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Full text of "Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere"

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PFLÜGER*® ARCHIV 


FÜR DIE GESAMTE 


PHYSIOLOGIE 


DES MENSCHEN UND DER TIERE 


HERAUSGEGEBEN 


VON 
E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER 
HALLE A.S. FRANKFURT A.M. KIEL 


176. BAND 


MIT 390 TEXTABBILDUNGEN UND 7 TAFELN 


BERLIN 
VERLAG VON JULIUS SPRINGER 
1919 


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Inhaltsverzeichnis. 


Lipschitz, Werner. Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels 
LUrS A TOT AK ner ne en een water ae Ah 
Woker, Dr. Gertrud. Zum Assimilationsproblem . .. 2... 2... 
Pütter, Prof. Dr. phil. et med. August. Studien zur Theorie der Reiz- 
vorgänge. VI. Mitteilung: Aligemeine Folgerungen aus den bis- 
herigen Untersuchungen. (Mit 5 Textabbildungen) . . .. .... 
Traube, Prof. Dr. J. Zu. den Theorien der Narkose... ...... 
Gildemeister, Prof. Dr. Martin. Über elektrischen Widerstand, Ka- 
pazität und Polarisation der Haut. I. Versuche an der Froschhaut. 


(Mit 4 Textabbildungen) . ..... 2... 2.200 nennn 
Impens, Dr. E. Über einige Hilfsapparate für die Prüfung der Atmung 
amlleress (Mit;o Dextabbildungen): ..... I... ln. or... 


Lipschütz, Alexander. Bemerkung zur Arbeit von Knud Sand über 
experimentellen Hermaphroditismus . .... 2. 2. 2.2.2.2... 
Demoll, Prof. Dr. Reinhard. Die Akkommodation des Aleiopidenauges. 
Bi RatelTnund Mund 1. Textabbildung) „ah in... 
Hari, Prof Dr. Paul. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. Eine 
Sache Studie a een. 
Liljestrand, Dr. &. und Magnus, Prof. Dr. R. Über die Wirkung des 
Novokains auf den normalen und den tetanusstarren Skelettmuskel 
und über die Entstehung der lokalen Muskelstarre beim Wund- 
starrkrampf. (Mit 1 Mextabbildung) DEE Eee TEE Re 
Abderhalden, Emil und Koehler, Adrienne. Über die Einwirkung eines 
die alkoholische Gärung Beahlenneenden) in Alkohol löslichen 
Produktes aus Hefe auf niedere Organismen. I. Mitteilung. (Mit 
IWENextahbiidungenyar sa ar a a ER nr. 
Galant, Dr. S. Reflexus cochleopalpebralis und Ohr-Lidschlagreflex . 
Neuschlosz, S. Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. I. Mit- 
teilung: Das Wesen der Chininfestigkeit bei Protozoen . .... 
Abderhalden, Emil. Weitere Studien über die von einzelnen Organen 
hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. II. Mit- 
BER UTERAUNRIGH Natel] VD) 
Kuhl, approb. Tierarzt P. Das Blut der Haustiere mit neueren Me- 
thoden untersucht. I. Untersuchung des Pferde-, Rinder- und 
Fiundeblutes., (Mit I Textabbildung)  .. 2 2. ........ 2... 
Kaempffer, Sanitätsrat Dr. Eine neue Methode der intracardialen 
Druckerhöhung beim Kaltblüter (Frosch), ihre Ergebnisse und ihr 
Wertim Vergleich mit den anderen, älteren Methoden. (MitTafel VII) 
Kries, Prof. J. v. Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare 
Gebilde, insbesondere den motorischen Nerven. (Mit 3 Text- 
abbildungenpeep 2. 0.0. 22. en eine» 


FASUELIOHZEIN: vie Ze N en. 


Seite 


168 


302 
327 


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(Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Frankfurt a. M.) 


Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels 
für Ammoniak. 
Von 


Werner Lipschitz, Assistent am Institut. 


(Eingegangen am 10. März 1919.) 


Die Frage nach dem Schicksal von Ammoniakgas in der Atmungs- 
luft an der Grenze des normalen Lungenalveolarepithels schien nach 
den letzten Untersuchungen von Magnus und Mitarbeitern !) im 
Sinne einer Impermeabilität dieser Zellbarriere so weit geklärt, 
dass selbst Höber, der ursprünglich ?) gegen den aus den Magnus- 
schen Versuchen gezogenen Schluss Einwände geltend machte, in 
seinem Buche „Physikalische Chemie der Zelle und Gewebe‘ ?) diese 
Auffassung als bewiesen annehmen zu müssen glaubte. 

Versuche über Wirkung und Schicksal von eingeatmetem Äthyl- 
amin, die zu anderem Zweck auf Anregung von Herrn Professor Ellinger 
an Kaninchen angestellt wurden, ergaben jedoch Resultate, die eine 
Nachprüfung dieser Frage auch am Ammoniak veranlassten. Die 
Untersuchung beider Basen führte dann gleichmässig zu Widersprüchen 
mit der Magnus’schen Beweisführung. 

Den Ausgangspunkt für seine Anschauung bildete die von mehreren 
Seiten gemachte Beobachtung, dass, obwohl intravenös injiziertes 
Ammoniak bereits in einer Konzentration von 0,008 %, Krämpfe hervor- 
ruft, vagotomierte Kaninchen mit tiefer Trachealfistel durch Müller- 
sche Ventile mehrere Minuten lang ammoniakhaltige Luft atmen 
können, ohne danach Krämpfe oder Atmungserscheinungen zu be- 
kommen (Knoll). Aus diesen Tatsachen schloss Magnus, dass das 


l) R. Magnus, Schmiedeberg’s Archiv Bd. 48 S. 100. 1902. 
Magnus, Sorgdrager und Storm van Leeuwen, Pflüger’s Archiv 
Bd. 155 S. 275. 1914. 

2) R. Höber, Pflüger’s Archiv Bd. 149 S. 87. 1912. 

3) 4. Aufl.! 1914, S. 633 Anm. 3. 


Pflüger’s Archiv für Physiologie. Ba. 176. 1 


2 Werner Lipschitz: 


Lungenepithel für Ammoniak impermeabel sei, und glaubte den Beweis 
dafür endgültig zu gestalten, indem er Ammoniak an lebenden Kaninchen 
und der überlebenden Katzenlunge den umgekehrten Weg gehen liess: 
er konnte zeigen, dass es nach Injektion in die Arteria pulmonalis 
zwar nach der Pleuraseite der Lunge abdunstet und nachweisbar wird, 
nicht aber bei intaktem Epithel in der Atmungsluft erscheint, im 
Gegensatz zum Beispiel zum Schwefelwasserstoft. 

Endlich schien Magnus Angriffe von Höber auf seine Beweis- 
führung erfolgreich abzuwehren, indem er nachwies, dass die Gegen- 
argumente selbst sich auf Versuche unter ungünstigen Bedingungen 
sründeten: Zum Beispiel seien die extrem hohen NH,-Werte des Blutes, 
die Höber an Kaninchen nach Ammoniakatmung erhielt, auf die 
Gleichzeitigkeit von Gasatmung und Blutentnahme zu beziehen, oder 
spiele der verschieden hohe Sitz der Trachealkanüle eine Rolle für 
den Ammoniakgehalt des Blutes. 

Wenn trotz allem die Beweisführung von Magnus nicht als un- 
anfechtbar gelten kann, so liest das besonders an dem Umstande, 
dass er — wie übrigens auch Höber — es versäumte, die Menge 
Ammoniak zu bestimmen, die bei: der gewählten Versuchsanordnung 
mit der Atmungsluft jeweils in die Lunge gelangte. Daher blieb er 
im ungewissen, wieviel Ammoniak danach überhaupt im Blut er- 
wartet werden durfte. Er hätte in jedem einzelnen Falle diese Be- 
stimmungen vornehmen müssen, da ja die Kenntnis der Anfangs- 
konzentration einer NH,-Lösung keineswegs zu einer Schätzung der 
entweichenden Gasmenge ausreicht; denn diese hängt weitgehend 
ab von der Temperatur der Lösung, von der Grösse des negativen 
Druckes bei der Inspiration der verschiedenen Tiere und von deren 
Atemgrösse. 

Durch das Fehlen eines Massstabes also für die zu erwartenden 
NH,-Werte des Blutes, die Magnus ja nach seinen eigenen Versuchen 
drei- bis vierfach höher als normal fand, wurde er dazu veranlasst, 
diese Ammoniakmengen als ‚so gering“ zu bezeichnen, ‚dass sie auf 
die Resorption durch die Bronchialschleimhaut bezogen werden“ 
könnten, wurde er ferner dazu veranlasst, aus den höheren NH,-Werten 
zweier Versuche weitgehende Schlüsse auf den Einfluss des mit der 
Atmungsluft in Berührung kommenden Trachealsegmentes auf den 
NH,-Gehalt des Blutes zu ziehen. 

. Beide Annahmen verlieren ihre Stütze, wie sich auf Grund vor- 
liegender Versuche zeigen wird. Aber auch was den erhöhten Ammoniak- 
gehalt des Blutes bei gleichzeitiger Entnahme und Ammoniakatmung 
betrifft, so sind neben der von Magnus verantwortlich gemachten 
Schädigung des Lungenkreislaufs andere, einfachere Erklärungen mög- 
lich: Wenn aus einer Arterie ammoniakhaltiges Blut entnommen wird, 


Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels für Ammoniak. 3 


während im kleinen Kreislauf dauernd Ammoniak ins Blut übergeht, 
so ist klar, dass ein gewisser Teil des Blutes seit seiner Beladung mit 
Gas nicht einmal einen vollen Kreislauf ausgeführt hat, dass er ins- 
besondere weder mit der entgiftenden Leber noch der ausscheidenden 
Niere in Berührung gekommen ist, dass er also auch ohne Annahme 
einer vermehrten Lungenepitheldurchgängigkeit mehr Ammoniak ent- 
halten kann als nach wiederholtem Kreisen. — Mit dieser Überlegung 
steht auch der Befund von Magnus!) kaum in Widerspruch, dass 
der Ammoniakgehalt des Blutes zwischen 15 und 100 Sekunden nach 
beendeter Aufnahme nur mehr unwesentlich (um 3—10%) absinkt, 
denn ‚gerade die ersten Sekunden wären für diesen Prozess bedeut- 
sam. — Endlich haben Herzfeld und Klinger in einer soeben er- 
schienenen Arbeit ?) darauf hingewiesen, dass neben der zur Er- 
klärung dienenden vertieften Atmung infolge der Blutentnahme 
aus allen Geweben Flüssigkeit und damit ammoniumkarbonathaltige 
Lymphe aus der Umgebung der Bronchialschleimhaut vermehrt ins 
Blut nachrückt. 

‚Doch wird sich aus den weiterhin anzuführenden Versuchen er- 
geben, dass bei Zufuhr mässiger Dosen Ammoniak diese Erscheinung 
überhaupt wenig ins Gewicht fällt — jedenfalls viel weniger als die 
Ammoniakkonzentration in der Atmungsluft und die absolut ver- 
brauchte Menge. — Das gleiche gilt, wie schon oben angedeutet, von 
dem Finfluss des. mit der Atmungsluft in Berührung kommenden 
Tracheasegmentes auf den Ammoniakgehalt des Blutes. Die Be- 
obachtungen von Magnus selbst bieten übrigens für dieses Moment 
keine sehr sichere Stütze. Er führt ?) zwei Versuche (Nr. XI und XII) 
an, die beweisen sollen, dass hoher Sitz der Trachealkanüle höheren 
Ammoniakgehalt bedinst als tiefer Sitz, und scheint dabei zu über- 
sehen, däss die Werte des Versuches XI zwar ein wenig höher sind 
als die der Versuche VI, VII und X, aber durchaus von der gleichen 
Grössenordnung und sich recht gut unter sie einfügen liessen, so dass 
diese ganze Anschauung auf den zwei hohen Zahlenwerten des Ver- 
suches XII basiert, — Werten, die durch die mangelnde Kenntnis 
der bei der Atmung verbrauchten Ammoniakmenge an Beweiskraft 
verlieren. 

Das andere Hauptstück der Magnus’schen Beweisführung: Fehlen 
des Ammoniaks in der Atmungsluft nach Injektion in die Arteria 
pulmonalis, ruht gleichfalls auf schwächerer Basis, als es nach dem 
experimentellen Befund scheinen könnte. Dass Ammoniak in der 

1) loc. eit. 8. 285. 

ı 2) Pflüger’s Arch. Bd. 173 S. 385. 1919. 

3) loe. cit. S. 286, Tab. II. 

1.8 


4 Werner Lipschitz: 


Exspirationsluft nicht nachweisbar ist — wohl aber über der Pleura- 
oberfläche — kann mehrere Gründe haben, von denen einer die Undurch- 
lässigkeit des Epithels wäre. Wenn man aber berücksichtigt, dass die 
Lungenalveolen der Ort der stärksten Kohlensäureentladung des Blutes 
sind, so wird sich das Ammoniak bei seinem angenommenen Durchtritt 
durch das Epithel an’ Kohlensäure binden und leicht als Ammonium- 
karbonat oder -bikarbonat vom Zellsaft in Lösung gehalten werden 
können. Besonders nahe wird diese Möglichkeit bei Annahme einer 
wahren Kohlensäuresekretion des Lungengewebes gerückt, — wie ja 
zum Beispiel: Bohr!) die Gassekretion als ‚eine essentielle Seite der 
Lungenfunktion“ neben der Diffusion betrachtet. Wir konnten sogar 
nachträglich feststellen, dass Bohr selbst sich schon über die Magnus- 
sche Hypothese im gleichen Sinne geäussert hat: 

„In anderen Versuchen von Magnus, wo die Ausatmungsluft sich 
trotz der Injektion von Ammoniak ins Blut ammoniakfrei erhielt, 
kann eine analoge Erklärung zur Anwendung kommen, indem das 
Ammoniak während der Passage durch die Lungenmembran an 
Kohlensäure gebunden wird; und dass dasselbe nach dem Tode in 
die Lungenluft hinausdringt, kann auf dem beim Stocken der Blut- 
zirkulation eintretenden Aufhören der Kohlensäureproduktion be- 
ruhen. Das spezielle Verhalten des Ammoniaks in der Lunge im 
Gegensatz zum Beispiel zum Schwefelwasserstoff würde demnach seine 
Erklärung darin finden, dass dasselbe im Verein mit der Kohlensäure 
ein Salz bildete.“ 

Ganz kürzlich nun haben für eine solche Auffassung des Vorganges, 
die der von Magnus widerspricht, Herzfeld und Klinger ?) auch 
experimentelle Unterlagen geschaffen: Sie bewiesen, dass kohlensäure- 
haltige Luft, die durch ammoniumkarbonathaltiges Blutserum streicht, 
auch bei längerer Versuchsdauer kein durch Nessler’s Reagenz nach- 
weisbares Ammoniak frei macht, und machen wahrscheinlich, dass 
entsprechende Verhältnisse in den Lungenalveolen mit ihrer hohen 
CO,-Konzentration vorliegen — nicht aber an der Pleuraoberfläche 
und anderen Stellen. 

Es wird sich nun zeigen, dass nach Bestimmung der aus dem 
Inspirationsventil jeweils durch die Atmung verschwundenen Ammoniak- 
menge gar nicht höhere Werte des Blutes bei den Magnus-Höber- 
schen Versuchsbedingungen sich erwarten lassen, als sie wirklich ge- 
funden wurden, zumal wenn man die im ‚toten Raum‘, das heisst den 
peripher der Lunge gelegenen Atmungswegen verbliebenen und, ohne 
an den Ort der Wirksamkeit gelangt zu sein, wieder ausgestossenen 


1) Nagel’s Handbuch d. Physiol. Bd. I S. 156. 1909. 
2) loc. cit. 


Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels für Ammoniak. 5 
\ 

Ammoniakmengen berücksichtigt, die in einigen Versuchen im Ex- 
spirationsventil aufgefangen und bestimmt wurden. Also ist das Aus- 
bleiben von Krämpfen nur auf die zu geringe verbrauchte Gasmenge 
zu beziehen, bei deren Steigerung durch Verlängerung der Atemzeit 
oder Erhöhung der Ammoniakkonzentration der Gehalt des Blutes, 
steigt und bei genügender Höhe Krämpfe auslöst, — ein Befund, der 
für eine Permeabilität des Lungenepithels spricht und seine 
Ergänzung in einigen entsprechend verlaufenen Versuchen mit dem 
gleichfalls hoch Iipoidlöslichen, in stärkeren Dosen gleichfalls krampf- 
erregenden Äthylamin findet. 

Zur Methodik der Untersuchungen ist zu bemerken, dass die stets 
doppelt ausgeführten Ammoniakbestimmungen in den: Inspirations- 
ventilen durch Titration eines aliquoten Teiles mit n-Schwefelsäure 
geschahen oder mit !/,, n-Schwefelsäure nach Auffüllen auf ein be- 
stimmtes Volumen; die Ventile wurden bis zum Beginn der Atmung 
_ und unmittelbar nach ihrer Beendigung verschlossen gehalten, um 
Entweichen von Gas zu verhüten. 

Der Ammoniakgehalt des Blutes wurde im wesentlichen nach der 
bekannten Methode von Krüger und Reich und Schittenhelm be- 
stimmt: Das in etwa dem halben Volumen 2 % iger Natriumoxalatlösung 
aufgefangene Blut wurde in einem 2 Literkolben, der mit Tropftrichter, 
Kapillare und in Schwefelsäure eintauchendem Destillationsrohr ver- 
sehen war, bei 8-12 mm Druck und einer 45° ©. nicht übersteigenden 
Temperatur destilliert, nachdem es mit 50—80 ccm Methylalkohol und 
15 g Kochsalz gemischt und mit 1 g wasserfreiem Natriumkarbonat 
alkalisch gemacht war. Die durch die Kapillare streichende Luft war 
durch Vorschalten einer Waschflasche mit konzentrierter Schwefel- 
säure ammoniakfrei. Als Vorlage dienten. drei hintereinander ge- 
schaltete Saugflaschen von je etwa 100 ccm Inhalt, die mit im ganzen 
5 cem io n-Schwefelsäure und der nötigen Menge Wasser beschickt 
und sorgfältig mit Eiswasser gekühlt waren. Der: verwendete Methyl- 
alkohol, der ursprünglich stets flüchtige Basen enthielt, wurde über 
reiner kristallisierter Phosphorsäure und Ätzkalk destilliert und reagierte 
dann gegen Methylrot völlig neutral. Bei Beginn stärkeren Schäumens 
wurde nach Bedarf durch den Tropftrichter Methylalkohol zugeführt. 
Zur Beendigung der Ammoniakdestillation wurde eine Zeit von 2 bis 
3 Stunden ausreichend befunden. Die Säure in den Vorlagen wurde 
mit 1/,, n-Natronlauge zurücktitriert unter Verwendung von Methylrot 
als Indikator. — Das Entsprechende gilt von den Versuchen mit 
Äthylamin. ; 


. 
6 Werner Lipschitz: 


I. Normales Kaninchenblut. | 


25 com enthalten 0,25 cem r NH; : 0,000848 %o. 
(Mittelwert von Magnus: 0,00089/o.) 


II. Blut bei Ammoniakatmung. 


1. Wechselnder Sitz der Trachealkanüle. 
a) tief (dicht über der Bifurkation). 


N Verbrauchis: a 
ers.| Tier- % NH, a. d. In- {) ; im 
Nr. | gewicht Srtader Versitung spirations- Blut 
ventil 
1, 1410 Doppelseitige Vagotomie; In- 
spirationsventil enthält 10 ccm 
7°o NH3;; zwei hintereinander 
geschaltete Exspirationsven- 
tile mit im ganzen 10 ccm Yı n 
H,S0O,.. 6 Min. Ammoniak- 
atmung, 1 Min. Luftatmung, 
Blutentnahme :27 cem. ... . 0,0765 8 0,00437 


Durch Entbluten getötet; Ka- | Im Exspirat.- 
nüle ca. '/g cm über der Bifur- | Ventil wieder- 
kation, sehr geringe hyper- gefunden: 
ämische Partie im untersten 0,0561 8 
Trachealabschnitt, kaum er- 
kennbare Veränderungen in y 
den grossen Bronchien, kein 
Schaum oder Exsudat. 
2. 1360 Wie bei Vers.1. Blutentnahme 
25,5 ccm. 18 Min. nach Aus- 0,1156 & 0,0034 
schaltung des Ammoniakven- | Im Exspirat.- 
tiles ist in der Exspirationsluft | Ventil wieder- 
durch Lackmuspapier noch gefunden: 
Ammoniak nachweisbar. 0,0663 & 
Durch Entbluten getötet; Ka- 
nüle !/’a cm oberhalb der Bi- 
furkation; abwärts mässige 
Verätzung, etwas Schaum, 
Lunge normal, 7,6 Gewicht. 
3. 1145 | Wie bei Vers. 1. — 8S!/s Min. 
Ammoniakatmung, dabei be- 
ginnt das Tier zu zappeln und 
in der Trachea Schaum sich 
zu bilden. 45 Sek. Luftatmung, 
Tier röchelt, Blutentnahme: 
BI ICE NE URLS. 0,1445 & 0,0059 
Durch Entbluten getötet; Ka- 
nüle dichtüber der Bifurkation, 
sehr geringe Verätzung von 
. Trachea und Bronchien. 
4. 1280 | Inspirationsventilenthält25cem 
A 7,08% NH3;. 3Min. Ammoniak- 
atmung, 2 Min. Luftatmung, 
Blutentnahme I: 16 com; nach I. 0,00265 
4 Min. weitere 3 Min. Ammo- 
niakatmung, 1 Min. Luft- 
atmung, Blutentnahme II: 
DOREEN ee 0,15 g II. 0,0050 


Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels für Ammoniak. 7 
b) hoch (dicht unterhalb des Larynx). 
Verbrauchtes 
Vers.| Tier- . NH, im In- |°%o NH; im 
Nr. | gewicht artider) Vergiftung spirations- Blut 
ventil 
9. 1130 Doppelseitige Vagotomie; In- 
spirationsventil enthält 10 ccm 
7% NH;3; zwei hintereinander 
geschaltete Exspirationsven- 
tile mit im ganzen lOcem Yın 
H,S0,.. 6 Min. Ammoniak- 
atmung, 1 Min. Luftatmung, 
Blutentnahme: 19 ccm. ... . 0,0969 & 0,00357 


Durch Entbluten getötet; | Im Exspirat.- 
Trachea mit mässig starken | Ventil wieder- 
Blutungen, Lungenormal,5,3g. gefunden: 

6. | 1020 Inspirationsventil: 8cem 5,56 °/o 0,0697 & 
NH, 10 Min. Ammoniak- 
atmung, 1 Min. Luftatmung, 
Blutentnahme: 21 ccm. .. . 0,102 & 0,0042 
Durch Entbluten ° getötet; 
Schaum in der Trachea, Haupt- 
und Nebenbronchien stark ver- 
ätzt, Lunge normal. 

Ü 1460 Inspirationsventil: 10 cem 7°/o 
NH,.6Min. Ammoniakatmung, 
1 Min. Luftatmung, Blutent- 
nahme 20lcemu er a: 0,1114 & 0,00306 
Entblutet; mässige Verätzung | Im Exspirat.- 
von Trachea und Bronchien, | Ventil wieder- 
etwas Schaum darin, Lunge gefunden: 
normal, 8,8 g. 0,0714 g 

8. 1320 Wie Vers. 7. 6a Minuten 
Ammoniakatmung, 1 Min. 
Luftatmung, Blutentnahme: 


lS,s9Lecemy rg. ae. 0,1496 & 0,0054 
Trachea stark verätzt, Lunge | Im Exspirat.- 
14,38 @. Ventil wieder- 
gefunden: 
0,102 & 


2. Gleichzeitige Blutentnahme während der Ammoniakatmung bei 
tiefsitzender Trachealkanüle. 


g 1200 | Wie Vers. 7. Nach 2'/a Min. c 
bei fortgesetzter Ammoniak- 
atmung Blutentnahme I: I. 0,00446 
17 ccm (Dauer 30 Sek.), weiter 
Ammoniakatmung bis im gan- 
zen 6 Min.; 1 Min. Luftatmung, 
Blutentnahme II: 16 cem . . 0,1003 & II. 0,00474 
Entblutet; Kanüle !/z cm über | Im Exspirat.- 
der Bifurkation, geringe Ver- | Ventil wieder- 
ätzung der Bronchien, Lunge gefunden: 
normal, 7,9 g. 0,0672 g 
10. | Kan. 33 | Versuchsbedingungen wie oben. 
Nach 6Min. Ammoniakatmung, 
die fortgesetzt wird, Blutent- 
nahme I: 20 ccm (Dauer30Sek.), I. 0,00344 


(0 6) 


Werner Lipschitz: 


Vers. 
Nr. 


Tier- 
gewicht 


Art der Vergiftung 


Verbrauchtes | 0, Ammo- 

NA; im Ex- niak im 

spırations- Blut 
ventil u 


11. 


12. 


18. 


2140 8 


nach im ganzen 9 Min. 1 Min. 
Luftatmung, Blutentnahme II: 
IOLINCCTÄRE N N 
Entblutet; Kanüle "/’a em über 
der Bifurkation, minimale 
Atzung der unteren Trachea u. 
Bronchien, Lunge normal, 6,3 8. 
Wie oben. Keine Exspirations- 
ventile, Atmung in eine Ma- 
riotte'sche Flasche, die als 
Spirometer dient. Inspirations- 
ventil: 20 ccm 7°%o NH,, das 
im Wasserbad von 32° sich 
befindet. Nach 3 Min. Ammo- 
niakatmung, die fortgesetzt 
wird, allmähliche Entnahme I 
von ca. 50 ccm Blut, von denen 
die letzten 25 ccm in Natrium- 
oxalatlösung aufgefangen wer- 
den (Dauer ca. 3 Min.). Nach 
im ganzen 8 Min. Luftatmung 
von 1 Min., Blutentnahme II: 
larcem: Sl ee 
Entblutet; Kanüle Ya em über 
der Bifurkation, mässige Ver- 
ätzung der Trachea, Lunge 
mit einigen alten hyperämi- 
schen Flecken, sonst normal. 


Kan. 76| Wie oben. Inspirationsventil: 


20 ccm 8,5 Yo Ammoniak. Wäh- 
rend der vierten Minute der 
Ammoniakatmung Blutent- 
nahme I (Dauer 20 Sek.): 
215 com. Nach im ganzen 
6 Min. Luftatmung von 1 Min., 
Blutentnahme Il: 20,5 ccm, 
weiter Ammoniakatmung, die 
nach 1 Min. zum Atemstill- 
stand führt, sofort Blutent- 
rahmer Ill: 19 cem.r...... 


0,1428 & II. 0,00344 
Im Exspirat.- 
Ventil wieder- 

gefunden: 

0,1025 & 


1. 0,003774 


0,2762 & | II. 0,00629 


I. 0,00399 


II. 0,00544 


0,2057 8 III. 0,00986 


3. Vergiftung bis zum Eintritt schwerer Krämpfe. 


1705 & 


Trachealkanüle bis fast an die 
Bifurkation, doppelseitige Va- 
gotomie. Inspirationsventil mit 
20 com 25° NH;,. Ammoniak- 
atmung während 40 Sekun- 
den (300 ccm Atemvolumen), 
schwere Krämpfe, sofort Blut- 
entnahme: 18 ccm, unmittelbar 
darauf Exitus. Sektion: leicht 
blutiger Schaum in d. Trachea, 
Lungen leicht gebläht mit 
etwas Randemphysem und 
ÖOdem, beide Unterlappen mit 
hämorrhagischen Flecken. 


ca. 0,85 & 0,0498 


Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels für Ammoniak. 9 


III. Versuche mit Ätkylamin. 


1) Ein Kaninchen von 1140 g erhält 3 ccm 15 %ige wässerige Äthyl- 
aminchlorhydratlösung in die Ohrvene. Starke Atembeschleunigung, die 
nach 20—30 Minuten zurückgeht, Entleerung von dünnem Kot, sonst 
keine Erscheinungen. 

2) Ein Kaninchen von 990 g erhält 5 cem obiger Lösung intravenös: 
sehr starke Atembeschleunigung, Entleerung von dünnem Kot, sonst 
keine Erscheinungen. 

3) Ein Kaninchen von ca. 1500 g erhält 8 ccm obiger Lösung intravenös. 
3 Minuten später Krämpfe, schnelle Entblutung aus den Karotiden, Amin- 
bestimmung in 5l cem Blut: 0,121 %. 

4) Kaninchen von 1900 g mit Trachealkanüle nahe der Bifurkation 
und durchschnittenen Vagi, atmet aus einem Inspirationsventil, das 
20 cem 5 %ige Äthylaminlösung enthält und auf 40—45° C. gehalten wird. 
Nach 15 Minuten allmähliche Blutdrucksenkung und Dyspnoe. Luft- 
atmung von 1—2 Minuten, dann Exitus. Sofort Entnahme von 30 cem 
Leichenblut. Sektion: Schaum in Trachea und Bronchien. Das freie 
Tracheastück von ca. 1 cm Länge tiefrot, beginnendes Lungenödem, 
Lungengewicht 13,7 g. Verbrauchtes Amin 0,40 g. Amingehalt des Blutes: 
0,012 %. 

5) Gleiche Versuchsanordnung. 141, Minuten Atmung aus Ventil mit 
20 ccm 5%iger Aminlösung im Wasserbad von 37°C. Nach Luftatmung 
von 1 Minute Blutentnahme: 38 ccm. — Nach weiteren 10 Minuten er- 
stickt das Tier unter Herausfliessen von schaumiger Flüssigkeit aus der 
Trachea. — Kanüle sitzt-2 cm über der Bifurkation. Dieses Stück der 
Trachea blutunterlaufen, Lungengewicht 10,5 g. 

Verbrauchtes Amin 0,289 g&. Amin im Blut 0,0056 %. 

6) Gleiche Versuchsanordnung. Ventil mit 15 ccm 3%iger Amin- 
lösung im Wasserbad von 40° C., 9 Minuten Aminatmung, 1, Minute Luft- 
atmung, Blutentnahme: 34,5 cem. Verbrauchtes Amin 0,0074 g, Amin 
im Blut 0,002 %. 


Während also die Ammoniakbestimmung im Normalblut einen mit 
den Befunden von Magnus übereinstimmenden Wert zeigt, scheinen 
die Versuche Nr. 1—8 die schon oben geäusserte Vermutung zu 
bestätigen, dass die für einen Einfluss des verätzbaren Trachea- 
abschnittes auf die Blutanalyse sprechenden experimentellen Unter- 
lagen von Magnus nicht ausreichend waren; — im Gegenteil sind 
nach obigen Versuchen die Ammoniakwerte des Blutes weitgehend 
unabhängig vom Sitz der Trachealkanüle und scheinen eher mit der 
aus dem Inspirationsventil verschwundenen Ammoniakmenge sich 
gleichsinnig zu verändern, wenngleich man auch von dieser Rechnung 
nicht allzu Sicheres erwarten darf und einige Unregelmässigkeiten 
sich auch in den angeführten Versuchen zeigen. Die Bestimmungen 
der mit den Ausatmungsstössen verloren gehenden Ammoniakmengen 
geben einen deutlichen Hinweis einerseits auf die Unsicherheit solcher 
Berechnungen, andererseits aber darauf, wie erheblich die im Blut 
gefundenen Werte erscheinen, wenn man sie zu den diesseits der Lunge 
festgestellten Werten in Beziehung bringt. Steigst man mit der 


10 Werner Lipschitz: Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels. 


Ammoniakdosis sehr hoch, so erhält man, wie Versuch 13 zeigt, 
auch sehr hohe Blutwerte, — wenn auch für diese Fälle der Einwand 
nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Höhe der Ammoniak werte 
im Blut dabei zum Teil auf Rechnung der verätzten, also geschädigten 
Gewebspartieen zu setzen ist. 

Wählt man, um einen ungefähren Anhalt für die Relation zu haben, 
als Durchschnittswert des gefundenen Blutammoniaks 0,004 und sub- 
trahiert von der verbrauchten Gesamtmenge Ammoniak den im ent- 
sprechenden Exspirationsventil wiedergefundenen Betrag, so kommt 
man — ebenfalls approximativ — zu einem im Respirationstraktus 
verschwundenen Wert von 0,04, also dem Zehnfachen des Blut- 
wertes, während das Gesamtgewicht von Kaninchen etwa das Drei- 
zehnfache des Blutgewichtes beträgt. 

Was den Einfluss gleichzeitiger Bilutentziehung und Ammoniak- 
atmung auf den Blutgehalt betrifft, so zeigen die Versuche folgendes: 
In zwei Fällen (Versuch 9 und 10) sind die frühzeitig während der 
Ammoniakatmung entnommenen Blutproben reicher an Ammoniak 
als zum Beispiel in dem Parallelversuch Nr. 4, bei dem nach Unter- 
brechung der Ammoniakatmung Blut entnommen wurde; in beiden 
Fällen enthalten sie auch schon gerade oder fast so viel Ammoniak 
wie die nach doppelt so langer Atmung im Intervall von den gleichen 
Tieren entnommenen Blutproben, — aber dass die Bedeutung dieser 
Erscheinung nicht allzu gross ist, beweisen die Versuche 11 und 12, 
in denen die während der Ammoniakatmung entnommenen Blut- 
mengen keine abnorm hohen oder den späteren Blutanalysen nicht 
entsprechenden Werte zeigen. 

Zusammenfassend lassen sich die Resultate der Versuche folgender- 
massen formulieren: Die unter allen Kautelen (tiefer Sitz der Tracheal- 
kanüle, Vermeidung von Blutentnahme während der Ammoriakatmung) 
in die Lunge gebrachten Ammoniak- oder Äthylaminmengen gehen 
zu einem nicht unerheblichen Teil in die Blutbahn über, in der um 
so höhere Werte gefunden werden, je länger und in je höherer Kon- 
zentration das Gas geatmet wird. Die Beweisführung durch Magnus’ 
Versuche mit Einspritzung von Ammoniak in die Blutbahn erscheint 
durch die Einwände von Bohr und die Versuche von Herzfeld und 
Klinger entkräftet. 

Die Annahme von der ‚‚rätselhaften Fähigkeit des Lungenepithels, 
einen sonst die lebenden Zellen so leicht durchdringenden Stoff wie 
das Ammoniak vom Durchtritt auszuschliessen, während dasselbe 
Epithel andere Gase mit Leichtigkeit passieren lässt,‘ (Höber) scheint 
damit ad absurdum geführt. 


Zum Assimilationsproblem. 
Von 
Dr. Gertrud Woker. 


(Mitteilung aus dem Laboratorium für physikalisch-chemische Biologie 
der Universität Bern.) 


(Eingegangen am 14. März 1919.) 


Die Isomerisierung des Kohlensäuremoleküls. 


Die Kohlensäure gehört zu den chemisch trägsten Verbindungen. 
Sie wird daher in gewöhnlicher Form nur sehr geringe Tendenz zeigen, 
von Reduktionsmitteln angegriffen zu werden !). Der Beschäftigung 
mit diesem Reduktionsproblem muss daher die Frage vorangestellt 
werden: Ist es möglich, die Kohlensäure und ihre Derivate in ihrer 
molekularen Struktur so zu verändern, dass sie chemischen Eingriffen, 
insbesondere Reduktionen, zugänglich wird ? In Betracht kämen hier- 
für das Kohlensäureanhydrid CO,, die Metakohlensäure und deren 
saure und normale Salze, soweit sich dieselben bei Gegenwart von 
basischen Absorbentien im pflanzlichen Organismus aus der freien 
Kohlensäure zu bilden vermögen. Eine Isomerisierung ist nun in 
der Tat bei allen diesen Verbindungen möglich. Für das Kohlensäure- 


1) Siehe über die Reduktion der Kohlensäure zu Ameisensäure zum 
Beispiel Maly, Liebig’s Ann. Bd. 135 S. 119. 1865; Ber. Bd. 17 8. 7. 
1884; Meyer-Jacobson, I, 512, 3; Berthelot, Essai de mecanique 
ehim. rt. 2 p. 319, 18795 Compt. rend. t. 126” p. 610. 18985, t..131 
p- 172. 1900; Lieben, Monatshefte f. Chem. Bd. 16 S. 211. 1895; Bd. 18 
S. 582. 1897: Losanitsch und Jovitschitsch, Ber. d. chem. Ges. Bd. 30 
S. 135. 1897. — Siehe über die Reduktion der Kohlensäure zu Form- 
aldehyd Bach, Compt. rend. t. 116 p. 1145 und 1389.. 1893; Fenton, 
Journ. chem. soc. vol. 91 p. 687. 1907; Berthelot und Gaudechon, 
Compt. rend. t. 150 p. 1692. 1910; Stoklasa und Zdobnicky, Bio- 
chem. Zeitschr. Bd. 30 S. 4331. 1911; Bd. 41 S. 333. 1912. Siehe dem- 
gegenüber Spoehr, ebenda Bd. 57 S. 110. 1913; Coehn und Sieper, 
Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 91 S. 347. 1916. Siehe demgegenüber 
jedoch Bach, Ber. d. chem. Ges. Bd. 39 S. 1672. 1906; Euler, ebenda 
Bd. 37 S. 3411. 1904; Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 59 S. 124. 1909, 
und Meldola, Journ. chem. soc. vol. 89 p. 749. 1906; Bach, Compt. 
rend. t. 126 p. 476. 1898; W. Löb, Landwirtsch. Jahrb. Bd. 35 S. 541. 
1906; Zeitschr. f. Elektrochem. Bd. 12 S. 282. 1906; Gibson, Annals of 
Bot. vol. 22 p. 118. 1908; Usher und Pristley, Proc. Roy. Soc. vol. 84B 
p- 102. 1912; Stoklasa, Sebor und Zdobnicky, Compt. rend. t. 156 
p- 646. 1913. 


12 Gertrud Woker: 


anhydrid kann nur ein Isomeres von Peroxyd- bzw. Peroxydatstruktur 
in Frage kommen, bei welchem die Sauerstoffatome (statt mit ihren 
beiden Valenzen mit dem Kohlenstoffatom verbunden zu sein wie 
„DO 
beim ex ) mit einer Valenz untereinander, mit der zweiten mit dem 


0) 
Oo 
Kohlenstoffatom verbunden sind, entsprechend der Formel 
Die spezifische, zur Sauerstoffabspaltung besonders geeignete Per- 
oxydbindung ebenso wie der ungesättigte Charakter der Ver- 
bindung, in der der Kohlenstoff zweiwertig wie beim Kohlenoxyd 
fungiert, würde einen derartig gebauten Stoff zur Reduktion, sei es 
durch Sauerstoffabspaltung, sei es durch Addition von Wasserstoff 
in hervorragender Weise befähigen. Durch Wasseraddition könnte 
das „Peroxydat‘“ in das „sekundäre Peroxyd‘‘ im Sinne Engler’s 
übergeführt werden unter Sprensung der Bindung zwischen den Sauer- 
stoffatomen und Addition der Elemente des Wassers H und OH an 
die freien Valenzen. Das Resultat dieser Addition wäre dann eine 
0O—OH 
“OH 
Produkt isomere, im Gegensatz zu demselben gesättigte Persäure 
wäre die Perameisensäure, welche Willstätter und Stoll!) als labiles 
Umlagerungsprodukt der Kohlensäure, das sich bei der Bindung an 
Chlorophyll bilden würde, ins Auge gefasst haben. Doch besteht ein 
Widerspruch zwischen diesen beiden Auffassungen nicht. Denn von 
der Perameisensäure ist ein anderer Zerfall als der von d’Ans ?) be- 
schriebene in Kohlensäure und. Wasser nicht bekannt. Daher haben 
Willstätter und Stoll?) eine Strukturänderung des mit dem 
Chlorophyll verbundenen Umlagerungsproduktes vermutet, eine Auf- 
fassung, die geradezu zu dem vorhin erwähnten ungesättigten Peroxyd 
0—-OH 
zurückführt. Ausserdem haben Willstätter und Stoll 


Verbindung von folgender Struktur: CX eine mit diesem 


Rz 
N 
OH 
als zum Zerfall geeignetes Isomeres der Kohlensäure an eine von ihnen 
H\ ® 
als „Formaldehyd-Peroxyd‘‘ bezeichnete Verbindung 2 os‘ ge- 
HO (0) 


dacht, die sich von dem vorhin genannten ungesättisten Peroxydat 


1) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad. Nr. 20 S. 346. 
1915; Bd. 48 S. 1540. 1915. 

2) d’Ans, Ba. 45 S. 1845. 1912; Bd. 48 S. 1136. 1915. 

3) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad., math.-physik. 
Klasse. Nr. 20 S. 346. 1915; Bd. 48 S. 1540. 1915. 


Zum Assimilationsproblem. 13 


0) 
° ' durch Addition der Elemente des Wassers an das Kohlenstoff- 
K0) 


atom selbst auszeichnet. Für die Metakohlensäure und ihre Salze 
besteht ausser der Peroxydform — die sich decken würde mit dem 
soeben besprochenen Peroxyd, welches sich aus dem Kohlensäure- 


0) 


peroxydat cc ' durch Addition der Elemente des Wassers bildet — 


noch eine zweite Möglichkeit der Isomerisierung, die im Prinzip der 
Existenz der schwefligen Säure in zwei isomeren Formen an die Seite 
zu stellen wäre. Der symmetrischen und unsymmetrischen Form der 


sym. unsym. 
OH x ‚„H 
H,S0,:0 = S IS würde für die formell gleichartige 
-0E 6 ‚oH ; ; 
OH O. H 
H,CO, entsprechen: O = & x 


‘OH .,0% ‘oH 

Konstitutiv ist also für die Kohlensäure und alle ihre in Betracht 
fallenden Derivate mehr als eine Möglichkeit der Isomerisierung ge- 
geben. Es fragt sich nun aber vor allem, ob auch experimentelle 
Anhaltspunkte hierfür bzw. für die mit der Isomerisierung einher- 
gehende leichtere Angreifbarkeit gegeben sind. Auch hier empfiehlt 
es sich, anzuknüpfen an Beobachtungen bei der schwefligen. Säure, 
von der ja ausser der symmetrischen und der unsymmetrischen eben- 
falls eine Peroxydform angenommen werden kann. Hier hat in der 
Tat Raschig!) gefunden, dass es bei der Neutralisation des Bisulfits 
mit Natronlauge und umgekehrt bei der Überführung des normalen 
Sulfits in das Bisulfit durch Säurezusatz zu einem besonders starken 
oxydativen Angriff der schwefligsauren Salze kommt. Dies dürfte 
so zu erklären sein, dass zwar beide Endprodukte der stabileren Form 
entsprechen, dass aber das Molekül während des Neutralisations- 
prozesses des Bisulfits und der entsprechenden Gegenreaktion eine 
unbeständige Intermediärform passiert. Unabhängig von jeder Theorie 
über deren molekulare Beschaffenheit soll diese labile Zwischenform 
im Sinne Skrabals ?) als Bisulfit im Entstehungs- oder ‚‚Verschwin- 
dungszustand‘“ bezeichnet werden. Für die Kohlensäure sind zwar 
einschlägige Untersuchungen nicht angestellt worden; aber es finden 
sich mehrere Literaturangaben °), aus denen eine ungleiche Angreif- 


il) Raschig, Zeitschr.f. angew. Chem. Bd. 16 S. 580, 1407. 1904; Bd. 19 
S. 9. 1906. 
2) Skrabal, zum Beispiel die induzierten Reaktionen, ihre Geschichte 
und Theorie. Stuttgart 1908. 
‚3) Lieben, Monatsheftef. Chemie Bd.16$.211.1895; Bd. 18S. 582. 1897. 


14 Gertrud Woker: 


barkeit der Kohlensäure und ihrer Derivate hervorgeht, und zwar 
wird mit Übereinstimmung das Bikarbonat als diejenige Verbindungs- 
form genannt, die die grösste Reduzierbarkeit besitzt. Das normale 
Karbonat wird nur spurenweise angegriffen, und die freie Kohlen- 
säure konnte einzig vom Natriumamalgam reduziert werden. Coehn 
und Jahn!) haben hieraus den Schluss gezogen, dass weder das un- 
dissoziierte Molekül noch das CO’,-Ion reduzierbar sei, sondern- nur 
das HCO’,-ion. Wäre dies der Fall, so müsste im Gegensatz zu dem 
vorhin besprochenen Verhalten der Sulfite das Bikarbonat als solches 
stärker angreifbar sein, als wenn es sich im Zustand der Umwandlung 
in Karbonat befindet und die Konzentration der vermuteten reaktions- 
fähigen HCO’,-Ionen sinkt. Das umgekehrte — also den Sulfiten 
entsprechende — Verhalten war dagegen zu erwarten, wenn das Bi- 
karbonat seine grössere Aktivität einer teilweisen Existenz in einer 
labilen isomeren Form verdankte. Dann musste im Zustand des Ent- 
stehens oder Verschwindens die Menge des labilen Produktes und 
damit der durch einen Reduktor angreifbare Anteil eine Zunahme 
erfahren, denn es ist ausgeschlossen, dass in einem selbständig existenz- 
fähigen Salz, wie dem ‚Bikarbonat und seinen Lösungen, mehr als 
nur ein geringer Teil in labiler Form vorhanden sei, hat doch die 
Existenzfähigkeit eine gewisse molekulare Stabilität zur Voraussetzung. 

Die ersten orientierenden Vorversuche, welche ich zur experimen- 
tellen Prüfung dieser Frage anstellte, sprechen zugunsten der An- 
nahme, dass die Verhältnisse bei den Karbonaten ähnlich sind wie 
bei den Sulfiten, — dass also Bikarbonat im Entstehungs- oder Ver- 
schwindungszustand sowie auch Karbonat unter den nämlichen Be- 
dingungen reaktionsfähiger sind als die beiden fertig vorliegenden Salze. 
Während das Kalium- oder Natriumbikarbonat wie das Kalium- 
oder Natriumkarbonat als vorgebildete Salze bei der Einwirkung von 
Methylalkohol — den ich aus verschiedenen, im folgenden Kapitel 
erörterten Gründen als Reduktor verwendete — im Sonnenlicht keine 
nennenswerte Farbenänderung erkennen lässt und nach dem Ver- 
dunsten des Methylalkohols Fehling’sche Lösung nicht reduziert, ist 
das Bild ein anderes, wenn man Kalium- oder Natriumbikarbonat 
gemischt mit Natrium- oder Kaliumkarbonat auf den Methylalkohol 
im Sonnenlicht einwirken lässt oder Alkalibikarbonat mit wenig 
Natronlauge bzw. Alkalikarbonat mit wenig Säure versetzt, derselben 
lichtchemischen Reduktion unterwirft. Bei sehr intensiver Bestrahlung 
konnte bei solehen Versuchen oft schon nach wenigen Minuten eine, 
wenn auch schwache gelbbräunliche Verfärbung wahrgenommen 
werden, die sich bei längerer Einwirkung noch etwas vertiefte. War 


1) Coehn und Jahn, Ber. d. chem. Ges. Bd. 37 S. 2836. 1904. 


Zum Assimilationsproblem. 15 


diese Farbenänderung durch Zucker bedingt, so musste Fehling’sche 
Lösung reduziert werden. Dies war bei den erwähnten Salzgemischen 
in höherem Grade der Fall als bei den Komponenten und der Methyl- 
alkoholkontrolle. Doch gelang mir die nachträglich angestellte Moore - 
Heller’sche Reaktion mit Sicherheit in keinem Fall, und auch die 
Karamelprobe bei Zusatz von konzentrierter Schwefelsäure verlief 
negativ. Erwiesen scheint mir daher nur die leichtere Angreifbarkeit 
von Salzen der Kohlensäure, die in einem Zustand der Umwandlung 
begriffen sind, wobei ein starker Reduktor wie der Methylalkohol 
zur Bildung einer reduzierenden Substanz aus den Karbonaten zu 
führen vermag. Leider musste ich aus Mangel an Methylalkohol die 
entsprechenden quantitativen Versuche und die den natürlichen Be- 
dingungen am besten angepasste Einwirkung von freier Kohlensäure 
auf Alkalikarbonat bei Gegenwart von Methylalkohol auf bessere 
Zeiten verschieben. 

Wenn schon unter so ungünstigen Umständen, wie bei diesen Ver- 
suchen, eine allerdings rasch zum Stillstand kommende Reaktion ein- 
setzt, so dürfte immerhin anzunehmen sein, dass bei passender Koppe- 
lung mit einer anderen Reaktion, insbesondere der später besprochenen 
Nitratreduktion und unter günstigen Kondensationsverhältnissen, die 
hemmenden Endprodukte verbraucht und ein rascher Reduktions- 
verlauf erzielt werden kann. Auch käme es unter natürlichen Be- 
dingungen wohl kaum zu einer Zerstörung des gebildeten Zuckers 
oder anderer reduzierender Stoffe, wie bei den Reagensglasversuchen, 
wo die bräunliche Verfärbung auf eine solche Nebenreaktion hindeutet. 

Wenn es nun auch nach den erwähnten Vorversuchen wahrscheinlich 
ist, dass nicht der Ionisationszustand mit der Reduktionsfähigkeit 
zusammenhängt, sondern die spezifische Konstitution des Kohlensäure- 
restes, so ist damit noch nicht entschieden, welcher von den hierfür 
ins Auge gefassten Möglichkeiten der Vorzug gegeben werden soll. 
Da jedoch die Peroxydform. die grössten Vorteile für eine stattfindende 
Reduktion auf sich vereinigt, so ist im folgenden nur mit diesem 
Kohlensäureisomeren gerechnet worden. Offen bleibt vorläufig auch 
die Frage, wie sich die Isomerisation vollzieht. Willstätter und 
Stoll!) haben, wie schon erwähnt, angenommen, dass eine Bindung 
der Kohlensäure an Chlorophyll hierfür verantwortlich zu machen 
sei, und der von diesen Forschern geführte experimentelle Nachweis, 
dass das kolloidale Chlorophyll in der Tat Kohlensäure zu binden ?) 
vermag, ist eine Stütze dieser im Kapitel über die Chlorophyllfunktionen 
noch einmal Werührten Auffassung. Aber auch meine, im vorigen er- 


1) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad. Bd. 20 8. 345. 
1915. 


2) Dieselben, ebenda $. 338. 


16 Gertrud W oker: 


wähnten Versuche über die Labilisierung des Kohlensäuremoleküls sind 
den natürlichen Bedingungen angepasst; denn das im pflanzlichen 
Organismus weit verbreitete Kaliumkarbonat hat nach Stoklasa!) 
die Aufgabe der Kohlensäureabsorption zu erfüllen, entsprechend der 
Gleichung: K,CO, + H,CO, = 2 KHCO,. Das wäre aber nichts anderes 
als der eine der beiden einander entgegengerichteten Vorgänge, die 
wie beim Prozess der Bisulfitneutralisation und der Überführung des 
normalen Sulfits in Bisulfit auch bei den Karbonaten vorübergehend 
eine labile leichter angreifbare Form entstehen lassen. Im übrigen 
ist auch die Karbonatbildung aus dem Bikarbonat von Grafe ?) be- 
rücksichtigt worden. Die Vorstellung, dass die Isomerisierung durch 
die Bindung an Chlorophyll erfolge, und diejenige, dass die zur Ab- 
sorption notwendige ?) Karbonat-Bikarbonatreaktion die Veranlassung 
der Umlagerung sei, brauchen auch hier nicht Gegensätze zu sein, 
könnte doch die Bindung an Chlorophyll zu den Reaktionen gehören, 
die wie die Reduktion erst durch die vorangegangene Isomerisierung 
durchführbar werden. Das Peroxyd würde also dem Chlorophyll schon 
vorgebildet als KHCO, im Entstehungs- oder „Verschwindungszustand‘“ 
geboten. Aber wie dem auch sei, den Kernpunkt bildet in jedem Fall 
die Vorstellung der Isomerisierung des stabilen Kohlensäuremoleküls 
zu einem labilen, wahrscheinlich peroxydischen Produkt, das zu der 
im folgenden besprochenen Reduktion geeignet ist. 


Die Reduktion der Kohlensäure. 


Die Frage nach der Herkunft des Mehrgehalts an Wasserstoff, 
durch welchen sich sämtliche Kohlehydrate vor der Kohlensäure oder 
ihren Derivaten auszeichnen, hat Chemie und Botanik vom ersten 
Beginn der Forschung über das Assimilatioasproblem bis zum heutigen 
Tage beschäftigt. Die Mehrzahl der älteren wie der neueren Forscher, 
so Liebig ®), Boussingault°), Berthelot®), Erlenmeyer”), Ballo®), 


1) Stoklasa und Zdobnicky, Biochem. Zeitschr. Bd. 30 S. 434 
451. 1911. 

2) Grafe, ebenda 1911 S. 117. 

3) Auch Willstätter und Stoll (l. e.) trennen die Kohlensäure- 
bindung an Chlorophyll von der Absorptionsreaktion und nehmen ein 
besonderes Absorbens im Blatt an (zum Beispiel Aminosäuren oder Ei- 
weiss). 

4) Liebig, Die Chemie. 1862 S. 50, sowie Ann. d. Chem. u. Pharm. 
Bd. 46 S. 58. 1843. 

5) Boussingault, Agronomie Bd. 4 S. 301, 399. 1868. 

6) Berthelot, Lecons sur les methodes generales de synthese er 
chimie organique. Paris 1864. p. 180/181. 

7) Erlenmeyer, Ber. 10 S. 634. 1877. 

8) Ballo, Ber. 17 S. 6. 1884. 


Zum Assimilationsproblem. 187, 


Brunner und Chuard!), Löb?) und Schroeder?°), vertreten die 
Auffassung, dass dieser Wasserstoif unmittelbar dem Wasser ent- 
stamme. Nur wenige, wie Stoklasa ?) und Pollacei°) und in ge- 
wissem Sinne auch Baudisch, führen den disponibeln Wasserstoff 
auf eine organische Quelle zurück. Schliesst man sich der letzteren 
Ansicht an, so muss man sich zugleich bewusst sein, dass damit das 
Reduktionsproblem der Kohlensäure nicht gelöst, sondern nur hinaus- 
geschoben ist; denn jede wasserstoffreichere Verbindung, die durch 
Abgabe von Wasserstoff oder durch Addition an Kohlensäure oder 
eines ihrer Derivate (von gleichem Sauerstoffgehalt) zu der Entstehung 
eines Produktes von höherem Wasserstoffgehalt die Veranlassung ist, 
muss früher oder später in der Pflanze selbst entstanden sein, und 
für eine solche Verbindung besteht dann also dieselbe Frage nach 
der Herkunft ihres Wasserstoffes wie für die Kohlensäure selbst. Ganz 
besonders auffallend ist dies bei der Vorstellung von Stoklasa, dass 
der zur CO,-Reduktion verwendete Wasserstoff dem enzymatischen 
Glukoseabbau entstamme ®). Denn hier würde sich also der zum 
Kohlehydrataufbau erforderliche Wasserstoff auf dasselbe Produkt 
oder wenigstens auf ein derselben Gruppe angehöriges zurückführen 
lassen, ganz abgesehen von der Schwieriskeit, dass der enzymatische 
Glukoseabbau doch nur einen kleinen Teil des erforderlichen Wasser- 
stoffs zu liefern vermöchte. Man wird daher des Wassers als der pri- 
mären Wasserstoffquelle in keinem Fall entraten können, wobei aber 
nicht die Bedeutung zuvor gebildeter organischer Verbindungen als 
Reduktoren im Assimilationsprozess in Abrede gestellt werden soll. 
"Die Erörterung dieser Art der Kohlensäurereduktion hat daher hier 
ebenfalls ihren Platz gefunden. Was zunächst die unmittelbare Re- 
duktion der Kohlensäure durch den Wasserstoff des Wassers selbst 
betrifft, so ist eine erste Möglichkeit in dem Umstand gegeben, dass 
in einer wässerigen Lösung von Kohlensäure zwei Molekülarten dieser 
Verbindung vorhanden sind, und zwar zu 0,67%, das Kohlensäure- 
hydrat H,CO,, zu 99,33% das Kohlensäureanhydrid CO,. Nach den 
Vorstellungen von Clausius, Williamson und Pfaundler °) würde 


1) Brunner und Chuard, Ber. 19 S. 613. 1886. 

2) W. Löb, Landwirtsch. Jahrb. Bd. 35 S. 569ff. 1906; Zeitschr. £f. 
Elektrochem. Bd. 12 S.:282. 1906. 

3) Schroeder, Die Hypothesen über die chemischen Vorgänge bei 
der Kohlensäureassimilation und ihre Grundlagen. S. 14. Jena 1917. 

4) Siehe Stoklasa und Zdobnicky, Biochem. Zeitschr. Bd. 30 
S. 435, 436. 1911. 

5) Pollacei, Atti dell istituto della Univ. di Pavia (II) Bd. 7 p. 101. 
1901; Bd. 8 p. 1. 1902; Bd. 10 p: 9. 1904. 

6) Stoklasa und Zdobnicky (l. c.), vorletzte Fussnote. 

7) Pfaundler, Pogg. Ann. Bd. 131 S. 30. 1867; Journ. f. prakt. 
ChemzıN. BE. Bd. 100943 zels7 

Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 2 


18 Gertrud Woker: 


anzunehmen sein, dass in der betreffenden Lösung beständig die beiden 
Gegenreaktionen: Bildung des Hydrats aus dem Anhydrid und Wieder- 
zerfall nebeneinander von statten gehen. Bei der Wasseraddition an 
das Anhydrid käme es nun aber zu einer Trennung der H- und OH- 
Gruppen des Wassers, die an verschiedenen Stellen des CO,-Moleküls 
inseriert werden, und bei ihrer Wiederabspaltung aus den hydrati- 
sierten Molekülen würden sie für einen Moment frei nebeneinander 
vorhanden sein. Treffen nun in diesem kurzen Zeitintervall, das zwischen 
der Abspaltung der H- und OH-Gruppen und ihrer Wiedervereinigung 
zu Wasser liegst, CO,-Moieküle mit den Spaltprodukten des Wassers 
zusammen, so ist der Fall denkbar, dass dieselben getrennt in ver- 
schiedene CO,-Moieküle eingehen. Neben der Hydratationsreaktion, 
in der H und OH gemeinsam vom Kohlensäureanhydrid aufgenommen 
werden, entsprechend der Gleichung: 


Metakohlensäure , Orthokohlensäure 
CO, + H-OH =H;C0, bzw. CO, +2(H-OH) = H,CO, 


könnten ferner die folgenden Reaktionen vor sich gehen: 


8) OH 
L A 
x +4H'=BH;C Methylenglykol (Formaldehydhydrat) 
oO OH 
18) 00H 1) OH 10) OH 
L AN N 7 IN 
26 +40H=2C resp. 6 oder C 
N DN f IN IE DR 
18) OO OÖ OH 0 OH 


(H;CO, = Überkohlensäure) 

Der entwickelte Sauerstoff würde beim Zerfall der Überkohlen- 
säure gebildet. 

Das resultierende Gesamtreaktionsbild wäre dasjenige einer Oxydo- 
reduktion, bei der ein Teil der Kohlensäuremoleküle zu Formaldehyd 
bzw. seinem Hydrat — dem Methylenglykol — reduziert, ein anderer. 
Teil dagegen zu Überkohlensäure oxydiert würde. In der Tat ist von 
Bach!) ein zu Überkohlensäure und Formaldehyd führendes Re- 
aktionsschema entworfen worden. 

Während der erwähnte Mechanismus an den Kohlensäuremolekülen 
selber anknüpft, würden andere Formen der Reduktion erst nach 
stattgefundener Umlagerung am Peroxyd einsetzen. Akzeptiert man 
die Hiffsvorstellung der Isomerisierung, deren Entwicklung und Be- 
gründung der vorhergehende Abschnitt gewidmet war, so ergibt sich 
für die Reduktions- und Kondensationsphase ein Bild von frappierender 


1) Bach, Compt. rend. t. 116 p. 1145. 1893; Moniteur scientifique 
(4) 7, II S. 669. 1893. 


Zum Assimilationsproblem. 19 


 „0-OH 
Einfachheit. Angenommen, es liege das sekundäre Peroxyd x 
20H 
vor, so wird dasselbe seiner ganzen Natur nach zur Sauerstoffabspaltung 
für sich allein oder durch Wechselwirkung mit anderen Peroxydmole- 


külen neigen, und es bleibt dann die ungesättigte und daher von vorn- 
| 
herein zur Kondensation prädisponierte Gruppe H—C—OH übrig, 


aus welcher sich je nach den Bedingungen primär verschiedene Konden- 
sationsprodukte zu bilden vermögen, worüber im Kapitel über die 
Kondensationsphase berichtet ist. Indem man so auf Bildung und 
sofortige Weiterverarbeitung des ungesättigten mit dem Formaldehyd 


H-CH = O tautomeren Radikals HO—CH abstellt, umgeht man, 


ohne auf ihre Vorteile zu verzichten, eine Reihe von Schwierigkeiten, 
die der schönen Formaldehydhypothese v. Baeyer’s!) anhaften, 
Schwierigkeiten, die begründet sind in dem noch niemals mit Sicher- 
heit gelungenen Formaldehydnachweis in der Pflanze, der höchst 
zweifelhaften Verwertbarkeit des Formaldehyds durch dieselbe, wenig- 
stens für den Kohlehydrataufbau, der grossen Giftigkeit und der mit 
den erwähnten Erscheinungen ursächlich zusammenhängenden anders- 
artigen Reaktionsfähigkeit des Formaldehyds. 

Auch Berthelot °) hat offenbar an eine ähnliche Gruppe gedacht, 
und’Löb ?) bezeichnete die Gruppe COH, als Element der Zucker- 
bildung. Doch sind die Vorstellungen W. Löb’s im übrigen völlig 
anderer Art, da er nicht auf den Zerfall eines labilen Peroxyds, sondern 
des Kohlendioxyds CO, selbst in Kohlenoxyd und Sauerstoff abstellt. 
Das Kohlenoxyd würde sich dann mit dem Wasser zu CO, und H, 
umsetzen, und der so gebildete Wasserstoff würde gemeinsam mit 
dem Kohlenoxyd CO eben jenes Element der Zuckerbildung (CO,H,) 
repräsentieren. Abgesehen von anderen Einwänden — wie der grossen 
Giftiskeit des CO und der mangelnden Verwertbarkeit desselben durch 
die Pflanzen auch in Gegenwart von H, — scheint mir die hier in 
Frage kommende Reaktion zu gewaltsam, um sich in das feine Getriebe 
des physiologischen Reaktionsmechanismus einzufügen. 

Die grossen Vorteile der vorhin entwickelten Annahme bestehen 


1) v. Baeyer, Ber. Bd. 3 8. 67, 68. 1870; v. Baeyer’s ges. Werke 
Bd. 1 S. 495. 

2) Berthelot, Lecons sur les methodes generales de synthese en 
chimie organique. p.180, 181, 183. Paris 1864. Berthelot und Andre, 
Ann. chim. phys. soc. (6) 10 p. 352. 1887. 

3) W. Löb, Zeitschr. f. Elektrochem. Bd. 12 S. 28. 1906; N 
Jahrb. Bd. 35 S. 541. 1906. 


9% 


20 Gertrud Woker: 


ad 


demgegenüber gerade darin, dass sie mit ungemein leicht abspalt- 
barem Peroxydsauerstoff rechnet, dass sie für die Reduktion nichts 
anderes als diese Sauerstoffabspaltung vorsieht und damit der während 
der Assimilationstätigkeit beobachteten Sauerstoffausscheidung durch 
die Pflanze gerecht wird, dass sie ohne weiteres neben Sauerstoff eine 
Gruppe liefert, welche dieselbe prozentische Zusammensetzung wie die 
Hexosen besitzt und unmittelbar zu diesen oder komplizierter zu- 
sammengesetzten Kohlehydraten kondensierbar ist. Für die Um- 
wandlung kommt also kein anderer Wasserstoff in Betracht, als er 
im Molekül des Kohlensäurehydrates und seines peroxydischen Isomeren 
schon gegeben ist. 

Gegenüber dieser einfachen Vorstellung, die allen Anforderungen 
vollkommen genügt, muss alles Weitere als eine unnötige Komplikation 
erscheinen. Trotzdem seien hier auch andere Möglichkeiten in Be- 
tracht gezogen, namentlich weil sich neue Gesichtspunkte hierdurch 
ergeben, und weil der eine oder andere Vorgang wohl als Nebenreaktion 
in Betracht fallen dürfte. Zunächst könnte ein kleinerer oder grösserer 
Teil des ja in jeder Hinsicht reaktionsfähigen Peroxyds durch freien 
Wasserstoff angegriffen werden, da solcher im pflanzlichen Organismus 
auftreten kann, und es ist in dieser Hinsicht der Angabe von Stoklasa 
und Zdobnicky!) zu gedenken, dass sich in Gegenwart von Alkali 
aus Kohlensäure und Wasserstoff im Status nascens Formaldehyd. zu 
bilden vermöge ?). Wichtiger als der schon früher erwähnte, durch 
enzymatischen Glukoseabbau gebildete Wasserstoff, den Stoklasa 
- (l. e.) vorsieht, wäre wohl für den vorliegenden Fall die von Baudisch ?) 
in den assimilierenden Pflanzen vermutete Wasserstoffbildung im Ver- 
laufe der Nitratverarbeitung; jedenfalls konnte Baudisch bei seinen 
lichtehemischen Versuchen in vitro feststellen, dass aus Nitrat und 
Nitrit in Gegenwart von Methylalkohol (oder — wenn für Abstumpfung 
der Ameisensäure durch Zusatz von Magnesitımkarbonat gesorgt ist — 
von Formaldehyd) im Sonnenlicht durch Zerfall der intermediär auf- 
tretenden Formhydroxamsäure Kaliumkarbonat und nascierender 
Wasserstoff gebildet wird. Die Reaktion würde sich dabei in folgenden 
Phasen abspielen: 

1. Abspaltung von Sauerstoff aus dem Nitrat- oder Nitritmolekül - 

unter Bildung von Nitrosylkalium N—OK. 

2. Oxydation des Methylalkohols unter Bildung von Tekmaldehyd. 


1) Stoklasa und Zdobnicky, Biochem Zeitschr. Bd. 30 8. 434. 1911. 
2) Siehe demgegenüber den negativen Befund von Spoehr, Biochem. 
Zeitschr. Bd. 57 8. 110. 1913. : 
3) Baudisch, Über N itrat und Nitritassimilation und über eine neue 
Hypothese der Bildung von Vorstufen der Eiweisskörper in den Pflanzen, 
Habilitationsschrift der Universität Zürich 8. 8. Jena 1912. 


- Zum Assimilationsproblem. >} 


3. Oxydation eines Teils des H—-CH=O zu Ameisensäure und 


Wasserstoff. 
4. Addition des Nitrosylkaliums an den übrigen Formaldehyd im 
Status nascens unter Bildung von formhydroxamsaurem Kalium, 


eine Reaktion welche entsprechend den übrigen 


Aldehydadditionsreaktionen!) am einfachsten folgendermaassen 
zu formulieren wäre: ; 


0 em: ‚OH 
N SS oder tautomer H-C 
N=0 N—OH 
Nitrosomethylalkohol Formhydroxamsäure 
OH 


bzw. deren Kalisalz H—C 


"N--OK 
5. Zerfall der gebildeten Formhydroxamsäure in NH, und K,CO;. 


Die Koppelung der Kohlensäureassimilation mit der Nitratassimi- 
lation würde nun nach Baudisch so zu denken sein, dass der (mittelst 
Oxydation eines Teils des Formaldehyds durch das aus dem Kalium- 
nitrat abgespaltene O neben Ameisensäure gebildete) Wasserstoff und 
das Kaliumkarbonat im Status nascens miteinander reagieren. Doch 
lässt sich, wie gesagt, auch ohne den Wasserstoff auskommen, wenn 
man auf das früher Gesagte zurückgreift. Würde doch das Kalium- 
karbonat während der Absorption der Kohlensäure, die ihm zufällt, 
auf dem Wege zum Bikarbonat also, jene Umlagerung zum Peroxyd 
erleiden, die es zur Reduktion durch Sauerstoffabspaltung wie zum 
reduktiven Angriff durch Wasserstoff befähigt. Der Wasserstoff würde 
dann lediglich in sekundären Prozessen verbraucht oder ausgeatmet. 
Wenn das Kaliumkarbonat in der Pflanze auf dem Wege über die 
- Formhydroxamsäure gebildet wird, wie dies Baudisch annimmt, so 
müsste man dazu kommen, die Nitratreduktion als den Primärvorgang 
anzusehen, der erst mit der Kaliumkarbonatbildung den Boden für die 


CH, „= 
1) Baudisch formuliert folgendermaassen: | +KNO,=C 
OH ERNOR 
OH 
+ H3,0 sowie: KNO, Ba KNO+O CH, — OH + O = CH,0:OH Alkohol- 
H 


| 
peroxyd CH, —O — OH = CH,0 + H,0 | CH,0 + KNO = C= NOK. 
| 
OH 


3 Gertrud Woker: 


Kohlensäureassimilation vorbereitet. Eine solche Auffassung schliesst 
aber die grosse Schwierigkeit in sich, dass dann der Formaldehyd oder 
der Methylalkohol als Primärprodukt eingeführt werden müssten, wie 
dies in der Tat Baudisch verlangt !), wenn er sagt: „Für die Pflanzen 
ist bei dieser Annahme die Anwesenheit von Formaldehyd für die 
Inbetriebsetzung der Assimilationsmaschine, d. h. für die Bildung von 
nascierendem Wasserstoff notwendig. Wir können in jedem Keimling 
die Bildung von Formaldehyd erwarten ““. Demgegenüber muss 
auf den bis zur Stunde ausstehenden Formaldehydnachweis in Pflanzen 
verwiesen werden. In Pflanzenkeimlingen hat die Verfasserin mit 
H. Maggi danach gesucht, weil die Peroxydase- und Diastase- 
reaktionen?), welche der Formaldehyd zeigt, den Gedanken aufkommen 
liessen, es möchte dieser Stoff, üm den sich seit der Hypothese 
v. Baeyer’s ein guter Teil des Interesses der Pflanzenphysiologen 
dreht, auch für die erwähnten ‚Fermentreaktionen“ verantwortlich 
zu machen sein. In diesem Fall hätten dann die Keimlinge mit zu- 
nehmendem Alter eine der Steigerung der Fermentreaktionen parallel- 
gehende Zunahme der übrigen Formaldehydreaktionen in den näm- 
lichen Zonen des Kapillarisationsfeldes zeigen müssen. Aber die zu 
Differenzierungen und Isolierungen besonders geeignete kapillar- 
analytische Methode verlief in bezug auf die Aufsuchung des Form- 
aldehyds vollkommen negativ. Berücksichtigt man ferner, dass der 
Formaldehyd als solcher nicht zu den natürlichen Nährstoffen der 
Pflanzen gehört, ja dass seine Verwertbarkeit, wenn von einer solchen 
überhaupt gesprochen werden kann, jedenfalls in keinem Verhältnis 
zu der Bedeutung dieses Stoffes als vermutetes Primärprodukt der 
Nitrat- und Karbonatassimilation steht, so wird man nicht umhin 
können, diese Vermutung fallen zu lassen. Weit wahrscheinlicher 
scheint es mir, an das Kaliumkarbonat selbst primär anzuknüpfen, 
da die Verwertung dieses wichtigen Düngemittels durch die Pflanze 
ausser Zweifel steht. Das resorbierte Kaliumkarbonat, wie dasjenige, 
welches sich als letztes Produkt der Oxydationsvorgänge im pflanz- 
lichen Organismus selber bildet, würde nun in der besprochenen Weise 


1) Baudisch, |. ce. vorige Seite, Fussnote 1, S. 8. 
2) In Bezug auf die diastatischen Wirluneen bestehen jedoch grösse 
quantitative Differenzen im Vergleich mit dem E Fekt natürlicher Diastasen, 
so dass es — wohl in der Hauptsache infolge der Bildung schwer spaltbarer 
Reversionsdextrine — nur zu einer sehr unvollkommenen Spaltung kommt. 
Die unveränderte Stärke macht sich durch eine Rückbläuung der Systeme 
geltend in Gegenwart von zahlreichen Stoffen, die die Empfindlichkeit 
der Jodstärkereaktion zu steigern vermögen, gerade so wie dies Skrabal 
' bei parziell dextrinisierten diastatischen Spaltgemischen gefunden hat. 
Chemikerzeitung 29, 550 (1905\, Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wissensch. 
Wien, Abt. IIb 116, 275 (1907); 120, 635 (1911). 


Zum Assimilationsproblem. 33 


als Kohlendioxydabsorbens fungieren, und der Überführung des Kar- 
bonats in Bikarbonat parallelgehend, käme es zu der Isomerisation 
zum Peroxyd und danach zum Zerfall in O, und die reaktive Gruppe 


CH-0H, welche gleichsam den Knotenpunkt bilden würde, durch 
| 


welchen Nitrat- und Kohlensäureassimilation miteinander verknüpft 
sind. In bezug auf die Kohlensäureassimilation ist der weitere Fort- 
gang im Abschnitt über die Kondenrsationsphase abgehandelt. In bezug 


auf die Nitratassimilation wäre entweder die Umlagerung der CH (OH)- 


Gruppe in den. tautomeren Formaldehyd und die weitere Addition 
desselben an das zuvor durch Lichtenergie aus Nitraten und Nitriten 
gebildete Nitrosylkalium anzunehmen, oder aber — und dies scheint 
mir aus demselben Grunde wie bei der Kohlensäureassimilation wahr- 
scheinlicher als der Umweg über den Formaldehyd — es käme zur 


| 
direkten Addition der CH (OH)-Gruppe an das Nitrosylkalium, welches 


. ja ebenfalls als ungesättigte Gruppe betrachtet werden kann. Hierbei 
würde die Formhydroxamsäure ohne weiteres als Additionsprodukt 
entstehen entsprechend der Gleichung: 
OH 
Ya 


CH (OH) + N-OK = CH = N-OK 


Formhydroxamsäure. 


Das beim Zerfall der Formhydroxamsäure bzw. ihrem Kalisalz 
neben NH, zurückgebildete Kaliumkarbönat würde nun wiederum in 
der besprochenen Weise in den Assimilationsmechanismus eingreifen, 
so dass also, soweit dieser Anteil in Frage kommt, der Assimilations- 
vorgang als Katalyse mit Kaliumkarbonat als Katalysator zu be- 
trachten wäre. Die Untersuchungen von Baudisch über die Nitrat- 
assimilation würden in diesem Sinne nicht nur keinen Widerspruch 
zu der früher als am wahrscheinlichsten hingestellten Hypothese der 
Isomerisierung und des Peroxydzerfalls enthalten, sondern sie wären 
im Gegenteil eine wertvolle Ergänzung derselben, um so mehr, als 
die Beziehungen, welche zwischen Nitrat- und Kohlensäureassimilation 
bestehen 1) — Beziehungen, die von Baudisch zuerst als durch eine 
Koppelung dieser beiden wichtigen Assimilationsvorgänge veranlasst, 
gedeutet worden sind —, eine Menge neuer Gesichtspunkte eröffnen. 
Der nascierende Wasserstoff, dem Baudisch, mit Rücksicht auf die 
Befunde von Stoklasa und Zdobnicky (l. e.), die Hauptrolle im 


- 


1) Siehe Pagnoul, Ann. Agronom. t. 7.p. 5. 1881. 


24 Gertrud Woker: 


Reduktionsprozess der Karbonate zuzuschreiben geneigt ist, kann 
füglich weggelassen werden. Auch Stoklasa!) selbst hat später auf 
diesen Reduktor verzichtet oder wenigstens ein Reduktionsschema auf- 
gestellt, in welchem der Wasserstoff nicht figuriert ?). 

Auch könnte der Vorgang, durch welchen sich Baudisch im 


System KNO, + , + Licht , Wasserstoff entstehend denkt, nur 
H 


den Charakter einer Nebenreaktion besitzen. Und. wie seine Bildung, 
so wäre auch sein weiteres Eingreifen von sekundärer Bedeutung. 
Ausser den Produkten, welche durch Reaktion des Peroxyds mit dem 
Wasserstoff gebildet werden könnten, würde wohl namentlich die 
reaktive CH (OH)-Gruppe reduziert, wobei Methylalkohol und Methan 
diejenigen Reduktionsprodukte sind, die man direkt erwarten kann. 
Was zunächst den Methylalkohol betrifft, so würde sich durch dessen, 
wenn auch sekundäre Bildung das Schema realisieren lässen, welches 
Baudisch für die lichtchemische Nitrat- und Nitritreduktion ins 
Auge gefasst und durch seine Versuche als gangbar erwiesen hat. Aber 
auch für die Kohlensäureassimilation könnte der Methylalkohol als 
Reduktor in Frage kommen, und zwar nicht nur sekundär in dem 
Sinne, wie sich Baudisch die Koppelung der beiden Assimilations- 
vorgänge über Kaliumkarbonat und nascierenden Wasserstoff denkt, 
sondern durch eine direkte Methylalkohol-Karbonatreaktion. Schon 
im vorhergehenden habe ich diesbezügliche lichtchemische Versuche 
erwähnt, die trotz der sehr primitiven Versuchsanordnung eine deutlich 
stärkere Angreifbarkeit der Karbonat-Bikarbonat-Gemische gegenüber 
den Komponenten allein erkennen liessen, und ich habe diese Be- 
obachtung als eine Stütze für die Annahme einer während der Um- 
setzung einsetzenden Isomerisierung des Kohlensäuremoleküls be- 
trachtet. Als dasjenige Isomere, welches allen Anforderungen voll- 
kommen zu genügen vermag, habe ich die dem Kohlensäureanhydrid. 


entsprechende Peroxydatform GC bzw. das der Metakohlensäure 


(6) 
entsprechende aus dem soeben erwähnten Peroxyd durch Wasser- 
„00H 
addition gebildete sekundäre Peroxyd = x angenommen. 
- — OH 


1) Stoklasa, Sebor und Zdobnicky, Biochem. Zeitschr. Bd. 41 
S. 333. 1912. 
2) R,CO,.+ CO, + H,O — 2KHCO, 
2 KHCO, + Licht = K;,CO, + H—COOH + 0 


y> 
Licht + H—COOH = H—C +0 
Sp 


n (HCOH) = (HCOH)n. 


Zum Assimilationsproblem. 35 


In diesem Stadium könnte man sich nun, wie mir scheint, den 

Methylalkohol eingreifend denken, wobei das Kohlensäureanhydrid 
0) 

bzw. dessen Isomeres von Peroxydatstruktur er | durch Auf- 
(0) 

spaltung der Peroxydbindung ein H des Methylalkohols an Sauer- 

stoff binden kann, während der Methylalkoholrest an den Kohlenstoff 

treten würde. 


H 


10) | 

| + H-C-0OH = HO0C—-CH,— OH. Die resultierende Glykol- 
(0) | 

H 


säure, auf die auch von Baur (wenngleich in anderer Weise) ?) als 
_Assimilationszwischenprodukt zurückgegriffen worden ist, würde dann 


weiter in Ameisensäure und die ungesättigte SCH—OH-Gruppe bzw. 


eventuell in den mit dieser Gruppe tautomeren Formaldehyd zerfallen. 
Doch halte ich persönlich eine direkte Kondensation dieser Gruppe 
zu Glukose, Fruktose oder Inosit für wahrscheinlicher. 

Diese Reaktion von Methylalkohol und Kohlensäure unter Bildung 
von Formaldehyd (oder seinem Tautomeren) und Ameisensäure würde 
auch aus dem Grunde Interesse besitzen, weil sie als Umkehrung der 
Reaktion zwischen Formaldehyd und Ameisensäure aufzufassen wäre: 


10) 
y 
H—-CH + H-COOH 2? CH,OH + CO,. Der Verlauf der Gleichung 
von links nach rechts bildet aber das vollkommene Analoson zu der 
als wahrscheinlich angenommenen letzten Phase der alkoholischen 
Gärung ?). 

Ein Verlauf der Reaktion von rechts nach links und eine rück- 
läufige Reaktion auch in den anderen Phasen unter Bildung von 
Zucker wäre demnach nichts anderes als die schon von Döbereiner 
und in unserer Zeit von van’t Hoff vermutete Reversibilität der 
alkoholischen Gärung, d. h. Bildung von Zucker aus Alkohol und 
Kohlensäure. Bei überschüssigem Methylalkohol könnte derselbe mit 
der Kohlensäure auch noch in anderer Weise reagieren, wobei das 
für die Zuckersynthese (&-Akrose = dl-Fruktose) besonders wichtige 


1) Ich habe mir gestattet, aus Gründen, deren Angabe hier zu weitführen 
würde, das Peroxyd in etwas anderer Weise zu formulieren, als dies bei 
Willstätter und Stoll geschieht. 

2) Baur, Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 63 S. 683. 1909. Die Natur- 
wissenschaften Bd. 1 S. 474. 1913. 

3) Schade lässt die Glykolsäure aus Oxalsäure und Ameisensäure 
entstehen. Die weitere Umsetzung denkt er sich entweder über Form- 
aldehyd und Ameisensäure oder direkt unter Zuckerbildung verlaufend. 


26 Gertrud Woker: 


Dioxyaceton !) als Zwischenprodukt der Zuckerbildung auftreten würde, 
das zugleich die Umwandlung zu den Fetten über sein Reduktions- 


produkt — das Glycerin — zu vermitteln vermag. 
H OH H OH 
Ss, Re 7 
H—C + 0=C = O0 + C — OH HOCH; — U CH:0H 
H HH OH 
Methylalkohol Dioxyacetonhydrat. 


Die Reduktionen mit dem Methylalkohol scheinen mir für das 
Kohlensäureassimilationsproblem auch aus dem Grund interessant zu 
sein, weil der Methylalkohol nicht nur im allgemeinen eine grosse 
Verbreitung im Pflanzenreich besitzt, sondern weil spezieli das Chloro- 
phyll ein Ester dieses Alkohols ist. An der Stätte der Reduktions- 
arbeit selbst — im Chlorophylikorn — würde also beständig ein ge- 
wisser hydrolytisch abgespaltener Anteil zu Reduktionszwecken ver- 
fügbar sein, und umgekehrt würde das Chlorophyll einen Baustein, ' 
dessen es bedarf, durch die sekundäre Reaktion zwischen der wichtigen 
Intermediärgruppe CH (OH) und dem Wasserstoff erhalten. Was das 
zweite mögliche Reduktionsprodukt der CH (OH)-Gruppe, das Methan, 
betrifft (welches sich auch aus dem soeben besprochenen Methyl- 
alkohol durch Wasserstoffeinwirkung bilden könnte), sö ist demselben 
von Pollacci ?), Stoklasa (l. e.), Löb (l. e.) und Maquenne eine 
mehr oder weniger grosse Bedeutung als Assimilationszwischenprodukt 
— oder -nebenprodukt — zugeschrieben worden. Maquenne ?) hält das 
Methan sogar für das Hauptassimilationszwischenprodukt, aus welchem 
der zu Zucker kondensierbare Formaldehyd durch Oxydation ent- 
stünde. Dieser Gedanke dürfte zwar an Boden gewonnen haben, seit. 
Hauser Methan quantitativ durch Ozon in Formaldehyd übergeführt 
hat und der in Pflanzen allgemein verbreitete Peroxydsauerstoff viel- 
leicht dem Ozon ähnlich zu reagieren vermag. Solange jedoch hierfür 
der Beweis noch aussteht, spricht die grosse chemische Trägheit der 
Paraffine eher dagegen, dass der Assimilationsvorgang über Methan 
als Zwischenprodukt verläuft. Die Annahme von Kimpflin *) und 
die im vorigen entwickelte, dass die Methanbildung nur eine bei Wasser- 

1) Wohl und Neuberg, Ber. 33 S. 3098. 1900, und vor allem die 
einschlägigen Arbeiten von Emil Fischer in den Ber. d. chem. Ges; 


siehe auch ges. Abhandl.: Kohlehydrate und Fermente, 1. c. im folgenden 
(S. 34). 


p- 1...1902: Bd. 7, p. 101..1901;7Bd.r10.P2 9.1902: 

3) Maquenne, Bull. soc. chim., Paris, 5. April 1882. 

4) Kimpflin, Essai sur l’assimilation photochlorophyllienne du Car- 
bone, These Lyon. 1908. 


2) Pollacei, Atti dell’ istituto bot. della Univ. di Pavia (Ser. 2) Bd.8 


- Zum Assimilationsproblem. 97 


stoffüberschuss auftretende Nebenreaktion sei, wird daher wohl dem 
chemischen Empfinden im allgemeinen besser gerecht. 


Die Kondensationsphase. 


Nach der Abspaltung von Sauerstoff aus dem isomerisierten Kohlen- 

„9-%H ; Sn 

säuremolekül CX war die reaktive ungesättigte Gruppe CHOH 
"OH 

übrig geblieben, die uns schon des öfteren beschäftigt: hat. Nun- 

mehr handelt es sich darum, die weiteren Schicksale dieser Gruppe 

im Hauptprozess, der Kondensation der Kohlehydrate, kennen- 

zulernen. 

Bei der Frage nach den primären Kondensationsprodukten ist in 
erster Linie zu berücksichtigen, dass gemäss der genialen v. Baeyer- 
schen Spannungstheorie bei Ketten von fünf und sechs Kohlenstoff- 
atomen die endständigen C einander so nahe stehen, dass sich die 
Kette fast von selbst zum Ring schliesst; so ist sowohl ein Austausch 
zwischen den Atomen der endständigen C wie ein Ringschluss in dieser 
Kondensationsphase am ehesten möglich. Bei einer geringeren Zahl 
von Kohlenstcffatomen würde dagegen vorwiegend nur ein Nachbar- 
atomaustausch in Frage kommen, so namentlich die Bildung des für 
die Zucker- wie für die Fettsynthese gleich wichtigen Dioxyacetons 


— 
CH—-CH-CH = CH, —CO—CH, 


aus 3CHOR: | Ken | . Bei sechs aneinander 
OH OE 08 OH OH 
x 


gelagerten CH (OH)-Gruppen wären die folgenden drei Fälle die wahr- 
scheinlichsten: 

1. Eine endständige CH (OH)-Gruppe gibt ein H an die andere 
endständige CH (OH)-Gruppe ab, so dass also die eine Gruppe auf 
Kosten der anderen reduziert wird, und beide Gruppen abgesättigt, 
somit selbständig existenzfähig werden: 


BER > 
x 7 
CH Sal 
R Ga Dr y 
HO—CH CH—ÖOH HO—-CH CH,-OH 
\ | | rd | | — Glukose 
FO__CH ar: HO—CH CH—OH 
cH a 
OH OH 


2. Beide endständigen CH (OH)-Gruppen werden auf Kosten der 
beiden H der einen Nachbargruppe reduziert: 


38 Gertrud Woker: 


on on 
CH ‚CH; 
HO-CH HO-—-CH-CH—-OH HO—-CH CH-0H : 
z ng | —= Fruktose 
HO—-CH——-CH—OH HO—-CH C=0O 
i: | 
OH 


3. Zwischen den ungesättigten endständigen Gruppen findet Bindung: 
unter Ringschluss statt: 


OH OH 

CH CH 

YA EN 
HOCH : -CH-0B -> HOCH ©H20H 

| | | | — Inosit 

HO-CH GH HO-CH CH-OH 

on OH Ku 

OH OH 


Bei der Kondensation von 5 CH (OH) könnte durch Wasserabspal- 
tung und Wanderung von 2 H-Atomen der in vielen natürlichen Farb- 
stoffen enthaltene y-Pyronring entstehen, oder wenn die Wasser- 


abspaltung die zweitletzte CH (OH)-Gruppe betrifft, und 1 H der letzten 
Gruppe wandert, Furfurol: 


OH a 
HC HC C=0 
y RN, % 
a a) /CH CH u 
a Ne II | EN 
| | % lach ” EN manaen 
HO-CH CH EN HC cH 
x id x NG NE 
H-0 6) Ö 
x 
HOCH „CH 0 CH—CH CH-CH 
| Bay | NY > | x | — Furfurol 
CH: CH-CH-0H8 .'C. C-CH.0M CH ıE- CH =o 
le N 
OHHO Ö 9) 


Ferner käme die Wasserstoffatomwanderung analog Schema 1 in 
Betracht unter Pentosebildung (Aldose), während Schema 2 infolge 


der grösseren Entfernung der betreffenden Kohlenstoffatome weniger 
in Frage kommt. 


Zum Assimilationsproblem. 29 


Bei sieben Kohlenstoffatomen wäre Ringschluss nach Schema 3 zu 
erwarten. Es würde dann die wichtige CH,OH-Gruppe als Seitenkette 
im Inositring erscheinen, wobei das zur Reduktion des letzten CH (OH) 
erforderliche H der benachbarten CH (OH)-Gruppe entstammt: 


u on 
EARZOH CE2=20H 
A | ZA 
HO an Be, HO-—-CH C—CHs--OH 
ARE > | | 
HO—CH CH—OH HO—CH CH—OH 
N N 
= CH 
| 
OH OH 


Durch einfache Wasserabspaltung in verschiedener Richtung könnten 
weiterhin aus dem Inosit Triphenole: Phlorogluem, Oxyhydrochinon, 
Pyrogallol entstehen, die sich leicht zu Resorein, Hydrochinon und 
Brenzkatechin oder zu Phenol reduzieren lassen. 


Pyrogallol —= 2 
OH On ne 
| 
C C—H C 
yG N _ Sr BG 
a, re en CH—-0OH HO—C er 
| Ga | zn | 
EIOSSSGCEL HO—CH ‚CH-OH —= CH 
IN G I x 
CH HO-CH C 
| | | 
| Inosit OH 
Y | — Oxyhydrochinon 
Brenzkatechin — Y | 
CH v 
7 N mr 
C HO67 7€CZ0H | 
ERS 8% 2 
ee IBAN ‘I 
B n ' = CH CH nn CH 
| NSG \ 
ie CH Ö a 
NL | \ 
H OH 
0 — illanaglinenm | 
Y — Hydrochinon 
CH 
N 
HOE23,0ZOEI 
NZ 
CH CH 
NZ 
CH 


— Resorcin 


30 Gertrud Woker: 


Bei der Kondensation von 7 CH (OH)-Gruppen würde, wie erwähnt, 
die eine endständige zur Seitenkette. und über den entsprechenden 
substituierten Inosit würde man dann zu Phenolen mit der seiten- 
ständigen CH,—OH-Gruppe oder der daraus durch Oxydation ge- 
bildeten Aldehyd- oder Karboxylgruppe gelangen. Guajakol, Proto- 
katechualdehyd mit seinen Derivaten: Vanillin und Isovanillin, Gallus- 
säure (Gerbsäure), Salicylalkohol, -aldehyd und -säure wären resul- 
tierende Derivate. Dass diese Stoffe häufig als Glykoside auftreten, 
.ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, dass wir im allgemeinen 
in der Pflanze ein Nebeneinander der verschiedenen, vorhin ins Auge 
gefassten Kondensationen zu erwarten haben, deren Produkte mit- 
einander in Wechselwirkung zu treten vermögen. Verlaufen die Re- 
aktionen 1 und 3 gleichzeitig, so kann neben Glukose Inosit selbst 
oder eines seiner Wasserabspaltungsprodukte gebildet werden. Ist 
eines dieser zur Bindung an Glukose geeignet, so resultiert das be- 
treffende Glukosid zum Beispiel aus Phloroglucin und Glukose das 
Phloridzin bzw. Phloretin. Ebenso würden sich die Reduktionsprodukte 
der Triphenole, zum Beispiel das Hydrochinon, verhalten, welches 
mit Glukose das Glukosid Arbutin liefert usw. 

Verlaufen 1 und 2 gleichzeitig, so müsste ein Gemisch von Glukose 
und Fruktose (Invertzucker) primär entstehen, das unter natürlichen 
Bedingungen Rohrzucker oder vielleicht ein entsprechendes Trisacharid 
(Raffinose) bilden würde. Vollzieht sich die Kondensation zu Rohr- 
zucker sehr schnell, so würden dadurch die zahlreichen Befunde !), 
die auf Rohrzücker als Primärprodukt der Assimilation hinweisen, 
verständlich. Seltener dürfte 1 oder 2 oder 3 allein- ohne Neben- 
reaktion realisiert sein. Glukose oder Fruktose oder Inosit wären 
dann die einzigen primären Reaktionsprodukte, und die Kondensations- 
produkte von 1 und 2, Stärke resp. Inulin, würden dementsprechend 
nur das Glukose- resp. Fruktosemolekül enthalten. 

Da schon diese einfachsten Kondensationen der CH (OH)-Gruppe 
eine Fülle verschiedenartiger Pflanzenstoffe zu geben vermögen, so muss 
die Zahl eine ausserordentlich grosse werden, sobald man ausserdem die 
Reaktionen mit Produkten, die anderen Vorgängen ihre Existenz ver- 
danken, berücksichtigt. Allein die Einführung des von Baudisch 
beim Zerfali der Formhydroxamsäure oder auf anderem Wege ge- 
bildeten Ammoniaks vermag zu den verschiedensten Körperklassen 
zu führen. Durch Reaktion mit vier- und fünfgliedrigen CH (OH)- 
Ketten entstehen die entsprechenden heterocyklischen Ringe, zu denen 


1) Perrey, Compt. rend. t. 94 p. 1124. 1882; Girard, ebenda t. 97 
p- 1305. 1883; Brown und Morris, Journ. chem. soc. v01.63 p. 604. 1895; 
Grüss, Biochemie und Kapillaranalyse der Enzyme, Davis und Sawjer, 
Bot. Zentralbl. Bd. 132 S. 60. 1916. 


Zum Assimilationsproblem. 31 


die Alkaloide der Pyrollidin- und Piperidinreihe in Beziehung stehen, 
so zum Beispiel: 


OH Mn ne 
CH CH CH 
HO—CH CH-OH HO—-CH CH-ÖH CH CH 
wo en 
| IQ 
CH CH HCH HCH HC CH 
| 13% [2 N 
OH HO ‚OH HO ı 
I Wan OH 
N N x 
N 
Er | 
OH OH 
N 
CH ‚cH 
RS —= Oxypyridin 
GEN CH 
\\Y 


(In ganz analoger Weise wäre der Ringschluss durch die Reaktion 
mit Ammoniak auch bei 4 CH (OH)-Gruppen [Bildung von Pyrollidin- 
und Pyrolderivaten] durchführbar.) Es bedarf wohl nur des Hinweises, 
dass auch kompliziertere heterocyklische Ringsysteme (Chinolin, Indol- 
kern usw.), ebenso wie mehrkernige Kohlenwasserstoffe bzw. ihre 
natürlich vorkommenden Derivate in solch einfachen Kondensations- 
mechanismen der CH (OH)-Gruppe ihre Bildungsursache besitzen 
können. { 

Statt unter Ringschluss mit den endständigen CH (OH)-Gruppen 
zu reagieren oder allgemeiner mit den zueinander im Sinne der Baeyer- 
schen Spannungstheorie am günstigsten für den Ringschluss gelegenen 
CH (OH), kann sich das Ammoniak, auch nur mit einem H an der 
Wasserabspaltung beteiligen... Haben die CH (OH)-Ketten schon zuvor 
eine Umwandlung zu Oxysäuren erfahren, so resultieren die ent- 
sprechenden Aminosäuren, deren Kondensation zu Eiweiss folgen kann. 
Die Nukleine der Zellkerne und ihre Derivate würden ebenfalls in 
der Reaktionsfähigkeit des Ammoniak mit Kohlensäure selbst und 
mit den ersten Gliedern der aus der«CH (OH)-Gruppe sich bildenden 
Kette ihren Ausgangspunkt finden. Das Auftreten der Phosphorsäure 
gibt zur Bildung besonderer Kondensationsprodukte Veranlassung. 
Fertige Körper, wie der Inosit (Phytinsäurebildung), werden von der 
Phosphorsäure ebenso gut mit Beschlag belegt wie die Produkte einer 
beginnenden Kondensation. So liefert das aus 3 CH (OH)-Gruppen 


e 


39 Gertrud Woker: 


leicht durch Addition von 2H an die endständigen C sich bildende 
Glycerin, die Glycerinphosphorsäure, iene wichtige Komponente der 
Leeithine und anderer Lipoide. - 
Der Umweg über Formaldehyd selbst ist also, wie die verschiedenen 
im vorigen erwähnten Kondensationsmöglichkeiten der CH (OH) 
Gruppe zeigen, nicht notwendig, aber wegen der Fähiekeit der 
CH (OH)-Gruppe zur Umlagerung in den tautomeren Formaldehyd 
auch nicht ausgeschlossen, ebensowenig wie die Umlagerung des voraus- 
gegangenen ungesättisten Peroxyds zur gesättigten Perameisensäure 
‚00H 
c=0 


Die Rolle des Chlorophylis. 


In den bisherigen Erörterungen hat das Chlorophyll nur eine bei- 
läufige Erwähnung gefunden, trotzdem das Bild des Assimilations- 
prozesses in verschiedenen Phasen aufgerollt worden ist, und trotzdem 
mindestens eine dieser Phasen, vielleicht sogar alle, der Mitwirkung 
des Chlorophylis bedürfen. In welcher Weise wäre nun das Eingreifen 
des Chlorophylis in den Reaktionsmechanismus zu deuten? Die An- 
sichten, die hierüber geäussert worden sind, zeigen die grösstmögliche 
Heterogenität, wie dies nur unter anderem daraus hervorgeht, dass - 
Plotnikow !) das Chlorophyll als Katalysator fungieren lässt, während. 
Weigert ?) diese Auffassung auf das entschiedenste ablehnt. Wesent- 
lich zur Entscheidung dieser Frage scheint mir einzig zu sein, ob das 
Chlorophyll im Verlaufe seiner Tätigkeit eine dauernde Veränderung 
erleidet. Dies dürfte kaum der Fall sein. Dem Gedanken ist zwar 
öfters Ausdruck gegeben worden, dass das Chlorophyll eine inter- 
mediäre Veränderung durchmacht, aber an der Regenerierungsfähigkeit 
ist nie gezweifelt worden. Das Chlorophyll würde also zum mindesten 
den Zwischenreaktionskatalysatoren an die Seite zu stellen sein. Es 
kann sich dabei um eine Zwischenreaktion in der Isomerisations-, der 
Reduktions- und der Kondensationsphase handeln. Die Isomerisations- 
phase betrifft die schon erwähnte Auffassung von Willstätter und 
Stoll®), dass sich zunächst eine Chlorophylikohlensäureverbindung 
bilde, in welcher unter dem Einfluss des Lichtes die Umlagerung des 
Kohlensäureanteils in ein Isomeres von höherem Energiegehalt erfolge. 
Auf die Reduktionsphase ?) würde sich die später wieder verlassene 


1) Plotnikow, Photochemie. 1910 8. 122. 

2) Weigert, Die chemischen Wirkungen des Lichtes. 1911 S. 99. 

3) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad. math.-phys. 
Klasse. Nr. 20 S. 337. 1915. - 

4) Über die Annahme einer Bindung des CO, an Chlorophyll, welche 
der Reduktion dienen soll, siehe Hoppe-Seyler, Zeitschr. f. physiol. 


Zum Assimilationsproblem. 33 


Ansicht derselben Forscher beziehen, dass von den beiden grünen Blatt- 
farbstoffen das Chlorophyll a: C,;H.,0,N,Mg durch den beim Zerfall 
des Kohlensäureisomeren frei werdenden Sauerstoff zu Chlorophyll b: 
Cz;H,00,N,Mg oxydiert wird, welches dann durch direkte Sauerstoff- 
abgabe oder unter Vermittlung des zu Xanthophyli oxydierbaren 
Karotins wieder zu Chlorophyll a reduziert würde. Schon vor der 
weitgehenden Aufhellung, die das Gebiet der Blattfarbstoffe durch 
Willstätter erfahren hat, finden sich Vorläufer dieser Auffassung. 
So hat Timiriazeff!) angenommen, dass das Chlorophyll den aus 
dem Kohlensäuremolekül abgespaltenen Sauerstoff aufnehme und durch 
Entfernung dieses hemmenden Endproduktes der Dissoziationsreaktion ?) 
die weitere Sauerstoffabspaltung ermögliche. Eine ähnliche Funktion 
mag Euler ?) vorgeschwebt haben, wenn er das mit grosser Affinität 
zum Sauerstoff ‘begabte Karotin *) mit der Aufgabe betraut, den 
Sauerstoffdruck im Chloroplasten herabzusetzen. Auch Wiesner’) 
und Kraus®) haben die Oxydationsfähigkeit des Chlorophylis mit 
der Sauerstoffabgabe aus der Kohlensäure in Zusammenhang gebracht. 
Soweit diese Theorien mit der Bindung und nicht bloss mit der Be- 
günstigung der Abspaltung des Sauerstoffes rechnen, ohne zugleich 
einen Zerfall des neugebildeten Produktes (sei es ein Oxydations- 
produkt von Chlorophyll bzw. dieses selbst oder eines anderen Blatt- 
farbstoffes) unter Sauerstoffentwicklung ”) anzunehmen, werden sie 
dem Einwand begegnen müssen, dass sie den bei der Assimilation 
frei werdenden Sauerstoff nicht berücksichtigen. 

Für die Kondensation ist in Verbindung mit den vorausgehenden 
Phasen ebenfalls eine intermediäre Addition ®) an das Chlorophyll 
oder einen Begleitstoff desselben herangezogen worden. So hat Emil 
Fischer ?) eine Bindung der Kohlensäure, und zwar an Protein- 


Chemie Bd. 3 S. 341. 1879; Tschirch, Untersuchungen über Chlorophyll 
1884 S.4; Hansen, Würzburger Arbeiten Bd. 3 S. 429. 1888; Hällström. 
Ber. Bd. 38 S. 2288. 1905; Baur, Die Naturwissenschaften Bd. I S. 475. 
1913. 

1) Timiriazeff, Proc. Roy. Soc. vol. 72 p. 424. 1904. 

2) Gegen diese Auffassung kann eingewendet werden, dass O ein 
flüchtiges, das Reaktionsgemisch ja ohnehin verlassendes Endprodukt ist. 

3) Euler, Pflanzenchemie II/III S. 126; vgl. ferner Skibata, Jahrb. 
f. wissensch. Bot. Bd. 5l S. 233. 1912. 

4) Über Bindung der H,CO, an Karotin siehe Etard, La Biochemie 
des Chlorophylles. 1906 p. 122. 


5) Wiesner, Sitzungsber. d. Wiener Akad. Bd. 69 I S. 385. 1874. 
6) Kraus, Flora 1875 S. 268. 

7) Pfeffer, Osmotische Untersuchungen 1877 S. 166. 

8) Siehe zum Beispiel Pfeffer, Pflanzenphysiologie, 1. Aufl., Bd. 1 


Ss. 219; Euler, Pflanzenchemie II./III. S. 119, 210. 
9) Emil Fischer (Organische Synthese und Biologie, Faraday Lecture, 
abgehalten 1907, 2. Aufl., 1912 S. 8) nimmt Dissoziation von Sauerstoff 


Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 5) 


34 Gertrud Woker: 


körper, angenommen, Nach erfolgter O,-Abspaltung unter Bildung 
eines Formaldehydderivates würde sich dieses entweder in dem ur- 
sprünglichen asymmetrischen Komplex oder nach der Abspaltung und 
Neuanlagerung !) zu Zucker polymerisieren. in einer früheren Ab- 
handlung?) hatte es dagegen Emil Fischer offen gelassen, ob die 
Bindung an die optisch aktiven Stoffe des Chlorophylikorns bei der 
Kohlensäure oder beim Formaldehyd einsetze. 

Im übrigen tritt für die Kondensationsphase, für sich allein ge- 
nommen, der Gedanke, dass das Chlorophyll als Zwischenreaktions- 
katalysator fungieren könne, mehr in den Hintergrund. Es ist dies 
um so merkwürdiger, als fast immer an den Formaldehyd als Zwischen- 
körper ?) angeknüpft worden ist, und für dessen Kondensation zur 
Formose *) unter dem Einfluss von Metallverbindungen scheint mir 
eine Zwischenreaktionskatalyse in hohem Grade wahrscheinlich. Da 
das Mg und seine Verbindungen zu den Metallen gehört, welche die 
Formosebildung zu beschleunigen vermögen, so haben H. Maggi und 
ich die Autfassung vertreten 5), dass das Magnesiumatom des ‚Chloro- 
phylis auf dem Wege einer intermediären Bindung an den Formaldehyd 
dessen Kondensation vermittle. Diese Auffassung erfährt durch Ersatz 
des Formaldehyds durch sein Tautomeres — die CH (OH)-Gruppe — 
keine Veränderung. 

Dass eine andersartige Pimehins; in Frage kommen könnte, scheint 
mir wenig wahrscheinlich. Eine Methylenbindung an Eiweiss, wie sie 
Bach ®) angenommen hat, dürfte zu fest sein, um dem erwähnten 
Zweck zu genügen, und eine Methylenbindung an den Chlorophyll- 
farbstoff selbst, wie sie Schryver’”) zur Entgiftung des Formaldehyds, 
einführte, fällt ausser Betracht, da dieser Autor die Kondensation 
erst nach stattgefundener Hydrolyse unter Rückbildung von Form- 
aldehyd einsetzen lässt. Eine intermediäre Bindung der CH (OB)- 
Gruppe an das Mg-Atom des Chlorophylis würde auch die wichtige 


aus dem Chlorophyll bzw. einem Chlorophyliderivat unter dem Einfluss 
des Lichtes an. 

1): Schroeder, ee Vorgängebeider Kohlen- 
säureassimilation. Jena 1917 S. 

2) Emil Fischer, Ber. 27 = "189 1894; Die Chemie der Kohlen- 
hydrate und ihre Bedeutung für die Physiologie. 1894 8. 29ff. 

3) Über die Annahme einer Bindung von CO an Chlorophyll siehe 
v. Baeyer, Ber. Bd. 3 S. 63. 1870. 

4) Loew, Journ. f. prakt. Chem. N. F. Bd. 33 S. 321. 1886; Ber. 
Bd. 22 S. 475. 1889; Emil Fischer, Ber. Bd. 21 S. 989. 1888; Bd. 22 
S. 359. 1889; Untersuchungen über Kohlenhydrate und Fermente. Berlin 
1909 S. 13—16, 159—161. 

5) Woker und Maggi, Ber. 50 S. 1191. 1917. 

6) Bach, Moniteur scientifique, 4. Ser. t. 7 p. 669. 1893. 

7) Sehryver, Proc. Roy. Soc. Ser. B. vol. 82 p. 226. 1910. 


Zum Assimilationsproblem. 35 


Forderung berücksichtigen, welche Emil Fischer !) an jeden Versuch, 
die Kohlehydratsynthese der grünen Pflanzen zu erklären, gestellt 
hat: Die Forderung, dass der Bildung optisch aktiver Körper aus 
inaktivem Ausgangsmaterial Genüge geleistet werde. Bindung an eine 
asymmetrische Substanz, wie sie der Chlorophylifarbstoff selber dar- 
stellt, ist aber die Voraussetzung der asymmetrischen Synthese. Auch 
für den Fall, dass schon das Kohlensäuremolekül vor oder nach statt- 
gefundener Isomerisation durch Chlorophyll gebunden würde, hätte 
die Vorstellung, dass die Kondensation der CH (OH)-Gruppe mit der 
Bindung an das Mg-Atom des Chlorophylis einhergeht, dien Vorteil, 
dass Loslösung und Neubindung im Verlauf der verschiedenen Phasen 
des Assimilationsprozesses nicht angenommen zu werden brauchte; 
denn nach der Auffassung von Willstätter ?) wäre gegenüber der 
Kohlensäure das Magnesiumatom ebenfalls Anziehungsursache. Eine 
Bindung der Kohlensäure an den Lichtstrahlen absorbierenden Farb- 
stoff würde in der Isomerisations- und Reduktionsphase, wie dies 
Hällström ?) und Baur ?) betont haben, dem Zweck entsprechen, 
die Kohlensäure der Lichtenergie zugänglich zu machen. Diese wichtige 
Aufgabe könnte aber ebensogut wie durch eine feste oder lockere 
‚chemische Bindung auch durch Lösung oder Absorption der Kohlen- 
säaure durch das Chlorophyll bewerkstellist werden, und bei der 
Schwierigkeit, zwischen einer lockeren chemischen Verbindung und 
einem Lösungs- oder Adsorptionsvorgang gerade in. solchen Systemen 
die Entscheidung zu treffen, dürfte man sich fragen, ob nicht auch 
die Chlorophyll-Kohlensäureverbindung, welche Willstätter und 
Stoll?) beschrieben haben. als eine Lösungs- oder Adsorptions- 
erscheinung gedeutet werden könnte. Da Willstätter und Stoll 
(l. e.) einen Eintritt der Kohlensäure in das Chlorophylimolekül selbst 
nicht für unbedingt notwendig erachten, so kann man wohl für jeden 
Modus — Bindung, Lösung, Adsorption —, welcher das Wesentliche: 
einen innigen Kontakt der Kohlensäure mit dem Lichtstrahlen. absor- 
bierenden Farbstoff ermöglicht, mit gleichem Rechte einstehen. 
Lösung wie Adsorption würden sogar besser als eine chemische 
Bindung der Anforderung grösstmöglicher Konzentrationsvermehrung 
gegenüber dem Kohlensäuremolekül zu genügen vermögen, wodurch 
schon allein eine Reaktionsbegünstigung erzielt werden kann. Dazu 


1) Emil Fischer, Ber. Bd. 27 S. 3189. 1894; Die Chemie der Kohlen- 
hydrate und ihre Bedeutung für die Physiologie. 1894 S. 29ff. 

2) Willstätter, Liebig’s Ann. Bd. 350 S. 50. 1906; Willstätter 
und Stoll, Chlorophyll S. 23ff. 

3) Hällström, Ber. Bd. 38 S. 2288.. 1905. 

4) Baur, Die Naturwissenschaften Bd. 1 S. 475. 1913. 


5) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad. Bd. 20 S. 338. 
1915. 


DE 


a Gertrud Woker: 


kommen noch andere Möglichkeiten, wie die bei Lösungsvorgängen 
häufigen Aktivierungen durch molekulare Aufteilung oder Umlagerung. 
Es könnte also eine Isomerisierung auch auf diesem Wege zustande 
kommen, der vielleicht für den aus dem Karbonat durch Hydrolyse 
abgespaltenen Kohlensäureanteil gangbar wäre; doch besteht keine 
Veranlassung, von dem im Abschnitt über die Isomerisationsphase 
angegebenen Weg abzuweichen, wonach K,00O, als CO,-Absorbens 
fungieren und während der Überführung in Bikarbonat die Um- 
lagerung in eine labile Zwischenform stattfinden würde. Nach voraus- 
gegangener Lösung oder Absorption wären es die optischen Eigen- 
schaften des Farbstoffes und die Art ihrer Nutzbarmachung, die in 
Frage kämen. 

Dass das Chlorophyll rot fluoresziert und zugleich das Assimilations- 
maximum im Rot liegt, dürfte mehr als ein zufälliges Zusammentreffen 
sein, und. es muss zunächst die Frage aufgeworfen werden, ob ein ähn- 
licher Zusammenhang mit der Fluoreszenz auch bei anderen chemischen 
Prozessen vorkommt. Ein solcher Zusammenhang besteht bei den 
Sensibilisierungsphänomenen, denen auch die photodynamischen Wir- 
kungen fluoreszierender Farbstoffe anzureihen sind !). Bekannt ist, 
dass die photographische Platte durch Beimischung geeigneter fluore- 
szierender Farbstoffe rotempfindlich und gelbempfindlich wird. Der 
die Rotempfindlichkeit vermittelnde Sensibilisator würde bei der 
Assimilation dem Chlorophyll, der die Gelbempfindlichkeit vermittelnde 
dem Karotin entsprechen. Hier wie dort würde so für ein Spektral- 
gebiet von geringer chemischer Wirksamkeit dieselbe Aktivität gegen- 
über dem Substrat — sei dies das Bromsilber oder das CO,-Molekül — 
erzielt, welche die kurzwelligen Strahlen für sich allein besitzen. Für 
die Kohlensäurereduktion kämen für sich allein überhaupt nur die 
sehr kurzwelligen Strahlen der Quarz-Quecksilber-Lampe ?) in Be- 
tracht, die dem Sonnenlicht, wie es nach der atmosphärischen Absorp- 
tion die Erdoberfläche trifft, vollständig fehlen. Nur ein sensibili- 
sierender Farbstoff könnte daher imstande sein, die Energie des Sonnen- 
lichtes — deren für die Umwandlung des stabilen Kohlensäuremoleküls 
in sein Isomeres von höherem Energiegehalt nicht zu entraten ist — 
für den pflanzlichen Organismus auszunutzen. 

Mit der Auffassung des Chlorophylis als Sensibilisator der Kohlen- 
säureisomerisation und als Zwischenreaktionskatalysator der Konden- 
sationsphase könnte das Bild über die Funktionen des wichtigsten 
Blattfarbstoffes abgeschlossen werden. Aber es bliebe dann die Frage 


1) Vgl. Woker, Die Katalyse. Allg. Teil. Stuttgart. 1910 S. 388ff. 
Bd. 11/12 der Sammlung: ‚Die chemische Analyse‘. 

2) Coehn und Sieper (Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 91 S. 347. 1916) 
geben als wirksam nur eine Wellenlänge von X < 254 an. 


Zum Assimilationsproblem, 37 


nach der Natur der Sensibilisatorwirkung offen, die für den Mechanismus 
des Assimilationsvorgangs von Bedeutung ist. Fasst man die Sensibili- 
satorwirkung rein physikalisch auf, so kann sie wohl kaum anders 
denn a!s Resonanzphänomen gedeutet werden, als die zunächst in der 
Akustik, später im Gebiete der elektrischen Schwingungen (zum Beispiel 
abgestimmte Funkentelegraphie) beobachteten Folgen kräftiger Mit- 
schwingung, die sich an jedem Gebilde äussern, welches von einer 
periodischen Erregung getroffen wird, deren Frequenz übereinstimmt 
mit der Schwingungszahl, die ihm selber zukommt. 

Es setzt dies demnach für das Chlorophyll wie für jeden Farbstoff 
zunächst das Vorhandensein schwingender Atomgruppen voraus, deren 
Eigenfrequenz übereinstimmt mit der Schwingungszahl der absorbierten 
Lichtstrahlen, und die Absorption wäre also die erste Folge des Vor- 
handenseins solcher Atomgruppen von gleicher Frequenz. Die sensi- 
bilisierende Wirkung, welche nur bestimmten fluoreszierenden Farb- 
stoffen eigentümlich ist, würde hinzukommen, sobald jenen schwingen- 
den Atomgruppen im Molekül des Farbstoffes die notwendige Be- 
wegungsfreiheit gewahrt ist, um in kräftige Mitschwingung zu geraten. 
Die sensibilisierende Wirkung wäre dann primär als eine mechanische, 
veranlasst durch die Stösse der heftig mitschwingenden Atomgruppen 
des Farbstoffs, zu deuten. Die Vorstellung, dass die Lichtenergie auf 
dem Umwege über die mechanische Energie der mitschwingenden 
Atomgruppen in chemische umgewandelt werde, entspricht den physi- 
kalischen Vorstellungen über das Wesen der Lichtabsorption. Auch 
ist für die Beteiligung des Chlorophylls beim Assimilationsvorgang 
von Reinke!) eine derartige Auffassung vertreten worden. Nichts- 
destoweniger sei im folgenden auch eine, die vorige im gewissen Sinne 
ergänzende Auffassungsweise dargelegt, welche an die von Straub?) 
vermutete chemische Veränderung bei fluoreszierenden Farbstoffen, 
insbesondere dem Eosin, während der photodynamischen Wirkung 
gegenüber Mikroorganismen anknüpft, und die um so interessanter 
ist, als sie auf prinzipiell verwandte Vorstellungen zurückzugreifen 
gestattet, die, wie früher erwähnt, Willstätter und andere Forscher 
über die chemische Beteiligung des Chlorophylis am Assimilations- 
vorgang entwickelt haben. Nach Straub wäre Träger jener photo- 
dynamischen Wirkung ein Peroxyd (Eosinperoxyd), welches sich in 
Gegenwart von Sauerstoff aus dem fluoreszierenden Farbstoff zu 
bilden vermöchte. An Stelle des freien Sauerstoffs würde bei der 
Assimilation der in der Kohlensäure gebundene Sauerstoff treten, 
und das Chlorophyll würde durch diese Wechselwirkung in ein Peroxyd. 

1) Reinke, Bot. Ber. Bd. 1.8. 418. 1883. 


2) Straub, Münchn. med. Wochenschr. Bd. 51 S. 1093. 1904; Archiv 
f. exp. Pathol. und Pharmakol. Bd. 51 S. 383. 1904. 


38 Gertrud Woker: Zum Assimilationsproblem. 


übergehen. Da nun wohl kaum anzunehmen ist, dass das unveränderte 
Kohlensäuremolekül zur Abgabe von Sauerstoff ohne Zuhilfenahme 
sehr eingreifender Operationen veranlasst werden kann, und da auch 
ein aus anderer Sauerstoffquelle gebildetes Chlorophyliperoxyd. gegen- 
über der unveränderten Kohlensäure keine grosse Aktivität entfalten 
dürfte, hätte jedoch die Isomerisation der Kohlensäure vorauszugehen, 
und für diese Phase käme also nach wie vor die Resonanzwirkung 
des sensibilisierenden Chlorophylis in Betracht. Nach stattgefundener 
Isomerisation könnte dann die Wechselwirkung des Kohlensäure- 
peroxyds mit dem Chloröphyli einsetzen, wobei letzteres zum Peroxyd, 
ersteres in das früher besprochene reaktive Reduktionsprodukt über- 
gehen würde. Das Chlorophyliperoxyd würde dann durch freiwilligen, 
Zerfall oder durch Reaktion mit dem peroxydischen Isomeren der 
Kohlensäure unter Sauerstoffentwicklung in das ursprüngliche Chloro- 
phyll zurückverwandelt. Doch wäre gegenüber dieser Auffassung ein- 
zuwenden, dass für die Reduktionsphase ein Chlorophyliperoxyd nicht 
erforderlich ist, da die Moleküle des Kohlensäureisomeren wie andere 
Peroxyde auch für sich allein unter Sauerstoffentwicklung reagieren 
können. Dazu kommt, dass auch der naheliegende Vergleich eines 
Chlorophyliperoxyds mit dem „Chlorophyll b“ und des ursprünglichen 
Chlorophylis mit dem ‚Chlorophyll a“ Willstätter’s auf die Schwierig- 
keit stösst, dass sich die beiden Chlorophylle ausser durch den Sauer- 
stofigehalt durch den Wasserstoffgehalt unterscheiden !), wodurch die 
Annahme einer komplizierteren Reaktion als die der ausschliesslichen 
Sauerstoffabgabe aus einem Peroxyd wahrscheinlich wird, wenn man 
nicht bei dem hohen Molekulargewicht den gefundenen Unterschied 
im Wasserstoffgehalt als in die Fehlergrenze fallend betrachten will. 


1) Chlorophyll a: C,,H,z0,N, Mg; Chlorophyll b: C,,H,,0,N, Mg2. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 


VI. Mitteilung: 
Allgemeine Folgerungen aus den bisherigen Untersuchungen. 
$ Von 
Prof. Dr. phil. et med. August Pütter, Bonn. 


Mit5 Textabbildungen. 


(Eingegangen am 14. März 1919.) 


Der Versuch, eine Theorie der Reizvorgänge aus einfachen physi- 
kalisch-chemischen Anschauungen über die Vorgänge des Stoffumsatzes 
und Stoffaustausches heraus zu entwickeln, hat zu einem vollen Erfolg 
geführt. 

Wie in den vorigen Abhandlungen gezeigt wurde, lassen sich die 
Erscheinungen, die sich auf die Nullschwelle, die Unterschiedsschwellen 
und die Umstimmung beziehen, zahlenmässig richtig aus der Theorie 
herleiten. 

In erster Linie wurden bisher die Erscheinungen am menschlichen 
Auge als Beispiele zur Prüfung der Theorie verwertet; aber die theoreti- 
schen Erörterungen gelten ebensogut für mechanische Reize (Druck- 
sinn) und, mit geringen Erweiterungen, die nicht grundsätzlicher Art 
sind, auch für das ganze Heer der chemischen Reizwirkungen. Die 
-Grundanschauungen bewähren sich nicht nur für die Sinne des Menschen, 
scndern auch in ihrer Anwendung auf pflanzliche Objekte und be- 
kunden dadurch ihre Allgemeingültigkeit bzw. allgemeine Brauchbarkeit. 

In der Abhandlung über die allgemeinen Grundlagen der Theorien 
konnten die Annahmen über die allgemeinen Reizwirkungen nur in 
groben Strichen gezeichnet werden. Nachdem sich die Anschauungen, 
die dort entwickelt wurden, so vortrefflich bewährt haben, und nach- 
dem sie bei der Anwendung auf eine Reihe von Einzelfällen eine feinere 
Ausgestaltung erfahren haben, ist es jetzt möglich, die Lehre von den 
allgemeinen Wirkungen, die Reize auf lebende Systeme ausüben können, 
in viel eingehenderer Weise darzustellen. 


- 1. Allgemeines über das Eingreifen der Reize in das Getriebe 
der Lebensvorgänge. 

Es muss zunächst nochmals betont werden, dass es eine Grund- 

annahme aller theoretischen Erörterungen über Reizwirkungen ist, die 


40 August Pütter: 


in diesen Studien niedergelegt sind, dass die Reize ausschliesslich 
beschleunigend oder verlangsamend auf die Vorgänge des Stoffumsatzes 
und des Stoffaustausches einwirken. Die Reize bewirken keine quali- 
tativen Veränderungen des Geschehens in den lebenden Systemen, 
sondern nur quantitative Veränderungen. Die Grössen, durch die 
der jeweilige Zustand eines lebenden Systems bestimmt ist, sind Funk- 
tionen der Intensität der Reize. Da diese Grössen keine qualitativen 
Veränderungen erfahren, können alle Einflüsse, den Reize auf sie 
ausüben, durch Zahlen zum Ausdruck gebracht werden, und infolge- 
dessen bietet die Mathematik das gegebene Werkzeug zur Erforschung 
der Reizerfolge. 

Die apodiktische Behauptung, dass alle Reize nur dadurch wirken, 
dass sie Plus- und Minusvariationen bestimmter Grössen hervor- 
bringen, könnte Anstoss erregen. Dieser Anstoss ist beseitigt, wenn 
ich die Behauptung in die Form einer Begriffsbestimmung kleide 
und sage: meine theoretischen Erörterungen beziehen sich nur auf 
solche Reize, für die die Annahme zutrifft, dass sie ausschliesslich 
beschleunigend (in positivem oder negativem Sinne) auf die elemen- 
taren Vorgänge in den lebenden Systemen einwirken. Die weite 
Anwendbarkeit der Theorie, die auf dieser Grundlage erbaut ist, 
wird die Berechtigung, d. h. die Zweckmässigkeit, dieser Festsetzung 
zeigen. 

Die Fälle von Reizvorgängen, die bisher theoretisch durchgearbeitet 
worden sind, liessen sich darstellen durch die Gleichung: 


q 1 ce-re P+ol ENT 
u ap + +die ee “ 
Dq ee | 


wenn die Integrationskonstanten c und d bestimmt sind durch die 
Gleichungen: 


G=X%o(Pi + 0), Zap. 20: “ ke Cla, 


a... © 


wenn x, den Wert von x für die Zeit {= 0 bedeutet, und x durch 
die Gleichung: 
pp t 
wu 2 6 
p+rq 
bestimmt ist. 

Diese Fälle bestätigten die Berechtigung der Annahme, dass der 
jeweilige Erregungszustand eines lebenden Systems durch 
die Konzentration der „Erregungsstoffe‘ (R-Stoffe) be- 
stimmt ist. Die Konzentration der R-Stoffe wird gemessen durch 
die Grösse y. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 41 


Über die Bedeutung der Integrationskonstanten ist nichts weiter 
zu sagen, als was schon in der ersten Abhandlung !) auseinandergesetzt 
wurde. 

Die Grösse y hängt nach Gl. 1 ausser von der Zeit von vier Ver- 
änderlichen ab. An diesen Grössen, die wir als q, r, p und a bezeichnen, 
können sich die Wirkungen von Reizen geltend machen. Welcher Art 
die Wirkungen sind, hängt von der besonderen Beschaffenheit des 
einzelnen reizbaren Systems und von der Art des Reizes ab. Wir 
wollen zunächst nur die Wirkungen von Lichtreizen und Druckreizen 
betrachten, da sich für die chemischen Reize und Temperaturreize 
noch einige Besonderheiten ergeben. 


a) Die Veränderung der Reaktionskonstante q- 


Die Grösse q bedeutet die Reaktionskonstante, durch die die Ge- 
schwindigkeit gemessen wird, mit der die Umwandlung der ‚sensiblen‘ 
Stoffe (S-Stoffe) in die Erregungsstoffe (R-Stoffe) erfolgt. Es zeigte 
sich, dass diese Grösse direkt proportional der Reizintensität J ist. 
Das ist die einfachste Annahme, die man über die Abhängigkeit einer 
Grösse von einer anderen machen kann. Die Beobachtungen haben 
bisher keinen Anlass zu der Annahme einer verwickelteren Abhängig- 
keit gegeben. Vor allem ist zu bemerken, dass die Grösse qg nicht 
als Funktion der Zeit erscheint, während der die Intensität J 
auf das lebende System eingewirkt hat. 

Die Geschwindigkeit der Umwandlung der S-Stoffe in die R-Stoffe 
ist in jedem Augenblick der gerade einwirkenden Reizintensität pro- 
portional. Die Vorgeschichte übt keinen Einfluss auf die Wirkung 
der Reizintensität; das chemische System reagiert ohne jede mess- 
bare Trägheit. 


b) Die Veränderung des Diffusionskoeffizienten r. 


Die zweite Grösse, die durch Reize verändert wird, ist r, der 
Diffusionskoeffizient, der die Geschwindigkeit misst, mit der die R-Stoffe 
durch die Oberflächenschicht des Reizraumes hindurchtreten. In den 
bisher betrachteten Fällen ist auch diese Grösse der Reizintensität J 
direkt proportional. Hier kommt aber noch ein neuer Umstand von 
grundsätzlicher Bedeutung hinzu: Die Grösse r ist auch eine Funktion 
der Zeit, während der die Intensität J auf das lebende System ein- 
gewirkt hat. Die grösste Veränderung, die r unter der Wirkung eines 
Reizes von konstanter Stärke erfährt, wird theoretisch erst nach 
unendlich langer Zeit erreicht. Dieser Unterschied des Einflusses 
von Reizen auf die Grössen y und r erscheint aus allgemeinen Er- 


1) Dieses Archiv Bd. 171 S. 210ff. 1918. 


42 August Pütter: 


wägungen heraus durchaus verständlich. Der Wert qg misst die Ge- 
schwindigkeit des Umsatzes zweier gelöster Stoffe, die Grösse r da- 
gegen eine Eigenschaft eines festen Körpers, denn jede Schicht, die 
eine Protoplasmamasse gegen eine andere oder überhaupt gegen ein 
anderes Mittel abgrenzt, hat die Eigenschaften einer Membran, eines 
festen Körpers. Die Beobachtung, dass die endgültige Veränderung, 
die ein Reiz bestimmter Stärke hervorzubringen vermag, erst nach 
langer Zeit praktisch vollständig erreicht wird, zeigt, dass die Ober- 
tlächenschicht ‚elastische‘ oder, sagen wir besser: ‚„‚gleichsam-elastische‘ 
Eigenschaften hat. 

Während g unter der Wirkung eines Reizes sofort seinen neuen, 
der Reizintensität entsprechenden Wert annimmt, hinkt r mit seiner 
Veränderung nach, und daher muss sich der Erfolg eines Reizes mit 
der Dauer seiner Einwirkung ändern. 

Die Tatsache, dass die Vorgeschichte eines reizbaren Systems von 
wesentlicher Bedeutung für die Wirkung eines Reizes ist, findet ihre 
Erklärung darin, dass in dem heterogenen System, das eine lebende 
Einheit darstellt, Elemente mit gleichsam-elastischen Eigenschaften 
vorhanden sind, die träge den verändernden Einflüssen folgen und 
nach dem Aufhören der Einflüsse noch lange Zeit sleichsam-elastische 
Nachwirkungen erkennen lassen. 

Solange nur Lichtreize und Druckreize in Betracht kommen, braucht 
für die Grösse der Veränderung, die nach unendlich langer Zeit durch 
einen Reiz an r hervorgebracht wird, keine verwickeltere Abhängigkeit 
von der Reizintensität gemacht zu werden; die Annahme der direkten 
Proportionalität reicht als erste Annäherung aus. 


c) Die Veränderung der Konstante p und der Konzen- 
tration a. 


In allen Rechnungen zur Theorie der Reizvorgänge, die in den 
vorigen Abhandlungen durchgeführt worden sind, haben wir p = 1,0 
und a = 100 gesetzt. Die Resultate sind daher in besonderen Maass- 
stäben für die Konzentration der R-Stoffe und für die Zeit ausgedrückt. 

In der Festsetzung, dass p = 1,0 sein soll, ist gleichzeitig die An- 
nahme enthalten, dass die Reize keine Wirkung auf die Zahl p aus- 
üben. Eine solche Annahme ist zunächst nur zum Zweck der Ver- 
einfachung der Rechnungen getroffen, und es wird nötig sein, von 
ihr abzugehen, wenn Beobachtungen vorliegen, die zu der Annahme 
zwingen, dass die Umwandlung der A-Stoffe in die S-Stoffe oder die 
Diffusion der A-Stoffe durch die Wand des Reizraumes hindurch durch 
die Reize oder durch die Konzentration der R-Stoffe beeinflusst wird- 

Diese verwickelten Verhältnisse sollen hier zunächst beiseite ge- 
lassen werden. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. ; 43. 


2. Einfache Zahlenbeispiele. 

Welche Mannisfaltigkeit des Verlaufes der Reizvorgänge sich. bereits 
aus den verhältnismässig einfachen Wirkungen auf die Reaktions- 
konstante q und den Diffusionskoeffizienten r ergeben, lässt sich am 
besten an einigen Beispielsfällen zeigen. 

Der Zustand eines reizbaren Gebildes im Grundumsatz ist be- 
stimmt durch die Grössen q, und r,. Die Konzentration der S-Stoffe 
(die Grösse x) und der R-Stoffe (die Grösse y) im Grundumsatz erhält 
man, wenn man in den Gleichungen, die x und y darstellen, die Reiz- 


’ 100 
intensität J = 0 und die Zeit {= © setzt.‘ Es ist dann x, = 1 h 
0 
un NEE RER 
le) 


In welcher Weise sich diese Werte ändern, wenn gq, und r, ver- 
schiedene Grössen annehmen, zeigt Tabelle 1. Als letzter Stab dieser 
Tab. 1 ist eine Grösse H aufgeführt; sie bedeutet die grösste Kon- 
zentration, die die R-Stoffe unter der Wirkung unendlich starker 
Reize annehmen würden, wenn die Reize nur auf q und nicht auf r 
verändernd einwirkten, d. h. wenn keine Umstimmung stattfände. 


ee er 2. Tabelle 18 
oe Baal Son ST 000 | 
%— Ya ee Rz 
7, 0,001 99,999 | 990 9100 50 000 91.000 100 000 
0,01 9,999 99 910 5.000 9 100 10 000 
0,1 0,999 9,9 91 500 910 1.000 
1,0 0,099 0,99 91 50 91 100 
5 10:000810950.009 4150, 0.009 0,099 0,91 5 9,1 10 
De I m—=| wo | 9% 39002173590 Tele 91 | 50 | 9,1 | 


Erfolgt die Veränderung von r durch die Reize langsam, oder ist 
sie nur gering, so wird dieser Wert F annähernd erreicht, während 
bei rascher Zunahme von r unter der Wirkung der Reize der grösste 
Wert, den y erreicht, weit hinter H zurückbleiben kann, wenn die 
Veränderung von r durch die Reize gross genug ist. : 

Wir wollen als Beispiel einen Fall wählen, in dem q, = 0,1 und 
To = 0,1 ist, dann sind x, und y, beide = 91,0, und der Wert H ist 
1000. Es soll ferner die Beizahl k in der Gleichung y=g(1+KkJ) 
im Beispielsfalle = 1,0 sein, und wir wollen dann die Erscheinungen 
verfolgen, die zu erwarten sind, wenn in der Gleichung 

BEE ee ll en 
die Beizahl A’ nacheinander die Werte: 1,0; 0,1; 0,01; 0,001 und 0,0001 
annimmt. Die Beizahl k’’ soll stets 0,01 sein. 


"44 August Pütter: 


Zunächst ist leicht zu berechnen, welchen Wert y unter der Wirkung 
verschieden starker Reize nach unendlich langer Zeit annimmt. Dieser 
‚Wert, ur ist. 

1009, (1 +J) 


N a) 


Tab. 2 gibt die Ausrechnung dieser Gleichung für eine Anzahl 
von Reizintensitäten und für die fünf Fälle, die sich dadurch von- 
einander unterscheiden, dass die Umstimmung durch die Reize am 
grössten in Fall I ist, wenn Ak’ = 1,0, und am geringsten in Fall V, 
wenn k’ = 0,0001 ist. 

In dem ersten Fall (I), in dem die umstimmende Wirkung des 
Reizes am stärksten ist, ist nach einer genügend langen Einwirkung 
eines Reizes die Konzentration der R-Stoffe stets, selbst bei den 
schwächsten Reizen, vermindert. Ein solches reizbares System 
würde gegenüber allen Reizintensitäten, von den schwächsten bis 
zu den stärksten, nur vorübergehende Erregung zeigen, niemals 
in dauernd gesteigerte Tätigkeit verfallen. 

In den übrigen Fällen (II—-V) bewirken die schwächeren Reize 
eine Dauererregung, die stärkeren nach vorübergehender Er- 
regung eine Abnahme der Konzentration der R-Stoffe unter den 
Wert. (y, = 91,0) des Grundumsatzes. 


Tabelle 2. 
k=1,0 M—Xe6) 9=Nl; 1 — 0: 


1 I Ana EN V 

wo kl k'—=0,01 | %'= 0,001 | %’ = 0,0001 
J— Yo Yoıze Yo. Yon — Yo — 
) 91,0 91,0 91,0 91,0 91,0 
1 88, 152,0 166,0 166,0 166,0 
2 77,0 193,0 225,0 230,0 231,0 
5 62.5 250,0 353,0 375,0 376,0 
10 47,8 262,0 479,0 520,0 525,0 
20 32,2 226,0 566,0 662,0 680,0 
50 16,5 140,0 560,0 795,0 838,0 
100 9,05 2a 4550 830,0 900,0 
500 1,95 19,3: .12.21620 660,0 935,0 
1-103 0,99 9,8 90,0 495,0 900,0 
5-103 N un 19,5 165,0 665,0 
1.10% —_ = 98. 10° 805 1. .5000 
5-10 — = = 195 | 166,0 
1-105 = — - | 9,8 1779970 


Je schwächer die umstimmende Wirkung ist, desto stärker muss 
der Reiz sein, der nach genügend langer Einwirkung die Konzentration 
der R-Stoffe gegenüber dem Zustande des Grundumsatzes vermindert. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 45 


So geben in Fall II alle Reize, die schwächer als etwa J = 100 sind 
eine Dauererresung, in Fall III alle Reize, in denen J < 1000, in Fall IV, 
wenn J < 10000, und in Fall V, wenn J < 100000 ist. 

Die stärkste Dauererregung, d. h. den höchsten Wert von Y,,; 
erhalten wir in Fall II bei einer Reizintensität von etwa J = 10, m 
Fall III bei J = 20, in Fall IV für J = 100 und in Fall V für J = 500. 

Wollten wir den Erfolg einer Reizung nur an ihrem Dauererfolge 
messen, so würden wir in den Fällen II—V finden, dass mit steigender 
Reizintensität zunächst der Reizerfolg wächst, dann ein Maximum 
erreicht, hierauf fällt und endlich nicht mehr in einer Steigerung 
der Konzentration der R-Stoffe zum Ausdruck kommt, sondern in 
einer Herabsetzung. 

In übersichtlicher Weise veranschaulicht die Kurvenschar in Abb. 1 
dieses Verhältnis. Die der Abszissenachse parallelen Linien G und H 


bedeuten die Höhe der Konzentration der R-Stoffe im Grundumsatz, 
d. h. für die Reizintensität J = 0 (Linie G = 91) und für die Reiz- 
intensität J = o (Linie 7 = 1000) in dem Grenzfalle, dass der Reiz 
überhaupt keine Wirkung auf r hat, d. h. dass A’ = 0 ist. 

Je kleiner k’, d. h. je geringer die umstimmende Wirkung des 
Reizes ist, um so näher kommt der Wert der stärksten Dauererregung 
der Grösse H, und bei um so höherer Reizintensität wird diese grösste 
Höhe erreicht. 

Eine vollständige Übersicht der Verhältnisse erfordert aber die 
Berechnung der Grösse y, die die Höhe der Erregung misst, für be- 
liebige Zeiten. Für jeden der fünf Beispielsfälle erhalten wir dann 
eine Kurvenschar, in der die Zeit als Abszisse und die Konzentration 
der R-Stoffe als Ordinate erscheint, und bei der jede einzelne Kurve 
die Verhältnisse für eine bestimmte Reizintensität darstellt. 

In der folgenden Tab. 3 ist eine solche Rechnung durchgeführt, 
und zwar für den Fall I, in dem die Umstimmung am stärksten ist. Die 


46 August Pütter: 


Ergebnisse zeigen alle wesentlichen Punkte, so dass eine Durchführung 
der Rechnung für die übrigen Beispielsfälle nicht nötig erscheint. 

Zunächst können wir die Zahlen der Tab. 3 in zwei Gruppen teilen. 
Die eine umfasst die Werte, die höher als 91 sind, d. h. höher als der 
Zahlenwert, durch den die Konzentration der R-Stoffe im Grund- 
umsatz gemessen wird, die andere die Werte, die < 91 sind. 

Die erste Gruppe bezeichnet die Fälle, in denen „Erregung“ 
durch die Reize stattfindet, die zweite die Fälle, in denen „Lähmung“ 
den Reizerfolg darstellt. 

In unserem Beispielsfalle bewirkt schon der schwache Reiz J =1 ‚0, 
wenn er lange genug einwirkt, eine Lähmung. Bei ?{ = 200 ist der 
Wert von y kleiner als im Grundumsatz. Bei stärkeren Reizen 
wird die Zeit, während deren der Reiz erregend wirkt, immer kürzer. 


Tabelle 3. 
a 0,1(1 19) n=1|J= 1c= 92 d= — 44,66 
r=0,1[1 +71 ey] y=-91|J= 2 c— 183 da= — 58,97 
IJ= 5 e= 456 d= — 72,65 
|J= 1 c= 91,1 d= — 78,14 
|J= 20 c=18231 d= — 80,56 
17:50, 00 4451 ae 26 
= .100% 88901 78 
IL 200 ce 1780 °d- 8195 
J= 500 c= 3560 d= — 82,0 
t Tan. ES  |»=1]7=2| 7-5 | 710 | 7- an n 72% - En |» 100|r— 200|7—500 
0 91 | 91,| 9a 9 91 91 91 | 91 
1°. 99%] 10417117 iS = 163 146 118 | 88 
21 104 | 115 | 140 165 189 191 | 164 134 81 
5| 116 | 189 | 182 220 240 205 15 | 8 | 37,8 
10 | 180 | 162 | 209 | 234 | 218 140 3 I 55 | 192 
»0.|.120 | 164 | ıss | ı55 | 1a ]J 82 1 as | 059 | 10% 
50 | 126 | 129 | 154 105.015 40 222 | 11,8 4,34 
100 | 102 | 108 | 125 68,52], 50 95:90.1142 7,6 3: 
200] 90] 83 | 54,0 37 18,9 | 10,4 5,4 2,25 
% ssıl 77. |®.625 | 478 22,2 16,5 9365| 4755| 1,9 


So wirkt J = 10 schon nach 100 Zeiteinheiten lähmend, J = 20 
nach 50 Zeiteinheiten usw., bis wir schliesslich zu einem Reiz kommen, 
der schon nach einer Zeiteinheit den Wert von y herabsetzt, d. h. 
lähmend wirkt. In Tab. 3 ist der Reiz J = 500 ein solcher Reiz, der 
ohne vorherige Erregung lähmt. 

Wir sehen hieraus, dass es reizbare Systeme geben kann, bei denen 
die Zeit der Erregung durch einen Reiz um so kürzer wird, je stärker 
der Reiz ist. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 47 


Hätten wir einen Beispielsfall durchgerechnet, bei dem die Um- 
stimmung schwächer ist, zum Beispiel den Fall II oder III, so hätten 
wir für die schwachen Reize Dauererresung bekommen und erst für 
stärkere eine zeitliche Begrenzung der erregenden Wirkung. 

Der zweite Punkt, den Tab. 3 erläutert, ist die Stärke der Erregung. 
Für jede Intensität ist der höchste Wert, den y unter ihrer Wirkung 
annimmt, fett gedruckt. Wie man sieht, nimmt die Stärke der Er- 
regung zunächst mit steigender Reizintensität zu. Bei der Reizstärke 
J =1 ist der höchste Wert von y = 140, bei J =5 ist er 209, bei 
J = 20 hat er 240 erreicht. Wächst nun aber die Reizstärke weiter, 
so steigt der Wert von y nicht mehr, sondern fällt wieder. So ent- 
spricht der Reizstärke J — 50 als höchster Wert nur y = 205, der 
Reizstärke 100 nur y = 164, d. h. dieselbe Erregungsstärke, die wir 
auch bei J = 2 erhalten. 

Es ist also zu erwarten, dass es reizbare Systeme ib bei denen 
die Reizwirkung bei schwachen Reizen mit wachsender Reizstärke 
zunimmt, dagegen bei starken Reizen mit wachsender Reizstärke 
abnimmt, so dass es eine Reizintensität gibt, bei der die Erregung 
ein Maximum erreicht. y 

Wir sehen in Tab. 3, dass der Reiz J = 2 und der Reiz J = 100 
den Wert von y höchstens auf 164 bringen. Die beiden Reize sind 
also in bezug auf ihre stärkste erregende Wirkung einander gleich; 
sie unterscheiden sich aber dadurch, dass bei der Reizstärke 2 die 
Einwirkung 20 Zeiteinheiten lang erfolgen muss, damit y = 164 wird, 
während für J = 100 dieser Erfolg schon nach 2 Zeiteinheiten erreicht 
ist. Die ‚„Reizmenge‘“ beträgt im ersten Falle 40, im zweiten 200. 

Vergleichen wir die Erfolge verschieden starker Reize, die 
gleich lange auf das reizbare System einwirken, so sehen wir, dass 
die stärkeren Reize in derselben Zeit zuerst eine stärkere Erregung 
bewirken als die schwächeren, dass dann aber bei noch weiter wachsen- 
den Reizstärken die Werte von y, durch die wir die Erregung messen, 
wieder kleiner werden. 

Den höchsten Wert von y, der in unserem Beispielsfall y = 240 
ist, erreichen wir nur, wenn ein Reiz von bestimmter Stärke (J = 20) 
während einer bestimmten Zeit (! =5) einwirkt; alle anderen Kom- 
binationen von Reizintensitäten und Zeiten geben geringere Erfolge. 
Wir können hiernach der Reizmenge, wie man das Produkt von 
Reizintensität und Reizzeit genannt hat,‘ keine bestimmende Be- 
‘ deutung für die Grösse des Reizerfolges beimessen. 


3. Die Besonderheiten der chemischen Reize. 


Wir haben bisher als einfachsten Beispielsfall den Fall einer Reizung 
betrachtet, bei der die Reizintensität im Beginn der Reizung sofort 


48 August Pütter: 


| 


mit voller Intensität auf alle Teile des reizbaren Gebildes einwirkt 
und mit unveränderter Intensität dauernd weiter wirkt. Dieser Fall 
ist für die chemischen Reize kaum zu verwirklichen. 

Im allgemeinen steht ja die Oberflächenschicht des Reizraumes 
nicht in unmittelbarer Berührung mit dem Medium, in dem der Stoff 
gelöst ist, der als chemischer Reiz wirkt, sondern ist von ihm durch 
eine Membran getrennt, die an dem Reizvorgang keinen tätigen Anteil 
nimmt. Wird an der Aussenseite dieser Membran eine gewisse Kon- 
zentration des wirksamen Stoffes erzeugt, so dauert es eine bestimmte 
Zeit, bis die ersten Spuren des Stoffes die Membran durchdrungen 
und die lebende Oberflächenschicht des Reizraumes erreicht haben, 
und es dauert eine längere Zeit, bis sich ein stationärer Zustand aus- 
gebildet hat, in dem in der Zeiteinheit stets die gleiche Menge der 
als Reiz wirkenden Verbindungen in das reizbare Gebilde eintritt. 
Der Reiz schwillt also innerhalb einer gewissen Zeit, die nicht 
vernachlässigt werden darf, an und erreicht dann erst seinen. vollen 
Wert. 

Aber auch wenn wir von dieser Verwicklung absehen, die dadurch 
entsteht, dass eine Membran, die am Vorgang der Reizung selber 
unbeteiligt ist, das eigentliche reizbare, Gebilde umhüllt, und wenn 
wir uns vorstellen, dass im Beginn der Reizung sogleich die volle 
wirksame Konzentration an der Öberflächenschicht des Reizraumes 
herrschte, ergeben sich besondere Möglichkeiten für die Art der 
chemischen Reizung. 

Im Augenblick des Reizbeginns wird ja nur die Oberflächenschicht 
von dem chemischen Reiz getroffen; erst später dringt der chemische 
Reiz ins Innere des Reizraums, wo er auf die Geschwindigkeit der 
chemischen Umsetzung der S-Stoffe in die R-Stoffe wirken kann. 

Im einfachsten Falle erreicht die Konzentration der Stoffe, die‘ 
als chemische Reize wirken, nach einer gewissen Zeit im Reizraum 
praktisch denselben Wert wie ausserhalb. In diesem Falle hätten 
wir nur einen Zeitabschnitt, in dem der Reiz noch keine bzw. nur 
eine geringe Wirkung auf die Grösse q, dagegen schon seine volle 
Wirkung auf die Oberflächenschicht, auf die Grösse r entfalten kann. 

Es ist aber noch an eine weitere Möglichkeit zu denken: Wir können 
uns die Beschleunigung, die der Stoff N auf die Umwandlung der 
S-Stoffe in R-Stoffe ausübt, so vorstellen, dass er eine Zwischenreaktion 
bildet, bei der eine Verbindung entsteht, und können uns vorstellen, 
dass diese den Reizraum verlässt. In einem solchen Falle wird die 
Konzentration des chemischen Reizes im Reizraum nie so gross 
wie an der Oberfläche des Reizraumes, und die Reizung verläuft so, 
als ob auf den Wert r eine stärkere Reizintensität einwirkte als 
auf den Wert q. 


“ 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 49 


Es kann aber auch dazu kommen, dass die Konzentration der als 
Reiz wirkenden Verbindungen im Reizraume grösser wird als an 
seiner Oberfläche, wenn sie sich zum Beispiel infolge besonderer Lös- 
lichkeitsverhältnisse der wirksamen Stoffe in der Substanz des Reiz- 
raums stärker anhäufen. 

Jedenfalls sind die Möglichkeiten, die sich für chemische Reizungen 
ergeben, stets dadurch besonders mannigfaltig, dass die Wirkungen 
auf den Diffusionskoeffizienten (r) und die Reaktionskonstante q (und 
ebenso p) weder gleichzeitig einsetzen noch stets als Funktion der 
gleichen Konzentration des wirksamen Stoffes. d. h. als Funktion der- 
selben Reizintensität J, erscheinen. g 

Am auffälligsten muss die Wirkung dieser Verhältnisse hervor- 
treten, wenn die Veränderung von r früher einsetzt als die auf q, oder 
wenn r dauernd unter der Wirkung einer höheren Reizintensität steht 
als q. Die schematische Abb. 2 
verdeutlicht die Erscheinungen, 
die dann hervortreten müssen. 
Schwache Reize müssen allein 
auf r wirken und daher den 
Wert von y, unter den Betrag 
hinabdrücken, den er im un- 
gereizten Zustande hatte (Y,). 
Erst bei einer gewissen Reiz- 
stärke wird wieder der Wert 
y, erreicht und bei weiter 
steigender Reizintensität über- 
schritten. Wenn eine Steige- Abb. 2. 
rung von y’ über y, als Er- 
regung zum Ausdruck kommt, so muss die Herabsetzung von y unter 
y, als das Gegenteil in die Erscheinung treten. Es wäre damit ein 
Verständnis für die hemmende Wirkung schwacher Reize gewonnen, 
wovon noch genauer die Rede sein soll. 

Ein Sonderfall, in dem die Konzentration, die auf q und r 
einwirkt, dauernd verschieden ist, verdient besondere Beachtung 
und sei genauer durchgerechnet, da er häufig vorkommt. Wir 
müssen an die Möglichkeit denken , dass der Stoff, der als chemi- 
scher Reiz wirkt, im Reizraume in irgendeiner Weise in eine un- 
wirksame Form übergeführt wird, so dass als Reiz immer nur der 
unveränderte Anteil für die Beschleunigung (oder Verlangsamung) 
der Umwandlung der S-Stoffe in die R-Stoffe in Betracht kommt, 
während auf die Oberflächenschicht, auf den Diffusionskoeffizienten r, 
die volle, ausserhalb des Reizraums bestehende Konzentration zur 
Wirkung kommt. 

Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 4 


50 August Pütter: 


Über die Art der Umwandlung im Reizraume brauchen wir keine 
ins einzelne gehende Annahme zu machen. Sie könnte in einer Neu- 
tralisation (bei Säuren oder Basen), in einer Oxydation, einer Paarung 
usw. bestehen. 

Wir brauchen zur theoretischen Behandlung der Frage, wie eine 
solche Umwandlung in eine unwirksame Form wirken muss, nur die 
Annahme zu machen, dass die Geschwindigkeit der Umwandlung in 
jedem Augenblick proportional der Konzentration des wirksamen 
Anteils des Stoffes im Reizraum ist, und können dann die Konzentration 
des Stoffes im Innern des Reizraums als Funktion der Konzentration 
angeben, die der Stoff ausserhalb des Reizraums hat. 

Die Aufgabe ist formal gleich der Aufgabe, die bei der Besprechung 
des Grundmodells der Reizvorgänge!) schon gelöst wurde. Wir brauchen 
nur die Vorgänge, die am oberen Gefäss ablaufen, zu betrachten. 

Wir hatten ein Gefäss von der Höhe a, in dem sich bis zur Höhe & 
Wasser befindet. Der Wasserzufluss ist so geregelt, dass er nur auf 
der Strecke (a—x) erfolgt. Seine Grösse ist proportional dieser Strecke 
(a—x) und einem Faktor p, der die Grösse des Zuflusses pro Einheit 
der Strecke misst. Am Boden des Gefässes befindet sich ein Loch, 
durch das das Wasser ausfliesst, und der Ausfluss ist proportional der 
Höhe der Wassersäule x und dem Faktor gq, der von der Grösse des 
Loches abhängig ist. 

Jetzt ist p proportional der Konzentration zu setzen, die der Stoff 
ausserhalb des Reizraums hat. Wir nennen sie C. Die Grösse x bedeutet 
die jeweilige Konzentration des wirksamen Stoffes im Reizraume, die 
wir C’ nennen wollen. Der Faktor q misst die Geschwindigkeit, mit der 
die Umwandlung des wirksamen Stoffes in die unwirksame Form er- 
folgt; wir wollen ihn hier s nennen. Wie früher gezeigt wurde, ist 

ap tere P+ot 
P 14: 

Bei Berechnung der Integrationskonstante ist x, = 0 zu setzen, 
solange es sich um eine Reizung handelt, die ein Element trifft, das 
bisher nicht unter der Wirkung dieser Reizart stand, so dass ce =— a: pist. 

Es ‘genügt vorläufig, die Konzentration C’ für den stationären 
Zustand zu kennen, der erreicht wird, wenn f= » ist. 

a-p N 

Bszistedann x 

Pd 

Die Grösse a ist gleich der Konzentration C. Drxz=C'undp=C_. 
ist (siehe oben), so erhalten wir die Gleichung: 

C: 
mas 


1) Siehe dieses Archiv Bd. 171 S. 208ff. 1918. 


ı 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 5] 


Die folgende Tab. 4 zeigt, welche Werte die Konzentration inner- 
halb des reizbaren Elementes hat, wenn s die Zahlenwerte 1, 10, 
100 und 1000 annimmt. Sie erreicht den halben Wert der Konzen- 


: N ; (CR (& 
tration, die aussen herrscht, wenn C = sist, denn dann ist C’ = 260" 2 
Tabelle 4. 
2 
Zahlenwert des Ausdrucks 0’ — a 
C+s 
De SM) SM) s-—100 s —= 1000 
BR ( (Ol (Oi (re 
0,1 0,0091 0,00099 0,0000999 — 
1.0 05 0.091 0,0099 4% 
2.0 1,33 0,333 0.0394 ai 
3,0 4,18 1,67 0,238 0,025 
10.0 91 5.0 0.91 0.099 
20,0 18) 19.3 3,983 0,393 
50,0 49 41,8 16,6 2,38 
100.0 99 u 2 50,0 91 
200,0 199,5 190 133 33,3 
500,0 — 490 418 166 
1000,0 — 990 910 500 


Ein Zahlenbeispiel mag zeigen, welche Folgen es für die Wirkung 
eines Reizes haben kann, wenn der Stoff, der als Reiz wirkt, im Innern 
des Reizraumes in eine unwirksame Form umgewandelt wird. 

Wir wollen wieder nur den Erfolg einer Dauerreizung für ! = & 

; 100 q 
iintersuchen. "Es ist dann y = 
r(l+9q 
Essserq = 0.1.1 +C) 
U. AUT ELE)) 
Der Gleichförmigkeit wegen wollen wir für C und C’ auch hier J 


und J” setzen, da die Konzentrationen ja die Reizintensitäten bedeuten. 
Jf= | 
Esist dann J’' = —, und für q und r erhalten wir die Gleichungen 
s 


Tr 


a 
ee Be 
a or 


Wird s = 0, so haben wir den einfachen Fall, in dem der Stoff 
"im Reizraume nicht in eine unwirksame Form übergeführt wird. Lassen 
wir s nacheinander die Werte 10, 100, 1000 annehmen, so erhalten 
wir Einblick in den Einfluss, den die immer rascher erfolgende Ver- 
arbeitung des Reizstoffes im Reizraume hat. 

In Abb. 3 sind die Reizstärken, d. h. die Konzentrationen ausserhalb 
des Reizraumes, in logarithmischem Maassstabe als Abszissen, die 

4* 


52 August Pütter: 


Werte von y%» in linearem Maassstabe als Ordinaten aufgetragen. | 
Die Linie G bedeutet die Konzentration der R-Stoffe im Grundumsatz. " 
Die Kurven, die mit s = 0, s = 10 usw. bezeichnet sind, lassen leicht 
erkennen, in welcher Weise sich die Reizerfolge unterscheiden, wenn 
die reizbaren Systeme nur darin voneinander verschieden sind, dass 4 
der Stoff, der als Reiz wirkt, in ihnen mit verschiedener Geschwindig- 
keit verarbeitet, und zwar unwirksam gemacht, wird. 

Während unter der Wirkung von Reizen in dem System, in dem " 
s =0 ist, d. h. in dem der Stoff, der die Reizung bewirkt, nicht um- 
gesetzt wird, y bei schwachen Reizen stets wächst, haben wir für hi 


s = 10 oder 100 usw. bei schwachen Reizen eine Abnahme von y. 
Für eine Reizintensität J = 1,0, die bei s = 0 schon eine starke Zu- 
nahme von y bewirkt (starke Erregung), hät in dem Falle, wo s = 10 
ist, noch einen etwas geringeren Wert als im Grundumsatz (schwache 
Hemmung oder gar keine Wirkung), für s = 100 einen deutlich ge- 
ringeren Wert (deutliche Hemmung). Ist s = 100, so bewirkt ein 
Reiz J = 5,0 sehr starke Hemmung, und J = 10 hemmt auch noch, 
während dasselbe System für s = 0 bei dieser Reizintensität in maxi- 
male Erregung geraten würde. 

Wird s noch grösser, zum Beispiel s = 1000, so bekommen wir 
bei allen Reizintensitäten immer nur eine Abnahme von y unter Y,, 
d. h. unter den Wert, den es im Grundumsatz hat. 


‚Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 53 


Hiermit sind aber die Verwicklungen, auf die man bei chemischen 
Reizen gefasst sein muss, noch nicht erschöpft. 

Wir hatten bisher die Wirkung einer bestimmten Reizintensität J 
auf r als proportional der Intensität des Reizes angesehen. 

Wenn irgendein chemisch wirksamer Stoff &uf die Oberfläche 
eines Körpers wirkt, so kommen häufig Erscheinungen zur Beobach- 
tung, die wir als Adsorption bezeichnen. Es liegt sehr nahe, sich 
vorzustellen, dass die Stoffe, die als chemische Reize auf die Ober- 
tlächenschicht des Reizraumes wirken, an dieser Oberfläche adsorbiert 
werden. In diesem Falle würde die Grösse der Veränderung der Ober- 
flächenschicht, die in der Zunahme des Diffusionskoeffizienten zum 
Ausdruck kommt, nicht mehr der Reizintensität J proportional sein, 
sondern einer gebrochenen Potenz von J, wie wir dies für die Adsorption 
kennen. Dem Gesetz der Adsorption entsprechend würden wir die 
Veränderung von r proportional k-J® setzen, wobei nach den bisherigen 
Erfahrungen über Adsorption b zwischen 0,2 und 0,7 liegen würde. 

Wir hätten also für r die Gleichung: 

a JE Evers ke] 

Diese Besonderheiten der chemischen Reize gewinnen für eine 
Theorie der Reizvorgänge höchste Bedeutung durch die überragende 
Rolle, die chemische Reize bei der Einwirkung lebender Systeme auf- 
einander spielen. , 

Gleichviel welcher Art die Reize sind, die auf die peripheren Sinnes- 
elemente einwirken, stets besteht der Reizerfolg darin, dass die Kon- 
zentration bestimmter wirksamer Stoffe in diesen peripheren Elementen 
durch die Reize verändert wird. Jede Reizart wird durch die auf- 
nehmenden Teile der Sinneszellen in eine chemische Zustands- 
änderung, eine Konzentrationsänderung, übertragen. Diese Konzen- 
trationsänderung der unmittelbar getroffenen Teile der Sinneszellen 
stellt den Reiz dar, der auf die weiteren Zellen oder Zellteile wirkt, 
die mittelbar durch die Reize verändert werden. Alle diese Reize, 
durch die sich die verschiedenen Zellstationen einer Zellkette, zum 
Beispiel einer Neuronenkette, beeinflussen, sind chemische Reize. 
Die Veränderung lebender Systeme durch chemische Reize stellt den 
allgemeinen Fall der Theorie der Reizvorgänge dar, demgegenüber 
die Wirkung von Lichtreizen, Temperaturreizen, mechanischen Reizen, 
so wichtig sie sind, doch als die Spezialfälle erscheinen. 

Auch die Reizung lebender Systeme durch elektrische Reize erscheint 
nur als ein Sonderfall chemischer Reizung. Alle lebenden Gebilde sind 
Leiter zweiter Ordnung, d. h. sie leiten die Elektrizität nur unter Stoff- 
‚verschiebungen. Geht ein elektrischer Strom durch ein lebendes Gebilde 
hindurch, so finden in der durchströmten Strecke Stoffwanderungen statt; 
es entstehen Konzentrationsänderungen gegenüber dem ungereizten 


54 August Pütter: 


Zustande (dem Zustande des Grundumsatzes), und diese Konzentrations- 
änderungen sind es, die die Geschwindigkeit der Vorgänge des Stoff- h! 
umsatzes und Stoffaustausches verändern, d. h. die die Reizwirkung } 
des elektrischen Stromes hervorbringer. Die chemische Reizung, die | 
mit Hilfe des elektrischen Stromes bewerkstelligt wird, bietet einige | 
Besonderheiten. Die als Reiz wirksamen Konzentrationsänderungen " 
entstehen an dem Ort, an dem sie ihre Reizwirkung entfalten; es ist 
nicht wie bei anderen chemischen Reizen, bei en der wirksame | 
Stoff häufig erst eine Membran durchdringen muss, bevor er nur zur A 
Oberfläche des reizbaren Elementes gelangt. Die Konzentrations- | 
änderung, die der elektrische Strom bewirkt, schwillt sehr rasch zu‘ 
ihrem vollen Betrage an und verschwindet wieder, sobald der Strom | 
unterbrochen wird. | 

Wir haben also in dem elektrischen Strom ein Mittel, eine chemische 
Reizung zeitlich genau zu begrenzen, was sonst mit gewöhnlichen 
chemischen Reizen nicht möglich ist. 

Wenn wir im folgenden an Beispielsfällen die Besonderheiten 
chemischer Reizwirkungen zeigen, so sind diese zum Teil auch bei elek- 
trischen Reizungen zu erwarten und ferner bei Wirkungen, bei denen 
verschiedene Zellstationen eines Nervensystems aufeinander einwirken. 


4. Zahlenbeispiele für chemische Reize. 
Um die Besonderheiten zu zeigen, die sich bei chemischen Reizen | 
ergeben, wollen wir wieder ein Zahlenbeispiel durchrechnen. | 
Für die Abhängigkeit der Grösse q von der Reizintensität J wollen 
wir wie bisher setzen: 
g:=0,1(7 40,1). 
Für r wählen wir die Abhängigkeit von J, die sich unter der An- 
nahme einer Adsorptionsverbindung ergibt, und setzen als Beispiel: 
r = O1 42702 er 
Die Grössen x und y sind wie immer: 
100 em 
1+g 
q cemeAtot ie 
U "rdrg (100 + rang -F d-e 2) 
Zunächst wollen wir wieder untersuchen, welche Werte x und y 
bei verschiedenen Reizintensitäten annehmen, wenn {= © wird. Es 


= 


=) 


ist dann &u = ——, 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 55 


Die umstehende Tab. 5 gibt die Resultate der Rechnung für eine 
orössere Reihe von Reizintensitäten, und Abb. 4 zeigt anschaulich, 
wie sich die Grösse y ändert, wenn Reize verschiedener Intensität 
dauernd auf ein solches reizbares System einwirken. 


SENT. 
eu OB BERN 
© 120 BENBBBNEH 


207 


4. 


70? 
Abb. 


Für alle Reize, die schwächer sind als J = 36, nimmt y Werte an, 

die kleiner sind als y = 91, d.h. kleiner als der Wert von y im 

Grundumsatz. Am stärksten setzt ein Reiz J = 1,0 den Wert von y 
herab, nämlich auf 49,5. 

Unter der dauernden Wirkung eines Reizes von der Intensität 


56 August Pütter: 


Tabelle 5. 

Reizintensität J — Ye — Be — 
0,0000 91 91 
0,0001 82 — 
0,001 77 — 

0,01 68,5 = 
1 58,5 = 
„0 49,5 
5,0 92 87 
10 60 3 
20 74 7 
50 102 62,5 
100 126 47,7 
200 142 32,2 
300 146 24,4 
400 146 19,6 
500 145 16,2 
600 144 14,2 
700 142 12,4 
1000 137: 9,0 
10% 90 0,99 
10° 53 0,099 
108 30,8 0,0099 
107 17,5 0,00099 


y = 36 wird y ebenso gross wie im Grundumsatz, d. h. ebenso 
gross, als ob gar kein Reiz einwirkte. 
Stärkere Reize lassen den Wert von y steigen, und zwar zu- 


nächst um so mehr, je stärker der Reiz ist, bis für J = 360 der 
höchste Wert von y mit 147 erreicht ist. Steigt die Reizintensität 
noch weiter, so sinkt der Wert von y wieder. Für J = 1000 ist er 


nur noch 137. 

Schliesslich nimmt unter der Dauerwirkung eines Reizes J = 9500 
die Konzentration der R-Stoffe (7) wieder den Wert an wie im Grund- 
umsatz, und bei noch stärkeren Reizen sinkt y unter den Wert, den 
es im Grundumsatz hat. So wird, wenn der Reiz J = 100000 dauernd 
einwirkt, y = 53, für J = 10° y = 30,8, usw. 

Es gibt also für ein solches reizbares System drei Reizintensitäten, 
unter deren Dauerwirkung y = 91 wird, nämlich die Werte J =, 
J = 36 und J = 9500. \ 

Eine dauernde Zunahme der Konzentration der R-Stoife, d. h. eine 
Dauererregung, findet unter der Wirkung von Dauerreizen nur statt, 
wenn die Reizintensitäten > 36 und < 9500 sind. 

Alle Reize, die schwächer als 36 und stärker als 9500 sind, setzen 
y auf Werte herab, die geringer sind als der Wert von y im Grund- 
umsatz. Bedeutet eine Zunahme von y über den Wert im Grund- 
umsatz eine Erregung, so bedeutet eine Abnahme unter diesen Wert 
das Gegenteil der Erregung. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 57 


Wir wollen die Herabsetzung von y “unter den Wert, den y im 
Grundumsatz hat, als „Hemmung bezeichnen, wenn sie durch 
schwache, als „Lähmung‘‘, wenn sie durch starke Reize bewirkt wird. 

An unserem reizbaren System würden also Dauerreize, die schwächer 
als J = 36 sind, „Hemmung“ bewirken, und zwar würde die stärkste 
Hemmung durch den Reiz J = 1 bewirkt werden. 

Reize, die stärker als 9500 sind, würden bei dauernder Einwirkung 
lähmen, und zwar um so mehr, je stärker sie sind. 

Um einen vollständigen Überblick über die Reizbeantwortungen 
unseres Systems zu bekommen, müssen wir nun noch den zeitlichen 
Verlauf seiner Änderungen verfolgen. 

In Tab. 6 sind die nötigen Zahlen berechnet; Abb. 5 gibt die bild- 
liche Darstellung der Verhältnisse. 


Tabelle 6. 
g-t1Al+0O1N; r=0,1 [1 + I (l— el). 


oO 
Ze als | S$S 
| | | 


1m 
- 

| 
53 


91 


Zunächst können wir wieder die Fälle, in denen y > 91 ist, von 
denen trennen, in denen y < 91 ist. Wie die Tab. 6 leicht erkennen 
lässt, haben wir zwei Gebiete, in denen y < 91 wird, also Hemmung 
bzw. Lähmung als Reizerfolg erscheint. 

Die schwächsten Reize — in der Tab. 6 bis zur Intensität J = 15 — 
geben nur Hemmung, die um so stärker wird, je länger die Reize 
einwirken. 

Etwas stärkere Reize — in der Tab. 6 der Reiz J = 20 — erregen 
bei kurzdauernder Wirkung, während sie bei längerer Einwirkung 
zur Hemmung führen. Für den Reiz J = 20 erreicht die erregende 
Wirkung nach zwei Zeiteinheiten ihren Höhepunkt und hört auf, 
wenn der Reiz etwa 15 Zeiteinheiten eingewirkt hat. 

Nun folgen Reizstärken — in der Tab. 6 von J = 40 bis J = 1000 —, 
die nur Erregung hervorrufen, gleichviel, wie lange sie einwirken. 


58 August Pütter: 


Die Stärke der Erregung hängt dabei von der Dauer und Stärke der 
Einwirkung des Reizes ab. Die stärkste Erregung tritt in diesem 
Beispielfall für die durchgerechneten Reizintensitäten etwa beit =5 
ein. Wirken die Reize länger, so nimmt die Reizwirkung wieder ab. 


250 


750 


Die stärkste Erregung, in die das System überhaupt geraten kann, 
ist gemessen durch die Zahl 235 für y und wird erreicht, wenn ein 
Reiz von der Stärke 1000 fünf Zeiteinheiten lang einwirkt. 

Werden die Reizintensitäten noch weiter gesteigert, so folgt auf 
eine anfängliche Erregung bei langer Einwirkung der Reize eine 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 59 


Lähmung. Die stärkste Erregung wird im Bereich dieser Reiz- 
stärken — in der Tab. 6 die Intensitäten J = 10? bis J = 10° — immer 
schwächer mit wachsender Reizstärke, und tritt nach immer 
kürzerer Wirkungsdauer ein, bis wir schliesslich zu Reizen von solcher 
Stärke gelangen — J = 10° —, dass sie schon in der ersten Zeiteinheit 
den Wert von y verkleinern, d. h. ohne Erregung lähmen. In Abb. 5 
sind die Kurven, die die abnehmende Wirkung starker Reize dar- 
stellen, gestrichelt eingezeichnet. Man sieht zum Beispiel, dass für eine 
Intensität von 1000 die Erregung zuerst stärker ist, als für J = 500, 
aber schon nach wenigen Zeiteinheiten schwächer wird. Für die Intensi- 
täten, die > 1000 sind, bleibt die Erregungsgrösse von Anfang an 
hinter den Werten für die schwächeren Reize zurück. 


5. Anwendungen. 


Wenn wir Umschau halten, ob Beobachtungen bekannt sind, die 
dem Verständnis näher gerückt werden, wenn wir auf sie die theore- 
tischen Anschauungen anwenden, die in den vorigen Abschnitten ent- 
wickelt wurden, so-finden wir reiche Ausbeute. 

Wofür die Theorie das Verständnis eröffnet hat, das ist die Tat- 
sache, dass dieselbe Reizart, je nach der Stärke und Dauer ihrer 
Einwirkung, an demselben reizbaren System entgegengesetzte 
Erfolge hervorrufen kann. 

Wir sahen ja, dass der Wert von y, die Konzentration der Er- 
regungsstoffe im Reizraume, unter der Wirkung von Reizen nicht 
nur grösser, sondern auch kleiner werden kann, als er im 
ungereizten Zustande war. 

Kommt die Zunahme von y in einer Erregung zum Ausdruck, 
so bedeutet die Abnahme das Gegenteil der Erregung. Wir kennen 
zwei Zustände, die wir als „Gegenteil“ der Erregung betrachten können, 
die Hemmung und die Lähmung. Ein Versuch, diese beiden Zustände 
theoretisch zu trennen, wird später gemacht werden. 

Da wir in den Reaktionen der ganzen Organismen häufig nur einen 
abgeleiteten Erfolg der Veränderung der Konzentration der Erregungs- 
stoffe sehen, kann es vorkommen, dass wir eine Herabsetzung, eine 
Verlangsamung, einer Lebenstätiskeit beobachten, wenn y zunimmt, 
dagegen bei abnehmendem y eine Steigerung, eine Beschleunigung. 

Betrachten wir als Beispiel die Erscheinungen der Lichtwendigkeit 
der Pflanzen. 

Krümmt sich ein wachsender Pflanzenteil unter der Wirkung 
mässiger einseitiger Belichtung nach der Lichtquelle hin, so -kommt 
das dadurch zustande, dass das Wachstum auf der Seite, die der Licht- 
quelle zugewandt ist, gehemmt wird. Wir denken uns, dass die 
Konzentration von ‚„Erregungsstoffen‘ auf der belichteten Seite höher 


60 August Pütter: 


ist, als sie im Dunkeln war, und auch höher als auf der Seite, die . 


der Lichtquelle abgewendet ist. Um die Erscheinungen erklären zu 
können, müssen wir also annehmen, dass das Wachstum durch die 
„„Erregungsstoffe‘‘ verlangsamt wird, um so mehr, je höher ihre Kon- 
zentration (je grösser y) ist. Mit dieser Annahme erklären sich 
nun in der Tat die Erscheinungen der Lichtwendigkeit und auch 
die Bewegungen, die, zum Beispiel von Blüten, bei allseitiger Be- 
lichtung von gleicher Stärke ausgeführt werden, die sogenannten 
Photonastien. 

Die schwächsten wirksamen Lichtintensitäten rufen bei den meisten 
Pflanzen, die überhaupt lichtwendig sind, eine Krümmung zum Licht 
hin hervor, eine positiv phototropische Reaktion.. Ebenso regelmässig 
bewirken starke Lichtintensitäten eine Abwendung von der Licht- 
quelle, eine negativ phototropische Reaktion. Bei welcher Licht- 
intensität bzw. bei welcher Einwirkungsdauer einer gewissen Licht- 
intensität die Umkehr der Reaktion erfolgt, hängt von der Besonder- 
heit des einzelnen Versuchsobjektes ab. So sind zum Beispiel die 
Wurzeln nur gegen ganz schwache Lichtintensitäten lichtzuwendig, 
schon gegen mittlere Lichtstärken stets lichtabwendig. ; 

Theoretisch betrachtet, ist für die Umkehr der Reaktion maass- 
gebend das Verhältnis der Lichtwirkung auf die chemischen Um- 
setzungen zu der Lichtwirkung auf die Schicht mit Membraneigenschaft, 
die den Stoffaustausch regelt, d. h. das Verhältnis der erregenden 
Wirkung im engeren Sinne, zu, der umstimmenden Wirkung. Die 
negative Reaktion, die Krümmung vom Lichte fort, kommt ja erst 
dann zustande, wenn das Wachstum auf der Lichtseite stärker wird 
als auf der dem Licht abgewandten, schwächer beleuchteten. Wenn 
die negative Reaktion eintritt, so ist das also ein Ausdruck dafür, 
dass unter der Wirkung eines stärkeren Reizes y kleiner geworden 
ist als unter der Wirkung eines schwächeren. 

Die Beobachtung, dass ein stärkerer Reiz eine 
schwächere Wirkung ausüben kann als ein schwächerer, 
ist eine der bezeichnendsten im Bereich der Wirkung 
von Reizen auf lebende Systeme. Ihre Erklärung ergibt sich 
unmittelbar aus der Theorie. Es ist ja nur der Anfang des Weges, 
der zu einem Zustande führt, bei dem ein starker Reiz ebenso wirkt, 
als ob zar keine Reizung stattfände. % 

In deutlichster Weise zeigen einige Vorgänge bei Blüten die Um- 
kehrung der Reizwirkung. Bei Tragopogon (Bocksbart) und Calen- 
dula (Ringelblume) sind die Blüten in der Nacht geschlossen. Sie 
öffnen sich am Morgen, und zwar an hellen Tagen früher als an trüben, 
schliessen sich aber schon im Laufe des Vormittags wieder. Die Zeit, 
während deren sie geöffnet sind, ist bei starker Belichtung kürzer 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 61 


als in gedämpftem Licht. Sehr intensives Licht veranlasst völlig ge- 
öffnete Blüten von Calendula zu einer Schliessbewegung. 

Auch bei konstant erhaltener Lichtstärke folgt auf eine Öffnung 
der Blüte bei Dauereinwirkung des Lichts die Schliessung. 

Hier haben wir ausgezeichnete Beispiele dafür, dass ein starker 
Reiz, oder sogar ein mittelstarker, wenn er lange einwirkt, denselben 
Zustand herbeiführt wie die Abwesenheit des Reizes. Im Dunkeln 
und in starkem oder dauerndem Licht schliessen sich die Blüten; nur 
als „‚Übergangsreiz‘‘ bewirkt das Licht die Öffnung der Blüten. 

Auch bei einigen Blättern ruft sehr intensives Licht Erscheinungen 
hervor, die unter dem Namen ‚‚Tagesschlaf‘“ bekannt sind. Zuweilen, 
zum Beispiel bei Oxalis (Sauerklee), gleicht die Stellung, die die Blätter 
dabei annehmen, durchaus der Nachtstellung. Also auch hier ruft 
intensives Licht den gleichen Erfolg hervor wie Dunkelheit. 

Genau so wie bei den Pflanzen finden- wir auch bei Protisten 
und Tieren, dass starke Reize den entgegengesetzten Erfolg haben 
können wie mittlere. . 

Aethalium septicum ist (nach Strasburger) für sehr geringe 
Lichtstärken lichtzuwendig, für alle höheren dagegen lichtabwendig. 

Euglena ist bei gewöhnlichen Lichtstärken lichtzuwendig, bei sehr 
hohen lichtabwendig, wie Stahl fand. Nach Mast verhalten sich 
Trachelomonashispida, Chlamydomonasalboviridis,Chloro- 
sonium und Volvox entsprechend. 

Der Regenwurm (Allolobophora) gilt im allgemeinen als licht- 
abwendig; doch fand Adams!), dass dies nur für Lichtstärken von 
mehr als 0,012 Meterkerzen zutrifft. Für Licht (Bogenlampe) von 
0,0011 Meterkerzen erwies sich der Wurm lichtzuwendig. 

Unter den Schnecken bietet Limax maximus ganz ähnliche 
Verhältnisse. Sie ist bei hohen Lichtstärken stark lichtabwendig. 
Die Wirkung wird immer geringer mit abnehmender Lichtstärke, so 
dass bei einer gewissen Reizstärke gar keine Reaktion erfolgt. Wird 
die Lichtstärke noch weiter herabgesetzt, so wird die Schnecke licht- 
zuwendig, und zwar wird diese Lichtzuwendigkeit bis zu einer gewissen 
Lichtstärke hinab immer stärker, und erst dann bis zur absoluten 
Schwelle hin geringer. 

Für die Weibchen von Labidocera gibt Parker’) an, dass sie 
bei Beleuchtung mit vier Kerzen lichtzuwendig, dagegen schon bei 
Anwendung einer Beleuchtung von 100 Kerzen lichtabwendig seien. 

Während beim Regenwurm, der Schnecke Limax und den Labidocera 
weibehen schon geringe Lichtstärken eine negative Wirkung ausüben, 

1) American Journal of Physiology vol. IX p. 26—34. 1903. 


2) Zitiert nach Radl. Die Originalarbeit aus U. S. Fish. Comp. Word’s 
Hall Mass. 1902 war mir nicht zugänglich. 


62 August Pütter: 


d. h. als „starke“ Reize wirken, bedarf es bei den Larven von Poly- 
gordius intensiven direkten Sonnenlichtes, um sie lichtabwendig zu 
machen, während sie bei allen gewöhnlichen Lichtstärken lichtzuwendig 
sind }). 

Noch schwerer ist diese Umkehr der Reizwirkung bei Orchestia 
agilis (Amphipode) zu erreichen. Nur wenn durch mehrstündigen 
Aufenthalt im Dunkeln die Erregbarkeit gesteigert war, sah Holmes?) 
für einige Minuten eine starke Lichtabwendigkeit, die rasch schwindet. 
Tiere, die im diffusen Licht gehalten wurden, waren selbst gegen 
direktes Sonnenlicht zuwendieg. 

Einige sehr lehrreiche Beobachtungen liegen über die Lichtreizbar- 
keit von Quallen vor. 

Berger?) sagt in bezug auf Charybdea, sie sei sehr empfindlich 
gegen Licht, und zwar wirke mässig starkes Licht erregend, dagegen 
starkes Licht, ebenso wie Dunkelheit, hemmend auf die 
Bewegungen. Hier haben wir also die volle Analogie zu den Beobach- 
tungen an pflanzlichen Objekten: starkes Licht und Dunkelheit be- 
wirken den gleichen Reizerfolg. 

Yerkes!) findet für Gonionema ebenfalls, dass sowohl Ver- 
stärkung wie Abschwächung eines Lichtes von mittlerer Stärke die 
Bewegungen dieser Qualle hemmt. Die Einschränkungen, die er 
gegenüber dem Ergebnis Berger’s macht, beziehen sich nur auf 
Unterschiede des Reizerfolges, die durch verschiedene Zustände der 
Versuchstiere bedingt sind, worauf wir hier nicht eingehen wollen. 
Dagegen verlangen seine genauen Messungen über die Reaktionszeit 
der Quallen gegenüber verschieden starken Beleuchtungen besondere 
Beachtung. Der Nachweis seiner Behauptung, dass diese Reaktions- 
zeiten um so kürzer seien, je stärker das Licht ist, scheint mir durch 
das angeführte Zahlenmaterial nicht erbracht. Wohl sind viele Fälle 
für ihre Richtigkeit anzuführen, aber daneben stehen andere, die nicht 
minder Berücksichtigung verdienen, und die deutlich zeigen, dass die 
Reaktionszeit schon bei mittleren Lichtstärken ihren kleinsten Wert 
erreichen und bei starker Beleuchtung wieder länger werden kann. 

Die Abstufung der Lichtstärken war sehr grob; es werden nur 
unterschieden: schwaches. Licht, d. h. Tageslicht an einem Fenster, 


1) Jacques Loeb, Über künstliche Umwandlung positiv heliotropi- 
scher Tiere in negativ heliotropische und umgekehrt. Pflüger’s Archiv 
Bd. 54 S. 81—107. 1893. 

2) Samuel J. Holmes, Phototaxis in the Amphipoda Americ. Journ. 
of Physiol. vol. 5 p. 211—234. 1901. 


3) F. W. Berger, Memoirs of the Biological Laboratory of Johns 


Hopkins University vol. IV p. 22. 1900. 
4) R.M. Yerkes, American Journal of Physiol. vol. IX p. 279 — 307. 
1903. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 63 


vor dem die Vorhänge zugezogen waren, mittleres Licht, d. h. zer- 
streutes Tageslicht am Fenster, und starkes Licht, d. h. direktes Sonnen- 
licht. Dafür, dass die Intensität des Lichtes in den verschiedenen 
Fällen gleich war, liegt keine Beobachtung vor, und die Annahme 
einer solchen Gleichheit ist recht unwahrscheinlich. 

Die kürzesten Reaktionszeiten, die Yerkes in diesem Teil seiner 
Untersuchungen !) mitteilt, sind 3,9—4,3 Sekunden. Es ist nun sehr 
bemerkenswert, dass in den Fällen, in denen das starke Licht längere 
Reaktionszeiten ergab als das mittlere, die Reaktionszeiten bei dem mitt- 
leren Licht schon sehr nahe dem kleinsten Wert von ca. 4 Sekunden waren. 

Die folgende Tab. 7, die die Nummern 3—6 der Tab. III von 
Yerkes!) gibt, zeigt deutlich, dass hier der stärkere Reiz erst nach 
längerer Zeit die Reaktion ausgelöst hat wie der schwächere. 

Der Kritik, die Yerkes an seinen eigenen Beobachtungen übt, 
um dem Schluss zu entgehen, dass starken Lichtreizen längere Re- 
aktionszeiten zugeordnet sein können wie schwächeren, kann ich um 
so’ weniger zustimmen, als er an anderen Stellen seiner Untersuchung 
viel geringere beobachtete Unterschiede als wirklich vorhanden be- 
trachtet, und zwar offenbar mit Recht, da die ganze Arbeit einen 
sehr sorgfältigen Eindruck macht. 

Da jetzt d’e theoretische Deutung dieser Verlängerung der Re- 
aktionszeit, der Abschwächung der Reizwirkung mit steigender Reiz- 
stärke, keine Schwierigkeiten macht, vielmehr mit anderen Beobach- 
tungen derselben Arbeit in bestem Einklange steht, wird Yerkes 
wohl gegen diese Verwendung seiner Zahlen keinen Einspruch erheben. 

Wir haben hier also wieder einen der wichtigen Fälle, in denen 
die Reizwirkung mit steigender Reizstärke abnimmt. Dass dies nur 
der Anfang der Erscheinung ist, die wir eben bei Gonionema fest- 
gestellt und früher schon kennen gelernt haben, der Erscheinung, dass 
ein starker Reiz ebenso wirkt wie die völlige Abwesenheit des Reizes, 
darauf habe ich schon oben bei den Lichtreaktionen der Blüten hin- 
gewiesen. 


Tabelle 7. 
Nummer des r 
Tieres Schwaches Licht | Mittleres Licht Starkes Licht 
bei Yerkes 
a. 2a. ©. Rab: Im Zeit Zeit Zeit 
S. 290 in Sekunden in Sekunden in Sekunden 
3 13,5 6,9 24,0 
4 29,8 4,3 152 
5 1069 4,6 8,7 
6 6,7 g 4.9 OT 


1) A. a. O. Tabelle III—-V S. 290292. 


64 August Pütter: 


Auch dafür, dass eine bestimmte Lichtstärke im Beginn ihrer Ein- 
wirkung einen stärkeren Reizerfolg auslöst als bei Dauerwirkung, 
können wir aus der Physiologie der Wirbellosen ein Beispiel anführen. 
C. v. Hess!) sah die Siphonen der Muschel Psammobia unter der 
Bestrahlung mit einer 25kerzigen Mattglasbirne (aus ca. 30 em Ent- 
fernung) sich zuerst stark zusammenziehen. Nach einer Belichtung 
von 1—2 Minuten waren sie wieder länger geworden. 

Dass längere Einwirkung mittlerer Lichtstärken denselben Erfolg 
haben kann wie kurze Einwirkung starker Lichter, zeigt die Beobach- 
tung.von Loeb ?) an den Nauplien von Balanus perforatus, nach 
der diese Krebslarven, die bei schwachem Licht (Lampenlicht) stets 
liehtzuwendig sind, bei höheren Lichtstärken um so rascher licht- 
abwendig werden, je stärker das Licht ist. 

Alle diese Erscheinungen, deren Mechanismus im einzelnen nicht 
stets. der gleiche ist, sind insofern grundsätzlich gleich zu beurteilen, 
als sie auf einer Abschwächung der Lichtwirkung als Funktion der 
Lichtstärke und der Einwirkungsdauer beruhen und in vollkommener 
Analogie zu den Umstimmungserscheinungen des Menschenauges stehen. 
Auf solche Analogien bei Pflanzen hat Pringsheim bereits hingewiesen. 

Es bestehen freilich zwischen den einzelnen Fällen’ bei niederen 

Tieren und Pflanzen und zwischen diesen und den Umstimmungs- 
erscheinungen am menschlichen Auge grosse quantitative Unterschiede. 
Während wir für das menschliche Auge selbst bei den höchsten Licht- 
stärken, wie sie für längere Zeit nicht zu ertragen sind, nie den Zustand 
erreichen, dass der stärkere Reiz von Anfang an schwächer wirkt 
‚als der schwächere, und erst recht nicht den Zustand, dass unter der 
Dauerwirkung eines starken Reizes y so klein oder kleiner wird wie 
im Grundumsatz, ist bei Pflanzen wie auch bei manchen niederen 
Tieren dieser Zustand schon mit geringen Reizintensitäten zu erreichen. 
Es beruht das darauf, dass die umstimmende Wirkung des Lichtes 
bei diesen Objekten verhältnismässig stärker ist als die Wirkung, die 
den Stoffumsatz beschleunigt. 

Für das menschliche Auge kann man nur aus dem Verlauf der 
Umstimmung bei mittleren Lichtstärken erschliessen,, dass bei sehr 
hohen Lichtstärken y kleiner werden würde als im Grundumsatz, bei 
Lichtstärken, wie sie zu solchen Beobachtungen noch nicht verwendet 
worden sind und wohl auch nicht verwandt werden können, da schwere 
Schädigungen die Folge sein würden. 

Entsprechende Erscheinungen sind auch bei Reizung mit anderen 
Reizarten bekannt. So gelingt es durch starke Zentrifugalkräfte, 
den Sinn der geotropischen Reaktion der Wurzeln umzukehren. 


1) C. v. Hess, Gesichtssinn in Handb. d. vergl. Physiol. Bd. IV S. 685. 
2) Pflüger’s Arch. Bd. 54 S. S1—107. 1893. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. V]. 65 


Schwache Zentrifugalkräfte bewirken eine positiv geotropische 
Krümmung der Wurzeln (Objekte: Lupinus, Phaseolus, Helianthus), 
sehr starke dagegen eine negativ geotropische Krümmung, wie wir 
'sie sonst bei den Stengeln sehen. 

Dass Berührungsreize je nach ihrer Stärke einen ganz 'ver- 
schiedenen Erfolg haben können, ‚lehren die Beobachtungen Bauer’s!) 
bei Ctenophoren (Berö& ovata und B. Forskalii). Der Reizerfolg äussert 
sich in der Beeinflussung des Schlages der Ruderplättchen. Schwache 
Reize, zum Beispiel Berührung der Mundgegend mit einem Stäbchen, 
hemmen den Schlag der Plättchen, starke Reize, zum Beispiel Stechen 
oder Schneiden an derselben Stelle, beschleunigen, erregen ihn. 
Dass diese verschiedene Wirkung nicht an das Vorhandensein von 
nervösen Apparaten gebunden ist, lehren die Erfahrungen über die 
Reaktion von Protozoen (zum Beispiel Ciliate Infusorien) gegenüber 
schwacher und starker Berührung. Schwache Berührung hemmt die 
Wimperbewegung stark (positive Thigmotaxis), stärkere löst den 
Komplex von Bewegungen aus, der zum Zurückprallen des Tieres 
unter Seitwärtsdrehung des Körpers führt. Die Bewegung kommt 
durch Umkehr der Riehtung des wirksamen Schlages der Körper- 
wimpern zustande, während die Wimpern des Mundfeldes (Peristom) 
unbeeinflusst weiterschlagen und so eine Drehung des Körpers nach 
der Seite bewirken, die dem Mundfelde abgewandt ist. 

Dass die langdauernde Wirkung eines Reizes bestimmter Stärke 
schwächere Reizerfolge bewirkt als die kurzdauernde, dafür können 
wir auch die thermonastischen Bewegungen einiger Blüten anführen, 
d. h. die Bewegungen, die sie bei allseitiger Temperaturerhöhung 
ausführen. Bei Crocus und Tulipa bewirkt Erwärmung eine Öffnung 
der vorher geschlossenen Blüten. Bei einer plötzlichen erheblichen 
Temperaturerhöhung (etwa um 10°C.) öffnen sich die Blüten sehr 
“weit; bleibt dann aber diese Temperatur dauernd bestehen, so geht 
die Bewegung teilweise zurück. Bei langsamer Temperatursteigerung 
kann die Schliessbewegung schon: wieder einsetzen, während die Tem- 
peratur noch steist. 


Besonders viele Beispiele dafür, dass ein Reiz zuerst erregt und 
dann lähmt, findet man bei den chemischen Reizen. 

So werden durch Akonitin und Delphinin die sensiblen Nerven- 
enden der Haut zuerst erregt, dann gelähmt, durch Veratrin nicht 
nur diese, sondern auch motorische und sekretorische Nervenenden. 
Der Lähmung, die das Atropin an allen parasympathischen Nerven- 


1) V. Bauer, Über die anscheinend nervöse Regulierung der Flimmer- 
bewegung bei den Rippenquallen. Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. 10 S. 231. 
1910. 


Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 5 


. 


66 August Pütter: 


enden hervorruft, geht eine Erregung voran. Das ist besonders leicht 
an den Endigungen des Vagus im Herzen zu beobachten. Die an- 
fängliche Erregung dieser Enden kommt in einer Pulsverlangsamung, 
die endliche unvollständige oder vollständige Lähmung in einer Puls- 
beschleunigung zum Ausdruck. Ist die Erregbarkeit dieser Endapparate 
in bestimmter Weise verändert, wie das zuweilen bei und nach einigen 
Infektionskrankheiten, zum Beispiel dem Typhüus abdominalis, vor- 
kommt, so kann man bei einer Dosis (l mg per os), die am normalvn 
Menschen nach kurzer Pulsverlangsamung eine starke Pulsbeschleuni- 
gung macht, als einzigen Erfolg eine langdauernde Pulsverlangsamung 
beobachten, also eine Dauererregung durch einen genügend wirkungs- 
schwachen Reiz, der bei höherer Intensität lähmen würde. 

Eine Reihe von Stoffen wirken auf die Ganglienzellen in geringer 
Konzentration erregend, in höherer lähmend. So erregen zum Beispiel 
Atropin, Kokain, Physostigmin, Apomorphin eine ganze Anzahl Zell- 
arten des Gehirns, bevor sie sie lähmen. Einige Gifte entfalten diese 
Wirkung. in auswählender Weise auf bestimmte Zellarten. So erregt 
zum Beispiel die Karbolsäure in geringer Konzentration die motorischen 
Vorderhornzellen des Rückenmarks, die sie in hoher Konzentration 
lähmt. Lobelin erregt die Zellen des Atemzentrums, bevor es sie lähmt, 
und Nikotin ruft dieselbe Wirkung an allen Ganglienzellen der auto- 
nomen Nervensysteme hervor. 

Auf das Atemzentrum wirken die H-Ionen des Blutes in geringer 
Konzentration erregend, in höherer lähmend. 

In dieselbe Gruppe der Erscheinungen dürften eine Reihe von 
Erfahrungen über Umkehrung der Wirkung einer Nervenreizung oder 
eines Pharmakons zu rechnen sein, wie zum Beispiel die Umkehrung 
des Depressorreflexes nach Strychnin, die Bayliss beschrieben hat, 
und ‘die Umkehrung der Adrenalinwirkung, die Gentry Pearce!) 
bei beginnender Nervendegeneration an den Hinterbeinen des Frosches, 
Streuli °) an der Blase des Kaninchens sah. 

Während normalerweise Adrenalin in jeder überhaupt wirksamen 
Dosis die Gefässe des Froschbeins verengt, erhält man während der 
beginnenden Nervenentartung und auch bei Durchströmung des Prä- 
parates mit Ca-freien Salzlösungen durch schwache und mittlere Adre- 
nalingaben starke Gefässerweiterung, erst durch grosse Gaben die 
typische Verengerung. Bei der Blase des Kaninchens wirken grosse 
Adrenalinverdünnungen erregend, geringere Verdünnungen hemmend. 

Die Angaben Streuli’s gestatten, eine Vorstellung von der Grösse 
der wirksamen Konzentrationen zu gewinnen. In der Badflüssigkeit, 
in der die Blase untersucht wurde, herrschten eine Adrenalinkonzen- 


Il) Gentry Pearce, Zeitschr. f. Biol. Bd. 62 S. 243—294. 1913. 
2) Heinrich Streuli, Zeitschr. f. Biol. Bd. 66 S. 167—228. 1915. 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 67 


tration, die 1/16 x 10° betrug, wenn gerade die Grenze zwischen 
hemmender und erregender Dosis erreicht war. Eine Konzentration 
1/40 x 10°, also eine 21,mal geringere Konzentration, gab maximale 
Kontraktion der Blase; eine Konzentration. von 1/80 x 10° nur noch 
ganz schwache Wirkung, und bei einer Verdünnung von 1/20 x 1010 
blieb jede Wirkung aus. Oberhalb der Konzentration 1/16 x 10° 
wirkten die untersuchten Lösungen stets hemmend bis hinauf zu einer 
Verdünnung von 1/80 x 10%. Diese Erscheinungen lissen. die Deutung 
zu, dass es sich hier um die einfache Umkehr der Wirkung handelte 
wie bei den oben angeführten Giften. 

Nun machte aber Streuli die Beobachtung, dass die allerstärksten 
Adrenalinkonzentrationen, die er anwendete, und die etwa 1:40000 
betrugen, wiederum erregend, nicht hemmend einwirken. Leider 

wurde diese Erscheinung nicht systematisch weiter untersucht. Die 
niederen Konzentrationen, die gerade keine Hemmung mehr gaben, 
und die hohen, die eben eine Kontraktion bewirken, verhalten sich 
wie 1:2,5 Millionen. Wir hätten also bei ganz schwachen Konzentra- 
tionen Kontraktion, bei mittleren in grossem Umfang Hemmung und 
bei sehr hohen wieder Kontraktion und würden zur Erklärung auf das 
Schema der Wirkung chemischer Reize geführt, das uns das Verständnis 
dafür eröffnete, dass derselbe Reiz auf dasselbe Gebilde je nach seiner 
Stärke (und Wirkungsdauer) hemmend, erregend oder lähmend wirken 
kann. Da die mittelstarken Reize hemmend wirken, müssten wir 
annehmen, dass die Zunahme der Konzentration der R-Stoffe (die 
Zunahme von y) zu einer Abnahme des Erregungszustandes des Erfolgs- 
organes führt. Es würden dann ganz schwache und sehr starke Reize 
den Wert von y herabsetzen und dadurch eine Steigerung des Erregungs- 
zustandes der Blasenmuskulatur bewirken. 

Für die Tatsache, dass chemische Reize, die bei grösserer Stärke 
lähmen, bei geringerer erregen, könnten leicht noch viele Beispiele 
gebracht werden. Die Verallgemeinerung aber, die gelegentlich aus 
diesen Erfahrungen gezogen worden ist, dass jeder chemische Reiz, 
der lähmt, zuerst eine erregende Wirkung haben müsse, ist — wie 
besonders betont sei — durchaus unbegründet. So lähmen zum Beispiel 
Kokain und Protoveratrin die sensiblen Nervenendigungen ohne 
vorhergehende Erregung, ebenso Curare die motorischen Enden 
für die quergestreifte Muskulatur. Die nervösen Zentren werden durch 
Chinin, Colchien und Coniin ohne Anfangserregung gelähmt. Die 
Theorie lässt die anfängliche Erregung als einen möglichen, aber 
durchaus nicht notwendigen Fall erkennen. 

Theoretisch wichtiger scheint die Frage, ob nicht jeder chemische 
Reiz, der bei geringer Intensität erregt, bei genügend grosser Stärke 
lähmend. wirken müsse. 


En 


68 August Pütter: 


Die Antwort der Theorie auf diese Frage ist folgende: Wenn ein 
Stoff nur dadurch als Reiz wirkt, dass er die Grösse g, d. h. die Re- 
aktionskonstante vergrössert, durch die wir die Geschwindigkeit der 
Bildung der R-Stoffe aus den S-Stoffen messen, so kann seine Wirkung 
nur darin bestehen, dass er y vergrössert, d. h. er erregt nur, ohne 
zu lähmen. Einen solchen Fall werden wir nie bei Stoffen beobachten, 
bei denen es möglich ist, hohe Konzentrationen zur Wirkung zu bringen; 
denn auch Stoffe, die sehr wenig „giftig“ sind, schädigen oder töten 
in genügend hohen Konzentrationen. Diese abtötende Wirkung darf 
aber nicht ohne weiteres als die Steigerung der Wirkung angesehen 
werden, die als Erregung merkbar wird, denn für sie können ganz 
neue Momente in Betracht kommen, die nichts mit der erregenden 
Wirkung schwacher Konzentrationen zu tun haben. Man braucht 
nur an die osmotischen Wirkungen zu denken, die viele Stoffe ent- 
falten, und für die nur die Zahl, nicht die chemische Eigenart der 
gelösten Moleküle maassgebend ist. 

Aber auch in dem allgemeinen Falle, in dem der chemische Reiz 
ausser auf q auch auf r einwirkt, d. h. in dem er auch die Durch- 
lässigkeit der Wand des Reizraumes erhöht, braucht eine Lähmung 
durch hohe Konzentrationen nicht vorzukommen. Wie aus der Theorie 
hervorgeht, kann die Reizintensität, die bei dauernder Einwirkung 
eben eine Lähmung bewirkt, vieltausendmal höher sein als die Intensität, 
die eine eben merkliche Erregung veranlasst, und es kann sehr wohl 
vorkommen, dass die Löslichkeit eines Stoffes, der als chemischer 
Reiz wirkt, nicht so gross ist, dass dieses hohe Vielfache der eben 
lähmenden Konzentration herstellbar ist. 

Wir haben hier wieder eine Eigentümlichkeit chemischer Reize, 
die darin besteht, dass es eine physikalische Grenze fürihre Intensität 
gibt. Während die Intensität eines Lichtes oder eines Druckes, die 
als Reize wirken, beliebig wachsen und wenigstens theoretisch un- 
endlich gross werden kann, ist das bei einem chemischen Reiz nicht 
der Fall; vielmehr ist der stärkste Reiz von endlicher Intensität 
und ist begrenzt durch die Löslichkeit des wirksamen 
Stoffes in der Substanz des reizbaren Systems. Ist die 
Löslichkeit gering, so kann der Abstand zwischen dem schwächsten 
wirksamen und dem stärksten möglichen Reiz verhältnismässig 
eng werden. 

Wenn wir auch aus grundsätzlichen Gründen die Wirkung des 
elektrischen Reizes zunächst bei diesen Studien noch nicht heran- 
ziehen wollten, so sei doch auf eine Erscheinung hingewiesen, die bei 
dauernder Einwirkung des konstanten Stromes auf den Nerven zu 
beobachten ist, und die in voller Analogie zu den Erscheinungen steht, 
die wir hier für andere Reizqualitäten festgestellt haben. Es handelt 


Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI: 69 


sich um die depressive Kathodenwirkung, die Werigo!) zuerst aus- 
führlich beschrieben hat. Die bekannte Steigerung der Erregbarkeit 
an der Kathode und in ihrer Nähe, die man beobachtet, wenn man 
eine Nervenstrecke der Wirkung eines Kettenstromes aussetzt, bleibt 
nur eine begrenzte Zeitlang bestehen; ja, bei sehr starken Strömen 
kann sie ganz ausbleiben. Bei nicht zu starken Strömen, bei denen 
die Erregbarkeitssteigerung an der Kathode zunächst deutlich ist, 
geht sie nach einigen oder mehreren Minuten in eine Herabsetzung 
der Erregbarkeit über. Nach der Öffnung des Stromes schwindet 
diese Minderung der Erregbarkeit nur ganz allmählich wieder. Die 
ganz entsprechende Erscheinung: zuerst Steigerung, dann Herabsetzung 
der Erregbarkeit an der Kathode, hat Biedermann am parallel- 
faserigen Muskel beobachtet. Dass es sich dabei um den Ausdruck 
eines echten Erregungsvorganges handelt, betont er ausdrücklich ?). 


1) Br. Werigo, Die sekundären Erregbarkeitsveränderungen an der 
Kathode eines andauernd polarisierten Froschnerven. Pflüger’s Arch. 
Bd. 31 S. 417—479. 1883. 

2) W. Biedermann, Elektrophysiologie in Ergebnissen d. Physiol. 
Bd. 2 S. 103—266. 1903. 


Zu den Theorien der Narkose. 
Von 
Prof. Dr. J. Traube, 
Technische Hochschule, Charlottenburg. 
(Eingegangen am 24. März 1919.) 


Man kann gegenwärtig drei verschiedene Theorien der Narkose 
einander gegenüberstellen. 

Die erste ist die bekannte Theorie von H. Meyer-Overton. 
Nach dieser Theorie ist der Teilungskoeffizient zwischen Lipoiden und 
Wasser für die Wirkungsstärke der Narkotika massgebend. 

Die zweite Theorie rührt von mir her !). Sie nimmt an, dass die 
treibende Kraft der Osmose der bei nichtflüchtigen Narkoticis 
durch die Oberflächenaktivität messbare Haftdruck derselben ist. 
Je geringer dieser Haftdruck gegenüber dem Wasser ist, um so mehr 
konzentrieren sich nach Gibbs die Stoffe in der Phasengrenzfläche, 
um so grösser ist ihre Chance und Tendenz, in die zweite Phase zu 
diosmieren. Diese Betrachtungen behalten ihre Gültigkeit auch bei 
Abwesenheit von Lipoiden. Eine Narkose ist auch für völlig lipoid- 
freie Zellen möglich (Warburg und Schüler ?)); indessen ist es an- 
zunehmen, dass die Lipoide, da, wo sie vorhanden sind, sekundär 
eine erhebliche Rolle spielen. Erleichtert wird das Eindringen der 
Stoffe mit geringem Haftdruck in die Zellen dadurch, dass sie die 
Fähigkeit haben, Gele (Gelatine, Natriumcholat usw.) zu quellen und 
zu lösen, sowie deren Reibung zu verringern (Traube und Köhler ’°), 
Shryver)*). Gellöslichkeit und narkotische Wirkung gehen ein- 
ander parallel. 

An den Ort ihrer Wirksamkeit im Innern der Zellen angelangt, 
wirken nun die Narkotika entsprechend den Vorstellungen der er- 
weiterten Verworn’schen Theorie verlangsamend und völlig hemmend 
auf Oxydations- und andere chemische Vorgänge. Auch hier ist der Haft- 
druck- bzw. die Oberflächenaktivität für die Grösse der Wirkung maass- 


1) Traube, dieses Arch. Bd. 153 S. 276. 1913; Berl. klin. Woch. 
1915 Nr. 14. 

2) Vgl. dies Arch. 1..c. S.. 283 u. 291. 

3) Traube u. Köhler, Intern. Zeitschr. f. phys.-chem. Biol. Bd. 2 
"8. 42. 1915. 5 

4) Shryver, Proc. Roy. Soc., London, Serie B Bd. 83 p. 96. 1910 
u. Serie B Bd. 87 p. 366. 1914. 


Zu den Theorien der Narkose. Al 


gebend (Warburg, Vernon)!!). Dabei dürfte die Flockung kolloider 
Fermente, die wiederum der Oberflächenaktivität parallel erfolgt 
(Battelli und Stern, Warburg, Moore und Roaf usw.) ?), eine 
Rolle spielen. Nach einer neueren Arbeit von Freundlich und Rona °) 
dürfte diese: Flockung sehr wahrscheinlich darauf beruhen, dass die 
flockende Wirkung der in den Zellen vorhandenen Salzionen durch 
die eindringenden Narkotika sensibilisiert wird. Die Zellen werden 
durch die Narkotika zu toten Räumen im Sinne Liebreichs®). Infolge 
der Anreicherung der Narkotika, wiederum entsprechend ihrem Haft- 
drucke an den Grenzflächen der Zellen, werden die elektrischen Poten- 
tiale und damit die bioelektrischen Ströme abgeschwächt (Grumbach, 
Abl usw.) °). 

Osmose, Quellung. Oxydationshemmung und Hemmung 
sonstiger chemischer Reaktionen, Sensibilisation der 
Flockung sowie Herabdrückung der elektrischen Poten- 
tiale, ferner bis zu einem gewissen Grade auch die Ad- 
sorptiop und ebenso die Lipoidlöslichkeit sind einfache 
Funktionen des Haftdrucks. Derselbe ist messbar durch 
Oberflächenaktivität, Löslichkeitsbeeinflussung und zahl- 
reiche andere physikalische Eigenschaften ®), die gleich- 
falis sich. als einfache Funktionen des Haftdrucks- er- 
wiesen haben. 

In neuester Zeit ist nun eine dritte narkotische Theorie den beiden 
erwähnten Theorien gegenübergestellt worden. Ihre Verteidiger sind 
namentlich Höber und seine Schüler, Winterstein und andere ?). 

Diese Theorie nimmt an, dass durch die Narkotika bei Anwendung 
narkotischer Dosen eine Permeabilitätsverminderung erfolge, 
welche den Eintritt von Salzen und Wasser in die Zellen erschwere. 
Diese Permeabilitätsverminderung, namentlich der gehinderte Durch- 
gang der Salzionen, wird als die Ursache der Narkose angesehen. In 
bezug auf die Abhängigkeit der Osmose der Narkotika von Haftdruck 
bzw. Oberflächenaktivität sowie der Abhängiskeit der katalytischen 
Wirkungen ‚der Narkotika von der gleichen Grösse stellen sich die 
erwähnten Forscher, insbesondere Winterstein, auf den Standpunkt 


1) Vgl. die Literatur Traube dieses Arch. Bd. 153 $. 289 u. 291. 1913. 

2) Vel. 1. c. dieses Arch. Bd. 153 S. 300, 301 u. 309 u. f. 1913. 

3) Freundlich und Rona, Biochem. Zeitschr. Bd. 81 8. 87. 1917. 

4) Vgl. dieses Arch. Bd. 153 S. 297. 1913. 

5) Vgl. dieses Arch. Bd. 153 S. 303. 1913. 

6) Verh. d. d. physik. Ges. Bd. 10 1908 u. dieses Arch. Bd. 132 
Bd2r51T. 1910: Bd 14978. 109: 1911. 

7) 8. die Literatur bei Winterstein, Biochem. Zeitschr. Bd. 75 
DAS 1916. 


72 J. Br.aubie: 


meiner Theorie, während die Höber’sche Schule noch immer mit der 
Lipoidtheorie sympathisiert. 

Was nun die Kritik der Theorien betrifft, so kann man doch wohl 
ohne Anmaassung behaupten, dass die Lipoidtheorie durch die Narkose- 
theorie des Haftdrucks widerlegt ist. Aus Warburg’s Arbeiten und 
denen seiner Schüler folgt, dass auch in völlig lipoidfreien Zellen die 
Narkotika in derselben Reihenfolge wie in lipoidhaltigen wirksam sind, 
und aus meinen Arbeiten ergibt sich, dass die Berücksichtigung des 
Haftdrucks bzw. der Oberflächenaktivität uns ganz wesentlich weiter 
führt als lediglich Berücksichtigung der Lipoidlöslichkeit, welche 
übrigens einigermaassen, wie ich immer hervorhob, dem Haftdruck 
(an Wasser) parallel geht. 


Nun wurde von mehreren Forschern ein besonderes Argument zu 
gunsten der Lipoidtheorie geltend gemacht: 

Es zeigte sich, dass nach den Messunger von H. Meyer die Temperatur- 
abhangıekei der narkotischen Wirkung etlicher Narkotika mit der Tem- 
peraturabhängigkeit der Teilungskoeffizienten zwischen Öl und Wasser 
im Einklang stand, während dies, wie angenommen wurde, für den 
Temperaturkoeffizienten der gegen Luft gemessenen Oberflächenspannung 
der wässerigen Lösungen der Narkotika nicht der Fall war. 

Für Äthylalkohol, Chloralhydrat und Aceton nahm die Wirkungs- 
stärke zwischen 3° und etwa 30° gegenüber Kaulquappen zu und dem- 
entsprechend auch der Teilungskoeffizient zwischen Öl und Wasser, für 
Salizylamid, Benzamid und Monacitin dagegen nahmen mit wachsender 
Temperatur beide Grössen ab!). 

Es liegen hier drei neuere Arbeiten vor: von Knaffl-Lenz?), von 
Issekutz°) und von Unger). 

Die drei Autoren haben die Versuche Meyers mit den genannten 
Verbindungen durch Messung von Oberflächenspannungen bei ver- 
schiedenen Temperaturen gegen Luft und Paraffin bzw. Öl ergänzt und 
zum Teil, wie namentlich Unger, auch durch entsprechende Tierversuche 
nachgeprüft. 

v. Knaffl-Lenz ist der Mae dass die Versuchsergebnisse weit 
besser mit der Lipoidtheorie als mit der Haftdrucktheorie im Einklang 
ständen, indessen, abgesehen von seinen Senlüssen, ist auch seine Ver- 
suchsanordnung nicht einwandfrei. Es scheint mir nicht, dass die Tem- 
peratur der Tropfen der Temperatur seines Kühlers entsprach, vor allem 
ist es nicht angängig, dass man die Abtropffläche in der Weise zuspitzt, 
wie dies geschehen ist. Es darf kein Emporziehen der Tropfen an der 
vertikalen seitlichen Fläche erfolgen. 

v. Issekutz gelangt auf Grund seiner Oberflächenspannungsmessungen 
zu dem Schlusse, dass die Oberflächenaktivität der indifferenten Narkotika 
durch die Temperaturerhöhung stets in demselben Sinne geändert wird, 
wie ihre narkotische Wirksamkeit. 


1) Vgl. die Tabelle in Biochem. Zeitschr. Bd. 89 8. 243. 1918. 

2) v. Knaffl-Lenz, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 84 S. 66. 1918. 
3) v. Issekutz, Biochem. Zeitschr. Bd. 88 S. 213. 1918. 

4) Unger, ebenda Bd. 89 S. 243. 1918. 


\ 
| 


Zu den Theorien der Narkose. 13 


Besonders gründlich sind die im Laboratorium des Herrn Winterstein 
ausgeführten Untersuchungen von Unger. Während Unger die Tem- 
peraturversuche und Schlüsse von H. Meyer an Kaulquappen bestätigen 
kann, ist dies weniger der Fall bei Versuchen mit einer Fischart Leuciscus 
und gar nicht bei narkotischen Versuchen am Nervus ischiadicus 
eines Froschnervmuskelpräparates. Auch Oberflächenaktivitätsmessungen 
führten zu keiner Übereinstimmung. Man kann daher nach Unger 
die Temperaturversuche in bezug auf Teilungskoeffizient, Wirkungs- 
stärke der Narkotika sowie Oberflächenaktivität kaum wesentlich mehr 
zugunsten der Lipoidtheorie als zugunsten der Haftdrucktheorie ver- 
werten. 

Ich möchte in bezug auf diese Versuche von H. Meyer und den ge- 
nannten anderen Autoren bemerken, dass die Einwände, welche für die 
Insuffizienz der Lipoidtheorie sprechen, so erheblich und so mannigfaltig 
sind, dass auch eine Übereinstimmung der genannten Temperatur- 
koeffizienten sie nicht retten könnte. Vor allem ist ja darauf hinzuweisen, 
dass man den Teilungskoeffizienten nur stets zwischen Öl und Wasser 
bestimmt hat und Oberflächenspannungsmessungen gegen Luft, Paraffin 
oder Öl den wirklichen Verhältnissen nicht entsprechen. 

Das verschiedenartige Verhalten von Benzamid, Salizylamid, Chlor- 
äthon gegenüber Alkohol, Aceton, Chloralhydrat kann vielleicht zu- 
sammenhängen mit der verschiedenen Flüchtigkeit, andererseits auch sehr 
verschiedenen Adsorptionsfähigkeit. Stoffe der Benzolreihe!) werden 
weit stärker adsorbiert, als ihrer Oberflächenaktivität entspricht. Der 
Einfluss der Temperatur auf die Wirkungsfähigkeit der Narkotika und 
verwandte Grössen dürfte aber gerade durch die Flüchtigkeit und Festig- 
keit der Adsorptionsbindung beeinflusst werden. 


Wenn wir hiernach zu dem Ergebnis gelangen, dass die Haft- 
drucktheorie der Lipoidtheorie überlegen ist, so müssen wir etwas 
länger bei der Frage verweilen, ob wir es bei dieser Theorie be- 
lassen können, oder ob wir uns im Sinne Höber’s, Winterstein’s 
u. a. zu entscheiden haben, wonach zum mindesten eine Ver- 
änderung der Theorie in der Richtung anzustreben ist, dass man 
das Wesen des narkotischen Zustandes in einer Permeabilitäts- 
verminderung anstatt in einer Permeabilitätserhöhung zu 
suchen hat. 

Soweit die Versuche Höber’s, Joel’s und Osterhout’sin Betracht 
kommen, habe ich mich hierzu in einer kleineren Mitteilung zur Theorie 
der Narkose (dieses Archiv Bd. 161 S. 530. 1915) bereits geäussert; 
namentlich indessen die Arbeiten Winterstein’s ?) veranlassen mich, 
zu diesem Problem nochmals Stellung zu nehmen. 

Das Problem ist deshalb gerade für mich um so bedeutungsvoller, 
als Winterstein annimmt, dass die durch die Narkotika herbei- 
geführte Permeabilitätsverminderung sich nicht nur auf Salzionen er- 
streckt, sondern auch auf das Wasser. Diese Frage interessiert nicht 


l) Traube, Verh. d. d. physik. Ges. 1. c. 
2) 8 er 


74 J. Traube: 


nur vom Standpunkte der Narkosetheorie, sondern vor allem vom 
Standpunkte der von mir vertretenen Osmosetheorie !). 

Ich war immer der Ansicht, dass kristalloide Stoffe von geringem 
Haftdruck nicht nur selbst leicht diosmieren, sondern auch unter 
Quellungserscheinungen eine gewisse Wassermenge mit sich reissen. 

Die Frage ist wichtig genug, um hier nochmals eingehend erörtert 
zu werden. 

Angeregt durch Arbeiten von mir, hat Shryver?) die Geschwindig- 
keit der Bildung eines Natriumcholatgels bei Gegenwart äquivalenter 
Mengen verschiedener Narkotika untersucht. Es zeigte sich, dass die 
Narkotika die Gelbildung entsprechend ihrer narkotischen Wirkungs- 
stärke verzögern. 

Shryver gelangte zu folgender Reihenfolge: 


Chloroform ı Propylalkohol 
Chloralhydrat Äthylurethan 
Isoamylalkohol Tert. Butylalkohol 
Sec. Amylalkchol Isopropylalkohol 
Tert. Amylalkohol Allylalkohol 
Propylurethan | Methylurethan 
Butylalkohol .| Acetonnitril 
Methylpropylketon Äthylalkohol. 
Isobutylalkohol 


Chloroform wirkt auf die Gelbildung am stärksten verzögernd usw. 

Die Reihe stimmt im wesentlichen überein mit der’ Reihe der nar- 
kotischen Wirksamkeiten nach Overton und einigermaassen auch mit 
der Reihe der Haftdrucke bzw. Oberflächenspannungen. 

Gemeinsam mit, meinem Schüler Köhler habe ich die Versuche 
von Shryver auf Gelatine ausgedehnt (s. 1. c.). 

Eine wässerige Lösung von 1,75% Gelatine wurde auf eine ge- 
eignete höhere Temperatur erwärmt und gleiche Mengen dieser Lösung 
wurden dann mit und ohne Zusatz entsprechender Narkotikummengen 
in gleich weiten Reagenzgläsern in schmelzendes Eis gestellt; alsdann 
wurden mit arretierbarer Sekundenuhr die Zeiten bestimmt, nach 
denen die Gelatinelösung soweit gelatiniert war, dass kleine Glas- 
perlen nur noch bis zur halben Höhe, in die Gelatine einsanken. 

Von den zahlreichen Versuchen seien hier nur die folgenden 
wiederholt: 


Bd. 4132°82 5. 1910 und: Bd. 140)S.109 71972: 

2) Shryver, Proc. Roy. Soc., London, Serie B Bd. 83 S. 96. 1910 und 
Bd. 87 S. 366. 1914; vgl. auch Traube u. Köhler, Intern. Zeitschr. f. 
pkys.-chem. Biol. Bd. 1 S. 275. 1914. 


1) S. dieses Arch. Bd. 105 S. 541 u. 559. 1904; Bd. 123 S. 419. 1908; 


Zu den Theorien der Narkose. 


75 


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1,84 10'20” +55 OR IERLTA154 10 0,25 13'35”  — 165 
1,15 10’20” | +50 0,15 | Klose, 0 0,17 13710”.| — 115 
0,23 ET 0 099 11.19.2200 0,08 12'55”"  — 100 
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Athyl CAthyläther 1 R R 2 Chloräthyl a R 5 Chloroform 
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0,000 11’ 15” 0 Ra 0,00 LT 0 


Diese Versuche führten zu folgender Zusammenstellung: 


Stoffe, geordnet nach der Grösse der 
Verzögerung bzw. Beschleunigung 
der Gelatinierungsgeschwindigkeit 

Chloräthyl s 
Äthyläther . 

Chloroform 
Chloralhydrat 
. 1-Amylalkohol 
Urethan . 
i-Butylalkohol 
Methyläthylketon . 


Äthylacetat (nicht neutral) 


tert. Amylalkohol. 
Propylalkohol 
Acetonitril . 

Äthylalkohol . 
Methylalkohol 


Narkotische Konzentration ' 

in Molen pro Liter nach 

Overton’s Kaulquappen- 
versuchen 


0,004 
0,001 
0,0014 
0,006 
0,023 
0,041 
0,045 
0,09 
0,03 
0,057 
0,11 
0,36 
0,39 
0,57 


76 J. Traube: 


Man erkennt, dass bis auf kleine Abweichungen eine nahezu völlige 
Parallelität zwischen narkotischer Wirkung und Gelatinierungsgeschwin- 
digkeit besteht. 

Es wurden nun die Versuche in umgekehrter Richtung ausgeführt, 
etwa 2,5%ige bzw. 6% ige Gelatinelösung, welche entsprechende 
Mengen von Nareotieis enthielt, wurde in schmelzendem Eis in gleicher 
Weise zum Gelieren gebracht und nach 24 Stunden in gleichweiten 
Reagenzgläsern in einem Thermostaten von 26° C. übergeführt. Als- 
dann wurde die Zeit bestimmt, in welcher auf der Oberfläche der Gele 
befindliche Perlen zur halben Höhe in die Flüssigkeit einsanken. 


Einige dieser Versuche seien hier wiedergegeben: 


7 cem 2,5%, Gelatine + 3 ccm %, n-Lösung: 
Lösung der Gelatine 
nach 
1. Versuch: i-Butylalkohol . . . a een 229, Min. Seke 
i-Propylalkohol.. va... Wannen aaa 
Äthylalkohol: ..' 22: 20 en Sr do 
WMASSER ui .H an lus. Bean SL N Re nee 
Methylalkohol...! =. ar sn se Wr a WAS 72005 
9..\ersuch:, Wasser...“ TE N 
Chloralhydrat . SUR, 
Urethan IRRE IA DEE 
Propionitril . TS NZ LOyR 
3. Versuch: Wasser . EINE O 
Äthyläther 3 0a 
Chloräthyl AL DO 


4 ccm 6% Gelatine + 6 cem Y, n-Lösung: 
Lösung der Gelatine 


nach 
4. Versuch Wasser... cu. ee sl Minae Del 
Chloeralhydrat..2. 022.2 N Re neo ee 
WUrethan. 4 u. al en ON SUR: 
Athylalkohol, .....,.. cn 00 2100030. 
5.4 Viersuches Massen u... Sa RR lao  e 
Bert. Amylalkohol.. „real 
Propionitril 2... ee aller 
6... Versuch: Wasser... u len an nee a OL 
ı-Amylalkohol'.. =. ...000. ee le 
a nViersuch 2. Massen... su. sau De Be N N URL 
Chloroform, gesättigt. ..... 2 we E10 


Diese Versuche führten zu der folgenden Zusammenstellung!): 


1) Traube, Berl. klin. Woch. 1915 Nr. 14, sowie Traube und Köhler, 
Iae. 18.244. med 


Zu den Theorien der Narkose. 77. 


Stoffe, geordnet nach der Narkotische Grenzkonzentra- 
Lösung sgeschwindigkeit eines tion in Molen pro Liter für 
Gelatineegels Kaulquappen nach Overton 
Phenantren a een 2080;0000003% 
Ibhyımolaue a ln ches u02,.0,000055 
Naphtkalne eg nn nn. 2 2270,000065 
Chloroform . .:. ER NE: 
Chloralhydrat (ent: on) SR RE IR 
Athylathergain ga kanns. gen 0,001 
Ohlorithyle rg pr a en Net 7,0,0045 
Sultonalama ses N ERREER 7 050088 
INRTonalE ee ana se an rise 2 0,0064, 
1 Amylalkohofe rar... 3 ak. 380.023 
2 üRslaml. 0 an Re en 0,041 
Bubydalkoholyer me an. ee. 50 0,045 
Methyläthylketon . . . . = 0,09 
Äthylacetat (nach Over Lone zum an! reif) 0,03 
NerteAmylalkoholi ums #02 .....202230..8220.057 
Bropylalkohole. 1 a ne en ers 
INCELOIERE N EEE Rt 710526 
INthylalkoholi ale en in 20,39 
IMechvlalkcholt een zu. 2 2200, 


Die Geschwindigkeit der Gelatinelösung geht der nar- 
kotischen Kraft derart parallel, dass es höchst auffallend 
wäre, wenn zwischen der Quellfähigkeit von Kolloiden und 
der narkotischen Kraft der Narkotika nicht ein ursäch- 
licher Zusammenhang bestände. 

Eine Zunahme der Quellung bedeutet nun selbstverständlich Zu- 
nahme der Wasseraufnahme, und es bleibt nur die Alternative, dass 
entweder die Versuchsergebnisse von mir und Köhler, Shryver u.a. 
nicht richtig sind, d. h. also, dass Stoffe wie Chlor oform, Chloräthyl, 
Äthyläther in den für die Narkose in Betracht kommenden Konzen- 
trationen nicht queilend wirken, oder aber diejenigen haben Unrecht, 
welche für eine Verminderung zunächst der Wasserpermeabilität bei 
der reversiblen Narkose eintreten. 


v. Knaffl-Lenzt) hat nun in einer neueren Arbeit, Beitrag zur Theorie 
der Narkose l. ce., ohne auf eine Kritik der Versuche von mir und Köhler 


1) Wenn ferner Knaffl-Lenz in seiner Arbeit: Über die kolloid- 
chemischen Vorgänge bei der Hämolyse (Pflüger’s Arch. Bd. 171 8. 51. 
1918) zeigt, dass bei nicht zu langer Einwirkung von Äthylalkohol, Äthyl- 
äther etc. auf rote Blutkörperchen eine erhebliche Volumenvergrösserung 
stattfindet, und ebenso (S. 53) darauf hinweist, dass Seeigeleier in Benzol 
oder ätherhaltigem Seewasser eine Volumvergrösserung zeigten, sofern 
die Eier nicht mit Formalin oder Sublimat vorbehandelt waren, so lassen 


78 J. Traube: 


sowie Shryver einzugehen, auf Grund vereinzelter Versuche behauptet, 
dass Narkotika wie Äthyläther auf ein Gelatinegel entquellend wirken. 
Derselbe bringt Gelatineblöckehen in einem kleinen Wägegläschen unter 
einem Glassturz mit Wasser gesättigten Ätherdämpfen zusammen und 
bemerkt hierzu: „Nach mehrstündiger Einwirkung hatten die Wäge- 
gläschen an Gewicht zugenommen und die Gele Wasser ausgepresst. 
Durch Aufsaugen des ausgepressten Wassers mittels Filtrierpapier und 
abermaliger Wägung wurde der durch Entquellung bedingte Wasser- 
verlust der Gelatine bestimmt. Die so erhaltenen Werte sind insofern 
ungenau, als das allenfalls verdunstete Wasser nicht mit in Rechnung 
gezogen ist. Die Gewichtszunahme entspricht der Menge des auf- 
genommenen Narkotikums.‘ 

Ich muss gestehen, dass diese Versuche (man vgl. die veröffentlichten 
Zahlen) mir derart roh erscheinen, dass ich die Schlussfolgerungen von 
Knaffl-Lenz nicht anerkennen kann. 


Winterstein hat nun |. c. in einer grösseren, zum Teil kritischen, 
zum Teil experimentellen Arbeit die Permeabilitätsfrage eingehend 
erörtert. Und da ich schon in einer früheren Mitteilung in diesem 
Archiv l. c. auf Höber’s und Joel’s Arbeiten eingegangen bin, und 
die von Winterstein besprochenen Versuche von ÖOsterhout, 
Lepeschkin, Lillie u. a. mir nicht sehr beweiskräftig erscheinen, 
so möchte ich mich hier auf eine Besprechung von Winterstein’s 
Versuchen beschränken. 


Die erste Reihe von Versuchen Winterstein’s findet in der Weise, 


statt, dass Froschsartorien einmal von einer isotonischen 0,7 %igen Chlor- 
natriumlösung in eine hypotonische 0,35 %Wige Chlornatriumlösung über- 
tragen werden und dass alsdann diesen beiden Salzlösungen die gleiche 
Menge bestimmter Narkotika innerhalb der bei der eigentlichen Narkose 
wirksamen Konzentrationen zugesetzt wurde, also beispielsweise 4%, 
Äthylalkohol usw. 

Es zeigte sich nun, dass die Gewichtszunahme der Muskeln beim Ein- 
lesen in die Salzlösungen + Narkotikum wesentlich geringer war, als 
beim Einlegen in die Salzlösungen allein. 

Da dieses Ergebnis aber zu nicht ganz eindeutigen Deutungen führte, 
so unternahm Winterstein weitere Versuche nach folgendem Prinzip: 

Zwei kleine Glaszylinder von etwa 2 cem Inhalt wurden mit vorher 
gewogenen Muskelmembranen bespannt. Der eine Zylinder wurde mit 
0,7% iger Chlornatriumlösung, der zweite mit der gleichen Lösung, die 
noch einen bestimmten Prozentgehalt des auf seine Wirkung zu unter- 
suchenden Narkotikums enthielt, gefüllt, und es wurde dann die Flüssig- 
keitsmenge in jedem durch Wägung bestimmt. Alsdann wurden beide 
Zylinder während einer bestimmten Zeit, in der Regel etwa eine Stunde, 
in eine hypotonische Lösung (meist destilliertes Wasser) getaucht, die 
für den Narkoseversuch wieder den gleichen Prozentgehalt des-betreffenden 
Narkotikums aufwies, so dass, wie Winterstein annimmt, „‚die osmotische 
Druckdifferenz bei beiden Zylindern die gleiche war.‘‘ „Es ergab sich in 


diese Versuche doch keine andere Deutung zu, als dass hier die Narkotika 
eine quellende Wirkung auf das Ei bzw. die Blutkörperchen, und zwar 
besonders auf die Eiweissstoffe ausgeübt haben. 


Zu den Theorien der Narkose. 79 


Übereinstimmung mit den obigen Versuchen am Sartorius, dass Alkohol 
(5—6 Vol.-Prozent) Chloroform (0,1—0,12 Vol.-Proz.), Ather (3 Vol.-Proz.), 
Urethan (3 Vol.-Proz.) in stark narkotischer Konzentration eine deutliche 
Herabsetzung der Wasseraufnahme mitunter auf einen Bruchteil der 
normalen bewirkte. ‘‘ 

Winterstein zeigt alsdann durch Chlortitration, dass nicht etwa 
eine Verminderung des osmotischen Druckgefälles auf eine vermehrte 
Salzpermeabilität zurückzuführen sei, und er gelangt zu dem Schlusse, 
dass nur eine Verminderung der Salzpermeabilität unter dem Einflusse 
des an der Membran adsorbierten Narkotikums eine Erklärung abgeben 


. könne. 


Den von Winterstein gezogenen Schlüssen kann ich indessen 
nicht zustimmen. 

Zunächst ist es nicht richtig, dass durch den beiderseitigen Zusatz 
des Narkotikums das osmotische Gefälle keine Änderung erfährt. Wie 
aus älteren Versuchen von mir!) sowie Baeyer?°) folst, wird durch 
Salzzusatz die Oberflächenspannung beispielsweise einer wässerigen 
Alkohollösung verringert. Der Haftdruck des in der 0,7 %igen Chlor- 
natriumlösung vorhandenen Alkohols ist daher geringer als desjenigen 
in den rein wässerigen Lösunger; daraus ergibt sich eine osmotische 
Gegenkraft, welche im Sinne einer Verringerung der Wasseraufnahme 
seitens der Salzlösung wirken muss. 

Folgende stalagmometrischen Versuche wurden ausgeführt: 


Tropfenzahl 
DV SSe TE en an ee aa ed 
2,8 %,ige Chlornatriumlösung . RE A N RER de 32 
100 ecem Wasser + 6 Vol.-Proz. Äthylalkohol 67,8; 67,9 
100 ‚, 0,7% NaCl-Lös. + 6 = e" 68,5; 68,6 
100, 1,4% ni +6 » 68,85; 68,85 
K002.2,8:9% & +6 Fe 3 69,85; 69,85 


Aus ‚diesen Versuchen geht hervor, dass durch den Zusatz der 
gleichen Menge des Narkotikums zu beiden Seiten der Membran die 
osmotische Kraft derart geändert wird, dass eine Permeabilitäts- 
verminderung eintritt, aber es scheint mir zweifelhaft, in Anbetracht 
der kleinen Oberflächenspannungsdifferenzen, ob dieser Umstand aus- 
reicht, um die Ergebnisse Winterstein’s vollauf zu deuten. Winter- 
stein hat ganz recht, wenn er annimmt, dass durch die Adsorption 
des Alkohols an der Membran eine Verringerung der Osmose eintreten 
müsse, denn es ist darauf hinzuweisen, dass die Reibung in Alkohol- 
wassergemischen weitaus grösser ist als in Wasser ?), aber anderer- 


1) Traube, Journ. f. prakt. Chem., N. F. Bd. 31 S. 214. 1885; vgl. 
auch Ber. d. d. chem. Ges. Bd. 42 S. 2187. 1909. 

2) Baeyer, Biochem. Zeitschr. Bd. 13 S. 238. 1908. 

3) Traube, Ber. d. d. chem. Ges. Bd. 19 S. 871. 1886. 


Ss0 J. Traube: 


seits darf auch nicht vergessen werden, dass ja die Versuche 
Winterstein’s: isotonische-hypotonische Lösung und beiderseits 
Narkotikum, ferner auch die Anwendungs von Muskelmeimbranen 
keineswegs den tatsächlichen Verhältnissen bei der Narkose entsprechen, 
und vor ailem sei darauf hingewiesen, dass die Permeabilitätsverminde- 
rung weitaus am grössten bei dem nicht oder nur sehr wenig quellenden 
Äthylalkohol (siehe weiter oben) gefunden wurde; hier wurde auch 
bei dem nachfolgenden Kontrollversuche mit reinen Salzlösungen keine 
Veränderung der Membran festgestellt; nahezu ebenso lagen die Ver- 
hältnisse bei dem wenig quellenden Urethan; dahingegen deuten die 
nachherigen Kontrollversuche mit Äthyläther und Chloroform auf 
Veränderungen der Membran hin, welche, wie mir scheint, sehr wohl 
verständlich werden, wenn man an die Quellfähigkeit der Membranen 
durch starke Narkotika erinnert. 


Es scheint mir daher nicht, dass Winterstein’s Versuche, und 


aus denselben Gründen ebensowenig die von ihm erwähnten Versuche 
Mac Clendon’s. Lillie’s u. a., geeignet sind, die aus der Paralielität 
von Quellung und narkotischer Wirkungen gezogenen Schlüsse auf 
eine Permeabilitätserhöhung zunächst für Wasser zu widerlegen. 

Ich möchte nunmehr auf Arbeiten hinweisen, die mir in bezug 
auf die hier in Betracht kommende Frage nicht nur der Wasser- 
permeabilität, sondern auch der Permeabilität von Salzionen von 
grosser Bedeutung zu sein scheinen. Es sind Arbeiten von Harvey!) 
über das Eindringen von Natronhydrat in Seeigeleier und anderer- 
seits in pflanzliche Blattzellen von Elodea bei Gegenwart von Nar- 
cotieis wie Chloroform und Äthyläther. 

Herrn J. Spek in Heidelberg verdanke ich den Hinweis auf 
diese Arbeiten ?). 


1) Harvey Science, N. S. Bd. 32 S. 565. 1910; Journ.- of exper. zoolog., 
Philadelphia Bd. 10 S. 538 u. 550. 1911. 

2) Spek bemerkt in einer interessanten Arbeit über die Ursache der 
sastrulainvagination usw. (Kolloid-chem. Beih. Bd. 9 S. 319. 1918): 
„Unsere gebräuchlichsten Mittel, partenogenetische Entwicklung künst- 
lich auszulösen, sind Stoffe, die erstens imstande sind, die Quellung der 
Kolloide beträchtlich zu erhöhen, so besonders die Fettsäuren und Alkalien, 
aber auch z. B. Chloroform (die übrigen organischen Partenogenetika sind 
“ auf ihre Einwirkung auf die Quellung noch wenig untersucht worden) 
andererseits aber sehr lipoidlöslich sind [Fettsäuren, Chloroform, Xylol, 
Amylen usw.]).“ 

„Ein Stoff, der die Membrankolloide aufquellen lässt, muss die Durch- 
lässigkeit derselben erhöhen, denn gelöste Stoffe diffundieren um so leichter 
durch ein Kolloid, je wasserhaltiger es ist, je weiter die Partikelchen 
des Kolloides durch die Wassermoleküle auseinandergedrängt werden 
und je stärker die innere Reibung, die dem Eindringen des betreffenden 
Stoffes den grössten Widerstand bietet, hierdurch vermindert sind.‘ 


Zu den Theorien der Narkose. S1 


Harvey konnte den Eintritt von Basen in die betreffenden tierischer 
und pflanzlichen Zellen mit Sicherheit feststellen mit Hilfe des Farben- 
wechsels von Neutralrot, welches die Zellen im Innern enthielten. 
Der rote Farbstoff nahm beim Eintritt von Natronhydrat eine gelbe 
Färbung an. 

Harvey bemerkt unter anderem Science N. S. 32 8. 566. 1910: 
„If a concentration of NaOH which enters the egg in twenty minutes 
be one quarter saturated with chloroform, the NaOH enters in ten 
minutes. One quarter saturated chloroform in NaCl has no visible 
effect on the eggs even after one hour. The effect of dilute solutions 
of chloroform, which fail to eytolyze, on the eggs of Hippono&, 
is to increase their permeability to NaOH. Indeed it may be shown 
in the same way, that small concentrations of chloroform increase the 
permeability of the leaf cells of Elodea, showing active protoplas- 
matie rotation and that the normal permeability is again regained 

when the leaves are returned to tap water. The above statements 
are equally true for ether.“ 

An einer anderen Stelle bemerkt Harvey (nach brieflichen Mit- 
teilungen von Spek), dass Chloroform, Äther und Alkohol auch in 
geringen „amounts too small to have any irreversible effects‘ wirk- 
sam sind. 

Harvey weist auch hin: ‚On the swelling of the egg caused by 

chloroform“. 
Es folgt somit aus Harvey’s Versuchen, dass so- 
wohl für pflanzliche wie tierische Zellen‘ durch Nar- 
kotika wie Chloroform und Äther, und zwar in narkoti- 
schen, nicht schädigende Dosen unter Quellungserschei- 
nungen eine Erhöhung der Durchlässigkeit für Natron- 
hydrat erfolgt, und es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass 
das, was für die Ionen des Natronhydrats gilt, auch für 
etliche andere Salzionen statthat. 

Harvey’s Ergebnisse stehen somit in bestem Einklang 
mit den Versuchen von Shryver sowie Traube und Köhler 
über Quellung von Kolloiden wie Natriumcholat und 
Gelatine. 

Zwischen Gelatinequellung und narkotischer Wirkung be- 
steht eine derartige Parallelität, dass man versucht sein möchte, 
auch dem folgenden Faktor einen wesentlichen Anteil an der Auslösung 
des narkotischen Zustandes zuzuschreiben. 

Je mehr die Kolloide unter dem Einfluss von Narecoticis gequollen 
werden, um so grösser wird der sich einstellende Quellungsdruck 
sein. Dieser Quellungsdruck wid für verschiedene Zellen sehr ver- 
schieden sein und namentlich auch von dem Lipoidgehalt der Zellen 

Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 116. 6 


82 | J. Traube: 


abhängig sein müssen. Die Annahme liegt nahe, dass die wahr- 
scheinlich bedeutende Volumvergrösserung gerade der 
lipoiden Ganglienzellen und der daraus sich ergebende 
Druck den Narkosezustand erheblich hkeeinflussen kann; 
indessen möchte ich nicht so weit gehen, etwa anzunehmen, dass 
diese Druckdifferenzen und Druckverschiebungenr die einzige Ursache 
der Narkose sind, sondern ich bleibe in dieser Beziehung der Meinung, 
dass in erster Linie die Verlangsamung und Aufhebung chemischer 
wie physikalischer, insbesondere auch elektrischer Vorgänge hierbei 
maassgeberd sind. 

Schliesslich möchte ich in wenigen Worten meine Ansichten über 
den Erregungszustand bei der Narkose hier mitteilen. 

Kleine Mengen von Nareotieis wirken bekanntlich auf Tiere und 
ebenso auf Pflanzen erregend. Ich darf vielleicht darauf hinweisen, 
dass in einer gemeinsam mit Hedwig Rosenstein ausgeführten, 
gleichzeitig in der Biochem. Zeitschr. erscheinenden Arbeit über die 
Wirkung von Narcotieis auf Gerste usw. gefunden wurde, dass kleine 
Mengen von Stoffen mit geringem Haftdruck die Keimung sowie 
anscheinend auch teilweise das Wachstum günstig beeinflussen, 
während grössere Mengen, wie bei den Tieren, zu einer reversiblen 
und alsdann irreversiblen Narkose führen. Es hat sich eine auffallende 
Analogie auch in bezug auf den Wirkungsgrad der Narkotika für Tier 
und Pflanze bei unseren Versuchen ergeben. 

Es gibt nun bei verschiedenartigen kolloid-physikalischen  Vor- 
gängen der Flockung und Quellung mancherlei Analoga, welche uns 
den Erregungszustand verständlicher erscheinen lassen. So wirkt nach 
Hofmeister!) Äthylalkohol in Konzentrationen von 0,5—2%, auf 
ein Gelatinegel quellungsfördernd, während derse!be in höheren Kon- 
zentrationen auf das betreffende Gel entquellend wirkt. Ebenso wirken 
kleine Mengen von Narcoticis auf Leeithin und gewisse Eiweissstoffe ?) 
flockend, also dispersitätsvermindernd, während grössere Mengen lösend 
und dispersitätserhöhend wirksn. So haben ferner Traube und 
Köhler?) gezeigt, dass in ganz minimalen Konzentrationen Säuren 
entquellend auf ein verdünntes Gelatinegel wirken, in grösseren Kon- 
zentrationen dagegen quellend; nach Hofmeister *) wirken Alkali- 
sulfate, -tartrate, -zitrate in sehr geringen Konzentrationen auf Gelatine 
quellend, in grösseren entquellend. Von mir) wurde gefunden, dass 


1) Vgl. Spek, Kolloidehem. Beitr. Bd. 9 8. 334. 1918. 

2) Vgl. die Literatur Traube dieses Arch. Bd. 161 S. 532 u. 543. 
1915. 

3) Braubesu. Kohler,l.c. 

4) Hofmeister, Arch. f. exp. Path. Bd. 28 S. 210. 1891. 

5) Traube, Kolloidehem. Beih. Bd. 3 8. 237. 1912. 


Zu den Theorien der Narkose. S3 


kleinste Mengen etlicher Salze die Oberflächenspannung von Nacht- 
blaulösungen vermindern, während grössere Mengen dieselben erhöhen. 
Erinnert sei ferner an die Wirkung von Säuren auf gewisse fermentative 
Vorgänge !). So wurde beispielsweise bei der Wirkung der Säuren 
auf die Hydrolyse des Rohrzuckers durch Invertase oder auf diejenige 
der Maltose durch Maltase zunächst eine Beschleunigung der fer- 
mentativen Vorgänge mit einem Optimum der Beschleunigung be- 
obachtet. Alsdann folgte von einer bestimmten Konzentration ab eine 
Hemmung, die ein Maximum err>ichte. 

Diese Fülle gleichartiger Tatsachen lassen den Gedanken naheliegend 
erscheinen, dass analoge in kolloid-physikalischem Sinne entgegen- 
gesetzte Vorgänge das Erregungs- und Narkosestadium bedingen. 

Die Annahme liegt nahe, aass wenn in dem einen etwa narkotischem 
Stadium eine durch die Narkotika durch Sensibilitation hervorgebrachte 
Flockung (siehe weiter oben)/und somit Dispersitätsverminderung ge- 
wisse Fermente unwirksam macht, im Erregungsstadium kleinere 
Mengen derselben Narkotika möglicherweise den umgekehrten kolloid- 
physikalischen . Vorgang auslösen könnten, und ebenso dürften die 
Verhältnisse sich darstellen in bezug auf die quellend und entquellend 
wirkenden verschiedenen Substanzmengen der Narkotika. Man kann 
sich so gewisse kolloidphysikalische Vorstellungen machen, welche die 
aufeinanderfolgenden Stadien der Erregung und Hemmung verständlich 
machen. Reaktionsbeschleunigende Vorgänge, welche etwa auf einer 
Dispersitätserhöhung von Fermenten beruhen könnten, gehen ver- 
mutlich den reaktionshemmenden Narkosevorgängen voraus. 


1) Kopaczevski, Intern. Zeitschr. phys.-chem. Biol. Bd. 1 S.420 1914. 


6* 


Über elektrischen Widerstand, 
Kapazität und Polarisation der Haut. 
I. 

Versuche an der Froschhaut. 


Von 
Martin Gildemeister. 


(Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts der 
Universität Berlin.) 


Mit 4 Textabbildungen. 


(Eingegangen am 29. März 1919.) 


Einleitung. 

Die Versuche, über die hier berichtet wird, schliessen sich an die 
Arbeiten von Galler!), mir?) und Belouss°) an. Die wichtigsten 
Resultate habe ich auf dem Physiologentage in Berlin (Mai— Juni 1914) 
vorgetragen; die ausführliche Veröffentlichung ist bisher durch die 
Zeitumstände verhindert worden. 

Die Grundtatsachen, von denen hier ausgegangen wird, sind kurz 
folgende: 

Anscheinende Veränderlichkeit der elektrischen Leit- 
fähigkeit des Körpers. Der elektrische Leitungswiderstand des 
tierischen Körpers ist anscheinend sehr variabel. Wenn man den 
Gesamtkörper eines Kaltblüters (Frosch) oder Warmblüters (Mensch, 
Kaninchen, Meerschweinchen, Taube) mittels unpolarisierbarer Elek- 
troden mit einer konstanten Stromquelle in Verbindung bringt und in 
den Kreis ein elektrisches Messinstrument einschaltet, so zeigt sich die 
Stärke des entstehenden Stromes sehr von der Durchströmungsdauer 


abhängig. Sie ändert sich im allgemeinen so, als ob der Leitungs- 


widerstand, der zuerst verhältnismässig sehr hoch ist, allmählich 
kleiner würde, unter bestimmten Umständen aber auch im umgekehrten 
Sinne. Variiert man andererseits die Messspannung, so geht die 
Stromintensität ihr nicht proportional; vielmehr wird mar zu dem 
Schlusse genötigt, dass der Gleichstromwiderstand auch eine Funktion 


1) H. Galler, dieses Arch. Bd. 149 S. 156. 1912. 
2) M. Gildemeister, dieses Arch. Bd. 149 S. 389. 1912. 
3) A. Belouss, dieses Arch. Bd. 162 S. 507. 1915. 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 85 


der Spannung (und Stromstärke) ist, und zwar derartig, dass er 
‚sich umgekehrt ändert wie sie. 

Ausser von diesen und einigen anderen Variabeln, die vorläufig 
übergangen werden können, hängt die Leitfähigkeit anscheinend auch 
von der Stromform ab; wenigstens findet man mit Wechselströmen 
nach der Kohlrausch’schen Methode viel kleinere Werte. 

Diese »augenscheinliche Veränderlichkeit des Körperwiderstandes, 
die durch Wegnahme der Haut fast vollständig aufgehoben werden 
kann und die deshalb in dieses Organ verlegt werden muss, ist 
eine den Klinikern lange bekannte Tatsache. Man könnte sich von 
den geschilderten Erscheinungen folgendes Bild machen: der wahre 
Leitungswiderstand ist derjenige, den man mit Wechselströmen misst. 
Schickt man aber einen Gleichstrom durch den Körper, so entstehen 
durch Elektroendosmose oder durch Verminderung von Elektrolyt- 
. konzentrationen an semipermeablen Membranen der Haut schlecht- 
leitende Schichten, daher erscheint dann der Widerstand stark 
erhöht. Bei lange dauernder Durchströmung machen sich aber 
andere Einflüsse geltend, die Durchblutung der Haut ändert sich, die 
Hautporen werden weit usw., so dass der Widerstand sinkt, besonders 
bei grosser Stromstärke. 

Diese Theorie, die in klinischen Lehrbüchern noch immer herrscht, 
hat der experimentellen Prüfung nicht standgehalten. Für unseren 
Zweck genügt es, nur einen Versuch anzuführen: misst man während 
der Durchströmung mit Gleichstrom den Wechselstromwider- 
stand, so findet man ihn nicht erhöht, wie es sein müsste, wenn der 
Gleichstrom nach obiger Hypothese die Leitfähigkeit verschlechtert 
hätte (Galler a. a. O.). Man muüss also annehmen, dass die obigen 
Überlegungen nicht das Richtige treffen, dass entweder die Gleich- 
oder die Wechselstrommessung — oder vielleicht auch beide — falsche 
Resultate gibt, und dass mindestens der eine von den beiden Wider- 
ständen nur ein scheinbarer ist. 

Erstes Modell. Vergleich des Körpers mit einer Polari- 
sationszelle. Es ist nicht schwer, ein sich ähnlich verhaltendes 
physikalisch-chemisches Modell zu finden. Taucht man zum Beispiel 
zwei Platinplatten iv Schwefelsäure und misst nach der Kohlrausch- 
schen Methode den Widerstand dieser Zelle, so erhält man einen ver- 
hältnismässig kleinen Wert. Viel grösser aber erscheint der Gleich- 
stromwiderstand; denn eine konstante angelegte Spannung weckt 
elektromotorische Gegenkräfte, so dass der Strom viel schwächer 
wird, als es dem Leitungswiderstand entspricht. Es wird also ein 
hoher Gleichstromwiderstand vorgetäuscht, der sich sofort als nur 
scheinbar erweist, wenn man gleichzeitig eine Wechselstrommessung 
vornimmt. 


86 Martin Gildemeister: 


Überträgt man diese Überlegungen auf den tierischen Körper, so 
muss man diesem eine hohe Polarisierbarkeit zuschreiben, wenn man 
die beobachteten Erscheinupgen quantitativ auf Polarisation zurück - 
führen will; man kommt zum Beispiel beim Menschen rechnungs- 
mässig unter Umständen auf Gegenspannungen von mehreren Volt 
(Gildemeister a. a. O.), was von vornherein nicht sehr wahrschein- 
lich klingt. 

Es ist aber noch eine andere Auffassung möglich. Um diese zu 
erläutern, wollen wir von einem Phänomen ausgehen, welches zwar 
schon oft beobachtet, aber noch fast gar nicht untersucht und vor 
allem nicht in seiner Bedeutung gewürdist ist. 

Das schlechte Minimum. Phasenverschiebung des 
Stroms gegen die Wechselspannung. Bei Wechselstrom- 
messungen des Körperwiderstandes nach der Kohlrausch’schen 


Methode fällt auf, dass die Einstellung auf das Minimum des Tones | 


sehr schwierig ist. Das Telephon schweigt nicht, und der Bereich 


n 2) 


Abb. 1. I. Zur Frequenzbestimmung der Wechselströme. (Erklärung im Text.) 
II. „Schleifer“. C, kleiner, 0, großer Kondensator, Z Metallwalze mit 
daran schleifendem Drähtchen, 7’ Telephon. 


schwächsten Tönens ist sehr breit und verwaschen. Daraus sind für 
unser Problem sehr wichtige Schlüsse zu ziehen; da aber die Be- 
dingungen, von denen die Güte eines Tonminimums abhängt, in der 
physiologischen Literatur meines Wissens noch nicht besprochen sind, 
sei es mir gestattet, zunächst die einschlägigen physikalischen Ver- 
hältnisse kurz zu erörtern. 

Eine Wheatstonesche Brücke (Abb. 11) werde durch praktisch 
widerstandslose Drähte von einer Wechselstromquelle Q gespeist, die 
reine Sinusströme von der Maximalspannung V liefere. Der Punkt B 
werde geerdet, so dass dort immer die Spannung Null herrscht. Dann 
wird der Punkt A abwechselnd auf die Spannung + V und — V 
kommen, während die maximalen Spannungswerte der auf den Wegen 
ASchB und ADB liegenden Punkte zwischen + V und Null liegen 
werden. Wir werden nun zu einem Punkt D des Weges ADB einen 
solchen des Weges ASchB finden können mit der Bedingung, dass 
die Spannungsschwankungen an beiden gleich sind. Wird dann in 
dem Verbindungszweige DSch ein Strom fliessen ? 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 87 


Sicher nicht, wenn die Spannungsschwankungen bei D und Sch 
nicht nur gleichen Betrag haben, sondern auch gleichphasisch ab- 
laufen. Hat D in jedem Augenblick dieselbe Spannung wie Sch, ' 
so kann kein Strom zustande kommen. Das ist zum Beispiel der Fall, 
wenn sich in den vier Zweigen der Brücke nur ‚‚reine‘‘ Ohmsche Wider- 
stände befinden, zwischen denen die bekannte Proportion besteht. 

Es ist aber möglich, den Weg ADB so einzurichten, dass in ihm 
die Ströme und deshalb auch die Spannungen am Punkte D zeitlich 
gegen die Ströme in ASchB (mithin auch gegen die Spannungen bei 
Sch) verschoben sind. Herrscht dann am Punkte D in einem Augen- 
blicke gerade die Spannung Null, so wird bei Sch die Nullzeit schon 
vorüber oder noch nicht erreicht sein, es wird also unter allen Um- 
ständen zu einem Strom zwischen diesen beiden Punkten kommen. 
Die Gleichheit der Spannungsschwankungen bei D und Sch ist also 
nicht hinreichend, um Stromlosigkeit im Verbindungszweige zu sichern, 
sondern es muss dazu noch die Bedingung der Gleichphasigkeit 
kommen. Fehlt diese, so ist Stromlosigkeit im Brückenzweige nicht 
zu erreichen. Und umgekehrt: gelingt es nicht, den Brücken- 
strom 2um Verschwinden zu bringen, so lässt das auf 
Phasenverschiebungen schliessen. 

Bedeutung der Phasenverschiebung. Befinden sich nun in 
drei Zweigen der Brückenanordnung reine Ohmsche Widerstände, wie 
es bei der Kohlrausch’schen Methode sein soll (ein Rheostat und 
die beiden Teile des Messdrahtes), so treten Phasenverschiebungen 
erfahrungsgemäss in drei Fällen ein, nämlich wenn das zu messende 
Objekt hat: 

a) Selbstinduktion, 
b) Kapazität, 
c) Polarisation. 

Im Falle a ist die Phase gegen diejenige der Stromquelle im Sinne 
des Zurückbleibens, in den Fällen b und ce im Sinne der Voreilung 
verschoben. Daraus ergibt sich die wichtige Folgerung, dass man 
durch Hinzufügung einer Selbstinduktion zu einem mit Kapazität 
oder Polarisation -behafteten Leiter (und umgekehrt) die Phasen- 
verschiebung wird aufheben, also in unserem Falle das Tonminimum 
absolut und scharf wird machen können. 

Für unser Problem folgt aus diesen Erörterungen, dass der tierische 
Körper eine der drei obengenannten Eigenschaften hat. Ob es sich 
um Selbstinduktion einerseits, um Kapazität oder Polarisation anderer- 
seits handelt, lehrt zum Beispiel folgender Versuch: Man misst den 
Widerstand nach Kohlrausch unter Benutzung einer Stromquelle, 
die Sinusströme gibt, schaltet vor den Körper eine variable Spule 
und sieht zu, ob dadurch das Minimum zu einem absoluten gemacht 


38 Martin Gildemeister: 


werden kann, oder ob es noch schlechter wird. Tatsächlich gelingt 
es so, das Telephon zum völligen Schweigen zu bringen, der Körper 
hat also Kapazität oder Polarisation. 

Je grösser die Selbstinduktion der zur Kompensation nötigen 
Spule, desto mehr weicht das Objekt von einem reinen Widerstand 
ab, so dass man auf diese Weise auch quantitative Angaben machen 
kann. Davon soll später noch die Rede sein. 

Ob es sich bei der Haut um Kapazität oder Polarisation handelt, 
ist auf die bezeichnete Art nicht zu entscheiden; um hierüber Klarheit 
zu schaffen, sind andere Untersuchungen nötig. Ehe davon gesprochen 
wird, ist erst zu überlegen, ob auch die Annahme kordensatorischer 
Eigenschaften geeignet ist, die eingangs erwähnten Beobachtungen 
über die Variabilität des Widerstandes zu erklären. 

Ein zweites Modell. Die Haut gilt als ein Organ besonders 
schlechter Leitfähigkeit. Legt man nun zwei Flüssigkeitselektroden 
an den Körper, so hat man folgende Reihenfolge: guter Leiter (Elek- 
trodenflüssigkeit), schlechter Leiter (Haut), guter Leiter (Körperinneres) 


c) 


U, 


Abb. 2. Schemata des von der Haut bedeckten tierischen Körpers. Z Elek- 
troden, H Haut, K Körperinneres, w, und w; Widerstände, © Kondensator. 


schlechter Leiter, guter Leiter (Abb. 2a). Darin kann man der Haut 
die Rolle eines Dielektrikums zuschreiben, dessen Belege die Elek- 
trodenflüssigkeit bzw. das Körperinnere sind, man hat also zwei in 
Serie geschaitete Kondensatoren. Diese leiten hier aber auch in an- 
sehnlichem Betrage den Gleichstrom, haben also schlechte Isolation , 


welchem Umstande man durch parallel geschaltete Widerstände 


Rechnung tragen kann. Wir hätten es also mit dem in Abb. 2b 
skizzierten System zu tun; da es aus zwei symmetrischen Teilen 
hesteht, genügt es, das Schema Abb.2c (die Hälfte davon) zu betrachten. 

Der Gleichstromwiderstand desselben ist durch w, plus w;, gegeben ; 
der Wechselstrom dagegen gleicht sich zum Teil über den Kondensator 
aus, so dass wir einen kleineren Wechselstromwiderstand beobachten 
werden. Wegen der Kapazität entsteht eine Phasenverschiebung, das 
Minimum wird schlecht, kann aber durch eine Spule verbessert werden. 
Das trifft beim Körper alles zu. 

Die Anfangszacke. Bemerkenswert ist das Verhalten dieses 
Modelles dem Beginn eines Gleichstromes gegenüber. Dann ist der 
Kondensator noch ungeladen, es wird in ihn also Elektrizität ein- 


e 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 89 


strömen, bis er die der Potentialdifferenz zwischen den Enden von w, 
entsprechende Ladung hat. Der Gleichstrom muss also im ersten 
Augenblick (Bruchteilen einer Sekunde) besonders hoch sein. Eine 
solche ‚Anfangszacke‘‘ ist bei Versuchen bei Mensch und Tier oft 
beobachtet (zuerst von G. Gärtner!), dann von Garten, Piperu.a. 
bei Gelegenheit von saitengalvanometrischen Versuchen) und als Folge 
der elektrostatischen Körperkapazität gedeutet worden. 

Aber auch eine Polarisationszelle zeigt eine solche Anfangszacke, 
weil im ersten Augenblick noch keine polarisatorische Gegenkraft vor- 
handen ist, so dass der Strom dann noch keine Schwächung erleidet. 
Ich habe mit einem Helmholtz’schen Pendel den Stromverlauf un- 
mittelbar nach Anlegung einer kopstanten Spannung bei Frosch, 
Mensch und einer Zelle, die aus zwei Zinkblechen in physiologischer 
Kochsalzlösung bestand, aufgenommen und kann keinen wesentlichen 
Unterschied erkennen (siehe Abb. 3). 


Abb. 3. Anfangszacken des Stromes bei Anlegung einer konstanten Spannung. 
a) Zink in Kochsalzlösung, 2 Volt; b) Froschhaut, 2 Volt; c Froschhaut, 
0,75 Volt; d) Mensch 5,25 Volt. 1 o = !ıooo Sek. 


Also kann die Anfangszacke nicht die Frage: Kapazität oder 
Polarisation ? entscheiden. 

Es lässt sich darüber streiten, ob man die beiden Begriffe überhaupt 
reinlich trennen kann; und ich will hier nicht versuchen, eine scharfe 


- Definition aufzustellen. Bei elektrostatischer Kapazität gerät ein 


Dielektrikum in einen elektrischen Spannungszustand, und es kann 
dadurch Elektrizität gespeichert werden. Auch ein polarisierbares 
System ist zu einer Elektrizitätsspeicherung fähig, aber durch Ver- 
mittlung von Ionen, und es kommt weniger auf die Dielektrizitäts- 
konstante als die den Ionen eigentümlichen Eigenschaften, wie 
Wanderungsgeschwindigkeit, Wertigkeit usw. an. Für unseren Zweck 
genügt es, dass es einen quantitativ gut durchforschten Erscheinungs- 
komplex gibt, bei dem man von elektrostatischer Kapazität spricht, 
und einen anderen mit gleichfalls gut bekannten Gesetzen, den man 
der (elektrolytischen) Polarisation zurechnet.- Wir haben hier nur 


1) G. Gärtner, Wiener Med. Jahrb. 1886, S. 161. 


90 Martin Gildemeister: 


zu fragen, ob die quantitativen Beziehungen, die wir an der Haut 
(und anderen tierischen Geweben) finden, in das eine oder das andere 
Gebiet hineingehören. Das ist das Thema dieser Arbeit. 

Hat die Haut elektrostatische oder Polarisationskapa- 
zität ? 

Es ist vielleicht nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, dass es sich 
nicht nur um eine Doktorfrage handelt. Finden wir gemeine Kapazität. 
so ist das angeschnittene Gebiet von nur sehr mässigem physiologischen 
Interesse. Dass auch ein lebendes Gewebe nach Maassgabe seiner 
Konstanten unter geeigneten. Bedingungen die Rolle eines Dielektrikums 
spieler kann, wird niemand bezweifeln, und der Nachweis der Tatsache 
regt nicht zu neuen Untersuchungen an. Finden wir aber elektrolytische 
Polarisation, so werden wir auf das wichtige Gebiet der Ionenwanderung 
und -verteilung im Körper geführt, auf die Fragen der Permeabilität 
und anderes mehr. 

Die quantitativen Gesetze der Kapazität urd der Polari- 
sation. Bei dem in Abb. 2c skizzierten Kapazitätsmodell ist, wie 
schon erwähnt, der scheinbare Gleichstromwiderstand grösser als der- 
jenige gegenüber Wechselstrom. Er wird dargestellt durch die Summe 
w, + ws. Von der angelegten Spannung und der Stromdauer ist 
er aber, da wir sowohl w, als auch ıw, ausdrücklich als konstant voraus- 
setzen, unabhängig. Insofern entspricht das Modell nicht der Haut, 
bei welcher der Gleichstromwiderstand sich ja mit der Durch- 
strömungsdauer ändert und außerdem desto kleiner gefunden wird, 
je höher die Spannung (und die Stromstärke). Wenn wir dieses 
Modeli als zutreffend annehmen, müssen wir noch zu der Hilfs- 
hypothese unsere Zuflucht nehmen, dass w, oder w, (oder beide) im 
Körper durch starke und lang dauernde Gleichströme veränderlich 
sind, durch Erwärmung, oder Elektroendosmose, oder Veränderung des 
Querschnittes der stromleitenden Wege oder dergleichen. Also ganz 


decken sich die Eigenschaften des zweiten Modells mit der Wirklich- 


keit nicht. 

Der Wechselstromwiderstand desselben ist kleiner als w, + w,. 
Solange das Minimum unscharf und richt absolut ist, kann man 
bei der Messung nach Wheatstone nicht genau einstellen und 
deshalb (und aus anderen Gründen) von Wechselstromwiderstand 
eigentlich gar nicht sprechen. Es soll also angenommen werden, 
dass eine Selbstinduktion passender Grösse zur Beseitigung der 
Phasenverschiebung hinzugefügt ist. Die mathematische Analyse 
(siehe den Anhang) ergibt dann folgendes: Sind bei dem Modell Abb. 2 c 
die Werte von w, und w, sowie die Kapazität des Kondensators C 
gegeben, so ist eine desto kleinere Selbstinduktion L zur Verbssserung 
des Minimums nötig, je grösser die Frequenz N des Wechselstromes 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 9] 


(Gl. 1, S. 103). Der nach der bekannten Proportion aus dem Vergleichs- 
rheostaten und den beiden Abschnitten des Messdrahtes errechnete 
Widerstand W, selbstverständlich nach Abzug des Widerstandes der 
Zusatzspule, hängt auch von N ab; er liest zwischen den Werten w, 
und w, + w, und wird desto kleiner, nähert sich also desto mehr ı,, 
je grösser die Frequenz (Gl. 2, S. 103). Nennt man den Überschuss 
von W über w, Aw, so gilt (immer beim Schweigen des Telephons) 
die Gleichung: 
"A IRlb 
(k eine Konstante) (Gl. 4, S. 103). 


Wir haben also eine Gleichung gewonnen, die erfüllt sein muss, 
wenn es sich um elektrostatische Kapazität handelt. Sie kann leicht 
geprüft werden, da sich Aw und L aus den Versuchsdaten ergeben. 

Bei Polarisation liegen die Dinge anders. Jede Polarisationszelle 
zeigt, sofern nicht sekundäre Reaktionen eintreten (schlechtleitende 
Schichten u. dgl.) bei steigender Stromstärke ein Sinken des schein- 
baren Gleichstromwiderstandes. Denn die Gegenspannung steigt nicht 
in dem Maasse wie die angelegte und pfiegt schliesslich über ein ge- 
wisses Maximum nicht mehr hinauszugehen. Es ist also keine 
neue Hypothese nötig, um den Gang des Gleichstrom- 
widerstandes des Tierkörpers verständlich zu machen, 
wenn man Polarisation annimmt. 

Über das Verhalten des Wechselstromwiderstandes einer Polari- 
sationszelle gibt es zahlreiche Veröffentlichungen; besonders zu nennen 
auf diesem Gebiete sind die Arbeiten von M. Wien!) und von FE. Krü- 
ger ?), aus welch letzterer die Literatur zu ersehen ist. Von Wien 
stammt auch der Kunstgriff, die Phasenverschiebung durch eine 
Selbstinduktion aufzuheben. 

Aus den besagten Arbeiten geht hervor, dass auch hier der Wechsel- 
stromwiderstand (sobald der Brückenzweig stromlos ist) variabel ist; 
er nimmt mit wachsender Frequenz gleichfalls ab. Die genaueren 
quantitativen Beziehungen richten sich nach den besonderen Versuchs- 
bedingungen, worauf hier nicht eingegangen werden kann; in allen 
Fällen istaber anscheinend (in jeder Versuchsreihe) der Quotient 


A 
NL konstant oder fast konstant?°). 


1) M. Wien, Ann. d. Physik Bd. 58 S. 37. 1896. 
2) F. Krüger, Zeitschr. f. physikal. Chemie Bd. 45 S. 1. 1903. 


3) In den zitierten Arbeiten ist nicht der Ausdruck sondern 


Aw 

NL’ 
2rz NCAw berechnetund annähernd konstant gefunden worden. Daskommt 
aber auf dasselbe hinaus. Da die scheinbare Polarisationskapazität C aus N 


92 Martin Gildemeister: 


Wir haben nun also das gesuchte Kriterium: handelt es sich um 
elektrostatische Kapazität in der Weise des Schemas Abb. 2c, so wird 


Aw 


GER konstant sein; haben wir aber mit Polarisation zu tun, so haben 


A: 


u 
wir annähernd die Gleichung Nor konst. zu erwarten. Dies ist 
in der vorliegenden Arbeit an der Froschhaut untersucht worden. 


: Methodik. 


Es kam also darauf an, den Wechselstromwiderstand der Frosch- 
haut bei verschiedenen bekannten Frequenzen, nach Kompensation 
der Phasenverschiebung durch eine Selbstinduktion bekannter Grösse, 
in der Wheatstoneschen Anordnung zu messen und ihn mit dem wahren 


Widerstand, d. h. demjenigen bei sehr hoher Frequenz, zu vergleichen. 


Diese Aufgabe erforderte umfangreiche technische Vorbereitungen. 

Apparate der Art, wie sie die Physiko-Chemiker zu ähnlichen 
Arbeiten benutzt hatten, nämlich Saitenunterbrecher verschiedener 
Schwingungszahl, optische Telephone, Vibrationsgalvanometer u. dgl. 
standen mir nicht zur Verfügung. Es zeigte sich aber, dass auch ein- 
fachere Vorrichtungen ausreichen, wenn, wie es hier sicher der Fall 
war, eine grössere Genauigkeit als etwa 1% nicht notwendig war. 

Wechselstromquellen !). Drei hölzerne gedeckte Orgelpfeifen, 
die auf etwa g!, 9? und d? gestimmt waren, wurden von einem grossen, 
auf 1—1,5 Atmosphären mit Luft gefüllten Windkessel durch ein 
Reduzierventil sehr schwach angeblasen. Einige Zentimeter vor ihrer 
Öffnung stand ein Mikrophon, dessen Strom zu einem Telephon- 
transformator geleitet wurde. Der aus den sekundären Klemmen 
desselben entnommene Wechselstrom erwies sich als für den vorliegen- 
den Zweck genügend konstant hinsichtlich Intensität und Frequenz. 
Über die Art der Kontrolle siehe S. 94. 

Er war so arm an Obertönen, dass zur Beurteilung des Minimums 
das Telephon verwendet werden konnte. Mit der Zeit bekommt man 
eine grosse Übung im Heraushören der einzelnen Töne aus Klängen, 
und es macht deshalb nicht viel, wenn manchmal der eine oder andere 
Oberton zum Vorschein kommt. 

Die Hochfrequenzströme wurden von einer kleinen, selbst ge- 
fertigten Poulsenlampe geliefert. Bezüglich dieses sehr bequemen 


1 R 
und ZL nach der Thomsonschen Formel C = - 4 m2N®L ermittelt ist, kann 
i Aw w 
für 2rNCAw auch NZ gesetzt werden. Also NL = konst. 


1) S. auch Anhang S. 104. 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 93 


Wechselstromgenerators kann auf die früher gegebene Beschreibung!) 
verwiesen werden. Die Spannung des Speisestroms betrug 250 Volt, 
die Intensität, die durch Eisendrahtwiderstände in Wasserstoff (Varia- 
toren der A. E. G., 70—210 Volt) konstant gehalten wurde, 1,9 Ampere. 
Über die Stärke des Wechselstroms s. S. 99. Die Kondensatoren 
hatte ich aus Schreibmaschinenpapier und Paraffin hergestellt (siehe 
S. 105). Welche Frequerzen zur Anwendung kamen, ist aus den 
Tabellen zu ersehen. 
| Messbrücke. In einem vonder Tonquelle entfernten Zimmer befand 
sich die Wheatstonesche Brücke. Um die Empfindlichkeit zu erhöhen, 
wurde ein (sorgfältig graduierter) Messdraht erheblichen Widerstandes 
(17 Ohm) gewählt. Als Vergleichswiderstand diente bei den Messungen 
mit Mittelfrequenz ein gewöhnlicher Rheostat, dessen Kapazität 
und Selbstinduktion, wie besondere Messungen mit höheren Frequenzen 
lehrten, hier zu vernachlässigen war; kam Hochfreauenz zur Anwendung, 
so wurde er durch einen im Zickzack gespannten Konstantandraht 
(Asbestwiderstand von ©. Schniewindt in Neuenrade, Westf.) ersetzt. 
Variable Selbstinduktion. Die Herstellung derselben und 
ihre Experimentalkritik war ziemlich schwierig. Das schliesslich be- 
nutzte Modell hatte folgende Einrichtung: 
Es wurden aufeinem festen Träger und einem verschiebbaren Schlitten 
zwei Glasrohre von 15 cm Länge angebracht, wie die beiden Spiralen 
‘eines Induktoriums, das innere von 1,7 cm, das äussere von 2,7 cm 
Lumen. Zuerst wurde das engere mit zwei Lagen Kupferdraht (0,2 mm 
Stärke) umwunden, dann das äussere mit zwei etwas lockerer gewickelten 
Lagen desselben Drahtes, derartig, dass die Selbstinduktion beider 
Spulen möglichst gleich wurde. Die vier Drahtenden wurden zu einem 
Umschalter geführt, so dass die beiden Spulen gleich- oder gegen- 
sinnig geschaltet werden konnten. Das ergab, wenn man noch die 
Verschiebung der Spulen zu Hilfe nahm, eine Veränderlichkeit der 
Selbstinduktion von 3,6:10* bis 3-10? Henry. Die Eichung erfolgte 
von Millimeter zu Millimeter durch Vergleich mit einer Selbstinduktions- 
normale mit Hilfe von Messdraht und Induktorium (Kohlrausch, 
Lehrb. der prakt. Physik, 11. Aufl., 117, 5). Dann wurden auf die 
beiden Röhren nochmals je vier Lagen desselben Drahtes gewickelt 
und die Selbstpotentiale der so entstandenen Spulen wieder möglichst 
gleich gemacht. Schliesslich wurde eine Einrichtung getroffen, um auch 
die ganzen sechslagigen Spulen nach Bedarf mit- oder gegeneinander- 
schalten zu können; dadurch stieg jetzt der Bereich der stetig ver- 
änderlichen Selbstinduktion des Aggregates auf 1,22-10”? Henry. 
In passender Entfernung von diesem Variometer, so dass keine merk- 


1) M. Gildemeister, dieses Arch. Bd. 162 S. 489. 1915. Zeitschr. 
f. Sinnesphysiologie Bd. 50 S. 161. 1918. 


94 Martin Gildemeister: 


liche gegenseitige Einwirkung stattfinden konnte, wurden nun noch 
vier feste Spulen von 1,10; 2,17; 4,31; 7,73-107? Henry angebracht, 
die in beliebiger Kombination hinzugeschaltet werden konnten. Auf 
diese Weise konnte jedes Selbstpotential von 3,6-107* bis 16,53-1072 
Henry eingestellt werden (siehe auch Anhang S. 104). 

Die Eichung der Apparate war auf mindestens 1%, genau, was 
für den vorliegenden Zweck mehr als ausreicht. Da auf eine weiter- 
gehende Präzision nach der Art des Materials verzichtet werden konnte, 
brauchte auch auf die sonst bei physikalischen Aufgaben verwandter 
Art notwendige parallele Führung der Drähte u. dgl]. keine übergrosse 
Sorgfalt verwendet zu werden. 

Nullinstrument. Zur Auffindung derjenigen Schieberstellung 
und Spulengrösse, bei welcher der Ton verschwand, diente im Bereich 
der hörbaren Frequenzen das Telephon. Selbst wenn diesem einige 
Obertöne beigemischt sind, gelingt es doch mit fortschreitender Übung, 
sehr scharf auf den Grundton einzustellen. Kommt Hochfrequenz zur 
Anwendung, so sind natürlich besondere Maassregeln notwendig (siehe 
darüber den Anhang S. 105). 

Frequenzbestimmung. Da die Frequenz der Wechselströme in 
die Rechnung eingeht, musste sie genau bekannt-sein. Ein einfaches 
Messungsverfahren ergab sich aus folgender Überlegung: Befindet sich 
in einem Zweig der Wheatstoneschen Brücke, zum Beispiel in DB 
(Abb. 1), ein Kondensator C, in den anderen drei aber reine Wider- 
stände, so wird das telephonische Minimum schlecht, weil die Phase 
voreilt. Fügt man eine Selbstinduktion L passender Grösse hinzu, 
so hebt man die Phasenverschiebung auf und erhält ein absolutes 
und scharfes Minimum. In diesem Falle besteht zwischen C, L und 


der Frequenz N die Gleichung N—= = ;—=!). Die variable Selbst- 


induktion war vorhanden; ich brauchte also nur das Hautpräparat 


mit einem bekannten Kondensator zu vertauschen und konnte, nach- 
dem das Minimum mit Messdrahtschieber und Spule absolut gemacht 
war, aus C und L die Frequenz berechnen. Ein Vorzug der Methode 
besteht auch darin, dass man während des Versuchs ohne wesent- 
liche Veränderung der Anordnung sich davon überzeugen kann, ob 
die Frequenz konstant geblieben ist. Bei Hochfrequenz wird das 
Telephon durch das im Anhang beschriebene Nullinstrument ersetzt ?). 


1) Siehe z. B. H. Starke, Experimentelle Elektrizitätslehre, 2. Autfl., 
D. 1207. 

2) Die Methode benutze ich seit Sommer 1913. Da sie nur eine 
Umkehrung des Wien’schen Verfahrens (a. a. OÖ.) ist, aus N und L 
die Kapazität zu bestimmen, habe ich sie nicht für neu gehalten. 
Aus einer Veröffentlichung von Heydweiller und Hagemeister (Ber. 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 95 


Die Elektroden sollten chemischindifferent sein, einen von der Fre- 
quenz praktisch unabhängigen kleinen Widerstand haben und die Phase 
des Wechselstroms nicht merklich verschieben. Nach vielfachen Versuchen 
erwiesen sich als am geeignetsten gut platinierte Platin- oder Silber- 
bleche, die mit einer dünnen Schicht Ringergelatine überzogen waren. 
Die schliesslich benutzten Exemplare hatten folgende Einrichtung: 
Auf ein platiniertes Silberblech war mit Guttaperchakitt ein Glasring 
von 15 mm innerem Durchmesser und 2—-3 mm Höhe aufgekittet, 
und der Hohlraum wurde mit 10% iger Ringergelatine ausgegossen. 
Zwischen je zwei dieser Elektroden kam ein Stück einfacher oder 
doppelter Haut (Innen- auf Innenseite). 

Präparat. Die Haut stammte von gut erhaltenen Winterfröschen 
(Temporaria und Esculenta); sie wurde sorgfältig abpräpariert und 
bis zum Versuch in zimmerwarmer Ringerlösung aufbewahrt. Für 
absolute Temperaturkonstanz konnte nach der Art der Versuchs- 
anordnung nicht gesorgt werden, jedoch ist nicht anzunehmen, dass 
wesentliche Temperaturschwankungen während eines Versuches vor- 
gekommen sind, weil die Haut beiderseits von den Elektroden bedeckt 
und deshalb der Verdunstung nicht ausgesetzt war. 


Versuche. 
Es sind im ganzen sieben Hautpräparate (A—G) gemessen worden. 
Die Ergebnisse sind aus den folgenden Tabellen zu ersehen. 
Versuch A. Temporaria, Rückenhaut doppelt genommen. 


Kompen- a 4 j 
Bus sierende el A Aw Danzzı Aw Reihen- 
quenz |Selbstinduk-| stand h S.NL) tät — 
N tion Lin Ohm Ohm 2a NL uF?) L folge 
Henry -3 
389 35,9 185,1 112,1 0,83 3,02 20 B) 
769 18,0 137,6 64,6 0,75 2,39 3 2 
169 21,3 150,5 77,5 0,75 1,55 36 6 
1175 8,72 120,8 47,8 0,74 2,09 BB) 1 
6 000 1,04 101,2 28,2 0,73 0,68 Pate 4 
38 000 0,067 84,2 11,2 0,74 0,28 1670 5 


er 
= 


Man sieht hier, dass bei steigender Frequenz das kompensierende 
Selbstpotential, wie es zu erwarten war, stark abnimmt. Ebenso 
nimmt auch der Widerstand ab. Anscheinend genügt selbst die Frequenz 


d. D. Physik. Ges. 1916 S. 52) ersehe ich aber, dass sie bisher noch nicht 
angegeben war. Ihre Ergebnisse decken sich vollständig mit akustischen 
Bestimmungen. 
1) Aus theoretischen Gründen ist im Nenner noch der Faktor 2r 
zugefügt. 
1 


2) Berechnet nach der Formel C= 4 z2N2L‘ 


96 Martin Gildemeister: 


38000 noch nicht, um den Einfluss der Polarisation ganz zum Ver- 
schwinden zu bringen; deshalb ist durch graphische Extrapolation der 
wahre Widerstand zu 73 Ohm ermittelt und danach (durch Subtraktion 


Aw 


von der dritten Spalte) Aw berechnet. Der Ausdruck S=NL ist merk- 
27 


lich konstant, wie es im Falle der Polarisation sein muss. Dagegen 


Aw 
wächst der Quotient FE der im Falle elektrostatischer Kapazität 


konstant sein müsste, bis auf das mehr als SOfache. Dieser Versuch 
spricht also im Sinne unserer einleitenden Betrachtungen für Polari- 
sation. Das Präparat war am Anfange des Versuches (vgl. die beiden 
Reihen für 769) noch nicht ganz mit den Eektroden im Gleichgewicht. 
Das ist verständlich, wenn man berücksichtigt, dass für die Aussen- 
seite der Froschhaut die Ringerlösung nicht die natürliche Bespülungs- 
flüssigkeit ist. 


Hier mögen zunächst zwei Versuche an Kondensatormodellen ein- 
geschaltet werden, welche die Richtigkeit der in der Einleitung an- 
gestellten Betrachtungen erweisen. 

Versuch I. Zwei Widerstände und ein Präzisionsglimmerkonden- 
'sator werden nach Abb. 2c miteinander verbunden: w; = 50 Ohm, 
w, = 100 Ohm, C=1uF. Also Grenzwert des Wechselstromwider- 
standes für Hochfrequenz 50 Ohm. Theoretischer konstanter Wert von 


—— = 10-1073 Ohm/Henry (siehe Anhang Gl. 5, S. 103). 


L 
Kompen- | 
En x 
Frequenz Selbstin Widerstand] ,,, Ohm Aw Aw 
Henry 
389 9,9 145,0 95,0 3,89 9,6 
769 8,1 132,2 82,2 2,10 10,0 
1175 6,6 116,6 66,8 1,37 10,0 


VersuchlIl. Dieselbe Schaltung, aber w, — 10 Ohm, ı0, = 1000 Ohm, 


Aw 
C =1uF. Theoretischer konstanter Wert von er 1-103 Ohm/ 


Henry. 
i le 
Frequenz | ;nauktion en .Iw Ohm = = 
Henry 3 2nNL 
389 145,1 160,9 150,9 0,43 1,04 
769 41,6 54,8 44,8 0,22 1.08 
1175 koııl 31,9 21,9 0,16 1,14 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 


er 


Die Übereinstimmung mit der Theorie ist in beiden Fällen be- 
friedigend. Man vergleiche die konstante letzte und inkonstante vor- 
letzte Spalte mit den gleichbezeichneten des Versuches A (und der 
folgenden B bis G), wo die Verhältnisse umgekehrt liegen. 

Nun mögen die weiteren sechs Froschversuche mitgeteilt werden. 
Bei E bis G blieben die Elektroden vor dem Versuch mehrere Stunden 
‘mit der Haut in Berührung, was offenbar günstig auf die Konstanz 
der Resultate einwirkte. 


; S GR en = = & 

ae SE | 5 < 
5 >| S Q| Z SI 

aa || a ee 

m > [| fee 

2 a! 1691 | 1173 | 0 2,35 ia. 8 

769 | 220 110,1 533 | 0,55 1.95 le 

Ba 1175 |, 109 92.9 411 0,55 1,80 0 [1 

figs | 110 97.0 452 | 055 1,67 a A 

90 000 518 | 5 

39 | 24 | 117 615 | 081 2,01 Be: 

769 | 219 | 1241 339 | 032 1.95 5 [2 

c!| 115 97 119,3 291 | 04 1.89 3 1 

il le | 118.0 27.8 0.34 1.64 35 [4 

L| 90 000 92 | 5 

339 | 660 | 146,8 768 | 048 2,53 1a 3 

769 | 92 | 191 491 0.53 2.23 % 12 

DJ| 1175 89 | 1096 396 | 0,60 2.06 An 

\l 1175 96 | 1109 109 | 0,58 1.91 3 |4 

L| 90 000 70,0 5 

3839 | 609 | 1089 647 | 044 9,75 ne 

169 | 179 80.2 360 | 042 2.39 » 12 

E}| 1175 83 70.0 58 | 042, | 221 3 1 

I 1005 8.6 70,4 2 | 04 2.14 3 4 

L| 90 000 442 5 

(| 3s9 | 101,9 179,3 927 | 038 1,64 ale 

|| ‚ee | 83 | 11 535 | 0,39 1,51 9 12 

Be ze 131 130,8 42 | 046 1,40 an 

| 115 | 184 1161519] 749 4 

90.000 86, 5 

389 | 9,1 164,0 94,6 | 0,49 2,12 2 |s3 

769 | 218 | 1195 501 | 048 1.96 23 [2 

5105| 71045 351. | 0,45 1.75 en 

1175. nl 106.1 367 1.08 1.66 | 

L| 90.000 69a | 5 


1) Der Hochfrequenzwiderstand ist als der wahre angenommen. 
2) Wahrscheinlich falsch protokolliert. 


Pflüger’s Archiv für Physiologie. 


Bd. 176. 


7 


98 | Martin Gildemeister: 


Versuch B. Temporaria, Oberschenkelhaut, doppelt genommen. 
Widerstand der Elektroden 39,7 Ohm. Präparat + Elektroden mit 
Induktorium gemessen ca. 144 Ohm. 

Versuch C. 'Temporaria, Bauchhaut, doppelt genommen. Wider- 
stand der Elektroden 78,2 Ohm. Mit Induktorium gemessen + Elek- 
troden ca. 127 Ohm. 

Versuch D. Esculenta, Rückenhaut, doppelt genommen. Elek- 
troden 59,4 Ohm. Mit Induktorium + Elektroden ca. 120 Ohm. 

Versuch E. Esculenta, Unterschenkelhaut, einfach genommen. 
Elekroden 34 Ohm. 

Versuch F. -Esculenta, Oberschenkelhaut, doppelt genommen. 
Elektroden 68.1 Ohm. 

Versuch G. Esculenta, Bauchhaut, doppelt genommen. Elek- 
troden 54 Ohm. \ 


A 
Die Betrachtung der Tabelle lehrt, dass der Ausdruck SCNL 


in jedem Versuch so gut konstant bleibt, wie es bei den Versuchen, 
die eine geraume Zeit dauerten, nur verlangt werden kann, besonders 
in den letzten drei Fällen, bei denen einigermaassen Gleichgewicht 


w 
eingetreten war. Dagegen war auch hier der Quotient L sehr 


mit der Frequenz veränderlich, im Gegensatz zum Kondensatormodell. 

Damit ist bewiesen, dass es sich bei der Froschhaut 
um Polarisation und nicht um elektrostatische Kapazität 
handelt. 


Nach den Befurden der Physiko-Chemiker ist die Polarisations- 
kapazität von Elektroden von der Dichte des Wechselstroms abhängig, 
und zwar derartig, dass sie nur bis zu einer gewissen oberen Stromdichte 
konstant bleibt (Initialkapazität). Die oben zitierten Untersuchungen 
von Wien, Krüger u. a. beziehen sich auf die Initialkapazität, und 
es musste deshalb festgestellt werden, ob die zulässige Stromdichte 
hier nicht überschritten war. Deshalb wurde bei den drei letzten 
Versuchen die Dichte stark variiert. Es wurde in den Stromkreis 
zwischen Transformator und Messdraht ein Messinstrument (Vakuum- 
thermoelement von Siemens & Halske, verbunden mit einem empfind- 
lichen Galvanometer) eingeschaltet. Kannte man so die Stromstärke 
in der unverzweigten Leitung, so war bei einer gewissen Schieberstellung 
auf dem Messdraht und bei bekanntem Vergleichswiderstand auch der 
Strom zu berechnen, der durch das Präparat ging. Beispiel: Versuch G, 
Frequenz 389. Stärke des Stroms, der den Enden des Messdrahtes 
zugeleitet wird, 1,4 Milliampere. Messdraht hat 17 Ohm, Rheostat + 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 99 


Spule + Präparat im Augenblick der Kompensation 624 Ohm. Also 
Strom durch das Präparat gleich 1,4 x 17: (17 + 624) = 0,037 MA. 
Dann wurde Telephon und Stromquelle vertauscht; dabei änderte 
sieh nichts, weder am Widerstand noch än der Selbst- 
induktion.‘ Stromstärke in der unverzweigten Leitung wieder 1,4 MA. 
Jetzt teilt sich dieser aber in einen Zweig durch den Rheostaten (300 Ohm) 
‚und den einen Abschnitt des Messdrahtes (83 Ohm), und einen durch 
das Präparat (314 Ohm) und den anderen Messdrahtabschnitt {9 Ohm). 
die Stromstärke !m Präparat beträgt also 1,4 x 308: (308 + 331) = 
0.67 MA; sie ist also 18mal so gross als bei der anderen Schaltung. 
Da-die Konstanten des Präparats sich dabei nicht ändern, 
befinden wir uns im Gebiet der von der Intensität un- 
abhängigen, der Initialkapazität. Zugleich ist damit auch 
bewiesen, dass die Stromwärme keine Rolle spielt. Ähnlich 
verliefen einige andere Versuche, auch mit Hochfrequenz. 


Besprechung der Ergebnisse. 


Aus den Versuchen geht hervor, dass die in der Einleitung gestellte 
Frage im Sinne der Polarisation zu beantworten ist, und dass die 
Froschhaut Wechselströmen von der Frequenz 400—1200 gegenüber 
hinsichtlich der Abhängigkeit der Widerstandszunahme von der Fre- 
quenz denselben Gesetzen folgt wie metallische Elektroden in Elek- 
trolyten. Nun kann bei solchen nach F. Krüger (a. a. O.) die Polari- 
sationskapazität vier verschiedene Ursachen haben: 1. Konzentrations- 
veränderungen in gewissen Schichten mit Beteiligung der Diffusion 
(Diffusionskapazität); 2. lokale Verdichtung von Stoffen (Oberflächen- 
dichtigkeitskapazität); 3. Bildung elektrischer Doppelschichten ; 4. nicht 
momentane Dissoziation. Die Grösse der Phasenverschiebung und die 
Veränderung der Kapazität beim Wechsel der Schwingungszahl folgen 
in den vier Fällen verschiedenen Gesetzen. Ich halte es für verfrüht, 
schon jetzt Hypothesen über die hier vorliegenden Ursachen aus- 
zusprechen; augenscheinlich sind die Vorbedingungen für 1 und 3 an 
den semipermeablen Membranen gegeben, gleichgültig, ob man diese 
nun mit Nernst und Cremer u.a. als durch ein zweites Lösungsmittel 
oder, wie es in der letzten Zeit besonders Bethe!) betont hat, durch 
eine poröse Scheidewand gebildet denkt. Die Entscheidung, ob es 
sich hier mehr um Diffusions- oder um Doppelschichtenpolarisations- 
kapazität handelt, können erst weitere Versuche erbringen, etwa in 
der Art, wie sie Krüger an Metallelektroden angestellt hat. 

Dass tierische Organe polarisierbar sind, steht seit Peltier’s grund- 


1) A. Bethe und Th. Toropoff, Zeitschr. f. physik. Chemie. Bd. 88 
S. 686. 1914; Bd. 89 'S. 597.. 1915. 


ZI 


100 Martin Gildemeister: 


legenden Versuchen !) fest, insofern zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit 
scheinbar nichts Neues. Jedoch handelt es sich hier doch um Erschei- 
nungen ganz anderer Grössenordnung als bei du Bois undHermann?). 
Die Polarisation, welche diese Forscher beobachteten, lieferteim Vergleich 
zur angelegten Spannung (bis zu 30 Volt!) nur ganz geringe Potentiale, 
im günstigsten Falle etwa 1, Volt. Hier ist gezeigt worden, dass die 
Polarisation äusserst stark sein kann, so stark, dass siefür den Ausfall 
elektrischer Messungen ausschlaggebend wird. Lehrreich ist in dieser 
Beziehung die folgende Tabelle. In der ersten Reihe ist der wahre 
Widerstand der Haut angegeben (Hochfrequenzwiderstand minus 
Elektroden), in der zweiten der mit der Frequenz 369 gemessene 
(gleichfalls minus Elektroden), in der dritten derjenige, der sich bei 
gewöhnlicher Messung mit Induktorium, ohne Kompensation des 
schlechten Minimums, ergab: 


Versuch .. a B 6 D E F G 
Wahrer Widerstand Ran 01 2,1.512:0 14610218 15,4} S 
Widerstand bei Frequenz 369 129,4 73,5 88,4 74,9 111,2 110,0 (@ 
Widerstand mit Induktorium 104 49 6i ) 


Durch die Polarisation erscheint also der Wechselstromwiderstand 
bis auf das Zehnfache vermehrt. Der Gleichstromwiderstand weicht 
noch viel mehr von der Wirklichkeit ab. 

Man sieht auch, dass die Messungen üblicher Art mit Induktorium 
und Telephon, wenigstens bei der Haut, über den Widerstand nichts 
aussagen können. Überhaupt sind Messungen, bei denen das Minimum 
schlecht ist nur mit grosser Vorsicht aufzunehmen. 

Es liegt nun nahe, auch andere tierische Organe in derselben Weise 
zu untersuchen und dadurch die alte Streitfrage zu entscheiden, welche 
Rolle die Polarisation beim Nerven spielt?). Jedoch ist das vorläufig 
technischer Schwierigkeiten halber leider unmöglich, da Objekte grossen 
Widerstandes die Brückenströme zu sehr schwächen und dadurch die 
Genauigkeit der Kompensationseinstellung beeinträchtigen. Auch wenn 
sich da ein Ausweg finden lässt, wozu Aussicht vorhanden ist, so bleibt 
doch das grundsätzliche Bedenken, dass sich im Nerven wahrscheinlich 
wenig polarisierbare Gewebe (Bindegewebe) im Nebenschluss zur eigent- 
lichen Nervensubstanz befinden, wodurch zweifellos die quantitativen 
Beziehungen verändert werden. 


1) Siehe E. du Bois-Reymond, Unters. üb. tier. El. Bd. 1 S. 376 
1848; Arch. f. (An. u. Physiol.) 1884, S. 1. 

2) Siehe die Literatur im Artikel von Cremer, Nagel’s Hdbch. d. 
Physiol., Bd. IV Ss. .911fr. 1909. 

3) Siehe dazu die Erörterungen von Cremer, a. a. O., S. 916. 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 101 


Zum Schlusse sei es mir gestattet, auf einige Beziehungen zwischen 
unserem Thema und allgemein physiologischen Fragen hinzuweisen. 
Die nachgewiesene starke Polarisierbarkeit der Haut wird man nach dem 
heutigen Stande der Erkenntnis den Zellmembranen zuschreiben müssen. 
Ändern sich diese, so ändert sich auch die Polarisation, und umgekehrt. 
Eine hierher gehörige Tatsache ist schon bekannt: wie in der Arbeit von 
Belouss angegeben ist (a. a. O. S. 319), sinkt die Polarisationskapazität, 
wenn die menschliche Haut von einem einsteigenden Gleichstrom 
durchflossen wird, und umgekehrt. Man wird dabei an die Wirkung 
von Konzentrationsveränderungen an den Membranen denken, und es 
scheint, dass wir hier ein Mittel haben, um Eigenschaftsänderungen 
der Membranen (zum Beispiel Verdichtung und Auflockerung) bequem, 
ohne Schädigung und in vivo zu studieren. Was das für viele Probleme 
heissen will, braucht nur angedeutet zu werden; ich erwähne nur die 
Frage nach dem Einfluss der Narkotika. Andererseits hängt die 
Polarisierbarkeit eng mit den relativen Wanderungsgeschwindigkeiten 
der Ionen ausserhalb und innerhalb der Membran zusammen; sind 
zum Beispiel in dem Nernst-Riesenfeld’schen Schema !) die Über- 
führungszahlen in beiden Phasen dieselben, so kommt es durch Strom 
zu keiner Konzentrationsveränderung der Elektrolyte an der Phasen- 
grenze, also wird hier die Diffusionskapazität fehlen. Mithin wird es 
möglich sein, aus Polarisationsmessungen Schlüsse auf die relativen 
Wanderungsgeschwindigkeiten der Ionen im tierischen Gewebe zu 
ziehen. 

Jedenfalls ergibt sich aus unserer Betrachtungsweise eine Fülle 
neuer Fragestellungen. 


1) W. Nernst und E.H. Riesenfeld, Ann. d. Physik [4] Bd. 8 S. 600. 
1902. 


102 Martin Gildemeister: 


Mathematischer und technischer Anhang. 


Der Körper als Kondensator mit schlechter Isolation 
betrachtet. Kompensierung der Phasenverschiebung dieses 
Modellsdurch eineSelbstinduktion. Wir haben oben (S. 88) gesehen, 
dass die Leitungseigenschaften des tierischen Körpers gegenüber Gleich- 
und Wechselströmen, abgesehen von der Veränderlichkeit des Gleich- 
stromwiderstandes, auch verständlich werden, wenn wir ihn nach der Art 
des Schemas Abb. 2c aus Kondensatoren und Widerständen aufgebaut 
denken. Nun fragt es sich, wie die physikalischen Eigenschaften eines 
solchen Modells sind, insbesondere, ob die Phasenverschiebung, die der 
durchgeleitete Strom gegenüber einer angelegten Wechselspannung er- 
leidet, durch eine Selbstinduktion kompensiert werden kann und nach 
welchen Gesetzen. 

Man denke sich das Modell unter Zwischenschaltung einer Selbst- 
induktion L mit einer Wechselstromquelle von der Spannung V = 
E sin 2rNt verbunden. Dann macht es keine Schwierigkeit, nach den 
Kirchhoff’schen Sätzen und den bekannten Gesetzen der Selbstinduktion 
und Kapazität eine Differentialgleichung für den Strom I in der unver- 
zweigten Leitung aufzustellen. Das Integral hat die Form I = 
A sin (27 Nt+ 9) + M+ N, worin M und N zwei Ausdrücke sind, die mit 
der Zeit verschwinden; für den stationären Zustand interessiert also nur 
das erste Glied der rechten Seite. Die Bedingung, dass keine Phasen- 
verschiebung vorhanden sein soll, ergibt tang gg = 0. Daraus erhält 
man eine Gleichung zwischen N, L, w,, w, und C. Berücksichtigt man 
diese, so findet man für A, die Amplitude des Wechselstroms, einen 
ziemlich einfachen Ausdruck, aus dem zu ersehen ist, dass A im Falle 


der Kompensation so gross ist, als ob der Widerstand den Wert w, + DE 
1 


besitze. Da weiter der Widerstand für. unendlich grosses N w, ist, so ergibt 
sich die Widerstandszunahme für Wechselstrom von der Frequenz .N, 


gegenüber dem Hochfrequenzwiderstand w,, al wie oben S. 91 


1 w,C, 
1 
angegeben. Dort ist k für Ein: gesetzt, da ja w, und C als konstant 
al 
angenommen werden. 

Diese grundsätzlich nicht schwierige, aber langwierige Rechnung soll 
hier nicht ausgeführt werden. Viel eipfacher und eleganter führt ein 
anderer Weg zum Ziel. 

M. Wien hat in einer Arbeit!) darauf aufmerksam gemacht, dass man 
die Amplitude und Phase eines Wechselstroms in einem Leitersystem mit 
Selbstinduktionen und Kapazitäten berechnen kann, ohne auf die 
Differentialgleichungen zurückzugehen, wenn man für eine Selbst- 
induktion L den ‚‚Widerstandsoperator‘‘ 2rNiL, für eine Kapazität C 


1 
s_Ar7r einführt, und diese Ausdrücke behandelt wie gewöhnliche 
2r NIC 
Ohmsche Widerstände (( = YV — 1). Man erhält durch Summierung 


der Widerstände und Operatoren im allgemeinen einen komplexen Aus- 
druck; der reelle Teil desselben ist gleich dem in diesem Fall zur Wirkung 


1) M. Wien, Ann. d. Physik. Bd. 44 S. 689. 1891. 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 103 


kommenden, dem ‚wirksamen‘ Widerstand, die Phasenverschiebung ist 
aus dem imaginären Teil zu ersehen; da sie in unserem Falle Null sein 
soll, ist hier der imaginäre Teil gleich Null zu setzen. 

Das Verfahren wird an unserem Beispiel klarer werden. Es sind 
hintereinander geschaltet ein Widerstand w,, eine Selbstinduktion ZL, 
für die der Operator 27 NiL einzuführen ist, und zwei zueinander parallel 
liegende Leiter, der Widerstand w, und die Kapazität C, an deren Stelle 

1 : : \ 

2. Nic ‚setzen ist. Da der Gesamtwiderstand zweier paralleler Leiter « 
und b bekanntlich ab: (a + b) ist, hat man für den letzten Leiterteil 


©. BrNic 


zu setzen. Der Gesamtwiderstand W der ganzen Anord- 
/ 


1 Ä 
wur L /a zNiG 
119) : 
h 3 Ww, . 2% NiE ; 3 
nung ist also w, + 2rNiL + NO, Bringt man alles auf einen 
w,+ /2rNiC 
Nenner und macht diesen schliesslich durch Erweiterung mit 1—2rNiCw, 
w \ Cw? : 
reell, so wirdW = w, + Ta © 22 in(L —_ +), worinS für4 r?2N?C?’w?, 


+S 18 
gesetzt ist. Stellt man die Bedingung, dass durch passende Wahl von 
L die Phasenverschiebung aufgehoben sein soll, so hat man den imagi- 
nären Teil gleich Null zu setzen; daraus folgt: 


Cw, 
£ w, 
Wkomp. —=— W- Lac Ss RE NE RE AED 2) 


Durch Verbindung von Gl. 1 und 2 folgt für den wirksamen Widerstand 
im Falle der Kompensation 


IE 
Vı =  -ı — - = 
Wkomp. w, 7 N Den 3) 


Für wachsendes N wird auch $ immer grösser, Lkomp. Konvergiert mithin 
bei zunehmender Frequenz nach Gl. 1 gegen Null, W aber gegen w, 
(Gl. 3). Es ist also der Hochfrequenzwiderstand 


Wearsa) ww: 


Führt man schliesslich für den Überschuss des bei endlicher Frequenz 
gefundenen Widerstandes Wxkomp. über den Hochfrequenzwiderstand ı, 
die Bezeichnung Aw ein, so ergibt sich aus Gl. 3 


E 
Es ıst also 
Aw 1 k % 
Er Eu OS RE er re) 


Diese Gleichung ist den Versuchen zugrunde gelegt worden (siehe & 96). 
Von Interesse ist noch diescheinbare Kapazität c des Modells, diesich 

aus der Frequenz N und der Selbstinduktion L nach der Thomson’schen 
1 | 1 

4 »N2L berechnet. Es ist «= CH 7 ZEN Car,’ 


Formel c = also 


104 Martin Gildemeister: 


immer grösser als die wahre Kapazität, sich dieser aber mit steigender 
Frequenz immer mehr nähernd. 

Man könnte nun einwenden, dass das in Abb. 2c dargestellte Modell 
zu einfach sei; man habe sich noch einen Widerstand w, in der Zuleitung 
zum Kondensator zu denken. Dadurch ändert sich aber nichts Wesent- 

w 1 

L C (w, + w;) 
konst. Die Versuche beweisen also, dass auch ein solches kompliziertes 
Modell den Tatsachen nicht gerecht‘ wird. 


liches im Endresultat; die Gleichung 5 heisst dann 


Einzelheiten zur Methodik. Wechselstromquellen. Mir 
stehen jetzt bessere Stromgeneratoren zur Verfügung als im Frühjahr 1914. 
Sehr bequem ist der Larsen’sche akustische Wechselstromerzeuger!), 
den man leicht improvisieren kann. Er ist durch elektrische Resonanz 
noch bedeutend zu verbessern. Näheres darüber und über ein neues 
Modell der Poulsenlampe wird demnächst 
in der Elektrotechnischen Zeitschrift ver- 
öffentlicht werden. 

Variable Selbstinduktion. Das 
Schaltungsschema derselken ist aus Abb. 4 
zu erseben. Ihr Messbereich kann: nach 
unten noch erweitert werden, wenn man 
eine Einrichtung trifft, um die beiden 
Spulenhälften auch parallel schalten zu 
können. 

Es musste experimentell festgestellt 
werden, ob die Selbstinduktion und der 
Widerstand sich merklich mit der Fre- 
quenz ändern, da beide Grössen ja in die 
Abb.4. Schaltungsschema der Fechnung eingehen. Das geschah auf 
variabeln Selbstinduktion. i folgende Weise: a) Die Selbstinduktion 
kleine innere, a kleine äussere wurde nach Maxwell (Kohlrausch, 
Spule (je 2 Lagen Draht)), I Lehrb. d. prakt. Physik, 11. Aufl. S. 537 
grosseinnere, Agrosseäussere Nr. 4a) in der Wheatstone’schen Brücke 
ee ae mit einem Luftkondensator bei verschiede- 
nur a und i(1) oder ausserdem nen Frequenzen unter Benutzung des Hör- 
noch A und / eingeschaltet (2). telephons bzw. des im näcnsten Abschnitt 
U, schaltet die Spulenhälften beschriebenen Schleifers verglichen. Er- 

gleich- oder gegensinnig. gebnis: keine merkliche Änderung bis zur 
Frequenz 20000. Bei höheren Frequenzen 

wurde das Selbstinduktionsvariometer niemals benutzt, sondern nötigen- 
falls kleine Flachspulen aus ‚‚Hochfrequenzlitze‘“ (bestehend aus vielen 
dünnen isolierten, miteinander verdrillten Drähten), deren Selbstpotential 
erfahrungsgemäss in weiten Grenzen von der Frequenz unabhängig ist. 
b) Der Widerstand des Variators stieg, wie bei allen Spulen, merklich mit 
der Frequenz. Die Messungen erfolgten gleichfalls in der Wheatstone’schen 
Brücke in der Schaltung der Abb. 1, also mit dazugeschaltetem Kondensator. 
Speist man die Brücke mit Sinusströmen und stellt auf absolutes Minimum 
ein, so ergibt sich aus der Schieberstellung, wenn man links einen von der 
Frequenz unabhängigen Widerstand (dünnen Ziekzackdraht) hat, nach der 


1) F. Larsen, Elektrotechn. Zeitschr. 1911, S. 284. 


Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 105 


bekannten Proportion der wirksame Widerstand von Spule + Kondensator. 
Hat man eiren Luftkondensator oder bei Niederfrequenz einen guten 
Glimmerkondensator, so kann man den Energieverbrauch in diesem ver- 
nachlässigen und erhält also unmittelbar die Widerstandszunahme der 
Spule. Die Zunahme betrug im ungünstigsten Falle 0,3 Ohm und wurde 
in Rechnung gezogen. 

Kondensatoren. Ausser Luft- und Präzisionsglimmerkondensatoren 
kamen in einzelnen Fällen zur Frequenzbestimmung selbstgefertigte 
Paraffinpapierkondensatoren zur Verwendung. Es gelang, solche her- 
zustellen, deren Kapazität, verglichen mit Luftkondensatoren, fast gar 
nicht von der Frequenz abhängig war. Verfahren: gutes Schreibmaschinen- 
papier wird langsam durch auf 150° C. erhitztes offizinelles Paraffinum 
solidum (Schmelzpunkt 68—72° C.) gezogen, bis keine Blasen mehr auf- 
steigen. Nach dem Erkalten werden immer zwei Papierschichten und ein 
Blatt Aluminiumstanniol übereinandergeschichtet, und einerseits die 
geraden, andererseits die ungeraden Metallblätter miteinander verbunden 
und nach aussen abgeleitet. Zum Schlusse wird das ganze, nicht mehr 
als 5 mm dicke Pack in demselben Paraffin (sehr wesentlich!) auf der 
Kante stehend längere Zeit auf 150°C. erhitzt, bis keine Luftblasen mehr 
entweichen, und darin erkalten lassen. Die guten Eigenschaften rühren 
wohl von der Abwesenheit der Luft und der beträchtlichen Dicke, also 
geringen Belastung des Dielektrikums her. Käufliche Papierkondensatoren 
erwiesen sich als viel schlechter. Die selbstgefertigten vertrugen ohne 
merkliche Erwärmung viertelstundenlang Wechselspannungen von 2000 Volt. 
Sie wurden auch, je zwei in Serie geschaltet, im Schwingungskreis der 
Poulsenlampe benutzt. Neuerdings habe ich erfahren, dass die Firma 
C. Meirowsky in Porz bei Köln für den letzteren Zweck geeignete 
„Pertisax‘‘-Kondensatoren anfertigt. 

Nullinstrument. Um bei Frequenzen, die über der Hörgrenze 
lagen, die Kompensation akustisch vornehmen zu können, was viele Vor- 
teile bietet, diente ein der Technik der drahtlosen Telegraphie ent- 
nommener ‚‚Schleifer‘‘, der auch zwischen die Punkte D und Sch der Abb. 1 
eingeschaltet wurde (siehe Abb. 1//). Unmittelbar mit diesen Punkten 
wird zunächst ein kleiner Kondensator c, von einigen Hundertsteln „F 
verbunden (der manchmal auch ohne wesentliche Beeinträchtigung der 
Wirkung fehlen kann). Parallel zu diesem liegt ein Telephonkondensator cz 
von 2 uF, und wieder parallel zu diesem ein Telephon T. Zwischen 
beiden Kondensatoren ist dann die Vorrichtung angebracht, die der 
Anordnung den Namen gegeben hat, nämlich ein blanker rotierender 
Messingzylinder Z mit einem daran schleifenden feinen Kupferdrähtchen. 
Ich verwandte dazu die Achse des Windrades eines Kymographiums. 

Solange zwischen D und Sch noch Spannungen bestehen, ladet und 
entladet sich der Kondensator c, abwechselnd. Macht dann der Draht 
bei Z Kontakt, so strömt die Ladung nach c, über und gleicht sich durch 
das Telephon aus, sobald der Kontakt bei Z zufällig unterbrochen wird. 
Man hört also, wenn noch nicht scharf auf das Minimum eingestellt ist, 
im 'Telephon ein eigentümliches Kratzen und Rauschen, das im Augen- 
blick aer gewünschten Einstellung schweigt. 


Für die Bewilligung des zu diesen Versuchen benutzten Helm- 
holtz’schen Pendels bin ich dem Kuratorium der Gräfin Luise Bose- 
Stiftung in Berlin zu grossem Danke verpflichtet. 


Über einige Hilfsapparate für die Prüfung 
der Atmung am Tiere. 


Von 
Dr. E. Impens, Elberfeld. 


Mit 5 Textabbildungen. 
(Eingegangen am 4. April 1919.) 


Bei der Prüfung einiger secaleähnlichen Präparate auf ihre Ein- 
wirkung auf die Bronchialmuskulatur habe ich mich einiger Apparate 
bedient, welche sich für ihren Zweck gut bewährt haben und deren 
Beschreibung denjenigen, die sich mit solchen Untersuchungen befassen 
müssen, zweifellos von Nutzen sein kann!). 

Für die graphische Registrierung der Luftbewegungen 
in der Trachea ist die alte Einrichtung von Paul Bert noch die 
einfachste und brauchbarste; sie besteht bekannterweise aus einem 
Marey’schen Tambour, welcher durch Vermittlung einer grossen 
Flasche, die als Luftvorrat dient, mit der Trachea in möglichst kurzer 
Verbindung ist. Der Fehler dieses Apparates besteht in der verhältnis- 
mässig rasch eintretenden Verschlechterung der Luft in der Flasche, 
besonders wenn dieselbe nicht recht gross genommen wird. Die Ver- 
suche müssen dementsprechend oft unterbrochen werden, um die Luft 
zu erneuern. In vielen Fällen ist empfohlen worden, die Flasche weg- 
zulassen und das Tier durch einen nach Bedarf mehr oder weniger 
eng einzustellenden Schlitz der Trachealkanüle in der freien Atmosphäre 
ein- und ausatmen zu lassen. Dieses Verfahren ist wenig empfehlens- 
wert, weil der Spalt in der Kanüle ziemlich eng eingestellt werden muss, 
wenn man eine einigermaassen zuverlässige Registrierung der Atem- 
bewegungen haben will. 

Ich habe nun den Paul Bert’schen Apparat dadurch vervoll- 
kommnet, dass ich an der Flasche eine Einrichtung für Absorption 


1) Die hier besprochenen Apparate sind im Prinzip nicht alle neu und es 
mögen ähnliche Einrichtungen wohl schon Verwendung gefunden haben; 
so 2. B. die Zwischenschaltung von einem Gummiballon in gewissen Fällen 
von Marey, die Kohlensäureabsorption mit Sauerstoffnachfüllung bei 
der S'auerstoffkonsumbestimmung nach Regnault-Reiset. Da diese Ein- 
richtungen in der speziellen Form und Zusammersetzung, wie ‘ich sie 
gebraucht habe, in den geläufigen Handbüchern für Laboratoriumstechnik 
nicht erwähnt sind, habe ich es für richt überflüssig gehalten, dieselben 
zu beschreiben. 


Über einige Hilfsapparate für die Prüfung der Atmung am Tiere. 107 


der gebildeten Kohlensäure und für die entsprechende Zufuhr von 
Sauerstoff angebracht habe. Dadurch kann der Versuch beliebig lang 
ohne jede Unterbrechung ausgedehnt werden und die eingeatmete 
Luft erfährt keine störende Veränderung in ihrer Zusammensetzung. 

Der Apparat, wie ich ihn aufgebaut habe, besteht nun aus der 
T-röhrenförmigen Trachealkanüle T, welche einerseits mit dem Marey- 
schen Tambour M durch den Schlauch R verbunden ist, anderereits 
mittels der kurzen Leitung S in die Luftglocke V mündet, aus der 
gesagten Luftglocke V, der Sauerstoffflasche O und der Druckausgleich- 
und Messvorrichtung WZ (siehe Abb. 1). Die vorne durch die durch- 
bohrte Glasplatte D dicht verschlossene Glocke V enthält 
einen ihren ganzen Querschnitt einnehmenden, mit Kali- 
stangen und Natronkalk gefüllten Drahtkorb A, welcher 
sich nahe an der Einmündung der Leitung S befindet. 


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Abb. 1. 


Durch die am entgegengesetzten Ende der Glocke angebrachten 
Leitung E, in welcher das Müller’sche Wasserventil H eingeschaltet 
ist, ist die Glocke in Verbindung mit der reinen Sauerstoff enthaltenden 
Flasche O; andererseits ist diese letztere Flasche durch das Niveau- 
rohr N mit dem Trichter WW verbunden. Niveaurohr und Trichter 
sind mit Wasser gefüllt, so dass die Wasserhöhe in W genau mit 
der Öffnung des Niveaurohrs in O übereinstimmt. In das Wasser 
des Trichters W taucht das schräg geschnittene Ausflussrohr des mit 
Wasser gefüllten, umgekehrt hängenden als Mariotte’sche Flasche 
fungierenden Messzylinders Z. Die ausgeatmete Luft streicht über 
das Alkali des Korbes K — die Kohlensäure wird dort fixiert und 
durch Sauerstoff aus der Flasche O ersetzt. In diese Flasche fliesst 
eine entsprechende Menge Wasser durch das Niveaurohr nach, und 
an der Höhe des Wassers im Messzylinder Z kann der Sauerstoff- 
verbrauch abgelesen werden. Bei gleichbleibender Temperatur im 


108 E. Impens: } 


Versuchszimmer kann demnach dieser Apparat annähernde Angaben 
über den Sauerstoffkonsum liefern. 

Um die Atembewegungen des Brustkorbes von aussen zu 
registrieren, habe ich mich des in der Abb. 2 wiedergegebenen Apparates 
bedient. Ein Gummikissen von länglicher viereckiger Form S wird 
auf der Brust des Versuchstieres mit Hilfe eines undehnbaren Gurtes G 
befestigt; das Innere des Kissens ist in Verbindung durch die Leitung A, 
in welcher das T-Stück B eingeschaltet ist, mit dem Gummiballon H. 
Dieser Ballon befindet sich in der durch einen doppelt durchbohrten 
Kork verschlossenen kleinen Flasche F. Das obere Ende des T-Stückes B 
wird durch eine Klemme abgesperrt. Die Flasche F ist andererseits 
mit dem Marey’schen Tambour T durch die mit dem’ T-Stück C 
versehene Leitung D verbunden; das obere Ende dieses T-Stücks ist 
ebenfalls durch eine Klemme verschlossen. Vor dem Versuch werden 
die Klemmen geöffnet, durch B Luft in das Gummikissen S eingeblasen, 


Abb. 2. 


bis es sich genügend an die Brustwand angeschmiegt hat; dann werden 
beide Klemmen geschlossen und der Apparat ist in diesem Augenblick 
gebrauchsfertig. 

Diese Anordnung hat den Vorteil, dass in das Gummikissen genügend 
Luftdruck gegeben werden kann, ohne dass der Marey’sche Tambour 
eine unnötige Spannung erleidet. 

In einigen Versuchen hielt ich es für zweckmässig, um eine Ver- 
engerung der Bronchien feststellen zu können, diekiinstliche Atmung 
von der Pleurahöhle aus durch alternative Vergrösserung und 
Verminderung des Luftdrucks in derselben auszuführen, während die 
Atembewegungen von der Trachea aus mit Hilfe des ersteren oben 
beschriebenen Apparates registriert wurden. 

Um diese Art der künstlichen Atmung einzuleiten, wird auf folgende 
Weise verfahren: In der vorderen Brustwand des Versuchstieres wird 
auf jeder Seite nach Inzision der Haut und der darunter liegenden 
äusseren Muskulatur eine kleine Öffnung durch den Intercostalmuskel 
bis in die Pleurahöhle angebracht und mit einer Kanüle, wie sie die 


Über einige Hilfsapparate für die Prüfung der Atmung am Tiere. 109 


Abb. 3 zeigt, versehen. Die untere ovale Platte A, deren Durch- 
bohrung mit einem feinmaschigen Gitter verschlossen ist, wird vors 
sichtig durch die Öffnung in die Brustwand eingeführt: die Haut und 
die äusseren Weichteile werden auf Seite geschoben und die bewegliche 
Platte B mit Hilfe der Mutter C angedrückt, so dass die von der inter- 
kostalen Muskulatur gebildete Wand zwischen beide 
Platten gepresst wird und ein luftdichter Verschluss ent- 
steht. 

Beide Kanülen werden durch Gummischläuche mit 
den einen spitzen Winkel bildenden Schenkeln eines Y- 
Rohres, dessen dritter Schenkel zu dem Zylinder einer 
Luftpumpe leitet, verbunden. 

Bevor man aber die Pleurahöhle mit der Luftpumpe 
verbindet, ist die kollabierte Lunge durch Ansaugen in 
mittlere Entfaltung zu bringen; ausserdem ist darauf zu achten, dass 
im Augenblick, wo die Pumpe in Betrieb gesetzt wird, die Bewegungs- 
richtung des Zylinders mit der Atmungsphase übereinstimmt. Die 
auf diese Weise betätigte Lüftung der Lungen gibt zufriedenstellende 
Ergebnisse. 

Es bleibt mir nur noch übrig, ein Wort über die Luftpumpe, 
welche ich für diese Versuche sowohl als auch für die Ausführung der 
künstlichen Atmung in der üblichen Weise 
durch die Trachea gebraucht habe, zu 
sagen. 

Diese Luftpumpe ist sehr einfacher 
Bauart und besteht aus zwei parallelen 
senkrechten Glaszylindern von 100 cem 
Inhalt A und B (Abb. 4), welche oben 
durch eine Metallkappe dicht verschlossen 
sind, unten in den mit Quecksilber ge- 
füllten Gefässen D und C tauchen. Der „ 
Boden der Metallkappen ist durchbohrt 
und mit dem rechtwinklig gebogenen 
Schlauchansatz E bzw. F versehen. Beide‘ 
Glaszylinder sind an einer wagerechten 
Metallleiste G fest aufgehängt; die Leiste ihrerseits wird durch ein 
Kurbel- und Pleuelstangensystem HM in senkrechte Bewegung ge- 
bracht, so dass die Zylinder im Quecksilber abwechselnd gehoben 
und gesenkt werden. Durch Ärderung der Kurbellänge kann die 
Hubhöhe und mit ihr das Volum der von der Pumpe beförderten 
Luft nach Belieben variiert werden. 

Die Schlauchansätze. E und F sind in Verbindung mit den ent- 
sprechenden Ventilpaarer IK und I’K’ 


110 E. Impens: 


Für die gewöhnliche Art der künstlichen Atmung, bei welcher 
die Einatmung unter dem Druck der Pumpe, die Ausatmung aber 
spontan durch die Elastizität der Lunge und des Brustkorbes ge- 
schieht, wird nur ein Zylinder gebraucht. Die Luft wird bei Hebung 
des Zylinders A durch das Einlassventil / eingesogen, ‚bei darauf 
folgender Senkung des Zylinders durch das Ventil X in die Leitung L 
zu der Trachealkanüle gepresst. An der Trachealkanüle ist ein Auslass- 
ventil angebracht, welches während der Einatmungsphase geschlossen 
ist, sich aber am Ende derselben automatisch öffnet und bis zum 
Schluss der Ausatmung offen bleibt. Dieses Ventil wird durch eine 
längere Auslösevorrichtung, wie man sie für Objektivverschlüsse an 
photographischen Apparaten hat, welche durch ein an der Stange H 
passend angebrachtes Daumenpaar angetrieben wird, bestätigt. 

Will man in gewissen Fällen die Ausatmung ebenfalls aktiv aus- 
führen, so wird das Einlassventil I’ des zweiten Zylinders durch eine 
Schlauchleitung mit dem Auslassrohr des 'Trachealventils verbunden. 

Für die künstliche At- 
mung von der Pleurahöhle 
aus, wie ich sie schon be- 
schrieben habe, genügt ein 


mittelbar ohne Ventil mit 
den Pleurakanülen verbun- 
den wird. 

Bei der Konstruktion der 
Luftpumpe kann man für 
die Stange H, welche die Zylinder trägt und in Bewegung setzt, eine 
Hülsen- oder Schlittenführung verwenden. Indes habe ich vorgezogen, 
eine geradlinige Führung anzubringen, die ich zum Schluss hier 
noch erklären möchte. 

Ihr Prinzip beruht auf folgender Tatsache: Sind zwei gleich lange 
Hebel AB und CD (Abb. 5), welche um die Achsen A und D drehbar 
sind und in einer Ebene liegen, derart durch eine doppelt so lange 
Stange BC an den Enden B und C gelenkig miteinander verbunden, 
dass diese Stange mit den Hebeln einen rechten Winkel bildet, wenn 
diese Hebel in der Stellung, wie in der Abbildung angegeben, mit der 
Verbindungslinie der beiden Achsen A und D einen Winkel von 45 Grad 
bilden, so legen die Punkte B und C, wenn der eine Hebel in Bewegung 
gesetzt wird, praktisch gleiche, aber entgegengesetzt gerichtete Strecken 
zurück. Dieses gilt aber allein für den begrenzten Fall, dass die Be- 
wegung des Punktes B nur zwischen den 22,5. und den 67. Grad auf 
dem Kreise um A stattfindet; darüber hinaus hört die Kongruenz 
der Bewegungen der beiden Punkte B und C auf. 


Pumpenzylinder, der un- 


Über einige Hilfsapparate für die Prüfung der Atmung am Tiere. ]]]1 


Sind nun zwei andere gleich lange und mit der Verbindungslinie AD 
einen gleichen, aber entgegengesetzt gerichteten Winkel bildende, um 
die Achsen A und D drehbare Hebel AG und DE mit den Hebeln A B 
und CD fest verbunden, so dass sie sich solidarisch mit denselben 
bewegen, und weiter die beiden Endpunkte dieser Hebel ihrerseits 
mit den gleich langen, um die bewegliche Achse O drehbaren Hebeln OG 
und OE gelenkig verbunden, so kann der Punkt O zwangsmässig nur 
eine geradlinige, auf die Verbindungslinie AD senkrecht gerichtete 
Bewegung ausführen, soweit die Bewegung des Punktes B in den 
oben angegebenen Grenzen bleibt. 

Bringt man zwei solcher Vorrichtungen in einer Ebene parallel 
übereinander an und verbindet die beiden Achsen O und O0’ durch 
eine Stange, so kann diese Stange nur eine geradlinige Bewegung voll- 
führen. 

Ist nun diese Stange die auf dem Schema der Luftpumpe bezeichnete 
Stange H, so werden die beiden Zylinder zwangsmässig senkrecht 
und geradlinig geführt. Diese Führung, welche tadellos funktioniert, 
kann noch in verschiedener Kombination für viele andere Zwecke 
Verwendung finden. 


Bemerkung zur Arbeit von Knud Sand über 
experimentellen Hermaphroditismus. 


Von 
Prof. Dr. Alexander Lipschütz, Bern. 


In Heft 1 Bd. 173 dieses Archivs berichtet Sand über den Befund 
eines penisartigen Organs bei maskulierten Ratten. Ich möchte be- 
merken, dass ich schon im Jahre 1916 gezeigt habe, dass bei der Masku- 
lierung die Clitoris des Meerschweinchens sich in ein penisartiges Organ 
umwandelt. Den Befund konnte ich an einem der Versuchstiere er- 
heben, die Herr Professor Steinach operiert hatte, und die er mir 
in entgegenkommender Weise für verschiedene andere Beobachtungen 
in seinem Laboratorium zur Verfügung stellte. Ich habe über meinen 
Befund in einer Abhandlung berichtet, die ich am 1. Dezember 1916 
der Akademie der Wissenschaften in Wien (Sitzung der mathematisch- 
naturwissenschaftlichen Klasse) vorgelegt habe). Sand hat jedoch, 
wie ich mit Vergnügen feststelle, seinen Befund an Ratten unabhängig 
von mir erhoben. 

1) Vgl. Lipschütz, Entwicklung eines penisartigen Organs beim 
maskulierten Weibchen. (Mitteilung aus der Biologischen Versuchsanstalt 
der Akademie der Wissenschaften in Wien. Physiologische Abteilung, 
Vorstand E. Steinach.) Akademischer Anzeiger Nr. 27, 1916. — Ferner 
Lipschütz, Umwandlung der Clitoris in ein penisartiges Organ bei der 
experimentellen Maskulierung. Archiv für Entwicklungsmechanik 1918, 
Bd. 44. (Bei der Redaktion eingegangen am 17. Dezember 1916.) 


Die Akkommodation des Aleiopidenauges. 


Von 
Prof. Dr. Reinhard Demoll, München. 


Mit TafelIundIlIund1 Textabbildung. 


(Eingegangen am 13. Januar 1919.) 


Die Augen von Alciopa erfuhren in letzter Zeit von Hesse!) 
(1899) und neuerdings von mir ?) (1909) eingehende Untersuchungen. 
Hinsichtlich der Augenmuskulatur ergab meine Untersuchung eine 
vollständige Bestätigung der Ergebnisse von Hesse. Das Bild, das 
wir uns von der Akkommodation des Auges machten, war jedoch 
etwas verschieden, hatte aber auf beiden Seiten nur den Wert einer 
Vermutung. Nun hatte sich in diesem Jahre v. Hess mit dieser Frage 
beschäftigt. Seine Ergebnisse veranlassen mich, auf meine frühere 
Untersuchung zurückzukommen, einmal, weil seine Beobachtungen 
der Linsenbewegung bei elektrischer Reizung mir eine wichtige Stütze 
für meine Auffassung des Akkommodationsvorganges zu sein scheinen, 
und dann, weil v. Hess selbst auf Grund eigener unzutreffender histo- 
logischer Befunde eine neue Hypothese aufstellt und die Ansicht ver- 
tritt, dass die älteren Auffassungen von Hesse und von mir „leicht 
als irrig dargetan werden können“ (S. 1489 Münchner Med. Wochenschr. 
1914, Bd. 27). ; 

Meine eigene Auffassung ergibt sich aus den beigegebenen Text- 
abbildungen, die ich meiner früheren Arbeit entnehme. Danach be- 
ruht die Akkommodation auf der Tätigkeit von Meridionalfasern 
(in der Textabbildung ist ihre Lage mit M bezeichnet), deren Kon- 
_ traktion eine Verringerung des Querdurchmessers und eine Verlängerung 
der Hauptachse des Auges bedingt. Gleichzeitig mit dieser Verlängerung 
(Abb. 1c) wird die Linse nach vorn geschoben, so dass der Abstand 
von der Retina wächst; es liegt also eine aktive Nahakkommodation 
vor. Bei Nachlassen der Kontraktion der Muskeln mag wohl die 
Elastizität des Augapfels ohne weiteres wieder die frühere Form be- 
dingen. 

Es wurde von Hesse zum erstenmal darauf hingewiesen, dass die 
Zellen der inneren Cornea ihrer Gestalt und ihrer Färbbarkeit nach 


1) Die Augen der polychäten Anneliden. Zeitschr. wiss. Zool. 1899 8.65. 
2) Zoolog. Jahrb. Abtlg. Anat. 1909 Bd. 27. 


Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 8 


114 Reinhard Demoll: 


von gewöhnlichen Epithelzellen abweichen und so Veranlassung geben, 
in ihnen kontraktile Elemente zu vermuten. Ich habe mich dieser 
Ansicht von Hesse angeschlossen, und glaubte mir die Kontraktions- 
wirkung dieser Zellschicht so erklären zu müssen, dass sie zu einer 
Abflachung der Cornea, damit zu einer Ausbuchtung der nachgiebigen 
Zone, in der die Meridionalmuskelfasern liegen, führen. So würden 


c 


Abb. 1. Schema zur Erläuterung der Hypothese hinsichtlich der Wirkungs- 
weise der Akkommodationsmuskeln. Co Cornea M Bezirke der meridionalen 
Muskelfasern. a Ruhezustand. Mittlere Entfernungseinstellung. b Kon- 
traktion der inneren Cornea. Dadurch wird die Linse der Retina nahe ge- 
bracht und der Bezirk M passiv nach aussen gewölbt — Ferneinstellung. 
c Kontraktion der Meridionalfasern. Linse und Cornea werden distal vor- 
gedrängt = Naheinstellung. Die Pfeile in b und ce geben die Druckwirkung 
an, in a die Kontraktionsrichtung der Muskeln. 


sie schliesslich eine Zurückdrängung der Linse gegen die Retina hin 
bewirken’ (Abb. 1b). Durch ihre Tätigkeit würde demnach nicht nur 
nach Aufhören einer Nahakkommodation die Wirkung der Elastizität 
des Augapfels unterstützt und dadurch das Auge in den ursprüng- 
lichen Zustand zurückgeführt werden, sondern es könnte noch darüber 
hinaus zu einer aktiven Fernakkommodation beitragen. 


Die Akkommodation des Alciopidenauges. 1 


Ich hatte dann in einem besonderen Abschnitte die Frage unter- 
sucht, inwiefern bei Alciopa eine derartige doppelte aktive Entfernungs- 
anpassung entstanden sein mochte. 

lch schrieb damals S. 681: ‚„‚Alciopa besitzt keine Extremitäten, um 
die Beute festzuhalten und sie zum Munde zu führen. Sie ist darauf 
angewiesen, sie sicher zu erschnappen. Dies setzt aber ein scharfes Sehen 
des Objekts in dem Moment voraus, in welchem dieses erfasst werden 
soll. Nun liegt aber die Öffnung des ausgestülpten Schlundrohres in 
ganz unbedeutendem Abstand von den Augen. Mithin ist hier eine maximale 
Nahakkommodation erwünscht. Vielleicht ist man geneigt, dieselbe Be- 
trachtung auch auf die Fische anzuwenden, die ebenfalls die Beute er- 
schnappen und dennoch nur zwei Akkommodationsstellungen haben. 
Hierzu ist anzuführen, dass bei den Fischen durch ihre geradlinigere 
Fortbewegungsart ein Sehen der Objekte direkt vor der Mundöffnung 
nicht so unbedingt nötig erscheint wie bei dem mehr schlangenartigen 
Schwimmen der Aleiopoden. Weiter kommt hinzu, dass der absolute 
Objektabstand bei den Fischen stets viel grösser ist als bei den Aleiopoden. 
Nehmen wir einen kleinen Raubfisch von der Länge von 20 cm. Man 
wird annehmen müssen, dass er im Augenblicke des Zuschnappens die 
von ihm abgelegene Hälfte des Beutetieres scharf sieht. Daraus ergibt 
sich "etwa eine Einstellung auf 5 em Objektabstand. Nehmen wir die 
100fache Entfernung (5 m) als Maass für die Ferneinstellung, so ergibt 
sich eine Differenz der Dioptrienstärke — die hier als Maass für die 
Linsenbewegung gelten mag — von 20 — !/, = 19'/, D. Nehmen wir 
anderseits für Aleiopa eine Naheinstellung auf 5 mm an — ein Wert, 
der eher zu hoch als zu niedrig bemessen ist — und eine F erneinstellung 
auf 50 em, so ergibt sich eine Dioptriendifferenz von 200 — 2 —= 198 D. 
Daraus geht hervor, dass bei Wechsel der Einstellung innerhalb geringerer 
Entfernungen ungleich stärkere Ortsveränderungen der Linse nötig werden. 
Dieses Moment scheint mir nicht unwesentlich bei der Beurteilung der 
drei Akkommodationsstellungen der Alciopiden zu sein.“ 

v. Hess kommt zu einer hiervon vollständig abweichenden Auf- 
fassung. Veranlasst wurde er dazu durch seine Beobachtungen bei 
Reizung der Augen vermittels Elektroden. Weiterhin versucht er nun 
durch erneute anatomische und histologische Untersuchung des Objekts 
die morphologischen Daten mit seiner Hypothese in Einklang zu bringen. 

Er schreibt in seiner neuesten Publikation hierüber (Pflüger’s Arch. 
Bd. 172 S. 454 unten, 1918): „Reizt man nun, ohne die Elektroden mit 
dem Auge selbst in Berührung zu bringen, mit schwachen Strömen, so 
sieht man regelmässig an der unteren Hälfte der Augenhüllen, 
gerade nach unten von der Linse, eine leichte Zusammen- 
ziehung der Hülle mit Bildung feinster Fältchen; dabei werden auch 
die seitlich angrenzenden Teile der Augenhülle bis zur Hornhautbasis 
ein wenig herangezogen. An den nach oben und seitlich von der 
Linse gelegenen Teilen der Augenhülle sowie an der übrigen- 
Hornhaut sind niemals Bewegungen sichtbar, auch nicht bei 
Reizung mit starken Strömen. Die Veränderungen in der unteren Hälfte 
der Augenhüllen sind bis nahe an den „Pupillarsaum“ sichtbar, der 
zuweilen auch noch deutliche, wenn auch wenig ausgiebige Lagever- 
änderungen zeigt. 

Q* 


© 


116. Reinhard Demoll: 


An genügend frischen Augen, die so liegen, dass die Linse im Profil 
sichtbar ist, sieht man bei jeder Reizung die Linse deutlich, 
wenn auch wenig, nach vorn, das ist hornhautwärts rücken. 
Man kann einerseits das Hervortreten der Linse aus der Pupillenöffnung, 
anderseits die Annäherungen des vorderen Linsenscheitels an die Horn- 
haut an solchen Augen beliebig oft zur Anschauung bringen. Das Vor- 
rücken der Linse bei Reizung erfolgt ziemlich rasch und plötzlich, während 
die Rückkehr in die Ruhelage nach Aufhören der Reizung etwas lang- 
samer vor sich geht. Diese Versuche sind an ganz frischen, noch gut 
gefüllten Augen vorzunehmen; wenn man ein enukleirtes Auge längere 
Zeit hindurch oft gereizt hat, so fallen die Hüllen allmählich zusammen, 
und obschon die Muskeln bei Reizung sich auch jetzt noch gut zusammen- 
ziehen, sind die Lageveränderungen der Linse an so deformierten Augen 
nicht mehr einwandfrei zu verfolgen. 

Die mitgeteilten Beobachtungen bringen den Nachweis, 
dass die Alciopiden eine positive Nahakkommodation be- 
sitzen, die durch Vorrücken der in ihrer Form unveränderten 
Linse und Vergrösserung des Abstandes zwischen ihr und der 
Netzhaut herbeigeführt wird.“ 

Mit diesem Reizeffekt bringt v. Hess die Glaskörperdrüse (s. Abb. 8 


unten, Tafel II) in Beziehung. 

Er schreibt darüber S. 459: „Diese Glaskörperausstülpung finde ich 
nun gerade an jener Stelle der unteren Augenwand, an der 
allein, wie die elektrische Reigung uns zeigte (s. oben), Muskeln 
vorhanden sind, deren Kontraktion in entsprechenden Gestaltsver- 
änderungen der Umgebung zum Ausdruck kommt; wenn sich diese 
Muskeln zusammenziehen, müssen sie einen gewissen Druck auf 
jene Ausstülpung ausüben, etwa so wie auf einen mit Flüssig- 
keit gefüllten Gummiballon. Dadurch gelangt etwas von ihrem 
ausserhalb der Bulbushülle befindlichen Inhalte in den Glas- 
körperraum, wodurch die der vorderen Glaskörperfläche 
leicht beweglich aufliegende Linse etwas nach vorn gehoben 
werden muss. Mit dem Nachlassen der Muskelkontraktion tritt der 
zähflüssige Inhalt wieder in die Ausstülpung zurück.‘ 

Da er durch diese Auffassung der Glaskörperdrüse eine den gewöhn- 
lichen Drüsen fremde Aufgabe zuschreibt, andrerseits aber doch nicht 
bestreiten möchte, dass hier ein wirkliches Drüsenorgan vorliegt, so 


schreibt er in einer Anmerkung hierzu: 

„Die Frage, ob dem merkwürdigen Gebilde neben der von mir nach- 
gewiesenen akkommodativen auch eine sekretorische Funktion zukommt, 
wird durch meine Befunde natürlich nicht berührt; im allgemeinen haben 
sezernierende Gebilde in der Tierreihe ein ganz anderes Aussehen als die 
hier in Rede stehende Ausstülpung.‘ 


Es wird sich also hier nicht darum handeln, zu entscheiden, ob 
Drüse oder mit unveränderter Glaskörpermasse erfüllter Ballon, 
sondern die Frage wird zu lauten haben: Liegt hier nur eine Drüse 
vor oder ein den v. Hess’schen Anforderungen genügendes Organ, 
gleichgültig, ob diesem ausserdem noch Drüsenfunktionen zukommen ? 

Ich stelle nun einander gegenüber die Forderungen, die die Hypo- 
these von v. Hess und die, die meine Hypothese an die Morphologie 


Die Akkommodation des Alciopidenauges. 117 


des Auges stellt und lasse den Leser selbst an der Hand der beigegebenen 
Photogramme entscheiden, welche Forderungen erfüllt werden. 


| Die Auffassung von Meine Auffassung 
| v. Hess verlangt: “ verlangt: 
1. Glaskörper- | Eine zum mindesten teil- | Normalen Drüsencharakter. 
drüse. weise Anfüllung der Drüse 
mit nicht veränderter Glas- 
körpermasse. 
2. Akkommoda- | Anordnung der Muskulatur, |1. In Höhe der lentikulären 
tionsmuskel die ein Auspressen der| Retina (Abb. 1 ZL R, Abb. 8 
Glaskörperdrüse möglich | unten) vor der Glaskörper- 
erscheinen lässt. drüse meridional das Auge 
vollständig umschliessende 


Muskelzüge. 
2. Kontraktilität der Zelle 
der inneren Retina. 
3. Mechanismus |Linse vor dem Glaskörper |Lage der Linse vor oder 
der Linsenver- | liegend, von diesem nicht| in dem Glaskörper gleich- 
schiebung. umschlossen. | gültig. 


Zur Beurteilung (Punkt 1) der Frage nach dem Charakter der 
Glaskörperdrüse und ihrer rein sekretorischen Tätigkeit, sei auf Abb. 4, 
ferner auch auf 2 und 3 Gl. D. verwiesen. Ihre Lage ist aus dem 
schematischen Bild Abb. S zu ersehen. Das Wichtigste ist, dass der 
Inhalt der Drüse sich in zwei nicht scharf voneinander zu unter- 
scheidende Bezirke trennt, von denen der eine, zentrale, wesentlich 
dünnere sekretartige und dem Glaskörper ähnlichere Beschaffenheit 
aufweist als der deutlich plasmatische periphere Teil. Es könnte dem- 
nach in der Tat der Gedanke auftauchen, dass hier die mittlere Partie 
bei Akkommodation in den Glaskörperraum ausgepresst wird und 
nachher wieder zurückströmt. Doch wird eine solche Anschauung 
unmöglich gemacht durch den Umstand, dass in dieser flüssigen 
Phase der Drüsenmasse stets der Kern, und zwar nicht der ‚„Kern“ 
und auch nicht der ‚sogenannte Kern“, wie ihn v. Hess stets nennt, 
sondern der, wie in Abb. 4 ersichtlich, typische und wohl nicht als 
solcher zu verkennende Kern liegt. In Abb. 2 liest ein Anschnitt des 
Auges vor, wie aus der Retina und Cornea zu ersehen ist, daher ist 
dort der Kern nicht getroffen (Taf. Abb. 2 und 3). 

Der zweite Punkt handelt von den Akkommodationsmuskeln. Was 
hier v. Hess an Tatsachen bringt, ist folgendes: 

Er schreibt S. 458: ‚Die ganze Ausstülpung (nämlich der Glaskörper- 
drüse) ist von einem zarten, kernarmen Häutchen allseitig umschlossen. 


Als Muskeln, deren Zusammenziehung den Inhalt der Ausstülpung nach 
dem Glaskörper hin drängt (s. unten), sind wohl in erster Linie die zwischen 


118 Reinhard Demoll: 


der Ausstülpung und dem Greeff’schen Organ sichtbaren Fasern an- 
zusprechen.‘‘ (Greeff’sches Organ —= lentikuläre Retina.) 

Die zweite Stelle, die von Muskulatur handelt, ist bereits oben zitiert. 
Wir lesen dort: „Diese Glaskörperausstülpung finde ich nun gerade 
an jener Stelle der unteren Augenwand, an der allein, wie 
die elektrische Reizung uns zeigte, Muskeln vorhanden 
sind usf.“ 

Damit sind die positiven Angaben über Muskulatur erschöpft. 
Was sonst noch bei v. Hess über Akkommodationsmuskeln zu finden 
ist, beschränkt sich darauf, die von Hesse und mir festgestellten 
histologischen Befunde beiseite zu schieben. 

Man beachte im vorhergehenden, dass v. Hess aus der elektrischen 
Reizung (von mir durch Sperrdruck hervorgehoben) auf die Lage der 
Muskeln schliesst. 

Stellen wir uns nun auf den Standpunkt, dass die Angaben von 
Hess richtig wären, die zum Ausdruck bringen, dass ‚in erster Linie‘ 
„die zwischen der Ausstülpung und dem Greeff’schen Organ sicht- 
baren Fasern‘ für die Akkommodation in Betracht kommen, so wäre 
auch unter diesen Bedingungen nicht einzusehen, wie eine Kontraktion 
ein Auspressen des Glaskörperinhalts zur Folge haben sollte. Man 
vergegenwärtige sich (auf der Abb. 8C), wirkliche Längsmuskelfasern 
zögen von der Glaskörperdrüse nach vorn zu in der Richtung nach 
der lentikulären Retina. Für die von v. Hess geforderte Wirkung 
einer Auspressung der Drüse wäre der Faserverlauf der denkbar un- 
günstigste. Doch ist es belanglos, hierüber Betrachtungen anzustellen, 
da derartige Muskeln überhaupt nicht vorhanden sind, und die, die 
existieren, in anderer Weise verlaufen. Sie sind auf dem Schema 
Abb.8 in Querschnitt getroffen, als schwarze, kurze Striche erkenntlich, 
die in einer Reihe angeordnet, oben und unten sich zwischen die 
Epidermis und zwischen das Auge etwa in Höhe der lentikulären 
Retina und von da noch etwas nach hinten schieben. Die Photo- 
gramme lassen sie deutlich erkennen; am besten kommen sie auf 
Anschnitten zum Ausdruck, so in Abb. 4 M.M.; dort wird deutlich, 
dass sie in starker Lage das Auge umziehen. Wir finden sie wieder 
in Abb. 2 und 3 links vollständig quer geschnitten; rechts im Bild 
(immer mit M. M. bezeichnet) etwas schräg angeschnitten. In Abb. 1 
sind sie ebenfalls noch gut als vollständig das Auge meridional um- 
schliessende, also als Ringmuskeln zu erkennen. Dass diese Muskeln 
— man betrachte nochmals Abb. 4 — nur das Auge, nicht aber die 
Drüse zusammenpressen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Wohl 
sieht man auf der Abbildung einige wenige Fasern, die in der oberen 
Umsgrenzung der Drüse eingelagert sind, während die ganze übrige 
Drüse (Abb. 3 und 4 lassen dies deutlich erkennen) ohne jede Muskel- 
hülle in ein synzytiales Parenchym eingebettet ist. Diese spärlichen 


TE GT — Ge ee ne 


Die Akkommodation des Alciopidenauges. 119 


Muskelfasern, die auf der Abb. 4 zu erkennen sind, strahlen von der 
Basis des in der Nähe festsitzenden Tentakels aus, und hier glaube 
ich die Quelle des v. Hess’schen Irrtums zu finden. Ich vermute, 
dass bei der elektrischen Reizung die Kontraktion der Akkommodations- 
muskel äusserlich kaum oder gar nicht mit den Mitteln, die v. Hess 
angewandt hat, zu erkennen ist, dass also nur ihr Effekt, die Linsen- 
verschiebung, unter diesen Umständen wahrgenommen werden kann. 
In der v. Hess beobachteten feinen Fältelung im unteren Teil des 
Auges dagegen, die er auf Kontraktion der Akkommodationsmuskeln 
zurückgeführt hat, vermute ich eine Wirkung der Kontraktion der 
Muskelfasern, die von der Basis der Tentakeln ausgehen und natürlich 
ebenso gut gereizt werden wie die Akkommodationsmuskeln, zumal 
da die Elektroden mit dem Auge direkt gar nicht in Berührung kommen, 
sondern nur in das Wasser eintauchen. 

v. Hess wirft mir vor, dass ich zu apodiktisch eine Vermutung 
als Behauptung aufstelle (S. 450): 

„Während Hesse das Hypothetische der seiner Theorie zugrunde 
liegenden morphologischen Annahmen ausdrücklich betont, betrachtet 
Demoll (1909) diese Annahmen über die Natur der fraglichen beiden 
Fasergruppen als Tatsachen, obschon er sich auf die Untersuchung ge- 
härteten Materials beschränkt und sich der Darstellung von Hesse nur 
anschliesst. Er beschreibt ‚in dem Bezirk zwischen dem Rande der 
Hauptretina und der Cornea reichlich Maskelfasern, die die distale Hälfte 
der Augenblase meridional und teilweise auch in Art einer Schraubenlinie 
umziehen. 

Dieser Satz, den er nach meiner Arbeit zitiert, bezieht sich — wie 
ja daraus ohne weiteres zu ersehen — auf die meridionale Muskulatur. 
Dass ich Gebilde, wie sie in Abb. 4 mit M. M. bezeichnet sind, als 
Muskelfasern anspreche und hier nicht mit ‚Vermutungen‘ und mit 
„es scheint, dass‘ arbeite, wird mir wohl kaum ein Histologe Ver- 
übeln. Hinsichtlich der Muskelfunktion der inneren Cornea habe ich 
mich jedoch nicht positiver ausgedrückt wie auch Hesse, da ich mich 
ihm hinsichtlich seiner Auffassung voll angeschlossen habe und weiter 
auch betonte, dass ich hierfür wie Hesse in der verschiedenen Färb- 
barkeit ein wichtiges Argument sehe. Was den Akkommodations- 
vorgang schliesslich selbst -betrifft, habe ich ihn deutlich als Hypothese 
bezeichnet. Ich glaube daher, dass auf meiner Seite apodiktische 
Behauptungen nicht vorliegen. 

Was nun den Charakter der Zellen der inneren Cornea anlangt, 
so war natürlich das färberische Verhalten nicht das einzig Maass- 
gebende, um in ihnen kontraktile Elemente zu sehen. Die Abb. 2 
und 3 /. R. lassen im Anschnitt den von dem normalen Epithel ab- 
weichenden und zu dem Typus der Muskelfasern hinneigenden morpho- 
logischen Charakter dieses Gewebes erkennen. 


120 Reinhard Demoll: 


\ 


In seiner Abhandlung hat v. Hess festgestellt, dass die Linse nicht 
direkt an die Hornhaut anstösst. Daran anschliessend schreibt er 
S. 453 unten: 

„Den vorher erwähnten Akkommodationshypothesen von Hesse und 
Demoll lag die Annahme zugrunde, die Linse liege der Hornhaut un- 
mittelbar an; dies ist ein Irrtum, der entweder auf Beobachtung an nicht 
tadellos konserviertem Material oder, soweit frisches in Betracht kommt, 
auf Beobachtung in Luft zurückzuführen ist, wo eine unmittelbare Be- 
rührung zwischen Hornhaut und Linse vorgetäuscht werden kann.‘ 

Einige Seiten später allerdings scheint er sich wieder zu erinnern, 
dass dasselbe von mir auch ausdrücklich hervorgehoben wurde. Dort 
lesen wir das Gegenteil über meine Ansicht (S. 459): 

„Während also nach Demoll’s Beschreibung und Abbildung die 
Linse von dem nach ihm bis zur hinteren Hornhautfläche reichenden 
Glaskörper allseitig vollständig umgeben sein sollte, ruht sie nach 
Hesse in einer Art Vertiefung der vorderen Glaskörperoberfläche.‘“ 


Diese Angabe trifft den Sachverhalt. Auf dem Schema, das ich 
meiner früheren Arbeit beigegeben habe, war in derselben Weise, wie 
auf dem hier in Abb. 8 niedergelegten, deutlich gemacht, dass die 
Linse nicht direkt an die Cornea anstösst, sondern vollständig von 
dem Glaskörper umgeben wird. Dass Hesse dies früher nicht be- 
achtete, ist sehr leicht erklärlich, wenn man die Abb. 1 betrachtet, 
die erkennen lässt, dass die Glaskörpermasse, die sich zwischen Linse 
und Cornea hindurchschiebt, bei der Fixierung meist zu einem feinen 
Strang zusammenfällt ; nur die eigentümlich zackigen Umrisse des 
vorderen Linsenrandes und die einzelnen Granula, die hier isoliert 
im Raume liegen, deuten darauf hin, dass durch Schrumpfung das 
Bild verändert sein musste. 

Es kommt als weitere Komplikation hinzu, dass der präretinale 
Raum, wie in.Abb. 8 angegeben, seitwärts sich zwischen Glaskörper 
und Augenwandung als feinste Spalte einschiebt. Dieser Spaltraum, 
der zum Beispiel in Abb. 1 rechts sehr deutlich hervortritt, des weiteren 
auch in Fig. 5 und 6 (P. $.) wird von v. Hess, seiner Zeichnung nach 
zu schliessen, die das Auge wiedergibt, nicht gefunden. 

Nun sollte man meinen, dass v. Hess sich meiner Ansicht ganz 
angeschlossen hätte hinsichtlich der Einbettung der Linse in den Glas- 
körper. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Es würde dies auch seiner 
Auffassung von der Akkommodation die grössten Schwierigkeiten be- 
reitet haben. Denn so wie die morphologischen Tatsachen liegen, 
müsste die im Glaskörper ganz eingebettete Linse bei Vermehrung der 
Glaskörperflüssigkeit durch Auspressen der Drüse von allen Seiten 
gleichmässigen Druck empfangen. könnte also eine Ortsveränderung 
nicht vornehmen. Diese Schwierigkeiten konnten für v. Hess nicht 
bestehen, da er annimmt, dass die Linse zwar, wie bei Betrachtung 
des ganzen Auges zu ersehen ist, von der Hornhaut durch einen 


Die Akkommodation des Alciopidenauges. 121 


deutlichen Zwischenraum getrennt ist, dass aber dieser Zwischen- 
raum nicht von Glaskörpermasse erfüllt wird. Von welcher Sub- 
stanz aber der von ihm deutlich erkannte Zwischenraum zwischen 
Linse und Hornhaut ausgefüllt wird, sagt er nicht. Versuchen wir, 
uns an seiner Abbildung zu orientieren, so sehen wir dort nur, wie die 
Zeichnung der granulierten Glaskörpermasse etwa im Äquator der 
Linse unvermittelt, d. h. ohne Abgrenzung durch Membran aussetzt 
und an ihrer Stelle ein Nichts tritt, ein Spaltraum mit nicht ausgefüllter 
Fläche, der zwischen Linse und Cornea hindurchläuft. Eine Abschliessung 
gegen diesen Raum hat er also selbst nicht finden können. So bleibt 
er uns die Antwort schuldig auf die Frage: Grenzt hier der Glaskörper- 
raum ohne abgrenzende Wand an einen Luftraum oder an einen Raum, 
der mit irgendeiner wässerigen Flüssigkeit erfüllt ist? Ich glaube 
nicht, dass er auf Grund seiner Abbildung Nr. 2 in seiner Arbeit das 
erstere behaupten wird. Wenn aber irgendeine Flüssigkeit, die in 
freiem Austausch mit dem Glaskörper steht, sich hier anschliesst, so gilt 
dasselbe, wie wenn der Glaskörper selbst die Linse allseitig umschliessen 
würde; d. h. wir müssen dann ein Vorrücken der Linse auf Grund 
eines Einspritzens von Glaskörperflüssigkeit von der Drüse aus schon 
‚aus diesem Grunde ablehnen. 

Falls aber v. Hess doch der Ansicht sein sollte, dass hier ein luft- 
erfüllter Raum existiert, so würde er uns die Antwort auf die zweite 
Frage schuldig bleiben: wie es kommt, dass die Linse mit der Grösse 
des Auges, also mit der Grösse des Tieres ständig wächst, und zwar 
nicht einseitig, sondern ringsum ? Dies Moment allein fordert schon 
— wie ich bereits in der ersten Arbeit hervorgehoben habe — die 
Annahme, dass die Linse allseitig von Glaskörpermasse umgeben ist. 

Ich glaube hiermit dem Leser selbst die Möglichkeit gegeben zu 
haben, zu beurteilen, welche von beiden Hypothesen den Vorzug ver- 
dient. In der Beobachtung von v. Hess, dass bei Reizung mit 
Elektroden eine Vorwanderung der Linse, mithin eine aktive Nah- 
akkommodation stattfindet, sehe ich eine wichtige Stütze meiner Aus- 
fassung. Das, was v. Hess irregeführt hat, die Faltenbildung auf der 
unteren Seite, war — wie sich aus den anatomischen und histologischen 
Tatsachen ergibt — jedenfalls ein falscher Indikator für die Tätigkeit 
der Akkommodationsmuskeln. Es scheint mir — wie schon aus- 
geführt —, dass die Kontraktion der Tentakelnmuskeln diese Ver- 
änderung hervorbringt. 

Schliesslich sei hier noch eine Bemerkung von v. Hess über die 
Nebenretina angefügt. Er schreibt darüber S. 458: 

„Bei manchen meiner Präparate kam mir die Frage, ob dieses Gebilde 


auch als eine Art Stütze dienen könne, auf der die Linse mit ihrem unteren 
Pole aufliest. Es findet sich ausschliesslich unten, dehnt sich nach den 


1223 Reinhard Demoll: Die Akkommodation des Alciopidenauges. 


Seiten nur eine kleine Strecke weit aus, sein oberer Rand liegt in nächster 
Nähe des unteren Linsenrandes: eine solche Stütze würde also wesentlich 
dazu beitragen können, Zerrungen zu verringern, wie sie insbesondere 
beim akkommodativen Vor- und Zurückrücken der Linse an der vorderen 
Glaskörperfläche leicht stattfinden können, da die Linse an letzterer 
gewissermaassen frei schwebend befestigt ist. Die Beantwortung dieser 
Frage muss ich dem Histologen überlassen; vom physiologischen Stand- 
punkte stehen der Auffassung des Gebildes als Nebenretina, soweit ich 
sehe, keine Bedenken entgegen. Für die Erörterung des Akkommodations- 
mechanismus ist die Frage nach seiner Natur ohne Belang.“ 


Danach gibt er selbst zu, dass er sich histologisch nicht zu intensiv 
mit diesen Gebilden befasst hat. Unter diesen Umständen hätte der 
Satz, der von der Ausdehnung dieses Gebildes handelt: ‚es findet 
sich ausschliesslich . . .‘“ weniger apodiktisch sein dürfen. Zumal, da 
ich früher ausdrücklich eine grössere Ausdehnung beschrieben habe. 
Ich hatte auf Grund von vielen Schnittserien und mühsamen Rekon- 
struktionen festgestellt, dass sich diese Nebenretina median vorn bis 
etwa zur horizontalen Hauptebene des Auges ausdehnt. 

Der nervöse Charakter dieses Gebildes lässt sich bei günstiger 
Schnittserie meist an einer Unzahl von Schnitten feststellen. In 
Abb. 5 und 6 ist deutlich das Auslaufen der Retinazellen in Nerven- 
fasern und die Vereinigung derselben zu einem Nervenstrang zu ersehen. 

Ich habe in meiner ersten Arbeit wohi erkannt, dass hier Retina- 
zellen vorliegen, konnte mir jedoch damals über die Form der Rezeptoren 
nicht ganz klar werden. Die anscheinend sehr harten und durch das 
Mikrotommesser häufig feine aufgesplitterten Cuticularröhren haben 
mir damals einen Stiftehensaum vorgetäuscht. Neuerdings konnte ich 
mich nun einwandfrei überzeugen, dass hier dieselbe Form der 
Rezeptoren vorliegt wie in der Hauptretina, nämlich euticulare Röhren, 
die nach ihrem freien Ende zu eine trompetenförmige Öffnung zeigen. 

Das mit stärksten Vergrösserungen hergestellte Photogramm 
(Abb. 7) zeigt (bei X) eine recht gut erhaltene, nicht gesplitterte der- 
artige Röhre. Auch in der Abb. 6 (X) ist eine solche zu erkennen. 
Auf dem Übersichtsbild Abb. 8 sind diese entsprechend eingetragen. 


Erklärung der Abbildungen. 


4A. C. =äussere Üornea. |. P. R. = Präretina. 

G. L. = Glaskörper. ' P.S. =Spalt, in dem sich die präret. 
@Il. D. = Glaskörperdrüse. | Masse fortsetzt. 

I. C. = innere Cornea. | — Rezeptoren. 

L. R. =lentikuläre Retina. | Z. = Retina-Zellen. 


— Synzytiales Parenchym. 
S. — Sekretstrom. 


Inn ba 


M. 
N. — Nerv der lentic. Retina. 
Je — Pigment. 


Tafel I. 
Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 176. 


Ne ae? or 
bi a 
Burke ee m 


Abb. 3. 


Abb. 2. 


Abb. 4. 


i iopi "erlag v Julius Springer in Berlin. 
Demoll, Akkomodation des Alciopidenauges. Verlag von Julius Spring 


Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 176. Tafel II, 


Demoll, Akkomodation des Alciopidenauges. 


Verlag von Julius Springer ir Berlin, 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 
Eine kritische Studie 
Von 
Prof. Dr. Paul Hari, Budapest. 
(Aus dem physiologisch-chemischen Institut der Universität Budapest.) 


(Eingegangen am 25. Februar 1919.) 


In unserer schnellebigen Zeit werden oft Befunde als erwiesen 
erachtet, ehe sie gründlich nachgeprüft wurden, und so vielfach in 
Lehr- und Handbücher übernommen, wodurch die Unsicherheit, die 
ohnehin auf dem Gebiete der chemischen Physiologie sich fühlbar 
macht, noch vermehrt wird. Nachstehend sollen einige Angaben und 
Folgerungen von G. Mansfeld, die sich auf die ea der Schild- 
drüse beziehen, richtiggestellt werden. 


Schilddrüse und Eiweissumsatz. 


Dass durch Hypoplasie, Entartung oder Entfernung der Schild- 
drüse der Eiweissumsatz erheblich eingeschränkt wird, wurde durch 
Beobachtungen an Menschen und Versuche an Tieren einwandfrei 
bewiesen, und dass hieraus umgekehrt auf eine gewisse Teilnahme 
der Schilddrüse am Eiweissumsatz des normalen Organismus gefolgert 
werden kann, ist natürlich nicht zu bezweifeln. Näheres ist jedoch 
hierüber noch wenig bekannt. Die Untersuchungen von Eppinger, 
Falta und Rudinger!) haben nebst bemerkenswerten Befunden 
über den Zusammenhang verschiedener Drüsen mit innerer Sekretion 
auch zu dem Ergebnis geführt, dass in schilddrüsenlosen Tieren ver- 
schiedene Eingriffe von einem wesentlich anderen Erfolg auf den 
Stoffwechsel begleitet sind als an normalen, im Besitze ihrer Schild- 
drüse befindlichen Tieren. So fanden sie zum Beispiel, dass der am 
normalen Tier stets beobachtete Abfall der Eiweisszersetzung nach 
der Einfuhr von Kohlenhydraten oder Fetten am schilddrüsenlosen 
Tier wesentlich geringer ist resp. ganz ausbleiben kann; ferner, dass 


1) H. Eppinger, W. Falta und C. Rudinger, Über die Wechsel- 
wirkung der Drüsen mit innerer Sekretion. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 66 
S. 1. 1908. 


124 Paul. Hari: 


Adrenalin, das am Normaltier einerseits zu Glykosurie, andererseits 
zu einer Steigerung der Eiweisszersetzung im Hunger führt, am schild- 
drüsenlosen Tier unwirksam bleibt; endlich, dass auch die gewöhn- 
lich sehr starke Steigerung des Hungereiweissumsatzes des pankreas- 
losen Tieres ausbleibt, wenn ihm vorher die Schilddrüse exstirpiert 
wurde. 

Offenbar unter dem Eindruck dieser Mitteilungen haben es M. 
und seine Mitarbeiter unternommen, an die Frage über den Zusammen- 
hang zwischen Schilddrüse und Eiweisszersetzung näher heranzutreten. 
Dass jedoch ihr Unternehmen infolge der mangelhaften Einrichtung 
und Ausführung ihrer Versuche als gescheitert betrachtet werden 
muss, soll in nachstehendem gezeigt werden. 


In einer ersten Reihe von Versuchen !) sollte gezeigt werden, dass 
bei dem durch den O,-Mangel erzeugten erhöhten Eiweisszerfall nicht 
dis bisher angenommene ,‚,... airekte Schädigung der Protoplasmas 
vorliegt, sondern die gesteigerte N-Ausscheidung die Folge 
einer erhöhten Schilddrüsenfunktion ist‘ ?2). In diesen Ver- 
suchen wurde teils an normalen, teils an schilddrüsenlosen Kaninchen 
Sauerstoffmangel durch Blausäurevergiftung, oder durch Atmen in 
verdünnter Luft, oder durch Blutentnahme erzeugt und aus den Ver- 
suchsergebnissen gefolgert, ‚dass das normale Tier auf O,-Mangel ... 
stets mit einer bedeutenden Eiweisszersetzung reagiert ?) ...“, hin- 
gegen:,,An Tieren, welche ihrer Schilddrüse beraubt wurden, 
sehen wir auch nicht eine Spur von gesteigertem Eiweiss- 
zerfall, als Beweis dessen, dass die gesteigerte Eiweiss- 
zersetzung infolge O.-Mangel an die Funktion dieses 
Organs gebunden ist‘ ?). 

Die Versuche, durch die obiges bewiesen werden soll, sind hierzu 
gänzlich ungeeignet, und zwar aus folgenden Gründen: 

a) Der grösste Teil dieser Versuche krankt unheilbar an folgendem 
Übelstand: die Werte für den Harn-N, der täglich gesondert be- 
stimmt wurde, weisen Tage hindurch eine solche Gleichmässigkeit 
auf, dass ihnen kein Vertrauen geschenkt werden kann. Denn es 
betrug zum Beispiel die N-Ausscheidung in Gramm an nacheinander 
folgenden Tagen zum Beispiel in den Versuchen: 


1) G. Mansfeld und Friedrich Müller, Beiträge zur Physiologie 
der Schilddrüse. I. Mitteilung. Die Ursache der gesteigerten Stiekstoff- 
ausscheidung infolge Sauerstoffmangels. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 143 
3:1. 197-2. 191. 

2) 1. c. 8. 158; auch im Original gesperrt. 

3)"1..e. 8.0165. 

4) l.c. S. 166; auch im Original Saar 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 125 
Wan) REXeNya2)7 2 2.1173) RE E) XIII >) 


0,53 0,89 0,79 0,85 0,75 
- 0,53 0,89 0,79 0,85 0,75 
0,54 0,90 0,79 0.85 0,75 
0,53 0,89 .0,79 0,85 0,75 
0,54 0,89 0,79 0,85 0,75 
0,54 0,89 ee 0,85 0,75 


Wohlgemerkt, die Versuchstiere VII und VIII werden ausdrücklich 
als Hungertiere ‘bezeichnet; bezüglich der übrigen hier beispielsweise 
angeführten ist es aber sehr wahrscheinlich, dass es Hungertiere waren, 
da M. sonst von seinen gefütterten Tieren immer auch angibt, wieviel 
Stickstoff sie eingeführt erhielten. Eine dermaassen gleichmässige 
Eiweisszersetzung resp. N-Ausscheidung ist an Hungertieren noch nie 
beschrieben worden, ist auch in dem Fall undenkbar, wenn, wie in 
M.’s Versuchen, zur Erzielung einer besseren und gleichmässigen 
Diurese täglich genau dieselbe Menge Wasser per os eingeführt und 
der Harn täglich abgegrenzt wird. 

Dass dem so ist, geht, wenn es überhaupt eines Beweises bedürfte, 
aus M.’s an anderen Stellen mitgeteilten Versuchen ®) hervor, in denen 
zur Erzielung einer gleichmässigen Diurese ebenso vorgegangen und 
der Harn täglich abgegrenzt wurde und trotzdem nichts von dem 
obigen sonderbaren Verhalten des Harn-N zu sehen ist. 

Es kann sich in M.’s obigen Versuchen nur um einen systematischen, 
argen Versuchsfehler handeln, dessen Natur hinterher allerdings nicht 
mehr festgestellt werden kann; da aber derselbe Fehler nicht nur in 
obigen Beispielen, sondern mehr oder minder auch in 14 von ins- 
gesamt 22 Versuchsreihen figuriert, wird man bemüssigt sein, die 
Versuche, was immer sie auch ergeben mögen, als verfehlt zu be- 
zeichnen resp. ihnen jede Beweiskraft abzusprechen. 

b) Bei solchem Stand der Dinge ist es beinahe überflüssig, zu er- 
wähnen, dass M. eine der Grunderfordernisse solcher vergleichender 
Versuche, nämlich die relative Gleichheit der Giftdosen, un- 
erfüllt liess; solchen Versuchen geht aber jede Beweiskraft ab. Es 
erhielten nämlich in den Versuchen V—IX die schilddrüsenlosen Tiere 


161. 


MEISCES: 

2). eos izm 
S)r1. 0285162 
Al.2c.08421638 
S)ulze..9..168 


6) Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. III. Mitteilung. Arch. f. 
d. ges. Physiologie Bd. 152 S. 52. 1913. (Anmerkung.); und V. Mitteilung. 
Ebenda Bd. 161 S. 403. 


126 Paul Häri: 


durchwegs mehr, bis beinahe dreimal soviel, Blausäure als die 
normalen Tiere: 


Normaltiere !) Schilddrüsenlose Tiere ?). 

Nr. V, 1600 g, erhielt 1 mg; |-Nr. VII, 1400 g,, erhielt 2 mg; 
also 0,6 mg pro 1 ke. | also 1,4 mg pro 1 kg. 

» VI, 20008, erhielt: 1 me, VIIL: 2000°27 erhielt 2 me; 
also 0,5 mg pro 1 kg. | also 1,0 mg pro 1 kg. 


: 1X, 17508, erhielt 1,5 ms. 
also 0,8 mg pro 1 kg. 


c) Ferner kann auch nicht unerwähnt bleiben, dass in der Versuchs- 
gruppe I—IV, in der die gefütterten Tiere Blausäure erhielten, einem 
einzigen normalen Tiere drei schilddrüsenlose und, umgekehrt, in 
den Versuchen XXIV—XXVI mit Abklemmung der Karotiden zwei 
normalen Tieren ein einziges schilddrüsenloses gegenübergestellt ist. 

M. hielt es für notwendig, die von ihm an Kaninchen erhobenen 
Befunde auch an Hunden nachzuprüfen ?). Auch diesem Versuche 
kommt keine Beweiskraft zu; denn hier sind einem einzigen 
Normaltier (A.), an dem O,-Mangel durch mechanische Behinderung 
der Atmung erzeugt wurde, wieder nur ein schilddrüsenloses Tier (B.) 
gegenübergestellt, das auf dieselbe Weise dyspnoisch gemacht wurde, 
und ein zweites (O.), das Blausäure erhielt. 

Bezüglich der Versuche mit dem mechanisch erzeugten O,-Mangel 
sei nur beiläufig folgendes erwähnt: M. führte an seinen Tieren die 
Tracheotomie aus und liess sie noch vor den eigentlichen Versuchen 
durch eine Trachealkanüle atmen. Am Tage des Versuches wurde 
diese mit einer luftdicht schliessenden Kanüle vertauscht und durch 
Anziehen einer Schraubenklemme das luftzuführende Rohr bis zur 
deutlichen Dyspno& verengt. — Genau dasselbe Verfahren wurde 
bereits von A. Fränkel) vor 42 Jahren eingeschlagen. 


Analoge Mängel weist auch eine weitere Reihe von Versuchen °) 
auf, in denen normale und schilddrüsenlose Kaninchen Chloroform- 
wasser erhielten, aus welchen Versuchen gefolgert wird, ‚... dass 
auch die Wirkung chlorierter Narkotika auf den Eiweissstoffwechsel 


Mellirc. .S.,. 101: 

2) 1. e..8. 161-162. 

3) G. Mansfeld, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. VIII. Mit- 
teilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 161 S. 502. 1915. 

4) A. Fränkel, Über den Einfluss der verminderten Sauerstoff- 
zufuhr zu den Geweben auf den Eiweisszerfall im Tierkörper. Virchow’s 
Archiv Bd. 67 S. 273. 1876. 

5) Elisabeth Hamburger, Über die Wirkung chlorierter Narkotika 
auf den Eiweissumsatz. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IV. Mit- 
teilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 152 S. 56. 1913. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 127 


von der Tätigkeit der Schilddrüse bedingt ist, gerade so, wie wir es 
für die Stoffwechselwirkung des O,-Mangels kennen gelernt haben‘ }). 

Die Grundbedingung vergleichender Versuche, nämlich gleiche 
Versuchsbedingungen zu schaffen, ist auch hier ausser acht gelassen, 
was aus folgendem hervorgeht: 

a) Die beiden Normaltiere I und II haben 6—7 ccm Chloroform- 
wasser per os, hingegen die schilddrüsenlosen Tiere IV, V und VI 
2—-3 cem subkutan erhalten (bloss III erhielt 6 ccm per os). Ver- 
suche, in denen die Art der Giftapplikation nicht dieselbe ist, sind 
von vornherein nicht vergleichbar. 

Dem Umstande, dass durch die Art der Einführung eines Giftes 
dessen Wirkung ausschlaggebend beeinflusst werden kann, ist dadurch 
scheinbar Rechnung getragen, dass die normalen Tiere per os weit 
mehr Chloroformwasser erhielten als die schilddrüsenlosen Tiere — mit 
Rücksicht auf die zu erwartende schnellere resp. intensivere Wirkung — 
von der subkutanen Dosis. Doch muss gefragt werden: Gibt es einen 
Anhaltspunkt dafür, dass, wenn eine gewisse Dosis Chloroformwasser 
einmal subkutan eingespritzt wird, ein anderes Mal jedoch die zwei- 
bis dreifache Dosis per os gereicht wird, beide Male genau dieselbe 
Giftwirkung zustande kommt? Und darf dies speziell bezüglich der 
Einwirkung auf die Eiweisszersetzung angenommen werden ? 

b) M.’s Versuchsergebnisse sind auch darum anfechtbar, weil sich 
normale Tiere einerseits und schilddrüsenlose andererseits zur Zeit der 
Chloroformeingabe mit Ausnahme eines Versuchspaares nicht in der- 
selben, ja überwiegend in einer recht verschiedenen Hungerperiode 
befanden, während es doch bekannt ist, dass gerade in dem Eiweiss- 
bestand und in der Eiweisszersetzung der Tiere mit fortschreitendem 
Hunger tiefgreifende Veränderungen statthaben, demzufolge auch Ein- 
sriffe, die eine Veränderung im Eiweissstoffwechsel zu erzeugen ge- 

“ eignet sind, wenn sie zu verschiedenen Zeiten ausgeführt werden, 
nicht vom selben Erfolg begleitet sein müssen. Das Chloroformwasser 
wurde beigebracht 


dem Normaltiere | dem schilddrüsenlosen Tiere 
I. am 4. Hungertag | III. am 4. Hungertag 
Id: “x EEE n, 
Vs: 
N et Br 


c) Was endlich die beiden gefütterten schilddrüsenlosen Kanin- 
chen VII und VIII anbelangt, die an drei einander folgenden Tagen 
je 20 ccm Chloroformwasser per os erhielten, darf ich wohl bloss auf 
die Tatsache hinweisen, dass diesen schilddrüsenlosen gefütterten Tieren 


* 


128 Paul Häri: 


überhaupt keine gefütterten Normaltiere gegenübergestellt sind. 
Diese Versuche sind also erst recht nicht beweisend. 

Nachdem M. bewiesen zu haben glaubt, dass Sauerstotffmangel }), 
prämortaler Hungerzustand ?) und chlorierte Narkotika ?), die am 
normalen Tier zu einer gesteigerten Eiweisszersetzung führen, diese 
Wirkung am schilddrüsenlosen Tier nicht auszuüben vermögen — eine 
Behauptung, die ich an entsprechenden Stellen widerlegt habe —, legt 
er sich in einer weiteren Arbeit *) die Frage vor, ‚ob die gesteigerte 
Fiweisszersetzung im infektiösen Fieber ebenso wie diejenige nach 
Sauerstoffmangel (Mansfeld) die Folge erhöhter Schilddrüsentätig- 
keitisti 10). 

Den Schluss, den M. aus diesen Versuchen zieht, wollen wir hier 
gleich vorwegnehmen; er lautet: 

„... dass an allen normalen Tieren das experimentell 
erzeugte Fieber von einer wesentlichen Steigerung des 
Eiweissstoffwechsels begleitet war, an schilddrüsenlosen 
Tieren jedoch kein einziges Mal eine Mehrzersetzung von 
Eiweiss erfolgte“ ®). 

Demgegenüber muss ich ebenfalls hier bereits vorwegnehmen, dass 
diese Behauptung durchaus unbewiesen ist und teils auf 
verfehlten Versuchsanlagen, teils auf falsch gedeuteten 
Versuchsergebnissen beruht. 

Die M.’schen Versuche wurden teils an gefütterten, teils an hungern- 
den Kaninchen, teils an hungernden Hunden angestellt. 

A. Bei der Deutung der an gefütterten Kaninchen erhaltenen 
Versuchsergehnisse ist M. dem Irrtum verfallen, dass er die N-Bilanzen 
der normalen und schilddrüsenlosen Tiere berechnet, bevor und nach- 
dem sie in künstliches Fieber versetzt wurden, und aus der Veränderung 
der Bilanzen auf eine gesteigerte Eiweisszersetzung bei normalen, 
auf eine unveränderte Eiweisszersetzung bei schilddrüsenlosen Tieren 
schliessen will. Des grösseren Nachdruckes halber stellt M. die N- 
Bilanzen, die er in der nachfolgend reproduzierten kleinen Tabelle ?) 
zusammenfasst, auch in jeder Versuchsreihe graphisch dar. 


1) I. Mitteilung. 

2) III. Mitteilung. 

3) IV. Mitteilung. 

4) G. Mansfeld und Z. Ernst, Über die Ursache der gesteigerten 
Eiweisszersetzung und Wärmebildung im infektuösen Fieber. Beiträge zur 
Physiologie der Schilddrüse. V. Mitteilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. 
Physiologie Bd. 161 8. 399. 1915. 

5) 1. c. 8. 429. 

6) 1. c. S. 429. Auch im Original gesperrt. 

7) Il. ce. S. 409. Die Versuchsnummern sind von mir in die Tabelle 
eingefügt. 3 


f 
ß 


Co) 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 12 


Änderung der täglichen N-Bilanz im Fieber gegenüber der Norm 


Normales Tier Schilddrüsenloses Tier 
N-Y 0,39 N-VI + 0,08 
N-VII — 0,49 N-VIII + 0,09 
N-IX — 0,47 N-X — 0,02 


Abgesehen davon, dass die Aufstellung einer N-Bilanz am. ge- 
fütterten Tier bloss aus dem Nahrungs- und Harn-N ohne Berück- 
sichtigung des Kot-N ein Ding der Unmöglichkeit ist (bei M. 
fehlen die Daten für den Kot-N durchwegs), ist es, wie erwähnt, ver- 
fehlt, am gefütterten Tier bloss aus der N-Bilanz auf die Eiweiss- 
zersetzung zu folgern, wo es doch klar ist, dass als Maass der 
Eiweisszersetzung bloss der Harn-N und (am gefütterten Tier) 
keineswegs die N-Bilanz gelten kann. 

Es soll sofort gezeigt werden, dass N-Bilanz und Eiweisszersetzung, 
das ist der Harn-N, sich gänzlich verschiedenartig verändern können 
resp. auch in M.’s Versuchen sich verändern. Dass die Bilanzen seiner 
normalen und schilddrüsenlosen Tiere sich ungleich verhielten, ist 
einfach dadurch begründet, dass die normalen Tiere, sobald sie fiebe- 
risch wurden und deshalb ihre Fresslust abnahm, durchwegs weniger 
“ Stickstoff als vorher einführten, während an den schilddrüsenlosen 
Tieren in zwei von drei Versuchen die Stickstoffzufuhr unverändert 
resp. noch etwas gesteigert war. Es betrug die tägliche N-Einfuhr 
in Gramm 


am normalen Tier am schilddrüsenlosen Tier 


NEVE  NEVIE SNK N-VI N-VI | N-X 


Im Vorversuch . | 0,97 1,00 0,89 0,67 026 | 0,90 
Im Fieber .... 0,71 | 02 0,44 0,76 | 0,09 0,89 
Änderung... .|—0,2%6 —038 |—045 |+009 1 —0,17 |—0,01 


Bei diesem Sachverhalt ist es nur selbstverständlich, dass sich 
die Bilanz der normalen Tiere verschlechtern, die der schilddrüsen- 
losen Tiere aber kaum verändern musste, ohne dass jedoch hieraus 
auf irgendeine Veränderung der Eiweisszersetzung gefolgert werden 
dürfte. Denn diese, nach dem Verhalten des hierfür allein maass- 
gebenden Harn-N beurteilt, verhielt sich ganz anders, wie aus 
der nachstehenden kleinen Tabelle, zusammengestellt aus M.’s Daten, 
ersichtlich ist. 

Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 9 


130 PaulHarı: 


| Harn-N pro Tag am | Harn-N pro Tag am 


Normaltier schilddrüsenlosen Tier 
NY | Nu nız | Nvi |mva Ne 

Im Vorversuch .| 102 | 05 | oo | 10 | 08 | 08 
Im Bieber... ... 1. 114.| 066... 0,3 1,11. .,090.9.220:60 


Änderung. ...|+012 |—009 +0,03 |+001 —026 |r+ 0,01 
| | | 


Am normalen Tier V nimmt der Harn-N im Fieber um etwa 12%, 
zu; dieser Zunahme wird durch die 12%, betragende Abnahme am 
Normaltier VII die Wage gehalten ; die Zunahme von 0,03 g am Normal- 
tier IX dürfte aber kaum in Betracht kommen, da ja der zulässige 
Versuchsfehler nicht viel geringer ist. Es lässt sich also an M.’s Normal- 
tieren eine Zunahme der Eiweisszersetzung im Fieber nicht kon- 
statieren. An den schilddrüsenlosen Tieren VI und X ist die Eiweiss- 
zersetzung im Fieber ebenfalls unverändert; dass aber am schild- 
drüsenlosen Tier VIII ein bedeutender Abfall in der Eiweisszersetzung 
eintrat, ist eine einfache Folge dessen, dass dieses Tier im Fieber nur 
täglich 0,09 (!) g N zu sich nahm, also sich beinahe im Hungerzustand 
befand, wo bekanntlich die Eiweisszersetzung anfangs stark abzufallen 
pflegt. 

Also lässt sich der von M. postulierte Gegensatz zwischen 
normalen und schilddrüsenlosen Tieren in den von ihm mit- 
geteilten Versuchen nicht aufrechterhalten. 

B. Zu weiteren Versuchen wurden hungernde Kaninchen ver- 
wendet; diese Versuche sind ebenfalls als verfehlt zu bezeich- 
nen, und zwar aus zwei Gründen: 

a) Es sind da drei Versuche als brauchbar angeführt, und zwar 
zwei an normalen Tieren, und einer am schilddrüsenlosen Tier; ein 
dritter Normalversuch (XXI.) wird von M. als verfehlt bezeichnet !). 
Es wird also hier ein einziges schilddrüsenloses Tier zwei normalen 
gegenübergestellt; dass auf diese Weise kein Beweis geführt werden 
kann, wird wohl nicht bezweifelt werden können. 

b) Das in solchen vergleichenden Versuchen unerlässliche Er- 
fordernis, gleiche Versuchsbedingungen zu schaffen, ist hier wieder 
vernachlässigt, indem in den zwei Normalversuchen Coli-Filtrat, 
im schilddrüsenlosen jedoch Dysenterie-Toxin appliziert 
wurde! Solche Versuche lassen sich überhaupt nicht vergleichen. 

Es folgen nun sechs weitere Versuchsreihen an hungernden Hunden, 
deren N-Wechsel vor und nach erzeugtem Fieber geprüft wurde. Auch 


1). 1.0.88 412! 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 131 


diese Versuche sind nicht beweisend, da sie folgende schwere Mängel 
aufweisen: 

a) Es wurde den beiden normalen Tieren XXII!) und XXIII ?,, 
im Gegensatz zu allen übrigen Tieren, nicht Coli-Filtrat, sondern 
Gärtner’s Toxin resp. Dysenterie-Toxin eingespritzt, also 
können sie mit den schilddrüsenlosen Tieren, die Coli-Filtrat erhielten, 
nicht verglichen werden. 

b) Somit verbleiben noch die Versuche XXIV und XXVI am 
normalen, XXV und XXVII am schilddrüsenlosen Tier (XXIV und 
XXVII wurden am selben Tier erst im normalen, dann im thyreopriven 
Zustande ausgeführt). M. berechnet aus den Ergebnissen dieser Ver- 
suche einen Anstieg des Harn-N am normalen Tier zu 29 resp. 35 %, 
am schilddrüsenlosen Tier zu 3 resp. 6%. 

Die Art der Berechnung, mittels deren M. zu diesem Ergebnis 
gelangt, ist nicht einwandfrei. M. berechnet zunächst einen Mittel- 
wert für die dem Fieber vorangehende Vorperiode, und indem er die 
Werte der Fieberperiode mit dem Mittelwert der Vorperiode vergleicht, 
ermittelt er die Veränderung der Eiweisszersetzung im Fieber. Was 
die Vorperiode anbelangt, ist eine Berechnung aus allen Tagen 
schlechterdings nicht zu umgehen resp. direkt geboten, wenn die 
Werte der einander folgenden Tage eine fortschreitend sinkende 
Tendenz zeigen, wie in Versuch XXVI, resp. wenn sie im grossen 
und ganzen gleichmässig sind, wie in Versuch XXVII. Wenn aber 
an den beiden ersten Beobachtungstagen die Werte solche Schwan- 
kungen aufweisen wie 2,69, 1,53, 2,04 (Versuch XXV) oder 2,37 und 
1,81 (Versuch XXIV), dann müssen diese hohen Initialwerte ausser 
Rechnung gelassen werden. Am Normaltier XXIV hat M. dies auch 
getan, am schilddrüsenlosen Tier XXV jedoch unterlassen; wo 
doch hier nicht nur die beiden ersten, sondern auch der dritte Wert 
wegbleiben muss, weil erst vom vierten Beobachtungstag angefangen 
eine gewisse Gleichmässigkeit der Werte sich zeigt. Dadurch, dass 
M. am schilddrüsenlosen Tier XXV die ganz unregelmässig schwanken- 
den hohen Werte der ersten 3 Tage der Vorperiode mit m Rechnung 
bringt, wird der Mittelwert der Vorperiode unnatürlich erhöht und 
dementsprechend der ganz beträchtliche Anstieg des Harn-N dieses 
schilddrüsenlosen Tieres im Fieber künstlich herabgedrückt. 

Ebenso unrichtig ist aber auch die Berechnung der Steigerung 
des Harn-N in der Fieberperiode, indem M. den Harn-N der Fieber- 
periode an beiden Normaltieren aus zwei Tagen, an beiden schild- 
drüsenlosen Tieren jedoch aus drei Tagen berechnet, wie aus nach- 
stehender Tabelle zu ersehen ist, in der M.’s Berechnungen zusammen- 


Due. S. 494. 
2) 1.c. S. 420. 


132 Paul Häri: 


gestellt sind. (Die Klammern in der Tabelle deuten dies arı und sind 
auch im Originaltext vorhanden.) 


Normaltiere Schilddrüsenlose Tiere 
Versuch Versuch Versuch | Versuch 
xXXIV XXVIl XxXV 2 EREXAVATE 


Mittelwert vor der 
Injektion . . . 2,15 | 3412 1.75 1,47 


"schder 1. Tag | 2,82% 29%0 joe! 35% | 1,86 3%0 1,54) keine 
Tncktion 2. „| 2,76 $ Steigerung | 4,28 f Steigerung | 1,99 }Steige- | 1,50 1Steige- 
J Sn 2,29 3,34 1,61) rung 1,35) rung 


Diese Art der Berechnung lässt sich auf keinerlei Weise begründen 
und ist nur geeignet, die Ergebnisse zu verschieben. Denn, wenn 
man objektiv rechnen und die ganze Periode der Steigerung berück- 
sichtigen will, muss man genau umgekehrt, alsM. es tut, vorgehen, 
nämlich an den Normaltieren die Werte vom 3. Tag, 2,29 (Tier XXIV) 
resp. 3,34 (Tier XXV]), mit in Rechnung ziehen, weil sie gegen 
den Mittelwert der Vorperioden noch eine Steigerung aufweisen; an 
den schilddrüsenlosen Tieren jedoch die Werte vom 3. Tag, 1,61 
(Tier XXV) resp. 1,35 (Tier XXVII), weglassen, weil sie der Vor- 
periode gegenüber keine Steigerung mehr aufweisen. Dann. ergibt 
sich für die Normaltiere eine Zunahme von 22 und 19%, für die 
schilddrüseniosen Tiere jedoch, wenn man in Versuchsreihe XXV die 
ersten 3 Tage aus dem weiter oben angeführten Grunde weglässt 
(wie M. richtigerweise in Versuch XXIV die ersten 2 Tage wegliess), 
eine Zunahme von 23 resp. 3%. Es beträgt also, die Zunahme richtig 
berechnet: 


am normalen Tier am schilddrüsenlosen Tier 


| 
NrEXXIV 299 | Nr. 7 RX 235% 
XXI 199% | „ XXVO 3% 


Daraus nun, dass von zwei schilddrüsenlosen Tieren eines (XXVII) 
sich anders verhält als normale Tiere, lassen sich schlechterdings 
keine beweisenden Schlüsse ziehen. 

Ebenso unbegründet ist auch die Art der Berechnung des Versuches 
am Normaltier XXII, in dem eine Zunahme der Eiweisszersetzung 
um 30%, konstatiert wird. Dies Ergebnis erhält M. dadurch, dass 
er von den der Injektion folgenden Tagen bloss den ersten, 
höchsten Wert in Betracht zieht. Da, wie oben erwähnt war, in 
allen übrigen Versuchen konsequenterweise die Steigerung aus 2—3 
der Injektion folgenden Tagen berechnet wird, ist es nicht gerecht- 
fertigt, in Versuch XXII einen einzigen Versuchstag herauszugreifen, 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 133 


bloss, weil er den Höchstwert aufweist. Führt man die Berechnung 
so aus wie in den übrigen Versuchen, so erhält man für die Fieber- 
periode eine Steigerung von bloss 18%. 

c) Endlich blieben noch Versuche XXII (am normalen) und XXVIII 
(am schilddrüsenlosen Tiere) zu besprechen. Bezüglich dieser Versuche 
war oben schon bemerkt, dass am normalen Tier Gärtner’sches 
Toxir, am schilddrüsenlosen jedoch Coli-Filtrat verwendet wurde, 
daher die Versuchsergebnisse überhaupt nicht verglichen werden 
können. Trotzdem seien diese Versuche eingehender besprochen, weil 
an diesen beiden Tieren ausser dem Harn-N auch der respiratorische 
Gaswechsel bestimmt wurde und aus diesen Ergebnissen weitgehende, 
jedoch ganz und gar ungerechtfertigte Schlüsse gezogen wurden. 

Durch Untersuchung des Gesamtstoffwechsels in Respirations- 
versuchen nach Zuntz-Geppert wollte M. an diesen beiden Tieren 
beweisen, dass die Schilddrüse ‚... überhaupt für die ganze 
gesteigerte Wärmebildung im Fieber die Verantwortung 
trägt‘ !). Aus den Ergebnissen seiner Versuche berechnet er eine 
Steigerung der Wärmeproduktion am normalen Tier um 25%, am 
schilddrüsenlosen Tier um 3% und folgert hieraus, ,.... dass am 
schilddrüsenlosen Tier während eines zweitägigen Fiebers die Wärme- 
bildung ... überhaupt nicht erhöht war, dass also die fieberhafte 
Temperatur nach Entfernung der Schilddrüse einzig und allein durch 
verminderte Wärmeabgabe zustande kam‘ ?). 

Diese Folgerungen sind gänzlich unbegründet und beruhen auf 
einer nicht entsprechenden Versuchsanordnung und einer verfehlten 
Berechnungsart. 

Wer je Respirationsversuche nach der Methode von Zuntz- 
Geppert ausgeführt hat, wird die Schwierigkeiten erfahren haben, 
die einer solchen Ausführung am nicht-narkotisierten oder nicht- 
eurarisierten Tiere beinahe unüberwindlich im Wege stehen. Die 
nicht zu vermeidende Ungleichmässigkeit im Verhalten des Versuchs- 
tieres — einmal vollkommene Ruhe, ein anderes Mal Unruhe mit 
ausgiebigen Muskelbewegungen — können solche Unterschiede im 
Stoffverbrauche zeitigen, durch die die Versuchsergebnisse ausschlag- 
gebend beeinflusst, verändert, ja verzerrt werden, so dass jeder Ver- 
gleich unmöglich wird. 

Man beachte bloss, dass der von M. berechnete Energieumsatz 
am Normaltier XXI zwischen dem 21. und 24. November, also vor dem 
Fieber, Werte aufweist, die zwischen 306 und 201 kg-Cal. pro 24 Stunden 
schwanken. Diese bis zu 50%, betragenden Unterschiede, die bei der 
Reduktion auf die Körpergewichtseinheit des Hungertieres sich bloss 


1) l.e. S. 421; auch im Original gesperrt. 
2) l.e. 8. 429; auch im Original gesperrt. 


134 Paul Hari: 


etwas verringern, rühren jedenfalls bloss zu einem Teil von dem an 
Hungertieren nach den ersten Hungertagen oft beobachteten Abfall 
des Energieverbrauches, zum grösseren Anteil jedoch offenbar davon 
her, dass sich das Tier an den späteren Hungertagen ruhiger als an 
den ersten verhielt. 

Wenn es nun auch durchaus wahrscheinlich ist, dass am Fiebertag 
eine Steigerung des Energieumsatzes stattgefunden hat, lässt sich 
die auf Rechnung des Fiebers zu setzende Steigerung nicht einmal 
annähernd feststellen. Denn einerseits ist über das Verhalten des 
Tieres am Fiebertag in den Versuchsprotokollen nichts angegeben, 
andererseits genügt es, vor Augen zu halten, dass die Lungenventilation 
in dem Versuch, der knapp vor der Injektion ausgeführt wurde, 874 ccm 
pro Minute betragen hatte, in dem Versuche jedoch, der 21, Stunden 
nach der Injektion ausgeführt wurde, auf 2075 cem angestiegen war, 
um erst im Laufe der nächsten Tage allmählich wieder auf Sil ccm 
abzufallen. Eine solche Beschleunigung der Atembewegung ist aber 
an sich bereits geeignet, den Umsatz im Vereine mit der ohnehin 
wahrscheinlichen Unruhe des fiebernden und stürmisch atmenden Tieres 
derart zu steigern, dass nicht einmal schätzungsweise zu ermessen 
ist, welcher Anteil der Steigerung auf den Fieberumsatz, welcher 
Anteil auf den Zuwachs aus grobmuskulärer Ursache entfällt. Ich 
wiederhole ausdrücklich, dass an eine Steigerung des Umsatzes am 
Normaltier XXI am Fiebertage nicht zu zweifeln ist; betone jedoch, 
dass eine Berechnung dieser Steigerung aus M.’s Daten aus oben- 
genannten Gründen ganz illusorisch ist. 

Was nun das schilddrüsenlose Tier XX VIII anbelangt, ist zunächst 
gar nicht zu begreifen, dass hier keine Zunahme der Wärmeproduktion 
stattfinden soll, wo doch laut den Daten in M.’s Tabelle der stündliche 
O,-Verbrauch 1%, Stunden vor der Injektion 1704 ccm, 3 Stunden 
nach der Injektion bereits um 30%, am nächsten Tage gar um bei- 
nahe 50% mehr betragen hatte und ein störendes Moment (wie etwa 
die enorme Zunahme der Lungenventilation beim Normaltiere) nicht 
vorhanden war. 

Auch wenn man den O,-Verbrauch der Fiebertage nicht mit dem 
unmittelbar vor der Injektion festgestellten O,-Verbrauch vergleicht, 
sondern mit dem Mittelwert aus sämtlichen vorausgegangenen Ver- 
suchen, was ja viele vorziehen werden, lässt sich für den 1. Fiebertag 
eine Steigerung von 15, für den 2. Tag eine solche von zirka 26% 
berechnen. 

Vergleicht man nicht bloss den O,-Verbrauch, sondern den Gesamt- 
stoffwechsel, und zwar auf Grund der von M. selbst berechneten 
und nachfolgend wiedergegebenen Werte, kommt man zu einem ähn- 
ichen Resultat: 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 


135 


pro 24 St. kg-Cal. Steigerung 

243. Male Nee. 224) 

ae 20204: Mittelwert: 223 
Deren Ber 24h) 

Du Ne AS (Bieber) 11% 

2SN 2a 139% 
ln 262 17% 
31. 298 23: 


Wie kommt es trotzdem, dass M. keine Steigerung findet? Einfach 
so, dass er die den Fiebertagen folgenden aussergewöhnlich hoher 
Werte der Nachperiode vom 30. und 31. Mai (die um 17 resp. 
29%, höher sind als der Mittelwert der fieberfreien Vorperiode) zu 
den Werten der Vorperiode hinzuschläst und zu einem 
Mittelwert vereinigt. Das ist aber vollkommen unbegründet, 
denn wenn es auch richtig ist, dass das Tier am 30. und 31. Mai keine 
Temperatursteigerung mehr aufwies, kann es doch, wo sein Umsatz 
um 17 resp. 29% gegen die Norm (Vorperiode) gesteigert war, nicht 
als in normalem Zustand befindlich erachtet werden. Hier gingen 
eben Temperatursteigerung und erhöhter Stoffzerfall, beide durch die 
Intoxikation herbeigeführt, nicht bis zum Ende parallel einher, sondern 
der Stoffzerfall war auch nach dem Abklingen des Fiebers immer 
noch erhöht, ja, an diesem Tier sogar noch weiter angestiegen. 

Dass auch M. dort, wo er von Fieber spricht, sich nicht streng 
an den Befund einer erhöhten Körpertemperatur hält, geht aus nach- 
stehenden, aus seinen Tabellen zusammengesteliten Daten hervor. In 
seinen Tabellen !) sind nämlich folgende Maximaltemperaturen ein- 
getragen resp. folgende Tage als Fiebertage bezeichnet: 


Normales Tier XXII Schilddrüsenloses Tier XXVII 


Oktober , . .2 38,6 264 Mala 2202982 

22. en; 38, 20: 39,9 Fieber 
23: = a re 28: SON 
24. se A 33‘) 29. BSD 0% 
5), 5 . 2. ..40,2 Fieber 30. 38,2 

26. en 38,‘ Sl 38,2 

2arle = a Lee) 

28. Ri We 3u.s 

29, ar ee 


Wie dem immer sei, keinesfalls dürfen die Werte der Nachperiode, 
die bis 30%, höher als die Werte der Vorperiode sind, als Normal- 


1) 1. c. S. 424, 425 und 428. 


136 Paul: Hart: 


werte angesehen werden, und keinesfalls wird man mit M. diese Werte 
mit denen der Vorperiode zu einem Mittelwert vereinigen und. die 
Werte von den Fiebertagen mit diesem falschen Mittelwert vergleichen 
dürfen. 

Es ist also einerseits M.’s Behauptung, ‚dass am schilddrüsenlosen 
Tier ... die Wärmebildung im Gegensatz zum normalen überhaupt 
nicht erhöht‘ !) ist, vollständig unbegründet, andrerseits fehlt auch 
seiner Schlussfolgerung, wonach ‚,... die fieberhafte Temperatur nach 
Entfernung der Schilddrüse einzig und allein durch verminderte 
Wärmeabgabe zustande ...' käme ?), jede Basis. 

Voranstehend wurde über eine grosse Reihe von Versuchen be- 
richtet, durch die der Zusammenhang zwischen Schilddrüsenfunktion 
und Eiweisszersetzung erhärtet werden soll. Ein solcher Zusammen- 
hang ist, wie eingangs bereits erwähnt, schon seit längster Zeit be- 
kannt und, wie ebenfalls bereits erwähnt, neuerdings auch für kom- 
plizierte Verhältnisse (verschiedene Einwirkungen an schilddrüsenlosen 
Tieren) geprüft worden. 

Die zahlreichen Fehler in den Versuchen von M., die sowohl in 
der Einrichtung und Ausführung dieser Versuche als auch in der 
Berechnung der Versuchsergebnisse nachzuweisen sind, nehmen jenen 
Versuchen jede Beweiskraft, fördern daher unsere Erkenntnis nicht 
darüber hinaus, was bereits bisher bekannt oder vermutet wurde. Ja, 
mangels an Beweiskraft sind sie nicht einmal geeignet, bereits Bekanntes 
zu bestätigen. 


Blutbildung und Schilddrüse. 


Dass die Schilddrüse auf die Bildung der roten Blutkörperchen 
auf irgendeine Weise Einfluss hat, ist eine längst bekannte und ex- 
perimentell festgestellte Tatsache, die auch Eingang in alle Lehrbücher 
der Physiologie gefunden hat. Die Frage ist jedoch noch nicht geklärt, 
und wird ihr Stand noch immer am besten durch Noorden °) charak- 


terisiert: ‚.... es scheinen in der Tat gewisse Beziehungen der Schild- 
drüse zu den blutbereitenden Organen zu bestehen; .... Doch sind die 


feineren Beziehungen jedenfalls indirekte und durch das Experiment 
nicht genügend geklärt.‘ Bei diesem Stande der Dinge musste sich 
naturgemäss ein grösseres Interesse den vor wenigen Jahren erschienenen 
Experimentalarbeiten von Mansfeld ?) und später seines Mitarbeiters 


Dilac..8..429, 
2) 1. c. S. 429; auch im Original gesperrt. 
3) a v. Noorden, Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels. 


IE. Aufl..Bq. 1198. 318. 21907: 
4) G. Mansfeld, Blutbildung und Schilddrüse. Beiträge zur Physio- 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 137 


Neuschloss!) zuwenden, die sich mit obigem Thema beschäftigten 
und eine Reihe neuer Tatsachen gefunden haben wollen. 


Nachdem M. in einer vorangehenden Mitteilung ?) bewiesen zu 
haben glaubt, dass ‚der O,-Mange! mässigen Grades seine Wirkung 
auf den Eiweissstoffwechsel durch eine Reizung der Schilddrüse be- 
wirkt“ ®), legt er sich die Frage vor, „ob nicht auch noch andere 
Wirkungen des Sauerstoffmangels, in erster Linie diejenigen auf die 
Blutbildung, in einer gesteigerten Schilddrüsentätigkeit ihre nähere 
Ursache finden‘ ®). 

Aus den Ergebnissen der weiter unten zu besprechenden Versuche 
ziehen die Autoren eine Reihe von Schlüssen, die, wenn sie richtig 
wären, einen Fortschritt in der Erkenntnis der physiologischen Funktion 
der Schilddrüse, namentlich bezüglich ihrer langvermuteten Rolle bei 
der Blutbildung bedeuteten. Leider ist dem nicht so, denn, wie in 
nachstehendem gezeigt werden soll, handelt es sich hier um mühsame, 
jedoch grossenteils mangelhaft eingerichtete und berechnete Versuche, 
deren Ergebnisse auch irrig gedeutet sind. 

Wirkung des Höhenklimas, des anämischen Serums, 
des Eisens und des Arsens auf das Blut normaler und 
schilddrüsenloser Kaninchen. Die Prüfung der Wirkung des 
Höhenklimas erfolgte so, dass an Kaninchen — teils mit, teils ohne 
Schilddrüse — eine Blutkörperchenzählung vorgenommen wurde, 
worauf sie nach einem über 1000 m hoch gelegenen Ort kamen und 
20 Tage dort blieben ; nach ihrer Rücksendung fand wieder eine Zählung 
der Blutkörperchen statt. Das Ergebnis der Höhenversuche (M.) war: 
eine Vermehrung der Blutkörperchen am normalen, eine Verringerung 
am schilddrüsenlosen Tier. Hieraus wird geschlossen, dass ‚,... das 
Höhenklima mit seinem verminderten O,-Partialdruck die Organe der 
Blutbildung dann erst zu erhöhter Tätigkeit reizt, wenn die Schild- 
drüse ihre Arbeit leistet. Ist dieses Organ entfernt, so führt O,-Mangel 
zu keiner Vermehrung an Sauerstioffträgern“ 3), weil, wie es an einer 
anderen Stelle heisst, ‚,..... der O,-Mangel auf die Stelle der Blutbildung 


logie der Schilddrüse.. II. Mitteilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. 
Bd. 152 S. 23. 1913. 

1) 5. Neuschloss, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. VII. Mit- 
teilung. Über den Mechanismus der Eisen- und Arsenwirkung. Pflüger’s 
Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 161 S. 492. 1915. 

2) G. Mansfeld und Friedrich Müller, Beiträge zur Physiologie 
der Schilddrüse. I. Mitteilung. Die Ursache der gesteigerten Stickstoff- 
ausscheidung infolge Sauerstoffmangels. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. 
Bd 14378. 157. 1912. 

Sale ;S. 23: 

A)al.ze. S. 26. 


138 Paul Ear!: 


selbst hemmend einwirkt und erst dann zu einer gesteigerten Blut- 
bildung führt, wenn die Schilddrüse an ihrem Platze ist...“ N). 

Dieselbe Wirkung und derselbe Wirkungsmechanismus nd auch 
dem anämischen (Carnot’schen) Serum und in N.’s Mitteilung auch 
dem Eisen zugeschrieben, nämlich eine Zunahme der Blutkörperchen- 
zahl am normalen, eine Abnahme am schilddrüsenlosen Tier. 

Nebenbei sei bemerkt, dass die Versuchseinrichtung, die M. zur 
Prüfung der Wirkung der Höhenluft anwendet, schon lange vor ihm 
an normalen Kaninchen von anderen Autoren benutzt wurde, die 
auch zu demselben Ergebnis gelangten ; so von Mercier ?), Guillemard 
und Moog?). 

Es ist auch irrtümlich, wenn N. sagt: es ‚,... finden sich in der 
Literatur keine Angaben darüber, ob auch an Tieren mit normalem 
Blut durch Eisen eine Vermehrung der Erythrocyten stattfindet‘ ®). 
Denn Hoffmann?) hat an vier jungen normalen Kaninchen, die 
Eisen erhielten, nach 10—17 Tagen eine Zunahme um 9— 11%, be- 
obachtet; an den Kontrolltieren (ohne Eisen) jedoch keine Veränderung 


( 6, 4, =E ON). 


Die eingangs zitierten Schlüsse von M. und N. wären gerecht- 
fertigt: 

a) wenn in den Versuchen alle Kautelen eingehalten wären, die 
speziell bei Untersuchungen über Veränderungen der Blutbestandteile 
geboten sind; 

b) wenn für die Verringerung der Blutkörperchen in schilddrüsen- 
losen Tieren andere, bereits bekannte Ursachen ausgeschlossen werden 
können. 

ad a) Als ein Mangel der M.- und N.’schen Versuche ist hervor- 
zuheben, dass für die unentbehrlichen Kautelen offenbar nicht ge- 
sorgt war. Zu solchen Untersuchungen dürften nur Tiere desselben 
Wurfes einerseits im normalen, andererseits im schilddrüsenlosen Zu- 
stande genommen werden; weiterhin muss dafür gesorgt sein, dass 
nicht nur die Art der Ernährung, die Zusammensetzung des Futters 
der normalen und schilddrüsenlosen Tiere dieselbe, sondern das Futter, 
das beiden Tiergruppen vorgelegt wird, identisch sei. Es muss also mit 
so vorbildlich peinlicher Sorge gearbeitet werden, wie Bürker®) es tut. 


1. ..25. 

2) Rei in Virchow-Hirsch’s Jahresber. 1895, Bd. I S. 263. 
3) Befer daselbst 1906, Bd. I: S. 187. 

4) | S. 493. 


5) A een Die Rolle des Eisens bei der Blutbildung. Virchow’s 
Archiv Bd. 160 8. 235. 1900. 

6) K. Bürker, Die physiologischen Wirkungen des Höhenklimas. 
Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 105. 1904. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 139 


Bürker hat .‚sechs ... Kaninchen derselben Herkunft von an- 
nähernd derselben Grösse und Haarfarbe gewählt und bezeichnet ... 
Sie wurden zu dem Versuch mit demselben Futter (Heu und Hafer), 
das ihnen auf der Schatzalpe gereicht werden sollte, und von dem 
ein Teil heruntergeschickt worden war, in Tübingen vorgefüttert‘“. 

Von ähnlichen Kautelen ist in M. und N.’s Mitteilung nichts er- 
wähnt, welcher Umstand ihren Versuchen bereits ein gut Teil ihrer 
Beweiskraft benimmt. 

ad b) Die Abnahme der Blutkörperchen im schilddrüsenlosen Tiere 
kann auf eine einfachere, natürlichere Ursache zurückgeführt werden, 
und eine Hemmung im schilddrüsenlosen Tier durch den O,-Mangel usw. 
braucht nicht angenommen zu werden. M.’s Schluss gegenüber drängt 
sich nämlich der natürliche Einwand auf, ob nicht die Tiere durch die 
Thyreoidektomie allein schon eine bedeutende, fortschreitende Ein- 
busse an ihrem Erythrocytenbestand erleiden, sei es dass sie in der 
Ebene, oder im Höhenklima, unter Eisenbehandlung usw. sich be- 
finden. Denn ist dies der Fall, so kommt die Wirkung der Höhenluft, 
des Eisens usw. im schilddrüsenlosen Tier einfach darum nicht zur 
Geltung, weil sie durch die thyreoprive Verringerung der Blutkörperchen 
verdeckt resp. überkompensiert wird. Dieser Einwand liesse sich nur 
durch den Nachweis widerlegen, dass die Schilddrüsenlosiskeit allein 
zu keinem ansehnlichen Blutkörperchenverlust führt. Insolange dieser 
Beweis nicht erbracht ist, ist M.’s Annahme einer Hemmung der Blut- 
körperchenbildung durch Höhenluft usw. unbegründet. 

Besagten Einwand wirft auch M. auf, hält ihn jedoch für wider- 
legt durch eigene Versuche, in denen ‚wohl eine mässige Verarmung 
des Blutes an roten Blutkörperchen stattfindet, dieselbe jedoch selbst 
nach 4 Wochen niemals mehr als 9% betrug‘ !). Da Versuchen, dessen 
Daten und Belege nicht mitgeteilt sind, keine Beweiskraft zukommt, 
ist der Einwand nicht als widerlegt zu betrachten, um so weniger, 
da, wie erwähnt, zum Beispiel über die Ernährung der Tiere in 
der Ebene und in der Höhe (siehe oben Bürker’s Kautelen) nichts 
mitgeteilt ist, während doch gerade diesbezügliche Unterschiede 
bei den kleinen Tieren gerade ausschlaggebende Differenzen zeitigen 
können. 

Wie steht es eigentlich um unser Wissen bezüglich der Wirkung 
der Thyreoidektomie auf die roten Blutkörperchen ? Eine ganze Reihe 
von Autoren hat eine erhebliche Abnahme derselben konstatiert. 

Biedl?) sagt ganz im allgemeinen: ‚Man sieht eine fortschreitend 
erheblichere Abnahme der Zahl der roten Blutkörperchen und des 


DEITEES2 26; 
2) Artur Biedl, Innere Sekretion. II. Aufl., I. Teil 1913. S. 155. 


140 Paul Häri: 


Hämoglohins.“ D’Amore, Falcone und Geoffredi!) finden au 
Hunden eine geringe Abnahme, Formanek und Haskovec’?) an 
15 thyreoidektimierten Hunden .‚eine systematische Abnahme‘, Levy?) 
an Hunden eine Abnahme bis höchstens 25%, Mezinzescu ®) an 
Hunden eine Abnahme um ca. 30%, und darüber; desgleichen auch 
Kishi°) an Hunden und Katzen. Im Gegensatz zu den genannten 
Autoren fanden Gluzinski und Lemberger ®), dass wohl ein 6 Monate 
alter Hund auf Thyreoidektomie mit einer enormen Verringerung 
der Blutkörperchen reagierte, ein 5—7 Jahre alter Hund hingegen 
niit einer ansehnlichen Steigerung! (Siehe auch weiter unten Konradi’s 
Versuche.) 

Doch soll bei dem Unterschied, der zwischen Hund und Katze 
einerseits und Herbivoren (namentlich Kaninchen) andererseits in der 
anatomischen Lagerung der Epithelkörperchen und daher auch, wie 
wir heute wissen, bezüglich mancher Folgen einer Schilddrüsen- 
Exstirpatioüu bestehen, von den meisten älteren Versuchen, desgleichen 
auch von der sicher festgestellten Tatsache der verringerten Blut- 
körperchenzahl an myxödematosen Menschen abgesehen werden; hin- 
gegen mit Nachdruck auf Esser’s”’) Hunde- und Kaninchen versuche 
hingewiesen werden, in denen keine der notwendigen Kautelen ausser 
acht gelassen wurde. 

Esser entfernte sieben Hunden die Schilddrüse auf der einen 
Seite vollständig, auf der anderen Seite (zur Schonung der Epithel- 
körperchen) bloss zu drei Vierteilen. Von den sieben Hunden zeigten 
sich bloss an zweien, und auch da bloss anfangs, leichte Anfälle von 
Tetanie; die übrigen Hunde blieben, wie auch selbstredend alle vier 
Kaninchen (an denen die Epithelkörperchen verschont blieben), ganz 
wohlbefindend. Es sind daher alle diese Versuche gleichmässig be- 


1) D’Amore, L., C. Faleone und G. Geoffredi, Ref. im Zentralbl. 
f. sn Path. und a Anat. .V. 1894. 

2) Formanek und Haskovec, Beitrag zur Lehre über die Funktion 
der Schilddrüse. Wien 1896. Nölder, Referjiert bei Esser (s. unten). 

3) A. G. Levy, Die im Blut von Hunden nach Entfernung der 
Thyreoidea auftretenden Veränderungen. Journal of pathol. and bacter. 
1898. Ref. in Maly’s Jahresber. f. Tierchemie Bd. 28 S. 429. 1898. 

4) D. Mezinzescu, Les modifications du sang apres l’exstirpation 
du corps thyroide. Arch. de med. exp. et d’anat. path. 1serie. t. XIV 
p- 266. 1902. 

5) K. Kishi, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. Virchow’s 
Archiv Bd. 176 S. 260. 1904. 

6) W. A. Gluzinski und J. Lemberger, Über den Einfluss der 
Entfernung der Schilddrüse auf den Stoffwechsel im tierischen Organismus. 
Ref. in Maly’s Jahresber. f. Tierchemie 1899, S. 492. 

7) Esser, Blut und Knochenmark nach Ausfall der Schilddrüsen- 
funktion. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 89 S. 576. 1907. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 141 


weisend, und um so beweiskräftiger, da E. wie folgt vorging: ‚zu 
Kontrolltieren, bei denen ich zu gleicher Zeit wie bei den Versuchs- 
tieren Blutuntersuchungen vornahm, ... nahm ich Tiere desselben 
Wurfes, ... die natürlich in gleicher Weise wie die Versuchstiere ge: 
pflegt und ernährt wurden“ 1). — 

Die Ergebnisse der Esser’schen Versuche, an denen nur zu be- 
dauern ist, dass bloss die Ergebnisse ie zweier Versuchsreihen mit- 
geteilt sind, waren die folgenden: an einem thyreopriven Hunde 
nahm die Blutkörperchenzahl in 24 resp. 34 resp. 44 Tagen um 7 resp. 
16 resp. 21%, ab; am zweiten Hund in 24 resp. 34 resp. 47 Tagen 
um 14 resp. 12 resp. 23%; an einem Kaninchen in 26 resp. 43 Tagen 
um 15 resp. 21 %, am anderen in 26 resp. 43 resp. 55 Tagen um 8 
resp. 7 resp. 25%. 

Der oben erwähnte Einwand ist also nur allzu begründet, denn 
Esser’s Versuche beweisen sicher, dass die Thyreoidektomie 
allein schon nicht nur an Hunden, sondern. auch an 
Kaninchen zu einer Verringerung der Blutkörperchenzahl 
führt, somit auch erwiesen ist, dass dies auch an M.’s und N.'s Kanin- 
chen eingetreten ist. Allerdings reicht die Anzahl der Esser’schen 
Versuche bei weitem nicht hin, um aus ihren Ergebnissen mit Sicher- 
heit auf die Grösse des Verlustes folgen zu können; denn auch in den 
weit zahlreicheren Hundeversuchen ist das Zahlenergebnis ein sehr 
divergierendes. Immerhin sind aber Esser’s Befunde geeignet, den 
oben formulierten Einwand als zu Recht bestehend erscheinen zu lassen. 

Wenn demnach an den schilddrüsenlosen Tieren M.’s und N.’s in 
der Höhenluft, während der Eisenbehandlung usw. eine Verringerung 
der Blutkörperchen stattfindet, so wird man diese Verringerung dem 
Schilddrüsenverlust allein zuschreiben müssen, insolange nicht 
durch eine grössere Anzahl von Versuchen festgestellt ist, dass der durch 
die Thyreoidektomie allein verursachte Blutkörperchenverlust geringer 
ist als der durch M. und N. beobachtete. Und auch in dem Falle, 
dass dieser Verlust als geringer sich herausstellt, wird man höchstens 
auf eine etwas verlangsamte Regeneration etwa im Sinne von Noorden’s 
Andeutung schliessen dürfen (ob etwa auch auf erhöhten Zerfall, soll 
jetzt dahingestellt bleiben), doch keineswegs auf eine hemmende Ein- 
wirkung des O,-Mangels, des Eisens ‚auf die Stätte der Blutbildung‘“ 
im Sinne von M. und N. Diese Annahme ist daher unerwiesen und 
überflüssig. 

Regeneration des Blutkörperchen am künstlich anä- 
misch gemachten normalen und schilddrüsenlosen Ka- 
ninchen. 


Ele, 8.2587. 


142 Paul Häri: 


Dass der Schilddrüse bei der Bildung der Blutkörperchen eine 
gewisse, jedoch in ihren Einzelheiten und in ihren Zusammenhängen 
zurzeit noch nicht bekannte Rolle zukommt, ist, wie gesagt, selbst- 
verständlich. M. geht jedoch viel weiter und will aus nachfolgend. 
zu besprechenden Versuchen den Beweis erbringen, dass die Regeneration 
in Abwesenheit der Schilddrüse äusserst mangelhaft vor sich geht. 
Es soll nun gezeigt werden, dass auch dieser Schluss unbewiesen ist; 
ja, es soll gerade aus diesen Versuchen gezeigt werden, dass die Regenera- 
tion auch am schilddrüsenlosen Tier eine recht kräftige sein kann. 

M. und N. zählten die Blutkörperchen von normalen wie auch von 
schilddrüsenlosen Kaninchen, machten sie anämisch, stellten die Blut- 
körperchenzahl wieder fest, hielten die normalen Tiere in der Ebene, 
setzten je eine Gruppe der schilddrüsenlosen Tiere der Einwirkung 
der Höhenluft oder des Eisens oder des Arsens aus und zählten dann 
wieder an allen Tieren die Blutkörperchen. 

Die Ergebnisse dieser Versuche will ich weiter unten gruppenweise 
besprechen; zunächst soll jedoch auf folgende Momente hingewiesen 
werden, die zur Beurteilung aller Versuche wichtig sind: 1. auf die 
Art, wie die Anämie erzeugt wurde; 2. auf die Art der Berechnung 
der Versuche. 

ad 1. Die Anämisierung der Kaninchen geschah durch subkutane Ein- 
spritzung von Phenylhydrazin, — ein Weg, den bereits Astolfini!), 
Ritz 2), Tiberti?) und andere eingeschlagen haben. Dieser Modus 
der Anämisierung mag ja gegenüber der Blutentziehung auf operativem 
Wege — die von den meisten Autoren verwendet wird — manche 
Vorteile haben; zu bedenken wäre jedoch, dass so prompt auch die 
Wirkung eintritt, deren Abklingen nicht präzis vorauszusehen ist. 
Es ist also auch, wenn man nach der Ph.-Einspritzung 48 Stunden 
lang wartet, wie M. und N. es getan haben, nicht sicher, ob der Prozess 
der Blutkörperchenzerstörung nicht zu einer Zeit noch andauert, wo 
die Zählung der Blutkörperchen vorgenommen und die so gewonnene 
Zahl als fixer Ausgangspunkt betrachtet wird. Man könnte diese 
Schwierigkeit nur umgehen, wenn man durch fortlaufende Zählungen 
an jedem einzelnen Tier vor dem eigentlichen Versuch festzustellen 
sucht, wann die Umkehr (infolge der entgegenwirkenden Regeneration) 


1) G. Astolfini, Über die Wirkung einiger Eisenpräparate auf die 
Phenylihydrazin-Anämie. Lo sperimentale 59. Ref. in Maly’s Jahresber. 
f. tier. Chemie Bd. 35 8. 160. 1905. 

2) H. Ritz, Studien über Blutregeneration bei experimentellen 
Anämien. Folia hämatologiea Bd. 8 S. 186. 1909. 

3) N. Tiberti, Sur la regeneration extramedullaire du sang dans 
l’an&mie experimentale produite par la phenylhyarazine. Arch. ital. de 
biologie t. 54 p. 56. 1910. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 143 


ungefähr erfolgt. Diese Vorsicht ist von M. und N. nicht geübt worden ; 
wie notwendig sie aber ist, ist aus dem Bedenken M.’s zu ersehen, 
die er selbst gegen vier seiner Versuche aus analogen Gründen äussert 
(siehe weiter unten). 

ad 2. Was die Berechnung der Versuche anbelangt, muss konstatiert 
werden, dass M.’s und N.’s Ergebnisse schon aus dem Grunde nicht 
standhalten, weil dieselben insgesamt unrichtig berechnet sind. 
M. und N. berechnen nämlich den Grad der Regeneration aus dem 
Verhältnis zwischen der Zahl der durch die Anämisierung ver- 
lorenen und durch Höhenluft, Eisen, Arsen wiedergebildeten 
Blutkörperchen. Diese Art der Berechnung ist jedoch hier durchaus 
nicht am Platz und geeignet, ein falsches Bild von der Regeneration 
zu geben. Diese Berechnung wäre richtig, wenn etwa zu ermitteln 
wäre, ob und inwieweit die Geschwindigkeit der Regeneration von 
der Grösse des vorangegangenen Blutverlustes abhängt. Hiervon ist 
aber hier nicht im mindesten die Rede; hier handelt es sich um das 
Ausmaass oder die Geschwindigkeit der Regeneration am anämischen 
Tier während eines bestimmten Zeitraumes. Diese werden aber wieder- 
gegeben durch das Verhältnis zwischen Blutkörperchenzahl des 
bereits anämischen Tieres nach und vor der Einwirkung des zu 
prüfenden Faktors (Höhenluft usw.), oder aber durch die Regenerations- 
zeit, d. h. die Zeitdauer, deren es zur Herstellung der früheren Blut- 
körperchenzahl bedarf. 

Welch abweichendes Ergebnis sich durch die unrichtige M.’sche 
Berechnungsart ergibt, ist aus nachfolgender schematischer Zusammen- 
stellung ersichtlich, in der einmal (A.) die erlangte Blutkörperchenzahl, 
ein anderes Mal (B.) der Blutkörperchenverlust konstant gesetzt sind. 


| Blutkörperchenzahl Regeneration in °/o 
EIN nach | nach der nach I arehg 7 
Den Anämi- Regenera- | Mansfeld el 
sierung tionszeit | berechnet | ?°7® 

1 100 | 80 | 90 50 | 12 
2 100 65 | 90 Al 38 
AO 100 50 | 90 80 | 80 
4 100 35 | 90 85 | 137 
5 100 20 | 90 7 350 

6 100 40 55 15 | 37,5 
B 7 100 40) | 70 30 | 75 

8 100 40 | 85 45 | 112,5 
8) 100 40 | 100 60 | 150 

| | 


| 
| 


Nach M.’s Berechnung wäre die Regeneration in den Fällen 3, 4 
und 5 der Gruppe A annähernd, in 4 und 5 sogar beinahe identisch 
stark, wenn die Blutkörperchenzahl von 50 resp. 35 resp. 20 jedesmal 


144 Paul Häri: 


auf 90 angestiegen ist, wo es doch klar ist, dass die Regeneration im 
Falle 4 beinahe doppelt, im Falle 5 aber mehr als viermal so stark als 
im Falle 3 gewesen ist. 

Etwas besser steht es um die Fälle der Gruppe B, indem hier die 
Werte zwai gegen den richtigen Wert verschoben sind, doch die Ver- 
schiebung eine gleichmässige ist. 

Da die Höhe des durch die Anämisierung gesetzten Verlustes in 
M.’s und N.’s Versuchen ebenso auch wie der durch die Regeneration 
erlangte Zuwachs selbstredend von Versuch zu Versuch durchaus 
verschieden sind, müssen auch infolge der falschen Berechnungsart. 
die Verschiebungen resp. die Abweichungen von der Wahrheit ganz 
unberechenbar hoch: einmal unbedeutend, ein anderes Mal sehr be- 
trächtlich, sein. 

Ich habe aus den in den beiden Mitteilungen enthaltenen Daten 
in allen Versuchsreihen die Regeneration richtig berechnet und dann 
in jeder Versuchsreihe den Mittelwert gezogen. Um dem Blutkörperchen- 
verlust, den die Tiere infolge der 'Thyreoidektomie erlitten, gerecht 
zu werden, habe ich ferner an diesen Ziffern eine Korrektion in der 
Höhe von je + 10% angebracht, da eigentlich nur die so korrigierten 
Werte einen Vergleich mit den Normalwerten gestatten. Die Korrektion 
von 10°, ist natürlich eine willkürlich gewählte, doch jedenfalls eher 
zu niedrig als zu hoch gegriffen, wenn man bedenkt, dass zwischen 
der ersten und zweiten Zählung mehrere Wochen vergangen sind. 

In M.’s Versuchen ist nämlich wohl angegeben, dass die Kaninchen 
20 Tage lang in der Höhenluft gehalten wurden und 24 Stunden nach 
der Rückkunft die zweite Zählung vorgenommen wurde, jedoch nichts 
über den Zeitpunkt der ersten Zählung am schilddrüsenlosen Tier 
(offenbar vor der Exstirpation). Da ja bis zur Heilung der Wunde 
immerhin einige Tage vergingen, dürfte diese Zeitdauer annähernd 
4 Wochen betragen haben, also so viel, als nach Esser’s Versuchen 
zu einer ansehnlichen Verringerung der Blutkörperchen genügt. 

In N.’s Eisen- und Arsenversuchen dauerte die Regeneration (damit 
ist die Dauer der Medikation gemeint) 12 Tage. Wenn die erste Zählung 
vor der Operation vorgenommen wurde, so waren es insgesamt mehr 
als 2 Wochen, sonst annähernd 2 Wochen. Die Korrektion von 10% 
ist um so eher gerechtfertigt, da N. in seiner — zwei Jahre nach der 
M.’schen erschienenen — Mitteilung bereits angibt, dass die 11% 
Abnahme an den mit Arsen behandelten schilddrüsenlosen Tieren 
keine Arsenwirkung bedeute: ‚die Abnahme der Blutkörperzahl erfolgt 
in diesem Maasse auch schon allein durch die Entfernung der Schild- 
drüse‘“ }). | 


1) 1: ce. 8. 498. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 145 


Um wieder auf unsere Berechnung zurückzukommen, ergab es 
sich dabei, dass leider gerade in den Höhenversuchen an anämischen 
normalen und schilddrüsenlosen Tieren ein solcher Mittelwert schlechter- 
dings nicht zu ziehen ist (was übrigens von M. auch angedeutet wird). 
Da nämlich M. selbst je zwei Versuche von den je fünf Höhenversuchen 
als mit einem Fehler behaftet (Zählung vor Ablauf von 48 Stunden 
nach Phenylhydrazin) bezeichnet, verbleiben nur noch je drei Versuche. 
Die Regeneration an den normalen Tiere; dieser Reihe beträgt, richtig 
berechnet, 23, 67 und 151%. Aus solchen Werten, sintemal es nur 
deren drei sind, lässt sich natürlich kein Mittelwert ziehen, der die 
Basis eines Vergleiches mit den schilddrüsenlosen Tieren abgeben 
könnte, die ihrerseits wieder bloss durch drei brauchbare Versuche 
vertreten sind. Der Unterschied zwischen normalen und schilddrüsen- 
losen Tieren ist zwar bedeutend, verliert jedoch an Beweiskraft infolge 
der bei der Lösung ähnlicher Probleme allzu geringen Zahl (je drei!) 
von brauchbaren Versuchen, um so mehr, da ja hier noch eine ganze 
Reihe von anderen Faktoren (verminderte Fressluft, andersartiges 
Futter usw.) mit im Spiele gewesen sein konnte. 

Aus diesem Grunde konnten die Höhenversuche in nachfolgender 
Zusammenstellung, in der alle übrigen Versuche an anämisch ge- 
machten Tieren richtig berechnet sind, keinen Platz finden. 


Regeneration am anämischen 


Ver Nach der schilddrüsenlosen 
suchs- IM. normalen Kaninchen Autor 
Nr.) Anämisierung | Kaninchen. 
: | berechnet | korrigiert 
| 0/o %o um + 10% 
I: Keine weitere Be- 
handlung. . . 83 | 32 | 42 M. 
II Keine weitere Be- | | 
handlung . . . 44 | 20 | 30 N. 
III Eisenbehandlung 57 | 96 | 106 N. 
IV Arsenbehandlung 63 | 8 | 18 N. 


Es sollen nun die einzelnen Versuchsgruppen, jede für sich, be- 
sprochen werden. 

Regeneration in anämischen Tieren in der Ebene und 
in der Höhe, die ohne weitere Behandlung blieben. Aus 
seinen Ergebnissen folgert M., dass ‚nach Giftanämien ... an schild- 
drüsenlosen Tieren die Regeneration der roten Blutkörperchen eine 
im Vergleich zu normalen Tieren äusserst träge“ ist, „indem sie in 
der Ebene ein Drittel, in der Höhe sogar nur ein Zehntel jener Werte 


l) Von mir so bezeichnet. 
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 10 


146 Paul Hari: 


erreicht, welche unter gleichen Bedingungen an normalen Tieren be- 
obachtet wurden‘ }). 

Demgegenüber ergibt sich aus meiner obigen Zusammenstellung, 
dass in zwei zu verschiedenen Zeiten an normalen anämischen Tieren 
ausgeführten Versuchsreihen I und II, die in der Ebene ohne weiteren 
Eingriff gehalten wurden, die Regeneration ebenfalls eine sehr ver- 
schiedene war: in I doppelt so intensiv (83%) als in IL (44 %,). 

Aus diesem Grunde lässt es sich auch nicht sicher konstatieren, 
ob die Regeneration am schilddrüsenlosen Tier geringer als am normalen 
sei. Sobald man nämlich die Werte der schilddrüsenlosen Tiere ent- 
sprechend ihrem Blutkörperchenverlust korrigiert und dann die schild- 
drüsenlose Reihe I (42%) und II (30%) mit der Normalreihe IT (44%) 
vergleicht, besteht kein nennenswerter Unterschied zwischen 
normalen und schilddrüsenlosen Tieren. Vergleicht man aber dieselben 
schilddrüsenlosen Reihen mit der Normalreihe I (83%), so ist der 
Unterschied wohl ansehnlich, doch nicht grösser als zwischen den 
beiden Normalreihen selbst, daher auch nicht beweisend. Der Unter- 
schied zwischen normalen und schilddrüsenlosen Tieren wäre offenbar 
noch weit geringer, würde wahrscheinlich ganz verschwinden, wenn 
der durch die Thyreoidektomie allein verursachte Blutkörperchen- 
verlust bekannt gewesen wäre und vollin Abzug gebracht werden könnte. 
Habe ich doch bloss eine wahrscheinlich viel zu geringe Korrektion 
von 10% angebracht! 

Es ist also völlig unbewiesen, dass die Regeneration am 
anämischen schilddrüsenlosen Tier in der Ebene ‚‚unvergleichlich träger 
vor sich geht als in der Norm“ ?), wie sich M. ausdrückt. Vielmehr 
wird man sagen müssen, dass ein Unterschied nicht nachzuweisen ist. 

Über das Verhalten anämischer Tiere in der Höhenluft 
lässt sich bei den (S. 142) erwähnten Mängeln dieser Versuchsreihe 
überhaupt nichts sagen. 

Regeneration in anämischen Tieren mit und ohne Eisen- 
behandlung. Gerade bei den Eisen- resp. auch Arsenversuchen 
zeigt es sich, welch grosse Vorsicht man bei Schlüssen walten lassen 
muss, die aus den Ergebnissen solch naturgemäss komplizierter und 
in ihrem Verlauf schwer kontrollierbarer Versuche gezogen werden 
sollen. 

Ich will bloss beispielsweise darauf hinweisen, dass, wenn nicht 
zwei Jahre nach M.’s Veröffentlichung N.’s Versuche hinzugekommen 
wären, man aus den Versuchen an Normaltieren bei einiger Phantasie 
auf die Idee kommen könnte, dass am normalen anämischen Tier 


SS) 

nu 
ww 
I 


DD m 
En 
hd  jud 
. . 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 147 


durch die Einwirkung von Eisen resp. Arsen die Regeneration um 
31 resp. 24%, verzögert wird: 


Normal-Eisenlos Normal-Eisen Normal-Arsen 
Vers.-Reihe I. 8%, Vers.-Reihe III. 57% _Vers.-Reihe IV. 63%, 


oder umgekehrt, wenn M.’s Versuche nicht existierten, bloss die von N.., 
um 30 resp. 43% beschleunigt ist: 


Normal-Eisenlos Normal-Eisen -, Normal-Arsen 
Vers.-Reihe II. 44% Vers.-Reihe III. 57% Vers.-Reihe IV. 63%. 


Man könnte ferner aus einem Vergleich zwischen normalen und 
schilddrüsenlosen Tieren folgern, dass das schilddrüsenlose Tier mit 
Eisen weit besser regeneriert als das normale mit Eisen: 


Normal-Eisen Schilddrüsenlos-Eisen 
Vers.-Reihe III. 57% Vers.-Reihe III. 106%. 


Und so weiter! Von alledem kann natürlich keine Rede sein (und 
um jeden Missverständnis vorzubeugen, sei hier hervorgehoben, dass 
M. und N. diese Schlüsse nicht gezogen haben). Hier soll nur betont 
werden, dass in derlei Versuchen auch relativ grosse Unter- 
schiede oft nichts bedeuten, und dass man aus obigen Eisen- 
versuchen nichts anderes folgern kann, als dass ein sicherer Unter- 
schied zwischen anämischen normalen und anämischen schilddrüsen- 
losen Tieren in der Regeneration der Blutkörperchen unter Eisen- 
behandlung nicht besteht. Dies würde auch mit Zahn’s!) Befund 
übereinstimmen, der in drei tadellosen Versuchspaaren (gleichartige 
Kaninchen desselben Wurfes für Eisen- und eisenlose Versuche) die 
Blutkörperchenzahl anämisch gemachter Tiere vollkommen parallel 
sich verändern sah, ob Eisen gegeben wurde oder nicht. Da er genau 
dasselbe in anderen Versuchsreihen auch bezüglich des Hämoglobins 
fand, steht er nicht an zu sagen, dass Eisen keine Einwirkung auf 
sekundäre Anämien ausübe. Z. hält sogar Hoffmann’s?) Versuche 
nicht für beweisend, weil dessen Zahlenunterschiede zu unbedeutend 
und „noch vollständig in die Grenzen der bei Kaninchen normalen 
Schwankungen fallen‘. 

Dass in der durch Eisen bewirkten Regeneration anämischer Tiere 
zwischen normalen und schilddrüsenlosen Tieren kein Unterschied 
besteht, wird übrigens auch von N. hervorgehoben. Nur ist es wieder 
ganz unbegründet, mit N. anzunehmen, dass durch die Anämie die 


1) Alfred Zahn, Experimentelle Untersuchungen über Eisenwirkung. 
Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 104 S. 245. 1917. 
D)Elage= Hier) S. 2... besprochen: 


10* 


148 Paul Hari: 


„Stätten der Blutbildung erst für Eisen sensibilisiert‘ !) werden. Sind 
denn diese Stätten nicht ebenso gut auch ohne Eisen an den normalen 
Tieren sensibilisiert, wo sie nichts (I und II) resp. Arsen (IV) erhielten 
und die Regeneration ebenfalls eine sehr ausgiebige war? Freilich 
muss zu ‘dieser Theorie Zuflucht genommen werden, wenn einmal 
der Satz der hemmenden Einwirkung des Eisens auf schilddrüsenlose 
Tiere aufgestellt und festgehalten wird, — ein Satz, den ich oben 
widerlegt habe. 

Wie prekär übrigens in Eisenversuchen nicht nur die aus den Er- 
gebnissen gezogenen Schlüsse, sondern auch Versuchsergebnisse selbst 
in ihrer Bewertbarkeit sind, soll noch an der Hand des folgenden Be- 
fundes von Eger ?) gezeigt werden. 

Eger machte Hunde durch wiederholte Blutverluste anämisch 
und verglich nun die Zeitdauer, deren es zu Regeneration der Blut- 
körperchen resp. des Hämoglobins bei verschiedenen Nahrung bedurfte. 
Er fand, dass die Regeneration ‚,... bei verhältnismässig eisenarmer 
Nahrung nur langsam, unvollständig, mitunter gar nicht“ erfolgt. 
„Der Zusatz von anorganischem Eisen beschleunigt den Blutersatz, 
ist aber nicht so wirksam als eine Nahrung, die genügende Mengen 
organisch gebundenen Eisens enthält (Fleisch)‘“ ?). Dürfte nicht bei 
M. und N., in der einen oder anderen Versuchsreihe, zum Beispiel 
in den fraglichen Höhenversuchen, ein ähnlicher oder analoger Unter- 
schied bezüglich der Zusammensetzung der Nahrung figuriert haben ? 

Regeneration an anämischen normalen und schild- 
drüsenlosen Tieren unter Arseneinwirkung. Die Ergebnisse 
dieser Versuchsreihe sind unschwer zu deuten, und keineswegs lassen 
sich aus ihnen die von N. gezogenen Schlüsse aufrechterhalten. 

Während, wie wir oben sahen, das schilddrüsenlose anämische 
Tier, ob sich selbst überlassen oder aber mit Eisen behandelt, soweit 
sich durch obige Versuchseinrichtung überhaupt ermitteln lässt, seine 
Blutkörperchen ebenso rasch wie das anämische Normaltier regeneriert, 
zeigen die Arsenversuche, dass im schilddrüsenlosen Tier die Regenera- 
tion erheblich verlangsamt ist. Von Versuchsfehlern in der Richtung 
der bereits öfter erwähnten Kautelen, woran man auch hier denken 
kann, will ich absehen und die Versuchsergebnisse resp. die Unter- 
schiede zwischen normalen und thyreopriven Tieren gelten lassen; 
doch muss ich fragen: Ist denn Hemmung der Blutbildung und 
Ausbleiben der Zunahme der Blutkörperchenzahl dasselbe ? Ist 


l)le.08. 497. 

2) Eger, Über die Regeneration des Blutes und seiner Komponenten 
nach Blutverlusten und die Einwirkung des Eisens auf diese Prozesse. 
Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 32 8. 335. 1897. 

3) l. ce. 8. 358. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 149 


es nicht unbegründet und vorderhand überflüssig, eine Hemmung 
der Blutbildung anzunehmen ? Ausser, man will einfach diesen Aus- 
druck statt jenen gebrauchen. Eine Hemmung in dem Sinne, wie 
sie für physiologische Prozesse angenommen wird, müsste erst be- 
wiesen werden, um so eher, da ja das Ausbleiben der Regeneration 
in den mit Arsen behandelten schilddrüsenlosen Tieren, ohne eine 
neue Theorie in Anspruch zu nehmen, einfach und ungezwungen aus 
der Wirkungsweise des Arsens auf die Blutkörperchen erklärt werden 
kann. Es wird nämlich vielfach angenommen !), dass das Arsen sogar 
in kleinen Gaben, wenn es fortgesetzt zugeführt wird, zu einem Zerfall 
von roten Blutkörperchen führt und erst später durch die im Blute 
kreisenden Zerfallsprodukte die Regeneration der Blutkörperchen an- 
geregt wird; für grössere Arsendosen ist aber ein ausgiebiger Zerfall 
sicher nachgewiesen ?). Ob und inwieweit Blutkörperchenzerfall und 
Regeneration einander die Wage halten, resp. welches der beiden 
Prozesse dem anderen gegenüber überwiegt, wird nur von dem Grade 
der Giftwirkung abhängen. . Es müsste also zu einer einfachen Er- 
klärung von N.’s Befunden nur der Beweis erbracht werden, dass 
dieselbe Dosis von Arsen, einmal dem normalen, einmal dem schild- 
drüsenlosen Tier beigebracht, am letzten eine stärkere Giftwirkung 
ausübt, um zu verstehen, warum im normalen Tiere eine rasche Re- 
generation, im schilddrüsenlosen hingegen nicht oder bloss in geringem 
Grade stattfindet. 

Dieser Beweis ist aber in dem sehr schönen Versuche von Jean- 
delize und Perrin °) bereits erbracht, die in wirklich exakter Weise 
gezeigt haben, dass sich an thyreoidektomierten Kaninchen nach 
Applikation derselben Arsendosen Temperaturabfall, APpetit- 
losigkeit und Durchfall stärker, und der Tod viel rascher 
als an normalen Tieren einstellen. Die Autoren waren so vor- 
sichtig, eine durch operative Shockwirkung bedingte erhöhte Gift- 
empfindlichkeit auszuschliessen, indem sie an Kontrolltieren den Haut- 


1) E. Kuhn und W. Aldenhoven, Die ausschlaggebende Bedeutung 
der verminderten Sauerstoffspannung der Gewebe für die Anregung 
der Blutbildung. Deutsche med. Wochenschr. Bd. 35 S. 1958. 1909. — 
R. Marchesini, Beitrag zur Kenntnis usw. Ref. in Maly’s Jahresber. 
f. Tierchemie Bd. 28 S. 156. 1898. — Ritz ce. 

2) S. Saneyoshi, Über den Wirkungsmechanismus des Arseniks bei 
Anämien. Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. Bd. 13 S. 40. 1913. — S. Bett- 
mann, Über den Einfluss des Arseniks auf das Blut und das Knochen- 
mark des Kaninchens. Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anat. u. allg. Path. 
Bd. 23 °S. 377. 1898. 

3) P. Jeandelize et M. Perrin, Moindre resistance des lapins thy- 
reoideetomies & l’intoxication par l’arseniate de soude. I. Mitteilung. 
Comptesr.d.1. S. B. t. 64 p. 233. 1908. II. Mitteilung. Ibidem p. 235. 


150 Paul Häri: 


schnitt, die Loslösung der Schilddrüse von der Luftröhre vornahmen, 
die Schilddrüse jedoch im Tiere beliessen und richtig keine erhöhte 
Giftwirkung konstatierten. 

Da sich demnach die Ergebnisse in den mit Arsen behandelten 
Tieren auf diese Weise viel einfacher erklären lassen, liegt auch hier 
keine Veranlassung vor, eine spezifische Hemmung der Blutkörperchen- 
bildung anzunehmen. 

Es wurde in vorangehendem gezeigt, dass die Folgerungen, die 
M. und später N. aus ihren Versuchen ziehen, einer näheren Prüfung 
nicht standhalten. Es sprechen jedoch auch andere Erfahrungen da- 
gegen, dass die Blutbildung derzeit auf einen einheitlichen Mechanismus, 
der von der Schilddrüse aus beherrscht würde, sich zurückführen 
liesse (bezüglich der Eisenwirkung an anämischen Tieren wird dies 
auch von N. zugegeben). Denn wie liesse sich, wenn es wirklich die 
Schilddrüse wäre, die da eine Hauptrolle spielt, der Befund Konradi’s!) 
deuten, der an jungen, zwei und drei Monate alten Hunden die 
Thyreoidektomie ausgeführt und an diesen sowohl als auch an ent- 
sprechenden Kontrolltieren bei den Monate hindurch häufig wieder- 
holten Blutkörperchenzählungen gefunden hat, dass in der Zunahme 
der Blutkörperchenzahl, die mit dem Wachstum einhergeht, die 
thyreopriven Tiere den normalen kaum nachstehen ? 

Oder aber die von Gibelli?) gefundene Tatsache, dass ein anämisches 
Serum, das, normalen Tieren eingespritzt, bereits an den nächsten 
Tagen zu einer sehr bedeutenden Vermehrung der Erythrocyten führt, 
am anämischen Tier zunächst unwirksam bleibt und erst später nach 
einer wiederholten Einspritzung eine Steigerung der Blutkörperchen- 
zahl bewirkt ? 


Im Zusammenhange mit seinen Ausführungen beschreibt M. auch 
seine Versuche, in denen er normalen Kaninchen Schilddrüsenextrakt 
einspritzte und ‚eine mächtige Neubildung von roten Blutkörper- 
chen ...‘“ sah, ‚niemals jedoch während oder kurz nach der Behand- 
lung‘ ®). Dieser Befund ist interessant, doch nicht neu; denn bereits 
im Jahre 1894 fand Donath *), dass die Blutkörperchenzahl von 
Kaninchen, denen Glycerinextrakt von Kalb- oder Schaf-Schilddrüsen 


1) Konradi, Daniel, Einfluss der Thyreoidektomie auf das Blut. 
Magyar Orvosi Archivum Bd. 10 S. 368. 1909. (Ungarisch.) 

2) Gibelli, Camillo, Über den Wert des Serums anämisch gemachter 
Tiere bei der Regeneration des Blutes. Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. 
Bd. 65 8. 284. 1911. 

3) 1.0.0 8.1810. 

4) J. Donath, Zur Wirkung der Schilddrüse. Virchow’s Archiv 
Bd.’ 144 S. 253. Supplement. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse.’ 151 


in kleinen Dosen eingebracht wird, um 9— 15%, ansteigt; nach grossen 
Dosen erfolgt allerdings beinahe ausnahmslos eine Verringerung. Ferner 
hat Lepine!) an Ziegen nach Schaf-Schilddrüsenextrakt ebenfalls eine 
Steigerung der Blutkörperchenzahl beobachtet. 


M. selbst hat einen Widerspruch in der (nach seiner Auffassung) 
doppelten Rolle der Schilddrüse gefunden, da er ja sowohl die unter 
gewissen Umständen eintretende Steigerung der Eiweisszersetzung 
als auch die mit einer Eiweissretention einhergehende Blutbildung 
der Wirkung der Schilddrüse zuschreibt. Auf seine Ausführungen 
hier näher einzugehen, ist nach dem, was ich weiter oben bezüglich 
der Blutbildung, an anderer Stelle bezüglich der Eiweisszersetzung 
entgegenhielt, überflüssig; nur will ich auf einen der beiden Stoff- 
wechselversuche reflektieren, die von M. zur Klärung des vermeint- 
lichen Widerspruches mitgeteilt werden. Erstens muss ich bemerken, 
dass die Retention von Stickstoff während der Schilddrüsenbehand- 
lung, die M. in seinem Versuche nachweisen will, von Schöndorff ?) 
bereits im Jahre 1897 in einer längeren Versuchsreihe festgestellt 
wurde; zweitens, dass es doch nicht angeht, eine Stickstoffbilanz 
aufzustellen resp. einen Stickstoffansatz eines gefütterten Tieres 
zu berechnen, in einem Versuch, den der Autor selbst wie folgt be- 
schreibt: ‚Ein Fehler des Versuches lag darin, dass es unmöglich war, 
den N-Gehalt des Kotes zu bestimmen, da so junge Hunde keinen 
‚geformten Kot entleeren und denselben im Käfig derart verschmieren, 
dass... >). 


Wir wollen resumieren. Das, was eingangs nach v. Noorden 
zitiert wurde, ferner das, was Horsley *) über das obliegende 
Problem äussert: „... in den bisherigen Experimenten noch kein 
Beweis dafür liegt, dass die Schilddrüse zur Blutbildung in direkter 
Beziehung steht, dass aber die Blutbildung indirekt von der Integrität 
der Schilddrüse abhängig ist ...“, ist im grossen und ganzen heute 
noch wahr. Ail was darüber in den besprochenen Arbeiten mit- 
geteilt oder gefolgert wird, ist entweder nicht neu oder, wenn neu, 
so nicht erwiesen. 


1) Jean Lepine, Etude de l’hyperglobulie dans le thyreoidisme 
experimental. Compt. r. d. Soc. Biol. t. 54 p. 1301. 1902. 

2) Bernhard Schöndorff, Über den Einfluss der Schilddrüse auf 
den Stoffwechsel. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 67 S. 395. 1897. 

Selıc. Ss. 43. 

4) Zitiert bei Fritz de Quervain, Über die Veränderungen des 
Zentralnervensystems bei experimenteller Kachexia strumiprima der Tiere. 
Virchow’s Arch. Bd. 133 S. 496. 1893. 


152 Paul Häri: 


Über die prämortale Steigerung der Eiweisszersetzung. 


Da Mansfeld in einer früheren Mitteilung !) bewiesen zu haben 
glaubt, dass ‚der Eiweisszerfall, hervorgerufen durch O,-Mangel, nur 
bei normalen Tieren, nicht aber an schilddrüsenlosen Tieren in die 
Erscheinung tritt‘“ — eine Behauptung, deren Unhaltbarkeit oben ge- 
zeigt wurde —, wollte er in einer weiteren Arbeit ?) untersuchen, ‚ob 
auch die prämortale Eiweisszersetzung von der Tätigkeit der Schild- 
drüse bedingt ist ...“ %). Nach M. war ‚zu erwarten, dass schild- 
drüsenlose Tiere ohne Steigerung der Eiweisszersetzung den Hungertod 
sterben. Dass dies in der Tat der Fall ist, beweisen die... an Kaninchen 
ausgeführten Versuche“ *); denn von den drei normalen und vier 
schilddrüsenlosen Kaninchen, die bis zu ihrem Tode hungerten, zeigten 
die schilddrüsenlosen ‚,... wohl eine geringe Steigerung des Eiweiss- 
umsatzes in den letzten 2 Tagen ...; dieselbe ist jedoch im Vergleich 
zu der an normalen Tieren beobachteten verschwindend klein ...“ >). 
Aus diesen Ergebnissen wird gefolgert, dass ‚in jener Erscheinung, 
welche wir prämortale Eiweisszersetzung nennen, die Schilddrüse eine 
wesentliche Rolle spielt‘ ©). 

Bei einer flüchtigen Betrachtung der Versuchsergebnisse hat es 
auch den Anschein, als ob jene Folgerungen richtig wären. Geht man 
jedoch näher auf die Sache ein, so stellt sich heraus, dass die Beweis- 
führung unannehmbar ist, demzufolge auch die Schlüsse, die aus den 
Versuchsergebnissen gezogen werden, falsch oder zum mindesten weit 
übertrieben sind. Dies soll in nachstehendem gezeigt werden. 


Vor allem glaube ich, dass M. das Wesen der prämortalen Steigerung 
der Eiweisszersetzung (die der Kürze halber fürderhin als P.S. E.-Z. 
bezeichnet werden soll) missverstanden hat, indem er dieselbe als 
einen bloss kurz (zwei Tage) vor dem Tod eintretenden Prozess sui 
generis anzusehen scheint. Darum sei es gestattet, zunächst über 
diese Frage Klarheit zu schaffen. 

Was unter P.S. E.-Z. zu verstehen ist, geht aus nachstehender 
Literaturübersicht sofort klar hervor. 


1) G. Mansfeld und Friedrich Müller, Beiträge zur Physiologie 
der Schilddrüse. I. Mitteilung. Die Ursache der gesteigerten Stickstoff- 
ausscheidung infolge Sauerstoffmangels. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 143 
8.197... 19117. 

2) G. Mansfeld und Elisabeth Hamburger, Über die Ursache 
der prämortalen Eiweisszersetzung. Beiträge zur Physiologie der Schild- 
drüse. III. Mitteilung. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 152 S. 50. 1913. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 153 


Eine auffallende Steigerung der Eiweisszersetzung eines verhungern- 
den Tieres wurde zum ersten Male von Frerichs!) beschrieben; auf 
eine Steigerung der Eiweisszersetzung (fürderhin bloss E.-Z.) gegen 
das Lebensende des Tieres wurde zuerst von Carl Voit?) an einer 
vor dem zu gewärtigenden Hungertode getöteten Katze aufmerksam 
gemacht. Obwohl nun Voit’s Versuch denen der späteren Autoren, 
die ihre Tiere tatsächlich den Hungertod sterben liessen, nicht ganz 
gleichgestellt werden kann, machten sich die Autoren Voit’s Er- 
klärungsweise, dass die zunehmende E.-Z. durch den Schwund des 
Körperfettes veranlasst wird, mit Ausnahme von Schulz °) zu eigen, 
und erst später kamen weitere Erklärungsversuche hinzu. Auf diese 
sowie auf die lebhafte Kontroverse, die Schulz’ Einwurf hervorrief, 
soll hier nicht eingegangen werden ; denn hier handelt es sich vorderhand 
bloss um die Präzisierung der Frage, was unter der P. S. E.-Z. zu ver- 
stehen sei. Rubner ?) sagt bereits ausdrücklich, dass die E.-Z. an 
Kaninchen 3—4 Tage vor dem Hungertode anzusteigen pflegt. Der 
erste, der das Wort prämortale E.-Z. benützt, ist, soviel ich ausfindig 
machen konnte, May). Er sagt wörtlich: „Für die spätere Hunger- 
periode tritt ... ein allmähliches langsames Absinken der E.-Z. ein, 
bis zu dem Augenblicke, wo ... ein entsprechender, schroff in die 
Höhe gehender Eiweisszerfall das herannahende Ende, das Verhungern, 
anzeigt. Der Zeitpunkt des Eintrittes dieser prämortalen Steigerung 
der N-Ausfuhr hängt von dem Fettgehalt der betreffenden Tiere ab.“ 
Auch E. Voit‘) sagt: „Die Kurve des Eiweisszerfalles verläuft an- 
fänglich nahezu horizontal; sie steigt kaum merklich an. Im Moment, 

"wo der Eiweisszerfall 16%. des Energiebedarfes deckt, ändert sich 
aber die Richtung; sie geht nunmehr steil in die Höhe ...“. 

Bei Heymans’) ist es an der Hand zahlreicher Versuche scharf 
ausgesprochen, was auch bei früheren Autoren schon mehr oder weniger 


1) Fr. Th. Frerichs, Über das Maass des Stoffwechsels usw. Vir- 
chow’s Archiv, Jahrg. 1848. S. 479. 

2) Carl Voit, Über die Verschiedenheiten der Eiweisszersetzung beim 
Hungern. Zeitschr. f. Biologie Bd. 2 S. 326. 1866. 

3) Fr. N. Schulz, Über das Wesen der prämortalen Stickstoffsteige- 
rung. Münchener med. Wochenschr. 1899, S. 509; Beiträge zur Kenntnis 
des Stoffwechsels bei unzureichender Ernährung. Arch. f. d. ges. Physiol. 
Bd4.16 8,,3.19.1899. 

4) Max Rubner, Über den Stoffverbrauch im hungernden Pflanzen- 
fresser. Zeitschr. f. Biologie Bd. 17 S. 214. 1881. 

5) Richard May, Der Stoffwechsel im Fieber. Zeitschr. f. Biologie 
Bd. 30 S. 31. 1894. 

6) E. Voit, Einfluss des Körperfettes auf den Eiweisszerfall im Hunger- 
zustand. Münchener med. Wochenschr. 1896, S. 1132. 

7) J. F. Heymans, Recherches experimentales sur l’inanition chez 
le lapin. Archives de pharmacodynamie. t. 2 p. 348. 1896. 


154 Paul Häri: 

betont wird, dass die E.-Z. sich bei hungernden Kaninchen sehr ver- 
schiedenartig gestalten kann (siehe weiter unten!), jedoch kein Wort 
davon, dass der Eintritt der Steigerung an einen gewissen Tag oder 
an gewisse Tage gebunden wäre. 


Auch Schulz!) sagt ausdrücklich: ,,... die Menge des täglich um- 
gesetzten Eiweisses nimmt erst langsam, dann rapid zu ...“, desgleichen 
auch Kaufmann ?): „Die Eiweisszersetzung nimmt ... in manchen 


Fällen nicht gleichmässig bis zum Hungertode ab, sondern man sieht 
zumeist an den letzten Hungertagen eine allmähliche Zunahme des 
Eiweisszerfalles.‘“ Endlich sagt Tigerstedt ?): man ‚beobachtet bei 
hungernden Tieren nicht selten ®), dass die N-Abgabe nach einer 
vorübergehenden Abnahme wieder beginnt anzusteigen und allmählich 
Werte erreicht, welche die Anfangswerte wesentlich übertreffen‘‘.. Dass 
hierunter die P. S. E.-Z. gemeint ist, geht aus einer weiteren Stelle 
bei T. hervor, wo er direkt den Ausdruck ‚prämortale Steigerung 
des Eiweisszerfalles‘‘ gebraucht. 

Alle diese Aussprüche von Autoren führe ich bloss an, um zu zeigen, 
dass unter P.S. E.-Z. nicht etwas zu verstehen sei, was wesentlich 
verschieden ist von dem, was sich schon lange vor dem Hungertod 
einstellen kann. Es ist bei einem dem Hungertod geweihten Tier von 
den verschiedensten Umständen abhängig, ob überhaupt resp. wann 
die Steigerung der E.-Z. sich einstellen wird; manchmal ist es früher, 
manchmal später der Fall. Geschieht es an den letzten vier oder 
gar zwei Lebenstagen, so kann man die Steigerung folgerichtig auch 
als prämortal bezeichnen; hat die Steigerung früher oder gar bereits 
beim Beginne des Hungerns eingesetzt, so ist es nicht folgerichtig, 
diesen Ausdruck zu gebrauchen. 

Demzufolge ist es auch nicht angängig, die auf den Harn-N be- 
züglichen Daten der Hunggrversuche ganz willkürlich in zwei Ab- 
schnitte zu zerlegen: in einen ‚„prämortalen‘ Abschnitt, der bei M.’s 
Berechnung auf zwei Tage vor dem Tode beschränkt ist, und einen 
vorangehenden, der alle früheren Tage umfasst, und dann die Mittel- 
werte der beiden Abschnitte zu vergleichen. Zu welchen Irrtümern 
diese Berechnungsart führen kann, soll weiter unten des näheren 
besprochen werden. 


Um zu beweisen, dass beim Entstehen der P.S. E.-Z. die Schild- 
drüse eine wesentliche Rolle spielt, würde man erst den Beweis er- 


I). 1. 6 

2) Martin Kaufmann, Über die Ursache der Zunahme der Eiweiss- 
zersetzung während des Hungerns. Zeitschr. f. Biologie Bd. 41 S. 78. 1901. 

3) R. Tigerstedt in Nagel’s Handbuch der Physiologie Bd. I S. 386 
und 388. 

4) Von mir gesperrt! 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 155 


bringen müssen: 1. dass die P. S. E.-Z. ausser an Kaninchen auch an 
anderen Tierarten (Hund, Katze, Meerschweinchen, Huhn) immer 
oder wenigstens in überwiegender Zahl der Fälle eintritt, wenn die 
Tiere im Besitze ihrer Schilddrüse sich befinden; 2. dass der Verlauf 
der N-Ausscheidung, wie sie am normalen Tiere beobachtet wird, am 
schilddrüsenlosen Kaninchen nicht vorkomme, und umgekehrt; 3. dass 
die Art der Berechnung der Versuchsergebnisse eine grundsätzlich 
richtige sei; 4. dass die E.-Z. am schilddrüsenlosen Tiere gegen das 
Lebensende hin nicht zunimmt. 


1. Steigerung der Eiweisszersetzung an verschiedenen 
Tierarten. 

Ich habe in umstehender Tabelle I die, mir zugänglichen Literatur- 
angaben über die E.-Z. verhungerter Tiere zusammengestellt, dabei 
aber keine Rücksicht darauf genommen, ob in den betreffenden Arbeiten 
der gesamte Harn-N oder bloss Harnstoff resp. an Hühnern Harn- 
säure bestimmt wurde; denn über die Veränderung der E.-Z. gibt ja 
welcher immer der genannten Harnbestandteile hinreichenden Auf- 
schluss. 

Man ersieht aus Tabelle I Folgendes: 

Von drei Hunden fand bloss an einem eine ausgesprochene 
Steigerung in den letzten Lebenstagen statt und auch diese nicht 
an den beiden letzten Tagen; an einem anderen Hund trat die 
Steigerung weit früher, an einem dritten überhaupt nicht ein. 

Von vier Katzen wiesen zwei eine ausgesprochene prämortale 
Steigerung auf, zwei eine kontinuierliche Abnahme. (Auch an zwei 
weiteren Katzen Böhtlingk’s!) nahm die E.-Z. bis zum letzten 
Beobachtungstag ab; in die Tabelle konnten diese Versuche bloss 
darum nicht aufgenommen werden, weil die Daten der letzten Hunger- 
tage fehlen.) 

Von fünf Hühnern beginnt an drei Tieren die Steigerung am 5. 
resp. 6. Tage vor dem Tode, an einem vierten 13 Tage vorher, an 
einem fünften Tier findet ein deutlicher Abfall statt. ; 

Also ist bei den oben angeführten Tierarten die kurz 
vor dem Tode eintretende Steigerung der E.-Z. durchaus nicht als 
Regel zu betrachten, ja, sie tritt entschieden bloss in der Minder- 
zahl aller Fälle ein. (Dabei lässt sich vom Meerschweinchen, das nur 
durch einen Versuch repräsentiert wird, getrost absehen.) Das allein 
beweist schon die Unhaltbarkeit der M.’schen Schilddrüsentheorie. 
ausser man wollte behaupten, dass eben nur die Kaninchen-Schilddrüse 


1) Böhtlingk folgert gar aus seinen Versuchen, dass an Katzen die 
Steigerung der E.-Z. durchwegs fehlt. 


N 


156 Paul Hari: 


Tabelle I!). 
Versuche an verschiedenen Tierarten. 


an 
rg Die Eiweisszersetzung 
© 
& Wr Autor und 
on beginnt anzusteigen | Vessuchänumimar 
Tierart =) SATT Der | steigt i SF 
El am 2,24" früher'als |’; , in der Original- 
u | nicht an, EP 
S Tag vor |4 Tage vor mitteilung 
&n | dem Tode | dem Tode | sondern 
} N | 
= Tag Tag 
Meer- | | 
schweinchen | fällt ab Rubner*) 


9 
Huhn... ... 9 | 6 | Schimanski°);2 
N 9 | fällt ab Kuckein®); I 


” 


3 11 52) Schimanski°);1 
RES 5 | Kuckein®); I 
Hund. ... ..1:.20 5 Schulzu. Main- 

zeri)s, IV 
Huhn... .. 1,85 182). Schimanski?’);3 
Katze .. . | 38 ' gällt ab | Böhtlingk®); 4 
Hund... 2.1.88 | 12 Schöndorff!!), 
| | Periode XII 
Katze ...| 4 2 oder 3 | Böhtlingk®); 3 
N ' fällt ab 5 6 
Be 3) 6 | n 2 
Hund. ....2.1.60 | | Zälltab | Falck®); IV 


1) In diese Tabelle sind nicht aufgenommen: Falck’s Hund I, weil 
an den letzten Lebenstagen ganz unwahrscheinlich kleine Werte ver- 
zeichnet sind; ©. Schmidt’s !%) Katzenversuch, in dem so manche Momente 
(wie Abortus während der Versuchsdauer usw.) störend auftraten; Carl 
Voit’s®) Katze, die getötet wurde; Böhtlingk’s Katze I und V, weil 
die Daten der letzten Versuchstage fehlen. 

2) Am letzten Tage starker Abfall. 

3) Am letzten Tage starker Abfall. 

4) Max Rubner, Biologische Gesetze. 

5) H. Schimanski, Der Inanitions- und Fieberstoffwechsel der 
Hühner. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 3 8. 396. 1879. 

6) Franz Kuckein, Beitrag zur Kenntnis des Stoffverbrauches 
beim hungernden Huhn. Zeitschr. f. Biolog. Bd. 18 S. 17. 1882. | 

7) Fr. N. Schulz u. J. Mainzer, Über den Verlauf der Phosphorsäure- 
ausscheidung beim Hunger. Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. 32 S. 268. 1901. 

8) R. R. de Böhtlingk, Des rapports quantitatives de certains sub- 
stances dans l’urine des animaux soumis au jeune complet. Arch. des 
sciences biolog. de l’institut demed. exp. St. Petersbourg. t.8 p. 483. 1901. 

9) Ferdinand August Falck, Physiolog. Studien über die Aus- 
leerungen des auf absolute Karenz gesetzten Hundes. Beiträge zur Physio- 
logie, Hygiene usw. Hrsg. von C. Ph. Falck und F. A. Falck. 1875. 

10) F. Bidder und C. Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoff- 
wechsel. Zitiert bei Falek und Schimanski. 

11) Bernhard Schöndorff, Über den Einfluss der Schilddrüse auf 
den Stoffwechsel. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 67 S. 395. 1897. 

12) 1. e. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 157 


die Eigentümlichkeit hat, die P.S. E.-Z. zu ermöglichen! Jedoch 
soll auch diese etwaige Behauptung sofort widerlegt werden. 


2. Gibt es einen durchgehenden prinzipiellen Unterschied 
in dem Verlaufe der Steigerung der Eiweisszersetzung an 
normalen und schilddrüsenlosen Tieren ? 


Um diesen Punkt näher zu beleuchten, habe ich zunächst in um- 
stehender Tabelle II die mir zugänglichen Versuche an normalen ver- 
hungerten Kaninchen zusammengestellt, wobei ich besonders auf die, 
wie es mir scheint, zu wenig gewürdigten 32 Versuche von Heymans 
hinweisen möchte. 

Wenn man von einigen derselben, die als unvollkommen zu be- 
zeichnen sind (siehe die Anmerkung am Fuss der Tabelle II), absieht, 
bleibt immer noch eine sehr stattliche Anzahl von Versuchen. Auch 
diese weisen wohl manche kleinen Mängel auf, so zum Beispiel, dass 
der Harn in allen Versuchsreihen nicht täglich, sondern überwiegend 
bloss von 3 zu 3 Tagen gesammelt wurde; ferner, dass es aus den Ver- 
suchsprotokollen nicht immer klar ersichtlich ist, ob in den letzten 
24 Stunden vor dem Hungertode der Harn untersucht wurde oder 
nicht; endlich, dass der Harn nicht mit dem Katheter entnommen 
wurde, was in M.’s Versuchen täglich geschah. Da es sich aber hier 
um einen gröberen Vergieich — und nicht etwa zum Beispiel um eine 
Berechnung des Energieumsatzes — handelt, kann man die Versuchs- 
ergebnisse voll gelten lassen, um so eher, weil, wie der Autor ausdrück- 
lich hervorhebt, alle Tiere vor dem Beginne des Hungerns wochen- 
lang gleichmässig ernährt und bezüglich ihrer Gesundheit beobachtet 
wurden. 

Da an Kaninchen bei weitem mehr Versuche als an welch 
anderer Tierart immer ausgeführt wurden, und da speziell M. an 
Kaninchen experimentiert, sind die in Tabelle II enthaltenen Daten 
von besonderem Wert. Es stellt sich da zunächst heraus, dass eine 
Steigerung der E.-Z., die richtig als prämortal bezeichnet werden 
kann, hier entschieden weit häufiger als an anderen Tierarten vor- 
kommt. Von insgesamt 37 Fällen fehlt eine Steigerung bloss zweimal, 
in weiteren 6 Fällen tritt sie bereits zu Beginn des Hungerns ein (ist 
also nicht als prämortal zu bezeichnen); im den übrigen 29 Fällen ist 
sie wohl prämortal, doch tritt sie bloss in der einen Hälfte der 
Fälle tatsächlich 2-4 Tage vor dem Hungertode, in der 
anderen Hälfte bereits 5—9 Tage früher ein. Da es nicht 
möglich ist, Heymans’ Versuchsprotokolle auch nur auszugsweise 
anzuführen, muss ich mich darauf beschränken, möglichst genau nach 
dem französischen Originaltext mitzuteilen, was er aus seinen Ver- 
suchsergebnissen ableitet: ‚Die Mehrzahl der Kaninchen zeigt während 


158 Paul Häri: 


Tabelle IL!). 


Kaninchenversuche. 


Die Eiweisszersetzung beginnt 


Tag anzusteigen Autor und 
a abzufallen 
4 des im 5.24 | rüheralb| Cor dem a 
unger- Tag vor 1/4 Tage vor Auer 
todes dem Tode | dem Tode | Tode Originalmitteilung 
Tag | Tag Tag 
3 vonAnfangher | | Dreiche >) 
3 | Rubner,; IV 
6 vonAnfangher | Heym ans>); XXXI, 
| | XXXIH 
7 | | 3 Kaufmann’) 
1) 3 | Schulzu.Mainzer°);Il 
9 vonAnfangher | | Heymans?); OA, 
| | XXVIIN, KOOL 
9 4 Rubner‘%); II 
10 4 | | Schulzu. Mainzer‘, Il 
11 5 
12 3 Heymans?): XXT ZEIL, 
| xXXIV, XXVl 
14 B) | | Heymans)); XIX 
14 6 | XVILXVIN 
15 | Böhtlingk'); 2 
15 | 7 5) 
15 3 Heymans)); XV, XVE 
16 9 AN. 
17 9 Böhtlingk' 1:6 
18 6 Heymans?°); VII®), 
VII, X 
18 9 Heymans’); vl 
18 5 Böhtlingk‘); 4 
19 4 | Rubner‘); il 
19 6 x Ay 
19 3 oder 4 K:011'3) 
21. 4 Böhtlingk’); 3 
21 9 Heymans?); III, IV 
24 6 N I 


1) In diese Tabelle sind nicht aufgenommen: Rubner’s Nr. I, weil 
die Abgrenzung des Harns sehr unsicher war; Böhtlingk’s Nr. 1, weil 
die Daten der beiden letzten Tage fehlen; Heymans’ Nr. II, weil die 
Daten der letzten Tage fehlen; Nr. V, IX und XI, weil die Tiere nach 
dem letzten Beobachtungstag zu essen bekamen und am Leben blieben 
(Nr. III bekam auch nach dem letzten Beobachtungstag zu essen, starb 
jedoch kurz darauf, ging also tatsächlich an Inanition zugrunde); Nr. XII, 
weil es nach H.’s Angabe krank gewesen ist; Nr. XIII, weil es eines Tags 
unversehens zu Futter gelangte; Nr. XX und XXV, weil die Daten der 
letzten Versuchstage unvollständig sind; Nr. XXIII, weil das Tier voran- 
gehend zu einem Giftwirkungsversuch verwendet wurde; Nr. XXIX, weil 
es im Gegensatz zu allen übrigen Tieren H.’s ein junges Tier war. 

3) Frerichs spricht auch von einem zweiten Kaninchenversuch, der 
ganz ähnlich verlaufen ist. 4) 1. c. (Zeitschr. f. Biologie Bd. 17). 

»).. l.re: 6) 1. c. 7) l.c. 

8) Koll, Die subkutane Fetternährung. Habil.-Schr. Würzburg 1897. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 159 


einer ersten Periode des Hüngerns eine Zunahme der Harnstoff- 
ausscheidung; dieser folgt ein um so schärfer ausgesprochener Abfall, 
je länger die Inanitionsdauer ist; gegen das Lebensende hin erfolgt 
beinahe immer eine Steigerung, die um so schärfer ausgesprochen ist, 
je rascher der Tod eintritt ... Tritt der Tod rapid ein, so fällt die 
zweite Periode (des Abfalles) aus, urd die Harnstoffausscheidung 
wächst ununterbrochen bis zum Tode an.“ 

Es geht also aus Heymans’ Versuchen hervor, dass der Verlauf 
der E.-Z. auch an Kaninchen durchaus kein einheitlicher ist, sofern 
nur dieser in einer hinreichend grossen Zahl von Versuchen beobachtet 
wird; namentlich dass an normalen hungernden Kaninchen 
(die also im Besitz ihrer Schilddrüsen sind) das, was als P.S. E.-Z. 
sensu strietu bezeichnet werden muss, auch vollständig 
fehlen kann. 

Nun können wir daran gehen, die schilddrüsenlosen Kaninchen M.’s 
mit den normalen aus der Tabelle II zu vergleichen. Zu diesem Behufe 
muss man bloss jeweils die Daten eines schilddrüsenlosen Tieres von 
M. mit denen eines entsprechenden Normaltieres aus Tabelle II zu- 
sammenlegen, um sofort zu sehen, dass jede Form des Verlaufes 
der E.-Z. der schilddrüsenlosen Tiere auch an normalen 
Tieren zur Beobachtung kommt (Tabelle III). 

Die zum Vergleiche herangezogenen Normalversuche habe ich so 
gewählt, dass sie möglichst von derselben Versuchsdauer wie die 
schilddrüsenlosen seien. Dabei habe ich der besseren Übersicht und 
des besseren Vergleiches halber in den M.’schen Versuchen von längerer 
Dauer vorgezogen, die auf die N-Ausscheidung bezüglichen Daten 
zu Mittelwerten von je drei Tagen gruppiert wiederzugeben, weil auch, 
die Daten der zum Vergleich herangezogenen Heymans’schen Ver- 
suche so angegeben sind. 

Aus Tabelle III ist ohne weiteres zu ersehen, dass in keinem 
einzigen der schilddrüsenlosen Fälle ein Verlauf der E.-Z. 
zu beobachten ist, der nicht auch beim normalen, im 
Besitz seiner Schilddrüse befindlichen Kaninchen vor- 
käme. 

Ja, es ist trotz der relativ geringen Anzahl von Versuchen, die 
an anderen Tierarten ausgeführt wurden, wodurch es sehr erschwert 
ist, Versuche von möglichst gleicher Dauer — einerseits normal, anderer- 
seits schilddrüsenloss — zusammenzulegen, doch möglich gewesen, 
wenigstens zwei von M.’s vier schilddrüsenlosen Tieren mit je einem 
Normaltier aus Tabelle I zu vergleichen. 


Zitiert bei: Erwin Voit, Die Bedeutung des Körperfettes bei der Eiweiss- 
zersetzung. Zeitschr. f. Biologie Bd. 41 S. 506. 1907. 


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161 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 


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162 Paul Hari: 


Dabei mussten die Daten der langdauernden Versuche an Kanin- 
chen V und am Schöndorff’schen Hunde wieder entsprechend zu- 
sammengefasst werden (siehe die beiden unteren Reihen in Tabelle IIl). 

Aus diesen Daten geht ohne weiteres hervor, dass das Verhalten 
schilddrüsenloser Kaninchen nicht nur an normalen Kanin- 
chen, sondern auch am normalen Hund und am normalen 
Huhn angetroffen wird. 


3. Die Berechnung des Grades der Eiweisszersetzung. 


M. berechnet die Zunahme der E.-Z. an den normalen Tieren zu 
110 resp. 182 resp. 127%, an den schilddrüsenlosen Tieren hingegen 
zu 15 resp. 21 resp. 19 resp. 17%. Für den ersten Blick ist der Unter- 
schied zwischen normalen und schilddrüsenlosen Tieren ein über- 
zeugender. Bei näherem Zusehen stellt sich jedoch, teilweise auf 
Grund des bereits früher Ausgeführten heraus, dass die von M. ge- 
wählte Art der Berechnung eine unrichtige ist. 

a) Vor allem ist es ein Mangel der Berechnung, dass der Harn- 
stickstoff nicht auf die Einheit des Körpergewichtes reduziert ist. 
Wenn man bedenkt, dass ein hungerndes Kaninchen in 30 Tagen 
über 50%, seines ursprünglichen. Gewichtes einbüssen kann !), so wird 
es klar, dass an M.’s schilddrüsenlosen Tieren Nr. IV und V, die 29 
resp. 23 Tage lang am Leben geblieben sind, die absoluten N-Werte 
kein richtiges Bild von dem Fortschreiten der E.-Z. liefern können, 
resp. dass die richtigerweise auf die Körpergewichtseinheit reduzierten 
Werte eine noch viel bedeutendere Steigerung ergeben würden. An 
den kurzlebigen Tieren würde die Verschiebung. der Werte selbst- 
redend eine weit geringere sein. 

b) Ein weit bedeutenderer Mangel der M.’schen Berechnung be- 
steht darin, dass der Mittelwert der beiden letzten Lebenstage 
mit dem von sämtlichen vorangehenden Hungertagen verglichen und 
der so berechnete Zuwachs in Prozenten des vorangehenden Mittel- 
wertes ausgedrückt wird. Diese Art der Berechnung wäre ja richtig, 
wenn die E.-Z. hungernder Tiere bis einige Tage vor dem Tode im 
grossen und ganzen eine gleichmässige wäre (wie etwa ihre Wärme- 
produktion) und der Anstieg immer erst an den letzten Lebenstagen 
stattfände. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Denn es ist aus 
Tabelle II ersichtlich, dass auch an Kaninchen die Steigerung in der 
Mehrzahl der Fälle nicht erst an den letzten zwei Tagen, sondern häufig 
5—6 Tage vor dem Tode oder noch früher einsetzt. Rechnet man aber 
so, wie M. es tut, so wird man für die Steigerung der E.-Z. einen um 


1) K. Katsuyama, Über die Ausscheidung der Basen im Harne des 
auf absolute Karenz gesetzten Kaninchens. Zeitschr. f. physiolog. Chem. 
Bd. 26 S. 549. 1898/99. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 163 


so geringeren Wert erhalten, je früher und je stärker dieselbe 
einsetzt. Es geht dies aus nachstehenden, von mir selbst konstruierten 
schematischen Beispielen hervor: 

BeispielI Beispiel II Beispiel III 


6ekası voridem Node 2... 1a 1a IR 
DER, 3 ER NE 1,5 1,8 
Ale oe 5 er 2,0 2,9 
De Be 2,5 3,6 
Merletzter Tag 22 2.022.0.203,8 3,8 3,8 
Letzter Tag ee nr 4,2 4,2 
Steizerunel 02 22 0.0200.....190% 100% 60%, 


Man erhält also nach M.’s Art der Berechnung im Beispiele III 
den geringsten Wert für die Steigerung der E.-Z.. wiewohl sie evidenter- 
weise stärker als in den anderen war, und zwar erhält man den geringen 
Wert nur, weil die Kurve der E.-Z. hier weniger steil als in beiden 
anderen endet. 

Demgegenüber ist es klar, dass man ein richtiges Bild der 
Vorgänge nur wird erhalten können, wenn man den ganzen 
Verlauf der N-Ausscheidung vor Augen hält und nicht 
nur die Mittelwerte aus unnatürlich abgegrenzten Ver- 
suchsperioden vergleicht. 


4. Findet an schilddrüsenlosen Tieren keine bedeutende 
Steigerung der Eiweisszersetzung statt? 


Will man nicht in M.’s Fehler verfallen, so muss man, um ein 
richtiges Urteil über die E.-Z. im schilddrüsenlosen Tier zu erhalten, 
den Lauf derselben während der ganzen Hungerperiode verfolgen. 
Verfährt man so, dann stellt sich heraus, dass M.’s Behauptung, wo- 
nach die E.-Z. an schilddrüsenlosen Tieren ‚.... im Vergleich zu der 
an normalen Tieren beobachteten verschwindend klein...) sei, 
durchaus unrichtig ist. 

Um dies zu beweisen, wollen wir die vier schilddrüsenlosen Tiere 
der Reike nach kurz betrachten. 

Am schilddrüsenlosen Tier IV steigt die E.-Z., nachdem sie 
zwischen dem 18. und 21. Hungertag eine Depression bis auf etwa 
0,34 g N pro Tag erreicht hat, auf 0,61 g am letzten Tag, erfährt also 
eine Steigerung um etwa 79%; am schilddrüsenlosen Tier V sinkt 
die E.-Z. zwischen dem 12. und 14. Hungertag auf etwa 0,71 g, um 
dann bis zum letzten Tag auf 1,14, also um 52%, anzusteigen. 

Also ist die Steigerung der E.-Z. an den schilddrüsen- 
losen Tieren keine geringe, sondern eine sehr ansehnliche. 


Sl c.182 55, 
al 


164 Paul Häri: 


Wie verhält es sich mit den schilddrüsenlosen Tieren VI und VII? 
Es ist klar, dass wir es bei Tier VI mit einem der schon von Heymans 
an normalen Kaninchen beschriebenen Fälle zu tun haben, in denen 
die Steigerung der E.-Z. sehr früh und sehr stark einsetzt und 
die mittlere Periode der Depression ausfällt. Da die Daten der ersten 
drei Hungertage fehlen, ist leider nicht genau zu sagen, wann der 
Anstieg begonnen hat: soviel ist jedoch sicher, dass die E.-Z. eine 
sehr intensive war, denn sie erreicht bereits am 4. und 5. Hungertag 
Werte wie bei keinem einzigen der übrigen M.’schen Kaninchen, was 
um so auffallender ist, da dieses Tier das geringste Gewicht unter 


allen hatte: 
Normal Schilddrüsenlos 


nn 

Hunger- Tier I Tier II Tier III Tier IV Tier V Tier VI Tier VII 
tag 15008 16005 14008 18008 16508 13008 Ig 
4 1,05 0,85 0,46 0,78 0,95 1,86 1,26 
5 0,76 0,70 0,47 0,75 0,87 1,90 1,20 


Es ist also als sicher anzunehmen, dass an Tier VI eine weitere 
starke Steigerung nur aus dem Grunde nicht stattfand, weil sie bereits 
schr früh, zu einer Zeit, wo sonst eine Depression einzutreten pflegt, 
schon ausnehmend stark war. Für dieses Tier VI eine Steigerung von 
bloss 19% zu berechnen, ist nur möglich, wenn man die Steigerung 
der beiden letzten Tage als etwas wesentlich Verschiedenes von 
der bereits früher eingetretenen Steigerung ansieht und von derselben 
künstlich abtrennt, was selbstverständlich zu einem ganz falschen 
Rechnungsergebnis resp. zu einer Verzerrung des Sachverhaltes führen 
muss, wie dies aus dem auf S. 163 aufgestellten konstruierten Beispiel 
hervorgeht. 

Dasselbe, was für Tier VI soeben ausgeführt wurde, gilt, wenn 
auch nicht so klar ins Auge springend, für das schilddrüsenlose Tier VII, 
bei dem gar die Daten der ersten vier Versuchstage fehlen, das aber am 
5. Hungertag ebenfalls höhere Werte aufweist als die normalen Tiere. 

Es ist nach alledem nicht daran zu zweifeln, dass die E.-Z. gegen 
das Lebensende auch am schilddrüsenlosen Tier eine bedeutende 
Steigerung erfährt, wenn auch nicht verkannt werden darf, dass diese 
Steigerung nicht so steil verläuft und oft nicht so hohe Endwerte 
erreicht wie am normalen Tier. Sicher ist jedoch, dass M.’s Erwartung, 
„dass schilddrüsenlose Tiere ohne Steigerung der E.-Z. den Hungertod 
sterben,‘‘ durch seine Versuche nicht bestätigt wurde. ‘Dasselbe gilt 
selbstverständlich auch für den Schluss, der von M. in einer weiteren 
Mitteilung !) aus einem einzigen Versuche am schilddrüsenlosen Hund 


1) G. Mansfeld, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. VIII. Mit- 
teilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 161 S. 502. 1915. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 165 


gezogen wurde: ‚... auch am Hund tritt der Hungertod ein, ohne 
dass der Eiweissbestand vorher in erhöhtem Maasse angegriffen würde, 
falls das Tier seiner Schilddrüse beraubt ist“. — 

Die Schilddrüsentheorie der P.S. E.-Z. dürfte nach alledem als 
erledigt zu betrachten sein; trotzdem muss auf einen bereits kurz 
gestreiften Umstand noch zurückgekommen werden, der, obwohl er nicht 
geeignet ist, der Richtigkeit meiner Beweisführung einen Abbruch zu 
tun, doch immerhin einer Klärung bedarf, nämlich: Wie kommt es, 
dass an M.’s normalen Kaninchen eher die kurze Lebensdauer von 
12 resp. 10 Tagen mit der mehr gegen das Ende zu gedrängten Steigerung 
der E.-Z. prävaliert (zwei von drei Fällen) und bloss ein Tier eine 
mehr gedehnte Form des ganzen Verlaufes aufweist, von M.'s schild- 
drüsenlosen Tieren aber zwar wieder zwei bloss 9 resp. 10 Tage am 
Leben blieben, an anderen zwei Tieren jedoch eine auffallend lange 
Lebensdauer von 29 resp. 23 Tagen und ein sehr gedehnter Verlauf 
der E. Z. zu konstatieren ist ? 

Es könnte sich da auch um einen blossen Zufall handeln, um .so 

eher da die Anzahl der Versuche eine relativ beschränkte ist. Jedoch 
ist dieser Zufall schon aus dem Grunde nicht wahrscheinlich, weil es 
“ sogar unter den zahlreichen normalen Kaninchen Heymans’ nur 
wenige gab, die diesen gedehnten Verlauf aufwiesen. 
‚ Da sich, wie aus der Tabelle III ersichtlich ist, M.’s langlebige 
schilddrüsenlose Tiere bezüglich ihrer E.-Z. ähnlich wie langlebige 
normale Tiere anderer Autoren, M.’s kurzlebige aber so wie die ent- 
sprechenden normalen Tiere anderer Autoren verhielten, so ist es 
nicht zu bezweifeln, dass Lebensdauer des Hungertieres und Aus- 
maass resp. Verlauf der E.-Z. miteinander zusammenhängen. Dieser 
Zusammenhang ist so auffallend, dass Marinesco und Parhon!) 
— allerdings etwas voreilig und auf Grund einer allzu geringen Zahl von 
nicht viel besagenden Versuchen — geradezu eine lebensverlängernde 
Wirkung der Thyreoidektomie auf hungernde Tiere annehmen, und 
zwar mit der Begründung, dass in schilddrüsenlosen Tieren infolge 
des herabgesetzten Eiweissstoffwechsels der Eiweissbestand länger er- 
halten bleibt. Die lebensverlängernde Wirkung der Thyreoidektomie 
soll natürlich dahingestellt bleiben; doch muss zugegeben werden, 
dass auch Heymans’ Kaninchen den Hunger in der Regei um so 
länger ertrugen, je weniger Eiweiss sie täglich zersetzen, resp. ie flacher 
die Steigerung der E.-Z. verlief. 

Jetzt brauchen wir bloss an die Tatsache des herabgesetzten Eiweiss- 
stoffwechsels im thyreopriven Tiere zu denken — der ja auch durch 

1) G. Marinesco et C. Parhon, L’influence de la thyreoidectomie 


sur la survie des animaux en etat d’inanition. Comptes rend. d.1. S. Biolog. 
t. 67 p. 146. 1909. 


166 Paul Hari: 


Ver Ecke!) an gefütterten Hunden nach partielier Thyreoidektomie 
(Schonung der Epithelkörperchen), durch Maier?) am hungernden 
Kaninchen, und durch Eppinger, Falta und Rudinger?) am 
Hund, endlich von mehreren Autoren am myxödematösen Menschen 
nachgewiesen wurde —, um zu folgendem Schluss zu gelangen: Da 
die Exstirpation der Schilddrüse zu einer Verringerung der E.-Z. 
führen kann (jedoch durchaus nicht muss), ist es zu erwarten, dass 
es an schilddrüsenlosen Tieren relativ häufiger zu einem langgedehnten 
Verlauf der E.-Z. kommt, genau so wie aıı normalen Tieren, deren 
Eiweissverbrauch (infolge grossen Fettreichtums oder aus anderen 
Gründen) geringer ist als an anderen normalen Tieren. 


Fassen wir das zusammen, was über die Erfüllung der auf S. 155 
aufgestellten vier Postulate vorangehend ausgeführt wurde, so er- 
gibt sich: 

1. dass hungernde Tiere, verschiedenen Arten an- 
gehörend, ohne eine prämortale Steigerung der E.-Z. 
sterben können, auch wenn sie im Besitze der normal 
funktionierenden Schilddrüse sich befinden; 

2. dass der an hungernden normalen Kaninchen be- 
obachtete Verlauf der E.-Z. auch an schilddrüsenlosen 
hungernden Tieren zur Beobachtung kommt; 

3. dass die Berechnungsart, wie sie von M. geübt wird, 
nämlich nur die zwei letzten, dem Tode vorangehenden 
Tage mit dem Mittelwert aller vorangehenden zu ver- 
gleichen, eine von vornherein verfehlte und geeignet ist, 
zu falschen Schlüssen zu führen; 

4. dass, im Gegensatz zu M.’s Behauptung, auch am 
schilddrüsenlosen hungernden Kaninchen eine sehr be- 
deutende Steigerung der E.-Z. stattfindet. 


Dass über den Zusammenhang zwischen Schilddrüse und Eiweiss- 
stoffwechsel noch manches zu klären gibt, braucht wohl nicht hervor- 
gehoben werden: man denke unter anderem nur an die erwähnten 
merkwürdigen Befunde, die Eppinger, Falta und Rudinger er- 
hoben, indem sie fanden, dass am hungernden schilddrüsenlosen Hund 
der Eiweissstoffwechsel durch Zufuhr von Fett und Kohlenhydraten 


1) A. Ver Ecke, Etude sur l’influence de la secretion interne du 
corps thyroide sur les echanges organiques. Arch. de Pkarmakodyn. t. 4 
p: Sl. 1898. 

2) E. Maier, Weitere Beiträge zur Kenntnis des Stoffwechsels thy- 
reoidektomierter Kaninchen. Diss., Würzburg 1897. Ref. in Maly’s 
Jahresber. f. tier. Chem. Bd. 30 S. 613. 1900. 

a) lc. 


Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 167 


nicht eingeschränkt wird, während dies doch am normalen Tier in 
der Regel beobachtet wird. Hat man das Recht, hieraus zu folgern, 
dass es am normalen Tiere die Schilddrüse es ist, die den Eiweiss- 
stoffwechsel unter obigen Umständen herabdrückt ? 


Wenn die in Obigem erfolgte Widerlegung der M.’schen Ausführungen 
und Folgerungen noch einer weiteren Unterstützung bedürfte, sei es 
mir gestattet, noch auf folgendes hinzuweisen: 

M. kommt auf Grund von Versuchen, die er an hungernden schild- 
drüsenlosen Kaninchen ausführen liess, in seiner I. Mitteilung im Jahre 
1911 zu folgendem Schluss: „Es ergab sich aus diesen Versuchen, dass 
nach Exstirpation der Schilddrüse die Eiweisszersetzung 
vor dem Hungertode genau in gleicher Weise in die Höhe 
seht als bei normalen Tieren ...' !). Zwei Jahre später, in 
der hier besprochenen III. Mitteilung wird behauptet: es ‚war... 
zu erwarten, dass schilddrüsenlose Tiere ohne Steigerung der 
Eiweisszersetzung den Hungertod sterben. Dass dies in der Tat 
der Fall ist, beweisen die folgenden an Kaninchen ausgeführten Ver- 
suche‘ ?2). Also genau das Gegenteil des vorher Gesagten. Da muss 
aber gefragt werden: Sind die Versuche an schilddrüsenlosen hungernden 
Kaninchen der I. Mitteilung dieselben, die in der III. Mitteilung be- 
sprochen werden, oder nicht ? Wenn es dieselben sind, so ist erwiesen, 
dass aus Versuchen mit so dehnbaren Ergebnissen keinerlei Schlüsse zu 
ziehen sind. Handelt es sich jedoch in der III. Mitteilung um neuere 
Versuche, so ist erwiesen, dass man derlei komplizierte Fragen nur 
durch eine weit grössere Anzahl von Versuchen und nur mit Berück- 
sichtigung der einschlägigen Literatur lösen kann, so man nicht Gefahr 
laufen will, durch eine erste, allzu kleine Gruppe von Versuchen zu 
einem bestimmten Resultat zu kommen, durch eine weitere Gruppe 
jedoch zu dem genau entgegengesetzten. 


EL. ©... 169. 
2) l. c. (von mir gesperrt). 


Über die Wirkung des Novokains auf den normalen 
und den tetanusstarren Skelettmuskel und über die 
Entstehung der lokalen Muskelstarre beim Wund- 
starrkrampf. 
Von 
G. Liljestrand (Stockholm) und R. Magnus. 
(Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) 
Mit 1 Textabbildung. 


(Eingegangen am 5. April 1919.) 


Inhalt. Seite 
1. C Einleitung er ee 168 
Il. Die Wirkung des Novokains auf den. Skelettmuskel im Zustand 
der Enthirmungsstarren.. nn... 2 00 re ee 171 
IH. Die Wirkung kleiner Novokaindosen auf den Skelettmuskel nor- 
maler;Katzensr 0... u a er 183 
IV. Die Wirkung des Novokains auf den tetanusstarren Skelettmuskel 187 
V. Weitere Beobachtungen über die tetanische Muskelstarre . . . . 202 
VI. Zusammenfassung der Ergebnisse .. ..........2.2. 206 


I. Einleitung. 


Im Jahre 1916 haben E. Meyer und L. Weiler!) einen Fall von 
Starre der Bauchmuskulatur beschrieben, die sich im Anschluss an 
eine Tetanusinfektion entwickelte und noch nach 2 Jahren fort- 
bestand. Diese Starre blieb nach intralumbaler Einspritzung von 
0,02 g Stovain in den Lumbalsack, wonach eine Hautanästhesie bis 
zur Mammillarlinie (entsprechend dem fünften Thorakalsegment) auf- 
trat, unverändert bestehen, während die Nerven für die Bauchmuskeln 
nicht höher als aus dem siebenten Thorakalsegment entspringen. 
Ebensowenig liess sie sich durch Einspritzung von 1 ccm Curarelösung 
(entsprechend 8,5 mg Curare bzw. 2 mg Curarin) lösen. Dagegen 
schwand die Starre nach Einspritzung von 10—15 ccm einer 1%igen 
Novokainlösung in den Muskel, wonach aber die direkte elektrische 
Muskelerregbarkeit unverändert blieb. Die mit dem ballistischen 
Elastometer gemessene Muskelhärte nahm dabei deutlich ab. Während 
die Haut nicht hyperästhetisch war, empfand der Patient den Einstich 
der Nadel in den Muskel als äusserst schmerzhaft. In zwei weiteren 


1) Erich Meyer und Leo Weiler, Über Muskelstarre und Koordi- 
nationsstörung bei Tetanus. Münchner med. Wochenschr. 1916 S. 1525. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 169 


Fällen von frischem Tetanus konnten Meyer und Weiler durch 
Einspritzen von 10—15 cem 1%igem Novokain in die Masseteren ein 
Nachlassen der Kieferklemme erzielen. Sie schliessen aus diesen Be- 
obachtungen, dass die tetanische Muskelverkürzung nicht auf myosi- 
tischen Schwielen beruhen kann, dass es sich nicht um eine 
vom zentralen Nervensystem hervorgerufene Kontraktion 
-handelt, und dass die Starre nicht durch aktive Muskel- 
kontraktion hervorgerufen wird, vielmehr müsse es sich 
um einen eigenartigen, von der gewöhnlichen Kontraktion 
verschiedenen Verkürzungszustand handeln. Novokain 
(und Kokain) sollen die Kontraktilität des Muskels un- 
verändert lassen, aber die Elastizität desselben in be- 
sonderer Weise verändern. 

A. Fröhlich und H. H. Meyer!) haben in einer Kritik dieser 
Arbeit darauf hingewiesen, dass es durch Injektion von Curare in den 
Warmblütermuskei nicht gelingt, eine Lokalcuraresierung herbeizu- 
führen, solange es nicht zur Allgemeinvergiftung kommt. Ferner zeigten 
sie, wie schon früher Finkelstein?) und Baglioni und Pilotti?), 
dass bei der Lumbalanästhesie durch Stovain die verschiedenen Ge- 
fühlsqualitäten nicht gleichmässig aufgehoben werden, dass daher bei 
vorhandener Analgesie die übrigen sensiblen Bahnen und vor allem 
die motorischen Wurzeln nicht gelähmt zu sein brauchen. Daher sei 
in den Versuchen von E. Meyer und Weiler weder durch Curare 
noch durch Lumbalinjektion von Stovain die zentrale Innervation 
des Muskels ausgeschaltet. Ferner haben Fröhlich und Meyer drei 
Katzen mit Tetanustoxin vergiftet und nach eingetretener lokaler 
Muskelstarre Novokain injiziert. Bei einer Katze von 650 g schwand 
nach Einspritzung von 4—41, ccm 1%igem Novokain die Tetanus- 
starre des Gastrocnemius teilweise, aber nicht gänzlich. Bei einer 
Katze von 3000 g wurde durch 4 cem 1%,igem Novokain die Starre 
des Gastrocnemius nicht vermindert. Zwei Tiere wurden nach Eintritt 
der lokalen Muskelstarre dezerebriert, so dass die tetanischen Muskeln 
unter den kombinierten Einfluss der tetanischen und der Enthirnungs- 
starre gerieten. Einspritzung von 1%, Novokain in die tetanusstarren 
Gastroenemii hob die Starre nicht auf, während .diejenigen (Ober- 
schenkel-)Muskeln, welche sich nur unter dem Einfluss der Enthirnungs- 


1) A. Fröhlich und H. H. Meyer, Über die Muskelstarre bei der 
Tetanusvergiftung. Münchner med./Wochenschr. 1917 S. 289. 

2) R. Finkelstein, Neurologische Beobachtungen und Untersuchungen 
bei der Rückenmarksanästhesie mittels Kokain und Stovain. Münchner 
med. Wochenschr. 1906 S. 397. 

8) 8. Baglioni und G. Pilotti, Neurologische ;Untersuchungen bei 
der menschlichen Lumbalanästhesie mittels Stovain. Zentralbl. f. Physiol. 
Bd. 23 S. 369. 1909. 


170 G. Liljestrand und R. Magnus: 


starre befanden, durch die gleiche Lösung zur Erschlaffung gebracht 
wurden. Meyer und Fröhlich schliessen hieraus, dass durch die 
von E. Meyer und Weiler verwendeten Novokaindosen die 
gesamte sensible und motorische Innervation des Muskels 
bei erhaltener Muskelerregbarkeit ausgeschaltet worden 
sei. Die tetanische Muskelstarre wird durch eine Einwirkung des 
Tetanusgiftes auf das Rückenmark verursacht; nach einigen 
Tagen kann sich hieran eine durch die Dauerverkürzung bedingte, 
mit Atrophie einhergehende sekundäre myogene Verkürzung anschliessen. 
In.dem Falle von E. Meyer und Weiler habe es sich nur 
um die erste Art der Verkürzung gehandelt, die also nach 
Lähmung aller Nerven durch Novokain aufhören musste. 
In einer weiteren Mitteilung !) haben dann Erich Meyer und 
Weiler zu dieser Kritik Stellung genomnien. Sie teilen mit, dass 
man beim Menschen durch intramuskuläre Curareinjektion eine Parese 
hervorrufen kann, und geben an, dass nach der von ihnen verwendeten 
Stovaindosis (0,04 statt der in der ersten Arbeit genannten 0,02 g) 
völlige Muskellähmung im anästhetischen Bezirk nach Lumbalinjektion 
eingetreten sei. Ferner berichten sie über einen weiteren Tetanusfall, 
an welchem genauere Beobachtungen gemacht werden konnten. Es 
handelte sich um eine Starre des linken Biceps. Die indirekte faradische 
Erregbarkeit wurde durch Reizung des Plexus brachialis bestimmt. 
Nach Einspritzung von 20 cem 1%igem Novokain in den 
linken Biceps erfolgte vollständige Lösung der Starre, 
dabei blieb aber die aktive Beweglichkeit und die grobe 
Kraft unvermindert erhalten. Ebensowenig wurde die in- 
direkte faradische Erregbarkeit herabgesetzt. Auch auf der 
gesunden rechten Seite erfolgte auf Einspritzung derselben Novokain- 
‚dose in den Biceps keine Abnahme der indirekten Erregbarkeit. In 
den starren Muskel konnten sogar bis zu 60 ccm der Novokain- 
lösung injiziert werden, ohne dass sich grobe Kraft und indirekte 
Erregsbarkeit änderten. Erst auf SO ccm erfolgte Abnahme der in- 
direkten Erregbarkeit und der groben Kraft. Der durch Einspritzung 
von 50 cem Novokainlösung zur Erschlaffung gebrachte tetanische 
Biceps beteiligte sich danach noch an einem allgemeinen tetanischen 
Anfall. Durch Novokaineinspritzung in die Masseteren liess sich die 
Kieferklemme lösen, dabei konnte der Patient aber noch kräftige Kau- 
bewegungen ausführen. Nach der Ansicht von Meyer und Weiler 
ist also Novokain ohne Wirkung auf die Kontraktilität 
des Muskels. Wo das Mittel angreift, lassen sie unentschieden, 
weisen aber auf die Möglichkeit hin, dass es auf die von Boeke im 


1) Erich Meyer und L. Weiler, Weitere Untersuchungen über die 
tetanische Muskelverkürzung. Münchner med. Wochenschr. 1917 S. 1569. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 1brinl 


Muskel beschriebenen akzessorischen Nervenendigungen einwirken 
könne. Sicher ist aber nach ihrer Meinung eine Dauer- 
innervation, die auf dem Wege der motcrischen Nerven 
dem Muskel zufliesst, als Ursache der langdauernden teta- 
nischen Starre auszuschliessen. 

Bei dieser ganzen widerspruchsvollen Diskussion fällt auf, dass das 
Novokain zur Aufklärung der Natur der tetanischen Muskelstarre be- 
nutzt wird, ohne dass vorher seine Wirkung auf den innervierten und 
durchbluteten normalen Muskel des Warmblüters hinreichend unter- 
sucht wurde. Ehe man namentlich die zuletzt angeführten Befunde 
von Erich Meyer und Weiler und die gegenteiligen Ansichten von 
Fröhlich und H. Meyer gegeneinander abwägen kann, muss fest- 
gestellt werden, ob am nicht tetanusstarren normalen Muskel das 
Vermögen zur Dauerkontraktion (zentralbedingter Tonus) und zur 
aktiven Bewegung durch Novokain in verschiedener Weise beeinflusst 
wird. Hierbei muss vor allem die Wirkung der verschiedenen Novokain- 
dosen quantitativ festgestellt werden. Wir haben deshalb zunächst 
bei Katzen im Zustand der Enthirnungsstarre geprüft, ob es gelingt, 
die Starre ganz oder teilweise zu lösen, ohne die Erreg- 
barkeit vom Nerven aus zu beeinträchtigen, und den Me- 
chanismus einer derartigen Wirkung aufzuklären. Erst danach sind 
wir dazu übergegangen, entsprechende Versuche mit den gleichen 
Novokaindosen am tetanusstarren Muskel auszuführen, die uns dann 
auch zu einer ganz anderen Erklärungsweise des Einflusses von Novokain 
auf die Tetanusstarre geführt haben, als sie von den früheren Unter- 
suchern angenommen wurde. Wir waren uns dabei von vornherein 
bewusst, dass die Enthirnungsstarre und die Tetanusstarre durchaus 
nicht wesensgleich zu sein brauchen, wie schon aus der Angabe von 
Fröhlich und H. Meyer!) und von Semerau und Weiler ?) hervor- 
geht, dass der tetanusstarre Muskel stromlos sei. 


II. Die Wirkung des Novokains auf den Skelettmuskel 
im Zustand der Enthirnungsstarre. 


Die zu den Versuchen verwendeten Katzen wurden ätherisiert, die 
Karotiden abgebunden, die Vagi durchschnitten, das Rückenmark am 
zwölften Brustwirbel freigelest, die Dezerebrierung zwischen vorderen 
und hinteren Vierhügeln ausgeführt, und das ganze Gehirn proximal vom 
Entkirnungsschnitt ausgeräumt. Darauf wurde die Äthernarkose ab- 


1) A. Fröhlich und H.H. Meyer, Untersuchungen über die Aktions- 
ströme- anhaltend verkürzter Muskeln. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 S. 269. 
1912. — Vgl. auch Münchner med. Wochenschr. 1917 S. 290. 

2) M. Semerau und L. Weiler, Elektromyograph. Untersuchungen 
am tetanischkranken starren Muskel. Zentralbl.f. Physiol. Bd. 33 8.69. 1918. 


172 G. Liljestrand und R. Magnus: 


gestellt und das Tier mit künstlicher Atmung liegen gelassen, bis sich 
eine gute Enthirnungsstarre ausgebildet hatte. Sämtliche Prüfungen 
wurden an den Vorderbeinen, und zwar am Triceps (Ellbogenstrecker) 
ausgeführt. War die Starre gering, so wurde sie durch Durchtrennung 
des Rückenmarks am zwölften Brustwirbel (meist beträchtlich) verstärkt. 

Das Novokain wurde stets in den Triceps der einen Seite injiziert, 
das andere Bein diente dann zum Vergleich. In den Triceps dieses 
Vergleichsbeines wurde in den meisten Versuchen eine ebenso grosse 
Menge physiologischer Kochsalzlösung eingespritzt; dieses erwies sich 
stets als wirkungslos. Bei der intramuskulären Injektion wurde immer 
sorgfältig darauf geachtet, dass die Spitze der Nadel sich im Muskel- 
bauche befand und nicht subkutan lag. Wenn am Anfang des Ver- 
suches das eine Bein eine stärkere Enthirnungsstarre im Ellbogen 
zeigte als das andere, so wurde Novokain stets in das erstere injiziert. 
Gewöhnlich zeigten aber beide Beine gleiche Starre. 

Als Maass der Starre und der Novokainwirkung wurde der Vergleich 
mit dem Bein der Gegenseite benutzt. Dabei wurde entweder das Tier 
in Rückenlage gebracht, die beiden Oberarme parallel gestellt und 
nun der Winkel gemessen, den der Unterarm mit demselben bildete. 
Oder es wurde der Winkel bestimmt, hei welchem zuerst hei passiver 
Beugung des Ellbogens ein Widerstand fühlbar wurde. Oder es wurden 
beide Arme mit gleichmässigem Druck im Ellbogen gebeugt und der 
Winkel der beiden Ellbogen danach gemessen. Auf diese Weise war es 
möglich, ein möglichst objektives Maass der Enthirnungsstarre in den 
verschiedenen Stadien des Versuches zu gewinnen. 

Ausserdem wurde vor und nack Novokain der Einfluss verschiedener 
Kopfstellungen auf den Tricepstonus !\ untersucht. Beim Vorhanden- 
sein von deutlichen tonischen Labyrinthreflexen tritt beim Umilegen 
des Tieres aus der Seiten- in Rückenlage eine starke Streckung beider 
Vorderbeine ein, deren Grad auf die oben angegebene Weise gemessen 
werden kann. Beim Kopfdrehen in Seitenlage reagiert vor allem das 
obere Bein (Streckung, wenn der Scheitel nach unten gedreht wird; 
Abnahme des Strecktonus, wenn der Scheitel nach oben gedreht wird); 
wenn die Labyrinthreflexe überwiegen, reagiert das unten liegende 
Vorderbein im gleichen Sinne, wenn die Halsreflexe überwiegen, da- 
gegen im umgekehrten Sinne. Man tut daher gut, die Prüfung des 
Einflusses von Kopfdrehen in Seitenlage nacheinander in beiden Seiten- 
lagen vorzunehmen. 

In denjenigen Fällen, in welchen nach Novokaineinspritzung der 
Tricepstonus bei symmetrischer Kopfstellung im Seitenlage schon voll- 


1) R. Magnus und A. de Kleyn, Die Abhängigkeit des Tonus der 
Extremitätenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Archiv Bd. 145 
S. 455. 1912. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 173 


ständig geschwunden ist, kann man ihn durch Verstärkung der toni- 
schen Innervation durch Kopfdrehen oder durch Umlegen des Tieres 
in Rückenlage häufig noch zum Vorschein rufen und seine Intensität 
messen. 

Zur Prüfung der aktiven Beweglichkeit diente entweder der ge- 
kreuzte Streckreflex, ausgelöst durch Kneifen der Pfote des Vorder- 
beines der Gegenseite. In einzelnen Fällen liess sich auch durch Be- 
klopfen des Endgliedes des zu prüfenden Vorderbeines eine reflek- 
torische Streckung des Ellbogens durch Tricepskontraktion hervor- 
rufen. Dieser Reflex soll im folgenden als ‚‚Tricepsreflex‘‘ bezeichnet 
werden. Er ist beim dezerebrierten Tiere nur in Ausnahmefällen aus- 
zulösen, während er beim dekapitierten Tier gewöhnlich mit grösster 
Deutlichkeit nachweisbar ist. Manchmal gelingt es auch, nach dem 
Auslösen des gleichseitigen Beugereflexes (auf Kneifen der Pfote des 
Versuchsbeines) eine Rückstosskontraktion (,,Rebound-contraction“ von 
Sherrington) hervorzurufen, welche dann ebenfalls als Beweis für das 
Vorhandensein zentraler motorischer Innervation benutzt werden kann. 

Bei allen diesen Prüfungen muss man sorgfältig ‚darauf achten, 
dass es sich im Einzelfalle wirklich um eine Kontraktion bzw. um 
Enthirnungsstarre im Triceps, d. h. im Ellbogen, handelt, und dass 
nicht etwa die beobachteten Bewegungen des Armes durch Kontraktion 
der Schultermuskeln hervorgerufen werden. Denn diese sind natürlich, 
wenn der Triceps durch Novokain bereits völlig gelähmt ist, noch 
unverändert erregbar. 

Am Schluss des Versuches wurde dann in einer Reihe von Ver- 
suchen beiderseits der Plexus brachialis freigelegt und die indirekte 
' Erregbarkeit des Triceps vom Nerven aus mit dem faradischen Strome 
geprüft. Zu diesem Zwecke wurden die Muskeln, welche das Schulter- 
blatt mit dem Rumpfe verbinden, vom Rücken aus durchschnitten, 
der Brachialplexus sorgfältig vom umgebenden Bindegewebe gesäubert 
und. der Erfolg oder Nichterfolg der Reizung durch Besichtigung des 
freigelesten Triceps kontrolliert. Zum Schlusse wurde beiderseits die 
direkte Erregbarkeit des Triceps gemessen. Zu den Versuchen diente 
ein nach Kronecker geeichtes’ Induktorium. 


Das Ergebnis der Versuche mag durch einige Protokolle veranschau- 
licht werden. 


Versuch XV, am 10. Dezember 1918. Katze 1,23 kg. Äther, Karo- 

tiden abgebunden, Vagi durchtrennt, Freilegung des Rückenmarkes am 
zwölften Brustwirbel. Dezerebrierung mit Ausräumung des Grosshirns. 

9h 50’. Ende der Operation, Äther abgestellt. Gute Starre der vier Beine, 

- Spontanatmung. ; x 

10h 40’, Stärkste Starre der vier Beine. Auf Kopfdrehen in Seitenlage 

starke Hals- und Labyrinthreflexe. Auf Umlegen in Rückenlage 

deutliche Labyrinthreflexe. In Seitenlage bei symmetrischer Kopf- 


174 G. Liljestrand und R. Magnus: 


stellung linkes Vorderbein maximal gestr eckt, rechts 
Ellbogenwinkel 155°. 

105 48’. In den linken Triceps wird 1 ccm 1P/oiges Novokain, in den rechten 
1 cem 0,9V%/oiges NaCl eingespritzt. 

10h 54°. In Rückenlage Ellbogenwinkel links 110°, rechts 135° (das 
vorher stärker gestreckte linke Vorderbein hat also jetzt geringeren 
Tricepstonus als das rechte). 

10h 56. In Rückenlage Ellbogen links 90°, bietet geringen Widerstand 
gegen Beugen, rechts 135°, bietet starken Widerstand gegen Beugen. 
Auf Kopfdrehen in rechter Seitenlage reagiert das linke Vorder- 
bein stark (Scheitel unten maximale Streckung, Mittelstellung 90°, 
Scheitel oben 45°). 

11h 00°. Y2 ccm 1°/oiges Novokain in den linken, '/2 ccm 0,9%Yoiges NaCl in 
den rechten Triceps eingespritzt. 

115 05’. In Seitenlage Ellbogen links 90°, geringer Widerstand beim Beugen, 
rechts 135°, starker Widerstand beim Beugen. Auf Kopfdrehen 
in Seitenlage starke Reaktion des linken Vorderbeines im Ellbogen, 
wie 10h 56’. 

11h 12”. In rechter Seitenlage bei symmetrischer Kopfstellung Ellbogen 
links 45°, rechts 135%. Bei Kopfdrehen mit Scheitel unten EIl- 
bogen links 90°, bei Scheitel oben 0°. 

Darauf Freilegung des Plexus brachialis und des Triceps beider- 
seits. Faradische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extrawider- 
stand im sekundären Kreis. 

Erregbarkeit rechts (Normalseite): indirekt 20 Kronecker, 


a direkt 200 . 
Erregbarkeit links (Novokainseite): indirekt 15 5 
direkt 150 a 


Ergebnis: Nach Einspritzung von I und von 11, cem Novokain 
in den -Triceps erfolgt eine sehr starke Abnahme der hochgradigen 
Streckstarre. Reaktion auf Kopfdrehen erhalten, führt aber zu ge- 
ringeren Tonusgraden als vorher. Indirekte und direkte Erregbarkeit 
des Triceps vollständig unvermindert. 


Versuch XI, am 2. Dezember 1918. Katze 1,3 kg. Äther, Karotiden 
abgebunden, Vagi durchtrennt. Dezerebrierung mit Ausräumung der 
vorderen Schädelgrube. 

6h 55°. Ende der Operation. Gute Starre. 

7h 25’. Deutliche Starre der Vorderbeine, links etwas kräftiger als rechts. 
In Rückenlage rechter Ellbogen 90°, linker 130°. In Seitenlage 
gute Reaktion beiderseits auf Kopfdrehen. 

7h 30. Kräftige Starre der Vorderbeine, links stärker als rechts. 

7h 35°. 1 cem 1"/oiges Novokain in den linken Triceps injiziert. 

7h 38—42'. Tonusunterschied der beiden Vorderbeine ver- 
schwunden. Deutliche Reaktion beider Vorderbeine auf Kopf- 
drehen in Seitenlage. 

7h 44. Ysccm 1°/oiges Novokain in den linken Triceps eingespritzt. 

7h 54‘. Starre beiderseits gleich. Linkes Bein reagiert noch deutlich auf 
Kopfbewegungen, wenn auch schwächer als das rechte. !/e cem 
1%oiges Novokain in den linken Triceps.. 

sh 00’. Starre im linken Ellbogen geringer als im rechten, aber immer 
noch kräftig. Das linke Vorderbein zeigt noch schwache Reaktion 
auf Kopfdrehen. 

sh Ol’. Yaccm 1°%/oiges Novokain in den linken Triceps. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 175 


8h 07°. Starre im linken Triceps sehr gering (hat auch im rechten Triceps 

abgenommen). Tricepsreflex auf Beklopfen der Pfote links deutlich, 

rechts kräftig. Auf Kopfdrehen keine Reaktion des linken Triceps, 
deutliche Reaktion des rechten Triceps. 

Beiderseits Freilegung des Plexus brachialis und Triceps. Fara- 

dische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extrawiderstand im 

sekundären Kreis. 
Erregbarkeit rechts (Normalseite): indirekt 50—60 Kronecker, 


direkt 425 “ 
Erregbarkeit links (Novokainseite): indirekt 60 A 
direkt 825 a: 


Ergebnis: Nach 1 cem 1%igem Novokain beginnt die Starre 
abzunehmen, nach 2%, ccm ist sie fast ganz geschwunden. Reaktion ' 
auf Kopfdrehen aufgehoben. Tricepsreflex dagegen deutlich. Indirekte 
Erregbarkeit unverändert erhalten. 


Versuch XI, am 6. Dezember 1918. Katze 1,15 kg. Äther, Karotiden 
abgebunden, Vagi durchtrennt. Freilegung des Rückenmarks am zwölften 
. Brustwirbel. Dezerebrieren mit Ausräumung der vorderen Schädelgrube. 
10h 30. Ende der Operation. Starre der Vorderbeine. . 
11h 08°. Durchtrennung des Rückenmarks am zwölften Brustwirbel. Enorme 
Starre der Vorderbeine und des Nackens. Beugung der Vorder- 
beine kaum möglich. Kopfdrehen in Seitenlage bewirkt Labyrinth- 
reflexe. 

11h 13. lccm 1°oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9°/oiges NaCl in 
den rechten Triceps. 

11h 18. In Seitenlage mit symmetrischer Kopfstellung Ellbogen links 

h 90°, rechts 135°. Auf Kopfdrehen mit Scheitel unten maximale 

Starre beider Vorderbeine. Gekreuzter Streckreflex auf das linke 
Bein deutlich. 

11h 25. 1 ccm 1%oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%/oiges NaCl in 
den rechten Triceps. (Die Novokaineinspritzung ist wahrscheinlich 
nicht in, sondern neben den Muskel erfolgt.) 

11b 30°. In Rückenlage Starre rechts maximal, links sehr gering. In rechter 
Seitenlage Starre rechts 90°, links 0°. Auf Kopfdrehen mit dem 
Scheitel nach unten rechts Starre maximal, links deutlich geringer. 
Gekreuzter Streckreflex auf das linke Vorderbein (Ellbogen) deutlich. 

11h 39. Ye ccm 1%oiges Novokain links, Y/s ccm 0,9%Yoiges NaCl rechts. 

11h 46'. In Seitenlage Starre links noch nicht ganz geschwunden, aber viel 
geringer als rechts. Starke Reaktion beiderseits auf Kopidrehen, 
aber auch bei Scheitel unten ist die Starre links viel geringer als 
rechts. Streckreflex links positiv. 

11h 52'. 1ccm 1°oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%/oiges NaCl in 
den rechten Triceps. 

11h 5%. Starre links noch nicht vollständig geschwunden. Linkes Bein 
wird gestreckt gehalten, lässt sich aber total beugen, während 
rechts bei gleichem Druck der Ellbogen einen Winkel von 135° 
bildet. Deutliche Reaktion auf Kopfdrehen in Seitenlage. 

12h 03°. 1 ccm 1°iges Novokain links, 1 ccm 0,9%oiges NaCl rechts. 

1) Die einzelnen Teile der Tricepsoberfläche sind immer sehr verschieden 
empfindlich gegen den faradischen Strom, so dass bei der Ermittelung der 
direkten Muskelerregbarkeit auf kleine Unterschiede kein Wert gelegt 
werden darf. ? / 


176 G. Liljestrand und R. Magnus: 


12h 08. Im linken Vorderbein ist noch immer etwas Starre vorhanden, 
deutliche Reaktion auf Kopfdrehen, deutlicher gekreuzter Streck- 
reflex. 
12h 12', 1 ccm 1°/oiges Novokain links, 1 ccm 0,9%oiges NaCl rechts. 
12h 17. Zustand unverändert. 
12h 21’. 1ccm 1%oiges Novokain links, 1 ccm 0,9%/oiges NaCl rechts. 
12h 26‘. In Rückenlage Tonus im linken Triceps verschwunden (bei deut- 
lichem Tonus:der linken Schultermuskeln), im rechten Triceps stark. 
Reaktion auf Kopfdrehen in Seitenlage links minimal (aber noch 
deutlich), rechts sehr stark, Gekreuzter Streckreflex auf das linke 
Vorderbein verschwunden. 5 
12h 31‘. Ye cem 1®oiges Novokain links, Vs ccm 1",oiges NaCl rechts. 
12h 37. Starre im linken Ellbogen verschwunden, rechts sehr stark. Auf 
Kopfdrehen in Seitenlage reagiert der linke Triceps höchstens mini- 
mal, die linke Schulter deutlich; der rechte Triceps maximal. Ge- 
kreuzter Streckreflex verschwunden. 
Beiderseits wird der Plexus brachialis und der Triceps freigelegt. 
Faradische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extrawiderstand. 
Erregbarkeit rechts (Normalseite): indirekt 400 Kronecker, 
direkt 1500 e 
Erregbarkeit links (Novokainseite): indirekt 3000 unwirksam, 
direkt 2000 wirksam. 

Ergebnis: Sehr starke Starre. Diese wird durch 1 cem 1% iges 
Novokain bereits deutlich vermindert, während die Reaktion auf Kopf- 
drehen und der gekreuzte Streckreflex erhalten bleiben. Auf 2 ccm 
ist die Starre minimal, die Reaktion auf Kopfdrehen und der Streck- 
reflex deutlich vorhanden. Dieser Zustand ist auch nach 51, cem noch 
unverändert erhalten. Erst auf 61, ecm verschwindet der gekreuzte 
Streckreflex, auf 7 cem die Reaktion auf Kopfdrehen. Die indirekte 
Erregbarkeit des linken Triceps ist erloschen, die direkte fast un- 
vermindert erhalten. 

Diese Versuche zeigen, und alle anderen Experimente haben es 
bestätigt, dass kleine Novokaindosen, intramuskulär ein- 
sespritzt, die Enthirnungsstarre sehr beträchtlich ver- 
mindern, ohne sie in den meisten Fällen vollständig auf- 
zuheben. In diesem Zustand ist aber die aktive Beweg- 
lichkeit noch unverändert erhalten, und bei indirekter 
faradischer Reizung vom Plexus aus findet man dieselben 
Schwellenwerte wie am unvergifteten Muskel. Erst be- 
trächtlich grössere Dosen Novokain heben die indirekte 
Erregbarkeit des Muskels und damit natürlich auch die 
letzten Reste von Enthirnungsstarre und die aktive Be- 
weglichkeit auf. Die direkte faradische Erregbarkeit ist 
dann aber noch erhalten und häufig kaum vermindert. 

Im einzelnen haben sich folgende Verhältnisse ergeben. Einspritzung 
von Y, cem 1%igem Novokain in den Triceps erwies sich als wirkungs- 
los. Die kleinste Dose, welche eine Herabsetzung der Enthirnungs- 


Über die Wirkung des Novokains usw. 177 


starre bewirkte, war 1, ccm. Unter sieben Versuchen war eine Dosis 
von l ccm nur einmal nicht genügend, die Enthirnungsstarre zu ver- 
mindern, so dass 2 cem eingespritzt werden mussten. (Das Gewicht 
der Versuchstiere war meist zwischen 1 und 1,3 kg. Von einer Berech- 
nung der Dosen auf 1 kg Körpergewicht wird Abstand genommen, 
weil eigentlich nur das Gewicht des injizierten Triceps in Betracht 
kommt, der auch bei Tieren gleichen Gewichtes nicht gleich schwer 
ist.) Während die Herabsetzung der Enthirnungsstarre nach der In- 
jektion der genannten kleinen Dosen in allen Fällen sehr deutlich und 
unzweifelhaft ist, ist der Grad der Starre, welcher dann noch zurück- 
bleibt, in den verschiedenen Versuchen sehr wechselnd. War die Starre 
vorher gering, so kann sie nach Novokain fast vollständig schwinden, 
so dass sie kaum noch nachweisbar bleibt. Handelt es sich dagegen 
um ein Tier mit beträchtlichem Tricepstonus, so kann auch nach der 
Injektion noch eine deutliche Starre zurückbleiben, die allerdings 
dann immer sehr viel geringer ist als vorher. Die Gründe für dieses 
wechselnde Verhalten können erst weiter unten auseinandergesetzt 
werden. Auch wenn nach den kleinen Novokaindosen die Enthirnungs- 
starre fast vollständig geschwunden ist, kann man meist durch geeignete 
Lagerung des Kopfes (Rückenlage, Kopfdrehen in Seitenlage) die 
tonischen Hals- und Labyrinthreflexe auf die Gliedermuskeln zum 
Vorschein rufen und dadurch den Tonus des schlaffen Triceps wieder 
steigern. Der Grad, bis zu welchem dieses möglich ist, hängt, solange 
die indirekte Erregbarkeit des Triceps nicht abgenommen hat, davon 
ab, wie stark diese Reflexe bei dem betreffenden Versuchstier aus- 
gesprochen sind, was von Fall zu Fall wechselt und am Beginn jedes 
Versuches festgestellt werden muss. 

Zur völligen Aufhebung der indirekten Muskelerregbarkeit vom 
Plexus aus sind bei Tieren von 1—1,3 kg 7—8 cem 1 %iges Novokain 
erforderlich. In einem Falle war bei einem Tiere von 1,5 kg nach 
8 ccm noch eine geringe Spur von Erregbarkeit vorhanden (4000 Kron- 
ecker gegenüber 20 Kr. auf der Normalseite). Andererseits war einmal 
bei einer Katze von 1,9 kg nach 4 cem 1%igem Novokain die indirekte 
Erregbarkeit bereits erloschen. 

Die kleinsten Dosen, bei welchen die indirekte Erregbarkeit abnahm, 
ohne jedoch vollständig zu erlöschen, waren 3 ccm bei einer Katze 
von 1,9 kg (2000 Kronecker gegen 100 Kr. auf der Normalseite) und 
. 2 ccm bei einem Tiere von 0,75 kg (1000 Kr. gegen 100 Kr. auf der 
 Normalseite). In dem letzteren Falle war noch eine schwache Reaktion 
des betreffenden Triceps auf Kopfdrehen und beim gekreuzten Streck- 
reflex vorhanden. Andererseits war in einem Versuche bei einem 
Tiere von 1,5 kg nach 8 cem Novokain noch eine schwache Reaktion 
bei Plexusreizung erhalten (3000 Kr. gegen 20 Kr. auf der Normalseite). 

Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 176. 12 


178 G. Liljestrand und R. Magnus: 


Wenn also auch im Einzelfalle die Dosen etwas wechseln, so ist 
doch die wesentliche Tatsache über jeden Zweifel erhaben, dass nach 
kleinen Novokaindosen die Starre beträchtlich abnimmt, 
ohne dass die aktive Beweglichkeit und die indirekte 
Erregbarkeit vermindert ist, und dass erst beträchtlich 
srössere Novokaindosen erforderlich sind, um aktive Be- 
weglichkeit und indirekte Erregbarkeit aufzuheben. Damit 
ist für die Enthirnungsstarre der Befund, den Erich Meyer und 
Weiler am tetanusstarren Muskel des Menschen erhoben haben, voll- 
inhaltlich bestätigt. 

Es fragt sich nun, wie diese Tatsache zu erklären ist. Dazu ist es 
nötig, die Entstehung der Enthirnungsstarre zu erörtern. Durch 
Sherrington !) ist nachgewiesen worden, dass dieselbe ein tonischer 
Reflex ist, welcher hauptsächlich durch proprioceptive Erregungen 
zustande kommt, die in den tonisch kontrahierten Muskeln selber. 
ihren Ursprung nehmen. Ausser dieser Hauptquelle spielen aber noch 
andere Dauererregungen eine Rolle. Zunächst proprioceptive Erregungen 
von anderen Muskeln desselben Gliedes und des Gliedes der Gegen- 
seite, ferner Impulse von Hautnerven der Extremität, tonische Ein- 
flüsse vom Hals und den Labyrinthen und ausserdem noch von den 
anderen Körperregionen ?). Schematisch können wir also sagen, dass 
die Enthirnungsstarre entsteht erstens auf Grund von proprioceptiven 
Erregungen, die von dem tonisch kontrahierten Muskel selbst aus- 
gehen, und zweitens auf Grund von einer grossen Gruppe von anderen 
afferenten Impulsen. Die proprioceptiven Erregungen, welche vom 
betreffenden Muskel selber ausgehen, spielen für die Enthirnungsstarre 
in allen Fällen eine sehr grosse Rolle. Die Impulse von den anderen 
Quellen addieren sich je nach der Lage des Einzelfalles in verschiedenem 
Grade hinzu. 

Die in unseren Versuchen beobachtete Wirkung des Nevokains 
auf den Skelettmuskel wird demnach verständlich, wenn man an- 
nimmt, dass kleine Dosen nach intramuskulärer Einspritzung 
ausschliesslich die sensiblen Nervenenden im Muskel selber 
lähmen. Dann werden die proprioceptiven Erregungen, welche von 
diesem Muskel selber ausgehen, aufgehoben und damit die wichtigste 
Quelle der Enthirnungsstarre beseitigt. Die Folge ist, dass die Starre 
abnimmt. Aber sie braucht nicht ganz zu schwinden, weil sensible 
Erregungen von anderen Körperteilen noch einwirken können. Vor 


1) ©. S. Sherrington, Integrative action of the nervous system p. 398. 
1906. — Flexion reflex of the limb etc. Journ. of Physiol. vol. 40 p. 28. 1910. 

2) R. Magnus und W. Storm van Leeuwen, Akute und dauernde 
Folgen des Ausfalles der tonischen Hals- und Labyrinthreflexe. Pflüger’s 
Archiv Bd. 159 S. 213ff. 1914. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 179 


allem ist das der Fall für die Erregungen vom Hals und den Laby- 
rinthen, welche je nach der Erregbarkeit des Tieres ihre Wirkung 
noch entfalten können. In diesem Zustand ist die aktive Beweglich- 
keit vom Zentralnervensystem aus und die indirekte Erregbarkeit 
vom Plexus aus noch unvermindert erhalten. Erst sehr viel grössere 
Dosen lähmen die motorischen Nervenenden im Muskel und heben 
dadurch aktive Beweglichkeit und indirekte Erregbarkeit auf. Durch 
die von uns verwendeten Dosen tritt eine Lähmung des Muskels selber 
dagegen nicht ein. 

Diese Hypothese ist experimenteller Prüfung zugänglich. Schaltet 
man die Sensibilität des zum Versuche benutzten Muskels durch Durch- 
schneidung der zugehörigen Hinterwurzeln aus und erzeugt danach 
durch Dezerebrieren eine Enthirnungsstarre, so muss Einspritzung 
von kleinen Dosen Novokain ohne jeden Einfluss auf die 
Starre sein, während natürlich die grossen Dosen durch Lähmung 
der motorischen Nervenenden Starre, aktive Beweglichkeit und in- 
direkte Erregbarkeit aufheben. Die Versuche haben ergeben, dass 
dieses tatsächlich der Fall. 

"Von vornherein war es nicht sicher. dass diese Experimente zum 
gewünschten Ziele führen würden, weil nach Hinterwurzeldurchschnei- 
dung die Starre der zugehörigen Muskeln gering zu sein pflegt. Wenn 
man den Einfluss von Novokain untersuchen will, muss man aber 
an Muskeln arbeiten, welche zu Anfang eine deutliche tonische Kon- 
traktion zeigen. Es ist nun möglich gewesen, durch Durchschneidung 
des Rückenmarkes im untersten Brustteil und durch geeignete Lage- 
rung des Kopfes bei den Tieren hinreichend starke Starre des Triceps 
zu erzielen. 

Folgendes Versuchsbeispiel möge das Ergebnis veranschaulichen: 


Versuch XVI, am 11. Dezember 1918. Katze 1,27 kg. Äther, Karotiden 
abgebunden, Vagi durchtrennt, Freilegung des Rückenmarks am zwölften 
Brustwirbel. Beiderseits werden die Hinterwurzeln extradural vom sechsten 
Halssegment bis zum zweiten Brustsegment durchtrennt!), Vorderwurzeln 
intakt gelassen. Dezerebrierung mit Ausräumen der vorderen Schädelgrube. 
10h 25'. Ende der Operation, Tier schlaff. 
10h 55. Gute Starre der Hinterbeine, Vorderbeine schlaff. Durchtrennung 
des Rückenmarks am zwölften Brustwirbel. Darauf sofort kräftige 
Starre der Vorderbeine, welche auf Kopfdrehen in Seitenlage gute 
Hals- und Labyrinthreflexe zeigen. 

11h 04—11’. In Seitenlage mit symmetrischer Kopfstellung hat das linke 
Bein deutlichen Tonus (90°), das rechte Vorderbein ist schlaff. Auf 
Kopfdrehen mit Schädel unten bekommt bei rechter Seitenlage das 
linke Vorderbein eine Starre von 155°, in linker Seitenlage das 
rechte Vorderbein 90° Das linke Vorderbein hat also stärkere 
Starre als das rechte. 


1) Der Triceps wird bei der Katze von C, und Th, innerviert. S. u. 
S. 198 und Polimanti, zit. nach v. Rynberk, Erg. d. Anatomie 18. 733. 1908. 
12 * 


180 G. Liljestrand und R. Magnus: 


11% 13’. 1V/’e ccm 1P/oiges Novokain in den linken, 1’/a ccm 0,9%/oiges NaCl 
in den rechten Triceps. 
11h 23’. Ye ccm 1°/oiges Novokain in den linken, !/a ccm 0,9%Yoiges NaOl 
in den rechten Triceps. 
11h 33’. Ye cem 1°oiges Novokain in den linken, "sa ccm 0,9%/oiges NaCl 
in den rechten Triceps. 
11h 44. Ya ccm 1°/oiges Novokain in den linken, !/s ccm 0,9°/oiges NaCl in 
den rechten Triceps. 
11b 51’. 1 ccm 1°oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%/oiges NaQl in 
den rechten Triceps. 
11h 59. 1 ccm 1°/oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9/oiges NaCl in 
den rechten Triceps. 
12h 08. 1 cem 1°/oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%oiges NaCl in 
den rechten Triceps. 
12h 13. Nach Einspritzung von 6 ccm Novokain in den linken Triceps ist 
der Zustand vollständig ungeändert. Der linke Triceps hat immer 
noch mehr Tonus als der rechte. Derselbe nimmt in Rückenlage 
und in rechter Seitenlage mit Scheitel unten auf 135° zu. 
12h 15’, 1 ccm 1%oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%oiges NaCl in 
den rechten Triceps. 
12h 21’. Der Strecktonus im linken Ellbogen hat etwas abgenommen, 
ist aber immer noch stärker als im rechten (90° in rechter Seiten- 
lage mit Scheitel unten). 
12h 25’. 1 cem 1°%oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%iges NaCl in 
; den rechten Triceps. 
12h 30. Der Tonus im linken Ellbogen hat weiter abgenommen, ist a 
noch nicht ganz geschwunden. 
12h 32°. 1 ccm 1’/oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9°/oiges NaCl in 
den rechten. Triceps. 
12h 38. In Rückenlage deutlicher Tonus im rechten Ellbogen, keine Spur 
von Tonus im linken Ellbogen. Auf Kopfdrehen in rechter Seiten- 
lage zeigt der linke Ellbogen noch eine ganz minimale Reaktion. 
Beiderseits Freilegung des Plexus brachialis und des Triceps. 
Faradische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extrawiderstand 
im sekundären Kreis. | 
Erregbarkeit rechts indirekt 200 Kr. direkt 600 Kr. 
3 links n 2000 „. negativ, „ 600-800 ., 
Sektion: Beiderseits Hinterwurzeln von C, bis Th, durchtrennt, 
alle Vorderwurzeln intakt. 


Ergebnis: Nach Durchtrennung der Hinterwurzeln für den Triceps 
tritt genügende Enthirrungsstarre auf. Intramuskuläre Ein- 
spritzung von kleinen Novokaindosen ist ohne jeden Ein- 
fluss auf die Starre. Selbst nach 6 ccm 1%igem Novokain ändert 
sich dieselbe nicht. Erst 7 cem vermindert die Starre, S ccm hebt 
sie auf. Danach ist die indirekte Erregbarkeit erloschen, die direkte 
fast unvermindert erhalten. 

Nachdem dieser Versuch der Erwartung vollständig entsprochen 
hatte, dass nach Ausschaltung der sensiblen Nerven kleine Novokain- 
dosen ohne jeden Einfluss auf die Enthirnungsstarre sind und erst 
grosse Dosen, welche die motorischen Nervenenden im Muskel lähmen, 
die Starre aufheben, war noch festzustellen, ob tatsächlich sieh nach 


Über die Wirkung des Novokains usw. 181 


den kleinsten Novokaindosen, welche gerade eben die Starre vermindern, 
auch bereits eine Herabsetzung der indirekten Erregbarkeit des de- 
sensibilisierten Muskels nachweisen lässt. Auch dieses ist der Fall, 
wie nachfolgender Versuch zeigt. 


Versuch XX, am 18. Dezember 1918. Katze 1,5 kg. Äther, Karotiden 
abgebunden, Vagi durchtrennt. Freilegung des Rückenmarkes am zwölften 
Brustwirbel. Extradurale Durchschneidung der Hinterwurzeln links von 
C; bis Th;, rechts von C, bis Th,. (Ausserdem wird, wie die später vor- 
genommene Sektion zeigte, links noch die Vorderwurzel von Th, durch- 
schnitten, welche sich aber an der Innervation des Triceps nicht mehr be- 
teiligt.) Dezerebrierung mit Ausräumen der vorderen Schädelgrube. Ope- 
rationsdauer 37 Minuten. 
10h 02’. Ende der Operation. Geringer Tonus im linken Triceps. Spontane 

Atmung. : 

10h 40. In Rückenlage Tricepstonus links 135°, rechts 90%. Auf Kopfdrehen 
in Seitenlage sehr starke Reaktion des linken, keine Reaktion des 
rechten Ellbogens. 

104 45. Durchtrennung des Rückenmarkes am zwölften Brustwirbel. Zu- 
nahme der Starre der Vorderbeine In Rückenlage maximale 
Streckung beider Vorderbeine; das linke ist vollständig steif, das 
rechte bietet gegen passive Beugung etwas weniger Widerstand. 
Kopfdrehen in Seitenlage macht starke Labyrinthreflexe an beiden 
Vorderbeinen. Da das linke Vorderbein den stärkeren Strecktonus 
hat, wird in dieses Novokain eingespritzt. 

Von 10h 54’ bis 11h 47’ werden im ganzen 7 ccm 1°/oiges Novokain in den 
linken und 7 ccm 0,9°/oiges NaCl in den rechten Triceps eingespritzt, 
ohne dass sich der Zustand ändert. Noch immer hat das 
linke Bein stärkeren Strecktonus im Ellbogen als das rechte. In 
Rückenlage erfolgt deutliche Tonuszunahme beider Beine, links 
aber stärker als rechts. Auf Kopfdrehen in Seitenlage reagieren 
beide Vorderbeine kräftig. 

11h 54. 1 ccm 1°/oiges Novokain in den linken, 1 cem 0,9%oiges NaCl in 
den rechten Triceps. 

12h 04’. Das linke Vorderbein reagiert noch auf Kopfdrehen in Seitenlage, 
hat aber in Rückenlage deutlich weniger Strecktonus im 
Ellbogen als das rechte. 

Freilegung des Plexus brachialis und Triceps beiderseits. Fara- 
dische Reizung, ein Akkumulator, kein Extrawiderstand. 
Erregbarkeit rechts indirekt 20 Kr., direkt 250-500 Kr. 
s links n 3000 „. * „ 300-350 „ 

Ergebnis: Nach Denervierung des Triceps ist Einspritzung von 
7 cem 1%igem Növoka'n ohne jede Wirkung auf die Enthirnungsstarre. 
Nach 8 ccm beginnt die Starre nachzulassen. Dabei ist die indirekte 
Erregbarkeit vom Nerven aus beträchtlich herabgesetzt, die direkte 
praktisch ungeändert. 

In demselben Sinne fielen zwei weitere Versuche aus. In dem 
einen war bei einer Katze von 1,15 kg die Starre im desensibilisierten 
Triceps (C,—Th,) nach 3 cem 1%igem Novokain noch unvermindert 
und begann nach 4 ccm abzunehmen; dabei war die indirekte Erreg- 
barkeit von 20 Kr. auf der Kontrollseite bis auf 2000 Kr. auf der 


182 G. Liljestrand und R. Magnus: 


Novokainseite herabgesetzt. In dem anderen Versuche war bei einer 
Katze von 2,65 kg die Starre im desensibilisierten Triceps (C,— Th,) 
nach 4 com 1%igem Novokain ganz unvermindert, nach 5 ccm war 
eine ganz unsichere und zweifelhafte Andeutung von Tonusabnahme 
vorhanden, nach 6 ccm wurde eine geringe Abnahme deutlich. Der 


Triceps hatte aber noch Enthirnungsstarre und zeigte Hals- und 


Labyrinthreflexe. Die indirekte Erregbarkeit war von 20 (Normalseite) 
bis auf 4000 Kr. (Novokainseite) herabgesetzt !). 

Diesen vier positiven Versuchen, welche übereinstimmend zeigen, dass 
nach Durchtrennung der zugehörigen Hinterwurzeln kleine Novokaindosen 
ohne Wirkung auf die Enthirnungsstarre sind, und dass erst solche Dosen 
die Starre vermindern bzw. aufheben, welche die motorischen Nervenenden 
im Muskel lähmen, steht ein Versuch gegenüber, der im umgekehrten Sinne 
ausfiel. Hier war bei einem Tier von 1,15 kg nach 3V/a com 1°%oigem Novo- 
kain eine geringe Abnahme des Tricepstonus eingetreten, während die in- 
direkte Erregbarkeit sich nicht geändert hatte (beiderseits 15 Kr.). Bei 
dieser Katze hatte der Tonus des Versuchsmuskels schon vor der Novokain- 
injektion eine Tendenz zur Abnahme gezeigt. Da es in Experimenten an 
dezerebrierten Tieren nicht selten vorkommt, dass die Starre in einem oder 
in beiden Beinen ohne direkt erkennbare Ursache. abnimmt, sind wir be- 
rechtigt, das Ergebnis dieses Versuches als Zufallsresultat und nicht als 
Folge der Novokaininjektion aufzufassen, um so mehr, als die übrigen vier 
Versuche durchaus übereinstimmend und positiv ausfielen. 


Die Versuche haben somit zu folgendem Ergebnis geführt: 

Novokain in kleinen Dosen (im Mittel 1 ccm 1°, bei Tieren 
von etwa 1 kg) in den Triceps dezerebrierter Katzen ein- 
gespritzt, lähmt die proprioceptiven sensiblen Muskel- 
nerven und vermindert dadurch die (reflektorisch bedingte) 
Enthirnungsstarre. Bis zu welchem Grade dieselbe ab- 
nimmt, hängt davon ab, in welchem Ausmaasse sich im 
Einzelfalle noch andere reflektorische Einflüsse am Zu- 
standekommen der Starre des betreffenden Triceps be- 
teilisen. In diesem Stadium lassen sich durch Vermitte- 
lung des Zentralnervensystems noch kräftige Reflexe auf 
den Triceps hervorrufen. Bei faradischer Reizung des 
Plexus brachialis zeigt sich die indirekte Erregbarkeit 
quantitativ unvermindert. 


1) In diesem letzteren Versuch war die Starre der Vorderbeine auch 
nach Durchtrennung des Rückenmarkes am zwölften Brustwirbel zunächst 
zu gering, um die Wirkung von Novokain untersuchen zu können. Es wurde 
daher 0,03 mg Strychninnitrat intravenös eingespritzt. Diese Dosis steigert 
nach den Erfahrungen von Magnus und Wolf (Pflüger’s Arch. Bd. 149 
S. 447. 1913) die Enthirnungsstarre beträchtlich, ohne die Reflexerregbarkeit 
störend zu erhöhen. Ausserdem nehmen die tonischen Hals- und Labyrinth- 
reflexe stark zu, ändern aber ihren Charakter nicht. Dieser Erfolg trat 
auch in dem geschilderten Versuch mit grösster Deutlichkeit ein, so dass 
jetzt die Novokainwirkung untersucht werden konnte. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 183 


Grosse Dosen Novokain (in den meisten Fällen 6—8 cem 1%, 
bei Katzen von etwa Il kg) lähmen auch die motorischen Nerven- 
enden im Muskel und heben damit die Enthirnungsstarre 
völlig auf. Reflexe auf den Triceps sind nicht mehr aus- 
zulösen, die indirekte Erregbarkeit erlischt. Dagegen ist 
der Muskel selbst (meist unvermindert) noch direkt er- 
reobar. 


III. Die Wirkung kleiner Novokaindosen auf den Skelettmuskel 
normaler Katzen. 


Die bisher geschilderten Versuche gaben zu der Frage Anlass, ob 
es auch bei normalen, nicht dezerebrierten Tieren gelingt, durch kleine 
Novokaindosen die proprioceptive sensible Innervation eines bestimmten 
Muskels vorübergehend bei erhaltener aktiver Beweglichkeit aus- 
zuschalten und die Ausfallserscheinungen zu studieren. Auch diese 
Experimente wurden hauptsächlich am Triceps der Katze angestellt. 

Spritzt man einer Katze in den Triceps des einen Vorderbeines 
0,3—1,5 ecem, im Mittel 1 ccm pro Kilogramm einer 1% igen Lösung 
von Novokain — HCl, so entwickelt sich nach etwa 5 Minuten eine 
ganz auffallende Störung. Der Strecktonus des Ellbogens der injizierten 
Seite nimmt beträchtlich ab oder schwindet gänzlich, so dass passive 
Beugung des Unterarmes auf keinen Widerstand mehr stösst. Steht 
das Tier auf dem Boden, so kann man auf das Schulterblatt der Normal- 
seite einen sehr kräftigen Druck ausüben, ohne dass das Tier einknickt, 
während bei Druck auf das Schulterblatt der injizierten Seite das 
Vorderbein sofort nachgibt. Packt man das Tier am Becken und 
Nacken und lässt es allein mit dem normalen Vorderbein auf dem 
Tische stehen, so trägt dieses Vorderbein den Körper, während derselbe 
Versuch mit dem Vorderbein der injizierten Seite nicht gelingt und 
der Vorderkörper des Tieres auf den Tisch fällt, weil der Ellbogen 
widerstandslos nachgibt. Wenn das Tier läuft, se hinkt es auf dem 
betreffenden Vorderbein, indem es mit demselben im Ellbogen ein- 
knickt. Statt mit den Zehenballen tritt es mit der ganzen Sohle, ja 
häufig sogar mit dem ganzen Unterarm bis zum Ellbogen auf. Indem 
hierbei der Vorderkörper des Tieres sich dem Boden nähert, ist der 
Schritt, den dabei das intakte Vorderbein ausführt, verkürzt, während 
der Schritt mit dem injizierten Bein, während dessen das Normalbein 
den Vorderkörper in normalem Abstand vom Grunde stützt, länger 
ausfällt !). Infolgedessen findet das Laufen mit den Vorderbeinen im 
Jambentakt statt. Überhaupt können die Tiere trotz des Tonus- 
verlustes im einen Triceps sehr schnell laufen. Sie straucheln dabei 
wohl einmal nach der Seite des injizierten Beines, kommen aber doch 


1) Nicht zu verwechseln mit der S. 186 besprochenen Ataxie. 


184 G. Liljestrand und R. Magnus: 


schnell vorwärts. Die aktive Kontraktionsfähigkeit des be- 
treffenden Triceps ist dabei vollständig erhalten. Davon 
kann man sich erstens beim Laufen des Tieres überzeugen, wobei der 
Ellbogen stark gebeugt und gestreckt wird. Je nach dem Temperament 
der betreffenden Katze kann man die aktive Beweglichkeit auf ver- 
schiedene Weise prüfen. Beim Halten in der Luft in Bauch- oder 
Rückenlage, bei Versuchen des Tieres, zu kratzen, beim Kneifen der 
Pfote des anderen Beines, bei starker Dorsalbeugung des Kopfes, 
wenn das Tier auf dem Tische sitzt, und dergleichen kommt es zu 
kräftiger Streckung des Ellbogens durch aktive Kontraktion des 
Triceps, wovon man sich durch Betasten desselben und durch den 
Widerstand bei Beugung des Ellbogens überzeugen kann. Diese Kon- 
traktion ist aber immer nur von kurzer Dauer, solange eben die be- 
treffende kurze Bewegung ausgeführt wird, und macht dann wieder 
dem früheren Zustand der Tonuslosigkeit Platz. 

Der Grad, bis zu welchem im Einzelfalle der Tonus des eingespritzten 
Triceps schwindet, wechselt in den verschiedenen Versuchen. Meist 
ist der Tonus vollständig aufgehoben, oder es sind, im Vergleich zur 
Normalseite, nur noch geringe Spuren vorhanden. In einzelnen Fällen 
bleibt etwas mehr Tonus zurück, wobei es dann zweifelhaft bleibt, 
ob die Dosis ungenügend war, oder ob der Triceps in diesem Falle 
seinen Tonus reflektorisch mehr aus anderen Quellen bezog. Stets 
aber war in allen Versuchen ein ausserordentlich deutlicher Tonus- 
verlust des injizierten Triceps nachzuweisen. 

Die Deutung der Versuche stösst nach den Ergebnissen der vorher- 
gehenden Abschnitte auf keine Schwierigkeiten. Der Tonus des Skelett- 
muskels ist nach Brondgeest reflektorisch bedingt. Sherrington 
vor allem hat betont, dass die hauptsächlichste Tonusquelle für einen 
einzelnen Muskel in den proprioceptiven Erregungen zu suchen ist, 
die aus diesem Muskel selbst stammen. Ausserdem kommen aber, 
genau wie bei der Enthirnungsstarre (siehe oben S. 178), von anderen 
Körperstellen ausgehende reflektorische Erregungen hinzu. Durch die 
verwendeten kleinen Novokaindosen werden die sensiblen propriocep- 
tiven Nervenenden im Triceps gelähmt, ohne dass die Funktion der 
motorischen Nervenenden beeinträchtigt wird. Der Erfolg ist, dass 
der proprioceptive tonische Reflex vom Triceps auf den Triceps auf- 
gehoben wird, und dass nur noch der Rest von Tonus überbleibt, 
welcher von anderen sensiblen Nerven ausgelöst wird, und welcher 
von Fall zu Fall an Stärke wechselt. 

Der Schluss, dass der Tonus eines bestimmten Skelettmuskels eine 
Folge hauptsächlich der sensiblen Erregungen aus diesem Muskel selber 
sei, beruht bisher auf Versuchen mit Durchschneidung der Hinter- 
wurzeln, wobei es natürlich niemals möglich gewesen ist, die proprio- 


Über die Wirkung des Novokains usw. 185 


ceptiven Bahnen von einem einzelnen Muskel getrennt zu durch- 
schneiden. Daher sind die hier geschilderten Experimente von be- 
sonderem Interesse, weil es in ihnen zum ersten Male gelungen ist, 
die Proprioceptoren eines einzelnen Muskels bei erhaltener Motilität zu 
lähmen und die Folgezustände festzustellen. Das Ergebnis ist über 
Erwarten deutlich ausgefallen und spricht für die Richtigkeit der 
Anschauung von Sherrington: der Tricepstonus ist hauptsächlich 
ein proprioceptiver Reflex vom Triceps selbst. 

Durchschneidet man die Hinterwurzeln zu einem Vorderbein, so 
ist der Triceps in den ersten Tagen ganz schlaff bei erhaltener aktiver 
Beweglichkeit. Nach etwa einer Woche bekommt der Muskel aber 
wieder Tonus, der im Laufe der Zeit dann weiter zunimmt und durch 
tonische Reflexe aus anderen Körpergegenden bedingt ist. Bei diesem 
und ähnlichen Versuchen erhebt sich die Frage, ob der erste tonuslose 
Zustand des Muskels ausschliesslich durch die Durchtrennung der 
sensiblen Nerven oder durch den Schock der Operation bedingt ist, 
und ob andererseits der nach einiger Zeit wieder auftretende Tonus 
auf Abklingen des Schocks beruht oder darauf, dass die Zentren des 
betreffenden Muskels für die anderen afferenten Erregungen im Laufe 
der Zeit erregbarer werden. Es erhebt sich also hier dieselbe Frage, 
wie sie von Munk !), Trendelenburg ’; u. a. für die Folgen der 
Querdurchtrennung des Rückenmarkes erörtert worden ist. Der Aus- 
fall der hier geschilderten Versuche spricht sicherlich dafür, dass die 
proprioceptiven Erregungen vom Muskel selbst in der Norm den Haupt- 
anteil an dem Entstehen des Muskeltonus besitzen, dass nach ihrem 
Fortfall der Muskel ganz oder nahezu schlaff wird, und dass, wenn 
nach einer Hinterwurzeldurchschneidung nach einiger Zeit: wieder 
Muskeltonus auftritt, dieses auf einer zunehmenden Erregbarkeit der 
betreffenden motorischen Zentren für afferente Erregungen beruht. Denn 
man kann sich nicht vorstellen, dass nach der peripheren Lähmung der 
sensiblen Muskelnerven durch Novokain Schock im Zentrum auftritt. 

Hierfür spricht auch, dass mit dem Abklingen der Novokainwirkung 
alsbald die Funktion sich wieder vollständig herstellt. Gewöhnlich 
dauert der oben geschilderte Symptomenkomplex 15—20 Minuten. 
Nach %,— 3/, Stunde sind Tonus und Bewegungen im injizierten Vorder- 
bein wieder völlig normal. 

Die bisherige Schilderung gilt im wesentlichen für den Triceps. 
Dasselbe Symptomenbild lässt sich aber, wenn auch nicht mit der- 

1)H. Munk, Über das Verhalten der niederen Teile des Cerebrospinal- 
systems nach der Ausschaltung höherer Teile. Berl. Akad. Sitzungsber. 
1909 (2), 1106. 

2) W. Trendelenburg, Die Methode der reizlosen Ausschaltung am 


Gehirn und die Theorien der physiol. Hirnpathologie. Z. ges. exp. Med. 
Bd. 3 S. 328. 1914. 


186 G. Liljestrand und R. Magnus: 


selben Deutlichkeit, am Gastrocnemius hervorrufen, wie ein Versuch 
zeigte, in welchem Tonusverlust des betreffenden Fussgelenkes bei 
passiver Beugung, Sohlenstand, Einknicken bein Laufen, Hinken und 
Sohlengang bei erhaltener aktiver Beweglichkeit beobachtet wurde. 
Doch ist nach den bisher gemachten Erfahrungen für Demonstrationen 
der Triceps vorzuziehen, bei welchem der geschilderte Erfolg mit 
grosser Regelmässigkeit eintritt, während am Hinterbein die anatomische 
Anordnung der Muskeln derartig ist, dass wahrscheinlich Tonusverluste 
eines einzelnen Muskels weniger schwere Symptome machen. 

Nach Durchschneidung der Hinterwurzeln zu einem Vorderbein 
ist neben der Muskelschlaffheit die hervorstechendste Folgeerscheinung 
die Ataxie, welche sich in einem abnorm grossen Ausmaasse der 
Bewegungen äussert, so dass beim Laufen die Vorderpfote sehr weit 
nach oben und vorn, manchmal bis über das Ohr hinaus, gehoben 
wird. Nach Novokaininjektion in den Triceps tritt eine derartige 
Ataxie niemals auf. Es war deshalb zu untersuchen, ob, wenn man 
ausser dem Triceps noch einige andere wichtige Muskeln und Gelenke 
des Armes asensibel macht, dann Ataxie auftritt. Zu diesem Zwecke 
wurden in verschiedenen Kombinationen und insgesamt der Triceps, 
Biceps, Supraspinatus, Infraspinatus, Subscapularis sowie Schulter-, 
Ellbogen- und Handgelenk mit Novokain eingespritzt. Danach trat 
völlige Erschlaffung des Ellbogens, Erschlaffung der Schulterstrecker, 
unvollständige Erschlaffung der Schulterbeuger auf. Das betreffende 
Vorderbein konnte in Schulter und Ellbogen gut aktiv bewegt werden 
und nahm beim Stehen und Laufen ganz abnorme Stellungen 
an. Die oben erwähnten ausfahrenden ataktischen Bewegungen 
waren aber nicht zu beobachten. Ob das Auftreten derselben durch 
die erhaltene Sensibilität der übrigen, nicht eingespritzten Muskeln 
(oder der Haut ?) verhindert wurde, ist ohne besondere Versuche nicht 
zu entscheiden. 

Die in diesem Abschnitte beschriebenen Versuche haben 
gezeigt, dass durch Einspritzung kleiner Novokaindosen 
(durchschnittlich 1 cem pro Kilogramm }%iger Lösung) in den 
Triceps von Katzen bei völlig erhaltener aktiver Beweg- 
lichkeit Erschlaffung des Muskels, Tonusverlust und da- 
durch bedinste charakteristische Bewegungsstörungen auf- 
treten, welche auf eine vorübergehende Lähmung der pro- 
prioceptiven Muskelnerven zurückgeführt werden müssen. 

Da es demnach durch Novokaimeinspritzung in den Muskel möglich 
ist, einen Zustand vorübergehend zustande zu bringen, der bisher beim 
Menschen nur durch die Förster ’sche Operation (Hinterwurzeldurch- 
schneidung) erreicht werden konnte, so erscheint es wünschenswert, 
dieses Verfahren auch klinisch zu verwenden, sei es zu diagnostischen 


Über die Wirkung des Novokains usw. 137 


Zwecken, um festzustellen, ob eine vorhandene Muskelspannung durch 
proprioceptive Reflexe bedingt ist oder auf Kontraktur beruht, sei es 
bei orthopädischen Maassnahmen, wenn man einen Muskelspasmus 
vorübergehend aufheben will, was bisher nur durch tiefste Allgemein- 
narkose möglich war bzw. die Tenotomie nötig machte. Über die 
praktischen Ergebnisse dieses Verfahrens beim Menschen kann hoffent- 
lich in einer folgenden Mitteilung berichtet werden !). 


IV. Die Wirkung des Novokains auf den tetanusstarren 
Skelettmuskel. 


Nachdem sich in den bisher geschilderten Versuchen ergeben hatie, 
dass kleine Novokaindosen die proprioceptiven Muskelnerven lähmen, 
und dass es hierdurch sowohl beim normalen wie beim dezerebrierten 
Tier zu einer hochgradigen Muskelerschlaffung bei völlig unverändert 
erhaltener Motilität kommt, musste nunmehr untersucht werden, ob 
diese selbe Wirkung auch am tetanusstarren Muskel eintritt, 
und welcher Einfluss dadurch auf die Starre ausgeübt wird. 

Im ganzen wurden bei elf Katzen, deren Gewicht von 0,6—3,7 kg 
schwankte, Dosen von 0,3—1 ccm einer Y, %igen Lösung eines gut 
wirksamen Tetanustrockentoxins in den Muskelbauch des Triceps 
_ eingespritzt. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass sich die Starre 
anfangs ausschliesslich auf den injizierten Triceps beschränkt und 
erst sehr spät und in schwächerem Grade auf benachbarte Muskeln, 
den Biceps und die Schultermuskeln, übergreift. Die Starre begann, 
je nach der Grösse der Tiere und der Höhe der Dosis, nach 2—3 Tagen, 
nur einmal war (bei einem Tiere von 1,3 kg) bereits nach 24 Stunden 
der erste Anfang der Starre nachzuweisen. Wir haben dann die Tiere 
in wechselnden Zeiten nach dem Starrebeginn, bis zu 7 Tagen nachher, 
untersucht. Niemals kam es dabei zu allgemeinem Tetanus, nur in 
einem Falle befand sich das Tier gerade an der Grenze des Auftretens 
von allgemein gesteigerter Reflexerregbarkeit. 

Die Starre entwickelte sich in der Weise, dass anfangs nur ein 
gesteigerter Widerstand gegen passive Beugung im Ellbogengelenk 
nachweisbar war, dass aber der Ellbogen bei Willkürbewegungen des 
Tieres und nach Kneifen der Pfote noch vollständig gebeugt werden 
konnte, wobei der vorher deutlich starre Muskel vorübergehend total 
erschlaffte; daran schloss sich dann ein Stadium, in welchem der 
Triceps bei derartigen Beugebewegungen nur noch teilweise, aber 
nicht mehr vollständig erschlaffte, und schliesslich erfolgte (nach 5 bis 


1) Inzwischen hat sich herausgestellt, dass man in Fällen von spastischer 
Lähmung am Menschen durch Einspritzen von 1loigem Novokain die 
Spasmen bei erhaltener aktiver Beweglichkeit aufheben oder hochgradig 
vermindern kann. (Klinik von Prof. Winkler.) 


188 G. Liljestrand und R. Magnus: 


6 Tagen) weder spontan noch auf Pfotenkneifen eine Beugung des 
Ellbogens und eine Erschlaffung des Triceps. Daraus folgt, dass im 
Beginn der Starre der Triceps bei Beugebewegungen des Ellbogens 
noch durch reciproke Innervation (Sherrington) gehemmt werden 
kann, dass also die durch Sherrington gefundene Aufhebung der 
reciproken Hemmung durch Tetanustoxin !) in den ersten Stadien der 
Starreentwicklung noch nicht vorhanden ist und sich erst allmählich 
ausbildet, also ein sekundärer Prozess ist, welcher erst später dazu 
kommt. 

Die Starre war in allen unseren Fällen rein zentral bedingt und 
war nicht durch die von Gumprecht ?) und von Fröhlich und 
H. Meyer) beschriebene sekundäre, Verkürzungskontraktur kom- 
pliziert. Sie schwand nach Durchschneidung des Plexus brachialis 
vollständig (in zwei Fällen nach zweitägiger Dauer der Starre, einmal 
nach 3 Tagen, zweimal nach 5 Tagen). In einem Versuche liess sie 
sich durch Einspritzung einer grossen Novokaindosis, welche die in- 
direkte Erregbarkeit des Triceps vom Nerven aus vernichtete, voll- 
ständig aufheben. 

Nach unseren Erfahrungen können wir daher die Methode der 
intramuskulären Impfung mit -Tetanustoxin für das Studium der 
lokalen Muskelstarre durchaus empfehlen. 

In einer ersten Versuchsreihe wurden die Katzen einseitig injiziert 
und darauf in sehr verschiedenen Stadien von eben beginnender bis 
zu hochgradiger Starre von mehrtägiger Dauer untersucht. Wir haben 
die Tiere nicht dezerebriert, weil die Enthirnungsstarre das Bild der 
Tetanusstarre sonst getrübt ‚hätte. Sie wurden vielmehr dekapitiert. 
Man erhält dann ein sehr gutes Reflexpräparat ohne Enthirnungsstarre, 
bei welchem der Unterschied zwischen dem tetanusstarren Triceps 
der einen und dem völlig schlaffen, aber reflektorisch gut erregbaren 
Triceps der anderen Seite ausserordentlich deutlich ist und sowohl 
durch den Widerstand gegen passive Beugung im Ellbogen wie durch 
die verschiedene Haltung der Vorderbeine bei symmetrischer Rücken- 
lage des Tieres mit Schärfe festzustellen ist. Zur Gewinnung eines 
zahlermässigen Ausdruckes bestimmten wir auch hier jedesmal den 
Winkel, bei welchem bei passiver Beugung im Ellbogen zuerst ein 
muskulärer Widerstand im Triceps fühlbar wurde. Dann wurde in 
den tetanusstarren Triceps 1%ige Novokainlösung eingespritzt und 


1) ©. S. Sherrington, On reciprocal innervation of antagonistie 
muscles. 8. note. Proc. Roy. Soc. B. vol. 76 p. 269. 1905. 

2) F. Gumprecht, Versuche über die physiol. Wirkungen des Tetanus- 
giftes im Organismus. Pflüger’s Arch. Bd. 59 S. 105. 1894. 

3) A. Fröhlich u. H. H. Meyer, Untersuchungen über den Tetanus. 
Schmiedeberg’s Arch. Bd. 79 S. 55. 1915. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 189 


festgestellt, bei welchen Novokaindosen eine teilweise und eine voll- 

ständige Lösung der Starre erfolgte. Meist wurde zur Kontrolle auf 

der normalen Seite die gleiche Menge 0,9 %,ige Kochsalzlösung injiziert, 
die stets ohne jede Wirkung blieb. 

Zar Prüfung der reflektorischen Erregbarkeit des Triceps benutzten 
wir entweder den gekreuzten Streckreflex auf Kneifen der Pfote des 
gegenseitigen Vorderbeines, meist aber den hierfür sehr geeigneten, 
auf S. 173 beschriebenen ‚‚Tricepsreflex‘‘ auf Beklopfen des Endgliedes 
des zu prüfenden Vorderbeines, worauf eine Streckung des Ellbogens 
erfolgt, die durch Tricepskontraktion bedingt ist, welche sich meist 
durch Betasten des Triceps durch die Haut hindurch als solche direkt 
fühlen lässt. 

Nach vollständiger Lösung der Starre wurde beiderseits der Plexus 
brachialis freigelegt, der Triceps von Haut entblösst und der Schwellen- 
wert für die indirekte faradische Erregbarkeit des Triceps und für 
die direkte Erregbarkeit in Kronecker-Einheiten festgestellt. 

Die folgenden Protokolle mögen als Beispiele für das Verhalten 
bei beginnender und bei sehr hochgradiger Tetanusstarre dienen: 

Versuch IX. Kätzchen von 1 kg. 

18. Nov. 11h vorm. Injektion von 0,35 ccm Y/s/oiger Tetanustoxinlösung in 
den rechten Triceps. 

19. „ Noch keine Starre mit Sicherheit nachzuweisen. 

20. „  9V/eh. Deutliche Starre im rechten Triceps. Widerstand im Ellbogen 
bei etwa 90°. Streckstand des rechten V orderbeines, wenn das Tier 
frei in der Luft gehalten wird. Das Bein kann aber aktiv ziemlich 
vollständig gebeugt werden. Das Tier läuft gut. 

20. „ 10h. Athernarkose, Tracheotomie, Vagi durehtrennt, Karotiden ab- 
gebunden. Dekapitieren nach Sherrington. Danach Äther ab- 
gestellt. Tonische Starre im rechten Ellbogen deutlich. Wider- 
stand bei etwa 70 -45°. 

20. „ 11h 15’. Lebhafte Reflexe des Hintertieres (Patellarreflexe, Kratz- 
reflex, Laufbewegungen). Linkes Vorderbein in Rückenlage voll- 
ständig gebeugt, ohne Tonus. Am rechten Vorderbein steht der 
Unterarm senkrecht nach oben, Ellbogen 135°, deutliche Starre des 
Triceps. An beiden Vorderbeinen lebhafte gleichseitige Beugreflexe. 


20. „ 11530’. Ye ccm 1°/oiges Novokain in den rechten Triceps, !/s ccm 
phys. NaCl-Lösung in den linken Triceps injiziert. 

20. „ 11435’. Stellungsunterschied der beiden Vorderbeine noch deut- 
lich. Widerstand gegen passive Beugung im rechten Ellbogen etwas 
vermindert. 

20. „ 11h 37. "a ccm 1°oiges Novokain in den rechten, ’/; ccm NaCl 
in den linken Triceps. 

20. „ 11h 42’. Stellungsunterschied beider Vorderbeine verschwunden. 


Bei passiver Beugung noch ein etwas grösserer Widerstand im 
rechten Ellbogen als im linken. 
„ 11h 45’ Ya ccm 1%oiges Novokain in den rechten, !/ ccm NaCl in 
den linken Triceps. 
20. „ 115 50’. In Ruhe kein Stellungsunterschied und kein Widerstands- 
unterschied im rechten und linken Ellbogen. Auf Kneifen beider 


20. 


190 G. Liljestrand und R. Magnus: 


Vorderpfoten rechter Ellbogen etwas mehr gestreckt als links, aber 
kein stärkerer Widerstand rechts als links. Tricepsreflex beider- 
seits deutlich. Nach einer Minute Stellungsunterschied verschwunden. 

20. Nov. 11h 55'. Ys cem 1%oiges Novokain rechts, V/ı ccm NaCl links in 
den Triceps. 

„ 124. Stellungsunterschied völlig geschwunden. Kein 
Widerstandsunterschied gegen passives Beugen beider Ell- 
bogen, auch nicht nach Pfotenkneifen. Tricepsreflex beider- 
seits deutlich. 

Präparation des Plexus brachialis und Freilegung des Triceps 
beiderseits. Faradische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extra- 
widerstand im sek. Kreis. i 

Erregbarkeit: indirekt links 400 Kr., rechts 600.Kr., 

& direkt He 2800 5, 3.1700%25 

Danach Tricepsreflex beiderseits noch deutlich vorhanden, ver- 
schwindet auf Durchtrennung des Plexus. 


Ergebnis: Die 2 Tage nach intramuskulärer Toxineinspritzung 
deutlich ausgesprochene lokale Starre des Triceps ist nach dem De- 
kapitieren unverändert erhalten. Sie nimmt nach Einspritzung von 
1%, cem 1%igem Novokain wenig, nach 1 ccm fast völlig ab und ist 
nach 13/4 ccm total aufgehoben. Dabei lässt sich aber der Muskel 
im Tricepsreflex noch unverändert gut vom Zentrum aus erregen, die 
indirekte und direkte faradische Erregbarkeit sind noch gut erhalten 
(wenig herabgesetzt). 

Versuch X. Katze 1,9 kg. 


18. Nov. 11h vorm. 0,35 ccm Y/4P/oiges Tetanustoxin in den rechten Triceps. 
19: Keine Starre. 


20. 


20. „ Starre im rechten Triceps wird deutlich. 
21. „  Starre stärker. 
22. „ Sehr starke Starre im rechten Triceps. Starker Widerstand bei 90°. 


Kann noch gut springen und klettern, setzt aber die rechte Vorder- 
pfote manchmal mit dem Rücken auf. 

23.  „  ÖSehr kräftige Starre des rechten Ellbogens, nicht im Fussgelenk, 
dagegen wahrscheinlich etwas in der Schulter, nicht im Biceps. 
Läuft und klettert unter Mitbenutzung des rechten Vorderbeins, 
welches dabei noch bis auf 90° gebeugt werden kann. Bei Kopf- 
senken in Fussstellung kann der rechte Ellbogen selbst bis auf 70° 
gebeugt werden. Sonst ist der Widerstand des Ellbogens aber bei 
135°. Starre ausserordentlich kräftig. Kein allgemeiner Tetanus, 
keine Steigerung der Reflexerregbarkeit. 

23. „ 10%. Dekapitieren in Athernarkose, die danach abgestellt wird. So- 
fort danach beiderseits gute Tricepsreflexe. Widerstand im rechten 
Ellbogen bei 80°. 


23. „ 10h 31”. 1 cem 1°Poiges Novokain rechts, 1 ccm Ringer links 
in den Triceps'). 

23. „ 105 36’. Starre nur wenig vermindert, Widerstand bei 50°. Tri- 
cepsreflex beiderseits gut. 

23. „105 38’. 1 cem 1%oiges Novokaiu rechts, 1 ccm Ringer links in 


den Triceps. 
1) Die Dosis wurde doppelt so gross genommen als im vorigen Versuch, 
weil das Tier etwa doppelt so schwer war. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 191 


23. Nov. 10h 44’. Starre hat deutlich abgenommen, ist aber nicht völlig 
geschwunden. Widerstand bei 40—45°. Tricepsreflex deutlich. Die 
Starre ist zum grösseren Teil geschwunden, aber ein zweifelloser 
Rest ist noch vorhanden. 

23. „ 10h 46’. 1 ccm 1°oiges Novokain rechts, 1 cem Ringer links in 
den Triceps. 

33. „ 10553’. Starre gering,aberdochnochetwasvorhanden. 
Geringer Widerstand beietwa30° Tricepsreflex rechts 
sehr deutlich, stärker als links. In Rückenlage ist der 
rechte Ellbogen nur wenig mehr gestrecktalsder linke. 


23. „ 10h 58’. 1 cem 1°/oiges Novokain rechts, 1 ccm Ringer links in 
den Triceps. 
233. „ 11h 8’ Starre rechts vollständig geschwunden. Kein Stellungs- 


unterschied in Rückenlage, kein Widerstandsunterschied im rechten 
und linken Ellbogen. Tricepsreflex links deutlich; rechts erfolgt 
dagegen keine Bewegung im Triceps, nur in der Schulter. 
Beiderseits Freilegung des Plexus brachialis und des Triceps. 
Faradische Erregbarkeit: indirekt links 100—150 Kr., 
rechts unerregbar (2000 Kr. 
unsichere Reaktion), 
direkt links 900 Kr., rechts 
1500 Kr. 

Ergebnis: Die Starre des Triceps beginnt 2 Tage nach der Toxin- 
injektion und ist nach 5 Tagen sehr stark ausgebildet. Sie bleibt nach 
dem Dekapitieren erhalten. Nach 1 ccm 1%igem Novokain wird sie 
wenig, nach 2 und 3 ccm dagegen sehr beträchtlich und bis auf einen 
kleinen Rest vermindert. Dabei ist die reflektorische Erregbarkeit 
des Triceps vom Zentrum aus noch unvermindert erhalten. Erst auf 
4 ccm schwindet die Starre vollständig, die reflektorische Erregbarkeit 
und die indirekte faradische Erregbarkeit vom Nerven aus sind dann 
erloschen, die direkte Muskelerregbarkeit dagegen erhalten. 

Die übrigen Versuche führten zu dem gleichen Ergebnis. Sie sind 
hier in Tabellenform zusammengestellt. 


Te Eee 


Ge- \ regbarkeit barkeit 
Nr £ kain- pro nn — Starre 
Ze icht dosis kg Novo- Nor- | Novo- Nor- | schwindet 
= kain-  mal- | kain- | mal- 
kg ccm ccm seite | seite seite | seite 
4 0,60 13/4 2,9 500 250 2000 | 1000 | fast völlig 
7 1,25 1!/a 1,2 70 50 2250 1750 | total 
24 3,6 3 0,8 15 | 25 1000 1000 | fast völlig 
29 1,3 1 0,8 50 50 400 500 | total 
30 3,4 4 1,2 20 20 400 400 L; 
sl 2,7 5) 1,85 10 20 200 | 300 5 


Die Versuche 4 und 7 dieser Tabelle sind genau in der gleichen 
Weise angestellt wie die oben ausführlich als Protokolle wiedergegebenen 
Versuche 9 und 10. In den übrigen Versuchen 24—31 war das Tetanus- 


192 G. Liljestrand und R. Magnus: 


toxin beiderseits in den Triceps injiziert; nach Entwicklung der 
Starre wurde dekapitiert und darauf Novokain nur an einer Seite 
eingespritzt (an der anderen Seite wurden die Hinterwurzeln durch- 
schnitten), so dass am Schlusse die faradische Erregbarkeit mit und 
ohne Novokain an zwei Muskeln verglichen werden konnte, welche 
beide unter dem Einflusse von Tetanustoxin gestanden hatten. Gerade 
in diesen letzteren vier Versuchen ist nun durch Novokaindosen, welche 
die Starre dreimal total und einmal fast völlig zum Verschwinden 
brachten, wobei stets die Erregbarkeit des Muskels vom Zentrum aus 
unbeeinträchtigt blieb, die indirekte faradische Erregbarkeit des Triceps 
vom Nerven aus quantitativ unvermindert geblieben. Diese 
Versuche sind also gerade besonders beweisend. In den Versuchen 4— 10, 
in welchen das Toxin nur einseitig injiziert worden war, fand sich auf 
der Seite der Tetanusstarre nach Injektion kleiner Novokaindosen. meist 
eine etwas, wenn auch nur unbedeutend geringere indirekte und direkte 
Erregbarkeit als auf der Normalseite. Hierdurch wird es wahrscheinlich, 
dass diese leichte Verminderung der Erregbarkeit nicht auf Kosten 
des Novokains, sondern des Tetanustoxins zu setzen ist, besonders 
da durch Gumprecht gezeigt wurde, dass bei längerer Dauer der 
Tetanusstarre die Erregbarkeit des Muskels durch den elektrischen 
Strom allmählich abnimmt. 

Diese Versuche zeigen also übereinstimmend, dass 'es 
durch die verwendeten kleinen Novokaindosen geradeso 
wie bei der Enthirnungsstarre so auch bei der Tetanus- 
starre gelingt, die Dauerkontraktion des Muskels entweder 
total oder in anderen Versuchen bis auf einen kleinen 
unbedeutenden Rest zum Verschwinden zu bringen, ohne 
die reflektorische Erregbarkeit vom Zentrum aus zu be- 
einträchtigen, und ohne die indirekte faradische Erreg- 
barkeit vom Nerven aus wesentlich zu vermindern. Letz- 
tere kann vielmehr quantitativ unverändert bleiben. 

Damit ist der tatsächliche Befund, den E. Meyer und Weiler 
am Biceps des Menschen erhoben haben, vollinhaltlich beim Tiere 
bestätigt worden. 


Nachdem sich herausgestellt hatte, dass man die lokale tetanische 


Muskelstarre beim dekapitierten Tiere durch kleine Novokaindosen 


lösen kann, welche den Muske! und den motorischen Nerven nicht 
lähmen, musste nunmehr geprüft werden, ob dasselbe auch beim in- 
takten Tiere mit erhaltenem Gehirn gelinst. Es ergab sich, dass dieses 
tatsächlich der Fall ist. 

Zwei Versuchsprotokolle mögen als Beispiel dienen. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 193 


Versuch XXIX. Katze 1,28 kg. 
14. Jan. 1919 5\/’eh. Einspritzung von je 0,4 cem '/sP/oiger Tetanustoxin- 
lösung beiderseits in den Triceps. 


16. „  Beginnende Starre des rechten Triceps, links noch keine Starre. 

17. „ Beiderseits Starre im Triceps. Bei Rückenlage des Tieres Ellbogen 
links 90°, rechts 170°. 

17. „ 457’. 1 cem 1%oiges Novokain in den rechten Triceps. 

17. „ 95h. In Rückenlage linker Ellbogen 90°, rechter Ellbogen 45° (!). 


Starkes Einknicken beim Laufen im rechten Ellbogen. Kurz darauf 
Starre vollständig geschwunden. Sohlengang rechts. Bei 
Druck auf das linke Schulterblatt beim stehenden Tiere fühlt man 
einen kräftigen Widerstand, bei Druck auf das rechte Schulterblatt 
dagegen keinen Widerstand, und das Tier knickt ein. Wird das 
Tier an Kopf und Becken gehalten und mit einem Vorderbein auf 
den Tisch gestellt, so kann es auf dem linken Vorderbein stehen, 
auf dem rechten dagegen nicht und knickt sofort ein. Sehr starkes 
Hinken mit dem rechten Vorderbein beim Laufen. — Der rechte 
Ellbogen kann aber aktiv völlig gestreckt werden. 

17. „ 57’. Läuft schnell durch das Zimmer unter starkem Hinken mit 
dem rechten Vorderbein. Rechter Triceps völlig schlaff. Beim 
Kneifen der linken Pfote wird der rechte Ellbogen völlig ge- 


streckt. 
17. „ 5515’ Tonus im rechten Triceps kehrt allmählich zurück. Hinkt 
nicht mehr. Kein Sohlengang. In Rückenlage beide Ellbogen 90°. 
17. „ 530’. Starre im rechten Ellbogen rechts wieder stärker als links. 


Versuch XXX. Katze 3,4 kg. 
20. Jan. 1919 21/eh. Injektion von je 1 ccm "/4P/oigem Tetanustoxin beider- 
seits in den Triceps. 


8  „ Beginnende Starre im rechten Triceps. 
24. „ Beiderseits Starre im Triceps. 
27. „ Sehr deutliche Starre beiderseits (ca. 110—135°). 
27. „ 3h 44’. 5 ccm 1’/oiges Novokain (1,5 ccm pro Kilogramm) in den 
rechten Triceps. 
27. „ 3146’. Einknicken mit dem rechten Vorderbein beim Laufen. 


Rechter Ellbogen passiv völlig beugbar, was vorher nicht möglich 
war. Sohlengang des rechten Vorderbeines. 

3h 50° Tonus des rechten Triceps völlig geschwunden. Kann auf 
dem rechten Vorderbeine nicht mehr stehen und knickt sofort ein. 
Stärkstes Hinken. Tritt beim Laufen mit dem rechten Vorderbein 
bis zum Ellbogen auf. Aktive Streckung des rechten Ellbogens 
deutlich vorhanden. 

44h 10’. Starre des rechten Triceps beginnt zurückzukehren. 

„ 5h45'. Rechter Ellbogen 135°, starke Starre des rechten Triceps. 


27. 
27. 


Diese beiden Versuche zeigen, dass Einspritzen von kleinen 
Novokaindosen (0,3—1,5 cem 1%ige Lösung pro Kilogramm) in 
den tetanusstarren Triceps diesen in genau derselben 
Weise zur Erschlaffung bringt, wie das beim Triceps 
normaler Katzen der Fall ist und oben S. 183 eingehend ge- 
schildert wurde. Auch die Bewegungsstörungen sind genau die gleichen 
wie bei normalen Tieren. 

Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 176. 13 


194 G. Liljestrand und R. Magnus: 


Das Ergebnis sämtlicher derartiger Versuche ist in nachstehender 
Tabelle zusammengefasst. 


Dauer der | Gewicht Novokaindosis 


Nr. Starre der Tiere : com Erschlaffung 

; des Triceps 
Tage kg total | , pro kg 

24 2 3,6 2 0,55 völlig 

25 2 3,7 2 0,54 etwas 

— — 3 0,8 deutlich 

dr 3 — > 0,8 ” 

29 2 1,3 1 0,8 völlig 

30 5) 3,4 5 1,5 : 

3l 1 2,7 4 1,5 


” 


x 
= 


Man sieht, dass bei vier Tieren die verwendeten kleinen Novokain- 
dosen zu völliger Erschlaffung des in Tetanusstarre befindlichen Triceps 
führten, während bei einem Tiere die Erschlaffung deutlich, aber nicht 
total war. Auch hierin verhält sich der also tetanisch starre Muskel 
wie der normale Muskel. 

Da nun in den vorhergehenden Abschnitten gezeigt werden konnte, 
dass die verwendeten kleinen Novokaindosen den Muskel und den 
motorischen Nerven intakt lassen, dagegen die proprioceptiven sen- 
siblen Nervenenden im Muskel lähmen, und dass hierauf die am nor- 
malen Skelettmuskel beobachteten Novokainwirkungen beruhen, liest 
die Schlussfolgerung nahe, dass auch die Lösung der lokalen 
Muskelstarre beim Tetanus durch Novokain auf der peri- 
pheren Lähmung sensibler Muskelnerven beruht. 

Wenn dieser Schluss richtig ist, dann würde sich daraus weiter 
ergeben, dass die lokale Muskelstarre beim Tetanus aus- 
gelöst und unterhalten wird durch sensible Erregungen, 
welche grösstenteils in den starren Muskeln selbst ihren 
Ursprung nehmen, und welche nur deshalb zu der abnorm starken 
Muskelstarre führen, weil durch das Tetanusgift das Zentrum in einen 
Zustand von Übererregbarkeit versetzt worden ist. (Denn die An- 
nahme, dass das Tetanusgift die sensiblen Nervenenden im Muskel 
direkt erregt, darf als widerlegt angesehen werden !).) 

Um diese Folgerung auf ihre Richtigkeit zu prüfen, war es nötig, den 
Einfluss der Durchschneidung der Hinterwurzeln auf die lokale Tetanus- 
starre zu untersuchen und am selben Tier den Erfolg der Hinterwurzel- 
durchschneidung mit dem der Novokaineinspritzung zu vergleichen. 


1) ©. Brunner, Deutsche med. Wochenschr. 1894, S. 100. — F. Gum- 
precht, Deutsche med. »Wochenschr. 1894, S. 546 und Pflüger’s Arch. Bd. 59 
S. 105. 1894. — H. Meyer und F. Ransom, Schmiedeberg’s Arch. 
Bd. 49 S. 369. 1903. 


20. Jan. 


28. 


28. 
28. 


28. 
28. 


28. 
28. 


28. 
28. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 195 


Um einen guten Vergleich zu ermöglichen, wurde zunächst bei 
vier Katzen beiderseits Toxin in den Triceps eingespritzt und nach 
Entwicklung einer guten Tetanusstarre an beiden Vorderbeinen die 
zugehörigen Hinterwurzeln auf einer Seite durchschnitten. Darauf 
wurden die Tiere dekapitiert und in der üblichen Weise untersucht. 
Als Beispiel diene folgendes Protokoll: 

Versuch XXX. Katze 3,4 kg. 


1919 2!/eh, Injektion von je 1 ccm !/4°/oigem Tetanustoxin in den 
rechten und linken Triceps. 
Beginnende Starre im rechten Triceps. 
Starre beiderseits im Triceps. 
Deutliche, aber noch nicht maximale Starre der beiden Triceps. 
Beide Ellbogen können auf Pfotenkneifen noch völlig gebeugt 
werden. Ellbogen rechts 110°, links 70°. 
Sehr deutliche Starre beiderseits (110—135°). Linkes Vorderbein 
kann nicht mehr ganz gebeugt werden (bis etwa 70°). Rechtes 
Vorderbein kann noch nahezu gebeugt werden. Prüfung der Novo- 
kainwirkung am intakten Tier siehe oben S. 193. 
Starre beiderseits sehr kräftig, links 135°, rechts 90°. Links ist 
aktive Beugung nur bis 70—90°, rechts bis 30° möglich. Beide 
Ellbogen können aktiv völlig gestreckt werden. Noch keine all- 
gemein gesteigerte Reflexerregbarkeit. 
9h 30’. Athernarkose. Karotiden abgebunden, Vagi durchtrennt. 
Auf der linken Seite werden die Hinterwurzeln von (0, bis 
Th, unter Schonung der Vorderwurzeln durchtrennt und die 
Wunde geschlossen. Sofort danach in mitteltiefer Athernarkose 
starke Starre im rechten Triceps, während der linke 
Triceps völlig schlaff ist. Darauf Dekapitieren. Athernarkose 
abgestellt. Danach lebhafte Reflexe des Hintertieres. Gute Starre 
im rechten Triceps (90°), während die anderen Muskeln des rechten 
Vorderbeines tonuslos sind. Linker Triceps ganz schlaff. 
10h 15’. Ende der Operation. 
10h 35’. Gute Starre des rechten Triceps, linkes Vorder- 
bein ganz schlaff. Lebhafte Reflexe des Hintertieres. 
11h 20’. Dasselbe. Passive Bewegungen des rechten Ellbogens 
lösen lebhafte Bewegungen der Hinterbeine aus. 
11h 30’. 4ccm 1°%oiges Novokain in den rechten Triceps (1,2 ccm 
pro Kilogramm). 
11h 35’. Starre des rechten Triceps fast völlig geschwunden. 
11h 37’. Starre des rechten Triceps völlig geschwunden. Wird 
das Tier am Hinterkörper kräftig angepackt und hin und her be- 
wegt, so kehrt der Tonus des rechten Triceps vorübergehend etwas 
zurück. Passive Bewegungen des rechten Ellbogens lösen jetzt 
keine Reflexe auf das Hintertier mehr aus. 

Präparation beiderseits des Plexus brachialis und Freilegung 
des Triceps. Induktorium mit einem Akkumulator. 

Faradische Erregbarkeit des Triceps: 

Indirekt: links 20 Kr., rechts 20 Kr., 
Direkt: 3,4007 75, 400, 5, 

12h 05’. Starre im rechten Triceps kehrt zurück. Linker Triceps 
völlig schlaff. 
2h 07’. Sehr schöne Starre im rechten Ellbogen, über 90°. Bei 
passiven Bewegungen desselben lebhafte Bewegungen der Hinter- 


13 * 


196 G. Liljestrand und R. Magnus: 


beine. Linker Triceps völlig schlaff. Das Tier ist gegen Ende des 
Versuches an der Grenze der allgemeinen Reflexsteigerung. 

28. Jan. 2b 40’. Nach Durchschneidung des rechten Plexus brachialis rechtes 
Vorderbein völlig schlaff. 

28. „  2h 45’ Trachea abgeklemmt. Bei den Erstickungskrämpfen er- 
folgt maximale Streckung des linken Ellbogens durch Kontrak- 
tion des desensibilisierten linken Triceps. 

Sektion: Links Hinterwurzeln von 0, bis Th, völlig durch- 
trennt, alle Vorderwurzeln intakt. 


Die übrigen drei Versuche hatten genau das gleiche Ergebnis. Sie 
wurden 1, 2 und 4 Tage nach dem ersten Auftreten der lokalen Muskel- 
starre angestellt. 

Hieraus ergibt sich also, dass Durchschneidung der Hinter- 
wurzeln nach dem Eintritt der Muskelstarre dieselbe auf- 
hebt, und dass der Muskel dann auch nach dem Dekapitieren schlaff 
bleibt. Injiziert man dann in den tetanusstarren Muskel der Normal- 
seite eine kleine Novokaindosis, so erschlafft auch dieser Muskel. Diese 
Erschlaffung war in drei unserer Versuche (Nr. 29, 30 und 31) total, 
so dass der Triceps an beiden Seiten gleich schlaff war. In einem Ver- 
suche (Nr. 24) blieb nach Novokain noch eine Spur von Tonus zurück, 
so dass der Triceps auf der Seite der Hinterwurzeldurchschneidung 
schlaffer war als auf der Novokainseite. 

Diese Versuche zeigen, dass die lokale Muskelstarre 
nach Tetanusvergiftung sowohl ‚durch kleine Novokain- 
dosen wie durch Hinterwurzeldurchschneidung aufgehoben 
wird, und stützen die Schlussfolgerung, dass die Wirkung 
kleiner Novokaindosen bei der Tetanusstarre auf der Läh- 
mung der sensiblen Muskelnerven und dem dadurch be- 
dingten Fortfall proprioceptiver Erregungen beruht, welche 
die lokale Muskelstarre reflektorisch unterhalten. 

Gegen die Versuche mit Hinterwurzeldurchschneidung bleibt der 
Einwand übrig, dass durch diese Operation ein so grosser Schock 
gesetzt werde, dass hierdurch die Erschlaffung des tetanischen Muskels 
vorgetäuscht wird. Dieser Einwand war zu der Zeit, als Brunner 
und Gumprecht ihre grundlegenden Versuche ausführten, berechtigt, 
hat aber bei der jetzigen Art des Vorgehens einen grossen Teil seiner 
Bedeutung verloren. Jeder, der viel an dekapitierten Tieren experi- 
mentiert, weiss, wie auffallend gering an derartigen Präparaten die 
Schockerscheinungen selbst nach den schwersten Eingriffen am Zentral- 
nervensystem sind. Hochgradiger Schock wird schon dadurch aus- 
geschlossen, dass die lokale Starre im Vorderbein der anderen Körper- 
seite so kräftig nach der Wurzeldurchschneidung bleibt, und dass 
auch die Reflexe hier nicht abgeschwächt sind. Wenn aber das Tetanus- 
toxin die lokale Muskelstarre durch alleinige direkte Einwirkung auf 
das Rückenmark hervorriefe, ohne dass sensible Erregungen von der 


Über die Wirkung des Novokains usw. 197 


Peripherie dazukämen, und wenn die Tricepserschlaffung nach Hinter- 
wurzeldurchschneidung allein durch den Schock der Operation hervor- 
gerufen würde, so müsste es bei derartigen Tieren unmöglich sein, 
vom Zentrum aus durch direkte zentrale Erregungsmittel tonische 
Muskelkontraktionen hervorzurufen. Das ist nun aber wohl möglich. 
Bei der Erstickung erfolgt jedesmal kräftige tonische Kontraktion 
des desensibilisierten Triceps, deren Angriffspunkt bekanntlich im 
Rückenmark liegt (Versuch Nr. 24, 30 und 31). Ausserdem liessen sich 
in Versuch Nr. 24 lebhafte reflektorische Kontraktionen. des betreffen- 
den Triceps von anderen Körperstellen aus auslösen. Der Einwand, 
dass die Resultate der Hinterwurzeldurchschneidung durch Schock 
wesentlich getrübt seien, kann daher vernachlässigt werden. 

Um aber ganz sicher zu gehen, wurde in einem weiteren Versuche 
zuerst die einseitige Hinterwurzeldurchschneidung und erst 10 Tage 
später die intramuskuläre Tetanustoxin-Impfung vorgenommen. Im 
Gegensatz zu früheren Experimenten wurde das Gift an beiden 
Vorderbeinen injiziert, weil man nur dann Gelegenheit hat, am 
. gleichen Tier die Tetanusstarre des normalen und desensibilisierten 
Muskels zu vergleichen. Den Erfolg ersieht man aus nachstehendem 
Protokoll. 


Versuch XXXIII. Kätzchen 0,9 kg. 

21. Jan. 1919. Ya mg Atropin. Äther-Chloroformnarkose. An der rechten 
Seite werden die Hinterwurzeln von C-,, C,, Th, und Th, durch- 
schnitten, Vorderwurzeln intakt. 

22. „ Rechtes Vorderbein schlaff, aktiv beweglich. Ausgesprochene 
Ataxie mit weitem Ausfahren nach vorn beim Laufen. Radiale 
Zehe sensibel, entsprechend der nicht durchschnittenen Hinter- 
wurzel 0, '). 

23. „ Rechtes Vorderbein noch schlaff, bekommt aber doch gelegentlich 

schon wieder etwas Tonus in Schulter und Ellbogen. Aktive Be- 
weglichkeit sehr gut. Sehr starke Ataxie. 

Kann auf dem rechten Vorderbein allein etwas stehen, knickt 

aber deutlich ein. Strecktonus im rechten Ellbogen sehr gering, 

aber doch manchmal deutlich. Aktive Beugung und Streckung 
des rechten Ellbogens sehr deutlich. Läuft auf vier Pfoten. Starke 

Ataxie. 

28. „  Tonus im rechten Vorderbein sehr wechselnd, manchmal in Schulter 

und Ellbogen deutlich vorhanden, manchmal vollständig fehlend. 

„  Klettert unter starken Mitbewegungen des rechten Vorderbeines 

bis auf die Schulter. Rechtes Vorderbein noch immer schlaff, wird 
aber manchmal sehr deutlich tonisch innerviert. Besonders lässt 
sich dieses durch bestimmte Kopfstellungen hervorrufen. 

1. Febr. 0,5 ccm !4%oiges Tetanustoxin in den rechten und den 

linken Triceps. 7 

»„ Im linken Triceps deutlich beginnende Starre, Ellbogen kann 

noch aktiv gebeugt werden. — Der rechte Ellbogen ist schlaffer 


27. 


l)C. S. Sherrington, Transact. Roy. Soc. B. vol. 184 p. 685. Lon- 
don 1893. 


198 


5. Febr. 


m 


G. Liljestrand und R. Magnus: 


als der linke, manchmal ganz schlaff, manchmal hat er deutlichen 
Tonus, wie auch vor der Toxineinspritzung. 

Sehr gute aktive Beweglichkeit des rechten Vorderbeines, Sohlen- 
gang. Starre im linken Ellbogen sehr deutlich. — Auf dem 
rechten Vorderbein kann die Katze nicht stehen, sondern knickt 
sofort im Ellbogen ein. Der rechte Triceps ist viel schlaffer als 
der linke, hat aber manchmal, nicht immer, deutlichen Tonus. 
Wenn aber das rechte Vorderbein schlaff ist, ist keine Spur von 
Starre im rechten Ellbogen fühlbar. Zustand also wie vor der 
Toxininjektion. Aktive Beweglichkeit des rechten Ellbogens vor- 
trefflich. 

Deutliche Starre des linken Triceps. Starre 90° — Sehr schöne 
aktive Beweglichkeit des rechten Vorderbeines mit starker Ataxie. 
Im rechten Vorderbein sicher keine Starre Tier kann nicht 
auf dem rechten Vorderbein allein stehen. Rechter Ellbogen be- 
kommt bei willkürlicher Streckung schönen Tonus. 

10h 18°”. Injektion von 1ccm 1%oigem Novokainin den 
rechten Triceps. 

10h 25’. Zustand ganz ungeändert. Rechter Ellbogen aktiv be- 
weglich, gut streckbar, bekommt dabei deutlichen Tonus, sonst 
Triceps aber ganz schlaff. Tier kann nicht auf dem rechten Vorder- 
bein stehen. Klettert gut auf die Schulter. 

10h 30'. Dasselbe. Durch die verwendete Novokaindosis 
ist also der Zustand des desensibilisierten rechten 
Triceps nicht verändert. 

Zustand unverändert. 

Dasselbe. Starre des linken Ellbogens 90%. Keine Starre im 
rechten Triceps. Das Tier kann auf dem rechten Vorderbein allein 
nicht stehen und knickt sofort ein, Sohlengang, Ataxie. Tonus 
des rechten Triceps sehr wechselnd, manchmal deutlich vorhanden, 
manchmal völlig fehlend. 2 

9h 50’. In Athernarkose dekapitiert. Ather abgestellt. 
10h 10’. Sehr deutliche Starre im linken Triceps (90%. Keine 
Spur von Starre im rechten Ellbogen. 

11h 10’. Andauernd derselbe Zustand. Sehr deutliche Starre im 
linken Triceps, keine Spur von Starre im rechten Triceps. 

11h 21’. Erstickung. Dabei prächtige steife Streckung des rechten 
Ellbogens durch Tricepskontraktion. Danach wieder künstliche 
Atmung. Starre links 90°, rechte Null. 

Darauf werden, da nach Sherrington!) die proprioceptiven 
sensiblen Muskelnerven jeweils denselben Weg nehmen und in das- 
selbe Rückenmarkssegment eintreten wie die afferenten motorischen 
Nerven, die Vorderwurzeln nach Herausnahme des Rückenmarkes 
faradisch gereizt und der Effekt auf den blossgelegten Triceps 
beobachtet. Wirkungslos ist die Reizung von C,, O5, O,, O; (viel- 
leicht eine minimale Spur wirksam?) und Th. Kontraktion des 
Triceps erfolgt bei Reizung von C, (sehr stark) und von Th, 
(deutlich). 

Also ist durch die vorgenommene Hinterwurzeldurchschneidung 
C-—Th, der Triceps vollständig desensibilisiert gewesen. 


1) ©. 8. Sherrington: Expts. in examination of the peripheral dis- 


tribution of the fibres of the posterior roots of some spinal nerves. Trans. 
Roy. Soc. B. vol. 184 p. 641. London 1593. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 199 


Ergebnis: Nach einseitiger Hinterwurzeldurchschneidung (C, bis 
Th,) tritt an dem zugehörigen Vorderbein Tonusverlust und Ataxie 
bei ungestörter aktiver Beweglichkeit ein. Das Tier kann auf dem 
Beine dauernd nicht allein stehen, wenn auch vorübergehend deut- 
licher Tonus im Ellbogen fühlbar ist. Nach beiderseitiger Einspritzung 
von Tetanustoxin in den Triceps heginnt auf der Normalseite nach 
2 Tagen die lokale Starre, die in 6 Tagen allmählich an Stärke zunimmt. 
An der desensibilisierten Seite ist keine Tetanusstarre nachweisbar. 
Das Tier kann nicht einmal auf diesem Beine allein stehen, der Zustand 
des Trieceps ändert sich während der Beobachtungsdauer nicht nach- 
weislich. Einspritzung einer kleinen Novokaindosis ist auf der desensibili- 
sierten Seite (5 Tage nach der Toxininjektion) ohne jede Wirkung auf 
den Triceps. Nach dem Dekapitieren zeigt der Triceps der Normalseite 
deutliche Tetanusstarre, während der Triceps auf der desenbilisierten 
Seite keine Spur von Starre zeigt, aber bei der Erstickung mit kräftiger 
Kontraktion reagiert. 

Dieser Versuch zeigt auf das deutlichste, dass auch, wenn man den 
Schock der (einseitigen) Hinterwurzeldurchschneidung abklingen lässt 
und nun auf beiden Seiten gleiche Dosen von Tetanustoxin intramuskulär 
einspritzt, auf der Normalseite Starre eintritt, während sie innerhalb 
der Beobachtungszeit auf der desensibilisierten Seite ausbleibt. 

Hieraus folgt, dass die tetanische Muskelstarre ganz oder 
wenigstens grösstenteils ausgelöst wird durch afferente 
Erregungen, die in das (durch das Tetanustoxin in den Zustand 
der Übererregharkeit versetzte) Zentrainervensystem einströmen. 

Durch Hinterwurzeldurchschneidung werder sämtliche sensiblen 
Impulse, die von einem Körperabschnitte ausgehen, ausgeschaltet. 
Durch intramuskuläre Novokaineinspritzung werden nur die proprio- 
ceptiven Muskelnerven vorübergehend (und ohne dass die Möglichkeit 
von Schock besteht) geläihmt. Da auch hiernach (bei unveränderter 
zentraler und peripherer Motilität) die Starre ganz oder grösstenteils 
schwindet, so‘’folet, dass auch die Tetanusstarre, solange sie 
lokalisiert bleibt und nicht mit allgemeiner Reflexsteigerung gepaart 
geht, überwiegend unterhalten wird durch afferente pro- 
prioceptive Impulse, welche von den starren Muskeln 
selbst ausgehen. Wir haben also hier grundsätzlich denselben 
Vorgang wie beim Entstehen des normalen Muskeltonus und der 
Enthirnungsstarre, nur dass der Zustand des Zentralorganes örtlich 
durch das Gift verändert ist !). 


1) Im Zustande hochgradiger lokaler Tetanusstarre kann man durch 
passive Bewegungen des starren Gliedes häufig sehr deutliche „propriocep- 
tive“ Reflexe auf die anderen Gliedmaassen — Beuge- und Streckbewegungen — 
auslösen. 


200 G. Liljestrand und R. Magnus: 


Dass der Angriffspunkt des Giftes bei der lokalen Muskelstarre wirklich 
das Zentrum und nicht etwa, wie Autokratow!) und Courmont und 
Doyon?’) wollten, die sensiblen Nervenenden im tetanuskranken Gliede sind, 
nehmen wir nach den Versuchen von Gumprecht?) undvon Hans Meyer, 
Ransom und Fröhlich‘) als feststehend an. Es folgt das daraus, -dass 
Rückenmarksimpfung lokalen Tetanus erzeugt, und zwar nach sehr 
viel kürzerer Inkubationszeit als bei peripherer Einspritzung, und dass 
nach Sperrung der Nerven mit Antitoxin periphere Tetanustoxininjektion 
keine lokale Starre mehr hervorruft. 

Die oben geschilderten Versuche, nach denen Hinterwurzeldurchschnei- 
dung eine vorhandene Starre aufhebt und vorherige Hinterwurzeldurch- 
schneidung den Eintritt der Starre verhindert, stehen im Einklang mit 
alten Versuchen von Autokratow') und von Courmont und Doyon?). 
Dagegen liegen einige Versuche in der Literatur vor, die dem anscheinend 
widersprechen. Allerdings muss man hier alle diejenigen Experimente aus- 
schalten, bei denen nach Hinterwurzeldurchtrennung das Toxin in das 
Rückenmark selbst eingespritzt wurde. Denn dann bekommt man das 
Bild des Tetanus dolorosus, das mit heftigen sensiblen Erregungen im 
Rückenmark selbst gepaart geht und daher für die Deutung des Entstehens 
des normalen lokalen Tetanus nicht herangezogen werden kann, bei dem der 
Tetanus dolorosus fehlt. Vielmehr kann man hier nur Versuche benutzen, 
in denen periphere Tetanusimpfung und Hinterwurzeldurchschneidung 
kombiniert wurden und danach lokaler Tetanus auftrat. Dieser Forderung 
genügen zwei Versuche: 


1. Versuch von Gumprecht (Deutsche med. Woch. 1894, S. 546 
und Pflüger’s Archiv Bd. 59 S. 105. 1894). — Am 6. Februar werden einem 
Hunde von 6,5 kg auf der rechten Seite die Hinterwurzeln vom zweiten 
Lumbal- bis zum letzten Sacralsegment durchschnitten, was später bei der 
Sektion kontrolliert werden konnte. Am 7. Februar wird in das asensible 
rechte Hinterbein das Filtrat einer Tetanusboullionkultur eingespritzt. Da 
dieses ohne deutlichen Effekt bleibt, erhält das Tier am 19. Fe- 
bruar eine nochmalige Injektion mit einer Tetanuskultur. Am 23. Februar 
findet sich das rechte Hinterbein in steifer Streckstellung, sinkt aller- 

:-dings in der Ruhe herunter, geht aber sofort auf Hände- 
klatschen und (am folgenden Tage) auf Beklopfen des linken 
sensiblen Hinterbeines in steifste Streckstellung über. Am 
28. Februar allgemeiner Tetanus. 

In diesem Falle blieb also die lokale Muskelstarre im de- 
sensibilisierten Beine zunächst aus und trat erst zusammen 
mit der allgemeinen Reflexsteigerung auf. 


2. Versuch von Fröhlich und H. Meyer (Schmiedeberg’s 
Arch. Bd. 79 S. 67. 1915). — Kleines Kätzchen. Am 6. Juni 1907 Durch- 
schneidung aller Hinterwurzeln beiderseits vom zweiten Lumbal- bis zum 
letzten Sacralsegment und des Filum terminale — Am 10. Juni Ein- 


l) Autokratow, Rech. exper. sur le mode de production des contrac- 
tures dans le Tetanos. Arch. de med. exper. t. 4 p. 700. 1892. 

2) Courmont u. Doyon, Mechanisme de production de contracture 
du Tetanos. Arch. de physiol. t. 25 p. 64. 1893. 

8) F. Gumprecht, Versuche über die physiol. Wirkungen des Tetanus- 
giftes im Organismus. Pflüger’s Arch. Bd. 59 S. 105. 1894. 

4) H. Meyer u. F.Ransom, Unters. über den Tetanus. Schmiede- 
berg’s Arch. Bd. 49 S. 369. 1903. — A. Fröhlich u. H. Meyer, Unters. 
über den Tetanus,. Schmiedeberg’s Arch. Bd. 79 S. 55. 1915. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 201 


spritzung der enormen Dosis von 135000 + ms Tetanustoxin in den 
linken Ischiadicusstamm. — Am 12. Juni das injizierte Bein stark extendiert, 
steif. Typischer lokaler Tetanus. 

Leider fehlt in diesem Versuche die Kontrolle der Hinterwurzeldurch- 
schneidung durch die Sektion oder eine genaue Sensibilitätsprüfung. 

Diese Versuche zeigen, dass es gelingt, nach Hinterwurzeldurchschneidung 
durch maximale Tetanusvergiftung die Rückenmarkszentren in einen 
Zustand zu versetzen, dass sie auch von anderen afferenten Nerven aus er- 
regt werden können, was natürlich hier nicht bestritten wird. Da aber die 
Kontrollimpfung mit Tetanusgift auf der anderen Seite in beiden Versuchen 
fehlt, so lässt sich nicht beurteilen, ob das Normalbein nicht früher oder 
stärker reagiert hätte. Die in unserer Arbeit bewiesene Tatsache, dass 
durch Tetanustoxin vergiftete Rückenmarkszentren am schnellsten und 
leichtesten von den eigenen Proprioceptoren aus erregt werden, be- 
sonders wenn man mit mässigen Toxindosen arbeitet, wird durch diese 
Versuche nicht widerlegt. 


Betrachtet man nun auf Grund der gewonnenen Resultate die 
Beobachtungen von E. Meyer und Weiler am Menschen, so ergibt 
sich, dass auch beim Menschen die Tetanusstarre, und zwar auch 
nach monate- und jahrelangem Bestehen, hauptsächlich durch pro- 
prioceptive Reflexe der starren Muskeln (Rectus abdominis, Biceps, 
Masseteren) selbst unterhalten wird; denn sie lässt sich durch intra- 
muskuläre Injektion von Novokain bei unverändert erhaltener moto- 
rischer Innervation lösen. 

Die Erklärungsversuche von E. Meyer und Weiler, dass Novokain | 
eine unbekannte Wirkung auf den Muskel besitzt, und von H. Meyer 
und Fröhlich, dass durch die betreffenden Novokaininjektionen die 
gesamte motorische und sensible Innervation des Muskels aus- 
geschaltet sei, werden durch die hier erhaltenen Ergebnisse hinfällig 
und überflüssig. 

Interessant ist, dass die Starre beim Menschen sich noch nach so 
langer Dauer (bis über 2 Jahre) durch kleine Novokaindosen unter 
Erhaltung der Motilität lösen lässt. Daraus kann man schliessen, dass 
es nicht zur sekundären peripheren Kontraktur gekommen ist, dass 
daher eine solche nicht aufzutreten braucht, ebenso wie auch wir 


bei unseren Experimenten niemals eine derartige Kontraktur gesehen 
haben. 


Die in diesem Abschnitte geschilderten Versuche haben demnach 
zu folgendem Ergebnisse geführt: 

Die lokale Tetanusstarre lässt sich sowohl am normalen 
wie am dekapitierten Tiere durch kleine Novokaindosen, 
welche die proprioceptiven Muskelnerven lähmen, die 
motorische Innervation aber quantitativ intakt lassen, 
ganz oder bis auf einen kleinen Rest aufheben. Dasselbe 
wird durch vor- oder nachherige Durchschneidung der 


. 


202 G. Liljestrand und R. Magnus: 


Hinterwurzeln erreicht. Nach Durchtrennung der zuge- 
hörigen Hinterwurzeln ist intramuskuläre Einspritzung 
kleiner Novokaindosen in den tetanusstarren Muskel ohne 
jeden Einfluss. Die lokale Tetanusstarre wird zum grössten 
Teil bedingt bzw. unterhalten durch proprioceptive Im- 
pulse, welche von dem starren Muskel selbst dem durch 
das Tetanusgift affizierten Zentrum zufliessen. Die klini- 
schen Beobachtungen von E. Meyer und Weiler über die 
Lösung der tetanischen Muskelstarre beim Menschen er- 
klären sich ebenfalls durch die dabei eintretende Lähmung 
der sensiblen Muskelnerven. 


V. Weitere Beobachtungen über die tetanische Muskelstarre. 


Nachdem sich ergeben hatte, dass die tetanische Muskelstarre 
durch afferente, hauptsächlich proprioceptive Erregungen unterhalten 
wird, erhob sich erneut die Frage, wie sie sich in Allgemeinnarkose 
verhält. Schon Courmont und Doyon!) sahen eine Abnahme des 
lokalen Tetanus in Chloroformnarkose, während andererseits Fröh- 
lich und Hans Meyer?) in einer Äthernarkose, die so weit vertieft 
war, dass alle erkennbaren Reflexe schwanden, die lokale Tetanus- 
starre des Gastrocnemius der Katze erhalten fanden. 

Nach unseren Erfahrungen verhält sich die Tetanusstarre 
bei der Ather- und Chloroformnarkose ungefähr so wie 
die „Narkosestarre‘“. Sie ist bei ausgesprochener Narkosestarre 
deutlich vorhanden, nimmt mit abnehmender Narkosestarre allmählich 
ab und ist jedenfalls bis auf geringe Reste geschwunden, wenn die 
Narkosestarre bei Vertiefung der Narkose verschwindet. Es ist möglich, 
dass die Tetanusstarre in ihren letzten Resten noch etwas resistenter 
gegen die Narkose ist als die Narkosestärre, aber gross ist der Unter- 
schied jedenfalls nicht. 

Der Verhalten in der Chloroformnarkose erhellt aus folgendem 
Versuchsbeispiel. 

Katze von etwa 2 kg. 

3. März 1919. 1 ccm !as/oiges Tetanustoxin in den rechten Triceps. 

9.»  Beginnende Starre. 

6. „ Deutliche Starre im rechten Triceps, der auf Pfotenkneifen noch 
vollständig gebeugt wird. 

„ Starke Starre im rechten Triceps, der nicht mehr vollständig ge- 
beugt wird. Leichte Starre der Schulterbeuger. 

10. ,„ ‘Leichte Starre im Biceps. 


13. „ Bechter Ellbogen beim Pfotenkneifen nur noch bis auf 90° gebeugt. 
Passive Bewegungen der rechten Schulter bewirken proprioceptive 


1),.a.a..0: M 
2) A. Fröhlich u. H. Meyer, Über die Muskelstarre bei der Tetanus- 
vergiftung. Münch. med. Woch. 1917, S. 289. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 203 


Reflexe auf die Hinterbeine und das linke Vorderbein. Keine all- 
gemeine Reflexsteigerung. Starre des rechten Triceps wird durch 
2 cem 1°/oiges Novokain intramuskulär fast völlig gelöst. 

15. März. Starke Starre des rechten Triceps, deutliche, aber geringere Starre 
des rechten Biceps, der Schultermuskeln und der Beuger des Hand- 
gelenkes. Keine allgemeine Reflexsteigerung. 

Nachmittag 3h 10’. Tiefe Chloroformnarkose bis zum Erlöschen 
aller Reflexe. Tier völlig schlaff. Spontane Atmung. Starre des 
rechten Vorderbeines geschwunden. (CHC],-Gehalt des Blutes etwa 


0,04— 0,06 %o.) 
15. „ 3519. Narkose beendet. 
15. „ 352%. Schwache Narkoselaufbewegungen. Linkes Vorderbein 
schlaff. Im rechten Triceps eine Spur Widerstand (ca. 0,036 %o). 
15. „ 3530 Beginn der Narkosestarre in den Hinterbeinen und im linken 


Triceps. Schwache Starre im rechten Triceps (ca. 0,028°)o). 

Cornea- und Öhrreflex positiv, Patellarreflex schwach. Kurz 
darauf Beugereflex. Nunmehr ist die Starre im rechten Tri- 
ceps deutlich (aber noch nicht stark), die anderen Ge- 
lenke des rechten Vorderbeines sind noch schlaftf 
(0,023 9/0). 

15. „ 333. Starre im linken Triceps deutlich, im rechten Triceps 
stark (nicht maximal). Schwache Starre in der rechten Schulter. 
Laufbewegungen (über 0,019 °/o). 

15. „ 3535. Starre im rechten Triceps ++, in den rechten Schulter- 
beugern +, in den Schulterstreckern —, im rechten Biceps schwach. 

Der linke Triceps hat deutliche, die linke Schulter schwache 
Narkosestarre. Beugereflex und gekreuzter Streckreflex positiv. 

In einem anderen Versuche wurde die Tetanusstarre des Triceps nach 
dreitägiger Dauer durch tiefe Chloroformnarkose bis zum Atemstillstand 

(ca. 0,06% Chloroform im Blute) vollständig aufgehoben und war beim 

Wiedererwachen aus der Narkose im Stadium der Narkoselaufbewegungen 

bei vorhandener Narkosestarre des Quadriceps sehr stark ausgebildet 

(0,02—0,023%o Chloroform im Blute). 


In diesen Versuchsprotokollen ist auf Grund der Analysen von 
- Storm van Leeuwen!) jedesmal der Chloroformgehalt des Blutes 
in Gewichtsprozenten angegeben, der bei den einzelnen Narkosegraden 
gefunden wird. Es ergibt sich, dass bei tiefer Narkose und schlaffer 
Muskulatur (0,04— 0,06 %, Chloroform) die Tetanusstarre verschwindet 
und etwa gleichzeitig mit der Narkosestarre oder nur wenig früher 
(bei. etwa 0,036—0,028 %,) zurückkehrt. Bei etwa 0,02%, Chloroform 
im Blute ist sie bei deutlicher Narkosestarre kräftig ausgesprochen. 
In der Äthernarkose liegen die Verhältnisse etwas anders. Hier 
dauert nach den Feststellungen von Storm van Leeuwen ?) die 
Narkosestarre viel länger und ist selbst beim Atemstillstand nicht 
immer völlig geschwunden. Der Atemstillstand tritt bei Katzen etwa 


1) W. Storm van Leeuwen, Quantitative pharmak. Unters. über die 
Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. I. Mitt. Pflüger’s 
Arch. Bd. 154 S. 307. 1913. II. Mitt. Ibid: Bd. 159 S. 291. 1914. IV. Mitt. 
Bd. 165 S. 594. 1916. 

2) W. Storm van Leeuwen, III. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 165 
S. 84. 1916. IV. Mitt. Ibid. Bd. 165 S. 594. 1916. 


204 G. Liljestrand und R. Magnus: 


bei 0,164%, Äther im Blute ein, während die oberste Grenze für die 
Narkosestarre bei 0,18%, liegt. Die Tetanusstarre verhält sich etwa 
ebenso. In einem Versuche war die Tetanusstarre noch vorhanden, 
als mit Äther bis zum Atemstillstand narkotisiert war. In einem 
anderen Falie wurde ebenfalls bis zum Atemstillstand narkotisiert, 
dabei schwand sowohl die Narkose- als auch die Tetanusstarre. In 
einem dritten Versuche atmete das Tier noch spontan, während sowchl 
die Narkose- als die Tetanusstarre gelöst waren; als dann in den Hinter- 
beinen wieder etwas Narkosestarre auftrat, kehrte auch die Tetanusstarre 
zurück, und als der Patellarreflex wieder auszulösen war, war die Tetanus- 
starre im Triceps sehr stark. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass 
man durch Äther die Tetanusstarre nicht lösen kann, wenn man nicht 
ungefähr bis zum Atemstillstand oder über diesen hinaus narkotisiert. 
Die Narkosestarre beruht bekanntlich auf der Lähmung der höheren 
Hirnteile und ist mit der Enthirnungsstarre Sherrington’s wesensgleich. 
‘Sie ist also wie diese hauptsächlich abhängig von den proprioceptiven 
Impulsen, die von den starren Muskeln selber ausgehen. Hierdurch wird 
es verständlich, dass die Tetanusstarre der Narkosestarre ziemlich ge- 
nau parallel geht. Da nach der Tetanusvergiftung sich die Rücken- 
markszentren in einem Zustande der Übererregbarkeit für propriocep- 
tive Impulse befinden, so ist es nicht zu verwundern, dass bei der Nar- 
kose die Tetanusstarre, wenigstens in ihren letzten Resten, etwas später 
schwindet als die Narkosestarre der nichttetanischen Extremitäten. 


Durch Fröhlich und H. Meyer!) ist gezeigt worden, dass der 
Warmblütermuskel im Zustande der Tetanusstarre bei elektrographi- 
scher Untersuchung stromlos ist. Semerau und Weiler ?) haben 
kürzlich diesen Befund für den Menschen bestätigt. Als sich aus den 
hier geschilderten Versuchen ergeben hatte, dass die Tetanusstarre 
reflektorisch unterhalten wird, erschien es wünschenswert, das Phä- 
nomen aus eigener Anschauung kennenzulernen. Dank dem freund- 
lichen Entgegenkommen von Professor J. K. A. Wertheim Salo- 
monson in Amsterdam, der hierfür sein besonders empfindliches 
Instrumentarium zur Verfügung stellte und die Aufnahmen selbst 
machte, sind wir in der Lage, ebenfalls die Angabe von Fröhlich 
und Meyer zu bestätigen. 

Versuch XXIV. Katze 3,6 kg. 
4. Jan. 1919. Einspritzung von je "/s cem YıP/oigem Tetanustoxin in den 


Triceps beider Vorderbeine. 
„ Beginnende Starre beiderseits. 


7 


7. 


1) A. Fröhlich und H. Meyer, Unters. über die Aktionsströme an- 
haltend verkürzter Muskeln. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 S. 269. 1912. 

2) M.Semerau u.L. Weiler, Elektromyograph. Unters. am tetanisch- 
kranken starren Muskel d. Menschen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 33 S. 69. 1918. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 205 


8. Jan. Deutliche Starre beiderseits. DieV order- 
beine können auf Pfotenkneifen noch 
gebeugt werden. 


Athernarkose, die so weit vertieft 


wird, dass das Stadium der Narkose- 
laufbewegungen durchlaufen wird. Ge- 
ringe Narkosestarre der Hinterbeine, 
bei Beugung im Knie tritt der erste 
fühlbare Widerstand bei 90° auf. Der 
Quadriceps ist bei der elektrographi- 
schen Untersuchung völlig stromlos. 
Dabei liegt das Hinterbein in Streck- 
stellung, der Quadriceps ist also nicht 
gespannt. Die Ableitung erfolgt mit 
unpolisierbaren Elektroden von der 
enthaarten befeuchteten Haut. 

Bei dieser Tiefe der Narkose haben 
die beiden Triceps noch starke Starre. 
Ableitung mit unpolisierbaren Elek- 
troden von der mit Strontiumsulfid ent- 
haarten Haut über dem linken Triceps. 
Die eine Elektrode liegt über dem 
distalen Muskelende, die andere auf 
zwei Drittel des Muskelbauches. 

Empfindlichkeit der Saite 10 mm 
per Millivolt. Widerstand der Saite 
9000 Ohm. Feldstärke ca. 32000 Gauss. 
Saitendicke 1,3 u. Saitenlänge 5,6 cm. 
Vergrösserung 1340fach. Zeit !/ [100 Se- 
kunde. 

Auf der Aufnahme (Abb. ]) 
sieht man das Elektrokardio- 
gramm. In denZwischenpausen 
ist die Saite völlig ruhig. 

Eine zweite Aufnahme hatte genau 
das gleiche Ergebnis. 


Wir kommen also zu dem überraschenden 
Ergebnis, dass im Zustande der Te- 
tanusstarre der Muskel reflektorisch, 
und zwar hauptsächlich durch propriocep- 
tive Impulse, in einen Zustand von 
Dauerverkürzung gerät, während 
welchem keine elektrischen Strom- 
schwankungen vom Muskel abgeleitet 
werden können. Das Instrumentarium 


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Abb. 1. 


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-— 


war hinreichend empfindlich, um auch die kleinsten Schwankungen zu 
zeigen, wenn sie vorhanden gewesen wären; ist doch sogar das Elektro- 
kardiogramm bei einfacher Ableitung vom Triceps deutlich zum Vor- 


schein gekommen. 


Dass ähnliche Verhältnisse auch bei reflektorischer Erregung mensch- 
licher Muskeln ohne Tetanusvergiftung zu finden sind, lehrt eine kürzlich 


206 G. Liljestrand und R. Magnus: 


erschienene Mitteilung von Wertheim Salomonson !), welcher bei 
Patienten den Babinski’schen Reflex auslöste und gleichzeitig das 
Mechanogramm und Elektrogramm des Extensor hallucis Jongus auf- 
zeichnete. Die Saite zeigt zunächst 0,11—0,66 Sekunden lang lebhafte 
Schwingungen, und 0,10—0,14 Sekunden nach dem Beginn dieser 
Schwingungen fängt die Muskelkontraktion an, zuerst sehr langsam, 
dann sich steiler erhebend und schliesslich in einen 2--3 Sekunden an- 
haltenden kräftigen Kontraktionszustand übergehend.. Während 
dieses letzteren ist der Muskel völlig stromlos ?). 

Alle diese Tatsachen werden bei der so dringend nötigen Neu- 
bearbeitung der Physiologie des zentral innervierten Warmblüter- 
muskels Berücksichtigung finden müssen. Vorläufig erscheint es noch 
verfrüht, sich in Hypothesen über die Deutung der Befunde zu ergehen. 


Nur eine Tatsache mag in diesem Zusammenhange noch (anhangs- 
weise) mitgeteilt werden. Bei einer Diskussion unserer Befunde äusserte 


ein Kollege, anknüpfend an die Lehre de Boer’s von der Abhängig- 


keit des Muskeltonus vom Sympathicus, die Vermutung, dass die 
Tetanusstarre auf dem Wege über den Sympathicus auf den Muskel 
übermittelt werde. Auch E. Meyer und Weiler haben etwas Der- 
artiges für möglich gehalten. Wir haben daher bei zwei Katzen mit 
voll entwickelter lokaler Tetanusstarre des Triceps, welche auch nach 
dem Dekapitieren kräftig erhalten blieb, das Ganglion stellatum der 
vergifteten Seite vom Rücken aus nach der Methode von Anderson ?) 
exstirpiert. Danach blieb in beiden Fällen die Starre genau 
so stark wie vorher. Dagegen wurde der Triceps nach Durch- 
schneidung des Brachialplexus völlig schlaff. Für eine sympathische 
Entstehung der Tetanusstarre hat sich demnach — entsprechend 
unserer Erwartung — kein Anhaltspunkt gefunden. x 


VI. Zusammenfassung der Ergebnisse. 


Bei dezerebrierten Katzen wird die Enthirnungsstarre des Triceps 
durch iniramuskuläre Einsprilzung von kleinen Novokaindosen (1,—I cem 
1%, bei Tieren von I kg) hochgradig vermindert, aber in den meisten 
Fällen nicht völlig aufgehoben. Dabei ist die aktive Beweglichkeit un- 
verändert erhalten, und bei indirekter faradischer Reizung vom Plexus aus 
findet man dieselben Schwellenwerte wie am unvergijleten Muskel. Auch 
die tonischen Hals- und Labyrinthreflexe wirken noch auf den Triceps. 

Erst beträchtlich grössere Novokaindosen (4—8 ccm 1%) heben die 


1) J. K. A. Wertheim Salomonson, Sur le reflexe de Babinski. 
Psychiatr. en Neurolog. Bladen 1918 (Winkler- Festschrift). 

2) Anm. bei der Korrektur: Bornstein und Sänger (D. Z. f. Nerven- 
heilkunde Bd. 52 S. 1. 1914) fanden in einem Falle von amyotrophischer 
Lateralsklerose den spastisch kontrakturierten Biceps ebenfalls stromlos. 

3) H.K. Anderson, Journ. of Physiol. vol.31. 1904. Physiol. Soc. 21. Mai. 


Über die Wirkung des Novokains usw. 207 


indirekte Erregbarkeit des Muskels und damit die letzten Reste der Ent- 
hirnungsstarre und die aktive Beweglichkeit auf. Die direkte faradische 
Erregbarkeit des Muskels ist dann noch erhalten. 

Durchschneidet man die Hinterwurzeln zu einem Vorderbein und 
erzeugt danach durch Dezerebrieren eine Enthirnungsstarre, an der sich 
das desensibilisierte Bein beteiligt, so ist intramuskuläre Einspritzung 
kleiner Novokaindosen ohne jede Wirkung auf die Starre. Erst grosse 
Novokaindosen, welche die indirekte Erregbarkeit vom Nerven aus be- 
einlrächligen, vermindern die Starre und heben sie auf. 

Demnach lähmt Novokain, in kleinen Dosen intramuskulär ein- 
gespritzt, die proprioceptiven sensiblen Muskelnerven und vermindert 
dadurch die (reflektorisch bedingte) Enthirnungsstarre. Bis zu welchem 
Grade dieselbe abnimmt, hängt davon ab, in welchem Ausmaasse sich 
im Einzelfalle noch andere reflektorische Einflüsse am Zustandekommen 
der Starre des betreffenden Triceps beteiligen. 

Novokain in grossen Dosen lähmt die motorischen Nervenenden im 
Muskel und hebt dadurch die Starre sowie die reflektorische und indirekte 
Erregbarkeit völlig auf. Die direkte Muskelerregbarkeit bleibt erhalten. 

Einspritzung von kleinen Novokaindosen in den Triceps normaler 
Katzen führt zu vorübergehendem Tonusverlust bis zu völliger Erschlaffung 
bei gut erhaltener aktiver Beweglichkeit. Es ergibt sich daraus eine sehr 
charakteristische Störung im Stehen und Laufen. Ataxie konnte nicht 
beobachtet werden. 

Der normale Tonus des Triceps (und anderer Muskeln) wird haupt- 
sächlich unterhalten von den propriocepliven Erregungen, welche von 
diesen Muskeln selber ausgehen. Nach Hinterwurzeldurchschneidung 
bildet sich nach einiger Zeit ein Zustand aus, in welchem die molorischen 
Zentren auf sensible Impulse von anderen Körpergegenden erregbarer 
werden, so dass dann wieder ein gewisser Grad von reflektorischem Tonus 
möglich wird; dieser wird dann durch intramuskuläre Einspritzung von 
kleinen Novokaindosen nicht weiter beeinträchtigt. 


Nach intramuskulärer Einspritzung von Tetanusloxin in den Triceps 
entwickelt sich die lokale Starre anfänglich allein in dem injizierten 
Muskel. Dieser kann bei Beugebewegungen im Ellbogen zunächst noch 
aktiv erschlaffen, später ist das nicht mehr möglich. Danach werden 
auch der Biceps und die Schultermuskeln von Starre ergriffen. In allen 
beobachteten Fällen war die Starre rein zentral bedingt und nicht durch 
sekundäre periphere Kontraklur kompliziert. 

Kleine Novokaindosen, welche die proprioceptiven Muskelnerven 
lähmen, die motorische Innervation aber völlig intakt lassen, heben die 
lelanische Muskelstarre im Triceps der Katze sowohl bei intakten wie 
bei dekapitierien Tieren total oder fast vollständig auf, wobei die aktive 
Beweglichkeit unvermindert erhalten bleibt. 


208 G.Liljestrand u. R. Magnus: Über die Wirkung des Novokains usw. 


Auch durch Hinterwurzeldurchschneidung wird die ausgebildete lokale 
Tetanusstarre aufgehoben, während die Zentren des betreffenden Triceps 
reflektorisch und durch zentrale Erregungsmilttel erregbar bleiben. 

Wird nach einseitiger Hinterwurzeldurchschneidung gewartet, bis sich 
im desensibtilisierten Bein wieder Tonus zu entwickeln beginnt, und 
spritzt man dann Tetanusloxin in den Triceps beider Vorderbeine, so 
entsteht nur in dem Arm mit erhaltener Sensibilität eine deutliche lokale 
Muskelstarre, während der desensibilisierte Triceps (am intakten Tier 
und nach dem Dekapitieren) bei erhaltener aktiver Beweglichkeit keine 
Tetanusstarre zeigt. Einspritzung einer kleinen Novokaindosis in den 
desensibilisierten Triceps ist dann wirkungslos. 

Die lokale Muskelstarre beim Telanus wird ausgelöst und unterhalten 
durch sensible Erregungen, welche grösstenleils in den starren Muskeln 
selbst ihren Ursprung nehmen, und welche deshalb zu der abnorm starken 
Muskelstarre führen, weil das Tetanusgift die Zentren in einen Zustand 
von Übererregbarkeit verseizt hat. Die Wirkung des Novokains in kleinen 
Dosen beruhl darauf, dass die proprioceptiven Erregungen aus dem 
injizierten Muskel aufgehoben werden, und dass dadurch die wichtigste 
Quelle für die lokale Starre abgeschnitten wird. 

Aus einigen in der Literatur vorliegenden Versuchen lässt sich 
schliessen, dass man durch maximalste Tetanusvergiftung die Rücken- 
markszentren in einen Zustand verselzen kann, in welchem sie auch 
von anderen afferenten Nerven aus in hochgradige Dauererregung versetzt 
werden können. Nach den von uns angewendeten Dosen trat dieses aber 
nicht ein. 

Die klinischen Beobachtungen von Erich Meyer und Weiler, nach 
denen man mit Novokain die telanische Starre auch beim Menschen lösen 
kann, ohne die aktive Beweglichkeit zu beeinträchtigen, findet durch diese 
Versuche ihre Erklärung. Aus ihnen ergibt sich ferner, dass die Tetanus- 
slarre beim Menschen auch noch nach monate- und jahrelangem Bestehen 
durch proprioceplive Erregungen unterhalten wird, ohne dass es zu sekun- 
därer Kontraktur zu kommen braucht. 

Die Tetanusstarre verhält sich bei Allgemeinnarkose ungefähr wie 
die (ebenfalls durch proprioceptive Reflexe bedingte) ‚‚Narkosestarre‘‘. Sie 
schwindet in tiefer Chloroformnarkose bei noch guter Almung, während 
sie in Äthernarkose erst durch solche Dosen aufgehoben wird, welche 
die Almung lähmen bzw. gefährden. 

Während der reflektorisch ausgelösten tetanischen Dauerverkürzung 
des Triceps lassen sich im Muskel mit dem Saitengalvanometer keine 
Stromschwankungen nachweisen (Bestätigung der Beobachtungen von 
Fröhlich und H. Meyer). 

Nach Exstirpalion des Ganglion stellatum bleibt die lokale Tetanus- 
slarre des Triceps unverändert bestehen. 


Über die Einwirkung eines die alkoholische Gärung 
beschleunigenden, in Alkohol löslichen Produktes 
aus Hefe auf niedere Organismen. 

I. Mitteilung. 

Von 
Emil Abderhalden und Adrienne Koehler. 


(Aus dem physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) 


(Eingegangen am 15. Mai 1919.) 


Der eine von uns (Abderhalden) hat gemeinschaftlich mit 
H. Schaumann!) gezeigt, dass aus Reinzuchtbetriebshefe und aus 
untergäriger Hefe mit Hilfe von absolutem Alkohol sich Stoffe aus- 
ziehen lassen, die in wässeriger Lösung die Gärung verschiedener Kohle- 
hydrate und ferner der Brenztraubensäure sehr stark beschleunigen. 
Ferner wurde gezeigt, dass diese Wirkung sich sowohl bei lebenden 
Hefezellen als auch bei Trockenhefe nachweisen lässt. Bei Verwendung 
von lebenden Hefezellen konnte gezeigt werden, dass die Menge der 
Substrate, die gespalten wird — es handelte sich in der Hauptsache 
um Traubenzucker, Fruchtzucker und Rohrzucker —, bei Anwendung 
gleicher Hefemengen ganz bedeutend grösser ist, wenn der erwähnte 
Hefeauszug zugesetzt wird. Die Versuche wurden so ausgeführt, dass 
je 10 g Kohlehydrat zu 250 ccm Wasser zugesetzt und ferner 1 g lebende 
Hefe verwandt wurde. Sobald die Gärung stark nachliess, wurde 
von neuem Kohlehydrat in der gleichen Menge zugesetzt und mit 
dieser Zugabe so lange fortgefahren, bis sich die Gärung durch Substrat- 
zusatz nicht mehr wesentlich steigern liess ?). Diese letztere Beobachtung 
führte zu der Fragestellung, ob der Hefeauszug die Hefezellen 
als solche beeinflusst und etwa vermehrte Sprossung be- 
wirkt. Wie die folgenden Versuche zeigen, war das in der Tat der Fall. 
Wir haben dann weiterhin geprüft, ob der Hefeextrakt in seiner 
Wirkung auf die Hefezellen beschränkt ist, oder aber, ob 
er auch auf andere Organismenarten einwirkt. Im Folgenden 
sind die Versuche mit Colpoda eucullus und mit Algen mitgeteilt. 
Ferner haben wir Versuche über die Resistenz von Organismen 
mit und ohne Hefeextrakteinwirkung auf diese angestellt. 

1) Z. £. Fermentforschung Bd. 2 S. 120. 1918. 


2) Emil Abderhalden, Ebenda Bd. 3 (im Druck). 1919. 
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 14 


210 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler: 


Die Ergebnisse dieser Versuche sind die folgenden: Sowohl die 
Hefezellen als Colpoda cucullus als auch die Alge Ulothrix 
zeigten unter der Einwirkung des Hefeextraktes ver- 
mehrtes Wachstum. Ferner war die Resistenz gegenüber den 
angewandten Stoffen Methylenblau und salzsaurem Chinin 
gesteigert. Die Versuche müssen selbstverständlich noch weiter 
ausgebaut werden. Wir haben sie in erster Linie unternommen, um 
nachzuforschen, ob im Hefeextrakt Stoffe vorhanden sind, die ganz 
allgemein auf Zellen der verschiedensten Arten einwirken. Es ist zu 
hoffen, dass es durch eine Weiterführung der Versuche und eine ge- 
naue Analyse der einzelnen im Hefeextrakt vorhandenen Stoffe ge- 
lingen wird, die Natur der die Zellteilung arregenden Verbindungen 
festzustellen. Es sind Versuche im Gange, auch aus anderen Zell- 
arten gewonnene Produkte in der gleichen Weise zu prüfen, um fest- 
zustellen, ob es Stoffe gibt, die nur bei ganz bestimmten Zellarten 
einwirken, und solche, die eine mehr allgemeine Wirkung besitzen. 


l. Versuche mit Hefezellen. 


Wir verwandten dazu obergärige Hefe. Die ersten Kulturversuche, 
die ausgeführt wurden, zeigten, dass der Zustand der Hefe von aus- 
schlaggebender Bedeutung für die Ergebnisse der unten mitgeteilten 
Versuche ist. Es dürfen nur Hefepräparate verwendet werden, die 
ganz frisch sind, und die sich unter günstigen Bedingungen ver- 
mehren. Leider bedingten die Zeitverhältnisse, dass die Hefe, die wir 
der Güte der Hochschulbrauerei in Berlin verdanken, oft schon ge- 
schädigt in Halle ankam. Infolgedessen waren die Resultate nicht 
immer gut. In der letzten Zeit haben wir stets grosse Unterschiede 
in der Entwicklung zwischen den reinen Hefezellen, den Pepton- 
Hefezellen auf der einen und den Hefeextrakt-Hefezellen auf der 
anderen Seite gefunden. Die Zellen waren bei den letzteren viel 
öfter vermehrt als bei den Pepton-Hefezellen und den Hefezellen, 
die ohne Zusatz gezüchtet waren. Vergleiche die Übersicht über 
einige. dieser Versuche S. 216. Die Versuchsanordnung war stets 
die folgende: Es wurden Hefezellen mit und ohne Zusatz von Hefe- 
extrakt auf ihr Vermehrungsvermögen und auf sonstige Erscheinungen 
im Wachstum untersucht. Um den Einwand auszuschliessen, dass 
etwa stickstoffhaltige Produkte in ihrer Eigenschaft als Bausteine 
die beobachteten günstigen Wirkungen entfaltet haben könnten, haben 
wir Kontrollversuche mit Zusatz von Peptonlösung ausgeführt, und 
zwar gaben wir stets dem Stickstoffgehalt des Hefeextraktes ent- 
sprechende Mengen hinzu. 

Der Hefeauszug war aus der Trockenhefe in der folgenden Weise 
gewonnen worden: Die an der Luft getrocknete Hefe wurde mit ab- 


Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 211 


solutem Alkohol ausgekocht. Das Alkoholextrakt wurde dann unter 
vermindertem Druck zur Trockene verdampft und der Rückstand wieder 
mit absolutem Alkohol ausgezogen. Das alkoholische Filtrat wurde 
wiederum unter vermindertem Druck eingedampft und der Rückstand 
in Wasser gelöst. Vor der Anwendung wurde diese Lösung durch 
eine Schicht Asbestpulver mit Hilfe einer Wasserstrahlpumpe filtriert. 
Es war dies notwendig, weil die Hefeextraktlösung Formelelemente 
enthielt, die bei der Beobachtung unter dem Mikroskop stören konnten. 
Bemerkt sei noch, dass das Hefeextrakt aufgekocht werden kann, 
ohne dass seine Wirkung beeinträchtigt wird. 

Die ersten Versuche sind mit Kulturen im hängenden Tropfen 
durchgeführt worden. Zu diesem Zwecke wurde Hefe in 6 %,iger Rohr- 
zuckerlösung aufgeschwemmt. Von dieser Aufschwemmung wurde ein 
kleiner Tropfen auf ein Deckglas übertragen. Wir benutzten von 
den so hergestellten Präparaten nur diejenigen, bei denen sich im 
Tropfen nur eine einzige Hefezelle befand. Bei den eigentlichen Ver- 
suchen gaben wir einen etwa gleich grossen Tropfen stark verdünnten 
Hefeextraktes hinzu. Die Verdünnung wurde mit 6% iger Rohrzucker- 
lösung hergestellt. Die Konzentration betrug !/,, der ursprünglichen 
Lösung. Bemerkt sei, dass die unverdünnte Hefeextraktlösung einen 
Stickstoffgehalt von 0,19% hatte. Zu weiteren Versuchen gaben wir, 
‘wie schon erwähnt, eine Peptonlösung, deren Stickstoffgehalt mit dem 
des Extraktes übereinstimmte, hinzu. Um das Eintrocknen der Tropfen 
und die damit verbundenen Konzentrationsänderungen zu verhindern, 
legten wir das Deckglas auf einen hohlgeschliffenen Objektträger und 
dichteten mit Vaseline ab. Von grösster Bedeutung ist, dass bei der 
Durchführung der Versuche möglichst steril gearbeitet wird, denn 
Bakterienwachstum hemmt das Wachstum der Hefezellen stark. 

Bei einer zweiten Versuchsanordnung haben wir in kleinen Kölbchen 
zu 6 %iger Rohrzuckerlösung von einer gleichmässigen Suspension von 
Hefezellen gleiche Anteile hinzugegeben. Ein Teil der Kölbehen blieb 
ohne weiteren Zusatz, ein anderer Teil erhielt in wechselnder Menge 
Hefeextraktlösung. Zu einer dritten Reihe gaben wir die dem Stick- 
stoffgehalt der zugesetzten Hefeextraktlösung entsprechende Pepton- 
menge. Bei weiteren Versuchen wurde Kaliumphosphat hinzugegeben, 
um zu prüfen, ob eventuell die günstige Wirkung auf das Hefewachstum 
der Phosphorsäure zuzuschreiben ist. Von Zeit zu Zeit wurden Proben 
aus den Kölbchen unter dem Mikroskop betrachtet und auf diese 
Weise Sprossvorgänge festgestellt und verglichen. Ferner wurden 
Zählungen der Zellen mittels der Zeiss’schen Zählkammer vor- 
genommen. Diese Versuche sind noch nicht abgeschlossen. Es sei 
aber schon erwähnt, dass es sich herausstellte, dass grössere Konzentra- 
tionen von Hefeextrakt hemmend wirken, während verdünnte Lösungen 

14* 


912 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler: 


eine stark anregende Wirkung auf Zellteilung und Wachstum aus- 
üben. Verschiedene Heferassen sind gegenüber verschiedenen Kon- 
zentrationen des Hefeextraktes verschieden resistent. Es soll später 
über die gemachten Erfahrungen noch berichtet werden. 

Die Versuche im hängenden Tropfen ergaben übereinstimmend, 
dass Hefeextrakt in der angewandten Verdünnung anregend auf die 


ER 
ur 


Abb. 1. Hefezellen mit Yes Hefeextrakt behandelt. 


Hefezellen wirkt, und zwar in der Weise, dass die Zellteilung ganz 

bedeutend begünstigt wird. Es handelt sich bei der Vermehrung der 

Hefeextraktkulturen nicht nur um eine Vermehrung einer Zelle auf 

zwei bis drei solcher, worauf die Vermehrung der Kontrollen stets 

nach Ablauf mehrerer Tage beschränkt blieben, sondern es erfolgte 

eine Aussprossung unter Bildung ganzer Sprosszellkolonien. Diese 

starke Vermehrung konnten wir schon makroskopisch 

N an der Trübung des Tropfens erkennen. Leider sind die 

meisten Beobachtungen durch das Auftreten von Bakterien 

gestört worden, so dass langfristige Versuche nur in 

D 9 wenigen Fällen ausgeführt werden konnten. Abb. I und 2 

zeigen Kulturen mit und ohne Hefeextraktzusatz. Eine 

Kolonie konnte während 14 Tagen beobachtet werden. 

Die Kolonie war am 20. Februar 1919 angelegt. Am 

4 21. Februar hatten sich die Zellen auf je fünf bis sechs 

en vermehrt, während die Kontrollkulturen zum Teil nur 

zu Abb. 1. je einmal ausgesprosst hatten. Die lebhafte Sprossung 

hielt bei den Hefeextraktkulturen noch während mehrerer 

Tage an und führte zu einer stattlichen Sprossenkolonie. Die Kon- 

trolltropfen wiesen dagegen keine weitere Vermehrung der Zellen auf. 

Am 4. März zeigten sich an den Kolonien Stadien, die an eine Askus- 

bildung, wie sie bisher nur bei auf Gipsblöcken gezüchteter Hefe 
beobachtet worden ist, erinnerten. 

Zwischen einer Anzahl von Zellen bestanden bügelartige Ver 

bindungen. Eine Anzahl von Zellen entsandte schlauchartige Fort- 


Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 213 


sätze, an die sich andere Zellen 
anlesten. Abb. 3 zeigt diese 
Art des Wachstums. Die Zellen 
waren von stark lichtbrechen- 
den Körperchen verschiedener 
Grösse angefüllt, die man etwa 
als Kern und Askussporen 
deuten konnte. Bei den Se Abb. 3. Ascusähnliches Zellwachstum 
deren Kulturen wurden diese unter Einfluss von Hefeextrakt ("/25) 
Körperchen vermisst. Einige 

auf Seite 216 mitgeteilte Protokolle mögen die Ergebnisse der ge- 
machten Beobachtungen wiedergeben. 


II. Versuche mit Colpoda eueullus. 


Die Versuchsanordnung war dieselbe wie bei den Hefezellen. Aus 
einem 1—2 Tage alten Heuaufguss wurde zunächst mit sterilem 
_Infus aus einer Zelle eine Uhrglaskultur angelegt, um eine Übertragung 
von Flagellaten in die endgültige Kultur möglichst zu vermeiden. 
Aus dieser Kultur wurde dann ein einziges Tier an einem hängenden 
Tropfen sterilen Heuinfuses isoliert. Auch hier wurde Hefeextrakt 
resp. Pepton zugegeben und gegen Verdunstung abgeschlossen. Als 
die geeignetste Konzentration erwies sich bei diesen Versuchen die 
Verdünnung von 1:6 des Hefeextraktes. Höhere Konzentration be- 
wirkt innerhalb weniger Minuten Schädigungen. Sie machten sich 
zunächst in der veränderten Bewegung der Tiere kund. Bald ver- 
langsamte sich diese. In kurzer Zeit trat dann der Tod ein. 

Nach 24 Stunden setzte die erste Teilung ein, und zwar liess sich 
ein Unterschied zwischen der Hefeextraktkultur und der Kontrolle 
nicht feststellen. Dieses Ergebnis änderte sich, indem in den meisten 
Fällen nach 2 Tagen schon zu bemerken war, dass die Hefeextrakt- 
kultur eine viel regere Teilung aufwies. Vom dritten Tage an war 
das bei allen Tieren der Fall. Die Hefeextraktkulturen wiesen im 
Durchschnitt 20—50 Tiere mehr auf als die Kontrollkulturen. Be- 
merkt sei noch, dass die Peptonkulturen gegenüber den Kulturen mit 
Infus allein auch eine kleine, aber unwesentliche Steigerung in der 
Zahl der Zellen zeigten. Vgl. Abb. 4—7. 

Es ist klar, dass mit der Feststellung einer gesteigerten Zell- 
vermehrung die Beobachtung nicht erschöpft ist. Es muss vielmehr 
unser Bestreben sein, Einblick in etwaige Besonderheiten der neu- 
gebildeten Zellen zu erhalten, um dadurch festzustellen, ob das Hefe- 
extrakt bestimmte morphologische Veränderungen bedingt. Die von 
uns beobachteten Verschiedenheiten — die Zellen waren zum Teil bei 
Anwendung von Hefeextrakt grösser und träger beweglich als die 


214 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler: 


Pepton- und Infustiere — sind einstweilen nicht spruchreif, weil die 
Möglichkeit besteht, dass durch den Zusatz physikalische Verände- 
rungen (osmotischer Druck, Quellungserscheinungen) in Frage kommen. 

Um physiologi- 


> sche Unterschiede 
| an den Tieren der 
& » verschiedenen Kul- 


turen feststellen zu 
N können, haben wir 


die Resistenz ge- 

S ? genüber Methylen- 

® ‘blau und salz. 

saurem Chinin ge- 

Abb. 4. Colpoda cucullus. Kontrolle mit Pepton. prüft. Auch diese 
Versuche müssen 
noch weiter ausgedehnt werden !\. Das Methylenblau wurde in 
einer Konzentration von M-/,,, angewandt. In dieser Konzentration 


trat der Tod der Tiere erst nach einiger Zeit ein und gestattete so 
Vergleichsbeobachtungen. Von acht Versuchen, die mit gleich alten 


KO) ® 
B 
Abb. 5. Colpoda 
+ Hefeextrakt !/s Abb. 6. Colpoda + Hefeextrakt !/s vom 
vom 10. März. 18. Februar, gefärbt am 27. Februar. 


Hefeextrakt-, Pepton- und Infuskulturen unter ganz genau gleichen 
äusseren Bedingungen angestellt wurden, war bei sieben das Resultat 
ein übereinstimmendes. Es verhielten sich die Hefeextraktkulturen 

gegenüber dem Methylen- 


A blau widerstandsfähiger als | 
® 8 ® die Tiere der anderen Kul-7f 
turen. Im Durchschnitt 


lebten die Hefeextrakttiere 

18. Februar, gefärbt am 28. Februar. in der Methylenblaulösung 

Y, Stunde länger als die 

Tiere der anderen Kulturen. Ein Unterschied in der Aufnahme 
des Farbstoffes war nicht zu beobachten. Es verhielten sich die 


Abb. 7. Colpoda + Hefeextrakt ’/s vom 


1) Weitere Versuche mit biogenen Aminen (Betain, Cholin, Acetylcholin, 
Phenyläthylamin, p-Oxyphenyläthylamin, Imidazolyl-äthylamin, Adrena- 


lin sind bereits im Gange (Abderhalden). 


Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 215 


einzelnen Individuen in allen Kulturen in dieser Beziehung ver- 
schieden. \ 

Versuche mit salzsaurem Chinin (Mol-/ 00) fielen gleich aus. Auch 
hier waren die Hefeextraktkulturen widerstandsfähiger. 

Es sind auch einige Versuche unternommen worden, um die Ge- 
wöhnung der Tiere an die Einwirkung von höheren Konzentrationen 
des Hefeextraktes zu studieren. Sie sind jedoch noch zu keinem Ab- 
schluss gelangt. Sie sind dadurch stark erschwert, dass das Auftreten 
von Bakterien das Wachstum der Hefezellen stark beeinflusst, und 
man infolgedessen besonderer Maassnahmen bedarf, um langlebige 
Kulturen zu gewinnen. Auch diese Versuche werden fortgesetzt. 


III. Versuche mit Algen. 


Zu diesen Versuchen wurde Ulothrix verwandt, und zwar wählten 
wir kurze Zellfäden von weniger als fünf Zellen aus. Als Nährlösung 
benutzten wir MgSO, 0,125 g, CaNO, 0,5 g; K,HPO, 0,125 g; KÜl 
0,06 g gelöst zu 500 cem Wasser. In ihr wurden die Zellfäden im 


eg 


Abb. 8. Ulothrix unter Einwirkung von Abb. 9. Kontrolle zu 
Hefeextrakt !/as. Abb. Su.9 mit Pepton. 


hängenden Tropfen untersucht und dann, wie üblich, die Zusätze 
zugegeben. Die Hefeextraktlösung wurde in der Verdünnung 1,, 
angewandt. Auch hier trat eine deutliche Steigerung der Zellvermeh- 
rung gegenüber den Kontrollkulturen auf. (Vgl. Abb. S—9.) 


(Nr 


Abb. 10. Ulothrix unter Einwirkung von Hefeextrakt !/ss (wie bei Abb. 8). 


Es sind ferner Versuche im Gange, um die Wirkung von Inkret- 
stoffen (aus Schilddrüse, Thymus usw.) in gleicher Weise auf ihre 
Wirkung gegenüber einzelligen oder duch einfacher zusammengesetzten 
Organismen zu prüfen. Es ist die Frage zu entscheiden, ob es sich um 
Stoffe handelt, die auf ganz verschiedene Zellarten gleichartig wirken 
oder aber, ob eine auf bestimmte Zellen lokalisierte Wirkung vorliegt. 


216 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler: 


Protokolle einiger Versuche. 


Versuche über Einwirkung von Hefeextrakt (!/s) auf Hefezellen im hängenden 
Tropfen. 


Pepton. | Vermehrte Kulturen 
Bi Anzahl der Kulturen | extrakt-| kon- Hefe- | Pepton- 
Kultur kulturen| trollen | extrakt- | kon- 


kulturen | trollen 


Datum der 


10. Februar [26 hängende Tropfen 18 8 3 2 
13. n 11 e 5 7 4 4 0 
ia: : 19 h 5 11 8 2 0 
20. = 17 5 ; 9 3 Re 2 
21: 2 34 5 ; 22 12 3 1 
24. h 20 h 5 16 4 6 1 
7. März |3 Hr ; 15 16 4 0 
28. April [28 5 ; 14 14 12 3 
3. Mai 22 h ; 10 12 10 2 
A 20 n, 5 10 10 9) 0 
Dan 20 : ; 10 10 8 2 
Be 18 5 ; 8 10 8 2 
Kulturen von Colpoda ceucullus mit Hefeextrakt (Ve). 
Anzahl der Tiere 
Versuch Datum n . „Im Kontroll- | Bemerkungen 
a ee 
p | (Pepton 1/s°/o) 
A. 12. Febr.| 13. Februar | Teilungscyste 4 | 
a 4 Tiere ; 
14. & 14 15% 14 | 
A. 13. Febr.| 14. Februar 8 | 12 Es wurden 2 Tiere 
| in den Tropfen 
gebracht. 
nachmittags 5 20 
B. 130; 14. Februar 8 4 
A. 13. Febr. | 15. Februar zirka 100 | zirka 30 
B. 13.0, 15. R 14 12 
E. 18. Febr. | 19. Februar 4 ' Teilungscyste | 
|  & 4 Tiere 
nachmittags 4 4 
20. Februar zirka 50 zirka 20 
A. 18. Febr.| 19. Februar | 1 Teilungs- 4 
cyste 
nachmittags 4 | 4 
20. Februar zirka 50 | zirka 20 
D. 18. Febr. | 19. Februar | 6 Tiere und 16 
Teilungscyste 
a 4 Tiere 
nachmittags 2 | 14 
20. Februar | zirka 60-70 | zirka 40-50 


| 


Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 2] 


Kulturen von Colpoda cucullus mit Hefeextrakt (!/s). (Fortsetzung) 


Anzahl ne Tiere 


Versuch Datum allenffete An KR Bemerkungen 
N Eropienn 
een nn /s%) 
B. 24. Febr. | 25. Februar | 6 Tiere in 
Teilung 
28. 5 zirka 60-70 zirka 12 
A. 26. Febr.| 27. Februar | 2 6 AnD ee oe 
nachmittags 5) z 
23. Februar 12 30 NN 
A. 10. März| 11. März | 1 4 
nachmittags 7 4 
12. März 25 20 
13. 60— 70 era 
B. 10. März 11. März 5 | RE en 
nachmittags 6 4 
12. März 20 | 20 
| A zirka 100 zirka 20—30 


Versuche über die Einwirkung des Hefeextraktes (!/s) auf Ulothrix. 


a ON len 
Datum der | \ zahl der Kulturen | extrakt-| Pepton-| Hefe- Pepton- 
Kultur kulturen|kulturen| extrakt- 7 turen 
kulturen 
7. März 5 hängende Tropfen 4 1 3++ 1+ 
Sn » 2 1 2 +- 1l+ 
lo, 5 s 5 2 3 1)dE 0 
178 al 5 5 15 16 ar apar 0 
Resistenzversuche mit Methylenblau an Colpoda cucullus. 
ER des Zeit e Zustand der Tiere nach Zusatz von Methylenblau, 
N Be- | Konzen- und zwar der 
satzes BACH - 
des Ver- ee SCHE ration: |, re Turmes 1a pas NEE ST 
suchs uns Hefeextrakttiere Infustiere 
3h 30' mol/10 000 ı Normal beweglich. 
4h Langsam beweglich. 
4h 15’  Minderzahl normal be- 


weg]., vereinzelt unbe- 
wegl., Mehrzahl Orts- 


ı bewegung. 
4h 35 Nurnoch Ortsbewegung. 
5 Ortsbewegung. 


6h Etwas erholt. 


218 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler: 


Resistenzversuche mit Methylenblau an Colpoda cucullus. (Fortsetzung.) 


“ Zeit des Zustand der Tiere nach Zusatz von Methylenblau, 


Zeit der 
N Be- | Konzen- und zwar der 
des Ver-| ebach- | tration ——— — 
suchs UNE Hefeextrakttiere Infustiere 
3h 57 | 4h 15 Gut beweglich. 
4h 30' Beweglich. 
| 5h | Gut beweglich. 
an | ar Lebhaft beweglich. 
4h 50' Langsam beweglich. 
| 5h 55 Langsam. beweglich. 


9h 15 | Ih: Windend beweglich. 


= l/500o | sich windend beweslich. 
9h 35’ | 94 50° | mol/so00  Mehrzahlunbewegl.oder 
, langs. beweglich, Orts- 
| bewegung. 
11» 30 | Dasselbe Bild. 
Yh AT | 9h 55 | mol/3000 | Taumelnd beweglich. 
115 10° Beweglich. 
11h 30' 


| Gut beweglich. 


Resistenzversuche mit Methylenblau an apa ceueullus. 


an des Zeit Zustand der Tiere nach Zusatz von Methylenblau, 
Se der Be- und zwar der 

desVer- a RT Bine FIIR RENTE ER 
suchs et Hefeextrakttiere | Infustiere Peptontiere 


9h 48’ | 9h 55 Zuckend, unbeweg- 

' lich, wenige mit 
Ortsbew egung. 

| Langsam beweg- 
lich undunbeweg- 


| lieh. 


11h 30' 


114 10 BE 90" 


Erregt beweglich. | Tot. 


12h |12 h 15’ |Gut beweglich. |Mehrzahl unbe- 
ı weglich, andere 
Ortsbewegung. 
12h 40’ |Noch gut bewegl. Tot. 
3h 45’ | Einige unbeweg- 
lich. Mehrzahlbe- 
| weglich. 


11% 20 |11% 30° |Gut beweglich. | Tot. 


12h 


Windend beweg-' 
lich, ver einzelt | 


unb eweglich. | 
I 


Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 219 


Resistenzversuche mit Methylenblau an Colpoda cucullus. 


(Fortsetzung.) 


RE Zeit 
satzes der Be- 
desVer- obach- 
tung 
suchs > 


Zustand der Tiere nach Zusatz von Methylenblau, 


und zwar der 


Hefeextrakttiere 


Infustiere 


Peptontiere 


11h 45’ [11h 45 | Normal beweglich. Erregt beweglich. 


12h 
12h 


11% 30’ [11h 


12h 


12h 


11h 
11h 


12h 


‚11h 40’ [11h 


12h 


15’ 


30" 


40’ 
10 


10 


25' 


30" 


55 


20’ 


50' 


20 


” ” 


2 


| 


Langsam od. win- 


dend beweglich. 
Mehrzahl beweg- 


lich, andere Orts- 


bewegung. 
Mehrzahlabgerun- 


det, andere lang- 
| sam beweglich. 


Erregt beweglich. 


Langsam oder tau- 
melnd beweglich, 


keine unbeweg- 
lich. 
Mehrzahl unbe- 
weglich od. Orts- 
bewegung, doch 
mehrere noch 
langsam beweg- 
lich. 
Tot. 


| Erregt und normal 
beweglich. 


Normal und lang- 


sam beweglich, 
keine unbeweg- 
lich. 


Langsam und win- | 
dend beweglich. 


Abgerundet oder 
unbeweglich. 


'Tot. 


Alles abgerundet, 
unbewesglich. 


Unbewesglich, ab- 
gerundet. 
Unbeweglich. 


Alles tot. 


Mehrere unbeweg- 

lich, andere tau- 
melnd oder win- 
dend. 


Mehrzahl unbe- 
weglich, andere 
langsam beweg- 
lich oder Orts- 


bewegung. 


Resistenzversuche mit Chinin hydrochloricum an Colpoda cucullus. 


eitdes| zeit 
satzes ne 3 
des Ver- Ast 
suchs 5 
10h 20° | 11h 30’ 
12h 


Zustand der Tiere nach Zusatz von Chinin, 


-| Konzen- und zwar der 
trALION. [sera ag: 
Hefeextrakttiere | Peptontiere 
mol/ıooo | Erregt beweglich, ab- Taumelnd oder Orts- 
gerundet, taumelnd, bewegung, viele ab- 
oder Ortsbewegung. | gerundet. 
Abgerundet. Tot. 


330 Emil Abderhalden und Adr. Koehler: Über die Einwirkung usw. 


Resistenzversuche mit Chinin hydrochloricum an Colnoda cucullus. (Forts.) 


Zeit des 


An- 
satzes 
des Ver- a Be 
suchs 5 
11h 50’ 112h 
12h 15’ 
118.835 111.840" 
11h 50' 
| 12h 10' 
11h 301 11.2357 
12h 
12h 25 


11% 30 EB 
[12% 


12h 
12h 


11h 40’ 


25 


5! 
20’ 


Zeit 
der Be-| Konzen- 


Zustand der Tiere nach Zusatz von Chinin, 
und zwar der 


Hefeextrakttiere 


Noch gut bewegliche 
Tiere vorhand., einige 
abgerundet. 
Noch einige langsam 
beweglich. 


Erregt beweglich. 
Alles abgerundet. 


Tot. 


lich. 
Gut beweglich, Mehr- 


mehrere unbeweslich. 


unbewesglich. 


Langsam beweglich u. 
vereinzeltunbeweslich. 
Langsam beweglich. 


Normal beweslich. 
Gut beweglich. 


Gut und erregt beweg-, 


Langsam bewegl. oder 
Ortbewegung, mehrere | 


Peptontiere 


ob: 


| Bot: 


Erregt beweglich. 
Mehrzahl abgerundet u. 
rotierend, einige noch 

' beweglich. 

' Mehrzahl abgerundet, 
wenige Ortsbewegung. 


Windend oder langsam 
beweglich. 
Langsam beweglich. 


zahl langsam bewegl., 


Rot: 


| 
Mehrzahl unbeweglich, 


. andere Ortsbewegung. 
ı Tot. 


| Taumelnd beweglich. 
ı Langsam beweslich, ver- 
einzelt windend be- 


 weglich. 


Reflexus cochleopalpebralis und Ohr- 
Lidschlagreflex. 
Von 


Dr. S. Galant, Bern-Belp. 


(Eingegangen am 21. Mai 1919.) 


In einer ausführlichen und interessanten Arbeit: ‚Ein unbekannter 
Lidschlag- und Tränenreflex“‘, veröffentlicht im Bd. 173 (S. 224) dieses 
Archivs, bemüht sich Bruno Kisch, ein allseitiges Bild der Reflexe 
der Augenzone, die vom Ohr aus ausgelöst werden können, zu geben. 
Er führt eine Menge Autoren (unter anderen v. Bechterew) an, 
die sich mit derselben Frage beschäftigt haben, die aber die von ihm 
angegebenen Lidschlag- und Tränenreflexe entweder überhaupt nicht 
erwähnt oder sich über sie nicht genügend klar ausgesprochen hätten. 
Kisch will nun absolute Klarheit in der Frage schaffen. Er lässt 
aber einen Reflex fort, der auch in einem vom Ohr auslösbaren Lid- 
schlag besteht und der von v. Bechterew (1903) beschrieben ist: 
den Reflexus cochleopalpebralis. Diesen Reflex hat Belinow 
neu in Erinnerung gebracht bei Gelegenheit der Demonstration eines 
von ihm konstruierten Apparates, Mikrotympan genannt, der zur 
Auslösung dieses Reflexes dient, in der Sechsten Hauptversammlung 
der Vereinigung schweizerischer Hals- und Öhrenärzte in Basel). 
Der Reflexus cochleopalpebralis besteht in einem Lidschlag, ausgelöst 
durch eine Lärmerzeugung im Gehörgang, zum Beispiel durch die 
Bäräny’sche Trommel). Der neu konstruierte Apparat von Belinow 
eignet sich besser zur Auslösung des Reflexus cochleopalpebralis und 
erweist seine Dienste dort, wo die Bäräny’sche Lärmtrommel versagt. 
Das Mikrotympan ist eine kleine Trommel, auf welche automatisch 
aus verschiedener Höhe und dadurch bei verschiedener Stärke ein 
kleiner Hammer herunterfällt. Die Resultate Belinow’s sind folgende: 
Der Reflexus cochleopalpebralis ist ein physiologischer Reflex und 
tritt bei fast allen normal hörenden Menschen auf. Er fehlt bei Laby- 
zinthzerstörung und bei Facialislähmung mit Entartungsdegeneration. 
Bei psychoneurotischer Taubheit und in Fällen von Simulation ist 


1) Belinow, Über die klinische Bedeutung des Reflexus cochleopalpe- 
bralis. Demonstration des „Mikrotympans“. Corresp.-Blatt für Schweizer 
Arzte Nr. 37 S. 1253. 1918. 


NS) 


92 8. Galant: Reflexus cochleopalpebralis und Ohr-Lidschlagreflex. 


der Reflex vorhanden, und darum ist es nach Belinow so wichtig, 
den Reflex zu prüfen, da er zu Entlarvung von Simulation dienen kann. 

Wir sehen also, dass ein physiologischer Lidschlagreflex, ausgelöst 
vom Ohr aus, also ein Ohr-Lidschlagreflex schon vor der Ver- 
öffentlichung der Arbeit Kisch’s unter dem Namen Reflexus cochleo- 
palpebralis bekannt war. Dass der Reflexus cochleopalpebralis v. Bech- 
terew und der Ohr-Lidschlagreflex von Kisch grundverschiedene 
Erscheinungen sind, erscheint mir nicht einleuchtend. Es liegt vielmehr 
auf der Hand, dass man sie identifizieren kann, und dass der Haupt- 
unterschied in der Auslösungsweise besteht. Man könnte noch von 
dem Ohr-Lidschlagreflex Kisch’s, da er auf eine andere Weise als 
der Reflexus cochleopalpebralis ausgelöst wird, höchstens als von 
einer Varietät dieses letzteren sprechen, wie es Robert Bing die 
so verschiedenen Auslösungsweisen des Babinski’schen Reflexes zu 
nennen vorgeschlagen hat '). Dabei ist zu bemerken, dass die Aus- 
lösung durch die Bäräny’sche Lärmtrommel oder das Belinowsche 
Mikrotympan viel praktischer ist, da man sich dabei des Spiegels 
nicht zu bedienen braucht, wie es in vielen Fällen bei der Aus- 
lösungsweise Kisch’s geschehen muss. 


1) Robert Bing, Über die Varietäten des Babinski’schen Zehen- 
reflexes und ihre diagnostische Bedeutung. Korresp.-Blatt für Schweizer 
Arzte S. 1217. 1915. 


Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 
I. Mitteilung: 
Das Wesen der Chininfestigkeit bei Protozoen. 
Von 
S. Neuschlosz. 


(Mitteilung’ aus dem pharmakologischen Institut der Universität in Budapest. 
Direktor: Professor Dr. A. v. Bökay.) 


(Eingegangen am 20. März 1919.) 


Einleitung. 


Unsere Kenntnisse über das Wesen der Giftgewöhnung bei niederen 
Organismen sind recht mangelhaft. Die ersten diesbezüglichen Angaben 
verdanken wir Effront!!), dem es nachzuweisen gelang, dass an Fluss- 
“ säure gewöhnte Hefe die Fähigkeit besitzt, das eindringende Fluor in 
der Form von unlöslichem CaFl, festzulegen und unwirksam zu machen. 
In der Asche von an Fluorammonium gewöhnter Hefe konnte er weit 
grössere Mengen von Kalk nachweisen als bei normaler Hefe derselben 
Herkunft. 

Derselbe Autor?) hat auch die Ursache der Formaldehydgewöhnung 
der Hefe aufgeklärt, indem er zeigte, dass dieselbe auf einer Zerstörung 
des Giftes durch die Zellen beruht. Ähnliche Ergebnisse hatten auch 
die Untersuchungen Gimel’s°) über die Gewöhnung der Hefe an 
schwefelige Säure. Dieses Gift wird durch Oxydation seitens der 
adaptierten Zellen unschädlich gemacht. 

Anders verhält sich die Sache nach Pulst’s*) Untersuchungen bei 
der Kupfergewöhnung von Penicillum glaucum. Hier wird die Gift- 
festigkeit durch die Zellwand bedingt, welche infolge der Gewöhnung 
“ für das Kupfer undurchgängig wird. 

Über die Giftgewöhnung bei Protozoen liegen die Versuche von 
Davenport und Neal’) mit Sublimat und Chinin und die von Neu- 


1) Effront, Koch’s Jahresberichte über die Fortschritte in der Lehre 
von den Gärungsorganismen Bd. 2 S. 154. 1891. 

2) Effront a.a. O. 

3) Gimel, Koch’s Jahresberichte Bd. 16 S. 229. 1905. 

4) Pulst, Jahrbuch für wissenschaftliche Botanik Bd. 37 S. 205. 1902. 

5) Davenport and Neal, Arch. f. Entwicklungsmechanik der Organis- 
men Bd. 2 S. 564. 1896. 

Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 15 


2324 S. Neuschlosz: 


haus!) mir Arsen, Antimon, Quecksilber und Kupfer vor, doch wurde 
eine experimentelle Analyse der beschriebenen Giftfestigkeit von den 
genannten Autoren nicht unternommen. Wichtige Beiträge zur Gift- 
gewöhnung der Protozoen lieferten die Untersuchungen von Ehrlich ?) 


und seiner Schüler über arzneifeste Trypanosomen, doch auch hier 


ist das Wesen der Giftgewöhnung unaufgeklärt geblieben; denn die 
Erklärung Ehrlich’s — die Giftfestigkeit beruhe auf einem durch 
subletale Dosen hervorgerufenen Rezeptorenschwund — kann nur als 
eine Umschreibung der Tatsachen angesehen werden. 

Das ganze vorliegende Tatsachenmaterial ins Auge fassend, er- 
scheinen etwa folgende Möglichkeiten der Giftgewöhnung bei niederen 
Organismen zu bestehen :-l. eine Bindung und Überführung des Giftes 
in eine unwirksame (eventuell unlösliche) Form (Fluorgewöhnung der 
Hefe); 2. eine Zerstörung des Giftes durch die gewöhnten Zellen (Form- 
aldehydgewöhnung der Hefe), 3. das Undurchdriaglichwerden der Zell- 
wand für das Gift infolge der Gewöhnung (Kupfergewöhnung bei 
Penicillum). Ob es noch andere Ursachen der Giftgewöhnung ausser 
den erwähnten gibt, kann derzeit nicht gesagt werden. Die von manchen 
Forschern ?) angenommene Abstumpfung der Giftempfindlichkeit der 
Zellen ist eine rein hypothetische Vorstellung und sagt nichts über 
das Wesen der Giftgewöhnung aus. Eine Abstumpfung muss not- 
wendigerweise mit einer physikalischen oder chemischen Veränderung 
der giftempfindlichen Zellen einhergehen, und gerade diese Veränderung 
macht das Wesen der Giftgewöhnung aus. Die Art und Weise, wie 
sich die gewöhnte Zelle des Giftes entledigt. muss für jedes einzelne 
Gift und wohl auch für jede einzelne Zellart gesondert untersucht 
werden. Es schien daher eine lohnende Aufgabe zu sein, den Mechanis- 
mus der Giftgewöhnung bei einzelligsen Organismen einer systemati- 


schen Untersuchung zu unterziehen. 


Versuchsanordnune. 


Als Versuchsobjekt habe ich zu diesem Zwecke ein Protozoon. 
namentlich das Ciliat-Infusor Paramaecium gewählt. Die Wahl viel 
auf Protozoen wegen dem grossen Interesse, weiches diesen Lebe- 
wesen m der menschlichen Pathologie zukommt, auf Paramäcium 


1) Neuhaus, Archives Int. de Pharm. et Therapie t. 20 p. 393. 1910. 

2) Ehrlich, Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft Bd. +42 
S. 17. 1909. — Ehrlich, Beiträge zur exper. Pathologie und Chemotherapie. 
Leipzig 1909. — Ehrlich und Gonder, Exp. Chemotherapie in Prowazek's 
Handbuch der pathogenen Protozoen. Leipzig 1914. 

38) Santesson, Skandinavisches Archiv für Physiologie Bd. 25. 1911. — 
Lewin, Nebenwirkungen der Arzneimittel. Berlin 1909. — Cloötta, Arch. 
f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 50 S. 453. 1903. 


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Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 1. 235 


wegen seiner grossen Empfindlichkeit den meisten Giften gegenüber, 
dann aber auch wegen der Leichtiekeit, mit welcher es verschafft, 
isoliert und kultiviert werden kann. 

Paramaecium caudatıım konnte in grossen Mensen in dem südlich 
von Budapest befindlichen toten Donauast gefunden werden. Die 
Tiere wurden auf die übliche Weise !) isoliert und in etwa 100 cem 
grossen Kölbehen mit zugeschliffenen Glasstöpse!, in Heuinfus kulti- 
viert. Alle 2-3 Tage wurden durch Überimpfen einiger Exemplare 
in frisches Heuinfus neue Kulturen angelegt. Sämtliche zu den Ver- 
suchen verwendete Tiere sind Nachkommen eines einzigen Exemplares, 
bilden also eine reine Linie. Zu den Versuchen wurden die Tiere jedesmal 
zentrifugiert, von der Resten der Nährlösung reingewaschen und in 
destilliertem Wasser suspendiert. Ein vorsichtiges Zentrifugieren 
schadet den Tieren gar nicht, wovon ich mich häufig überzeugen 
konnte. Die Suspensionen mit destilliertem Wasser — wozu dann in 
bekannter Konzentration das Gift hinzugefügt wurde — sind so ge- 
macht worden, dass die Zahl der Paramäcien in einer Volumeinheit 
eine recht grosse war, jedoch die freie Beweglichkeit der Tiere sicher 
nicht einschränkte. Die Mischungen sind zuerst in Reagensgläsern 
in dden später zu beschreibenden Versuchen mit grösseren Flüssigkeits- 
mengen in Kolben mit zugeschliffenem Stöpsel hergestellt worden, 
Nach Hinzufügen des Giftes wurde dann bis zum Ende des Versuches 
etwa jede Minute ein Tropfen der Suspension mittels einer Pipette 
abgehoben und bei Lupenvergrösserung (zehnmal) auf einem Objekt- 
träger untersucht. Sämtliche Kulturen und Versuche sind bei Zimmer- 
temperatur von etwa 20°C. ausgeführt worden. 

Es wurde jedesmal die Lebensdauer der Paramäcien in verschiedenen 
Konzentrationen des Giftes festgestellt. Als Zeichen des Todes wurde 
das Aufhören der aktiven Lokomotion genommen. Dass diese Annahme 
eine rein willkürliche ist, ist chne weiteres klar. Die Beweglichkeit 
der Paramäcien hört früher auf als das Leben; die Lähmung ist in 
den meisten Fällen zuerst noch reversibel und kann durch Versetzung 
der vergifteten Paramäcien in ein giftfreies Medium wieder aufgehoben 
werden, wovon wir uns wiederholt überzeugen konnten. Diese Rever- 
sibilität der Giftwirkung hält einige Minuten an, nach welcher Zeit 
dieselbe nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Für mich hat 
es sich aber gar nicht darum gehandelt, den genauen Zeitpunkt des ein- 
getretenen Todes festzustellen, sondern eine leicht fassbare und genau 
feststellbare Phase der Giftwirkung festzuhalten, um den zeitlichen 
Verlauf der Vergiftung bei den verschiedenen Giftkonzentrationen ver- 


1) Pütter, Tigerstedt's Handbuch der physiologischen Methodik. ], 1. 
Leipzig 1908. 


15* 


225 S. Neuschlosz: 


gleichen zu können. Ob dieser Zeitpunkt der des Todes oder der einer 
anderen, zeitlich festlegbaren und dem Tode naheliegenden Erscheinung 
ist, war für meine Versuche ohne Belang. 

Da die Resistenz der einzelnen Paramäcien trotz ihrer gemein- 
samen Abstammung den Giften gegenüber recht grossen individuellen 
Schwankungen unterworfen ist ');, wurden bei jedem Versuch zwei 
Momente notiert: der Zeitpunkt, zu welchem das erste gelähmte Tier 
gesehen wurde, und der, zu welchem keine mehr sich bewegen konnte. 
Die unten angegebenen Zeiten sind aus den arithmetischen Mitte! 
dieser beiden Zeitpunkte berechnet worden. Da die Giftempfindlich- 
keit der Paramäcien auch von äusseren, zum Teil schwer kontrollier- 
baren Bedinsungen abhängt, wie Temperatur, Beleuchtung usw., mussten 
die miteinander zu vergleichenden Versuche einer Serie gleichzeitig 
nebeneinander ausgeführt werden. 


Normale Chininempfindlichkeit der Paramäcien. 


Als erste zu analysierende Giftgewöhnung wählte ich die an Chinin, 
die infolge ihrer Bedeutung für die Therapie der Malaria ein besonderes 
Interesse beansprucht. Die erworbene Chininfestigkeit der Malaria- 
parasiten ist ja eines der Haupthindernisse einer erfolgreichen Therapie 
der Malaria. Chininfeste Malariaparasiten wurden zum ersten Male 
von Sitt ?) erwähnt, dann von Neiva), Nocht und Werner) u.a. 
Morgenroth und Rosenthal?) führten auf experimentellem Wega 
nach Ehrlich’s Verfahren Chininfestiskeit bei Naganatırypanosomen 
in der Ratte herbei und zeigten, dass dieselben auch in Vitro eine 
srössere Widerstandsfähigkeit gegen das Gift innehatt ] l 
srössere Widerstandsfähigkeit gegen das Gift innehatten als normale 
Trypanosomen. Dass auch freilebende Protozoen gegen Chinin ge- 
Tfestigt, werden können, wissen wir aus den Versuchen von Davenport 
und Neal®) an Stentor coeruleus, doch ist die von den genannten 
erreichte Festigkeit nur gering. 

Bevor ich meine Versuche über Chininfestigkeit anfangen konnte, 
musste ich zuerst die normale Resistenz meiner Paramäcien gegen 
Chinin feststellen. Den Mittelwert vieler, gut übereinstimmender Ver- 
suche mit Berücksichtigung aller oben angeführten Gesichtspunkte 
gibt die erste Kolonne der Tabelie I wieder. Verwendet wurde immer 
eine neutrale Lösung von Chininum hydrochlorieum. 

1) Siehe hierzu auch Neuhaus a.a. O. 

2) Sitt, Journal of the American Medical Assoc. vol. 1. Chicago 1908. 

3) Neiva, zitiert nach Morgenroth und Rosenthal. 

4) Nocht und Werner, Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 34. 
1910. — Werner, daselbst Nr. 39. 

5) Morgenroth und Rosenthal, Zeitschrift für Hygiene und In- 


fektionskrankheiten Bd. 71 S. 501. 1912. 
6) Davenport and Neala.a. O. 


Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 1. 397 


Tabelle I. 


Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in Chininlösungen 
von verschiedener Konzentration. 


Gewöhnte Paramäcien 


Konzentration Normale Para- | Chininkonzentra- | Chininkonzentra- 
der tötenden mäcien tion der letzten | tion der letzten 
Onlösung Nährlösung: Nährlösung: 
> 1: 200 000 1:20000 
Lebensdauer Lebensdauer | Lebensdauer 

le: 100 0X IR au 

11@ 200 Du 4% 6’ 

1: 400 Dr Hr gR 

1: 300 9’ 19% 14’ 

12-22 16600 14’ Sau 35. 

10:0032200 an“ 30’ 48’ 

1: 6400 26 ' 38’ 1 

1: 12800 32 Hl 1h47' 

1: 25 600 Du 1 3% 2h56’ 

1: 51200 Ih 37 1h48' ”o 

1: 102 400 20 5 3436’ =. 

1: 204 800 02) 0.) o2 


Es zeigt sich also, dass das Chinin in der Konzentration von 
1:100 die Paramäcien augenblicklich tötet, während die 
Schwelle der Chininwirkung bei Paramäcien etwa bei einer 
Konzentration von 1:100000 liest. Irgendeine mathematische 
Funktion zwischen der Konzentration der Giftlösung und der Lebens- 
dauer konnte nicht festgestellt werden. 


Die Chiningewöhnung. 

Um eine Gewöhnung der Paramäcien an Chinin herbeizuführen, 
wurde folgendermaassen vorgegangen. Es ist zuerst zu der Nährlösung 
derselben eine geringe Menge Chininum hydrochlorieum zugefügt worden, 
so dass die Gesamtkonzentration an Chinin 1:10000000 betrug. Aus- 
gehend. von dieser Lösung ist dann die Giftkonzentration langsam und 
sukzessive erhöht worden. Von etwa 1:100000 aufwärts konnte bei 
jeder Steigerung der Konzentration an den Paramäcien eine vorüber- 
gehende Depression beobachtet werden, die in einer Herabsetzung 
der Bewegungsgeschwindiskeit und Teilungsintensität zum Ausdrucke 
kam und manchmal nach einigen Stunden, manchmal -— besonders 
bei den höheren Konzentrationen — erst in einigen Tagen wich. Die 
Tiere gewannen dann ihre Beweglichkeit und Vermehrungsfähiskeit 
vollkommen wieder. Bei vorsichtiger Steigerung der Konzentrationen 
konnte ein Absterben der Paramäcien gänzlich vermieden werden. 
Eine Erhöhung der Konzentration ist jedesmal nur dann vorgenommen 
worden, wenn die Tiere die Depression gänzlich überwunden und sich 

2 fe) 
an die vorhergehende Giftkonzentration vollkommen akklimatisiert 


228 S. Neuschlosz: 


hatten. Die während der Gewöhnung durchgelaufene Konzentrations- 
skala war die folgende: ] :10000000, 1:5000000, 1:3000000, 1:2000000, 
1:1500000, 1:1000000, 1:800000, 1:500009, .1:300000, 1:200000, 
1:150000, 1:106000, 1:80000, 1:50000, 1:40000, 1:30000, 1:20000, 
1:15000, 3:10000. 

Die Grenze der Anpassungsfähigkeit scheint bei I1:10000 zu liegen, 
denn grössere Konzentrationen konnten unseren Erfahrungen nach 
niemals ohne Schaden auf die Dauer ausgehalten werden. Die er- 
reichte Chininfestiekeit der gewöhnten Paramäcien wurde ebenso fest- 
gestellt, wie es bei der Resistenzbestimmung der normalen Paramäcien 
geschehen ist. Hierbei zeigte es sich, dass die tatsächliche Festigkeit 
der Paramäcien in destilliertem Wasser immer geringer war, als man 
aus der Chininkonzentration der letzten, gut vertragenen Nährlösung 
hätte schliessen können. Offenbar konnte das Chinin in der Nähr- 
lösung nicht seine volle Giftwirkung entfalten. Die Erklärung dieser 
Erscheinung ist in den Bakterienballen und in den kolloidal gelösten 
Substanzen, welche die Nährlösung enthält und die einen Teil des 
gelösten Chinins zu adsorbieren scheinen, zu suchen. Über die Lebens- 
dauer gefestigter Paramäcien in Chininlösungen von verschiedener 
Konzentration gibt die zweite und dritte Kolonne der Tabelle I Aus- 
kunft, die ebenfalls die Mittelwerte vieler Versuche enthält. Die Ver- 
suchsanordnung war die oben beschriebene. 

Wenn wir nun die einzelnen Kolonnen der Tabelle I miteinander 
vergleichen, ergeben sich folgende Tatsachen: Die Resistenz der 
Paramäcien gegen Chinin lässt sich durch sukzessive Ge- 
wöhnung wesentlich steigern. Konzentrierteren Lösungen 
gegenüber, als die zur Gewöhnurg verwendeten waren, 
erweisen sich jene Paramäcien resistenter, die durch Lö- 
sungen verhältnismässig höherer Konzentration gewöhnt 
worden sind. Die Beobachtung von Davenport und Neal!), 
dass zu konzentrierte gewöhnende Lösungen die Protozoen anstatt 
gegen das Gift abzuhärten, sie im Gegenteil empfindlicher machen, 
konnte ich an Paramäcien nicht bestätigen. Diese Beobachtung scheint 
auf die unrichtige — nicht sukzessive steigende — Art der Gewöhnung 
zurückzuführen zu sein, welche die genannten Autoren angewendet 
hatten. Denselben Grund wird wohl auch die geringe Chininfestiekeit 
haben, welche sie erzielen konnten. 


Beeinflussbarkeit der Chininfestigkeit durch Arsen. 


Eine interessante und für das Wesen der Chininfestigkeit bedeutungs- 
volle Beobachtung hat im Jahre 1911 Bilfinger ?) gemacht, indem 


l) Davenport and Neala.a. O. 
2) Bilfinger, Medizinische Klinik Nr. 13 S. 486. 1911. 


Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. I. 2239 


es ihm gelang, die Chininfestigkeit eines Malariastammes mit Salvarsan 
zu brechen. Diese Beobachtung konnten dann Morgenroth und 
Rosenthal!) an Naganatrypanosomen in manchen Fällen, wenn auch 
nicht immer bestätigen. Es fragte sich daher, ob auch die erworbene 
Chininfestigkeit der Paramäcien mit Arsenikalien zu beeinflussen ist. 
Wenn das der Fall wäre, so müssten gewöhnte Paramäcien in der 
Gegenwart von Arsenmengen, die allen unschädlich sind, Chinm- 
konzentrationen, denen gegenüber sie sich sonst als gefestigt erwiesen 
haben, unterliegen. Um diese Vermutung zu prüfen. musste erst die 
Wirkung des Arsens auf die Paramäcien allein untersucht werden. 
Der Vorgang war hierbei derselbe, den wir bei den Chininversuchen 
oben beschrieben haben. Die Wirkung des Arsens in verschiedenen 
Konzentrationen zeigt die Tabelle II. Verwendet worden ist arsenig- 
saures Natron. 
Tabelle I. 
Lebensdauer der Paramäcien in Arsenlösungen von verschiedener 


Konzentration. 
Konzentration 
der tötenden Lösungen: A an 
Na,AsO, er aramacıen 
1 100 a3 
1 200 Day 
1 400 30' 
I: =800 1510’ 
1: 1600 5h10’ 
1:..3200 6h 
1: 6400 >24h 
1:12800 0) 


#s ergibt sich daher, dass eine Konzentration von 1:12800 von 
Na,AsO, die Paramäcien auf die Dauer unbeeinflusst lässt. Um die 
obenerwähnte Frage zu entscheiden, konnten wir also Na,AsO, in 
einer Konzentration von 1:20000 ruhig verwenden. ohne Gefahr zu 
laufen, dass die Paramäcien unabhängig vom Chinin bereits vom Arsen 
getötet oder zumindest geschädigt werden. Dies haben wir dann auch 
getan. Es wurden jedesmal drei Versuchsreihen aufgestellt. Die erste 
ist mit normalen, nicht chininfesten Paramäcien unter steigenden 
Chminkonzentrationen ausgeführt worden, die zweite ebenso mit an 
Chinin gewöhnten Tieren, die dritte ebenso wie die zweite, nur enthielt 
jedes Gefäss ausser dem in steigenden Mengen angewendeten Chinin 
jedesmal auch Na,AsO, in der Konzentration von 1:20000. Die zur 
zweiten und dritten Versuchsreihe verwendeten Paramäcien stammten 
jedesmal aus demselben Kulturgefäss. Verwendet worden sind nur 
jene Chininkonzentrationen, bei denen nach unseren früheren Er- 


l) Morgenroth und Rosenthala.a. 0. 


230 S. Neuschlosz: 


fahrungen der Resistenzunterschied zwischen normalen und gewöhnten 
Paramäcien recht scharf zutage tritt. Der Mittelwert dieser Versuche 
ist aus Tabelle III ersichtlich. 


Tabelle IT. 


Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in verschiedenen Chinin- 
konzentrationen mit und ohne Zusatz von NazAs0z. 


Gewöhnte Paramäcien 


Konzentration Normale Para- hs 

der tötenden mäcien | Mit Na;AsO, 
Lösung a Sun ı(1:20000) versetzt 

| Lebensdauer Lebensdauer | Lebensdauer 

1: 5.000 28 1. nzuN 28’ 
1:10 000 3. ahlyon | 367 
1:20 000 40 ' ae | 44' 
1:40 000 39% 06) | 6% 
1:80 000 1147’ | o | 1559’ 


N 

Aus diesen Versuchen geht also hervor, dass das Arsen 
die Chininfestigkeit gewöhnter Paramäcien brechen und 
ihre ursprüngliche Chininempfindlichkeit fast vollkommen 
wieder herstellen kann. Eine Überempfindlichkeit, wie sie 
Morgenroth und Rosenthal!) bei mit Salvarsan behandelten 
chininfesten Trypanosomen beobachteten, konnte nicht festgestellt 
werden. Die. Empfindlichkeit der gewöhnten, mit Arsen behandelten 
Paramäcien scheint im Gegenteil etwas, wenn auch nur wenig hinter 
der normaler Paramäcien zurückzubleibken. Der Unterschied zwischen 
der Resistenz gewöhnter Paramäcien mit und ohne Arsen tritt klar 
hervor. 


Das Wesen der Chiningewöhnung. 


Hiermit war der erste Teil der gestellten Aufgabe, der Nachweis 
der Chinimfestigkeit gewöhnter Paramäcien und ihre Beeinflussbarkeit 
durch Arsen, erledigt. Wir konnten uns zu unserer eigentlichen Frage, 
der näheren physikalischen oder chemischen Analyse des Gewöhnungs- 
vorganges, wenden. ; 

Für den Mechanismus einer Giftgewöhnung haben wir anfangs 
drei Möglichkeiten aufgezählt: die Zerstörung des Giftes durch die 
gewöhnte Zelle, die Bindung desselben in einer unwirksamen Form 
und das Undurchgängigwerden der Zellwand für das Gift. Bei einem 
hochmolekularen Gifte, wie es das Chinin ist, musste zuerst an die 
erste Möglichkeit gedacht und eine experimentelle Prüfung derselben 
vorgenommen werden. 


l) Morgenroth und Rosenthala.a. O. 


Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 1. 23] 


Der einfachste Weg zu diesem Zwecke war die Verfolgung des 
Schicksals des zu den Paramäcien zugefügten Chinins. Im Falle ge- 
wöhnte Paramäcien die Fähigkeit erlangten, das Chinin zu zerstören, 
musste der Chiningehalt der sie umgebenden Lösung — eine genügende 
Anzahl von Paramäcien vorausgesetzt — während des Versuches ab- 
nehmen. Um diese Möglichkeit zu prüfen, wurde die Chininkonzen- 
tration der Lösung vor Hinzufügen der Paramäcien festgestellt, die 
Verdünnung, welche dieselbe durch die Zugabe einer genau abgemessenen 
Menge Paramäciensuspension erfuhr, berechnet und nach Abschluss 
des Versuches die Chininkonzentration abermals bestimmt. Ein Ver- 
gleich der Differenz in der Chininkonzentration bei normalen und ge- 
wöhnten Paramäcien musste die Richtigkeit unserer Vermutung ent- 
scheiden. 

Voraussetzung dieses Verfahrens war eine verlässliche und möglichst 
genaue quantitative Methode zur Bestimmung des Chinins in wässe- 
rigen Lösungen. Als geeignet erwiesen sich hierzu die Methoden von 
Heikel!) einerseits und von Gordin ?) andererseits, die abwechselnd 
verwendet worden sind. Über die Einzelheiten der genannten Ver- 
fahren muss auf die Orisinalarbeitev. verwiesen werden. Um die Brauch- 
barkeit derselben zu prüfen, wurde die Chininmenge in einer genau 
bekannten Lösung von Chinimum hvdrochlorieum bestimme. Diese 
Analyse fiel wie folet aus: 0,2127 g Chininum hydrochloricum wurden in 
genau 1000 cem gelöst. Von dieser Lösung wurde dann in vier Proben 
zu 50 ccm das Chinin nach Gordin, in anderen vier nach Heikel 
bestimmt. Die berechnete Menge Chinin in 50 ccm der Lösung betrug 
0,0087 g. Die nach Gordin ausgeführten Bestimmungen ergaben: 
0,0091 g, 0,0085 g, 0,0086 s und 0,0089 &, dienach Heikel ausgeführten: 
0,0086 g, 0,0090 g, 0,0087 & und 0,0085 g. Die Fehlergrenze der beiden 
Methoden beträst also etwa 5%. 

Unsere Versuchsanordnung gestaltete sich folgendermaassen: Zu 
25 cem einer recht dichten Paramäciensuspension wurden 100 ccm 
einer genau bekannten Chininlösung hinzugefügt, so dass die Gesamt- 
konzentration jedesmal ungefähr 1:5000 betrug. In dieser Konzen- 
traticn ist der Unterschied in der Lebensdauer gewöhnter und un- 
gewöhnter Paramäcien, wie wir das aus. unseren früheren Versuchen 
wussten, ein recht beträchtlicher; wir konnten also hoffen, auch bei 
der Chininzerstörung grosse Ausschläge zu bekommen. Bei noch 
geringeren Konzentrationen, wo der Unterschied noch schärfer hervor- 
tritt, hätte die geringe Menge des vorhandenen Chinins zu grosse Fehler 
in der Bestimmung verursacht. Die Lebensdauer der Paramäcien in 
jeder einzelnen Lösung wurde auf die oben beschriebene Weise fest- 


1) Heikel, Chemikerzeitung Nr. 32. 1908. 
2) Gordin, Berichte der deneenen chem. Gesellschaft Nr. 32, III. 1899. 


229 S. Neuschlosz: 


gestellt, nach Ablauf des Versuches die Paramäcien durch Filtrieren 
oder Zentrifugieren entfernt und in der nunmehr reinen wässerigen 
Lösung das Chinin in zweimal 50 cem bestimmt. Dass die vorhandenen 
Lösungen nach Entfernung der Paramäcienleiber als reine wässerige 
Lösungen angesehen werden konnten, habe ich wiederholt mit zu 
‚diesem Zwecke ausgeführten Versuchen festgestellt. Die von den 
Paramäcien während der kurzen Versuchszeit von weniger als einer 
Stunde etwa in die Lösung, sezernierte Stoffwechselprodukte waren 
jedenfalls in zu geringer Menge vorhanden, um die Chininbestimmung 
erheblich zu beeinflussen. Dass die in einem Teil der Versuche gleich- 
zeitig zugefügte Na,AsO, die Bestimmung nicht störte, habe ich auch 
gesondert festgestellt. Um den nach der Heikel’schen Methode vor- 
geschriebenen Niederschlag mit Kaliumquecksilberjodid nicht kolloidal 
ausfallen zu lassen, wurden die abgemessenen 50 ccm Flüssigkeit vor 
der Fällung am Wasserbade auf wenige Kubikzentimeter eingeenst, 
wodurch das Verfahren wesentlich an Genauigkeit gewann. 

Gleichzeitig mit der Frage, ob das Chinin durch gewöhnte Para- 
mäcien zerstört wird, untersuchten wir auch. ob dazugefügtes Arsen 
irgendeine Wirkung auf das Schicksal des Chinims ausübt, und ob die 
festgestellte Eigentümlichkeit des Arsens, die Chininfestigkeit gewöhnter 
Paramäcien zu brechen, auf dieser Grundlage eine Erklärung findet. 
Bei diesen Versuchen wurde in den Versuchsgefässen bei gleichbleibender 
Flüssigkeitsmenge und Chininkonzentration noch eine Konzentration 
an Na,AsO, von 1:20000 hergestellt. Die Ergebnisse sämtlicher hierher 
gehörigen Versuche sind in der Tabelle IV zusammengestellt. 

Unsere Versuche zeigen also, dass die Chininkonzentra- 
tion der Flüssigkeit, in welchem an Chinin gewöhnte Para- 
mäcien sich befunden haben, im Durchschnitt um 80% 
abnimmt, während normale nichtgewöhnte Paramäcien die 
Chininkonzentration unbeeinflusst lassen; der durchschnitt- 
liche Verlust von 4,5%, ist innerhalb der Fehlergrenzen, so dass der- 
selbe keine Folgerungen zulässt; jedoch spricht der Umstand, dass 
alle acht Bestimmungen einen Verlust an Chinin aufweisen, doch dafür, 
dass auch normale Paramäcien das Chinin in ganz geringem Grade 
zum Verschwinden bringen. Ferner konnte gezeigt werden, 
dass gleichzeitig anwesende geringe Mengen von Arsen die 
erwähnte Tätigkeit der Paramäcien zu hemmen imstande 
sind, so. dass der Chininverlust durch gewöhnte Para- 
mäcien in der Gegenwart von Na,AsO, den durch normale 
Paramäcien bedingten kaum übersteigt (8%). 

Mit diesen Ergebnissen ist eine Ursache für die Chinimfestigkeit 
gewöhnter Protozoen gegeben. Dass das verschwundene Chinin tat- 
sächlich durch die gewöhnten Paramäcien zerstört worden ist, erhärtet 


239 


T: 


Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 


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q 9610°0 | 86 98 82000 | 99 9 1030°0 ‚6 90300 
9 £610°0 ‚68 IS 86000 | ,8Tul Ü 8610°0 ‚s2 90800 
2 LION ‚73 08 19000 | ‚2 ul I 7030°0 ‚TE 9030°0 
F L610°0 ‚88 ss E200°0 99 L - 36100 ‚2 90800 
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== Ir | = A IEO0'O | „9 cl G | LL20°0 96 9800 
SE 23 | cs vF00'0 | ı9Pul h) 89200 ‚br 98500 
SE — | w- 68 96000 | 98 & 9130'0 ‚7° 98500 
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234 S. Neuschlosz: 


die Tatsache, dass es uns auf keine Weise gelang, das Chinin aus 
den toten und abzentrifugierten Paramäcienleibern wiederzugewinnen 
und nachzuweisen. Es wurden zu diesem Zwecke die Paramäcien mit 
Quarzsand zerrieben, mit Lauge versetzt und mit Chloroform aus- 
geschüttelt, ein anderes Mal mit verdünnter Salzsäure stundenlang 
gekocht. Sämtliche Extraktionsversuche blieben erfolglos: Es konnte 
in den Extrakten mit Kaliumquecksilberjodid keine Spur 
von Chinin nachgewiesen werden. Es muss daher auf eine 
Zerstörung des Chinins durch die Paramäcien geschlossen werden. 

Auf welche Weise diese Zerstörung vor sich geht, ist natürlich 
noch keineswegs klar. Jedenfalls liegt es nahe, an Abwehrfermente 
zu denken. Dass niedere Organismen die Bildung ihrer Fermente 
nach dem augenblicklichen Bedarf regulieren können, ist ja bekannt), 
und da könnte es uns gar nicht wundernehmen, wenn sie auch gegen 
das ihnen zugefügte Chinin Fermente zu mobilisieren imstande wären. 
Dass der tierische Organismus gegen Alkaloide gerichtete spezifische, 
fermentartige Abwehrstoffe zu produzieren vermag, beweisen unter 
anderen die Untersuchungen von Fleischmann ’?), Metzner?°) und 
Schinz *) über die Atropinresistenz bei Kaninchen. 

An dieser Stelle sei auch kurz die von Löwenstein und mir’) 
und unabhängig von uns von Teichmann ®) beschriebene Chinin- 
gewöhnung bei Menschen erwähnt, die nach unseren Versuchen auch 
auf gesteigerte Zerstörung des Chinins im Organismus zurückzuführen 
ist. Ähnliche Ergebnisse zeitigten auch die Versuche von Löwenstein 
und Kosian’) an Hunden. Die Richtigkeit dieser Befunde ist von 
Hartmannund Zilla 8) einerseits, von Giemsa und Halberkamm °) 
andererseits bestritten worden, so dass die Frage als unentschieden 
angesehen werden muss. Ich hoffe, auf dieselbe demnächst mit neuem 
Versuchsmaterial eingehend zurückkehren zu können, will sie daher 
hier nur gestreift haben. 

Eine ganz neue Beleuchtung erfährt durch unsere Ergebnisse auch 
die Beeinflussbarkeit der Chininfestigkeit durch Arsen. Arsen hemmt 
nach den Angaben der Tabelle IV die Zerstörung des Chinins in Mengen, 
welche die sonstige Lebenstätigkeit der Paramäcien vollkommen un- 


3) Metzner, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 68 S. 110. 1912. 
4) Schinz, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 81 S. 193. 1917. 
5) Löwenstein u. Neuschlosz, Zeitschrift f. Hyg. u. Infkr. Bd. S4. 
1917. — Neuschlosz, Münchener med. Wochenschrift Nr. 37 u. 39. 1917. 
6) Teichmann, Deutsche med. Wochenschrift Nr. 36. 1917. 
7) Löwenstein und Kosian, Zeitschr. f. Hyg. u. Infkr. Bd. 84. 1917. 
8) Hartmann und Zilla, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 83. 1918. 
9) Giemsa und Halberkamm, Arch. f. Schiffs- u. Tropenhygiene 
Bd. 24. 1918. 


Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 1. 235 


beeinflusst lassen (s. Tab. III). Es ist also eine ganz elektive Wirkung 
des Arsens. welcher wir gegenüberstehen. Und als elektive Wirkung 
desselben ist auch die durch Arsen bedingte Hemmung der Dissimi- 
lationsprozesse, namentlich der Oxydationen der Zelle, bekannt!). In 
diesem Sinne muss auch die Hemmung der Chininzerstörung als Be- 
einflussung des Dissimilationsvermögens der Zelle gedeutet werden. 


Zusammenfassung. 


Als Ergebnis unserer Arbeit lässt sich kurz folgendes sagen: 

1. Paramaecium caudatum erweist sich Chinin gegen- 
über als recht empfindlich. Der Schwellenwert der töd- 
lichen Konzentration ist ungefähr 1:100000, das die Para- 
mäcien in etwa 2 Stunden tötet. 

2. Durch sukzessives Gewöhnen an immer steigende 
Konzentrationen lässt sich eine hochgradige Festigung der 
Paramäcien gegen Chinin herbeiführen. Die Festigung ist 
um so erheblicher, je konzentrierter die letzte gewöhnende 
Lösung war. 

3. Durch gleichzeitiges Hinzufügen geringer — an sich 
unschädlicher — Mengen von Na,AsO, lässt sich die Chinin- 
festigkeit der Paramäcien brechen und die ursprüngliche 
Chininempfindlichkeit wiederherstellen. 

4. Gefestigte Paramäcien erlangen die Fähigkeit, das 
Chinin zu zerstören; diese Fähigkeit geht normalen Para- 


mäcien fast vollkommen ab. 


5. Arsen, das die Chininfestigkeit der Paramäcien bricht, 
hemmt auch die Zerstörung des Chinins durch dieselben. 


l) Onaka, Zeitschrift für physiologische Chemie Bad. 70 S. 433. 1911. — 
Siehe auch Otto Loewi, Noordens Handbuch der Pathologie des Stotf- 
wechsels Bd. 2 S. 755. Berlin 1909. 


Weitere Studien über die von einzelnen Organen her- 
vorgebrachten Substanzen mitspezifischer Wirkung). 
II. Mitveılung?2), 

Von 
Emil Abderhalden. 

(Aus dem physiologischen Institut der Universität Halle.) 

Mit Tafel III-VI. 


(Eingegangen am 5. Mai 1919.) 


Die Forschungen der letzten Jahre haben immer mehr Material 
für die Annahme erbracht, dass der gesamte Stoffwechsel in Abhäneie- 
keit von bestimmten exogenen Nahrungsstoffen steht. Je tiefer in 
das ganze Forschungsgebiet vorgedrungen wird, um so mehr zeigt es 
sich, dass die Verhältnisse nicht einfach liegen. Schon der Umstand, 
dass die einzelnen Tierarten auf das Fehlen bestimmter Stoffe ganz 
verschieden antworten, und ferner die Ausfallserscheinungen nicht durch 
dieselben Stoffe zu beheben sind, zeigt, dass von einer Vielheit von 
Substanzen gesprochen werden muss. Mir scheint immer mehr die An- 
nahme am wahrscheinlichsten, dass man die sogenannten Nutramine 
als Reizstoffe aufzufassen hat, auf die bestimmte Zellarten im Organis- 
mus eingestellt sind. Es liegt in gewissem Sinne eine Wechsel- 
beziehung vor, die über den Zellstaat des einzelnen In- 
dividuums hinaus sich auf die Aussenwelt erstreckt. Viel- 
leicht handelt es sich im einzelnen Falle um eine Anpassungserscheinung. 
Mit der Nahrung werden diese Stoffe normalerweise aufgenommen. 
Sie begleiten die einzelnen Nahrungsstoffe und sind vielleicht not- 
wendig, damit deren Verwendung im Organismus in die richtigen 
Bahnen gelenkt wird. Allem Anschein nach wirken diese Stoffe, oder 
viele davon, auf die Verdauungsdrüsen ein. Ferner ist ein Einfluss 
auf die Darmperistaltik unverkennbar. Darüber hinaus sind ohne 
Zweifel Einflüsse auf das Nervensystem und speziell auf das sym- 
pathische erkennbar. 

Das ganze erwähnte Forschungsgebiet steht ohne Zweifel in engsten 
Beziehungen zu dem Problem der Wechselbeziehungen der 


1) Ausgeführt mit Mitteln der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft. 
2) I. Mitteilung: Dieses Archiv Bd. 162 S. 99. 1915. 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 237 


einzelnen Organe zueinander. Zurzeit stellen wir uns vor, dass: 
die einzelnen Zellarten Stoffe hervorbringen, die ausserhalb des Zell- 
verbandes in anderen Zellarten bestimmte Funktionen in die Wege 
leiten oder doch beeinflussen. Wir nehmen an, dass sogenannte Inkrete 
der Lymphbahn oder Blutbahn übergeben werden, worauf sie dann 
eine Fernwirkung dadurch entfalten können, dass sie zu bestimmten 
Zellen in Beziehung treten. Wir dürfen uns diese Beziehungen nicht 
zu einseitig vorstellen. Sie brauchen nicht nur chemischer Natur zu 
sein. Es ist sehr wohl möglich, dass physikalische und physikalisch- 
chemische Einflüsse sich geltend machen. Vor allen Dingen muss 
man an Beziehungen zu den Kolloiden der Zellen denken. Vor allem 
wäre es möglich, dass durch die Inkrete auch die Durchlässigkeit der 
sogenannten Zellmembranen, das heisst der Grenzschicht in den Zellen 
in typischer Weise beeinflusst würde. Überblickt man das ganze 
grosse Forschungsgebiet rein sachlich, dann muss man anerkennen, 
dass zurzeit die Hypothesen noch einen sehr weiten Spielraum haben, 
während das tatsächlich Festgestellte noch einen kleinen Raum ein- 
nimmt. Um so mehr muss es unser Bestreben sein, aus den einzelnen 
Organen Stoffe zu isolieren, die rein sind und ganz bestimmte Wir- 
kungen entfalten. Wahrscheinlich wird sich dabei herausstellen, dass 
der Organismus nicht mit einzelnen Stoffen, sondern mit Gemengen 
von solchen arbeitet. Vor derartigen Studien schreckte die Vorstellung 
zurück, dass die Inkrete hochmolekulare, kompliziert gebaute Stoffe 
sein sollten. Dieser Gedanke wurde immer wieder genährt, weil be- 
stimmt behauptet wurde, dass zum Beispiel das wirksame Prinzip 
der Schilddrüse ein jodhaltiger Eiweisskörper sei. 

Da nun die Schilddrüse auch dann bestimmte Wirkungen im 
Organismus hervorbringt, wenn sie verfüttert wird, so musste der 
Verdacht geweckt werden, dass vielleicht doch die wirksamen Stoffe 
— die sogenannten Inkrete — einfacherer Natur sein könnten, als 
man bis jetzt angenommen hatte. Dieser Gedankengang veranlasste 
_ meine Studien über das Verhalten von vollständig abgebauten Organen 
gegenüber verschiedenen Funktionen im Organismus höherer Tiere und 
auf das Wachstum und die Entwicklung verschiedener niederer Tier- 
arten. Der Plan war vollständig klar vorgezeichnet. Zunächst musste 
_ festgestellt werden, ob gänzlich eiweiss- und peptonfreie Organbestand- 
teile noch irgendwelche spezifische Wirkungen haben. Der Abbau 
wurde zunächst durch Autolyse vollzogen. Dabei erhält man aller- 
dings keine vollständige Spaltung. Dieser Weg wurde beschritten, 
um fremdartige Zusätze zu vermeiden. In der Folge wurde dann der 
Abbau der einzelnen Organe so durchgeführt, dass Autolyse und Ver- 
dauung mit Pankreas- und Darmsaft zusammen durchgeführt wurden. 
In einigen Fällen wurde die Verdauung durch Magensaft eingeleitet. 


2338 Emil Abderhalden: 


Von Zeit zu Zeit wurden die Verdauungssäfte von neuem zugesetzt. 
Gewöhnlich dauerte die einzelne Verdauung 1—2 Monate. Das Fort- 
schreiten des Abbaues wurde an Hand der Biuretreaktion kontrolliert. 
Zur Kontrolle wurden stets Versuche ausgeführt, bei denen die un- 
veränderten Organe direkt verwendet wurden. 

Bei späteren Versuchen wurden die Organe mit Säure abgebaut. 
Dieser Weg wurde nicht sofort beschritten, weil die Erfahrung gezeigt 
hat, dass zahlreiche Stoffe das Kochen mit Säuren nicht vertragen. 
Der Abbau durch Fermente ist auf alle Fälle der mildere. Der Abbau 
mit Säure wurde in folgender Weise durchgeführt: Die Organe wurden 
blutfrei gewaschen und dann ganz fein zerkleinert. Nunmehr wurden 
sie auf Filtrierpapier vom aussen anhaftenden Wasser befreit und 
dann mit der zennfachen Menge 5 %,iger Schwefelsäure bei der Tem- 
peratur des Wasserbades so lange gekocht, bis vollständige Lösung 
eingetreten war. Im Durchschnitt musste vier- bis sechsmal 8 Stunden 
gekocht werden. Später wurde die Schwefelsäure 10 %ig angewandt. 
Das Hydrolysat wurde filtriert und die Schwefelsäure sehr sorgsam 
mit Baryt entfernt. Hierbei wurde peinlich genau darauf geachtet, 
dass die Reaktion niemals alkalisch wurde. Die schwefelsäure- und 
barytfreie Lösung wurde vom Barinmsulfat durch Filtrieren getrennt 
und dann bei 40°.des Wasserbades und einem Druck von ungefähr 
15 mm Hg zur Trockene verdampft. Der Rückstand wurde in Wasser 
gelöst und dann zu den Versuchen verwendet. 

In einigen Fällen wurden die Organe, bevor sie hydrolysiert wurden, 
mit verschiedenen Lösungsmitteln, wie Alkohol, Aceton, Chloroform, 
ausgezogen und die Extrakte für sich geprüft. In anderen Fällen wurde 
der oben erwähnte Destillationsrückstand, der die Spaltprodukte aus 
den Organen enthielt, mit den gleichen Lösungsmitteln behandelt. 
Ferner wurden Fällungen erzeugt, -das heisst, die alkoholische Lösung 
wurde zum Beispiel mit Aceton gefällt. Niederschlag und nichtgefällter 
Anteil wurden dann getrennt auf Wirksamkeit geprüft. Diesen 
Versuchen kommt zunächst keine ausschlaggebende Bedeutung zu, 
denn die Erfahrung hat gezeigt, dass unreine Stoffe sehr leicht andere 
mit niederreissen oder aber in Lösung halten. Von einer reinlichen 
Trennung kann keine Rede sein. Ja, gleich durchgeführte Trennungs- 
methoden können, wie der direkte Versuch zeigt, unter Umständen 
zu ganz verschiedenen Resultaten führen. Wir legen deshalb auf die 
aus derartigen Versuchen gezogenen Schlussfolgerungen keinen allzu 
grossen Wert. 

Vor allen Dingen müsste in jedem einzelnen Falle geprüft werden, 
ob eine isolierte Substanz, die sich als unwirksam erweist, auch im 
genuinen Zustande diese Eigenschaft besitzt, oder aber erst durch die 
ganze Behandlungsmethode unwirksam geworden ist. Erweist es sich 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 239 


ferner, dass aus einem Gemisch abgetrennte Substanzen andere Wir- 
kungen zeigen als dieses, dann muss ebenfalls festgestellt werden, ob 
nicht die angewandte Methode schuld an der ganzen Veränderung ist. 
Man darf nicht einfach mit allen möglichen Lösungsmitteln trennen 
und sich damit begnügen, die besonderen Wirkungen der einzelnen 
Fraktionen zu prüfen. Die gegebene Versuchsordnung für die Ent- 
scheidung derartiger Fragestellungen ist die folgende: Hat man eine 
Substanz, die sich als wirksam erweist, und gelingt es, aus ihr eine 
unwirksame und eine wirksame Komponente abzutrennen, von denen 
die letztere eine andere Wirkung hat als das Gemisch, dann muss 
festgestellt werden, ob nach Vereinigung der getrennten Komponenten 
wieder die ursprüngliche Wirkung zustande kommt, oder aber, ob 
durch die angewandte Methode sich eine Veränderung einer oder beider 
Komponenten nachweisen lässt. Solange nur die abgetrennten Produkte 
für sich untersucht werden, wird man nie zu klaren Schlüssen kommen. 
Wir teilen deshalb unsere reichlichen, nach dieser Richtung ausgeführten 
Versuche noch nicht mit, weil sie von dem erwähnten Gesichtspunkte 
aus noch nicht spruchreif sind. 

Die von mir gefundene Tatsache, dass vollständig eiweissfreie, 
tief abgebaute Organe qualitativ die gleiche Wirkung auf 
das Wachstum und die Entwicklung von Kaulquappen 
ausüben, wie die nicht abgebauten Gewebe, ist von 
J. M. Rogoff und David Marine!) und Romeis’) vollständig 
bestätigt worden. Auch diese Forscher konnten zeigen, dass hydrolv- 
sierte Organe in der genannten Beziehung wirksam sind. Romeis 
hat darüber hinaus versucht, bestimmte Stoffe aus den Organen zu 
isolieren, und die Frage zu entscheiden, ob bestimmte Körperklassen 
für die Wirkung verantwortlich gemacht werden können. Er hat 
damit den gleichen Versuchsplan betreten, den ich auf breiter Grund- 
lage durchführen wollte. Selbstverständlich hat jeder Forscher auf 
dem ursprünglich von Gudernatsch eröffneten Forschungsgebiete 
freie Bahn. Ich würde die folgenden Versuchsergebnisse gern noch 
zurückgehalten haben, um im Laufe der Zeit zu einem abgerundeten 
Ergebnis zu kommen. Die von Romeis mitgeteilten Untersuchungen 
veranlassen mich jedoch, jetzt schon diejenigen Resultate mitzu - 
teilen, die in sich abgeschlossen sind. 

Es sei auch darauf hingewiesen, dass Abelin ?) die wichtige Be- 
obachtung gemacht hat, dass ein eiweissfreies jodarmes Schilddrüsen- 
präparat ebenso auf den Stoffwechsel wirkte, wie ein eiweisshaltiges, 


1) J.M.Rogoffund David Marine, J. Pharm. Therap. Bd. 98.57. 1916. 


2) Benno Romeis, Z. f. die gesamte experim. Medizin. 6.-und Dieses 
Archiv Bd. 173 S. 422. 1919. 


3) J. Abelin, Biochem. Zeitschr. Bd. 80 S. 259. 1917. 
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 16 


340 Emil Abderhalden: 


das heisst, auch er hat feststellen können, dass die Wirkung der Schild- 
drüse nicht an das Vorhandensein eines jodhaltigen Eiweisskörpers 
geknüpft ist. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Inkretionsorgane geringe 
Inkretmengen in freiem Zustand in sich enthalten. Laugt man frische 
Organe mit Wasser aus, so erhält man in ihm wirksame Stoffe. Ihre 
Menge ist jedoch sehr gering. Sie steigt mit zunehmender Autolyse. 
Wird ein Organ durch Auskochen mit Wasser von allen löslichen Be- 
standteilen befreit, dann gewinnt man bei seiner Hydrolyse wieder 
wirksame Stoffe Es geht daraus hervor, dass die Inkretstoffe 
in den Organen zum kleinsten Teil frei, zum grössten 
Teil in Bindung vorhanden sind. 

Ich möchte noch ganz besonders hervorheben, dass die ausge- 
führten Untersuchungen auf keinen Fall etwas über die 
gesamte Funktion der geprüften Organe aussagen können. 
Es werden ja immer nur Teilfunktionen geprüft, so zum Beispiel Ein- 
flüsse auf das Wachstum und die Metamorphose von niederen Tieren, 
oder es wird der Einfluss auf die glatte Muskulatur für sich festgestellt. 
Selbstverständlich kann ein bestimmter Einfluss beobachtet oder aber 
vermisst werden, und trotzdem kann das geprüfte Produkt in anderer 
Beziehung unwirksam oder aber wirksam sein. Man kann somit einst- 
weilen auch nicht die gesamte pharmakologische Prüfung der einzelnen 
Inkrete, zum Beispiel! durch Kaulquappenversuche, ersetzen. Es ist von 
grösster Bedeutung, dass die einzelnen Stoffe auch am höher organi- 
sierten Tiere und vor allen Dingen an überlebenden Organen geprüft 
werden. ‚Je mehr verschiedenartige Beobachtungen vorliegen, um so 
weiter wird unser Blick für die Beurteilung der Funktionen der ein- 
zelnen Organe werden. 

Meine eigenen Studien sind in der Hauptsache in den Jahren 1914 
bis 1918, ausgeführt worden. Sie werden auch in diesem Jahre fort-., 
gesetzt. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, dass es notwendig ist. 
die Zahl der Versuche möglichst gross zu gestalten und vor allen Dingen 
möglichst viele Kontrollversuche durchzuführen. Es hat sich gezeigt, 
dass auch ohne Zusatz von besonderen Substanzen eigenartige Er- 
scheinungen im Wachstum und in der Metamorphose vorkommen. 
Unter 1000 Kaulquappen waren immer 10-20, die in dieser Richtung 
Abnormitäten zeigten. Wir haben beschleunigte Metamorphosen beob- 
achtet, das heisst, es bekamen Kaulquappen innerhalb der ersten 
10 bis 14 Tage alle vier Beine, während die überwiegend grosse 
Mehrzahl der Versuchstiere unter denselben Bedingungen ihre Meta- 
morphose beträchtlich später vollendete. Die sich rasch entwickelnden 
Tiere blieben klein. Sie waren meist auch heller gefärbt. Wieder 
andere zeigten ein gesteigertes Wachstum, oder besser ausgedrückt, 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 241 


ihre Körpergrösse nahm bedeutend zu, während die Metamorphose im 
Rückstand blieb. Es wird von grösstem Interesse sein. festzustellen, 
ob diesen Erscheinungen Anomalien in der Funktion der Schilddrüse und 
der Thymusdrüse oder anderer Organe zugrunde liegen. Histologische 
Untersuchungen sind bereits im Gange. Bemerkt sei noch, dass es 
vorkommen kann, dass alle Abkömmlinge aus einem bestimmten 
Laichklumpen sich anormal entwickeln. Selbstverständlich sind der- 
artige Tiere nicht zu den Versuchen verwandt worden. 

Bezüglich der mitgeteilten Abbildungen sei noch hervorgehoben, 
dass, wo nichts besonderes vermerkt ist, die Tiere S—14 Tage unter 
dem Einilusse der betreffenden Substanz standen. 

Die Versuche sind vor allen Dingen auch auf Axolotl, Tritonen 
und Wasserkäfer, ferner auf Copepoden ausgedehnt worden, und 
endlich sind mehrere Tausend von Wolfsmilchschwärmer-Raupen 
als Versuchstiere herangezogen worden. Die Absicht war, festzustellen, 
ob es möglich ist, die Raupen als solche in ihrem Wachstum zu be- 
einflussen. Ferner war die Möglichkeit gegeben, dass die Verpuppung 
früher oder später erfolgte, und endlich sollte geprüft werden, ob die 
Farbe der Raupen sich durch die Art der dargereichten Zusätze be- 
einflussen lässt. Bekanntlich zeigen die Wolfsmilchschwärmer-Raupen 
ein ausserordentlich buntes Bild. Es scheint, als ob durch Ver- 
abreichung von alkoholischem Hefeextrakt die Zahl der dunkel- 
gefärbten Raupen zunimmt, doch möchte ich einstweilen keine 
bestimmten Angaben machen. Auch hier gilt es, mehr Erfahrung 
zu sammeln. Die Raupen sind alle gezeichnet und gemalt worden, 
um so ein zuverlässiges Vergleichsmaterial für spätere Versuche zu 
haben. 

Hinzufügen möchte ich noch, dass zahlreiche Versuche über den 
Einfluss der Färbung der Raupen auf diejenige der 
Schmetterlinge gemacht worden sind. Es gibt bei den Wolfsmilch- 
schwärmer-Raupen ganz besondere Typen von Färbungen, zum Beispiel 

solche, deren Grundfarbe schwarz ist und die eine schwarze Rücken- 

linie besitzen. Andere haben eine rote Rückenlinie, wieder andere 
sind in der Hauptsache rötlich gefärbt. Es sind besonders die Seiten- 
flecke rötlich. Wieder andere sind in der Hauptsache gelb bis gelb- 
grün gefärbt. Alle diese Färbungen kommen auch kombiniert vor. 
Wir haben eine grosse Zahl von solchen bestimmt gefärbten Raupen 
ausgesucht und dann verfolgt, was aus ihnen wurde. Es liess sich ein 
Zusammenhang der Färbung der Flügel der Schmetterlinge mit der 
Färbung der Raupen nicht feststellen. 

Als besonderer Befund, der zufällig erhoben wurde, sei erwähnt, 
dass beim Auflegen von Schmetterlingsflügeln auf eine 
photographische Platte ohne jede Belichtung ein positives 

16 


242 Emil Abderhalden: 


Bild entsteht!). Wir haben diesen Versuch oft wiederholt; das 
Resultat war immer das gleiche, nur wurde ab und zu einmal 
ohne erkennbare Ursache auch ein negatives Bild erhalten. 
Auch die entschuppten Schmetterlingsflügel geben positive Bilder. Wir 
sind dabei, festzustellen, worauf diese Erscheinung beruht. In Frage 
kommt in erster Linie der Kalium- und der Purinbasengehalt 
der Flügel. Es soll auch geprüft werden, ob bereits die Raupen diese 
Einwirkung auf die photographische Platte zeigen. Die im vergangenen 
Jahr in dieser Richtung ausgeführten Versuche haben kein endgültiges 
Ergebnis gezeitigt. 

Wir haben vorläulig Versuche mit Purinbasen, Nukleinen, Nuklein- 
säuren und Nukleoproteiden ausgeführt und ferner geprüft, ob auch 
dann Bilder entstehen, wenn die Schmetterlinge bezw. die genannten 
Substanzen der photographischen Platte nicht direkt aulliegen. Dass 
die letzteren bei direkter Berührung mit der Platte Wirkungen zeigen, 
ist nicht überraschend. Es könnte sich hierbei um direkte chemische 
Einflüsse handeln. Die Seite 244 und 245 mitgeteilte Übersicht gibt einige 
der erhalienen Resultate wieder. Die Versuche werden fortgesetzt. 
Endlich interessierte die Frage, ob der Schmetterling als 
solcher irgendwie durch besonders gefütterte Raupen be- 
einflusst wird. Untersucht wurde die Grösse und die Farbe der 
Schmetterlinge. Ein einheitliches Resultat wurde leider nicht erhalten. 
Raupen, die Hypophysensubstanzen erhalten hatten, ergaben zum 
Teil auffallend grosse Schmetterlinge. Ein Teil zeigte einen sehr grossen 
Körper, die Flüge! dagegen waren ganz klein. Ferner zeigten auf- 
fallend viele Tiere rötlich gefärbte Vorderflügel. Tiere, die Schild- 
drüsensubstanz aufgenommen hatten, waren zum Teil auffallend 
klein und dabei wohl ausgebildet. Einzelne Tiere zeigten auf den 
Hinterflügeln ein sehr breites schwarzes Band. Zahlreiche Tiere 
zeigten unvollkommen entwickelte Flügel. Auffallend klein blieben 
die Tiere, die Nebennierensubstanz aufgenommen hatten. Auch, 


hier waren zahlreiche missgestaltete Tiere vorhanden. Auffallend grosse’ 


Tiere wurden bei den Hodenversuchen beobachtet. Die Thymus- 
tiere zeigten besonders zahlreich auffallend blasse Vorderflügel. Mit 
Hefeextrakt — gewonnen durch Auskochen von Hefe mit Alkohol 
und Eindampfen der alkoholischen Lösung und Lösen des Rückstandes 
in Wasser — wurden im Durchschnitt auch recht grosse Tiere erhalten. 
Auffallend waren besonders die lebhaften Farben sowohl der Raupen. 
als der Schmetterlinge. Die Strumaschmetterlinge waren im Durch- 
schnitt klein. Das gleiche war bei den Sarkomtieren der Fall. Bei 
Verabreichung von abgebautem Carcinom wurden auffallend viele 


l) Die gleiche Beobachtung hat kürzlich G. W olf in der Naturforschen- 
den Gesellschaft in Basel mitgeteilt, wie ich einer Zeitungsnotiz entnehme. 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 243 


missgestaltete Schmetterlinge beobachtet. Mit Ovarium gefütterte 
Raupen ergaben Schmetterlinge, die besonders oft rötliche Vorder- 
flügel besassen. In keinem einzigen Falle war jedoch das Resultat 
ein einheitliches. Es mag sein, dass die ausserordentlich schwierige 
Zufuhr der Substanzen an den unregelmässigen Resultaten schuld ist. 
Die Versuche wurden in der Weise vorgenommen, dass die zu prüfenden 
Substanzen in 1%,iger Lösung durch Zerstäuber auf die Wolfsmilch- 
pflanzen geblasen wurden. Die Substanzen wurden während des Tages 
stündlich aufgehlasen. Die Wolfsmilchpflanzen selbst wurden täglich 
erneuert. Es ist natürlich unter diesen Verhältnissen sehr schwer, 
für eine regelmässige und in allen Fällen gleich gute Aufnahme der 
Substanzen Scrge zu tragen. 

Endlich haben wir versucht, Einfluss auf die Entwicklung von 
Ameisen zu gewinnen. Auch hier ist ein abschliessendes Urteil noch 
nicht möglich. 

Ich möchte noch ausdrücklich betonen, dass der Plan für diese 
ganzen Versuche nicht nur von dem Gesichtspunkte aus aufgenommen 
worden ist, eine Basis zum Studium der Wirkung der einzelnen 
Inkretstoffe zu gewinnen, sondern es sollte gleichzeitig die Möslich- 
keit geschaffen werden, die Inkrete mehrerer Organe in Mischungen 
anzuwenden. Eine geregelte Aufnahme der einzelnen Produkte war 
nur denkbar, indem man sie einzeln löste und dann ihre Lösungen 
in bestimmten Anteilen mengte. Ich bin überzeugt, dass auf diesem 
Wege in Zukunft am besten die Zusammenhänge der einzelnen Organe 
sich klarstellen lassen. 

Tıeider sind wir von der Reindarstellung der einzelnen 
Inkretstoffe noch weit entfernt. Die ganzen Versuche sind 
dadurch ausserordentlich gehemmt, dass zurzeit die einzelnen Organe 
nur sehr schwer erhältlich sind. Dazu kommt noch der grosse Mangel 
an Chemikalien, der noch auf lange Zeit hinaus die wissenschaftliche 
Forschung sehr stark beschränken wird. Solange man nicht die einzelnen 
Substanzen als einheitlich definieren kann, kann man derartige Studien 
nur als Vorläufer für spätere exaktere betrachten. Sie stellen nur 
eine Stufe an einer Stufenleiter dar, die noch sehr viele Sprossen nach 
oben zeigt. 

Besonders erwähnen wollen wir noch, dass sehr viele Untersuchungen 
ausgeführt worden sind, um bereits bekannte Substanzen auf ihre 
Wirkungen auf Wachstum und Entwicklung, speziell von Kaulguappen, 
zu prüfen. Die Untersuchung der einzelnen Monoamino- 
säuren ergab, dass diesen keine spezifische Wirkung auf 
Wachstum und Entwicklurg zukommt. 

Zu den einzelnen mit Kaulquappen ausgeführten Versuchen ist 
ganz allgemein noch folgendes zu bemerken: 


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Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 245 


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MONIIAYUSL| 489JESUursT 


246 Emil Abderhalden: 


Die Versuchstiere wurden zu Gruppen vereinigt, und zwar bestanden 
diese aus einer grösseren Anzahl von Kontrolltieren, und dann folgten 
diejenigen Versuchstiere, die Zusätze erhielten. Jede Gruppe ent- 
stammte demselben Laich. Es handelte sich um Laich von Rana tem- 
poraria, Rana esculenta, Pelobates fuscus, Bombinator 
igneus, Bufo vulgaris, B. calamita. Sämtliche Versuchstiere 
befanden sich unter genau denselben Versuchsbedingungen. Sie wurden 
ın Glasschalen (Durchmesser 14,3 cm, Höhe 4,6 cm) in 200 ccm Wasser 
gehalten. Das Wasser wurde täglich oder alle zwei Tage gewechselt, um 
zu verhindern, dass Zersetzungsprozesse die zugefügten Stoffe beein- 
flussten. Ausserdem wollten wir stets über die Konzentration der an- 
gewandten Stoffe genau unterrichtet sein. Das Wasser wurde nie frisch 
aus der Leitung verwendet. Es wurde vielmehr schon am vorhergehenden 
Tage im gleichen Raume aufhewahrt. Diese Vorsichtsmassregei wurde 
angewandt, um Störungen im Wohlbefinden der Tiere durch schroffe 
Temperaturänderungen zu vermeiden. Bei einigen Versuchen wurden 
Algen zugesetzt, bei anderen nicht. Es zeigte sich, dass die besten 
Resultate dann erhalten wurden, wenn der Zusatz von Algen oder 
anderer Nahrung unterhblieb. Handelte es sich darum, die Tiere mög- 
lichst lange am Leben zu erhalten, dann mussten Algen dem Wasser 
zugefügt werden. Wir haben einzelne Versuchstiere 10 Monate be- 
obachten können. Die Zahl der Versuche ist eine ausserordentlich 
grosse. Die Versuchstiere wurden täglich gemessen, und zwar wurde 
festgestellt: die Rumpflänge, die Schwanzlänge und die Rumpfbreite, 
wobei der breiteste Teil des Rumpfes gemessen wurde. Die gemachten 
Beobachtungen decken sich in vielen Teilen mit den bereits mitgeteilten 
Ergebnissen. 


I. Einfluss von Schilddrüsensubstanz auf Wachstum 
und Entwicklung. 


Zur Verwendung kam vollständig abgebaute Schilddrüsen- 
substanz — hydrolysiert durch Fermentwirkung oder 
durch verdünnte Schwefelsäure. Ferner wurde Schild- 
drüse nur schwach verdaut, und zwar durch Pankreassaft während 
3 Tagen, und dann das gewonnene Produkt der Dialyse unter- 
worfen und das Dialysat verwendet. Ferner sind Versuche aus- 
geführt worden, um den Einfluss von Schilddrüsen von Basedow- 
Kranken zu prüfen, und endlich sind auch Strumen dazu verwandt 
worden.Was die letzteren Versuche anbetrifft, so sind sie noch nicht zahl- 
reich genug. Es scheint, als ob die Basedow --Schilddrüsen-Substanzen 
in vermehrtem Maasse auf die Kaulquappen einwirkten. Vorallen Dingen 
starben auffallend viele Tiere. Bei Verwendung von Strumen waren 
die Resultate ungleichmässig, zum Teil blieb die die Metamorphose 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 247 


beschleunigende Wirkung ganz aus. Es entstanden Tiere, die mehr 
den Typus der Thymustiere zeigten. Bei manchen Fällen schien eine 
Kombination von Wirkungen vorhanden zu sein. Die Tiere entwickelten 
sich schneller als die normalen, wurden aber gleichzeitig auch grösser. 
In diesen Fällen konnte man annehmen, dass neben der veränderten 
Schilddrüse noch normales Schilddrüsengewebe vorhanden gewesen 
und zur Verarbeitung gekommen ist. Vergleiche dazu die Abbildungen 
auf Tafel III—-IV, 73—82. 

Wir möchten auf diese Versuche keinen allzu grossen Wert legen, 
weil einerseits die Zahl der Versuche noch zu klein ist und andererseits 
die verwandten Organe histologisch nicht genügend geprüft worden 
sind. Vergleichbare Resultate werden sich erst dann erreichen lassen, 
wenn ganz gleichartige Gewebe zur Verwendung kommen. Vielleicht 
lässt sich auf dem betretenen Wege genauer feststellen, ob in den 
Fällen des Versagens der Schilddrüse im Organismus eine richtige 
Hyper- oder Hypofunktion vorliegt oder aber eine Dysfunktion. 

Die mit den Schilddrüsensubstanzen erhaltenen Resultate waren 
bei allen verwendeten Batrachiern ganz gleichmässige. Wir haben 
jedoch den Eindruck gewonnen, dass es nicht unwesentlich ist, wann 
. die Einwirkung auf die Kaulquappen stattfindet. In der ersten Zeit 
der Entwicklung scheint der Einfluss nicht so wesentlich zu sein als 
in späteren Entwicklungsstadien. Auch hierüber müssen noch mehr 
Erfahrungen gesammelt werden. Es wäre von grösstem Interesse, zu 
erfahren, ob zum Beispiel die Schilddrüsensubstanz ganz besonders 
dann ihre Wirkung zeigt, wenn es sich um die Entwicklung des Skelettes 
handelt. Die Haupterscheinung ist ohne Zweifel die starke 
Beeinflussung des Stoffumsatzes der Tiere. Es handelt sich 
bei der Einwirkung der Schilddrüsensubstanz nicht nur um eine stark 
beschleunigte Metamorphose, sondern es bleiben die Tiere zugleich 
klein. Sie nehmen an Körpergewicht sehr stark ab. Sobald man 
srössere Dosen von Schilddrüsenstoffen auf die Tiere ein- 
wirken lässt, erhält man eigenartige Entwieklungsstörun- 
gen. Ihr Studium wird von grösstem Interesse sein. Es ist ganz gut 
denkbar, dass bestimmte Missbildungen, die sich auch beim Fötus der 
Säugetiere und des Menschen zeigen, auf ein Versagen entsprechender 
Drüsen mit Inkreten zurückzuführen sind. Die gemachten Beobach- 
tungen seien an Hand einiger Protokolle belegt. Wir bemerken dazu, 
dass im ganzen 500 genaue Protokolle aufgenommen worden sind. 
Ferner geben die Abbildungen 1—30 auf Tafel III ein Bild der statt- 
gefundenen Veränderungen. Man erkennt, dass der Hinterleib stark 
verschmälert ist. Das gleiche erkennt man bei den mit Schilddrüsen- 
dialysat behandelten Tieren, wie die Abbildungen 52—68 der Tafel III 
zeigen. Auf Tafel IV (s4—8S) sind Kaulquappen dargestellt, bei denen 


248 Emil Abderhalden: 


grössere- Dosen von Schilddrüsensubstanz zu pathologischen Verände- 
rungen geführt haben. Bei den meisten dieser Fälle kam es nicht 
zur Entwicklung der vorderen Extremitäten, während die hinteren 
ausserordentlich rasch hervorsprossten. Die Tiere gingen meist sehr 
bald zugrunde. Gelang es, sie länger am Leben zu erhalten, dann er- 
wiesen sie sich im Gegensatz zu den „normalen“ Schilddrüsentieren 
als sehr träge und wenig beweglich. 

Auf Tafel III sind in Abb. 3la und b zwei Axolotl abgebildet. Das 
Tier a war der Schilddrüsensubstanzwirkung ausgesetzt, b ist das 
gleichalterige normale Tier (Alter 4 Wochen). Vel. auch die Tabellen: 
Gruppe I—IV S. 249— 252. 


II. Einfluss von Thymussubstanz auf Wachstum 
und Entwicklung. 

Bei Verwendung von Thymussubstanz war der Erfolg immer der- 
selbe. Die Tiere nahmen dauernd an Körpergrösse zu, ohne 
dass es zum Beginn bzw. zur Fortsetzung der Entwicklung 
kam. Wirhaben einzelne Tiere, die mit vollständig abgebauter Thymus- 
substanz gefüttert worden waren, bis S Monate am Leben erhalten. 
Die Tiere wuchsen dabei immer weiter, und es entstanden Riesen- 
kaulquappen. Wir haben von Rana esculenta bedeutend grössere 
Kaulquappen erhalten, als sie bei Pelobates vorkommen. Einige Tiere 
zeigten insofern ein besonderes Verhalten, als der Rumpf sich mehr 
und mehr der Kugelform näherte. Die Tiere vermochten dann im 
Wasser das Gleichgewicht nicht mehr zu halten. Sie schwammen 
zum Teil in Seitenlage, zum Teil in Rückenlage. Bei diesen Tieren 
wurde ein auffallend grosses Herz gefunden. Es zeigte noch embryonale 
Züge. Bei vielen war auch der Ruderschwanz zu einer ganz ausser- 
gewöhnlichen Länge angewachsen. 

Bei den Axoloteln war der Einfluss im grossen und ganzen nicht 
so ausgesprochen. Immerhin wurden auch hier ein paar ausgesprochene 
Fälle von verlangsamter Entwicklung beobachtet. 

Auf Tafel IV sind eine Reihe von unter dem Einfluss von Thymus- 
substanz stehender Tiere abgebildet, und zwar sind alle Kaulquappen 
vom gleichen Alter, wie diejenigen, die auf Tafel III (Schilddrüsen- 
wirkung) dargestellt sind. 

Auch hier mögen einige Protokolle einen Einblick in die Ergebnisse 
der vorgenommenen Messungen der Körperlänge und -breite geben. 
(Tabellen Gruppe I—IV S. 253—256.) 


III. Einfluss von Hypophysensubstanz auf Wachstum 
und Entwicklung. 
Die Ergebnisse mit Hypophysensubstanzen sind nicht einheitlich 
ausgefallen. Wir erhielten zum Teil eine sehr starke Zunahme des 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 


Ir 


Gruppe. 


249 


Gemessen am 1. Mai 1917, eine Woche nach Einwirkung der Inkretstoffe. 


Alle Maasse sind in Zentimetern angegeben, Jeder Einzelversuch bestand aus 20 Tieren. 
Die einzelnen Werte sind Durchschnittswerte. Die Kaulquappen waren bei allen hier 
in Tabellenform mitgeteilten Versuchen 3—4,Wochen alt. 


| Ohne Zusatz 


Schilddrüse 
unabgebaut 


Schilddrüse 
durch Fermente 


- Gesamtlänge 


Rumpflänge 
Schwanzlänge 


1,30 
1,28 
1,39 
1,58 
1,42 
1,30 
1,41 
1,47 


Grösste Rumpfbreite 


11,71 


Gesamtlänge 


1.19 
1,80 
1,69 
1,71 
1,58 
1,62 
1,75 
1,50 
1,76 
1,82 
1,81 
1,78 
1,79 
1,70 
72 
1,68 
1,66 
1,54 
1,45 
1,60 
1.18 
1,42 
1,90 
1582 
1,65 


1,82) 


un 


Schwanzlänge 


Rumpflänge 
Grösste Rumpfbreite 


| 

0,50 1,25.0,48 
0,52|1,28,0,50 
0,511,18/0,51 
0,53.1,18/0,52 
0,56 1,02,0,56 
0,6110,01 0,58 
0,60 1,15.0,40 
0,50 11,30 0,45 
0,511,25 0,51 
0,60, 122 0,42 
0,621,19/0,39 
0,581 20 0,41 
0,50.1,29\0,45 
0,45 1,25.0,40 
0,44 1,28.0,48 
0,50 1,18/0,42 
0,45 1,21 0,40 
0,44 1,10.0,48 
0,45 1,00 0,49 
0,49 1,11.0,36 
0,50 1,25 0,38 
0,42 1.00 0,42 
0,60 1,30,0,44 
0,40 0,92 0,30 
0,48 1,17,0,54 
0,58 1,13.0,52 
0,60 1,22 0,58 
0,45 1,25 0,52 


Gesamtlänge 


1,80 
1,80. 
1,69 
1,75 
1,80. 
1,69 
1,69 
1, 65 
1,64 
1,68 
1,75 
1,72) 
1,69 
1,68 
1,78 
1,85 
1,78) 
1,60 
1,66, 
1,65 
1,68, 
1,71 
1,75) 
1,45 
1,68 
1,65 
1,70 
1,66) 


abgebaut 


0,41 


‚0,35 


Schilddrüse 
durch Säure 
abgebaut 


Schwanzlänge 


Grösste Rumpfbreite 


Rumpflänge 


0,58 
0,58 
0,52 


1,22'0,52 
1,220,51 
11,17.0,50 
0,6111,14 0,49 
0,44|1,36,0,44 
0,40 11,29 0,48 
0,45 1,24 0,56 
0,46 1,19,0,50 
0,44 1.20. 0,52 
0,49 1,19,0,51 
0, 45 1,30.0,48 
0,48 1,24 0,42 
0,49 1,20 0,40 
0,48 1,20 0,48 
0,40 1,38.0,51 
0,5111,34.0,50 
0,5211,26.0.45 
0,40 1,20 0,40 
0,4211,24 0,48 
0,45 1,20.0,51 
0,47 .1,21,0,52 
‚300,58 
'1,30.0,48 
1,10.0,42 
1.20.0,48 
1.20 0,49 
1,10. 0,51 
120 0.52 


0,45 


0,48 
0,45 
0,60 
025 


Gesamtlänge 


1,54 0,54 
1,80. 0,40 
1,62/0,32 
1,38.0,47 
1,90 0,60 
1,95\0,63 
1,66. 0,54 
1,68,0,60 
1,66.0,62 
1.680,58 
1,62.0,56 


Rumpflän ge 


Schwanzlänge 


Grösste Rumpfbreite 


1,00.0,40 
1,40 0,52 
1,30 0,48 
1,41/0,49 
1,30 0,32 
1,62|0,40 
1,12.0,39 
1,08 0,45 
1,04 0,42 
1,10 0,50 
1,06.0,51 


1,64.0,52|1,12.0,52 


1,66.0,66 
1,72/0,64 


1,50 
1,45] 
1,30 
1,40 
1,48 
1,45 
1,45 


1,68] 


1,62 


1,44 


1,40 
1,59 
1,48 


1,52 


0,42 


1,00 0,38 
1,08.0,32 
0,5511.25 0,48 
0,43 1,02 0,40 
0,40 0,90 0,35 
0,38 1,02.0,40 
1,06 0,44 
1,05.0,45 
1,06.0,46 
1,20 0,44 
1,22.0,52 
1,04.0,51 
1,00.0,48 
1,08 0,51 
1,06 0,45 
1,00.0,3 


0,40 
0,39 
0,48 
0,40 
0,40 
0,40) 
0,51 
0,42 
0,52 


Basedow- 
Schilddrüse 
unab a aut 


Gesamtlänge 


1,20 
1,44 
1,45 
1,43 
1,44 
1,42 
1,40 
1,53 
1,58 
1,3 
1,25 
1,45 
1,46 
1,58 
1,67 


1,72) 
1,68 
1,44. 
1,20 
1,00 


1,45 


1,56 
1,52 
1,58 
1,44| 
1,68) 


1,25 


1,18 


20,42 


Rumpflänge 
Grösste Rumpfbreite 


0,38 .0,82,0,25 
0,3211,12/0,32 
'0,40 1,05.0,38 
0,41.1,04.0,41 
0,44 1.00 .0,40 
0,41:1,01.0,39 
0,45 0,95 0,38 
0,45 1,08 0,41 
0,58.1,00 0,40 
0,90 0,42 
0,90 0,48 
1,06. 0,49 
1,00 0,51 
1,10 0,52 
1,110,50 
1,11.0,45 
1,08.0,44 
0,99 0,38 
0,80.0,35 
0,65.0,29 
1,10.0,45 
1,08.0,38 
0,5211,00 0,41 
0,52|1,06.0,42 
0,4211,02!0,38 
0,56 1,12) 0, 41 
(0,400 ‚350, 44 
0,38,0,80 0,42 


10,35) 
0,39 
0,46 
0,48 
0,56 
0,61 
0,60 
0,45 
0,40 
0,35 
0,35 
0,48 


250 


Emil Abderhalden: 


ll. Gruppe. 


Gemessen am 10. Mai 1918, 10 Tage nach der Einwirkung der Inkretstoffe. 


Ohne Zusatz 


Gesamtlänge 
> Fr 
Rumpflänge 


Schwanzlänge 


Grösste Rumpfbreite 


Schilddrüse 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 


unabgebaut 


Grösste Rumpfbreite 


Rana esculenta. 


Schilddrüse 
mit Fermenten 
abgebaut 


geb 


Schilddrüse 
mit Säure ab- 


aut 


Thymusdrüse 
mit Fermenter 
abgebaut 


Rumpflänge 
Schwanzlän ge 


Gesamtlänge 
Grösste Rumpfbreite 


Rumpflänge 


Gesamtlänge 


Schwanzlänge 


Grösste Rumpfbreite 
Gesamtlänge 
Rumpflänge 


Schwanzlänge 


_ Grösste Rumpfbreite 


| | 

1,66 0,62 1,04, 
1,70 0,45 1,95 
2,40.0,6711,73 
2.41/0,75 1,66, 
2,6110,72,1,89 
2,58|0,78 1,80, 
2,61.0,73|1,88 
2,00.0,70.1,30 
2.450,84 1,61 
2,40 0,80 1,60 
2,38/0,8011,58 
2,2010,721,48 
2,24.0,73|1,51 
2,12,0.70.1,42) 
2,10 0,7011,40 
2,20 0,7111,49 
2,32.0,80|1,52) 
2,41 0,82|1,59) 
2,40 0,8111,59 
2,20 0,75 1,45 
2,21.0,7911,42 
2,20.0,72|1,48 
2,10 0,7111,39 
2,10/0,72!1,38 
2,15.0,73,1,42 
2,16: 0,7411,42 
2,180,77 1,41 
2,20 .0,7811,42 
2,25.0,7211,43 


0,73 


10,78 


0,68 
0,70 
0,72 
0,72 


1,680, 62) u 
1,620,60 
1,64.0,61 
1,75.0,63 
1,81.0,65 
1,69 0,60 
1,82.0,62 
1,92,0,60 
2,220,75| 
2,00 0, 70 
1,89.0,68) 
0,701 1,72.0,62 
0,71] 1,75/0,58) 
0,711 1,82!0,60 
0,73 | 1,95)0,65\ 1.5 
0,74 | 1,89,0,69 
0,70 | 1,720,70 


0,74 
0,72 
0,70 


0,72 
0,78 


50,54 
0,56 


0,61 


0,52 


3 0,45 


0,51 
0,48 


2.0,49 


10,53 


0,44 
0,32 
0,22 
0,34 
0,52 
0,42 
0,32 
10,33 


0,68 2.13.0,65 “ 
0,69 | 2,12.0,68 
0,70 | 2,00 0,62)1,38 
0,72 | 1,89 0,601,29| 
0,73 1,28.0,45.0,83 
0,74 | 1,54.0,4211,12 
0,70 | 1,66.0,4311,23 
0,70 | 1,76 0,50 1,26 


0,66 1,69 0,511,18 
0,68 1,58 0,52 1,06 
0,66 1,44 0,45 0,99 


2,10 0,75.1,35 


0,72 2,13 0,60 1,53 


I 


1,44 


0,69 |1, 700 ‚50 1,20) 


/0,32 
0,34 
0,22 
0,24 
0,44 
0,51 
0,45 
0,48 
0,49 
0,45 
0,48 
0,43 
0,48 


211,520,4111,11) 


Be 
0,4811,32) 
0, ‚ss 1, „a4 
0,6711,33| 
0,78.0,97 
1,32|0,48 0,84 0,51 
1,44 0,50 0,94 0,53 
1,20 0,45 0,75 0,48 
1,38.0,46 0,92.0,61 
1,45 0,42 1,03 0,59 
1,33) 0,56 


1,80 
2,10) 
2,00 
1,75 


0,45 
‚0,48 
30,49 
0,42 


0,40 0,93 
1,44 0,40 1,04.0,52 
0,49 
1,58 0,48 1,10.0,48 
1,52.0,50 1,02.0,58 
1,48 0,51 0,97 0,56 
1,610 50, 110,71 
1,630,52 1,11/0,65 
1,750 531,220, 62 
1,64 0,5211,12.0,61 
1,62.0,48 1,14.0,66 
1,58.0,49 1,09 0,48 
1,44 0,50 0,94 0,49 
1,32,0,51/0,81.0,48 
1,58.0,52 1,06 0,51 
1,62.0,50 1,12 0,52 
1,72/0,50 1,22.0,58 
1,81/0,5311,28 0,54 
1,43 0, 48 0,95.0,52 
1,45.0,40 1,05.0,58 
1,50 0,40 1,10 0,61 


ee ee a mn a a en 


1,73,0,60 
1,58 0,54 
1,32)0,44) 
1,34.0,40 
1,45/0,42 
1,48/0,43! 
1,61/0,45 
1,87/0,42 
2,00 0,60 
2,1210,71 
1,89.0,72 
2,45|0,75 
2,01.0,70 
1,89. 0,65 
1,88.0,65 
1,22) 
1,64. 0,61 
1,72/0,63 
1,44.0,58 
1,23.0,40 
1,89.0,70 


1,10. 0,30, 
0,40 


1,44 
1,50 
1,48 
1,50 
1,66 0,61 
1,72 0,63 


0,42 
0,51 


1,41 


0,62) 


0,50 


1,13 
1,04 
0,88 
0,94 
1,03 
1,05 
1,16 
1,45 
1,40 


0,34 | 1,90 
0,42 | 2,78 
0,43 | 3,10 
0,45 | 3,15 
0,51 | 2,90 
0,48 [3,12 
0,42 | 3,44 
0,43 | 3,22 
0,44 | 2,40 
0,45 | 2,87 
0,32 | 2,92 


0,65 
0,92 


0,90 


0,98 
1,00 
1,02 
1,03 
1,00 


117 
1.70 
1,31 
1,24 
1,23 
1,10 
1,03 
1,09 


0,44 | 2,64.0,99 
0,45 
0,32 
0,38 | 2,10 
10,36 [2,12 
0,34] 2,44 
0,86 0,41 | 2,49 
0,8310,33 | 2,45. 
1.190,48 2,51 
0,80 0,51 | 2,66 
1,04.0,48 | 2,89 
1.080, 45 | 3,15 
‚0,97 0,48 | 3,20 
.v0., 49 | 3,10 
1,05. 0,48 | 3,48. 
1.09 0.49 | 3.22 


2,54.0,84 


0,70 
0,80 
0,82 
0,84 
0,84 
0,80 
0,90 
0,95 
0,95 


0,95 


1,75 0,62) 
1,20.0,40 


1.130,49 | 3,00 
‚0,80 0,48 | 3,00 


1,00 
1,00 


0,95: 
0,92: 


0,93): 


0,34 | 3,00 1,00:: 


‚0,70 


0,96 2 
0,90: 


2, 340 Sl 428 I 


1,70, 


0.8 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. 11. 


EIS Gr.u pıpie. 


251 


Gemessen am 16. April 1917, 20 Tage nach der Einwirkung der Inkretstoffe. 


Rana temporaria. 


a Schilddrüse 
Ohne Zusatz unabgebaut 
| | 
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0,92 1,36 0,70 
40,82 11,7210,72 
53.0,85 1,78 0,71 
0,88 1,86,0,72 
102211,7810,69 
0,72.1,920,75 
30, 78 1 ‚05 0,79 
5. 0,75 2,00 0,76 
'0,821,62,0,77 
5.0,9111,54,0,72 


4.0,91 1,63.0,78 
40,89 1,75. 0,81 
50,75 1,90,0.,80 
40,77 2,07.0,82 
5.0.72 2,03 0,81 
90,78 11,91.0,69 
150,75 2,00 0,62 
0.73 11,95 0,62 
38 0,75 1,93 0,63 
0,72 1,92,0,70 
> 0,77. 1350, al 
24.0,78 1,76 0,62 
om 1210,01 


(0,92 1,4210,75| 2, 


1,87 0,91 0,96 0,50 
1,87.0,75 1,12. 0,45 
1,86.0,78 1,08 0,44 
1,96.0,72.1,24.0,45 
2,00 0,60 1,40 0,40 
2,02'0,65 1,37.0,51 
2,05 0,65 1,40 0.52 
2,07 0,68 1,39. 0,51 
2,0910,72 1,27.0,45 
2,11.0,71 11,40 0,44 
24 0,70 1,54 0,50 
A 19.0,42 
2,04 0,8211,22/0,48 
2,65 0,84.1,81.0,42 
2,12.0.90 1,22 0,44 
1.86 0.7811.0810,48 
1,24 0,82.0,420, 45 
IL, 2 ‚810, 73.0,61 
1,55 '0,82.0, 730, Ir 
1,230, 803 ‚37| 
1,31.0,80 0, 510,49 
1,44.0,85 0, 59 0, 51 
1,45 0,82.0,63 0, 61 
1,50. 0,88 0,62 0,6: 
1,52 0,90 0,62 0,72 
1,64 0,820, 82 0,71 
1 ‚62.0,80 0,82 0,70 
1.63 0,88 0,75 0,72 
1,75.0,84.0,91 0,73 


ri TI Hl 
Gesamtlänge 


Te  gegegegeggege 


Schilddrüse 
mit Fermenten 
abgebaut 


Schilddrüse 
mit Säure ab- 
gebaut 


Rumpfbreite 


ee Zn I I En a | 


Rumpflänge 
Schwanzlänge 


1.66.0,90 0,76.0,54 
1,24.0,7210,52.0,45 
1.34.0,69 0,65 0,44 
1,35.0,69 0,66 0,46 
1,86/0,721,14. 0,54 
1,88.0,71.1,17/0,52 
1,89.0,73 1,16 0,45 
1.90 0,71 1,19 0,48 
1,90.0,70 1,20 0,49 
1,89.0,75.1,14.0,50 
1,90 0,7211,18 0,58 
1,75 0,69 1,06 0,48 
1,60 0,70 0,90 0,52 
1.63 0,72.0,91.0,58 
1,68.0,71.0,97 0,59 
1,72.0,77.0.95 0,63 
1,72 0,74 0,98 0,64 

1,73.0,72.1,01'0,64 
1,74 0,71 1,03 0,61 
3 | 1,75.0,73 1,02)0,62 
1.78/0,77 1,01.0,63 
1,79 0,72.1,07 0,63 


1,20.0,73.0,97 0,63 
1,68 0,71.0,97 0.68 
1,71.0,74.0,97 0,38 
1,69 0,75 0,94 0,44 
1,90 0,76 1,14 0,54 
1.83.0,78 1,05 0,52 


2,000, 
2,12.0,70) 
2,20 0,75, 
9.12.0,65| 
2,14 0,62|1,52.0,52 


1,78 0,70 1,08 0,62 | 2, 


Änge 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Rumpfbreite 


1,64 0,90 
1,89 0,85 
1,90 0,82/1,08 0,61 
1,920,75 1,17.0,70 
721,28 0,65 
1,42.0,62 


0.74 0,65 
1,04.0,62 


1,47.0,61 


2,15 0,68 1,47 0,69 
2,10 0,75 1,35 0,52 


2,12.0,89 1,23.0,32 


2,180, 91, 28 0,44 
2.10 0,7211,38 0,62 
2,10.0,72 1,38. 0,54 
2,05 0,70 1,35 
2.00 0,89 1.110,44 
2,12. 0,72 1,40 0,32 
2.010,69 1,42 0,45 
2,00 0,82 1,1810,46 
2,05 0,81 1,24.0.62 
2,02.0,80 1,22)0,68 
13.0,80 1,33 0,67 
2,14 0,82 1,32.0,68 
2,15.0,76. 1,39 0,71 
2,10 0,72 1,38 0,66 
2,14 0,69 1,45/0.63 
2,15 0,70 1,45 0,62 


1,55 0,58 | 3, 


2.0,5213 


2,20 0,82 1,38 0,32 


Thymusdrüse 
mit Fermenten 


abgebaut 
— 2: 
| © 
© io ee) 
SD an e| :S 
S a |: © 
= | | = - 
Gr leN | 
ee | a > 
= = Ss m 
Eu 
nor elle 
oo | sl2|e 


2,64 0,98 1,66 1,05 
2,68 1,00 1,68 1.01 
2,90.1,01 1.89. 0,98 
3,12'1,00 2,12 0,99 
2,78 1,021,76 1,00 
3,45 1,03 1,42. 0,75 
25,1,04 2,21 0,89 
2,98 1,05 1,93 0,85 
2,96 1,08 1,88 0,91 
3,4311,10 2,33 0,93 
3.40 1,20 2,20 0.92 
3,5211,40.2,12.0,78 
3,20 1,45.1,75.0,82 
3.121,23 1,890,88 
3,14 1,24 1,90 0.84 
‚25.1,25.2,00 0,89 
3011,34 1,96 0,99 
511,27 2,08.0,91 
36 1,322,04 1,04 
28 11,101,18 1.05 
30 1,33.1,92 0,99 
2911.54 1,75 0,92 
4 
1 


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H2R 
7 


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2 
9) 
2) 
2) 
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> 
2 


011,60 1,80 0,98 
011,28 1,82. 0.92 
3,18 1,10 2.08 0,92 
3,00 1.00 2,00 0,98 
3.121,02 2,10 0,92 
3,1211,65.1,47.0.91 
3.141,72 1,42 0,98 


> 
> 
) 
(2) 
I, 
0) 
137) 
=) 
37) 


252 


Gemessen am 15. Mai 1918, 14 Tage nach der Einwirkung de Inkretstoffe. 
Bufo Eulsane: 


Emil Abderhalden: 


IV“Gruppe. 


Ohne Zusatz 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 


1,84 0,65 
1,63,0,62 
1,63,0,65, 
1,62.0,63) 
1,44 0,62 
1,46 0,62) 
1,48 0,63 
1,50 0,68 
1,50 0,50 
1,50 0,52 
1,52/0,51 
1.510,51 
1,65. 0,52 
1,52.0,58 
1,54.0,50) 
1,62.0,61 
1,72)0,62 
1,80.0,68 
1,72) 


0,70 
1,84 


0,71 
1,80.0,72 
1,44.0,60 
1,46.0,62 
1,50.0,61 
1.50 0,62 
1,50 0,63 
1,45.0,64 
1,42.0,62 
1,44.0,63 
1,43.0,61 


Rumpfbreite 


1,19 
1,01 
0,98 
0,99 0,48 
0,82.0,46 
0,84.0,48 
0,85 0,42 
0,82.0,45 
1,00 0,48 
0,98.0,42 
1,01.0,48 
1,00 0,42 
1,13 0,41 
0,99 0,38 
1,04.0,39 
1,01/0,48 
1,10 0,42 
1,12) 
11,02 
1,13 
1,08 
0,84 
0,84 
0,89 
0,88 
0,87 
0,81 
0,80 
0,81 
0,82 


0,52 
0,61 
0,52 


0,50 
0,52 
0,52 
0,49 
0,48 
0,49 
0,48 
0,49 
0,48 
0,45 
0,46 
0,48 


1,42 


0,50 


0,92.0,40 


0,48 | 0,98 


Schild 
unabg 


Rumpflänge 


Gesamtlänge 


0,60) 


30,58 
0,53 
‚0,62 
0,72 
1,00 0,62) 
1,80 0,80 
1,02.0,46) 
1,32.0,68 
1,12. 0,58 
1,00 0,50) 
1,02 0,50 
1,23.0,60 

0,45, 
0,75.0,30 
0,99 0,45 
1,010,51| 
1,02/0,52 
0,52 


1,08 
1 28 58 
1,05.0,55 
1,25.0,65| 
1,34/0,71 
1,020,52 
1,04/0,54 
1,05 


0,61 
‚0,50 


0,54 


drüse 
ebaut 


Schilddrüse 
mit Fermenten 
abgebaut, 


Schwanzlänge 
Rumpfbreite 


‚38 
0,42 
0,42 
0,48 


0,58 
0,51 


2.0,60/0,42 


‚0,43 
10,50 
0,70.0,51 
0,50.0,48 
0,38.0,42 
1,00 0,48 
0,56.0,41 
0,64 0,48 
0,54 0,50 
0,5010,22 
0,52.0,24 
0,63,0,32 
0,55.0,44 
0,45 0,28 
0,54/0,32 
0,50[0.21 
0,50 0,31 
0,56,0,38 
0,56.0,41 
0,50 0,38 
0,60 0,41 
0,63/0,51 
0,50.0,42 
0,50 0,34 
0,51/0,23 


0,55 
0,67 


1,00| 


0,50, 


0,50/0,12 


a —> N] 


Gesamtlänge 
Ru mpflänge 
Schwanzlänge 


1,46. 
1,22 
1,34,0,62 
1,42.0,67 
1,45.0,72 
1,46.0,78 
1,48 0,75 
1,50 0,75 
1,44.0,75 
1,620,72) 
1,66|0,78 
1,66 0,88 


0,76] 
0,68 


1,62,0,90 


1,44 
1,32 


0,78 


0,72 


0,70 


‚0,54 


0,72 
0,75 
0,73 
0,78 
0,73 
0,75 
0,69 
0,90 
0,88 
0,78 


0,72) 


0,66 
0,60 


1,82) 
1,22 
1 
1,36 
1,41 
1.20 
12 
1,26 
1,28 
1,31 
1,29 
1.44 
1,00 
1,23 
1,24 
1,38 


®) 
9: 


0,69 


0,72 
0,72 
0,71 


0,52 
0,60 
0,76 
0,74 


0,70 
0,75 
0,66) 
0,60 
0,70 
0,60) 
510,60 
0,65 


0,80 


0,62) 


0,47 


0,76 
0,71 


0,65 
0,61 


0,38] 1,22 


0,60 


0.56 
0,59 
0,58 
0,64 
0,48 
0,63 


0,64 


Gesamtlänge 


Rumpfbreite 


0,44 [1,46 
0,56 | 1,48 
0,48 | 1,49 
0,51 [1,50 
0,611 1,42) 
0,71] 1,44 


0,44 | 1,42 


0,46 | 1,52 
0,47 11,52 
0,48 1 1,44 
0,48 | 1,28) 
0,45 11,22 


0,61] 1,50 


0,32] 1,61 
0,44 | 1,24 
0,45 | 1,10 
0,32 | 1,12 


0,511 1,15 
0,51 [1,18 


Rumpflänge 


0,25 | 1,46 0,720,74 
0,48 | 1,48 0,75 0,73 


0,45 | 1,53 


0,46 | 1,44 
0,72] 1,40 


0,61 | 1,52.0,68 
0,46 | 1,540,70 


0,31[1,13 
0,44 | 1,14. 0,51 


0,50 
0,58.0,52 | 1,22)0,50 


gebaut 


Schwanzlänge 


| 
0,65 0,57 
0,70 0,76 
0,75/0,73 
0.780,71, 
0,75:0,75 
0,80.0,62 
0,78.0,66 


0,72.0,70 
0,74.0,79 
0,78 0,74 
0,80 0,72 
0,80 0,64 
0 ‚65,0,58 


Schilddrüse 
mit Säure ab- 


Rumpfbreite 


0,66 
0,54 
0,44 
0,45 
0,40 
0,51 
0,58 
0,52 
0,58 
0,59 
0,62 
0,68 
0,62 
0,68 
0,42 


0,62.0,60.0,40 


0,71 
0,82 
0,62 


0,58 
10,88) 
0,84 
0,84 
10,90 
0,72.0,52 
0,70 0,40 
0,52.0,60 
0,54.0,59 
10,68 
0,65 
0,68 


0,71 


0,50 


0,73 


0,72 


0,53 | 1,23 


0,51 


0,72 


0,43 
0,48 
0,58 
0,52 
0,60 
0,60 
0,62 
0,61 
0,41 
0,8 

0,32 
0,31 
0,30 
0,38 
0,39 


i 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 


1,980,80 
2,15.0,70 


2,10 0,75 


2,15 0,82 
0,70 


2,05 
1,92 
1,89 
1,90 
1,85. 
1,90 
1,92 


‚0,68 


0,65 


| 


1,94. 0,65, 
1,95 0,65 


2.10 0,71 
2,10/0,68 
312 
2,20 
2,15/0,65 
2,44/0,80 
1,50 0,60 
1,60 0,52 
1,78/0,54 
1,85/0,58 
1,92/0,65 
1,80 0,60 
1,60 0,52 
1,58/0.51 
1,60 0,50 
1,77 
1,79 
1,85, 


0,59 
0,60 


Thymusdrüse, 
mit Fermente‘ 
abgebaut 


'0 ‚62 
v, 92 
0,62) 
0,64 


0,65) 
0,65 


0,5811, 


| 


Schwanzlänge 
— Rumpibreite 


1,18 
1,45 
11,85 
1,33 
1,35 
11,24 
1,27 
0,98 
1,28 
1,26 
11,27 
1,29 
1,30 
1,39 
11,42 
1,47 
1,55 


1} 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 253 


I. Gruppe. 


Gemessen am 1. Mai 1917, eine Woche nach der Einwirkung der Inkretstoffe. 
Rana fusca. 


Thymusdrüse Thymusdrüse 
durch Fermente durch Säure 
ET abgebaut 


BR 


Thymusdrüse 


Ohne Zusatz unabgebaut 


Grösste Rumpfbreite 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 
Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Gesamtlänge 
Schwanzlänge 


Rumpflänge 


Schwanzlänge 
Grösste Rumpfbreite 
Grösste Rumpfbreite 

Schwanzlänge 
Grösste Rumpfbreite 


DDDNDNDMDMDIKVD 

-1] -I 0 

D X © 
er 
m oO 
SS 
er Sr 
Ne} —] 
oO [0,0] 


1,99 0,79 1.20 0,78 
2,54 0,80 1,74 0,76 
2,34 0,74 1.60 0,77 
2,32 0,75|1,57| 0,30 
2,10 0,70 1,40. 0,75 
2,37 0,69 1,68 0,69 
2,41 0,66 1,75| 0,75 
2,32 ,0,72|1,60 0,85 
2,18 0,68 1,50 0,90 
2,00 0,60 11,40 0,77 
1,80 0,55 |1,25| 0,72 
1,65 0,45 1,20 0,75 
1,82 0,50 1; 39 0,77 
1,92 | 10,62) 1,30) 0,80 
2,00 0,80, 1,20, 0,75 
3,12 11, 381,74 0,89 
2,68 | 10.90 1,78 0,90 
2,71 ‚0,90 1,81| 0,90 
2,75 0,92|1,83 0,90 
2,81 0,90.1,91| 0,92 
2,91 1,00 1,91) 0,91 
2,42 | 0,90 1,52 0,75 
2,32 0,70) 1,62) 0,69 
2,00 ‚0,60 1,40) 0,77 
2,12 | ‚0,72 1,40 0,69 
2,101 ‚0,70 1,40 | 0,66 
2,00 | 9701130 0,60 


95 

1.80 0,62) 1,08 0,60 | 1,86 ‚0.66 1,20 0,96 | 2,15 0,70 1,45 0,86 

1,98 '0,75|1,23| 0,59 | 1,95 0,66 1,29) 0,90 | 2,38 \0,78|1,60 0.91 

1.95 ‚0,65, 1,33) 0,63 | 2,25 0,75 1,50 0,99 | 2,45 |0,80 11,65 | 0,99 
1,76 0,76 1,00| 0,58] 2,30 0,60 1,70 0,68| 2,5 

- 1,97 0,75 1,22) 0,61 | 2,40 0,80 1,60 0,89 
1,85 0,58 1,27, 0,65 | 2,86 11,16 1,70) 0,69 
1,90 0,65 1,25 0,62 | 2,66 |1,06 1,60 0,71 
1,85 ‚0,65 1,20 0,61 | 2,23 |0,83 1,40 0,75 
1,82 0,60 1,22) 0,63 | 2,20 |0,89 1,31| 0,70 | 1,95 \0,65 1,30 
1,88 0,62|1,26 0,65 [2,44 0,90 1,54 0,69 | 2,34 0,74 1,60 0, 
1,90 0,60 1,30) 0,66] 2,89 11,04 1,85 0,71 [2,25 
1,78 0,50|1,28) 0,58 | 2,14 |0,84 1,30) 0,89 
1,80 0,62) 1,18] 0,61 | 1,85 |0,85 1,00, 1,00 [2,75 |1,00 1,75, 
1,82 0,62 1,20 0,66 | 1,98 |0,80 1,18 0,75 [2,81 11,10 1,71 0,88 
1,75 0,65 1,10 0,62 | 2,44 [0,90 1,54 0.89 
1,60 |0,60 1,00 0,56 
1,89 0,62 1,27| 0,58 
1,95 0,68 1,27 0,61 
2,55 |0,65 1,90 0,71 
2,20 0,68 1,52| 0,60 | 2,44 0,89 1,55 0.79 
2,15 0,70 1,45| 0,56 | 2,48 0,90 1,58 0,74 
2,00 '0,65 1,35| 0,54] 2,50 0,90 1,60, 0,75 
1,98 0,60 1,38, 0,61] 2,61 0,86 1,75 | 0,65 
1,90 0,62 1,28| 0,68] 2,20 0,60 1,60| 0,85 
1,95 |0,61|1,34 0,62 | 2,00 ‚0,61 1,39 0,69 
1,98 0,66 1,32] 0,60 | 1,98 0,60 1,38] 0,71 


51 |0,85| 1,66, 0,75 
2,11 [0,70 |1,41| 0,68 
1,89 0,89 1,00 0,78 
1,90 |0,65 1,25 0 
1,98 0,70. 1,28 0, 

0 


war 


m 
© 
© 
ı 
= 
o wo 


1,55 0,69 
2,60 0,80 1,80 0,72 
7 


| 


er 


1,79| 0,82 
1,65 

22. .0,72\1,50| 0,89 
2,10 |0,62 1,48| 0,82 
1.90 0,60 1,30 0,82 
1.89 |0,60 1,29| 0,72]: 
1,77 0,70 1,07 0,65 
1,98 0,88 1,10 0,71 
2,94 0,751,49 0,58 
2,44 0,80 1,64) 0,61 
2,20 0,73) 1,47 0,72 
2.12 ED) 1,37 | 0,78 


11,04 1,72 0,80 
‚75 1,00 1,75 0,81 
1,00 1,70 0,82 
5 0,90 1,55 0,85 


SOSSE 
—] 
oO = 


N N N 
| 
He 


RS 


1,75 ‚0,56 |1,19 | 0,62 | 2,00 0,79 1,21) 1,00 | 1,95 |0,65 1,30 0,85 


54 


Emil Abderhalden: 


208 


Gruppe. 


Gemessen am 10. Mai 1918, 10 Tage nach der Einwirkung der Inkretstoffe. 
Rana esculenta. 


Ohne Zusatz 


Thymusdrüse 
unabgebaut 


Grösste Rumpfbreite 


een m nn | 


Rumpflänge 


Schwanzlänge 


Gesamtlänge 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 
Grösste Humptbreile 


Thymusdrüse, 


mit Fermenten 
Degeut 


Gesamtlänge 


Rumpflän ge 


Schwanzlänge 


= | 
xrösste Rumpfbreite 


Th yaaunde se 
mit Säure ab- 
schaut 


Gesamtlänge 

| Rumpflänge 

Sehwanzlange 
Grösste Rumpfbreite 


—. 


Schilddrüsel 


mit Fermenter 


= 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 


abgebaut 


© 
SE) 
- 
© 
- 
== 
rar) 
=) 
= 
E£ 
(«bj 
IE 
G 
ZT. 
je 
= 


© 


2,00 0,65 1,35 0,69 
2,34 0,72 11,62,0,63 
2,360, 511, ‚610,71 
2 "300.80 1,50 0,72 
2,40 0,80 1,60 0,74 
2,54.0,811,73 0,72 
2.610.821, 19 0,73 
2,320,85 1,47 0,72 
2,4110,8811 53.0, ei 
1,90 0, 70 1,20 0,72 
2,100 ‚701,40 0, 65 
1,89 0,71/1,18 0.63 
2,00 0,65 1,35 0,64 
1,89 0, 651; 24 0.64 

2,15/0,7011,45 0,62 
2,20 0,7211,48 0,66 

2,15/0,7311 ‚42 0,64 |: 
2,16.0,7211,44 0,62 
2,00 0,70 1,10 0,63 
2,05 0,7111,34 0,48 
2,32 0,72)1,40 0,48 
2,40 0,80 1,60 0,53 
2,25 0,75 1,50,0,68 
2,3010, 72\1,58 0,65 
2,44 0,82|1,62,0,59 
2,450, 8111,64.0,61 
2,50.0,80 1,70 0,63 
2,40 0.801,60 0,65 
2,35 0,80 11,55 0,66 
2,42|0,80 1,62,0,72 


| 


er 


2,340, 
2,44 
2.12 
2,38| 
2,48 
2,86 
3,12| 
311 
2,89 
3,15 


0,841 ‚640, 83 
0,92.1,94.0,66 
0.91. 2.210.78 
1,00 2,11.0,89 
1,00 1,89 0,91 
0.99 2,16.0,92 


72 1,62'0,75 |: 
0,81 1,63 0,81 |: 
0,70 1,42,0,92 |: 
0,82 1,56,0,82 |: 


2,48 
2,45 


2,65 


0,81 1,65 0,68 


5 0,82]1,63.0,62 
0 [0,84 1,76. 0,71 


0,8211,81 0,72 


5 /0,8111,64.0,75 
; [0,83 1,6310,79 


0,8211,5710,73 
'0,90 1,58.0,81 
0,83 1.60 0,80 
0,84 1,81.0,82 


3,22 
3,8911 
3,45 
3,2 
3,00 
3,00 
2,58 
2,61 
223 
2,25] 
2,34 
2,38 
PS 
2,89 
2,90, 
2,36 
2,44 
2,46 
2,54 
2,67 


10,7511,61 


1,10 1,1210,93 


25 2,64.0,92 
1.31 2,14.0,93 
1,22 1,98 0,99 
1,00 2,00 1,00 
1.02 1,98 1,00 
0,82 1,76.0,92 
0.83 1.78 0.92 
0,80 1,43 0. 93 
0,75 1,50 0,90 


0,72|1,62.0,92 | 2, 


0.731,65 0,86 |2 


0,90 1,85 0,84 
0,92 1,97 0,92 
0 ‚95.1,95 ) Kor 
10,823 


| 
| 


0,82 
0,83 
0,82 
0,85 


1,62 
1,63 
1,72 
1,82 


0,82 
0,89 
0,91 


0,8113, 


2,00 .0,70 1,30 0,92 
2,12/0,71 1,41'0,95 
2,10 0,70 1,40.0,72 [2 
3,00 0,95 2,05/0,75 
2,65 0,88 1,77/0,71 
2,10.0,71/1,39.0,69 
2,12. 0,71/1,610,68 
2,24.0,75,1,59 0,69 
Dx 25 0,76 1,49.0,69 
2,14/0,7111,43|0,68 
2,12.0,721,4010,64 
0 ‚7411,54 0,75 
10,7711,520,72 |: 
2.0,72 1,40 0,70 
i 20,98 2,14.0,79 
0,99 2,25.0,80 
0,98,2,02,0,89 
0 Be 0,88 
0,98 2,02,0,82 
0,82 1,72 0,72 


2,28) 
223 


3,00 
2,54 


} 
) 


| 3,10 1,00 2,10 0,82 


3,40.1,15 2,25 0,84 
3,12 1,01 2,1110,85 
3,00 1,00 2,00 0,80 


2,48,0,81 L, 67.0,72° 


2,38 0,80 1,58 0,70 
2,40 0,80 1,60.0,71 
2,89 0.90 1.99 0,70 
2,12.0,71 1,41.0,70 
2,73 0,8411,89 0,75 
2,10 0,70 1,40 0,73 
2,48 0,81 11,67 0,78 

‚510,83 1,68 0,69 
2,63.0,86 1,77 0,71 
2.63. 0,841,79 0,72 

9,24 0,721,52 0,70 
2,18.0,77 1,41 0,78 
2,36 0,80 1,56 0,70 
2,320, 781,54 0,72 

2,00 0,70 1,30 0,62 

2,10 0,70 1,40.0,61 
2,38 0, 82|1,56 0,78 

2,42)0,80.1,62 0,70 
2,10.0,71.1,39 0,68 
1,98 0,69 1,31,0,72 
2,180 ‚221, 46, 10,86 
3,1210,9812, 14.0,79 
2,9811,00 1, 98.0,80 
3.121,00 2 '12)0, 85 
3.120,98 3,1410,88 


en Be DEE 


1,56 0,54 1,02 
1.34 0,48 0,86 
1,56. 0,5111,05 
1,24 0,41.0,83 
1,120,40 0,72 
1,54 0,51 1,03 
1,76 0,52,1,24 
1,75.0,54 1,21 
1,70 0,44 1,26 
1,84. 0,61) 
1,54 0,521,02 
1,50 0,50 1,00 
1,52 0,501, 02 
1.64.0,5211,12 
1.37/0,62.1,25 

1,90 0,61.1,29 
1,72 0.601,12 
1,54/0,51 1,03 
1,43 0,50 0,93 
1,51/0,51 1,00 
1,540,51 1,03 
1,48 0,50 
1,24.0,46 
1,54 0,52 
1,63/0,53 
1,52.0,50) 
1,63.0,51 
1,64 0,53 


1,23 


‚0,78 
1,02 
1,10 
1,02 
1,12 
1,11 


0,98.0,2 


1,75.0,58 1,17 


1,89 0,021 


| 


Ohne Zusatz 


III. Gruppe. 


Gemessen am 16. April 1917, 20 Tage nach der 


Rana ne ee 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. Il. 255 


Einwirkung der Inkretstoffe. 


Thymusdrüse 
unabgebaut 


Thymusdrüse 
mit Fermenten 
ab gebaut 


Thymusdrüse 
mit Säure ab- 
gebaut 


Schwanzlänge 
Rumpfbreite 


' Gesamtlänge = 


0,68 
50,70]: 
0,62 
0.61 
0,77 
0,62 
0,54 
0,52 
0,54 
0,62 
0,68 |: 


0.821,68 
0,8111,73 
3.0,83 1,85) 
‚0,84|1,80 0,62 
0,88 1,74.0,63 
0,84 1,76 0,64 
.68 0,90 1,78.0,62 
0,92 1,82 0,63 
0,99 2,73 0,68 |: 
0,92/1,92)0,67 
0,93 .1,89,0,70 
4 0,98 1,86.0,70 
0,92 1,89 0,64 


0,72 1,40 
0,74.1,54 0,54 
0,84 1,79.0,42 
74.0,92 1,82.0,45 
5.0,98 1,87 0,54 
0,99 1,91 0,58 
0,98.1,94 0,48 
1840,98 1,86.0,53 


0,75 


Gesamtlänge 
| Rumpflänge | 
- 
Bumptlreile 


2.860 solt,94/1,00 
2,75 0,98 1,77.0,98 
3,40 1,00 2,40 0,89 
2,89 1,0212,87 0,88 
2,91 1,03/2,88.0,89 
2,95 1,052 ‚90 0,92 
3,15 1,05 3,10/0,95 
3,44 1,09 2,35 0,92 
3,45 1,25 2,20 0,98 
3,46 1,45 2,01 0,92 
3,48|1.45 2,03 0,91 
3,66|1,46 2,20/0,92 
B 7511,44 2,3 10,98 
3,7211,43.2,29 1,00 
3,70 1,40 2,30 1,95 
3,69|1,44 2,25 1,30 
3,20 1,4311,77]1,20 
3,15/1,4211,73|1,10 
3,18 1,32 1,86 1,20 
1,20 1,1311.10|3 
11,32|2,02|1,60 
11,33|2,33]1,02 
11,5312,22!1,03 
a2 00 
3,621.1025 0,90 
3541,122421 ‚20 
3441,14 2 ‚3011,32 
3,20.1,23 1,97|1,21 
3151,41 1,52 


1,74 
3,16.1,00/2,16.1,34 


EIER: 


mo ww 
Io 


10%) SOECIOESE 
oO ot a PC 


Pflüger’s Archiv für Physiologie. 


| 
| 
| 


Gesamtlänge 
Rumpflän ge 
Schwanzlänge I 
Rumpfbreite | | 


2,87.0,95.1,92.0,89 
3,00,0,92 2,08 0,90 
3.12.0.94 2.18 0.90 
3.15.0.99.2,16.0,98 
3.10 1.05.2,05.0.92 
3,10.1,10.2.00 0,99 
3.10.1,20 1,90 1.00 
3.0511.10 1,85/1.00 
3.00 1,00 2,00 1,00 
3,05|1,05 2,00 1,00 
‚891.08 1,811,08 
2,85 1,10 1,75.1,00 
2.95 1,15 1,80.1,99 
3,02 1,16.1,86 12 
3.05 1.10 1,95 1,40 
3.081,10 1,981.28 
3.09 1,131,96.1,.28 
3,12 1.14 1,98.1,00 
3,00.1,12 1,88 0,89 
2 1,10 2,02 0,90 
3.921,09 2,13.0.99 
3,12 11,05 2,07.0,92 |3 
3,00 1,06 1,94.0,89 
3.12.1,10.1,92. 0.82 
3,00 1,15.1,85.0,82 
3,25.1,20 2,05.0.94]: 
3,101,2211,88 0,82 
3,10 12311870, 
3,00]1,25 1,75.0,88 
3,1211,2611,86 0,9212 


Bd. 176. 


| 


Schwanzlänge 
Rumpfbreite 


Gesamtlänge 
Rumpflän ge 


,84.0.921,92.0,92 
2,66 0,89 1,67.0,80 
70.01.8108 
2,39.0,9011,99 0,84 

2,75.0,921,83 0,82 
2,69 0,98 11,71.0,85 
>.80 0,99 1.81.0,79 
2,95 1,00 1,95 0.88 
2.96 1,0511,91.0,82 
3.00 1,04.1,96 0,45 
U 
2,96 1.23/1,730,78 
2.98 1,02.1.96 0,99 
3,12 1,08 1,04 1,00 
3,101,14 2,96 0,98 
3.12 1,32,1,80 1,00 
le 
3,00 1,341,66.0,97 
3,12 1,022,10.0,89 
3,15.1,09 2,06 0,77 
3,18 1,18 2,00 0,921 
3,10 1,191,91.0,91 
3.15 1,2011,95.0,93 
3,10 1,25,1,85/0,99 
3,15 1,24.1,86 0.92 
2,95 1,05.1,90 0,98 
2,67 1,03 1,64 0,94 
2,68 1,09 1,59 0,99 
2.75 1,1111.64.0,99 
2,891.1811.7111.20 


ai 
| 


Schilddrü se 
mit Fermenten 
en 


Rumpfbreite 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 


1.37.0,92 0,95 0,68 
‚s60, 7211,14 0,52 
1,75[0, 141.01.0,45 
1,69 0,60 1,090, 393 
1,55'0,64 0,91/0,45 
1,58.0,45.1,130,44 
1,630,51 1,12/0,48 
1,740, 52 1,2210,45 
1.7510, 5gl1,17/0,48 
1.66 0,51 1,15 0,49 
1,54 0,50 1,04 0,52 
32 0,42.0,90 0,32 
183 2/0,4210,90 0,25 
1,20 0,40 0,80 0,32 
1,63 ,0,4211,26 0,38 
1.540, 52.1,02'0,43 
1,53.0,53 1,00 0,42 
1,82.0,6111,21.0,44 
1.72.0,68.1,04 0,45 
1,53 0,66 1,: 22 0,48 
1,92 0,66 1; 26.0,49 
1,68 0,63 1,05.0,52 
1,75 0,62 1,13 0,44 
1,80.0,63 1,17 0,48 
1.79 0,68 1,11.0,48 
1.92.0,69 1,230, 2 

1,90/0,70 1,20 0; 

1921072 1200.14 

1.930,70 1,23.0,49 

1,94.0,79 1,15/0,51 
17 


IV. Gruppe. 


Emil Abderhalden: 


(semessen am 15. Mai 1918, 14 Tage nach Einwirkung der Inkretstoffe. 
Bufo vulgaris. 


Thymusdrüse 


Ohne Zusatz unabgebaut 


Thymusdrüse 


mit Fermenten 


abgebaut 


Thymusdrüse 
mit Säure ab- 
gebaut 


Thymusdrüse | 


Dialysat 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 
Rumpfbreite 
Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 
Rumpikreite | 


Gesamtlänge 


Rumpflänge, 
Rumpfbreite 


Schwanzlänge 


1,03. 0,54 | 2,04|1,00 1,04 
1,10 0,52 [2,11/0,801,31. 
1,00 0,50 | 2,12.0,72|1,40 
0,88/0,50 | 2,48 0,81 1,67 
11,04.0,48 | 2,32\0,7511,57 
1,08.0,32 | 2,00 0,70 1,30 
1,25.0,44 | 2,10 0,711,39 
1.180,45 | 2,00 .0,7211,28 
1,17,0,46 | 2,12/0,6811,44 
1,20 0,42 | 2,18.0,68 1,50 
1.22.0,62.0,60 0,41 | 1,98 0,60 1,38 
1,86 0,6311,23.0,48 ] 1,89 0,62|1,27 
1.92.0,6211,30,0,42 | 2,44 0,88 1,56 
1,78.0,6111,17!0,48 | 2,64 0,84 1,80 
1.82 0,6011,2210,45 | 2,77 0,8911,88 
1.81/0.60|1,21/0,48 | 2,64,0,90 1,74 
1.75 0,60,1,15\0,50 | 2,44.0,99 1,55 
1,82.0,61/1,21/0,45 | 2,42/0,8411,58 
1.84,0,61 1,23)0,40 | 2,41/0,80 1,61 
1,92.0,62|1,3010,51 | 2,40 0,85 1,55 
1,82.0,60 1,22)0,50 | 2,220,84,1,38 
1,88 0,62|1,26/0,42 | 2,32/0,84 1,48 
1,92.0,6311,29/0,43 | 2,12/0,90 1,22 
1,75 0,5411,21/0,48 | 2,14/0,75|1,39 
1.810,66 1,1510,51 | 2,18/0,70 1,48 
1.810,62 1,19,0,42 | 2,190 ul, 48 
1,75.0,50 1,25,0,48 | 2,20 0,70 1,50 
1,80 0,52 1,28 0,44 | 2,14. 0,71 1,43 
1,83 0,63,1,25,0,44 


1,64.0,61 
1,72.0,62 
1,63 0,63 
1,54 0,66 
1.62,0,58 
1.620,54 
1,63 0,48 
1,68 0,50 
1,69 0,52 
1,71/0,51 


0,72 


0,62 
0.60 
0,52 
0,50 
0,50 
0,75 
0,78 
0,90 
0,72 
0,74 
0,70 
0,72 
0,73 
0,71 
0,78 
0,70 
0,70 
0,78 
0,72 
0,70 
0.69 


2,12 0,7111,41 


1,00 | 2,44 
0,90 | 2,42 
0,80 | 2,44 
0,80 | 2,48 
0,80 | 2,50 
0,75 | 2,53 0,90 1,63 0,81 
2,54 
10,70 | 2,55 
2,66 
2,10 
2,12 
2,14 
2,18) 
2,20 
2,18 
2,00 
1,98 
1,78) 
1,99 
2,14 
2,14, 
9,15 
2,18.0,88 
2,12 
2,48 
2,32 
2,22 
2,25 
2,00 


0,90 1, 
0,9211,50 0,68 
0,8511, 590, 12 
0,80 1,68.0,77 
0.82.1,68.0,70 


‚0,84 1,70.0,69 
0,85/1,70/0,67 
0,901, 76.0, 70 
0,7211,48 0 ‚65 
0,7811,34/0,68 


0,77.1,41,0,70 
0,781, 52 0, 71 
0,72 1,46.0,80 
0,70 1,30 0,90 
0,70 1,28.0,92 
0,85 0,93 0,82 
0,90 1.090,88 
0,8111,33)0,84 
0,88 1,26 0,82 
0,85 1,30 0,88 
1,30 0,90 
1,40 0,92 
0,90 
1,00 
0,70 
0,60 
0,94 


9 
„I 


0,72) 
0,88 1,60 
'0,84.1,48 
0,82.1,40 
0,84 1,41 
0,811,19 


I | 


0,79.1,35 0,701 2 


Gesamtlänge 


2.93 
3,12. 
3,00 
3,00) 

2,86 
2.66) 
2,52) 
2,40) 
2,42 
9, w 


2,10 


2,00 


2,14 


2,15 
2,00 


2,00 
2,18 
2,17 


23,11) 


2,05 
2,18 


2,12 


2,18 


2,48 
2,50 
2,18 


2,12 


Rumpflänge 


0,87 


Schwanzlän ge 


1.00 
1,10 
1,20. 
1,25| 
1,46 


1,24 
0,99 
1,00 


0,89 
2.0,90 
10,95 
0,80 
0,81 
0,82 
0,80 
10,75 
0,70 
0,72 
10,71 
0,75 
0,72 
0,76 
0,74 
0,80 
0.82 
0,80 
0,78 


| 
1,93 


Rumpfbreite 


0,91 


2,02| 


1.80 


1,75) 
11,46.1,40 
2,54.1,2411,30 


1,42 


1,53 
1,40 


1,55 


1,51| 
0,8512, 


1722 
ah al, 
1,20 
1.33 


1,33 


1.20 
1,25 
1,48 


1,45 
1,40 


1,30 


1,46 


1,3 


1,44 
1,68 
1,68 
1,38 
1,34 


0,99 
0,94 
0,85 
0,82 
0,84 
0,84 
0,82 
0,75 
0,82 
0,80 


10,75 
0,77 


219] m 
10,72 


0,70 
0,71 
0,70 
0,65 
0,62 
0.63 
0,68 
0,80 
0,81 
0,72 
0,69 
0,68 
0,80 
0,92 


a 


Gesamtlänge 
Rumpflänge 
Schwanzlänge 


‚98 0,901, 
0,851 
‚98.0,88 1,10 
0,87 
0,80 
0,70 
50,75/1,00 
0,72 


10,71 
5,0,69 
0,66 
>, 0,70 
‚130,72 1,41 
10,73 
0,75 
0,78 
0,80 
0,820, 
0,82 
‚0,85 
0,83 
0,54 
30,32 
0,88 
0,90 
0,60 
0,67 


1,01 0,99 0,90 


0.72 1,40 0,62) 


Rumpfbreite 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 257 


Wachstums, wobei gleichzeitig die Metamorphose zum Teil gehemmt 
war. In anderen Fällen war die Metamorphose sehr stark beschleunigt. 
Man hatte in vielen Fällen den Eindruck einer Thymuswirkung kom- 
biniert mit Schilddrüsenwirkung, wobei bald die eine Wirkung, bald 
die andere überwog. Zum Teil war das Grössenwachstum ein ganz 
ausserordentliches. Bei vier von zehn Riesentieren war eine stark ver- 
grösserte Hypophyse vorhanden. Die gleiche Beobachtung wurde 
an drei spontan zu auffallend grossen Tieren entwickelten Kaul- 
quappen von Rana esculenta gemacht.!) Die übrigen sieben der 
erwähnten zehn Riesenlarven hatten keine vergrösserte Hypophyse. 
Manchmal traten auch hier Missbildungen auf. Sie sind in der 
Tafel V (Abb. 117 a) dargestellt. Wie schon erwähnt, waren die Resultate 
ungleich. In manchen Fällen war’überhaupt keine besondere Wirkung 
feststellbar. Die Versuche können zurzeit nicht als abgeschlossen 
betrachtet werden. Es muss. eine Trennung der bekannten drei 
funktionell so verschiedenen Teile der Hypophyse angestrebt werden. 
Es ist wohl möglich, dass das unterschiedliche Verhalten darauf 
zurückzuführen ist, dass alle drei Drüsenanteile zugleich aber in ver- 
schiedenem Ausmasse zur Wirkung gekommen sind. 


IV. Einfluss von Geschleehtsdrüsensubstanz auf Wachstum 
und Entwicklung. 


Wir haben einerseits Hodensubstanz auf ihre Wirkung auf 
Kaulquappen geprüft, und ferner aus Ovarien gewonnene Produkte. 
Bei den letzteren haben wir zum Teil die Corpora lutea getrennt von 
der übrigen Eierstocksubstanz untersucht. Die Ergebnisse waren leider 
auch hier keine so gleichmässigen wie beiden Schilddrüsen- und Thymus- 
arüsensubstanzversuchen Bei der Verwendung von Hoden fanden wir 
in den meisten Fällen ein rascheres Wachstum, während die Meta- 
morphose nicht wesentlich beeinflusstschien. Vgl. Tafel V, Abb. 120— 122. 

Besonders unregelmässig waren die Resultate mit aus Ovarien 
gewonnenen Substanzen. Auffallend häufig erhielten wir kleine, zum 
Teil missgestaltete Tiere. Sie glichen zum Teil den Schilddrüsentieren. 
indem die Entwicklung überstürzt verlief, doch waren in Einzelheiten 
Unterschiede vorhanden, wie schon ein Vergleich der Abbildungen auf 
Tafel V, Abb. 123—128 zeigt. 

Y. Einfluss von Nebennierensubstanzen auf Wachstum 
und Entwicklung. 


Die Nebennierentiere fielen meist schon dadurch auf, dass sie be- 
ständig in ausserordentlich lebhafter Bewegung waren. Sie blieben 


1) Vgl. auch hierzu Amandus Hahn, Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 50 
Abt 1.01.1912. 


Iies 


>58 Emil Abderhalden: 


zum Teil sehr klein. Bei einer Reihe von Tieren trat ein eigen- 
artiges Phänomen auf, das auf Tafel V in Abbildung 129—32 dar- 
gestellt ist. Zunächst bemerkte man, dass die äussere Haut sich 
abzuheben begann. Nach einiger Zeit erblickte man den Körper der 
Tiere in der Tiefe einer dünnen, mit wasserklarer Flüssigkeit erfüllten 
Blase. Die Tiere lebten in diesem Zustande bis 6 Wochen. Es hatte 
sich offenbar ein Transsudat gebildet, das die Haut am ganzen Körper 
abgehoben hatte. Es ist naheliegend, an eine Wirkung des Adrenalins 
auf die Blutgefässe zu denken. Wir konnten allerdings bis jetzt den- 
selben Zustand mit Adrenalin selbst nicht hervorrufen. Erwähnt sei 
ierner, dass mehrfach bei Schilddrüsen- und Thymustieren ganz ähnliche 
Erscheinungen zu beobachten waren. 


VI. Einfluss von Plazentasubstanz auf Wachstum 
und Entwicklung. 

Verfütterung. von Plazentagewebe wirkte ausserordentlich be- 
schleunigend auf die Entwicklung von Kaulquappen. Es entstanden 
innerhalb weniger Tage vollentwickeite Fröschehen hzw. Kröt- 
chen. Im Gegensatz zur Schilddrüsensubstanz-Wirkung war die rasche 
Entwicklung_nicht mit einer starken Steigerung des Verbrauchs von 
Körperstoffen verknüp!t. Während die typischen Schilddrüsentiere 
„Geigenform‘‘ annehmen, das heisst besonders im hinteren Teil des 
Körpers auffallend schmal sind, war das bei den Plazentatieren nicht 
der Fall. Sie entwickelten sich zu ganz normal aussshenden Tieren. 
Abgebaute Piazenta hatte qualitativ die gleiche Wirkung, nur war 
die Beschleunigung des Wachstums nicht so bedeutend. Versuche, 
durch Auszüge mit organischen Lösungsmitteln die wirksamen Sub- 
stanzen zu isolieren, sind auch hier ausgeführt worden. Über die 
erhaltenen Resultate soll berichtet werden, sobald mehr Erfahrungen 
vorliegen. 


Wir haben weiterhin noch Versuche mit aus Pankreas und 
Nieren gewonnenen Stoffen durchgeführt, und ferner geprüft, ob nicht 
vielleicht Abbaustufen aus Organen, die innensekretorisch vorläufig 
noch wenig in Frage gezogen sind, wie Muskeln, Haut, Lunge, 
Milz usw. auch bestimmte Wirkunger auf die Kaulquappen aus- 
üben. Es war dies nicht der Fail. Ferner haben wir Peptone der 
verschiedensten Abkunft (aus Haaren, Federn, Seide usw.) auf 
Kaulquappen einwirken lassen. um zu sehen, ob nicht vielleicht ähn- 
liche Erscheinungen hervorgerufen werden, wie bei der Anwendung 
der oben beschriebenen, spezifisch wirkenden Organsubstanzen. Wir 
führten eine grosse Anzahl derartiger Versuche durch, um uns zu 
überzeugen. ob wirklich spezifische Wirkungen den beobachteten Er- 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. Il. 259 


gebnissen zugrunde liegen. Diese Peptone vermochten zum Teil wohl 
Hemmungen in der Entwicklung zu bewirken, jedoch wurden keine 
„Ihymustypen' erhalten. 

Eine sehr grosse Anzahl von Untersuchungen war der Frage ge- 
widmet, ob es möglich ist, durch Kombination verschiedener 
Organsubstanzen eine besondere Wirkung zu entfalten. 
Wir hatten die Hoffnung, auf diesem Wege das Zusammenspiel der 
Inkrete studieren zu können. Zu diesen Versuchen verwandten wir 
ausschliesslich die vollständig abgebauten Organe, sei es, dass sie mit 
Hilfe von Fermenten, sei es mit Hilfe verdünnter Schwefelsäure zerlegt 
worden waren. Es ist sehr schwer, aus den erhaltenen Resultaten 
irgend welche Schlüsse zu ziehen. Es zeigte sich immer wieder, dass 
im besonderen die Thymus- und Schilddrüsenwirkung überall da über- 
wiegt, wo Substanzen aus diesen Organen zur Anwendung kamen. 
Eine Reihe von Abbildungen auf der Tafel VI mag einige dieser 
Ergebnisse illustrieren. Es handelt sich ausschliesslich um Tiere, die 
14 Tage unter der Wirkung der betreffenden Substanzen gestanden 
hatten. Die abgebildeten Tiere sind alle gleichalterig. 

Erwähnt seien schliesslich noch einige Versuche, die mit Sarkomen 
und Karzinomen ausgeführt worden sind, und zwar verwendeten 
wir zum Teil unabgebaute, zum Teil abgebaute Gewebe. Wir haben 
dabei mehrfach Störungen in der ganzen Entwicklung beobachtet. 
Die Zahl der Versuche ist jedoch zu klein. Tabelle V (Abb. 135— 139) 
zeigt einige Resultate dieser Versuche. Wir haben ferner auch Hefe - 
substanz auf ihre Wirksamkeit auf Wachstum und Entwicklung von 
Kaulquappen geprüft. Es zeigte sich, dass die letztere beschleunigt 
wird, jedoch in der Hauptsache nur in den ersten Tagen. 

Wenn wir alle Ergebnisse zusammenfassen, dann kommen wir zu 
dem Resultat, dass unzweifelhaft bewiesen ist, dass man bei Kaul- 
quappen regelmässig mit bestimmten Organsubstanzen 
einen ganz spezifischen Einfluss auf das Wachstum und 
die Entwicklung gewinnen kann. Am ausgesprochensten und 
regelmässigsten sind die Erscheinungen bei Schilddrüsen- und Thymus- 
substanz. Typische Erscheinungen sahen wir ferner, jedoch nicht 
regelmässig, bei Verwendung von Hypophysen-. Hoden-, Ovarien- und 
Nebennierensubstanz. Bei Verwendung von Hypophysen- und Hoden- 
substanz beobachteten wir ein verstärktes Wachstum. Die Entwick- 
lung verhielt sich dabei unregelmässig. Bei Verwendung von Ovarien- 
substanz erhielten wir im allgemeinen schmale und lange Tiere mit 
beschleunigter Entwicklung. Durch Kombination der aus verschiedenen 
Organen gewonnenen Substanzen erzielten wir ganz deutliche Be- 
einflussungen der einzelnen wirksamen Stoffe. Meist überwiegt die 
Wirkung der einen Substanz. Oft gelingt es aber auch, eine kombinierte 


2360 Emil Abderhalden: 


Wirkung zu beobachten. So erhält man mit Thymusdrüse allein starkes 
Wachstum und verlangsamte Entwicklung. Wendet man Thymus- 
substanz und Schilddrüsensubstanz in geeigneter Kombination an, 
dann erhält man eine raschere Entwicklung und gleichzeitig auch 
vermehrtes Wachstum. Würden wir die Inkretstoffe kennen, dann 
könnten wir sie genau dosieren und dann auch die Mengenverhältnisse, 
unter denen sie die eine oder andere Wirkung zeigen, ganz genau an- 
geben. 

Das bemerkenswerteste Ergebnis der ganzen Forschung ist das, 
dass die beobachteten Erscheinungen aufgetreten sind, 
gleichgültig, ob wir die Organe selbst verwandten oder 
aber die durch Hydrolyse aus ihnen gebildeten Produkte. 
Damit ist bewiesen, dass die wirksamen Stoffe einfacherer 
Natur sein müssen. Im allgemeinen ist der Einfluss der nicht 
abgebauten Organe quantitativ demjenigen der gleichen Menge 
abgebauten Gewebes überlegen. 

Die ausgeführten Untersuchungen bedürfen noch weiterer Aus- 
arbeitung. Es muss vor allen Dingen in exakter Weise festgestellt 
werden, welche morphologische Wirkung durch die einzelnen Inkret- 
stoffe hervorgerufen werden. Wir haben bis jetzt die Tiere in der 
Hauptsache beobachtet und gemessen. In Zukunft werden wir die 
einzelnen organischen Veränderungen genau zu studieren haben. Ver- 


suche in dieser Richtung sind auf breiter Grundlage bereits im Gange !). 


Erwähnen möchten wir, dass auch Versuche mit den entsprechenden 
Kaltblüterorganen ausgeführt worden sind. Wegen der Kleinheit 
der betreffenden Organe ist bis jetzt ein sicheres Ergebnis noch nicht 
gewonnen. 


Erklärung der Tafeln. 


Tafel II. 

Abb. 1—72: Schilddrüsentiere. wiedergegeben; a ist das Schild- 
Die Tiere 1 und 2 erhielten un- drüsen-, b das Kontrolltier. 
abgebaute Schilddrüse. 3—6 | Abb. 32—47: Schilddrüsentiere 
wurden mit verdauter Schild- (Kaulquappen von Bufoarten). 
drüsensubstanz gefüttert. 7 -15er- | Abb. 48-51 normale Tiere (Kon- 
hielten mit verdünnter Schwefel- trolltiere). 


säure bereitete Abbauprodukte aus | Abb. 52—68: Schilddrüsentiere. 
Schilddrüse. Die Abb. 16—30 zeigen Verabreicht wurde Dialysat von 


ältere Stadien von Schild- anverdauter Schilddrüse. 
drüsentieren (Abb. 27—30 sind | Abb. 69—72: sgleichaltrige Kon- 
um die Hälfte vergrössert). trolltiere. 


In Abb. 3la und b sind Axoloti | Abb. 73-80: Strumatiere. 


l) Vgl. hierzu auch die wichtigen Studien von B. Romeis, Zeitschr. £. 
die gesamte experim. Med. Bd. 5 S. 99. 1916 u. Bd. 6 S. 101. 1918. 


Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzeu. Il. 261 


Tafel IV. 
Abb. 81-82: Strumatiere (Fort- | 


setzung von Tafel II]). 

Abb. 84 -88: Schilddrüsentiere. 
Einwirkung grösserer Mengen von 
abgebauter Schilddrüsensubstanz. 

Abb. 89—105: Thymustiere. Tiere 
89—98 unter der Wirkung voll- 
ständig abgebauter Thymus in den 
ersten 4—6 Wochen. Tiere 99--104 
standen 2—6 Monate unter dem 
Einfluss dieser Produkte. a und b 


geben jeweilen zwei Ansichten des 
gleichen Tieres wieder. 

Abb.105a zeigt ein Thymustier u. 
105b das gleichaltrige Kontrolltier. 

Abb. 106a und b stellen besondere 
Formen von Thymustieren dar. 

Abb. 107b zeigt einen Axolotl unter 
Thymuswirkung. Tier 107a ist das 
gleichaltrige Kontrolltier. Tier10Sa 
ıst das Kontrolltier zum Thymus- 
tier 108b. 


Tafel V. 


Abb. 109b: Thymustier. Die bei- 
den anderen Tiere (a) sind gleich- 
altrige, normal ernährte Tiere. 


' Abb. 


Abb. 10a: Thymustier, b Kon- | 


trolltier. 

Abb. 111—115: a Hypophysentier 
und b das Kontrolltier. 

Abb. 116: a Hypophysentier, 
b gleichaltriges Ovarientier, 
e Kontrolltier. 

Abbe 11Ta: Hypophysentiere, 
Missbildungen. 

Abb. 117: Kontrolltier zu 117a. 


bildungen stellen normal ernährte, 

gleichaltrige Tiere dar. 

119a: normal ernährtes 
Tier,bundc Hypophysentiere. 

Abb. 120—122: a normal ernährte 
Tiere, b Hodentiere. 

Abb.: 123—128: Ovarientiere. 

Abb. 129—132: Nebennierentiere. 
Die Abbildungen zeigen die eigen- 
artige Ablösung der Haut. 

Abb. 1353—134: Weitere Neben- 
nierentiere. 

Abb. 135—138: Sarkomtiere. 


Abb. 118: Grösstes Tier, Hypo- | Abb. 139a: Sarkomtier, b Kon- 
physentier, die übrigen Ab- trolltier. 
Mate: V1. 


Wirkung der Verabreichung von abgebauten Gewebs- 
substanzen aus mehreren Organen. 


Abb. 140: Thymus-Schilddrüsen- 
tier, a Schilddrüsentier, b 
normales Tier. 

Abb. 141: Verfütterung von Thymus 
+ Schilddrüse. 


Abb. 141a: Verfütterung vonSchild- 


drüse+ Ovarium + Thymus 
+ Hypophyse + Hoden. 

Abb. 141b: Verfütterung von Schild- 
drüse +Hypophyse. 

Abb. 142a: Ovarium + Hypo- 
physe + Hoden verfüttert. 


Abb. 142b: Schilddrüse + Thy- 
' Abb.1462:Thymus+Hypophyse. 


mus + Hoden verfüttert. 

Abb. 142c: Ovarium + Thymus 
verabreicht. 
Abb. 145: Ovarium + Hoden + 

Hypophyse. 
Abb.144a:Schilddrüse+ Hypo- 
physe. 


Abb. 144b: Thymus + Hypo- 
physe. 

Abb. 144c: Hypophyse+ Hoden. 
Abb. 144d: Thymus + Hoden. 


' Abb. 144e: Hypophyse+ Thymus 


+ Hoden. 

Abb. 144f: Thymus+ Schilddrüse 
+ Hoden. 

Abb. 144g: Thymus + Ovarium. 

Abb. 145a: Ovarium. 

Abb. 145b: Schilddrüse. 

Abb. 145c: Hypophyse. 

Abb. 146: Thymus. 


Abb. 146b: Schilddrüse +Hypo- 


physe. 
Abb. 147a: Ovarium + Hypo- 
physe. 
Abb. 147b: Ovarium + Schild- 
drüse. 


262 

Abb. 147c: Ovarium + Thymus. 

Abb.1482:Hypophyse+Ovarium. 

Abb.148b:Hypophyse+Thymus. 

Abb.149a:Hypophyse+Thymus. 

Abb. 149b:Hypophyse+Schild- 
drüse. 

Abb. 149c: Thymus. 

Abb.150:Ovarıum+Hypophyse 
+ Hoden. 

Abb. 15la:Hypophyse-+ Schild- 
drüse. 

Abb.151b: Hypophyse-+ Thymus. 

Abb. 15le: Schilddrüse. 

Abb. 15ld: Thymus. 

Abb. 152a: Struma. 

Abb.152b: Struma + Schilddrüse. 

Abb. 153a: Thymus. 

Abb. 153b: Nebenniere. 

Abb. 153c:Hypophyse+ Hoden. 

Abb. 153d:Hypophyse+Neben- 
niere. 

Abb. 154: Hypophyse. 


| Abb. 


ı Abb. 


Emil Abderhalden: Weitere Studien usw. 1. 


154 a: 
19954: 
155b: 
155 e: 
155d: 
156a: 
156b: 
156e: 


Ovarium. 

Hoden. 

Schilddrüse. 

Nebenniere. 

Kontrolltier. 

Hypophyse. 

Hoden. 

Schilddrüse. 

156d: Nebenniere. 

Abb. 157a: Thymus. 

Abb. 157b: Schilddrüse. 

Abb.158a:Hypophyse+Ovarium. 

Abb. 158b: Schilddrüse + Ova- 
rium. 

Abb. 158c: Schilddrüse. 

Abb. 159a:Schilddrüse+ Hypo- 
physe. 

Abb.159b: Thymus-+ Hypophyse, 

Abb. 159c: Schilddrüse+ Hoden. 

Abb. 159d: Thymus + Ovarium. 

Abb. 159d: Thymus + Ovarium. 

Abb. 159e: Thymus. 


Abb. 
Abb. 
Abb. 


Abb. 
Abb. 
Abb. 
Abb. 


Versuche an Axoloteln. 


Abb. 160a: Hypophyse. 
Abb. 160b: Nebenniere. 


| Abb. 161: Hoden. 
1. Abb. 162: Thymus. 


Plügers Archiv f: d. ges. Physiologie Bd. 176. Tafel II. 


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rhalden, Substanzen mit spezifischer Wirkung. Verlag von Julius Springer in Berlin. 


Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden 
untersucht. 

Il, 

Untersuchung des Pferde-, Rinder- und Hundeblutes. 
Von 

P. Kuhl, approb. Tierarzt aus Bensheim a. d. Bergstrasse. 

(Aus dem physiologischen Institut der Universität Giessen.) 
Mit 1 Textabbildung. 
(Eingegangen am 13. Mai 1919.) 


Inhalt. Seite 

BE in tühr un Ne Ders ale 263 
Ze Bisherige, Untersuchungen . . u ul... u... u: per LOL 
9 Neueslüntersuchungens 2... .. nun u. 3a len 270 
SE Methodeninaarı Teer. ee ne SE 0) 
DIMREesultatene ae 1 Se ee la a een 275 

EZ USANMENTASSUNDHR UN ee Pen ee 283 


1. Einführung. 


Die Untersuchungen Marloff’s!) über die Zählung der Erythro- 
eyten im Blute verschiedener Tiere haben ergeben, dass die mit den 
älteren Apparaten, besonders mit der am meisten verwendeten Thoma- 
schen Zählkammer ermittelten Zahlen mit um so grösseren Fehlern 
behaftet sind, je grösser das Senkungsbestreben der betreffenden 
Erythrocyten in der Verdünnungsflüssigkeit ist. Der Fehler kann 
zum Beispiel bei den relativ schweren Erythrocyten des Frosches 
volle 136 % erreichen, d.h. um diesen Wert fallen die Zahlen zu hoch aus. 

Diese für die Erythrocytenzählung bedeutsame Tatsache wurde 
in folgender Weise ermittelt. Es wurde unter möglichst gleichen Be- 
dingungen in derselben Blutmischung eine Zählung nach der Thoma- 
schen und nach der von dem genannten Fehler freien Bürker’schen 
Methode durchgeführt Der sich ergebende Fehler wurde in Beziehung 
zur Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten gesetzt; da diese bei 
gegebener Verdünnungsflüssigkeit eine Funktion des Hämoglobin- 
gehaltes eines Erythrocyten ist, so wurde der Hämoglobingehalt des 
Blutes bestimmt, und aus diesem Werte und der Erythrocytenzahl 
der Gehalt eines Erythrocyten an Hämoglobin berechnet. Je grösser 


1) R. Marloff, Die früheren Zählungen der Erythrocyten im Blute 
verschiedener Tiere sind teilweise mit grossen Fehlern behaftet. Dieses 
Archiv Bd. 175 S. 355. 1919. 


964 P. Kuhl: 


nun letzterer Wert ausfiel, um so grösser auch die Senkungsgeschwindig- 
keit und der Zählfehler. 

Für die uns hier interessierenden Blutarten seien die von Marloff 
erzielten Werte mitgeteilt. 


| 


fe} Es > do 3= a 
ArT: en et ' 2 & = > Or 
Erythrocyten De SER |sd- ES 425 
zahl in Millionen 8 es ES ZU = HAER 
dei rei = = =; um oo, Ss. <d 
5 nach 5 : a | > NSo =u-Ke= 
Blutart = Sen en, = sas |gres 
no = SI Sun! So ea 
: EB Bes lass Eimer oa 
Sr a Pe ES Seen 
Bürker| Thoma| 5 HS ne ar DS 
< an 
Ida ef) 
Frosch 0,452 1,066 136 14,6 822 16 0,375 
Hund . 6,65 8,21 23 16,9 35 68 0,085 
kezerde® el er) 12 14,3 19 95 0,061 
Kind. 6.51 7,01 8 ar 18 103 0,058 


Man. sieht, es bestehen also ganz beträchtliche Differenzen, und 
Marloff war daher berechtigt zu schliessen, dass die früheren Zählungen 
der Erythrocyten im Blute verschiedener Tiere wenig Wert haben, 
sofern es sich um schwerere Erythrocyten handelte. 

Von diesem so gewonnenen Standpunkte aus schien es erwünscht, 
neue Zählungen am Blute der. Haustiere vorzunehmen und diesen 
Zählungen auch noch Bestimmungen anderer Blutwerte beizufügen, 
welche sich auf Grund der hämatologischen Untersuchungen der letzten 
Zeit als wichtig für die Beurteilung des Blutes erwiesen haben und 
die bisher entweder noch nicht genauer durchgeführt oder jedenfalls 
noch nicht alle am gleichen Blute unter möglichst gleichen Bedingungen 
gewonnen werden konnten. Dahin ist zu rechnen die Bestimmung 
des absoluten Hämoglobingehaltes des Blutes, des daraus und aus der 
Erythrocytenzahl ableitbaren absoluten Hämoglobingehaltes: eines 
Erythrocyten, der Leukocytenzahl, der Leukocytenart und des pro- 
zentigen Verhältnisses der verschiedenen Arten, des ungefähren Ge- 
haltes des Blutes an Thrombocyten und endlich des Brechungsexpo- 
nenten des Plasmas, der bis zu einem gewissen Grade als Mass des 
Eiweissgehaltes der Blutflüssigkeit gelten kann. 

Auf Anregung von Herrn Professor Dr. Bürker habe ich alle diese 
Werte am Blute von Pferden, Rindern und Hunden mit einheitlicher 
Methodik zu ermitteln versucht. 


2. Bisherige Untersuchungen. 


Über Erythrocytenzählung, Hämoglobinbestimmung, Leukocyten- 
zählung und Leukocytendifferenzierung im Blute.von Pferden, Rindern 
und Hunden liegt schon eine grössere Zahl von Arbeiten vor !). 


1) Die Literatur war mir in der gegenwärtigen Zeit nur beschränkt zu- 
gänglich. Leider konnte ich keinen Einblick in die Folia haematologica tun. 


Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 265 


Was zunächst 


das Blut der Pferde 


und seine Erythrocytenzahl betrifft, so macht zuerst A. Storch!) 
genauere Angaben unter Berücksichtigung des Alters und Geschlechts der 
Tiere; in der Storch’schen Arbeit ist auch die ältere Literatur erwähnt. 
‘Storch erhielt mit der Thoma’schen Methode folgende Resultate: 


Erythrocytenzahl En Durchschnitt 


Anzahl und Geschlecht FeNmıkonen 


2 männliche Fohlen. 9,02— 9,18 9,40 
> Hengste. ...... RR 8,00— 8.41 821 
bEStULENEE ER BR 6,33— 7,56 Tl? 
nawWallacherzre tere: 6,81— 8,42 7,60 


Ein älterer Wallach von 20 Jahren zeigte nur 5,66 Millionen. 

Aus einer Zusammenstellung, die H. Baum?) gibt und die sich auf 
Arbeiten von Sussdorf, Wiendieck und Gasse bezieht, berechne ich 
unter Einschluss der Storch’schen Werte als Mittel für das Fohlen 9,40, 
für den Hengst 8,57, für die Stute 6,79 und für den Wallach 7,70 Millionen. 

Uber genauere Hämoglobinbestimmungen im Pferdeblut liegt 
eine aus der Giessener medizinischen Veterinärklinik stammende Arbeit von 
G.- Hofmann?) vor, in der auch die bis zum Jahre 1911 erschienene 
Literatur eingehend berücksichtigt ist. Hofmann verwendete für seine 
Bestimmungen neben dem Sahli’schen Hämometer den Autenrieth- 
Königsberger’schen Hämokolorimeter, der gegenüber dem Sahli'schen 
Apparat den Vorteil hat, dass er mehrere Einstellungen ermöglicht, den 
Nachteil aber, dass die Vergleichslösung keine Blutfarbstofflösung ist. Der 
Apparat wurde in Prozenten einer selbstermittelten Norm für Pferdeblut 
geeicht. 

Aus sieben Bestimmungen an Wallachen (a. a. ©. S. 49), welche Werte 
zwischen 75 und 100° nach Sahli ergaben, berechne ich als mittleren Wert 
91,7%. Der Apparat von Sahli ist im gleichen Jahre von Herrn Pro- 
fessor Bürker spektrophotometrisch auf absolute Hämoglobinwerte geeicht 
worden), 91,7% würde demnach 


7.3, 
100 1598 


Hämoglobin in 100 ccm Blut entsprechen, ein Wert, der aber sicher viel 
zu hoch ist und der sich nur erklären würde, wenn die Vergleichslösung 
schon abgeblasst war, was früher häufig vorkam. 

Bei seinen bekannten Blutanalysen fand E. Abderhalden’) in zwei 
Fällen 16,7 und 12,6 8 Hämoglobin für 100 & Blut; der erstere Wert ist 


- 


1) A. Storch. Untersuchungen über den Blutkörperchengehalt des 
Blutes der landwirtschaftlichen Haussäugetiere. Vet.-med. Dissertation, 
Bern 1901. 

2) H. Baum, Der Zirkulationsapparat. Ellenberger’s Handb. der 
vergleich. mikroskop. Anatomie der Haustiere Bd. 2 S. 137. 1911. 

3) G. Hofmann, Klinische Untersuchungen über den Hämoglobingehalt 
des Blutes. Vet.-med. Dissertation, Giessen 1911. 

4) Dieses Archiv Bd. 142 S. 289. 1911. 

5) E. Abderhalden, Zur quantitativen vergleichenden Analyse des 
Blutes. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 25 S. 107. 1898. 


23656 Pre: 


auffallend hoch. R. Marloff stellte in einem Falle mit der spektro- 
photometrischen Methode 14,3 & in 100 ccm Blut fest (a. a. O. S. 365), bei 
7,32 Mill. Erythrocyten und 19. 10-12 & Hämoglobingehalt eines Erythro- 
cyten. 

Der mittlere absolute Hämoglobingehalt einesErythrocyten 
ist meines Wissens beim Pferde noch nicht zum Gegenstande einer ge- 
naueren Untersuchung gemacht worden. 

LeukocytenzählungenundDifferenzierungen sind beim Pferde 
in grosser Zahl vorgenommen worden, ich verweise bezüglich der Literatur 
auf den schon erwähnten Beitrag von H.Baum zum Ellenberger’schen 
Handbuch S. 143; als Mittelwert für das Pferd wird 9,15 Tausend an- 
gegeben. A. Storch erhielt bei der Mehrzahl der Tiere, deren Erythro- 
cytenzahlen auf S. 265 angegeben wurden, folgende Werte: 


Anzahl und Geschlecht Leukocytenzahl Im Durchschnitt 
in Tausenden 
2 männliche Fohlen. ... 12,56— 15,51 14,03 
2. Hengste». 2.0... 0r 9,96 — 10,48 10,22 
Austen Ele. ne 8,57—12,80 9,88 
5) 


MWallaches.. 2 ner, 7,67— 14,00 11,02 


Nach Gasse weisen Hengste im Durchschnitt 9,00, Stuten 6,90 und 
Wallache 8,50 Taus. auf, das sind niederere Werte als die von Storch 
ermittelten. A. Rössle!) zählte im Blute, das der Vena jugularis ent- 
nommen war, regelmässig 1,30—2,60 Taus. mehr Leukocyten als in dem 
aus Ohr und Lippenschleimhaut gewonnenen Blute; nach ihm bewegt sich 
die Zahl unter normalen Verhältnissen zwischen 5,50 und 10,50 Taus. für 
dreijährige Pferde und darüber, wobei jüngere Pferde nach der höheren Zahl, 
ältere nach der niederen hinneigen. 

Nach verschiedenen Angaben kommt eine Verdauungsleukocytose 
beim Pferde nicht in Betracht. 

In vielen Arbeiten wird ganz besonderer Wert auf die Ermittlung 
des Verhältnisses Erythrocytenzahl:Leukocytenzahl, des so- 
genannten ÜOytenquotienten, gelegt. Nach den neueren hämatologischen 
Erfahrungen lohnt sich aber die Bestimmung dieses Verhältnisses nicht, 
da Erythrocyten- und Leukocytenbildung in weitem Masse unabhängig 
voneinander erfolgen. „Fort also mit solchen erzwungenen Relationen, die 
nur täuschen und zu den ärgsten Irrtümern führen!* schreibt O0. Naegeli?). 

Was die so wichtige Leukocytendifferenzierung und die Fest- 
stellung des prozentigen Verhältnisses der Leukocytenarten 
betrifft, so ist die Zahl der darauf bezüglichen Arbeiten auch nicht klein. 
Erschwerend fällt bei der Beurteilung dieser Arbeiten der Mangel an ein- 
heitlicher Benennung der Arten ins Gewicht; in dieser Beziehung hat be- 
sonders OÖ. Naegeli?) Wandel und Klarheit geschaffen, seine Nomenklatur 
lege ich daher meinen Untersuchungen zugrunde. 

Aus Resultaten, die Wiendieck, Fischer, Gasse, Meier und Franke 
erzielt haben und die H. Baum in dem schon genannten Beitrag S. 144 

1) A. Rössle, Untersuchungen über das Verhalten der Leukocytenzahl 
im Pferdeblut. - Vet.-med. Dissertation, Giessen 1907. 

2) O. Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik, 2. Aufl. S. 51. 
Verlag von Veit & Co., Leipzig 1912. 

3) Siehe das in 2) zitierte Werk S. 336 und 399. 


. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 267 


zusammenstellt, berechne ich als Mittelwerte für das Pferd 30° Lympho- 
cyten, 4% grosse mononukleäre Leukocyten und Übergangsformen, 63%0 
polymorphkernige neutrophile, 3% eosinophile und unter 1% basophile 
Leukocyten. 
Die Thrombocyten des Pferdes haben bisher verhältnismässig wenig 
Berücksichtigung gefunden, obwohl sie es besonders verdienten; eingehender 
befasste sich mit ihnen A. R. Walther!), der aber auch zu einer einwand- 
freien Zählmethode nicht gelangte. Die Frage der Thrombocytenzählung, 
und zwar nicht nur die beim Pferde, muss als zurzeit noch nicht gelöst be- 
zeichnet werden. 

Bestimmungen des Brechungsexponenten des Plasmas von 
Pferdeblut im Zusammenhange mit der Bestimmung anderer Blutwerte 
“sind mir nicht bekannt geworden: 


Das Blut der Rinder. 


Die ersten genaueren Erythrocytenzählungen hat auch hier 
A. Storch (a. a. OÖ. S. 36 und 46) vorgenommen, der Tiere fränkischen 
Schlages untersuchte mit folgendem Resultate: 


Erythrocytenzahl 


in Millionen Im Durchschnitt 


Anzahl und Geschlecht 


INDISATIDOTERRT NR RN, 6,76—9,90 8,92 
I0jungyiehen se 6,14—8,41 7,06 
IOrBullenssnere tn ae. 5,12— 7,61 6,50 
IOROCHSETEE RO N 5,66—8,61 6,68 
ZEN Von a LE 4,49— 6,16 5,47 


Zu etwas anderen teils grösseren, teils kleineren Werten gelangte 
H. Turowski?), der verschiedene Rassen untersuchte: 


Anzahl und Geschlecht a nen Im Durchschnitt 
IDOmRüllberiies Zu a ne, 6,24—9,96 1,92 
meunerinder » 2. 3,92— 1,76 6,95 
SeBullen seen. ee 1,32—8,55 7,99 
I0SOchsenew an 9,82— 7,40 6,65 
2UFKheg ee... 5,98— 1,58 6,54 


Mit dem Hämoglobingehalte des Rinder- und überhaupt des Wieder- 
käuerblutes befasst sich eine in der Giessener medizinischen Veterinärklinik 
durchgeführte Arbeit von B.Scheuermann?), der wie Hofmann (S. 265) 
den Hämokolorimeter von Autenrieth und Königsberger für seine 
Bestimmungen verwendete. Um absolute Hämoglobinbestimmungen handelt 
es sich auch hier nicht, sondern um Angaben in Prozenten einer selbst- 


1) A. R. Walther, Beiträge zur Kenntnis von Blutplättchen und Blut- 
gerinnung unter besonderer Berücksichtigung des Pferdes S. 46. Vet.-med. 
Dissertation, Leipzig 1910. ’ 

2) H. Turowski, Über das Verhalten der körperl. Elemente zueinander 
im normalen Rinderblut. Vet.-med. Dissertation, Berlin 1908. 

3) B.Scheuermann, Klinische Untersuchungen über den Hämoglobin- 
gehalt des Blutes der Wiederkäuer. Vet.-med. Dissertation, Giessen 1913. 


208 PR u hl: 


ermittelten Norm. E. Abderhalden fand bei seinen schon S. 265 erwähnten 
Blutanalysen in 100 g Blut bei einem Stier 10,6 g und bei einem Rind 
10,3 g Hämoglobin, R. Marloff mit der spektrophotometrischen Methode 
in einem Falle 11,7 & in 100 ccm Blut (a. a. ©. S. 366). 

Wie beim Pferde, so liegen auch beim Rinde keine genaueren Angaben 
über den Hämoglobingehalt eines Erythrocyten (Marloff fand 
im eben genannten Falle 18-10-12 9), über die Thrombocytenzahl und 
über den Brechungsexponenten des Plasmas vor, dagegen ist die 
Leukocytenzahl und -art bei diesem Tier genauer untersucht. 

A. Storch (a. a. 0.8. 36 und 46) fassi seine Resultate folgendermassen 
zusammen: 


Anzahl und Geschlecht : u Im Durchschnitt 
1. Kälber; an. ee 12,04—21,49 15,74 
10 Jungviehr nn, 2a Le: 9,41—15,21 11,61 
9eBulleni. re wer ru 5,43— 9,99 7,84 
9.Ochsen: . N 6,51— 12,22 9,37 
Sekten. Da 6,21— 9,87 8,24 


Zu etwas niedereren Zahlen, 6,00 Taus. bei Rindern Simmentaler Schlags 
von 3—8 Jahren, gelangte R. Utendörfer!). 
Andere Rassen ergaben H. Turowski(a.a. 0.5.26) etwas andere Werte: 


Anzahl und Geschlecht ze Im Durchschnitt 
12, Kälber. mar No 9,63—16,76 11,89 
7. Jungsrinder- 2. ...2 7,13—10,47 8,95 
S-Bullene. ar ren 9,42==12,33 10,43 
10.0 0 P—114 9.38 
20. »Kıthe, ar ee ae 6,70— 9,20 7,65 


In der Turowski’schen Arbeit ist auch die Literatur zusammengestellt. 

K. Biber?) fand bei 42 Tieren, jungen und alten, Werte zwischen 5,74 
und 13,26 Tausend, wobei die jüngeren Tiere die höheren Werte aufwiesen. 

P. J. Du Toit°), der in seiner Arbeit die Literatur bis zum Jahre 1916 
eingehend berücksichtigt, gibt als Gesamtleukocytenzahl für Kälber und 
Jungrinder 12—15 Taus., für gesunde erwachsene Rinder 5—10 Taus., im 
Mittel S Taus. an. 

Eine Verdauungsleukocytose wurde übereinstimmend beim Rinde 
und bei den Wiederkäuern überhaupt nicht beobachtet. 

Was die Leukocytenarten betrifft, so stellt Turowski (a. a. O. 
S. 37) folgende Leukocytenformel für das Rind auf: Lymphocyten 45,4, 
mononukleäre und Übergangsformen 7,4, polymorphkernige neutrophile 


1) R. Utendörfer, Über Leukocytose beim Rinde unter besonderer 
Berücksichtigung der Trächtigkeit und Tuberkulose. Philos. Dissertation 
S. 23, Leipzig 1907. Von S. 10 an eingehende Berücksichtigung der Literatur. 

2) K. Biber, Untersuchungen über das Verhalten der Leukocytenzahl 
im Rinderblut. Vet.-med. Dissertation, Bern 1908. 

3) P. J. Du Toit, Beitrag zur Morphologie des normalen und des leu- 
kämischen Rinderblutes. Vet.-med. Dissertation, Berlin 1916. 


Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 26% 


40,2, eosinophile 6,4 und basophile 0,60 auf. Damit stimmen die Angaben 
von Du Toit (a. a. O. S. 51) — Lymphocyten 49,0, mononukleäre und 
Übergangsformen 3 3,7, neutrophile 38,8, eosinophile 8,0 und basophile 0,5°/o — 
ziemlich überein, der wiederum die Daun seiner Werte mit den 
von Dimock und Thompson, Goodall und Lejeune gewonnenen be- 
tont (S. 27). Damit weist also das Blut der Rinder eine entschiedene lympha- 
tische Beschaffenheit auf um so mehr, je jünger das Tier ist; widersprechende 
Angaben von R. Utendörtfer (a. a. O.S. 24), der durchschnittlich 25—35 %o 
Lymphocyten und 60—70 0 neutrophile Leukocyten fand, werden mehrfach 
in der Literatur zurückgewiesen. Du Toit macht die ununterbrochene 
Tätigkeit des Magen-Darmkanals beim Wiederkäuer für diese Lymphocytose 
verantwortlich (S. 29), die auch bei anderen Wiederkäuern beobachtet wird. 
Bemerkenswert ist auch die Eosinophilie beim Rinde. 


Das Blut der Hunde. 


In der bekannten Arbeit von H. Welcker!) wird als mittlere Erythro- 
cytenzahl nach Untersuchungen von Stölzing an elf Tieren, männlichen 
und weiblichen verschiedener Rasse, 4,98 Millionen angegeben, schwankend 
zwischen 4,09 und 5,50 Millionen, Werte, die als auffallend niedrig bezeichnet 
werden müssen. J. F. Lyon?) zählte 7,00 bis 8,17, im Mittel 7,42, das sind 
um 49% mehr: Rüden im Mittel 7,54, Weibchen 7,23 Mill. C. Kliene- 
berger und W. Carl?), die das Blut der Laboratoriumstiere eingehend 
untersucht haben, geben, gestützt auf zwölf Untersuchungen an sechs männ- 
lichen und sechs weiblichen Tieren mittleren Alters, 7,23 Mill. als Durch- 
schnittswert an, das ist ein um volle 45 °/o höherer Wert als der von Stöl- 
zing ermittelte, er ist aber ungefähr gleich gross wie der von Lyon ge- 
fundene Männliche und weibliche Tiere wiesen keine wesentlichen ein- 
deutigen Unterschiede auf. 

Wie beim Pferd und Rind liegen auch beim Hunde nur wenig Angaben 
über den absoluten Hämoglobingehalt des Blutes vor. E. Abder- 
halden fand bei zwei Hunden 13,3 und 14,6 & Hämoglobin in 100 & Blut 
(a. a. ©. S. 107). Mit dem schon Bahnen Hämokolorimeter Eher 
G. Hofmann (a. a. O. S. 64) etwas niederere Werte als beim Menschen, 
aber höhere als beim Pferde. C. Klieneberger und W. Carl be- 
stimmten mit dem Sahli’schen Apparat im Durchschnitt 94°/o (a. a. O. 
S. 53), das wären auf Grund der Bürker’schen Eichungen des Apparates 
16,3 & in 100 ccm Blut. 

Bei einem männlichen Hunde (Foxterrier) stellten K. Bürker, R. Ederle 
und F. Kircher*) 114 g Hämoglobin in 100 cem Blut bei 4,16 Mill. 

. Erythrocyten und damit 27.10-12 & Hämoglobingehalt eines Erythocyten 
fest, bei einem weiblichen Hunde anderer Rasse waren die entsprechenden 
Werte 18,3 g, 6,55 Mill. und 28 - 10-12 g, bei einem Hunde, dessen Geschlecht 


1) H. Welcker, Grösse, Zahl, Volum, Oberfläche und Farbe der Blut- 
körperchen bei Menschen und bei Tieren. Zeitschr. f. ration. Medizin. 
3. Reihe Bd. 20 S. 286. 1863. 

2)J. F. Lyon, Blutkörperzählungen bei traumatischer Anämie. 
Virchow’s Archiv f. pathol. Anat. usw. Bd. 84 S. 219. 1881. 

3) C. Klieneberger und W. Carl, Die Blutmorphologie der Labora- 
toriumstiere S. 53. Verlag von J. A. Barth. Leipzig 1912. 

4) K. Bürker, R. Ederle und F. Kircher, Über Änderung der- 
sauerstoffübertragenden Oberfläche des Blutes bei Änderung der respira- 
torischen Oberfläche der Lungen. Dieses Archiv Bd. 167 S. 154 u. 156. 1917.. 


270 Pr Kühl: 


nicht notiert wurde, fand R. Marloff (a. a. O. S. 366) 16,9 &, 6,65 Mill. und 
25. 10-12 &; es können also beträchtliche Differenzen bestehen. 

Der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten, die Thrombo- 
cytenzahl und der Brechungsexponent des Plasmas haben beim 
Hunde noch wenig Beachtung gefunden, mehr die Leukocytenzahl und -art. 
Bei dem eben erwähnten weiblichen Hunde betrug der Brechungsexponent 
des Plasmas 1,3482, was 7,1°/o Eiweiss entsprechen würde. 

Bei Leukocytenzählungen an zehn:Hunden fand J. Pohl!) nach 
meiner Berechnung Werte zwischen 8,32 und 21,90, im Mittel 15,43 Taus,, 
C. Klieneberger und W. Carl bei der gleichen Anzahl von Hunden ver- 
schiedener Rassen dagegen Werte von 5,13—14,10, im Mittel 10,56 Taus. (a. a. O. 
S. 50), die also um etwa 30°%o niedriger sind. Während ferner Pohl eine 
beträchtliche Verdauungsleukocytose nach Fleischfütterung mit einer Zu- 
nahme der Leukocyten von durchschnittlich 78° beobachtete, konnten 
Klieneberger und Carl eine solche Leukocytose nicht nachweisen, also 
auch in dieser Beziehung Widersprüche. 

Genauere Angaben über das prozentige Verhältnis der Leuko- 
cytenarten finde ich nur bei Klieneberger und Carl, welche im 
Mittel 15,6% Lymphocyten, 2,8% mononukleäre und Übergangsformen, 
17,36% polymorphkernige neutrophile, 4,2% eosinophile und 0,04% baso- 
phile fanden (a. a. O. S. 53). 

Bei einem Rückblick auf die mitgeteilte Literatur ergeben sich 
in mancher Beziehung Widersprüche und Lücken, die allmählich gelöst 
und ausgefüllt werden müssen; einen Beitrag dazu sollen die folgenden 


Untersuchungen liefern. 


3. Neue Untersuchungen. 


Da bei diesen Untersuchungen die Methodik eine ausschlaggebende 
Rolle spielt, sei etwas genauer darauf eingegangen: dann erst sollen 
die mit dieser Methodik erzielten Resultate mitgeteilt werden. 


a) Methoden. 


Die Beschaffung der Versuchstiere war in den Monaten Dezember 
1918 bis Februar 1919, in welchen ich die Versuche vornahm, mit 
Schwierigkeiten verknüpft. Pferde und Rinder standen mir bei der 
Militärverwaltung zur Verfügung, die Hunde wurden mir von Privat- 
besitzern meist erst nach langen Verhandlungen überlassen. Sämtliche 
Versuchstiere waren gesund und nicht trächtig. 

Die äusseren Umstände bei der Blutentziehung sind nicht so 
konstant zu erhalten wie bei Blutuntersuchungen am Menschen. Die 
Beleuchtung in den Ställen war meist so ungenügend, dass ich die 
Blutentziehung im Freien vornehmen musste, wobei sich unter Um- 
ständen die Kälte störend geltend machte. Dazu kam die Unruhe 
der Tiere. Trotz ‘alledem liessen sich aber doch brauchbare Resultate 
erzielen. 


1) J. Pohl, Über Resorption und Assimilation der Nährstoffe. Archiv 
für experiment. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 25 S. >34. 1889. 


Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 271 


Beim Pferde wurde das Blut mit einer Hohlnadel aus der Jug ular- 
vene entnommen, beim Rind und Hunde schnitt ich die Ohrvene 
vom Rande der Ohrmuschel her an und erhielt so immer reichlich 
Blut. Nur in zwei Fällen bei Rind Nr. 1 und 2, entnahm ich das 
Blut aus den durchschnittenen Halsgefässen, kam aber davon wieder 
ab, weil der Strom des Blutes zu stark ist. Nach Untersuchungen 
Bürker’s!) ist es wenigstens beim Menschen gleichgültig, ob man 
das Blut den Kapillaren der Fingerkuppe, des Ohrläppchens oder den 
Venen der Ellenbogenbeuge entnimmt, der Hämoglobingehalt und 
die Erythrocytenzahl erweist sich als gleich. Anders kann dies freilich 
mit der Leukocytenzahl sein, wie dies auch aus den S. 266 erwähnten 
Versuchen von A. Rössle hervorgeht. 

Das ausgetretene Blut wurde auf einem ausgehöhlten Paraffin- 
blocke aufgefangen, nachdem in die Höhlung etwas Hirudin zur Ver- 
hinderung der Gerinnung gebracht worden war. Der Einfluss gelösten 
Hirudins auf den Brechungsexponenten des Plasmas wurde unter- 
sucht. Das Blut direkt aus der Wunde zu entnehmen, ging bei der 
Unruhe der Tiere nicht an. Die Verdünnung und Herrichtung des 
Blutes zu den Bestimmungen geschah an Ort und Stelle, die Be- 
stimmungen selbst wurden im physiologischen Institut vorgenommen. 

Zur Erythrocytenzählung wurde das. Blut 200fach mit Hayem- 
scher Lösung verdünnt, wobei zur scharfen Einstellung der Blutsäule 
auf die Marke der Blutpipette eine Lupe verwendet wurde. Verdünnung 
und Zählung geschah nach der Bürker’schen Methode ?), die sich 
für die vorliegenden Untersuchungen als besonders brauchbar erwiesen 
hat, da in dem verschlossenen Kölbchen das verdünnte Blut einwands- 
frei transportiert werden kann, was für die Mischpipette nicht zutrifft. 
Ausgezählt wurden jeweils 320 Quadrate und das Resultat in die 
Zählschemata eingetragen. Der mittlere Fehler jeder einzelnen Zählung 
beträgt etwa 2%. 

Zur Hämoglobinbestimmung wurden 25 cmm Blut zu 2475 cmm 
Ö,1%iger Sodalösung hinzugefüst, das Blut also 100fach verdünnt. 
Die Verdünnung wurde in einem ähnlichen Glaskölbcehen, wie es zur 
Aufnahme der Blutmischung bei der Blutkörperchenzählung dient, 
vorgenommen. Die quantitative Bestimmung in dieser Lösung geschah 
mit dem Hüfner’schen Spektrophotometer durch Ermittlung des Ex- 
tinktionskoeffizienten €’, im Wellenlängengebiet 535,6—542,1 uu, also 
in der Region des nach Grün zu gelegenen Absorptionsstreifens des 
Hb—0O,, wobei 
eo, = — log cos?o, 
© aber den Drehungswinkel des Analvsators bedeutet. Aus diesem 


1) Dieses Archiv Bd. 167 S. 143. 1917. 
2) Tigerstedts Handb. der physiol. Methodik Bd. 2 Abt. 5 S. 57. 1913. 


Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 170. 1S 


‘ 


ID 


12 IP Kkuchele 


Extinktionskoeffizienten und dem Absorptionsverhältnis A’, ergab sich 
dann die Konzentration c, also die Menge des Oxyhämoglobins in 
Gramm in 1 ccm Lösung, zu | 

c=eEyA), 
und daraus endlich unter Berücksichtigung der 100fachen Verdünnung 
des Blutes C, also die Menge des Oxyhämoglobins in Gramm in 100 cem 
Blut. 

Der Apparat ist von Herrn Professor Bürker mit kristallisiertem 
Hämoglobin auf absolute Werte geeicht, A’, wurde zu 1,25-10 ge- 
funden. Vor jeder Hämoglobinbestimmung wurde die Prüfung der 
beiden Lichtbündel auf Gleichheit mit dem in diesem Archiv Bd. 167 
S. 144 beschriebenen Rauchglas vorgenommen. Der mittlere Fehler 
der Bestimmung beträgt etwa 1%. 

Aus der Hämoglobinmenge und der Erythrocytenzahl, welche in 
l cemm Blut enthalten ist, ergibt sich dann leicht der Gehalt eines 
Erythrocyten an Hämoglobin, er sollin 10 ”1? g angegeben werden. 

Auch die Leukocytenzählung geschah nach der Bürker’schen 
Methode !). Es wurden also 25 cmm Blut zu 475 emm Türk ’scher 
Lösung, welche die Erythrocyten auflöst, die Leukocyten aber leicht 
anfärbt, hinzugefügt und damit eine 20fache Verdünnung des Blutes 
vorgenommen. Um möglichst viele Leukocyten zur Zählung zu bringen, 
wurde die Kammerhöhe durch Auflegen eines mit einem Einschliff 
von 0,100 mm versehenen Deckglases verdoppelt. Ausgezählt wurden 
125 Quadrate in der einen und ebensoviele in der anderen Abteilung 
der Zählkammer und die Zählresultate in die Schemata eingetragen. 
Die ermittelte Gesamtzahl war nur noch mit 10 zu multiplizieren, 
um die Zahl der Leukocyten in 1 cmm Blut zu erhalten. Die Türk ’sche 
Lösung ist verbesserungsbedürftig, sie gibt manchmal störende Eiweiss- 
niederschläge in dem verdünnten Blut. 

Zur Differenzierung der Leukocyten wurde ein mit einem 
paraffinierten Glasstab übertragenes Tröpfchen Blut ganz zwischen 
zwei 20x25 mm grosse Deckgläschen aufgenommen, die je nach der 
Grösse des Tröpfchens mehr oder weniger zur Deckung gebracht und 
dann rasch auseinander gezogen wurden. Das Blut auf einem Objekt- 
träger mit Hilfe eines zweiten Objektträgers oder Deckgläschens aus- 
zustreichen, wie es vielfach geschieht, empfiehlt sich nicht, da auf 
diese Weise ein Teil des Blutes nicht in das Präparat eingeht, und 
da ferner bei der grossen Klebrigkeit der Thrombocyten eine ganz 
ungleichmässige Verteilung dieser Gebilde zustande kommt. Die beiden 
lufttrockenen Präparate wurden nach der Pappenheim’schen Methode 


1) Tigerstedts Handb. der physiol. Methodik Bd. 2, Abt. 5, S. 111. 1913. 

2) A. Pappenheim, Grundriss der hämatologischen Diagnostik und 
praktischen Blutuntersuchung S. 248. Verlag von Dr. W. Klinkhardt, 
Leipzig 1911. 


Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 9273 


(kombiniertes May-Grünwald-Giemsa- Verfahren) gefärbt, und zwar 
mit folgenden geringfügigen Abänderungen: Das im Uhrschälchen be- 
findliche Präparat wurde mit May-Grünwald-Lösung unterschichtet 
und 3 Minuten fixiert, durch Zufügen der doppelten Menge destillierten 
Wassers 1 Minute lang vor-, dann mit Giemsa-Lösung (6 Tropfen 
auf 4 ccm destilliertes Wasser) 7 Minuten lang nachgefärbt, abgespült, 
getrocknet und in neutralen Kanadabalsam eingebettet. Die Präparate 
zeigten meist eine schöne Färbung. Die Erythrocyten des Rinder- 
blutes waren häufig nicht gut konserviert, sie zeigten wie in der 
Hayem’schen Lösung so auch im Blutausstrich, also im unverdünnten 
Blut, Neigung zur Agglutination und zu Stechapfelformen. 

Bei der Differentialzählung, die mit Ölimmersion und Kreuz- 
tisch vorgenommen wurde, bereitete im allgemeinen die Untersuchung 
der einzelnen Leukocytenformen in den drei Blutarten keine Schwierig- 
keiten; nur bei den grösseren Lymphocyten und den kleineren mono- 
nukleären Leukocyten und Übergangsformen entstanden manchmal 
Zweifel. Es wäre erwünscht, zur besseren Unterscheidung Differential- 
färbungen vorzunehmen, leider fehlte es mir dazu an Zeit. Im ganzen 
wurden bei jeder Differentialzählung 300—400 Leukocyten berück- 
sichtigt. 

In dem gleichen Blutausstrichpräparate, in welchem die Differential- 
zählung der Leukoeyten vorgenommen wurde,wurde auch die Thrombo- 
eytenmenge annähernd geschätzt. 

Was endlich noch die Bestimmung des Brechungsexponenten 
des Plasmas und damit die Schätzung des Eiweissgehaltes betrifft, 
so wurde zunächst zur Gewinnung des Plasmas folgendermaassen 
verfahren. 

In ein 30 mm langes, 4 mm weites, unten zugeschmolzenes Glas- 
röhrchen wurde eine Spur Hirudin gebracht, mit Hilfe einer Pipette 
das Blut eingefüllt und mit dem Hirudin gemischt, worauf das Röhr- 
chen mit einem Stopfen verschlossen wurde. Im Institut wurde dann 
das Blut, dessen Gerinnung durch das Hirudin fast immer verhindert 
wurde, etwa 5 Minuten zentrifugiert, das klare hämoglobinfreie Plasma 
mit Hilfe einer Pipette abgehoben und direkt zur Untersuchung ver- 
wendet. Mit Hilfe des Bürker’schen Vergleichsspektroskops wurde 
geprüft, ob in der Tat auch Hämoglobinfreiheit bestand. 

Zur Ermittlung des Brechungsexponenten diente das Pulfrich’sche 
Eintauchrefraktometer der Firma Zeiss in Jena, und zwar mit dem 
Hilfsprisma zur Untersuchung kleiner Substanzmengen. Nach der 
Einfüllung des Plasmas wurde das Refraktometer in das Temperierbad 
gebracht und der Brechungsexponent nn bei 17,5° C. bestimmt. Mit 
Hilfe der der Beschreibung des Apparates beigegebenen Reiss’schen 
Tabelle wurde endlich der Eiweissgehalt aus dem Brechungsexponenten 

15 * 


274 P:Ktuhll: 


berechnet. Untersucht wurde bei Tages- und künstlichem Licht unter 
Benutzung des Kompensators zur Beseitigung des farbigen Saumes. 
Von Zeit zu Zeit wurde mit destilliertem Wasser geprüft, ob die Grenz- 
linie entsprechend dem Brechungsexponenten dieses Wassers, wie ver- 
langt, scharf auf Skalenteil 15,0 einstand. 

Die Methode ist so genau, dass die Ablesungen bei sorgfältigem 
Arbeiten nur um 0,1 Skalenteil schwanken, was im Mittel 3,7 Einheiten 
der fünften Dezimale von np entspricht. Für unsere Zwecke genügt 
die Angabe von vier Dezimalen. 

Da nun dem Blute zur Verhinderung der Gerinnung Hirudin zu- 
gefügt wurde, Hirudin aber ein dem Eiweiss nahestehender Körper 
ist, so war noch festzustellen, welchen Einfluss dieser Stoff auf 
den Brechungsexponenten ausübt. Zu dem Zwecke wurde zu 
einer entsprechenden Menge doppelt destillierten Wassers eine ent- 
sprechende Menge Hirudin zugefügt und dann der Brechungsexponent 
der Lösung bestimmt. Es zeigte sich, dass, wenn einige Schüppchen 
Hirudin wie normal zugesetzt wurden, der Brechungsexpönent des 
reinen Wassers von 1,33320 auf 1,33328 anstieg, bei abnorm grossen 
Mengen auf 1,33331, also höchstens um 0,008 %. Da nun der Brechungs- 
exponent des Plasmas der untersuchten Tiere im Mittel 1, 490 beträgt 
und damit gegenüber dem des destillierten Wassers eine mehr als 
100mal grössere Zunahme, nämlich um etwa 1%, aufweist, so kann 
das Hirudin einen wesentlichen Einfluss auf den Brechungsexponenten 
nicht ausgeübt haben. 

Noch ist eines im Giessener Institut eingeführten Schränkchens 
zu gedenken, das ich zum Transport der Blutentziehungs- 
und Verdünnungsapparate, der Verdünnungsflüssigkeiten 
und des Blutes selbst, des verdünnten und unverdünnten, mit 
Hirudin versetzten, verwendet habe, und das mir gute Dienste geleistet 
hat; spielt doch der einwandfreie Transport bei solchen Blutentziehungen 
ausserhalb des Hauses zur Gewinnung brauchbarer Werte eine wesent- 
liche Rolle. 


Ein mit einem Griff und einer verschliessbaren Türe versehenes 
Schränkchen aus Holz von 28 cm Höhe, 23,5 em Breite und 11,5 cm Tiefe 
ist innen in drei Abteilungen geschieden (Abb. 1)'). 

In die unterste Abteilung ist ein Kästchen eingeschoben, welches das 
Instrument zur Blutentziehung, die Pipetten, ein möglichst fäserchenfreies 
Leinentuch, den ausgehöhlten Paraffinblock, eine Tube mit Hirudin und 
mehrere entfettete Pferdehaare zur eventuellen Reinigung der Blutpipetten 
enthält. 

In der darüber befindlichen Abteilung sind fünf Gläschen mit destilliertem 
Wasser, Äther-Alkohol aa, Hayem’ scher, 0. 1%oiger Soda- und un scher 
Lösung untergebracht. 


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1) Die Skizze verdanke ich Fräulein M. H. Mülberger. 


Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 275 


In die oberste Abteilung sind 
zwei Brettchen nebeneinander 
eingeschoben, von denen jedes, 
mit entsprechenden Aushöhlun- 
gen versehen, zur Aufnahme 
zweier Deckglasausstrichpräpa- 
rate, eines Kölbchens mit Blut- 
mischung zur Erythrocyten-, 
Leukocytenzählung und Hämo- 
globinbestimmung und endlich 
eines Röhrchens mit unverdünn- 
tem Blut bestimmt ist. 

Bei einiger Sorgfalt lässt 
sich das Schränkchen samt 
Inhalt leicht so transportieren, 
dass das Blut, das verdünnte 
und unverdünnte, nicht an die 


Stopfen der Gläschen gelangt. 
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b) Resultate. mp Y 


Aus den genannten äusse- Abb. 1. 
ren Gründen musste ich mich 
“auf die Untersuchung des Blutes von zehn Pferden, zehn Rindern 
und zehn Hunden beschränken. 


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Das Blut der Pferde. 


Versuche vom 12. Dezember 1918 bis 8. Januar 1919, vom 
4. und 8. Februar 1919 (siehe umstehende Tabelle). 


Was zunächst die Erythrocytenzahl der Pferde betrifft, so 
weist das Fohlen mit 8,55 Mill. den höchsten Wert auf, was zu 
erwarten war. Dieser Wert ist aber wesentlich niederer als der von 
früheren Autoren (S. 265) gefundene Mittelwert von 9,40. 

Die Zahl für den Hengst liegt mit 6,77 Mill. verhältnismässig noch 
tiefer als der aus der Literatur ermittelte Wert 8,57 

Für die fünf Stuten ergibt sich als Mittelzahl 7,14 Mill., was 
mit den Literaturangaben ungefähr übereinstimmt, dagegen ist die 
für die drei Wallache gefundene Mittelzahl mit 6,68 wieder beträchtlich 
kleiner als 7,70. Auffallend ist, dass bei den Wallachen kleinere Zahlen 
gefunden wurden als bei den Stuten. 

Nun darf man freilich aus der beschränkten Zahl von Versuchs- 
resultaten nicht zu weitgehende Schlüsse ziehen; so viel scheint aber 
doch sicher zu sein, dass die mit der alten Methode ermittelten Werte, 
wie es nach den Untersuchungen Marloff’s zu erwarten ist, zu hoch 
ausgefallen sind und auch zu schwankend. 


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Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 277 


Als Mittelzahl berechne ich für das ausgewachsene Pferd ohne 
Rücksicht auf das Geschlecht 6,94 Mill.; die beobachteten grössten 
Abweichungen liegen mit 6,28 bzw. 7.43 Mill. nur 10 bzw. 7% 
von diesem Werte ab. Eine eindeutige Abhängigkeit der Erythrocyten- 
zahl vom Geschlecht ergibt sich nicht. 

Auch der Hämoglobingehalt des Blutes, der sich noch genauer 
feststellen liess als die Erythrocytenzahl, ist relativ konstant. Als 
Mittelwert aus allen Bestimmungen finde ich 12,4 g, als niedersten 
H,2 g, als höchsten 13,5 g, das sind nur Unterschiede von 10 bzw. 9%. 
Ein nennenswerter, durch das Geschlecht bedingter Einfluss ist nicht 
nachweisbar: Fohlen 13,2, Hengst 11,4, Stuten 12,6, Wallache 12,3 & 

Dasselbe gilt, abgesehen vom Fohlen, auch vom Hämoglobin- 
gehalt eines Erythrocyten, der rund 18-101? & als Gesamt- 
mittel und als Mittel für Stuten und Wallache beträgt; den niedersten 
Wert weist das Fohlen mit 15, den höchsten ein Wallach mit 20 auf, 
Marloff (S. 263) fand 19. 

Die Leukocytenzahl schwankt den ng entsprechend 
stärker, Mittelwert für das erwachsene Pferd 10,30, niederster Wert 
8,18, höchster 12,24 Taus., also Unterschiede von 20 bzw. 19%. 
Auch hier ist kein eindeutiger Einfluss des Geschlechtes nachweisbar 
(Hengst 8,18, Stuten 10,26, Wallache 11,08), wohl aber des Alters: 
das Fohlen hat wie üblich einen höheren Wert: 15,54 Taus. Alle 
diese Zahlen stimmen noch am besten mit den von Storch ermittelten 
und S. 266 erwähnten überein. » 

Von den Leukocytenarten wurden im Mittel für das ausge- 
wachsene Pferd: 


Lymphocyten . . . . . 38% (Hengst 43, Stuten 36, Wallache 39) 
Mononukleäre und Über- 

sanesiormen‘ ..., 7 20.2 A, Me A 5 3% 5) 
Neutrophile Leukocyten 54%, ( „ 50, ,„ Si 52) 
Eosinophile Leukocyten 4%, ( ,„ SUEH en, 3% 4) 


Basophile Leukocyten < 1%, gezählt. 

Auch hier ist ein auf das Geschlecht zurückzuführender Unter- 
schied kaum vorhanden, wohl aber wieder ein Altersunterschied, 
kenntlich an der Lymphocytose des Fohlens, das volle 66%, Lympho- 
eyten bei nur 27%, neutrophilen Leukocyten aufweist, daneben 5% 
mononukleäre und Übergangsformen, 2%, eosinophile und unter 1%, 
basophile. Interesse verdienen immer wieder die massigen Granula 
der eosinophilen Leukocyten des Pferdes. > 

Die Seite 266 erwähnten Autoren haben weniger ah ten 
(30%), dagegen mehr neutrophile Leukocyten (63%) gefunden. 

Die Thrombocyten waren in allen Präparaten in relativ geringer 
Menge vorhanden. 


BARS BaRsuhle 


Recht konstant wurde auch der Brechungse xponent desPlasmas 
beim ausgewachsenen Pferd gefunden, im Mittel zu 1,3495 mit grössten 
Abweichungen von 0,07 bzw. 0.09% entsprechend Werten von 1,3485 
und 1,3507. Das Fohlen weist mit einer Stute den niedersten Wert 
von 1,3485 auf, der Hengst 1,3496, Stuten 1,3494, Wallache 1,3496, 
also keine in Betracht kommenden Unterschiede. Entsprechend ver- 
halten sich die daraus abgeleiteten Eiweissprozente, Mittelwert 7,8. 

Als Gesamtergebnis ist beachtenswert, dass die aus- 
gewachsenen Pferde eine recht konstante Zusammen- 
setzung ihres Blutes aufweisen. 

Noch sei eines anämischen Pferdes gedacht, das Herr Professor 
Bürker Gelegenheit hatte, am 30. Oktober 1918 zu untersuchen: 
1,43 Mili. Erythrocyten, 3,1 g Hämoglobin, 21-1071? & Gehalt eines 
Erythrocyten an Hämoglobin, 10.72 Taus. Leukocyter, darunter 13%, 
Lymphoeyten, 34%, mononukleäre und Übergangsformen, 53 %, neutro- 
phile, unter 1% eosinophile und basophile Leukocyten, Brechungs- 
exponent 1,3467, Eiweissprozente 6,3. Bei der Bewegung zeigte das 
Tier Atemnot. Die Erythrocytenzahl beträgt also nur ein Fünftel der 
Norm, der Hämoglobingehalt ein Viertel, dementsprechend ist der Hämo- 
globingehalt eines Erythrocyten von 18 im Mittel auf 21-1071? g ge- 
stiegen. Die Gesamtleukocytenzahl ist normal, auch die Zahl der 
neutrophilen, dagegen sind die Lymphocyten stark vermindert, die 
mononukleären und Übergangsformen schr stark vermehrt, der 
Brechungsexponent des stark goldgelb „efärbten Plasmas erreicht 
einen so niederen Wert wie bei keinem der bisher untersuchten Pferde. 


Das Blut der Rinder. 


Versuche vom 9. bis 23. Januar 1919 (siehe nebenstehende 
Tabelle). 


Leider war es nicht möglich, Kälber und Bullen in grösserer Zahl 
zu untersuchen. i 

Als mittlere Erythrocytenzahl ergibt sich ohne Rücksicht auf 
Geschlecht und Alter 5,72 Mill., der niederste und höchste Wert 4,85 
und 6,80 weichen vom Mittelwerte um 15 bzw. 19% ah. Eine Ab- 
hängigkeit der Zahl vom Geschlecht besteht nicht: Stierkalb 5,70, 
Kühe 5,73, Ochsen 5,67; das Stierkalb war offenbar nicht jung genug, 
um die dem jugendlichen Organismus eigentümliche Zusammensetzung 
des Blutes aufzuweisen. 

Nach den Marloff’schen Untersuchungen war zu erwarten, dass 
die mit der Thoma’schen Methode ermittelten Werte zu hoch aus- 
gefallen sind. Das ist in der Tat der Fall, wie sich beim Vergleich mit 
den früher (S. 267) erwähnten, von Storch und Turowski ge- 


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Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 


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280 P.Kruhil: 


fundenen Werten ergibt, die, abgesehen von den Storch’schen Werten 
für die Kühe, um fast 1 Million höher liegen. 

Ebenso konstant wie bei den Pferden ist auch der Hämoglobin- 
gehalt bei den Rindern. Als Mittel berechne ich 10,8 &; der niederste 
Wert 9,8 und der höchste 11,9 weichen davon nur um 9 bzw. 10%, ab. 
Ein deutlicher Einfluss des Geschlechts ist nicht ersichtlich: Stierkalb 
10,3, Kühe 11,0, Ochsen 10,4. Eine gute Übereinstimmung besteht 
mit den S. 268 erwähnten, von Abderhalden gefundenen Werten 
19,6 und 10,3 9. 

Auch der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten ist nur 
geringer Schwankungen unterworfen: Mittlerer Wert 19, niederster 17, 
höchster 22-101? g. Marloff fand in einem Falle 18. Stierkalb 18, 
Kühe 19, Ochsen 19, also kein Einfluss des Geschlechts nachweisbar. 

Die Schwankungen in der Leukocytenzahl sind grösser, der 
niederste Wert 6,04 und der höchste 9,88 liegen um 24 bzw. 25% vom 
Mittelwerte 7,90 Taus. ab. Stierkaib 9,00, Kühe 7,93, Ochsen 7,23: 
Werte von sogar über 9,00 kommen aber auch bei Kühen vor, das 
Stierkalb ist eben nicht jung genug, um die Leukocytose des jugend- 
lichen Organismus zu zeigen. Meine Resultate stimmen also im all- 
gemeinen mit denen der S. 268 genannten Autoren überein, nur ist 
der Schwankungsbereich bei meinen Werten kleiner, freilich auch die 
Zahl der untersuchten Tiere. 

Die Leukocytenformel für das Rind lautet nach meinen Unter- 
suchungen: 64%, Lymphocyten, 10% mononukleäre und Übergangs- 
formen, 21% neutrophile, 5%, eosinophile und. unter 1% basophile 
Leukocyter. Ich finde daher eine noch ausgesprochenere Lymphocytose 
bei diesem Tier als die früheren Untersucher (S. 268). Den Angaben 
Utendörfer’s, der wie ich Rinder Simmentaler Rasse untersuchte, 
kann ich nicht beistimmen. Erfahrungsgemäss herrscht unter den 
Rindern sehr häufig Tuberkulose, bei der es aber gerade zu einer 
Abnahme der Lymphocyten, wie sie Utendörfer konstatiert hat, 
kommt. Im Blute des Rindes Nr. 9 wurden viel Coccen und Stäbchen 
gefunden. 

Eindeutige, durch das Geschlecht bedingte Unterschiede sind nicht 
sicher erweisbar: 

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Thrombocyten waren immer reichlich in den Präparaten vor- 
handen. 


Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 281 


Als Mittelwert für den Brechungsexponenten des Plasmas 
ergibt sich 1,3490 entsprechend 7,6% Eiweiss, als niederster Wert 
1,3478, als höchster 1,3507, das sind Abweichungen von 0,08 bzw. 
0,13%. Stierkalb 1,3478, Kühe 1,3494, Ochsen 1,3485 im Mittel. 

Auffallend ist auch beim Rinde die relativ grosse 
Konstanz des Hämoglobingehaltes. 


Das Blut der Hunde. 


Versuche vom 24. Januar bis 6. Februar 1919 (siehe um- 
stehende Tabelle). 


Die mittlere Erythrocytenzahl beträgt 6,59 Mill., die Werte 
schwanken um diesen Mittelwert von 5,39—7,74 Mill., also um 18 
bzw. 17%. Rüden im Mittel 6,50, Weibchen 6,96. Die nicht aus- 
gewachsenen Hunde Nr. 1 und 5 zeigen keine höheren Zahlen, sogar 
aie niedersten. Der neueste, von Klieneberger und Carl gefundene 
Mittelwert liegt mit 7,23 Mill. um 10% höher, was wohl auf den der 
Thoma’schen Methode anhaftenden Fehler zurückzuführen ist. 

Als niederster Hämoglobingehalt des Blutes wurde 12,9, als 
höchster 19,3 & gefunden, Mittelwert aus allen Bestimmungen 15,8, 
demnach grösste Abweichungen um 18 bzw. 22%. Rüden im Mittel 
15,1 g, Weibchen auffallenderweise 18,6 g. Die nicht ausgewachsenen 
Hunde zeigen wie die niedersten Erythrocytenzahlen so auch den 
niedersten Hämoglobingehalt. Die Schwankungen sind bemerkenswert 
gross, was wohl auf die grosse Variabilität in der Gattung Canis fami- 
liaris zurückzuführen ist. Auch die früher (S. 269) genannten Autoren 
haben sehr wechselnde Werte beobachtet. Der von Klieneberger 
und Carl angegebene Mittelwert, 16,3 g, stimmt ziemlich genau mit 
dem meinigen überein. 

Der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten beträgt durch- 
schnittlich 24, der kleinste Wert 22, der grösste 29; männliche Tiere 23, 
weibliche 27. Die jungen Tiere unterscheiden sich nicht wesentlich 
von den älteren. 

Die Gesamtzahl der Leukocyten beträgt im Mittel 12,60 Taus., 
sie schwankt zwischen den Werten 5,81 und 22,08, von denen der 
erste abnorm niedrig ist und ganz allein steht. Rüden 13,43, Weib- 
chen 9,29. Das jüngste Tier weist den höchsten Wert auf. Meine 
Werte stimmen noch am besten mit denen von Klieneberger und 
Carl überein. Inwieweit bei meinen Hunden Verdauungsleukocytose 
in Frage kommt, entzieht sich meiner Beurteilung, da ich die Futter- 
aufnahme nicht kontrollieren konnte. 

Unter den Leukocyten finde ich 25%, Lymphocyten, 8%, mono- 
nukleäre und Übergangsformen, 57%, neutrophile, 10%, eosinophile 


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Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 283 


und unter 1%, basophile. Für Rüden bzw. Weibchen sind die Werte 
25 und 24, 8 und 10, 56 und 60, 11 und 7, unter 1. Eine Lympho- 
cytose ist bei den jüngeren Tieren nicht eindeutig nachweisbar. 
Auffallend ist die Eosinophilie. Gegenüber Klieneberger und Carl 
finde ich mehr Lymphocyten, mononukleäre und Übergangsformen 
und mehr eosinophile, dagegen weniger neutrophile. 

Thrombocyten waren in den Präparaten nur in geringer Zahl 
vorhanden. 

Mittelwert des Brechungsexponenten des Plasmas 1,3454 
entsprechend 7,2%, Eiweiss, niederster Wert 1,3469, höchster 1,3503, 
also Abweichungen von 0,11—0,14%. Rüden 1,3481, Weibchen 1,3493, 
kein eindeutiger Einfluss des Alters. 


4. Zusammenfassung. 


Die genauere Untersuchung des Blutes von zehn Pferden, zehn 
Rindern und zehn Hunden, welche vor allem die Ermittlung abso- 
luter Werte zum Ziele hatte, ergab für diese Tierarten die in der 
nachstehenden Tahelle mitgeteilten Durchschnittswerte. 


H Hämo- Bee 
Ery thro- Hämoelobinlelobingehalt Leukocyten- 
evten in |-: nr en zahl in 
. in 100 ccm | eines Ery- 
1 cmm Blut Blut in & | throcyten 1 SERIEN Blut 
in Mill. in 10-12 9 | in Taus. 
Pienderzunn ee eg 6,94 12,4 18 10,30 
Binder... rer 5,12 10,8 19 7,90 
Euer 6,59 15,8 24 12,60 


| 


Leukocytenarten in Prozenten a R 
EN ET RE, ng m 2 © 
© ae ze 
= | Mono- e) Su ö © = Thrombo- = = 5 3° ® 
=® nukleäre und = S —z ceyten S EG: © Es 
ir Fr Es In u en 
== | Übergangs- 57%, © a za g=* 
a formen zZ | = IR 
Bterde. 7.217238 4 54 4 <1| wenig 1,3495 | 7,8 
Rinder. .| 64 10 21 o |<1I| viel 1,3490 | 7,6 
Hunde. .| 25 S 57 10 wenig 1,3484 | 7,2 


ar 


Von den wesentlichen Blutwerten war das Hämoglobin am ge- 


nauesten bestimmbar. Aus den geringen Schwankungen, welche der 
Hämoglobingehalt des Pferde- und Rinderblutes aufweist — die ex- 


384 P.Kuhl: Das Blut der, Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 


tremen Werte weichen nur etwa um 10%, vom Mittelwerte ab — muss 
man schliessen, dass diese Tiere eine im bezug auf die Erythrocyten 
und das in ihnen enthaltene Hämoglobin sehr konstante Zusammen- 
setzung ihres Blutes aufweisen. Das gilt nicht vom Hunde, hier sind 
die Schwankungen etwa doppelt so gross, was offenbar auf die grosse 
Rassenverschiedenheit zurückzuführen ist. 

Die ermittelten Erythrocytenzahlen sind niedriger als die von 
anderen Autoren gefundenen; da diese Autoren alle mit der zu grosse 
Werte angebenden Thoma’schen .Methode gezählt haben, so war 
dieses Resultat auf Grund der neueren Untersuchungen über die Methode 
der Erythrocytenzählung zu erwarten. 

Der so wichtige mittlere Hämoglobingehalt eines Erythrocyten ist 
zum ersten Male genauer bestimmt worden, er ist mit 18 bzw. 19-1071? & 
nicht wesentlich bei Pferd und Rind verschieden, erreicht aber beim 
Hunde den Wert 24, beim Menschen sogar 30-1071? g. 

Die ermittelten Leukocytenzahlen entsprechen etwa den von anderen 
Autoren gefundenen. 

Im Ausstrichpräparat des Rinderblutes fällt die starke Agglutination 
der Erythrocyten und die grosse Zahl von Stechapfelformen auf, Er- 
scheinungen, die man auch in der Hayem’schen Lösung bei der 
Erythrocytenzählung beobachten kann. In diesem Zusammenhange 
ist auch der reiche Gehalt des Rinderblutes an Thrombocyten be- 
merkenswert. 

Bestätigt wird die starke Lymphocytose des Rinderblutes im Gegen- 
satze zum Pferde- und Hundeblut. 

Der Brechungsexponent des Plasmas ist mit 1,3490 im Mittel bei 
allen drei Tierarten nur geringen Schwankungen unterworfen. Er ist 
durchschnittlich am grössten im Pferde-, kleiner im Rinder-, noch 
kleiner im Hundeblut. 

Auffallend ist, dass ein wesentlicher Einfluss des Geschlechtes auf 
die Zusammensetzung des Blutes bei den ausgewachsenen Tieren nicht 
nachweisbar war. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass bei 
den Tieren eine Arbeitsteilung mit Rücksicht auf das Geschlecht nicht 
so wie beim Menschen in Betracht kommt, doch bedarf es in dieser 
Beziehung noch weiterer Untersuchungen. 

Auch ist die genauere Differentialzählung der grossen Lymphoeyten 
und der kleineren mononukleären und Übergangsformen bei den drei 
Tierarten erwünscht. 


Eine neue Methode der intracardialen Druckerhöhung 

beimKaltblüter(Froseh),ihreErgebnisse undihrWert 

im Vergleich mit den anderen, älteren Methoden )). 
Von 


Sanitätsrat Dr. Kaempffer, Frankfurt a. M. 


(Aus dem Institut für animalische Physiologie zu Frankfurt a. M., 
„Theodor-Stern-Haus“.) 


Mit Tafel VI. 


(Eingegangen am 7. Mai 1919.) 


Anatomisches und Methodisches. 


Nach Ecker-Gaupp (Anatom. des Frosches, Abt. II, S. 437ff.) gelangt 
die Lymphe aus den grossen, miteinander kommunizierenden Lymphräumen,. 
wovon hier vornehmlich der prävertebrale, dorsal vom Herzen gelegene und 
durch die Intervertebrallöcher mit den Lymphdrüsen des Wirbelsäulekanals 
und der Schädelhöhle in unmittelbarer Verbindung stehende Sinus in Be- 
tracht kommt, durch Vermittlung von je zwei vorderen und hinteren 
Lymphherzen in das Venensystem. In der vorderen Körperhälfte ist es 
die Vena vertebralis, ein Ast der V. jugularis interna, in die sich die 
Lymphe ergiesst, um durch diese und weiter durch die V. cava ant. ins 
Herz zu gelangen. Es besteht jedoch offenbar in der anatomischen An- 
ordnung der Lymph- und venösen Gefässe zueinander für diese Region ein 
erheblicher Unterschied zwischen Esculenten und Temporariern. Bei den 
letzteren ist nämlich die Verbindung der Lymphräume der Schädelhöhle 
mit der V. vertebralis und jugularis eine direkte, geradere und kürzere, bei 
den ersteren dagegen scheint in der Regel eine solche unmittelbare. 
Kommunikation nicht zu bestehen; die Lymphe gelangt daher bei ihnen 
aus dem genannten Raum erst auf dem Umwege über den grossen Prä- 
vertebralsinus in die V.V. cavae und ins Herz. Aus diesen anatomischen 
Verschiedenheiten ist das verschiedene Verhalten der beiden Froscharten 
gegenüber intrakraniellen Einspritzungen herzuleiten. Die luftdichte In- 
jektion von Flüssigkeit in die Schädelhöhle hat nämlich bei Esculenten,. 
soweit es sich um kleinere Quanten handelt, zunächst keine kardialen 
Folgen; grössere Mengen, auf einmal oder nach und nach eingespritzt, be- 
wirken ein Emporsteigen der Herzunterlage durch Ansammlung der In- 
jektionsflüssigkeit in dem hinter dem Herzen gelegenen Teil des oben- 


1) Die Ergebnisse der letzteren, und zwar sowohl nach fremden als auch. 
nach eigenen Untersuchungen, finden sich in der Arbeit des Verfassers: 
„Über die Einwirkung der Erhöhung des Intrakardialdruckes auf das Kalt- 
blüterherz, zugleich ein Beitrag zu der Lehre von den Herzunregelmässig- 
keiten“, Zentralbl. für Herz- u. Gefässkrankh., X. Jahrg. Heft 20—24 und 


XI. Jahrg. Heft 2 und 3, ausführlich wiedergegeben. Ebenda findet sich. 
auch die einschlägige Literatur. 


280 Kaempffer: 


genannten Lymphraumes und zugleich damit die zunächst frappierende 
Erscheinung einer zuweilen mehrere Zentimeter betragenden Senkung der 
Kurvenabszisse. Erst später beginnt auch die Herzhöhle sich stärker zu 
füllen. Bei den Temporariern dagegen erscheinen auch die minimalsten 
Flüssigkeitsmengen (von 0,2 an) sofort im Herzen, und zwar nur auf dem 
Wege der beiden vorderen Hohlvenen, wie daraus hervorgeht, dass nach 
Durchschneidung aller drei die Injektionsflüssigkeit nicht aus der hinteren 
Vene, sondern nur aus den vorderen herausspritzt. 

Will man also diese anatomischen Beziehungen der Schädel- zur Herz- 
höhle zur Herbeiführung eines erhöhten Intrakardialdruckes und zum 
Studium der dabei am Herzen eintretenden Erscheinungen ausnutzen, so 
-wird man sich zunächst an die Rana temporaria halten und die Rana 
esculenta, wenn überhaupt, nur zum Vergleich heranziehen. Und zwar 
wird das folgende, in einer grösseren Versuchsreihe ausprobierte Verfahren 
hierzu empfohlen. 

Nach leichter Curarisierung des Versuchstieres wird in der Mittellinie 
des Körpers zwischen den Augen mittels einer Präpariernadel oder feiner 
Scherenbranchenspitze eine schräg nach hinten und ventralwärts verlaufende 
Öffnung durch das Schädeldach gebohrt, eben weit genug, um die Kanüle 
einer Pravaz-Spritze passieren zu lassen. Sodann wird das Herz freigelegt 
und alles zum Engelmann schen Suspensionsverfahren fertig gemacht, der 
Kopf hochgelagert, die Spitze der Kanüle vorsichtig bis in die Schädelhöhle 
luftdicht vorgeschoben, die gefüllte Spritze in horizontaler Lage am Stativ 
befestigt und ihr Inhalt ohne oder mit Zwischenschaltung eines kurzen 
Stückes feinsten Gummischlauches langsam in die Schädelhöhle entleert. 
Man kann die Injektionen beliebig. oft wiederholen und, wenn man will, 
stundenlang an demselben Herzen arbeiten, da dasselbe in seinen natür- 
lichen Verbindungen belassen wurde und seine Ernährungsbedingungen 
fast normale blieben. Das Minimum der Injektionsflüssigkeit beträgt, um 
ins Herz zu gelangen, (0,2 ccm, das Maximum kann beliebig hoch gewählt 
werden; doch tut man gut, zur Vermeidung einer schwereren Schädigung 
der Muskulatur und des ganzen Herzmechanismus über 2—3 ccm nicht 
hinauszugehen. Es empfiehlt sich ferner, bei den voluminösen Injektionen 
das Gummirohrzwischenstück einzuschalten und die Injektion langsam bzw. 
in Absätzen vorzunehmen, um dem Herzen die Möglichkeit zu geben, sich 
durch verstärkte und ausgiebige Kontraktionen zu entlasten. Nach völligem 
Abklingen der Injektionswirkungen, was je nachdem nach 20 Sekunden 
bis zu 1 oder auch 2 Minuten der Fall zu sein pflegt, kann man die 
Einspritzungen fortsetzen usw. Das neue Verfahren stellt demnach, ohne 
Hindernisse stromabwärts, ein gewöhnliches Belastungsverfahren durch Er- 
höhung des Einlaufdruckes dar, allmählich geht es aber automatisch infolge 
der immer stärker werdenden Füllung des geschlossenen Gefässsystems in 
ein Überlastungsverfahren über; fügt man einen teilweisen oder völligen 
Verschluss der arteriellen Strombahn mit seinen Hindernissen für die Ent- 
leerung des Herzens hinzu, so tritt eine sofortige Überlastung mit ihren 
bekannten Folgezuständen für das Herz ein. Es ist noch zu bemerken, 
dass die störenden Abwehrbewegungen des nicht curavisierten Versuchs- 
tieres nach einer einmaligen grösseren Injektion nach vorausgegangenem, 
allgemeinem Strecktetanus oder nach einer grösseren Anzahl schwächerer 
Injektionen völlig aufzuhören pflegen und einem Zustand absoluter Muskel- 
erschlaffung und Aufhebung aller Reflexe, wohl infolge Ausserfunktionsetzung 
des Zentralnervensystems, Platz machen. 


Es wurden nach diesem Verfahren an 23 Fröschen, zumeist Tempo- 
rariern, 188 Einzelversuche mit Injektionen von 0,1—5,0 cem vorge- 


Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 287 


nommen, und zwar 154 ohne, 34 mit Abflusshindernissen in der arteriellen 
Strombahn, und zusammen 181 cem, also durchschnittlich fast 1 cem 
pro Injektion eingespritzt. Die damit erzielten Ergebnisse waren 
folgende: Bei den Versuchen ohne Abtlusshindernisse blieben Frequenz 
und Zuckungsgrösse 40- bzw. 13mal unverändert, jedoch trat nach- 
träglich eine Wirkung auf die Frequenz in 11, auf die Zuckungsgrösse 
in 2 Fällen ein, so dass nur 29 bzw. 16 unbeeinflusste Fälle übrig blieben. 
Die erfolgreichen Injektionen hatten 65mal eine Frequenzsteigerung, 
49mal eine Frequenzabnahme zur unmittelbaren Folge. An diese 
primären Wirkungen schlossen sich häufig Nachschwankungen mit 
sekundären, tertiären usw. Modifikationen der primären Wirkung an. 
Das Verhältnis der beschleunigenden zur verlangsamenden Wirkung 
verhielt sich demnach wie 13; 10, oder mit anderen Worten, es über- 
wog die erstere nur in geringem Grade. Dies Verhältnis verschiebt 
sich noch mehr zuungunsten der beschleunigenden Wirkung, wenn 
von den 11 nachträglich beeinflussten Frequenzfällen, von denen oben 
die Rede war, 8 Verlangsamungen gegenüber 3 Beschleunigungen, 
lie zu den 65 Beschleunigungen hinzutreten, zu den 49 primären Ver- 
langsamungen hinzugerechnet werden. 

Diese hohe Ziffer der Verlangsamungen hatte, wie wir später sehen 
werden, nur in wenigen (8) Fällen in einer Vagusreizung ihren Grund, 
in ihrer Mehrzahl dagegen andere, später noch zu besprechende Ur- 
sachen. 

Eine sofortige Grössenzunahme fand 3lmal gegenüber 105 Fällen 
von Grössenabnahme statt. Dazu kamen von den anfänglich un- 
beeinflussten Fällen noch 2 Abnahmen, so dass sich das Gesamt- 
grössenverhältnis in Ab- und Zunahme wie 31, :1 darstellte, d. h. es 
überwog die Abnahme in bedeutendem Grade. 

Die Frequenzsteigerung schwankte zwischen 1 und 4 Schlägen, 
die Frequenzabnahme zwischen 1 und 5 Schlägen, auf die Zeit von 
10 Schlägen vor der Injektion bezogen. Die Zunahme der Zuckungs- 
gsrösse bewegte sich zwischen !/,, und !/,, die Abnahme zwischen !/, 
und Y, der ursprünglichen Grösse. Bei der Frequenz hielten sich dem- 
nach Zu- und Abnahme das Gleichgewicht, bei der Zuckungsgrösse 
. dagegen differierten Minima und Maxima um über das Doppelte zu- 
ungunsten der Zunahme. 

Bemerkenswert war das Verhalten des Herzens gegenüber den 
kleinsten Injektionsquanten von 0,1 cem. Schon diese geringste Menge 
genügte, um in Ausnahmefällen eine deutliche, sich in einer Änderung, 
und zwar einer Zunahme der Schlagfolge, und einer Beeinflussung, 
und zwar einer Herabsetzung der Zuckungsgrösse, äussernde Reaktion 
hervorzurufen. In der Regel waren allerdings drei Injektionen, in 
einigen Fällen sogar noch öfter wiederholte zur Hervorrufung einer 

Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 19 


388 Kaempffer: 


Reaktion durch Summierung der dynamischen Einzelwirkung erforder- 
lich. Es machte sich dann aber immer schon vor den Erscheinungen 
an der Frequenz und Systolengrösse eine deutliche Einwirkung auf 
die Abszisse, bestehend in einer zwar minimalen, aber gut messbaren 
Senkung derselben, bemerkbar. Diese Senkung war natürlich anders 
zu beurteilen als die oben nach kopiösen Einspritzungen erwähnte 
und vielleicht auf die durch die Ringer-Lösung veränderte Blut- 
beschaffenheit und einen dadurch hervorgerufenen Nachlass des Tonus 
der Herzmuskulatur zurückzuführen. Bei der Steigerung des Injektions- 
quantums auf 0,25 ccm war der Erfolg stets ein positiver, und zwar 
sowohl in bezug auf die Frequenz als auch in bezug auf die Stärke 
der Systole, welche beide eine Abnahme oder Zunahme erfahren konnten. 

Bemerkenswert waren auch die nach der ersten Injektionswirkung 
erfolgenden Nachwirkungen, von denen schon vorher die Rede war. 
Es wurden deren in bezug auf die Frequenz 68, in bezug auf die Kon- 
traktionsgrösse 82 gezählt. Dieselben bestanden in einem regelmässigen 
Wechsel entgegengesetzter Wirkungen, indem Beschleunigung von Ver- 
langsamung und umgekehrt gefolgt war. Entsprechend verhielt sich 
die Zuckungsgrösse. Ein solcher Wechsel konnte bis zu fünf Malen 
auftreten, und kam um so häufiger zur Beobachtung, je mehr Um- 
drehungen der Schreibtrommel der Versuch erforderte, aber auch 
schon während einer halben Umdrehung (= 30 Sekunden) kam ein 
ein- und zweimaliger Wechsel vor. 

Die hierunter gegebene Zusammenstellung, in der die Zeichen = > < 
Unverändertbleiben, Zu- und Abnahme bedeuten, möge zur Veranschau- 
lichung des Gesagten dienen. 


Frequenz- Grössen- 
nachschwankungen nachschwankungen 
Nummer der Kolumne . „| ı 2 > 4 s|s || 3 4|51.6\7 
| | REES) 
en A Bee a 
Primäre Wirkung... 2.|2 = >= -<| == 2 2. 
<z>/<j2 > >| 222) <=, > 
Re I | > las ales 
] » | | | | | | | | c 
Art und aantles: der ee | = a 
Nachwirkungen . i (ER 
| |< IND | 
la | a 
Einzelzahlen . . . . . 8316/80101 1 | 21.212): 1152|0) 3 
Du mn N — — ne — 
Gesamtzahlen.. . . . . 68 82 


Es traten also für die Frequenz bis zu vier Malen (Kolumne 6) 
und für die Zuckungsgrösse bis zu fünf Malen (Kolumne 4) Nach- 


Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 289 


schwankungen der gekennzeichneten Art und in der angegebenen 
Reihenfolge auf. \ 

So kam es in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen, in 
denen eine primäre Druckwirkung ausgeblieben war, nachträglich zu 
einer solchen nach der negativen oder positiven Seite für die Frequenz 
wie für die Grösse. Primäre Beschleunigungen gingen in Verlang- 
samungen, primäre Verlangsamungen in Beschleunigungen mit und 
ohne Wiederherstellung der Ausgangsfrequenz, ja auch mit Über- 
schreitung derselben über oder wandelten sich nach vorübergehender 
Beschleunigung wieder in Verlangsamungen zurück. Von den primären 
Herabsetzungen der Zuckungsgrösse blieb nur ein kleiner Teil nach 
einer vorübergehenden Heraufsetzung unverändert, der weit grössere 
Teil ging mit und ohne Erreichung der Anfangsgrösse in Grössen- 
steigerung über, 20mal über die Anfangsgrösse hinaus. Dagegen blieben 
die primären Grössensteigerungen mit verschwindenden Ausnahmen 
bestehen. 

Das Herz gleicht also einem Pendel, das, durch eine Kraft aus 
seinem ruhigen und gleichmässigen Gang gebracht, seine ursprüngliche 
Schwingungszahl wiederherzustellen sucht, und bemüht sich, durch 
Frequenz- und Grössennachschwankungen das verlorene rhythmisch- 
dynamische Gleichgewicht, selbst bis zur Überkorrektur, zurück- 
zugewinnen. 

Bei den 34 Versuchen mit Abflusshindernissen bestanden die letz- 
teren in der Ligatur einer oder beider Aorten bzw. des Truncus aortarum 
mit oder ohne vorausgegangene oder nachfolgende Injektion von 1 bis 
2 cem R.-L. Die Frequenz blieb hierbei 7mal, die Zuckungsgrösse 
keinmal unverändert; 24mal trat primäre Beschleunigung und nur 
3mal Verlangsamung ein; dementsprechend betrugen die Abnahmen 
der Zuckungsgrösse 28 gegenüber 6 Zunahmen. Es überwog hier also 
die Beschleunigung als erste Wirkung der Drucksteigerung in hervor- 
ragendem Grade. Das Minimum der Frequenzzu- und -abnahme be- 
trug, auf die Zeit von 10 Schlägen vor der Drucksteigerung bezogen, 
übereinstimmend Y, Schlag, das Maximum für die Zunahme 7, das- 
jenige für die Abnahme 9 Schläge. Für die Kontraktionsgrösse 
schwankte das Minimum der Zu- und Abnahme zwischen !/,, und 1/13, 
das Maximum zwischen ?/, und */, der Grösse vor den Injektionen. 
Es fanden also bedeutende Schwankungen von den Minima zu den 
Maxima und umgekehrt statt, die Endwerte selbst aber waren sowohl 
bei der Frequenz als auch bei der Zuckungsgrösse nahezu dieselben. 
Verschluss einer Aorta mit nachfolgender Injektion brachte für Schlag- 
folge und Zuckungsgrösse die positiven, Verschluss des Truncus aorticus 
oder beider Aorten + Injektion die negativen Maxima. Sonst zeigten 
Frequenz und Grösse durchschnittlich ein entgegengesetztes Verhalten. 

19 * 


290 - Kaempffer: 


Auch hier schlossen sich der ersten primären sekundäre usw. 
Drucknachwirkungen an, so dass primär unbeeinflusste Herzen nach- 
träglich deutliche Beeinflussung zeigten, Beschleunigungen in Ver- 
langsamungen übergingen oder eine noch grössere Beschleunigung 
nach vorübergehender Verlangsamung erfuhren, mit und ohne Wieder- 
herstellung der Anfangsfrequenz oder auch unter Überschreitung der 
letzteren, andererseits, wenn auch seltener, Verlangsamungen sich in 
Beschleunigungen verwandelten. Bei der Zuckungsgrösse setzten sich 
die Nachschwankungen noch länger als bei der Frequenz fort und 
traten bis zu 6mal hintereinander auf. Nachträgliche Steigerung und 
Herabsetzung hielten sich das Gleichgewicht. Wiederherstellung der 
Anfangsgrösse sowie Überschreitung derselben kamen wiederholt zur 
Beobachtung. Auch bei diesen Versuchen zeigte also das Herz das 
Bestreben, sich allmählich wieder auf seinen ursprünglichen Rhythmus 
einzustellen. 

Auch nach dieser Methode der intrakardialen Drucksteigerung kam 
es wiederholt zu Arhythmien verschiedener Art. Extrasystolen 
traten sechsmal auf, vier nach Injektionen ohne, zwei nach solehen mit 
Abflusshindernissen. Sie entbehrten sämtlich einer kompensatorischen 
Pause. Bei zweien lag ein nomotoper Extrareiz, der dafür hätte ver- 
antwortlich gemacht werden können, nicht vor: die übrigen waren 
durch einen Sinusextrareiz hervorgerufen. Drei davon, von der vierten 
wird später noch die Rede sein, bildeten den Übergang zu einem 
neuen Rhythmus, und zwar zu einem schnelleren an Stelle 
des durch die Drucksteigerung herbeigeführten, langsameren. Aus 
diesem neuen Rhythmus konnte sich allmählich bei nicht zu grosser 
Schädigung des Herzens durch die vorausgegangene Dehnung seiner 
Wandungen der ursprüngliche Rhythmus wiederherstellen. 
Denn wir fanden ja, dass das Herz das Bestreben hat, nach Über- 
windung der Druckschwankungen sich auf diesen wieder einzustellen. 

So war es bei dem zu der Kurve la!) gehörenden Herzen, das eine 
Anfangsfrequenz von 48 Schlägen hatte, nach beiläufig 18 Injektionen 
von je 0,1 eem und 2 Injektionen von je 0,5 cem unter beträchtlicher 
Dehnung der Herzhöhlen zu einer geringen Beschleunigung der Schlag- 
folge (52 Schläge) gekommen (links von der x-Marke). Nach einer 
weiteren Injektion von 1 cem trat eine kurzdauernde, auf dromo- und 
inotroper Vagushemmung beruhende und mit ausgesprochener, durch 
Rhythmushalbierung verursachter Bradykardie und Herabsetzung der 
Zuckungsgrösse einhergehende Irregularitätein (rechts von der x -Marke). 
Durch die bei dem ©®-Zeichen einsetzende, einer kompensatorischen 


i) Die Kurven sind von links nach rechts zu lesen! Zeit: ein 
Doppelschlag des Metronoms (bei einer Umdrehungszeit der Schreibtrommel 
von 1 Minute) = 1 Sekunde. 


Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 291 


Pause entbehrende Extrasystole wurde diese Arhythmie beseitigt und 
an ihre Stelle ein schnellerer und regelmässiger Rhythmus gesetzt, 
der später in den Anfangsrhythmus (Kurve 1) überging. 

Während also sonst durch einen nomotopen Extrareiz bedingte 
Extrasystolen mit Notwendigkeit zu einer Änderung des Urrhythmus 
führen, ein Vorgang, der für das menschliche Herz nach dem Vorschlag 
von Wenckebach (nach Brugsch und Schittenhelm, Lehrb. der 
klin. Untersuchungsmeth. 1916 S. 141) als Paraarhythmie bezeichnet 
zu werden pflegt, sehen wir sie hier an Stelle einer Arhythmie einen 
regelmässigen Rhythmus zum Endzweck der Wiederherstellung des 
Urrhythmus einleiten, also eine in Berücksichtigung dieses Endresultates 
entgegengesetzte Funktion ausüben. 

Für die beiden anderen, ebenfalls einer kompensatorischen Pause 
entbehrenden, aber nicht durch einen nomotopen Extrareiz entstandenen 
Extrasystolen lagen insofern abnorme Verhältnisse vor, als sie von 
einem Herzen, das einem kranken, mit starkem Blutabgang aus Nase 
und Maul behafteten Tier angehörte, herrührten. Wohl deshalb hatte 
dasselbe die für einen Sommerfrosch relativ niedrige Frequenz von 
40 Schlägen (Kurve 2). \ 

Nach Injektion von zusammen 3 ccm R.-L. auf zweimal trat Disso- 
ziation von Vorkammern und Kammer mit langem Still- 
stand der letzteren (Herzblock) ein und erst nach 30 Sekunden 
eine Vs, der nach einer nur wenig kürzeren Pause eine zweite folgte 
(Kurve 2a). Während der Ventrikelkontraktion schlug der Vorhof, 
dessen Kurve in dem flachen Buckel auf dem aufsteigenden Schenkel 
der Ventrikelkurve bei dem -+-Zeichen sich kenntlich macht, in seinem 
alten Tempo (ab = bc) weiter: An diesem Herzen traten später, durch 
lange Pausen, die nur von As As eingenommen waren, von der letzten 
Vs und voneinander getrennt, ohne jede weitere Druckerhöhung, also 
als Fernwirkung der zuletzt vorgenommenen noch zwei Extra- 
systolen in Form der Bigemini, deren eine in der Kurve 2b 
wiedergegeben ist, auf. Auch diese beiden Extrasystolen entbehrten 
also einer kompensatorischen Pause, waren aber nicht durch einen 
vom Sinus herabgekommenen Extrareiz hervorgerufen. , Wäre 
dies der Fall gewesen, so hätte der im Vorhofrhythmus sich wider- 
spiegelnde Grundrhythmus eine Veränderung erfahren müssen. Dies 
ist aber nicht der Fall: ab=bc=cd, d. h. der Vorhof schlägt in un- 
geändertem Tempo weiter. Es handelte sich also bei sofort wieder 
unterbrochener Leitung um einen heterotopen, wahrscheinlich vom 
Ventrikel selbst infolge eines momentanen Erwachens seiner Automatie 
ausgegangenen Extrareiz. Ein solcher hätte aber nur dann, wenn die 
bei a wiederhergestellte Leitung überhaupt nicht wieder unterbrochen 
worden wäre, zu einer kompensatorischen Pause führen können. 


2392 Kaempffer: 


Ausser den Extrasystolen traten nach den Injektionen ohne Wider- 
stände im arteriellen System noch an drei Herzen Unregelmässig- 
keiten auf, welche mit den bereits beschriebenen einerseits identisch 
oder doch ihnen ähnlich andererseits davon ganz verschieden 
waren. Das erste Herz, das eine Anfangsfrequenz von 46 Schlägen 
(Kurve 3) hatte, reagierte auf 3 Injektionen von je l cem mit einer 
Verlangsamung der Schlagfolge, die, auf die Zeit von 10 Schlägen 
vor den Injektionen bezogen, 2 Schläge ausmachte (Kurve 3a). 
Diese Verlangsamung beruhte jedoch nicht auf einer chrono-, sondern 
auf einer dromotropen Vagushemmung, und zwar nicht zwischen 
Vorhof und Ventrikel, wie in der Regel, sondern zwischen Sinus 
und Vorhof. Denn die Kurvenstrecke Oex gehört nur dem Sinus 
und nicht teilweise auch dem Vorhof, dessen Kontraktion erst bei 
den Marken x beginnt, an. Noch deutlicher sind diese Verhältnisse 
auf der Kurve 3b wiedergegeben. 

An diesen Sinuskurven fällt zweierlei, ihre im Vergleich zu der- 
jenigen der Sinuskurven sowohl der Normalkurve (bei Sis) als auch 
der Kurve 3b (ebenfalls bei Sis) ausserordentliche Länge und ihr 
stufenförmiges Ansteigen, auf. Die erstere erklärt sich für das Stück Oe 
ohne weiteres aus der infolge der Leitungsaufhebung eingetretenen 
Verlängerung der Herzpause, das letztere kann nur dadurch entstanden 
sein, dass an den mit ee bezeichneten Stellen, also lange vor Ablauf 
der eben bestehenden Reizperiode ein wiederholter Sinusreiz, d.h. ein 
Extrareiz eintraf, der den Sinus zu einer zweiten Kon- 
traktion brachte und die Schreibhebelspitze und mit ihr die Sinus- 
kurve noch höher steigen liess. Durch diesen zweiten, wirksamen 
Reiz wurde die nach jeder Ventrikelsystole aufs neue unterbrochene 
Reizleitung immer wiederhergestellt und somit das Herz in den Stand 
gesetzt, eine geordnete Tätigkeit, wenn auch unter starker Verlang- 
samung der Schlagfolge aufrechtzuerhalten. Wie man sieht, war 
dies ohne diese beträchtliche, zeitliche Verschiebung der motorischen 
Impulse, wie sie durch die Kurvenzeichnung veranschaulicht wird, 
nicht möglich. Zu der ungewöhnlichen Länge auch des zweiten, höher 
gelegenen Stückes der Sinuskurve trug offenbar eine noch fortbestehende 
Leitungserschwerung zwischen Sinus und Vorhof und zugleich auch 
eine bathmotröpe Hemmung der Sinusmuskulatur mit Verlangsamung 
des Kontraktionsablaufs bei. 

An demselben Herzen trat dieselbe Störung (Aufhebung der Leitung 
zwischen Sinus und Vorhöfen) im weiteren Verlauf des Versuchs 
(Kurve 3b) nicht nach jeder Vs, sondern nach zwei, drei und mehr 
Vs Vs auf, so dass es zur Bildung von verschieden langen Gruppen 
(die nur teilweise in der Kurve vertreten sind), kam. Die abnorme 
Länge der Sinuskurve, ihre Zusammensetzung aus zwei Stücken, einem 


Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 293 


mehr horizontal verlaufenden Anfangs- und einem leicht bogenförmig 
ansteigenden und von dem ersten durch eine deutliche Stufe sich ab- 
setzenden Endstück und endlich die Wiederherstellung der Reizleitung 
durch den bei e eintreffenden Sinusextrareiz sind auf dieser Kurve 
besonders anschaulich dargestelt. Auch hier leitete der nomotope 
Extrareiz keinen von dem vorhergegangenen verschiedenen Rhythmus 
ein, sondern er diente wie dort dazu, das Herz in den Stand zu setzen, 
seine Tätigkeit nach jeder Unterbrechung in dem bisherigen, für die 
sämtlichen Gruppen einen Einheitsrhythmus darstellenden Rhythmus, 
und zwar ebenfalls unter starker zeitlicher Verschiebung der Reiz-- 
intervalle, wie die Einzeichnung (/, /I, III) der Reizperioden der ver- 
schiedenen Gruppen zeigt, immer wieder aufzunehmen. 

Von den Gruppen ist die erste durch eine bei dem @-Zeichen be- 
einnende Extrasystole, die letzte der bei diesen Versuchen beobach- 
teten E. S., ausgezeichnet. Da unmittelbar nach derselben die leitende 
Verbindung zwischen Reizzentrum und Herz unterbrochen wurde und 
schon aus diesem Grunde die Bildung einer kompensatorischen Pause 
unmöglich gewesen sein würde, so lässt sich nicht sagen, ob der Extra- 
reiz ein nomo- oder heterotoper war. Immerhin ist es, da hier, wie 
aus der Kurve hervorgeht, das seltene Vorkommnis einer mit Vorhofs- 
systole kombinierten Extrasystole des Ventrikels vorliegt. 
wahrscheinlich, dass der dazugehörige Reiz vom Sinus herabkam, also 
ein nomotoper war. 

Bei dem zweiten Herzen stellte sich nach drei Injektionen jedesmal 
typische, chronotrope Vagushemmung ein. Auf die vierte, kopiöse 
Injektion von 3 ccm antwortete es mit einer während mehrerer Minuten 
anhaltenden, dromotropen Hemmung. Dadurch kam es zu Brady- 
kardie durch Rhythmushalbierung (Kurve 4), zur Bildung 
von Pseudobigeminis durch Einschiebung von Vs-Kurvenpaaren 
und endlich zur Dissoziation von Vorhöfen und Ventrikeln 
mit abwechselnd inkomplettem (partiellem) und komplettem 
Herzblock. An der hierher gehörigen Kurve 4a, die einen Ausschnitt 
aus einem zu Ende gehenden, kompletten Herzblock bringt, ist die 
eigentümliche Erscheinung des treppenförmigen Ansteigens der 
As-Kurven wahrzunehmen. 

Dieselbe war, wie eine aufmerksame Beobachtung des Vorgangs 
ergab, darauf zurückzuführen, dass das mit jeder As dem Ventrikel 
zugeführte, von ihm aber nicht ausgetriebene Flüssigkeitsguantum das 
Gewicht desselben ansteigen und diese im Vorhofsrhythmus erfolgende 
Gewichtszunahme des Ventrikels die Spitze des Schreibhebels durch 
Zug an seinem hinteren Ende in demselben Rhythmus höher und höher 
steigen und zeichnen liess, bis durch eine Vs dem Spiel ein Ende ge- 
macht wurde. 


294 Kaempfter: 


Bei dem dritten Herzen trat bereits nach zweimaliger Injektion 
von je 1 ccm als Reaktion eine bei diesen Versuchen noch nicht be- 
obachtete Unregelmässigkeit, nämlich Herzalternansein. Es handelte 
sich um einen regelmässigen Wechsel von grösseren und kleineren, 
und zwar vollständig ausgebildeten, mit Vorhofs- und Ventrikel- 
zeichnung versehenen Pulsen. Dieselben entsprachen demnach (Kurve5a) 
je einer vollen Herzrevolution und hatten mit Pseudoalternantes, durch 
Bigeminie hervorgerufen, nichts zu tun, genügten also, um als echte 
Alternantes angesprochen werden zu können, den über das Wesen 
des Herzalternans heute wohl allgemein gültigen Anschauungen. 
(H. E. Hering, Das Wesen des Herzalternans, Münchner med. Wochen- 
schrift 1908 Nr. 13; derselbe, über dasselbe Thema ebenda 190% 
Nr. 11; K. F. Wenckebach, Die unregelm. Herztätigkeit und ihre 
klin. Bedeutung 1914 S. 198#f.; F. B. Hoffmann, Über die Änderung 
des Kontraktionsablaufs an Ventrikel und Vorhof des Froschherzens, 
Pflüger’s Archiv Bd. 47. 1891, zitiert von Wenckebach a. a. O.; 
Boer, S. de (Physiol. Inst. Amsterdam), Herzalternans (scilic. des 
Frosches). Zentralbl. f. Physiol. Bd. 30 S. 149. 1915, ref. im Zentralbl. 
f. Herz- und Gefässkr., VII. Jahrg. Nr. 13, u. a.). Immerhin zeigte 
unser Alternans einige Abweichungen von der klassischen Form des 
Alternans, die hier an der Hand der Kurve kurz beschrieben und er- 
klärt werden mögen. Die As vor der höheren Vs war nämlich von 
(messbar) längerer Dauer als diejenige vor der niedrigeren Vs, und der 
zu der ersten As gehörige Sinusreiz traf bedeutend früher ein als der 
zu der zweiten gehörende. Ein Vergleich mit der folgenden Normal- 
kurve zeigt, dass ein späteres Eintreffen des Reizes und ein schnellerer 
Ablauf der As hätten erwartet werden sollen. Trotzdem war die Länge 
dieser Alternantes (vom Beginn der höher gelegenen As bis zu dem- 
jenigen der nächsten, gleich hoch gelegenen reichend) dieselbe wie die 
Entfernung zweier aufeinander folgender, tiefer gelegener As As, und 
dieselbe wie die Länge der beiden letzten Vollpulse der Normalkurve. 
Dies wurde dadurch erreicht, dass der. Ablauf der niedrigeren Vs um 
ebensoviel schneller als der der höheren Vs vor sich ging, wie der 
Ablauf der höher gelegenen As langsamer im Vergleich zu dem der 
niedriger gelegenen. Dies wiederum aber konnte nur dadurch ermög- 
licht werden, dass die zweite Vs durch das frühere Eintreffen des zu 
der ersten Vs gehörenden Sinusreizes in einem früheren Entwicklungs- 
stadium abgebrochen und ihre Zeitdauer dadurch abgekürzt wurde. 
So wurde zugleich auch die Gleichheit der physiologischen Reizperiode 
zwischen Normal- und alternierenden Schlägen immer wiederher- 
sestellt. Die Alternantes kamen also durch zwei einander parallel 
laufende, miteinander abwechselnde und nur durch eine minimale Längen- 
differenz ihres Zeitintervalls verschiedene Sinusrhythmen zustande. 


Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 295 


Wenckebach, ‘der früher ‚den Alternans beim Menschen auf 
geschädigte Kontraktilität des Herzmuskels zurückzuführen‘ suchte, 
ist neuerdings (a. a. ©. S. 202ff.) mehr geneigt, „das Alternieren auf 
den Inhalt (die Füllung) des Herzens, auf den Blutstrom, auf den 
arteriellen Widerstand‘ zurückzuführen und dasselbe als den Ausdruck 
eines alternierenden Schlagvolumens anzusehen. In unserem Falle 
verschwand der Alternans nach Ausweis der Kurve gerade nach Ver- 
stärkung des arteriellen Widerstandes durch Unterbindung der einen 
Aorta und machte einem regelmässigen Herzschlag Platz. 

In wie hohem Grade übrigens eine individuelle Disposition für 
eine bestimmte Art der Arhythmien auch beim Frosch besteht, be- 
weist der Umstand, dass der Alternans während der ganzen, °/, Stunden 
in Anspruch nehmenden Dauer des Versuchs sowohl spontan als auch 
nach der Wiederholung der Drucksteigerungen immer wieder in der- 
selben Form sich einstellte. 

Bei den Versuchen mit arteriellen Abflusshindernissen traten, ab- 
gesehen von den bereits erwähnten zwei Extrasystolen, noch an zwei 
Herzen Unregelmässigkeiten auf. Bei dem ersten war der Injektion 
von viermal je 1 ccm die Ligatur der einen Aorta hinzugefügt worden. 
Es war dadurch zu einer bedeutenden Dehnung des Herzens gekommen; 
zugleich setzten lange anhaltende Irregularitäten vom Typus der Reiz- 
leitungsstörungen, also Bradykardie infolge Ausfalls je der 
zweiten Vs, inkompletter und kompletter Herzblock und 
Gruppenbildung durch Vs-Ausfall hinter zwei, drei und mehr einander 
im Normalintervall folgenden Herzrevolutionen ein. 

Bei dem zweiten Herzen war nach der Ligatur beider Aorten eine 
zweimalige Injektion von je 1 ccm vorgenommen worden. Auch hier 
war es infolgedessen zu einer starken Herzwanddehnung gekommen, 
und das Herz, dessen Schlagfrequenz vor der Aortenligatur 62 pro Mi- 
nute betrug, und dessen Normalkurve (Kurve 6) eine gute Herzmuskel- 
kraft mit ausreichender Hubhöhe auswies, zeigte nach derselben eine 
Frequenzsteigerung, die, auf die Zeit von 10 Schlägen der Normalkurve 
bezogen, 11, Schläge betrug, und zugleich ein Sinken der Hubhöhe 
auf nahezu ein Drittel der ursprünglichen (Kurve 6a). Doch war 
das Herz imstande, während eines Zeitraums von kaum 2 Minuten 
durch gewaltsame, bis zur äussersten Kraftentfaltung getriebene Kon- 
traktionen von seinem Inhalt so viel durch seine Wandungen hindurch- 
zupressen, dass es mehr Aktionsfreiheit erhielt und seine Hubhöhe 
auf über die Hälfte der Ausgangsgrösse bringen konnte, während seine 
Schlagfrequenz infolge des ausserordentlich langsamen Kontraktions- 
ablaufs auf 30 pro Minute herunterging. Gleichzeitig war der merk- 
würdige Vorgang zu beobachten, dass auf der Höhe der Ventrikel- 
systole eine neue, kleinere, systolische Erhebung, deren Kurve der 


"296 Kaempffer: 

der Vs superponiert war, erfolgte, und dass dieselbe nicht dem Ventrikel, 
sondern den Vorhöfen angehörte (Kurve 6b). Diese superponierte 
As-Kurve konnte nur dem Umstand ihre Entstehung verdanken, 
dass die Vorhöfe in dem Rhythmus der Kurve 6a, was auch durch 
die Messung der Reizintervalle bestätigt wurde, weiterschlugen, der 
zu der Gipfel-As gehörige Reiz aber bei der langsamen Zusammen- 
‚ziehung des Ventrikels denselben noch im Refraktärstadium antraf 
und daher keine Kontraktion auszulösen vermochte. Es handelte sich 
also ohne eigentliche Leitungsunterbrechung um ein Liegen- 
bleiben des Sinusreizes an der Atrioventrikulargrenze infolge 
einer Art bathmotroper Hemmung der Ventrikularmusku- 
latur rein mechanischer Natur, bei der eine Vaguswirkung nicht im 
Spiele war. 

Weitere Unregelmässigkeiten wurden nicht beobachtet. 

Die neue Methode ergab demnach eine reiche Ausbeute an Un- 
regelmässigkeiten der verschiedensten Art. Wir sahen Extrasystolen, 
darunter zwei Bigemini und eine Kombination einer Ves + As, Brady- 
kardien durch chrono-, dromo- und bathmotrope Hemmung, das Auf- 
treten der Dromotropie nicht nur an der Atrioventrikulargrenze, sondern 
auch an der Übergangsstelle vom Sinus zum Vorhof, die Steigerung 
der dromotropen Hemmung von einem Ausfall jeder zweiten Vs bis 
zur völligen Dissoziation von Vorhöfen und Ventrikel (inkomplettem 
und komplettem Herzblock) mit Erwachen der Ventrikularautomatie, 
Herzalternantes in langer Reihenfolge und Gruppenbildungen ver- 
schiedener Zusammensetzung. Endlich lernten wir neben der be- 
kannten, in der Änderung des Urrhythmus durch Bildung einer Extra- 
‚systole bestehenden als neue Funktionen des nomotopen Extrareizes 
die Überleitung von dem eben herrschenden zu einem davon ver- 
schiedenen (schnelleren oder langsameren) Rhythmus überhaupt, eben- 
falls durch Vermittelung einer Extrasystole und die Wiederherstellung 
der unterbrochenen Reizleitung zwischen Sinus und Vorhof kennen. 

Eine solche Leitungsstörung zwischen dem führenden Reizbildungs- 
zentrum und Vorhof ist vom menschlichen Herzen schon länger bekannt 
und beschrieben worden (K. Wenckebach, Beiträge zur Kenntnis 
der menschl. Herztätigkeit, Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt. 1906; 
derselbe, Die unregelm. Herztätigkeit und ihre klin. Bedeutung, 1914 
S.78ff.; A. Hoffmann, Die Unregelmässigkeit des Herzschlags, Jahres- 
kurse f. ärztl. Fortbildung 1913 (4. Jahrg.), Februarheft, S. 20ff.; 
Rehfisch, Ein Fall von andauernd verlängertem Reizintervall und 
Herabsetzung der Reizbarkeit des Herzens, Zentralbl. f. Herz- und 
Gefässkr. 1917 Nr. 18, u. a.), ebenso vom Warmblüterherz (H. E. Hering, 
Überleitungsstörungen am Säugetierherzen mit zeitweiligem Vorhof- 
systolenausfall, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. Bd. 3. 1906). Und 


Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 297 


während man beim Menschen nicht nur einfache, sino-aurikuläre Über- 
leitungsstörungen kennt, sondern auch zeitweisen sino-aurikulären oder 
besser sino-atriellen Herzblock mit gelegentlichem As-Ausfall als 
‚möglich annimmt (G. Riebold, Reizleitungsstörungen zwischen der 
Bildungsstätte der Ursprungsreize usw., Zeitschr. f. klin. Mediz. Bd. 73. 
1911), scheint man für das Kaltblüterherz solche dromotrope Störungen 
zwischen Sinus und Vorhöfen als etwas Bekanntes und nicht Ungewöhn- 
liches anzusehen (Rehfisch in einer Arbeit über die Wirkung der 
Vagusreizung beim Warmblüter, Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt. 
1906, sowie a.a. ©. S. 207, u. a.). Verf. gelang es trotz seiner Bemühungen 
nicht, in der Literatur experimentell begründete und sicher bewiesene 
Fälle der in Rede stehenden Störung auch beim Kaltblüterherz auf- 
zufinden. Sollte ihm tatsächlich nichts entgangen sein, so würde der 
hier veröffentlichte Fall der erste seiner Art sein, anderenfalls aber 
eine willkommene Bereicherung der bisherigen Mitteilungen darüber 
darstellen. 

Gehen wir zum Schluss zu einer Wertschätzung der neuen Methode 
über, so stehen ihr gegenüber den älteren, direkten Methoden der 
Druckerhöhung durch Einbringung von Flüssigkeit in die Herzhöhlen, 
völlig objektiv betrachtet, eine grössere Reihe von Vorzügen zur Seite. 
Sie lässt das Herz in seinen natürlichen, anatomischen Zusammen- 
hängen, sie hebt den Zufluss der normalen Nährflüssigkeit nicht auf, 
sie benutzt zur Zufuhr der Druckflüssigkeit keine künstlich gesetzten, 
sondern die natürlichen Wege, sie vermeidet jede Läsion des für diese 
Versuche so wichtigen Sinuszentrums. Die Befürchtung, dass sich 
eine Druckwirkung auf das medulläre Vaguszentrum störend bemerkbar 
machen könnte, ist unbegründet. Es wurde früher schon bemerkt,‘ 
dass die nervösen Zentralorgane im Laufe des Versuchs allmählich 
ausgeschaltet werden. Dasselbe lässt sich schneller durch eine ein- 
malige oder wiederholte, kopiöse, brüske Injektion erreiehen. Ebenso 
lassen sich die Zentralorgane durch nach Erreichung des Zweckes wieder 
zurückzusaugende, kleinste Mengen Chloroform oder Chloralhydrat 
(0,05—0,1 ccm), die man in die Schädelhöhle einspritzt, ausser Funktion 
setzen und die extrakardialen Nerven durch Durchschneidung des 
präganglionären Vagus. Die Methode ist ferner ausserordentlich einfach, 
bequem zu handhaben und durch den Fortfall der mühsamen Mani- 
pulationen, wie sie sowohl mit dem Arbeiten am Williams’schen 
Apparat als auch mit den Durchspülungen vom Sinus aus unter An- 
wendung des Engelmann’schen Suspensionsverfahrens verbunden 
sind, nicht wenig zeitsparend. Sie gestattet, und das ist ein weiterer 
Vorzug, mit so minimalen Dosen, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, 
von Druckerhöhung zu arbeiten, wie es bei den älteren Methoden 
unmöglich ist, und stellt dabei äusserst feine Reaktionen fest; ebenso 


298 Kaempfter: 


setzt sie den Untersucher in die Lage, jeden gewünschten Druck mit 
Sicherheit anzuwenden und damit nach Belieben zu wechseln, sowie 
den Ablauf der Druckwirkung in der Form der Nachschwankungen 
bis zu ihrem völligen Abklingen zu verfolgen. Sie gestattet ebensowohl 
eine absolute Schonung der Muskulatur und der empfindlichen, nervösen 
Herzapparate wie die Herbeiführung einer akuten Dilatation zur 
Feststellung der danach sich ergebenden Reaktionsverschiedenheiten. 
Endlich ist die neue Methode in bezug auf ihre Ergebnisse zuverlässig, 
sicher und hinter den älteren nicht zurückstehend. Wie jene ergab 
sie als hauptsächlichste Primärwirkung eine Frequenzsteigerung und 
eine Abnahme der Zuckungsgrösse, doch war das Verhältnis zwischen 
Druck und Frequenz bzw. Zuckungsgrösse wie dort kein konstantes. 
Denn auch primäre Verlangsamungen mit Zunahme der Hubhöhe 
waren nichts Seltenes und waren bei dem neuen Verfahren im ganzen 
noch häufiger als bei den alten. Dass diese Erscheinung demselben als 
solchem nicht zur Last gelegt werden kann, geht, abgesehen von den 
soeben erörterten Gründen, auch noch daraus hervor, dass es wegen 
des sofortigen Entweichens der injizierten Flüssigkeit in den Wirbel- 
säulekanal und durch die Zwischenwirbellöcher zu einer Druckerhöhung 
im Cavum cranii überhaupt nicht kommen konnte. Überdies waren 
von den eingetretenen Verlangsamungen die wenigsten durch Vagus- 
erregung, und zwar zweifellos peripherer Natur, nämlich dreimal durch 
chrono- und fünfmal durch dromotrope Hemmung zustande gekommen. 
Bei allen übrigen lagen andere Gründe vor. Bei schneller aufeinander- 
folgenden Injektionen konnte sich das Herz nicht vollständig entleeren 
und erfuhr eine starke Erweiterung, zumal der Vorhöfe (Zunahme 
des Sagittal- und Frontaldurchmessers bis um 5 mm, des Umfanges 
bis um 12 mm, an der Basis gemessen). Infolgedessen war eine schnell 
verlaufende, steile Zuckung nicht ausführbar, sondern es bedurfte 
eines stärkeren Pressdruckes seitens der Herzwände, um eine träge 
ablaufende Kontraktion zu ermöglichen, die natürlich zur Verlang- 
samung des Herzschlags führen musste und mit Vagushemmung, wie 
auch aus der Form der Kurven hervorging, nichts zu tun hatte. Auch 
durch genaue Messung der Länge der Vs-Kurven, die in diesen Fällen 
um 2—5 mm zugenommen hatte, liess sich die Verlangsamung der 
Systole direkt nachweisen. Eine bathmotrope Vaguswirkung aber war 
hierbei bei dem gänzlichen Fehlen anderer Erscheinungen von seiten 
des Vagus völlig ausgeschlossen. Immerhin lieferte auch diese Methode 
einige Beispiele der Nichtausserfunktionssetzung des Vagus durch einen 
hohen und höchsten Druck. Nur diesen Fällen, in denen die Hubhöhe 
trotz der verlängerten Herzpause herabgesetzt war, kann eine Erregung 
des Hemmungsapparates, und nur denjenigen, in denen die Hubhöhe 
trotz der Verkürzung der Herzpause gesteigert war, kann eine Erregung 


Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 299 


des Acceleransapparates zugrunde gelegt werden. In allen übrigen 
dagegen, in denen die Hubhöhe sich als abhängig von der Länge der 
vorausgegangenen Herzpause gezeigt hatte, handelte es sich lediglich 
um eine Erregung des frequenzerzeugenden Sinuszentrums. Und wir 
müssen auch hier wieder für die so verschiedenen Reaktionen bei den- 
selben Versuchsbedingungen die individuellen Verschiedenheiten des 
Herzens und besonders auch den Zustand seiner Muskulatur ver- 
antwortlich machen. Auchan Arhythmien fehlte es der neuen Methode 
nicht, und was Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit der Formen und 
das Vorkommen von Raritäten anbetrifft, so stand sie, wie die frühere 
Zusammenstellung zeigte, in dieser Hinsicht hinter den älteren nicht 
zurück. Nur an Bigeminis war sie ärmer, allerdings traten dieselben 
dort in erster Linie am herausgeschnittenen, aber doch auch am im 
Körper belassenen Herzen auf. Man kann dafür, wenn man sie nicht 
in den Launen des Herzens suchen will, kaum eine andere Erklärung 
als die früher hervorgehobene Tatsache des Vorhandenseins einer 
individuellen Disposition der Herzen für eine bestimmte Art von 
Arhythmien geben. — Auch in herzpharmakologischer Hinsicht ist 
diese Methode, wie einige daraufhin unternommene Versuche lehrten, 
vielleicht aussichtsvoll. Es ergab sich nämlich dabei als vorläufiges 
Resultat ein früherer und niedrigere Minimaldosen erfordernder Eintritt 
der Giftwirkung als bei subkutaner Einverleibung. 

Alles in allem darf man daher wohl die neue Methode als brauchbar 
und als eine Bereicherung der bisher allein im Gebrauch gewesenen 
ansprechen. Allerdings ist sie nicht das vom Verf. in seiner eingangs 
zitierten Arbeit (a. a. ©. 1919, Februarheft S. 31) in Aussicht gestellte 
Verfahren am nicht isolierten Herzen geworden, sondern es entwickelte 
sich daraus ein Verfahren an Herzen, die während des Versuches aus 
den früher angegebenen Gründen von den nervösen Zentralorganen 
immer unabhängiger wurden und somit fast als isolierte angesehen 
werden konnten. 


Zusammenfassung. 


1. Die direkten, anatomischen Zusammenhänge des Cavum 
cranii beim Frosch, zumal dem Temporarier mit dem Innen- 
raum des Herzens, durch Vermittlung der Venae vertebrales, jugu- 
lares internae und Cavae anteriores lassen sich durch Injektion von 
Flüssigkeit in die Schädelhöhle unter Beobachtung gewisser 
Kautelen mit Vorteil zur Erzeugung eines erhöhten Intra- 
kardialdrucks verwerten. 

2. Diese Methode der Drucksteigerung bedeutet, zumal auch bei 
ihr durch arterielle Abflusshindernisse eine weitere Druckerhöhung 
gesetzt werden kann, eine Kombination des Belastungs- und Über- 


300 Kaempffer: 


lastungsverfahrens und stellt eine Methode der Drucksteigerung in 
erster Linie am nicht isolierten Herzen, bis zu einem ge- 
wissen Grade aber zugleich auch eine solche am isolierten 
Herzen dar. 

3. Sie hat vor den älteren Methoden ausser einer Reihe anderer. 
hier nicht nochmals aufzuzählender Vorzüge vor allem den der Mög- 
lichkeit einer genauen Dosierung der dem Herzen zuzuführenden 
Injektionsflüssigkeitsquanten und damit einer Dosierung der 
Drucksteigerung selbst, sowie denjenigen voraus, dass sie mehr 
als jene die Möglichkeit bietet, alle, auch die feinsten Druck- 
reaktionsäusserungen des Herzens bis zu ihrem völligen Abklingen 
zu verfolgen. 

4. Ihre Resultate sind in bezug auf die Beeinflussung der Frequenz 
und der Zuckungsgrösse im allgemeinen dieselben wie bei den älteren, 
nämlich als hauptsächlichste Primärwirkung Frequenzsteige- 
rung und Abnahme der Zuckungsgrösse, doch sind auch pri- 
märe Verlangsamungen und Zunahme der Zuckungsgrösse 
häufiger als dort. 

5. Was speziell die primär verlangsamende Wirkung anlangt, 
so liegt ihr infolge der anatomischen Verhältnisse, welche das Ent- 
stehen eines erhöhten Druckes im Cavum cranii nicht begünstigen. 
nur in den seltensten Fällen eine Vagusreizung, und zwar 
nicht zentraler Natur, in der überwiegenden Mehrzahl dagegen 
eine rein mechanische Ursache, nämlich die durch die starke 
Füllung und Dehnung der Herzhöhlen herbeigeführte Unmöglichkeit 
einer rasch verlaufenden, steilen Zuckung des Herz- 
muskels zugrunde. 

6. Die Ausbeute an Arhythmien und Regelwidrigkeiten 
mannigfaltigster Art ist bei der neuen Methode eine reiche. 
So ergaben die nach ihr angestellten Versuche eine Reihe von Extra- 
systolen, die sämtlich einer kompensatorischen Pause ent- 
behrten, darunter zwei Bigemini infolge von Ventrikularautomatie 
und eine merkwürdige Kombination eines Ves mit einer As, 
ferner eine grosse Zahl von Bradykardien infolge von 
chrono-, dromo- und auch bathmotroper Vagushemmung, 
vielfach eine Steigerung der Überleitungsstörungen vom halbierten 
Ventrikelrhythmus zur Dissoziation von Vorhöfen und Ven- 
trikel, zum kompletten Herzblock, an einem Herzen das vom 
Warmblüter und Menschen schon länger bekannte Auftreten von 
Leitungsstörungen auch zwischen dem Sinuszentrum und 
den Vorhöfen, mit der Folge des Ausfalls je einer vollen Herz- 
revolution und Wiederherstellung der Leitung durch Sinus- 
extrasystolen, mechanisch bedingte Bradykardien, eben- 


Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 301 


falls mit halbiertem Rhythmus des Ventrikels, dessen Systolenkurve 
je die zweite As-Kurve, deren Reiz nicht zum Ventrikel weiter 
gegeben wurde, superponiert war, durch diese Ausfälle der Ven- 
trikel oder der Ventrikel + Vorhofssystolen bedingte Gruppen- 
bildungen verschiedener Zusammensetzung und endlich Alter- 
nantes, von der klassischen Form derselben in ihrem äusseren 
Aufbau zwar etwas abweichend, im übrigen aber den über das 
Wesen und den Begriff des Herzalternans heute allgemein gültigen 
Anschauungen entsprechend. 

7. Die neue Methode ist vielleicht auch herzpharmakologisch 
verwertbar, doch wurden in dieser Richtung nur einige orientierende 
Probeversuche angestellt. 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare 
Gebilde, insbesondere den motorischen Nerven. 
Von 
Prof. J. von Kries. 


(Aus dem physiologischen Institut zu Freiburg i. Br.) 
Mit 3 Textabbildungen. 


(Eingegangen am 20. Juni 1919.) 


Die Untersuchungen, über die im folgenden berichtet wird, be- 
schäftigen sich mit der Wirkung sehr kurz dauernder elektrischer 
Ströme (sogenannter Stromstösse) auf den motorischen Nerven, zum 
Teil auch auf andere reizbare Gebilde. Sie verfolgen jedoch nicht den 
Zweck, dem in der letzten Zeit die meisten ähnlichen Untersuchungen 
gewidmet worden sind. Es war das in der Hauptsache der, die Ab- 
hängigkeit der Reizerfolge von den beiden in Betracht kommenden 
Veränderlichen, Dauer und. Stärke des einwirkenden Stromes, fest- 
zustellen. Zu diesem Zweck ist die Dauer der Stromschliessung von 
kleinsten zu grösseren Werten allmählich zu steigern und für jeden Wert 
die Stärke zu ermitteln, die erforderlich ist, um eben noch eine Er- 
regung des Präparates zu ergeben. Man erhält so einen funktionellen 
Zusammenhang zwischen Dauer und Stärke, für den zunächst eine 
mathematische Formulierung, eventuell eine theoretische Deutung zu 
suchen ist. Eine solche Untersuchung bildet einen Teil der ‘Aufgabe, 
die Reizerfolge als Funktion der Elektrizitätsbewegung darzustellen, 
einer Aufgabe, die, ganz allgemein gefasst, sich auch auf andere Formen 
(periodische Stromoszillationen, lineare, der Zeit proportionale An- 
stiege, Kondensator-Entladungen- u. a.) sich erstreckt. Die Unter- 
suchung der Stromstösse führt also, wenn sie in diesem Sinne angestell- 
wird, mit Notwendigkeit auf ein sehr viel weiteres Gebiet. — Ähn- 
liche Untersuchungen können jedoch auch unter ganz anderem Get 
sichtspunkt unternommen werden. Sehr bekannt ist ja [die wichtigen 
Untersuchungen von Fick!) über den Schliessmuskel der Anodonta 
haben es zuerst gezeigt], dass verschiedene tierische Gebilde sich in 
bezug auf ihre Erregbarkeit durch kurz oder länger dauernde Ströme 
ungleich verhalten. Von zwei Reizmodalitäten kann diese auf das eine, 
jene auf das andere Gebilde stärker einwirken. Ebenso ist bekannt, 


1) Fick, Beiträge zur vergleichenden Physiologie der irritabeln Sub- 
stanzen. Braunschweig. 18693. 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 303 


* 


dass die Art, wie der Reizerfolg von den besonderen zeitlichen Ver- 
hältnissen des Stromverlaufs abhängt, auch mit dem jeweiligen Zu- 
stand des einzelnen Gebildes sich ändert. So habe ich schon in älteren 
Untersuchungen gezeigt, wie das Frequenzoptimum periodischer Strom- 
schwankungen durch die Temperatur beeinflusst wird!), ähnlich auch 
die „Reizungsdivisoren“, nach denen sich die Wirkung geradliniger 
(der Zeit proportionaler) Stromanstiege bestimmt?). In der relativen 
Befähigung, durch kurze resp. längerdauernde Stromwirkungen “in 
Tätigkeit gebracht zu werden, drückt sich ohne Zweifel eine wichtige 
Eigenschaft des betreffenden reizbaren Gebildes aus. 

Es schien mir von Interesse, in etwas grösserem Umfange fest- 
zustellen, wie diese Eigenschaft von einer Reihe verschiedener Zustände 
abhängt, und wie sie sich für verschiedene reizbare Gebilde darstellt. 
Hierfür können die Stromstösse als besonders geeignet herangezogen 
werden. Es ist aber zu diesem Zweck nicht erforderlich, jenen ganzen 
funktionellen Zusammenhang festzustellen. Vielmehr genügt schon die 
Vergleichung zwsier Fälle, etwa einer langen und einer kurzen Strom- 
schliessung, um einen Wert-zu erhalten, der das Präparat oder seinen 
jeweiligen Zustand zu charakterisieren, und zwar, was natürlich be- 
sonders wichtig ist, in einer zahlenmässig angebbaren Weise zu 
charakterisieren geeignet ist. — Wie dabei am zweckmässigsten zu ver- 
fahrer ist, ergibt sich durch die folgende Überlegung. Für die länger 
dauernden Ströme bietet sich naturgemäss diejenige Form der Reizung, 
die wir als eine Dauerschliessung zu bezeichnen gewohnt sind; 
es sind das Schliessungen, wie wir sie bei der gewöhnlichen Betätigung 
eines Schlüssels mit der Hand erhalten. Ihre Dauer ist ja, streng ge- 
nommen, sehr wechselnd; sie ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass 
die zu erhaltenden Schwellenwerte sich bei weiterer Steigerung dieser 
Dauer nicht mehr ändern. Wir haben also hier einen extremen Fall, 
den zu wählen jedenfalls ratsam erscheint. Die Stromstärke, die bei 
solcher Dauerschliessung eben noch einen Reizerfolg zu erzielen vermag, 
soll mit ig bezeichnet werden. 

Wird das gleiche Gebilde von einem Stromstoss von der sehr kurzen 
Dauer s getroffen, so finden wir, dass eine grössere Stromstärke nötig 
ist, um wiederum denselben an der Schwelle stehenden Reizerfolg zu 


. “ © . . 5 . ls . 

erzielen. Nennen wir diesen Wert i,, so wird das Verhältnis . die 
la 

Reaktionsweise des Gebildes in der gewünschten Weise charakterisieren. 


1) v. Kries, Über die Erregung des motorischen Nerven durch Wechsel- 
ströme. Berichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg VIII S. 170. 

2) v. Kries, Über die Abhängigkeit der Erregungsvorgänge vom zeit- 
lichen Verlauf der zur Reizung dienenden Elektrizitätsbewegung. Archiv 
für (Anatomie und) Physiologie. 1884. 

Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. : 20 


304 J. von Kries: 


Ich will für dasselbe den von jeder theoretischen Erwägung ganz ab- 
sehenden Namen des Zeitquotienten festlegen. Zeitquotient ist also 
die Zahl, die angibt, um wieviel die Stromstärke bei der kurzen 
Schliessungsdauer höher genommen werden muss als bei Dauer- 
schliessung, um den gleichen an der Schwelle stehenden Reizerfolg zu 
erhalten. Natürlich ist sein Betrag von dem Wert s, der Dauer des 
Stromstosses, abhängig. 

Was diese anlangt, so kann sie zunächst innerhalb gewisser Grenzen 
beliebig gewählt werden. Allerdings ergeben sich hier sogleich gewisse 
Einschränkungen. Nennen wir die Dauer des Stromstosses s, die bei 
dieser Dauer zu einer Schwellenerregung notwendige Stromstärke i,;. 
so muss sich natürlich das Verhältnis von i, zu ig, je grösser wir s 
machen, um so mehr der Einheit nähern, und es werden damit 
etwaige Änderungen im Verhalten des gereizten Gebildes. sich mehr 
und mehr verwischen. Es ist also ratsam, die Stromstösse mindestens 
so kurz zu machen, dass jene Quotienten nicht unter den Wert 2 herunter- 
gehen. Anderseits ist es nicht ratsam, die Stromschliessungen gar 
zu kurz zu machen, teils wegen der dann erforderlichen sehr hohen 
Stromstärken, teils auch, weil die Erzeugung der Stromstösse natür- 
lich mit Ungenauigkeiten behaftet ist, die zwar sehr klein, aber doch 
nicht gleich Null gemacht werden können, und die prozentisch um so 
mehr ins Gewicht fallen, je kürzer die Schliessungsdauern gemacht 
werden. Ich habe beim motorischen Nerven meist mit Schliessungs- 
dauern von 0,17 o gearbeitet, wobei die Quotienten sich auf etwa 4 
stellen. — Auch für die Stromstösse gelangen wir, wennihre Dauer unter 
einen gewissen .Wert sinkt, zu Verhältnissen, die einen extremen Fall 
darstellen, wodurch auch die Ergebnisse eine vorzugsweise einfache 
Bedeutung gewinnen. Aus zahlreichen Untersuchungen geht nämlich 
hervor, dass, wenn die Dauer der Stromstösse unter einen gewissen 
Wert heruntergeht, die Produkte aus Reizdauer und Stromstärke 
konstant bleiben. Die Wirkung sehr kurzer Ströme kann also durch 
das Produkt r-i, charakterisiert werden, wenn r einen innerhalb dieses 
Bereiches liegenden kleinen Zeitwert, 7, die bei dieser Schliessungs- 
dauer für eine Schwellenerregung erforderliche Stromstärke bedeutet. 
Und auch mit diesem Produkt sind wir zu einem Extrem gelangt, das 
sich durch weitere Verkleinerung der Schliessungsdauern nicht ändert. 
Die Reaktionsweise des betreffenden Gebildes wird. demnach nunmehr 


. ag - - . - 
durch das Verhältnis - ." festgelegt sein. Dasselbe ist, wie man sieht, 
la 


in der Form eines Zeitwerts gegeben und mag mit 3 bezeichnet werden. 
Es ist diejenige Zeit, während deren ein Strom von der Stärke I, zur 
Erreichung des Schwellenwertes andauern müsste, wenn das für kleinste 
Zeitwerte geltende Proportionalitätsgesetz auch weiterhin zuträfe. — Die 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 305 


reale Bedeutung dieses Zeitwertes kann man sich durch die folgende 
Überlegung noch klarer machen. Die Tatsache, dass das Eintreten der 
Erregung von der Dauer des Stromschlusses abhängt, lehrt jedenfalls, 
dass ein unmittelbarer Erfolg des Stroms irgendwie angesammelt, ge- 
speichert wird. Auch dürfen wir annehmen, dass die Erregung dann 
eintreten wird, wenn infolge dieser Ansammlung eine gewisse Höhe 
jenes Erfolges erreicht ist. Wenn ferner bei sehr kurzen Stromschlüssen 
das Produkt aus Stromstärke und Stromdauer maassgebend ist, der Erfolg 
also von der Schliessungsdauer in der nämlichen Weise abhängt wie von 
der Stromstärke, so wird daraus hervorgehen, dass jene Aufspeicherung 
hier in der einfachsten Weise stattfindet, nämlich die erreichte Höhe 
der Zeit proportional wächst. Wenn dagegen bei längeren Strom- 
schlüssen die zur Schwellenerregung erforderliche Stärke einen ge- 
ringsten Wert erreicht, der bei weiterer Steigerung der Dauer nicht 
mehr vermindert werden darf, so ist daraus zu schliessen, dass die 
Ansammlung in einer gewissen Zeit einen Höchstwert erreicht, ihr 
zeitlicher Verlauf also durch eine 
Kurve etwa der nachstehend (Abb.1) 
gezeichneten Form darzustellen ist. 
Der Wert $ ist nun diejenige Zeit, 
während deren die Kurve mit der 
ihrem Anfangsstück eigenen Steilheit 

ansteigen müsste, um diejenige Höhe ab. mes g 
zu erreichen, zu der sie als Höchst- messenen Speicherungsvermögens. 
betrag tatsächlich gelangt. In der 

graphischen Darstellung erhalten wir ihn, indem wir an den Anfang der 
Kurve eine Tangente legen und sie fortsetzen, bis sie die Endhöhe der 
Kurve erreicht: der Zeitwert % ist die Projektion einer solchen Tangente 
auf die die Zeitdarstellende Abszisse !). Nennen wirdie Höhe der betreffen- 
den Stromwirkung A, ihren Maximalwert h„, die im Beginn bestehende 


2 dh 
Steilheit ihrer zeitlichen Zunahme (>) ‚ so ist der hier mit % be- 
f) 
h 
zeichnete Wert = —— -. Die Werte von $ geben offenbar ein Bild von 


(2). 


der Fähigkeit des Nerven, die unmittelbaren durch den Strom hervor- 
gerufenen Veränderungen anzusammeln; wir werden diese Fähigkeit 


1) In der Formel, die G. Weiss für die zur Schwellenerregung er- 
forderliche Stromintensität aufgestellt hat: = = + b, würde unser Wert 


den Quotienten der beiden in die Formel eingehenden Konstanten, a/b, 
bedeuten. 


20 * 


306 J. von Kries: 


um so grösser nennen dürfen, je grösser $, je höher also (bei bestimmter 
Anfangssteilheit) dıe erreichte Maximalhöhe ist, wie das besonders an- 
schaulich hervortritt, wenn wir 
mehrere Kurven von gleicher An- 
fangssteilheit, aber verschiedener 
Maximalhöhe zusammenzeichnen 
(Abb. 2). Um für die betreffenden 
Werte eine kurze Bezeichnung zu 
haben, will ich sie als das abso- 
Abb. 2. Schematische Darstellung un- fu e Speicherungsvermögen, 
‚gleicher Speicherungen. abgekürzt Sp.V., bezeichnen. Be- 
sitzt also ein Gebilde das Sp.V. 9, 
so bedeutet dies, dass die bei irgendeiner Stromstärke zu erreichende 
Maximalhöhe so gross ist, als ob die im ersten Beginn gegebene Steil- 
heit des Anstiegs während einer Zeit $ andauerte. 

In der soeben dargelegten Weise gelangen wir auch für die Ver- 
kürzung der Stromdauer zu einem extremen Fall und erhalten dem- 
gemäss auch in dem Sp.V. einen physiologischen Begriff von fester 
Bedeutung. Für die hier verfolgten Zwecke ist es indessen nicht gerade 
notwendig, die Stromstösse so kurz zu machen, dass sie sicher in jenen 


. Oh . . . B ls 
Proportionalitätsbereich fallen. Vielmehr ist der Quotient — unter 
la 


allen Umständen geeignet, ein Bild von der Reaktionsweise des unter- 
suchten Gebildes zu geben: namentlich wird in seinen Änderungen 
erkennbar werden, wie diese Reaktionsweise durch irgendwelche be- 
dingenden Umstände, Zustände des Nerven usw., beeinflusst wird. 
Und zwar werden wir aus seiner Zunahme eine Vermehrung, aus seiner 
Abnahme eine Verminderung des Sp.V. zu entnehmen haben. — In 
meinen Versuchen am Nerven habe ich überwiegend Stromstösse von 
der Dauer 0,17 o verwendet, die, wie gelegentliche Versuche mit noch 
kürzerer Dauer lehrten, in den Proportionalitätsbereich gefallen sein 
dürften. Vielfach habe ich aber auch längere Dauern benutzt, die 
schon ausserhalb jenes Bereiches gelegen haben werden. Auch ist es 
mir richtiger erschienen, in den Tabellen die Zeitquotienten ohne 
weitere Umrechnung aufzuführen. Will man die Sp.V. erhalten, so 
ist die betreffende, überall angegebene Dauer des benutzten Strom- 
stosses mit dem Betrage des Quotienten zu multiplizieren. 


Zur Methodik. 


Die Herstellung von Stromschliessungen in der hier erforderlichen 
sehr kurzen Dauer ist bekanntlich eine technisch nicht ganz einfache 
Aufgabe. Namentlich stösst sie auf Schwierigkeiten, wenn man sie in 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 307 


der direkten Weise lösen will, dass durch Herstellung eines metallischen 
Kontakts die Schliessung und in dem gewünschten Intervall da- 
nach die Öffnung des Stroms stattfinden soll. Denn es ist besonders 
schwierig, der Herstellung der metallischen Berührung, also der Strom- 
schliessung, die genügende zeitliche Präzision zu geben. Obwohl be- 
sondere diesem Zweck dienendeVorrichtungen konstruiert worden sind, 
habe ich vorgezogen, den vorderhand wohl sichreren, jedenfalls ein- 
facheren Weg einzuschlagen, dass auch der Beginn des Stromstosses 
nicht durch eine Schliessung, sondern durch eine Unterbrechung be- 
wirkt wird, die nach Maassgabe von Verzweigsungen und. Widerstands- 
verhältnissen das Hereinbrechen des zuvor schon bestehenden Stroms 
in den Nervenkreis zur Folge hat. Man braucht dann nur zwei Unter- 
brechungen in einem genau bestimmten Intervall herzustellen, was 
technisch sehr viel einfacher ist. 

Was im einzelnen die Anordnungen anlanst, mittels deren man 
durch zwei Kontaktunterbrechungen dem Nerven Stromstösse zuführen 
kann, so besteht die einfachste darin, dass man durch den zuerst zu 
unterbrechenden Kontakt eine sehr gut leitende Nebenschliessung führt, 
mittels deren der Strom zunächst vom Nerven abgeblendet wird, und 
nach deren Unterbrechung der Strom im Nerven entsteht. Ich habe 
mich dieser Anordnung zuerst bedient. Da aber durch die Abblendung 
niemals eine Stromlosigkeit des Nerven in ganz strengem Sinne erzielt 
werden kann, so bin ich später zu einer anderen Anordnung über- 
gegangen, die in diesem Punkte einwandsfrei ist. Man kann den Nerven 
in einen Leitungszweig einschalten, der zunächst nach dem bekannten 
Prinzip Wheatstones stromlos gemacht wird: auch hier kann dann 
leicht durch Unterbrechung einer Leitung die Anordnung derart ge- 
ändert werden, dass nunmehr der Nerv von einem Strom durchflossen 
wird. Um dies auszuführen und dabei zugleich die dem Nerven zu- 
zuleitenden Ströme in bequemer Weise abzustufen, bin ich in folgender 
Weise zu Werke gegangen, wie es in Abb. 3 aut folgender Seite dargestellt 
ist. Der Strom von einem, eventuell von einigen Akkumulatoren wird 
in übereinstimmender Weise den beiden genau gleichen parallel ge- 
schalteten Drähten A, B, und A, B, zugeleitet. Die Ableitung zum Nerven 
erfolgt von den beiden Punkten C, und C,, die stets an entsprechenden 
Stellen der beiden Drähte und demnach auf gleichem Potential sind, so 
dass der Nerv stromlos ist. In die Zuleitung zum Endpunkt B, des 
einen Drahtes ist die eine Unterbrechungsstelle X, eingefügt. Sobald. 
hier die Leitung unterbrochen wird, entspricht die Verbindung der ge- 
bräuchlichen Form: die Stärke des Reizungsstroms ist proportional 
der Drahtlänge A, C, (sie ist von ihr nur dadurch verschieden, dass in 
die von A, ausgehende und zum Nerven führende Leitung noch das 
Stück A, C, eingefüst ist). Um die Reizungsströme abzustufen, muss 


308 J. von Kries: 


man bei dieser Einrichtung also die beiden Schieber verstellen, und 
zwar stets so, dass sie auf denselben Teilstrichen stehen. 

Zu beachten ist, dass die Stromzuleitung zu den beiden Drähten 
genau übereinstimmend gehalten werden muss. Das ist für die Zu- 
leitungen zu A, und A, sehr leicht zu erreichen, indem man von dem 
Verzweigungspunkte A aus die Verbindung zu A, und A, durch kurze 
dicke Kupferdrähte bewirkt. Auf der anderen Seite aber ist dies nicht 
ausführbar, da in die eine der Leitungen, B B,, die Unterbrechungs- 
stelle A, eingefügt werden muss, was schon infolge der allgemeinen An- 
ordnung der Apparate etwas längere Drahtleitungen erfordert. Die 
gewünschte Abgleichung der Widerstände liess sich leicht in der Weise 
bewirken, dass in die Leitung BB, ein Stück blanken Neusilberdrahts 
eingeschaltet wurde, der durch die Klemme bei B, durchging. So liess 
sich das in den Stromkreis eingeschaltete Stück seiner Länge nach leicht 


U 
N 
„8 
4 ae, 
[ A, C D, RE en 
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A NS 8. 
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DE 5 nn Pe 
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14 Nerv 


nn — 


Abb. 3. Schema der Versuchsanordnung. Erklärung im Text. 


verärdern, bis sich die Verbindung gleichgelegener Punkte der beiden 
Brückendrähte bei Prüfung mit einem empfindlichen Galvanoskop als 
stromlos erwies. In die von C, zum Nerven führende Leitung war 
dann die zweite Kontaktstelle A, eingeschaltet, durch deren Unter- 
brechung der Reizungsstrom wieder aufgehoben wurde. Für diese 
Leitung ist dann noch eine durch den Schlüssel 5 gehende Nebenleitung 
angebracht. Ist dieser geöffnet, so wird der Reizungsstrom durch die 
Unterbrechung des Kontakts A, beendigt, und die Reizung geschieht 
in der Form des Stromstosses. Ist der Schlüssel dagegen geschlossen, 
so bleibt auch bei der Unterbrechung des Kontakts RK, der Strom 
bestehen, und wir haben Reizung in der Form der Dauerschliessung. 
Die Handhabung jenes Schlüssels gestattet also in einfachster Weise, 
zwischen den beiden Reizarten zu wechseln. 

Die technische Hauptaufgabe besteht janun darin, die Unterbrechung 
der beiden Kontakte K, und X, in einem sehr kleinen und dabei hin- 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 309 


reichend genau bestimmten Zeitintervall auszuführen. Hierzu wurde 
ein Pendelunterbrecher benutzt, der noch zu Anfang der achtziger Jahre 
des vorigen Jahrhunderts von Zimmermann in Heidelberg genau nach 
der bekannten Helmholtzschen Konstruktion angefertigt worden ist 
und mit dem seinerzeit von Helmholtz angegebenen (in der gleichen 
Werkstätte hergestellten) Instrument genau übereinstimmt. Bei diesem 
Instrument steht der eine Kontakt fest; der andere kann mittels einer 
sehr feinen Mikrometerschraube verschoben werden, deren Steigung 
0,36 mm beträgt, und deren Trommel in hundert Teile geteilt ist. Die 
Bewegung des verschieblichen Kontaktes erfolgt von einem Nullpunkt, 
der etwa gleichzeitiger Unterbrechung entspricht in dem der Fall- 
richtung entgegengesetzten Sinne, so dass seine Unterbrechung früher 
als die des andern stattfindet. Es wurde also der bewegliche Kontakt 
als A), der feststehende als A, benutzt. Was die Auswertung der 
Zeiten anlangt, so ist einerseits der Nullpunkt, oder besser der Gleich- 
zeitigkeitspunkt, zu bestimmen, d. h. diejenige Stellung der Schraube, 
bei der der bewegliche Kontakt genau gleichzeitig mit dem festen 
unterbrochen wird: sodann muss ermittelt werden, um welchen Zeit- 
wert eine bestimmte Änderung der Schraubenstellung, etwa ein ganzer 
Umgang der Trommel, die Unterbrechungszeit des beweglichen Kontakts 
verschiebt. Von diesen beiden Aufgaben ist die letztere die einfachere, 
da sie in bekannter Weise und mit genügender Genauigkeit im Wege 
graphischen Verfahrens gelöst werden kann. Gegenüber der gewöhn- 
lichen Art, in der die Geschwindigkeit einer Schreibfläche ermittelt 
wird, kompliziert sie sich allerdings dadurch, dass die Geschwindigkeit 
des Pendels eine wechselnde ist. Hierauf besondere Rücksicht zu 
nehmen, ist jedoch nicht erforderlich, wenn die Unterbrechung der 
Kontakte nur bei der tiefsten Pendelstellung, also maximaler Ge- 
schwindigkeit, erfolgt. — Sodann ist zu beachten, dass die Geschwindig- 
keit der verschiedenen Teile des Pendels ungleich ist; sie ist namentlich 
für denjenigen Teil, der an der Schreibvorrichtung vorbeigleitet, eine 
andere als für diejenigen Teile, die das Aufschlagen der Kontakte be- 
wirken. Diesen Umständen wird Rechnung getragen, wenn man in der 
folgenden Weise verfährt. 

Ein Pfeilsches Signal wurde so aufgestellt, dass es seine Bewegung 
auf die berusste Platte des Pendels aufzeichnete. Der das Signal be- 
wegende Strom wurde dann durch den verschiebbaren Kontakt ge- 
führt. Wird nun das Pendel langsam bewegt, so macht das Signal 
seine Marke in dem Augenblick, wo der Kontakt unterbrochen wird, 
und es wird so diejenige Stellung des Pendels bezeichnet, bei der diese 
Unterbrechung stattfindet. Der gleiche Versuch wird wiederholt, nach- 
dem der Kontakt um einen hinlänglich grossen Betrag (ich wählte 
zwanzig ganze Trommelumläufe) verschoben worden war. Man erhält 


310 J. von Kries: 


dann eine zweite Marke, und der Abstand der beiden Marken gibt 
an, um wieviel sich die in der Höhe der Schreibspitze stehenden Teile 
verschieben, um aus derjenigen Lage, in der die Unterbrechung bei 
der ersten Stellung des Kontakts erfolgt, in diejenige zu kommen, 
bei der dies stattfindet, wenn der Kontakt um zwanzig ganze Trommel- 
umläufe verschoben ist.. Dieser Abstand fand sich genau gleich 6 mm, 
was für einen Trommelumgang 0,30 mm ergibt. 

Des weiteren ist dann noch zu bestimmen die Geschwindigkeit, 
mit der eben diese Teile des Pendels sich bewegen, die in bekannter 
Weise erhalten wurde, indem das Signal durch eine Stimmgabel von 
30 Schwingungen in der Sekunde in Bewegung gesetzt und diese 
Bewegung auf das fallende Pendel aufgezeichnet wurde. 

Da die Zeitintervalle in ziemlich weiten Grenzen geändert werden 
mussten und es daher wünschenswert war, dies nicht allein durch 
Verschiebung des beweglichen Kontakts, sondern auch durch die Be- 
nutzung verschiedener Fallhöhen zu erreichen, so wurde diese Be- 
stimmung für mehrere Fallhöhen ausgeführt. Es fand sich: 


Fallhöhe u, Aa ms 
20 17,8 mm 1,88 c 
9 8,08 ., 4,12 „, 
7 6,6... 5,05 „, 


Hiernach berechnet sich die Zeit, um die die Unterbrechung des 
beweglichen Kontakts bei Verschiebung um einen ganzen Trommel- 
umgang verschoben wird, 


für Fallhöhe 20 auf 0,564 o 
ee) > 9 DrlEH 1,236 Se) 


ai 


Auf eine gewisse Schwierigkeit stösst die Ermittelung des Null- 
punktes, d. h. derjenigen Stellung des beweglichen Kontakts, bei der 
seine Unterbrechung gerade gleichzeitig mit der des festen erfolgt. 
Denn die hierfür erforderliche Genauigkeit wird von dem graphischen 
Verfahren selbstverständlich auch nicht annähernd erreicht. Am besten 
und verhältnismässig einfach habe ich schliesslich den gewünschten 
Erfolg mit Benutzung des Nervmuskelpräparates selbst erreicht. Macht 
man nämlich die Reizströme stark und die Bewegung des Pendels 
durch Benutzung allerkleinster Fallhöhen oder auch durch Führung 
mit der Hand äusserst langsam, so kann man es dahin bringen, dass 
man bei einer Stellung des beweglichen Kontakts noch keine, bei 


einer Verschiebung um einen Teilstrich aber schon regelmässig eine 


kräftige Zuckung erhält. In dem einen Falle muss also die Unterbrechung 
von K, noch ein weniges vor, im anderen schon nach der von R, 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 311 


stattfinden. Der Gleichzeitigkeitspunkt lässt sich also auf diese Weise 
mit einer Genauigkeit von etwa einem Teilstrich feststellen !). 

Über sonstige Einzelheiten des Verfahrens ist nur wenig hinzu- 
zufügen. Die Zuleitung der Reizungsströme geschah (soweit nicht aus- 
drücklich anderes bemerkt ist) immer durch sogenannte unpolarisier- 
bare Elektroden, die in der hier seit langem üblichen Form der Faden- 
elektroden benutzt wurden. In das untere Ende eines Glasröhrchens 
ist eine Anzahl von Baumwollfäden mittels eines Gipspfropfens ein- 
gefügt. Die Fäden werden mit physiologischer Kochsalzlösung, eventuell 
auch mit Ringer-Lösung, in besonderen Fällen (worüber unten zu 
berichten ist) auch mit noch anders zusammengesetzten Flüssigkeiten 
getränkt, während man in das mit Zinkvitriollösung gefüllte Röhrchen 
ein Stäbchen von amalgamiertem Zink eintaucht. Als Präparat diente 
zunächst das bekannte aus Hüftnerv und Unterschenkel bestehende. 
Der erstere wurde in der üblichen Weise in seiner ganzen Länge heraus- 
präpariert; dagegen blieb der Unterschenkel und Fuss ohne Präparation 
in ihrer natürlichen Verbindung. Wenn man dann mit einer unteren 
Klemme das Femur, in einer etwas höherstehenden eine Hautfalte des 
Unterschenkels fixiert, so sind die Erregungen des Hüftnerven an den 
kleinen Bewegungen der Pfote sehr gut erkennbar, wie ich glaube mit 
grösserer Genauigkeit, als wenn man den isolierten Wadenmuskel mit 
einem Hebel in Verbindung bringt. 

Für die Aufsuchung der Schwellenwerte ist es bekanntlich wünschens- 
wert, ein ganz bestimmtes Verfahren anzuwenden. Ich bin immer so 
zu Werke gegangen, dass ich mit sicher überschwelligen Werten begann 
und dann die Reizstärke stufenweise verminderte, bis kein Erfolg 
mehr sichtbar war. Macht man die Stufen nicht zu klein, so genügt 
eine sehr kleine Zahl von Einzelversuchen zur Ermittelung der Schwelle. 
Namentlich wenn bei der Wiederholung des Versuchs unter gleichen 
Bedingungen die zu erwartenden Werte annähernd im voraus bekannt 
sind, man also mit Stromstärken beginnen kann, die nur wenig über- 
schwellig sind, kann man oft mit drei, gelegentlich wohl selbst mit 
zwei Einzelversuchen den Schwellenwert erhalten. 

Um einen Zeitquotienten zu erhalten, wurde stets in mehrmaliger 
Abwechselung die Schwelle für Dauerschliessung und für den Strom- 
stoss festgestellt. Der Zeitquotient wird dann erhalten als das Ver- 
hältnis der Mittelwerte, zum Beispiel aus fünf Schwellen für Dauer- 


l) Einen toten Gang der Schraube habe ich nicht feststellen können. 
Trotzdem wurde die Vorsicht beobachtet, die Einstellungen immer durch 
Verschiebung in demselben Sinne herzustellen (mit steigenden Werten). 
Sollte also von einem höheren auf einen niedrigeren Wert übergegangen 
werden, so wurde zunächst beträchtlich unter diesen letzteren herunter- 
gegangen und alsdann erst, also wiederum im steigenden Sinne, eingestellt. 


L 


312 J. von Kries: 


schliessung und aus den zwischen diesen erhaltenen vier Werten für 
die Stromstösse. Natürlich ist diese Berechnung nur angängig, wenn 
die einzelnen Bestimmungen gleicher Art genügend untereinander 
übereinstimmen. War das nicht der Fall (was übrigens sehr selten vor- 
kam), so ist der ganze Versuch als mit irgendwelchen Störungen be- 
haftet nicht verwertbar. 

Des weiteren war der Versuchsgang dadurch vorgezeichnet, dass 
ja in der Regel die Abhängigkeit der Zeitquotienten von irgendwelchen 
Bedingungen festgestellt werden sollte. Zu diesem Zweck wurde, 
bekannten methodischen Regeln gemäss, wiederum in mehrfacher Ab- 
wechselung der Quotient unter den einen und den anderen Bedingungen, 
etwa bei erwärmtem und bei abgekühltem Nerven, bestimmt. 

Die Tabellen sind durchgängig so eingerichtet, dass die unter den 
einen Bedingungen erhaltenen Quotienten in eine obere, die unter 
den anderen Bedingungen erhaltenen in eine untere Horizontallinie 
eingetragen wurden; ferner sind die Ergebnisse ihrer Zeitfolge nach 
von links nach rechts geordnet. Gemäss dem über den Versuchsgang 
Gesagten folgt also von links nach rechts immer abwechselnd eine 
Zahl in der oberen und eine in der unteren Linie. 

Indem ich mich zur Mitteilung der erhaltenen Ergebnisse wende. 
schicke ich zunächst einige Angaben über die absoluten Werte des 
Speicherungsvermögens voraus, wie sie sich aus denjenigen Versuchen 
entnehmen lassen, in denen die Dauer der Stromstösse sicher innerhalb 
des Proportionalitätsbereiches lagen (vgl. oben S. 306). Die Versuche 
lehren, dass das Sp.V. nicht sehr konstant ist, sondern ohne erkenn- 
baren Grund bei verschiedenen Präparaten ziemlich beträchtlich aus- 
einandergeht. Offenbar sind also die Beschaffenheit der Nerven in 
den hier in Betracht kommenden Beziehungen bei verschiedenen Tieren 
individuell mehr oder weniger ungleich. Auch bei demselben Präparat 
übrigens ändern sich die Werte im Laufe längerer Versuchsdauer. 
Da aus diesen Gründen auf die gefundenen absoluten Werte nicht gar 
zu grosses Gewicht zu legen ist, so mag die Angabe genügen, dass. 
wenn gewöhnlicherweise zu Werke gegangen, insbesondere auch bei 
Zimmertemperatur beobachtet wird, scheinbare Speicherungsvermögen 
erhalten werden, die sich etwa um 0,68 o zu bewegen pflegen; doch 
habe ich auch niedrigere Werte, bis 0,4 o, und höhere, bis 1,5 o, be- 
obachtet. 

Von grösserem Interesse sind diejenigen Versuche, die sich auf die 
Abhängigkeit des Sp.V. bzw. der Zeitquotienten von einer Reihe ver- 
schiedener Umstände beziehen. Gemäss dem schon eingangs Gesagten 
war hier in erster Linie an die Abhängigkeit von der Temperatur 
zu denken. Um diese zu verändern, wurde der Nerv auf ein aus dünnem 
Zinkblech gefertigtes Gefäss gelegt, durch das man aus grossen Stand- 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 313 


gefässen Wasser von verschiedener Temperatur strömen lassen konnte. 
Zur Abkühlung wurde eisgekühltes Wasser verwendet, wobei die 
Temperatur im Innern des Gefässes sich auf etwa 2° einstellte. Der 
Nerv lag dem Gefäss direkt auf; nach oben wurde er zunächst an den 
beiden Stellen der Stromzuleitung durch die Fadenelektroden, über- 
dies in seiner ganzen Länge durch ein Gummiblättchen und einen 
Filzstreifen gedeckt, so dass seine Temperatur sich von derjenigen 
des strömenden Wassers nur unerheblich unterschieden haben, auch 
wohl in seinem ganzen Querschnitt sehr annähernd dieselbe gewesen 
sein dürfte. In Übereinstimmung mit dem, was im voraus zu erwarten 
war, liess sich hier sogleich unzweideutig feststellen, dass die Zeit- 
quotienten mit steigender Temperatur abnehmen. Als Beleg führe ich 
einige Versuchsbeispiele an. 


Versuch vom Versuch vom Versuch vom 
21. Mai 1917. 22. Mai ’1917. 19. Mai 1917. 
SEZ0A8I0 N s=0,483 0 N 04870 N 
IN) 1.8 K 2,08 2,09 W 1,03 1,06 
u 1 \WV 12 K 17 
Versuch vom Versuch vom Versuch vom 
20. Juni 1917. 26. Juni 1917. 27.. Juni 1917. 
s—020.6 X s=-02406 \ SW 2A N 
K 4,8 549 4,2 K722 3.0 Re3:6 3.4 
W 157 1,6 W Rz W 1 
Versuch vom4. Juli 1917. Versuch vom 25. Februar 1918. 
SEEN S02 0 N 
KR 2,1 2,8 K 10,0 s,1 
W 12 13 W 3.3 


Die Abhängigkeit der Z.Qu. von der Temperatur quantitativ genau 
festzulegen, habe ich nicht versucht. da dies bei der Einmischung 
anderer, ohne erkennbare Ursache sich einmischenden Änderungen 
nicht aussichtsreich erschien. 

Dagegen wurde mit Bezug auf die Bedeutung der Temperaturen 
eine Tatsache anderer Art gefunden, die von Interesse ist; sie besteht 
darin, dass es wesentlich die Temperatur der Kathode ist, auf die 
es ankommt. Um dies zu prüfen, wurden zwei kleine Gefässe sonst 
gleicher Form und Einrichtung benutzt und auf dem Träger so be- 
festigt, dass ihre einander zugekehrten Stirnseiten durch ein ca. 1 mm 
starkes Gummiblatt getrennt aneinanderstiessen. Nerv und Elektroden 
lassen sich dann leicht so anbringen, dass die eine Elektrode einer 


St J. von Kries: 


auf dem einen, die andere einer auf dem anderen Gefäss gelagerten Nerven- 
stelle aufliegt. Es stellte sich sogleich heraus, dass eine Temperatur- 
änderung allein an der Kathode die Quotienten in ganz ähnlicher 
Weise wie die des ganzen Nerven beeinflusst. Die folgende Tabelle 
lässt dies erkennen. 


Versuch vom 28. Februar 1918. 
SI 7 RoREEr 
1IR658 6,0 
W 2,4 


Eine elegante Form kann man diesen Versuchen geben, wenn 
man, während die eine Elektrode hoch, die andere niedrig temperiert 
ist, die Stromrichtung wechselt. Während bei gleicher Temperierung 
des ganzen Nerven (wie alsbald zu besprechen) die Änderung der Strom- 
richtung keinen oder doch keinen nennenswerten Einfluss auf die 


Quotienten hat, findet man hier regelmässige und sehr beträchtliche 


Änderungen. 


Versuch vom 5. Juni 1917. 


s.— 0.2080 
Obere Nervenstelle warm, untere kalt. 
RR) 3,0 
7 155 
Beide Nervenstellen gleich temperiert, ca. 21°. 
Sl 187 
7 1,9 


Das Entsprechende erreicht man, wenn man die Stromrichtung 


ungeändert lässt, aber die Art der Temperierung umkehrt, so dass 
das eine Mal die Kathode erwärmt, die Anode gekühlt ist, das andere 
Mal umgekehrt, was sich durch die Einfügung eines Vierwegehahns 
bewirken lässt. 


Versuch vom 14. Dezember 1917. 


Ss 025.70, 81 
Kathode kalt 5-6 4,8 
>> warm 3 


Es ist hiernach nicht zu bezweifeln, dass die Quotienten von der 
Temperatur der Kathode abhängen. Auch ist wohl mit Sicherheit an- 
zunehmen, dass sie es ist, die bei der wechselnden Temperierung des 
ganzen Nerven maassgebend in Betracht kommt. Um den Sachverhalt 
in aller Strenge zu übersehen, erschien es aber doch geboten, durch 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 315 


besondere Versuche zu prüfen, ob die Temperatur der Anode ganz 
ohne Bedeutung ist, oder ob, und eventuell in welchem Sinne, die 
Quotienten auch durch sie beeinflusst werden. Da es hierbei von 
besonderer Wichtigkeit war, die Temperatur der Kathode genau un- 
verändert zu erhalten, so benutzte ich auch bei diesen Versuchen die 
beiden Gefässe und liess durch dasjenige, auf dem die Kathode auf- 
ruhte, einen mässigen Wasserstrom von Zimmertemperatur fliessen, 
während das andere in gewöhnlicher Weise wechselnd temperiert wurde. 
Bei der Beurteilung dieser Versuche ist zu beachten, dass es wichtig 
ist, auch die Stromrichtung im Auge zu behalten. Denn die Beteiligung 
der Anodenstelle an dem ganzen Vorgang ist je nach der Stromrichtung 
verschieden. Da der Erregungsvorgang jedenfalls an der Kathode ent- 
steht, so hat er, um zum Muskel zu gelangen, im einen Falle (bei 
aufsteigender Richtung des Reizungsstroms) die Anodenstelle zu 
passieren, im anderen dagegen nicht. 


Versuch vom 10. Mai 1919. Versuch vom 15. Mai 1919. 
SELTEN Sa 0 aa 
Anode warm 3,9 3,0 Anode kalt 3,9 3,9 


kalt 4,1 ie warm 4,2 
Versuch vom 16. Mai 1919. 
SE (HEIL ON 
Anode kalt 10,0 9,6 8.9 
® warm 9.0 3,0 


Versuch vom 28. Februar 1918. 


NER sa — 081/20; 


ot 


Anode kalt 5,6 5,9 5, 
warm 6,2 6,1 


Hiernach scheint die Temperatur der Anode in jedem Falle ohne 
bemerkbare Bedeutung für die erhaltensn Quotienten zu sein. 

Ich berichte im Anschluss über einige weitere Versuchsmodalitäten. 
deren Einfluss auf die Quotienten geprüft worden ist. Hier ist in erster 
Linie die Stromrichtung zu nennen. Lässt man ohne sonstige 
Änderungen die Reizströme abwechselnd in auf- und in absteigender 
Richtung durch den Nerven fliessen, so erhält man im allgemeinen, 
wie vorhin schon berührt, mit Annäherung die gleichen Quotienten. 
Geringe Unterschiede sind freilich in der Regel vorhanden. 


Versuch vom 13. Juni 1917. Versuch vom 11. Juli 1917. 
G sa — 2906 
ml 252 nel DATEN 


u, „u 


316 J. von Kries: 


Versuch vom 13. Februar 1918. Versuch vom 14. Februar 1918. 
s’—0,17°o s2— 0,1196; 
Sad 5 4,4 49 4,6 5,0 
7 3,7 5,0 7 5,8 4,9 

Behält man im Auge, dass die Quotienten jedenfalls von der Be- 
schaffenheit und den Zuständen der als Kathode dienenden Nerven- 
stelle abhängen, so wird man geneigt sein, die hier beobachteten ge- 
ringen und unregelmässigen Unterschiede nicht mit der Stromrichtung 
als solcher in Verbindung zu bringen, sondern damit, dass die beiden 
Nervenstellen, von denen einmal die eine, dann die andere als Kathode 
benutzt wird, in irgendeiner Hinsicht verschieden sind, wobei ja 
an kleine Unterschiede der chemischen Beschaffenheit, in der Art der 
Zuleitung, vielleicht auch der Temperatur, gedacht werden könnte. 
Im Hinblick hierauf habe ich den Versuch so modifiziert, dass allemal 
dieselbe Nervenstelle als Kathode diente, als Anode aber abwechselnd 
eine oberhalb und eine unterhalb jener gelegene Stelle benutzt wurde. 
Der Strom wurde also nicht in der gewöhnlichen Weise mittels Pohlscher 
Wippe in derselben Bahn umgekehrt, sondern die Zuleitung in der 
angegebenen Weise geändert. 

Bei dieser Anordnung verminderten sich in der Tat die Änderungen 
der Quotienten auf Beträge, die in den Fehlergrenzen lagen, wie z.B. 
die folgende Tahelle zeigt. 


Versuch über Einfluss der Stromrichtung vom 15. Februar 
1918. Anordnung mit drei Elektroden. 
SI=.0,17°0, 
sy 41 39 
A 3.9 
Die Länge der vom Strom durchflossenen Nervenstrecke hat einen 
zwar nicht grossen, aber doch-unverkennbaren Einfluss auf die Quo- 
tienten. Auch bei diesen Versuchen wurde aus den soeben berührten 
Gründen so zu Werke gegangen, dass die Lage der Kathode ungeändert 
blieb, entweder nahe dem Muskel oder nahe dem oberen Ende des 
Nerven, als Anode aber abwechselnd eine dieser nahe, einmal eine von 
ihr möglichst entfernte Stelle benutzt wurde. Regelmässig erhält man 
etwas höhere Quotienten, wenn eine lange, als wenn eine kurze Nerven- 
strecke durchströmt wird. 


Versuch vom 26. Februar 1918. 


S— 0; E70 N 
durchflossene Nervenstrecke: 
Lang 43 44 4,8 


Kurz 3,8 4,0 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 317 


Gleicher Versuch vom 27. Februar 1918. 
Se 007 
Durchflossene Nervenstrecke: 
Kurz 4,0 30 - 2,9 
Lang 5,9 3,8 


Gleicher Versuch vom 16. Juni 1919. 
SE 051720 35 
Durchflossene Nervenstrecke: 
Kurz. 3:2 2,6 2,4 2,4 
Lang 5,1 4,2 4.3 


Dass die Reizerfolge in dieser Weise von der Länge der durch- 
flossenen Nervenstrecke abhängig sind, kann wohl zunächst besonders 
auffällig erscheinen. Denn man könnte meinen, wenn für den Reiz- 
erfolg wesentlich die Vorgänge an der Kathode maassgebend seien, so 
könne es auch nur auf die den Nerven passierenden Stromstärken 
ankommen; es müsse aber ohne Belang sein, ob diese durch höhere 
elektromotorische Kräfte bei langer oder durch geringere elektro- 
motorische Kräfte bei kurzer Nervenstrecke erzeugt werden. Man 
wird indessen bedenken müssen, dass wir im Versuch immer nur die 
auf den Nerven einwirkenden elektromotorischen Kräfte in bestimmter 
Weise normieren, dass aber die den Nerven tatsächlich durchfliessenden 
Ströme nicht ohne weiteres daraus entnommen werden können. Viel- 
mehr ist zu berücksichtigen, dass diese auch durch etwa wechselnde 
Widerstände und durch Gegenkräfte innerer Ploarisation mit beeinflusst 
werden. Dass bei den den Nerven durchlaufenden Strömen solche 
Verhältnisse in eigenartiger Weise zur Geltung kommen, lehren zum Bei- 
spiel schon die bekannten Tatsachen des sogenannten Fleischl- 
Phänomens. Man kann also wohl daran denken, dass bei gleicher 
Herstellung der erregenden elektromotorischen Kräfte die tatsächlich 
entstehenden Ströme bei langer und bei kurzer Nervenstrecke nicht 
wirklich vollkommen übereinstimmen. 

Da das Verhältnis, in dem kurz- und langdauernde Ströme am 
Nerven wirksam werden, jedenfalls durch die physikalisch-chemischen 
Vorgänge an den Elektroden sich bestimmt, so war es von Interesse, 
auch in dieser Hinsicht Änderungen einzuführen und ihre Erfolge zu 
beobachten. Die einfachste hierhergehörige Gruppe von Versuchen 
bestand darin, dass statt der zunächst benutzten ‚„unpolarisierbaren‘“ 
Elektroden polarisierbare Platinelektroden zur Stromzuleitung 
verwendet wurden. Es ergab sich, dass bei den Platinelektroden stets 
kleinere Quotienten erhalten werden. Man kann dies auch so aus- 
drücken, dass durch die Polarisation die Wirkung der länger dauernden. 


318 J. von Kries: 


Ströme in höherem Grade als die sehr kurzer Stromstösse geschwächt 
wird, ein Verhalten, das in theoretischem Sinne verständlich erscheint. 


Versuch vom 15. Februar 1918. 


Ss. 20.1726: 


Faden — 10 6,0 4,0 3,6 5,4 5,2 
Elektroden I 2 
Platin“ BIN 2,8 3,2 


Von noch grösserem Interesse ist die Frage, ob es gelingt, die für 
die Quotienten maassgebenden Verhältnisse durch experimentelle 
Änderungen chemischer Art zu beeinflussen. 

Um diese zu modifizieren, liess ich den Nerven längere Zeit in eine 
Flüssigkeit von der einen oder anderen chemischen Zusammensetzung 
hineinhängen. ‚Je nach der Zusammensetzung der umspülenden Flüssig- 
keit werden sich Diffussionsvorgänge der einen oder anderen Art ent- 
wickeln, und es wird sich die Zusammensetzung der im Nerven ent- 
haltenen Flüssigkeit mehr oder weniger verändern. 

Um bestimmte Erfolge des Diffussionsausgleiches zu erhalten, 
schien es geboten, den Nerven ziemlich lange in einer bestimmten 
Flüssigkeit zu halten. Auclrücklich sei aber gleich hier betont, dass 
es durchaus dahingestellt bleibt, ob die im Nerven enthaltenen Flüssig- 
keiten in irgendeiner Hinsicht wirklich auf die Zusammensetzung der 
Umspülungsflüssigkeit gebracht wurden. Nur die Richtung, in der 
wir ihre Zusammensetzung ändern, lässt sich mit Sicherheit beurteilen. 
Im einzelnen wurde folgendermaassen zu Werke gegangen. 

Ein Bechergläschen von ca. 100 cem Inhalt wurde bis zum Rande 
mit derjenigen Flüssigkeit gefüllt, in die der Nerv getaucht werden 
sollte. Dasganze Präparat wurde dann aufein.Korkplättchen gelagert. mit 
dem das Glas zugedeckt war, der Nerv durch ein in diesem Korkplättchen 
angebrachte Öffnung durchgezogen, sein zentrales Ende mit einem an- 
gebundenen Glasstückchen beschwert, so dass der Nerv in seiner ganzen 
Länge der Berührung der umspülenden Flüssigkeit ausgesetzt war. 
Da der Nerv der einzelnen Flüssigkeit, wie erwähnt, immer ziemlich 
lange ausgesetzt werden musste, so wäre es zu zeitraubend gewesen, 
auch hätten sich sonstige unkontrollierbare Einflüsse in störender 
Weise einmischen können, wenn man denselben Nerven abwechselnd 
im einen und anderen chemischen Zustande hätte untersuchen wollen. 
Demgemäss wurde hier stets so vorgegangen, dass von demselben 
Tiere das rechte und linke Präparat hergestellt, das eine unter die 
einen, das andere unter die anderen chemischen Bedingungen gebracht 
wurde und die bei dem einen und anderen erhaltenen Quotienten 
verglichen wurden. Und zwar liess ich stets vor Beginn der Versuche 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 319 


beide Präparate eine Stunde lang in ihren Badeflüssigkeiten hängen. 
Es sei noch bemerkt, dass auch die Fäden der für die Stromzuleitung 
benutzten Elektroden mit der gleichen Flüssigkeit zu tränken waren, 
deren Einwirkung der Nerv ausgesetzt werden sollte. 

Wie vorhin erwähnt, können die Zeitquotienten auch dann, wenn 
wir die Bedingungen, soweit wir sie übersehen und beherrschen, ganz 
gleich machen, nicht ganz unbeträchtlich schwanken. Obwohl daher 
hier die Versuchsbedingungen für das rechte und linke Präparat so 
genau als nur möglich übereinstimmend hergestellt (namentlich auch 
die Elektroden möglichst genau an die gleiche Nervenstelle angelegt) 
wurden, kann es doch nicht als sicher gelten, dass man unter gleichen 
chemischen Bedingungen genau übereinstimmende Quotienten erhalten 
haben würde, und dass etwaige Unterschiede, wenn sie nicht von ziemlich 
grossem Betrage sind, wirklich auf die Veränderung der chemischen 
Bedingungen bezogen werden dürfen. Aus diesem Grunde erschien 
es nicht angängig, sich mit einmaliger Prüfung des einen und anderen 
Präparates zu begnügen, sondern ratsam, jedes mehrmals zu unter- 
suchen, um von dem Betrage der zufälligen Schwankungen ein Bild 
zu bekommen und beurteilen zu können, was sich trotz dieser Un- 
sicherheit aus den Ergebnissen entnehmen lässt. Ich ging daher so 
zu Werke, dass, wenn ein Präparat gepr'“ft war, dies sogleich wieder 
in seine Badeflüssigkeit zurückgebracht wurde und auf diese Weise 
die beiden Präparate abwechselnd eine Anzahl von Malen untersucht 
und. verglichen wurden. Es bestätigte sich auch hierbei, dass die für 
dasselbe Präparat in den wiederholten Versuchen erhaltenen Zahlen 
wenigstens zuweilen nicht unbeträchtlich auseinandergingen. Die mit 
dem Wechsel der chemischen Bedingungen parallelgehenden Unter- 
schiede sind, wenigstens in mehreren Fällen, bedeutend genug, um 
trotz dieser zufälligen Schwankungen erkennbar zu bleiben. Immerhin 
muss betont werden, dass diese Versuche an Sicherheit und Klarheit 
der Ergebnisse immer hinter denjenigen zurückbleiben, bei denen, wie 
beim Wechsel der Temperatur an derselben Nervenstelle, eben diese 
Bedingungen ganz allein geändert werden, alles übrige aber genau 
unverändert erhalten werden kann. 

Was nun die geprüften chemischen Verhältnisse anlangt, so wurde 
fast immer das eine Präparat in einer Flüssigkeit gehalten, die, wie 
wir ‚annehmen dürfen, die chemischen Verhältnisse des Nerven so 
wenig wie möglich modifiziert, also in Ringer-Lösung, einige Male, 
auch in physiologischer (0,6 %iger) Kochsalzlösung, das andere dagegen 
in einer Flüssigkeit, die aus diesen durch bestimmte Zusätze oder Ver- 
mischungen hergestellt wurde. Auch die Zusammensetzung dieser modi- 
fizierten Flüssigkeiten musste selbstverständlich immer in den Grenzen 
gehalten werden, dass keine eigentlichen Schädigungen des Nerven zu 

Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 2l 


320 J. von Kries: 


befürchten sind ; namentlich muss man sich von denjenigen Zusammen- 
setzungen, bei denen die Flüssigkeiten selbst bereits chemisch reizend 
wirken, hinreichend entfernt halten. Die erste und einfachste dieser 
Modifikationen bestand in einer Verdünnung mit destilliertem Wasser, 
wobei also die Konzentration jedes Bestandteils im gleichen Verhältnis 
vermindert und namentlich der osmotische Druck der Flüssigkeit 
auf einen Bruchteil seines ursprünglichen Werts herabgesetzt wird. 
Die Versuche dieser Art verliefen insofern überraschend, als sich zeigte, 
dass selbst eine sehr beträchtlich verdünnte Ringer-Lösung (Ver- 
dünnungen auf !/, oder !/,) die Funktionsfähigkeit des Nerven nicht 
schädigt. Des weiteren aber zeigte sich unzweideutig, dass die 
Quotienten durch die Verdünnung der umspülenden Flüssigkeit ge- 
ändert, und zwar verringert, werden. Die folgenden Zahlen machen 
dies ersichtlich. 


Versuch vom 25. Juni 1918. Versuch vom 25. Juni 1918. 
20.17.06. s=0(,760.N 
A.Ringer 'B. 4 Ringer. A. Ringer. B. Y, Ringer. 
A. 4,6 4,4 A Ad 5,0 
B. 33 2,9 B. 3,5 
Versuch vom 26. Juni 1918. Versuch vom 28. Juni 1918. 
SO Ss O-TON 
A.1%ige, B. 0,1 %ige Kochsalzlösung. A. Ringer. B. !/, Ringer. 
A. 5,6 5,8 A.R9:0 5,0 
B. 4,3 B. 3,6 


Es sei hier daran erinnert, dass auch eine andere Modifikation 
funktioneller Verhältnisse am Nerven durch Verweilen in umspülenden 
Flüssigkeiten von wechselndem osmotischem Druck schon beobachtet 
worden ist. A. G. Mayer fand, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
des Erregungsvorgangs im Nerven der Cassiopeia von dem osmotischen 
Druck derjenigen Flüssigkeit abhängt, in der das Tier vorher gehalten 
worden war, und zwar um so grösser ausfällt, je höher dieser osmotische 
Druck ist, — eine zunächst vereinzelte, aber gewiss sehr beachtens- 
werte Tatsache!). 

Im Hinblick auf die bei der Durchspülung des Froschherzens be- 
kannt gewordenen Tatsachen lag es nahe, das der Ringer-Lösung 
gewählte Mengenverhältnis der Ca- und der K-Ionen abzuändern. Ich 
habe daher mit der Ringer-Lösung einerseits solche Flüssigkeiten 
verglichen, die kein Cl,Ca und stattdessen eine etwas erhöhte Menge 


1) A. G. Mayer, The nature of nerve econduction in Oassiopea. Proc. 
of the National Ac. of Sciences I 270. 1915. 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 321 


von CIK enthielten, anderseits auch solche, die umgekehrt kein CIK 
enthielten und mit Cl,Ca angereichert waren. Es stellte sich bei diesen 
Versuchen sogleich heraus, dass geringfügige Zusätze von Caleium- 
oder Kaliumsalz, wie sie die Herztätigkeit schon erheblich zu be- 
einflussen vermögen, die Quotienten noch nicht in erkennbarer Weise 
ändern. Für etwas stärkere Zusätze war es erforderlich, so zu Werke 
zu gehen, dass der osmotische Druck der Flüssigkeit nicht geändert 
wurde. Ich verfuhr daher so, dass ich der Ringer- Lösung isotonische 
Lösungen von CaCl; und von KCl herstellte. Alsdann wurden Mischungen 
zubereitet, dieaus Ringer-Lösung und diesen Salzlösungen in passendem 
prozentischem Verhältnis gemischt wurden. 


Versuche über die Zumischung von Cl,Ca. 


A. 0,6 %ige Kochsalzlösung. 
B. 90 Teile 0,6 %ige Kochsalzlösung + 10 Teile isotonischer 


C1,Ca-Lösung. s=0,17 0. “ 


6. November 1918. 7. November 1918. 

ARE: 3:8 4,4 NS al 4,1 4,2 

B. 2,9 B. 3.4 32 

9. November 1918. ll. November 1918. 
A 2639 6,7 4,8 A. 6,6 5,7 6,3 
B. Sal DA B. 3.1 2,8 


Versuche über die Zumischung von CIK. 


A. 0,6 %ige Kochsalzlösung. 
B. 90 Teile 0,6 %ige Kochsalzlösung + 10 Teile isotonische CIK- 


/09°75 
Eosung= 2 0A En 


12. November 1918. 14. November 1918. 


Aa 25,6 3,4 4,9 NN RL Dal 5,1 
B. 4.1 4,9 B. 4—5 4,5 


15. November 1918. 
N | 6.0 Dt 
B. 4.4 4.4 


Hiernach scheint es, dass das Sp.V. durch Zusätze von Ca und 
von K nicht im entgegengesetzten Sinne beeinflusst wird, sondern in 
beiden Fällen durch die Modifikation der sozusagen normalen Durch- 


spülungsflüssigkeit eine Verminderung erfährt. 
21* 


2 J. von Kries: 


ID 


Die dritte Änderung der chemischen Bedingungen, die ich geprüft 
habe, ist eine Verschiebung der Reaktion im Sinne der Alkaleszenz 
oder der Säuerung. 

Was die Verminderung der H-Ionen-Konzentration anlangt, so 
zeigte sich, dass ein Zusatz von 0,6 bis 0,8 ccm !/,, normaler Natron- 
lauge auf 100 ecem Ringer-Lösung oder auch 0,6% iger Kochsalz- 
lösung ohne Schädigung ertragen wird. Die hierbei erhaltenen Er- 
gebnisse sind in den folgenden Tabellen enthalten. 


Versuche über den Einfluss von Alkalizusatz. 
A. Ringer- Lösung. 
B. 100 cem Ringer-Lösung + 0,6 cem !/,, normaler Natronlauge. 


23. Mai 1919. 28. Mai 1919. 
SE S— 010. N 
A. "48 3,6 3.5 A. 3,9 3,8 
B: 5%) 4,5 B.; 8,3 4,8 8,0 
31% Ma121919: 2. Juni. 1919. 
Ss 01.0: s:=0,.22023 
A. 40 4,2 3.93% 3,7 AA 4,3 4,9 


3. Juni 1919. 
SEITEN 
A. 44 4,0 4,1 
Ber 6,0 4,2 


Man sieht, dass gerade hier die Ergebnisse nicht so konstant und 
einheitlich sind, wie man wohl wünschen könnte. Das mag zum Teil 
wohl daran liegen, dass die mit kleinen Mengen von Natronlauge ver- 
setzten Flüssigkeiten ohne Zweifel Kohlensäure aus der Luft auf- 
nehmen und dadurch gerade in dem hier in Betracht kommenden 
Punkte verändert werden. Dies wird für die unbewegt stehende Bade- 
flüssigkeit vielleicht weniger ausmachen, eher aber für den Nerven 
selbst in Betracht kommen, der beim Versuch der Berührung mit der 
Luft ausgesetzt war. Trotzdem dürfte der Schluss gerechtfertigt sein, 
dass die Verschiebung der Reaktion im Sinne der Alkaleszenz 
die Quotienten erhöht (das Sp.V. vergrössert wird). — Was die 
Ansäuerung anlangt, so ertrug der Nerv einen Zusatz von Il cem 
1/0 normaler Salzsäure auf 100 cem Ringer-Lösung ohne Schädigung. 
Bei dieser Zumischung hat sich eine deutliche Beeinflussung der 
Quotienten nicht ergeben, wie die folgenden Tabellen erkennen lassen. 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 393 


Versuche über den Einfluss von Säurezusatz. 


A. Ringer-Lösung. 
B. 100 cem Ringer-Lösung —- 1 ccm !/,, normaler Salzsäure. 


30. Mai 1919. 24. Juni 1919. 
Se ON REN SU TEN 
A. 8.9 4,3 3.9 A227 16.0 6,7 6,2 
B. 3,6 Saal B. 6,4 7,1 


Neben der zunächst verfolgten Frage, wie das Speicherungsvermögen 
des motorischen Nerven von einer Anzahl verschiedener Umstände 
abhängt, sollte, wie eingangs erwähnt, auch das Sp.V. verschiedener 
reizbarer Gebilde verglichen werden. Dabei konnte es sich einerseits 
darum handeln, für bereits bekannte Tatsachen eine genauere quanti- 
tative Festlegung zu gewinnen, anderseits aber auch um die Be- 
antwortung von Fragen, die sich auf Grund der bekannten Tatsachen 
noch nicht mit Sicherheit beantworten lassen. Das erstere gilt nament- 
lich für den kurarisierten Skelettmuskel, dessen relativ geringe Er- 
regbarkeit gegen sehr kurzdauernde Ströme ja hinlänglich bekannt 
ist. Es liess sich danach schon erwarten, dass bei dem hier eingehaltenen 
Verfahren weit höhere Quotienten, somit höhere Werte für das Sp.V. 
erhalten werden würden als beim motorischen Nerven. 

Für die Versuche über direkte Muskelreizung habe ich zu Anfang 
das bekannte, aus Semimembranosus und Gracilis bestehende Präparat 
verwendet, dessen Bewegungen in der gewöhnlichen Weise durch Über- 
tragung auf einen längeren Hebel sichtbar gemacht wurden. Ich erhielt 
indessen bald den Eindruck, dass die Beobachtung am Wadenmuskel 
doch eine grössere Sicherheit und Genauigkeit in der Beobachtung 
kleinster Reaktionen boten, und bin daher auch hier wieder zu diesem 
zurückgekehrt. Es wurde daher das gleiche Präparat wie in den Ver- 
- suchen mit Nervenreizung benutzt; auch die Befestigung desselben 
war die nämliche. Die Zuleitung der Ströme geschah durch die gleichen 
unpolarisierbaren Elektroden, deren zu diesem Zweck etwas länger 
gemachte Fäden durch kleine Öffnungen in der Haut gezogen und 
um das obere resp. untere Ende des Muskels geschlungen wurden. 
Notwendig ist dabei, die für die Festhaltung des Muskels dienenden 
Klemmen zu isolieren, damit nicht eine Abblendung der Reizströme 
durch die metallischen Teile des Trägers stattfinden kann. 

Die Versuche am kurarisierten Muskel bestätigten sogleich die 
vorhin erwähnte Erwartung. Es wurden hier für das Sp.V. Werte er- 
halten, die sich etwa zwischen 15 und 22 o bewegen. 

Was den.nicht kurarisierten Muskel anlangt, so wird wohl allgemein 
von der Voraussetzung ausgegangen, dass bei seiner „direkten Reizung 


324 J. von Kries: 


tatsächlich doch die in ihm verlaufenden Nervenstämmchen gereizt 
werden. In der Tat erhielt ich hier Werte für das Sp.V., die sich von 
den am kurarisierten Präparat erhaltenen sehr stark unterscheiden 
und den für den Nerven geltenden annähern. Sie bewegen sich zwischen 
0,5 und 1,7 6. Immerhin liegen sie etwas höher als die am Nerven- 
stamm gefundenen, was nicht überraschen kann, wenn man bedenkt, 
dass die Beschaffenheit der intramuskulären Nervenfäden doch eine 
erheblich andere ist als die der Fasern im Nervenstamm. 


Von besonderem Interesse war es, in der uns hier beschäftigenden 
Hinsicht das Herz zu prüfen, da es hier, im Zusammenhang mit anderen 
streitigen Fragen, auch zweifelhaft erscheinen kann, ob wir den An- 
griffspunkt elektrischer Reize im Muskelgewebe oder in den Nerven zu 
suchen haben. Ich habe auch hier relativ sehr hohe Werte für das 
Sp.V. erhalten; sie bewegen sich zwischen 15 und 45 o und liegen 
also wohl noch über denjenigen des. kurarisierten Muskels. Dies 
steht in gutem Einklang mit der bekannten Erfahrung, dass man 
bei der Reizung des Herzens mit Induktionsströmen immer verhältnis- 
mässig starke Ströme anzuwenden genötigt ist. Die Applikation der 
Elektroden am Herzen geschah bei diesen Versuchen zunächst so, dass 
eine Elektrode auf einen Vorhof, die andere an die Kammerspitze 
angelegt wurde, die Durchströmung also in der Längsrichtung statt- 
fand; sodann wurde auch eine Elektrode am rechten, eine am linken 
Vorhof angelegt oder eine an einem rechten, eine an einem linken 
Punkt der Kammer. Eine Abhängigkeit der Quotienten von diesen 
örtlichen Verhältnissen der Reizströme habe ich nicht feststellen können. 


Zusammenfassung. 


Man kann für reizbare Gebilde, in erster Linie den motorischen 
Nerven, diejenigen Stromstärken ermitteln, die einerseits bei langer, 
anderseits bei sehr kurzer Schliessung eben hinreichen, um eine Er- 
regung zu erzielen. Das Verhältnis beider Werte, das als Zeitquotient 
bezeichnet wird, gibt ein Bild davon, in welchem Maasse bei länger 
dauernder Schliessung der unmittelbare 'Erfolg des Stroms sich an- 
sammelt oder aufgespeichert wird. Insbesondere lassen die Änderungen 
der Zeitquotienten erkennen, in welchem Sinne jenes Speicherungs- 
vermögen geändert wird. 

Bei Stromstössen von der Dauer 0,17 erhält man beim motorischen 
Nerven Zeitquotienten, die sich auf etwa 4 belaufen. 

2. Die Zeitquotienten vermindern sich mit steigender Temperatur, 
d. h. der erwärmte Nerv ist gegen kurze, der kalte Nerv gegen länger 
dauernde Ströme verhältnismässig erregbarer. Dabei kommt es ledig- 


Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 325 


lich auf die Temperatur der Kathode an, während diejenige der Anode 
ohne Einfluss ist. 

3. Eine Abhängigkeit der Zeitquotienten von der Stromrichtung 
ist nicht zu bemerken, wenn man dieselbe Elektrode als Kathode 
benutzt und den Strom einmal von einer dem Muskel, einmal von einer 
dem zentralen Nerven näheren Anode zuleitet. 

4. Bei Verwendung polarisierbarer Elektroden (Platinelektroden) 
erscheint das Speicherungsvermögen vermindert (geringere Zeit- 
quotienten. 

5. Die Zeitquotienten und demgemäss das Speicherungsvermögen 
können erheblich modifiziert werden, wenn man den Nerven längere 
Zeit in Flüssigkeiten verschiedener chemischer Zusammensetzung hat 
verweilen lassen. Man erhält durch hypotonische Flüssigkeiten 
(verdünnte Ringer-Lösung) Verminderung der Quotienten. Wenn 
man ohne Änderung des osmotischen Drucks die Na-Ionen zum Teil 
durch Ca- oder K-Ionen ersetzt, so werden in beiden Fällen die Quotienten 
vermindert. Durch Verschiebung der Reaktion im Sinne der Alkaleszenz 
werden die Quotienten erhöht, während eine Verschiebung im Sinne 
der Azidität keinen sicher erkennbaren Einfluss besitzt. 

6. Der kurarisierte Muskel zeigt eine weit stärkere Speicherung 
als der motorische Nerv, d. h. das Übergewicht längerer Stromdauern 
über kurze ist bei ihm weit stärker als bei diesem. Man erhält hier 
Zeitquotienten im Betrage von 4 bis 8 schon bei Stromstössen, deren 
Dauer sich auf 3-4 co beläuft. Ähnlich, sogar noch etwas stärker, 
trifft dies auch für das Herz zu, für welches bei einer Dauer der Strom- 
stösse- von 4-7 o noch Quotienten im Betrage von 5—6 gefunden 
wurden. 

7. Nimmt man an, dass irgendein unmittelbarer Erfolg des Stroms 
im ersten Augenblick seines Einsetzens der Zeit proportional zunimmt, 
um sich dann einem Höchstwert zu nähern, so kann man den Wert 


h 
mn oc . .. . . « 
— — , also das Verhältnis des Höchstwertes zu der Anfangssteilheit, 


dh/dr 
alsabsolutes Speicherungsvermögen bezeichnen. Es ist ein Zeit- 
wert, und zwar diejenige Zeit, während deren der Anstieg mit seiner 
im ersten Augenblick vorhandenen Steilheit anwachsen müsste, um 
auf die tatsächlich erreichte Maximalhöhe zu kommen. Diese Zeit 
beträgt für den motorischen Froschnerven bei Zimmertemperatur etwa 
0,7 o, während sie für den kurarisierten Skelettmuskel auf etwa 15 bis 
22 o, für das Froschherz auf etwa 15—45 o veranschlagt werden kann. 
Ein Versuch, an die mitgeteilten Tatsachen weitergehende Folge- 
rungen zu knüpfen, würde mir verfrüht erscheinen. Doch ist vielleicht 
die Zeit nicht gar zu fern, wo dafür die genügenden Unterlagen gegeben 
sein werden. Nach einer neuerdings von Bethe entwickelten Ver- 


336 J. v. Kries: Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 


mutung!) hätten wir uns die Auslösung einer Erregung daran gebunden 
zu denken, dass an gewissen Stellen eine gewisse Konzentration von 
H-Ionen entsteht. Wenn diese oder eine ähnliche Anschauung sich 
bestätigt, wird man auch in Erwägung ziehen dürfen, worin jener 
Vorgang besteht, der für das Speicherungsvermögen maassgebend ist. 
Denn dass ein solches überhaupt nur in beschränktem Maasse besteht, 
dass der Erfolg der Durchströmung nicht unbegrenzt der Zeit pro- 
portional anwächst, das muss ja jedenfalls darauf beruhen, dass die 
durch den Strom bewirkte Veränderung durch einen Vorgang anderer 
Art wieder rückgängig gemacht oder aufgehoben wird, zum Beispiel 
eine Diffusion, die elektrolytische Produkte wegführt, Konzentrations- 
unterschiede ausgleicht u. dgl. Dass solche Vorgänge durch die Tem- 
peratur, chemische Verhältnisse und anderes beeinflusst werden, ist 
ohne weiteres einleuchtend. Bestimmte Annahmen über diese Vorgänge 
werden also die hier beobachteten Tatsachen zu erklären haben, ander- 
seits, wenn sie das in befriedigender Weise tun, darin eine beachtens- 
werte Stütze finden. 


1) Kapillarchemische (kapillarelektrische) Vorgänge als Grundlage einer 
allgemeinen Erregungstheorie. Dies Archiv 163 S. 147. 1916. 


® 


EFT N nein eier 


TEN EN 


Autorenverzeichnis. 


Abderhalden, Emil und Koehler, 


Adrienne, Über die Einwirkung | 


eines die alkoholische Gärung be- 
schleunigenden, inAlkohollöslichen 
Produktes aus Hefe auf niedere 
Organismen. 209. 

Abderhalden, Emil, Weitere 
Studien über die von einzelnen 
Organen hervorgebrachten Sub- 
stanzen mit spezifischer Wirkung. 
S. 236. 


Demoll, Prof. Dr. Reinhard, Die | 
Akkommodation des Alciopiden- 


auges. 8. 113. 


Galant, Dr. S., Reflexus cochleo- | 
und ÖOhr-Lidschlag- | 


palpebralis 
reflex. S. 221. 


Gildemeister, Pröf. Dr. Martin, | 


Über elektrischen Widerstand, Ka- 


pazität und Polarisation der Haut. 


1.28.84. 

Era #Broft, Dr Paul: 
zur Physiologie der Schilddrüse. 
S. 123. 


Impens, E., Über einige Hilfs- 


apparate für die Prüfung der At- | 


mung am Tiere. S. 106. 
Kaempffer, Sanitätsrat Dr., Eine 


neue Methode der intracardialen | 


Druckerhöhung beim Kaltblüter 


(Frosch), ihre Ergebnisse und ihr | 


Wertim Vergleich mit den anderen, 
älteren Methoden. S. 285. 


Beiträge 


Kries, Prof. J. v., Über die Wir- 
kung von Stromstössen auf reizbare 
Gebilde, insbesondere den motori- 
schen Nerven. S. 302. 


| Kuhl, approb. Tierarzt P., Das Blut 


der Haustiere mitneueren Methoden 
untersucht. I. S. 263. 

Liljestrand, Dr. G., und Magnus, 
Prof. Dr. R., Über die Wirkung 
des Novokains auf den normalen 
und den tetanusstarren Skelett- 
muskel und über die Entstehung 
der lokalen Muskelstarre beim: 
Wundstarrkrampf. S. 168. 

Lipschitz, Werner, Zur Frage: 
der Permeabilität des Lungen- 
epithels für Ammoniak. S. 1. 

Lipschütz, Alexander, Bemer- 
kung zur Arbeit von Knud Sand 
über experimentellen Hermaphro- 
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Neuschlosz, S., Untersuchungen 
über die Gewöhnung an Gifte. I. 
S. 223. 

Pütter, Prof. Dr. phil. et. med. 
August, Studien zur Theorie der 
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Traube, Prof. Dr. J., Zu den Theo- 
rien der Narkose. S. 70. 

Woker, Dr. Gertrud, Zum Assi- 
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Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. in Altenburg. 


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