in Begleitung von 5—6 Männern seinen Be-
such, Ihre Hautfarbe ist braunroth, doch war einer von
ihnen tiefschwarz — ein Mann aus dem Districte Schefalü,
der an den Stromesclinellen von Täda &c. liegt. Die Haut-
farbe in diesem ganzen Lande (Unyöro) ist grossen Schwan-
kungen unterworfen und variirt vom Schwarz bis zum Gelb;
meistens jedoch ist der Grundton roth. Die Leute sind in
weiche, enthaarte Rindshäute gehüllt, an deren unterem
Rande als Verzierung ein zwei Finger breiter Haarstreif
gelassen worden ist. Arm- und Fussringe von Messing, ein
Halsband von Wurzeln completiren das Costüm. Der Kopf
ist nicht geschoren — Scheeren ist ein Trauerzeichen —; ja
oft sieht man sehr elegante Korkzieher-Löckchen. Ein klei-
nes Geschenk von Glasperlen meinerseits verschaffte mir
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute.
als Gegengeschenk Körbe voll Cajäten (süsse Bataten), und
da ich ein Rind von Kissdga mitgebracht und diess meinen
Trägern opferte, dauerten Gesang und Schmaus bis tief
in die Nacht hinein.
Schon Nachts hatte es leise zu regnen begonnen; früh
sm 16. rauschte der Regen in Strömen nieder. Trotzdem
waren die gestern mir zugesagten Träger gekommen und
such ich zur Abreise gerüstet — im Hinblick aber auf das
unvermeidliche Durchnässen des Gepäcks und das eben so
lästige, als unnütz mitgeschleppte Zelt, das, vom Regen
durchnässt, 5 Mann zum, Tragen erfordert, entschloss ich
mich zum Warten und that gut daran, denn noch um
3 Uhr Nachmittags regnete es wie früh, und der Weiter-
marsch ist nun auf den folgenden Morgen verschoben.
Meine Träger, die gestern Abend ein Rind verschlangen,
liegen nun hungrig um die qualmenden Feuer, leider habe
ich aber selbst nur das Nöthigste.
Ein sehr bedeckter Himmel versprach am folgenden
Morgen nicht viel Gutes für die Weiterreise. Nichts desto
weniger brechen wir schon zeitig (6 15’) auf, um zu
rechter Zeit unser fernes Quartier za erreichen. Sehr hüge-
liges Land dehnt sich vor uns aus; der Weg wird beinahe
immer von einzelnen Bergen zu beiden Seiten flankirt, und
antediluvianisches Gras und Gestrüpp, oft bis zu 3 m hoch,
macht die Passage schwer genug. Von Bäumen ist beson-
ders Entada sudanica mit jetzt reifen Früchten häufig; wo
Sumpf sich findet, stehen Gruppen und Büsche von Phoe-
nix spinosa. Grandiose Papyrus- Wucherungen umgürten
die Wasserrinnen. Auch heute fehlte es nicht an Regen,
da aber weit und breit nur Gras und Wald vor uns lag,
and weder Hütten noch Pflanzungen am Wege lagen, gin-
gen wir rüstig vorwärts, bis um 2 Uhr Nachmittags eine
kleine Gruppe miserabler Hütten erreicht und damit ein
Nechtquartier gefunden wurde. Die Bewohner waren vor
uns geflüchtet; in den Hütten jedoch fanden wir noch
Feuer. Matöngali Vakümba, der Ortschef, liess nicht auf
sich warten. Kaum hatten wir unsere Sachen einge
stellt, als er, von zwei subalternen Chefs und mehreren
Lesten begleitet, mir seine Aufwartuug machte und — ein
Lexus für mich — mir eine Ziege und zwei Schafe zu-
führte. Die Leute machen einen guten Eindruck, sind be-
scheiden, ohne Prätensionen und mit Allem zufrieden, was
me bekommen. Als ihnen die Wahl zwischen Perlen und
Stoffen freigestellt wurde, baten sie um letztere. Der Ort
heisst: Kimänja.
Es scheint, als ob sich die Wanyösro vor Thau und
Regen sehr fürchten, wenigstens wollen sie nie früh auf-
brechen, und begegnen sie unterwegs thaufeuchtem Grase,
so werden die Lasten niedergelegt und schnell ein grosses
Bananenblatt oder ein Büschel trockener Blätter vorgebun-
181
den, um sich zu schützen. Eine mit uns reisende Frau
war heute so in dürres Laub gehüllt, dass sie einem wan-
delnden, dürren Busche glich. Wenngleich es am 18. schon
zeitig zum Aufbruch kam, wurde doch nach kaum 10 Mi-
nuten in einer stattlichen Bananen- und Cajaten-Pflanzung
mit vielen Häusern gehalten, um Träger zu wechseln. Ma-
töngali Vukimba war guten Willens; es bedurfte aber vie-
ler Redensarten und einiger Hiebe, bis er die Leute von
der Marschnothwendigkeit zu überzeugen vermochte, und
als nach emem Aufenthalte von '/, Stunde wir uns wieder
in Bewegung setzten, folgte er uns mit einem seiner Unter-
chefs so lebhaft gesticulirend und schreiend, dass ich jeden
Augenblick erwartete, es werde zu Tbätlichkeiten kommen.
Der Streit löste sich jedoch, wie immer, in ein friedliches
„kurüngi” (gut), und bald darauf. kehrte Vukfmba zu sei-
nem Dorfe zurück.
Wir gingen nun endlich vorwärts, freilich mit Unter-
brechungen, weil jede Häusergruppe visitirt wurde, um
Träger zu pressen. Der Weg führt zunächst durch schöne
Culturen und Bananenwald, dann auf- und niedersteigend
durch hohes, wüstes Gras; rechts und links begleiten uns
in einer Distanz von 2—3 engl. Meilen kleine Bergmassen,
die eine fortlaufende Reihe bilden. Zwei kleine Gewässer,
trübe und schlammig, offenbar nur Regenläufe, werden ge-
kreuzt: prachtvolle, Gallerien-artige Waldung fasst sie ein.
Gigantische Bäume, aus deren Krone das silberweisse Haar
von Colobus Guereza herableuchtet, sind mit Schlingpflan-
zen umsponnen, in denen Ceroopithecus griseo-viridis turnt;
Phoenix-Büsche mit Calladiöen, Amomum und Rubiaceen bil-
den das Unterholz. Nur wenig Wasser ist in diesen Regen-
betten vorhanden — es reicht uns kaum zum Leibe —,
desto mehr aber Schlamm und verfloohtenes Wurzelwerk,
das den Tritt erschwert. Das mitgenommene Pferd ist
völlig unnütz; ich gehe zu Fuss besser.
Ein kurzer Marsch bringt uns zu einem anderen Waasser-
laufe mit prächtigem Gallerien-Walde. Die rothen Tulpen-
blüthen der Spathodeen auf der massigen, dunkeln Blatt-
unterlage, leuohten wie Feuerflammen. Wir verlassen nun
das hohe Gras und betreten eine Art Strasse, durch Aus-
reissen des Grases und Umschlagen der Bäume gebildet;
leider erschweren viele tiefe Höhlen, durch Wurzelgraben
entstanden, den Marsch. Zur Rechten bleibt uns für einige
Zeit der Chor, dessen Lauf durch das üppige, dichte Laub
seiner Gallerie markirt wird. Dann gelangen wir neuer-
dings zu Lichtungen, in denen Bananen mit Cajaten und
Lubien abwechseln, hie und da auch sieht man die saft-
grünen Stengel des Mais oder die breiten Blätter des virgi-
nischen Tabaks. In Complezen von 3 bis 4 liegen die
Hütten zwischen den Culturen verstreut. Sie sind balb-
kugelig; ihr Grasdach wird über der Thür durch zwei
182 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute.
Pfähle in die Höhe gehoben, während es ringsum bis auf
den Boden niedersteigt. Ein halbkugeliges, leichtes Flecht”
werk aus Rohr bildet das Gerüst im Innern; Festigkeit
wird durch viele Stützpfähle erzielt. Leider ist: das Innere,
dem Gebrauche gemäss, in Vorder- und Hinterkammer ge-
theilt und mit Heu ausgepolstert, nicht eben einladend,
denn zahlreiche Mäuse, Schaben, Grillen und Flöhe beleben
den Raum. Von Hausgeräthen bekommt man wenig zu
sehen, da die Bewohner vor uns flüchten und Alles fort-
tragen.
Wir hielten in einer dieser Lichtungen, Kitöngoli ge-
nannt, an, und ich war glücklich genug, drei Häuser für
mich und meine Leute und Sachen 2u erhalten. Ich wurde
auch hier durch den Besuch des Chefs, eines jungen, hüb-
schen Mannes, dessen Vater Kabrega’s Vertrauter ist, er-
freut. In dünne, weisse Felle gehüllt, über die als Toga
ein Stück rothbraunen Rindenstoffes geknüpft ist, macht er
eine ganz stattliche Figur aus, und sein Diener trägt ihm
sogar ein doppelläufiges Jagdgewehr nach. Nach Austausch
der üblichen Geschenke sendet er einen Boten atı Kabrega,
um meine Ankunft zu melden, und morgen sollen auch wir
dort ankommen. Verstehe ich mich jedoch recht auf afri-
kanisches Ceremoniell, so wird noch mehr als ein Tag verge-
hen, ehe ich zu Kabröga komme, obgleich wir ganz nahe sind.
Reisen in der Regenzeit. sind stets unbequem, weil man
nie Herr seiner Dispositionen ist, die ohnediess auch ohne
Regen oft genug nur imaginär sind. Seit Mitternacht
grollt der Donner von allen Seiten, dichter Nebel ver-
schleiert das Land, und es regnet, als ob heute der ganze
Wolkenvorrath erschöpft werden müsste. Dass mit solchem
Wetter an keine Weiterreise zu denken, ist selbstverständ-
lich, Zur Verschönerung der Situation ist mein Haus nicht
wasserdicht. Ich habe heute auch keinen meiner Leute zu
sehen bekommen, sie verschlafen den Regen und wohl auch
den Hunger, da Fleisch sie nicht sättigt, und es hier kein
Korn giebt.
Obgleich ich früh angeordnet, dass, falls die Sonne sich
zeige, ich weiter gehen wolle, trifft man doch, als um ca
11 Uhr Vormittags der Regen aufgehört, keinerlei Vor-
bereitangen zum Marsche, sondern sagt mir einfach, das
Gras sei zu feucht, und die Sonne brenne zu heiss, ich
möge nur bis morgen früh warten. An den Bäumen häm-
mert ein schöner bunter Specht; ärgerliches Gezwitscher
begleitet sein Klopfen, gleich als wäre er erzürnt über
die mühselige Arbeit. Taohyphonus margaritatus ruft sei-
nem Weibchen zu. Psittacus erithacus fliegt paarweise oder
höchstens zu 3 Individuen umher. Am Abend erschallt
fast betäubend der Sang einer riesigen braunen Cicade;
8 cm lang ist das Ungethüm, das vom Lichte gelockt, nun
im Hause umherschwirrt.
Unyöro bildete einst mit Ussöga, Ugända, U’ddu und
Karägua ein grosses Land, bevölkert von den Witschwesi.
Da kamen aus dem fernen Nordosten Leute mit weisser
Haut und kreuzten den Fluss (Somerset); ihre Zahl war
sehr gross, und die Einwohner fürchteten sich vor ihnen,
denn die weissen Leute sind „valiabäntu” (Menschenfresser).
Als nun die neuen Ankömmlinge alle über den Fluss ge
kommen, sammelten sie sich in Matjüm (einem noch heute
existirenden Orte südöstlich von Mrüli) und beschlossen eine
Colonne nach Unyöro, eine andere nach Süden (Ugända &c.)
zu senden und sich dieser Länder zu bemächtigen. Die
Eindringlinge nannten sich „Wawftu” (Leute von Witu),
ein Name, der heute nur den herrschenden Geschlechtern
zukommt; das Volk aber nannte sie „Wahuma’ (Leute von
Norden), in Ugända auch „Walindi”. Sie waren und sind
Hirten, während die Witschwesi Ackerbauer waren. Als
nun die Wawitu immer weiter vordrangen, zogen sich die
Witschwesi vor ihnen immer weiter nach Westen; ein
grosser Theil von ihnen ertrank im Mwutän-Nzige (Tödter
der Heuschrecken) oder Albert-See, weil sie keine Kähne
besassen. Der Rest wurde zu Sklaven gemacht ; aus ihrer
Vermischung mit den Ankömmlingen entstand die heutige
hellfarbige Race. Wo die Einwanderer sich ganz rein er-
hielten, sind sie noch heute rein weiss, wie in Töru und
Gambalagälla; wo die Witschwesi rein blieben — und viele
von ihnen durchziehen noch heute das Land als fahrende
Sänger und Zauberer —, sind sie rein schwarz. Die Ein-
wanderer adoptirten die Sprache der Ureinwohner, unter
sich aber sprechen sie noch heute die Sprache der Wahüma.
In Unyöro ist heutigen Tages der Name Witschwesi gleioh-
bedeutend mit Leibeigener, so wie in Ugända das Wort
„müddu” (eigentlich Bewohner von U’ddu) heute Sklave
bedeutet. Ich gebe die vorstehende Erzählung genau so, wie
ich sie hier im Plaudern gehört, und kann dabei nicht umhin,
den Leistungen meines Vorgängers Speke’s, die über alles
Lob erhaben sind, alle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
In uralter Zeit, sagen die Wanyöro, waren der Leute
viel auf dieser Erde. Sie starben nie, sondern lebten ewig.
Da sie aber übermüthig wurden und keine Gaben dar-
brachten, ergrimmte „der grosse Zauber”, der die Geschicke
der Menschen lenkt, und warf das ganze Himmelsgewölbe
auf die Erde nieder und tödtete sie alle. Um aber die
Erde nicht verödet zu lassen, sandte der „grosse Zauber”
einen Mann und eine Frau „von oben” hernieder: beide
waren gescohwänzt. Sie zeugten einen Sohn und zwei Töch-
ter, die mit einander Umgang pflogen. Eine gebar ein
ekelhaftes Thier, das Chamäleon (waisselikötto), die andere
gebar einen Riesen, den Mond. Beide Kinder wuchsen auf,
bald aber begannen zwischen ihnen Streitigkeiten, denn das
Chamäleon war böse und heimtückisch, und zuletzt nahm
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute. 188
„der grosse Zauber” den Mond hinauf, von wo er noch
immer zur Erde herabschaut. Um aber an seine irdische
Herkunft zu erinnern, wird er gross und leuchtend und
nimmt dann ab, wie um zu sterben, stirbt aber nicht, son-
dern geht in 2 Tagen um den Horizont von Osten nach
Westen und erscheint, müde von der Reise, klein am West-
himmel wieder. Die Sonne aber ergrimmte über den neuen
Nebenbuhler und brannte ihn so, dass noch heute die
Flecken in seinem Gesichte sichtbar sind. Das Chamäleon
und seine Nachkommenschaft bevölkerten die Erde, die
Schwänze gingen verloren, und die ursprünglich bleiche
Hautfarbe wurde unter der glühenden Sonne bald dunkel.
Auch heute noch sind die Himmelssphären von Leuten
bewohnt, die geschwänzt sind und viele Heerden haben.
Die Sterne sind Wächter, welche „der grosse Zauber”
(„Njavänkja’”’ oder „Kägra’') während der Nacht ausstellt.
Die Sonne ist von riesenhaften Leuten bewohnt.
Schon um Mitternacht werden die Hörner geblasen —
die Noggära oder Trommel dient nur als Kriegszeichen —,
um Träger herbeizurufen, früh um 6 Uhr sind aber noch
keine zehn Personen bei einander, und als nach '/,stün-
digem Verhandeln und Reden noch einige Neger erschei-
nen, findet es sich, dass keiner die Strasse weiss, obgleich
Kabrega’s Residenz von hier höchstens 5—6 Stunden ent-
fernt sein kann. Ich sende deshalb zwei Mann zu Kabrögs,
am ihn um einen Führer zu bitten, obgleich ich wohl
weiss, dass die ganze Geschichte vom Nichtwissen des
Weges nur eine Komßdie ist, und beschliesse zu warten.
Glücklicherweise gelingt es mir, für Perlen ein Schaf und
einige Hühner, so wie etwas Sesam (Sesamum orientale) für
meine Leute zu erhandeln, so dass sie wenigstens nicht zu
hungern brauchen. Auch heute hatten wir zu wiederholten
Malen starke Regengüsse.
Am 21. gelingt endlich der Aufbruch. Seit früh rufen
die Hörner zur Versammlung, und bald erscheinen meine
Leute, um mich zur Abreise zu drängen. Da ich jedoch
seit etwa einer halben Stunde eine grosse Noggära gehört
habe, so vermuthe ich, dass mir Kabrega einen seiner
Chefs entgegen gesandt habe. Es dauert denn auch nicht
lange, so erscheint Maköngo (grosser Chef) Bkämba, von
einem Gewehr- und einem Noggära-Träger, so wie fünf bis
sechs anderen Leuten begleitet, um mich zu begrüssen und
mich sofort zu Kabrega zu geleiten. Wie durch Zauber
srrangirt sich nun Alles und das Gepäck vorauf marschiren
wir ab. Durch wohlangebautes, mit vielen Häusern be-
setztes Land steigen wir, einen grossen Bananenwald flan-
kiırend, zu einem grossen Papyrus-Sumpfe nieder, dessen
Überschreitung, obgleich er nur etwa 200 m breit ist, eine
halbe Stunde in Anspruch nimmt, weil das Wasser zwi-
sehen den einzelnen Horsten über brusttief ist, und das
Wurzelwerk den Fuss wie in Schlingen fängt. Wer die
Schwierigkeiten einer solohen Passage nicht selbst gesehen,
kann sich keine Vorstellung davon machen, wie unange-
nehm sie sei, besonders wenn zum Überfluss die Vossia
gräser brennen und stechen.
Nachdem wir uns endlich glücklich am anderen Ufer
zusammen gefunden, gehen die Träger, die heute von einer
merkwürdigen Willfährigkeit sind, vorauf, und wir zieben
durch enorme Grasmassen mit vielen Mimosen, die hin und
wieder einer Art Wiese Platz machen, bis wir uns in eine
Art Defil& zwischen zwei Bergreihen engagiren und Hügel
auf, Hügel ab darin vorwärts gehen. Eine vereinzelte schöne
Dracaena schmückt einen dieser Hügel. In einem mit vie-
len Ficus und Phoenix gemischten Bananenwalde sehen wir
die frischen Spuren zweier stattlieher Hyänen. Der letzte
Theil des Weges führt auf der linken Bergfalte bin, wäh-
rend der Chor Kjdi zur Rechten bleibt, und als wir das
Bergdefil6 verlassen, engagiren wir uns nochmals in hohes
Schilf und Rohr, bis zuletzt ein kleiner Wasserlauf mit
klarem, über Glimmerplatten rauschendem Wasser, das stark
nach Eisen schmeckt, uns Rast gebietet. Hellgraue Kühe
ohne Hörner und ohne Buckel stehen im Wasser — man
zerstört hier den Rindern die Hörner beim ersten Aufgehen
durch Cauterisation mit glühendem Eisen, was densel-
ben die Passage durch die hohen Gräser und das wirre
Gestrüpp erleichtern soll —, die Häuser aber liegen sämmt-
lich weit ab von der Strasse. Wohl ist es auch möglich,
dass der Fremde, um ihm einen Begriff von der Grösse des
Landes und natürlich auoh seines Fürsten zu geben, Tage
lang im hohen Grase herumgeführt wird — und am Ende
kaum 3 Wegestunden zurückgelegt hat. Übrigens soll das
Land gut bevölkert sein.
Bald nachdem ich den kleinen Chor passirt, befinden
wir uns wieder zwischen Bergreihen, deren einzelne Gipfel
wohl 500—600 m hoch sein mögen, während die allge
meine Erhebung des Landes wohl 1200 m und mehr be-
tragen dürfte. Es folgen sodann Culturen, in denen häufig
kleine Miniatur-Häuser stehen — Votive für das Gedeihen
der Saat; riesiges Schilf folgt, und endlich gehen die Berge
etwas aus einander: vor uns liegt Mpäro-Njamöga, Kabre-
ga’s Hauptquartier, Unyöro’s Hauptstadt. Die für mich
bestimmten Hütten liegen links ab vom Wege auf einem
Hügel, über dem hohe Berge sich aufthürmen, wohl 10 Mi-
nuten fern von dem grossen Hüttenoomplexe, der des Kö-
nigs Residenz vorstellt und mit einem anderen seitwärts
gelegenen Complexe das eigentliche Dorf bildet. Kaum sind
die Sachen untergebracht, als der Regen hernieder pras-
selt, und der Donner kracht, Spät Abends noch kommt
Kattägrus, Kabröga’s erster Minister, einst Begleiter Ba-
ker's, um mich im Auftrage seines Herrn zu begrüssen.
184 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute.
Kabrega habe mich sofort empfangen wollen, sei jedoch
durch den Regen daran gehindert worden. Eben so sei es
ihm unmöglich gewesen, irgend ein Geschenk für mich auf-
zutreiben, ich möchte entschuldigen. Ich bemerkte ihm
einfach, ich sei seinem Souverain sehr dankbar, sei aber
nicht gekommen, um Geschenke zu verlangen. Maköngo
Bk&mba, den ich mit meinen Grüssen zum Könige ge-
sandt, bringt mir das Versprechen einer Audienz für
morgen. ’
Kaum war die Sonne aufgegangen, als Kattägrua mit
den gestern in Aussicht gestellten Geschenken erschien.
Zwei fette, weisse Ochsen mit langen Hörnern, ein Bund
schönes, weisses Salz (vom Mwutän-Nzige), drei Bund
Talabün-Korn (Eleusine coracana), zwei Bund Mehl der-
selben Getreideart wurden nebst einigen Gefässen vortreff-
lichen Bananenweines vor mir niedergelegt, mit Kabrega's
besten Grüssen begleitet. Nach seinem Fortgange blieb mir
kaum Zeit, die für Kabrega bestimmten Geschenke vorzu-
bereiten, die allerdings Alles übertrafen, was er bisher noch
erhalten konnte. Gerade um Mittag erschien denn auch
mein Führer Kapempe, diess Mal in Kaftan und Tarbusch
(Geschenke von mir), und der Zug setzte sich in Bewe-
gung, vorauf drei Matöngalis, dann mein Führer Kapempe
mit all’ seinen Leuten, zwei Träger mit den für Kabrega
bestimmten Geschenken, ich selbst in Uniform zu Pferde
und mein Soldat.
Zehn Minuten nach Nordwest führt der Weg Hügel ab,
über den mit Papyrus und Amomum bestandenen Chor
Kjäi, der mir zu Liebe überbrückt war; dann wieder berg-
auf an zwei kleinen Häuseroomplexen vorüber, in deren
Schatten Massen Menschen gaffend stehen. Quer über einen
freien Platz gehend, lassen wir rechts die Rinderseriba des
Königs mit vielen Häusern für die beaufsichtigenden Wa-
hüma-Hirten. Vor uns befindet sich ein kreisrunder Toqul
mit hoher Vorder- und Hinterthür, vor denen ein kleiner
bedachter Raum liegt. Der Boden des Hauses ist sauber
mit grünen Papyruswedeln bestreut. In der Mitte sitzt
auf hohem Stuhle Kabrega, ringsum kauern auf dem Boden
die Würdenträger des Chefs; hinter dem Könige etwa zehn
mit Gewehren bewaffnete Knaben und Männer. Zu Füssen
des Königs kauert sein Dragoman Maniära, ein wahres
Vogelgesicht. Mein Stuhl wurde dicht neben dem Sessel
des Herrschers gestellt, und wir musterten uns gegenseitig
einige Augenblicke.
Das war also Kabrega, der feige, tlickische, bettelhafte
Trunkenbold Baker’s. Ein Stück feinen, lachsgelben Rinden-
stoffes deckte in malerischen Contouren den Körper bis hoch
zur Brust hinauf; von da aufwärts war der Körper völlig
unbekleidet, nur über der linken Schulter lag ein anderes
Stück von etwas dunklerem Rindenstoff wie ein Plaid. Der
hübsch geformte, völlig glatt rasirte Kopf zeigte An den
Schläfen jederseits zwei Brandnarben, das Stammeszeichen
der Wanyöro; die unteren vier Schneidezähne fehlen, wie
bei allen Wanyöro, und die oberen Schneidezähne treten
leicht vor, sind jedoch glänzend weiss. Die unteren Schneide-,
wohl auch die Eckzähne, werden den Mädchen und Kna-
ben, sobald sie mannbar geworden, ausgezogen, und zwar
so, dass ein unten einigermaassen breit gefeiltes Eisen an
den Zahn gestemmt und dieser durch hebelnde Bewegungen
entfernt wird. Ein Halsband von Schwanzquasten der
Giraffe mit einer einzigen blauen Glasperle in der Mitte
umringt den Hals. An den sehr muskulösen Armen befand
sich ein Wurzel-Amulet und ein eisernes Armband als ein-
ziger Schmuck. Die Hände waren klein und sehr wohl-
gepflegt. Sein Colorit ist auffallend hell, wohl Folge des
reinen Wahima-Blutes. Die Umgebung bestand aus etwa
50 in Felle und Rindenstoffe gehüllten Leuten, unter denen
sein Bruder, ein schwarzer, hässlicher Gesell. Der Total-
eindruck war ein äusserst günstiger, jedoch von sehr aus-
gesprochener Sinnlichkeit.
Nachdem ich meine Accreditive überreicht und daran
einige Worte geknüpft, entspann sich bald eine äusserst
lebhafte Unterhaltung zwischen uns. Kabröga spricht flies-
send sudan-arabisch, ersuchte mich jedoch, obgleich ich
Kinyöro spreche, mit ihm arabisch zu sprechen und meine
Worte durch seinen Dragoman übersetzen zu lassen, „damit
sein Volk sie höre”. Ich überreichte sodann die Geschenke,
die ich mitgebracht, und ergötzte”mich an seiner Freude
darüber: besonders waren es einige Stücke wohlriechender
Seife, die seine Aufmerksamkeit erregten. Mein Soldat hatte
einen kleinen Revolver im Gürtel stecken: er bat den-
selben anschauen zu dürfen und begriff sofort den Mecha-
nismus, schraubte ihn auseinander, setzte ihn wieder zu-
sammen und stellte ihn mir dann zurück. Er bat mich
dann, ihm zu erzählen, wie ich im Vorjahre mich in Ugänds
befunden und was ich dort gesehen, und amiisirte sich höch-
lich über meine Beschreibung des dortigen Hof-Ceremoniells.
Der drohende Regen brachte unsere Conferenz eher zum
Schluss, als wir beide gewünscht: er versprach, mich bal-
digst wieder ruf&n zu lassen und verabschiedete mich dann
in durchaus würdiger Weise.
Ich habe später noch oft Kabrega besucht, kann jedoch
nicht behaupten, von ihm je ein unpassendes Wort, eine
indecente Geberde, eine wie immer genannte Unart gesehen
zu haben, abgesehen vielleicht, dass er manchmal wie alle
Neger spritzend vor sich spuckt. Ein Chef beeilt sich dann,
den Speichel mit der Hand von der Bastmatte abzuwischen:
eine neue für Europa zu empfehlende Hofcharge. Kabrega
ist lebhaft, lacht gern und viel, spricht viel und scheint mit
allem Ceremoniell sich einen Zwang anzuthun, ganz im
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute. 185
Gegensatze zu Mtesa, dem selbsteingenommenen Herrscher
Ugända’s.
Schon am nächsten Tage wurde ich gegen Mittag neuer-
dings zum Könige berufen, den ich wieder von etwa 10—12
Personen umgeben fand. Wer die strenge Etiquette Ugän-
da’s gesehen, dem fällt die Nonchalance und das Sichgehen-
lassen der Leute, die ungenirt auf dem Boden liegend Kaffee
kauen, ganz besonders auf. Wir hatten eine sehr lange
Unterhaltung, in der ich bereitwilliges Eingehen auf meine
Vorschläge und besonders eine Erzählung dessen, was hier
zu Zeiten Baker’s vorgegangen, besonders hervorhebe. Auf
meinen Wunsch, einige von seinen Leuten mit mir oder
gar nach Chartum zu senden, um den General-Gouverneur
Gordon-Pascha aufzusuchen, ging Kabrega bereitwilligst ein.
Meine Uhr wurde vielfach bewundert und ich gebeten, ihm
eine laut pickende Uhr nach meiner Heimkehr zu senden.
Bettelhaftigkeit kann ich sonst Kabrega nicht vorwerfen.
Im Gegentheile sandte er mir täglich in freigiebigster Weise
Vorräthe an Korn, Mehl, Muänge &c., die, obwohl nur für
einen Tag berechnet, 14 Tage hätten ausreichen können.
Die Wanyöro sind, obgleich eine eben gefallene Kuh
von ihnen nicht verschmäht wird, sehr sauber und peinlich
in Bezug auf Speisen und ihren Körper. Nie würden sie
auf nackter Erde essen; eine eigene kleine Matte wird als
Tischtuch sogar auf Reisen mitgeführt, doch ist es eigen-
tbümlich , dass die Kochtöpfe nach dem Gebrauche nicht
gewaschen werden. Abwaschungen sind sehr beliebt; der
muselmanische Gebrauch von Ablutionen vor und nach dem
Beischlaf findet sich auch hier bei Frauen und Männern.
Leider existirt trotz alledem eine Menge Ungeziefer und
sind besonders die Rindenstoffe Brutplätze dafür. Es herrscht
deshalb die Sitte, dieselben alle 2—3 Tage mit dem ge-
trookneten, von Rinde entblössten Stammstücken des Papy-
raus zu räuchern;; der starke, eigenthümlich streng riechende
Rauch soll jene Parasiten vertreiben und ertheilt zugleich
den Stoffen ein schon von Weitem wahrnehmbares Parfum.
Als wirkliche Wohlgerüche zum Einreiben des Körpers gel-
ten dagegen eine Art grauer, sehr dichter Thon von wirk-
lch angenehmem Geruche und eine Art Holzmulm, der
nach Moschus riecht. Der Thon wird von Süden her ge-
bracht und theuer verkauft. Der Körper ist stets glatt
rasırt; die Kopfhaare jedoch rasırt man nur als Zeichen
der Trauer um Verstorbene.
Als eines Abends Venus in voller Pracht am Himmel
sich zeigte, fragte ich meine Begleiter nach dem Namen
des Sternes. „Njänsi ja kuchsi” nannten sie ihn, „die Ge-
bebte des Mondes”. Baker’s Gemahlin wurde von den Wan-
y6ro „njinjesi” (Stern) oder „njädus” (weisse Perle), Baker
eeibst „mlidju” (der Bärtige) genannt.
Meine Häuser sind auf einem Hügel gelegen, der sich
Putermann's Geoogr. Mittheilungen, 1879, Heft V.
nach Westen und Norden zu sanft abdacht, nach Osten
und Süden dagegen zu den umliegenden Bergen aufsteigt.
Viele Mimosen, Ficus, Combreten sind im Grase verstreut;
Abrus- und Weinranken bilden ganze Nester. Am West-
fusse des Hügels liegt die Trinkatätte für Kabrega’s Rinder,
ein mannstiefer Brunnen im Niveau des dioht dabei vorüber-
fliessenden Chor Kjäi. Der Boden besteht aus tiefgelbem
Lebm, wie auch das Wasser gelb ist. In Mannshöhe über
dem Brunnen ist eine lange tiefe Rinne in den Boden ge
graben, aus der Kühe und Ochsen, daneben ein kleineres
Becken, aus dem die Kälber trinken. Die Rinnen werden
durch Leute mit Schöpfgefässen gefüllt, und alle 14 Tage
wirft man 20—30 Lasten Salz in den Brunnen. Der ein-
zige Ort im oberen Nilgebiete, wo ich glatte, fette Rinder
gesehen, ist Kabrega’s Hauptstadt. Jeden Nachmittag kom-
men dieselben, etwa 1500 an Zahl, die meisten mit enorm
langen Hörnern und ungebuckelt, hier zur Tränke vorbei.
Es ist eine Freude zu sehen, wie die stattlichen Thiere
gleich Ziegen den steilen Berg erklettern, der hinter un-
seren Häusern sich erhebt. Sie sind meistens grau, doch
einige hellbraun einfarbig.
Der Glaube an Zauber und Amulette, so wie an die
Möglichkeit, Leute durch allerlei Mittel krank zu machen
oder gar zu tödten, ist in Unysro und Ugända weit ver-
breitet. Von der Idee eines Fortlebens nach dem Tode
ist natürlich auch hier keine Spur vorhanden. In beiden
Ländern werden die Frauen im Hofe des bewohnten Hau-
ses rechts von dessen Thür, die Männer links davon be-
graben und zwar in horizontalen, 3—4 engl. Fuss tiefen
Gruben. Der Leichnam liegt auf der rechten Körperseite,
wie beim Schlaf üblich. Die am Mwutän-Nzige wohnenden
Wanyöro dagegen begraben ihre Todten, ob Mann ob Frau,
in der Mitte des Hofes und errichten über dem Grabe eine
Miniatur-Hütte, in welcher Tabak, Pfeifen, Bananen, Muönge
&o. deponirt werden. Kleine Kinder werden überall in dem
an jedes Haus anstossenden Garten begraben.
Eigenthümlich ist der Glaube an Menschen, die Nachts
ihre Häuser verlassen und Wanderer tödten, um ihr Fleisch
zu essen oder zu allerlei Zauberkünsten zu verwenden.
Solche Leute behalten bei ihren nächtlichen Ausflügen die
menschliche Form bei, verstehen es jedoch, durch Zauber
sich ungreifbar zu machen. Lanzen und Schüsse berühren
sie nicht, wohl aber starke lange Stöcke, mit denen man
sie vor sich hertreiben kann, bis bei Tageslicht sie sichtbar
und kenntlich werden. Die eben besprochene Passion für
Menschenfleisch ist in einzelnen Familien üblich und erb-
lich; ihre Mitglieder taugen weder zum Dienste, noch ihre
Mädchen zur Heirath, weil sie widerwillig sind und nicht
alle Speisen essen. Die betreffenden Familien lieben es
jedoch, sich duroh Heirathen von weit entfernten Orten
3.
186 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute.
neues Blut zuzuführen. Mädchen aus der Nachbarschaft
bleiben nicht bei ihnen, sondern fliehen, wollen aber ge-
wöhnlich nicht sprechen, wenn man sie fragt, was sie ge-
sehen. Eine nur von Frauen geübte Art, Andere zu be-
hexen, besteht darin, dass sie Früchte oder Speisen durch
ihren Blick verzaubern und dann Jemandem zu essen geben.
Sofort befallen ibn heftige Leibschmerzen, die nur dann
vergehen, wenn die betreffende Frau gefunden, gebracht
wird und dem Leidenden drei Mal auf den Leib spuckt.
Der Glaube an den bösen Blick von Frauen wie von Män-
nern ist allgemein; Mittel, sich dagegen zu schützen, giebt
es nicht.
Das Durchbrechen der oberen Schneidezähne vor den
unteren bei Kindern wird als Unheil bringend gefürchtet,
und man ruft, wo es vorkommt, sofort den „mbändua”
(Zauberer), der gewisse Tänze executirt, um das Kind zu
schützen. Er erhält dafür eine Ziege. Solche Tänze sind
überhaupt ein in Krankheitsfällen allgemein angewandtes
Mittel. Epilepsie (nss{mbo) kommt häufig vor, wird aber nicht
als erblich betrachtet; doch sind mit derselben behaftete
Mädchen schwer an den Mann zu bringen und werden häufig
verheiratliet, ohne dass ein Äquivalent in Kühen entrichtet
wird. Ein Mittel gegen die Krankheit ist unbekannt. Wahn-
sinn (ilalü), so wie augenblickliche Geistesabwesenheit sind
häufig; letztere wird mit pflanzlichen Mitteln behandelt, die
durch Schlaf und Schweiss sofortige Heilung bewirken. Poly-
dactylie ist selten. Bemerkt man im Geburtsact die überzäh-
ligen Finger, so werden sie sofort entfernt; hat man sie
aber nicht gesehen, so bleiben sie stehen. Blattern (blündu)
sind sehr gefürchtet; sobald ein Individuum davon befallen
wird, und die Pusteln sich mit Eiter füllen, öffnet man sie
und macht Waschungen mit lauem Wasser. Bei allen Nach-
schüben wiederholt man diess Verfahren, doch sterben die
Erkrankten gewöhnlich. Vaocination ist völlig unbekannt.
Syphilis (kabrevendju) ist weit verbreitet, doch habe ich nie
ausgedehnte Zerstörungen beobachtet, und scheint stets
Tendenz zur Selbstheilung vorzuwalten. Die Geschwüre
werden gewöhnlich mit ätzenden Pflanzenstoffen behandelt
und verschlimmern sich dadurch. Exostosen sind häufig und
als syphilitisch bekannt. Dasselbe gilt vom partiellen Pig-
mentschwund besonders auf den Händen, der in Ugända
sehr häufig ist. Syphilis soll früher in Unyöro unbekannt
gewesen sein und erst zur Zeit Kamrässi’s sich dort gezeigt
haben. Das Übel nahm dann seinen Weg nach Osten und
erschien erst unter Riönga in jenen Landestheilen, während
es zur Zeit seines Bruders Kabadima dort noch unbekannt
war (Strasse der Nubier!). Übermässige Entwickelung der
Labia pudendorum kommt mitunter vor. In Ugända bringt
man durch methodisches Zerren und Schnüren eine bedeu-
tende Verlängerung der Labia minora hervor. Circumcision
ist ungebräuchlich, abgesehen von den Bewohnern Londu's,
die von Westen her kamen.
Stirbt ein Familienvater ohne Kinder, so erbt sein
Bruder Alles, auch die Frauen; sind mehrere Brüder da,
so erhalten die jüngeren kleine Antheile an Gütern und
Frauen nach Belieben des Ältesten, der Haupterbe ist.
Existiren keine Brüder, so erbt der Chef des Stammes.
Sind jedoch Söhne vorhanden, so erbt der älteste Sohn
Alles, was von seinem Vater hinterlassen wurde, die Frauen
eingerechnet, welche mit Ausnahme der eigenen Mutter
seine F'rauen werden. Die jüngeren Söhne erhalten zwei
Frauen, zwei Rinder und so viel vom anderen Besitzthume,
als der Haupterbe ihnen geben will. Frauen und Töchter
sind unter allen Umständen von der Erbschaft ausgeschlos-
sen. Bleiben nach dem Tode eines Familienvaters unmündige
Töchter zurück, so erzieht und verheirathet dieselben der
Haupterbe ; fehlen männliche Verwandte, so tritt der Stam-
meschef an ihre Stelle, der gewöhnlich die betreffenden
Mädchen seinem Harem einverleibt.
Diebstahl wird in Unyöro mit Cönfiscation von Rindern
oder Frauen zum Besten des Bestohlenen bestraft. Wird
ein Mann getödtet, so haben die nächsten Verwandten des
Getödteten das Recht, den Mörder zu ergreifen und mit
dem Speere zu tödten, und erhalten ausserdem noch ein
Rind von der Familie des Mörders. Können sie aber des
Mörders nicht habhaft werden, und wenden sich an den
Chef des Stammes, um ihn zur Bestrafung des Schuldigen
zu veranlassen, so erhält der Chef von ihnen neun Rinder
und drei Schafe oder Ziegen als sein Recht, wofür er den
Mörder ergreifen und tödten lässt und das eine Rind ein-
cassirt. Ehebruch wird, falls der Beleidigte den Beleidiger
ertappt, durch eine Strafe von vier Rindern gesühnt. Wird
der Chef beansprucht, so erhält er ein Rind. Die Frau
bekommt einfach Prügel, kann aber auch verstossen werden,
was durch eine seltsame Ceremonie vorgenommen wird. Der
beleidigte Mann zerschneidet ein Stück Rindenstofl, von dem
er selbst eine Hälfte behält, während die andere mit der
Frau zu derem Vater gesandt wird. Bei Rückgabe der frü-
her für sie als Brautpreis gezahlten Rinder wird dieses
Stück dem Manne wieder zugestellt, der nun beide Stücke
verbrennt. Wegen fehlender Nachkommenschaft werden
Frauen selten verstossen, und dann immer der Mann g«
tadelt, der es thut. Einen curiosen Justizfall habe ich
selbst angesehen. Einer der Leute, die mir als Diener hier
beigegeben worden, hatte seiner Frau einen Strick um den
Hals gelegt und sie an einen Baum gebunden, wo sie die ganze
Nacht bleiben musste. Und das — weil sie ihn belogen!
Die Hauptnahrung der Wanyöro besteht aus Vegetabi-
lien: Bananen, Cajaten, Helmia bulbifera, Cucurbitaceen,
Corchorus, Portulacca &. Diese werden mit zerriebenem
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute. 187
Sesam zu Brei gekocht, während Bananen unreif gepflückt
und geröstet werden. Reife Bananen werden selten ge-
gessen, sie dienen zur Bereitung der Muönge, eines berau-
schenden Getränkes. Das Eleusine-Korn, feinkörniger und
lichter von Farbe, als weiter im Norden, wird mit heissem
Wasser zu Mehl gerieben, was ihm die Bitterkeit nimmt.
Ist Fleisch zu haben, so wird es, sollte es auch starken haut-
goüt besitzen, nicht zurückgewiesen ; die Knochen werden in
Stücke zerbrochen, mit dem Fleische zusammengekocht und
dann das Mark gegessen, während es roh verschmäht wird.
Mark mit Termiten (uswä) und Sesam zusammengekooht
ist ein Gericht, „von dem man seinen Kindern Nichts
giebt”. Blut wird nur bei Mangel an Fleisch mit Butter
und Salz gekocht und so gegessen — auch diess nur von
Einzelnen. Milch wird frisch und ungekocht getrunken,
von welchem Thiere sie auch sei. Wild (Antilopen &c.)
wird gern gegessen, dagegen nie Elephantenfleisch, wie denn
auch das Fleisch des Hippopotamus als Ausschlag erzeu-
gend verabscheut wird. Fische werden von vielen Wanyöro
eifrig gefangen und gern gegessen (Seedistricte), von ande-
ren völlig gemieden und verabscheut, desgleichen Hühner
und Eier.
Salz wird am Mwutän-Nzige bei Kfbiro und Mbacövia
durch Auslaugen des salshaltigen Thonbodens in grosser
Menge gewonnen und bis nach Ugända zum Verkauf ge-
bracht. Es ist meist grau, unrein und von stark nitrösem
Geschmack, doch giebt es auch gute weisse Salze von dort.
Die ärmeren Leute bereiten Salz durch Auflösung der
Asche von Papyrus und Schilf in Wasser. Die Lauge wird
durch einen mit Heu gefüllten Topf filtrirt, dessen Boden
vielfach durchlöchert ist, und in flüssiger Form verbraucht,
Alle Wanyöro essen gerne rohes Salz. Feuer wird durch
schnelles, quirlendes Drehen eines vertical gehaltenen
Stabes in der seichten Höhlung eines horizontalen an-
LI
En m mi — m gg m Ai 0 mn mn — UHR
deren Stabes erhalten und der Funke in Heu oder altem
Rindenstoffe aufgefangen, was jedoch ziemlich viel Geschick-
lichkeit erfordert. Honig von wilden Bienen ist sehr be-
liebt; er wird roh gegessen oder in den Speisebrei ge-
mengt. Sorghum-Korn, welches nur sehr wenig angebaut
wird, so wie Eleusine-Korn werden, zu dickem Brei zer-
rieben, mit Sesam, Butter, Honig oder Fleischbrühe zube-
reitet. Auch Wurzeln, wie wilde Yams, eine rothe sehr
bittere Wurzel (Coocinia?) werden verbraucht, Manioc wird
nur im Süden gegessen. Cajaten (Batatas edulis) werden
in Wasser gesotten. Pfefler (Capsicum oonicum) wird als
Unfruchtbarkeit hervorbringend verschmäht;; dagegen ist ein
Solanum mit kleinen orange-farbenen Kirschfrüchten von
unangenehmem Geschmack sehr beliebt und wird auch roh
gegessen. Kürbisse werden zahlreich gepflanzt, um als
Speise oder als Gefässe Verwendung zu finden. Sehr ge-
schätzt sind Hülsenfrüchte: Phaseolus lunatus, Ph. Mungo,
Vigna sinensis und noch 2—3 Arten. Rindfleisch wird
nur von wohlhabenden Leuten gegessen, Ziegenfleisch all-
gemein.
Die Hyänen, vermuthlich vom Blute des geschlachteten
Viehes angelockt, kommen allnächtlich bis an die Häuser,
sind übrigens manierlich genug, sich auf blossen Anruf zu
entfernen, so dass man sich ihrethalben nicht zu deran-
giren braucht. Täglich erhalte ich Visiten der Chefs von
Kabrega, unter denen Kattägrua und Melindua zwei wirk-
lich anständige, vernünftige Leute sind. Ich freue mich,
in Bezug auf Ersteren bestätigen zu können, was Baker
von ihm sagt: er sei der einzige gentleman in Kabröga’s
Umgebung. Nie hat er mir gegenüber auch nur einen
Wunsch angedeutet und mit aufrichtigem Danke die Klei-
nigkeiten angenommen, die ich ihm geben konnte. Viele
werthvolle Informationen über Leben und Treiben in Unysro
verdanke ich beiden Männern. (Fortsetzung folgt.)
EP
Geographischer Monatsbericht.
Europa.
Das Erscheinen einer zweiten Auflage der Ungarischen
Wendkarte von Europa!) ın der Perthes’schen Anstalt
hietet Anlass, eines im vorigen Jahre zu Ende geführten
grosseren Karten-Unternehmens zu erwähnen, da die erstere
als ein Bestandtbeil desselben in gleicher Ausführungs-
art dem Ganzen sich anschliesst, während dieses, die hier
erschienenen ungarischen Wand- und Handkarten überhaupt
umfassend, dem Leserkreise der geogr. Mittheilungen wohl
kaum bekannt sein wird. Dasselbe war als Anschauungs-
mittel für die Schulen Ungarns vom Unterrichts-Ministerium
in Pest-Ofen bestellt und besteht einestheils aus einer Reihe
von neuen Wandkarten ?) von 6 bis 9 Blatt, anderentbeils
") Berghaus & Gönczy, Europa fali abrossa, 9 Bl. in 1: 4 000 000.
rn) Ungarische Kronländer, Österreich-Ungarn, Asien, jede 9 Bl.
aus acht Folioblättern !), welche den Inhalt jener Wand-
tafeln in je ein Blatt vereinigt im Kleinen genau wieder-
geben und für den Handgebrauch der Schüler bestimmt sind.
Beide, grosse und kleine Ausgaben, enthalten auf Verlangen
der Besteller die volle Namengebung, für welche die ungarische
Übersetzung theilweis durch Ministerielrath Gönczy geliefert
worden war. Zwischen einer Menge von Orts-, Länder-
und Gewässernamen hindurch die Naturumrisse noch in
durchschlagender Übersichtlichkeit darzustellen, ist, zumal
für auf einige Entfernung berechnete Wandkarten, keine so
Afrika, Nordamerika, Südamerika, Australien, jede 6 BL in 1: 8 000 000
und Weltkarte in Mercator’s Projection (Pöld öt Röeze fali abrosze) in
8 Blättern, susammen 68 Blätter.
') BEurops kezi abroszs &c., Nord- und Südameriks aber bier in
ein Blatt zusammengefasst.
24°
188 Geographischer Monatsbericht.
ganz einfache Aufgabe, da eins das andere immer beein-
trächtigt. Der Entwurf war daher genöthigt, für die Her-
vorhebung der Bodenunebenheiten zu ziemlich derben Mitteln
zu greifen. Die Ausführung der Höhenverhältnisse bildet
das Wesentliche und Eigenthümliche dieser Kartensammlung.
Dieselbe bringt in erdfarbigem Flächencolorit die Massen-
erhebungen zur Anschauung, während die Einzelheiten des
Höhenwechsels durch die üblichen Gebirgsschraffen ausge-
drückt sind. In den blau gedruckten Meeresflächen stuft
sich durch dunklere Farbe die Tiefsee von den Bänken und
seichteren Gewässern ab, im Lande gehen die Farben in
6—7 Stufen absoluter Höhe vom Hellen (Niederungen) ins
Dunkle nach aufwärts (Hochgebirge). Durch besondere
Farbe unterscheiden sich von den Niederungen die tiefer
als der Meeresspiegel gelegenen Landschaften, auf welche
hier, wie in den Vorworten einzelner dieser Karten aus-
drücklich erklärt wird, die Bezeichnung „Tiefland” einge-
schränkt ist, und die auf der Erdkarte (1873) zum ersten
Male sämmtlich dargestellt worden sind. Die letztere giebt
zugleich in derben Umrissen ein Gesammtbild der Meeres-
strömungen, Äquatorialströme von den Polarströmen farbig
unterschieden, und eine Verticalansicht des Niedersteigens
der Baum-, Schnee- und Gletschergrenzen von den niederen
zu höheren Breiten, von den continentalen zu den See-
klimaten.
Asien.
Grossfürst Nikolaus Konstantinowsitsch hat vor Kurzem ein
Werk über seine 1877 unternommenen Recognoscirungen zur
Anlage einer central-asiatischen Eisenbahn zwischen Orenburg
und Taschkent und über die an jene Reisestudien sich knü-
pfenden Schlüsse und Pläne herausgegeben. Er steht im
Begriff, eine zweite Expedition zur Förderung des Projec-
tes zu unternehmen, während eine andere für diesen Som-
mer geplante Expedition die genaue Untersuchung des Usbos
zum Zweck hat. Die Kais. Russ. Geogr. Gesellschaft wird
durch einen Statistiker, Majew, und einen Geologen, Fürst
A. Gedroyc, der vorzüglich den Usboi zu untersuchen hätte,
bei diesen Expeditionen vertreten sein. Der Ssary-Kamysch,
bis zu welchem der Amu-Darja im vorigen Jahre durchgebro-
chen war, liegt nach einem vom Aral-See aus vorgenom-
menen Nivellement des Ingenieur Hallmann 7 Faden tiefer
als der Spiegel des Kaspischen Meeres, er nimmt also eine
bedeutende Bodensenkung ein, deren Oberfläche auf 10000
Q.-Werst geschätzt wird, und die sich erst mit Wasser
füllen müsste, ehe an eine Verbindung des Amu-Darja über
den Ssary-Kamysch mit dem Kaspischen Meere zu denken
wäre. Oberst Petrussewitsch schlägt deshalb vor, bei et-
waiger künftiger Kanalanlage nicht den zum Ssary-Kamysch
gehenden, sondern einen noch wenig bekannten Arm des
Amu zu benutzen, der von Tschardschui in Buchara nach
Igdy in der Turkmenen-Steppe führt. Von letzterem Punkte
bis Krassnowodsk am Kaspischen Meere ist der Usboi be-
reits nivellirt.
Im 2. Hefte der „Zeitschrift der Gesellschaft für Erd-
kunde zu Berlin” giebt Professor H. Kiepert nächst der
Fortsetzung von General Schindler’s Reisen im südwestlichen
Persien dessen Itinerare, Höhenmessungen und Routenkar-
ten aus dem nördlichen Persien von 1875 und 1877, und
zwar die Routen von Teheran über Hamadan, Malajer,
Nehawend, Burudjird, Sultanabad und Qom nach Teheran
zurück und von dieser Stadt über Qazwin nach Rescht und
Enseli am Kaspischen Meer.
Eine Übersichtskarte von R. Manzons’s Reisen zwischen
Aden, Sanah, Hodeidah und Mokha bringt G. Cora in sei-
nem „Cosmos” (1878, IV) mit den betreffenden Briefen,
Höhenbestimmungen und Schätzungen von Einwohnerzahlen.
Werthvoller durch die Neuheit des dargestellten Ge-
bietes ist die Karte von Dr. J. Harmand’s Reisen zwischen
dem Mekong und Hue in Annam, 1877, im „Bulletin de la
Soc. de geographie”, Januar 1879.
Dass Morsis Dechy, der bekannte Alpenforscher, sein
diessjähriges Reisegebiet nach dem Himalaya verlegt habe,
erwähnten wir schon früher. Vor Kurzem nun erhielten
wir aus Darjiling, der Gesundheitsstation auf der Aussen-
kette des Sikkim-Himalaya, einen Brief von ihm, worin er
seine Pläne eingehender darlegt: „Nach kurzem Aufenthalt
in Ägypten, Ceylon und Burma kam ich gegen Ende Fe-
bruar in Calcutta an. Meine Ankunft war der englisch-
indischen Regierung durch den österr.-ungarischen Bot-
schafter in London angezeigt, auch hatten mir die Londoner
und Wiener geogr. Gesellschaften, der Londoner Alpenclub
und die Wiener Akademie Begleitschreiben mitgegeben, so
dass ich das bereitwilligste Entgegenkommen fand. Für
meine Sikkim-Reise interessirte sich besonders Sir Ashley
Eden, der Lieut.-Governor von Bengalen, der 1863 eine
Mission nach Bhutan führte. Wie ich von ihm und ande-
ren Landeskundigen erfahre, ist an ein Eindringen in Bhu-
tan mit Erlaubniss des dortigen Radjah nicht zu denken,
dagegen hat die englische Regierung eine Botschaft an den
Radjah von Sikkim geschickt, um die Erlaubniss zum Be-
suche seines Landes zu erwirken. Ich studirte die ganze
einschlägige Literatur und Kartographie, instruirte mich
bestmöglichst durch Rücksprachen und fand meinen vorge-
fassten Plan gerechtfertigt. Hooker hat den Kongra- und
Donkia-Pass im Norden und den östlichen Theil Sıkkims
bereist !), nach ihm haben noch einige Reisende (Blanford,
Edgar) den einen oder anderen Pass des östlichen Sikkim,
vom Donkia bis zum Tschola besucht, der westliche Theil
aber blieb unbekannt. Nur Hooker ging ein Stück im Semu-
Thal hinauf und im Rungit-Thal den Ratong-Fluss entlang.
Der Südabhang des Kintschindjunga, der obere Theil des
Gr. Rungit, die Thäler des Rungniong, Thlonok und Semu,
der ganze Kreisbogen vom Kintschindjunga bis zum Kongra-
Pass wurden nie von Europäern besucht, die kartograplische
Darstellung ist gewiss nur annähernd, alle Karten wider-
sprechen sich und selbst in Darjiling ist von Eingeborenen
aus Sikkim Nichts über diese Thäler zu erfahren.
„Es ist natürlich, dass ich meine Schritte diesem Theile
von Sikkim zulenke. Ob ich den Kintschindjunga ersteige,
bezweifle ich, trotzdem Sie so freundlich sind, mir ein 80
günstiges Prognostikon zu stellen. Ich beabsichtige, morgen
(11. März) nach Jongri, der letzten Sommeransiedelung im
Ratong-Thal, aufzubrechen — ein Marsch von 8 bis 10
Tagen —, diese Region zu begehen, sodann über die
Pandim-Nursing-Kette nach dem Thal des Rungniong zu
gehen, in den Thälern des Thlonok und Semu bis auf die
Höhen der Grenzkette zu steigen und diese wo möglich
!) Siehe Petermann’s Mittheilungen 1861, Tafel 2.
Geographischer Monatsbericht. 189
zu überschreiten, wenigstens Aussichten nach Tibet zu ge-
winnen. Es ist unbekannt, ob dort Pässe nach Tibet füh-
ren; wenn nicht, desto besser, denn ‘um 80 weniger ist zu
fürchten, dass wir jenseit Wächter treffen. Alles, was jen-
seit dieser Grenzkette liegt, ist unbekannt.
„Ich reise so leicht als möglich. Andreas Maaner, einer
der besten Fels- wnd Eismänner des Berner Oberlandes, ist
mit mir, ausserdem 10 Bhotia-Träger mit einem Anführer
(Serdar) und ein Bhotia, der etwas Englisch spricht und ge-
genwärtig im Dienst der englischen Regierung steht, als Dol-
metscher. Ich habe die Errichtung von Proviant-Depöts
an ein bis zwei Orten Sikkims geplant, auf welche ich im
Nothfall zurückgreifen kann, denn die Verproviantirung ist
eine der grössten Schwierigkeiten Wir haben hier jetzt
(10. März) noch Winter, um 8% Morgens 8° C., und ein
Zeltleben in hohen Regionen wird vielleicht etwas hart
sein; der Sommer ist aber der Regen wegen zur Bereisung
dieses Hochgebirges ganz ungeeignet.
„An Instrumenten, die Herr Blanford in Calcutta mit
Standards verglichen, führe ich mit: 1 Quecksilber-Baro-
meter von Negretti & Zambra, 2 Aneroide von Goldschmid,
1 Holosteric von Casella, 1 Kochthermometer von Casella,
2 Maxımum- und 2 Minimum-Thermometer von demselben,
3 Trocken- Thermometer, 1 Hygrometer von Kapeller,
1 Boussole mit Diopter, 1 Winkelinstrument und Clino-
meter, 1 Photographischer Apparat mit Steinheil'schen Ob-
jectiven und Liverpool-Trockenplatten. — Für Erzbischof
Haynald werde ich etwas botanisiren ; sollte ich nach Tibet
gelangen, so wird die Lössfrage v. Richthofen’s mich in-
teressiren.
„In 2% bis 3 Monaten hoffe ich nach Darjiling zurück-
zukommen und sodann nach Zanskar, Skardo und Gilgit zu
gehen’”.
Eine Reise von Hull über Gothenburg, Stockholm,
St. Petersburg, Perm, Irkutsk, Kiachta und Peking nach
Shanghai („Journey across Europe and Asia”) vom Jahre
1875—76 beschreibt J. Milne in den „Transactions of the
Asistic Soc. of Japan” (Vol. VII, Part I). Darüber be-
richtet uns Herr E. Knipping in Tokio Folgendes:
„Den eigenthümlichen, jedenfalls der Thätigkeit des Eises
zu verdankenden Charakter der Inseln und des niedrigen
Küstenlandes von Finnland erklärt der Verfasser ohne Zu-
hülfenahme der Eiszeit, durch noch jetzt beständig thätige
Ursachen, nämlich die reibende und abrundende Wirkung
des alljährlich sich bildenden Küsteneises gegen die in He-
bung begriffenen Ufer. Von Petersburg wurde die Reise
per Bahn über Moskau bis Nischni Nowgorod fortgesetzt
und dort ein Dampfer bestiegen, der bis Perm a. d. Kama
ging. Dem grossartigen Kriegs- Arsenal in der Nähe der
Stadt, mit einem Dampfhammer-Ambos von 666 Tons aus
rınem Guss wurde ein flüchtiger Besuch abgestattet. Die
dort benutzten Coaks kommen durch den weiten Transport
von England auf 1, 5 die Tonne zu stehen, während im
District Solikamsk (etwa 3° nördlicher als Perm) an der
oberen Kams Kohlenlager von 40 Fuss Mächtigkeit vor-
kommen! Von Perm aus über den Ural ging es zu Wagen
nach Jekaterinburg; den Minen zu Berezovki und Nishni
Tagil wurde ein Besuch abgestattet und dann in Tjumen
eıo Dampfer bestiegen. Ein grösserer Dampfer führte den
Rewenden von Evelwa am Tobol diesen Fluss und den
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— u — ——
Irtysch hinunter, dann den stellenweis %, (engl.) Meilen
breiten Ob und Tom bis Tomsk (29500 Einw.) binauf.
Erst im Filusse Tom fand ich Kies, ein Zeichen, dass die
Alluvial-Strecken überschritten waren. Auch hier genügen
die gegenwärtigen Verhältnisse zur Erklärung dieser mäch-
tigen Ablagerungen, Schnee und Eis schmelzen schon im
Süden und speisen die Flüsse, deren Mündungen im N
noch durch Eisbarrieren geschlossen sind; dazu kommt
noch, dass die nördlichen Küsten in stetiger Hebung be-
griffen sind.
„Der directe Weg von Jekaterinburg nach Tomsk über
die Barabinsk.-Steppen ist nahezu um die Hälfte kürzer,
aber weniger bequem als der Wasserweg. Bei Bogotol
treten die ersten unbedeutenden Bodenanschwellungen auf.
Hügel trifft man erst bei Krasnojarsk. Um einen Begriff
von den Kosten einer sibirischen Reise zu geben, wird die
Rechnung von Tomsk bis Irkutsk mitgetheilt, die sich für
etwa 83 Tag auf rund EL 15 beläuft. In Irkutsk wurde
ein längerer Aufenthalt gemacht, um den vollen Winter
eintreten zu lassen, und am 23. November die Reise um
das Südende des Baikal-Sees, der sich durch pittoreske Um-
gebung besonders auszeiohnet, nach Kiachta fortgesetzt.
Hier wurden vier Kameele mit einer Telega oder Turga
(zweirädrige Wagen) und fünf Mongolen für die Reise bis
Kalgan um 100 Rubel gemiethet und am 9. December in
Gesellschaft einer Karawane aufgebrochen. Bis Urga wur-
den drei Pässe überstiegen, der Makatah-, Olindawa- und
Gatinawa-Pass. Die Stadt mit ca 15000 Einwohnern liegt
in einem weiten Thal, besteht aus Lehmhäusern, die mit
10 Fuss hohen Pallisaden umgeben sind, und ist der reli-
giöse Mittelpunkt der Mongolei. Die Mongolen werden als
gastfrei und zu Scherzen aufgelegt geschildert, während
man in Sıbirien sehr vor ihnen gewarnt hatte. Am 16. De-
comber wurde Urga verlassen und endlich am 9. Jan. 1876
Kalgan erreicht. Die niedrigste beobachtete Temperatur
war am 2. Januar gemessen, — 25° R. Auffallend ist die
Menge von Jurten, Flecken und Dörfern, die im Anhange
auf der Strecke Urga—Kalgan angegeben sind (68), und von
denen Teck-sha-buinta mit 150 Häusern angeführt wird;
in der Wüste Gobi sollte man kaum eine solche Menschen-
menge erwarten. Von Kalgan ging Jie Reise dann weiter
über Peking und Tientsin, durch die Provinz Schantung
und Kiangsu nach Techinkiang und Shanghai. Als Anhang
sind eine Menge Notizen aus dem sibirischen Kalender für
1875 beigegeben, Bemerkungen über die Verbannten, Winke
für Reisende, Temperatur- und Aneroid-Beobachtungen, Iti-
nerar von Urga oder Kurendur bis Kalgan oder Changiku,
2 Itin. von Tientsin— Shanghai u. a.
„Ich lasse einige von Milne’s chinesischen Städten mit
den wahrscheinlich identischen aus Stieler's Hand- Atlas
Nr. 43° (vergl. neue Aufl. Nr. 59) folgen, die ersteren sind
alle nach der Aussprache niedergeschrieben:
Milne
7. Febr. 1876 Teang-jow
Tsang Prov. Petsebili.
8. » Tunghow Tungkuang
12. » » Tainen od. Kinnan Thai-an « Shbantung
13. » Shing-taı-shai Sin-thai
14, » n Moi-in-eba Mung jen?
15.» » Ejow (Ye jow) Itscheu
20. » « Poin-tu Paoizg =» Kıangeu
3). - .« Quoiyu Kaojen
22. ®» Chinkiang Tecbin-kiang am Jang-tse-kıang.
190 Geographischer Monatsbericht.
„Die geologischen Beobachtungen sind im „Geological
Magazine”, Juli 1877 bis Februar 1878 erschienen.
„Das „Journal of the Straits Brauch of the Royal Asia-
tio Soc.” (Juli 1878) enthält Geography of the Malay Penin-
sula, Part I, by A. M. Skinner, mit Karten: 1. The Ma-
layan Peninsula from a compilation by L. T.Moniot, Surveyor
General of the Straits Settlement. 1862. Scale 64 Miles
to 1 inch. 2. Map of the Malay Peninsula 1878 von
1°—7°N, 99—1044° OÖ. 3. Plan of Pera River. Pulo
Dingding and the Sambelong (9) Islands by Capt. Thomas
Forrest’”.
Wiederholt wurde in diesen „Mittbeilungen” auf die
Wichtigkeit der einheimischen japanischen Karten hinge-
wiesen, die an Ausführlichkeit und Zuverlässigkeit alle euro-
päischen Darstellungen des Archipels weit hinter sich las-
sen. In den Osterferien hatte Herr Professor Rein in
Marburg die Güte, einige neue japanische Kartenwerke uns
zu zeigen, die unsere hohe Meinung wiederum bestätigen.
Er schrieb wenige Notizen darüber auf, die wir hier ab-
drucken:
1. „Nihon sen dsu, d. h. Karte von ganz Nippon, heraus-
gegeben vom Mömbusho (Unterrichts-Ministerium) im 9. Mo-
nat des 10. Jahres Meiji (Septbr. 1877), gezeichnet von
Miyamoto Sampei. — Diese in 2 Blättern mit Farbendruck
zur Unterscheidung der alten Provinzen höchst sauber aus-
geführte Karte besteht aus einem östlichen und westlichen
Blatt und umfasst einschliesslich dreier Nebenkarten (Yezo
mit Kurilen, Riukiu und Munintö oder Bonin-Inseln) das
ganze japanische Reich. Die Hauptkarte ist in dem grossen
Maassstabe von 1:440000 nach Delisle’scher Projection aus-
geführt. Ihr Netz geht von Grad zu Grad, giebt aber an
den Rändern auch noch die Minutentheilung an. Als Mittel-
meridian ist derjenige von Tokio (139° 47' Ö.L. v. Gr.)
angenommen, und es geht das östliche Blatt am unteren
Rande etwa von 2° OÖ. T. (Tokio) bis 44° W.T., das west-
liche von 44° W. T. bis 11° W. T., während in meridio-
naler Richtung die Ausdehnung von 30° bis 42° N. sich
erstreckt. Neben dieser durchgeführten Meridiantheilung,
welche für den Japaner bezüglich der Zeit- und Distanz-
Bestimmung nach der Hauptstadt unverkennbare Vorzüge
bietet, finden wir an beiden Rändern auch noch die An-
be nach Greenwich (ungefähr 129° bis 142° OÖ. Gr.). Im
brigen verdient noch hervorgehoben zu werden, dass die
Gebirge nach Lehmann’scher Manier gezeichnet sind und
im Allgemeinen scharf hervortreten,, obgleich den Höhen-
maassen nicht überall gebührende Rechnung getragen wurde.
Der Druck der chinesischen Schrift, welche durchweg an-
gewandt wurde und auch ihrer grossen Kürze wegen vor
dem Katakana den Vorzug verdient, ist ein sehr scharfer. —
Haben wir so in Kürze die äussere Anlage beurtheilt, so
erübrigt noch hervorzuheben, dass diese Karte auch in
Bezug auf ihre sonstige Zuverlässigkeit, trotz einzelner auf-
fallender Mängel, eine ganz hervorragende Leistung ist und
alle bisher in Japan erschienenen kartographischen Arbeiten
weit übertrifft. Ganz besonders willkommen ist das west-
liche Blatt, weil bisher die Inseln Kiushiu und Shikoku
in kartographischer Hinsicht mehr wie andere Landestheile
vernachlässigt waren, und der Reisende in diesen Gebie-
ten meist vergeblich nach guten Abbildungen derselben
suchte.
2. „Jitsu Soku /spr. Jissoku) Ni Hon Chi Dau, d.h.
Genaue Kartenaufnahme von Japan. Officielle Publication
in 4 Blättern, nämlich: Kinai, Tö-kai, Tö-san und Ho-
kuroku.
3. „Chösen sendsu, od. vollständige Karte von Korea, heraus-
gegeben im 11. Monat des 8. Jahres Meiji (Novbr. 1875)
vom Kriegsministerium zu Tökio. Der’ Maassstab dieser
Karte ist 1:960000. Die acht Provinzen des Landes sind
ebenfalls durch Farbendruck unterschieden, Gebirge, Flüsse
und Ortschaften so vollständig nach unserer gewöhnlichen
Art dargestellt, dass man auf den ersten Blick meinen
sollte, die Arbeit sei aus einer der besten kartographischen
Anstalten Europa’s hervorgegangen. Erst bei näherer Be-
trachtung erkennen wir an den chinesischen Wortzeichen
den ostasiatischen Ursprung. Über die Entstehung dieser
schönen Karte ist uns nichts Näheres bekannt, doch dürfte
ihr neben einem koreanischen Original auch ein französi-
sches oder englisches zu Grunde liegen. Einige Neben-
kärtchen bringen in vergrössertem Maassstabe die bemer-
kenswerthesten Häfen mit arabischen Ziffern für die Pei-
lungen, insbesondere Fusan, den Vertragshafen gegenüber
Tsushima”,
Afrika.
Paul Soleillet hat von Segu Sikoro am oberen Niger
wieder nach Saint Louis de Senegal zurückkehren müssen,
weil ihm Sultan Ahmadu wegen Unsicherheit der Strassen
die Weiterreise nach Massina untersagte. Er verliess Segu
Sikoro am 20. Januar d. J. und erreichte Podor am 13. März.
Nach mehrmonatlichem Aufenthalt in St. Louis wollte er
mit einer Karawane nach Tischit in der westlichen Sahara
und von da nach Algerien zu gelangen suchen.
Die commercielle italienische Expedition in Abessinien ist
von allen Beamten des Negus sehr gut empfangen worden;
Signor Naretti, der Favorit des Königs, begleitet sie durch
das Land. Matteucci wollte von Adoa, wo er das Gerücht
von Marquis Antinori’s Tod in Schoa hörte, über Sokota
nach Schos gehen.
Zur Literatur über Werner Munzinger kommt nachträg-
lich noch ein kleines Buch von @. Wild: „Von Kairo nach
Massaua. Eine Erinnerung an Werner Munzinger”. In
Olten, dem Geburtsort des bekanntlich als Generalgouver-
neur Ost-Sudans auf einem Kriegsezug nach Süd-Abessinien
gefallenen, durch seine wissenschaftlichen Arbeiten und seine
Fübhrerrolle im englisch-abessinischen Krieg ausgezeichneten
Schweizers gedruckt, erweist sich das bequem in zwei
Stunden durchzulesende Buch nicht nur durch die von
P. Dietschi verfasste biographische Einleitung über Mun-
zinger als ein für diesen bestimmtes Denkmal, sondern das
Tagebuch G. Wild’s, das den Rest des Buches füllt, be-
schäftigt sich zum grossen Theil mit ihm und bringt für
seine Freunde und Verehrer manche werthvolle Notiz über
sein Wirken in den ägyptischen Uferländern des Rothen
Meeres. Wild begleitete im April 1872 den zum General-
gouverneur von Ost-Sudan ernannten Landsmann von Kairo
über Suez nach Suakıin und Massaua, wohnte seiner dor-
tigen Installation bei und machte mit ihm einige Excur-
sionen von Massaua nach dem Lawa-Thal und nach Zulla,
bevor er noch Ende desselben Monats nach Kairo zurück-
Geographischer Monatsbericht. 191
kehrte. Seine Aufzeichnungen sind zwar schon früher in
einer Schweizer Zeitung abgedruckt worden, erscheinen aber
hier im Zusammenhang und ziemlich reich illustrirt mit
Tonbildern und Vignetten von G. Roux, auch mit einer
Karte von Massaua und dem Bogos-Lande nach A. Peter-
mann. Der Ertrag des Buches ist für einen jungen Öltener
bestimmt, der in die Fusstapfen seines berühmten Mit-
bürgers treten will.
Im Reichshaushalts- Etat für 1879/80 sind unter den
einmaligen Ausgaben des Reichskanzleramtes 70000 M. als
„Beihülfe zur Förderung der auf Erschliessung Central-
Afrika’s gerichteten wissenschaftlichen Bestrebungen” be-
willigt. Von dieser Summe werden der Afrikanischen Ge-
sellschaft in Deutschland 50000 M. überwiesen und der
Ausschuss der Gesellschaft beschloss in seiner Sitzung vom
19. April d. J., übereinstimmend mit den Vorschlägen des
Vorstandes, von jenen 50000 M. je 17000 M. für die in
der Ausführung begriffenen Expeditionen von G. Rohlfs und
M. Buchner zu bestimmen, während der Rest von 16000 M.
zur Anlegung der Station verwendet werden soll, für welche
die Brüsseler Association der Afrikanischen Gesellschaft
40000 frcs zur Verfügung gestellt hat,
Dr. Buchner, der am 5. Dec. vor. J. in Loanda ange-
kommen war, fuhr den 20. bis 23. Dec. den Coanza hinauf
nach Dondo, dessen geogr. Breite er mit der auf Schütt’s
Karte angegebenen übereinstimmend, nämlich zu 9° 41’
S. Br. fand, besuchte den Cambambe-Fall des Coanza und
kam am 30. Januar über Pungo Andongo in Malange
(9° 32’ 37” S. Br.) an. Major v. Mechow, mit dem er in
Dondo zusammentraf, wurde in Pungo Andongo durch Fie-
ber zurückgehalten, wie auch Dr. Buchner bereits einen
Fieberanfall durchzumachen hatte,
Am 2. April erhielt die portugiesische Regierung auch
telegraphische Nachricht von den früheren Begleitern des
Major Pinto, Z/vens und Capello.. Während Pinto ostwärts
nach dem Zambesi ging, um schliesslich nach Transvaal zu
gelangen, wendeten sich die genannten Herren nördlich
nach dem Quango und gelangten nach Cassange. Spätere
Nachrichten müssen es aufklären, warum die Herren seit
Maı 1878 nur eine so kurze Strecke zurücklegen konnten.
Auf dem Kanonenboot „Tamega” fuhren am 28. No-
vember 1878 die portugiesischen Marine-Officiere Lima,
Queriol und Silva von Mossamedes ab nach der Tigres-Bai,
gingen von dort über hohe Sandhügel nach dem Cunene
und nahmen den unteren Lauf dieses Flusses auf. Nach
manchen Leiden, durch ungeheuere Hitze, Durst, schlechte
Wege und heftige Winde verursacht, kamen sie am 21. De-
cember nach Mossamedes zurück.
Den neuesten portugiesischen Ansprüchen auf die Prio-
rität der Entdeckungen im Innern Süd-Afrika’s tritt A. J.
Wauters in Brüssel in gemässigter, aber entschiedener
Sprache entgegen !), indem er betont, dass eine wirk-
liche Entdeckung der innerafrikanischen Seen und Flüsse
von Seite der Portugiesen nicht nachgewiesen und auch
durchaus unwahrscheinlich sei. „Eine einzige der grossen
modernen Explorationen Livingstone’s, Speke’s, Cameron’s
’, L’Afrique ceutrale en 1522. Le lac Sachaf d’aprös Martin Hyla-
comilus et G6rard Mercator. Bruxelles 1879. Mit Facsimile der Waltze-
zmüller’schen Karte.
oder Stanley’s”, sagt er, „leistete für sich allein weit mehr
für den Fortschritt der Geographie als alle im 16., 17. und
18. Jahrhundert südlich vom Kaustor unternommenen Rei-
sen zusammen genommen”. Insbesondere macht er aber
darauf aufmerksam, dass der mehrere Jahrhunderte lang auf
den Karten als Quelle des Nil, Zaire, Zambesi &c. darge-
stellte südafrikanische Central-See keineswegs bei De Barros
zuerst auftritt, wie man gewöhnlich annimmt, sondern schon
auf Waltzssmüller's / Hylacomilus) Karte von 1513 in der
.Strassburger Ausgabe des Ptolemäus von 1522 erscheint,
und zwar als ein See mit vier Zuflüssen, die erst nach und
nach unter den Händen späterer Kartenzeichner zu Ausflüs-
sen wurden. Prof. L. Cordeiro wird eine Entgegnung ver-
öffentlichen, wie er ın der Sitzung der Lissaboner Geogr.
Gesellschaft vom 14. April anzeigte.
Das April-Heft der „Proceedings of the R. Geogr. So-
ciety” bringt zwei, einiges Neue enthaltende Kärtchen afrı-
kanischer Gegenden: 7. J. Comber’s Reisen im Westen, Nor-
den und Osten des Cameruns-Gebirges und eine Karte des
Bamangwato-Landes von Capt. Patterson. Letzteres ist hier
in sehr weitem Sinne nach den Ansprüchen des Häuptlings
gefasst und ausserdem sind noch 'Theile von Transvaal und
dem Matabele-Land eingeschlossen, so dass die Karte vom
Lepalule und Limpopo bis zum mittleren Zambesi und dem
Ngami-See reicht.
Von grösserer Bedeutung sind die Karten zu den von
H. B. Cotteril! herausgegebenen Zugebüchern des Consul
J. Fr. Elton: „Travels and researches among the lakes and
mountains of Eastern and Central Africa” (London, Mur-
ray, 1879). Das Buch ist hübsch illustrirt und von dem
Gefährten des verstorbenen Consuls mit grösster Pietät zum
Druck vorbereitet, indessen wäre es vielleicht zweckmässiger
gewesen, die Aufzeichnungen des Verstorbenen nicht so
gewissenhaft in ihrer ursprünglichen Form zu lassen, denn
es lässt sich nicht leugnen, dass die kurzen Notizen über
die kleinen täglichen Erlebnisse ermüdend wirken, ohne dass
man durch generalisirende, ausgearbeitete Abschnitte ent-
schädigt würde. Der Text ist in der That ziemlich steril,
zumal die geographischen Hauptergebnisse der Elton’schen
Reisen an der Ostküste zwischen Zanzibar und Mozambique,
so wie seiner letzten wichtigen Reise vom Nyassa nach
Ugogo durch die Publicationen der Londoner Geogr. Ge-
sellschaft bereits bekannt sind. Aber die provisorische Karte
der letzteren Reise in den „Proceedings” (s. die Copie in
Petermann’s Mittheilungen, 1878, Tafel 19) steht in Ausführ-
lichkeit und augenscheinlich auch in der Zuverlässigkeit weit
zurück hinter der betreffenden Karte des Buches, die des-
halb zur Berichtigung und Vervollständigung südafrikani-
scher Karten unentbehrlich ist. Auch die in dem Buche
befindliche Karte des Nyassa von Cotterill giebt die Um-
risse des Sees in manchen Theilen wesentlich verschieden
von bisherigen Karten, aber in der Lage des Sees bedarf sie
der Berichtigung, da nach den Beobachtungen des Dr. Laws
das Nordende des Nyassa um ein Beträchtliches westlicher
zu liegen kommt, wie auch auf der anderen Karte des El-
ton’schen Buches zu sehen ist.
Zur Orientirung über die Vorgänge im Zulu-Land ist
„Stanford’s large scale map of Zulu Land” (1:625000) zu
empfehlen. Sie enthält alle bei den bisherigen Gefechten
und Märschen genannten Punkte, z. B. Isandwlana, Rorke’s
192 Geographischer Monatsbericht.
Drift, Ekowe, den Weg von Fort Pearson an der Tugela
nach Ekowe, Cetwayo’s Kraal Ulundi &c., ist überhaupt
sehr reichhaltig in der Nomenclatur. Als ein Vorzug muss
besonders erwähnt werden, dass die verschiedenen Grenz-
verträge zwischen den Zulus und der Transvaal-Republik
und die beiderseitigen Gebietsansprüche klar zur Darstel-
lung kommen. Da Herr Fr. Jeppe in Pretoria, die Haupt-
Autorität über Transvaal, einen Ausschnitt seiner bekannten
vortrefflichen Karte mit den handschriftlich nachgetragenen
Grenzlinien, wie sie in verschiedenen Jahren vereinbart
wurden, uns zur Information zuzusenden die Güte hatte,
können wir für die Verlässlichkeit der Stanford’schen Karte
in dieser Beziebung Zeugniss ablegen. Überdiess liegen uns
durch Herrn Jeppe’s Gefälligkeit alle darauf bezüglichen
officiellen Schriftstücke in der „Transvaal Government Ga-
zette” vom 23. Januar 1879 vor, ein Aktenstück, das für
die Entstehungsgeschichte des gegenwärtigen Zulu - Krieges
von grösster Wichtigkeit ist. Das Terrain auf der Stan-
ford’schen Karte entbehrt nicht des plastischen Ausdruckes,
erinnert aber durch seine Steifheit an manche Photogra-
phien von Reliefkarten.
In Genf wird vom Juli d. J. an eine Monatsschrift er-
scheinen, die sich ausschliesslich mit den afrikanischen For-
schungen und Bestrebungen beschäftigen soll. Sie nennt sich
„LAfrique exploree et civilisde” ; Redacteure sind G. Moy-
nier und Ch. Faure. Man abonnirt für 7 frcs pro Jahr
beim Verleger J. Sandoz.
Australien und Inseln des Grossen Ooceans.
„Es wird Sie interessiren”, schreibt uns Herr Baron
Ferd. v. Mueller in Melbourne, „zu erfahren, dass Mr. Tiet-
kens, der Gefährte von Giles bei dessen zweiter und dritter
Reise, jetzt als „surveyor”’ eine eigene Kameel-Expedition
leiten wird, wofür Sir Thomas Elder die Kameele und auch
andere Mittel hergiebt. Mr. Tietkens reist jetzt von Adelaide
nach Beltana ab und zieht von da mit den Dromedaren
nach Fowler’s Bay, um die im Hinterlande der Grossen
Australischen Bucht gelegenen Gras- und Weide-Ländereien
der tertiären Kalkformation während der kühleren Jahres-
zeit zu durchstreifen. Wo immer das Erlangen von Trink-
wasser gelingt durch Abdämmen von Regenwasser oder
Bohren von Brunnen, ist der Wohlstand, ja Reichthum eines
Heerdenbesitzers, zumal eines Schafzüchters begründet, denn
zu beiden Seiten der Grossen Bucht giebt es Häfen, aus
denen die Wolle ohne überaus langen Landtransport ver-
schifft werden kann. Mr. Tietkens ist noch jung, sehr
robust, tüchtig für Explorationen eingeschult und dazu ein
professioneller Landmesser ; so kann er im nächsten Deoen-
nium noch bedeutend mithelfen, die geographische Karte
des australischen Continentes zu vervollständigen”,
A. Raffray veröffentlicht im „Tour du Monde” (Vol.
XXXVII, Nr. 953 ff.) seine photographischen Aufnahmen
während seiner Reise an der Nordküste von Neu- Guinsa
1876—77 nebst Beschreibung der Reise.
Dr. O. Finsch ist Ende April nach den Inseln des nörd-
lichen Grossen Oceans abgereist.
Amerika.
Über die Goographische Gesellschaft in Quebec liegen uns
durch die Güte des Vorstandes nunmehr genauere Infor-
mationen vor, als uns für die statistischen Nachrichten über
die geogr. Gesellschaften im 7. Bde. des Geogr. Jahrbuchs
zu Gebote standen. Nachdem am 17. December 1877 eine
erste Versammlung Statt gefunden hatte, wurden am 26. Ja-
nuar 1878 die Statuten genehmigt und am 16. März die
Vorstände gewählt. In der Jahresversammlung vom 20. Ja-
nuar 1879 wurde mitgetheilt, dass die Mitgliederzahl 252
betrage, ungerechnet 20 Ehrenmitglieder. Vorsitzender ist
P. Fortin, Arzt und früher Minister der Kronländereien
in der Provinz Quebec, französischer Secretär der Notar
L. P. Sirois, englischer Secretär E. Fletcher, Inspeotor der
Landesvermessung. Die Statuten bezeichnen als Zweck des
Vereins die Verbreitung geographischer Kenntnisse und
Förderung geographischer Studien im Allgemeinen, betonen
indessen noch besonders die Pflege der Landeskunde von
Canada. In Quebec und nächster Umgebung wohnende wirk-
liche Mitglieder zahlen 4 Dollars jährlichen Beitrag, aus-
wärtige nur 2 Dollars. Der Vorstand, neben welchem noch
ein Ausschuss oder Conseil besteht, wird alljährlich neu
gewählt, wobei die Präsidenten nur zwei Jahre nach einan-
der in Function bleiben können. Versammlungen finden
zwei Mal im Monat Statt.
Wärend von dem beabsichtigten Bulletin der Geogr.
Gesellschaft in Quebec noch Nichts publicirt zu sein scheint,
versendet dieselbe eine Flugschrift „Navigation of Hudson's
Bay’, in welcher das Resultat von Erhebungen in Betreff
der Ausführbarkeit einer regelmässigen sommerlichen Dampf-
verbindung zwischen Fort York am Nelson, Westseite der
Hudson’s Bay, und Liverpool mitgetheilt wird, und zwar
in folgenden Abschnitten: 1. Geographisches; 2. die Eigen-
thümlichkeiten der Schifffahrt in der Hudson-Strasse; 3. das
Eis in dieser, der Hudson's Bay und an der Labrador-
Küste; 4. die Verhältnisse des Nelson-Flusses; 5. die Chan-
cen von Port Nelson als Ausgangspunkt und Ziel der
Schifffahrt; 6. die Meeresproducte in der Hudson's Bay und
Strasse; 7. Manitoba und das Hinterland. Die Angelegen-
heit ist noch nicht über das Stadium eines blossen Pro-
jectes hinaus gediehen, doch enthält die Schrift mancherlei
Material zur Begründung der Ausführbarkeit desselben.
Die Zahl der Indianer Nord- Amerika’s schlägt Pro-
fessor @. @erland in eingehender Untersuchung (,Globus”,
Bd. XXXV, 1879, Nr. 15) für die Gegenwart auf 394 600
und für das Jahr 1600 auf 729250 an, nämlich:
im J. 1600 im J. 1877
Östliche Vereinigte Staaten 220 000 Vereinigte Staaten .
Westliche Verein. Staaten
bis zum Felsengebirge 309 350
. + 250809
Indianer nicht unter Agen-
ten oder in Reservationen 15 643
Californien . - - « » 40000 Feindliche Indianer unter
Alaska . 2 - 2 0» 40000 Bitting Bull . . . . 4000
Britisch-Nord-Amerika . 120000 Alaska . - . 2 2.830000
7239 250 Britisch-Nord-Amerika . 94 163
394 615
„L’Esploratore” vom März 1879 bringt eine Werthe-
man’sche Karte der Flüsse Perene und Tambo, eine werth-
volle Ergänzung zu der kürzlich in Petermann’'s Mitthei-
lungen veröffentlichten Karte der peruanischen Zuflüsse des
Amazonas.
Dr. Crevaur hat seine zweite Reise durch Französisch-
Guyana glücklich zurückgelegt. Indem er den Oyapok
hinaufging, überschritt er wiederum die Tumac - Humae-
Geographischer Monatsbericht. 193
Berge, welohe die Wasserscheide gegen den Amazonenstrom
bilden, und ging am Kou, einem bisher unbekannten Neben-
fluss, zum Yari hinab. Von dem letzteren, den er bei sei-
ner vorigen Reise aufwärts bis Yaoouman verfolgt hatte,
nahm er diess Mal den obersten Lauf bis zu den Quellen
auf. Diese erreichte er am 24. October 1878, sodann ge-
langte er über einen Höhenzug nach dem westlicheren
Parou, einem anderen Nebenfluss des Amazonas, der fast
eben so wenig bekannt war als der Yari, ging am ganzen
Lauf desselben hinab und besuchte dann nochmals den
unteren Yari, bevor er am 9. Januar 1879 nach Parä ge-
langte. (Nature, 3. April 1879.)
In neuester Zeit macht sich eine nicht unbeträchtliche
Einwanderung ın den Chaco bemerklich, dessen weite Ebe-
nen vor einigen Jahren noch von allen Ansiedelungen ent-
blösst waren. Die argentinische Regierung geht daher
auch mit der Organisation der Verwaltung daselbst vor und
bat an einem Arme des Rio Vermejo einen Punkt zur An-
lage des Hauptortes für das Gebiet bestimmt. Die Stadt
soll den Namen Dillon erhalten, nach dem Obercommissär
für die Einwanderung. Der zwischen dem Rio Piloomayo,
dem Rio Paraguay und dem Parallel des Rio Verde (circa
33° S. Br.) eingeschlossene Theil des Chaco, über dessen
Besitz in dem Vertrag von Buenos Aires vom 3. Februar
1876 dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika der Schiedsrichterspruch übertragen wurde (siehe
„Die Bevölkerung der Erde”, IV, S. 66 und Tafel 1), ist
kraft dieses gegen Ende 1878 erfolgten Schiedsspruches
an Paraguay gekommen.
Die „Geographischn Nachrichten für Welthandel und
Folkswarthschaft', das Organ des jungen „Central-Vereins
für Handelsgeographie” in Berlin, beschäftigen sich im 2.
und 3. Heft ausschliesslich mit Süd-Amerika. A. W. Sel-
Im, früher Director der Colonie Nova-Petropolis, hebt die
Vortheile hervor, welche Süd-Brasilien für die deutsche
Colonisation bietet, und bekämpft die namentlich in Deutsch-
ıand dagegen bestehenden Vorurtbeile. ZH. Lange liefert
bierzu, unter Beigabe einer hübschen Karte, eine ausge-
arbeitete Skizze der physischen Geographie Süd- Brasiliens,
während @. Koch die Argentinssche Republik der deutschen
Auswanderung empfiehlt und besonders statistische Nach-
weise beibringt. Selbst die kürzeren Notizen des Heftes
beziehen sich auf Süd-Amerika, so von K. Brämer über
Uruguay, von E. Brass über die deutsche Colonie am Po-
zuzo in Peru, verschiedene andere über den Import-Handel
Süd-Brasiliens, die Eisenbahnen und Koblenlager daselbst, die
Dampferverbindung zwischen Hamburg und Süd-Amerika, —_
speciellen Artikel über den deutschen Ort Santa
Cres in Rio Grande do Sul veröffentlichte Dr. 2. Lange
is der neuen Berliner Wochenschrift „Mehr Licht”, 1. Jahrg.
Nr. 13, 28. December 1878.
Polar - Regionen.
Der berühmte Führer der österr.-ungar. Polarexpedition
1873—74, © Weyprecht, hat jetzt in einem Werke die
Resultate seiner Beobachtungen über die Metamorphosen des
Polar oisse ') niedergelegt. In Wahrheit wird uns hier weit
mehr, nämlich eine Darstellung der physikalischen Verhält-
„ Win, bei M. Perle, 1879. 8°, 284 88. fi. 3.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft V.
nisse der Polar-Regionen geboten. Die Arbeit war ur-
sprünglich zur Publication in den Denkschriften der Kaiserl.
Akademie der Wissenschaften bestimmt und sollte eben so
streng wissenschaftlich gehalten bleiben, wie die Bearbei-
tang der magnetischen, der astronomischen, der Nordlicht-
Beobachtungen &. Der Verfasser änderte aber diese Ab-
sicht und entschloss sich, seine Erfahrungen in ein mehr
populäres Gewand zu kleiden. Niemand ist wohl befähig-
ter, über den Gegenstand gründlich zu urtheilen als gerade
Weyprecht. Der „Tegethofl”’ war ja bekanntlich ein ganzes
Jahr im treibenden Eise fern von der Küste eingeschlos-
“ sen, der Umformungsprocess desselben vollzog sich vor den
Augen der Besatzung, und den Beobachtern war dadurch
ein tieferer Einblick in die Geheimnisse der Eiswelt mög-
lich als allen früheren Reisenden. Dass Weyprecht diese
günstige Gelegenheit in ausgezeichneter Weise benutzt
hat, davon legt das Werk ein unwiderlegliches Zeugniss
ab, Während die bezüglichen Beobachtungen in sonstigen
Reisewerken über die arktischen Regionen, mit Ausnahme
etwa von Scoresby, sich nur zerstreut und zusammenhangslos
finden, theilt Weyprecht uns seine Studien in klar geord-
neter, die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Mo-
mente darlegender Weise mit. Um zunächst als Beispiel
einen Punkt, nämlich die durch die Ergebnisse der letzten
engl. Expedition vielfach zur Erörterung gekommene Frage
nach der Maximalstärke des Polareises herauszugreifen, so
gelangt Weyprecht zu folgenden Schlüssen: „Das Eis kann
durch Gefrieren nur so weit anwaohsen, bis seine Zunahme
im Winter gleich der Abnahme im Sommer ist, Diese sind
die Grenzen, über welche hinaus das Fortschreiten der Eis-
bildung unmöglich ist. Die Maximaldicke des Eises hängt
demnach in erster Linie von der Temperatur der Luft und
des Wassers und in zweiter von der Quantität des im
Sommer zum Schmelzen gebrachten Eises ab. Sie wird
also für verschiedene Gegenden erheblich verschieden sein.
Dort, wo durch complicirte Bodenverhältnisse dem allgemei-
nen Wasserwechsel Hindernisse in den Weg gelegt sind,
und wo sich derselbe verlangsamt, wird das Eis zu, einer
grösseren Stärke gelangen können als in der Nähe aus-
gedehnter Meere, die in weiter Communication mit dem
Süden stehen, und eben so in jenen Gegenden, wo durch
locale Einflüsse die Sommertemperatur herabgedrückt und
damit die Quantität des schmelzenden Eises vermindert ist”.
Eingehend erörtert Weyprecht unter Anderem die Treib-
holzdriften, und gelangt bezüglich des aus den sibirischen
Strömen auf Spitzbergen angeschwemmten Treibholzes zu
dem näher motivirten Schluss, dass sich die Hauptmasse
des Treibholz führenden Eises nördlich von Franz Josefs-
Land vorüber und dann von Nordost direct auf Spitzbergen
bewege. Anknüpfend an die Berechnungen des Dr. Börgen,
deren Richtigkeit in der Hauptsache Weyprecht nicht be-
streiten will, führt er aus, dass die Eisverhältnisse im
grössten Theile des uns unbekannten Inneren zum wenig-
sten nicht ungünstiger sind als an den uns bekannten
Grenzen. Mit katogorischer Bestimmtheit zu behaupten, die
Erreichung des Pols zu Schiffe sei unmöglich — wie diess
neuerdings von competent aussehender Seite geschehe —,
Deren en nach Weyprecht's Meinung sicherlich zu weit
En] Beiheften der „Tijdschrift van het Aardrijkskundig
235
194
Genootschap” (1879, No. 5) erfolgt die Publication über
die vorjährige Polarfahrt des holländischen Schiffes „Wel-
lem Barents”. War bis jetzt nur ein kurzer Bericht des
Commandanten A. de Bruijne und eine Übersichtskarte des
Schiffscurses veröffentlicht, so findet man hier, in dem er-
sten Theil, nebst der von Lieut. Koolemans Beijnen ver-
fassten Beschreibung der Reise mit Karte und Küsten-
ansichten, des Commandanten de Bruijne’s Bearbeitung der
meteorologischen und Seetemperatur- Beobachtungen, aus-
gestattet mit verschiedenen Diagrammen, so wie einen Be-
richt von H. M. Speelman über die magnetischen Beobach-
tungen.
Die von dem Central-Comite für die Expedition nach
dem nördlichen Eismeer eingeleitete Sammlung von Bei-
trägen behufs Wiederausrüstung des „Willem Barente” nimmt
einen so erfreulichen Fortgang, dass eine baldige Deckung
der auf 20000 Gulden veranschlagten Kosten zu erwarten
steht. Das Schiff wird voraussichtlich im Mai seine Fahrt
antreten können, und seine Reise ist, wie es heisst, auf die
Dauer von 18 Monaten berechnet. (D. Reichs-Anzeiger,
19. März 1879.)
Der „Nordenskiöld” ist am 17. April von Stapel ge-
Geographischer Monatsbericht.
laufen und Capitän Sengstacke hofft, am 10. Mai von Malmö
aus seine Fahrt über Suez nach der Bering-Strasse antre-
ten zu können. Der von Seite der Kaiserl. Russ. Geogr.
Gesellschaft empfohlene Gelehrte der Expedition, Herr
Grigorieff, ist Professor der Botanik am Technologischen
Institut zu St. Petersburg.
Prof. Mohn’s „Jahrbuch des norwegischen meteorologi-
schen Instituts für 1876” (Christiania 1878) enthält neben
den vollständigen Beobachtungen für 12 und den Monats-
und Jahresresumes für 39 norwegische Stationen einen Be-
trag zur Klimatologie Nowaja Semlja’s von A. 5. Steen.
Es besteht derselbe in einer vom 3. October 1876 bis
11. Juni 1877 durchgeführten Reihe meteorologischer Beob-
achtungen, die Capitän Chr. Bjerkan von Vadsö in der
Möller- Bai an der Westseite Nowaja Semlja’s (72° 30’
N. Br. und 52° 47' Östl. L. v. Gr.) mit Instrumenten
angestellt hat, die ihm von dem Institut in Christiania zur
Verfügung gestellt waren. Das auffälligste Resultat ist die
verhältnissmässig milde Temperatur des Januar, die auch
an anderen Punkten Nowaja Semlja’s beobachtet worden ist.
Steen giebt eine Übersichtstabelle der Monatsmittel in ° C.,
aus der dieses Verhalten sehr deutlich hervorgeht:
N. Br. Oestl. v. Gr. Jahr. October. | Novbr, ‘ Deobr. | Januar. | Februar.| März. April. | Mai.
Felsen-Bai. . . . . . . | 70° 87' | 57° 30° | 1882—83 — 6,5 | —16,0 | —109 | —194 —17,1| —23,7 | —16,0, —8,0
Matotschkin-Scharr . » . ..1[78 17 154 21 | 1834-85 ı — 54 | —ı129 | —19,6 | —ı5,0 | —22,1 | —ı152 | —13,2 | —6,9
Sichte Bit - 2 000002 00.|78 57,54 48 | 1888-89 — 51 | —ı11,7 —15,9 | —12,0 | —1d,4 | —16,0 | —15,1 | —1
Tobiesen’s Winterquartier . . . .|75 55 , 59 1872—73 —124| —21,5 —25,7 | —194 | —25,7 | —23,8 | —17,8
Mossel-Bai (Spitzbergen) . . . .179 53 16 4 1873—73 ı —12,7| — 8,11 —14,4| — 99 | —22,7 ı —17,6 | —18,1 —8,8
Österr. - ungarische Expedition . . 1177-794? 62—73° | 1872—73 —16,9 | —24,4 | —29,9 | —22%4 —349 —31,9 | —21,9 | —8,9
in Franz Josefs-Land . . . 79° 45° | 59° 1873—74 : —ı174 | —265 | —28,8 | —24,5 —285 | —23,1 | — 15,4
Möller-Bi. . .,.. | 72 80:58 47' | 1876-77 ı — 34 | —11,7, —20,8 | —16,1 7 — 20,8 | —23,0 | —16,8 | —32
Der Januar war in der Möller-Bai wärmer als der De- darunter mehrere Reihen solcher Messungen, die bei der
cember, Februar, März und sogar als der April, und die
Erklärung dafür giebt die Windrose, wonach im Januar die
südlichen, verhältnissmässig warmen Winde vorgeherrscht
haben. Das absolute Minimum des Winters, am 2. Januar
Abends mit —39,6° beobachtet, trat bei Windstille und
vollständig wolkenlosem Himmel ein. Beobachtungen über
den Luftdruck konnten nicht angestellt werden, weil das
Barometer gleich Anfangs unbrauchbar geworden war. Die
Meerestemperatur wurde im October und November ab-
gelesen. Am 21. October belegte sich die Bucht mit Eis
und von diesem Tag bis zum 2. December wurde die Tem-
peratur der Meeresoberfläche vermittelst eines im Eise auf-
gehauenen Loches beobachtet. Am 19. November erreichte
dieselbe ihr Minimum von —2,1° C., und hielt sich die
geringe Zeit nachher constant auf diesem Punkte, weshalb
Bjerkan vom 3, December an diese Beobachtungen ein-
stellte, zumal das Loch im Eise nur mit grösster Mühe
offen gehalten werden konnte.
Oceane.
Vom Hydrographen des Bureau of Navigation in Wash-
ington, Capt. S. R. Franklin, erhielten wir eine fein gesto-
chene Übersichtskarte des Mittelländischen Meeres, die einem
Buche über die „Coasts and Islands of the Mediterranean
Sea” beigegeben werden soll: „Outline chart of the Medı-
terranean Sea and the adjacent waters” (Nr. 859). Sie enthält
in grosser Vollständigkeit die Tiefenmessungen, die man vom
Mittelländischen und Schwarzen Meere besitzt. Wir finden
Übersichtskarte von Europa in Stieler’s Hand-Atlas, welche
das Bodenrelief des Mittelländischen Meeres zur Darstellung
bringt, noch nicht benutzt worden waren, so zwischen Carta-
gena und Oran, Toulon und Minorca, Civita Vecchis und
der Strasse von Bonifacio, Neapel und Sardinien, Cap Sparti-
mento und Sardinien, Malta und Ras Misratah, verschie-
dene Tiefen zwischen Sicilien und Barka, so wie bei
Cypern.
Die Adria-Commission der Kars. Akademie der Wissen-
schaften in Wien hat ihren vierten Bericht veröffentlicht:
Während die (S. 76 dieser Zeitschrift erwähnten) physika-
lischen Untersuchungen der Herren Prof. Stahlberger, Wolf,
Luksch und Köttsdorfer auf ihren Kreuzfahrten im Adria-
tischen Meere, die ebenfalls von der Adria-Commission ver-
anlasst waren, in einem besonderen Bericht niedergelegt
worden sind, enthält dieser 4. Band gleich den früheren
die Stationsbeobachtungen. Die meteorologischen Beobach-
tungen, 1871 bis 1873 umfassend, beziehen sich auf die
zehn Stationen Triest, Pola, Zeng, Fiume, Zara, Lesina,
Ragusa, Punta d’Ostro, Durazzo und Corfu, und ihnen
schliesst sich eine Studie über den täglichen Gang der Luft-
temperatur in Lesina von Prof. F. Osnaghi an. Die mari-
timien Beobachtungen, Meerestemperaturen ynd Gezeiten
betreffend, sind von den Stationen Fiume, Lesina, Corfu,
Triest, Pola und Zara gegeben.
In der „Sammlung gemeinverständlioher wissenschaft-
licher Vorträge” (Berlin, bei C. Habel) ist als Heft 310/311
eine Abhandlung von Dr. @. von Boguslaweki über „die
Geographischer Monatsbericht.
Tiefsee und ihre Boden- und Temperatur-Verhältnisse” er-
schienen, Sie empfiehlt sich zur Orientirung über diese
wichtige neue Branche der pbysischen Geographie um so
mehr, als der Verfasser eine anerkannte Autorität auf die-
sem Gebiete ist und es verstanden hat, das umfassende
und schwierige Thema in der klarsten und verständlichsten
Weise abzubandeln, auch bei Vermeidung kritischen Ein-
gehens in die widerstreitenden Theorien einen Überblick
giebt über die verschiedenen Ansichten z. B. von den Mo-
tiven der allgemeinen Meerescirculation. Ein sauberes Welt-
kärtchen enthält die Curse des „Challenger”, der „Ga-
zelle’”’ und der „Tuscarora” mit den wichtigsten Tiefenzahlen.
Allgemeines.
Wie wir oben unter „Amerika” Nachriohten über die
Sociöte de göographie” zu Quebeo abdruckten, so mögen
bier noch einige andere Naohträge zu der Statistik der
geogr. Gesellschaften im 7. Bande des Geogr. Jahrbuchs
folgen.
Zweigversine der Afrikanischen Gesellschaft ın Deutschland
haben sich gebildet 1878 in Giessen durch Prof. Zöppritz,
in Erfurt durch Prof. Weissenborn, in Nordhausen durch
Oberlebrer Kränzlin, 1879 in Baden-Baden durch Fräulein
Baumgärtner und in Greifenhagen durch Rechtsanwalt
Brunnemann. Besonders erfreulich ist auch, dass eine grös-
sere Anzahl von Handelskammern als Corporationen der
Gesellschaft beitraten.
Der Central-Verein für Handelsgeographie in Berlin ist
seit seiner Eröffnung am 20. November 1878 bedeutend in
seiner Mitgliederzahl gewachsen; sein Organ, „Geographi-
sche Nachrichten für Welthandel und Volkswirthschaft, wel-
ches unter Dr. Kersten’s Redaotion neben Vereinsangelegen-
heiten auch schon sehr eingehend die Ziele der deutschen
Auswanderer behandelt, weist im 3. und 3. Heft 211 Mit-
glieder auf, ungerechnet die 63 Mitglieder eines Zweigver-
eins, der am 19. Februar 1879 in Leipzig eröffnet wurde.
Der Verein für Erdkunde su Metz veröffentlichte einen
ersten „Jahresbericht” für 1878, aus dem wir ersehen, dass
die Zahl der Mitglieder auf 125 gestiegen ist. Er enthält
neben den Sitzungsberichten und sonstigen Nachrichten über
die Vereiusthätigkeit sechs verschiedene Abhandlungen, zum
Theil mit Plänen und Abbildungen: Tunis und Karthago
von Hauptmann Janke; die altrömische Wasserleitung von
Gorze nach Metz von Hauptmann Schultzen; Abtei und
Stadt Gorze von Paul Karcher; Arabiens Bedeutung unter
dem Gesichtspunkte seiner natürliohen Beschaffenheit von
Dr. Hornburg;, die Fahrt 8. M.S. Vineta durch die Magel-
baens-Strasse von Marine- Lieutenant Janke; das Schloss
Vianden im Grossherzogthum Luxemburg von Dr. Müller.
Die handelsgeographische Gesellschaft in St. Gallen hat
ebenfalls einen ersten „Jahresbericht der Ostschweiserischen
Goographisch-commerciellen Gesellschaft pro 1878'' heraunge-
geben, dessen Hauptinbalt eine Zusammenstellung über die
Handelsverbältnisse der Cap-Colonie bildet. Das Mitglieder-
Verzeichniss weist 114 Namen auf, die Einnahme des er-
sten Jahres betrug 1755 fros.
In Manchester hat sich im März d. J. eine „Manchester
Society for commercial geography” constituirt. Als ihren
Zweck bezeichnet sie: Nachrichten über fremde und un-
bekannte Länder zu sammeln, die Möglichkeit der Eröffnung
195
neuer Märkte zu untersuchen, die natürlichen Bodenproducte
solcher Gebiete zu erforschen, die nooh wenig bekannt sind,
die Frage der britischen Colonisation in ihrem ganzen Um-
fang zu studiren &c. (A. Allgem. Ztg. 19. März 1879.)
In Frankreich nimmt die Neubildung geographischer
Gesellschaften lebhaften Fortgang. Zu N. wurde die
Socistd de geographie de Est am 23. Februar 1879 inaugu-
rirt. Generalsecretär ist J.-V. Barbier, weloher die erste
Anregung zur Bildung der Gesellschaft gab. Zu Aouen
oonstituirte sich am 12. März 1879 die Socidtd normande
de geographie, mit M. Gabriel Gravier als Präsidenten, der
als geographischer Schriftsteller namentlich durch mehrere
Abhandlungen zur Geschichte der Geographie bekannt ist,
siehe sein „Examen critique de l’histoire du Bresil francais
au XVI® sidole” (Bulletin de la Soc. de geogr. de Paris,
November 1878), „Recherches sur les navigations europeen-
nes faites au moyen age aux cötes occidentales d’Afrique
en dehors des navigations portugaises du XYVI* sziöcle”
(Comptes rendus du Congrös internat. des sciences geogr.,
Paris). Generalsecretär ist M.-J. Triboullard, professeur au
lycde. Zu Lille ist eine Socsdtd de geographie du Nord in
Bildung begriffen und in Rochefort hat die bisherige Section
der bandelsgeogr. Gesellschaft von Bordeaux am 11. März
1879 ihre Autonomie proclamirt und sich als Sociel« de
geographise de Rochefort constituirt. Zum grossen Theil aus
Marine-Officieren bestehend, sagte ihr die vorzugsweis com-
mercielle Richtung des Vereins von Bordeaux weniger zu.
als die rein geographische und militärgeographische,.
Dafür fand die Soc. de geogr. commerciale de Bordeaux
oder, wie sie sich mit Einschluss ihrer Sectionen nennt,
„Groupe geographique du sud-ouest” Ersatz in der Ent-
stehung von drei neuen Sectionen, zu Bprgerac, Mont-de-
Marsan und Agen. Die im Februar 1879 coonstituirte Sec-
tion zu Mont-de-Marsan nennt sich Socsstd landaiss de geo-
graphie, Präsident ist Ingenieur Perreau, Generalsecretär
M. Mondiet, professeur au Iyode; die Socıeld agenaise de geo-
graphique zu Agen datirt vom 23. März 1879, zum Präsi-
denten wählte sie den Marine-Officier a. D. Magen, zum
Generalsecoretär M. Rousselot, profeeseur au 1yose.
Als neue Zeitschriften geographischer Vereine sind zu
erwähnen das „Bulletin de la Socıdtd de geographie oommer-
ciale de Paris‘, dessen beide erste Nummern u. A. Artikel
von Marinelieut. A. Reclus über den amerikanischen inter-
oceanıschen Kanal, von A, Marche über den Handel am
Gabun, Nachrichten über den Weinbau in Algerien, über
die französischen Besitzungen an der Elfenbein-Küste &c.
enthalten, und das „Bulleten de la Societd de geographie de la
province d’Oren”, das 168 Mitglieder nachweist und ausser
den Vereinsnachrichten einige kleinere Abhandlungen über
Soleillet'’s Reise nach dem Niger, das Project einer Eisen-
bahn von Algerien nach Timbuktu und über Vulkane und
Erdbeben entbält,
Von einer in Barcelona alle 14 Tage erscheinenden
„Revista geogrdfica y estadistica”, redigirt von D. Enrique
Berrocal und D. Dionisio Casafial, liegen uns die ersten
Nummern vor, dünne Hefte mit einer grossen Menge kur-
zer, meist statistischer Notizen über die verschiedensten
Länder. Subscriptionspreis 10 Pesetas halbjährlich.
Bei dem lebhaften Eifer, mit welchem man jetzt in
Frankreich wissenschaftliche Reisen nach den verschieden-
25 ®
196 Literatur.
sten Richtungen betreibt, wird das „Manuel du voyageur
var D. Kaltbrunner”, membre de la societe de geographie
de Genöve (Zürich, J. Wurster & Co., 1879) Vielen und
besonders Denen gelegen kommen, welche ohne eigentliche
fachliche Vorkenntnisse, doch nicht bloss des Vergnügens,
des ästhetischen Reizes wegen reisen, sondern dabei Kenntnisse
sammeln wollen. Diesen kommt das freilich zur Mitnahme
auf Fusswanderungen ziemlich umfangreiche Buch entge-
gen; die Haupttendenz ist, theoretische Vorkenntnisse nach
den wichtigsten Richtungen zu geben. Die letzteren wer-
den unter folgenden Abschnitten behandelt: preparation, ob-
servations et recherches, le pays, les habitants. Auch der
wissenschaftliche Reisende wird manche Anregung aus dem
mit einer grossen Anzahl von Holzschnitten ausgestatteten
Buch schöpfen.
A. Woeikof veröffentlicht in der „Zeitschrift der Österr.
Gesellschaft für Meteorologie”’ (Januar und Februar 1879)
den ersten Theil einer auszugsweisen Übersetzung seines
Textes zu Coffin’s „Winds of the globe”, und zwar beginnt
er mit Darlegung der Windverhältnisse in Amerika. Auch
wem Coffin’s Werk zur Hand ist, das als 20. Band der
„Smithsonian Contributions to Knowledge” vor zwei Jahren
ausgegeben wurde, dürfte diese kürzere, deutsche Umschau
über die Winde des Erdballs von einem der bedeutendsten
Meteorologen unserer Zeit willkommen sein.
Ein Verzeiohniss ethnographischer Karten, von Dr. A.
Andree zusammengestellt und mit beschreibenden und kri-
tischen Bemerkungen versehen, findet man im Bd. XI des
Archivs für Anthropologie, S. 455—468.
In Gemeinschaft mit F. W. Putsger, dem Verfasser
des bei Velhagen & Klasing erschienenen historischen Schul-
Atlas, hat Dr. Andree einen Gymnasial- und Realschul- Atlas
in 48 Karten kürzlich in demselben Verlag herausgegeben.
Ein ziemlich dünnes Heft in hohem Folio-Format zeichnet
sich dieser Atlas äusserlich durch seine Handlichkeit, sei-
nen auffallend billigen Preis (3 M.) und seine gefällige Aus-
führung im Farbendruck aus, aber die einzelnen Karten
und Nebenkarten sind auch nach guten Vorlagen mit Ge-
schick zusammengestellt und berücksichtigen vorzugsweise
die physische Geographie. E. Behm.
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Voyages de Colomb. Carte pour servir & l’intelligenee des - ----—.
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(Naturfor-
—
Berichtigung.
In der Nekrologie des Jahres 1878, Heft LLI, 8. 101, ist irrthümlicher Weise der Schweizer Kartograph Keller aufgeführt worden, während
derselbe, wie 1863, 8. 38, mitgetheilt wurde, bereits 1863 verstorben ist.
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(Geschlossen am 8. Mai 1879.)
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Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874.
Von A. Woeikof.
(Mit Karte, s. Tafel 11.)
Nachdem ich in Washington an dem Texte der von
Coffin begonnenen und durch seinen Tod unterbrochenen
Arbeit „Winds of the globe” drei Monate gearbeitet hatte,
konnte ich endlich 1874 die lang ersehnte Reise nach dem
tropischen Amerika antreten. Zuvor hatte ich die Be-
kanntschaft des berühmten, jetzt leider verstorbenen Ge-
lehrten, Dr. Berendt, gemacht, welcher, mit Mexiko und
Central- Amerika durch langjährigen Aufenthalt bekannt,
durch Rathschläge, Briefe und ein sehr gutes Itinerar
meine Reise sehr erleichterte. Ich hatte einen Gefährten
in einem jungen Amerikaner Baker, welcher mir von dem
Geologen Prof. Hartt empfohlen wurde.
Das erste Ziel war Yucatan, welches am leichtesten
von New York zu erreichen ist und nur mit Nord-Amerika
Dampfschiffverbindungen hat. Im Hafen, oder richtiger auf
der offenen Rhede von Progreso in der Nähe von Merida
angekommen, mussten wir erst eine lange Bootfahrt machen,
um das Land zu erreichen. Dort sah ich zum ersten Mal
eine tropische Vegetation; aber wer dabei an ein Bild von
Cppigkeit denkt, ist sehr im Irrthume, vielmehr sind mir
wenige Länder bekannt, wo die wilde Vegetation den Ein-
druck einer solchen Armuth und Verkommenheit machte.
Es ist Alles, dichtes, dorniges Gestrüpp, Cactus und Agaven
sind in Masse vorhanden, aber es fehlen diejenigen gigan-
tischen Formen von Cactus, welche ich später in der Nähe
von Tehuacan bewundern konnte. Hier nichts dergleichen.
Keine mächtige Vegetation, auch keine weiten Horizonte,
wie in der Wüste, Alles klein, unscheinbar, ärmlich. Die
Hauptschuld an der ärmlichen Vegetation trägt der sehr
poröse Kalkstein, mit welchem die Halbinsel bedeckt ist;
das in der Regenzeit fallende Wasser sickert schnell ab
und sammelt sich in unterirdischen Grotten (Senotes) oder
von Menschenhand gebauten Reservoirs (aguadas), welche
mit Ausnahme der Brunnen die einzigen Orte sind, wo der
Mensch sich Wasser verschaffen kann.
Meine Reise ging nach Merida, der Hauptstadt Yuca-
tans, von dort über Ticul nach der Hacienda Uxmal, in
deren Nähe die berühmten Ruinen sind, und wo wir sehr
gastfrei aufgenommen wurden, dann über Becal, Calkini,
Petermaan’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VL
Jequelchacan (Hecelchakan) nach Campeche. Da die Reise
keine unbekannten Gegenden berührte, so beschränke ich
mich auf einige allgemeine Bemerkungen über das Land,
welche der Leser mit den Angaben von Stephens !), der
1840—42, Morelet und Heller ?), die 1847 Yucatan be-
suchten, vergleichen möge, um die eingetretenen Verände-
rungen zu ermitteln.
Die durchweg flache Halbinsel Yucatan, kaum durch
einige Hügelreihen durchzogen, und mit einer sehr ärm-
lichen Vegetation bedeckt, bietet keine landschaftlichen
Schönheiten, doch ist sie eine der interessantesten Gegen-
den von Amerika durch die grossartigen Ruinen, wie auch
durch die eigenthümlichen socialen Verhältnisse der Bevöl-
kerung, welche grösstentbeils durch die Natur des Landes
bedingt wurden, .
Wer, wie ich, das Land während der trockenen Jahres-
zeit besucht, bekommt den Eindruck einer Dürre, welche
keineswegs auf das ganze Jahr passt, denn in der Regen-
zeit verwandeln sich viele der sonst so trockenen, mit Ge-
strüpp bewachsenen Flächen in Moräste. Jedenfalls sind
die Regen, welche etwa von Ende Mai bis Anfang October
dauern, genügend für die Cultur des Bodens und die Er-
näbrung der nicht sehr zahlreichen Bevölkerung. Auch in
den sonst trockenen Monaten November bis Februar fallen
zuweilen Regen bei den im mexikanischen Meerbusen so
gefürchteten Nortes, wobei eine sehr empfindliche Kälte und
Condensation der Dämpfe eintritt. Die trockensten und
heissesten Monate sind März und April, und ich besuchte
Yucatan gerade zu dieser Zeit. Die hier gegebenen Nach-
richten über die Regenzeit stützen sich auf Angaben, welche
ich von zahlreichen Einwohnern des Landes, Mexikanern
wie Fremden, erhielt. Auch in Stephens’ ausgezeichneten
Reiseberichte finden sich dieselben Angaben, und es ist
sonderbar, dass es in einem gelehrten Werke, wie Grise-
bach’s „Vegetation der Erde” heisst, in Yucatan regne es nur
?) Central-America, Chispas und Yucatan, 2 Bde; und Incidents
of Travel in Yucataen, 3 Bde. Ersteres Buch ist auch in’s Deutsche
übersetzt.
T) Reisen in Mexiko.
s6
202 Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874.
während der Nortes (November bis Februar), und dass die
regelmässigen tropischen Regen des Sommers ausblieben ').
Letzteren Umstand sucht Grisebach zu erklären, natürlich
sehr unglücklich, denn die Regen des Sommers fehlen eben
nicht in Yucatan. Es ist leider nicht das einzige Beispiel
aus Grisebach’s Werke, dass dem Verfasser die bekanntesten
Thatsachen über die Klimate verschiedener Länder unbe-
kannt sind, während er gerade einen so grossen Werth auf
die klimatischen Einflüsse setzt und oft dadurch allein Ver-
schiedenheiten in der Vegetation erklärt, welche andere
Ursachen haben 2). Nicht der Mangel an Regen, sondern
die poröse Natur des Yucatan bedeckenden Kalksteines ist
Ursache des Mangels an Quellen und Flüssen und über-
haupt des spärlichen Auftretens des süssen Wassers.
Diese Seltenheit des Wassers ist aber von den wich-
tigsten Folgen für die sociale Lage der Bevölkerung. Yu-
catan ist einer derjenigen Theile Central-Amerika’s, wo die
indianische Bevölkerung am meisten vorwaltet. Der ganze
Bauernstand und ein grosser Theil der städtischen Bevöl-
kerung gehört dem Maya-Stamme an, letztere freilich hat
meistens eine Beimischung spanischen Blutes, aber ist doch
dem Maya- Typus näher. Der Landbesitz ist aber in den
Händen weniger spanischer Familien. Jedoch nicht der
grosse Landbesitz an sich macht diese Familien reich, son-
dern der Besitz des Wassers. Nach altem Brauch siedeln
sich .die Mayas in einem Gute an, wo Wasser genug zu
haben ist. Sie müssen dann für den Gutsherrn am Montag
unentgeltlich arbeiten (daher der Name Lunes) und erhal-
ten dafür die Erlaubniss, eine Hütte zu bauen, so viel
Waldland, als sie zu ihrer Ernährung brauchen, anzubauen,
Vieh zu halten und so viel Wasser zu holen, wie für Men-
schen und Vieh und die Bewässerung eines kleinen Gar-
tens nöthig. Dass die Hacienda (Gut) aber weitere Arbeit
erhält, dafür sorgt die Tienda (Kramladen) des Besitzers:
es werden den Arbeitern Vorschüsse gemacht, welche sie
dann durch ihre Arbeit bezahlen. Der Mayordomo (Ver-
walter), meistens ein Mestize, sorgt dafür, dass der Guts-
herr dabei nicht zu kurz kommt.
Jedoch sei es, dass die reichen Familien, denen der
Boden gehört, sich überhaupt wohlwollend zu der von
ihnen abhängigen Bevölkerung verhalten, sei es, dass die
Mayordomos, welche in Sprache, Sitten und Gebräuche näher
zu den Mayas stehen, im Ganzen mild auftreten; das Ver-
hältniss wurde mir überhaupt, auch von Ausländern, als
ein gutes bezeichnet. (Natürlich war es mir schwer, bei
dem kurzen Aufenthalte im Lande, ein selbständiges Urtheil
') Bd. 2, 8. 318.
2) S. u. A.: „Wald und Steppe in Süd-Russland”, Ausland 1878;
„Atmosphärische Circulation”, Erg.-Heft Nr. 38 zu Petermann’s Mit-
theilungen.
darüber zu gewinnen.) So sehen wir denn hier, durch die
natürlichen Verhältnisse zu Stande gebracht, eine Lage der
arbeitenden Bevölkerung zu den Grundbesitzern, welche der
Leibeigenschaft sehr nahe ist. Und zwar besteht sie ohne
bedeutende Änderung, seitdem eine beglaubigte Geschichte
Yucatans existirt. Erst waren es die Nachfolger der spa-
nischen Conquistadores unter dem harten spanischen Drucke
des 16. und 17. Jahrhunderts, welche das Land besassen.
Dann kam das Land in die Hände reicher Kaufleute, die
spanische Regierung nahm den Charakter eines sogenannten
aufgeklärten Absolutismus an (18. Jahrh.), welcher auch in
den Colonien manche nützliche Reform einführte. Die Ar-
beiter aber blieben in derselben thatsächlichen Leibeigen-
schaft wie früher. In den zwanziger Jahren (es 19. Jahr-
hunderts fiel Yucatan von Spanien ab und schloss: sich der
mexikanischen Republik an, wobei jedoch bis zu den funf-
ziger Jahren die conservative Partei, d. h. diejenige der
grossen Grundbesitzer und des Klerus, herrschte. Dass in
dieser Zeit sich die Lage der Arbeiter in Yucatan nicht
änderte, ist natürlich, und in diese Zeit fallen die Reisen
von Stephens, Heller und Morelet.
Dann aber kam die föderative Partei in Mexiko an’s
Ruder, die Macht der reichen Familien wurde gebrochen,
die Güter des Klerus eingezogen und überhaupt der Ein-
fluss der katholischen Geistlichkeit von den neuen Gesetzen
sehr beschränkt. Und was für einen Einfluss haben diese
gewaltigen politischen und kirchlichen Änderungen auf die
agrarischen Verhältnisse von Yucatan gehabt? Die Antwort
ist eine einfache: gar keinen, denn die natürlichen Verhält-
nisse sind eben solche, dass, wer das Wasser besitzt, der
Herr des Landes ist, sei die Regierung despotisch oder
demokratisch, möge die katholische Geistlichkeit die erste
Macht im Lande sein oder kaum geduldet werden.
Ich bemerkte oben, dass diese Verhältnisse, herrschten,
seitdem eine beglaubigte Geschichte von Yucatan existirt,
d. b. seit der spanischen Eroberung. Jedoch wird es in
der Zeit, als die einheimischen Staaten in Yucatan noch be-
standen, wohl kaum anders gewesen sein. Nur war dann
die herrschende Klasse desselben Stammes wie die unteren
Klassen. Die Ursache, diess zu vermutben, sehe ich in
der Natur des Landes und in den bedeutenden Bauwerken,
mit welchen ganz Yucatan erfüllt is. Um solche Bau-
werke aufzuführen, musste eine zahlreiche Bevölkerung vor-
handen sein, namentlich wenn man bedenkt, mit welchen
unvollkommenen Werkzeugen die Arbeiten gemacht wurden.
Das Bedürfniss solcher Bauten aber setzt eine herrschende
Klasse voraus, welche durch die Arbeit der unteren Klassen
unterhalten wurde und einen regen Kunstsinn besass ').
!) Dass auch der Kunstwerth der Bauten von Yucatan ein bedeu-
Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874. 203
Der Bau der Nahrungspflanze par excellence, der Mais,
wird io sehr einfacher Weise betrieben. Am Ende der
trockenen Zeit, im März und April, wird das Gestrüpp ab-
gehauen und verbrannt und die Maiskörner in die Asche ge-
säet; überhaupt ist die Bearbeitung des Bodens auf ein Mini-
mum reducirt. Der Mais wird hauptsächlich von den In-
dianern gebaut, für die Besitzer der Haciendas ist er we
niger wichtig, weil die Bevölkerung der Städte in Yucatan
eben nicht gross ist. Zuckerrohr wird fast auf allen Ha-
ciendas gebaut, aber nicht im Grossen, denn zu dieser
Caltur ist künstliche Bewässerung nöthig, Die Zuoker-
fabriken sind denn auch höchst primitiv, und wer die gros-
sen Werke in Europa und West-Indien gesehen hat, mag
über die einfache Art erstaunen, wie hier die Sache be-
trieben wird. Freilich wird nur brauner Zucker, Melasse
und Rum erzeugt, und diess sehr unvollkommen, aber da
keine Accise besteht, so rentiren auch solche Unternehmen.
Der Bau des Zuckerrohres ist jedoch meistens Neben-
sache; was den Reichthum Yucatans, resp. seiner grossen
Grundbesitzer, ausmacht, ist die Cultur des Jennequen.
Diess ist eine Agave (Agave Sisalensis), deren Blatt kaum
von demjenigen der Agave americana zu unterscheiden ist.
Aus den Fasern, welche sich zwischen den fleischigen Tbei-
len des Blattes befinden, werden Taue, Stricke &c. bereitet,
welche, obgleich den Tauen aus Hanf sehr nachstehend,
doch wegen ihrer Billigkeit in Nord-Amerika bedeutenden
Absatz gefunden haben. Jennequen ist der wichtigste, fast
der einzige Artikel des Exportes von Yucatan. Ihm allein
verdankt der Staat Yucatan, dass er, trotz der Unfrucht-
barkeit des Bodens und dem Fehlen aller mineralischen
Schätze, doch zu den reicheren und den wenigen, in wirth-
schaftliober Hinsicht progressiven, von Mexiko gehört.
Heller giebt an, dass im J. 1845 Yucatan (mit Ausnahme
der Gegend des Usumacinta) nur für 265000 Doll. Waa-
ren ausführte, im J. 1873 wurde an Jennequen allein für
mehr als eine Million ausgeführt. Ein, namentlich für
mexikanische Zustände, ausserordentlicher Fortschritt! An-
dererseits giebt Stephens an, dass im J. 1842 die ersten
Maschinen zur Reinigung des Blattes von Nord-Amerika
verschrieben wurden. Jetzt besitzt Yucatan mehr als bun-
dert Dampfmaschinen zu diesem Zwecke. Ich bezweifle, ob
alle anderen Staaten der mexikanischen Republik zusammen
mehr als bundert Dampfmaschinen besitzen. Es werden
meistens vier durch Dampf bewegte Messer dazu gebraucht,
die grüne Substanz von beiden Seiten des Agave-Blattes zu
entfernen und also die Faser möglichst bloszulegen.
Ich muss noch bemerken, dass gerade in dem Theil
ee ,ei Amen pe Leere mei
tander war, ist aus den citirten Werken von Stephens und Heller zu
sahen, noch mehr aber aus den schönen Photograpbien von Charnay.
Yucatans, wo der Boden am ärmsten, durch die Cultur des
Jennequen eine bedeutende Quelle des Reichthums erschlos-
sen worden ist. Je mehr man sich Campeche nähert, um
so fruchtbarer wird der Boden, um so üppiger die natür-
liche Vegetation, schon giebt es einzelne Quellen süssen
Wassers, und doch ist die Bodencultur dort viel weniger
entwickelt. Die Bevölkerung hat es dort nicht verstanden,
ihre günstigeren natürlichen Verhältnisse entsprechend aus-
zunutzen. Oder sollte gerade diese Gegend deshalb zurück-
geblieben sein, weil dort der Mensch weniger arbeiten
musste? Doch, um gerecht zu sein, müssen auch die Bürger-
kriege erwähnt werden, welche namentlich zur Zeit der
französischen Invasion und des maximilianischen Kaiser-
thums in und bei Campeche wütheten, von deren Schlägen
sich die Gegend noch nicht erholt hatte. In Campeche
sah ich zum ersten Mal in Mexiko das Bild einer gefalle-
nen (Grösse, aber wie oft nachher!
Ich will hier einen in Europa wenig bekannten Bürger-
krieg berühren, welcher noch immer wüthet, und sehr ernste
Folgen für Yucatan gebracht hat und noch bringen wird.
Als im Jahre 1847 die grossen Erfolge der Nord-Ameri-
kaner im Kriege mit Mexiko Statt fanden, empörten sich
die Indianer im Osten und Süden von Yucatan gegen ihre
weissen Herren, und es brach ein äusserst grausamer Racen-
krieg aus '), in welchem viele Orte total verwüstet wurden.
Später gelang es freilich den mexikanischen Truppen, einige
Orte des Innern den Indianern zu entreissen, aber der
Osten und Süden blieb doch in ihren Händen. Mehrere
Jahre hindurch war ein -de facto Waffenstillstand eingetre-
ten, aber 1871 wurde eine grosse Expedition gemacht, die
Hauptstadt der Indianer, Santa Cruz, erobert und eine
grosse Beute dort gemacht. Ich sah ein Altarbild von dort
im Museum zu Merida, ein sonderbares Gemisch christlicher
Symbole mit denjenigen der alten Religion der Mayas,
welche, wie von Kennern des Landes behauptet wird, im
Geheimen fortbestand, selbst unter den Indianern, welche
nicht gegen Mexiko aufstanden. Als ich im J. 1874 in
Yucatan war, war wieder Waffenstillstand und beide Par-
teien hatten dasselbe Gebiet im Besitz, wie vor 1871.
Später, im J. 1876, sollen die Indianer jedoch in das mexi-
kanische Gebiet eingefallen sein; weitere Nachrichten feh-
len mir.
Es ist überhaupt der Fall im vormals spanischen Amerika,
dass, wo die indianische Bevölkerung ihre Sprache und alten
Sitten bewahrt hat, auch der alte Hass gegen die weissen
Eroberer besteht, und dass nur die tiefe Bildungsstufe der
Indianer und ihre Unbeholfenheit in der Kriegskunst sie
1) 8. Heller, Reisen in Mexiko. Heiler war gerade am Anfange
des Aufstandes in Yucatan.
204 Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874.
verhindert, ihre Unabhängigkeit zu erkämpfen. Wenn man
bedenkt, dass Yucatan, ein Theil von Tabasco, fast ganz
Chiapas und die benachbarten Altos (Hochländer) von Gua-
temala eine zusammenhängende Region bilden, in welcher
die indianische Bevölkerung sich in entschiedener Mehrheit
befindet, so ist die Gefahr für die jetzt bestehenden Regie-
rungen eine nicht geringe, namentlich wenn man bedenkt,
dass bis jetzt die Geistlichkeit allein eine moralische Macht
über die Indianer besass, welcher Einfluss auch, so lange
die Regierungen der römischen Kirche zugethan waren, zur
Stütze der bestehenden Verhältnisse benutzt wurde. Jetzt
aber, wo die Geistlichen gegen die Regierungen von Mexiko
und Guatemala sehr erbittert sind, könnten sie leicht ihren
Einfluss auf die Indianer dazu benutzen, den jetzigen Macht-
habern einen bösen Streich zu spielen.
Es wäre höchst interessant, zu den aufständischen Mayas
im Osten von Yucatan zu dringen, um sichere Nachrichten
über ihre staatliche Organisation, ihre Sitten und Gebräuche
zu erhalten. Von dem mexikanischen Gebiete ist ein solcher
Versuch fast unmöglich, jedenfalls sehr gefährlich, oben von
dem britischen Honduras (Belize) dürfte der Versuch eher
gelingen, denn die Mayas stehen in Handelsverkehr mit den
Farbigen in Belize, und werden auch von dort mit Waffen
versorgt.
Die von mir gesehenen Mayas machen einen angenehmen
Eindruck durch ihre Reinlichkeit und die mannigfachen
Eigenthümlichkeiten in Sitten und Gebräuchen, welche sie
bewahrt haben. Auch die Mestizen nähern sich in ihrer
Lebensweise mehr den Mayas als den Europäern und
sprechen unter sich die Maya -Sprache. Gegen. Campeche
findet man schon mehr Mestizen, welche den Europäer
spielen wollen, und zwar äussert sich diese Sucht besonders
— im Schmutze! Natürlich sind ihre Vorbilder die
Spanier, welche man zahlreich in mexikanischen Hafen-
plätzen findet, und die sich nicht gerade durch Reinlichkeit
auszeichnen.
Ein anderer Zug, welcher die Mayas und Mestizen
Yucatans vortheilhaft auszeichnet, ist ihre Liebe zur Natur.
Die höchst einfachen Hütten der Indianer sind immer von
Grün umgeben, Cocospalmen, Bananen &c. sieht man schon
von Weitem, ehe noch die Hütten in Sicht kommen. Das
lebhafte Grün der cultivirten Bäume sticht vortheilhaft ab
von dem fahlen Grau der wilden Vegetation Yucatans.
Selbst kleine Städte und die Vorstädte von Merida haben
diesen Charakter grüner Oasen, während die Weissen in
Merida in grossen steinernen Häusern wohnen, um welche
es keinen Baum und Strauch giebt. Und so leben die
Grossgrundbesitzer das ganze Jahr in den engen Strassen
von Merida, wo bis spät Abends eine grosse Hitze herrscht,
wenn in den Vorstädten schon die frische Abendluft zu
geniessen ist. Ihre Hacienden besuchen sie wohl von Zeit
zu Zeit, aber halten sich dort nie lange auf.
Ich besuchte, wie schon gesagt, die Ruinen von Uxmal.
Eine Beschreibung derselben will ich hier nicht versuchen,
da diess schon vielfach geschehen ist, und ich wenig Neues
gesehen habe. Namentlich kann ich die Beschreibung von
Stephens empfehlen, wie ich denn überhaupt dessen Reise-
werk immer richtig in seinen Angaben gefunden habe,
Mit aufrichtiger Freude begrüsste ich die Wahrnehmung,
dass Stephens’ Vermuthung, die Ruinen gingen rasch ihrer
Zerstörung entgegen, sich nicht erfüllt hatte. Ich konnte
nur sehr wenige Änderungen finden zwischen seiner Be-
schreibung und Abbildung und dem, was ich sah, trotz
der 32 Jahre, die zwischen seiner letzten Reise und der
meinigen vergangen sind. Dieser günstige Umstand ist
theilweise dem trockenen Klima von Yucatan zuzuschreiben,
welches keine so üppige Vegetation hervorbringt wie sonst
in Tropenländern, dann auch, und in sehr grossem Maasse,
der intelligenten Fürsorge des Besitzers der Hacienda Uxmal.
Er lässt das Gestrüpp abhauen, die Fussstege unterhalten,
nimmt die Reisenden gastfrei auf seiner Hacienda auf, aber
lässt darauf wachen, dass keine Verzierungen &c. von den
Mauern abgehauen und dass überhaupt Nichts von dort
weggenommen wird. Da die meisten alten Bauwerke durch
Menschenhand zu Grunde gingen, so verdient der Besitzer
von Uxmal das höchste Lob, und es ist zu erwarten, dass
die Ruinen in ihrem jetzigen "Zustande bestehen werden,
so lange von ihm und seinen Nachfolgern eben so verfahren
wird. Es wäre sehr zu wünschen, dass ein tüchtiger
Archäolog Yucatan besuchen und Nachgrabungen anstellen
würde. Wenn man bedenkt, dass die Reisen, durch welche
die Ruinen Yucatans in Europa besser bekannt wurden, in
die vierziger Jahre fallen, wo die Archäologie noch sehr
unentwickelt war und die gelehrte Welt von prähistorischer
Archäologie nichts wissen wollte, so ist wohl zu ermessen,
wie Vieles in den alten Culturstätten dieser Gegenden zu
entdecken ist. Es ist sehr zu bedauern, dass die französische
Expedition scientifique der sechziger Jahre, von tüchtigen
Männern geleitet und über bedeutende Mittel gebietend,
durch die Kriegsereignisse so sehr gestört wurde, dass an
Ausgrabungen &c. meistens nicht zu denken war.
Yucatan im eigentliohen Sinne ist leicht zu besuchen,
wenn man über New York oder Havana fährt und von dort
den amerikanischen Dampfer bis Progreso benutzt. Fahr-
strassen sind in Yucatan überall vorhanden, was für die
Leichtigkeit und Schnelligkeit der Reise und namentlich
für Fortschaffung der Funde sehr günstig ist. Leider ist
vom mexikanischen Gebiete aus das östliche Yucatan nicht
zu erreichen, wie schon oben gesagt, und für diese Gegenden
müssen wir uns lange noch mit den Angaben von Stephens
Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874.
begnügen, wenn ein kühner Reisender sich nioht entschliesst,
über Belize dorthin zu dringen.
Die interessanteste Aufgabe, soweit das mexikanische
Gebiet allein in Betracht kommt, wäre aber von Yucatan
nach SW zu dringen, um den Zusammenhang der Cultur
Yucatans mit derjenigen zu verfolgen, welche uns in den
Ruinen von Palenque erhalten ist. Freilich, wer in die
dichten Wälder südlich von Campeche dringen will, muss
auf alle und jede Bequemlichkeit der Reise verzichten —
aber die Resultate werden jedenfalls bedeutend sein. Bei
der Armuth und den beständigen Bürgerkriegen in Mexiko
ist auf eine Initiative der dortigen Regierung nicht zu
hofien, es müsste also eine der europäischen Regierungen
oder Privatleute aus Europa oder Nordamerika die Kosten
tragen. Man denke aber ja nicht, dass nur eine grosse
Expedition bedeutende Resultate erzielen kann: vielfach
wird gerade das Gegentheil der Fall sein. In diesen armen,
wenig civilisirten Ländern kommt eine kleine Reisegesell-
schaft besser fort, als eine grosse. Letztere käme oft in
die Lage, weder Obdach noch Nahrung für Menschen und
Thiere an Ort und Stelle zu erhalten, und müsste sich
dann mit einer Menge Sachen beschweren, die für den
eigentlichen, wissenschaftlichen Zweck der Reise nicht nöthig
sind. Nach dem, was ich früher von Sachkundigen,
namentlich Dr. Berendt, über diese Länder erfahren habe,
und was meine eigene Erfahrung bestätigt hat, thäte selbst
eine reich dotirte Expedition am besten, wenn das wissen-
schaftliche Personal zahlreich ist, sich gleich in kleinere
Parteien zu theilen, von welchen jede ein besonderes Terrain
bereist, und welche von Zeit zu Zeit in grösseren Städten
zusammenkommen, um die gewonnenen Resultate zu be-
sprechen. Ist das Personal aber nicht zahlreich, so ist es
besser, eine längere Zeit auf die Reise zu verwenden und
überall mit bescheidenen Mitteln aufzutreten, schon darum,
weil ein besonders heftiger Bürgerkrieg auch die besten
Vorbereitungen eines Jahres zu Nichte machen kann.
Yucatan ist noch das einzige Land, wo eine grössere Expe-
ditzon Aussicht auf Erfolg hat. Die grossen Haciendas
bieten Obdach genug, Lebensmittel sind leicht zu beschaffen,
und die überall bestehenden, wenn auch schlechten Fahr-
strassen erleichtern die Bewegung einer grossen Reisege-
sellschaft.
Die Stadt Campeche, wohin ich mich aus dem Innern
von Yucaten wendete, hatte früher eine grosse Bedeutung
und einen lebhaften Handel. Jetzt liegt Alles darnieder,
woran die häufigen Revolutionen theilweise, mehr aber die
veränderten Handelswege schuld sind. Zur spanischen Zeit
waren Campeche, Vera-Cruz und S. Juan de Nicaragua die
einzigen Häfen nördlich vom Isthmus von Panama, wohin
Schiffe aus Europa einlaufen durften. Campeche hatte dann
205
nicht nur den Handel mit Yucatan, sondern auch den
wichtigeren mit Tabasco, Chiapas und Guatemala in Händen,
wodurch sich natürlich ein grosser Wohlstand in der Stadt
entwickelte. Der Handel mit den beiden letzten Provinzen
ging in Barken nach der Mündung des Usumacinta, dann
diesen Fluss hinauf und seine kleineren Nebenflüsse aufwärts,
wobei freilich einige Umladungen Statt finden mussten, bis
zum Dorfe Catasajä. Von dort wurden die Waaren meistens
suf den Rücken der Indianer bis an die Ufer des Stillen
Oceans getragen. Dort wo der Verkehr zu Wasser auf-
hörte, hätte ein bedeutender Handelspunkt entstehen müssen,
aber da die Gegend ungesund und das Wasser schlecht
war, siedelten sich die Kaufleute etwa 30 km weiter im
Innern, in der Stadt Palenque, an, wo das Klima gesund
und das Wasser gut war.
Nach der Unabhängigkeitserklärung wurden neue Wege
angebahnt, (Guatemala suchte sich erst den direkten Weg
nach dem Atlantischen Ocean zu eröffnen, und wirklich war
einige Zeit hindurch der Verkehr nach dem Hafen Izabal
ziemlich belebt. Als nach der Entdeckung des Goldes in
Kalifornien die Dampfschifffahrt auf dem Pacifischen Ocean
ibren Aufschwung nahm, wandte sich der Verkehr von
Chiapas und Guatemala fast ausschliesslich den Häfen dieses
Oceans zu und benutzte theils den Weg um das C'ap Horn,
tbeils die Eisenbabn über die Landenge von Panama. Trotz
der ungünstigen Folgen, welche theils der weite Umweg,
theils die doppelte Umladung und der theuere Transport
mittelst Eisenbahn mit sich brachten, verlor Campeche
diesen Verkehr ganz. Auch aus der Gegend von Merida
wurde der Handel nach der nächsten Rhede, Progreso, ge-
zogen, wo die amerikanischen Dampfer anlegen. Der Export
des Holzes von dem Usumacinta erfolgte mehr und mehr
über den Hafen von Carmen, an der Lagune desselben
Namens, und Campeche wurde zu einem Hafen ohne Hinter-
land reducirt. Jedoch einigen Antheil am Holzbandel haben
noch die Handelshäuser von Campeche behalten, und die
feine Bildung und Kenntniss der fremden Sprachen haben
sich unter den reicheren Kaufleuten noch als Erinnerungen
an die Zeiten des Glanzes erhalten.
Von Campeche aus wollten wir den Weg über den
Usumacinta nach Palenque einschlagen. Da wir die Abfahrt
einer Barke nach Carmen abwarten mussten, hatten wir
genügend Zeit, uns Campeche und Umgegend anzusehen.
Die Vegetation ist hier etwas schöner als bei Merida; in
der Nähe der Stadt befindet sich ein wahrer Wald von
Cooospalmen. Cocosnüsse bilden einen ziemlich bedeutenden
Ausfahrartikel nach Veracruz. Auch eine interessante
Sammlung von Alterthümern sahen wir, bei einem Don
Florentino Gimeno, einem alten Krämer. Es war ein
sonderbarer Anblick, wie der Herr die Sachen zeigte, welche
206 Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874.
aus Mangel an Platz hinter billigen Kattunen und anderen
Artikeln des Ladens versteckt waren. Der Mann ist En-
thusiast, und bei seinen zahlreichen Bekanntschaften konnte
er allmählich Vieles sammeln. Hauptsächlich waren es Ge-
schenke, die man dem Manne, dessen Passion allgemein im
Geheimen verlacht wurde, gerne brachte, denn die meisten
Mexikaner achten gar nicht auf ihre Alterthümer. Thon-
figuren, verschiedene Schmucksachen aus Stein, Steinwerk-
zeuge, namentlich die in Central-Amerika so häufigen aus
Obsidian (der Obsidian muss durch Handel von dem Plateau
von Mexiko gekommen sein, denn in Yucatan und Tabasco
wird kein Obsidian gefunden), und zwei grössere Basreliefs .
wurden uns gezeigt. Einige der Figuren waren sehr natur-
getreu gearbeitet, und zwar zeigten sich zwei T'ypen, einer,
welcher den jetzigen Mayas ganz ähnlich ist, der andere, den
Gimeno als Chichimecos bezeichnete, mit regelmässigeren,
dem Kaukasischen mehr ähnlichen Zügen, aber schmaler
Stirn. Dieser kommt bauptsächlich in den Ruinen von
Palenque vor.
Als die Barke zur Reise nach Carmen fertig war, mussten
wir doch noch viele Stunden warten, ehe sie abfuhr, denn
Unpünktlichkeit versteht sich von selbst in dem Lande.
Zwischen dem niedrigen Kalkplateau von Yucatan,
welches keine Flüsse besitzt, und dem Isthmus von Tehuan-
tepec liegt an der atlantischen Abdachung eine, durch ein
ausserordentlich dichtes Flussnetz bewässerte Ebene. Die
beiden Hauptflüsse sind der Usumacinta, im Unterlaufe Pali-
zada genannt, welcher sich in die flache Lagune de Ter-
minos ergiesst, und der Tabasco oder Grijalva, der direct
in den mexikanischen Meerbusen mündet. Beide theilen sich
in zahlreiche Arme, und hängen durch viele derselben zu-
sammen, ein Flusspaar bildend wie Ganges und Brahma-
putra oder Po und Etsch. Alle Communication in diesen
Gegenden ist zu Wasser, nicht nur fehlen Fahrwege gänz-
lich, ja selbst Saumpfade sind selten, namentlich im Gebiete
des Usumacinta, wo die Bodencultur sehr gering ist, und
die spärliche Bevölkerung von Holzarbeit lebt. Von hier
kommt das bekannte Campecheholz in den Handel. Am
Tabasco-Fluss ist schon mehr Bodencultur, namentlich wer-
den Zuckerrohr und Cacao gebaut.
In den Wäldern ist so arg gewirthschaftet worden, dass
das werthvolle Holz sehr selten wird, so dass sich die Holz-
hauer nach dem Rio de la Pasion ziehen, einem der Zu-
flüsse des Usumacinta, welcher in noch ganz unbekannten,
von wilden Indianern bewohnten Bergen entspringt. Selbst
der mittlere Lauf dieses Flusses wurde nie von den Spaniern
erobert, noch weniger natürlich konnten diess die Mexikaner
thun. Yucatan war daher immer von dem nördlichen
Chiapas und von Tabasco durch eine breite Zone getrennt,
welche die Spanier mit Ausnahme eines schmalen Küsten-
. tation.
saumes nur nominell beherrschten. Expeditionen zu Handels-
zwecken nach dem Rio de la Pasion waren 1874 an der
Tagesordnung in Carmen, wo Alles vom Holzhandel lebt
und Verbindungen waren schon angeknüpft. Die Schwierig-
keit bestand nicht sowohl darin, Holz zu fällen, als es durch
den reissenden Strom mit seinen zahlreichen Katarakten zu
flössen.
In Carmen musste das Boot gewechselt werden, um
durch die Laguna de Terminos und den Fluss Palizada
nach der gleichnamigen Stadt zu gelangen. Auf dieser
Fahrt sah ich zum ersten Male eine üppige tropische Vege-
Es war allerdings kein Urwald mehr, sondern
überall hatte schon der Mensch verwüstet; viele Theile
waren einstmals schon cultivirt worden, dann aber hatte
sich die Waldvegetation derselben wieder bemächtigt. Ich
muss gestehen, dass der Anblick eine gewisse Enttäuschung
mit sich brachte, und ist dieselbe dadurch zu erklären, dass
der Wald nicht mehr in seiner ursprünglichen Üppigkeit
dastand, dann auch durch die Seltenheit der Palmen, welche
nur cultivirt in der Nähe der Dörfer sich häufiger fanden.
Von Weitem gesehen, hatte die Vegetation eine gewisse
Ähnlichkeit mit derjenigen von Mingrelien und Imeretien,
Arkansas und Louisiana, also sehr feuchter, mit dichten
Wäldern bedeckten Gegenden der wärmeren gemässigten
Zone, wo auch das massenhafte Auftreten der Schling-
pflanzen an tropische Fülle erinnert.
Bald hielt unsere schwerfällige Barke an einem Rancho
und dort beschlossen wir mit zwei anderen Passagieren, ein
kleineres Boot (Cayuco) mit zwei Ruderern zu nehmen, um
schneller fortzukommen. Schon bald hatte der Fluss trotz
der geringen Entfernung von seiner Mündung einen wesent-
lich verschiedenen Charakter angenommen ; sein Bett wurde
eng, mit ziemlich bedeutender Strömung und steilen Lehm-
Ufern, etwa 4—5 m über dem Flusse (das Wasser war
schon ziemlich niedrig). Bis an diese Ufer steigt der Fluss
gewöhnlich in der Regenzeit, oft genug auch darüber, und
dann ragen die einzelnen Ranchos wie Inseln aus einem
unübersehbaren Meere hervor!). Es giebtjedoch auch einzelne
höhere Punkte, welche auch dann nicht von dem Wasser
erreicht werden, so das Städtchen Palizada, welches wir
bald erreichten. Der Ort ist ziemlich unbedeutend, jedoch
der grösste, den wir seit der Mündung des Flusses gesehen
hatten. Bis hierher kommen noch grössere Barken von
Carmen aus, weiter aber muss die Fahrt immer in Cayucos
gemacht werden. Wir blieben hier 1%, Tag, um die weitere
Reise vorzubereiten. Ein spanischer Kaufmann vermittelte
für uns die Miethe der Bootsleute und gab uns seinen
eigenen, sebr guten Cayuco, welcher in der Mitte mit einem
!) Wie es dann in dieser Gegend aussieht, schildert Heller in seinen
Reisen in Mexiko sehr anschaulich.
Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874. 207
Dache und an den Seiten mit Matten gegen die Sonne ver-
seben war. Ein Mosquitonetz war auch nothwendig, denn
die Mosquitos der hiesigen Flüsse haben einen schlimmen Ruf.
Unsere Abreise erfolgte am Nachmittage; wir fuhren
die Nacht duroh, passirten den Usumacinta, und waren
Morgens im Rio Chiquito, einem seichten Flüsschen. Die
Vegetation war hier üppiger, als am Palizada, und zum
ersten Male sah ich viel wilde Affen, Baker schoss nach
ihnen, und uns fiel ihr Mangel an Scheu auf — trotz
mebrerer Schüsse rührten sie sich nicht vom Platze. Nach-
mittags bogen wir in den Rio Catasajä ein, der aus dem See
gleichen Namens entspringt. Er war sehr seicht und eng,
floss träge und war ganz grün von Algen. Es wimmelte von
Alligatoren, welche wir auch früher schon gesehen hatten.
Gegen Sonnenuntergang kamen sie an die Ufer, oft zu
$5—6 zusammen, Am Tage, wenn diese Thiere sich im Wasser
sufbalten, passirte es uns oft, auf eines derselben mit dem
Boote zu stossen. Sie sollen jedoch in den hiesigen Ge-
wässern nicht gefährlich sein, wahrscheinlich wegen der
sehr grossen Menge Fische und Schildkröten, von welchen
sie sich näbren können. Wie viel Fische es gab, konnten
wir ın den zwei Stunden nach Sonnenuntergang sehen. Das
Boot wurde durch Abstossen der Ruder vom Boden oder
von den Ufern in Bewegung gehalten. Die Fische, durch
diese Bewegung und das Licht auf dem Boote erschreckt,
sprangen hoch auf und fielen theilweise in das Boot. So
fingen wir 18 grosse Fische in zwei Stunden. Dann wurde
an einem Rancho Halt gemacht. Es war das Ende der
Schifffahrt.
Der See Catasaj& war mit Ausnahme einiger tieferer
Stellen ausgetrocknet, und schon theilweise mit Gras bedeckt.
Wir mussten über denselben zu Fuss nach dem gleich-
samigen Dorfe, welches von einer gemischten Bevölkerung
bewohnt wird, und zwar mit bedeutender Beimischung von
Negerblut. Es war eben ein Kirchenfest dort und eine
grosse Volksmenge versammelt. Hier sah ich zum ersten
Male die Indianer aus den Bergen von Chiapas (Zockes),
welche viel wilder aussehen als die Mayas. Die Männer
sind beständig mit dem Tragen von Lasten beschäftigt,
welche sie an einem, um die Stirn gebundenen Riemen be-
festigen. Viele Wege in Chiapas sind so schlecht, dass
selbst die so ausdauernden Maulthiere sie nicht betreten
können. Das Tragen von Lasten in den Bergen bat eine
ausserordentliche Entwickelung der Beinmunkeln zur Folge,
trotzdem die Nahrung dieser Indianer sehr dürftig ist,
Posole (in Wasser eingerührtes Maismehl) und höchstens
geröstete Maiskolben — das ist Alles. Bei der Arbeit be-
stebt ihre Kleidung nur aus einem Lendentuche, während,
wenn sie in grössere Orte kommen, der Sonntagsstaat ange-
legt wird, bestehend aus einem kurzen Hemde aus unge
bleichter Baumwolle. Die Frauen sind nackt bis zum Gürtel
und tragen nur einen blauen Rock.
In Catasajä traf ich Herrn Scherer, einen deutschen
Ranchero (kleinen Grundbesitzer), dem ich von Dr. Berendt
empfohlen war, und musste dort übernachten trotz der Eile,
den heissen ungesunden Ort zu verlassen, in dem zu allen
anderen Übeln noch ein ungeniessbares Wasser kam. Den
nächsten Tag ritten wir weiter nach Palenque, welche Stadt
oder besser Dorf auf einer kleinen Erhöhung gelegen ist.
Von der jetzt verödeten und grasbewachsenen grossen Plaza
ist eine schöne Aussicht auf die bewaldeten Berge von
Chiapas. Auch nahe an Palenque ist eine schöne, kräftige
Vegetation; unter den gepflanzten Bäumen zeichnet sich der
Mango aus, mit seiner grossen Krone und dunklem Laube.
Überhaupt macht der Ort einen angenehmen, ländlichen
Eindruck, und es ist leicht zu verstehen, warum, als ein
bedeutender Handel bier vorbei nach Guatemala ging, viele
Kaufleute und wohlhabende Hacendados sich hier ausiedelten,
denn es ist der erste Ort, wo man, von der unteren Flus=-
gegend kommend, ein gesundes Klima, trockenen Boden
und gutes, frisches Wasser findet. Jetzt ist es still und
ruhig hier, der Handelsweg nach Guatemala geht lange nicht
mehr vorbei, und der einzige Rest der alten Zeit, welchen
man noch vor wenigen Jahren fand, dass einige reiche
Hacendados hier wohnten, ist auch seit 1869 vorbei. Es
fand damals ein Aufstand der Indianer in den Bergen von
Chiapas 'Statt, und die Hacendados, aus Furcht, derselbe
würde Palenque erreichen, verliessen den Ort, um sich auf
ihre Güter in Tabasco zu begeben, wo sie auch seitdem
geblieben sind. Der Aufstand wurde aber schnell und
grausam unterdrückt.
Ich wohnte bei dem Jefe politico des Departements !)
Palenque, Don Francisco Cruz, welchem ich für die gute
Aufoahme und manche Nachrichten über das Land sehr
verbunden bin. Einige Mittheilungen über seinen Haus-
stand mögen vielleicht nicht ohne Interesse sein, um zu
zeigen, wie ärmere, weisse Familien sich bei dem heissen
Klima gesund erhalten (Palenque erhebt sich noch nicht
100 m über das Meeresniveau, sein Klima ist aber wegen
der Entfernung vom Meere heisser als an der Küste). Die
Familie bestand aus Vater, Mutter und 13 Kindern, von
17 bis 2 Jahren, die mit Ausnahme eines Knaben, welcher
eine Schule ın 8. Christobal besuchte, sich zu Hause be-
fanden. Die Wohnung hatte nur 3 Zimmer: in der Mitte
die Sala (Empfangszimmer, Bureau &c.), links das Schlaf-
zimmer der Familie, rechts ein kleineres, welches uns über-
lassen wurde, und welches zur Aufbewahrung von Mais &c.
) Departements heissen in Mexiko Unterabtheilungen der Stasten,
Das Departement Palenque hat nur 11,000 Einwohner, ist aber sehr
ausgedebnt.
208 Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874.
diente. Die Kinder trieben sich den ganzen Tag im Freien
herum, und zwar barfuss, aber waren ganz gesund. Die
Mittel der Familie bestehen aus dem Gehalte des Vaters,
600 Doll. jährlich, und einem kleinen Rancho, welches Mais
und andere Provisionen liefert, und sind eben genügend,
um, wenn auch nicht ohne Noth und Entbehrungen, so doch
ohne harte körperliche Arbeit zu leben. Mich interessirten
die Verhältnisse darum, weil daraus zu sehen war, in welchen
Verhältnissen zahlreiche weisse Familien leben und gedeihen
konnten in diesem Klima, denn zahlreiche Familien fand
ich oft bei Weissen in der Tierra caliente, hier wie auch
an der pacifischen Abdachung von Chiapas, und zwar öfter
gerade bei ärmeren Weissen. Ich sehe hierin einen günstigen
Einfluss der Mässigkeit der Spanier und Mexikaner in Essen
und Trinken, welche bei solchen ärmeren Familien schon
durch die Umstände geboten wird. In der Tierra caliente
wohnende Nordländer (Engländer, Deutsche, Amerikaner)
bequemen sich selten zu einer solchen Mässigkeit und ziehen
sich dadurch chronische Leiden zu, ausserdem sind gerade
an den Küstenorten, wo sie ihrer Geschäfte wegen wohnen
müssen, miasmatische Krankheiten gefährlich, namentlich
das gelbe Fieber.
In Palenque wie in Catasaja giebt es wenig Weisse,
die Masse der Bevölkerung besteht aus Mischlingen, während
die Indianer auch weniger zahlreich sind. In beiden Dörfern
giebt es Kirchen, aber keine Pfarrer. Auf die Frage, warum
e8 so sei, wurde mir geantwortet, seitdem die Geistlichen
nicht mehr die erste Macht im Staate sind, seitdem ihre
Güter eingezogen und ihnen Processionen und das Tragen
ihrer Ordenskleidung ausser der Kirche verboten sei, erweise
sich die farbige Bevölkerung sehr lau und die Pfarren ren-
tiren nicht mehr, daher finden sich keine Pfarrer. In dem
grossen indianischen Dorfe Tumbala aber lebt ein Padre,
denn die Indianer sind noch eben so fanatisch wie früher,
daher rentirt sich eine Pfarre in einem indianischen Dorfe
gut genug. An den Tagen der Kirchenfeste kommt der
Padre von Tumbala nach Palenque und Catasajä, es werden
Messen gelesen, Taufen und Trauungen gethan, und der
Herr kehrt mit einer runden Summe zurück. Wie streng
aber auf die Gesetze wegen Processionen gesehen wird,
konnte ich in Palenque erfahren. Als ich dort war, strafte
der Richter einige der Einwohner von Catasajä mit einer
Geldbusse von 50 Doll,, weil sie ein kleines Madonnenbild
in den Strassen herumgetragen hatten. Ich hatte diese
Procession angesehen, sie war auch nicht im Entferntesten
jenen grossartigen Schaugeprängen der katholischen Kirche
ähnlich, wie sie von früheren Reisenden in Mexiko be-
schrieben sind, Selbst der Padre war nicht zugegen und
höchstens 15—20 Personen dabei betheiligt.
Ich habe auch auf meinen weiteren Reisen in Mexiko
oft grosse Kirchdörfer getroffen, wo keine Padres wohnten,
und zwar aus denselben Gründen, was ich meinetwegen oft
bedauert habe, denn die Geistlichen waren doch meistens
die einzigen unterrichteten Personen, bei welchen ein
Reisender einigen Comfort finden und Nachrichten über das
Land sammeln konnte.
Der Ackerbau im nördlichen Chiapas ist sehr primitiv.
Der Mais, welcher die Hauptnahrung für Menschen und
Vieh ausmacht, wird auf folgende Art gebaut: es werden
mittelst Axt und Machete (ein grosses gerades Messer,
welches die Indianer und Farbigen immer am Gürtel haben
und welches zu den verschiedensten Zwecken dient, nament-
lich aber zum Abhauen der Zweige und kleinerer Bäume)
die Bäume auf einer Strecke Waldes abgehauen und liegen
gelassen, bis sie trocken sind, im März oder April ange
zündet, dann kurz vor der Regenzeit (etwa Anfang Mai)
mit einem zugespitzten Stocke Löcher gemacht, Maiskörner
darein gesäet und mit dem Fiusse zugestampft. Im August ist
der Mais reif, aber da es dann noch immer regnet, so werden
die Kolben umgebogen, damit das Wasser leicht abläuft
und dem Kerne nicht schadet. Im December oder Januar,
wenn es trocken ist, wird endlich der Mais geerntet und
dann der Boden wieder für 15—20 Jahre dem Walde über-
lassen, denn der Nachwuchs im Walde ist in diesem feuchten
Klima so üppig, dass es zu viel Mühe macht, ein zweites
Mal auf derselben Stelle zu säen. Natürlich giebt es in
der Nähe der Dörfer Boden, welcher beständig bearbeitet
wird, aber dort werden meistens besser rentirende Gewächse
gesäet, wie Gemüse, Bananen, Zuckerrohr &c.
Überhaupt ist der Culturgrad der Gegend ein sehr
niedriger. Eisen z. B. wird nur in der Form von Äxten
und Machetes gebraucht, welche fertig von Nord-Amerika
kommen, wohl 100 km im Umkreis von Palenque giebt es
keine einzige Schmiede. An den Häusern ist kein einziger
Nagel, Alles wird mit Stricken oder Lianen befestigt. Auch
in der Bereitung der gewöhnlichsten Nahrung, der Tortillas,
sind die Verhältnisse eben so primitiv, jedoch in diesem
Falle ist es eben so in ganz Mexiko und Central-Amerika.
Die Maiskörner werden zwischen zwei Steinen zerquetscht,
und zwar so, dass der untere ziemlich gross und eine etwas
geneigte Fläche hat. Die Frau kniet bei dem Steine nieder,
legt die Maiskörner darauf und bewegt einen anderen,
cylindrischen Stein darüber. Dann wird das so gewonnene
grobe Mehl in der Asche gebacken zu flachen Kuchen-
Tortillas.. Es ist ganz und gar dieselbe Art der Mehl-
bereitung, wie sie uns von Reisenden in Central- und Süd-
Afrika beschrieben wird. Nur stehen die Neger Afrika’s
insofern auf einer höheren Culturstufe, dass sie das Eisen
zu bearbeiten verstehen. Die Bereitung der Tortillas ist
eine so mühsame und zeitraubende Arbeit, dass eine Frau
Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874. 209
kaum für eine Familie von 4 Personen damit fertig wird,
und nicht aus Schonung der schwachen Frauenkräfte, sondern
weil die nothwendigen häuslichen Arbeiten so viel Zeit
in Anspruch nehmen, sieht man in Mexiko Frauen so selten
bei der Feldarbeit beschäftigt. Die Einführung selbst von
Handmühlen wäre für das Land ein Fortschritt, wichtiger
als manche hochklingenden politischen Rechte, die einer
Bevölkerung von so niederem Culturgrade doch niemals zu
Gute kommen.
Es ist dann noch die Frage, ob die sogen. wilden Indianer,
von den Mexikanern Caribes oder Lacandones genannt,
welche SO von Palenque jenseit des Rio Chacamas wohnen,
suf einem niedrigeren Culturgrade stehen als die unter-
worfenen Indianer und die Farbigen. Die Lacandones bauen
Mais und bereiten Tortillas wie die sogen. civilisirten
und wissen durch Jagd viel besser für ihre Bedürfnisse zu
sorgen. Dr. Berendt hat sie besucht und einen günstigen
Eindruck von ihnen erhalten. Leider waren sie, als ich
in Palenque war, weiter nach SO weggezogen, und keiner
von den Einwohnern getraute sich, mir als Führer zu ihnen
zu dienen. Ich sah sehr gut gearbeitete Pfeile von ihnen,
und zwar aus Stein und Flaschenglas. Letzteres sammeln
sie, wenn sie nach Palenque und anderen Dörfern kommen,
und es konnte ihnen nicht entgehen, dass Glas ein ausge-
seichnetes Material für Pfeile ist, weil es hart und doch
leicht zu bearbeiten ist. So sind sie dann duroh Berührung
mit den civilisirten Indianern in das Zeitalter des Flaschen-
glasee getreten, die Bearbeitung der Bronze und des Eisens
aber können ihnen diese civilisirten Indianer nicht lehren,
weil sie es eben selbst nicht kennen.
Die Lage der unteren Volksklassen in Chiapas und
Tabasco ist eine sehr traurige, durch das sogen. Peonen-
wesen. Es bestand früher ein Gesetz, dass wenn ein
Arbeiter von seinem Herrn Vorschüsse erhalten hatte, er
diese mit seiner Arbeit bezahlen musste, also de facto
Sclare war. Er konnte freilich den Herrn wechseln, aber
der neue musste dem früheren die Schuld vergüten. Natür-
lieb wurden die unwissenden Arbeiter zu immer weiteren
Schulden verlockt, wenn nicht, was häufig geschah, ihnen
Schulden angeschrieben wurden, welche sie niemals gemacht
hatten. Unter Maximilian wurde das betreffende Gesetz
abgeschafft, und die republikanische Regierung erkannte diese
Verordnung des Kaiserreiches an, aber es ist doch Alles
beim Alten geblieben. Die meisten Arbeiter sind doch
noch Peous, d. h. Schuldner, welche niemals hoffen dürfen,
frei zu werden, and will ein Hacendado einen neuen Arbeiter
haben, so muss er ihn sich kaufen, d. h. mit seinem
früheren Herrn sich besprechen und die Schuld, resp. einen
Theil derselben, bezahlen. Die Spanier in der Flussgegend
des Usumacints und Tabasco sollen besonders gewandt sein,
Petermann’s Geoogr. Mittbeilungen. 1879, Heft VI.
so viele, nie gemachte Schulden in die Bücher ihrer Peons
einzutragen, dass es für sie von grossem Vortheile ist, ihre
Arbeiter einem Anderen zu verkaufen, selbst wenn sie einen
grossen Theil der Schuld ablassen müssen. Dass die Ver-
hältnisse dieselben geblieben sind, trotzdem das Gesetz keine
Peonen mehr anerkennt, ist unter Anderem durch die Un-
wissenheit der unteren Volksklassen zu erklären, welche
natürlich nicht wissen, was für Gesetze in Mexiko gemacht
werden. Zu 'geriobtliohen Klagen kam und kommt es sehr
selten; es ist eben ein Verhältniss, welches auf uraltem
Brauche begründet ist.
Die Folgen des Peonenwesens sind für den Wohlstand
der Gegend sehr traurige. Es ist ein beständiger Betrug
von beiden Seiten, der Arbeitgeber ist nicht in dem Grade
interessirt, seinen Peon zu schonen, wie es ein Sclavenbe-
sitzer für seinen Sclaven ist, denn das Verhältniss ist doch
viel weniger gesichert, der Peon arbeitet so wenig er kann,
denn sein Herr wird ihn nicht gerne wegschicken, so lange
er ihm schuldet. Also gegenseitige Feindseligkeit, Betrug
und schlechte Arbeit, das ist das Resultat. Es kommt ein
anderer Umstand hinzu. In allen tropischen Gegenden
Amerika’s, die mir bekannt sind, geht es nicht anders zu,
als dass die Pflanzer tief in Schulden stecken und nur durch
beständige Vorschüsse der Kaufleute in den Häfen im Stande
sind, ihr Geschäft weiter zu führen. So war es in West-
Indien zu den Zeiten der Solaverei, so ist es noch jetzt
dort. Besonders ist diess in Tabasco und Chiapas der Fall,
wo die Hacendados wie die kleineren Holzhändler immer
Schuldner der grossen Handelshäuser bleiben. Durch das
Peonenwesen aber wird ihre Lage werschlimmert, denn sie
müssen Arbeiter kaufen, und das ausgegebene Capital ist
keineswegs sicher angelegt. Er wird und bleibt dann auch
sein Lebelang ein Schuldner des Kaufmanns, welcher ihm
Vorschüsse macht, oft nicht mehr als ein unbezahlter Ver-
walter, der so lange seine Pflanzung behält, wie es seinem
Creditor gefällt. Der Kaufmann kommt dann auch oft in
die Lage, dass er entweder hofinungslosen Schuldnern neue "
Vorschüsse machen oder zur Execution schreiten muss,
die lange und kostspielig ist, und dann, wenn er einmal
Eigenthümer vieler Pflanzungen ist, wird er von seinen
Verwaltern beraubt, Das ganze bestehende System ist für
den Wohlstand des Landes sehr schädlich, und schwerlich
wird ein grösserer wirtbschaftlicher Fortschritt möglich sein,
so lange diese Zustände andauern.
Von Palenque aus besuchten wir die, mit demselben
Namen gewöhnlich bezeichneten Ruinen. Es zeugt für das
geringe Interesse, welches die Spanier der ersten zwei Jahr-
hunderte nach der Eroberung an der Erforschung des Landes
hatten, dass diese Ruinen, keine 15 km von einem damals
so belebten Handelspunkte wie Palenque gelegen, erst um
37
210 Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874.
1750 entdeckt wurden. Obgleich seitdem oft von europäi-
schen und amerikanischen Reisenden besucht und beschrieben,
sind sie doch viel weniger bekannt als diejenigen von
Uxmal und Chichenitza in Yucatan. Stephens mit seinen
Begleitern verweilte eine kürzere Zeit in den Ruinen von
Palenque, als in denjenigen von Yucatan, und Charnay, dem
wir so schöne Photographien von den letzteren verdanken,
besuchte die ersteren gar nicht.
Trotz der Nähe mussten wir uns einen guten Führer
verschaffen und Lebensmittel mitnehmen, denn menschliche
Wohnungen finden sich weder bei den Ruinen, noch auf
dem Wege. Nach der Reise von Stephens wurde es bei
den wohlhabenden Familien von Palenque Mode, in zahl-
reicher Gesellschaft Pikniks hierher zu veranstalten und
dort einige Tage zu verweilen. Aber seitdem diese Familien
nicht mehr in Palenque wohnen (seit 1869) geht keiner
mehr nach den Ruinen, ausser von Zeit zu Zeit ein Reisender
von weit her.
Da wir ziemlich spät am Nachmittage abgereist waren,
konnten wir die Ruinen an demselben Tage nicht erreichen
wegen des schlechten Weges, der noch häufig verwachsen
war und mit der Maohete geöffnet werden musste. Wir
übernachteten bei einem verlassenen Rancho. - Der Mais
war schon abgedroschen und weggeführt worden, aber das
Stroh noch geblieben. Als einer meiner Begleiter einen
Strohballen nahm, um sich darauf zu setzen, wurde er
heftig gestochen, doch bei der Dunkelheit ‚konnte er nicht
sehen, ob es eine Schlange oder ein Skorpion war. Ich
schickte sofort den Führer nach Palenque zurück, um den
dortgelassenen Medicinkasten zu holen, aber als er zurück-
kehrte, gegen Mitternacht, war der Schmerz vorüber, und
die Sache verlief ohne weitere Folgen. , Ich erwähne diesen
Fall, weil es der einzige während meiner viermonatlichen
Reise in Mexiko und Guatemala war in meiner Reisege-
gesellschaft oder während meines Aufenthaltes in Dörfern &o.
Sehr häufig ist auch bei Gebildeten in Europa die Ansicht
* verbreitet, die Tropen seien sehr gefährlich wegen der
zahlreichen giftigen Schlangen, Skorpionen, Taranteln &c.
Jedoch nach eigener Erfahrung wie nach den Aussagen
von Leuten, welche mit diesen Gegenden durch langjährigen
Aufenthalt bekannt sind, ist die Gefahr eine sehr gering-
fügige. Die häufigsten Fälle von Schlangenbiss kommen
unter den Arbeitern auf Zuckerplantagen vor, Das Rohr
wird am Morgen geschnitten, und zu der Zeit sind häufig
genug Schlangen dort versteckt, welche dann auch zuweilen
beissen, und die mit nackten Beinen Arbeitenden sind gegen
diese Bisse nicht geschützt,
Am nächsten Tage war nur ein kurzer Weg bis zu
den Ruinen, aber der letzte Theil sehr schlecht — es war
der steile Abhang, der auf die künstlich aufgeschlittete
Steinterrasse führte, auf welcher die alten Bauten stehen,
Der Wald ist hier so dicht, dass ich auf der Terrasse und
kaum 30 Schritte von dem Hauptgebäude, dem sogen.
Palacio, noch nichts von den Ruinen sab. Wir schickten
die Pferde zurück, denn für dieselben war wegen des dichten
Waldes kein Futter zu haben. Nun ging’s an die Be-
sichtigung der Bauwerke, welche in dem stillen Waldes-
dunkel einen grossartigen Eindruok machen. Die beschränkte
Zeit, welche ich den Ruinen widmete, verhinderte mich,
Alles im Detail zu besehen; eine sehr gute Beschreibung
mit vielen getreuen Abbildungen findet sich in dem ‚schon
citirten Werke von Stephens.
Das Hauptgebäude, sogen. „Palacio”, befindet sich auf
einer besonderen, steinernen Terrasse. Solche Terrassen
werden oft als Pyramiden bezeichnet, aber man sollte mit
dem Namen vorsichtiger sein. Keine der von mir gesehenen
hat die regelmässige Form der ägyptischen Pyramiden, und
zwar mag diess daher rühren, dass diese sogen. amerikani-
schen Pyramiden keine selbständige Bauwerke, sondern nur
die Fundamente für die darauf errichteten Tempel und
Paläste waren. Man batte wohl nur’ die Absicht, letzteren
eine hohe und erhabene Lage zu geben. Wenn gleich der
erste Eindruck des „Palacio” grossartiger war, als derjenige
der Gebäude von Uxmal, was wohl der Lage zuzuschreiben
ist, so bestätigte sich diese relative Schätzung auch bei
näherer Betrachtung. Abgesehen davon, dass das Gebäude
grösser, war auch die Arbeit der zahlreichen Statuen und
Reliefs eine mehr künstlerische, namentlich waren mensch-
liche Figuren zahlreicher und besser ausgeführt, wenn auch
freilich nicht ohne eine archaische Steifheit. Sogar mit den
auf den verschiedenen Denkmälern Vorder-Indiens, die bud-
dhistische Zeit ausgenommen, dargestellten menschlichen
Figuren konnten diejenigen von Palenque den Vergleich
siegreich bestehen. Der Typus, der ausschliesslich hier
dargestellt wird, zeichnet sich durch eine Adlernase und
eine schmale, sehr zurücklaufende Stirn aus. Er ist sehr
verschieden von dem Typus der jetzt in der Gegend, wie
in Yucatan lebenden Indianer. Einzelne Individuen dieses
Typus habe ich hie und da später getroffen, so z. B. in
der Stadt Mexiko.
Dass das Gebäude wirklich ein Palast gewesen ist,
halte ich für höchst wahrscheinlich, aus der Vertheilung
der Räume wie aus dem F'ehlen solcher Basreliefs, welche
auf Gottesdienst deuteten. Alle überdeckten Räume sind
eng, was eine natürliche Folge der Unkenntniss des Bogens
ist, auch hölzerne Balken wurden nicht gebraucht, Wo
ein Raum noch gut erhalten ist, sieht man, dass eine Seite
etwas überhängend verläuft, so dass an der Decke nur ein
schmaler Raum bleibt, welcher mit flachen Steinen bedeckt
ist. Wo aber der Stuck, womit die Zimmer bedeckt waren,
Reise durch Yucatan und die südöstlichen Provinzen von Mexiko 1874. 211
theilweise abgefallen ist, sieht man die Gestalt einer umge-
kehrten Treppe. Man behalf sich also damit, die Steine
jeder höheren Reihe etwas vorzuschieben, dann wurde Alles
mit Stuck überdeckt. Grosse und breite Empfangsräume
mussten dann ohne Decke bleiben, wenn man sich nicht
eines grossen Baumwollengewebes als Schutz gegen die Sonne
bediente.
Nach Besichtigung der Räume über der Erde drangen
wir, nicht ohne Mühe, in einige der unterirdischen, wo wir
eine Unmasse von Fledermäusen erschreckten und aus ihren
gewohnten Schlupfwinkeln jagten. Ich bestimmte die Tem-
perstur zu 25° C,, was wohl so ziemlich die mittlere
Temperatur des Bodens und bez. der Luft hier ist, denn
bei den sehr geringen tages- wie jahreszeitlichen Schwankun-
gen der Temperatur in dieser feuchten tropischen Gegend
wird sich dort schon die Schicht mit unveränderlicher Tem-
peratur finden. Jedoch ist es wahrscheinlich, dass die ge-
fandene Temperatur etwas zu hoch ist, wegen der Blut-
wärme der vielen dort hausenden Fledermäuse. Also wird
die mittlere Temperatur des Bodens hier jedenfalls nicht
böber sein als 25° C.
Ausser dem sogen. „Palacio” giebt es noch 6 bis jetzt
bekannte kleinere Gebäude, gewöhnlich „Casas de piedra”
genannt. Einige von ihnen werden wohl jedenfalls reli-
giösen Zwecken gedient haben, und an Basreliefs und Hiero-
giypbentafeln sind sehr interessante Funde gemacht worden.
Jede steht auf einer Steinterrasse, welche sehr steil ist und
ohne Hülfe der sehr üppigen Baumvegetation schwer zu
ersteigen wäre. So klammert man sich an Wurzeln und
Zweigen und klettert leicht Abhänge von 70° hinauf. Es
ist schwer zu sagen, ob diese Vegetation jetzt mehr zur
Zerstörung oder zur Erhaltung der Gebäude beiträgt. In
alle Risse und Fugen der Steine haben sich Baumwurzeln
eingenistet und natürlich viel zerstört, aber jetzt werden
viele Theile der „Casas”’ nur durch die Bäume und Lianen
suf ihren Plätzen erhalten — ein unvorsichtiges Fällen der
Bäume würde manche Steinmauer zu Fall bringen. Oft
werden Steine ganz ohne Zusammenhang mit dem Rest des
Gebäudes von der Vegetation so fest umklammert, dass sie
nicht herabstürzen können. Ausser den Bäumen und Schling-
pflanzen sind auch die Orchideen, Moose &o. zu beachten.
Die Reliefs bedecken sich mit einem so dichten grünen
Überzuge, dass lange daran geschabt werden muss, ehe der
Stein blosgelegt wird. In dieser Weise reinigten wir ein
sbönes Altarbild an einer der „Casas”, welche noch nicht
bekannt war, als Stephens Palenque besuchte. Sie sollen von
nem Deutschen, Namens Koller, entdeckt sein, der einige
Jahre im Dorfe Palenque lebte und einen ausführlichen
Piaa der Ruinen entwarf.
Mein Begleiter Baker bestiog das Dach der höchsten
„Casa” und konnte doch von dort nichts sehen, als eines
Wald ohne Ende. Der Wald muss wohl ausgedehnter und
dichter geworden sein, seitdem Stephens hier war, denn
er erwähnt, das Dorf Palenque wäre von den höchsten
Punkten zu sehen.
Nach mehreren Stunden Besichtigung der Ruinen und
einem erfrischenden Bade in einer grossen Wasserleitung
trafen wir unsere Vorbereitungen für das Nachtquartier.
Dazu wurde der östliche Flügel des „Palacio” ausersehen.
An den Eingängen der Zimmer finden sich in drei ver
schiedenen Niveau’s kleine würfelförmige Öffnungen, mit
kleinen verticalen Säulen versehen, die wahrscheinlich dazu
dienten, die Thüren zu befestigen. Wir befestigten unsere
Hängematten daran, und an verschiedenen Stellen wurden
Feuer angezündet, um die Mosquitos zu verjagen, welche
sich zahlreich einstellten. Die Nacht in den Ruinen hat
mir einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen. An Schlaf
war nicht zu denken, und so konnte die fremdartige Scene
desto besser genossen werden. Für unsere Beleuchtung war
gut gesorgt. Ausser unserem Feuer hatten wir hellen Mond,
dann sehr zahlreiche Leuchtkäfer, welche ich vorher nie
so schön gesehen hatte, endlich fing bald nach Sonnenunter-
gang ein Gewitter an, welches bis 4 Uhr Morgens dauerte.
Es hielt sich während dieser Zeit in einiger Entfernung,
so dass uns kein Regen traf, aber es blitzte fast ununter-
brochen und bewirkte dadurch eine sehr eflectrolle Be-
leuchtung des alten Gebäudes. Auch ein Theil des nächsten
Tages wurde hier zugebracht, dann aber der Rückweg zu
Fuss nach dem Dorfe angetreten.
Die Ruinen sind Nationaleigenthum der Republik und
als solches ganz und gar vernachlässigt. Wenn ich rühmend
der Fürsorge erwähnte, welche der Besitzer von Uxmal den
gleichnamigen Ruinen angedeihen lässt, so muss der Con-
trast mit dem, was die mexikanische Regierung mit den
Ruinen von Palenque thut, desto mehr auffallen, und bei
dem feuchten Klima und der üppigen Vegetation des nörd-
lichen Chiapas gehen die Gebäude sehr rasch ihrem Unter
gange entgegen. Diess wird schon durch den jetzigen Stand
der Gebäude bewiesen, zu deren Zerstörung Menschenhände
wahrscheinlich nicht beigetragen haben, Ein sehr hohes
Alter für diese Gebäude anzunehmen, ist entschieden kein
Grund vorhanden und die Gründe, welche dafür angegeben
wurden, wie z. B. grosse Anhäufung von Schutt und Humus,
das Wachsthum grosser Bäume &c. sind keineswegs stich-
haltig. Die Zerstörung geht in einem so warmen und
feuchten Klima rasch vor sich, und die Dimension der
Bäume ist jedenfalls keine solche, dass man für sie ein
Alter von mehr als 350 Jahren annehmen sollte. Dasjenige,
was man über die Cultur von Mexiko und Central-Amerika
weiss, deutet auf kein sehr hohes Alter.
7°
212 Nachrichten über Venezuela.
° Von Palenque gingen wir wieder nach Catasajs, dann
kam eine längere Flussfahrt, welche uns nach der Stadt
Jonuta führte, wo die Bevölkerung eine starke Beimischung
von Negerblut hat. Dann ging es über den Tabasco-Fluss
nach Frontera an dessen Mündung. Palmen waren hier
zahlreicher vertreten als am Palizada, namentlich auf dem
feuchten Boden am unteren Laufe des Flusses, bis die
Mangroven-Zone in der Nähe des Meeres erreicht wurde.
In dem heissen, langweiligen Frontera mussten wir einige
Tage warten, bis eine Barke kam, welche uns nach Vers
cruz führte.
‘* Nachrichten über Venezuela.
Von Dr. P. Jonas. (Schluss !).)
Reise durch die Llanos nach dem Apure.
Von Palmar aus machte ich einen Ausflug nach der
Lagune von Valencia. Der Weg führte durch grosse Por-
treros und zwischen Feldern hindurch, auf denen Mais und
Baumwolle zusammengepflanzt war; die Maisstaude giebt
dem später gepflanzten Baumwollenstrauche eine Stütze.
Am Wege stand ein prachtvolles Exemplar eines Zamang-
baumes; der Stamm hatte in Mannshöhe einen Umfang von
43 m, der Durchmesser der halbkugelförmigen Krone mass
gegen 27 m; die mächtigen Äste hatten jeder für sich die
Dicke respectabler Baumstämme; das feine dunkelgrüne
Laub warf einen dichten Schatten. Die nächste Umgegend
der Lagune ist nicht arm an diesen schönen Bäumen, leider
ist das von Humboldt beschriebene Exemplar zwischen
Maracay und Turmero trotz der ihm in letzter Zeit ge-
widmeten Pflege in traurigem Zustand; fast ganz kahl ragen
die dicken Äste als Zeugen irdischer Vergänglichkeit gen
Himmel. Das Bett des in die Lagune mündenden Aragua
war bei dem Pueblo S. Cruz schon ganz trocken. In der
Nähe der Lagune sind weite Strecken noch gar nicht bebaut.
Der üppige Gamelote, der hier wächst, ein hohes, starkes,
breitblättriges Gras, giebt der Viehzucht Vorschub. Das
flache Ufer der Lagune ist fast in seiner ganzen Ausdehnung
mit Schilf bedeckt. Die Stellen, die vor Kurzem noch von
dem Wasser des Sees bedeckt waren, zeigen eine dünne
Decke eines salzigen Rückstandes. Übrigens trank das Vieh
aus den umliegenden Portreros das brackische Wasser mit
vielem Behagen.
Am 8. Januar wurde die Reise weiter fortgesetzt. Der
Weg nach Villa de Cura über Cagua geht im Ganzen
in südlicher Richtung durch die Ebene des Sees von
Valencia, die entfernten Berge sind meist nur mit krüppel-
haften Chaparro bewachsen, Aus einem dichten Gehölz
begrüsste uns das Geschrei einzelner Brüllaffen. Die schöne
Region der Kaffeehaciendas lag hinter uns, Baumwollenfelder
mn nn
!) Den Anfang e. im Jahrg. 1878, H. I, 8. 11.
liegen am Wege, der Wasserreichthum nimmt immer mehr
ab, nur hin und wieder grünt eine Zuckerrohrplantage, die
Portreros werden häufiger, das Gebiet der Viehzucht ist
nicht mehr fern. Nicht weit von Cura führte der Weg
über einen niedrigen Kalkrücken. In Cura zeigte das
Thermometer um 12 Uhr Mittags 30° C. im Schatten, um
43 Nachm. beinahe 31° C. im Schatten und 40° C. in
der Sonne, um 7 Nachm. war es auf 263° C. gesunken;
in der Nacht wirkte die abgekühlte Luft auf meinen Körper
so empfindlich, dass ich das Fenster unserer Schlafkammer
schliessen und mich fest in meine cobija einwickeln musste.
Die Umgebung des auf einer Hochebene gelegenen Cura hat
an Eintönigkeit noch nichts verloren. — Der neue Weg
nach S. Juan de los Morros, der auch für Karren befahr-
bar ist, führte uns durch eine frischere Vegetation, bald
rechts, bald links rauschte das Wasser der Bergbäche; die
umstehenden Berge freilich sehen kahl genug aus; aus dem
hier kurzen Savanengrase erheben sich nur wenige Agaven,
selbst die Chaparros sind selten, auch Cactus habe ich nicht
bemerkt. Die Morros von 8. Juan waren uns auf dem
ganzen Wege von Villa de Cura an sichtbar. Nachdem
wir den Guerico passirt hatten, trennte uns eine vollständig
ebene, kahle Savana von dem noch eine Legua entfernten
S. Juan, welches am Nordwestabhange eines sich über seine
Umgebung nicht sebr erhebenden Höhenzuges lieg. Am
Fusse desselben hatten wir erst den Rio de $S. Juan zu
passiren; er hat schönes klares Wasser, welches immer
reichlich fliessen soll; unmittelbar über ihm liegt S. Juan.
Nicht lange vor unserer Ankunft war in der Umgegend
ein benachbarter Gutsbesitzer, der seine Stellung als ge-
fürchteter Anhänger der regierenden Partei gemissbraucht
hatte, um Bosheiten und Chikanen aller Art auszuüben,
von seinen eigenen Arbeitern ermordet worden, sein Haus
brannte man nieder. So übt man in Venezuela nicht gerade
allzu selten schnelle Justiz, um einen überlästigen Mann
los zu werden.
Nachrichten über Venezuela.
Ungefähr '/, Legua nördlich von S. Juan erhebt sich
der kleinere Morro, während der grössere noch weiter
nördlich liegt. Den Höhlen des kleineren Morro machte
ich einen Besuch, konnte aber wegen der Unkunde des
“Führers nicht weit eindringen; tief im Innern sollen sich
prächtige Pfeiler von Bergkrystall gebildet haben. Strauch-
werk von ziemlicher Höhe bedeckt fast den ganzen Morro,
zwischen den Spalten des Gesteins seine Wurzeln bergend.
An stärkeren Stämmen haben Luftpflanzen ihre Wohnung
aufgeschlagen. Im Wasser der von Humboldt erwähnten
warmen Quelle am Südfusse des kleinen Morro stieg mein
Thermometer auf etwas über 35° C.; die Temperatur der
Luft war zu derselben Zeit (5 p. m.) 26° C. Um 8p.m.
war die Temperatur im Corridor des Hofes auf 25° C.
gefallen. Die Umgegend von 8. Juan macht einen traurigen
Eindruck. Die Berge erheben sich nicht sehr bedeutend
über ihren Fuss; der steinige Boden kann sich mit keinem
üppigen Pflanzenwuchs bedecken; von dem strotzenden
Pfianzenleben, das wir in den Schluchten, vielfach auch
auf der Höhe der Kämme des Küstengebirges und in seinen
Thälern gefunden hatten, fast keine Spur mehr, man sieht
hier wenig von dem, was man sich gewöhnlich unter tropischer
Vegetation denkt. Grosse Flächen sind nur spärlich mit
Gras bekleidet, aus dem sich immer häufiger der Cha-
parro erhebt. Selten zeigen sich kleine Anpflanzungen, am
meisten noch da, wo sich in Falten und Vertiefungen frucht-
barerer Boden ansammeln konnte,
Als wir am 10. Januar des Morgens um 3 Uhr auf-
brachen, hatte sich die Luft auf 20° C. abgekühlt, und
um 47 war das Thermometer auf nicht ganz 22° C. ge-
stiegen. Die Vegetation bleibt dieselbe ärmliche; einzelne
Exemplare des Leiba boten nur wenig Abwechselung; To-
tamobäume, Agaven und Cactus gewährten schon einen
angenehmen Wechsel. Dazu ist der Weg bis Parapara seit
Humboldt’s Zeiten nicht besser geworden — der Fahrweg
ist nur bis S. Juan geführt. Die losen Steinchen machen
den Thieren viel zu schaffen, nur auf dem wohl langsam
und gleichmässig abgelagerten Grunde der alten Seebecken,
die sich jetzt als terrassenförmig übereinanderliegende voll-
ständig ebene kleine Savanen präsentiren (durch welche
der Weg gelegt ist), giebt es für dieselben einige Erholung.
Von Parspara bis Ortiz geht der Weg eben zwischen
niedrigen Ausläufern des Gebirges.. In Ortiz stieg am
nächsten Morgen (den 11. Januar) das Thermometer schon
um 8 Uhr auf 28$° C. im Schatten, in der Sonne, 5’ über
dem Boden, auf 36° C.; die Luft war allerdings vollkommen
rahig. Die Einwohner sind fast durchgängig indianischer
Abstammung, wie die der ganzen Llanos, Ich sah von nun
an bis S. Fernando nur noch wenig Negergesichter. Die
schlanken Gestalten unterscheiden sich angenehm von den
213
kurzen, starkhüftigen Goajira - Indianern mit ihren breiten
Gesichtern, die sich unvermischt und unabhängig erhalten
haben und dem Eindringen der'Cultur wehren. Auch von
den zum grössten Theil noch unavilisirten unvermischten
Indianern im Süden des Apure und Orinoco sind die Go»
jira-Indianer sehr verschieden, was Körperbildung und
Charakter anbetrifft; die Verschiedenheiten, welche die ein-
zelnen Stämme jener unter einander haben, sind nicht ent-
fernt so auffallend.
In Ortiz entwarf uns ein Creole, der aus’den L,lanos
kam und dieselben genau zu kennen behauptete, ein pracht-
volles Bild von den groesen Ebenen; von der Galera aus
sollten wir den ersten Blick auf das gewaltige wogende Gras-
meer werfen. Ich hatte Humboldt’s Schilderung im Gedächt-
niss, und meine Erwartung war auf das Äusserste gespannt.
Am Naohmittage des 11. Jan. bielten wir auf der Galera,
einem niedrigen Rücken, auf dem sich in Zwischenräumen
vielfach gezackte Felsepitzen wie gewaltige Marksteine steil
erheben; wegen ihrer niederen Umgebung erscheinen sie
ziemlich hoch. Erstaunt saben wir vor uns hin gen Süden.
Allerdings breitete sich eine unermessliche Ebene vor uns
aus, aber wie war hier noch ein Vergleich mit einem Gras-
meer möglich! Bis an den Horizont war die Fläche mit
niedrigem Baumwuchs reich bewachsen, unter welchem der
Chaparro am meisten vertreten war. Ganz freie Stellen waren
nur wenige sichtbar von geringer Ausdehnung. Nur die An-
wesenheit einiger Sombrero-Palmen (auch palma de cobija und
palma Uanera genannt) erinnerte uns daran, dass wir in ein
anderes Vegetations-Gebiet eintraten. — Bis nach Calabozo
hin empfing ich niemals den Eindruck von den Llanos, den
Humboldt gehabt hatte. Bald geben Chaparros, bald Mi-
mosen der Landschaft ıhr Aussehen; andere Baumarten,
2. B. der Guäsimo, sind nicht selten; die freien Stellen
nehmen allerdings an Zahl und Ausdehnung weiter nach
Süden hin zu, aber niemals gewinnt man die Vorstellung
einer weit ausgedehnten baumlosen Ebene; bald meint man
durch ein Gehölz zu reiten, bald glaubt man am Horizont
die Grenze eines grossen Waldes zu sehen. Die palma
Uanera tritt häufig auf; sie liefert treffliches Holz für den
Bau der Hütten in den Llanos, ihre fächerartigen Blätter
geben das Material zum Decken der Dächer. — Andere
Theile der Llanos mögen ihr kahles Aussehen behalten
haben; ich konnte aus den Darstellungen nicht recht klug
werden, Die Nachrichten der Leute gewöhnlichen Schlages
sind verworren, die gebildeteren halten sich an die Schilde-
rungen in der Geographie Venezuela’s von Codazzi, der
Humboldt an den betreffenden Stellen fast wörtlich über-
setzt hat. Woher kommt nun jene Vegetation, die, wenn
nicht die ganzen, so doch grosse Strecken der Llanos in
Besitz genommen bat? Es giebt unter den Llaneros alte
214 Nachrichten über Venezuela.
Leute, welche die Llanos noch so kahl gesehen haben, wie
wir sie durch Humboldt kennen lernen. Sie sagen, dass
der Baumwuchs sich entwickeln konnte bei der bedeutenden
Verminderung des Viehreichthums, die in Folge der ewigen
Revolutionen eintreten musste. Damit stimmt der Bericht
Humboldt’s trefflich überein; ihm gegenüber behaupteten die
Eingeborenen, bei der Einführung des Viehes in die Llanos
habe sich da der Baumwuchs verloren.
Je weiter wir in den Llanos vorrückten, desto einsamer
wurde es ulm uns her, die Bevölkerung wird immer dünner,
immer seltener trifft man auf Gehöfte, ganze pueblos sind
sehr vereinzelt. Das Thierleben acheint nicht sehr reich
zu sein; nur der eintönige Ruf wilder Tauben tönte uns
stets in die Ohren, wenn nicht das Gehölz allzuweit zu-
rücktrat. Bei den Gehöften schwirrten stets dichte Sohaaren
von Staaren herum; die geselligen Vögel sind in den Llanos
häufig. Die Cafios und die kleinen Lagunen hatten noch
Wasser; letztere waren mässig bevölkert von Enten und
kleinen zierlichen Lagunenhühnern. Hin und wieder wechselt
ein rother Ara mit hässlichem Geschrei seinen Sitz. Die
grossen Wasservögel, welche die Lagunen in der Nähe des
Apure und Orinoco beleben, zeigen sich hier noch nicht.
Rindvieh bekamen wir nicht viel zu Gesicht. In der
Trockenzeit werden die meisten Heerden im Staate Guärico,
durch den mein Weg führte, in die tieferen Llanos in der
Nähe des Apure getrieben, weil sie dann in dieser Gegend,
die zum Theil mehrere Monate des Jahres überschwemmt
ist, reichlicheres und kräftigeres Futter finden. Aber auch
da, auf der ganzen Strecke von Calabozo bis an das Ufer
des Apure, sah ich Rindvieh, Pferde und Maulthiere im
Ganzen nur in geringer Menge.
Hat man frtihere Berichte gelesen und besucht dann selbst
die Llanos, so gewinnt man eine traurige Vorstellung von dem
Rückgange der Viehzucht. Die weiten Ebenen sind jetzt ver-
einsamt. F'rüher wusste ein reicher Viehbesitzer kaum, wie
viel Stück seine Heerden hatten; jetzt ist es leicht, jeden Kopf
zu zählen. Wer 1000 Rinder besitzt, gilt für einen sehr
wohlhabenden Mann. Während früher Rindfleisch zu den
billigsten Nahrungsmitteln gehörte, hat es jetzt denselben
Durchschnittspreis, wie in unseren deutschen Städten. Als
Humboldt jene Gegenden bereiste, kostete ein Ochse 5 bis
6 Piaster; Codazzi giebt 10 pesos an; jetzt schwankt der
Preis zwischen 40 und 50 pesos. Nach Codazzi’s Schätzung
war der Durchsohnittspreis eines Maulthiers 30 pesos; jetzt
muss man niedrig gerechnet 100—150 pesos annehmen;
Pferde sind etwas theurer. Ein gutes Reitthier kostet 400
pesos und mehr. Jetzt würde man kein Füllen mehr opfern,
um einen Gymnoten zu fangen. — Die Vernichtung des
alten Reichthums der Llanos ist eine der traurigsten Folgen
der ewigen Unruhen. Viele Viehzüchter gaben die Züch-
tung ganz auf oder betrieben sie nur sehr lässig; sie wollten
nicht für Andere arbeiten; denn Reitthiere und Rindvieh
gehörten zu den unmittelbarsten Bedürfnissen der Soldaten-
banden. Der Boden zeigte sich bis Rastro noch reich mit
Steinchen und Steinen besät, während es auf der südlichen
Fortsetzung des Weges nach dem Apureufer hin zu den
Unmöglichkeiten gehört, etwas, was einem Steine ähnlich
sieht, an der Erde zu firiden.
Für das durch den Anblick der einförmigen Vegetation
miide gewordene Auge waren die kleinen Anpflanzungen um
die seltenen Hütten eine nicht geringe Erquickung ; besonders
gern weilte der Blick auf den saftig grünen Bananenpflanzen.
Aus der Anwesenheit dieser kleinen cultivirten Plätze haben
Manche geschlossen, dass die Llanog in grösserer Ausdehnung
für die Culturpflanzen gewonnen werden könnten. Man be-
denke, dass für die Ansiedelung mit Sorgfalt die Stellen aus-
gesucht worden sind, wo der Boden siolı ertragsfähig erwies
und Wasser in der Nähe war. In dürftigen Gegenden hat
man ein scharfes Auge für fruchtbare Oasen. Es soll
übrigens gern zugegeben werden, dass sich in dem Teile
der Llanos, den ich besuchte, in der Nähe der Lagunen,
an den Cafios, am Ufer der Flüsse und Ströme noch viele
Quadratmeter dem Anbau gewinnen liessen, wenn die
nöthigen Arbeitskräfte zur Verfügung ständen; die Vieh-
heerden dagegen können verhältnissmässig wenige Männer
beaufsichtigen. — Von Rastro bis zum rechten Ufer des
Guärico führte der Weg durch tiefer gelegenes Land; hier
stand kurzes, aber dichtes Gras von lebhafter Farbe trotz
der vorgerückten Jahreszeit, ein Reichthum, den man uns
aus den jährlichen, lange andauernden Überschwemmungen
des Guärico erklärte. Calabozo liegt auf dem hier hohen
linken Ufer des Guärico am, Rande einer mesa. Wir fanden
hier für gutes Geld eine leidliche Bewirthung. Die viel
gerühmte Gastfreundschaft der Venezuelaner scheint sehr
abgenommen zu haben. Alte Kaufleute erzählen, dass früher
Reisen ins Innere der Republik wenig oder gar nichts
kosteten. Das hat sich jetzt sehr geändert; man weiss
recht bedeutende Rechnungen aufzusetzen,. Rastro und Cala-
bozo sind zurückgekommene Plätze. Calabozo hiess früher
die Königin der Llanos; jetzt verdient es den Namen nicht
entfernt mehr. Der Reichthum, der sich früher hier ange
sammelt hatte, ist verschwunden; deutlich erkennbare Dürftig-
keit ist an seine Stelle getreten; die Basis der Wohlhaben-
heit, der Viehstand, ist zu sehr geschwächt. Unbewohnte
oder gar ganz verfallene Häuser mahnen ernst an den Um-
schwung der Verhältnisse. Die Bewohner von Calabozo,
die von jeber oligarchische Gesinnungen hegten, hatten
durch die letzten grossen Revolutionen, welche das oli-
garchische Regiment ganz vernichteten, besonders viel zu
leiden gehabt. — Bei einem Besuche der alten Kapuziner-
Nachrichten über Venezuela. 215
mission Trinidad (jetzt ein kleines Dorf) fand ich die Tem-
peratur der warmen Quelle mit 30° C.; in der Luft sank
das Thermometer auf 24% ° C.; es war 8 Uhr des Morgens
and der Wind wehte leicht von O.
Am 17. Januar setzte ich von Calabozo aus meine Reise
weiter nach S fort. Ich bekam von nun an ausgedehntere
ganz baumfreie Strecken zu Gesicht, andererseits erschienen
mir aber auch die Gehölze von grösserer Ausdehnung. Die
Baumvegetation wird mannigfaltiger ; selbst der schöne Zamang
fehlt nicht. Besonders häufig tritt die schon erwähnte kleine
palma Uanera auf; zuweilen reitet man stundenlang zwischen
Palmen ; sie stehen hier so dicht und über so grosse Strecken
ausgebreitet, dass man den Ausdruck Palmenwälder an-
wenden muss; es war für mich ein hoher Genuss, in der
Frische des frühen Morgens oder bei der Beleuchtung der
späten Nachmittagssonne durch einen solchen Wald reiten
zu können. Das Grün der Blätter war jetzt noch frisch,
obgleich der trockene Boden schon breite Risse zeigte und
der Wind mitunter Staub genug aufwirbelte.
Die Ufer der Lagunen, die alle noch reichlich Wasser
hatten, waren Früh und Abends reich von Garzas verschie-
dener Arten besetzt. Die grossen Garzones führen den Namen
pejaros soldados. Der Name schien mir sehr treffend, wenn
ich sie einzeln gravitätisch auf- und abgehen oder in langen
dichten Reihen unbeweglich stehen sah. — Rindvieh und
Pferde sah ich auch jetzt nicht viel. Überall, wo wir vor-
sprachen, wurde Klage über die Armuth erhoben; man zog
Vergleiche mit dem früheren Zustande, zählte die benach-
berten Familien auf, die früher reich gewesen waren und
jetzt in drückenden Verhältnissen lebten. Die Hoffnung auf
Besserung war nur sehr schwach, oft hörte ich die Be-
merkung: Hier sah ich einen Hato gründen, ich sah ihn
serstören, aber ich werde ihn nicht wieder gründen sehen.
80 trostlose Ausrufungen hatte ich bis Calabozo nicht ge-
hört. Bemerkenswerth für die jetzige Lage scheint mir
such, dass man hier auf der Reise nie einen Hirsch zu
Gesicht bekommt, während doch Humboldt ganze Rudel
ungestört zwischen den Heerden weiden sah. Die Hirsohe
werden jetzt eifrig verfolgt: die früher ganz werthlosen
Hirschfelle sind ein Ausfahrartikel geworden.
Auf dem mit tippiger Weide bewachsenen Estero von
Cameguen verschwanden zum ersten Male die Bäume voll-
Nändig aus meinem Gesichtskreise, aber auch nur für sehr
kurze Zeit.
Ich hatte am 19. Januar den Puerto Guzman Blanco
(diesen stolzen Namen führt ein einzelnes Haus) am linken
Ufer des Apure vis-A-vis von 8. Fernando erreicht, ohne
reie der Beschwerden kennen zu lernen, auf die ich mich
ver dem Antritte der Reise schon vorbereitet hatte, Der
Jeansar erwies sich als ein sehr günstiger Monat. In den
heissen Mittagsstunden gönnte ich meinem Maulthiere die
wohlverdiente Rast; so viel Schatten fand ich immer, um
geschützt vor den Sonnenstrahlen meinen Chinchorro auf-
schlagen zu können. Zu dieser Zeit war allerdings die
Hitze eine ganz beträchtliche; ich sah um 2 p. m. das
Thermometer bis 35° C. steigen, selten stand es zu
dieser Stunde unter 32° C. und in dieser Höhe blieb es
oft bis kurz vor Sonnenuntergang; um 10 a. m. stand
es meist schon auf 80 ° C., aber in der Nacht konnte sich
der Körper in der bedeutend abgekühlten Luft erfrischen.
Wenn ich vergessen hatte, mich durch eine wollene Decke
zu schützen, wachte ich nach Mitternacht gewiss vor Frost
auf.” Kurz vor Sonnenaufgang war die Tagestemperatur
am tiefsten; einmal stand um #6 Uhr das Quecksilber auf
204° C.; über 22° C. kam es zwischen 4 und 5 Uhr vor
Sonnenaufgang selten. Des Nachts fällt gewöhnlich ziem-
lich starker Thbau. Eines Morgens wurde ich sogar von
einem leichten Sprühregen überrascht, eine Erscheinung,
die nicht so auffallend ist, als man nach den Schilderungen
Humboldt's und Codazzi’s glauben sollte; beide kennen
während der Trockenzeit in den Llanos nur einen stets klaren
Himmel. Man bemerke, dass zu Humboldt’s Zeit die Llanos
noch nicht von der jetzigen Baumvegetation bedeckt waren;
Codazzi oopirt einfach unseren Forscher auch hier. Mir
zeigten die Llanos selbst und der Himmel, der sich über
ihnen ausspannte, andere Bilder. Ich habe, so lange ich
in den Llanos war, vom 11. bis 24. Januar, nicht einmal
durch 24 Stunden den Himmel ganz wolkenlos gesehen.
Schweres Regengewölk zog in dieser Zeit allerdings nie auf,
aber leichte Wolken in Menge. Nur die Nächte waren
gewöhnlich vollständig klar. Fast dieselbe Wolkenbildung
und dieselbe Bewegung der Luft wiederholte sich jeden
Tag. Bei Aufgang der Sonne ist es still, oder ein leichter
NO bewegt leise die Blätter der Bäume und die Spitzen
des Grases. Der Himmel leuchtet in vollständiger Klarheit,
selten wird er theilweise von Lämmerwölkchen und Cirrus
bedeckt; allmählich ändert er sein Aussehen; dichte weisse
Cumuluswolken ziehen zahlreich am Firmament hin. Der
leichte NO hat sich zu einem starken Winde entwickelt,
um Mittag hat er seine grösste Stärke erreicht. In den
höheren Schichten wird die Bewegung nicht so stark, die
Wolken ziehen nicht schneller als vorher; ständen sie noch
ım Bereiche des Windes, der unten herrscht, dann müssten
sie rascher eilen. Mit gleicher Heftigkeit braust der Nordost
zwei bis drei Stunden über die Ebene und jagt mächtige
Staubwolken auf. Nach und nach nimmt er am Nachmittage
ab; wenn die Sonne dem Horizonte wieder nahe steht, hat
er seine Gewalt verloren; endlich erstirbt er ganz. In-
zwischen sind auch die Cumuluswolken vom Himmelsge-
wölbe verschwunden; leichter Cirrus und Cirro- Cumulus
216 Descriptiones nobilissimorum apud classicos locorum.
nehmen ihre Stelle ein; auch sie weichen und keines
Wölkchens Schatten trübt die Klarheit des gestirnten
Firmaments. Bisweilen fängt es schon in der Nacht an,
sich wieder zu regen; aber aus anderer Richtung kommt
dann die Bewegung, der kurz dauernde Hauch weht aus
S oder SW oder W. — Da ich ohne Noth von 11 Uhr
Vormittags bis 3 Uhr Nachmittags nicht reiste, strengten
mich die Tagesritte nicht übermässig an. Die Luft war
in der von mir benutzten Zeit immer sehr klar.
Deseriptiones nobilissimorum apud celassicos locorum.
(Mit Karte s. Tafel 12.)
Das unter obigem Titel im Verlage von Justus Perthes
erscheinende Kartenwerk, dessen erste Serie mit der in
diesen Tagen auszugebenden vierten und fünften Lieferung
ihren Abschluss erreicht, verfolgt zunächst den rein päda-
gogischen Zweck, dem Schüler, wie jedem anderen Leser
der alten Klassiker, das Verständniss derjenigen Stellen in
ihren Werken, welche ohne Kenntniss des topographi-
schen Materials unverständlich oder halb verstanden bleiben
müssen, zu eröffnen, oder wenigstens zu erleichtern.
Die verschiedenen Atlanten, welche die geographischen
Verhältnisse des Alterthums illustriren, haben Mühe genug,
die allgemeinen Verhältnisse der politischen Geographie in
den verschiedenen Perioden zur Darstellung zu bringen, so
dass die topographischen Einzeldarstellungen in ihnen keinen
Platz finden können. Geschieht dieses aber doch, wie diess
die massenhaften Nebenkärtchen im Spruner- Menke’schen
Atlas beweisen, so erlaubte in den weitaus meisten Fällen
der knapp bemessene Raum nur eine Skizze, nicht aber
eine ausgeführte topographische Zeichnung. Die Descrip-
tiones sollen hier als Ergänzung eintreten und so neben
dem Atlas hergehen, auf dessen allgemeinen Grundlagen
sie fussen. Sie sollen demgemäss in weiterem Sinne ein
Sammelwerk werden, in dem die oft zerstreuten Re-
sultate der topographischen Specialforschungen für ver-
schiedene Zeiten und Gegenden, die vielfach nur schwer
und mit erheblichem Kostenaufwand zu erlangen sind, nach
dem neuesten Stande der Wissenschaft niedergelegt und
leicht zugänglich gemacht sind.
. Die Zahl der gelösten und ungelösten topographischen
Fragen aber, die sich uns bei dem Studium besonders der
klassischen Historiker aufdrängen, ist Legion, und so ist
um Ordnung und Beschränkung in die allmähliche Ver-
öffentlichung zu bringen, der Weg eingeschlagen worden,
dass zunächst die auf der Schule gelesensten Schriftsteller
nach einander zur Behandlung kommen, und dass haupt-
sächlich die Schauplätze der bedeutendsten militärischen
Actionen illustrirt werden sollen, während Pläne von Städten
oder überhaupt Complexen baulicher Anlagen eventuell
einer späteren Bearbeitung vorbehalten bleiben. Für die
leichtere Anschaffung und Benutzung der Blätter ist die
Einrichtung getroffen worden, dass ein jedes Blatt für sich
allein bezogen werden kann. Geht der Verfasser, wie oben
erwähnt, zunächst hauptsächlich darauf aus, die nach dem
augenblicklichen Stande der Wissenschaft wahrscheinlichste
Lösung einer topographischen Frage zur Darstellung zu
bringen und sucht er seinen Ruhm nicht in der Auffindung
neuer Hypothesen, so hofft er doch theils positiv durch
gute Darstellung zweifelloser Ergebnisse nach den besten
Quellen Karten von bleibendem Werthe zu schaffen, theils
negativ durch Darstellung nicht unbestrittener Localitäten
zu erneuter Forschung den Anstoss zu geben und auch
so der Wissenschaft einen Dienst zu leisten.
Nach dem erwähnten Principe ist in der ersten aus
15 Blättern bestehenden Serie Cäsar’s gallischer Krieg be-
handelt worden, ein Buch, das durch die Unterstützung der
Topographie so bedeutend an Interesse gewinnt, dass selbst
gleichgültigere Schüler, die der knappen Schilderung des
nur allzu klugen römischen Feldherrn, der wahrlich nicht
für Schüler geschrieben hat, sonst wenig Verständniss ent-
gegenbringen, sich für den Schriftsteller zu erwärmen an-
fangen, wenn sie sehen, wie die topographische Darstellung,
unter Anleitung des Lehrers, ihnen aus sonst kaum ver-
standenen Worten ein fast plastisch anschauliches Bild von
Gegenden und in denselben sich abspielenden Handlungen
vor die Seele zaubert. Um so verwunderlicher ist es, dass
erst in neuester Zeit dem oft und vielfach geäusserten Be
dürfniss nach einem für Schulen brauchbaren Cäsar-Atlas
einigermaassen abzuhelfen versucht wurde. Den Haupt
anstoss dazu gab natürlich der Umstand, dass Napoleon ILL,
dem für die Erforschung des Bodens, auf dem der gallische
Krieg sich abspielt, die besten Mittel zu Gebote standen,
seinem vielbesprochenen Werke auch einen topographischen
Atlas hinzufügte. Da dieser zu kostepielig war, um von
Schülern erworben werden zu können, so liess der um
Cäsar wohlverdiente Rüstow in Stuttgart einen Atlas von
15 Blättern erscheinen, der, mit einzelnen Weglassungen.
im Wesentlichen nur verkleinerte Copien des Napoleoni-
schen Atlas enthielt.
Descriptiones nobilissimorum apud classicos locorum.
Dass dieser Schul-Atlas sich kein grosses Absatzgebiet
erobert hat, liegt wohl hauptsächlich an zwei Gründen. Er
enthält einerseits zu viel, andererseits entschieden zu wenig.
Das zu viel bezieht sich besonders auf die höchstens den fran-
sösischen Leser des Napoleonischen Werkes interessirenden
massenhaften modernen Namen und Ortsbezeichnungen, die
einen raschen Überblick über die topographischen Ver-
hältnisse der alten Zeit entschieden hindern; zu wenig
aber ist geboten nicht nur für den Schüler, sondern auch
für den Nicht- Fachmann in der Darstellung der auf dem
gegebenen Terrain sich entwickelnden militärischen Opera-
tionen. Auch darf nicht verschwiegen werden, dass, so
trefflich die meisten in grossen Maassstäben (1: 20—40,000)
gezeiobneten Blätter in dem Napoleonischen Atlas bezüglich
der Terraindarstellung behandelt sind, andere nicht un-
wesentliche Mängel zeigen, ja entschieden falsche Bilder
liefern. Dahin gehören die meisten Übersichtskarten zu
den Feldzügen eines ganzen Jahres, besonders auch das
Blatt, welches die Überfahrten nach Britannien darstellt.
Diese Mängel sind in zwei neueren Veröffentlichungen,
der Cäsarausgabe von H. Rheinhard bei Neff in Stuttgart
und dem Atlas zu Cäsar’s bellum gallicum von Meyer und
Koch bei Baedeker in Essen zum Theil vermieden; doch ist
bei Rheinhard einerseits das kleine Format hinderlich, ob-
wohl anzuerkennen ist, dass der verschiedenfarbige Druck
die Anschaulichkeit erhöht, andererseits wäre zu wünschen
gewesen, dass er Napoleon’s Darstellung für Schüler ver-
sändlicher gemacht und einige kaum mehr haltbare An-
nahmen durch andere ersetzt hätte. Das Letztere gilt
such von dem Atlas von Meyer und Koch. Derselbe hat
zwar den grossen Vorzug der Billigkeit und, worauf ein
besonderes Gewicht zu legen sein dürfte, den ferneren, dass
die Karten, neben dem Texte des Schriftstellers liegend,
benutzt werden können, doch dürfte eine Terraindarstellung,
wie sie sich in diesem Atlas findet, auf Schönheit und topo-
graphische Genauigkeit keinen Anspruch erheben dürfen,
und die sehr undeutliche Schrift macht einige Blätter dieses
in bester Absicht herausgegebenen und faute de mieux auch
verwendbaren Werkchens entschieden unbrauchber. Ein
Kritiker dieses Atlas hebt lobend hervor, dass die Verfasser
„voreilige Vermuthungen in ihre Karten nicht aufgenommen
hätten” (cf. Jen. Lit. Ztg. 1879, Nr. 19). Dagegen ist nur zu
sagen, dass eben Napoleon’s Darstellungen keineswegs durch-
weg als feststehende Resultate zu betrachten sind; und dass
deahalb jede wohlbegründete Hypothese, die mit den Worten
des Schriftstellers in Einklang zu bringen ist, das Recht zu
existiren und auch kartographisch illustrirt zu werden be-
auspruchen darf. Die Napoleonische Arbeit hat aber ver-
schiedene durchaus objective Besprechungen erfahren, die
Dicht ohne Resultate geblieben sind, so durch Heller in den
Poternsan’s Googr. Mittheilungen. 1879, Heft VI.
217
Jahresberichten des Philologus und besonders durch mehrere
Programme von Thomann in Zürich, der leider sein Ver-
sprechen, alle Blätter des Napoleonischen Atlas besprechen
zu wollen, wegen Überhäufung mit Geschäften noch nicht
ganz hat erfüllen können. Die Bemerkuugen dieser Männer,
so wie auch Cohausen’s in seinem Scohriftchen „Cäsar am
Rhein’ und „Cäsar’s Rheibnrücken”, so wie selbstverstäud-
lich die Arbeiten Rüstow’s, Göler's und die Geographie de
la Gaule romaine von Desjardins sind für die Bearbeitung
der Deecriptiones sorgfältig zu Rathe gezogen worden und
haben hoffentlich dazu geführt, hie und da etwas richtig
zu stellen.
Wie viel leichter wäre es, über geographische Fragen
im bellum Gallicum zu urtheilen, wenn uns als Grundlage
für die Bestimmung der Operationsrichtungen und Punkte
eine fertige und unbestrittene Gau- und Strassenkarte von
Gallien zu Cäsar’s Zeit vorläge! Diese ist noch durchaus
ein pium desiderium, und wird es vielleicht immer bleiben.
Denn so gewiss es einerseits ist, dass die gallischen Stämme
Jahrhunderte lang ihre feste Abgrenzung gegen einander
bewahrt haben, so wie dass schon vor Cäsar feste Strassen
und zwar nicht nur für den britannischen Transithandel
von Norden nach Süden bestanden haben — denn wie
hätten die Helvetier sonst den Plan fassen können, mit
368000 Menschen und Tross aller Art einen Auswanderungs-
zug zu einem ca 600 km entfernten Ziele durch ein wegloses
Land anzutreten —, so schwierig ist die Auffindung der
Staatengrenzen, da Namenreste und die spätere Kirchspielab-
theilung eben so gut helfen wie irre führen, noch schwieriger
aber ist die Auffindung der Wege, deren Spuren theils von
später auf ihnen erbauten römischen Strassen verwischt,
theils überbaupt verloren gegangen sind, da sie schwerlich
mit so luxuriöser Solidität wie die römischen angelegt sein
werden. Die Schwierigkeit der geuauen Grenzbestimmung
der einzelnen gallischen civitates spielt auch bei der Auf-
findung des Castells Aduatuca, dessen Lage auf dem bei-
liegenden Probeblatte der Descriptiones zu fixiren versucht
ist, eine Hauptrolle.
Es muss zunächst daran erinnert werden, dass man das
lib, II, cap. 29, erwähnte oppidum Aduatucorum nicht ver-
wechseln darf mit dem Castell Aduatuca, welches durch
die bei demselben erfolgte Niedermetzelung der 15 Co-
horten des Sabinus und Cotta, so wie durch die im nächsten
Jahre daselbst Statt findende bedenkliche Bedrohung Cicero’s
durch die germanischen Reiter für die Römer verhängniss-
voll geworden ist. Es würde hier zu weit führen, die An-
sicht v. Cohausen’s, der beide Punkte identificirt, zu wider-
legen, doch ist zu bemerken, dass das oppidum Aduatu-
coram doch füglich im Lande der Aduaktuer zu suchen sein
dürfte, die aber unmöglich bis in die Gegend von Lüttich
218 Descriptiones nobilissimorum apud classicos locorum.
gewohnt haben können, wo theils Eburonen, theils Con-
druser, deren Gebiet ziemlich genau durch den Namen der
Landschaft Condroz bestimmt ist, ihre Wohnsitze hatten.
Auch für das oppidum Aduatucorum sind verschiedene Punkte
in Vorschlag gebracht, von denen mir mit Göler der Mont
Falbize bei Huy als der wahrscheinlichste erschienen ist,
für das Castell Aduatuca aber zählt Cohausen nicht we-
niger als 18 verschiedene Orte auf, für die man die Ehre
‘in Anspruch nimmt, der Platz einer schweren römischen
Niederlage, wenn auch nicht einer grossen gallischen Waffen-
that zu sein. Es dürfte wohl ein Verdienst sein, diese
Zahl nicht leichtsinnig noch vermehrt zu haben,
Im Folgenden sollen kurz die Gründe angeführt wer-
den, welche für den in den Descriptiones dargestellten
Punkt, Embourg bei Lüttich, sprechen, so wie die Vor-
gänge flüchtig geschildert werden, welche auf dem dar-
kestellten Terrain sich abgespielt haben. Es versteht sich
von selbst, dass v. Cohausen, welcher für Aduatuca das
Plateau von Embourg zwischen Vesdre und Ourthe in Vor-
schlag gebracht hat, auch die Gründe, die ihn dazu be-
stimmt haben, ausführt. Er thut diess in seiner Schrift:
Cäsar am Rhein. Bonn 1867, S. 26—36. Nur müssen alle
diejenigen Gründe, die sich ihm aus der angenommenen
Identität von Aduatuca mit dem oppidum Aduatucorum er-
geben, unberücksichtigt bleiben. Cohausen urtheilt haupt-
sächlich aus militärischem Gesichtspunkte und sucht nach-
zuweisen, dass nicht nur ein aufzuschlagendes Winterlager
deswegen gerade hier günstig placirt ist, „weil alle Strassen,
welche aus dem Lande zwischen der Maas und dem Rhein,
von Verdun bis Andernach nach Lüttich führen, hier ge-
sperrt werden können” (S. 31), sondern auch, dass alle
von Cäsar geschilderten Vorgänge gerade auf diesem Ter-
rain genau in der angegebenen Weise vor sich gehen konn-
ten. Dass Tongern, welches nach Napoleon’s Annahme
Aduatuca sein soll, für die geschilderten Verhältnisse nur
sehr mangelhaft passt, hat Thomann (Der franz. Atlas zu
Cäsar’s gallischem Kriege. Zürich 1874, 8. 23 u. f.) wohl
überzeugend nachgewiesen.
Cäsar selbst äussert sich über die Lage von Aduatuca
hauptsächlich, lib. VI, cap. 32, mit den Worten: hoc fere
est in mediis Eburonum finsbus. Ob diese Worte richtig
überliefert, oder wie sie zu verstehen seien, ist eine alte
Streitfrage. Die nahe liegendste Übersetzung wäre: „ziem-
lich in der Mitte des Eburonischen Landes’. Diess kann aus
verschiedenen hier nicht näher zu besprechenden Gründen,
besonders aber wegen der lib. V, cap. 24, beschriebenen
Dislocation, die auf dem Carton des beiliegenden Blattes
dargestellt ist, nicht richtig sein. Könnten die Worte be-
deuten: „ziemlich auf der Grenze”, so wäre die Sache
leicht, das ist aber unmöglich. So ist denn der Stelle ent-
weder folgende Auslegung zu geben: „ziemlich in der Mitte
der Grenze des Eburonenlandes”, d. h. der von W nach O
sich erstreckenden Grenzlinie, da dem von S Kommenden
das Gebiet der Eburonen in seiner Breite vorliegt, oder
endlich es ist hinter dem Worte Eburonum noch ein Völ-
kername, wahrscheinlich die Worte et Condrusorum ausge-
fallen und es ergäbe sich der Sinn: „ziemlich auf dem Grenz-
gebiete der Eburonen und Kondruser”. Beide letzteren
Vermuthungen würden Cohausen’s Annahmen unterstützen,
da die Südgrenze der Eburonen ungefähr durch eine ge-
rade Linie von der Siegmündung bis gegen Namur gebildet
wird.
Was geschah nun in Aduatuca und wie geschah es?
Kurz nachdem Cäsar, von der zweiten Expedition nach Bri-
tannien zurückgekehrt, seine Legionen in die 7 Winter-
quartiere vertheilt hatte, von denen nur eines, das des
L. Roscius ausserhalb des grossen Ringes von 100 m. p.
im Lande der Esubier (Normandie) lag, beginnen die
Eburonenfürsten Ambiorix und Catuvolous den Aufstand,
der die Verniohtung der einzelnen getrennten Legionen zum
Ziel hatte. Sie waren vorher höflich an der Grenze ihres
Landes, d. h. an der Mündung der Ourthe bei Lüttich er-
schienen, da die römischen Feldherren Sabinus und Cotta
eben unmittelbar an dieser Grenze residirten, und hatten
so die Römer unbesorgt gemacht. Jetzt erscheinen sie plötz-
lich mit einem Heere auf der von NW leicht zugäng-
lichen Hochebene von Embourg, an deren südlicher Seite
unmittelbar am schroffen Abhang das römische Lager, des-
sen Spuren noch heute auf dem le Hasset genannten Platze
erkennbar sind (vgl. Cohausen a. a. O. S. 26 u. 27), sich
befand, überfielen in dem Walde, welcher das Plateau da-
mals zum grössten Theile bedeckte, holzfällende Soldaten
und näherten sich im Schutz dieses Waldes unbemerkt dem
Lager, welches sie plötzlich von drei Seiten einschlossen.
Die Römer lassen sich thörichter Weise auf Unterhandlun-
gen ein und schenken den Vorspiegelungen der Feinde
Glauben, welche behaupteten, sie hätten sich trotz aller
Freundschaft für die Römer dem Drängen ganz Gealliens
nicht entziehen können und müssten die Aufhebung der
Winterquartiere in der Nähe ihres Landes verlangen, ga-
rantirten aber freies Geleit zum nächsten Winterlager des
Cicero oder Labienus.
Ein sehr stürmisch verlaufender Kriegsrath beschliesst
endlich den Abzug zum Winterlager des Labienus (Lavache-
rie an der Ourthe), für den die Soldaten in Angst sich
rüsten. Sobald die Feinde diess merken, legen sie sich in
den Wäldern, die ca 2 römische Meilen vom Lager began-
nen !), an zwei Stellen in den Hinterhalt; der eine Theil
1) So ist wohl die Stelle V, 32, collocatis insidiis bipertito in silvis
opportuno atque occulto loco a milibus passuum circiter duobus Roma-
Descriptiones nobilissimorum apud classicos locorum.
recht auf der Höhe zwischen dem römischen Lager und dem
oberen Laufe des Mosbeux, der andere Theil auf den das
obere Thal des Mosbeux auf der rechten Seite einschlies-
senden Höhen. Sobald der lang gestreckte römische Zug
dem ersten Theile vorbeigezogen, folgen die Feinde ihm
auf dem Fiusse, und in dem nördlich von dem Dorfe Lou-
vegnez liegenden Thalkessel des Mosbeux vollzieht sich die
vollständige Einschliessung und die cap. 33—37 ausführ-
lich erzählte Niedermetzelung der 15 Cohorten, von der
nur wenige Überlebende die Schreckenskunde in die be-
nachbarten Winterlager des Cicero und Labienus bringen
konnten. Es muss besonders hervorgehoben werden, dass
sowohl die Ausdehnung des bei Embourg liegenden Lagers
von ca 8,5 Ha die richtige Grösse hatte, circa 6000 Mann
ausreichenden Platz zu gewähren (Cohausen giebt an, dass
heute 6 Bataillone & 1000 Mann mit Kochanstalten, Pfer-
den und Wagen nur 7488 QF. mehr beanspruchen), so
wie dass die Thalschlucht des Mosbeux in hervorragender
Weise für eine Einschliessung sich eignete, da die ziemlich
steil sich erhebenden Seitenwände des Thals eigentlich nur
ein Versperren des Weges vorne und hinten nöthig mach-
ten, was Cäsar mit den Worten ausdrückt: er utraque
parte ejus vallıs subito se ostenderunt novissimosque premere
# prirnos prohibere ascensu alque iniquissimo nostrss loco proe-
Imum committere coeperunt.
Da die Entfernung des Lagers des Cicero lib. V, cap. 27,
auf ca 50 m. p. angegeben wird, so kann dasselbe auch nicht
bei Charleroy gelegen haben, wohin Napoleon es verlegt, und
in der That findet sich in ungefähr dieser Entfernung
Namur als geeigneter Punkt. Derselbe ist, da Cicero dort
eine sehr fatale Einschliessung durch die Gallier durchzu-
machen hatte, auf dem zweiten Carton des Blattes dar-
gestellt, doch würde eine Besprechung der hieran sich knü-
pfenden Fragen an dieser Stelle zu weit führen.
Dasselbe Castell Aduatuca ist aber auch der Schauplatz
eines anderen für die Römer fast verhängnissvollen Kampfes
im folgenden Jahre 53 v. Chr., dessen einzelne Scenen so
ausführlich geschildert werden, dass, wenn auch hiefür die
Localität von Embourg passend erscheint, die Wahrschein-
lichkeit der Annahme, dass wir bei Embourg wirklich das
alte Aduatuca gefunden haben, fast zur Gewissheit wird.
Cäsar hatte beschlossen, an den Eburonen für die den
Römern bereitete Niederlage eine exemplarische Rache zu
nehmen. Während er selbst mit 3 Legionen im Eburonen-
lande herumstreifte, um die flüchtigen Feinde aufzusuchen
(zwei andere Armeen von je 3 Legionen durchzogen das
Land der Menapier und Aduatuker), war das Gepäck des
a
Serum sdrentum exspectabent, zu verstehen, oder aber die Worte a
wmehhuss
Passwum besiehen sich auf die Entfernung der beiden
im Hinterhalt liegenden Theile ron einander.
ng od u m m m | (mein m en .— —_——.
a m u ee — -
219
ganzen Heeres in Aduatuca unter dem Öberbefehl des
Q. Cicero vereinigt, weil die Verschanzungen des Vorjahres
sich dort noch im guten Stande befanden, und weil sicher-
lich wieder die günstige Lage an einem Strassenknoten-
punkte die Versorgung der Magazine erleichterte. Nun
hatte Cäsar, die Eifersucht der einzelnen gallischen Stämme
unter einander benutzend, eine allgemeine Aufforderung er-
lassen, sich an dem Plünderungszuge gegen die Eburonen,
die nach der Flucht des Ambiorix und dem Selbstmorde
des Catuvolcus kein regelrechtes Heer zusammenbringen
konnten, zu betheiligen. Diesem Aufrufe folgten auch 2000
germanische Reiter aus dem Lande der Sugambrer, über-
schritten den Rhein etwa bei Düsseldorf, durchzogen plün-
dernd das südliche Grenzgebiet der Eburonen und wurden
hier durch Gefangene auf die günstige Gelegenheit auf-
merksam gemacht, sich des schwach vertheidigten römischen
Lagers mit seinen Schätzen durch einen Handstreich zu
bemächtigen. Auch sie, wie im vorigen Jahre Ambiorix,
erreichen, durch die Waldung gedeckt, nachdem sie im NW
das Plateau erstiegen, die Höhe und erscheinen am nörd-
lichen Thore des Lagers, wo die Marketender und Kauf-
leute aller Art ihre Buden aufgeschlagen hatten. In höchster
Verwirrung gelang es zwar den römischen Soldaten, noch
die Lagerthore zu schliessen, aber 5 Cohorten waren ge-
rade zum Fouragiren auf die nächsten Getreidefelder ge-
zogen (nördlich vom Bois de Tilff), und eben so befanden
sich 300 Reconvalescenten und viele Trossknechte und Pack-
thiere ausserhalb des Lagers.
Als es den Feinden nicht gelang, die Thore zu er-
brechen und den Wall zu erstürmen, wendeten sie sich
gegen die in’s Lager fliehenden Fouragirer und Tross-
knechte. Diese hatten, um ıin’s Lager zu kommen, den an
der schmalsten Stelle nur ca 50 m breiten Zugang zum
Plateau, der durch einen davorliegenden Hügel (tumulus)
noch erschwert wurde, zu passiren. Die Trossknechte hat-
ten diesen Hügel schon besetzt, werden aber durch die vom
Lager her heraneilenden Germanen zurück- und den Legions-
soldaten entgegengetrieben. Von diesen sammeln sich die
Veteranen, brechen unter Anführung des römischen Ritters
C. Trebonius in geschlossenen Kolonnen mitten durch die
Feinde und erreichen glücklich das Lager. Ihr Beispiel
treibt die Trossknechte und Reiter an, denselben Versuch
zu machen, der auch gelingt. Den noch zurückbleibenden
Cohorten aber, welche etwas rückwärts auf der Höhe (jugum)
sich zu oonoentriren versuchten, gelang dieses nicht. Als
sie mehr nach links vordringend das vor ihnen liegende
Lager möglichst direct zu erreichen suchten, geriethen sie
in die südlich vom Lager heraufziehende Schlucht (locus
iniquus) und wurden so wenigstens theilweis niedergehauen ;
nur einem kleinen Theile gelang es, das Lager zu erreichen.
28°
220 Descriptiones nobilissimorum apud classicos locorum.
Die Germanen gaben es aber, da nun doch die meisten
draussen befindlichen Truppen in’s Lager gelangt waren,
auf, dasselbe zu belagern, zumal ihnen natürlich alle Mittel
zur regelrechten Belagerung fehlten und sie nur von einem
unvermutheten Handstreich einen Erfolg hatten hoffen können.
Alle diese erzählten Vorgänge nun konnten nicht nur
auf dem dargestellten Terrain sich so abspielen, sondern
mussten es geradezu, wenn angenommen wird, dass wir in
den Verschanzungen von le Hasset wirklich ein römisches
Lager zu erkennen haben. Erwägen wir nun nochmals,
dass zwei bedeutungsvolle Vorgänge mit all’ dem geschil-
derten Detail sioh durch diese Annahme vollständig erklären
lassen, ferner dass, was natürlich hier nicht bewiesen werden
konnte, wir uns bei keiner anderen Annahme in derselben
glücklichen Lage befinden !), so möchte v. Cohausen’s Hypo-
these zunächst für die wahrscheinlichste zu halten sein.
Die vorliegende Schilderung enthält natürlich nicht eine
auch nur annähernd erschöpfende wissenschaftliche Begrün-
dung, die an diesem Orte auch wohl kaum gesucht werden
dürfte. Es war nur die Absicht, zu zeigen, was die De-
scriptiones darstellen wollen, und wie sie dieses Ziel zu er-
1) v. Göler, der Aduatuca in der Nähe, nämlich bei Limburg, an-
nimmt, ist nicht im Stande, die Localitäten für die einzelnen Vorgänge
mit Genauigkeit anzugeben.
reichen suchen. Es mag gestattet sein hinzuzufügen, was
allerdings als selbstverständlich vorausgesetzt werden dürfte,
dass so wie dieses Blatt auf Grundlage der Aufnahmen des
Depöt de la Guerre in Brüssel von 1877 im Maassstabe
von 1:20000, durchaus neu gezeichnet ist, auch die übri-
gen Blätter nach den Generalstabswerken theils ganz neu
gezeichnet wurden (so Blatt II, V, VII, VIII, XIV), theils
durchweg revidirt worden sind. Die in gleichmässiger
Weise, so dass die Römer mit roth, die Feinde mit blau
markirt werden, durchgeführte Colorirung trägt sicherlich
zur Übersichtlichkeit erheblich bei. Leider haben sich, da
diese kartographische Arbeit ein erster Versuch des Ver-
fassers ist, noch allerlei kleine Versehen eingeschlichen !),
die hoffentlich beim Fortschritt der Arbeit werden vermie-
den werden.
Nach der Beendigung der Karten zum bellum Gallicum
ist Livius in Angriff genommen, doch ist die Publication
wegen umfassender Vorarbeiten erst nach einer längeren
Pause zu erwarten. v. Kampen.
I!) Auch auf diesem Blatte steht auf dem Carton, der die Dislo-
cation der Legionen darstellt, der Name Eburones zu weit südlich (er
müssto zwischen den Namen Maastricht und Lüttich stehen), und der
Name Condrusi, der auf dem rechten Ufer der Maas, zwischen Namur
und Lüttich stehen müsste, ist ausgelassen.
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro's,
mit Bemerkungen über Land und Leute:
Von Dr. Emin-Bey, Gouverneur der ägyptischen Äquatorial- Provinzen. (Fortsetzung ').)
Am 30. September war ich gerade im Begriffe, eine
Pause im Regen zu benutzen und auszugehen, als ioh zu
Kabrega gerufen wurde, den ich heute in prächtigem, ge-
musterten Rindenstoff gehüllt in seinem Divan fand. Es
waren Leute aus Karägua angelangt, die Waffen und Mu-
nition zum Tausch gegen Elfenbein und Sklaven gebracht
hatten, und Kabröga wollte — ihnen seinen weissen Gast
zeigen Ich hatte, um den König zu überraschen, Speke’s
Buch mitgenommen, und als ich ihm da seinen Vater Kam-
rässi, so wie andere Bilder, besonders den famosen Zwerg
Kimenya zeigte, der bereits vor einigen Jahren verstorben,
da kannte die Freude der Anwesenden keine Grenze. SBo-
fort wurden mir zwei sehr kleine, aber durchaus nicht
zwerghafte Männer vorgeführt, deren einer, sehr bucklig,
den Zielpunkt für das Gelächter der Gesellschaft bildete.
1) Den Anfang siehe im vorigen Heft S. 179 fi.
Bucklige sollen überhaupt nicht selten sein; sie heissen:
oibängo. Das Gespräch wandte sich dann auf weisse und
farbige Leute und zur Probe, dass auch hier sehr hell-
farbige Individuen existiren, wurde mir ein lang aufge-
schossener junger Mann, der durch seine nicht roth, son-
dern gelb grundirte Farbe auffiel, vorgestellt und als Ge-
schenk angeboten, was ich dankend ablehnte Das Vor-
kommen weisser Kinder von schwarzen Eltern (Albinos)
ist durchaus nicht selten, doch ist von ihrem Zusammen-
hange mit Heirathen unter Blutsverwandten keinerlei Rede,
obgleich Linant de Bellefonds versichert, Mtesa habe ihm
davon gesprochen. Dieser mag eben dergleichen von Euro-
päern gehört haben: hier zu Lande heirathen Brüder ihre
Schwestern, ohne deshalb Albinos zu zeugen. Diese selbst
gelten als Unglücksbringer und sind nicht als vollbürtig
anerkannt. Ich hatte später in Ugända Gelegenheit, ein
Albino-Mädchen genau zu betrachten, werde also noch
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute. 221
darauf zurückkommen. Die Anwesenheit weisser Leute in
Ugända wurde verneint (und doch waren sie dort!) und
nur von einem Weissen gesprochen, der es versucht, nach
Ruhända zu gehen, aber nicht reüssirt hatte — vermuthlich
Stanley.
Nachdem ich am 1. Ootober einen mir von Kabrega
zur Verfügung gestellten Boten nach Mrüli gesandt, um die
Leute über mein Verbleiben zu beruhigen, ging ich in das
eigentliche Dorf, um mich dort ein wenig umzusehen. Die
Häuser, zu 3—4 durch hohe Strohzäune umschlossen, sind
im Bananenwalde und in den Bodenfalten verborgen, besitzen
jedoch, in grossen Gruppen verstreut liegend, ein weites
Feld. Es mögen ihrer wohl über 1000 da sein. Alle zei-
gen die für Unyöro typische Halbkugelform; die meisten
sind zweikammerig und haben hohe Thüren mit überdeck-
tem Eingange. Grosse Seriben besitzen nur Kabrega und
seine ersten Chefs. Man sieht der ganzen Niederlassung
das Unfertige an, ist ja doch Kabrega erst seit Oocupirung
der Station Londü durch unsere Soldaten hierher gekom-
men. Es existirt noch kein Saatfeld in der Nähe. Zwischen
den recht schmutzig gehaltenen Häusern sind hie und da
Verkaufsstellen etablirt: Mehl, Salz, Kaffeebohnen, die recht
theuer sind, Fleisch bilden die gangbaren Artikel, an die
sich Schafe, Ziegen, Rinder (selten), Rindenstoffe, Lanzen,
Tabak, Bohnen, Butter, nett in Bananenblätter eingeschla-
gen, reihen. Als Münze gelten Ss{mbi, Cowriemuscheln
‚Cypraea moneta), deren 500 zu je 100 auf Schnüre ge-
reiht, etwa einen Werth von 3% M. repräsentiren dürften.
Mehl wird in ganz kleinen Körbchen zu 10 Ssimbi ver-
kauft, Fleisch stückweise nach Gutdünken des Scohlächters,
dem ja das Thier gehörte. Schafe, die hier mager und
fettloe sind, so wie Ziegen kosten je 1400 Ssimbi, ein
Ochse 4500— 5000.
Etwa 5—6 Schmiedewerkstätten sind im Dorfe ver-
streut, jede mit 4—5 Arbeitern besetzt, Feuerstätte, Blase-
bälge und Leitrohr habe ich anderwärts beschrieben; als
Ambos figurirt ein in die Erde eingelassener, grosser, flacher
Stein mit glatter, ebener Oberfläche; als Hammer dient ein
Stück gediegenes Eisen, dessen eines Ende stielförmig zu-
geschlagen ist. Von sonstigen Geräthen waren Kürbis-
schalen mit Wasser zum Löschen des Eisens, einige kleine
Tbonnäpfe zum Schmelzen von Kupfer und Messing und
eine Holzvorrichtung zum Drathziehen vorhanden. Man
verarbeitet im Lande gewonnenes Eisen, Kupfer und Mes-
ung zu Lanzenspitzen, Messern, Rasirmessern, Arm- und
Beinringen und Halsbändern, doch sind die Arbeiten keines-
wegs zierlich. Messing und Kupfer kommt von Zanzibar über
Tgänds. Die Schmiedewerkstätten sind zugleich Rendez-
voas für alle Piauderlustige. Von Holzarbeiten sah ich
rohe Griffe für Messer; Reparaturen an Gewehren besorgen
die Wagända- Schmiede, die periodisch hierher kommen,
aber sehr theuer sind und sich z. B. einen Hahn mit einer
Sklavin bezahlen lassen.
Die Zubereitung der Rindshäute zum Tragen ist einfach
genug. Die Haut wird durch eine grosse Menge kleiner
Pflöcke straff über ebenen Boden gespannt und nun strei-
chend mit Messern bearbeitet, bis alle Fleischtheile ent-
fernt sind; dann wird sie getrocknet und mit Buttereinrei-
bungen geschmeidig gemacht. Jeder Regen macht die Haut
wieder steif und bedarf neuer Einreibungen; dass diese
aber die Geruchsorgane der Umstehenden nicht gerade er-
freuen, ist wohl klar. Man kleidet sich allgemein in Häute
und Rindenstoffe; Männer bevorzugen Rindshäute, Frauen
Ziegenhäute, deren vier zusammengenäht ein Gewand bil-
den. Die Bereitung der Rindenstoffe aus der Rinde ver-
schiedener Ficus-Arten, die man im Bananenwalde pflanzt,
ist von Baker ausführlich beschrieben worden, eben so der
meist aus dem Holze von Dahlbergia melanoxylon gemachte
Hammer (nssämmu), dessen man sich zum Klopfen bedient.
Man verfertigt den Stoff auch hier vielfach, doch kommen
die feineren und schöneren Stücke, besonders die mit schwar-
zen Mustern, welche nur Kabrega trägt, aus Ugända, das
darin unübertroffen ist. In einer Hütte abseits sass eine
ältliche Frau mit phantastischem Kopfputze aus Federn
und Fellen: sie wurde mir als sehr berühmte Zauberin
genannt, liess sich jedoch im Zusammenflicken ihres zerris-
senen Gewandes durchaus nicht stören.
Um Mitternacht, durch vielen Lärm geweckt, sah ich
im Dorfe zwei Häuser in vollen Flammen. Glücklicher-
weise wehte kein Wind; von den täglichen Regengüssen ist
Alles feucht, und es gelang demnach bald, das Feuer zu
bewältigen. Keinerlei Aufregung machte sich bemerkbar,
Brände kommen eben zu häufig vor. Wie schon erwähnt,
sind alle Häuser mit einer dicken Heuschicht ausgepolstert,
und in der Mitte des Hauses liegt der Feuerplatz. Oft
genug auch legt sich der Hausherr „süssen Weines voll”
mit der brennenden Pfeife schlafen, und das Unglück ist
fertig.
Auch in Unyöro ist Erdessen bekannt, und zwar wird
dasselbe für eine Krankheit gehalten, die beide Geschlechter
befallen kann; die bevorzugte Erdart ist diejenige, mit
welcher die Termiten ihre Gänge an Baumstämmen zu
überwölben pflegen, doch wird auch gewöhnliche Erde nicht
verschmäht. Fortgesetztes Erdessen soll Entfärbung der
Haut und Haare, so wie allgemeine Macies zur Folge haben
und schliesslich zum Tode führen. Incubus wird zu grosser
Erhitzung durch Speisen oder Gewänder zugeschrieben.
In ganz Unyöro und Ugända sind es die Frauen, welche
kochen; nur die Herrscher haben männliche, ihnen durch
Blutsbruderschaft verbundene Köche (mfümbiro) und eigene
222 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute.
Küchen für Männer und Frauen. Die grossen Chefs essen
stets allein, und Niemand darf die für sie bereiteten Spei-
sen berühren oder sehen; kleinere Chefs rufen ihre Günst-
linge zur Tafel, die, falls von der Hand ihres Chefs ein
Brocken zur Erde fällt, ihn eiligst erhaschen und ver-
schlingen — eine Huldigung für den Herrn! Frauen essen
getrennt von den Männern und zwar nach ihnen, und gilt
es als besondere Bevorzugung einer Frau, falls ihr Mann
sie zum Essen ruft, doch stehen die Wawitu-Frauen (die
herrschenden Geschlechtern entstammen) hierin höher, da
gie stets mit ihren Männern essen. Auch die Knaben essen
mit ihnen. Wie schon erwähnt, wird Fleisch, falls es vor-
handen, gern mit Vegetabilien, besonders unreifen Bananen,
zusammengekocht; die zum Kochen gebrauchten Töpfe sind
rund, völlig den Wassergefässen gleich, nur kleiner. Das
fertige Essen wird in schiffförmige, auf Füssen stehende
Näpfe geschüttet und so auf eine Matte gestellt, um die
sich die Gesellschaft gruppirt und mit den Händen isst;
doch sind auch Löffel, aus Kürbisschale geschnitten, ge-
bräuchlich,.. Gegessen wird überhaupt drei Mal täglich;
nach dem Essen, dem die Wanyöro mässig zusprechen, dient
ein Streifen wasserreicher Bananenrinde zum Abwaschen
der Hände. Die Feuer- und Kochstelle ist vielfach in
einem durch Robrwände abgesonderten kleinen Raume be-
findlich — in Ugända giebt es eigene Hütten zum Kochen:
fümbiro — und besteht aus fünf Steinen, die so gelegt
sind, dass der grösste und breiteste in die Mitte, und je
zwei in eine Linie rechts und links kommen (JoP), so
dass mehrere (iefässe zugleich an’s Feuer gestellt werden
können,
Zum Aufbewahren des Korns (Eleusine) dienen saubere
Höhlen in der Erde, kubütte. Fische werden gespalten,
die Eingeweide entfernt und über rauchendem Feuer ge-
trocknet, namentlich an den beiden Seen. Von Getränken
sind in Unyöro Ssändi, Muönge und Mervua gebräuchlich.
Ssändi ist der frisch ausgepresste, gar nicht oder leicht
gegohrene Saft reifer Bananen, ein angenehmes, leicht
moussirendes, weinartiges Getränk (der von Grant gelobte
Bananenwein!), der besonders von Frauen geliebt wird,
und wenn er überhaupt zum Verkauf kommt, ziemlich
theuer ist. Muönge ist unter Zusatz von Wasser aus
künstlich (über Feuer oder unter die Erde) gereiften Bana-
nen bereitet, durch Zufügung gebrannter Durrah stark ge-
gohren; er schmeckt sauer und herb und ist stark berau-
schend. Seine Herstellung findet man bei Speke und Grant
beschrieben, die auch der Verfertigung des überall in
Afrika üblichen Sorghum- oder Eleusine-Biers, Mörvua, be-
sondere Abbildungen widmeten. Das Korn wird hier nicht
gemalzt.e Der Gebrauch des Muönge ist in Unysro und
besonders in Ugända so allgemein, dass ich glaube, viele
Leute trinken nie Wasser. Die Wanyösro nehmen enorme
Quantitäten zu sich, kleine Kinder schon trinken äusserst
vergnügt davon. Betrunkene wie in Europa habe ich je-
doch hier nie gesehen. Man trinkt Muönge entweder aus
Bechern von Kürbisschalen oder saugt ihn durch lange,
sehr hübsch gearbeitete Röhrchen aus Kürbisflaschen auf.
Das untere Ende dieser Röhrchen (dussakd) bildet zugleich
eine Art Filter für die trübe Flüssigkeit. Jede Familie be-
reitet ihren eigenen Bedarf an Getränken. Branntwein wird
trotz Baker’s Anleitung nicht bereitet, aber gern genom-
men, wo er zu haben ist. In Ugända bereiten die Araber
Branntwein aus Bananen.
Kaffeetrinken ist, obgleich der Baum im Süden wächst
und aus Ugända viel nach Norden exportirt wird, unbe-
kannt. Das überall gebaute Zuckerrohr dient nur zum Essen.
Schon oben wurde erwähnt, dass manche Speisen als Krank-
heit erzeugend gemieden werden: das Fleisch des Hippopo-
tamus und grösserer Fische soll Hautkrankheiten hervor-
rufen. Das Fleisch aller Reptilien, selbst des Python, wird
nicht gegessen, eben so wenig das der Raben (C. scapulatus
Daud.), alle grösseren Nager werden gegessen. Für Anthropo-
phagen, die mit dem allgemeinen Namen „valiabäntu”
(Menschenfresser) bezeichnet werden, existiren eigenthüm-
licher Weise sowohl in Kinyöro als in Kigända eigene Aus-
drücke; msseri dort und mlüggu hier. Sollte das auf wirk-
liches Vorkommen dieser Sitte deuten?
Es ist auffällig, wie stolz sich hier zu Lande die Frauen
der Chefs verhalten. Zunächst kochen sie nicht; die Feld-
arbeiten, das Wasserholen &o. sind den Dienern vorbehal-
ten, und die Herrinnen sitzen nur rauohend und plaudernd
auf ihren Matten. Sie kleiden sich mit Vorliebe in aus
Ugända importirte, feine Leder, über welche Rindenstoffe
geschlagen werden und zieren sich mit Armbändern von
Messing und Kupfer, Perlenschnüren um den Hals und
um den Leib in Nabelhöhe, so wie seltener mit Beinrin-
gen. Die Armbänder bedecken oft ?/, des Vorderarms.
Schnitte oder Narben als Verzierung habe ich nur bei
Frauen aus den südwestlichen Districten gesehen.
Die Nahrung der Leute ist ihrem Stande nach äusserst
verschieden. Während in allen Klassen Milch sehr beliebt
ist, und Kabröga’s und der höheren Chefs fette Frauen nur
Milch und wöchentlich zwei Mal einen mit Fleischbrühe
angemachten salzigen Mehlbrei, so wie manchmal eine Hand
voll rohes Salz bekommen, essen die niederen Klassen, wo
nicht individuelle Abneigung oder Furcht in’s Spiel kommt,
Alles, was der beschränkte Anbau und die Thierwelt lie-
fert. Kabrega selbst isst nur Bananen und Rindfleisch und
trinkt Milch und Muönge. Sein Koch, so wie alle ihm
näher tretenden Diener sind mit ihm durch „Bluttrinken”
verbrüdert. Um diese Ceremonie vorzunehmen, machen
Journal einer Reise ven Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute.
die zu vereinenden Personen mit dem Rasirmesser einen
ganz leichten Ritz auf der Höhe der fünften rechten Rippe.
Je eine Kaffeebohne wird mit dem Blute benetzt, von
den betreffenden Personen ausgetauscht und verspeist. Damit
ist ein Bund ftir's Leben geschlossen ; die Betheiligten ver-
lassen in Gefahr sich nie und verkehren in ihren Häu-
sern und mit den Frauen ohne Zwang und Argwohn: nie
ist ein Fall von Treubruch bekannt geworden. Dieselbe
Sitte als „pobratimstvo’” habe ich bei allen Südslaven ge-
funden,
Kabrega macht bei meinen wiederholten Besuchen fort-
während auf mich den Eindruck eines durchaus verständi-
gen und anständigen Mannes. Ganz abgesehen von den
reichen Geschenken an Nahrungsmitteln, Muönge, Rinden-
stoffen &c., deren Erwiederung mir völlig unmöglich ist,
hat er diess namentlich bei einem Vorfalle bewiesen, der
mich in eine sehr unangenehme Lage brachte. Von un-
vernünftigen, neidischen Befehlshabern geleitet, haben trotz
meiner stricten Befehle, sich jeglicher Offensive zu enthal-
ten, die Soldaten der nahen Stationen einen Raubzug un-
ternommen und mehrere Leute Kabrega’s getödtet. Kattä-
grua, der vom Könige gesandt, mir diese Nachricht brachte,
versicherte mich zugleich, dass dieser Vorfall, so nnange-
nehm er Kabröga gewesen, in unseren persönlichen Bezie-
bungen durchaus Nichts ändere! Bei einem langen und
recht interessanten Besuche, den ich am 5. October Kabrega
abstattete, bekam ich eine ausführliche Erzählung der Vor-
fälle zu Baker’s Zeiten zu hören, eine curiose Variante zur
„Ismailfa”. Das Gespräch drehte sioh um hundert Dinge.
Da der Himmel schon wieder schwer behangen war, ver-
abschiedete ich mich nach vierstündiger Plauderei und hatte
kaum Zeit, nach Hause zu kommen, als der Sturm der
Elemente losbrach. Obwohl ich in den 14 Tagen meines
hiesigen Aufenthaltes viel von dem drei bis vier Mal täg-
lich herabströmenden Regen, der nach den Angaben der
Bewobner noch bis November anhalten soll, zu leiden hatte,
habe ich einen solchen Aufruhr doch noch nicht erlebt,
Tiefe Finsterniss deckte das Land, hin und wieder von
blauen Blitzen durchfurcht und vom wüthenden Südost-
sturme gepeitscht, prasselte der Hagel, dessen Eisstücke die
Grösse einer Pferdebohne erreichten, mit Regen gemischt
hbernieder. Nach einer halben Stunde machte der Hagel
einer wahren Sündfluth von Regen Platz, und noch bis
spät Abends regnete es leise weiter. Während des Hagels
(5° 45’ p. m.) wies das Thermometer 18,0°, Aneroid
651.5 mm, um 7b p. m. Thermometer 19,0? (C.), Ane
roıd 653,0 mm. Alle unsere Hütten stehen voll Wasser;
ibre Reparatur nimmt die nächsten beiden Tage in An-
spruch.
Unter den gebrauchten Narcoticis nimmt wohl der Tabak
223
die erste Stelle ein, der hier von beiden Geschlechtern
viel geraucht wird. Der Tabak, sowohl in Unyöro als in
Ugända „taba” genannt, stammt von zwei verschiedenen
Pflanzen, deren eine, und zwar die verbreitetste, Niootiana
virginiana mit weissen am Rande rosa tingirten Blüthen
etwa 1 m bis 1,20 m Höhe erreicht, doch nur mittelgrosse
Blätter von starkem Geruche producirt, die viel von In-
sectenfrass zu leiden haben. Die andere Art, im Geschmack
viel schärfer, hat chamoisgelbe Blüthen und wird etwas
niedriger als die vorhergehende; diese Art ist im Ver-
schwinden begriffen. Auch sie wird „taba” genannt; woher
das hier am Markte für Tabak gebrauchte Wort „irkäbue”
stammt, vermag ich nicht zu entscheiden — vielleicht ist
das Wort einer anderen (Gallas-) Sprache entlehnt. Ich bin
geneigt zu glauben, dass die gelb blühende Art hier ein-
heimisch sei. Die Blätter werden ohne sonderliche Aus
wahl einfach auf Sonnendächern getrooknet, schrumpfen
stark zusammen und stellen so einen ziemlich unansehn-
lichen, aber sehr guten Tabak dar, der in Bündeln zum
Verkauf kommt. Dabei ist allgemein bekannt, dass der in
Niederungen wachsende Tabak schwächer und der aus hoch
gelegenen Orten stärker sei. Als beste Tabaksorten gelten
die von Nköle und vom Hochlande Ugända’s. Die Pfeifen-
köpfe sind kugelig, gross und stark und werden an langen
Rohren befestigt, die in Londü oft aus zwei durch Varan-
haut verbundenen Stücken bestehen und bis zu 1,50 m lang
sind. Wasserpfeifen babe ich nur in Ussöga gesehen. Jeder
hat seine eigene Pfeife, doch raucht, falls einer seine Pfeife
nicht bei sich hat, er oft genug einige Züge aus des Nach-
bars Pfeife. Je grösser der Pfeifenkopf, desto grösser ist
auch der Herr, der ihn benutzt; ich habe Köpfe gesehen,
die bequem ', k Tabak fassen konnten. Man füllt die-
selben zur Hälfte mit glühenden Kohlen und zur Hälfte mit
Tabak; die Kohlenoxydgase verstärken wohl die Intoxication.
Die sonderbarste Pfeifenform, die ich noch sah, ist die,
deren sich die Zauberer Unyöro’s bedienen. Ein mächtiger
Zwillingskopf über und über mit kurzen, konischen Stacheln
geziert, sitzt an massivem, kurzem Rohre.
An den Tabak schliesst sich als Genussmittel das Kauen
von Kaffee, was in Unyöro und Ugända weit verbreitet
ist. Der Kafleebaum wächst in den südlichen Theilen bei-
der Länder; er ähnelt dem von mir in Süd-Arabien gese-
benen Baume, nur sind die Blätter der hiesigen Art grösser.
Die Früchte (Kapseln) werden noch grün gepflückt, in heisses
Wasser getaucht und an der Sonne getrocknet, um so zum
Verkauf gebracht und ohne Weiteres oonsumirt zu werden.
Viele jedoch unterwerfen die Kapseln einer leichten Röstung.
Der Geschmack der Kapsel ist eigenthümlich aromatisch
und erregt ein wenig Speichelsecretion; eine andere Wir-
kung habe ich nie finden können. Dagegen behaupten die
224 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s mit Bemerkungen über Land und Leute.
Leute, dass ein Paar Kaffeebohnen das Hungergefühl ver-
gehen lassen, und eben so, dass Kaffeebohnen ein Gegen-
mittel gegen zu reichlichen Muönge-Genuss sei. Es ist
unter den besseren Klassen Sitte, sich gegenseitig einige
Kaffeebohnen anzubieten.
Die Prädestinationslehre scheint ursprünglich in Afrika
zu Hause zu sein. Glaube bedingt Aberglauben. Schreit
eine Eule nahe dem Hause, so stirbt der Hausherr. Nä-
hert eine Hyäne oder ein Schakal sich zu wiederholten
Malen dem Hause, so ist ein Unglück nahe; wenn der
Nashornvogel krächzt, kommt Regen. Singt die Bachstelze
auf der Thürschwelle, so kommen Gäste oder Geschenke.
Tödtet man Bachstelzen im Hause, so bricht Feuer darin
aus. Verlässt die Bachstelze ihr Nest im Hause, so ist
Unglück vor der Thür. Geier und Raben sind Chefs der
Vögel, ihre Tödtung bringt Krankheiten. Wenn Geier sich
auf eines armen Mannes Hausfirst setzen, wird er reiche
Gaben und Geschenke erhalten. Otterfell (Lutra inunguis)
auf dem Körper getragen giebt Kraft zum Beischlaf. Ein
Stück Haut des weissen Rhinoceros, auf dem Leibe getra-
gen, macht stichfest. Kommt früh zuerst eine Frau in’s
Haus, so ist diess ein gutes Zeichen, kommt ein Mann —
das Gegentheil. Sonnenfinsterniss kündet des Herrschers
Tod. Wird bei Übersiedelungen von einem Hause zum an-
deren unterwegs etwas zerbrochen oder stürzt eine Frau
unterwegs, so kehrt man in das eben verlassene Haus zu-
rück. Läuft bei Antritt eines Kriegszugs ein Büffel über
den Weg, oder fliegt ein Perlhuhn vor den Kriegern auf,
so bedeutet diess den Tod vieler Menschen, und man kehrt
um. Die Fledermaus, die in’s Haus fliegt, bringt Neuig-
keiten. Die Wanyöro speien drei Mal aus, falls sie eine
Sternschnuppe sehen.
Auch Träume sind den Wanyöro wohl bekannt, doch
sind Deutungen nicht gebräuchlich. Als Orakel gelten die
Eingeweide der Hühner, die, nachdem sie von Blut gerei-
nigt in lauwarmes Wasser gelegt sind, betrachtet wer-
den: nach der Röthung, der Schlingenform, etwaigen
Flecken &c. richtet sich der Deuter. Will ein Bewohner
Unyöro’s auf Reisen gehen, so befragt er den „mbändua”
(Zauberer) über die Opportunität der Reise und macht ihm
ein Geschenk. Aus den Eingeweiden eines rothen oder
schwarzen Hahnes, dem lebend der Bauch aufgeschlitzt
wird, erfolgt dann die Voraussage. Ist sie ungünstig, so
unterbleibt die Reise. Der Hahn wird in’s hohe Gras ge-
worfen. (Fortsetzung folgt.)
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Kartographische Bemerkungen über die Quellen zu Tafel 9 und 10.
Nachdem in den Begleitworten Dr. M. Lindeman’s zu
diesen Karten die Enntdeckungsgeschichte und das Wesent-
liche der geographischen Verhältnisse der dargestellten, in
geographischen Kreisen jetzt so sehr in den Vordergrund
der Besprechung getretenen Regionen ausführlich behandelt
worden sind, erübrigt es nachträglich, noch einige Worte
hinzuzufügen über das beim Entwurf der Karten zu Grunde
gelegte kartographische und literarische Material.
Dasselbe ist, wenn auch noch in allen Theilen gar
sehr der Verbesserung bedürftig, doch ungleich reichhal-
tiger und zuverlässiger, als dasjenige war, über welches
unser leider so früh verstorbene College F. Hanemann bei
der vor 5 Jahren in dieser Zeitschrift !) publicirten Karte
verfügen konnte, die sich im Westen, auch bezüglich des
!) Specialkarte von Nord-Sibirien zwischen Jenissei und Lena nach
allen bisherigen Aufnahmen und Expeditionen ges. von F. Hanemann.
Mittlerer Maassstab 1: 3 000 000. Geogr. Mitth. 1873, Tafel 1. Nebst
Begleitworten auf S. 9—21. — Zum zweiten Mal publieirt mit Prof.
Nordenskiöld’s Kurs seiner Umfahrung der Nordspitse Asiens im Dam-
al August 1878; — im 1. Heft dieses Jahrgangs, 1879,
T 2.
Maassstabes, genau an die unsrige anschlieest. Denn während
in Hanemann’s Karte für eine durch fast 57 Längengrade
sich erstreckende Küstenlinie nur zwei festliegende Punkte
vorhanden waren, nämlich Obdorsk im Westen und die unter
Anjou’s Expedition 1823 durch IDjin bestimmte Position
der Olenek-Mündung, für das Innere nur die astronomi-
sche Position von Turuchansk benutzt werden konnte, s0
stand uns hier, Dank den erfolgreichen wissenschaftlichen
russischen Expeditionen unter Billings und Sarytschew
(1787—92), Anjou und v. Wrangel (1820—323), v. Lütke,
Tschekanowski, der amerikanischen Alaska-Expedition unter
Dall’s Leitung, Rodgers, Onatzewitsch u. A. eine Anzahl
von über 250 mehr oder weniger zuverlässigen Positionen
zur Verfügung.
Während ferner für die Küstenstrecke zwischen Ob und
Lena die alten sich stark widersprechenden russischen See-
karten nach Minin, Deschnew, Laptew, Prontschischtschew,
Tscheljuskin u. A. die Quellen abgeben mussten, die jetzt
erst durch Nordenskiöld theils berichtigt, theils ganz besei-
tigt sind, lag uns für die ganze durch 67 Längengrade öst-
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse. 225
lich sich erstreckende Nordostküste Asiens eine russische See-
karte!) vor, die mit Ausnahme einer etwa 4 Längengrade be-
tragenden Strecke östlich der Koliutschin-Insel eine ununter-
brochene Küstenaufnahme reproducirt, welche-in Zukunft wohl
kaum sehr wesentlicher Berichtigungen bedarf.
Dieser Karte verdanken wir zunächst die Küstenlinie
von der Olenek-Mündung bis zur Tschaun - Bai und die
der Neusibirischen und Bären-Inseln. Da sie, wie der
Titel „Generalkarte”’ und der etwas kleine Maassstab an-
deutet, bloss als eine Reduction der in den Admirsalitäts-
Archiven St. Petersburgs vorhandenen Aufnahmen zu be-
trachten ist, so glaubten wir, eine Liste von 121 astrono-
nıisch festgestellten Positionen Anjou’s?) und seiner wissen-
schaftlichen Gefährten Bereschnich und Djin insofern be-
rücksichtigen zu müssen, als sie ung die Lage einer Anzahl
von Küstenpunkten genauer präcisirt, als diess jene Karte
wegen ihres kleinen Maassstabes thun kann, Wir sehen
davon ab, diese wichtige Positionenliste in extenso hier ab-
zudrucken und beschränken uns auf den Nachweis ihrer
Originelquelle und auf das westliche Blatt unserer Karte
selbet, in der eine Anzahl von Positionen durch besondere
Signatur hervorgehoben worden sind.
Von anderen Küstenkarten wurden noch benutzt:
Die ebenfalls russische „Merkator-Karte des Eismeeres von
der Tschaun-Bai bis zum Eiscap mit der Bering-Strasse,
zusammengesetzt aus den neuesten Karten und herausge-
geben vom Hydrographischen Departement des Marine-Mini-
steriums 1854, Nr. 1495 (mittlerer Maassstab 1:1 500000)”
und die daran im Osten sich anschliessende: „Merkator-
Karte des Eis- und Bering-Meeres mit der Nordwestküste
von Amerika vom Lisburne- Vorgebirge bis zur Halbinsel
Alaska; herausgegeben 1860 ; Nr. 1455; mittlerer Maassstab
1:1700000”. Wir wissen nicht, ob über die Küste zwischen
Tschaun-Bai und Lena-Delta ebenfalls noch speciellere See-
karten von dem russischen hydrographischen Bureau beraus-
gegeben worden sind, müssen diess aber vorläufig, bis uns aus
St. Petereburg Antwort auf eine darauf bezügliche Anfrage
zugegangen ist, bezweifeln, da die Seekartensammlung der
Perthes’schen Anstalt eine seltene Vollständigkeit zeigt und
man annehmen darf, dass die englische Admiralität sicher
nicht versäumt haben würde, solch’ wichtige Karten mit
1) Generalkarte des Eismeeres und des östlichen Oceans. Zu-
sammengestellt nach neu erschienenen Berichten vom Departement des
Kriegsministeriums 1844. Nr. 1345. Mittlerer Maassstab 1: 7 000 000.
- %) Verzeichniss der in deh Jahren 1821, 22 und 23 astronomisch
bestimmten Punkte. Sapiski des Hydrograph. Departements des Kaies.
Marine - Ministeriums. St. Petersburg, 1849. Bd. 7, p. 195—206. —
Vgl. darüber: De la Deötermination des cötes septentrionales de la Si-
berie par MM. de Wrangel et Anjou 1821—1823, in Bulletin de la |
Snei6t& de Ge£ogr. de Paris, III. Ser., T. VIII. 1847, p. 362, und
J. T. de Schubert: Expos6 des travaux astronomiques et göodesiques
ex&scut&es en Russie jusqu’& l’annde 1855; p. 860 ff.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VI.
derselben Promptheit zu reproduciren, wie sie diess mit
anderen, von russischen Seeofficieren zuerst aufgenommenen
ostasiatischen Küstenstreocken zu thun pflegt.
Wenn es sich bei Hanemann’s Karte von selbst ver-
stand, dass die Schifffahrtscurse der ältesten, dem vorigen
Jahrhundert angehörigen Entdecker eingetragen wurden,
wodurch dieselbe ihren eigentlichen Originalwerth erhalten
hat!), so geht wohl aus dem oben Gesagten genugsam
hervor, dass wir auf eine Weiterführung nach Osten dieser
nach Nordenskiöld’s glorreichem Erfolge bloss noch der Ent-
deckungsgeschichte angehörigen Curslinien verzichten konn-
ten, im so mehr, da den Karten der Text ergänzend und
erklärend zur Seite steht und die Deutlichkeit unserer
ohnediess stellenweis schon etwas überladenen Karte das
Eintragen weiterer Details verbot. Auch der Curs von
Capt. James Cook’s berühmter Eisfahrt im Jahre 1778
nahe der Küste zwischen Nord- und Ostcap ist weggelas-
sen, weil sie erst ganz vor Kurzem Gegenstand einer Be-
sprechung in dieser Zeitschrift war, auf welche wir ver-
weisen müssen ?).
Dagegen können wir es uns nicht versagen, auf eine
nicht ganz unwichtige Beschreibung der Koliutschin-Bucht
aufmerksam zu machen, die nach den Aufzeichnungen des
Sergeanten Gilew, eines Theilnehmers an Capt. Billings’
Expedition im Jahre 1791, in Sarytschew’s Bearbeitung °)
enthalten sind. Da nämlich in allen, auch russischen Kar-
ten der Tschuktschen-Halbinsel dieser merkwürdige Meeres-
einschnitt äusserst oberflächlich und unbestimmt gezeichnet
wird und selbst in Findlay’s ausgezeichneter Compilation *)
aller, die Küsten des Grossen Oceans und des Eismeeres
im Norden der Bering-Strasse behandelnden Quellen, diese
Bucht als gänzlich unerforscht erwähnt wird, so liegt die
Vermutbung nahe, dass Gilew’s Verdienst in Vergessenbeit
gerieth, und wir betrachten es als eine Pflicht, dasselbe
hiermit in Erinnerung zu bringen. In Begleitung des Capt.
Billings selbst, der aber merkwürdiger Weise in seinen
Tagebüchern Nichts über diese Excursion mitgetheilt hat,
ı) Vgl. Hanemann’s Übersicht des benutzten Kartenmaterials a. a. O.,
und A. v. Middendorf’s Sibirische Reise, Bd. IV, Thl. 1, 8. '73,
?) Geogr. Mitth. 1879, Heft IV, Tafel 8, und Bemerkungen zur
Karte, 8. 141.
3) Reise des Capitän Billings durch das Land der Tschuktschen
von der Bering-Strasse bis zum Ostrog Nishne-Kolymsk, und Fahrt des
Capitän Hall auf dem Schiff „der Schwarze Adler’ (Tschernoi Orel)
auf dem nordöstlichen Ocean im Jahre 1791, mit Beifügung eines Wör-
terbuchs von zwölf Dialekten wilder Völkerschaften, Beobachtungen
der Kälte im Ostrog Werchne-Kolymsk &c. &c., aus verschiedenen Jour-
nalen gezogen von dem Vice-Admiral Sarytschew. St. Petersburg, 1811.
Deutsch von Joh. Heinr. Busse als dritter Band zu: Gawrila Sary-
tschew’s achtjährige Reise im nordöstlichen Sibirien, auf dem Eismeere
und dem nordöstlichen Ocean. Leipzig, 1815. (Wir geben den Titel so
ausführlich, weil das Buch wenig bekannt ist.)
*) A. G. Findlay: Directory for the Navigation of the Pacific Ocean,
London 1851. Part I: The Coasts, p. 561: ff.
29
226 Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
befuhr er die 60 Meilen lange und nur 7 Seemeilen breite
Bucht und sagt über ihr nördliohes Ende Folgendes: „Die
Mündung hat nur 4 Meilen Breite und in ihrer Mitte liegt
die Insel Peschone von ungefähr 3 Meilen Umfang. Nach
der Aussage der Tschuktschen soll auf der westlichen Seite
dieser Insel das Wasser sehr seicht, auf der östlichen aber
so tief sein, dass auf der Strasse selbst Walfische einziehen.
Auf dem östlich abgleitenden Ufer stehen Schalaschen, d.h.
Zufluchtsorte zu zeitweiligem Gebrauch (aus Baumzweigen &c.
zusammengefügt) von Stand-Tschuktschen, in denen sie im
Sommer wohnen, um Fische und Seethiere einzufangen; im
Winter aber ziehen sie in ihre Erdhütten auf der Insel
Koliutschin, die 10 Meilen nördlich von der Mündung der
Bai im Meere liegt. Auf der westlichen Seite der Bucht
geht das Ufer 15 Meilen in gerader westlicher Richtung
fort, dann wendet es sich gegen Nordwest; auf der öst-
lichen Seite läuft ein niedriges Ufer gegen Nordnordost
25 Meilen fort und endet, gegen Südost sich 'wendend, mit
gebirgigen Landspitzen”. An diese Beschreibung schliesst
sich ergänzend Cook’s Schilderung der Küste bis Serdze-
Kamen an, die einzige Strecke, dienoch unvermessen blieb,
während letzterer Punkt im Jahre 1876 durch Lieutenant
Onatzewitsch astronomisch festgelegt wurde !),
Bei der Zeichnung des Ostcaps haben wir, abweichend
von des letztgenannten Seeofficiers Originalkarte, die Form
einer lang gestreckten Landzunge amerikanischen Küsten-
karten ?) entnommen, da wir keinen genügenden Grund
haben, an der Genauigkeit der unter Rodgers und Dall
ausgeführten Aufnahmen der nordamerikanischen Seeofficiere
zu zweifeln, bevor nicht durch die, übrigens bevorstehende,
Publication von Onatzewitsch’s ausführlichem Reisebericht
Licht über die auffallende Differenz verbreitet wird, welche
zwischen seiner und allen übrigen Positions-Bestimmungen
des Ostcaps besteht.
Die Eintragung der unsicheren Küsten des von Ferdi-
nand v. Wrangel?) zuerst erkundeten und eben so eifrig
wie vergeblich gesuchten nördlichen Landes, welches von
Kellett 1849 zuerst gesehen und 1867 von den amerika-
nischen Walfischfängern Long und Craynor in seinen süd-
lichsten "Theilen unwiderleglich nachgewiesen wurde !), sind
ausser den Angaben obiger Gewährsmänner auch die kärg-
lichen Notizen berücksichtigt worden, die sich in nautischen
!) Vergl. Die Fahrt des russischen Klippers „Wssadnik” im Nor-
den der Bering-Strasse, 1876, in Geogn Mitth. 1879, Heft IV, 8. 186.
?) Die wichtigste ist: Berings-Ses and Arctic Ocean from surveys
of the U. 8. North Pacifio Surveying Expedition in 1855, Commander
John Rodgers, U. 8. N. Commanding and from Russian and English
Authorities. Additions to July 1868. Mittl. Maassstab 1:2 800 000.
%) Wrangel’s Reisewerk, Bd. II, 8. 176.
%) Vergl. A. Petermann’s Aufsatz in den Geogr. Mittb. 1868, 8.1;
1869, 8. 26; Globus 1868, XIV, S. 12; Baer, Dr. K. v.: Das neu ent-
deckte Wrangell-Land, Dorpat 1868, 8°, u. A.
Journalen, auf Seekarten !) und in einigen Artikeln de
San Franzisco Chronicle gefunden haben; und bei aller
Dürftigkeit an wirklicher Information doch immerhin als
Zeugniss dienen können für die Thatsache, dass man von
amerikanischer Seite aus diese früher als unzugänglich ge-
miedene arktische Region neuerdings fleissig als ergiebigen
Wealfischgrund aufsucht und die Grenze des Bekannten mehr
und mehr nach Norden vorzuschieben bestrebt ist, Wenn
die Eintragung solcher aphoristischer Notizen in Karten
das Interesse Derjenigen zu erwecken vermag, welche die
betreffende Region entweder aus eigener Anschauung schon
kennen oder erst kennen lernen wollen, so ist ihr Zweck
vollständig erreicht.
Wenden wir uns nun zur Betrachtung des kartographi-
schen Materials über das ZLandesinnere, so ist zunächst her-
vorzuheben: die russische Originalkarte?) zu Anjou’s Auf-
satz in den mehrfach citirten .Memoiren des hydrographi-
schen Departements. Sie lieferte uns das geographische
Detail der Neusibirischen Inseln, so wie der Küstenregion
und der Tundra zwischen Jana und Indigirka. Da durch
den beklagenswerthen Untergang eines Theils der Anjou’-
schen Reisenotizen jeder Anhalt fehlt, die Marschrouten der
Mitglieder dieser Expedition da einzutragen, wo sie nicht in
Schlitten auf dem festen Ufereis hinführten, so haben wir
ung bemüht, wenigstens durch die eingetragenen Positionen,
die auf Autopsie beruhenden Punkte von- denen zu son-
dern, welche auf Recognoscirung oder vielleicht nur auf
Erkundigungen beruhen. Anjou’s Aufsatz giebt über den
letzteren Punkt keinen Aufschluss, und wir können wohl
annehmen, dass in seiner Karte ausser seinen eigenen An-
gaben auch diejenigen der russischen Ansiedler in jenen
Regionen mit verwerthet worden sind und dass dieselben
in hohem Grade Vertrauen verdienen.
MitZugrundelegung der Anjou’schen Karte und Positionen
sind die älteren Routen Hedenström’s von 1809 und 1810 über
das Eis nach den Sibirischen Inseln, und die übrigen diese
Inselgruppe berührenden Schlittenfahrten von Sannıkow und
Pschenizyn, eingetragen nach einer kleinen im Verlag des
Geogr. Instituts in Weimar 1820 erschienenen Karten-
sakizze ?), vielfach berichtigt und ergänzt nach Erman’s Aus-
zug aus Hedenström’s Fragmenten über Sibirien (Otrywki
o Sibirje)*) und Wrangel’s Abriss der Nordsibirischen Ent-
deckungsgeschichte im 1. Bande seines Reisewerks.
—n
1) Z. B. Nr. 2172 des engl. Admiralitäts- Catalogs: Arctic Ben
Sheet III, Corrected to 1855, new edit.: July 1872.
2) Küste des Eismeeres zwischen den Mündungen des Olenek und
der Krestowaja und den anliegenden Inseln. Nach den Aufnahmen des
Lieutenant Anjou, 1821, 1822 und 1823; von 704—77° N. Br. rei-
chend, mittlerer Maassstab 1:3 200 000.
%) Karte von den neu entdeckten, den Ausflüssen der Jana gegen-
über liegenden Inseln oder von Neu-Sibirien.
*) Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland, 24. Band, 1865.
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse. 227
Der Lauf des Lena-Flusses ist der im dritten Hefte
dieses Jahrganges reproducirten Originalkarte Tschekanowe-
ki’s!) entnommen, in welcher auch der Lauf der Jana,
ebenfalls noch auf Anjou’s Positionen und Aufnahmen vom
Jahre 1823 basirt, enthalten ist.
Die östlich an das Indigirka-Delta sich anschliessende
sogenannte grosse Tundra, der Tummelplatz fast aller in
diesen Theilen Asiens nomadisirenden Volksstämme und die
beste Fundgrube der Sammler von Mammuthszähnen aus den
Kosakenniederlassungen im Indigirka-Delta, ist nur an ih-
rem nördlichsten Küstensaum zu Lande aufgenommen durch
Steuermann Kosmin von der v. Wrangel’schen Expedition 2),
Nur ergab .die Construction seines Journals ein ziemlich
unbefriedigendes Resultat für das westliche Ende seiner
Route, wo in dem Delta der Indigirka einige Zweifel und
Widersprüche bezüglich der Lage des Ortes Jedomka?) auch
durch Anjou’s Positions-Bestimmurgen unaufgeklärt bleiben
müssen. Über seine mehrtägige Rückreise von diesem Ort
durch die Tundra zur Kolyma ist im Journal absolut gar
Nichts mitgetheilt und die Route einfach jener Karte ent-
nommen, welche der deutschen Ausgabe der v. Wrangel’-
schen Reisebeschreibung angefügt ist *).
Für eine genaue Darstellung der beiden Poststrassen
von Jakutsk über Saschiwersk nach Werchni- und Sredni-
Kolymsk, vom Tostach-Flüsschen abgerechnet, bis wohin
die Strasse in Tschekanowski’s oben citirter Karte ent-
halten ist, harren die Kartographen noch der Special-
karte, Obgleich wir bemüht waren, die vielfach sich wider-
sprechenden, an Distanz und Richtungsangaben äusserst
kärglichen Beschreibungen der Reisenden: Sarytschew ?),
!) Karte oines Theils der Lena und des Gebietes von Irkutsk zwi-
schen der Lens und der Jana, zusammengestellt von Tschekanowski
1876. Maassstab 1:2000000. In „Istwestija” Heft 1, 1877.
2) A. a. O0. 21er Theil, S. 82—59.
3) Nach Kosmin’s Angabe: 60 Werst von der Mündung der Biud-
naja entfernt und unter 70° 56’ 30" N. Br. und 151° 6’ Ö. L.v. Gr.;
nach Anjou und Bereschnich’s Liste: 70° 55' 45,7" N. Br. und 151°
18° 30” am östlichen Indigirka-Arm gelegen.
4) Generalkarte in Merkator’s Projection &c. zwischen 62° und
77° N. Breite und 121° und 191' Östl. L. v. Gr., mittlerer Maassstab
1:4300000. — Die der englischen Ausgabe von Wrangel’s Beisen
beigegebene Karte ist eine Wiederholung derselben, nur ist in der eng-
lischen die Seenschrafßrung richtig, während die vielen 100 Seen in der
deutschen Ausgabe wie eben so viele Berge aussehen! Die Terrain-
Darstellung beider ist aber geradezu absurd zu nennen und s.eht in
direetem Widerspruch zu den Beschreibungen. Auch in anderer Bezie-
hung sind beide Karten fast unbrauchbar und haben zu den grössten
Irrthümern Veranlassung gegeben bei der kartographischen Behandlung
dieser so sorgfältig und unter so vielen Eutbehrungen recognoseirten
Gegend. Sie ist deshalb von uns mit der einzigen obigen Ausnahme
unberüoksichtigt geblieben.
8) Achtjährige Reise &c. Bd. I (Leipzig 1805), 4ter und dter Ab-
schnitt. Eingetragen sind sämmtliche Landreisen Sarytschew’s in des-
sen grosser äusserst elegant gestoohener Originalkarte: Merkator-Karte
zwischen dem 47. und 71. Grad Nördl. Breite und 123.—217. Grad
Östl. L. v. Gr. — Mittlerer Maassstab 1: 3 500 000.
Billings !), Cochrane 2), v. Wrangel?®), v. Neumann *), Bulid-
schef®) zu einem annäbernd richtigen Itinerar zu verbin-
den oder nach den vorhandenen russischen Übersichtskarten
und einem in den Sapiski der russischen geographischen Ge-
sellschaft enthaltenen Bericht eines Herrn Sselkij®) eine
einigermasssen riohtige Gebirgszeichnung zu liefern, so
müssen wir uns doch selbst als unbefriedigt mit dem Ver-
such erklären und auf die „l00-Werst-Karte von Sibirien”
vertrösten, welche seit längerer Zeit vom General-Major
O. v. Stubendorff bearbeitet wird und, namentlich nach
Baron v. Maydell’s Forschungen, einen völligen Umsturz
in unserer Kenntniss der Stromgebiete der Jana, Indigirka,
Alaseja &c. versprechen soll.
Der. Lauf der Kolyma von Ober- bis Unter-Kolymsk ist
nach Sarytschew’s Aufnahme in der „Jassaschna” (1788)
in die oben erwähnte Generalseekarte eingetragen und von
dieser entnommen, einige kleine Zusätze von Flussnamen
und Andeutungen des rechten Uferterrains sind aus Sary-
tschew’s Beschreibung seiner Thalfahrt und desselben gros-
ser bereits citirter Originalkarte,
Über einen Besuch, welchen Baron Gerhard v. May-
dell im August 1870 einigen Uferstellen der unteren Ko-
lyma und einer Gegend in der Tundra abstattete, von wel-
cher ihm wichtige Funde wohlerhaltener Mammuthkadaver
berichtet worden waren, geben Briefe an Dr. v. Schrenk
Andeutungen ’). Von hohem, vorwiegend naturwissenschaft-
lichen Interesse sind sie auch für uns insofern von Nutzen
gewesen, als sie erlaubten, die betreffenden Fundorte im
Quellgebiet des von Kosmin an der Mündung überschrittenen
Schiwaja-Flüssohens durch zwei: M mit einiger Sicherheit
zu markiren. Eine genaue Aufnahme der Marschroute zu
diesen Stellen, photographische Aufnahmen der Fundorte &c.
sind in Aussicht gestellt.
") J. Billingse: An Account of a geographical and astronomical
expedition to the Northern parts of Russia for ascertaining the de-
grees of latitude and longitude of the Mouth of the River Lena &c. —
London 1800. 4%. — Eine deutsche Bearbeitung erschien als 8. Band
von Sprengels Bibl. der nenesten BReisebeschreibungen 1803. Weimar.
2?) J. Dundas Cochrane: Fussreisen durch Russland und die sibi-
rische Tartarei und von der chinesischen Grenze nach dem Eismeer und
Kamtschatka. Aus dem Engl. Bertuch’s Neue Bibliothek der wichtig-
sten Reisebeschreibungen. 40. Band. Weimar 1825. 8. 144 ff.
2) A. a. O. Bd. I, 8. 142—180.
*) Globus, XXVI, 1874, S. 313 ff.
8) Reise in Ostsibirien. Deutsch von G. Baumgarten, Bd, I,
8. 135—143,
6) Beschreibung des Weges von Jakutsk nach Sredne - Kolymsk.
Sapiski der sibir. Abtheilung der K. russ. Geogr. Ges, Bd. L 1856.
!) Bericht über die neuerdings im Norden von Sibirien angeblich
zum Vorschein gekommenen Mammuthe nach brieflichen Mittheilungen
des Herrn Grafen v. Maydell. — Bulletin de l’Acad. des sciences de
St.-Pötersbourg, XVI, 1871, No. 2, p. 147—173.
Die Angabe des Fundortes des sogenannten Adams’schen Mammuth
südlich des Lena-Delta’s ist nach dem: Auszug aus M. Adams’ Reise
zum nördlichen Polarmeer, 8. 262: Beschreibung der Wege von Kumak-
Sarka zur Halbinsel Tamat im Juli 1806. In: Bertuch’s Allgem. Geogr.
Ephemeriden, XXV, März 1808, S. 257.
29 *
228 Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse.
Für die Zeichnung des Gebietes an der Kolyma-Mün-
dung und seinen beiden östlichen Zuflüssen, dem Grossen
und Kleinen Aniuj, giebt es bis jetzt keine andere Quelle
als Ferdinand v. Wrangel’s Reisewerk. Auf Grund der
darin enthaltenen Reisejournale und einer Liste von mehr
als 100 Ortsbestimmungen stellten wir einen Entwurf her,
welcher im östlichen Blatt unserer Karte, freilich nur auf
die Hälfte reducirt, vorliegt. Aus diesem Grunde kommt
denn auch nur ein kleiner Theil der in diesem wichtigen
Buche enthaltenen physikalisch - geograpbischen Angaben
zur Anschauung, und müssen wir uns vorbehalten, die
Construction gelegentlich in grösserem Maassstab unseren
Lesern vorzuführen. Wir lassen aus dem wissenschaftlichen
Appendix ') einen Auszug derjenigen Positions-Bestimmun-
gen folgen, die von hervorragender Wichtigkeit für die
Niederlegung der Routen waren, oder Herrn v. Wrangel zur
Berechnung der meisten übrigen Positionen als Ausgangs-
punkt dienten. Jedem Punkt ist der Name des Beobach-
ters beigefügt, um seine Aufsuchung in der Karte, wo die
Routenlinien farbig unterschieden wurden, zu erleichtern:
Nördı. Oestl. L.
| Breite. ıV. Greenwich,
1. Ostrog-Nischnij Kolymsk (v. Wrangel, v. Ma-
tiuschkin und Kosmin)
2. Balagan Sucharnoje, an der östlichen Fluss-
mändung der Kolyma (v. Wrangel) . . )69 31 25 |161 44
.NO-Spitze des Grossen Baranow - Felsens
Küste (v. Wrangel und Kosmin) .
4. Dörfchen Maloje Tschukotschje (an der west.
Fiussmündung der Kolyma (v. Wrangel) . 169 26 10 1160 23
. Balagan an der Mündung der Grossen Bara-
nicha. Observatorium v. Wrangel’s und Kos-
min’s vom 25.—30. Juli 1822 . . . 169 30 41 166 40 39
6.v. Wrangel’s Nachtlager am 1. März 1821
am Westufer der Insel Aion . .
7. Westseite des Cap Schelagskoj 9. März 1821 |
(v. Wrangel und Kosmin). . . 70 3 23 171 315
. Felsen Obrom östl. v. Ostrog Ostrownoje, am
Kleinen Aniuj, 8. Sept. 1822 (Matiuschkin) 68 1 164 3
9. Mündung der Jelombala in den Kleinen
Aniuj 4. September 1822 (v. Matiuschkin) |67 50 9 165 12
10. Mündung des Schachutina, Quellarm des-
selben, v. Matiuschkin’s Lager 26.—30.
August 1822 . . |67 23 59 1167 50
11. Bolschaja Brussänka, Felsen am Grossen
Aniuj, v. Matiuschkin’s Lager am 23. Sep-
tember 1821 . . 67 36 58 i162 09
12. Lager Kosmins an der kleinen östlichen
Mündung der Alaseja, 19. u. 20. Juli 1822 |70 48 48 |152 59 43
68°31' 53"1160°56’ 35"
“
69 43 55 [1163 51
a
9 48 22 1167 50 15
Von allen Partien des von Baron v. Wrangel’s Expedi-
tion durchforschten Landes ist die am Grossen Aniuj aus-
geführte Excursion des Herrn v. Matiuschkin am mangel-
haftesten beschrieben, das Tagebuch hat fast gar keine
Ausbeute für unsere Karte ergeben, und waren wir hier
fast ausschliesslich auf seine fünf abgeleiteten Positionen
1) Tabelle IX: Geographische Lage von 115 Punkten zwischen
Indigirka und Insel Koliutschin und längs den Flüssen Kolyma und
Aniuj ; durch astronomische Beobachtungen der Kolymskischen Expedi-
tion bestimmt.
und die öfters genannte Seekarte als Quelle angewiesen.
Unsere Karte beansprucht aber vor der dem Wrangel’-
schen Werk beigegebenen, wenigstens den Vorzug zu haben,
dass man aus ihr deutlich ersieht: welche Theile in das
Bereich des wirklich Gesehenen fallen, welche nicht — ein
wesentliches Erforderniss solcher Karten, die, wie die vor-
liegende, nicht viel mehr als Marschrouten und ihre nächste
Umgebung zeigen können.
Der Verlauf eines Theiles der in den „Mittheilungen”
öfters erwähnten Baron v. Maydell’schen Tschuktschen-Ex-
pedition 1868—70 ist in der Karte ganz provisorisch ange-
deutet nach v. Neumann’s Bericht im Globus !). Wenn der-
selbe in dieser erzählenden F'orm fast Nichts zur Bereiche-
rung der Karte beizutragen vermochte, so zeigt er wenigstens,
wie viel Neues man auch über das Quellgebiet des Grossen
Aniuj und des Anadyr zu erwarten hat. Wie wir aus
St. Petersburg erfahren, sollen nicht bloss die Routen-
aufnahmen des begleitenden Topographen Afanasjew, son-
dern auch die Positionen v. Neumann’s wesentliche Zusätze
und Berichtigungen erfahren durch die umfangreichen Auf-
nahmen, welche Baron v. Maydell im Herbst des vergan-
genen Jahres aus seinem mehrjährigen Wirkungsgebiet an
der unteren Kolyma zurückgebracht hat und in der er-
wähnten 100-Werst-Karte zur Darstellung bringen wird.
Capitän Billings’ Reise durch das weite Gebiet der ei-
gentlichen oder Renthier - Tschuktschen erscheint hier zum
ersten Mal kartographisch verwerthet nach Sarytschew’s
wichtiger Bearbeitung von Billings’ nachgelassenen Tage-
büchern und der mündlichen Information der Reisegefähr-
ten2). Die in grösserem Maassstab construirte Route ist
in ihrem ersten Verlauf von der Medschigm-Bai bis zum
Amgujam-Fluss mit ziemlicher Sorgfalt von einem Reise-
gefährten Billings’, dem Steuermann Batakow, aufgenommen;
die Lage des Ausgangspunktes eines Hügels im Norden der
Bai wurde astronomisch und durch Peilungen fixirt, und
für den weiteren Verlauf dienten einige erkundete Distanz-
und Richtungsangaben nach den Mündungen der überschrit-
tenen Flüsse, nämlich: Amgujam-, Karpe-, Chuata- (oder
Ruatan an der Mündung in die Tsohaun-Bucht) und den
Tachaun-Fluss. Ob die Route näher der Küste hinführte,
wie v. Wrangel annimmt, ist bei dem Mangel an controlir-
barem Material schwer zu entscheiden, wir möchten es aber
aus verschiedenen Gründen bezweifeln. Eben so ist nicht
mit voller Sicherheit der Punkt anzugeben, an welchem
Billings den 50 Jahre später auch von v. Matiuschkin ver-
folgten südlichen Zufluss der Tschaun-Bucht (Taunmeo Ma-
1) Karl v. Neumann’s Expedition nach dem Lande der Tschuk-
tschen. Übersetzung eines in Irkutsk gehaltenen Vortrages durch Dr.
. Schmidt in Dresden. Globus, Bd. XXVI, 8. 313, 8239, 347.
2) Vergl. Sarytschew’s Vorrede in dem mehrfach eitirten 83. Band
seiner Reisebeschreibung.
Die Nordküste Sibiriens zwischen den Lena-Mündungen und der Bering-Strasse. 229
tiuschkin’s, Tiwanmella Billinge’), berührte.e Ganz sicher
scheint uns aber, dass Billings den Passübergang der Tschuk-
tschen - Karawanen zur Waldregion am Grossen Aniuj be-
nutzte, durch dessen absichtliche Umgehung v. Matiuschkin
1822 in grösste Lebensgefahr gerieth und Tage lang in
dem Felsenlabyrinth umberirrte, bis er zu dem ausser-
ordentlich fischreichen Quellsee des Grossen Aniuj gelangte,
den Billings genau beschreibt. Die Burg (Ostrog) An-
garka am oberen Grossen Aniuj, ein in früheren Zeiten
häufig von Tschuktschen besuchter Platz, scheint heute
nich® mehr zu existiren ; seine relative Lage zu der jetzigen
Residenz Amraurgins des Tschuktschen - Häuptlings, die
v. Neumann 1870 besuchte und astronomisch fixirte !), ist
unsicher und nur aus Billings’ Entfernungsangaben nach
Tichanowa am Grossen Aniuj und Nischni-Kolymsk ab-
geleitet.
Wenn eine farbige Unterscheidung der beiden, den
nordöstlichen Theil Asiens bewohnenden Völkerklassen, den
nomadisirenden Renthier-Tachuktschen und dem an der Küste
wohnenden Fischervolk der Namolli, nicht angewandt wor-
') nämlich 66° 35’ 2" N. Br. und 166° 22’ Östl. L. v. Green-
wich, ca 2000 Fuss hoch, auf einem Plateau von ca 15 Werst Um-
fang, von hohen Bergen und einem dichten Wald mittelgrosser Lärchen
umgeben. „Globus” a. a. O., 8. 348.
._—..
den ist, so möge dieses durch die von allen Beobachtern')
(Cook, v. Ditmar, L. Radloff, Erman, Lütke, Billings,
Sarytschew, v. Kotzebue, Hooper, Dall, K. v. Neumann u. A.)
fast übereinstimmend mitgetheilte Thatsache erklärt werden,
dass die letsteren — die ethnologisch in keiner Ver-
wandtschaft zu den eigentliohen Tschuktschen stehen, son-
dern den Eskimo-Stämmen der amerikanischen Küste an-
gehören — nur in einer kleinen Anzahl fester dorfartiger
Wohnsitze an der äussersten Küste entlang vertheilt sind,
aber in einem gewissen Sinn den das ganze Land beherr-
schenden Tschuktscohen unterworfen zu sein scheinen, Wie
weit diese Wohnsitze der Namolli sich nach Norden er-
strecken und ob die v. Wrangel östlich dem Nordcap be-
suchten Vorgebirgs- oder Küsten-Tschuktschen mit ihnen
identisch sind, oder ob nur verarmte Tschuktschen-Familien
darunter zu verstehen seien, ist weder aus Wrangel’s, noch
aus Sarytschew’s Beschreibung, noch aus neueren Quellen
klar zu entscheiden und bleibt immer noch als ein wichtiges
Desideratum der Ethnographie dieser Regionen den hoffent-
lich recht zahlreichen Forschern des nächsten Jahrzehnts
empfohlen. B. Hassenstein.
') Die ziemlich umfangreiche Literstur über die Tsohuktschen ist
vollständig aufgeführt in Chavanne’s Polar-Literstur, auf die wir ver-
weisen. .
Geographischer Monatsbericht.
Europe.
Die Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpen-
voreins, von Th. Trautwein, 1879, Hefe 1. (Mün-
chen 1879. 8%, 8. 146 +76 und 29 Tafeln) bringt zu-
nächst eine Mittbeilung von Dr. J. Daimer über die Kata-
strophe in den Zillerthaler Alpen am 16. und 17. August
v. J. Die Ursache war nach Daimer’s Darlegung ein von
SW kommender warmer Luftstrom, dessen reichliche Wasser-
dampfmengen in dem Gebirge abgekühlt als Regen nieder-
fielen und dessen hohe Temperatur Eis und Schnee rasch
und in weiter Ausdehnung zum Schmelzen brachten, so_
dass er durch die unmittelbar und mittelbar von ihm be-
dingten ungeheueren Wassermassen das Unglück verur-
sechte. Sodann folgen der Abdruck von Vorträgen: von
Prof. Wilh. Urbas in Triest über das Phänomen des
Zirknitzer Sees und die Karstthäler von Krain. von Prof.
Dr. C. W. C. Fuchs über den Föhn der Alpen und den
Föhn von Grönland, und von Prof. Dr. B. Schwalbe über
die Gletscher des Kaukasus und den temporären Rüok-
gang der Gletscher überhaupt. Hieran schliessen sich
Schilderungen und Touristenberichte: von J. Daimer und
R. Seyerlen aus der Zillerthaler Gebirgsgruppe mit 2 Skiz-
zen, von J. Girisch der Niederkogel mit Abbildung, von
V, H. Schnoor Hochtouren in der Brenta- und Adamello-
Presanella-Gruppe mit Abbildung, von G. Hofmann der
Grosse Rettenstein mit Abbildung, von G. Gröger die
Landeckscharte, endlich Panorama vom Vorderen Unnütz
am Achensee in 15 Tafeln mit Erläuterung. Die Original-
zeichnung des Panorama’s stammt von Ministerialrath G.
v. Bezold und wurde zur Vervielfältigung die Zinko-
graphie gewählt. Wie dem Heft 1878 schliesst sich auch
dem vorliegenden ein Anhang an, welcher einen Nachtrag
zum Mitgliederverzeichniss, so wie Auszüge aus den Jahres-
berichten der Sectionen enthält,
Die österreichische Regierung hat die zweite Section
der K. K. geologischen Reichsanstalt unter dem Chef-Geo-
logen Bergrath v. Mojsisovica beauftragt, im Laufe des Som-
mers eine geologische Recognoscirung der occupirten Pro-
vinzen Bosnien und Herzegowina durchzuführen. Bei die-
sen Aufnahmen werden Dr. E. Tietze und Dr. A. Bittner
sich betheiligen.
Im Jahrbuch der K. K. geolog. Reichsanstalt, Band 29,
Heft I, veröffentlicht Dr. Richard v. Drasche eine geolegı-
sche Skisze des Hochgebirgstheiles der Sierra Neoada mn Spe-
nıen mit 5 Tafeln. Die geologisch colorirte Karte im Maass-
stab 1:392 727 umfasst den interessantesten Theil, das
eigentliche Hochgebirge der Sierra Nevada, welche zum
grössten Theile aus Thonglimmerschiefern besteht und lei-
der fast völlig waldlos ist. Die topographischen Grund-
lagen mussten tbeilweis erst geschaffen werden, da die unter
230 | Geographischer Monatsbericht.
Coöllo stehende topographische Aufnahme von Spanien sich
noch nicht auf die südlichen Provinzkarten erstreckt hat.
(Nach einer hierher gelangten Zuschrift des Oberst Coöällo
sollen die noch fehlenden Provinzkarten in diesem Jahr
erscheinen.) Benutzt wurden von Drasche die Provinzkar-
ten von Granada und Almeria von D. Martin Ferreiro und
C. Vogel’s Karte von Spanien im Maassstab 1:500 000
aus Stieler's Hand-Atlas, so wie die Küstenaufnahmen der
spanischen Admiralität. Die Tafeln bestehen neben der
geologischen Übersichtskarte aus drei zum Theil farbigen
Ansichten, welche die Sierra und die ihr vorgelagerte Ebene
in höchst oharakteristischen Erscheinungen veranschaulichen.
Forstmeister Z. Goebel trat Mitte Mai im Auftrage der
Naturforscher -Gesellschaft zu St. Petersburg eine For-
schungsreise nach der Halbinsel Xanın und zur Ostküste
des Weissen Meeres an.
Asien.
Nach einer auf Veranlassung des General-Gouverneurs
von Russisch-Turkestan veröffentlichten Mittheilung !) haben
im Laufe des Jahres 1878 nicht weniger als vierzehn ver-
schiedene wissenschaftliche Expeditionen sich die Erfor-
schung des genannten Landes angelegen sein lassen.
Die Herren G. Romanowski, P. Matwejew, A. Regel
und A. Fetissow bereisten die Gebiete Ssemiretschensk und
Kuldscha, so wie die benachbarten Laandstriche dieser Ge-
biete. Herr Romanowski verfolgte geologische Zwecke und
wies durch seine Untersuchungen nach, dass die mittlere
Zone des Gebietes Ssemiretschensk vorzugsweise aus Kiesel-
thonschiefer, compactem Granit und Quarzporphyr besteht
und das Tarbagatai Steinkohlen, Graphit, Kupfer- und
Eisenerze enthält. Die übrigen Kohlendistricte dieses Ge-
bietes haben nur Braunkohle aufzuweisen, Herr ?. Matwe-
jew wurde nach der Stadt Schicho entsendet, um Nach-
richten über den Stand der Dinge in den westlichen Ge-
bieten China’s einzuziehen, er nahm seine Marschroute auf
und beschrieb die beiden besten Strassen aus dem Di-Thale
nach der. westlichen Dsungarei. Die Herren Aegel und
Fetissow erforschten die Flora der oben genannten Land-
striche.
Das Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften,
A. F.v. Middendorff, war eingeladen worden, die landwirth-
schaftlichen Verhältnisse des Gebietes Ferghana zu erfor-
schen, und er löste diese Aufgabe in einer Reise durch alle
Kreise dieses Gebietes. Den östlichsten Theil desselben
und den südlichsten Theil des Gebietes Ssemiretschensk
bereiste Herr J. W. Muschketow, der eine reiche petrogra-
phische und paläontologische Collection zusammenbrachte,
die Verbindung zwischen dem Alai und Transalai ermit-
telte und den ausserordentlich verworrenen orographischen
Bau der Gegend an den oberen Läufen des Kok-ssu und
der Tara und das Terrain im Süden des Tschatyr-kul näher
beleuchtete. Die Expedition des Zoologen Dr. N. A. Sse-
wersow hatte die Erforschung des Gebietes F'erganah, der
dasselbe umgebenden Gebirge und des Pamir zum Ziel.
Sie erstieg die Gebirge von Ost-Namangan, verfolgte den
Lauf des Naryn stromaufwärts, erforschte das bis dahin
1) Wissenschaftliche Expeditionen des Jahres 1878 zur Erforschung
von Russisch-Turkestan und der Nachbarländer. Taschkent, 1879.
noch nicht aufgenommene Gebirgsland zwischen den Flüssen
Usun-achmat, Naryn und Ssussamyr, den Alai, den oberen
Lauf des Kaschgar-darja und das Bassin des Kara-kul, be-
trat dann den vollkommen unbekannten Theil des Pamir,
indem sie vom Kara-kul längs des nördlichen Ak-baital (auf
den Karten wird dieser Fluss Tschon-ssu genannt) und
durch das Thal des südlichen Ak-baital bis zum Ran-kul
vordrang. Dann ging sie stromaufwärts längs des Ak-ssu
und des Nebenflusses desselben, des Kara-ssu, und durch-
forschte den ganzen Pamir Ali-tschur bis zum Jaschil-kul.
Nach Gultscha zurückgekehrt, wurde im Spätherbst noch
eine Exoursion die Tara stromaufwärts bis zur Passhöhe
des Tus-aschu gemacht. Es wurden im Ganzen viele ganz
unbekannte Gegenden aufgenommen, 12 Punkte astronomisch
und gegen 500 Punkte barometrisch bestimmt, das Terrain
zwischen dem Kara-kul und dem Ferganah - Thal nivellirt
und reiche Sammlungen zusammengebracht.
Der Conservator des Museums der Akademie der Wissen-
schaften, W. F. Rucsow, wurde zu geologischen Forschun-
gen in den südlichen Theil des Syr-darja-Gebietes und in
den Sarafschan-Bezirk entsendet. Der Stabscapitän A. N.
Bykow, der Oberstlieutenant N. A. Majew und die Expedi-
tion der Turkestan’schen Abtheilung der Kaiserl. Gesell-
schaft für Naturkunde, Anthropologie und Ethnographie
widmeten sich den Reisen in Buchara. Herr Bykow ermit-
telte, dass Dampfer auf dem mittleren Lauf des Amu-darja
bis zur Einmündung des Wachsch keinen unüberwindlichen
Schwierigkeiten begegnen würden. Herr Majew hatte die
Aufgabe, den gebirgigen Raum, der von den Thälern Schach-
rissjabs und Hissar, von der Karschischen Steppe und dem
mittleren Laufe des Amu-darja eingeschlossen ist, geogra-
phisch zu durchforschen. Die Expedition der Turkestan’-
schen Abtheilung der Kaiserl. Gesellschaft für Naturkunde,
Anthropologie und Ethnographie unter dem Secretär der
Gesellschaft, W. F. Oschanin, hatte den Zweck, sich mit
den südlich vom Bezirk Sarafschan und dem Gebiete Fer-
ganah belegenen Strichen, d. h. mit dem Lande um Hissar,
mit Karafegin und dem westlichen Theil des Berglandes
am oberen Amu bekannt zu machen. Durch die bierbei
ausgeführte Aufnahme wird die auf den Karten übliche Dar-
stellung des gebirgigen Theils der Bekate Jakkabag und
Jurtscha, des ganzen Karategin und der Gegend am oberen
Muk-ssu vollständig verändert. Auch die bis dahin erwor-
benen Kenntnisse vom südlichen Abhang der Hissar-Kette,
Darwas’ und Schugnans wurden vervollständigt und ver-
bessert.
Zur weiteren Erforschung Afghanistans haben wesent-
lich beigetragen: die Gesandtschaft, die unter Führung N. G.
Sstoletow’s nach Kabul ging, die Expedition ?, P. Matwe-
jew's und die Reise N. J. Grodekow’s.
Die Zeitung „Ssibir’' meldet, dass in der Gegend von
Ussa (Gouvernement Jenisseisk) reiche Goldlager entdeckt
worden sind und dass die Ausbeutung derselben bereits be-
gonnen hat. Es begeben sich viele Arbeiter dahin, um
neue Goldlager aufzusuchen. Auch der Handel hätte sich
bedeutend entwickeln können, wenn die Ssojoten-Unruhen
nicht störend eingewirkt hätten. Die neuen Goldlager be-
finden sich ganz in der Nähe der chinesischen Grenze, ei-
nige sogar jenseit derselben. Niemand weiss, wie die Grenz-
linie in Wirklichkeit verläuft, da dieselbe weder durch be-
Geographischer Monatsbericht.
stimmte Zeichen, noch durch Grenzposten markirt wird,
wie diess auf der Grenze der Ssojoten- und Mongolen-Län-
dereien der Fall ist. Hat die Grenze wirklich den von
den Ssojoten angegebenen Verlauf, so ist sie sehr unregel-
mässig und schneidet tief in das russische Gebiet ein.
Oberst Prsswalsky meldet der Kais. Russ. Geogr. Ge
sellschaft am 20. März/l. April aus Saisan, dass er durch
ungeheuere Schneemassen zu einem dwöchentlichen Aufent-
halte an diesem Militärposten gezwungen worden sei und
erst am folgenden Tage nach Bulun-toohoi und Hami (Mon-
golei) aufbrechen werde. Am 1./13. Mai war er bereits
am Flusse Bulgun eingetroffen.
Den im zweiten Monatsberichte d. J., 8. 71, erwähnten
ersten Bande des Werkes von Ch. E. de Uyfalvy über
seine Reise nach Turkestan und West-Bibirien ist ziemlich
schnell der zweite gefolgt. Derselbe beschreibt die Gou-
vernements Syr-Darja, Sarafschan, das Sieben-Stromland
und West-Sibirien, giebt und erläutert eine ethnographische
Karte von Central- Asien und enthält neben sprachlichen
und archäologischen Studien in zahlreichen Tabellen ein
sehr reichhaltiges statistisches Material.
Im Jahre 1876 trat der französische Marineofficier J.-Z.
Dutreusl de Rkins für einige Zeit in den Dienst des unter
französischem Schutze stehenden Königs von Annam, und
zwar als Befehlshaber eines der von Frankreich dem König
geschenkten Kriegsschiffe. Über seine Erlebnisse in Annam,
so wie über die politischen, commerciellen und socialen
Verhältnisse dieses Reiches hat er ein Buch veröffentlicht !),
dessen geographischer Werth hauptsächlich in der Berei-
sung eines Theils der Provinz Huö und des Huö- Flusses
besteht, von dessen Gebiet bereits das Bulletin der Pariser
Geogr. Gesellschaft eine von dem Verfasser entworfene
Karte brachte,
Die Japan Weekly Mail vom 1. Februar 1879 enthält
eine längere Abhandlung: Some acoount of Wen-Chow (Wen-
tscheu), the newiy opened port in China, by W. W. Myers,
aus welcher Herr E. Knipping uns Folgendes mittheilt:
„Die Stadt liegt unter 28° 1’ 3” N. Br. und 128°
88’ 28,5” Ö. L. am Flusse Ow, etwa 20-30 Minuten
von der Mündung. Der dazu gehörige District, in 5 Hiu
getheilt, erstreckt sich 60 miles von O nach W, 273 miles
von N nach S. Nicht weniger als fünf Mal hat der Ort
seinen Namen gewechselt: 324 n. Chr. bei der Gründung
hiess er Yung-kis-chung, 650 Wengehow, 713 wieder
Yung-kia-chung, 1265 Jin-ang-fu und seit 1280 wieder
Wen-Chow. Die Einwohnerzabl wird zu 50—60000 ge-
sehätzt. Besonders wird die ausgezeichnete und gesunde
Lage der Stadt gerühmt. Breite, sorgfältig mit Ziegelstei-
nen gepflasterte Strassen durchziehen den Ort und werden
jeden Tag gefegt. Für den Wasserabfluss ist in ausreichen-
der Weise durch Rinnen gesorgt, die in Canäle münden,
welche, den Strassen parallel angelegt, die ganze Stadt
durchziehen und den Verkehr wesentlich erleichtern. Sie
werden durch häufiges Baggern rein und in Stand gehal-
ten; Ebbe und Fluth reichen nicht mehr in dieselben hin-
auf. Von Metallen werden besonders Eisen und Kupfer,
such Silber, gewonnen; von anderen Ausfuhrartikeln sind
t) Le royaume d’Annam et les Annamites, Paris, E. Plon, 1879.
Mit Holzsehnitten und 2 Karten.
231
zu erwähnen: Holzkoblen, Regenschirme, Indigo, Tbee,
Papier, Opium, Hanf, Weizen &. Von im Innern liegen-
den grösseren Orten ist Taichow (Tai tscheu) 250 miles
entfernt, Poo-ching (Phu tsching) eben so weit, Peiling
100 miles. Die Missionare zählen etwa 6—700 Bekehrte
als Anhänger der christlichen Religion. Die höchste beob-
achtete Temperatur (vom 19. April 1877 bis 31. October
1878) betrug 97° F., die niedrigste 27° F.
„Nach einer statistischen Aufnahme der Polizeibehörde
in Tokio vom 28. Februar 1879 betrug die Zahl der Ge-
bäude daselbst 237 937, die Zahl der Einwohner 1042888,
und zwar 542016 männl. und 500072 weibl. Geschlechts,
darunter 411 Fremde (304 männl. und 107 weibl. Ge-
schlechts).
„Die Jap. Gaz Summary vom 26. Febr. 1879 enthält
einige Notizen über das Neujahrsfest in Loo-Choo (Liu-Kiu).
Am 22. Januar, dem Neujahrstage, zogen alle Einwohner
von Na fa-Kiang und Umgegend zu dem 3 miles entfern-
ten Schloss des Königs, um demselben ibre Aufwartung
zu machen. Nur an diesem Tage ist es den Unterthanen
gestattet, das Schloss zu betreten. Der grösste Theil des
Weges dorthin ist mit Korallenblöcken gepflastert, deren
Oberfläche so glatt bearbeitet ist, wie es die Natur des
Materials zulässt. Kurz vor dem Schloss beginnt ein maka-
damisirter, sehr breiter und glatter Weg; er wird von
hoben Korallenmauern eingefasst, durch deren Lücken man
einen Blick in die wohlgepflegten Gärten und Parks wer-
fen kann, in denen die Hofbeamten wohnen. Alles war in
Festtagskleidern, die Männer mit komischen Kopfbedeckun-
gen, deren Farben von Purpur, Roth und Grün bis Gelb
die Rangstufen kennzeichnen, welcher der Träger angehört.
Nur am Neujahrstage ist das Tragen von Kopfbedeckungen
gestattet. Durch zwei kleinere und ein grösseres Thor ge-
langten die Gratulanten in den äusseren Hof, wurden hier
in Reih und Glied geordnet und dann in den inneren Hof
geführt, in dem der Palast des Königs liegt, einem japanischen
Tempel ähnlich und mit Schnitzwerk aus Holz verziert, von
dem aber der Regen Farben und Vergoldung herunter-
gewaschen hat. Zum Haupteingang führen mehrere Stufen
hinauf, auf denen zu beiden Seiten je ein Träger mit dem
königlichen Schirme steht. Die königliche Capelle bestand
der Hauptsache nach aus drei Trommlern, die, unterstützt
von Horn- und Trompetenkünstlern, ihre ansehnlichen In-
stramente von 5 F. Höhe und 4 F. Durchmesser mit Er-
folg bearbeiteten. Den Musikanten gegenüber standen auf
Tischen Blumenvasen und ein Räuchergefäss, darüber vier
alte verblichene, mit unkenntlichen Emblemen verzierte
Fahnen, daneben die empfangenden, den König vertreten-
den Hofbeamten. Nach einer kurzen Ansprache von Seiten
des Empfang-Comit&’s fiel die Capelle wieder ein, und unter
den Klängen der Musik machten die Gratulanten eine Reihe
von Bewegungen durch, als wären sie einexercirt. Zum
Schlusse der Festlichkeit wurde von 200 Berittenen ein
Scheinangriff auf das Schloss gemacht, der vom besten Er-
folge begleitet war. Ihm sahen auch einige Damen aus den
höheren Ständen zu. Dieselben erschienen in Purpur- und
Rosagewändern mit Grassandalen an den Füssen,
„Die politische Stellung der Ziw-Kiu-Inseln zu Japan
ist jetzt dahin geordnet, dass durch Verordnung vom
4. April der Loochoo Han durch Errichtung dee Okinawa
232
Ken ersetzt und dadurch der Zwitterstellung zu Japan
und China !) ein Ende gemacht worden ist. Der Sitz des
Kencho ist die Hauptstadt”.
Afrika.
Die Rohlfs’sche Expedition bat in Audschila leider mit
grossen Schwierigkeiten zu kämpfen, und sind die Aussichten,
durch die Oase Kufarah nach Wadai zu gelangen, bisher
sehr gering. Einem aus Audschila an uns gerichteten
Briefe, datirtt vom 8. April, entnehmen wir Folgendes:
„Nachdem ich eine lange Geduldsprobe abgelegt hatte,
vier Monate auf die Geschenke wartend, musste ich dennoch
endlich ohne sie abreisen. Die Quarantäne, welche über
verschiedene Küsten des Mittelmeeres verhängt wurde, dann
die Nachricht, dass bis zum 15. Febr. d. J. die Geschenke
noch nicht einmal Malta erreicht hatten, liessen gar nicht
absehen, wann sie eintreffen würden. Da überdiess in
Sokna der Aufenthalt sehr theuer ist, wie überhaupt in
allen Oasen, und meine Leute durch die Monate lange Un-
thätigkeit zu demoralisiren begannen, blieb nichts An-
deres übrig, ich musste weiter gehen. Hätte ich es nur
schon eher gethan! Wäre ich nur Mitte December gleich
weiter gegängen! Dann wäre ich jetzt wohl schon in Wadai.
„Warum wendet man von Norden her nicht ein-
mal eine Ballonfahrt an? Frankreich, welches doch so
grosses Interesse bat, die Gegenden südlich von Algerien,
ich meine namentlich Hogar, zu erforschen, hätte längst
einen Explorationsballon von Tugurt oder Geryville auf-
fliegen lassen sollen. Mit den regelmässigen Luftströmun-
gen in Nordafrika würde es leicht sein, das Luftschiff dahin
zu bringen, wohin man es haben will. Man projectirt Ballon-
- fahrten nach dem Nordpol, ich finde es viel rationeller,
solche nach dem Sudan zu senden. Wie oft habe ich bei
dem langen Weg von Sokna bis hierher gewünscht und
gedacht, hätte ich doch einen Ballon!
„Und nun gar mit Kameelen. Mit Kameelen kommt
man am langsamsten von der Stelle. Wenn’s schnell und
gut geht, macht man 4 km in der Stunde; bei schon wäh-
rend längerer Zeit in Karawanen befindlichen Kameelen kann
man aber kaum mehr als 3% oder 33 km rechnen, bei er-
müdeten Kameelen 3 km und noch weniger.
„Interessant ist die Route von Sella bis hier gerade
nicht, und von der zwischen Sokna und Sella lässt sich
wenig mehr sagen, als was Sie auf der Karte von v. Beur-
mann im Ergänzungsband 1862 finden. Etwas Belohnung
sollten wir aber für den langweiligen Weg darin finden,
dass wir überhaupt eine ganz neue Strecke durchzogen, etwa
zwischen der Hornemann’schen und Beurmann’schen in der
Mitte liegend, und sodann nach einer bis jetzt noch nicht
einmal dem Namen nach bekannten Oase, Bu Naim kamen.
Bu Naim oder Abu Naim liegt westlich von Dschibbena
und südlicb von Marade. Später kann erst die Position
aus dem Itinerar genauer fixirt werden. Starker Samumwind
erlaubte nicht, astronomische Bestimmungen zu machen.
Sie wissen, dass während eines Samum der ganze Himmel,
Sonne, Mond und Sterne verhüllt sind. Auch Dschibbena
besuchten wir, eine grössere Oase, als ich dachte, und reich-
“lich mit Palmen gesegnet.
„Werden. wir jetzt das Glück haben, nach Wadai zu
%) Monatsbericht 1878, Heft XI, 8. 439.
|
Geographischer Monatsbericht.
kommen ? In diesem Augenblick weiss ich es noch nicht.
Ein Führer ist bis jetzt noch nicht aufzutreiben gewesen ;
fand sich einer, so wurde er mir gleich darauf durch die
fanatischen Anhänger Snussi’s abwendig gemacht. Es ist
das eine schwierige Lage, denn die Eingeborenen werden
sich weigern, obne Führer mit mir zu gehen. So wie da-
mals in Dachel, wo weder die goldensten Versprechungen,
noch eigenhändige Stockprügel des Gouverneurs die Leute
bewegen konnten, mit uns in die Wüste zu gehen. So auch
hier; verschiedene Leute sind aus Furcht schon abtrünnig
geworden, und ich bin fest überzeugt, dass wenn ich ge-
zwungen bin, allein, ohne Führer, weiter zu gehen, alle,
vielleicht bis auf zwei oder drei, sioh weigern werden, mir
zu folgen. Ich weiss noch nicht, ob es dann gerathen sein
wird zu geben, aber was soll ich machen? Umkehren und
warten? InDschalo oder Audschila bleiben bis eineKarawane
geht? Wird diess am Ende jetzt oder nächsten Winter
geschehen? Soll ich so lange hier in diesem Neste unter fast
feindseliger Bevölkerung zubringen ? Das sind alles Fragen,
die mich Tag und Nacht beschäftigen. Aber hoffentlich
komme ich in ein paar Tagen aus den Zweifeln heraus und
weiss wenigstens, wie ich daran bin.
„Dazu kommt noch, dass, wenn ich vorwärts gehe, ich
ankommen oder unterliegen muss. Ein Zurückgehen, wie
es von Regenfeld aus möglich war, wo ich grossen Proviant
und viel Wasser mit mir hatte, giebt es nicht. In Battifal
ist nur ein Brunnen, nicht einmal Kameelweide. Das Fut-
ter, d. h. Datteln für die Kameele, muss von hier aus mit-
genommen werden. 12 Tage Wasser, 8 Tage Kameelfut-
ter und 60 Tage Lebensmittel (d. h. bis Wadai), das ist
Alles, was ich transportiren kann. Ein sichtbarer Weg
von Battifal nach dem nördlichsten Brunnen Kufarah’s ist
nicht vorhanden. Werde ich ihn ohne Führer finden?
Werde ich die Verantwortung tragen können, so viele
Menschenleben auf’s Spiel zu setzen?
„Sie sehen, ich trete meine Reise nicht unter den an-
genehmsten Auspicien an, denn eigentlich beginnt ja meine
Reise erst von hier, obschon wir ca 1000 km zurückgelegt
haben. Alles das würde anders sein, wenn ich im Decem-
ber oder Januar hier gewesen wäre; abgesehen davon, dass
dann meine Mannsohaft frisch und muthig gewesen wäre,
hätte ich Karawanen getroffen — es sind vier von hier
abgegangen — und wenn ich jetzt 12 Tage Wasser für die
Expedition habe, hätte man dann die doppelte Zeit damit
gereicht. Hoffentlich gelingt es mir noch, einen Führer zu
finden, dann werden die Scrupel meiner Leute schwinden,
und wenn die entsetzliche Kalanscho Sserir zwischen hier
und Kufarah erst beseitigt ist, wird ein gutes Geschick schon
weiter helfen.
„P. 8. 14. Aprll Ich sehe mich leider gezwungen, hier
warten zu müssen, bis eine Karawane geht. Ein Führer
ist nicht aufzutreiben”.
Der Khedive von Ägypten, so äussert sich Rohlfs in
einem Briefe an G. Schweinfurth, würde ein gutes Werk
thun, wollte er Sarabub, zwischen Siwah und Dschalo ge-
legen, seinem Reiche einverleiben. Von daher kommen die
fanatischen Lehren, welche mich hindern, weiter zu kom-
men, denn Sarabub ist der Hauptsitz des fanatischen Or-
dens der Snussi, der Jesuiten des Islams, welche jeden
Compromiss mit den Ungläubigen von sich weisen. Die
Geographischer Monatsbericht.
Bewohner von Dschalo weigern sich, mir als Führer nach
Kufarah zu dienen, weil sie den Zorn ihres Heiligen, Sidi-
el-Madhi in Sarabub, fürchten.
„Am 15. April ist in Battifal eine Karawane aus Wadai
eingetroffen, bei welcher auch Tebu aus Wadjanga sich be-
finden, und hoffe ich, unter denselben einen Führer auf-
treiben zu können. Von der Karawane waren 14 Leute
unterwegs verschmachtet und die Hinterbliebenen in Lebbeh,
dem Hauptorte von Dschalo, heulten Tag und Nacht um
den Verlust der Ihrigen. Der Weg ist auch in anderer
Hinsicht gefährlich, da gegenwärtig viele arabische Stämme
durch die exorbitanten Forderungen der türkischen Regie-
rung von ihren Weideplätzen weg nach Süden verdrängt
worden sind, wodurch die Sicherheit des Landes natürlich
nicht gewonnen hat”,
In einem uns gütigst zur Verfügung gestellten Briefe
an Prof. E.-F. Berlioux in Lyon theilt G. Rohlfs mit, dass
er seine Absicht, von Sella aus direct via Wabri und Wau
zur Oase Kufarah vorzudringen, wegen des in diesem Jahre
dort herrschenden Wassermangels habe aufgeben müssen.
Sein Führer, ein zuverlässiger Mensch, bestätigte die Existenz
von Wau-el-kamus, wo er selbst gewesen sein will, er be-
hauptete auch, 2 Tagemärsche von dieser Oase entfernt
Steine mit Inschriften gefunden zu haben.
Prof. Berliour vollendete soeben eine Karte der Sahara
nach den Nachrichten aus dem Alterthum mit besonderer
Berücksichtigung der Verkehrswege.
Im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft in Deutsch-
land wird Dr. Oscar Lens, der bekannte Erforscher des
Ogowe, im Laufe des Herbstes eine Expedition nach Ma-
rocco antreten, zu welchem Zwecke ihm aus den vom Reiche
bewilligten Mitteln 9000 M. zugewiesen worden sind.
Dr. W. Junker, seit vorigem Herbste wieder in Europa,
wird in einigen Monaten eine neue Reise nach dem ägyp-
tischen Sudan antreten. Über seine letzte Expedition wer-
den die „Mittheilungen” demnächst 2 Originalkarten publi-
ciren, welche in grossem Maassstabe die weit verzweigte
Routenentwickelung des ungemein thätigen Forschers in
dem bisher noch von keinem Reisenden betretenen Quell-
gebiete des Rohl, Jei, der westlichen Zuflüsse des Bahr el
Gbassl und des von Schweinfurth entdeckten Uälle zeigen
und namentlich das Verdienst haben, durch sorgfältigste
Aufnahmen die Reisen Dr. Schweinfurth’s mit der festen
Basis des Weissen Nil in Verbindung zu bringen. Ein an-
deres wichtiges Ergebniss von Junker’s letzter Reise sind
die, trotz der zahllosen dem Transporte entgegenstehenden
Schwierigkeiten, ausserordentlich reichhaltigen Sammlungen,
welche kürzlich ın St. Petersburg ausgestellt waren und
von denen die Petersburger Zeitung vom 6. April eine an-
sprechende Schilderung brachte. Namentlich in ethnogra-
phischer Beziehung bieten dieselben ein nach allen Rich-
tungen hin vollständiges Bild des Culturzustandes der von
Dr. Junker besuchten Völker: der Niam-Niam, Makaraka,
Kalıka &. Diese Sammlungen sind nunmehr grösstentheils
der Petersburger Akademie der Wissenschaften als Geschenk
überwiesen, ein Theil auch dem ethnographischen Museum
in Berlin übergeben worden.
Der italienische Reisende AR. Mansons hat sich, nachdem
sein Versuch, in das Innere Arabiens einzudringen, in
Folge des Fanatismus der Bewohner von Sanah, fehlge-
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VI.
—— m — a ren er le tn.
233
schlagen ist, nach Berbera begeben, um von hier aus eine
Erforschungsreise in die Somali-Länder anzutreten, welche
er unter günstigen Verhältnissen bis zum Dschuba und
zum Indischen Ocean auszudehnen gedenkt. Er ist jedoch,
wie uns Capt. M. Camperio gütigst mittheilte, schon in
Berbera auf ernstlichen Widerstand gestossen, so dass zu
seinem Schutze ein italienisches Kriegsschiff abgesandt wer-
den musste.
Z. M. Stanley ist am 18. März in Begleitung des bel-
gischen Officiers Dutalis in Zanzibar eingetroffen. Das
Ziel seiner Expedition wird gegenwärtig noch geheim ge-
balten, doch hegt man in Zanzibar die Vermuthung,
dass Stanley die Erforschung des Congo und seines
Stromgebietes von Westen her in Angriff nehmen wird.
Seine Ausrüstung besteht in einem zerlegbaren kleinen
Dampfboot, einem Segelkutter &c., auch führt er viele
Eisenplatten mit sich, die augenscheinlich dazu bestimmt
sind, im Falle eines Angriffes Seitens der Eingeborenen
zum Schutze der Fahrzeuge verwendet zu werden. Stanley
hat bereits eine grosse Zahl seiner früheren Begleiter für
diese neue Expedition gewonnen. Durch die Überführung
der eingeschulten Träger aus Zanzibar an die Westküste
dürfte die hier so schwierige Trägerfrage ihre beste Lösung
finden.
Der so glücklich und erfolgreich verlaufene Versuch
von Gordon Pascha, Afrika mit Hülfe von Elephanten zu
erforschn, hat den König von Belgien veranlasst, diesen
Versuch zu wiederholen, und hat er zu diesem Zwecke
vier indische Elephanten ankaufen lassen, die über Aden
nach Zanzibar transportirt wurden.
Der französische Forscher Abbe Drbasze, welcher bisher
mit seltenem Glücke und fast beispielloser Schnelligkeit
seinen Marsch fortsetzen konnte, hat in Unyamyembe die
Erfahrung der meisten Afrika - Forscher machen müssen,
indem 180 Träger desertirten. Er setzte trotzdem seinen
Marsch fort und befand sich am 2. April in Udschidschi.
Rev. Dr. Joseph Mullens, der bekannte Missionar und
Erforscher Madagaskars, begiebt sich nach Udschidschi an
den Tanganika-See, um die Missionsexpedition der Church
Missionary Society, welche durch den Tod ihres Führers
Rev. Thomson einen schweren Verlust erlitten hat, zu
reorganisiren. Er gedenkt von dort aus das Südende des
Tanganika zu besuchen.
Zur Kunde des Nyassa-Sees und seiner Uferregion brachte
das kürzlich erschienene, bereits 8. 191 besprochene Tage-
buch des Capt. J. F. Elton werthvolle Bereicherung, die
nun durch zwei Reiseberichte !) von Dr. J. Stewart (Die
zweite Umschiffung des Nyassa, Sept.— October 1877. Mit
Karte) und Rev. Dr. Zaws (Reise am Westufer 1878: viel-
fach ergänzt werden. Am 17. September 1877 verliess der
Dampfer „Lala’”’ die Missionsstation Livingstonia. Es ge-
lang nicht bloss das Nordende des Sees zu erreichen, son-
dern auch in den von Young gesehenen Fluss Rombaschi,
wo Elton und Cotterill landeten, einzulaufen, wie auch ei-
nige Häfen an der Westseite auszufinden, und so wurde
festgestellt, dass der See in seiner ganzen Ausdehnung be-
fahren werden kann, und zwar mit einem Dampfer in 45—
') Proceedings of the R. Geogr. Boeiety No. 8, p. 289 —324.
30
234 Geographischer Monatsbericht.
50 Stunden. Auch der untere Zambesi wird gegenwär-
tig von dem Dampfer „Lady Nyassa” befahren. — Die
Landreise des Dr. Laws ging zunächst eine Strecke über
das Tafelland in Südwesten des Sees, sodann meist nahe
dem Westufer hin, welches bis Kuta-Bai verfolgt wurde,
Der nördlichste Punkt war der westlich von derselben bele-
gene Berg Choma, von welchem Laws am 1. October längs
der das Westufer begrenzenden Berge südwärts nach Li-
vingstonia zurückging. Neben einer ziemlich detaillirten
Schilderung der durchreisten Uferregion brachte Dr. Laws
eine Sammlung von 500 Wörtern zweier Sprachen (der
Chinyanja und Chingkamanga) mit.
Der englische Baptistenmissionar W. Comber hat am
26. April seine neue, bereits S. 72 erwähnte Expedition
nach dem Stanley Pool am mittleren Congo oberhalb der
Livingstone-Fälle angetreten. Die R. Geogr. Society rüstete
Herrn Comber mit wissenschaftlichen Instrumenten aus,
Der portugiesische Forscher Serpa Pinto, welcher be-
reits auf der Rückreise nach Europa in Alexandria ein-
getroffen ist, sandte von Lialui am oberen Zambesi unter
15° 12' N. Br. und 22° 48’ Ö. L. v. Gr. am 3. Sep-
tember 1878 dem portugiesischen Marineminister einen Be-
richt, welcher wenigstens über den Verlauf des ersten Thei-
les der Expedition einigen Aufschluss giebt. Aus demsel-
ben geht hervor, dass Serpa Pinto sich der Hauptsache
nach auf Routen bewegte, die schon von Ladislaus Magyar
1851 und dem portugiesischen Händler Silva Porto!) 1852
und 1853 begangen waren, aber da er der erste wissen-
schaftliche Reisende ist, welcher dieses Gebiet betritt, so
haben wir doch wesentliche Bereicherungen unserer Kennt-
niss zu erwarten. Schon die dürftigen Andeutungen des
kurzen Berichtes lassen erkennen, dass die hydrographischen
Verhältnisse der Quellgebiete des Cubango, Cuando (Living-
stone's Tschobe, welcher Name gar nicht existiren soll) und
der Nebenflüsse des oberen Zambesi oder Liambai wesentlich
anders gestaltet sind, als sie bisher nach Silva Porto’s un-
genauen Angaben und Livingstone’s Erkundigungen auf
unseren Karten eingetragen werden konnten. Von Bih6
aus überschritt der Reisende die Quanza in der Nähe der
Mündung der Coqueima, wandte sich dann in’s Quellgebiet
des Cubango und passirte dessen bedeuteudsten Nebenfluss
Cuito, welcher bei Cangala im Gebiete der Luchasen unter
12° 15’ N. Br. und 18° Ö. L., 400 m. unter dem Pla-
teau von Bihe, in sumpfiger Gegend entspringt, wo auch
die beiden Nebenflüsse der Quanza, Cuime und Cuiba, so
wie der Lungo-&-Ungo (Lungebungo in Stieler’s Hand-Atlas),
Nebenfluss des Zambesi, ihren Ursprung haben. Der Cuito
ergiesst sich, nachdem er von Osten den Cuanavare auf-
genommen hat, bei dem grossen Orte Darico in den Cu-
bango. Das Gebiet des Cuando wurde bei seinem Neben-
fluss Quimbo erreicht; unterhalb desselben erhielt er noch
vier Zuflüsse von Westen: Cucia, Cuango, Dima und
Loengo, von Osten den Cubangui, Cuchibi und Chicului.
Der Fluss Longo, welcher sich nach Livingstone in den Zam-
besi ergiessen soll, ist ein Tributär des Chiculuil. Der
Zambesi selbst hat von der Mündung des Liba bis zu der
des Cuando nur zwei westliche Nebenflüsse, den Lungo-e-
—
ı) Journal R. Geogr. Soc. XXX. 1860, p. 136 mit Karte. Peter-
mann’s Mitth. 1867, Tafel 10,
Ungo und Uhengo (Mündung unter 15° 11’ S. Br. und
232° 41' Ö. L.), welcher in seinem Oberlaufe den Namen
Ninda führt. Der Zambesi durchströmt auf dieser Strecke
eine weite, nur wenig bewaldete Ebene, die reich an La-
gunen ist, bei 1012 m Höhe. Die Breitenbestimmungen Li-
vingstone's sind genau, während seine Bestimmungen der
Länge um ca !/,° variiren.
Unter Führung des Artillerieoficiers Pasva d’ Andrada
soll demnächst eine neue Expedition Portugal verlassen,
deren Aufgabe die vollständige Erforschung des Zambesi
und Gründung von Handelsstationen in der Gegend von
Tete und der jetzt verlassenen Station Zumbo ist, einstmals
der am weitesten nach Westen vorgeschobene portugiesische
Posten.
Das uns kürzlich übersandte 7ransvaal Book Almanao
and Directory for 1879 von Friedr. Jeppe enthält neben
zahlreichem für den Geschäftsmann brauchbaren, gut geord-
neten Material verschiedene Aufsätze von wissenschaftli-
chem Interesse, so den geschichtlichen Abriss der Boer-
Republik vom Herausgeber und die Mittheilung über die
eingeborenen Stämme von Transvaal von A. G. Water-
meyer. Die Zahl der Eingeborenen wird auf 300000, die
der Weissen auf 30000 Seelen geschätzt.
Australien.
Wir haben seiner Zeit (Monatsbericht 1879, Heft IV,
8. 159) den Inhalt des ersten Berichtes mitgetheilt, welchen
der von der südaustralischen Regierung zur Erforschung
unbekannter Strecken des Nord - Territoriums ausgesandte
Mr. Barclay eingesandt hatte. Wegen seines geschwächten
Gesundheitszustandes musste derselbe bald nach seiner Rück-
kehr nach Alice Springs den Oberbefehl der Expedition an
den zweiten Führer Winnecke abtreten. Nachdem der Ver-
such, auf der alten Route Barclay’s direct nach Osten vor-
zudringen, wegen Wassermangels aufgegeben worden war,
schlug Winnecke eine nordöstliche Richtung ein und ent-
deckte zahlreiche feuchte Stellen in dem Sandbette mehrerer
bisher unbekannter grosser Creeks, welche durch Graben
hinreichend Wasser lieferten und so die Expedition in den
Stand setzten, die Triangulation bis 22° 5’ S. Br. und
135° 30' Ö.L. v. Gr. — 150 miles von Alice Springs —
auszydehnen. Bis hierher bestand der Boden meistens aus
lookerem rothen Lehm, das Land war gut begrast und mit
Eucalyptus- Arten leicht bewaldet. Das bessere waldige
Terrain hörte jedoch nun auf und Sandhügel und niedriges
Tafelland mit dichtem Akaziengestrüpp begannen. Da zwei
der Leute durch Scorbut, an welchem übrigens alle zu lei-
den hatten, für weitere Arbeit unfähig geworden waren,
und es auch immer schwieriger wurde, Wasser zu erlangen,
so schickte Winnecke das ihn begleitende Personal bis auf
einen Mann nach Alice Springs zurück. Mit diesem setzte
er die Reise in nordöstlicher Richtung fort, gelangte aber
nur bis 21° 35’ 1” Südl. Br. und 136° 4’ Östl. L. v. Gr.
Anfänglich konnte man sich mit grosser Schwierigkeit und
Mühe aus tiefen Brunnen der Eingeborenen einiges Wasser
verschaffen, allein diess hielt nicht lange aus, Man ver-
suchte die östliche und dann auf 60 miles die südliche
Richtung, ohne einen besseren Erfolg zu erzielen. Als dann
die Lebensmittel ziemlich erschöpft waren, sah man sich
zur Rückkehr nach Alice Springs gezwungen, wo man
Geographischer Monatsbericht.
am 10. November 1878 eintraf. Winnecke erhielt nun von
der Regierung in Adelaide den Auftrag, den Versuch von
der Telegraphenstation Tennant’s Creek aus zu erneuern.
Die von Herrn Faveno geleitete „Queenslander - Expedi-
tion”, bekanntlich von Mr. Lukin, dem Eigenthümer der
in Brisbane erscheinenden Zeitung, ausgerüstet, hat im März
Port Darwin glücklich erreicht. Die bereiste Strecke, welche
überall aus gutem Weideland besteht, bietet keine erheb-
lichen Sohwierigkeiten für den Bau einer Eisenbahn von
Queensland nach Port Darwin.
Ein Ereigniss, welches für die Zukunft Süd-Australiens
von grösster Bedeutung sein wird, ist die Erbohrung von
Wasser mittelst artesischer Brunnen. In der Kurnamona-
Ebene südlich vom Lake Frome (31° S. Br.) sind drei
Heerdenbesitzer in der Tiefe von 230, 304 und 371 Fuss
auf so reichliches Wasser gestossen, dass diese drei artesi-
schen Brunnen täglich 12000, 30 000 und 10000 Gallonen
Wasser liefern. Die südaustralische Regierung hat in Folge
dieser Entdeckung Prof. Tate in die wasserlosen, aber theil-
weis gut begrasten Ebenen nördlich von der Fowler’s Bai
entsandt, um hier Bohrversuche anzustellen.
Amerika.
In den Vereinigten Staaten ist das an das geplante
algerische Binnenmeer erinnernde Project aufgetaucht, die
Einöden von Arssona durch einen Canal mit dem Golf von
Californien zu verbinden und so in eine den Verkehr ver-
mittelnde 200 miles lange, 50 miles breite und 300 Fuss
tiefe Bucht zu verwandeln. Der Urheber dieses Projectes
ist General Fremont, der Gouverneur von Arizona. ,
Für die geologische Aufnahme der Vereinigten Staaten
hat jetzt der am 4. März geschlossene Congress eine ein-
heitliche Oberleitung geschaffen; die bisher getrennt und
sogar zuweilen gegen einander arbeitenden drei Abtheilun-
gen zur geographischen und geologischen Aufnahme der
Territorien, der Rocky Mountains und der Region westlich
vom 100. Meridian, werden am 30. Juni aufgelöst. Alle
mineralogischen, archäologischen und ethnologischen Samm-
lungen sollen in einem National-Museum vereinigt werden.
Zum Director der neu geschaffenen geologischen Aufnahme
ist Clarence King, welcher bisher die Aufnahme des 40.
Breitengrades geleitet hatte, ernanut worden.
Die Ergebnisse der Vorbereitungsarbeiten für die DurcA-
stechung der Darischen Landenge werden in einer von den
französischen Marineofficieren Z. N.-B. Wyse, A. Reclus
und dem Ingenieur P?. Soss verfassten Denkschrift: Rap-
ports sur les ötudes de la oommission internationale d’ex-
ploration de l’isthme ame6ricain, übersichtlich dargelegt. Dar-
nach scheint von den sieben vorliegenden Projeoten dasje-
nige von der Limon-Bai bis zur Rhede von Panama mit
Benutzung der Flüsse Chagres auf der atlantischen und
Rio Grande auf der pacifischen Seite den Vorzug zu erhalten.
Zur Prüfung sämmtlicher Projeote ist am 15. Mai in Paris
ein internationaler Congress zusammengetreten ; derselbe hat
sich am 29. Mai nach eingehender Prüfung dahin entschie-
den, das erwähnte, jetzt von Wyse, Reclus und Sosa, früher
schon von General Türr empfohlene Projeot mit einigen
wesentlichen Modificationen zur Ausführung zu bringen.
Wenn auch 9 km Tunnel erforderlich sind, so verdient
dieses Project aus dem Grunde den Vorzug, weil es im
235
Meeresniveau mit Vermeidung von Schleusen ausgeführt
werden kann, und die Fahrt durch den Canal nur 2 Tage
in Anspruch nimmt Die Länge desselben wird 73,1 km
betragen. Wenn es der zu bildenden Gesellschaft gelingt,
die erforderlichen Geldmittel (1200 Mill. Fros) zu sichern, so
wird dieses für den Weltverkehr so hoch bedeutungsrvolle
Unternehmen hoffentlich bald in Angriff genommen werden.
Über die Resultate der von der chilenischen Regierung
1877 in den chilenischen Theil der Atacama-Wüste ents-ndte
Forschungsexpedition, von deren Berichten bereits ein Theil
in den „Mittheilungen des Vereins für Erdkunde zu Halle”
(1878) veröffentlicht wurde (siehe Monatsbericht 1878,
Heft X, S. 199), liegt uns jetzt in englischer und franzö-
sischer Übersetzung der officielle Bericht der Commission
vor, welchem eine sehr interessante Karte beigegeben ist.
Danach ist das Terrain der Wüste weit mehr durch Höhen-
züge gegliedert als bisher angenommen wurde.
Polar - Regionen.
Die Ungewissheit, welche bisher hinsichtlich des Schick-
sals der schwedischen Polarexpedition unter Prof. A. E. Nor-
denskiöld’s Führung herrschte, ist nun durch zwei hoch erfreu-
liche Nachriohten glücklich gehoben worden. Am 16. Mai ging
uns durch Herrn Alexander Sibiriakoff in St. Petersburg fol-
gendes Telegramm zu: „Ein Brief Nordenskiöld’s datirt vom
25. September an den General-Gouverneur von Ostsibirien
traf am 28. April a. St. (also 10. Mai) in Irkutsek ein.
Derselbe war von einem Tschuktschen, Namens Wassilij
Menka von Tschukotskoi am 23. Februar in Anadyrsk ab-
geliefert worden. Danach war der Expeditionsdamnpfer
„Vege”’ am 16. September in der Nähe von Serdze Kamen
im Eise besetzt worden. Auf dem Schiffe war Alles in
bester Ordnung, Alle gesund, Provision und Heizmaterial
genug vorhanden”. Auch die Besorgniss, ob der Winter
von der Expedition glücklich überstanden werden würde,
ist durch eine spätere, von Bord der „Vega'" den 8. Fe-
bruar datirende und ebenfalls telegraphisch über Irkutak
eingegangene Mittheilung so gut wie beseitigt. Danach
hoffte Nordenskiöld im Mai die Weiterfahrt durch die
Bering-Strasse nach Japan antreten zu können. Die von
Nordenskiöld nach Irkutsk gesandten ausführlichen Berichte
an Herrn Oscar Dickson dürften bis Mitte Juni in Gothen-
burg eintreffen. Es sei hierbei daran erinnert, dass der
Dampfer „Vega” die Strecke von Dickson’s Hafen bis zur
Lena-Mündung, ca 1000 miles, in 18 Tagen (10.—328. Au-
gust), einschliesslich eines 4tägigen Aufenthaltes an der
Taimyr-Insel und eines ltägigen Verweilens bei Cap Tschel-
juskin, zurücklegte, während die Fahrt bis Serdze Kamen,
ca 1300 miles, nur 20 Tage erforderte. Die Expedition
dürfte sich somit in der Absicht, noch vor Schluss der
Schifffahrt die von Serdze Kamen nur noch etwa 100 miles
entfernte Bering-Strasse zu erreichen, keine Zeit zu For-
schungen auf den Neusibirischen Inseln oder Wrangel-Land
gegönnt haben. Dass diese Absicht nicht erreicht wurde,
liegt in den im vorigen Jahre ausnalımsweise ungünstigen
Eisverhältnissen der Bering - Strasse, denn sonst passiren
die amerikanischen Walfänger auf der Rückkehr diese Strasse
nooh gegen Ende October.
Glücklicherweise sind die beiden Aufsuchungsexpeditio-
nen, der unter russischer Flagge fahrende Dampfer „A. E.
30 *®
236
Nordenskiöld’” unter Capt. Sengstacke und der amerikanische
Dampfer ‚„Jeannette” unter Führung von Lieutenant De Long,
von Anfang an darauf angelegt, auch selbständig auf polare
Entdeckungen auszugehen. Das erstere Schiff verliess Malmö
am 13. Mai zur Fahrt durch den Suez-Canal und Indischen
Ocean nach der Bering-Strasse. Bei der wissenschaftlichen
Ausrüstung des Herrn v. Danckelman baben sich die Bre-
mer und Leipziger Geographische Gesellschaft betheiligt,
während Herr Grigorieff in dieser Beziehung durch die
K. Russ. Geogr. Gesellschaft unterstützt worden ist.
Über die Bennett’sche Expedition wird uns aus Washing-
ton Mitte Mai geschrieben : „Lieut. De Long, der Befehls-
haber der „Jeannette” wird von San Francisco am 15. Juni
in See gehen. Er wird St. Paul oder die Pelzrobben-
Inseln (Aleuten), um sich mit Pelzen auszurüsten, und
St. Michael (Alaska) anlaufen, um Hunde und Schlitten
zu erhalten, sodann noch St. Lorenz’-Bai besuchen und
darauf sich der Aufsuchung Nordenskiöld’s widmen. Gelingt
diess bald, so ist das nächste Ziel Wrangel- und Kellett-
Land und weiter die Erreichung einer möglichst hohen
Breite. Wahrscheinlich wird ein Naturforscher an der Ex-
pedition Theil nehmen, die sonstigen wissenschaftlichen
Beobachtungen werden von den der Kriegsmarine angehö-
rigen Officieren ausgeführt werden. Um das Schiff in den
Stand zu setzen, möglichst lange mit Hülfe von Dampf
vorzudringen, soll ein Kohlenschiff bis zur Eisgrenze mit-
gehen”.
Hoffentlich fügt es ein günstiges Geschick, dass beide
Expeditionen mit dem Dampfer „Vega” zusammentreffen,
denn die vorherige Kenntnissnahme der Resultate der schwe-
dischen Expedition würde für den Erfolg des in diesem
Jahre so thatkräftig wieder aufgenommenen Forschungs-
werkes auf polarem Gebiete von grosser Bedeutung sein.
Die Befürchtungen, welche über das Schicksal der schwe-
dischen Expeditionen laut geworden waren, hatten Herrn
Alex. Sibiriakoff, den unermüdlichen Förderer aller sibirischen
Forschungsexpeditionen, veranlasst, auch zwes Zanderpeditso-
nen auszusenden, um Nordenskiöld aufzusuchen und ihm
event. Hülfe zu bringen. Dieselben gingen von Nischni
Kolymsk und Anadyrsk aus. Wenn auch ihre eigentliche
Aufgabe durch die inzwischen eingetroffenen Nachrichten
schon erledigt ist, so werden sie doch wohl unsere Kennt-
nisse über diese Theile Ostsibiriens bereichern.
Das niederländische Segelfahrzeug „Willem Barents” ist
am 3. Juni wieder in die arktischen Gewässer gegangen,
nachdem der Plan, einen Dampfer zu verwenden, um die
Fahrt wo möglich bis Franz Josef-Land ausdehnen zu
können, aus Mangel an Mitteln vorläufig gescheitert ist.
Das Schiff ist für 18 Monate verproviantirt, wird zunächst
Barent’s Winterhafen zum Ziel nehmen und dort ein
Denkmal zu Ehren des berühmten Amsterdamer Lootsen
und Entdeckers errichten. Wenn möglich, soll dann noch
das Karische Meer durchkreuzt werden. Der Oberbefehl ist
wiederum dem Capt. A. de Bruijne übergeben worden; von
der übrigen vorjährigen Bemannung nehmen nur Jonkheer
H. M. Speelman und der Photograph W. G. A. Grant an
der diessjährigen Fahrt Theil. Als Officiere fungiren Lieu-
tenant erster Classe Broekhuijen und Lieutenant zweiter
Classe Kalmeyer, zum Zoologen ist stud. de Jeude in
Utrecht bestimmt.
Geographischer Monatsbericht.
Der dänische Marinelieutenant J. A. D. Jensen wird
seine Forschungen in Grönland auch in diesem Jahre fort-
setzen. In Begleitung des Cand. polyt. A. Kornerup und
des Marinelieutenant St. Hammer bat er am 30. März Ko-
penhagen verlassen, um die Vermessungs- und ÜUnter-
suchungsarbeiten an der grönländischen Küste zwischen Hol-
steinborg und Egedesminde fortzuführen. Jensen und Kor-
nerup gedenken im Herbste zurückzukehren, während Ham-
mer während des Winters wissenschaftliche Untersuchungen
und Beobachtungen anstellen wird.
Auch in England erwacht das Interesse für Polarfor-
schungen wieder. Capt. Albert H. Markham, welcher als
erster Officier des „Alert”’ an der letzten englischen Polar-
expedition 1875/76 Theil nahm und die nach Norden ge-
richtete Schlittenreise befehligte, wird während des Som-
mers auf der Jacht „Isbjörn” im Ostspitzbergischen Meere
kreuzen, um die dortigen Eisverhältnisse zu studiren und,
wenn irgend möglich, Franz Josef-Land zu erreichen !).
Wie wir bereits S. 75 mittheilten, empfahl Clemens R.
Markham, unterstützt von verschiedenen arktischen Autori-
täten, die Westküste von Franz Josef-Land als Ausgangs-
punkt zur Erreichung einer möglichst holen Breite. In
Regierungskreisen scheint aber trotzdem keine Neigung vor-
handen zu sein, arktische Forschungen wieder in Angriff
zu nehmen, denn wie „Nature’” vom 8. Mai mittheilt, hat
die Admiralität nach reiflicher Erwägung die vom Vor-
stande der R. Geogr. Society angeregte Entsendung eines
Schiffes durch die Bering-Strasse zur Unterstützung Nor-
denskiöld’s abgelehnt, weil diese Aufgabe besser Privat-
expeditionen zu überlassen sei.
Die Aufsuchung von Franklin-Reliquien, welche im vo-
rigen Jahre durch das Schiff „Zothen” unter Lieut. F.
Schwatka von der Repulse-Bai aus wiederum begonnen
wurde, scheint auch in diesem Jahre fortgesetzt werden zu
sollen, da ein Schiff mit Proviantvorräthen in diesem Früh-
jahre dieser Expedition nachgesandt wird.
Die Hoffnung, welche wir vor einiger Zeit (S. 145,
Anmerk. 1) aussprachen, dass der Congress in der Nach-
session die nöthigen Mittel für die Howgate’sche Polarexpe-
dition bewilligen werde, hat sich nicht verwirklicht. Die
mit der Prüfung der Frage beauftragten Ausschüsse haben
sich jedoch in günstigem Sinne entschieden, so dass in der
im December beginnenden Session die Bewilligung der er-
forderlichen 50000 Dollars zu erwarten steht. Zahlreiche
gelehrte Körperschaften in den Vereinigten Staaten haben
sich für die Unterstützung des Howgate’schen Planes aus-
gesprochen.
Die Handelsschifffahrt aus Europa nach Nordsibirsen wird
in diesem Sommer fortgesetzt werden. Herr Alexander
Sibiriakoff expedirt zwei Schiffe (einen Dampfer, „Samuel
Owen”, und ein Segelschiff „Express”) mit Waaren nach
dem Jenissej; ebendahın wird von Bremerhaven aus ein
von Capt. Dallmann befehligter Dampfer gehen. Auch nach
dem Ob wird wiederum von Hamburg aus der Dampfer
„Neptun’” unter Capt. Rasmussen gesandt.
Gleichsam als Vorläufer des demnächst erscheinenden
Reisewerkes über die westsibirische Expedition von Dr.
Finsch, Dr. Brehm und Graf Waldburg-Zeil bespricht
.
!) Athenaeum 3. Mai 1879, Nr. 2688.
Literatur.
F. Kurts in seiner Inaugural-Dissertation die von letzterm
mitgebrachten und dem Königl. Herbarium in Berlin über-
gebenen 432 Pflanzenarten. Die Sammlung hat bei der
Schwierigkeit des Transportes nur dadurch so reichhaltig
ausfallen können, dass Staatsrath Dr. O. v. Duhmberg in
Barnaul eine äusserst reichhaltige, in der nördlichen Altai-
region zusammengebrachte Pflanzensammlung den Reisenden
zur Verfügung stellte.
Der in der Osterwoche in Rom versammelt gewesene
internationale Meteorologen-Congress hat bezüglich des
Weyprecht'schen Planes, ciroumpolare Beobachtungsstalionen zu
errichten, folgenden Beschluss gefasst:
„Der Congress anerkennt die hohe wissenschaftliche Be-
deutung, welche synchronische, meteorologische und magne-
tische Beobachtungen, ausgeführt in den Polargebieten durch
gleichzeitige Expeditionen, besitzen. Er empfiehlt allen
Regierungen, ähnliche Unternehmungen auf das Wirksamste
IL EBLEPO
237
zu unterstützen. In Anbetracht: 1) dass die Mehrzahl der
Mitglieder des Congresses bezüglich dieser Frage nicht mit
Instructionen versehen sind, 2) dass solche Instructionen
unbedingt nothwendig sind, um zu definitiven Beschlüssen
zu gelangen,
beschliesst der Congress, sein permanentes Comitd zu
beauftragen, dass dasselbe den Zusammentritt einer Special-
commission veranlasst, bestehend aus Delegirten derjenigen
Regierungen, welche sich in irgend einer Weise an einem
derartigen Unternehmen betheiligen zu können glauben, ver-
sehen mit den nöthigen Instructionen und Vollmachten. In
Anbetracht der einleitenden Schritte, welche von den Her-
ren Graf Wilczek und Schiffslieutenant Weyprecht schon
gescheben sind, hält es der Congress für thunlich, dass
sich diese Commission am 1. October 1879 in Hamburg
versammele, um Vereinbarungen über die Details und die
Mittel zur Ausführung zu treffen”.
Lei ee a
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Kupferstich. 32 Lieferungen. (31 zu 3 Bl. & M. 1,80, 1 zu 2 Bl.
& M. 1,90.) Gotha, Justus Perthes, 1879.
1. Lieferung: Nr. 34. Frankreich. Bl. 1. Nordwestl. Theil. Von C. Vogel.
— Nr. 51. Ost-Europa. Bi. 3. Nordost- Russland. Von A. Petermean. —
Nr. 69. Nordwest - Afrika. Von A. Petermann. — Uartons: Senegambien —
Sierra Leone-Küste — Gold- und Sklaven-Küste.
3. Lieferung. Nr. 24. Südwest-Deutschland und die Schweiz. Nördl. Theil.
Von C. Vogel. — Cartons: Metz und Umgegend — Strassburg und Umge-
gend — Nr. 77 Polynesien und der Grosse Ocean. Oestl. Blatt. Von A. Peter-
mann. — 17 Cartoons: Inselgruppen In verschiedenen Maassstäben. — Nr. 79.
West-Indien. BI. 1. Von A. Petermann.
8. Lieferung: Nr. 48. Niederlande und Belgien. Von O. Vogel. — Neben-
karto: Neue Festung Antwerpen. — Nr. 46. Grossbritannien. SBüdl. Blatt.
Von A. Petermann. — Nebenkarte: Die Oanal-Inseln. — Nr. 80. West-Indien.
Bl. 3. Von A, Petermann. Nebenkarte: Die Atlantischen Staaten zwischen
Washington und Boston.
4. Lieferung : Höhon und Tiefen der Erde in Lambert's Zenitbal-Projectios.
Von Herm. Berghaus. — Nebenkarten : Planiglob der Antipoden. Pacifische
Erähälfte. Atlantische Erdbälfte. — Nr. 15. Europa. Von A. Petermann. —
Nebenkarten: Der Mont-Blane und Umgebung. Der Kasbek und Umgebung. —
Nr. 83. Vereinigte Staaten von Amerika in 6 Blatt. Bl. 1. Von A.
Potermann.
Univeresi Atiss for School and Home. 4°. London, Ward, 1879. 6d.
Ward, M.: Atlas of 22 Maps. 4°. London, 1878. 1 sh.
Woldermenn, G.: Plastischer Schul- Atlas in 22 geprägten Karten
Ausg. A. M. 2,00 — B.M. 3,0 — 0.M.4—D.M. 6. Leipaig,
Eckerlein, 1879.
.
(Geschlossen am 9. Juni 1879.)
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Modu
auctore .
a —
Die Indianer Californiens,.
Von G. Gerland.
(Mit Karte, s. Tafel 183.)
Die Indianer Californiens sin& für die ethnologische For-
schung zwar ein sehr interessantes, aber auch ein sehr
schwieriges Object. Um von der Halbinsel, dem mexika-
nischen oder Alt-Californien ganz zu schweigen, dessen in-
dianische Bevölkerung wir fast nur aus alten Nachrichten
(vielfach aus den Berichten von Jesuiten - Missionaren) und
ungenau genug kennen, so ist zwar kaum ein Land in den
letzten dreissig Jahren mehr genannt als Neu -Californien,
das Californien der Vereinigten Staaten; Geulogie und
Geographie, Botanik und Zoologie des Gebietes sind in Folge
der äusserst lebhaften Einwanderung, der plötzlichen Er-
schliessung des Landes eingehend studirt und wissenschaft-
lich dargestellt worden: wie aber die eingeborene Bevölke-
rung von den Goldsuchern nur feindselig behandelt, ja fast
ausgerottet ist, so bat auch die wissenschaftliche Erfor-
schung derselben bis auf die letzten Jahre keine Fortschritte
gemacht. Kein Land des gesammten Amerika’s, ja man
kann sagen der gesammten Welt, ist mit den Weissen unter
ethnologisch ungünstigeren Umständen in Berührung getre-
ten, als Californien.
Zunächst lebten auf dem verhältnissmässig beschränkten
Gebiet eine ungewöhnlich grosse Anzahl kleiner Stämme
vielfach mit einander in Fehde stehend und, was besonders
merkwürdig, sprachlich ganz ausserordentlich verschieden
von einander. „Probably nowhere in America is there a
grester multiformity of languages and dialects than here”,
sagt Hubert Bancroft mit vollem Recht. Entstehen nun sohon
hierdurch für die ethnologische Forschung die grössten
Schwierigkeiten, so werden dieselben durch einen anderen
Umstand noch sehr gehäuft: „There is”, um auch hier wie-
der mit Bancroft zu reden, „there is, perhaps, a greater
diversity of tribal names among the Californians, than else-
wbere in America”. Diese Vielnamigkeit ist ja schon
unmittelbare Folge der Vielsprachigkeit des Landes, dazu
kommt aber, dass aus Gründen, die wir später zu betrach-
ten haben werden, die einzelnen Stämme oft verschiedene
Namen haben, räumlich sowohl wie zeitlich, wodurch na-
türlich die Verwirrung in’s Endlose wächst. Neue Schwie-
Potermaan’s Googr. Mittheilungen. 1879, Heft VII.
ee A —
rigkeiten entstehen ferner dadurch, dass die Sitten der
Californier sehr von denen der östlichen, bekannteren In-
dianervölker abweichen, dass ihr Charakter etwas Scheues,
Zurückhaltendes hat und sie nur sehr schwer und erst nach
langer Bekanntschaft zutraulich und offenherzig werden ; dass
sie zugleich aber, bei heiterem, sinnlichen Temperament,
keine grosse Widerstandskraft besitzen, daher sie leicht ihre
eigne Art aufgeben, sehr leicht auch fremder Gewalt er-
liegen.
Und nun kamen, in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts, die spanischen Missionare nach Californien,
welche mit den gewaltsamsten Mitteln die Eingeborenen
zur Ansiedelung und Arbeit in und für die Missionen, so
wie zum Christenthum zwangen, dabei sich aber mit dem
Studium dieser Völker gar nicht beschäftigten und die natio-
nalen Unterschiede unter denselben möglichst zu verwischen
suchten oder wenigstens gar nicht berücksichtigten. Daher
. sagt der neueste und ausführlichste Schriftsteller über Cali-
forniens Völkerstämme, St. Powers, von den „quasi-Christia-
nized Indians of the missions’”: „Their aboriginal customs have
so faded out, their tribal organizations and languages have
become so hopelessly intermingled and confused, that they can
no longer be classified. They are known as Diagefios, Migue-
lefios, Rafaelefios, and the like Spanish names, which are
formed from the missions to which they respectively be-
longed; and for purposes of classification it is useless to
take down a vocabulary and call it the „San Miguel lan-
guage”, for instance, for the Indians, who originally lived
there may be all dead, while those who give the vocabu-
lary may be descended from Indians brought by the Spa-
nish missionaries from the San loaquin Valley, or some
other points a hundred miles distant, and which has been
forgotten even by the whites”. Diese Worte finden ihre
volle Bestätigung, wenn man die ethnographische Bespre-
chung der Mission-Indianer bei Bancroft durchsieht — sie
ist weiter Nichts als ein Verzeichniss von Namen, die viel-
fach heutzutage schon längst keine Träger mehr haben.
Denn durch die äusserst schlechte Behandlung, welche die
31
242 Die Indianer Californiens.
Indianer in den Missionen erdulden mussten, war dort die
Sterblichkeit eine sehr grosse; ganze Stämme sind dort ver-
kommen,
Nicht besser aber, als hier im Süden, ja noch schlechter
war das Loos der Californier im Norden. Was sie für bit-
tere Schicksale nach der Annexion Seitens der Vereinigten
Staaten erfuhren, mag man bei Waitz nachlesen ; dann aber
brachen über sie die Goldsucher herein, und wie diese
hausten, ist bekannt. Oberst Mallery in seinem Aufsatz:
„Ihe former and present number of our Indians” und eben
so Major J. W. Powell, der Leiter der U. S. Geographical
and Geological Survey of the Rocky Mountains Region, sind
beide der Ansicht, dass in Californien mehr Indianer um-
gekommen sind, als im ganzen übrigen Nord-Amerika zu-
sammen genommen !). Und sie kamen ihrer Mehrzahl nach
im 19. Jahrhundert, ja erst in der zweiten Hälfte unseres
Jahrhunderts um! |
Das hohe ethnologische Interesse, welches die Califor-
nier gewähren, beruht nun zunächst in ihrer ganzen Eigen-
art, ihren eigenthümlich entwickelten Sprachen, Sitten, reli-
giösen Auffassungen &c., s0 dass sie, ganz abgesehen von
allen Vergleichungen, an und für sich ein höchst merk-
würdiger Stamm sind. Dann aber ist die Frage nach ihren
Beziehungen zu den östlichen, südlichen oder nördlichen
Völkern eine wichtige und bis jetzt noch keineswegs ge-
löste; und endlich bieten sie auch anthropologisch in Folge
ihrer eigenartigen Körperbildung und sonst manches wich-
tige Problem für die Forschung. Jeder neue Beitrag zu
ihrer genaueren Erkenntniss ist daher ein höchst dankens-
werther. Gerade jetzt aber ist die letzte Zeit, wo man sie
noch in ihrem eigenartigen Wesen, als selbständigen Stamm,
wenn auch nur noch in ihren Trümmern, studiren kann,
Diese aber werden rasch sich immer mehr und mehr ver-
mindern, sei es durch völliges Vernichtetwerden, oder
aber, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten sich
ihrer annimmt, durch Annahme der Civilisation und Ver-
schmelzen mit der weissen Bevölkerung. Dass sie zur An-
nahme der Civilisation völlig befähigt sind, das bezeugen
die Berichte der Indianer-Agenten zur Genüge 2).
Und es scheint, als ob man sich ihrer annehmen wolle,
Gerade aus den maassgebenden Kreisen erheben sich Stim-
men, welche laut dafür sprechen, ‘dass die Indianer Nord-
Amerika’s, auch die Californier, eine durchaus lebenskräf-
tige, gut begabte Race seien; so ausser Mallery und Po-
!) The former and present Number of our Indians. By Garrick
Mallery, Proceedings of the Amer. Assoc. for the Advanc. of Science.
26 Meeting. Nashville August 1877. Salem 1878, p. 360. — J. W.
Powell in Contribution to North American Ethnology IL, p. 1.
?) Annual Report of the Commissioner of Indian Affaire to the
Secretary of the Interior for the Year 1877. Washington 1877, p. 35,
40, 42.
well z. B. auch Major S. N. Clark in einer nach jeder
Seite hin wichtigen Abhandlung, welche dem eben erwähn-
ten Annual Report von 1877 beigegeben ist !). Alles, was
die Indian Affairs-Agents Tadelnswerthes in der Behand-
lung der Indianer rügen, lässt die Regierung drucken, zum
sicheren Zeichen, dass sie Abhülfe schaffen will; und auch
wissenschaftlich wendet sie der Indianer -Bevölkerung ein
lebhaftes Interesse zu, indem im Auftrag des Department
of the Interior die U. S. Geographical and Geological Sur-
vey of the Rocky Mountain Region unter Powell’s Leitung
ausser den geographischen und geologischen Arbeiten auch
eine Reihe höchst bedeutender Forschungen über die ein-
geborene Bevölkerung, alledm lebhaften Interesse für dieselbe
und von der eben erwähnten Auffassung aus abgefasst, ver-
öffentlicht wird. Leider. sind diese officiellen Veröffent-
lichungen in Deutschland sehr schwer zugänglich; gerade
deshalb aber wird es für die Leser dieser Blätter von In-
teresse sein, über das Neue, was sie bringen, Bericht zu
erhalten.
Der dritte Band nun der ethnologischen Mittheilungen,
der Contributions to North American Ethnology, 1877 er-
schienen, behandelt auf 613 Quartseiten ausführlich und
ausschliesslich die Californier. Ein ethnologisch werthvol-
leres, wünschenswertheres Thema war kaum zu finden, und
glücklicherweise entspricht die Trefflichkeit der Arbeit völ-
lig der Wichtigkeit ihres Inhaltes.
Stephen Powers, der Autor dieses dritten Bandes 2), hat
einige Jahre unter den Indianern selbst gelebt, seine Mit-
theilungen beruhen also entweder auf Dem, was er selbst
von den Eingeborenen gehört und gesehen, oder aber auf
Nachrichten anderer verlässlichster Augenzeugen und ge-
nauer Kenner der Bevölkerung. Zunächst nun ist sein
Augenmerk auf die Stammesverhältnisse, die Zusammen-
gehörigkeit der einzelnen Völker gerichtet — und gerade
nach dieser Seite hin hat er ausserordentliche Mühe ver-
wendet, die oft nur dem Fachmann erkennbar ist. Denn
die Zusammenordnung der Stämme geschieht nach einge-
henden linguistischen Untersuchungen, von denen er nur die
Resultate giebt; zugleich aber theilt er sein linguistisches
Material vollständig mit, so dass man selbst prüfen, selbst
urtbeilen kann. Und man wird ihm, bei genauer Durch-
arbeitung aller dieser Vocabularien, im Wesentlichen bei-
stimmen; man wird es begreifen, dass er, weil die südlichen
Stämme durch ihre historischen Schicksale so „hopelessiy
intermingled” sind, dass eine wirkliche Auseinanderwirrung
ı) „Are the Indians dying out”? A pamphlet prepared dy the
Bureau of Educalion on the subject of tbe increase or decrease of the
Indian population of the United States Annual Report 485 pp.
2) Oontributions to North American Etbnology. Vol. IIL Tribes of
California by Stephen Powers. Washington, Govern. print. Off. 1877.
4°, Mit Index 635 Seiten. Eine Karte.
Die Indianer Californiens. 243
derselben nicht mehr möglich ist, sich in seinen Einzel-
forschungen vorzugsweis an die nördlichen gehalten hat,
Nach dem, was wir von dem Durcheinander so vieler
einzelner Stämme, von dem Gewirr so zablloser, oft syno-
nymer Namen sagten, ist nun gerade eine ethnographische
Entwirrung dieser Verhältnisse, ein richtig ordnendes, nach
sicheren Principien verfahrendes Zusammenstellen der zu-
sammengehörigen Stämme eine durchaus nothwendige Ar-
beit, welche jeder ethnologischen Schilderung Californiens
als Grundlage dienen, also nothwendig vorausgehen muss.
Dasselbe gilt vom Ausscheiden der bloss synonymen oder
heute nicht mehr lebenden Namen, welche als drückender
und völlig unnützer Ballast die genauere Kenntniss Califor-
niens auf das lästigste erschwert, ja verhindert. Und für
den Geographen stehen natürlich derartige Untersuchungen
der Völkerkunde in erster Linie: daher wir Powers na-
mentlich in diesen Forschungen hier begleiten wollen. Er
hat seiner Arbeit eine ethnologische Karte beigegeben, deren
verkleinerte Copie diesem Aufsatz folgt. Vieles, was für
uns von grösster Wichtigkeit, manche Resultate sehr schwie-
riger Vorarbeiten hat er im Text kaum berührt und
nur in der Karte niedergelegt, wo das richtige Auffinden
des Geleisteten nicht immer leicht ist. Um so mehr müs-
sen wir unsere Betrachtung an sie anschliessen.
Diese Karte schildert nicht die heutige Verbreitung der
Californier: sie giebt nur ungefähr (mehr lässt sich weder
erwarten noch erreichen) die alten Grenzen an, nach wel-
chen die einzelnen Hauptfamilien sich zur Zeit des Ein-
dringens der Europäer, sagen wir um 1750—1850, von
einander schieden. Natürlich war nie das gesammte farbig
angegebene Gebiet überall und gleichmässig bevölkert, denn
überall war die eingeborene Bevölkerung Amerika’s sehr
wenig dicht und so auch hier: die Flussthäler, die günsti-
gen Örtlichkeiten waren bewohnt, das andere Land in
weiter Ausdehnung öde, Heutzutage sind die alten Stam-
mesgrenzen, die auch früher vielfach fluctuirten, völlig zer-
stört, die Indianer entweder ganz ausgerottet oder ihre
Trümmer auf die einzelnen Reservationen zusammengepackt,
oder unregelmässig hin und berziehend. In den alten, ur-
sprünglichen Stammsitzen findet man nur noch wenige der
alten Insasseu. Die heutige Zahl der neucalifornischen In-
dianer mag etwa 15000, eher mehr als weniger, betragen.
Die Spanier schätzten sie zur Zeit ihrer Ankunft auf etwa
40000 und diese Schätzung ist wahrscheinlich über der
wahren Zahl.
Ganz anders allerdings urtheilt Powers: er glaubt für |
die voreuropäische Zeit 705000 Seelen als die ungefähre
Kopfzahl der Bevölkerung Niedercaliforniens annehmen zu
müssen (S. 416). Er begeht dabei einen doppelten Fehler
einmal, dass er, von einzelnen dicht bevölkerten Indianer-
Gegenden ausgehend, diese seiner Schätzung zu Grunde legt,
und ferner, dass er des Glaubens ist, eine uncultivirte Be-
völkerung brauche weniger Raum, könne dichter zusammen-
gesohaart leben, als eine cultivirte. Gerade das Gegentheil
ist wahr, wie schon aus der einzigen Betrachtung hervor-
geht, dass die Indianer von wildem Hafer, wilden Baum-
früchten (essbaren Eicheln), von Fischfang und etwas Jagd
lebten. Als ob solche Subsistenzmittel eine dichte. Bevöl-
kerung ermöglichten! So hat sich denn auch Major Powell
und ausführlicher Major S. N, Clark gegen Powers er-
klärt, und wenn ersterer behauptet, dass Ost - Californien
und Oregon bei der Ankunft der Weissen dichter bevölkert
gewesen seien als jeder andere Theil der Vereinigten Staa-
ten, so stimmt diess zu jener spanischen Schätzung von
40000 Seelen als jemals höchster Bevölkerungszahl Cali-
forniens vollkommen. Denn auch früher schon waren die
Bewohner auf die günstigsten und fruchtbarsten Gegenden
des Landes beschränkt: nehmen wir nun auch bloss die
Hälfte jener 40 000, also 20 000 Indianer in Ost-Californien
wohnend an, so erhalten wir für diesen verhältnissmässig
kleinen Raum eine grössere Kopfzahl auf die Quadratmeile,
als wir sie zur Zeit der Entdeckung Amerika’s irgendwo
sonst im Norden des Continentes anzunehmen berechtigt sind.
Doch kehren wir zu Powers’ Karte zurück. Als be-
sonders wichtig tritt ferner die Grenze der Californier
gegen die anderen amerikanischen Völker in Frage Zu-
nächst nach Norden hin: und gerade hier giebt Powers
viel Neues. Während Bancroft oder vielmehr Alex. Tay-
lor ) bei ihm die Californier bis zum Rogue River aus-
dehnen will — sehr mit Unrecht, denn die Hup& nördlich
vom Klamath sind schon vor 20 Jahren von Buschmann als
zum athapaskischen Sprach- und Volksstamm gehörig 'nach-
gewiesen ?2) —, so ist Powers der Ansicht, dass vielmehr
umgekehrt eine Reihe von Tinnehstämmen erobernd nach
Californien eingedrungen seien, dass ausser den Hupä& auch
die Shasta, Modok u. A. dem athapaskischen (oder Tinneh-)
Stamme angehören. Diese Völker haben einen bei weitem
kriegerischeren Charakter als die Californier, sie sind so
auffallend von Norden her in diese eingekeilt, dass wir
sie, nicht aber etwa die letzteren, als die siegreich vor-
dringenden zu denken haben. Diese Tinneh sind zunächst
im Besitz des ganzen Smith-River-Systems, dann des obe-
ren Klamaths bis Happy Camp; von hier läuft ihre Grenze
südlich bis zum Scott-Mount, dann über die Quellen des
Scott-River über den Shasta bis zum Südende des Goose-
Lake. Dann ist Trinity-River, South-fork ganz, Eel-, Mad-
1) H. Bancroft, Native races of the Pacific States of Americs. 1,
442 ; vorgl. seine Karte.
?) Abhandl. der Akad. zu Berlin 1854, Supplem.-Band II, Berlin
1859, S. 575 f.
31 *
244 Die Indianer Californiens.
und Redwood-River bis auf die Mündungsgebiete ganz in
ihrem Besitz; und ausserdem scheint sich noch ein Zweig
von ihnen, die Wailakki,am Trinity-South-Fork über die Coast
Range bis zum Shasta hinzuziehen, so dass die Anwohner
der Humboldt-Bai, echte Californier, ganz von den Tinneh
eingeschlossen wären. Doch sind hier Powers’ Angaben !)
ungemein undeutlich, wie denn auch seine Karte topogra-
phisch im hohen Grade ungenau ist, so dass, wenn seine
Angaben im Ganzen auch ohne Zweifel richtig sind, im
Einzelnen Vieles zweifelhaft bleibt. |
Wie dem auch sei, wenn sich diese Abgrenzung bestä-
tigt, so fallen eine ganze Reihe von Stämmen, welche man
vielfach noch zu den Californiern zählte, aus der Gemein-
schaft mit ibnen heraus. Bestätigen kann sich diese ethno-
logische Scheidung natürlich nur durch ‘genaues Studium
der Sprachen und Sitten; und so trennen sich zunächst
einmal folgende Stämme als nicht californisch ab. Zunächst
die He-nag-gi am Smith-River, die Töl-o-wa an der Küste
zwischen diesem Fluss und Crescent City und die Ta-ta-
ten (die freilich nur in einem ganz kläglichen Rest von
etwa 35 Seelen erhalten sind) um Ürescent City. Sie ge-
hören zu den Hupä, denen sie sprachlich ganz nahe stehen,
welchen sie aber auch in ihren Hauptvertretern, den krie-
gerischen Tölowa, im Charakter 2) gleichen. Auch die
Waf-lak-ki, d. h. Nordvolk, gehören trotz ihres Namens,
welcher der californischen Wintunsprache entstammt, zu den
Hupä, denen sie zunächst in der Sprache, dann aber auch
in Charakter und eigenthümlichen Gebräuchen nahe ver-
wandt sind. Die Wailakki zerfallen nun wieder in einzelne
selbständig benannte Stämme, welche also gleichfalls zu
den Tinneh zählen: die Läs-sik, von denen 1871 nur noch
drei übrig waren, früher am Mad-River, später von den
Wailakki vertrieben, an Van Doosens-Fork (nördlicher
Nebenfluss des Eel-River) wohnend;; die Saf-az, früher zwi-
schen Van Doosens-Fork und Eel-River, jetzt, in ganz ver-
kommenem Zustand, in der Hupä-Reservation, welche von
den Wailakkı Noän-Kakhl, von anderen Stämmen Tül-bush
genannt werden —. Synonyma also, welche aus den cali-
fornischen Stammlisten gestrichen werden müssen. Ein
Synonymon für die Wailakki ist Käkwits, welches Wort
„Nordvolk” in der Sprache der californischen Yuki heisst ?).
Eben so ist der Name der Klamath nur eine andere Be-
zeichnung für Hupä, Shasts und Modok, und dieselben Stämme
führen auch den Namen Luatami, nach Hale, welcher Name
ihnen aber wohl, wie wir später sehen werden, irrig bei-
gelegt ist. Merkwürdig ist es, dass einige Wailakki-Stämme
den Namen eines anderen, echt californischen Stammes, der
Pömo, angenommen haben. Es sind das die Kästel-P6mo
1) Powers, p. 114. — ®) p. 65. — °) p. 124.
und die Kaf-P6mo, zwischen den beiden Eel-Rivers. Weil
die, P6mo, mit denen sie im Connubium stehen, höher ge-
achtet sind, als die Wailakki, so nennen sie sich nach ihnen
und erlernen auch alle das P6mo neben ihrer Stammsprache,
dem Wailakki. Auch die Shasta, Anwohner des gleich-
namigen Berges und Flusses bis zum Klamath, sind Tinneh,
was zwar Powers nicht direct erweist, was aber eine ein-
gehendere Betrachtung der Shasta-Vocabularien, die er
giebt, deutlich zeigt. Synonyme für sie sind Saf-wash und
Wai-rf-ka; sie zerfallen in zahlreiche Stämme, die, wie
es scheint, sich alle Shasta oder Shastika nennen.
Schwieriger ist es, die Modok ethnographisch zu be-
stimmen, welche vom Lower Klamath-Lake bis zum Goose-
Lake wohnen, und sich in ihrer eigenen Sprache, nach
Steele bei Bancroft '), Okkowish nennen; Powers scheidet
sie von den Californiern aus 2), und bei Bancroft erscheinen
sie als ein Zweig der Klamath?), Dass sie den Califor-
niern stammfremd sind, geht aus ihren ganz abweichen-
den Sitten und ihrer ebenfalls abweichenden Sprache her-
vor; ob wir sie aber zu den Tinneh zu stellen haben,
darüber lässt sich nicht entscheiden, weil die Sprachproben
fehlen. Das Wenige, was Powers giebt (p. 45, die Zahlen)
stimmt nicht zu den Tinneh, enthält aber einen Anklang
an die Salisch-Völker; möglich also, dass die Modok zu
diesen gehören — für uns, die wir nur die Californier ab-
grenzen wollen, ist das nicht von Bedeutung; genug, dass
die Modok keine Californier sind.
Dagegen ist ein anderer Stamm, welcher als Klamath-
Indianer bezeichnet wird, den Californiern beizuzählen: der
Stamm nämlich, welchen Dr. Azpell 1870 in Hup& Valley
studirte und der sich mit seinem einheimischen Namen
Sa-a-gits nennt. Seine Sprache ist eine durchaus califor-
nische ®).
Umgekehrt sind nun einige Völker zu erwähnen, welche
ursprünglich wohl californischer Abkunft, jetzt zu Tinneh
geworden, in ihnen, und zwar in den Hupä, völlig aufge-
gangen sind. So die Chil-lü-la, oder, wie sie von den Hupä&
genannt werden, die Tes-wan, ursprünglich am unteren
‚ Redwood-Creek wohnend und zu den Yurok gehörig, jetzt
aber in der Hupä-Reservation in ihren wenigen Resten
ganz mit den Hupä verschmolzen; eben so die Whfl-kut,
eigentlich Hö-al-kut-whuh, d. h. die Tribut gebenden, die
Kel-ta (oder Khlel-ta) am Trinity-South-fork und die letz-
ten dürftigen Überbleibsel der Chi-mäl-a-kwe vom New-
River und dem Nordarm des Trinity, welche früher ein
selbständiger, nicht unbedeutender Stamm waren. Auch
die Sprache der Mat-töal, am gleichnamigen Flusse südlich
') Nat. Races of the Pac. St. I, p. 144. — *) Powers, p. 245. —
3) N. R. Ill, p. 640. — *) p. 460, 467 1.
Die Indianer Californiens. 245
von Cap Mendocino, denen wieder die Lo-lön-kük (Eel-
River, South-Fork) sprachlich gleich sind, sollen, wie Po-
wers durch Hörensagen erfuhr, einen athapaskischen, und
zwar einen Wailakki- Dialekt reden '. So scheidet sich
also mit Sicherheit die ganze Reihe von Stämmen von den
Californiern ethnologisch ab, welche Hubert Bancroft im
ersten Bande seiner Nat. Races, p. 442—444, unter den
Californiern verzeichnet, mit Ausnahme der Eurok (Yurok).
Weit leichter als im Norden sind die Grenzverhältnisse
des Ostens. Die coalifornischen Stämme wohnen hier bis an
die Sierra, und nur einer von ihnen, die Wä-sho, reicht
vom Tahoe-See bis zur Höhe des Gebirges selbst hinan.
Sonst ist diese von dem Shoshoni-Stamm der Pah-Utah
(Paiuti bei Powers) bewohnt, und wie sie von ihren Berg-
gipfeln aus oft die im Ganzen unkriegerischen Californier
bedrängt haben, so sind sie auch im Süden weit vorge-
drungen, bis zum Tulare-See, dessen Südküste sie nebst
dem ganzen Gebiet des Kern-River und Kern-Sees inne
haben. Sie haben ferner die San Bernardino Range in der
Gegend des F'ernando-Passes überschritten und sich in den
Ebenen westlich von derselben, etwa vom Santa Clara-Fluss
bis zum San Luis Rey-River ausgedehnt, in verschiedenen
Stämmen, welche Powers nicht erwähnt, die wir aber bei
Buschmann 2) und bei Waitz®) aufgezählt finden,
Dagegen erwähnt Powers eine Reihe von einzelnen
Stämmen unter den Pah-Utah am Kern-River, die, so weit
ich sehe, von ihm zuerst genannt werden: die Sal-li-ga-wo-
näp (von pal-üp, Strom, und e-k6-wan, gross) am Kern-
River, eine grosse Menge einzelner Stammabtheilungen um-
fassend, die auch, und zwar von den ihnen benachbarten
californischen Yokuts Pi-tän-ni-suh genannt werden, wie der
Name Mo-nä-ki nur eine andere locale Bezeichnung für die
Pah-Utah im Allgemeinen ist*). Ferner die Ti-pa-to-l&-pa
(oder Kuchibichiwanäp Palüp, d. h. kleiner Strom, ge-
nannt) an der Südgabel (welche Chay-o-pu-ya-pah auf Peter-
mann’s Karte heisst), die Wi-nan-gik an der Nordgabel
des Kern; bei Bakersfield (am Kern, nördlich vom Kern-
See) die Pal-&-um-mi; am Tahichapuah-Pass (östlich vom
Kern-See nach Great Basin führend) die (jetzt ausgestor-
denen) Ta-hi-cha-pa-hän-na, wie sie sich selber nannten,
oder Ta-hichp, wie sie von den Kernfiuss-Indianern, Kä-
wf-s-sub, wie sie von den Yokuts genannt wurden. Die
Indianer am Kern-See heissen bei den Yokuts Pal-wü-nuh,
d. h. Niederländer. An den Fällen des Kern-Flusses woh-
nen die To-mö-la, an den Sümpfen desselben die Po-6-lo;
an Posa-Creek die Be-ku. White River ist jetzt, wegen
}) Powers, p. 108, 118.
2) A. a. O., p. 656 f.
3) Waite, Anthrop. der Naturv. IV, 8. 205,
*) Powers, p. 350.
seiner Malaria, gar nicht bewohnt, doch finden sich Spuren
alter Anwohner, Auch der untere Lauf des Kern und Posa
sind sehr ungesund, die Bewohner daher vielen Malaria-
Krankheiten ausgesetzt !).
. Es geht aus Powers’ Worten nicht klar bervor, ob
diese Stämme nun eigentlich Californier oder Pai-uti sind;
nur von den Nüt-ha (von den Spaniern Mono, d. h. Affen,
genannt), welche am Oberlauf des King River und des
S. Joaquim wohnen, sagt er letzteres ausdrücklich. Die
Berichte, welche er über jene Kernfluss-Indianer giebt, die
heute natürlich nur noch in ihren Resten, z. Th. zusammen-
gedrängt auf Tula-Reservation leben, sind leider zu unvoll-
ständig, um einen ganz sicheren Schluss zu erlauben. Doch
spricht das Wenige, was wir über die Sitten der Palliga-
wonap und über die Zahlwörter der Kern-Indianer erfah-
ren, für ihre Zugehörigkeit zu den Pah-Utah. Auf seiner
Karte hat Powers diese Stämme nicht eingetragen.
In völliger Verwirrung ist die Ethnographie dieser süd-
lichen Stämme bei Bancroft. Zunächst trennt er die Ca-
suillo, die Kechi von den Shoshonis, indem er sie als
Südcalifornier ihnen gegenüberstellt 2), was ihn freilich nicht
hindert, im dritten Bande das Kechi als Shoshoni-Sprache
aufzuführen ?), Nur letzteres ist richtig. Eben so stellt
er die Mono zu den Mittelcaliforniern, reisst also auch sie
von den Pah-Utah los, und die Palligawonap oder, wie sie
bei ihm heissen, Pallawonap, hält er gleichfalls, wenigstens
im Index seines Werkes, denn im 1. Band werden sie
überhaupt nicht genannt, für eine südcalifornische, keines-
wegs eine shoshonische Nation.
Auch was er im 3, Band, p. 550, in Bezug auf sie be-
hauptet, bedarf eines Fragezeichens. Es wird dort, augen-
scheinlich nach Powers, ein Mythus vom Coyote (Canis la-
trans, dem californischen Reineke) erzählt, wie derselbe der
Sonne aufgelauert und dann, von ihr getragen, die Himmels-
bahn durchlaufen habe. „This myth”, sagt Bancroft in einer
Note, „Mr. Powers thinks, has been corrupted from the an-
cient myth of the zodiac, and, in his opinion, argues for
the Americans a civilized or at least semi-civilized Asiatic
origin — a very far-fetched conclusion I should say”.
Wenn Powers dieser Ansicht gewesen ist, so hat er sie
jetzt aufgegeben: er erklärt sich in dem uns vorliegenden
Werke ganz ausdrücklich dafür?), dass diess Märchen durchaus
den Indianern angehört und weder auf mexikanischem noch
auf jesuitischem Ursprung beruht — an welche beiden
Einflüsse man hierbei gedacht hätte. Asien erwähnt er gar
nicht — natürlich, denn Mexiko oder die Missionare liegen
ja weit näher. In dem Märchen wird u. A. erzählt: der
1) Powers, p. 398 f. — 2) Nat. Rac. I, p. 458 f. — >) II,
p. 660. — %) Powers, p. 396.
246 Die Indianer Californiens.
Coyote wartet auf die Sonne. Als diese nun kam, so sagte
sie ihm, er solle aus dem Wege gehen. Der Coyote aber
sagte, es sei sein Weg, er wolle sich nicht verdrängen
lassen. Die Sonne ging nun hinter ihm auf und er musste
etwas vorwärts gehen. Die Sonne aber stieg höher, es
wurde warm auf des Coyote Schulter, so spie er auf seine
Pfote und rieb sich die Schulter. Dann verlangte er auf
der Sonne zu reiten. Die Sonne rietlı ihm ab, aber ver-
geblich. Er hockte auf und die Sonne stieg nun am Him-
mel.einen Pfad empor, der aus Stufen bestand wie eine
Leiter, und als sie ging, zählte sie eins, zwei, drei &ec.
Der Coyote wird durstig, die Sonne giebt ihm eine Nuss-
schale voll Wasser &c. In diesem letzten Zug, in dem
leiterähnlichen Pfad, will Powers allerdings die Spur einer
alten Zodiakalmythe sehen. Meiner Meinung nach sehr
ohne Grund. Denn die Stufen dienen niobt zur Einthei-
lung, zur Markirung des Sonnenpfades, sie sollen nur die
gewaltige Schwierigkeit desselben schildern. Das Märchen
findet Verwandtes schon in Californien, Powers selbst er-
zählt uns (8. 39, 40) Versuche des Coyote, mit den Ster-
nen um den Himmel her zu tanzen, welche freilich un-
glücklicher abliefen, als dieser Sonnenritt. Die ganze Er-
zählung gehört in den Mythenkreis des Sonneneinfangens,
welcher über die ganze Erde verbreitet ist !).
Über die Yuma, zu der sonorischen Sprachfamilie wie
die Shoshoni gehörig, welche sich südlich von letzteren
über Californien ausgebreitet baben, spricht Powers nicht;
wohl aber rechnet er auch die Nözi, deren Wohnsitz an
Round-Hill und Umgebung war (nördlich von Mc Cloud-
River, Shasta-Stock) zu den stammfremden Völkern und
eben so die jetzt ausgerotteten Kömbo, einen Stamm, des-
sen einheimischen Namen wir nicht wissen, der so von
seinen californischen Nachbarn im Indian Valley (östlich
vom oberen Sacramento), den Maidu, genannt wurde. Die
Kömbo hatten manche Sitten, welche an die Algonkin-
völker erinnern, wie das Martern der Gefangenen, welches
n Californien ganz unerhört ist, das Benutzen von Thier-
häuten zur Kleidung, die Art, sich das Haar zu scheren &e.
Beide Stämme wollten nach ihren eigenen Sagen von Osten
gekommen sein.
Scheiden wir nun die bisher genannten Völker aus, so
bleiben die eigentlichen Californier übrig, diejenigen Be-
wohner Neucaliforniens, welche in der amerikanischen Ur-
!) Um Einiges zu nennen, was mir gerade bei der Hand ist: Poly-
nesien: Ellis polyn. researches, III, p. 176. Turner, nineteen years in
Polyn., p. 249. Grey, Polyn. mytbol., p. 15 f. Melanesien, Neu-
Guinea: Gondswasrd, de Papoewas v. d. Geelv.-Bai, p. 85. Lithauer,
Slaven, Germanen : Simrock, Handb. d. Deutsch. Myth. S. 429; 134 f.
Mongolen, Finnen: Castren Vorles. über finn. Myth., S. 64 f. Somiten:
Josus, 8, 10, 12 f. In Peru spielt, nach Garcilasso, der Fuchs die
gleiche Rolle, wie bei den Pah-Utah der Coyote.
bevölkerung wieder unter sich eine ethnologische Einheit
bilden. Ihnen gilt Powers’ Arbeit. Er theilt sie in meh-
rere grössere Familien ein, welche ihrerseits wieder in viele
einzelne Stämme zerfallen — Eintheilungsgrund ist ihm,
neben der geographischen Verbreitung der Völker und ihren
Sitten, namentlich die Sprache, und so kommt durch diese
methodische Arbeit, deren Material meist an Ort und Stelle
gesammelt wurde, endlich Klarheit und Sicherheit in die so
schwierige Ethnologie Californiens, die sie bis jetzt so sehr
entbehrte. Ausser dieser Sonderung der Stämme erhalten
wir zugleich ein genaues, ethnologisch wirklich brauchbares
Bild der individuellen Eigenart der californischen Race.
Diess Bild ist detaillirter als das sonst sehr gut gezeichnete
bei Waitz; es ist oorrecter als das bei Bancroft, der sich
seine Schilderung durch eine ganz willkürliche geographi-
sche Trennung und durch andere Ungenauigkeiten verdirbt.
Für uns hat nun auch hier das ethnographische Ele-
ment grösste Wichtigkeit. Gehen wir von Norden nach
Süden, so treten uns zunächst die Völker entgegen, welche
ganz von Tinneh-Stämmen umgeben an der Humboldt-Bai
sitzen — oder sassen. Zunächst die Yürok, die sich selbst
mit keinem gemeinsamen Namen, sondern nur nach einzel-
nen Ortschaften benennen, Ri-kwa, Mf-ta, Pek-wan, Sri-
gon, Waft-spek. Zu ihnen gehören die Al-i-kwa, deren
Sprache G. Gibbs „at the forks of the Trinity and Kla-
math” sammelte, so wie die schon genannten Sa-ag-its und
noch einige andere mundartlich verschiedene Stämme !).
Sprachlich sind alle dieselben so nahe verwandt, dass sie
sich gegenseitig verstehen müssen. Powers giebt eine Reihe
recht ausführlicher Wortverzeichnisse, die meist von ihm
oder von Gibbs gesammelt sind.
Und diese beweisen denn auch eine scharfe Trennung
der Yurok von den ihnen östlich nächst benachbarten
Kärok, zunächst im Wortvorrath, dann aber auch den gan-
zen Klang der Sprache, der bei den Yurok ausserordent-
lich hart und stark guttural, bei den Kärok dagegen weich
und wohlklingend ist. Zu ihnen gehören von Stämmen
ausser den Kärok bei Scootts Bar (schon jenseit der Grenzen,
die Powers’ Karte den Kärok giebt, im Gebiete der Shasta)
die Arra-arra am Klamath, die Peh-tsik am oberen Kla-
math, am Red Caps Bar, und die Eh-nek nach Gibbs an
der Einmündung des Salmon in den Klamath 2). Nach
Gibbs bedeutet der Name Pehtsik nur „oben” und ist eine
Sammelbezeichnung für alle Indianer des oberen Klamath.
Auch Kö-rok heisst (im Kärok) aufwärts, Yürok abwärts
(am Strom), und solche ganz unpersönliche Raumbezeich-
nungen werden wir noch äusserst häufig als Volksnamen
in Californien finden. Südlich von ihnen lebten die Chim-a-
!) Powers p. 460f.— ?) p. 447 f., Schooleraft Arch. III, p. 422.
Die Indianer Californiens. 247
ri-ko und der ihnen nächst verwandte Stamm der Chim-a-
la-kwe, von welchem letzteren Powers noch etwa sechs an-
traf. Die Angriffe der Hupä, in deren Abhängigkeit wir
sie schon kennen lernten, die furchtbar brutale Behandlung
Seitens der Weissen und endlich der plötzliche Übergang
zu einem halboivilisirten Leben, zu welchem sie gezwungen
waren, hat sie vernichtet. Ihre Sprache ist durchaus selbst-
ständig; zahlreiche Gutturale nähern sie in etwas dem Yurok.
Dieser letzteren Sprache auch im Wortschatz etwas
näher stehend (doch ist die Verwandtschaft keine enge)
sind die Sprachen der Wish-osk-Familie, welche südlich von
den Yurok um die Humboldt-Bai wohnte. Zu ihr gehö-
ren, nach Gibbs !), die Wish-osk am unteren Mad-River
und der Bai, ferner die Wf-yot am unteren Eel-River und
der Bai, und endlich die Ko-wilth, ebenfalls an der Bai,
weiche letztere nach Powers identisch sind mit dem von
ıhm ausführlicher geschilderten Pä-ta-wät.
Südlich von ihnen wohnen in Round Valley die Yüki,
die bisweilen auch No&m-kekhl (Weststamm, verderbt von
den Amerikanern in Nodäm-kult) heissen 2. Beide Namen
sind aus der Sprache der Wintün, die das Sacramento-Thal
bewohnen. Yuki heisst fremd, barbarisch und wird deshalb
von ihnen auf alle westlichen Stämme angewendet, nament-
lich aber auf den Stamm, der Round Valley und die ganze
obere Partie des Eel-River-Systems inne hatte, und auf die-
sen und seine Verwandte schränkt ihn deshalb Powers ein.
Zu letzteren, zu den Verwandten, gehört eine andere und
freilich etwas abgeartete Abtheilung, welche südlich von der
Hauptmasse des Stammes, südlich von Clear-Lake in der
Coast-Range auf der Grenze zwischen den P6mo und Win-
tun leben. Sprachlich gehören sie ganz deutlich zu den
Yuki, zugleich aber zeigen sie auch eine eigenthümliche
physische Eigenschaft der letzteren, nämlich auf einem
wenig entwickelten Körper den auffallend grossen Kopf?),
Powers fand sie zwischen Geyserville und Healdsburgh *),
ihr alter Wohnsitz aber war in den Bergen von den Gey-
sern (Geyser Peak) an bis zu den heissen Quellen von
Calistoga, und nur diesen alten Wohnsitz hat Powers
auf seiner Karte verzeichnet. Die nördlichen Yuki zer-
fallen in viele Stämme: zunächst die Thalbewohner selbst,
welche sich Uk-um-nom, d. h. nach Powers „in dem Thal”
nennen, von ükun, Thal. Der Name Hüch-nom, den ein
anderer Stamm führt, heisst aber unmöglich, wie Powers
gleichfalls will, „ausserbalb des T’hales”, er ist vielmehr vom
Worte ük, im Huchnom-Dialekt ükh — kh wird gesprochen
wie ch in „ach, Buch” —, d. h. Wasser abzuleiten, und
sind die Huchnom „die Leute des Wassers”, d. h. des
-- m —-o..-
1) Schoolcraft Am. Arch. III, p. 422. Powers, p. 478, und Karte,
2) Powers, p. 230. — °) p. 127, 198. — *) p. 196.
Stromes, die Uk-höat-nom, ein dritter Stamm „die Leute
des grossen (host) Wassers”, d. h. des Oceans, wobei aller-
dings die Silbe nom unerklärt bleibt. Ich möchte darin,
nach Analogien, welche wir später z. B. bei den Wintun
reichlich finden, eine Bedeutung wie Mensch, Volk, suchen.
Ausser diesen gehörten zu den Yuki noch andere dialek-
tisch geschiedene Stämme. So einer ebenfalls in Round
Valley, von welchem Lieutenant Edw. Ross 1863 ein klei-
nes Wortverzeichniss zusammenstellte, dessen Abweichungen
keineswegs nur in der verschiedenen Auffassung des Auf-
zeichnenden beruhen können. Ferner lebte ein anderer
Stamm, von welchem J. R. Bartlett Worte sammelte !),
„near Knights-Farm, at the head of the valley toward Clear
Lake”. Der Sprachschatz dieses letzteren, obwohl immer noch
deutlich den zuerst erwähnten Dialekten verwandt, ist sehr
stark abweichend. Er scheint sich näher an die Yuki-
völker, welche südlich vom Clear-Lake wohnen, anzuschlies-
sen, 50 weit man diess aus den wenigen Sprachproben der
letzteren ?2) entnehmen kann. Diese südlicheren Yuki heis-
sen Ash-o-chi-mi oder bei den Spaniern Wappo. Auf Po-
wers’ Karte fehlt der Name: er giebt an, dass sie sich bis
zu Knights-Valley erstreckt hätten ?); und die von ihnen,
welche zwischen Geyserville und Healdsburgh wohnen, füh-
ren den Namen der Rincons?). Zu der nördlichen Hauptabthei-
lung gehörten dann ferner noch die Chu-maf-a (ein Pömo-
wort, welches „fremd” bedeutet), d. h. die sogenannten spa-
nischen Yuki, in Eden Valley und am mittleren Eel-River !);
sodann die Tä-tu, welche eine Abtheilung der Hüch-nom
sind und am obersten Ende des Potter-Thales wohnen. Sie
bilden nur ein Dorf, haben aber das Recht, sich nie an den
Kriegen der Pömo und Yüki zu betheiligen und ganz selbst-
ständig zu leben. Ähnlich isolirt gestellte, tabuirte Stämme
oder Familien giebt es auch auf den Inseln der Südsee,
Die Yuki und die schon besprochenen Wailakki, letztere
von athapaskischer Abstammung, gelten bei den Indianern
der Round Valley- Reservation als besonders dumm und
tiefstehend. Daher haben beide Stämme, weil sie sonst
wenig Freunde haben, vielfach herüber und hinüber gehei-
rathet, und es hat sich eine Mischlings-Nachkommenschaft
gebildet, welche die Yuki-Wailakki heissen °). Beide Stämme
passen übrigens zusammen: die räuberisch-kriegerische Art
der Wailakki kennen wir schon, und die Yuki nennt Po-
wers (dem sie als the worst tribe among the California
Indiens gelten) eine wilde, mürrische, diebische, rachsüch-
tige, in jeder Hinsicht schlechte, aber tapfere Race. Eine
andere Misschlingsrace führt uns weiter nach Süden, es sind
jene oben schon erwähnten Wailakki-Pömo-Stämme; und
I) Powers, p. 483. — 2) p. 197. — 3) p. 196. — *) p. 136. —
89) p. 127.
248 Die Indianer Californiens.
von den echten P6mo sind hier die nördlichsten ebenfalls
zu erwähnen, die Kä-to Pömo (Seevolk, nach einem klei-
nen See in ihrem Gebiet genannt), denn auch diese spre-
chen das Pömo mit starker Wailakki-Beimischung !). Sie
haben also wohl jedenfalls auch eine entsprechende Bei-
mischung von Wailakki-Blut erfahren.
Die P6mo wohnen am Russian-River. Ihr Centralpunkt
ist Potter-Valley. Hier haben wir ausser den eben ge-
‘nannten Kato-Pomo die Bal-l6 Kai Pömo (d. h. die Hafer-
thal-Menschen), auch Poam-P6mo genannt ?), die von jenen
zu den Tinneh gehörigen Kai-Pömo wohl zu unterscheiden
sind; ferner, in Sherwood-Valley, die Kulä-Kai Pömo (Kula,
Frucht einer Wüstenpflanze, einem kleinen Kürbis ähnlich,
nach Beschreibung der Indianer), von den Kato auch Shi-
bal-ni-P6mo, d. h. Nachbarvolk, genannt; in Redwood Cafon
die Dä-pi-shül P6mo (d. h. die P6mo, welche „hohe Sonne”
haben, selber tief im Cafion, kalt wohnen); bei Calpello die
Choam Cha-di-la P6-mo (Pechtannen-Pömo); bei Ukiah, die
Yo-Kaf-a-P6mo (Unterthal P6mo); im nahe gelegenen Coyote
Valley, die Shö-do Kai Pömo; an der Küste und am Usal
Creek die Yü-säl P6mo oder Käm-a-lel P6mo (Meervolk);
am Rio Grande die Bül-dam Pömo, am kleinen See die
Mi-toäm-Kai Pömo (Waldthal-P6mo); am Clear-See, bei Lake-
port die östlichen Pömo. Damit sind wir aber noch lange
nicht fertig mit unserer Aufzählung: da, wo das Thal des
Russian-River sich ausbreitet, gegenüber der heutigen Stadt
Sanel, wohnen die Se-nel oder Sa-nel und drei ganz kleine
andere Stämme, die So-kö-a, die Lü-ma und die Sf-a-ko,
deren jeder ein Dorf für sich bildet, nordwestlich aber von
Ukiah, bei Anderson, die Ko-mä-cho, welche den Senel
näher verwandt sind. Südlich am Russian-River, bis zu
Santa Rosa-Creek und Dry-Creek Valley, leben die Über-
reste des Volkes, welches die Spanier Gal-li-no-m&-ro nann-
ten. Zu ihnen gehören nordwestlich von Geyserville die
Mi-säl-la Ma-gün oder Mu-sal-la-kün und die Kai-md, die
ostwärts an die Rincons und die Ashochimi grenzen; zu
ihnen gehören ferner die Gua-lä-la, welche an der Küste,
am Gualala- oder Garoia-Creek wohnen, die E-rüs-si an
Fort Ross, heute nur Reste eines Stammes, und endlich
die Erfo an der Mündung des Russian-River. Doch sagt
Powers, dass die Gualala, trotzdem er sie „colosely related’
den Gallinomero nennt, dennoch und eben so die Erio
sprachlich den nördlicheren Pomostämmen näher ständen als
den Gallinomero selber, obwohl sie sich auch mit letzteren
ohne grosse Mühe verständigen können ®). Pömo nennen
sich die Nordstämme allein bis nach Calpello hin ®), und
soll das Wort nach Powers herkommen von dem Wintun-
Wort für Erde, pum und Erdmenschen Autochthonen be-
') Powers, p. 150. — *) p. 156. — ®) p. 186. — 9) p. 146.
deuten !) —, eine Ableitung und Bedeutung, die keineswegs
sicher scheint.
Wie dem auch sei, alle die genannten Völker gehören
. zu einer grossen Familie, der Pomofamilie, und eben so ge-
hört eine Reihe anderer Stämme zu derselben, von denen
Vocabularien, meist von George Gibbs gesammelt, in School-
craft’s Archaeologia, Band III, veröffentlicht sind. So die Be-
wohner des Thales Ba-tem-da-kaii an den Quellen des Eel-
River, welche eine eigene Mundart sprechen; die Chau-
i-sek des Betumki-Thales am mittleren Eel-River; die Yuksai
in der Quellgegend des Russian-River, welche sprachlich auch
wieder selbständig stehen; die Ku-la-na-po vom Clear-Lake,
deren Sprache in dem ganzen Umfang des Sees von den
verschiedenen dort sesshaften Stämmen gesprochen wurde ?),
Nach Powers’ Untersuchungen ist indess nur die Westseite
des Sees von P6ömo-Stämmen bewohnt gewesen, die Ostseite
war in den Händen eines anderen Volkes, der Tat-win’?).
‚Pomo sind ferner die Ka-bi-na-pek, bei Kelseyville,
in der Nähe des Sees, deren ebenfalls wieder abweichen-
den sehr rauhen Dialekt Powers 1872 kennen lernte,
und die er als den Stämmen des Russian-River leiblich
und geistig überlegen schildert; die Chwachamaju, benach-
bart der Bai Bodega und der russischen Colonie Ross,
deren Sprache zuerst von Kostromitonow in russischen Let-
tern aufgezeichnet wurde t); die Venaambakaiia, die einst
um Fort Ross wohnten; und die H’hana, welche, nach der
Aussage des Indianers, aus dessen Mund J. R. Bartlett die
Sprache sammelte, am Sacramento, also weit östlicher als
die übrigen P6mo, gewohnt haben sollen. Alle diese Stämme
und gewiss noch viele andere gehören zu der grossen F'a-
milie, welche Powers ganz zweckmässig unter dem Namen
der Nordstämme, Pömo, zusammenfasst. In dieser Zusam-
menfassung, die, gestützt auf die Vocabularien, unanfechtbar
ist, liegt ein grosses Verdienst, wie denn auch die dazu
nöthige Arbeit ohne Zweifel eine äusserst mühevolle war.
Die ganze Familie beweist aber so recht, wie zersplittert
die californische Urbevölkerung war; zugleich auch, wie
selbständig die Entwickelung der einzelnen Dialekte nach
mancher Seite des Sprachschatzes ist, der bei vielen Wor-
ten völlige Verschiedenheit der Wurzeln zeigt.
Bind wir nun so an der Küste bis zur Bai von San
Franoisco vorgedrungen, so wollen wir jetzt uns wieder
nach Norden wenden, um die östlicheren Völker Nordcali-
forniens gleich hier anzuschliessen. Da kommen wir zu-
nächst in’s Sacramento-Thal, zu der grossen Familie der
Win-tün, westlich vom Sacramento. Unter diesem Namen
fasst Powers eine Reihe von einzelnen Stämmen zusammen,
!) Powers, p. 156 f. — ?) Gibbs in Schoolor. III, p. 421 £.,
p. 428 f.; Powers, p. 491 f. — °) Powers, p. 204. — *) v. Baer,
Beiträge. I, 8. 233 f.
. Die Indianer Californiens. 249
weil sie sprachlich zusammengehören: doch trennt er sie,
nach Sprache und Wohnung, in zwei grosse Abtheilungen,
deren nördliche die Win-tü’n im engeren Sinne, deren süd-
liche, am mittleren und unteren Sacramento, die von ihm
so genannten Pat-wi’n sind. Der Name ist nach der Ana-
logie des Wortes Win-tü’n gebildet, welches Indianer, Mensch,
Volk, zugleich auch Häuptling bedeutet und die einhei-
misch-nationale Benennung der Nordvölker ist, auf welche
sie stolz sind. Ein solcher gemeinsamer Name fehlt dem
südlichen Zweig; pat-wI’'n bezeichnet bei diesen Mensch,
und so wählte Powers mit glücklichem Griff dieses Wort,
welches ja in seinem letzten Theil der ersten Hälfte der
nördlichen Stammesbenennung gleich ist, zur Zusammenfas-
sung aller südlichen Stämme.
Wir beginnen mit den Win-tün, den Anwohnern des
oberen Sacramento und oberen Trinity, deren Einfluss sich
weithin geltend gemacht hat. Trägt doch z. B. jener atha-
paskische Stamm der Wai-lakki einen Win-tün-Namen. Auch
jetzt noch sind sie weit über ganz Californien durch Wan-
derungen &c. verbreitet !). Ihre Stammesnamen sind reine
Localbezeichnungen, gebildet aus den Namen der vier Him-
melsgegenden und einem Zusatz wie Haus, Zunge, Stamm,
Volk, Fremder &. So heisst Wai-lakki Nordsprache, Nord-
volk. Ibr Ursitz, von dem sie ausgestrahlt sind, ist Cotton-
wood-Creek, wo jetzt die Dad-pum Wintun leben. Am Ruin-
River, der in den Cottonwood einfliesst, wohnen die Nim-mok
(Weststamm) ; am Stony-, Thomes- und Elder-Creek bis in die
Berge hinauf die Nodm-lakki (Westsprache); am unteren
Stony-Creek die Nü-i-mok (Südvolk; die Namen der Him-
melsgegenden, welche an erster Stelle stehen, zeigen dia-
lektische Verschiedenheiten); am unteren Thomes- und Elder-
Creek die Pü-i-mok (Ostvolk), welche sich auch ostwärts vom
Sacramento in einem schmalen Streifen bis zum Pit-River
hinziehen. Die südlichen Stämme wurden von den Cotton
wood-Wintün Nörbos (Südhaus, Südfamilie), die Cottonwood-
Anwohner nebst anderen nördlichen Wintün-Stämmen von
den Norbos Waf-lakki genannt, eine Bezeichnung, mit wel-
cher auch einige nördliche Stämme sich selber benennen,
Letztere muss man daher scharf von den früher erwähn-
ten Wai-lakki athapaskischer Abstammung unterscheiden.
Die Norbos stehen seit sehr alter Zeit mit den Num-
mok in besonderer Freundschaft und Verbindung 2). Am
Mo Clouds-Fork (Nebenfluss des Pit, kurz vor der Mün-
dung des letzteren in den Sacramento) wohnen die Win-
ni-mim (Nordfluss-Anwohner), am Pit-River selbst der kleine
Stamm der Püi-mim (Ostfluss-Anwohner). Im Trinity-Tbal
wohnt ein anderer grösserer Zweig der Wintün, der sich
such durch manche Sitten von den übrigen unterscheidet;
_ .—r —.-
!) Powers, p. 339. — D) p. 238.
Petermsan’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VIL
am oberen Trinity bis Scott-Mountain die Waf-kön-mok
(Nordvolk), westlich von ihnen die Ti-6&n-Ti-&n, was ‚Freunde”
heissen soll. Sie sind in der That ein durchaus friedlicher
Stamm; der Name bezieht sich wohl auf ihr Verhältniss
zu den stammfremden und kriegerischen Hupä, mit denen
sie in Connubiuın stehen !), Am Hay-fork (südwestlich von
Weaversville) sitzen die Nör-mok oder Nör-rel-mok (Südvolk).
Auch die Patwfn zerfallen in zahllose Stämme, welche,
völlig zusammenhangslos und unabhängig, ja oft feindselig
neben einander wohnen, trotzdem aber gemeinsame Sitten und
eine gemeinsame Sprache haben, die ohne viel dialektische
Unterschiede von jedem Indianer der Gegend verstanden wird.
Sie erstreckt sich über die ganze südwestliche Sacramento-
Ebene von Jacinto bis zur Suisun-Bai bei Newport (innerster
Theil der San Franoisoo-Bai) vom Fluss bis zur Coast-Range
reichend ; ja auch über den Sacramento nach Osten geht sie
hinaus, indem sie den Fluss von der Stony-Creek-Mündung bis
zur Mündung des Feather-River in einem schmalen Saum (der
auf Powers’ Karte fehlt) begleitet?). Noch eine andere Sprache
des Gebietes erwähnt Powers 2), die der Reho, die aber jetzt
ausgestorben ist. Die Stämme der Patwin sind folgende: im
Napa-Thal (nördlich von San Pablo-Bai) die Napa; in der
Nähe des Napa im Pope-Thal wohnten die jetzt längst aus-
gestorbenen Reho oder Tu-lo-kai-di-sel, von deren Sprache
man eben so wenig als von ihren Sitten weiss. 1838 von
den Spaniern nach der Sonoma-Mission transportirt, starben
sie an den Blattern hin; 1842 lebten noch drei?) So
dann: an der nach ihnen benannten Bai die Su-i-sün; etwas
nordwärts die Ma-läk-ka, die Ol-u-l&4-to; am Puta, der bei
den Eingeborenen Li-waf heisst, die Li-waf-to, von den
Spaniern auch Putos genannt, Dann folgten die To-paf-
di-sel; am oberen, mittleren und unteren Cache-Creek die
O’]-po-sel, Chön-po-sel und Wi-lak-sel, d. h. oberer, unterer
und Stamm der Ebene. In I,ong-Valley wohnen die Löl-
sel oder Löld-la (Löl-sel heisst: Platz, wo Indianischer
Tabak wächst); bei Knights Landing (am Sacramento, nord-
wärts vom Cache-Creek) die Yo-det-a-bi; in Cortina-Valley
die Wai-ko-sel („im Norden wohnend”); bei Colusa die Ko-
rd-si. Ein Mischlingsstamm der Wintän und Patwin, von
ersteren No-yüki, Südfremde genannt, wohnte am Stony-
Creek. Der Sitz aller dieser Stämme war, wegen der un-
günstigen Beschaffenheit der Gegend, nur an den Wasser-
adern des Gebietes.
Zu den Patwin wird man am besten auch die östlichen
Anwohner des Clear-Lake stellen, die Mäkh-el-chel (Hessler,
Kessler, Hesley, Kelsey der Amerikaner), welche ibrer
Sprache nach entschieden zu der Wintün-Familie gehören °).
Power giebt Wortsammlungen von 12 Stämmen dieser
1) Powers, p. 241. — 7) p. 218. — 7 p. 228. — 9) p. 216,
32
250 Die Indianer Californiens. .
Familie: 1) Wintün bei Tehama, von ihm selbst gesammelt;
2) Mundart vom oberen Sacramento, von Johnson gesammelt
und schon bei Schoolcraft, IV, gedruckt; 3) Mundart vom
oberen Trinity, 1866 von Dr. Gabb; 4) Noema, Wylacker,
von Bartlett zwischen Sacramento -River und Clear-Lake
gesammelt; 5) Colouse, ebendaher, von demselben; 6) Te-
hama; 7) Nome Lackee; 8) Ko-pe, nach Gibbs vom unte-
ren Puta-Creek, gedruckt in Schoolcraft, III; 9) Digger,
von Oscar Loew 1874 gesammelt und in desren „Zwölf
Sprachen aus dem Südwesten Nord- Amerika’s” gedruckt;
10) Patwin, von Powers 1872 in Long- Valley von Mit-
gliedern des Chonposel-Stammes aufgezeichnet; 11) Numsu,
von Powers 1871, und 12) Wintün vom McCloud, schon
gedruckt im Report of the U. St. Commission on Fish and
Fisheries, Part II und III.
Wie sich nun die Wintün mit den Hupä gemischt haben,
so auch mit den Pit-River-Stämmen, den Pü-i-su oder Pü-
shüsh (Ostvolk), wie sie im Wintün heissen, den A-cho-
mä-wi (d. h. Flussanwobner), wie sie Powers nach einem -
ihrer Stämme (am Fall-River) zusammenfassend benannt
hat. Ausser diesem Stamm gehören zu den Pü-i-su: am
South-Fork die Hu-mä’-wi; in Hot Spring- Valley die
Es-ta-k6-wach; ebenda unter Hot Spring die Han-te-wa;
in Round-Valley die Chu-mä’-wa; in Big-Valley die A-tu-&-
mih oder Ha-mef-küt-tel-li, welcher Stamm von dem in Hot
Spring-Valley, obwohl nur 20 miles entfernt, physisch be-
merkenswerth verschieden ist. Die Es-ta-ke-wach sind die
elendesten aller Californier. Auf der Südseite des Flusses,
Fort Crook gegenüber, wohnen die Il-mä-wi; am Hat-Creek
. die Pä-ka-mal-li, die kriegerischste aller Pü-i-su-Nationen,
mit den eigentlichen Achomäwi am Fall-River, nach Aus-
sage der letzteren, nahe verwandt. Die Sprache dieser
Völker ist ausserordentlich rauh und schwierig; Worte der
Achomäwi hat Powers 1875 in Round-Valley gesammelt,
George Gibbs zu Washington 1861—62 von einem Knaben
des bisber noch nicht genannten Apui-Stammes, der zwi-
schen Pit- und Fall-River lebt; Gibbs nennt diese Sprache
das Lu-tu-a-wi, welcher Name analog anderen Namen der
Pit-Völker gebildet ist (cf. Atudmilh]: das mäwi der
übrigen Namen scheint dislektische Verschiedenheit). Daher
verwendet ihn Gibbs wohl richtig und Hale irrt, der ihn
als zweiten Namen für die Klamath angiebt, welche wir
schon als Tinneh kennen gelernt haben.
Südlich von den Pit-Indianern, östlich von der Wintün-
Familie, wohnt der Stamm der Mai-du oder Maf-deh. Auch
dieser Name bezeichnet „Mensch’' und ist deshalb von Powers
zum allgemeinen Stammnamen erhoben, da die zahlreichen
einzelnen Zweige des Stammes keine gemeinsame Benennung
besitzen, sie aber alle zu ihrem Stammnamen das Wort
Mai-du hinzufügen. Diese einzelnen Stämme sind sehr zahl-
reich: die Namen derjenigen, welche Powers auffinden
konnte, lauten: in Indian-Valley, nach den Bergen zu die
To-sf-ko-yo Maidu;; bei Big-Meadow, die N&4-kum (Mafdu) ');
bei Susanville, die Ku-lö-mum. Am Feather-River wohnen
die O']-la der Mündung des Bear-Rivers gegenüber ; strom-
aufwärts die Kül-meh die Hoak, Tf-shum, Wi-ma, und der
Mündung des Yuba gegenüber die Yu-ba Am linken Ufer
die Toäm-cha und die Hoän-kut, letztere dicht unter der
Mündung des Honcut-Creek, an welchem stromaufwärts die
Tö-to und Hel-to wohnen. Dann wieder rechts am Feather-
River die Böka, die Taf-chi-da, die Baf-yu und, Oroville
gegenüber, die Hol-6-lu-pai; am Butte-Creek die Eskin; am
Chico-Creek die O-t&-ki (im Dorfe O-ta-kü’m-ni) und die
Mich-d’p-do; in Concow-Valley die einst sehr mächtigen
Kön-kau; am Yuba bei Nevada City die Us-tö-ma; strom-
abwärts die P&n-pa-kan,
Wie sich nun im westlichen Sacramento-Thal die Win-
. tün und Patwfn zu einander verhalten, so hier, in diesem
östlichen Theil des Stromgebietes, die Mafdu und Nishi-
nam, welche letztere vom Bear-River, einem Nebenfluss von
Feather-River über American-River bis zum Consumnes-
River sich erstrecken. Linguistisch stellt Powers nun auch
beide Stämme, wie es durch die nahe Sprachverwandtschaft
bedingt ist, zu einer Familie zusammen, und auch karto-
graphisch scheidet er sie nicht. Dennoch aber behandelt
er in seiner ethnologischen Darstellung die Nishinam als
„separate nation”, weil sie sich nicht Mafdu, Maideh, son-
dern Ni-shi-nam 2), Mä-na oder Maf-dek nennen, weil ferner
die Zahlwörter so wie die Stammesbezeichnungen und auch
die Sitten bei ihnen etwas abweichend sind. Ich kann
diese Gründe nicht als ausreichend anerkennen: denn jenes
mafdek des Südens ist doch unbestreitbar dasselbe Wort
als das mafdeh des Nordens, und die tibrigen Abweichungen
sind zu unbedeutend, als dass sie diese Trennung rechtfer-
tigten. Besonderes Gewicht legt Powers z. B. darauf, dass
der grosse jährliche Tanz zu Ehren der Todten, der bei den
Mafdu überall sich findet, bei nur einzelnen, nicht bei allen
Stämmen der Nishinam ausgeführt wird: allein, dass er
auch bei ihnen Sitte gewesen, das beweist ja sein Vorkom-
men auch bei ihnen bis zum American-River, also bis tief
in ibr Gebiet hinein, und wenn Powers auch behauptet,
diese Sitte sei erst von den Mafdu bei ihnen eingedrungen,
so beweist er diese Behauptung nicht. Aber wenn auch:
diese einzelne Abweichung ist nicht wichtig genug, beide
Stämme als gesonderte Nationen von einander zu trennen,
um so weniger, da die südlichen Nishinam eine ähnliche ent-
sprechende Sitte, eine Art Trauerfest für die Todten all-
!) Ich lasse bei den übrigen Namen das Maidu weg.
2) Diess nam’ in Nishi-nam könnte dasselbe sein wie das „nom
in that-nom.
Die Indianer Californiens. 251
jährlich feierten, in den verschiedenen Orten zu verschie-
denen Zeiten !,, Die Abweichungen in den Sitten beider
Völker scheinen in eben so allmählichem Übergang von
Nord nach Süd zu stehen, wie sich die Sprache ganz all-
mählich von Nord nach Süd mundartlich umändert. Eine
bestimmte Grenze lässt sich zwischen beiden, wie Powers
selber sagt ?2), nicht ziehen. Er fährt fort: „ein Vocabular
vom Feather-River verliert drei Viertel seiner Worte bis
zum Consumnes, ja selbst eins vom Bear-River bis eben-
dahin mindestens die Hälfte, was beweist, wie sehr das
Nishinam varürt. Es ist vielleicht weniger gleichartig,
mundartlich bunter als irgend eine andere oalifornische
Sprache. Geht ein Amerikaner etwa von Bear-River bis
Auburn (am American - River), so versteht er ausser den
Zahlen zuerst kaum eins unter 4, 5, 6 Worten; allein auch
die anderen sind nach und nach erkennbar und so lernen sie
gegenseitig ihre Dialekte sehr leicht. Daher hat man hier
zwei Sprachen annehmen wollen, eine am Sacramento, eine
andere in den Bergen, aber irrig, denn beide sind nicht
stärker unterschieden, als die Bergdialekte wieder unter
sich. So lange die Zahlwörter sich gleichen oder fast gleich
bleiben, zähle ich nur esne Sprache, und so lange lernen
auch die Indianer die verschiedenen Sprachen leicht; än-
dern sich aber die Zahlen ganz, dann finden sie es oft beque-
mer, englisch unter einander zu reden, als die neue Sprache
zu lernen”. Die Gleichheit der Zahlwörter ist kein rich-
tiger Gradmesser für die Verwandtschaft der Sprachen und
auch hier das Zusammentreffen der Ähnlichkeit des Ge-
sammt-Dialektes und der Zahlen mehr ein zufälliges; das
ganze Verhältniss aber dieser Mundarten unter einander ist
jedenfalls interessant genug.
Die einzelnen Stämme werden nach den Himmelsgegen-
den ganz ähnlich wie bei den Wintün bezeichnet, nur dass
die Stämme selber weit weniger von einander wissen, daher
das Ausfindigmachen der einzelnen Zweige der Nishinam sehr
schwierig ist. So nennen sie die östlichen Stämme N6-to
(Osten), No-to-nän (östliche) und No-toäng-kau (Ostbewohner);
Namen, bei den Bear-River-Indianern gebräuchlich, sind: T&-
sing-kau, Ko-moäng-kau, No-toäng-kau, Taing-kau, Nord-,
Süd-, Ost-, Westbewohner; nördlich an der Mündung des
American-River wohnen die Pu-sd-na, bei Plaoerville die
Kwo-t6-a, bei Coloma die Ko-lö-ma, bei Latrobe die Wa-
püm-ni. Gerade die so oft wiederkehrende Bezeichnung
der Stämme nach den Himmelsgegenden muss man ethno-
graphisch beachten, indem gar leicht ein und derselbe
Stamm eine Menge Namen hat, je nachdem er zu seinen
verschiedenen Nachbarn localisirt ist, indem ferner ein sol-
cher Stamm sehr leicht mit seinem Wohnplatz auch seinen
I) Powers, p. 329. — °) p. 314.
Namen ändert. Die zahllosen coalifornischen Stammnamen
dürften sich hiernach vielfach als synonym ausweisen; die
Zahl der Stämme, obschon immerhin noch gross genug für
das verhältnissmässig kleine Gebiet, sich in etwas beschrän-
ken. In der That ist Powers der Ansicht, dass die Nishi-
nam nicht allzu viel Stammnamen besitzen, und zwar des-
halb, weil bei allzu sehr nomadischem Leben die einzelnen
Clane oder Banden nicht lange genug an einem Orte blei-
ben, um durch einen Namen individualisirt werden zu kön-
nen. Hierdurch wird natürlich auch die Stammbildung in
etwas verhindert, und so sagt Powers, dass sie in einem
beständigen Chaos lebten !). Hiermit stimmen jene Über-
gänge der Sprache ganz gut überein; nur darf man doch
nicht ausser Acht lassen, dass die Mundarten als solche
hinlänglich gesondert sind; woher folgt, dass also auch im
Volk bestimmte Abtheilungen mit genau abgegrenzter In-
dividualität sich entwickelt haben.
Die Wortsammlungen, welche Powers giebt, sind fol-
gende: 1) Konkau, aufgezeichnet von Powers in Round-
Valley-Reservation, 1875; 2) Hol-ö-lu-pai (Powers, 1872,
bei Oroville); 3) Nä-kum (Powers, 1875, bei Susanville);
4) Nishinam (Powers, Bear-River 1874) — alle diese Samm-
lungen aus dem Munde von Indianern des betreffenden
Stammes; 5) „Digger”, aufgezeichnet von H. B. Brown;
6) Cushna (von Ad. Johnson, Süd- Yuba-Berge, von dem
Cushna-Stamm selber; Schooler. II); 7) Nishinam (J. S.
Diehl, 1854, Placerville); 8) Yuba oder Nevada (Ross, am
Yuba-River, veröffentlicht Histor. Magaz. of New York 1863);
9) Punjuni, Westufer des Sacramento; 10) Sekumne, und
11) Tsamak ebendaher. 9—11 sind von Mr. Dana gesammelt
und in den Transact. Amer. Ethnol. Soc. II gedruckt; 5—7
gehören zu den Smithsonian Collections, welche das Institut
den Gelehrten des Survey zur Verfügung gestellt hat 2),
Wir kommen nun, wenn wir der Karte nachgehen, zu
dem Völkercomplex, welcher auf derselben als Miüt-sün be-
zeichnet ist und sich von der Sierra bis zur Küste, von
den Nordwestgegenden der 8. Pablo-Bai und dem Consum-
nes bis südwärts über die Monterey-Bucht und den F'resno
erstreckt. Hier aber lässt uns Powers theilweis im Stich:
wenigstens müssen wir, wenn wir zu irgend welcher Orien-
tirung in diesen schwierigen Verhältnissen gelangen wol-
len, uns dieselbe ziemlich mühevoll aus den Vocabularien,
der Karte und sonst zusammensuchen, Ethnologisch schil-
dernd behandelt Powers nur den östlichen Theil dieser Fa-
_ milie, den er mit dem Gesammtnamen der Mi-wok bezeich-
net. Auch diess Miwok heisst wieder Mensch und nennen
sich mit diesem Worte (in verschiedenen dialektischen For-
men) die verschiedenen Stämme selber. Am nördlichsten,
1) Powers, p. 315.
2) Contrib. to North Amer. Ethnol. Vol. I, p. 1 £.
32 *
252 Die ‚Indianer Californiens.
am Consumnes, wohnen die Kä-ni, und hierher gehören
wohl auch die Talatui Danas !), da man unter seinem Kas-
sima, einem östlichen Nebenfluss des Sacramento, dem Hei-
mathfluss der Talatui, wohl sicher den Consumnes zu ver-
stehen hat. Am Sutter-Creek wohnen die Yu-lö-ni; nörd-
lich vom Stanislaus sind die einzelnen Stämme wieder nach
den Himmelsgegenden benannt, wie die T4-mun, Tuü-mi-dok,
Ta-mo-le-ka, Nordvölker; die Chü-much, Chüm-wit, Chü-
mi-dok (Chfmidok), Chüm-te-ya, Südvölker; die O’l-o-wit,
Ol-6-wi-dok (unter welchen Namen die Bergvölker der
Nevada alle Stämme in der Ebene bis Stockton und den
Joaquin bezeichnen), die Ol-o-wi-ya, Westvölker, und an-
dere mehr, welche Powers nicht nennt, von denen man
auch in der Aufzeichnung der mittelcalifornischen Stämme
bei Bancroft Nichts finde. Wohl aber muss ein Flüchtig-
keitsfehler des letzteren hier zurückgewiesen werden: er
entnimmt einem Artikel Powers’ folgende Stelle?): on the
upper Merced river is Wakälla, on the upper Tuolumne,
Wakalumy; on the Stanislaus and Mokelumne, Wakalumy-
toh und glaubt nun — wie sein Index, V, p. 784, be-
weist — an die mittelcalifornischen Stämme Wakälla, Waka-
lumy und Wakalumytoh. Allein Powers will an der gan-
zen Stelle nur die nahe Verwandtschaft der Miwok-Sprachen
darthun, und selbstverständlich sind seine Worte so zu ver-
stehen: am oberen Merced ist (heisst) „river” Wakälla &o.,
kurz, Bancroft hat hier Flüsse für californische Völker-
schaften angesehen. Am Stanislaus und Tuolumne folgt
dann die weit ausgedehnte Nation der Wäl-li, die selber
wahrscheinlich ein Complex von einzelnen Stämmen ist,
denn ihr Name bedeutet „drunten” und ist wahrscheinlich
eine halbverächtliche Benennung der Stämme der Ebene
Seitens der Bergbewohner ?). So gehören zu diesen Walli
wohl ohne Zweifel auch die Tuolumue, von welchen Powers
nach Adam Johnson eine Wortsammlung giebt. Sie selber
nennen sich nun nicht mehr Miwok, sondern Miwa und so
alle Indianer bis zum Merced hin, während die Südstämme
vom Merced bis zum Fresno sich Mf-wi nennen. Die Be-
wohner des Yosemite-Thales, die A-wä-ni, stehen auf der
Grenze beider , eben so die Chüm-te-ya am mittleren Mer-
ced; dahingegen die Nüt-chu am South Fork des Merced,
die Heth-t6ö-ya am oberen Chowchilla, die Cau-chfl-la am
mittleren Chowchilla und auf dem Nordufer des Fresno die
P6honi-chi zu den „Mi-wi” gehören. Die Ka-we-ya an
Four-Creeks, von denen Powers keinen Bericht, sondern nur
ein älteres Vocabular bringt, gehören zu den Miwat). Selt-
samer Weise heisst auch bei den Miwok „Mann” miwa, wäh-
rend das Wort bei den Tuolumne Miwok lautet.
!) Transact. Amer. Etbnol. Soc. II; Powers, p. 537.
?) Bancroft I, p. 455—456.
?) Powers, p. 350. — *) p. 551, s. v. a good honorable man.
Allein nun zählt Powers seiner Karte nach und in sei-
nen linguistischen Sammlungen eine Reihe Völker zu den
Miwok, die er sonst gar nicht erwähnt, und die westlich
bis zur Küste wohnen — so die Stämme südlich von San
Francisco-Bai bis zum Carmelo-River, die nördlich durch den
unteren Sacramento, östlich durch den Joaquin begrenzt
sind, und ferner Stämme der S. Rafael-Halbinsel, welche
Powers nach Norden zu etwa durch eine Linie vom Ein-
gang der Tomales-Bai bis zu Mount 8. Helena abgrenzt,
die sich aber wohl bis zum Russian-River erstreckten ; nach
Osten zu läuft die Grenze zwischen Sonoma .und Napa.
Powers: stellt alle diese, Stämme nur aus linguistischen
Gründen zusammen. Auch hier war die Untersuchung der
Vocabularien gewiss eine sehr mühevolle Arbeit; auch hier
muss man seinem Resultate, seiner Zusammenstellung aller
dieser Stämme beistimmen. Hierher gehören von einzelnen
Nationen zunächst die Olamentke, welche die Russen an
der Bai Bodega und nordwärts bis zum Fort Ross, also
nördlich noch vom Russian - River vorfanden !), worin also
Powers’ Karte mit den Thatsachen, welche wirklich ge-
sichert sind, nicht ganz übereinstimmt; ferner die Indianer
der Umgebung von S. Raphael Mission, deren‘ Mundart
Hor. Hale gesammelt hat, nach G. Gibbs’ Untersuchungen
wahrscheinlich der Stamm, welchen die Spanier Tulares
nannten und die jetzt ausgerottet sind 2). Doch ist dabei
nicht ausser Acht zu lassen, dass wir den See und Fluss
Tulare südlich von der Mutsun-Familie im Gebiete der Yo-
kuts finden. Eben so sind die Bewohner des Petoloma-
Thales ausgerottet, dagegen leben die Sonoma im Sonoma-
Thal noch in einigen Resten. Ihr Stamm und Thal war
von den Spaniern so (Sonoma, Sonomi) nach einem Häupt-
ling benannt; sie heissen mit ihrem einheimischen Namen
Tcho-ko-yem, der als unerkanntes Synonymon in den Ver-
zeichnissen dieser S. Rafael-Stämme spukt. Gibbs gab eine
Sprachprobe, die wir auch bei Powers finden.
Noch manche andere Stämme lebten in diesen Gegenden,
deren Namen und Wohnung Gibbs nicht mehr sicher auffinden
konnte ?), die also kaum noch wissenschaftlichen Werth
haben, da wir höchstens die Namen wissen. Eine Reihe
derselben findet man, aber nur einfach aufgezählt, bei Ban-
croft, der sie meist Taylor's Arbeit (im California Farmer)
entnommen hat*). — Südlich von der Bai stossen wir zu-
nächst auf die Indianer der Mission Dolores (San Fran-
cisco), von denen wieder Bancroft eine unendliche Anzahl
Namen nach Taylor, Adalb. v. Chamisso, Choris (dem Reise-
begleiter A. v. Chamisso’s), Schooloraft &c. zusammenbringt,
allein diese Aufhäufung der Namen hat um so weniger
—
I) v. Baer Beiträge. I, S. 233. YVorgi. Gibbs in Schooleraft III,
p. 421. — ?) Gibbs ebenda. — ?) Ebenda. — *) I, p. 451 f£.
Die Indianer Californiens. 253
Werth, als in derselben eine Menge Völkerschaften zusam-
men geworfen sind, welche entschieden ethnographisch ge-
trennt werden müssen. So gehören die Suisun, die Olulato,
welche Choris und Chamisso erwähnen, zu den Wintün, die
Sonomi dagegen zu Powers’ Miwok. Wie ungenau diese
Namenansammlungen sind, geht daraus hervor, dass nach
Choris u. A. die Tamal und Sonomi dieselbe Sprache reden
sollen, dass aber Chamisso die Sonomi von den Tamal
trennt und letztere, die ihm nordwestlich von San Fran-
cisco wohnen, zu den Suisun, also zu den Wintün stellt. Hier
ist wissenschaftlich nicht mehr durchzukommen, also auch
Nichte mit der Zusammentragung der verschiedenen Na-
menlisten genützt. Sprachproben haben wir von den „Cos-
tano”, welche westlich von Dolores an der Küste wohnten,
und deren einzelne, aber gleichsprachigen Stämme nach
Schoolcraft II, p. 506, Ah-wash-tes, Ol-hones, Al-tah-mos,
Ro-mo-nans und Tu-lo-mos hiessen. Eben so von den Mu’t-
sun bei San Juan Baptista (östl. von Monterey-Bai), nach wel-
chen, aus mir unersichtlichen Gründen, Powers den ganzen
Völkeroomplex von West und Ost die Mutsun-Familie ge-
nannt hat; von den Indianern um Santa Clara und um
Santa Cruz.
Wir haben also Vocabularien aus den verschiedensten
Gegenden des Gebietes; und es ergiebt sich freilich bei
einer genaueren Untersuchung derselben, dass der Wortschatz
aller dieser Stämme in unmittelbarster Verwandtschaft steht,
dass sich aber diese wurzelhafte Gleichheit der Worte, wenn
man dieselben mit Wintün- oder Pömo- oder Yokuts-Wor-
ten vergleicht, entweder gar nicht mehr oder nur äusserst
vereinzelt zeigt. Daraus aber schon allein folgt mit Sicher-
heit die nähere Verwandtschaft aller dieser „Mutsun”-
Stämme, ohne dass wir dabei die syntaktische Form und
Art der Sprachen zu berücksichtigen brauchen. Denn letz-
tere ist in ganz Californien im Wesentlichen gleich: nähere
Verwandtschaft der Stämme kann sich also nur aus der
näheren Verwandtschaft des Wortschatzes ergeben.
Betrachten wir aber letzteren eingehend, so gewinnen
wir noch ein anderes, wesentliches Resultat. Es ergiebt
sich nämlich, dass wir diese Stämme alle in drei oder vier
grosse Gruppen zu theilen haben, welche Gruppen auch
räumlich sich als wohl abgetheilt zeigen: es sind 1) die
östlichen Stämme, die Miwok, wie wir dieselben mit Po-
wers’ Sammelnamen bezeichnen können; 2) die südwest-
lichen Stämme von 8. Joaquin bis zur Francisco - Bai, die
Mutsun; 3) die nordwestlichen Stämme von San Francisco-
Bai bis Russian-River, welche wir nach dem gleichen Prin-
cip mit Powers’ Miwok und Miwa die Olamentke benennen
können. Denn dieser Name ist gewiss nur eine russische Um-
formung des einheimischen Worts für „Indianer”, ullinego —
womit man die Gleichheit der ersten Sylbe in olüngo, Spa-
nier, und allayume, Aleute, vergleichen mag; 4) die Tala-
tui, der nordöstliche Stamm. Die sprachliche Gleichheit
der Miwok betont auch Powers, und sie tritt auf’s Deut-
lichste aus seinen Vocabularien der Oststämme (Miwok,
Tuolumne, Chumteya, Kaweya) hervor. Nur die Talatui
nehmen eine abgesonderte Stellung ein, dass man sie als
vierten (nordöstlichen) Hauptstamm bezeichnen muss; konn-
ten sie doch als Grenzstamm nach Norden zu sich wohl
selbständiger entwickeln. Die nordwestlichen Stämme (Ola-
mentke, Tchokoyem, S. Rafael, von allen dreien Wort-
sammlungen, p. 538 f, 552, 553 f.) stimmen ebenfalls
sprachlich genau unter einander überein und weichen ziem-
lich stark von den anderen Mundarten ab; und das Gleiche
gilt wiederum von den südwestlichen Sprachen, deren
Wortverzeichnisse bei Powers von den Costano, den Mut-
sun bei San Juan, so wie von Santa Clara und Santa Cruz
stammen. Es ist hier nicht der Platz, diese Thatsachen
durch Zusammenstellung der betreffenden Worte zu bewei-
sen. Ein anderes sehr merkwürdiges Ergebniss eines ge-
naueren Studiums dieser Vocabularien besteht darin, dass
die beiden nördlichen Stämme des Ostens und Westens
einander wieder näher verwandt sind, das Talanui also
näher mit den Olamentke-Sprachen. Und endlich ist noch zu
bemerken, dass diese beiden nördlichen Stämme sich wieder
näher zu den südöstlichen Sprachen stellen, dass also die
südwestlichen (Costano, Mutsun &c.) von allen diesen zu-
sammengehörigen Sprachen die isolirtesten, die selbstän-
digsten sind. Dass auch sie zu dem Mutsunstamm gehören,
geht aus ihrem Wortschatze deutlich hervor.
Aus diesen sprachlichen und verwandtschaftlichen Ver-
hältnissen dürfen wir nun auch auf die Schicksale der be-
treffenden Völker schliessen. Ihr eigentliches Centrum schei-
nen sie etwa vom Stanislaus oder besser noch von Stock-
ton bis zum Merced gehabt zu haben. Von hier aus trenn-
ten sich zunächst die südwestlichen Stämme los und ge-
riethen durch ihre entferntere Lage am frühesten und
längsten aus dem Verkehr mit ihren Stammgenossen; dann
lössten sich die beiden nördlichen Stämme ab, ohne jedoch,
schon in Folge ihrer geographischen Lage, den Zusammen-
hang mit der alten Heimath ganz aufzugeben. — Schliess-
lich sei noch bemerkt, dass die vielfach, namentlich in äl-
terer Zeit genannten Runseln oder Runsien und Eslen oder
Eskelen an der Monterey-Bai zu dem südwestlichen Zweig
der Mutsun gehören müssten — wenn sie überhaupt Cali-
fornier waren, was ich nach dem Wenigen, was ich von
ihrer Sprache weiss !), durchaus bezweifle.
Südlich von der Mutsun-Familie wohnen im Innern des
1) Buschmann, Berl. Akad. aus 1854, Suppl.-Bd. II, 1859, 8, 568.
A. v. Humboldt, N.-Spanien.
254 Die Indianer Californiens.
Landes nördlich um den Tulare-See und in einem breiten
Landstrich, der sich vom Tulare-See südlich vom Kern-Fluss
und parallel mit diesem bis südlich vom Fort Tejon hin-
zieht, die Yokuts. Ohne Zweifel haben sie sich einst wei-
ter ausgebreitet; sie sind durch die vordringenden Pah-Utah
auf ihr jetziges Gebiet zusammengedrängt. Die Yokuts-
Familie — so genannt ' von Powers, weil yö-kuts !) bei
einem ihrer Stämme, bei den Tinlinneh von Fort Tejon „In-
dianer” bedeutet — zerfällt in eine Reihe von Stämmen,
und zwar in folgende: die Chü’k-chan-si am obersten Joa-
quin bis Millerton; stromabwärts die jetzt ausgestorbenen
Pit-ka-ch. Am Kings-River, immer stromabwärts, folgende
Stämme: Tis-&-chu, Chai-nfm-ai-ni, It-f-cha, Wi-chi-kik, T4-
chi (bei Kingston ) No-toän-ai-ti (am See). Am Dry-Creek
die Kas-s6-vo, die Chu-kaf-mi-na im Squaw-Valley; am
Kaweah -River vom Gebirge abwärts die Wik-sa-chi; die
Wik-chüm-ni in den Vorhügeln; am Rand der Ebene die
Kau-f-a; in der Ebene die Yu-kol; die Te-lum-ni 2 miles
unterhalb Visalia und am See die Chü-nut. Am Tule-Fluss
die O-chfng-i-ta (bei Painted Rock); die Ai-a-pai (Soda-
spring); die Mai-af-u (South Fork); die Sa-wäklı-tu (am Tule)
und bei Porterville die Ki-a-wöt-ni. Auch hier ist topogra-
phisch Powers’ Originalkarte sehr incorrett. Am Fort Te-
jon wohnen die Tin-lin-neh und nördlicher, nach dem Kern-
See hin, die Po-häl-lin Tin-leh (d. h. Erdhörnchen-Gruben,
wegen der vielen Erdhörnchenbaue in ihrem Gebiet ?)).
Vocabularien dieser Völker hat Powers selber gesam-
melt, der Yökuts vom Kaweah-Fluss (Tule-Reservation,
1875), der Wichikik („Coarse Gold Gulch” 1872), der Tin-
linneh (Tule-Reservation), und zwar aus dem Munde von In-
dianern der betreffenden Stämme. Ausserdem stellt er zu den
Yokuts noch einen Stamm vom Tulare-See (Worte, gesammelt
von Ad. Johnson) und eben so die Coconoons Rest eines
Stammes am Meroed-River, dessen Worte gleichfalls von
Johnston, aber aus drei Mundarten der Coconoons gesam-
melt sind, und endlich noch einen Stamm aus Calaveras
County am Stanislaus, Wortsammlung in Taylor's Californ.
Farmer. Unzweifelhaft gehören sprachlich alle diese Stämme
zusammen, wie sie sich ebenfalls durch ihre Sprache von
ihren Nachbarn im Norden und Westen scharf abscheiden.
Irgend welche nähere Zusammenhänge unter den Stämmen
der Yokuts selber ergeben die Wortverzeichnisse nicht; die
Calaveras-Indianer und die Cooonoons müssen abgesprengte,
1) So heisst Wort und Volk, nicht Yokut, wie Bancroft schreibt,
der das schliessende s des Wortes wohl als Pluralzeichen auffasste. Es
ist für ethnologische Aufzeichnungen dringend wünschenswerth, ja un-
erlässlich, dass man die fremden Stammesnamen ohne ein solches Plural-
seichen schreibt, was aus unseren Sprachen stammt. Es werden durch
solche heterogene Zusätze so leicht Missverständnisse hervorgerufen,
dass man sie nach übereinstimmendem Plan und sehr ernstlich vermei-
den sollte. "
”) Powers, p. 370.
ausgewanderte Banden sein. Es ist nicht unwichtig für
ihre Stammeseintheilung, dass wir hier einen etwas festeren
Zusammenhang, ja eine Art von staatlichen Verband unter
den einzelnen Stämmen sehen: jede irgend wie abgeschlos-
gene Gegend hatte zwar viele einzelne Stämme, die Häupt-
linge derselben aber standen in Abhängigkeit von dem Häupt-
ling des Hauptstammes dieser Gegend, sie gaben bei einer
jährlich wiederkehrenden Versammlung diesem einen Bericht
über die Zustände ihres Dorfes und er, das Stammeshaupt,
dessen Würde erblich ist, beräth, warnt, straft, wo es nöthig
scheint ').
Powers hat ausserdem auf seiner Karte noch zwei
Sprach- und also Volkscentren angegeben, einmal der Stämme
von San Antonio-Mission, südlich von den westlichen Mut-
sun, östlich von den Yokuts, und der Stämme von Santa
Barbara, südlich von den San Antonio- und den Yokuts-
stämmen. Von ersteren giebt er nur ein Vocabular, ge-
sammelt vom Pater Bonaventura Sitjar; die Vereinigung
dieser San Antonio-Stämme mit denen von Santa Barbara,
welche Gatschet versucht hat, hält er, wie es soheint mit
Recht, nicht für zulässig ?). Die Santa Barbara-Familie um-
fasst bei ihm zunächst die Sprache der Kasus (Sammler
Oscar Loew), der Santa Inez-Indianer (Sammler Alex. Taylor),
der Bewohner des 8. Cruz-Eilands (Sammler Rev. Anton
Timmeno) und der Umwohner von Santa Barbara, aus dem
Bericht einer Expedition von 1769. Auch diese Sprachen
gehören unzweifelhaft zusammen. Alex. Taylor erfuhr von
einem Indianer, dass die Eingeborenen von San Buenaven-
tura, Santa Barbara, Santa Inez und la Purissima fast die-
selbe Sprache redeten °); allein diess wird durch das Wenige,
was wir aus der Santa Barbara-Sprache erfahren, keineswegs
bestätigt. Santa Inez und Santa Barbara erscheinen in den
‘ Vocabularien als zwei einander zwar sehr nahe stehende,
aber doch immerhin deutlich geschiedene Dialekte.
Bancroft hat bekanntermaassen seine Californier in vier
Abtheilungen getheilt, in Nord-, Mittel-, Südcalifornier und
Shoshoni. Wie rein äusserlich diese Eintheilung gemeint
ist, zeigt sich schon aus der Mitaufführung der stammfrem-
den Shoshoni. Ethnologisch würde eine solche Eintheilung
nur dann Werth haben, wenn sich eine innere Einheit der
betreffenden Nord-, Mittel- und Südstämme zeigte, sei 08
in Sitte oder Sprache. Können wir nun mit Powers’ neuen
und, wie man nicht dankbar genug anerkennen kann, 80
reichen Hülfsmitteln an ethnologisch-linguistischem Material
eine solche Eintheilung begründen? Versuchen wir es.
Zunächst finden wir eine sichere und unumstössliche Grenze
in einer Linie etwa von San Pablo-Bai über den Consum-
nes bis südlich etwa vom See Tahoe. Hier haben wir südlich
!) Powers, p. 370, 871. — 9 p. 568. — °) p. 560.
Die Indianer Californiens. 255
die Mütsun, die wir schon als selbständige Abtheilung der
Californier kennen gelernt haben. Aber nun folgen wieder
andere selbständige Zweige, die Yokuts, die Santa Barbara-
stämme &c., so dass wir die Californier südlich jener Linie
unmöglich zu einer Abtheilung von ethnologischem Werth
zusammenstellen können.
Auch in ihren Sitten und Gebräuchen ist keine weitere
Übereinstimmung : im Gegentheil, die Yokuts weichen in vie-
len Dingen, z. B. Hausbau, Verfassung, völlig von ihren näch-
sten nördlichen Nachbarn ab. Eben so wenig aber lässt sich
irgend ein bestimmter gemeinschaftlicher Gegensatz zwischen
den Stämmen nördlich und südlich jener Grenzlinie angeben.
Es fehlt den nördlichen Stämmen an einer näheren sprach-
lichen Verwandtschaft unter sich eben so sehr, wie den
südlichen, und wenn man gleiche Wurzeln hier und da
findet, so kommen diese, wie die Gleichheit der Syntax
und der Sitten, auf Rechnung der Verwandtschaft aller
Californier, denn solche Anklänge finden sich gleichmässig
über das ganze Gebiet. Man könnte daran denken, in der
verschiedenen Art der Behandlung der Todten einen durch-
gehenden Unterschied der verschiedenen Stämme zu finden:
allein ganz abgesehen davon, dass es doch noch sehr frag-
lich wäre, ob solch’ ein vereinzelter Zug einen hinlänglich
starken Eintheilungsgrund gäbe, so ist auch in der Be-
handlung der Todten kein sicheres Princip durchzuführen.
Es ist wahr, im Allgemeinen herrscht Beerdigung im Nor-
den vor: aber die Pö6mo, die Mafdu, verbrennen ihre Tod-
ten, und bei den Yokuts haben wir Beerdigung und Ver-
brennung, wie wir auch diese letztere bei manchen der
Nordstämme wieder finden.
Eine solche Trennung in einzelne grössere Abtheilungen
könnte doch nur auf Grund möglichst zahlreicher charakte-
ristischer Übereinstimmungen der Sprache und der Lebens-
gebräuche wirklich werthvoll und sicher durchgeführt wer-
den — so, wie das Material jetzt vorliegt, scheint diess
nicht gelingen zu wollen. Möglich, dass sehr genaue, na-
mentlich sprachliche Untersuchungen, zu denen aber das
bis jetzt vorhandene Material kaum ausreichen dürfte, uns
eines Besseren belehren und uns im Complex der Califor-
nier noch sichere Trennungslinien finden lassen, so wie wir
sie ja für die einzelnen Stämme der einzelnen Familien —
Patwin, Wintün,; Maidu, Nishinam; Olamentke, Talatui,
südwestliche, südöstliche Mutsun — mit Sicherheit aufstel-
len konnten. Für jetzt kann unser Resultat nur folgendes
sein: die Californier bilden einen wohl markirten, einheit-
lichen Stamm für sich, der sich von den nördlichen und
namentlich von den östlichen und südlichen Nachbarn trotz
mancher Übergänge mit Sicherheit abscheiden lässt. Sie
zerfallen in eine Reihe einzelner „Familien” und diese
wieder in kleinere Unterabtheilungen, welche beide, Familien
sowohl wie Stämme, wunderbar verschiedenen Sprachsthatz
von einander zeigen. Aber eine Zusammenfassung dieser
vielsprachig - bunten Familien zu zwei oder drei gros-
sen Gruppen ist unmöglich. Genau diess Resultat erhält
man, wenn man z. B. die so wichtigen Personal-Pronomina
durch alle vorliegenden Sprachen vergleichend betrachtet.
Sehr richtig sagt Powers von den Californiern: With
some exceptions they shade away from tribe to tribe,
from valley to valley, so that one can seldom put his
finger on a river or a mountain-range and say that here
one nation ends and another begins. So ist denn auch
jene oben erwähnte Grenzlinie nördlich von den Mutsun
von keinem weiteren ethnologischen Werth.
Auch eine Eintheilung der Californier nach ihrer leib-
lichen Beschaffenheit in verschiedene Gruppen ist ethno-
logisch nicht brauchbar. Allerdings finden sich Unter-
schiede zwischen Küsten- und Bergbewohnern, höher und
tiefer stebenden Stämmen. Wollte man diese aber zu
Gruppen unter einander vereinen, so würde man dadurch
Stämme, welche nach Sprache und Sitte unzweifelhaft zu-
sammengehören, ganz willkürlich von einander reissen;
wozu noch kommt, dass die leiblichen Verschiedenheiten
ganz allmählich in einander übergehen und schon deshalb
zu Eintheilungszwecken nicht zu brauchen sind. Auffal-
lende Eigenthümlichkeiten finden sich freilich, so die schwarze
oder fast schwarze Hautfarbe mancher Stämme, die dicken
Köpfe der Yuki, die verhältnissmässig kleinen anderer Völ-
ker, die verschiedene Bildung der Nasen &c., aber Nichts
durchgreifend, Nichts bedeutend genug.
Diese Zinheit der Californier bei der Zersplitterung in
zahlreiche Sprachen und Stämme ist jedenfalls ein wich-
tiges Resultat, welches wir Powers’ Mittheilungen verdan-
ken. Doch ist hierbei nicht ausser Acht zu lassen, dass
Powers selbst sagt: There is some difficulty in drawing a
line sharp between the Californian Indians and their neigh-
bours. Wie leicht, nach Norden zu, die Californier sich den
Tinneh anpassten, haben wir schon gesehen. Sehr auffal-
lend ist nach dieser Richtung auch das Vocabular der (süd-
lichen) San Antonio-Mission auf p. 569, indem dasselbe
sich in Lauten und Wortformung entschieden von den cali-
fornischen Stämmen entfernt und den centralamerikanischen
Stämmen sich anzunähern scheint,
Damit haben wir noch jene andere höchst wichtige
Frage der amerikanischen Ethnologie berührt, deren grosse
Schwierigkeit sich aber zugleich zeigt: die Frage nach der
Stellung der Californier in dem grossen Complex sämmt-
licher amerikanischer Völker. Lässt sich irgend ein engerer
ethnologischer Zusammenhang zwischen ihnen und etwa den
nördlicheren oder den centralen Stämmen Amerika’s nach-
weisen? Bis jetzt ist noch Nichts der Art geschehen; die
256 Die Indianer Californiens.
Frage kann überhaupt nur aufgenommen werden Angesichts
so reicher Materialien, wie sie uns jetzt durch Powers vor-
liegen; ob sie sich aber mit diesen, ob sie sich überhaupt
jemals endgültig wird entscheiden lassen, das muss die Zu-
kunft lehren.
Schliesslich folge hier noch die aufzählende Übersicht
aller der Völkerfamilien Californiens, welche Powers’ Karte,
80 wie der einzelnen Stämme, die sein Text nennt. Eine
solche übersichtliche Zusammenfassung ist bequem zum Ver-
gleich mit anderen Darstellungen der ethnologischen Ver-
hältnisse Californiens; sie ist nothwendig bei der ganzen
Einrichtung des Powers’schen Buches. Wir gehen dabei von
Norden nach Süden.
I. Tinneh (Athapasken).
1) Die Tölowa mit den Henaggi und Tataten vom Smith-River
bis Crescent City.
2) Die Hupä, unterer Trinity. Ihre Clane sind: die Hösler, Mi-
tilti, Tishtänatan, Wängkat, Chailkutkaituh, Miskut, Chantaköda, Hün-
satung, Wissomanchuh, Misketofitok und Hasslintung.
Von ihnen sind jetzt folgende Stämme ursprünglich californischer
Nationalität absorbirt: die Chilläle, Whilkut, die Költa und die Reste
der Chimälakwe. .
8) Die Wailakki vom Shasta bis Eel-River. Zu ihnen gehören die
Mattöal, Lässik, Saiaz und die Lolönkuk. Zu ihnen die Mischvölker
der Kai Pömo und Kastel Pömo.
4) Die Shasta (Shastika, Saimash, Wairika).
5) Die Mödok und die Mük-a-luk, letztere die Anwohner der Kla-
math-Seen.
II. Gleichfalls stammfremd in Californien, vielleicht ver-
wandt mit den Algonkin-Völkern.
6) Die Nözi (Nösi) Round Hill südlich vom Shasta.
7) Die Kömbo, ausgestorben, früher am Mount Lassen.
III. Californier.
8) Die Kärok-Stämme :: Arra-arra mit verschiedenen Dislekten, PSht-
sik, Ehnek.
9) Die Yürok-Stämme: die Alikwa (wie die Yurok selber mit ver-
schiedenen Dialekten, also in verschiedene Clane oder Unterstämme zer-
fallend); die Saagits (Klamath-Indianer). Clane einzelner Dörfer: Rikwa,
Mita, Pökwan, Srigon, Waitspek.
10) Die Chimslakwe und die Chimariko.
11) Die Wishosk mit den Wiyot (Viyard), Pätawat und Kowilth
oder Koquilth.
12) Die Yuki oder U’kumnom, die Hüchnom (Tätu, Bedwoods), die
Ukhöstnom. Unter dem Namen Yuki sind verschiedene Dialekte auf-
gezeichnet. Die südliche Abtheilung des Stammes sind die Chumaia;
zu ihnen die „Spanish Yuki”.
13) Die Ashochimi, von den Spaniern Wappo, von den Wintän
Yuki genannt und als solche auf Powers’ Karte bezeichnet. Sie sind
mit den Ukumnom verwandt.
14) Die P6mo mit den Käto P6mo, den Ballö Kai P6mo ; die Kuls-
KaiP. (Shibälni P.), Däpishul P., Choam Chadils P., Shödo KaiP., Yü-
säl P. (Kämalel P.), Mitoäm Kai P., Büldam P. Am Cloar-Lake das
„Ostrolk” ; die Gallinomsro mit den Misälla-Magün (Musallakun) und
den Kaim6; die Gualäla mit den Erio, den Erüssi; die Yokaia (Yokaia
P6mo, Ukiah, Yokaiamah); die Sendl (Sandl, mit "verschiedenen Stäm-
men); dia Batemda Kaii, Chauisek, Yukai, Kulanapo, H’hans, die Vena-
ambakaiia, die Käbinapek und Ohachamaju (vielleicht dieselben wie die
Erussi?). Als Hauptstämme treten uns in dieser vielgegliederten Fa-
milie die Pömo, die Gallinomöro, die Gualäls, die Yokaia entgegen.
15) Die Wintän.
a) Wintän: Dadpum Wintän, Nüämmok, Noämlakki, Nüimok und
Noyüki; Päimok (Norbos, Wailakki, Noämkekhl. Nördlicher: Winnimim,
P&imim. In Trinity-Valley: Waikenmok, Tien-tien, Nörmok (Nörrelmok),
Nümsu.
b) Patwin (Mischlingsstamm die No-yüki), Napa, Suisin, Maläkka,
Oluläto, Liwaito (Putos), O’lposel, Chönposel, Wilaksel, Topatdisel:
Lölsel (Löldla), Yodstabi, Waikosel, Korüsi, Kop6.
Ausserdem noch verschiedene Dialekte (Noema oder Wylacker, Te-
hama, Nome Lackel u. a).
16) Die Ashömä’ wi nebst den Humä’'wi (Powers schreibt Humawhi),
den Estaköwach, Hantöws, Chumäwa, Atu&mih (Hamefkütelli) und den
Imäwi. Ein Theil der Päkamalli, und zwar der Grundstock derselben
gehört hierher ; ein anderer Theil zu den Maidu. Die ganze Familie
auch Püisu, Püshush, Pit-River-Indianer genannt.
17) Die Mafidu (Maideh).
a) Die Maidu mit den Otäki, Tosikoyo, Näkum, Kulömum, O’l-la,
Külmeh, Hoak (Hock), Tishum, Wima, Cüshna, Yüba, To4mcha, Hoän-
kut, Böka, Taichida, Baiyu, Holölupai, Töto, Hölto, Eskin, Michöpdo,
Ustöma und Pänpakan. Alle diese Stämme fügen den Namen Maidu zu
ihrem Stammnamen hinzu.
b) Die Nishinam mit den Nöto, Notonän, Notoängkau, Pusüns,
Kwotöa, Kolöma, Wapümni; Täsingkau, Komoängkau, Notoängkau,
Taingkeu vielleicht nur Synonyma für andere Stämme.
18) Die Wäsho. Powers nennt sie nur ein Mal (p. 16) und sagt,
dass sie die Hochgebirgswiesen des Sierrakammes inne haben. Sie deh-
nen sich östlich aus bis über Carson City, Virginia und Reno. (Major
Douglas, Superint. Ind. Affairs, Annual Report of the Commiss. of Ind.
Affairs 1870, p. 96. Barnes, ebend. 1877, p. 151.) Powers scheint sie zu
den eigentlichen Californiern zu zählen, obwohl er keinen Beweis beibringt.
Bancroft zählt sie, ebenfalls völlig ohne Beweis, zu den Shoshoni, und
ceitirt zur Stütze seiner Ansicht auch die oben angeführten Stellen, welche
sie direct zu den Californiern zählen —, so Douglas, der sie von den
“ Shoshoni-Stämmen wegen ihrer körperlichen Constitution abtrennt; so
Parker (Ann. Rep. 1869, p. 18), der sie für nah verwandt mit den Cali-
forniern erklärt. Über ihre Sprache ist es mir nicht gelungen, irgend
Genaueres zu erfahren oder eine Wortsammlung einzusehen. Die
kahle Behauptung Hub. Bancroft’s, sie sei eine Shoshoni-Sprache (III,
p. 661) ist ohne Beweis, ja ohne Belegstelle und also werthlos. Sie
waren früher ein grosses und mächtiges Volk, 1869 aber Bettler, weit
über das Land zerstreut und ganz verkommen; 1870 zählten sie 500
Seelen. Im’Sommer lebten sie von Jagd und Fischfang in den Bergen,
im Winter in kleinen Banden in der Nähe der Stadt, als Bettler, Ar-
beiter oder vom Verkauf ihres Jagdertrages. Neuerdings haben auch sie
die Hülfe der Vereinigten Staaten in Anspruch genommen, um in der
Civilisstion vorwärts zu kommen. Ihre Lage war schrecklich (Barnes
Ann. Rep. 1877, p. 151).
19) Die Mutsun.
a) Die Miwok (östlich) mit den Tämun, Tümidok, Tamolöka, Chü-
much, Chümwit, Chümidok (Chimidok), Chumt&ya, O’lowit, Olöwidok, Olo-
wiya&c. (Ost-, Süd-, West-Leute, leicht synonym); ferner mit den Käni,
Yulöni, Tuolumne, Wälli, Chumtöya (am Merced), Heth-tö-ya, Chauchilla,
Pöhonichi, Kawöya und Talatui.
b) Die Olamentke (richtiger vielleicht die „Ulli-nego’’) mit den
Costano, Tcho-koyem (Choküyen Powers, p. 195) und den Indianern
der San- Rafael-Mission.
c) Die Mutsän mit den Santa Clare- und 8. Cruz-Indianern.
20) Die Indianer der San Antonio-Mission.
21) Die Yokuts mit den Chükchansi, Pitkachi (San Joaquin); Ti-
s6chu, Chainimaini, Iticha, Wichikik, Tächi, Notonaiti (Kings-River) ;
Kassövo, Chukaimina; Wiksachi, Wikehäümni, Kauia, Yükol, Telumni,
Chünut (unkaweah); Ochingita, Aispai, Maisfu, Sawäkhtu, Kiawötni
(am Tulare-River); Tinlinneh und den Pohällin Tinleh.
22) Santa Barbara-Mission-Indianer, mit den Kasu& und den In-
dianern der 8. Inez- und 9. Cruz-Mission.
IV. Shoshoni.
23) Shöshoni-Stämme im südlichen Californien: die Palligawondp,
die Tipatoläpa oder Kuchibichiwanäp Palüp, die Winangik; die Pitän-
nisah (verschiedene Dialekte, also verschiedene Stämme, zu diesen
vielleicht die Palligawonäp gehörig) ; ; die Tahichapahänna KTahichp),
Kawiasuh, die Palwünub, Tomöla, Böku, die Nütsha (Mono).
V. Yuma.
24) Yums-Stämme im südlichsten Neucalifornien.
257
Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
Von Dr. Carl Martin.
(Mit Karte, e. Tafel 14.)
Epidemische Krankheiten haben auf die Entwickelung
des Menschengeschlechts einen bedeutenden Einfluss aus-
geübt. Die Pockenseuche hat das Aussterben vieler Indianer-
stämme herbeigeführt und noch im vorigen Jahrhundert die
Vermehrung europäischer Völker wesentlich beeinträchtigt.
Aber keine Krankheit hat so einschneidend auf die Ge-
schicke der historischen Nationen eingewirkt, als die Pest.
Die zwei bedeutendsten Wendepunkte der Geschichte, die
Auflösung des Alterthums und der Verfall des Mittelalters,
sind unter ihren Verheerungen vor sich gegangen. Aus
diesem Grunde sind die Pestepidemien vielfach historisch
bearbeitet worden.
Eine geographische Darstellung derselben wird dadurch
erleichtert, dass die Gebiete, in welchen die Pest sich ent-
faltet hat, meist deutlicher begrenzbar sind, als die ande-
rer Krankheiten. Scharf umschreiben lässt sich nach meh-
reren Seiten der Gesammtschauplatz, auf welchem die Seuche
ihre Verheerungen bald nach dieser, bald nach jener Rich-
tung ausgesandt hat. Keine einzige in der Wissenschaft
anerkannte Kunde von dem Auftreten der Pest in Amerika
ist zu uns gekommen. Zwar erwähnen mehrere Schrift-
steller eine Postepidemie, die Don Manuel Alsivia beschrie-
ben haben soll. Dieselbe habe sich Ende des 17. Jahrhun-
derts von Buenos-Aires bis nach Lima erstreckt und „weder
Spanier, noch Mestizen und Neger” verschont. Der bele-
sene Villalba (Epidemiolojia Espafiola, Madrid 1802, II,
p. 150), durch dessen Erwähnung die Notiz vielleicht erst
in die europäische Literatur gedrungen ist, gesteht, das
Buch selbst nicht gesehen zu haben; die Aussage selbst
bleibt eben so wohl ohne Bestätigung, als auch ohne innere
und äussere Wahrscheinlichkeit. Als Erklärung derselben
kann ich selbst aus meiner ärztlichen Praxis in Chile mit-
theilen, dass in Südamerika heute unter dem Namen „peste”
eine Art epidemisches Catarrhalfieber verstanden wird und
wohl schon von Alters her verstanden worden ist.
Eben so wenig als nach Westen über den Oosan dürfte
die Pest nach Süden über die Sahara weg gewandert sein.
Nach übereinstimmenden Mittheilungen neuerer Ärzte in
Ägypten ist die Pest nie über Wadi Halfa hinaus nach
Nubien vorgedrungen. Als einziges bestimmtes Beispiel
vom Gegentheil wird erzählt, dass Dr. Poncet in der Be-
schreibung seiner 1698—1700 unternommenen Reise nach
Abessinien (abgedruckt in den Lettres ddifiantes, 1786) von
vielen in Dongola von der Pest verwüsteten Dörfern ge-
sprocnen habe. Die „Voyage historique d’Abyssinie” nach
Petermaan’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VII
Ponoet’s Briefen mitgetheilt von Lobo, Amsterdam 17328,
erwähnt Nichts von jener Epidemie. Auch an die Süd-
küste von Arabien ist die Pest allem Anscheine nach nicht
gedrungen. In Vorderindien und China sind Pest oder
wenigstens ähnliche Krankheiten noch jetzt vorhanden, nach
Hinterindien dürfte die Seuche kaum gelangt sein, noch
weniger nach den Sunda-Inseln.- Die Züge der Pest haben
also ein viel beschränkteres Gebiet als einige andere Epi-
demien, wie solche den Europäern über die ganze Welt
gefolgt sind, so Cholera, Pocken, Scharlach und Masern,
Das gesammte Pestgebiet beschränkt sich auf Europa, den
grössten Theil Asiens und den nördlichen Saum von Afrika.
Noch viel enger und schärfer begrenzt sind die meisten
Pestepidemien, besonders die der neueren Zeit, wie jeder
Leser sich aus den Zeitungsberichten des verflossenen Win-
ters über die Seuche an der unteren Wolga erinnern wird.
Natürlich hat sich die Krankheit nicht gleichmässig über
die auf den Karten abgegrenzten Pestgebiete erstreckt; es
blieben wahrscheinlich immer eine Anzahl Orte innerhalb
der Seuchengrenzen nur leicht berührt oder auch ganz frei,
oft gewiss, ohne dass diess von Schriftstellern ausdrücklich
gesagt wird. Eben so mögen leichte und verschleppte
Fälle auch ausserhalb der bezeichneten Gebiete häufig vor-
gekommen sein; von verschleppten Fällen wissen wir es
vielfach mit Bestimmtheit, Die gezeichneten Grenzen sind
deshalb immer nur als äusserste Linien der schweren Er-
krankungen anzusehen.
Eine grosse Unterstützung wird dem Versuche einer
geographischen, wie auch einer statistischen oder histori-
schen Darstellung der Pest dadurch gewährt, dass diese
Krankheit deutlich bestimmbar ist, wie kaum irgend eine
andere. Die meist zur Eiterung gelangenden Drüsenbeulen
(Bubonen) an den Stellen, wo Beine, Arme und Kopf an
den Rumpf anstossen; die in grösserer Zahl gleichzeitig
auftretenden grossen Blutschwären (Carbunkel);; die unregel-
mässigen violetten Flecke und Striemen auf der Haut (Pe-
techien); der schnelle Verlauf und der meist in der ersten
Woche, oft in wenigen Tagen eintretende Tod haben die
meisten Epidemien der gewöhnlichen sogenannten orientali-
schen oder Bubonenpest so scharf oharakterisirt, dass man
leicht aus den Mittheilungen auch nichtärztlicher Schrift-
steller die Krankheit erkennen kann.
Allerdings treten eine Anzahl Epidemien unter anderem
Bilde auf, und nur besondere Umstände erlauben, sie ın
die Pestausbrüche einzureihen. Diess gilt besonders von
33
258
der furchtbaren Seuche des schwarzen Todes, wie sie die
Völker des Mittelalters grausamer hinweggerafft hat, als
je eine andere Krankheit irgend eine Völkergruppe. Guy
von Chauliac beschreibt die Krankheit, die er selbst beob-
achtet hat, folgendermaassen : „Dieses Sterben zeigte zweier-
lei Verlauf. Zuerst, zwei Monate lang, bestand sie aus
einem anhaltenden Fieber mit Blutspeien. Die Kranken
starben innerbalb drei Tagen. Die übrige Zeit hindurch
verlief die Krankheit ebenfalls mit anhaltendem Fieber und
Schwären und Brandbeulen der Haut, besonders an den
Achselhöhlen und den Leistenfurchen”’, Der schwarze Tod
ging also allmählich in die gewöhnliche Beulenpest über.
Während diese gewaltigste aller Epidemien durch ihre
Verheerungen unerreicht dasteht, gleichen ihr doch in den
wichtigsten ihrer ärztlichen Kennzeichen einige Seuchen,
welche in diesem Jahrhunderte in Ostindien beobachtet
worden sind. Auch diese führen unter Lungenblutungen
schnell zum Tode. Schon den ersten Beobachtern fiel die
Ähnlichkeit der Symptome mit denen des schwarzen Todes
auf. Es ist allerdings die Zugehörigkeit, sowohl des schwar-
zen Todes als auch der indischen Pesten zu der Bubonen-
pest bezweifelt worden. Aber wie der schwarze Tod all-
mählich in die Pest überging, indem sich in seinem Ver-
laufe mildere Formen mit Entwickelung von Bubonen zeig-
ten, so ist diess jetzt auch in Indien vorgekommen. In
der weiteren Ausbreitung der Pestepidemie von Kumaon
am Fusse des Himalaya 1876 haben sich neben Erbrechen
schwarzen Blutes und gelber Färbung der Haut auch Bu-
bonen regelmässiger als früher gezeigt (Med. Times u. Gaz.
London, 1878, Nov. 23, p. 606). Es scheint also die in-
dische Pest eben so wie der schwarze Tod eine Form der
Bubonenpest zu sein, mit welcher die ganz schweren Epi-
demien der letzteren manchmal beginnen. Eine Veränderung
des Charakters der Krankheit wird in der That bei vielen
Pestseuchen und mehrmals gerade in diesem Sinne berichtet.
Dennoch bleiben bei der Zusammenstellung der Epide-
mien manchmal Zweifel bestehen, ob sie der echten Bubonen-
pest zuzuzählen sind, zumal da viele Chronisten, unbeküm-
mert um die Symptome der Krankheit, gern jede schwere
Epidemie Pest, pestilenzialisches Übel oder dergl. nennen.
Nachher sind solche Seuchen wohl von Epidemiologen in
531—580 !|Bubonenpest Von Pelusium aus: a) nach Alexandria und der Nordküste von Afrika;
n. Chr. (Bubonen, An- |
thrakes, Pete-
chien). | Nachher drei Mal wieder in Constantinopel.
B. Der schwarze Tod und nachfolgende Post-
ausbrüche,
In dieser Art überraschte der schwarze Tod, damals meist
„das grosse Sterben” genannt, 1347 Europa. Die Krank-
b) nach Palästina und Syrien. 542 Constantinopel!), 543 Italien, 545 |
Gallien, 546 Germania prima, 556 in mehreren Ländern erloschen.
Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
die von ihnen zusammengestellten Verzeichnisse aufgenom-
men worden. Ich habe daher in den Tabellen, welche in
dieser Arbeit enthalten sind, nur die Fälle, in denen ich
mit Sicherheit Symptome der Pest, meist die erwähnten
Bubonen, in den Berichten bezeugt gefunden habe, als: „ge-
wiss BP.”, diejenigen, iu denen ich dieses Zeugniss vermisste,
selbst wenn sie sich bei den zuverlässigsten Autoren fan-
den, nur als: „wahrsch. BP.” angeführt. Von den Vor-
kommnissen, bei denen gegründete Zweifel über die Natur
des Übels erhoben werden können, habe ich nur wenige
mit der Bezeichnung: „ungewiss BP.” aufgenommen. Die
wenigen Fälle von indischer Pest und schwarzem Tode sind
besonders bezeichnet. In den Tabellen habe ich auch die
meisten der Schriftsteller, auf deren Werken diese Arbeit
beruht, angeführt.
A. Pest des Justinian.
Schon im Alterthume war den Ärzten das Vorkommen
von Pestbeulen in Ägypten bekannt. Aber die erste in
ihrem Verlaufe bestimmt zu verfolgende Pestepidemie ist
die grosse sogenannte justinianische Pest, 531—580 n. Chr.
Procopius (de bello Pers. II, p. 22, bei Häser) sagt: „Sie
entstand zu Pelusium. Sie verbreitete sich nach Alexandria
und dem übrigen Ägypten, dann nach Palästina und von
da über den ganzen Erdkreis”. Die Verheerungen dieser
Pest, welche alle den damaligen Schriftstellern bekannten
Länder betroffen hat, müssen ganz ungeheuer gewesen sein;
so sollen an manchen Tagen über 10000 Menschen in
Constantinopel gestorben sein. Nach Euagrius kehrte sie
jedesmal in etwa l5jährigem Cyolus nach Constantinopel
zurück.
Vor und nach dieser grossen Epidemie sind eine Anzahl
anderer schwerer Durchseuchungen des römischen Reiches
und der dasselbe beerbenden Völker aufgezeichnet. Aber von
keiner ist es den neueren ärztlichen Schriftstellern gelungen,
sie als Pest mit Sicherheit zu erkennen; von einigen kann
man mit Wahrscheinlichkeit behaupten, dass sie anderen
Krankheiten: Pocken, Flecktyphus &c. entsprachen. Dass sie
unserer Seuche nicht angehörten, geht vor Allem daraus
hervor, dass die Beobachter der echten Pestepidemien diese
als etwas Unerhörtes, ihnen ganz Neues, beschrieben.
Häser, Geschichte d. Medizin, Jena 1879,
lIl, 8.43 ff. nach Procopius, Euagrius
und Anderen.
heit brach von Kiptschak, einem Reiche, welohes sich im
Mittelalter zwischen Ural und Asow’schen Meere ausbrei-
tete, über Tana am unteren Don, Caffa in der Krim und
Constantinopel herein. Die gleichzeitigen Schriftsteller be-
I!) An den mit cursiver Schrift gedruckten Städten haben heftige, besonders bekannt gewordene Pestepidemien geherrsoht.
Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien. 259
zeichnen fast einstimmig Kathay, das nördliche China, als
den ursprünglichen Ausgangspunkt der Seuche. Dort soll
auch (Deguignes, Hist. d. Huns, Paris 1758, IV, p. 223 ff.)
nach chinesischen Aufzeichnungen die Sterblichkeit eine sehr
grosse gewesen sein (13 Millionen Todte), Dagegen führen
Richter und Fracastoro den Ursprung der Seuche auf In-
dien zurück, wo ja in der That noch heute in einzelnen
Gegenden ähnliche Krankheiten epidemisch herrschen.
Sehr schnell wurden Vorderasien, Südosteuropa und
Nordafrika ergriffen. Den spanischen Boden betrat die
Seuche in Almeria, den englischen in Dorset. Irland und
Schottland litten (Häser, a. a. O., S. 121) am wenigsten,
blieben zum Theil ganz frei. Nach Deutschland kam die
Seuche von mehreren Seiten her: hauptsächlich allerdings
von Süden über Österreich und die Schweiz (1349), aber
auch von Westen über Burgund, Lothringen (1348), und
angeblich auch von Norden über Jütland und Schleswig
(1348). Zu gleicher Zeit soll sie nach Norwegen durch ein
nach Bergen verschlagenes (eben so wie nach Jütland durch
ein gestrandetes) englisches Schiff gelangt sein. Über das
nordöstliche Deutschland verbreitete sie sich nach Polen
und das nördliche Russland.
Über die Sterblichkeit in Folge des schwarzen Todes
haben Hecker und Häser zahlreiche Daten gesammelt, aus
denen der letztere eine ziemlich vollständige Übersicht über
den westlichen Theil des ungeheueren verseuchten Gebietes
zusammenstellen konnte. Ich habe nach dieser Sammlung sta-
tistischer Daten die ergriffenen Länder mit zwei Stufen von
Färbung bezeichnet, solche, welche mebr als ein Drittel
ihrer Bewohner, und solche, welche weniger verloren haben.
In die erste Klasse gehört Mesopotamien, wo in Bagdad
480000 Menschen in noch nicht 3 Monaten gestorben sein
sollen; Syrien bis auf drei frei gebliebene arabische Städte;
Ägypten, wo Cairo eine tägliche Sterblichkeit von über
10000 Menschen gehabt haben soll; Kleinasien; ziemlich
alle Inseln des Mittelmeeres, von denen Cypern fast men-
schenleer wurde; Italien, wo viele Städte mehr als 30 000
Menschen, das ganze Land wohl die Hälfte seiner Bewoh-
ner verloren haben soll. Nur von Novara und Vercelli
heisst es, dass sie leicht, von Mailand und Valletidone, dass
sie erst 1350 ergriffen worden sind. Ähnlich die Küsten-
länder von Spanien, während Aragon mit Ausnahme von
Zaragoza nicht durchseucht wurde. In Frankreich muss
die Sterblichkeit sehr gross gewesen sein: Avignon allein
soll 60000 Einwohner verloren haben. Der dortige Arzt
Guy von Chauliac sagt, dass °/; der Menschen starben,
99 von 100 der Erkrankten. Ähnlich Burgund. In Eng-
land begrub London allein über 100000 Todte. In Deutsch-
land dagegen sind nur Elsass, Schleswig-Holstein und Lübeck
als schwer heimgesucht zu bezeichnen. Baiern verlor wahr-
scheinlich nur !/, seiner Bewohner. Als schwer betroffen da-
gegen wird Skandinavien, besonders Dänemark, wo ganze
Landstriche ausgestorben sein sollen, genannt. In Norwe-
gen ist nach der ersten Auflage von Häser’s Gesobichte der
Medicin (Jena 1859, II, 8. 133) das Stift Christiansand ver-
schont geblieben. Freilich muss ich hierzu bemerken, dass
nach mündlicher Mittheilung des Herrn Schäfer, Prof. der Ge-
schichte in Jena, die gleichzeitigen Angaben über die nor-
dischen Länder nur sehr kümmerlich sind und die ange-
führten Schätzungen wohl zum grossen Theil auf viel spä-
teren Aufzeichnungen beruhen. — Island scheint vom
schwarzen Tode unberührt geblieben zu sein. Von Grön-
land giebt es nach Rink (Danish Greenland, London 1877,
p. 20) ebenfalls keine authentische Kunde, welche berech-
tigte, seine Verseuchung anzunehmen. Rink sagt: „Nach
1349, als der schwarze Tod in Norwegen ausgebrochen
war, wurde Grönland noch mehr vernachlässigt”; und giebt
zu versteben, dass die Kranklieit nur in dieser indirecten
Weise zur Vernichtung der skandinavischen Grönländer,
von welcher er viel spricht, beigetragen hat. — Östlich
von Deutschland ist Polen stark heimgesucht worden, eben
so einige Theile von Russland, besonders die zwei gänzlich
ausgestorbenen Städte Gluchow und Belosero.
Da die Pest, eben so wie Masern, Pocken und Schar-
lach denselben Menschen nur ein Mal zu befallen pflegt,
ist es erklärlich, warum ein durchseuchtes Land nachher
einer, wenn auch nur kurzen Ruhe sich erfreuen kann.
Die Krankheit verheert dann wohl benachbarte Orte, welche
vorher frei geblieben sind, und kehrt nach dem zuerst ver-
seuchten Orte erst wieder zurück, wenn eine genügende
Anzahl von Menschen, die dieselbe noch nicht überstanden
haben, herangewachsen ist. So kann man die nach länge-
ren Zeiträumen sich wiederholende Einkehr der Justiniani-
schen Pest in Constantinopel und die wiederholten Epide-
mien einiger europäischen Länder nach dem schwarzen Tode
erklären. Unter den nach dem grossen Sterben betroffenen
Orten waren freilich auch solche, welche früher schwere
Verheerungen erlitten hatten, wie Avignon und Florenz,
aber hauptsächlich früher verschonte, wie Mailand, und
früher wenig durchseuchte Länder, wie Irland und Schott-
land. Auch das früher wenig heimgesuchte Deutschland
wurde bald ein Tummelplatz der Pest. In Russland starb
1386 die Stadt Smolensk bis auf 10 Einwohner aus. Die
Insel Island wurde 1402 von der Seuche ergriffen.
33 *
260 Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
1346 —1358 | Schwarzer Tod;| 1346 von China oder Indien aus über die Bucharei: a) durch die Tartarei
Lungenaffec- über Kiptschak, Cafla, nach Constantinopel; b) über Herat, Armenien,
tion oft mit Kleinasien : c) über Bagdad, Arabien, Agypten, Nordafrika. 1347 Con-
sehr schnellem stantinopel, Genua, Cypern, Griechenland, Sicilien, Frankreich. 1348
Tode, oft mit Spanien, England, Norwegen, Dalmatien, Jütland.. 1349 Kärnthen,
Blutungen aus Schweiz, Deutschland, Polen. 1350 Russland.
dem Munde.
1353—1363 | gewiss Bubonen-| Deutschland, Itslien, Avignon, Gross- Britannien und Irland, Russland,
pest(Bubonen, Polen, Preussen.
Carbunkel,
! _Petechien).
1363— 1386 | gewiss BP.
1395—1424 | gewiss BP.
1426—1427 | wahrsch. BP.
1438—1439 | wahrsch. BP.
1442—1443 | gewiss BP.
1448—1452 ungewiss BP.
Deutschland, Spanien, Island, Russland.
Russland.
Pleskow in Russland.
1457—1490 | gewiss BP.
Frankreich; England; Italien.
C. Kleinere Epidemien anscheinend europäischen
Ursprungs.
Allmählich begannen nun die europäischen Staaten
Maassregeln anzuwenden, um sich gegen das Eindringen
des Übels zu schützen. Schon während des schwarzen
Todes hatte sich Mailand abgesperrt, und Venedig bildete
bald einen sehr complicirten Quarantaine-Apparat mit be-
sonderer Gesetzgebung aus. Überall wurden solche Ein-
richtungen, je nach den Verhältnissen abgeändert, einge-
führt. Aber man fing auch (nach Schnurrer, II, S. 119)
1572 an, „auf Reinlichkeit der Strassen bei drohender Pest-
ansteckung zu dringen”. Diejenigen Schriftsteller, welche
die Pest aus der Infection durch verdorbene Luft herleiten,
schreiben das Wegbleiben der Seuche mehr dem Umstande
zu, dass in der That die Gesundheitspflege in Europa sich
in der Zeit der Renaissance und der staatlichen Fürsorge
wesentlich gehoben hat. Andere, welche die Krankheit für
eine nur durch Ansteckung sich verbreitende halten, sind
mehr geneigt, strenge Absperrungsmaassregeln zu befür-
worten.
Zu den letzteren, den Contagionisten, gehören viele der
Ärzte, welche zwischen 1600 und 1750 geschrieben haben.
Schon Bökelius giebt 1577 an, dass die von ihm in Hamburg
1565 beobachtete Epidemie aus dem Oriente gekommen sei.
Allmählicb wird dann jeder Umzug der Pest aus dem
I 1500—1505| wahrsch. BP.
1502 wabrsch. BP.
1506 wahrsch. BP. Altenburg, Saalfeld.
1506 wahrsch. BP. Pleskow.
1506—1507 | wahrsch. BP. Cöln.
1508 wahrsch. BP. Zittau.
Allgemein in Deutschland.
il 1516 wahrsch. BP.
1517 ' wahrsch. BP.
1519 | wahrsch. BP.
1520 ı wahrsch. BP.
Valencia, Aragonien, Lissabon.
Erfurt,
‚, Leipzig, Gera.
Deutschland, Russland, England, Constantinopel, Süd- und Westeuropa.
Deutschland : Erfurt, Nordhausen; Ferrara in Italien.
Spanien: Zaragoza und Barcelona; Italien: Mailand.
Spanien ; Deutschland (Zittau 1463, 1464, 1475, 1483, 1496); Russland;
Niederlande, Brandenburg, Schwaben; Catalonien.
Süddeutschland (Württemberg, Ulm, Augsburg) ; Coldiz in Sachsen.
Hocker, Der schwarze Tod, Berlin 1852.
Häser,Gesch. d. Medicin. III, 8.112 £.
nach Covino, de Mussis, Guy de Chau-
liac und Anderen.
Schnurrer, Chronik der Seuchen, Tübin-
gen 1823, 1, 8. 337 fi. Richter, Ge-
schichte der Medicin in Russland, Mos-
kau 18183, I, S. 209.
Schnurrer, Chron. d. Seuchen, I, 8. 349 ff.
Schnurrer, I, 8. 354 ff.; Richter, S. 146 f.
Richter, S. 146 f£.
Schnurrer, 1, S. 369 f.
ı Richter, I, S. 148 £.
Villalba, Epidemiolojia espaüola, Madrid
1802, I, p. 99 f. Schnurrer, I, 8. 373.
Villalba, I, p. 101 fi. Carpzov Analecta,
| Zitteu 1716, V, p. 306. Schnurrer, 11,
8. 10 ff. Hans Folz, Spruch von der
Pest, herausgeg. v. E. Martin, Strass-
burg 1879. Richter, I, 8. 148 ff.
Oriente hergeleitet und entweder Constantinopel oder Ägyp-
ten, Kleinasien (meist Smyrna) oder Syrien beschuldigt, der
jedesmalige Ausgangspunkt der Pest zu sein. In der That
scheint der Orient in dieser Zeit sehr anhaltend von der
Seuche gelitten zu haben, oder vielmehr, während in eini-
gen Orten die Ausbrüche derselben einander schnell felg-
ten, unterhielten in anderen ganz kleine Ausbrüche den
Ansteokungsstoff. Dass sich in Aleppo die Ausbrüche mit
einiger Regelmässigkeit wiederholten, ist von Russel be-
sprochen worden. Von den Städten Armeniens, Kurdistans
und Mesopotamiens wies es neuerdings Lachdze nach. Auch
von europäischen Orten ist es übrigens wahrscheinlich, dass
die Pest solche Wiederkehr mit einiger Regelmässigkeit ein-
hält. So hat Sydenham für London festgestellt, dass die
Seuche alle 30—40 Jahre eingetreten ist. Im Orient wer-
den sich aber solche Wiederholungen rascher gefolgt sein.
Neben den orientalischen Epidemien werden nun in der
ersten Zeit auch local in Europa entstandene einhergegangen
sein. Dass diess möglich ist, muss man aus der Haftbar-
keit des Contagiums an Kleidern, in Häusern &c. herleiten.
Eine solche latente Forterhaltung des Ansteckungsstoffes
wird von gleichzeitigen Beobachtern immer wieder. hervor-
gehoben, wenn sie auch in neuerer Zeit öfters in Abrede
gestellt worden ist.
Ä Burkhardt, Correspondenzbl. d. ärztl. Ver.
| von Thüringen, März 1879.
Schnurrer, II, S. 54 f.
| Burkhardt, a. a. O.
‚ Richter, l, 8. 150.
Schnurrer, Il, 8. 59.
'Carpzov, V, p. 306.
Schnurrer, 11, 8. 66.
" ‚ Burkhardt, e. a. O.
Schnurrer, 11, 8. 68.
‚Burkhardt, e. a. O.
1521 !wahrsch. BP.
1523 wahrsch. BP.
1531—1523 | gewiss BP.
1523—1534 | wahrsch. BP.
1525 wahrsch. BP.
III 18530 wahrsch. BP.
1532 u. 1583, wahrsch, BP.
1534—1535 | wahrsch. BP.
1538—1589 | wahrsch. BP.
15% wahrsch. BP.
1540 wahrech. BP.
1541 wahrsch. BP.
1542 | wahrsch. BP.
1543 | wahrsch. BP.
1543—1548 : wahrsch. BP.
1551—1558 |gewiss BP.
1552 gewiss BP.
15523 wahrsch. BP.
1653 gewiss BP.
1555 | gewiss BP.
1857 —1558 gewiss BP.
|
1558 wahrsch. BP.
|
1561 | wahrsch, BP.
1563 gewiss BP.
1564 gewiss BP.
1565—1566 ‚gewiss BP.
1566 “wahrsch. BP.
1568 wahrsch. BP.
D. Pestepidemien, welche wahrscheinlich aus dem
Orient stammen.
Höchst wahrscheinlich haben die letzten ganz Europa
überziehenden Pestepidemien einen orientalischen Ursprung
gehabt: in der Levante herrschte die Krankheit um 1655
und mit kurzen Unterbrechungen bis zur Zeit, als die bis
zum Ende des 17. Jahrhunderts herrschende Seuche sich
bei uns entfaltete. Sie wurde, nach damaliger Annahme,
von dort durch Schiffsverkehr nach Amsterdam gebracht.
Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien. 261
mn men nn gsi om nm nn mr m en em en m
Zittau. ı Carpaorv, a. a. O., p. 306.
Altenburg, Gera. ‚Burkhardt, a. a. O.
Pleskow. Richter, I, 8. 150.
Mallorca, Valencia, Sevilla. Villalba, a. a. O., I, p. 139.
Hayna. | Barkhardt, 0.0.
l Sehnurrer,, 11, 8. 80 f. — Ferro, Peet-
Deutschland: Tübingen, Weimar ; Paris, ) ansteckungen, Wien 1787, 8. 120.
Venedig, Nürnberg, Bamberg. , Schnurrer, Il, 8. 82 f.
Nördlingen, Wittenberg, Augsburg; Narbonne ; Constantinopel. Schnurrer, Il, 8. 88 f.
|$ Webster pestilential diseases, London
Constantinopel. I} 1800, 7 p. 245. ’
| j Burkhardt, Correspondensbl. d. ärst!. Ver.
Altenburg. }) von Thüringen, März 1879.
Erfurt. ı Burkhardt, a. a. O.
Esslingen, Tübingen ; Constantinopel. Schnurrer, 11,8.89. — Webster, L, p. 245.
Württemberg mit Ausnahme des Romsthals ; Weimar, Altenburg, Saal- ‚Schnurrer, ll, 8. 89. — Burkhardt, a. a.0.
feld; Lothringen ; Genf.
Pleskow ; Weimar, Leipzig, Lübeck, Dresden, Schwaben. Ä | Richter, Gesch. der 1 Medici in Russland,
London. Webster, a. a. O., I, p. 248.
. . '| Schnurrer, II, 8. 96. — Bökelius, de
Stuttgart, Tübingen, Wittenberg (Jessen frei). | Pesto. Hamburg, Henricopoli, 1 877.
Basel; Messina. | Schnurrer, II, 8. 96.
Algier ı J) Berbrugger bei Prus, la peste et les qua-
" ‚| rant., Paris 1846, p. 259.
Paris; Ungarn, Siebenbürgen. ı Schnurrer, II, S. 96.
) Bassianus Landus, Padus 1553. — Oarp-
Padua; Zittau. \ sor,a. a. O., V, p. 307.
Deift, nachher Moselgegend. Schnurrer, II, 8. 101, nach_Porest.
Teneriffa [| Humboldt, Reisen in den Äquinoctial-Ge-
Richter, I, 8. 150. -— Berbrugger bei Prus,
p. 259. — Mattbiolus bei K. Sprengel,
Halle 1827, lll, S. 264. — Schnur-
IÜ rer, 11, 8. 100.
|
N genden, I, S. 263.
|
Nowgorod, Pleskow. — Algier. — Böhmen.
Thüringen; Nürnberg, Augsburg; Österreich, Steiermark; Frankreich; | | Russel, Plague, London 1791, p. 325. —
England, London. Burkhardt, a. a. O.
Barcelona, Zaragoza; Lion, Montpellier; Basel, Freiburg; Cöln, Augs- | | Villalba, a. a. O., I, p. 169. — Schnur-
burg, Heilbronn, Strassburg, Freiburg im Breisgau (tödtliches Nasen- | rer, Il, 8.108. — Bökelius, do Pestse,
bluten), Danzig; Wien ; London ; Alexandria, Constantinopel. Hamburg 1577.
Lübeck, Hamburg. Bökelius, de Poste, Hamburg 1577.
Polotsk, Luky, Toropets, Smolensk. — Thüringen, Sachsen. ı Richter, 1,8. 150. — Schnurrer, Il, S. 114.
Paris, Schnarrer, Il, S. 116.
anderen Theilen Gross- Britanniens gekommen sein. 1665
verheerte sie die Hauptstadt und verursachte hier den Tod
von 68596 Einwohnern. Frankreich berührte diese Epi-
demie nicht, wohl aber die Iberische Halbinsel, die Schweiz
und einen grossen Theil von Deutschland. Italien hatte
nur kleine Ausbrüche zu verzeichnen. Während Österreich
und Polen viel litten, blieb das damalige Russland, welches
nach Westen zu strenge Absperrungsmaassregeln beobach-
tete, verschont.
re iii men meeting men
Von Holland soll sie dann nach London und von da nach
1 1571 wabrsch. BP.
1572 ungewiss BP.
1572—1573 wabrsch. BP.
1575 gewiss BP.
1576 gewiss BP.
1576—1577 wahrsch. BP.
1577 ' wahrsch. BP.
1578 | wahrsch. BP.
1580 | wahrsch. BP.
1580 - 1581 wahrsch. BP.
1582 ı wahrsch. BP.
|
; Alexandrien, Cairo, Rosette und andere Orte in Ägypten.
Algier. Berbrugger bei Prus, 8. 259.
Freiberg, von localem Ursprunge. Schnurrer, LI, S. 119, nach Möller.
I J. Tucher, bei Kanold, marsil. Medicorum
| Sendschr. Leipzig 1721, 8. 52.
Palermo, Messina, Constantinopel. Schnurrer, Il, 8. 125, nach Inkrassias
Oberitalien: Trient, Verona, Venedig. Schnurrer, Il, 8. 125 f., nach Beilicochus.
Padus, Cremons, Pavia, Pisa, Terracina; Nördlingen, Basel, Österreich, H.Mercurialis, de poste Veneta et Patarvins,
Siebenbürgen; lilyrien; asiatische Türkei. 1577.
Vicenza ; Brixen, Mailand, Bern, Reutlingen. Schnurrer, Il, 8. 127, nach Webster u. A.
Arnstadt | Schuchardt, Correspondensbl. des ärztl.
} Vereins von Thüringen, April 1879.
Paris. Schnurrer, Il, 8. 136.
Cairo. Schnurrer, 11, 8. 186, nacı, Prosper Aipin.
Oberrhein, Strassburg, Pruntrut; Württemberg: Gotha, Arastadt, König- Burkbardt, Correspb! d. a. ä. ). v. Th,
see, Langensalza, Weimar, Erfurt, Nordhausen. März 189. — Scluchardi a. a. 0.
262 Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
1584 !wahrsch. BP. Algier. Berbrugger bei Prus, p. 260.
1584—1598 | wahrsch. BP. | Pleskow und lwanogorod. Richter, Gesch. d. Med. in Russland, 8. 150.
1685 Ä wahrsch. BP. | Zittau. Carpzov, V, p. 307.
1586—1587 : wahrsch. BP. Heilbronn, Leipsig. Schnurrer, II, 8. 142.
1589 gewiss BP. ' Tripolis, Syrien. Russel, plague, London 1791, p. 318.
1590 j wahrsch. BP. | Braunschweig ; Polen ; Candia. Schnurrer, 1I, 8. 144.
1591 wahrsch. BP. | Gera. Burkhardt, a. a. O.
1593 | wahrsch. BP. London. Russel, p. 277.
1594 | ahrech. BP. | Langensalza. Schuchardt, a. a. O.
1596 wahrsch. BP. Hamburg. Burkhardt, a. a. O.
1596 gewiss BP. | Viscaya, Castilien. Villalba, I, p. 214 f£.
1697—1598 |wahrsch. BP. | Thüringen. Pieiter, rn d. a. ä, Vor. v. Thüringen,
1598 gewiss BP. | Madrid. Villalba, I, p. 223.
1598—1599 | wehrsch. BP. | England : London, Leicester, Wales, Kendal, Richmond, Carlisle, Pen- | Schnurrer, II, 8. 149.
ı rith, Litchfield.
1599 wahrsch. BP. | Constantinopel; Bordeauz. Schnurrer, Il, 8. 149.
1600 wahrsch. BP. | Aloppo. Russel, Plague, p. 268.
1601 | wahrsch. BP. Algier. | Berbrugger bei Prus, p. 260.
1602 |wahrsch. BP. ! Smolensk. Richter, I, 8. 152.
1608 !wahrsch. BP. | Paris. Schnurrer, II, 8. 152.
1603—1611 |gewiss BP. ! London. Russel, p. 274.
1605 !wahrsch. BP. ' Algier. Berbrugger bei Prus, p. 260.
1605 gewiss BP. , Hanau, Amberg, Nürnberg, Mainz, Heilbronn, Basel. Schnurrer, II, 8. 154, nach Plater u. A.
1606 | wahrsch. BP. | Nowgorod. Richter, I, S. 150.
1606—1608 | gewiss BP. Frankreich : Paris, Toulouse, Poitiers. Potelu. Labadi, bei K. Sprengel, IV, 8. 477.
1607—1613 | wahrsch. BP. | Thüringen; Augsburg. Burkhardt, a. a. O.
1608—1609 j wahrsch. BP. Derby. Schnurrer, II, 8. 156.
1609 ı wahrsch. BP, Tübingen, Basel und andere Orte Deutschlands ; Constantinopel. Sehnurret, Il, 8. 156. — Burkhardt,
1610—1612 |wahrsch. BP. Württemberg ; Schweiz; Polen ; Constantinopel. Schnurrer, II, 8. 157.
1611 wahrsch. BP. | Zittau. Carpzov, V, p. 309.
1613 | wahrsch. BP. , Lausanne. Ferro nach Fabr. Hildan, 8. 102.
u 1620 wahrsch. BP. |, Algier; Mailand. | Berbrugger b. Prus, p. 260. — Prus, p. 61.
1621—1649 |wahrsch. BP. | Thüringen; andere Theile Deutschlands. Burkhardt, a. a. O.
1624 gewiss BP. Niederlande, besonders Breda. |Mye bei K. Sprengel, IV, 8. 479.
1625 | wahrsch. BP. . Amsterdam; Kopenhagen; Rostock, Bremen, Berlin, Leipzig, Dresden, en ondansbl, 167. y murhardt, Ko
Ä ‚ Braunschweig, Erfurt, Halberstadt, Strassburg ; London. 1879. — Russel, Plage, p. 972
1626 ' wahrsch. BP. | Nordhausen, Sondershausen, Langensalza; Toulouse. ae Papon, Peste, Paris 1800,
‚pP. .
1627 !wahrsch. BP. | Lothringen. Papon, p. 288.
1628 gewiss BP. Heilbronn; Genf; Schweiz; Frankreich: Vienne, Dijon, Lyon, Ville- Schnurrer, II, 8. 168. — Papon, 1,p. 165 ff.
_franche, Toulouse, Narbonne, Perpignan.
1629 gewiss BP. ' Digne, Montpellier, Paris; London, Cambridge ; Schaffhausen, Regens- | Schnurrer, II, 8. 171. — Papon, I, p. 142 ff.
Ä ' burg, Prag; Genua, Savona, Venedig, Mailand,
1634 ‚wahrsch. BP. Württemberg: Ulm, Memmingen. Schnurrer, II, 8. 177.
1634 gewiss BP. Niederlande: Leiden. Schnurrer, II, S. 179, nach Diemerbrock.
1635—1687 gewiss BE _. Nymwegen. | Diemerbrock, bei K. Sprengel, IV, S. 480.
1636 'wahrsch. BP. Holland; Dänemark ; Italien; Constantinopel. ı Schnurrer, II, 8. 180.
1636—1648 | wahrsch. BP. ' London. | Russel, p. 274.
1639 ‚wahrsch. BP. Algier ; Inseln des grünen Vorgebirges.
Oonstantinopel.
Valencia, Alicante, Cartagena, Cadiz, Sevilla, Cordoba, Murcia, Ante-
quera ; Sardinien.
Irland.
Biscara, südl. von Algier.
Westl. Frankreich ; Holstein; Dänemark ; Schweden; Polen.
Ägypten : Cairo, Rosette.
III 1647—48 wahrsch. BP.
1647—1652 gewiss BP.
1649 | wahrsch. BP.
1651 ' wahrsch. BP.
|
|
|
|
16481650 |wahrsch. BP, |
|
|
1653—1654 : wahrsch. BP. |
|
1654 | nahreh. BP. | Türkei; Ungarn: Pressburg; Russland: Moskau; England: Chester.
1654 gewiss BP. ı Kopenhagen.
1654—1657 |s.Th. gewiss BP. Deutschland.
1655 gewiss BP. Wien, Gras,
1655 | wabrsch. BP. ., Leiden, Amsterdam, Riga.
1655—1656 !wahrsch. BP. | Alexandria.
1656—1657 |z.Th. gewissBP. Italien: von Malta nach Neapel, Rom, Genua, Rieto.
1657 wahrsch. BP. ; Colberg, Braunschweig, Hannover.
IV 1661 wahrsch. BP. | Um die Dardanellen, im Golfo di Lepanto ; Küsten von Achaja u. Mores.
1662—16683 | wahrsch. BP. Berberei.
1) Berbrugger b. Prus, p. 260. — Schnur-
| rer, Karted, Krankheiten, Ausland 1827.
Schnurrer, II, S. 186.
| Yillalba, I, 8. 72.
| Sehnurrer, Il, S. 187.
Berbrugger b. Prus, 8. 262.
Schnurrer, II, S. 189.
Kanold, Marsilian. Med. Sendschr. Leip-
zig 1721, 8. 61.
Webster, pestilential diseases, London
1800, I, p. 308.
Schnurrer, II, S. 191.
Burkhardt, a. a. O.
| / Peinlich, Pest in Steiermark, Graz 1878,
Il 11,8. 439 f.
Webster, I, p. 305.
Kanold, Marsil. Sendschr., 8. 61.
Schnurrer, 1, 8. 192 ff.
| Burkhardt, aa. 0.
| Kanold, S. 61.
ı Kanold, 8. 61.
Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
1661— 1664 | wahrsch. BP.
1664—1667 gewiss BP.
|
Biscara, südl. von Algier. —
Suffolk, Norfolk, Warwick, Derby.
Creta ; Amsterdam aus ISmyrna, |
Holland: Leiden; London, Kent, Sussex, Hampshire, Dorset, Essex, Nathanael Hodyes, London 1672. -- Sehnur-
263
| Berbrugger b. Prus, p. 262. — Bebnurrer,
Il, 8. 197.
rer, 1I, S. 201. — Russel, p. 325
1666 wahrsch. BP. Bchweis; Elsass, Pfalz, Rheingegend, Oldenburg ; im Orient östlich bis | Schnurrer, 1I, 8. 202. — Kanold, 8. 61.
spahan.
| | Hirsch, hist, . Pathologie, Erlangen
1669 wabrsch. BP. Venedig, | 1860, L ar gie &
1671 ‚ wabrsch. BP. Albanien, Serbien. Kanold, 8. 62,
1676 wahrsch. BP. Constantinopel , Adrianopel, von da nach Syrien; am Schwarzen Meer | Schnurrer, II, 8. 309.
Dis nach Asov. | Kanold,8. 62. — Sch 11,p. 212
. anold, 8. 62. — Schnurrer . .—_
1677 gewiss BP. Türkei; Ungarn; Niederlande. | Hirsch, I, 8. 196. ‚np
1678 ' gewiss BP. Cypern; Algier, Marocco; Malaga von Oran aus; Antoquera, Murcia, Car- | Kanold, S. 62. — Villalba, 1, p. 125.
thagena, Granada, Veles, Ronda. Brandenb Mazdeh 5 |
1679 ewiss BP. Wien, Ungarn, Steiermark ; Schlesien, Brandenburg, Magdeburg, Braun- _ m
'e schweig, Celle, Dresden, "Leipzig, Altenburg, Bamberg, Nürnberg, Be- Schnurter ’ u, and Beriche ch ’ Fi
Stuttgart, Tübingen; Böhmen ; Mähren ; j " a
| gensburg , Ingolstadt, Ulm, » Pest, Braunschweig 1714.
: Polen; Littauen.
| | Hoyer, Untersuchg., Gotba 1714. — Rivi-
1680 gewiss BP. ‚ Thüringen, Leipzig, Meissen (frei Zittau, Weissenfels, Wittenberg). nus, do Poste Lipsiensi, 1680, p 47. —
| | Carpzov, p. 310.
1680 wahrsch. BP. | Constantinopel. Kanold, 8. 62.
1681 | wahrsch. BP. von Sachsen her bis Heimstädt, dort durch Absperrung abgehalten. | Gründl. Bericht, Braunschweig 1714.
1683— 1683 gewiss BP. ‘ Steiermark. Peinlich, Pest, Gras, 1878, ll, 8. 454 .
1685 wahrsch. BP. Constantinopel, Pera; Cypern. ı Kanold, 's. 62.
1686 wahrsch. BP. Constantinopel, Adrianopel; Schammagie in Persien. Kanold, 8. 62.
1687 wahrsch. BP. Cairo; Mores: Napoli d. Roman, Napoli d. Malvas, Corinth, Fatras, Kanold, S. 62.
| Lepanto; Krim; Perekop.
1688 ı wahrsch. BP. | Morea : Cefalo, Modon, Calamata, Argo ; Negroponte, Skio, Archipel. Kanold, 8. 62.
1689 wahrsch. BP. Constantinopel; Skio;, Smyrna. 'Kanold, S. 62.
1690 | wahrsch. BP. | Morea : Misitra ; Zante, Skio; Smyrna; Algier; Dalmatien, Bosnien. Kanold, 8. 62.
f . . . Neapel. P . J) Schönberg, Pest zu Nojs, Nürnberg 1818,
1691 'wahrsch. BP. | Dalmatien: Sebenico, Ragusa ; Neapel, Perugia. \ 3.4 Kanold, 8. 63.
1692 wahrsch. BP. | Ofen, Pest; Wien. : Peinlich, 11, 8. 461 f.
1696 | wahrsch, BP. | Conrverzano in Italien. Schönberg, 8. 4.
1697 wahrsch. BP. Alexandria. Kanold, 3. 68.
1698 wahrsch. BP. : Constantinopel; Ceuts, Algier ; Smyrna. Kanold, 8. 63.
1699—1700 wahrsch. BP. Constantinopel ; Achaja; Morea; Berberei. Kanold, 8. 63.
Die nun folgende Epidemie ist die erste, in welcher
nur die kleinere Hälfte von Europa erkrankte. 1701 er-
schien die Pest im nördlichen Afrika und suchte von 1702
an Constantinopel heim. Kleine Ausbrüche sind vielleicht
schon damals, wie einige Jahre später, in europäischen
Häfen vorgekommen. Bald war die Seuche in Polen, von
wo aus sie sich in drei Richtungen ausbreitete: südwestlich
zog sie über Lemberg und Krakau nach Mähren und Böh-
men. Ein zweiter Zug ging nach Schlesien und Preus-
sen, wo sie in Danzig 1709 eine grosse Sterblichkeit ver-
ursachte. In Reppen bei Frankfurt a. d. O. und Breslau
fand sie ihre Endpunkte. Ein sehr weithin ausgebogener
Weg führte sie erst nördlich über Littauen und Liefland
nach Schweden, von da westlich nach Dänemark und schliess-
lich nach Süden hin über Schleswig-Holstein bis nach
Niedersachsen. Nachdem sie die holsteinische Sperre durch-
brochen hatte, machte sie endlich Halt an den Schranken,
welche von der Braunschweig-Lüneburgischen Regierung
ihr gezogen wurden. Während sie an beiden Seiten der
Ostsee allmählich wieder abnahm, hatte sie sich in der
Wallachei weiter verbreitet. Sie überschritt die Ostecke
der siebenbürgischen Alpen und gelangte in das Szekler-
land, nach Hermannstadt, und nach Ungarn. 1713 erreichte
sie Wien, dessen Bevölkerung zum letzten Male von schwe-
rer Pestepidemie bedrängt wurde; viele Orte in Nieder-
österreich, einige in Oberösterreich, Regensburg und Nürn-
berg wurden befallen. Seitdem ist das ausserösterreichische
Deutschland gar nicht, sind die deutschen Länder Öster-
reichs nur noch leicht ergriffen worden. Dagegen musste
das südliche Frankreich noch ein Mal die Seuche durch-
machen. Nach dem Urtheile der Zeitgenossen war es das
Schiff des Capt. Chataud, welches 1720 dieselbe aus dem
Orient nach Marseille brachte. Die genauen amtlichen Ver-
zeichnisse der befallenen Ortschaften lassen sie von Mar-
seille aus erst östlich nach Toulon, von da wieder nördlich
und westlich über die Rhöne und die Cevennen bis an das
Quellgebiet der Garonne und Loire verfolgen. In der Pro-
vence starben von 247869 Einwohnern der befallenen Ort-
schaften 87666; in mehreren Städtchen und Dörfern der
Diöces Mende (jetzt Depart. Lozere) erlagen 46 961, und
genasen 1008 der Erkrankten.
p. 918.
| Pariset bei Prus, p. 918.
237.
| Pariset bei Pros, p. 919.
. 919.
J Hoyer, Ausf. Untersuch,, Gotha 1714,
Peinlich, II, 8. 463. — Hoyer, 8. 37 fl. —
Einiger Medicorum Schreiben v. d. in
Preussen grassir. Pest, Breslau 1711,
I, und Kanold, Nachtrag, 1713.
Webster, I, p. 463.
' Villalba, II, p. 156 ft.
Einiger Medicor. Schreiben, Breslau 1711,
Ill, — Peinlich, II, 8. 168.
Rosen, Tal om Pesten, Stockholm 1772.
I, p. 360. — Historia oonstit,
pest. 1708— 1713, Wien 1714, p. 11 fl.
Peinlich, Il, S. 159 ff.
Antrechau, Pest in Toulon, Vorrede von
Reimarus, Hamburg 1794. — Gründl.
Bericht, Braunschweig 1714.
Schamsky, Unterricht, Prag 1713, 8.1. —
T Kozamero, Breslau 1715, Vorrede..
p. 36.
Pestkrankheiten , Leipzig 1822,
S. ‚39. — Peinlich, II, 8. 186 £.
Hist. const. pest. 1708— 1713, Wien
Carpzov, V, p. 312.
Peinlich, II, 8. 277 £.
Pariset bei Prus, p. 919.
J Pariset bei Prus, p. 919. — Lange bei
| _K. Sprengel, V b, 8. 490.
264 Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
v 101 ' wahrsch. BP. ' Cairo, Alexandrien, Tripolis, Tunis. ! Pariset bei Prus,
1702 wahrsch. BP. Constantinopel.
1704 wahrsch. BP. Constantinopel. ı Schnurrer, II, 8.
1705 wahrsch. BP. Ägypten; Tokat in Kleinasien; Sardinien, Tunis, Malaga.
1706 |wahrsch. BP. | Eregle, Tarsus in Kleinasien. Tag bei Prus, p
1707 Igewies BP. Lemberg, Krakau. Vorrede.
| ‚!
1708 |gewiss BP. Polen: Warschau, Krakau; Ungarn: Szegedin; Schlesien: Rosenberg,
| Kojentschin ; Preussen: Thorn, Graudenz, Culm, Hohenstein, Elbing,
Heilsberg, Ermeland, Mewe, Marienburg; Pommern, Mähren, Böhmen.
1708—1709 gewiss BP. Liefland,
1708-1711 ‚ungewiss BP. | Granada, Sevilla, südl. Spanien.
1709 gewiss BP. Donaig; Posen: Fraustadt; Breslau; Ungarn: Ofen, Neuhäusel, Gran,
aizen, Erlau.
1710 gewiss BP. von Liefland nach Stockholm, von da nach Upsala, Westergötland, Norr-
| I köping, Carlskrona. |
1710 |gewiss BP. | Littauen ; Siebenbürgen: Gyergyö, Schäsburg, Hermannstadt ; Ungarn: | Webster,
' Komorn; Steiermark.
1711 wahrsch, BP. | Reppen bei Frankfurt a. d. O. Rosen, p. 15,
1711 gewiss BP. Kopenhagen, Helsingör, ganz Dänemark ; Schleswig-Holstein, Hamburg,
| Hannover (? ohne in Braunschweig-Ltineburg einzudringen).
1711—1713 . gewiss BP. | Mähren (ohne Teschen) ; Böhmen, besonders Prag.
1712 wahrsch. BP. | Cairo. Prus,
1713 gewiss BP. Tarvis in Kärnthen; Ungarn: Pressburg, Dotis; Brug an der Leitha, | Sick ,
ı Wien, Niederösterreich , Hernals, Währing, Bierring, Salmerstorf,
Neustift, Linz; Traunriertel, Regensburg, Nürnberg; Steiermark,
| Graz, Voran. 1714.
1715 wahrsch. BP. | Mähren und Böhmen.
1716 wahrsch. BP. Archipel: Skio, Mytilene, Samo; Smyrna, Constantinopel.
1717—1718 | wahrsch. BP. Cairo,
1718 wahrsch. BP. Oypern: Latakia; Siebenbürgen.
1719 gewiss BP. Aleppo. Russel, p. 318.
1720—1721 |gewiss BP. Marseille, Toulon, Aix, Arles, Tarascon, Roussillon, Provence, Didces
Mende (jetzt Departem. Loz£re).
1794.— Chicoyneau, v. d. Pest, übers.
Antrechau, Pest in Toulon, Hamburg
von D. Stendal, 1790.
Schon nach wenigen Jahren taucht die Krankheit wie-
der in Ägypten und Syrien auf und gelangt bald nach der
europäischen Türkei, ja nach Dalmatien. Während sie sich
in Nordafrika ausbreitet, tritt sie plötzlich im russischen
VI 1726—27| wahrsch. BP. | Cairo.
1728 wahrsch. BP. Smyrna, Beilan, Aleppo.
1729 wahrsch. BP. ganz Syrien.
1730 wahrsch. BP. Albanien, Bosnien, Dalmatien, Nisch, Novibasar ; Polen ; Moldau.
1731 wahrsch. BP Cairo.
1732 wahrsch. BP. | Akka, Naplus, Rama.
1732 wahrsch. BP. | Algier.
1733 wahrsch. BP. Aleppo.
1735 wahrsch. BP. Cairo.
1736 gewiss BP. Cairo, angeblich von Oberägypten her.
1737 wahrsch. BP. Smyrns.
1737—1789 | gewiss BP. Otschakow in Stdrussland.
1738 wahrsch. BP. Algier, Tlemsen.
17388—1739 | gewiss BP. Ukraine, von Bessarabien bis an die Mündung des Don, Kleinrussland,
Gegend von Pultaws, ‚nicht weiter”.
1738 gewiss BP. Österreich: Karlowitz, Deva, Karlstadt, Belgrad, Temesvar, Szegedin,
Ofen (einzelne Fälle in Wien).
1739 ' gewiss BP. Ofen, Ebene zwischen Donau und Theiss.
1740 wahrsch. BP. | Algier; Ägypten ; Smyrna.
1740—1743 |gewiss BP. Waizen, Ofen und Pest.
1761 wahrsch. BP Cairo; Ceuta; Morea; Syrien ; Archipel.
1742 wahrsch. BP. Marocco; Bosnien.
1742—1744 |gewiss BP. | Aleppo.
17463 wahrsch. BP. ' Patras, Messina, Reggio;; Ste Maura.
1744 wahrsch. BP. . Beggio, Messina,
Hafen Otschakow, nach welchem die ganze Epidemie ge-
wöhnlich genannt wird, und der demselben benachbarten
Ukraine auf. Später erscheint sie noch in Messina und in
Reggio, wo sie 1744 erlöscht.
Pariset bei Prus, p. 919.
Pariset bei Prus, p. 919.
Pariset bei Prus, p. 920.
era bei Prus, p. 920. — Peinlich,
II, S. 324.
Pariset bei Prus, p. 920.
Pariset bei Prus, p. 920.
Berbrugger bei Prus, p. 260.
Pariset bei Prus, p. 920.
Pariset bei Prus, p. 920.
Russel, p. 3.
Pariset bei Prus, p. 920.
Peinlich, II, 8. 329.
Schreiber, pestilentia 1738—39 in Ukrania,
Berlin 1744.
Peinlich, II, S. 329 ff. — Samoilowitz,
Pest von 1771 in Moskau, Leipsig
1785, 8. VI ff. — Schreiber, a. a. O.
Peinlich, 11, 8. 330.
Peinlich, 1I, 8. 832.
j Berbrugger bei Prus, p. 260. — Pariset
bei Prus, p. 920
Peinlich, II, 8. 834 f£.
Pariset bei Prus, p. 920.
Pariset bei Prus, p. 920.
Russel, p. 273.
Schnurrer, II, S. 297. — Hirsch, I, 8. 197.
Schönberg, Pest zu Noja, Nürnberg 1818,
S. 5.
Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
Wieder zeigt sie sich 1749 ın muhamedanischen Staaten.
Von der europäischen Türkei aus kommt sie nach dem
wallachischen Siebenbürgen und nach Kronstadt. 1769
führten die Russen Krieg mit der Türkei. Da die Haupt-
städte des Zarenreichs bisher die Pest immer von Westen
ber erhalten und sich seit fast einem Jahrhundert durch
strenge Quarantainen in Pleskow, Smolänsk und Briänsk
gegen dieselbe geschützt hatten, glaubte die russische Re-
gierung den Donaufürstenthümern gegenüber keine Vor-
sichtsmaassregeln beobachten zu müssen. Aber die Krank-
vıl 1747 wahrsch. BP, Ägypten ; Constantinopel, Smyrna.
1749 wahrsch. BP. Algier.
1750 wahrsch. BP. Fez, Tanger ; Wallachei, Moldau; Siebenbürgen.
1750—1758 wahrsch. BP. ' Umgegend von Temesvar.
1751 gewiss BP. \ Constantinopel,
1752 wabrsch. BP. Agypten, von da nach Algier.
1753 wahrsch. BP. | Choosim; Moldau.
17586 wahrsch. BP. ' Macedonien: Seree.
1754— 1758 wabrsch. BP. Algier.
1755— 1757 | gewiss BP.
Wallachei, Moldau ; Siebenbürgen: Kronstadt; Temesvar.
265
heit verbreitete sich von der Moldau her nach Kiew. An-
gesteckte Soldaten brachten sie nach Moskau, wo ein gros-
ser Theil der Einwohner erlag. Auch das weiter nördlich
gelegene Jaroslawl wurde ergriffen, so wie viele südlich
von Moskau gelegene Städte bis Kislar und Mosdok im da-
maligen persischen Gebiete nördlich vom Kaukasus. — Zu
gleicher Zeit drang die Pest in Ungarn ein. Ferner wissen
wir von dieser Epidemie, dass sie sich in Mesopotamien
südlich bis Bassora ausgebreitet hat.
Russel, p. 280.
Berbrugger bei Prus, p. 240.
‚ Webster, 1, p.892.— Peinlich, II, 8. 340.
Peinlich, IL, S. 340.
Webster, I, p. 393.
Pariset bei Prus, p. 9820.
Peinlich JI, 8. 341.
Peinlich, II, 8. 341.
‚ Berbrugger bei Prus, p. 260 €.
| Peinlich, uU, 8. 348 f. — Schaurrer, II,
‚324. — Bamoilowitz, Pest in Mos-
Kan, Leipsig 1785, Vorrede.
. Peinlich, 11, 8. 344.
Prus, p. 36.
Kronstadt.
j Bussel, p. 1 ff. — Schnurrer, Il, 8.888.
Russel, p. 6 ff.
Russel, p. 273 f.
Schnurrer, II, 8. 338.
‚| Peinlich, Il, 8. 845 f.
1756 gewiss BP. Constantinopel ; Polen ; Podolien, Bessarabien ; Bukarest ;
1757 ' wahrsch. BP. Cairo.
1759 gewiss BP. Constantinopel, Archipel, Kleinasien; Alexandria, Rosette, Damiette, |
Cairo; Cypern: Limasol, Nicosis; Syrien: Safed, Sidon, Akka.
1760 |gewiss BP. Cypern: Larnaka, Famagusta; Syrien: Latakia, Tripoli, Jerusalem.
1760—1762 gewiss BP. Damascus, Aleppo.
1761 gewiss BP. Asiatische Türkei: Urfa, Byas, Adana, Marasch.
1762 —1768 wahrsch. BP. . Widdin, Orsova, Belgrad, Wallachei; Ungarn: Temoser Banat, Pancso-
varer, Werschetzer, Becskereker Distriet.
1763 | wabrsch. BP. Serbien, Bosnien.
1764 | wahrsch. BP. | Polen, Bosnien, Serbien.
1768 | wahrsch. BP. Marasch (bei Aleppo).
1766 ı wahrsch. BP. Krostisch-Nori.
1768 |gewiss BP. Wallachei; Siebenbürgen: Rosenau, Zeiden bei Kronstadt.
1769 'wahrsch. BP. , Giurgewo; Podolien, Volhynien.
1770 | wahrsch. BP. , Ungarn: Zboina, Homons; Ismail, Bender.
1770 ; gewiss BP. Bukarest, Jasey, Choczim ; Polen, Kiew, Nischin, Sowsk.
1770—1771 ' gewiss BP.
1771 wahrsch. BP. Smyrna,
1778 wahrsch. BP. von Kleinasien aus über Dierbekr bis Bagdad und Bassora.
1778 gewiss BP. Moldau, Wallachei, Bessarabien, Krim, Ukraine, Taganrog, Kislar und |
| Mosdok (am Terek).
Bald erscheint die Pest wieder im Orient, bald auch
wieder über Constantinopel in Europa, wo sie am Schwar-
zen und am Mittelmeere hingehend die Grenzen der Türkei
überschreitet. 1796 ergreift sie an der Südgrenze von Un-
garn in Syrmien, also der Ecke zwischen Donau und den
Mündungen von Sau und Drau, zwei von gesund gebliebe-
nem Terrain umgebene Enclaven. Die eine enthielt das
Städtchen Vukovar, die andere den Flecken Kameniz und
einige südlich davon gelegene Dörfer. Von 19610 Ein-
v11 1777 wahrsch. BP. Kleinasien, Rumelien, Constantinopel
1780 gewiss BP. ' Aleppo.
1788 wahrsch. BP. Cherson.
1783—1785 wahrsch. BP. Constant inopel ; Spalatro.
1784 wahrsch. BP. | Cairo, Alexandris; Tunis.
17865 wahrsch. BP. Beirut, Smyrna.
1786 wabrsch. BP. Bons, Constantine, Algier ; Ungarn.
1787 wahrsch. BP. Algier, Marocco.
1788 wahrsch. BP. , Ägypten, angeblich von Oberägypten her.
Petermanu's Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VIL
Moskau, Kiew, Tachernigow, Sewsk, Briänsk, Krim.
Peinlich, 1I, 8. 3486.
Peinlich, IL, 8. 346.
Russel, p. 280.
Peinlich, II, 8. 348.
| Ferro, S. 171 f.
‚ Samoilowits, 8.7 @. — Peinlich, 11, 8. 349.
| Schnurrer, II, 8. 357 nach Oanestrini. —
"| Pros, p. 60 nach Orraeus.
Semoilowits, S. 83.
Samoilowitz, a. a. O. — Mertens, Ob-
serv. med., Wien 1778. — Orraeus,
| Descript. pest. Petersburg 1784.
Schnurrer, Il, 8 858.
Hirsch, 1, 8. 199.
Mertens, 8. 50.
wohnern erkrankten 4559 und starben 3135. Im folgenden
Jahre betrat die Krankheit von Nordosten her in Galizien
wieder das österreichische Gebiet, wurde aber auch hier
bald zurückgedrängt. Von 12676 Einwohnern der ergrif-
fenen Ortschaften erkrankten 542 und starben 450. —
Noch durchzog die Seuche Marocco bis Mogador, Ägypten
angeblich bis nach Nubien hinauf, Kleinasien und Armenien
bis nach Bajazid, aber in Europa war sie ausserhalb der
Türkei völlig erloschen.
Peinlich, 1, S. 363.
Russel, p. 280,
Hirsch, 8. 197.
Peiniich, Il, S. 359.
Prus, p. 36, 261, 61, 185.
Prus, p. 61, 267.
Prus, p-. 61, 270. — Hirsch, 1, 8. 197.
Schnurrer, Il, S. 395.
Sctnurrer, Il, 8. 395.
I4
266 Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
1790—1798 | wahrsch. BP. | Cairo. Prus, p. 36.
1791, 1794 | wahbrsch. BP. Constantinopel. Peinlich, II, 8. 370. — Prus, p. 113.
1793—1795 | wahrsch. BP. Algier, Constantine. Prus, p. 272 ff.
1795— 1796 |gewiss BP. Bosnien, Serbien, Syrmien (zwischen Drau, Sau, Donau): Vukovar, | | . .
Irregh, Jazak, Gergurerze, Kameniz. ’ ’ ) i (" Schraud, Pest in Syrmien, Pest 1801.
1796—1797 | wahrsch. BP. | Algier, Tunis, Constantine. . Prus, p. 194, 276.
1797—1798 |gewiss BP. | Moldau; Chocaim ; Ostgalizien und Bukowina: Swanez, Landskron, Sa- | v Schraud, Pest in Ostgalizien, Pest 1801.
tanov, Sasatka.
1798 gewiss BP. | Alexandria, Rosette, Damiette. Schnurrer, II, S, 424 nach Pugnet.
1798—1800 |gewiss BP. | Agypten. Prus, p. 3.
! . j Yillalba, lI, 8. 302 £&. — Tholozan,
1799 gewiss BP. Ä Berberei ; Marocco: Mogador, Tanger ; Syrien; Agypten; Moldau. Peste en Mösop. Paris 1869, p. 60. —
| | Peinlich, IL, 8. 877.
1800—1803 |gewiss BP. Damietto; Oberägypten. Schnurrer, II, S. 433, nach Pugnet.
1801 wahrsch. BP. | Agypten bis nach Nubien (?) hinauf. Pariset bei Prus, p. 922.
1803 wahrsch, BP. | Salonichi, Peinlich, 1I, 8. 879.
1804 wahrsch. BP. | Ägypten. Prus, p. 36.
1806 |wshrsch. BP. | Bajasid. |Schnurrer, II, 8. 465, nach Jaubert.
1805—1810 ruhte die Pest.‘ In Ägypten plötzlich er-
schienen, verheerte sie das ackerbauende Gebiet dieses Lan-
des nach allen Richtungen. 1812 war sie auch über die
europäische und asiatische Türkei verbreitet, erschien an
der Nordseite des Schwarzen Meeres und betrat noch ein
Mal die siebenbürgische Grenze. 1815 zeigte sie sich in
Dalmatien, Istrien, im südlichen Ungarn; ja das neapolita-
nische Städtchen Noja nahe dem Adriatischen Meere wurde
von einer furchtbar tödtlichen Epidemie betroffen. 1818
drang die Pest von Algier aus weit in die Wüste vor.
—
|
1819 verheerte sie Constantinopel furchtbar; 1820 erlebte
Spanien noch eine kleine, aber heftige Epidemie auf der
Insel Mallorca. Im Beginn der dreissiger Jahre breitete
sie sich von Kleinasien her erst nach dem südlichen Per-
sien und nachher auch nach dessen nordwestlicher Ecke
aus. 1845 hatte in allen Europa benachbarten Ländern
die Pest aufgehört. Die in der Türkei und Ägypten ein-
gesetzten Gesundheitsbehörden hatten 8 Jahre lang keine
Pestepidemie zu constatiren.
Pariset bei Prus, p. 922.
IX 1810 wahrsch. BP. | Ägypten von Burlos bis Syene, von Alexandria bis Suez.
1812 gewiss BP. Constantinopel, Salonichi; Smyrna; Oypern; Alexandria; Odessa, Balta,
„ Caffe, Feodosia.
1812—1815 |gewiss BP. Agypten: Cairo.
1813 gewiss BP. Constantinopel; Alexandria ; Malta; Bukarest, Grenze von Siebenbürgen,
Epirus, Thessslien.
1814 gewiss BP. Tiflis; Agypten; Smyrna; andere asiatische und europäische Provinzen
der Türkei; Belgrad.
1815 wahrsch. BP. Cairo; Constantinopel; Bosnien, Dalmatien, Fiume, Istrien, Insel Tri-
miti, Rasca bei Peterwardein; Arabien: Jambo, Dschidda, bis Mekka.
1815—1816 |gewies BP. Noja (neapolitanische Provinz Bari).
1816 gewiss BP. Constantinopel, Pera, Buyukdere, Smyrna, Creta, Cypern;; Alexandris;
Salonichi; Ragusa ; Corfu, Kephalonia; Albanien, Morea.
1817 wahrsch. BP. Marocco bis zu den Berkinis am Fusse des Atlas; Erzerum,
1817—1819 |gewiss BP. Algier aus Alexandria; Bons, Oran,
1818 gewiss BP. Constantine, Tunis. Von Ägypten nach Tanger und bis über das Belad
el Dscherid und Tel nach Gurara in der Sahara.
1819 gewiss BP, Constantinopel ; Afrika’s Nordküste: Sousse, Tunis ; Bessarabien.
1820 gewiss BP. Mallorca: 8. Salvador, Manacor, Son Servers , Palma.
1821 gewiss BP. Erzerum.
1823 gewiss BP. Agypten: Keliub, Cairo, Gizeh, Bulac.
1824 gewiss BP. Armenien: Gymuchand zwischen Erzerum und Trapezunt.
1824 wahrsch. BP. Bessarabien.
1825 wahrsch. BP. Ägypten.
1826 gewiss BP. Constantinopel; Morea: Modon.
1826—1828 | wahrsch. BP. Mossul, Diarbekr, Urfa, Aleppo.
18237 gewiss BP. Morea: Navarin ; Erzerum und Umgegend.
18237 —1829 | gewiss BP. Tripolis (in Syrien).
1827—1829 | ungewiss BP. Moldau, Wallachei, Bulgarien.
1827—1829 | wahrsch. BP. Syrien: Damascus, B&quä, Deir el Kamar.
1829—1830 | wahrsch. BP. Adrianopel, Achiol, Aidos,
1831 wahrsch. BP. Cypern; Beirut; Smyrna; Bagdad.
1832 wahrsch. BP. Bajasid, Buschir, Bassora, Arbeles, Choi, Kerindt.
X 18383 gewiss BP. Smyrne.
1833—1834 | gewiss BP. Alexandria,
1834
gewiss BP.
San Dimitri bei Pera, Constantinopel (Prinzen-Inseln und Buyukdere
frei); Alexandria, Cairo, Mansurah ; Jerusalem.
Schnurrer, II, 8. 512 f.
Prus, p. 36.
J Schnurrer, 1I, 8. 520.
Schaurrer, II, 8. 524.
Schnurrer, 11,8. 527. — Hirsch, I, 8.199,
nach Pruner.
Schönberg, Pest zu Noja, Nürnberg 1818.
J Schnurrer, II, 8.535. — Hirsch, I, 8. 197.
} Behnurrer, I, 8.544. — Lachöze bei
\| Prus, p. 293.
Berbrugger bei Prus, p. 278.
Schnurrer, II, S. 570. — Prus, p. 187. —
Hirsch, I, S. 197.
Sick, Pestkrankheiten, Leipzig 1822, 8, 279.
Lachöze bei Prus, p. 294.
Pariset bei Prus, p. 938,
Lachöge bei Prus, p. 294.
Hirsch, I, S. 197.
Prus, p. 127.
Prus, p. 127. — Clot Bey bei Prus, p. 439.
Lachdze bei Prus, p. 298.
| Clot Bey bei Prus, p. 439. — Lachöze
bei Prus, p. 293.
Aubert-Roche bei Prus, p. 591 f.
Prus, p. 244 ff.; Hirsch, I, 8. 208.
Pariset bei Prus, p. 928.
Prus, p. 257.
J Bulard, Orientalische Pest, Leipzig 1840,
\ 8. 12, 19. — Lachtze bei Prus, p. 297.
Lachdze bei Prus, p. 295—297.
| Berbrugger bei Prus, p. 278—284.
Morpurgo bei Prus, p. 619 ff.
Bulard, S. 15 ff.
' Prus, p. 4, 9, 36, 76, 89, 122.
Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien. 267
1835 Igoriss BP. | Alexandria, Cairo, Ägypten bis nach Sakkarah, Keneh, Suez (Dschidda,
| Jambo, Moka, Kosseir frei; Siut stark ergriffen nach Grassi, frei nach | ! Prus, p. 3, 89, 91, 118, 401, 687.
I Gaetani).
1836 wahrsch. BP. Constantinopel. v. Moltke, Brief vom 22. Februar 1837.
1836—1887 | wahrsch. BP. Algerisches Dattelland. Hirseh, 1, 8. 197, nach Guyan.
1887 gewiss BP. ‚ Tripolis in Afriks; Adans, Smyrna; Ägypten Prus, p. 5, 127, 187, 198.
1887 wahrsch. BP. , Ganz Rumelien, Ostküste Bulgariens Kasanlik, Bustschuk, Missivri,
- Umur-Faki b ei Adrianopel. ’ |" Moltke, Brief vom 8. November 1887.
1837—1838 | gewiss BP. ı Erzerum. achdze bei Prus, p. 293.
1838 gewiss BP. Beirut, | Limasol, Larnaka;; Bethlebem, St. Jean in Montana, Nasareth, | | Prus, p. 109, 187, 402, 404.
1838 wahrsch. BP. Sivas. v. Moltke, Brief vom 3. August 1888.
1839 gewisse BP. | Varna, Silivri, ’ Prus, p. 42, 610.
1840—1841 |gewiss BP. Erserum. D Lachtze bei Prus, p. 293.
1841 gewiss BP. Damiestte, Cairo, Delta, Nabaro, Neguill& (Zagasig, Hiffergo, Danergo
! Dinesh, Janed, Bahari frei). ’ ’ ’ ’|! Prus, p. 5, 31, 97, 5839.
1841 wahrsch. BP. Libanon: Maszra (3000 Fuss hoch). Hirsch (nach Robertson), I, 8. 199.
1842 wahrsch. BP. Damiette, Orassi bei Prus, p. 434.
1844, 1845 |gewiss BP. | Ägypten. j Duchatel bei Prus, p. 380. — Hirsch, 1,
ı 8. 209.
‚ Seitdem nicht wieder in Ägypten, so wie im südlichen, westlichen und
nördlichen Europa.
E. Moderne Pestepidemien im Orient.
1853 zeigte sich die Krankheit wieder in Arabien,
1857 in Mesopotamien und 1858 in Bengasi zwischen
Ägypten und Tripolis; 1867, nach einer Euphrat-Über-
schwemmung, trat eine sicher coonstatirte Epidemie der
Beulenpest in einigen arabischen Stämmen ganz nahe den
Ruinen des alten Babylon auf. 1870 verheerte die Krank-
heit einen Landstrich im Süden der persischen Provinz
Aderbeidschan zwischen der türkischen Grenze und dem
Urmis-See. 1873 breitete sie sich bei weniger heftigem
Auftreten in Mesopotamien aus und drang in die Provinz
Chusistan im südwestlichen Persien ein. 1877 ergriff sie
auch die nördlichsten Provinzen Gilan und Masenderan, ja
sie soll bis Herat in Afghanistan gekommen sein. In Gilan
war sie nach der mündlichen Mittheilung des Kaiserl. pers.
Bergdireotors Hübel südlich etwa durch die Niveaulinie von
3000 Fuss begrenzt. — Ende 1878 soll die Krankheit
(nach Cabiadis, Börner’s Medicin. Wochenschrift, Berlin
12. April 1879, S. 184) durch eine Frau, Namens Mavro
un teen m ng meer ee nn nare
Pessereva nach Wetljanka in Südrussland gebracht worden
sein. Am 14. October war diese, als sie von Astrachan
aus die Wolga hinauffuhr, erkrankt und am 17. in Wetl-
janka gestorben. Bald waren in diesem Dorfe einige 100
Personen ergriffen und fast sämmtlich erlegen. Im Februar
ist das Übel hier und in den benachbarten, ergriffenen Ort-
schaften gänzlich erloschen, nachdem sehr viele der Ein-
wohner, in Wetljanka allein gegen 600, gestorben waren.
Übrigens ist die Natur der Krankheit noch nicht völlig
festgestellt. Sie scheint nicht die gewöhnliche orientalische
Beulenpest gewesen zu sein. Da vor dem Ausbruche der-
selben eine Anzahl Fälle von Petechial-Typhus vorgekom-
men waren, wurde die eigentliche Seuche zuerst auch als
eine besonders tödtliche Art jenes Typhus aufgefasst. Es
ist am wahrscheinlichsten, dass sie eine rasch tödtende Art
von Pest, wie solche den gewöhnlichen Epidemien nicht
selten, besonders aber zur Zeit des schwarzen Todes vor-
hergegangen ist, gewesen ist.
I 1853 ı wahrsch. BP. westliches Arabien. ‚ Practitioner, London März 1879, p. 232.
1857 | ungewiss BP. : Mesopotamien. ı Wertnes, Wiener Med. Presse 1879, 8.158.
1858—1859 ı wahrsch. BP. Bengasi in Tripolis. ‘ Practitioner, p. 232
1863 —1864 ungewiss BP. Persisches Kurdistan in Maku und zwischen Urmis und Cosrors. 'Tholosan, Gazette m4d. Paris 1871.
1867—1868 gewiss BP. ‚ Bei Birs Nimrud auf dem rechten Ufer des Canal Hindich zwischen Ker- | Tholozsan, Peste, Paris 1869, p. 33. —
‚ bela und Nedschef. Tbolosan, Gazette möd. 1871.
1870—1871 !gewiss BP. Stdliches Aderbeidschan, Distriet Soudje Boulak, ausgebrochen in Gau- .
| michen bei Misndosul, Arbenous, Adjivan, Turkmankendi, Seraub,
Ä Rabim Khan, Agtöpeh, Bibikend, Uehtepeh, Sindjag, Gueltepeh, ‚ı Tholozan, Gazette med. Paris 1871.
Baneh; die Kurden-Stämme Mukri und Djaf, 15 Lieues rings um die
Stadt Boudje Boulak.
1873—1874 | wahrsch. BP. | Westliches Arabien. Practitioner, p. 232.
1873—1874 wahrsch. BP. Ä Bengasi in Tripolis. Practitioner, p. 232
| | Veröffenti. des dentsch. Gesundheitsamtes.
II 1873—74 wahrsch. BP. . Aderbeidschan. | Berlin Februar 1879.
1878—1874 gewiss BP. ı Mesopotamien nördlich von der Vereinigung des Euphrat und Tigris. Practitioner, p. 233.
1874 gewiss BP. ‚ Afetsch, Daghara, Divanieh. Bock, None freie Presse, Wien 18. Febr. 1879.
1875 gewiss BP. Hillah, Hindieh, Nedschef. Beck, 1879.
1876 ‚gewiss BP. Amara und Bagdad. Bock, 1879.
1877 gewiss BP. Bagdad und Asizieh. Beck, 1879.
1876—1877 . wahrsch. BP. Aderbeidschan. ı Veröff. d. deutschen Gesundbeitsamtes 1879.
34 °®
Ä
268 Versuch einer geographischen Darstellung einiger Pestepidemien.
1876 wahrsch. BP. | Schuster und Dizful; Chuzistan im südwestlichen Persien.
Veröff. d.deutschen Gesundheitsamtes 1879.
y . [3
1878—1879 | entzündliche \
Lungen-Affec-,
tion, rascher
Tod (ähnlich
d. schwarzen
Tode 1347). |
F. Indo-chinesische Pestepidemien.
Wie im Beginn dieser Arbeit gesagt, verhalten sich
dem schwarzen Tode ähnlich auch die Pesten Ostindiens,
und man hat daher die Seuche von Wetljanka mit diesen
„indischen Pesten”” und dem schwarzen Tode zu einer
Gruppe vereinigt. Die indische Pest hat sich nun in zwei
eben so von einander, wie von allen übrigen bekannten
Pestgebieten, durch grosse, zum Theil sehr schwer zu durch-
‚ reisende Entfernungen getrennt, entwickelt: Die eine, welche
in dem nördlich von Bombay sich ausbreitenden, zum Theil
hügeligen, zum Theil ebenen Lande ihre Verheerungen aus-
geübt hat, ist die Pest von „Pali”, nach einer bedeutenden
Handelsstadt in diesem Gebiete benannt. 1836 wurde sie
Wetljanka, Nikolskoje, Udatschnoje, Michailowsk, Staritzkoje, Kirda, |) Veröff. des deutschen Gesundheitsamtes
Wladimirowska, Batajewka, Selitrenoje.
1879.
| Ende der bisherigen Pestepidemien in Afrika (1874) und Europa (1879).
der wissenschaftlichen Welt bekannt, als sie eben diese
Stadt überzog. Man erfuhr aber, dass sich schon 1815 eine
ähnliche Krankheit auf der diesen Ebenen vorliegenden
Insel Kutsch gezeigt habe. Dieselbe war 1821 erloschen,
nachdem sie auch auf die benachbarte Halbinsel Gudscharat
und auf das eigentliche Festland übergegangen und bis
Haidarabad am Indus vorgedrungen war. — 1836 verbrei-
tete sie sich von Pali aus nach Nordosten über Adschmir
nach Nusirabad, wo sie an dem streng abgesperrten engli-
schen Heerlager ihre Grenze fand. Nach Süden reichte sie
ungefähr bis an die Nordostgrenze der früheren Epidemie,.
Seit 1838 ist sie aus dem Nordwesten von Indien ver-
schwunden.
I 1815 Bubonen, Petechien, ( | Kutsch: Wagur, grösste Theil der Insel (ohne grössere Küsten und |) Hirsch, histor.-geogr. Pathol, Erlangen
1816 Lungenentzündung, Hafenstädte, namentlich Mandwi und Andschar zu berühren); 1860, 8. 210 ff.
Blutabgänge:: Gudscharat: Murawi; später in Rhadanpur ; Sindh: Haidarabad,
1817 Lungenpest , indi- Dollera, Dunduka, Limree.
1818 sche Post, wahr- | | Wadwan, Saila, Wukanir, bis an die Küste des Run. Allan Webb, Pathologia Indica, Calcutta
1819 scheinlich ähnlich | | Buriad. 1848. — Hirsch, Virchow’s Archiv,
d. schwarzen Tode. Berlin 1853, 8. 508 ff.
1820 Dollera, Zillah von Abmadabad. 1821 erlischt die Epidemie.
ii 1836 | Pali, Stadt und Umkreis von 30 Miles; Marwar, Dschodpur; Hügel
1837 von Mewar; Deoghur, Dschaliah und Ramguhr; Strasse zwischen
Nimsh und Nusirabad bis nach Bilwarah und Humerghur ; Me-
war (Nusirabad frei).
1838 | erloschen.
Das zweite indische Pestgebiet befindet sich in den Ge-
birgsschluchten des Himalaya. Dort richtet seit Jahrzehnten
eine schnell tödtende Krankheit, von den Eingeborenen
„Mah-murree” genannt, bedeutende Verheerungen an. Webb
(Indian Pathology, Calcutta 1848, p. 213) sagt: „Die Sym-
ptome sind die der Pest”. Die Krankheit war zuerst be-
schränkt auf zwei Districte (pergunnahs), Budha und Nag-
pur. Indem sie die ergriffenen Ortschaften halb entvöl-
kert, breitet sie sich von da langsam, hauptsächlich nach
Südosten aus. Noch heutigen Tages scheint die Krankheit
in langsamem Vorrücken begriffen zu sein.
Bestimmter als die Zugehörigkeit dieser Mah-murree-
Krankheit zur orientalischen Bubonenpest wird die einer
anderen pestartigen Seuche behauptet. Es ist eine sehr
tödtliche Epidemie „Jang-tzu” genannt, welche die chinesi-
sche Provinz Yün-nan seit einigen Jahren’ verheert.
11I
gegen 1823 | | Bubonen, Delirien. Nagpur und Budha in Gurwal, von da Hirsch, histor.-geogr. Pathol., S. 210 fi.
1834—1837 südlich längs der Ufer des Piridah, Allan Webb, p. 213.
1846—1847 | bis an die Quellen des Ramgunga in Kamaoı; Hirsch, Virchow’s Archiv, 1853.
1849—1850 noch etwas südlicher.
Bubonen, schwarzes Murray in Medical Times, 23. Nov. 1878,
1876 | Erbrechen. Geib-\ | Kamaon noch fortdauernd und sich ausbreitend. p. 606.
sucht.
IV
im letzten wahrsch. BP. Yün-nan in China. Noch fortdauernd. Medical Times, 23. Nov. 1878, p. 576.
Jahrzehnt
bis jetzt.
Ob diese Seuchen des inneren Asiens mit der Bubonen-
pest räumlich zusammenhängen, also von demselben An-
steckungsherde ausgegangen sind, ist fraglich. Am wahr-
scheinlichsten ist diess von der sogenannten Palipest der
August Grisebach. | 269
westlichen Landschaften des nördlichen Indien. Diese kön-
nen sehr wohl von der Mündung des Euphrat her durch
den Verkehr zur See, oder auch zu Lande von der persi-
schen Provinz Chusistan her angesteckt worden sein; sie
könnten möglicherweise auch den Samen von Indien nach
dem Westen ausgesandt haben.
Ob der eigentliche Herd der Pest in Mesopotamien,
oder Indien, in China oder in Aderbeidschan zu suchen
ist, das wird jetzt wohl nicht nachzuweisen sein. Man
wird vielmehr als ein Resultat der grossen Pest-Literatur
annehmen können, dass in solchen Ländern, wo gewisse
der Gesundheit schädliche Verhältnisse, als Sümpfe, Über-
sohwemmungen, grosse Armuth, Unreinlichkeit, schlechte
Art der Leichenbestattung bestehen, aus schlummernden
Keimen des Ansteokungsstoffes früherer Epidemien sich die
Pest entwickeln kann. Nachher würde die Seuche weite
Länderstrecken, wo entweder eben solche Verhältnisse sich
ihr darbieten, oder ein sehr lebhafter Verkehr mit den er-
griffenen Gegenden Statt findet, zu überziehen und zu ver-
heeren fähig sein. Hat sie dann die zur Ansteokung geeig-
neten Personen getödtet, so erlischt sie für einige Zeit oder
für immer an diesem Orte. Die Geschichte der Krankheit
scheint zu zeigen, dass durch günstige hygienische Maass-
regeln der örtliche Ansteokungsstoff dauernd in dem durch-
seuchten Lande vernichtet werden kann.
August Grisebach f.
Mit tief empfundener Trauer hat das geographische
Publicam das Hinscheiden desjenigen Botanikers vernom-
men, der sich wie kein anderer seines Faches in Deutsch-
land mit den Problemen der Erdkunde in langen Jahren
segensreioher Arbeit beschäftigt und durch seine pflanzen-
geographischen Werke unsterbliche Verdienste erworben hat:
am 9. Mai starb zu Göttingen der Geheime Regierung»-
rath Dr. A. Grisebach, Professor der Botanik und Director
des botanischen Gartens, und kaum lässt sich ermes-
sen, welche der vielen wissenschaftlichen Corporationen,
denen er seine Thätigkeit widmete, den Verlust am schwer-
sten empfindet. — Am 17. April d. J. hatte der Verstor-
bene sein 66. Lebensjahr begonnen und war erst an jenem
Tage von einer mehrwöchentlichen Reise nach Italien zu-
rückgekehrt; eine schnell dahin raffende Krankheit setzte
so bald darauf seiner Wirksamkeit ein zu frühes Ziel.
Die Richtung, die er seit vielen Jahren in der Botanik
inne hielt, kann man, in Deutschland wenigstens, als mit
ihm fast erloschen betrachten. Während er auf dem Ge-
biete der Systematik eine grosse Fülle mühsam bearbeiteter
exotischer Floren in Katalogform herausgab, in denen die
Schärfe seiner Kritik und der Umfang seines Wissens nur
für den Fachgenossen sich unzweifelhaft zu erkennen gab,
so zog er für sich selbst und für den grösseren Kreis von
Naturforschern aus diesen Arbeiten den besten Nutzen in
pflanzengeographischen Untersuchungen, die in klassischem
Styl von der reichen Bildung seines Geistes zeugten und
stets sein Streben verriethen, tief in das Walten der Natur-
gesetze einzudringen. War doch nach seinen eigenen Wor-
ten ihre gesetzmässige Ordnung für ihn „Genuss und Frie-
den, ein Trieb des Gemüths und eine Quelle des Glücks”.
Der grosse Erfolg, den sein Streben auf diesem Ge-
biete erzielt hat, ist nicht zum geringsten Theile seiner
ausgezeichneten, vielseitigen Sohulung zu verdanken. Rei-
sen in Europa von den skandinavischen Küsten bis zu denen
des Mittelmeeres und iiber Europa hinaus bis nach Klein-
asien und fortgesetzte Besuche namentlich Süddeutschlands,
der Alpen und Italiens, auch Ungarns, hatten seinen Blick
geschärft und ihm eine Fülle von Material überliefert, an
dem er seine Ideen über die Wechselbeziehungen zwischen
Klima und Vegetation prüfen und grossziehen konnte. Die
Tropen hat er nie besucht und steht in diesem Punkte sei-
nem sonst so weit überflügelten botanischen Lehrer Meyen
nach, der zu seinem pflanzengeographischen Werke haupt-
sächlich durch die von einer Erdumsegelung heimgebrach-
ten Eindrücke bewogen ward; aber über die aus diesem
Mangel entspringenden Schwächen hat ihm seine unaus-
gesetzte Beschäftigung mit der Bearbeitung exotischer Flo-
ren und die stete Vermehrung seines reichen, universellen
Herbariums, verbunden mit dem eisernsten Fleiss in der
Lectüre gediegener Reisewerke, ausgezeichnet hinweggehol-
fen. Er hat dadurch an sich bewiesen, dass es möglich
sei, sich eine wissenschaftliche Kenntniss ferner und ganz
abweichend gebildeter Länder im reichsten Maasse zu ver-
schaffen; denn wie vielen Angehörigen jener fernen Gegen-
den hat er erst das wissenschaftliche Eindringen in die sie
umgebende Natur durch seine Werke ermöglicht! Er be-
herrschte thatsächlich das Gebiet, auf dem es seine reichste
literarische Thätigkeit entfaltete, die klassificirende Systema-
tik und deren geographische Umarbeitung.
Die Durchführung der zwischen Klima und Pflanzen-
leben existirenden Beziehungen darf wohl als die Haupt-
tendenz seiner pflanzengeographischen Arbeiten bezeichnet
werden, und sie .tritt in den ersten Schilderungen seiner
botanischen Reisen (Dauphing 1833, Rumelien und Brussa
1839, Skandinavien 1844) eben so klar hervor, wie sie als
270 August Grisebach.
Grundgedanke in der „Vegetation der Erde” entwickelt ist.
Ja in diesem seinem berühmtesten Werke sagt er von sich
selbst, dass er den Plan dazu schon 35 Jahre zuvor in
einer kleinen Abhandlung vorgelegt hätte, die demgemäss
als Richtschnur seiner vielfältigen in den darauf folgenden
Jahren verfertigten kleineren und grösseren Arbeiten auf-
zufassen ist; es ist diess der in der Linnaea des Jahres
1838 enthaltene Aufsatz: „Über den Einfluss des Klima’s
auf die Begrenzung der natürlichen Floren”. Hier findet
man schon alle die pflanzengeographischen Begriffe aufge-
. stellt, die nachher in der „Vegetation der Erde” mit so
viel Glück verwendet sind, die Definition von „pflanzengeo-
graphischen Formationen”, „geographischen Charakterpflan-
zen”, besonders aber die Erläuterung der Frage, welche
Momente des Klima’s zur Charakterisirung der „Floren-
gebiete” verwendet werden können, wobei dann auf „die
Temperatursphäre jeder einzelnen Periode des pflanzlichen
Lebens” das Hauptgewicht fallt.
Dieser Grundgedanke kehrt auch in allen pflanzengeo-
graphischen Untersuchungen wieder, die er an die syste-
matische Bearbeitung exotischer Floren anknüpfte, und ist
mit gleicher Schärfe auf engstem Gebiete für unser Hei-
mathland ausgeführt in der in den „Göttinger Studien”
von 1847 enthaltenen Abhandlung „Über die Vegetations-
linien des nordwestlichen Deutschlands”. Diese kleine Schrift
ist Epoche machend für die Floristik kleiner Gebiete ge-
wesen. Bisher enthielten die Localfloren nur den syste-
matischen Katalog der dort wachsenden Pflanzen mit An-
gabe der Fundorte; Grisebsch hat durch seine Abhandlung
das Princip angegeben, nach welchem jene einzelnen Fund-
orte unter Anwendung allgemeiner Regeln in bestimmte
Ausdrucksweisen zusammengefasst werden können, und er
ist insofern der Erste gewesen, der pflanzengeographische
Untersuchungen klimatischer Art auf den Boden des deut-
schen Tieflandes verpflanzt hat, als lehrreiches Beispiel für
die Floristen in allen übrigen Ländern der Erde. — Und
so wie hier so kann in vielen anderen Fällen die von
Grisebach aufgebrachte Methode der Nachwelt zum Muster
dienen, und seine Schriften wird kein methodischer und
nach der Erkenntniss wahrer Naturgesetze strebender For-
scher unbefriedigt aus der Hand legen, selbst wenn ihm
das darin verwerthete Beobachtungsmaterial schon bekanut
sein sollte.
Seiner Vorliebe für geographische Untersuchungen hul-
digte er auch in einigen nicht eigentlich in das Gebiet der
Botanik fallenden Arbeiten; die in den „Göttinger Studien”
des Jahres 1846 niedergelegte Abhandlung „Über die Bil-
dung des Torfes in den Emsmooren aus einer unveränder-
ten Pflanzendecke”, ist jahrelangen Beobachtungen auf Rei-
gen in seiner engeren Heimath Hannover entsprungen ; und
sein 1841 herausgegebenes Reisewerk: „Reise durch Ru-
melien und nach Brussa 1839” zeugt von seiner geogra-
phischen Vielseitigkeit. Er hatte sich ihr zu Liebe vorher
mit praktischer Geometrie beschäftigt und erzählte noch
lange nachher gelegentlich mit Stolz, dass die kartographi-
schen Angaben über jene Gegenden bis auf die neuere Zeit
grossentheils auf seinen mit Boussole und Siede-Thermometer
(das Quecksilber-Barometer war bei der ersten Benutzung
zerbrochen) gemachten Aufnahmen beruhten.
Wie oonsequent er sein Ziel im Auge behielt, geht,
wenn es noch eines anderen Beweises als der „Vegetation
der Erde” bedürfte, aus den jahrelang fortgesetzten und
stets als 'mustergültig anerkannten Berichten über die Fort-
schritte der Pflanzengeographie hervor; dieselben erschie-
nen über die Jahre 1840—1853 in Wiegmann’s Archiv,
Bd. VIH— XXI, wurden dann nach längerer Unterbrechung
in Behm’s geographischem Jahrbuche wieder aufgenommen
und sechs Mal über einen zwölfjährigen Zeitraum hindurch
(bis 1876) in gleicher Weise ausgedehnt; die drei letzten
Berichte bieten nooh von ihm selbst gemachte Ergänzungen
seines inzwischen erschienenen Hauptwerkes. „Die Vege-
tation der Erde nach ihrer klimatischen Anordnung” wurde
in zwei Bänden zu Leipzig 1872 herausgegeben, und wie
freudig sie begrüsst wurde, davon giebt die Anzeige des
Werkes auch in diesen Blättern (1872, S. 157) ein be-
redtes Zeugniss: „Grisebach hat die Erdphysik pflanzen-
geographisch in Scene gesetzt”, so lautete damals der Aus-
spruch des Referenten. Mit dem Erscheinen dieses Buches
ist die Pflanzengeographie in der That in ein neues Sta-
dium eingetreten; denn eine solche vergleichende Darstel-
lung der Vegetation aller Länder der Erde existirte vordem
nicht, und in ihr ist die weitschichtigste Literatur mit
staunenswerther Geisteskraft zusammengefasst. Mögen an-
dere pflanzengeographischen Werke speoulativer und in
Streitfragen tiefer eindringend erscheinen, auch die Grund-
sätze von allgemeineren Gesichtspunkten ausgehend princi-
pieller entwickeln: sie erscheinen wie herausgegriffene Frag-
mente aus einem zusammenhängenden Ganzen, während
Grisebach’s Vegetation der Erde gründlich ist wie ein
lückenloses Kartenwerk.
Schon im Titel ist der leitende Gedanke, das durch-
geführte Princip angegeben: die klimatische Anordnung der
Vegetation; allein man irrt, wenn man für die Ansicht des
nun dahin gegangenen Verfassers die halten möchte, dass
das klimatische Princip das alleinige für die geographische
Vertheilung der Organismen sei. „Wenn die Anordnung
der Vegetation zunächst auf die räumlich gegliederten Ein-
flüsse des Klima’s und des Bodens hinweist, von denen ihre
Organisation bestimmt wird, so bleibt doch eine Klasse von
Erscheinungen übrig, welche den gegenwärtig wirksamen
August Grisebach. 271
Kräften der unorganischen Natur fremdartig gegenübersteht
und ihre Erklärung nur von der Geschichte vergangener
Erdperioden zu erwarten hat. Die ungleichen Erzeugnisse
abgesonderter Länder, deren physische Lebensbedingungen
gleichartig sind, stehen mit der Paläontologie in einem
bestimmten, wenn auch oft nur dunkel geahnten Zusam-
menhange”. So kennzeichnete Grisebach bei einer Schil-
derung der Verdienste Humboldt’s um die Pflanzengeogra-
phie die Doppelaufgabe dieser Wissenschaft. Er selbst hat
sich nur mit der Lösung der klimatischen Aufgabe befasst;
die geologische Entwickelung der gegenwärtigen Absonde-
rung der Florengebiete ist im Zusammenhange noch nicht
bearbeitet; sie ist als die grösste in dem berühmten Werke
zu findende Lücke zu bezeichnen, und die heutige Ent-
wiokelung der Zoogeographie treibt sehr dazu an, ihre Aus-
füllung zu versuchen. Niemand kann dem verewigten Ver-
fasser der „Vegetation der Erde” in diesem Punkte Ein-
seitigkeit vorwerfen, da er sich von Anfang an auf die
eine Hälfte der grossen Aufgabe beschränkt hatte.
Darin mag denn auch der Grund liegen, warum er sich
den entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen im Sinne
der Descendenztheorie gegenüber stets ablehnend verhielt
und sie nur wenig bei der Bildung der Florengebiete gel-
ten lassen wollte. Er war der Darwin’schen Nützlichkeits-
theorie, die immer nur als eine Form der Transmutations-
lehre zu betrachten ist, mit grosser Entschiedenheit gegen-
übergetreten und hat sie bei aller Hochachtung für den
genialen Denker stets mit Heftigkeit bekämpft; vielleicht
besass er in diesem Punkte zu viel Härte der Auffassung,
indem er nicht nur die einseitige Durchführung jener Theo-
rie beseitigen wollte, sondern auch ihrer gemässigten An-
wendung abhold war. Selbst immer nur gründlicher Beob-
achter und selbst immer nur auf Thatsachen aufbauend
hasste er alle Speculation, die ihm in der Luft zu stehen
schien; und wer möchte ihm dieses verdenken? Doch ist
er darin vielleicht ein wenig zu weit gegangen, dass er
sich gegen einige Naturwahrheiten verschloss und sie nicht
als Grundlage einer allmählich auszubauenden Theorie wür-
digen wollte, die die heutige Wissenschaft dennoch als solche
anerkennen muss. Sobald ein gediegener Beobachter irgend
eine Untersuchung angestellt hatte, welche Licht auf die
Umgestaltung der Arten werfen konnte, so hatte sie für ihn
grosses Interesse, und namentlich zollte er Nägeli’s Arbei-
ten auf diesem Gebiete lebhaften Beifall; aber wie er selbst
sich die Descendenz der Arten und die Entwickelung der
heute gesondert erscheinenden natürlichen Floren dachte,
ist weder aus seinen Werken klar zu entnehmen, noch
trat es im mündlichen wissenschaftlichen Gespräch deutlich
hervor; nur das ist gewiss, dass er die Descendenz als solche
anerkannte, dass er sich aber gegen die Darwin’sche Weise,
dieselbe zu erklären, stets mit gleicher Entschiedenheit aus-
gesprochen hat. — Dieses ist wohl zu beachten, wenn man
seine Erklärungen solcher Fälle vor Augen hat, wo in
weit entlegenen Florengebieten dieselben oder sehr nahe
verwandte Arten auftreten: dem Klima und der Möglich-
keit einer Verschleppung und Wanderung wird stets das
zugeschrieben, was vielleicht auf vergangene Perioden hin-
deuten kann; aber auch jedem anderen, noch so sehr vor-
urtheilsfrei denkenden Forscher würde es schwer fallen oder
unmöglich sein, hier die Entscheidung zwischen den ver-
schiedenen Möglichkeiten zu treffen.
So haben auch seine natürlichen Florengebiete keine
eigentliche paläontologische Charakterisirung erhalten und
stehen den von Wallace jüngst gegründeten zoogeographi-
schen Eintheilungen noch unvermittelt gegenüber, über-
treffen sie aber bei weitem an Schärfe und Natürlichkeit
der Begrenzung. Sie sind lediglich auf Grund der im na-
türlichen System liegenden Gleichheiten und Verschieden-
heiten, und auf klimatische Charaktere mit ihren Wechsel-
wirkungen auf das Aussehen der Vegetation gegründet; da
aber in den aus dem natürlichen System hergeleiteten Charak-
teren der Florengebiete selbstverständlich verborgene geologi-
sche Fiactoren stecken, so haben die natürlichen Florengebiete
in der Vegetation der Erde eine sehr natürliche Abgrenzung
erhalten, sofern nicht allmähliche Übergänge die scharfen
Grenzlinien verwischen. Und so liegt uns in diesem, das
Ziel seines Strebens im Zeitraume eines unerschöpflich thä-
tigen Lebens so schön verwirklichenden Werke ein wissen-
schaftliches Product vor, auf dem als sioherer Grundlage
die frei sich weiter entwickelnde Pflanzengeographie auf-
bauen kann, und durch das der Name Grisebach’s glänzend
in ferne Zeiten hinübergetragen wird. Oscar Drude.
Gerhard Rohlfs Rücktritt von der Leitung der deutschen Afrika-Expedition.
Gerhard Rohlfs schreibt uns aus Bengasi, den 10. Juni:
„Sie werden mittlerweile von Berlin aus erfahren haben,
dass ich mich zurückziehe von der Leitung der Expedition.
Nicht wegen unbesieglicher Hindernisse, denn ich werde,
bevor ich den Boden Afrika’s verlasse, alle Schwierigkeiten
aus dem Wege geräumt haben, sondern weil die Dauer der
Expedition sich derart verlängert, dass ich eine weitere
Betheiligung bei derselben nicht mehr verantworten kann.
272 Gerhard Rohlfs’ Rücktritt von der Leitung der deutschen Afrika-Expedition.
Schadenfrohe Leute werden nicht sagen können, er konnte
nicht nach Kufra und Wadai kommen, sondern werden zu-
geben müssen, dass ich nicht wollte. Dass aber diess, mein
Nichtwollen, mir von Niemand verübelt werden kann, hoffe
ich nach Klarlegung der Sachlage annehmen zu können. Die
Dauer der Expedition war ursprünglich auf 2, höchstens
auf 3 Jahre berechnet”.
Gerhard Rohlfs führt nun mit Rücksicht auf seine
Privatverhältnisse aus, dass er sich nur für eine gewisse
beschränkte Zeit habe verpflichten können und fährt fort:
„Sobald sich die Verhältnisse so gestalteten, dass über
die Dauer der Expedition absolut im Voraus Nichts zu
bestimmen war, hielt ich es für meine Pflicht zurückzutreten,
da ich es jetzt noch konnte. Die Expedition wird dadurch
überhaupt gar keine Unterbrechung erhalten, sondern ihrem
einmal vorgesteckten Ziele zustreben.
„Hoffentlich billigt die afrikanische Gesellschaft meinen
Vorschlag, und erhält Dr. Stecker der Expedition, der sich
mir nicht nur als ein liebenswürdiger Reisegefährte, son-
dern auch als ein tüchtiger Reisender gezeigt hat. Und
wenn ich die Expedition nur einmal erst flott gebracht,
wenn ich die grossen Hindernisse, die uns jetzt- entgegen-
treten, werde beseitigt haben, dann wird er nach Wadai
hinkommen, ohne unterwegs das geringste Hemmniss zu
erfahren. Diese Hindernisse werden hauptsächlich von den
fanatischen Anhängern des Snussi-Ordens bereitet. Sodann
sind es auch die Suya-Araber, namentlich die von Ischchere,
die den Durohzug durch Kufra verweigern. Aber hierbei
spielen die Snussi auch die Hauptrolle, denn diese waren
es, welche die Suya aufhetzten. Indess hoffe ich aller
Schwierigkeiten Herr zu werden; aber wann? Welche Ge-
duldsproben habe ich durchmachen müssen! Zuerst das
sechs Monate lange Warten auf die Geschenke, und nun die
Verhandlungen, um vorwärts zu kommen, Glücklich für
den, der so viel Zeit hat; ich bin zu alt, meine Jahre sind
gezählt, und Ein verlorenes Jahr ist für mich jetzt mehr
als für einen jungen Mann fünf Jahre. Ein ganzes Jahr
ist aber unwiderruflich verloren.
„Die Reise, welche wir von Sokna nach Audschila ge-
macht haben, bewegte sich auf einer durchaus neuen Route,
so dass selbst diese „vorbereitende Reise”, denn so muss
ich sie jetzt wohl zum Unterschied zur noch Statt haben-
den Expedition selbst nennen, keineswegs ohne Resultate
geblieben ist, namentlich unsere paläontologische Ausbeute
war sehr interessant. "
„Seit gestern ist Cyrenaika als ein von Tripolis unab-
hängiges Vilayet errichtet, was es übrigens sohon einmal
war. Man experimentirt immer und Wechsel der Regie-
rungsbeamten sind trotz des grossherrlichen Erlasses, der
bestimmt, dass die Valı 4 Jahre auf ihren Posten bleiben
+
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sollen, noch immer an der Tagesordnung. Der jetzige Gou-
verneur, der vorgestern von Constantinopel kam, gilt als
sehr fanatisch, als einer, der einen „grossen Bauch” hat
(ich sage Ihnen nur das, was hier die Leute sagen, denn.
ich selbst maasse mir in solchen Diugen natürlich kein Ur-
theil an) und als ein feiner und verschmitzter Intrigant.
Dass er pfiffig und schlau ist, habe ich gestern bei meiner
ersten Conferenz mit ihm genugsam erfahren. Aber so
sehr leid es ihm vielleicht im Innersten seines Herzens
thun mag, zu Gunsten der Expedition gegen die fanati-
schen Snussi einschreiten zu müssen, so wird ihm wohl
nichts Anderes übrig bleiben, als dem Druck von oben
Folge zu geben. Er erzählte mir selbst, es sei ihm in
Creta noch ein Telegramm zugegangen, sich so schnell wie
möglich nach Bengasi zu begeben, um, so weit es ın sel-
nen Kräften stände, das Vorwärtskommen der Expedition
zu beschleunigen. Diess Telegramm hat die Expedition der
energischen Intervention des Grafen v. Hatzfeldt in Con-
stantinopel zu verdanken.
„Man hatte unter den Mauern des Regierungsschlosses
die Frechheit gehabt, uns sechs von unseren Kameelen zu
stehlen. Und bei dem Diebstahl betheiligt war der Neffe
des Präsidenten des hiesigen Gemeinderaths. „Der Haupt-
christenhund ist in Audschila”, hatten sie gesagt, „profitiren
wir deshalb von seiner Abwesenheit und nehmen wir ihm
einige Kameele”. Man hat die Kameele zurückgebracht,
aber während man fünf Diebe einsteckte, hat man den
Neffen des Präsidenten unbelästigt gelassen. Natürlich: die
grossen lässt man laufen, die kleinen hängt man. Aber
ich habe, hier angekommen, beim Gouverneur sogleich auch
die Inhaftirung des vornehmen Diebes verlangt, und der
Pascha hat dem entsprochen. Diese Leute werden den
Christenhunden sicher keine Kameele mehr stehlen, und für
das ganze Land wird es in Bezug auf die Expedition von
den heilsamsten Folgen sein. Denn die Räuber, die alle
begütert sind, erlangen ihre Freiheit nur wieder gegen Er-
legung einer enormen Summe. Man sagt, der Pascha ver-
langt 200000 Piaster Strafgeld. Ob ihm das unangenehm
ist, gleich in den ersten Tagen seiner Ankunft diess Geld
einstreichen zu können? Ich glaube es kaum.
„So stehen die Angelegenheiten der Expedition der
deutschen afrikanischen Gesellschaft. Wenn auch Schwie-
rigkeiten vorhanden sind, so sind sie zu bewältigen, und
schliesslich werden die Resultate die Mühen und Anstren-
gungen belohnen. Das glaube ich schon vorher sagen zu
dürfen, dass höchst wahrscheinlich Tayserbo oder wie der
nördlichste Brunnen von Kufra heisst: Sirrben um einen
Grad südlicher liegen dürfte, und diese Verlegung um so
viel mehr nach dem Süden dürfte dann wohl auf alle Ört-
lichkeiten, Abeschr eingeschlossen, Beziehung haben”,
273
Die Strombarren des Bahr el Djebel.
Von Dr. Emin-Bey, Gouverneur der ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
Da, wie ich Ihnen
schon früher mitge-
tbeilt, unsere Verbin-
dungen mit Khbartüm
durch die Verstopfung
des Bahr el Djebel et-
was unterhalb Scham-
be völlig abgeschnit-
ten waren, hatte ich
zunächst eine Post zu
Lande von Bör nach
Ssöbat gesandt und
ging dann, um den
Fluss zu exploriren,
im Dampfer „Ssäha”
stromabwärts. Zwei
Barren wurden glück-
lich durch Seitenbas-
sins umfahren. Die
dritte bot keinen Aus-
lass und zwang zur
Rückkehr, wollte ich
nicht Gefahr laufen,
den Dampfer durch
schwimmende Vege-
tation eingeschlossen
zu sehen. Ich gebe
Ihnen meine Tage-
buch-Notizen.
21. Novbr. 1878,
Um 6° 20' a. m.
von Schambed abge-
reist fuhren wir unter
Leitung zweier lan-
deskundiger Neger,die
ich durch Geschenke
gewonnen, geradeaus
in die Wasseransamm-
lungen ein, die im
Osten des eigentlichen
Flussbettes dieses in
langer Kette beglei-
ten. Ein etwa 40—50 Yards breiter Kanal an beiden Seiten
von Schilf umgürtet führt in ein weites, scheinbar unbegrenz-
tes, mit Schilfinseln geziertes Wasser, eigentlich wohl See-
becken. Nirgends ist Land sichtbar; zur Rechten aber er-
heben zwei Borassus-Palmen ihre schlanken Stämme mitten
im Schilfe. Enger und weiter werden die Passagen; über
dem Wasser herrscht Schweigen. Selten nur lässt ein
Reiber oder ein Nilpferd sich hören und kleine Flüge
von Rbynchops flavirostris nebst einigen Schwalben sind
die einzigen siohtbaren Bowohner dieser Flächen. Fünf
Stunden lang dauert die Fahrt, als einige Hütten sich vor
uns zeigen. Unser Ziel ist erreicht, neben uns ist das alte
Flussbett auf etwa 600 m durch Schilf, Papyrus und Was-
Potermann’s Geoogr. Mittheilangen. 1879, Heft VII.
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serpflanzen völlig verstopft, während vor uns frei die un-
tere Partie des Flusses liegt. Nachdem wir unsere Führer
hier entlassen, setzen wir die Reise im alten Flussbette
fort. Auch hier hat sich viel geändert. Während früher
dichte Schilfwände gewissermaassen Ufer bildeten und der
Führung des Schiffes so gewisse Anhaltspunkte gewährten,
sind jetzt an vielen Stellen grosse Durchbrüche entstanden
und die Ufer völlig geschwunden. Andere Flächen, früher
mit tippigem Schilf und Papyrus bestanden, liegen jetzt
aller Vegetation bar als enorme Wasserflächen rechts und
links an der Strasse. Die weggeschwemmte Vegetation ist
es, welche die Barren bildet; noch immer schwimmen mäch-
tige Inseln den Fluss hinab. Vom Eintritt in den Fluss
unterhalb der ersten Verstopfung bietet die Fahrt keinerlei
sonderliche Schwierigkeiten dar, und wir hatten uns schon
der Hoffnung hingegeben, den Ssöbat ungehindert erreichen
zu können, als um 11$P p. m. sich eine neue Barre uns
gegenüber stellte. Sie liegt in einer westlichen Krümmung
zwischen Majel Churschid und Hellet Nuehr. Die dunkle
mondlose Nacht zwang zum Ankern.
22. Novbr. Die Untersuchung der Barre, die wohl
über 1200 m lang sein dürfte, ergiebt die Unmöglichkeit,
weiter im Flusse vorzugehen. Die Vegetationsmassen sind
ziemlich fest zusammengeschoben und erlauben über sie
hinzugeben, doch wäre es nur von Norden her möglich,
sie zu eröffnen. Es existirt aber dicht oberhalb der Ver-
stopfung ein stark strömender Auslass nach Westen, neu
gebildet durch den Anprall und die Wucht der durch die
Verstopfung zurückgestauten Wässer, und da seine Unter-
suchung mit der Barke uns in gutem F'ahrwasser neuer-
dings zu weiten, weiten Wassertlächen führt, entschliesse
ich mich zum Versuche. Bald sind wir mitten in seeartigen
Becken, deren Ende nach Westen zu völlig unabsehbar ist,
und fahren, am Ostrande haltend, zwischen einem wahren
Inselgewirre dahin, ohne einen Auslass finden zu können.
Wir sind deshalb gezwungen, zu einigen Negerhütten zu-
rückzukehren, die wir im Schilfe gesehen, um dort wo
möglich Erkundigungen einzuziehen und Führer zu ge
winnen. Die Bewohner, Nuehr, haben sich bei unserer
Annäherung schleunigst in's hohe Schilf geflüchtet und sind
erst nach langem Anrufen und Parlamentiren zur Annä-
herung zu bewegen. Eine zum Geschenk ihnen dargebo-
tene Ziege wird zurückgewiesen, weil sie nur Fische essen,
einige Lanzen aber und kupferne Armringe bewogen zwei
Männer, mit einem ausgehöhlten Baumstamme als Canoe
sich uns als Führer anzuschliessen. Nachdem der Ältere
mir zum Grusse drei Mal in die innere rechte Handfläche
gespuckt und wir so Freundschaft geschlossen, nahmen wir
unsere Fahrt wieder auf und gelangten nach kurzer, etwas
östlicherer Fahrt zwischen den Inseln hindurch in einen
70 Yards breiten Kanal, den ich bald genug an sicheren
Zeichen als den eigentlichen Fluss wiedererkannte. Unsere
neuen Freunde entfernten sich hier in äusserst fluchtahn-
licher Weise und wir dampften in dem prächtigen, breiten
Fahrwasser schnell genug stromabwärts. Auch auf dieser
35
274 Die Strombarren des Bahr el Djebel.
Strecke sind viele neue Wasserflächen entstanden und so
die Ufermarken verwischt worden: ich glaube kaum, dass
ein von Khartüm heraufkommendes Schiff sich hier zurecht
finden dürfte. Da der Fluss breit und kein Hinderniss
vor uns zu liegen scheint, lasse ich die Nacht hindurch
fahren.
23. Novbr. Wir waren bis gegen Mitternacht ungestört
gefahren, als viele schwimmende Grasinseln uns umringten.
Da dieselben sich zusehends mehrten und viele von ihnen
solche Dimensionen hatten, dass sie den etwa 80 Yards
breiten Fluss beinahe sperrten und den Dampfer wiederholt
zwangen, unter Land sioh zu bergen, d. h. sich in’s Schilf
zu drängen, bis sie vorüber waren, wurde um 3b a. m.
geankert, um den Inseln Vorsprung zu geben. Als wir
aber um 53° aufbrachen, waren wir bald wieder mitten
unter ihnen, und als es uns endlich gelang, sie zu über-
holen — freilich auf die Gefahr hin, von ihnen umringt
oder gar vom Rückwege abgeschnitten zu werden —, fuh-
ren wir noch otwa eine Stunde weit durch freies Wasser,
um uns um 9% a. m. einer dritten Verstopfung gegenüber
zu finden, die wie eine Mauer den Fluss hermetisch ab-
schloss. Sie muss schon längere Zeit existiren, denn die
Vegetationsmassen sind so eng zusammengeschoben, dass man
weite Strecken trockenen Fusses darüber gehen kann. Vom
Mastbaume aus war in der Richtung des eigentlichen Fluss-
laufes kein Wasser sichtbar, die Barre muss also sehr lang
sein: links und rechts vom Flusse zogen sich Wasserläufe
parallel zu diesem hin, leider aber war kein Auslass vor-
handen, und an ein Durchbrechen der Papyrus- und Schilf-
wände, die bier erstaunlich dicht sind, war gar nicht zu
denken. Wir gaben also alle möglichen Signale für etwa
unterhalb der Verstopfung befindliche Dampfer, erhielten
jedoch keine Antwort. Ich setze deshalb voraus, dass viel
weiter unten, vielleicht zwischen Mökren el Bohür und der
Zeräf-Mündung eine andere (vierte) Verstopfung sich be-
finde, die den Dampfern nicht erlaubt hat, hier herauf zu
kommen. Vermuthlich wird auch hier der gewaltsam auf-
gestaute Strom sich nach Osten oder Westen eine Bahn
eröffnen; für den Augenblick war schleunige Rückfahrt nö-
thig, da die anrückenden Inseln uns einzuschliessen drohten.
Unser Ziel, die Post nach dem Ssöbat zu bringen, war
verfehlt.
Die Verstopfung muss meiner Rechnung nach etwa
3—4 Stunden stromaufwärte vom Mökren el Bohür im
Bahr el Djebel liegen; sie ist die grösste von den drei ge-
sehenen, und da, wie ich schon erwähnt, noch weiter ab-
wärts ebenfalls Verstopfungen existiren mögen, so dürften
wir wohl für einige Monate von Khartim und der übrigen -
Welt abgeschnitten sein. Gelingt es mir, eine Postverbin-
dung zwischen Bör und Ssöbat zu etabliren, so hat diese
Isolirung nicht viel zu bedeuten; wir werden eben für uns
selbst sorgen, und das hat sein Gutes.
Aneroid-Stand an der dritten Barre um 10b a. m.:
725,0 bei 27,5° C. Um 105° a. m. begaben wir uns auf
den Rückweg; schon in den wenigen Stunden, die seit un-
serer Herkunft verflossen, hatten sich wiederum neue Ab-
und Zuflüsse gebildet.
24. Novbr. Wir hatten bei unserer Abreise von Schamb6
.
glücklicherweise genug Holz genommen, um den Rückweg
zu ermöglichen, konnten also, uns vorzugsweise am West-
rande haltend, die ganze Nacht durch fahren, und kamen
um 9b a. m. zu den schon oben erwähnten Nuehr-Hütten.
Ich hatte die Leute nicht nöthig, weil die auf der Her-
reise entworfene Zeichnung genügte, um den Dampfer zu
führen, liess jedoch halten, um die Leute zu bitten, sie
möchten etwa von Khartüm kommenden Dampfern behülf-
lich sein. Die Neger waren jedoch sämmtlich geflüchtet,
und eine abgebrochene Hütte bewies, dass sie den Ort ver-
lassen wollen. Wie die Leute überhaupt mitten im Wasser
und Schilfe unter Millionen Mosquitos bei absoluter Fisch-
nahrung leben können, ist mir völlig unklar.
Den zum eigentlichen Flusse zurückführenden Abfluss
oberhalb der zweiten Barre fanden wir bedeutend erwei-
tert, und die Strömung so stark, dass der Dampfer bei
„full speed” nur mit Mühe dagegen aufkam. Es scheint
sich demnach hier ein neues Bett zu bilden. In Folge des
eben erwähnten Abflusses war im Wasserstande des Flusses
eine deutliche, wenn auch geringe Abnahme bemerklich.
Auch diese Nacht soll durchfahren werden.
25. Novbr. Früh schon langten wir im Wasserbecken
unterhalb der obersten Verstopfung an, verweilten einige
Zeit bei den Hütten der Kitsch-Neger, die äusserst ärm-
liche, aus dem schwarzen Flussschlamme und Rohr fabri-
cirte Kegel sind, und fuhren dann weiter nach Süden bei
leichtem Regen, einer Seltenheit um diese Jahreszeit. Wir
begegneten unterwegs zwei Negerkähnen, deren Insassen
uns kannten und sich uns anschlossen. In ihren Kähnen
lag eine Menge faustgrosser schwarzer, Helix- ähnlicher
Schnecken, die, in der Asche geröstet, eine Leckerei für
sie zu sein scheinen. Um 1b 30’ p. m. Ankunft in Schamb6
bei starkem Südwinde und Regen.
Die enorme, tbeilweis nur mit Schilf und Papyrus be-
standene Wasserfläche zwischen Schambe und dem Mökren
ist durchaus kein einfacher Sumpf, wie man gewöhnlich
angenommen, sondern eine enorme Depression, zu deren
Ausfüllung, wie ich glaube, weit mehr der Bahr el Gazal
beigetragen, als der Bahr el Djebel, wie denn, meiner un-
maassgeblichen Meinung nach, der Bahr el Gazal bisher
unterschätzt worden ist. Welchen Einfluss diese colossale
Wassermasse auf die meteorologischen und Vegetationsver-
hältnisse der umliegenden Länder haben muss, bedarf kei-
ner Erläuterung. Hoffentlich werden tüchtigere Forscher
als ich uns einst darüber belehren.
Der Wasserstand ist immer noch abnorm hoch, jeden-
falls als Rückstauungs- Phänomen. Den höchsten Wasser-
stand in diesem Jahre beobachteten wir in der Nacht vom
13. zum 14. September. Alle am Flusse gelegenen Seriben
waren partiell überschwemmt und auch die am Vioctorie-
Nile gelegenen, wie Mrüli &c., hatten vom Wasser zu lei-
den. Es ergiebt sich daraus, dass die äquatorialen Regen
diessmal geradezu diluvial gewesen sein müssen; was wir
an Regen diess Jahr gesehen, übertrifft alle früheren Jahre.
Ich reise morgen von hier nach Bör, von wo aus ich
versuchen will, die Post abzusenden, da bei der Uhnter-
suchung sich der Bahr Zeräf als völlig verstopft heraus-
stellte.
275
Die Colonisationsfähigkeit Neu-Guinea’s.
Von L. M. D’Albertis !).
Da man Neu-Guines jetzt nicht mehr als terra in-
cognita ansehen darf, indem die Weissen jetzt anfangen,
in’s Innere zu dringen, um den jungfräulichen Boden
nach Schätzen zu durchwühlen, die ihnen in anderen Gegen-
den der Erde nicht zu Theil wurden, so werden einige
Bemerkungen über dieses Land, in welchem ich mehrere
Jahre zugebracht habe, nicht ohne Interesse sein. Ich
werde mich jedoch auf die Yule-Insel und den benachbarten
Theil des Hauptlandes beschränken, da meiner Meinung
nach dieser Theil von Neu-Guinea die meisten Chancen
für den Beginn der Colonisation bietet: Yule-Insel wegen
seiner günstigen klimatischen Verhältnisse, seiner Lage und’
seines Hafens — das Hauptland wegen seiner gut bewäs-
serten, ausgedehnten Ebenen, der Nähe der Bergkette und
besonders wegen seiner Bewohner, welche ich durch einen
mehrmonatlichen Aufenthalt als intelligentes, fleissiges und
arbeitsames Völkchen kennen lernte.!
Im März 1875 landete ich auf der Yule-Insel, richtete
mich dort häuslich ein und machte nach verschiedenen Rich-
tungen hin 20—25 miles weite Streifzüge in’s Innere des
Hauptlandes, so dass ich wohl im Stande bin, tiber die
natürlichen Hülfsquellen dieser Gegend ein Urtheil zu fäl-
len. Sie ist in jeder Hinsicht zur Colonisation geeignet,
denn gut bewässert und grasreich lässt sie sich sowohl zum
Ackerbau als auch zu Viehweide ausnutzen, das Klima ist
gut, die Hitze mässig. Von einer ca 1200 F. hohen Berg-
spitze aus dehnte sich vor mir eine unermessliche, mit
Lagunen übersäete Ebene aus, in deren Mitte der Fluss
Amama oder Hilda dahinströmt, welcher sich von Norden
her in den Nicura ergiesst, kurz bevor dieser die See erreicht.
Nach seiner Tiefe zu urtheilen, würde er wohl als Wasser-
strasse in’s Innere zu benutzen sein, wenn er nicht, wie
ich von den Eingeborenen hörte, und was meine Erfah-
rungen bestätigten, dermaassen von Baumstämmen angefüllt
wäre, dass jede Passage unmöglich ist, und also erst bedeu-
tende.Summen erforderlich wären, ihn schiffbar zu machen.
Am 12. April besuchte ich das erste von nur ca 80
Menschen bewohnte Dorf Nicura, welches aber nur geringes
Interesse bot; es liegt 7 oder 8 miles oberhalb der Mün-
dung des Flusses Nicura (Capt. Moresby’s Ethel-Fluss) und
13 miles von seinem rechten Ufer entfernt. Das umlie-
gende Land ist mit hohem Gras bewachsen, ein oder zwei
Arten Eucalyptus und an einzelnen Stellen mit Scrub.
Bevor wir in’s Dorf kamen, sandte mein Führer
einen Boten hinein, welcher auch sehr schnell die er-
forderliche Erlaubniss zum Betreten desselben erhielt. Von
dem Häuptlinge, Namens Oa, wurde ich in der Em-
pfangshütte, Marea genannt, empfangen, von wo aus ich
die Beerdigung eines Weibes, die gerade im Augenblicke
meiner Ankunft Statt finden sollte, ansehen konnte. Der
Leichnam lag in der Mitte des Dorfes, während die Um-
stehenden die Luft mit ihren Klagen erfüllten. In dem
Glauben, die Eingeborenen günstig für mich zu stimmen,
») Vortrag, gehalten im R. Colonial Institute 8. The Colonies
and India 21. December 1878.
machte ich der Todten ein Geschenk von einigen Perlen
und sah mich in meiner Erwartung auch nicht getäuscht.
Sobald sich die Eingeborenen von ihrer Überraschung, mich
in ihrer Mitte zu sehen, erholt hatten, fingen sie ihr Weh-
klagen wieder an; zugleich schlugen sie dem Anscheine nach
mit grosser Leeidenschaftlichkeit auf ihre eigene Stirn und
Brust, sowie andere Körpertheile los. Hart neben dem
Leichnam, welcher von einer Matte bedeckt war, lag ein
grosser Vorrath von Bananen, Yams &. Nach Verlauf
einer halben Stunde. wurde der Körper in die Matte ein-
gehüllt, welche mit Streifen weisser Tapuna, einer Art
Kleidungsstoff aus Baumrinde, zusammengebunden wurde,
zum Grabe unter dem Hause der Verstorbenen getra-
gen und ‘unter lauten Wehklagen der Begleitenden mit
grosser Sorgfalt hineingebettet. Dann wurde das Grab
mit Erde gefüllt; zwei der Eingeborenen blieben bei dem-
selben zurück, während die übrigen zur Marea zurückkehr-
ten, ohne noch irgend ein Zeichen der Trauer laut werden
zu lassen. Während der Nacht konnte ich wegen des un-
aufhörlichen Schwatzens meiner freundlichen Wirthe kein
Auge schliessen.
Das Dorf Nicura besteht aus nur 15 elenden Hütten,
welche auf kleinen, 6—10 F. hohen Baumstümpfen er-
richtet und mit Blättern der Nipa-Palmen bedeckt sind,
die in grossen Massen an den Ufern des Flusses wachsen.
Die Eingeborenen ‘bauen Bananen und Yams, auch be-
schäftigen sie sich mit dem Fiange eines sehr guten Flus-
fisches, welcher ihre Hauptnahrung bildet. In nicht gros-
ser Entfernung von dem Dorfe befinden sich Sümpfe und
Lagunen.
Ein zweites interessantes Dorf, welches ich besuchte,
war Bioto mit ca 400 bis 500 Einwohnern, deren Haupt-
beschäftigung der Fischfang ist; Fluss und Lagunen sind
sehr reich an verschiedenen Fischsorten, von denen einige
von sehr beträchtlicher Grösse sind. Gleichzeitig pflegen
sie eifrig die Cultur von Bananen, Yams, Taro (Arum);
auch Brotfruchtbäume sind in Überfluss vorhanden. Die
Bewohner von Bioto haben unter der Bevölkerung Neu-
Guinea’s, welche ich zu sehen Gelegenheit hatte, das beste
Aussehen und die grösste Körperkraft; für geringen Lohn
waren sie immer bereit, mein Gepäck zu tragen, obwohl
dasselbe häufig sehr schwer war. Sie sind ein sehr freund-
liches, aber schwatzhaftes Völkchen, so dass ein F'remder,
welcher in ihr Dorf geräth, wegen ihres fortwährenden
Geschnatters jeden Gedanken aufgeben muss, während der
Nacht der Ruhe pflegen zu können. Ihre Hütten stehen
längs des Flussufers, viele finden sich auch zerstreut zwi-
schen den Anpflanzungen. In der Entfernung von unge-
fähr 1 mile befindet sich ein kleines Dorf, welches jedoch
nur als Theil von Bioto angesehen und auch so benannt
ist; hier liegen die Hütten auf beiden Flussufern. In die-
sem Dorfe sah ich einen jungen Mann mit rothen Haaren.
Auch bemerkte ich Frauen, welche ihre Arme durch den
Biss von Alligatoren verloren hatten; die Stümpfe waren
gut geheilt.
Nach einem Marsche von fast 3 Stunden gelangt man
35 *
276 Die Colonisationsfähigkeit Neu-Guinea’s.
in ein anderes grosses Dorf, Naiabui, welches 40 bis 50
Häuser zu beiden Seiten einer langen Strasse und gegen
360 Einwohner zählt. Ausgedehnte Bananenpflanzungen
geben ihm ein sehr freundliches Aussehen. Zwei geräumige
Mareas, Eigenthum der vier Häuptlinge, befinden sich in der
Mitte des Dorfes, eine der anderen gegenüber. Die Hütten sind
aus Holz erbaut und mit Blättern der Nipa-Palmen bedeckt;
ihre Gestalt ähnelt einem umgestürzten Boote, dessen
Vordertheil abgeschnitten ist, so dass sie am Eingange sehr
hoch sind, während sie nach hinten zu allmählich abneh-
men. Ihr Fussboden befindet sich 10 F. und mehr über
der Erde; einige haben auch zwei Stockwerke. Die Mareas,
welche ihrer eigentlichen Bestimmung nach Empfangshütten
sind, dienen auch zu den Zusammenkünften der Dorfbe-
wohner, welche hier viele Stunden mit Schwatzen verbrin-
gen. Die Häuptlinge nehmen in den Mareas ihre Mahl-
zeiten ein, und die unverheiratheten Männer schlafen in
denselben. Sobald sie aufgestanden, gehen sie mit grossem
Eifer an ihre Toilette, kämmen ihre Haare, bemalen ihr
Gesicht mit schwarzer, rother oder gelber Farbe und ord-
nen ihre Zierrathe. Die Wände der Mareas sind durch
aufgehängte Netze, Waffen und alte Schilder geschmückt.
Die Eingeborenen pflegen frühzeitig aufzustehen, schla-
fen aber bisweilen einige Stunden am Tage. Nach der
Toilette beschäftigen sich die Männer während der kühlen
Morgenstunden damit, Stricke für ihre Netze zu drehen;
die Weiber reinigen die Hütten, holen Wasser und kochen
die erste Mahlzeit, welche gameinschaftlich verzehrt wird.
Das Fleisch zu derselben wird von den Männern zum
Kochen zugerichtet, und zwar besorgen sie diess mit ihrem
Bambusmesser mit so grosser Gewandtheit, dass es der beste
europäische Schlachter sohwerlich geschickter machen würde.
Dann verlassen die Meisten das Dorf und bestellen das
Feld, die Männer mit ihren Speeren bewaffnet, die Frauen
mit beutelartigen Netzen und bisweilen sehr hübsch ge-
sohnitzten Keulen aus hartem Holze versehen, mit denen
sie trockenes Holz zur F'euerung abschlagen. Die Europäer
sehen sie gewöhnlich für Waffen an; möglicherweise wer-
den sie auch hin und wieder im Kampfe gebraucht, aber
ihre eigentliche Bestimmung ist die von mir erwähnte; nur
selten sieht man sie in den Händen von Männern.
Die Eingeborenen essen vier Mal täglich. Ihre Mahl-
zeiten bestehen aus Bananen, Yams, Taro, Sago und Brot-
frucht, Känguru- und Emufleisch und Fischen; obwohl sie
aber so grossen Überfluss sowohl an vegetabilischer als
auch animalischer Nahrung haben, verzehren sie doch auch
Schlangen, Leguane, Frösche, Larven verschiedener Inseo-
ten und Süsswasser-Schildkröten. Ebenfalls essen die Ein-
geborenen mit grosser Vorliebe eine Süsswassermuschel,
Ebe genannt, deren Schalen sie zu den verschiedensten
Zwecken benutzen und deshalb stets bei sich tragen. Sie
säubern damit im Walde die Pfade von Schlinggewächsen
und Baumwurzeln — ein starker Bambus wird eben so
schnell gefällt als mit Hülfe von Messer und Beil —, sie
reinigen mit ihnen die Fasern, aus denen die Stricke ge-
dreht werden, sie verwenden sie auch als Löffel; mit einem
Stückchen Schale bohren sie Löcher in Holz, und mit gros-
ser Geschicklichkeit können sie mit ihnen Splitter und
Dornen ausziehen. Der Unterkiefer des Känguru ist für
sie ein sehr brauchbares Werkzeug, und zwar vorzugsweise
zum Schnitzen und Verzieren der Emubeine, aus welchen
Gabeln, Kämme, Spateln bearbeitet werden.
Auf ihre äussere Erscheinung sind die Eingeborenen
sehr eitel und tragen deshalb viele Zierrathe aus Federn,
Muscheln und Gräsern als Arm- und Halsringe &c.; wie
schon oben erwähnt, bemalen sie auch ihr Gesicht mit
schwarzer, rother und gelber Farbe, wodurch sie ihre na-
türliche Schönheit zu erhöhen glauben. Ihre rothe Farbe,
eine Art Oker, stammt aus dem Innern; sie hat ein leicht
röthliches Aussehen, ist weiss gesprenkelt und kann, ge-
mischt mit Bethel, auch als Klebestoff verwendet werden, _
Die Häuptlinge schmücken sich auch mit Brustplatten aus
Perlmuschel, welche von ihnen sehr geschätzt werden. Die
Weiber tragen das Haar kurz geschoren, die Männer lassen es
lang wachsen. Sie verabscheuen Bärte, so wie Haarwuchs
an anderen Körpertheilen und vertilgen denselben durch
eine anscheinend äusserst schmerzhafte Procedur, welche
jedoch ihrem eigenen Benehmen nach nicht so sehr un-
angenehm sein kann. Die Operation ist folgende: Man
bindet zwei dünne Fäden an ein kleines Stück Holz, die
Enden derselben nimmt derjenige, welcher die Operation
vornimmt, in die Hand, und nun fährt er mit den Fäden
über die Haut hin. Indem er sie in sinnreicher Weise
dreht, fasst er jedes Härchen und reisst es beim Weiter-
gehen mit der Wurzel aus. Bewundernswerth war dabei
die Haltung des Patienten. Mit kleinen Stücken Kiesel,
Feuerstein oder Glasscherben rasiren sie das Gesicht, so
geschickt wie der beste Barbier.
Unverheirathete Männer tragen lange Gürtel aus Rotang
(Calamus) oder ein Stück Holz so dünn wie Fournier, welches
um den Körper so eng zugebunden wird, dass es demsel-
ben ein sehr eigenthümliches Aussehen giebt. Die Frauen
tragen die „Keba”, eine Art Schürze, zuweilen kaum 8 Zoll
lang, so kurz, wie ich sie in keinem anderen Dorfe wieder
antraf. Mit grosser Sorgfalt tätowiren sie sich über den
ganzen Körper; doch möchte ich mich nach den von mir
gemachten Beobachtungen zu der Ansicht hinneigen, dass
nur die Frauen und die Familien der Häuptlinge gänzlich
tätowirt sind. Die Häuptlinge selbst tätowiren sich auf
Schulter, Brust und Arme. Beim Gehen tragen die Mütter
ihre kleinen Kinder in einer Art Netztasche auf dem Rücken;
müssen sie dieselben einmal allein lassen, so bleiben sie
unter Aufsicht eines alten Weibes oder eines Mädchens
in dieser Netztasche hängend in der Hütte. Um das Kind
einzuschläfern, bringt man das Netz in schwingende Be-
wegung, wodurch auch Fliegen und Mosquitos abgewehrt
werden. Auch die Männer schlafen vielfach in Hängemat-
ten, wobei sie unter sich ein Feuer unterhalten, theils
um die Mosquitos zu vertreiben, theils um die Feuchtig-
keit der Luft absorbiren zu lassen. il "15
Die Häuptlinge und deren Kinder werden in dem Dorfe
vor der Hütte, nicht unter derselben begraben, und ihre
Gräber durch einen Zeun vor Schweinen und Hunden, deren
es viele im Dorfe giebt, geschützt. Auf zwei Gräbern sah
ich einige gepflegte Farrnkräuter. Während meiner An-
wesenheit starb der ungefähr 5 Jahre alte Sohn eines
Häuptlings und wurde wenige Stunden nach dem Tode vor
der Hütte seines Vaters beerdigt. Als das Grab wieder
zugefüllt war, weinten beide Eltern und warfen sich unter
lautem Wehklagen auf das Grab. Noch tagelang verweilte
Die Colonisationsfähigkeit Neu-Guinea’s. 277
die Mutter unter Trauergesängen, die mit dem Refrain
„Komm zurück, komm zurück” endeten, am Grabe. Auf
meine Frage, die ich an einen Häuptling richtete, ob der
Knabe todt sei, erhielt. ich die Antwort: „Nein, er ist
schlafen gegangen”. Eine andere Auskunft konnte ich nicht
erhalten, so dass ich nicht weiss, ob bei ihnen der Glaube
an ein zukünftiges Leben existirt oder nicht. Ich glaube
sogar, dass sie weder Götzendienerei irgend welcher Art
treiben, noch überhaupt ein Glaubensbekenntniss haben.
Wie schon erwähnt, sind sie stets zum Schwatzen,
Lachen und Tanzen aufgelegt. Sie haben auch öffentliche
Discussionen, und oft hörte ich Nachts von der Marea aus
einen Redner stundenlang über die Vorfälle des Tages
sprechen, worauf ihm ein anderer antwortete; Unterbrechun-
gen kommen aber nicht vor. Auch die Frauen ahmen
diess bisweilen nach, die Männer aber werden bald dieses
Treibens überdrüssig und machen ihm ein Ende. Strei-
tigkeiten sind gerade nicht selten; hat man sich aber aus-
gesprochen, so herrscht wieder dieselbe Freundlichkeit
gegen einander wie zuvor. Auch mit den benachbarten
Dörfern stehen die Eingeborenen im freundschaftlichen
Verkehr, bei besonders wichtigen Ereignissen, bei glück-
lichen Jagdzügen, erfolgreicher Fischerei &c. laden sie sich
gegenseitig zu Mahlzeiten und Tänzen ein. So luden die
Bewohner von Bioto die von Naiabui während meiner
dortigen Anwesenheit zu einem grossen Schmause ein, weil
sie einen glücklichen Fischzug gethan hatten, als Erwide-
rung einer Einladung der Letzteren bei Gelegenheit einer
erfolgreichen Kängurujagd. In solchen Fällen erscheinen sie
angethan mit ihren schönsten Schmuckgegenständen, Federn
von Paradiesvögeln, reichen Halsbändern aus weissen Mu-
schein und Perlmutterschalen, künstlichen Blumen aus
Federn verschiedener Vögel, Muscheln und Schildpatt, so
wie dem besonders hochgeschätzten, weiss gesprenkelten
Schwanze eines Königsfischers. Diese Zierrathe sind in
ihrer Gesammtheit so anmuthig und harmonisch geordnet,
dass sie einen sehr angenehmen Eindruck auf den Be-
schauer machen.
Die Tänze werden hauptsächlich von Männern ausge-
führt, die Frauen sind aber nicht ausgeschlossen. Die Tan-
zenden stehen in zwei Reihen mit dem Gesichte einander
zugekehrt und bewegen den Körper nach dem Taote einer
Trommel. Der Tanz”hat viel Ähnlichkeit mit dem Ula-
Ula der Sandwich-Insulaner, doch kommen keine indecente
Bewegungen vor.
Die Knaben üben sich fast täglich im Speerwerfen un-
ter Leitung der Söhne der Häuptlinge Mit den Eingebo-
renen im Innern stehen die Bewohner der Küstenorte auf
Kriegsfuss; noch vor Kurzem hatte ein Haufe der Ersteren
das alte Dorf Naiabui, welches ungefähr 1 mile von dem
jetzigen entfernt lag, überfallen und zerstört, so wie eine
Anzahl Bewohner niedergemetzelt. Ungefähr 10 miles von
Naiabui nach Osten liegt auf einem Hügel ein kleines
Dorf, Purok mit Namen, welches nur zur Zeit der Känguru-
jagd bewohnt wird. Noch 5 miles weiter aufwärts besteht
ein Marktplatz, ein grosser freier Raum von Gras und
Bäumen gesäubert, wo die Dorfbewohner aus einem Um-
kreise von 15 bis 20 miles zu gewissen Zeiten zusammen-
kommen, um Handel zu treiben. Ich sah dort einen Hau-
fen Cocosnüsse ohne irgend welche Aufsicht liegen, der
Eröffnung des Marktes harrend. Niemand dachte daran, sie
zu stehlen, und doch nennen wir die Bevölkerung Wilde!
Drei andere bedeutende Dörfer liegen westlich von
Naiabui, und könnte man sie fast Städte nennen, Meauri,
Mou und Erine. 13% miles westlich von der Mündung des
Nicura ergiesst sich zwischen Mangrove-Bäumen ein grosser
Bach, der sich erst einige miles weiter stromaufwärts aus
zwei kleineren gebildet hat; der grössere Arm, vielleicht
nur eine Abzweigung des Amama, scheint von Osten zu
kommen, der kleinere von Norden. Am rechten Ufer des
letzteren liegt das dicht bevölkerte Dorf Meauri von 70
bis 80 Hütten. Das Wasser des Baches ist hier noch salz-
haltig. Zahlreiche grosse Cocospalmen gaben der Landschaft
einen malerischen Anblick.
Ein Marsch von nur 10 Minuten brachte uns nach
Mou, welches in Einwohnerzahl, Aussehen der Hütten und
Mareas und dem bei der äusseren Ausschmückung derselben
entfaltenen Geschmack alle sonst von mir in Neu-Guinea
besuchten Ortschaften übertrifft. Die Hütten stehen in
zwei Reihen auf jeder Seite einer langen und breiten
Strasse, welche mit weissem Sande bestreut ist. Eine An-
zahl Cocospalmen erhöhen noch den angenehmen Eindruck
der Scene. Ein sehr mannigfaltiger Geschmack äusserte
sich im Bau der Hütten und Mareas. Einige glichen einem
umgestürzten, hinten und in der Mitte durchschnittenen
Boote. Eine Verzierung, ähnlich einem Schnabel, hängt
über den Eingang, geschnitzt und ausgeschmückt mit lan-
gen Grasfransen in verschiedenen Farben. Gewöhnlich er-
heben sich die Hütten etwas über den Erdboden, die Stel-
len von Säulen vertreten grosse Baumstümpfe, welche weiss
und schwarz angestriohen, auch mit Schnitzwerk verziert
sind; so bemerkte ich z. B. an einem die eingeschnittene
Figur eines Leguans, an einem anderen die rohe Figur
eines Mannes, dessen Hände und Füsse Ähnlichkeit mit
Vogelklauen hatten. An den Wänden im Innern sah ich
alte, weiss und roth bemalte Schilder, Speere und andere
Waffen. ° Vor den Hütten waren ein, zwei und mehr Al-
tane angebracht, auf welchen Pfähle standen, die Gewinde
von Grasfransen, Schweineschädel, Emuknochen und Fische
trugen. In der Marea, in welcher ich empfangen wurde,
sah ich aus Holz geschnitzte weisse und schwarze Tauben,
sitzend und fliegend dargestellt, welche mit bemalten Stoffen
(Tapuna) bekleidet waren und eine Fruohttaubenart (Carpo-
phaga spillorhoa) darstellen sollten. Jede Marea führt ihren
besonderen Namen. Hier in Mou werden die Todten unter
den Häusern beerdigt und das Grab durch einen dichten
Zaun geschützt; auf den Gräbern bemerkte ich weder
Schmuckgegenstände, welche den Verstorbenen gehört hat-
ten, noch Nahrungsmittel oder Waffen.
In diesem Dorfe führen die Weiber das Scepter. Bei
meiner Ankunft kleideten sie sich wie zu einem Feste, ja
die Tochter eines Häuptling — eine eohte Coquette —
hatte sich mit all’ ihren Schmuokgegenständen behängt und
zeigte sich mir in diesem Aufputz. Eitel wie ein Trut-
bahn spazierte sie den ganzen Tag umher. Jemand, der
Lust hätte, sie zu heirathen, muss erst die Einwilligung
des Vaters einholen, welche gegen Zahlung eines Sohweines,
10 Paradiesvögeln, Fellen, eines Halsbandes aus Alligator-
zähnen, eines anderen aus Hundezähnen, eines Armbandes
aus Stücken weisser Muschel, so wie verschiedener anderer
278 Die Colonisationsfähigkeit Neu-Guinea’s.
Gegenstände, deren Namen ich hörte, die ich aber nicht
selbst zu Gesichte bekam, erfolgt.
Bei der Dichtigkeit der Bevölkerung machte der Mangel
an Culturland sich sehr bemerkbar in Mou, und da seine
Bewohner ein kräftiger Menschenschlag sind, so begannen
sie ihre Herrschaft weiter auszudehnen und brachten einen
Theil der Yule-Insel unter ihre Botmässigkeit.
Nur 5 Minuten von Mou entfernt liegt Erine, ein etwas
kleineres Dorf. Da es mit den beiden Dörfern oder Städten
Meauri und Mou in jeder Hinsicht übereinstimmt, so sind wei-
tere Bemerkungen unnötbig. Das Klima wird hier Ansied-
lern nicht zuträglich sein, da der Boden sehr sumpfig ist.
Der Menschenschlag, welcher die Yule-Insel und die
Küsten Neu-Guinea’s östlich und westlich davon bewohnt,
unterscheidet sich wesentlich von den Bewohnern der west-
lichen Halbinsel, den richtigen Papuas, oder der Mischlings-
race, welche aus dem Verkehr der letzteren mit Frem-
den hervorgeht. Welcher Race er jedoch angehört, ist
schwer zu entscheiden. In manchen Beziehungen haben sie
Ähnlichkeit mit den Polynesiern, in anderen aber sind sie
grundverschieden. Ich möchte fast glauben, dass sie in
einem mehr oder weniger entfernten Zeitpunkt, der aber
schwer festzustellen wäre, in’s Land eingedrungen sind. Die
ursprünglichen Bewohner, die richtigen Papuas, die in phy-
sischer wie in moralischer Beziehung unter den Eindring-
lingen standen, wurden von der Küste verdrängt, wo das
Land verhältnissmässig gesund und fruchtbar ist, und zogen
sich in’s Innere oder auf die Berge zurück, während die
Eroberer sich an der Küste ausbreiteten. Diese meine An-
sicht wird unterstützt durch eine Erfahrung in Epa, einem
von mir besuchten Dorfe in der Bergregion, wo ich einen
Mann von papuanischem Typus antraf: er war schon von
Jugend auf Sclave und stammte, wie man mir sagte, aus
dem Innern. Als ich später einige Bewohner der Dörfer
Anapocus und Uni Uni sah, welche schon ziemlich weit
von der Küste entfernt sind, bemerkte ich sofort einen
prägnanten Unterschied zwischen ihnen und den Küsten-
bewohnern, was mich zu der Vermuthung veranlasst, dass
sie der Race der Eroberer angehören, aber gegenwärtig
mehr papuanisches Blut in den Adern haben als die Küsten-
bewohner.
Die Eingekorenen des Innern haben dunklere Hautfarbe
und lockigeres Haar, nur selten kommt bei ihnen straffes
Haar vor. Auch in der Gesichtsbildung findet sich ein
Unterschied, indem ihre Kinnladen weiter vorstehen als bei
den Küstenbewohnern. Je weiter man in’s Innere gelangt,
desto mehr fällt der Unterschied im Dialekt auf, welcher,
wenn diese Völkerschaften demselben Stamme angehörten,
schwerlich zu erklären wäre. Die durchschnittliche Grösse
ist geringer als die der nordeuropäischen Bevölkerung, doch
traf ich einzelne sehr grosse Männer wie auch Frauen; ei-
nige von mir gemessene Männer hatten 1,70 bis 1,78 m
Höhe, Frauen 1,68 bis 1,70 m. Die Hautfarbe ist durch-
gängig dunkel chokoladenbraun, was jedoch den Wirkungen
der Sonnenstrahlen zuzuschreiben sein mag, denn wie ich
bemerkte, stechen die gewöhnlich mit Kleidung bedeckten
Körpertheile in Färbung sehr merklich gegen die unbedeckten
ab. Das Haar ist gewöhnlich von kastanienbrauner Farbe,
desgleichen die Augen. Letztere weisen in Form grosse
Unterschiede auf; nicht selten findet sich sogar mongolische
Augenbildung. Das Haar ist gewöhnlich gekräuselt, aber
niemals wollig. Straffes Haar hat eine schwarze Färbung.
Kinder haben gewöhnlich straffes Haar, welches gleichmäs-
sig den ganzen Schädel bedeckt. Das Jochbein tritt weit
hervor, Stirn und Kinn zurück. Die Bildung der Lippen
ist bei manchen Individuen eine sehr verschiedenartige, im
Allgemeinen sind sie aber wohlgeformt. Der Körperbau
ist durchschnittlich ein kräftiger und muskulöser, die Beine
sind symmetrisch gebaut. Das weibliche Geschlecht zeigt
nur wenig Übereinstimmung mit dem männlichen.
Die Häuptlinge zeichnen sich im Körperbau und äus-
serer Erscheinung vor der übrigen Bevölkerung aus, und
mag in Wirklichkeit auch ein Unterschied zwischen ihnen
bestehen. Die bestehende Regierungsform ist eine Art
Feudalismus. In jedem Dorfe existiren zwei, drei oder gar -
mehr Häuptlinge, denen die Anpflanzungen, so wie alles
Land innerhalb ihres Gebietes gehören. Die Bevölkerung
muss für dieselben die nöthigen Feldarbeiten verrichten,
wofür sie Nahrung und Wohnungen erhalten, während diese
selbst ihr Leben mit Nichtsthun hinbringen. Von Charak-
ter sind die Eingeborenen im Allgemeinen gut und fried-
lich, ihr Muth ist nicht übermässig gross. Sie sind überaus
empfindlich und leicht beleidigt, aber auch leicht wieder zu
versöhnen. Zwischen Männern und Frauen fallen nicht
gelten Streitigkeiten vor. In einigen Dörfern führen Letz-
tere das Regiment, in anderen die Ersteren. Sie sind alle
sehr fleissig im Landbau, Jagd und Fischerei. Die Weiber
verrichten die leichteren Arbeiten im Feldbau, tragen Was-
ser, Feuerholz &o., säen und kochen für die Häuptlinge
und ihre Umgebung. Die schwereren Feldarbeiten werden
von den Männern ausgeführt, welche auch Segel für die
Canoös, Stricke für ihre Netze, Ruder anfertigen, so wie
die Jagd und Fischerei besorgen. Sie betreiben auch einen
kleinen Handel mit Feldproducten und den Erträgen der
Fischerei und Jagd, indem, wie schon erwähnt, zu be
stimmten Zeiten Märkte abgehalten werden, auf welchen
sie ihre Producte verkaufen und vertauschen. Immerhin
ein kleines Zeichen vorgeschrittener Civilisation, wenn sie
auch noch mitten in der Steinzeit stecken!
Obwohl ich mich auch auf der Yule-Insel längere
Zeit aufhielt, kann ich über ihre Bewohner nur wenig
sagen, denn sie sind unwissend, dumm und weniger gesellig,
so dass ich nur wenig mit ihnen in Berührung kam. Sie sind
nicht im Besitze der ganzen Insel, sondern auf die West-
seite beschränkt, während die östlichere Hälfte von den
Bewohnern von Mou erobert worden ist, welche einzelne
Häuser und Anpflanzungen hier haben, aber nicht sesshaft
sind, sondern nur hin und wieder herüberkommen. Die
Eingeborenen von Roro oder Yule-Insel stehen ihrer äus-
seren Erscheinung nach auf einer niedrigeren Stufe: sie
sind furchtsamer, diebischer und weniger intelligent als ihre
Nachbarn von der Hauptinsel. Die Insel wird von zwei Hügel-
ketten, dem Anschein nach Korallenbildung, durchzogen,
welche auf einer Basis von wahrscheinlich vulkanischem Ur-
sprunge sich erheben. Der waldlose Südabhang der Hügel
ist der fruchtbarste Theil der Insel, und hier giebt es An-
pflanzungen von Bananen, Yams &. Die nördliche Hälfte
ist mit dichtem Busch bewachsen, unter welchem der
Seidenbaumwollenbaum am häufigsten vorkommt. Das von
den beiden Hügelketten eingeschlossene Thal ist mit lan-
Die Colonisationsfähigkeit Neu-Guinea’s. 279
gem Grase bewachsen, in welchem einzelne Anpflanzungen
liegen.
Obwohl die Insel an und für sich wenig Anziehungskraft
für eine europäische Ansiedelung besitzen mag, wird sie
in Zukunft für diesen Theil Neu-Guinea’s eine grosse Bedeu-
tung erhalten, denn sie wird als Sanatorium zu benutzen sein,
beherrscht die Gegend, und ist besonders geeignet für ein
geschütztes Depöt. Auf der Hauptinsel bieten die gras-
reichen Ebenen und Hügel, welche sich von der Küste bis
zu den hohen Bergen erstrecken, das geeignetste Feld zur
Colonisation, besonders zum Ackerbau. Die Nähe der hohen
Bergketten hebt noch den Werth dieser Gegend, denn welche
Schätze mögen noch in ihren Schlupfwinkeln verborgen
sein! Es ist aber nicht empfehlenswerth, dass Goldgräber
die Colonisation beginnen; lieber würde ich den Anfang von
Ackerbauern ausgehen sehen. Ich möchte deshalb die Bildung
einer Ackerbau-Mission empfehlen, welche sich die materielle
Wohlfahrt der Eingeborenen angelegen sein liesse, wie die
London Missionary Society für ihr Seelenheil bemüht ist.
Nach meiner Ansicht würde Erstere sogar mehr Aussicht
auf Erfolg haben als die Letztere, denn es liegt ja einmal
in der menschlichen Natur, sich mehr um die Wohlfahrt
des Leibes als die der Seele zu kümmern. Um so mehr
ist diess der Fall bei einer Bevölkerung, die von einem
zukünftigen Leben keine Ahnung hat, so dass man beim
Unterrichte davon ausgehen muss, ihnen die Existenz eines
solchen auseinanderzusetzen, während der Hunger sie schon
antreibt, für ihren eigenen Magen zu sorgen. Aus meiner
eigenen Erfahrung kann ich mittheilen, dass sie durchaus
nicht abgeneigt wären, ihre Lebensweise zu ändern. Wäh-
rend meines Aufenthaltes suchte ich ihnen nämlich zu er-
klären, auf welche Art und Weise bei uns das Land be-
stellt wird, welche Hülfsmittel, Maschinen, Thiere wir zur
Erleichterung der Arbeit benutzen, worauf mich die Häupt-
linge von Naiabui, Bioto und Mou aufforderten, sie in
meine Heimath mitzunehmen, damit sie diese Vorrichtun-
gen selbst sehen und die nöthigen Geräthe kaufen könn-
ten, um ihre Lage zu verbessern. Umstände, welche nicht in
meiner Gewalt lagen, verhinderten mich, ihrem Wunsche zu
willfahren, dooh hoffe ich, dass Andere ihn ausführen werden.
Ich möchte den Vorschlag machen, eine europäische An-
siedelung auf der Yule-Insel zu gründen, d. h. dieselbe
zum Hauptquartier einer landwirthschaftlichen Mission zu
machen. Mehrere Ackerbaulehrer müssten von hier aus zu
verschiedenen Jahreszeiten die Eingeborenen der nächsten
Dörfer besuchen und ihnen zeigen, wie die verschiedenen
Geräthe und das Vieh zu benutzen seien, wie gesäet und
geerntet, wie das Getreide aufbewahrt und aufgespeichert,
wie der Überfluss der Ernte den Weissen, welche bei ihnen
vorsprechen würden, verhandelt werden müsse. Die Ein-
geborenen würden sich höchst wahrscheinlich diese Art
Arbeit gefallen lassen und bald im Stande sein, so viel zu
produciren, um alle ihre Bedürfnisse zu bestreiten, woraus
sich allmählich ein ausgedehnter Handel mit Europäern
entwickeln würde. Ohne Zweifel würden sie bald die gros-
sen Vortheile erkennen, welche Fleiss und Thätigkeit mit
sich bringen. Auch die Mission würde aus den billigen
Preisen, zu welchen sie ihre Producte verkaufen würden,
manchen Gewinn ziehen.
Sollte die religiöse Mission auf demselben Gebiete und
zu gleicher Zeit mitwirken wollen, so wäre es um so bes-
ser, denn dann würden wir den Eingeborenen für die Auf-
gabe ihrer Unabhängigkeit wenigstens nützliche Arbeits-
utensilien und eine Art Religion geben.
Nach meiner Ansicht müsste eine Regierung, welche
Neu-Guines annectiren wollte, sich mehr an die Art und
Weise zu colonisiren, welche die niederländische Regierung
befolgt, halten, als an die der englischen. Die Niederlän-
der suchen die Lage der Eingeborenen zu bessern, die-
selben auf den Standpunkt einer civilisirten Race zu er-
heben — System der Association, wie ich es bezeichnen
möchte — , während die Engländer, wenn auch nicht im-
mer, so doch gewöhnlich auf Unterordnung ausgehen. Vom
egosstischen Standpunkte mag letzteres System das passend-
ste sein, vom phslanthropsschen ist ersteres jedenfalls vor-
zuziohen. Bei der Intelligenz, Fleiss und Ausdauer, welche
die Eingeborenen dieses T’heiles besitzen, können sie in
kurzer Zeit zu einer grossen Bedeutung gelangen; es kann
sich ein freundschaftlicher Verkehr mit ihnen entwickeln,
welcher für beide Parteien gute Früchte brächte — uns
dadurch, dass wir in den Besitz der Producte ihrer Län-
dereien gelangen werden, ihnen wird Gelegenheit geboten,
ihre Producte gegen europäische Erzeugnisse einzutauschen,
Der Erfolg hängt aber wesentlich von dem Eindruck ab,
welchen die ersten Ansiedler auf die Eingeborenen machen
werden, und deshalb ist es Pflicht jeder Regierung, welche
Neu-Guinea für reif zur Colonisation hält und die Insel
annectirt, eine strenge Controle einzuführen, sobald die An-
siedler das Land betreten, um solche Angriffe zu verhüten,
welche leider nur zu gewöhnlich in der Geschichte der
Civilisation gewesen sind und für beide Theile von den
verderblichsten Folgen waren, aber schliesslich immer zur
Vernichtung der Urbevölkerung geführt haben.
Die Missionäre, welche jedenfalls am besten in der
Lage sind, einen freundschaftlichen Verkehr zwischen den
Eingeborenen und den Ansiedlern zu vermitteln, sind nicht
die geeigneten Personen als Schiedsrichter; nach der Natur
der Sache würden sie schliesslich die Opfer beider Theile
werden. Die Wahl der ersten Verwaltung kann nicht sorg-
fältig genug getroffen werden; sie muss von jedem Racen-
Vorurtheile frei und in der Lage sein, unter Umständen
ohne Rücksicht auf die Farbe dessen, der das Gesetz ver-
letzt, strafend einzuschreiten.
So komme ich zu dem Schlusse, dass die Colonisation
dieser Gegend ohne Schwierigkeit vor sich gehen würde,
sobald die Eingeborenen sehen, dass ihre Person und ihr
Besitzthum respectirt wird; ja nach den Erfahrungen, die
ich bei ihnen gesammelt, kann ich behaupten, dass sie
Fremde, welche sich in ihrer Mitte niederlassen wollen,
herzlich willkommen heissen werden, da deren Anwesenheit
ihnen gar viele Vortheile gewähren wird. Wenn ich per-
sönlich den den Eingeborenen sympathischeren Wunsch
hege, dieselben möchten sich selbst überlassen bleiben, so
kann ich doch jetzt, wo Goldgräber in’s Land eindringen,
nur die Hoffnung hegen, dass der Verkehr mit ihnen in einer
Weise Statt findet, welcher für beide Theile von erspriess-
lichen Folgen begleitet ist, um so mehr, als meiner Ansicht
nach Neu-Guinea in der Hand aufgeklärter Eingeborener
von grösserem Vortheil für uns sein wird, da ich das Klima
der weissen Race nicht für zuträglich halte. — —
280 Die Colonisationsfähigkeit Neu-Guinea’s.
Bemerkungen von W. G. Lawes,
Der bekannte Missionär W. G. Lawes, welcher sich 3 Jahre in
Port Moresby, 70 miles östlich von der YXule-Insel, aufgehalten hat,
fügte noch einige Notizen hinzu, worin er zunächst bestätigt, dass die
Ausdehnung, die klimatischen Unterschiede, die verschiedenen Bewoh-
ner &o. von Neu-Guinea dazu zwingen, sein Urtheil auf einen ganz be-
stimmten Theil zu beschränken. Nur so berüchtigte Leute wie Capt.
Lawson können die Verantwortung auf sich nehmen, über die Insel
als Ganzes zu reden oder ein Buch zu fabriciren.
Neu-Guinea nimmt unser Interesse in hervorragendem Grade in
Anspruch: hier herrschen noch Zustände, die man im 19. Jahrhundert
für völlig unmöglich halten müsste. Längs der Küste finden wir noch
Pfahldörfer; die Steinzeit steht in ihrer Blüthe Auf meinem ersten
Ausfluge von Port Moresby in’s Innere, ca 25 miles, war ich durch die
Dürre und Dürftigkeit der Gegend sehr enttäuscht. Die Hügel, welche
von der See aus mit lieblichem Grün und üppiger Vegetation bedeckt
zu sein scheinen, haben nur grobes Känguru-Gras, und der offene Wald,
nur von verkrüppelten Gummi-Bäumen gebildet, entspricht nicht der un-
vergleichlichen Schönheit und Üppigkeit, mit welcher man sich Neu-
Guinea gewöhnlich bedeckt denkt. Aber längs der Ufer der Flüsse,
z.B. des Laloke, findet man seine Ideen von tropischer Schönheit mehr
als verwirklicht in den prachtvollen Palmen, den vielfarbigen und man-
nigfaltigen Croton-Arten, den prächtigen Orchideen und den lieblichen
Farren am Boden. Man kann vielleicht darüber enttäuscht sein, die
Paradiesvögel an der Küste nicht in so grossen Massen zu finden als
hier die Sperlinge, aber im Innern, so wie auch an den Ufern des Laloke
treten sie in ziemlichen Mengen mit anderen sehr seltenen Vögeln und
Thiergattungen auf, welche sich allein in Neu-Guinea finden.
Die Landesproducte der östlichen Küste von Neu-Gninea sind sehr
gering. Ich habe allerdings Verzeichnisse von so vielerlei Producten gese-
hen, dass, wenn dieselben m irgend einer Stelle in beträchtlichen Mengen
anzutreffen wären, Neu-Quines für den Handel ein höchst bedeutungs-
voller Platz sein müsste, aber sie finden sich eben nur zerstreut auf
einer weiten Strecke. Während meines Aufenthaltes in Port Moreeby
konnte ich mit einem Genossen zwei Reisen längs der Küste bis zur
Ostspitze der Insel unternehmen; ioh kann deshalb über die Producte,
welche wir bei den Eingeborenen fanden und die einen Handelsartikel
abgeben können, ein bestimmtes Urtheil fällen. Schildpatt kommt nur
in sehr geringen Mengen vor. In der Gegend der Orangerie-Bai fanden
wir eine Art Flache, welche aber nach dem Werthe, dem die Eingebore-
nen ihr beimessen, nur selten vorkommen kann. Im Allgemeinen wird
behauptet, dass Neu-Guinea reich an Gewürzen ist; wir fanden freilich
Muskatnüsse im Kropf einiger von uns geschossener Tauben, aber sonst
such keine Spur von Gewürzen in diesem Theile der Insel. Weiter nach
Osten sahen wir einige keulenartige, so wie auch andere Waffen aus
Ebenhols und einheimische Trommeln aus Rosenholz. Hiermit ist die
Zahl der Producte dieses Theils vons Neu-Quinea zu Ende, auch muss
ich nochmals darauf aufmerksam machen, dass sie an verschiedenen
Stellen der Küste und nur in so geringen Mengen angetroffen werden,
dass eine kaufmännische Ausbeute dieser Artikel nur einen sehr zweifel-
haften Erfolg haben kann. Cocosnüsse finden sich in grossen Massen in
der Gegend der Hood-Bai und können als Copra ein Ausfuhrartikel werden.
Wahrscheinlich ist die Insel reich an Mineralien. Ich befand mich
selbst in der glücklichen Lage, die ersten Proben Gold nach Sydney zu
schicken, wo sie einer Prüfung unterzogen wurden, die jedoch kein
gtinstiges Resultat ergab. Eine Tonne Quarz enthielt Gold im Werthe
von nur 3 Pence (M 0,35), so dass die Ausbeute sich nicht bezahlt
machen wird. Der Alluvrialboden in den Betten der Flüsse erwies sich
als reichhaltiger, ob aber eine Ausbeute in Zukunft lohnender sein
wird, ist natürlich abzuwarten. Das Eine wissen wir, dass edle Me-
talle in Neu-Guinea existiren.,
Im Gegensatz zu D’Albertis’ Wahrnehmungen muss ich constatiren,
dass die Eingeborenen um Port Moresby sehr stark an ein zukünftiges
Leben glauben , desgleichen in Lerepunu, einem Dorfe 60 miles östlich
von Port Moresby, und überhaupt, so viel ich erfahren konnte, alle
Stämme dieses Theils der Insel. Ihre Anschauungen über den Tod sind
verworren und unbestimmt. Die Seele eines Verstorbenen geht, wie sid
behaupten, in den Raum über, findet aber schliesslich ihren Weg zu
einem Orte, wo nur Lust und Vergnügen herrscht, wo nach den Einen
Überfluss an Sago, nach Anderen an Betelnüssen vorhanden ist. Ihr
Glaube an ein zukünftiges Leben entspringt mehr der Furcht als der
Hoffnung, denn sie befürchten, dass die abgeschiedenen Geister Un-
glück über sie bringen können ; besonders beim Tode von Verwandten
herrschen solche Befürchtungen.
Zur Entscheidung der Frage, ob es wiünschenswerth ist, Neu-Guines
als Colonie zu erwerben, müssen noch zwei Punkte in’s Auge gefasst
werden. So weit der südöstliche Theil in Betracht kommt, müssen die
natürlichen Hülfsquellen noch erst aufgeschlossen werden. Die grössere
Schwierigkeit liegt aber darin, dass die Eingeborenen keine Neigung haben,
die europäischen Handelsartikel anzunehmen. Kleidungsstücke, welche wir
ihnen reichlich gaben oder vertauschten, verwendeten sie lieber zum Ein-
wickeln ihrer Trommeln, damit die Ratten deren Felle nicht zernagten.
Man glaubt allgemein, dass sie den Werth unserer Handwerkszeuge zu
würdigen wüssten, aber mir ist es häufig passirt, dass mir Eingeborene
eine europäische Axt zurückgaben und sie nicht gegen ihre steinerne
vertauschen wollten. Wenn die natürlichen Hülfsquellen des Landes
verwertbet werden sollen — und mir ist es nicht zweifelhaft, dass es
geschehen wird —, so kann diess nur von aussen her erfolgen, durch
Europäer oder durch Leute in ihrem Auftrage. Die Eingeborenen seh-
nen sich nicht nach unseren Handelsartikeln, mit Ausnahme rother Per-
len, rother Tuchstücken und Bandeisen. Doch werden sie bald den Vor-
zug unserer geschärften Werkzeuge erkennen.
Ein ernsthaftes Hinderniss für die Colonisation Neu-Guinea’s be-
steht in dem ungfinstigen Klima. So weit unsere über einen Zeitraum
von 5 Jahren sich erstreckende Erfahrung reicht, herrschen Fieber nicht
allein an der Küste, sondern auch in den höheren Regionen des Innern.
Die grosse Hitze wird Europäer stets hindern, eine körperliche Arbeit zu
verrichten. In Port Moresby betrug die grösste Hitze 30,30° C., die
kältesten Nächte hatten 23,06°, eine sehr hohe Temperatur.
Die Schwierigkeit, mit den Eingeborenen zu verkehren, ist aller-
dings gross, aber nicht wegen ihrer Feindseligkeit, denn wir haben die
Erfahrung gemacht, dass Vertrauen Vertrauen weckt. Ich habe viele
Dörfer besucht, und meine Genossen und Nachfolger noch viel mehr; aber
niemals sind wir von den Eingeborenen belästigt oder gar feindlich be-
handelt worden. Wir verweilten unter ihnen zwar als Missionäre des
Christenthums, haben uns aber immer bemüht, die Ehre unseres Landes
hoch zu halten und den Bestrebungen von Wissenschaft und Handel
jederzeit gerecht zu werden. Aber die Eingeborenen leben so getrennt,
so zerstreut und zersplittert, dass es selbst über einen beschränkten
District keine anerkannte Obrigkeit giebt. Ein District, in welchem die-
selbe Sprache gesprochen wird, zerfällt vielleicht, wie bei Port Moresby,
in 10 Dörfer, von denen jedes einzelne seine besonderen Ortshäuptlinge
hat, die niemals irgend welchen Einfluss auf die nächste Ortschaft be-
sitzen. Wenn man an einer Stelle einen Träger zum Transportiren des
Gepäckes miethet, so trägt er dasselbe höchstens 5 miles bis zur Grenze
der Ortschaft, wo er es seinem Schicksal überlässt, so dass man es ent-
weder selbst tragen oder einen neuen Träger aus dem benachbarten Dorfe
ongagiren muss. Diese Schwierigkeiten, zu reisen und wissenschaftliche
Forschungen anzustellen, werden noch erhöht durch die Zahl und Ver-
schiedenheit der einzelnen Stämme, in welche die Eingeborenen zerfal-
len. Auf der 300 miles langen Küstenstrecke, welche ich besucht habe,
kenne ich allein 25 verschiedene Sprachen, die man vielleicht richtiger
als Dialekte beseichnen müsste; aber sie sind so sehr von einander ver-
schieden, dass die Eingeborenen sich gegenseitig nicht verstehen können.
Zu meinem Bedauern hat das Zutrauen und Wohlwollen, welches
swischen uns und den Eingeborenen geherrscht hatte, leider einen schmäh-
lichen Bruch erfahren durch die ungerechte und elende Behandlung,
welche einer Anzahl Eingeborenen von einigen Weissen zu Theil wurde,
die allerdings unsere Sprache reden, aber der englischen Nation zum
Schimpfe gereichen. Als die Goldsucher sich im Beginne des Jahres
1878 zu einer Fahrt nach Neu-Guinea rüsteten, machte ich darauf auf-
merksam, dass os im höchsten Grade wünschensworth sei, dass eine
obrigkeitliche Persönlichkeit das gesetzlose Treiben solcher Abenteurer
in Schranken hielte. Meine Befürchtungen haben sich leider verwirk-
licht, denn einer der Eingeborenen ist von einem solchen Menschen nieder-
geschossen worden. Nach der eigenen Ersählung dieses Mannes hatte
der Eingeborene einfach seinen Speer gegen ihn geschwenkt, was, wenn
man die Eingeborenen kennt, nichts Schlimmeres zu bedeuten hat, als
wenn man hier einen Schirm schwingen wollte; doch ohne Weiteres
schoss man ihn nieder. Auf diese Weise werden die Interessen der
Wissenschaft verzögert und vielleicht um en Jahrhundert zurückgebracht.
Wir hätten mit völliger Sicherheit durch die Breite und Länge des
atidöstlichen Theiles von Neu-Quines gehen können; andere treten in
unsere Fussstapfen und machen diesem guten Verhältniss ein Ende, so
dass Feindseligkeiten entstehen, und es in Zukunft unmöglich sein wird,
unbekannte Distriote zu betreten, in Folge der feindseligen Haltung der
Eingeborenen, nachdem sie von Fremden so niederträchtig behandelt
worden sind.
(Geschlossen am 10. Juli 1879.)
Reisenachrichten aus Sibirien.
U. Capt. Dahl’s Fahrten im Mündungsgebiete des Ob, 1876 und 18771),
(Mit Karte, s. Tafel 15.)
Die Handelsschifffahrt durch das Karische Meer nach
der Ob-Mündung wird im Sommer 1879 durch eine ganze
Reibe commeroieller Unternehmungen fortgesetzt. In der
That bietet dieser Strom, vermöge seines bereits ziemlich
entwickelten Schifffahrtsverkehrs wie auch dadurch, dass
sein Gebiet der bevölkertste und productivste Theil Sibi-
riens ist, dem neuen sibirischen Seewege bei weitem mehr
Vortheile, als der Jenissej. Seit 5 Jahren sind, wie die
nachfolgende Übersicht zeigt, allsommerlich Schiffe nach
dem Ob und Jenissej gesandt worden, ohne dass sie irgend
welche Gefahren durch das Eis zu bestehen gehabt hätten.
Man darf hiernach wohl annehmen — und die erheblich
niedrigeren Assecuranz - Prämien, welche in diesem Jahre
für Fahrten nach Sibirien, z. B. in Hamburg, bewilligt
wurden, scheinen es zu bestätigen —, dass der neue Seeweg
keine aussergewöhnlichen Schwierigkeiten hat, und dass
seine fernere Benutzung und Ausbildung lediglich davon
abhängt, welche Chancen Sibirien überhaupt dem europäi-
schen Handel bietet.
Übersicht der Fahrten bis zur Ob-, resp. Jenissej-
Mündung.
1874.
1. Capt. Wiggins, Dampfjacht „Diana” (251 Tons), verlässt Dun-
dee am 3. August 1874, erreicht die Karische Pforte am 27. Juni,
kreust im Karischen Meere und trifft am 5. August an der Mündung
des Ob-Meerbusens ein, passirt am 28. August wieder die Karische
Pforte und erreicht am 26. September Dundoe.
1875.
2. Prof. Nordenskiöld, Segelschiff „Pröven” (25 Tons), verlässt
Tromsö am 8. Juni, kreuzt vom 23. Juni bis 31. Juli an der Wost-
küste Nowaja Semlja’s, passirt die Jugor-Strasse am 2. August, er-
reicht Dickson’s Hafen an der Jenissej- Mündung am 15. August und
kehrt durch den Matotschkin-Scharr nach Hammerfest zurück, wo er
am 26. September eintrifft.
al krm —
!) Obige Mittbeilungen, so wie das Material zu der beigegebenen
Karte entstammen zum Theil einer russischen Schritt, welche 1877 in
Moskau unter folgendem Titel veröffentlicht wurde: „Beschreibung
zweier Expeditionen nach dem Flusse Ob, welche durch die Mitglieder
der Kaiserl. Russ. Gesellschaft zur Förderung des russischen Handels
und der Seefahrt: Grafen A. E. Kamarowski, A. K. Trapeznikoff, A. N.
Sibiriakoff, W. N. Sabaschnikoff und J. W. Tscherniateff in den Jah-
ren 1876 und 1877 veranstaltet wurden.” Verfasst von dem Befehls-
baber der Expedition, H. Dahl. Moskau, 1877” —, zum Theil den uns
von Herrn Capt. Dahl selbst gewordenen schriftlichen Erläuterungen.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VIII.
1876.
3. Prof. Nordenskiöld, Schraubendampfer „Ymer’” (400 Tons), ver-
lässt Tromsö am 25. Juli, passirt den Matotschkin-Scharr am 30. Juli,
kreuzt an der Ostküste Nowaja Semlja’s, erreicht am 15. August die
Mündung des Jenissej und befährt den Strom bis Korepowskoje, wo er
am 16. August eintrifft. Am 2. September wird die Rückreise durch
den Matotschkin-Scharr angetreten und am 18. September Hammerfest
erreicht.
4. Capt. Wigginse, Dampfjacht „Themse” (127 Tons), verlässt Sun-
derland am 8. Juli, passirt am 3. August die Karische Pforte, erreicht
am 7. September die Mündung des Ob-Busens, am 11. Dickson’s Hafen,
am 17. October den Hafen Kureika, wo er überwintert.
1877.
5. Capt. Dahl, Dampfer „Luise” (170 Tons), verlässt Hull am
18. Juli, passirt 9.—11. August die Jugor-Strasse, erreicht den Ob-
Meerbusen am 14. August, trifft am 31. August bei Obdorsk, am
20. September in Tobolsk ein.
6. Capt. Dallmann, Dampfer ‚Frazer”’ (158 Tons), verlässt Bremer-
haven am 24. Juli, passirt am 16. August die Karische Pforte und er-
reicht am 21. August Goltschika in der Jenissej-Mündung, tritt am
14. September die Rückreise an, passirt 17.—20. September den Ma-
totschkin-Scharr und trifft am 24. September in Hammerfost ein.
7. Capt. Schwaneberg, Sogelschiff „Morgenröthe” (Sarja), 56 F.
lang, 14 F. breit und 6 F. tief, in Jenissejsk erbaut, verlässt die Je-
nissej-Mündung am 21. August, passirt die Karische Pforte am 30. Au-
gust und erreicht Vardö am 11. September.
1878.
8. und 9. Prof. Nordenskiöld, Dampfer „Vega” (233 Tons), und
Capt. Johannesen, Dampfer „Lena’” (100 Tons), verlassen am 18. Juli
Tromsö, erreichen am 1. August durch die Jugor-Strasse das Karische
Meer, ankern 6.—10. August in Dickson’s Hafen und setzen dann die
Fahrt nach Osten fort.
10. Capt. Nilson, Dampfer „Frazer” (158 Tons), verlässt Gothen-
burg am 14. Juni, Vadsö am 13. Juli, erreicht am 20. Juli die Jugor-
Strasse, passirt dieselbe mit der Nordenskiöld’schen Expedition und
trifft mit ihr am 6. August in Dickson’s Hafen ein, geht am 9. strom-
aufwärts bis Dudinskoje, von wo am 2. September die Rückreise durch
den Matotschkin- Scharr angetreten wird. Am 27. September erfolgte
die Ankunft in Hammerfest.
11. Capt. Gundersen, Segelschiff „‚Express” (306 Tons), verlässt
London am 6. Juni, Vadeö am 13. Juli in Begleitung des Dampfers
„Frazer”’, trifft mit der Nordenskiöld’schen Expedition in Dickson’s
Hafen ein, sogelt am 9. August stromaufwärts bis Saowstrowskoje und
kehrt mit dem „Frazer” nach Hammerfest zurück.
12. Capt. Rasmussen, Dampfer „Neptun” (300 Tone), verlässt am
14. Juli Hamburg, passirt die Karische Pforte am 2. August, trifft am
6. August im Ob-Busen ein und erreicht am 13. Linsita an der Mün-
dung des Nadym. Die Rückreise wird am 24. August angetreten, am
2. September der Matotschkin - Scharr passirt und am 25. September
Hamburg wieder erreicht.
13. Capt. Wiggins, Dampfer „Warkworth” (650 Tons), verlässt
Liverpool am 1. August, passirt die Jugor-Strasse, erreicht am 23. Au-
gust Linsita an der Mündung des Nadym, strandet am 4. September
im Ob-Busen, abermals am 12. September im Karischen Meer, passirt
am 14. die Jugor-Strasse und trifft am 30. September in London ein.
14. Capt. Brunn, Dampfer „Zaritza”’” (313 Tone), verlässt am
21. August Hammerfest, passirt die Jugor-Strasse, strandet am 2. Sep-
36
282 Reisenachrichten aus Sibirien.
tember in der Jenissej-Mündung, wird wieder flott und tritt am 10. Sep-
tember in Begleitung der Schiffe „Frazer” und „Express” die Rück-
reise an. Hammerfest wird am 27. September erreicht.
15. Capt. Dallmann, Schleppdampfer „Moskau”, erreicht in Beglei-
tung der „Zaritze’” die Jenissej-Mündung und trifft am 15. October in
Jenissejsk ein.
16. Segelschiff „Seibir” verlässt Tobolsk am 11. August, erreicht
am 3. October den Ob-Meerbusen, passirt am 14. October die Karische
Pforte und trifft Anfang November in London ein.
Reise von 1876.
Ausrüstung. — Nachdem durch wiederholte Versuche
die Schiffbarkeit des Karischen Meeres nachgewiesen worden
war, hatten mehrere Mitglieder der Kaiserl. Russ. Gesell-
schaft zur Förderung des russischen Handels und der Seefahrt
ein Capital von 30000 Rubel zusammengebracht, um eine
Expedition auszurüsten, welche genaue Messungen und Unter-
suchungen des Ob-Meerbusens vornehmen sollte, damit später
Schiffe mit Waaren von Europa nach dem Ob geschickt
werden könnten. Die Führung dieser Expedition, 1876
ausgeführt, wurde dem Capt. H. Dahl, Navigations-Schul-
lehrer in Hainasch in Livland, übertragen. Das Fahrzeug
wurde in Tjumen an der Tura erbaut; es war 53 engl. F.
lang und 13 F, breit, hatte eine Tragkraft von 37 Tonnen
und ging bei voller Ladung 55—6 Fuss tief. Es hatte
Schooner-Takellage, doch waren bei der Herstellung und
Ausrüstung manche Fehler vorgekommen; z. B. hatte man
für die Segel, da kein Segeltuch vorhanden war, seine Zu-
flucht zur Leinwand nehmen müssen.
Von Tjumen bis Obdorsk. — Am 14, Juni 1876 früh
wurde das Fahrzeug, welches den Namen „Moskwa” erhal-
ten hatte, aus der Tura durch einen Dampfer in den Tobol
bugsirt. Die Ufer waren auf weite Strecken von dem an-
geschwollenen Fluss überschwemmt, nur einzelne höhere
Punkte ragten aus der Wasserfläche hervor. Die Breite
der Tura beträgt durchschnittlich 600—700 Fuss, der
Tobol ist anfänglich ziemlich schmal, verbreitert sich jedoch
bei Iwelewskaja, wo zugleich die bis dahin flachen Ufer
sich erhöhen und Tannen- und Föhrenwaldungen tragen.
Am 4. Juni Morgens erfolgte die Ankunft in Tobolsk;
von hier aus konnte jedoeh die Reise erst am 13. fort-
gesetzt werden, da wider Erwarten die nöthigen Vorberei-
tungen für die Weiterfahrt nicht getroffen waren und erst
nachgeholt werden mussten. Namentlich war die Schaluppe
“sehr mangelhaft und klein, auch fehlte es an guten Ma-
trosen. Die Reise von Tobolsk aus machte der bekannte
Kaufmann und Schiffsbauer Trafimoff, so wie der Topograph
Wassiljeff mit; der letztere wollte sich in Obdorsk mit der
Expedition der Gesellschaft zur Förderung der Industrie
und des Handels, welche Untersuchungen über die Aus-
führbarkeit eines Schifffahrtscanales zwischen dem Ob und
der Karischen Bucht anstellen sollte, vereinigen. Die Strom-
fahrt auf dem Irtysch war durch die mannigfachen Win-
dungen und verschiedenartigen Strömungen im Fahrwasser
schwierig, sein Gefälle betrug 2—3 Knoten in der Stunde,
Die mitgenommene Schaluppe ging verloren. In Demia-
nowskoje, wo Holz eingenommen wurde, traf man einen
anderen Bugsirdampfer, der nun das Schleppen der „Moskwa”
übernahm,
Am 16. Juni langte man in Samarowskoje an, wo be-
reits die Mitglieder der Expedition der Gesellschaft zur
Förderung der Industrie und des Handels, so wie der von
der Petersburger Akademie ausgesandte Herr Poljakoff ein-
getroffen waren; der letztere hatte ein Kajuk, ein kleines,
leichtes, schnell gehendes Fahrzeug, zu seiner Verfügung.
Das Kirchdorf Samarowskoje ist freundlich an Hügeln von
100 F. Höhe gelegen, deren Gipfel mit Nadelwald bestan-
den sind. Ungleich anderen russischen Dörfern hat es keine
eigentlichen Strassen, die Häuser stehen durcheinander. Die
Kirche, so wie die Behausungen einiger wohlhabender Fischer
sahen recht hübsch aus.
„Hier mussten wir”, so berichtet Capt. Dahl, „neue
Leute für das Schiff nehmen, da die bisher verwendeten
es ablehnten, weiter zu arbeiten. Da die neuen Leute .nur
auf dem Irtysch und noch dazu nur für schönes Wetter
eingefahren waren, so mussten dieselben erst eingeübt wer-
den. Bald nach Samarowskoje durchfuhreh wir einen über-
schwemmten Wald, dessen Wipfel uns als Merkzeichen
dienten, darauf kamen wir in den majestätisch dahin strö-
menden Ob, doch kaum waren wir 3 Werst gefahren, als
uns ein entgegenkommendes Boot anrief. In demselben
befand sich der Wolost (Älteste) mit seinem Schreiber, er
reclamirte uns leider den besten Matrosen, weil derselbe
keinen Pass führte. Der Mann hatte als Lootse gedient,
und wir mussten nun dessen Function übernehmen. Gegen
Abend artete der NW-Wind, der beständige Frühlings- und
Herbstpassat des Gouvernements Tobolsk, zum Sturme aus,
und um nicht auf eine Sandbank zu gerathen, wurden die
Anker geworfen; nach Mitternacht wurde die Fahrt weiter
fortgesetzt. Dieselbe ging, nachdem das Schiff 2 Stunden
festgesessen, eine Zeit lang .besser von Statten; die Dörfer
Kondinskoje und Scherkalskoje wurden passirt.
Die Einfahrt in den Kleinen Ob wurde erst nach län-
gerem Suchen gefunden. Das Fahrwasser, welches im Ob
Ys bis 1 Werst breit ist, verengte sich in dem Maasse, als
man sich dem Ob-Arm Pyrsym näherte; der letztere hat
sich wahrscheinlich im Laufe der Zeit durch Überschwem-
mungen und Auswaschungen als ein schmaler Arm des Ob
gebildet und ist stellenweis nicht breiter als 400 Fuss. Er
hat sehr viele Windungen, das Schiff gerieth bei der Fahrt
bald auf den Sand im Strom, bald an das Ufer, bald ver-
wickelte es sich in Weidengebüsche, aus dem es mittels
des Bugsirankers befreit werden musste. Am Morgen des
Reisenachrichten aus Sibirien. 283
232. Juni besserte sich das Wetter, aber erst gegen Abend,
als man aus dem grau-braunen Pyrsym in die schwarze
Soswa gelangte, wurde das Schiff von Weidengebüsch frei.
Nachts 2 Uhr kam die nördliohste Stadt Westsibiriens
Bereosoff mit ihrer Kirchthurmspitze in Sicht und wurde
durch einen Kanonenschuss von Bord begrüsst. Hier waren
neue Leute zu miethen, Proviant zu besorgen und Ballast
zu beschaffen, auch die Ohronometer zu prüfen. Die Unter-
redung mit Herrn Trafimoff ergab, dass für Proviant nicht
vorgesorgt war, und dass derselbe Ballast nicht beschaffen
wolle, „weil diess zu viel Kosten verursache”.
Capt. Dahl verlor nun die Geduld und stellte die be-
stimmte Forderung, Ballast zu beschaffen, da er sein Leben
nicht auf das Spiel zu setzen Lust habe. Hierauf hatte
ich das Vergnügen, von Herrn Trafimoff zu hören, dass ich
im Ganzen nur mein, des Ernährers einer Familie, Leben
riskire, er aber Capital. Mir blieb Nichts übrig, als zu
schweigen und davon zu gehen.
Auf dem Fahrzeug fand ich die beiden zurückgebliebe-
nen Matrosen betrunken, die beiden in Samarowskoje auf-
genommenen waren schon entlassen und neue nicht vorhan-
den. Es wird Niemanden wundern, dass ich nun der
Sache überdrüssig wurde und den Wunsch hegte, von einer
Expedition, die mehr und mehr zu einer lächerlichen Posse
zu werden drohte, frei zu kommen, allein nach dem Con-
tract hatte Herr Trafimoff Alles in Händen und die volle
Verantwortlichkeit. Am Abend ertheilte Herr Trafimoff die
Zusicherung, dass aus Ziegeln bestehender Ballast geliefert
werden würde; in der That kam endlich eine Ladung Zie-
geln und schliesslich auch Proviant, jedoch nur in so ge-
ringer Quantität, dass man damit nur bis Obdorsk reichen
konnte. Bei der Abfahrt passirte noch das Missgeschick,
dass durch den von unberufener Seite gelösten Schuss der
an Bord befindlichen Kanone das Klüversegel ein Loch
erhielt.
Die Fahrt durch die Soswa ging gut von Statten, als
wir aber um Mittag in den schmalen sehr bewegten Ustriom
kamen, änderte sich die Sache. Unser neuer Lootse, dessen
Schwatzhaftigkeit aller Beschreibung spottete, erklärte, dass
er nur auf dem Dampfer Lootsendienste verrichte und kei-
nen Begriff von dem Manövriren eines Segelfahrzeuges habe.
Meine Versuche, ihm auseinanderzusetzen, wie er durch
Laviren das Schiff vorwärts bringen könne, vereitelte er
durch sein Geschwätz, und wir mussten selbst oft den Loot-
sen spielen. Die neue Mannschaft, welche aus zwei ver-
bannten Polen, einem Violinspieler, einem ‚Kosaken und
einem Griechen bestand, suchte sich wie die frühere von
der Arbeit möglichst wegzudrücken; mit Ausnahme des
Kosaken verstand keiner das Steuer zu führen, und noch
weniger wussten sie, wie Segel aufzuziehen und einzunehmen
seien, so dass wir auch im Ustriom. auf Sandbänke gerie-
then, uns in Weidengebüsch verwickelten und auf das Ufer
liefen. Die auf diese Weise fortwährend bedrohten Segel
hatten sich leider noch ausgedehnt und waren durchsich-
tiger geworden.
Der Ustriom gleicht in der Breite, in der Geschwindig-
keit der Strömung, der Farbe des Wassers und Beschaffen-
heit der Ufer vollständig dem Pyrsym; hin und wieder sah
man hervorragende Stellen, wo Jurten und Dschums der
Ostjaken und russischen Fischer sich befanden. Die Bäume
bestanden‘aus Weiden und Espen, wunderbar aber war es,
dass sich hier keine Mücken fanden, während uns dieselben
auf dem Irtysch keine Ruhe gelassen hatten, nur hin und
wieder tanzten einige Schwärme in der Luft. Der feuchte
kalte Sommer mit den noch kälteren Nächten war ihrer
Entwickelung nicht günstig. Während des 7. und 8. Juli
gaben wir uns alle mögliclıe Mühe vorwärts zu kommen,
allein es gelang kaum der hier 2—24 Knoten betragenden
Strömung zuvorzukommen. Gegen Mittag des 8. ward der
Ob wieder erreicht, nachdem wir kurz zuvor noch einige
Stunden hindurch von Neuem auf einer Sandbank gesessen
hatten; der breite Strom bot der Fahrt Spielraum genug,
allein es trat Windstille ein. Das Wetter war, nachdem
das Schiff den Ustriom verlassen, sehr hell, die Luft sehr
durchsichtig. Wir empfingen nun den Besuch vieler Rus-
sen und Östjaken; die ersteren kamen hauptsächlich, um
Herrn Trafimoff zu besuchen, und bereicherten unseren dürf-
tigen Tisch öfter durch Fischgerichte; die Ostjaken kamen,
um sich Branntwein zu holen. Am 10. Juli zeigte sich
der gewölbte Bergrücken des Ural, dessen Schneegipfel im
Sonnenschein einen wunderbaren Anblick boten, und so
fuhren wir eine Zeit lang, rechts das hohe Ufer des Ob,
links den majestätischen Ural, dahin, Der Wind flaute in-
dessen immer mehr ab, und mit ihm schwand auch unsere
Hoffnung, noch vor Mitternacht des Tages Obdorsk, das
uns seit 8 Uhr Abends in Sicht gekommen war, zu er-
reichen; um Mitternacht des 10. wurde bei Cap Langalski,
ostjakisch Longwat Njol,.d. i. Cap der Opfer, geankert.
Erst am folgenden Morgen 10 Uhr legte die „Moskwa”
bei Obdorsk an, um sich hier zunächst mit weiterem Bal-
last und Proviant zu versehen, so wie behufs der Chrono-
meter-Prüfung. Da auch hier nicht genügende Vorberei-
tungen getroffen waren, vielmehr noch geschlachtet und
Brod gebacken werden musste, so währte der Aufenthalt
länger, als erwartet. Es gelang aber, bier ein grösseres
Boot zu beschaffen; die Matrosen wurden so viel als thun-
lich in der Behandlung der Segel und des Steuers unter-
wiesen. Als Lootse wurde ein alter, 7ljähriger Mann ge-
stellt, der sich für diesen Dienst als unbrauchbar erwies.
Die Mitglieder der von der Gesellschaft für russische In-
36 *
284 Reisenachrichten aus Sibirien.
dustrie und Handel ausgerüsteten Expedition traten am
13. Juli ihre Fahrt nach Schtschutschja an, gleichzeitig traf
die deutsche Expedition, die Herren Dr. Finsch, Dr. Brehm
und Graf Waldburg-Zeil ein. Inzwischen wurde der Bal-
last und der Proviant, bestehend aus 15 Pud weichem
Brod, 2 Pud Butter, 6 Pud frischem Rindfleisch, 10 Pud
Hammelfleisch, 10 Pud gedörrtem Rind- und Renthierfleisch,
einer Quantität Buchweizengrütze, Roggen- und Weizen-
mehl, 20 Pfund Thee und 3—4 Kisten Zucker, beschafft.
Leider fehlte eg an dem zur Fernhaltung des Scorbuts so
nützlichen Gemüse; als Ersatz wurde auf frische Fisch-
nahrung gerechnet. Am 14. Juli endlich konnte die Reise
dem Ob abwärts angetreten werden. Dr. Brochm machte
die Fahrt bis zur Schtschutschja mit.
Von Obdorsk bis Nyda. — Die Tiefenmessungen sollten
nach der Anordnung der Eutsender der Expedition erst
bei Cap Che beginnen, da gerade hier die aus dem Marine-
Ministerium uns zugestellten Karten die allergeringsten Tie-
fen anzeigen, Ich hatte in Moskau hiergegen Nichts ein-
zuwenden, in der Überzeugung, dass auch hier wie im Bal-
tischen und anderen Meeren die Karten des Marine-Mini-
steriums sich als vorzüglich genau ergeben würden. Leider
aber stellten die von mir unterwegs gesammelten und meine
eigenen Erfahrungen das Gegentheil heraus. Ich hielt es
daher mit Rücksicht auf den künftigen Seehandel Sibiriens
für nothwendig, die Uferlinien zu bestimmen und die Tie-
fenmessungen wenigstens von Obdorsk an zu beginnen, um
so mehr, als gerade das vor den Winden und dem Eise
geschützte Obdorsk den bequemsten Ankerplatz für die
Schiffe bietet.
Da uns die Führung des Fahrzeuges oblag, können wir
nicht behaupten, dass unsere Messungen die genauesten
sind, so viel aber kann gesagt werden, dass wir während
unserer 5ötägigen Expedition Alles, was in unseren Kräf-
ten stand, leisteten. Die der Schrift beigelegte Karte,
welche von unserer Arbeit Zeugniss ablegt, bietet nichts
absolut Richtiges, wir sind aber berechtigt, sie als relativ
richtig zu bezeichnen. Wenn Jemand der Meinung sein
sollte, dass wir noch einige geodätische und hydrographi-
sche Messungen hätten vornehmen können, so bitte ich auf
den Unterschied zwischen Land und Wasser zu achten,
Unser Messtisch war ein überflüssiges Ballaststück, und auch
die Messungen, welche wir vom Schiff aus mit Hülfe des
Peilcompasses hätten ausführen können, dürften nicht auf
vollständige Genauigkeit Anspruch machen. Die Mehrzahl
der Entfernungen musste mit Ausnahme weniger, entweder
vermittelst zu kleiner Basis oder nach dem Augenmaasse
aufgenommen werden. Bei diesen Bestimmungen dienten
zur Berichtigung der durch irgend ein Mittel gefundenen
Richtungen und Entfernungen einige Punkte, die mit mög-
lichster Genauigkeit astronomisch bestimmt waren. Wenn
die beobachteten Richtungen und Entfernungen von dem
astronomisch bestimmten Punkt mit einem zweiten eben so
bestimmten Punkte übereinstimmten, dann wurden auch
alle Zwischenpunkte für richtig anerkannt. Im anderen
Falle wurde der Unterschied gleichmässig auf alle Punkte,
sowohl hinsichtlich der Richtung als auch der Entfernung
vertheilt. Hätten wir einen Theodoliten gehabt, so würde
uns unsere Aufgabe bedeutend erleichtert worden sein.
Wenn es uns gelungen wäre, die Höhe irgend eines her-
vorragenden Punktes zu bestimmen, so hätte dieser mit
Rücksicht auf die Krümmung der Erde zur Bestimmung
der Entfernung dienen können,
Das Loth brachte uns wenig Nutzen, da die Strömung
sehr ungleichmässig und von sehr verschiedener Stärke war.
Selbst die Richtung des Windes hatte besonders da, wo der
Fluss breiter wurde, einen sehr verschiedenen Einfluss auf
die Schnelligkeit und Richtung der Strömung. Das Loth
kam bei uns fast nicht aus dem Wasser, da es uns nicht
nur zur Bestimmung der Tiefe, sondern auch zur Bezeich-
nung der seichten Stellen diente. Vermittelst des Lothes
gelang es uns, in erheblichem Maasse die früheren Tiefen-
angaben zu verbessern und so eine genauere Kunde über
die Tiefe des unteren Ob zu schaffen.
Bei ziemlich schwachem Winde verliessen wir Obdorsk.
Der Strom, welcher in der Mitte des Flusses Polui bis
1% Knoten in der Stunde betrug, führte uns bald in den
Ob hinein; die Tiefe des Polui variirte zwischen 2 und
3 Faden, nur bei der Mündung desselben in den Ob steigt
dieselbe auf 4, 5 und schliesslich 15 Faden. Zugleich ist
eine bedeutende Verstärkung der Strömung bemerkbar; das
Fahrwasser ist sehr unbeständig, hatte starke Windungen
und ist stellenweis so schmal, dass ein einigermaassen lan-
ges Fahrzeug nur mit Mühe durchkommen kann. Rechts
wird es durch ein hohes Ufer begrenzt, welches, vom Cap
Langalski beginnend, sich in einer wellenförmigen Linie
erhebt. Links bildet die Südgrenze des Fahrwassers eine
niedrige Insel, welche den Bewohnern Obdorsks Heu lie-
fert, und die ich daher Heu-Insel taufte. Die grösste Tiefe
ist abwechselnd bald rechts, bald links. Das rechte Ufer
örhebt sich bei Obdorsk 65 F. tiber den Spiegel des Stro-
mes, bei Cap Langalski 95 F., hin und wieder ist es mit
Felsklippen besetzt, und man muss deshalb vorsichtig fah-
ren. Der Strom ist hier vorzugsweis nach NW gerichtet.
Am 14. Juli 7 Uhr Morgens fuhren wir am Cap Lan-
galski vorüber, wo wir die grösste Tiefe, nämlich 29 Faden
fanden. Der Grund ist hier wie überall im Ob Schlamm
mit feinem Lehm und Sand. Nach dem Ufer hin verrin-
gert sich die Tiefe plötzlich, so dass das Fahrwasser hier
einem Kanal in der Form eines 3seitigen Prisma ähnlich
Reisenachrichten aus Sibirien.
ist. Die Strömung ist ausserordentlich schnell und bildet
stellenweis Wirbel, welche unsere Hand starr an das Steuer
bannten, Eine solche Strömung, bis zu 3 Knoten in der
Stunde, ist hier ziemlich gefährlich, da man leicht auf das
dicht mit eratischen Blöcken umlagerte Cap Langalski
stossen kann. Wie der Lootse uns versicherte, sind hier
bei Sturm mehrfach Unglücksfälle vorgekommen. Ein Blick
auf die Karte zeigt, dass der Westwind hier der geführ-
lichste ist. Obgleich auch am linken Ufer ein Stranden
nicht zu den Unmöglichkeiten gehört, so gewährt es doch
im Falle eines Sturmes die einzige Zuflucht zum Ankern.
Es mag hier bemerkt werden, dass die auf dem Ob zu
verwendenden Anker von besonderer Stärke sein müssen,
wegen der kurzen heftigen Wellen, die bei Gegenströmung
und widrigen Winden entstehen. Unsere Hoffnung auf
guten Wind täuschte uns nicht: der SO-Wind verwandelte
sich bald in 8-Wind, der mit Sonnenaufgang beständig zu-
nahm, so dass wir, begünstigt durch Strom und Wind,
ziemlich schnell vorwärts kamen. Jetzt machten sich übri-
gens die mangelhaften Segel der „Moskwa’” sehr bemerkbar,
andererseits lag darin ein Vortheil für unsere Messungs-
arbeiten.
Die Tiefe nimmt vom Cap Langalski an gleichzeitig mit
der Höhe des Ufers ab: von 29 Faden sank sie auf 25,
20, endlich 15 Faden bei den Quarantäne-Inseln. Jenseit
der letzteren, mehr nach Osten hin, nimmt die Tiefe wie-
der zu, auch das Ufer wird wieder höher. Die Breite des
Fahrwassers beträgt an dieser Stelle bis zu 2 Werst. Nörd-
lich von den Quarantäne-Inseln zieht sich das Fahrwasser
nach der Aussage unseres Lootsen wie ein gewundener Arm
in den Kleinen Ob. Ich wünschte sehr dahin zu gehen,
doch erklärte der Lootse, dass er jene Gegend und die von
Sandbänken drohenden Gefahren nicht kenne. Deshalb
musste diess aufgegeben werden. Nach der Aussage des
Lootsen befinden sich dort viele kleine Inseln und für die
Schifffahrt sich eignende Canäle, aber nur wenige Schiffe
sollen diese Fahrt machen. Die Quarantäne-Inseln liegen
vor einer anderen grösseren Insel, deren hohe Baumvege-
tation in diesen Breiten auffällt. Der Lootse nannte sie
Besimjany. Von seichten und tiefen Canälen durchzogen,
erstreckt sie sich beinahe bis zur Mündung des Flusses
Schtschutschja. Hier fischen die Obdorsker und Tobolsker
Fischer.
Das Fahrwasser wird hier bequemer und freier, eg
zieht sich vom Cap Langalski längs des südlichen Ufers
von Knjasewskija Jurti (Fürstenjurten), von wo Strömung
und Fahrwasser sich nach dem Nordufer wenden. Hier
beträgt die Tiefe wieder 20 und 19 Faden, fällt aber
plötzlich bei der von mir Niski (die Niedrige) genannten
Insel, um welche die Tiefe zwischen 15 und 5 Faden
285
schwankt. Das am Südufer gelegene Fahrwasser ist jedoch
bedeutend tiefer. Das Ufer ist hier mit Felsriffen besetzt,
welche nicht selten ziemlich weit in den Strom hinein-
reichen. Die Uferlinie, welche von Obdorsk bisher nach
NW ging, wendet sich jetzt allmählich nach OSO bis zur
Insel Niski, von da an bis zur Halbinsel Imper-Njol erhebt
sich das Ufer bis zu 160 F, über das Flussniveau, allmäh-
lich biegt eg nach NNO um, Bei der Halbinsel selbst wen-
det sich der Fluss nach O, dann nach SO bis zum Fluss
Woksarka, von wo er bis zur Mündung der Schtsohutschja
eine nordöstliche Richtung annimmt. Die Tiefe um Imper-
Njol ist sehr bedeutend, die Strömung unruhig und un-
gestüm.
Jenseit Imper-Njol nimmt die Tiefe wieder ab und
beträgt sie in der Mitte des Stromes zwischen einer klei-
nen Insel und dem linken Ufer 7 Faden. Zwischen dieser
Insel und dem rechten Ufer soll sie bedeutender sein, doch
vermochten wir sie weder jetzt noch auf dem Rückweg zu
messen, da der Lootse uns mittheilte, dass Steine, Fels-
riffe und Sandbänke diesen Arm unzugänglich machten.
Zwischen Imper-Njol und der Woksarka zeigte das Loth
zwei tiefe Stellen von 20 und 21 Faden und zwei seich-
tere von 10 und 12 Faden Tiefe; die erste tiefe Stelle
findet sich zwischen den genannten Punkten, die andere
bei der Woksarka selbst; zwischen der letzteren und der
Sohtschutschja ist der Grund gleichmässiger bei einer durch-
schnittlichen Tiefe von 15 Faden. Derselbe besteht vor
wie nach aus Schlamm und blau-grauem Thon, der wiederum
mit feinem Sand gemischt ist. In der Mitte hat das Fahr-
wasser eine grössere Tiefe und ist frei von Sandbänken
und sonstigen Untiefen, so dass wir uns bei unserer Fahrt
am liebsten in der Mitte hielten. Die grösste Tiefe wech-
selte zwischen beiden Ufern.
Die Breite des Stromes von Obdorsk bis zur Schtschu-
tschja ist sehr verschieden, sie schwankt zwischen 2 und
7 Werst, das Fahrwasser ist schmäler und ist auf dieser
Strecke nirgends breiter als 2 Werst, stellenweis sogar nur
%, Werst. Bei einem tiefer als 6 Fuss gehenden Fahr-
zeug verringert sich diese Breite noch um einige hundert
Faden. Was das Bett des Flusses betrifft, so unterscheidet
sich dasselbe von dem der Mehrzahl unserer bedeutenderen
Ströme, wenigstens auf der von ung durchfahrenen Strecke.
Eine sehr anschauliche Vorstellung desselben giebt die
Grundlinie eines Prisma’s. Obgleich diese Form nicht
überall deutlich hervortritt, so ist gie doch vorwiegend, Die
Schnelligkeit der Strömung schwankt auf der oben bezeich-
neten Strecke zwischen 2 und 3 Knoten in der Stunde in
der Mitte des Fahrwassers; an den Seiten vermindert sie
sich stellenweis erheblich, was ich der oben angedeuteten
Form des Flussbettes zuschreibe. Wirbel und Gegenströ-
286 Reisenachrichten aus Sibirien.
mungen kommen bei plötzlichen Wendungen des Stromes
oft vor und musste bei schwachem Wind an solchen Stel-
len sehr vorsichtig gefahren werden.
Hervorragende Punkte giebt es, besonders am rechten
Ufer, viele. Links bis zur Woksarka ist bei hellem Wetter
der Ural ziemlich deutlich zu sehen, besonders klar treten
die mit Schnee bedeckten Schluchten .und Gipfel hervor.
Das nähere linke Ufer ist nicht so geeignet zur Aufnahme,
aber auch hier giebt es in Höhen, Bäumen und Fischer-
stationen einige hervorragende Punkte. Ausser bei Obdorsk
und äussersten Falls auch an der Mündung der Schtschu-
tschja giebt es auf der ganzen Strecke für Schiffe von
9 Fuss Tiefgang keine geeigneten Ankerplätze, immerhin
glaube ich, dass sich einige Stellen finden dürften, die
wenig oder auch gar nicht der Einwirkung des Eises aus-
gesetzt sind. Mit der Frühjahrsüberschwemmung verbreitert
sich der Fluss erheblich und in Folge dessen ist auch das
Andrängen der Eismassen nicht so stark wie bei schmalen
Strömen. Bei einer sorgsamen Untersuchung der Strömung
und des Eisganges an gewissen Punkten würden sich
sehr bald geeignete Ankerplätze ausfindig machen lassen;
trotz aller Bemühungen waren aber aus unserem Lootsen
irgend welche Nachrichten hierüber nicht berauszubekommen.
Die Form des Ufers wird durch das Wort wellenför-
mig bezeichnet, die grösste Höhe erreicht es bei Imper-
und Ar-Njol; hier bildet es einen Ufersaum von 200 Fuss
Höhe und darüber. Zwischen Imper- und Ar-Njol neigt
sich das Ufer zur Woksarka, wo es nur 60 Fuss erreicht.
Das linke Ufer besteht aus Inseln und übersteigt nirgends
‚10 Fuss Höhe. Auf vielen dieser Inseln wachsen ziemlich
reichlich Rohr und Weiden und an höheren Stellen Erlen.
Es finden sich hier auch mit Enten, Möven und Tauchern
bevölkerte Seen. Man darf indess nicht glauben, dass die
Ufer des Ob reich an wildem Geflügel wären. Im Gegen-
satz zu seinem Reichtbum an Fischen ist der Ob in dieser
Beziehung arm zu nennen, wenigstens auf der von uns
durchfahrenen Strecke, wo wir ausser den bezeichneten
Vogelarten keine anderen, und auch von diesen nicht viele
Exemplare bemerkten,
Am 15. Juli 4 Uhr Morgens gelangten wir zur Mün-
dung der Schtschutschja. Nachdem wir einige nothwendige
astronomische Beobachtungen gemacht, hofften wir unsere
Reise gleich fortsetzen zu können; aufziehonde Wolken ver-
anlassten uns indessen bis zum anderen Tag zu bleiben.
Es ging im Allgemeinen mit den astronomischen Bestim-
mungen nicht so, wie wir wünschten: oft sahen wir uns
gezwungen, Punkte zu wählen, die sich durchaus nicht
dazu eigneten, und geeignete Punkte bald wegen trüben
Wetters, bald wegen ihrer Unerreichbarkeit aufzugeben.
Am anderen Tage setzten wir unseren lieben Reisegefährten
Dr. Brehm, welcher uns unterwegs durch seine Erzählungen
in die Wüsten Afrika’s versetzt hatte, ab.
Nachdem wir bei der Schtschutschja die nöthigen Mes-
sungen vorgenommen hatten, fuhren wir weiter. Die Mün-
dung der Schtschutschja war ziemlich tief, das Loth zeigte
6 Faden, während am Eingang in den Ob oder auf der
Barre nur 2% Faden bei sehr gewundenem Fahrwasser waren.
Eine Seemeile: von der Mitte entfernt nach 8 liegt die
kleine Insel Jambura, die sich in der Länge von O nach W
14 Werst erstreckt. Zwischen dieser Insel und der Mün-
dung der Schtschutschja ist die Tiefe nicht über und stellen-
weis noch unter 6 Fuss. In das eigentliche Hauptfahr-
wasser, welches sich von der Insel südwärts längs des rech-
ten Ob-Ufers erstreckt, konnte ich jetzt und auch auf dem
. Rückwege in Folge Gegenwindes nicht gelangen. Nach der
Meinung des Lootsen ist die Tiefe dort dieselbe wie öst-
lich und westlich im Fahrwasser. Von der Schtschutschja
an gehen beide Ufer des Ob erheblich aus einander, dabei
nimmt die Höhe des Fahrwassers nirgends merklich ab,
aber an beiden Ufern erscheinen Sandbänke, welche weit
in den Fluss hineintreten; dadurch wird die Fahrt noch
etwas erschwert, da man beständig das Loth werfen muss.
Die Ufer entfernen sich immer mehr und mehr von ein-
ander, und am westlichen Ende der Insel Jary erreicht die
Breite des Stromes gute 5 Werst.
Das Westufer, welches bis zur Schtschutschja eine nord-
östliche Richtung hatte, wendet sich nun nach SO und
sogar nach S, so dass von der Insel Jary an es kaum noch
sichtbar ist. Das linke Ufer ist sehr niedrig und selbst
von der Mitte des Fahrwassers aus kaum zu bemerken.
Alles das erinnert an die Mündungen eines Stromes in’s
Meer, aber der Eindruck schwächt sich bald durch die An-
gaben des Lootsen und die starke Strömung, welche un-
geachtet der wachsenden Breite des Flusses immer noch
2 Knoten in der Stunde beträg. Am Ende der Jary-
Inseln theilt sich das Fahrwasser in einige Arme, von
denen am meisten der südlich der erwähnten Inseln gele-
gene benutzt wird; er zieht sich Anfangs längs der Jary.
Inseln hin und vereinigt sich bei der Insel Skozoff mit
dem nördlichen Arm. Beide Fahrwasser zeigen eine un-
gleichmässige,, aber jedenfalls bedeutende Tiefe und wech-
seln beständig ihre Lage. Bald ziehen sie sich dicht an
den Ufern hin, bald gehen sie in der Mitte zwischen beiden
Ufern in einer Entfernung von nicht mehr als !/, Werst,
bald endlich gehen sie, durch Sandbänke getheilt, ausein-
ander.
Hier erhält der Ob in bemerkenswerther Weise einen
anderen Charakter: früher war er ein einziges grosses Fahr-
wasser, jetzt beginnt er sich in mehrere Arme zu theilen.
So ist es auch bei der Petschora, die zudem die gleiche
Reisenachrichten aus Sibirien. 287
Richtung hat, nämlich nach Norden. Einen etwas anderen
Charakter haben die Mündungen der Wolga und des Don.
Die erstere bildet bekanntlich in ihren Verzweigungen eine
unzählige Menge von Inseln. Die Mündung des letzteren
wird durch Sandbänke versperrt. Die Ähnlichkeit zwi-
schen Ob und Petschora zeigt sich auch in der Beschaffen-
heit der Ufer: bei beiden ist das rechte Ufer hoch, das
linke niedrig. Beide Ströme haben bis nahe der Mündung
in's Meer eine bedeutende Tiefe. Dann verringert sich
plötzlich die letztere, beide sind von verschieden gestalte-
ten Inseln durchsetzt, beide verbreitern sich bei ihrer
Mündung in’s Meer erheblich und bilden eine Bucht. End-
lich ist auch die Fauna und Flora beider Ströme beinahe
dieselbe, während das Klima des Ob viel milder ist als das
der Petschora,
Dicht am Südufer des Stromes zieht sich das Fahrwas-
ser hin, welohes sich sodann wahrscheinlich auch in viele
durch Inseln gespaltene Arme theilt. Ich konnte trotz
meines Wunsches nicht dahin kommen, da der Lootse es
nicht über sich nehmen wollte, das Fahrzeug diesen Curs
zu führen. Wie er behauptet, fahren die Fischer wegen
der grossen Tiefe und der unaufhörlichen Windungen des
Fahrwassers nicht diesen Weg. Im Herbst bilden sich da
viel Sandbänke, wir schlugen daher den Weg südlich der
Jary-Inseln ein. Dabei hatten wir sorgfältig darauf zu
achten, dass unser Schiff nicht auf die Bänke lief, da der
Lootse das Fahrwasser nicht kannte, Allein unsere Mühe
war vergeblich, denn von den Jary-Inseln bis zur Skop-
zowski-Insel sassen wir wenigstens zehn Mal auf dem Sand,
mitunter war das Aufstossen ein so heftiges, dass die ganze
Takellage erzitterte. Oft sassen wir stundenlang auf den
Sandbänken, und zwar besonders dann, wenn die Strömung
die Seite unseres Fahrzeugs im Rechten Winkel traf. Dabei
verdient bemerkt zu werden, wie wunderbar schnell sich
der Sand auf der der Strömung entgegengesetzten Seite
des Fahrzeugs anhäufte, so dass sich in einer einzigen
Stunde die Tiefe um einen ganzen Fuss und mehr verrin-
gerte. Es zeigt diess zugleich, welche Masse von Abla-
gerungen der Ob in’s Meer führt. Hiervon kann man sich
auch direot überzeugen: man braucht nur etwas Wasser
aus der Mitte der Strömung in ein Glas zu schöpfen und
man wird binnen Kurzem in letzterem einen bedeutenden
Niederschlag bemerken. An einigen Stellen des Fahrwas-
sers waren auch fortwährend Wirbel, deren Entstehungs-
ursache nicht ermittelt werden konnte. Im starken Strome
führen wir oft zwischen Inseln hindurch.
Nachdem die Inseln passirt waren, liess die Schnellig-
keit der Strömung bedeutend nach, und wenn wir nicht
den günstigen Wind versäumen wollten, mussten wir uns
mittelst des Warp-Ankers fortziehen. Da sich für das Ar-
beiten mit dem Messtisch kein zur Bestimmung der Basis
geeigneter Ort fand, mussten wir die Aufnahme des Ufers,
so wie die Zeichnung der Inseln nach dem Augenmaass
und Peilungen vom Schiff aus machen. An einigen Stellen
konnten ohne Hülfe des Messtisches kurze Grundlinien ge-
messen werden, aber dieses Verfahren lieferte kaum bes-
sere Resultate als die Aufnahme vom Fahrzeuge aus.
Bei der Skopzowski-Insel verbreiterte sich das Fahrwas-
ser, ohne dass sich jedoch die Tiefe verringerte: nahe der
Insel zeigte das Loth 16 Faden. Das Fahrwasser wird hier
2 Werst breit und, wie auch bei den Jary-Inseln, sehr ge-
wunden; es theilt sich in zwei Arme, von welchen der
von uns durchfahrene südliche im Allgemeinen der tiefere
sein wird, jedoch wegen zahlreicher seichter Stellen sich
nicht so sehr für die Schifffahrt eignet. Der zweite Arm
wird von allen Fischern befahren, er ist erheblich weniger
tief und führt zwischen den Inseln Mochtaski und Jumsin
hindurch, Auch in diesen Arm liefen wir ein, weil der
Lootse ibn gut kannte, immerhin war es nicht leicht, in
dieses Fahrwasser zu gelangen. Erst nach stundenlangem
Umherirren und Festsitzen glückte es uns. Leider konnten
wir hier nirgends für die Messung hervortretende Punkte
finden, und bei der künftigen Entwickelung der Schifffahrt
wird man hier, wie an anderen Stellen des Stromes Schiff-
fahrtszeichen aufstellen müssen. Das Fahrwasser, in wel-
chem wir jetzt fuhren, ist das sicherste und bequemste, es
zieht sich, wie schon bemerkt, zwischen zwei Reihen Inseln
hin und hat eine mässige Tiefe, welche überall gestattet,
Anker zu werfen. Auch finden sich hier wenig Sandbänke,
ein für grosse Fahrzeuge besonders günstiger Umstand, da
das Fahrwasser nicht breit ist. Die beiden Inselreihen sind
niedrig, morastig und wie alle anderen dicht mit Röhricht
bewachsen, sie sind nur in Entfernung einer Seemeile sicht-
bar, und schwankt hier die Tiefe zwischen 3 und 7 Faden.
Da, wo die Insel Mochtaski mit einem anderen südlich
gelegenen kleinen Eiland einen schmalen Canal bildet, be-
trägt die Tiefe nur 2 bis 2% Faden, letztere steigt dann
aber plötzlich auf 15 bei der Vereinigung des beschriebe-
nen Fahrwassers mit dem südlichen. Die Breite der Was-
serfläche vermindert sich an dieser Stelle ebenfalls schnell.
Das Ufer der Insel Mochtaski, welches links eine Meile
entfernt ist, verschwindet plötzlich und den Blicken bietet
sich, wenn man das rechte Ufer unberücksichtigt lässt, eine
unendliche Wasserfläche dar. Aber hier lehrte uns auch
das Loth, dass wir von der Mitte des Fahrwassers abge-
wichen waren und uns mehr rechts oder links zu halten
hatten. Wir freuten uns über die weite Fahrbahn, leider
aber hörte die Kenntniss unseres Lootsen hier vollständig
auf, und wir mussten uns unter Benutzung der Strömungs-
verhältnisse, wie wir sie bisher kennen gelernt, unseren Weg
288
selbst suchen, eine schwierige Aufgabe. Was wir mit Hülfe
des Compasses, des Lothes und der Logge ermitteln konn-
ten, haben wir in die Karte eingetragen, deren vollständige
Fehlerlosigkeit wir selbst nicht annehmen. Von der Insel
Mochtaski bis zur Insel Sserkamo ist das Fahrwasser ziem-
lich breit und ausserordentlich gewunden.
Da wir unsere Messungsarbeiten hauptsächlich da aus-
führen sollten, wo die geringste Tiefe vorhanden, so sollte
uns der Lootse nach Cap Che bringen, da hier nach der
Karte des Marine-Ministeriums die geringste Tiefe vorhan-
den. Nachdem die Fahrt eine ziemliche Strecke nach Osten
fortgesetzt, erklärte leider der Liootse, dass auf diesem Weg
nicht nach Che zu kommen sei und dieses stets seichte
Fahrwasser sich irgendwo in eine Bucht verliere, die er
niemals befahren habe, es musste also wieder zur Insel
Sserkamo zurückgefahren werden und gelang es, westlich
von dieser Insel ein anderes Fahrwasser zu finden, dessen
Tiefe anfänglich 2 Faden betrug, später jedoch auf 5} Fuss
herabsank. Hier wurde das Schiff 2 Tage festgehalten;
der Lootse blieb bei seiner Meinung, dass hier eine Durch-
fahrt sein müsse, und wurde nun in einem kleinen Ostjaken-
boot, welches er meisterhaft zu führen verstand, nach dem
rechten Ufer geschickt, um einen mit den Stromverhält-
nissen vertrauten Ostjaken zu holen. Uns gelang es in-
dessen eine Stelle zu finden, die sich als etwas tiefer, näm-
lich 84 Fuss erwies. Da die Entfernung bis zum Ufer
16—17 Werst betrug, so hatten wir 24 Stunden auf den
Lootsen zu warten; in dieser Zeit überfiel uns ein NW-
Sturm, welcher 2 Tage währte und unsere Anker auf eine
harte Probe stellte. Vorher gelang es uns noch, auf der
Insel Sserkamo, von der wir uns 13 Werst entfernten, ei-
nige astronomisohe Beobachtungen anzustellen und auch die
Abweichungen des Compasses zu bestimmen, welche 17° 40’
nach O betrug, statt der vermutheten 19°. Der Lootse
kehrte erst am dritten. Tag nach dem Sturm mit einigen
Ostjaken zurück.
Nachdem die durch den Sturm entstandene Beschädi-
gung wieder ausgebessert, wurde die Fahrt fortgesetzt und
am 24. Juli die Jurten Che erreicht, deren geographische
Lage bestimmt wurde. Die Tiefe des am Ufer sich hin-
streekenden Fahrwassers war nicht sehr bedeutend. Die
Messungen zwischen der Sjennoi-Insel und Che ergeben eine
Tiefe von mehr als einen Faden. Bei Che wurde wieder
ein zweitägiger Sturm aus NW bestanden. Von der Insel
Sjennoi, die 8 Werst von Che entfernt, im sogenannten
Kleinen Ob liegt, geht das sich in viele Arme theilende
Fahrwasser bis auf 4 Werst vor den Che-Jurten bauptsäch-
lich in südöstlicher Richtung zum rechten Ufer, dann wen-
det es sich längs des Ufers in vielen Windungen nach
Osten. Die Tiefe von der Sjennoi-Insel bis Che beträgt
Reisenachrichten aus Sibirien.
im Durchschnitt 4 und 3 Faden und fällt dann auf 3 und
2 Faden. Die Breite des Fahrwassers ist höchstens '/, Werst
und daher grosse Vorsicht bei der F'ahrt geboten. Gern
hätten wir einen anderen Lootsen engagirt, allein die Ost-
jaken und Samojeden, welche das Fahrwasser einigermaassen
kennen, sind als Fischer in feste Dienste von Russen ge-
nommen, und wir erhielten daher von dem Ältesten der
Fischer jedes Mal abschlägigen Bescheid. Jeder Einzelne
kennt überdiess immer nur eine kurze Strecke des Fahr-
wassers.
Vom Schertwy-Cap (Cap der Opfer oder Jeman-Njol,
wie es die Ostjaken nennen) ist das Fahrwasser sehr seicht,
schmal, sehr gewunden und deshalb schwierig zu befahren,
die Tiefe ist stellenweis 2 Faden, durchschnittlich nur 9—
11 Fuss. 20 Werst hinter dem genannten Cap vertieft
sich das Fahrwasser wieder und wird gleichmässiger. An-
fangs glaubten wir, dass wir uns auf der Barre befänden,
welche durch den in den Ob mündenden Nadym gebildet
wird, und fuhren deshalb 10—15 Werst weiter nördlich,
aber überall fanden wir eine nur geringe Tiefe, stellen weis
nur 8 Fuss; für Schiffe, die über 8$ Fuss tief gehen, ist
hier schweres Durchkommen. Am Cap Linsita nimmt die
Tiefe wieder auf 3 Faden und darüber zu und bleibt so
bis Cap Nyda. Von da fuhren wir 3 Meilen nordwestlich
in die Bucht und fanden überall eine Tiefe von 11—12 F.
bei sehr ebenem Grund, der aus feinem grauen Schlamm
bestand.
Nachrichten über das Fahrwasser im Obmeerbusen. Rück-
fahrt nach Obdorsk. — Nach Beendigung der astronomi-
schen Bestimmungen auf Nyda wollte ich die Reise nord-
wärts fortsetzen, erfuhr indess zu meinem grossen Erstau-
nen und Bedauern, dass der Lootse von Herrn Trafimoff
nur bis Nyda angenommen und nur verpflichtet sei, uns
bis dahin zu führen, da er das Fahrwasser von Nyda ab
nicht mehr kenne. Die Bemühungen, einen anderen Lootsen
aufzutreiben, waren erfolglos; es wurde daher beschlossen,
den bisherigen Lootsen beizubehalten. Die Fortsetzung der
Reise bis zum 1. August, dem letzten Termin für die Um-
kehr, wenn in Obdorsk noch ein rückkehrender Dampfer
erreicht werden sollte, wurde dadurch unmöglich, dass die
Mannschaft aus Rücksicht auf die ungenügende Verpflegung
sioh weigerte, weiter zu fahren, es blieb also Nichts übrig,
als mit schwerem Herzen umzukehren, und nachdem noch
ein starker Nordsturm bestanden war, machten wir uns am
1. August auf die Rückreise.
Von den in Nyda Fischfang treibenden Syrjanen wur-
den noch einige Erkundigungen über das Fahrwasser wei-
ter nach Norden eingezogen. Der Ob behält danach noch
vollständig den Charakter eines Flusses und fliesst längs
des rechten Ufers, hart bis zum Cap Osjetrow (Stör-Cap)
Reisenachrichten aus Sibirien. 289
eine Tiefe von 3—4 Faden. Weiter haben die Messungen,
die von Nyda aus quer über die Bucht zum Aufsuchen von
Fischbänken angestellt wurden, überall eine gleichmässige
Tiefe von 12 Fuss ergeben, auch unsere Untersuchungen
bestätigten diess. Die Kraft der Strömung ist hier, abge-
sehen von dem tiefen Fahrwasser, schon bedeutend gerin-
ger, das Gefälle ist im Fahrwasser ungefähr 14 Knoten die
Stunde, im Allgemeinen in der Bucht 1 Knoten. Das Eis
hatte sich in diesem Jahr bei Nyda bis zum 22, Juli ge
halten, in einzelnen Jahren liegt es aber hier noch länger.
Der Gewährsmann hatte von den Samojeden, die auf Jalmal-
Land ') wohnen und Fischerei treiben, gehört, dass nur bei
andauernden Nord- und Nordwestwinden aus dem Eismeer
die Schollen weit in die Ob- und Tas-Bucht getrieben wer-
den und das Fahrwasser absperren. Am rechten Ufer
beim Einfluss des Tas soll das Fahrwasser hie und da durch
Steine unsicher sein, im Allgemeinen wurde das Fahrwas-
ser als tief und die Strömung bei Südwind als mässig, bei
Nordwind als fast gar nicht bemerkbar bezeichnet.
Anfangs wollten wir in einem anderen Fahrwasser, wel-
ches am Nordufer des Flusses vorübergeht, zurückkehren;
davon wurde indess Abstand genommen, da zu viel Zeit
hingegangen sein würde. Der durch das bereits bekannte
Fahrwasser genommene Rückweg bot den Vortheil der even-
tuellen Berichtigung der gemachten Beobachtungen und
Messungen. Bei günstigem Wind und schwacher Strömung
wurde das Cap der Opfer erreicht, dieser heilige Ort, wo
nicht nur Samojeden und ÖOstjaken, sondern auch zuweilen
Russen Opfer darbringen. Am 4. August wurde Cap Che
erreicht und von hier die Fahrt wegen ungünstigen Wet-
ters erst 2 Tage später in der Weise fortgesetzt, dass ein
Ostjakenboot bis zur Insel Sjennoy vorausfuhr, dennoch ge-
rieth das Fahrzeug mehrmals auf Sandbänke.
Die Erfahrung sowohl der Hin- als der Rückfahrt lehrt,
dass ein Fahrzeug, welches Messungen in der Ob-Mündung
vornehmen soll, nicht tiefer als 4 Fuss gehen darf. Bei
der Insel Sjennoy, auf !/,—!a Werst von derselben, wandte
man sich zur seichteren südlichen Seite. Die Tiefe va-
rirt hier zwischen 2 und 3 Faden; das Fahrwasser ist
sehr schmal und eignet sich, geschützt vor den SW—N-
Winden, zum Ankern. Von der Sjennoy-Insel geht die
westliche Richtung des Fahrwassers in eine südwestliche
und dann in eine südliche bis zum Kleinen Ob über, d. h.
den Arm des Ob, der längs des südlichen rechten Ufers
sich bis Kutyp-Jugan erstreckt. In diesem Arm geht die
Strömung nach O und wir finden hier eine sehr gleichmäs-
sige Tiefe von 10—12 Faden mit ziemlich weit sich vom
!) Capt. Dahl schreibt Jamal; wir halten uns jedoch nicht für be-
rechtigt, ohne nähere Kenntniss der Etymologie die bisherige Bezeich-
nung Jalmal aufzugeben.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VIIL
Ufer aus erstreckenden Sandbänken, welche nach der Aus-
sage des Lootsen im Spätherbst gänzlich trocken werden.
Die Richtung der Uferlinie ist mit wenigen Ausnahmen
westöstlich, kleine Buchten und verschiedene Uferhöhen
täuschen hier oft den Beobachter hinsichtlich der Uferlinie
und sind wahrscheinlich die Ursache der ziemlich bedeu-
tenden Unterschiede zwischen der alten Karte dieser Ge-
gend (Ausgabe des Marine-Ministeriums 1872) und der mei-
nigen.
Auf der Weiterfahrt trat (bei Kutyp-Jugan, 8. August)
stürmisches Wetter ein, das Fahrzeug wurde vom Sturm
gegen das Ufer geworfen und verlor beide Anker, doch ge-
lang es mittelst Wurfankers, das Fahrzeug zu sichern. In
Folge dieses Verlustes wurde die Weiterfahrt immer schwie-
riger und konnte nur mit grosser Vorsicht fortgesetzt wer-
den. Am 16. August ward die Mochtaski-Insel erreicht, wo
ungünstiger Wind die Fahrt wiederum bis zum 19. unter-
brach. Von Neuem gerieth das Schiff mehrmals auf Sand-
bänke, bei der Insel Puikowa wurde die Fahrt abermals
durch schlechtes Wetter aufgehalten. Hier nahm sich aber
der Expedition einer der russischen Fischrheder, Herr Plot-
nikoff, insofern an, als er von seinen Leuten und einigen
Ostjaken das Fahrzeug bis zu seiner Fischerstation ziehen
liess und frische Fische lieferte. Auf der genannten Insel
und in ihrer Umgebung verweilen im Sommer viele Ost-
jaken und Samojeden behufs des Fischfanges. Aus Tobolsk,
Beriosow und aus anderen Orten kommen Leute, um die
Erträge der Fischerei zu kaufen. Das Fahrzeug wurde,
als es bei der morastigen Insel Puikowa lag, von ÖOstjaken
und Samojeden, Männern und Frauen, besucht; auf Begehr
erhielt jeder ein Glas Branntwein, das erbetene zweite
wurde ihnen aber versagt, obwohl sie sich bereit erklärten,
es zu bezahlen.
Capitän Dahl konnte hier einige Nachrichten über das
Westufer von Jalmal, so wie die Flüsse Baidaratta und
Jurjubei sammeln, da nahebei ein Fischer von dorther sein
Gewerbe trieb. Er erzählte, dass die genannten Flüsse nur
während der Frühlingswasser und starkem Regen als Flüsse
gelten könnten, noch mehr vertrocknen die dortigen klei-
neren Flüsschen. Die Baidaratta versandet an der Mün-
dung während des Sommers oft in dem Maasse, dass die
Renthierheerden mit ihren Hirten sie passiren können, und
Gleiches ist der Fall mit dem Jurjubei. Hinsichtlich des
Fischfanges erfuhren wir, dass die dortigen wie die hier im
Ob fischenden Samojeden sich auch mit dem Fang der See-
hunde beschäftigen. Fischfang wird auf der ganzen Halb-
insel Jalmal und auf der Weissen Insel getrieben, doch
ziehen die Samojeden den Ob wegen seines grösseren Fisch-
reichthumes vor. Nach der Aussage desselben Mannes be-
steht die Nordspitze der Halbinsel Jalmal und die Weisse
87
290
Insel aus feinem Triebsand, der den behufs Befestigung der
Böte in den Boden getriebenen Pfähle jeden Halt versagt,
und selbst die an das Ufer gezogenen Fiahrzeuge in Be-
wegung bringt.
Am 30. August wurde die Fahrt fortgesetzt. Nachdem
wir auf der ersten Fahrt südlich von den Jary-Inseln ge-
gangen waren, wurde dieses Mal das Fahrwasser nördlich
derselben benutzt. Mit Ausnahme kleiner Windungen er-
weist sich dieses Fahrwasser für die Schifffahrt als befrie-
digend; die Tiefe, welche sich bei Puikowa auf 20 Faden
beläuft, verringerte sich weiterhin und schwankt zwischen
10 und 18 Faden. Der Boden des Flusses besteht. auch
hier aus Schlamm mit Sand und Thon.
Am B, September erfolgte die Ankunft in Obdorsk.
Die Wasser -Temperatur während der Expedition er-
reichte ihr Maximum am 2,/3. August, doch kann dasselbe
nicht als maassgebend angenommen werden, da die Messung
beinahe an der Oberfläche erfolgte, vielmehr müsste als
Maximum die Wasser-Temperatur angesehen werden, welche
am 1, August bei Cap Nyda zu + 14,6° R. gemessen
wurde. Hierauf veränderte sich die Temperatur des Was-
sers weit schneller, als man hätte erwarten sollen, viel-
leicht in Folge niedriger Temperatur in der Tiefe. Dieses
Thermometer war leider zum Messen der Wasser-Tempera-
tur in grossen Tiefen nicht geeignet und wir konnten uns
desselben zu diesem Zweck nicht bedienen. Der Annahme
der niedrigen Temperatur in grossen Tiefen widerspricht
augenscheinlich der Umstand, dass die aus der Tiefe gezo-
genen Taue, Ketten &c. sich nicht kälter anfühlten als die-
jenigen, welche sich oben im Wasser befanden.
Im Sommer herrschen NW- und N-Winde vor, schwache
NO- und O-Winde bringen immer gutes Wetter, SO- und
S-Wind meist atmosphärische Niederschläge. Der SW ist
grösstentheils ein trockener Wind, dauert nie an, sondern
geht bald entweder in NW oder SO über. Wenn nach
längerem warmen Wetter NW-Wind weht, treten immer
starke Windstösse mit reichlichem Regen ein, die auch
nicht aufhören, wenn die Temperatur sinkt, dann kommt
noch NO oder Windstille mit örtlich wechselnden Winden.
Ich muss eine merkwürdige Erscheinung erwähnen. Am
6. Juli sahen wir bei klarem Wetter und mässigem OSO-
Wind über der oben erwähnten Insel Mochtaski plötzlich
dunkle und helle Streifen am Himmel, Rauchsäulen ähn-
lich, sie nahmen einen bedeutenden Raum am Himmel ein,
dieselben bildeten sich sehr schnell, wechselten in der Form,
Breite und Länge und bewegten sich seitwärts und auf-
wärts gleich den Strahlen eines Nordlichtes, es war eigent-
lich nicht zu sehen wo sie begannen und wo sie endeten.
Die breiten Säulen waren von hellgrauer, die schmalen von
dunkelgrauer Farbe. Wir haben lange über die Ursache
Reisenachrichten aus Sibirien.
der Erscheinung gesprochen. Mein Gehülfe meinte, es sei
ein Nordlicht, das sich auf dem dunkeln Hintergrund zeige,
ich selbst hielt die Erscheinung für eine der vielen Luft-
spiegelungen, welche im hohen Norden vorkommen. Ein
Nordlicht wurde nur ein einziges Mal gesehen, und zwar
in Obdorsk, es war sehr schwach.
Die Erscheinung der Ebbe und Fluth haben wir nicht
bemerken können; wenn auch im Karischen Meere ein
Heben des Wasserspiegels beobachtet wurde, so erstreckt sich
dasselbe doch wegen der Seichtigkeit des Meeres am Nord-
ufer Sibiriens nicht bis in den Ob-Busen: Überschwem-
mungen finden hier meistentheils in der Zeit der Frühlings-
wasser, sodann auch in Folge von Stürmen, die das Wasser
aufstauen, Statt. Eine solche Überschwemmung zu beob-
achten hatte ich nicht Gelegenheit. Während des Aufent-
haltes bei Cap Nyda und bei Cap Che herrschte der die
Überschwemmung herbeiführende NW-Wind einige Zeit,
die Höhe des Wassers war jedoch nur 4 Fuss. Nach der
Aussage eines der dortigen Fischer steigt das Wasser in
besonders stürmischen Jahren auf 7 Fuss und mehr. Übri-
gens erstrecken sich die durch NW-Winde herbeigeführten
Überschwemmungen nicht weiter als bis zu den Jary-In-
seln. Überschwemmungen während des Frühlings treffen
mehr oder weniger das ganze Gouvernement Tobolsk , sie
verwandeln die höher gelegenen Gegenden in Inseln. Das
Wasser erreicht seine höchste Höhe gewöhnlich gegen Ende
Juli, von da an pflegt es zu fallen, und zwar erst langsam,
dann schneller, dann wieder langsamer bis zur Zeit des
Frostes. In einzelnen Jahren, wie im Jahre 1876, bleibt
das Wasser bis zum August hoch. Bei Cap Che ist die
Höhe des Frühlingswassers wenig bemerkbar, sie beträgt
dann nur 4—5 Fuss. Bei Obdorsk ist sie 12 Fuss, bei
Bereosow 15, bei Samarowskoj 18 und bei Tobolsk 21 Fuss”.
Reise von 1877.
Bis zum Ob-Aeerbusen. — Der Zweck der Fahrt des
Schraubendampfers „Luise” von 170 Tons Reg. war, von
Westen her durch das Karische Meer und den Ob-Meer-
busen in den Ob zu gelangen, ein Plan, der bekanntlich
vollständig durchgeführt wurde, da das Schiff sogar die
Fahrt bis Tobolsk ausdehnen konnte. Der genannte Dam-
pfer, Eigenthum der St. Petersburger Dampfschifffahrts-
gesellschaft, wurde für 4000 L angekauft. Die Maschine
hatte 60 Pferdekraft; unter vollem Dampf lief das Schiff
8—9 Seemeilen in der Stunde, bei einem Koblenverbrauch
von 5—74 Tons. Um die Kosten einigermaassen zu decken,
hatte das Schiff 50 Tons Gallipoli-Öl und 27 Tons Ketten,
Anker, Röhren und Takelage für in Sibirien zu erbauende
Segelschiffe als Fracht geladen. Die Mannschaft wurde in
Riga geheuert. Am 23. Juni erfolgte die Abfahrt von
Reisenachrichten aus Sibirien. 291
Lübeok. Nachdem noch London und Hull angelaufen, wurde
der Curs zunächst auf Tromsö gesetzt und dort der Vorrath
von Steinkoblen (72 Tons) vervollständigt. Am 28. Juli
verliess das Schiff Tromsö und war am 2. August bereits
bei der Südspitze von Nowaja Semlja. Wegen Schwierig-
keiten, welche das Eis vor der Karischen Strasse bot, wurde
der Curs auf die Jugor-Strasse genommen.
In der Zeit vom 3.—5. August verweilte das Fahrzeug
bei der Matwjejefl-Insel. Von russischen Fischern aus Kuja,
welche auf der Fahrt nach Nowaja Semlja begriffen waren,
um dort Seehunde und Walrosse zu fangen, wurde dem
Capt. Dahl die unwillkommene Kunde, dass sie, schon oft
diese Meerestheile befahrend, noch niemals so viel Eismas-
sen gesehen hätten, wie in diesem Sommer. Unter den
warmen Sonnenstrahlen schmolz das Eis bei der Insel, die
sich ungefähr 40 F. über das Meer erhebt, sichtlich. Am 5.
verliess die „Luise” ihren Ankerplatz, konnte jedoch wegen
vielen Treibeises nach 8stündiger Fahrt nicht weiter als
8 Meilen vom Ufer und 10 Meilen vom Zyrkow-Cap kom-
men und machte an einer Scholle fest. Am 8. wurde bei
hellerem Wetter die Fahrt nach Cap Pyrkow fortgesetzt;
hier wurde das Schiff wiederum unter dem Schutz einer
kleinen Insel, die vor dem Cap liegt, an einer Scholle fest-
gemacht und auf besseres Wetter gewartet.
„Bei einer so starken Strömung, die unter dem Einfluss
von Ebbe und Fluth eine Geschwindigkeit von 2—3 Kno-
ten erreichte, wäre es ein verzweifeltes Wagniss gewesen,
in den Jugor-Scharr einzulaufen oder, richtiger gesagt, uns
dahin durchzutasten. Am folgenden Morgen bei hellerem
Wetter lief die „Luise” in die Jugor-Strasse ein, wo noch
ziemlich viel Eismassen waren, jedoch um das südliche Ufer
sich das Meer offener zeigte. Vorsichtig fahrend und dabei
häufig lothend, erreichten wir das Dorf Nikolskoje, das einigen
russischen Fischern aus Pustosersk (Petschora) zum Aufent-
halt diente. Hier blieben wir kurze Zeit, um den Zustand
des Eises zu prüfen und von den Fischern Nachrichten
über das Karische Meer einzusammeln. Russen und Samo-
jeden kamen zu uns, um, wie sie es im Verkehr mit den Nor-
wegern gewohnt waren, ihren Überfluss an Fischen auszu-
tauschen. Wir erfuhren von ibnen, dass das Karische Meer
schon Mitte Mai eisfrei gewesen, dass aber die Jugor-Strasse
erst Mitte Juni zum Theil eisfrei geworden sei”.
Mittags des 11. August lief die „Luise” in’s Karische
Meer ein. Capitän Dahl nahm seinen Curs auf einen Punkt
nördlich der Weissen Insel (auf 74° N. Br. und 71° Ö.L.
v. Gr.\. Bekanntlich findet im Karischen Meere eine krei-
sende Bewegung Statt, welche durch die Strömungen aus
dem Ob und Jenissej hervorgebracht wird, unter Einwir-
kung der Winde, welche bei Nowaja Semlja gewöhnlich von
Süden wehen und allmählich eine östlichere Richtung an-
nehmen, bis sie zuletzt bei Jalmal-Land eine nördliche Rich-
tung erhalten. Gestützt hierauf glaubte Capt. Dahl, dass
die von Norden in die Mitte des Karischen Meeres treiben-
den Eismassen in die Kreisströmung eintreten und somit
ihren Weg längs des Ufers nehmen würden, allein am
12. August hatte das Schiff mit starkem Eis zu kämpfen,
und war am Morgen des 13. sogar einige Stunden besetzt.
Es gelangte aber am Mittag desselben Tages auf 72° 29'
N. Br. und 66° 22' Ö.L. v. Gr. in ein vollständig freies
Wasser mit einer so starken Strömung, dass es dieselbe nur
unter einem Winkel von vier Strichen schneiden konnte,
Die Wasser-Temperatur betrug bis zu +3° C. Um Mitter
nacht vom 13. zum 14, August zeigte das Loth eine Tiefe
von 80 Faden. Gegen Mittag des 14. befand sich das
Schiff auf 74° N. Br. und 69° Ö. L. v. Gr., über einer
Tiefe von 30 Faden. Der Curs wurde nun auf die Weisse
Insel genommen, die sich Abends 8 Uhr zeigte. Die Tiefe
des Wassers war bier 5 Faden, sie nahm jedoch auf der
Weiterfahrt zu. Die Wasser-Temperatur war +5° C.
„Wegen Nebels konnten wir nur mit Hülfe des Lothes
und des Compasses tastend bei nächtlichem Dunkel in den
Ob-Meerbusen gelangen. Die Vermuthung, dass die Ein-
fahrt in den Ob-Meerbusen durch eine Sandbank oder ein
Felsenriff gesperrt sei, hat sich in keiner Weise bestätigt.
Wir fanden hier in der Mündung eine zwischen 5 und
8 Faden variirende Tiefe. Auch im Ob-Meerbusen selbst
fanden wir Nichts, wodurch die bisherigen Erzählungen von
Untiefen und Sandbänken bestätigt worden wären. Die
Fahrt durch den Ob-Meerbusen, welche wir in 2$ Tagen
zurücklegten, erfolgte ohne jedes Hinderniss. Übrigens ge-
brauchten wir fleissig das Loth und hatten rubiges Wetter”.
Fahrt bis Tobolsk. — Die Tiefenverhältnisse des Ob-
Meerbusens näher zu erkunden, dazu hatte Capt. Dahl keine
Zeit. Er durfte diess auch mit einer versicherten Ladung
an Bord nicht unternehmen. Er constatirt aber, dass die
beiderseitigen Ufer nicht so weit von einander entfernt
sind, als die Karten angeben !), dass das östliche Ufer
höher ist als das westliche, und dass das Fahrwasser nicht
gerade nach Süden geht, sondern verschiedene Windungen
macht. Die Tiefe des Ob-Meerbusens ist aber derart, dass
sehr tief gehende Fahrzeuge vollständig ohne Gefahr bis
zu 68° 30’ kommen können. Von da an nimmt die Tiefe
ab, bis sie bei dem Fluss Nyda zwischen 2% und 3 Faden
») Capt. Wirwins, welcher im vorigen Jahre mit dem Darupfer
„Warkworth” eine Fahrt nach dem UOb-Meoerbusen machte, tLeit in
“einem Berichte an den New-Castle Chronicle rom B. Noremter 1878
mit, dass die Küsten vol.ständig unrıchtig in die Karten eınzetragen
wären „Namentich die Ostküste vanırt um 1° Länge und fast sammt-
liche Breitenangaben sind faisct. Auch die Gestalt des Landes, weicLos
nach der Karte sich. in fast gerader Linie ron N nach 8 hinzieken aoll,
ist eine wesertich andere, deum in Wirklichaeıt macht dıe hüste viele
Krümmungen’”,
87®
292 Reisenachrichten aus Sibirien.
beträgt. Weiterhin bis Linsita vertieft sich das Fahrwas-
ser wieder, um sich bis zum Cap Che wieder zu verrin-
gern, wo es 2 Faden beträgt. Eine starke Strömung ist
im Meerbusen nicht bemerkbar, die bedeutendste beträgt
nicht mehr wie '/, Seemeile in der Stunde, doch wird sie
im Frühjahr etwas stärker sein. Diess kann man aus dem
Austreten der Flüsse des ganzen Ob-Systems schliessen.
Zwischen Nadym und Obdorsk giebt es viel Inseln, in
der Bucht aber keine mehr, möglicherweise mit Ausnahme
einer unbekannten Insel unter 71° 1’ N. Br. und 73° 30’
Ö. L. Wir kamen Nachts hier vorüber, und da es ziem-
lich dunkel war, so konnte ich nicht unterscheiden, ob es
ein Cap am Ostufer der Bucht oder eine Insel war. Im
ersteren Fall würde hier die Entfernung zwischen beiden
Ufern nicht mehr als 30 Seemeilen oder 30 Minuten be-
tragen. Ich neige mich aber der Meinung zu, dass es eine
Insel war, da ich, von einer ziemlich bedeutenden Höhe
blickend, weder im Norden noch im Süden einen Zusam-
menhang mit dem Festlande entdecken konnte. Es scheint,
dass die seichten Stellen in der Bucht am westlichen Ufer
sich weiter erstrecken als am östlichen. Da mit dem 67°
die Waldzone aufhört, so kann man mit Ausnahme einiger
Caps, welche auch nicht dazu tauglich sind, keine hervor-
tretenden Punkte finden, welche als Landmarken der Schiff-
fahrt nützen könnten. Während unserer Reise sahen wir
wenig Häfen und Ladeplätze, und die wenigen schienen für
tief gehende Fahrzeuge nicht passend.
Das Verhältniss der Temperatur der Ob-Bucht und des
Karischen Meeres verdient eine besondere Beachtung. Gleich
nach dem Auslaufen aus dem Jugor-Scharr in das Karische
Meer beobachteten wir eine Verminderung der Temperatur
bis auf + YYs° C. Diese Temperatur behielten wir mit
wenigen Ausnahmen bis 72° N. Br. Sie stieg sogar mit
bemerkenswerther Schnelligkeit. Einen Grad nördlicher be-
trug sie 3° CO. Diese Steigerung setzte sich bis zur Ein-
fahrt in den Ob-Meerbusen fort. In der Hauptströmung
betrug hier die Temperatur + 6° C. Dieselbe bleibt un-
verändert auch im Ob-Meerbusen bis zu 69° N. Br. Das
kalte Wasser des Flusses Tas vereinigt sich nämlich mit
dem wärmeren Wasser des Ob, und so bleibt die Wasser-
Temperatur, die eigentlich viel höher sein müsste, unver-
ändert. Nachdem wir die Mündung des Tas-Flusses pas-
sirt waren, bemerkten wir sogleich eine bedeutende Erhö-
hung der Wasser-Temperatur, dieselbe betrug bei Cap Nyda
schon + 10° C. Aus dem Vergleich der Wasser-Tempera-
turen, wie sie im vorigen und in diesem Jahre beobachtet,
ergab sich, dass die diessjährigen Temperaturen bedeutend
niedriger waren, was wahrscheinlich dem kalten Sommer
zuzuschreiben ist.
Bei Linsita ankerte die „Luise”, um sich nach angeb-
lich in der Gegend befindlichen Steinkohlenlagern zu er-
kundigen. Es ergab sich aber, dass dieselben einige hun-
dert Werst nördlicher gelegen sind. Um eine Barge des
Kaufmanns Korniloff stromaufwärts zu schleppen, verweilte
die „Luise” noch bis zum 22. August am Nadym und ge
rieth dann bei der Weiterfahrt dadurch, dass das Schiff
einem ungeschickten russischen Lootsen übergeben worden
war, auf eine Sandbank. Erst nach 5 Tagen kam das Schiff
wieder ab. Die nunmehr angenommenen ostjakischen und
samojedischen Lootsen verstanden ihre Sache viel besser.
Am 20. September Morgens erreichte die „Luise” Tobolsk.
Capitän Dahl spricht zum Schluss den Wunsch aus, dass
eine eingehende Untersuchung des Ob und Ob-Meerbusens
behufs Entwerfung genauer Karten Statt finden möchte, da
der Seeweg nach dem Ob von viel grösserer Wichtigkeit
für den sibirischen Handel sei, als der zum Jenissej.
Höhenbestimmungen in Japan während der Jahre 1874 und 1875.
Von J. Rein.
In der nachfolgenden Liste gebe ich eine Zusammen-
stellung der auf meinen Reisen in Japan gemachten Höhen-
bestimmungen. Dieselbe ist nach Itineraren geordnet und
umfasst nach einander Honshiu, die Hauptinsel, Kiushiu
mit Amakusa und Shikoku, so dass die Orientirung mit
Hülfe der Karte keine Schwierigkeiten bietet.
Zur Beobachtung der in Betracht kommenden meteoro-
logischen Elemente dienten: ein Naudet’sches Aneroid von
Lenoir in Wien, das Aneroid Nr. 52 von Goldschmid in
Zürich, welches meinem Freunde, Herrn Prof. v. Fritsch
in Halle gehört und bereits auf unserer Marocco - Reise
neben Gefäss-Barometer und Naudet erprobt worden war,
ferner mehrere Thermometer, von denen das eine hin und
wieder, z. B. auf dem Fuji-no-yama, auch als Hygrometer
benutzt wurde, indem ich seine Kugel nach dem Ablesen
der Lufttemperatur mit nasser Baumwolle umwickelte, ein
Verfahren, das ich für ähnliche Fälle empfehlen möchte,
Die Schwierigkeiten, welche sich den Berechnungen der
Beobachtungswerthe eines meist rasch von Ort zu Ort Rei-
senden, der die Höhenbestimmungen trotz grossem Interesse
an denselben doch immer nur als Nebenbeschäftigung vor-
nimmt, entgegenstellen, liegen vor Allem darin, dass es ihm
Höhenbestimmungen in Japan während der Jahre 1874 und 1875. 293
ÜBERSICHTSSKIZZE
Vox
| BFAREIMS REISEROUTEN
JAPAN
1876 - 1876.
ManCastab:1:7.300.000.
— nn Erste Keise Maik Juni 187
Srdigutn.B Hassensten Butofr.v H Salssızın.
nur ausnahmsweise möglich ist, geeignete Simultan-Beobach-
tungen vornehmen zu lassen. Ich half mir dabei je nach
Umständen auf verschiedene Weise. Befand ich mich in
der Nähe eines Ortes, wo ein Europäer ziemlich gleich-
zeitige Ablesungen seiner meteorologischen Instrumente vor-
nahm, so benutzte ıch diese als Basis; fand ich in anderen
Fällen bei meiner Rückkehr von einem Berggipfel zum
Fusse oder Meeresstrande, dass hier wesentlich die näm-
lichen Witterungsverhältnisse vorlagen, wie beim Ausgang,
so nahm ich eine Constanz derselben an und bezog darauf
meine Berechnungen, und nur, wo auch dienes Auskunfts-
mittel nicht vorschlug, befolgte ich die Methode, Punkt auf
Punkt zu beziehen. Messungen bei ungünstiger, wechseln-
der Witterung aber wurden gar nicht berücksichtigt. Dass
auf den bedeutenderen Höhen, wo schon der Winkelmes-
sungen, s0 wie meiner pflanzengeographischen und geologi-
schen Studien wegen ein längeres Verweilen nöthig war,
wiederholte Ablesungen Statt fanden und ihre Resultate
294 Höhenbestimmungen in Japan während der Jahre 1874 und 1875.
—— mm Em le mm m m Lee m nn mn nn m E———
bei den Berechnungen in geeigneter Weise berücksichtigt
. > | Ort , Meter
wurden, brauche ich kaum besonders hervorzuheben. Die - —
. , 28. | Töge zwischen dem Thal Utsunoga und Fujiyeda . . | 123
meisten Werthe wurden nach den Ablesungen am Naudet 29. | Kloster bei Yö-naki-ishi, auf der Höhe von Sayano . | 187
schen Aneroid berechnet, diejenigen bei der Nakasendo- 30. | Nikko. ]| 47
. “ . .. ® 31. Fukuroi . . . . . . 32
Reise zum Ontako nur nach Goldschmid, während im 39. | Maizake am Hama-no-minato _ 7
Übrigen, namentlich bei bedeutenderen Höhen, das in sol- 33. | Anhöhe von Hosoya bei Shirasika an der Grenze zwi-
2. FR .n„ . schen Tötomi und Mikawa . . . . .| 52
chen ‚Fällen zuverlässigere Goldschmid’sche Aneroid haupt- 24. | Okasaki, Hauptstadt von Mikawa - > > 20. a
sächlich zur Controle diente. Zu demselben Zwecke wur- 35. | Nagoya, Hauptstadt von Owari . oo. 8
den die Naudet’schen Beobachtungen doppelt berechnet, näm- Fr | Sen ‚nerühmte Porzellan-Industrie in Owari. . . 15
lich von mir nach Rühlmann’s Formel und von einem 38. | Sakanoshita . . 0.200.000. [19
talentvollen Schüler von mir, Herrn Stud. phil. O. Dersch, 1: Tui] on vöge am F ndosteyama He
nach derjenigen von Höltschl in seinem Buche: „die Ane- 41. | Otsu am Biwa-See, Hauptstadt vonomM . ...18
“rn : : : . 43. | Hinöka-töge . . . . . .I1 9A
roide angegebenen. ‚Die Resultate nach beiderlei Verfah 43. | Kioto, Sanjo-Brücke . Sg
ren zeigten einen mit den Höhen-Differenzen wachsenden Shononsuka, Höhe im Osten von Kioto . . . | 180
: : : + ) Shimeigataki (Gipfel des Hiyesan) . . . . | 825
Unterschied mit + für die Höltschl’sche Formel, und es Chiudo, Haupttempel des Hiyesan . 740
wurde dann dasjenige angenommen, für welches die Berech- Chaya To-do-no-Nishi-san, am Hiyosan auf der Kamm-
nung nach Goldschmid entschied, im anderen Fall das arith- höhe zwischen Biwa-Seo und Kamogawa . . | 609
metische Mittel. Reise durch das Gokinai, Kii, Ise und Iga,
Glaube ich hiernach sowohl für die Sorgfalt meiner von Kobe nach Kioto, im Juni 1875.
Beobachtungen als auch der Rechnungen einstehen zu kön- — mm
. . . . Ort. Meter.
nen, so verhehle ich mir doch keineswegs, dass auch die — —
von mir gebotenen Resultate nur Annäherungswertle sind, ri Yorhino i in at u au nn 200
von denen viele durch genauere, bei späteren umfangreichen 3. | Kamiishi am Yoshinogaws . 0.1190
mult Beobacht der b h durch ei 4. | Takami-töge, Grenze zwischen Yamato und Io . .' 844
sımuitanen eonachtungen, oder esser NOC urc eine 5. | Aoyama in Ise , , , . ..! 533
geodätische Landesaufnahme erzielten, werden ersetzt wer- 6. Kasama-töge, Grenze zwischen Ise und Iga . 0, 2
. . in I . . .
den müssen. 8. | Fundstelle des Riesensalamanders bei Ad . . . 453
9. | Nara in Yamato . . . . . . . .,.85
Reise längs des Tokaido, von Tokio nach Kioto,
Mai und Juni 1874. Reise von Tokio nach Koshiu und zum Fuji-no-
Ort. Meter. yamsa, August und September 1874.
1. : Nihon-bashi, Tokio . 5 Ort. Meter.
2. | Grosse Kiefer auf Anhöhe bei Gondosaka und Grenze = om —— m
| _zwischen Musashi und Sagami . . . . . 53,9 1. ' Fushiu, beim Tempel Rokyeha Misjin. . . . 87
3. | Hodogaya in Musashi . . . . . . . 89,7 2. Hachioji . . . . . 92,5
4. , Shinanosaka in Sagami. . 2 . . . 8 3. Komsino . . | 202
5. : Totsuko . . . . . . . . . 9 4. , Kobotoke-töge, Grenze zwischen Musashi und Sagami . | 565
6. | Nibandaka . . . . 60 5. ı Obara . . . . | 236
7. ' Fujisawa beim Tempe! Sei Kofi yugiodern . . . 15 6. , Yoshino, Mitte Weges zwischen Tokio und Kofu . .| 175
8. Umesawa . . . . 23,8 7. Saruhashi am Kadzuragawa . . . . . .| 29
9. Odawara . . . . . . . 11 8. Sasano-yama-töge (Kanego-töge) . . . . . 11064
10. Yumoto 5 . | 57 9. Komakai . . . . . .| 614
11. Tonosawa 3 .1.196 10. Katsunuma . . . . .| 412
12. Miyanoshita | © . | 427 11. Kofu, Hauptstadt von Kai (Koshiu) ne. f| 945
13. Sokokura 5 .. 436 12. Tonoki, am Wege von Kofu nach dem Fuji-no-yama . |! 950
14. Kiga 2 . | 407 13. : Misaka-töge . . nn. | 1563
15. ı Ashinoyu = . . .., 845 ' 14. Kawaguchi, Poststation . . . . .| 842
16. Passhöhe zwischen Kiga und Ashinoyu . . . | 852 | 15. 'ı Kawaguchi-no-Kosui (See von Kawaguchi) . . .| 817
17. Kojinoku, Solfatare oberhalb Soköokura . . . | 656 Besteigung des Fuji-no-yama.
18. | Iwoyama, Solfatare bei Ashinoyu . . | 877 | 16. : Kami-Yoshida am nördl. Fusse des Fuji-san, beim Tempel | 810
19. Komagatake, höchster Gipfel des Hakone-Gebirges . 11345 | 17. ' Naka Chaya (1. Station) . . . . 1 1078
20. ı Hakone am See . 741 18. Mumagayeshi, Grenze von Hara und Wald . . . 11450
21. Hakone-Pass, Sakai-no-dai (Grenzplatte) "zwischen Sagami ı 19. ‚3. Station . . . . . . . . . , 1730,5
| und Idau . . . . . | 855 20. 4. Station . . . . . . | 2142
22. ' Yamanaka, Höhengrenze des Bambusrohrs . 515 31. 5. Station, obere Waldgrenze . . . . . | 2225
23. | Fujinidaire, Chaya am Wege von Yamanaka nach Kashi- 22. Obere Grenze der Sträucher . . . . . | 2442
| wabara . nen | 470 23. 7. Station 2. 5 2808
24. , Kashiwabara in Suruga- . . 41 24. 8. Station . . 1 3270
25. Numadzu an der Mündung des Kunogamı, Suruga . 10 | 25. (9) Tempel Yakushinatake nahe dem Gipfel des Fuji . | 3672
26. | Kambara in Suruga . . . 8 26. Flöchster Gipfel des Fuji-no-yama, Romagatake . 13745
27. ' Schidzuoka, Hauptstadt von Suruga . . . . 14 | 27. Goldquelle (Kin-meisui) . . . . . | 3560
Te
Höhenbestimmungen in Japan während der Jahre 1874 und 1875.
Ort.
. ı Tiefe des Kraters, 167 m unter Kin-meiui,. . .
Oberste Grenze der Holzgewächse auf Subashiri-Seite .
Station Komitake, Subashiri-Seite . .
Obere Grenze der Hydrangea paniculata im Mischwald .
Mumagayesbi, Subashiri-Seite . . . .
Tempel zu Subashiri, Ostseite des Fujirsan
Goten . . . .
Gotenbars, tiefste Stelle des Thalcs .
Otomi-töge, Übergang vom Himmelsthal zum Hakone-See
Bengokubara . . . .
Ashinoyu . . . . . . . . .
Hakone . . . . . . . . .
Hata . .
‚, Odawara, Hauptstadt von Saganıi, am Meer .
Beise längs des Nakasendo zum Ontake,
Nagoya und dem Tokaido entlang nach Kioto,
Ort.
Takasaki in Kotsuke . . . .
Toyooka . . . . . . . 2.
Annaka. . . . . . . . . .
Matsuida . .
Höhengrenze des Bambusrohrs und der Datteeige .
Sakamoto am Fusse von Usui-töge . . .
Yamanaka Chaya . . .
Usui-töge, Grenze zwischen Kotsuke und Shinano .
Karuisawa in Shinano . . . . . . .
Diwake . . . . . . . . .
Iwamurats . . . . . .
Shiwonada . .
Übergang des Nakasendo über den Chi Kumagawa .
Yswada . . . . . .
Kasatori-töge . . . . . . .
Nagakubo . . . . . . .
Wada . . . . . .
Hixasbi no Chaya. . .
Wada-töge . . . . . . . .
Nisbi no Chaya . . . . . . . .
SLimonosuwa am Suwa-See . . . . . .
Suwa-ko (Suwa-Sec) . . . . . . .
Sbiojiri-töxe. . . . . . .
SLiojiri, Mitte des Ortes . . . .
Matsumoto am Saigawa . . . .
Mursi . . . . .
Seba . . . . .
Motoyama . . . . .
Nepawa . . .
Narai . .
Torii-töge, Wasserscheide zwischen Baigawa u. Kisogawa
Yabubura am linken Ufer des Kisogawa
Miyanokoshi . . . . .
Fukusbima . . . . . .
Aido-toge . . . . .
Fuss dos (Mıtake) "Ontake
Erste CLaya, Grenze der Sedimente und vulk. Bildungen
Obere Grenze des Uranits . . .
Zweite Chaya, Urenze zwischen Hara und Wald
Auftreten von \accinium uliginosum und ScLizocodon
Obere Grenze des Waldes . . .
Canıpanula circaeoides tritt auf . . .
Erste Schneeschramme (28. Juli) . .
Dritte CLaya, Cassiope beginnt und d geht bis Gipfel .
Vierte Chaya, die oberste . . . .
Hochste Steiie des Ontake
Zweitköchste Stelle des Ontake
Arematsu . .
Suwara. . . . . . . . .
Nojırı
ausgeführt im Juli und August 1875.
‚ Meter.
|
3393
2367
2196
1664
1510
nach
19179
2080,86
2372
2406
Fi 9)
2748
3005
308
‚ie
531
568
"0 Bun ———
| —
Ort.
Mitone . . [) . [} . . . . . |
Tsumago . . . . . . . . |
Misaku-töge . . . . . . . .
Magome (Umagome) . . . . . .
Ochiai in der Prorinz Mino . .
‚ Flussbett des Kisogawa an der Grenze zw. "Shinano u. Mino |
Nakatsupawa. . . . . . . . .
Nasubigawa . . . . . . .
. N
ı
ı
|)
Tsukiyoshi, Tertiärbecken
Takayama am Nagoyakaido
Utzutzu. . Fr
Nagoya, Hauptstadt von "Owari, am Tokaido . |
Reise von Kioto durch Omi und Mino sum Hokuro-
kudo, Hokkokukaido und über den Nakasendo
eoannapmnnm
nach Tokio, Juni und Juli 1874.
Kioto . . . . . . . . .
‚ Otsu am Biwa-Sec
—
Nagalıama am Biwa-See .
Sokigahara am Nakasendo in Mino, \ berlibmtes Schlachtfeld
Taru . . . . .
Akasaka, Fusulinen-Marmor . . .
Miyeji . . . . . . . .
Kanno . . . . . . . .
GVifu . . . . . .
Inabayama, Hügel bei Gifu . . . . .
Kodzuchi am Gifu-Fluss (Gujogawa) . .
Mitarai im Makidani . . . .
UmetLara, untere Grenze von Aesculus { turbinata
Hachıman . . . . . . . .
SLirotori . .
Aburs - saka-töge an der Grenze zwischen Mino und
Echizen, 35° 53' 6° N. und 136° 51’ 32" Ö. Gr.
‚ Hara am oberen Kudzurigogawua . . . . .
Ono ın Echizen . . . . . . . .
Fukiu in Echizen . . . . .
Dast.oji in Kaga . . . . . .
YaınasLiro-mura, Badeort . . . .
Komad:u . .
Mızuka-töge am w eg von Komadzu zum Hakusan
Bekku
Mündung des Nigorisugawa in den Tetris Moskito-
G(renze
Jura- (Dusxzer-) Formation "zwischen "Shinamura
und Ustikubi
Ustikubi, Hauptort im oberen Tetorigawa-Thal
lchLinose, Bud aın Fusse des Hakuran .
Hakusan (Stirosama) an der (irenze von Kaya u. Hida
Hakusan, zweiter Gipfel bei Tempel Okunou.
Ciaya, Echizen-murs .
Hakusan, Urenze zwischen Andeait und Congiomerat
Yostınomurs am Tetorıgawa. . . . .
Taurugi am Tetorixawa . .
Kanazawa, Hauptstadt von Kaya am Tetorigawa
Takauka in Echıu. . . . .
Tövyama, Hauptstadt von Echiu .
Omi ın Echıxo am Japanischen Merr
Takata in kıligo . .
Arai ın Eıtizo am Hokkokukaıdo (Sriushiu- -haıdo) .
Sekivamura . . .
Futanata-loge swiseten Futamata "und Nojiri . .
Nojirı am See Furöko . . .
Nojiri-töge, zwisıien Nojimn und Ofurums
Mure ın Sı.nano „ . .
ertron bei Na,aro, der Hau: atadt von , Sbinano .
Be’t des Ulonumagana bei lamb.ustıma
Urea .
laranı,. . . “ . . .
y5,00
2290
249
142
47
16
10
5
62
66
379
6.8
652
‚o4
481
417
3592
4:5
KRIN
296
50.
51.
Höhenbestimmungen in Japan während der Jahre 1874 und 1875.
Ort.
Komoro am Fusse dos Asamayama
Besteigung des Asamayama von Komoro aus.
Shintothor und Kiefern auf der oberen Hars . .
Kalte Schwefel- und Eisenquellen bei Imbayama
| Meter.
Yunotairs, der alte Kraterboden .
Mittlerer Kraterrand am oberen Kegel .
Neuester, höchster Kraterrand .
Oiwake, am Nakasendo . . .
September—December 1874.
®. « ®. . ® ® ®* ® “ . . “ L} “ ®
=
Reise durch den Norden Japans, Oshiu und Dewsa,
B Ort. |
1. Nihonbashi,. Tokio
2. | Ste . . . .
3. | Koy . . . . . .
sn
5. | Sudzunomiya. . .
6. | Utsunomiya, Hanptatadt von 'Shimotsuke .
7. | Tokujiro . . . .
8. | Osawa . . . . . . . . . .
9. | Imaichi. . . .
10. Hachiishi, Nikko-Dortf, unterer Theil . .
11. Nikko, Brücke über den Daiyagama
12. Gosaka-töge . .
13. Fudosaka-töge .
14. Kegon-no-taki, Wasserfallam Ansfluss d. Daiyag. aus d.
15. Chiuzenji-See am Fuss des Nantaisan (Futa-ara-yama)
16. Nantaisan, Grenze zwischen Nadel- und Laub-Wald
17. ı Tsuya-Wald (Abies Tsuya) beginnt .
18. Nantaisan, höchst, Gipfel d. Nant. od. Fute-ara-yama
19. Ohanabatake, d. i. grosses Blumenfeld, eine Hara
zwischen Chiuzenji und Yumoto . .
20. Yumoto mit heissen Schwefeiqnallon
21. | Ohara am Aidzukaido . .
22. | Fujiwars . . . .
23. | Takahara-töge
24. | Takabara
25. | Shikanoyu, indifferente Therme am Fusse a. Takaharayama
26. Ä Hikari (Ikari) . . . .
27. , Yokökawa
28. | Sannö- -töge, Grenze zwischen "Shimotsuke und Aidzu
29. | Sannd Chaya in Aidzu . .
30. | Itösawa
81. | Tajima, am grossen Saikachi. (Gleditschia japonica)
32. Narahara (Nakahara, Knipping) . . .
33. | Kurötani (Kuratani, Knipping) . . . .
34. | Hidama-töge (Uchu-töge) . . . . .
35. , Sekiyama . . . . . .
36. | Honjd, Porzellanfabriken . . . .
37. ! Wakamatsu . . . .
38. Takisawa-töge . . . . . .
39. Shijimi am Inawashiro- See . . . . .
Von Wakamatsu nach Yonezawa, dann zum Oshiu-
Kaido bis Sendai.
40. | Shiokawa . . . . . . . .
41. | Kumadaniyoki . . . . .
42. | Oshio mit 39° C, warmen Salzqnellen . . . .
43. | Kaya-töge . . . . . . . . .
44. | Yonezaws . . . . . . . . .
45. | Osawa . . . . . . . . . .
46. | Ita . . . .
47. | Itaya-töge . . .
48. | Sumomoteaira.. .
49. | Niwasaka . .
50. ı Fukushima bei Shinobubashi am Oshin-Kaido . .
51. | Koi . . . . . .
52, Fujite . . . . . . . . . .
53. ! Kosugo . . . . . . . . . .
54. | Saikawa . . . . . . . . .
701
1372
1965
2230
2431
2527
980
Ort. Meter.
Shirs-ishi [) f} . . D . . . ® 50
Miya ® . ‘ U} “ 1} U} LU} . 29
B7. Ogawarı . . . . . . 19
58. | Funabasa . . . . . . .| 14
59. | Iwanuma am Abukumagama. . . . . 5
60. | Masuda . . . . . . . . 6
61. | Hirosebashi . . . . . .i 12
62. | Senda, Hauptstadt in Oshiu” . 0. . .| 42
Von Sendai zum Stillen Ocean und nordwärts bis
Kamaishi.
63. | Ishikawa-mura . . . 50
64. | Tagajo nohi (das Denkmal von Tagajo) . .| 5
65. | Shiogama an der Sendai-Bucht . 6
66. | Matsushima, Ort. . . . 4
67. , Ono am linken Ufer des Narusegawa . . . . . 18
68. | Ishinomaki am Kitakamigama . . . . .i 5
69. | Yamagitsu . . 11
70. | Kasegai-no-numa (Teich von Kasegai) . .. | 37
71. | Shidzugawa, Städtchen am Stillen Ocean 6,5
72. | Kis6-numa, » „ „ „ . 5
73. | Sakari . . . . . . . . . 11
74. | Otöge . . . . . . . . . » | 423
75. Yoshibama . . b
76. | Kamaishi, Städtchen, 39° 18' N am Stillen "Ocean . 7
Von Kamaishi über Morioka nach Akita zum
Japanischen Meer.
77. | Ohashi, Eisenwerk bei Kamaishi . . . . . 158,4
78. | Magneteisenlager bei Ohashi . | 650
79. ' Passhöhe zwischen Tono und Tasob6 (nnch Schätsun g) | 550
80. | Obäsama . 109
81. | Moriöks am Kita Kamigawa . 197
82. Ippongi am Fuss des Ganjusan . . | 275
83. Maiblumen (Convallaris majalis) auf der Hara 500
84. Obere Grenze der Hara u. Beginn d. steileren Berges | 574
85. | Hashiba . . .| 813
86. | Kunimi-töge, höchste ‚Stelle, Wasserscheide zwischen |
dem Stillen Ocean und dem Japanischen Meer . 873
87. | Obonai . . . . . . 217
88. | Kakunotate . . . . . . 32
89. | Akita . . 17
Von Akita nach Niigata längs des Japan. Meeres. |
90. | Lavatuff vom Chökaisan bei Hirasawa am Meer . . 12
91. „ „ bei Kosagawa . . . 15
92. Bakata . . . . 9
93. | Oyama . . . 2
94. | Tobira-saka, Pass, nach Schätzung . . 1 250
95. | Lackbäume bei Nakamura nach Schätzung . . . | 200
96. | Budo . . . . . .ı 215
97. | Murakami . . . . 82
98. |, Niigata . . . . . 3
99, | Niigate, Sanddünen . . 12
Von Niigata über Mikuni-töge nach Tokio.
100. | Töchihara-töge 255
101. |.Mitsumata am Kiyotsugam . . . . 574
102, uayo-töge. . . . | 953
108. | Futai . . . 766
104. Hiuchisaka . . . . . . . | 9423
105. | Asakai . - 1 991
106. | Mikuni-töge (Dreiländer-Pass, weil nahe der Grenze von .
Echigo, Kotsuke und Shinano) liegt in der Wasser- i
scheide zwischen Shinanogawa und Tonegaws . . 1323
107. ı Chaya auf Mikuni-töge in Kotsuke . 1327
108. | Vorkommen von Aesculusturbinata u. Lagerstroemia indica 1255
109. | Nagai am Fusse von Mikuniyama, Kotsuke . . 815
110. | Aimada am Akayagawa . . . . . | 600
111. | Höbengrenze des Bambusrohrs . . . . ! 650
112. | Kiriya Kubo-töge . . . . . ! 860
113. | Nakayama . . . . . . . . 604
114. | Nakayama-töge . . 0.1822
115. | Shibukawa . . . . 209
116. | Takasaki in Kotsuke . 67
Höhenbestimmungen in Japan während der Jahre 1874 und 1875.
Reisen durch die Inseln Kiushiu und Amakusa,
April und Mai 18785.
Ort. : Meter.
a. Von Nagasaki über Arita, Saga, E Kumamoto,
himabara nach Nagasaki.
Die Höhenbestimmungen auf dieser Reise haben,
‚, des wechselnden Wetters wegen, und da der Weg nie
zu bomeorkenswerthen Höhen anstieg, keine zuverlässigen
Resultate ergeben.
b. Von Nagasaki über Amakusa nach Satsuma,
sumi, Hiuga und Bungo.
1. Nagasaki . . . 8
2. Shikimura-Kohlengruben bei Tomioka auf Amakusa . 27
3. Shimotsuke-Fukei, indifferente Therme auf Amakus . 20
4. Spiessglausgrube bei Takabama auf Amakusa . 169
5. Töge zwischen Takabams und Sakitsu, Amakusa . 317
6. Oniki, Kohlengruben auf Amakusa . 47
7. Ishibuka, Überfahrtsort von Amakusa nach Akune in
Sateuma . 7
8. Akune in Satsuma- . . . . 8
9. _Koreaner-Dorf Naöshirogawa in Satsuma . . . 37
10. Kagoshima, Hauptstadt von Satsuma . . . . 9
11. Hinatayama-no-yu in Osumi . . . 20
18. Schwefelbad Enoyu am Kirisbima-yama . . I 9
13. Höhengrenzse von Camellis japonica . . 980
14. Höhengrenze des Bambusrohrs 910
15. Kirishima . 465
16. Kirisbima-yama, Rand des Kraters . . 1469
17. Takachiho, höchster Gipfel von Kirishima-yama mit dem
berühmten Himmelsschwerte (Ama-no-sakahoko) 1673
18. Passhöhe nach Hiuga nördlich vom ı Takachiho 1061
19. , Nojiri in Hiuge . . ., 19
———c — — nn ——— — -
297
| Ort. Meteor
20. Takanabe in Hiuga 39
21. ' Passhöhe zwischen Kutsuba und | Shigecke (ewischen
Hiuga und Bungo) 441
22. Shigeoka in Bungo . 208
33. Mikuni-töge, d h. Dreiländerpass, weil drei Daimio-
Herrschaften (Oka, Sayegi und Utuki) hier susammen-
stisssn . 7
24. Funai, Hauptstadt” von Bungo . 11
25. Saganoseki (Sattel des Städtchens), Überlahrtsort über
Bungo Nada nach Yawatahama auf Shikokun . . 7
Reise durch die Insel Shikoku, Mai 1878.
| Ort. Meter.
1. | Yawstahama in Iyo . . . . . . . 8
2.0 . . . . .ı 2%
3. : Pass zwischen Yawstahama und Osu . . . . 358
4. | Nimio . a u 71
5. | Hiwado-töge in Iyo ı 804
6. | Higashigawa . 477
7. | Pass zwischen lyo und Posa am we von Matzuyama
nach Kochi . . ı 8385
8. | Kochi, Hauptstadt von Tossa. 7
9 Sasagami-töge swischen Tossa und Ir, We von Kochi |
nach Kawsnoye . 1105
10. | Chaya auf der Tosa-Beite 844
11. | Chaya auf der Iyo-Seite . 982
13. | Fagus Sieboldi und Asporula odorata in Gesellschaft von
Camellia japonica . . ı 970
13. Hirsyama-töge 1100
14. ' Kompila, Tempel bei Kinrio, 3 ri voD Tadotzu in Sanuki 206
Major Serpa Pinto’s Reise durch Süd- Afrika.
Seit Jahrhunderten befinden sich die Portugiesen im
Besitze des grössten Theiles der Ost- und Westküste des
äquatorielen Süd-Afrika’s, ohne dass von ihnen erhebliche
Anstrengungen gemacht worden sind, das Innere des Con-
tinents zu erschliessen. Wie einzelne ihrer Gelehrten neuer-
dings wieder mit patriotischem Eifer der Mitwelt in’s Ge-
dächtniss zurückgerufen haben, verdankt man gerade den
Portugiesen die frühesten Nachrichten über das Innere von
Süd-Afrika, schon im 16. Jahrhundert durchzogen ihre Händ-
ler und Missionare das Flussgebiet des Congo, aber der
Zeit entsprechend erwuchsen der Topographie keine Früchte
daraus, denn die Aufzeichnungen der Reisenden betrafen
fast nur Curiositäten und Abenteuer. Selbst die Berichte
Pereira’s und Lacerda’s, Gamitto’s und Monteiro’s über ihre
an sich brillanten Reisen zum Cazembe entbehren noch
fast allen wissenschaftlichen Gehaltes. Aufgestachelt durch
die Erfolge Livingstone’s, Cameron’s, Stanley’s und durch
die von verschiedenen Seiten der portugiesischen Regierung
gemachten Vorwürfe, dass sie die Erforschung ihrer eigenen
Besitzungen Fremden, namentlich Engländern, überlasse,
erwachte auch in Portugal der Ehrgeiz, an dem Wettstreit
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VILI.
der Nationen in der Erschliessung Afrika’s Theil zu nehmen.
Auf Antrag der Lissaboner Geographischen Gesellschaft
und der Permanenten Geographischen Commission im Marine-
Ministerium wurde im Jahre 1877 die Aussendung einer
Expedition von der Regierung beschlossen, für welche die
Kammern bereitwilligst die nöthigen Mittel anwiesen. Als
Hauptaufgabe wurde die Erforschung der Flussgebiete des
Zambesi und Congo hingestellt,
Wie wir bereits früher mitgetheilt haben, trennte sich
die Expedition in Bihe in zwei Abtheilungen, von denen
eine unter dem Befehle von Brito Capello und Ivens nach
Norden zum Quango aufbrach, während die andere unter
Serpa Pinto sich dem Flusssystem des Zambesi zuwandte,
Nach vielen Mühsalen und manchen überstandenen Gefah-
ren erreichte der kühne Forscher, glücklicher als seine
Collegen, am 12. Februar d. J. Pretoria. Seitdem nach
Europa zurückgekehrt, bat derselbe in Lissabon, London
und Paris Vorträge gehalten, in welchen er über die Resultate
seiner Forschungen einen allgemeinen Überblick gab. Bevor
wir uns aber eine definitive Vorstellung der hydrographischen
Verhältnisse, Bodenoonfiguration &c. in den von ihm bereisten
38
298
T'heilen des afrikanischen Continents machen können, müssen
wir erst ausführlichere Mittheilungen des Reisenden ab-
warten. Wir begnügen uns für jetzt, den Verlauf seiner
Expedition, so weit er durch die vorläufigen dürftigen Berichte
bekannt geworden, kurz zu schildern. Die portugiesische Zei-
tung „O Occidente” veröffentlichte eine rohe Skizze der Pin-
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Major Serpa Pinto’s Reise durch Süd - Afrika.
to’schen Route !), welche unter Benutzung der von ihm bisher
veröffentlichten Positions- Bestimmungen unserer provisori-
schen Karte als Grundlage gedient hat. Im Allgemeinen
findet hiernach für den oberen Lauf des Zambesi bis zu
den Victoria-Fällen eine Verschiebung um mehr als !/°
nach Westen Statt, während die bekannte Missionsstation
Provisorische Skizze der Serpa Pinto’schen Expedition durch Süd - Afrika,
Maassstab 1:12500 000.
Schoschong, westlich von Transvaal, um fast 1° weiter
nach Osten zu liegen kommt. Der berühmte Reisende An-
toine d’Abbadie in Paris und Fr. Jeppe in Pretoria setzen
volles Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Pinto’schen
Beobachtungen ; bevor jedoch eine definitive Berechnung
seiner Sternbeobachtungen Statt gefunden hat, können wir
diese Unterschiede von allen bisherigen, namentlich den
als sorgfältig anerkannten Mohr’schen Bestimmungen als
endgültige nicht ansehen. |
Alexander Albert da Rocha Serpa Pinto wurde am 20, April
1846 in Tendaes im Districte Vizeu geboren, trat 1858 in
die Militärschule und wurde 1864 Unterlieutenant. Im
Jahre 1869 betheiligte er sich mit Auszeichnung an der
Militär-Expedition gegen den aufständischen Häuptling
Bongs im Gebiete des Zambesi, bei welcher Gelegenheit er
diesen Fluss bis in die Näbe der Victoria-Fälle verfolgte.
Nach der Beendigung des Feldzuges unternahm er noch
einen Jagdausflug an den Schire und Nyassa, besuchte die
Comoren und Seychellen und kehrte über Goa nach Europa
zurück. Wegen seiner wissenschaftlichen Befähigung und
seiner Kenntniss afrikanischer Idiome wurde seine Bethei-
ligung an der Forschungsexpedition als sehr erwünscht an-
genommen.
Im Begriffe seine Reise anzutreten, traf Serpa Pinto
im August 1877 bei seiner Landung in West-Afrika an
der Mündung des Congo mit Stanley zusammen, welcher
gerade seinen Zug durch den schwarzen Continent beendet
hatte. Vergebens versuchte Letzterer seine Begleitungs-
1) Die im Augustheft der Proceedings der Londoner Geogr. Ge-
sellschaft veröffentlichte Karte, welche in manchen Punkten mit der
portugiesischen nicht übereinstimmt, hat bei unserer provisorischen
Skisze nicht mehr benutst werden können.
Major Serpa Pinto’s Reise durch Süd - Afrika. 299
mannschaft dazu zu bewegen, mit der portugiesischen Ex-
pedition die Rückreise an die Ostküste zu Lande anzutre-
ten. Nach Überwindung von mancherlei Schwierigkeiten,
welche auch dem portugiesischen Reisenden namentlich die
Trägerfrage bereitete, konnte endlich im November 1877
der Aufbruch von der Küste erfolgen und wurde im März 1878
auf einem zum Theil bisher unbekannten Wege Bihe erreicht.
Von hier aus wandte sich Serpa Pinto im Mai durch das
Quellgebiet des Quanza und des Cubango zum Cuando (Li-
vingstone’s Tschobe), dem Hauptnebenfluss des Zambesi,
wobei er einen Weg einschlug, der etwas südlicher von der
Route liegt, welohen der portugiesische Händler Silva Porto
1852 und 53 verfolgt hatte. Die Wasserscheide dieser
Flusssysteme ist kaum bemerkbar; ihre Quellen liegen auf
dem ca 1700 m hohen Plateau Cangala in so unmittelbarer
Nähe bei einander, dass man nur wenige Schritte zu durch-
messen bat, um aus verschiedenen Flüssen trinken zu kön-
oen, die sich entweder in den Atlantischen oder den Indi-
schen Ocean ergiessen oder sich in die Wüste Kalahari
verlieren °).
Hier machte der portugiesische Reisende eine Ent-
deckung, welche noch näherer Erklärung bedarf. „Eines
Tages bemerkte ich unter meinen Trägern einen weissen
Menschen, weloher einer bisher gänzlich unbekannten Race
angehörte. In Süd-Afrika existirt eine weisse Völkerschaft
mit Namen Cassequeres 2), deren Äusseres von intensiverem
Weiss ıst als das der Kaukasischen Race. Ihr Haupt ist
mit Büscheln von sehr kurzen und wolligen Haaren be-
deckt; ihre Backenknochen stehen weit hervor; ihre Augen-
bildung ist die der Chinesen. Die Männer dieses Volks
sammes sind ausserordentlich kräftig, so dass z. B. ein
Pfeil, den sie auf einen Elephanten abschiessen, sich ganz
in den Körper des Thieres vergräbt. Sie leben von Wur-
sin und den Erträgen ihrer Jagd, und nur, wenn diese
Hülfsquellen ihnen einmal ausgehen, knüpfen sie Verbin-
dsagen mit ihren Nachbarn, den Ambuellas, an, von denen
se gegen Elfenbein Lebensmittel eintauschen. Sie sind die
auzige afrikanische Völkerschaft, welche ihre Speisen un-
gekoeht verzehrt. Die Cassequeres wandern nomadisirend
im Gruppen von 4—6 Familien in dem Gebiete zwischen
dem Cuchi und Cubango ?) umher. Möglicherweise ent-
N) Während Serpa Pinto nach den bisherigen Veröffentlichungen
ums Gewicht auf dieses Quellgebiet legt, hat er nach der Karte der
Preessdings dasselbe gar nicht berührt, sondern ist mindestens !/,° süd-
xı ven demselben vorbeigesogen.
?) Bereite auf Tafel 7 1858 der Geogr. Mittheilungen ist ein Volks-
“nn „Kassakarıe (Buschmänner)”, zwischen Cunene und Cubango
eingetragen.
9 auf der im „Ooceidente” veröffentlichten Skisse sind die Casse-
Yurıa im Widerspruch mit dieser Angabe zwischen Cuando und Zam-
kei wehnend verzeichnet, auf der Karte der Proceedings sind sie gar
Ixht sugegeben.
stammen die Mulatten des Südens (?), die Buschmänner, einer
Vermischung der Cassequeres mit Negervölkern. Dieselben
stehen schon auf einer höheren Stufe der Cultur, da sie
ihre Speise wenigstens kochen; sie sind aber trotzdem
jeder Civilisation abhold”.
Wenn wir auch diese Angaben des Reisenden nicht be-
zweifeln wollen und kaum annehmen dürfen, dass er
sich durch einen Albino hat täuschen lassen, so kön-
nen doch erst nähere und genauere Nachrichten dieses
sonderbare Factum erklären, welohes von keinem der vielen
portugiesischen Händler, die in diesen Regionen bisher
verkehrt haben, beobachtet worden ist.
Der Cuando entwickelt sich sehr schnell zu einem an-
sehnlichen Gewässer, schon wenige Meilen unterhalb seiner
Quelle konnte er in einem Boote befahren werden. Er
bleibt trotz vieler Krümmungen, welche der Schifffahrt
allerdings hinderlich sind, bis zu seiner Mündung in den
Zambesi befahrbar. Auch die meisten seiner Zuflüsse sind
schiffbar. Vom Cuando aus gelangte Serpa Pinto durch
weit und breit sumpfiges Gebiet längs des Uhengo !) zum
oberen Zambesi. Meilen weit war Alles mit Wasser be-
deckt, nirgends zeigte sich eine Spur von Wild, so dass
die Expedition einmal mehr als 4 Tage ohne jegliche Nah-
rung blieb. Endlich konnte man sich etwas Hirse verschaf-
fon, aber auch dann noch kam es wiederholt vor, dass man
48 Stunden lang Nichts zu essen hatte. Selbst Schildkrö-
ten, welche sich mehr nach Süden im sumpfigen Terrain
längs des Zambesi finden, gab es hier nicht. Dafür berei-
teten Krokodile grosse Schwierigkeiten, so dass man wieder-
holt, um einzelne Flüsse passiren zu können, erst Brücken
schlagen musste. Versuche, freundschaftliche Beziehungen
mit einzelnen Häuptlingen anzuknüpfen, hatten keinen Er-
folg; beständig mit Hunger und Mühsalen mancherlei Art
kämpfend erreichte die Expedition endlich Lialui (vermuth-
lich ıdentisch mit Livingstone’s Katongo) in der Nähe der
Mündung des Uhengo in den Zambesi unter 15° 12’ N. Br.
und 22° 48’ Ö. L. v. Gr.
Während Serpa Pinto hier über die Fortsetzung der
Reise Verhandlungen anknüpfte, entstand in der Nacht vom
6. August 1878 plötzlich Feuer im Lager und gleichzeitig
erfolgte ein heftiger Angriff Seitens der Eingeborenen. Ei-
nige treue Diener retteten die Instrumente, Manuscripte
und die wichtigsten Habseligkeiten, während der Rost der
Begleitungsmannschaft den Angriff mit Erfolg zurückschlug.
Trotz des glücklichen Ausganges des Kampfes sah sich
1) Nach dem bisherigen Veröffentlichungen (s. Joursal offciel vom
1. Juli) soll Serpa Pinto dem Laufe des Lungo-e-Ungo gefolgt sein,
während die Karten übereinstimmend seinen Weg am Ninda und Ubrogo
entlang führen.
300 Major Serpa Pinto’s Reise durch Süd - Afrika.
Serpa Pinto am nächsten Morgen verlassen; aus Furcht,
dass solche Angriffe sich wiederholen würden, hatten die
meisten Träger die eingetretene Ruhe nach dem Kampfe
benutzt, die Rückkehr in ihre Heimath anzutreten, die sie
aber doch nicht wiedersehen sollten, denn, wie der Rei-
sende später erfuhr, ist keiner derselben dort eingetroffen.
Nur ein kleines Häuflein Getreuer blieb bei ihm zurück.
Diese massenhaften Desertionen mussten natürlich auf
den Fortgang der Expedition wesentlichen Einfluss aus-
üben. Obgleich schon Stanley bei dem beiderseitigen Zu-
sammentreffen abgerathen hatte, zu den Chuculumbes vor-
zudringen, die sowohl Arabern als auch Europäern feind-
lich begegnen, sobald diese ihr Gebiet zu betreten wagen,
und nur mit eingeborenen Händlern aus Bihe freundliche
Beziehungen unterhalten, hatte Serpa Pinto den Ge-
danken bisher nicht aufgegeben, dieses nur durch Erkundi-
gungen bekannte Territorium erforschen und den Luöngue
oder Cafuque (Livingstone’s Kafue), Nebenfluss des mittle-
ren Zambesi, erreichen zu können. Von diesem Plane
musste er jetzt natürlich abstehen, da er nicht daran den-
ken konnte, mit der Hand voll Leute, die ihm geblieben
waren, sich durch ein feindliches Volk durchzuschlagen.
Unser Forscher errichtete hier bei Lialui ein befestigtes
Lager, bis er durch entschiedenes Auftreten von den umwoh-
nenden Häuptlingen die Erlaubniss zur Fortsetzung seiner
Reise erhalten hatte, und zwar wählte er, da er nach Osten
nicht vordringen konnte, den Weg nach Süden längs des
Zambesi, den er theilweis zu Schiffe verfolgte, eine Route,
die schon Livingstone 1854 und 1855 befahren hatte. Serpa
Pinto giebt uns auf der zurückgelegten Strecke in vielen
Fällen andere Bezeichnungen für Völkerschaften, Örte,
Flüsse &c., doch ist dieser Unterschied erklärlich, wenn man
bedenkt, dass einestheils die Namen der Ortschaften mit
denen der Häuptlinge wechseln, anderentheils aber die be-
treffenden Bezeichnungen ein Mal von einem Schotten, dann
von einem Portugiesen vernommen und aufgezeichnet wor-
den sind.
Die Ufer des Zambesi sind anfänglich bewaldet, und
überall gab es viel Hirse. Bald aber trat Basalt zu Tage
und mit ihm begannen Kataracte und Stromschnellen, deren
die Expedition 37 bis zu den Victoria-Fällen beobachtete.
In der Zeit von 13 Stunden wurden 30 passirt. Mit Aus-
nahme der unmittelbarsten Umgebung dieser Stromschnellen
sind die Ufer des Zambesi stark bevölkert. Das Volk der
Makololo, welches Livingstone hier noch angetroffen hatte,
ist, wie wir bereits durch den Bischof Mackenzie, Dr. Holub
u. A.,wissen, ausgestorben und in zahllosen Kämpfen mit an-
deren Stämmen, namentlich den kriegerischen Makalakas, ver-
nichtet worden. Trotz aller Entbehrungen und Mühseligkeiten
drang Serpa Pinto rüstig vorwärts, hoffend endlich in
Linyanti am Cuando, nahe seiner Mündung in den Zam-
besi, in einer englischen Missionsstation, die sich da
selbst befinden sollte, eine längere Ruhe geniessen zu
können. Unglücklicherweise war dieselbe verlassen, da die
Missionare dem Klima zum Opfer gefallen waren. Statt
dessen traf er hier mit einem englischen Naturforscher,
Dr. Bradshaw, zusammen, der in diesen Gegenden Samm-
lungen für britische Museen veranstaltete. „Derselbe be-
fand sich in sehr zurückgekommenem Zustande; nur mit
einem Paar Hosen bekleidet lief er barfuss umher, obwohl
er in der Hand ein Paar Schuhe trug. Trotz dieses Auf-
zuges stellte er sich mir mit ernsthaftester Miene vor,
indem er mir seine in London gestochene Visitenkarte über-
reichte”. In Gesellschaft dieses Naturforschers verweilte
Serpa Pinto mehrere Tage, hatte sich auch gemeinsam mit
ihm eines Angriffes feindseliger Eingeborenen zu erwehren.
Statt der englischen Missionare befand sich in der Nähe,
in Guijama, eine französische Missionsfamilie, Coillard mit
Namen, bestehend aus dem Pfarrer nebst F'rrau und Schwester,
die den Reisenden, welcher auf dem Wege dahin vom Fieber
ergriffen wurde, auf’s Freundlichste empfing und pflegte.
Kaum, dass er von längerem Krankenlager sich erhoben
hatte, so trieb es ihn weiter zu neuen Untersuchungen und
Forschungen, obwohl er aller Hülfsmittel beraubt worden,
denn bei dem letzten Angriffe der Eingeborenen hatte
er fast den ganzen Rest seiner Habe verloren. Die
Frage nach dem Laufe des Flusses Cubango, dessen Quelle
er westlich von Bihe gefunden hatte, reizte ihn zu einem
Zuge in die Kalabari, auf welchem trotz der bevorstehen-
den Entbehrungen und Mühseligkeiten die französische
Missionsfamilie sich ihm anschloss. Zunächst wurden die
Victoria-Fälle des Zambesi aufgesucht, deren Höhe Serpa
Pinto zu 180 m bestimmte. Von hier aus erreichte die
Expedition auf einer Route, die ungefähr in der Mitte
zwischen denen Livingstone’s und Mohr’s liegt, die
Missionsstation Schoschong. Serpa Pinto hat den Cu-
bango nicht wieder erreicht, glaubt aber trotzdem, wie
schon aus seinem ersten Telegramme hervorgeht, „das Ge-
heimniss des Cubango” gelöst zu haben, Durch Erkundi-
gungen bei den nomadisirenden Eingeborenen dieser Ge-
genden, so wie nach einer Karte, die ein Neger in Bihe
für ihn entwarf, hat Pinto den Lauf des Cubango fast eben
so niedergelegt, wie er schon in der Petermann’schen Karte
von Süd-Afrika (Stielers Hand-Atlas Nr. 71) seit Jahren
angedeutet war. Nur an dem Punkte, wo Andersson 1858
den Okavango, den mittleren Lauf des Cubango — dessen
Identität mit dem Tioge, dem Zuflusse des Ngami - Sees
allerdings noch nachzuweisen ist —, erreichte, weicht Serpa
Pinto wesentlich von dieser Darstellung ab, indem nach
seiner Annahme der Cubango schon 14° weiter nördlich
Major Serpa Pinto’s Reise durch Süd - Afrika.
die Richtung nach Osten nimmt. Wenn auch Andersson
nicht in der Lage war, genaue Positions-Bestimmungen
zu machen, so möchten wir doch seinen Aufnahmen den
Vorzug geben vor Erkundigungen, die von nomadisirenden
Buschmännern eingezogen werden konnten.
Nach diesen Erkundigungen existirt zwischen dem Cu-
bango und Cuando keine Verbindung, sondern der erstere
ergiesst sich, durch Verdunstung allerdings stark an Vo-
famen vermindert, in den Ngami-See und speist auch in
wasserreichen Jahren durch den Botletle die Salzpfanne
Makarikari oder Tschuantsa. Wenn auch keine beständige
und unmittelbare Verbindung zwischen den genannten Flüs-
sen vorhanden ist, so stehen beide Flusssysteme periodisch
doch in einem gewissen Zusammenhange. Wie Baines er-
wähnt, stellen die Flüsse Mababe, der sich in den Cuando,
und der Tamalukun, der sich in den Botletle kurz nach
seinem Austritt aus dem Ngami-See ergiesst, nach starken
Regengüüssen, wie z. B. 1863, eine sogar schiffbare Wasser-
strasse her '. Die Frage des Cubango können wir durch
diese Mittheilungen als endgültig entschieden nicht an-
sehen, mit welcher Sorgfalt und Genauigkeit die Erkun-
digungen auch immerhin eingezogen sein mögen. Der
Lauf des Cuando sowohl wie auch des Cubango ist bisher
nie verfolgt worden und deshalb ist die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, dass der letztere mit dem ersteren in
'ı) Trotsdem, dass Pinto die Existenz einer solchen Communication
susdrücklich verneint, ist dieselbe doch auf der Skisse im „Occidente”
verseichnet.
301
directem Zusammenhange steht. Hoffentlich geben aus
führlichere Berichte von dem Verlauf der Expedition über
diesen, wie auch andere zweifelhafte Punkte genaueren
Aufschluss.
In Schoschong trennte sich Serpa Pinto von der
Familie Coillard, welche alle Anstrengungen und Entbeh-
rungen dieser Wüstenreise mit ihm getheilt hatte, und er-
reichte auf bekannten Wegen endlich Pretoria, die Haupt-
stadt von Transvaal.
Hat der portugiesische Forscher nach den spärlichen
Notizen, die uns bisher zugänglich geworden sind, auch
nicht ın dem Maasse die schwebenden Fragen über die
Verhältnisse Inner-Afrika’s zu lösen vermocht, wie man
nach den ersten Mittheilungen, namentlich dem Telegramm
über seine Ankunft in Pretoria, erwarten durfte, so hat er
uns doch in vielen Beziehungen werthvolle Aufklärungen
gebracht, welche nicht unbeträchtliche Änderungen auf
den bisherigen Karten erforderlich machen werden. Be
sonders hervorzuheben ist noch der Umstand, dass diese
Erfolge mit nur geringen Mitteln erzielt worden sind, denn
die Kosten der ganzen Expedition belaufen sich auf nicht
ganz 20 000 Mark, ein neuer Beweis, dass man nicht immer
der Mittel eines Stanley bedarf, um Grosses zu leisten.
Der glückliche Erfolg, welchen diese Expedition davon-
getragen, wird hoffentlich für die portugiesische Regie-
rung ein fernerer Sporn sein, in ihren Anstrengungen
zur Erforschung ihrer afrikanischen Besitzungen nicht nach-
zulassen.
Die Salzwüste Atacama.
(Begleitworte zu Tafel 16.)
Anregung zur Herstellung vorliegender Karte der öden,
wasserarmen, aber durch ihre reichen Bodenschätze in den
letzten Jahrzehnten wichtig gewordenen Salzwüste gab das
Interesse, welches die gegenwärtigen Grenzstreitigkeiten
zwischen Chile einerseits und Bolivia und Perü andererseits
bervorrief, sowie die Publication zweier, für die Geographie
dieser Gegenden sehr wichtigen Karten durch das chile-
nische Hydrographische Amt in Santiago. Die nördlichere
von beiden, die im April dieses Jahres erschienene Carta.
de los Desiertos de Tarapacä i de Atacama, publicado por
la Oficina Hidrogräfica (Alessandro Bertrand), Santiago
1879; Escala de 1:1000000 — zeigt im Vergleich zu
früheren Karten zum ersten Male die Eisenbahnen in der
Salpeterregion nördlich vom 21. Grade und die Ergebnisse
neuerer Forschungen in dem Gebiet zwischen Patillos
Challacollo, Cobija und San Pedro de Atacama,
Die südlichere der beiden chilenischen Karten (Map
shewing the position of the Deposits of Nitrate of Soda
and Guano, recently discovered in the Chilian portion of
the Desert of Atacama, oompiled by A. Pissis; Scale
1:1000 000) ist beigegeben der Schrift: Nitrate and Guano
Deposits in the Desert of Atacama, published by authority
of the Government of Chile, London 1878. Dieser Karte
ist die detaillirtere Zeichnung der Salpeterlager von Moreno
Aguss blancas im Anschluss an Harding’s Karte (s. unten),
sowie die Darstellung des Gebiets zwischen 25° und 26°
80’ 8. Br., westlich von Philippi's Route, entnommen.
Diese an Salpeter, Silber und Kupfer reiche, nun durch
302 Die Salzwüste Atacama.
Eisenbahnen mit der Küste verbundene Gegend wurde
durch zwei von der chilenischen Regierung zum Zweck der
besseren Erforschung und Erschliessung entsendete In-
genieure, A. Pissis und Jose R. Martinez, denen sich ein
Deutscher, P. Sieveking aus Valparaiso, angeschlossen hatte,
bereist.
Da, wo aus Vergleichung zu schliessen war, dass ausser
den bereits vorhandenen Karten diesen beiden chilenischen
Arbeiten keine neueren Informationen zu Grunde lagen,
wurde auf jene Quellen zurückgegangen; ausserdem um-
fasst beifolgende Tafel im Nordosten und Süden Gebiete,
die auf den beiden chilenischen Karten nicht verarbeitet
sind.
Die Küste ist nach den englischen Seekarten einge-
tragen (South America, West Coast, Sheet IX, X, XI).
Für die nordöstliche Ecke der Karte, östlich vom 69.
Grade, wurde benutzt die werthvolle Mapa topografica de
la Altiplanicie oentral de Bolivia, trabajado en los afos
1860—61 para el proyecto de Canalizacion y Ferrocarril
& la costa del Oceano Pacifico, por Hugo Reck. Escala
de 1:2 300000 San Joaquin, 1862. Der Verfasser
hatte als Berg -Ingenieur in den Jahren 1858 —62 im
Auftrage des bedeutenden Bergwerksbesitzers Avelino
Aramayo eine passende Linie zur Ausführung einer
Eisenbahn vom Südende des Lago Pampa Antlagas auf
der bolivianischen Hochebene über die Andes hinweg
nach dem Stillen Ocean aufzusuchen und zu vermessen.
(S. Geogr. Mitth. 1865, S. 257). Ihm verdankt die Karte
in ihrem nördlichen Theile ausserdem auch die Correctur
einiger Höhenzahlen und die Manuscriptzeichnung einer
Route nordöstlich von Chiuchiu über Santa Barbara und
Ascotan.
Westlich vom 69. Grade schliesst sich an die Survey
of the Province of Tarapac& commenced in 1827 by W.
Bollaert and George Smith, with additions to 1851, drawn
by A. Petermann; Scale 1:1200000 (J. R. G. S. 1851).
Die Fortsetzung dieser Aufnahme durch George Smith
umfasst die Salpeter und Borax-Lager östlich Pisagua,
Mexillones und Iquique (Plano de las Localidades de la
Provincia de Tarapaca, donde se encuentra Nitrate de Soda
y Borato de Cal; Escala de 1:250000). Die schöne, aus-
führliche Arbeit wurde, so weit der kleine Raum es ge-
stattete, möglichst erschöpfend wiedergegeben.
Die Route von Rio Loa bis Cobija ist nach der Con-
struction zur Karte von J. J. v. Tschudi’s Reise von Cör-
dova nach Cobija (Geogr. Mitth. Ergzh. 2) eingetragen.
Das Gebiet östlich von Cobija, Mexillones und Anto-
fagasta bis Placilla und Imilac ist eine Reduction der Map
of part of the Desert of Atacama, to accompany the paper
by Mr. Josiah Harding; Scale 1:1500000 (J. R. G. S.
1877). Der Verfasser war als Ingenieur beim Bau der
Eisenbahn von Antofagasta nach Las Salinas beschäftigt
und untersuchte die benachbarten unerforschten Theile der
Wüste nach neuen Salpeterlagern, wobei er die wichtigeren
Punkte trigonometrisch und astronomisch mit der Eisen-
bahnlinie in Verbindung brachte. Die ausführlichere Zeich-
nung der Salpeterfelder von Moreno und Aguas blancas
ist in etwas verkürztem Maassstabe der Pissis’schen Karte
entnommen,
Einige Details im Bereiche von Harding’s Karte sind
nach Prof. H. Wagner’s Skizze des Litorals von Bolivia
(Geogr. Mitth. 1876, Tafel 17) niedergelegt. Imilac wurde
nach seiner relativen Lage auf der letzteren Karte im An-
schluss an Harding’s Karte eingetragen und dadurch ein
Anknüpfungspunkt für die Niederlegung von Dr. A. Phi-
lippi's Route 1853—54 (nach Tafel 3 Geogr. Mitth. 1856)
gewonnen. Diese wurde ferner angeschlossen an die neue,
weit östlichere Lage von San Pedro de Atacama, wie sie
die nördliche chilenische Karte von A, Bertrand angiebt,
sowie an Cachinal de la Sierra nach Pissis’ Karte und Tres
Puntas nach Petermann’s Mapa original de la Republica
Argentina (Geogr. Mitth. Ergzh. 39), von welcher auch
das Stück von Flint's Route östlich Puquios herrührt.
Dadurch wird die unnatürliche NW—SO-Lage der Sa-
lina de Atacama, die bisher auf allen Karten anzutreffen
war, verdrängt und die meridionale im Anschluss an die
ganze Streichung der Küste und der ‘Andes hergestellt.
Die im Vergleich zur Landesaufnahme um volle 45 Minu-
ten nördlichere Lage des Cerro di Azufre auf Pissis’ Karte
ist nicht berücksichtigt worden, da sie gar zu sehr der
Begründung zu entbehren scheint.
Ein schmaler Streifen am Südrande der Karte ist dem
nördlichsten Blatt der grossen chilenischen Landesaufnahme
im Maassstabe 1:250000 entnommen. Sie wurde von
Pissis 1848 begonnen und 1864 vollendet.
Bei den raschen Fortschritten, welche die Erforschung
und Ausbeutung dieses an landschaftlichen Reizen so
armen, an inneren Schätzen aber um so reicheren Erd-
striches beständig macht, kann man wohl bald wieder neue,
erfreuliehe Resultate für die Geographie erwarten.
Nachschrift. Tafel 16 und vorstehende Begleitworte
waren abgeschlossen, als uns, leider zu spät, eine neue
Karte des ‚Desierto de Atacama. Escale 1:1000000’ von
A. Villanueva Garcia zugänglich wurde. Dieselbe ist einem
Bericht beigegeben, welchen der Genannte dem chilenischen
Ministerium für Landwirtbschaft nach einer im Auftrage
des letzteren unternommenen Untersuchung der Salpeter-
und Guanolager erstattet hat, (Salitres i Guanos del De-
sierto de Atacama. Santiago, Imprenta Nacional, 1878.)
Die Karte reicht vom 22. bis 27° 8. Br. Südlich vom
J. G. Bennett’s Polar-Expedition.
34° ist sie hinsichtlich der Angabe von Minen, Quellen,
geologischen und mineralogischen Bezeichnungen die reich-
haltigste der bisher erschienenen. Die nord-südliche Er-
streckung der Salina de Atacama finden wir hier bestätigt.
Dagegen berichtigt dieses Blatt wesentlich unsere bisherige
Vorstellung des Verlaufs der Hauptoordillere (angedeutet
durch die Grenze) südlich der Salına de Atacama, indem
sich die Gipfel an der Ostseite der letzteren unter Ver-
meidung des Bogens zur Pta Negra-Saline, wie ihn Tafel
16 zeigt, naturgemässer direct in süd-sidwestlicher Rich-
tung fortsetzen, so dass z. B. der Vulkan Llullaillacs nicht
in 68° 40’, sondern in 68° 20’ westl. Gr. zu liegen
kommt. Es schliesst diess vortrefflich an die Lage des San
Francisoo-Passes auf Tafel 16 an. Dem entsprechend liegt
die Punta Negra-Saline 20’, Imilao (bei Villanueva in 68°
37’ W. L., 24° 3' 8. Br.) sogar 26’ östlicher als auf
303
unserer Karte. Hiernach würde die ganze Philippi’sche
Route zwischen Aguadulce und Imilac um fast einen hal-
ben Längengrad ostwärts zu rücken sein. Die Abweichung
in der Länge scheint bei Philippi durch irrthümliche Be-
stimmung von Finca de Chafiaral entstanden zu sein, wel-
ches nach Villanueva, in ziemlicher Übereinstimmung mit
Pissis, nicht nördlich, sondern fast rein westlich von Tres
Puntas liegt. Die Lage von Cachinal de la Sierra, welche
nach Pissis genommen war, muss nach Villanueva berich-
tigt, d. h. unter gleichem Meridian um 21 Breitenminuten
nach Norden verlegt werden. Tres Puntas ist bei Villa-
nueva, nur in der Breite um 5’ von Pissis abweichend, in 70°
7' W. L. und 26° 48’ 8. Br. niedergelegt ; der Dofia Ines-
Gipfel (5560 m.) in 68° 52’ und 26° 17’. Gelegentlich
einer neuen Verarbeitung des in Rede stehenden Gebiets
gedenken wir auf die Karte von Villanueva zurückzukommen.
J. G. Bennett's Polar-Expedition.
Unter enthusiastischer Theilnahme der Bevölkerung hat
das amerikanische Expeditionsschiff „Jeannette”, Capt. De
Long, am 8. Juli San Francisco zur Fahrt durch die
Bering-Strasse nach Norden verlassen. Das Fahrzeug, ur-
sprünglich „Pandora” getauft, wurde im Jahre 1862 auf
der Marinewerft in Devonport erbaut und zunächst an der
Westküste von Afrika bis 1867 in Dienst gestellt. Unter-
stützt durch Lady Franklin, G. Bennett und Lieutenant
Lillingstone erwarb der Polarfahrer Allen Young das Schiff
zu dem Zwecke, gleiohzeitig mit der 1875 unter Nares aus-
gehenden Expedition eine Forschungsreise in die Polar-
regionen zu unternehmen, wobei er die Nordwestpassage
bis zur Peel-Strasse verfolgte. Für den Winter nach Eng-
land zuriüickkehrend ging die „Pandora’” im folgenden Jahre
von Neuem durch die Davis-Strasse in die Polargewässer
und kreuzte vom 2. bis 27. August vor dem Eingang des
Smith-Sundes, um Nachrichten von der englischen Expe-
dition zu erwarten.
Im Jahre 1878 erwarb James Gordon Bennett, der
Eigenthümer des New York Herald, welcher sich bereits durch
die Aussendung der Stanley’schen Expeditionen nach Cen-
tral-Afrika hohe Verdienste um die geographische Forschung
erworben hat, das Schiff zum Zwecke einer von ihm zu
veranstaltenden Polar-Expedition durch die Bering-Strasse.
Eine vom amerikanischen Congress genehmigte und am
9. März v. J. vom Präsidenten unterzeichnete Bill gab dem
Dampfer die Erlaubniss, amerikanische Schiffspapiere zu
führen und ermächtigte den Präsidenten, Marine-Officiere
der Vereinigten Staaten zum Dienst auf dieser Polarfahrt
zu oommandiren. Am Tage der Abfahrt der schwedischen
Polarexpedition zur Nordostpassage, am 4. Juli v. J., wurde
die „Pandora” in Havre nach der Schwester Bennett's in
„Jeannette’” umgetauft, um bald darauf nach San Francisco
übergeführt zu werden, wo das Schiff, eine Dampfjacht
mit Barktakelung von 420 Tons Tragfähigkeit und 200
Pferdekraft, nach einer stürmischen Fahrt von 165 Tagen
eintraf. Hier wurde es auf der Regierungswerft von Mare-
Island für die bevorstehende Reise namentlich am Bug
verstärkt und mit manchen Verbesserungen im Zwischen-
deck versehen; zwei neue Kessel wurden eingesetzt und
verschiedene Reservestücke, u. A. zwei Ersatzschrauben &c.
beschafft. Für das Warpen im Eise kann mittelst einer be-
sonderen Vorrichtung auf Deck die Dampfkraft des Schiffes
benutzt werden. Die Cajütenwände sind zum Schutze
gegen die Kälte mit mehreren Lagen Filz ausgefüttert. Den
acht Böten, welche das Schiff ursprünglich führte, ist
ein zerlegbares Boot hinzugefügt worden, welches besonders
dazu oonstruirt ist, auch auf Schlittenreisen benutzt zu
werden. Selbstverständlich führt das Schiff alle Geräthe
und Werkzeuge mit, welcher die in das Eismeer gehenden
Schiffe bedürfen. Die Ausstattung an Segelwerk ist ausser-
ordentlich reich; die Gesammtfläche der verschiedenen
Segel beträgt fast 7000 Q.-F. Die Schnelligkeit des
Schiffes ist bei Fahrt in ruhigem Wasser nur 5 Knoten in
der Stunde, der Kohlenrerbrauch 3), Tons in 24 Stunden ?).
1) In einem Eingesandt der New York Times vom 19. Juli Aussert
ein amerikanischer Seemann, Capt. Larender, seine Meinung dahin, dass
das Schiff zu klein und nicht stark genug für die Fahrt im eisbedeck-
304 J. G. Bennett’s Polar-Expedition.
Die Ausrüstung des Schiffes mit Kohlen beträgt von
S. Francisco aus 120 Tons, wird indessen in Alaska, wo
das Schiff anlegen soll, noch ergänzt werden. Der Schuner
„Fannie A. Hyde” begleitet die Expedition bis zur Eis-
grenze und führt zu diesem Zwecke weitere 100 Tons Kohlen,
Provisionen und ein zerlegbares Haus mit, welches auf
Deck zur Überwinterung aufgestellt werden soll. Die
Verproviantirung, vorzugsweise aus Pemmikan (7500 Pfd.)
und Conserven bester Qualität bestehend, sowie die sonstige
Ausrüstung sind auf volle drei Jahre berechnet. Hunde
und Schlitten, so wie die von der Alaska - Pelzcompagnie
geschenkte Pelzkleidung werden theils in St. Michael
(Alaska), theils auf der St. Paul-Insel geliefert. Die Ex-
pedition ist von Edison mit einem Apparat zur Bereitung
elektrischem Lichtes, ferner mit Telephonen und leichtem
Telegraphendraht von 300 miles Länge versehen worden.
Der Befehlshaber der Expedition ist Capt. George
Washington De Long, geboren 1844 in New York, welcher
sich bereits 1873 als Officier des zur Aufsuchung der
„Polaris” ausgesandten U. S, Schiffes „Juniata’” ausgezeichnet
hat. Der erste Offhicier, C. W. Chipp, hat bei der
gleichen Veranlassung arktische Erfahrungen gesammelt.
Als zweiter Officier nimmt J. W. Dannenhauer an der Ex-
pedition Theil; der erste Ingenieur, G. W. Melville,
hat in gleicher Eigenschaft 1873 die Fahrt des Dampfers
ten Meer gebaut sei, auch bedauert er, dass kein Luftballon, mit oder
ohne Kabel, an Bord sei, mit dessen Hülfe man an dem zu Lande oder
zu Schiff erreichten nördlichsten Punkt mindestens Umschau nach Nor-
den hin hätte halten können. Gegen den ersten Einwurf scheint die
Erfahrung zu sprechen, dass kleinere Fahrzeuge von geringerem Tief-
gang noch immer schmale, für grössere Schiffe unpassirbare Canäle im
Polareis durchfahren und ihre Winterlage in flachen Buchten tiefer
ins Land hinein, also geschützter finden können.
„Tigress” zur Aufsuchung des Restes der Polaris-Mann-
schaft mitgemacht. Schiffsarzt ist Dr. J. M. M. Ambler.
Das wissenschaftliche Personal besteht aus J. J. Collins,
Meteorologe und Begründer des meteorologischen Bureau’s
des Herald, und dem Naturforscher R. L. Newcomb.
Die Obliegenheiten eines Eismeisters sind Capt. W. Dunbar
übertragen, welcher auf eine langjährige arktische Erfah-
rung als Waler zurückblicken kann und sowohl die Bering-
Strasse als auch die Baffin-Bai besuchte. Die Mannschaft
besteht aus 23 Personen: 7 Amerikanern, 1 Engländer,
1 Irländer, 5 Skandinaviern, 1 Rumänen und 5 Deutschen,
sowie 3 Chinesen (Koch, Steward und Kajütenjunge).
Selbst wenn das ausgesprochene Ziel dieser Expedition,
der Nordpol, nicht erreicht werden sollte, so dürfen wir
doch erhebliche geographische Erfolge erwarten, da bisher
noch nie ernstliche Versuche gemacht worden sind, mit
Benutzung der Dampfkraft durch die Bering-Strasse nach
Norden vorzudringen, und gerade in diesem Gebiet die un-
bekannte Region am weitesten nach Süden sich erstreckt.
Wie bereits früher mitgetheilt wurde !), hat nachweislich
hier noch kein Schiff den 72° N. Br. überschritten. Im-
merhin wissen wir nicht, ob nicht von Wrangel-Land aus,
dessen nördliche Ausdehnung wir nicht kennen, der Pol
möglicher Weise am leichtesten zu erreichen ist. Der
amerikanischen Nation, welohe durch Kane, Hayes, Hall
u. A. Bedeutendes in der Polarforschung geleistet hat, ist
ein grosser Erfolg wohl zu gönnen, besonders aber auch dem
nächsten Urheber, Herrn Bennett, welcher die ganzen sehr
bedeutenden Kosten, wenigstens 300000 Dollars, trägt.
!) Petermann’s Mitth. 1879. Heft 5, 8. 161 ff. Tafel 10.
Geographischer Monatsbericht.
Europa.
Von der „Zegistrande” der Geographisch - statistischen
Abtheilung des Preuss. Grossen Generalstabs ist der 9. Jahr-
gang erschienen, ein stattlicher, alle seine Vorgänger an
Umfang übertreffender Band. (8°, 574 Seiten.) Wir haben
diesem ausserordentlich nutzbaren und in mancher Be-
ziehung z. Z. einzig dastehenden Sammelwerk seit seinem
Erscheinen 1866 eine besondere Aufmerksamkeit zuge-
wandt und zuletzt den sechsten Jahrgang in den Geogr.
Mittheilungen (1877, S. 31) in eingehender Weise be-
sprochen. Da auch dieser neunte Jahrgang nach Einrich-
tung und Wesen den vorhergehenden Bänden durchaus
gleich ist, welche Continuität die Orientirung in dem ge
waltigen Material ungemein erleichtert, so können wir
unter Hinweis auf jene Besprechung hier nur anfügen, dass
derselbe im Ganzen an 10000 Quellennachweise und No-
tizen über geographisch-statistische Dinge und über das
Gebiet der Heeresorganisation und Formation der euro-
päischen Staaten und ihrer Colonien bringt.: Besondere
Beachtung darin verdienen die auf direoten Nachrichten
beruhenden Mittheilungen über die Landesaufnahmen in
Europa, sowie die sehr vollständigen Darlegungen der Fort-
schritte des Verkehrswesen. Für die Bibliotheken der
Behörden, Lehranstalten und Truppentheile, insbesondere
aber für die Bureaux der Anstalten für Handel und Ver-
kehr, sowie für die Redactionen grösserer Zeitungen bildet
die Registrande in allen Ländern geradezu eine unschätz-
bare Fundgrube und ein vorzügliches Mittel zur Orien-
tirung in der so ausserordentlich weitschichtigen Literatur
über Landes-, Staats- und Völkerkunde.
Oberst Siegfried, der gegenwärtige Chef des Bundes-
generalstabs in der Schweiz, war im vorigen Jahr auf der
Geographischer Monatsbericht. 305
Weltausstellung in Paris Mitglied der Internationalen Jury,
und hat in dieser Veranlassung unter dem Titel „Inter-
nationale Weltausstellung 1878 in Paris. Schweiz. (Geo-
graphische und cosmographische Karten und Apparate,
Classe 16”, einen Berioht geschrieben, der vom specifisch
schweizerischen Standpunkt ausgehend die Tendenz hat,
die in den officiellen topographischen Instituten anderer
Staaten für die Kartographie angewendeten Methoden mit
den im schweizerischen topographischen Bureau gebräuch-
lichen Verfahren zu vergleichen. In dem wirklich interes-
santen Büchelchen (71 S. kl. 8°) erhalten wir ein Bild
der Kartographie, das bei eigenartigen Gesichtspunkten des
Belehrenden in Fülle enthält, da die Untersuchungen des
Verfassers im Ausstellungspalast stets vergleichender Natur
waren, und er in seiner Eigenschaft als Jury-Mitglied Zeit
und Gelegenheit wie kein anderer hatte, Alles gründlich
durchzugehen. Wenn man nun die prächtigen offciellen
Aufnahmen der Schweiz kennt, und die hobe Blüthe der
schweizer Kartographie überhaupt in Betracht zieht, so ist
man fast erstaunt, wird aber dabei auf das Angenehmste
berührt, dass sich der Verfasser ohne die mindeste Über-
hebung und mit einer an Selbstlosigkeit streifenden Unpar-
teilichkeit ein nach allen Seiten hin so maassvolles und ge-
rechtes Urtheil zu bewahren gewusst hat. Bei der Be-
schreibung der neueren Verfahrungsweise der Kartenauf-
nahme und Production findet man zahlreich eingestreute
Bemerkungen und Nutzanwendungen, welche stets den sein
Fach vollständig beherrschenden, jedem Dilettantismus ab-
holden Mann documentiren. So z. B. lesen wir 8. 40:
„Wenn es sich darum handelt, Kartenwerke von künst-
lerischem Werth herzustellen, wird man den Stich nicht
verlassen”, so wie „dass die durch Photozinkographie und
Photolithographie erbaltenen Abdrücke mit den gestochenen
Karten nicht verglichen werden können” u. s. fe. Ziemlich
am Schluss, bei Vergleichung der Gesammtthätigkeit der
Privatindustrie der Schweiz mit derjenigen Frankreichs
kommt Oberst Siegfried zu dem Ausspruch, ‚dass seit 1871
bei unseren Nachbarn die Geographie bis zur Tollbeit be-
trieben wird”,
Das Buch ist in 3 Abtheilungen gegliedert, von welchen
der kartographische Bericht folgende Unterabtheilungen
entbalt: a. Topographische Karten, und zwar Generalstabs-
karten, Generalkarten. b. Kartographische Fragen. c. die
Aufnahmen und ihre Publication, d. Neuere Verfahren der
Kartenproduction und e. Einführung von neuen Verfahren”.
Wenn die allgemeinen Weltausstellungen in Zukunft
der Wissenschaft und Industrie mehr wirklichen Nutzen
bringen sollen, so empfiehlt es sich, dass die speciellen
Fachausstellungen ähnlich wie es hier geschehen, mehr in
vergleichender Weise an’s Tageslicht gezogen und in ent-
sprechender Weise verarbeitet werden. Dem Verfasser des
vorstehenden Buches aber kann das Zeugniss nicht ver-
sagt werden, dass er seine nicht eben leichte Aufgabe sehr
ernst genommen und sie mit Kenntniss und Geschick ge-
löst hat. Er darf des Dankes in betheiligten Kreisen ge-
wiss sein. —
Eine eben erschienene Karte „Schirmeck und seine
Umgegend, publicirt durch ZZeller, Controleur der directen
Steuern und vereideter Geometer”, in dem grossen Maassstab
von 1:40000 zum Gebrauch des Touristen eingerichtet
Petermaan’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VILL.
und mit einer ÖOrientirungstabelle versehen, ist wohl der
Hauptsache nach eine Vergrösserung der Sectionen Molsheim
und Barr aus der in der Geographisch-statistischen Abthei-
lung des grossen Generalstabs in Berlin bearbeiteten
„Neuen topographischen Specialkarte von Elsass- Lothringen”.
(S. Geogr. Mitth. 1879, 8. 68.) Doch haben wir bei einer
Vergleichung verschiedene Zusätze, insbesondere im Wege-
netz gefunden, welche Zeugniss davon geben, dass der Ver-
fasser speciell auf diesem Gebiet, das zu den landschaftlich
schönsten der noch viel zu wenig bekannten Vogesen gehört,
heimisch ist. Die Karte ist in drei Farben ausgeführt,
blau für die Gewässer, schwarz für Wege und Culturen
und braun für das Terrain, durchgehends deutlich lesbar,
und hat den besonderen Vorzug, dass sie auf dem Rand
mit kurzen Notizen versehen ist, welche über Excursions-
punkte, Post- und Telegraphen-Ämter, Eisenbahnstationen,
Gasthäuser und Erfrischungsstationen &c. jede gewünschte
Auskunft geben. Wer daher jene Gegend bereisen will
und eines Führers bedarf, wird diese Karte nicht über-
sehen dürfen. Vgl.
In der Zeitschrift der Deutschen Geologischen (tesell-
schaft 1879, Heft I, veröffentlicht A. Penck eine Abhand-
lung über die Goschiebeformation Norddeutschlands. Der
Verfasser beschreibt zunächst eingehend den über die
norddeutsche Ebene weit verbreiteten Geschiebelehm und
deutet diesen, nach einem Vergleiche mit den entsprechen-
den Ablagerungen der Skandinavischen Halbinsel, als die
Grundmoräne eines grossen Gletschers, welcher sich von
Skandinavien bis England, bis an die Gehänge der mittel-
deutschen Gebirge, den Harz, das Erz- und Riesengebirge
und in den Ebenen Russlands bis Kiew ausdehnte. Weiter-
hin wird die Geschiebeformation der Mark Brandenburg,
der Provinzen Preussen und Schleswig-Holstein, von Däne-
mark und Schonen und von Sachsen untersucht, wobei ge-
zeigt wird, dass hier überall, mit Ausnahme Sachsens, drei
verschiedene Geschiebelehme regelmässig wiederkehren,
woraus auf eine dreimalige Vergletscherung des oben an-
gegebenen Gebietes innerhalb der Diluvialzeit geschlossen
wird. Demnach werden in Übereinstimmung mit den ge
legentlich der Untersuchung des schottischen Diluviums
erzielten Resultaten drei Eis- oder Glacialzeiten unter-
schieden, welche durch Interglacialzeiten getrennt werden.
Während der ersten Interglacialzeit hatte Norddeutschland
ungefähr dieselbe Configuration wie jetzt, die Ostsee hing
vermuthlich mit dem Weissen Meere zusammen. Es wird
zum Schlusse hervorgehoben, dass astronomische Verhalt-
nisse, also nicht bloss geographische, die Ursachen dieser
Eiszeiten sein dürften.
Ein für die physische Geographie des Donaugebietes
sehr beachtenswerther Aufsatz von Prof. Frans Toula: Ein
Blick auf die hydrographischen Verhältnisse der Donaw-
Theiss- Niederung ') erörtert die Ursachen der Theiss-Über-
schwemmungen und findet, dass dieselben wesentlich durch
eine Verbreiterung der Donauengen bei Plocsa und im Kazan,
wo die Strombreiten nur 130 und 150 m betragen, und
durch einen das Hochwasser der grossen Theisszuflüsse mit-
telst grosser Reservoirs aufnehmenden und auf kürzerem
Wege zur Donau führenden Sammelcanal gehoben werden
1) Wiener Abendpost 24—26. Juni 1879. N. 143—145.
FT)
306 Geographischer Monatsbericht.
würden. Hand in Hand mit diesen beiden grossartigen Ar-
beiten müsste die Schonung der Wälder im Oberlauf der
Flüsse, die Aufforstung der Abhänge, wo solche möglich,
und die Anlegung von Waldwiesen gehen.
Der bekannte Alpenkenner A. Waltenberger hat seinem
vor zwei Jahren in neuer Bearbeitung veröffentlichten
Führer durch Algäu, Vorarlberg &c. jetzt ein weiteres Reise-
handbuch über eins der interessantesten Alpengebiete folgen
lassen: Stubas, Oetsthaler- und Ortlergruppe, welches durch
seine Gründlichkeit und Genauigkeit jedem Reisenden in
diesen Lieblingsgebieten der Tyroler 'Touristen ein sehr will-
kommenes Hülfsmittel sein wird.
Dr. F. W. P. Lehmann erörtert in einer Broschüre die
Ursachen der Wildbäache der Alpen '), ihre Verheerungen und
die Mittel zur Bekämpfung der letzteren. Diese erblickt
der Verfasser in Reformen der Weide- und Alpwirthschaft,
in der Wiederbewaldung und in wasserbautechnischen Ar-
beiten verschiedener Art.
Der 14. Jahrgang des Jahrbuchs des Schweizer - Alpen-
clubs 1878/79 (Bern 1879. 632 SS. 2 Karten, 23 Ansich-
ten, Profile &e.) bringt zunächst mehrere werthvolle Ar-
beiten über das officielle Excursionsgebiet des Clubs 1878
und 1879, das Massiv des Bernina mit dem angrenzenden
Bergell und Oberhalbstein und einem Theil von Avers:
Le groupe de la Bernina et vall&es limitrophes von J.-L.
Binet-Hentsch, die Überwindung der Berninascharte von
Dr. P. Güssfeldt, der Piz Julier oder Munteratsch von C.,
Kaufmann u. A. Unter den Fahrten ausserhalb des Ex-
cursionsgebietes finden wir u. A. die Ersteigung des Jung-
fraujoches von Dr. H. Düby, Geologische Wanderungen im
Aare- und Rhone-Gebiet von E. von Fellenberg, die Er-
steigung des Hohen Thurm’s von J. J. Schiesser; unter den
Abhandlungen eine erschöpfende Arbeit mit Karte von
Prof. A. Heim über die Erosion im (Gebiete der Reuss,
worin er nachweist, dass die obere Reuss an ihrer Mün-
dung in den Urner-See durchschnittlich 150000 Cubm.
Geschiebematerial jährlich anlagert. A. Wäber bietet einen
höchst interessanten Aufsatz mit Karte über die Sprach-
grenzen in den Alpen. Danach sprechen von je 10000
Alpenbewohnern 3444 deutsch, 2667 italienisch, 2556 fran-
zösisch, 1056 slovenisch, 222 furlanisch und 55 rhäto-
romanisch.. Auch dieser Jahrgang ist sehr reich ausge-
stattet mit Illustrationen sowohl in Holzschnitt als in
lithographischem Farbendruck.
Die „Geografisk Tidskrift” enthält im ersten Hefte 1879
einen sehr interessanten Artikel von Premierlieutenant
P. Hansen: Die Sturmfluth vom 13. November und die
durch dieselbe verursachten Arbeiten auf Laaland und Falster.
Von diesen ca 30 geogr. Q.-Meilen grossen Inseln waren
damals 4 Q.-Meilen überschwemmt; die grösste Höhe der
Fluth betrug 12 F. über dem gewöhnlichen Wasserstande.
Mit einem Kostenaufwande von fast 3 Millionen Mark sind
diese Inseln jetzt durch einen Deich bis zu dieser Höhe
geschützt worden, durch dessen Bau *,s Q.-Meilen dem
Meere abgewonnen wurden.
In der gegenwärtigen Reisezeit kommen zwei lang ent-
behrte Handbücher zu sehr gelegener Zeit. Von dem Di-
rector des Ethnographischen Museums in Christiania Yng-
I) Breslau, Maruschke, 1879.
ver Nielsen ist die vierte Auflage von Meyer’s Reisebuch
für Norwegen, Schweden und Dänemark einer gänzlichen
Umarbeitung unterzogen worden, bei welcher einer Reihe
bereisenswerther Routen durch Dänemark, so wie viele
neue Touren durch Schweden aufgenommen wurden. Be-
sonders beachtenswerth und brauchbar für den Reisenden
sind die Skizzen über Land und Leute, welche dem jedes
Königreich behandelnden Abschnitte vorausgeschickt sind.
Ausgestattet ist dieses Reisebuch mit 14 Karten, die je-
doch in dem kleinen Maassstab 1:1000000 ausgeführt sind;
auch vermisst man eine Karte der Touren im nördlichen
Norwegen bis zum Nordcap. In dieser Beziehung ist
K. Bädeker's Schweden und Norwegen nebst den wichtigsten
Reiserouten durch Dänemark besser ausgestattet, da der
grössere Maassstab 1:500000, in welchem die meisten der
beigegebenen 17 Karten ausgeführt sind, die Benutzung
erleichtert. Nach den besten vorhandenen Quellen, der
schwedischen Generalstabskarte, den norwegischen Amts-
karten und der topographischen Karte von Norwegen, be-
arbeitet, können sie als das Genaueste gelten, was bisher
in Reisehandbüchern über diese Länder publicirt worden ist;
an Deutlichkeit lassen aber auch sie zu wünschen übrig, so
z. B. macht die Wahl der Farben und Schraffirung es
nicht auf allen Blättern möglich, sofort Gletscher und Seen
zu unterscheiden. Der Text ist mit der bei allen Bädeker’-
schen Handbüchern bekannten Sorgfalt redigirt worden.
Das soeben erschienene erste Blatt der Geologischen Auf-
nahme von Finnland im Maassstab 1:200 000 umfasst den
südöstlichen Theil von Abo-Björneborg und den westlichen
Theil von Nyland. In der Mitte der 60ger Jahre wurde
eine einheitliche geologische Aufnahme in Finnland unter
Leitung des berühmten Mineralogen, Staatsraths N. Norden-
skjöld, Vaters des Polarforschers, in Angriff genommen. An-
fangs war die Veröffentlichung der Kartenblätter im Maass-
stabe 1:50000 projectirt; um einen Anschluss an die
schwedischen geologischen Aufnahmen zu erzielen wurde
später eine Reduction auf 200000 beschlossen. Die Be-
endigung der Arbeit ist bis zum Jahre 1886 in Aussicht
genommen und zwar mit einemfjährlichen Aufwande von
15 000 Mark (finnisch).,
Asien.
Über die im Jahre 1878 durch die topographische Ab-
theilung des Orenburger Militärbezirkes ausgeführte Unter-
suchung des Ufergebietes an der NO-Küste des Kaspischen
Meeres, des Gebietes der Tentjak-Sor zwischen dem unteren
Laufe des Ural und der Emba berichtet der „Russische
Invalide” nach officiellen Quellen. Zunächst veranlasst
wurde die Untersuchung durch die Kunde, dass in dem
Gebiete Salzseen vorhanden wären und Astrachaner Fischer
daselbst Einsalzstationen angelegt hätten. Die Existenz
verschiedener Seen, unter ihnen des 6 Werst langen und
2), W. breiten Iskene-Sees wurde bestätigt. An der Ost-
geite des letzteren befinden sich Asphalt-Lager und Naphta-
Quellen. Die astronomische Bestimmung der Lage von
Gurjew und des Brunnens Blja uli ergab, dass das Meeres-
ufer auf den Karten um 12 Werst nach O verlegt werden
muss. Der Fluss Sagys verliert sich nicht in Salzsümpfen,
sondern mündet in 2 Armen, dem Kara-Baschak und dem
Alpys-At in’s Kaspische Meer.
Geographischer Monatsbericht.
Über die im VI. Monatsbericht d. J. (S. 230) kurz
erwähnte Reise des russischen Obersten N. J. Grodekow von
Hissar nach Herat verlauten jetzt in russischen Blät-
tern interessante Einzelheiten, auch ist eine Marschrouten-
karte hergestellt worden. Der Weg ging aus der schilf-
bedeckten Amu-Niederung über eine wasserlose Sandebene,
vorüber dem Flecken Siagird nach der von 25000 Us-
beken und Afghanen bewohnten in einer wohlangebauten
Gegend belegenen Hauptstadt des afghanischen Turkestan
Masar-i-Scherif (Balch), in deren Nähe die kleine Festung
Tachtapul liegt. Bis Masar-Sainal-Obedin-Baimar erstreckt
sich eine fruchtbare Ebene. Unweit des Dorfes Didagad
wird die Strasse von dem wasserreichen Balch durch-
schnitten. Durch das breite Schibirchan-Thal wurde Sal-
masar am Flüsschen Ssaripull und 38 km weiter die
gärtenumgebene, von 3000 Usbeken bewohnte Stadt dieses
Namens (Siripul) erreicht. 15 km vor der Stadt theilt
sich der Fluss in zwei Arme, welche fast parallel zwischen
steilen Ufern durch eine als fiebererzeugend berüchtigte
Gegend fliessen,
Auf einem als afghanische Militärstrasse durch eine
Schlucht gebauten Weg gelangte man sodann über Furgan-
teke in einen Bergkessel, den die Quellbäche des Nürsa-
Aulang durchströmen, sodann durch zwei andere mit Thä-
lern abwechselnde Schluchten in das Maimenethal. Die
befestigte Stadt Maimene wurde vor 3 Jahren von den
Afghanen erstürmt und ist nur noch eine Ruine. Darauf
führt der Weg durch das Kaisarthal über Kaisar und
Tsoharschambe, vorüber an den Trümmern der Festung
Tachta-Chatik zum Fuss des auf der anderen Seite steil
abfallenden hohen Kara-Dschangal-Gebirges. Der Pfad
durch das Murgbabthal, mit dichtem Gras und Schilf be-
deckt, war schwierig zu passiren. Von Kelai-Maur, den
Kuschkfluss entlang über das Gebirge Chasret-i-Baba (Ghur)
wurde endlich das von Herat nur 18 km entfernte Dorf
Schirmes erreicht.
Im Anschluss an unsern vorläufigen Bericht über den
zweiten Theil der Pamir- Reise Ssewerzsow's (im Januar 1878,
S. 230) folgen hier noch, auf Grund des in der Sitzung
der russischen Geogr. Gesellschaft vom 28. Mai von dem
Reisenden selbst erstatteten Berichts, einige weitere Mit-
thbeilungen über diese wichtige Expedition, durch welche
der Pamir in seinen Hauptzügen recognoscirt und seine Be-
ziebhung zum Thianschan festgestellt wurde. Die Expe-
dition ging von Osch aus. Während die beiden Topo-
graphen die Linie nach dem Kara-kul und die topographische
Aufnshme dieses Bassins übernahmen, begab sich Ssewerzow
in das Quellgebiet des Kaschgar-darja, um die Beziehungen
zwischen dem Pamir und dem Thianschan zu studiren,
Ende Juli trafen die Mitglieder der Expedition wieder am
Kara-kul zusammen, dessen Aufnabme noch nicht zu Ende
geführt werden konnte, weil der eine der Topographen,
Rudnew, wegen Krankheit heimkehren musste. Die Expe-
dition wandte sich nun dem unbekannten Gebiete zu, wel-
ches zwischen den Marschrouten Forsyth’s (1873) und
Kostenko’'s (1876) liegt. Der Weg ging den nördlichen
Ak-Baitalfluss hinauf; nach Übersteigung eines 15000 F.
hohen Passes wurde der südliche Ak-Baital erreicht und bis
zur Mündung in den Ak-su verfolgt. Vor Ankunft an dieser
Mündung wurde die Expedition wegen Mangel an Salz,
307
dessen Vorrath erst von den Pamir’schen Kirghisen ersetzt
werden musste, zu einem Halt genöthigt. Diese Pause be-
nutzte Ssewerzow zu einem Streifzug in das bisher völlig
unbekannte Gebiet von Ran-kul-Pamir und gewann damit
Klarheit über die bisher streitige Orographie im Osten
des Pamir, welobe weder aus einem Bergrücken (wie Hayward
glaubte), noch aus einem Steilabfall (wie Fedschenko an-
nahm), sondern aus einem breiten Gebirgssysteme besteht.
Die von Hayward gemessenen Spitzen der Kisiljart-Berge
(21000 und 25800 F.) liegen auf gesonderten Gruppen
kurzer Schneeberge und zwischen ihnen in einer Ausdehnung
von etwa 50 km befindet sich das Kesselthal des kleinen
Kara-kul, welches durch ein sehr verwickeltes System kur-
zer, relativ niedriger Berge von 14—15000 F. Höhe ge-
bildet wird.
Nachdem ein Punkt am Ran-kul astronomisch bestimmt
war, kehrten Ssewerzow und der Topograph Skasy an den
Ak-Baital zurück, welcher Fluss bis zu seiner Vereinigung
mit dem Ak-su verfolgt wurde. Nun suchte man das un-
bekannte Gebiet des Alitschur Pamir auf, ging zunächst
am Kara-su, einem Nebenfluss des Ak-su, hinauf, überstieg
den 14000 F. hoben Pass Naisa-Tasch und verfolgte den
Alitschur bis an den von ihm durchströmten Jaschil-kul,
in dessen Osten eine Gruppe von Seen entdeckt wurde.
In Folge Mangels an Proviant — die Zufuhr war von den
Kirghisen abgefangen worden — musste Ssewerzow auf ein
weiteres Vordringen verzichten; er wandte sich zum Kars-
kul zurück, dessen Aufnahme nunmehr beendigt wurde.
Der Kara-kul liegt in der Ausweitung eines sehr langen
Thales, welches sich östlich zum Flusse Kok-schai und süd-
westlich zum Ak-su öffnet. Die beiden in früherer Zeit
bestandenen Abflüsse sind eingetrocknet, der stidwestliche
jedoch in so fern nicht ganz, als durch denselben, aber
nur bei hohem Wasserstande und nicht alljährlich, der
See ın das Thal der Kudara, eines Nebenflusses des Mur-
gab, fliesst. Am 14./26. September war die Expedition in
Gultscha, Ferghana, zurück, um nach kurzer Rast, welche
zur Ordnung der Sammlungen und neuen Vorbereitungen
benutzt wurde, zum Tar, welcher nordöstlich von Gultscha
dem Syr-darja zuströmt, aufzubrechen. Bei tiefem Schnee
wurde der Pass Ak-Bogas überschritten; die ungünstige
Witterung erzeugte leider unter den Mitgliedern der Expe-
dition den Typhus, an welchem 6 Begleiter erkrankten.
Ssewerzow konnte in Folge dessen nur bis zur Woasser-
scheide des Tar und Kaschgar-darja vordringen; hier wur-
den zwei Punkte astronomisch bestimmt. Ende October
war die Expedition in Usgent zurück. — Neben der Er-
forschung des Pamir hat die Expedition das verbindende
Gebiet in der Richtung nach dem Thian-schan explorirt.
Das gesammelte geologische Material genügt, um eine Geo-
logie des Pamir bearbeiten zu können. An Sammlungen
brachte die Expedition mit: 60 photographische Land-
schaftsaufnabmen, 20 000 Exemplare von etwa 1000 Arten
Pflanzen, und eine sehr reiche zoologische Ausbeute, welche
die bisher vom Pamir bekannten Arten von 10 auf 60
Säugethiere, 4 Arten von Fischen auf 20, 110 Vogelarten
auf 350 erhöht.
Der neueste auf 1377—78 bezügliche Report of the
Trigonometrical Survey of India enthält u. A. die Resul-
tate einer im Sommer 1877 ausgeführten ZAeise ron ('. E.
308
Ryall in Hundes (District im westlichen Theil des chine-
sischen Tibet) und den angrenzenden Gegenden. Rpyall
setzte die Milam-Thal-Aufnahme bis zur Grenze von Hun-
des oder Nari-Chorsam fort und bestimmte trigonometrisch
38 Gipfel in der Umgebung der Mansaraur-Seen und am
Satladsch. Die höchste Spitze ist der Gurla Mand’hata,
25360 F. Nach Ryall’s Meinung ist die Schneelinie in
Hundes überall selten unter 20000 F. Eine andere Ab-
theilung unter Führung von 7. Kinney explorirte das
westliche Queligebiet des Ganges von Nilang aufwärts und
T'haparang, einen der drei Districte von Hundes. Nach seinen
Ermittelungen ist der Jadh Ganga der westliche Zufluss des
Ganges und mit Ausnahme der Quellwasser des Tons und
Jumna, überhaupt der westlichste von den Abflüssen aus dem
Himalaya, welche sich in die Bai von Bengalen ergiessen.
Von Morits Dechy erhielten wir folgende Mittheilung
über den Verlauf seiner Expedition im Himalaya:
„Nachdem ich Dardschiling verlassen, schien mir ein
Gelingen — selbst mehr als ich zu hoffen wagte — wahr-
scheinlich — nämlich, nachdem ich einen Mann als Träger
zugewiesen erhielt, der lange Zeit einen Salzschmuggel von
Tibet via Nepal nach Siıkkim betrieben und auf dessen
Weg ich, ohne Hindernisse durch Gewalt, in Tibet einzu-
dringen hoffte, so dass beim Niedersteigen in ein bewohntes
tibetisches Thal, man mich nur über Kongra La nach Sik-
kim hätte zurückexpediren können. Es sollte anders kommen
und ich Elend erleben, wie es grösser nicht gedacht wer-
den kann. — 10 Märsche von Dardschiling bei ca 8000 F.
ım Walde, zwei Märsche vom letzten bewohnten Orte, brach
ich unter einem Malariafieber zusammen. Eine Woche lag ich
in meinem Zelte, am Boden, bei einer Temperatur unter 0°,
welche das Wasser im Zelte frieren machte, ohne ärztliche
Hülfe als mein Chinin, ohne jedweden Comfort, wenn diess
Wort überbaupt anwendbar is. Am 23. März war ich
in einem Zustande der Agonie, so dass ich — halb be-
wusstloo — zu Branntwein und Ammoniakäther Zuflucht
nahm. Nachdem das Fieber nachgelassen, war ich wage-
halsig genug meine Reise fortzusetzen, jedoch zwei Tage
später, in einer Höhe von 13600 F. bei einem Minimum
von 18° F.(—6,6° C.), brach das Fieber wieder — in Folge der
Anstrengung beim Marsche — durch, diessmal etwas schwä-
cher, aber mit heftigen Schmerzen in der rechten Seite,
also einer Leberentzündung, verbunden. Es dauerte
lange bis ich wieder mein Zelt verlassen konnte. Mein
Serdar (Hauptführer) lag an Fieber und Pleuritis im Ster-
ben, einige meiner Träger hatten gleichfalls Hitze und
Fieber. Es fiel meist Tag und Nacht Schnee in ge-
frornem Zustande. An schneefreien Tagen stürmten feuchte
Nebeldünste von Süden heran. Ich war in einem Zu-
stande steter Entkräftung und musste das Verfolgen meines
Planes aufgeben. Wie schwer mir diess wurde, können
Sie sich denken. Ich suchte wenigstens meine meteoro-
logischen Beobachtungen fortzusetzen, Pflanzen zu sammeln,
zu photographiren und topographische Croquis zu machen.
Den Rückweg nach Dardschiling aber wieder auf gleichem
Wege, durch die mit heisser Malarialuft erfüllten Sikkimthä-
ler zu machen, welche mich früher zwangen, täglich einen
Bergrücken von 4—6000 F. zu übersteigen, um sodann
wieder zum Flussbette durch Dschungelwald hin 1500— 2000
Fuss niederzusteigen, wollte ich um jeden Preis vermeiden.
Geographischer Monatsbericht.
Ich dachte mir, dass es möglich sein müsse, theils auf der
Grenzkette zwischen Sikkim und Nepal, theils durch Nepal
selbst, rückwärts vorzudringen und die Singalelahkette auf
diesem Wege zu erreichen, was in umgekehrter Richtung
schon Gebr. Schlagintweit machen wollten. Es gelang
mir auch in 14 Tagen diese Route zurückzulegen. Aber
unter welchen Schwierigkeiten! Meine Träger erfroren
bald — barfüssig wie sie waren — in einem Schneesturme
auf einem beinahe 18000 Fuss hohen Schneepasse. Die
Folge davon war, dass mich meine Träger verlassen
wollten. Es war eine prekäre Lage. Sodann fanden wir
für drei Tage kein Wasser — 1!/, Tage hatten meine
Leute Nichts gekocht und absolut Nichts gegessen. Ich
hatte noch 16 Träger mit mir. Aber ich bin überzeugt,
dass ich, wenn diesen Weg zuerst wählend, dem elenden
Fieber nicht erlegen wäre. — Während der ganzen Reise
habe ich zahlreiche Höhenmessungen mit Mercurialbaro-
meter, Aneroid- und Kochpunktthermometer gemacht, mit
prismatischm Kompass und Nivelleur gearbeitet; eine
Reihe von photographischen Aufnahmen gemacht &c.
An eine Fortsetzung meiner Reise in Indien war nicht
zu denken.
Ich kehre mit gebrochener Gesundheit (T,eberleiden) zu-
rück. Wenn wenig im Vergleiche zu meinen Plänen, so glaube
ich doch manches geognostisch Interessante von meiner
Reise mitzubringen, einen neuen Weg zurückgelegt und meh-
rere Tage durch Nepal auf unbetretenen Pfaden gewandert
zu sein. In Dardschiling interessirte sich Alles, auch der Gou-
verneur von Bengalen, für diese Route, welche der Han-
delsweg via Sikkim nach dem östlichen Nepal und von dort
nach Tibet zu sein verspricht. — In Summa doch Etwas
für meine Opfer an Zeit, Geld und Gesundheit! —
Die „Mail” vom 9. Juni veröffentlichte einen Auszug
aus dem Reisejournal des Reverend Cameron, Missionar der
China Inland-Mission, über seinen Zug durch zum grossen
Theil noch wenig bekannte Gegenden des südwestlichen
Chinas nach Bhamo. Herr Cameron ging von Schanghai
mit dem bekannten Missionar M’Carthy aus, seine eigent-
liche Reise begann von Tschung King in der Provinz Sse-
tschuan, und zwar nach dem östlichen Tibet, welches einen
Theil der eben genannten Provinz bildet. Den ersten Theil
machten zwei andere Missionare mit, diese mussten indes-
sen später Krankheits halber umkehren. Die sehr weit-
läufig gebaute Hauptstadt von Sse-tschuan, Tsching-tu-fu,
wurde am 12, September 1877 erreicht. In der nächsten
Stadt, Pı-Hiön, vernahm Herr Cameron, dass auf 90 Li
Entfernung in den Bergen eine von 200 Zöglingen besuchte
katholische Schule mit einer Art Priesterseminar sei, wo
vier französische Priester junge Leute für den Geistlichen-
stand heranbildeten. 50—60 miles westlich von Tsching-tu
kamen die Reisenden bei der etwa 10000 Einwohner zäh-
lenden Stadt Kwan-sien an den Ausgang des bisher durch-
zogenen Thales und sahen sich am Fuss von Bergen, deren
Spitzen von Wolken bedeckt waren. Im Bett eines sanft
fliessenden Stromes zeigte sich ein Pfahlbau mit einer Ga-
lerie und mehreren, einige Fuss über dem Wasser belege-
nen Zimmern. Ein nunmehr gemachter Versuch, hier durch
die Berge vorzudringen, musste wegen der Schwierigkeit
des Weges aufgegeben werden, man kehrte nach Pi-Hiön
zurück und schlug von hier aus eine südlichere Route zur
Geographischer Monatsbericht. 309
Grenzstadt von Ost-Tibet, Ta-tsien-lu, ein. In Tsang-Kiang-
tschau empfing Herr Cameron Besuche von Römisch-Katho-
liken, die hier eine Kapelle und einen französischen Priester
und in der nächsten, 15000 Einwohner zählenden Stadt
Kiang-tschau sogar eine Kirche haben. Eine auf 15 Bögen
ruhende Brücke über den Manho-Fluss führte in eine ge-
birgige Gegend voll landschaftlicher Reize. Die Berge
waren theils bebaut mit Getreide und anderen Cultur-
pflanzen, theils mit Gebüsch bedeckt. Am 28. September
wurde die bedeutende Stadt Ya-tschau, das grosse Handels-
thor zu Tibet, erreicht. Hauptartikel ist zunächst der den
Tibetanern unentbehrliche Ziegelthee, sodann Baumwolle,
Nadeln, Zwirn u. A. Hinter Yung-King-Hiön zeigten sich
die ersten Spuren des nahen Tibet in einem Lama mit
einem zahlreichen hauptbeschorenen Gefolge. In Teing-Ki
Hiön kehrten die zwei Begleiter des Herrn Cameron um,
sie besuchten einen interessanten Berg-Volksstamm, die
Lotos, im Süden von Sse-tschuan und im Norden von
Yünnan. Herr Cameron setzte seine Reise allein, nur von
einem Kuli begleitet, durch ein prächtiges, wohlbewässer-
tes, gut angebautes Land, das reich an Städten und Dör-
fern und an Verkehr war, fort und traf am 15. October
in der kleinen, halb von Chinesen, halb von Tibetanern
bewohnten Grenzstadt Ta-tsien-lu ein. Bis hieher herrscht
direct das Gebot der Mandarinen, jenseit des Orts wird das
Volk von eignen Herrschern regiert, die aber von den Chi-
nesen abhängig sind. Die Sprache fand Herr Cameron auf
seiner ganzen Route, von gewissen Dialektverschiedenheiten
abgesehen, als eine und dieselbe. Eingeborene, die im Innern
Tibets, jenseit Lhassa, gereist waren, berichteten, dass auch
dort dieselbe Sprache gesprochen würde, und bestätigten
diess später die französischen Priester in Bathang. Auch
ın der Grenzstadt Ta-tsien-Ju war ein römisch-katholischer
Priester, mit etwa 80 Convertiten. Einige miles hinter
der Grenzstadt bis nach Bathang ist der Weg selten nie-
driger als 12000 Fuss. Ein Gebirgspass kurz vor Litang
wird von Captain Gill als 13700 F. hoch und ein anderer
vor Bathang 15600 F. hoch angegeben; in der Nähe ragt
der prächtige, 22000 F. hohe Kinda. Nach Lithang steigt
der Weg immer mehr, zum Theil über schneebedeokte
Berge, an. Die 12500 F. hoch gelegene Stadt Lithang
wurde am 23. October erreicht, die Bevölkerung wird auf
1000 Familien angegeben. Viehweiden giebt es hier noch
ın Menge. Herr Cameron besuchte hier zwei von Männern
und Frauen bewohnte Lamaseris. Auf einer beträchtlichen
Strecke ging nun der Weg über ein wildes, ödes, schwach
bewohntes Tafelland. Bathang liegt nur 8000 F. hoch, nach
Süden offen, nach Norden, Osten und Westen wohlge-
schützt; das Klima ist daher trotz der hohen Lage ein
warmes. Das nächste Ziel war die etwa 10000 F. über
Meeresfläche liegende Stadt Ah-ton-tsi, wo Herr Cameron
18 Tage krank lag. Der Weg dahin folgt zunächst dem
Bathang-Fluss bis zu dessen Vereinigung mit dem Kinscha
(Yangtse), geht dann eine Strecke am linken Ufer des letz-
teren, überschreitet darauf den Strom, um schliesslich über
die Bergkette, welche die Wasserscheide zwischen den
Flüssen Kinscha und Lantsan bildet, zu steigen. Am
9. December kam er in Wei-si und am 23. December in
Talifu an, von wo aus die Reise auf der M’Carthy’schen
Route durch ziemlich bekanntes Gebiet zu Ende geführt wurde.
Über die Expedition des Grafen Bela Scechenyi nach
Tibet liegen günstige Berichte vor. Am 7. Dechr. v. J.,
mit seinen Begleitern Oberlieuteuant G. Kreitner und
L. Loczi, von Schanghai aufgebrochen, ist er im Februar
in Lan-tschu-fu, der Hauptstadt der Provinz Kansu !), trotz
aller Strapazen — die Kälte war andauernd und durch-
dringend bis zu —19° C. —, im besten Wohlsein einge-
troffen. Die durchzogene Provinz Schensi, in welcher
gleichwie in Schansi und Honan die Hungersnoth wüthete,
bot mit ibren verfallenen und menschenleeren Dörfern,
ihren unbebauten Feldern ein trostloses Bild des Jammers
und Elend. Am 24. Februar wollte Szechenyi nach Su-
tschu aufbrechen, welches in 25 Tagen zu erreichen ist,
doch konnte, da in Liang-tschu-fu und Kan-tschu-fu ein
längerer Aufenthalt genommen werden sollte, das Eintreffen
daselbst nicht vorher bestimmt werden. Die Eisdecke des
Hoang-Ho war zur Zeit noch stark genug, schwere Last-
wagen zu tragen. Lan-tschu-fu ist in diesem Jahrhunderte
nur von Oberst Sossnowski 1875 besucht worden. Die Pro-
vinz Kansu wurde auch vom Obersten Przewalski auf sei-
ner Expedition zum Kuku-nor durchreist.
Über mehrere Reisen in Japan erhielten wir von Herrn
E. Knipping einige interessante Mittheilungen:
Die nachfolgenden Notizen über die Provinz Xar (Koshu
mit der Hauptstadt Kofu) verdanke ich einer gütigen Mit-
theillung des Herrn Wada, Beamten des geographischen
Bureau’s, der die Provinz hauptsächlich zum Zweck geolo-
gischer Untersuchungen bereiste, aber ausserdem sämmtliche
Routen topographisch aufgenommen hat. — Begrenzt wird
Kai (Yamanashi Kiu) im N von Shinano (Sakugori) und
Musashi (Chichibugori), im O von Musashi (Tamagori) und
Sagami (Tsukuigori), im S von Sagami und Suruga (Ashi-
gara-kamigori), im W von Suruga (Skidagori) und Shi-
nano (Ona und Suwagori). Die Ausdehnung von N nach 8
beträgt etwa 18 Ri, von O nach W 19 Ri, der Umfang
58 Ri, der Flächeninhalt 272 Q.-Ri. Mit Ausnahme des
Tsurugori im O gehört die ganze Provinz zum Flussgebiet
des Fujikawa, der diesen Namen aber erst von Kajikasawa
an führt, wo er durch den Zusammenfluss des Kamanashi-
gawa (von NNW) mit dem Fulfuki gawa (von NO) und
dem Ashikawa (von O) eine beträchtliche Grösse erreicht.
Weiter nach der Mündung hin nimmt er auf dem rechten
Ufer noch den reissenden Hayakawa auf. Im östlichen
Theil von Kai, Tsurugori, liegen die Quellen der Flüsse
Tamagawa und Baniugawa. Die Gebirgszüge laufen in der
Richtung von N nach S, oder von O nach W; zu erste-
ren gehören alle Granitgebirge (Komagatakezug, Hagiwaras-
yama &c.) mit Ausnahme des Omureyama (östlich vom
Fujiyama) und des Kimpusan, welche letztere beide OW
ziehen; alle Grauwacken, Thonschiefer und Diabas-Gebirge
ziehen in ostwestlicher Richtung, mit Ausnahme des Shi-
ranezuges, der NS verläuft. — Granit bildet die Grundlage
des Landes, mit Diorit und Porphyr; das Vorkommen
krystallinischer Schiefer, Chloritschiefer, Talkschiefer mit
Kalk ist beschränkt; sehr verbreitet die paläozoische For-
mation, Thonschiefer und Grauwacke (ohne Versteinerungen),
Diabas, Metaphyr (Eruption dieser Periode.,. — Neuere
Formation: Conglomerat und Tuff mit Muris-Conchylien
!) Vergl. Petermann’s Mitth. 1876, Tafel 1.
310 | Geographischer Monatsbericht.
und etwas Braunkohle, Andesit und Trachyt, Eruptionsmasse
dieser Zeitperiode (Yatsugatake, Kayagatake, Mitake und
Fuji bildend). — Vom Fuji aus füllt das Thal des oberen
Baningawa ein Lavastrom bis zur Biegung des Flusses
nach OSO. — Gold kommt als Berg- und Sandgold vor
bei Ho (Komagori), sehr reines Erz in Grauwacke und
Thonschiefer. Schlechte Kupfererze (durch Schwefelkies
verunreinigter Kupferkies) kommen vor in Kawaura (Yama-
nashigori) und Kanoyama (Yatsushirogori), bei Saibara
(Tsurugori) arme Bleierze; Molybdänglanz in dünnen Blätt-
chen im Granit von Komagatake (Komagori); Bergkrystalle
am Kimpusan (Komagori) und bei Takemori (Yamana-
shigori), häufig mit Einschlüssen von Actinolit, Turmalin
Schwefelkies in Würfeln, Wasser; sehr selten Magnetkies
in dünnen Nadeln. Mit Bergkrystall zusammen kommen
vor: Turmalin mit strahliger Structur und Orthoklas in
Krystallen, oft Zwillinge, Gyps (Alabaster) kommt bei
Misato (Komagori) in ziemlich grossen Mengen vor, im
Diabastuff eine sehr gute Qualität schneeweiss und fein-
körnig.
Genäherte Seehöhen in Meter.
Berge: Yatsugatake 2725 (am Fuss 1691), Komagatake
2723, Kımpusan 2526, Shichimensan 1562, Omureyama 1280.
Pässe: Karisakatoge 2068 v. Musashin-Kai, Michiake-
toge 1566 v. Hayakawa-Thal nach d. Kamanashigawa.
Misakatoge 1544 von Fuji nach Kai (1563) !), Yana-
gisawatoge 1413 v. Musasbin -Kai (aus dem Tamagawa-
Thal und dem Fuefuki-Thal), Sasagotoge 1051 (1064) v.
Baniugawa und dem Fuefakiyama - Kawajiritoge 1033, von
Shinano und Kai, — Ausserhalb Kai: Jumanjitoge 2256,
von Musashi nach Shinano, Kobotoketoge 476 (565), bei
Hachoji, Musashi.
Grössere Städte: Kofu 255 (245), Kajıkasawa 230,
Minobu (berühmter Tempel Nichirenshu) 272, Mitake 807,
Yamura 447, Kamiyoshida 897 (810).
Kleinere Städte und Dörfer: Sasago 616, Saruhashi
190 (291), Hinoharu (Hochebene am oberen Kamanashigawa)
842, Yokoti 673, Daigahara 569, Okusa 402, Kirishi 192,
Shimoyama 251, Manzawa 49, Ho 576, Narada 801,
Asao 638, Kurobira 1094, Magidaira 806, Euzan (Badeort)
400, Ochiai 1107, am Tamagawa, Tabayama (am Tama-
gawa) 637, Saibara 615, Yamanaka 1079, Döshi (am Baniu-
gawa) 597, Akıyama 378, Töneki (Misakatoge 975 (950),
Kawaguchi (Su) 834 (817), Shioji (Su) 836. — Ausserhalb
Kai: Kachöji (Musashi) 100 m (92,5), Ome (Mus.) 235,
Tsütaki (Shinano) 758.
Sämmtliche Höhen sind mit Hülfe eines guten Aneroids
bestimmt.
Die geologische Aufnahme ist vorläufig in eine ziem-
lich genaue Karte von Kai eingetragen; eine durch Herrn
Wada’s Itinerar-Aufnahmen wesentlich vervollständigte Karte
von Kai wird später publicirt werden.
Im April-Heft (1879) der Peterm. Mittheilungen er-
wähnte ich bei Gelegenheit des Biwa-Sees, dass es von
Wichtigkeit sein würde, festzustellen, ob der Abfluss des
Sees, der Uji-Fluss, auch mit den Hülfsmitteln der Gegenwart
nicht schiffbar gemacht werden könnte. Herr Dr. Wagener
!) Die Ziffern in Klammern geben Zahlenwerthe an, welche J. Bein
1874 gefunden hatte.
aus Kioto hat nun vor einiger Zeit eine Excursion nach
Uji gemacht und mir über den Uji-Fluss und seine Schiff-
barmachung Folgendes mitgetheilt: „Den Uji-Fluss bin ich
etwa 13 Ri weit hinaufgegangen, und war diess genug,
mich zu überzeugen, dass es mit der Schiffbarmachung
Nichts ist. Bis 18 Chö oberhalb Uji, bis Shinhama, ist
der Fluss noch schiffbar; von da an aber kommen schlimme
Stromschnellen in Menge, die oft in mehreren hundert
Schritt langen Stellen unmittelbar auf einander folgen.
Meistens haben diese Stellen auch besondere Namen, wie
Kome-kashi, weisses Reiswasser, Name-ishi, glatte Steine;
dann liegen auch Felsen im Fluss, wie der Fudo-iwa u. a.
An vielen Stellen treten die Berge, oder vielmehr Felsen,
so dicht an den Fluss, dass auch ein Weg zum Ziehen der
Böte viel Arbeit erfordern würde. Selbst wenn die Strom-
schnellen durch Sprengen beseitigt würden, wäre der Strom
noch so stark, dass es grosser Anstrengung bedürfte, um
ein Boot hinaufzubringen. Sogar an den sanfteren Stellen
muss ein kleines leeres Boot von vier Mann gezogen wer-
den. 48 Chö von Uji hat der Fluss eine starke Biegung
und kommt fast von Norden herunter, fliesst dann eine
Strecke rein westlich, hierauf bis Uji NW bei W. — Von
der eben genannten Stelle aus bis Shidomi, noch etwa 3 Ri,
soll der Fluss ebenfalls unschiffbar sein und höchstens
Überfahrtsstellen haben. Jener Ort liegt 10 Cho von
Ischiyama”. Ferner brachte Herr Dr. Wagener in Er-
fahrung, dass „holländische Wasserbau-Ingenieure den Fluss
auch untersucht und zuerst einen Plan mit Schleusenbauten
beabsichtigt, aber ihn doch wieder aufgegeben hätten, weil
der Fall zu stark sei, etwa 200 F. auf eine Strecke von
3—4 Ri. Unmöglich sei die Sache wohl nicht, aber sehr
theuer, zu theuer für den Verkehr, der jetzt existire”.
Nach einer Mittheilung der Japanesischen Gaz. Mail
vom 18. April beträgt die Bevölkeruny der Bonin- Inseln
360 Seelen, darunter 18 Engländer, 9 Portugiesen, 17 Spa-
nier, 7 Amerikaner, 4 Franzosen, 1 Chinese; den Rest
bilden Japanesen. Die Regierung hat den Letzteren pro
Kopf 50 Yen Land, so wie die nothwendigen Ackergeräthe
überwiesen, wofür sie sich nur verpflichten müssen, 5 Jahre
auf den Inseln zu bleiben. Das Land, welches sie an-
bauen, wird dann ihr Eigenthum.
In einer akademischen Preisschrift, betitelt: „Overzicht
van betgeen, in het bijzonder door Nederland gedaan is
voor de Kennis der Fauna” !) legt ZH. J. Veth dar, was
Seitens der Niederlande in den niederländisch - ostindischen
Colonien zur Förderung der naturwissenschaftlichen Kennt-
nisse geschehen ist. Die fleissige, sorgfältig gearbeitete
Schrift wirft Licht auf manche bisher unbekannte Ver-
hältnisse und liefert jedenfalls den Beweis, dass in dieser
Richtung Bedeutendes geschehen ist.
Afrika.
Im vorigen Hefte, S. 271, veröffentlichten wir einen
Brief des Afrika-Forschers Gerhard Rohlfs, in welchem er
seine Absicht mittheilt, von der Leitung seiner Expedition
nach Central-Afrika zurückzutreten. Wir befinden uns jetzt
in der glücklichen Lage mittheilen zu können, dass der er-
fahrene Reisende der Expedition erhalten bleiben wird.
Y) Leiden, 8. C. van Doesburgh, 1879.
Geographischer Monatsbericht.
Der Vorsitzende der Afrikanischen Gesellschaft in Deutsch-
land, Dr. G. Nachtigal, schrieb uns am 30. Juli Folgendes:
„Allerdings hat Gerhard Rohlfs im Anfange des verflos-
senen Monats, als er, bei der grossen Schwierigkeit, Führer
und Begleiter für den Weg von Dschalo über Kufära und
Wanjanga nach Wadai zu finden, nicht einmal annähernd
den Zeitpunct des Abganges der Expedition vorauszusehen
vermochte, in einer Eingabe an die Afrikanische Gesell-
schaft von seinen Verpflichtungen entbunden zu werden
beantragt, sobald er die Expedition flott gemacht haben
werde. Da die Afrikanische Gesellschaft keinen Reisenden
von der Erfahrung des Hofraths Rohlfs an seine Stelle zu
setzen hatte, und die Hauptaufgabe der Expedition bekannt-
lich erst von Wadai ab beginnen wird, so glaubte der
Vorstand, im Gefüble seiner Verantwortlichkeit dem Aus-
schusse der Gesellschaft und der Reichsregierung gegenüber,
dem Entlassungsgesuche nicht Folge geben zu dürfen. Ehe
diese Entscheidung aber in die Hände des Reisenden ge-
langte, war es demselben bereits gelungen, die Schwierig-
keiten zu überwinden und durch ein ansehnliches Geld-
opfer mit Hülfe der Provinzial- Regierung von Benghazi
eine Escorte für den ganzen Weg bis Abesche, der Haupt-
stadt von Wadai, zu gewinnen, und auf diese Weise die
erste lange Etappe der Expedition sicher zu stellen. Um
keine Zeit zur Benutzung dieser glücklichen Constellation
zu verlieren, entschloss er sich zu sofortiger Abreise, hat
am 4. d. M. Benghazi verlassen, befindet sich ohne Zweifel
augenblicklich in Kufära und wird aller Wahrscheinlichkeit
nach noch um die Mitte des September Abesche erreichen.
„Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Gerhard Rohlfs
bei dieser günstigen Wendung den von der Afrikanischen Ge-
sellschaft gegen seine Entlassung geltend gemachten Grün-
den seine Billigung nicht versagen und seine werthvolle
Mitwirkung der Expedition erhalten bleiben wird”,
Dr. A. Stecker erwähnt ın Nr. 25 des „Ausland”, wo
8. 498 ff. Briefe von ihm und G. Rohlfs veröffentlicht sind,
dass nach seinen Positions - Bestimmungen Sokna in 28°
55’ 45,5” N. Br., also etwas südlicher als nach Vogel
bisher angenommen wurde, zu liegen komme, seine Länge
dürfe etwa 16° 20’ betragen, also eine bedeutend östlichere
sein. Die Breite von Djalo soll mit v. Beurmann’s Karte
(Peterm. Mittheil., Ergänzungsband 2) stimmen, dagegen
habe er diese Oase zwei Grad östlicher gefunden, als die
genannte Karte angiebt. Da er indessen hinzufügt, dass
die Länge von Djalo 21° 25’ O. betrage, so scheint hier
ein Irrthum obzuwalten, denn die v. Beurmann’sche Karte
verlegt die Oase entgegen früheren östlicheren Annahmen
auch ziemlich genau in 21° 25’ Ö.v. Gr. Über die Höhenlage
von Djalo sagt Dr. Stecker: „Allem Anscheine nach ist
die für Audschila-Djalo constatirte Depression nicht stich-
haltig. Wie wir Gelegenheit gehabt haben, uns zu über-
zeugen, liegt nach barometrischen und hypsometrischen
Beobachtungen Audschila ca 30, Djalo etwa 18 m über dem
Meeresspiegel”.
Ausführliche Briefe von G. Rohlfs und A. Stecker sind
im 3. Hefte der Mittheilungen der Afrikanischen Gesell-
schaft veröffentlicht.
Das in Frankreich vielfach discutirte Project einer
Sehare- Bahn, welche die französischen Colonien Algier und
Senegambien verbinden soll, wird jetzt amtlich geprüft. In
all
Folge eines Berichtes des Bautenministers Freycinet hat
der Präsident der französischen Republik einen in vier
Commissionen sich gliedernden Ausschuss zur Prüfung der
Ausführbarkeit des Planes niedergesetzt.
Vor zwei Jahren gab J. Bonnat in der Wochenschrift
„L’Exploration” Nachricht von der Bildung einer Com-
pagnie zur Bearbeitung von Goldfeldern in der Landschaft
Wassaw an der Goldküste (s. Peterm. Mitth. 1877, 8. 395);
dieses Unternehmen scheint von Glück begünstigt zu sein
und ähnliche hervorzurufen. Ingenieur P. Dahse schrieb
uns am 4. Mai d. J. aus Tacquah, einem Orte im Herzen
von Wassaw, er habe seit November 1878 verschiedene
Districte der Goldküste besucht, aber am 20. März vom
Küstenplatz Dixcove aus den Marsch nach Wassaw, dem
eigentlichen Minenland, angetreten, und am 26. März Tac-
quah erreicht, dessen Entfernung in gerader Linie nördlich
von Dixcove er auf 40 miles veranschlagt. „Tacquah”,
fährt er fort, „ist eine echte Minenstadt von 2-—-3000
Einwohnern, welche sämmtlich nur Miner, Handwerker und
Händler sind. Was mich bei meiner Ankunft am meisten
überraschte, war eine in voller Tätigkeit begriffene Dampf-
sägemühle und die Ausdehnung der Werke der African Gold
Coast Company, einer französisch-englischen Gesellschaft,
welche bier eine grössere Strecke I,andes besitzt und deren
Geschäftsführer M. J. Bonnat ist. Ein Dampfpochwerk von
10 Stempeln ıst während der letzten Woche fertig errich-
tet worden und wird am nächsten Dienstag anfangen, regel-
mässig zu arbeiten. Die Gesellschaft hat hier in Tacquah
11 Europäer und ca 60 eingeborene Arbeiter angestellt;
drei andere Europäer werden morgen von der Küste erwar-
tet und ausserdem unterhält sie einen europäischen Agen-
ten in Axim, von wo Flussverbindung auf dem Ancobra
und dessen Nebenfluss Bonsa bis 17 miles von Tacquah
besteht. Die Besitzung der Gesellschaft erstreckt sich von
NNO nach SSW, dem Laufe des Gebirgszuges folgend,
6000 Fuss bei einer Breite von 1200 Fuss. SSW von
diesem Terrain habe ich ein eben solches Stück Land unter-
sucht und vermessen, und meine Verhandlungen zur Er-
werbung desselben sind dem Abschluss nahe. Die Herren
F. und A. Swanzy & Co., die reichste und ausgedehnteste
kaufmännische Firma der Gold- und Sclavenküste, richteten
ihr Augenmerk ebenfalls auf diesen District, und ein Theil-
haber derselben, Mr. F. J. Crocker, hat 12 miles nordwest-
lich von hier eine äusserst werthvolle Besitzung, 6000 Fuss
im Quadrat, für seine Firma erworben. Ich war mehrere
Tage dort und lernte die Besitzung genau kennen. Ein
ausgezeichnetes Quarzriff, in welchem Mr. Crocker einen
75 F. tiefen Schacht angelegt hat, durchzieht es und lie-
fert so reichhaltige Proben, dass dieselben in Miner-Kreisen
Englands gewiss enormes Aufsehen erregen werden. Nur
2% miles davon entfernt, beim Dorf Arbowosoo, untersuchte
ich von Eingeborenen bearbeitete Minen und fand so reiche
Quarzriffe, dass ıch auch dort ein Terrain von 600 Fuss
im Quadrat erwarb.
„Nach allem, was ich bisher gesehen habe, muss ich
dieses Land für das reichste Goldland der Erde halten.
Die Transportschwierigkeiten sind nicht so gross als er-
wartet worden war, und die Neger von der Krukuste ar-
beiten nachı kurzer Anleitung so gut als europäische Miner
gewöhnlichen Schlages. Allein in Wassaw die Gegend
312
zwischen Wassaw und der Küste ganz unberücksichtigt ge-
lassen, ist Raum für Hunderte von Compagnien. Fast ein
jeder Gebirgszug ist reich an Gold und jeder Fluss und
jedes Thal. Die Neger haben bis jetzt nur die Oberfläche
berührt, da sie aus Mangel an Kenntnissen und Maschinen
nicht im Stande sind, in den Bergen das harte Gestein zu
durchbrechen oder in den Goldwäschen das Wasser zu be-
wältigen”.
Alfred Marche, der Gefährte Savorgnan de Brazza's,
hat jetzt unter dem Titel „Zross voyages dans ’Afrique
occidentale” ') einen vollständigen Bericht über seine während
der Jahre 1871—-78 in Senegambien und dem Gabun-Ge-
biet ausgeführten Reisen erscheinen lassen. Das Buch ist
durch eine Anzahl Holzschnitte illustrirt; die beigegebene
Karte beschränkt sich auf die Reiserouten Marche’s, welcher
bekanntlich wegen Krankheit früher als sein Gefährte Brazza
zurückkehren musste und daher an dem letzten wichtigsten‘
Stück der Reise nicht Theil nahm.
Die Internationale Afrikanische Association richtet jetzt
ihre Aufmerksamkeit auch auf die Westküste. Wie die
Academy vom 19. Juli mittheilt, entsendet sie eine kleine
Flotille, bestehend aus einem kleinen zerlegbaren Dampfer,
drei Dampfbarkassen und drei Böten mit flachem Kiel von
je 50 Tons nach dem Congo mit der Bestimmung, diesen
Fluss so weit stromaufwärts zu verfolgen, um mit der von
Osten kommenden Expedition unter Cambier zusammenzu-
treffen und derselben neue Vorräthe von Waaren &c. zuzu-
führen. Die Flotille steht unter dem Commando von Capt.
Loesewitz, die Bemannung aus 40 Seeleuten.
Einen hübschen Erfolg scheint der Reisende der Afri-
kanischen Gesellschaft in Deutschland, 0. Schütt, erzielt
zu haben, wenn er auch sein Ziel, die Mündung des Cassai
in den Congo nicht erreicht hat. Naohdem sein erster
Versuch, durch das Gebiet der Bangala den Quango zu
überschreiten, fehlgeschlagen war (s. Mitth. 1879, Heft I,
8. 32), unternahm er es, zwischen den Bangala und Hollo
zu diesem Flusse zu gelangen. Auch dieser Versuch
misslang, und so schlug Schütt den schon von Pogge be-
reisten Weg nach Quimbundo ein, von wo aus er nach
Norden vordrang. Über diese Reise veröffentlicht Heft III
der Mittheilungen der Afrikanischen Gesellschaft einen kur-
zen Brief datirt vom rechten Quicapa-Ufer. Der Reisende
ist, neuesten Nachrichten zufolge, nur noch 2 Tagemärsche
von den Riesenfällen des Cassai oder Zaire entfernt von
dem Lebe-Könige Mai und Muata Musewo, einem Sohne
des Muata Jamvo, festgenommen und zur Rückkehr ge-
zwungen worden. Schütt beabsichtigte Ende Juni die Rück-
reise nach Europa anzutreten. Er bringt 15 Blätter geo-
graphischer Aufnahmen mit, die jedenfalls, nach den bisher
veröffentlichten sorgfältigen Aufnahmen des Reisenden zu
urtheilen, viel werthvolles Material enthalten werden.
Nach den neuesten, bis zum 7. März d. J. reichenden
Nachrichten, veröffentlicht im 3. Heft der Mittheilungen
der Afrikanischen Gesellschaft, befand sich Dr. Buchner noch
in Malange, wo er die Ankunft des portugiesischen Händ-
lers Saturnino erwartete, mit dem er nach Osten aufbrechen
wollte.
Die durch ein vor einiger Zeit (bei L. Friederichsen
ı) Paris, Hachette & Ole, 1879.
|
Geographischer Monatsbericht.
in Hamburg) erschienenes Werk von Dr. Zübbe-Schleiden:
„Ethiopien, Studien über Westafrika” eingeleitete und seit-
dem in wissenschaftlichen und oommerciellen Kreisen leb-
haft geführte Discussion über die Frage, ob und in welcher
‘ Weise der deutsche Handel mit Afrika ausgedehnt werden
könne, erhält einen neuen beachtenswerthen Beitrag durch die
Schrift des genannten Verfassers „über die Rentabslität der
Cultur Afrika’s’”’ (Deutsche Rundschau, 1879, Heft 9). Wie in
jenem Buche und in verschiedenen seitdem von ihm ver-
öffentlichten Zeitungsartikeln und gebaltenen Vorträgen rich-
tet der Verfasser die Aufmerksamkeit auf West-Äquatorial-
Afrika, setzt die Vortheile auseinander, welche dieses
Küstengebiet dem Handel gewähren, und regt die Bildung
einer Gesellschaft an, welche das grosse Unternehmen be-
ginnen soll.
Die unter Führung von Capt. Martini ausgehende Hülfs-
expedition, welche bestimmt ist, Marquis Antinori und seine
Gefährten in Schoa zu verstärken, hat nach Überwindung
zahlreicher Schwierigkeiten am 6. Juli Zeila verlassen. Aus
Schoa eingetroffene Nachrichten dementiren glücklicherweise
das Gerücht von der Gefangennahme Cecchi’s und Chiari-
ni’s auf dem Wege nach Kaffa.
Das Reisejournal von R. W. Felkın, Mitglied der Mis-
sions-Expedition nach Uganda über die Reise von Berber
nach Khartum, wird im Church Missionary Gleaner ver-
öffentlicht.
Einem uns freundlichst zur Verfügung gestellten Privat-
briefe aus Khartum, datirt den 28. Mai, entnehmen wir
folgende Mittheilungen über den Ägyptischen Sudan:
„Der Weisse Nrl ist oberhalb des Bahr el Ghasal schon
mehr als 9 Monate vollständig durch eine Vegetationsbarre
verschlossen, seit welcher Zeit man ohne jegliche Nachricht
von Emin-Bey ist. Es wird fortwährend strenge an der
Wiederöffnung gearbeitet. Ein englischer Ingenieur, wel-
cher gestern von dort hier ankam, berichtet, dass nicht nur
ein Vegetabilienverschluss sich gebildet hat, sondern dass
durch Ansetzung von Nilschlamm eine dioke Erdrinde von
8 F. Höhe entstanden ist, die durchgehauen werden muss.
Auf mehr als 21 Meilen Länge sei der Durchbruch her-
gestellt, aber noch sehe man kein Ende ab! Man stellt
eine Überlandpost auf der Westseite her, um Nachrichten
von Dr. Emin-Bey zu erhalten.
„@essi hat seine Expedition gegen den widerspenstigen
und aufrührerischen Sohn von Siber Pascha am Bahr el
Ghasal unter unsäglichen Strapazen und Entbehrungen
glücklich zu Ende geführt und ist deshalb von Gordon
Pascha in Anerkennung dieser Verdienste zum Pascha und
gleichzeitig zum General- Gouverneur der Äquatorial-Pro-
vinzen ernannt worden. Emin-Bey kommt somit unter
dessen Autorität zu stehen”.
Das Maiheft des Church Missionary Intelligencer ver-
öffentlicht Briefe von dem Missionär Mackay aus Kagei, am
Südufer des Ukerewe, datirt vom Juli und August 1878.
Hierin bestätigt er die schon von Lieutenant Smith ge-
machte Beobachtung, dass die Stanley’'schen Aufnahmen der
Ufer sich als flüchtig und ungenau herausstellten. Nach
mehr als 150 Beobachtungen von 2 Aneroiden berechnete
er die Höhe des Sees auf 3622 Fuss nach dem einen,
3575 Fuss nach dem anderen Instrumente. Wenn auch bei
diesen Berechnungen der Indexfehler nicht berücksichtigt
Geographischer Monatsbericht. 313
werden konnte, so ist der. Unterschied gegen die Messungen
von Speke (3740 F.) und Stanley (4168 F.) ein gar zu
grosser. Das Niveau des Sees ist. sehr wechselnd; in Folge
der Regenzeit war der See innerhalb 9 Monate um 5—6 F.
gestiegen.
Die Expedition der Algierischen Missions-Gesellschaft nach
Uganda ist Anfang Januar d. J. in Kagei eingetroffen; sie
befand sich trotz in Unyamyembe erhaltener Unterstützun-
gen in grösster Dürftigkeit. Unterwegs war Alles äusserst
tbeuer in Folge „der Freigebigkeit protestantischer Missio-
nare und englischer Forscher”. Zwei Mitglieder der Ex-
pedition begaben sich nach Rubahga, um mit Mtesa Unter-
handlungen anzuknüpfen behufs Übersiedelung der Mission
nach seinem Gebiete. Zur Verstärkung sowohl der Uke-
rewe- als auch der Tanganika - Missionare ist am 29. Juni
eine neue Expedition von Algier aus entsandt worden,
bestehend aus 12 Missionaren und 6 früheren päpstlichen
Zuaven.
Abbe Debasse, dessen Ankunft in Udschidschi wir be-
reits meldeten, beabsichtigt von hier zunächst nach dem
Nordende des Tanganika vorzudringen und dort im Gebiete
der Uzighe ein Depöt zu errichten. Ein ferneres Depöt
will er an der Mündung des Aruwimi in den Congo eer-
richten und dann die Erforschung der Gegenden zwischen
diesem Flusse, dem Albert Nyanza und dem Tanganika in
Angriff nehmen.
Kesth Johnston, welcher die Expedition der Londoner
Geographischen Gesellschaft nach Ostafrika führte, veröf-
fentlichte im Juliheft der Proceedings einen Bericht mit
Karte über die Routen der Eingeborenen von Dar-es-Salam
zum Nyassa, das Resultat zahlreicher und sorgfältiger Er-
kundigungen. Das wichtigste Land in der Richtung zu
dem See ist M’henge zwischen dem Ruaha und Ranga, den
bedeutendsten Nebenflüssen des Lufidsch. Es dehnt sich
zwischen Uzaramo und Übena fünf Tagereisen aus; die
grösste Stadt ist Wipia, die Residenz von Ungachero, dem
mächtigsten Häuptling von M’henge. Unter den Wegen
von Dar-es-Salam nach M’henge wird derjenige am meisten
benutzt, welcher an dem Ostabhange der Küstenberge sich
hinzieht, jedoch als niedrig, feucht und in der Regenzeit
unpassirbar bezeichnet wird. Auf diesem Wege erreicht
man den Lufidschi in sechs Tagemärschen,; zwei weitere
Tagereisen sind erforderlich, um zur Fähre von Mbenbeno
zu gelangen, von wo man auf drei verschiedenen Wegen
nach M’henge kommen kann. Eine zweite nördlichere Route,
auf welcher Wipia in 21 Tagen erreicht wurde, führt durch
das Kingani-Thal (Burton’s Weg) durch vielfach öde Strecken
und theilweis bereits explorirtes Gebiet. Johnston hat nun
einen zwischen beiden Routen laufenden mittleren Weg aus-
findig gemacht, welcher directer ist, über höher gelegenes,
mithin gesünderes Terrain führt und, wenn auch noch nicht
als Karawanenweg, so doch bereits benutzt wird. Derselbe
geht von Kola, an der Mackinnon-Buxton-Strasse durch die
Districtte Marui, Bogwa und Berobero, um sich bei Msapa
mit der nördlichen Route zu vereinigen. Abgesehen vom
Ruaha ist kein bedeutender Fluss zu passiren. Wipia wird
auf diesem Wege in 18 Tagen von Dar-es-Salam erreicht.
Die durch die letzte Regenzeit veranlassten Überschwem-
mungen haben den Aufbruch der Expedition bis zum 19. Mai
verzögert. Unter den Begleitern Johnston’s befindet sich
Petormann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft VIII.
: ten und Colonialländer näher kennen zu lernen.
auch Chuma, der langjährige Diener und Begleiter Living-
stone’s auf seiner letzteu Expedition
Nachschrift. — Nachdem diese Zeilen in Druck gegeben,
geht uns von London die schmerzliche Trauerbotschaft vom
Tode Keith Johnston’s zu. Dieselbe wurde von Dr. Kirk,
Zenzibar, an Sir Rutherford Alcock telegraphirt. Keith John-
ston starb am 28. Mai an der Dysenterie in Berobero,
130 miles von Dar-es-Salam, wohin er übrigens auf einem
etwas südlicheren Wege, als er ursprünglich beabsichtigt
hatte, vorgedrungen war. Nach den von dem Comite des
Africa-exploration-fund getroffenen Bestimmungen geht nun
die Führung der Expedition und damit die Lösung der
Aufgabe, einen practicablen Weg zwischen dem Seengebiet
und der Küste herzustellen und das Land zwischen dem
Nyassa- und dem Tanganika-See zu erforschen, auf den
wissenschaftlichen Begleiter Johnston’s, Thomson, über.
Eine interessante Arbeit liegt uns in der von der K.K.
Geogr. Gesellschaft in Wien herausgegebenen Culturskizze
des Marutse- Mambunda-Reiches in Süd-Central-Afrika von
Dr. Emil Holub vor. Der bekannte Reisende hat sich 1875
und 1876, als heftiges Fieber die Fortsetzung seiner Tour
nach Loanda verhinderte, längere Zeit in diesem Reiche
aufgehalten, welches an die Stelle der einst so gefürchteten,
jetzt ausgerotteten Makololo am mittleren Zambesi getreten
ist. Gerade in dem gegenwärtigen Augenblicke kommt
diese Veröffentlichung sehr erwünscht, da sie die von dem
Portugiesen Major Serpa Pinto kürzlich durchzogenen Ge-
genden bespricht. Leider enthält die Arbeit nur wenig geo-
graphisches Material; der Verfasser verspricht in dieser
Richtung eine andere selbständige Abhandlung, der wir mit
Interesse entgegensehen.
Die durch die Annection der Transvaal-Republik und
den Krieg Englands mit den Zulu-Kaffern hervorgerufene
Literatur hat durch zwei Schriften des Niederländers 7’heo-
dor M. Tromp') eine wesentliche Bereicherung erfahren:
Erinnerungen aus Süd-Afrika und der Stamm der Ama-Zulu.
Der Verfasser war Privatsecretär des Präsidenten der Trans-
vaal-Republik und hat, wie Prof. C. M. Kan, der Schrift-
führer der niederländischen Geographischen Gesellschaft, in
einer dem erstgenannten Buche vorgedruckten warmen Em-
pfehlung bestätigt, in seiner Stellung und durch mannig-
fache Reisen Gelegenheit gehabt, die südafrikanischen Staa-
Daher
finden wir neben einer eingehenden Darstellung des Ganges
der politischen Ereignisse eine Fülle von Beobachtungen
und Erlebnissen niedergelegt, welche der Zeitfolge nach er-
gänzend anschliessen an Weber’s „Vier Jahre in Süd-Afrika”.
Die erste Nummer der neuen Monatsschrift, Z’ Afrigque
explorde et civilisde, redigirt von G. Monnier und Ch. Faure 2),
enthält zwei grössere Aufsätze: L’exploration moderne de
l’Afrique, und le commerce et l’industrie en Afrique, denen
kleinere Mittheilungen folgen. Die kartographische Aus-
stattung: Routen der bedeutendsten Afrika-Forscher, lässt
Manches zu wünschen.
Australien und Inseln des Grossen Oceans.
Dr. Carl Emil Jung in Leipzig, bekannt durch seine
Sohriften über Australien, wo er über 19 Jahre lebte, hat
!) Leiden, bei E. J. Brill, 1879.
2) Genf, bei J. Sandoz.
40
314 Geographischer Monatsbericht.
ın Veranlassung der internationalen Ausstellungen zu Sydney
und Melbourne eine „Atstorische, geographische und stalısli-
sche Skizze von Australien und Neuseeland” (Leipzig, 1879,
bei Oswald Mutze) erscheinen lassen, welche in zehn Ab-
schnitten das Land, die Bewobner und die wirthschaftlichen
Verhältnisse behandelt und den verfolgten Zweck der all-
gemeinen Orientirung sehr wohl erfüllt.
Die in Perth organisirte Expedition zur Erforschung
Nordwest-Australiens ist am 16. Januar unter Führung von
A. Forrest aufgebrochen. Ibr Forschungsgebiet ist das
Terrain zwischen dem Fitz Roy River und dem Victoria-
Flusssystem. Die Dauer der Expedition ist auf 6 Monate
berechnet. Sie besteht im Ganzen aus vier Personen;
zweiter Führer ist der Feldmesser Hill. Von Ansiedlern
wurden für die Reise 30 Pferde zur Verfügung gestellt.
In Australien herrscht die Hoffnung, dass es Forrest ge-
lingen wird, auch den Schleier, der bisher über das Schick-
sal Leichhardt’s gebreitet war, zu lüften.
Bereits früher !) berichteten wir über den für dıe Ent-
deckungsgeschichte Australiens, besonders der Kolonie Vic-
toria, wichtigen Fund des Manuscript-Tagebuches über die
1802 und 1803 ausgeführte Expedition von Ch. Grimes,
Chef der Landesvermessung von Neu-Süd- Wales. Diese
und andere wichtige Documente, die zum Theil durch einen
Bürger der Colonie in den Archiven des public record of-
fice in England, zum T'beil in Privatbesitz in Sydney auf-
gefunden wurden, so wie das Facsimile einer von Grimes
aufgenommenen Karte von Port Philipp, der Hobson- und
Cario-Bai bilden den Inhalt einer aut Anordnung der Re-
gierung von Victoria von J. J. Shillinglaw herausgegebenen
Schrift: Historical Records of Port Philipp.
Der bekannte russische Forscher, Baron Miclucho-Maclay,
hat in Begleitung von Chevalier Bruno und Capt. Leeman
eine neue Zrpedition nach Neu-Guinea angetreten, welche
theils commerciellen, theils wissenschaftlichen Zwecken ge-
widmet ist. Mit einem schnell segelnden 3mastigen Schu-
ner „Saddie F. Caller”, welcher für eine l2monatliche
Kreuzungsfahrt mit Proviant ausgerüstet ist, soll zunächst
die Astrolabe-Bai besucht, dann die ganze Küste erforscht
und, wenn möglich, mit den Eingeborenen eine Handels-
verbindung vereinbart werden.
Den kürzlich bei L. Friederichsen & Co. in Hamburg
herausgegebenen „Verträge und Übereinkünfte des Deutschen
Reiches mit den Samoa- Inseln &c.” sind eine Reihe von
L. Friederichsen bearbeiteter Karten verschiedener Inselgrup-
pen beigegeben, auf denen mancherlei diesem Kartographen
durch Rheder u. A. zugänglich gemachtes neues Material
enthalten ist. Neben einer Übersichtskarte der Inseln des
westlichen Grossen Oceans im Maassstab 1:15000000 wer-
den Specialkarten der Tonga-, Samoa-, Ellice-, Gilbert-, Mar-
schall-, Duke of York-Inseln und der Nordküste von Neu-
Britannien (in verschiedenen Maassstäben) gegeben. Die
Punkte, an welche sich deutsche Handelsinteressen knüpfen,
sind hervorgehoben und bei den meisten Inseln auch die
Einwohnerzahlen hinzugefügt.
Das 6. Heft der „Annalen der Hydrographie” bringt
aus den Reiseberichten S. M. 8. „Ariadne”, Corv.-Capt.
von Werner, Bemerkungen über einige Inselgruppen im Stil-
—— _— _
!) Geogr. Mitth. 1878, S. 74.
len Ocean. Das genannte deutsche Kriegsschiff unternahm
von October 1878 bis Januar 1879 eine Kreuzfahrt von
Apis aus zu den Tonga-, Fiji-, Ellice-, Gilbert-, Salomo-
Inseln, der Marschall- und Duke of York-Gruppe und zur
Gazellen-Halbinsel (Neu-Britannien.. Den in dem Berichto
niedergelegten hydrographischen Ergebnissen sind als karto-
graphische Beilagen eine nach den Lothungen und Peilun-
gen der „Gazelle” ausgeführte Skizze von Somo-Somo (Fiji-
Insel Taviuni) und die Copie einer englischen Karte der
Rhede von Jaluih (Marschalls-Inseln, SO-Passage und Anker-
platz) hinzugefügt, welche letztere noch durch einige Loth-
linien Seitens der „Ariadne” vervollständigt wurden.
Polar - Regionen.
Von der schwedischen Polar-Expedition sind seit dem
ersten Telegramm, welches die Überwinterung westlich von
Serdze-Kamen meldete, mehrere Briefe eingegangen und
durch die Zeitungen ihrem Wortlaute nach veröffentlicht
worden. Wir resümiren daraus Folgendes: Nachdem die
Lena-Mündung, wo der Dampfer „Lena” zur Fahrt diesen
Strom hinauf sich von der Expedition trennte, am 27. Au-
gust passirt, wurde die Fahrt zunächst bis zum Cap Jakan
fortgesetzt. Unterwegs wurde eine Annäherung an die süd-
lichste der Ljachow-Inseln versucht, sie gelang jedoch wegen
Untiefen nicht. Am 30. August wurde Swjatoi-Noss ohne
Schwierigkeiten umschiftt. Am 2. September befand sich
die Expedition bei den Bäreninseln, starker Schneefall ver-
hinderte, Beobachtungen anzustellen. Am 4. September
drang die „Vega’” unter grossen Schwierigkeiten durch das
Eis bis zum Cap Baranow vor. Vor der Kolyma-Mündung
war eine Strecke offenen Wassers. Bei Cap Schelagskoi
wurde das Fortkommen wieder schwer. Bei Cap Jakan
bereitete das Eis der Expedition einen unfreiwilligen Aufent-
halt von 3 Tagen, auch die Weiterfahrt (11. September) bis
zum Nordcap (13. September) war mit Schwierigkeiten ver-
bunden. Hier lag das Schiff 5 Tage im Eise eingeschlos-
sen, konnte dann noch 10 Tage ostwärts vordringen, bis
es, am 28. September, gezwungen sein Winterlager an der
Küste zwischen Serdze-Kamen und der Koliutschin-Bai neh-
men musste. Der Überwinterungsort der „Vega” wird ver-
schieden angegeben: nach Nordenskjöld liegt er 67° 7’
N. Br. und 173° 15’ W. L. Gr., während Palander 67° 6’
N. Br. und 173° 30° W. L. angiebt. In beiden Fällen
erweisen sich die bisherigen Karten als unrichtig, da beide
Positionen darnach eine Strecke weit in’s Land fallen. An
Proviant und Feuerungsvorräthen war kein Mangel. Die
Expedition war in freundschaftlichen Verkehr mit den
Tschuktschen getreten, die man am Lande in zwei Lagern
traf; die Verständigung mit ihnen gelang am ehesten dem
Lieutenant Nordquist aus Helsingfors. Dem Anschein nach
befand sich das Schiff in einer geschützten Lage. Die Briefe
sprechen die Hoffnung aus, dass am 1. Juli die Expedition
ibre Fahrt zu und durch die Bering-Strasse wieder fort-
setzen kann.
Lieutenant Sandeberg, bekannt durch seine wissenschaft-
lichen Untersuchungen auf der Halbinsel Kola, hat von der
russischen Regierung die Concession zur Errichtung eines
!) von Professor Nordenskjöld und den Lieutenants Palander und
Bove datirt vom 6., 8. und 18. October 1878.
Geographischer Monatsbericht. 8315
Fischerei-Etablissements an der Murmanischen Küste erhal-
ten. Es wird die Errichtung einer Actien-Gesellschaft mit
einem bedeutenden Capital und die Gründung eines Hafens
am Waranger F'jord beabsichtigt. Der norwegische Fische-
rei-Unternehmer Svend-Foyn wird sich bei dem Unterneh-
men betheiligen.
Die Notizen über die Fortsetzung der Handelsfahrten
nach dem Ob und Jenise]) können wir heute dahin ergän-
zen, dass nach dem Ob im Ganzen 6 Fahrzeuge von eng-
lischen Häfen und ein Fahrzeug von einem deutschen Ha-
fen (Hamburg), nach dem Jenissej drei, nämlich 1 von New-
Castle, 1 von Gothenburg und 1 von Bremen, ausgehen.
Ein Theil dieser Flotille hatte Ende Juli bereits Wardö
passirt.
Dem früher bereits besprochenen 1. Theil der Publication
über die vorjährige Polarfahrt des „Wrllem Barents” ist jetzt,
wiederum als Beiheft zur Tijdsohrift van het Aardrijkskundig
Genootschap (1879, Nr. 5), der zweite Theil gefolgt. Er
bringt den Bericht über die zoologischen Untersuchungen
der Expedition, mit 4 Tafeln, von Dr.C. Ph. Sluyter, und
ferner ein Referat über den Gesundheitszustand der Be-
mannung während der Reise, von Dr. P. J. Hijmans van
Anrooy.
Premierlieutenant F. Bardenfletk bespricht in Heft 3/4
1879 der „Geografisk Tidskrift” die Resultate der durch
den Dänischen Kriegsschuner „'ylla” im vorigen Sommer
im Isländischen Meere fortgesetzten Tiefseeuntersuchungen.
Erst am 24. Juni, nachdem sich das grönländische Treib-
eis etwas zertheilt hatte, konnte das Fahrzeug sich von Cap
Nord in der Richtung nach N entfernen. Am 25. Juni
95 a. m., 74Sm vom Lande über einer Tiefe von 350 Faden,
wurde die Temperatur der Oberfläche des Meeres zu 0,7°,
diejenige von 5 Faden abwärts überall unter 0° gefunden.
Bei 250 Faden Tiefe betrug sie—1,6°. Die zweite Fahrt
nordwärts wurde am 5. Juli weiter westlich von Ö-Fjord
aus unternommen und ungefähr die gleiche Breite wie bei
dem ersten Vorstosse erreicht. Als grösste Tiefe wurde
hier 234 Faden gefunden und die Wassertemperaturen von
der Oberfläche bis zum Meeresboden auf + 2° bis + 6°
ermittelt. Interessante Resultate lieferte die dritte Fahrt,
welche bei ziemlich gutem Wetter am 11. Juli von Sne-
fjelds-Jökull nach W bis auf 192 Sm vom Lande ausge-
führt wurde. Als grösste Tiefe nicht weit vom westlich-
sten Endpunkte der Fahrt wurden 1125 Faden gefunden.
Überraschend war die Wärme des Meerwassers während
dieser ganzen Fahrt. Bei der vorletzten Lothung west-
wärts auf 163 Sm vom Lande war die Temperatur des
Oberflächenwassers + 11°, bis zu einer Tiefe von 300 F'a-
den + 6°, fast in der Tiefe von 1125 Faden + 3,3°.
Bei der letzten (westlichsten) Lothung ergab die Tempe-
ratur der Oberfläche mehr als 11°, diejenige bis 500 Fa-
den Tiefe noch über + 5°. Die „Fylla” wird in diesem
Sommer ihre Untersuchungen fortsetzen.
Der kürzlich erschienene erste Theil von „Beiträge zur
Koenntniss der Meteorologie der arktischen Regionen”, veröf-
fentlicht unter Autorität des Meteorological Council in Lon-
don, bearbeitet von Richard Strachan, enthält die Resultate
der meteorologischen Beobachtungen von Dr. Rae in York
Factory, November 1845 — April 1846, in Fort Confi-
dence am Grossen Bärensee, 2. October 1850 —6, Juni
1851, und in Fort Hope, Nordküste der Repulse-Bai, wäh-
rend der Überwinterungen 1846—47 und 1853—54; so-
dann von Barfoed in Frederikshaab von September 1856 bis
September 1860, von Capt. Allen Young an Bord des Ex-
peditionsschiffes „Fox’”’ und von Capt. M° Clintock, Kriegs-
schiff „Bulldog”; Lufttemperatur-Beobachtungen von Capt.
W. Kennedy in Batty-Bai. Nach und nach sollen die vem
britischen Expeditionen gemachten Beobachtungen, von de-
nen viele noch unpublicirt im Archiv des meteorologischen
Bureau’s sich befinden, in gleichmässiger Weise veröffent-
licht werden.
Die Jensen’sche Expedition nach Grönland ist nach einer
32tägigen Reise am 30. April in Holsteinborg angekommen
und begann sofort die Untersuchung der mehr oder weni-
ger bekannten Einschnitte zwischen dieser Colonie und
Egedesminde.
Ein sehr schätzbares Verdienst hat sich Prof. F. John-
strup dadurch erworben, dass er das bisher im Grönländischen
Handelsarchiv zu Kopenhagen vergrabene Tagebuch des
preussischen Bergraths K. L. @iesecke: Bericht einer mine-
ralogischen Reise in Grönland, 1806—1813, der Vergessen-
heit entrissen und mit einem Vorworte versehen hat, in
welchem er die zerstreuten biographischen Notizen über
Giesecke’s wechselvolle Schicksale zusammenstellt. Geboren
in Augsburg 1761 oder 1775, war Giesecke nach einander
Jurist, 1790 bis 1804 Sohauspieler und Theaterdichter in
Wien unter Schikaneder, dann Mineralienhändler, unter-
suchte 1805, inzwischen zum preussischen Bergrath er-
nannt, im Auftrage der Grrönland- und Fär-öer- Handels-
commission die Fär-öer und trat 1806 seine Epoche ma-
chende Reise zur Untersuchung der mineralogischen Ver-
hältnisse Grönlands an, welcher Aufgabe er 8 Sommer und
7 Winter widmete und welche sich auf die ganze West-
küste von Julianehaab bis Tessiursak, nördlich von Uper-
nivik, erstreckte. 1814, bald nach seiner Rückkehr, wurde
Giesecke zum Professor der Mineralogie in Dublin ernannt,
wo er am 5. März 1833 starb.
Die Literatur der Polaris- Expedition wird durch das
jetzt von Dr. Emil Bessels veröffentlichte Werk: Die ame-
rikanische Nordpol-Expedition !), wohl vorläufig abgeschlossen
sein, da nach dem Vorworte wenig Aussicht auf das Er-
scheinen der noch fehlenden zwei Bände des wissenschaft-
lichen Theiles des officiellen Werkes vorhanden ist. Der
Text des Buches wurde von dem Verfasser bereits im Som-
mer 1874 ausgearbeitet, die Veröffentlichung aber bis zum
Erscheinen der inzwischen von Rear- Admiral Davis her-
ausgegebenen officiellen Reisebeschreibung zurückgehalten.
Durch diese verspätete Publication ist andererseits der Vor-
zug entstanden, dass die Resultate der englischen Expedi-
tion bei Bearbeitung des wissenschaftlichen Theils auch
benutzt werden konnten. Letzterer bildet einen Auszug
aus dem eraten wissenschaftlichen Bande des officiellen Rei-
sewerks, welcher zu dem Zwecke und namentlich wegen ver-
schiedener darin enthaltener Fehler von Dr. Bessels einer
gründlichen Revision unterzogen wurde. Besonders aus-
fübrlich sind die Beobachtungen über Ebbe und Fluth be-
handelt, da dieselben nach Bessels’ Ansicht den Beweis für
die Insularität Grönlands liefern und deutlich zeigen, dass
— —
1) Leipzig, W. Engelmann, 1879.
40°
316
die Fluthwelle von Norden aus nach der Polaris-Bai ge-
lange. Ein specielles Interesse dürfte auch Cap. IX, die
ethnographische Skizze der Eskimos, beanspruchen, in wel-
cher der Verfasser seine eigenen Beobachtungen mit den
bisher bekannten zusammenstellt.
In der „Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für
Meteorologie” (Bd. XIV, Mai 1879) kritisirt und revidirt
Prof. X. Weirauch in Dorpat die von Dr. Bessels in den
Scientific Results &c. mitgetheilten „Anemometrischen Re-
sultate der Polaris-Expedition”.
Oceane.
In der Hydrographic Notice No. 15 Washington sind
33 Tiefseelothungen veröffentlicht, welche von J. W. Philip,
Commandant des U. St. S. „Zusoarora” von \/, Sm SWz
/ W von der SW-Spitze der Insel Higarita (Bai von Pa-
nama) bis ca 4 Sm vom Strande bei Acapulco in der Zeit
vom 25. Januar bis 4. Februar d. J. ausgeführt worden
sind. Wir finden dieselben in den Annalen der Hydrogra-
phie &c. No. 4 reproducirt. Aus der mitgetheilten Tabelle
ergiebt sich, dass auch auf dieser Strecke des Grossen
Oceans wie an der californischen und peruanischen Küste
der Meeresboden auf einer kurzen Streoke vom Ufer schroff
bis zu Tiefen von 3000-—4000 m und darüber abfällt.
Gustave Herrle in Washington hat eine Karte des In-
dischen Oceans in gnomonischer Projection veröffentlicht
zur Anwendung beim Segeln im grössten Kreise. Zur
Erleichterung ihrer Benutzung dient ein „Circular Pro-
tractor”, mit dessen Hülfe sich die Entfernung zweier Punkte
leicht bestimmen lässt, so wie eine eingehende Erläute-
rung, welche durch zahlreiche Beispiele die Anwendung der
Karte erklärt.
Allgemeines.
Die vor einigen Monaten gegründete Socsetd Normande de
Geographie in Rouen hat das erste Heft einer von ihr heraus-
zugebenden Zeitschrift (Bulletin de l’annde 1879, Tome I,
mai et juin) erscheinen lassen, welches zunächst verschiedene
Urkunden, Protokolle und sonstige Actenstücke über die
Gründung der Gesellschaft, darunter die Eröffnungsrede
des Präsidenten Gabriel Gravier, sodann selbständige
Aufsätze von Ch. Normand über die Afrika-Forschung, und
von G. de V. über Gerhard Rohlfs und die Sahara-Bahn,
ferner eine Mittheilung über Soleillet’s Reisen und Projecte
und schliesslich Correspondenzen und Notizen enthält. Bei-
gegeben ist eine Übersichtskarte von Frankreich.
Wie die „Academy’’ meldet, erscheint seit dem 1. Juni
in Oporto eine Wochenschrift unter dem Titel Jornal de
Viagens e Aventuras de Terra e Mar.
Das bekaunte Zehrbuch der vergleichenden Erdbeschresbung
von Wilh. üts Pist vor Kurzem in 11. Auflage, bearbeitet
von Prof. F. Behr in Stuttgart, erschienen !). Die weite
Verbreitung, welche das Werk sowohl in Deutschland als
auch in zahlreichen Übersetzungen und Überarbeitungen
in Russland, Italien, Niederlanden &o. bisher gefunden, be-
weist zur Genüge seine Brauchbarkeit beim Unterrichte
und wird auch dieser neuen Bearbeitung nicht fehlen.
Der „Deutsche Verein zur Verbreitung gemeinnütziger
Kenntnisse in Prag” hat soeben ein geographisches Lehr-
}) Freiburg i. Br. Herder'sche Vorlagshandlung.
Geographischer Monatsbericht.
buch herausgegeben: J. Lippert, die Oberfläche der Erde,
welches sich zur Aufgabe macht, durch Hereinziehen der
naturwissenschaftlichen Verhältnisse in den Kreis der Dar-
stellung eine Gesammtheit aller Erscheinungen der Erd-
oberfläche zu geben.
Dr. E. Löffler, Professor der Geographie an der Uni-
versität zu Kopenhagen, betont und begründet in einer
kürzlich erschienenen Abhandlung: quelques röflexions sur
les etudes göographiques, leur but, et leur situation actuelle,
die Nothwendigkeit, die für die Geographie vorbereitenden
Studien mehr auf die Physik und Naturwissenschaften an
Stelle der Geschichte zu richten.
Von dem durch Charles Hertz in Paris herausgegebenen
Lieferungswerk: La conquete du globe, geographie contem-
poraine ist der erste Band beendet, welcher sich mit der
Geschichte der Erforschung der arktischen und antarkti-
schen Regionen beschäftigt. Ausgestattet ist der mit Fleiss
bearbeitete Band mit vielen Karten und Holzschnitten.
Der zweite Band wird die Erforschung der Oceane zum
Gegenstand nehmen. Das ganze Werk ist auf ca 40 Bände
mit 600—800 Karten berechnet.
Otto Toreli erörtert die Erscheinungen in der Eisperiode
des nordöstlichen Theiles von Nordamerika und kommt,
gestützt auf seine hinsichtlich der Richtungen der sich vor-
wärts bewegenden Eismassen angestellten und in einer
Karte niedergelegten Ermittelungen zu dem Resultate, dass
den Spuren nach der Ursprung der über den nordöstlichen
Theil von Nordamerika bewegten Eis- und Gletschermassen
in Grönland gesucht werden müsse.
Die 2. Abtheilung der vom deutschen und österreichi-
schen Alpenverein herausgegebenen „Anleitung zu wissen-
schaftlichen Beobachtungen auf Alpenreisen” erschien kürzlich
und ist auch als Separatabdruck zu haben. Während die
erste Abtheilung zwei werthvolle Aufsätze von (General-
major v. Sonklar (Orographie &c.) und von Oberbergrath Prof.
Gümbel (Geologie) brachte, ist diese zweite in dem gleichen
handlichen Format erschienene der Meteorologie gewidmet.
Der Verfasser, Direotor Dr. J. Hann, giebt eine kurze
Übersicht der Alpenmeteorologie. Dabei geht er nach den
einzelnen meteorologischen Elementen (Temperatur, Luft-
druck, Feuchtigkeit, Winde) vor, charakterisirt die Mo-
dificationen, welchen dieselben im Alpengebiet nach Lage
und Höhe unterliegen und zeigt endlich, wo Beobachtungen
besonders erwünscht und wie dieselben im Anschluss an
eine der meteorologischen Centralstellen in der Schweiz, in
Bayern und in Österreich, auszuführen sind.
Alfred R. Wallace, der Verfasser des „Malayischen Ar-
chipels”, der „Geographischen Verbreitung der Thiere” u. a.,
hat ein neues interessantes Werk: Tropical nature and other
essays !), verfasst, über dessen Zweck und Inhalt er sich in
der Vorrede näher ausspricht. Wallace hebt hervor, dass
neben der Menge von Schilderungen und Beschreibungen
aus der tropischen Natur noch Niemand den Versuch ge-
macht hat, eine übersichtliche Darstellung der Erscheinun-
gen zu geben, die das Wesen des Tropischen ausmachen,
oder ihre Ursachen und Bedingungen darzulegen. Man
scheide nicht das Örtliche von dem Allgemeinen, nicht das
Zufällige von dem Wesentlichen, und die Folge sei, dass
!) London, Macmillan & Co., 1879.
Geographischer Monatsbericht. 317
viele irrthümliche Auffassungen der charakteristischen Züge
der tropischen gegenüber denen der gemässigten Zonen
gang und gäbe geworden seien. In dieser Richtung soll
das Werk, dessen Verfasser 12 Jahre in den östlichen und
westlichen Tropen der Äqustorialzone lebte, aufklärend
wirken. Es zerfällt in 7 Capitel, von denen die ersten
3 dem Klima, der Pflanzen- und Thierwelt gewidmet sind.
Im vierten Capitel zeigt Wallace an dem Beispiel der Co-
libris von Juan-Fernandez und des gegenüberliegenden chi-
lenischen Festlandes die Wirkungen der natürlichen Zucht-
wahl auf Bau und Erscheinung des Thieres. In den fol-
genden beiden Abschnitten behandelt er die Farben der
Pflanzen und Thiere und die Wechselwirkung zwischen
den ersteren und dem Klima. Das siebente Capitel bildet
einen in Glasgow 1876 gehaltenen Vortrag: Streifzüge auf
das Gebiet der Biologie, den Schlussabschnitt grösstentheils
eine in der Geographischen Gesellschaft in London gehal-
tene Vorlesung über den Zusammenhang zwischen dem
Alter der Continente und der Verbreitung lebender und
ausgestorbener Thiere.
Vor einigen Monaten hat unser deutscher Generalconsul
in New York, Dr. 7. A. Schumacher eine Frucht seiner Stu-
dien über ein Capitel der Geschichte der Geographie ver-
öffentlicht, welches sowohl das Interesse des grösseren Publi-
cums als des engeren Kreises der Fachgenossen im hohen
Maasse in Anspruch nehmen muss. Es handelt sich. um
eine auf eingehenderem Quellenstudium beruhende Unter-
suchung über die Person und die Schriften Peter Martyr’s,
dessen Dekaden sowohl wie sein grosses opus epistolarum
für die Geschichte der ersten spanischen Fahrten nach
Amerika von jeher als Hauptquelle angesehen worden sind.
Obwohl frühere Schriftsteller, wie besonders Humboldt in
seinen „Kritischen Untersuchungen” (bes. Th. II, 8. 484
bis 96), u. A. zur Vorsicht gemahnt haben bei Benutzung
seiner Angaben, weil insbesondere seine Briefe später viel-
fach überarbeitet sind und daher durchaus nicht immer als
das Ergebniss unmittelbarer Eindrücke angesehen werden
dürfen, so hatte es bisher doch Niemand unternommen, ein
vollkommenes Charakterbild Peter Martyr’s zu entwerfen,
darzuthun, in welchen Verhältnissen er zu den leitenden
Persönlichkeiten seines Zeitalters, insbesondere zu den Ent-
deckern selbst gestanden hat, um daraus wieder einen
Schluss auf die Authenticität seiner Berichte machen zu
können. Diess nachzuholen hat sich Dr. Schumacher vor-
genommen. Ohne uns eine ausführliche Biographie des
Verfassers der Dekaden zu geben, verfolgt er ihn doch zur
Zeit der Abfassung derselben, wie bei den Gelegenheiten,
die ihn zu den Briefen an Gönner und Freunde veran-
lassen, und erweiset zur Evidenz, dass Martyr in dem er-
sten Decennium der oceanischen Entdeckungen den Dingen
viel ferner gestanden hat, als man bisher annahm. Von
besonderem Interesse sind die Untersuchungen über sein
persönliches Verhältniss zu Columbus, welche entgegen den
bisherigen Traditionen zu dem Resultat führen, ein solches
habe kaum je zwischen ihnen bestanden. Wir können auf
den reichen Inhalt der in ansprechendster Form geschrie-
benen Schrift hier nicht näher eingehen, müssen aber der
Geschichte der Erdkunde zu diesem Beitrag im vollsten
Maasse Glück wünschen. Fast die Hälfte des 150 Quart-
seiten umfassenden Werkes sind gelehrten Anmerkungen
gewidmet, in denen neben der Begründung der einzelnen
Behauptungen in dem Text eine solche Fülle von interes-
santen historisch-geographischen Bemerkungen niedergelegt
sind, dass des Verfassers Ausdruck , „er gebe einen wohl-
gemeinten Beitrag, der am Wege des Lebens in einzelnen
Reisern gepflückt sei”, uns wahrlich zu bescheiden dünkt.
Es ist hier eine höchst ausgedehnte, schwer zu vereinigende
Literatur mit deutscher Gründlichkeit verwerthet, und schon
dieser Umstand muss dem Buche einen bleibenden Werth
sichern. Was uns aber besonders dabei anmuthet, ist,. dass
ein wissenschaftlich gebildeter Beamter des auswärtigen
Amtes, die überaus günstige Gelegenheit, die Schätze ameri-
kanischer Bibliophilen kennen zu lernen, um welche ihn
manche deutsche Gelehrte beneiden möchten, in dieser
Weise ausnutzt. Unsere an gründlichen Monographien so
arme Literatur der Geschichte der Erdkunde wird, so hoffen
wir, durch Dr. Schumacher noch weitere Bereicherungen
erfahren.
Du = „U „U a0
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Karten.
Admirslitätskarten. Deutsco - -.. Nordsee. Jade- u. Weser-
Mündungen. (Carton: Die Weser vom Dwarsgat bis Bremerhaven.)
1:50000. 2 Bl. (Nr. 56.) M. 3. — Ostsoe. Deutsche Küste. Pom-
mern. Sect. VI. 1:150000. (Cartons: Rügenwaldermünde u. Stolp-
wünde. 1:20000.) M. 2,50. Kpfrst. Berlin, Reimer, 1879.
Baden. Neue topographische Karte des Grossherzogthums —
1:25000. 3, Lieferung. Bl. 68, 65, 68, 74, 78. & M. 1,50. BI. 72
M. 2,40. Karlsruhe, Braun, 1879.
Bayern. Administrativkarte von dies- und jenseits des Rhei-
nes. 1:400 000. 2 Bi. München, Mey & Widmayer, 1879. M. 5,
in Etui oder mit Stäben M. 8.
Benecke, E. W., u. E. Cohen: Geognostische Karte der Umgegend
von Heidelberg. 1:50000. Bl. I. Heidelberg, 1877. Bl. IL. Sins-
beim, 1874. Strassburg, Trübner. & M. 6.
Beusch, Th.: Plan von Stettin. 1:9000. ‚Chromolith. Fol. Stettin,
Dannenberg, 1879. M. 1,50.
Breoichmann, I.: Schulwandkarte vom Reg.-Bezirk Coblenz. 9 Bl.
1:80000. Chromolitb. M. 9; auf Leinwand M. 15. — — der Prov.
Westphalen. 1:160 000. 6 Bl. Lith. u. Color. M. 7,50, auf Lanwd.
M. 18,50. — — Neuer Hand-Atlas zur Heimats- und Vaterlands-
kunde für die Volksschulen der Kreise Bonn und Rheinbach; — —
des Biogkreises; — — des Kreises Bergheim. 4°. & M. 0,25. Cöln,
Tonger, 1879.
Bürgi, J.: Carte en relief de la Lorraine, dressse d’apres los cartes de
l’&tat-major. 1: 100000. Fol. Mülhausen, Bufleb, 1879. M. 25.
Chemnitz. Neuester Plan von ‚1:8475. Chromolith. Fol.
Chemnitz, Bülz, 1879. M. 1,20.
Elsass-Lothringen. Topographische Generalkarte von - . 1: 400 000.
Farbendruck. Metz, Deutsche Buchhandlung, 1879. M. 2.
Euienhaupt: Schulwandkarte d. Kgl. bayer. Rogierungsbezirkes Unter-
franken-Aschaffenburg. 9 Bl. Lith. u. Color. Würsburg, Stahel, 1879.
M. 6.
Falkenstein, Vogel v.: Kaf.e des Hirschberger Thales mit dem preussi-
schen Antheile des Riosengebirges. 1: 100.000. Kpfrst. Fol. Glogau,
Plemming, 1879. M. 1,60.
Förster, H. G., u. H. Volbeding: Plan von Leipzig und Karte der
Umgebung. Farbendr. Leipzig, Hucke, 1879. M. 0,80.
Franke, A. R.: Specialkarte vom Sächsischen Vogtland. 1: 100 000.
Plauen i/V., Kell, 1879. M. 1,8%.
Grosser Generalstab: Karte von Elsass-Lothringen. 1:80 000. 38 Bl.
Berlin, Amelang, 1879. M. 20. & Bl. M. 0,6.
Hetzel, G., u. W. Rentzsch: Plan von Leipzig. 1:7 000. Kpfrst. Fol.
Leipzig, Hinrichs, 1879. M. 0,76
Heyberger, J.: Specialkarte der Umgegend von Tölz, Tegernsee, Schlier-
see, Kochel und Walchensee. München, Finsterlin, 1878. M. 1.
Hilscher, A.: Karte des Kreises Landaberg YW. 1:40 000. 8 Bl.
Chromolith. Fol. M. 10. Landsberg a W/. Schäffer, 1879. — —
Wandkarte des Kreises Adelnau. 1:45000. 6 Bl. Lith. u. Color.
M. 9. Ostrowo, Priebatsch, 1879.
Hirschwald, J.: Geolog. Wandkarte von Deutschland. 1: 1034 500.
12 BL Fol. Leipzig, Photolith. Institut, 1878. M. 20, auf Leinwand
in Mappe M. 26, mit Stäben M. 26,50.
Hottenroth, A.: Plan von Dresden. Lith. Fol.
1879.
leenburg: Plan von Düppel und den Belagerungs-Arbeiten von 1864.
Litb. Fol. Neisse, Graveur. 1879. M. 0,75.
Kaobleauch, H.: Karte vom deutschen Zollgebiet mit Berücksichtigung
der Verwaltungsgebiete. 1:200 000. Chromolith. Fol. Berlin, Hey-
Meinhold, Dresden,
M. 1
mann, 1878. M. 3.
Köln. Plan von - und Umgebung. Mit Beschreibung. Lith. Fol.
C3lo, Warnits, 1879. M. 1.
Lange, H.: Wandkarte der Herzogth. Bremen und Verden und des
Lesdes Hadeln. 1: 100 000. 4 BL Chromolith. Stade. Pockwits, 1879.
M. 10, mit Stäben M. 18.
Lehmann, C.: Verkehrskarte der Provinzen Ost- und West-Preussen,
Pommern und Posen. 1:1000 000. Fol. Berlin, Lithogr. Innktat,
1879. M. 2.
Liebenow, W.: Specialkarte der Schlesischen Sudeten. 1: 150 000.
ı Bi. Chromolith. Fol. Auf Leinwand M. 6. — — Neue Speeial-
karte der Grafschaft Glatz nebst den angrenzenden Theilen von Schle-
319
sion, Böhmen und Mähren. 1: 150000. Chromolith. Breslau, De
wendt, 1879. M.A.
Neuburg a/D. Speciaikarte des Landgerichtes ‚ seiner Amts-
gerichte und des Bezirksamtes Neuburg aD. 1 :250 000. Lith. und
color. Fol. Neuburg, Prechter, 1879. M. 1.
Pabst, H.: Karte vom Thüringer Walde in Reliefmanier nebst Höhen-
register. (Westl. Theil.) 1:60000. Gotha, Glaeser, 1879. M. 0,78.
Preuss. Generaistab: Sectionskarten: 1: 100000. Seet. 40: Carthaus,
98: Neustettiu, 101: Tuchel, 118: Deutsch-Krone, 142: Bromberg,
162: Argenau, 287 H: Fulda. Kpfrst. u. color. & M. 1.— — Kreis-
karten. 1:100000. Kreis Strassburg, Marienburg, Rosenberg, Neiden-
burg, Osterode. Kpfrst. und Color. & M. 2. — Messtischblätter
1:25 000: Ost-Gruppe Nr. 1: Gr.-Lübbe, 3: Gr.-Linichen, 4: Büs-
sen, 7: Gr.-Spiegel, 8: Märk.-Friedland, 13: Callies, 14: Spechts-
dorf, 15: Marzdorf, 16: Deutsch-Krone, 19: Wtelno, 20: Zolondowo,
21: Zatten, 22: Tütz, 23: Ruschendorf, 24: Arnsfelde, 25: Gr.-Wit-
tonberg, 26: Schneidemühl, 37: Schmilau, 28: Wissek, 29: Wirsitz,
30: Sadke, 31: Nakeli/Posen, 35: Fondon, 36: Wender, 37: Sehloppe,
38: Kl.-Drensen, 39: Schönlanke, 40: Radolin, 41 : Usch, 42: Mor-
zewo, 43: Samotschin, 44: Jactorowo, 45: Gromaden, 46: Szara-
dowo, 51: Pensau, 54: Schirpitz, 57: Gniewkoro, 58: Schönau. —
Tabl. C. Nr. 7: 8Süderwilstrup, 8: Halk-Hoved, 12: Trarup, 25:
Sterup, 33: Gelting, 27: Öhe, 38: Westermarkelsdorf, 39: Krummen-
siek, 46: Burg auf Fehmarn, 55: Bendfeld, 56: Gieksu, 62: Preetz,
63: Belent, 64: Lütjenburg, 65: Hansühn, 66: Oldenburg yH.,
68: Fischer-Baden, 69: Müritz, 72: Stolpe, 73: Plön, 74: Eutin,
75: Neustadt i/H., 88: Süsel, 89: Rettin, 99: Curau, 110: Schön-
berg i/M. Lith. u. Color. ä M. 1. Berlin, Schropp, 1878/79.
Rachel, L.: Wandkarte von Stuttgart und Umgebang. 1:18 750. 8 Bl.
Chromolith. u. Color. Fol. Stuttgart, Metzler, 1879. M. 10
Auf Leinw, mit Stäben M. 18.
Rappard, F.v.: Synodal-Karte der evangelischen Gemeinden der Rhein-
provinz. 1:600000. Lith. u. Color. Fol. Langenberg, Frost, 1879.
M. 4,50.
Reiohs-Eisenbshn-Amt: Übersichtskarte der Eisenbahnen Deutsch-
lands. 1:1000 000. 4 Bl. Chromolith. Berlin, Mittler, 1879. M. 5.
Roessel, Thb.: Reliefkarte des Königr. Sachsen. Chromoplith. 4°. Leip-
zig, Eckerlein, 1879. M. 0,38.
Rühl, O.: Plan von Worms. 1:5000. Chromolith. Fol. Worms, Kräu-
ter, 1879. M. 3,50.
Ssarbrücker und Rhein-Nahe-Eisenbshn. Karte der Königl.
nebst Nachbarbahnen. 1:240 000. Lith. Fol. Trier, Lints, 1879.
M. 2,00.
Ssohsen. Geolog. Bpecialkarte des Königreichs Bearbeitet
unter Leitung von H. Credner. Sect. 77: Mitweida, Seet. 95:
Hohenstein. 1:25 000. Chromolith. Leipzig, Engelmann. 1879. AM. 2.
Ssile, F. X.: Special-Wandkarte des Kreises Saarbrücken. 1:25000.
4 Bl. — — des Kreises Hamm. 2 Bl. — — des Kreises Siegen.
1:40000. 4 Bl. Fol. Lithb. u. Color. Gebweiler, Boltze, 1879.
& M. 9.
Trier. Nivoau-Karte von Trier und Umgebung. 1:25000. 2 Bl.
Chromalith. Fol. Trier, Lintz, 1879. M. 6.
Visell, J.: Wandkarte der Kreise Euskirchen und Rheinbach. 1:30 UV.
6 Bl. Chromolith. Gebweiler, Boltze, 1879. M. 12.
Zimmermann, J.: Vorgeschichtliche Karte von Soblesien. 4 BI.
1:30 000. Chromolith. Fol. Breslau, Korn, 1879. 4.7,
auf Leinwand in Futteral M. 11
Zschech, O.: Repetitionskarten der preuss. Provinsen. Nr. 9: Schles-
wig-Holstein. 1:600 000. Lith. Fol. Neumünster. Brumby, 1879.
. M. 0,15.
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Über Orbitoiden und Nummuliten führende Kalke vom „Goldberg”
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Bozen, Ampezzo &c. Q.-Fol. 1: 129 600. Lith. Wien, Artaria, 1879... 1.
Mer Adriatiquo. Ports d’Umago, de Daila, de Parenzo et baie de Pi-
rano (No. 3596); Golfe de Medolino, baie de Bucari ot Porto-Re&,
Port de Veglia, d’Arbe et de Zengg (No. 3535); Pola, cöte d’Istrie
(No. 3599); Ports de Gravosa et de Budua (No. 3618); Port de
San Giovanni di Medua (No. 3620); Canal dei Castelli (No. 3621);
Canal de Pasman (No. 3617); Ports de Klek, Palma, Tre Poszi
et bouches de la Narenta (No. 3660); Port de Rogosnizsa, San
Giorgio di Zirona, canal de Trau, baies Saldon et Bossiljina
(No. 3627); Port de Sebenico et ses approches (No. 3667); Canal
de Sabioncello, canal de Spalato. Ports de Rosso, Valle-Grande e
Stagno Piccolo (No. 3683); Ports de San Giorgio di Lissa, Berna,
Carboni &c. (No: 3685). Paris, Döp. de la Marine, 1879.
Militärkarte von Österreich-Ungarn. Wien. Wehrzeitung 1879. Gr.-8°.,
. fl. 0,80.
Österr.-Ungar. Monarchie. Spccialkarte der - ——. 1: 785.000.
Zone 2.XXVI: Chwalowice. — 4.XV: Kronstadt a/Wilden Adler,
XVI: Jauernig, XVlt: Hotsenplotz, XXIII: Nowyi Gorod, XXV:
Mieleo, XXVI: Rudnik, XXIX : Belsec. — 5.XVI: Freiwaldau, XX:
Mislowitz, XXI: Chrsanöw, XXlII: Krakau, XXIII: Uscic solne,
XXIV: Tarnow, XXV: Ropezyce, XXVI: Rzezöw, XXVII, Jaroslaw,
XXVIII: Lubaczöw, XXIX: BRaws-Ruska, XXXI: Kamionka. —
6. XV. Landskron, XVIII: Troppau, XX: Bielitz, XXI: Wadowice,
XXI: Wieliceka, XX1ll: Bochnia, XXIV: Pilsno, XXV: Brsostek,
XXVl: Tyczyn, XXIX: Jaworow. — 7. XV: Brünn, XVI: Olmüts,
XX: Saybusch, XXI: Makow, XXIII: Neu-Sandec, XXV: Jaslo,
XXVll: Dobromil, XXX: Mikolsjöw, XXXIV: Podwolocsyka.. —
8. XXV: Dukla-Pass, XXVIL: Ustrzyki-dolne. — 9. XXVl: Wole
Michova, XXVII: Oross-Ruszka, XXVIII: Turka. — 10. XIV: Znaim,
XV: Auspitz, XXI: Breznöbänya, XXI1I: Quellgebiet des Gran, XXV:
Varanndö, XXIX: Tuchla, — 11. XXIV: Kaschau, XXV: Töke,
XXVlli: Szolyva, XXIX: Ökörmezö. — 12. XXI: Losone, XXV:
Säros- Nagypatak, XXVIII: Bike. — 13. XXIX: Töcso. — 18.
1X: Gmünd. — 24. XXIX: Petrosöny. Heliogr. in Kpfr. Wien,
Milit.-Geogr. Institut, 1878 und 1879. a fl. 0,50.
Pohl, L.: Übersichtskarte des Telegraphen-Netzes der östorr.-unyar.
Monarchie. Hrsg. vom K.K. Handels-Ministerium. Gr.-Q.-Fol. Wien,
K. K. Stastsdruckerei, 1878. fl. 1.
Steinhauser, A.: Karte der Markgrafschaft Mähren und des Herzogth.
Schlesien. Kpfrst. Fol. Wien, Artaris, 1879. fl. 2.
Ungarn. Specialkarte von -— ---. 1:144000. L16: Tissovica a/D., —
M7: Scilägy-Somlyo, 8: Nagy-Bäröd, 9: Umgebungen von Kis Be-
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(Geschlossen am 10. August 1879.)
FG As ee.
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Höhen in Meter, Tiefen in Engl. Faden.
Cvor a,0,u=k,vor e und i=s(ähnlich dem engl. &h). _ chmtsch. — d meist
viel weicher als im Deutschen. __g rer a,0, u wie im Deutschen, vor e und ı
' wie ch (= span. oder z).— Jua, ges =güa, güo, gus,gui=ge, gi. ist stumm,
vor us aber sturk aspirirt._j unlx=ch in ach, aber aus tiefer Kahle,__ jetzt
wirdx meist durch j ersetst.__Ul wie Ylfin.son maalle).__N-nj.— que,
je ke, Ki. 3 Stets 28.__ Es allgemeim verwechselt in Schrift u.
b mit v, ferner s mit c(vere wuli)u.n, sowiellmity& gmiö h veru. |
Aguada (Ag %Stellm, an denen Siisswosser vorkommt. Alto Höhe,
Hügel, Anhöhe. _ Apacheta (Apt.Weideplobs.__ Bakit (B*)=Bai, Bucht.
Calsta(C “= kleine Bucht.__ Cerro(C °)=Bügel, Anhöhe. _ Ci
Oordillera=Gebirgskette.__ Cusstu = Abhang e Merges.
Isla( 1.) Insel. _ Isteta (TI*")=Ileine Insel.__ Logyuna- kleiner See, Lacke, Lagune.
Dünla
“gr Westliche Länge 39 von Greenwich.
ach
ng
nen
k autegr. v Bomann.
GOTHA: ITTSTTITS PFRTHAES
—_.____—_
‚ Berichte der schwedischen Polar - Expedition.
(Mit Karte, se. Tafel 17.)
Die lange erwarteten Berichte Nordenskiöld’s und seiner
Gefährten aus der unfreiwilligen Winterstation bei Cap
Serdze Kamen sind endlich eingetroffen. Die Wissenschaft
wird, wie man schon aus diesen vorläufigen Mittheilungen
entnehmen kann, aus jenem zwangsweisen Winteraufenthalt
der Expedition an der sibirischen Nordküste vielfachen
Nutzen ziehen, namentlich durch die regelmässig angestellten
physikalischen und meteorologischen Beobachtungen, welche
wir in solchem Umfang zum ersten Mal aus jenen Gegen-
den erhalten. Der geographische Erfolg konnte Angesichts
des nautischen Problems, welches man sich nun einmal in der
Durchfahrt zur Bering-Strasse gestellt hatte, freilich nur ein
geringer sein. Was die Expedition in dieser Beziehung
versäumen musste, dürften nunmehr die Reisen des Capitän
Long und vielleicht auch des Capitän Sengstacke nachholen.
IL, Brief und Bericht des Prof. A, E. Nordenskiöld.
„Göteborgs Handels- och Sjöfarts-Tidning” veröffentlicht
in ihren Nummern 177 und 178 resp. vom 4, und 5. August
d. J. folgende Briefe von Professor A. E. Nordenskiöld an
Dr. Oscar Dickson in Gothenburg:
Ein Privatbrief an Dr. O. Dickson ist datirt: Nördli-
cher Theil der Bering-Strasse, „Vega’s” „Winterquartier, den
7. Januar 1879”, mit einem Postscriptum vom 20. Februar.
In diesem Privatbriefe schreibt Professor Nordenskiöld
u. A.: „Aus der Reise des Lieutenants Bove und Nordquist
nach Nischni Kolymsk konnte Nichts werden, da der Tschuk-
tsche, welcher es übernommen hatte, dieselben zu beför-
dern, erklärte, nachdem er sich durch Vorspiegelungen
in Betreff! der Reise eine gute Mahlzeit und eine balbe
Flasche Rum („rom”) verschaflt hatte, dass die Reise in
der dunkeln Jahreszeit unausführbar sei. Sowohl er wie
seine Hunde würden zu sehr unter der Kälte leiden. Erst
nächstes Frühjahr sei er willig, sein Versprechen zu erfül-
len &. All’ unsere glänzenden Versprechungen, ihn mit
Tabak, Messern, Nadeln, Gewehren, Blei, Pulver, „rom”
a. dgl. m. beschenken zu wollen, falls er augenblicklich
reise, vermochten nicht seine Furcht zu beseitigen. Auch
die Versuche, welche gemacht wurden, andere Hundege-
spanne zu miethen, misslangen, so dass die ganze Reise
aufgegeben werden musste.
Petermaan’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft IX.
Lieutenant Nordquist, welcher sich mit besonderem Eifer
auf das Studium der Sprache und Gebräuche der Tschuk-
tschen geworfen, und zu dem Zwecke kleinere Ausflüge mit
Hundegespannen in das Innere des Landes gemacht hat,
ist auf diesen so glücklich gewesen, einen Eingeborenen zu
überreden, ihn nach Anadyrsk zu befördern. Die Entfer-
nung von hier in gerader Linie nach Nischni Kolymsk ist
120 und nach Anadyrsk 80—90 schwedische Meilen.
Mit dieser Gelegenheit sandte ich an den Herrn Gros»
händler den Bericht über die Reise zwischen der Mündung
der Lena und der Koliutschin-Bai bis zum 28. September,
und für die Monate October, November und December Aus-
züge aus den Stundenbeobachtungen über das Wetter und
den Erdmagnetismus, welche wir auf unserer Winterstation
anstellten. Die Witterungswechsel sind, so lange alle Leute
frisch sind und in der Lage des Eises keine Veränderungen
eintreten, die einzigen wichtigen Begebenheiten in unserer
engeren Welt.
Nicht allein um unsere Angehörigen daheim zu beru-
higen, sondern auch unserer selbst wegen will ich hinzu-
fügen, dass Alles so gut wie möglich steht. Wir Alle sind
wohl und guten Muthes. Auch das Verhältniss zu den
Eingeborenen sowohl in den Zeltplätzen Jintlen und Pitle-
kay in der Nähe unseres Winterhafens, wie im übrigen
Lande, ist das möglichst beste. Früher waren die Tschuk-
tschen gefährliche Leute, welche nicht unbedeutenden rus
sischen Truppenmassen Schlachten lieferten, aber diese
Zeit ist jetzt vorüber. Die ganze Bevölkerung der Tschuk-
tschen-Halbinsel würde jetzt nicht mit der Besatzung „Ve-
ga’s” fertig werden, falls es zum Kampfe käme.
Das Schiff ist unbeschädigt. Es liegt hier, so weit sich
nach dem Augenschein beurtheilen lässt, eben so sicher,
wie z. B. in einem Aussenhafen des nördlichen Theiles des
Bottnischen Meerbusens, und es hat ganz gewiss dieselben
Aussichten, loszukommen, wie ein in Häfen des Bottnischen
Meerbusens eingefrorenes Fahrzeug. Dass wir weniger als eine
schwedische Meile vom offenen Meere eingeschlossen wor-
den, ist eine schwere Widerwärtigkeit gewesen, und es ist
mir schwerer gewesen, mich mit dieser Widerwärtigkeit als
mit irgend einer anderen im Leben auszusöhnen. Ein Trost
ist es jedoch allenfalls, dass wir bereits die für die Schiff-
43
326 Berichte der schwedischen Polar-Expedition.
fahrt vielleicht wichtigste aller Entdeckungsreisen im Eis-
meer ausgeführt und dass wir jetzt wenigstens eben so
grosse Aussicht haben, Asien umsegeln zu können, wie ein
Chinafahrer aus der Ostsee hat, seine Bestimmung zu er-
reichen.
Hierzu kommt die historische Bedeutung der Sache,
Schon vor mehr als 2000 Jahren wurde auf Alexander d. Gr.
Befehl eine Seereise vom Indus nach dem Persischen Busen
und um den damals bekannten Theil Asiens gemacht. Diese
Reise ist unter dem Namen „Nearchi periplus” (Nearchi’s
Umsegelung) bekannt, und der günstige Ausgang derselben
wurde von Alexander einer gewonnenen Hauptschlacht gleich-
gestellt. Bemerkenswerth ist, dass Nearchus auf dieser
Reise an der südwestlichen Küste Asiens einen Volksstamm
antraf, der in seinen Sitten vollständig denen glich, welche
jetzt den nordöstlichen Theil Asiens bewohnen. Um einen
Einblick in die historische Seite unserer Reise zu erhalten,
dürfte es vielleicht deren liberalen Förderer interessiren,
durchzusehen:
W. Stevenson: Historical sketch of the progress of dis-
covery, navigation and commerce, Edinburgh 1824 (wird
auch als 18. Theil von Kerr’s berühmter collection of voya-
ges and travels angegeben).
J. Barrow: A chronological history of voyages into the
arctic regions undertaken chiefly for the purpose of disoo-
vering a North-east, North-west and Polar passage between
the Atlantic and Pacific. London 1818.
Was ich diesen Augenblick am meisten befürchte, ist,
dass unsere Überwinterung dem Heimath- oder Auslande
Anlass zu einem Nachforschungs-Unternehmen giebt. Sol-
ches sst durchaus unnöthrg.
Professor Nordenskiöld’s kurzes Postscriptum vom 20.
Februar lautet wie folgt:
Ein Tschuktsche reist in wenigen Minuten nach Nischni
Kolymsk, Ich sende Briefe mit ihm. Aus der projectirten
Reise nach Anadyrsk wurde ebenfalls Nichte. Es steht
nach wie vor so gut wie möglich. Der Tschuktsche will
nicht warten. In Eile A. E.N.
Professor Nordenskiöld’s vorgenannter Brief mit Bericht
über die Reise von der Mündung des Lena-Flusses lautet
folgendermaassen :
Am Bord „Vega’s”, eingefroren an der Küste von
Sibirien in der Nähe der Bering-Strasse, 67° 6’
N. Br., 173° 15’ Westl. L. v. Greenwich, den
25. Novbr. 1878.
Hochgeehrter Herr Grosshändler'!
Für den Fall, dass ich im Laufe des Winters Gelegen-
heit haben sollte, Briefe nach der Heimath zu senden, be-
ginne ich schon jetzt, eine Fortsetzung des Berichtes nieder-
zuschreiben, welchen ich in den letzten Tagen des August
durch Capitän Johannesen von der Mündung der Lena an
Sie abgesandt habe. Capitän Johannesen muss mit dem
Dampfschiff „Lena” Jakutsk vor Mitte September, und die
mit demselben abgesandten Briefe müssen Schweden zwei
Monate später erreicht haben.
Falls dieser Bericht und die beigefügte Karte richtig
befördert ist, dann wissen Sie, Herr Grosshändler, dass die
Reise vom Jenissej um Cap Tscheljuskin nach der Mündung
der Lena keinen sonderlichen, durch Eishindernisse be-
dingten Schwierigkeiten begegnete, dass beide Fahrzeuge,
welche während dieses Theiles der Expedition zu meiner
Verfügung standen, in gutem Zustande und bei guter Ge-
sundheit aller am Bord befindlichen Leute, den Theil des
Polarmeeres erreichten, wo dem Plane der Expedition ge-
mäss geschieden werden sollte. Ich vermuthe auch, dass
aus den Briefen, welche bei der erwähnten Gelegenheit ab-
gesandt wurden, hervorgeht, dass wir Alle damals fast über-
zeugt davon waren, noch in diesem Jahre Japan zu er-
reichen. Diese Erwartung ist nicht in Erfüllung gegangen.
Nachdem wir während der weiteren Fahrt mit ziemlich
schweren Eishindernissen zu kämpfen gehabt, fror „Vega”
Ende September an der Stelle ein, welche in der Über-
schrift dieses Briefes angegeben ist, kaum 200 km von
der Bering-Strasse. Das Fahrzeug ist unbeschädigt, bequem
und warm, der von Grundeis gebildete Winterhafen sicher,
Lebensmittel- und Kohlenvorrath reichlich, der Gesundheits-
zustand an Bord ausgezeichnet. Bis auf das erwähnte
Unglück steht somit Alles so gut wie möglich, und hoffe
ich, Anfang nächsten Sommers die Reise weiter fortsetzen
zu können.
Wie ein Blick auf die Karte von Asien zeigt, mündet
der Lena-Fluss mit zahlreichen Armen, welche ein weit
gestrecktes Deltaland durchlaufen, ungefähr in der Mitte
der Nordküste Asiens. Die Entfernung von dort bis zum
Jugorschar ist fast eben so gross als die Entfernung bis
zur Bering-Strasse. Die Küstenstrecken an beiden Seiten
dieses Flusses sind jedoch wesentlich verschieden. An der
Westseite schiesst das Land gen Norden bis fast zum
78. Breitengrade hinauf, d. h. bis zu einem Breitengrade,
welcher nur an wenigen Stellen des nördlichen Eismeeres
überschritten ist, und in welchem man meistens die Begeg-
nung mit undurchdringlichen Eismassen zu befürchten hat.
Nach Osten neigt die Küste sich dagegen nach und nach
gen Süden, so dass der Sund, welcher die Wasser des Stil-
len Meeres und des Eismeeres vereint, südlich vom Polar-
kreise, ungetähr auf dem Breitengrade Haparanda’s liegt.
An der Westseite bildet das Küstenland eine weit gedehnte
waldlose Tundra, während dagegen die Waldgrenze zwi-
schen der Lena und der Bering-Strasse an manchen
Stellen fast direct bis zur Küste geht. Es war nun zum
Berichte der schwedischen Polar-Expedition. 327
ersten Male, dass ein Fahrzeug längs des westlichen Thei-
les dieser Küstenstrecke gesegelt ist, und längs eines be-
deutenden Theiles derselben war bisher nicht einmal ein
Boot vorgedrungen. Vor über 200 Jahren ist dagegen ein
Fahrzeug von der Lena bis zur Bering- Strasse gesegelt,
und wenn diese Expedition auch nicht wiederholt worden
ist, sind seit der Zeit doch zahlreiche Seereisen auf der Lena,
Kolyma, Jana, Indigirka oder der Bering -Strasse als Aus-
gangspunkte längs der meisten T'heile der Nordostküste
Sibiriens unternommen worden. Die Küsten der Westseite
sind äusserst unrichtig auf den Karten angegeben, so dass
wir über eine Strecke von fast 500 km Länge gesegelt
sind, welche auf den neuesten Karten von Sibirien als Land
bezeichnet sind. Bedeutende Fehler haben wir dagegen in
den Karten über die Ostküste nicht entdecken können. An
der Westseite liegt die Küste, so viel man weiss, offen und
ungeschützt vor den Eismassen des Polarmeeres, an der
Ostseite dagegen wird das eigentliche Polarmeer von dem
Meere an den Küsten der neusibirischen Inseln und Wran-
gel-Land geschieden. Deshalb hatte man wohl Ursache
zu erwarten, dass die hauptsächlichsten Schwierigkeiten für
unsere Expedition bei der Ankunft an der Lena überwun-
den sein würden. Schon vor Abgang der Expedition sprach
ich jedoch die Befürchtung aus, dass die Schwierigkeiten
der letzteren eigentlich östlich der Kolyma beginnen wür-
den, da auf dieser Strecke nur weniger bedeutende Flüsse
sich in’s Meer ergiessen, und man daher hier nicht darauf
rechnen könne, dem warmen Küstenstrom zu begegnen,
welcher westlich von diesem Flusse zur Spätsommerszeit
ein verhältnissmässig eisfreies Meer bewirkt. Diese Befürch-
tung hat sich leider, obgleich wir sie einige Tage während
des vom Glücke in jeder Weise begünstigten ersten Thei-
les unserer Reise vergassen, als vollständig begründet er-
wiesen.
Herr Grosshändler wird nämlich aus meinen Reisebe-
richten ersehen, dass die Sachverhalte, welche den Aus-
gangspunkt dieser Betrachtungen bildeten, unserer Seereise
in ihren verschiedenen Theilen ihr Gepräge aufgedrückt
haben: Zwischen Norwegen und Jugorschar kein Eis —
zwischen Jugor und dem Jenissej unbedeutendes Eis — zwi-
schen dem Jenissej und den Bäreninseln (belegen 71° N. Br.
ungefähr 1000 km von der Mündung der Lena entfernt)
längs der Küste fast kein Eis — östlich von den Bären-
inseln Eis, welches, je weiter man nach Osten kam, dichter
und dichter ward, bis dasselbe in Verbindung mit neu
gebildetem Eis unser Fahrzeug an der Grenze des stets
eisfreien Wassers des Stillen Meeres in Fesseln schlug.
% #
*
Es war ursprünglich meine Absicht, „Vega” der „Lena’’
bis zum Ankerplatze an der Mündung des Lena-Flusses
folgen zu lassen, und mich erst vom Tenderfahrzeug zu
trennen, nachdem ich es wohlbehalten den Fluss hinauf
hatte dampfen sehen. Der günstige Wind, das eisfreie Meer
im Verein mit der Abneigung, ohne Nothwendigkeit die
tief gehende „Vega” den Gefahren des wahrscheinlich
sehr seichten Fahrwassers ausserhalb des Delta’s des Lena-
Flusses auszusetzen, veranlassten mich jedoch, meinen Be-
gleiter im offenen Meer, etwa 20 km oder 2 schwedische
Meilen von der Nordspitze des Lena-Delta’s entfernt, zu
verlassen. Ich that dieses um so lieber, als für das Dampf-
boot „Lena” keine Gefahr damit verbunden war, den schiff-
baren Flussarm allein aufzusuchen, Dieses Fahrzeug war
nämlich mit besonderer Rücksicht hierauf so seicht gehend
gebaut worden, dass es überall, auch da vorwärts kommen
konnte, wo kleineres Grundeis den Meeresboden aufgewühlt
hatte, also an den meisten Stellen fast bis zum Strande
selbst. Ausserdem hatte Herr Sibiriakoff unter geneigter
Mitwirkung des Bischofs und des Gouverneurs in Jakutsk
ein Seezeichen auf der Höhe der für die Schifffahrt geeig-
netsten Mündung des Lena-Flusses errichten lassen. Damit
dieser Wegweiser zur Nachtzeit bemerkt werden konnte,
war mit einem Jakuten vereinbart worden, hier an den
dunkeln Herbstabenden einen hell leuchtenden Ball zu un-
terhalten. Auch sollte er das Fahrwasser zum Zwecke des
Lootsens bis Jakutsk auflothen, so wie vor der Hand einen
passenden Winterhafen aufsuchen, falls die Überwinterung
nothwendig wurde. Falls der Dampfer „Lena’”’ bei dem
Versuch im Fluss anzulaufen, auf Grund gerathen sollte,
war das Fahrzeug so leicht, dass dessen besonnener Führer
mittelst der mitgebrachten Anker und Taue bald wieder
loszzukommen vermochte, was der grossen, schweren „Vega”
selbstverständlich sehr schwer geworden sein würde.
Nach der Trennung steuerte „Iena” dem Lande, wir
dagegen steuerten östlich den südlichsten der neusibirischen
Inseln zu.
Diese sind, worauf ich im Arbeitsplane hingewiesen
habe, in wissenschaftlicher Hinsicht besonders merkwürdig.
Die Überreste von Mammuths und einer Menge Thierfor-
men von gleichem Zeitalter, welche uns so unerwartete
Aufklärungen über die Beschaffenheit der Thierwelt gege-
ben haben, die früher das nördliche Asien bewohnte, kom-
men nämlich auf diesen Inseln weit häufiger vor als auf
den Tundras des Festlandes. Einige Sandbänke sind hier
in einer Weise mit Knochen und Zähnen von Mammuth
angefüllt, dass Elfenbeinsammler, welche seit einer Reihe
von Jahren fast jedes Jahr in mit Hunden bespannten
Narten sich vom Festlande über’s Eis nach diesen Inseln
begeben haben, um im Laufe des Sommers Elfenbein zu
sammeln, im Herbste, wenn das Meer wieder mit Eis be-
legt ist, mit reicher Ernte zurückgekehrt sind. Dieses wird
42°
328 Berichte der schwedischen Polar-Expedition.
an dem vorher schon unzählige Male geplünderten Strande
gesammelt und ist daher entweder von den Herbststürmen
oder dem Herbsttreibeis aus dem Meere hinaufgepresst oder
aus den Sandschichten des Strandes herausgespült worden.
Nach Hedenström (einem sibirischen Beamten), dem einzigen
‚gebildeten Mann, welcher zur Sommerszeit diese Inseln näher
untersucht hat, trifft man ausserdem im Innern derselben
ganze Felder, bedeckt mit Knochenüberresten von Mammuth,
Nashorn, Pferden, Auerochsen, Bison, Schaf &. In Folge
der Unzugänglichkeit des Landes ist jedoch bisher keine
eingehende wissenschaftliche Untersuchung desselben un-
ternommen worden, und liegt hier also ein Arbeitsfeld von
ausserordentlicher Wichtigkeit für die Geschichte unserer
Erde vor. Allerdings hätte dasselbe nicht einmal flüchtig
während der wenigen Tage bearbeitet werden können, in
denen wir, selbst unter den günstigsten Verhältnissen, jetzt
Zeit gehabt haben würden, uns in diesen Gegenden aufzu-
halten. Aber für die wissenschaftliche Expedition, welche
in einer nahen Zukunft nach dieser Gegend gesandt wer-
den wird, sohien mir doch eine vorbereitende Untersuchung,
und sollte sie sich auch nur auf Lothungen an den Küsten
und Erforschung der Eisverhältnisse im Sommer beschrän-
ken, von so grosser Wichtigkeit zu sein, dass ich gerne
wünschte, an einer der Inseln für einige Tage anzulegen oder
wenigstens zwischen denselben zu kreuzen.
Es war Windstille, aber meistens bedeckter Himmel;
die Temperatur gerade + 4° C., das Meer eisfrei. Es ging
daher rasch vorwärts. Als wir jedoch am Nachmittage des
28. August die westlichsten der Inseln, Semenowskji und
Stolbowoi, in Sicht hatten, wurde die See so seicht, dass
wir weite Strecken genöthigt waren, über 33—4 Faden
Wasser zu dampfen. Auch trafen wir einiges dünnes Eis
an. Dieses zwang uns zu einer Menge zeitraubender Um-
wege und verhinderte „Vega”, in voller Fahrt zu gehen.
Erst am 30. zur Mittagszeit langten wir vor der Ljachow-
Insel an, wo ich an’s Land zu gehen gedachte. Aber die
Westküste derselben war von zerrissenem Eise und so
seichtem Grunde umgeben, dass wir schon in einer Ent-
fernung von 15 Fuss vom Lande nur 4 Faden hatten.
Wenngleich das Eis keine ernstliche Schwierigkeit für
‚„Vega’” bildete, war es doch ein unangenehmes Hinderniss
für die Passage mit Böten oder Dampfschaluppe auf der
bedeutenden Strecke zwischen dem Fahrzeuge und dem Lande,
und konnte, für den Fall, dass ein rascher Frost eintrat,
eine wirkliche Sperrung werden, welche uns dort für den
Winter gefesselt haben würde. Ein plötzlicher Sturm in die-
sem seichten Fahrwasser muss für ein auf offener Rhede an-
kerndes Fahrzeug noch gefährlicher werden. Die Aussicht,
einige Tage auf der Insel umherstreifen zu können, vermochte
nach meiner Meinung, so lehrreich dieses auch gewesen
wäre, die Gefahr, den Hauptzweok der Expedition zu ver-
fehlen, nicht aufzuwiegen. Der Plan, an’s Land zu gehen,
wurde daher aufgegeben, und der Curs südlich, auf die
Strasse gerichtet, welche die neusibirischen Inseln vom
Festlande trennt.
Um die Landvertheilung am Schlusse der Tertiärzeit zu
erforschen, um näher die Rückgratsthiere kennen zu ler-
nen, welche gleichzeitig mit dem ersten Auftreten der
Menschen auf der Erde existirten, um neue Beiträge zur
Lösung der schwierigen Frage zu erhalten, wie es möglich
für die Stammväter der Elephanten Indiens gewesen ist,
in den Eisregionen Sibiriens zu leben, um die Gewäochse
und Seethiere des vormaligen geologischen Zeitraumes in
diesen Gegenden kennen zu lernen, um bessere Kenntnisse
von der Beschaffenheit des sibirischen Eismeeres zu erhal-
ten — eine Frage, welche jetzt von wirklicher Bedeutung
für die Schifffahrt zu werden scheint —, sollte eine ge-
naue wissenschaftliche Untersuchung aller derjenigen In-
seln, welche nördlich des sibirischen Festlandes liegen, 80-
bald wie möglich vorgenommen werden. Da jetzt die Vor-
urtheile, mit welchen das aussen vorliegende Meer betrach-
tet worden ist, beseitigt sind, dürfte eine See-Expedition
von Jakutsk aus mit einem kleinen Dampfer sicher zum
Ziele führen. Hierzu dürfte das Dampfboot „Lena” ganz
besonders geeignet sein. Der geringe Tiefgang desselben
gestattet, dass man mit demselben ohne Schwierigkeit bis
fast zur Küste kommen kann, es ist leicht zu handhaben,
es kann Stürme, wie sie in diesen Fahrwassern vorkommen,
in See aushalten, und seine Seiten von schwedischem Bes-
semerstahl gewähren einen so guten Schutz gegen Eis, wie
man ihn von einem anderen Fahrzeuge so geringer Grösse
gar nicht verlangen kann. Das Fahrzeug ist in wasser-
dichte Abtheilungen getheilt, so dass es, selbst wenn es
leck wird, nicht sinken würde, es ist mit besonderen Rosten
und einer Dampfsäge versehen, für den Fall, dass man
Treibholz zur Heizung verwenden muss &c.
Die Strasse zwischen der südlichsten der neusibirischen
Inseln und dem Lande ist nur etwa 30 Seemeilen breit. Dem
Festlande zu wird sie von einer Landzunge begrenzt, wel-
che häufig der Endpunkt von Küstenreisen östlich von der
Mündung der Lena gewesen ist, und welche vielleicht ge-
rade daher gleich vielen anderen wegen Sturm und Eis
schwierig passirbaren Landzungen der Nordküste Russlands
den Namen Swjatoi Noss (das heilige Vorgebirge) erhalten
hat. Der furchtlose russische Eismeerfahrer Laptew er-
klärte 1736, dass die Umschiffung dieser Landzunge un-
möglich sei, da nach einstimmiger Versicherung der Ja-
kuten, welche in dieser Gegend leben, die umliegenden Eis-
massen niemals schmelzen. Drei Jahre später (1739) wurde
die Landzunge jedoch von Laptew selbst umschifft —
Berichte der schwedischen Polar-Expedition. 329
eines von den vielen Beispielen dafür, wie möglich viele
„Unmöglichkeiten” eigentlich sind. Dieselbe Tour wurde
1761 in einem, wie es scheint, ziemlich eisfreiem Wasser
von dem sibirischen Kaufmann Schalaurow gemacht. Nach
meiner Überzeugung ist das Meer hier jedes Jahr nicht
allein für Dampfschiffe, sondern auch für ein gewöhnliches
Fangfahrzeug fahrbar, vorausgesetzt, dass dieses mit taug-
lichen, seegewohnten Leuten bemannt ist.
Auch wir fanden das Meer bei Swjatoi Noss vollständig
eisfrei und konnten daher am 31. August Vormittags bei
stillem, herrlichen Wetter ohne Schwierigkeit den Sund
durchschiffen. Das Land in der Umgebung war frei von
Schnee.
Von hier ab war das Meer ostwärts an der Küste eis-
frei. Das Wasser war wenig salzhaltig und zeigte eine
Temperatur von +4° C. Noch am 1. September blieb
das schöne Wetter mit Südwinden und einer Temperatur
von +5° C. zur Mittagszeit... Aber in der Nacht zum
2. ward der Wind nördlich und die Temperatur sank
auf —1°. Am nächsten Tage trat reichlicher Schneefall
ein, welcher das ganze Deck und die Bäreninseln, die wir
am 3. Mittags erreichten, mit Schnee belegt hatte. Die Bären-
inseln sind kleinere Felseninseln, an der Küste 71° N. Br.
und 161° Ö. L. v.Gr., ungefähr 360 Seem. von der Süd-
spitze der Ljachow-Insel entfernt. Diese Strecke hatten
wir in drei Tagen zurückgelegt, d. h. 120 Seem. per Tag,
ein Umstand, welcher, falls man Rücksicht auf die Zeit,
die zum Lothen, zur Untersuchung des Meeresbodens und
zu den Bestimmungen der Temperatur und des Salzge-
haltes des Wassers in verschiedenen Tiefen erforderlich
ist, so wie auf die Vorsicht nimmt, welche man in einem
vollständig unbekannten Fahrwasser beobachten muss, zeigt,
wie wenig wir auf diesem Theile unserer Reise durch Eis
genirt worden sind. Wir trafen allenfalls das eine oder
andere Eisstück und weiter nordwärts zeigten sich zusam-
menhängende Treibeisfelder, welche mich hinderten, den
Plan auszuführen, von der Mündung der Kolyma nördlich
zu dampfen, um zu sehen, ob man nicht Land oder Inseln
zwischen der Ljachow-Insel und Wrangel-Land finden könne.
Auch ein Versuch, von der nördlichsten Bäreninsel den
Weg gerade ostwärts nach Cap Schelagskoi zu nehmen, musste
aufgegeben werden, weil die Passage 40—50 Seem. östlich
von den Bäreninseln durch undurchdringliche Eismassen
gesperrt wurde. Wir wurden wiederum genöthigt, das eis-
freie Fahrwasser an der Küste aufzusuchen, aber auch die-
ses wurde immer schmaler und schmaler. Man wurde ge-
nötbigt, sich näher und näher der Küste zu halten, ob-
gleich die Tiefe des Meeres hier auf eine beunruhigende
Weise abnahm. Von längerem Aufenthalt brauchte jedoch
noch keine Rede zu sein. Wir passirten Tschaun-Bai in
der Nacht zum 6. September, und Cap Schelagskoi wurde
am 6. 4 Uhr Nachmittags erreicht. Die Entfernung zwi-
schen dieser Landspitze und den Bäreninseln ist in gerader
Linie 180 Seem. In Folge der vielen Umwege im Eise
hatten wir 24 Tag gebraucht, um die Strecke zurückzule-
gen, was durchschnittlich 72 Seem. per Tag oder 3 Soem.
per Stunde ausmacht — eine Geschwindigkeit, welche bei
einer Fahrt in einem meistens eisdurchsetzten Fahrwasser
noch für ganz befriedigend erachtet werden mass.
Nur zwei Seereisen längs dieser Küste sind von früher
bekannt, nämlich Deschnew’s 1648 und Schalaurow’s 1760
—1764. Das Schicksal des letzteren ist lehrreich für
einen Vergleich zwischen den Mitteln, auf welche man früher
beschränkt war, und denen, über welche man jetzt auf
Reisen im Eismeer verfügt, und giebt ein treffliches Bild
von dem Eifer und dem Muth, mit welchem die russischen
Eismeerfahrer im vorigen Jahrhundert das ersetzten, was
ihnen an der Ausrüstung und vielleicht auch an seemän-
nischer Routine fehlte, so dass ich nicht unterlassen kann,
hier eine kurze Schilderung seiner Reise zu geben:
Schalaurow war ein wohlhabender sibirischer Kaufmann,
welcher es zur Aufgabe seines Lebens gemacht zu haben
scheint, den östlich der Mündung des Lena-Flusses bele-
genen Theil der Nordküste Sibiriens zu untersuchen. 1760
reiste er von der Lena mit einem auf derselben gebau-
ten Fahrzeuge ab. Im ersten Jahre wurde dieses nur
bis zu dem nächsten östlich belegenen Flusse Jana geführt,
von wo die eigentliche Seereise im Juli 1761 begann. In
demselben Jahre gelang es ihm, am 6./17. September die
so übel berüchtigte heilige Landspitze (Swjatoj Noss) zu um-
schiffen, und Ende des Monats wurden die Bäreninseln
erreicht. Aber hier ward das winzige Fahrzeug durch Eis
und durch die späte Jahreszeit gehindert, weiter vorzu-
dringen. Schalaurow suchte von dort ein sicheres Winter-
quartier an der Mündung des Kolyma-Flusses auf und
erbaute mit Hülfe von Treibholz eine Hütte, welche mit
Schanzen von Schnee, die mit einem Paar kleiner Kano-
nen armirt waren, umgeben wurde. Von hier aus se-
gelte er im nächsten Jahre, als das Eis sich gelöst hatte,
auf's Neue ab, konnte aber wegen Gegenwinder und an-
derer Unfälle nicht weiter als bis zur Westseite des Caps
Schelagskoi vordringen, von wo er nach Seinem vorigen
Winterquartier mıt dem Entschluss zurückkehrte, die Reise
im folgenden Sommer fortzusetzen. Aber die durch die
dreijährigen Eismeerfahrten ermüdete Mannschaft weigerte
sich zu folgen. Die Reise musste daher unterbrochen wer-
den und Schalaurow selbst, dessen eigene Hülfsquellen jetzt
ausgegangen waren, ward genöthigt, nach Moskau zu rei-
sen, um Mittel zur Fortsetzung des Unternehmens herbei-
zuschaffen. Als dieses geschehen war, wurde neue Mann-
330
schaft geworben, mit welcher er 1764 wieder in's Eismeer
Sibiriens hinausschiffte. Da wurde er von Franklin’s Schiok-
sal betroffen. Wo und in welcher Weise, blieb 69 Jahre
unbekannt, bis einer von Wrangel’s Begleitern im J. 1823
an der Küste östlich von Schelagskoi eine alte aus Treib-
holz und Überresten eines gescheiterten Fahrzeuges erbaute
Hütte antraf, welche, nach den Berichten der Eingeborenen
zu urthbeilen, von Schalaurow aufgeführt war. Menschen-
gebeine, welche in der Hütte umherlagen, bekundeten, dass
dieser eifrige und furchtlose Eismeerfahrer und dessen Be-
gleiter hier umgekommen waren, vermuthlich an Soorbut.
Sie hatten mehrere Jahre darauf verwandt, bis zu der
Strecke vorzudringen, welche wir mit Hülfe von Dampf in
vier bis fünf Tagen zurückgelegt haben.
Die Nächte begannen jetzt so dunkel zu werden und
das Meer wurde so voll von Eis, dass wir uns darein finden
mussten, zur Nachtzeit still zu liegen, gewöhnlich mit dem
Fahrzeug bei einem oder dem anderen grösseren Stück
Grundeis ankernd. Als es am 6. Septbr. Tag ward, fan-
den wir uns in einer Weise von Eis umgeben, dass es un-
möglich ward, direct gen Osten weiter vorzudringen. Es
wurde daher nothwendig, eisfreieres Wasser zu suchen, ent-
weder nach dem Norden oder in der stets fast eisfreien,
aber seichten Rinne nahe der Küste. Letzteres wurde ge-
wählt. Aber es war dieses Mal mit nicht geringen Schwie-
rigkeiten verbunden, durch die Eismassen, welche uns um-
gaben und deren Ausdehnung wir in der Dunkelheit der
Nacht nicht hatten unterscheiden können, zu dem Lande
vorzudringen.
Kaum waren wir dem Lande nahe gekommen, als zwei
Böte nahten, von derselben Bauart wie die Umiaks oder
Frauenböte der Eskimos, beladen mit den ersten Eingebore-
nen, denen wir begegneten, seitdem wir Chabarova am Jugor-
schar verliessen. Es wurde angehalten, um dieselben an
Bord kommen zu lassen. Sie wurden sehr freundlich em-
pfangen, aber leider verstand keiner von ihnen russisch
oder eine andere uns geläufige Sprache. Nur ein Knabe
konnte bis 10 auf englisch zählen, ein Beweis, dass diese
Eingeborenen mebr mit amerikanischen Walfischfängern
in der Bering-Strasse als mit russischen Kaufleuten in
Berührung kommen. Seit der Zeit sind wir täglich mit
Eingeborenen an der Küste in Verbindung gewesen, aber
noch begegneten wir keinem einzigen, nicht einmal unter
den weit und breit umherreisenden Renthier-Tschuktschen,
welcher einen verständlichen Satz in irgend einer europäi-
schen Sprache sagen konnte. Statt dessen hat Lieutenant
Nordquist, welcher, wenn sich Gelegenheit dazu bietet,
geneigt zu sein scheint, sich einer gründlichen Durchfor-
schung dieses Theiles von Sibirien zu widmen, mit Eifer
und Erfolg sich darauf gelegt, deren Sprache zu lernen,
Berichte der schwedischen Polar-Expedition.
und ich habe ausserdem einen der Fangleute, Jonsen, von
allen anderen Diensten unter der Bedingung befreit, dass
er so viel wie möglich mit den Tschuktschen zusammen
sei, um deren Sprache und Sitten kennen zu lernen, Ich
hoffe, späterhin ein treues Bild der Lebensweise dieses
Volkes geben zu können, was neben der umfangreichen und
vollständigen Sammlung von Geräthen und Trachten, wel-
che ich mit heimführe, von um so grösserem Interesse wer-
den dürfte, als die Tschuktschen sich zum Theil noch der
Stein- und- Knochengeräthe bedienen, und dieses auf dem
ursprünglichen Landwege zwischen der Alten und Neuen
Welt ansässige Volk ein unverkennbares Gepräge der Mon-
golen der Alten Welt und der Eskimos und Indianer der
Neuen Welt trägt.
Auf der anderen Seite von Cap Schelagskoi dampften
wir am 6. und 7. in einer schmalen, offenen und eisfreien
Rinne nabe dem Strande weiter, aber nur in langsamer
Fahrt, wegen des unbekannten und in der Küstenrinne oft
ganz seichten Fahrwassers. In der Nacht zum 8. Septem-
ber legten wir wie gewöhnlich bei einer Grundeisfläche an.
Grund- und Schleppnetz wurden hinabgelassen und lie-
ferten eine reiche Ernte.
Am Morgen fanden wir uns wiederum so von Eis und
Nebel umgeben, dass wir, nach einigen vergeblichen Ver-
suchen sofort weiter zu kommen, genöthigt wurden, an
einer grösseren Treibeisfläichke in der Näbe des Landes
beizudrehen. Da das Fahrzeug, nachdem der Nebel ver-
zogen, vom Lande aus gesehen werden konnte, erhielten
wir sofort von einer Menge Eingeborenen Besuch, welche
uns durch Zeichen einluden, an’s Land zu kommen. Da
es unter allen Umständen unmöglich war, weiter zu kom-
men, liess ich ein Boot aussetzen, und ging mit den meisten
meiner Begleiter an’s Land.
Das Ufer wird hier durch einen niedrigen Sandwall ge-
bildet, welcher sich zwischen einer kleineren Strandlagune
und dem Meere befindet; weiter hinein hebt das Land sich
zu unfruchtbaren, schneefreien, oder von dem Schneefall
der letzten Tage mit einer dünnen Schneehülle bedeckten
Berghöhen empor. Die Lagunenbildungen, von der Art wie
die, welche uns hier zum ersten Male begegneten, sind be-
zeichnend für die Nordostküste Sibiriens. Die Dörfer der
Tschuktschen werden gewöhnlich auf dem Strandwalle selbst
errichtet, der die Lagune vom Meere trennt. Die Woh-
nungen bestehen aus grossen, geräumigen Zelten, welche
ein oder ein Paar Schlafräume enthalten. Diese bilden
gleicbsam ein besonderes inneres, von warmen Renthier-
fellen umgebenes Zelt, welches durch eine Thranlampe be-
leuchtet und erwärmt wird.
Wir wurden überall sehr freundlich aufgenommen, und
man bot uns, was das Haus enthielt. Augenblicklich war
Berichte der schwedischen Polar-Expedition. 331
der Speisevorrath reichlich. In einem Zelte wurde Ren-
thierfleisch in einem 7opf von Gusseisen gekocht. In einem
anderen war man im Begriff, die Gedärme von zwei kürz-
lich geschossenen oder geschlachteten Renthieren auszuneh-
men. In einem dritten war eine F'rrau damit beschäftigt,
aus dem Bauche der Renthiere das grüne, spinatähnliche
Innere zu nehmen und es in einen Sack aus Seehundsfel-
len zu stopfen, offenbar um es als Grünwaarenvorrath zum
Winter aufzubewahren !)., Andere Säcke aus Seehundsfel-
len sah man mit Thran gefüllt. Diese Säcke sind sowohl
luft- wie wasserdicht. Sie bestehen aus dem ganzen Fell
mit Ausnahme des Kopfes, welcher am Halse abge-
schnitten is. Wenn der Sack zur Aufbewahrung von
Flüssigkeiten benutzt wird, ist derselbe am Halse ge-
schlossen, eben so die übrigen Öffnungen im Felle, woge-
gen ein Zapfloch, aus einem Holz- oder Knochenrohre be-
stehend, in einem der Vorderbeine angebracht ist. Vor
einem der Zelte lagen zwei frische Walrossköpfe mit gros-
sen prächtigen Zähnen. Kinder fanden sich in Menge vor;
sie wurden freundlich behandelt, alle sahen sehr gesund
aus. Sie wurden häufig sowohl von den F’rauen wie von
den Männern auf dem Rücken umbhergetragen und waren
dann so eingepackt, dass sie fast einen Lederball bildeten.
Im Innern des Zeltes waren sie dagegen gänzlich nackt,
und ich sah sie zuweilen ohne Schuhe oder eine andere
Fursbekleidung aus den Zelten in’s Freie bei einer Tem-
peratur von unter 0° laufen. Ich tauschte mir hier eine
Menge Haushaltungsgegenstände, Waffen und Trachten ein.
Am Morgen des 9. September versuchten wir weiter
zu dampfen, wurden aber durch den anhaltenden und dich-
ten Nebel genöthigt, an einer Grundeisfläche auf 6 Faden
Wasser anzulegen. Als der Nebel sich verzogen hatte,
zeigte sich, dass das Grundeis dicht am Lande lag. Wir
blieben bis zum 10, September. Eine Menge Ausflüge nach -
dem Lande wurden gemacht. Das Ufer besteht aus Sand,
welcher gleich oberhalb des höchsten Wasserstandes von
einem üppigen Grasteppich bedeckt wird. Weiter landwärts
sieht man eine ziemlich hohe Gebirgsstrecke, und noch
entfernter schneebedeokte Bergspitzen. Das Flachland besteht
aus Sand- und Lehmschichten, welche sich ganz vor Kurzem
1) Das Innere des Renthierbauches wird auch von den Eskimos
auf Grönland als ein Leckerbissen betrachtet. Ausser diesem unschmaok-
haften Gerichte sammeln die Tschuktschen im Sommer einen bedeuten-
den Vorrath von Blättern und jungen Sprösslingen verschiedener Ge-
wächse, darunter eine Weidenart, ein, welche, wenn sie in Gährung ge-
rathen oder gefroren sind, entweder ohne weitere Zubereitung mit dem
Fleische zusammen oder gekocht als eine Art grüne Suppe genossen
werden. Um ihr Bedürfniss an Pflanzennahrung zu befriedigen, verzehren
sie auch die Wurzeln von wenigstens zwei Arten inländischer Gewächae.
Die eine Wurzelart bildet runde Knollen, etwas grösser als Haselnüsse
und fast eben so schmeckend; die andere gleicht den dicken kegelför-
migen Nebenwurzeln der Phaca frigida. Vielleicht kommt hierzu noch
eine dritte Art, die Wurzel einer Umbellifera.
über die Meeresfläche emporgehoben zu haben scheinen.
Merkwürdig ist, dass man vollständig die Wanderblöcke
vermisst, welche einen so charakteristischen Zug der losen
Erdschichten Nordeuropa’s und Nordamerika’s bilden, was
anzudeuten scheint, dass Eisfluthen in der jüngsten Erd-
periode keine hervorragende Rolle in diesem Theile der
nördlichen Halbkugel gespielt haben. Nach dem vollstän-
digen Mangel an Wanderblöcken längs der Meeresufer der
Jetztzeit zu urtheilen, dürfte gegenwärtig auch im Meere
nordwärts kein solohes Glacialland wie Grönland gefunden
werden.
An einigen Stellen geht das feste Gebirge bis zur Küste
hinab und bildet dort jähe 50—60 Fuss hohe Bergabhänge,
welche aus Talkschiefer, mehr oder minder mit Kiesel ver-
mischtem Kalk und Kieselschiefer bestehen. Die Schichten
ziehen sich von Norden nach Süden hin, sind fast aufrecht
stehend, enthalten aber keine Versteinerungen. In geolo-
gischer Hinsicht waren diese Klippen somit von geringerem
Interesse. Sie lieferten Dr. Almquist gute Beiträge zur
Kenntniss der früher vollständig unbekannten niederen Flora
dieser Gegend. Die Ausbeute an höheren. Landgewächsen
war dagegen in Folge der weit vorgeschrittenen Jahreszeit
unbedeutend, und im Meere suchte Dr. Kjellman vergebens
nach Algen. Die Thierwelt war eine arme — im Meere wur-
den nur ein Walrosg und einige Seehunde gesehen, am Lande
keine Säugethiere, wohl aber Mäuselöcher und Mäusegänge,
welche nach allen Richtungen hin die Erde durchkreuzten.
Von Vögeln waren Schwimmschnepfen (eine Phalaropus-
Art) am zahlreichsten, In der Nähe des Ankerplatzes des
Schiffes wurden augenblicklich keine Wohnungen angetrof-
fen, man sah aber an manchen Stellen des Strandes ehe-
malige Wohnplätze. An einer Stelle nahe der Mündung eines
noch nicht vollständig ausgetrockneten oder ausgefrorenen
Baches entdeckte Dr. Stuxberg eine Menge Gräber mit ver-
brannten Knochen. Die Verbrennung war so vollständig
gewesen, dass nur wenige von den übrig gebliebenen Knochen-
fragmenten von Dr. Almquist als Menschenknochen wieder
erkannt werden konnten. Nach der Verbrennung waren die
Knochenüberreste und Asche in Gruben gesammelt und zu-
erst mit Torf, dann mit kleinen flachen Steinen bedeckt.
Es war zum ersten Male, dass ein Schiff an dieser
Küste geankert hatte. Unsere Ankunft war daher, wie er-
klärlich, ein sehr merkwürdiges Ereigniss für die Eingebo-
renen gewesen, und das Gerücht davon musste sich sehr
rasch verbreitet haben. Wir empfingen nämlich, obgleich
keine Zelte in der Nähe waren, fortdauernd zahlreiche Be-
suche. Auffällig ist die Übereinstimmung in dem Haus-
geräth der Tschuktschen und der Grönländer. Diese Über-
einstimmung geht zuweilen bis in die kleinsten Einzelhei-
ten, wie man an den Hausstandssachen und Waffen ersehen
332 Berichte der schwedischen Polar-Expedition.
wird, die ich mir eingetauscht habe Da ich 1875 und
1876 die Kleinigkeiten nicht benutzen konnte, welche ich
damals als Tauschobjecte für die Eingeborenen mitführte,
während sie gierig sogar Papiergeld entgegennahmen, ver-
sorgte ich mich leider beim Abgang dieser Expedition aus
Schweden mit nichts Derartigem, wohl aber mit russischem
Geld. Ein 25 Rubelschein wird von den Tsohuktschen ge-
schätzt als ein hübscher Seifenumschlag, und eine Gold-
oder Silbermünze geringer als Zinn- oder Messingknöpfe.
Das eine oder andere 50-Oerstück konnte erst angebracht
werden, nachdem es mittelst Durchbohrung zum Ohren-
schmuck hergerichtet worden war.
Zu Nutzen späterer Reisenden will ich erwähnen, dass
die am meisten begehrten Waaren sind: grobe Näh- und
Stopfnadeln; Messer, am liebsten grosse; Äxte, Sägen, Boh-
rer und andere Geräthe von Eisen; leinene und wollene
Hemden, am liebsten von glänzenden Farben, aber auch
weisse; Halstücher, Tabak. Hierzu kommt selbstverständ-
lich Branntwein — eine Münze, von welcher ich allerdings
Vorrath gehabt habe, aber mich verhindert glaubte, sie an-
zuwenden. Für diesen opfern die Eingeborenen Alles. Sie
sind im Übrigen schlaue und berechnende Handelsleute und
so gut wie von Kindheit auf an den Tauschhandel, dessen
Vermittler zwischen Amerika und Sibirien sie sind, ge-
wöhnt. Manches an den Markt in Irbit kommendes Bieber-
fell stammt von einem in Amerika gefangenen Thiere, des-
sen Fell inzwischen von Hand zu Hand unter amerikani-
schen und sibirischen Wilden gegangen ist, bis es endlich
den russischen Händler erreicht hat. Für diesen Tausch-
handel wird eine Art Markt auf der Insel Dir in der
Bering-Strasse abgehalten. Ilir ist jedoch nur eine Zwischen-
station. Am fernsten Handelsplatz in Polaramerika soll
(wie der russische Reisende Dittmar erzählt) ein Biberfell
zuweilen nur mit einem Blatt Tabak bezahlt werden!
Tabak ist hier im Allgemeinen Gebrauch. Alle Männer
(und auch die Weiber, wenn sie dazu kommen können)
rauchen aus eigenthümlichen Pfeifen, welche die Männer
stets zugleich mit dem Feuerzeug und Tabaksbeutel bei
sich tragen. Der zum Rauchen benutzte Stoff besteht zu-
weilen aus Tabak, zuweilen aus einem Surrogat, wovon
Proben mitgenommen sind. Das Feuerzeug besteht aus
Stahl, Agat und Zunder, letzterer jedoch von anderer Art
als der Zunder, den wir gebrauchen. Zum Anzünden wer-
den gewöhnlich Flechten von Holzfasern mitgeführt, welche
man durch Zerkauen der einen oder anderen dazu geeig-
neten Holzart erhält. Auch der Tabak oder das Tabak-
surrogat wird gekaut. Das Gekaute wird alsdann hinter
das Ohr zum Trocknen gelegt und später zum Rauchen
benutzt. Salz wird nicht gebraucht, aber Zucker lieben
Alle gleich sebr. Auf Kaffee verstehen sie sich nicht, es
sei denn, dass er besonders stark gezuckert worden. Thee
trinken sie gerne.
Dr. Almquist hat den Farbensinn einer Menge Einge-
borener untersucht und gefunden, dass fast Alle normale
Seekraft haben. Um sie zu ermuntern, sich der Prüfung
zu unterwerfen, gab er dem Examinirten nach Schluss
des Examens ein Gläschen Cognac, zuerst 13 Cubikzoll.
Viele wurden bereits hiervon berauscht, lustig, munter, aber
nicht schläfrig.
Einige tragen kleine Amulette um den Hals, welche
sie nicht vertauschten; Einer trug ein griechisches Kreuz
um den Hals. Dieser schien getauft worden zu sein, aber
mit seinem Christenthum war es noch nicht sonderlich be-
stell. Er bekreuzte sich nämlich in unserem Beisein mit
vielem Eifer vor der Sonne. Spuren von Religion oder
religiösen Gebräuchen haben wir im Übrigen nicht ent-
decken können. Die Kleidung der Männer besteht aus
einem oder mehreren Gewändern von Renthierfell, sehr
ähnlich denen der Lappen. Über der Hose wird in
Regen- oder Schneewetter ein Hemd von Darmhaut oder
ein Kittel von Baumwollzeug getragen, welcher von den
Eingeborenen ,„Kaliko” genannt wird. Die Kopfbedeckung
besteht aus einer eng anschliessenden perlengeschmückten
Mütze; jedoch gingen sowohl Männer wie Frauen noch
häufig ohne Bedeckung. Im Winter zieht man über den
Kopf eine unter dem Kinn zusammengenähte Mütze von
langhaarigem Fell, welche bis auf die Schultern herabgeht.
Das Fusszeug besteht aus Mocassins mit Sohlen von Wal-
rossfell, im Winter zuweilen Bärenfell, in letzterem Falle
mit den Haaren nach Aussen. Die Tracht der Frauen be-
steht aus sehr weiten Gewändern, nach unten nicht offen,
sondern durchnäht, so dass sie weite Hosen bilden, welche
bis zu den Knieen reichen, wozu im Winter ein Überrock,
fast denen der Männer gleich, tritt. Der untere Theil der
Ärmel ist weit und offen, so wie die Damenmode bei uns vor
einigen Jahrzehnten war. Im Innern des Zeltes gehen die
Weiber bis auf einen schmalen Leibgürtel vollständig nackt,
vermuthlich eine Erinnerung an die Tracht, welche das
Volk trug, als es mildere Zonen bewohnte. Sie tragen
langes Haar gescheitelt und geflochten. Die Männer haben
häufig das Haar bis zur Wurzel rasirt oder abgeschnitten
mit Ausnahme des äussersten Haarrandes, der einen Zoll
lang gelassen wird und vorne über die Stirn herabgekämmt
ist. Derselbe Gebrauch herrschte vor 200 Jahren unter
den Indianern im Innern Nordamerika’s in einer Weise,
dass der berühmte Missionär Hennepin sich bei den India-
nerfrauen dadurch einschmeichelte und Essen verschaffen
konnte, dass er die Köpfe der Kinder rasirte. Die meisten
Männer tragen Perlen oder anderen Schmuck in den Ohren.
Die Frauen sind mit zwei einwärts gebogenen dunkelblauen
Berichte der schwedischen Polar-Expedition. 333
Rändern auf jeder Seite des Gesichtes vom Auge bis zum
Kinn, vier gegen den Mund zusammenlaufenden Rändern
am Kinn und etwas sonderbar geformten Ausschmückun-
gen auf den Wangen tätowirt. Die Männer sind zuweilen
mit einem schwarzen, schräg liegenden rechtwinkeligen
Kreuz auf den Backenknochen oder mit einem rothbraunen
Farbestoff bemalt.
In der Nacht zum 10. September bezog das Meer
sich mit einer ziemlich dicken Kruste von neuem Eis. Das
Treibeis selbst schien sich etwas vertheilt zu haben. Wir
lichteten daher die Anker, um unsere Reise fortzusetzen.
Zu Anfang war ein Umweg nach Westen nöthig, um ein
Treibeisfeld zu umgehen. Aber auch hier wurde unser
Weg bald durch einen Gürtel von altem Eise gesperrt,
welcher von dem Eise, das sich während der Nacht gebil-
det hatte, so fest zusammengekittet war, dass ein Canal
durch denselben erst nach mehrstündiger Arbeit mit Äxten
und Eisbeilen gebahnt werden konnte. Auf der andern
Seite dieses Eisgürtels kamen wir wieder in ziemlich eis-
freies Wasser, dafür jedoch ward aber der Nebel so dicht,
dass wir bei Grundeis weiter in die See hinaus, west-
licher als unser erster Rastplatz, beidrehen mussten. In
der Nacht zum 11. war eine heftige Bewegung im Eise.
Glücklicherweise klarte es am Morgen auf, so dass wir
unsere F'ahrt durch ziemlich gut vertheiltes Eis fortsetzen
konnten, bis wir bei Anbruch der Nacht wie gewöhnlich
Anker werfen mussten. Am folgenden Tag, den 12., als
wir schon ein gutes Stück am Irkaipi (Nordcap) vorbei-
gekommen waren, stiessen wir auf so dichtes Eis, dass es
unmöglich war weiter vorzudringen. Es wurde abermals
nothwendig umzukehren, nur mit aller Noth konnten wir uns
einen Weg nach dem Lande bahnen und das Schiff inner-
halb eines an dem nördlichsten Vorsprunge der Landspitze
gestrandeten Grundeises befestigen.
Das Meer war hier bis zur Landzunge ziemlich tief,
aber ein starker Sturm trieb die Eisstücke in der Nähe
unseres Ankerplatzes so heftig vor und zurück, dass es nöthig
wurde, das Schiff weiter in eine kleine offene Bucht hinein
zu bringen, welche von zwei gegen Norden auslaufenden
Bergspitzen gebildet wird. Leider wurden wir hier, in der
Erwartung veränderter Eisverhältnisse, bis zum 18. Sep-
tember aufgehalten. '
Auf den Karten findet man die Landspitze, bei welcher
wir jetzt ankerten, wahrscheinlich mit dem Namen Nord-
cap bezeichnet, ein Name, welcher durch die vielen gleich-
namigen Landspitzen anderer Länder irre führt. Er ist
auch unrichtig, da die Spitze weder den nördlichsten Theil
von ganz Sibirien, noch von einem Theile desselben bildet.
Die nördlichste Spitze des sibirischen Festlandes ist näm-
lich Cap Tscheljuskin, die nördlichste des Landes im Osten
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft IX.
von der Lena Swjatoi Noss, die nordöstlichste des Landes,
östlich von der Tschaun-Bai, Cap Schelagskoi &c. Der
Name, den die Spitze erhalten hat, weil sie die nördlichste
des sibirischen Festlandes war, welche Cook auf seiner
Reise im Norden der Bering-Strasse vor ungefähr 100 Jahren
gesehen hat, sollte daher durch das Irkaipi der Einge-
borenen vertauscht werden.
Auf der Landenge, welche Irkaipi mit dem Festlande
verbindet, befindet sich ein aus 18 Zelten bestehendes
Dorf. Wir haben auch hier Ruinen! Nämlich Überreste
einer grossen Anzahl von ehemaligen Wohnplätzen, die
einem Volke gehörten, welches vor Zeiten in diesen Gegen-
den gewohnt hat und vor einigen Jahrhunderten von den
Tschuktschen vertrieben worden ist, deren Behauptung
zufolge nach einigen weit fort im Polarmeer belegenen In-
seln. Das Volk wurde, nach Wrangel, Onkilon genannt,
und er erzählt verschiedene ganz romantische Sagen von
den letzten Kämpfen dieses Volkes.
Lieutenant Nordquist und Dr. Almquist nahmen Nach-
grabungen auf den alten Wohnplätzen des Onkilon-Volkes
vor und sammelten hier verschiedene alte Geräthe von
Stein und Knochen ein. Von den Häusern sind mehrere
an einer Stelle aneinander gebaut gewesen. Sie sind, we-
nigstens zum Theil, aus Treibholz und Walfischknochen,
bedeckt mit Erde, gebaut gewesen und standen duroh lange
Gänge miteinander in Verbindung. Wahrscheinlich ist
ihre Bauart dem Hause gleich gewesen, welches dem In-
dianerstamm Indgeletes bei Norton Sound gehörte und
welches F. Whymper in seiner „Reise nach Aljaska” ab-
gezeichnet hat,
Die Abfallgruben in der Nähe dieser alten Wohnplätze
enthalten Knochen von Walfischen, Walrossen, Seehunden,
Renthieren, Bären, Hunden, Wölfen, Weissfischen und ver-
schiedenen Vogelarten und ausserdem Geräthe von Stein
und Knochen. Obgleich diese Sachen 250 Jahre in der
Erde gelegen, fand man doch Steingeräthe, welche noch in
ihren Holzschäften eingekeilt waren, ja sogar die Riemen,
mit welchen die Steinäxte mit dem Schafte festgebunden
gewesen, waren noch erhalten. Gleich wie den jetzigen
Tschuktschen lieferten Walrosszähne den damaligen Be-
wohnern des Platzes ein Material, welches im Nothfall das
Eisen bei Anfertigung der Lanzenspitzen, Vogelpfeile,
Fischhalter, Eisäxte &c. ersetzte. Auch Woalfischknochen
und vielleicht Mammuthknochen wurden in grossem Maass-
stabe benutzt. Die ersteren fanden sich in reicher Anzahl
vor. Mehrere von den alten Onkilon-Wohnungen wurden
von den Tschuktschen als Specokkeller benutzt.
Auf den höchsten Steinlagern Irkaipi’s wurden eben-
falls einige ehemalige Wohnplätze angetroffen. Diese wa-
ren wahrscheinlich während der Kämpfe aufgeführt, die
43
334 Berichte der schwedischen Polar-Expedition.
der Vertreibung der Onkilons vorangingen. An den Ab-
hängen des Berges wurden mehrfach Sammlungen theils
moosbewachsener Bärenschädel, die im Kreise mit der Nase
nach Innen gelegt waren, theils vermischte Bären-, Ren-
thier- und Walrossschädel, in weniger regelmässige Kreise
geordnet, in deren Mitte Renthiergeweihe aufgestapelt
waren, gefunden. Neben dem Renthiergeweih lag der
Kopfknochen eines Elennthieres oder einer grossen Hirsch-
art mit daran befindlichen Horntheilen. Neben den übrigen
Knochen lagen unzählige Seehundschädel, wogegen andere
Knochen dieses Thieres vollständig fehlten. Da Menschen-
knochen nicht in der Nähe aufgefunden wurden und diese
Knochensammlungen nach Aussage der Eingeborenen aus
den Zeiten der Onkilons herrührten, so ist anzunehmen,
dass diese Plätze früher Opferstellen waren.
Zwischen den Bewohnern des vorerwähnten Lagerplatzes
der Tschuktschen an der Irkaipi-Bucht und uns entstand
bald ein sehr freundschaftliches Verhältniss. Ein etwas
corpulenter, sehr gut gewachsener, hoher, wackerer Mann
Namens Tschepurin schien der Häuptling des Dorfes
zu sein. Er wurde mehrfach von uns an Bord bewir-
thet, indem zur Befestigung der Freundschaft kleine Ge-
schenke gemacht und entgegengenommen wurden. Tsche-
purin war augenscheinlich sehr für Schmuck eingenom-
men und konnte durch den mit uns getriebenen Tausch-
handel seine Prunksucht in einem Grade befriedigen, wel-
chen er sich früher wahrscheinlich nicht hatte träumen
lassen. Als er in den letzten Tagen Besuche auf „Vega”
machte, trug er ein über die übliche Kleidung gezogenes
rothes Wollhemd. Von jedem Ohr hing eine vergoldete
Uhrkette herab, an deren unterem Ende ein durchbohrtes
10-Oerestück befestigt war. Er hatte zwei Frauen, welche
in aller Eintracht in einem und demselben Zelte, versehen
mit zwei besonderen Schlafstellen, zusammen wohnten.
Neben anderen machte ich einen Ausflug nach einem
in der Nähe des Ankerplatzes belegenen ungefähr 400 F.
hoben Berge. Von hier hatte man eine weite Aussicht
auf das Meer. Es war überall mit ununterbrochenen Treib-
eisfeldern bedeckt. Nur in der nächsten Nähe des Stran-
des war eine offene Rinne, welche jedoch an vielen Stellen
in bedenklicher Weise von Eisbändern unterbrochen war.
Die plutonische, hier überall vorherrschende Steinart, aus
welcher der Berg besteht, ist fast überall durch die Wir-
kung des Frostes so zu eckigen Blöcken zerbröckelt, dass
die Oberfläche des Berges in ein Steinfeld verwandelt war.
Die Steine an der Windseite waren mit einer glasartigen,
leicht abfallenden Eiskruste versehen, welche deutlich aus
Wasserdampf gebildet war, dessen kleine Tropfen bedeutend
unter dem Gefrierpunkt abgekühlt worden waren, obne in
Eis verwandelt zu sein. Dieses geschieht erst, wenn sie
in Berührung mit anderem Eis oder Schnee oder mit einem
eckigen harten Gegenstande kommen. Aus demselben
Grunde wurden in den folgenden Tagen die Rahen „Vega’s”
mit so grossen Eiszapfen und so dicken Eisschichten be-
kleidet, dass leicht durch deren Herabfallen auf das Deck
Unfälle hätten geschehen können.
Noch am 18. September war die Lage des Eises voll-
ständig unverändert. Für den Fall, dass die Überwinte-
rung vermieden werden sollte, war es jedoch nicht räthlich,
bier länger zu verweilen. Der Anker wurde daher ge-
lichtet, und „Vega” dampfte in der Rinne längs der Küste
auf einer Tiefe von 31/,—4!/, Faden weiter. „Vega’ lief
16—17 Fuss tief... Wir hatten somit nur wenig Fuss
Wasser unter dem Kiel und das zwischen dem Eise in einem
vollständig unbekannten Fahrwasser! 10—12 Seem. vom
Ankerplatz stiessen wir auf einen Eisgürtel, durch welchen
wir uns nur mit grosser Mühe den Weg bahnen konnten,
Dank den gewaltigen Stössen, welche „Vega’s” Rumpf aus-
halten konnte. Alsdann wurde die Reise in oft noch
seichterem Wasser als früher fortgesetzt, bis das Schiff um
8 Uhr Abends gegen einen Grundeisfuss donnerte. Das
Wasser fiel fortwährend und wir konnten daher erst am
nächsten Morgen loskommen, nachdem ein bedeutender
Theil des Grundeises, auf dessen Fuss „Vega” sich fest-
gelegt, mit Äxten und Eisbeilen fortgehauen worden war.
Einige Versuche, das Eis mit Pulver zu sprengen, miss-
glückten. Zu diesem Zwecke ist Dynamit viel wirksamer
als Pulver, und dieser Sprengstoff sollte daher stets auf
Reisen mitgeführt werden, wo es gilt Eisbänder zu durch-
brechen.
Am 19. setzte „Vega” auf dieselbe Weise wie früher,
in meist seichtem Wasser nahe der Küste, zwischen hohen
Grundeisstücken, welche oft die malerischsten Formen an-
nahmen, ihren Curs fort. Wirkliche Eisberge finden sich
hier nicht. Später am Tage begegneten wir wieder sehr
niedrigem, in Flüssen oder eingeschlossenen Busen gebil-
deten Eis, und kamen in wenig salziges Wasser mit einer
Temperatur von über 0° C.
Nachdem wir in der Nacht geankert, wurde die Reise
am 20. September fast ausschliesslich zwischen niedrigem,
schmutzigen Eise, welches letzten Winter nicht sehr zusam-
mengeschoben worden war, fortgesetzt. Es liegt weniger tief
als das blaue Grundeis und kann daher näher der Küste
treiben — eine grosse Widerwärtigkeit für unser tief-
gehendes Fahrzeug. Ziemlich bald kamen wir auch an
eine Stelle, an welcher das Eis so dicht an’s Land ge
schoben war, dass sich nur eine 12—15 Fuss tiefe eis-
freie Rinne in der Nähe des Strandes befand. Wir wur-
den daher genöthigt, nach einigen Stunden Fahrt wiederum
beizudrehen, um günstigere Verhältnisse abzuwarten. Der
Berichte der schwedischen Polar-Expedition. 335
Wind war jetzt von Westen nach Norden und Nordwesten
übergegangen. Die Temperatur wurde milder und das
Wetter regnerisch, ein Zeichen, dass sich grosse eisfreie
Wasserstrecken nördlich und nordwestlich von uns befan-
den. In der Nacht zum 21. d. regnete es stark bei NNW-
Wind und einer Temperatur von + 2° C, Es wurde ein
Versuch gemacht, weiter hinaus eine Stelle zu finden, wo
das gegen das Land gepresste Treibeisband durchbrochen
werden konnte. Dieses gelang nicht, vielleicht in Folge
des äusserst starken Nebels.
Am 22, machte ich mit Lieutenant Palander einen
Ausflug in der Dampfschaluppe, um Lothungen ostwärts
vorzunehmen. Es gelang uns bald, eine genügend tiefe,
nicht allzu eisgefüllte Rinne zu entdecken, und am 23.
setzte daher „Vega’” wiederum die Reise zwischen sehr
dichtem Eise fort, oft so nahe am Lande, dass das Schiff
nur einen Fuss Wasser unter dem Kiel hatte. Es ging
jedoch vorwärts, wenngleich nur langsam.
Das Land bildet hier eine grasreiche, noch schneefreie
Ebene, welche sich weiter hinein zu sanft aufsteigenden
Erdhöhen erhebt. Der Strand ist mit Treibholz übersäet
und hier und da sieht man Überreste von Onkilon-Woh-
nungen. In der Nacht zum 24. September ankerten wir
in der ziemlich grossen Öffnung eines Eisgürtels. Diese
Öffnung schloss sich während der Nacht. Wir wurden
daher bis zum 26. aufgehalten, wo die Reise fortgesetzt
werden konnte, Anfangs mit Schwierigkeiten, später in
ziemlich offenem Wasser bis zu einer Landspitze, welche
auf den Karten Cap Onman genannt wird. Auch die Ein-
geborenen, welche hier an Bord kamen, bezeichnen die Stelle
mit demselben Namen. Das Eis, welches wir an dem Tage
antrafen, war gröber als früher, blauweiss, nicht schmutzig.
Am 27. wurde die Tour in ziemlich eisfreiem Wasser
bis zur Koliutschin-Bai fortgesetzt, alsdann ging es mit
einer bedeutenden Biegung den Fjord hinauf, quer über
denselben hinüber bis zu dessen Ostküste, wo der Anker
an der nordöstlichen Spitze des Fjordes wenige Stunden
vor Sonnenuntergang fie. Es wurde ein Ausflug nach
dem Lande gemacht und gleichzeitig wurde Lieutenant
Hovgaard ausgesandt, um von der Dampfschaluppe aus das
nächste Fahrwasser aufzulothen ; ferner erhielt einer von
den Fangmännern den Auftrag, von einer nahe belegenen
Höbe Beobachtungen hinsichtlich der Lage des Eises anzu-
stellen. Sowohl der eine wie der andere kam mit einem
günstigen Berichte zurück. Unglücklicherweise trat in der
Nacht vollständige Windstille ein und die Temperatur
sank auf — 2° C. Das Meer bedeckte sich, trotz der
geringen Kälte, mit neuem Eise, welches an offenen
Stellen die Fahrt des Schiffes nur erschweren, aber nicht
verhindern konnte, jedoch die vor der Küste angehäuften
Treibeisfelder so fest verband, dass ein Fahrzeug selbst
mit Hülfe der Dampfkraft, dieselben schwer durchdrin-
gen konnte. Als wir am nächsten Tage die Spitze
passirt hatten, welche im Osten die Koliutschin-Bai be-
grenzt, wurde die treibeisfreie, mit neuem Eise belegte
Rinne nahe der Küste immer seichter. Bie wurde zu
seicht für „Vega”, welche daber versuchen musste, sich
einen Weg durch die weiter hinaus liegenden Grundeis-
stücke und Treibeisfelder zu bahnen. Der Frost der Nacht
hatte diese so fest verbunden, dass es unmöglich ward
weiter vorzudringen. Wir ankerten bei Grundeis, und
waren um so fester überzeugt, bei erster Veränderung des
Windes wieder loszukommen, um die wenigen Meilen,
welohe uns von dem offenen Wasser in der Bering-Strasse
trennten, zurücklegen zu können, als Walfischfänger mehrere
Male diese Stelle erst Mitte October verlassen hatten.
Diese Hoffnung ist jedoch nicht in Erfüllung gegangen.
Vom 28. September bis zu dem Tage, an welohem dieser
Brief abgeschlossen wird, hat ein andauernder, Anfangs
starker, später schwächerer nördlicher Wind geherrscht,
welcher immer grössere Eismassen an der Küste angehäuft
und nach und nach die Temperatur bis zu — 26° C. ge-
senkt hat. Das neue Eis ist jetzt fast 2 Fuss dick und
Hoffnung, vor nächstem Sommer loszukommen, ist nicht
mehr vorhanden.
„Vega’s” Winterhafen ist, wie man aus der mitfolgen-
den Karte ersehen wird, im nördlichsten Theile der Bering-
Strasse belegen, in derNachbarschaft des Zeltplatzes Jintlen,
3 Seem. von der Landspitze, welche östlich die Koliutschin-
Bai begrenzt, 1 Seem. vom Lande und nur 115 Seem. von der
Mündung der Bering-Strasse, dem Stillen Meer.‘ Als wir
eingeschlossen wurden, war eisfreies Wasser einige wenige
Minuten weiter gen Osten vorhanden. Wenn „Vega” eine
Stunde mit voller Kraft hätte vorwärts kommen können,
dann hätten wir vermuthlich den Weg zurückgelegt, und
einen Tag früher würde das Treibeis an dieser Stelle kein
ernstliches Hinderniss für „Vega’s” Fahrt gebildet haben.
Diese Einschliessung, so nahe dem Ziele, ist das Miss-
geschick gewesen, mit welchem ich mich während meiner
Eismeerreisen am schwersten versöhnen konnte, aber ich
werde mich mit dem in der Geschichte der Eismeerreisen
fast beispiellosen Resultat, welches bereits erreicht ist, mit
unserm guten Winterhafen und mit der Aussicht, nächsten
Sommer unsere Expedition fortsetzen zu können, trösten.
Die meteorologischen und magnetischen Beobachtungen eines
Winters an dieser Stelle, und die geologischen, botanischen
und zoologischen Untersuchungen, zu welchen die Über-
winterung uns Anlass giebt, haben übrigens genügendes
Interesse, um die Beschwerden und Mühen zu vergessen,
welche eine Überwinterung hier mit sich bringt.
43 *
336 Berichte der schwedischen Polar-Expedition.
Sofort als es sich zeigte, dass wir wahrscheinlich
genöthigt sein würden an dieser Stelle zu überwintern,
. habe ich Botschaft durch die Eingeborenen nach der einen
‘oder anderen sibirischen Poststation zu senden versucht,
und es ist mir auch gelungen, einen Renthier-Tschuktschen,
welcher uns zufällig besuchte, zu veranlassen, den Auftrag
zu übernehmen, einige Briefe für uns nach Anadyrsk zu
bringen. Ich befürchte jedoch, dass diese nicht früher
als nach einem Jahre ihren Bestimmungsort erreichen.
Es war daher besonders willkommen, als ein Mann vom
Dorfe Pidlin an der Ostseite der Koliutschin-Bai kürzlich
das Anerbieten machte, ein Paar von uns nach Anadyrsk
oder Nischni-Kolymsk zu befördern. Das Anerbieten wurde
sofort acceptirt. Die Lieutenants Nordquist und Bove
haben darum gebeten, die in dieser Jahreszeit keineswegs
angenehme Reise zu machen. Sie reisen morgen ab.
Diese Reise ist so plötzlich gekommen, dass ich ge-
nöthigt bin, den Abschluss dieses Berichtes bis zur näch-
sten Briefgelegenheit auszusetzen; der Bericht sollte des
Weiteren umfassen: eine Darstellung der Bedeutung der
Expedition „Vega’s” mit Rücksicht auf die künftige Schiff-
fahrt längs der Nordküste Asiens, eine Darlegung unserer
wissenschaftlichen Arbeiten, unser Winterleben auf ‚Vega’ &c.
Ich will nur noch einmal wiederholen, dass für unsere
Angehörigen daheim kein Grund zur Beunruhigung vor-
liegt, dass der Winterhafen sicher ist, der Gesundheits-
zustand ausgezeichnet, der Vorrath an Lebensmitteln, Heiz-
material, Winterkleidern reichlich, das Fahrzeug warm,
bequem und wohl versehen. Von Versuchen, uns zu ent-
setzen, sollte daher keine Rede sein.
Hochachtungsvoll und dankbar
A. E. Nordenskiöld.
II. Berichte des Lieutenants Palander.
Dieselben reichen bis zum 6. Januar d.J. und theilt die
schwedische Zeitung „Post och Inrikes Tidningar” Auszüge
mit, die wir hier in der Übersetzung des Herrn H. Mar-
tens folgen lassen:
Dampfschiff „Vega”, eingefroren 67° 5’ N. Br.
und 173° 30’ Westl. L. Mündung der Bering-
Strasse den 25. November 1878.
— — — Mein letzter Brief wurde von hier mit einem
sogenannten König der Eingeborenen auf der Tschuktschen-
Halbinsel Namens „Menka’’ abgesandt. Er wohnte in der Stadt
Markowa bei Anadyrsk, etwa 500 englische Meilen von hier.
Da Menka ein grosser Verehrer des Bacchus ist und
beständig im Rausche lebt, vermuthe ich, dass mein voriger
Brief niemals den Boden Sibiriens verlassen hat.
Wir liegen jetzt nur 120 Seem. von der schmalsten Stelle
der Bering-Strasse entfernt. Sehr hart wäre es, wenn e8
uns nicht vergönnt sein sollte, dieses kleine Stück weiter
surückzulegen, nachdem es uns gelungen ist, 3000 Seem. in
unbekannten Gegenden vorzudringen! Wären wir hier nur
drei Tage früher gewesen, dann befänden wir uns jetzt ganz
sicher in Japan.
Am 28. September kamen wir hier an, die Kälte nahm
zu und zwischen den alten Treibeisfeldern bildete sich
neues Eis, so dass „Vega’” sich nicht mehr rühren konnte. Das
Eis hat seitdem an Stärke gewonnen und ist jetzt 2 F. dick.
Wir liegen eine englische Meile von einer seichten
Küste entfernt, ohne irgend welchen Schutz, in 4 Faden
Wasser; zwischen uns und dem Lande befinden sich zwei
Sandbänke mit 10 Fuss Wasser, welche parallel dem Lande
sich erstrecken.
Nachdem das Eis so dick geworden ist, glaube ich,
dass „Vega” vollständig vor Eispressungen gesichert ist.
In Folge unserer südlichen Position genirt uns die Dun-
kelheit wenig. Heute haben wir 7 Stunden Tag und am
21. December haben wir nicht weniger als 5 Stunden.
Die Kälte scheint dagegen bedeutend schärfer zu werden
als auf Spitzbergen. Die Temperatur ist eine gleich-
mässige und langsam fallende. Das Minimum ist bis Dato
— 28°. Der Wind wehte während der beiden Monate,
in denen wir hier liegen, beständig zwischen NO. und NW.,
meistens NNW.
Am Lande haben wir ein Haus von Eis gebaut, wel-
ches zum magnetischen Observatorium ausersehen ist. Die
Instrumente sind aufgestellt und die Beobachtungen be-
ginnen morgen.
Schon von Cap Schelagskoi ab war die Küste dicht
mit Dörfern aus 5 bis 15 Zelten bestehend, besetzt,
welche von sogenannten Tschuktschen bewohnt sind, einem
Volksstamme, der ohne Zweifel von den grönländischen
Eskimos herstammt. Der Tschuktsche hat schwarzes Haar,
schwarze Augen, braungelbe Hautfarbe und ist klein von
Wuchs. Er ist sehr höflich und dienstwillig, namentlich
wenn er ,„Kakau”, ein gemeinsamer Ausdruck für alle
Arten Speisen, erhält. Für einen Schnaps thut er Alles,
was man wünscht.
Zur Sommerzeit treffen hier eine Menge amerikanische
Fahrzeuge ein, welche Tauschhandel mit den Tschuktschen
treiben. Diese Fahrzeuge führen jährlich trotz des Ver-
botes der russischen Regierung grosse Quantitäten Brannt-
wein ein. Wir haben es uns zur Regel gemacht, niemals
Branntwein als Tauschwaare anzuwenden. Nur dann und
wann kann ein Schnaps zur Erheiterung vertheilt werden.
In unserer unmittelbaren Nachbarschaft haben wir drei
Dörfer: Jeutlin, Petlekajuns, Irgonouk.
Die Eingeborenen leben von Fischfang. Sie bekleiden
sich mit Renthierfellen, mit welchen sie auch ihre Zelte
Berichte der schwedischen Polar-Expedition. 837
überziehen. Die Renthierfelle erhalten sie durch Tausch
von dem nomadisirenden Theil der Bevölkerung der Tsohuk-
tschen-Halbinsel, den sogenannten Rea-Tschuktschen, welche
Renthierzucht treiben und von einem Platz zum andern
ziehen. Das Beförderungsmittel der Küsten-Tschuktschen ist
der Hundeschlitten, mit welchem sie im Winter, wenn die
Fischerei unmöglich ist, längs der Küste reisen und Tausch-
bandel mit anderen Eingeborenen betreiben.
Dieser Brief wird durch die Lieutenants Bove und
Nordquist abgesandt werden, welche morgen mit einem
Eingeborenen und drei Hundeschlitten nach Nischni Ko-
lymsk an der Mündung des Kolyma-Flusses und ca 700 Seem.
von hier abzureisen gedenken. Sie werden dort bis Ende
Januar oder Anfang Februar, wenn die Tage heller wer-
den, verbleiben. Ich hoffe, dass wir im August oder Sep-
tember in Japan sein werden.
Seitdem wir die Mündung des Lena-Flusses verliessen,
haben wir uns fast ohne Ausnahme nahe der Küste ge-
halten. Von den Bäreninseln (vor der Mündung der Ko-
lyma) an haben wir fast beständig dichtes Treibeis und nur
ö bis 4 Faden Wasser gehabt. Der fortwährende dichte
Nebel und die Ungewissheit über die wirkliche Form der
Küste haben die Navigation äusserst schwierig gemacht,
Wenn je ein Fahrzeug nach dem Loth gesegelt hat, so hat
„Vega” dieses gethan. „Vega” ist ein ausgezeichneter
Eisbrecher.. Ich habe das Schiff im Grundeise forcirt,
ohne dass es den geringsten Schaden genommen hat. Ein
Eisenfabrzeug würde viele Male in Folge der Stösse ge-
sunken sein, die „Vega” hat ausstehen müssen.
Am 6. Januar 1879.
Die Eingeborenen, welche die Lieutenants Bove und
Nordquist fahren sollten, haben niemals wieder von sich
bören lassen, weshalb aus der Novemberreise nichts ge-
worden ist. Es ist nun bestimmt, dass Nordquist morgen
nach Anadyrsk reist und lege ich daher einige Zeilen bei,
um die Zeit vom 25. November bis Datum zu besprechen.
Das Weihnachts- und Neujahrsfest liegt jetzt hinter uns.
Der Weibnachtsabend wurde in unserem Zwischendeck,
welches mit Signalen und passenden Nationalflaggen deco-
rirt war, gefeiert. Der Weihnachtsbaum, aus zusammen-
gebundenen Weidenzweigen bestehend, war reich mit klei-
nen Flaggen, Lichtern, Papierstreifen und nicht weniger
als 192 Weihnachtsgeschenken ausgestattet. Um 6 Uhr
Nachmittags versammelten wir uns um den Baum und
loosten um die Geschenke, von welchen jeder Person 6
zufielen. Bei einem folgenden frugalen Abendessen hatten
Frohsinn und Heiterkeit in einer Weise die Herrschaft,
dass man keine Ahnung davon hatte, dass draussen die
Kälte auf — 35° Celsius gestiegen war. Das neue Jahr
wurde durch Salutschüsse und Feuerwerk gefeiert.
Die Kälte ist in letzterer Zeit sehr unangenehm, na-
mentlich in Folge der herrschenden starken Winde gewe-
sen. Sturm bei einer Temperatur von — 34° ist nicht
gerade angenehm.
Der Wind wehte während der ganzen Zeit zwischen
NW und NO; nur ein Mal hatten wir südlichen und ein
anderes Mal südöstlichen Sturm. Am 380. December hatten
wir mehrere Stunden + 2°. Bei beiden dieser Stürme hatte
das Eis sich einige englische Meilen vor uns geöffnet. Das
letzte Mal war die eisfreie Wasserfläche so gross, dass
wir die Eiskante an der anderen Seite nicht sehen konn-
ten. Da nach Aussage der Eingeborenen der Wind vom
Februar ab oonstant aus Stiden und Südosten weht, kön-
nen wir also ziemlich bald offenes Wasser erwarten. Ob
dieses offene Wasser genügt und uns freie Passage durch
die Bering-Strasse verschafft, ist eine andere Frage. Die
monatliche Durchschnitts-Temperatur war im October —5,2°,
November —16,6°, December — 22,8°; die niedrigste
Temperatur war bisher — 37,3°. Das Barometer hat
zwischen 786 und 731 Millimeter variirt. Schnee ist in
letzterer Zeit reichlich gefallen. Das Eis dieses Winters
ist augenblicklich 3 Fuss 4 Zoll dick, es nimmt monatlich
um 8—10 Zoll zu.
Die Besatzung ist bei guter Gesundheit und gutem
Muth. Wir hoffen Alle auf eine baldige Befreiung, so wie
darauf, bald unsere Ankunft von Yokohama aus telegra-
phisch melden zu können.
Dampfschiff „Vega”, den 20. Februar 1879, ein-
gefroren an der Mündung der Bering-Strasse,
67° 7’ Nördl. Br. und 173° 45’ Westl. Länge.
— — — — Gegenwärtig befinden sich drei Eingebo-
rene vom Kolyma-Fluss an Bord, welche auf der Reise
von der Bering-Strasse nach Nischni Kolymsk begriffen
sind. Sie verweilen hier nur einige Stunden, und wäh-
rend dieser Zeit werden wir in aller Eile unsere Briefe
schreiben, in der Hoffnung, dass sie von Kolyma aus
Schweden erreichen.
Seit Abschluss meines letzten Briefes ist nichts 'Beson-
deres vorgefallen. Wir sind fortdauernd gesund und wohlauf.
Spätestens im Juni hoffen wir los zu kommen, um unsere
Fahrt nach Japan und der Heimath fortzusetzen. In letz-
terer Zeit haben wir nicht so viel von dem ewigen NNW-
Wind gelitten, sondern an dessen Stelle Wind aus Süden
und aus SSW zum Theil mit Sturm bei einer Temperatur
von etwas über dem Gefrierpunkt gehabt.
Die Mittel- Temperatur des Januar war — 25,1°, das
Maximum —4,ı°, das Minimum —46,0° (.
Am Bord haben wir guten Vorrath von Lebensmitteln
und fast 4500 Cubikfuss Steinkohlen.
-.. .. EEE
338
Neue Karte des Deutschen Reichs.
Vier Blätter in 1:1500 000.
Von C. Vogel !).
Seit Bestehen des Stieler'schen Hand-Atlas war es Ge-
brauch, bei Neubearbeitungen der einzelnen Blätter Rechen-
schaft über die Entstehung und Herstellung derselben zu
geben, so wie die Quellen namhaft zu machen, auf welche
sie sich stützen. Später, als eine gänzliche Um- und Neu-
bearbeitung des Hand-Atlas vorgenommen wurde, welche
nach jahrelanger unausgesetzter Thätigkeit erst jetzt ibrem
Abschluss entgegen eilt, wurde in erster Linie erstrebt, statt
des früher beliebten Übereinandergreifens der einzelnen
Kartenblätter und der dadurch veranlassten vielfachen Wie-
derholungen solche von unmittelbarem Anschluss zu geben,
wodurch neben Gewinnung eines grösseren Maassstabs der
Vortheil entstand, grosse Länder, wie die Spanische Halb-
insel, Frankreich, Vereinigte Staaten von Amerika &c. durch
Zusammensetzen auch in Einem Blatt bringen und benutzen
zu können. Damals und fortdauernd bis jetzt wurde eine
ausführlichere Darlegung des Standpunktes der Redaction
dieser Karten und der dabei maassgebend gewesenen Prin-
cipien gegeben und dabei auch der Beweis erbracht, dass
innerhalb des vereinbarten Rahmens in inhaltlicher, wis-
senschaftlicher und technischer Beziehung Nichts versäumt
worden ist, um möglichste Vollkommenbheit zu erreichen 2).
Da an diesem vorher aufgestellten einheitlichen Plan sich
seit Beginn der Umgestaltung und Neubearbeitung des Hand-
Atlas nichts Wesentliches geändert hat, und die Redaction
nach wie vor nach denselben erprobten Grundsätzen und
Gesichtspunkten mit alleiniger Ausnahme der durch die
jeweilige Natur des darzustellenden Landes gebotenen loca-
len Abweichungen verfährt, so kann hier davon abgesehen
werden, auf Bekanntes zurückzukommen. Dagegen wird eg
diessmal unsere Aufgabe sein, einige Erläuterungen zu dem
Entwurf der oben genannten Karte zu geben, und die be-
nutzten Quellen auf deren Zuverlässigkeit zu prüfen,
Der Maassstab von 1:1500000 der natürlichen Länge
entspricht demjenigen der bereits früher erschienenen Kar-
ten der werteuropäischen Länder, und gestattete, gleichwie
diess bei den Karten von der Spanischen Halbinsel, von
Frankreich &c. anerkannt worden ist, bei grösserer Lesbar-
keit eine vermehrte Aufnahme bemerkenswerther Örtlich-
keiten und sonstiger Objecte, namentlich auch eine einge-
hendere Darstellung und Beschreibung der Flussläufe und
Canäle, so wie der charakteristischen Bodenerhebungen.
'!) Neue Lieferungs-Ausgabe von Ad. Stieler's Hand-Atlas, 1879.
(Die 8. Lieferung, ausgegeben im September, enthält das südöstl. Blatt
Nr. 4, welchem die übrigen Sectionen in kursen Zwischenräumen folgen
werden.)
2) 8. Geogr. Mitth. 1871, 8. 321—8326; 1874, 8. 89—93;,; 1876,
8. 1—7.
Hierdurch dürften sich auch mehrfach ausgesprochene und
hierher gelangte Wünsche erledigen, zumal für diejenigen
deutschen Länder, welche sich durch eine stärkere Bevöl-
kerung und Industrie, oder durch landschaftliche Schönheit
und den dadurch hervorgerufenen grösseren Reiseverkehr
auszeichnen, im Hand-Atlas noch besondere Specialkarten
vorbanden sind. Als solche sind zu nennen Nr. 23: Sach-
sen, Thüringen und benachbarte Länder, und Nr. 24
und 25: Südwest-Deutschland und Schweiz, alle drei Kar-
ten im Maassstab von 1:925000. Gleichwohl giebt es noch
einzelne ganz ausnahmsweise dicht bevölkerte und von einem
complicirten Eisenbahnnetz durchzogene Industriegebiete in
Deutschland, deren graphische Darstellung einen bedeutend
grösseren Maassstab erheischt, wenn sie bei dem gerade
hier so nothwendigen Detail in wünschenswerther Klarheit
erscheinen sollen. Es sind diess vorzugsweise a. das rhei-
nisch - westfälische Industriegebiet zwischen Düsseldorf, El-
berfeld— Barmen, Hagen, Dortmund, Bochum, Essen, Ober-
hausen, Ruhrort und Duisburg, das hauptsächlich von der
Ruhr durchzogen und unter dem Namen „Ruhrkohlen-
gebiet” bekannt ist; b. das Saarbrücker Kohlenrevier von
Saarlouis an über Saarbrücken-St.Johann bis Neunkirchen,
St. Ingbert und Zweibrücken in der Pfalz; und c. der
oberschlesische Industriebezirk von der preussisch-russischen
Grenze bei Myslowitz über Kattowitz, Königshütte, Beuthen
und Tarnowitz bis Zabrze, Gleiwitz und Nikolai. Diese
Gegenden giebt unsere Karte in besonderen Cartons im
Maassstab von 1:500000. Nicht minder sind es die für
Deutschlands Seemacht so wichtigen neuen Kriegshäfen an
der Nord- und Ostsee, Kiel und Wilhelmshaven, welche
mit dem vorliegenden Fahrwasser und dem schützenden
Hinterland hochinteressante Objecte bilden. Auch sie er-
hielten detaillirtere Darstellung in noch grösserem Maass-
stab. Von diesen Cartons, so wie von dem topographi-
schen Plan „Berlin, Potsdam und weitere Umgegend” in
1:150 000, welcher sich auf Blatt 4 befindet, wird im
Folgenden noch die Rede sein.
Um nun auf die Hauptkarte zurückzukommen, so sind
von der Meeresküste angefangen zunächst die Figuren der
während der Ebbe trocken gelegten Watten sichtbar, welche
in Verbindung mit den vorliegenden Linien gleicher Meeres-
tiefen von 6 und 20 Meter das weit in See reichende, in
der Nord- wie Ostsee gleich interessante Bodenrelief ver-
anschaulichen !). Es sei hier gleich bemerkt, dass Höhen
und Meerestiefen gleichmässig in Metermaass ausgedrückt
I) Die bisher gebauten grössten Panzerschiffe haben einen Tiefgang
von 7,5 Meter.
Neue Karte des Deutschen Reichs.
sind, was wir für eine Landkarte längst als das Richtige
erkannt haben, jetzt aber nach dem Vorgang auf den Kar-
ten der deutschen Admiralität als selbstverständlich be-
trachten !,, Sämmtliche von den deutschen Küsten auslau-
fenden Telegraphen-Kabel, einschliesslich des zuletzt geleg-
ten und im November v. J. dem Verkehr übergebenen zwei-
ten Kabels zwischen Alsen und Fünen, so wie der erst vor
wenigen Tagen zwischen der Insel Sylt und Norwegen
eröffneten Leitung sind eingezeichnet und deutlich zu ver-
folgen. Seehäfen und Leuchtfeuer sind als solche er-
kennbar gemacht und benannt. Die landeinwärts die Küste
begrenzenden Dünen (Hoch- und Flugsand), so wie die bis
Blaavands Huk in Jütland reichende lang gedehnte, für
Friesland so charakteristische Marsch, ehemaliger Meeres-
boden, haben in entsprechenden Signaturen ihren Ausdruck
gefunden. Die in ganz Nord-Deutschland so häufigen, aber
auch in Bayern in grösserer Ausdehnung vorkommenden
Moore, Moose, Brüche und Sumpfstellen sind durch zarte
Schraffirung angedeutet und bei einiger Erheblichkeit auch
mit ihren Namen eingeschrieben. Sämmtliche Wasserstras-
sen, einschliesslich der neuen laut Staatsvertrag zwischen
den Niederlanden, Preussen und Oldenburg zu erbauenden
Moorkanäle, von welch’ letzteren der Ems-Vechte-Canal und
derjenige zwischen Haren und Rütenbrock jetzt vollendet
sind, und die zur Zeit auf keiner anderen Landkarte in
dieser Vollständigkeit und Genauigkeit existiren, so wie
alle gegenwärtig in Betrieb und im Bau befindlichen Eisen-
bahnen sind nach genauen uns von zuständiger Seite gü-
tigst mitgetheilten Traodes eingezeichnet. Die Strassenzüge
sind in zwei Abstufungen, übereinstimmend mit den Karten
von der Spanischen Halbinsel und von Frankreich, nur in
den Alpen eingetragen, weil hier der Verkehr durch Eisen-
bahnen weniger entwickelt ist; Gebirgspässe sind durch die
dafür übliche Signatur hervorgehoben und wenn von Be-
deutung, noch ausdrücklich benannt. Festungen und ein-
zelne Forts 2), so wie die Bischofssitze in Deutschland und
!) Auch die französischen Karten, so die Carte de France, dresase
au de&pöt des fortifieations, und die Carte hypsomötrique de la France
par M. M. H. Pigeonneau et F. Drivet, eben so österreichische und
italienische Land- und Seekarten geben jetzt die Sonden in Metermaass,
Die Vertheilung der Höhenzahlen ist überall da, wo gentgende Mes-
sungen vorlagen, in der Weise erfolgt, dass auch die „relativen Höhen’
abgelesen werden können, wodurch das Verständniss des Bodenreliefs
erleichtert wird.
2) Die in Frankreich längs der Vogesengrenze und an der Mosel
von Belfort bis Toul seit 1871 ausgeführten und theilweis noch im
Bau befindlichen zahlreichen Befestigungen sind auf Blatt 3 sichtbar.
Dieselben und alle anderen mehr rückwärts liegenden neuen Landbe-
festigungen bis Besancon, Chagny, Dijon, Langres, Vitry, Soissons, la
Fere und Maubenge sind auf dem in einer der folgenden Lieferungen
erscheinenden Blatt 2 der Karte von Frankreich ersichtlich, während
„die neue Festung Paris” mit den gesammten weit hinaus fallenden
Aussenforts auf einem besonderen Carton des ganz neuen Übersichts-
blattes von Frankreich (Nr. 33) ihre Darstellung in grossem Maassstab
gefunden hat. .
Vier Blätter in 1:1500000. 339
den angrenzenden Staaten sind als solche ersichtlich, Städte,
Marktflecken, Dörfer und vielfach kleinere Etablissements
durch verschiedene Zeichen auseinander gehalten und je
nach der Einwohnerzahl auch durch die Schrift ausgezeich-
net. Dass alle diese Bemerkungen in der Karte selbst ihre
Erklärung finden, ist selbstverständlich.
Betrachten wir uns nunmehr die topographischen Spe-
cialkarten, welche bei Bearbeitung unserer Karte in Frage
kamen, etwas näher, so wird sich als eine Folge der frü-
heren Zersplitterung Deutschlands zunächst die Thatsache
ergeben, dass bei allem Reichthum officieller Aufnahmen
von keinem anderen Land in Europa ein äusserlich wie
innerlich so angleichartiges Kartenmaterial existirt, wie
vom dermaligen Deutschen Reich. Gleich bei dem ersten
Staate des Reiches, bei Preussen, begegnen wir der weitaus
grössten Mannigfaltigkeit in den militär-geographischen Publi-
cationen. Die Ursachen derselben erörtern zu wollen, müs-
sen wir als nicht hierher gehörig uns versagen. Nur im
Vorübergehen wollen wir auf die Geschichte seines Wachs-
thums zu einer europäischen Grossmacht und auf die bis
1866 so zerstückelte Lage seines Gebietes hinweisen. Oft
kam es aus politisch -militärischen Gründen darauf an, in
der möglichsten Eile das Croquis der am meisten gefähr-
deten Landestheile zu beschaffen, und an andere oder wis-
senschaftliche Zwecke hat man im Anfang wohl kaum ge-
dacht. Erst in einer späteren, uns ganz nahe liegenden
Periode hat man mit einer planmässigen Aufnahme begon-
nen, die in den vorliegenden Resultaten gleichmässig den
militärischen, wie wissenschaftlichen und practischen Zwecken
zu Gute kommt. Indessen hat man doch von Anfang an
mit glücklichem Griff das sogenannte Gradabtheilungs-System
angenommen, durch welches die provinzweise Zerstücke-
lung vermieden und ein wohl geregeltes Netz unmittelbar
aneinander passender Kartenblätter ganz wie von selbst
sich ergeben hat, ganz abgesehen von dem weiteren Vor-
theil, dass später die inmitten Preussens gelegenen Anhal-
tischen, Schwarzburgischen, Reussischen und Ernestinisch-
Sächsischen Länder diesem Kartennetz ohne besondere Schwie-
rigkeit einverleibt werden konnten.
Als älteste hier in Betracht kommende Aufnahme docu-
mentiren sich die Sectionen über Schlesien im Maassstab
von 1:100000, welche grossentheils bereits in den Jahren
1815 bis 1830 entstanden, durch Nachträge von Chaussden
und Eisenbahnen auf den Stand bis 1873 gebracht sind,
eine gegenwärtig ganz ausgedruckte und der vollständigen
Erneuerung dringend bedürftige Karte. Die vier zugehö-
rigen Sudeten-Blätter Schweidnitz, Glatz, Mittelwalde und
Peterswald sind in neuer Aufnahme aus dem Jahr 1865
bereits vorhanden und lassen den Kartographen in ihrer
modern-praktischen Ausführung einstweilen die Hülfe ahnen,
340 Neue Karte des Deutschen Reichs. Vier Blätter in 1:1 500000.
die ihm eine spätere Neuvermessung der ganzen Provinz
gewähren wird. Als zweitälteste Aufnahme ist die 72 Blatt
umfassende topographische Karte von Rheinland und West-
falen im Maassstab von 1:80000 zu nennen, welche um
das Jahr 1845 fertig geworden, jetzt in dritter Ausgabe
vorliegt. Auoh sie ist, obwohl in einigen Blättern erneuert,
besonders in den Industriegebieten der Saar und Ruhr &c.
durchaus veraltet und selbst durch die bis zum Jahr 1875
reichenden und theilweis mittels Handzeichnung bewirkten
Nachträge nicht mehr au courant zu halten. Das rapide
Wachsthum der Bevölkerung und des Anbaues seit jener
Zeit auf Stellen, die damals Wald, Feldgrundstücke oder
vereinzelte Gehöfte waren, jetzt aber Städte und volk-
reiche Orte geworden sind, fordert dringend zu einer Neu-
vermessung auf, zumal auch die Darstellung des Boden-
reliefs nur eine annähernde ist. Die „topographische Karte
vom östlichen Theil der Monarchie” in 1:100000, welche
sich über die Provinzen Pommern, Posen (nur bis zum
53. Parallel), Brandenburg und Sachsen einschliesslich der
darin liegenden fremdländischen Enclaven erstreckt, und
deren letzte auf Sachsen und Thüringen entfallende Sec-
tionen um das Jahr 1862 fertig wurden, gewährt in Ver-
bindung mit den anstossenden Seotionen über Schlesien ein
zusammenhängendes Landesbild von den Sudeten bis zum
Meer, und ist, obwohl in der Ausführung nicht ganz gleich-
mässig, mit ihren bis zum Jahr 1876 reichenden Nach-
trägen eine gute, den gegenwärtigen Verhältnissen ent-
sprechende Grundlage für unsere Arbeit gewesen. Die
Iblätterige Karte der Hohenzollern’schen Lande im Maass-
stab von 1:50000 erschien 1863 gleichzeitig in vier ver-
schiedenen Ausgaben und ist hier nur der Vollständigkeit
wegen erwähnt, da für unsere Zwecke die später zu nen-
nenden Karten von Süddeutschland ausreichten. Sie ist
eine allen Ansprüchen genügende, noch in Lithographie
ausgeführte Specialkarte. Die ebenfalls 1863 in vier Blät-
tern grossen Formats ausgegebene, bei der Zeichnung un-
serer Karte sehr nützlich gewesene Aufnahme vom süd-
lichen Theil des Herzogthums Schleswig in 1:100000 hat
einen nur provisorischen Charakter und trägt zu sehr den
Stempel der Eile, als dass sie in Zukunft beibehalten wer-
den könnte. — Inzwischen hatte der preuss. Generalstab
bereits im Jahr 1859 mit der Specislaufnahme der Pro-
vinz Preussen begonnen, deren erste Blätter, in Kupfer-
stich ausgeführt, 1863 erschienen. Hiermit beginnt eine
ganz neue, dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft und
Technik rückhaltlog Rechnung tragende Periode der preus-
sischen Landesaufnahme, da sowohl die Glaubwürdigkeit
derselben durch das gewählte geometrische Verfahren ga-
rantirt ist, wie auch die äussere Ausführung sich ohne Be-
denken den besten topographischen Kartenleistungen der
Gegenwart an die Seite stellen kann. Wiederholt haben
wir in den „@Geogr. Mittheilungen’” über den Fortschritt
dieser Aufnahme, zuletzt im Jahrgang 1877, S. 132, be-
richtet, und dabei betont, „dass die Topographie der Pro-
vinz Preussen durch diese Generalstabskarte ein wesent-
lich verändertes, von bisherigen Anschauungen stellenweis
ganz verschiedenes Aussehen gewinnt”. Wir können dem
jetzt hinzufügen, dass die ganze auf 95 Blatt berechnete
und theilweise nach Pommern und Posen übergreifende
Aufnahme bis auf 5 noch restirende Blätter dem Debit
übergeben ist, welche nach der uns gewordenen Informa-
tion bis Ende 1879 ebenfalls erschienen sein werden. Da
die Provinzen Preussen auf Blatt 2 unserer Karte des
Deutschen Reichs entfallen, so ist dasselbe, welches im Stich
bereits weit vorgeschritten, einstweilen zurückgestellt und
einer späteren Lieferung vorbehalten worden, damit es
beim Erscheinen den neuesten Standpunkt vertritt. Der
Krieg von 1866 und der daraus resultirende Ländererwerb
brachte Preussen in den Besitz der 4Oblätterigen Kurhes-
sischen Landesvermessung in 1: 50000, so wie der daraus
hervorgegangenen eben vollendeten beiden Generalkarten in
1:200000 und 1: 350000, deren letztere in ihrer sich
auch auf das Ausland erstreckenden Darstellung das Für-
stenthum Waldeck nach einer vorausgegangenen Terrain-
Recognoscirung bringt. Eben so kam die gesammte Auf-
nahme von Hannover an Preussen, von welcher die uns
angehende Papen’sche Karte in 1: 100000, deren 66 Sec-
tionen sich über Hannover, Braunschweig und die freien
Städte Hamburg, Lübeck und Bremen verbreiten, hier zu
nennen ist. Beide Kartenwerke liegen in einer bis zur
Gegenwart vervollständigten Ausgabe vor. Eine weitere
Folge des Kriegs war die sofort in Angriff genommene
und schon 1875 beendigte topographische Aufnahme des
nunmehrigen Regierungsbezirks Wiesbaden. Ganz in den
bei der Aufnahme der Provinz Preussen angenommenen
Plan passend, haben ibre 13 Sectionen denselben Maass-
stab und dieselbe vortreflliche Ausführung mit deren Blät-
tern gemein. Im Weiteren gehören die in 1878 u. 1879
erschienenen Sectionen Ziegenhain, Grünberg, (Gersfeld,
Orb, Büdingen, Hanau und Fulda hierher, als erste Serie
derjenigen Kartenblätter, welche die Lücke auszufüllen be-
stimmt sind, die seit der Erwerbung von Kurhessen, Nas-
sau und eines Theiles von Bayern im Jahre 1866 zwischen
den westliohen und östlichen Provinzen Preussens bestand.
(S. „Geogr. Mitth.” 1878, S. 274.) })
Gehen wir nunmehr zur Aufzählung der für unsere
Karte in Betracht kommenden und benutzten ofhciellen
'!) 8. übrigens im Beiheft zum Preuss, Militair-Wochenblatt 1879,
Erstes Heft: „Die Königlich Preussische Landes- Aufnahme” von Moro-
zowies, General-Lieutenant und Chef der Landes-Aufnahme.
Neue Karte des Deutschen Reichs.
Publicationen der anderen deutschen Länder über, so ist,
um zunächst in Norddeutschland zu bleiben, die 6blätte-
rige Specialkarte der Timgegend von Schwerin in 1:25000
zu nennen, die einzige bisher über beide Grossherzogthü-
mer vorhandene, ganz zuverlässige Arbeit, welcher wir die
weitere Bemerkung anknüpfen, dass die preussische General-
stabsaufnabme über Mecklenburg, so wie über die Provinz
Schleswig-Holstein gegenwärtig in vollem Gange ist. Ol-
denburg besitzt eine sehr gute, unter der Leitung des
grossherzogl. Vermessungs-Directors A. P. Freih. v. Schrenck
ausgeführte und in 14 Blättern bereits 1865 herausgege-
bene Vermessungskarte in 1: 50000, deren mit Nachträ-
gen versehene Reduction auf den Maassstab von 1:200 000
in Gestalt einer oharakteristisch "gehaltenen Generalkarte
desselben Verfassers vor uns liegt. Von der eben so sorg-
fältig wie elegant ausgeführten 28blätterigen Generalstabs-
karte des Königreichs Sachsen in 1:100000 sind zwei Aus-
gaben vorhanden, eine mit und eine ohne Terrain. Die
letztere enthält die seit 1873 etwas veränderte Verwaltungs-
eintheilung in genauester Weise, wodurch sich die gleich-
zeitige Benutzung beider Ausgaben nöthig machte.
Mit ungetrübtem Behagen kommen wir bei Süddeutsch-
land an, da einmal dessen offhicielle Aufnahmen keine
Lücken mehr zeigen, und auch die darüber vorhandenen
trefflichen Generalkarten in ihrer vereinfachten Haltung
dem Kartenzeichner manche Erleichterung gewähren. Gleich
das Grossherzogthum Hessen besitzt ausser seiner !/so000-
Specialkarte in 31 Blatt eine zweiblätterige Generalkarte
im Maassstab von 1:250000, welche, in kräftiger Weise
gehalten, nicht leicht einen Zweifel aufkommen lässt. Von
dem in neuer Bearbeitung erschienenen topographischen At-
las von Baden, 55 Blätter in 1:50000, existiren zwei sehr
verlässliche und brauchbare Reduotionen, deren grössere,
„Übersichtskarte des Grossherzogthums Baden nebst Thei-
len der angrenzenden Länder, Maassstab 1 :200000 in
6 Blatt”, in 1864 fertig geworden, zuletzt mit bis zum
Jahre 1876 reichenden Eisenbahn-Nachträgen &o. ausgege-
ben ist. Die kleine Generalkarte auf einem Blatt im
Maassstab 1:400000 ist im Jahre 1868 ganz neu erschie-
nen und wird in3 Ausgaben, als Terrain-, Landwehrbezirks-
und Administrativ-Karte publicirt. Die im Jahre 1874 aus
dem k. statistisch-topographischen Bureau hervorgegangene
rectificirte Ausgabe der „@Generalkarte des Königreichs
Württemberg &c. in 4 Blättern, Maassst. 1:200000”, stützt
sich auf den nach der Katasteraufnahme reducirten topo-
graphischen Atlas, 55 Blatt in 1:50000, dessen einzelne
Blätter zwar seit langer Zeit vollendet, doch bis auf die
Gegenwart current gehalten und nachträglich durch viele
Höhenzahlen bereichert worden sind. Sie ist eine unge-
mein praktische, in kräftiger Manier gehaltene und dennoch
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft IX.
Vier Blätter in 1:1500000. 341
mit vielem Detail ausgestattete Karte, deren Terraindarstel-
lung sich durch die Wahrheit ihrer Angaben auszeichnet.
Ausser dem seit 1869 in zweiter Ausgabe fertig vorlie-
genden „Topographischen Atlas vom Königreich Bayern,
Maassst. 1:50000, 112 Blatt”, benutzten wir verschiedene
auf denselben basirte, bis auf die allerneueste Zeit vervoll-
ständigte und berichtigte Generalkarten. Wir nennen da-
von 1. Übersichtskarte des Königreichs Bayern diesseit
des Rhein, Maassst. 1:250000 in 15 Blatt, wovon zwei
Ausgaben, eine mit und eine ohne Terrain existiren; 2. die
bayerische Pfalz, Maassst. 1:150000 in 4 Blatt; 3. Karte
von Südwest- Deutschland bis zu den Alpen mit Theilen
angrenzender Länder, Maassst. 1:250000, in 25 Blatt und
einem Übersichtsblatt, welch’ letztere, erst 1867 erschienen,
insbesondere hinsichtlich der Auffassung und Darstellung
des Terrains als die bedeutendste dieser Generalkarten er-
klärt werden muss. Die Grundlage für Elsass- Lothringen
bildet z. Z. noch die französische Aufnahme in 1:80000
unter Mitbenutzung der "330000 Karte. Die Blätter der
erstgenannten Karte sind in der geogr.-statist. Abtheilung
des Grossen Generalstabs in Berlin einer gründlichen Re-
novirung unterzogen resp. nach in den Jahren 1875 bis
1877 ausgeführten Recognoseirungen in kleinerem Format
(838 Blatt) neu gezeichnet und durch Phototypie verviel-
fältigt worden '), so dass bis zur Vollendung der ebenfalls
im Gange befindlichen Neuaufnahme des Reichslandes allen
billigen Anforderungen Genüge geleistet ist.
Grösser als der äussere Unterschied in Maassstab und
Format ist die innere Verschiedenheit der vorgenannten
officiellen Kartenwerke.. Wenn wir auch als für unsere
Zwecke weniger erheblich von den fast nirgends überein-
stimmenden Signaturen für alle möglichen Objecte, als
Ortszeichen, Strassen und Eisenbahnen, Feld, Wald und
Wiese, &o. &c. hier absehen, so ist es doch hauptsächlich
die Darstellung der Bodengestaltung, welche die ganze
Routine und das Verständniss des Zeichners erfordert, sol-
len sich auf seiner Karte nicht ganz wie von selbst Irr-
thümer und Fehler einschleichen. Wir meinen hier nicht
sowohl die ganz ausser F'rrage stehende Genauigkeit in den
Formen und Figuren des Terrains, als vielmehr den Aus-
druck derselben nach ihrer Höhenlage und verweisen zu-
nächst darauf, dass allein auf den preussischen General-
stabskarten drei verschiedene Maasse für die Höhenzahlen
figuriren, preuss. Decimal-Fuss, Duodecimal-Fiuss und Meter.
Ein grosser Theil der Aufnahme enthält gar keine Höhen-
zahlen. Dazu kommen die süddeutschen Maasse bis zur
bayerischen Ruthe = 2,92 Meter. Wichtiger ist noch die
Ungleichheit der Böschungsscala. Auf den sächsischen und
') 8. Geogr. Mitth. 1879, 8. 68 u. 69.
44
342 Neue Karte des Deutschen Reichs. Vier Blätter in 1:1 500000.
bayerischen Karten ist beispielsweise volle Schwärze erst
bis 60 Grad angewandt, auf der grossherzogl. hessischen
Aufnahme bei 50 Grad und auf der preussischen Aufnahme
schon bei 45 Grad. Wollte man hier mechanisch nach-
bilden, so kommt man ohne Weiteres in Conflict mit der
Wabrheit, wofür die zahlreichsten Beispiele anzuführen
wären, und es bedarf hier zur Vermeidung naturwidriger
Terrainbilder neben langjähriger Übung der Unterstützung
durch Höhenschichtenkarten. Solche lagen denn auch bei
unserer Arbeit zur Einsicht bereit, darunter eigens zu die-
sem Zweck hergestellte Manuscriptkarten.
Aus dem Vorstehenden haben wir zur Genüge ersehen,
wie höchst nothwendig wir eine einheitlich militär-topogra-
pbische Karte des Deutschen Reiches brauchen, und diese
Einsicht hat sich, wie nicht anders zu erwarten, an derje-
nigen Stelle zuerst fühlbar gemacht, die nicht allein das
weitaus grösste Interesse daran, sondern auch allein den
Beruf und die Fähigkeit dazu hat, diesem Übelstande in der
möglichst kürzesten Zeit abzuhelfen. Unter den Auspicien
des Grossen Generalstabs in Berlin und im Anschluss an
die preussische Grad- Abtheilungskarte, so wie unter Be-
nutzung der über die Provinzen Ost- und Westpreussen
und den Reg.-Bezirk Wiesbaden, &c. bereits vorhandenen
und allen derartigen Ansprüchen genügenden neuen Auf-
nahme in 1:100000 ist man z. Z. bereits mit der Aus-
führung dieses auf 674 Sectionen berechneten Unterneh-
mens beschäftigt, das, so weit wir davon Kenntniss haben,
gleichzeitig in Berlin, Dresden, München und Stuttgart ge-
fördert wird. Nichts desto weniger und unter Anspannung
aller disponibelen Kräfte ist das Ende dieser bedeutenden
Arbeit wohl kaum vor Anfang des nächsten Jahrhunderts
zu gewärtigen, und es trat daher die weitere F'rage her-
an, wie und wo man einstweilen einen Ersatz dafür be-
schaffen könne. Als solcher qualificirte sich ganz beson-
ders die hinlänglioch bekannte vormals Reymann’sche Spe-
cialkarte von Deutschland im Maassstab von 1:200000,
zumal zu berücksichtigen, dass nach der Vollendung der
'/\ooooo-Karte über das Deutsche Reich die Herstellung
einer Generalkarte dieses Maassstabes dennoch unumgäng-
lich war. Dieses Kartenwerk, dessen grossentheils bereits
erschienene 342 Sectionen sich ausser über das Deutsche
Reich auch über das östliche Frankreich, die Niederlande
und Belgien, so wie über einen grossen Theil von Polen
und Österreich-Ungarn verbreiten, ist aus dem Flemming’-
schen Verlag in Glogau in den Besitz des preussischen
Generalstabs übergegangen und wird gegenwärtig in der
geographisch-statistischen Abtheilung in Berlin zu einer
Generalkarte von Mitteleuropa umgestaltet und erneuert.
Wenn auch deren endgültige Vollendung ebenfalls noch in
weiter Ferne steht, da sie ja, von Anderem abgesehen, nur
auf Grundlage und unter Benutzung der noch rückständi-
gen Vermessungen im Deutschen Reiche vorschreiten kann,
so ist doch ein grosser Theil der vorhandenen Blätter
schon jetzt im Stande, im Ernstfalle die besten Dienste zu
leisten, und jedes neu hinzukommende Blatt deckt die vier-
fache Fläche einer deutschen Grad-Abtheilungssection.
Nächst der Reymann’schen Karte konnte nur noch W.
Liebenow’s Specialkarte von Mitteleuropa im Maassstab von
1:300000, von deren 164 Blättern beinahe die Hälfte
ausgegeben ist, in Betracht kommen, da alle anderen z. Z.
vorhandenen Kartenwerke über Gesammt- Deutschland ent-
weder veraltet und nicht einheitlich genug bearbeitet sind
oder einen zu kleinen, für unsere Zwecke nicht mehr aus-
reichenden Maassstab häben — darunter Scheda’s Karte
von Central-Europa, 48 Blatt in 1:576000 —. Einer de-
taillirten Aufzählung des sonst benutzten Kartenmaterials,
welches auf älteren Erhebungen beruht oder von Privaten
zusammengestellt ist, insbesondere auch über diejenigen
Landestheile, welche bisher noch einer topographischen
Aufnahme entbehren, glauben wir nach den vorstehend ge-
gebenen Nachweisen uns um so mehr überhoben halten zu
dürfen, als es nachgerade wohl ganz allgemein bekannt ist,
dass das Zurückgehen auf die Quellen bei Neubearbeitungen
in der Geographischen Anstalt in Gotha so zu sagen tradi-
tionell geworden ist. Nichts desto weniger wollen wir hier
noch ganz kurz nur einige der bedeutenderen Werke nen-
nen, welche uns als weitere Unterlage dienten. Es waren
diess die ausgezeichneten Arbeiten über Schleswig-Holstein
von F. Geerz, jetzigem Abtheilungschef im Grossen Gene-
ralstab in Berlin, eben so die frühere dänische Aufnahme
in 8 Blatt, die Karten von Schmettau, Engel & Engelhardt
über die mecklenburgischen Grossherzogthümer, die Liebe-
now’schen Regierungsbezirks- und Kreiskarten einschliees-
lich der lippe’schen Fürstenthümer, Vogel’s Thüringer Wald,
die Specialkarten von Nowack, Engelhardt, &c. &c.
Die in den Rahmen unserer Karte fallenden ausländi-
schen Staaten, ein grosser Theil der Niederlande, von Bel-
gien, Frankreich und der Schweiz, wie nicht minder von Öster-
reich, Russland, Dänemark und Schweden, wurden in der-
selben gründlichen Weise und immer nach den neuesten
Aufnahmen bearbeitet. Über die Niederlande, deren Ober-
fläche wie fast kein anderes Land in beständiger Umgestal-
tung begriffen ist, möchten wir hier noch die Bemerkung
anfügen, dass es insbesondere die Küste und die vorliegen-
den Inseln sind, welche sioh im Allgemeinen immer mehr
nähern, im Innern schwinden fortwährend Seen und meh-
ren sich die Canäle (Treckvoorts).. Es war nicht leicht,
hierin den allerneuesten Standpunkt zu fixiren, und wir
befürchten fast, dass trotz der eingehendsten Ermittelungen,
Privatmittheilungen nicht ausgeschlossen, hierin noch nach-
Neue Karte des Deutschen Reichs.
zuholen sein wird. — Die bis zum Jahre 1878 reichenden
vom hydrographischen Bureau der kaiserl. Admiralität her-
ausgegebenen Specialkarten über die Nord- und Ostsee bil-
deten im Verein mit dänischen und schwedischen Seekarten
die Unterlage für die auf das Meer bezüglichen Angaben
auf unserer Karte.
Waren wir sonst bei Neuzeiohnungen darauf angewie-
sen, wegen der dabei benöthigten Angaben so zu sagen
eine ganze Bibliothek geographischen Inhalts zu durchstö-
bern, auch wohl deshalb selbst zu correspondiren, so ist das
jetzt seit der alle zwei Jahre sich wiederholenden Heraus-
gabe von „Behm und Wagner, Die Bevölkerung der Erde”,
deren letztes Heft (V) im Juli 1878 erschienen, so gut wie
wegfällig geworden. Die darin enthaltenen, sich über alle
Theile der Erde bis in’s kleinste Detail erstreckenden ur-
kundlichen Ermittelungen über Areal und Bevölkerung
sind nicht allein für den Kartenzeichner, sondern ausnahms-
los für alle Diejenigen, deren Beruf sie mit der Erdkunde
in Berührung bringt, ganz besonders für den geographi-
schen Schriftsteller und Gelehrten, den Statistiker und
Lehrer ein unversiegbarer Born, aus welchem er fortge-
setzt Neues schöpft, so dass dem Erscheinen jedes neuen
Heftes in den betreffenden Kreisen mit Ungeduld entgegen
gesehen wird. Wir verweisen beispielsweise nur als allein
für unsere Zwecke wichtig auf den Artikel ‚Deutsches
Reich” in den letzten Heften, welcher sich über den Ge-
bietsaustausch zwischen verschiedenen Staaten, über Grenz-
veränderungen und Grenzregulirungen bis herab zum Kreis
und zur Gemeinde, über die Theilung der Provinz Preussen
und verschiedener Kreise, über die neue Grenze am Jade-
busen, über neue administrative Eintheilungen, Zusammen-
ziehung und Aufhebung von Landraths- und Gerichtsäm-
tern, Erweiterung der deutschen Zollgrenze, &c. verbreitet,
ferner die amtlichen Erlasse über Wiederherstellung deut-
scher Ortenamen in Elsass- Lothringen und der Provinz
Posen, die Erhebung von Dörfern zu Städten und umge-
kehrt die Enteignung des städtischen Charakters bekannt
macht, &c. &c., wie nicht minder auf die schematisch ge-
ordnete „Ortsbevölkerung” nach den letzten Zählungen,
um es Jedem begreiflich zu machen, welche Erleichterung
und Hülfe uns diese Blätter gewährten.
Bei der Zeichnung der Cartons über die Kohlen- und
Industriegebiete von Saarbrücken, Oberschlesien und der
Ruhr haben wir keineswegs die Absicht gehabt, einseitig
nur das dort so verwickelte Eisenbahnnetz zur Anschauung
zu bringen. Das allgemeine Verkehrsinteresse erfordert
unseres Erachtens neben diesem noch die Aufnahme der
Chaussden und sonst bedeutenden Wege, und da diese Art
der Industrie zum nicht geringen Theil von der Nähe und
Beschaffung des Holzes abhängt, so glaubten wir auch die
Vier Blätter in 1:1500000. 843
Waldungen aufnehmen zu müssen. Diese Momente, im
Verein mit einer sohon mehr in’s Einzelne gehenden Terrain-
darstellung, geben in ihrer Gesammtbeit das äusserliche
Bild jener Gegenden in seinem gegenwärtigen Zustande,
Nur durch die ung hierbei in ausreichendem Maasse ge-
währte gütige Unterstützung der betreffenden Eisenbahn-
Direotionen und höheren Baubeamten, welche sich, als auch
theilweis in ihrem Interesse liegend, für die genaue Fixi-
rung der durch die grosse industrielle Entwickelung im
Anfange dieses Jahrzehntes vollständig veränderten Topo-
graphie der genannten Bezirke bemühten, so wie durch die
Benutzung der nach dem Material der königl. Oberberg-
ämter in Dortmund und Breslau bearbeiteten Karten gröss-
ten Maassstabs über die Berg- und Hüttenwerke ist es mög-
lich geworden, die genannten Cartons in der von uns be-
absichtigten Weise fertig zu stellen.
Der auf Blatt 4 in ausreichendem Maasse vorhandene
Raum gestattete es, einem längst gehegten Wunsche inso-
fern Rechnung zu tragen, dass wir den topographischen
Plan über die Umgegend von Berlin im Maassstab von
1:150000 in solcher Ausdehnung geben konnten, dass er
von Potsdam im W bis Köpenick im O und von Gr.-
Beeren im S bis über Tegel im N reicht. Die Anzie-
hungskraft, welche die neue Reichshauptstadt mit ihrer
weiteren Umgebung bis zu dem wegen seiner Anlagen und
Sehenswürdigkeiten weltberühmten Potsdam ausübt, so wie
der Umstand, dass Berlin als Centralpunkt eines Eisenbahn-
netzes, welches in Europa seinesgleichen sucht, von jeder
Richtung her leicht und schnell zu erreichen ist, lassen
den Besitz eines Planes, welcher die Topographie dieses Em-
poriums in so detaillirter Weise bringt, gewiss Vielen sehr
willkommen sein. Auch soll derselbe dazu beitragen, Den-
jenigen, welchen eine topographische Karte etwas seltener
Gesehenes ist, nicht allein den Einklang des Terrainbildes
und der Signaturen mit der natürlichen Bodenplastik und
dem Anbau vorzuhalten, sondern auch das Verhältniss zur
„Landkarte” sichtbar zu machen, damit die oft zu hoch
gehenden Ansprüche an diese auf das überhaupt erreich-
bare Maass zurückgeführt werden und dadurch das Verständ-
niss derselben gefördert wird. Denn während der topo-
graphische Plan die Bestimmung hat, möglichst auf alle
Einzelheiten in dem Gelände einzugehen, kann die Land-
karte immer nur je nach dem Maassstabe ein mehr oder
weniger generelles Bild der Erdoberfläche geben, in wel-
cher Beziehung Blatt 4 unserer Karte in Verbindung mit
‚den darauf befindlichen Cartons ein instructives Beispiel
giebt. Getrost darf man den Plan „Berlin, Potsdam und
weitere Umgegend’” heraussohneiden und als Touristenkarte
benutzen. Der Plan ist selbstverständlich eine Reduction
der Blätter der preussischen Generalstabsaufnahme über die
44*
344
Umgegend von Berlin und Potedam in 1:25000 und
1:50000, ausser welchen die neuesten Ausgaben der zahl-
reichen Umgebungskarten der Reichshauptstadt, Kiessling,
Vogei v. Falkenstein &c., in zuweilen noch grösserem
Maassstab zur Einsicht vorlagen.
Es erübrigt noch zu sagen, dass die besten Kräfte der
geographischen Anstalt zum Stich der Karte des Deutschen
Reichs herangezogen worden sind. Die Namen Eberhardt
und Weiler, welche in Ad. Stieler’s Handatlas so häufig
vorkommen, dieselben, welche auch unter den Karten der
Spanischen Halbinsel und von Frankreich zu lesen sind,
stehen z. Z. unter den Landkartenstechern in Deutschland
oben an, und es mag hier die Bemerkung noch Platz fin-
den, dass Eberhardt jetzt im 68. Lebensjahre mit unver-
änderter Frische und Ausdauer arbeitet, dass aber Beide
|
Nachrichten vom Gabun.
durch Heranbildung zahlreicher Schüler auch der Zukunft
Rechnung getragen haben. Auch möchte gerade jetzt, wo
Landkarten mittelst der Photographie in jedem beliebigen
Rahmen, freilich immer nach bereits vorhandenen Bildern
in wunderbarer Geschwindigkeit hergestellt werden, ohne
dass man der benutzten Quelle glaubt Erwähnung thun zu
müssen, interessant sein, zu erfahren, dass Zeichnung und
Stich der Karte des Deutschen Reichs vier Jahre unaus-
gesetzter Thätigkeit in Anspruch genommen haben, und
dass sich die Kosten dieser einen Karte in Stieler’s Hand-
atlas bis zur Druckstellung der 4 Platten auf A 24 000belau-
fen, ungerechnet des Aufwandes für die dabei benöthigte Bi-
bliothek und Kartensammlung — eine Summe, für welche man
bei geringen Ansprüchen wohl einen ganzen Atlas herstellt.
Nachrichten vom Gabun.
Von H. Soyaux.
Aus Ssibange Farm am Abandu (Munda) Gabun schreibt
uns Hermann Soyaux, der im Auftrag des Hamburger
Handelshauses C. Woermann sich dahin begeben hat, Fol-
gendes:
12. Mai 79. Endlich einmal habe ich Ruhe genug,
auch an Sie zu schreiben. Sie wissen aus eigener Erfah-
rung, wie es auf Reisen zugeht, besonders wenn diese Rei-
sen, wie bei mir im Anfang, in’s blaue Ungewisse gehen
und sich zu einer Suche, hier nach Land, gestalten. Die
Suche ist nun seit einigen Monaten beendet und seit dem
24. April sitze ich mitten in einem 80 Hektaren grossen
Waldterrain, welches für die Farmanlagen erworben ist.
Sie können sich denken, dass auch jetzt, in primftivsten
Verhältnissen und überhäuft von den schwierigsten, weit
grundlegenden Anfangsarbeiten, die Musse zum Schreiben
sich nur spärlich einstellt, aber ist sie einmal da, so nutze
ich sie aus, so lange es geht.
Nachdem ich am 1. Sept. Hamburg verlassen, kam ich
nach einer Anfangs (zwischen England and Frankreich)
sehr stürmischen und später durch continuirliche Stillen
aufgehaltenen, 80 Tage langen Fahrt am 19. Novbr. in
Monrovia (Liberia) an. Hier hielt ich mich, einmal wegen
Mangel an Gelegenheit, weiter zu fahren, dann auch um
mich über den dortigen Kaffee, seinen Anbau und die dor-
tigen Arbeitskräfte zu unterrichten, fast 4 Wochen auf,
um dann mit der zufällig eintreffenden Woermann’schen
„Aline’” weiter zu gehen und am 9. Januar d. J. in Ca-
meroons einzutreffen. Am 31. Januar endlich traf der
Mailsteamer „Volta’” dort ein, so dass ich erst am 1. Febr.
an meinem endlichen, aber auch nur vorläufigen Bestim-
mungsorte Gabun eintraf.,
Meine nächste Aufgabe war nun, für eine anzulegende
Pflanzung ein passendes Terrain ausfindig zu machen. Ich
suchte lange in der näheren Umgegend Gabuns umher,
. aber vergeblich; obgleich ja der Boden an sich stellenweis
hoch fruchtbar ist, so entsprach er doch in seinen Bestand-
theilen nicht meinen Anforderungen. Nachdem ich auch
einige in das Ästuar einmündende Flüsschen und Creeks
durchsucht, machte ich eine kleine, hübsche Tour nach
Mbumbe, wo Kaffee in grossen Bäumen zahlreich wild
wachsen sollte. Mbumbe ist derselbe Ort, den Hübbe-
Schleiden in seinem „Ethiopien’” als von ihm besucht er-
wähnt. Der Ort liegt am Ebe’, einem Neben- oder Quell-
fluss des Ndschemboe, welcher in den Munda— eben solch
ein Becken wie der Gabun, es giebt keinen Fluss Munda —
fliesst. Die Karte zu Schleiden’s Buch giebt über das
ganze zum Munda gehörende Flusssystem ganz ungenaue
Angaben, eben so wie die Karte von Iradier- Bulfy im
Madrider Boletin, nach welcher dieser Theil der deutschen
Karte gezeichnet scheint. Selbst die Namen sind hier un-
bekannt. So ist der Akambo jener Karten richtig Abändu
zu nennen — ich wohne jetzt in seiner Nähe —, der An-
däbuö heisst Iködi (es giebt hier viele Iköi); der Ndschem-
boö setzt sich aus dem Eb&’ und dem Olöbo zusammen.
Es wäre übrigens keine üble Aufgabe, dieses ganze, un-
glaublich verwickelte: Flussnetz einmal zu entwirren, eine
Nachrichten vom Gabun. 345
Arbeit, die ich wohl in späterer, weniger als jetzt bedräng-
ten Zeit vornehmen möchte.
Um nach Mbumbe zu gelangen, ging ich am Mittag des
19, Februar das Gabunbecken ein Stück hinauf bis zum Lobe
(den Schleiden Lohusi nennt), diesen hinauf bis zu einem Plan-
tagenplatz „Luömbe’s Plantation” (Manioc &c.), wo ich näch-
tigte. Am nächsten Tage früh aufbrechend, gelangte ich in
etwa '/, Stunde an das Ende des Lobe, auch hier noch immer
durch Mangroven-Dickicht fahrend. Der Lobe führt in
seiner ganzen Ausdehnung Brakwasser und ist natürlich
auch ganz und gar von Ebbe und Fluth beeinflusst. Wo
er beginnt, breitet sich bei Niedrigwasser eine grosse san-
dige Fläche aus, die mit Salzpflanzen und auch Isoötes
bestanden ist und welche an der Ostseite von bewaldeten,
etwas Süsswasser spendenden Bergen begrenzt wird. Über
diese Berge, die sich in im Allgemeinen SN laufenden
Zügen gruppiren, ging es nun in einem scharfen und stra-
paziösen Astündigen Marsch. Um 8 Uhr war ich in Mbu-
Zöko oder MunZök,, einem Bakelledorf, welches auf einer domi-
nirenden Höhe mitten im Walde liegt; der Weg dorthin stieg
und fiel, daserstere jedoch mehr. Von hier an wurde das Ter-
rain, immer in einer zwischen O und NO schwankenden Rich-
tung durchzogen, immer coupirter; bergauf und bergab ging
es oft so steile Anhöhen und Berge hinan, die ich nur, indem
ich mich an die nahen Bäume hielt, erklimmen konnte. Die
Vegetation ist ausserordentlich üppig, viele mir vom Süden
her unbekannte Pflanzen sah ich, üppiger Erdorchideen-Flor
entzückte mich. Das Land ist wasserreich, fast alle über-
schrittenen Wasserläufe gingen nach Süden.
Um 114 Uhr kam ich nach dem Dorfe Owöjo, Shekiani,
welches ziemlich an der Quelle des Flusses Awändu oder
Abändu liegt. Hier miethete ich für mich und meine
Leute zwei Canoes und ging nach mehrstündiger Rast
um 3 Uhr den Fluss hinab, welcher nur in seinem ober-
sten Lauf reines Süsswasser führt und in mäandrischen
Krümmungen nach Osten fliesst. Nach fast einstündiger
Fahrt — wir hatten einströmende Flut — kamen wir
nach dem Shekiani-Dorf Ssibange, wo die Ufer schon
von Mangroven bestanden sind. Das rechte östliche zeigt
auch weitab im Lande nur Mangroven auf ebener Fläche
mit vielen Wasserstellen, die theils vom Abändu, theils
vom östlichen Iköi stammen. Überhaupt scheinen die
dem Mundabecken tributären Flüsse öfter unter sich in
Verbindung zu stehen, so dass ein wirkliches Netz ent-
steht. Das linke, Westufer, dagegen hat nur — und zwar
in der gesammten Ausdehnung des Flusses — einen meist
schmalen, öfter auch breiteren Saum von Mangroven, ein
Beweis dafür, dass die Strömung hier stärker ist, als an
der Ostseite, da die Mangrove hier aus diesem Umstande
nicht viel festen Fuss fassen kann. Ob eine Umkehr des Ge-
setzes von der Einwirkung der Erdrotations-Geschwindigkeit
auf die Ablagerung und Strömungsstärke in SN strömenden
Gewässern — selbst ganz nahe dem Gleicher — möglich ist,
weiss ich freilich nicht. Meistens erheben sich bald hinter
dem schmaleren Mangrovensaum des Westufers Berge, alle
bewaldet, oder doch mindestens eine höhere Uferleiste.
Im Vorüberfahren bei dem Dorfe Ssibange begriffen,
hörte ich von den Leuten am Ufer, die natürlich nach
dem Ziel und Zweck meiner Reise fragten, dass auch
hier Kaffee wild wachse. Schnell entschlossen stieg ich
an’e Land und folgte einigen jungen Shekiani in den
prächtigen Hochwald, in welchem sie mich zu einigen
schönen, hohen und früchtereichen Kaffeebäumen führten.
So weit ich nach den Früchten urtheilen konnte, ist die
Art mit der des Coffea liberica Bull. identisch oder steht
ihr doch ganz nahe. Nach kaum einstündigem Aufenthalte
fuhr ich weiter, immer zwischen den hin und wieder von
Nebenflüssen unterbrochenen Mangrovenufern des Flusses
hinab. Es wurde Abend und Nacht und noch immer
hatten wir das Ziel des .heutigen Tages nicht erreicht.
Endlich, bei völligster Dunkelheit, um 73 Uhr, fuhren wir auf
eine Mangrovengruppe zu, hinter welcher das Shekianidorf
Adumo liegen sollte, und gelangten dann auch, nicht ohne an
der Gefahr, durch unter dem Wasser verborgene Baumstücke
umgeworfen zu werden, ganz nahe vorüber zu streifen, an’s
. Ufer. Ich übernachtete in der pesthaft stinkenden Fisch-
räucherhalle und setzte am nächsten Tage meine Fahrt fort.
Der Fischreichithum des Mundabeckens ist berühmt;
sagt doch ein Spruch der Eingeborenen: „Willst Du
gute Fische essen, so schilt nicht auf die Munda”;
die Anwohner treiben meistens Handel mit getrockneten
Fischen, die hier neben Reis, Plantanis und einem aus
Manioc zubereiteten Nährmittel die Hauptspeise auch der
in den Factoreien gehaltenen Krooboys ausmachen. Wir
fuhren am Abend vorher durch Fischschwärme, die das
Wasser förmlich „dick” machten; ein langer, mit schna-
beilförmig verlängertem Munde versehener Hornfisch sprang
mir in’s Gesicht und fiel — eine willkommene Beute für
meine Begleiter — in’s Canoe. — Daher erklärten sich auch
die ungeheueren Mengen von Wasservögeln der verschieden-
sten Arten, die ich am nächsten Morgen sah und die auf den
von der Ebbe entblössten Sandbänken ihrer Jagd nachgingen.
Flusspferde giebt es hier nicht, wohl weil nur Mangroven
auf weite Strecken die vorherrschende Vegetation bilden.
Kurz unterhalb Adumo mündet der Abändu, dessen
Lauf nicht weit unterhalb von Ssibange eine mehr süd-
westliche Richtung annimmt, in das Mundabecken, welches
ich nun nach Osten steuernd kreuztee Am nördlichen
Horizont sah ich kaum etwas von den beiden Munda-
Inseln Osima und Ninde Wir fuhren an der Mündung
846 Nachrichten vom Gabun.
des Iköi vorüber und in die des Ndschemboö hinein, der
in seinem unteren Laufe, gespeist von mehreren Neben-
flüssen, ziemlich aus Osten kommt. Wir hatten die aus-
strömende Ebbe wider uns und es war eine ganz schauder-
hafte Fahrt; der Wasserandrang war so gewaltig, dass wir
kaum schrittweis vorwärts kamen, dazu brannte eine glü-
hende Sonne, die entblössten Schlammbänke an dem Man-
grovenufer hauchten widerliche Dünste aus und ich fürch-
tete, die Kraft meiner Leute, die für meine künftige Farm
bestimmt waren und deren Ausdauer ich bei dieser Gele-
genheit prüfen wollte, würde erlahmen. Allein sie hielten
sich tapfer und endlich, um 12 Uhr Mittags, erreichten
wir das Shekianidorf Elondo am rechten Ufer. Hier hiel-
ten wir eine wohlverdiente Rast bis um 25 Uhr und fuh-
ren dann weiter. Der Fluss wurde nach seiner anfäng-
lichen WO-Richtung nun nach SO verfolgt, dann bald
wieder nach O, NO, und zuletzt, wo er sich bei einer
schönen Pandanusgruppe gabelt, wieder in WO. Hier
zeigte sich nun auch eine üppige Vegetation, überschweng-
lich in ihrem Reichthum der Arten und ihrer luxuriö-
sen Entwickelung der Individuen. Um 4% Uhr kam ich
endlich in dem Shekianidorfe Mbumbe an, von welchem
aus man in ein am rechten Ufer vis-a-vis liegendes Mpang-
we oder Fandorf fast hinein sehen kann.
Den nächsten Tag brachte ich in Mbumbe zu, theils um mir
und meinen Leuten etwas Ruhe zu gönnen, theils um selbst die
Umgegend nach den erwähnten Kaffeebäumen zu durchstreifen.
Der Dorfälteste bot sich mir für 10 Dollar als Führer zu
diesen Bäumen an, eine Summe, die ich glücklich bis auf
2 Doll. in Handelsgütern reducirte. Unser Marsch führte durch
reich bewaldetes, wenig coupirtes Terrain, die gefundenen
Kaffeebäume waren kränkliche Gesellen, die auf einer An-
höhe im Walde standen. Von dieser aus sah man fern
im O und näher im 8 Bergzüge. Der Boden war hier
überall ein schwerer, eisenhaltiger Thon, Gestein fand
ich nirgends anstehend.. Mein Reisezweck war nun er-
füllt und als Resultat nahm ich den Entschluss mit auf
die Heimkehr, in Mbumbe keine Plantage anzulegen, son-
dern mich noch einmal in Ssibange umzusehen.
Am nächsten Tage verliess ich den Ort und mit günstigen
Strömungsverbältnissen ging es diessmal schnell zurück. Mit
auslaufender Ebbe erreichte ich schon gegen 11 Uhr Adu-
mo, wo ich in jener duftigen Fischhalle mein Mahl zu mir
nahm, und um 33 Uhr in Ssibange, wo ich mich genauer
informirte. Die kommende Nacht brachte ich in Oweja zu,
marschirte am nächsten Morgen frühzeitig zum Lobe her-
über und war in meiner in Luömbes Plantation gelassenen
Gig um Mittag nach sechstägiger Abwesenheit wieder in
Gabun. — Meine kleine Reise fällt mit dem Anfang einer
Tour von Du Chaillu — sie ist auf der Iradier’schen Karte
gezeichnet — ziemlich genau zusammen. Für mich waren
der Resultate mehrere. Einmal hatte ich meine eigene
Constitution, die ich nach mehr als zweijährigem Aufenthalt
in Europa etwas verweichlicht glaubte, noch mit der alten
Widerstandsfähigkeit gewaffnet gefunden, ich hatte meine
Leute als ausdauernd und kräftig kennen gelernt, ein hüb-
sches Stück Land gesehen und endlich, wie ich glaube, ein
treffliches Terrain für Kaffeepflanzungen gefunden.
Um Letzteres, ehe ich mich definitiv entschloss, noch ge-
nauer zu studiren, machte ich 4 Wochen später eine directere
Landtour von Gabun hinüber nach Ssibange.. Das erste
gute Drittel des Weges führte durch Savannen, ganz äbn-
lich den sogenannten Campinen Loango’s, jedoch mit sehr
fettem, schwarzem und jetzt in der Regenzeit schlüpfrigem
Boden, der viel mit eisenhaltigem Gestein durchsetzt
war. Sie ist von Hügelzügen, die NW-—-SO verlaufen,
durchfurcht, in ihrem östlicheren Theile werden diese Hü-
gelreihen zu Bergzügen, deren zwei ganz üppig bewaldet
waren und in den Zwischenthälern einige oft recht wasser-
reiche Bäche nach Süden führten. Hier sammelt sich na-
türlich eine üppigere Galerievegetation an. Endlich kamen
wir in dichten Bergwald mit zahlreichen Bächen von oft
überraschender Klarheit des Wassers. Um 7$ Uhr kamen
wir an einem etwa 10 bis 12 Schritt breiten, und wie es
schien, tieferen Bach Ngumbia, westöstlich fliessend, vorüber
und eine halbe Stunde später in das Shekianidorf Ntängu,
welches ich jedoch nach minutenlangem Aufenthalt wegen
der Milliarden kleiner Stechfliegen schleunigst verliese.
Östlich davon trafen wir nahe einem wasserreichen Bache
auf ganz wunderbare Felsblöcke, die ganz isolirt zwischen
den Bäumen lagen. Sie waren von grauweisslich - grüner
Farbe und so zackig mit durohlöcherten Spitzen und Aus-
wüchsen bedeckt, dass ich sofort an einen Baumkuchen
erinnert wurde. Über die Art des Gesteins kann ich nichts
sagen, da ich in der Geologie leider absolut Laie bin. Um
9% Uhr war ich endlich wieder in Oweja, jener schon auf
der vorerwähnten Tour genannten Shekiani-town, von wo
ich per Canoe schnell nach Ssibange gelangte. Der Weg
hatte im Allgemeinen ziemlich nach ONO geführt, so dass
sich meine frühere Vermuthung, Ssibange läge in dieser
Richtung etwa 25 bis 3 Stunden von Gabun, ungefähr
bestätigen würde. Sind doch auch in Ssibange die Anker-
schüsse der in Gabun ankommenden Mailsteamer hörbar.
Mein diessmaliger Aufenthalt in Ssibange führte mich
nach reichlichen Streifereien in der Umgegend zu dem defini-
tiven Entschlusse hier zu farmen, und endlich am 5. April
traf ich an Bord des kleinen, unserem Hause gehörenden
Dampfers „Mpongwe’' mit Sack und Pack in Ssibange ein;
der Kauf des Landes von den Eingeborenen wurde arran-
girt, ich installirte mich für die erste Zeit in einer Dorf-
Über die Schreibweise geographischer &c. Eigennamen. 347
hütte und begann sofort mit der Lichtung des Waldes et-
wa 35 bis 4 km NNW vom Dorf, wo ich ein vorläu-
figes Nothhaus errichtete. Wegen Mangels an Baumate-
rieal ging diese Arbeit nur langsam vorwärts und erst
am 24. April konnte ich meinen Einzug in dasselbe hal-
ten. Seither ist nun das Werk gut vorgeschritten, ziem-
liche Flächen des Riesenwaldes, in dem viel wilder, sehr
grossfrüchtiger Kaffee wächst, sind gelichtet und theilweis
urbar gemacht, die von Liberia bezogenen Kaffeebäume
befinden sich wohl und der von ebendort bezogene Same
ist eben im Aufgehen begriffen. Gleichzeitig wird von
einem aus Gabun mitgebrachten Zimmermann ein hübsches
geräumiges Hans auf Pfosten gebaut, welches in etwa 6 Wo-
chen vollendet sein wird.
Der Boden ist gut, der wilde Kaffee spricht für das Gedei-
hen des angepflanzten und meine Leute, von Bassa an der Kroo-
küste, arbeiten gut, denn siesind mit derartigem Werk aus ihrer
Heimath her vertraut. — Meine Gesundheit ist eine ganz vor-
zügliche zu nennen, trotz des döwöchentlichen Aufenthalts in
dem Dorfe, welches auf drei Seiten dicht von Mangroven und
an der vierten von feuchtem Walde umgeben ist, trotz der
massslosen Nässe, welohe in meinem vorläufigen Hause
herrscht. Meine Sammlungen haben schon einen hübschen
Umfang, so weit es Zoologie betrifft, obgleich ich selbst
noch zu sehr mit anderen Arbeiten überhäuft bin, um viel
persönlich suchen zu können, und aus eben dem Grunde
habe ich mit botanischer Arbeit noch gar nicht begonnen.
Sitze ich erst im neuen Hause, welches ich verschlossen
ohne Aufsicht auf einige Zeit verlassen kann, werde ich viel
in dieser Beziehung arbeiten können, auch eine meteoro-
logische Station wird errichtet, deren Instrumente mir von
Herrn v. Danokelman besorgt sind — leider, leider reich-
ten meine Mittel zur Beschaffung eines Barometers nicht
aus —, so dass ich auch in dieser Hinsicht gutes Material
sammeln kann. — Da ich, wenn meine Gesundheit es
erlaubt, nach Urlaubsreisen nach Hause, immer wieder
hierher zurückkommen würde, so habe ich hier ein langes
Leben vor mir, in welchem sich schon manches thun lässt,
und welches mir auch sehr behagt. Entbehrungen giebt
es ja immer — und ich zähle dazu besonders den mangel-
haften Verkehr mit der Heimath —, aber das ist ja nicht
zu ändern.
Über die Schreibweise geographischer &c. Eigennamen.
Von G. Rohlfs. ®
Für Geographen, Kartographen und Laien der verschie-
denen Nationen ist Nichts störender in den Berichten der
Entdeckungsreisenden, als die verschiedenartige Schreib-
weise, deren sich dieselben bedienen, um Eigennamen wie-
derzugeben. Bis auf den heutigen Tag ist es nicht ge-
lungen, ein Alphabet festzustellen, welches allen Nationen
als gemeinschaftliches Vorbild dienen könnte. Schon in
den ältesten Reiseberichten finden wir nicht nur die ver-
schiedenartigste Auffassung der Worte, beruhend auf Indi-
vidualität, sondern auch die der Wiedergabe, d. h. der
Schreibart. Lepsius hat sein Standard-Alphabet veröffent-
licht, aber bei anderen Nationen hat es in geographischen Krei-
sen keine Beachtung gefunden. Verschiedene linguistische
Gesellschaften haben Normen aufgestellt, nach denen man
sich zu richten habe, aber schreiben Eintdeckungsreisende
nur für Sprachkundige? Sind denn die Verfasser geogra-
phischer Lehrbücher, die Herausgeber geographischer Zeit-
schriften alle Linguisten, sind sie z. B. nur der orientali-
schen Sprachen mächtig?
Schon zutreffend ist das, was Hassenstein im Ergän-
zungsband II, 1862/63, 8. 13, sagt: „Wesshalb wir aber
nun der Schreibart Kiepert’s, welche auf dem neuen, von
Lepsius aufgestellten Schriftsystem beruht, nicht gefolgt
sind, so sehr wir auch die Wichtigkeit eines einheitlichen,
die Laute der arabischen Sprache so genau wie möglich
wiedergebenden Alphabets anerkennen und es für wissen-
schaftliche Zwecke höchst nothwendig halten, das wird ein
Jeder leicht begreifen, der den Zweck und die ganze An-
lage der 10-Blattkarte, so wie die grossen Schwierigkeiten
und Verlegenheiten kennt, welche bei Beschreibung einer
Karte, wie diese, dem Zeichner entgegentreten, der der
arabischen Sprache nicht kundig ist, wie ein Lepsius oder
ein Barth. Wäre bei Blatt 2 die Schreibart ganz und gar
den mehrerwähnten Karten gefolgt, so hätte doch der Con-
gequenz zu Liebe auch die Beschreibung der übrigen Blätter
nach Lepsius’ System eingerichtet werdeu missen, nament-
lich bei den 6 nördlichen, welche Gebiete umfassen, in de-
nen die arabische Sprache die herrschende ist. Dadurch
würde jedenfalls — gestehen wir da offen — zu dem
sechsten Namen, den oft eine und dieselbe Örtlichkeit, je
nach der Nationalität oder dem „System” des betreffenden
Reisenden, erhalten hat, ein siebenter gekommen sein, der
schliesslich eben so falsch wäre, als die sechs anderen.
Desshalb haben wir es vorgezogen bei allen Blättern im-
348 Über die Schreibweise geographischer &c. Eigennamen.
mer die Schreibart des zuverlässigsten Reisenden, wo es
der Platz erlaubt sogar noch einige abweichende Formen
aus den Berichten anderer anzunehmen, und zwar haupt-
gächlich, weil wir wünschen, zukünftigen Reisenden mit
unserer Karte gewissermaassen einen Wegweiser in die Hand
zu geben für die Richtung seines Forschungseifers, eine
Mahnung, recht sorgfältig die endgültige richtige Schreib-
weise festzustellen, &o. &o.”
Der Reisende hat sich vor Allem klar zu machen, für
wen er schreibt. Zunächst doch nur durch seine Berichte
an geographische, ethnographische und andere Fachblätter,
durch Einsendung von Karten an Kartographen für das
gebildete Publicum, das deren Blätter liest. Ist der Ent-
deckungsreisende Linguist, wie z. B. Vambery es in so ho-
hem Grade ist, so unterlässt er sicher nicht, sich mit Blät-
tern und Kreisen in Verbindung zu setzen, deren specielle
Aufgabe das Studium der Sprachen ist. Wenn nun aber
der Reisende eingedenk ist, dass aus seinen Berichten,
welche z. B. in den Petermann’schen Mittheilungen , im
Bulletin der Pariser geogr. Gesellschaft, in den Procee-
dings der englischen geographischen Gesellschaft, in der
Zeitschrift für Erdkunde der Berliner geographischen Ge-
sellschaft, &c. &co. veröffentlicht werden, dass aus diesen
seinen Berichten alle Geographen und verwandte Fachge-
lehrte ihr Material schöpfen, dass aber diese Fachgelehrte
zum geringsten Theil der Sprachen der Eingeborenen mäch-
tig sind, so liegt es auf der Hand, welobe Schwierigkeiten
es bereitet, wenn man sich einer anderen Schreibweise
bedient, als der, welche allen Gebildeten bekannt ist.
Hierbei haben wir das grosse Publicum noch nicht einmal
in Betracht gezogen. Ein geographisches Lehrbuch schöpft
aber doch nur aus den Werken von Reisenden, von Fach-
zeitschriften, von amtlichen Berichten, &c. &. Kann man
dem Verfasser eines solchen Buches, z. B. eines geographi-
schen Handbuches, die Zumuthung stellen, sich vorher noch
mit den verschiedenen Schreibsystemen bekannt zu mx
chen, ehe er an die Abfassung seines Werkes geht? Kann
man gar dem Publicum zumuthen, erst linguistische Studien
zu machen, ehe es sich daran macht, solche Bücher zu
lesen ?
Das einzig Richtige scheint zu sein, die Fremdwörter
möglichst genau so niederzuschreiben, wie man sie hört,
und zwar in der Schreibweise und mit den Buchstaben, des-
sen sich der Reisende, als seiner Nationalität nach bedient.
Jeder Gebildete, und namentlich die Herausgeber geogra-
phischer und anderer Werke ähnlichen Inhaltes, sind doch
so weit der Sprachen der europäischen Culturvölker mäch-
tig, dass sie nach den betreffenden Eigenthümlichkeiten
der Sprache und des Alphabets derselben, die Wiedergabe
des Wortes in sArer Sprache zurecht legen können. Das
ist aber mit Schwierigkeiten verknüpft, wenn der Reisende
sein eigenes oder irgend ein anderes Schreibsystem adop-
tirt hat. Dazu kommt noch, dass kein einziger Reisender
oonsequent eine einmal angenommene Schreibweise durch-
geführt hat. Auch ist das oft gar nicht möglich. Ein
Wort wird häufig genug von verschiedenen Stämmen und
in verschiedenen Landstrichen nicht auf dieselbe Weise
ausgesprochen. In Ägypten würde ich z. B. Gebel schrei-
ben, im Westen von Afrika aber Djebel (d. h. Berg). Im
Arabischen schreibt man beides mit „, es würde aber den
in Ägypten Reisenden vollkommen unlieb sein, wenn man
z. B. Gebel oder Djebel schreiben wollte. Er würde sich
dem Volke mit „Djebel” kaum verständlich machen können,
die Handhabe zu Erkundigungen würde ihm fehlen, weil
eben das „ in Ägypten anders ausgesprochen wird als im
Westen, und umgekehrt.
Es ist durchaus nothwendig, dass der Reisende, wie
wir gesagt haben, in der Weise seiner eigenen Nationalität
schreibt, damit die Geographen und das gebildete Publiocum
anderer Nationen nicht verwirrt und falsch in ihrer Auf-
fassung und Wiedergabe werden. Wenn wir z. B. Fezan
schreiben wollten, dann hätten die Franzosen Recht diess
Wort durch Fedsan wiederzugeben, weil sie wissen, dass
unser z ihr ds ist. Und wenn die Franzosen vollkommen
Recht haben, das englisch gesehriebene Wadi (Flussbett)
durch Ouadi wiederzugeben, so müssen Deutsche und Its-
liener Hadi schreiben, falls wir uns nicht irgend einer
Schreibweise bedienen wollen, welche das grossgebildete
Publioum nscht versteht.
Es giebt verschiedene Laute und Buchstaben, die einer
oder der anderen Nation fehlen. Statt sich eines beson-
deren Sprachsystems zu bedienen, thut man besser, dabei
zu bemerken, wie andere Völker das Wort schreiben wür-
den, dadurch wird es den Gebildeten aller Nationen ver-
ständlich.. Will ich z. B, dem deutschen Publicum das
Wort Gef-Gef dem Laut nach genau wiedergeben (ein sehr
häufiger Ausdruck in der Ost-Tripolitanischen Wüste, wel-
ches trocknes Sebcha-Terrain bedeutet), so bleibt mir der
Weg, zu sagen, das G wird wie das französische g vor e
und i gesprochen, und dann weiss jeder Gebildete, dass
wir im Deutschen nicht ganz exaot mit unserm Alphabet
das französische g (vor e und i) wiedergeben können, aber
er weiss dann auch bestimmt und alle anderen Nationen
wissen es auch, wie das Wort auszusprechen ist. Wenn
andererseits der Franzose Khouan (religiöse Brüder) schreibt,
und dabei setzt: das Kh ist wie das deutsche Ch auszu-
sprechen, oder wie das spanische J, so weiss jeder Ge-
bildete, wie das Wort eigentlich auszusprechen ist, und
dass wir Deutschen es Chuan schreiben und aussprechen
müssen.
Die Temperaturzonen der Erde.
In den Berichten des verdienstvollen Afrika-Reisenden
Hildebrandt begegnen wir Wörtern !) wie z. B. N’ Znäni
oder Möäli, und in einer Fussnote ist bemerkt: „die
Schreibweise einheimischer Wörter ist nach den allgemein
angenommenen linguistischen Principien durchgeführt”;
aber ich möchte mir doch die Frage erlauben, ob das nicht
Illusionen sind? Ist das linguistische Princip so allge-
mein angenommen ? Schreibt z. B. ein Franzose oder ein
Engländer nach diesen Grundsätzen? Ist diess Princip
nur in den deutschen geographischen Zeitschriften zur Durch-
führung gekommen? Ja, kommt es selbst in der Zeitschrift
für Erdkunde consequent zur Geltung? Und wenn alles das
der Fall wäre, versteht es dann schon das Publicum, oder
such nur die geogr. Welt? Ich stehe nicht an, alle diese
Fragen mit einem entschiedenen Nein zu beantworten.
Es giebt allerdings einem Reisebericht oder gar einem
Werk einen gelehrten Anstrich, wenn man Eigennamen
mit Lettern schreibt, die dem gebildeten Publicum zum
grössten Theil unbekannt sind, aber derjenige, der eine
genauere Kenntniss der Verhältnisse hat, weiss, dass
die wenigsten Reisenden speciell Linguisten sind, wie Barth
es war oder Vambery es ist. Bei den Engländern, bei
den Franzosen, bei den Italienern sucht man vergebens
nach solchen Wunderlichkeiten. Antinori, Duveyrier,
Savorgnan de Brazza, Cameron, Stanley und alle früheren
Reisenden bedienen sich stets der Schreibweise ihrer resp.
Nation. Warum sollen denn wir unsere Berichte, nicht
') Zeitschrift für Erdkunde, Bd. XI, 8. 37.
349
nur unseren eigenen Landsleuten, sondern auch anderen
Völkern durch eine besondere Schreibart unverständlich
machen? Das, was ich hier ausgeführt habe, stimmt mit
dem vollkommen überein, was im vergangenen Jahr Ge-
neral Parmentier in der Revue geographique über die
Schreibart geographischer Eigennamen gesagt hat,
Es hat auch Bezug auf die Eigennamen, welche im
Laufe der Zeit von jedem Volke einen eigenen Namen,
eine eigene Schreibart erhalten haben. Keine Nation hat
deshalb nöthig, eine andere zu oopiren oder zu Gunsten
der Schreibweise eines fremden Volkes auf seine eigene zu
verzichten. Es würde albern sein, wenn wir statt Livorno
wie die Engländer Leghorn schreiben wollten, aber diese
haben keinen Grund, ihren Ausdruck zu ändern. Wir
schreiben Cairo, der Franzose Caire oder vielmehr le grand
Caire. Beides ist für jedes Volk berechtigt. Der Deutsche
schreibt Tripolis (im Anfange dieses Jahrhunderts schrieben
die Engländer auch Tripolis), der Franzose und Engländer
Tripoli; es würde vollkommen grundlos sein, wegen anderer
Völker auf den einmal adoptirten Namen zu verzichten.
Mit demselben Rechte könnten wir dann auch Naple oder
Naples schreiben, Niemand wird aber so unsinnig sein,
Franzosen und Engländern hierin nachahmen zu wollen.
Als Resultat des Vorstehenden glauben wir sagen zu
können, jedes Volk bediene sich seiner Schreibweise. So
lange in dieser Beziehung noch keine internationale Schreibart,
kein internationales Alphabet vereinbart worden ist, wird
jedes Volk sich dem anderen am verständlichsten machen
durch seine eigene Ausdrucksweise.
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Die Temperaturzonen der Erde.
Von Prof. Dr. Alex. Supan.
(Mit Karte, s. Tafel 18.)
Aus der Zeit griechischer Naturphilosophie stammt die
zuerst von Parmenides aufgestellte Eintheilung der Erde in
drei Zonen, deren Grenzen die Polar- und Wendekreise
bilden, und die schon durch ihre näheren Bezeichnungen
(heiss, gemässigt, kalt) als Temperaturzonen sich darstel-
len. Noch immer spielen diese Temperaturzonen eine Haupt-
rolle in unseren Lehrbüchern , obwohl man schon längst
weiss, dass sie aller Realität entbehren, und man daher
stets genöthigt ist, hinzuzufügen, dass das wirkliche Klima
mit dem sogenannten „mathematischen” nicht zusammen-
fällt.
Die Vertheilung der Wärme ist eben nicht nur von
der Breite, sondern auch von Vertheilung von Wasser und
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft IX.
I
1
Land, von den Luft- und Meeresströmungen und von der
Seehöhe abhängig. Letzterer ist ein zu wechselnder Factor,
als dass er in dem Isothermenbilde zum Ausdruck gelan-
gen könnte, und am wenigsten auf einer Weltkarte von
verhältnissmässig kleinem Maassstabe. Diess wäre nur dann
möglich, wenn die Erdoberfläche wie der Meeresboden be-
schaffen wäre, d. h. wenn nur weit gedehnte Plateaux mit
weit gedehnten Tiefebenen wechseln würden. Man ist daher
noch immer darauf angewiesen, die Temperaturen auf das
Meeresniveau zu reduciren; zwar in vielen Fällen ein un-
sicheres Verfahren, aber trotzdem das einzig mögliche.
An die Stelle der Zonen der Parmenides, die wer noch als
Belsuchtungssonen aufsufassen sind, müssen daher nous treten,
45
350 Die Temperaturzonen der Erde.
deren Grenzen nicht mehr durch Parallelkreise, sondern durch
Jsothermen gebildet werden.
Ich schlage nun folgende Eintheilung in drei Haupt-
und sechs Subzonen vor:
l. Die warme Zone zwischen den Jahres-Isothermen von
20° C. Diese Abgrenzung ist keine willkürliche, denn die
genannten Isotbermen bilden im Allgemeinen auch die
Polargrenzen der Calmen, die Grisebach den „reinsten
Ausdruck des Tropenklima’s” nennt (vergl. Drude’s Karte
in Petermann’s Mitth. 1878, Taf. 2).
2. Die gemässigte Zone zwischen den Jahres-Isothermen
von 20 und 0°,
3. Die kalte Zone jenseit der Jahres-Isothermen von
0°, oharakterisirt durch beständiges Bodeneis.
Jede dieser drei Zonen gestattet eine Unterabtheilung
in zwei Subzonen.
Die warme Zone scheidet sich in einen Zropengürtel,
in welchem auch die Temperatur des kältesten Monats
nicht unter 20° sinkt, und m einen ekfropischen Gürtel,
in welchem diess nicht Statt findet. Jener ist durch eine
geringe, dieser durch eine bedeutendere jährliche Wärme-
schwankung ausgezeichnet, j
In der gemässigten Zone unterscheide ich einen Aequa-
torsal- und einen Polargürtel. In jenem steigt die Tempe-
ratur auch des kältesten Monats nicht über 0°, in diesem
sinkt sie unter den Gefrierpunkt.
Auch die kalte Zone hat einen Aegquatorsal- und einen
Polargürtel. In jenem steigt die Temperatur des wärmsten
Monats über, in diesem sinkt sie unter 0°.
Die Eintheilung ist somit folgende:
1. Der Zropengürtel zwischen den 20°-Isothermen des
kältesten Monats.
2. Der ektropische Gürtel zwischen der 20°-Isotherme
des kältesten Monats und der Jahres-Isotherme von 20°.
3. Der Aequatorialgürtei der gemässigten Zone zwischen
der Jahres-Isotherme von 20° und der 0° -Isotherme des
kältesten Monats.
4. Der Polargürtel der gemässigten Zone zwischen der
0°-Isotherme des kältesten Monats und der Jabres-Isotherme
von 0°.
5. Der Aequatorsalgürtel der kalten Zone zwischen der
Jahres-Isotherme von 0° und der O°-Isotherme des wärm-
sten Monats.
6. Der Polargürtel der kalten Zone jenseit der 0°-Iso-
therme des wärmsten Monats.
Die Construction der Isothermen.
Material. — Die Isothermen wurden in selbständiger
Weise und auf Grundlage zahlreicher neuer Beobachtungen
construirt. Zur Bestimmung der Lage der Isotherme zwi-
schen zwei Stationen wurden folgende Formeln angewendet:
für die Jahres-Isothermen :
t=a+booag,
für die Isothermen des kältesten Monats
t' =a'’ + b’ cos (p + 23° 27’),
für die Isothermen des wärmsten Monats
t" = a" + b”’ cos (pP — 23° 27’),
in welchen a, b, a’ &o. für jeden einzelnen Fall zu be-
rechnende Constanten sind. Innerhalb nahe liegender Sta-
tionen oder eines klimatisch ganz gleichgearteten Gebietes
haben sich diese Formeln stets als vortheilhaft erwiesen;
auf weiter entfernte oder Gegenden von wesentlich an-
derem klimatischen Charakter angewendet, führen sie je-
doch meist zu geradezu absurden Resultaten.
Neue Quellen für die Temperatur-Verhältnisse grösserer
Länderräume sind folgende:
1. Deutsches Reich, 183 Stationen, Periode 1848—67 ;
Preussische Statistik, XV, 1868.
2. Österreich-Ungarn, 94 Stationen, Periode 1848—67;
Jahrbücher der meteor. Centralanstalt, XIV, 1869.
3. Russisches Reich, 103 Stationen, Periode 1838—67
oder 1833—57, zum grossen Theil nur auf dieselbe redu-
cirt; Österr. Ztschr. für Meteor., Bd. V, 1870.
4. Schweden, 26 Stationen, Periode 1859—71;, Österr.
Ztschr. für Meteor., Bd. IX, 1874.
5. Norwegen, 15 Stationen, Periode verschieden; Mohn,
Oversigt over Norges Klimatologi, 1870.
6. Dänemark, 14 Stationen, Periode 1861—70; Österr.
Ztschr. für Meteor., Bd. X, 1875. 4 Stationen, Periode
1861—75, ebendas. Bd. XIII, 1878.
7. Schleswig-Holstein, 20 Stationen, Periode meist 1849
— 72; Österr. Ztschr. f. Meteor., Bd. VIII, 1873.
8. Vereinigte Staaten von Nord-Amerika, 149 Statio-
nen, Periode verschieden; Österr. Ztschr. für Meteor.,
Bd. XIII, 1878.
9. Chile, 13 Stationen; Österr. Ztschr. für Meteor.,
Bd. XII, 1877.
10. Südafrika, 15 Stationen; ebendas. Bd. VII, 1872.
11. Senegambien, 9 Stationen, ebendas. Bd. X, 1875.
12. Australien und Tasmanien, 41 Stationen; ebendas,
Ba. VI (1871), VII (1872), XIII (1878).
13. Malayischer Archipel, 13 Stationen, ebend. Bd. VIII,
1873.
14. Neuseeland, 9 Stationen; ebendas. Bd. VI, 1871.
Ausserdem liefert die Österr. Zeitschrift für Meteorologie
noch reichhaltiges neues Material für alle Theile der Erde.
Die zerstreuten Temperaturangaben werden an geeigneter
Stelle angeführt werden.
Für die Reduction der Temperatur auf das Meeres-
niveau gebrauchte ich jene Werthe, die Hann aus den
Die Temperaturzonen der Erde. 351
Beobachtungen in der Schweiz, auf der Rauhen Alp, im
Erzgebirge und am Harz abgeleitet hat (Österr. Ztschr. f.
Meteor., Bd. VI, S. 316). Darnach beträgt die Abnahme
der Temperatur für je 100 m Höhe
im Jahresmittel 0,547° C
„ kältesten Monat . . . 0,887 „
„ wärmsten „„ 0,67 „
Sie weichen nur wenig von jenen Wertben ab, die
Dove für die Construction seiner Isothermen-Karten in Polar-
projection gebrauchte (0,558, 0,470, 0,651° C.), und kommen
jedenfalls der Wahrheit am nächsten.
Die Isothermen.
a. Die Nord- Hemisphäre. — Die Jahres - Isotherme
von 20° zeigt die grösste Differenz von der bisher
üblichen Darstellung in Nordamerika. Sie beruht auf
der oben sub 8 angeführten Quelle. Die Abnahme der
Jahrestemperatur von der Küste nach dem Innern zu
beträgt im 86° Br. zwischen Monterey und Fort Miller
2,89°, zwischen Fort Miller und Camp Independence
1,95° für je einen Längengrad. Derartige Verhältnisse
wiederholen sich nur noch einmal auf der Erde: an der
Westküste von Südamerika; und hier wie dort sind die
selben Ursachen thätig, nämlich eine kalte Meeresströmung
entlang der Küste und andererseits eine hohe meridionale
Gebirgskette, die den Austausch zwischen der warmen
Land- und der kühlen Seeluft verhinderte. Wo die Iso-
therme die Küste betritt, ist nicht ganz sicher; legt man
die Temperaturen von Monterey und 8. Diego der F'ormel !)
zu Grunde, so erhält man 29,3° Br. Schon im 118° W.L.
(zwischen Camp Mc Dermit und Camp Independenoe) ?) er-
reicht sie die Breite von 39,3° und sinkt im 106° W.
(zwischen F. Garland und St. F6)®) auf 37°. Die südliche
Einbuchtang der Isotherme im 110° L. beruht auf der
Temperaturangabe von Fort Cauby, und es ist merkwürdig,
dass die Polargrenze der Palmen hier einen gleichen Ver-
lauf nimmt. Jenseit der gewaltigen Plateaulandschaft im
Westen, im Tieflande, sinkt die Isotherme bedeutend nach 8;
zwischen Augusta in Georgia und St. Augustine in Flo-
rida *) betritt sie in 30,9° Br. den Atlantischen Ocean.
Dass die höhere Jahrestemperatur des Westens nicht nur
eine Folge der höheren Sommertemperatur ist, beweist folgende
kleine Tabelle. Alle Stationen liegen auf dem 35. Breiten-
grade, die Temperaturen sind auf das Meeresniveau reduoirt,
"W.L. Jahr Januar Jul
Fort Mojav& 114,6 23,0° 11,0° 85,3°
Sants F&6. . 106,0 21,4 8,7 34,8
Fort Smith „. 94,8 16,4 8,9 27,7
Chapel Hill. 78, 15,4 4,7 25,8
= —67,0° + 99, 8? cos 9.
sy = — 5b,” + 97,17° cos Q.
= —54,%° + 93,97° cos 9.
= — 61,1” + 95,4° cos q.
Die sommerliche Erhitzung der weit gedehnten Plateaux
ist nicht auffallend; ihre höhere winterliche Wärme aber
ist noch unaufgeklärt. In Chapel Hill herrschen z. B. die
SW-, in Santa FE die NW-Winde vor. Nur thermische
Windrosen könnten diesen Widerspruch auflösen.
Sobald die Isotherme in das Bereich des Golfstromes
kommt, steigt sie wieder bis zum 34,+° Br.'!) nordwärts
an; gegen O hin sinkt sie aber entsprechend der Tempe-
ratur der Meeresoberfläche 2) nach S, erreicht zwischen den
Azoren und Cap Verde-Inseln den 32° Br.?) und betritt
südlich von Mogador (19,7?) das afrikanische Festland.
Im Mittelmeergebiete weicht meine Darstellung von den
bisherigen bedeutend ab. Sie beruht auf den zahlreichen
Temperaturangaben aus den Atlas- Ländern, die man in
Dove’s klimatologischen Beiträgen, Bd. II, 8. 106, findet.
So kurz auch die Beobachtungsreiben sind, so kann doch
kein Zweifel mehr Statt finden, dass östlich von 3° Ö. Gr.
das ganze nördliche Afrika unserer warmen Zone angehört,
Wenn ich die Isotherme entlang den Syrten-Küsten streichen
liess, so ist diess nicht bloss Combination; Tunis und Tripolis
haben in der That gleiche mittlere Jabrestemperaturen
(20,4°). Im Osten steigt die Isotherme bedeutend nach N
an, wie es schon Buchan auf Tafel 6 seines Introductory
Text-book of Meteorology richtig zeichnete *), Es hängt
diess einerseits mit der Thatsache zusammen, dass die Ober-
flächentemperatur der Osthälfte des Mittelmeeres (20— 22°)
grösser ist als die der Westhälfte (18°), andererseits mit
der noch nicht gehörig gewürdigten Thatsache, dass die
Jahres-Isothermen im östlichen mediterranen Gebiet tiber-
haupt nordwärts ansteigen, ein Beweis für den Batz, dass
in niederen Breiten dem Landklima die höhere Jahres-
temperatur zukommt.
Von Syrien bis Indien ist Mossul die einzige Station,
nach der ich die Lage der Isothermen bestimmen konnte.
Auf dem centralasiatischen Hochland steigt die Isotherme,
ähnlich wie auf den südwestlichen Plateaux der Union,
jedenfalls polwärts, obwohl die folgenden Zahlen deshalb
etwas unsicher sind, weil Yarkand die einzige benachbarte
Station ausserhalb der Isotherme ist, und noch dazu dessen
Jahrestemperatur, nicht allein durch Beobachtung, sondern
zum Theil durch Interpolation gewonnen wurde. Die ge-
fundenen Werthe sind folgende:
)t = —27,4° + 58,09% cos g, auf Grund der Temperaturen
von St. Thomas (37,2°) und Bermuda (20,#°).
%) Vergl. Petermann’s Mittheil. 1874, Tafel 15.
nt = — 18,54” + 45,83° cos g, auf Grund der Temperaturen
von Prais (35m, 25,4°) und Delgada (20 =, 17,3°).
*) Larnaka 20,2°, Taurus 21,1°, Aleppo 17,7”, Seehöhe nach Peter-
mann 348m, also reducirt 19,6°.
45°
352 Die Temperaturzonen der Erde.
714°0,9 = 374°
7. 9 = 3749
8 „pp = 3,8 9
Vom 78. Längengrad bis zur chinesischen Küste liegen
keine Beobachtungen vor. Der Eintritt der Isotherme in
das chinesische Meer (121,5° O) wurde zu 26,7° Br. be-
stimmt ?); zwischen Nafa und Nangasaki steigt sie bis
28,8° Br. an?),
Im Grossen Ocean lassen Buchan und Hann die Iso-
therme etwa im 25. Parallel verlaufen. Ich weiss nicht,
ob diese Darstellung auf Schiffebeobachtungen beruht, und
bin zu anderen Resultaten gelangt. Die Oberflächentempe-
ratur des Ooceans westlich von Nordamerika beträgt für je
ein Zehngradfeld:
20—30° N. 17,4°, 19,4°, 23,6°, 25,4°
30—40 , 13,6 , 16,6 , 17,8 , 21,7
Ich lasse daher die Isotherme etwa bis 140° W in
der Breite ihres Austritts aus Californien verlaufen, dann
aber bis 32° Br. ansteigen, da die auf der vorhergehenden
Seite, Sp. 2, Note ?) angeführte Formel auch auf diese
Gegend anwendbar ist. Die darnach berechnete Jahres-
temperatur von Honolulu beträgt 23,9°, die beobachtete
24,1° (dreijähr. Mittel).
Aus den obigen Bemerkungen ist ersichtlich, dass die
Lage der Jahres-Isotherme von 20° auf der Nordhemisphäre
derzeit nur in den allgemeinsten Zügen festgestellt werden
kann, obwohl die Darstellung derselben seit der Zeit der
Dove’schen Karten erhebliche Fortschritte gemacht hat.
Wir wissen jetzt wenigstens, dass die Isotherme stellenweis
sehr bedeutend von dem Verlauf der Breitenkreise abweicht.
Die 20° -Isotherme des kältesten Monats. — In Mexiko
ist ihre Lage ziemlich sicher, im Meridian von Florida er-
reicht sie den 25° Br. ©), und es steht Nichts der Annahme
entgegen, dass sie diese Lage auch im Atlantischen Ocean
beibehält. Erst an der afrikanischen Küste sinkt sie unter
dem Einfluss einer kühlen Meeresströmung bedeutend süd-
wärts, wie uns die Temperaturangaben der senegambischen
Stationen belehren. Für das nordafrikanische Festland und
Arabien mussten Formeln aufgestellt werden, und diese er-
gaben in so auffallender Weise übereinstimmende Resul-
tate, dass über die Lage der Isotherme in diesen Gegen-
den kein Zweifel mehr bestehen kann. Für die mittlere
1) Lahore (213m, 23,8°) — Ajmere (549m, 25,6%), t = — 47,88% +
84,880 cos @.
2) Yarkand (1257 m, 12,30) — Ambalah (313 m, 83,5%), t—= —40,76° +
176,47° cos @. “
9) Hansi (255 m, 25,9%) — Agra (162m, 25,5%), t = — 41,09% +
75,83% cos @.
%) Kelung (21,4%) — Zikawei (15,1%), t = — 96,08% + 129,98° cos p.
85) t = — 81,86° + 116,23° cos p (Nafa 22,4°, Nangasaki 15,9°).
6) Fort Brook — Key West, t = — 50,68° + 106,67° cos (p + 23°
7).
Sahara ’) wurde die Lage auf 17,4°, für das Nilthal?) auf
18°, für Arabien ?) auf 17,4° Br. festgestellt. Es ist be-
merkenswerth, dass in der Sahara mit dieser Zonengrenze
auch die Grenze zwischen der eigentlichen Küste und der
grossen Steppe Tintümma (nach Rohlfs 18,3° Br.) nahezu
zusammenfällt.. Für Vorderindien haben wir genügendes
Beobachtungsmaterial. Die Formeln ergaben für den 73° O ®)
25°, für den 79° O5) 23,8° Br.; von hier bis zum 121.
östlichen Längengrade °) ist eine grosse Lücke. Dort be-
tritt die Isotherme in 19,5° N den offenen Pacifischen
Ocean. Ihre Lage im Ocean selbst konnte nur durch die
Beobachtungen zu Honolulu (21,8°) und Waioli (19,1°) an-
näherungsweise bestimmt werden.
Die Lage der Jahres-Isotherme von 0° konnte im Be-
reich des Bering-Meeres nur an der amerikanischen Seite
auf 59,2° Br. festgestellt werden ?), an der asiatischen Seite
steigt sie unter dem Einfluss der warmen Strömung jeden-
falls höher an. Für das Innere von Nord-Amerika ergab
sich die Lage, soweit sie nicht unmittelbar durch Beobach-
tungen bestimmt werden konnte, in 118° W®) zu 57,3°,
in ca 911,° W®) zu 52,6°, in 71° W!0) zu 51,3°, beim
Austritte in den Atlantischen Ocean !!) zu 51,7’ Br. Die
Darstellung Dove’s, der in Canada die Isotherme den 50.
Parallel überschreiten lässt, erscheint mir daher nicht als
richtig; auch konnte ich in seinen Temperaturtafeln keine
Begründung dafür finden. Das Südhorn Grönlands gehört
jedenfalls unserer gemässigten Zone an, während Hann es
der kalten zuweist; selbst im Bereich der polaren Strö-
mung an der Westküste ergab die Rechnung !?) als Lage
der Isotherme 61,1°. In Bezug auf ihren Verlauf im
nordnorwegischen Meer folgte ich der Darstellung Mohn’s,
eines ausgezeichneten Kenners dieser Gegenden. In der
Alten Welt konnte sie auf weite Strecken durch unmittel-
bare Beobachtungen festgestellt werden. Im nördlichen
Russland verläuft die Isotherme bis zum 50. Meridian an-
nähernd in der Richtung der Parallelen, während Hann
1) Murzuk (503 m, 9,60) — Kuka (356m, 22,8%), t = — 40,88° +
80,52° cos (@ + 23° 27°).
7) Kairo (28 m, 13,3%) — Chartum (388 m, 19,7%), t = —12,90° +
43,0° cos (@ + 23° 27).
3) Aden (s.Dove) — Bagdad (9,7%), t = — 17,22° + 49,230 cos
(9 + 23° 27’).
*%) Bombay (s. Dove) — Rawalpindi (518m, 10,7°), t = —20,16° +
61,00% cos (P + 23° 27’).
8) Barreilly (174m, 14,1%) — Nagpur (s. Dove), t= — 39,90? +
88,80% cos (7 + 23° 27').
6) Kolung (14,2°) — Manila (24,1°), t = — 36,40% + 77,00% cos
(p + 23° 27’).
’) Duluk (+ 3,4°) Fort St. Michael (— 8,1°),t = — 22,37° + 43,71°
008 9.
8) F. Confidencee — F. Chipewyan, t = — 87,50° + 69,13° 008 9.
®) F. William — F. York, t = — 83,88° + 54,92° cos ®.
10) Lunenburg — Quebeck, t = — 49,80° + 79,65° cos ®.
11) St. John — Hoffenthal (— 3,4°), t = — 39,01 + 63,01? cos Q.
12) Lichtenfels — Lichtenau, t = — 49,91° + 103,22° cos 9.
oo
Die Temperaturzonen der Erde. 353
(Österr. Zeitschr. f. Met. V, 394) für den 52. Breitengrad
eine Abnahme der Jahrestemperatur von W nach O um
0,13” fand, beträgt dieselbe für den 61.° Breitengrad nur
0,04° 1), Im 50. Meridian 2) liegt die Isotherme noch in
64,9° Br.; dann muss aber eine rasche Schwenkung nach
SO eintreten. Nördlich von Irkutsk ?) liegt die Isotherme
in 54,2°, auf Sachalin *) in 52,2° Br. Auch in der Amur-
provinz dürfte die Isotherme den 50. Parallel nicht über-
schreiten (Blagoweschtschensk, 50,3° N, Jahr — 0,6°, red.
— 0,2°). Nehmen wir an, dass die Temperatur auf Kam-
tschatka, wo nur eine einzige Beobachtungsstation sich be-
findet, in derselben Weise wie auf Sachalin nach N ab-
nimmt, so erhalten wir hier als wahrscheinliche Lage der
Isotherme 57,8° B.
Die O°-Isotherme des kältesten Monate (meist Januar)
liess sich in Nord-Amerika fast durchaus nach unmittel-
baren Beobachtungen construiren. Im 95. Meridian (W)°)
wurde ihre Lage auf 38,4° Br. festgestellt. Norwegen be-
tritt sie wenige Bogenminuten nördlich von Christiansund.
Ihr meridionaler Verlauf ist auf Hann’s Karte zu weit
nach W gerückt; die Darstellung Dove’s aus dem Jahre
1864 entspricht dem neuen Beobachtungsmaterial besser.
So gehört die Westküste Jütlands ebenso wie die SW-Küste
Norwegens dem Äquatorialgürtel der gemässigten Zone an.
An der baltischen Seite von Dänemark liegen einige kli-
matische Inseln, die, obwohl bereits im Polargürtel gelegen,
auch im kältesten Monat positive Temperatur besitzen.
Sie konnten auf der Karte nicht zur Darstellung gelangen,
einmal wegen ihrer geringen Ausdehnung und zweitens,
weil dadurch die Darstellung inoonsequent geworden wäre,
da wohl auch andere Gegenden der Erde durch derartige
klimatische Inseln ausgezeichnet sein dürften, die aber noch
nicht nachgewiesen sind. Im Gegensatz zu Dove’s Zeich-
nung zieht auf meiner Karte die Januar-Isotherme von 0°
südlich von der unteren Donau zum Schwarzen Meer. Das
6jährige Temperaturmittel des Januar in Belgrad, + 0,71°,
ist zweifelhaft, da es im benachbarten Panezova noch
— 0,85° beträgt. Von der untersten Donaustufe haben
wir nur eine dreijährige Beobachtungsreihe von Bukarest
(Jan. — 4,4°, Febr. — 6,6° bei Dove) und fünfjährige
Beobachtungen in Rustäuk (Seehöhe 36 m), die in den Jahr-
büchern der k. k. Centralanstalt für Meteorologie publicirt
wurden, und aus denen ich folgende Mittel berechnete:
Dechbr. + 0,7°, Jan. — 1,07°, Febr. + 1,2°.
') Peotrosswodsk 61° 47’ N, 34° 24’ 0, 300 e. P. 1,6° C,
Ust Syssolsk 61 40 „ 50 53 „ 328 e. F. 0,9° „
7) Ust Syssolsk — Wjatka, t = — 12,6° + 29,16° cos g.
%) Urga (1294 m — 3,3°) — Irkutsk, t = — 33,73° + 57,08°
008 g.
*) Dui (0,8°) — Kussunai (2,4°), t = — 26,53° + 43,49 cos Q.
°s, F. Gibson — F. Leavenworth, t = — 58,06° + 112,54° 008
($ + 23° 27’).
Die Gründung von meteorologischen Stationen in den drei
Fürstenthümern an der unteren Donau wäre höchst er-
wünscht.
Im westlichen Turkestan ist nach den vorliegenden Be-
obachtungen der Februar der kälteste Monat. Am Ostufer des
Kaspischen Meeres !) liegt die Isotherme in 42,4°, im 61.
Meridian nach einer freilich nicht ganz sicheren Formel 2)
in 39,2° Br. Dann aber steigt sie wieder nach N an, denn
Chodschent, wo freilich nur ein Jahr lang beobachtet wurde,
hat im Januar positive Temperatur. Ganz gesichert ist
somit diese Nordbiegung der Isothermencurve nicht. Für
den 77. östl. Längengrad ®) ergab die Rechnung 37,9° Br.
als Lage der Isotherme. Ihr Verlauf in Ostasien entspricht
der Darstellung Woeikof’s in der Österr. Zeitschr. f. Me
teorologie vom Jahre 1878.
Die O°-Isotherme des wärmıten Monats. Obwohl wir
zwischen dem 70. und 80. Breitengrade eine beträchtliche
Anzahl von Beobachtungen besitzen, so haben sich doch
alle Versuche, daraus die Lage der Isotherme durch Rech-
nung annähernd zu bestimmen, als völlig fruchtlos er-
wiesen. Der Grund liegt darin, dass nur in wenigen
Fällen gleichzeitige Beobachtungen an verschiedenen Sta-
tionen angestellt wurden, und in diesen wenigen Fällen
in verschiedenen klimatischen Gebieten, was schon daraus
hervorgeht, dass die südlicheren Stationen kälter waren als
die nördlicheren. Am günstigsten einer Berechnung zeig-
ten sich die Beobachtungen im östlichen Archipel Nord-
Amerika’s, wo man dadurch, dass man die Temperaturen
nahe bei einander und auf denselben Breitengrad gele-
genen Stationen zu Mittelwerthen vereinigt, den Übel-
stand ungleichzeitiger Beobachtung zum Theil paralisirt.
Die aus folgenden Werthen
Mittlere Mittlere °C,
Breite. west!. Länge
Assistence-Bai und Boechy-Insel 74” 10’ 93° 4' 9,7
Boothia Felix und Igloolik 69 40 87 1 4,5
berechnete Formel *) ergab für die Disaster-Bai 3,46°, wäh-
rend die beobachtete 2,89° beträgt; eine für die arktischen
Gegenden genügende Übereinstimmung. Die Julitemperatur
des Nordpols würde darnach + 0,45° betragen. Aber dieses
Resultat ist bereits zweifelhaft, denn wir wissen nicht, ob sich
um den Pol ebenso eine Inselwelt ausdehnt, wie im Norden
von Amerika. Aber zur Lösung einer anderen Frage er-
wies sich diese Formel indirect brauchbar: sie zeigt näm-
lich, dass wir aus dem Maass der Wärmeabnahme nach
!) Novo Potrovsk — Krasnowodsk (2,9°), t = — 36,08” + 88,17*
cos (F + 23° 27°).
2) Petro Alexandrowsk (99m, — 4,0°) — Aralsk, t = — 47,4°
+ 103,51° cos (g + 33° 27).
3) Leh (3558 m, — 6,3°) — Yarkand (1257 m, — 60°), t =
— 65,14° + 135,9" eos (Fg + 23° 37’).
rt = — 5,06% + 13,0 cos (g — 28° 37").
354 Die Temperaturzonen der Erde.
dem Norden, wie wir sie
auf den grossen Continen-
ten beobachten, keinen
Schluss auf die Wärme-
abnahme im arktischen Cir-
cumpolarbecken ziehen dür-
fen. Die für das Fort Chur-
chill (59° Br.) und Fort
Smith (35,4 Br.) berechneten
Werthe sind 6,2° und 8,5°,
die beobachteten dagegen
13,7° und 26,8° (auf das
Meeresniveau reducirt 27,7).
Man ersieht daraus, dass im
Sommer die Wärme nach
dem Pol zu auf dem Con-
tinent ungleich rascher ab-
nimmt, als selbst. in der
arktischen Inselwelt, was
sich übrigens schon aus der
Natur der Sache ergiebt.
Es dürfen also auch nicht
festländische und arktische
Inselstationen zur Ableitung von Formeln benutzt werden,
aus denen die Lage der Sommer-Isothermen im Polar-
gebiet berechnet werden soll. Damit sind wir aber auch
in dem ganzen Raume nördlich von Asien und von Ame-
rika nur auf eine hypothetische Zeichnung angewiesen.
Berechnet man die Lage der Juli-Isotherme von 0°
nach Dove’s Normaltemperaturen der Breitengrade, so fällt
sie mit dem Parallelkreise 86,1 zusammen. Beiläufg die-
selbe Zahl (87,2 N) erhält man auch, wenn man die im
Golfstromgebiete gelegenen Inselstationen Hammerfest (11,3°)
und Mossel-Bai (5,3°) der Rechnung zu Grunde legt ').
Die nördlichsten Stationen haben durchweg positive Juli-
temperatur; und so viel ist gewiss, dass noch Niemand in
den Polargürtel der nord-hemisphärischen kalten Zone ein-
gedrungen ist. Doch lehren uns jene nördlichsten Be-
obachtungen auch, dass die geschlossene Curve der Juli-
Isotherme von 0° mit den Breitenkreisen nicht concentrisch
ist, wie aus folgenden Zahlen hervorgeht:
Polaris-Bai 81,° N, 62,3° W, 1873, 4,9°
Mossel-Bai 79,9 „ 16,1 0, 1872, 5,8 (beobachtet 4,6°)
Tegetthot 79,1 „59,7 „ 1878, 1,6 (Nach Payer, Die österr.-
ungar. Nordpol-Expedition 8. 375).
Ich habe daher bei meiner hypothetischen Darstellung der
Isothermenourve diese etwas gegen das ostasistische Fest-
land verrückt, jedooh so, dass der eingeschlossene Raum
nicht eine grössere Oberfläche besitzt, als ihm nach Dove's
)t=—210° + 470% 008 (P — 23° 27).
'Temperaturzonen des nördlichen Circumpolarbeckens.
Normaltemperaturen zu-
kommt (beiläufig 11400
QM.). Das Weitere müssen
wir der Zukunft überlassen.
Es ist sogar möglich, dass
— so paradox es auch
klingt — der Nordpol am
Äquatorialgürtel der kalten
Zone angehört.
b) Die südliche Homis-
phäre. Die Jahres- Isoo-
thorme von 20°. An der
Westküste von Südamerika
wird die Isotherme durch
den peruanischen Strom
weiter nach dem Äquator
gedrängt, als selbst Hann
im Jahre 1871 annahm !),
nämlich bis 17,6° Br.2). So
nahe dem Äquator tritt
sie auf der Erde nirgends
wieder. Wiein Nordamerika,
und aus denselben Gründen
nimmt sie sodann einen meridionalen Verlauf parallel mit den
Andes bis nahe dem 33° Br. (Mendozs). Für den 58. Meridian?)
wurde ihre Polhöhe zu 31,7°, für die Ostküste *) zu 28,4°,
zwischen St. Helena (21,5°) und Ascension (25,8°)) zu
18° berechnet. Von der Namaqus- und Damaraküste be-
sitzen wir leider keine mittleren Jahrestemperaturen; die
Zeichnung ist hier hypothetisch. Grahamstown (17,0°,
red. 19,9°) fixirt den Austritt in den Indischen Oosan.
Die Stelle, an der sie West-Australien betritt, konnte we-
gen Mangel an Beobachtungsstationen nur durch eine un-
sichere Formel ®) auf 27,2° Br. annähernd bestimmt werden,
Ebenso mangelhafte Kenntniss haben wir von den Jahres-
temperaturen im Innern des Continents; aber es ist höchst
wahrscheinlich, dass die Isotherme, auch hier, wie im In-
nern der übrigen Festländer polwärts ansteigt. Man kann
hier allerdings nur die Beobachtungen von Port Darwin
(27,9°) und Adelaide (17,3°) einer Formel?) zu Grunde
legen, und das Resultat (30,7° Br.) kann somit nicht ganz
gesichert sein; aber es ist beachtenswerth, dass es die
1) Österr. Zeitschr. f. Moteorol. VI, 8. 185.
?) Arica (19,70) — Caldera, t = — 48,90% + 71,67° cos 9.
®) Asuncion (98m, 24,5%) — Buenos Ayres (Sim, 17,10), t =
— 60,98% + 95,00% con P.
4) Taquara (18,7%) — Rio Janeiro (64m, 23,8%), t = — 66,°
+ 98,08% cos Q.
Yt= — 104,580 + 181,089 cos P.
©) Proemantel (17,3%) — Banjoewangie, t= —39,5° + 86,9° cos @.
»t= —88,4° + 67,95% cos @.
Die Temperaturzonen der Erde.
obige Annahme bestätigt. Für den 143. Meridian !) ist
die Lage der Isotherme wahrscheinlich in 28,2° Br., die
Austrittstelle in den Grossen Ocean ist Brisbane. Im innern,
gebirgigen Queensland ist — wohl nur in Folge local wir-
kender Ursachen — die Jahrestemperatur niedriger als
an der Küste in gleicher Polhöhe; den 152. Längengrad ?)
kreuzt die Isotherme erst in 25,8° Br.
Zur Bestimmung der Lage der Isotherme im Pacifischen
Ocean genügen zwei feste Punkte: zwischen Neucaledonien
und Neuseeland ?) 281° und auf dem 100. westlichen
Längengrade !) 23,9° Br.
Die 20°-Isotherme des kältesten Monats ist wegen Man-
gels an directen Beobachtungen schwieriger zu zeichnen,
und ich folgte hierin zum grossen Theile den vorhandenen
Isothermen-Karten. Das gilt besonders für die Westküsten
von Südamerika und Afrika. Die Ostküste des erstge-
nannten Festlandes passirt sie nach einer nicht ganz siche-
ren Formel) im 24. Parallelkreis. Für den mittleren Theil
des Atlantischen und Grossen Oceans kann man sich auf
die Bestimmung mittels Differenzen beschränken.
An der afrikanischen Ostküste ®) ist die wahrschein-
liche Lage der Isotherme -+ 22,7°, an der australischen ?)
18,3° Br.; Neucaledonien durchzieht sie nördlich von Port
de Franoe.
Die O°-Isothermen des Jahres, des kältesten und wärmsten
Monats können auf der Südhemisphäre nur durch Rechnung
annähernd bestimmt werden. Die beiden südlichsten Län-
der, von denen wir gute Beobachtungen besitzen, sind Chile
und Neuseeland: und da das erstere von einer kalten,
das letztere von einer warmen Meeresströmung begleitet
wird, so dürfen wir hoffen, dass das Mittel der zu finden-
dert Werthe wenigstens annäherungsweise den thatsächlichen
Verhältnissen entsprechen wird. Jedenfalls dürfen wir über-
zeugt sein, dass die Isothermen südlich vom 50° Br. wegen
der gleichförmigen Wasserbedeckung nur wenig gekrümmt
sind und im Grossen und Ganzen mit den Paralleikreisen
zusammenfallen.
1) C. Sommerset — Ballarat, t = — 35,65% + 63,16% cos 9@.
7) Toowoomba — Warwik, t = — 52,02° + 80° cos 9.
s) P. de Prance (23,1%) — Monganui, t = — 43,73% + 71,70°
cosg.
%t = — 14,31% + 87,549 cos p (40° 8, 14,48%; 20° 8, 20,97°).
#) Rio de Janeiro (21,3°) — Taquars (12,8%), t = — 44,560° +
95,56% cos (9 + 233° 37’).
*) Tate — Pietermaritsburg, t = — 7,899 + 40,23° cos (@ +
23° 27”).
N) Fort Denison — Bweers-Insel, t = — 89,66° + 146,67% 008
(g + 233° 37’).
355
Nach den unten angeführten Formeln !) ist die Lage
der O°-Isothermen folgende:
Meridian Meridian
v. Chile v, Neuseeland Mittel.
Jahr . . . 65° 84’ 64° 21’ 64° 87'8
kältester Monat . 57 2 566 54 56 58 „
wärmster Monat . 68 36 64 26 6 31 „
Die Mittelzahlen sind eher zu hoch als zu niedrig. Die
Beobachtungen, die Ross in den Sommermonaten 1841—-43
südlich vom 60. Breitenkreise anstellte, ergaben überall
negative mittlere Monatstemperaturen.
Die Temperaturzonen.
Zu nachfolgenden Tabellen habe ich nur Weniges zu
bemerken. Der Flächeninhalt der Gürtel wurde mittels
Zonentabellen (Behm, Geogr. Jahrb., III. Bd.) berechnet;
grösste Genauigkeit ist dabei nicht zu erwarten, doch genügen
die gewonnenen Resultate für unsere Zwecke hinlänglioh. Mit
Ausnahme der Britischen Inseln und Tasmaniens wurden
die küsteunahen Inseln nicht zu den Continenten, sondern
zu betreffenden Oceanen gerechnet, um eine möglichst deut-
liche Vorstellung vom Festlandklima zu gewinnen. Die
südhemisphärische O°-Isotherme des wärmsten Monats liegt
nach der Rechnung nur 4° südlicher als der Polarkreis; ee
ist also die, die Arealbereohnung erleichternde Annahme
gestattet, dass beide Linien zusammenfallen.
!) Die besten Formeln für die Küste von Chile sind folgende:
Isothermen des Jahres . . t = — 13,10% + 383,6" cos 9,
PR „ kältesten Monats t = — 4,15 + 39,0 cos (9 +
23° 27’),
» „ wärmsten Monats t = — 43,38 + 60,37 co (9 —
33° 27‘).
Jahr kültester Monat wärmster Monat
Valparaiso . 14,19 14,8° 11,6° 11,6° 17,0% 17,6°
Constitution 13,5 13,5 10,5 10,1 16,5 16,9
Valdivia (11,8 10,5) (85 6,) 15,3 15,0
Corral . (11,8 11,0) (85 7,0) 15,3 14,6
Puerto Montt 11,1 10,9 77T 77 14,7 14,3
Aneud . 11,1 10,7 76 7,7 (14,7 18,6)
Punta Arenass . 6,3 6,4 2,0 2,0 9, 10,8
Die Formeln für die Isothermen von Neuseeland sind:
Jahr . .st= — 17,8% + 40,78 cos 9,
kältester Menat . t = — 5,90 + 82,82 cos (4 + 233° 27’),
wärmster Monat t = — 67,4 + 90,0 cos (FG — 33° 27').
Jahr kältester Monat wärmster Monat
Deob,
ber. beob,. ber. beob. ber.
Mopgenui — Auckland . 15,4* 15,5° 11,3° 11,3° 19,9° 19,0°
Taranaki — Napier . 13,9 14,3 95 9,8 18,7 19,3
Wellington — Nelson . . 13,0 13,0 85 8,6 17,7 17,8
Hokitika — Christchurch „ 12,1 11,6 75 6,6 16,6 16,3
Dunedin — Martendale . 10,6 10,6 6,0 6,0 15,2 15,2
In Chile, wie in Neuseeland herrscht die grösste Übereinstimmung
swischen beobachteter und berechneter Temperatur im Winter; offenbar,
weil im Winter die Temperatur am meisten von der Insolation und am
wenigsten von localen Verbältnissen abhängt.
356
Tabelle I.
Flächeninhalt der Temperaturzonen in Deutschen Quadrat-Meilen.
re
Die Temperaturzonen der Erde.
Kalte Zone. Gemässigte Zone. Warme Zone.
Polargürtel. | Äqunatorlal- |, Polargürtel. Ä Aqnstorial- | Ektrop. Gürtel.; Tropengürtel.
I. Nordhemisphäre. 11400 | 673700 | 646900 , 822600 | 805600 | 1650 000
Arktisches Gebiet 11 400 276 500 | 5100 | 2400 _ _
Europa _ 14400 | 112400 46 100 | — | —
Asien _ 208100 || 219 500 97 300 » 173000 | 71.200
Afrika _ _ h _ 8600 | 149400 | 205100
Nord- und Central-Amerika _ 112 300 135 900 60400 | 47700 | 23 300
Süd-Amerika . — — —_ —_— —_ 53 600
Atlantischer Ocean _ 43 100 | 66300 | 275.100 138 700 ‚387.600
Indischer Ocean — — — —_— 16 700 203 400
Grosser Ocean _ 23 700 | 107 700 | 8337 700 | 208100 | 755800
}
I. Südhemisphäre. 387 000 51500 | 314900 | 1 769 900 | 592 100 | 1 506 400
Arike . — — IL 11100| 43700 ' 112800
Australien . _ _ —_ 47800 | 73600 | 18300
Süd-Amerika —_ —_ ı —_ 52 200 | 82 500 140 400
Atlantischer Ocean — 12900" 78700 | 457000 ı 56800 ı 181800
Indischer Ocean —_ 18,600 , 118 700 | 518400 | 111300 i 390 200
Grosser Ocean . . 20 000 |ı 122 500 683 400 | 224 200 ı 662 900
Antarktisches Gebiet . 387 000 | —_ _ | — | —
|
III. Die ganze Erde. 398 400 725200 | 961 800 | 2592500 1397 700 ' 3156 400
Tabelle II.
Flächeninhalt der Temperaturzonen in Procenten
des Gesammt- Areals.
Kalte Zone. || Gemäss. Zone. | Warme Zone,
Po1.G. | Äq-@. || Pol..G. | Äa.a. Ekt.-G. |Trop-.
H
1. Festländer u. Meere. “ |
Arktisches Gebiet. 39| 93,6 17| 08 | _ _
Europs . I | 83 | 6580| 267 — _
Asien. . I | 36 87 | 197 I 2236| 93
Nord- und. Central- |
amerika . . — | 29,6 | 35,8 159 | 12,5 6,1
Nordatlantischer (san | 3 — 5,1 7,21 31,9" 16,1 | 39,9
Nordpacifischer Ocean | — | 1,6 7 22,4|| 18,6 | 50,2
Afrika . — _ _ 2,8 86,7 | 60,5
Australien . _ _ — | 34,93 | 5237| 13,1
Südamerika _ —_ 15,9 h 25,1 59,0
Indischer Ocean _ 1,4 8,3 | 37,8 \ 9,3 43,3
Südatlantischer Ocean —_ 1,6| 100| 581: 72| 23,1
Südpaciischer Ocean —_ | 1,2 7,12! 39,9j| 13,1 | 38,7
|
Antarktisches Gebiet | 1000| — —_ =-ı — _
|
2. Land und Meer. 1 |
Nordhemisphäre, Land ? 19,1 || 27,1 | 12,0 ı 21,4) 20,4
„ Meer ? | 2,6 6,7 | 23,7 N 16,8 | 50,1
Stdhemisphäre, Land ee — | 191 34,3 | 46,6
n Meer | > I 1al 88| u ! 107 | 336
l
Erde, Lad. . . . ? 14,3| 20,2) 13,81 24,7) 27,0
„ Meer. ? 1,9 7,8| 36,4 | 18,3 40,5
8. Die Hemisphären., \
Nordhemisphäre (+) 0,3) 14,6|| 14,01 178, 17,8 35,8
Südhemisphäre (—) . 8,4 1,1 6,8| 38,3 ı 18,8 | 82,6
Diferms. 2 2 | 8a l+130 |+ 78 80,8 |+ 47/4 3,8
Die zweite Tabelle weist ziffermässig nach, dass einige
der angenommenen Tempersturzonen hauptsächlich dem
Land-, andere hauptsächlich dem Seeklima angehören; jene
sind durch bedeutende, diese durch geringe Wärmeschwan-
kung ausgezeichnet. Es ist nämlich in der
kalten Zone
der Polargürtel oceanisch,
der Äquatorialgürtel continental;
in der gemässigten Zone
der Polargürtel continental,
der Äquatorialgüirtel oceanisch ;
in der warmen Zone
der Ektropengürtel continental,
der Tropengürtel oceanisch.
Auf der nördlichen Halbkugel herrschen die continen-
talen, auf der südlichen die oceanischen Zonen vor. Von
dieser Regel macht nur der Tropengürtel eine Ausnahme,
weil die Grenz-Isotherme auf der Südhemisphäre durch die
kalten Meeresströmungen stellenweis sehr weit äquator-
wärts gedrängt wird. In der gemässigten und kalten Zone
tritt aber der Gegensatz zwischen beiden Hemisphären sehr
scharf hervor, wie auch folgende kleine Tabelle zeigt:
Nordhemisphäre ') Südhemisphäre
0°-l1sotherme des Jahres . . 58,3° Br., 64,9° Br.
PR „ „ kältesten Monats . 41 „ 570 „
r „ „ wärmsten Monats 861 „ 665 „
Hann wies nach, dass die höheren Breiten der Süd-
hemispbäre eine höhere Jahrestemperatur besitzen als die
unserer Halbkugel, aber für die Organismen ist diess gleich-
gültig. Ihre Existenz wird zum grössten Theil durch den
Grad der sommerlichen Wärme bedingt, und die nördliche
1) Nach Dove’s Normal-Temperaturen berechnet.
Die Temperaturzonen der Erde.
Hemisphäre ist somit entschieden begünstigter als die süd-
liche.
Der ektropische Gürtel ist im Gegensatz zum tropischen
Waldland fast durchaus durch Steppen- und Wüstenbildung
ausgezeichnet. Man darf aber hier Ursache und Wirkung
nicht mit einander verwechseln. Jene Vegetationsforma-
tionen sind durch die Vertheilung der Niederschläge, diese
wieder durch die Winde und gewisse orographische Eigen-
thümlichkeiten bedingt. Durch die Vegetationsarmuth der
weit gedehnten Flächen wurden sodann jene Temperatur-
verhältnisse hervorgerufen, die den ektropischen Gürtel
charakterisiren, und ihrerseits nun wieder dazu beitragen,
den Wüsten- und Steppencharakter zu verschärfen.
Der so wichtige Gegensatz zwischen den West- und
Ostküsten der nordhemisphärischen Continente tritt in un-
serer Zoneneintheilung deutlich hervor; eben so deutlich
zeigt aber auch unsere Karte, dass die Begünstigung der
Westküsten lediglich nur auf der höheren Wintertemperatur
basirt. Die primäre Ursache dieses Gegensatzes ist die
Vertheilung von Wasser und Land, der zweimalige Wech-
sel wärmerer und kälterer Flächen. Als secundäre Ursache
treten die äquatorialen Meeresströmungen hinzu, die der
an sich wärmeren Wasserfläche noch eine höhere Tempera-
tur verleihen. Da die Gegensätze von warm und kalt in
unseren Breiten in der ostwestlichen Richtung sich lagern,
so müssen im Winter auch in derselben Richtung die baro-
metrischen Minima und Maxima, jene auf dem Meere, diese
auf den Festlandsmassen, auftreten, und in Folge dessen
müssen nach dem Buys-Ballot’schen Gesetz die Ostküsten
der nordhemisphärischen Continente von polaren, die West-
küsten von äquatorialen Luftströmungen bestrichen werden.
Nicht der Nähe der Oceane und der warmen Meeresströ-
mungen haben somit zunächst die Westküsten ihre milde
Wintertemperatur zu danken, sondern der Vertheilung des
Luftdruckes, welche die Vertheilung der Winde regulirt,
Wenn einmal die Verhältnisse sioh umkehren, wie diess im
December 1874 geschah !), wenn der Barometerstand auf
dem Meere höher ist als auf dem Lande, dann liegt West-
europa im Gebiet der N- und NW-Winde, und die Nähe
des Golfstroms bleibt wirkungslos.
So lange man das Klima der nordamerikanischen West-
küste nicht kannte, hielt man Europa für ein abnorm war-
mes Land. Betrachtet man aber Europa als eine asiati-
sche Halbinsel, wozu man morphologisch vollkommen be-
rechtigt ist, und berechnet sodann den Flächeninhalt der
Temperaturzonen in Procenten des Gesammtareals, so ver-
schwindet sofort seine scheinbare Ausnahmestellung.
De ee
ı) Vergl. die Abbendlung Hoffmeyer’s in der Österr. Ztschr. für
Meteorologie, XIIl, 8. 337.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft IX.
857
Nordamerika. Europa — Asien.
Kalte Zone:
Äqustorisigürtel . 29,6 23,3
Gemässigte Zone:
Polargürtel. . 35,8 35,4
Äquatorialgürtel . 15,9 15,3
Warme Zone:
Ektropengürtel . . 12,8 18,3
Tropengürtel . . 6,1 7,6
Im Gegensatz zu der Gleichförmigkeit der Temperatur-
verhältnisse der beiden Nordcontinente besitzt jeder der
drei Südcontinente infolge verschiedener geographischer Lage
eigenartige Züge, wie ein Blick auf die zweite Tabelle lehrt.
Wären die Meeresströme hier normal entwickelt, so müssten
auch auf der Südhemisphäre die Westktisten wärmer sein,
als die östlichen; aber das antarktische tiefe Barometer-
minimum erzeugt jenseit der südlichen Rossbreiten con-
stante und heftige NW- und W-Winde, welche die polaren
Meeresströome den Westküsten zutreiben. Nur Australien
macht hiervon eine Ausnahme, weil zwischen die Westküste
und die westliche australische Strömung ein warmer Meeres-
strom tritt.
Unsere Temperaturzonen bieten selbstverständlich nur
ein vergängliches Bild. Jede durchgreifende Veränderung
in der Vertheilung von Wasser und Land muss dieselben
umgestalten. In der Diluvialzeit war auf unserer Hemi-
sphäre der Polargürtel der kalten Zone viel ausgedehnter,
und seitdem verkleinert er sich stetig zu Gunsten des
Äquatorialgürtels in dem Massse, als die Nordküsten der
Continente durch säculare Hebung polwärts vorrücken. Über
die Ausdehnung des nordischen Diluvialmeeres kann man
sich am besten in Credner’s Geologie (3. Aufl., S. 651) in-
formiren; es ergiebt sich daraus, dass die O°-Isotherme des
wärmsten Monats damals nahezu mit dem Polarkreise zu-
sammenfallen musste. Die mittlere Jahrestemperatur war
in unseren Breiten eine höhere, aber die sommerliche Wärme
geringer, die Niederschläge reichlicher; mit Einem Worte,
das Klima oceanischer. Die Glacial-Erscheinungen erklären
sich daraus ganz ungezwungen; reichen ja doch die Glet-
scher Patagoniens noch in 46$° Br. bis an den Meeres-
spiegel. Freilich wirken dabei auch die beständigen feuch-
ten NW-Winde und die kalte Küstenströmung mit, aber
eine ähnliche Erscheinung muss in der Eiszeit auch an der
europäischen Küste Statt gefunden haben. Damals muss
auch das arktische Polarbecken eine Gegend beständiger
barometrischer Minima gewesen sein, die von allen Seiten
Äqustorialwinde an sich zogen; die fortwährenden SW-
und W-Winde müssen ebenfalls die nordpolaren Meeres-
strömungen aus ihrer natürlichen Bahn nach den West-
küsten der Continente getrieben haben. Es ist beachtens-
werth, dass die Pyrenäen damals gewaltige Gletscher er-
zeugten, während v. Hochstetter im Balkan keine Anzeichen
der Glacialperiode fand, obwohl diese beiden Gebirge in
46
358
gleicher Breite liegen. Die bedeutendere Seehöhe der Pyre-
näen reicht zur Erklärung dieser Thatsache nicht aus;
wären dieselben auch nur so hoch wie der Balkan, so
müssten sie weit über die Schneelinie emporgeragt haben.
Aber Spanien lag unmittelbar im Gebiet der kalten Meeres-
Geographischer Monatsbericht.
strömung und der darüber hinstreichenden Winde. Nach
dieser Ansicht lagen auch die Alleghanies ausserhalb der
Polarströmung, und in der That konnte man bis jetzt nur
in ihren höheren Partien Gletscherspuren finden (s. Credner
a. a. O., S. 654).
ALP IS
Geographischer Monatsbericht.
Europe.
Die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin lässt Einladungen
zu einer Gedenkfeier von Carl Ritter's hundertjährigem Ge-
burtstage ergehen. Zwar fiel dieser Geburtstag bereits auf den
7. August, wegen der Ferienzeit der Gesellschaft ist aber
die Feier auf den 11. October angesetzt und soll in einer
Festsitzung mit darauf folgendem Mahle bestehen. Es un-
terliegt wohl keinem Zweifel, dass die Einladung überall in
geographischen Kreisen den lebhaftesten Anklang finden
wird. Theilnehmerkarten zum Preise von 3 M. sind in
der Bibliothek der Gesellschaft für Erdkunde, Friedrichs-
strasse 191, III, zu haben.
Am 22. März d. J. hat, wie man damals in den grös-
seren Zeitungen lesen konnte, die feierliche Übergabe der
hinfüro für alle Höhenbestimmungen im Königreich Preussen
maassgebenden Basis, bestehend in einer an der Berliner
Sternwarte angebrachten Marke, welche 37 Meter über dem
Meeresspiegel liegt und die Bezeichnung „Normal-Höhen-
punkt” erhalten hat, Statt gefunden. Nunmehr liegt uns
eine auf diesen Gegenstand bezügliche, von der trigono-
metrischen Abtheilung der Landesaufnahme, deren gegen-
wärtiger Chef Oberstlieutenant Schreiber ist, herausgegebene
Denkschrift (gr.-4°) nebst 7 dazu gehörigen Tafeln vor,
welche in nicht gewöhnlicher Ausstattung unter dem Titel
„Der Normal-Höhenpunkt für das Königreich Preussen an
der königlichen Sternwarte su Berlin” und in der den Publi-
cationen aus dem Grossen Generalstab eigenthümlichen
Kürze und Bestimmtheit jeden nur irgend wünschenswer-
then Nachweis über dieses für die geodätischen Arbeiten
epochemachende Ereigniss bringt. Neben anderen interes-
santen Notizen finden wir darin die Höhe des Mittelwassers
von 18 Punkten an der Nord- und Ostsee zwischen Amster-
dam und Memel in urkundlicher Weise angegeben. Als
Nullpunkt aller Höhen ist in Zukunft derjenige Punkt anzu-
sehen, welcher 37 Meter unter dem Normal-Höhenpunkt
liegt und die Bezeichnung Normal-Null führt. Auf Grund
der Verbindung des Normalhöhenpunktes mit den grossen
Nivellements der Landesaufnahme liegt Normal-Null gleich
hoch mit dem Nullpunkt des Amsterdamer Pegels und nur
1 bis 2 cm anders als die Mittelwasser der Ostsee bei Swine-
münde oder Neufahrwasser. Seine Benutzung soll bei allen
Nivellements und für alle Behörden in Preussen obligato-
risch sein. Um so mehr muss es auffallen, wenn wir in
einer Anmerkung auf Seite 4 lesen: „Nur das Ministerium
der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten
lehnte durch seinen Vertreter, den Präsidenten des geodä-
tischen Institutes, General-Lieutenant z. D. Baeyer, die Ein-
führung ab”. Eine Erklärung dieses Umstandes ist, zumal
die Ablehnung von einer auf dem Gebiete des Vermes-
sungswesens 80 hervorragenden Persönlichkeit ausgegangen,
dringend zu wünschen, und behalten wir uns vor, bei geeig-
neter Gelegenheit darauf zurückzukommen. Vgl.
Das 2. Heft, Jahrgang 1879, der „Zeitschrift des deut-
schen und österreichischen Alpenvereins’”' hat einen ausser-
ordentlich vielseitigen Inhalt; wir zählen 16 Beiträge. Die
umfangreichste Mittheilung: über das Kaisergebirge, hat
Th. Trautwein zum Verfasser. C. Gsaller entwirrt die bisher
unklare Nomenclatur der Hallthalkette; F. Suda theilt seine
Wahrnehmungen über das Zurückweichen der Gletscher in
der Adamello-Gruppe mit; Dr. J. Hann berichtigt und er-
gänzt die im 1. Heft von Prof. Fuchs ausgesprochenen An-
sichten bezüglich des Föhns und seines Auftretens in den
Östalpen; W. Biermann’s von Zeichnungen begleiteter Bei-
trag betrifft die scheinbare Höhe der bedeutendsten Alpen-
gipfel von bekannten Aussichtspunkten aus; das letzte Drit-
tel des Heftes, dem 10 Figuren und Ansichten eingedruckt
und 13 Tafeln beigegeben sind, enthält eine ganze Reihe
von Alpenwanderungsberichten.
Eine Communscations- Übersichtskarte von Tirol und Vor-
arlberg in 1:522000, von Hauptmann P, v. Baumrucker
im K. K. österr. Generalstab, lithogr. im K.K. militär-geo-
graphischen Institut, bringt das Strassennetz in sechs Clas-
sen und in grosser Vollständigkeit zur Anschauung, ent-
hält auch viele auf dasselbe bezügliche Höhenzahlen. Das
Fehlen der Terrainzeichnung ist vielleicht manchen Tou-
risten, die sich nur über die Wege orientiren wollen, der
grösseren Deutlichkeit der letzteren wegen willkommen.
In den neuesten Heften der Mittheilungen der ungari-
sohen geographischen Gesellschaft (Földrajzi Közlemenyek)
hält Dr. Alexander Märki eine Revue über geographische
Werke ab, welohe im Laufe der letzten fünf Jahre in unga-
rischer Sprache erschienen sind. Während im Ganzen seit
1874 bis incl. 1878 ca 5000 ungarische Bücher herausge-
kommen sind, zählen etwa 200 davon oder 4 Proc. zur
geographischen Literatur, ein um so geringerer Procentsatz,
als darin auch die Schulbücher begriffen sind. Ungarn
selbst betreffen von den 200 Werken 101. Eine genügende
Beschreibung von Ungarn im grossen Allgemeinen giebt es
nach Märki noch nicht, seine Ethnographie wurde so zu
sagen erst gestern durch Paul Hunfalvy begründet, von
einer Ethnologie kann noch kaum die Rede sein. Oro- und
hydrographische Monographien erscheinen nur vereinzelt;
die Klimatologie beschäftigt sich noch fortwährend bloss
mit Datensammlung. Aber seit Jahren dienen zur Pflege
geographischer Interessen in Ungarn die Königl. Ungar.
Geogr. Gesellschaft und der Karpathen- Verein, welche
beide zur Popularität der Geographie schon viel beigetragen
haben.
Geographischer Monatsbericht. 359
Die Ostschweiserische Geographisch- commercielle Gesell-
schaft hat in den Tagen vom 11. bis 25. August d. J. im
Cantonsschulgebäude in St. Gallen eine geographische Aus-
stellung veranstaltet, welche nach dem dafür ausgegebenen
Catalog sowohl hinsichtlich ihres Reichthums, wie auch be-
züglich ihrer Anordnung eine besonders interessante und
instructive gewesen ist. Der umfangreiche Catalog (86 Sei-
ten kl.-8°%) enthält keineswegs bloss ein trockenes Verzeich-
niss von Ausstellungsgegenständen, sondern bringt gleich
im Eingang als Erläuterung zu den ausgestellten Karten
eine zwar kurz gefasste, aber vollständige „Skizze der Ent-
wickelung der schweizerischen Kartographie”, welcher sich
später noch ein Aufsatz „Technische Ausführung der schwei-
zerischen Kartographie” anreiht. Die sehr verdienstvolle
geogr. Ausstellung, welche namentlich in der Kartenabthei-
lung höchst selten gewordene werthvolle Werke, so wie
Originalzeichnungen bedeutender Kartographen enthielt, war
in sechs Sälen wie folgt gegliedert: A. Kartographische Ab-
theilung. 1. Von den ältesten schweizerischen Kartenwer-
ken bis zu den eidgenössischen Vermessungen. 2. Karten-
werke auf Grundlage triangulärer Aufnahmen. 3. Ausstel-
lungen verschiedener Kartographen, Gesellschaften und der
schweizerischen permanenten Schulausstellung. 4. Neueste
schweizerische Publicationen aus dem Gebiete der geogra-
phischen Wissenschaft. B. Ethnographische Abtheilung.
Culturproducte aus überseeischen Ländern. 1. Indien, Afrıka
und Amerika. 2. China und Japan. 3. Handzeichnungen
und Urkunden von Reisenden (Munzinger, v. Heuglin).
Photographien, Ansichten, Typen &. C. Sammlung von
Handelsproducten. Vgl.
Wie das europäische Gradmessungsnets von Italien aus
über Sicilien bis Tunis ausgedehnt worden ist, so begannen
im August d. J. die Operationen zur Verbindung der spa-
nischen Triangulation mit den Dreiecken in Algerien. Diese
Arbeit steht unter der Leitung der Herren Perrier, Escadron-
chef vom französ. Generalstab und Mitglied des Längen-
bureau’s, und Merino, Astronom des Observatoriums in
Madrid.
Asien,
Herr Aillier, grossbritannischer Consularbeamter, be-
suchte Anfang 1879 die von Hungersnoth heimgesuchten
Districte in den Nordprovinzen China’s. Die Proceedings
vom August 1879 enthalten hierüber Näheres. Von Han-
kow (Hankbau), wo sich ein Agent der China Inland Mis-
sion zur Reise nach Pingyang-fu (Phingjang) anschloss,
ging es zunächst auf Karren in möglichst gerader Richtung
durch die Provinz Hupei nach Norden. Am zweiten Tag
nach der Abreise von Hankow stieg der Weg aus der Al-
luvial-Ebene langsam zu höherem Lande auf. Die Gegend
war meist wild und einsam. Am 25. Januar wurde über
einen etwa 500 F. hohen Felsenpass die Provinz Honan
erreicht, und von Binyang-fu aus konnte man sich eines
Fuhrwerks bedienen. Drei Tagereisen weiter lag die Stadt
Chioschan-hsien, dann folgte Hsüchow. Auffallend war der
Mangel an Waldungen, so weit wie sich die Umgegend vom
Wege aus überblicken liess, denn letzterer führte stellen-
weis auf viele miles Länge durch Einschnitte von Löss,
die eben nur breit genug für die Passage waren, während
zu beiden Seiten sich der Löss hunderte von Fuss auf-
thürmte. Nachdem dieses Gebiet verlassen, ging der Weg
bis zum Gelben Fluss durch eine Sandebene. Nach Über-
schreitung dieses Stromes, am 8. Februar, ging die Reise
westwärts nach Wuchih, in dessen Nähe der durch seine
Überfluthungen gefährliche Chin-Fluss strömt. Auf beiden
Ufern erstreckte sich unbebautes Land, Inundations-Terrain,
weithin; an einigen Punkten waren mächtige Damme zur
Regulirung des Stromlaufes errichtet. Über Hwaiching-fu,
die Grenzstadt des südwestlichen Honan, erreichte man zu
"Maulesel den Fuss der die Provinz Honan von Schensi
trennenden Berge. Nach einem stetigen Aufstieg auf 12
bis 13 miles Wegs kam man in einem kleinen Gebirgsdorf
an, dessen Höhenlage über der Ebene 2500 Fuss betragen
mochte. Ein ausserordentlich lebhafter Verkehr von Reisen-
den und Waarenzügen, Maulthieren und Kameelen herrschte
auf dieser Strasse. Die Bergbevölkerung litt entsetzlich
unter der Hungersnoth. Am 18. Februar war Herr Hillier
und sein Reisegefährte in Pingyang-fu, welches 600 miles
von Hankow entfernt lieg. Nachdem er den Missionaren,
welche zur Linderung der Hungersnoth hier thätig waren,
willkommene Hülfe und Unterstützung geleistet, ging er
nordwärte weiter und fand, dass er in Hwailu, der Grenzetadt
von Tschili, den Verbreitungsbezirk der Hungersnoth durch-
schritten hatte. Durch das nordöstliche China kehrte er
nach Schanghai zurück.
Das von Dr. O. Finsch bearbeitete Reisewerk der Bremer
westsibirischen Expedition ist jetzt bei E, Wallroth in Berlin
erschienen; es trägt den Titel: „Aeise nach Westsibirien im
Jahre 1876, auf Veranstaltung des Vereins für die Deut-
sche Nordpolarfahrt in Bremen unternommen mit Dr. A.
E. Brebm und Carl Graf v. Waldburg-Zeil-Trauchburg,
von Dr. O. Finsch, mit 56 Illustrationen meist nach Origi-
nalzeichnungen von Dr. Finsch, ausgeführt von M. Hof-
mann, einer Übersichtskarte und 3 Kartenskizzen von Graf
Waldburg-Zeil”. In 13 Kapiteln wird die ihrem Verlaufe
nach aus früheren in dieser Zeitschrift veröffentlichten Be-
richten bekannte Reise durch ein seit Pallas’ Reise natur-
wissenschaftlich wenig ausgebeutetes und in vieler Bezie-
hung interessantes Gebiet geschildert. Finsch ist ein guter
und gewissenhafter Beobachter, dabei beherrscht er die
einschlägige Literatur und hat für das Werk noch die Er-
gebnisse der Bearbeitung der von ihm aus den verschiede-
nen Fächern mitgebrachten Sammlungen benutzen können.
Am ausführlichsten und eingehendsten sind die Kapitel
über die Tundra, die Ostjaken und Samojeden behandelt,
und wenn in ihnen der geographische und ethnographische
Werth des Buches culminirt, so enthalten doch die Schil-
derungen der Ob- und Irtischfahrt, des russischen und chine-
sischen Altai, der Kirghisen &0. auch viel Interessantes.
Mit älteren Reiseberichten tritt Finsch mehrfach in Wider-
spruch, den er indessen stets ausführlich begründet. Die
illustrative Ausstattung des Buches wie die 3 Kartenskiz-
zen des Grafen Waldburg sind besonders zu schätzen. Eine
so reiche und vielseitige Kunde von Westsibirien kommt
auch in praktischer Beziehung jetst, wo die Seeschifffahrt
von Europa nach dem Ob-Meerbusen sich immer weiter
zu entwickeln scheint, zu rechter Zeit. Die Gesammt-
kosten der Reise, wobei in Sibirien 12000 Werst zurück-
gelegt und reichhaltige Sammlungen mitgebracht wurden,
beliefen sich nach dem Vorbericht auf 21 000 Mark.
46 ®
360 Geographischer Monatsbericht.
Der Direction des Geologscal Survey of India verdanken
wir wiederum eine reiche Sendung ihrer Publicationen.
Nebst zwei neuen Heften der stattlichen „Palaeontologia
indica” und zwei Bänden der „Memoirs”, deren 14. eine
Monographie der Salzkette im Pendjab von A. B. Wynne,
mit einer Specialkarte in 2 Bl., der 15. (Part I) eine Ar-
beit von V. Ball über die Aurunga- und Hutar -Kohlen-
felder, mit 3 Karten, enthält, befindet sich bei der Sendung
eine Reihe von Heften der „Records”, nämlich der ganze
11. Band in 4 Heften und die erste Lieferung des 12. Ban-
des. Abgesehen von den Jahresberichten für 1877 und
1878, welche die Fortschritte der geologischen Aufnahme
von Indien und die jüngsten Publicationen besprechen und
gleich den vorausgegangenen mit Übersichtskarten über den
jetzigen Stand der Aufnahmen versehen sind, begegnen wir
in diesen „Records” einer Menge verschiedener Abhand-
lungen geologischen und paläontologischen Charakters, von
denen wir nur einige, durch ihre Kartenbeilagen auch spe-
ciell für die Geographie nützliche hervorheben wollen: Über
die Geologie des oberen Godavari- Beckens zwischen den
Flüssen Wardha und Godavari, von Th. W. H. Hughes,
mit Karte; Notizen über die Geologie von Kaschmir, Kisht-
war und Pangi, von V. Lydekker, mehrere Aufsätze mit
Karten; Über den Ursprung der Kumaon-See’n, von V.
Ball, mit Karte; Ausflug über den Milam-Pass in Kumaon,
von Th. W. H. Hughes, mit Karte; Die Schlammvulkane
von Ramri und Cheduba (Arakan), von F. R. Mallet, meh-
rere Aufsätze mit Karten; Reise durch Hangrang und
Spiti, von Oberst C. A. Mao Mahon, mit Karte. So viel
Lehrreiches und Neues diese Hefte bieten, so werden sie
doch diessmal in Schatten gestellt durch das gleichzeitig
übersendete Handbuch der Geologie von Indien, „A Ma-
nual of the Geology of India” (Calcutta 1879), das von
dem Director 4. 3. Medlioott und dem ersten Beamten
W. T. Blanford ausgearbeitet, in zwei starken Bänden mit
21 paläontologischen Tafeln und einer Übersichtskarte in
1:4055000 vorliegt. Man hat wohl schon früher Ver-
suche gemacht, die geologische Kenntniss von Indien zu-
sammenfassend darzustellen, am bekanntesten sind Carter’s
„Summary of the Geology of India” im Journal of the
Bombay Branch of the R. Asistic Society von 1854 und
Greenough’s grosse „Geological Map of India” aus demsel-
ben Jahre, beide Arbeiten stammen aber aus einer Zeit,
wo die systematische geologische Aufnahme von Indien
erst begann, während das neue Handbuch sich gerade vor-
zugsweise auf diese Aufnahme stützt, zudem ganz ungleich
ausführlicher und vollständiger ist und die ersten, aus eige-
ner Anschauung mit den beschriebenen Objecten vertrauten
Autoritäten zu Verfassern hat. Auch Dr. Waagen’s an
sich sehr verdienstliche kleine Übersichtsskizze der Geologie
Indiens mit der zugehörigen Abhandlung „über die geogra-
phische Vertheilung der fossilen Organismen in Indien” in
den Denkschriften der Wiener Akademie (1877), übersetzt
in den „Records of the Geol. Survey of India” (Vol. XI,
1878, Part 4, mit Karte), kann mit dem „Manual” nicht
in Vergleich gestellt werden.
Am 2. August d. J. unternahmen H. F. 7oser und T.
M. Crowder eine Besteigung des Argaeus, gerade 30 Jahre
nach P. v. Tschihatschef, der ausser Hamilton (1837) bis-
her wohl der einzige wissenschaftlich gebildete Besteiger
jenes imposanten erloschenen Vulkans gewesen ist. Wäh-
rend Hamilton die Höhe des Gipfels auf ca 13000 engl.
Fuss schätzte, fand sie Tschihatschef zu 3841 Meter oder
12600 engl. Fuss, und nach Tozer’s Aneroid würde sie noch
etwas weniger betragen, doch setzt Tozer so wenig Ver-
trauen in seine Messung, dass er das Resultat in seinem
an die „Times’” gerichteten Briefe !) nicht mittheilt. Die
beiden Engländer waren am 1. August mit einem türki-
schen Polizisten vom Dorfe Everek am Südfuss des Berges
ausgeritten, übernachteten nach vierstündigem Steigen in
8000 Fuss Höhe unter dem mitgenommenen Zelte und
setzten in den ersten Morgenstunden des 2. August bei
glänzendem Mondschein die Besteigung fort. „Nach zwei-
stündigem mässigen Ansteigen”, schreibt Tozer, „begannen
wir eine steile Strecke von 1600 Fuss hinanzuklimmen,
welche zwei weitere Stunden beanspruchte und eine der
schwierigsten Aufgaben war, die mir je vorgekommen, denn
der ausserordentlich steile Abhang war mit losen Steinen
und Massen herabgefallener Felsen bedeckt. Als wir uns
in der Mitte dieser steilen Strecke befanden, fielen die er-
sten Strahlen der Sonne auf die Porphyr-Felsen über uns
und brachten eine herrliche Wirkung hervor, indem sie
dieselben mit einem hellen Carmoisinroth färbten. Etwa
um 6 Uhr Morgens gelangten wir auf die lange Kante am
oberen Ende des weiten Schneefeldes, das von Kaisarieh
aus gesehen auf der Nordseite sehr in die Augen fällt. In
gewöhnlichen Jahren ist die Schlucht, in der wir aufstie-
gen, halb vollSchnee, aber dieses Jahr ist sie ganz schnee-
frei, eine Folge der grossen Sommerhitze, die in ganz Klein-
Asien als etwas Unerhörtes besprochen wird. Durch Ein-
hauen einiger Stufen in den gefrorenen Schnee wurde es
möglich, bis 50 Fuss unter den höchsten Gipfel zu gelan-
gen, der senkrecht und ganz unersteiglich sich erhebt.
Denselben Punkt hatten Hamilton und v. Tschihatschef er-
reicht. Die weite Aussicht umschloss die lange Linie des
Anti-Taurus im Osten, die südwestlich gegen Lycaonia hin
laufenden Berge und im Norden die ausgedehnten welligen
Ebenen und Steppen, welche das Innere des Landes ein-
nehmen. Ein oder zwei kleine Seen waren sichtbar, so
wie der Thaleinschnitt des Halys (Kizil Irmak), obwohl wir
den Fluss selbst nicht sehen konnten. Kaisarieh lag wie ein
dunkler Teppich ausgebreitet auf der kahlen Ebene unter
uns. Aber bei weitem das merkwürdigste Object war der
Berg selbst, denn die hohen Porphyrspitzen um und unter
uns, wahrhafte asguslles, boten einen so wundervollen An-
blick, wie man sich nur vorstellen kann. Tiefer unten,
rings am die Basis des Berges, erhoben sich zahlreiche
vulkanische Kegel, lebhaft an die Auvergne erinnernd.
Sonderbar war es auch, selbst hier in Cappadocia, wo alte
Felsenwohnungen so häufig sind, die Felsen des Berges
bis dicht an den Gipfel hinauf ausgehöhlt zu finden, und
dass diese Kammern künstlich hergestellt waren, bewiesen
die Spuren des Meissels an Decke und Wänden, auch wa-
ren an den Seiten Nischen ausgehauen’.
Afrika.
Das Hydrographic Office in Washington hat unter dem
Titel „„Coastse and Islands of the Mediterranean Sea, Part III”,
') The Mail, 22 August 1879.
Geographischer Monatsbericht. 361
eine reich mit Küstenansichten ausgestattete specielle Küsten-
beschreibung von Tunis, Tripolis, Ägypten, Syrien, Sicilien
und Malta herausgegeben, der die Aufnahmen und Nach-
forschungen des Lieut.-Commander H.@orringe und des Lieut.
8. Schroeder von der amerikanischen Marine zu Grunde
liegen. Das Buch enthält sehr ausführliche und mannig-
faltige Nachrichten über alle einzelne Küstenpunkte.
Der Güte des Herrn Dr. Junker verdanken wir eine An-
zahl Posstionsbestimmungen und Höhenmessungen, die Oberst
Mason vom ägyptischen Generalstab auf seinen Zügen in
Darfur vorgenommen und dem genannten Reisenden mit-
getheilt hat. Im Vergleich mit Dr. Nachtigal’s Karte in
den „Geogr. Mittheil.” 1875, Tafel 15, liegen nach diesen
Mason’schen Bestimmungen die westlichen Theile von Dar-
fur, vom Marra-Gebirge an, reichlich einen Grad westlicher
N. Br. Östl. L. v. Gr. Höhe in
engl. Fuss
Kabkabia . . . 13° 38' 88" 23° 50’ 16" 3303
Tiniet . . . . 13 29 26 233 0 16 2574
Berak (Wadi Katze) . 13 31 30 22 28 16 2345
Terga (westliche Grenze) 13 46 48 22 10 46 2985
Kolikol (Wadi Bare) . 13 30 8 23 16 86 2592
Gebel Marra . . . 12 56 41 23 54 21 43383
Bokawia. . . . 12 10 32 24 18 36 2268
Dar . . . . 12 10 35 25 21 6 1622
Schekka . . . . 10 55 27 26 37 0 1208
Towescha . . . 12 20 26 26 32 30 1443
Noch eine andere kleine Positionsliste mag hier ange-
fügt werden, die der Chef des ägyptischen Generalstabs,
General Stone, bereits 1876 an Dr. Petermann überschickte.
Diese Positionen wurden von Oberst Purdy auf seinem Zuge
von Dara nach Hofrat-el-Nahas südlsch von Darfur be-
stimmt, doch sind die Längen nur durch Construction der
Marschroute, nicht unabhängig durch astronomische Beob-
achtungen gewonnen.
Kobesch . 10° 55' 58" N. Br., 25° 29' 57" Östl. L. v. Gr.
Jaimo . . 10 27 36 nn 25 1 35 ” nasn0D9n
Bahr-el-Arab . 10 12 47 nn n 24 55 50 nn
Bahr-el-Arab . 10 3 49 n n 24 53 50 sn sn
Gebel Dango . 10 0 59 nn mn 24 33 14 nenn
Hofrat-el-Nahas 9 48 23,5 n » 24 5 38 nenn
Nach einem 7jährigen Aufenthalte in Süd-Afrika rü-
stete sich Dr. Zmil Holub im August zur Heimkehr nach
Europa. Er beabsichtigt die Resultate seiner Reisen in
einem 5bändigen Werke zu veröffentlichen, welches gleich-
zeitig in englischer, französischer, deutscher und ozechischer
Sprache erscheinen und mit zahlreichen Karten und Illu-
strationen ausgestattet sein soll. Seine Manuscriptkarten
sind meistens im Maassstab von 1:172000 und 1:43000.
Nachdem Holub im Februar 1872 seine medicinischen Stu-
dien in Prag beendet hatte, trat er mit sehr geringer
Baarschaft seine Reise nach Süd-Afrika an, so dass er, im
Besitze von nur 3 L in Port Elizabeth landete. Bald sie-
delte er nach Kimberley über, wo seine Praxis unter den
Diamantgräbern auch in pecuniärer Hinsicht von so gün-
stigem Erfolge war, dass er bereits nach einem sechsmo-
natlichen Aufenthalte einen ersten Zug in’s Innere unter-
nebmen konnte. Im November 1873 trat er seine zweite
Reise an, welcher im März 1875 seine letzte grosse 21mo-
natliche Expedition bis an den mittleren Zambesi in’s Ma-
rutse-Mambunda-Land folgte. Nach einem Vortrage, wel-
chen er am 21. Mai d. J. in Grahamstown gehalten hat,
scheint der erfahrene Reisende nicht die Absicht zu ha-
ben, Süd-Afrika für immer den Rücken zu kehren. Künf-
tigen Forschungs- wie auch Handelsexpeditionen empfiehlt
er Süd-Afrika als Ausgangspunkt, von wo dieselben mittelst
Ochsenwagen in völliger Sicherheit, wenn auch mit höhe-
rem Kostenaufwande, bis zu den Ufern des mittleren Zam-
besi gelangen können. Um die Vorzüge dieser Route noch
zu erhöhen, schlägt Dr. Holub die Gründung von Statio-
nen von je 100 bis 150 Familien in den nur spärlich be-
völkerten Gegenden zwischen Limpopo und Zambesi vor,
und beabsichtigt er deren Ansiedelung persönlich zu leiten.
So wichtig solche Stationen für eine Colonisation dieses
Gebietes auch sein mögen, so lässt doch die bisherige Er-
fahrung daran zweifeln, ob sie für Handels- und wissen-
schaftliche Expeditionen von Nutzen sein würden; im All-
gemeinen werden solche Stationen stets mehr Hülfe in An-
spruch nehmen als leisten und Jahre vergehen, bevor sie be-
sonders in solch’ wüsten Gegenden sich selbst erhalten können.
In einem Aufsatze, veröffentlicht im „Grahamstown
Journal” vom 30. April, macht Dr. Holub darauf aufmerk-
sam, dass nach seiner Erfahrung 3 Species oder Abarten
von Elephanten in Süd-Afrika existiren. Die häufigste Art,
von den Boers „Holkop” genannt, findet sich überall im
südlichen Central-Afrika.. Die Thiere sind von mässiger
Grösse, ihre Zähne wiegen selten mehr als 70 bis 80 Pfd.,
ihre Stirn ist sehr breit und stark vertief Die zweite
Art, welche im centralen Theile am weitesten verbreitet
ist und nur selten südlich vom Zambesi vorkommt, ist an
Gestalt die kleinste von den 3 Species, hat aber sehr gerade
und schwere Zähne bis zu 100 Pfd. Gewicht. Die dritte
Art, von den Boers „Zu-lah” genannt, findet sich in kleinen
Trupps im Limpopo-Gebiet wie auch nördlich vom Zam-
bei. Die ihr angehörenden Thiere sind grösser als die
der beiden anderen Arten, haben aber die leichtesten, nur
bis 30 Pfd. schweren und stärker gekrümmte Zähne.
@. Rohlfs ist am 28. Juli von der Oasengruppe Au-
djila nach Kufra abgereist. Er schreibt uns aus Battifal,
nahe südlich von Djalo, am 27. Juli: „Obwohl von Seite
des Vorstandes der Afrikanischen Gesellschaft noch keine
Antwort auf mein Entlassungsgesuch eingetroffen ist, brach
ich doch von Bengasi wieder nach Djalo auf, damit die
Expedition, die ohnediess so viele unliebsame Verzögerun-
gen erlitten hat, um meinetwillen keinen Aufschub, und sei
es auch nur um einen Tag, erführe. Ich wäre sehr gern
zurückgetreten, denn nach grossen Schwierigkeiten hatte ich
e8 zuwege gebracht, dass der Reise nach Uadai keine Hin-
dernisse mehr entgegen standen, meine Beinwunden er-
heischten Ruhe, ich konnte mich also mit Ehren zurück-
ziehen. Aber trotzdem habe ich es für meine Pflicht ge-
halten, wieder zu gehen, und ich gehe freudigen Muthes.
So ein kleiner Abstecher von Audjila nach Bengasi, ca
350 km hin und eben so viel zurück, zählt nicht, man ver-
gleiche aber europäische Entfernungen und sehe, wie lang
eine solche Strecke von 700 km ist, die man noch dazu
zu Fuss und zu Kameel zurücklegen muss; meine Leute
waren immer zu Fuss. Auf demHinweg habe ich für die
350 km nur 64 Tage gebraucht, also täglich gegen 60 km
zurückgelegt.
„Morgen werden wir „abstossen”, denn wenn ich diese
unendliche, wasserlose Sserir jetzt vor mir liegen sehe,
362 | Geographischer Monatsbericht.
dann kommt es mir vor, als ob ich mit meiner Expedition
mich auf's hohe Meer hinaus begäbe. Bis nach Taiserba,
im Norden der Oase Kufra, wohin wir uns zunächst wen-
den, haben wir acht Tage- oder Nachtmärsche. Wir wer-
den wohl nur Nachts marschiren, da es den Tag über so
heiss ist — stets über 40° C. im Schatten —, dass die
Kameele nicht werden fortkommen können.
„Dem Grafen Hatzfeldt in Constantinopel ist die Expe-
dition zum grössten Dank verpflichtet, denn ohne sein ener-
gisches Einschreiten sässen wir wohl noch in Bengasi, resp.
in Audjila. Das hat. Mühe gekostet, die Suya zu bewegen,
uns bis Uadai zu begleiten. Aber was dann, ‘wenn der
Sultan uns nicht annehmen will, wie man hier allgemein
behauptet? Wir werden jetzt allerdings ein grosses Stück
Land durchforschen, die Hauptpunkte in Kufra und Uad-
janga astronomisch festlegen, aber falls uns Uadai ver-
schlossen sein sollte, geht doch das Beste verloren. In-
dessen man darf die Hoffnung nicht sinken lassen, und vor
der Hand bin ich zufrieden, dass endlich die geheimniss-
volle Oase Kufra erschlossen wird und dass es mir selbst
vergönnt ist, diese letzte noch nie "besuchte Oase der öst-
lichen Sahara der geographischen Wissenschaft zu erobern”.
Nördlich von den Comoren, unfern Assumption, liegt
eine kleine Inselgruppe Namens Aldabra, die unbewohnt
und ohne sonderliche Anziehungskraft, ab und zu von den
Seychellen aus des Fischfanges wegen besucht, meist aber
sich selbst tiberlassen bleibt. Aus vier grösseren und meh-
reren kleinen Inseln bestehend, in deren Mitte sich eine
Lagune befindet, bietet sie durch ihre Bewaldung vom
Meere aus einen angenehmen Anblick. Ihre Producte sind
ausser Holz nur Schildkröten, diese aber in grosser Menge.
Dr. O. Kersten erwähnt in „v. d. Decken’s Reisen in Ost-
Afrika” (2. Bd., 8. 119), dass namentlich Testudo nigra
auf Aldabra in grosser Menge gefangen werde. Der Ham-
burger Kaufmann Schmeisser, welcher die Inselgruppe im
J. 1847 besuchte, berichtet, dass hundert Menschen, die
Bemannung zweier Schiffe, in kurzer Zeit zwölfhundert
solcher Schildkröten, deren einzelne das Gewicht von 800
Pfund erreichen, gefangen haben. In den geogr. Hand-
büchern wird Aldabra gar nicht oder nur mit wenigen Wor-
ten erwähnt, eine speciellere Karte von ihr befindet sich
nicht einmal unter den englischen Admiralitätskarten, doch
haben Rosser und Imray in ihrem „Indian Ocean Direotory”
fleissig zusammengestellt, was sich in nautischer Beziehung
darüber sagen lässt. Jetzt eröffnet sich aber die Aussicht,
bald Ausführlicheres über die Inselgruppe zu erfahren, denn
wie uns Herr Lehrer M. Sundt in Kristiania schreibt, ist eine
norwegische Colonie dort in der Bildung begriffen. Einige
unbemittelte Leute in Bergen, welche die Verhältnisse da-
heim drückend fanden, fassten auf Anregung einiger Missio-
nare und Seeleute den Entschluss, dahin auszuwandern.
Durch Arbeit, Sparsamkeit und Verkauf ihrer geringen Habe
brachten sie das Geld zusammen, um ein Schiff „Deborah”
für 13000 R.-M. zu kaufen, für 6 Monate Proviant anzu-
schaffen, Bauholz und Baoksteine für die ersten Wohnungen
und sonstige Vorräthe zu beschaffen, und mit beispielloser
Energie gelang es dieser Gesellschaft von lauter unbemit-
telten Emigranten, am 19. Juli 1879 von Bergen aus unter
Segel zu gehen. Es sind im Ganzen 27 erwachsene Män-
ner und Weiber und 13 Kinder, sämmtlich Arbeiter oder
Seeleute. In Nossi-B&E nehmen sie eine vielleicht gleiche
Anzahl vorausgegangener Norweger mit. Die kleine Repu-
blik hat eine Regierung von drei Männern erwählt, die
sowohl während der Seereise als später die Angelegenhei-
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Der Fuji-no-yama und seine Besteigung.
Von J. Rein.
(Mit Karte, s. Tafel 19.)
Hohe Berge, zumal solche, welohe steil und mächtig
aus der Ebene sioh erheben, haben von jeher auf das Ge
mäüth der Menschen einen grossen Einfluss getibt. Manches
alte heidnische Volk betrachtete sie als Heiligthümer, als
die Wohnsitze seiner Götter und blickte staunend, ehr-
erbietig und hülfesuchend zu ihnen empor, wie diess uns
unter Andern in so schöner Weise der Psalmist andeutet !).
Noch jetzt ist dieser Bergoultus unter den heidnischen VöÖl-
kern Asiens und Afrika’s weit verbreitet, aber wohl nir-
gends erhielt er eine solche Ausbildung, wie unter der
„Herrschaft des Buddhismus.
So hat insbesondere auch Japan seine heiligen Berge,
zu deren Gipfeln und Tempeln der Gläubige oft aus weiter
Ferne wallfahbrt, bei deren erstem Anblick er sich unter-
würfig zur Erde neigt und seine buddhistischen Gebetafor-
meln hermurmelt. Im höchsten Massse gilt diess vom
Fuji-no-yama ?) oder Fuji-san, der an Höhe alle anderen
Berge des Landes ansehnlich überragt und in seiner iso-
lirten, himmelanstrebenden Kegelgestalt demselben als Wahr-
zeichen dient. Fesselnd und eindrucksvoll für's ganze Leben
ist namentlich der Anblick dieses Bergriesen — mons ex-
oelsus et singularis, wie ihn Kämpfer nennt —, wenn man
sich zur See ihm nähert. Aus den Fluthen des Oceans
scheint er empor zu steigen und in den Wolken des Him-
mels nicht selten zu verschwinden.
In gewissem Sinne ist Fuji bei dem Japaner Gattung
name für alle kegelförmigen Berge, ja selbet für die künst-
lich aufgeworfenen Aussichtshügel in der Ebene von Ku-
wanto geworden. So redet er z. B. von einem Akita-Fuji
(Chökaizan), Nambu-Fuji (Ganju-san oder Iwade-san), Tsu-
garu-Fuji (Iwaki-san), so heissen zwei kleine Aussichtshügel
bei Tokio der O-Fuji und Ko-Fuji, d. h. der grosse und
der kleine Fuji. Auf den Erzeugnissen des japanischen
Kunstgewerbes, so wie der Malerei ist der Fuji-san eines
ı) „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir
Hülfe kommt”. Psalm 131, Vers 1.
?) Trotz der Schwerfälligkeit ist die Form Fuji-no-yama als allein
eorreete der gewöhnlichen Fuji-yama vorzuziehen ; wer Kürse liebt, mag
Fuji-san oder bloss Fuji gebrauchen.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft X.
der am häufigsten wiederkehrenden, allbekannten Decora-
tionsmotive.
Blickt man bei klarem Wetter aus dem Hafen von Yoko-
hama nach Westen, so gewahrt man ein wellenförmiges
Land, dessen Thälchen wohlcultivirte Felder bedecken und
dessen flache Rücken niedriges Gebüsch und lichter Kiefern-
wald krönen. Dabinter aber erheben sich ansehnlich hö-
here, bewaldete Bergzüge und noch weiter zurück überragt
der weisse Gipfel des majestätischen Fuji wie ein riesiger
Zuckerhut das ganze Landschaftsbild. Desgleichen erblickt
man von der Sonnenaufgangsbrücke (Nihon-bashi) im Cen-
trum von Tokio, von wo aus man die Entfernungen der
Orte des Landes misst, den berühmten Berggipfel und sieht
ihn häufig in den ersten Strahlen der dem Flachlande noch
nicht erschienenen Morgensonne erglänzen, und so noch
von mancher anderen Stelle der umfangreichen Hauptstadt
aus. Seine Entfernung von hier beträgt in gerader Linie
13 geogr. Meilen, aber sehr häufig, zumal während der
klaren Wintermonate, erscheint er so nahe, als ob er sich
unmittelbar hinter dem Häusermeer oder am Ende einer
nach Westen geriohteten Strasse erheben und dieselbe ab-
sperren würde. Im Ganzen erfreuen sich 13 der alten,
kleinen Provinzen des Lendes seines Anblicks, einige frei-
lich nur von den eigenen bedeutenderen Höhen aus; auch
erscheint er von Westen und Norden her, der vorgelager-
ten Berge wegen, keineswegs so imposant, wie aus der
Ebene von Kuwanto im Osten oder von der See her im
Süden.
An der Grenze der Provinzen Suruga und Kai unter
85° 21’ N. und 138° 42’ O. Gr. erhebt der Fujisan sein
stolzes Haupt, während er seinen breiten Fuss weit vor-
schiebt in eine Ebene, welche auf drei Seiten durch die
mächtigen Grenzgebirge von Kai, nach Süden aber vom
Meer umgürtet ist und durch mehrere zu ihm führende
Gebirgsausläufer in drei scharf getrennte Theile zerfällt.
Der Fuji Kawa bewässert mit seinen zahlreichen Neben-
flüssen den grössten nördlichen Theil derselben, die Ebene
von Kofu, und umfliesst in weitem Bogen die Nord- und
Westseite unseres Vulkanes. Im Nordosten senkt sich dieser
47
366 Der Fuji-no-yama und seine Besteigung.
zum Katsura-gawa (im Unterlaufe am Tokaido Baniugawa
genannt) und den im Quellgebiete dieses Flusses gelegenen
Seen von Yamanaka und Kawaguchi, nach Südosten und
Süden zum Himmelsthal (Gotemba), welches der Kise-gawa
bildet, und mit ihm zum Golf von Suruga. Ostwärts von
Gotemba bildet dann ein von N nach 8 sich erstreckender,
schmalrückiger Gebirgszug die Wasserscheide zwischen Ha-
kone-See und Suruga-Bucht und zugleich die Grenze zwi-
schen Suruga und Sagami.
Zwischen den erwähnten Flüssen, welche nicht allein
den Fuji-san, sondern Dutzende der um ihn als Eruptions-
centrum sich gruppirender kleinerer Gipfel umfassen, ziehen
mehrere bemerkenswerthe Gebirgsrücken bis unmittelbar zu
seinem Fusse. Gleich den Grenzgebirgen von Kai bestehen
sie aus Granit, Gneiss und anderen krystallinischen Gestei-
nen, s0 wie aus Schiefern von hohem Alter. Es gilt diess
vor Allem von jenem Zuge, welcher in nordsüdlicher Rich-
tung die Wasserscheide zwischen Fuji Kawa (Fuyefukigawa)
und Katsuragawa bildet und von mir zwei Mal (auf: Sasa-
noyama-töge und Misaka-töge) überschritten wurde. Über
einen niedrigeren zweiten Gebirgszug mit vorherrschend
ostwestlicher Erstreckung führt die Grenze zwischen Suruga
und Kai. Gegen die Mitte desselben erhebt sich der Fuji-
san und mehr westlich durchbricht ihn der Fuji Kawa, und
hier steht überall das ältere Gebirge an, das mehr ostwärts
von vulkanischen Bildungen mächtig überlagert wurde, Zahl-
reiche Gipfel lagern sich dem Fuji-san nach Norden vor
und machen seine Besteigung von dieser Seite her schwierig
und unthunlich. Aber auch meerwärts, gegen Südosten,
treten noch vulkanische Berge zwischen die Küstenebene,
durch die der Tokaido führt, und den eigentlichen Fuss
des Fuji, und beeinträchtigen seine Kegelgestalt. Es sind
diess vor Allem die langen Rücken des Sumoto und Ashita-
kayama.
Zwischen diesem Kranz niedrigerer Berge, der nur auf
der Südseite unterbrochen ist, steigt nun der Fuji-no-yama
erst ganz allmäblich, dann immer steiler bis zu der ansehn-
lichen Höhe von 3745 Meter empor. Sein engerer Fuss
liegt in einem Gürtel von 600—800 Meter Höhe, welcher
die höchst gelegenen Orte Yoshida, Subashiri und Maruyama
auf der Nord-, Ost- und Südseite, beziehungsweise, trägt,
von denen aus gewöhnlich die Besteigung des Berges er-
folgt, ferner auf der Nordseite die fünf flachen Seen von
Yamanaka, Kawaguchi, Motosu, Nishi und Nebara.,
Nur zwei Monate des Jahres, von Mitte Juli bis Mitte
September ist der Fuji-san mit Ausnahme einzelner Schluch-
ten schneefrei, und in diese kurze Zeit fallen die zahl-
reichen Pilgerfabrten zu seiner Besteigung. War das vorher-
gehende Jahr ein fruchtbares und brachte einige überflüs-
sige Thaler in die Tasche des genügsamen Landmanns, so
erhöht sich die Durchschnittszahl von 16000 jährlichen
Besteigern wohl auf 20000 und darüber. Das grösste
Contingent liefern Tokio und die benachbarten Provinzen
der Ebene von Kuwanto, denen der Wunsch, das impo-
sante Wahr- und Wetterzeichen, das sie so oft aus ihren
Feldern und von ihrer Arbeit begrüssten, einmal in un-
mittelbarer Nähe zu beschauen, besonders nahe liegt. Man-
cher findet grossen Gefallen an diesen Pilgerfahrten, wie-
derholt sie öfter, gewinnt dadurch ein gewisses Ansehen
und sammelt dann als orts- und sachkundiger Führer Viele
unter seinem Fähnchen, Auf allen Wegen, die zum Fuji-
san führen, kann man während der Saison einzelne Trupps
oder lange Reihen dieser weissgekleideten, staubbedeckten,
müden Pilgrimme (Giöja oder Dösha) treffen. Ihr leichter
baumwollener Anzug besteht aus Unterhemd, eng anschlies-
senden Hosen und einem Kittel, den ein als Gürtel be-
nutzter Zeugstreifen um die Lenden schliesst. Strohsan-
dalen (Waraji) schützen die Fusssohlen, ein grosser, weisser,
schirmartiger Hut (Kasa) aus Stroh oder Weidengeflecht
bedeckt den Kopf. Auf dem Rücken hängt an einer um
den Hals geschlungenen Schnur eine kleine Binsenmatte
als unzweokmässiges und unvollständiges Schutzmittel gegen
Regen und Sonnenschein. Ein an der Seite hängendes
Glöckchen, oft auch ein Fähnchen, worauf der Fuji als
steiler abgestumpfter Kegel dargestellt und der Name der
Pilgergenossenschaft verzeichnet ist, ein langer Bambusstab
und ein Paar Strohsandalen in Reserve, endlich ein kleines
Tuch mit einigen Reisebedürfnissen vollenden die Aus-
rüstung.
Frauen, welche in früheren Zeiten vom Betreten hei-
liger Berge ausgeschlossen waren, erscheinen in demselben
Aufzuge. Der Pilger macht nioht viel Anspruch auf Com-
fort und befolgt im Übrigen die goldene Reiseregel des
frühen Aufbruchs und der zeitigen Ruhe. Ein Haupt-
streben ist, vom Bergesgipfel die aufgehende Sonne zu
begrüssen. Das ist nebst Gebeten zu dem Gott des Berges
besonders heilsam, befreit von Krankheit und Sorgen, giebt
dem Hause Frieden und Glück, dem Felde Gedeihen. —
In den Orten am Fusse des Fuji ist fast jedes Haus eine
Pilgerherberge und im Hochsommer mit Besuchern erfüllt.
Die Besteigung des Berges von Yoshida aus auf der
Nordseite gilt für die leichteste; ich wählte sie Anfang Sep-
tember 1874, weil mein Weg von Kofu mich hierher führte.
Spät Abends kamen wir in dem voraus bestellten Quar-
tier beim Bürgermeister (Kocho) an. Das alljährlich gegen
Ende der Saison wiederkehrende Feuerfest (Himatsuri) wurde
gerade gefeiert; und so fanden wir Alles in gehobener Stim-
mung. Reihen bunter Papierlaternen längs der Häuser be-
leuchteten die lange, in Terrassen aufsteigende Strasse;
mehr noch geschah diess durch Schindelstösse, welche kegel-
Der Fuji-no-yama und seine Besteigung. 867
formig aufgethürmt mit Bambusreifen zusammengehalten und
oben angezündet waren. Mit gewöhnlichen brennenden Holz-
stössen abwechselnd bildeten sie zwei Reihen längs des
mitten durch’s Dorf fliessenden Gebirgsbaches, In manchem
Hause war man nach japanischer Art bei Samisenspiel und
Sake fröhlich und guter Dinge. — In unserem Quartier fanden
wir einen netten jungen Engländer, Namens R. Jones, der
gleich uns am nächsten Morgen zum Berg aufbrechen wollte
und uns bat, sich anschliessen zu dürfen. Durch ihn und
seinen Diener vermehrte sich meine Gesellschaft, mit der
ich am folgenden Tage den Weg zum Gipfel des Fuji-san
betrat, auf fünf Köpfe.
Bis zum oberen Ende von Yoshida, wo ein dem Berg-
gotte Fuji Sengen geweihter Tempel den nördlichen Aus-
gang (Kitaguchi hogu) des Berges bewacht, gab uns der
Kocho das Geleite. Hier bringt jeder Besteiger sein klei-
nes Geldopfer und erhält dafür aus Priesterhand in flacher
Schale einen Trunk von des Gottes erwärmtem Bake (Omiki)
und einen Schutspass (Fuji-to-san-no-shö) mit auf den Weg.
Dieser führt durch eine breite Allee von alten Sugi (Crypto-
meria japonica) und Hinoki (Chamaecyparis obtusa), so
wie Steinlaternen, wo Dutzende von Packpferden zur Ver-
fügung der Reitlustigen stehen, zu einem lichten Kiefern-
wäldchen und dann auf die offene Hara. Es ist diess der
untere Vegetationsgürtel des Fuji-san, wie der meisten
japanischen Vulkane, ein Gürtel zwischen 600 und 1500
Meter Höhe sanft ansteigend. Der Vegetationscharakter
ist der unserer Waldwiesen, natürlich mit vielen uns
fremden Gewächsen. Auf der Hara verästeln und verlau-
fen sich viele der tiefen Erosionsthäler oder Barancos der
Vulcane, und mit ihnen verlieren sich die Holzgewächse
einer höheren Region. An vielen Stellen ragen noch die
dunklen, zackigen und sohwammartig durohlöcherten Lava-
massen hervor, meist aber hat vulcanische Asche sie über-
deckt und die Vegetation dieselbe überwuchert.
Der Übergang von der Hara in die nächste Region,
die des Waldes, ist ein allmählicher, aber vollständiger.
Nach dritthalbstündiger Wanderung kommen wir hinein und
damit zu den schrofferen Partien des Berges. Der Pfad
wird enger, steiler und nicht mehr für Pferde passirbar.
Daher heissen die Stationen am Fuji, wie anderwärts, wo
der Reitersmann absteigen und sich den eigenen Füssen
anvertrauen muss, „Muma gayeshi”, d. h. „Schicke das
Pferd zurück!”
Von den Ausgangspunkten Yoshida, Subashiri und Maru-
yama bis zum Gipfel des Fuji-no-yama ist jeder der drei
Wege in zehn Stationen getheilt, Ruheplätze mit sehr ein-
fachen Theehütten (Chayas), deren einige auch zum Über-
nachten dienen, und die in sehr ungleichen Abständen auf
einander folgen. Mumagayeshi ist die zweite Station. Hier
herrscht vor den Theebuden durch den steten Wechsel
kommender und gehender Pilgerschaaren ein reges Leben.
Gleich ihnen nehmen wir Platz auf einer mit einer Binsen-
matte bedeokten Bank, beschauen uns die Gegend und er-
quioken uns an einem Schluck des dargebotenen Thee’s;
gleich ihnen bringen wir auch beim nahen Tempel, ich
weiss nicht, welchem speciellen Gott und Zweck, unser
Geldopfer dar. Dann geht es in den Wald hinein, langsam
bergan, wie das beim sammelnden und beobachtenden Natur-
forscher nicht anders möglich ist. Und zu sammeln und
zu beobachten ist in diesem Mischwalde, wo zu den vielen
fremdartigen Formen von Bäumen und Sträuchern sich
manche bei uns längst heimisch gewordene Zierpflanze und
manches niedrige und allbekannte Gewächs unserer eigenen
Wälder gesellt, gar mancherlei. An vielen Stellen schnei-
det der sich über Wurzeln und um Felsen windende Pfad
tief ein in den rothen Thonboden aus verwitterter Lava.
Hier treffen wir auch einen Pfadverbesserer, welcher mich
lebhaft an seine Genossen, die in den Alpen wegelagern,
erinnerte, sich jedoch durch bescheidenere Ansprüche —
er hatte feste Preise, 15 mon oder !/, Groschen die Per-
son — vortheilhaft von denselben unterschied. Die Prie-
ster eines kleinen Tempels auf der dritten Station beschäf-
tigten sich mit einer Art Passrevision und dem Einbren-
nen des Namens auf die Stöcke. Hier hörten wir, dass
wir nahezu das 12. Tausend Pilger voll machten, welche
in diesem Jahr von Yoshida aus den Berg bestiegen hatten,
und dass in gewöhnlichen Jahren die Zahl 9000 betrage.
Mit der fünften Station erreichen wir in 2225 Meter
Höhe die obere Grenze der Waldregion. Es folgt nun ein
dritter Vegetationsgürtel, der des Knieholzes und Strauch-
werkes, aufsteigend bis zu einer Höhe von 2450 Meter.
Eine vierte Vegetationszone, die sich bis zu 8300 Meter
Höhe verfolgen lässt, ist die der arktisch-alpinen Kräuter.
Nur wenige Arten, meist der Flora Ostsibiriens und Kam-
tschatka’s angehörend, finden sich hier vor, während ältere
valkanische Gipfel, wie Hakusan und Ontake, einen viel
grösseren Reichthum dieser interessanten Gewächse aufwei-
sen. Auf dem kahlen Gipfel des Fuji fristen an geschütz-
ten Stellen nur einige Moose und Flechten ihr Dasein, wäh-
rend sich noch keine Gefässpflanze angesiedelt hat.
In dem Massse, in welchem von der sechsten Station
ab das Gehölze schwindet und neben dem festen Lavafelsen
lockere vulcanische Asche, Lapilli und Schlackengeröll herr-
schend werden, nehmen mit der Steilheit des Berges die
Schwierigkeiten des Besteigens zu. Dagegen folgt man be-
ruhigt und sicher, selbst bei Nebel, den deutlichen Spuren,
welche die zahlreichen Vorgänger auch durch die vielen
durchgetretenen und weggeworfenen Strohsandalen (waraji)
hinterlassen haben. Bei klarem Wetter fällt der Blick auch
47°
368 Der Fuji-no-yama und seine Besteigung.
auf verschiedene Pilgerschaaren, welche aus der Ferne in
ihrer weissen Kleidung und mit den klingenden Scohellchen
an der Seite wie kleine Schafheerden an einem steilen
Bergabhang erscheinen. Sonst fehlt das Aufregende, wel-
ches die Gefahren beim Erklimmen hoher Gipfel mit sich
bringen, es fehlen auch jene mannigfachen Wechsel in der
Scenerie, die im Hochgebirge so überraschen und fesseln.
Unser Tagesziel, die achte Station, wurde gegen 6 Uhr
Abends erreicht und damit eine Höhe von 3270 Meter.
Ein heftiger kalter Wind blies hier und entwickelte
sich während der Nacht zum heulenden Sturme mit
viel Regen, so dass unsere Stimmung eine ziemlich ge-
drückte war. Der Wind drang durch alle Ritzen der primi-
tiven Steinhütte und der Regen durch das mit Steinen be-
schwerte Schindeldach, Hüllte man sich in die mitgebrach-
ten oder vom Wirth dargebotenen Decken warm ein, s0
war die Plage der leichtfüssigen Insecten kaum auszuhalten,
und suchte man die Nähe des grossen offenen Feuers in
der Mitte des Raumes, so vertrieb Einen bald wieder der
unerträgliche Rauch. Mit dem lang ersehnten Tageslicht
kam noch keine Befreiung, denn draussen heulte der Sturm
noch ungeschwächt fort, eben so fiel mit seinen heftigen
Böen der Regen nieder, so dass man es kaum wagen konnte,
vor die Hütte zu treten. Endlich, nach langem besorgten
Warten, klärte sich das Wetter auf und legte sich mehr
und mehr der Wind, so dass wir gegen 11 Uhr unsere
Schritte froben Muthes gipfelwärts wenden konnten.
Steiler noch wie Tags zuvor ersohien der vielgewundene
Pfad und trotz der Unterstützung, die ein frischer Thal-
wind gewährte, kam man nur mit Mühe durch die Asche
und das Schlackengeröll weiter, und dauerte es noch zwei
Stunden, bis wir den ersehnten Gipfel erreichten. Am Ost-
rande desselben passirten wir zunächst einen Liliput-Ort
aus etwa 15 kleinen Steinhütten zur Aufnahme der Pilger
und einem Tempelchen. In letzterem erhalten die Pilger
den grossen rothen Stempel auf den Rücken ihrer Baum-
wollkittel gedrückt als Bescheinigung, dass sie oben waren,
eine Beschreibung und grobe Abbildung des Berges und
endlich das Ofuda, eine Art Ablass, weloher ihnen für die
gebrachten Opfer und Gebete Segen in ihrem Haus und
Beruf und der Götter Schutz verspricht. Ausser meinem
diebischen Diener verzichten wir auf diese Dinge und tre-
ten, den Pilgern folgend, den Rundgang um den Krater
an, indem wir über die theilweis eingestürzten Wände und
Schutthügel bald auf, bald ab gehen. Wir messen Druck,
Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt der Luft und von den
erhabensten Punkten aus die Winkel, unter welchen die
Berge, Flüsse und Seen, so wie menschliche Wohnstätten
erscheinen, und untersuchen Lava und Asche, so wie die
Bruchstücke der alten Kraterwände. Eine reine Atmosphäre
und heller Sonnenschein bei einem erträglichen Südwestwind
sind diesen Arbeiten überaus günstig. Das trockene Thermo-
meter, welches in der Sonne eine Temperatur von 8* C.,
zeigt, sinkt mit nasser Baumwolle umhüllt auf 1°, bekun-
det also dadurch einen geringen Feuchtigkeitsgehalt der
Luft, wie er auf hohen Bergen viel rascher dem Regen
folgt, als im tiefen Thal,
Der Fuji-no-yama endet in eine wellenföormige Ebene,
deren Gipfel aus Sohlacken und Lapillihügeln bestehen.
Dazwischen sind anstehende Lavamassen und die Reste des
alten Kraters. Es bildet derselbe eine annähernd kreis-
föormige Öffnung mit 400—500 Meter Durchmesser und
167 Meter Tiefe, welche durch’s Aneroid bestimmt wurde,
Die alten Wände sind nämlich an vielen Stellen einge-
stürzt, so dass die Schuttmassen auf der Südseite ein ge-
fahrloses Hinuntersteigen zum Boden des Kraterkessels er-
laubte, wo eine horizontale Sandlage von 30—40 Meter
Länge und Breite bewies, dass zur Zeit der Schneeschmelze
und heftiger Regen das Wasser sich hier sammelt. Die
Silberquelle auf der Südwestseite und die Goldquelle am
südlichen Rande des Kraters waren versiecht, dagegen bot
eine andere nicht weit von letzterer dem durstigen und
frommen Pilger ein wohlschmeokendes klares Wasser reich-
lich dar. Die Goldquelle (Kin-mesui) und die Silberquelle
(Gin-mesui) gehören sonst zum Interessantesten, was die
Spitze des Fuji-san, dem Giöja bietet, der die naheliegen-
den Ursachen ihrer Existenz übersieht und ihr Wasser als
direct vom Fuji Sengen gespendet hinnimmt. Darum ver-
säumt mancher auch nicht, sich in einer der Hütten ein
oder mehrere steinerne Krüglein zu kaufen, um sie gefüllt
mit dem geweihten Wasser zurliokgelassenen Freunden und
Verwandten mitzunehmen. Doch wichtiger noch als diess
ist für ihn das Gebet zur aufgehenden oder sinkenden
Sonne. Auf ein gegebenes Zeichen des Führers rühren die
Mitglieder der Pilgerschaar ihr Glöckchen, um sich des
Gottes Audienz zu erbitten und dann zur Erde gebeugt
das Namu amida Butsu (hilf heiliger Buddha) zu sprechen.
Als grosse Freunde der Natur und in hohem Grade
empfänglich für ihre Reize versäumen sie daneben nicht,
auch in vollem Maasse die Aussicht zu geniessen, und hier
begegnen sich unsere Gefühle. Ist es schon ein Genuss,
auf gewöhnlicher Bergeshöhe frei aufzuathmen und sich,
wenn auch nur vorübergehend, der Sorgen und Mühen ent-
rückt zu wissen, die dort unten in der Tiefe herrschen, in
den Wohn- und Wirkungsstätten der Menschen, welohe das
Auge aus der Vogelperspective überschaut, so wird der-
selbe dooh gewaltig gesteigert, wenn es uns vergönnt ist,
von einem so erhabenen Punkte aus den Blick frei schwei-
fen zu lassen in eine neue, uns noch so fremde Welt hinein.
Die isolirte Erhabenheit dieses Berges über die ganze um-
Der Fuji-no-yama und seine Besteigung. 369
gebende Natur die weite Rund-
schau, welche sein Gipfel ge-
währt, die Erinnerung an seinen
Aufbau aus Vuloan’s Schmiede
und die poetische Deutung des-
selben durch die japanische Sage,
endlich auch der Anblick der mit
uns staunenden Pilger: dies Al-
les kann das Gemüth wohl fes-
seln und tief ergreifen.
Der Durchmesser des Panora-
ma’s vom Fuji-san berechnet sich
auf etwa 32 Meilen. Besondere
Farben kennzeichnen das Meer,
den Landsee, die Culturstätte im
Thal, die Hara, den Wald, die
nackte Felswand und den kahlen
vulcanischen Gipfel. Zwei Hügel
ragen als höchste Gipfel des Fuji
über den Rand des Kraters be-
sonders hervor, ‘der Kengamine
(Schwertspitze) auf der nordwest-
lichen Seite und der etwa gleich
hohe Komagatake (Fohlenberg)
auf der Südostseite, ungefähr
5 Minuten Wegs von dem Tem-
pelchen entfernt. Auf letzteren
beziehen sich alle Höhenangaben,
während die Japaner den Kenga-
mine als den eigentlichen Gipfel
ansehen. Vom Komagatake aus
erscheint die Südwestspitze der
reich bewaldeten Halbinsel Idzu,
das Cap Sakura, genau südlich ;
gen Südost erblicken wir den
Topographische Skizze des Fuji-no-yama-Gipfels.
Nach Dr. R. v. Drasche und Dr. J. Rein entworfen von B. Hassenstein.
Maassstab etwa 1:12 500.
a: Krater-Ebene, 167 m unter Yakushinatake, mit Schwemmsand und Schuttmassen bedeckt.
b: Eingefsllene Kraterseite, von welcher der Zugang zum Kraterboden möglich ist.
© : Isolirter Pfeiler, Rest des alten Kraters.
sohönen Hakone-See oder See von 4: Kleiner Krater mit Zugang von Norden.
Tögitsu (Tögiten no Kosui), wie er zu Kämpfer's Zeit hiess,
und rings herum die vulcanischen Gipfel des nach ihm be-
nannten schönen und vielgepriesenen Hakone-Gebirges;
noch weiter und etwas mehr rechts erscheint die Bucht
von Odawara und im fernen Hintergrunde diejenige von
Yedo. Im Süden erblicken wir die fischreiche Sugaru-
Bucht, um welche sich der von Hakone kommende Tokaido
windet, und näher die Theelandschaft von Suruga.
Die unbeschränkteste Aussicht nach Norden und Westen
gewährt der Kongamine, Da überschauen wir vor Allem
die Provinz Kai oder Koshiu mit ihren hohen Grenzgebir-
gen und der davon eingeschlossenen fruchtbaren Ebene in
850 Meter mittlerer Höhe, in der wir neben anderen Orten
auch die Hauptstadt Kofu gewahren. Nicht weit davon
sind die Orte, welche den Bewohnern der Landeshauptstadt
die besten Trauben, die Koshiu no Budo, liefern. In der-
selben Richtung erhebt hinter vulcanischen Vorbergen der
mächtige Kimpozan, von dem die berühmten japanischen
Bergkrystalle (Suishö) kommen, sein stolzes Haupt, und
noch weiter im Hintergrunde erblickt man den Kegel des
Asama-yama mit der ihm entsteigenden scharf begrenzten
Wolke am Himmel. Wendet man den Blick von hier mehr
westwärts, so fällt vor Allem das weite Geröllbett des Fuji
Kawa auf, und dahinter der lang gestreokte Yatsugatake
oder Achtgipfelberg. Über die breite Einsenkung, die links
von demselben das Gebirge zeigt und durch welche der
Weg von Kofu zum Suwa-Kö (Suwa-See) in Shinano und
an den Nakasendo führt, hinweg, gewahrt man im fernen
370 Der Fuji-no-yama und seine Besteigung.
Hintergrunde die mächtigste Bergkette Japans, das Shi-
nano-Hida-Schneegebirge. Die steil aufsteigenden Felswände
desselben und die langen Schneestreifen in den Schluchten
und Sätteln sind trotz der ansehnliohen Entfernung selbst
für's blose Auge deutlich erkennbar. Noch mehr west-
wärts, unter 62—64° NW, erhebt sich der hohe Rücken
des Ontake oder Mitake. Auch nach Westen, wo im Ge-
biete des Hayagawa (schneller Fluss), eines linken Neben-
flusses des Fuji Kawa, bei Amabata mura jener hoch-
geschätzte dunkle Schiefer (Amabata-ishi) gebrochen wird,
der für ganz Japan die Tuschschalen liefert, erscheint noch
mancher bemerkenswerthe Berg, und bekunden einzelne
durch ihre Schneelager eine beträchtliche Höhe.
Als die Sonne sich senkte und zum Rückzug mahnte,
verliessen wir, erwärmt und erfrischt durch ein süsses Ge-
tränke aus Reis, Ama Sake genannt, das uns in einer der
kleinen Chayas gereicht wurde, den Gipfel, und wandten
uns in glücklicher Stimmung unserem Nachtquartier auf der
achten Station zu. Auf dem Wege wurden wir durch den
Anblick der grossartigen Licht- und Wolken-Effecte über-
rascht, welche der klare Sonnenuntergang in der Tiefe
hervorrief, und die ich zu den fesselndsten Erscheinungen
rechnen muss, welche ich je in meinem Leben zu beobachten
Gelegenheit hatte. Nach Südosten und Süden breitete sich
tief unter unseren Füssen ein weisses, unermessliches Wol-
kenfeld aus. Zuweilen erschienen die einzelnen leichten
Wolkenmassen unbeweglich und erinnerten in ihrer gro-
tesken Anordnung lebhaft an die starren Eis- und Sohnee-
landschaften der Polarregion, wie sie uns durch Wort und
Bild veranschaulicht wurden. Dabei ragten die Gipfel der
höchsten Berge von Idzu und des Hakone-Gebirges über
den Schleier hinweg und erschienen darauf als dunkle,
scharf begrenzte Schatten. Dann wieder schien Alles leben-
dig zu werden und gerieth in bunte unruhige Bewegung,
begleitet von einem beständigen Wechsel der Farben und
der Vertheilung von Licht und Schatten. Der Hakone-See
war zeitweise deutlich sichtbar. Sein Wasserspiegel hatte
das Aussehen einer im Abendroth eines klaren kalten Win-
tertags violett erglühenden Eisfläche, umgeben von mäch-
tigen Schneemassen. Nach einer Weile warf der Fuji-san
seinen langen spitzen Schattenkegel ostwärts über diess
majestätische Bild, einen Schatten, der an Intensität mit
jeder Secunde zunahm, endlich in tiefem Blau erschien und,
beständig sich verlängernd, bald am östlichen Horizont sich
erhob und in überraschender Weise abstach gegen die vio-
letten und feurigen Wolkenstreifen des Firmaments, welche
er senkrecht durchschnitt. Aber in dem Maasse, in wel-
chem er hier emporstieg, verschwand seine Basis und wurde
eine neue, der Spitze immer näher rückende geschaffen.
Zugleich verlängerte sich dieselbe mehr und mehr, stumpfer
und immer kürzer wurde der Schattenkegel, bis endlich die
letzten Sonnenstrablen auch für den Gipfel des Fuji zu
hoch in den Weltraum stiegen und das ganze Bild wie ein
Phantom sich auflöste und verschwand.
Um auch eine andere Seite des Fuji näher kennen zu
lernen, schlugen wir am anderen Morgen von der achten
Station aus den Weg nach Subashiri ein. Rasch ging es
über die mächtige Aschenlage, worin man tief einsank, mit
Hülfe des Alpenstocks hinunter zur Waldesgrenze, wie der
geübte Alpensteiger über das Sohneefeld hinunterfährt. Wir
kamen durch analoge Vegetationsformationen, wie die be-
reits beim Aufstieg kennen gelernten, bereicherten und er-
gänzten unser Herbar noch durch manche bemerkenswerthe
Pflanze und erreichten zeitig Subashiri, einen Ort von
ähnlichem Charakter wie Yoshida. Hier wurde in einem
Tempel übernachtet, das Tagebuch geordnet und das Ge-
sammelte in Sicherheit gebracht, worauf wir am folgenden
Tage unseren Weg ostwärts fortsetzten, erst hinab nach
Gotemba, dann wieder aufsteigend über den Pass von
Otomi (Otomi-töge) zum Hakone-Gebirge.
Die drei berühmtesten Naturforscher und Ärzte im
Dienste der holländischen Compagnie, Kämpfer, Thunberg
und v. Siebold, denen wir früher fast ausschliesslich unsere
Kenntniss über Japan verdankten, erwähnen wiederholt des
Fuji-no-yama. Auf ihrem Wege von Nagasaki nach Yedo,
der Hauptstadt der Shögune, längs des Tokaido trat ihnen
seine mächtige Gestalt, welche Thunberg mit dem Horn
eines Rhinoceros vergleicht !), wiederholt vor die Augen.
Aber damals war es schon eine seltene Vergünstigung für
den Fremden, wenn er in geschlossener Sänfte unter star-
ker Bedeokung Yedo besuchen und den Berg sich aus der
Ferne betrachten durfte; eine Besteigung desselben konnte
er vor der Perry- Expedition nicht ernstlich in Betracht
ziehen. Heutzutage gehört eine solche sogar zum Programm
manches Globe-Trodder’s2), während es für den länger in
Japan verweilenden fremden Gelehrten und Kaufmann sich
fast von selbst versteht, dass er einmal dem Zuge der Pil-
ger folgt.
So ist denn der Fuji-san während der letzten 18 Jahre
von mehreren hundert Fremden bestiegen worden, von
denen jedoch nur wenige in der Lage waren, dadurch zur
Erweiterung unserer Kenntnisse beizutragen. Die meisten
Besteiger begnügten sich, wie leicht begreiflich, mit dem
allgemeinen Touristen-Interesse, ja bei einzelnen hat sich
dasselbe in die Frage zugespitzt: „In wie viel Stunden kann
man von Subashiri aus den Gipfel erreichen und wieder
%) Thunberg: „Besan til Hofrvet” in Resa III, p. 178.
?) Globe-Trodder ist in sehr beseichnender Weise von den Eng-
ländern jene Uategorie von Reisenden genannt worden, die, wenn auch
nicht in 80 Tagen, so doch ohne Zeit und Lust su eingehenden Studien
eine Spasierfahrt um die Welt macht,
Der Fuji-no-yama und seine Besteigung. 371
zurück sein?” Es ist gezeigt worden, dass ein rüstiger
Bergsteiger in 7% Stunden hinauf und in wenig mehr als
3 Stunden wieder herunter gelangen kann. Die Lösung
solcher Fragen hat für den Naturforscher nur nebensäch-
liches Interesse, während ihm ein jeder, wenn auch noch
so bescheidener Beitrag zur allgemeinen naturwissenschaft-
lichen Erforschung eines in vieler Hinsicht so interessanten
Gebietes immer willkommen sein wird.
Das Verdienst, den Fuji-san unter allen Fremden zu-
erst bestiegen und zuerst eingehendere Nachrichten über
denselben verbreitet zu haben, gebührt Sir Rutherford
Aloock, dem Vioepräsidenten der R. Geographical Society in
London und früheren englischen Gesandten in Japan. Mit
sahlreichem Gefolge reiste er Anfang September 1860 von
Yedo den Tokaido entlang über Hakone bis Yoshiwara und
wandte sich dann rechts nach Maruyama am stdliohen Fusse
des Berges, den er am 10. September bestieg. Im Journal of
the R. Geogr. Society vom Jahre 1861 findet sich eine
nähere Beschreibung dieser Reise, aus der namentlich die
Höhenangaben und pflanzengeographischen Notizen in zahl-
reiche Werke übergegangen sind. Nach der Bestimmung
eines der Begleiter von Aloock, des Lieutenant Robinson,
ist der Fuji-no-yama 14177 engl. Fuss oder 4321 Meter
hoch, eine Angabe, welche die späteren zuverlässigeren Be-
stimmungen um etwa 600 Meter übertrifft, aber dennoch
beharrlich in zahlreichen Geographiebüchern weiter geführt
wird. Einen noch viel grösseren Fehler machte Robin-
son bei Bestimmung der Höhe des Hakone-Soes, welche er
zu 6250 Fuss (1905 Meter) angiebt, während alle neueren
Berechnungen nur zwischen 690 und 800 Meter schwan-
ken. Die zuverlässigsten Bestimmungen der Höhe des Fuji
stammen von E. Knipping, der im Sommer 1873 sich
14 Tage lang auf dem Gipfel des Berges aufhielt und als
Mittelwerth seiner zahlreichen Barometer-Ablesungen und
den von ihm veranlassten gleichzeitigen in Numadzu am
Meer die absolute Höhe von 3729 Meter ableitete !), Ich
würde diesen Werth ohne Weiteres adoptirt haben, wenn
nicht in neuester Zeit ein Mr. R. Stewart vom japanischen
Vermessungsbureaun 12365 engl. Fuss (3769 Meter) als
Höhe des Fuji gefunden hätte und nicht meine eigene Be-
stimmung mit Goldschmid Nr. 52, welche 3745 Meter ergab
(mit Naudet 250 Meter weniger), zwischen die Knipping’.
sche und diese treten würde. Im Jahre 1876 bestieg der
österreichische Geolog Dr. R. v. Drasche mit dem Photo-
graphen Baron Stillfried den Fuji, worüber er im Jahrbuch
der österr. Geologischen Reichsanstalt von 1877 näher be-
richtet hat. Diese Besteigung gewinnt noch ein besonderes
ı) E. Knipping: Gleishzeitige Barometer-Beobachtungen am Gipfel
und am Fusse des Fuji-yama in Heft II der Mittheilungen der deutschen
Gesellschaft &c. Ostasiens. Yokohama 1873.
Interesse dadurch, dass Baron Stillfried dabei in die Lage
kam, vier photographische Aufnahmen des Kraters zu be-
werkstelligen, die indess kein besonderes deutliches Bild
von der Örtlichkeit gewähren.
Wir kommen nun zum letzten Theil unserer Betrach-
tungen, in welohem wir dem geologischen Aufbau des Fuji-
san, so wie seiner Vegetation uns zuwenden. Es kann
hierbei selbstverständlich von einer erschöpfenden Darstel-
lung keine Rede sein, welohe Solchen vorbehalten bleiben
muss, die das Glück haben, monatelang den Berg nach al-
len Richtungen und bezüglich der Vegetation auch zu ver-
schiedenen Jahreszeiten zu durchforschen. Wir begnügen
uns vielmehr mit dem Bewusstsein, das bereits Bekannte
ergänzen und erweitern zu können, so sehr es auch Stück-
werk bleibt, was wir zu bieten vermögen.
Eine alte japanische Sage lässt nach dem Willen der
Götter im Jahre 286 v. Chr. den Fuji-san in einer Nacht
gleichzeitig mit dem berühmten Biwa-Ko (Biwa-See) östlich
von Kioto entstehen !), Es ist möglich, dass sich dieselbe
an die erste Eruption anlehnt, die selbstverständlich, wann
sie immer auch vorgekommen sein mag, den Berg nicht zu
seiner heutigen Höhe aufbaute. Weitere Ausbrüche sollen
nach japanischen Chroniken in den Jahren 799, 864, 936,
1082, 1649 und 1707 Statt gefunden haben. Es ist den-
selben weiter zu entnehmen, dass mehreren dieser Erup-
tionen heftige Erdbeben und Überschwemmungen an der
Küste (Erdbebenfluthen) vorausgingen, so namentlich dem
letzten verheerenden Ausbruch von 1707, über welchen
zahlreiche Aufzeichnungen von Augenzeugen vorliegen, die
theilweis von Dr. E. Naumann gesammelt und übersetzt
worden sind ?2). Bei dieser Eruption, welche vom 24. No-
vember 1707 bis zum 22. Januar 1708 dauerte, öffnete
sich auf der Südseite des Fuji ein neuer Krater und es
baute sich der parasitische Kegel des Höyeisan auf, dessen
Höhe von Marshall im Herbst 1877 zu 9400 engl. Fuss
(2865 Meter) bestimmt wurde ?).
Über diese furchtbare Eruption berichtet unter Anderen
ein Priester, dessen Tempel 2 Meilen vom östlichen Fusse
des Fuji-san entfernt war, wie folgt: „Gewiss ist es ein
seltenes Vorkommen, dass, wie es im Jahre 1707 der Fall
war, der Fuji-no-yama an einer Stelle, die mit stolzen
Bäumen überwachsen war, plötzlich sich öffnete, um Feuer
!) Milton, gleichsam als hätte er diese Sage gekannt und benutzt,
schreibt im „Paradise Lost”, VII, p. 300:
„So high as heaved the tumid hill, so low
„Down sunk a hollow bottom broad and deep,
„Orpacion bed of water«’'.
3) Erdbeben und Vulkanausbrüäche in Japan von Dr. E
Naumann. Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft &c. Ostasiems.
15. Heft. 1878.
s) D. H. Marsball: Notes on some of tbe volcanie mountains iz
Japen. Transactions of the Asistic Society of Japan. Vol. VI, Part II.
1878.
372 Der Fuji-no-yama
zu speien, dass Steine und Asche umherfliegen und auf
Kunis (Provinzen) und Koris (Kreise) niederfallen. Dieser
Stein- und Aschenregen hielt 10 Tage lang an, so dass
Felder, Tempel, Häuser &. mit den Auswurfamassen über
10 Fuss hoch bedeckt wurden. Die Bewohner der Fuji-
Umgebungen verloren ihr Heim und gar viele starben Hun-
gers. Von zahlreichen Dörfern ist keine Spur mehr zu
entdecken. Ich selbst bin einer der unglücklichen Augen-
zeugen dieses schrecklichen Ausbruches und die Erinnerung
daran erfüllt mich mit Sohmerz und Weh”. Dann werden
mit lebhaften Farben alle Schrecken und Verwirrungen ge-
malt, welche die den Tag in dunkle Nacht verwandelnden
Aschenmassen, welche die Luft erfüllten, die hindurchfah-
renden zischenden und zerspringenden glühenden Steine
und das dumpfe Getöse der Erdstösse hervorriefen. In
Yedo herrschte nach einem anderen Berichterstatter zur
selben Zeit Finsterniss Tag und Nacht, die Erde zitterte
und der Aschenregen fiel immer dichter und bedeckte end-
lich 8 Zoll hoch Dächer und Strassen. Dabei hörte man
das Geräusch vom Fuji her ganz deutlich, Aber noch
weiter ostwärts bis zu den Gestaden des Stillen Oosans,
den Küsten von Shimosa und Awa-Katsuss trugen die
Winde den dunkeln Aschenregen.
Die Spuren dieser gewaltigen und verheerenden Eruption,
so wie mehrerer früheren, finden wir zahlreich und weit
verbreitet. Mit Vegetation überwucherte Lapilli bedecken
die Hara und nähere Umgebung des Berges, und wo in
grösseren Entfernungen den oultivirten Thälern und der
und seine Besteigung.
grossen Ebene von Kuwanto üppige Saaten entspriessen,
geschieht es auf einem Boden, bei dessen Bildung und
eigenthümlicher Zusammensetzung die Asche des Fuji-san
wesentlich mitwirkte. Sonst aber hat die vulcanische Thä-
tigkeit des Berges such in ihren letzten Nachwirkungen
längst aufgehört, ohne dass natürlich Jemand sagen könnte
auf wie lange. Da ist kein Kraterrand, noch sonstiger Ort
am Fuji, der die Fussschlen erhitzt, kein Gas oder Dampf,
welche sich aus Spalten hervor ihren Weg bahnten, keine
heisse Quelle, um die unterirdische Hitze anzudeuten.
In den letzten Jahrhunderten haben bei fast allen vul-
canischen Eruptionen Japans lose Auswürflinge die Lava-
ströme weit überwogen. Die älteren doleritischen oder
trachytischen Gesteine aber zeigen nur ausnahmsweise jene
ruinenartigen oder mauerähnlichen Formen wie anderwärts,
noch finden wir sie als groteske Felsmassen zu steinernen
Meeren wild neben und über einander gelagert, wie auf
Island und den Canarien. Vielmehr haben Verwitterung,
Erosion und Vegetstion, gefördert durch reiche Nieder-
schläge und warme Sommer, mächtig auf sie eingewirkt und
ihren Charakter vielfach verändert, so auch beim Fuji-san.
Wer sich nach den gewöhnlichen irrigen Vorstellungen
unter jedem Vulcan einen Kegel denkt, kann kaum ein
besseres Muster finden als den Fuji, denn wenn auch para-
sitische Anhängsel in Wirklichkeit die reine Kegelgestalt
wesentlich beeinträchtigen, so schwindet dieser Einfluss doch
für das Auge, welches den Berg aus grösserer Entfernung
betrachtet.
Profil des Fuji-no-yama von Norden nach Süden,
Wahres Verhältniss des Längen- zum Höhenmasssstab.
Das beifolgende Profil wurde nach Winkelmessungen
auf der Yoshida-Seite angefertigt und stimmt im Wesent-
lichen mit einer Photographie des Berges, nicht aber mit
den gewöhnlichen bildlichen Darstellungen, die immer viel
zu steil ausfallen, wie diess auch bei Zeichnungen anderer
Vulcane Regel ist.
Die Hara hat einen Böschungswinkel von 12—13 Grad,
streckenweis auch nur halb so viel. Mit dem Eintritt in
den Wald nimmt jedoch die Steilheit beträchtlich zu und
beträgt im Durchschnitt 23—24 Grad für die Zone zwi-
schen 1500 und 2400 Meter Höhe; dann folgt zwischen der
sechsten und siebenten Station oberhalb der Grenze des Holz-
wuchses ein nochmaliges Wachsen des Neigungswinkels auf
25—30 Grad, das an den steilsten Stellen auf 35 Grad steigt.
.
Der Fuji-no-yama und seine Besteigung. | 373
Diese drei Hauptstufen der Steilheit sind durchaus natur-
gemäss. Sie hätten sich in Folge der verschiedenartigen
Wirkung der Erosion auf die drei grossen Vegetationszonen
selbst dann allmählich herausbilden müssen, wenn sie nicht
schon durch die Ablagerung von fortgeschleuderten Aschen-
und Lapilli-Massen am Fusse bei der Bildung des Berges
zum Theil bereits entstanden wären. In der oberen Zone,
wo die Vegetation nur noch stellenweis und spärlich den
Boden bedeckt, müssen heftige Winde und Regengüsse in
viel höherem Grade denselben angreifen und abtragen als
in der Waldregion. Aber der Impuls, mit welchem die
Wassermassen von oben in dieser ankommen, reicht meist
noch aus, um die angefangenen Erosionsthäler weiter zu
führen, und so verästeln sich denn viele derselben erst mit
ihrer Ausbreitung in der Hara. Hiermit verliert aber das
Wasser einen grossen Theil seiner T'ragkraft, so dass viel
von dem darin suspendirten Material zur Ablagerung kommt,
und zwar nicht bloss an der Waldesgrenze, sondern tiber
die ganzen unteren Partien des Berges und namentlich auch
am F'usse, der dadurch allmählich weiter vorgeschoben wird.
Die Gestalt eines Vulcans ist von mancherlei Umstän-
den abhängig, unter welchen die Beschaffenheit des Aus-
wurfsmaterials und — bei vorherrschend losem — auch die
herrschende Windrichtung zur Zeit der Eruption, vor Allem
aber die Umgebung des Kraters, so wie bei erneuten Aus-
brüchen die gegenseitige Lage der auf einander folgen-
den Krater, von grösster Bedeutung sind. Die Kegelform
wird sich in der Regel bei Stratovulcanen nur da finden,
wo die Eruption kein anderes Gebirge durchbricht, sondern
ein ringsum freier Aufbau möglich ist, wo ferner bei er-
neuten Ausbrüchen die jüngeren Krater zu den früheren
eine mehr oder weniger concentrische Lage haben und der
Aufbau älterer Ausbrüche durch die neueren nur fortge-
setzt wird. In hohem Grade scheint diess beim Fuji-san
der Fall gewesen zu sein, so dass durch die Eruptivmassen
späterer Ausbrüche die Krater der älteren überdeckt und
umhüllt worden sind. |
Wie in den jüngeren Eruptionsstadien der meisten japa-
nischen Vulcane, so haben auch beim Fuji lose Auswürf-
linge die Lavaerglisse weit übertroffen. Doleritisches Mate-
rial herrscht hier in einer Weise, dass nirgends, auch bei
anscheinend älteren Ablagerungen von den kieselsäurerei-
cheren Gesteinen, wie Trachyt und Obsidian, eine Spur zu
erkennen ist.
Eine graue compacte und feinkörnige Lavamasse der
alten Kraterwand wurde von meinem Freunde, Herrn Pro-
fessor v. Fritsch und dessen Assistenten, Herrn Dr. Lü-
decke in Halle, mikroskopisch und chemisch näher unter-
sucht. Das Mittel aus vier Analysen ergab als chemische
Zusammensetzung desselben 52,6 Proc. Kieselsäure, 16,8 Proo.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft X.
Thonerde, 13,06 Proc. Eisenoxydul, 2 Proc. Magnesia,
14,6 Proc. Kalk, 0,9 Proo. Kali und 0,1 Proo. Natron, so
dass die Bezeichnung doleritische Lava durchaus gerecht-
fertigt: ist.
Der Thierwelt konnte am Fuji keine besondere Auf-
merksamkeit zugewandt werden. Von Vögeln vernahm ich
häufig den Ruf des gewöhnlichsten der beiden Fasane oder
Kiji (Phaseanus versicolor, Sohl.) und den Gesang der japa-
nischen Nachtigall oder Unguisu (Ficedula coronata, Schl.),
so weit nur Wald und Gebüsch emporsteigen. Zwischen
der achten und neunten Station in etwa 3400 Meter Höhe
wurde noch eine Lerchenart, Suma-hibari genannt, wahr-
genommen; auch soll hier oben, wie in der Nähe der Gipfel
anderer Vulcane, im Sommer eine Tsubame oder Schwalbe
(Hirundo alpestris japonica, Schl.) nicht selten sein, die aber
bereits abgezogen war. Fliegen fand ich noch unter Lava-
stücken am Krater, keine Käfer oder Spinnen.
Ein besonderes Interesse wurde der Flora zugewandt;
ist sie es doch, die vor Allem dem Lande der aufgehenden
Sonne und dessen Bergen einen so eigenartigen, lieblichen
Charakter verleiht. Überdiess gab es auf diesem Gebiete
noch so manche wichtige Frage zu lösen, dass ich mit
Freude jede Gelegenheit ergriff, dabei mitzuwirken.
Auf der Südseite steigt in der Provinz Suruga die Cultur-
region von der Meeresküste allmählich mit den Thälern
und Vorbergen empor bis zu 600, ja 700 Meter Höhe.
Sehen wir ab von den gewöhnlichen Sommergewächsen der
Felder, so ist vor Allem der Anbau des Theestrauches
(Thea chinensis, Sims.), dann der Mitsumata (Edgeworthia
papyrifera, S. & Z.), deren Bast das glänzende, feine Suruga-
papier (Suruga-banshi) liefert, und des japanischen Ölbaums
oder Aburagiri (Elaeocooca cordata, Bl.) bemerkenswerth.
Doch wir verweilen nicht weiter auf dieser Stufe, wenden
ung vielmehr gleich den bereits früher erwähnten und nach
ihrer Höhenlage näher bestimmten drei grossen Vegetations-
formationen des Fuji-san zu: der Hara, dem Walde und
dem alpinen Gürtel, in die der Mensch noch wenig ein-
gegriffen hat, woselbst wir also das Schalten der japanischen
Natur in seinem wahren Wesen zu erkennen vermögen.
Die Hara ist eine in den verschiedensten Lagen von
300—2500 Meter Höhe sehr häufige Vegetationsformation
Japans, welche am meisten an unsere Wald- und Berg-
wiesen erinnert, am F'iusse der mächtigen Vulcane aber be-
sonders weite Areale iiberdeckt und einen Gürtel von ver-
schiedener Breite bildet, der beim Fuji, wie schon ange-
führt wurde, zwischen 700 und 1500 Meter Höhe liegt.
Viele Wasserrinnen, oft zu steilwandigen Barancos schluchten-
artig vertieft und an den Böschungen mit Erlen, Deutzien,
Diervillien, Azälien und anderem Gebüsch bewachsen, durch-
ziehen diese grosse baumlose Fläche, aus der an manchen
48
374 Der Fuji-no-yama und seine Besteigung.
Stellen noch dunkle, schwammartig durchlöcherte, scharf-
zackige Lavamassen hervorschauen, welche sonst die vuloa-
nische Asche und darauf ein grüner Pflanzenteppich meist
überdeckt und verhüllt hat. Die Hara weist indess keine
dichten Graspolster, wie unsere Wiesen auf; ein buntes
Gemisch von Gräsern, Kräutern und Halbsträuchern, so
wie einigen Farnkräutern, die nirgends zu einem sehr dich-
ten Rasen und Gewebe verschmelzen, kennzeichnet dieselbe.
Es ist ein O hana batake (grosses Blumenfeld), wie in be-
zeichnender Weise eine Hara im Gebirge von Nikko auf
der Nordseite des Nantaisan heisst, worin wir manche alte
gute Bekannte unserer Gebirgswiesen oder ihnen nalıe-
stehende Formen in seltsamer Gesellschaft mit beliebten
Zierpflanzen und vielen Fremdlingen wiederfinden.
Zu den hervorragendsten europäischen Pflanzenformen
der Hara des Fuji-san gehören nämlich: verschiedene Veil-
chen (Viola Patrini, DC.; V. Riviniana, Rechb.; V. Reichen-
bachiana, Jord.; V. japonica, Langsd.) und ein Kreuzkraut
(Polygala japonica, Houtt,); braune Wiesenknöpfe (Pote-
rium tenuifolium, Fisch.) ; Hasenohr (Bupleurum falcatum, L.)
und Bibernelle (Pimpinella magna, L.; P. sinica, Hance);
Labkräuter (Galium verum, L.; @. boreale, L.; G. pogo-
nanthum, F. & 8.; G. trachyspermum, L.); hellblaue Sca-
biosen (Scabiosa japonica, Mig.); verschiedene Compositen
(Arnica angustifolia, Vahl; Senecio campestris, DC.; 8. Kaem-
pferi, DC.; 8. clivorum, Max.; S. flammeus, DC.; Saussurea
gracilis, Max.; 8. triptera, Max.; 8. japonica, DC.; Serra-
tula coronata, L. und andere mehr); Glockenblumen (Campa-
nula punctata, Lam.; Adenophora verticillata, Fisch.); der
gemeine Augentrost (Euphrasia officinalis, L.); Brunellen
(Prunella vulgaris, L.; Pr. grandiflora, Jacqg.) und Gtinsel
(Ajuga genevensis, L.); Sauerampfer (Rumex Acetosa, L.)
und Hirschzunge (Polygonum Bistorte, L.); Flachs (Linum
stelleroides, Pl.) und Leinblatt (Thesium decurrens, BI.);
ferner von Monocotyledonen: verschiedene Orchideen (Habe-
naria, Cephalanthera, Platanthera, Listera und Spiranthes
australis, Leidl.); Hainsimsen (Luzula ocampestris, DC.);
Riedgräser (Carices) und verschiedene Gräser (Agrostis pe-
rennans, Puckerm.; Calamagrostis robusta, F. & 8.; Aira
flexuosa, L.; Trisetum oernuum Trin.; Poa pratensis, L.;
Koelleria crista, Perls.; Andropogon Schoenanthus, L.), und
von Farnkräutern Ophioglossum vulgatum, L.; Osmunda
regalis, L. und Pteris aquilins, L.
Dagegen vermissen wir auf der Hara fast alle Ranun-
keln und Nelken unserer Gebirgswiesen, ferner viele Papi-
lionaceen (Trifolium, Medicago, Melilotus, Genista, Ononus,
Anthyllis, Lathyrus pratensis). Besonders auffallend ist auch
das Fehlen einer Reihe allbekannter Compositen (Hiera-
cium, Hypochoeris,‘ Scorzonera, Crepis, Cineraria, Bellis,
Chrysanthemum), des Quendel und Heidekrautes, so wie
von einer Anzahl der gewöhnlichsten Wiesengräser (Antho-
xanthum, Phleum, Alopecnrus, Briza, Dactylis, Avena, Ses-
leria, Lolium, Nardus).
Unter den fremden Charakterpflanzen der Hara treten
namentlich hervor: die staudenartigen Schmetterlingsblüthler
Lespedeza und Indigofera in mehreren Arten; ferner ist
hier die Heimath vieler Schwertlilien und Lilien, Arten
der Gattungen Iris, Pardanthus, Aletris, Lilium, Hemero-
callis, Funkia, welche mit ihren grossen weissen, blauen
und gelben Blüthen dieser Region zur besonderen Zierde
gereichen. Gleiches gilt von einem der schönsten und be-
liebtesten Gräser Japans, der Eulalia japonica, Trim. Auf
der Hara des F'uji-no-yama begegnen wir auch dem be-
kannten Pyrus japonica sehr häufig, welcher als sehr nie-
driger Strauch auch an trookenen Rainen und in lichten
Gebüschen vorkommt. Gleiches gilt von Azalien, Deutzien
und Diervillien. Auch treten aus dem benachbarten Walde
nicht selten Erlen und Weiden, Quercus dentata und an-
dere Holzgewächse strauchartig und stellenweis in derselben
auf, so dass der Übergang in den eigentlichen Wald da-
durch vermittelt wird.
Dieser Wald umgiebt die Lenden und Schultern des
Fuji ringsum bis zu 2300 Meter, ja wenn man seine letzten
krüppelhaften Vorposten noch mitrechnet, bis zu 2500 Meter
Höhe. Wir müssen hier zunächst der noch immer verbrei-
teten und den beschränkten Beobachtungen in der Umge-
bung der bekannten Hafenorte, so wie des Binnenmeeres
entnommenen Behauptung entgegen treten, dass in Japan
der Nadelwald vorherrsch. Im Gebirgswald, der allein
noch den Charakter der Urwüchsigkeit trägt, tritt vielmehr
das Laubholz entschieden in den Vordergrund, während
die Coniferen nur in gewissen Regionen geschlossene Be-
stände bilden. Einen solchen finden wir auf der Yoshida-
Seite gleich nach dem Übergang aus der Hara, wo Abies
polite, S. u. Z.; Ab. bioolor, Maxim.; Ab. firma, S. & Z,,
so wie Larix leptolepis, Gord. in bunter Mischung erschei-
nen und die graue Bartflechte (Usnea sp.) in langen Zöpfen
von den Ästen herunterhängt. Bald aber erlangt das An-
fangs nur zerstreut auftretende Laubholz das Übergewicht
(auf der Subashiri-Seite und in vielen anderen Fällen schon
mehrere hundert Meter tiefer), und wir gelangen in einen
bunten Mischwald von weiter Erstreckung, wo die Mannig-
faltigkeit der auf engem Raume neben einander auftretenden
meist nur sommergrünen Bäume, Sträucher und Kräuter oft
geradezu verwirrt. Sie alle aufzuzählen hiesse Hunderte von
Namen nennen. Es mögen daher hier nur diejenigen der
hervorragendsten Bestandtheile eines solchen japanischen
Bergwaldes, wie wir ihm am Fuji begegnet sind, folgen:
Blattwechselnde Eichen, Buchen und Ahorne stehen
ibrem häufigen Auftreten nach unter den Gliedern des
Der Fuji-no-yama und seine Besteigung. 375
Hochwaldes oben an. Zu ihnen gesellen sich Hainbuchen,
Birken, Linden und Eschen, Nussbäume, Rosskastanien,
Magnolien und baumartige Aralien, die an Höhe und
Stärke der Stämme mit einander wetteifern. Die bier
vor Allem in Betracht kommenden Arten der genannten
Gattungen sind: Quercus crispula, Bl.; Qu. glandulifera, B.;
Qu. serrata, Thbg.; Fagus Sieboldi, Endl.; Zelkowa Keaki,
Sb.; Carpinus laxiflora, BL; C. oordata, Bl.; Juglans Sie-
boldiana, Max.; Pterocarya rhoifolia, 8. & Z.; Acer japo-
nioum, Thbg.; Ac. pietum, Thbg.; Ac. carpinifolium, 8. & Z.;
Ao. cissifolium, Koch; Betula alba, L.; Tilia cordata, Mill.;
Fraxinus longicuspis, S. & Z.; Magnolia hypoleuca, 8. & Z.;
M. Kobus, DC.; Cercidiphyllum japonicum, S. & Z.; Acan-
tbopanax ricinifolia, S. &. Z.; Aesoulus turbinsta, Bl.
Von bemerkenswerthen Kletter- und Schlingpflanzen,
welche im japanischen Laubwalde mit den Hochstämmen
und Kronen der genannten und anderer Bäume emporstre-
ben, nennen wir vor Allem verschiedene Arten von Acti-
nidia: Evonymus radicans, Sb.; Vitis Labrusca, L.; Rhus
Toxicodendron, L., var. radicans; Wistaria chinensis, 8.
& 2.; Schizophragma hydrangeoides, S. & Z.; Kadsura japo-
nica, L., während Akebia, Clematis und andere Schlinger
sich mehr an die Gebüsche der Waldränder und Hügel-
landschaften halten. Artenreich sind die schönen Farnkräuter,
welche den schattigen Boden bedecken, wie nicht minder
diejenigen, denen alte Stämme zur Unterlage dienen.
Den Artenreichthum der Holzgewächse und die Mannig-
faltigkeit in der Zusammensetzung eines japanischen Berg-
waldes möge ferner folgendes Verzeichniss der von mir am
Fuji-san beobachteten Sträucher oder niederen Bäume ver-
anschaulichen: Scohizandra nigra, Max.; Trochodendron arali-
oides, S. & Z.; Stachyurus praecox, 8. &. 2.; Zanthoxylum
piperitum, DC.; Evonymus Sieboldiana, Bl.; Rhamnus japo-
nica, Max.; Acer rufinervee, 8. & Z.; Staphyllea Bumalda,
S. & Z. Meliosma rigida, 8. & Z2.; Rhus semialata, Murr.
und R. sylvestris, 8. & Z.; Albizzia Julibrissin , L.; Cra-
taegus alnifolia, 8. & Z.; Hydrangea panioulata, Sb.; Ribes
alpinum, L.; Hamamellis japonica, S. & Z.; Osbeckia cohi-
nensis, L.; Lagerstroemia indica, L.; Marlea platanifolia,
S. & Z.; Acanthopanax spinosum, Mig.; Fatsia horrida,
Smith; verschiedene Arten von Viburnum, Diervillia, Lo-
nicera, Rhododendron und Andromeda, Symplocos pruni-
folia, S. & Z.; Styrax japonicum, 8. & Z.; Lindera serices,
Bl.; Corylus heterophylia, Fisch., und C. rostrata, Ait.:
Myrica rubra, Alnus viridis, DC.; Al. firma, 8. & 2.;
Al, incana, Wild; Salices, Jnniperus rigida, 8. & Z.; Cepha-
lotaxus drupeaceus, 8. & Z.; Torreya nucifera, 8. & Z.
Zahlreiche Arten von Rubus, Hydrangea und verschie-
denartigen Kräutern übergehen wir und fügen nur noch
einige wenige Notizen über das Vorkommen einiger beson-
ders bemerkenswerther Gewächse innerhalb dieser Region
hinzu.
In 1500 Meter Höhe treten an lichten Stellen auf der
Yoshida-Seite Parnassia palustris, L., und Euphorbia offici-
nalis, L., auf, und auf alten Brandstätten Epilobium an-
gustifolium, L., in 1650 Meter Höhe Majanthemum bifolium,
Wigg.; Oxalis Acetosella, L., und Trientalis europaea L.,
bald darauf ein blauer Eisenhut, Aconitum Fischeri, Rechb.
Zwischen 1900 und 2000 Meter Erhebung, wo der Wald
bereits niedriger und lichter wird, erscheinen Rhododendron
Metternichü, 8. & Z.; Rh, brachyoarpum, Don. ; Pyrus sam-
bucifolia, Cham., so wie von krautartigen Gewächsen Schizo-
codon soldanelloides, S. & Z. und Solidago Virga aurea, L.
Auf der Seite von Subashiri fand ich in etwa 2050 Meter
Höhe zwischen Birken und Erlengebüsch am 2. September
Fragaria vesca, L., mit reifen Früchten und nicht weit
davon Vacoinium Vitis Idaea, L., so wie den Eierschwamm
(Cantharellus cibarius, Fries), von dem ich später Körbe
voll in Subashiri zum Verkauf stehen sah. Bis hierher rückt
auch die schöne und in den Hügellandschaften weit ver-
breitete Campanula punotata, Lam., bergan, deren grosse
Blüthenglocken hier nicht wie sonst blass hellblau, sondern
violett gefärbt sind.
Auf verschiedenen anderen Bergen, z. B. beim Nan-
taisan und Ontake, folgt auf die obere Grenze des Laub-
waldes in etwa 1800-2000 Meter Höhe noch ein ge-
schlossener, dunkler Nadelwald, bestehend aus Abies Tauga,
8.& 2.; Ab. Veitchii, Henk. & Hochst.; zu denen Anfangs
auch noch Larix leptolepis, dann aber Birken, Erlen und
eine Art Eberesche (Pyrus sambucifolia) sich gesellen; dann
erst folgt die lichte, niedrige Buschwaldregion. Am Fuji-
san treten aber diese Nadelhölzer mehr zerstreut auf und
der Übergang in die Zone des Knieholzes zwischen 2200
und 2500 Meter Höhe ist weniger auffällig. Als Knieholz
erscheint auf den Bergen Japans eine Verwandte der Zirbel-
nuss, nämlich Pinus parviflora, S. & 2. Mit ihr verge-
sellschaftet, doch noch viel höher steigend, bemerken wir
Betula alba, L.; Alnus viridis, DC. und Pyrus sambucifolia,
Cham. Hier beginnt denn auch schon das arktisch-alpine
Florengebiet, für welches indess beim Fuji-san weit weniger
Gewächse zu verzeichnen sind, als beim Ontake und Haku-
san. Beobachtet wurden zwischen 2200 und 3400 Meter
Höhe folgende Arten: Coptis trifolia, Salisb.; C. quinque-
folia, Miq.; Arabis serrata, Fr. & Sav.; Stellaria florida,
Fisch.; Astragalus adsurgens, Pall.; Hedysarum esculentum,
Ledb.; Pyrus sambucifolia, Cham.; Cornus canadensis, L.;
Solidago Virga aurea, L.; Vaccinium Vitis Idaea, L.;
V. uliginosum, L.; Cassiope Lycopodioides, Don.; Rhodo-
dendron brachycarpum, Don.; Schizöcodon soldanelloides,
8. & Z.; Trientalis europaea, L.; Polygonum Weyrichii,
48*
376
Fr. Schmidt; Alnus viridis, DC.; Salix Reini, Fr. & Sav.;
Pinus parviflora, Sb.; Majanthemum bifolium und Carex
tristis. Unter diesen gehen Carex tristis, Stellaria florida
und Polygonum Weyrichii am weitesten vor und finden sich
noch oberhalb der achten Station. Eine Anzahl dieser Ge-
wächse, wie Polygonum Weyrichü, Alnus viridis, Schizo-
codon soldanelloides und Trientalis, zeigen ein sehr biegsames
Naturell und gehen durch eine Höhenzone von 1200, ja
1500 Meter, wobei die beiden ersteren stets kleinere For-
men annehmen, während die beiden anderen im Wesent-
lichen ihre Maassverhältnisse festhalten.
IRRE
Reisen in Central-Asien, 1876—79.
Schliesslich sei hier noch einmal wiederholt, was ich
bereits in einem Vortrage während der Naturforscher-Ver-
sammlung zu Kassel dargelegt habe:
„Die Hochgebirgsflora Japans, welche in eigenthümlioher
Weise aus Pflanzen des nördlichen Waldgebietes vom alten
Continent, wie auch desjenigen von Canada, der Polar-
Region und einigen alpinen Gliedern gemischt erscheint;
stammt aus Ostsibirien und Kamtschatka und gelangte mit
den kalten und heftigen Monsunen und Meeresströmungen
des Winters allmählich südwärts und durch Thalwinde
bergan”.
Reisen in Central-Asien, 1876—79.
Von Dr. A. Regel ').
(Mit Karte, s. Tafel 20.)
I. Reise nach Kuldscha, 6. Mai bis 16. Ootober 1876.
Nachdem ich Ende 1875 auf Antrag des General-
Gouverneurs von Turkestan, General v. Kauffmann, zum
Kreisarzt von Kuldscha ernannt worden war, trat ich am
6. Mai?) 1876 von St. Petersburg aus die Reise nach mei-
nem Wirkungskreise an. In Moskau traf ich mit den ju-
gendlichen Mitgliedern der schwedischen Jenissei-Expedition
zusammen, in deren Gesellschaft ich bis Kasan sehr ange-
nehme Stunden verlebte.. Auf der gewöhnlichen Route
über Samara, Orenburg, Orsk, Kasalinsk traf ich am 5. Juni
im Fort Turkestan ein, von wo aus ich nach dem Wunsche
meines Vaters?) und mit Genehmigung des General-Gou-
verneurs meine erste bedeutendere Excursion in’s Karatau-
gebirge unternehmen sollte,
1. Von Turkestan durch den Kara-tau nach Taschkent. —
Turkestan ist die Hauptstadt eines umfangreichen Kreises,
dessen Grenzen weit in die Steppe nördlich vom Karatau
hineinragen. In Mitten der Stadt liegt die russische Cita-
delle mit der Moschee des Sultans Hazret, interessant durch
die Anwendung farbiger Ornamentik, daneben die kleinere
Moschee der Toohter Timur’s.. Um die Citadelle liegt die
russische, im Süden die sartische Stadt; die Gärten er-
strecken sich mehrere Werst weit nach Norden. Am
6. Juni gegen 6 Uhr Nachmittags brach ich mit dem be-
währten Dolmetscher Achmet als Führer und einigen Ko-
saken von Turkestan auf und traf nach einem Marsche
von 20-—25 Werst gegen 10 Uhr in Karnak, einer sarti-
!) Nach brieflichen Mittheilungen mit Benutzung von Berichten,
welche in der „Gartenflors’’ und im „Bulletin de la Socist# Imperiale
des Naturalistes de Moscou’ veröffentlicht sind.
?) Die Daten sind neuen Stils.
3) berühmter Botaniker und Director des Botanischen Gartens in
8t. Petersburg. Anm. d. Red.
schen Ortschaft von ungetähr 400 Häusern, ein. Am
nächsten Tage führte mich der Weg unter der brennenden
Mittagssonne in nordwestlicher Richtung über ein niedriges
Kalkplateau. Nach einigen Wendungen auf unebenem stei-
nigen Terrain steigt man steil in die Mündung des Thales
Dschil-sai (Windwasser) hinunter, welches später so enge
wurde, dass wir die Klüfte nur mit Mühe durchklimmen
konnten. Die erste Vorkette, Tschebardi, hinter uns las-
send, stiegen wir gegen Abend zum nächsten Thal hinab,
durch welches der Karawanenweg nach Westsibirien führt.
Hier übernachteten wir hinter den Mauern einer leeren
Karawanserai, Kulan-tscheku mit Namen. Jenseit des Baches
sind die Höhen weniger schroff, diesseit erhebt sich an
einem Nebenbache nach N zu ein schwarzer, schroffer Fels-
grat, der nach NO zu einer beträchtlichen Kuppe und
schliesslich bis zum zackigen Berge Issendy hinführt.
Am nächsten Morgen verwendete ich mehrere Stunden
zum Botanisiren, so dass der Aufbruch erst am Nachmittage
erfolgen konnte. Fast unvermerkt erhebt man sich nord-
westwärts auf eine Hochebene, wo man nach N zu zahl-
reiche schroffe Gräte vor sich sieht, denen man sich all-
mäblich nähert. Immer glaubt man am Passe zu sein und
bat immer wiederum einen neuen Grat zu übersteigen.
Diese Gegend heisst Utsch bil, 3 Rücken oder 3 Pässe. Man
senkt sich in ein anderes gewundenes Bachthal hinab,
Maidam-tal genannt. Dreimal klommen die Pferde über
schieferige Felsgräte, von denen der letzte, Dschaman-Tasch,
d. h. loser Stein, die Wasserscheide bildet. Während man
gegenüber noch eine höhere Kette sieht, steigt man in das
Thal des Sulunduk hinab, links bleibt die dunkle Passkette
mit runden Kuppen und einzelnen Zacken, rechts erheben
sich zackige, röthliche und gelbliche Berge. Besonders tritt
Reisen in Central-Asien, 1876—79. 877
in der höheren Nordkette der Berg Kentschek-tau mit
4—5 Zacken hervor, welcher von Sauran und Taschkent
aus zu sehen sein soll.
Diese Gegend ist ein gefeierter Mittelpunkt der Kasak
(Steppenkirgisen), denn von hier aus zogen sie vor einem
Jahrhundert gen Osten und verdrängten die Kalmücken bis
zum Ili bin. Um 8 Uhr kamen wir in Balyktschi-ata (Hei-
liger des Fischortes), einem berühmten Wallfahrtsorte, an.
Nach NW erhebt sich eine 400 F. hohe Felskuppe, von
welcher ostwärts ein scharfer Grat bis zum zackigen Aktscha-
tau, d. h. Goldberg, hinführt; nach SW erstreckt sich die
Fortsetzung der Passkette theils in zackigen, theils in run-
den Formen. Die bedeutendste ihrer Erhebungen ist der
ungefähr 5000 F. hohe Berg Karatschokla. Über eine
Stunde dauerte der Ritt zu seinem Fusse am Kenkolbache
entlang. Ein schmaler Grat, auf welchem Kirgisenjurten
standen, steigt aus dem Thale bis zum Fusse der Kuppe
empor. Der Ansatz ist durch eine Kluft unterbrochen und
fast unwegsam.
Aus der schönen Landschaft von Balyktschi-ata brachen
wir am 11. Juni nach Osten auf. Über weitere Vorberge
traten wir auf eine plateauartige Steppe hinaus, die gegen
Susak, eine Kirgisenortschaft mit 300 Häusern, abfällt
und passirten verschiedene gezackte und tafelformige Berge,
darunter den Aktscha-tau und Kentschek-tau. Weiterhin
wurden die Berge scheinbar etwas niedriger und weniger
scharf contourirt, in der Nähe erhoben sie sich als oben
gerade abgeschnittene, bedeutend höhere Wand über uns,
aus welcher der Reihe nach die wasserreichen Bäche Is-
sendy, Kisch-Karatau (Kleiner K.), Irstata, Grosser und
Kleiner Karagus (schwarzes Wasser) hervortraten. An den
Ufern des letzten reissenden Gewässers, welches in einer
engen Schlucht mit schroff aufsteigenden Felswänden dahin-
strömt, lenkten wir wieder in’s Gebirge ein. Nach einem
Ritte von ca 30 Werst schlugen uns die Kirgisen zum
Nachtquartier eine Jurte auf.
Als der Weg am folgenden Morgen fortgesetzt wurde,
sah ich, dass unter den schroffen Spitzen des Min-Dschilke
(Tausend Rosse), vor denen sich nur stellenweis eine Vor-
kette hinzog, einzelne mit Schnee bedeckte Spitzen sich zu
grösserer Höhe, die ich bis zu 8000 F'. schätze, erhoben,
als die früher gesehenen Kuppen. Der häufig von Schluch-
ten unterbrochene Weg führte uns weit in die Steppe
hinaus. Die brennende Hitze zwang uns schon nach
einem Ritte von 30 Werst im Aule Turtschi unter den
frei emporstrebenden thurmähnlichen Kalksäulen des Berges
Beritschek Halt zu machen. Während wir im Freien über-
nachteten, versuchten berittene Eindringlinge unsere Pferde
davon zu treiben, bis die Gewehre angeschlagen wurden.
Mit Morgengrauen brachen wir zu dem letzten 25 Werst
langen Steppenritte nach Tschulak-kurgan (kurgan heisst
Festung), einem Orte von ca 200 Häusern, auf. Die Berge,
welche sich an die sohroff abgebrochene dunkle Min-Dschilke-
Gruppe anschliessen, sind fast um die Hälfte niedriger als
diese. Die Steppe gegen Tschulak ist ganz trocken, nur
an einer Stelle durch einen Kanal, an einer anderen durch
ein trockenes Rinnsal unterbrochen.
Von hier aus traten wir am 15. Juni in südöstlicher
Richtung den Rückweg in’s Gebirge an. Auf dem Wege
nach Utsch-tübe, einer vereinzelt emporragenden F'elsen-
gruppe, an deren Fiusse wir bei gastfreundlichen Kirgisen
rasteten, treten die Berge Turlan, Bagata-turlan, Tschik-
tscha-tau als tafelförmige Erhebungen auf. Leicht wurde
der Kara-tau wieder tiberschritten. Der Weg führt erst in
einem Parallelthälchen aufwärts, dann durch unbedeutende
Hohlwege und Schluchten auf die Hochebene. Eine Vor-
kette oder eine Unterbrechung der Hauptkette existirt hier
nicht. Der niedrigste Punkt ist wohl die Quelle des was-
serarmen Baches Argystandy. Man sieht von dort aus den
Min-Dschilke nur in schmalem, senkrecht über die Kette
aufsteigendem Profil; die Berge am Bugun, Boroldai, der
Kasyurt bei Beglarbeg, endlich die damals noch schnee-
bedeckten Keles- und Teschirtschikberge stellen sich als
scheinbare nordsüdliche Ketten dar. Wenn man, Hochebene
auf Hochebene kreuzend, näher kommt, so bleiben die Insel-
berge Tschajan, Tra Bugun und Boroldai nordwärts lie-
gen. Dagegen wird links eine bei Mankent steil an-
steigende schneereiche Kette, der Anfang des Talas-tau,
sichtbar.
Am Abend des 16. Juni zwang uns ein heftiger Sturm
in einem jurtenreichen Aule am Bache Sassyk Zuflucht zu
suchen ; beinahe wäre das Holzdach über uns und den
draussen schreienden Kameelen zusammengestürzt. Auf ziem-
lich frequentirtem Wege gelangten wir am 18. Juni nach
Tschimkent, von wo aus ich erst nach 3tägigem Aufenthalt
die Weiterreise antreten konntee Am Nachmittag des
21. Juni fuhr ich durch die endlose Gartenstrasse in Tasch-
kent, die Hauptstadt von Turkestan, ein.
2. Von Taschkent durch das Techotkalthal nach Kul-
dscha. — Nach fast 2monatlichem Aufenthalt daselbst brach
ich am 19. August nach meinem Wirkungskreise auf, und zwar
machte ich die Reise auf Wunsch des General-Gouverneurs
durch das Tschotkal- und Talasthal. Das Thal des oberen
Tschotkal war von Ssewerzow, so wie von Geologen und
Topographen nur an einzelnen Stellen flüchtig berührt wor-
den. Die Tschotkalberge erscheinen mir als der dritte
Parallelzug des westlichen Thian-schan. Nach Beobachtun-
gen bei Wernoje und am Ilithal, so wie besonders auf Grund
des Urtheils von Kuschakewitsch, der hier alte Korallenbänke
entdeckte, komme ich immer mehr zu der Ansicht, dass
378 Reisen in Central-Asien, 1876—79.
das mittelasiatische Hochgebirge ein abgegrenztes, fjorde-
durchschnittenes Festland darstellt, vor welchem der Kara-
tau mit seiner eigenthümlichen Flora, so wie ähnliche nie-
drige Ausläufer als Inseln vorlagen. Alles verräth die
frühere Anwesenheit des Meeres: Salzboden, riesige Sand-
dünen (die letzten bei Suidun), die Muschelbänke, die
gleichmässige Flora des Hochgebirgscentrums, die überein-
stimmende Flora der ganzen Steppe, deren Verhältniss zur
Gebirgsflora freilich noch der Vergleichung bedarf. Für
die allgemeine Ausdehnung der Gletscher, welche Ssewer-
zow und Fedtschenko annahmen, scheinen wenig Beweise
gefunden zu sein. Mit der Zeit werden pflanzengeographi-
sche, paläontologische und ethnographische Untersuchungen
diese Fragen lösen. Besonders die Untersuchung der Stein-
kohlenflötze wird von Bedeutung sein; in Kuldscha sollen
sich viele pflanzliche Reste in denselben vorfinden (mir
sind sie bisher noch nirgends deutlich aufgefallen).
Angesichts des unverkennbaren Parallelismus der Ge-
birgsketten scheint mir Ssewerzow’s und Oschanin’s Ansicht
nioht gerechtfertigt, dass alle Gliederung bier auf einer
gleichmässigen Hochebene durch das durchsickernde Scohnee-
wasser hervorgebracht worden sei, dessen Strömung zufäl-
lig oder allenfalls unter dem Einfluss der Passate eine be-
stimmte Richtung angenohmen habe. Auch ohne die an
einzelnen Punkten von Ssewerzow gefundene Richtung der
geologischen Schichten zu verallgemeinern, wird man den-
noch eine allenfalls durch tellurische Einflüsse bedingte
-äquatoriale Faltuugerichtung der Rinde dieses Hochlandes
zugestehen, welche ihrerseits die Richtung der Wasserläufe
bestimmte. Eine mehrfache meridionale Parallelfaltung ihrer-
seits bleibt dabei unbenommen.
Auf der bekannten Strasse ging es dem Flusse Tschot-
kal zu. Vom dritten Sailykdorfe aus machte ich am 22.
August einen Ausflug in das Thal des am Ak-tasch (weis-
ser Stein) entspringenden Gewässers. Nachdem wir 12—
15 Werst zurückgelogt und eine Höhe von 4000—5000 F.
erreicht hatten, machten wir auf einer Schuttterrasse Halt,
wo die Quellarme des Ak-taschbaches nach wasserfallähn-
lichem Sturz über steile Granitklippen von allen Seiten her
einmündeten. Zur Verwunderung der dort ackernden Land-
leute liess ich Liliaoeen und knollentragende Aroideen aus-
graben, Pflanzen, die dooh Niemand essen würde. Am
folgenden Tage besuchte ich die Schlucht der Oia, Ein
vom Karakiaberge herkommender Vorsprung ist zu über-
steigen, unten windet sich die Oia durch eine enge Schlucht,
in welche an fast unwegsamer Stelle die beiden Quellbäche
münden. Die Höhe der Sailykberge wird zu 9000 bis
11000 Fuss angegeben. Nach europäischem Maassstabe zu
urtheilen, scheinen sie mir nicht viel über 4000 F. über die
Thalsohle sich zu erheben, so dass ihre Höhe vielleicht
etwas über 6000 F. betragen mag. Mit dieser Schätzung
stimmt überein, dass Juniperus Pseudo-Sabina erst nahe
dem Grate auftritt.
Beim Aufbruche am 25. August ertheilte mir der weit-
hin angesehene sartische Richter aus freien Stücken ein
Geleitschreiben zum Passiren des oberen Tschotkals; die Mög-
lichkeit, dass dieses Ziel erreicht werde, erschien mir nichta
desto weniger sehr gering. Nach fast 4stündigem Ritte
gelangten wir nach Chodschakent, berühmt durch die alte
Platane, die auf das 13., ja 11. Jahrhundert zurückgeführt
wird. Der oben abgebrochene und innen ausgebrannte
Stamm hat am Grunde bei 90 F. Umfang einen Durch-
messer von über 25 F., während die wenigen grünen Äste
des etwa 30 F. hohen Stumpfes nur 5 F. dick sind. Nach
der Messung von Fetissow umfasst der Stamm am abge-
brochenen Ende 42 F. und besitzt hier 762 erhaltene Al-
tersringe. Von dem greisen Mullah Chodscha erfuhr der-
selbe, dass die Spitze 1807 abgebrochen, und der hohle
Stamm vor etwa b5O Jahren ein Jahr lang von einem Ein-
siedler aus Buchara bewohnt worden sei.
Von hier schloss ich mich einer Goldwäscherkarawane
an, die nacıı dem Ters, einem Nebenfluss des Tschotkal,
abging. Der Weg führt zunächst hart an den Bergen,
dann durch den mit Alluvium gefüllten weiten Kessel, in
welchem sich der Pskem mit dem Tsohirtschik vereinigt.
Etwa 15 Werst von Chodschakent verengert sich das
Tachirtschikthal zu dem Winkel, in welchem sich sein
Oberlauf als Fortsetzung des Tschotkal ergiesst, und wo
der Kok-su (grünes Wasser) durch eine Thalöffnung der
Berge von Birtsch-mulla !) herabströmt. Zwei Werst ober-
halb der Mündung liegt dieses letzte Tadschik-Dorf, in
einer Höhe von fast 4000 F. Der Weinstock kommt nur
spärlich fort, während Aprikosen, Äpfel und Maulbeerbäume
trefflich gedeihen.
Die Tadschiks zeichnen sich aus durch längliche, scharf
geschnittene, regelmässige Gesichter, durch lange, volle und
nur wenig gekräuselte schwarze Bärte. Ihre Sprache lässt
sie leicht als Arier, natürlich nicht nur als persische Sola-
ven, erkennen. Die Sarten dagegen haben volle Gesichts-
züge und meist volle Gestalten, bisweilen etwas Mongoli-
sches, bisweilen den regelmässigen arischen Schnitt, bis-
weilen die krumme Nase und die volle Lippe der Semiten.
Auch die sartische Sprache, in ihren Hauptzügen der kal-
mückischen ganz nahe stehend, enthält viele noch nicht ge
lichtete arische Elemente. Dass die kirgisische, karakirgi-
sische, sartische, tatarische, tarantische Sprache nur türki-
sche Dialecote sind, ist bekannt. Die finnische Sprache zeigt
in manchen wichtigen Wörtern völlige Übereinstimmung
!) früher Britsch-mulla oder Brusch-mulla geschrieben.
Reisen in Central-Asien, 1876—79.
mit dem Kalmückischen. Die Kleidung der Kalmücken
stimmt mit der der Mongolen vielfach überein.
Birtsch-mulla wurde am 27. August verlassen. ‘ Über
steile Klippen, auf denen die Menschen mit dem abgelade-
nen Gepäcke auf allen Vieren entlang kriechen und die
Pferde zu affenartigem Klettern antreiben mussten, führte
der Weg längs des tief unter uns dahinströmenden Techir-
tschik. Eigentlich senkrechte Felswände, die überhaupt im
Thian-schan selten sind — nur an der Aischmara habe
ich sie häufiger beobachtet — , giebt es auch hier nicht,
doch sind die Winkel so steil, dass jedes Herabrutschen
von dem so schmalen Pfade in die einige 100 Fuss tiefer
liegende, oft nur 2 Faden breite Schlucht der Tsohirtschik-
Stromschnellen den Tod zur Folge haben müsste. Schnee
zeigte sich auch nicht auf den Spitzen des angeblich
13000 Fuss hohen Tschimgan. Etwa 25 Werst oberhalb
Birtsch-mulla macht der Fluss eine scharfe Wendung, bei
weloher gerade über dem wildesten Strudel eine aus Baum-
zweigen hergestellte schwankende Brücke, die Niemand zu
betreten wagte, beide Ufer verbindet; von hier an führt
der jetzt aus NO und NNO strömende Fluss den Namen
Tschotkal.
Der Fluss wird weiter oberhalb breiter und bildet nicht
mehr eine einzige Schaummasse, lässt auch hin und wieder
am rechten, sonst oft schwierigen Ufer schmale Humus-
bänder, an denen sich die Strahlen einer südlichen Sonne
fangen und wo sich in Folge dessen eine üppigere Vegeta-
tion entfalten kann. Die Berge zeigen keine grossen Fels-
wände mehr, sondern fallen in gleichmässigen, aber bei der
steilen Neigung fast unersteiglichen, schuttbedeckten Ab-
bängen ab. Der wenige Gipfel tragende Rücken des linken
Ufers wird als Tschauras bezeichnet. An dem ersten Kir-
gisenaule Tschotkamysch, wo wir übernachteten, hatte der
Tschotkal eine beträchtliche Breite, etwa wie der mittlere
Lauf der Weser.
Fünf Werst aufwärts bewerkstelligten wir am nächsten
Morgen auf einer lediglich aus Baumzweigen geflochtenen
Brücke glücklich den Übergang über den Fluss. Dann ging
es bald zu Pferde, bald mühsam den kaum sichtbaren Pfad
emporklimmend den am Bache Bakrak sich befindlichen
Kirgisenaulen zu. Bei der Brücke über den Naida-Bach
schwenkten wir vom Tschotkal ab, welcher in einem Knie
von N her grossartige Felsmassen durchbricht, und stiegen
vom Bache Ken-sai (grosse Schlucht) an landeinwärts in
südöstlicher Richtung in’s Gebirge an; ein schwieriger Pfad
soll unten längs des Ufers bis Bakrak führen, welcher was-
serreichoe Bach in mehreren Windungen von der Schnee-
linie herunterkommt. Ich stieg über zwei Terrassen bis zu
den Felsen unter dem Kamme empor, hinter welchen, wie
sich später herausstellte, ein Gletscher nach rechts hin
379
herabhing. Nach N zu jenseit des Tschotkal waren die
mit frischem Schnee bedeckten höchsten Stellen des breiten
Berges Tsohar sichtbar, hinter welchen die zum Theil be-
sohneiten Felswände des Koksugebirges hoch aufgethürmt
hervorragten.
Nach einem kleinen Rencontre mit den hier wohnenden
Kirgisen, die sioh schon seit geraumer Zeit von der Abgaben-
pflicht losgesagt hatten, setzten wir am 29. August unsere
Reise fort. Erst zeigten sich seitwärts die zum Theil be-
sohneiten Bakrakspitzen mit ihren Gletschern, dann die gleich-
falls beschneiten Gipfel an zwei zum Ters führenden Päz-
sen, von denen der eine nebst dem Pik Chodscha-Idris-tau
genannt wird. Allmählich öffnet sich der Blick auf einen
von O kommenden Abschnitt des Tschotkalthales; die Koksu-
Kette hört auf. Hinter dem rothen Kysyl-bel-Pass (rother
Rücken), wohl einem zum Pskem führenden Passe, und den öst-
licheren Vorbergen erhebt sich nach N der wenig beschneite
dunkle Karakorum, die höchste beschneite Erhebang Jaksu
oder Jarksu, der Akalatasch und nach O zu im Nebel der
vierspitzige Santalasch. Die drei ersten Berge wurden mir
als Pässe zum Talas genannt. Als wir uns um einen etwa
2000 F. aufsteigenden Vorsprung herumwandten, saben wir
den Tersfluss in einer Schlucht zum Tschotkal hin verlau-
fen. Nach W zu steigt das jenseitige Tersufer plateauartig
gegen einen Bergrücken an, der sich dem Hauptflusse
weiterhin anschliesst. Begenwetter hielt mich 2 Tage im
Lager der Goldwäscher am Ters fest. Ich benutzte diese
erzwungene Ruhe zu einem Ausfluge nach der Italga, einem
Bache, welcher 7—8 Werst oberhalb der Mündung des
Ters sich in den letzteren ergiesst. An beiden Gewässern
ist nur das rechte Ufer gangbar; ein für Kameele bequem
passirbarer Karawanenweg, weloher vom Kassan herkommt
und sich zum Kysylbelpass und zum oberen Tschotkal fort-
setzt, führt an demselben hin. Der Ters mag 4—5000 F.
hoch liegen.
Am 1. September erfolgte der Aufbruch in’s obere
Tschotkalthal, nachdem ich vom sartischen Wolostältesten
einen Führer und einen Geleitsbrief bis zum Talas erhal-
ten hatte. Leere Mauervierecke, Bewässerungsgräben &ao.
deuten auf frühere Cultur, die von den Goldwäschern den
vor einem Jahrhundert von den Karatau-Kirgisen vertrie-
benen Kalmticken zugeschrieben wurde. Nach 1jstündigem
scharfen Ritte gelangten wir zu einem Felsvorsprunge mit
Gebäuden, hinter welchem der Bach Idris vom Passe glei-
chen Namens, dem begangensten nach Namangan, herab-
kommt. Hier befindet sich der von Taschkentern und Ko-
kandern besuchte sartische Wallfahrtsort Idris-bairambeh
mit den Gräbern des Idris und Ismaöl; an Stangen be-
festigte Rossschweife galten als Bart dieser beiden Pro-
pheten. Bemerkenswerth ist ein von Goldsuchern zer-
380 Reisen in Central-Asien, 1876—79.
sprengter Steinblock, welcher das Pferd Ismaöl’s vorstellen
soll und Gegenstand einer komischen Verehrung ist —
man setzt sich auf dasselbe. |
Jenseit dieses Felsens steigt das Thal allmählich an
und erst in grösserer Ferne steigen Karakorum, Jarkiisu
und Akalatasch auf, welche mit frischem Schnee bedeckt
waren. Einige Werst oberhalb vereinigt sich der von N
her kommende Santalasch mit dem Tschotkal am F'usse des
mit frischem Sohnee bedeokten, viergipfligen goldreichen
Santalasch. Der gleichnamige Fluss soll einen langen Lauf
besitzen und zu einem Passe am Talas führen. Wir wand-
ten uns nach SO vom Flusse ab auf eine Hochebene und
erreichten den letzten Aul dieser Gegend, Aigir-aleh, zwi-
schen dem Bache gleichen Namens und dem Susaschu, be-
wohnt von ausgeprägt mongolischen Typus tragenden Kir-
gisen. Im fernsten NO und ONO lagen klar die Kara-
buraberge, die Karakuldschahöhen, die eigentlichen schnee-
weissen Tschotkalberge, vor uns, denen sich nach links die
Sandyk- und Ansandykgipfel anschlossen, während die Na-
mangankette mit dem nahen Susachu zur Rechten in Wol-
ken verhüllt war. Da der Sandyk sich südlich von Utsch-
kok-sai befindet, so wird damit die grössere Ausdehnung
des Tschotkal nach NO hin wahrscheinlich.
Da in dem Quellgebiete des Tschotkal bewaffnete Ban-
den hausen sollten, entschloss sich der Führer erst dann
die Richtung hierhin einzuschlagen, als mehrere Kirgisen
sich erboten, uns über den Karaburapass zu geleiten. Mehr
auf dem Sattel liegend als sitzend bewerkstelligten wir ei-
nige Werst aufwärts den Übergang über den reissenden
Mittellauf des Flusses. Dann ritten wir an der Seite un-
serer lange Stangen schwingenden Gefährten bald in star-
kem Kirgisenschritte, bald im Trabe über eingeengte Kies-
flächen, über hart an den Fluss hinan tretende Porphyr-
felsen und durch ausgedehnte Sumpfflächen bis zum Fusse
des Tschakmakpassee. Am jenseitigen Ufer erschienen nach
einander der Terek, die vielgespaltenen Porphyrpyramiden
des Tsohanas, Köbardö, Iskardö, Aulatyr, die etwa 6000 F.
über das Thal aufsteigen mögen. Westlich von Tschanas
befinden sich der letzte schwierige Pass und an dessen
Fusse die Ruinen von Tsohanas-kurgan, die nach Ansicht
der Goldwäscher kalmückischen Ursprungs sind. Kuscha-
kewitsch, der über den T'isohanaspass gegangen sein will,
nennt ihn den Knotenpunkt der Karatau- und Thian-
schan-Axe, was jedenfalls nicht zutrifft. Wir ritten dann
2—3 Stunden unter einer Vorhügelreihe aus Conglomerat-
massen, Tegarak genannt, welche wie Thürme und Schlös-
ser empprragten, fort. Nach einem sehr starken Ritte von
80—90 Werst wurde in einem Seitenthälohen gerastet.
Nach einstündigem Ritte gelangten wir am 3. Septem-
ber in die Nähe des Passeinganges. Von dem von Ferula-
ceen bedeokten Hügel am Eingange in das Thal des Kara-
kysmak überblickt man nach SW das ganze Thal bis zum
Santalasch hin, nach N den Sattel des Karaburapasses,
nach O die Karaburagruppe (schwarzes Kameelmännchen),
nach NO die stark beschneite Pyramide des Karakuldscha
(schwarzes Bergschaf), dann nach O und SOS anschliessend
ganz weisse Berge, von denen mir der Kokoi-bel, 3 Tage-
reisen vom Karaburapasse entfernt, als Quellberg des
Tschotkal bezeichnet wurde. Neben demselben wurde mir
der Ketmentübe im Kreise Tokmak als Glied der Ketmen-
tübegruppe genannt. Die schneebedeckten Berge, welche
nach SO lagen, wurden wiederum als Tschotkal bezeich-
net, also als linksseitige Quellberge, und sie schlossen sich
an jene frisch beschneite Porphyr-Pyramidenreihe an, von
welcher der Aulatyr dem Karabura nach S gegenüber liegt.
Alle diese Angaben beweisen, dass der ganze obere Lauf
des Tschotkal von O und sogar von OSO herströmt, dass
sein System von dem Susamirsystem nur durch das Usun-
achmatsystem der Kotmentübeberge getrennt werden kann,
und dass über einen mir verhehlten Pass der nächste Weg
zum Naryn, Dschumgal und Issyk-kul führt. Die beider-
geitigen Bergkötten beweisen deutlich, dass das Tschotkal-
thal auch weiter nach O eine bedeutende Breite besitzt.
Es wurde mir denn auch als leicht passirbar geschildert;
nur in der nächsten Nähe schien der Fluss aus der Tiefe
einer Felsspalte hervorzubrechen.
Der Karakysmak, welchen Ssewerzow für die Quelle des
Tschotkal ansah, ist trotz seiner unbedeutenden Thalsohle
leicht passirbar. Während sich der Pfad längs desselben
über Salviawiesen schlängelte, liess sich über dem von NW
kommenden Zufluss Akbulak eine bedeutende schuttbedeckte
Schneebrücke erkennen. Gegenüber einem am linken Ufer
herabstürzenden Wasserfalle wendet sich der Weg nach N,
die Schlucht wird so eng, dass häufig von einer Seite auf
die andere hinübergeschwenkt werden muss. Zwei sohutt-
bedeckte Schneebrücken von 3—4 F'. Mächtigkeit und ei-
nigen F'aden Breite mussten passirt, eine dritte, welche die
Last der Pferde nicht tragen konnte, musste umgangen
werden. Ssewerzow sah hier 7 unveränderliche Schnee-
brücken, davon 2 von 500—700 Faden Breite. Auf dem
ohne Wendungen schief aufsteigenden Pfade erreichten wir
gegen Mittag die nicht viel unter 11000 F. betragende
Passhöhe, von wo die Randberge des Karakysmak nur eine
mässige Aussicht gestatteten. In dieser Gegend des Tschot-
kalthales ist von den 18000 F. hohen, mit ewigem Schnee
bedeckten Gipfeln, welche Ssewerzow in der Namangankette
und beim Heruntersteigen vom Passe sah, Nichts zu be-
merken. Nimmt man die Thalhöhe zu 6000 F. an, so
mag ein Aufstieg von 5 Stunden 40005000 F. mehr er-
geben, d. h, so viel wie Seewerzow’s aproximative Angabe
Reisen in Central-Asien, 1876—79. 381
von 10500 F. Eben so mögen die umgebenden Berge
zwischen 9000 und 12000 F'. schwanken.
Etwa 1000 F. höher als der Pass erhebt sich nach N
eine schroffe Pyramide, welche als der eigentliche Karabura
und Quellberg des Baches gleichen Namens bezeichnet wurde.
Unterhalb des Passes, an der Schneegrenze, entspringt ein
gleichfalls Karakysmak genannter Bach, mit welchem sich
die Kleine Karabura von links her vereinigt, um sich, nach-
dem sie sich um jenen Pik herum gewunden, in die düstere
niedrige Schlucht mit ihren wilden geologischen, von Sse-
werzow so trefflich geschilderten Verschiebungen einzusen-
ken. Nachdem sich die Karabura, 30 Werst vom Passe
entfernt, in nordwestlicher Richtung durch zahlreiche Paral-
lelketten Bahn gebrochen hat, vereinigt sie sich in einer
kesselartigen Erweiterung mit der Grossen Karabura und
fliesst nun nach N in einem Thälchen, das von schloss-
ähnlichen Conglomeraten eingefasst ist, von dem die Berg-
massen abtreten. Nachdem sie noch eine Vorkette durch-
brochen, tritt sie in das breite Talasthal hinaus.
Das Schauspiel grossartiger Wettrennen und Ringkämpfe
der Nomaden veranlasste uns in einem von einigen Sarten
und Karakirgisen bewohnten Aule zu einer zweitägigen
Ruhepause, die uns zur Erholung nach den letzten anstren-
genden Märschen sehr wohl that. Der weithin angesehene
Wolostälteste der letzteren veranstaltete diese Feste als
Todtenfeier für seinen vor einem Jahre verstorbenen Sohn.
Thalabwärts fielen die niedrigen Berge ab, welche die
Schlucht Ka-artscha einfassen und die eine Tagereise weit
liegende Stadt Aulie-ata den Blicken entzogen; nach SO
waren die Karabura und die Kuppen des Kumysch-tau bis
zu den fünf Bischtaschhörnern des mittleren Talasgebirges
hin zu übersehen, während sich im N ein niedriger Ab-
schnitt des Alexandergebirges mit den Gipfeln Ischilik und
Dschurwa ausdehnte. Am Morgen des 7. September brachen
der gastfreie Wirth und seine 3000 Gäste ihre Jurten ab,
um die Winterlager am T'schotkal und bis Tschimkent hin
zu beziehen. Ich selbst wandte mich ostwärts über die
Ebene, so zu sagen das Kirgisenparadies bis Ujan-Tokoi,
wo eine gewölbte Strasse von unbekanntem Ursprunge quer
durch das Talasthal führt.
Über Saldyr und Aktschi zogen wir zum Talas hin,
den wir unterhalb des Kenkolpasses wiederholt überschrit-
ten, zum letzten Male bei Ik-Talas-tschoty, der Vereinigung
des Grossen und Kleinen Talas, Über berieselte Wiesen
wandten wir uns am 9. September der Thalenge des letz-
teren zu und folgten dem an demselben hinführenden Wege
bis zum Fusse des Karakiapasses. Da die Kirgisen die
Sussamirhochebene bereits verlassen hatten, musste ich die
Übersteigung des Kumbelpasses am 12. September ohne
Fübrer unternehmen. Zu beiden Seiten der einige Werst
Petermann’s Geogr. Mittbeilungen. 1879, Heft X.
breiten Hochebene ziehen sich Felsgrate, aus denen der
Karakiapik sich noch ungefähr um 1000 F. erhebt. Das
wohl 9000 F. hohe Plateau hört bei einer riffartigen Er-
hebung auf, von welcher der rothsandige Weg zum Quell-
bache des Merke hinabführt. Mühsam stolperten wir bei
einbrechender Dunkelheit über Steinblöcke fort, ohne ein
schützendes Obdach erreichen zu können. Nachdem wir
im Schneesturm unter freiem Himmel übernachtet hatten,
stiegen wir im ersten Morgengrauen die gegenüberliegende
Wand des Kysylbelpasses hinan, dessen Kuppe wir nach
östündigem Ritte erklommen. Die Steinmäler der Mongolen
zeigten uns die Richtung des schlüpfrigen Abstiegs, der
hart an senkrechten Gründen hinabführte. In 2 Stunden
kamen wir zur Aischmara, von wo der Weg direct nord-
wärts zur grossen Poststrasse nach Kuldscha eingeschlagen
wurde, die ich am 15. September östlich vom Flecken
Merke erreichte,
Von hier aus ging die Reise theils zu Wagen, theils
zu Pferde über Tokmak, von wo ich einen Ausflug zum
Issyk-kul machte, Wernoje oder Werny, Borochudsir nach
Kuldscha, wo ich am 16. October eintraf.
II. Reisen im Jahre 1877.
1. Kleinere Exoursionen in der Umgegend von Kuldscha. —
Während des Winters 1876—77 liess meine Thätigkeit mir
nur wenig Musse zu wissenschaftlichen Arbeiten, doch ge-
lang es mir, wenigstens einige kleinere Excursionen im
Gebiet von Kuldscha auszuführen. Zunächst besuchte ich
das Dschirgalanthal, den Wohnsitz eines Theiles der Tor-
gonten, später das Kaschthal, den gegenwärtigen Aufenthalt
der letzten Sungaren, endlich das eigentliche Centrum der
Torgonten, das Thal des Kunges, bei welchem Ausfluge ich
am 28. Januar den etwa 5000 F, hohen Pass zwischen
dem Mittellauf des Kasch und Kunges überschritt. Ausser-
dem bin ich westwärts am linken Ufer des Ili mehrfach
bis in die acht Colonien der Mandschuren und einmal bis
zur heutigen Tarantschen-Niederlassung Dubun gelangt. Geo-
graphisch bieten diese hauptsächlich in meiner Eigenschaft
als Arzt unternommenen Reisen wenig Neues; die Ver-
hältnisse der Natur und des Menschenlebens dagegen wer-
den bei einer genaueren Beobachtung, als ich ihnen dieses
Mal widmen konnte, sehr interessante Resultate liefern.
2. Reise zum Sairam-nor. — Am 22. Juli ging ich
nördlich in die viel zerklüfteten Berge von Bajandai, deren
Vegetation durch die Sommerhitze total verbrannt war.
Über kahle Steppen erreichte ich dann die Ruinen von Neu-
Kuldscha, vor 17 Jahren noch von 100000 Chinesen be-
wohnt. An dem zerstörten Fort vorbei gelangt man zu
Ruinen von Häusern, dann ganzer Strassen, zerstörter Fa-
briken und endlich in der Nähe des Flusses zu der gewal-
49
382
tigen bezinnten Lehmmauer der Festung. Durch das zer-
störte Thor bahnten wir uns den Weg und fanden die
breite Strasse bestreut mit Schädeln und Knochen. Die
Mauern der Regierungsgebäude sind noch jetzt mit In-
‚schriften versehen. Abgesondert von dieser Leichenstadt liegt
die halb zerstörte im prächtigsten Renaissancestile erbaute
russische Factorei. Vom Bache Talki wandten wir uns nörd-
lich zum Sairam-See. Fast mit Gewalt mussten wir uns
in der halb zerstörten, früheren chinesischen Festung Lau-
zogun von der widerwilligen Bevölkerung ein Nachtquartier
im Tempel erzwingen, da der unbeschreibliche Schmutz im
Gasthause die Einkehr daselbst unmöglich machte. Bis zum
Gebirge, welches den Sairam-nor umgiebt, hat man eine
16 Werst breite Hochebene zu passiren, deren Einförmig-
keit nur hin und wieder durch Opiumfelder unterbrochen
wird. Weiterhin treten längs der sogenannten Kaiser-
strasse nach China die Felsen so nahe an einander, dass
der Bach zu Stromschnellen eingezwängt wird, und die
Strasse deshalb auf Brücken aus Baumästen sechs Mal den
Bach passiren muss.
Auf der Passhöhe angekommen präsentirt sich der 7000 F.
hoch liegende, ungefähr 4 Meilen lange und eben so breite
See als prachtvoller von grünen Bergen und im Westen
von Schneegebirgen umgebener Spiegel; im Norden erblickt
man über den Einschnitt des Borothalathales hinaus die
fernen Schneegipfel des Sungarischen Ala-tau. Vom Passe
dauerte der Marsch zur See hinab nur eine Stunde. Lei-
der währte mein Aufenthalt an diesem noch von keinem
Naturforscher besuchten See nur 2 Tage, denn von Kuldscha
eintreffende Nachrichten riefen mich bereits am 28. Juli
zu meinen Berufsgeschäften zurück; doch war es mir ge-
lungen, wenigstens einen kleinen Theil seiner Ufer zu er-
forschen. Am östlichen Gestade erstieg ich den Berg Talki-
baschi, der als erste Spitze der hier hinstreichenden Ge-
birgskette aufsteigt. Die unteren Regionen bis 1500 F.
über dem Wasserspiegel sind mit dichten Tannenwaldungen
bedeckt. Die höchste mit Schutt bedeckte Spitze erklomm
ich allein, während meine Begleiter mit Sammeln von Pflan-
zen, Samen &c. beschäftigt waren. Die Flora der Umge-
bung des Sees ist ganz alpin.
3. Expedition in den Thian-schan und um den Issyk-kul. —
Am 18. August brach ich zu einer grösseren Expe-
dition auf. Nachdem wir den noch mit Schnee bedeckten
Dschagastaipass im Ak-Burtasch-Gebirge überstiegen hatten,
passirten wir den hoch angeschwollenen Fluss Tekes und
erreichten den Fuss der Hauptkette des Thian-schan bei
dem Kosakenpiket am Musartflusse. Die Kosaken der
Vorpostenketten sind ein zwar intelligentes, aber apathisches
Volk; sie können alle schreiben, reden gut, thun aber leider,
mit einzelnen rühmlichen Ausnahmen, für die Cultur mehr
Reisen in Central-Asien, 1876—79.
Negatives als Positives. Statt in den ibnen erbauten Häu-
sern wohnen sie lieber in Jurten, pflanzen nicht nur auf
dem ihnen zugetheilten guten Boden Nichts, sondern vernach-
lässigen sogar die ihnen geschenkten fertigen Obstgärten und
verwenden die Bäume zu Brennholz, da sie als ein halb
nomadisirender Volksstamm nur für Viehweide Sinn haben.
Nach 2tägigem Warten konnte ich am 29. August in
Begleitung mehrerer Kirgisen den Aufstieg zum Mausart-
passe beginnen. Der Weg führt anfänglich über den Dun-
dugol, einem Nebenfluss des Musart, dann auf ziemlich brei-
ten Wegen in südöstlicher Richtung durch dichte Tannen-
waldungen bis zur Alp Chan-dsohailau, wo früher das letzte
chinesische Piket stand. Von hier steigt man wieder in
das Flussthal hinab, wo der Weg von der Endmoräne eines
prachtvoll zackigen Gletschers eingeengt wird. Über alle
Beschreibung grossartig ist ein Wasserfall, der fast unmit-
telbar aus dem Gletscherthor in den Fluss hinabstürzt.
Hier erblickt man auch wieder die Silberzacken der Haupt-
kette, über die sich in weiterer Entfernung noch weit hö-
here weisse Bergoolosse bis zu 20000 F, erheben. An der
Tannengrenze, wo wir auch die letzte Wiesenvegetation
fanden, hörte jede Spur eines Weges auf. Durch die enge
Schlucht der Randmoräne eines Gletschers, in deren Nähe
der Musart aus einer Gebirgsspalte hervorbricht, ging es
aufwärts, dann auf schwierigem Pfade über eine steile Ter-
rasse, bis Gerippe von in Schneestürmen umgekommenen
Pferden und Kameelen den Pfad bezeichneten, den früher
Karawanen genommen haben mögen.
So waren wir allmählich zur fast 12000 F. hohen
Passhöhe gekommen und standen nach mässigem Abstiege
am Rande des berühmten Musart-Gletschermeeres. Die un-
richtigen Nachrichten über dasselbe machten es mir klar, dass
der Gärtner Fetissow, welcher 14 Tage vor mir hier war,
und ich die ersten Europäer waren, die bis hierher vor-
gedrungen sind. Nach der Passhöhe zu von den nach OÖ
und W 4—-6000 F. aufsteigenden Felswänden, so wie von
dem wohl 8000 F höher aufsteigenden, silberglänzenden
Bergcoloss im S stürzen sich wohl 10 Gletscher in ein
vielleicht 5 Werst breites Becken, dessen Oberfläche ein
graues, mit Steinblöcken bedecktes Hügelfeld darstellt. Wir
ritten nun nach rechts weiter abwärts auf der auf Gletscher
gebetteten Randmoräne, an der sich hier und da Spalten
zeigten. In der Nachmittagssone hatten wir jetzt 20° C.; die
Pferde rutschten auf dem Gletschereise aus, und es war um
so weniger gerathen, weiter herabzusteigen, als nach ein-
gesammelten Nachrichten der Gletscher 2 Werst abwärts auf-
hört und der dort stationirte kaschgarische Grenzposten die
Weiterreise verwehrt. Am Gletscherrande hielt ich einige
Zeit an, um die bedeutend üppigere Vegetation des Süd-
abhangs zu sammeln, welche die Angaben von 15000 F.
Reisen in Central-Asien, 1876—79. 383
Passhöhe sicher zu widerlegen scheint. Zwei volle Tage
gebrauchten wir zur Rückkehr zum Kosakenpiket; zwei
weitere waren der Erholung von den Strapazen gewidmet.
Am 4, September machte ich mich in westlicher Rich-
tung mit meinen Begleitern und zwei Lastkameelen nebst
Führern auf den Weg. Die erste Station war die Ko-
saken- und Bauerncolonie Narynkol an der Mündung des
gleichnamigen Flusses in den Tekes. Meine Absicht, von
bier dem Flusse entlang bis an den Fuss des Bergriesens
des Thian-schan, des 24000 F. hohen Chan-tengri aufzu-
steigen, musste ich aufgeben, da die Kosaken zu unver-
schämte Preise für ihre Begleitung forderten und die Kir-
gisen und Kalmücken bereits das Hochgebirge verlassen
hatten. Im Thal des Tekes führt der Weg weiter zum
nächsten Posten Kapkak, wo man den Fluss und dann den
niedrigen Pass überschreiten muss, welcher das Thal des
Tekes von dem des Tscharyn oder richtiger seines Quellflus-
ses Karkara scheidet. In dem letzteren ritt ich aufwärts bis
zu den Quellen des Dschil-karkara, bei dessen vergletscher-
ten Quellfelde ich auf dem Südabhange eine eben so üp-
pige Vegetation fand, als am Südabhange des Musartglet-
schers. Jenseit des ersten Grates erheben sich zahlreiche
Berggipfel und breitet sich die Hochebene aus, welche das
Quellgebiet des Karkara bildet, der sich mit dem Kegen
zum Tscharyn vereinigt. Im Thale des Dschil-karkara findet
men viele ringwallförmige Kurgane, die für Grabhügel ge-
halten worden sind. Alle Ausgrabungen haben aber kein
Resultat geliefert, und so scheinen es mir theilweis Burg-
hügel eines vielleicht indogermanischen Stammes gewesen
zu sein. Hierauf weist auch hin, dass Kurgan ein sarti-
scher Ausdruck für Festung ist.
Über Taldybulak und den Santaschpass erreichten wir
am 9. September Karakol am östlichen Ufer des Sees, eine
kleine, von Russen und Sarten bewohnte reinliche Stadt mit
hübscher Kirche. Hier traf ich mit dem Gärtner Fetissow aus
Werny zusammen, welcher gleichfalls Sammlungen für den
Botanischen Garten in Petersburg machte. Am 17. Sep-
tember traten wir unsere gemeinsame Weiterreise von Kara-
kol an, überschritten den gleichnamigen Fluss und gelang-
ten über eine öde Steppe bis zum Dorfe Iliwkim in der
Nähe des Flusses Dschauka oder Sauka.
liegt ungefähr 5000 F. hoch. Schon bei meinem ersten
Besuche des Sees theilte mir der Stationsbalter in Kute-
maldy mit, dass sein Wasserspiegel sich in den letzten Jahr-
zehnten durchschnittlich um je einen Faden gesenkt habe,
was nach meinen Beobachtungen richtig zu sein scheint.
Am Dschauka-Flusse entschlossen wir uns in’s Gebirge
aufzusteigen und in der Höhe den Übergang nach einem
anderen Zufluss des Sees zu suchen, auf welchem Wege
wir uns bald überzeugten, dass die auf den bisherigen Kar-
Der Issyk-kul
ten angegebenen Pfade durchaus falsch sind. Längs des
Flusses ging es durch einen Engpass von rothem Sandstein,
dann durch wilde Tannenwaldungen weiter empor; wir über-
nachteten an der Vereinigung zweier Quellbäche des Dachauka
und rittenam 21. September dem Bache Dengereme entlang
über alte Moränen bergan. Auf der 11500 F. hohen Wiese
des Dschaukabaches war Alles entweder erfroren oder ver-
fault oder abgefressen. Nun ging’s wieder auf einem sehr
schwierigen Pfade durch Juniperus-Gestrüpp abwärts nach
dem Quellgebiet des Barskoun, dann dem Bache Kergetasch
folgend aufwärts zu der 12000 F', hohen, mehrere Werst
breiten Hochebene. Im Süden sahen wir die in Schnee ein-
gehüllten, über 20000 F. hohen Spitzen des Thhian-schan ;
auch im N erhob sich eine Reihe Piks 4—6000 F. über
das Plateau, auf welchem der den niedrigen südlichen Schnee-
rücken durchbrechende Kleine Naryn in mehreren Seen ent-
springt. Der Grosse Naryn entspringt 10 Meilen weiter
östlich im Thian-schan.
Da die Nacht eingebrochen, mussten wir in einer Höhe
von nahe an 13000 F. unser Nachtlager aufschlagen, wel-
ches aber nicht von langer Dauer sein sollte. Mein Be-
gleiter Fetissow begann plötzlich gegen 10 Uhr so sehr
an Athembeschwerden zu leiden, dass, da Opiumgaben Nichts
helfen und er sich einem Aderlass nicht unterziehen wollte,
mir Nichts übrig blieb, als mit einem Theile der Leute
ihn aus diesen Höhen fortzuschaffen. Prächtiger Mond-
schein begünstigte diese nächtliche Tour im Hochgebirge.
Bei etwa —6° C, ritten wir über frisch gefallenen Schnee
westwärts dem Tossurpasse zu, der in einer Höhe von
etwa 14000 F. die Wasserscheide nach dem Tossurbache bil-
det. Nach etwa 1% Stunde erreichten wir die enge Schlucht
zwischen den beiden Passhörnern, welche sich noch um
etwa 2000 F. über uns erheben mochten. Schwierig war
der Weg zwischen halb gefrorenen Wassertümpeln und
grossen Steintrümmern. Auf der Passhöhe selbst mussten
wir eine fast senkrecht abfallende, wohl 100 F. hohe Wand
eines nach N sich hinziehenden Schneefeldes passiren, die
wir glücklicherweise über einen beschneiten Steinabhang
wenigstens zum Theil umgehen konnten. Auf einer gewal-
tigen Moräne ging’s dann abwärts nach dem sumpfigen
Quellgebiet des Tossur, wo uns der Rest unserer Begleiter
am nächsten Mittage einholte.
Von seinen steppenähnlichen weichen Abhängen gelang-
ten wir in einer Höhe von ca 7000 F. auf die von zwei
Bergrücken begrenzte Hochebene Kadschi, welche alle Zu-
flüsse zum Issyk-kul bis zum Flusse Ton hin perpendiculär
durchschneiden. Durch den Pass Kok-kia stiegen wir über
die nördliche Kette hinüber zu dem aus zahlreichen Quell-
armen entspringenden ÖOberlaufe des Ton, überschritten
diejenigen Arme, welche die Berge durchbrechend seinen
49 *
384 Reisen in Central-Asien, 1876—79.
Zufluss Aksai, so wie diejenigen Zuflüsse des Konurulen,
welche mit ihm jenseit der Berge den Akterek bilden,
und überstiegen jenseit des Konurulen -Zuflusses Alabas
den niedrigen Duwanapass, von welchem wir zu der frü-
heren Dünenkette und an den See gelangten. Auf jenen
Hochebenen trafen wir zahlreiche Spuren früherer Cultur,
Grabsteine, Städteruinen mit noch ganzen Reihen wohl er-
haltener mongolischer Götzenbilder. Die Vorketten des Ge-
birges bestehen aus Granit, die Hauptketten aus älteren
Gebirgsarten, denen sich in der Nähe der Gletscher Mar-
mor zugesellt, wie am Sairam Gyps. Die Beobachtungen
von Kuschakewitsch und Fetissow im Transilensischen Ala-
tau, welche auf einen früheren Meeresrand in einer Höhe
von 7000—8000 F', schlossen, glaube ich vollkommen be-
stätigen zu können. Nachdem wir den Ulachol überschrit-
ten, trafen wir am 24. September in Kutemaldy am west-
lichen Ende des Issyk-kul ein, von wo mein bisheriger
Reisegefährte Fetissow direct nach Werny zurückkehrte.
Am 30. September trat ich meine Rückreise nach Kara-
kol längs des Nordufers des Sees an, und zwar anfangs zu
Pferde. Da aber auch mein treuer sartischer Diener ernst-
lich am Fieber erkrankte, eilten wir auf der Poststrasse
nach Karakol zurück. Im Allgemeinen hat die Flora um
den See einen Steppencharakter ; unmittelbar am See fand
ich eine Sumpfflora von ganz europäischem Charakter, bei
Karakol und an anderen Stellen mehr maritime. Das Klima
des eigentlichen Uferlandes ist gemässigt, das der höher
gelegenen Punkte ist schon recht rauh; alle Gemüse, auch
der Apfelbaum gedeihen noch ziemlich gut, dagegen wollen
Aprikosen, Pfirsiche &c. nicht recht fortkommen; am mil-
deren Nordufer gedeihen dagegen noch Wassermelonen. An
sonnigen Abhängen des Gebirges reicht die Flora, vertre-
ten durch Juniperus, Weiden und Potentilla bis zu 14000 F.
und wohl noch höher hinauf.
Am 8. October brach ich auf einem westlicheren Wege
nach Kuldscha auf. Anfänglich schlug ich die schon früher
benutzte Strasse über das Aksu-Gebirge ein, an dessen Fels-
wänden ich tibetanische Inschriften fand, die ich so gut
als möglich copirte, passirte den 7500 Fuss hohen San-
tasch und wandte mich nordwärts über die Karkara und
eine einförmige Hochebene zum Kegen. Jenseit dessel-
ben ging es auf eigenthümliche, schartkantige Felskämme
zu, dann durch eine malerische Schlucht des Temirlik-
gebirges aufwärts auf die Hochebene, von wo wir nach
kurzem Abstiege in die Ebene des Tscharyn gelangten.
In dem Aule, in dem wir übernachteten, machte man
uns auf die nahe am Fusse des Gebirges liegende Colonie
Podgorny aufmerksam. Die hier wohnenden Kosaken, sibi-
rische Syränen finnischen Stammes, haben ein Dorf mit gut
gehaltenen Häusern, umringt von Obstgärten, gegründet,
LSLLEGLGLGIGTGL
in denen sie binnen 8 Jahren ausser den einheimischen
Bäumen des Gebirges sehr gut gedeihende Birnen, Äpfel,
Pfirsiche und Aprikosen in Menge angepflanzt haben. Am
12. October erreichte ich Tschunschi, die frühere Grenz-
station China’s, in dessen Umgebung sich schon früher zahl-
reiche kleine russische Colonien angesiedelt hatten, welche
zur Zeit des Dunganen-Aufstandes sich hatten zurückziehen
müssen. Man findet noch alte chinesische Gärten mit Ulmen,
Silber- und Balsampappeln &c., auch haben die Colonisten
den Versuch gemacht, europäische Obstsorten anzupflanzen,
doch hindern die kalten Steppenwinde deren Aufkommen.
In der Riobtung nach NW strömt ungefähr 100 Werst
vom Tscharyn entfernt der Tschilik dem Ilistrome zu, ent-
springend in den hohen Gebirgen im NO des Issyk-kul.
Um die dort befindlichen Saxaul-Waldungen zu sehen, über-
schritt ich den Tscharyn. Früher zogen die Händler nur
in grossen Karawanen durch die wasserlose Wüste zwischen
diesen beiden Flussgebieten, weil man beständig den An-
griffen räuberischer Kirgisen ausgesetzt war. Jetzt soll der
Weg durch Errichtung mehrerer Kosakenpikets sicherer
geworden sein. Als wir den letzten Arm des Flusses pas-
sirt hatten, trafen wir auf Kirgisen, von denen wir gegen
Zahlung, aber doch halb durch Gewalt, andere Pferde und
einen Führer nahmen, der übrigens selbst den Weg
nicht kannte. Die Wüsten Central- Asiens sind selten
pflanzenleer, sondern sind vielmehr als Steppen mit ärm-
licher Vegetation zu bezeichnen; selbst die berüchtigte
Gobi ist nichts weniger als allen Pflanzenwuchses entklei-
det. Am Rande der Sandhügel trafen wir erst einzelne
Saxaul-Bäume, zuletzt ganze Haine derselben, deren eigen-
thümliche Stämme mit ihren spiralförmig gewundenen un-
regelmässigen Holzschichten einen eigenthümlichen Eindruck
machen. Bei einbreohender Dunkelheit ritten wir zwischen
den Sandhügeln hin und kamen auf Strecken mit mehr
lehmigem Boden, auf dem ausser Saxaul Nichts wächst.
Als wir bier auf die Lichtung heraustraten, sprengte unter
fürchterlichem Geschrei eine Kirgisenhorde auf uns ein, die
jedoch, sobald sie gewahr wurde, dass sie wohl bewaffnete
Russen vor sich hatte, ohne einen Angriff zu wagen, Kehrt
machte. Da ich den Zweck meiner Excursion, die Saxaul-
Wälder, erreicht hatte und von einem Kosakenpiket Nichts
zu sehen war, so kehrten wir, von den Kirgisen gefolgt,
im raschen Trabe zurück und übernachteten in einer von
den Sarten errichteten Wagenburg, während ringsum die
Wölfe heulten. Anı nächsten Morgen ging es nochmals nach
Westen, um die Saxaul-Wälder am Tage zu besichtigen,
worauf ich wieder über den Tscharyn zurückging und zum
Di aufbrach, den wir an der Mündung des ersteren er-
reichten. Über Borochudsir trafen wir am 22. October
glücklich in Kuldscha ein. (Schluss folgt.)
SI ILELAGGE
385
Nachrichten aus dem Polarmeere.
Am 2. Septbr. d. J. Abends 10$ Uhr erschien die „Yega”,
Nordenskiöld’s Expeditionsschiff , auf der Rhede von Yoko-
hama! Die Drahtbotschaft, dass die Nordostpassage glück-
lich vollendet, erregte in der ganzen oivilisirten Welt mit
Recht das höchste Interesse. Besonders in Schweden, in
Stockholm und anderen Städten, gab sie den Anlass zu
einer volksthümlichen Peier, in welcher man mit Stolz und
Anerkennung Nordenskiöld’s und seiner Gefährten Ver-
dienste pries. In seinem kurzen Telegramm an König
Oscar hatte Nordenskiöld nur hinzugefügt, dass an Bord
der „Vega” Alles wohl, kein Mann auf der ganzen Reise
verloren und dass das Schiff im besten Zustande sei. Auch
an Oskar Dickson, an das Marineministerium und Frau Pro-
fessor Nordenskiöld kam die frohe Nachricht fast gleich-
zeitig. Durch einen Drahtbericht des Correspondenten des
New York Herald erfuhr man bald darauf Näheres über
den letzten Theil der Reise der „Vega”. Nach einer Über-
winterung von 9 Monaten und 20 Tagen hatte die „Vega”
am 18. Juli ihre Reise fortsetzen und am 20. Juli Ostcap
passiren können. Der Herald-Correspondent führt Norden-
skiöld’s Worte an:
„Alles gesund und munter; keinen Scorbut. Der kür-
zeste Tag hatte drei Stunden Tageshelle. Oberer Theil
der Sonne sichtbar. Ethnographische Studien wurden aus-
geführt. Die hier lebenden 4000 Einwohner, Tsohuktschis
genannt, über verschiedene Dörfer vertheilt und von Fisch-
und Woalrossfang lebend, lieferten der Expedition Lebens-
mittel. Es gab hier viel Bären und Renthiere. Furcht-
bare Kälte, im Durchschnitt 36 Centigrad '). Wild im Über-
fluss. Im Frühling wildes Geflügel. 294 Tage wurden
wir im Eis zurückgehalten; endlich, am 18. Juli, konnten
wir weiter segeln. Das Ostoap, Bering-Strasse, ward am 28.
passirt. Damit ist der praktische Beweis der nordöstlichen
Passage geliefert. Dann der asiatischen Küste entlang fah-
rend kamen wir zur St. Lawrence-Bai, sind nach dem Hafen
Clarence in Amerika hinübergefahren und hierauf wieder
nach der asiatischen Seite zurückgekehrt. Lage besonders
interessant. Zusammentreffen der Strömungen des Arkti-
schen und Stillen Meeres. Die St. Lawrence-Insel berührt.
Die Beringinsel besucht, wo wir die erste Nachricht aus
Europa durch den residirenden Agenten der Alaska-Han-
delsgesellschaft erhielten. Wir entdeckten hier fossile Über-
reste, wahrscheinlich der Rhytina Stelleri; verliessen die
Insel am 19. August. Angenehme Reise bis zum 31. Sturm.
Blitz spaltete Hauptmast und verwundete leicht einige Leute.
Ankunft in Yokohama am 2. September, Nachts 10 Uhr
1) 8, jedoch Palander’s Bericht in Petermann’s Mitth. 1879, Heft IX,
337.
8. Anm. d. Red.
30 Minuten. Alles wohl. Kein Todesfall während der
Reise. Die „Vega” ist das erste Schiff, welches diese Reise
zurückgelegt hat. Professor Nordenskiöld hält die Fahrt
von Europa nach Asien durch die Bering-Strasse für in jeder
Beziehung sicher, sobald man ein wenig grössere Kenntniss
der nördlichen Meere erlangt haben wird. Von Japan nach
der Lena sei für erfahrene Schiffer jetzt schon keine Schwie-
rigkeit vorhanden, und da die Lena Central-Sibirien theilweis
durohfliesse, so stehe ein grosser Handelsverkehr in Aussicht”,
Die Fahrt der „Vega” wird in der Geschichte der mari-
timen Entdeckungen ein bedeutendes Moment bilden. Sie
löst das über 350 Jahre alte und seit dem Anfang des
16. Jahrhunderts durch eine ganze Reihe von Seereisen in
Angriff genommene Problem der nördlichen Umschiffung
des asiatischen Continents, und zwar im Gegensatz zu der
Nordwestdurchfahrt in glücklicher, praktische Folgen ver-
sprechender Weise. Den letzten Nachrichten zufolge sollte
die Expedition noch bis October in Japan verbleiben, da
die „Vega” in’s Dock geholt und nachgesehen wurde.
Eine zweite wichtige Kunde aus dem Polarmeere ge-
langte am 24. September an die Geographische Gesellschaft
in Amsterdam. Das Schiff der Niederländischen Polar-
expedition „Willem Barents’ traf an diesem Tage wohl-
behalten in Hammerfest ein. Auf seiner diessjährigen ark-
tischen Sommerkreuze gelangte das Schiff bis nach Franz
Josef-Land und bringt uns mithin seit der Entdeckung durch
die Österreichisch - Ungarische Expedition die erste neue
Kunde von jener nördlichsten Inselgruppe. Der uns freund-
lichst mitgetheilte Wortlaut des Telegramms des Schiffs-
befehlshabers, Lieutenant de Bruyne, ist: „Den 24. Sep-
tember 12 Uhr 30 Min. Nachm. hier angekommen. Alles
wohl. Während September beständig stürmisches Wetter.
Errichteten Gedenkstein bei Cap Nassau. Im Kara-Meer
und Norden von Nowaja Semlja viel Eis. Keine Möglich-
keit, Eishafen zu erreichen. Erreichten Franz-Josef-Land.
Die Clintock-Insel von Eis umschlossen. Auf der Rückkehr
östlich vom 55. Längengrade Eis. Verliessen „Isbjörn” in
Matotschkin Scharr”.
Nicht so glücklich war die früher ausgegangene Zixpe-
dition des Capt. A. H. Markham, welche am 22. Septem-
ber nach Tromsö zurückkehrte. Über den Verlauf der-
selben erhalten wir durch gütige Vermittelung des Herrn
Karl Pettersen in Tromsö folgende Nachrichten: „Die kleine
. norwegische Jacht „Isbjörn”, Schiffer Lars Jörgensen, ver-
liess mit Sir Henry Gore Booth und Capt. A. H. Markham
an Bord am 19. Mai Tromsö. Am 4. Juni stiess man in
einer Entfernung von ungefähr 10 geogr. Meilen vom Gänse-
lande (Nowaja Semlja) auf dicht gedrängtes Eis, welches
386 Nachrichten aus dem Polarmeere.
jedoch durch einen Kanal forcirt werden konnte. In offe-
nem Wasser segelte man darauf längs der Westküste von
Nowaja Semlja bis zum Matotschkin Scharr, welchen man
Mitte Juni dergestalt von Eis verstopft fand, dass ein Ein-
dringen unmöglich war. In offenem Wasser, ohne Eis zu
sehen, erreichte man Ende Juni Cap Nassau, wo zusammenge-
drängte Eismassen weiteres Vordringen nach N verhinderte.
Der „Isbjörn” wandte sich nun wieder südlich zum Matotsch-
kin Scharr, in dessen Mitte eine feste Eisbarriere lag.
Nach Ö5tägigem Warten wurde die Passage frei und nun
konnte man, ohne auf Eishindernisse zu treffen, den
Sund bis zum Karischen Meere durchsegeln. Drei Meilen
vom Lande machte Packeis ein Vordringen nach N un-
möglich; deshalb wurde ein südlicher Curs eingeschlagen ;
ungefähr unter 72° N. Br. konnte man aber in Folge
dicht zusammengedrängten Eises nicht weiter vorwärts kom-
men. Ende Juli erreichte der „Isbjörn” wieder Matotsch-
kin Scharr und traf hier mit der holländischen Expedition
zusammen, welche vergebliche Versuche machte, längs der
Ostküste von Nowaja Semlja bis zu Barents Winterhafen
vorzudringen.
„Anfang August kehrte Markham durch den Matotsch-
kin Scharr wieder nach dem Westufer von Nowaja Semlja
zurück, wandte sich nun nördlich, erreichte, obne Eis zu
sehen, die nördlichsten Punkte von Nowaja Semlja, Eiscap
und Cap Mauritius, umfuhr die Nordspitze und gelangte bis
Hoofd Hoek, wo Sturm und Eis weiteres Vordringen hin-
derte. Das Eis war aber nicht so stark zusammengepresst,
als dass man mit Dampfkraft nicht hätte weiter kommen
können. Am 6. September ging es nach N auf Franz Josef-
Land zu; am 12. September erreichte die Expedition unter
42° Ö. L. und 78° 24’ N. Br. ihren nördlichsten Punkt
in ziemlich offenem Wasser. Nebel und Sturm machten
gleichzeitig die Weiterfahrt bedenklich. Längs der Kante
des Packeises ging die Fahrt in südwestlicher Richtung zu-
rück. Am 15. September kam Hope-Insel in Sicht und
am 22. traf die Expedition glücklich in Tromsö ein.
„Während der Sommermonate waren nördliche und öst-
liche Winde vorherrsechend gewesen, welche jedenfalls die
Ursache der an der Ostküste von Nowaja Semlja vorla-
gernden Eismassen gewesen sind, während das Karische
Meer selbst eisfrei gewesen sein mag. Schiffer Jörgensen
ist aber der Ansicht, dass Dampfschiffe sehr leicht die Ca-
näle im Eise hätten foroiren können, wie er auch annimmt,
dass mit Dampfkraft Franz-Josef-Land ohne besondere
Schwierigkeit zu erreichen gewesen wäre”.
“ Beinahe gleichzeitig mit dem Telegramm Nordenskiöld’s
meldete der Telegraph aus Yokohama eine Unglücksbot-
schaft. Der zur Aufsuchung der schwedischen Expedition
bestimmte Dampfer „Nordensksöld” hatte Japan glücklich
erreicht. Auf der Fahrt durch das Rothe Meer, welche in
der heissesten Zeit erfolgte, hatte die Bemannung unter
der furchtbaren Hitze gelitten, und der Maschinist war an
Gehirnentzündung gestorben. Nach kurzem Aufenthalt in
Yokohama setzte das Schiff am 2. August seine Fahrt nach
der Bering-Strasse fort. Ein Privatbrief des Herrn v. Dan-
ckelmann aus Yokohama 29. Juli meldete, dass die Fahrt
durch den Indischen Ocean glücklich verlaufen und das
Schiff einen Teifun gut bestandenı hätte. Da ging aus
Hakodade ein Telegramm Capitän Sengstacke’s an Herrn
Sibiriakoff ein: Dampfer „Nordenskiöld” am 5. August bei
Nemoro, Ostküste von Jesso, im Nebel auf Strand gelaufen,
die Mannschaft gerettet. Ein späteres Telegramm des Prof.
Nordenskiöld an Herrn Sibiriakoff lässt aber Hoffnung, dass
das Schiff wieder abgebracht und geborgen werden könne.
Die amerikanische Polarexpedition, Dampfer „Jeannette”,
erreichte am 2. August Unalaschka. Hier wurden Kohlen
eingenommen und die Fahrt nach St. Michaöls (Alaska),
wo man sich mit Hunden und Pelzen versehen will, fort-
gesetzt. Anfang August befand sie sich, wie ein am 31. Au-
gust in Honolulu eingetroffener Waler „General Harny”
berichtete, im Kotzebue-Sund vor Anker, Der Vereinigte
Staaten -Zollkutter Richard Rush brachte Anfang August
die Nachricht, dass er in der Gegend der King-Insel
(65° N. Br.) gewesen und nach Norden offenes Wasser ge-
sehen; hierauf ist die vielfach ohne allen Grund cursirende
Kunde von besonders günstigen Eisverhältnissen dieses Som-
mers in der Bering-Strasse zurückzuführen. |
Die Schifffahrt aus Europa durch das Karische Meer zu
den sibirsschen Strommündungen war im August und den
ersten Tagen des September dieses Sommers an allen drei
Strassen durch Eis versperrt und die meisten der aus
englischen, schwedischen und deutschen Häfen ausgegange-
nen Schiffe kehrten Anfang des letzteren Monats unver-
richteter Sache nach Vardö zurück, während Dampfer
„Louise” , Capt. Dallmann, auf günstigere Eisverhältnisse
wartend, an Ort und Stelle blieb '., Von befreundeter
Seite gehen uns Auszüge aus den Journalen der Dampfer
„Louise” und „Neptun” zu Am 29. Juli wurde die Ka-
rische Pforte erreicht, jedoch war dieselbe durch dicht zu-
sammengepresstes Eis gesperrt, auch war nach N und O
kein offenes Wasser zu erblicken. Man steuerte daher süd-
wärts zur Jugor-Strasse, wo sämmtliche nach dem Ob und
Jenissej bestimmten Schiffe in den ersten Tagen des August
') Nach dem Ob waren in diesem Jahre folgende Schiffe : Dampfer
„Brighton”, Capt. Gibb, D. „Amy”, Capt. Hardcastie, D. „Mizpah’’
Capt. Baker, D. „Alston” (ist auf der Hinreise mit Havarie in Ar-
changel eingelaufen und hat dort gelöscht), D. Neptun’, Capt. Ras-
mussen ; nach dem Jenissej D. „Louise”, Oapt. Dallmann, D. „Samuel
Owen”, Capt. Clas, Segelschiff „Express’”, Capt. Gundersen, bestimmt.
Vom Ob gingen die Segelschiffe des Herrn Trapeznikoff aus: „Na-
djeschda”, „Tjumen” und „Ob”.
Nachrichten aus dem Polarmeere. 387
zusammentrafen. Der Dampfer „Amy” hatte bereits am
29. Juli die Mitte der Strasse erreicht, musste aber am
folgenden Tage in solcher Eile vor den mit südwestlichem
Strome nachdringenden Eismassen flüchten, dass er ein Boot
mit Mannschaft und Passagieren an der Samojeden-Station
zurücklassen musste. Das Eis trieb in den nächsten Tagen
aus der Strasse nach W und SW, so dass die Schiffe wei-
ter nordwärts in der Ljamtschina-Bai (SW-Küste der Wai-
gatsch-Insel) vor Anker gingen. Da auch hierher das Eis
drang, so dass die Gefahr entstand, eingeschlossen zu wer-
den, dampfte man wieder in See und versuchte, das Eis
südwärts umgehend, die Jugor-Strasse zu erreichen, jedoch
vergebens. Mehrere Tage wurden die Versuche erneuert,
diesen oder jenen Zugang zum Karischen Meere zu passi-
ren; am 13. August gelang es dem Dampfer „Louise”, bis
Ssuchoy Noss in der Mitte der Jugor-Strasse zu gelan-
gen, aber bald musste er wieder vor dem Eise zurückgehen.
Bis zum 22. August wurden bei vorherrschenden N- und
NW-Winden diese Versuche, das Karische Meer zu errei-
chen, fortgesetzt !).
Um auch das letzte Mittel, ihren Bestimmungsort zu er-
reichen, nicht unversucht zu lassen, dampften nun sämmtliche
Schiffe dem Matotschkin Scharr zu, dessen Eingang man
am 24. August frei von Eis fand. Am nächsten Tage er-
reichte man die Mitte der Strasse, die hier an einer engen
Stelle durch starkes Eis vollständig gesperrt war. Am 28.
wurde der Versuch erneuert und glücklich gelangte man
einige Meilen weiter nach O. Sobald eine Strömung aus W
einsetzte, löste sich das Eis und gelang es dem „Neptun”
am 3. September das Karische Meer zu erreichen. Er
dampfte eine Streoke in nördlicher, östlicher und südlicher
Richtung in dieselbe hinein, stiess aber überall auf un-
durchdringliche Eismassen, so dass man gezwungen war, in
die Strasse zurückzukehren und die Heimreise anzutreten,
da die späte Jahreszeit kaum Aussicht gewährte, noch in
diesem Jahre Hin- und Rückreise zu bewerkstelligen,
Am 8, September traf der aus dem Karischen Meere
zurückkehrende norwegische Schuner „Norland” den Dam-
pfer „Louise” in der Jugor-Strasse weiter gehend nach dem
Jenissej. Es ist um so mehr anzunehmen, dass diesem
Schiffe doch noch die Passage geglückt ist, da auch andere
zurückgekehrte Walrossjäger berichten, dass das Karische
Meer eisfrei gewesen sei, und dass nur an den drei Zugän-
gen eine starke Eisbank lagerte.
Dem Anscheine nach hat dieser Polarsommer Ähnlich-
ı) Ein junger deutscher Kaufmann, der den „Neptun’’ begleitete,
wollte den Versuch machen, von der Samojeden-Station aus über Land
Obdorsk zu erreichen, konnte aber nicht genug Renthiere bekommen ;
auch wollten die Samojeden nur 4 Stunden täglich fahren, so dass die
Reisedauer nicht abzusehen war.
I
keit mit dem von 1874, wo nach den Berichten des Capt.
David Gray!) durch anhaltende N-Winde Massen von Eis
im Ost-Grönländischen Meere weit südwärts trieben und,
nachdem dieser Eisgürtel passirt, nach N weithin offenes
Wasser war. Der obige Bericht über die Markham’sche Ex-
pedition ergiebt, dass der „Isbjörn” während der vergeb-
lichen Versuche dieser Schiffe, den Matotschkin Scharr zu
passiren, ohne Schwierigkeit Cap Mauritius, die fast 5 Breiten-
grade nördlichere Nordspitze Nowaja Semlja’s umfuhr! Dass
die Capitäne der Handelsschiffe diese unter allen Umständen
gewagte Fahrt (siehe Weyprecht’s Expedition) mit ihren
werthvollen Ladungen nicht unternommen haben, daraus ist
ihnen natürlich kein Vorwurf zu machen.
Die Erfahrung in Bezug auf die Eisverhältnisse in jenen
Gewässern datirt erst aus der letzten Jahresreihe ; 1869— 71
fanden jene Fahrten norwegischer Walrossjäger um Nowaja
Semlja und im Karischen Meere Statt, die eine vollständig
andere Ansicht über die Zugänglichkeit jener Gebiete schu-
fen, und seitdem wurde die veränderte Auffassung in jedem
Sommer durch die Erfahrung neu bestätigt. Der Walfisch-
fänger kennt freilich als Ausnahme sehr wohl die soge-
nannten Südeis-Jahre oder closed seasons, in welchen das
Eis der arktischen Regionen zu weit tieferen Breitengra-
den als sonst herabtreibt. Ein solches ist dieses Jahr.
Die Wetterberichte der zurückgekehrten und der mög-
licherweise durch die Eisbarriöre gedrungenen Schiffe wer-
den über Temperaturen und Winde Aufklärung bringen,
immerhin wird damit schwerlich die Erscheinung in ihren
Ursachen genügend enthüllt werden. Der ganze Vorgang
ist ein starkes Motiv für die von Weyprecht empfohlene
Errichtung circumpolarer Beobachtungsstationen, über deren
Ausführung Anfang October Delegirte verschiedener Regie-
rungen von Neuem in Hamburg in Berathung getreten sind.
Capt. Mournier kreuzte mit dem dänischen Kriegsschiff
„Ingolf” in diesem Sommer längs der Küste von Ostgrön-
land und nahm an mehreren Punkten des bisher noch un-
bekannten Theiles Peilungen vor, welche von der Geogr.
Gesellschaft in Kopenhagen veröffentlicht werden sollen.
Er sichtete sehr hohes Land
am 6. Juli unter 68°10' N. Br., 19° 5'’W.L.v.Gr. (Entfern.ca 120 Seom).
am 8. Juliunter67 7 n 27 211 nn» (Can n 60 „)
am 9.Juliunterr66 2 n» 80592 ° nn nn (nm » 90 »)
am 10. Juliunter 65 55 » 349 » » (nn n 80 »)
Fünf Tage lang dampfte er längs der Kante des Eises,
bis dieses ihn zwang, sich weiter von der Küste zu entfer-
nen. Nur an einem Punkte hat der „Ingolf” nach der Küste
zu den Curs überschreiten können, welchen die Hansa-
männer auf ihrer Schollentrift 1869—1870 zurücklegten.
!) Vergl. Geogr. Mitth. 1875, S. 105 ff., und Tafel 6.
UN,
388
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro's,
mit Bemerkungen über Land und Leute.
Von Dr. Emin-Bey, Gouverneur der ägyptischen Äquatorial- Provinzen. (Schluss 1).)
Geographische Notizen waren nur spärlich zu erhalten,
und lasse ich dieselben unerwähnt, um nicht in Baker’s
Irrthümer zu verfallen, der am See hinunter Namen von
Chefs für Länder &c. nimmt; u. A, ist Chor Kaigiri der
Baker’schen Kartehier völlig unbekannt. Ich komme doch
wohl selbst noch nach Süden, und so bedarf es keiner Con-
jecturen. Das von den Wanyöro und näch ihnen von
Baker Köschi genannte Land heisst eigentlich „Lüri”. Es
soll dort Circumcision und selbst Infibulation (?) üblich sein.
Kabrega’s Vater liess Leute von dort kommen und siedelte
sie in Londü an, und bei ihnen wird noch heute Beschnei-
dung geübt. Sie nennen sich selbst „Madündi”. Der hie-
sige District heisst Mugäia, weiter südlich folgt Muöng,
östlich liegt Gangesi. Die Namen der umwohnenden Völ-
ker sind in Kinyöro (auch Kigända) wie folgt:
Namen Bora sonen Kioydro (Kigända). Lend.
Längo-Ume£ra Wäkidi Kidi
Schuli Wäganj Gänj ?).
Schefalü ?) Wätsehope Tschöpi.
Von einigen Bewohnern von Ussöga, die mich be-
suchten, erhielt ich einige geographische Notizen. An der
Ostgrenze ihres Gebietes liegt, nach ihrer Aussage, in 5—--6
Tagemärschen vom Ausflusse des Nils aus dem Ukerewe zu
erreichen, ein Ort Täkka, der zum Schutze gegen die Ein-
fälle der östlichen Nachbarn mit breiten Gräben (sie!) um-
geben ist. Diese Nachbarn sind die „Wassawe”, welche
sich in Stoffe kleiden, mit langen Schwerten fechten und
mit diesen Speere geschickt zu pariren wissen. Der öst-
lichste Theil von Ussögs heisst Amära oder Uämara und
ist bisher nooh unabhängig.
Ganz Uny6ro ist in grosse Districte getheilt, denen je
ein vom Könige temporär ernannter „Maköngo’” vorsteht,
dessen Pflicht es ist, die für den Souverain bestimmten
Contributionen an Rindern, Getreide &o. einzuziehen und
die Rechtspflege auszuüben, doch steht ihm nicht das Recht
zu, die Todesstrafe auszusprechen, was nur dem Herrscher
zukommt — ganz abweichend von Ugända, wo jeder Ma-
köngo tödten darf. Oft kommen Appelle von den Urthei-
len des Maköngo an den König vor: der Bittsteller kniet
vor der Thür Kabröga’s in 10 Schritt Distanz nieder und
explicirt sein Anliegen. Kabrega entscheidet dann — nicht
immer zu Gunsten des Maköngo. Dieser ist für seine und
1) Den Anfang siehe Heft V, S. 179 ff., so wie Heft VI, S. 220 ff.
2) Gäni nach Speke und Baker.
3) im District an den Stromschnellen Karüma, Täda.
seiner Angehörigen Nahrung ebenfalls auf den von ihm
verwalteten District augewiesen, in dem er grosse Land-
striche durch eigene Sclaven bebaut und eigene Heerden
hat. Entledigt er sich seiner Pflichten gut, so bleibt er
im Amte, wo nicht, wird eines Nachts eine kleine Executiv-
macht abgesandt, sein Haus umstellt und Alles, was sich
darin befindet, Frauen, Kinder, Heerden &c. mit Ausnahme
erwachsener Söhne zum Besten des Königs oonfiscirt. Ein
anderer Maköngo wird ernannt, und derselbe installirt sich
sofort. Dieselben sind gehalten, sich von Zeit zu Zeit am
Hofe des Königs mit Geschenken zu präsentiren. Jeder
Maköngo ernennt eine Anzahl „Matöngali”, welche Distriots-
Abtheilungen nach denselben Maximen verwalten. Gewöhn-
lich werden alle von einem Maköngo bei seinem Amts
antritte vorgefundenen Matöngalis beibehalten, und so ist
diese Würde eine viel stabilere als jene, ja oft hereditär
geworden. Die Strafen bestehen meist in Confiscation von
Mädchen, Frauen, Kühen; die Todesstrafe wird selbst vom
Könige nur selten verhängt, weil, wie Kabrega mir sehr
richtig bemerkte, „ein todter Mann keine Abgaben zahlt”.
Hier wie in Ugända dürfen die Leichen Getödteter nicht
begraben werden, sondern werden in's hohe Gras geworfen.
Der Schimpanse ist in den südlichen Theilen Unyöro’s
nicht gerade selten; er geht nach Norden bis in die ge-
mischten Wälder zwischen Kfbiro und Massindi, während
er in Ugända viel weiter südlich bleibt, und sein Vorkom-
men mir nur aus U’ddu bekannt ist. Er heisst in Unyöro:
kinjabäntu (menschengleich) und in Ugända: masfkki. Diess
zusammengehalten mit Schweinfurth's Angaben aus dem
Njam-Njam-Gebiet lässt für dort ein mit der Vegetation
gleichen Schritt haltendes Vorgehen nach Norden erkennen.
Man spricht auch hier von Nestern auf Bäumen &c. und
giebt an, dass die Thiere, weil sie nur die höchsten Bäume
lieben, äusserst schwer zu erhalten sind. In Monbüttu und
den Njam-Njam-Ländern scheint dieser Affe übrigens viel
häufiger zu sein als hier, weil dort stärkere Waldentwicke-
lung ihm grössere Sicherheit bietet: es sind im Jahre 1877
—78 von dort vier löbende Exemplare nach Chartüm ge-
kommen, dort gestorben, aber weder wissenschaftlich noch
anderweit verwendet worden.
Hand in Hand mit der Verbreitung der anthropomor-
phen Affen gelit hier die Verbreitung der Papageien (Psit-
tacus eritliacus). Überall in Unyöro wird der Vogel zu
zwei und drei Exemplaren fliegend gesehen; er ist ein
hoher, schwerer Flieger, schreit im Fluge unaufhörlich und
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s, mit Bemerkungen über Land und Leute. 389
ist überhaupt einer der zeitigsten Vögel. Vor Sonnenauf-
gang schon hört man ihn kreischen, gegen Mittag ver-
schwindet er, um Mittagsruhe zu halten, und zeigt sich erst
wieder von 4 Uhr Nachmittags bis zum Abende. Die zahl-
reichen Sycomoren gewähren ihm erwünschte Nahrung, viel-
leicht geht er auch an Bananen, wenigstens nahmen die
Exemplare, die ich erhielt, diese Früchte gern, lieber noch
Zuckerrohr. In Ugända ist der Vogel sehr gewöhnlich und
wird hie und da in den Häusern gehalten, wo er ohne jede
Anleitung bald sprechen lernt. In Ussöga, wo er sehr häufig
vorkommt, wird er mit kleinen Netzen gefangen, und man
zieht ihm die rothen Schwanzfedern aus, die zum Schmucke
dienen, achtet aber wohl darauf, dass, wer die Procedur
vornimmt, ein dem Vogel Unbekannter sei. Die Federn
ersetzen sich sehr langsam wieder. Der nördlichste Ver-
breitungsbezirk für den Vogel wie für den Affen scheint
aber bis an 2° N. Br. zu reichen. Colobus Guereza, der
hier überall häufig, geht weiter nach Norden; ich habe
Felle aus der Umgegend von Fatiko (3° 1' N. Br.) er-
halten, auch in Lüri ist der Affe sehr häufig. Cercopithecus
griseo-viridis und ruber, so wie eine dritte graue Art und
mit ihnen Palaeornis cubicularis kommen überall vor, doch
nimmt ihre Häufigkeit gegen den Äquator zu ab. Paviane
verschiedener Art sind in den Bergen häufig. Zwei- bis
viermal wurden mir schwarze Papageien erwähnt; da das
Vorkommen von Ps. Timneh hier nicht erwiesen ist, mag es
sich wohl um dunkle Exemplare von Ps. erithacus handeln,
doch dürfte hier noch manches Neue zu finden sein.
In Bezug auf öffentliche Frauen existiren hier eigenthüm-
liche Einrichtungen. Im Hause Kabrega’s befinden sich eine
Menge Mädchen als Dienerinnen seiner Frauen, welche ge-
wöhnlich gute Tänzerinnen oder durch körperliche Vorzüge
ausgezeichnet sind, während sie bei Nacht unbeschränkte
Freiheit geniessen, man nennt sie „vränga”. Sobald ihr
Tagewerk vollendet, gehen sie aus, und falls sie von einem
Manne angerufen werden, gehen sie mit ihm und bleiben
je nach seinem Wunsche 4—5 Tage bei ihm. Oft genug
auch kommt es vor, dass sie aus freien Stücken einem ihnen
gefallenden Manne folgen und bleiben: der sie Aufnehmende
ist gehalten, sich ihren Wünschen zu fügen, für ihr Essen
zu sorgen &c. Ihre Belohnung besteht je nach den Um-
ständen des von ihnen Beehrten in Cowriemuscheln, Rinden-
stoffen, gearbeiteten Häuten, Rindern, selbst Sclaven. Fällt
die erwartete Belobnung zu gering aus, so erfolgt ihrer-
seits stets Berufung an Kabrega, der meist zu ihren Gun-
sten entscheidet, obgleich er keinerlei Nutzen von ihnen
hat. Alles nämlich, was sie erwerben, gehört ihnen, und
glückt es einer, recht viel zusammenzubringen, so etablirt
sie sich in eigener Seriba, heirathet auch wohl einen Scla-
ven des Königs. Wird eine schwanger, so gehört das Kind
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft X.
als Sclave dem Könige: ist es ein Knabe, so wird es später
in die Reihe der Pagen (vagaräggara) und erwachsen in
die Leibwache eingestellt, immer als Sclave; keinerlei Makel
jedoch haftet an ihm ob seiner unehelichen Geburt. Ist
das Kind ein Mädchen, so wird es zum Gewerbe der Mutter
erzogen, bleibt natürlich auch Sclavin Kabrega’s, der mit
diesen Frauen in keinerlei persönlichen Contact kommt.
Die Institution scheint eine sehr alte zu sein, und Kabrega
erzählte mir, dass die ersten solcher Frauen keine Wanyöro
gewesen seien. Ich habe mich etwas länger bei diesem
Gegenstande aufgehalten, weil in keinem Negerlande die
Prostitution sanctionirt ist, obgleich sie überall vorkommt.
Die am Markte feil gebotenen Sachen werden mit Namen
benannt, die von den im gewöhnlichen Verkehr gebrauchten
völlig abweichend sind. Während das übliche Wort für
Tabak „taba” heisst, wird es hier am Markte „irkäbu&”
genannt. Phaseolus lunatus für gewöhnlich „unverängo”,
hier aber „btüma”. Die Banane für gewöhnlich: „bitökı”,
am Markte aber „kahenda”. Ich wage vorläufig nicht zu
entscheiden, ob wir es hier mit Worten zu thun haben, die
von einer anderen Sprache (Ursprache des Landes, Gallas-
idiome) genommen sind, oder mit einfachen Localismen.
Letzteres ist unwahrscheinlich, weil mir später Leute in
den Kikünguru-Bergen, die ziemlich weit abliegen und mit
bier keine Verbindung haben, die Worte identificirten, als
ich sie ihnen nannte. Es sind ausser den oben genannten
noch: viakönga (muönge), Getränk aus Bananen; djürru
(megitta), Butter; rumömoro (ajäta), Batatas edulis; röngua
(münju), Salz; kjanjoa (njämma), Fleisch; kabümba (bus-
siäni), Mehl; udfvua (muärri), Kaffee; karamanjäso (issomu),
Lanze; kisveko (mbugu), Rindenstoff. Die eingeklammerten
Namen sind die landesüblichen.
Da mich Kabrega am 8. October wiederum mit Vor-
räthen bedachte, so stattete ich ihm einen Besuch ab, um
ihm zu danken, und zwar in seinem Privatbause, wo ich
ihn zum ersten Male arabisch gekleidet fand und mit ihm
arabisch plauderte. Die fetten F'rrauen, welche ich bei die-
ser Gelegenheit sah, bestätigen alle Angaben Speke’s und
Grant’s, dieser so gewissenhaften und zuverlässigen Reisen-
den, über ähnliche fette Frauen in Kardgua. Gerade solche
Sitten sprechen mehr als Alles über die ursprüngliche Zu-
sammengehörigkeit dieser Länder oder die gemeinsame Ab-
stammung der Herrscher, während Ugända trotz aller gegen-
theiliger Stammbäume und Assertionen doch immer nur ein
Eindringling und Parvenu bleibt.
Ein Spaziergang nach Süden zu führte mich am Berg-
abhange hin; die Berge, von ganz ansehnlicher Höhe, bleiben
zur Linken dicht an der Strasse und stehen zur Rechten
etwa 2 engl. Meilen ab, im Grunde fliesst Chor Kjäi zu-
erst nach Süden, dann nach Westen, Überall hohes Gras
50
390 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s, mit Bemerkungen über Land und Leute.
mit vielen Schlingpflanzen durchwirrt: ein riesiges Ocymum
mischt seinen Geruch mit mehreren Cruciferen; Ficus und
verschiedene Mimosen, so wie Combreten bilden den hier
wie überall lichten Wald, in dem ein hoher Baum mit
prachtvoll gelben, wohlriechenden Blüthen und Magnolien-
ähnlichem Blätterhabitus sich besonders auszeichnet. Im
Ganzen ist die Vegetation in Nord-Unyöro eine ziemlich
einförmige und steifblätterige, abgeselien von Plätzen, wo
Wasserläufe kleine Pflanzenparadiese hervorzaubern. Es
mag diess wohl darin liegen, dass, trotz gegentheiliger Be-
hauptungen Baker’s, Uny6öro im Ganzen und Grossen we-
nigstens für seinen Norden keinen vorzüglichen Boden bie-
tet wie Uganda, andererseits aber lassen auch die jähr-
lichen Brände der Pflanzenwelt keine rechte Entwickelung
zu; was von Stämmen erscheint, ist krüppelig und knorrig.
Nur die Bergränder, bie wohin das Feuer selten dringt, und
die Chorläufe bilden hiervon mit ihren prachtvollen Säulen-
stämmen Ausnahmen; schon in früheren Berichten habe
ich die Pracht solcher Pflanzenoasen erwähnt.
Nach einstündigem Wandern treten auf einmal die rechts-
seitigen Berge gegen Westen zurück, und es eröffnet sich
eine weite Aussicht über eine gewellte Ebene, in der fern im
Süden Einzelberge von kegeliger Form sich zeigen. Hinter
und neben uns ist jede weitere Aussicht durch hohe Berge
versperrt, nur in der Ebene ist die Linie des Chor tief-
grün zwischen den grauröthlichen Gräsern kenntlich. In
allen Falten des Terrains machen Rauchsäulen die An-
wesenheit der Bewohner kund. Drohende Regenwolken
bewogen zur schnellen Heimkehr, frischer Ostwind jedoch
befreite uns bald von ihnen, Die Regenstürme kommen
hier stets mit Süd- oder Südostwind. An Regen war wäh-
rend meiner Anwesenheit überhaupt kein Mangel; ich habe
keinen völlig regenfreien Tag zu 24 Stunden gehabt, oft
aber 3—4mal Regen an einem Tage. Ein eigenthümliches
Phänomen sind partielle Regen, z. B. regnete es bei mei-
ner Wohnung nicht, während bei dem kaum 10 Minuten
entfernten Hause Kabrega’s der Regen in Strömen nieder-
rauschte. Die höchste Temperatur, die ich hier erlebte,
betrug am 20. October 26,5° C.
Einmal beobachtete ich einen sehr schönen Fall von
Nachdämmerung. Der helle Lichtschein, der an verschie-
denen Stellen verschiedene Intensität und häufiges stärkeres
Aufleuchten mit folgendem Verglimmen zeigte, sass mit
breiter Basis auf dem westlichen Horizonte und streckte
seine Kegelspitze weit aufwärts. Nachdem schon völlige
Finsterniss eingetreten war, leuchtete dieser Schein noch
fort, bis er ?/, Stunden nach Sonnenuntergang völlig er-
losch. Der Himmel im Westen war leicht bewölkt, nichts
desto weniger war der Lichtschein glänzend. Die Erschei-
nung soll übrigens hier häufig vorkommen.
Sobald der Neumond sichtbar geworden ist, krachen
grüssend Schüsse zu ihm. Hörner und Flöten bilden ein
lebhaftes, wenngleich ein unbarmonisches Concert; die Musi-
kanten beugen auf und abgehend ihren Körper abwechselnd
vorn- und hintenüber und gehen entweder nur auf den
Fersen oder nur auf den Zehen einher. Kabrega selbst
ist dann mit Zubereitung seiner Zauberpulver, Amulette
und Talismane beschäftigt, treibt natürlich auch ein wenig
Divination, ganz wie alle Wahüma-Fürsten während der
ersten Neumondstage zu thun pflegen.
Zur Feier des Festes Ramasan-Bairam, arab.: Id essugäir,
sandte mir Kabröga am 9. schon frühzeitig ein Rind. Da
das Wetter es zufällig erlaubt, besteige ich den über un-
serem Lagerplatz sich aufthürmenden Berg. Ein von den
Heerden ausgetretener Fusspfad leitet bis dicht an den
eigentlichen Kegel, dessen Fuss in dichtem Grase und
Schilfe mit vielen Mimosen sich birgt. Der Boden ist hier
rein röthlich grauer Pflanzenmoder, unter dem eine etwa
60—65 cm starke braune Humusschicht liegt, die ihrer-
seits zur Unterlage scharfkantige Quarzfragmente hat. Der
Aufstieg ist sehr beschwerlich, an manchen Stellen beinahe
nur kriechend möglich, so schroff erhebt sich die Berg-
flanke, in der kaum hie und da ein Baum mit Salix-Blät-
tern Wurzel fassen konnte. Kurzer Rasen deckt die dünne
Erdschicht, welche auf Granit lagert, stellenweis auch
findet sich Quarz in Stücken. Je höher man steigt, desto
spärlicher wird die Vegetation, und auf dem Gipfel selbst,
den wir nach ?/,stündigem geraden Aufstiege erreichen,
stehen nur 4—5 kleine, niedrige Bäumcolhen, zwischen ihnen
Steinblöcke und pilzformige Termitenbauten aus grauem
Material. Aneroid und Thermometer geben folgende Zahlen:
9. October 1877 8b 00’ a. m. Lagerplatz 655,0 — 20,5;
8 49 a. m. Berggipfel 641,5 — 40,0;
(Thermometer nicht genügend vor Sonne geschützt!)
Es würde diess ohne Correcturen, roh gerechnet für
den Berg die stattliche Erhebung von über 4500 engl. F.
ergeben, was übrigens zu allen früheren Höhenbestimmun-
gen für Unyöro (Speke, Baker) gut passt.
Das vor uns sich ausbreitende Land ist nach Süden
und wenig nach Westen zu abfallendes Hochland, in dem
allerseits vereinzelte Kuppen von rundlicher Form, oder
selbst kleine Züge sich aufbauen, gleich ob als das ganze in
Urzeiten ein fortlaufendes Plateau dargestellt hätte, über
welches später die Kuppen dadurch sich hoben, dass enorme
Wassermassen die weniger Resistenz bietenden Theile ab-
schwemmten. In der Parallelstellung der Kuppen, die rechts
und links an der Strasse beinahe Ketten bilden, könnte
man mit einiger Phantasie die Betten und Läufe solcher
Wassermassen traciren: läuft ja noch heute gewöhnlich ein
Chor im Grunde solcher Defiles. Ein einziger Tafelberg ist
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s, mit Bemerkungen über Land und Leute. 391
hier sichtbar, leider konnte ich ihn nicht besteigen; übri-
gens liegen im Westen des Sees, der von hier aus des Ge-
birges halber nicht sichtbar ist, weit höhere Berge als der
von mir bestiegene, und auch Gebel Mosedja Mkürru („der
grosse Herr’”’) ist bedeutend höher. Er soll ein Plateau
darbieten, auf welches sich die Bewohner bei Angriffen
zurückziehen, so wie man auch von einem unergründlich
tiefen, kreisrunden See und merkwürdigen Höhlen weit in
Südost spricht. Ich will hierbei nooh bemerken, dass ich
in Bezug auf seinen Aufbau monotoneres Land als Unyöro
nie gesehen habe.
Nach Unyöro-Sagen waren Elephant und Schimpanse
einst Menschen, und auch der Hund war mit Sprache be-
gabt, sprach jedoch nur mit seinem Herrn. Ich gebe diese
Sagen in wörtlicher Übersetzung. Sage vom Elephanten:
Vor alten Zeiten hatte ein Mann einen braven Sohn, er
selbst aber war gewaltthätig und hatte seinen Nachbarn
viel Rinder abgenommen; er befahl einst seinem Sohn, zu
einem Nachbarn zu gehen und dessen Haus zu occupiren,
thäte er es nicht, so würde er ihn tödten. Der Sohn ging,
schlief in jenem Hause, fand aber am frühen Morgen, dass
alle Einwohner entfloehen waren. Nach Hause durfte er
nicht zurückkehren, hier wäre er allein verhungert; er bat
also den „grossen Zauber!’, ihn zu retten und wurde von
ihm sammt dem Hause zum Elephanten gemacht. — Sage
vom Schimpanse : Ein braver Mann hatte eine einzige Toch-
ter, welche von einem Nachbarn für dessen ihm nicht wohl-
gerathenen Sohne gefreit wurde. Das junge Paar lebte
kurze Zeit glücklich; als jedoch die junge Frau mitunter
sich von Hause entfernte, um ihre Eltern zu besuchen,
machte ihr Mann ihr den Vorwurf, sie brauche diesen Vor-
wand, um anderen Männern nachzugehen. Jeden Tag be-
handelte er sie schlechter; so entfloh sie denn, ging zu
ihrem Vater, dem sie ihr Unglück erzählte und dieser zür-
nend ob des Makels, der auf seine und seiner Tochter Ehre
gefallen, tödtete sich selbst. In diesem Augenblicke langte
sein Schwiegersohn an, der von dem „grossen Zauber” in
einen Schimpansen verwandelt wurde. Die Frau aber, die
sich trotz allem Vorgefallenen von ihrem Manne nicht tren-
nen wollte, folgte ihm, und von ihnen stammen die Schim-
pansen, die noch heute unter einander wie Menschen reden
und eine Vorliebe für Frauen haben.
Will ein Mann in Unyöro heirathen, so hat er seine
Frau zu erkaufen. Vier Ochsen oder Kühe (drei für min-
der schöne Mädchen) und ein Schaf bilden den gewöhn-
lichen Preis, von welchem, falls die Frau gebärt, zwei Rin-
der ihrem Vater zufallen, während die anderen zwei stets
zur Disposition stehen müssen. Verlässt nämlich der Mann
seine Frau oder verlässt diese ihren Mann, so gehen die
zwei Rinder an ihn zurück. Eine geschiedene Frau kann
sich sofort anderweitig verheiratben, doch ist ihr Werth in
Rindern natürlich geringer. Kinder gehören und bleiben
dem Vater. Hat sich ein Mann verheirathet und seine
Frau ist bei einem Besuche im Vaterhause krank gewor-
den und gestorben, so verlangt der Ehemann entweder eine
Frau — Schwester der Verstorbenen — zum Ersatze oder
erhält zwei Rinder. Fälle von Verstossung und nachheriger
Zurücknahme der verstossenen Frau kommen vor: ein Rind
wird bei der Zurücknahme geschlachtet. Ist ein armer Mann
nicht im Stande, die für seine Verheirathung erforderlichen
Rinder sofort zu beschaffen, so kann er sie nach Abkommen
mit dem Brautvater diesem nach und nach geben; die in-
zwischen geborenen Kinder gehören jedoch dem Vater der
Frauen und müssen jedes mit einem Rinde ausgelöst werden.
Kabrega disponirt unumschränkt über die Töchter seiner
Unterthanen, ist er mit einer Frau besonders zufrieden,
so erhält deren Vater Geschenke an Rindern. Er besitzt
ferner nach allgemeiner Wahuma-Sitte (Ugända, Karägua &c.)
alle Frauen seines verstorbenen Vaters und cohabitirt mit
ihnen — seiner Mutter ausgenommen, die bier jedoch kei-
neswegs das Ansehen geniesst, dessen sie sich in Ugända
erfreut. Wird eine Frau Kabrega’s schwanger, so wird ein
Matöngali berufen, sie ihm übergeben und ihr ein District
zum Unterhalt angewiesen. Bis sie geboren hat, bleibt sie
dort, und erst wenn das Kind 3—4 Jahre alt geworden,
kehrt sie zurück. Mädchen bleiben mit der Mutter im väter-
lichen Hause und können „erwachsen vom eigenen Vater
geheirathet werden”. Knaben werden nach einigem Aufent-
halte beim Vater zu Matöngali’s ernannt und erhalten einen
District, in welchem sie mit ihrer Mutter und ihrem ersten
Erzieher residiren. Stirbt nun der Herrscher, so kommen
zuvörderst alle solche Prinzenerzieher zusammen und stel-
len fest, wer unter den Söhnen des Verstorbenen der beste
und geeignetste sei. Natürlich bilden sich Parteien und es
kommt zum Kriege, bis Einer über seine Rivalen siegt und
sich des in der Todtenhütte seines Vaters befindlichen Thron-
stuhles bemächtigt, womit seine Herrschaft anerkannt: ist.
Dann werden die Brüder und nächsten Verwandten getöd-
tet, so will es die Sitte (in Ugända verbrannt!) und nur
1—2 davon übrig gelassen.
Der Leichnam des gestorbenen Herrschers wird gleich
nach seinem Tode gewaschen, über und über mit frischer
Butter gesalbt und in leichte Rindenstoffe gehüllt auf ein
hohes Gerüst in eigens dazu erbauter Hütte und Seriba ge-
legt. Unter dem Gerüst brennt Tag und Nacht Feuer —
die Lieblingsfrauen und Diener des Verstorbenen sind stets
anwesend —, bis der Körper völlig getrocknet und geräu-
chert ist; sodann wird der Lieblingsstier des Verstorbenen
getödtet, seine Haut zubereitet und der Leichnam in sie
und eine Menge Rindenstoffe und Häute gewickelt. Er
50*
392 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s, mit Bemerkungen über Land und Leute.
bleibt nun mit Frauen und Dienern in jenem Hause, bis
der Krieg unter den Thronprätendenten geendigt, oft Jahre
lang. Des neuen Königs erste Obliegenheit ist seines Vaters
Begräbniss, wie Baker es mit einigen Varianten beschrieben.
In Unyöro herrscht übrigens die Sitte, dass der König, so-
bald er schwer erkrankt oder in hohem Alter anfängt zu
kränkeln, von seinen Frauen getödtet wird, denn einer alten
Sage zufolge würde die Dynastie der Wawftu des Thrones
verlustig gehen, sobald ein König eines natürlichen Todes
stürbe.
Zwei Kaufleute aus Zanzibar sind von Karägua aus
bier eingetroffen, ohne Ugända zu berühren; beide sind
freigelassene Sclaven (fündi), die im Auftrage ihrer Her-
ren Elfenbein kaufen wollen, das häufig und ziemlich
woblfeil ist. Sie tauschen dasselbe gegen Stofle, Ge-
wehre, Pulver, Zündkapseln, Kupfer, Messing &c. ein.
Gegen Mittag des 10. October kam auch ein Trupp Wagända
hier an, um Handel zu treiben. Ihr Chef Mbäsi, ein alter
Bekannter von mir, suchte mich sofort auf und theilte mir
mit, dass Mtesa Leute nach Mrüli gesandt, um mich von
dort abholen zu lassen. Briefe, die ich am folgenden Tage
aus Mrüli erbielt, bestätigten. die Ankunft von 150 Wa-
gända, die, da iolı nicht dort, wieder nach Ugända zurück-
kehrten. Eben so habe ich englische und arabische Briefe
Mtesa’s erhalten, der mich einladet, zu kommen — aber
„keine Soldaten mitzubringen”. Auch die von meinen in
Mrüli befindlichen Effecten von mir verlangten Sachen (Ge-
schenke für Kabröga) wurden mir gesandt, aber den Trä-
“gern von Kabrega’s Leuten am Chor Kjsi abgenommen.
Ich mache natürlich sofort Reclamationen, auf die mir Ka-
brega sagen lässt, ich möchte mich nicht ärgern, er selbst
sei der Beleidigte und werde sofort das Nöthige veranlassen.
Zwei Tage darauf kamen die Leute, welche Kabrega
abgesandt hatte, zurück und legten das uneröffnete Packet
vor mir nieder. Ibrer Erzählung zufolge hatten sich sämmt-
liche Bewohner des betreffenden Dorfes geflüchtet und die
Sachen im Hause eines nahen Chefs deponirt, der sie ihnen
ausgeliefert habe. Ich sandte sofort zu Kabrega, um mich
zu bedanken und ersuchte gleichzeitig um eine Zusammen-
kunft, auf der ich meinen Abschied verlangen will. Bei
dieser am 15. Statt findenden Audienz wurden meine offi-
ciellen Aufträge zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit zu
Ende geführt, doch kann ich nicht umhin, nochmals das
freundliche Entgegenkommen zu betonen, welches ich bei
Kabrega fand und welches bis zum letzten Augenblicke
durch kein böses Wort gestört worden ist, so dass ich mich
stets mit Vergnügen der hier verlebten Tage erinnern werde.
Seine Gesandtschaft an Gordon Pascha, bestehend aus
Kassäbe, der früher Baker begleitete und schon in Gondo-
koro war, und dem Dragoman Mssfge, soll mich entweder
begleiten oder später nachkommen. Als Abschiedsgeschenk
überreichte ich ihm einen stark vergoldeten Säbel, der ihn
völlig bezauberte.e Ich kann somit darauf rechnen, in
8 Tagen, falls sonst keine Verzögerungen eintreten, meinen
Rückmarsch antreten zu können. Kabrega gab mir seine
„todte Uhr” mit, um sie in Khartüm repariren zu lassen,
auch hat er mich gebeten, ihm einen arabischen Schreiber
zu senden.
Landbesitz existirt in Unyöro nicht; der Landbewoh-
ner klebt, insofern er nicht etwa bei einer Razzia fort-
geschleppt wird, an der Schalle und wechselt mit dieser
den Herrn. Ausgenommen hiervon sind nur die Wahuma,
die mit ihren Heerden eine schon von Speke beobachtete
Sonderstellung einnehmen, doch werden auch ihre Mädchen
gern fortgeschleppt. Während von Nord nach Süd bis zum
Somerset-Flusse alle Töpferarbeiten nur von Frauen besorgt
werden, treten in Unyöro und Ugända an ihre Stelle die
Männer; übrigens können sich die Wanyöro nicht mit den
Waganda messen. Eben so fällt hier das Melken der Kühe
ausschliesslich den Männern zu, nie darf eine Frau das
Euter der Kuh berühren. Hausbau und Herbeischaffung
des dazu nöthigen Materials ist eben so der Männer Sache.
Die Begrüssungen in Unyöro sind fest geregelt. Guten
Morgen (rairöte, Antw. daabänte), guten Abend (geröba,
Antw. geröbera) wünschen sich Männer und Frauen, falls
sie früh oder Abends sich besuchen ; merembe lautet der
Gruss, den man austauscht bei Begegnungen auf der Strasse
oder unterwegs, und dem ein oft wiederholtes, bei ge-
schlossenem Munde ausgesprochenes „m’ folgt. Entfernt
man sich aus einer Gesellschaft, so sagt man „nkuäba”, ich
danke, und erhält zur Antwort „rafnmi”. Danke heisst
„vebbali” oder eleganter „nkudbassa” (ich bedanke mich).
Begegnet man einem Höherstehenden, so kniet man vor
ihm nieder oder steht mit halbgebeugtem Oberkörper vor
ibm, bis er vorübergegangen ist. Für die hohen Chefs
existiren eigene Grussformeln. So für Kabröga: ngünsono
kali (ich grüsse den höchsten), für Riönga: ngünsono diri
und für Anfina: ngünsono böki. Die niederen Chefs las-
sen sich von ihren Unterthanen dieselben Ehren erweisen,
die sie ihren Vorgesetzten bezeugen.
Unter dem Namen „madüdu” besteht der Gebrauch,
dass Jemand, der bestolllen worden ist und in einem An-
deren den Dieb vermuthet, denselben vor den König führt,
wo beide entweder selbst einen aus rothem Holze berei-
teten Zaubertrank trinken oder zwei Hühnern zu trinken
geben. Der Schuldige, resp. sein Huhn werden schwindlig
und so leicht erkannt. Dieser auch in Ugända übliche
Gebrauch ist indess, wie so viele andere Eigenthümlich-
keiten, vor der mit der Occupation verbundenen Halbcivili-
sirung des Landes im Verschwinden begriffen — was ich
Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s, mit Bemerkungen über Land und Leute. 393
heute als üblich notire, dürfte nach wenigen Jahren bald
mythisch geworden sein.
Die Wanyöro schneiden ihre Fingernägel dreieckig, so
dass in der Mitte des Nagels die Spitze des Dreiecks steht;
alle Haar- und Nägelreste werden sorgfältig unter der Bett-
statt aufbewahrt und später im hohen Grase verstreut. Wie
schon gesagt, extrahiren alle Wanyöro die vier unteren
Schneidezähne, oft auch die beiden Eckzähne; die Wassöga
die vier unteren Schneidezähne, die Wäkkidi (Lango) ein
bis zwei untere Schneidezähne, eben so die Bewohner von
Tschöpi (Schüli), die Wagända gar keine. Von näheren
Beziehungen zwischen weiteren Verwandten habe ich nie et-
was bemerkt. Brüder, Schwestern, Schwager und Schwieger-
sohn sind die gepflegten Verwandtschaftsgrade.
Die Mädchen in den Dörfern Uny6ro’s gehen bis zu
ihrer Verheirathung völlig naokt ohne Bedeckung der Schaam-
theile, selbst wenn sie das Haus verlassen. Auch die ver-
heiratheten Frauen gehen im Hause häufig nackt, jedoch
nie vor Dienern oder Fremden. Oft genug kommt es vor,
dass junge Mädchen Nachts zu ihren Liebhabern gehen und
erst früh in’s väterliche Haus zurückkehren; es gilt diess
nicht für anstössig. Wird jedoch ein Mann in der Hütte
eines Mädchens ertappt, so wird er so lange geprügelt, bis
er sich durch 1 Rind auslöst. Wird ein Mädchen unehe-
lich schwanger, so wird sie von ihren Eltern in das Haus
des Verführers gebracht und bleibt bei ihm bis zur Ge-
burt; stirbt sie während dieser, so ist der Verführer, falls
er sich nicht durch 6—9 Rinder loskauft, ebenfalls dem
Tode verfallen. Bleibt sie gesund, so nimmt ihr Vater
sie und ihr Kind und der Verführer kann nun beide oder
auch nur das Kind zurückkaufen. Der Preis für beide be-
trägt 6 Ochsen und 4 Schafe, für das Kind allein, wenn
männlich, 1 Rind und 4 Schafe, wenn weiblich, nur 4 Schafe
oder Ziegen.
Sind zwei Familien befreundet und wollen ihre gegen-
seitigen Kinder verheirathen, so erfolgen zunächst zwischen
den beiden Vätern 2—3malige gegenseitige Einladungen
zum Muönge (Bier oder Wein), wozu viele Leute gebeten
werden. Sodann geht der Brautvater zum Vater des Bräu-
tigams und bietet ihm seine Tochter „aus Freundschaft” an.
Es erfolgt nun die Debattirung und Festsetzung des Bratt-
preises und ein grosses Mahl, zu dem beide beisteuern.
Einige Tage nach Erlegung des Brautpreises erfolgt die
Abholung der Braut inmitten einer grossen Procession ; Ge-
sang und Tanz, so wie reichliche Muönge-Libationen führen
zum Bräutigamshause, wo die Braut dem Bräutigam über-
geben wird und die ganze Gesellschaft singend und tanzend
die Nacht durchzecht. Von dem bei dieser Gelegenheit vom
Vater des Bräutigams geschlachteten Ochsen erhält der
Brautvater für sich und seine Leute die beiden Hinter-
viertel. Am dritten Tage nach vollzogener Hochzeit ver-
sammelt sich das ganze Dorf, um den Tögul der Neuver-
mählten mit Heu auszupolstern, wobei neue Libationen fol-
gen. Am sechsten Tage nach der Hochzeit endlich besucht
die junge Frau ihre Eltern, während welches 3—4tägigen
Besuches sich ihr Mann fernhält. Neue Gelage von Seiten
des Brautvaters enden die Ceremonie. Die junge Frau
kommt in ihr Haus zurück und verbringt ihre Zeit, falls
ihr Mann wohlhabend, mit Rauchen, Kaffeekauen, Nichts-
thun und Besuchen.
Wird nun eine Frau schwanger und kommt die Stunde
der Geburt, so werden alle erfahrenen Frauen gerufen, um
der Gebärenden beizustehen: diese kauert mit ausgespreiz-
ten Knien auf die Fersen nieder, eine oder zwei Frauen
unterstützen Rücken und Arme und die Hebamme sitzt vor
der Gebärenden, um das Kind zu empfangen. Der Aus-
tritt wird durch Streichungen über die Uterusgegend be-
fördert. Tritt das Kind mit dem Kopfe aus, so gilt diess
als günstig; Austritt der Füsse kündet Unheil für die Fa-
milie. Vorfall der Arme wird reponirt und die Wendung
versucht, und zwar von Männern, die es verstehen und
eigens dafür Geschenke erhalten. Stirbt eine Frau in der
Geburt, so wird sofort die Bauch- und Uteruswand mit
dem Messer eingeschnitten und das Kind, gleichviel, ob le-
bend oder todt, entfernt: Unterlassung hat, weil von äus-
serst schlimmer Vorbedeutung für das Dorf, schwere Stra-
fen an Rindern, Ziegen, selbst F'rauen von Seiten des Chefs
zur Folge. Viele Frauen sterben an Blutungen während
und nach der Geburt, vermuthlich durch Zerrungen der
Placenta entstanden, Die Nabelschnur wird sehr weit vom
Nabel mit scharfem Rohrsplitter durchschnitten und auf
den Leib des Kindes gebunden, bis sie eintrocknet und ab-
fällt, was durch häufige Fetteinreibungen beschleunigt wird.
Ligatur ist völlig unbekannt. Die Placenta eines männ-
lichen Kindes wird an der innern, rechten Seite der Thür,
die eines weiblichen Kindes an der innern, linken Seite der
Thür im Innern des Hauses begraben. Bis zum Abfall der
Nabelschnur dürfen weder Mutter noch Kind das Haus ver-
lassen, noch die Mutter zich rasiren. Das Neugeborene
wird mit lauem Wasser gewaschen und dann mit rothem
Thon und Fett eingerieben.
Am fünften Tage nach der Geburt nimmt die Mutter
ihr Kind und setzt sich mit ihm auf die Thürschwelle, ein
Schaf wird geschlachtet und der Grossvater väterlicher Seits
oder falls dieser todt, die Grossmutter mütterlicher oder
väterlicher Seits giebt die Namen, gewöhnlich zwei, von
denen der eine beliebig gewählt wird, während der andere
auf irgend welche Eigenthümlichkeit des Körpers &c. Bezug
nimmt. Das Fell des bei der Namengebung geschlachteten
Schafes dient zum Tragen des Kindes, welches auf den
394 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s, mit Bemerkungen über Land und Leute.
Rücken der Mutter gelegt mit dem Felle bedeckt wird, so
dass dessen Vorderbeine über die Schultern und dessen
Hinterbeine über dem Leibe der Mutter zusammengebun-
den werden. Das Kind wird von der Mutter bis zum 18.
Monate gesäugt und dann durch bittere auf die Brüste ge-
strichene Säfte entwöhnt, während welcher sich die Frau
von ihrem Manne fern hält. Die Frauen altern hier schnell;
viele sind steril; die meisten haben nur 2—3 Kinder:
Rudimentäre Entwickelung eines Mannes als dauernde Ano-
malie ist ziemlich häufig.
Sehr eigenthümlich sind die mit der Geburt von Zwil-
lingen verknüpften Gebräuche. Werden solche geboren, so
veranstaltet man allgemeine Festlichkeiten im Dorfe und
bringt von allen Seiten der Mutter reiche Geschenke. Der
Erstgeborene (ob Mädchen, ob Knabe) heisst „singoma”,
der Nachgeborene „k&to”. Die Placenta lebender Zwillinge
wird in einem grossen, irdenen Gefässe in eine schnell im
Hofe errichtete Ministur-Hütte gestellt, wo sie 4 Tage
bleibt, um dann in Procession nach einer anderen im hohen
Girase errichteten grossen Hütte gebracht und dort ver-
lassen zu werden. Sterben aber die Zwillinge, so werden
sie mit ibren Placenten zusammen in einem irdenen Ge-
fässe in der Hütte der Mutter gelassen bis zu beginnender
Verwesung. Auch in diesem Falle wird im Hofe die Minia-
tur-Hütte errichtet, bei der ein Mann wacht, um die Hyä-
nen zu verscheuchen, und dann erfolgt die Aussetzung wie
oben. Bis zu dieser, einem völlig willkürlichen Zeitraume,
dürfen die Bewohner des Hauses sich nicht rasiren, halten
sich auch als Zeichen der Trauer von allen Leuten fern.
Ist die Aussetzung endlich definitiv beendet, so scheeren
sioh Männer und Frauen die Haare, legen für einige Zeit
allen Schmuck (Armbänder &c.) ab, und endlich wird das
Haus, in welchem die Geburt vor sich ging, verbrannt.
Damit ist die Bühne erfolgt.
Zu den Ursachen, welche die hiesige Bevölkerung redu-
ciren, gehört in erster Linie die hier schrankenlose Poly-
gamie. Es würde schon für einen kleinen Chef geradezu
unanständig sein, weniger als 10—15 Frauen zu haben,
arme Leute haben je ihrer 3—4. Da nun der betreffende
Herrscher immer nur 4—b Favoriten hat, diese stets
unter den jüngsten wählt und sobald sie einige Monate mit
ihm gelebt vielleicht schon gegen jüngere vertauscht, wird
eine Masse von Frauen brach gelegt, die sonst gut produc-
tionsfähig wären. Dazu kommt die gar zu frühzeitige Ver-
heirathung. Die Productivität der Frauen ist auf die Jahre
zwischen 12—25 beschränkt. Unyö6ro’s Frauen sind nicht
productiv, dagegen die Wagända und die Wäkkidi (Längo)
oft mit 10—12 Kindern gesegnet. Ich habe nie ältere
Frauen mit Kindern gesehen.
Zu den in Uny6ro cultivirten Gewächsen gehören Yams
(bfrai), die Helmia bullifera (makfngo) und die Noandzeia
subterranes (mpändi), die hier nur einfarbig, roth oder
schwarz ist und leicht weich kocht im Gegensatze zur har-
ten, gefleokten Bari-Art. Manihot utilissima kommt nur im
Süden des Landes vor und ist von jenseit des Äquators
eingeführt worden. Sehr beliebt ist Phaseolus Mungo (nt6jo),
die ungemein weit verbreitet scheint; ich erinnere mich,
diese Art in Süd- und Ost-Arabien, wo sie munge genannt
wird, ebenfalls gesehen zu haben.
Wiederholt schon war mir Abends ein trommelndes
klopfendes Geräusch aufgefallen, das lange in die Nacht
hinein dauerte. Es sind diess die Termiten-Sammler, die
neben den „Kanatfr” (Termitenhügeln) Feuer anzünden und
durch Klopfen auf Holzstücke das Ausschwärmen der männ-
lichen Termiten zu beschleunigen glauben. Diese werden
roh oder geröstet verspeist. Man nennt diese Termiten
usv& und ihren Bau kisva.
Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, dass man hier
bei allen Negervölkern kaum ein domesticirtes oder in
Gefangenschaft gehaltenes Thier findet. Dem Neger fehlt
der Sinn für dergleichen; seine Natur ist völlig negativ.
Von Katzen findet man hie und da eine domesticirte Wild-
katze, auch wohl von Norden her eingeführt die Hauskatze.
Die Hunde sind von mittlerer Grösse mit ziemlich spitzer
Schnauze, tragen den ziemlich langen, kurz behaarten
Schwanz aufrecht, die Ohren überhängend und sind lang
gestreckt und mager, meist von ledergelber Farbe.
Gemeinsame Jagden kommen oft vor; werden sie pri-
vatim arrangirt, so wählen die Theilnehmer den Anführer
unter sich, werden sie auf Initiative des Stamm-Chefs unter-
nommen, so ernennt dieser den Anführer. Wer die erste
Lanze auf ein Thier wirft, erhält bei dessen Erlegung einen
Vorderfuss. Die Vertheilung der Beute geschieht durch
gegenseitiges Übereinkommen. Flüchtet das Wild auf frem-
des Terrain und verendet dort, so erhält der Eigenthümer
des Bodens den rechten Vorderfuss desselben. Wird ein
Leopard oder Löwe in der Nähe der Wohnung des Chefs
getödtet, so trägt man das ganze Thier zu ihm; ist der
Ort, wo das Thier erlegt wurde, zu weit entfernt, so wird
das Fell dem Könige gebracht. Tödten Leute in fremdem
Lande eines dieser Thiere, so gehört das Fell dem Könige
des Landes. Von getödteten Elephanten gehört in Unyöro
ein Zahn von Rechtswegen dem Könige, den anderen kann
der Jäger hehalten, der König tauscht ihn aber gewöhnlich
gegen ein Mädchen aus.
Bei einem Ausfluge, um zu sammeln, habe ich auf
hohen Ficus-Bäumen, die von einem sehr grossen leder-
braunen Rüsselkäfer mit schwarzen Stricheln am Thorax
viel zu leiden haben, Parasiten gefunden, die dem Schwein-
furth'schen Platycerium elephantatis äusserst ähnlich schei-
—
Journal einer Reise ven Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s, mit Bemerkungen über Land und Leute. 395
nen. Die grossen, etwa 36 cm messenden sphärisch qua-
dratischen Blätter sind dunkelgrün, fleischig und vielfach
genervt. Die Oberfläche ist mit einzelnen Wollhaaren be-
setzt, die Unterfläche dichtwollig bräunlich. Besonders cha-
rakteristisch ist, dass jedes Blatt eine gerade abgeschnittene
Seite hat, während die anderen convex sind. Blüthen sind
nicht vorhanden. Wie riesige Ohrlappen hängen die Blät-
ter am Stamme des Baumes, der sie beherbergt.
Alle Bäume sind mit Nestern von Astrilden, in denen
sich Eier und Junge vorfinden, förmlich überdeckt. Ein
unteres Nest beherbergt die Mutter (Nachts) und Eier, über
diesem ein kleineres Sitznest für den Vater. Es sind hier
vertreten: Sporothlastes fasciatus, Spermestes cucullatus,
Ortygorpiza atricollis und verschiedene Halropyga. Lago-
nasticta, so gross wie in Ugända, habe ich hier nicht ge-
sehen, und nur sehr vereinzelt Uraeginthus phoenicotis.
Wie sehr die Könige dieser Länder für ihre eigene
Person bedacht sind, mag Folgendes erhellen. Abgesondert
von allen Häusern dicht am Chor steht ein kleiner, von
eigener Serfba umgebener, ängstlich bewachter Töqul. In
ihm befindet sich der nur für Kabrega’s Gebrauch bestimmte
Brunnen, aus welchem täglich ein Mal, bei Sonnenaufgang,
des für Kabrega nöthige Wasser geschöpft und in ver-
schlossenen Gefässen nach seinem Hause transportirt wird.
Ein durch Blut mit dem Könige verbrüderter Matöngali ist
Chef der Wächter. Eben so werden die für des Königs
persönlichen Milchbedarf bestimmten Kühe ganz abgeson-
dert gehalten; sie werden früh, vor ihm gemolken und
gehen dann, von einem Manne und einem Knaben beglei-
tet, zur Weide. Ihnen vorauf geht der Knabe laut aus-
rufend: des Königs Rinder! und jeder in der Nähe befind-
liche Mann hat sich schleunigst zu entfernen, will er nicht
getödtet werden. Als ich nach der Ursache fragte, erhielt
ich zur Antwort, es gäbe Leute, deren Blick Milch in
Blut verwandeln könne. Diess Phänomen scheint also auch
hier bekannt.
Nach den Tönen der Ugända- Trommeln zu urtheilen,
sind am 19. October nach 9tägigem Warten die Wagända
wirklich empfangen worden. Auch scheint heute Tribut-
Entrichtungstag, wenigstens sehe ich hier vor Kabrega’s
Divan eine Menge Packete und Ballen, so wie Haufen neuer
Rindenstoffe, und die Menge der versammelten Leute be-
weist, dass grosser Empfang vor sich gehe. Etwas später
sendet mir der König einige Lasten Mehl als Reiseprovision.
Einige Tage darauf erhalte ich noch 6 Rinder dazu. Es
ist die gewöhnliche Art ohne Hörner, mit kleinem Buckel.
Dann wurde ich zu Kabreöga gerufen (22. October). Er
war mit einer Menge Leute in eifrigem Gespräche, unter
ihnen bemerkte ich die Wagända; als ich aber kam, wurde
die ganze Gesellschaft verabschiedet und ich zunächst ge-
beten, ihm meine Revolver zu zeigen, nach deren Besich-
tigung er für später um ähnliche bat. Das sehr lebhafte
Gespräch über die verschiedensten Themata verlängerte
sich bis nahe zum Abende, und erst strömender Regen ver-
enlasste mich zur Rückkehr. Meine eigentlichen Geschäfte
hier sind zu Ende, zum Sammeln kommt es kaum, weil
alle Präparate, Vogelbälge &c. in der ganz unbeschreib-
lichen Nässe und Feuchtigkeit zu Grunde gehen — ich bin
also zur Abreise fertig. Am folgenden Tage erfolgte meine
Abschiedsaudienz, und mit Genugthuung kann ich constati-
ren, dass der Wunsch, einander wieder zu sehen, beider-
seits ein ehrlicher ist. Die Leute, welche nach Khartdm
gehen sollen, sind noch auswärts, um ihre Geschäfte in
Ordnung zu bringen; sie werden mich später in Mrili ein-
holen, wie mir der König mittheilte.
Meine Träger, die mir für den folgenden Tag verspro-
chen waren, erschienen natürlich nicht, obgleich Mssfge, der
mit mir geht, schon frühzeitig zur Stelle war. Zu meiner
grossen Verwunderung erhielt ich Briefe aus Magüngo, von
wo man, wie es scheint, hierher kommen will. Im ersten
Augenblicke war ich beinahe entschlossen, dorthin zu gehen,
gab aber diese Idee bald auf, da meinen Leuten bei den
ewigen Regen der Weg zu lang werden dürfte,
Nach langem Verzögern und sehr eigenthümlichen Nach-
richten über das Vorgehen von Nur-Bey, dem stellvertre-
tenden Commandirenden der Äquatorial-Provinzen — einem
eben so lügnerischen als kriechenden Nichtsnutz —, ver-
sammelten sich endlich die Leute, und nachdem mir Ka-
brega noch zum Abschiede zwei grosse Elephantenzähne
als Geschenk gesandt, erfolgte am 25. October Mittags der
Abmarsch auf der Strasse, die uns hierher geführt. Vom
Quartiere Kabreöga’s knallten die Gewehrsalven dem schei-
denden Gaste zu Ehren. Duroh den vielen Regen sind
alle Gräser noch höher aufgeschossen, die Rohrdickichte
noch undurchdringlicher, die Dornen noch impertinenter
geworden. Dazu steht das Wasser in Lachen und Pfützen
oft kniehoch. Nachdem wir Chor Kabrogetta passirt, des-
sen stark eisenhaltiges Wasser den Leib auftreiben soll,
und noch eine Weile marschirt waren, bogen wir plötzlich
nach rechts in einen recht vernachlässigten Bananenwald
ein und hier, hiess es, solle zur Nacht geblieben werden.
Die Leute zerstreuten sich auch sofort, als ich mich aber
nach Unterkommen umsah, fand sich nur eine völlig zer-
fallene, grenzenlos schmutzige Hütte vor. So bestand ich
denn auf den Weitermarsch und obgleich, ehe ich die Leute
beisammen hatte, wohl eine Stunde verging, verliessen wir
doch das ungastliche Kikfnda, gingen in sehr beschwer-
lichem Marsche durch Wasser und Gestrüpp noch über
1'/, Stunde vorwärts und occupirten endlich gerade bei
Sonnenuntergang einige Hütten des in einem grossen Bana-
396 Journal einer Reise von Mrüli nach der Hauptstadt Unyöro’s, mit Bemerkungen über Land und Leute.
nenwalde gelegenen Dorfes Blind. Der Lauf des Chor,
eine dunkelgrüne Gallerie, blieb uns stets zur Linken. In
einer Hütte hing hier ein aus Holzstücken zusummenge-
setztes Dreieck mit einer Menge kleiner, geschlitzter und
mit Steinchen gefüllter Kürbisse behangen: eine Folio-
Klapper zur Tanzbegleitung. Unterwegs salı ich mehrere
schöne Dracaenen.
Nachts fiel kein Regen, früh aber war Alles grau in
Grau. Trotzdem marschirten wir ab, mit wenigen Abwei-
chungen die bei der Herkunft begangene Strasse innehal-
tend. Zwei mit hohen Amomen eingefasste Windungen
des nun wasserreichen, rauschenden Chor Kjsi wurden bei
kniehohem Wasserstande schnell passirt, mehr Schwierig-
keiten aber machten die grossen, nun folgenden Papyrus-
Sümpfe mit ihrem Wurzelgewirre. Ein schönes Exemplar
von Scopus umbretta nahm ich von hier mit. Kaum hatten
wir den Sumpf passirt, als der früher erträgliche Regen
mit solcher Wucht niederschlug, dass wir in aller Eile vor-
wärts stürmten, bis nach etwa "/sstündigem Laufe wir Ki-
töngali etwas unterhalb der Stelle erreichten, wo wir früber
genächtigt.
Ich mache hier ausdrücklich darauf aufmerksam, dass
in Unyöro, Ugända, Ussöga und Karägua die Ortsnamen
zugleich für den den Ort umgebenden kleinen District gel-
ten, zwei Reisende also sehr wohl denselben Ort berührt
haben können, ohne dass ihre Ortsbestimmungen genau über-
einstimmen müssten. Dahin erklären sich wohl auch die
Abweichungen, die man von Speke’s so vorzüglichen Posi-
tions-Bestimmungen gefunden haben will.
Einige Hütten boten den erwünschten Schutz; am
flackernden Feuer trockneten wir uns, und erst um Mittag
konnte der Weitermarsch aufgenommen werden. Es pas-
sirte mir hier der unangenehme Zufall, dass ich unterwegs
mitten im Regen mein Notizbuch verlor und dasselbe trotz
allen Suchens nicht aufzufnden im Stande war, bis nach
beendigtem Regen eine Frau mir dasselbe unversehrt zurück-
stellte. Kurz vor dem Abmarsch ereignete sich noch ein .
anderer Zufall. Massige wollte einer Frau einen Topf voll
Lubien abnehmen, diese aber, den Scherz übelnehmend,
schlug ihn mit dem Topfe auf den Kopf und brachte ihm
so eine stattliobe Schnittwunde bei. Sofort entstand furcht-
barer Lärm; zuerst wollte man die F'rrau tödten, begnügte
sich später jedoch auf meine energischen Protestationen,
aus ihrem nahe gelegenen Hause einen jungen Ochsen, so
wie Rindenstoffe und Häute mitzunehmen. Der hiesige
District gehört meinem Bekannten Melfmbua, der wohl mit
dieser Selbstjustiz nicht einverstanden sein wird. Masige's
Kopf wurde so gut wie möglich verbunden und wir kamen
nun endlich zum Weitermarsch, der uns nach vielem Waten
in Schlamm und Wasser bald zu unserer eigentlichen, alten
Strasse zurückführte, auf welcher wir Nachmittags spät
Kimänja erreichten. Meine früheren Wohnhütten waren
von den Besitzern, weil ich, ein Weisser, darin geschlafen,
verbrannt worden, ich wurde jedoch von Vakümba freund-
lich bewillkommnet und konnte hier sogar eine Ziege er-
langen. Auch ein hübsches Fell des hier in Unyöro sehr
häufigen Tragelaptus scriptus wurde eingetauscht.
Kabrega hatte mir Matöngali Matebere mitgegeben, um
für meine Träger und Bequemlichkeit zu sorgen, dieser je-
doch zog es vor, sich so viel als möglich gar nicht um
mich zu kümmern. Am 27. Ootober war es schon 9 Uhr
geworden und noch kein Träger sichtbar; ich sandte des-
halb zu ihm, konnte jedoch weder Antwort noch Träger
erhalten. So befahl ich denn den Abmarsch und liess ihn
mit all’ meinen Sachen, für die ich ibn seinem Herrn gegen-
über verantwortlich machte, zurück, er versprach übrigens,
bald nachzukommen. An einer prachtvollen Sycomore vor-
über, deren Luftwurzeln zu eben so viel Stämmen (9) ge-
worden, ging es nun weiter bergauf, bergab immer im
hohen Grase, bis wir an einem für Kabrega’s Rinder er-
richteten Wasserbecken ein wenig rasteten. Ein einziges
Euphorbium veneficum, sonst hier gar nicht vorkommend,
fiel mir nahe dem Wasser auf. Der fortwährende Kampf
mit Dornen und Gras hatte uns schon recht müde gemacht,
wir waren also froh, als wir von hier aus einige miserable
Hütten erreichten und dort vor dem wolkenbruchartigen
Regen uns schützen konnten, der nun hernieder ging. Frei-
lich waren von meinen Sachen nur einige völlig unnütze
Lasten angelangt, während Bett- und Kochzeug zurück-
geblieben waren: so hiess es, mit hungrigem Magen seine
Schlafstelle suchen, obwohl der von allen Seiten das Was-
ser durchlassende Töqul mit seinen Mosquitos und Lecken
auch kein Paradies war. Eine Rindshaut, im Freien aus-
gebreitet, war noch die beste Lagerstatt, gegen Morgen aber
wurde es verzweifelt kalt. So waren wir denn alle recht
zufrieden, als die Sonne aufging und wir beschlossen, ob-
gleich auch heute unsere Sachen nur sehr langsam anka-
men, den Weitermarsch. Der Ort hier heisst Btöbe und
war nur von einer Familie, einem Manne, acht Frauen,
zwei Kindern und einem Hunde bewohnt.
Ein kurzer Marsch durch hohes Gras brachte uns nach
Londü, das wir etwas seitwärts liegen liessen, um Y, Stunde
später in Kidjiveka anzuhalten, wo man uns sofort einige
gute Hütten zur Disposition stellte und auch einige süsse
Bataten gab, die nach 36stündigem Hunger sehr gut mun-
deten. Die Leute dieses Districts, von sehr dunkler Haut-
farbe (Madundf), sprechen eine vom Kinyösro völlig abwei-
chende Sprache, die besonders durch ihre schnurrenden und
ihre gehackte Syllabirung auffällt. Sie sollen von der West-
küste der Mwutän-Nzfge stammen und üben noch heute die
Geographischer Monatsbericht. 897
Circumeision. Ihre Häuser unterscheiden sich durch den
Bau der Wände aus Rohr und durch hohe Portale wesentlich
von den halbkugeligen Bienenkörben Unyöro’s. Einige
Kinder waren sehr hängebäuchig, wohl eine Folge der un-
regelmässigen Ernährung — heute viel, morgen Nichts,
Die Frauen tragen die schon von Baker bemerkten hüb-
schen, stufigen Jupons aus Rindenstoffen. Alle rauchen aus
Pfeifen von enormer Rohrlänge.
Klarer Himmel kündete einen heiteren Tag an und un-
sere Station Kissüga liegt ganz nahe; dort konnten wir zu
rasten hoffen. Gerade vor dem Abmarsche aber kam auf
einmal Matebere und mit ihm das Gros meiner Effecten,
freilich fehlten immer noch neun Lasten und mit ihnen mein
ganzer Buttervorratb. Es gab nun eine Menge Entschul-
digungen und Redensarten von Widersetzlichkeit und Flucht
der Leute &o., so wie vieles Rühmen seiner eigenen Dienste;
ul PERL G
da mir jedoch mein Bekannter Biäbo, der hiesige Districts-
Chef, sehr zuvorkommender Weise sofort Leute stellte,
konnte ich den Marsch gleich wieder aufnehmen. Eine
kleine Verzögerung erfolgte durch die Ankunft von Leuten
Kabreöga’s, welche in seinem Namen Masige befahlen, die
für seinen zerschlagenen Kopf unterwegs annectirten Sachen
sämmtlich zurückzustellen. Nach seiner Rückkehr möge er
klagen und Recht suchen.
Von 8—10 Uhr Vormittags erkämpften wir unseren
Weg durch Gras und Schilf, rasteten in einem Bananen-
walde ein wenig und kamen endlich müde und erschöpft
um 2 Uhr Nachmittags nach unserer Station Kissiga, von
wo nach einem Rasttage wir durch völlig überschwemmtes
Land nach Mrüli zurückkehrten. Meine fehlenden Sachen
habe ich einige Tage später in Mrüli unversehrt und un-
verletzt zurückerhalten.
EI DE LEBE IE LES
Geographischer Monatsbericht.
Europe.
Die erste uns zu Gesicht kommende Xarte der am
1. October in’s Leben getretenen Gerschts-Organisation ım
Deutschn Reiche ist vom Ingenieur und kgl. Feldmesser
Hugo Knoblauch nach amtlichen Quellen gezeichnet und
nebst einem alphabetischen Verzeichniss der Amtsgerichte
im Verlag von C. Heymann zu Berlin erschienen. Der
Maasestab von 1:2000000, der immerhin schon ein gros-
ses Blatt bedingt, erlaubte die Eintragung der Oberlandes-
und Landesgerichtsbezirks- Grenzen, wogegen die. Amts-
gerichte nur durch die Orte, in welchen sie ihre Sitze
haben, angedeutet wurden. Der erste Staat, der mit einer
officiellen Publication über Areal und Bevölkerung der
neuen Oberlandes-, Landes- und Amtsgerichtsbezirke vor-
geht, ist Bayern, dessen statistisches Bureau unter dem
Titel „Gemeinde- Vorzeichniss für das Königreich Bayern”,
hergestellt auf Grund der neuen Organisation &o. (München
1879), die erwähnten Nachweise nebst einem nach den
neuen Gerichtsbezirken geordneten Gemeinde - Verzeichniss
zusammengestellt hat.
Ein Werk voll der interessantesten Details und dabei
doch von ungewöhnlicher Übersichtlichkeit und Klarheit
ist R. Wolf’s gelehrte „Geschichte der Vermessungen ın der
Schweis”, die als Einleitung zu den Arbeiten der schwei-
zerischen geodätischen Commission bei S. Höhr in Zürich
erschienen ist.
J. Riedel hat eine Regenkarte des Flussgebietes der Theis
entworfen, die nebst Erläuterungen in der Zeitschrift des
österr. Ingenieur- und Architekten - Vereins 1879 und in
der Zeitschrift der österr. Gesellschaft für Meteorologie,
September 1879, veröffentlicht ist.
In Ergänzung früherer Arbeiten bringt Karl Pettersen
in Tromsö in einem Aufsatz: .„‚Terrassedannslser og gamle
Strandlimier, andet Bidrag”' (Archiv for Mathematik og Na-
turvidenskab, IV. Jahrgang, Christiania, Cammermeyer 1879,
Petermaan’s Googr. Mittheilungen. 1879, Heft X.
p. 167—179) einen neuen lehrreichen Beitrag zur Kennt-
niss der Küstenbildungen seiner Heimath; über die Geo-
logie des südlichen Norwegens aber, bis einschliesslich des
Stifts Trondhjem, erschien so eben auf Regierungs-Veranstal-
ten ein umfassendes und sehr bedeutendes Werk des hoch-
verdienten Chefs der geologischen Landesuntersuchung von
Norwegen, Prof. Dr. 7%. Kyjerulf: „Udsigt over det sydlige
Norges Geologs’”’, Christianie, Steensballe, 1879. 4%, mit
Atlas in Fol. Alles, was man bisher von den mannigfal-
tigen geologischen Verhältnissen dieses weiten Gebietes —
und zwar zum grössten Theil durch die eigene langjährige
Forschung des unermüdlichen Herausgebers — wusste, ist
hier in prägnanter Fassung vereinigt und in allen Ab-
schnitten durch nicht weniges Neue erweitert. Die sehr
zahlreichen, theils in den Text eingestreuten, theils auf
den 39 Tafeln des Atlas gegebenen Abbildungen, Profile,
Kärtchen und graphischen Darstellangen ermöglichen auch
dem des Norwegischen Unkundigen eine ausgiebige Be-
nutzung, und nicht am wenigsten darf die schöne Über-
sichtskarte im Maassstab von 1:1000000 mit allgemeiner
Freude begrüsst werden, da sie zum ersten Mal in genü-
gend detaillirter Weise ein sorgfältiges geologisches Ge-
sammtbild der ganzen südlichen Hälfte des Landes bis
über den 65. Parallelkreis hinaus bietet. Der ungemein
billige Preis des Ganzen, 132 Kronen = 13,5 Mark, verdient
besonders erwähnt zu werden und wird nicht verfehlen,
dem Werke die verdiente Verbreitung zu verschaffen.
Eine neue Karte des Gowvernements Olonss, welche die
bisherigen Darstellungen der Oro- und Hydrographie we-
sentlich verändert, kommt uns aus der A. Iljin’schen Officin
in St, Petersburg zur Hand. Sie ist im Maassstab von
1:1260000 von A. Stein im Statistischen Central-Comite
bearbeitet. Ein schwacher Punkt auch noch dieser Karte
ist die Gestalt des Onega-Soes, über welche sämmtliche
Quellenwerke differiren, besonders dürften die Uferland-
81
398 Geographischer Monatsbericht.
schaften östlich von Petrosawodsk durch eine wirkliche
Aufnahme noch bedeutend corrigirt werden.
In Griechenland hat in diesem Jahre eine Volkszählung
Statt gefunden, deren Hauptergebnisse der Chef des Stati-
stischen Bureau’s in Athen, A. Mansolas, unter dem Titel
„IDnsvsuös is EAiddog xara To Eros 1879” veröffent-
licht hat. Weitere Details dem grösseren Tabellenwerke
vorbehaltend, das wohl ähnlich dem über die Zählung von
1870 sehr vollständige und in’s Einzelne gehende Nach-
weise enthalten wird, giebt der Verfasser hier die Summen
der männlichen, weiblichen und Total-Bevölkerung für die
Demen und Eparchien. Die Bevölkerung ist beträchtlich
angewachsen, sie erreicht die Zahl von 1679775 Köpfen
gegen 1457894 im Jahre 1870, was eine Zunahme von
221881 oder 1,69 Procent ergiebt. In dieser Hauptsumme
sind ausser einer Civilbevölkerung von 1654072 Seelen
18521 Militärpersonen, 2002 Mann der Kriegsmarine und
5180 zur Zeit der Zählung im Ausland befindliche See-
leute inbegriffen.
Asien.
Die Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
(1879, Heft 4) bringt mit bezüglichem Text die Karte von
Prof. Dr. @. Hirschfeld’s archäologischer Reise in Klein-
Asien vom J. 1874, gezeichnet von Prof. H. Kiepert.
Eine neue (die 5.) Ausgabe von General Walker’s nütz-
licher Map of Turkestan enthält als Neuigkeiten u. A.
Major Biddulph’s Forschungen in Teschitral, die Aufnahme
des Swat- Flusses durch einen indischen Geometer, ver-
schiedene Recognoscirungen &c. während des Feldzugs in
Afghanistan, die Route vom Pischin-Thal über Thal und
Tschotiali nach Multan, 1879 von den Capts. Holdich und
Heaviside aufgenommen.
Von Oberst Prsewalsky ist über Peking nach Moskau
eine Depesche gelangt, wonach der Reisende am 2. Juli
in der Oase Scha-tscheu (östlich vom Lob Nor) angekom-
men war, nachdem er die Wüste Khami, die sich in ihrer
Mitte 5000 F. über den Meeresspiegel erhebt, glücklich
passirt hatte. Südlich von der fruchtbaren, 3500 F. hoch
gelegenen Oase erhebt sich eine Bergkette, die aus der
Gegend des Lob Nor kommt und deren Spitzen mit ewigem
Schnee bedeckt sind. Die Expedition wollte bis gegen Mitte
August auf diesen Bergen lagern und dann nach Lhasa
weiter ziehen !).
Im vorigen Jahre wurde erwähnt, dass der Director der
russischen Sternwarte in Peking, der durch seine Orts-
bestimmungen, Höhenmessungen, magnetischen und meteoro-
logischen Arbeiten in China, Mongolei, Mandschurei, Sibi-
rien &c. hochverdiente Dr. H. Fritsche eine umfangreiche
Abhandlung über das Klima Ostasiens, insbesondere des
Amur-Landes, China’s und Japan’s als einen Theil des
grossen L. v. Schrenck’schen Reisewerkes tiber das Amur-
Land herausgegeben habe. Jetzt liegt uns dieselbe durch
die Güte des Verfassers in englischer Übersetzung als selb-
ständiges Buch vor, und zwar wurde sie unter dem Titel
„Ihe Climate of Eastern Asia” in Shanghai gedruckt. Zu
den Isothermkarten der deutschen Ausgabe sind noch fünf
Karten der vorherrschenden Winde für die vier Jahreszei-
ten und das ganze Jahr hinzugekommen.
ı) Journal de St.-Pötersbourg, 30. Aug./11. Septbr. 1879.
Das japanische Ministerium hat, wie uns Herr E. Knip-
ping schreibt, der sogen. Geogr. Section vom Juli 1879
auf die Dauer von 12 Jahren eine Extra-Summe von
58000 Yen (260000 Mark) jährlich bewilligt zu dem
Zweck einer geologischen Aufnahme ganz Japans, deren Lei-
tung Dr. Z. Naumann übernimmt.
Am 26. April fand die erste Sitzung einer geographi-
schen Gesellschaft ın Tokio Statt, nachdem in einer Vor-
versammlung vom 22. Februar die Gründung einer solchen
beschlossen worden war. Es traten etwa 100 Mitglieder
bei, zum Theil hochstehende Persönlichkeiten, und zwar
Japaner, nicht Europäer. Die Thätigkeit der Gesellschaft
soll sich sowohl auf die genauere Kenntniss des eigenen
Landes als auf geographische Forschungen im Allgemeinen
richten.
Afrika.
Dem jetzigen Chef des Statistischen Central-Bureau’s in
Cairo, F. Amici, verdankt man die Ausarbeitung einer
neuen Statistik von Egypten (Essai de Statistique generale
de l’Egypte. Anndes 1873—77. Le Caire 1879. 2 Bde.),
die eine grosse Menge neuer Nachweise über Bevölkerung,
Bewegung der Bevölkerung, Handel, Schifffahrt, Verkehrs-
mittel, Ackerbau, Viehzucht, Schulen enthalten und in einem
dritten Band noch vervollständigt werden soll durch die
Statistik der Rechtspflege, der Armee, Marine, Finanzen &c.
Das Werk beschränkt sich im Allgemeinen auf das eigent-
liche Ägypten, doch enthält es gelegentlich auch mancherlei
Angaben über die Besitzungen im Sudan und am Rothen
Meere. Ein kleiner Atlas von 15 Karten, dem ersten
Bande angeheftet, veranschaulicht die Dichtigkeit der Be-
völkerung, der Hausthiere und der Dattelpalmen und ein
grosses Diagramm zeigt den Wasserstand des Nil bei Cairo
von 5 zu 5 Tagen für den Zeitraum von 1849 bis 1878,
Niemand, der sich ernstlicher mit den Verhältnissen Ägyp-
tens beschäftigt, wird dieses Buch entbehren können.
@. Messedaglia, Gouverneur von Darfur, erwähnt in
einem längeren Briefe an Capit. Camperio’s Zeitschrift
„L’Esploratore” (Septbr. 1879, p. 84), dass er u. A. mit
der Anfertigung einer Karte von Darfur beschäftigt sei.
Von der abenteuerlichen Reise eines Herrn Bohndorff
an der Westgrense des Bahr-el-Gasal-Gebietes setzt uns ein
in der „Österreichischen Monatsschrift für den Orient”
(Septbr. 1879) veröffentlichter Brief des Consul Hansal zu
Chartum in Kenutniss. Der Mann gelangte jenseit der von
Th. v. Heuglin 1863 erkundeten Gebiete des Königs Mofio !)
südlich von Dar Fertit ziemlich weit westlich zu verschie-
denen nach Westen fliessenden Strömen, leider, wie es
scheint, ohne die erforderlichen Kenntnisse zu nutzbrin-
genden Aufzeichnungen. „Mitte Mai d. J.” — heisst es
in Consul Hansal’s Brief — „erschien hier (in Chartum)
ein Europäer, Namens Bohndorff, in völlig desolatem Zu-
stande, entblösst von allem Nöthigen. Derselbe, seines
Zeichens Goldarbeiter, war vor vier Jahren Kammerdiener
bei Gordon in Gondokoro. Nach Ägypten zurückgekehrt,
beschloss er eine neue Reise nach Inner-Afrika behufs An-
lage naturhistorischer Sammlungen. Er ging über Don-
gola, Kordofan, Darfur, Schaka, Dar Banda, Dar Abu Dings,
überschritt den westl. fliessenden Bahr Schinko (auf Dr. Nach-
!) Siehe Peterm. Mittheilungen, Erg.-Heft Nr. 15.
Geographischer Monatsbericht. 399
tigal’s Karte von Wadai und Darfur in Peterm. Mitthei-
lungen 1875, Tafel 15, als „Grosser Fluss von Abu Dinga”
angedeutet) und gelangte darüber hinaus noch sechs Tage-
reisen gegen West, wo ihri der Kannibalismus der Bewohner
am weiteren Vordringen hinderte. Er war nach seiner
Angabe nur noch 14 Tage vom Atlantischen Ocean entfernt.
Jedenfalls ist er eine gute Strecke über Mofio’s Gebiet vor-
gedrungen, weiter als die früheren Forscher. Das Land
nördlich von Abu Dinga nennt er Insäkara. Südwestlich
von Mofio’s Gebiet giebt er Dar Tikma an, durch welches
der grosse Fluss Umbomo nach West geht”. Auf der Rück-
reise wurde er in Kalaka, zwei Tage von Schaka, bis auf’s
Hemd ausgeraubt, am Leben bedroht und sein Tagebuch
verbrannt.
In Schaka traf Bohndorff den Hokmdar oder General-
gouverneur Gordon Pascha, der eine 44monatliche Aundreise
in Darfur ausgeführt hat, bevor er am 19. Juli nach Char-
tum zurückkam, um von dort Ende desselben Monats nach
Egypten abzureisen. Die Abschnitte über diese Rundreise
in Darfur werden voraussichtlich nicht die unwichtigsten
in Gordon’s künftigem Buche werden.
Von dem Zeichner und Photographen Buchta erwähnt
Hansal’s Brief, dass er nach sechswöchentlichem Aufenthalt
im Bari-Land am 14. Decbr. 1878 von Redjaf am oberen
Weissen Nil nach Uganda abgereist und am 19. März 1879
mit reicher Ausbeute nach Lado zurückgekehrt sei. „Die
Reise bot mir viele Genüsse, besonders durch die gross-
artigen Vegetations-Scenerien in Unjoro, die an kraft-
strotzender Üppigkeit Alles überbieten, was sich selbst eine
kühne, weit gehende Phantasie vorstellen kann’,
Die August-Nummer des „Bollettino della Societa geo-
grafica italiana” bringt einige Nachrichten und Briefe über
die stalienische Expedition in Schoa, von deren Arbeiten
immer noch ganz auffallend wenig in die Öffentlichkeit
dringt. Über Cecchi und Chiarini, die im vorigen Jahre
von Schoa nach Enarea und Kaffa aufgebrochen waren,
hatten sich beunruhigende Gerüchte verbreitet. Marquis
Antinori, dessen Hauptquartier noch immer Litsche in Schoa
ist, begab sich deshalb in’s Land der Adda Galla, um sichere
Nachrichten über die beiden Gefährten einzuziehen, und
schreibt aus Daimbi am Hawasch, vom 30. April d. J,.,
dass Cecchi und Chiarini in Enarea eine gute Aufnahme
gefunden hätten, in dem Orte Limu jenes Landes verweil-
ten und vom König von Kaffa zum Besuch seines Landes
eingeladen worden wären. Capit. Martini, welcher mit dem
Grafen Pietro Antonelli und Signor Giulietti im Juli d. J.
von Zeila aus nach Schoa reisen wollte, um der italieni-
schen Expedition Verstärkungen zuzuführen, erfuhr durch
einen Überfall der Somalis auf einen Theil seiner Kara-
wane einen unliebsamen Aufentbalt.
Im 4. Heft (1879) der „Zeitschrift der Gesellschaft
für Erdkunde zu Berlin beginnt J. M. Hildebrandt einen
ausführlichen Bericht über seine Zesise von Mombassa nach
Kitui 1876—77. Er bewährt auch hier wieder sein Beob-
achtungs- und Erzählertalent.
Über die belgischen Expeditionen in Ost- Afrika erfährt -
man, dass Cambier im Mai von Unjanjembe abgereist war
und Ende Juni zu Masikambas am Ostufer des Tanganjika
anzukommen hoffte, von wo aus Njangwe am Lualaba
erreicht werden soll, um dort eine Station zu gründen.
Dutrieux wurde mit M. Broyon in Zanzibar zurückerwartet.
Eine zweite Expedition unter Popelin und Dr. van den
Heuvel kam Ende Mai von Europa nach Zanzibar, fand
dort Vieles durch M. Dutalis zur Reise in’s Innere vor-
bereitet, überschritt am 9. Juli den Kingani und hoffte von
den vier Elephanten Nutzen zu ziehen, die der König von
Belgien von Indien nach der Zanzibarküste hat überbringen
lassen. Die Befürchtung, dass die berüchtigte Tsetse-Fliege
den indischen Elephanten ähnlich wie Rindern, Pferden &c.
verderblich werden könnte, ist glücklicherweise beseitigt;
die riesigen Thiere wurden wiederholt von der Tsetse ge-
stochen, ohne dass es ihnen schadete.
Die belgischen Unternehmungen von der Westküste aus
hüllen sich gleich der Stanley’schen Expedition, die von
Zenzibar über das Mittelländische Meer nach der unteren
Congo-Mündung gekommen ist, um diesen Fluss aufwärts zu
gehen, derzeit noch in Schweigen und Dunkelheit. Dem
„Globus” (XXXVI, 1879, Nr. 9) entnehmen wir folgende
Notiz: „Am 6. Juni d. J. hat der Dampfer „Barga”, Capi-
tän de Mytenaere, Antwerpen verlassen, um im Auftrage
der Association internationale eine volle Ladung Waaren,
die für die schon in Afrika befindliche internationale Ex-
pedition bestimmt sind, nach der Congo-Mündung überzu-
führen. Da das Schiff aber zu grossen Tiefgang besitzt,
als dass es den Congo weit hinauf befahren könnte, so hat
es noch drei Dampfkähne ohne Deck, einen kleinen Dam-
pfer mit zwei Kajüten für etwa 30 Personen und drei grosse
Schuten von je 50 Tonnen an Bord. Keines dieser Fahr-
zeuge hat einen grösseren Tiefgang als 0,38 m, so dass sie
während der Regenzeit den Congo weit hinauffshren kön-
nen. Man wird also mit ihrer Hülfe im Stande sein, an
beiden Ufern Stationen anzulegen. Die drei Dampfkähne
sollen zum Vorposten- und Verproviantirungsdienst verwen-
det werden, der Dampfer als Schlepper und die Schuten
enthalten das Material und die Waaren. Capitän Lösawstz
soll diese mit 40 ausgesuchten Matrosen bemannte Flotte
befehligen. Die Leute sind auf drei Jahre engagirt und
es befinden sich darunter Zimmerleute, Schmiede, Mecha-
niker, Segelmacher &. So meldet „L’Afrique exploree et
civilisde”, No. I. Die Redaction des „Globus” fügt die
sehr richtige Bemerkung bei: „Die Frage ist nur, wie die
Flottille über die Wasserfälle des Congo hinüber kommen
will, die doch bekanntlich verhältnissmässig nahe der Küste
beginnen”. Ist man erst oberhalb der Wasserfälle, so könn-
ten viel tiefer gehende Fahrzeuge als die oben genannten
zu jeder Jahreszeit den Fluss befahren, die ganze Nach-
richt erscheint daher unklar und wenig verlässlich. ' Es ist
zu bedauern, dass von Seite der Association internationale
authentische Nachrichten über ihre Unternehmungen so
selten, spät und in so dürftiger Kürze veröffentlicht wer-
den; würde von competenter Stelle aus die Neugierde des
Publicums befriedigt, so würden die Tagerblätter und Zeit-
schriften nicht so viel Halbwahres verbreiten.
Die Expedition der London Missionary Society in Ost-
Afrika hat grosse Verluste zu beklagen. A. W. Dodgshun
starb 7 Tage nach seiner Ankunft in Ujijs und Dr. Mul-
lens, durch seine frühere Thätigkeit als Secretär der Ge-
sellschaft und durch sein Buch über Madagaskar in weiten
Kreisen bekannt, erlag bei Mpwapwa am 10. Juli.
Das Ausführlichste, was wir bis jetzt über Paul Solesl-
51 *
400 Geographischer Monatsbericht.
let’s Reise nach Segu Sikoro am Niger incl, Rückreise ge-
funden haben, ist eine Zusammenstellung von Briefen an
die Soci6te languedocienne de geographie in deren Bulletin,
August 1879, p. 275—312. Inzwischen ist der Reisende
in Begleitung von Colonel Fatters und Capitaine Bordier
abermals nach dem Senegal übergefahren, um die Vor-
untersuchungen zu einer Eisenbahn von dort nach Algier
fortzusetzen.
Für die geringe Bedeutung dieser Nachrichten über die
gegenwärtigen afrikanischen Reisen entschädigt das Er-
scheinen des 1. Bandes von Dr. @. Nachtigal’s „Sahara
und Sudan, Ergebnisse sechsjähriger Reisen in Afrika”
(Berlin, Weidmann’sche Buchhandlung, 1879). Es ist diess
wieder ein Reisewerk ersten Ranges, das sich in Parallele
stellt mit denen von Barth, Schweinfurth, Livingstone,
Stanley. Das Ausserordentliche von Nachtigal’s Erlebnis-
sen, die an Mühsalen, Abenteuern, Schrecken und Gefahren
ihres Gleichen in der ganzen geogr. Entdeckungsgeschichte
suchen, und die Mannigfaltigkeit und Ausdehnung der von
ihm zuerst und allein gesehenen Länder liefern den dank-
barsten Stoff für alle Klassen von Lesern, dem Bedürfniss
nach spannender Lectüre wie dem wissenschaftlichen In-
teresse konnte in gleicher Weise Rechnung getragen wer-
den, ohne der thatsächlichsten Wahrheit auch nur einen
Strich oder eine Farbe hinzuzufügen, und da es der Ver-
fasser verstand, diesem Stoff eine angenehme Form in ge-
bildeter, fliessender und klarer Sprache zu geben, so möch-
ten wir das Buch in mancher Beziehung den Barth’schen,
Livingstone’schen und Stanley’schen noch vorziehen. Auch
die Illustrationen sind gut und charakteristisch, die Ver-
lagshandlung hat für eine würdige Ausstattung gesorgt und
besonders sind auch die Karten zu loben, die uns in statt-
lichem Format und sehr freundlicher Ausführung entgegen-
treten. Dem Inhalt des 1. Bandes entsprechend stellen sie
die Reise von Tripolis nach Bornu und die Seitenexoursion
nach Tibesti dar, beschränken sich aber nicht auf die
Nachtigal’sche Route, sondern suchen auch von den durch-
reisten Gegenden ein Gesammtbild zu geben. So wurde
die erste Karte westlich bis Ghat, östlich bis zur Oase
Wau Schir oder Namus ausgedehnt, während die zweite,
ein höchst interessantes Blatt, die grosse Nachtigal’sche
Entdeckung eines zusammenhängenden Gebirges der öst-
lichen Sahara vorführt, indem sie die Landschaften Tibesti,
Borku und Wadjanga nebst dem Bodele &c. veranschau-
licht. Natürlich trägt sie einen provisorischen Charakter,
da sie zum guten Theil auf Erkundigungen beruht, trotz-
dem zählen wir sie zu den werthvollsten Bereicoherungen
unserer Kartensammlung, welche die jüngste so ergiebige
Zeit gebracht hat.
Der umfangreichen Literatur über die deutsche Loango-
Expedition reiht sich ein neues Buch an: „Aus West- Afrika.
1873—1876. Erlebnisse und Beobachtungen von Hermann
Soyaux” (3 Thle. Leipzig, Brockhaus, 1879). Als Botaniker
nahm der Verfasser Theil an dem Aufenthalt der Expedi-
tion zu Tschinschoscho und einigen Excursionen von da
aus, ging mit den Kuilu und später den Kuansa hinauf
und von diesem nach Mpungu-an-dongo, auch besuchte er
zwischen den beiden genannten Flüssen mehrere Küsten-
punkte, wie er auch schon bei der Hinreise nach Loango
einige Inseln und Küsten West-Afrika’s berührte. Da er
in dem Buche sein Fach fast ganz verleugnet, indem er in
durchaus populärer Weise schrieb, hatte er eine schwere
Aufgabe; Neues liess sich nach so vielen Vorgängern kaum
sagen, e8 seien denn eigene Empfindungen und Reflexionen,
aber es ist ihm gelungen, ein unterhaltendes Buch zu pro-
duciren, das schon durch Handlichkeit und guten Druck
eine gewisse Anziehung übt.
Wenn im vorigen Monatsbericht gesagt wurde, dass von
der kleinen ostafrikanischen Inselgruppe Aldabra keine spe-
cielle Karte, insbesondere keine engl. Admiralitätskarte
existire, so war diese Bemerkung etwas verspätet, denn am
28. April d. J. ist vom Hydrographischen Amt der engl.
Admiralität eine solche Karte veröffentlicht worden und vor
Kurzem in unsere Hände gelangt. Sie führt den Titel:
„Indian Ocean, Islands off North coast of Madagascar”
und die Nummer 718; die ihr zu Grunde liegenden Auf-
nahmen wurden 1878 von Commander Wharton und den
Officieren der „Fawn” ausgeführt. Ausser dem Aldabra-
Atoll enthält das Blatt auch Assumption und die Insel-
gruppen Farquhar und Cosmoledo,.
Australien und Inseln des Grossen Oceans.
Der gesetzgebende Körper der Colonie Queensland hat
eine Anzahl Inseln der Torres-Strasse dem Gebiet der Colonie
einverleibt, und zwar bestimmt die Acte das annectirte
Gebiet in folgender Weise: „Alle Inseln innerhalb einer
Linie, die vom Sandy Cape nordwärts nach dem Südost-
Ende des Great Barrier Reef gezogen wird, dann der
Grenze des Great Barrier Reef bis an dessen Nordost-
Ende nahe der Breite von 94° 8. folgt, sodann in nord-
westlicher Richtung East Anchor und Bramble Cays um-
fasst, ferner von Bramble Cays gegen S 79° W verläuft
und Warrior Reef, so wie die Inseln Saibai und Tuan ein-
schliesst, wieder in nordwestlicher Richtung abbiegt, um die
Talbot-Inseln zu umfassen, von da nach den Deliverance-
Inseln geht und diese einschliesst, endlich in W bei S-Rich-
tung den Meridian von 138° Östl. L. v. Gr. erreicht ')”,
Über die von der Zeitung „Tbe Queenslander” in Bris-
bane unter Favenc ausgesendete Zirpedstion nach Port Dar-
win, welcher bekanntlich die Aufgabe gestellt war, die
Überlandroute von Queensland nach dem Northern Terri-
tory hinsichtlich einer anzulegenden Eisenbahn zu prüfen,
soll nunmehr ein Buch mit Karten herausgegeben werden.
Sır Thomas Elder, der hochverdiente Mäcen der Wis-
senschaften in Adelaide, rüstet wiederum eine Zrpedition
nach Nordwest- Australien unter Mr. J. Young, bekannt als
Mitglied der Giles’schen Expedition von 1875, aus. Ein
anderes ehemaliges Mitglied der Giles’schen Expedition,
Tietkens, ist von Fowler-Bay an der Südküste nach dem In-
nern gegangen, um die Gegenden bis zu den Musgrave-
Ranges (s. Peterm. Mittheilungen, 1876, Tafel 10) zu ex-
ploriren. Bei dem Wassermangel zwischen Youldeh und
Oldabinna, so wie nördlich von letzterem werden ihm die
mitgenommenen Kameele gute Dienste geleistet haben. Er
wollte im September zurückkommen.
Amerika,
Im J. 1877 führten Mr. Richardson, Secretär der ameri-
kanischen Gesandtschaft in Mexico, und Sign. Z, Morphy
») The Mail, 8. Septbr. 1879.
Geographischer Monatsbericht. 401
in Begleitung von den drei Ingenieuren M. Plowes, E. Ro-
driguez und P. Vigil eine Besteigung des Citlaltenetl oder
Pik von Orisaba aus, welche durch vorgenommene Messun-
gen und Aufnahmen sich auszeichnet. Das Hauptergebniss
ist eine Karte von einem Theil des Pik von Orizaba nebst
dem westlich angrenzenden Thal von S. Andres Chalchi-
comula, die im Maassstab von 1:50000 dem spanischen
Bericht der Ingenieure beigegeben und jetzt auf die Hälfte
reducirt und von einem Auszug des Berichtes begleitet,
in Cora’s „Cosmos” (Vol. V, 1878—79, No. VII) weiteren
Kreisen zugänglich gemacht ist. Die Höhe des Piks wurde
mittelst Aneroid und Kochthermometer zu 5384,14 m ge-
funden, die von 8. Andres Chalchicomula zu 2576 m.
Über das Instituto historico e geographico in Rio de Ja-
neiro verdanken wir dessen Secretär nachstehende authen-
tische Nachrichten: „Das Brasilianische „Historisch-Geogra-
phische Institut”, unzweifelhaft die erste wissenschaftlich-
literarische Gesellschaft des Kaiserthums Brasilien, nicht
nur seiner Bedeutung, sondern auch der Verdienste wegen,
die es durch seine Veröffentlichungen und Arbeiten ge-
leistet hat, wurde am 21. October 1838 gegründet, und
zwar durch einige einflussreiche Mitglieder der Gesell-
schaft Auxiliadora da Industria Nacional.
„In Folge der Statuten sollte es aus 25 wirklichen und
einer unbestimmten Anzahl von Ehren- und correspondi-
renden Mitgliedern bestehen. Sein erster Präsident war
der Visconde von S. Leopoldo (Jose Feliciano Fernandes
Pinheiro, Mitglied einer Menge in- und ausländischer wis-
senschaftlicher Gesellschaften und Verfasser vieler werth-
voller Werke) und sein erster Secretär der Canonicus
Cunha Barbosa.
„Die erste Sitzung fand am 1. Dechbr. 1838 Statt, in
welcher vorgeschlagen wurde, den Kaiser zum Protector zu
erklären.
„Von dem Jahre der Stiftung an bis jetzt unterhält
das Institut eine „Revista”, eine Vierteljahresschrift, die
am Ende des Jahres einen fast 1000 Seiten starken Band
ausmacht. In derselben werden nicht allein wichtige Ar-
beiten der Mitglieder, die schon vorher in den gewöhn-
lichen Sitzungen vorgelesen werden, sondern auch Mann-
scripte von hohem Werthe für die Geographie und Ge-
schichte Brasiliens veröffentlicht und neu gedruckt. Man
kann wohl ohne zu irren sagen, dass die Sammlung der
„Revista do Instituto Historico”, die gegenwärtig 40 Bände
stark ist, die interessanteste, ja vielleicht vollständigste
Bibliothek über Brasilien ist.
„Die Sitzungen finden in der Zeit vom Mai bis Decem-
ber alle 2 Monate Statt. Ihnen wohnt der Kaiser von
Brasilien seit dem Jahre 1850 regelmässig bei, wie er
überhaupt das eifrigste Mitglied der Gesellschaft ist. Am
15. December jeden Jahres wird eine feierliche Sitzung in
Gegenwart des Kaisers und der Kaiserin und einer grossen
Anzahl von Gästen abgehalten, in welcher der Präsident
und der 1. Secretär Reden halten, und zwar giebt der
Letztere einen kurzen Auszug aus den bedeutendsten Ar-
beiten, die während des Jahres überreicht worden. Dann
spricht der Redner des Instituts über die Verdienste der
im verflossenen Jahre gestorbenen Mitglieder.
„Die Anzahl der Mitglieder beträgt gegenwärtig: 187 In-
länder (darunter 41 wirkliche und 146 Ehren- und corre-
spondirende Mitglieder) und 191 Ausländer. Mitglied kann
man auf verschiedene Weise werden. Die regelmässige und
gewöhnlichste Weise ist die, dem Institut einen Original-
aufsatz über Gegenstände der Geschichte oder Geographie
Brasiliens zu überreichen, welcher einer Commission über-
wiesen wird, die ihr Gutachten darüber abgiebt, ob der
Candidat würdig ist, im Schoosse des Instituts Aufnahme
zu finden. Eine andere Commission untersucht die Morali-
tät und die Antecedention des Candidaten, und nach Er-
füllung aller Bedingungen wird über seine Aufnahme ge-
heim abgestimmt. Aber auch durch grosse dem Lande
oder der Menschheit geleistete Dienste dürfen hervor-
ragende In- oder Ausländer zu Ehrenmitgliedern gewählt
werden. Der erste Grad ist der eines correspondirenden
Mitglieds, der nach einigen Jahren des Besuchs der regel-
mässigen Sitzungen mit dem Range eines wirklichen Mit-
glieds vertauscht wird.
„Die Gesellschaft empfängt von der Regierung eine
jährliche Unterstützung von 7 Contos de Reis und hält
ihre Sitzungen in einem Saale des kaiserlichen Palastes ab,
in welchem sich auch ihre ausserordentlich wichtige und
reiche Bibliothek befindet.
„Die fortwäbrenden Geschenke und die directe Einwir-
kung des Kaisers haben dem Institute so grossen Glanz
und Bedeutung gegeben, dass es eine wirkliche Akademie
genannt werden kann”,
Dr. J. Crewaux, durch seine Reisen in Französisch-
Guyana und seine Erforschung der Nebenflüsse Yary und
Paru des Amazonas bekannt, hat vor seiner im August
d. J. erfolgten Rückkehr nach Frankreich zwei Zuflüsse
des oberen Amazonas bereist, indem er den Issa 200 Lieues
weit hinauf und den Yapara von dessen Austritt aus den
Andes bis zur Mündung hinabfuhr. (Journal officiel, 7. Sep-
tember 1879.)
In der Wüste Atacama, die trotz ihrer der Wahrheit
vollkommen entsprechenden Bezeichnung so reiche Natur-
schätze birgt, dass darob ein verderblicher Krieg zwischen
den benachbarten Staaten ausgebrochen ist, finden gegen-
wärtig nicht unbeträchtliche Truppenbewegungen Statt und
somit kommen uns sehr zeitgemäss einige speciellere Notizen
über die nach der Wüste führenden und sie kreuzenden
Wege zur Hand, die ein seit dreissig Jahren an der West-
küste Südamerika’s heimischer Österreicher an Herrn Gene-
ral-Consul und Geschäftsträger Dr. C. v. Scherzer über-
schickt hat:
„Eine Militär- Expedition, deren Ziel die Besitznahme
von Antofagasta und Caracoles wäre, könnte von Norden
her in die Wüste von Atacama entweder über Chiuchiu
und Calama oder über Guillagua am Loa-Fluss und Toco-
pilla vordringen. Von Peru her müsste sich die Expedi-
tion stets längs der Küste halten, um die zum Unterhalt
nöthigen Lebensmittel von den nahen Häfen zu beziehen,
such wird der Loa-Fluss bei reissender Strömung stellen-
weis von steilen Ufern eingeengt, welche jeden Zugang er-
schweren, und sein Wasser ist von Calama abwärts bis zur
Mündung durch Salzgehalt ungeniessbar. Ungleich wichtiger
ist der Weg aus dem Innern von Bolivia über Chiuchiu
nach der Wüste, Er führt als Fahrstrasse von Potosi und
Huanchaca über Canchas blancas, Santa Barbara, Chiuchiu
und Calama nach Caracoles, und der wichtigste Punkt auf
402 Geographischer Monatsbericht.
ihm ist Chiuchiu, das auf einer schwer zugänglichen, leicht
zu vertheidigenden Anhöhe 8150 Fuss über dem Meeres-
spiegel liegt, umgeben von einer verhältnissmässig üppigen
Vegetation und von doppelter Wichtigkeit wegen der Hülfs-
quellen, die es selbst bietet, und als Vereinigungspunkt
verschiedener nach der Wüste führender Wege. Diese Wege
sind: 1) nach Calama, Tacopilla und Cobija, 2) nach Cars-
coles und Antofagasta, 3) nach Atacama und der argenti-
nischen Republik. Der letztere, nach der 1500 Einw. zäh-
lenden Provincialhauptstadt Atacama führende Weg berührt
eine Poststation, welche von den Incas errichtet worden
ist. Von der Stadt Atacama läuft ein Seitenweg nach
Chile über Vorberge der Cordilleren, ein sehr mühsamer
Gebirgspfad, der auf seiner ganzen Länge keinerlei Hülfs-
mittel bietet. Die Spanier benutzten diesen Weg zur Zeit
der Eroberung im 16. Jahrhundert, als sie unter Anfüh-
rung von Almagro und dann später unter Valdivia nach
Chile eindrangen, wohin sie aber erst nach vielen Müh-
seligkeiten und Verlusten gelangten. Der Besitz des Ortes
Atacama ist für eine Armee deshalb von Wichtigkeit, weil
er den Stapelplatz des Handels bildet, der von der argen-
tinischen Provinz Salta mit Waaren nach dem Innern Boli-
viens und mit Hornvieh und Maulthieren nach Tarapaca in
Peru betrieben wird, und daher reichliche Hülfsmittel ge-
währt.
„Wichtiger als der Weg nach Atacama ist aber die
Strasse von Chiuchiu nach Caracoles, dem Centralpunkt des
Minendistrictes und aller Handelsbewegungen der Wüste,
Die Minen wurden 1870 durch den chilenischen Bergmann
Diaz Gana entdeckt, welcher an der Spitze einer auf Kosten
des Baron Riviere veranstalteten Exploration der Wüste
stand. Sobald die Nachricht von der Entdeckung sich ver-
breitete, strömten Massen von Ansiedlern herbei, ein gros-
ses Kapital wurde zum Betrieb der Bergwerke aufgebracht
und plötzlich erhob sich inmitten einer bis dahin unbeach-
teten Einöde die blühende Stadt von Caracoles, deren Ein-
wohnerzahl bis auf 10000 gestiegen, zur Zeit noch 6000
beträgt. Die Stadt ist durch nahe Quellen reichlich mit
Wasser versehen. Anfangs beabsichtigte man, Caracoles
durch eine Eisenbahn mit dem vortrefflichen Hafen von
Mejillones zu verbinden, aber das Zurücktreten des Haupt-
unternehmers, Baron Riviöre, von den Geschäften und die
Entdeckung der Salpeterlager von Carmen gaben die Ver-
anlassung, die bereits begonnenen Arbeiten einzustellen und
die neu entstandene Ansiedelung von Antofagasta zum Ver-
schiffungshafen auszuersehen. Die Eisenbahn geht von Anto-
fagasta bis Carmen alto, dem Centralpunkt des Betriebes
der Salpeter-Compagnie; weiter bis Caracoles, 20 Leguas,
führt eine gute Fahrstrasse. Antofagasta zählt jetzt 8000
Einwohner und ist der bedeutendste Handelshafen der gan-
zen Küste, Leider bietet er aber den Schiffen keine Sicher-
heit, und es lässt sich voraussehen, dass früher oder später
Mejillones den ihm gebührenden Rang des ersten und haupt-
sächlichsten Hafens von Atacama einnehmen wird”.
Wenn der lange Streit zwischen Chile und Argentinien
um den Besitz Patagoniens einst zum Ende kommen sollte,
wird der als Sieger hervorgehende Staat jenes bis vor Kur-
zem auf den Karten ganz weiss gebliebene, wenig anzie-
hende Gebiet auoh in seinem Innern schon ziemlich be-
kannt finden, denn Reisen in Patagonien scheinen ordentlich
in die Mode zu kommen, seitdem Musters die Bahn ge-
brochen hat. Mit Unterstützung der Sociedad cientifica
argentina und des argentinischen Ministeriums unternahm
auch Ramon Lista, in der Zeit vom November 1877 bis
März 1878, eine Reise durch das südliche Patagonien zu
naturhistorischen und ethnologischen Zwecken. Er landete
in Punta Arenas, ging von Santa Cruz aus den Rio Chioo
bis zu dessen Quellgebiet hinauf und gelangte von Santa
Cruz über Land wieder nach Punta Arenas. Ein Werk
über seine wissenschaftlichen Erfolge stellt er in nahe Aus-
sicht, als Vorläufer dazu veröffentlichte er in Buenos Aires
unter dem Titel „Viaje al Pais de los Tehuelohes, Explo-
raciones en la Patagonia austral”, 1. Theil, eine kurze
Übersicht der Reise und eine Schilderung der von ihm
durchwanderten Landschaften, nebst einigen Notizen über
die Tehuelchen und ihre Sprache, auch ist seine Karte die-
sem Theile beigegeben.
Polar - Regionen.
Nachdem in einem vorausgegangenen Aufsatze dieses
Heftes die zahlreichen wichtigen Nachrichten, welche in
jüngster Zeit über die arktischen Unternehmungen einliefen,
von Dr. Lindeman zusammengestellt sind, bleiben hier nur
einige literarische Erscheinungen zu erwähnen.
Die Vor - Expedition der .„Florenoe” von 1877—76 nach
dem Cumberland- Golf machte Capt. Howgate, der sie in's
Leben rief, zum Gegenstand einer Publication, die in Aus-
zügen aus dem Journal des Capt. Tyson den Verlauf der
Expedition, ihre wichtigeren Erlebnisse und Vorkommnisse,
erzählt („The Cruise of the Florence; or, extracts from
the journal of the preliminary arctic expedition of 1877
—78. Edited by Capt. H. W. Howgate. Washington 1879”),
Das kleine, elegante Buch schliesst in der Vorrede mit den
Schmerzensworten: „Obwohl die Reise finanziell nicht vor-
theilhaft ausfiel, wegen der ungewöhnlichen Seltenheit der
Walfische im Cumberland-Golf, war sie doch in anderer
Hinsicht befriedigend. Es wurden für die vorgeschlagene
Station an der Lady Franklin-Bay die erforderlichen Klei-
dungsstücke und Hunde gekauft und eine genügende Zahl
von Eingeborenen in Dienst genommen, und hätte der
Congress die nachgesuchte Unterstützung bewilligt, so wäre
jetzt das Polar-Geheimniss gelöst”. Dieses „Narrative” bil-
det gleichsam die Einleitung zu zwei anderen Publicationen
über dieselbe Expedition, deren eine, von dem Naturfor-
scher derselben, Zudwsig Kumlien herausgegeben, bereits
als No. 15 des Bulletin of the United States National Mu-
seum erschienen ist, während die andere von dem Meteoro-
logen der Expedition noch ausstebt. Kumlien’s „Contribw-
tions to the Natural History of Arctic America, made
in connection with the Howgate Polar Expedition, 1877
—78” enthalten auf 180 pp. die ethnographischen und
naturbistorischen Ergebnisse, die letzteren grossentheils von
Specialisten bearbeitet. Von den Eskimos des Cumberland-
Golfes, deren Zahl Kumlien auf höchstens 400 veranschlagt,
giebt er eine eingehende Schilderung, die insofern besonde-
res Interesse bietet, als das Eindringen der Cultur, die
Einführung amerikanischer Waffen und Instrumente grosse
Änderung in der Lebensweise jener Eskimos hervorgebracht
haben.
Im Gegensatz zur arktischen Zone bleibt die antarkti-
Geographischer Monatsbericht. 403
sche in ungestörter Ruhe. Wohl erhebt sich hie und da
eine Stimme, welche an die Pflicht mahnt, einen so be-
trächtlichen Theil der Erdoberfläche nicht unbeachtet zu
lassen, vor Jahren war es namentlich G. Neumayer, der
nicht abgeschreckt von der Undankbarkeit seiner Bemühun-
gen, wiederholt zu Forschungsreisen nach dieser Richtung auf-
forderte; aber keine Regierung, kein Verein, kein Privater
wollte sich finden, die früheren Versuche wieder aufzuneh-
men. Im J. 1878 wurde die Sache von Neuem angeregt,
und zwar bei unseren Antipoden, in einem Vortrag, den
Mr. ©. W. Purnell in einer gelehrten Gesellschaft zu Otago
in Neu-Seeland gehalten hat und der jetzt in den ‚Trans-
actions and Proceedings of the New Zealand Institute,
1878, Vol. XI. Edited by J. Hector, M. D., Wellington
1879” gedruckt vorliegt. Mit beredten Worten legt der
Verfasser seinen Landsleuten an’s Herz, die Aufgabe, die
gerade ihnen als den Bewohnern des südlichen Neu-Seeland
von der Natur zugewiesen sei, die so zu sagen vor ihrer
Thür liege, in ihre Hand zu nehmen. Wenn er dabei in
seinem Eifer so weit geht, den Neuseeländern vorzuwerfen,
sie hätten bisher im Vergleich zu den Australiern &c.
Nichts für die Geographie gethan, so darf nur an Haast’s
Erforschung der Südlichen Alpen, an Dr. Hector’s geologi-
sche Aufnahmen erinnert werden, um in dieser Beziehung
die Ehre der thatkräftigen Colonisten zu wahren. Aus sei-
nem Vortrag verdient besonders hervorgehoben zu werden,
was er über wahrscheinliche commercielle Ergebnisse der
antarktischen Forschungen zu sagen weiss, denn im All-
gemeinen hält man dafür, dass gerade im Südpolar-Gebiet
das praktische Interesse ganz hinter dem wissenschaftlichen
verschwinde. „Ross” — so heisst es hier — „entdeckte
stark belebte Walfisch-Gründe und auf Possession Island in
71° 56' 8. Br., 171° 7' Östl. L. ein reiches Guano-
Lager. Auf derselben Insel befand sich eine Pinguin-Art
in Myriaden, auch sah er diesen Vogel an anderen Stellen
in ungeheuerer Anzahl. Diese Pinguin-Art erreicht eine
ansehnliche Grösse, oft wiegt das einzelne Exemplar 60 bis
70 Pfund, und da sie ein medicinisch werthvolles Öl in
beträchtlicher Menge liefert, so müsste ihr Fang vortheil-
haft sein. Ferner schwärmt es in den höheren Breiten
von Robben, weil sie dort zahllose Jahrhunderte lang un-
gestört sich vermehrt haben. Bedenkt man den mächtigen
Impuls, den der Handel Neu-Seelands und der benachbar-
ten Colonien durch eine gründliche Erforschung der ant-
arktischen Meere erhalten könnte, so wandert die Phantasie
in unbegrenzte Regionen verborgener Reichthümer, die nur
auf den unternehmenden Menschen warten, um für seinen
Gebrauch nutzbar zu werden”. Mr. Purnell hofft, die Re-
gierungen der neuseeländischen und australischen Colonien
würden auf gemeinschaftliche Kosten eine Expedition aus-
rüsten, zunächst zu dem Zweck, die Ross’schen Entdeckun-
gen wieder aufzunehmen und zu untersuchen, ob Land
zwischen Victoria und Alexander-Land vorhanden ist oder
nicht. Man sollte dazu zwei Dampfer von 300 bis 400 Tons
benutzen, deren Officiere und Mannschaften aus der königl.
Marine zu entnehmen wären und die auf drei Jahre ver-
proviantirt werden müssten, so dass beim Auffinden eines
geeigneten Hafens die Schiffe in den antarktischen Gewäs-
sern überwintern könnten. Der natürliche Ausgangspunkt
für die Expedition wäre Port Chalmers, sie müsste etwa
Mitte November beginnen und könnte dann ihre Explora-
tionen bis Ende Februar fortsetzen, wo sie alsdann ent-
weder zurückkehren oder sich nach einem Winterhafen um-
sehen müsste. Die Kosten würden, so meint Mr. Purnell,
die Summe von 15000 bis 20000 Z nicht tibersteigen.
Oceane.
Auf einer Fahrt von Guayaquil nach den Galapagos-
Inseln hat Dr. 7%. Wolf Beobachtungen über den Aum-
boldt- oder kalten peruanischen Strom angestellt ',,. Er be-
richtet: „Im August 1875, der Zeit unserer Abreise, besass
das Wasser des Flusses Guayaquil in der Nähe der Stadt
eine Temperatur von 27° C.; 10 naut. Meilen (60 auf
1 Grad) weiter abwärts, bei der Insel Mondragon, 25°;
5 naut. Meilen näher der Mündung, gegenüber dem Orte
Punä, 24° und endlich an der Punta Arena, am südlichen
Ende der Insel Punä, 23° C. Das Wasser des Flusses
kühlt sich in dem Maasse ab, wie es sich mit dem Wasser
des Meeres vermischt. Auf der Strecke von Puna bis zum
Hafen von Santa Elena blieb sich die Temperatur des Mee-
res gleich, nämlich 23° C. — Am ersten Tage der Fahrt
nach Verlassen dieses Hafens zeigte das Thermometer stets
dieselbe Temperatur des Meerwassers an. Am zweiten Tage
aber, am 7. August Mittags, als wir uns unter 1° 10’
S. Br. und 85° 6' W. L. v. Paris befanden, 110 Seemei-
len von der Küste entfernt, stieg die Temperatur auf 24°;
um 4 Uhr Nachm. auf 243° und um 9 Uhr Abends auf
25° C. Am nächsten Morgen um 6 Uhr zeigte das Woas-
ser schon 26° C., welche Temperatur constant blieb bis
zum 9. August, zu welcher Zeit wir uns schon in der
Nähe der Inseln befanden (der bedeckte Himmel verhin-
derte an diesem Tage eine genaue Bestimmung unserer
Lage). Am Mittag desselben Tages sank die Temperatur
des Wassers von 26° auf 25° und um 6 Uhr Abends auf
24° C., gerade in dem Augenblick, als wir zum ersten Mal
die höchsten Spitzen der Insel Chatham, etwa in einer
Entfernung von 40 Seemeilen, erblickten.
„Während der Nacht wurde unser Schiff von einem hef-
tigen Sturm nach Süden getrieben. Der Morgen fand uns
bei der Insel Hood (der südlichsten des Archipels), woselbst
wir eine Meerestemperatur von 23° C. beobachteten, genau
wie an der Küste von Santa Elena. Die gleiche Teempera-
tur findet sich zwischen allen Inseln von Chatham bis Albe-
marle. Hinter dieser letzteren, d. h. an der Westseite von
Albemarle, besonders in der Bucht von Santa Isabel, sank
die Temperatur des Meerwassers sogar auf 21° C. — Wir
wollen hier sogleich bemerken, dass die während unserer
Rückreise nach Guayaquil gemachten Beobachtungen genau
mit den eben angeführten übereinstimmen. Auch wollen
wir beifügen, dass an der Küste von Santa Elena und selbst
bis 100 Seemeilen westlich von der Küste die Strömung
genau die Richtung von S nach N einhält, während sie
weiter westlich von SO nach NW verläuft. Zwischen den
Inseln des Archipels selbst sind die Strömungen in der
angegebenen Richtung so stark, dass sie zeitweilig die Schiff-
1) Apuntes sobre el clima de las islas Galäpagos, segun las obser-
vaciones hechas durante un viaje en los meses de Agosto & Noviembre
de 1875 por el Dr. Teodoro Wolf. Quito 1879. In’s Deutsche über-
setzt von Dr. W. Reiss in „Verhandlungen der Gesellschaft für Erd-
kunde zu Berlin”, 1879, Nr. 7, S. 245 ff.
404 Geographischer Monatsbericht.
fahrt gefährden, stets aber in Zeiten der Windstille ein
grosses Hinderniss bilden.
„Aus unseren Beobachtungen folgt nun:
1) dass an den Küsten der Provinz Guäyas (und wahr-
scheinlich auch an der Küste von Manabf bis Cabo Pasado)
das Meer die niedrige Temperatur von 23° C. besitzt, ge-
nau wie in der Umgebung der Galapagos-Inseln, wo die-
selbe der antarktischen Strömung zugeschrieben wird;
2) dass die beiden Strömungen kalten Wassers getrennt
sind durch eine breite Zone, in welcher das Meer eine um
3° höhere Temperatur, d. h. 26° C., zeigt;
3) dass der Übergang von den kalten Strömungen nach
der warmen Zone allmählich Statt findet, keineswegs so
plötzlich, wie diess an der Grenze anderer Meeresströmun-
gen beobachtet ist;
4) dass die beiden kalten Strömungen eine um 5° C.
niedrigere Temperatur zeigen, als sie den unter dem Äqua-
tor gelegenen Theilen der tropischen Meere zukommt, und
dass auch die warme, zwischen beiden eingeschobene Zone
keineswegs die Normal-Temperatur von 28° C. erreicht;
5) dass die Strömungen im Galapagos-Archipel in ihren
westlichen, die Küsten von Narborough und Albemarle be-
rührenden Theilen am kältesten zu sein scheinen (21° C.).
Da es uns jedoch nicht möglich war, unsere Beobachtungen
weiter nach Westen, als bis zur Länge von Narborough
auszudehnen, und da wir auch im Westen von Albemarle
nur wenige Beobachtungen, wenn auch alle mit dem glei-
chen Resultate, erlangen konnten, so wollen wir keineswegs
behaupten, dass dieses letzte Resultat völlig genau sei, ob-
gleich wir keine localen Ursachen ausfindig machen konn-
ten, welche die niedrige Temperatur in der Buoht von
Santa Isabel (Elizabeth Bay) erklären würde.
„In Bezug auf den ersten Punkt scheint die Annahme
gerechtfertigt, dass nicht die ganze Humboldt-Strömung vom
Cabo Blanco ab nach NW abbiegt, dass sie sich vielmehr
dort theilt, indem der eine etwa 100 Seemeilen breite Arm
der ecuatorianischen Küste bis Manabf in der Richtung
von S nach N folgt, während der andere und breitere
Hauptarm direct nach NW in der Richtung der Galapagos-
Inseln verläuft”.
Allgemeines.
Die mit einem gewissen Eclat in Scene gesetzte „wissen-
schaftliche Reise um die Welt" hat einen kläglichen Verlauf
genommen. Wie die Revue geogr. internationale berichtet,
ist das der Transport-Gesellschaft F'raissinet gehörende, zu
dem Zweck gecharterte Schiff „Juno”, welches im vorigen
Jahre Marseille mit etwa 23 Passagieren zur Reise um die
Welt verlassen hatte, nach Marseille zurückgekehrt. In
Montevideo erkrankte der Arzt, in Panama der Apotheker,
endlich wurde den Passagieren, welche zusammen 16—
25000 fros. eingeschossen hatten, erklärt, dass kein Geld
mehr vorhanden sei, um die Reise fortzusetzen. Die Passa-
giere mussten nun auf eigene Kosten nach der Heimath zu-
rückkehren. Wie es heisst, hatte man diese Studienfahrt
vorschnell unternommen, als bei weitem noch nicht die zur
Deckung der Kosten erforderliche Zahl der Passagiere sich
zusammengefunden hatte, und die Unternehmer täuschten
sich in der Hoffnung, den Ausfall durch Frachten decken
zu können,
Charles Normand giebt in „L’Exploration” 1879, No. 134,
ein Verfahren an, mittelst dessen sich einfacher und leich-
ter als bisher die Curve construiren lasse, welche auf einer
Darstellung der Erdkugel in der Ebene die beleuchtete von
der beschatteten Hemisphäre trennt: „Trac& propose pour
obtenir l’ombre de la sphöre dans ses applications & la
gsographie mathematique”.
Das rasche numerische Anwachsen der wissenschaftli-
chen und Entdeckungsreisen, so wie das allgemeinere In-
teresse, das man ihnen gegenwärtig zuwendet, machen es
mehr und mehr wünschenswerth, Hülfsmittel an der Hand
zu haben, die eine rasche Orientirung in der fast ver-
wirrenden Menge ermöglichen. Für einzelne Erdtheile hat
man solche Hülfsmittel schon seit längerer Zeit, der ver-
storbene Dr. Glogau liess z. B. eine Reihe von Jahren hin-
durch für seine Vorträge in der Frankfurter geogr. Gesell-
schaft solche Erdtheilskarten anfertigen, Prof. Kiepert und
Andere haben Übersichtskarten von Afrika zur Darstellung
der Entdeckungsgeschichte herausgegeben, über die Polar-
gebiete, Australien &c. sind solche Karten in Petermann’s
Mittheilungen zu finden, auch cohronologische Übersichten
der Reisen sind gedruckt worden; aber mit weiterem, die
ganze Erde umfassenden Rahmen treten uns jetzt zwei
Arbeiten entgegen, die beide mit ganz verschiedenen Mit-
teln denselben Zweck verfolgen. Gymnasiallehrer Dr. Zm-
bacher in Lyck legt die letzte Hand an eine Zabellarısche
Zusammenstellung der Entdeckungsressen unseres Jahrhunderts,
die in dieser Form neu ist und zur Orientirung sehr zweck-
mässig zu werden verspricht. Sie wird in der Vieweg’schen
Verlagshandlung zu Braunschweig erscheinen. J. Zuksch
und Z. Mayer, Professoren der k. k. Marine-Akademie in
Fiume, haben dagegen eine „Weltkarte als Behelf für das
Studium geographischer Entdeckungen und Forschungen” aus-
gearbeitet, die bereits in Wien bei Artaria ausgegeben wurde.
Im Format der Berghaus’schen Weltkarte, welche auch als
topographische Vorlage diente, enthält sie auf ihren 8 zu-
sammenzusetzenden Blättern eine grosse Zahl von Reiserou-
ten, namentlich auch von oceanischen, die bis in frühe
Zeiten zurückreichen. Wir wüssten nicht, dass etwas Ähn-
liches auch nur in annähernder Vollständigkeit zur Dar-
stellung gekommen wäre, und möchten daher glauben, dass
die Karte vielen Anklang finden wird. Bei einer zweiten
Ausgabe dürfte besonders darauf zu achten sein, dass das
Terrain, welches durch die photolithographische Herstellung
ganz verunglückt ist, etwas besser herauskommt und dass
einzelne wichtigste Routen, nuch mehr als jetzt durch Signa-
turen geschah, mit Hülfe von Farben hervortreten; auch
werden die Herausgeber dann selbstverständlich einzelnes
Irrthümliche ausmerzen, das bei einer so grossen und müh-
samen Arbeit sehr zu entschuldigen ist, z. B. die doppelte
Einzeichnung der Warburton’schen Route von 1873 durch
West-Australien, wovon die eine das Project, die andere
die wirklich zurückgelegte Reise darstellt. E. Behm.
LLC LPLEEE LLC DLLELLOGGOGDGIACG$EEDEDG GL GEL L GL LE GE IT
(Geseblossen am 11. October 1879.)
| aYEDO- BA I der [Europäer
..
Geologische Übersichtskarte von Indien.
(Mit Karte, s. Tafel 21.)
Vor Kurzem wurde in dieser Zeitschrift mit wenigen
Worten auf das Handbuch der Geologie von Indien auf-
merksam gemacht, welches von dem Director der geologischen
Landesaufnahme Indiens H. B. Medlicott und dem ersten
Beamten derselben W. T. Blanford ausgearbeitet, 1879
in Calcutta erschienen ist. Jetzt sei uns erlaubt, den Le-
sern die geologische Übersichtskarte von Indien, welche
jenes Buch begleitet, in der Verkleinerung von 1:4055 000
auf 1:7500000 vorzulegen, wobei zur topographischen
Grundlage die aus zwei Blättern des Stieler’schen Hand-
Atlas zusammengesetzte Karte, auf der im Jahrg. IV der
„Bevölkerung der Erde” die Volksdichtigkeit zur Darstel-
lung kam, benutzt, das geologische Colorit der Originalkarte
aber getreu und vollständig wiedergegeben wurde.
Als eine der ersten Karten in dem ersten Jahrgang der
Petermann’sohen Mittheilungen findet sich eine kleine geo-
logische Karte von Vorder-Indien nach G. B. Greenough’s
„General sketoh of the physical and geological features of
British India” in 9 Blatt, einer vortrefflich ausgeführten,
stattlichen Karte, zugleich der ersten ihrer Art. Blanford
sagt von ihr: „sie wurde in der British Association von
1854 ausgestellt und bald darauf veröffentlicht. Der Autor
hatte versucht, alle publicirten Nachrichten über die Ver-
breitung der geologischen Formationen Indiens zusammen-
zustellen, und das Resultat war eine Karte, welche die von
einigen der hauptsächlichsten Formationen, wie den mete-
morphischen Gesteinen und dem Deccan - Trap eingenom-
menen Areale ziemlich gut zur Anschauung brachte, die
aber wegen der damaligen sehr unvollkommenen Bekannt-
schaft mit dem Gegenstand im Einzelnen auch hinsichtlich
der genannten Formationen mangelhaft war und sowohl in
der Topographie als in der Verbreitung der Gesteinsarten
viele Irrthümer entbielt. Obwohl die Karte nicht ganz die
zur Zeit ihrer Veröffentlichung zu erlangenden Nachrichten
repräsentirt, ist sie doch eine sehr werthvolle Compilation
von dem, was ein sorgfältiger, in Europa arbeitender Compi-
lator sich verschaffen konnte”.
Seit Greenough hat mit Ausnahme Dr. Waagen’s, der
seiner Abhandlung „über die geogr. Vertheilung der fossi-
len Organismen in Indien” in den Denkschriften der Wie-
ner Akademie (1877) eine kleine geologische Skizze Indiens
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XI.
beigegeben hat, Niemand wieder den Versuch zu einer
geologischen Übersichtskarte dieses Landes gemacht, und
bedenkt man, dass beim Erscheinen der Greenough’schen
Karte die regelmässigen geologischen Aufnahmen kaum erst
begonnen hatten, so erscheint es selbstverständlich, dass
die jetzt vorliegende grosse Karte einen ausserordentlichen
Fortschritt bekundet, zumal sie an der Quelle selbst und
von den ersten Autoritäten bearbeitet wurde, denen nicht
nur das umfangreiche publicirte Material geläufig und noch
viel unpublicirtes zugänglich, sondern auch ein beträcht-
licher Theil des dargestellten Landes aus eigener An-
schauung bekannt war.
Leider muss hier davon abgesehen werden, aus dem
oben erwähnten Handbuch zur Erläuterung der Karte auch
nur die von Blanford geschriebene, über physische Geogra-
phie und Geologie Indiens vortrefflich orientirende Einlei-
tung wiederzugeben, da sie mehr als ein Heft füllen
würde, wohl aber möge ein kleiner Abschnitt daraus als
Probe hier Platz finden, zumal er die Geographie in glei-
chem Maasse wie die Geologie berührt.
Ursprung der Indo- Ganges- Ebene. — Die gewöhnliche
Anschauung von dieser merkwürdigen Ebene, eine in zahl-
reichen geologischen und zoologischen Abhandlungen wieder-
holte Vorstellung, ist, dass ihre Stelle einst ein Meer ein-
nahm, welches von den Ablagerungen durch die Flüsse
ausgefüllt wurde. Diese Ansicht ist natürlich genug: die
Grösse der Ebene, über welche selbst in ihrem schmalsten
Theil die höchsten Berge der Welt kaum sichtbar sind,
muss selbst den gewöhnlichsten Betrachter durch die Ähn-
lichkeit mit dem Meere überraschen. Der grosse Gegensatz
zwischen den Formationen des Himalaya und der Indischen
Halbinsel und die ungleich grössere Häufigkeit mariner Ab-
lagerungen auf dem kleinen zugänglichen Gebiet der nörd-
lichen Gegenden verleihen ebenfalls der Ansicht von einem
früber vorhanden gewesenen, beide trennenden Meere
Gewicht.
Man sollte vielleicht von vornherein zugeben, dass bei
der Mehrzahl geologischer Speculationen der Beweis un-
vollständig und zum grösseren Theil negativ ist. Es giebt
absolut keinen Beweis irgend einer Art, dass die ganze
Indo-Ganges-Ebene zu irgend einer Zeit Meeresbett war,
523
406
aber es existirt eben so wenig ein Beweis, dass sie es nicht
war. In eocenen Zeiten nahm das Meer das Indus-Thal
bis an den Fuss des Himalaya ein und erstreckte sich ost-
wärte längs dem, was jetzt die Basis des Gebirges ist, bis
Kumaon; auch herrschten im Nordosten marine Verhältnisse
in einem grossen Theil des jetzt von den Assam-Bergen
eingenommenen Landstriohes vor, aber in dem Gebiete zwi-
schen Kumaon und den Garo-Bergen hat man keine Spur
von submarinen Formationen gefunden, und doch ist es
schwer zu verstehen, warum in der Ganges-Ebene keine
marinen Ablagerungen vorkommen, wenn sie ein Meeres-
becken war. Allerdings ist der Nordrand der Ebene in
dem wichtigsten Theil des zwischenliegenden Raumes, in
Nipal, leider für Europäer unzugänglich; wenn jedoch die
Ganges-Ebene irgendwie einem eocenen Meere entspricht,
wie es bei der Indus-Ebene ohne Zweifel der Fall ist,
warum findet man dann keine Spur von marinen Ablage-
rungen südlich von dem Thal, am Rande der Indischen
Halbinsel, wie man sie in der Wüste östlich vom Indus
findet? Auch in der Brahmaputra-Ebene hat man keine
marinen Ablagerungen von tertiärem Alter gefunden; in
der Ebene selbst wurden nur Fluss-Niederschläge entdeckt,
die marinen eocenen und miocenen Lager beschränken sich
auf die südlichen Abhänge der Bergkette, welche die süd-
liche Wasserscheide des Thales bildet.
Der jurassische Trap der Rajmahal-Berge westlich vom
Ganges-Delta stand einst aller Wahrscheinlichkeit nach in
Zusammenhang mit dem von Sylhet östlich des Delta-Ge-
bietes; die Küste lief in der Kreidezeit von der jetzigen
Ostküste der Halbinsel nach den Assam-Bergen, und Nichts
deutet auf eine zur Kreidezeit in das Ganges-Thal aufwärts
eindringende Bucht, im Gegentheil lässt die Abwesenheit
von marinen Ablagerungen zwischen Rajamahendri und den
Garo-Bergen eher darauf schliessen, dass die alte Küsten-
linie über die jetzige Bai von Bengalen lief. Es ist durchaus
nicht unwahrscheinlich, dass die nummulitische Küstenlinie
annähernd mit der der Kreidezeit zusammenfiel, wie such
die Kreide- Küste nahezu der alten, in der oberen Jure-
Periode vorhandenen Linie folgte. Miocene Meeres-Abla-
gerungen sind gegen Osten in ähnlicher Weise wie die
eocenen beschränkt und nooh mehr so im westlichen Indien.
Es scheint gewiss, dass diejenigen Landstriohe des Punjab,
welche in der Eocen-Periode vom Meer bedeckt waren,
in der Miocen - Periode und den späteren tertiären Zei-
ten trocken lagen: die ungeheuere Dicke oberer Tertiär-
Lager von Süsswasser- Ursprung, welche jetzt längs des
West- und Nordrandes der Indo-Ganges-Ebene, von den
Mündungen des Indus bis zum Ostende des Assam-Thales
aufgerichtet sind, widerlegen die Vorstellung von marinen
Verhältnissen. Das Vorkommen derselben Säugethiere in
Geologische Übersichtskarte von Indien.
den pliocenen Ablagerungen des Sub-Himalaya und der Insel
Perim ist sohon als ein Beweis für die Landverbindung
zwischen den beiden Gebieten hervorgehoben worden. Von
den späteren Ablagerungen sind die posttertiären Forma-
tionen der Nordwest-Provinzen deutlich Flussniederschläge
und in Caloutta selbst, innerhalb der Flutbcanäle des Delta,
durchstach eine Bohrung bis auf 480 F. Tiefe, wovon 460
unter dem jetzigen Meeresniveau, Ablagerungen, in denen
nur Land und Fluss-Fossilien beobachtet wurden. Unter
diesen Lagern befanden sich zudem Gerölle, die viel zu
grob waren, um im offenen Meere abgelagert zu sein, wäh-
rend in 385 F. Tiefe unter der Oberfläche ein Torflager
von deutlich terrestrischem Ursprung gefunden wurde. Alles
deutet auf das allmähliche Sinken eines aus Flussablage-
rungen zusammengeseizten Gebietes während aller späteren
Tertiär- Perioden hin. Das Meer mag sich zeitweis eine
Strecke weit von der jetzigen Küste landeinwärts ausge-
dehnt haben, denn es ist unwahrscheinlich, dass ein Sinken
und das Ablagern von Sedimenten so eben vor sich ge-
gangen sein kann und dass Land, welches so gerade nur
über die Fluthhöhe sich erhebt, trotz der Zeiträume des
Sinkens immer in demselben relativen Niveau geblieben
wäre, aber die bekannten Thatsachen enthalten Nichts, was
auf marine Ablagerungen hindeutet.
In der Gegend des Indus-Delta breitete sich das Meer
wahrscheinlich noch in später Zeit eine Strecke weit land-
einwärts aus, und sowohl Cutch als Kattywar mögen in
sehr neuer geologischer Zeit Inseln gewesen sein. Offenbar
jedoch hätten die beiden Species von Siwalik-Elephanten
und der im Gerölle der Nerbada gefundene Büffel die
Indo-Ganges-Ebene nicht überschreiten können, wäre sie in
pliocener oder postpliocener Zeit vom Meere bedeckt ge-
wesen. Wie man sieht, treten zahlreiche und mannigfal-
tige Daten der Ansicht entgegen, es habe während oder
seit der Tertiär-Periode ein Meer an Stelle der Indo-Ganges-
Ebene den Raum zwischen der Indischen Halbinsel und
dem übrigen Asien eingenommen, und alle Thatsachen spre-
chen gegen dieselbe. Auch muss es einleuchten, dass es
keinen Beweis dafür giebt, dass in vortertiären Tagen ir-
gend solch eine Depression wie die Indo-Ganges-Ebene vor-
handen war, denn hätte sie existirt, so würden wir wahr-
scheinlich marine Jura- und Kreideschichten am F'usse des
Himalaya, wenn nicht auch am Rande des Halbinsel-Ge-
bietes finden.
So stehen wir Angesichts eines sehr wichtigen Schlusses,
und es wird höchst wahrscheinlich, dass die Indo-Ganges-
Depression einen gleichzeitigen Ursprung mit der Störung
und Faltung des Himalaya und der anderen ausserhalb der
Halbinsel gelegenen Bergketten hat, so wie dass die phy-
sischen Grundzüge der beiden Gebiete eng mit einander
+
(d
Geologische Übersichtskarte von Indien.
verbunden sind. Die Übereinstimmung in den allgemeinen
Umrissen, der Parallelismus zwischen dem grossen Depres-
sions-Gebiet und den Gebirgen im Norden, Osten und
Westen von ibm, sprechen für diese Annahme. Die Ebene
des Ganges und des Brahmaputra setzt sich am ganzen
Fusse des Himalaya fort, die Indus-Ebene wendet sich süd-
wärts, wo die Bergketten im westlichen Punjab und Sind
von Nord nach Süd laufen, und Jdie Mündungen des Ganges
und Brahmaputra verändern gegenüber den nordsüdlich
streichenden Bergen von Tipperah und Chittagong in ähn-
licher Weise ihre Richtung. Nicht ohne Grund lässt sich
annehmen, dass die Bewegungen, welchen die Hebung des
Himalaya und der Bergketten im Punjab, Sind und Burma
zuzuschreiben ist, auch die Senkung der Indo-Ganges-Ebene
zu Stande gebracht haben, und dass die beiden Bewegungen
gleichen Schritt hielten. Dass die Senkung des Ganges-
Delta noch jetzt vor sich geht, ersieht man aus einer Reihe
von Thatsachen, zu denen die Nachweise aus dem Bohrloch
von Calcutta gehören, auch sind die störenden Gewalten,
welche den Himalaya betrafen, noch jetzt in Thätigkeit.
Nun giebt es eine, ursprünglich Prövost zugeschriebene,
von späteren geologischen Schriftstellern adoptirte und modi-
fiirte Theorie, wonach die Hebung von Gebirgen durch
die Senkung eines benachbarten Gebietes bewirkt sein soll.
Es ist klar, dass, wenn der Bogen eines Kreises sich be-
strebt, flacher zu werden und sich einer geraden Linie zu
näbern, die horizontale Ausdehnung grösser werden muss,
Wenn ein Theil eines starren Kreises leicht niedergedrückt
wird, muss ein benachbarter Theil, da er in einen kleine-
ren horizontalen Raum gedrängt und die Länge seiner
Sehne vermindert wird, sich ausbauchen. Wendet man diese
Thatsache auf die Erdoberfläche an, so ist klar, dass die
Senkung irgend eines Theiles einen Seitendruck hervor-
bringt und daher das Ausbauchen eines benachbarten Ge-
bietes verursachen kann. Natürlich hat das seine Grenze;
nach einem gewissen Betrag der Senkung fallen Bogen und
Sehne zusammen und eine noch weiter gehende Senkung
würde die Wirkung haben, dass die Oberfläche weniger
horizontalen Raum einnimmt statt mehr. Dana nannte
die Senkungen geosynclinale und die Hebungen geanti.
clinale.
Auf den ersten Blick scheint es, als hänge diese Theo-
rie, auf die Gebirgsbildung angewendet, zum Theil von der
Annahme eines flüssigen Zustandes des Erdinnern ab, ein
wenig Überlegung jedoch wird zeigen, dass diess nicht der
Fall ist. Grössere radiale Zusammenziehung von einem
Segment einer Kugel oder von einem Theil eines die Kugel
schneidenden grössten Kreises würde die Oberfläche nieder-
407
drücken, und wenn der oberflächliche Theil sich nicht gleich-
mässig zusammenzieht, einen seitlichen Druck verursachen.
Man nimmt an, dass wenn Veränderungen an der Erd-
oberfläche dem Einschrumpfen des Innern durch Abkühlung
zugeschrieben werden, die schon abgekühlte Kruste nicht in
demselben Verhältniss sich zusammenzieht,
Eine sehr einfache Berechnung zeigt jedoch, dass die Sen-
kung selbst eines so grossen Gebietes wie der Ganges-Ebene,
nicht die Erhebung des Himalaya hervorgebracht haben
kann. Der Himalaya-Gürtel zwischen den Ebenen Indiens
im Süden und der Linie des Indus und Brahmaputra oder
Sangpo im Norden, steht an durchschnittlicher Breite kaum,
wenn überhaupt, der Ganges-Ebene nach, selbst wenn das
Plateau von Nord-Tibet ausser Rechnung gelassen und
seine Erhebung auf Bewegungen in Central-Asien zurück-
geführt wird. Nimmt man an, dass die Gebiete des Himalaya
und des Ganges ursprünglich nur wenig in ihrer Höhe diffe-
rirten, so muss der Himalaya-Theil des Bogens eines grössten
Kreises bis zu der Maximal-Höhe der Gipfel, d. h. bis
29000 Fuss plus dem durch Abschwemmung Entfernten,
gehoben worden sein. Wenn die beiden Bogen, der über
dem Himalaya und der uber der Ganges-Ebene annähernd
gleich sind, so musste die Oberfläche der letzteren, um
einen zur Hebung des ersteren genügenden Seitendruck zu
produciren, ungefähr um eine gleiche Distance zu sinken
im Stande sein. Der Betrag ist nicht genau derselbe, aber
bei Bogen von so kleinen Winkeln würde der Unterschied
wenig ausmachen. Nun misst der über die Ganges-Ebene
gespannte Bogen etwa 3° und die Höhe eines solchen
Bogens der Erdoberfläche über der Sehne oder die Distance,
durch welche die Oberfläche sinken und noch einen Seiten-
druck ausüben könnte, beträgt nur 7000 Fuss, während
der Längenunterschied zwischen dem Bogen von 3° an
der Erdoberfläche und der Sehne dieses Bogens nur etwa
126 Fuss ausmacht. Die Senkung der Ganges-Ebene hätte
also nur eine Seitenbewegung von 126 Fuss hervorbringen
und den Himalaya bis zu 7000 F. heben können, voraus-
gesetzt, dass die ganze Seitenbewegung zur Hervorbringung
der Hebung verwendet worden wäre.
Auch abgeseben von dem Umstand, dass die seitliche
Bewegung von Norden gekommen zu sein scheint, geht aus
dem Gesagten hervor, dass weder die Hebung noch die
Faltung des Himalaya durch die Senkung der Ganges-
Ebene allein bewirkt worden ist. Die Bildung der Indo-
Ganges-Ebene und des Himalaya so wie anderer Gebirge
geschah wahrscheinlich durch dieselben Kräfte, ohne dass
die eine in irgend einer Weise die Ursache oder die Wir-
kung der anderen gewesen ist.
52°
408
Reisen in Central-Asien, 1876—79.
Von Dr. A. Regel. (Schluss ').)
III. Reisen im Jahre 1878.
1, Reise nach Schich. — Als im März 1878 eine
Deputation chinesischer Generäle, welche in Kuldscha mit
den russischen Behörden Unterhandlungen gepflogen hatten,
nach Schicho zurückkehrte, zögerte ich nicht, diese günstige
Gelegenheit, mein Forschungsgebiet weiter nach Osten aus-
zudehnen, zu ergreifen, trotzdem es noch sehr früh im
Jahre war und die eben auflebende Vegetation nur geringe
Aussicht auf erfolgreiches Sammeln bot. In Begleitung
eines Kosaken und eines kirgisischen Führers schloss ich
mich der endlosen Karawane an, welche am 21. März
Kuldscha verliess. Anfänglich in südöstlicher Richtung zie-
hend wandten wir uns von Masar aus nach NO und er-
reichten nach 2tägigem Marsche die chinesische Grenze in
der Schlucht des Borborogussun, an derem Eingange im
Schutze der letzten bastionenartigen Sandsteinfelsen das bier
stationirte Kosakenpiket seine Jurten aufgeschlagen hatte.
Die Vegetation war durch Tulpen, Crocus, Anemonen und
Corydalis vertreten. Am 24. März erklommen wir durch
die enge, noch dicht beschneite Schlucht, welche auf bei-
den Seiten von dunklem Fichtenwald eingefasst ist, den
8000 F. hohen Pass über den Iren-chabirga (was im Mon-
golischen „dürrer Rücken” bedeuten soll), auf welchem Wege
wir mehrfach sartische Karawanen trafen, da dieser Pass
jetzt für einen der sichersten nach China gilt. Auf der
Passhöhe sah ich nach N zu einen wohl 10000 F. hohen
Bergrücken emporragen, der wahrscheinlich zu den Gebirgs-
stöcken des Sairam-nor gehört.
Ziemlich bequem stiegen wir in die nördliche Borboro-
gussun-Schlucht hinab, in welcher sich die allgemein ver-
breiteten Gebirgsholzarten vorfanden, während an den kah-
len Bergabhängen der Steppencharakter vorherrschte. Wir
liessen die höheren Gebirge seitwärts liegen und folgten
dem Laufe des noch mit Eis bedeckten Flusses, an dessen
Ufern Sandstein, Gyps, grauer Marmor, Schiefer und Stein-
kohle zu Tage traten, bis in die Umgegend des Ebi-nor.
In Dschincho, einer ruhigen Stadt von 800—1000 Einwoh-
nern, konnte ich leider keinen Führer zum See auftreiben,
und so musste ich mich begnügen, während des Rasttages
eine Excursion nach den ostwärts gelegenen Vorbergen bis
zu einem Punkte zu machen, von wo ich den von dichten
Schilfmassen umsäumten Ebi-nor überblicken konnte. Jenseit
des Sees erblickt man die Barlyk-Gebirge als Fortsetzung
des Dschungarischen Ala-tau, Die Borotals-Berge und die
1) Den Anfang siehe 1879, Heft X, 8. 876.
Gebirge des Sairam-nor erreichen in einzelnen Ausläufern
das Westufer des Ebi-nor, da wo sich die Borotala in den-
gelben ergiesst.
Am 28. März brach die Karawane nach O gegen die
Schieferberge auf, jenseit welcher sich eine trostlose Salz-
wüste mit kärglicher Saxaul-Vegetation ausdehnte, die stel-
lenweis gänzlicher Öde Platz machte. Dass die Steppen-
fläche östlich vom Ebi-nor noch öder ist als die gleich tief-
liegenden Gegenden in der Ili-Ebene, liess schon die Nähe
der nördlichen Gobi vermuthen; selbst der Wald von
Wüstenpappeln (Populus diversifolia), welcher auf der Mitte
des Weges zwischen Dschincho und Tatu grosse Bestände
bildet, bietet mit seinem Salzuntergrunde ein zwar plasti-
sches, aber dennoch starres Bild. Zum Ackerbau dürften
sich vor Schicho nur wenige Punkte eignen, an denen
wir Ruinen chinesischer und dschungarischer Ansiedelungen
antrafen; guter Boden tritt erst bei Manas auf. Über
Tatu, Koltun, Segischu und Purtaschi oder Fü-tadschu, an
welchen Orten sich seit der Wiederbesetzung des Lan-
des nach dem grausam unterdrückten Dunganen-Aufstande
chinesische Mandscohurenbesatzungen in kleinen Forts be-
finden, erreichten wir am 30. März Schicho, welches we-
niger als Stadt, sondern mehr als eine Reihe vereinzelter
Ansiedelungen, Niederlagen, Bazare, Forts &c. mit 5000—
6000 Seelen zu bezeichnen ist. Im Bache, auf den Stras-
sen, ja selbst im Hofe des Intendanten, bei dem ich Woh-
nung aufgeschlagen hatte, liegt allerlei Unrath, Thier-
gerippe &c. massenhaft umber. Im SW liegt der sartische
Stadttheil mit zwei sehr engen Strassen, in denen sich
ausser Sarten, Tarantschen, Tataren, Kalmücken, Kaschga-
riern auch Chinesen aus allen Theilen des grossen Reiches
in buntem Gewühl durcheinander drängen.
Nachdem ich den verschiedenen Würdenträgern meine
Aufwartung gemacht, deren Gegenbesuch empfangen und
mich von den Strapazen des anhaltenden Rittes einiger-
maassen erholt hatte, rüstete ich mich zu Excursionen in
die Umgegend, wozu ich nur mit Mühe und auf die kate-
gorische Erklärung hin, dass ich auch ohne Erlaubniss
Ausflüge machen würde, Erlaubniss und einen chinesischen
Officier als Begleiter erhielt. Am 5. April wandte ich mich
nach Süden in’s Gebirge, das ich im Thale des Dsündsün-
gängol erreichte. Der Schluchteneinschnitt begann auf einer
Höhe von etwa 3000 F. Während nun im Thale des Di
ungefähr von einer solchen Höhe an das von der Thal-
sohle ansteigende gleichmässige Plateau abbricht und die
Felsarten sich nunmehr in ibrer geologischen Reihenfolge
Reisen in Central-Asien, 1876—79. 409
mit eigentlichem Gebirgscharakter über einander thürmen,
fängt hier in der nordwestlichen Mongolei bei 3000 Fuss
erst der Absatz des noch etwa 1000 F. höher gelegenen
Platesu an, das sich dann beinahe 4 Meilen weit bis zu
dem eigentlichen Felsgebirge erstreckt. Bis dahin zeigt
der Schluchteinschnitt nur entblösste Sandsteinauswaschun-
gen und Conglomerate. Diese jüngeren geologischen Schich-
tungen sind übrigens analog mit denen des Plateau am Ilı.
Stellenweis werden sie auch wohl Steinkohle aufweisen, die
am Nordabhange des Zitertepasses in der Gegend von
Dschincho und Takiansi in grossen Mengen vorkommt. Wäh-
rend ich auf dem Vorplateau des Iren-chabirga nur die
dürftigste Vegetation bemerkt hatte, darunter als charakte-
ristischsten Vertreter den Saxaul, sah ich auch im eigent-
lichen Gebirge nur spärliche Waldungen der Thianschan-
fichte; auch die Nachbarschluchten sollen arm an Waldung
sein. Nach S erblickt man den fast senkrecht über das
Plateau aufsteigenden Iren-chabirga-guet mit seinen etwa
15000 F. hohen, als unersteiglich geltenden Gipfeln. Über
das Gebirge sollen 7 Pässe in das Thal des Kasch führen.
Am Dsündsüngängol trafen wir mit dem Stamme der Tor-
gonten zusammen, deren Chan erst 14 Jahre zählte.
Mit der Absicht, mir die Erlaubniss auszuwirken, den
Fuss der Gebirge in der Richtung nach Turfan zu besuchen,
kehrte ich nach 4tägiger Abwesenheit nach Schicho zurück.
Trotzdem der Intendant mir viele Schwierigkeiten in den
Weg legte, auch die nachgesuchte Erlaubniss verweigerte,
vollendete ich die Vorbereitungen zur Reise, als durch das
in Kuldscha erlassene Verbot der Mehlausfuhr in die chine-
sischen Nachbarprovinzen die Stimmung in Schicho eine so
gereizte wurde, dass ich es vorzog, meine Forschungen auf
eine spätere Gelegenheit zu verschieben.
Auf demselben Wege wie auf der Hinreise ging ich in
Begleitung zweier chinesischer Offiziere bis Dschincho zu-
rück. Die Flora fand ich kaum weiter entwickelt, denn
Nachts fror es noch immer. Auf der Stelle, wo wir vor
3 Wochen im Walde übernachtet hatten, fanden wir einen
in der Nacht vorher von einem Tiger zerrissenen Stier;
besonders auf den mit Saxaul bewachsenen Sanddünen waren
Tigerspuren sehr häufig. Von Dschincho reiste ich weiter
zum Sairam-nor. Nachdem die erste Sandstrecke überwun-
den, gelangten wir über Weidegründe der Torgonten und
Kalchas und durch den fast bodenlosen Salzboden eines
Dunganenwaldes (Wüstenpappeln) nach Takiansi (Dachiansy).
Rechts hat man die sonderbar gestalteten Sandsteinkuppen
längs der Borotala und vor sich das Hochgebirge des Ala-tau,
die Alakulberge und das Barlykgebirge. Weiterhin erheben
sich links die Vorberge der mächtigen Talki-Kette, über welche
der nächste Weg nach Kuldscha führt. Nachdem ich noch
eine Sandsteppe durchmessen, kam ich zwischen 10000 F.
hohen Gebirgen zu dem noch gefrorenen Sairam-nor, von
wo ich die früher begangene Strasse nach Kuldscha ein-
schlug. In den letzten Tagen des April traf ich hier wie-
der ein.
2. Excursin in die nördlichen Randgebirge des mittleren
It. — Nur eine kurze Ruhe konnte ich mir hier gön-
nen; schon nach wenigen Tagen begann ich eine Tour an
die Quellen des Almaty und Sarybulak nördlich von Kul-
dscha Am 17. Mai brach ich von Neuem anf, hielt mich
erst in den Vorbergen von Bajandai und dann in den
Sanddünen von Suidun auf, ging am Chorgossu aufwärts
und schliesslich nach Borochudsir. Eine grössere Excur-
sion führte mich im Laufe des Juni in’s Borochoro-Ge-
birge. Von Kujankus aus reiste ich per Post nach Boro-
chudsir zurück.
Diese Ausflüge gewährten mir einen Einblick in die
Erhebungen an der Nordgrenze, durch welchen die Annahme
.einer vom Cisiliensischen Ala-tau im Winkel abgezweigten
Borochoro -Kette zum Theil umgestaltet wird. Ich kam auf
meinen Touren in der Umgegend von Suidun bis in die
Nähe des Südostrandes des Sairam-nor. Nachdem ich zwi-
schen den Hörnern einer beträchtlichen Vorkette, Jamante-
rek, welche auch die Engpässe der Talkischlucht überragt,
aufgestiegen war, gelangte ich auf die etwa 6000 F‘. hoch
liegende Hochebene Kokkamyr, welche an Areal etwa dem
Sairam-nor gleichkommt. Vom Südrande dieser Hochebene
laufen die Bäche zwischen Kuldscha und Suidun ab; den
übrigen Theil der Hochebene, so weit er sich an die scharf
abgegrenzten NO- und N-Ränder anlehnt, nimmt das be-
deutende Quellgebiet des Pilutschi ein, welcher, nachdem er
die vordere Kette in der Ausbuchtung durchbrochen, in
Folge des Bewässerungssystems bei Kuldscha als unbedeu-
tendes Bächlein versickert. Zwischen dem Mittellaufe des
Almaty und Sarybulak liegen das Plateau und die kohlen-
reichen Vorberge von Bajandai oder Sungar mit der Spitze
Kungyrbas. Nach W zu hören von hier an die Koblen-
bestände auf, wiewohl sich das Plateau bis zum Talkibache
hin fortsetzt; nach O erstrecken sie sich bis zur Quelle des
Kasch. Der niedrige Südrand des Sairam-nor biegt gegen
den Südostrand hin plötzlich hoch ansteigend als Tochum-
tau um, in dessen Ausläufern Kertasch die westlichen Pi-
lutschi-Quellen entspringen. An der äussersten Nordostecke
des Sees nähert sich dieses Gebirge den nördlichen Grenz-
bergen des Sairam-nor gegen das Flussgebiet des Borotala
hin und bildet mit deren Fortsetzung zusammen, jenseit
einer unbedeutenden Wasserscheide, unter den Namen
Tochumtau terskei und T. kungei (d. h. südlicher und
nördlicher T.) ein fast gänzlich wüstes Thal, in welchem
die Strasse nach Takiansi allmählich abfällt.
Von Takiansi nur durch eine niedrige Vorkette ge-
410 Reisen in Central-Asien, 1876—79.
schieden, endet der Tochumtau terskei in der schwer über-
steiglichen, gletschertragenden Erhebung Bogdo oder Kujuk,
wo die Mittelquelle des Pilutschi, des Turasu, gerade im
N von Kuldscha entspringt. Die östliche Quelle des Pi-
lutschi befindet sich südlich vom Bogdo an der unbedeu-
tenden Wasserscheide, welche in das nördliche Borborogus-
sun-Thal abfällt und ihm nur einen westlichen Zufluss lie-
fert, an welchem ein Sommerfahrweg auf den 8000 Fuss
hohen Ziterte-Pass hinausläuft. Hier an der Vereinigungs-
stelle des südlichen und nördlichen Borborogussun-Thales,
wo der Kujuk unterbrochen ist, wäre die einzige Stelle,
wo ein einziger Gebirgsrücken angenommen werden kann.
Bei Dschincho tritt in der Linie des Kujuk abermals ein
hoher Bergrücken auf, hinter welchem 60—70 Werst öst-
licher die Irenchabirga-Kette aufsetzt. Da mir die Irencha-
birga-Pässe als Doppelpässe bezeichnet wurden, so dürfte
auch das Bergland zwischen dem Flusse Kasch und der
Dsungarischen Tiefebene aus Parallelketten und Zwischen-
plateaux bestehen.
Dem westlichen Theile des Ili-Randgebirges näherte ich
mich von Chorgos aus. Dem NW-Rande des Sairam-nor nach
zieht sich ein befirnter Gebirgskamm, am Nordende des
Sees in die niedrige Wasserscheide gegen das Borotala-
System übergehend, welche weiter im O den Tscohumtau
Kungei bildet. Nach W zu bildet dieser Gebirgskamm den
unmittelbaren Hintergrund der Thäler des Aksu, Chorgos,
Össek, Borochudsir und Koksu, während der Südrand des
Sairam-nor mit der Abdachung seines Rückens zusammen-
fliesst, ohne sich als Kette fortzusetzen. Es erweist sich,
dass dem nördlichen Abfalle dieses Kammes entlang, der in
der Nähe von Borochudsir den Namen Borochoro führt,
hohe Parallelthäler hinziehen, in denen der Chorgos, Urtak-
sary und Koksu ihre Quellen haben. Die kleinen Bäche
zwischen dem Chorgos und Össek, die den sogenannten
Ulmenwald von Borochudsir durchfliessen, so wie der Össek
und der Borochudsirfluss selbst erreichen den Ili nicht,
sondern speisen theilweis einen in hohem Schilfe verbor-
genen See, aus welchem der Sarytschagan dem Strome
zufliesst.
Dem Oberlaufe des Borochudsir nach W zu folgend er-
stieg ich längs eines kleinen Baches die 12000 F. hohe
Passwand und sah in einen anderen Kessel hinunter, in
welchem zwei Arme des Össek aus zwei Seen und Glet-
scohern entspringen. Vom Uitasch an zog sich im N und W
dieses Kessels ein unerforschtes Meer an 12—14000 F.
hohen befirnten Gipfeln hin, zwischen denen sich die hin-
terste Quelle des Össek, die Zuflüsse des Urtaksary, des
Koksu und der Kora zergliedern. Das in der Mitte des
Sommers fast schneefreie Altynimel- Gebirge verläuft nur
von Kujankus bis zum Borochudsir und ist von dem eigent-
lichen Hochgebirgsrande durch eine breite Hochebene ge-
schieden, auf welcher die Quellen des letzteren, so wie
eines Zuflusses des Koksu von der flachen, ca 7000 Fuss
hohen Wasserscheide Juigentasch nach O und W ablaufen.
Weiterhin treten von S her der Ters-akkan, von N her
der Satyly und der Koksu selbst mit dem Juigentasch-Ab-
flusse (Kersken-terek) auf dieser Hochebene zu einem ein-
zigen Gewässer zusammen und die Berge werden niedriger;
ausserdem schiebt sich der Choduschai-Rücken an der Post-
strasse zwischen sie ein. Südlich vom Altynimel-Gebirge
schneidet die niedrige Konurulen-Kette, in ihrem östlichen
Theile Dolonkara genannt, nochmals eine sandige Hoch-
ebene ab, darauf beginnt der unmittelbare Abfall zum Ili.
Auf der östlich vom Juigentasch gelegenen Ebene Aiak-sas
sah ich Reste alter Ansiedelungen.
3. Exoursionen in’s transiliensische Gebiet.— Am 26. Juni
brach ich bereits von Neuem in die transiliensischen Ge-
birge westlicb von Dschagestai auf, welche ich theilweis
bereits 1877 besucht hatte. In Folge günstiger Witterung
konnte ich bis in die Nadelwaldungen von Chanachai vor-
dringen, welche viele interessante Pflanzenformen darboten.
Zwischen den plateauartigen Vorbergen und dem Flusse
breitet sich eine viel sumpfigere Ebene aus als auf dem
rechten Ufer, welche nach W zu allmählich trocken
wird. Dem Chorgos gegenüber kommt die Terrasse hart
an den Fluss heran, um bald wieder zurückzuweichen, und
nun treten, wie am rechten Ufer bei Borochudsir, Sanddü-
nen auf, die auch die ganze Strecke zwischen der Mün-
dung des Ticharyn und des Tichilik einnelimen. Diese
Vorberge, die Durchbruchsstelle das Kogen und seines kleinen
Zuflusses Temirlik, so wie die Umgebung des kleinen Salz-
sees Borodobsyn enthalten jüngere geologische Bildungen
und sind reich an Versteinerungen. Kuschakewitsch und
Fetissow glauben hier Reste früherer Atolle gefunden zu
haben; auch mir sind die riffartigen Formen der Kalkfel-
sen am Kegen aufgefallen.
Auf dem Karawanenpfade stieg ich zum 9000 F. hohen
Ketmenpasse auf, auf welchem Wege ich die zahlreichen,
blühenden Bergdörfer der Tarantschen in Augenschein
nahm, und wandte mich dann dem Tschalkode, dem Quelllaufe
des Kegen, entlang zum wenigstens 10000 F'. hohen, noch
nicht schneefreien Passe an der Quelle des Sumbe, welcher
nach W hin zum Tekes abfliesst. Eine flache Wasserscheide
führte nun auf ein 30—40 Werst breites und 7—8000 F.
hohes Plateau, in welches einige Quellflüsse des Kassan
tief eingeschnitten sind. Auch auf diesem Plateau treten
jüngere Formationen mit zahlreichen Versteinerungen auf.
Den Hintergrund desselben bildet die Fortsetzung des
Transiliensischen Ala-tau, die als Usun-tau, Nan-schan, Ak-
burtaschgebirge &c, &c. bezeichnet wird. Statt aller dieser
Reisen in Central-Asien, 1876—79. 41
gesuchten Benennungen ist es wohl am einfachsten, die
Berge vom Ausflusse des Tekes bis Pischpek mit dem Namen
Transiliensisches Gebirge zu bezeichnen und nur den hö-
heren westlichen Theil dem kirgisischen Sprachgebrauche
gemäss als Transiliensischen Ala-tau abzuschneiden. Die
Gebirge im N des lli könnten dann den Namen Dschun-
garische Alpen oder Cisiliensisches Gebirge führen, von
ihnen wäre die Einzelkette des Dsohungarischen Ala-tau zu
trennen.
Den Südrand des Plateau am Kassan und Sumbe bildet
im W die südliche Sumbekette, die aber hart am Kassan
unter dem Namen Koktube steil abbrioht; weiter nach O
fehlt der Hochebene der höhere Südrand, sie fällt unver-
mittelt steil zur Ebene des Tekes ab. Die Terrassenbildung
hört erst am südlichen Dschagastaibache auf. Sogar am
Tschaptschalpasse sind nach 8 ähnliche Bergkuppen über
die Centrallinie hinaus vorgeschoben wie auf der Nordseite
fast im ganzen Verlaufe der Kette; diese Kuppen führen
auch hier den Namen Aktasch, weisser Stein, bisweilen
auch Aulie-tschaka, heiliger Felsen.
Ich wandte mich direct dem Tekes zu und zog in
seiner Ebene bis zums üdlichen Abflusse der Chanachai-
berge. Dort lockte mich die schöne Witterung, den Agias
(der kirgisische Name Akjas, weisser Sommer, scheint erst
später entstanden zu sein), der parallel dem Musart aus
eben so bedeutenden Bergen entspringt, aufwärts zu ver-
folgen. Dieser Fluss ist einer der mächtigsten Gewässer,
welchen der Nordabhang des Thian-schan liefert, und scheint
auch den Tschon (Grossen) Musart bedeutend zu übertreffen,
da er, nachdem er aus dem Gebirge herausgetreten, nir-
gends ohne Brücke zu passiren ist. Die Karakirgisen hat-
ten sich an diesem ihrem Zufluohtsorte weit in die Berge
zurückgezogen, so dass diese Tour sehr anstrengend war.
Ich besuchte nur die bis in die Schneeregion aufragende
Vorkette westlich vom Agias, dessen Thal gerade von 8
herkommt. Zahlreiche Seitenthäler finden sich rechts und
links, sie sind aber in den höheren Regionen sämmtlich
vergletschert. Der Fluss selbst ist auch weiter oberhalb
nur selten auf ziemlich schwierigen Furten gut zu passiren.
Ein Passweg, der früher hier existirte, ist zur Zeit
nicht mehr gangbar; die Gletscher sollen bis in die Thal-
sohle hinabreichen. Dieselben müssen an Grossartigkeit den
Musartgletschern nicht nachstehen, sind doch die Höhen
hier wohl noch bedeutender als am Musart,. Auch der
Koksupass, der noch vor wenigen Jahren benutzt wurde,
soll jetzt vergletschert sein. Am Irtong-Musart, den ich
im Jahre 1877 besuchte, sind dagegen die Gletscher zurück-
gegangen. Vor 30 Jahren bedeckten sie noch die Pas=
höhe; jetzt sind sie um einige Werst zurückgewichen und
baben nur Gruben und Schlammseen hinterlassen. Sein
Stidrand bildete damals einen 80 F. tiefen senkrechten Ab-
sturz, auf den Stufen eingehauen waren und von dem man
sich mit Seilen hinablassen musste; jetzt geht er ganz all-
mählich in eine Sandfläche über. Mein früherer Führer
war der Erste, welcher den von mir versuchten Pfad wei-
ter verfolgte und auf kaschgarisches Gebiet hinabstieg. Im
Februar 1879 hat eine kaschgarische Karawane mit Baum-
wollenstoffen den Musart passirt. Vor 30 Jahren führte
auch am Tsohon -Musart entlang ein sehr schwieriger
Saumpass, den man nur einzeln hinter einander passi-
ren konnte; derselbe soll jetzt auch vergletschert sein und
wird deshalb wohl nicht begangen werden können. Am
westlichen Zuflusse des Naryngol, dem Karakol, soll ein
nur Wenigen bekannter Pfad über das Gebirge an die Zu-
flüsse des Tarim führen. Westlich vom Gebiete des Na-
ryngol beginnen die Syrte oder Parallelhochebenen, eine
dem Pamir analoge Bildung, die nach allen Richtungen
passirbar sind; in diese Kategorie fallen die Pässe Kapkak,
Sarydschas, Terskei-Aksu u. A.
An den Bergen von Dschangystai vorbei wandte ich mich
nun dem 8000 F. hohen Tschaptschalpasse zu. Östlich
von demselben liegen die niedrigen Scharybagutschiberge,
auch Dschangystaiberge genannt; nach W zu beginnen sofort
die über 10000 F', ansteigenden Gratlinien, welche sich an
den Dschagestaipass anschliessen. Zwischen den Bächen
Dschagestai und Tschaptschal tritt eine über die Nadel-
region sich erhebende Kette, Attantau, auf, an deren Ost-
ende ich Steinkohlen bemerkte. Zwischen Chanachai und
Dschagestai ragt eine eigenthümlich vereinzelte Bergspitze
empor, Ak-bugra-tasch, d. h. weisser Stein beim Dorfe oder
Bache Bugra, gewöhnlich Bura genannt.
Am Ostabhange des Attantau befinden sich die Ruinen
einer Stadt, welche die Kirgisen Ak-kurgan oder Ak-burchan
nennen. Hier sollen früher die Chane der Mongolen residirt
haben, doch scheint mir, dass diese Reste aus der Zeit dschun-
garischer Herrschaft stammen, wenigstens bieten sie kein
Analogon zu der mächtigen Stadtruine östlich vom Chor-
goes. Dort finden sich nämlich Häuserruinen aus ähnlichen
Backsteinen vor, aus welchen die nahe gelegene, wohlerhal-
tene Grabmoschee Chorgos Masar, ganz im Stile der Bau-
ten von Samarkand und Turkestan gehalten und der Tra-
dition nach 580 Jahre alt, erbaut ist. Meines Wissens ist
über die Blüthe muselmanischer Cultur zur Zeit der Mon-
golenberrschaft in Kuldscha noch wenig bekannt. Ganz an-
deren Charakters und den Denkmälern am Issyk-kul zu
vergleichen waren die Erinnerungssteine der Kurgane an
den Borochudsirquellen, die net=n Gesichtsdarstellungen
tibetanische Inschriften enthielten. Wenn auch letztere
Denkmälerreihe an die Blütheperiode muselmanischer und
dschungarisch-chinesischer Cultur offenbar nicht hinanreicht,
412 Reisen in Central-Asien, 1876—79.
so offenbaren sich in derselben in Einzelheiten doch so
mannigfache Verschiedenheiten, dass erst die gründlichste
Forschung zu Schlüssen berechtigen kann.
Ein kürzerer Ausflug führte mich im September wie-
derum in die Ebene des Kasch und Tekes. Bei Dsirumtä
oberhalb Nilki verengt sich das Thal des ersteren Flusses;
hier befinden sich reiche Steinkohlenlager und Mengen ver-
steinerter Bäume. Ich kam bis in die Nähe des Borgaty-
passes, wo, wie auch stromabwärts bei Masar, warme Quel-
len sind. Überall am Kasch finden sich Reste der dschun-
garischen Zeit, ausserdem noch Städteruinen einer früheren
Periode. Auf dem 7000 F. hohen Passe von Scharyba-
gutschi stieg ich zum Tekes hinüber und besuchte dort
nochmals die Ruinen von Ak-kurgan.
4. Exoursion an die Borotala. — Am 3. August ver-
liess ich Kuldscha, stieg längs des Pilutschibaches bis zur
Hochebene Kokkamyr empor und wandte mich dann im
Thale des Dechirgalan zu der steilen Bergkette Bogdo,
welche ich bis in die Nähe der weithin sichtbaren, wohl
13000 F, hohen Kuppen verfolgte. Das Gebirge besteht
aus plutonischen Gesteinsarten; seine südlichen Abhänge
sind schwächer bewaldet als die nördlichen. Zwei bequeme
Pässe führen in das Thal des Kysemtschek, welches vom
Sairam durch eine etwa 1000 F. hohe Wasserscheide ge
schieden ist. Im N wird das Thal durch die Randkette
Kysemtschek (Mädchenbrust) begrenzt, welches sich in vie-
len wilden, bis 12000 F. hohen Zacken erhebt; zum See
fällt es im Vorgebirge Kartschegantasch (gehauener Stein)
schroff ab.
Das Wasser des Sairam ist schwach salzig, doch zu
Thee verwendbar. Wasserpflanzen und Fische sind im
Becken selbst nicht zu bemerken, sondern nur in den La-
gunen. Vergleichung der Vegetationszonen mit den bishe-
rigen Aneroid- und Barometermessungen lassen mich ver.
muthen, dass die Berechnung von 6700 F. Höhe für den
Seespiegel die richtigste ist. Der Talkipass und der Pass
zum Thale Tochumtu an der Kaiserstrasse wäre dann 7000 F.
hoch. Nadelholz findet sich bis etwa 2000—2500 F. über
dem See; die Berge an der Ostseite mögen zwischen 10 000
und 11000 F. erreichen. Ein auffallendes Phänomen ist
die Fluth, die jeden Abend am südlichen Ufer zu beobach-
ten ist, und von den Eingeborenen mit abergläubischer
Furcht betrachtet wird. Ich lasse dahingestellt, ob perio-
dische Windrichtungen allein die Ursache sind.
Das Gebirge Tochumtu begrenzt das Thal gleichen Na-
mens nach N; in der Gegend von Dschultam zweigt sich
von ihm der Zug Kantschaga (Riemengebirge) ab, dessen
Ausläufer bei der Felsenbrücke Taschkopruk die Borotala
erreichen. Ein anderer Ausläufer des Tochumtu erstreckt
sich bis Takiensi; nach einer auffallend hutförmigen Kuppe
heisst er Takiantau, d. h. Mützenberge. Vom nordöstlichen
Ende des Sairam führt der etwa 9000 Fuss steile Pass
Dawaty an den Urtaksary, von hier zieht sich die Kette
Syrlitam bis zum Nordende, wo in einer wenige hundert
Fuss aufsteigenden Einsenkung der sehr bequeme und auch
wohl fahrbare Pass Ovaty liegt. Dem Nordwestrande fol-
gend liegen in der Nähe desselben der ebenfalls leicht
gangbare, 9000 F. hohe Pass Tischubaty, dann einige
schwierigere Pässe, bis die Schneeberge des Aksu die Ver-
bindung erschweren.
Vom Ovaty aus erreichte ich die hier über 6000 F,
hoch liegende Urtaksary, ein zeitweilig sehr wildes Ge-
wässer, umging das sie im N begrenzende Urtaksary-Ge-
birge, welches gewöhnlich nach einem kleinen Bache Bed-
schimtau genannt wird, und gelangte, die Borotala im fla-
chen Delta der Mündung der Urtaksary kreuzend, beim
"Bache Metschety an den steilen Südabhang des Ala-tau.
Unterhalb des Tschubaty, dem Taldyusen gegenüber, den
früher schon Kuschakewitsch erreicht hat, befindet sich
eine warme Quelle. Der Urtaksary scheint von WNW zu
kommen, doch sind die näheren Verhältnisse mir zur Zeit
noch unbekannt. Die Urtaksary heisst im Mongolischen
eigentlich Ottaksary, die Borotala burtal, die graue, oder
burtala, die graue Steppe; die Kirgisen verstümmeln und
verunstalten alle Namen. Am besten behalten sie noch
die Karakirgisen, welche in Sprache, Aussehen, Kopfbeklei-
dung &c. den Mongolen am meisten gleichen. Hier an der
Borotala standen bisher die Kysaier, die mit den Baid-
schigit der Hochebene Kokkamyr einen Stamm bilden und
von den Chinesen als Buruten bezeichnet werden; sie nen-
nen sich selbst Kasak. Unterschiede von den mit sarti-
schem Blut gemischten Suwan, dem wichtigsten Stamme,
und den Atbany im Thale des Ili sind unverkennbar. Die
Kysaier sollen jetzt wegen ihrer beständigen Grenzraubzüge
an den Juldus versetzt werden, wodurch das ackerbaufähige
Land an der mittleren Borotala zur Colonisation frei wer-
den wird.
Westlich vom Metschety liegen am Bache Kustai Rui-
nen eines chinesischen Pikets und die Reste alter Gebets-
berge und Stadtanlagen mit Gesichtssteinen und Inschrif-
ten. Hier und weiter stromaufwärts fielen mir die Riff-
bildungen zu beiden Seiten des Flusses auf, die Versteine-
rungen enthalten Reste einer ohinesischen, dschungarischen,
so wie einer noch nicht enträthselten Cultur. Östlich vom
Metschety bemerkte ich interessante jüngere geologische
Schichtungen mit Enkrinitengliedern und dergl. Über den
12 000—13000 F. hohen Ala-tau führen noch östlich vom
Metschety verschiedene Pässe zum Ala-kul, nach W hin
keine bis zum Kuketau, welcher der am leichtesten zu pas-
sirende Pass nach Lepsinsk ist. Die parallelen Höhenzüge
Reisen in Central-Asien, 1876—79. 413
hören hier auf; in den Vorbergen entdeckte ich Spuren
von Steinkohlen, der Sandstein enthielt Ammoniten. Von
dem Bache Karangur an, der aus den Gletschern des Ber-
ges gleichen Namens herabkommt, wird der Ala-tau höher
und schneereicher , die Pike mögen in der Nühe der Boro-
talaquellen 14000 F. erreichen. An der oberen Borotala
ist der Boden überaus steinig.
Oberhalb des Utsch-bedschin, welcher 4 Werst west-
lich von der Mündung des Karangur aus dem hier die
Schneegrenze erreiohenden Urtaksary-Gebirge herabkommt,
treten vereinzelt Schieferfelsen am Bergrande auf, der am
rechten Ufer nahe an den Fluss herantritt. Über diesen
Vorbergen dehnt sich bis zu dem eigentlichen Kamme des
Urtaksary-Gebirges eine 9000 F. hohe Hochebene aus, auf
welcher die Argalis in Heerden von 10 bis 30 Stück wei-
den. Überall liegen Schädel erlegter Thiere mit ihren
mächtigen Hörnern umher. Am liuken Ufer münden zahl-
reiche Bäche in die Borotala; an allen führen Passwege
über den Alatau zum Flusssysteme der Lepsa hinüber. An
der Mündung des Aksai verengt sich das Thal zu einer
Felsschlucht, welche sich erst kurz vor der Vereinigung
der Queliflüsse zu einem Hochplateau mit bereits völlig al-
piner Flora erweitert. Die Borotala wird von vier Bächen
gebildet, von denen drei von der rechten Seite vom Passe
Kassan herabkommen; die Hauptquelle Dengerma, an wel-
cher ein Pfad zum Dschalair oder Karstalpasse emporführt,
kommt in einem Arme vom Passe Kora, in einem zweiten
von den Pässen zum Sarchan und Barchan herab.
Dem mittleren rechtsseitigen Bache nach stieg ich zum
Kassanpasse empor. Die ersten 15—30 Werst steigt der
Weg, der sich am Rande der plateauartigen Terrasse hält,
nur unmerklich empor. Dann gelangt man an der Vege-
tationsgrenze in einen quellreichen Kessel, über welchem
eine Gneiskuppe sich wandartig emporthürmt. Nach sehr
schwierigem Erklimmen dieser etwa 1500 F. hohen Kuppe
bietet sich oben auf einer Höhe von etwa 12000 F. ein
prachtvoller Anblick dar. Nach N zu sieht man die ganze
Kette des Dschungarischen Alatau, die sich auch westwärts
von dem Passe Kora als Alatau von Kopal fortzieht. Der
Kassanpass selbst befindet sich in der Linie einer zweiten,
etwa 2000 F. niedrigeren Kette, des Urtaksary, die in
ihrer Fortsetzung wahrscheinlich den Koksu und Karatal
von einander scheidet. Der Grat der Mittelkette ist sehr
scharf, und nimmt der Kassanpass eine der höchsten Stel-
len desselben ein. Überall, wo sich der Grat erweitert,
ist er von Firnfeldern eingenommen, die sich nach N in
mächtigen Massen absenken. Nach O ist die Aussicht durch
eine unmerklich höhere schneebedeckte Graterweiterung
verdeckt, während man nach S eine Kette erblickt, die dem
Dschungarischen Alatau an Höhe wenigstens gleichkommt.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XI.
Eine andere südwärts vorliegende Kette ist die Chorgos-
Össek-Kette, und ich konnte mich nun nach der abgerun-
deten Bergpyramide, die an der Ausgangsschlucht des
Chorgos liegt, orientiren, dass der nach S vom Passe ab-
fliessende Kassan der Oberlauf des Chorgos sei, was mir
später von den Suwanen bestätigt wurde.
Über die Gliederung der Gewässer im westlichen Theile
der Einsenkung habe ich nur sehr dürftige Erkundigungen
einziehen können. Der nächste Pass von den Quellen des
Kassan nach W soll an den Aksai führen, dessen Oberlauf
also in einer Parallelschlucht laufen muss. Östlich von der
Austrittsstelle des Chorgos aus der Südkette theilt sich eine
nach O ziehende Schlucht ab, welche einem Quellthale des
Aksu angehören wird, da ja der Urtaksary aus ONO kam
und also in der Mitte entspringen muss. Nur so viel ist
sicher, dass Pässe vom Kassan zum Urtaksary und Aksu
existiren. Viel weiter von der Austrittsstelle des Chorgos
entferut, theilte sich nach W zu die Südkette ebenfalls in
eine Doppelkette; der mächtige Knoten an ihrer Theilungs-
stelle schien der Uitasch oder Hausstein zu sein, den man
auch von Borochudsir aus erblickt. Derjenige Theil der
Einsenkung, welcher nach W zu unmittelbar an den Kassan
grenzt, würde also das Quellgebiet des Koksu, und weiter-
hin auch des Sattely oder Arganaty sein.
Die Kuppe des Kassanpasseg selbst, die von wunderbar
über einander gethürmten Felstischen bedeckt war, senkte
sich nach WSW senkrecht in eine schmale jenseit von
Schneefeldern überwölbte Kluft ab, in deren Tiefe die drei
krystallgrünen Seen Koskul lagen, welche allerdings keinen
unmittelbaren Abfluss haben, doch soll das durchsickernde
Wasser nach einer Wendung der Kluft nach N der Boro-
tala zuströmen. Die Kysaier benutzen den Pass während
des Winters trotz aller Gefahren, um ihre Heerden an die
Weiden am Kassan hinüberzuführen.
Der Abstieg vom Passe zu diesem Flusse ist steil und
schneefrei. Zwei sandige Terrassen lassen an frühere Seen
oder Gletscher denken. Etwa 7 Werst unterhalb vereinigt
sich die Schlucht mit einem aus NW einmündenden Kessel,
in welchen sich mehrere Firnfelder und Gletscher hinab-
senken. Die Tiefe dieses Kessels nimmt ein mehrere Werst
umfassender, unregelmässig geformter See mit graulich-grü-
ner Wasserfläche ein, welcher in seiner wilden Umgebung
einen unbeschreiblich schönen Anblick gewährt. Ich be-
nannte ihn Kolpakowski-See zu Ehren des um diesen Land-
strich hochverdienten Generals. Aus demselben kommt der
Kassan als kleiner Wasserfall, weiter unterhalb senkt er
sich in eine tiefe Felsenge ein, welche mich an weiterem
Vordringen hinderte, und bildet hier an der Vereinigung
mit einem östlichen Zuflusse einen wohl 100 F. hohen
prachtvollen Wasserfall. In der Region des Nadelholzes
53
414 Reisen in Central-Asien, 1876—79.
bildet der Kassan einen besser bekannten See von läng-
licher Form, in dessen Nähe sich auch eine warme Quelle
befindet.
Auf dem Rückwege folgte ich dem rechten Ufer der
Borotala auch abwärts über die Mündung des Bedschin
hinaus. Unterhalb des Bogdobaches treten Kalkhügel an
das Ufer heran, in deren Umgebung sich zahlreiche Spu-
ren dschungarischer Cultur, darunter eine kleine Schanze
zum Schutze einer Furth befinden. In der Nähe befindet
sich eine warme Quelle. 15 Werst unterhalb der Vereini-
gung des Urtaksary mit der Borotala liegen die Hügel
Utschtübe. Eine fruchtbare, oft schwammige Ebene dehnt
sich noch weiter bis in die Nähe der Ausläufer des Kan-
tschaga aus, auf welcher Strecke die Ruinen eines grossen
Tschakarentempels und zweier chinesischer Pikete liegen.
In der Nähe der Hügel wird die Gegend dürrer. Das Thal
der Borotala, welche von Ulmenwaldungen eingefasst ist,
hat eine Höhe von nur 2500—3000 F. Am jenseitigen
Ufer, dessen felsige Abhänge ich über eine hölzerne Brücke,
Taschkopruk (Felsenbrücke), erreichte, haben die Chinesen
in den letzten Jahren ein mandschurisches Fort errichtet,
in dessen Umgebung Reis und Getreide gebaut wird. Dem
Alatau liegt eine dürre Terrasse vor, von welcher sich als
Ausläufer des Gebirges ein zackiger Höhenzug abtrennt,
der die letzte, noch ungefähr 50 Werst lange Strecke bis
zum Ebi-nor dem Wege parallel läuft. Dieser Höhenzug
ist der berühmte Kolumschan, Höhlenberg. Da ich mich
auf ohinesischem Gebiete befand, in welchem Dunganen
herumschwärmten, musste ich über eine Furth der Borotala
auf das rechte Ufer zurückkehren und gelangte über die
Salzebene Takiansi, durch die Borborogussunschlucht und
längs des Pilutschi glücklich nach Kuldscha zurück.
Ich erwähne nur noch den künstlichen Hügel, der sich
in der Nähe der Brücke Taschkopruk am linken Ufer der
Borotala befindet. Er hat die Form einer Stufenpyramide
mit Spiralgängen und wächst noch jetzt dadurch, dass jeder
vorbeigehende Mongole einen Stein oder Baumast auf die-
sem Opferberge, Takelgan genannt, niederlegt. Das Alter
desselben wird über die Dsohungarenzeit hinaus verlegt.
An einem Hügel in der Nähe der Städtereste am Kustai
bemerkte ich ähnliche Spiralgänge aus Feldsteinen und auf
der Höhe einen ähnlichen allmählich wachsenden Altar.
Ein grosser Takelgan befindet sich in der Nähe von To-
gustaran am Zusammenflusse des Tekes und Kunges. Diese
Gebetberge erklären die Entstehung eines Theiles der Kur-
gane, während ein anderer Theil derselben offenbar als Be-
festigung gedient hat. Die kleineren Kurgane, welche um
einen grösseren herum gewöhnlich einen Halbkreis bilden,
wie auch manche grosse allein stehende Kurgane, mögen
Gräber sein; die in der Nähe von Flüssen und Ackerfel-
dern vorkommenden können auch Reste von Wohnungen
sein. In Stadtruinen kommen fast nur Reste von Lehm-
bauten vor.
Schliesslich sind noch die Steinringe und Steinvierecke
wohl beachtenswerth, in deren Mitte bald Gesichtssteine
männlicher oder weiblicher Personen stehen, bald ein Kreuz
aus Steinen errichtet ist. Nach Kuschakewitsch sollen sie
sich auch auf dem Pamir häufig vorfinden. Beim Lager
des Chans der Torgonten in der Nähe von Schicho
stand ein Kreuz von Steinpyramiden, welches offenbar
die Himmelsrichtungen andeutete; hier wurde Morgens und
Abends buddbhistischer Gottesdienst vollzogen. Die Stein-
haufen auf den Bergspitzen, auf denen Stangen mit Ross-
haaren aufgestellt sind, haben ebenfalls religiöse Bedeutung.
Bei Togustaran und an der Karkara wurden von Mongolen
und Kirgisen Bäume verehrt. Auch die Sarten halten die
Bäume in der Nähe von Gräbern heilig. Im Ganzen ver-
weisen alle diese Reste, wie auch die Inschriften in tibeta-
nischer (wird noch heute geschrieben), halb chinesischer und
türkischer Schrift auf mongolische Vorzeit.
Schwieriger ist es, die Bildsäulen zu erklären, da solche
heute nicht mehr errichtet werden. Einige haben gerades,
nicht mongolisches Profil, andere tragen entschieden mongo-
lischen Typus mit Zopf, so wie einen Knopf auf dem Schei-
tel, als Zeichen der Würde eines Chans. In den Städte-
ruinen, in denen Topfscherben, Erzschlacken, so wie Ziegel-
steine vorkommen, ist es schwierig, ohne Münzen, die leider
meistens sofort kritiklos verschleppt werden, auf ohinesi-
schen, mongolischen oder anderen Ursprung zu schliessen ;
nur erlaubt die Geschichte, in den meisten Fällen echt
Chinesisches auszuschliessen. Mischung mit Ariern, ja mit
blauäugigen, blonden Nationen ist besonders bei den Ta-
rantschen und Kaschgariern unverkennbar. In der mongoli-
schen und kirgisischen Sprache finden sich besonders die
deutschen und russischen Bezeichnungen des Viehes wieder
vor; wer aber entlehnt hat, ist nur nach eingehendstem Stu-
dium zu entscheiden.
IV. Reisen im Jahre 1879.
1. Zweite Reise nach Schicho.— Als ich im vorigen Jahre,
durch die Haltung der chinesischen Behörden in Schicho
veranlasst, nach Kuldscha zurückkehrte, fasste ich sofort
den Entschluss, in diesem Jahre mit besseren Weisungen
an diese Behörden versehen, abermals einen Ausflug nach
Schicho zu machen, um den Versuch zu wiederholen, ob
ich von hier aus meine Forschungen nicht weiter nach O
ausdehnen könne in Gegenden, die seit Marco Polo kein
Europäer betreten hat. Leider kamen alle diese Pläne
auch jetzt nicht zur Ausführung; trotz der bestehenden
Tractate weigerten sich die chinesischen Behörden, mir die
Reisen in Central-Asien, 1876—79. 415
Weiterreise aus Schicho zu gestatten, so dass ich unver-
richteter Sache den Rückweg antreten musste.
Am 4. Mai reiste ich von Kuldscha ab, folgte dem
Pilutschi und einer von NO kommenden Nebenschlucht des-
selben bis zur Hochebene Kokkamyr und zog dann über
den östlichen Theil derselben, Turasu mit Namen, welcher
von zwei unmittelbaren Quellbächen des Dschirgalan und
mehreren Zuflüssen eines östlichen Armes durohflossen wird.
Darauf überstieg ich die über 7000 F. hohe Wasserscheide
zum östliohen Zuflusse des nördlichen Borborogussun und
folgte dann diesem Flusse selbst bis zur Tiefebene von
Dschincho, von wo aus ich auf dem schon im vorigen Jahre
benutzten Wege am 18. Mai Sohicho erreichte. Eine un-
liebsame Folge der herrschenden Hungersnoth war das in
Massen hierher zusammengetriebene Gesindel.
Da an eine Fortsetzung der Reise nach O nicht zu
denken war, so trat ich am 25. Mai die Rückreise nach
Kuldscha an und erreichte den Irenchabirga am folgenden
Tage am Austritte des Flusses, den die Karten als Epte,
d. h. Unterlauf, bezeichnen, dessen Oberlauf von den Tor-
gonten aber Turgen genannt wird, während die Kirgisen
ihn kurzweg Taldybulak oder Tallyk (Weidenbach) nennen,
Sein Hauptarm kommt in einem grossen, südwestlichen
Bogen vom Grate des Irenchabirga her; der Unterlauf wird
vielleicht den Fluss Kiityn gar nicht erreichen, dessen Vor-
handensein ich von verschiedenen Seiten bezweifeln hörte.
Mein Führer behauptete, die Pässe vom Taldy führten
sämmtlich an den Kleinen Juldus, während ein Theil der
Torgonten mir versicherte, dass südlich von hier der Fluss
Kasch wäre. So viel scheint mir sicher zu sein, dass die
Strecke des Irenohabirga bis Schicho grösser ist, als die
Karten bisher angaben. Östlich vom Taldybulak fliesst der
Sygaschu, an dessen Austritte aus dem Gebirge sich ein
brennendes Kohlenlager befinden soll; nicht weit entfernt
vom Flusse soll ein Naphtha-See auf einer kegelförmigen
Bergspitze existiren. Meine chinesische Begleitung gestat-
tete mir leider nicht, diese beiden Punkte zu besuchen.
Weitere vom Irenchabirga nach N abfliessende Bäche
sind der Kara-ussu und der Kiityn. Ungefähr in diesem
Gebiete muss sich der Pass Möngötö befinden, an dem der
Fluss Kasch entspringen soll, während unser Führer dessen
Quelle an einen Möngötö westlich vom Taldy verlegte.
Jedenfalls ist es klar, dass aus den mächtigen Gletscher-
feldern an der Taldyquelle nach W zu ein bedeutendes
Flusssystem sich entwickeln muss. Wenn auch unser Füh-
rer behauptete, dass der Dschin westlich von dieser Stelle
entspringe, so möchte ich doch wegen seines Wasserreich-
thums seinen Ursprung bierher legen. Es schiebt sich
freilicb am Nordabhange des Irenchabirga noch ein anderes
System zwischen Taldy und Dsohin ein, dasjenige des
Kumbel und Kundaban, deren Vereinigung einen zweiten
wahrscheinlich bald versiegenden Epte bildet; jedoch ist
dienes Gewässer zu wasserarm, als dass es aus diesen Glet-
schermassen entspringen könne,
Die Schiefergrate zwischen dem westlichen Epte oder
Kumbel und dem Dschin bilden jene Vorberge, die weit
gegen den Ebi-nor hin in die Wüste hineinragen, und deren
Ausläufer der Weg von Dschincho nach Schioho überschrei-
tet. Das breite dreibuchtige Ostende des Ebi-nor entspricht
dem Meridian der Wasserscheide zwischen Kumbel und
Dschin. Der letztere, der aus jenen, am besten Kumbel-
gebirge zu benennenden Vorbergen eben so wie der Kum-
bel selbst eine Anzahl paralleler Zuflüsse erhält, besitzt
zwei Hauptarme, den Toturgol und den Zagarassu, deren
Oberlauf von SO oder sogar von O herkommt. Als Quell-
berg des Toturgol wird der Tengirdaban genannt, der sich
im Meridian des von mir passirten bequemen 10000 F.
hohen Passes Ulandaban befinden soll. Unklar sind mir
die Verhältnisse an den Oberläufen des Dschin und Kum-
bel, wo sich die Hochebene Scharachosir befinden soll. Ein
von O her dem Toturgol zufliessender Bach soll hier Dschir-
gilta heissen, von dem aus der Kasch leicht zu erreichen
sei, während auch einer der weiter nach O gelegenen Pässe
vom Kasch nach der nordöstlichen Dachungara den Namen
Dechirgilta führt.
Das Gebirge Irenchabirga behält nur bis zum Oberlaufe
des Zanganussu seine Höhe. Schon an den südlichen Zu-
flüssen desselben, die dem Passe Borgaty entspringen, wird
es leichter passirbar, nach W hin sogar wasserarm und
überall Pässe darbietend, die den östlichen Zufluss des
nördlichen Borborogussun zu überschreiten haben. Das Thal
dieses kleinen Gewässers bildet die Fortsetzung der Hoch-
ebene Kokkamyr und Turasu; nördlich davon entspringen
nur kleine, bald versiegende Bäche, südlich der Nilki, Uls-
stai und Subtai. Mir gelang die Überschreitung des Nilki-
passee mit Kameelen.
Der Dschin mündet etwa in der Mitte des Südufers in
den Ebi-nor, die Borotala ergiesst sich in eine Bucht im S
des Kolumschan. Eine andere Bucht des Sees schiebt sich
zwischen dem Barlyk und das östliche Ende des Alatau
hinein; eine bedeutende Bucht scheint auch südlich vom
Barlyk vorhanden zu sein. Dem Südufer des Sees liegen
zahlreiche Lagunen vor, sein Ostrand soll völlig unzugäng-
lich sein. Dass der Manas einen besonderen See bilde, in
dessen Nähe sich die Stadt Sasansa befinden soll, ist mir
bestätigt worden. Am oberen Laufe des Manas liegt die
Stadt Läntsän, von wo ein Pass an den Tsohalgoi führt,
der mit dem westlicher fliessenden Algoi den Soktal, einen
Zufluss des Chaidugol, bildet.
Das Gebirge Bogdoola wird jenseit des Manas und Soktal
53 ®
416 Reisen in Central-Asien, 1876—79.
niedrig. An dem Fusse desselben liegt die Stadt Turfan
oder Turpan, der Ort, den ich auf dieser Excursion zu
erreichen hoffte, etwa 8 bis 10 Tagereisen mit Kamee-
len vom Lob-nor entfernt. Die Berichte über die hier
herrschende glühende Temperatur sind sehr übertrieben,
wenn auch noch Wein, Granaten, Baumwolle von vortrefi-
licher Qualität &c. hier gezogen wird. Dagegen müssen die
Sitten der Bewohner wirklich so üppig sein, wie sie ge-
schildert werden. Bewohnt wird die Stadt jetzt hauptsäch-
lich von Sarten, die unter der Herrschaft der Wittwe des
früheren Chans stehen. Hoffentlich gelingt es mir später,
auch diesen Bezirk in den Kreis meiner Forschungen hinein-
zuziehen, wenigstens bin ich fest entschlossen, die Zeit, die
ich bis zur Rückgabe von Kuldscha an die Chinesen hier
noch zubringen werde, in dieser Beziehung ausgiebigst aus-
zunutzen und, wenn irgend möglich, die botanische Erfor-
schung des ganzen Distrietes abzuschliessen.
2. Excursion an den Kasch. — Meine zweite Ende Juli
angetretene Tour galt dem Oberlaufe des Kasch, den ich
bis Dsirumtä auf bereits von mir begangenen Wegen ver-
folgte. Obwohl der Hauptweg unmittelbar oberhalb dieses
Ortes auf das linke Ufer hinübergeht, blieb ich auf dem
rechten Ufer, da ich hier ein ergiebigeres Feld für meine
botanischen Sammlungen vermutbete, und zwar wählte ich
den Weg näher an das Gebirge hinan. Oberhalb der Mün-
dung des Baches Dsirumtä macht der Kasch ein Knie, wo
Schiefer und porphyrartige Gesteine, die auch im Awral-
tau vorkommen,.an den Fluss herantreten. Auf der nach N
zu sich ausbreitenden Terrasse überschreitet man die Bäche
Chudsirtai und Akbosa, an welchem letzteren Tempeljurten
des Stammes der Arbunsumun -Kalmücken standen. Der
grösste Theil derselben ist am Dsirumtä sesshaft geworden,
wo sie sich Häuser gebaut haben. Vom Bache Akbosa
führt ein Pass über das Gebirge, dessen Südabhang keine
solche Verdoppelungen aufweist, wie der Nordabhang am
nördlichen Borborogussun und den Zuflüssen des Dschin.
An der Mündung des Borgaty hat das aus erhärteten
Conglomeraten gebildete Vorhügelland eine Breite von 10—
12 Werst. Wo der Bach aus dem Gebirge tritt, entsprin-
gen in der engen Schieferschlucht drei schwefelhaltige Quel-
len mit einer Temperatur von 32° R., welche mit primi-
‚tiver Badeeinrichtung versehen waren. Östlich vom Bor-
gaty vereinigen sich noch einige kleine Bäche mit dem
Kasch; an dem bedeutendsten derselben, Chaptschagai oder
Chäptschik, führt der Pass Dalyndaban über das Gebirge
zum Flüsschen Zanganussu. Die Hügelterrassen, deren
Grundlage Sandstein bildet, steigen hier schon bis 7000 F.
Höhe an und sind mit prairieartigem Graswuchse bedeckt.
Wege sind nirgends erkennbar. Sehr wild sind die näch-
sten Gewässer, der Dschirgalan (Dschirgilty der Taran-
tschen) und der durch eine Zwischenterrasse von 8000 F.
Höhe von ihm geschiedene Aryslyn, an dem ein Weg
hinüber ın’s Gebiet des Dschin führt. An einer Ent-
blössung seines Ufers fand ich bei ca 6000 Fuss Höhe
25—30 Werst von der Mündung entfernt eine bedeutende
Koblenschicht. Die Strecke im Hochgebirge von 8000 F'.
an bis zu den nordöstlich liegenden Hauptgletschern und
dem etwas besseren nach NNO führenden ebenfalls ver-
gletscherten Nebenpass ist äusserst wild; am Passe standen
Syenit und turmalinhaltiger Quarz an. Die Flora war an
Waldformen mannigfaltiger als an alpinen Charakteren.
Auch auf dem linken Ufer münden zahlreiche Bäche in
den Kasch, die vom Awral-tau herabkommen, über welchen
mehrere Pässe in das Gebiet des Kunges hinüberführen,
darunter besonders der Kurgol oder Temirlik gegenüber
der Mündung des Baches Borgaty. Die Grenzberge bleiben
hier weich und verhältnissmässig niedrig, dürften auch zum
Theil die gleiche geologische Bildung darbieten wie die
Vorterrassen des rechten Ufers, wenigstens bemerkte ich
an einzelnen Punkten dieselben jüngeren Formationen.
Vom Aryslyn, den ich am 7. August erreichte, konnte
ich meine Weiterreise nur noch eine kurze Strecke auf
dem nördlichen Ufer des Flusses fortsetzen, bald zwangen
mich die vielen wilden Gewässer, die auf dieser Seite in
den Kasch einmünden, auf das linke Ufer hinüberzugehen.
Ich hatte den gleichen Florencharakter wie am Taldybulak
gefunden; auch die geologischen Verhältnisse waren ähn-
liche, neben älteren Gesteinsarten stiegen bis an die höch-
sten Gipfel Schiefer mit Enkrinitenmassen hinan. Die Kette
hatte auf dieser Strecke fast überall eine Höhe von ca
12000—14000 F., die Parallelzüge waren weit nach N
hin mit Firnfeldern besetzt; von den höchsten Kuppen, die
ich ersteigen konnte, war die Aussicht durch Schneeberge
verdeckt, so dass ich nirgends die Steppe sehen und mich
selbst orientiren konnte.
Kurz vor der Mündung des Arystandaban ging ich auf
das linke Ufer hinüber, dem ich bis in’s Quellgebiet folgte,
wo am Passe Möngötö, welcher nach Segischu und Schicho
führt, ein weiteres Vordringen nach O unmöglich war.
Der Oberlauf des Kasch wird erst von der Höhe von 9000 F.
an leichter passirbar; von der Tannengrenze an, die bei-
nahe 10000 F. erreicht, kommt der Quelllauf in vielen Win-
dungen bald von S, bald von O. Dieser Abschnitt ist von
15000 F. hohen Bergmassen begrenzt, der Quellgletscher
selbst, von dem man in früherer Zeit zum Kleinen Juldus
vordringen konnte, bedeckt als breite Fläche den westlichen
Abhang eines breiten Pikes. In dieser Gegend kommen
alte Gesteinsarten (Syenit) und krystallinischer Schiefer vor,
die alpine Strauchvegetation reicht bis an die Gletscher
hinan; Fische fand ich noch in sehr bedeutenden Höhen.
Reisen in Central-Asien, 1876—79.
Leicht gangbare Pässe nach N wird es bier schwerlich
geben, wenn auch wirklich die Gewässer von Andschichai
und Manas sich bis hierher erstrecken. Von chinesischer
Seite sucht man bis jetzt zu behaupten, dass das Gebiet
des Dschin sich bis in diese Gegend ausdehnt, was jedoch
sehr wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat; bei den wider-
sprechenden Angaben ist es mir aber nicht möglich, einen
klaren Einblick in die wirklichen Verhältnisse zu gewinnen.
Der botanischen Sammlungen wegen geht die Weiterreise
nur sehr langsam von Statten, so dass ich fast fürchte, der
Eintritt der rauhen Jahreszeit möchte meine diessjährige
Excursion früher zum Abschluss bringen, als mir lieb ist.
Vom Arystandaban aus gedenke ich tiber den Pass gleichen
Namens zur Quelle des Kunges zu gehen und von dort
über den niedrigen Pass Odinkur oder Adunkur den Klei-
nen Juldus und östlichere Gebiete zu erreichen.
— —- -
Kartographische Bemerkungen zu Tafel 20.
Dr. A. Regel’s Reisen und deren Ergebnisse für die
Geographie wurden in dem Theile vorliegender Tafel, der
zwischen dem Balkasch, Ala-kul und Issyk-kul liegt, ein-
getragen auf Grund der „Originalkarte des centralen Thei-
les des Thianschan-Gebirgssystems zur Übersicht von N. A.
Sewerzoff’s Reisen 1864/8” (Peterm. Mitth. Ergh. 42) und
deren nördlicher Fortsetzung: „Die Seenzone des Balkasch-
Ala-kul und das Siebenstromland” (Ergh. 43), beide im
Maassstabe 1:1 100000.
Zu demselben Zweck wurden benutzt: eine photogra-
phische Wiedergabe der im Kais. Russischen Generalstabe
hergestellten „Karte der Provinz Kuldscha, zusammenge-
stellt nach den Instrumentalaufnahmen, ausgeführt durch
die Lieutenants Larionow, Petrow, Wiaseski und den Fähn-
rich Posdin, 1872” (Maassstab 1:1500000); und ferner
für die Reisen im Karatau, am Tschotkal, an der Borotala
und nach Schicho die Ende Juli 1878 erschienene „Karte
des Turkistan’schen Militärbezirks’’ in 12 Blatt (Maass-
stab 1:1680000), bearbeitet in der turkistan’schen kriegs-
topographischen Abtheilung zu Taschkent.
Ein Streifen südlich Kokan ist nach der durch den rus-
sischen Generalstab im Mai 1878 herausgegebenen „Karte
des oberen Laufes des Amu-Darja” gezeichnet.
417
Durch gütige Mittheilung des Herrn General v. Stuben-
dorff, Chefs der kartographischen Abtheilung des Kais. Rus-
sischen Generalstabs, konnten die unter seiner Leitung zu-
sammengestellten, wichtigen Resultate der Reisen von Kuro-
patkin und Przewalsky gleichzeitig mit denen Dr. A. Re-
gel's gegeben werden. Die „Karte des nördlichen Theiles
Ost-Turkistans, nach Mittheilungen von Capitän Kuropatkin
und den Marschroutenaufnahmen des Stabscapitäns Star-
zew, 1876” (Maassstab 1: 1680000), enthält in sehr sorg-
fältiger Ausführung auch ausserhalb der Routen vieles Neue,
Przewalsky’s Reise 1877 wurde eingezeichnet nach einer
photographischen Copie der Zeichnung auf Blatt 4 der
„Generalkarte von Westsibirien” in 4 Blatt (Maassstab
1:2100000), die noch andere Correcturen für eine neue
Ausgabe derselben enthält. Darüber schreibt Herr v. Stu-
bendorff in einem Briefe vom 2. Juni 1879: „Die Ände-
rungen in der neuen Zeichnung beruhen 1. auf Przewalsky's
Itinerar 1877; 2. auf Matusowsky's Aufnahmen und dessen
Erkundigungen. Die ersteren umfassen: a. die Marschroute
aus Zaisan nach Olon-bulak; b. die Aufnahme des Thals
des Schwarzen Irtysch und des Saurischen Gebirgslandes;
c. die Marschroute aus Gutschen nach Zaisan beim Be-
schluss der Sosnowsky’schen Expedition nach China. Die
letzteren — eingesammelt während des Aufenthalts in
Gutschen — beziehen sich auf den directen Weg aus Gu-
tschen nach Sa-tsan-dza, einen Punkt, der in dieser Step-
pengegend öfters genannt wird. Den See Teli-nor Ihrer
Karte (Peterm. Mitth. 1872, Tafel 17) haben unsere Rei-
senden nicht in Erfahrung gebracht, statt dessen erscheint
auf unseren Karten zum ersten Mal der See Orchu, von
dem sowohl Przewalsky als auch Matusowsky berichten”.
Bei Ausfüllung des übrigen Raumes bis zum Saisan-nor
wurden die beiden Kärtchen im Werk der Bremer West-
sibirischen Forschungsreisenden Dr. Finsch, Dr. Brehm und
Graf Waldburg-Zeil benutzt.
Einige Höhen an den Strassen von Kuldıcha nach
Schicho, über die Pässe Talki und Ziterte sind dem Be-
richt von P. Matwejew’s Reise im Frühjahr 1878 im „Glo-
bus”, Bd. XXXVI, Nr. 14. entnommen,
Leider lagen die Bestimmungen über die neue russisch-
chinesische Grenze im Gebiet von Kuldscha noch nicht vor.
EIEGI TE BGB EEE
418
Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk
im nordöstlichen Sibirien ').
Die Kreise Werchojansk und Kolymsk, im Norden durch
das Nördliche Eismeer, im Osten durch den während des
grössten Theils des Jahres durch Eis abgesperrten nörd-
lichsten Theil des Grossen Oceans, im Süden durch öde,
schwer zu übersteigende Gebirge und im Westen durch
die Tundra von der übrigen Menschheit geschieden, bilden
eine eigene Welt, welche die Alles nivellirende Cultur noch
nicht berührt hat, und sind daher wohl geeignet, durch die
Ursprünglichkeit des Lebens ihrer Bewohner, das noch
durch die ungünstigsten klimatischen Verhältnisse eine ganz
besonders fremdartige Signatur erhält, das wissenschaftliche
Interesse für sich in Anspruch zu nehmen.
Das Areal der beiden Kreise Werchojansk und Kolymsk
umfasst 25000 Quadratmeilen, ist also fünf Mal so gross
wie Italien. Alle Flüsse des Landes, mit Ausnahme des
Anadyr, der in das Bering-Meer mündet, strömen dem Eis-
meer zu, sind daher nur dem innern Verkehr dienstbar.
Sie entspringen alle auf dem Werchojanskischen Gebirge
oder dessen Abzweigungen. Ausser der Lena sind die
hauptsächlichsten: die Jana, Chroma, Indigirka, Alaseja,
Grosse Tschukotschje, Kolyma, Baranicha, der Tschaun,
Jakan, Wankaremi und Anadyr. Indigirka und Kolyma
sind ca 2000 Werst lang und mehr als die Hälfte ihres
Laufes schiffbar; Jana und Alaseja erreichen eine Länge
von 1000 und 800 Werst; die tibrigen Flüsse eine solche
von weniger als 300 Werst. Die Kolyma nimmt von der
rechten Seite drei schiffbare Nebenflüsse auf: den Omolon,
den Grossen und den Kleinen oder Trockenen Anjui; die
Quellen des Omolon liegen denen des in’s Ochotskische
Meer mündenden Ishige, die der beiden Anjui dem oberen
Laufe des Anadyr nahe,
Das Werchojanskische Gebirge und dessen Ausläufer ver-
zweigen sich über das ganze Land, bilden in diesem die
Wasserscheiden und verleihen ihm den Charakter einer
Gebirgsgegend. Die Hauptkette des Werchojanskischen Ge-
birges trennt die Bassins des Aldan und der Indigirka,
des Aldan und der Jana, zum Theil auch die der Jana
und Lena. Die Ausläufer des Werchojanskischen Gebirges
haben grösstentheils meridionale Richtung, sind niedriger
als die Hauptkette und bilden in der Nähe des Eismeeres
!) Nach einem Vortrage des Herrn K. K. Neumann, gehalten am
21. Februar 1872 in der vereinigten Sitzung der Bibirischen Abtheilung
der K. Russischen Geographischen Gesellschaft und der Ostsibirischen
Abtheilung der Russischen Technischen Gesellschaft in Irkutsk.
nur noch unbedeutende Hügel. Einer derselben, der Tas-
Chajachtach, bildet die Wasserscheide zwischen Jana und
Indigirka: ein anderer, der Tas-Tabalach, trennt den Lauf
der Alaseja von dem der Indigirka; ein dritter, das soge-
nannte Alaseja-Gebirge, scheidet die Wasser der Alaseja
von denen der westlichen Zuflüsse der Kolyma. Ein sehr
bedeutender Nebenzweig des Werchojanskischen Gebirges,
der Stanowoi-Chrebet, trennt sich von diesem im Meridian
der Kolyma-Quellen und unter dem 62. Breitengrade, zieht
sich, in nordnordöstlicher Richtung fortstreichend, um die
Quellen des Omolon herum, bildet die Wasserscheide zwi-
schen den oberen Läufen der beiden Anjui und des Ana-
dyr, wendet sich dann nach Osten, theilt sich, nachdem er
die Quellen des Tsohaun umgangen, in mehrere Zweige
und erreicht in diesen die Küsten des Eismeeres und des
Bering-Meeres.
Das Klima dieses Theils Sibiriens ist wahrhaft entsetz-
lich. In Jakutsk ist die mittlere Jahrestemperatur —8,25,
in Nishne-Kolymsk —9,07 und in Ust-Jansk —12,44 Grad.
Ein noch ungünstigeres Resultat als die einfache Berück-
sichtigung der mittleren Jabrestemperatur ergiebt sich aus
der Vergleichung der durchschnittlichen Temperatur des
heissesten und des kältesten Monats. Der Unterschied der-
selben beträgt bei Jakutsk 50,78, bei Nishne-Kolymsk 40,97
und bei Ust-Jansk 43,59 Grad.
Wer bewohnt nun diese unwirthbaren Landstriche und
was berichtet die Geschichte von den Bewohnern derselben ?
Sichere Nachrichten beginnen freilich spät, über das früher
Geschehene können nur Vermuthungen aufgestellt werden.
Die Jakuten, ein Volk tatarischen Stammes, nomadisirten
einst um den Baikal-See herum; hierfür sprechen wenig-
stens noch viele tatarische Benennungen in der Umgegend
des Sees, die nur von den Jakuten herkommen können.
Diese wurden wahrscheinlich durch die grosse mongolische
Völkerbewegung nach Norden gedrängt, wo sie auf die
Bewohner des Lena-Thales, die Omoken, stiessen, die theils
in der Vertheidigung ihrer von der Lena bis zur Kolyma
sich ausdehnenden Weideplätze fielen, theils weiter nach
Norden und nach Osten flohen, wo sie in neue Kämpfe
mit den dort heimischen Völkern, den Tungusen, Lamuten,
Jukahiren und Tschuwanzen, verwickelt wurden. Die hier-
durch bewirkte Bewegung aller dieser Völker nach Norden
und Osten forderte aber noch weitere Opfer, denn ihnen
traten hier die kriegerischen und kräftigen Tschuktschen
entgegen. Diese stammen, wie Herr Neumann glaubt, aus
Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk im nordöstlichen Sibirien. 419
Amerika. Auf ihren leichten Baidaren waren sie über die
jetzige Bering-Strasse gekommen und im weiteren Vordrin-
gen im Anadyr-Tbale auf die vor ihnen hierher gekom-
menen stammverwandten Korjaken gestossen, mit denen sie
sich bald verständigt hatten und mit denen verbunden sie
dem Andringen der Tungusen, Lamuten, Jukahiren und
Tschuwanzen Halt geboten.
Wie lange diese blutigen Kämpfe gedauert haben, ent-
zieht sich genauer Kenntniss, jedenfalls scheint ein end-
gültiger Friede zwischen den Resten dieser Völker erst
dann zu Stande gekommen zu sein, als sich ihnen ein Al-
len gemeinsamer Feind nahte: die Russen. Diese erschie-
nen 1644 nn der Kolyma, wo der Jakutische Kosak Mi-
chailo Sstaduchin das Fort Nishne-Kolymsk gründete. Der-
selbe war durch Beutelust dahin geführt worden, denn an
der Jana hatte man ihm Wunderbares von der im fernen
Osten belegenen, an Gold und Zobeln reichen Gegend am
Flusse Pogitschi berichtet. Dieser Pogitschi, wahrschein-
lich der heutige Amur, wurde nun das Opbir der kosaki-
schen Conquistadoren. Um ihn aufzufinden, war Sstaduchin
bis zur Kolyma vorgedrungen, fuhr 1648 der Kosak Desh-
new auf einer von ihm und seinen Gefährten leicht ge-
zimmerten Korbesse aus der Kolyma aus, um die denk-
würdige Fahrt duroh die Bering-Strasse nach der Mündung
des Anadyr zu machen. Aber wie das von Columbus ent-
deckte Amerika nicht den Namen seines Entdeckers trägt,
so führt auch die von Deshnew entdeckte Meerenge nicht
seinen Namen, sondern den des Dänen Bering, der sie
80 Jahre später besuchte. Desbnew erbaute am Anadyr das
Fort Anadyrsk und erfuhr hier, dass der Pogitschi noch
weiter nach Osten liege. Die späteren Expeditionen kamen
nicht über das Cap Schelagskoi hinaus, nur der sibirische
Kaufmann Schalaurow drang auf seinen Fahrten in den
Jahren 1760—1764 weiter vor und kam östlich von dem
genannten Cap um.
Die Russen hatten aber nicht so weit in Ostsibirien
vordringen können, ohne mit den Eingeborenen die schwer-
sten Kämpfe zu bestehen. Zuerst erlahmte die schon ge-
brochene Kraft der Tungusen, Lamuten, Jukahiren und
Tschuwanzen, die schliesslich die Russen als ihre Ober-
herren anerkannten, so dass die Tschuktschen allein den
Kampf fortsetzen mussten. Die Tungusen und Lamuten
zogen nach Westen und Süden in die sogenannte Grosse
Tundrae und in die unzugänglichen Gebirge an der Quell-
gegend der Kolyma und des Omolon; die Tschuktschen
wurden auf das rechte Ufer der Kolyma zurückgeworfen.
Wie verheerend diese langen Kämpfe gewirkt haben,
zeigt nachstehende Tabelle, welche die Stärke der jetzt
noch vorhandenen Reste dieser Völker angiebt:
| Kreis Werchojansk | Kreis Kolymsk Zusammen
| 14 302 QMin. 11385 QMin. 185587 QMin.
Völker, Männer. Frauen. | Zusam- Männer.| Frauen. | Zasam- Im Ganzen.
men | __| men.
Russen . . 401 391 7921| 539 | 619 | 1058 1850
Jakuten . . | 5511 | 5321 |10 832 | 1684 | 1725 | 3359 | 14191
Tungusen 257 216 473 | 147 146 | 293 | 766
Jukshiren . | 468 875 843 | 838 329 667 | 1510
Lamuten. . 462 428 890 || 595 536 | 1131 | 2021
Techuwanzen | — _ _ | 140 | 127 | 267 I 267
Tschuktschen —_— —_ — | 1500 ! 1500 | 3000 3000
"7099 | 6731 |13 830 4893 | 4882 | 9775 | 23605
Auch diese spärlichen Überreste befinden sich auf dem
Aussterbe-Etat, denn von Jukahiren mit ihrer eigenen Mut-
tersprache fand Herr Neumann nur noch ein Dutzend vor;
die anderen sprachen bereits Russisch. Das einst zahl-
reiche Volk der Omoken ist spurlos verschwunden, Bei
der elenden Lebensweise, dem steten Kampfe mit dem
Hunger und dem mörderischen Klima ist auch der jähr-
licbe Zuwachs ein äusserst geringer. Er beträgt bei den
Russen 1,50, bei den Jakuten 1,32 und bei den übrigen
Nichtrussen 0,16 Procent.
Die Russen, die kühnen Eroberer dieser Landstriche,
leben übrigens in derselben Armuth wie die umherschwei-
fenden Tungusen und Lamuten und sind entschieden schlech-
ter gestellt als die Tschuktschen, denen ihre zahlreichen
Renthierheerden ausreichende Subsistenzmittel gewähren.
Dazu kommt, dass von einer Vegetation in dieser Ge-
gend kaum die Rede sein kann. Die stolze Ceder der den
Baikal umgebenden Höhen macht bald der Lärche Raum,
die anfangs, besonders im Kreise Olekminsk noch ziemlich
bedeutende Dimensionen erreicht, aber nach Jakutsk zu
immer mehr entartet. Sie sowohl wie die Birke werden
zu kriechenden Sträuchern, und nördlich von Bulun hat
die Tundra nur noch das Kraut der Rauschebeere aufzu-
weisen. Besonders empfindlich ist der Vegetationsmangel
in der östlich von der Kolyma belegenen Tundra, wo nur
hin und wieder Sandweiden in der Gestalt dünner Ruthen
erscheinen. Am traurigsten ist die Gegend am Anadyr,
wo nur selten, wie eine Insel im Meere, ein grüner Fleck
kleiner Pappeln auftaucht und das von der trostlosen Ein-
förmigkeit ermüdete Auge erfreut. Von der Kolyma bis
zum 170. Grade läuft: die Polargrenze der Wälder ziemlich
regelmässig längs des 69. Parallelkreises, dann aber wen-
det sie sich scharf zum 66. und sogar zum 65. Parallel.
Herr Neumann ist einmal selbst Zeuge gewesen, dass
Tschuktschen für einen einfachen Lanzenstiel aus Birken-
holz ein Biberfell hingegeben haben.
Dass Getreidebau in einem solohen Lande kaum mög-
lich ist, begreift sich leicht genug. Das Roggenmell er-
halten die Bewohner beider Kreise aus Transbaikalien und
Irkutsk, und die Regierung übernimmt den Transport, so
dass das Pud Roggenmehl an der Kolyma nicht theuerer
420 Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk im nordöstlichen Sibirien.
als 1 Rubel 80 Kopeken zu stehen kommt, während ein
Pud feines Weizenmehl, für dessen Transport die Regie-
rung nicht Sorge trägt, 20 Rubel kostet. Aber auch der
verhältnissmässig geringe Preis des Roggenmehls ist für die
oft ganz mittellosen Menschen unerschwinglich, so dass sie
sich fast ausschliesslich von Fischen und Renthierfleisch
ernähren müssen. Allerdings haben einzelne Personen —
so der Priester Popow in Werchne-Kolymsk — Versuche
gemacht, in Gärten Getreide und Gemüse zu bauen, und
Herr Neumann sah daselbst 1869 reifen Roggen, Gerste
und sogar Buchweizen, Senf, Rüben, Rettig und Möhren.
Auch in Ssredne-Kolymsk hat die Frau des dortigen Kreis-
chefs, Frau Bubjakina, mit gutem Erfolge Kartoffeln aus
Samen gezogen. Diese Versuche wurden durch die ver-
hältnissmässig hohe Sommertemperatur und den günstigeren
Boden im Kreise Kolymsk ermöglicht; dass aber der Ge-
treidebau in grösserem Maassstabe lohnend werden könnte,
ist durch dieselben noch keineswegs erwiesen. Im Kreise
Werchojansk lässt im Süden die gebirgige und im übrigen
Theile die ungünstige Bodengestaltung noch nicht einmal
den Gedanken an ähnliche Versuche aufkommen.
Nicht besser ist es mit der Viehzucht bestellt. Es hat
sich bei den Anwohnern der Kolyma die Überzeugung fest-
gesetzt, dass kein anderes Hausvieh bei ihnen gedeihen
könne ale der Zughund. Herr Neumann steht nicht an,
auf Grund eigener Beobachtungen zu behaupten, dass die
Hunde gerade jeden Umschwung zum Besseren unmöglich
machen. Es müssen nämlich, um dem Bedürfnisse zu ge-
nügen, sehr viele Hunde gehalten werden, und der Unter-
halt derselben erfordert gerade das Doppelte von dem, was
zum Unterhalt der Menschen nöthig ist. Die Nahrung bei-
der ist dieselbe: Fische und Renthierfleisch. In den Jah-
ren nun, in denen der Fischfang nicht reichlich ausgefal-
len, müssen die Leute unter tausend Gefahren zur Robben-
und Eisbärenjagd auf das Eismeer hinaus, um Fleisch zur
Ernährung der Hunde zu gewinnen. Oft leiden sie selbst
Hunger, nur um die Hunde zu erhalten.
Alles das könnten sie sich ersparen, wenn sie wie die
Jakuten Pferde, oder wie die Tschuktschen Renthiere hiel-
ten. Der Grund, warum sie diess nicht thun, ist die ihnen
eigene Trägheit, die Russen sowohl wie den Eingeborenen —
mit Ausnahme der Tschuktschen — anhaftet. Pferde ver-
langen die Beschaffung von Heuvorräthen, Renthiere müs-
gen sorgsam gehütet und, wenn sie angespannt werden
sollen, weit hergeholt werden. Solche Mühe und Weitläu-
figkeit ist nicht nach ihrem Geschmack, und die Hunde
sind stets so bequem zur Hand. Auch werden sie in ihrer
lässigen Weise durch die verhältnissmässige Leichtigkeit
bestärkt, mit welcher sie ihren Lebensunterhalt gewinnen
können. Einige Wochen ernster Arbeit zur Zeit der Fisch-
züge genügen, um das zu ihrem elenden Leben Erforder-
liche zu beschaffen. Nun sind aber nicht alle Jahre gleich
ergiebig. Es geschieht wohl, dass der eigensinnige Häring
nicht die Kolyma oder Indigirka heraufkommt, und dann
treten furchtbare Hungerzeiten ein. Ein anderes Mal zieht
der Häring in so dichten Massen, dass ein Netz 10000 Stück
herauszieht. Dann könnte allerdings ein Vorrath, der auf
mehrere Jahre ausreichte, gesammelt werden; aber da fehlt
es wieder an Aufbewahrungsräumen und die Fische ver-
faulen. Und doch wäre hier, wo der Boden im Sommer
nur einige Zoll tief aufthaut, nur eine Grube zu graben
und zu bedachen, um den prächtigsten Eiskeller herzustel-
len. Aber da müsste dann gegraben, gebaut werden, und
die Eltern und Grosseltern haben doch ohne diese mülı-
gelige Arbeit bestanden! Baron Maydell hatte, als er Kreis-
chef von Kolymsk war, befohlen, solche Eiskeller bei den
Fischereien anzulegen; aber vergebens! Auch zur Einfüh-
rung der Pferde-, Rindvieh- und Renthierzucht sind mehr-
fache Versuche angeordnet und gemacht worden, gleichfalls
ohne Erfolg. Für den Winter wurde kein Heu gesammelt,
und im Sommer wurden Pferde und Kühe die Beute der
hungrigen Hunde, die es bald gelernt hatten, gemeinsame
Treibjagden auf die unglücklichen Thiere zu veranstalten,
so dass die Hunde den alleinigen Gewinn von diesen Ver-
suchen davongetragen haben.
Von den Fischen nimmt in Betreff des Nutzens, den er
der Gegend bringt, der Häring die erste Stelle ein, dann
kommen der Omul (Salmo autumnalis) und der Moksun
(Coregonus moksun).. Ausserdem giebt es Nelmen (Core-
gonus nelma), Lachse, Störe (Acipenser sturio), Sterlete
(Acipenser ruthenus), Hechte und Barsche (Perca). In Nishne-
Kolymsk und nächster Umgebung werden über drei Millio-
nen Häringe verbraucht; davon geht der grösste Theil für
die Hunde hin. Ein Zughund muss täglich vier Häringe
erhalten, und diess macht, wenn man für den Kreis Ko-
Iymsk nur die vom Jakutsker statistischen Comit6 (1866)
angegebene Zahl von 2265 Hunden gelten lässt, jährlich
3306900 Häringe aus. Sie bekommen zwar nicht so viel,
aber dafür muss andere Nahrung, in anderen Fischen oder
Fleisch bestehend, beschafft werden. Wären keine Hunde,
so könnte der Kreis Kolymsk gesalzene Fische in oolossaler
Menge ausführen, darunter solche, die ihres Geschmacke
wegen für die besten der Welt gelten könnten.
Hierbei ist nun freilich wieder ein Übelstand zu be-
rücksichtigen: es fehlt an gutem Salz, denn das Salz, das
ausschliesslich aus der Salzsiederei von Ust-Kutsk bezogen
wird, ist äusserst schlecht. Der Ersatz wäre indessen sehr
leicht, da am Wiljui das beste Salz in ungeheuerer Menge
vorhanden, leioht zu gewinnen ist, ohne Schwierigkeiten nach
Jakutsk geschafft werden könnte und obenein noch billiger
4m
Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk im nordöstlichen Sibirien. 421
zu stehen käme als das Ust-Kutsker. Mit Wiljuischem Salze
gesalzen könnte der Häring der Kolyma dem Holländischen,
von dem er sich nur durch seine etwas grössere Gestalt
und mehr Fett unterscheidet, den Rang abgewinnen. In
Irkutsk würde er mit Einschluss des Transports nur auf
3 Rubel per Hundert zu stehen kommen, während das Hun-
dert holländischer Häringe daselbst mit 25 Rubel bezahlt
wird. Noch mehr! Es werden in Russland Fische aus
Tomsk, die an der Kolyma Hunde nur in Nothjahren fres-
sen würden, mit fabelhaften Preisen bezahlt, und die pracht-
vollsten Fische von den Gestaden des Eismeeres werden
durch die beiden bösen Nebenbuhler: Hunde und Faulheit,
dem Allgemeinen entzogen.
Im Frühlinge werden in der Kolyma Nelmen, Ster-
lete und Moksune, hierauf in den Nebenflüssen besonders
Tschiry — eine Art Corregonus — gefangen. Letztere
sind sehr fett, und aus ihnen wird der Leckerbissen der
Eingeborenen, die Jukala, bereitet. Man spaltet den Fisch
in zwei Hälften, nimmt die Gräten heraus, macht in das
an der Haut verbleibende Fleisch feine Einschnitte und
dörrt es dann an der Luft. Mit dem Herbst erscheint der
Häring, der wichtigste Gegenstand des dortigen Gewerbe-
fleisses. Im Winter werden Löcher in das Eis gehauen
und Netze aus Pferdehaar quer über den Fluss gezogen,
um Moksune und Omule zu fangen. Diese Art des Fisch-
fanges dauert den ganzen Winter hindurch, besonders wenn
der Häringsfang im Herbst nicht günstig gewesen. Wie
reich aber auch immer der Fischfang ausfallen mag, der
Ertrag desselben reicht bei der sorglosen Art der Behand-
lung nicht für die Ernährung der Menschen und Hunde
aus. Es muss daher auch noch Jagd auf Vögel und Ren-
thiere gemacht werden.
An Zugvögeln ist die Gegend ausserordentlich reich,
Während des ganzen Monats Mai ziehen Gänse, Enten,
Schwäne, Schnepfen verschiedener Art in dichten Schaaren
vorüber, um ihre Nester am Ufer des Eismeeres und auf
den Felsklippen Neusibiriens und der Bäreninseln zu bauen.
Viele diese Wanderer der Luft ziehen noch weiter, nach
unbekannten Stätten, die wohl der Instinct der Thiere,
aber noch nicht der sonst die Welt beherrachende Mensch
entdeckt hat. Der grösste Theil bleibt freilich an den
Seen und Flüssen der Tundra und belebt deren Todesstille
auf kurze Zeit miit lautem Geschrei. Aber auch hier lauert
ihnen der furchtbarste Feind, der hungernde Mensch, auf.
Zur Zeit, wenn die Mauser beginnt, zieht er zum Vogel-
fang in die Tundra, umstellt einen See nach dem anderen
mit Netzen, treibt die Vögel in dieselben hinein , worauf
Menschen und Hunde mit gleicher Gier über sie herfallen
und bis auf den letzten vertilgen. Diese ruchlose Art des
Fanges, bei welcher ein grosser Theil der Beute nutzlos
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XI.
verloren geht, und das Ausnehmen der Eier aus den Nestern
thut dem Vogelwilde entsetzlichen Schaden und lässt aber-
mals erkennen, wie sehr diese Menschen sich an ihrem
eigenen Vortheil versündigen. In einem noch wichtigeren
Falle hat dieser Mangel an gesundem Sinne sehr üble Fol-
gen gehabt.
Die Jagd auf wilde Renthiere war früher an der Ko-
lyma eine sehr ergiebige gewesen. Wenn nämlich die
Renthiere im Sommer durch Mücken und Bremsen aus ihren
heimathlichen Wäldern vertrieben werden, ziehen sie, um
den grausamen Quälern zu entgehen, in unübersehbaren
Heerden in die Tundra am Strande des Eismeeres. Früher
nahmen sie ihren Weg auch über die Kolyma, den Omolon
und die Anjui. Auf diesem Frühlingszuge blieben sie un-
behelligt, weil sie mager und mit Beulen bedeckt waren.
Aber wenn sie im August oder September wohlgenährt
und mit glattem Fell aus den Tundren in die Wälder zu-
rückkehrten, erwartete sie der Überfall bei den Übergängen
über die Flüsse. Nachdem nämlich die Heerde dem sie
führenden Thiere, einer der stärksten und erfahrensten
Kühe, in so dichten Massen in den 'Strom gefolgt waren,
dass das Ganze einem schwimmenden blätterlosen Walde
glich, dann eilten die Männer, die sich bis dahin in
ihren leichten Kähnen in Buchten und hinter Steinen ver-
steckt gehalten, hervor, umzingelten die Thiere und rich-
teten mit ihren kurzen Spiessen ein furchtbares Blutbad
unter ihnen an. Die nur verwundeten Thiere, die sich
an’s Ufer retteten, wurden von den dort ihrer harrenden
Frauen und Kindern getödtet. Es gehörte entschieden
Muth und grosse Gewandtheit dazu, im leichten Nachen
einen solchen Kampf gegen die in einem Haufen zusammen-
gedrängten, mit Geweihen und Füssen sich vertheidigenden
Tbiere aufzunehmen ; aber dieses unsinnige Vertilgungs-
verfahren, das wieder eine viel reichere Ausbeute gewährte
als der Bedarf erforderte, hatte die traurige Folge, dass
die Tbiere, durch die Erfahrung belehrt, andere Wege für
ihre Züge wählten und nun über den Anadyr und die
Anabara gehen.
So werden diese Menschen einer Hülfsquelle nach der
anderen beraubt, weil die ihnen angeborene stumpfsinnige
Trägheit sie verhindert, andere Wege zu gehen als die
althergebrachten, und ihnen überdiess bei ihrer grossen
Bedürfnisslosigkeit und der elenden Lebensweise so bald
geholfen ist. Hundert Rubel genügen, um den Lebens-
unterhalt einer Familie für ein ganzes Jahr sicher zu stel-
len: 40 Rubel werden davon für Nahrung und 60 Rubel
zur Beschaffung verschiedener eiserner Geräthe und Instru-
mente, des Hanfes und der Pferdehaare zu Netzen, des
Baumwollenzeuges für einzelne Kleidungsstücke u. dergl. m.
verausgabt. Damit ist es aber nicht gethan; denn es reg,
54
422 Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk im nordöstlichen Sibirien.
sich in diesen Menschen eben so wie in allen anderen die
Sucht nach Vergnügungen und Genüssen. Diese bestehen
hier ausschliesslich in Tabakrauchen und Branntweintrinken,
welchen beiden Genüssen Männer, Frauen und Kinder
gleichmässig leidenschaftlich ergeben sind. Für dieselben
100 Rubel, welche die Existenz einer Familie für ein gan-
zes Jahr sicher stellen, sind hier nur 2$ Eimer !) Brannt-
wein zu holen, die in wenigen Tagen ausgetrunken sind.
Gegen das Laster des übermässigen Branntweingenusses
helfen hier keine polizeilichen Massnahmen; denn würde
die Einfuhr des Branntweins aus Jakutsk verboten, so käme
er aus Anadyrek und wäre nur noch theuerer. Die Leiden-
schaft für den Branntwein ist bei den Anwohnern der Ko-
lyma-Gegend die einzige Leidenschaft, die stärker ist als
der Hang zur Trägheit und wird so mitunter der Antrieb
zu grösserer Thätigkeit. Doch hier endet auch ihr Ver-
dienst, denn in allem Übrigen bringt sie nur grenzenloses
Elend.
Eben so wenig wie der Reichthum an Fischen, Vögeln
und früher auch an Renthieren hat der an Mineralien dem
Lande Nutzen gebracht. Im Werchojanskischen Gebirge
sind reiche Silberlager, auf einer Insel der Tschaun-Bucht
wird Kupfer- und Eisenerz gefunden; an beiden Orten ist,
abgesehen von dem Mangel an Verständniss der Sache und
an Thätigkeitstrieb, auch schon kein Holz zum Ausschmel-
zen vorhanden. Auch Steinkohlenlager giebt es. Wer soll
sie aber ausbeuten? und wozu? Hat man doch erst in letz-
ter Zeit den Steinkohlenreichthum des Ural und Altai zu
würdigen und zu benutzen angefangen. Von allen Fossilien
kommen nur die Mammuthknochen in Betracht, die denn
auch einen der wenigen Handelsartikel der Gegend bilden,
deren Auffindung aber auch kaum Gegenstand einer beson-
ders betriebenen Industrie ist, sondern sich in den meisten
Fällen eben nur gelegentlich macht. Der Raum zwischen
Kolyma und Indigirka, besonders die Ufer der Alaseja und
der kleinen in’s Eismeer mündenden Flüsse, such die Küste
der Tschaun-Bucht, die Ufer des Omolon und des oberen
Laufes der Baranicha sind reich an Mammuthknochen, am
reichsten jedoch Neusibirien und die vierte Bäreninsel,
deren Südende fast ganz aus Mammuth-Fangzähnen zu be-
stehen scheint. Wegen einiger vorgekommener Unglücks-
fälle bleibt jedoch auch dieser Schatz ungehoben. Natür-
lich sind die in den Tundren umherziehenden Tungusen und
Lamuten am ehesten in der Lage, Mammuthknochen zu
finden. Die geeignetste Zeit dazu ist der Frühling, wenn
das hohe Wasser mehr oder weniger Terrain an den Ufern
der Flüsse fortgerissen hat.
So bleibt denn nur noch eine Quelle des Erwerbs der
!) Ein Eimer = 13,3 Liter.
Fang der Pelzthiere, der auch den wichtigsten Exportarti-
kel beschafft. Freilich hat auch hier der Unverstand der
Menschen manchen Schaden verursacht. So gab es vor
nicht gar langer Zeit noch Zobel im Walde von Anjui und
Elene am Omolon; beide Thierarten sind in Folge der
Waldbrände und der irrationellen Art des Fanges ganz ver-
schwunden. Zahlreich und von sehr schöner Qualität sind
die Füchse, die in allen Unterarten vertreten sind : Es giebt
Schwarz-, Grau-, Kreuz-, Brand- und schwarzbäuchige
Füchse. Die Eisfüchse von der weissen und blauen Art
bewohnen ausschliesslich die Küstengegend des Eismeeres ;
Hermeline sind zahlreich im Kreise Werchojansk ; die besten
Eichhörnchen und Flattereichhörner kommen in der Um-
gegend von Werchne-Kolymsk und am Omolon im Kr. Ko-
lyıhsk und am Emekon im Kr. Werchojansk vor; Eis- und
schwarze Bären, eben so Vielfrasse sind in beiden Kreisen,
Hasen besonders zahlreich im Kr. Werchojansk vorhanden.
Auch Walrosse liefern in ibrem Fell, aus welchem die sehr
geschätzten Riemen (tschernolyssowyje) geschnitten werden,
die besonders zum Anspannen dienen, und in ihren Fang-
zähnen ziemlich bedeutende Handelsartikel. Folgende Thiere
sind theils nur in geringer Anzahl vorhanden, theils nur
für den eigenen Gebrauch bestimmt: Fischottern, Murmel-
thiere, Schneewiesel (mustela nivalis), gestreifte Eichhörn-
chen (Sciurus striatus), Robben (Phoca vitulins), Hasenmäuse
(Lagomys).
Renthiere werden wegen des Fleisches und der Felle
erlegt, und die Bereitung dieser Felle ist einer der haupt-
sächlichsten Industriezweige der Gegend, wird aber in der
primitivsten Art betrieben. Das frische Fell wird getrook-
net, dann mit einer aus Mark, Leber und Galle von Ren-
thieren bereiteten Salbe eingerieben, auf ein Brett ge-
spannt, mit einem abgerundeten Schieferstück geglättet und
in den Rauch gehängt. Wenn es hinreichend durchräu-
chert ist, wird es mit den Händen durchgeknetet, um es
weicher zu machen, Zuweilen wird noch die Fleischseite
mit Erlenrinde oder rothem Lehm roth gefärbt. Soll Leder
bereitet werden, dann werden beide Seiten mit der oben
beschriebenen Salbe, der noch etwas Urin beigemengt wird,
eingerieben und das Haar mit demselben Schiefer, der nur
noch etwas geschärft wird, abgekratzt; im Übrigen bleibt
dasselbe Verfahren. Auf Wunsch wird dann noch eine
Seite oder auch beide roth gefärbt. Dieses Leder wird
vorzugsweis zu Kamlejken und zu Handschuhen verarbei-
tet. Die Felle finden eine verschiedene Verwendung; die
mit dem Winterhaar werden zum Unterlegen beim Schlafen,
die mit dem Sommerhaar zu Parken und Kuchljanken be-
nutzt!), Der Hauptfehler der auf die beschriebene Weise
!) Die hier genannten Kleidungsstücke sind im Winter allgemein
bei den sibirischen Russen und Nichtrussen in Gebrauch. Die Parka
Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk im nordöstlichen Sibirien. 423
bereiteten Felle besteht darin, dass sie in der Nässe zu-
sammenschrumpfen und leicht verderben. Trotzdem wer-
den gegen 10000 Stück verkauft und mit 40 Kopeken bis
1 Rubel bezahlt. Wären sie gut, wie z. B. das sämische
Leder, zubereitet, so könnte ein sechs Mal höherer Preis
dafür erzielt werden, denn das Material ist ganz vortrefflich.
Der Hauptort für den Absatz der Producte dieser Ge-
gend und für den Bezug der nöthigen Waaren ist Jakutsk.
Alle Wege kommen daher auch von dieser Stadt. Die so-
genannte Poststrasse geht von Jakutsk bis zur Station Tan-
dinskaja am Aldan (180 Werst), von da bis zum Passe
des Werchojanskischen Gebirges auf der Grenze des Kreises
Werchojansk (100 W.) und dann längs der auf diesem Ge-
birge entspringenden Jana stromabwärts bis Werchojansk
(620 W.) in fast nördlicher Richtung. Hier wendet sie
sich nach Osten und erreicht nach weiteren 925 W. die
Station Chatygnachskaja auf dem Alaseja-Gebirge; sie tritt
hier in den Kreis Kolymsk ein, in welchem sie bis Ssredne-
Kolymsk 490 W. durchläuft.
Die sogenannte Kaufmannsstrasse führt von Jakutsk
über das an der Indigirka belegene Kirchdorf Orinkino nach
Ssredne-Kolymsk. Bei dem genannten Dorfe zweigt sich
eine andere, aber schwer zu passirende Strasse ab, welche
die Indigirka stromabwärts bis Russkoje Ustje verfolgt, dann
über das Eis des Meeres an den Caps Krestowski und
Tschukotski vorüber und auf der Kolyma nach Nishne-
Kolymsk führt. Es giebt Jahre, in denen das Werchojans-
kische Gebirge nicht zu passiren ist; man hat in diesen
Fällen versucht, über Wiljuisk und Shigansk nach Wercho-
jansk zu gelangen; dieser Weg ist aber so schwierig, dass
man ihn nur im äussersten Nothfalle wählt. Leichter
scheint die Strasse zu sein, welche die Lena stromabwärts
bis Bulun und von da nach Ust-Jansk führt. Herr Neu-
mann hält den Weg für den besten, der über Emekon an
der oberen Indigirka geht, weil man die Strecke zwischen
Werchne- und Ssredne-Kolymsk auf der Kolyma zurück-
legen kann; die Kaufleute bedienen sich ihrer nicht, weil
sie durch ganz unbewohnte Gebiete führt.
Von Osten her führt eine Strasse von Anadyrsk zum
Anjui; dieselbe wird von den Tschuktschen benutzt, die
zum Marktb ei Anjuisk kommen. Herr Neumann glaubt die
Aufmerksamkeit der Anwohner der Kolyma auf die Stras-
sen lenken zu müssen, die nach Ochotsk und Ishiga füh-
ren, weil diese Orte am Meere liegen; er ist fest über-
zeugt, dass die Zukunft der Gegend — wenn diese über-
vertritt das Hemd und wird mit der Haarseite nach innen getragen;
die Kamleja oder Kamlejka ist ein Oberkleid mit einer Kapuze, die beim
Hinaustreten tiber den Kopf gezogen wird. Bei strengerer Kälte wird
über diesen Anzug noch die Kuchljanka gezogen, die aus doppelten, in-
und auswendig rauhem Renthierfell angefertigt und gleichfalls mit einer
Kapuze versehen iat.
haupt eine Zukunft hat — von der Ausnutzung dieser
Strassen abhängt, da die aus Amerika bezogenen Waaren
weit billiger und besser wären, als diess jetzt der Fall ist,
und Mammuthknochen und Pelzwerk guten Absatz in Ishiga
und Ochotsk finden würden. Dazu kommt, dass der Omolon
bis zur Mündung der Ujanda und die Ishiga auf mindestens
300 Werst schiffbar sind, so dass nur ein unbedeutender
Gebirgsrücken zwischen den beiden Flüssen zu Lande zu
überschreiten wäre.
Der fernste Punkt, bis zu welchem russische Kaufleute
aus Jakutsk mit ihren Waaren, die aus Irkutsk, dem Han-
delsoentrum von ganz ÖOstsibirien, bezogen werden, ziehen,
ist Anjuisk. Die Schifffahrt auf der Lena eröffnet sich
Anfangs Mai, dann beginnt auch die Versendung der Was-
ren von Irkutsk nach Jakutsk. Die Kosten derselben kom-
men für jedes Pud durohschnittlich auf 1 Rubel zu stehen,
so dass jedes Pud Waare in Jakutsk mindestens um 1 Rubel
theuerer ist als in Irkutsk. Dieser verhältnissmässig nie-
drige Preis ist aber nur für die Zeit der Messe im Juli
maassgebend. Sobald die Irkutsker Kaufleute abgereist sind,
schrauben die Jakutsker Händler, welche gern ganze Woaa-
renpartien aufkaufen und so monopolisiren, die Preise ganz
willkürlich in die Höhe. Auf der Jakutsker Messe werden
nun auch die Waaren angekauft, die weiter auf die Märkte
im hohen Norden befördert werden sollen.
Die Hauptrolle spielt daselbst der sogenannte Ticher-
kessische Tabak, der nächst dem Spiritus den höchsten Ge-
winn abwirft. So wird ein Pud Tabak, das in Jakutsk mit
ca 12 Rubel bezahlt wird, in Kolymsk gegen 12 Fuchs-,
oder 6 Flussbiber-, oder 12 Marderfelle eingetauscht. Der
Fuchs zu 3, der Biber zu 8, der Marder zu 4 Rubel be-
rechnet, ergiebt diess für ein Pud Tabak 36 bis 48 Rubel.
Werden nun auch 7 Rubel für die Unkosten des Transports
und der Reise abgerechnet, so bleibt immer noch ein Ge-
winn von ungefähr 200 Procent. Diess ist ein Minimal-
satz. Herr Neumann war selbst Zeuge, dass an der Ko-
lyma zuweilen ein Pfund Tabak mit 2 Rubel bezahlt wurde
und die Tschuktschen ein lebendiges Renthier dafür hin-
gaben. Noch vortheilhafter ist der Handel mit Spiritus.
Ein Eimer davon kostet in Jakutsk 12 Rubel, an der Ko-
lyma, noch dazu gehörig mit Wasser verdünnt, 40 Rubel.
Bei dem heimlichen Branntweinhandel mit den Eingebore-
nen, der sich der Controle der Behörden entzieht, gehen
die Missbräuche in’s Colossale.
Nächstdem sind die wichtigeren Handelsartikel: Eisen-
waaren, Thee, Zucker, Baumwollenzeuge, besonders die be-
liebte blaue Daba, Weizenmehl, Pferdehaare und Hanf zu
Netzen. Ausser diesen nothwendigen Artikeln führt jeder
Kaufmann noch allerlei Galanteriewaaren, die freilich der
Auswurf aller Enden der Welt sind: Herren- und Damen-
54*
424
hüte vorsündfluthlicher Fagons, Tuche und Seidenstoffe, die
weder in Russland noch im übrigen Sibirien Absatz ge-
funden haben, allerlei Glas- und Porzellanwaaren, Pfeffer-
nüsse, Bonbons von Stärkemehl und Sirop, von denen das
Pfund 40 Kop. kostet und für 2 Rubel verkauft wird —
alle diese Dinge und hundert andere befinden sich in der
Karawane des Kaufmanns, der Anfangs October aus Jakutsk
aufbricht, um sich zu den Märkten an der Kolyma zu be-
geben.
Die Reise wird jedoch nicht ununterbrochen fortgesetzt.
Am Aldan, 250 Werst von Jakutek, wird zunächst Halt
gemacht, um die noch nöthigen Vorbereitungen zur weite
ren Reise zu treffen, und die Pferde, denen der schwierige
Weg über das Werchojanskische Gebirge bevorsteht, an
dem guten Grase der Aldan-Wiesen sich kräftigen zu las-
sen. Einige Kaufleute haben hier ihre eigenen Häuser,
die anderen wohnen bei den Jakuten in Jurten. Ende Oc-
tober wird der Marsch fortgesetzt. Auf dem 250 Werst
weiten Wege, der vom Aldan bis zum Gebirge durch un-
bewohnte Gegenden führt, macht der Reisende die erste
Bekanntschaft mit der Powarnja. Es ist diess ein kleines,
rohes Gebäude von meist sechseckiger Form, dessen Seiten
ungefähr einen Faden breit sind. Das Dach, das zugleich
Decke ist, ist mit einer Lage von Erde beschüttet und
hat in der Mitte ein Loch für den Rauch. Der Herd in
der Mitte des inneren Raumes ist das einzige Ausstattungs-
stück desselben. Nach je 35 bis 50 Werst findet man eine
solche Powarnja, in deren Nähe sich ein Gehölz und eine
gute Otawa !) befinden müssen. Der Rauch und der Zug
einer solchen Powarnja sind schon keine Annehmlichkeiten ;
aber oft muss auch noch stundenlang der Schnee binaus-
geschaufelt werden, der durch das Rauchloch eingedrun-
gen ist.
Der Übergang über das 5400 Fuss hohe Gebirge bei
einer Passhöhe von 4700 Fuss ist im Aufstiege so schwie-
rig, dass Alles von den Pferden steigen muss, im Abstiege
etwas besser. Auf dem höchsten Punkt erhebt sich ein
Kreuz, welchem die vorüberkommenden Jakuten ihr Opfer
in der Gestalt von Pferdehaaren und allerlei Lappen darzu-
bringen pflegen. Nahe bei dieser Stelle entspringt aus einem
kleinen See der Keg-Jurjach, der sich 20 Werst von sei-
nem Ausflusse mit einem anderen Bergflüsschen, der Ter-
jach-Jureja, vereinigt, von da an Ssartaw heisst und nach
der 10 Werst oberhalb Werchojansk erfolgenden Vereini-
gung mit dem Dulagalach den Namen Jana erhält. Bei
der Powarnja Terjach-Jureja theilt sich der Weg in die
sogenannte grosse Poststrasse, die über Werchojansk geht,
1) Otawa heisst im Gebiet Jakutek jeder Raum mit welkem Grase,
welches sich die Pferde unter dem Schnee hervorscharren müssen.
Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk im nordöstlichen Sibirien.
und in die Kaufmannsstrasse, die 220 Werst kürzer ist
und direct nach der Landschaft Tabalach führt. Eben so
theilt sich hier die Karawane, von der ein Theil den er-
steren, ein anderer den letzteren wählt, um auf dem kür-
zesten Wege nach Ssredne-Kolymsk zu gelangen. Da die
Märkte an beiden Orten ziemlich gleich sind, folgen wir
dem letzteren. Die Gegend ist nun schon etwas mehr be-
völkert, so dass fast jede Nacht bei einem Jakuten Nacht-
quartier genommen werden kann.
Für Jakuten, Lamuten und Tungusen ist die Ankunft
der Kaufleute jedes Mal ein hochwichtiges Ereigniss, und
das Eintreffen der „Herren Kaufleute” (kupzy tajony) er-
warten sie stets mit grosser Ungeduld, weil sie einmal
neue Menschen seben, und dann sich für ein ganzes Jahr
mit dem ihnen Nöthigen zu versorgen baben. Sie kommen
Hunderte von Wersten her zu den Jurten, in denen sie
gewisse, ihnen bekannte Kaufleute zu treffen wissen, mit
denen allein sie auch Geschäfte machen. Diese Gewohn-
heit beruht weniger auf freundschaftlichen Beziehungen, als
vielmehr darauf, dass bei dem hier üblichen Tauschhandel
das Borgsystem in grosser Geltung steht. Die Tungusen
und Lamuten sind Leute von tadelloser Ehrlichkeit. Die
Jakuten erfreuen sich nicht eines so guten Rufes, denn sie
sind geborene Juristen, kennen gründlich ihre Rechte, die
zahlreich genug sind, und lassen es nur gar zu gern auf
einen Process ankommen, um sie aufrecht zu erhalten. Sie
wissen sehr gut, dass die Russen die Schulden nicht auf
dem gesetzlichen Wege von ihnen eintreiben können, weil
alsdann mancherlei unerlaubte Übervortheilungen zur Sprache
kommen würden, und sie machen von diesem Rechte um
so lieber ausgiebigen Gebrauch, als sie es nicht hindern
können, dass sie selbst auf jedem Schritte gedrückt und be-
trogen werden. Trotzdem geht der Handel auch mit den
Jakuten ziemlich lebhaft, weil eben wenig andere Käufer
da sind.
Der Marsch der Waarenkarawane über Werchojansk nach
Ssredne-Kolymsk dauert gewöhnlich 24 Monate, sie kommt
also erst Mitte Januar, ziemlich gleichzeitig mit der ande-
ren daselbst an, nachdem beide die unzähligen Mühselig-
keiten überstanden haben, die mit einer Kälte von 40 Grad,
wüthenden Schneestürmen in einem schwach oder gar
nicht bewohnten Lande, gefährlichen Übergängen über Ge-
birgsrücken, Mangel an Heu, Fallen der Pferde u. dgl. m.
verbunden sind. Bedenkt man, dass diese Reise ausserdem
noch eine neunmonatliche Trennung von der Familie noth-
wendig macht, dann kann man sich allerdings auch den
Wunsch der Kaufleute, siob so reichlich wie nur irgend
möglich für alles Erlittene zu entschädigen, einigermaassen
erklären, wenngleich man auch die Art, wie sie diess oft
genug zu erreichen suchen, hart verdammen muss, Zu
Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk im nordöstlichen Sibirien. 425
allem dem kommt, dass sie sich ihrer Unentbehrlichkeit
vollkommen bewusst sind; denn wenn die Eingeborenen
selbst sich die Wäaren aus Jakutsk kommen lassen wollten,
müssten sie dafür baares Geld voraus bezahlen, und das
können sie nicht, weil sie meist bei den russischen Kauf-
leuten zu sehr verschuldet sind, um diese befriedigen und
noch Baarausgaben machen zu können. Aus denselben
Gründen würde die Sache nicht gefördert werden, wenn
sich ganze Gemeinden zusammenthäten, um die Einkäufe
im Grossen machen zu lassen. Diesem Auswege würde
überdiess noch der bei allen zerstreut lebenden, zum Theil
umberstreifenden Völkern sich zeigende Mangel an Gemein-
sinn entgegenstehen. Das einzige organisirte Gemeinwesen,
das noch eine gewisse Zusammengehörigkeit erkennen lässt,
sind die Kosaken. Diese haben allerdings einmal den Ver-
such gemacht, sich zu associiren und die ihnen nöthigen
Waaren direct aus Jakutsk kommen zu lassen; ihr Bevoll-
mächtigter war aber ein Betrüger, und die Waaren, die er
ibnen verschaffte, kamen ihnen theuerer zu stehen, als sie
dieselben den russischen Kaufleuten zu bezahlen gehabt
hätten, so dass dieser Versuch mehr zur Abschreckung als
zur Ermuthigung diente,
Mit der Ankunft der Kaufleute in Ssredne-Kolymsk be-
lebt sich nicht nur der Ort, sondern der ganze Kreis. Die
Bewohner desselben strömen von allen Seiten herbei, und
in dem Orte, in welchem neun Monate hindurch die tiefste
Stille herrscht, regt sich nun das bunteste Leben, und mit
demselben erwachen auch die Leidenschaften der Menschen.
Jeder bemüht sich, die beste Waare zu erhalten, und die
eigenen Artikel so vortheilbaft wie möglich abzusetzen. Ee
ist hier übrigens auch Eile nöthig, denn die Kaufleute blei-
ben nicht lange und miissen bald nach Nishne-Kolymsk
aufbrechen, um mit den Tschuktschen, den Vermittlern im
Handel mit den kostbarsten Pelzwasren, rechtzeitig ihre
Bedingungen abschliessen zu können. Und die Tischuk-
tschen sind um diese Zeit auch schon mit Frauen und Kin-
dern auf ihrem Zuge nach dem Anjui. Nach einigen
Wochen fhieberhafter Erregung versinkt Seredne - Kolymsk
wieder in seinen Schlaf. Alles eilt nach Norden: die Kauf-
leute voran; ihnen folgen der Kreischef, der Kirchenvor-
steher, der Kosaken-Commandeur &0. Der Weg, der längs
der Kolyma geht, bietet in dieser Jahreszeit keine Schwie-
rigkeit und wird zur Hälfte mit Rentbieren, zur Hälfte
mit Hunden zurückgelegt. Nun belebt sich das sonst so
öde Nishne-Kolymsk auf einige Wochen. Die Kaufleute
erwarten die Nachricht von der Ankunft der Tsohuktschen
bei dem Fort Anjuisk, wohin die Pferde mit den für die
dortige Messe bestimmten Waaren bereits entsendet sind,
und verhandeln unterdessen ihre Galanteriewaaren, die, so
elend sie auch meist sind, doch guten Absatz finden.
Endlich erscheint der ungeduldig erwartete Bote, der
die Nachricht von dem Eintreffen der Tschuktschen bringt,
und Alles eilt nun zu ihnen hin. In langem Zuge bewe-
gen sich die mit 10 bis 12 Hunden bespannten Narten
zuerst die Kolyma hinab, dann, die Biegungen des Anjui
vermeidend, eine kleine Strecke über Land und zuletzt den
Kleinen Anjui hinauf. Anjuisk, das vor 30 Jahren auf
einer Insel im Flusse lag und daher Ostrownoje genannt
wurde, ist seitdem wegen der Überschwemmungen, denen
es ausgesetzt war, nach dem hohen rechten Ufer, 8 Werst
weiter stromaufwärts verlegt worden und befindet sich
gegenwärtig 260 Werst von Nishne-Kolymsk entfernt. Die-
ser im höchsten Norden belegene Punkt bietet jetzt ein
belebtes und hochinteressantes Bild. Alle Läden sind ge-
öffnet, und um dieselben drängen sich fremdartige Volks-
gruppen. Neben den hochgewachsenen, etwas ungeschlacht
einherschreitenden Tschuktschen sieht man den kleinen,
beweglichen Lamuten, neben dem klotzigen, breitschultri-
gen Tschuwanzen mit unbedecktem Kopf und offener Brust
die kokett gekleidete junge Jakutin. Dort kauert eine Schaar
Tsohuktschenfrauen mit tättowirten Gesichtern, einige ihrer
Kinder säugend, und daneben eine alte Tungusin, die ihre
Enkel wiegt. Junge Leute geben Ringkämpfe zum Besten,
zu welchen sie trotz der 30 Grad Kälte die obere Klei-
dung abwerfen und sich den Oberkörper mit Schnee ein-
reiben. Ein Kreis von Zuschauern versammelt sich um die
Ringer, jubelt dem Sieger zu und kann stundenlang aus-
harren, um diesen Olympischen Spielen im Schnee der
Polarregion zuzuschauen. Früher arteten diese Spiele oft
in blutige Kämpfe aus; auch jetzt kommt es oft noch zu
Schlägereien, da den Leuten aber die Waflen abgenommen
werden, bringen sie keine Lebensgefahr mehr mit sich,
Der erste Markttag ist gekommen. Die russischen Kauf.
leute vertheilen ihren Tabak in Packete von 1 oder 2 Pu-
den; die Tschuktschen haben ihre Schlitten mit den Waaren
auf dem Flusse im Halbkreise aufgestellt und erwarten mit
Ruhe und Würde die Kaufleute. Ihre Waaren bestehen
vorzugsweis aus Fellen von Schwarz-, Grau- und Blau-
füchsen, von Flussbibern und Mardern, ausserdem bringen
sie Walrosszähne, Riemen aus Walrossfell, Fischbeine, Wal-
fischrippen, die zum Unterbinden unter die Schlittenkufen
gebraucht werden, Seehundsfelle und verschiedene Artikel
aus Renthierfell: Parken, Kuchljanken &c. Die Tschuktschen
werden oft in irrthümlicher Weise selbst für die Jäger ge
halten, welche die Thiere, deren kostbare Felle sie zu
Markte bringen, auch erlegen; sie sind jedoch durchaus keine
Jäger, wohl aber die gewandtesten Pelzhändler. Sie be
ziehen die Felle von anderen eingeborenen Völkern, zum
Theil sogar aus Amerika, was schon daraus zu ersehen ist,
dass z. B. Fiussbiber und Marder auf dem asiatischen
426 Über den Handel und die Industrie der Kreise Werchojansk und Kolymsk im nordöstlichen Sibirien.
Festlande, welches sie ausschliesslich bewohnen, gar nicht
vorkommen.
Die russischen Kaufleute kommen dann mit Handschlit-
ten, auf welche sie ihren Tabak und Kessel geladen haben,
vom Fort herab und stellen sich gleichzeitig auf dem Flusse
auf. Nach diesen Vorbereitungen begiebt sich eine Depu-
tation der Kaufleute zu dem Kreischef, um ihn um die Er-
theilung der Genehmigung zum Beginn des Geschäfts zu
bitten. Der Kreischef erscheint dann selbst auf dem Flusse,
und nachdem er sich von der richtigen Einlieferung des
Jassaks !) überzeugt, ertheilt er die Erlaubniss zur Eröff-
nung des Marktes.
Die Russen umgehen nun in erregter Geschäftigkeit, die
stark mit der würdigen Ruhe der Tschuktschen contrastirt,
die Reihen der Schlitten und betrachten prüfend die Waa-
ren. Die Wertheinheit beim Tauschhandel wird durch ein
Pud Tabak repräsentirt, für welches die Tschuktschen im
Durchschnitt 5 Flussbiber, oder 10 Rothfüchse, oder 10 Mar-
der, oder auch 30 Eisfüchse geben. Die edleren Felle der
Schwarz-, Grau-, Blau- und sohwarzbäuchigen Füchse werden
jedoch nur auf Grund besonderer gegenseitiger Einigung ein-
!) Jassak heisst der Tribut in Fellen, den die sibirischen Eingebo-
renen entrichten.
getauscht. Die Tschuktschen machen übrigens nicht mit
jedem russischen Kaufmann Geschäfte, sondern nur mit
denen, mit welchen sie bekannt sind, oder Bedingungen ab-
geschlossen haben; sie geben jetzt auch nie Credit, weil
sie früher in dieser Hinsicht üble Erfahrungen gemacht
haben. Die anderen sibirischen Völker und die sibirischen
Russen nehmen und geben Credit, wodurch sie freilich in
eine grosse Abhängigkeit gerathen sind, von der sich die
Tschuktschen frei erhalten haben. Sehr gern handeln die
Russen mit den Lamuten, die von der erprobtesten Recht-
lichkeit sind und bei denen der löbliche Gebrauch besteht,
dass der Sohn für die Schulden seines Vaters haftet, im
Unvermögensfalle aber die Gemeinde.
Am zweiten Markttage kommen die kleineren Artikel,
besonders Eisenwaaren an die Reihe, die vorzugsweis gegen
Walross-Fangzähne und Riemen aus Walrossfell eingetauscht
werden. Der Waarenumsatz auf dem Tschuktschenmarkt
wird mit 60000, der auf den Märkten der beiden Kreise
zusammen mit 120000 Rubel Silber berechnet.
Nach Schluss des Marktes bricht Alles nach der Hei-
math auf. Die Tschuktschen ziehen nach Osten, die Rus-
sen nach Süden und Westen ab. Letztere treffen im Juli
bei ihren Familien ein, um nach dreimonatlicher Ruhe die-
selbe Reise wieder zu unternehmen.
EEE TEE
Die Europäer im Sudan und die Sclavereifrage.
Von Capt. M. Camperio.
Mit den wiederholten Siegen, die Gessi namentlich bei
Dem Idris und Wau über die Sclavenhändler davongetra-
gen, schien der Krieg beendigt, aber unglücklicherweise
batte Suleiman Siber, das Haupt der Rebellen, seine Flucht
über den Bahr el Arab nach Darfur bewerkstelligen kön-
nen, wo er bald wieder 1500 Mann um sich sammelte.
Auch Gessi, welcher inzwischen in Berücksichtigung seiner
Verdienste um die Unterdrückung des Sclavenhandels zum
Pascha ernannt worden war, überschritt jetzt den Bahr el
Ghasal und begab sich nach Dara in Darfur, welche Station
er trotz aller Strapazen im besten Wohlsein am 1. Juli er-
reichte. Auf seinem Marsche nach N traf Gessi mit Gor-
don Pascha zusammen, welcher ihm ob seiner Erfolge die
schmeichelhafteste Anerkennung zu Theil werden liess. Auch
mit dem neu ernannten Gouverneur in Darfur, dem Inge-
nieur Messedaglia, konnte sich Gessi in Dara über gemein-
same Maassregeln gegen die Sclavenhändler besprechen,
Nachdem er alle nöthigen Vorbereitungen getroffen,
rückte er Suleiman, der sich nach Taischa in der Nähe der
Kupferminen zurückgezogen hatte, in der Richtung auf
Kalaka entgegen mit allerdings nur 300, aber auserlesenen
Truppen, die auf dem bisherigen Zuge bereits die besten
Beweise ihrer Tüchtigkeit und Ausdauer abgelegt hatten;
andere Truppen sollten von S her zu ihm stossen. Nach
7monatlichem heissen Kampfe gelang es Gessi endlich, den
Aufstand endgültig niederzuschlagen. Auf seinem Zuge über
Dara nach SW stiess er unerwartet auf ein neu organisir-
tes Corps Siber’s; es kam zum Gefecht, in welehem Sulei-
man Siber sein Leben verlor. Mehrere hundert Gefangene
wurden nach dem Bahr el Ghasal geschickt. Mit dem Tode
des Urhebers der Rebellion ist auch diese selbst beendigt.
Während Gessi noch im S vom Bahr el Ghasal kämpfte,
hatte Gordon im N dem Sclavenhandel einen anderen ent-
scheidenden Schlag versetzt, indem er mehr als 4000 Händ-
ler mit ihrem Anhang und Helfershelfern in Haft nehmen
und aus dem Lande jagen liess.
Wurden diese Erfolge von der europäischen Colonie in
Egypten mit aufrichtiger Freude begrüsst, so versetzten sie
Die Europäer im Sudan und die Sclavereifrage.
dagegen die Araber in nicht geringen Zorn. Sie halten
ihre Interessen für tief verletzt (sehr glaublich!), weil sie
sich in Zukunft nicht mehr in dem Maasse bereichern kön-
nen als bisher, denn einestheils ist ihnen ihre Haupter-
werbsquelle, und das war eben der Sclavenhandel, abge-
schnitten, anderentheils fehlen ihnen künftig die billigen
Lastthiere, indem bisher die Solaven ihre Waaren tragen
mussten.
Die arabischen Händler im Gebiete des Bahr el Ghasal
und Darfur bedienten sich bekanntlich der Gellaba, welche
sich der Mehrzahl nach aus Dongolanern recrutirten, zu
ihren Handelsunternehmungen. Aber diese waren nicht al-
lein die bauptsächlichsten Werkzeuge für den Handel mit
Menschenfleisch, sondern versahen auch die Eingeborenen
mit Pulver und Waffen für die Razzien, ja bereits vor der
Empörung Suleiman’s hatten sie am Bahr el Ghasal eine
Pulverfabrik errichtet. Als die egyptische Regierung ihre
Truppen zur Unterdrückung des Aufstandes aussandte, be-
gnügten sich diese Gellaba nicht damit, den Rebellen heim-
lich Vorschub zu leisten, sondern ergriffen selbst die Waf-
fen zur Vertheidigung ihrer bedrohten Interessen und waren
somit die hauptsächlichste Ursache, dass der Kampf ein so
hartnäckiger und langwieriger wurde.
Im Gebiete des Bahr el Ghasal und in Darfur hatte
Niemand geglaubt, dass die egyptische Regierung wirklich
den festen Willen wie auch die Macht habe, dem schänd-
lichen Gewerbe ein Ende zu machen. Jetzt aber nach dem
glänzenden Ausgange des Kampfes gegen Suleiman und
seitdem alle oder doch fast alle Sclavenhändler, deren man
habhaft werden konnte, ohne (inade und Barmherzigkeit
füsilirt wurden, ist man natürlich anderer Meinung gewor-
den. Seitdem haben die Araber dieser entlegensten Pro-
vinz der egyptischen Herrschaft Petition über Petition an
427
den Khedive gesandt, in welchen sie gegen das ruchlose (!)
Vorgehen der Europäer Einsprache erheben und Gordon
und seine Bevollmächtigten beschuldigen, dass sie das Land
rainirt, seinen Handel vernichtet und eine grosse Zahl
Gellaba daraus vertrieben hätten, die in der Wüste von
Darfur verdurstet wären. Wir wissen nicht, welchen Ein-
druck diese Petitionen auf den Khedive gemacht haben;
aber wir wissen, dass diese Reolamationen von den Ara-
bern in Unter-Egypten kräftigst unterstützt werden, und
dass dieselben in Cairo mit allen Mitteln ihren Einfluss
dahin geltend machen, dass Gordon und sämmtliche unter
seinem Befehle stehenden Europäer zurückgerufen werden.
Sollten diese Machinationen ihr Ziel erreichen, wie viel Blut
wäre dann umsonst vergossen, wie viele Opfer gebracht,
wie viele Strapazen ertragen worden — für Nichts!
Viele Industrielle, welche sich besonders in Kube heim-
lich mit Herstellung von Pulver beschäftigten, und damit
so wie mit anderen Gegenständen einen Verwandten des
früheren Sultans von Darfur, Heron mit Namen, unter-
stützten, sind auf Befehl von Gordon in Haft genommen
worden. Seit 5 Jahren, d. h. seit der Eroberung Darfurs
durch die Egypter, treibt sich dieser Heron mit seiner
Räuberbande in den Hochthälern des Gebel Marra umber,
aus denen er sich hin und wieder hervorwagt, um die
Dörfer in der Ebene zu plündern. Gegenwärtig ist Heron
in die verzweifeltste Lage gebracht worden, und bei dem
energischen Vorgehen Messedaglia’s, des jetzigen Gouver-
neurs von Darfur, wird er wohl bald in die Hände der
egyptischen Truppen fallen und seinem Treiben ein Ende
gemacht werden !).
!) Heron ist inzwischen in die Gefangenschaft Meossedaglia’s go-
rathen.
Das Quell-Gebiet des Rio Santa Cruz in Patagonien.
(Mit Karte, e. Tafel 22.)
In Buenos Aires erschien jüngst ein Buch „Viaje ä la
Patagonia Austral, emprendido bajo los auspioios del Go-
bierno Nacional 1876— 77” (T. I, 8°, 460 pp.), worin
F. P. Moreno seine Reisen in Patagonien beschreibt. Die-
ses Buch ist uns noch nicht zur Hand, wohl aber erhielten
wir durch freundliche Vermittelung ein Exemplar der darin
enthaltenen Karte, welche die durch Moreno explorirten
Quellsseen des Rio Santa Cruz zum ersten Mal zur An-
schauung bringt und unstreitig als einer der werthvollsten
Beiträge zur Kenntniss von Patagonien bezeichnet werden
muss. Indem wir diese Karte, wenig verkleinert, auf
Tafel 22 reproduciren, können wir bier nur, auf Grundlage
eines von Moreno gleich nach Beendigung seiner Reise
niedergeschriebenen Berichtes an das argentinische Mini-
sterium !), eine kurze Übersicht über den Verlauf der Reise
geben und aus dem Buche eine uns in deutscher Über-
setzung zugeschickte Schlussbetrachtung hinzufügen.
Moreno’s Reisegebiet ist für Patagonien, so zu sagen,
klassischer Boden. Der Capar- oder Viedma-See, 1782 auf-
!) Geographical Magasine, 1877, No. 8, p. 209; L’Exploratios,
1877, No. 80.
428 Das Quell-Gebiet des Rio Santa Cruz in Patagonien.
gefunden, stach viele Jahre hindurch auf den Karten als
einziges Object aus der grossen weissen, d. h. unbekannten,
Fläche Patagoniens hervor und sein Ausfluss, der Rio
Santa Cruz, war als bedeutendster Fluss des Landes mehr-
fach das Ziel von Reisenden, namentlich aber wurde er
durch des grossen Naturforschers Ch. Darwin Theilnahme
an Capt. Fitz Roy’s Recognoscirung des Flusses von hoher
Bedeutung für die wissenschaftliche Erschliessung Patago-
niens.
Don A. Vivdma gelangte 1782 von Port San Julian aus,
wo damals eine spanische Niederlassung bestand, über den
Rio Chico und einen anderen Fluss, den er Chalia nennen
hörte, an den See Capar, der später nach seinem Enntdeoker
umgetauft wurde. Viedma suchte nach Bauholz, wissen-
schaftliche Zwecke verfolgte er nicht und er liess es un-
bestimmt, ob der grosse See, der auf den Karten eine
langgestreckte Form mit der Hauptaxe von Nord nach
Süd erhielt, einen Ausfluss habe und welchen. Als Capt.
Musters 1869 den Rio Chico hinaufging, hielt er es für
ausgemacht, dass dieser Fluss aus dem Viedma-See komme;
wahrscheinlich bewog ihn diese irrthümliche Annahme, von
einem Besuch des Sees abzustehen, den er nur wenige Mei-
len entfernt glaubte von dem Punkte, wo er, den Rio Chico
überschreitend, nach Norden sich wendete. Die Existenz
des Rio Chalie bezweifelte Musters, er meinte vielmehr,
Viedma habe den Rio Chico zwei Mal gekreuzt und an der
zweiten Stelle den Namen Chalia gehört; Moreno stellte
jedoch fest, dass der Rio Chico einen etwas südlicher lau-
fenden Nebenfluss hat und Viedma diesen überschritt, der
allerdings weder Chalia heisst, noch in den Rio Santa Cruz
fällt, wie bisherige Karten audeuteten. Dass der Rio Chico
in keinem Zusammenhang mit dem Viedma-See steht, seine
Quellen sich vielmehr eine beträchtliche Strecke nördlich
davon befinden, bewies ganz neuerdings Ramon Lista, der
1877—78 den Rio Chico bis zu dessen Quellen verfolgt
hat !); seine Karte ist bei der Moreno’schen bereits benutzt.
Seit Viedma’s Reise stand die Entdeckungsgeschichte
in diesem Theile Patagoniens vollständig still, bis Capt.
Stokes 1827 den Versuch machte, den Rio Santa Cruz zu
exploriren.. Er kam indessen damals nur 30 Seemeilen
weit, da er aus Mangel an Provisionen umkehren musste.
Der äusserst reissende Fluss macht es nothwendig, dass
die Boote an Leinen hinaufgezogen werden, was bei dem
sehr gewundenen Lauf eine unverhältnissmässig lange Zeit
in Anspruch nimmt. So ist es zu erklären, dass auch Fitz
Roy, als er 1834 mit Stokes und Darwin den Versuch er-
neuerte, nicht genug Proviant mit sich führen konnte, um
die Quellseen zu erreichen, er gelangte indess der Flusslinie
') Visje al Pais de los Tehuelohes. Buenos Aires 1879.
nach ca 200 Seemeilen hinauf und dann zu Fuss noch eine
Tagereise über Land bis gegen den von Moreno Lago Ar-
gentino benannten See, ohne diesen jedoch zu sehen. Die
drei Boote, von ausreichender Mannschaft gezogen, brauch-
ten 16 Tage zur Bergfahrt, während die Thalfahrt nur
3 Tage erforderte, aber freilich nicht ungefährlich war.
Der oberste von den Booten erreichte Punkt des Flusses
lag ca 400 Fuss über dem Meeresspiegel, das durchschnitt-
liche Gefälle beträgt mithin 2 F. auf die Seemeile. Dieser
Fitz Roy’schen Expedition verdankt man die Aufnahme des
Santa Cruz-Flusses, die auch bis jetzt durch nichts Ge-
naueres ersetzt ist, und die auf die Bodenbeschaffenheit
und Naturgeschichte Patagoniens helles Licht werfenden
Beobachtungen Darwin’s !); die Seen-Frage blieb unberührt,
nur schloss Fitz Roy aus der Beschaffenheit des Rio Santa
Cruz, dass er wahrscheinlich eine Reihe von Seen durch-
fliesse, die am Ostfusse der Cordilleren sich von Nord nach
Süd erstreckten, und wie nun Moreno nachgewiesen, traf
er damit das Richtige.
Der Erste, der den Lago Argentino wirklich erreichte,
scheint ein ungebildeter Mann aus der Niederlassung Santa
Cruz gewesen zu sein, den Capt. Musters unter dem Spitz-
namen EI Cooke dort kennen lernte. Dieser und noch ei-
nige andere Männer waren unter Führung eines californi-
schen Goldgräbers 1868 den Rio Santa Cruz hinaufgegan-
gen und hatten auch dann ihre Reise fortgesetzt, als der
Amerikaner umkehrte. Sie erreichten mitten im Sommer
den See an der Stelle, wo der Fluss ihn verlässt, verweil-
ten auch einige Tage bei kaltem Regenwetter an seinem
Ufer, waren aber ausser Stande, in den dichten Wald ein-
zudringen, der ihn umgiebt. Auf der Oberfläche des Sees
schwammen Eisstücke, doch war er auch durch zahlreiches
wildes Geflügel belebt 2). |
Fast noch weniger ist über eine Reise des argentini-
schen Lieutenants Val. Fellberg bekannt, von dem Moreno
erwähnt, dass er 1873 mit einem Walfischboot und 4 Ma-
trosen auf dem Santa Cruz-Fluss dessen Austritt aus dem
Argentiner See erreicht, aber wegen schlechten Wetters nicht
in den See selbst habe einlaufen können. Eine gleichfalls
von Moreno erwähnte chilenische Commission versuchte vor
wenigen Jahren, den Santa Cruz-Fluss mit einem Dampf-
boot hinauf zu fahren, kam aber während 10 Tagen nur
eine geringe Strecke weit.
’) Capt Fitz Roy, Extracts from the Diary of an attempt to as-
oend the River Santa Cruz, &o. Journal of the R. Geogr. Soc. Vol. VII,
1837, p. 114. — Ch. Darwin, Journal of Researches into the natural
history and geology of the countries visited during the voyage of H.
M. 8. Beagle round the world. 24 ed. London 1845, p. 177.
®) @. Ch. Musters, At home with the Patagonians. London 1871,
p. 42.
Das Quell-Gebiet des Rio Santa Cruz in Patagonien. 429
Was nun Moreno selbst betrifft, so hatte er als Natur-
historiker bereits 1874 mit,K. Berg den Rio Negro und
den unteren Rio Santa Cruz besucht !), zog im November
1876 am Chupat-Fluss Erkundigungen über das Innere des
mittleren Patagoniens ein?) und gelangte gegen Ende der-
selben Jahres wieder- nach Santa Cruz mit der Absicht,
von hier aus eine bedeutendere Reise in’s Innere zu unter-
nehmen. Da sich Indiäner, welche die erforderliche Zahl
Pferde hätten stellen können, gerade nicht in der Gegend
aufbielten, so füllte Moreno seine Zeit mit kleineren Ex-
cursionen aus, wobei er besonders die Landschaften zwi-
schen dem unteren Rio Santa Cruz und der atlantischen
Küste durchwanderte und auch die Seelöwen-Insel (Sea Lion
Island, Isla de Leones) besuchte. In der Hoffnung, India-
ner bei Port San Julian nördlich vom Santa-Cruz-Fluss zu
finden, begab er sich später dorthin, die Indianer waren
aber bereits nach Westen aufgebrochen, und Moreno folgte
ihnen eine bedeutende Strecke landeinwärts, bis er sie an
dem oben erwähnten kleinen Nebenfluss des Rio Chico an-
traf. Dieser, von Moreno Rio de Sheuen genannt, durch-
fliesst ein breites, ebenes Thal, in welchem nach des Rei-
senden Meinung eine Eisenbahn zwischen Atlantischem Meer
und Fuss der Andes mit geringen Kosten herzustellen wäre.
In manchen Theilen hat es sehr fruchtbare Flächen, die
als Weideland für kleine Rinderheerden mit Vortheil be-
nutzt werden könnten. Von Sheuen-aiken, dem damaligen
Aufenthalt der Indianer, sah man deutlich die grosse Cor-
dillere mit ihren Schneegipfeln.
Mit drei Pferden der Tehuelchen nach dem unteren
Santa Cruz zurückgekehrt, begann Moreno von da aus am
15. Januar 1877 die Bootfahrt nach den Quellen des Flus-
ses, in Begleitung von Lieut. D. Carlos M. Moyano, drei
Matrosen, einem Mann und einem Knaben zur Besorgung
der Pferde. Das Wasser war damals in raschem Steigen
begriffen und hatte schon eine ungewöhnliche Höhe er-
reicht, so dass es für Fussgänger und Reiter stellenweis
schwierig und gefährlich war, am Ufer entlang vorwärts zu
kommen. Zudem erwies sich das 28 Fuss lange Boot als
äusserst schwer und die Zahl der Mannschaft als zu klein
für das Ziehen dieses Fahrzeuges. Nur mit grosser Anstren-
gung war es daher möglich, die heftige Strömung, die sich
bisweilen zu Stromschnellen verstärkte, zu überwinden und
am 14. Februar den See zu erreichen, aus dem der Rio
Santa Cruz etwa unter 50° 14’ 20” S. Br. und 71° 59’
W. L. v. Gr. hervorkommt. „Zwei Tage später kreuzten
wir auf ihm in dem einzigen Boote, das jemals auf seinem
Wasser geschwommen ist. Wir brachten mehrere Tage
') Peterm. Mittheilungen 1875, 8. 364.
?) The Academy, 17. März 1877, Peterm. Mittheil. 1877, 8. 195.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XI.
damit zu, die verschiedenen Theile des Sees zu besichtigen,
Sammlungen zu machen und eine Kartenskizze des Sees
aufzunehmen. Leider hatte die windige Jahreszeit schon
begonnen und die Stürme hinderten uns daran, das Boot
nach dem äussersten Westende dieses schönen Sees zu brin-
gen, der in der Länge von West nach Ost 30, in der
grössten Breite 10 engl. Meilen misst und von bedeutender
Tiefe sein muss, da eine Lothleine 2 engl. Meilen vom
Ufer in 120 Fuss keinen Grund erreichte”.
Der heftige Wind, die Brandung, die schlimmer war
als die im Hafen von Buenos Aires bei Südost-Wind, machte
die Fahrt in dem schlecht segelnden Boot gefahrvoll, schon
war ein Theil der Vorräthe dabei verloren gegangen, so
entschloss sich denn Moreno, das Boot unter Aufsicht zu-
rückzulassen und mit Lieut. Moyano zu Pferd weiter vorzu-
gehen. Sich nordwärts mit geringer Abweichung gegen
Osten haltend, kamen die Beiden über tertiäre Plateaux
von 2—3000 F. Höhe, die eben so wie die Tertiär-Plateaux
am Santa Cruz nach Darwin in ihren höchsten Theilen
von Basalt bedeckt sind. Bald stiessen sie auf einige ihrer
Freunde vom Rio de Sheuen, erhielten drei frische Pferde
und einen Führer von ihnen, überschritten alsdann den
Rio de Sheuen und wendeten sich nordwestlich nach einer
Kette kleiner Lagunen, die inmitten vortrefflichen Weide-
landes liegen. Die grösste darunter, von dem Indiarsr
wegen der Farbe des Wassers „Tar”, d. h. schmutzig, ge-
nannt, ist nur 5 bis 6 engl. Meilen lang. Westlich von
diesen Lagunen entdeckten sie einen neuen See, der klei-
ner als der Lago Argentino, doch immerhin von ansehn-
lichen Dimensionen ist. Ein Kranz von Bergen, reich be-
waldet, meist vulcanischer Natur und mit Schneegipfeln,
erhebt sich 3—5000 F, über seinen Spiegel. Aus den
Nachrichten der Indianer geht hervor, dass dieser, nach
dem argentinischen General San Martin benannte See in
Zusammenhang mit einem grösseren und westlicher gelege-
nen steht, und die Configuration des Landes, so weit die
Reisenden von seinem südlichen Ufer aus (49° 12’ S. Br.)
sehen konnten, schien diese Aussagen zu bestätigen. Sie
sahen den breiten Canal, der die Verbindung herstellen
soll, und dahinter eine Einbuchtung in dem Laufe der
Ander-Kette. Durch diesen Canal schwimmen grosse Eis-
massen in den San Martin-See.
Der mitgenommene Proviant nahte sich seinem Ende,
so kehrten denn die Reiter nach der Lagune Tar zurück
und schlugen von da einen gerade nach Süd führenden Weg
ein, um das Boot mit dem Proviant-Depöt wieder zu er-
reichen. Ein enges Thal mit zum Theil gutem Weideland
führte sie nochmals zum Rio de Sheuen, der etwas west-
licher im Gebirge aus kleinen Bächen entsteht, und jen-
. seit desselben gelangten sie über ein Basalt-Plateau von
55
430 Das Quell-Gebiet des Rie Santa Cruz in Patagonien.
beträchtlicher Höhe an den von Viedma entdeckten See.
„Der Name Capar, unter welchem der See auf den Karten
angegeben wird, ist nicht indianisch, vielleicht ist er eine
Corruption von K’tshar, einem Lager- oder Halteplatz der
Indianer an seinem Ufer. Viedma’s See ist der grösste,
den ich in Patagonien gesehen. Er erstreckt sich bis zum
Fuss der Cordillere, wo er von den Schneefeldern gespeist
wird, seine grösste Ausdehnung hat er in den Richtungen
von WNW nach OSO, und an seinem nordwestlichen Ende
erhebt sich der in Thätigkeit befindliche, prachtvolle Vulcan
Chalten (Vulcan Fitz Roy). Als die Wolken einen Augen- .
blick auseinander gingen und den kühnen Kegel zu sehen
erlaubten, bemerkten wir auch eine leichte Rauchwolke, die
aus dem Krater aufstieg. Später sah ich von anderen
Punkten aus häufig eine grosse Rauchsäule in dieser Rich-
tung und nach Aussage der Indianer war sie die des Chal-
ten. Er soll nur Asche und Rauch auswerfen. Wir gin-
gen am östlichen und einem Theil des südlichen Ufers ent-
lang, bis wir den Weg durch einen 200 Yards breiten,
die beiden Seen verbindenden Fluss abgesperrt fanden. Der
Punkt, wo dieser Fluss den Viedma-See verlässt, liegt nach
unserer Beobachtung in 49° 48' S. Br., und der, wo er
in den Argentiner See eintritt, in 50° 11’ S. Br. Viedma
hielt diesen Fluss für den Santa Cruz, da er die Existenz
des anderen Sees weiter im Süden nicht vermuthete. Ich gab
ihm den Namen Rio Leona zur Erinnerung an einen An-
griff, den ein Puma dort auf uns machte”.
Wenige Tage nach der Rückkehr zum Boote rüsteten
sich Moreno und Moyano zu einem neuen Ausflug, um das
westliche Ende des Argentiner Sees zu untersuchen. Der
dichte Wald und der steile rauhe Boden erlaubten nur zum
Theil den Gebrauch der Pferde, nur langsam und mit An-
strengung kamen die Reisenden zu Fuss vorwärts, wenig-
stens 18 Bäche mussten überschritten werden, endlich
hemmte den Weitermarsch ein breiter Wassercanal, der
den Argentiner See mit einem kleinen etwas südlicher ge-
legenen verbindet, so dass beide fast als ein See betrachtet
werden können. Auf dem Argentiner See schwammen da-
mals, also im Spätsommer, mehrere riesige Eisinseln, eine
davon, die etwa 70 Fuss über den Wasserspiegel empor-
ragte, hielt sich fast einen Monat hindurch und fast mit
Bedauern sahen die Reisenden in den letzten Tagen ihres
Aufenthaltes am See, wie sie durch die Hitze zerbröckelte
und sich in Bruchstücken über den See zerstreute. Diese
Eisinseln sind wohl ohne Zweifel Gletscherstücken.
Das Schmelzen des Schnee’s auf der Cordillere ging
damals so rasch vor sich, dass der Rio Santa Cruz am
17. März 63 Fuss über seinem gewöhnlichen Niveau stand,
seine Strömung war daher, als sich die Expedition wegen
der Abnahme des Proviants zur Rückkehr entschliessen
musste, noch bedeutend reissender als während der Berg-
fahrt. Nur 24 Stunden brauchte das Boot, um die ganze
Länge des Flusses zu durchlaufen, während bei der Hinauf-
fahrt ein Monat dazu erforderlich gewesen war. An man-
chen Stellen erlangte der Fluss jetzt die Breite von einer
engl. Meile und die geringste Tiefe im Fahrwasser wurde
mit 30 Fuss gemessen, während das Loth an anderen Stel-
len 70 und sogar 84 Fuss Tiefe ergab. Manchmal flog das
Boot mit einer Schnelligkeit von 15 engl. Meilen per
Stunde dahin und an verschiedenen Stellen war es stark
gefährdet. |
Mit einstweiliger Zurücklassung des Bootes und der
Sammlungen in Santa Cruz beendete Moreno am 12. April
in Buenos Aires seine erfolgreiche Reise.
Das Seengebiet machte auf ihn offenbar einen sehr gün-
stigen Eindruck, und wenn man auch den begreiflichen
Enthusiasmus des Entdeckers in Anschlag bringt, so muss
doch hinsichtlich des landschaftlichen Charakters nicht nur,
sondern namentlich auch der natürlichen Hülfsquellen ein
frappanter Unterschied zwischen dem Seengebiet und den
traurig-öden, vom Rio Santa Cruz durchbrochenen Hoch-
flächen bestehen.
Capt. Fitz Roy sagt in seiner einfachen, jede Übertrei-
bung ausschliessenden Weise: „Vom Flusse aus erscheinen
die Thalwände wie Berge, erst wenn man sie ersteigt, er-
kennt man ihre wahre Natur. Man ist alsdann geneigt,
das Flussthal für eine mächtige Auswaschung zu halten,
die sich unter dem Niveau des angrenzenden Landes ge-
bildet hat. Aber oben oder unten, Alles ist nutzlose Wüste.
Kaum konnten wir genug Buschwerk finden, selbst nahe
am Fluss, um ein Feuer zu unterhalten. Selbst das steife,
halbverdorrte Gras, welches die Guanacos abweiden, ist so
spärlich, dass die Thiere über weite Strecken wandern müs-
sen, um ihre Nahrung zu suchen. Die wenigen verkrüp-
pelten, buschigen Bäume, die sich hie und da in der Nähe
des Flusses vorfinden, sind die Dornenbäume des Landes
mit äusserst hartem Holz. .. Ich hätte kaum geglaubt,
dass die Ufer eines grossen Süsswasser-Flusses so entblösst
von Holz oder so verlassen von Menschen, Vierfüsslern,
Vögeln oder Fischen sein könnten. . Wir brachten zwan-
zig Tage auf dieser kleinen Expedition zu, sahen aber so
wenig von allgemeinerem Interesse, wie diess wohl kaum
in einem anderen Theil der Welt auf einer Land- und
Wasserreise von 500 engl. Meilen Länge möglich wäre”.
Und damit stimmen die Äusserungen Darwin’s: „Die völ-
lige Gleichheit der Producte durch ganz Patagonien ist
eine der auffallendsten Eigenthümlichkeiten des Landes.
Überall tragen die trockenen Ebenen dieselben verkrüppel-
ten, zwerghaften Pflanzen und in den Thälern begegnet
man denselben dornigen Büschen. Überall sehen wir die-
Das Quell-Gebiet des Rio Santa Cruz in Patagonien.
selben Vögel und Insecten. Selbst die Ufer des Flusses
und der klaren Bäche, die ihm zufallen, waren kaum von
einer helleren Schattirung des Grün belebt. Auf dem Lande
ruht der Fluch der Unfruchtbarkeit und das Wasser, über
ein Bett von (Geröll fliessend, nimmt an diesem Fluche
Theil. Daher die äusserst geringe Zahl von Wasservögeln,
denn der Fluss birgt Nichts, was ihr Leben fristen könnte”.
Wie anders lautet Moreno’s Meinung von dem Seen-
gebiet! „Die Exploration”, schreibt er, „die ich am Ur-
sprung des Santa Cruz vorgenommen habe, erschloss mir
unbekannte ausgedehnte Gebiete, welche von ihren Eigen-
thümern, den Argentinern, ausgenutzt werden können. Dort
findet die Colonisation ein weites Feld, um ihre wohlthä-
tigen Wirkungen zu bewähren. Das Thal des Sheuen, das
ich fast seiner ganzen Ausdehnung nach durchwanderte,
wartet auf die Viehheerden, welche seine Ländereien er-
giebig machen sollen, die heute Nichts produciren. Einige
Stellen darin eignen sich vorzüglich für den Ackerbau.
„Die Thäler und Schluchten im Westen, wo die herr-
lichen Weiden jetzt nur von dem Pferde des nomadisiren-
den Indianers, dem wilden Rosse und dem Guanaco abge-
grast werden, können Tausende von Rindern ernähren. Die
reichen Salpeter-Lager werden die Industrie anlocken. Die
Steinkohlen am See San Martin werden veranlassen, dass
das Pfeifen der Dampfmaschine, welches den. civilisirten
Menschen mit Genugthuung, den wilden mit Staunen und
Schrecken erfüllt, sich mischt mit dem Widerhall von Axt
und Säge, womit man die Wälder ausbeutet, welche wir
an dem schweigsamen Orte erblickt haben. Die Dampf-
schiffe, die heute nur in die Bucht von Santa Cruz ge-
langen, werden nach einer Fahrt von beinahe 200 Leguas
auf Flüssen, Seen und Canälen sich dort das kostbare
Feuerungsmaterial holen.
„Ich sehe im Geiste den Tag nicht fern, wo die Schraube
die Gewässer der Seen Argentino, Viedma, San Martin und
431
der noch weiter gegen Norden liegenden aufwühlt und die
heute vereinsamte Gegend mit Leben erfüllt. Die geschütz-
ten Gefilde zwischen den Seen Viedma und San Martin
können als „Estancias” ausgenützt werden, und wir werden
es erleben, dass der riesenhafte Leuchtthurm des Vulcan
Fitz Roy nicht mebr den das Naturwunder fürchtenden
Tehuelchen zum einzigen Bewunderer hat, nein, auch der
civilisirte Mensch wird ihn studiren und an seinen Abhän-
gen die Schätze suchen, welche die Wissenschaft erschliesst.
Der See Argentino mit den ihn umgebenden Wäldern und
herrlichen Thälern bietet dem Menschen die Elemente für
ein gewinnbringendes Leben. Die Halteplätze der Tehuel-
chen können in argentinische Städte und Dörfer umgewan-
delt werden. Ein Viehstand lässt sich halten, ausreichend,
um Tausende von Menschen zu ernähren, da wo die herr-
lichen Felder und die bewaldeten Berge Buenos Aires,
Avellaneda und Felix Frias von einer arbeitsamen Bevöl-
kerung ausgebeutet werden, welche die mächtigen Bäume
fällt und zu Flössen verbunden auf den Gewässern des
Sees und des Santa Cruz bis zum Atlantischen Ocean hinab-
führt. So werden die andinischen Ansiedler mit ihrem
Schiffbauholz zum Erwerb der zukünftigen argentinischen
Colonien an der Küste beitragen. Dann werden die An-
wohner der Santa Cruz-Bucht nicht ein kleines Boot wie
das meinige den breiten Strom herabsegeln sehen, sondern
grosse Fahrzeuge, welche zum Atlantischen Ocean die Reich-
thümer aus dem Herzen Patagoniens und von den Anden
herabführen. Wo heute nur Einsamkeit und Mangel an
allen Bedürfnissen herrscht, wo man zu verschiedenen Zeiten
ungenügend ausgerüstete Expeditionen mit grossen Schwie-
rigkeiten hat kämpfen sehen, die nur ein glühender En-
thusiasmus zu überwinden vermag, werden wir blühende
und sesshafte Ansiedelungen wahrnehmen, und die jetzt
wenig besuchte Bai von Santa Cruz wird die am meisten
frequentirte in den südlichen Meeren sein”. E. Behm.
Geographischer Monatsbericht.
Europe.
Als dritte Abtheilung der „Geognostischen Beschreibung
des Königreichs Bayern”, welche Oberbergrath und Pro-
fessor Dr.. Gümbel zu München im Auftrag des königlich
bayerischen Staatsministeriums bearbeitet (Verlag von J. Per-
thes in Gotha), erschien vor Kurzem die „@Geognostische
Beschreibung des Fichtelgebirges mit dem Frankenwalde und
dem westlichen Vorlande” in einem über 700 Seiten starken,
mit zahlreichen Holzschnitten, 29 lithographirten Tafeln &c,
illustrirten Bande, einer zweiblätterigen geologischen Karte
und einem Blatt Gebirgsansichten. Wie in den beiden vor-
ausgegangenen Bänden, deren erster von 1861 das baye-
rische Alpengebirge und sein Vorland, der zweite von 1868
das ostbayerische Grenzgebirge oder das bayerische und
oberpfälzer Waldgebirge behandelt, geht auch diessmal der
geognostischen Specialbeschreibung ein Abschnitt über die
topographischen, oro- und hydrographischen Verhältnisse
nebst einem sehr reichhaltigen Höhenverzeichniss voraus,
auch entsprechen die beiden Kartenblätter als Sectionen
11 und 12 der „Geognostischen Karte des Königreichs Bay-
ern” in Maassstab und Ausführung den mit den beiden
ersten Bänden ausgegebenen 10 Blättern. Fr. von Hauer
begrüsste das Werk bei seinem Beginn mit den Worten:
„Wir haben hier wieder eines jener Denkmale eisernen
Fleisses, unermüdeter Kraft und Beharrlichkeit und begeis-
terter Hingebung für die grossen Aufgaben der Wissen-
55 *
482 Geographischer Monatsbericht.
schaft, wie sie den Stolz des deutschen Volkes bilden. In
ihrer Gesammtheit geben uns diese Karten und Darstel-
lungen ein Bild, wie wir es bisher noch von keinem grösse-
ren Abschnitte der mächtigsten Gebirgskette Europa’s in
gleicher Ausführlichkeit und Genauigkeit besitzen” (Wiener
Ztg., 15. und 22. März 1862) — und v. Dechen äussert
in der Köln. Ztg. vom 11. October 1879 über den neue-
sten Band: ‚‚Wenn die beiden Kartenblätter nur einer flüch-
tigen Betrachtung unterworfen werden, so wird selbst der
Laie staunen über die Arbeit, welche die kartographische
Festlegung so vieler Gesteinsgrenzen verursacht hat und
die von dem Verfasser in dem Zeitraum von 18 Jahren
bewältigt worden ist, der Fachgenosse aber, der schon aus
den vorbergehenden Werken die ausserordentliche Arbeits-
kraft und das Geschick desselben kennen gelernt hat, wird
eingestehen, dass hier in der That eine bewundernswerthe
Leistung vorliegt... Das bayerische Staatsministerium hat
den Dank der geologischen Welt durch die Unterstützung
verdient, die es diesem Manne in seiner ausgezeichneten
Thätigkeit erwiesen bat, und ein Werk geschaffen, welches
demselben und dem engeren Vaterlande Bayern zum Nutzen
und zu hoher Ehre gereicht”. Gegenüber den Urtheilen
solcher erster Autoritäten ist es überflüssig und für uns
als Laien ungeziemend, noch ein Wort des Lobes hinzu-
zufügen.
Von der rühmlichst bekannten Wandkarte des Deutschen
Reichs und seiner Nachbargebiete von Professor H. Wagner
(1:800000) ist so eben bei J. Perthes eine zweite Auflage
erschienen. Auf den ersten Blick fällt das lebhaftere Co-
lorit in die Augen, das angewendet wurde, um mehrfach
ausgesprochenen Wünschen gerecht zu werden. Ausserdem
sind selbstverständlich solche Veränderungen und Berich-
tigungen vorgenommen worden, wie sie seit der Ausgabe
von 1874 sich ansammelten, zumal wurde dem inzwischen _
erfolgten Anwachsen des Eisenbahnnetzes Rechnung ge-
tragen, und bei der Classification der Ortschaften sind die
Ergebnisse der neuesten Volkszählungen berücksichtigt wor-
den. Wir zweifeln nicht, dass die stattliche, durch ihre
kräftige Terrain-Darstellung hervorragende Karte in dieser,
von manchen früheren Irrthümern befreiten Auflage sich
neue Freunde erwerben wird.
Ein 1. Jahresbericht der Geographischen Gesellschaft in
Bern, welcher die Statuten, das Mitglieder-Verzeichniss und
Protokoll-Auszüge aus dem Jahr 1878—79 enthält, legt
Zeugniss von dem Wiedererwachen des Vereins ab und er-
klärt auch, wie es kam, dass er einige Jahre hindurch ohne
Lebenszeichen blieb. Nach seiner Constituirung am 15. Mai
1873 hielt er regelmässige Sitzungen bis 1875, wo sein
erster Präsident, Prof. Schaflter, die Schweiz verliess, um
sich dauernd in Amerika niederzulassen, und wo er auch
seinen Secretär Graber verlor. Erst durch die Entstehung
des schweizerischen Comite’s der internationalen afrikanischen
Gesellschaft, das im Herbst 1877 eine Versammlung in
Bern abhielt, kam wieder Leben in den Verein, der seit-
dem unter dem Vorsitz des Oberst Siegfried allmonatlich
einmal Sitzungen hält und ausserdem einen Cyclus von
öffentlichen Vorträgen veranstaltet hat. Die Zahl der Mit-
glieder beläuft sich jetzt auf 62, Secretär ist F. Müllbaupt
v. Steiger, ausserdem gehören dem Vorstand an Professor
Th. Studer und Ingenieur Lauterburg als Vice-Präsidenten,
Lehrer Leuzinger als Protokollführer, Lehrer Buchmüller
als Kassier und Lehrer Langhans als Bibliothekar.
Prof. Ed. Erslev giebt in seiner „Geografisk Tidskrift”
(1879, Heft V und VI) eine specielle Höhenkarte der In-
seln Laaland und Falster (1:280000), worauf die Stufen
von O bis 15, 15 bis 45 und über 45 F. farbig unter-
schieden, auch die umgebenden Meerestheile von weniger
als 18 F. Tiefe durch Blau von dem tieferen Meere abge-
trennt sind. Einige Seiten Text enthalten die wünschens-
werthen Erläuterungen.
In Bosnien sind bald nach den österreichischen Soldaten
auch Pioniere der Wissenschaft eingerückt, und darunter in
erster Reihe Geologen der k. k. Reichsanstalt in Wien.
Die „Verhandlungen” der letzteren (1879, No. 11 und 12)
enthalten geologische Reiseberichte aus Bosnien von den Doc-
toren v. Mojsisovice, Bittner und Tietze vom Sommer d. J.
Asien.
Trotz des mangelhaften Deutsch recht lesenswerth ist
ein zu Tiflis gehaltener populärer Vortrag Dr. Krinor Arsz-
yuns’s über die ökonomische Lage der Armenier in der Tür-
kei (St. Petersburg, Kais. Akad. der Wissenschaften, 1879).
Die natürlichen Hülfsquellen Armeniens, namentlich des
türkischen Theiles, seine Viebzucht, Landbau, dann beson-
ders die Bevölkerung und ibre Industrie werden in lebhaf-
ter Schilderung vorgeführt, wobei die Charakteristik der
Türken, Kurden und Armenier Gelegenheit giebt, die letz-
teren in sehr günstiges Licht gegenüber den beiden ande-
ren zu stellen.
Den russischen Reiseberichten, die der „Globus” von
Zeit zu Zeit aus der Turkestanischen Zeitung übersetzt,
reiht sich ein solcher von Matwäjew über seine Reise von
Kuldscha nach Schicho im J. 1878 an. Er enthält aller-
hand Notizen über die Naturbeschaffenheit der bereisten
Landstriche, die Bevölkerung, die Strassen und Orte, und
auch eine Anzahl Höhenmessungen, von deren Verlässlich-
keit jedoch Matwäjew keine hohe Meinung hegt. Der Sai-
ram-See liegt danach 5900, der Talkı-Pass 6260, die Rui-
nen von Santai 2900, Dschincho 880, der Sityrty-Pass
4610 bis 5770, der Ebi-nor 840, Schicho 820 engl. Fuss
über dem Meere.
Graf Ssechenyi und seine Begleiter Loczy und Kreitner
waren am 24. Juni unter dem Schutz chinesischer Beamten
und einer Escorte von 30 Mann in Sining eingetroffen, um
von dort über Tsaidam nach L’Hassa in Tibet weiter zu
gehen; der in Sining residirende Gouverneur des Kuku-nor
machte ihnen jedoch die ernstlichsten Vorstellungen über
die Gefahren des Weges und erklärte, dass es unmöglich
sei, ihnen den nöthigen Schutz auf demselben zu gewähren.
Die Regierung könne durchaus keine Verantwortung über-
nehmen. Dabei erwähnte er u. A., dass Chinesen niemals
diesen Weg nach Tibet einschlügen, auch officielle Schrift-
stiicke würden von Sining nach L’Hassa über Schensi nach
Tatsien-Ju an der Grenze zwischen Szetschuen und Tibet
und von dort aus weiter befördert. Der Graf beschloss,
zunächst die grossen Tempel &o. bis an die Grenze des
Kuku-nor-Gebietes zu besuchen, um sich selbst von der
Sachlage zu überzeugen, und bebielt sich weitere Ent-
schlüsse vor !),
!) Wiener Zeitung, 7. October 1879.
Geographischer Monatsbericht.
Einer japanischen Zeitung vom Juni d. J. entnimmt
Herr Knipping für uns Folgendes über die am Ostende des
japanischen Binnenmeeres gelegene Insel Awaji: „Die erste
japanische Göttin, Ijanami no Mikoto, nannte die Insel ihrer
geringen Grösse wegen „A Haji” (ich schäme mich), wor-
aus dann des Wohlklangs wegen Awaji entstand. Von
Iwaya no hana im N bis Amanoshio zaki im S ist die-
selbe 55 Meilen !) lang, von Yurano Oishi im O bis Anaga Ma-
ruyama im W 29 Meilen breit und hat einen Umfang von
137 Meilen. In 2 Kreisen, Miwari-gori im SW und Tsuna-gori
im NO, zählt sie 240 mura’s, 35000 Häuser und 170000
Einwohner.
„Seit 1717 stand die Insel unter der Botmässigkeit des
Daimio von Awa (Shikoku); jetzt gehört sie zum Hiogo Ken
mit der obersten Behörde in Sumoto an der Ostküste. Von
Tarumi bei Akashi ging die Reise zu Wasser über die
Strasse gleichen Namens nach Iwaya, dem 2 kleine Insel-
chen vorliegen, Eshima und Oeshima, nur durch einen
schmalen, seichten Arm von der Hauptinsel getrennt. Der
grösste Theil der Ostküste bis nahe vor Karuya (8 Meilen) fällt
steil zum Meere ab; von dort an bis Shizukimura (11 Meilen)
und Sumoto treten die Höhen mehr zurück. Kurz vor
Sumoto überschreitet man den Shioyagawa, mit dem sich
nahe der Mündung noch der Monoigawa vereinigt. Die
Gresammtbreite des Flusses beträgt etwa 20 Ellen. Das
Sumoto-Thal erstreckt sich nahezu bis nach ‚Fukura ım S
und Minato im W der Insel. Der Magata-yama bietet den
besten Aussichtspunkt in der Nähe; am Fusse des bewal-
deten Kumayama liegt das alte Schloss.
„Sumoto mit etwa 4000 Häusern zeichnet sich durch
regelmässige Strassen und eine nicht unbedeutende Gewerb-
thätigkeit aus; Sohwefelhölzer werden in Menge angefertigt,
(Preis 1200 Schachteln 3 Yen), Ukihashi genannte Baum-
wollenstoffe, Baumwollengarn wird jährlich etwa im Werth
von 200000 Yen ausgeführt, hauptsächlich nach Satsuma.
Von Sumoto führt ein guter Weg nach Jihötomura (11 Meilen)
über Yagimura, auf dem man den Yagikawa und Egiojino-
kawa überschreitet. Diese Gegend ist stark bevölkert und
angebaut; Reis, Bohnen, Tabak, Indigo, Baumwolle und
Zuckerrohr gedeihen hier. Der hiesige Indigo steht dem
von Awa sehr nach und wird deshalb um !/, bis '/, billiger
verkauft. Von Jihötomura aus wurden die Töpfereien von
Igano (der Thon kommt von Ikenouchimura, 3 Meilen von
Sumoto entfernt) und das Grab des Kaisers Haitei Okashigi
no Mikoto besucht. Auf dem weiteren Wege nach Fuküra
(4 Meilen) kommt Granit vor (O-W), beim Dorfe selbst
Sandstein. Der Hafen, gegen alle Winde vollständig ge-
schützt, hat nur einen schmalen Eingang. Von Fuküra aus
wurde der durch ihre gefährlichen Wirbel und Strudel be-
rüchtigten Naruto-(Donnerthor) Passage ein Besuch gemacht.
Man fährt zwischen den Inselchen Kemurishima (konisch)
und Susaki (niedrig und flach) hindurch und geniesst den
besten Anblick der wild rauschenden Wassermasse von einer
Felseninsel in der Mitte der Passage, die man bei stillem
Wasser ungefährdet erreichen, beim nächstfolgenden aber
erst wieder verlassen kann. Dieselbe trennt die Passage
in eine grössere (O-Naruto an der Awaji Seite) und eine
ı) Nach E. Knipping’s Karte beträgt die Länge der Insel 35 eng-
lische oder 7% deutsche Meilen, 14 japan. Ri; die Breite 17 engl. oder
31 deutsche Meilen, 7 japan. Ri.
|
|
433
kleinere (Ko-Naruto, an der Awa-Seite). Zur Beruhigung
des Wassers benutzen Boote, welche zufällig in den Strudel
hineingerathen, leichte Matten, welche hineingeworfen wer-
den. (Die Matten sollen wohl in derselben Weise beruhi-
gend wirken, wie Öl auf Sturmwellen E. K.) Über Minato,
Furutsujima und Yoshinomura wurde dann die Keino no
Matsubara besucht, eine 2—3 Meilen lange Ebene mit gro-
tesken Bäumen, Goshö no matsü und Suna matsü. Der
Rest des Weges wurde an der Westküste entlang zu Boot
zurückgelegt. In dem letztgenannteu Dörfern wird leb-
hafter Sardinen- (iwashi) Fang betrieben; am Strande sieht
man häufig Holzgerüste, auf denen Wachtposten aufgestellt
sind, die die Ankunft eines Fischzuges signalisiren”.
Zu unserer grossen Freude erhielten wir vor einigen
Wochen die seit Jahr und Tag mit Ungeduld erwartete
Generalkarte Japans von E. Knipping: „Stanford’s library
map of Japan, principally compiled from Japanese docu-
ments, by E. Knipping. London, Ed. Stanford, 1879”. Sie
ist im Maassstab von 1:1115800 entworfen und nimmt
6 Blätter in Anspruch, wobei allerdings viel Raum von den
Nebenkarten eingenommen wird, welche die Eintheilung des
Landes in Fu und Ken, die in Do und das Netz der Tele-
graphenlinien und Eisenbahnen darstellen. Bei reicher
Nomenklatur bewahrt die Karte doch überall eine grosse
Klarheit, wozu der gute Stich und Druck wesentlich bei-
tragen. Das Terrain ist mit Kreide gezeichnet, hell lila,
wird durch ziemlich zahlreiche Höhenzahlen vervollständigt
und auch durch die besondere Signatur für die Gipfelpunkte
gehoben. Die Insel Jeso fällt noch ganz in den Rahmen
der Karte, dagegen blieben die Kurilen und die Liukiu-In-
seln ausserhalb desselben. Sehr willkommen sind die unter
dem Titel angebrachten verschiedenen Maassstäbe, so wie
die Angaben über japanische Maasse und geographische Aus-
drücke. Macht die Karte schon im Äussern einen gün-
stigen Eindruck, so müssen wir ihr hinsichtlich der Gewis-
senhaftigkeit ihrer Bearbeitung mit dem grössten Vertrauen
entgegen kommen, da sich ihr Verfasser seit längerer Zeit
als bester europäischer Kenner des japanischen Kartenma-
terials erwiesen hat und wohl kaum einem Zweiten mög-
lich gewesen wäre, mit solchem Sachverständniss, solcher
Kritik die einheimischen Quellen zu benutzen.
Als ein Beispiel der ganz vortrefflichen japanischen Kar-
ten neuester Zeit möge hier ein Plan von Tokio!) Erwäh-
nung finden, den die japanische Regierung hat aufnehmen
lassen und nun in einzelnen Sectionen herausgiebt. Er hat
den Maassstab von 1:2400 und von seinen 15 Sectionen
sind 4 bereits erschienen, während die anderen noch bis
Ende dieses Jahres folgen sollen. Wie der Titel so ist die
Bezeichnung einzelner Plätze, öffentlicher Gebäude &c. in
englischer und japanischer Sprache, die kleineren Objekte
sind nur in letzterer beschrieben, und zwar machten es
der grosse Maassstab und der sehr feine Stich möglich,
jedes Haus zu benennen.
Auf der Insel Jeso wurde am 23. Juli d. J. die neue
Eintheslung in 2 Ku und 84 Gun durchgeführt. Der Haupt-
sitz des Colonisations-Bureau’s ist in Sapporo mit Zweigen
in Hakodate und Nemoro.
) The Map of Tokio, Japan. 1:2400. Tokio, published by Nishi-
kawa Mitsunobu and Nishikawa Mitsuho. In Yokohama to be had at
the Herald Offce,.
434 Geographischer Monatsbericht.
Von der neuen geographischen Gesellschaft in Tokio mel-
det uns Herr Knipping: Vorsitzender ist 8. kaiserl. Hoheit
Prinz Kita Shirakaws, stellvertretende Vorsitzende sind
Enomoto und Nabeshima, fernere Vorstandsmitglieder Wata-
nabe, Satsura und Kitasawa. Das Eintrittsgeld beträgt 10
Yen, der Jahresbeitrag der Mitglieder 12 Yen; im April
findet jährlich eine Generalversammlung Statt. Die Gesell-
schaft beabsichtigt 1. von Zeit zu Zeit ihre Verhandlungen
herauszugeben, 2. eine Bibliothek anzulegen, 3. Reisenflen
Auskunft zu geben über Gegenden, die sie besuchen wollen,
4. Verbindungen mit anderen geogr. Gesellschaften anzu-
knüpfen, und 5. hervorragenden Reisenden Diplome &c. zu
verleihen.
In Samarang hat eine nsederländisch-indische geographische
Gesellschaft am 13. Juli 1879 ihre erste Sitzung gehalten.
Sie zählte bei ihrem . Entstehen 40 Mitglieder und dachte
bereits an die Herausgabe einer Zeitschrift.
Afrika
Adolph Jourdan in Algier hat eine „Carte de la pro-
vince d’Alger” publicirt. Sie umfasst zwei grosse Blätter
in 1:200000 und zwei andere, eben so grosse für den
südlichen Theil der Provinz in 1:800000. Bei sehr voll-
ständigem blauen Fluss- und schwarzen Strassennetz ent-
behrt sie des Terrains, wogegen die Wälder mit grüner
Farbe und zahlreiche Höhenzahlen eingetragen, auch die
trigonometrischen Punkte bezeichnet sind. Dem grossen
Maassstab entsprechend findet man auch die Wohnplätze
in grosser Vollständigkeit und mit Unterscheidung ihrer
Natur als Städte, Dörfer, Militärposten, Caravanseraien,
Märkte, Mühlen, Moscheen &c. angegeben.
Camperio’s L’Esploratore vom . October bringt eine
Übersichtskarte des Bahr-el-Gasal- und Uelle-Gebistes von
@. Schweinfurth, die zwar ganz roh, aber um so klarer die
Reiserouten Schweinfurth’s, Miani’s und Junker’s zeigt, so
dass man ihre gegenseitige Lage, die Berührungspunkte &o.
mit einem Blick übersieht. Ausserdem sind auch Gessi's
Reisen resp. Feldzüge darauf angedeutet.
Dr. Matteucci won der mailänder Handelsexpedition in
Abessinien ist nach Italien zurückgekehrt, während @. Bi-
anchi in Debra Tabor blieb, um dort eine Station zu grün-
den, und Piaggia von Fiadazi aus, wo er noch immer der
Jagd obliegt, auf Kosten der mailänder handelsgeogr. Ge-
sellschaft nach Godscham geht. Ein längerer, von einigen
Zeichnungen begleiteter Brief Bianchi’s aus Gafat bei Debra
Tabor ist in Camperio’s L’Esploratore, Ootober 1879, pu-
blicirt.
Eine andere von Italien nach Abessinien abgehende
Expedition will in den Gala-Ländern das Galima-Thal zwi-
schen Lasta und der Assab-Bai exploriren.
Chiarini und Ceochi sollen Kaffa seit längerer Zeit ver-
lassen haben (s. Seite 399) und sich auf dem Wege zur
Ostküste befinden.
Als Separat-Abzug aus den „Mittheilungen der Geogr.
Gesellschaft in Hamburg 1878—79” ging uns die Fort-
setzung von Dr. @. 4A. Fischer's Reiseberichten von der
afrikanischen Ostküste zu. Sie behandelt das Wapokomo-
Land und seine Bewohner, während der vorausgegangene
Abschnitt (im Jahrg. 1876—77) sich auf das südliche Galla-
Land und Wito bezog. Die Wapokomo-Neger, 10—15 000
männliche Individuen zählend, wohnen am Tana-Fluss und
sind ein friedliebendes, ackerbauendes, etwas weibisches
Volk, das von den kräftigen Gallas und Somalis viel zu
leiden hat.
Zehn, von Mgr. Lavigerie, Bischof von Algier, im Jahr
1878 ausgesendete Missionare errichteten in Udjidji am
Tanganjika und beim König Mtesa von Uganda Stationen,
deren erstere unter P. Deniaud, letztere unter P. Levinhac
steht. Zur Verstärkung dieser Missionen ging vor einigen
Monaten eine zweite Expedition von Bagamoyo aus in’s
Innere, bestehend aus 18 Franzosen: 9 Priestern, 3 Brü-
dern und 6 Laien-Gehülfen. Die Führung der Expedition
ist dem Abbd Guyot anvertraut. (Journal officiel, 2. Oo
tober 1879.)
Die von der Church Missionary Society nach Uganda
ausgesendeten Missionare hatten nach den jüngsten Nach-
richten ihr Ziel fast erreicht. Litchfield, Felkin und Pear-
son, die den Nilweg eingeschlagen batten, kamen über
Magungo am Mwutan am 8. Januar nach Foweira und am
27. Januar 1879 nach Mruli, von wo sie am 2. Februar
nach Mtesa’s Hauptstadt aufbrechen wollten; Stokes und
Copplestone kamen von Zanzibar her im Februar nach
Kagei am Südufer des Victoria-Nyanza, wohin ihnen König
Mtesa 50 Kähne entgegenschickte, um sie nach Uganda
überbringen zu lassen. Überhaupt soll Mtesa der Mission
neuerdings günstig gestimmt sein und mit den schon einige
Zeit bei ihm weilenden Missionaren Wilson und Mackay auf
gutem Fusse stehen. Von dem letztgenannten sind bis Januar
1879 reichende Briefe im „Church Missionary Intelligencer”
vom October 1879 veröffentlicht, worin u. A. H. Stanley
gegen die Anschuldigungen der englischen Presse kräftig
in Schutz genommen wird. Nachdem Maokay erzählt hat,
wie der kleine Dampfer „Daisy”, auf welchem er und Wil-
son die Überfahrt von Kagei nach Uganda bewerkstelligten,
bei Mkongo an dem Ufer von Uzongora zu Schaden ge-
kommen war, fährt er fort: „Sie erinnern sich ohne Zweifel,
dass Mkongo derselbe Platz ist, wo Stanley so wunderbar
einer Metzelei entging. Dort wie in Uganda, Usukuma,
Ugogo, überall, wo ich in seinen Fusstapfen gehe, sogar
auf Ukerewe, finde ich, dass seine Behandlung der Einge-
borenen stets der Art gewesen ist, dass sie ihnen die höchste
Achtung vor dem Gesicht eines weissen Mannes eingeprägt
hat. Die Menge Beschuldigungen, die das englische Publi-
kum für gut fand, auf Mr. Stanley zu häufen, ist eben so
unchristlich als ungerecht”.
T. J. Comber von der englischen Baptisten-Mission, dessen
Pläne, sich am Congo festzusetzen, schon früher erwähnt
wurden, landete am 2. Juli mit seiner Begleitung zu Mus-
suca am unteren Lauf des Flusses und setzte am 15. die
Reise zu Land nach San Salvador fort, wo er ein Depöt
zurücklassen will, während er selbst über Makuta den ober-
halb des Stanley-Pool gelegenen Theil des Congo zu er-
reichen sucht. .
Von Serpa Pinto hatten sich in Bihe bekanntlich die
Marine-Officiere Capello und Ivens getrennt, um nordwärts
den Quango bis zu dessen Mündung in den Congo zu ver-
folgen. Dass sie schon seit lange am oberen Quango ver-
weilen, ist bekannt, der Grund ihres Stillstandes aber wurde
erst vor Kurzem in der Geogr. Gesellschaft zu Lissabon
erwähnt: die Reisenden befinden sich nämlich von allen
Geographischer Monatsbericht. 435
Hülfsmittelna zur Fortsetzung ihrer Recognoseirung des
Quango entblösst. Die Gesellschaft beschloss, ein Gesuch
an die Regierung, den Gouverneur von Angola zur Gewäh-
rung der nöthigen Geldmittel &c. für die Expedition anzu-
weisen. In derselben Sitzung wurde auf Antrag von Men-
des Leal beschlossen, die Regierung um Publication der im
Archiv des Marine-Departements vorhandenen Reisen por-
tugiesischer Forscher zu bitten, „damit Entdeckungsreisende
der gegenwärtigen Zeit nicht einen Theil des Ruhmes, der
einzig unseren Vorfahren gebührt, davontragen”.
Major Serpa Pinto’s Reisebeschreibung wird’ bei Sampson
Low in London unter dem Titel „The King’s Rifle, from
the Atlantic to the Indian Ocean, across unknown coun-
tries; discovery of the great Zambesi affluents, &c.” erschei-
nen. Dieser Titel erklärt sich daraus, dass der König von
Portugal dem Verfasser vor seiner Abreise nach Afrika
seine eigene, auf 500 Pfd. St. geschätzte Flinte zum Ge-
schenk machte und diese Flinte den Reisenden auf der
ganzen Wanderung durch Süd-Afrika begleitete. Das Buch
soll eine grosse und 13 kleine Karten, so wie weit über hun-
dert Illustrationen enthalten. Dass es in englischer Sprache
erscheint, nicht in portugiesischer, wird den meisten Geo-
graphen sehr willkommen sein.
Wie die „Academy” erfährt, steht auch von dem Je-
suitenpater Depelchin die Veröffentlichung seines Tagebuches
über eine Zeise nach dem Zambessi in Aussicht. Depelchin,
1822 in Ostflandern geboren und als Missionar in Indien
mit tropischem Klima vertraut, erhielt von seinem Orden den
Auftrag, an der Spitze von 5 Priestern (dem Belgier Cro-
nenbergs, dem Italiener Blanca, dem Schotten Law, den
beiden Deutschen Fuchs und Terverde) und 4 Laienbrü-
dern eine Mission an den Victoria-Fällen des Zambesi zu
errichten. Er war am 2. Januar 1879 von Southampton
nach dem Cap abgereist und am 16. April setzte sich das
ganze Personal von Grahamstown aus in Bewegung, um
über Kimberley, Schoschong &c. den Zambesi zu erreichen.
A. J. Wauters hat seine dankbare und dankenswerthe
Arbeit über den Zambesi, seine Entdeckungsgeschichte, sei-
nen Lauf, sein Becken, seine Producte und seine Zukunft
als Sonderabdruck aus dem Bulletin der belgischen geogr.
Gesellschaft, worin sie abschnittsweise erschienen war, mit
einigen Zusätzen ausgegeben.
Paiwa de Andrada hat in Paris eine Compagnie zur
Ausbeutung von Gold- und Kohlenfeldern am Zambesi or-
ganısirt und ist im September mit einem Stab von Inge-
nieuren nach Mozambique abgereist, um zunächst das Ge-
biet, auf welches sich die Concession erstreckt, untersuchen
und aufnehmen zu lassen. Centralpunkt dieses Gebietes ist
Zumbo, wo denn auch eine neue Colonie errichtet werden
soll. Die portugiesische Regierung giebt 100000 Hectaren
Land unentgeltlich an die Compagnie ab und bewilligte ihr
ausserdem den Besitz der Gold- und Kohlenlager in der
Gegend von Tete und Zumbo, welche bis jetzt der Krone
gehörten, so wie auf 20 Jahre das ausschliessliche Recht,
daselbst alle anderen Goldfelder, Eisen-, Kupfer- und son-
stige Metallgruben und die dem Staat gehörenden Wälder
auszubeuten. Man hofft, auf diese Weise Ackerbau, Indu-
strie und Handel der portugiesischen Besitzungen am un-
teren Zambesi zu heben.
Aus der „Academy” vom 11. October erfahren wir,
dass Frederic Speer kürzlich von einer zweijährigen Zesse
auf dem Gambia- Fluss zurückgekehrt ist. Er soll den Fluss
weiter aufwärts verfolgt haben als frühere Reisende und
seine Kompass-Peilungen seien hinreichend, um eine ziem-
lich verlässliche Karte des oberen Flusslaufes zu construiren.
Speer richtete seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die
Handelsverbindungen zwischen dem Gambia und dem oberen
Niger, er sagt aus, dass Kaufleute von Timbuktu unlängst
nach Sierra Leone gekommen wären und ihre Verwun-
derung darüber geäussert hätten, dass von englischen Kauf-
leuten noch kein Versuch zur Herstellung von Handelsver-
bindungen zwischen beiden Städten gemacht worden sei.
Australien und Inseln des Grossen Oceans.
Der Bericht von Alex. Forrest über seine Expedition
vom De Grey-Fluss bis sur Beagle-Bai im nordwestlichen
Australien weist nach, dass dort fast überall längs der
Küste und vom Meere aus leicht zugänglich weite Land-
striche von fruchtbarer Beschaffenheit existiren. Forrest
verliess die Station am De Grey-Fluss am 25. Februar d. J.
und ging, nachdem er die Beagle-Bai erreicht, nach der
Westküste des King-Sundes, indem er den Fitzroy-Fluss
verfolgte und dann längs der Ostgrenze der Colonie zu-
rückkehrte. Nach seiner Aussage giebt es in der Nähe
der Beagle-Bai permanente Quellen in Menge, auch ist
der Boden reichlich mit Gras bewachsen, obwohl ziemlich
dicht bewaldet mit Cajeput, rothen und weissen Gummi-
Bäumen (Eucalypten), vielen Akazien-Arten, so wie mit
Palmen. An manchen Stellen erreicht das Gras die Höhe
von 10 Fuss. Eben so erreicht der Cajeput eine unge-
heuere Grösse. Flüsse von irgend welchem Belang wurden
nicht entdeckt, das Land war sehr eben, kaum hatte man
einen Hügel gesehen bis man auf 50 englische Meilen an
die Beagle-Bai herankam. Ein nach Südost fliessendes Ge-
wässer, das jedenfalls in den King-Sund mündet, wurde 40
engl. Meilen von der Beagle-Bai überschritten. All’ diess
Land war schön begrast und trug kräftige Eucalypten nebst
anderen Bäumen. Von dem erwähnten Gewässer bis zur
Beagle-Bai begegnete man keinem Wasser, doch schien es,
als könne man solches leicht durch flache Bohrungen er-
reichen. Die Eingeborenen, die hier in grosser Zahl zu
hausen scheinen, benabmen sich freundlich gegen die Rei-
senden. Was die Naturprodukte betrifft, so hält Forrest
. die Perlmutter-Lager für unbegrenzt in Ausdehnung und
für ergiebiger als die westlicher gelegenen. Der Boden des
Landes ist nach Fenton Hill, dem geologischen Mitglied der
Expedition, im Allgemeinen ein sandiger Lehm, der an
vielen Stellen Meermuscheln enthält. In 20° 12’ S. Br.
traf man einige Eisenstein-Hügel, die sich eine kurze Strecke
weit fortsetzten; zwischen 20° 1’ und 19° 53’ S. Br. tritt
Kalkstein zu Tage, der fossile Muscheln einschliesst und
sich bis an die Küste ausdehnt. Church and Barn Hills
nahe der Roebuck-Bai sind von Eisenstein. Auf dem gan-
zen bereisten Gebiete fand man nicht die geringste Andeu-
tung von einem Goldgehalt des Bodens; dagegen eignet
sich das Land für Rinder-, Schaf- und Pferdezucht, und
man schätzt das gute Weideland zwischen Roebuck-Bai und
Beagle-Bai, innerhalb 50 engl. Meilen von der Küste, auf
4 Millionen Acres !).
!) The Colonies and India, 4. October 1879.
436 Geographischer Monatsbericht.
Amerika.
Die neueste Nummer des „Bulletin of the American
Geographical Society” (1878, Nr. 5) enthält einen Vortrag
von J. Douglas über eine Postdampfer- Reise längs der West-
küste von Süd- Amerika, von Panama bis Valparaiso. Bei
aller Kürze sind die Schilderungen anschaulich und vielfach
von historischen und volkswirthschaftlichen Bemerkungen
begleitet, wenn es such in der Natur des Gegenstandes
liegt, dass eigentlich Neues nicht geboten werden konnte.
Dem längere Zeit unterbrochenen Eisenbahnbau am Rio
Madeira in Matto Grosso verdankt die geogr. Literatur
schon manchen Beitrag — wir erinnern nur an das pracht-
voll illustrirte Werk von Keller-Leuzinger. Auch vor Kur-
zem ist wieder ein Buch von einem bei dem Bau beschäf-
tigt gewesenen Ingenieur, Edward D. Mathews, bei Samp-
son Low in London erschienen, das unter dem Titel „Up
the Amazon and Madeira Rivers through Bolivia and Peru”
die Reise von Par& nach dem Madeira und an diesem und
dem Rio Mamore hinauf nach Cochabamba in Bolivia, von
dort über Chuquisaca, Potosi, Oruro nach Arica und zu
Dampfer über Lima, Panama &o. zurück nach England be-
schreibt. Obgleich diese Reise, wie es scheint, bereits um
1873 ausgeführt wurde und das Buch keine Fachwissen-
schaft vertritt, so enthält es doch vielseitige belehrende
Notizen über Land und Leute, Handel, Industrie, Acker-
bau, viel Interessantes über die Indianer, und besonders war
der Verfasser darauf bedacht, künftigen Reisenden, welche
die Pacific-Bahn, China, Indien &c. abgethan haben und
einmal im Innern von Süd-Amerika die Annehmlichkeiten
der Bootfahrt auf den stattlichen Flüssen und des Rittes
über die Andes geniessen wollen, alle nöthigen Fingerzeige
und Ratbschläge in die Hand zu geben. In dieser Bezie-
hung ist eine kleine zusammenfassende Tabelle über Dauer
und Kosten einer solchen Reise von allgemeinerem Interesse:
Strecken. Tage. Transportmittel. Kosten in Pfd, St,
_ jPas 35
Liverpool — Para . . . 12 Dampfer Per eek ch j Ausgabe 5
. Passage . 15
Para —San Antonio . . 13 n Persönl. Ausg. 5
Sold für 14 Mann auf
. 3 Monate . 85
San Antonio — Exaltscion 50 Kahn I derselben. 85
Persönl. Ausg. . 80
Exaltacion — Trinidad . 10 n ea. | des vorigen . 40
Triniidad— Coni . . . 18 n ca. $ desselben . 80
Miethe für 4 Maul-
Maulthier thiere und 1 Arriero 13%
Persönl. Ausgaben . 3
Coni—Cochabamba . . 7
Cochabamba — Sucre . 7 N) Verlust beim Kauf
Sucre — Potosi . 2 » und Verkauf von
Potosi— Oruro. 7 ” 4 Maulthieren . 50
Oruro—Taena . . 9 n Persönl. Ausgsben . 50
Tacnoa— Arica . . 1 Eisenbahn . . . 41
Arica — Panama .. 10 Dampfer Dampfer_ 353 soles
Panama — Aspinwall . 1 Eisenbabn |Eisendbahn 30
383 s. = 80
Aspinwall — Southampton 23 Dampfer \Persönl. Ausgaben . 50
Summe 170 616
Die Kosten sollen hierbei reichlich berechnet sein, man
kann nach des Verfassers Ansicht auch wohl mit 450 L
die ganze Reise bestreiten. — Wir entnehmen dem Buche
auch die folgende kleine Höhentabelle:
Engl. Fuss. Producte.
San Antonio, unterste Stromsehnelle. 250
Gusjarä Mirim, ı obere ‚Stromschnelle . 510 Zucker, Mais, ame,
Exaltacion Tabak, G andıioce,
Trinidad . . 800) Tabak, Oncao.
Coi . .. 950
Santa Cruz . 1615| Dieselben, ausserdem
Cristal Maio . 1920 Kaffee und Coca.
El Chaco.. . oo. 3250
Cuesta del Lina "Tambo . 6150
Inca Corral . . 7715
Los Jocotalee . . . .. 8000, Gerste und Kartoffeln.
Cuesta de Malägs . . 12560
Cochi-janchi . . . 10950
Dieselben, ausserdem
nn u ‘ 8450} Weisen und Obst.
ass bei Totors. . 11500
Totora. 11500) Gerste und Kartoffeln.
Misque 000) Weizen, Gerste &c., auch
Aiquile . 78501 Obst,
en . 6850
uiroge . . 7000 .
Rio Grande . 5925 Zucker, Mais &c.
Palca . . . 0.6800
Jaboncillo, Höhe der Cnesta 20.8615
Massa Cruz, » n ” 0.0. eo
Canto Molino . . > 2. . 7200
Husata, Fuss der Cuesta . 20.2. 8200 Gerste und Kartoffeln.
n „Höbe dr » .. ....10100
Sucre- ER 8000)
Nutschucce . - . 2 2 2°. ...8000 .
Bio Pilcomay0 . » - . . . . . 7000j Mais, Obst &c.
Pampa Tambo . . 20.0.0. 9850
Quebrada Honda, Höhe 200... 12000
n»n „Fuss . . . .. ..11200
Potosi . . 00. . 13500
Cerro de Potosi, Gipfel . 2. . 15500
Tarapays . . . >... 11200| Gerste und Kartoffeln bis
Yoalla . . 2020. . 11450 zur Höhe von
Cuesta de Leüss, Höhe 0 20.0. 14400| ca. 12500 Fuss.
Pampa de Aulisgas 200000... 12400
Poop . . . . ee... 12490
Oruro . . 00.20... 12530
Curahuara de Onrangas >00... 12890
Sajäma, Gipfel . - . 2» 2 0 0 .21470
Polar - Regionen.
In einer Zuschrift an die Wochenschrift „Nature” (1879,
Nr. 518) über seine im August d. J. unternommene Wan-
derung durch Island spricht @. F. Rodwell u. A. über die
Fortschritte, die im Laufe der letzten Jahre dort wahrzu-
nehmen gewesen sind. „Am auffallendsten ist der Fort-
schritt in Bezug auf die Wege. Noch vor wenigen Jahren
behauptete ein Schriftsteller, es gebe in Island keine Wege.
Gegenwärtig aber schreitet die Anlage von Wegen rasch vor-
wärts und schon giebt es ganz vorzügliche in grosser Aus-
dehnung. Natürlich meinen wir solche, wie sie einzig mög-
lich sind ohne grosse Opfer an Geld und Arbeit in einem
Lande, das aus einem einzigen grossen Vulcan besteht.
Fahrstrassen sind unmöglich, aber ausgezeichnete Reitwege
sind hergestellt worden und unterstützen bedeutend die
Schnelligkeit des Verkehrs. Ferner soll jetzt die erste
Brücke in Island gebaut werden, und zwar über den Olfussa,
wodurch eine bessere Verbindung zwischen Osten und
Westen hergestellt wird. Eine zweite Brücke will man
über den Thjorsa bauen. Vor einem Jahre wurde der erste
Leuchtthurm auf der Insel errichtet, und schon decken die
im Hafen von Reykjavik von den Schiffen bezahlten Leucht-
Geographischer Monatsbericht. 437
feuer-Abgaben beinahe die Kasten der Anlage. Auch denkt
man daran, zu Modrudalr im Nordwesten der Insel eine
landwirthschaftliche Schule zu gründen, so wie eine Rechts-
schule in Reykjavik, wo bereits eine theologische und eine
medicinische bestehen”,
Von einem Theil des südlichen Island, hauptsächlich
dem Flussgebiet des Skapta mit den nördlich und östlich
angrenzenden Gegenden bringt die „Geografisk Tidskrift”
(1879, Heft V und VI) eine Karte in 1:520000 als Illu-
stration zu 7%. Thoroddsen's ausführlichem Aufsatz über
einen vulcanischen Ausbruch vom Jahr 1783.
Die „Vega” hat am 9. October die Heimreise von Yo-
kohama angetreten.
Marinelieutenant Jensen und Cand. polyt. Xornerup sind
von ihrer geologischen Reise in Grönland am 14, October
nach Kopenhagen zurückgekehrt, wogegen ihr Begleiter
Marinelieutenant ZZammer den Winter über dort bleiben
wird.
Allgemeines.
Der grossartige Aufschwung der mit geographischen For-
schungen häufig so eng verbundenen evangelischen Heiden-
mission während unseres Jahrhunderts bildete das Thoma eines
Vortrags von Prof. Dr. Christlieb in der diessjährigen Gene-
ralversammlung der Evangelischen Allianz zu Basel !), Es
mögen daraus einige Zahlenangaben hier Platz finden. „Aus
den zu Ende des vorigen Jahrhunderts bestehenden 7. evan-
gelischen Missionsgesellschaften sind jetzt 70 geworden: in
Gross-Britannien 27, in Amerika 18, in Deutschland und
Basel zusammen 10, in Holland 9, in Skandinavien, Däne-
mark und Finnland 5, in Frankreich 1, in Waadtland 1,
und dazu kommen noch Tochtergesellschaften in Hawaii,
Madagaskar, Südafrika, Indien und sogar eine Grosstochter
der Bostoner Gesellschaft auf Ponape im Carolinen- Archi-
pel, die bereits selbständig missioniren. Damals gab es etwa
170 Missionare, heute 2500, wozu wenigstens 23 000 einge-
borene Hülfsarbeiter und gegen 1000 eingeborene ordinirte
Prediger kommen. Damals befanden sich vielleicht 50 000
bekehrte Heiden in Pflege der evangelischen Mission, jetzt
1650000 (310000 iu Westindien, 40—50000 in West-
afrika, 180000 in Südafrika, 260000 in Madagaskar, d—
500 000 in Vorder- und Hinter-Indien, 90000 im indischen
Archipel, 45000 in China, 270000 in der Südsee &e.) und
zeigt das Jahr 1878 allein einen Zuwachs, der grösser ist
als die Gesammtzahl der Übergetretenen zu Anfang des
Jahrhunderts, d. h. ca 60000 Seelen. Vor 80 Jahren be-
trugen die Gesammtbeiträge zur evangel. Heidenmission
noch lange nicht 1 Million M., heute ist die jährliche Ge-
sammteinnahme auf 24—25 Millionen M. (etwa das 5-fache
der gesammten römisch-katholischen Propaganda) gestiegen,
wovon auf Gross-Britannien etwa 14, auf Amerika 7, auf
Deutschland und die Schweiz 2—3 Millionen kommen. Vor
80 Jahren mag die Zahl aller evangel. Missionsschulen 70
nicht überstiegen haben, heute beträgt sie 12000 mit über
400000 Zöglingen. Zu Anfang unseres Jahrhunderts exi-
stirte die heil. Schrift in etlichen 50 Übersetzungen und war
wohl in nicht mehr als 5 Millionen Exemplaren verbreitet;
seit der Gründung der britischen und ausländischen Bibel-
gesellschaft (1804) sind in mindestens 226 Sprachen und
1) Evangel. Missions-Magazin, Basel, October 1879.
Potermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XI,
Mundarten neue Übersetzungen erschienen, nämlich der gan-
zen heil. Schrift ia 55, des N. Testaments in 84, einzeluer
Theile in 87 Sprachen, und beträgt seitdem die Gesammt-
verbreitung der Schrift und Schrifttheile etwa 148 Millio-
nen Exemplare. Davon ist die grosse Mehrzahl durch den
Dienst der evangel. Missionare zu Stande gekommen, die
seit etwa 70 Jahren nicht weniger als 60—70 literaturlose
Sprachen zu Schriftsprachen erhoben haben.
„Vergleichen wir die einzelnen evangel. Kirchen und
Länder in Bezug auf ihre Missionsleistungen, so steht Gross-
Britannien allen anderen voran und hier wiederum werden
die grossen Staatskirchen von den kleineren Frei-Kirchen
erheblich übertroffen, besonders in Schottland, wie denn
auch in Deutschland die Brüdergemeinde alle Staats- und
Landeskirchen weit überflügelt und die gar kein Staats-
kirchenthum kennenden Verein. Staaten vielleicht die regste
kirchliche Missionsthätigkeit aufzuweisen haben. Die deutsch-
lutherische Kirche, einst die Bannerträgerin des Evangeliums
in der Heidenwelt, ist seit 80 Jahren von ihren reformir-
ten Schwestern weit überflügelt worden und ist zu ihrer
erneuten Missionsthätigkeit meist von jenen erst wieder an-
geregt worden. Nehmen wir zu der Berliner, Leipziger,
Gossner’schen, Hermannsburger, Brecklumer auch noch die
5 nordischen lutherischen Gesellschaften und die Mission der
lutherischen Generalsynode in den Verein. Staaten hinzu,
so bleibt es eine merkwürdige Thatsache, dass heute nur
11 lutherische Missionsgesellschaften, darunter die Hälfte
noch ganz kleine, mit zusammen nur etwa 200 ordinirten
Missionaren, einer Zahl von 55 reformirten mit gegen 2000
ordinirten Missionaren gegenüberstehen, während 4 mehr
unirte, die Brüdergemeinde, die Basler, Barmer und Bremer
mit zusammen 350 Missionaren zwischen beiden die Mitte
halten. Es erreichen also heute alle lutherischen Missions-
gesellschaften zusammen noch nicht die Eine englisch-kirch-
liche au Zahl der Arbeiter (207) und an Einnahme (etwa
1200000 M. gegen 3800000). Ja, alle deutschen und
schweizerischen Missionen zusammen erreichen mit ihren
sämmtlichen Einnahmen noch nicht die Höhe einer einzigen
der drei grössten englischen Gesellschaften”.
A. E. Sesbert, Hauptlehrer an der k.k. Lehrerbildungs-
anstalt in Bregenz, der in seiner Schul-Geographie und in
seiner früheren Monatsschrift „Kleine Beiträge’ bereits sein
tüchtiges geographisches Wissen documentirt hat, giebt seit
October d. J. eine „Zeitschrift für Schul-Geographie” heraus
(Wien bei Alfr. Hölder, jährlich 6 Hefte zu je 3 Bogen
für 2 fl. 50 kr.), die sich zur Aufgabe stellt, die zerstreut
fliessenden Quellen, so weit sie für die Zwecke der Schul-
Geographie brauchbar, zu sammeln, methodische Fragen zur
Discussion zu bringen, die neueren Forschungen und Er-
gebnisse in gedrängter Darstellung mitzutheilen, in der
reichen Literatur ein ehrlicher und umsichtiger Führer zu
sein und an sie gerichtete Anfragen nach Möglichkeit zu
beantworten. Dem entsprechend findet man denn auch in
der ersten Nummer neben mehreren, hauptsächlich die Be-
handlung der Geographie in der Schule betreffenden Ab-
handlungen, eine Reihe verschiedener Notizen, literarischer
Besprechungen und die Beantwortung einiger specieller
Fragen.
Von Dr. @. J. Dosy’s Aardrijkskundig Weekblad hat am
14. October eine neue Serie begonnen. Der Verlag ist von
56
438 Geographischer Monatsbericht.
A. Egmond in Enkhuizen auf Munster & Zoon in Amster-
dam übergegangen, der Abonnementspreis in Holland selbst
von 4 auf 6 fl. für den aus 2 Bänden & 26 Bogen beste-
henden Jahrgang gestiegen. Die erste Nummer der neuen
Serie beginnt mit einer ausführlichen Besprechung von
H. Soyaux’ Buche „Aus West-Afrika” und enthält ausser-
dem verschiedene Notizen über Polarfahrten &o.
Aus Paris geht uns die erste Probenummer von einem
wunderlichen literarischen Unternehmen zu, das sich „‚Cor-
respondance graphique” oder auch „‚Comptes rendus scienti-
‚fiques” betitelt. Von einem M. Prosper Guyot, rue Va
vin 36, Paris, herausgegeben, besteht die Zeitschrift nach
der vorliegenden Probe aus einem durch lithograpbischen
Abklatsch hergestellten, 2 Quartseiten umfassenden Blatt,
das unter Beigabe einiger kleinen Foederzeichnungen über
Erfindungen, wissenschaftliche Unternehmungen und Ge-
sellschaften referirt. Wöchentlich 2 bis 3 Mal soll ein sol-
ches Blatt erscheinen. Grosses Gewicht wird im Prospect
auf die rasche Berichterstattung über die Sitzungen der
Pariser Akademie gelegt, doch liest man deren Sitzungs-
berichte sehr pünktlich im Journal officiel, ohne einen so
enormen Preis dafür zu zahlen, denn für das in seinem
Äusseren recht dürftige Blättchen soll man monatlich 30,
vierteljährlich 75 frcs. zablen.. Das Geographische der er-
sten Nummer beschränkt sich auf eine ganz elementare
kleine Notiz über Duponchel’s Project einer Sahara-Eisen-
bahn mit einem erbärmlichen Kärtchen.
Seit vielen Jahren ist das stets ersehnte Journal of the
R. Geographsical Society nicht so spät im Jahre erschienen
als diessmal und eben so ist sein Inhalt seit lange nicht
so mager gewesen als der des 48. Bandes. Die Erklärung
dafür liegt wohl nahe. Die „Proceedings” nehmen in ihrer
neuen erweiterten Form als „Monthly Reoord of Geography”
das meiste Material, welches der Gesellschaft zufliesst, für
sich in Anspruch, namentlich bringen sie eine Menge Kar-
ten, die früher für das Journal reservirt wurden, und so
beeinträchtigen die „Proceedings” gegenwärtig in etwas den
Werth des Journals. Bei dem raschen Anwachsen der geo-
graphischen Reisen und Forschungen wird indessen bald
auch für das Journal so reichlicher Stoff verbleiben, dass
es seinen bisherigen Bänden wieder ebenbürtig wird, und
abgesehen davon erfreut sich jeder Arbeiter auf geogr.
Felde an der gegenwärtig durch die „Proceedings” bewirk-
ten rascheren Veröffentlichung so vieler in London als dem
natürlichen Centralsitz der Geographie zusammenströmender
Berichte und Karten. Damit soll nicht gesagt sein, dass
der neue Band des Journals wenig zu bedeuten habe, wir
sind nur durch seine Vorgänger so sehr verwöhnt, dass
uns der verhältnissmässig spärliche Inhalt stark auffällt;
im Gegentheil findet man auch diessmal ungewöbnlich Werth-
volles darin. Vor Allem muss die Arbeit von Capt. W. J.
Gill über seine Reise durch Sze-tschuen, Ost-Tibet und
Yünnan nach Bhamo in Barma: 1877 (s. Peterm. Mitth. 1878,
8. 114) hervorgehoben werden, da die Reise vielfach neuen
Boden berührt und der Beschreibung ein ausführliches Iti-
nerar, zahlreiche Höbenmessungen und eine specielle Routen-
karte in 1:1774000 beigegehen wurden. Eine zweite
Karte, Ost-Turkistan mit dem umgebenden Gebirgskranz in
1:2000000 begleitet Capt. Trotter’s Aufsatz über die For-
syth’sche Gesandtschaftsreise nach Kaschgar (1873—74):
eine dritte enthält die Route des Geometers A. C. Bailie
von Barkly am Vaal-Fluss über Schoschong nach (Subulu-
wayo in Südafrika, und die vierte, zu einem Aufsatz des Prof.
Veth gehörende führt die 1877 von dem holländischen
Dampfer „Egeron” entdeckte Meeresstrasse durch Timor
Laut vor (s. Peterm. Mitth. 1878, 8. 238). Ausserdem
enthält der Band Originalberichte über H. Seebohm’s Reise
nach dem Jenissei, über die geographischen und öconomi-
schen Verhältnisse von Transvaal, der neuen britischen Pro-
vinz in Südafrika, von F. B. Fynney; über St. Vincent
Erskine’s dritte und vierte Reise in Gaza, dem Lande zwi-
schen Delagoa -Bai und Zambesi, 1873—75 (s. Poterm.
Mitth. 1878, S. 242); über Haiti von dem dortigen briti-
schen Ministerresidenten Major Stuart; über J. A, Skert-
chly’s Besuch der Goldfelder von Wassaw in Westafrika;
über Capt. C. Warren’s Reise von den Goldfeldern bei
Leydenburg in Transvaal nach der Delagoa-Bai, und schliess-
lich eine Abhandlung von E. D. Morgan nach russischen
und anderen Quellen tiber die alten Betten des unteren
Oxus. Selbstverständlich sind wie immer das Mitglieder-
verzeichniss, der Rechenschaftsbericht und die vorjährige
Präsidenten-Adresse den geogr. Aufsätzen vorgedruckt.
Die Verlagsbuchhandlung von W. Spemann in Stuttgart
hat die ersten Lieferungen eines neuen geographischen Haus-
buches versendet, welches „die Erde und ihr organisches
Leben” betitelt und von Dr. Xlesn und Dr. 7homd bearbeitet,
ein Seitenstück zu v. Hellwald’s „Die Erde und ihre Völ-
ker” bilden soll. Wie dieses wird das neue Buch durch
populäre Darstellung und gute Illustrationen sich Eingang
in weitesten Kreisen suchen, dabei aber das meiste Gewicht
auf die physische Geographie legen. Das Werk soll in
50 Lieferungen von 2 bis 3 Bogen und alle 8 bis 14 Tage
eine Lieferung zu 50 Pf. erscheinen.
E. Behm.
RL LE
Geographische Literatur.
ASIEN.
Acheen. Beiträge zur Kenntniss der Witterungsbeschaffenheit an den
Küsten von —-— (Achin.). Sumatre. (Annal. d. Hydrogr. 1879,
Nr. 4, 8. 186—188.)
Adams, W. H.: In the far East: a Narrstive of Exploration and Ad-
venture in Cochin China, Cambodis, Laos and Sism. 12°, 210 pp.
London, Nelson, 1879. 2 sh.
Adan, E.: L’Afghanistan, apergu göogr. (Bull. Soc. G6ogr. dann
1879, No. 5, p. 308—320. 1 Kte.)
Alemän, J.: Breve descripciön de la isla de la Paragus, en el Archi-
pi6lago Filipino. (Bol. Soc. Geogr. Madrid. 1878. V, No. 8, p. 168
— 177. 1 Kite.)
Anderson, J.: Anatomical and zoological researches comprising an ac-
count of the zoological results of the two expeditions to Western
Junnan. Imp.-4°. 89 Tfin. London, 1879. 170 sh.
Annem. Mö&moires d’un voyageur chinois dans l’empire d’
duit par L.Leger. (Recueil d’Itiner. dans l’Asie Contr.,
— — Courtes informations sur l'’empire ’ ——
— 162.)
Asie Centrele. Recueil d’Itinsraires ot de Voyages dans I’ — - et
l’extröme Orient. 8°, 380 pp., mit 1 Kte. Paris, Leroux, 1878.
‚tra
p. 683 —133.)
(eodem p. 132
Literatur.
Atkinson, E. T.: Statistical, Descriptive and Historical Account of the
NW Provinces of India. 4 Vols. 8°, p. 640 + 640 + 750 + 868.
Allahabad, 1878. 44 sh.
Ayuso, F. G.: Ei Afghanisten. 8°, 254 pp., mit 1 Kte. Madrid, Mu-
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Baber, C. E.: Compte rendu da rapport de sur la Route entre
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to Bass harbour, Malacca strait entrance, including Salang or Junk-
seylon island. (No. 842.) 2 sh. 6 d. — — Entrance to Maulmain
(Salween) river and Amherst roadstead. (No. 1845.) 1 sh. 6d. Lon-
don, Hydrogr. Off, 1879.
Bengale. Riviöre de Rangoon. (No. 3650.) — — Baie de Coringa
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orientale de --.] (No. 3656.) — — Mouillage de la point Dwart,
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Bhaunagar, Jetpur, Baroda &o. — 84 NW u, 34 SW, Parts of Distriots Ajmere
and Mbairwara &c — 52 SW, Parts of Gwallor, Jhalawar &c. — 72 SW
Parts of Nagpur and Wurdah — 90 BW, Parts of Mandla Bilaspur &e. — 95
NE, Point Narsapur — 95 NW, Part of Distr. Kistna — 124 NE, Parts of
Distr. Nowgong and Durrung &c. — 184 NW, Parts of Distr. Goalpara, Kam-
roop &c. — 125 NW, Parts of Khasi and Garo Hills — 130 NW, Parts of
Distr. Durrung, Sibsagar &o.
Great Trigonometrical Survey of Indis: Kumaun and Brit. Garhwal
1 :63 866. Sh. 29, 30, 31, 36, 37 — — Dehra Dun and the Biwaliks, 1: 15840
Sh. 23. --— Jaunsar Bawar, Distr. Dehra Dun 1:31680. Sb. 3 — — Guzerat.
1:63366. Sh. 29 Parts of Kaira, Panch Mahals &o. — 30 Parts of Baroda,
Brosch and Rewa Kanta — 31 Parts of Brosch Distr. &e. — 82 Parta of Ahmeda-
bad Distr. &.. — — 1:15840. Sh. 91 Beet. 1. Parts of Broacb and Amod Ta-
lukas &c. — SBect. 2 Parts of Broach Taluka &c,
Topographical Survey: Rajputana. 1:31680. Half Degree No, XI, North
and Sonth. Sh 70—77 Parts of Jodhpore, Bickaneer and Saikhawatl. — — NE
Division Central Provinces. 1:63366. Sh. 33 Portions of Baisghat and Be-
laspur. — 34. Portion of Balaghat. — 36. P. of Maudla. — 41 u. 42 P. of Ba-
laghat. — — Central Provinces and Vizagapatam Agency. 1: 63366. New Se-
ries. Sh. 11. Parts of Jeypur, Bindra-Nawagach and Bastar. — 33. Parts of
Distr. Raipur, Kanker, Bastar and Jeypur. — 32, 34, 55. Parts of Bastar and
Kanker. — 36, 38, 66, 57, 58. Parts of Bastar. — — Ganjam and Orlssa.
1:63 866. Old Series. Sb.56 and 57. Parts of Kimidy, Bodogodo and Jeypoor. —
76. Parts of Kalabandi, Jeypur and Kimidi. — 79. Parts of Distr. Raipur and
of Bindra — Nawaghar and Khariar — Khandeah and Bombay Native States,
Sh. 4 u. 18. Part of Khande:h — 25. Parts of Indore, Dhar, Gwallor &a. —
36. Parts of Ali-Rajpur, Chota Udepor, Kathiwar and Jobat — 28. Parts of
All-Rsjpur, Chota Udepur, Mathwar, Kbandesh, Barwani and Garh.
Revenue Survey: Lower Provinces: Distr. Dinajpoor. 1:63 366. Sh. 7, 9,
10, 12, 18, — Distr. Fureedpoor Sh 1, 2, 3, 5. — Distr. Rungpoor, Sheet Index,
1:506988. — Distr. Sonthal Purgunnaho. 1:380 196. — Civil Station and
Cantonment of Silchar. 1:10560. — — NW Provinces: Distr. Hamirpoor.
1: 63366. No. 3 — 12. — — Oudh: 1:253464. Distr. Buoraltch — Distr. Khe-
ree — Distr. Purtabgurt. — — Punjab: Distr. Rohtak. Preilminary Map and
Sheet Index. 1:15 840.
Bombay Presidency: Postal Map. 1878 — Ahmedabad City — Panch Ma-
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Die ägyptischen Äquatorial- Provinzen.
Reisen im Westen des Weissen Nil.
Von Dr. W. Junker.
(Nebst Karte, s. Tafel 23.)
Bis zum Jahre 1877 waren bekanntlich die arabischen
Länder von den im Laufe der früheren Jahre, theilweis
unter Sir Samuel Baker, für die ägyptische Regierung
annectirten Negergebieten, in der Administration geschieden.
Ismail Pascha Ajub residirte als Generalgouverneur des
arabischen Sudän in Chartum, während Gordon Pascha, bei
seiner rastlosen Thätigkeit die schwierigen administrativen
Verhältnisse in den äquatorialen Negergebieten zu ordnen,
diesen als Gouverneur vorstand. Als Grenzlinie der bei-
den mächtigen Ländergebiete konnte im Westen der Bahr
el Ghasäl, im Osten der Fluss Söbat angesehen werden.
Die Vereinigung des ganzen Landgebietes am Schlusse
des Jahres 1876, seit welcher Zeit Gordon Pascha, mit
der Residenz Chartum, als unumschränkter Generalgouver-
neur des ägyptischen Sudan und der äquatorialen Provin-
zen vom Vicekönig eingesetzt wurde, erschien in jeder
Beziehung als zweckmässige Änderung. Nicht allein, dass
dadurch die frühere doppelte Verwaltung vereinfacht wurde,
sondern es wurden Gordon Pascha erst jetzt die Möglich-
keit und die Mittel in die Hand gegeben, verbreiteten und
eingewurzelten Missständen thatkräftig und energisch ert-
gegenzutreten.
Mit Berücksichtigung der bestehenden Verhältnisse wird
es zur Unterdrückung des Sclavenhandels niemals genügen,
allein die Ausfuhr der Sclaven aus den Negerstaaten zu
bewachen, wenn nicht zugleich energische und leicht durch-
zuführende Maassregeln hülfreich zur Seite stehen, welche
die Einfuhr derselben in die nördlich angrenzenden arabi-
schen Länder hindern. Die Möglichkeit, eine nachhaltende
und wirksame Thätigkeit in Beziehung der Sclavenfrage
zu entfalten, erhielt Gordon Pascha aber erst als Macht-
haber über die arabischen Länder Kordofan und Dar-For,
von wo aus die Hauptkarawanenstrassen über Schökka und
Höfrat-el-Nhäss, aus dem Bahr el Ghasal-Gebiete in die
nördlichen Länder einmündend, einer nöthigen Überwachung
unterworfen werden konnten, wäbrend es unendlich viel
schwieriger war, im eigentlichen Bahr el Ghasal-Gebiete,
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XII.
den bestehenden Verhältnissen Rechnung tragend, eine
nachwirkende und erfolgreiche Überwachung zu organisiren.
Unendlich viele Wege, die erst weiter nördlich in die
Hauptkarawanenstrassen einmünden, viele kleine Seriben, die
den Sclaventransporten als Schlupfwinkel dienten, eine
Anzahl im Gebiete Ansässiger, um nicht zu sagen Alle,
die, den eigenen Vortheil im Auge, dem verbrecherischen
Treiben der Händler hülfreiche Hand boten, selbst eine
Anzahl einheimischer Negerhäuptlinge, die bis zum defini-
tiven Export in die nördlichen Länder den Händlern
Helferdienste verrichteten — sind Factoren, mit denen bei
Beurtheilung der Unterdrückung des Sclavenexportes aus
dem Bahr el Ghasal-Gebiete gerechnet werden muss. Welch’
günstigeren Umschwung die Sclavenfrage nach der Verei-
nigung der beiden Provinzen genommen hat, nachdem die
ganze Verwaltung allein in die energische Hand von Gor-
don Pascha gelegt ist, beweisen die jüngsten erfolgreichen
Errungenschaften von Gessi.
Eintheilung der äquatorialen Provinzen, resp. der
ägyptischen Negerstasten in administrativer
Besiehung.
Bei dem ausgedehnten Gebiete und den verhältnissmäs-
sig schwierig zu unterhaltenden Verbindungen der einzel-
nen im Laufe der Jahre in den ägyptischen Negerländern
errichteten Stationen (Seriben) zur Wahrung ägyptischer
Interessen, ist das ganze unter ägyptischer Botmässigkeit
stehende Negergebiet, abgesehen von Herkunft und Stamm-
verwandtschaft der einheimischen Völkerschaften, in ein-
zelne Bezirksverwaltungen eingetheilt. Rechnen wir einige
im nördlichen Gebiete liegende Stationen, von denen die
Station Sobat ein Verbindungsglied des arabischen Sudan
mit den weit südlich abliegenden Negerländern darstellt,
ferner die Station Naüssir, am Flusse Sobat weiter nach
Osten gelegen, seit dem Herbste 1876 übrigens wieder als
Station aufgegeben, ab —, so ist oder war zur Zeit meiner
Reisen in den äquatorialen Provinzen das Gebiet in vier
67
446 Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
Verwaltungsbezirke (Mudirfeh) getheilt, über die ein Be-
zirksvorsteher (Mudir) mit dem Sitz in einer der Haupt-
stationen des betreffenden zum Bezirke gehörenden Gebie-
tes gestellt ist, während den übrigen Stationen oder Seriben
je ein Verwalter (Wekfl) oder Nässir (Unterverwalter),
abhängig vom Mudir der betreffenden Provinz, vorsteht.
Die erwähnten Verwaltungsbezirke sind wie folgt:
1. Mudirieh Ladö: umfasst alle die von der Station Bor
südlich am Bahr el Gebel liegenden Stationen einschliess-
lich der Seriben in Latüka, südlich hinab bis Mrüli, also
den südöstlichsten Bezirk der ägyptischen Äquatorial-Pro-
vinz. Zur Zeit steht Emin Bey der ganzen Provinz als
Gouverneur vor.
2. Mudirich Makarakd. — Sitz des Verwaltungsbezirkes
ist die Seriba Wändy. Die Verbindungsstrasse zwischen
dem Bahr el Gebel und dieser westlich liegenden Provinz
führt von Lado durch das Bäri- und Niambara-Gebiet di-
rect zu W. Die beigegebene Specialkarte umfasst diesen
Verwaltungsbezirk mit dem südlich angrenzenden Länder-
gebiete. In den einzelnen Theilen von mir bereist, bleibt
dieses Gebiet Hauptgegenstand folgender Erörterungen.
3. Mudirseh Rohl. — Sitz des Verwaltungsbezirkes ist
die Seriba Rumbekh, alte Seriba Malzao, westlich vom
Flusse Rohl gelegen. Die Verbindungsstrasse zwischen dem
Bahr el Gebel und dem Verwaltungsbezirke Rohl führt von
der Station Ghäba-Schambäh, zum Bezirke Rohl gehörig,
westlich nach Dufälla am Rohl. Ausser einer Reihe klei-
ner Seriben am Rohl aufwärts bis zum Makaraka-Gebiete
werden auch noch vereinzelte Stationen im Monbuttu-Lande
vom Regierungsbezirke Rohl verwaltet,
Östlich vom Rohl, am Unterlaufe des Flusses Jei, lie-
gen zwei Seriben, Amadi und Büfi, die gleichfalls von die-
sem Verwaltungsbezirke abhängig sind. Diese Ortsverhält-
nisse, die ich hier nur der Vollständigkeit wegen beiläufig
erwähne, sollen später bei anderer Gelegenheit mit Beigabe
einer Übersichtskarte nähere Erörterung finden.
4. Mudirich Bahr el Ghasal. — Dieses ganze Gebiet war
nach der Monopolisirung des Elfenbeinhandels, mit welcher
auch die Seriben der früheren Händler in Regierungsbände
übergehen sollten, bis zum Jahre 1877 eigentlich verschlos-
sen geblieben, und die Verwaltungsverhältnisse waren bis
zu jener Zeit noch nicht endgültig geregelt.
So lagen die Verhältnisse der äquatorialen Provinzen
zu der Zeit, als ich die Länder Ende 1876 betrat und im
Jahre 1877 bereiste. Doch schon während dieser Zeit und
nach meiner Rückkehr nach Chartum wurden in der Admi-
nistration Änderungen vorgenommen. Nach der Ende 1876
erfolgten Abreise von Gordon Pascha nach Ägypten und
Europa leitete Prout Bey für kurze Zeit in Lado die obe-
ren Verwaltungsangelegenheiten aller Provinzen. Mason
Bey, nicht eigentlich in der Verwaltung, explorirte den
Albert Nyanza, während Graf Armfeld, gleichfalls nach
kurzer Anstellung wie die übrigen, Lado und den Sudan
wieder verliess. Ibrahim Fausi, ägyptischer Offizier und
früher längere Zeit Ortsvorsteber auf der Station Bor, er-
hielt im Jahre 1877 den Befehl, die Verhältnisse im Bahr
el Ghasal-Gebiete zu ordnen, wo ich mit ihm im Monat
September 1877 zusammentraf. Bei meiner Rückkehr aus
Makaraka nach Lado im Februar 1878 war er zum Gou-
verneur dieses Verwaltungsbezirkes bestimmt. Doch bereits
nach einigen Monaten, kurz nach meiner Abreise nach Eu-
ropa, musste er, von seiner ehrenvollen Stellung abberafen,
einen gezwungenen Aufenthalt in F'aschöda nehmen.
Während dieser Zeit war Emin Efendi, jetzt Emin Bey,
zweimal in besonderer Mission in Ugända bei König Mtesa
gewesen und wurde bei meiner Rückkunft nach Chartum
und nach Abberufung von Fausi als Gouverneur des Ver-
waltungsbezirkes Lado eingesetzt. Noch bevor ich den
Sudan verliess, wurden die Mudiriehen Makaraka und Rohl
zusammengezogen und der alleinigen Verwaltung Jussuf Bey’s,
bis dabin nur Mudir des Verwaltungsbezirkes Rohl, über-
lassen, während Bahid Bey, bis dahin Mudir von Makaraka,
abberufen wurde. Gessi trat zu jener Zeit, vereint mit
Jussuf Bey, seine Reise in das Bahr el Ghasal-Gebiet an,
wo er, laut den letzten Nachrichten, seine Mission in so
ehrenvoller Weise beendet hat und jetzt als Gouverneur
dieser Provinz eingesetzt worden ist.
Die Mudirieh Makaraka.
In Folgendem gebe ich mit Berücksichtigung der bei-
gegebenen detaillirten Karte eine nähere Beschreibung des
Mudirieh Makaraka, des Verwaltungsbezirkes, den ich wäh-
rend meines Aufenthaltes in den äquatorialen Provinzen in
verschiedenen Richtungen bereiste,
Grenzen. — Der Verwaltungsbezirk Makaraka, im Westen
des Niambara-Gebietes gelegen, wird vom 5. Breiten- und
dem 30. Längengrade durchschnitten. Nur annähernd lassen
sich die Grenzen desselben angeben, die, wie in allen sol-
chen Negergebieten, dort aufhören, wo die Eingeborenen,
einestheils begünstigt durch schwerer zugängliche Terrain-
verhältnisse, andererseits dadurch, dass sie weiter vom Ver-
waltungscentrum abliegen, sich den Maassregeln, die ihnen
die Verwaltung auferlegt, entziehen können. Die Ausdeh-
nung des ganzen Gebietes mag in beiden Richtungen von O
zu W, wie von N zu 8 einen Grad betragen, und könnte
es, aber willkürlich, im Osten durch den Fluss Bfbja, im
Westen durch den Fluss I’ssu begrenzt werden. Im Nor-
den wird die Grenze südlich der Seriba Gos& zu ziehen
sein, welche bereits zur Mudirieh Rohl gehört. Im Süden
erstreckt sich der Einfluss der Verwaltung kaum über die
Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
Bergkette hinaus, die südwestlich der Seriba Ndirfi noch
im Gesichtskreise derselben zieht.
Ausserbalb dieses Gebietes gehört noch die Seriba im
Niambara-Lande mit einigen umwohnenden Niambara-Häupt-
lingen, in der Thalebene zwischen dem Mire- und Rego-
Gebirge, zum Verwaltungsbezirke Makaraka. Sie wurde
kurze Zeit vor meinem Eintreffen im Lande als Stützpunkt
für die von Westen nach Osten ziehenden Elfenbeinkara-
wanen in dem im Übrigen der Regierung feindlich gesinn-
ten Lande angelegt. So viel ich von demselben bei dem
Durchzuge von Osten nach Westen gesehen, führe ich
später bei Erörterung der topographischen Verhältnisse
näher an.
Bevölkerung. — Das erwähnte Makaraka-Gebiet wird jedoch
nur zum kleinsten Theil von Makaraka - Leuten bewohnt,
nach denen gewohnheitsmässig, da sie sich im Laufe der Zeit
für Regierungszweoke, Trägerdienste &o. am zuverlässigsten
gezeigt haben, der ganze Verwaltungsbezirk benannt wird.
Einheimisch und entschieden länger ansässig im Lande sind
eine ganze Reihe von Volksstämmen, theils in Sprache, Sitten
und Gebräuchen verschieden, die wahrscheinlich in früheren
Zeiten mächtigere Negerstämme waren, heute an Zahl zusam-
mengesohmolzen, in Enclaven über das ganze Gebiet ver-
theilt sind. Es sind dieses die Lfiggi, Fadjellü, Abukdja,
Abak&4, Mundü oder Mondü, Morü und Kakudk. Die Makaraka-
und Bombe-Stämme der anthropophagen Niäm-Niäm sind vor
kaum 40 Jahren aus dem fernen Westen, angeblich aus
dem Gebiete von Käna und Kifa, nördlich vom Flusse
Uelle gelegen, bei inneren Wirrsalen und beständigen Feind-
seligkeiten in ihrem eigenen Lande, nach Osten ausgewan-
dert und leben nach vielen Kriegen und Raubzügen, die
sie bis in das Niambara-Gebiet und südlich in das Land
der Kakuäk unternahmen, jetzt friedliebend in Mitte ihrer
Nachbarn. Ein so buntscheckiges Gewirr von Fragmenten
verschiedener Völkerschaften, die sich bis zu der Zeit, wo
die ersten Elfenbein- und Sclavenhändler in das Land kamen,
gegenseitig aufzureiben drohten, wodurch es andererseits
den muhammedanischen Eindringlingen leichter wurde,
festen Fuss zu fassen und die Einheimischen dienstwillig
su machen, — ist wohl kaum auf verhältnissmässig so be-
schränktem Gebiete wie bier, anderenorts auf bekanntem
Territorium des afrikanischen Continents wiederzufinden.
Die Gründung von Centralisationspunkten der Elfenbein-
und Solavenhändler bewirkte, dass bei der im Laufe der
Jalıre friedlicher gewordenen Stimmung der verschiedenen
Völkerschaften ihre früher schärfer geschiedenen Gebiets-
grenzen allmählich fielen, und dass sie jetzt, vielfach zerstreut
im Lande, in Gruppen unter einander wohnen. Obgleich
für den Kern der Bevölkerung eines jeden Stammes ein
bestimmter Gebietsdistriot anzugeben ist, so haben sich an-
447
dererseits in der Nähe der Regierungsstationen Colonien
fast aller erwähnten Stämme angebaut. Selbst B4ri und
Niambara nicht ausgenommen, die, sei es in Hungerjahren
in ihrem eigenen Lande oder bei sonstigen Gelegenheiten,
sich den heimkehrenden Trägeroolonien in Lado oder
Niambara anschliessen, oder von den Verwaltungsbeamten
zur Colonisation nach Makaraka mitgenommen werden.
In dem oben erwähnten Sinne haben die Lfggi den öst-
lichsten Theil der Provinz, das Territorium zwischen den
Flüssen Jei und Bibja, inne, während die Mord sich ihnen
nach N und NW anschliessen und die Ufer des mittleren
Laufes des J&i bewohnen. Ihr Gebiet zieht sioh noch wei-
ter über die früher angegebene Grenze im Norden hinauf,
doch sind ihre nördlichen Stammesbrüder den Verwaltungs-
behörden nicht dienstwillig gestimmt. Im Süden der Liggi
sind die Fadjellü sesshaft, denen sich noch weiter südlich
am Flusse Jei die Kakuak anschliessen, von denen jedoch
nur die nördlichen, den Verwaltungscentren näher wohnen-
den Häuptlinge mit ihren Gemeinden, sich den Beamten
willfährig zeigen. Westlich vom Fiusse Jei und den Fad-
jellü leben die Abukdja, die sich als Abukdja oigiga, die
eben erwähnten, und Abukaja oisfla unterscheiden. Diese
haben ein Gebiet im Norden der Provinz inne westlich
von den Mord. Von den Abukdja oigiga zu West und
Nord schliessen sich die Mundd an, von denen jedoch auch
ganze Colonien in nördlicheren Districten des Gebietes am
Flüsschen Babälla, in der Umgebung der früheren Seriba
Fadl Allah, ferner geschaart um einen ihrer Häuptlinge
Kuddrma am Flusse Afre, wohnen. Ihr Gebiet reiht an
die äusserste Südwestgrenze der Provinz, und liegen viele
Weiler derselben bereits jenseit der grossen Wasserscheide,
die das Nilbeoken vom Udlle-System trennt, nämlich an
Flüsschen, wie die A’kka, die Garämb, welche ihr Wasser
nach Süden in den Kibbi (Kfbali Schweinfurth’s, Tributär
des Uelle) senden. Nach Norden zu schliessen sich den
Mundü die Abak& an, deren westlichsten Weilergruppen an
den Tributären des Flusses Issu liegen.
Umgeben von allen diesen Stämmen, gleichsam im Cen-
tram der Verwaltungsprovinz, im Vergleich zum ganzen
Gebiete jedoch, auf verhältnissmässig beschränktem Raume
ausgebreitet, leben die Makaraka und Bombe. Jene wohnen
hauptsächlich an den Bächen des Törre, der dem Jei tri-
butär ist, während die Weiler dieser sich in der Niederung
des Flüsschens Mönse, gleichfalls tributär dem Törre, ausbrei-
ten, jedoch gebört nur ein geringer, der erwähnte Theil
der Bombe, zum eigentlichen Verwaltungsbezirke Maks-
raka. Viele Weiler ihrer Stammesbrüder liegen gleichfalls
an Tributären des Udlle-Systems, südwestlich der Mundu
und Abukdja oigiga. Die Elfenbeinkarawanen aus dem Lande
der Monbüttu, dem Rohl entlang ziebend nach Dufälla,
87°
448 Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
kreuzen ihr Territorium und unterhalten mit ıhnen relativ
freundschaftliche Beziehungen.
Administration. — In diesem in ethnographisch-anthro-
pologischer Beziehung mosaikartig vertheilten Gebiete, wel-
ches einem ewigen Geschiebe und beständiger Dislocation
der darauf Ansässigen unterworfen ist, haben sich die
arabischen Händler, wie erwähnt, seitdem sie in die obe-
ren Nilregionen vorgedrungen sind, durch Gründung ven
Seriben festgesetzt. Sie dienten als Operationsbasis zur
Ausnutzung des Landes, zum Erwerb von Elfenbein und
Sclaven.
Als solche erste Niederlassungen der Araber, heute
ohne Spur einer einstigen Existenz, sind die Seriben von
Agät und seiner Verwalter und die Etablissements der
Petherick’schen Agenten zu erwähnen.
Überall unter diesen Breiten sind die leichten Auffüh-
rungen der Behausungen einem raschen Verfalle unterwor-
fen, unterstützt durch Milliarden des kleinen Bohrkäfers
(bostrichus), durch Termitenfrass und tropische Gewitter.
Solche Ortschaften werden, anstatt sie beständig zu reno-
viren, zugleich um neuen jungfräulichen Boden für die
umliegenden Culturen zu gewinnen, verlegt. Aus diesem
Grunde ist die genaue Feststellung solcher Orte in karto-
graphischer Beziehung von nur untergeordnetem Werthe.
Nach wenigen Jahren bereits bezeichnen den Platz einer
früber wohlgeordneten Niederlassung höchstens einige aus
der Erde aufragende, im Kreise gestellte Pfähle und immer
wieder frisch aufschiessende Samenkörner einiger Cultur-
pflanzen, Anzeichen, die mit der Zeit von üppiger tropi-
scher Grasvegetation überragt und verdeckt werden. So
z. B. ist die erst vor einigen Jahren von Marno und Long
besuchte Seriba Fadl Allah der Karte (Poterm. Mitth. 1875)
annähernd 20 km nach S etwas zu W verlegt, während
die Seriba Wändy in der Zeit meines Aufenthaltes in Ma-
karaka etwas über 1 km nach Osten an den Jei dislocirt
wurde. Aus vorstehenden Gründen fand ich auf allen mei-
nen Reisen in den Negerländern nur sehr wenige der von
Dr. Schweinfurth angegebenen Seriben an den früberen
Stellen wieder, von denen, beiläufig erwähnt, die Seriba
Rumbehk in der Mudirieh Rohl, alte Seriba Malzac, und
die grosse Seriba Djur Ghättas, wo Dr. Schweinfurth bei
seiner denkwürdigen Reise in die südlichen Länder das
Ende der Regenzeit abwartete, eine Ausnabme machen.
Als vor Jahren der Elfenbeinhandel Monopol der Re-
gierung wurde, gingen auch die zur Zeit im Makaraka-
Gebiete — um diesen Ausdruck als Collectivbegriff, ein-
schliessend die angrenzenden Kleinstaaten, beizubehalten —
bestehenden Niederlassungen in die Hände der ägyptischen
Beamten über.
Zur Zeit meines Aufenthaltes im Lande bestanden:
1. Die Hauptstationen Wändy, Sitz des Mudir Bahid
Bey und seines Verwalters (Wekil) Achmet Atrüsch Bey.
Die Station liegt in dem Winkel der Einmündung des
Törre ın den Jei, wurde, wie bereits erwähnt, später dem
Jei näher gebracht. In der nächsten Nähe derselben sind
Möru und Lfggi ansässig.
2. Station Makaraka ssehafr (Klein-Makaraka) oder, nach
dem Verwalter genannt, Seriba Achmet Agha Achuän,
liegt 20 km westlich von der Seriba Wändy auf dem Süd-
ufer des Flusses Törre. Sie befindet sich im eigentlichen
Gebiete der Makaraka.
3. Station Kabajendi oder A’kbajendi, auch wohl Maka-
raka Kebir (Gross-Makaraka) oder nach dem früheren, zu
meiner Zeit verstorbenen Verwalter, Seriba Fadl Allah ge-
nannt. Gleichfalls 20 km von Aohmet Agha zu West lie-
gend, ist sie, wie erwähnt, aus der früheren weiter zu Nord
gelegenen Position hierher übergeführt worden. Sie liegt
am Nordufer des Chor Mense, gleichfalls im eigentlichen
Makaraka -Gebiete. Nach dem Tode Fadl Allah’s blieb
Richän Agha allein als Verwalter zurück.
4, Station Rimö mit dem Nässir (Unterverwalter) Ab-
dällah Abu-Sdd am Flusse Geli. Die Station liegt 45 km
südlich von Wandy.
5. Station Ndirfi (Nassir Käfi), 30km westlich von Rim6
gelegen.
Jeder von diesen Stationen sind eine bestimmte An-
zahl Negerhäuptlinge, abhängig von dem Verwalter der-
selben, zugesprochen, die den Befehlen des Verwalters und
seinen Sendboten zu gehorchen haben. Jeder einzelnen der
fünf Stationen in der Mudirieh Makaraka sind 50—75 don-
golaner Soldaten von den irregulären Truppen und wohl
eben so viele Dragomane beigegeben, während auf den drei
ersten Stationen zu meiner Zeit ausserdem noch auf jeder
30 ägyptische Soldaten der regulären Truppen, bewaffnet
mit Remington-Gewehren, sich befanden, die übrigens nach
meiner Abreise aus dem Gebiete zurückgezogen wurden.
Ausser diesen grösseren Stationen sind an verschiede-
nen Stellen der Provinz theils Dongolaner, theils einhei-
mische Dragomane ansässig gemacht, um den Befehlen des
Verwalters der nächsten Station an einzelne Negerhäupt-
linge durch persönliche Gegenwart mehr Nachdruck zu
geben, d. h. die Befehle in Ausführung bringen zu lassen,
und die Ernten und jährlichen Abgaben von denselben zu
überwachen. Zu diesem Zwecke werden ausserdem, nach-
dem die Ernte eingeheimst, auf vorübergehende Zeit Drago-
mane in verschiedene Weiler geschickt, um die auferlegten
Tribute von Getreide, falls nöthig, zu erzwingen.
Von den Einzelstationen zur Unterstützung der Ver-
walter führe ich an: Degöös, nördlich von Ndfrfi;, Hassan
Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen. 449
im Kreise Tomaj&’s westlich von Kabajendi; I’brahim bei
Lofoke, westlich der alten Seriba Fadl Allah’s; Einzel-
station bei dem Mundü-Häuptlinge Kudürma am Aire;
Konf6 bei dem Abakd-Häuptlinge Babira &e.
Topographie. — Bevor ich auf die topographischen Ver-
hältnisse der eigentlichen Mudirieh Makaraka näher ein-
gehe, schicke ich hier, mit Hinweis auf die beigegebene .
Karte, Einiges über die Bodengestaltung des Niambara-
Gebietes voraus. Von dem Flussgebiete des Lüri, das hart
am nordwestlichen Abhange des formenreichen Felsberges
Kunüfi hinzieht, tritt man aus dem Bari-Lande, welches
gerade in diesem Theile schöne landschaftliche Scenerien
aufweist, hinüber auf einföormig zu W sich ausbreitendes
Niambara-Gebiet. In der Ferne nur haftet der Blick an
einigen Feelsbergen, von denen der Girmög zu SW und der
Lagühm zu NW erscheint. Von dem nördlichen allmäh-
lichen Abfalle des Lagühm, an dem unser Weg über er-
höhtes Terrain hart vorüberführte, erscheint das Land such
zu N geseben weithin als einförmige Ebene. Beide Berge
sind durch eine niedrige wellenförmige Hügelkette mit ein-
ander verbunden.
Bevor man das Mire-Gebirge weiter zu W zu Gesichte
bekommt, wird die Einförmigkeit der Gegend durch einige
Einzelberge unterbrochen: durch den G. Kiddi, G. Bug,
G. Kökan, von denen sich letzterer durch seine eigenthüm-
liche Form auszeichnet; er bildet eine Kuppel, auf der
scharf abgegrenzt ein kleiner felsiger Kegelberg aufsitzt.
In dem sich zum Mfre-Gebirge hin ausbreitenden Busch-
walde bleibt die Fernsicht benommen, und wird jenes erst
bei unmittelbarer Annäherung sichtbar. Bis zum östlichen
Abfalle des Gebirges zeigt die Bodengestaltung selbst in
der Nähe desselben keine Veränderung, und zieht man auf
gleichmässiger ebener Waldsohle hin bis zum nördlichen
Abhange des G. Berfffa, der nach Süden mit dem Mire-
Gebirge in Verbindung steht, schroffe malerische Felspar-
tien aufweist, und welchem zu N niedrigere unzusammen-
hängende Felsenberge vorgelagert sind. Eine kleine Berg-
kette zieht sich von demselben aus in der Richtung zu SW.
Man überschreitet in einem breiten Passe eine sattelför-
mige Erhebung, die das eigentliche Mire-Gebirge, resp. den
Berg Beriffa mit den nördlicher liegenden Einzelbergen ver-
bindet. Vom Passe aus zieht sich ein Hochthal in das Ge-
birge hinein, theilt somit den nördlichen Ausläufer des Mire-
Gebirges. Der westliche Gebirgsabhang ist theils bewaldet,
und ragen überall zwischen den Bäumen und auf dem Ge-
birgskamme groteske Felspartien hervor.
Jenseit des Mire-Gebirges geniesst man, indem man in
lichtem Walde anscheinend zu einer Ebene absteigt, eine
herrliche Aussicht. Das Auge schweift stundenweit nach 8
und SW über eine flachhügelig gewellte Ebene, die durch
einzeln aufspringende Bergkegel und F'elsberge, durch Hügel
und vielfach gewelltes Terrain, durch den Anblick der
weithin sichtbaren Seriba Niambara, umgeben von einzel-
nen Weilern der Eingeborenen, schliesslich durch maleri-
sche Umrahmung der breiten Thalebene durch das Mire-
Gebirge im O und das Rego-Gebirge im W die Einförmig-
keit einer Ebene verliert. Während das Mire- Gebirge
einen gleichmässigeren Gebirgezug mit einzelnen hervor-
ragenden Bergspitzen darstellt, zieht sich das Rögo-Gebirge
als eine Serie zusammenhängender, theilweis wohl bis
650 m relative Höhe erreichender Bergkegel hin, deren
zwischenliegende Theile sattelförmige Vertiefungen, theils
Gebirgspässe erkennen lassen. Die hervorragendsten Berg-
spitzen sind der Lüli, Kujüh, Kero.
Der nördlichste Theil des Gebirges, G. Kfbbi, läuft zu
einem flachen Bergrücken aus, vor welchem sich einige km
östlich eine heiss aus der Erde sprudelnde Quelle findet.
Die nächste Umgebung derselben zeigt eine Bodensenkung
von etwa 1 km Umfang, auf welcher ein 20—30 Schritt
breites, sehr flaches Wasserbecken steht, das auf der einen
Seite aus mehreren, einige Schritte weit auseinander liegen-
den sprudelnden Quellen gespeist wird, während auf der
entgegengesetzten Seite das abgekühlte Wasser einen Ab-
fluss findet. Die Temperatur des Wassers, unmittelbar am
Sprudel gemessen, beträgt 58° Cels. Der steinige Unter-
grund zeigt braunröthliche Färbung, ein Umstand, der wohl
auf Eisengehalt des Wassers hindeutet, um so mehr, da in
der ganzen Gegend zwischen den beiden erwähnten grossen
Gebirgszügen Raseneisenstein frei zu Tage tritt. Das kleine
zerstreute Ufergestein das Beckens ist mit weisslicher Kruste
bedeckt. Im Glase ist das Wasser vollständig klar, schmeckt
aber fade. Der Ort wurde Rillek genannt.
Der Weg durch das Rögo-Gebirge zeigt eine schroffe
Gebirgsgegend und erschienen nach einander Bergzüge,
Felsengruppen, Thäler, Engpässe, Bergschluchten im Gewirr
eines 25 km breiten Gebirgslandes, in welchem immer nur
die nächst liegenden Höhen sichtbar sind. So weit es mög-
lich ist, aus dem Gewirr des gebirgigen Terrains ein Bild
zu entwerfen, führe ich noch an, dass der von S nach N
verlaufende Hauptstock des Rego-Gebirges bei der von uns
eingeschlagenen Reiseroute gegen N sein Ende findet, und
dass der bereits erwähnte G. Kibbi sich nur als nördlicher,
flacher und schmaler Ausläufer des eigentlichen Gebirges
darstellt. Fasst man, nachdem das Gebirgsland durch-
schritten ist, das Gesehene zusammen, so bleibt der Ein-
druck, dass der östliche Abhang der Gebirgskette ohne Vor-
berge steil abfällt, während im westlichen Theile das Alpen-
land stundenweite Breite einnimmt, sich durch Vorberge
allmählich zur Thhalebene senkt.
Der gewundene Pfad, tbeils in dicht stehendem Walde,
450 Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
führt später bald zur Westgrenze des Niambara-Gebietes.
Die nördlichen Nachbarn der Niambara sind die Madäär,
die den Fluss Keni mit seinen Confluenten in ihrem Ge-
biete Gall nennen. Im Süden grenzen die Kakudk und
Fadjellü an die Niambara.
Betritt man aus dem Niambara-(tebiete, dessen Grenze
genauer genommen etwa 12km östlich vom Flusse Bibja zu
ziehen ist, nach Westen zu das Territorium der Morü und
Liggi, so gestaltet sich hier das Land, welches aus weiter
Ferne gesehen scheinbar eine flache Ebene darstellt, wo nur
am äussersten Horizonte im Westen in blauer Ferne ein-
zelne Gebirgskuppen sichtbar werden, bis zum Flusse Jei
und darüber hinaus, nicht als Flachland, sondern ist ab-
wechselnd von Hochebenen und Senkungen unterbrochen und
nimmt eine charakteristische langgewellte Bodengestaltung
an. Im Vergleich zum Niambara-Gebiete ist dieser west-
lich liegende Theil, selbst in der trockenen Jahreszeit, reicher
an wasserhaltenden Cherän (Flussbetten), die in den flachen
Niederungen des gewellten Terrains dem Bibja, theils dem
Jei zufliessen. Das ganze Buschwaldrevier der Gegend zeigt
vielfach felsiges Gestein, und treten häufig ausgedehnte
Felsplatten zu Tage, über die, in den thbeilweis tief aus-
gewühlten Cheran, das Hochwasser der Flüsse zur Regen-
zeit hinwegsetzt.
Einige dieser Flüsse, die auf meine Fragen von den
Arabern mit dem Namen „Silek” bezeichnet wurden, zeich-
nen sich durch eine im weiten Gebiete nur hier vorkom-
mende Baumart aus, von denen der Name dieser Cheran
herrührt. Der schlanke hochaufgewachsene Stamm, der
eine Laubkrone von sehr zierlicher Blattform aufweist, un-
terscheidet sich von der in dieser Gegend meist grosse,
lederartige Blätter ansetzenden Stamm- und Buschvegetation.
Die hohen, fast nach Art unserer Tannen gerade gewach-
senen Stämme des Silek, bilden ein sehr begehrtes Mate-
rial für die Dachsparren der in der Seriba Wändy in sehr
grossem Maassstabe aufgeführten Tükul (Strobhütten).
Das Gebiet zwischen dem Flusse Jei und der west-
lichsten Seriba, Kabajendi, vom Flusse Törre durchzogen,
zeichnet sich durch nichts Eigenartiges aus. Das einför-
mige, langgewellte Terrain ist überall mit lichtem, nie-
derem Buschwalde und zwischendurch jungen Hochbäumen
bestanden. Durch die wellenförmigen Erhebungen, zwi-
schen denen sich kleine Cheran nach dem Törre hin-
ziehen, oder zwischen denen muldenförmige Vertiefungen
während der Zeit des Charif stehende Gewässer einschliee-
sen, — bleibt die Fernsicht beschränkt. Im westlichen
Theile, resp. dieser Region des eigentlichen Makaraka-Ge-
bietes, treten trockene Rinnsale, sonst als ein Resultat der
gewellten Bodenbeschaffenbeit, seltener auf, indem die Busch-
waldungen bier auf mehr gleichmässigerem Flachlande hin-
ziehen.
Von hier aus gewahrt man von Osten kommend auf
einige Stunden Entfernung die erste runde Bergkuppe in
SW-Richtung aus der Ebene aufragen. Es ist der Gur-
mäni, umwohnt von verschiedenen Makaraka-Häuptlingen,
von denen ich den Angesehensten in dem Gebiete, Dali,
mehrfach besuchte und werthvolle Gegenstände für meine
ethnographische Sammlung erhielt. Zu meinem grossen
Leidwesen ging er später elend an einer Lanzenstichwunde
zu Grunde.
Das Land um Kabajendi herum, der Ort, der mir wäh-
rend meines Aufenthaltes in Makaraka als Basis meiner
Rundtouren diente, wohin ich nach allen grösseren Reisen
immer wieder zurückkehrte, zeigt auf stundenweite Entfer-
nung, in Betreff der Configuration des Bodens sehr ähn-
liche Verhältnisse, wie die bereits beschriebenen.
Erst weiter im Norden bei der alten Seriba, Fadl Allab,
gewahrt man zu NW und W sich weit hinziehendes Ge-
birgsland. Jenseit des stets Wasser führenden Chor Ba-
balla kommt man aus dem Gebiete der Makaraka zu Wei-
lern der Mundü, deren Behausungen in einer sich weit nach
Westen hinziebenden Niederung liegen. Buschwald wech-
selt mit schönem Hochwalde vortheilhaft ab, während an-
derenorts in der trockenen Jahreszeit die starren, geknick-
ten Schafthalme einer mannshoch gewachsenen Grasart dem
Reisenden lästig entgegentreten.
Von dem bei der alten Seriba Fadl Allah zu N und
W sich hinziehenden Flachlande bannt das Auge ein von
NO zu N und herum zu W ziehendes Gebirgspanorama,
dessen einzelne Gebirgsstöcke oder Bergkuppen theils nahe,
theils in der Ferne erscheinen. Der Gebirgsrücken Ingi-
terra, wohl 480 m hoch, von der alten Seriba annä-
hernd zu NO gesehen, verläuft, aus 5 zusammenhängenden
Erhebungen bestehend, in der Richtung von N zu S etwas
zu OÖ. In seinem Bereiche, wie auch bei den Bergen Kürra,
Längho und in westlicher Richtung sind die Abukdja
oisfla ansässig.” Hart am Wege zum Berge Lofoke, der
aus einzelnen, zusammenhängenden Kegelbergen zusammen-
, gesetzt ist, erhebt sich auf kaum 65m Höhe der kahle
Felskegel Ambe, dessen Fuss von herrlichem Hochwalde
beschattet wird. Auf eine Stunde Entfernung erscheint
der Kürra. In den Weilern des Abükaja-Häuptlinges Lo-
fok6, nach welchem der Berg, wie dieses vielfach in dem
ganzen Gebiete gebräuchlich ist, benannt wird, befindet man
sich am Fusse einer Gebirgsregion.
Während zu 8 und herum zu OÖ einzelne aus der Ebene
aufsteigende Bergstöcke, massive Felsenberge und viele klei-
nere Felskegel im Gesichtskreise liegen (Logode, Kürra
oder Aus, Ingitörra, Ambe, Mälaga &c), so erscheint von
Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen. 451
O zu N das Land freier und sind nur einzelne niedere
Bergzüge sichtbar. Von N zu W jedoch beherrscht das
Auge ein niederes Alpenland, mit einzelnen 300—450 m
bohen Bergerhebungen, unter sich durch Hügelabfälle, Vor-
berge, Hochthäler verbunden und getrennt. Als Namen der
Bergspitzen wurden mir genannt: A’bba, Agällo, Agilbi,
Adjüh, Asausa, Issf, &c. Im fernen Westen erscheinen die
Einzelberge Gä’ngara und Labigd. Von Lofok& weiter zu
W ist das hügalige Terrain mit Buschwald bestanden, in
dem vielfach Felsplatten zu Tage treten. Weiterhin zum
Häuptlinge Koh tritt theilweise sehr coupirtes Terrain auf,
wo man zum ersten Male in diesem ganzen Gebiete in den
Niederungen hochragenden Bambus antrifft, deren häufig
geknickte Stengel dem Vorwärtskommen beständig Hinder-
nisse in den Weg setzen. Hochaufgeschossenes Gras und
Rohr wird gleichfalls höchst lästig. Beim Häuptlinge Koh
ziehen im Süden und Westen Hügelreihen hin, und bleibt
in dieser Richtung die Fernsicht beschränkt, während zu
N das Alpenland im Gesichtskreise bleibt.
Bei meinem Aufenthalte in den Weilern von Koh war
ich Zeuge eines grossartigen, doch Schauer und Beängsti-
gung erregenden Naturschauspieles, des Wald- und Steppen-
brandes, soweit man die undurchdringlichen Bambushorste
als Wald bezeichnen kann. In den Schluchten und Thä-
lern des coupirten Terrains und über Hügel hinweg zieht
mannshoch vergilbte Grasvegetation und Rohrdickicht und
bietet, gleich der grasreichen Steppe, Nahrung dem Alles
zerstörenden Elemente. Bei unserer Ankunft in den Wei-
lern wirbelten zu N in den Niederungen gewaltige Rauch-
wolken gen Himmel. Ich erfuhr, dass Dorfschaften von
dort ihren Vorrath an Getreide abseits gebracht, und an
diesem Morgen bereits mehrere Eingeborene dem Feuer
zum Opfer gefallen waren. Auf weite Entfernung hörte
man die brennende Lohe von allen Seiten her knistern,
die sich auf dem günstigen Terrain, immer wieder neue
Nahrung findend, stellenweis als hoch aufwirbelnde Feuer-
garbe, in Eile unseren Weilern näherte. Als Nachmittags
die Gefahr nahe lag, vom Feuer eingeschlossen zu werden,
so wurde frühzeitig das Gras in der nächsten Nähe unserer
Weiler immer wieder von Strecke zu Strecke angezündet
und abgebrannt und so ein Gürtel gezogen, der dem weiter-
züngelnden Feuer die Richtung vorschrieb, resp. dasselbe
von unseren Hütten abhielt. Bis zum Abend war rund
um uns herum Alles abgebrannt. Während der nächsten
Nacht aber hielt noch das erhabene Schauspiel in der
Ferne an. Weithin erhellte das glänzende Feuermeer in der
Dunkelheit Bergabhänge, Niederungen und Schluchten.
Mit unsäglicher Mühe und indem wir nur langsam vor-
wärts schritten, konnte am folgenden Tage von Koh aus
der Weg zum Häuptlinge Azig6 fortgesetzt werden. Die
Bambusstäbe, nur am Wurzelende durchgebrannt und zu-
sammengeknickt, versperrten beständig den Weg.
Über einen Bergsattel am Berge Y’tri, wohl 250 m
hoch, kamen wir auf steil hinabführenden Wegen jenseit
in ein geschlossenes Thal zu den Weilern Azigo'’s. Fast
nach allen Seiten erhoben sich auf Y,—!, Stunde Ent-
fernung schroffe Bergwände und waren wir hier der von
N nach NO ziehenden früher bereits erwähnten Gebirgs-
kette vom Berge Adjüh bis A’bba nebst den dazwischen-
liegenden Bergen sehr nahe gekommen. Nur nach SW
bleibt der Bergkessel offen.
Auf dem -Wege von Azigo zu Kudürma kommt man
aus dem Gebiete der Abukaja ofsila zu Mundü-Weilern.
Längs des Weges ziehen sich anfangs Höhenzüge hin, die
später divergiren und eine weite Ebene zwischen sich lassen.
In der Ferne erscheinen die bereits früher von Lofok6
direct zu W gesehenen und erwähnten F'elskegelberge La-
big6ö und Gängara. Der Weg führt hart am Nordabhange
des Ersteren vorüber, während der Gängara weiter west-
lich sichtbar wird. Nördlich am Wege bleibt der Gebirgs-
stock Möngua liegen. Steingeröll und frei zu Tage tre-
tende Felsplatten charakterisiren den Weg.
Während der Blick nach W weit in die Ferne schweift
und nur von dem kleinen Höhenzuge Möku unterbrochen
wird, ziehen sich zu N und S auf einige Stunden Entfer-
nung fortlaufende Höhenzüge hin, die uns als niedere, aber
zusammenhängende Bergrücken südlich bis zu den Dörfern
Kudürma’s geleiteten. Jenseit der Felsberge Labigö und
Gängara, die gegen 300 m erreichen mögen, wird der
bis dahin beschwerliche Weg durch Bambuswälder , nach-
dem wieder Wald und Gebüsch auftritt, besser; immerhin
bleiben noch die Passagen durch Gewässer und Sümpfe sehr
lästig.
Am Südabfalle des Möku-Berges erreichten wir das erste
Mundü-Dorf. Auf der letzten Strecke des Weges zu Ku-
dürma wechseln Niederungen und Papyrussümpfe mit hüge-
ligem Terrain und Buschwald ab, und kreuzt man schliess-
lich noch eine letzte Hügelreihe Mödu, die in der Rich-
tung von O zu W verläuft. Die Landstrecke zwischen
den Mundu-Weilern Kudürma’s und dem Häuptlinge Amus-
sei, wo man abermals auf dem Territorium der Makaraka
steht, ist anfangs durch Sümpfe charakterisirt, die ostwärts
umgangen werden. Von Einzelhügeln am Wege gewahrt
man später wieder zu NO in der Ferne einen Gebirgskranz,
dessen Berge zu den schon Erwähnten gehören. Auch auf
der letzten Strecke zwischen Amussdi und Kabajendi bleibt
zu Anfang der erwähnte Gebirgszug zu N noch im Ge-
sichtskreire, der jedoch später, indem man sich Kabajendi
nähert, dem Auge verschwindet. Dagegen schweift der
Blick von dem südlichen Abfalle eines Plateau in eine weit-
452
hin sich erstreckende Ebene, in der der Fluss Mönse hin-
zieht, und die Weiler des Bombe-Stammes zerstreut liegen.
Zu W und NW vom Gebiete der Bombe, in welchem
nur sehr vereinzelt Gneishügel aus der breiten Flussebene
aufspringen, beginnt das Gebiet der Abakk. Es ist als
grosshügelige, bergige Gegend ausgezeichnet, die vielfach
von Thälern und Niederungen durchkreuzt wird. Haupt-
sächlich gewinnt der östliche Theil der Landschaft, der
Kreis des Häuptlings Tomaj&, in hydrographischer Bezie-
hung an erhöhtem Interesse, worauf ich später zurück-
komme.
Zwischen der Einzelstation Hässan und Kudürma wer-
den in dem sehr coupirten Terrain zu allen Jahreszeiten
vielfach wasserführende Bäche und Flüsschen überschritten.
Von hier zu W nehmen solche Rinnsale im Vergleich zu
den östlich durchreisten Strecken bedeutend an Zahl zu.
Auf der ganzen Strecke bis zu Kudürma wurden beständig
felsige Berge, Niederungen und Thäler passirt und bleiben
auch nach den Seiten hin einzelne oder zusammenhängende
Bergerhebungen, ohne aber in dem ganzen Gebiete eine
nennenswerthe Höhe zu erreichen, höchstens bis 160 oder
200 m ansteigen, von nah und fern beständig im Ge-
sichtskreise. Am Rande einzelner Waldbäche entfaltet sich
eine üppige Vegetation. Der Weg führt häufig tief zum
eigentlichen Flussbette hinab, wo sich das klare, murmelnde
Wasser durch die während der Regenzeit an einzelnen
durch Auswaschungen tieferen Stellen von Strecke zu Strecke
in Becken fängt. Von herrlichem Baumwuchse vollständig
beschattet, hängen aus den Laubkronen der Bäume maje-
stätische Schlinggewächse zur Wasserfläche hinab.
Auf der Strecke von Kudürma zu Konfö, wo man be-
reits wieder bei Weilern der Abuükaja ofsila angelangt ist,
bleiben die Terrain - Verhältnisse den oben beschriebenen
stellenweis sehr ähnlich. Der Weg führt eine zeitlang
am Ostabhange, des langgestreckten Felsberges Dekri hin,
Man überschreitet in diesem Gebiete von Osten kommend
den Afre oder Hire der Makaraka, den Oberlauf des Rohl.
Der Übergang dieses Flusses, wie auch so mancher ande-
rer, die ihm ähnlich sind, das Absteigen in die Tiefe, das
Durchwaten von sumpfigen Stellen des fliessenden Wassers,
das treppenartige Aufsteigen im Walddickiohte &c. nimmt
eine geraume Zeit in Anspruch, während welcher der Na-
turfreund reichlich entschädigt wird. Die Grossartigkeit
der Natur an solchen Orten, die Üppigkeit der Vegetation,
die Fülle und der Reichthum der Pflauzen und Baumarten,
die kaum Geahntes in Wirklichkeit vorfübren und an Fee-
rien erinnert, spottet jedes Versuches der Beschreibung,
und selbst der Piusel eines Meisters ist nicht im Stande,
Derartiges wiederzugeben. Das innere Leben solcher Gale-
rienwaldungen im Schweinfurth’schen Siune bleibt beim
Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
Versuche der Wiedergabe als Ganzes dem Künstler ver-
schleiert, und alle Mühe und Arbeit liefert doch nur Stück-
werk. Das Auge des Naturfreundes aber, der mühevolle
Hindernisse zu beseitigen nicht scheut, um sich zum be-
lebten Innern Zugang zu verschaffen, umfasst das Ganze.
Nur bei spärlich eindringendem Himmelslichte hält er stau-
nend, ich möchte sagen, beängstigt, seine Augenweide Um
das Grosse und Wahre in der Natur vollständig zu erläu-
tern, ist hier neben dem productiven Princip, dem neuen
üppigen Wachsthume, das scheinbar zerstörende Princip
sichtbar. Dieser Wechsel von Sein und Nichtsein, von
Leben, Absterben und Tod drückt diesen Galerienwaldungen
den Stempel des Erhabenen und der Realität in der Natur
auf. Der schwierige Übergang solcher Stellen lässt bald
aber den Glauben an Feerien schwinden und führt die
Gedanken zurück zu einer nackten Wirklichkeit. Bei dem
Hochstande des Wassers des Aire muss an einzelnen Stellen
die Woasserfülle reissende Stromschnellen bilden, denn be-
reits bei geringem Wasserstande schäumte der Fluss, wäh-
rend wir am Ufer entlang eine Strecke weit Felsen er-
kletterten, brausend über Felsenmassen hinab.
Ein Hügel, der später überschritten wird, gestattet nach
N und NO eine weite Fernsicht über ein Tiefland, in dem
nur wenige Bergerhebungen aufspringen. Der Weg führt
darauf am unteren nördlichen Abhange des Bergkegels
Gülasmajembe vorüber, während sich weiterhin noch viele
Einzelberge von nah und fern erheben. Von einer Hoch-
ebene, die sich zu S und N hinzieht, schweift der Blick
nach W, NW und SW über weit hin sich erstreckendes
Buschwaldrevier. Berge, selbst Hügel haben in jener Re-
gion fürs Erste ihr Ende erreicht, und gewahrt man nur
in weiter Ferne zwischen S und W Terrainerhebungen,
Das Gebiet zwischen dem Abukaja-Häuptlinge Babira
bei Konf6 bis zur Seriba Gosd, bereits zur Mudirieh
Rohl gerechnet, ist Flachland, in welchem der Fluss Aire
nach Norden zieht. Das Terrain ist ausser flachen Niede-
rungen gleichförmig, eben, und sind auf sichtbare Entfer-
nungen nirgend Berge zu gewahren. Grosse Akazien-
bäume mit langen weissen Stacheln und fein gefiedertem
Blatte überragen vielfach niederes Wald- und Buschwerk
und bieten schattige Plätze zur Ruhe, Anderenorts ist
schilfartiges breitblätteriges Gras durch Schlinggewächse
und Ranken des wilden Weines gleichsam verfilst und auf
weite Strecken ohne bestehenden Fussweg unmöglich zu
passiren. Man befindet sich hier noch im Gebiet der Abu-
kaja, die bei der Seriba Gos& als Abükaja Marf neben den
Morü ihre festen Wohnsitze aufgeschlagen haben.
Desgleichen ist auch das Gebiet im W von Konfö, wenn
auch nicht ausgeprägtes Flachland, doch nirgend von Ge-
birgen durobzogen; selbst grössere Berge sind nicht anzu-
Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen. 453
treffen, und nur nach S vom Wege ab treten wieder be-
waldete Hügel auf. Auf dem südlichen von Kudurma direct
zu Ansca begangenen Wege tritt dagegen wieder gross-
hügeliges Terrain auf. Der Weg steigt zwischen den klei-
nen Wasserläufen vielfach zu festem Gestein, Gneis und
rothem Granit, empor, während die Raseneisensteindecke,
die anderenorts häufig zu Tage tritt, hier seltener sichtbar
ist. In dem südwestlichen Hügellande ziehen sich in den
Niederungen, aus denen kleine Tributäre des Aire ihren
Ursprung nehmen, Bambuswälder hin.
Der westliche Theil des Abaka-Gebietes, der District
zu W von Ansea, ist hügeliges, vielfach durch Flüsschen,
Bäche und Rinnsale coupirtes Terrain, in welchem höhere
Bergkuppen, einzelne oder mehrere zusammenhängend, sicht-
bar werden. Bereits von Anseg aus gesehen erscheint an-
nähernd zu SW der Doppelberg Embe. Auf einem Pla-
teau überschreitet man die Wasserscheide des Aire und des
Röah, hier Meriddi genannt, der aus einer Schlucht des
Embe herabkommen soll. Von erhöhtem Terrain jenseit
des Meriddi sieht man zu W eine hohe Hügelkette, vor
welcher, nachdem auch zu 8 hohe kuppelförmige Grashügel
erschienen sind, eine tiefe Senkung mit dem fliessenden
Bache Balabba hinzieht. Jenseit der Hügelkette, zu der
man allmählich ansteigt, von welcher viele Rinnsale ihr
Wasser in die Schluchten nach Norden senden, tritt im-
mer wieder hügeliges Terrain mit Quellgewässern in den
Niederungen auf. Im W vom Häuptlinge Bändura findet
sich ebenfalls, doch mehr langgewelltes, hügeliges Terrain
mit hohem Grasbestande und leichtem Buschwalde. Auf
dieser Strecke wird die Wasserscheide des Merfddi und des
Issu passirt, und wird der im Süden hinziehende Ketten-
berg Nbirngo sichtbar.
Vom Berge Ngirus beim Häuptlinge Bell&di gewinnt
man einen unumschränkten Fernblick zu W, indem das
Terrain zum Issu hin abfällt, und jenseit ausser den we-
nigen Bergerhebungen dem Auge kein Hinderniss entgegen
tritt. Beim Besteigen des Berges war ich bis auf’s Äus-
serste darauf gespannt, wie sich der von Dr. Schweinfurth
erreichte siidöstlichstee Punkt am Berge Bäginse in der
Lage zu meinem erreichten westlichsten Punkte verhalten
würde Es bedurfte nur weniger Augenblicke, um mich
in der Gegend zu W vollständig zu orientiren.
Ohne die Interpretation meiner Umgebung, einer An-
zahl Bombed-Häuptlinge und Ringio, dessen bereits Schwein-
furth als mächtigen Häuptling des östlichen Gebietes er-
wähnt, die Alle in der Gegend sehr gut orientirt waren,
fand ich am fernen Horizonte, wohl auf 40—45 km Ent-
fernung, sofort zu WSW den Bäginse vor den übrigen
Bergen heraus, dem sich nach Süden der Bondüppo, der
Nagöngo, der Jämbeli anschliesst, Namen, die auch Schwein-
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XII.
furth angiebt, während zu W etwas zu $ der Dämvolo
(Dämvo nach Schweinfurth) erscheint.
Einen zweiten Observationspunkt in diesem Gebiete hatte
ich vom Berge Nbirngo aus. An diesen lehnt sich der
Malappa und der Möngua an, und erscheinen sie zusammen
aus der Ferne gesehen als ein langgestreckter Bergrücken,
Von ähnlicber Form sind auch der Sil&i und manche andere
im Gebiete aufspringende Berge. Allen fehlen schroffe,
formenreiche Felspartien. Der Flächenraum, den die Summe
der zu übersehenden Bergerhebungen im Vergleich zu dem
ganzen weiten Landestheile einnimmt, ist nur klein, und
bleibt bei der Übersicht über alle die Berge von der Höhe
aus der Eindruck zurück, dass die Erhebungen doch nur
vereinzelt aus dem hügeligen Landgebiete emporsteigen und
nicht eigentliche Gebirgsketten bilden, wenn auch nicht zu
verkennen ist, dass in praehistorischer Zeit alle diese Berge
einen zusammenhängenden Gebirgsstock bildeten, annähernd
in bestimmter und gleicher Richtung von NNW zu SSO
ziehend. Ähnliche Verhältnisse finden sich auch bei den
später zu beschreibenden Bergerhebungen in den südöst-
lichen Ländern bis zum Albert Nyanza hin, wie auch im
N im Lande der Mittü. In Betreff der Höhe erreicht kei-
ner dieser Berge das von Schweinfurth für den Bäginse
gefundene Maass. Einen sehr lohnenden Ausblick geniesst
man vom Nbirngo auf das Issuthal. Durch die anstehende,
üppige Baumvegetation an den Flussläufen sind diese als
dunkelgrüne Streifen in der Ebene ausgezeichnet und wer-
den von erhabenen Punkten aus gesehen, selbst die kleinsten
und tiefliegenden Gewässer, wie es auch an anderen Orten
in dem Gebiete der Fall ist, auf weite Entfernung hin er-
kennbar.
Das Gebiet im S von Ansea wird jenseit des Häupt-
linges Bälabi, so wie auch der ganze südöstliche District
des Häuptlinges Tendia von Mundu bewohnt. Die Gegend
dort ist viel einförmiger, als die früher beschriebenen Streoken.
Von Ansea zu S und W tritt allmählich ausgedehntes Flach-
land und nur ab und zu leicht gewelltes Terrain auf. Der
Berg Embe bleibt auf weite Entfernung der einzige erha-
bene Punkt. Weiter hin erscheinen noch die zwei Felsen-
berge Gudukü und Bägeda, zwischen denen hindurch der
Blick über eine ausgedehnte Ebene schweift, in der auf
stundenweite Entfernung viele Mundu-Weiler und die Be-
hausungen des Häuptlinges Gabolöggo sichtbar werden.
Ausser den zu S abfliessenden Gewässern, unter denen die
Akka und Garamba die grössten sind, werden vielfach schwer
zu passirende Sumpfgewässer, theils mit Papyrusbestand, ge-
kreuzt. In dem ganzen südlichen Gebiete wird nur der weit
in der Ferne im Süden hervorragende Berg Andjöu sichtbar.
Ich erwähne beiläufig eines dieses Gebiet kreuzenden
Itinerares von Kabajendi zu den Monbuttu.
58
454 Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
1. Tag: Von Kabajendi zu Tendia.
2. Tag: Von Tendia weiter findet man an diesem Tage
keine Behausungen und nächtigt im Walde (äghaba).
3. Tag: man nächtigt beim Häuptlinge Arigo bei den
Abukaja oigiga.
4. Tag: zum Häuptlinge und Dragoman der Bombe
Belähl.
5. Tag: zu Baschir, wo der Weg vom Rohl her für die
Elfenbeinkarawanen durch das Land der Abaka vom Häupt-
linge Ansea einmündet (Route Miani’s). Von Baschir aus
soll in 3 Tagen der Fluss der Gurugurüh (Monbuttu) er-
reicht werden. Es ist dieses wohl der Kibali der Schwein-
furth’schen Karte. In den Fluss der Gurugurüh soll der
Dongü und in diesen die Akka und Garamba einmünden.
(Vielleicht Dongu und Kibali identisch ?) |
Das südlich von den drei Hauptstationen liegende Ge-
biet ist, im Vergleich zu dem nördlichen und westlichen
Territorium, weithin Flachland, wenigstens zeigt die Con-
figuration des Bodens hier bedeutend weniger wahrnehm-
bare Höhenunterschiede als dort.
Die Seriba Wandy und die Station Ahmet Agha liegen
in der Senkung, in der der Torre, der Hauptzufluss des Jei,
verläuft. Von Süden her münden verschiedene nicht un-
bedeutende Flüsschen in den Torre ein, zwischen denen die
meisten Weiler des eigentlichen Makaraka-Stammes liegen.
Die Makaraka nennen sich selbst Idiö, eine Bezeichnung,
die ihnen auch von den westlichen Niam-Niam gegeben
wird. In ihrem Gebiete springen zwei Bergkegel aus der
Ebene auf, der Gurmäni und der Lipäko, Gneishügel, die
sehr gute Orientirungspunkte für das Gebiet zu SO dar-
bieten, in welcher Richtung das Land allmählich, aber be-
ständig ansteigt, so dass nicht allein die Bergkette südwest-
lich von der Station Ndirfi, sondern auch die fernsten Ge-
birge zu SO, Müga &c. im Kakuak- und Fadjellü-Gebiete,
so wie herum nach O und NO G. Gumbiri und Spitzen
vom Rego-Gebirge sichtbar werden. Im eigentlichen Be-
zirke der Mudirieh Makaraka aber erspäht man nur noch
in der weiten flachen Gegend, nördlich von der Station
Ndirfi am Wege zu Degöös, eine Reihe von Gneishügeln.
Ein kurzes Resume der Topographie der Mudirieh Ma-
karaka würde zum Schlusse lauten:
Die nördliche und westliche Hälfte ist Bergland; der süd-
liche und östliche Theil dagegen langgewelltes Flachland.
Topographie der Länder im Süden der Mudirieh
Makaraka.
Das südlich von Makaraka gelegene Gebiet, bis jetzt
der geographischen Erforschung verschlossen geblieben, ist
bereits seit Jahrzebnten von Agenten der arabischen Händler
auf Streifzügen und Razzien zur Beschaffung von Elfenbein,
Sclaven und Vieh durchzogen worden. Bei Berücksichtigung
der obwaltenden Verhältnisse, bei dem Zerfalle der Neger-
länder in Kleinstaaterei, wird es erklärlich, dass die Händ-
ler ihre Streifzüge in diese fernen Gebiete ausdehnen konn-
ten. Zur Erlangung von Elfenbein ist es erforderlich, dass
mit einzelnen mächtigeren Häuptlingen, selbst in feindlichen
fern abliegenden Ländern, freundschaftliche Beziehungen
unterhalten werden. ZErstere sammeln bis zum jährlichen
Eintreffen der Expeditionen Elfenbeinmassen, die sie klei-
neren Häuptlingen in ihrem Gebiete abzwingen, Zur Aus-
nutzung des Landes, um forcirte Requisitionen und Razzien
machen zu können, convenirte dieses System besser, als
überall freundschaftliche Verbindungen zu unterhalten. Be-
reits die Agenten Agat’s standen auch in diesen südlichen
Districten auf relativ freundschaftlichem Fusse mit einigen
wenigen Häuptlingen, deren Territorium bei den Razzien
geschont blieb, während sie, als Äquivalent für das gelie-
ferte Elfenbein, einen Antheil von dem ihren Nach-
barn und Stammesbrüdern fortgetriebenen Viehbestande be-
anspruchen konnten. Wie schon damals, so werden auch
heute noch die Häuptlinge Gända bei den Kakuak, Lemihn
bei den Kalika und Lüggar südlich vom Kfbbi von den
Expeditionen aufgesucht, während der bereits oben erwähnte
Bombe-Häuptling und zugleich Dragoman der Regierung,
Ringio, auf westlicher gelegenem Wege das Land der Loggo
im Süden und im Westen von den Kalika zu gleichem
Zwecke durchzieht.
In südöstlicher Richtung von der Seriba Rimo, der Sta-
tiop, von wo aus mich meine letzte grössere Reise, nach-
dem ich aus dem Balır el Gbasal-Gebiete durch das Böngo
und Mittü-Land nach Kabajendi zurückgekehrt war, in süd-
lichere Landtheile führte, zieht sich das Fadjellu-Gebiet
hin. Langgewelltes Terrain, auf dem sich flache Niede-
rungen mit leicht sumpfigen Stellen finden, charakterisirt
die Gegend. An höher gelegenen Orten befindet sich lich-
ter Buschwald, wo stellenweis Raseneisenstein zu Tage
tritt. Göneisfelsen und Platten sind vereinzelt in dem Ge-
biete zerstreut Die kleinen, ärmlichen Behausungen der
Fadjellu, auf deren Feldern die weisse Art des Durra-Kor-
nes (sorghum vulgare) nicht mehr angetroffen wird, stechen
von den geräumigen mit grösserer Sorgfalt hergestellten
Tukul (Hütten) ihrer nördlichen Nachbarn ab.
Jenseit des Flusses Käbba, eines Hauptzuflusses des
Jei, findet bei den Weilern des Häuptlinges Känjeri, das
Gebiet der Fadjellu in dieser Richtung ein Ende, und tritt
man in das Land der Kakuak über. Weit in der Ferne
zu S und O erscheinen die Spitzen hoch aufragender Berge,
des Gumbiri, Müga &o., die theilweis schon von den Gneis-
hügeln im eigentlichen Districte der Makaraka, Gurmani
und Lipakö, in blauer Ferne sichtbar sind und bereits
Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
früher Erwähnung fanden. Die Landstrecke zwischen Kabba
und Jei ist dem bis dahin durchzogenen und beschriebenen
Gebiete sehr ähnlich. Die von uns passirten Niederungen
verlaufen von SW zu NO, von denen einige trocken, andere
sumpfig sind und einzelne kleine Wasserteiche aufweisen.
Während man sich vom Berge Gumbfri, der zu ONO
liegen bleibt, mehr und mehr entfernt, treten die südlichen
und zu Ost erscheinenden Bergspitzen immer deutlicher
hervor. Von den Weilern des Häuptlinges Dumuntiü, die
sich auf einem sanften Gelehne einer breiten, flachen Niede-
rung hinziehen, in der weithin bestellte Felder mit Sesam,
Telebün, rother Durra sichtbar bleiben, wie auch später
von verschiedenen erhöhten Landtheilen, erscheint der
Berg Körbe, das Müga-Gebirge, O’ttogo &c. im Halbkreise
von SO zu S und SW, während man direot im W eines
Theiles der Bergkette ansichtig wird, die südlich von der
Seriba Ndfrfi hinzieht. Erst von dem letzten Plateau, wel-
ches sanft geneigt in die breite ausgedehnte Ebene des
Flusses Jei übergeht, gewahrt man die Basis und Gestalt
eines Theiles der erwähnten Gebirge, denen man südwärts
schreitend sich mehr und mehr nähert. Die Niederung, in
welcher der Jei verläuft, bildet jedoch nur scheinbar aus
der Ferne gesehen eine breite Ebene, die sich beim Pas-
siren gleichfalls langwellenförmig darstellt, durchfurcht von
Bächen und Niederungen. Fliessende Gewässer ziehen
häufig in vertieften Erdrinnen zum Flussbette des Jei. Das
Land nach S steigt sehr allmählich doch beständig an, und
gewinnt man dadurch rückwärts zu NO und N freiere Aus-
sicht. Zu den schon erwähnten sichtbaren Gebirgen kommen
einige Spitzen im Rego-Gebirge, der Keni, der Mäja &c.
binzu, während südlich vom Körbe der Kürdja als langge-
streckter Gebirgszug sich mehr im Osten hinzieht, dem
noch weiter hin der Koloä folgt.
Westlich und zu S vom Müga aber erscheint bergiges,
hügeliges Terrain, aus dem die Spitze des Uädo hervor-
ragt. Jenseit des Flusses Jei, nachdem auch der nicht
unbedeutende Nebenfluss Döddo überschritten ist, kommt
man im lichten Buschwalde auf sichtbar höheres Gebiet.
Allmählich ansteigend nähert man sich der Bergregion des
Müga, der hier von N nach S ziehend, eine zusammen-
hängende Bergkette darstellt, von der der südlichste Theil,
etwa 450—600 m hoch, der höhere ist. In einer Ent-
fernung von wenigen Kilometern, führt der Weg am West-
abhange des Müga-Gebirges hin, wo Rinnsale und Wild-
bäche aus den Schluchten der Berge herabkommen. An
den eigentlichen Gebirgsstock lehnen sich südlich noch nied-
rige Ausläufer an, hinter denen ein zuckerhutförmiger
hober Bergkegel mit schroffen unersteiglichen Wänden em-
porstrebt. Auf Terrassen dieser Vorberge, welche die Basis
des Bergkegels decken, hatten sich bei unserer Annähe-
455
rung die Eingeborenen zurückgezogen und sahen nicht ohne
Missmuth und Unruhe, zu Gruppen auf den Gneisfelsen
zusammengeschaart, unseren langen Zug vorüberkommen.
Mancher von ihnen sollte noch in der Folge dem feindlichen
Vorgehen unserer Leute zum Opfer fallen.
Von unserem nächsten Lager aus, südlich vom Miga,
bot sich ein schöner Fernblick dar. Das Land fällt nach
8 zu einer weiten Ebene ab, welche abermals zu S von
Hügeln und Bergen begrenzt wird, aus welchen der oben
erwähnte Berg Uädo hervorragt, und an dessen sanft zur
Ebene hin abfallenden nördlichen Abhängen sich die Weiler
der Kakuak hinzieben. Nach SW setzt sich das Hügel-
land, in dem der Jei seinen Ursprung nehmen mass, als
weitreichendes, gewelltes Flachland fort, welches nur in
NW vom Berge Ottogo unterbrochen wird. Zu Ost bleibt
der Fernblick vom Lager aus durch vorgelagerte Hügel
beschränkt, während jedoch von einen nördlich vom Lager
bestiegenen Berge, über diese Hügel hinweg sehend, zu OÖ
und SO gewelltes Thalland erscheint, welches auch nach
dieser Richtung von Bergketten eingeschlossen ist. Nach
N bleibt die Fernsicht durch den in unmittelbarer Nähe
aufspringenden Gebirgsstock des Muga und des oben er-
wähnten vorgelagerten Kegelberges benommen.
Das auf der Strecke vom Berge Müga zum Häuptlinge
Käji übersehene Gebiet ist ein breites Gebirgsland, dessen
Hauptstock weiter zu O zieht und annähernd von NNW
zu SSO verläuft. Während man im N die bereits mehr-
fach genannten Berge und Gebirge unter spitzem Winkel
sieht, wobei sie den Eindruck von Einzelbergen machen,
so gewahrt man bier weiter im S mehr und mehr ihre
Breitseite. Der Keni und Gumbiri erscheinen annähernd
zu NO bereits in weiter Ferne. Der Korbe und Kurdja
ziehen als getrennte Gebirgsstöcke im Osten von unserem
Wege nach S, während, unserer Route näher gelegen, sich
ein langer Gebirgsrücken mit vielen Bergspitzen, Vorbergen,
Thälern und Senkungen zu 8 hin anschliesst, deren Ein-
zelberge mir als Korkodö, Koloä, Kardändja &c. bezeichnet
wurden.
Die Reiseroute führt in einem, von diesen Hauptge-
birgsstöcken, die sich zu 320—4830 m erheben mögen, zu
W liegenden Voralpenlande über Hügel und Berge von
60—120 m relative Höhe. An einzelnen Stellen ziehen
sich zu O weite Thalsenkungen und gewellte Ebenen hin.
Ähnliche Configuration des Erdbodens ist auch zu W wahr-
nehmbar. Hügelreihen folgen auf Niederungen, doch sind
in dieser Richtung nirgends hohe Bergstöcke sichtbar. Ein
vielfach coupirtes Terrain, wie oben angedeutet, zieht sich
auch über den District der Häuptlinge Uäni und Gända
hinaus. Ihr Weiler livgen in dem breiten, schönen Thale
des Flusses Kinde, der sein Wasser nicht mehr zu W und
58°
456 Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
NW in den Jei sendet, sondern welches zu OÖ abfliesst.
Das Thal des Kinde gleicht einer Parkanlage. Gestaltet
sich einerseits die Vegetation hart am Flusse zu einer sel-
tenen Üppigkeit, so zeigt andererseits auch die Thalsohle
weiter vom Flusse ab die lang vermisste Dattelpalme wieder,
und wird das Auge von lichtem Grün hoher Akazienbäume
erfreut. Die Banane gedeiht hier auf gutem Boden. Ich
überzeugte mich davon beim Häuptlinge Ganda, der uns
Fruchtstöcke von enormer Grösse lieferte.
Vom südlichen Abhange des Kinde-Thales, wo wir bei
den Weilern Ganda’s unser Lager aufschlugen, geniesst man
eine schöne Fernsicht auf weit abliegende Landtheile. Das
Auge schweift nach N über das malerische Kinde-Thal
hinüber auf das jenseit sich erhebende und theilweis von
uns durchzogene Bergland, hinter dem im N etwas zu OÖ
die Spitzen des Kurdja, Korbe, Korkodo, in weiter Ferne
hervorragen. Der Berg Müga bleibt von hier unsichtbar,
doch eröffnet sich dem Blicke zu NO eine weite Ebene,
in welcher der Fluss Kinde hinzieht und in der Ferne der
Berg Maja erscheint.
Mit den Jagdgründen Ganda’s endet in der Richtung
nach S das Gebiet der Kakuak, und wird bald die Grenze
zu den Kalika überschritten. Die Kakuak gehören ihrer
Herkunft nach unstreitig zu dem grossen Bari-Volke und
reden gleich den Fadjellu eine dem Bari verwandte Sprache.
Bari-Leute vom Bahr el Gebel dienten mir im Kakuak-
Gebiete wiederholt als Dragomane. Vom Lager bei Ganda
führt der Weg jenseits des Kinde-Thales und des südlich
davon liegenden Plateau’s allmählich bergab, steigt jedoch
bald wieder zu einer weiten Hochebene an, von wo aus
das Auge nach W eine Thalsenkung überschaut, während
im Rücken gegen N ab und zu die bereits mehrfach er-
wähnten Gebirgsstöcke sichtbar werden, und auch der Müga
abermals in den Gesichtskreis tritt. Zu O und SO ist die
Fernsicht durch später wieder auftretendes Berg- und Hügel-
land getrübt, wo zwei hohe Kegelberge mir als Kodöfe und
Kinbäfo bezeichnet wurden.
Bis zur Grenze der Kalıka finden auch die jenseit des
Kinde gekreuzten kleinen Gewässer durchgängig ihren Ab-
fluss nach NO, während später, nachdem ein bedeutender
Hügelrücken überschritten wird, die Gewässer zu W und
SW abfliessen.
Bevor man noch die wahrscheinliche Wasserscheide- der
zwei mächtigsten Flusssysteme des Erdtheiles überschreitet,
worauf ıch bei der Hydrographie der Ländergebiete näher
zurückkomme, tritt hier unter diesen Breiten, am kleinen
Chor Häro mit üppiger Ufervegetation, zum ersten Male ein
Vegetationstypus auf, der seiner Eigenart wegen selbst dem
Unachtsamen in die Augen springen muss. Es ist das Ele-
phantenohr, Schweinfurth’s Platycerium elephantotis Schw.
An starkem Astwerke alter Baumstämme angeklebt, führt
das sonderbare Gebilde ein parasitäres Leben. Ein Lieb-
lingsplatz desselben scheint die winkelige Ausbuchtung zu
sein, wo sich das Astwerk dichotom theilt. Hier sitzt das
Gebilde sattelförmig auf und lässt die grünen Blätter, ähn-
lich den riesenhaften Schleifen an der Haube einer alten
Matrone, abwärts hängen, während die braunen, vergilbten
Blätter kranzföormig nach oben stehen. Das frische !/; bie
/„m lange Blatt zeigt auf der Rückseite einen weichen gel-
ben Filz, äbnlich dem schwedischen Handschuhleder.
Das Grenzgebiet zwischen Kakuak und Kalika zeichnet
sich, ohne hohe Bergstöcke aufzuweisen, doch durch sehr cou-
pirtes, feleiges Terrain aus, wo auf den sonst kahlen, fast
vegetationslosen Felspartien, eine auch nur in diesem Ge-
biete angetroffene schöne Euphorbie auftritt. Theils ohne
Stamm aus den Spalten des nackten Gesteins hervorgewach-
sen, theils mit mächtigem 15—24 cm Durchmesser halten-
den Stamme, der eine sehr regelmässige Krone zeigt, ist
sie im Wuchse und Typus von der Euphorbia candelabr.,
wie sie vielfach im Lande der Djur, auch im Bari-Gebiete
am Bahr el Gebel &c. vorkommt, verschieden. Der Milch-
saft der fleischigen Blätter derselben liefert den Kalika
einen Bestandtheil zu ihrem hier mehr als in anderen Neger-
gebieten gefürchteten Pfeilgifte.
Von dem südlichen Abfalle eines Hochplateau übersieht
man zu S sich weithin erstreckendes flach-hügeliges Land
ohne sichtbare Erhebungen. Am äussersten Horizonte nur,
etwa zu SSW, erscheinen einige zusammenhängende Berge.
Jenseit der ersten Weiler im Lande der Kalıka, wo sich
stundenlang Culturfelder mit rotber Durra bestellt hinziehen,
folgt gewellte Steppe, vielfach von kleinen Wasserläufen
durchzogen. Baum- und Buschwald und hohes Gras, wel-
ches im Lande der Kakuak überall angetroffen wird, nimmt
weiter südlich merklich ab, und es tritt freies, offenes Land
auf. Abgesehen von kleinen Hügelreihen, die zu O und
W noch anfangs die Aussicht nach diesen Richtungen be-
nehmen, zeigt sich das Land in der Folge sanft hügelig
gewellt, offen und nur an den Flussläufen findet sich Stamm-
vegetation. So fehlte uns im Lande der Kalika zum täg-
lichen Hüttenbau meist das nöthige Material, Holz und
hohes Gras, und wurden Hunderte der leichten Strohdächer
der Eingeborenen als Ersatz von Weit und Breit zum Lager-
platze zusammengetragen. An den folgenden Reisetagen
erst gewahrt man von höher gelegenen Landtheilen aus zu
O zwei Bergkuppen, denen später zu SO noch mehrere
andere zusammenhängende folgen.
Bereits die äussere Gestalt des südlichen Kalika-Landes
weist darauf hin, dass die Eingeborenen in diesen Distrio-
ten ein eifrig ackerbautreibendes Volk und nebenbei Vieh-
züchter sind. Einerseits kreuzt man häufig unabsehbare
Die ägyptischen Äquatorial-Provinzen.
Durra-Feller, andererseits entsinne ich mich in allen durch-
reisten Negerländern keines Districtes, wo bereits die viel-
fachen am Boden sichtbaren Fährten der Rindviehheerden
auf solchen Viehreichthum wie im Kalika-Gebiete, hätten
schliessen lassen. Stellenweis gleichen die ausgetretenen
sich kreuzenden Fährten unseren breiten Landstrassen, so
dass die Mannschaften, während sonst überall im Hochgrase
und ein’eln hinter einander marschirt wird, im Kalika-
Gebiete als compacter Haufen über die seitwärts vom Wege
kurz abgeweideten Wiesen sich fortbewegten.
Vom I.agerplatze bei Lemihn erscheint in dem ganzen
durchreisten südlichen Districte ein einziger Hügelberg,
Abänga, der in der Folge auf der südlichsten Rundreise,
auf stundenweite Entfernung von uns umkreist, stets in
Sicht bleibt. Jenseit der Weiler Lemihn’s trat für kurze
Zeit Buschwald auf, dem spüter in der Niederung, in wel-
cher der breite Fluss Kibbi zu NW zieht, dichter Hoch-
wald folgt. Auf dem Westufer des Kibbi steigt man all-
mähblich zu einem Wealdplateau an, welches sich nach
Westen senkt und bald darauf an Stelle des Waldes wieder
freies, offenes Land zeigt, ohne jeden Baumbestand. Nie-
driges Gras charakterisirt auch hier die Gegend. Das
Terrain fällt allmählich zu W und S ab, und sieht man
weit hin über eine Thalsenkung mit Weilern und ausge-
dehnten Culturfeldern der Eingeborenen. Von eiuer An-
höhe in diesem Districte des Häuptlinges Lfki in der Nähe
unseres Lagers hatte ich noch freieren Ausblick. Das Land
zu W zeigt jenseit der flachen Thalsenkung langgewellte
Hugel, die weiterhin an Höhe zunehmen und westlicher in
ein Bergland übergehen, deren einzelne Spitzen 300 m
relative Höhe erreichen mögen. Der nördlichste, entfern-
teste Bergkegel erscheint als der höchste. In der Richtung
SW ragt über daa näher .iegende Hügelland in weiter Ferne
eine vereinzelte Bergspitze hervor. Nördlich von dem
erwähnten Berglande, etwa WNW von unserem Lager,
wurde mir der Bezirk des Häuptlinges Lüggar gewiesen,
dessen ich früher bei Besprechung der Expeditionen zur
Beschaffung von Elfenbein erwähnte, Angeblich sollen seine
Weiler etwa 5 Stunden südlich vom Flusse Kibbi liegen,
der in jener Gegend nördlich von dem Berglande nach
W zieht
Der Anblick aus unserem Lager über die erwähnten
Land-Gebiete bot dem Beschauer ein liebliches und fried-
liches Bild afrikanischen Wohllebens, wie ich es nirgends
in den Negerländern angetroffen habe, auf welches das
feindliche und raubsüchtige Vorgehen unserer Mannschaft
wenig passte. Ausgedehnte Culturfelder mit weit über
mannshohen Durra-Stengeln, zwischen denen sich die Ein-
geborenen schützend verborgen hielten; kleine Strecken mit
Lubia, verschiedenen Arten Bohnen, Kürbis, süssen Ba-
|
en — un
m
457
taten &c. bestellt; an den sanft geneigten Hügeln abge-
weidete Wiesen, die vielfach in allen Richtungen von klei-
nen Gewässern, Bächen, tiefliegenden Rinnsalen durchzogen
sind und auch hier von anstehender, üppiger Baumvege-
tation, als schmaler grüner Streifen, begleitet werden; ab
und zu aus den Culturfeldern aufragende kleine, kaum
einige Dutzend Bäume zählende Haine, deren Hochstämme
durch Buschwerk und Schlinggewächse verdichtet sind;
einzelne die Stelle unserer Dorflinden einnehmende Stämme,
die friedliche Schattenplätze bieten und auch hier vielfach
bei den über das Land vertheilten kleinen Weilergruppen
anzutrefien sind, während die Delebpalme und Banane nur
sehr vereinzelt vorkommen, lassen — Alles ın Allem —
die Gegend auf den ersten Blick mit einem cultivirten Land-
striche in Europa vergleichen.
In der Richtung zu S und zu OÖ zieht sich gleichfalls
langgewelltes, dem eben beschriebenen ähnliches Terrain
hin, und ist nur zu SO auf einige Stunden Entfernung von
dem bereits erwähnten Berghügel Abänga unterbrochen. In
beiden Richtungen gewahrt man aber schon von bier aus
in blauer Ferne die Spitzen von Gebirgszügen, denen ich
später auf meiner südlichsten Rundreise näher kam, und
die mir dort deutlicher zu Gesichte traten. In Betreff dieses
südlichen Landstriches — der westliche Theil gehört noch
zum Gebiete der Kalika, die sich weithin zu W ausbreiten
sollen, während die östlichen von uns durchzogenen Districte
bereits von Lübari bewohnt werden — ist dem oben Er-
wähnten kaum Bemerkenswerthes hinzuzufügen. Auf dem
südlichen Bogen der Reise sah ich von verschiedenen Punk-
ten unserer Lagerplätze aus die im fernen Süden aufragen-
den Gebirgsstöcke. Die Entfernung der Bergregion mag
30—40 km betragen. Durch das Fernglas konnte ich auf
einzelnen Höhen Baumvegetation erkennen. Der Form nach
zeigen diese Bergreihen noch nicht das Cliarakteristische
von hohen Gebirgen, erscheinen mehr als kuppelförmige
Bergerhebungen, zwischen denen hindurch ich jedoch weiter
abliegende Gebirgsspitzen erkennen konnte. Das näher ge-
legene Bergland bildet unstreitig ein zu NW von den blauen
Bergen Baker’s sich weiterstreckendes Voralpenland, hinter
dem sich zu SO der eigentliche Gebirgsstock am Albert
Nyanza erhebt.
Vom Bezirke Liki’s verlief unsere Reiseroute anfangs
zu S, dann zu O und schliesslich auf Wegen, die zu N
führten, wieder in das früher durchzogene Territorium Le-
mihn’s. Die berührten üstlichen Punkte im Lande der Lü-
bari brachten mich den früher bereits gesehenen und ge-
peilten im Osten binziebenden Gebirgen näher. Dicselben
erscheinen von hier, indem sie sich jenseit des gewellten
Terrains erheben, nicht mehr als einzelne Bergspitzen, son-
dern als zusammenhängende Gebirgsmassen. In einigen
458 Polar-Nachrichten.
Richtungen gewahrte ich doppelte hinter einander ziehende
Gebirgsreiben. Den drei Hauptspitzen, die ich bereits vom
Bezirke Liki’s gepeilt hatte, legte ich in der Richtung von
N zu S die Namen Göbel Gessi, G. Gordon, G. Baker bei.
Am deutlichsten erschien mir der G. Gordon, welchem
noch niedrige Bergreihen vorgelagert sind, bis zu deren
Fusse, auf eine Entfernung von vielleicht 30 km leicht ge-
welltes, allmählich ansteigendes Land hinzieht. Südlich von
den zwei höchsten Spitzen des G. Gordon reihen sich an-
dere Bergzüge an, denen dann der G. Baker, ein Complex
von Bergerbebungen, folgt, hinter denen auch zu SO immer
wieder Alpenland sichtbar wird. Nördlich von G. Gordon
zieht der G. Gessi, erkennbar an einem hohen Felskegel,
der auf einem Gebirgsrücken aufsitzt. Diesem schliessen
sich, vom Lande der Lubari aus gesehen, bis zu NNO theils
zusammenhängende, theils einzelne Bergerhebungen an. Alle
diese von mir angedeuteten Gebirgstheile sind wohl unzwei-
felhaft mehr oder weniger zusammenhängende Gebirgsstöcke,
die den Bahr el Gebel zu W begrenzen, zu N und NNW
auslaufen, und dort in gegenwärtiger Zeit nur noch durch
niedriges Bergland mit den früher im Lande der Kakuak
erwähnten Gebirgszügen in Verbindung stehen. Viele jetzt
als Einzelberge aus der Ebene aufspringende Erhebungen
sind in gegenwärtiger Periode nur noch Theile und Spitzen
von Gebirgsstöcken, die in praehistorischer Zeit verbunden
waren.
Die Rückreise nach Makaraka führte vom Gebel Muga
aus auf mehr westlichem Wege zur Station Rimo. Auf
diesem Wege wurde der Fluss Jei in seinem Oberlaufe ge-
kreuzt. Die Terrain-Verhältnisse blieben den früher be-
schriebenen zwischen Rimo und Gebel Muga ähnlich.
Ein kurzes Resumd der topographischen Verhältnisse
dieser südlichen Länder würde lauten:
Der nördliche und westliche Theil ist langgewelltes Flaoh-
land, stellenweis niedriges Hügelland; der östliche Theil
Hügel-, Berg-, theils Gebirgsland ; der südliche Theil zeigt
zu W grossgewelltes Flachland, auf welches zu O Alpen-
und hohes Gebirgsland folgt. (Schluss folgt.)
. Polar-Nachrichten.
I. Nordenskiöld’s Expedition.
Die in der Gothenburger Handels- und Seefahrtszeitung
veröffentlichten Berichte umfassen zwei Perioden: die Über-
winterung vom 27. September 1878 bis 1. April 1879
und die Zeit vom 1. April bis 1. September d. J.
Am 27. September befand sich die „Vega’” in der Koliu-
tschin-Bucht, am 28. entstanden die ersten Schwierigkeiten
durch zusammengefrorenes Treibeis, welches das tiefere Fahr-
wasser unzugänglich machte. Sie wurden verhängnissvoll,
es gelang nicht, das Schiff wieder in Fahrt zu bringen, die
Überwinterung ergab sich als unvermeidlich. Die „Vega”
wurde an einem Stück Grundeis befestigt, die Lage dieses
Winterhafens wird auf 67° 7' N. Br. und 173° 15’ W.L.
angegeben. Die Schilderung des landschaftlichen Charak-
ters der Küste entspricht durchaus den Angaben früherer
Reisenden (vergl. den Aufsatz in Heft V, die Nordküste
Sibiriens); es war ein von Lagunen durchsetztes Flachland,
welches im S ein Höhenzug begrenzte; zur Zeit war es
noch schneefrei. Auf einem sandigen Vorlande lagen zwei
Tschuktschen-Ansiedelungen: Pitlekaj und Jinretlen. Weiter-
hin fanden sich noch vier andere; auch die Koliutschin-
Insel war bewohnt und mochte die Zahl der in der Nähe
des Winterlagers der „Vega” angesiedelten Eingeborenen
wohl an 200 betragen. Bald arbeitete sich durch das Eis
ein „mit Männern und Weibern bis zum Sinken belastetes”
Boot heran, später wurden die Besuche häufiger und kamen
auch aus entfernter gelegenen Dörfern. Sie zeigten die
aus dem regelmässigen Tauschverkehr der Tschuktschen
mit den Walfängern bekannten Eigenschaften der letzteren:
die Neigung zum Branntwein und zum Handelsbetrug. Am
13. October war die „Vega” von einem mindestens 30 km
breiten Eisgürtel umgeben. Im Lauf des Winters wurde
monatlich die Stärke des neugebildeten Eises gemessen,
während diese am 1. December nur erst 56 cm betrug,
wuchs sie bis zum 1. März auf 123 cm und stieg am 1. April
sogar auf 127 cm. Ein am 1. Januar 1879 von Lieutenant
Bove nach dem offenen Wasser unternommener Ausflug
führte theils durch tiefen, lockeren Schnee, theils über
Terrassen. Da Herr Bove selbst von einem 5 m hohen
Eiswall keine Grenze des offenen Wassers erblicken konnte
und auch der Himmel keinen Eisblink zeigte, mochte die
Breite des offenen Wassers mindestens 35 km betragen.
Lieutenant Nordquist sammelte bei 13 Eingeborenen Naoch-
richten über die Eisverhältnisse an der Küste zwischen
Cap Jakan und der Bering-Strasse. Diese Aussagen stimmen
darin überein, dass das Meer „im Sommer” von Mai oder
Juni bis September auf dieser Strecke eisfrei sei. Schon
im October saudte Professor Nordenskiöld die Lieutenants
Nordquist und Hovgaard auf eine Excursion landeinwärts,
zum Lager Menka’s, eines Ältesten der Renthier-Tschuk-
tschon.. Am 5. December besuchte Herr Nordguist auf
Hundeschlitten eine Tschuktschen-Niederlassung an der
Polar-Nachrichten.
Koliutschin-Bucht, Die durchstreifte Gegend war ein hie
und da von Sümpfen unterbrochener Sandgürtel, hinter
dem sich landeinwärts eine etwa 40 F. hohe Hügelkette
erhob. Es wurden noch eine ganze Reihe grösserer und
kleinerer Excursionen während des Winters unternommen ;
sie liefern ein ziemlich vollständiges mit einzelnen beson-
ders interessanten Zügen durchwebtes Bild von der im
Grossen und Ganzen durch die früheren Reisen wohlbe-
kannten Lebensweise und Sitten der Tschuktschen.
Den Winter bezeichnet Nordenskiöld als bei weitem nicht
so kalt wie an anderen Punkten der Polarregion oder des
sibirischen Festlandes, doch war derselbe sehr sturmreich.
Die täglichen und nächtlichen Beobachtungen an der zu
dem Zweck !, km vom Schiff errichteten Stelle wurden
ohne Unterbrechung durchgeführt. Die Wetterbeobach-
tungen fanden bis zum 1. November alle vier Stunden, von
da ab bis zum 1. April zu jeder Stunde Statt.
„Die höchsten Kältegrade der einzelnen Monate herrschten:
October, den 24. mit 20,8° unter Null
November „ 30. „ 272 ,„ „
December „ 23. „ 37,1, „
Januar „ 25. „ 45,7 „ „
Februar „ 2. „ 43,8 y„’ „
März }) 29. „ 39,8 L) „
Zweimal hatten wir ungewöhnlich hohen Barometer-
stand, nämlich am 22. December 782,0 mm und am 17. Fe-
bruar 788,1 mm. Der niedrigste Luftdruck wurde am
31. December mit 728,8 mm bemerkt. Die Witterung war
während des Winters sehr stürmisch und die Windrichtung
nahe dem Boden meist NW oder NNW, dagegen herrschte
in verhältnissmässig geringer Höhe über der Erdoberfläche,
dem Zuge der Wolken nach zu urtheilen, ein nahezu be-
ständiger Luftstrom aus Südost. Die Ursache dieser Wind-
richtungen ist leicht ersichtlich, wenn man bedenkt, dass
die Bering-Strasse einen von ziemlich hohen Bergen umge-
benen Hafen zwischen des Stillen Oceans warmer und des
Eismeers kalter Luft bildet. Die Winde müssen hier in
derselben Weise entstehen, wie in einer zwischen einem
warmen und einem kalten Zimmer geöffneten Thür. Da
während des Winters kein Thauwetter eintrat, welches im
Stande gewesen wäre, den fein gefrornen Schnee auch nur
theilweis zu schmelzen und zusammen zu backen, so ge-
schah es häufiger, dass der Wind die feinen Schneetheile
emporwirbelte, und selbst bei klarem Himmel entstanden
stundenlange Schneestürme, so dass man in einem Abstand
von einigen Metern keinen Gegenstand erkennen konnte. So
lange die Kälte noch keine 40° erreicht hatte, entnahmen
wir unsere Notirungen sowohl dem Quecksilber- als dem
Spiritus-Thermometer, als sie unter 40° sank, nur dem
letzteren. Bei zunehmender Kälte verschwand das Queck-
silber plötzlich aus dem Glasrohr und sank gänzlich in die
459
Kugel binab, Bei zunehmender Wärme stieg es wieder,
ohne dass durch sein Gefrieren und Wiederaufthauen das
Glasrohr Schaden gelitten hätte”.
Nach deu von Lieutenant Palander an Bord der Vega
angestellten Beobachtungen betrug der grösste Abstand
zwischen Ebbe und Fluth während des Winters nur 18cm;
eine Hindeutung auf den muthmasslich nur geringen Um-
fang des Meeres im Norden dieses Theils von Sibirien.
Der Winter hielt eigentlich bis gegen Mitte Juni an,
da bis dahin das Quecksilber nur ausnahmsweise über Null
stieg. Ende Juni machte plötzlich mit Heftigkeit eintre-
tendes Thauwetter das Land schneefrei. Am 17. Juli
hatte das während des Winters entstandene Eis sich vom
Lande losgelöstt.. Am 18, Juli 14 Uhr Nachmittags gerieth
das Eis in der Nähe des Schiffes in Bewegung. „Um
3 Uhr 45 Minuten Nachmittags begann die Vega völlig
unbeschädigt durch die Winterkälte, unbehindert durch
Eis, ihre Fahrt an der Stelle, an der wir 294 Tage ge-
legen hatten”. Nebel hemmte die erste Zeit der Fahrt
ostwärts. Ab und zu schien die Küste mit ruinenartigen
Klippenbildungen, wie sie mehrfach hier vorkommen, durch.
Am 20. Juli Vormittags 11 Uhr wurde die Bering-Strasse
durchfahren. Dieses in der Geschichte der Seefahrt hoch-
bedeutende Ereigniss begrüsste die Expedition durch Auf-
hissen der Flagge und Abgabe von Salutschüssen. Norden-
skiöld bemerkt in seinem Bericht: „Nach 326jährigen Be-
mühungen ist die Nordostpassage endlich aufgefunden wor-
den. Man mag es uns daher verzeihen, wenn wir mit
einem gewissen Stolze unsere blaugelbe Flagge am Maste
emporsteigen sahen und die schwedischen Salutschüsse in
dem Sunde abfeuerten, wo die alte und neue Welt einan-
der die Hände zu reichen suchen”, Zunächst wurde nun
die St, Lawrence-Bucht besucht. Die Vermuthung hier,
in der Konyam-Bucht „Ankali”, „Onkilon” oder „Namolli”,
Küstentschuktschen, anzutreffen und somit feststellen zu
können, ob diese den Eskimo’s verwandt, bestätigte sich
nicht. Die „Vega” fuhr dann nach der amerikanischen
Seite, dem im Gegensatz zu den sibirischen Häfen eis-
freien Port Clarence. Nachdem dann der Senjawin-Sund
und die Lawrence-Insel angelaufen, verweilte die Expe-
dition noch 5 Tage bei der Bering-Insel, wo zahlreiche
Reste der Rhytina Stelleri gesammelt wurden. Am 2. Sep-
tember Abends ankerte die „Vega” auf der Rhede von
Yokohama.
Am 22. October traf in Gotha unter der Adresse des
verstorbenen Dr. Petermann, ein „im Winterhafen am nörd-
lichen Theil der Bering-Strasse, 67° 7’ N. Br. und 173°
30’ W. L.” am 9. Februar 1879 geschriebener Brief des
Professor Nordenskiöld ein, worin kurz die bis dahin er-
zielten, inzwischen bekannt gewordenen Resultate dargelegt
460
werdeu. Nordenskiöld schreibt sodann: „Nur ein Zufall
hinderte mich, ohne Überwinterung in den Stillen Ocean ein-
zusegeln.. Die „Vega” wurde nämlich den 28. September
von neugebildetem Eis eingeschlossen, an einem Punkte des
nördlichen Theils der Bering-Strasse, welcher jährlich von
Walfängern besucht und oft erst Mitte Ootober verlassen
wird. 5 bis 6 Minuten weiter nach Osten sahen wir das offene
Wasser, das uns nach Süden geführt hätte!” Als wichtigste
Resultate seiner Reise hebt Nordenskiöld in diesem Briefe
hervor: „dass die Möglichkeit einer regelmässigen See-
verbindung für Handelszwecke zwischen Europa und der
Lena, und zwischen dieser und der Beringstrasse erwiesen
ist. Vorläufig darf man aber noch nicht darauf rechnen,
die Hin- und Rückreise in einem Sommer zu machen. Die
Eisverhältnisse von Ende Juli bis Mitte September bieten
kein Hinderniss der Fahrt längs der Nordküste Sibiriens
für Dampfer von nicht allzu grossem Tiefgang. Die Ex-
pedition hat das sibirische Eismeer reich an Invertebraten
gefunden. Dieser Reichthum an niederen Organismen lässt
auf einen Reichthum an Fischen schliessen, welcher, wenn
ein Mal die grossen Flussfischereien Sibiriens ausgebeutet
sind, von grosser Bedeutung werden kann”. Nordenskiöld
fügt hinzu: „Hierin liegt vielleicht die wahre Zukunft des
Eismeers”.
Von der amerikanischen Expedition sind ein paar
durch Waler überbrachte Daten zu verzeichnen.
Die ‚Jeannette” hatte am 21. August St. Michaöls ver-
lassen, nachdem man sich dort mit Vorräthen, Kohlen, Pelzen,
ferner mit 40 Hunden und zwei Eingeborenen zur Füh-
rung der letzteren, versorgt hatte. Am 25. August, nach
einer sehr stürmischen Fahrt, traf das Schiff in der St. Law-
rence-Bai ein, wo die Witterung noch fortwährend sehr milde
(bei Nacht noch 35° C.) war. Bis auf einen Chinesen, der
krank geworden und deshalb in St. Michaöls entlassen wurde,
war die gesammte Bemannung des Schiffs wohl.
II. Norwegische Fahrten im Europäischen Eismeer.
Der Güte des Herrn Carl Pettersen in Tromsö ver-
danken wir verschiedene Mittheilungen aus den Schiffsjour-
nalen mehrerer norwegischer Eismeerfahrer: des Schiffers
F. Kjeldsen, Jacht „Johanna Maria”, J. N. Isaksen, Jacht
„Pröven”, M. E. Arnesen, Schuner „Norrland” und Henning
Andreasen, Jacht „Eliezer”, deren Curse die Zeit von Mitte
Mai bis Anfang September umfassen und sich in verschie-
denen Richtungen in dem Gebiet zwischen West-Spitzber-
gen und dem Karameer bewegen. Kjeldsen kreuzte im
Juli an der West-Seite von Spitzbergen hinauf und erreichte
am 12. September nördlich von den Sieben Inseln unter
19° ÖL. v. Gr. die Breite von 81° N. Bei einer Ober-
flächen-Temperatur der See von + 1° R. war die letztere
Polar-Nachrichten.
hier wenigstens 40 Seemeilen nordwärts eisfrei. In Folge der
in der ersten Hälfte des Juli stets vorherrschenden O-Winde
zog sich die Eisgrenze stetig weiter und weiter nach Westen,
später schwankte diese Grenze unter den wechselnden W-
und O-Winden hin und her und zwang Kjeldsen zu viel-
fachem Kreuzen. Isaksen segelte schon im Juni längs der
Nordküste von Spitzbergen in eisfreiem Fahrwasser oder
losem Treibeis zur Hinlopenstrasse, wo er erst zwischen
Thumbs Point und Cap Torrell eine feste Eisschranke fand.
Der interessanteste Curs ist der des Schiffers M. E. Arne-
sen, Schuner „Norrland”, weil er die Eisverhältnisse des in
diesem Sommer für die meisten Handelsschiffe unzugänglich
gebliebenen Karameers einigermassen aufklärt. Arnesen ver-
liess Tromsö mit seinem Schuner von 71 Tons Tragfähig-
keit am 27. Juni, erreichte am 3. Juli 74° 30’ N. Br.
unter 18° Ö. L. in offenem und eisfreiem Fahrwasser,
und segelte dann östlich zum Matotschkin Scharr (12. Juli),
wo er die durch die bisherigen Berichte bekannten Fahrtbin-
dernisse fand. Am 24. Juli unternahm es das kleine, flach
gehende Fahrzeug, durch die Jugorstrasse zu kreuzen. Am
25. konnte der Schuner in einem offenen Streifen des Kara-
Wassers ostwärts längs der russischen Küste bis zur Mün-
dung der Kara gelangen. Sodann fuhr er an der Eiskante,
welche sich zunächst von S nach N, und nach einer kleinen
Biegung ostwärts auf 74°, wiederum bis nahe dem 76°
nordostwärts, dann aber südostwärts erstreckte, hinauf
Diesen Punkt erreichte Arnesen am 20. August. Die
Rückfahrt konnte Arnesen ungefähr durch die Mitte der
Karasee in der Richtung auf die Waigatsch-Insel zu neh-
men; so weit, über die Hälfte der Breite der Karasee, war
inzwischen der Eisgürtel zurückgewichen. Wie sich noch
später, im September und October, die Eis- und Wetter-
verhältnisse in der Karasee gestalteten, darüber ist von
den Führern des einzigen Dampfers, welcher in diesem Som-
mer die Fahrt nach dem Jenisseji und zurück glücklich
vollführte, Dallmann und Burmeister nähere Auskunft noch
zu erwarten. Von zweien der unverrichteter Sache zurück-
gekehrten Fahrzeuge, den Dampfern Neptun und Samuel
Owen, liegen uns ziemlich ausführliche Journalauszüge vor.
Darnach erscheinen als charakteristische Züge des Wetters
in dem von den Schiffen durchkreuzten Gebiet zwischen
Matotschkin-Scharr und der Jugorstrasse in den Monaten
Juli und August: längere Zeit hindurch mit geringen Unter-
brechungen vorherrschende N-, NO-, und O-Winde und
fast vollständige Nebellosigkeit im Vergleich zu früheren
Sommern; die Luft- und Wasser-Temperatur war, wie im
vorigen Sommer, + 4° C. Wenn es sich um Förderung
des neuen Seewegs handelt, so ist ein Vorschlag des Capt.
Rassmussen gewiss in hohem Grade beachtenswerth: dass
für alle Fälle an den Mündungen der beiden Ströme Koblen-
Polar-Nachrichten.
und Proviant-Niederlagen errichtet werden möchten, um
die etwa zur Überwinteruug gezwungenen Fahrzeuge sicher-
zustellen. Es sei hier auch auf den Vorschlag einer
St. Petersburger Zeitung aufmerksam gemacht, dass zur
Beobachtung von Wind, Wetter und Eisbewegung im Kara-
meer eine ständige meteorologische Station errichtet werden
möge. Als geeignetster Platz dazu wird ein Punkt an der
Ostseite der Waigatsch-Insel bezeichnet und darauf hinge-
wiesen, dass die Station in telegraphische Verbindung mit
dem Festlande zu bringen wäre. Mittlerweile haben wir
nun auch etwas nähere Kunde über die Rettungs- und
meteorologische Station erhalten, welche unter Leitung des
Herrn Tjagin, Lieutenant im russischen Piloten-Corps, im
vorigen Sommer (s. Mitth. Jahrg. 1878, S. 119) nahe bei
Karmakul (72° 30’ N. Br. und 52° 45' Ö.L.) im Süden
von Nowaja Semlja errichtet wurde. Die Beobachtungen
in dem zu diesem Zweck errichteten Hause begannen am
1. September. Die in der Gegend winternden Samojeden
fanden sich erst beim ersten Schneefall wieder ein. Die
Zabl der Überwinternden stieg, einschliesslich von vier Syr-
janen und einem Samojeden, welche ihr Quartier an der
Moller-Bai aufgeschlagen hatten und einer Partie von der
‚Petschora, auf vierzig. Die Samojeden hatten für ihre Er-
nährung auf eine Jagdausbeute von Renthieren gerechnet:
allein unglücklicherweise blieben im vorigen Winter Ren-
tbiere und Füchse von der Station fern, und es brach unter
den Samojeden in Folge ihrer ungenügenden Ernährung
der Scorbut aus. Trotzdem wurde die Jagd auf Bären
und Seehunde den ganzen Winter hindurch fortgesetzt und
lieferte reiche Ausbeute. Erst im April, als die Vögel er-
schienen, wich die Krankheit. In den ersten Tagen des
April unternahm Herr Tjagin den Versuch, durch das
Innere der Insel zu der 90 Werst entfernten Ostküste
zu gelangen. In 6 Tagen kam er 46 Werst weit und
wurde dann von einem Augenübel befallen, das ihn zur
Umkebr zwang. Am 1. August schiffte er sich nach Ar-
changel ein und erreichte diesen Hafen am 5. August. Aus
neuester Zeit haben wir bereits einen in Mohn’s meteoro-
logischem Jahrbuch veröffentlichten Beitrag zur Klimatologie
Nowaja Semlja’s, welcher sich auf die Beobachtungen des
Capt. Bjerkan an der Moller-Bai (3. October 1876 bis
11. October 1877) stützt, (vergl. Mitth. 1878, S. 194); um
so willkommener ist die nunmehr von Tjagin zu erwartende
Bereicherung unserer meteorologischen Kenntnisse von No-
waja Semlja.
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XII.
461
III. Die Hamburger Polar-Conferenz.
Ein Plan für weit umfassendere Beobachtungen die
von Weyprecht projectirten physikalisch- meteorologischen
Stationen scheint nunmehr seiner Verwirklichung entgegen-
zugehen. Am 1. October trat in Hamburg die von dem
Meteorologen-Congress zu Rom veranlasste Commission, welche
über die Ausführung des bekannten Weyprecht’schen Plans
zu berathben hatte, zusammen. Über die Resultate dieser
Berathungen erfahren wir das Folgende: Die Conferenz
war beschickt von den Regierungen des Deutschen Reichs,
Frankreichs, der Niederlande, Norwegens, Dänemarks, ferner
von der Akademie der Wissenschaften in Stockholm und
von der Geographischen Gesellschaft in St. Petersburg.! Aus
den Vereinigten Staaten lag ein Schreiben vor, welches die
Errichtung einer Beobachtungs-Station bei Point Barrow
im Prineip annahm. Die meisten Vertreter waren zu defi-
nitiven Abmachungen nicht bevollmächtigt, hauptsächlich
deshalb, weil den Regierungen kein nach gemeinsamer Über-
einkunft aufgestelltes Programm vorlag, aus welchem die
Ziele und der Umfang der zu ihrer Erreichung erforder-
lichen Mittel ersichtlich gewesen wären. Dieses Programm
stellte die Conferenz wenigstens in den Hauptzügen auf.
Als Aufgabe des Beobachtungs-Systems, welches circumpolar
an einer Reihe von Punkten: aufj Ostgrönland, Spitzbergen,
Nowaja Semlja, an der Lena-Mündung oder den neu-sibiri-
schen Inseln, auf Point Barrow, an einem Punkte des ark-
tischen Archipels von Amerika, endlich in Upernivik, so
wie ferner an zwei oder drei Punkten der Südpolarregion
errichtet werden soll, wird die Untersuchung und Erfor-
schung der physikalischen Verhältnisse bezeichnet und sollen
die Stationen ein Jahr fungiren. Die Conferenz hat sich
zu einem permanenten, internationalen Comite constituirt
und wird sich im nächsten Jahre, wenn man über den
Umfang der von den verschiedenen Regierungen zur Ver
fügung gestellten Mittel Klarheit gewonnen hat, wieder
versammeln. Die Gleichzeitigkeit solcher Beobachtungen
auf einem die ganze Circumpolarregion umfassenden Gebiet
wird ohne Zweifel ein werthvolles Material schaffen. Nie-
mand wird aber in Abrede stellen, dass die Entdeokung
der noch unbekannten Gebiete am Nord- und am Süd-
pol nach wie vor eine Hauptaufgabe der Polarforschung
bleiben wird.
M. Lindeman.
462
Geographischer Monatsbericht.
Europe,
Der Wiener Akademie überreichte Prof. J. Harn in der
Sitzung vom 16. October „Untersuchungen über die Regen-
verhältnisse von Österresch-Ungarn”. Wenngleich diese Ab-
handlung vorzugsweise bezweckt, eine rationelle Methode
der Ableitung von Resultaten aus den Messungen des Regen-
falles während kürzerer Zeiträume zu begründen, so legt
sie doch auch die wichtigsten Verhältnisse der Regenver-
theilung in Österreich-Ungarn dar, auf Grund der Regen-
messungen an 145 Orten, von denen wenigstens zehnjährige
Beobachtungen vorhanden sind. Der Sitzungsbericht hebt
daraus die allgemeinsten Resultate hervor:
„In dem grössten Theile von Österreich-Ungarn ist der
Juni der regenreichste Monat, so in ganz Böhmen, in ganz
Ungarn mit Siebenbürgen, im östlichen Theile von Galizien
und in der Bukowina. In Mähren und Schlesien fällt im
Juni und August fast die gleiche Regenmenge mit einer
zwischenliegenden Abnahme im Juli. West-Galizien und
das Tatra-Gebiet haben vorwiegende Juliregen.
„Die Nord-Alpen-Zone von Wien bis Bregenz hat Juli-
und Augustregen, das Alpenvorland neigt zu Juli-, die in-
neren Alpenthäler zu Augustregen. Die Thäler auf der
Südseite der Centralkette haben im Osten Juliregen, im
Westen Augustregen. Zugleich beginnt aber hier auch der
September regenreich zu werden und schon im oberen
Drauthbal, so wie im oberen Etschthale und wahrscheinlich
längs der ganzen Linie, steigert sich der Regenfall im
October wieder zu einem secundären Maximum. Unmittel-
bar südlich vom oberen Drauthal beginnt schon das October-
Maximum das Übergewicht zu erlangen über das auf den
Juni zurückgewichene Sommermaximum. Im Juessachthale,
so wie im Canalthale (SW Kärnthen) ist das October-
Maximum schon das Hauptmaximum, die Sommerregen sind
aber noch ziemlich gleichmässig, oder besser nach Ort und
Zeit unregelmässig vertheilt. Südlich von der Kette der
Karavanken in Krain ist das October-Maximum vollständig
“entwickelt, auf Juli und August fällt schon ein secundäres
Minimum. Weiter nach Osten in Agram, Esseg ist er
ziemlich unentschieden, in welchem Monate mehr Regen
fällt, im Juni oder October. In den Carnischen Alpen, im
Gebiete von Udine und Belluno, so wie in der oberitalie-
nischen Ebene am Fusse der Alpen findet man eine ent-
schiedene Vorherrschaft der Octoberregen, ein secundäres
Maximum tritt im Juni oder Mai ein. Das Trentino bildet
vielleicht eine kleine Ausnahme von seiner Umgebung durch
die bis zum Maximum gesteigerten Mairegen, doch sind
bier längere Beobachtungen abzuwarten. Eben so treffen
wir längs der ganzen Ostküste des Adriatischen Meeres
Octoberregen mit zunehmendem Procentsatze der Jahres-
summe, bis jenseit des 44. Breitengrades die Novemberregen
das Übergewicht erlangen und zu Corfu schon das Maxi-
mum zwischen November und December fällt. Gleichzeitig
nehmen die Sommerregen rasch ab und etwa von 45° an
fällt mehr Regen in den drei Winter- als in den drei
Sommermonaten. Je weiter nach Süden, desto ausgeprägter
scheidet sich eine Trocken- von einer Regenzeit. Unter
dem 41° fällt im Juli nur mehr 1 Proc. der Jahressumme;
im ganzen Sommer schon vom 43° an nur mehr 12 Proc.,
unter 41° etwa 10 Proc., in Corfu 39%° blos noch 4 Proc.
Im oberen Theile des Adriatischen Meeres hat der Mai oder
Juni ein secundäres Maximum des Regenfalles, im mittleren
und südlichen Theile der März.
„Die trockensten Monate sind in ganz Österreich-Ungarn
bis zum 45° (wo der Juli der trockenste Monat wird) der
Januar und Februar, besonders bemerkenswerth ist die
Regenarmuth des Februar am Südfusse der Centralkette der
Alpen. Secundäre Minima treten auf der Nordseite der
Alpen im September oder October ein. Die grosse unga-
rische Niederung ist charakterisirt durch Frühsommerregen
und relativ ärmliche Niederschläge im Hochsommer, ferner
durch ein zweites ziemlich hervortretendes Maximum im
November, selbst December.
„Die böhmischen Bergstationen zeigen eine grosse Steige-
rung der Winterniederschläge, so dass im Böhmerwald das
Winterhalbjahr mehr Niederschläge hat als das Sommer-
halbjahr, eine Erscheinung, die auch in den deutschen Mittel-
gebirgen zu bemerken ist”.
Die topographische Abtheilung des schwedischen Gene-
ralstabs hat eine ungemein vollständige und vielseitige Be-
schreibung und Statistik des Kronobergs Län ausgearbeitet
(Topografiska och statsstiska wppgifter om Kronobergs Län.
Stockholm, Norstedt, 1878), welches wohl kaum eine der
Fragen unbeantwortet lässt, die man an die Specialgeogra-
phie eines Landestheiles stellen kann. Die zugehörigen
Karten stellen in 1:500000 die Bevölkerungsdichtigkeit
und die Höhenschichten von 100 zu 100 Fuss dar, in einer
Ausführung, die dem Ruhm der schwedischen Generalstabs-
karten hinsichtlich des Geschmackes vollkommen entspricht,
Im „Journal of the Statistical Society”’ vom September
begegnet man einer verdienstvollen Arbeit von E. @. Ra-
venstein über die coeltischen Sprachen auf den britischen Inseln '),
worin dieser vortreffliche Geograph, gestützt auf die aus-
fübrlichen Census-Werke die Verbreitung und Grenzen der
genannten Sprachen in Wales, Schottland und Irland für
1871 resp. 1851 in Wort und Karten darlegt, das Zahlen-
material beigiebt, die Veränderungen erörtert und seine
Schlüsse zieht. Besonders interessant ist die Nebeneinander-
stellung von zwei Karten von Irland, welche den auffälligen
Rückgang der celtischen Sprache in Munster während des
kurzen Zeitraumes von 1851 bis 1871 vor Augen führt.
Von Rikens’ Schoolatlas van Nederland en zuyjne besittngen
ist kürzlich die fünfte vermehrte Ausgabe erschienen (Gro-
ningen bei J. B. Wolters, 1879). In Format und Habitus
ein Gegenstück von dem weiter unten zu erwähnenden
Bos’schen Schulatlas der ganzen Erde, führt auch Rijkens’
Atlas den Grundsatz durch, die Karten leer erscheinen zu
lassen, bei verhältnissmässig grossem Maassstab nur das
Hauptsächlichste vorzuführen und dadurch eine möglichste
Klarheit zu bewahren; auch hier ist den Karten durch zar-
tes Flächenkolorit ein angenehmes Äussere gegeben. Der
Atlas besteht aus 21 Blatt, wovon 14 auf die Niederlande
1) On the celtic languages in the British Isles; a statistical survey.
Journal of the Statist. Soo., Septbr. 1879, p. 579—643, mit 4 Karten.
Geographischer Monatsbericht.
und ihre einzelnen Provinzen und 7 auf die überseeischen
Colonien entfallen. Einer Generalkarte des Nordsee-Ge-
bietes zur Übersicht der wichtigsten Eisenbahn- und Dampf-
schiffverbindungen der Niederlande folgen eine Höhen-
schichtenkarte der letzteren in 1:1150000 und vier auf
einem Blatt zusammengestellte kleinere Darstellungen der
Bevölkerungsdichtigkeit, des Eisenbahnnetzes, der Boden-
benutzung und der Industrie der Niederlande. Die 11
Provinzialkarten haben verschiedene Maassstäbe, auf ihnen
ist die Bodenbeschaffenheit durch Farben unterschieden.
Grösser und ausführlicher als in den meisten anderen Schul-
atlanten sind auch die Colonien dargestellt, Java z. B. in
1:1600000, Sumatra und Borneo in 1:3500 000 &c. Atjih
und das nordöstliche Borneo werden mit weiser Zurückhal-
tung nicht als holländische Besitzungen bezeichnet.
Asien,
Wie die Posteinrichtungen der Gegenwart überhaupt zu
dem Bewundernswürdigsten und Vollkommensten gehört,
was der Mensch bis jetzt: zu Stande gebracht hat, so geht
insbesondere das Kaiserl. General-Postamt in Berlin unter
der Leitung seines genialen Chefs seit geraumer Zeit bei
allen Verbesserungen der Organisation und der internatio-
nalen Verbindungen voran, und neben der Bewältigung sei-
ner grossen Aufgabe findet es, genau nach dem Beispiel
seines Chefs, immer noch Zeit zur Vertiefung in histo-
rische und wissenschaftlicbe Arbeiten. Das von (Geh.
Ober-Postrath Fischer geleitete Archiv für Post- und Tele-
graphie legt davon häufig genug Zeugniss ab, diese gelehrte
und dabei höchst interessante Zeitschrift beschäftigt sich
mit allen Zweigen des Post- und Telegraphenwesens und
bringt oft aus den entferntesten Ländern und Zeiten Nach-
richten über die Postorganisation, die helles Licht auf den
jeweiligen Culturstand werfen und schon deshalb die allge-
meinste Beachtung verdienen. Das October-Heft dieses
Jahres enthält wiederum eine solche Arbeit, und zwar über
die Posten der Chahfen, von dem Geh. Secretär X. 7’aeme.
Mit einer überraschenden Menge Einzelheiten schildert sie
das Postwesen im heutigen Arabien, Syrien, Armenien, Per-
sien &c. in seiner Entwickelung, Organisation und Ausbrei-
tung vom 7. Jahrhundert bis zum Zerfall des Chalifenrei-
ches, vergleicht es mit dem römischen und wird erläutert
und belebt durch eine nach Dr. Sprenger’s Itinerarien zu-
sammengestellte Karte der Poststrassen ım Rewh der Chahfen.
Über die Zeke-Turkomanen und die Verhältnisse, welche
den diessjährigen russischen Feldzug gegen dieselben ver-
anlasst haben, enthält eine russische Militär-Zeitung vom
October d. J. eine Zuschrift von Oberst Kuropatkın, einem
Officier, der durch weite Reisen bekannt und mit einem
grossen Theil Central-Asiens vertraut ist. Das Journal de
St.-Pötersbourg entnimmt daraus Folgendes: „Zu den ver-
schiedenen Turkomanen-Stämmen, deren gesammte Kopfzahl
sich ungefähr auf eine Million beläuft, gehören die Teke,
welche die Oasen von Merw und des Thales am Kuren-
dagh inne haben. Die anderen Stämme, wie die Ersaris
(am linken Ufer deg Amu zwischen den Besitzungen von
Khiva und Afghanistan), die Tschodoren (in der Oase Khiva,
bei den Städten Kiptschak, Hialy und Porson, so wie am
Usturi), die Jomuden (in der Oase Khiva, von der Stadt
Kunie-Urgentsch an längs des Laudan-Canals und der Seen
463
Sary-Kamysch, und weiter westlich längs des Usboi und
am Ufer des Kaspischen Meeres bis zur Gurghen), die Hok-
lanen (an den Quellen des Atrek ‘und der Gurghen), die
El-di (an den Grenzen von Afghanistan und der persischen
Provinzen Kutschan und Deregazo), und die Solaren (längs
des Murchab), erkennen alle die Autorität der benachbarten
Staaten Russland, Khiva, Buchara, Afghanistan und Persien
an. Nur die Teke, obwohl nominell dem Khan von Khiva
untergeben, sind in Wirklichkeit unabhängig und miss-
brauchen die Lage ihrer Oasen, um alle die verwandten
Stämme auszuplündern.
„Die Teke zerfallen in zwei Abtheilungen, die Akhal-
Teke, welche die Oase am Fuss des Kurendagh bewohnen,
und die von Merw in der gleichnamigen Oase. Die Oase
der Akhal-Teke hat eine Länge von 150 Werst bei einer
Breite von 20 Werst und beherbergt etwa 40000 Kibit-
ken. In der ganzen Ausdehnung dieser Oase bemerkt man
eine Reihe von Erdschanzen, vortrefflich zur Vertheidigung
geeignet, hinter denen man die Dörfer oder vielmehr die
Gruppen der Wohnungen dieser Nomaden findet. Die haupt-
sächlichsten sind Kizylarvat, Katschiat, Baschibeuren, Ar-
tschaman, Gheoktepe. An dem letzteren Ort sieht man etwa
15000 Kibitken vereinigt und dort halten auch die Akhal-
Teke die Rathsversammlungen ihres ganzen Stammes, er
ist also eine Art Hauptstadt.
„Die Akhal-Teke theilen sich wieder in Takhtamystschis
und Utemystschis. Die ersteren sind dreimal so zahlreich
als die letzteren und zeichnen sich durch friedlichere Sitten
aus. Die Dörfer im Osten, von Yarodjı bis zur Verschan-
zung Hiaurs, stehen unter vier Khanen. Die von Ute
mystschis bewohnte Verschanzung Beurm im Westen steht
unter einem Tykma-sardar; die von Takhtamystschis be-
wohnten Verschanzungen unter Berdy Muvgad-Khan, Sohn
des mächtigen Nura-Verdy-Khan, der bisher in guten Be-
ziehungen zu Russland stand.
„Die Einfälle der Akhal-Teke in das Gebiet der Jo .
muden, welche Russland unterworfen sind, forderten eine
Wiedervergeltung von unserer Seite heraus: das ist der
Zweck des diessjährigen Feldzugs. Im Jahr 1871 war eine
der stärksten Verschanzungen der Turkomanen, die von
Kizylarvat, von uns genommen und zerstört worden und
1872 zogen russische Truppen in Beurm ein. Nach dem
Fall von Khiva gaben die Turkomanen den Wunsch kund,
sich dem Herrscher von Russland zu unterwerfen, den sie
Ak-Padischah nennen; die zu jener Zeit eingeleiteten Unter-
handlungen waren aber offenbar nur ein Vorwand, um Zeit
zu gewinnen und sich auf den Kampf mit uns vorzube-
reiten. Diese Unterhandlungen wurden von den Häuptlingen
geführt ohne irgend welche Betheiligung des Volkes, das
inzwischen seine Räubereien fortsetzte.
„Als 1876 die Turkomanen von Merw durch die Ute-
mystschis Kenntniss von den Beziehungen der Takhtamys-
tschis zu den Vertretern der russischen Regierung erhalten
hatten, schickten sie alsbald Leute ihres Stammes, um die
Übereinkunft zu verhindern; sie bedrohten die Akhal-Teke
mit Krieg, falle sie sich mit den Russen oder mit ihren
anderen Nachbarn, den Persern, Khivensern, Kurden &e.
verständigten. Die Turkomanen von Merw fügten hinzu,
sie würden die Khane der Akhal-Teke, welche Boten in’s
russische Lager schickten, tödten lassen, auch seien die
59*
464 Geographischer Monatsbericht.
Russen nicht zu fürchten, weil die Turkomanen einen Hinter-
halt an Herat hätten, wo Yakub-Khan nicht mehr wäre,
und an Afghanistan, von wo sie sich stets ausgezeichnete
Waffen verschaffen könnten.
„So kam es, dass wir 1877 bei unserer Recognoscirung
von Krasnowodsk nach Kizylarvat eine feindliche Haltung
der Akhal-Teke constatiren konnten, obwohl an ihrer Spitze
derselbe Nur-Verdy-Khan stand, der vordem als unser
Freund galt. Die Turkomanen trieben die Kühnheit so
weit, dass sie unsere Forts von Tschikischliar angriffen und
eine Truppe von 1500 ihrer Reiter sogar in der Gegend
von Krasnowodsk erschien. Die russischen Befestigungen
in der Art wie die von Tschat genügten nicht, dem Übel
abzuhelfen, unsere Jomuden wurden täglich mehr durch die
Akhal-Teke beunruhigt, aller Handel zwischen Khiva und
den Ufern des Kaspischen Meeres hatte aufgehört: diesen
Zuständen musste ein Ende gemacht werden, und so wurde
denn das Expeditions-Corps des General Lazarew formirt”.
Über die diessjährigen Arbeiten der sogenannten Sa-
mara- Expedition, die von der russischen Regierung mit Vor-
studien zu Eisenbahnanlagen in Central-Asien beauftragt
ist, berichtete der Secretär der k. russischen Geogr. Gesell-
schaft, die bei der Expedition durch den Oberst Majew ver-
treten ist, in der Sitzung vom 15. October Folgendes:
„Die Expedition hat im F'rrühjahr ihre Arbeiten von Kara-
tugai aus begonnen, wo sie im vorigen Jahre abgebrochen
hatte und bis Anfang August die Linie nach Taschkent
und Samarkand beendet, wobei auch Karausiak am Syr-
Daria und die Steinkohlenminen bei Chodjent besucht wur-
den. Am 10. August waren alle Mitglieder in Samarkand
vereinigt und wollten am 17. August von dort nach zwei
Richtungen abgehen: Graf Rostowtsew, die Herren Liapu-
now, Sorokin, Muschketow, Karazin und zwei Telegraphen-
Beamte nach Kartschi, um dort den Emir von Buchara zu
treffen und mit dem Zweck der Expedition bekannt zu
machen; die anderen Mitglieder, die Herren Sokolowaky,
Simakow, Majew, Lunkewitsch, Kreitschmer, Walitesky und
Pelzmann nach Kitab, Schaar, Yartube und Kaltaminar, wo
sie die Rückkehr der ersten Abtheilung erwarten wollten.
Die vereinigte Expedition soll dann über Denan, Yurtschi,
Saryosio, Regar, Duschambe und Baldjuan nach Kuliab sich
begeben, den Fluss Pandsch seiner ganzen Länge nach ver-
folgen und dann in Hazretimam mit dem Corvetten-Capitän
Subow zusammentrefien, der den Amu-Daria von Petro-
Alexandrowsk aus hinauf gefahren ist und sich am 6. August
in der Nähe von Schirabad befand. Von dem Studium des
Amu bleibt nur noch die Untersuchung der alten, jetzt aus-
getrockneten Betten übrig, denen man besonders von Tschard-
jui an begegnet.
„Ein Telegramm vom Chef der Expedition meldet unter
dem 3. September, dass die Linien von Dscham bis Kar-
tschi und von Kitab bis Schaar, so wie die von der Eiser-
nen Pforte über Derbent nach den Ruinen von Termes am
Amu beendet worden sind. Meteorologische und astrono-
mische Beobachtungen, interessante Sammlungen, Zeichnun-
gen und Aufnahmen werden als die Früchte der Expedition
genannt”. Eine Nachricht vom 19. October aus Kattykur-
gan lautet: Die Expedition hat sich zu Termes in zwei
Abtheilungen getrennt; die eine, bestehend aus den Herren
Muschketow, Sorokin, Karazin und Sokolowsky, hat sich auf
dem Woasserweg nach Petro-Alexandrowsk begeben, wäh-
rend die andere die Flüsse Surchan, Kafırnaghan und Wak-
scha explorirte, bevor sie sich gleichfalls nach Petro-Alexan-
drowsk zurück wendete. Eine grosse Zahl Karten wurden
aufgenommen, Erkundigungen über das ausgetrocknete Bett
des Amu von Kelef bis zum Usboi eingezogen, zoologische
Sammlungen, barometrische und thermometrische Beobach-
tungen gemacht. Capitän Subow kam bis zum äussersten
Punkt der Schiffbarkeit des Pandsch.
Wie die „Academy” vom 25. October erwähnt, hat das
Intelligence Department des englischen Kriegsministeriums
als einen Anhang zu Major F. C. H. Clarke’s Werk über
die Statistik und Geographie von Turkistan einen ausführ-
lichen Bericht des Oberst Majew über seine Meise ım Jahr
1876, welcher zu diesem Zweck von Capt. Marshall aus
dem Russischen übersetzt wurde, herausgegeben.
Nach den letzten im vorigen Hefte (S. 416) veröffent-
lichten Nachrichten über Dr. A. Rogel’s Reisen befand sich
derselbe am Ostrande des Ili-Beckens und hatte sich über-
zeugt, dass vom Passe Möngötö nahe dem Oberlauf des
Kasch ein Vordringen in östlicher Richtung für ihn unaus-
führbar sei. Weit entfernt jedoch, einfach umzukehren,
wendete er sich nach Süden, um auf einem Umweg wo-
möglich doch noch die Weiterreise nach Osten durchzu-
setzen. Am 16. September schrieb er uns vom Kleinen
Juldus aus: „Durch zurückgehende Leute benachrichtige
ich Sie, dass ich nach der Bereisung des Irenchabirga in
der Gegend des Möngötö-Passes und nach Erreichung der
Kasch-Quelle, die an die Gewässer von Andschichai und
Manas angrenzen dürfte, über den westlicher gelegenen Pass
Arystandaban in das Kunges-Thal am Odinkurgol gelangte.
Nach mehrtägigem Marsche wurde der 1% Tagereise west-
lich von der Kasch-Quelle liegende Odinkur-Pass (Adinkur
der Karte, s. Tafel 20) überschritten, der eine unbedeutende
Schieferverbindung zwischen Narat und dem Urgebirge Iren-
chabirga darstellt; er dürfte ca 10000 Fuss erreichen, also
bedeutend niedriger sein, als die 14—15000 Fuss hohen
Berge an der Kasch-Quelle. Der Juldus ist bereits beschneit
und futterarm, was in früheren Jahren um diese Jahreszeit
noch nicht der Fall war, mir aber die Weiterreise äusserst
erschwert, zumal schon die Kreuz- und Querzüge im wege-
losen Irenchabirga höchst anstrengend waren. Mit wenigen
Mann gehe ich jetzt über den Sagastaigol nach den gleich-
hoben Plateaux am Algoi und Tschalgoi vor, von denen
der Abstieg nach Turfan beginnt”.
Aus einer Zuschrift Oberst Venjukoff’s an die Genfer
Geogr. Gesellschaft erfahren wir, dass ARafailoff, der Be-
gleiter Potanin’s auf dessen Reise in der Mongolei von
1875—76, eine Karte der Mongoles in 1:2100000 beendet
hat. Sie reicht von der russischen Grenze im Norden bis
zum Südabhang des Thian-schan und von Manas und Kara-
schar im Westen bis zum Tui-Fluss südwestlich von Urga
im Osten; viele bisher unbekannte Lama-Klöster, welche
die hauptsächlichsten festen Punkte in jenem Nomaden-
Lande ausmachen, so wie die Verwaltungsoentren der west-
lichen Mongolei, d. h. die Lager der Khane, sind auf der
Karte eingetragen. Potanin’s Buch wird namentlich in
ethnographischer Beziehung reichhaltig ausfallen.
Im Herbst 1878 begleitete Oberstlieut. Pawtsoff eine
Karawane von Kobdo durch die westlsche Mongolei nach Kuku-
Geographischer Monatsbericht. 465
khoto, und zwar hielt sich die Route zum Theil südlich
von der, welcher Ney Elias 1872 folgte. Seine auf 16 Po-
sitionsbestimmungen gestützte Routenkarte wird voraussioht-
lich einen werthvollen Beitrag zur Topographie der Mon-
golei abgeben; einige vorläufige Notizen über die Reise
findet man im Jahresbericht der Kais. Russ. Geogr. Gesell-
schaft für 1878 und in den Proceedings of the R. Geogr.
Soc., November 1879.
In der russischen Küsten- Provinz östlich des Ussuti und
Amur, aus der von neuen Forschungen in den letzten Jah-
ren Nichts zu hören war, so wie in dem benachbarten
Japanischen Meere sollen auf Anordnung des kais. russ.
hydrograpbischen Departements die früheren Arbeiten von
Babkin, Bolschew, Staritsky, Jelagin und anderen wieder
aufgenommen und fortgesetzt werden. Eine Expedition
unter Fübrung des Lieut. Onatzsacıtsch sollte im November
die Reise dalin antreten, und zwar zu Land durch Sibi-
rien. Den Chef begleiten fünf Officiere, während ein sech-
ster, Fähnrich Heller, mit den Instrumenten bereits zu
Schiff nach Wladiwostok abgegangen ist. Die Herren haben
die Aufgabe, die Küste von der russischen Grenze gegen
Corea bis zur Castries-Bai genau zu untersuchen, nament-
lich in Bezug auf die Flussmündungen und sonstigen hydro-
graphischen Momente, ferner geodätische Aufnahmen im
südwestlichen Theil des Golfes Peter des Grossen und an
der Amur-Mündung zu machen, so wie die östlichen und
südlichen Theile der Insel Sachalin nebst den benachbarten
Meeren zu exploriren !).
In Corea sollen die Häfen Moto Yamatsu und Kiemono
den Japanern geöffnet werden.
Ein neuer „Abstract of the reports of the surveys, and of
other geographical operations ın India for 1877—78”, Lon-
don 1879, von Ch. E. D. Black ausgearbeitet, gewährt wie-
der eine vortreffliche Übersicht über die neuesten hydro-
graphischen, topographischen, zoologischen, archäologischen,
meteorologischen und statistischen Arbeiten in Indien und
einigen benachbarten Gebieten, da auch die von Indien
unternommenen Explorationen jenseit der Grenzen, z. B.
in Afghanistan, Himalaya, Tibet, berücksichtigt wurden.
Wie die Proceedings R. Geogr. Soc., Novbr. 1879,
melden, hat der von der Indischen Landesvermessung zu
Aufnahmen in schwer zugänglichen Ländern angestellte
Mullah, der u. A. die vordem unbekannte Strecke des Indus,
so wie den Kunar-Fluss mappirte, vor Kurzem eine neue
willkommene Arbeit an der Nordwestgrenze von Indien
ausgeführt. Er verfolgte den Swat-Fiuss bis zur Quelle,
überschritt darauf die Wasserscheide zwischen dem Swat
und dem Indus und ging das Karang-Thal hinab, das nun
zum ersten Mal genau niedergelegt ist. Seine Resultate
werden in General Walker’s Map of Turkestan einge-
tragen.
Abb& Desgodens. dem man schon so viele Nachrichten
über das östliche Tibet verdankt, reiste 1877 oon Patang
m Tibet nach Tatnenlu ın Sso-tschuen und zurück. Eine Be-
schreibung dieser Reise mit Höbenmessungen, Entfernung»
angaben &c. und mit einer Routenkarte nebst Profil des
!) Journal de Bt.-Pötersbourg, 25. October/6.November 1879.
Weges bringt das „Bulletin de la Soc, de geogr. de Paris”,
August und September 1879.
Über eine Exploration auf der Malayischen Halbinsel. den
Oberlauf des Kinta-Flusses und das östliche Perak betref-
fend, bringen die Proceedings R. Geogr. Soc., Novbr. 1879,
p. 717, eine kurze Notiz.
Afrika,
Für einige Stationen swischn Lado am oberen Weissen
Nil und dem Mwutan ergeben sich aus Dr. Emin Bey’s und
Dr. Felkin’s Beobachtungen nach Herrn Prof. Zöppritz’
Berechnung folgende Höhen:
Station Regiaf. . . . . 475m Due -. . - . 2....840m
Berg Regiaf, niedr. Gipfel. 596 Nil bei Dufle. . . . „685
” „» höchster Gipfel 611 Labore . . . 2.......536
Bedden . . . 2. ....2..490 Faloro . . ..2.2..921
Kill . . 2.20... . 500 Dieß. . . 2. .2.2.2..688
Musi . 2 2 0202020.6538 Mwuten . . . 2. ..2..2..668
Diese Meereshöhen stützen sich auf Gondokoro = 465 m
und ihre Differenzen gegen diesen Ort sind gewiss nicht
über 10 m fehlerhaft. Die Höhe von Dufile stimmt treff-
lich mit J. Baker’s Höhe von Apuddo; der Spiegel des
Mwutan oder Albert Nyanza dagegen liegt nach dem obigen
Resultat beträchtlich tiefer als bisher angenommen wurde.
Auf Dr. Junker’s Karte, Tafel 23 dieses Heftes, sind diese
Höhenzahlen eingetragen. — Verschiedene Serien neuerer
metoorologischer und Anerosd- Boobachtungen aus Uganda, die
von den Missionaren Felkin, Wilson und Mackay angestellt
und von Dr. Emin Bey nach Gotha geschickt wurden, be-
finden sich in den Händen Prof. Dr. Hann’s, dessen Be-
arbeitung wir in einiger Zeit publiciren zu können hoffen.
Es sind folgende Serien: Keroto Rubaga 1. Januar—28. Fe-
bruar 1879, und Rubaga 1. März—15. Mai 1879 von
Dr. Felkin; Rubaga 6.—11. Juni 1878 von Wilson; Ru-
baga 16. Novbr.—31. Decbr. 1878 und 1. Januar—328. Fe-
bruar 1879 von Mackay und Wilson; Makongo—Usongoro
an der Westküste des Ukerewe-Sees, 3. Septbr.—16. Oo-
tober 1878, von Wilson.
In der October-Sitzung der Pariser geogr. Gesellschaft
hielt Georges RAosl einen Vortrag über seinen zweimaligen
Aufenthalt an der Somali- Küste. Die erste Veröffentlichung
darüber findet man im Bulletin de la Socidt# de geographie
commerciale de Bordeaux (October 1879), wo der Reisende
einer kurzen Übersicht der beiden Reisen eine Kartenskizze
von der im Cap QGuardafui auslaufenden Ostapitze Afrika’s
beigiebt, auf welcher sein Schiffscurs längs der Küste und
seine kleinen Landexcursionen nebst einigen erkundeten
Itinerarien nach dem inneren Plateau von Karkar einge
tragen sind. Im Winter 1877—78 hatte Revoil von Aden
aus mehrere Punkte an der Nord- und Ostküste des Somali-
Landes besucht, namentlich M’Raiah und Allulah unweit
des Cap Feluk, Haffun auf dem Cap gleichen Namens an
der Ostküste, wo der Sultan der Medjurtin-Bomalis residirt,
und weiter südlich Magadoscho, Brawa, Marka, Kismajo &a.
Die hierbei gesammelten Erfahrungen ermuthigten ihn zu
dem Versuche, sich eine längere Zeit allein unter den
Medjurtin-Somalis aufzuhalten, um, wie es scheint, zum
Nutzen des Handels Produote und Verhältnisse kennen za
lernen. Er trat am 25. August 1878 von Marseille aus
seine zweite Reise an, landete nach Berührung von Aden
466 Geographischer Monatsbericht.
und Lasgore am 24. Septbr. in Gashem oder Ghasim, hielt
sich fünf Wochen in M’Raish auf, von wo er den Gipfel
des Karoma (1200 m) bestieg und einige Ausflüge bis
Feluk unternahm, blieb sodann drei Wochen in Gandala
bei Cap Antareh, von wo der Djebel Aisemah (1560 m)
und die Berge Serir und Kebir bestiegen, auch das benach-
barte Khor besucht wurde, und mit einem letzten Aufent-
halt in Gashem, der zu einem Ausflug längs der Küste
ostwärts bis Burgaben Gelegenheit bot, schloss die Reise,
so weit sie das Somali-Land betraf. Ein Krieg des Sul-
tans der Medjurtin mit dem Häuptling von Allulah machte
jedes Eindringen in das Innere des Landes unmöglich. So
bleibt die Somali-Halbinsel immer noch eine der wesent-
lichsten Lücken in der Geographie von Afrika.
Mit Spannung erwartete man seit geraumer Zeit eine
Veröffentlichung über die erfolgreichste der bis jetzt von
den Deutschen Afrikanischen Gesellschaften ausgegangenen
Unternehmungen, Schütt's Reise von Angola zum Kong Mas
«m Luba-Lande, und diese Erwartung ist denn auch durch
einen Vortrag befriedigt worden, den Herr Schütt in der
Octobersitzung der Berliner Geogr. Gesellschaft gehalten
hat und von dem ein Auszug in den „Verhandlungen” die-
ser Gesellschaft, ein anderer etwas erweiterter, von
einer vorläufigen Kartenskizze begleitet, in den „Mit-
theilungen der Afrikanischen Gesellschaft” gedruckt wurde.
Der Mai wurde von Livingstone erkundet, als dieser
auf der Rückreise von Loanda nach dem Zambesi den
Ort Kubango am Tschihombo besuchte. Damals wohnte
der Mai weit unten am Cassai, da wo er 35 bis 40
engl. Meilen oberhalb und östlich von der Einmündung
des Quango einen grossen Wasserfall bildet, etwa 224 Engl.
Meilen nordnordwestlich von Kubango, wie Livingstone
glaubte in 5° 45' S. Br. Es war diess der entfornteste
Punkt gegen Norden, von dem Livingstone Nachricht er-
hielt. Dorthin zu gelangen, ist Herrn Schütt geglückt, ein
sehr hübscher Erfolg, der Pogge’s Erreichung der Mussumbe
des Muata Yamvo insofern übertrifft, als nie zuvor ein
gebildeter Europäer beim Mai war.
Mit seinem deutschen Begleiter, dem Architeoten Paul
Gierow aus Rügen, und dem Neger Germano, der schon
mit Dr. Pogge gereist ist, als Dolmetscher, begann Schütt
seine Wanderung von Malange aus am 4. Juli 1878, wurde,
wie aus früheren Briefen bekannt, in dem fruchtbaren Thal-
becken des Quango von den Bangala auf das Nichtswür-
digste ausgeplündert und bedroht, umging in Folge dessen
das ganze Cassange-Thal im Süden, setzte weit oben über
den Quango und gelangte so erst am 13. November, in
voller Regenzeit, nach der Residenz des Fürsten Kimbundo,
dem Orte, wo 1875 Lieut. Lux seine Rückreise antrat, wäh-
rend Dr. Pogge den Marsch zum Musta Yamvo fortsetzte.
Kimbundo liegt nach den Karten von Lux und Pogge zwi-
schen 10 und 11° 8. Br., 19 und 20° Ö. L. v. Gr., nach
Schütt’s Kartenskizze in 10° 8. Br. und 21° Ö. L. Hier
verliess nun Herr Schütt die von seinen Vorgängern schon
einigermaassen erforschten Gegenden, indem er sich am
1. December direot nach Norden wendete, mit der Ab-
sicht, das grosse Volk der Luba im Norden des Lunda-
Reiches und seinen Häuptling Mai zu besuchen. Seine
Aussichten, in dieser Richtung weit nach Norden vorzu-
dringen, vielleicht den Zusammenfluss des Cassai mit dem
Congo zu erreichen, waren äusserst günstig. Die Quiooo
oder Kioko, ein Volk, das eigentlich das Land im Süden
von Kimbundo bewohnt, seit 20 Jahren aber in das Lunda-
Reich auszuwandern begonnen hat und in der Umgegend
von Kimbundo schon die Hauptbevölkerung bildet, sind
etwa seit dem Jahre 1866 auf ihren Jagdzügen zu einem
dem Mai unterthänigen, noch kannibalischen Stamme der
Luba, den Cachilangue (Casselange der Pogge’schen Karte,
nördlich von dem unteren, von O nach W fliessenden
Lauf des Cassai) weit jenseit des Zaire oder Cassai !) ge-
kommen. Sie beredeten ibren König Muquengue (unter
6° 20° S. Br., 22° 40' Östl. L.), von seinen Leuten
einmal eine Anzahl mit ihnen in ihr Land gehen zu las-
sen und dort Elfenbein gegen Waffen auszutauschen, und
Viele, wohl über hundert, waren mitgegangen. Unterwegs
aber nahmen die treulosen Quioco den Cachilangue das
Elfenbein ab und verkauften sie selbst als Solaven. Kürz-
lich war nun von einer trotz alledem wieder zu Muquengue
gegangenen Quioco-Bande nur ein einziger zurückgekehrt
und hatte erzählt, der Häuptling habe Verdacht geschöpft,
weil noch keiner seiner Leute wiedergekommen sei, und
beabsichtige, die anderen Quioco festzuhalten, bis er Ge-
wissheit habe. Die betheiligten Quiooo-Häuptlinge beschlos-
sen darauf, die noch bei ihnen in Sclaverei befindlichen
Cachilangue durch Schütt zum Muquengue zurückzuschicken,
um den Quioco die Freiheit zu erwirken. Schütt konnte
hoffen, Muquengue dadurch freundlich für sich zu stimmen
und in seiner Residenz einen sicheren Rückhalt für weitere
Forschungen zu gewinnen; auch seine Träger erhielten da-
durch mehr Muth, mit ihm in die unbekannten Gegenden
vorzudringen. Sechs der zurückzuführenden Cachilangue
waren vom Südufer eines ungeheueren Sees, 6 Tage nörd-
lich von Muquengue, nach der Kartenskizze in 55°
S. Br. und 23° Östl. L., gebürtig. Diesen See nannten sie
Mucanda oder auch Lufua N’Gimba, d. h. kein Vogel kann
über den See fortfliegen. Im Nordosten des Sees wohnen
die Zuata-Chitu, Zwerge, welche sich mit einer Hautfalte
ihres eigenen Leibes bekleiden und in Termitenbauten ihr
Nachtlager aufschlagen 2. Um den See herum oder an’s
andere Ende ist noch nie ein Cachilangue gegangen, und
ihn zu befahren verstehen sie nicht, da er hohe Wellen
schlägt und die Canoes umwirft.e. Er hat keinen Zufluss
von irgend welcher Bedeutung und fliesst in den Lualaba
ab, der 15 Tagereisen entfernt sein soll.
Leider sollte Schütt das vielversprechende Cachilangue-
Land gar nicht erreichen. Er gelangte am 12. Januar 1879
zu dem ersten Luba-Dorf am Ufer des Luachimo, eines
Flusses, der nach Pogge’s Karte zwischen dem Tsohikapa
und dem Tschihumbo dem unteren Cassai zuströmt, und
}) Schütt wendet den Namen Zaire auch auf den unteren Cassei
an, oben so Pogge auf seiner Karte, während Livingstone sagt: die
Balonda (Bewohner von Lunda) sagen ohne Unterschied aus, dass der
Gasen den Quango aufnimmt und darauf den Namen Zaire oder Zeresere
erhält.
2) Von den Zwergvölkern erzählen sich die Neger auch im Nil-
gebiet die wunderlichsten Dinge. 8o wurde Petherick von einem weit-
gereisten Eingeborenen versichert, dass die Zwerge eines ihrer riesigen
Ohren als Matratse, das andere als Docke benutsen.
Geographischer Monatsbericht. 467
am 18. Januar in die Residenz des Mai (6° 53’ S. Br,
22° 10’ Östl. L., 6 Stunden vom Cassai, wo dieser den ge-
waltigen, über 35 m hohen Wasserfall M’Bimbi bildet), aber
dieser Fürst erwies sich bald als der perfideste aller Schurken.
Dazu kam, dass ein Sohn des Muata Yamvo ausdrücklich in
der Absicht zum Mai reiste, um die Europäer von weiterem
Vordringen nach Norden abzuhalten. Diese mussten sich,
nachdem es bis zu offenen Feeindseligkeiten gekommen war,
glücklich schätzen, noch mit heiler Haut den Rückweg
antreten zu können, was am 23. Januar geschah. In Be-
gleitung des Sohnes von Muata Yamvo gingen sie 10 Tage-
reisen am rechten Ufer des Luachimo gegen Süden bis zu
dem Dorf des Prinzen, überschritten gegen Westen den
Luachimo und Tschikapa, stiegen am 15. April durch das
Land der harmlosen Chinge an den Quango hinab und
trafen am 12. Mai in Malange ein, wo sie Dr. Buchner
fanden.
Während wir mit Hoffnung auf Dr. Buchner's Unter-
nehmen blicken, der in den Fuusstapfen Pogge’s und Schütt’s
die so vielversprechend begonnenen deutschen Entdeokungs-
reisen in den Gebieten der südlichen Zuflüsse des Congo
fortsetzen will und der am 12. Juli von Malange abgereist,
am 9. August zu Mutu a Ngengo im Songo-Lande angekom-
men war, wollen wir noch einen Augenblick auf den Beginn
der deutschen Forschungen in Südwest-Afrika zurückseben,
indem wir das officielle Werk über „die Loango- Expedihion,
ausgesandt von der deutschen Gesellschaft zur Erforschung
Äqustorial-Afrika’s 1873—76” (Leipzig, P. Frohberg, 1879)
durchblättern. Der Führer dieser Expedition, Dr. P. Güss-
feldt, hat sich mit Dr. J. Falkensten und Dr. Ed. Peohuel-
Lösche zur Ausarbeitung des Buches verbunden, und zwar
übernahm jeder der Herren einen Band. In dem ersten
erzählt Dr. Güssfeldt die Hinreise, die Errichtung der Sta-
tion Tsohintschotscho und seine verschiedenen Reisen in
Loango, am Kuilu &c., auch fügt er seine astronomischen
Ortsbestimmungen und magnetischen Beobachtungen an; in
dem zweiten stellt Dr. Falkenstein das Leben und die Er-
lebnisse auf der Station Tschintschotscho dar, knüpft daran
Anthropologisches über die Eingeborenen, zoologische No-
tizen und die Beschreibung seiner Excursionen; der dritte
von Dr. Pechuöl-Lösche bearbeitete liegt noch nicht vor.
Das Buch ist durohaus populär geschrieben, eine vollstän-
dige Geschichte der Loango-Expedition und für Gebildete
aller Kreise bestimmte Darstellung ihrer wissenschaftlichen
Ergebnisse. Dem entspricht das Äussere, das sich durch
splendiden Druck und stattliches Format auszeichnet, auch
die Illustrationen, die den zweiten Band reichlicher als
den ersten zieren und meist Pflanzenformen, daneben auch
einzelne Menschen, Thiere und Landschaften vorführen,
sind alles Lobes werth, wenn sie auch nicht durch ihre
Zahl die Höhe des Preises (1. Bd. 15, 2. Bd. 12 M.) er-
klären. Die specielleren Darlegungen der wissenschaftlichen
Resultate sind theils in Fachzeitschriften schon erfolgt,
theils stehen sie wohl auch noch aus; für die Topographie
enthält das Werk, gegenüber den schon vorliegenden zahl-
reichen Publicationen speciellerer Karten und Reiseberichte
der Expedition, sehr wenig, nur eine Übersichtskarte in
1:1188000, von Dr. H. Lange gezeichnet, ist beigegeben
und ihre Anhaltspunkte bilden die folgenden von Dr. Güss-
feldt bestimmten Positionen:
8. Br. ÖstlL. 8. Br. ÖHl.L.
v. Gr. v. Gr.
Bonans . . . 6° 1,9 Ponta de Norte
Kabinda . . . 5 38,4 (Faktorei) . 8°14,8'
Landana . . . 5 18,1 12° 6,9” Nyanga-Faktorei 2 59,1
Tschiloango- Nyanga-Mün-
Mündung . . 5 12,0 12 5,6 dung . . .2 56,5
Tschiloango- Insono . . „5 16,8 12° 9,07
Faktorei . . 5 11,9 Oscho . . „5 63 1% 23,8
Tschintschotscho 5 9,94 12 3,765 Nkondo Ndin-
Luömme-Mün- dschi . „. . 4 55,5 12 20,2
dung . . .5 236 11 59,0 Neiamputu . . 4 57,08 12 12,0
Faktorei Mas- Tschikambo . . 4 44,7 12 5,7
sabe . . .5 21 11 59,1 Techissambo .5 00 12 6,2
Pontanegra (holl. Fakt. Mayombe 4 12,0
Faktorei). . 4 47,0 11 48,9 Kakamuöka . .4 90 12 0,6
Kuilu (Reis Mani Mbandschi 4 5,4 12 9,7
Fakt). . . 4 27,7 11 40,7 Techitabe . . 4 0,9
Longobondo. . 4 16,0 Techikenyesse . 3 59,9 192 16,6
Techilunge . .4 8,7 Neudla . . „8530 12 12,7
Kuango . „. „8 23,1 Timaluis . . .8 51,3 12 7,5
Yumba . . .3 25,1 Kaindscbimbe . 3 54,7 12 5,1
Im J. 1874, als die Güssfeldt’sche Expedition an der
Loango-Küste weilte und Dr. Lenz an den Ogowe sich
begab, sendete die Afrikanische Gesellschaft eine dritte Ab-
theilung aus, die weiter im Süden den Angriff auf das
äquatoriale Gebiet Afrika’s versuchen sollte. Sie bestand
aus Hauptmann v. Homeyer, Lieut. Lux und Dr. Pogge.
Schon diese Expedition drang weiter in’s Innere vor, als
die beiden anderen und leitete die glücklichere, hoffentlich
noch zur vollständigen Erforschung der südlichen Congo-
Zuflüsse führende Serie der deutschen Unternehmungen
ein, zu welcher Schütt’s und Buchner’s Reisen gehören.
Hauptmann v. Homeyer kam zwar, von Krankheit befallen,
nicht über Angola hinaus, seine naturbistorischen Kennt-
nisse fanden daher für die unbekannteren Gebiete östlich
des Quango keine Verwendung, aber Lux und Pogge setz-
ten die Reise gemeinschaftlich bis Kimbundo, einem erst
durch sie bekannt gewordenen Orte im Stromgebiet des
Cassai, fort und als Lieut. Lux durch seinen schlechten
Gesundheitszustand hier zur Umkehr genöthigt war, gelang
es Dr. Pogge, Mussumbe, die Residenz des Muata Yanvo,
zu erreichen. Während der ausführliche Bericht und na-
mentlich die Karte über diese glückliche Reise Pogge’s
nunmehr auch ihrer Veröffentlichung in der Zeitschrift der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin entgegensieht, erschie-
nen bei Ed. Hölzel in Wien so eben die Aufzeichnungen
von Prem.-Lieut. Zur in Form eines Buches: „Yon Loanda
nach Kimbundu. Eirgebnisse der Foorschungsreise im äqua-
torialen West-Afrika (1875—76)”. Der Verfasser begnügt
sich darin mit einer Schilderung des Verlaufes der Reise
und seiner Erlebnisse während derselben, in befriedigender
Vollständigkeit und mit Notizen über alles, was ihm in
dem fremdartigen Lande auffiel, unterstützt diese Beschrei-
bungen auch durch Illustrationen. Wenn das Buch nicht
gerade eine musterhafte literarische Leistung ist, eine Vor-
liebe für ein wissenschaftliohes Fach nicht darin hervortritt
und die geogr. Bemerkungen nicht immer unanfechtbar
sind — wenn er z. B. den Cassai für den eigentlichen Ober-
lauf des Congo erklärt oder Rus ohne Weiteres mit Lunda
identificirt —, so bietet es doch gerade in topographischer
Beziehung ungewöhnlich viel. Zunächst durch die Karten.
Die Specialkarte vom Quellbecken des Quango, welcher eine
von Loanda bis Mussumbe reichende Übersichtskarte, ein
468 Geographischer Monatsbericht.
Plan von Dondo am Quanza und eine Routenkarte von Dondo
nach Sanza zur Seite stehen, ist eine bedeutende Bereiche-
rung unseres Kartenmaterials über Südafrika, und ihr Werth
erhöht sich noch durch beigegebene, auf Messungen beru-
hende Höhenprofile, so wie durch eine Reihe zu Grunde
gelegter Positionsbestimmungen. Nach diesen Höhenmes-
sungen liegt der Quango an der Stelle, wo er von Lux
überschritten wurde, d. h. unter 9° 48' S. Br., 1061 m
über dem Meere, das westliche Randgebirge seines T'bales,
Tala Mongongo, erhebt sich ca 1400 m (nach Livingstone
3150 engl. F. = 960 m), das östliche Randgebirge, Mo-
samba ca2000 m (nach Livingstone 5300 engl. F.= 1615 m),
während der Gebirgsstock N’Dumbo a tembu, in welchem
beide Randgebirge im Süden sich vereinigen, dieselben nur
unbedeutend überragt. Aus den astronomischen Ortsbe-
stimmungen gingen folgende Resultate hervor:
8. Br. Östl.L. 8. Br. Östl.L.
v. Gr. v. Gr.
Dondo . . . 9°37,5° 14°44,0' Quango-Über-
Pungo n’Dongo 9 40,8 15 26,1 gung bei
Malange . . . 9 37 16 14,7 Bansa Cas-
Sanza . . .„ 9 36,7 16 59 sandsche 9°48,0° 18°28,8'
Porto de mus- N’Bungu ..9 440 18 7,8
ses88 . . . 10 47,1 18 25,7 Feira. 9 37,9 18 3,5
Kimbundo . . 10 13,6 19 37,1
Ausser den Höhbenmessungen und Ortsbestimmungen
findet man in den Anhängen eine Serie sehr fleissiger me-
teorologischer Beobachtungen vom Mai bis October 1875,
Wörterverzeichnisse aus den Sprachen der Bundan, Mas-
songo und Bailundo, Itinerarien von Kimbundo nach Mus-
sembe, Preisangaben über einige Artikel in Malange und
mehrere Listen der auf der Reise verwendeten Träger
mit Angabe ihres Cargo. Dankenswerth ist auch das bei-
gefügte alphabetische Register.
Wie aus den Zeitungen bekannt ist, kehrte die Rohlfs'-
sche Expedition am 25. October nach Benghasi zurück, nach-
dem sie gerade ein Jahr auf afrikanischem Boden zuge-
bracht hatte, denn sie landete am 24. October 1878 in
Tripoli. Ausgeplündert, im höchsten Maasse abgerissen,
von elender Nahrung, Strapazen und Sorgen gebeugt, sind
die Reisenden an die Küste zurückgekommen, nachdem
sie in der Oase Kebabo von dem Suya-Scheik Bubakr, der
sie mit seinen Leuten von Djalo nach Kebabo geführt
und begleitet batte, zuerst zu Gefangenen gemacht und
dann mit dem Tode bedroht, ihres Geldes beraubt und
ausgeplündert worden waren. Ihr Lager bei Boöma und
dem Kloster Istat in Kebabo mussten sie Nachts heimlich
verlassen, um dem Tode zu entgehen, und fanden schützende
Aufnahme in dem benachbarten Djof, wo eine Anzahl Suya
ansässig sind, die in Barka Eigenthum besitzen und wahr-
scheinlich aus Furcht vor Confiscation desselben sich der
Christen annahmen. Durch Vermittelung der Klostergeist-
lichen wurden dann die geraubten, zum grossen Theil frei-
lich stark beschädigten Gegenstände, mit Ausnahme des
Geldes, von Bubakr herausgegeben und die Rückreise er-
möglicht. Der Schaden an den kaiserlichen Geschenken &c.
wird auf 20000 Frcs veranschlagt, die indessen contrakt-
mässig von den türkischen Behörden ersetzt werden müs-
sen; unersetzlich freilich ist der Verlust von Rohlfs’ Tage-
buch, Dr. Stecker’s meteorologisohen Aufzeichnungen &o.,
doch ist eine Karte von Kufra gerettet und somit das wich-
tigste geographische Ergebniss der Expedition unverloren.
Wie total verschieden diese Karte von der nach blossen
Erkundigungen versuchten Darstellung auf der 10-Blatt-
Karte von Inner-Afrika (Peterm. Mitth., Ergänzungsband II,
Tafel 1) aussehen wird, zeigen schon die bis jetzt bekannt
gegebenen Positionen der drei Hauptoasen:
Taiserbo 25°87' 44" N. Br., 21°25' 20" Ö.L. v.Gr., 240 m üb. d. Meere
Buseima 25 11 42 ” 22 15 n » 270 ”
Boöma bei
Istat . 24 31 38 „ 23 12 40 ” » 400 n
Die nördlichste Oase von Kufra, Taiserbo, liegt also
fast 13 Breitengrade südlicher als auf der 10-Blatt-Karte,
und von dort reihen sich die anderen Oasen nicht gegen
Süd, sondern gegen Südost an, so dass die einzig bewohnte
Oasengruppe Kebabo 15 Grad östlicher zu liegen kommt.
Die Expedition war am 27. Juli von Djalo, am 28.
von Battifal aufgebrochen und erreichte über die ununter-
brochene Serir (steinige Wüste) am 1. August Taiserbo,
das keine bemerkbare Einsenkung bildet, aber eine gute
Tagereise lang mit Gebüsch, Halfe und Dattelpalmen be-
wachsen, mit einigen Brunnen versehen, jedoch unbewohnt
ist. Am 6. ging es von hier weiter, südöstlich nach Bu-
seims, wo sie am 8. ankamen. Die Wüste bis dahin ist
ebenfalls Serir, nur kurz vor Buseima treten Sanddünen
auf und ein kleines schwarzes Felsengebirge, an dessen
südöstlichen Fuss die Oase mit einigen Brunnen und einem
kleinen salzigen Teich sich anschmiegt; hier traf man aus-
ser Datteln und Halfa ein Paar Feigenbüsche. Der Durch-
messer dieser Oase beträgt nur etwa 1 Stunde. Von da
wurde am 11. August weiter marschirt, zum Theil über
Sanddünen, am 12. der Djebel Nere rechte am Wege pas-
sirt, Abends Djebel Hauari, am 13. die Oase Huöre und
am 14. über ein kleines Gebirge Kebabo erreicht. Diess
besteht aus verschiedenen Oasen, namentlich Boöma mit
dem benachbarten Kloster, Djof, wo ein kleiner See und
ein altesunbewohntes Tebu-Dorf, und Sock. Die Umgegend ist
fast ganz flach, die Hauptausdehnung der Oase von W
nach SO. Das Kloster beherbergt drei Geistliche und zahl-
reiche Kinder, die hier zur Schule gehen und theils den
Suyas gehören, die periodisch aus Barka kommen, um die
Datteln der Kufra-Oasen abzuernten, theils den in Djof
ansässigen Leuten, die ausser einigen wenigen Tebus eben-
falls Suyas sind. Die Tebu, früher die Herren von Kufra,
kommen jetzt nur bisweilen von Wadjanga dahin, um Butter
und Lederwaaren dort zu verkaufen. Die Klostergeistlichen
bauen in ihrem Garten Datteln, Melonen, Gurken, Citronen,
Granatäpfel, Negerhirse, eine Maisart, Tomaten, spanischen
Pfeffer, Wein, Baumwolle und Kiee, denn sie halten auch
einen nicht unbeträchtlichen Viehstand an Eseln, Ziegen,
Schafen und sogar Rindern, nebst 'Hühnern und Tauben.
Nachdem am 26. September mit einer Handelskarawane
von Norden ein freundlicher Gruss aus der Heimath in
Gestalt von Briefen, Zeitungen und einer Sendung deut-
schen Bieres eingetroffen war, trat die Expedition am 27.
von Djof aus die Rückreise an, gelangte am Nachmittag
nach der westlich bei Huöre gelegenen Oase Hauöre, ging
am 29. von da weiter über ein kleines Sandstein-Gebirge,
das mit schwarzen Kugeln und Röhren bedeckt war, und
über die Serir nach Buseima (2. October), war vom 6. bis
Geographischer Monatsbericht. 469
8. Ootober in Taiserbo, kam am 13. nach Djalo und am
25. October nach Benghasi.
Die Zlephanten der belgischen Expedition in Ost- Afrika
haben sich besser bewährt, als man zu hoffen wagte. Sie
traten unter Carter’s Leitung am 2. Juli von Dar-es-Salam
aus ihren Marsch in’s Innere an und gelangten am 3. Au-
gust nach Mpwapwa, wo am 15. August auch die zweite
Abtheilung der belgischen Expedition (Popelin und Van
den Heuvel), welche Stanley’s Route gefolgt war, eintraf.
Mit je 10 Centnern Last mussten die Thiere über Berge
steigen, Schluchten durchklettern, Flüsse und Sümpfe pas-
siren, und dabei begnügten sie sich vollkommen mit der
Nahrung, die ihnen das Land bot, ohne Brod zu bedürfen.
Dass sie sich gegen die Tsetse-Fliege unempfindlich erwie-
sen, wurde schon früher gemeldet. Einer der Elephanten
ist allerdings in Mpwapwa gestorben, aber an Apoplexie.
Die Naturforscher Greef und Gasser, welche jüngst zwei
Monate lang mit grossem Erfolg bei Lissabon und Setubal
marine Fischerei und zoologische Studien betrieben haben,
reisten am 5. November von Marburg nach der Insed
St. ThomeE ab. Ein Hauptzweck der Reise ist, die geogra-
phische Verbreitung der Mittelmeer-Fauna, insbesondere der
Echinodermen längs der afrikanischen Küste und den Zu-
sammenhang mit westindischen Formen zu eruiren.
Allgemeines.
Der Centralverein für Handelsgeographie und Förde-
rung deutscher Interessen im Auslande giebt seit October
neben den „Geographischen Nachrichten” eine Wochen-
schrift „Zioport” heraus, die jeden Dienstag in der Stärke
von mindestens !/, Bogen im Bureau des Vereins, Berlin W,
Landgrafenstrasse 10, erscheint (Preis 2,50 M. vierteljähr-
lieh). Während die „Geogr. Nachrichten” die Aufgabe
haben, den Vereinsmitgliedern eine eingehendere Kenntniss
der für die deutschen Interessen wichtigsten Ländergebiete
zu übermitteln, soll die Wochenschrift binnen kürzerer
Frist besonders die wirthschaftlichen Zustände fremder Län-
der schildern, deren Kenntnissnahme geeignet erscheint,
um unserer gewerblichen Production fortgesetzt neue An-
regung zur Pflege und Förderung ihrer im Auslande har-
renden Aufgaben und Interessen zu geben.
Auf den Arbeiten Unger’s, de Candolle’s, v. Kerner's,
v. Naegeli’s, Hooker’s &c. weiter bauend und sich im Gegen-
satz zu Grisebach den Darwin’schen Lehren anschliessend,
hat der Professor der Botanik zu Kiel, Dr. Ad. Engler,
eine Entwiokelungsgeschichte der Pflanzenwelt, insbesondere der
Florengebiete, seit der miocenen Periode bis zur Gegen-
wart herausgegeben (Leipzig, bei W. Engelmann, 1879),
und zwar behandelt er in dem zunächst vorliegenden 1. Band
die extratropischen Gebiete der nördlichen Hemisphäre,
während die entsprechenden Gebiete der südlichen Halb-
kugel und der Tropengürtel dem zweiten Bande vorbehal-
ten bleiben. Unter Voranstellung der leitenden Ideen bringt
der 1. Band in fünf Abschnitten zur Darstellung: 1. die
Entwickelung der Flora Nordamerika’s von der miocenen
Zeit bis zur Glacialperiode, 2. die Entwickelung der Flora
des östlichen und oentralen Asiens seit der Tertiärperiode,
ö. die Hauptzüge der Entwickelung der Mediterranflora seit
der Tertiärperiode, 4. die Entwickelung der Hochgebirgs-
Petermann’s Geogr. Mittheilungen. 1879, Heft XII.
floren vor, während und nach der Glacialperiode, 5. die
Entwickelung der Pflanzenwelt in den ausserhalb der Hoch-
gebirge gelegenen Ländern, welche von der Glacialperiode
beeinflusst wurden. — Einer beigegebenen Karte der Nord-
hemisphäre mit dem Pol in der Mitte hat der Verfasser,
gewiss unter vielen Schwierigkeiten und Zweifeln, die Auf-
gabe gestellt, die Vertheilung von Wasser und Land in
der miocenen Periode, die hauptsächlichsten Wanderstras-
sen der Pflanzen in der jüngeren Tertiärperiode und dieje-
nigen der Glacialpflanzen, so wie die allmähliche Ausbrei-
tung der Steppenfloren während und nach der Diluvial-
periode vor Augen zu führen.
Als eine eben so passende als dankenswerthe Gabe zur
Säcularfeier von Carl Ritter’s Geburtstag hat der ruhm-
reiche Veteran der deutschen Geographen, Prof. Wappäus
in Göttingen, Car! Ritter's Briefwechsel mit Joh. Friedr.
Lucdo. Hausmann herausgegeben (Leipzig, bei Hinrichs,
1879). Der Mineralog Hausmann, Schwiegervater des Prof.
Wappäus, einer der hervorragendsten Vertreter seines
Faches und zugleich durch Vielseitigkeit in der Naturfor-
schung ausgezeichnet, war ein langes Leben hindurch mit
C. Ritter innig befreundet, der Briefwechsel erstreckt sich
über die Zeit von 1815 bis 1858, und wahrhaft erquickend
tritt in immer neuen Variationen der Ausdruck der un-
begrenzten Verehrung und Liebe in seinen Briefen hervor,
bei einer Bescheidenheit, wie sie heutzutage nur selten
angetroffen wird. An sachlichem Inhalt, wissenschaftlichen
Notizen sind die Ritter’'schen Briefe im Ganzen reicher,
indessen von Director Kramer auch bereits zu Ritter’s
Biographie benutzt. Besonderen Dank schuldet man dem
Herausgeber für die 18 eng gedruckte Seiten umfassenden
Erläuterungen und Anmerkungen.
Von Dr. Fr. Carl R. Ritter in Marburg ist eine „Zird-
beschreibung für Gymnasien, Realschulen, Seminare und ähn-
liche höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht” in
4. Auflage bei Heinsius in Bremen erschienen, aber weder
der berühmte geographische Name, dessen sich der Ver-
fasser erfreut, noch die vier Auflagen, welche das Buch
erlebte, vermögen den Inhalt zu retten. Augenscheinlich
vor vielen Jahren geschrieben und noch ganz in alten
Anschauungen befangen, mit alten Irrthümern beladen, ist
es später zwar hie und da mit einigen neuen Notizen auf-
geputzt, aber nicht umgearbeitet worden. Seite 261 heisst
es: „Das Innere des heissen Welttheiles (Afrika) hat bisher
hartnäckig das Eindringen europäischer Forscher abgewehrt.
Die kühnen Wagnisse Einzelner, wie die planmässig gelei-
teten Unternehmungen ganzer Gesellschaften haben fast ohne
Ausnahme mit dem Untergange der Theilnehmer, alle aber
ohne bedeutende Erweiterung unserer Kenntnisse geen-
digt”. Also ein Livingstone, Barth, Rohlfs, Nachtigal, Stan-
ley haben die Geographie von Afrika nicht wesentlich ge-
fördert! Diese Behauptung ist aber keineswegs aus Ver-
sehen aus einer alten Auflage stehen geblieben, sondern
entspricht vollständig dem Inhalt des Buches. Auch fehlt
es nicht an Stellen, die an die Galettiana erinnern. So
auf S. 160: Afrika’s Mineralreichthum ist noch wenig be-
kannt; Gold zwar seit den ältesten Zeiten, der Diamant
aber erst seit neuester Zeit in Transvaalien. Manche an-
dere Metalle und Edelsteine sind bis jetzt noch nicht auf-
gefunden worden.
60
[2
470 Geographischer Monatsbericht.
Vor einigen Monaten ist das bekannte „Lehrbuch der
Geographie” von H. Guthe in seiner Neubearbeitung voll-
endet worden. Dieselbe hat den Königsberger Professor
der Erdkunde, Dr. ZZermann Wagner, zum Verfasser, welcher
dem Werke eine dreijährige Arbeit widmete. In .der That
ist der bei weitem grösste Theil völlig umgestaltet, aus
den 676 Seiten der dritten Auflage sind jetzt 1030 ge-
worden. Da dieses Lehrbuch sich schon früher einen wei-
ten Leserkreis verschafft hat, so genügt es, hier auf die
Punkte einzugehen, durch welche sich die neue Ausgabe
von den früheren unterscheidet. Hier tritt in der speciel-
len Länderkunde vor Allem das Bestreben deutlich hervor,
des massenhaft in den letzten Jahrzehnten aufgehäuften
Stoffes über die physische Beschaffenheit der Erdoberfläche
Herr zu werden. Es handelte sich für den Herausgeber
keineswegs um eine detaillirte Beschreibung, sondern stets
um eine möglichst durchsichtige Orientirung, und das ist
unserer Ansicht nach auch die Hauptsache für ein Lehr-
buch. Die Erdtheile werden in einleitenden Capiteln in
grosse natürliche Gebiete zerlegt und letztere je nach der
Beschaffenheit in natürliche Provinzen, so dass die Lectüre
einen Kartencommentar für Jeden giebt, der sich in das
Studium der Gesammtconfiguration auf einer Landkarte ver-
tiefen will. Wir erinnern hier besonders an die Darstel-
lung der Oberflächenform Asiens ($ 69) und in dieser wieder
China’s, ferner an Europa, Frankreich, Deutschland &o. &c.
In ganz neuem Gewande erscheinen auch die Abschnitte
über politische Geographie. Es sind diess im Gegensatz zu
früheren Ausgaben wirklich lesbare Skizzen, in welchen die
Staaten nach ihren wichtigsten geographischen Gesichts-
punkten zur Darstellung gelangen. Die statistischen Bei-
gaben dienen nur als Erläuterung und sind in die knappste,
aber übersichtliche Form gekleidet. Die Hauptorte sucht
der Verfasser durch wenige Momente nach ihrer Bedeutung
zu charakterisiren, wobei das Hauptgewicht auf die aus der
Lage resultirenden gelegt ist.
Bos’ Schoolatlas der geheele aarde, Groningen bei J. B.
Wolters, 1879, ist uns in zweiter Auflage zugegangen,
nachdem die erste zu Anfang des Jahres 1878 erschienen
war. Grösser in Format als die meisten anderen Schul-
atlanten, umfasst er 34 lithographirte Karten, welche durch
die bellbraune Farbe für das Land und die blaue für das
Meer einen freundlichen Eindruck machen. Dem vorge-
druckten Motto „nur leer scheinende Karten prägen sich
dem Gedächtniss ein (A. v. Humboldt”) entsprechend, ist
‘eine Überladung der Karten mit Objecten, besonders mit
Namen, ängstlich vermieden. Die Niederlande sind durch
eine politische Übersichtskarte, eine Höhenschichten- und eine
geologische Karte vertreten, die übrigen Länder Europa’s
durch je eine zugleich physische und politische Karte, wobei
eine Gleichheit der Maassstäbe angestrebt wurde, aber der
Natur der Sache gemäss nicht durchgeführt werden konnte.
Während Österreich-Ungarn, Deutschland, Grossbritan-
nien, Italien und die Balkanhalbinsel im Maassstab von
1:3700000 dargestellt sind, hat Spanien und Portugal
1:3800000, Frankreich 1:3 400 000, Dänemark 1:3 000000,
Skandinavien 1:5000000, Russland 1:10000000, die
Schweiz 1:1200000, Belgien 1:1110000, Holland
1:800000. Eben so wenig konnten die Erdtheile in glei-
chem Maassstabe vorgeführt werden, so haben Europa
1:15000 000, Afrika 1:26 000000, Amerika 1:27 750000,
Asien 1:35000000, Australien 1:56000000. Von Eu-
. ropa, Asien und Amerika ist je eine politische und eine
physische Karte gegeben, bei Asien in Nebenkarten ausser-
dem Indien, der ostindische Archipel, Java (1:3000000),
eben so bei Afrika: Ägypten, Algerien, Senegambien,
Guinea-Küste, Capland; bei Australien: Neu-Seeland, der
südöstliche Theil des Festlandes; bei Amerika: Westindien
und Central-Amerika, Verein. Staaten (1:14000000), Ver-
breitung der Steinkohlen daselbst, die dortigen Flussgebiete.
Auch auf den anderen Karten des Atlas findet man eine
Anzahl Nebenkärtchen zur Darstellung verschiedener Gegen-
stände, z. B. des Ackerbaues in den Niederlanden, der Nord-
grenze einiger Pflanzen in Europa, der Begrenzung des
Flussgebietes der Donau, der ethnographischen Verhältnisse
Deutschlands und Österreich-Ungarns, der Verbreitung der
Kohlen und des Weinbaues im Deutschen Reich, des Eisen-
bahnnetzes in Frankreich, Spanien und Portugal, Italien,
der Steinkohlenverbreitung in Frankreich und Grossbriten-
nien, der Regenverhältnisse auf der pyrenäischen Halbinsel
und der ganzen Erde, der Isothermen, Strömungen, Winde
der Erde, des Weltverkehrs, der Vertheilung der Wüsten,
Steppen, Wälder, der Ausdehnung des römischen Reiches &o.
Für eine spätere Auflage möchte sich die Beigabe einer
ausreichenden Erklärung der Signaturen empfehlen, denn
es bleibt bei vielen Karten zweifelbaft, ob die für das Terrain
angewendeten Farben, Striche und Schraffen bestimmten
Höhengrenzen entsprechen oder nur im Allgemeinen Tief-
land von Plateau und Gebirgsland unterscheiden sollen.
E. Behm.
RASSE
Geographische Literatur.
AUSTRALIEN unp POLYNESIEN.
‚„Albatross”. Aus den Reiseberichten 8. M. Kbt. ,„ Corv.-Capt.
Mensing. I. Reise von Yokohama über Honolulu nach Apia. (Annal.
d. Hydrogr. 1879, No. 6, 8. 286—292.)
„Ariadne”. Aus den Reiseberichten 8. M. 8. ‚„ Corv.-Capt.
v. Werner. 1. Reise von Sydney nach Apie. 2. Recognoscirung
der La Rance-Bank. 3, Untiefen zwischen dem Tonga- und Fiji-
Archipel. (Ann. d. Hydrogr. 1879, No. 2, 8. 63-65.) — — Be-
merkungen über einige Inselgruppen im Stillen Ocean (eodem No. 6,
8. 275—286. 1 Kte). — — Bemerkungen über einige Inseln der
Samoa-Gruppe (eodem No. 9, 8. 438—441).
Australia Direotory, Vol. 1I. ; information relating to Bampton island
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relating to a portion of the S ooast of Australia; between capes
Leeuwin and Riche, Not, No. 89. — — Vol. II, Not. 27; additional
information relating to Torres strait, and to the SE coast of New
Guinea, Not. No. 2. — — Vol. UI, Not. 9; Torres strait, W en-
trance, information relating to Lucius reef and Aurora shoal, Not,
No. 8. — — Vol. IUI, Not. 10; information concerning the NW
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Spruner-Menke’s Hand-Atlas für die Geschichte des Mittelalters und
der neueren Zeit. 3. Auflage. 21.Lief. Gotha, Justus Perthes, 1879,
M. 3,80.
Entbält: Vorbemerkungen. — Nr.6, Europa um die Mitte des 14. Jahrhunderts.
1: 15000000. von B. Hassenstein. — Nr. 33. Italien 1137 — 1308, 1:3 700.000,
Nebenkarten: 1. Mittel - Italien, I, (Tuscia, Duo Spoletanus , Marca Anooni-
tana &o.). 1:1850000. 2. Mittel - Italien, II (Apulis, Principatus, Capute &o.).
8. Campanla, Maritima, Terra 8. Benedicti. 1:9325000. Von Tb. Menke. —
Nr. 69. Polen, Littbauen und das Gebiet des Deutschen Ordens in den Jahren
1386—1480. 1:600000. Nebenkarten : 1. Polen und Nachbarländer 968 — 992.
1:12000000. 2. Polen unter Bolesiaw Obrobry und bis 1139. 8. Polen und
Preussen 1140—1240. 1:6.000 000. 4. Polen und Preussen 1240—1386. 1:6 000 000.
6. Preussen unter der Herrschaft des Deutschen Ordens. 1:3000 000. 6. Die
Kirchenprovinzen Gnesen und Rige im 18. Jahrh. 1:24000000. 7. Die Kir-
ebenprovinzen Ginesen und Riga im 15. Jahrh. 1:24000 000. 8. Das Gebiet
von Auschwitz und Zator. 1:2000000. 9. Das Zipser Gebiet. 1:2 000.000.
Von Prof. Dr. J. Caro. — Nr.78. Un und seine Nebenländer vom Anfang
des 18. Jahrh. bis zur Schlacht bei Mobaos 1536. 1: 3700000. Nebenkarten:
1. Pannonien zur Zeit des Svatopluk 895. 1:15000000. 2. Uagarn bis zur
Unterwerfung Crostiens um 1100. 1:7400000. 8. Ungarn im 18. Jahrhb.
1:7400000, 4. Schlacht bei Mobil 1241. 1: 185000. 5. Schlacht bei Varna 1444.
6. Schlacht bei Mohacs 1526. 7. Plan von Buda-Pest, 1:150000. Von Prof.
Dr. J. Caro.
Stieler’s Hand-Atlas. Neue Lieferungsausgabe. 95 colorirte Karten in
Kupferstich. 32 Lieferungen. (31 zu 3 Bl. & M. 1,860, 1 zu 2 Bl.
& M. 1,30.) Gotha, Justus Perthes, 1879.
6. Lieferung: Nr. 40. Spanische Halbinsel. Bl. 2. NO-Theil. Von C. Vogel,
1:18500 000. — Nr. 50. Ost-Europa. Bl. 1. Norwegen, Nord-Schweden und Fian-
land. Von A. Petermann. 1 :3700.000. — Nebenkarten: Christianla und Um-
gegend. 1:150.000. — Stockholm und Umgegend. 1:150000. — Nr. 68. Afrika.
Von A. Petermann. 1:25 000 000.
6. Lieferung: Nr. 86. Frankreich. Bi. 3. 8W-Theill Von CO. Vogel.
1:1500 000. — Nebenkarte: Paris und Umgebung. 1: 150 000. — Nr. 68. Indien
und Inner- Asien. 8. Blatt. Von A. Petermann. 1:7500000. Nebenkarte:
Calcutta und Umgebung. 1:150000. — Die Insel Bombay. 1:150000. — Ma-
dras und Umgebung. 1: 150000. — Point de Galle. 1 :150000. — Nr. 82. West-
Indien, Oentral-Amerika bis zum stidliohen Oanada. Bl. 4. Von A. Petermann.
1: 7500000. — Nebenkarten: Jamaica. 1:2000000. — Puerto-Rico. 1:2 000 000.
Guadeloupe und Dominica. 1:200000. — Martinique und Santa Luca,
1:2 000000. — Habana und Umgegend. 1:2 000 000.
7. Lieferung: Nr. 25. SW - Deutschland und die Schweiz. B- Theil. Von
C. Vogel. 1:935000. — Nr. 45. Die Britischen Inseln und das umliegende
Meer. Von A. Petermann. 1:8700000. — Nebenkarten: London uud Umge-
bung. 1: 150000. — Helgoland. 1: 150 000 —1 :50 000. — Nr. 84. Vereinigte Staa-
ten von Amerika in 6 Blättern. Bl. 2. Von A. Petermann. 1 :3700 000.
8. Lieferung: Nr. 38. Deutsches Reich in 4 Bl. Bl. 4. Von C, Vogel.
1:1500000. — Nebenkarten: Berlin, Potsdam und weitere Umgebung.
1:150 000. — Die deutschen Kriegshäfen Wilhelmshaven und Kiel. 1: 300 000.
— Das Saarbrücker Koblenrevier. 1:500000. — Das Oberschlesische Berg-
und Hüttenrevier. 1: 000. — Nr. 58. Ost-Europa In 6 Bi. Bi. 4. Inneres
Russland. Von A. Petermann. 1:8 700000. — Nr. 57. Griechenland und der
griecbisch-türkische Archipel. Von A. Petermann. 1:1850000, — Nebenkar-
ten: Athen und Umgebung. 1:150000. — Santorin oder Thers. 1 500.000. —
Insel Syra. 1: 500 000.
9. Lieferung: Nr. 48. Spanische Halbinsel. Bi. 4. SO-Thell. Von C, Vogel
1:18500000. — Nebenkarte: Madrid. 1:150000. — Nr. 47. Grossbritsnnien.
N-Bl. Von A. Petermaun. 1:500000. — Nebenkarte : Edinburgh und Umge-
bung. 1: 150000. — Nr. 53. Ost-Europa. Bl. 8. Süd-Schweden, die Ostses-Pro-
vinzen, Polen und W-Russland. Von A. Petermann. 1: 8700 000.
10. Lieferung: Nr. 11. Süd-Polar-Karte. Von A. Petermann. 1 :40000 000. —
18 Nebenkarten: Inseln und Insel Gruppen in verschiedenen Maassstäben. —
Nr. 41. Spanische Halbinsel. BI. 3. SO-Theil Von C. Vogel. 1:1500000. —
Nr. 81. West-Indien, Central-Amerika bis zum stidlichen Oanada. Bl. 3. Von
A. Petermann. 1:7500000. — Nebenkarte : Das Gebiet zwischen Mexico und
Vera-Oruz. 1:3 000 000.
Trampier, R.: Atlas für 1-, 2- und 3classige Volksschulen. 8 Bl. 4°.
Wien, Staatsdruckerei, 1879. fl. 0,80.
Wenz, G@.: Materialien für den Unterricht in der Geographie nach der
constructiven Methode. Atlas in 50 Karten. München, Oldenbourg
1879. M. 2,50.
Yang: Planisphöre en langue chinoise. Paris, Erhard, 1879,
(Geschlossen am 38. November 1879.)
Druck der Engelhard -Revber’schen Hofbuchdruckerei in Gotha.
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Druck v: CHellfarthı ın Gotha.
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