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PFLÜGER*® ARCHIV
FÜR DIE GESAMTE
PHYSIOLOGIE
DES MENSCHEN UND DER TIERE
HERAUSGEGEBEN
VON
E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER
HALLE A.S. FRANKFURT A.M. KIEL
176. BAND
MIT 390 TEXTABBILDUNGEN UND 7 TAFELN
BERLIN
VERLAG VON JULIUS SPRINGER
1919
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Inhaltsverzeichnis.
Lipschitz, Werner. Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels
LUrS A TOT AK ner ne en een water ae Ah
Woker, Dr. Gertrud. Zum Assimilationsproblem . .. 2... 2...
Pütter, Prof. Dr. phil. et med. August. Studien zur Theorie der Reiz-
vorgänge. VI. Mitteilung: Aligemeine Folgerungen aus den bis-
herigen Untersuchungen. (Mit 5 Textabbildungen) . . .. ....
Traube, Prof. Dr. J. Zu. den Theorien der Narkose... ......
Gildemeister, Prof. Dr. Martin. Über elektrischen Widerstand, Ka-
pazität und Polarisation der Haut. I. Versuche an der Froschhaut.
(Mit 4 Textabbildungen) . ..... 2... 2.200 nennn
Impens, Dr. E. Über einige Hilfsapparate für die Prüfung der Atmung
amlleress (Mit;o Dextabbildungen): ..... I... ln. or...
Lipschütz, Alexander. Bemerkung zur Arbeit von Knud Sand über
experimentellen Hermaphroditismus . .... 2. 2. 2.2.2.2...
Demoll, Prof. Dr. Reinhard. Die Akkommodation des Aleiopidenauges.
Bi RatelTnund Mund 1. Textabbildung) „ah in...
Hari, Prof Dr. Paul. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. Eine
Sache Studie a een.
Liljestrand, Dr. &. und Magnus, Prof. Dr. R. Über die Wirkung des
Novokains auf den normalen und den tetanusstarren Skelettmuskel
und über die Entstehung der lokalen Muskelstarre beim Wund-
starrkrampf. (Mit 1 Mextabbildung) DEE Eee TEE Re
Abderhalden, Emil und Koehler, Adrienne. Über die Einwirkung eines
die alkoholische Gärung Beahlenneenden) in Alkohol löslichen
Produktes aus Hefe auf niedere Organismen. I. Mitteilung. (Mit
IWENextahbiidungenyar sa ar a a ER nr.
Galant, Dr. S. Reflexus cochleopalpebralis und Ohr-Lidschlagreflex .
Neuschlosz, S. Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. I. Mit-
teilung: Das Wesen der Chininfestigkeit bei Protozoen . ....
Abderhalden, Emil. Weitere Studien über die von einzelnen Organen
hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. II. Mit-
BER UTERAUNRIGH Natel] VD)
Kuhl, approb. Tierarzt P. Das Blut der Haustiere mit neueren Me-
thoden untersucht. I. Untersuchung des Pferde-, Rinder- und
Fiundeblutes., (Mit I Textabbildung) .. 2 2. ........ 2...
Kaempffer, Sanitätsrat Dr. Eine neue Methode der intracardialen
Druckerhöhung beim Kaltblüter (Frosch), ihre Ergebnisse und ihr
Wertim Vergleich mit den anderen, älteren Methoden. (MitTafel VII)
Kries, Prof. J. v. Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare
Gebilde, insbesondere den motorischen Nerven. (Mit 3 Text-
abbildungenpeep 2. 0.0. 22. en eine»
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Seite
168
302
327
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(Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Frankfurt a. M.)
Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels
für Ammoniak.
Von
Werner Lipschitz, Assistent am Institut.
(Eingegangen am 10. März 1919.)
Die Frage nach dem Schicksal von Ammoniakgas in der Atmungs-
luft an der Grenze des normalen Lungenalveolarepithels schien nach
den letzten Untersuchungen von Magnus und Mitarbeitern !) im
Sinne einer Impermeabilität dieser Zellbarriere so weit geklärt,
dass selbst Höber, der ursprünglich ?) gegen den aus den Magnus-
schen Versuchen gezogenen Schluss Einwände geltend machte, in
seinem Buche „Physikalische Chemie der Zelle und Gewebe‘ ?) diese
Auffassung als bewiesen annehmen zu müssen glaubte.
Versuche über Wirkung und Schicksal von eingeatmetem Äthyl-
amin, die zu anderem Zweck auf Anregung von Herrn Professor Ellinger
an Kaninchen angestellt wurden, ergaben jedoch Resultate, die eine
Nachprüfung dieser Frage auch am Ammoniak veranlassten. Die
Untersuchung beider Basen führte dann gleichmässig zu Widersprüchen
mit der Magnus’schen Beweisführung.
Den Ausgangspunkt für seine Anschauung bildete die von mehreren
Seiten gemachte Beobachtung, dass, obwohl intravenös injiziertes
Ammoniak bereits in einer Konzentration von 0,008 %, Krämpfe hervor-
ruft, vagotomierte Kaninchen mit tiefer Trachealfistel durch Müller-
sche Ventile mehrere Minuten lang ammoniakhaltige Luft atmen
können, ohne danach Krämpfe oder Atmungserscheinungen zu be-
kommen (Knoll). Aus diesen Tatsachen schloss Magnus, dass das
l) R. Magnus, Schmiedeberg’s Archiv Bd. 48 S. 100. 1902.
Magnus, Sorgdrager und Storm van Leeuwen, Pflüger’s Archiv
Bd. 155 S. 275. 1914.
2) R. Höber, Pflüger’s Archiv Bd. 149 S. 87. 1912.
3) 4. Aufl.! 1914, S. 633 Anm. 3.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Ba. 176. 1
2 Werner Lipschitz:
Lungenepithel für Ammoniak impermeabel sei, und glaubte den Beweis
dafür endgültig zu gestalten, indem er Ammoniak an lebenden Kaninchen
und der überlebenden Katzenlunge den umgekehrten Weg gehen liess:
er konnte zeigen, dass es nach Injektion in die Arteria pulmonalis
zwar nach der Pleuraseite der Lunge abdunstet und nachweisbar wird,
nicht aber bei intaktem Epithel in der Atmungsluft erscheint, im
Gegensatz zum Beispiel zum Schwefelwasserstoft.
Endlich schien Magnus Angriffe von Höber auf seine Beweis-
führung erfolgreich abzuwehren, indem er nachwies, dass die Gegen-
argumente selbst sich auf Versuche unter ungünstigen Bedingungen
sründeten: Zum Beispiel seien die extrem hohen NH,-Werte des Blutes,
die Höber an Kaninchen nach Ammoniakatmung erhielt, auf die
Gleichzeitigkeit von Gasatmung und Blutentnahme zu beziehen, oder
spiele der verschieden hohe Sitz der Trachealkanüle eine Rolle für
den Ammoniakgehalt des Blutes.
Wenn trotz allem die Beweisführung von Magnus nicht als un-
anfechtbar gelten kann, so liest das besonders an dem Umstande,
dass er — wie übrigens auch Höber — es versäumte, die Menge
Ammoniak zu bestimmen, die bei: der gewählten Versuchsanordnung
mit der Atmungsluft jeweils in die Lunge gelangte. Daher blieb er
im ungewissen, wieviel Ammoniak danach überhaupt im Blut er-
wartet werden durfte. Er hätte in jedem einzelnen Falle diese Be-
stimmungen vornehmen müssen, da ja die Kenntnis der Anfangs-
konzentration einer NH,-Lösung keineswegs zu einer Schätzung der
entweichenden Gasmenge ausreicht; denn diese hängt weitgehend
ab von der Temperatur der Lösung, von der Grösse des negativen
Druckes bei der Inspiration der verschiedenen Tiere und von deren
Atemgrösse.
Durch das Fehlen eines Massstabes also für die zu erwartenden
NH,-Werte des Blutes, die Magnus ja nach seinen eigenen Versuchen
drei- bis vierfach höher als normal fand, wurde er dazu veranlasst,
diese Ammoniakmengen als ‚so gering“ zu bezeichnen, ‚dass sie auf
die Resorption durch die Bronchialschleimhaut bezogen werden“
könnten, wurde er ferner dazu veranlasst, aus den höheren NH,-Werten
zweier Versuche weitgehende Schlüsse auf den Einfluss des mit der
Atmungsluft in Berührung kommenden Trachealsegmentes auf den
NH,-Gehalt des Blutes zu ziehen.
. Beide Annahmen verlieren ihre Stütze, wie sich auf Grund vor-
liegender Versuche zeigen wird. Aber auch was den erhöhten Ammoniak-
gehalt des Blutes bei gleichzeitiger Entnahme und Ammoniakatmung
betrifft, so sind neben der von Magnus verantwortlich gemachten
Schädigung des Lungenkreislaufs andere, einfachere Erklärungen mög-
lich: Wenn aus einer Arterie ammoniakhaltiges Blut entnommen wird,
Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels für Ammoniak. 3
während im kleinen Kreislauf dauernd Ammoniak ins Blut übergeht,
so ist klar, dass ein gewisser Teil des Blutes seit seiner Beladung mit
Gas nicht einmal einen vollen Kreislauf ausgeführt hat, dass er ins-
besondere weder mit der entgiftenden Leber noch der ausscheidenden
Niere in Berührung gekommen ist, dass er also auch ohne Annahme
einer vermehrten Lungenepitheldurchgängigkeit mehr Ammoniak ent-
halten kann als nach wiederholtem Kreisen. — Mit dieser Überlegung
steht auch der Befund von Magnus!) kaum in Widerspruch, dass
der Ammoniakgehalt des Blutes zwischen 15 und 100 Sekunden nach
beendeter Aufnahme nur mehr unwesentlich (um 3—10%) absinkt,
denn ‚gerade die ersten Sekunden wären für diesen Prozess bedeut-
sam. — Endlich haben Herzfeld und Klinger in einer soeben er-
schienenen Arbeit ?) darauf hingewiesen, dass neben der zur Er-
klärung dienenden vertieften Atmung infolge der Blutentnahme
aus allen Geweben Flüssigkeit und damit ammoniumkarbonathaltige
Lymphe aus der Umgebung der Bronchialschleimhaut vermehrt ins
Blut nachrückt.
‚Doch wird sich aus den weiterhin anzuführenden Versuchen er-
geben, dass bei Zufuhr mässiger Dosen Ammoniak diese Erscheinung
überhaupt wenig ins Gewicht fällt — jedenfalls viel weniger als die
Ammoniakkonzentration in der Atmungsluft und die absolut ver-
brauchte Menge. — Das gleiche gilt, wie schon oben angedeutet, von
dem Finfluss des. mit der Atmungsluft in Berührung kommenden
Tracheasegmentes auf den Ammoniakgehalt des Blutes. Die Be-
obachtungen von Magnus selbst bieten übrigens für dieses Moment
keine sehr sichere Stütze. Er führt ?) zwei Versuche (Nr. XI und XII)
an, die beweisen sollen, dass hoher Sitz der Trachealkanüle höheren
Ammoniakgehalt bedinst als tiefer Sitz, und scheint dabei zu über-
sehen, däss die Werte des Versuches XI zwar ein wenig höher sind
als die der Versuche VI, VII und X, aber durchaus von der gleichen
Grössenordnung und sich recht gut unter sie einfügen liessen, so dass
diese ganze Anschauung auf den zwei hohen Zahlenwerten des Ver-
suches XII basiert, — Werten, die durch die mangelnde Kenntnis
der bei der Atmung verbrauchten Ammoniakmenge an Beweiskraft
verlieren.
Das andere Hauptstück der Magnus’schen Beweisführung: Fehlen
des Ammoniaks in der Atmungsluft nach Injektion in die Arteria
pulmonalis, ruht gleichfalls auf schwächerer Basis, als es nach dem
experimentellen Befund scheinen könnte. Dass Ammoniak in der
1) loc. eit. 8. 285.
ı 2) Pflüger’s Arch. Bd. 173 S. 385. 1919.
3) loe. cit. S. 286, Tab. II.
1.8
4 Werner Lipschitz:
Exspirationsluft nicht nachweisbar ist — wohl aber über der Pleura-
oberfläche — kann mehrere Gründe haben, von denen einer die Undurch-
lässigkeit des Epithels wäre. Wenn man aber berücksichtigt, dass die
Lungenalveolen der Ort der stärksten Kohlensäureentladung des Blutes
sind, so wird sich das Ammoniak bei seinem angenommenen Durchtritt
durch das Epithel an’ Kohlensäure binden und leicht als Ammonium-
karbonat oder -bikarbonat vom Zellsaft in Lösung gehalten werden
können. Besonders nahe wird diese Möglichkeit bei Annahme einer
wahren Kohlensäuresekretion des Lungengewebes gerückt, — wie ja
zum Beispiel: Bohr!) die Gassekretion als ‚eine essentielle Seite der
Lungenfunktion“ neben der Diffusion betrachtet. Wir konnten sogar
nachträglich feststellen, dass Bohr selbst sich schon über die Magnus-
sche Hypothese im gleichen Sinne geäussert hat:
„In anderen Versuchen von Magnus, wo die Ausatmungsluft sich
trotz der Injektion von Ammoniak ins Blut ammoniakfrei erhielt,
kann eine analoge Erklärung zur Anwendung kommen, indem das
Ammoniak während der Passage durch die Lungenmembran an
Kohlensäure gebunden wird; und dass dasselbe nach dem Tode in
die Lungenluft hinausdringt, kann auf dem beim Stocken der Blut-
zirkulation eintretenden Aufhören der Kohlensäureproduktion be-
ruhen. Das spezielle Verhalten des Ammoniaks in der Lunge im
Gegensatz zum Beispiel zum Schwefelwasserstoff würde demnach seine
Erklärung darin finden, dass dasselbe im Verein mit der Kohlensäure
ein Salz bildete.“
Ganz kürzlich nun haben für eine solche Auffassung des Vorganges,
die der von Magnus widerspricht, Herzfeld und Klinger ?) auch
experimentelle Unterlagen geschaffen: Sie bewiesen, dass kohlensäure-
haltige Luft, die durch ammoniumkarbonathaltiges Blutserum streicht,
auch bei längerer Versuchsdauer kein durch Nessler’s Reagenz nach-
weisbares Ammoniak frei macht, und machen wahrscheinlich, dass
entsprechende Verhältnisse in den Lungenalveolen mit ihrer hohen
CO,-Konzentration vorliegen — nicht aber an der Pleuraoberfläche
und anderen Stellen.
Es wird sich nun zeigen, dass nach Bestimmung der aus dem
Inspirationsventil jeweils durch die Atmung verschwundenen Ammoniak-
menge gar nicht höhere Werte des Blutes bei den Magnus-Höber-
schen Versuchsbedingungen sich erwarten lassen, als sie wirklich ge-
funden wurden, zumal wenn man die im ‚toten Raum‘, das heisst den
peripher der Lunge gelegenen Atmungswegen verbliebenen und, ohne
an den Ort der Wirksamkeit gelangt zu sein, wieder ausgestossenen
1) Nagel’s Handbuch d. Physiol. Bd. I S. 156. 1909.
2) loc. cit.
Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels für Ammoniak. 5
\
Ammoniakmengen berücksichtigt, die in einigen Versuchen im Ex-
spirationsventil aufgefangen und bestimmt wurden. Also ist das Aus-
bleiben von Krämpfen nur auf die zu geringe verbrauchte Gasmenge
zu beziehen, bei deren Steigerung durch Verlängerung der Atemzeit
oder Erhöhung der Ammoniakkonzentration der Gehalt des Blutes,
steigt und bei genügender Höhe Krämpfe auslöst, — ein Befund, der
für eine Permeabilität des Lungenepithels spricht und seine
Ergänzung in einigen entsprechend verlaufenen Versuchen mit dem
gleichfalls hoch Iipoidlöslichen, in stärkeren Dosen gleichfalls krampf-
erregenden Äthylamin findet.
Zur Methodik der Untersuchungen ist zu bemerken, dass die stets
doppelt ausgeführten Ammoniakbestimmungen in den: Inspirations-
ventilen durch Titration eines aliquoten Teiles mit n-Schwefelsäure
geschahen oder mit !/,, n-Schwefelsäure nach Auffüllen auf ein be-
stimmtes Volumen; die Ventile wurden bis zum Beginn der Atmung
_ und unmittelbar nach ihrer Beendigung verschlossen gehalten, um
Entweichen von Gas zu verhüten.
Der Ammoniakgehalt des Blutes wurde im wesentlichen nach der
bekannten Methode von Krüger und Reich und Schittenhelm be-
stimmt: Das in etwa dem halben Volumen 2 % iger Natriumoxalatlösung
aufgefangene Blut wurde in einem 2 Literkolben, der mit Tropftrichter,
Kapillare und in Schwefelsäure eintauchendem Destillationsrohr ver-
sehen war, bei 8-12 mm Druck und einer 45° ©. nicht übersteigenden
Temperatur destilliert, nachdem es mit 50—80 ccm Methylalkohol und
15 g Kochsalz gemischt und mit 1 g wasserfreiem Natriumkarbonat
alkalisch gemacht war. Die durch die Kapillare streichende Luft war
durch Vorschalten einer Waschflasche mit konzentrierter Schwefel-
säure ammoniakfrei. Als Vorlage dienten. drei hintereinander ge-
schaltete Saugflaschen von je etwa 100 ccm Inhalt, die mit im ganzen
5 cem io n-Schwefelsäure und der nötigen Menge Wasser beschickt
und sorgfältig mit Eiswasser gekühlt waren. Der: verwendete Methyl-
alkohol, der ursprünglich stets flüchtige Basen enthielt, wurde über
reiner kristallisierter Phosphorsäure und Ätzkalk destilliert und reagierte
dann gegen Methylrot völlig neutral. Bei Beginn stärkeren Schäumens
wurde nach Bedarf durch den Tropftrichter Methylalkohol zugeführt.
Zur Beendigung der Ammoniakdestillation wurde eine Zeit von 2 bis
3 Stunden ausreichend befunden. Die Säure in den Vorlagen wurde
mit 1/,, n-Natronlauge zurücktitriert unter Verwendung von Methylrot
als Indikator. — Das Entsprechende gilt von den Versuchen mit
Äthylamin. ;
.
6 Werner Lipschitz:
I. Normales Kaninchenblut. |
25 com enthalten 0,25 cem r NH; : 0,000848 %o.
(Mittelwert von Magnus: 0,00089/o.)
II. Blut bei Ammoniakatmung.
1. Wechselnder Sitz der Trachealkanüle.
a) tief (dicht über der Bifurkation).
N Verbrauchis: a
ers.| Tier- % NH, a. d. In- {) ; im
Nr. | gewicht Srtader Versitung spirations- Blut
ventil
1, 1410 Doppelseitige Vagotomie; In-
spirationsventil enthält 10 ccm
7°o NH3;; zwei hintereinander
geschaltete Exspirationsven-
tile mit im ganzen 10 ccm Yı n
H,S0O,.. 6 Min. Ammoniak-
atmung, 1 Min. Luftatmung,
Blutentnahme :27 cem. ... . 0,0765 8 0,00437
Durch Entbluten getötet; Ka- | Im Exspirat.-
nüle ca. '/g cm über der Bifur- | Ventil wieder-
kation, sehr geringe hyper- gefunden:
ämische Partie im untersten 0,0561 8
Trachealabschnitt, kaum er-
kennbare Veränderungen in y
den grossen Bronchien, kein
Schaum oder Exsudat.
2. 1360 Wie bei Vers.1. Blutentnahme
25,5 ccm. 18 Min. nach Aus- 0,1156 & 0,0034
schaltung des Ammoniakven- | Im Exspirat.-
tiles ist in der Exspirationsluft | Ventil wieder-
durch Lackmuspapier noch gefunden:
Ammoniak nachweisbar. 0,0663 &
Durch Entbluten getötet; Ka-
nüle !/’a cm oberhalb der Bi-
furkation; abwärts mässige
Verätzung, etwas Schaum,
Lunge normal, 7,6 Gewicht.
3. 1145 | Wie bei Vers. 1. — 8S!/s Min.
Ammoniakatmung, dabei be-
ginnt das Tier zu zappeln und
in der Trachea Schaum sich
zu bilden. 45 Sek. Luftatmung,
Tier röchelt, Blutentnahme:
BI ICE NE URLS. 0,1445 & 0,0059
Durch Entbluten getötet; Ka-
nüle dichtüber der Bifurkation,
sehr geringe Verätzung von
. Trachea und Bronchien.
4. 1280 | Inspirationsventilenthält25cem
A 7,08% NH3;. 3Min. Ammoniak-
atmung, 2 Min. Luftatmung,
Blutentnahme I: 16 com; nach I. 0,00265
4 Min. weitere 3 Min. Ammo-
niakatmung, 1 Min. Luft-
atmung, Blutentnahme II:
DOREEN ee 0,15 g II. 0,0050
Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels für Ammoniak. 7
b) hoch (dicht unterhalb des Larynx).
Verbrauchtes
Vers.| Tier- . NH, im In- |°%o NH; im
Nr. | gewicht artider) Vergiftung spirations- Blut
ventil
9. 1130 Doppelseitige Vagotomie; In-
spirationsventil enthält 10 ccm
7% NH;3; zwei hintereinander
geschaltete Exspirationsven-
tile mit im ganzen lOcem Yın
H,S0,.. 6 Min. Ammoniak-
atmung, 1 Min. Luftatmung,
Blutentnahme: 19 ccm. ... . 0,0969 & 0,00357
Durch Entbluten getötet; | Im Exspirat.-
Trachea mit mässig starken | Ventil wieder-
Blutungen, Lungenormal,5,3g. gefunden:
6. | 1020 Inspirationsventil: 8cem 5,56 °/o 0,0697 &
NH, 10 Min. Ammoniak-
atmung, 1 Min. Luftatmung,
Blutentnahme: 21 ccm. .. . 0,102 & 0,0042
Durch Entbluten ° getötet;
Schaum in der Trachea, Haupt-
und Nebenbronchien stark ver-
ätzt, Lunge normal.
Ü 1460 Inspirationsventil: 10 cem 7°/o
NH,.6Min. Ammoniakatmung,
1 Min. Luftatmung, Blutent-
nahme 20lcemu er a: 0,1114 & 0,00306
Entblutet; mässige Verätzung | Im Exspirat.-
von Trachea und Bronchien, | Ventil wieder-
etwas Schaum darin, Lunge gefunden:
normal, 8,8 g. 0,0714 g
8. 1320 Wie Vers. 7. 6a Minuten
Ammoniakatmung, 1 Min.
Luftatmung, Blutentnahme:
lS,s9Lecemy rg. ae. 0,1496 & 0,0054
Trachea stark verätzt, Lunge | Im Exspirat.-
14,38 @. Ventil wieder-
gefunden:
0,102 &
2. Gleichzeitige Blutentnahme während der Ammoniakatmung bei
tiefsitzender Trachealkanüle.
g 1200 | Wie Vers. 7. Nach 2'/a Min. c
bei fortgesetzter Ammoniak-
atmung Blutentnahme I: I. 0,00446
17 ccm (Dauer 30 Sek.), weiter
Ammoniakatmung bis im gan-
zen 6 Min.; 1 Min. Luftatmung,
Blutentnahme II: 16 cem . . 0,1003 & II. 0,00474
Entblutet; Kanüle !/z cm über | Im Exspirat.-
der Bifurkation, geringe Ver- | Ventil wieder-
ätzung der Bronchien, Lunge gefunden:
normal, 7,9 g. 0,0672 g
10. | Kan. 33 | Versuchsbedingungen wie oben.
Nach 6Min. Ammoniakatmung,
die fortgesetzt wird, Blutent-
nahme I: 20 ccm (Dauer30Sek.), I. 0,00344
(0 6)
Werner Lipschitz:
Vers.
Nr.
Tier-
gewicht
Art der Vergiftung
Verbrauchtes | 0, Ammo-
NA; im Ex- niak im
spırations- Blut
ventil u
11.
12.
18.
2140 8
nach im ganzen 9 Min. 1 Min.
Luftatmung, Blutentnahme II:
IOLINCCTÄRE N N
Entblutet; Kanüle "/’a em über
der Bifurkation, minimale
Atzung der unteren Trachea u.
Bronchien, Lunge normal, 6,3 8.
Wie oben. Keine Exspirations-
ventile, Atmung in eine Ma-
riotte'sche Flasche, die als
Spirometer dient. Inspirations-
ventil: 20 ccm 7°%o NH,, das
im Wasserbad von 32° sich
befindet. Nach 3 Min. Ammo-
niakatmung, die fortgesetzt
wird, allmähliche Entnahme I
von ca. 50 ccm Blut, von denen
die letzten 25 ccm in Natrium-
oxalatlösung aufgefangen wer-
den (Dauer ca. 3 Min.). Nach
im ganzen 8 Min. Luftatmung
von 1 Min., Blutentnahme II:
larcem: Sl ee
Entblutet; Kanüle Ya em über
der Bifurkation, mässige Ver-
ätzung der Trachea, Lunge
mit einigen alten hyperämi-
schen Flecken, sonst normal.
Kan. 76| Wie oben. Inspirationsventil:
20 ccm 8,5 Yo Ammoniak. Wäh-
rend der vierten Minute der
Ammoniakatmung Blutent-
nahme I (Dauer 20 Sek.):
215 com. Nach im ganzen
6 Min. Luftatmung von 1 Min.,
Blutentnahme Il: 20,5 ccm,
weiter Ammoniakatmung, die
nach 1 Min. zum Atemstill-
stand führt, sofort Blutent-
rahmer Ill: 19 cem.r......
0,1428 & II. 0,00344
Im Exspirat.-
Ventil wieder-
gefunden:
0,1025 &
1. 0,003774
0,2762 & | II. 0,00629
I. 0,00399
II. 0,00544
0,2057 8 III. 0,00986
3. Vergiftung bis zum Eintritt schwerer Krämpfe.
1705 &
Trachealkanüle bis fast an die
Bifurkation, doppelseitige Va-
gotomie. Inspirationsventil mit
20 com 25° NH;,. Ammoniak-
atmung während 40 Sekun-
den (300 ccm Atemvolumen),
schwere Krämpfe, sofort Blut-
entnahme: 18 ccm, unmittelbar
darauf Exitus. Sektion: leicht
blutiger Schaum in d. Trachea,
Lungen leicht gebläht mit
etwas Randemphysem und
ÖOdem, beide Unterlappen mit
hämorrhagischen Flecken.
ca. 0,85 & 0,0498
Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels für Ammoniak. 9
III. Versuche mit Ätkylamin.
1) Ein Kaninchen von 1140 g erhält 3 ccm 15 %ige wässerige Äthyl-
aminchlorhydratlösung in die Ohrvene. Starke Atembeschleunigung, die
nach 20—30 Minuten zurückgeht, Entleerung von dünnem Kot, sonst
keine Erscheinungen.
2) Ein Kaninchen von 990 g erhält 5 cem obiger Lösung intravenös:
sehr starke Atembeschleunigung, Entleerung von dünnem Kot, sonst
keine Erscheinungen.
3) Ein Kaninchen von ca. 1500 g erhält 8 ccm obiger Lösung intravenös.
3 Minuten später Krämpfe, schnelle Entblutung aus den Karotiden, Amin-
bestimmung in 5l cem Blut: 0,121 %.
4) Kaninchen von 1900 g mit Trachealkanüle nahe der Bifurkation
und durchschnittenen Vagi, atmet aus einem Inspirationsventil, das
20 cem 5 %ige Äthylaminlösung enthält und auf 40—45° C. gehalten wird.
Nach 15 Minuten allmähliche Blutdrucksenkung und Dyspnoe. Luft-
atmung von 1—2 Minuten, dann Exitus. Sofort Entnahme von 30 cem
Leichenblut. Sektion: Schaum in Trachea und Bronchien. Das freie
Tracheastück von ca. 1 cm Länge tiefrot, beginnendes Lungenödem,
Lungengewicht 13,7 g. Verbrauchtes Amin 0,40 g. Amingehalt des Blutes:
0,012 %.
5) Gleiche Versuchsanordnung. 141, Minuten Atmung aus Ventil mit
20 ccm 5%iger Aminlösung im Wasserbad von 37°C. Nach Luftatmung
von 1 Minute Blutentnahme: 38 ccm. — Nach weiteren 10 Minuten er-
stickt das Tier unter Herausfliessen von schaumiger Flüssigkeit aus der
Trachea. — Kanüle sitzt-2 cm über der Bifurkation. Dieses Stück der
Trachea blutunterlaufen, Lungengewicht 10,5 g.
Verbrauchtes Amin 0,289 g&. Amin im Blut 0,0056 %.
6) Gleiche Versuchsanordnung. Ventil mit 15 ccm 3%iger Amin-
lösung im Wasserbad von 40° C., 9 Minuten Aminatmung, 1, Minute Luft-
atmung, Blutentnahme: 34,5 cem. Verbrauchtes Amin 0,0074 g, Amin
im Blut 0,002 %.
Während also die Ammoniakbestimmung im Normalblut einen mit
den Befunden von Magnus übereinstimmenden Wert zeigt, scheinen
die Versuche Nr. 1—8 die schon oben geäusserte Vermutung zu
bestätigen, dass die für einen Einfluss des verätzbaren Trachea-
abschnittes auf die Blutanalyse sprechenden experimentellen Unter-
lagen von Magnus nicht ausreichend waren; — im Gegenteil sind
nach obigen Versuchen die Ammoniakwerte des Blutes weitgehend
unabhängig vom Sitz der Trachealkanüle und scheinen eher mit der
aus dem Inspirationsventil verschwundenen Ammoniakmenge sich
gleichsinnig zu verändern, wenngleich man auch von dieser Rechnung
nicht allzu Sicheres erwarten darf und einige Unregelmässigkeiten
sich auch in den angeführten Versuchen zeigen. Die Bestimmungen
der mit den Ausatmungsstössen verloren gehenden Ammoniakmengen
geben einen deutlichen Hinweis einerseits auf die Unsicherheit solcher
Berechnungen, andererseits aber darauf, wie erheblich die im Blut
gefundenen Werte erscheinen, wenn man sie zu den diesseits der Lunge
festgestellten Werten in Beziehung bringt. Steigst man mit der
10 Werner Lipschitz: Zur Frage der Permeabilität des Lungenepithels.
Ammoniakdosis sehr hoch, so erhält man, wie Versuch 13 zeigt,
auch sehr hohe Blutwerte, — wenn auch für diese Fälle der Einwand
nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Höhe der Ammoniak werte
im Blut dabei zum Teil auf Rechnung der verätzten, also geschädigten
Gewebspartieen zu setzen ist.
Wählt man, um einen ungefähren Anhalt für die Relation zu haben,
als Durchschnittswert des gefundenen Blutammoniaks 0,004 und sub-
trahiert von der verbrauchten Gesamtmenge Ammoniak den im ent-
sprechenden Exspirationsventil wiedergefundenen Betrag, so kommt
man — ebenfalls approximativ — zu einem im Respirationstraktus
verschwundenen Wert von 0,04, also dem Zehnfachen des Blut-
wertes, während das Gesamtgewicht von Kaninchen etwa das Drei-
zehnfache des Blutgewichtes beträgt.
Was den Einfluss gleichzeitiger Bilutentziehung und Ammoniak-
atmung auf den Blutgehalt betrifft, so zeigen die Versuche folgendes:
In zwei Fällen (Versuch 9 und 10) sind die frühzeitig während der
Ammoniakatmung entnommenen Blutproben reicher an Ammoniak
als zum Beispiel in dem Parallelversuch Nr. 4, bei dem nach Unter-
brechung der Ammoniakatmung Blut entnommen wurde; in beiden
Fällen enthalten sie auch schon gerade oder fast so viel Ammoniak
wie die nach doppelt so langer Atmung im Intervall von den gleichen
Tieren entnommenen Blutproben, — aber dass die Bedeutung dieser
Erscheinung nicht allzu gross ist, beweisen die Versuche 11 und 12,
in denen die während der Ammoniakatmung entnommenen Blut-
mengen keine abnorm hohen oder den späteren Blutanalysen nicht
entsprechenden Werte zeigen.
Zusammenfassend lassen sich die Resultate der Versuche folgender-
massen formulieren: Die unter allen Kautelen (tiefer Sitz der Tracheal-
kanüle, Vermeidung von Blutentnahme während der Ammoriakatmung)
in die Lunge gebrachten Ammoniak- oder Äthylaminmengen gehen
zu einem nicht unerheblichen Teil in die Blutbahn über, in der um
so höhere Werte gefunden werden, je länger und in je höherer Kon-
zentration das Gas geatmet wird. Die Beweisführung durch Magnus’
Versuche mit Einspritzung von Ammoniak in die Blutbahn erscheint
durch die Einwände von Bohr und die Versuche von Herzfeld und
Klinger entkräftet.
Die Annahme von der ‚‚rätselhaften Fähigkeit des Lungenepithels,
einen sonst die lebenden Zellen so leicht durchdringenden Stoff wie
das Ammoniak vom Durchtritt auszuschliessen, während dasselbe
Epithel andere Gase mit Leichtigkeit passieren lässt,‘ (Höber) scheint
damit ad absurdum geführt.
Zum Assimilationsproblem.
Von
Dr. Gertrud Woker.
(Mitteilung aus dem Laboratorium für physikalisch-chemische Biologie
der Universität Bern.)
(Eingegangen am 14. März 1919.)
Die Isomerisierung des Kohlensäuremoleküls.
Die Kohlensäure gehört zu den chemisch trägsten Verbindungen.
Sie wird daher in gewöhnlicher Form nur sehr geringe Tendenz zeigen,
von Reduktionsmitteln angegriffen zu werden !). Der Beschäftigung
mit diesem Reduktionsproblem muss daher die Frage vorangestellt
werden: Ist es möglich, die Kohlensäure und ihre Derivate in ihrer
molekularen Struktur so zu verändern, dass sie chemischen Eingriffen,
insbesondere Reduktionen, zugänglich wird ? In Betracht kämen hier-
für das Kohlensäureanhydrid CO,, die Metakohlensäure und deren
saure und normale Salze, soweit sich dieselben bei Gegenwart von
basischen Absorbentien im pflanzlichen Organismus aus der freien
Kohlensäure zu bilden vermögen. Eine Isomerisierung ist nun in
der Tat bei allen diesen Verbindungen möglich. Für das Kohlensäure-
1) Siehe über die Reduktion der Kohlensäure zu Ameisensäure zum
Beispiel Maly, Liebig’s Ann. Bd. 135 S. 119. 1865; Ber. Bd. 17 8. 7.
1884; Meyer-Jacobson, I, 512, 3; Berthelot, Essai de mecanique
ehim. rt. 2 p. 319, 18795 Compt. rend. t. 126” p. 610. 18985, t..131
p- 172. 1900; Lieben, Monatshefte f. Chem. Bd. 16 S. 211. 1895; Bd. 18
S. 582. 1897: Losanitsch und Jovitschitsch, Ber. d. chem. Ges. Bd. 30
S. 135. 1897. — Siehe über die Reduktion der Kohlensäure zu Form-
aldehyd Bach, Compt. rend. t. 116 p. 1145 und 1389.. 1893; Fenton,
Journ. chem. soc. vol. 91 p. 687. 1907; Berthelot und Gaudechon,
Compt. rend. t. 150 p. 1692. 1910; Stoklasa und Zdobnicky, Bio-
chem. Zeitschr. Bd. 30 S. 4331. 1911; Bd. 41 S. 333. 1912. Siehe dem-
gegenüber Spoehr, ebenda Bd. 57 S. 110. 1913; Coehn und Sieper,
Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 91 S. 347. 1916. Siehe demgegenüber
jedoch Bach, Ber. d. chem. Ges. Bd. 39 S. 1672. 1906; Euler, ebenda
Bd. 37 S. 3411. 1904; Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 59 S. 124. 1909,
und Meldola, Journ. chem. soc. vol. 89 p. 749. 1906; Bach, Compt.
rend. t. 126 p. 476. 1898; W. Löb, Landwirtsch. Jahrb. Bd. 35 S. 541.
1906; Zeitschr. f. Elektrochem. Bd. 12 S. 282. 1906; Gibson, Annals of
Bot. vol. 22 p. 118. 1908; Usher und Pristley, Proc. Roy. Soc. vol. 84B
p- 102. 1912; Stoklasa, Sebor und Zdobnicky, Compt. rend. t. 156
p- 646. 1913.
12 Gertrud Woker:
anhydrid kann nur ein Isomeres von Peroxyd- bzw. Peroxydatstruktur
in Frage kommen, bei welchem die Sauerstoffatome (statt mit ihren
beiden Valenzen mit dem Kohlenstoffatom verbunden zu sein wie
„DO
beim ex ) mit einer Valenz untereinander, mit der zweiten mit dem
0)
Oo
Kohlenstoffatom verbunden sind, entsprechend der Formel
Die spezifische, zur Sauerstoffabspaltung besonders geeignete Per-
oxydbindung ebenso wie der ungesättigte Charakter der Ver-
bindung, in der der Kohlenstoff zweiwertig wie beim Kohlenoxyd
fungiert, würde einen derartig gebauten Stoff zur Reduktion, sei es
durch Sauerstoffabspaltung, sei es durch Addition von Wasserstoff
in hervorragender Weise befähigen. Durch Wasseraddition könnte
das „Peroxydat‘“ in das „sekundäre Peroxyd‘‘ im Sinne Engler’s
übergeführt werden unter Sprensung der Bindung zwischen den Sauer-
stoffatomen und Addition der Elemente des Wassers H und OH an
die freien Valenzen. Das Resultat dieser Addition wäre dann eine
0O—OH
“OH
Produkt isomere, im Gegensatz zu demselben gesättigte Persäure
wäre die Perameisensäure, welche Willstätter und Stoll!) als labiles
Umlagerungsprodukt der Kohlensäure, das sich bei der Bindung an
Chlorophyll bilden würde, ins Auge gefasst haben. Doch besteht ein
Widerspruch zwischen diesen beiden Auffassungen nicht. Denn von
der Perameisensäure ist ein anderer Zerfall als der von d’Ans ?) be-
schriebene in Kohlensäure und. Wasser nicht bekannt. Daher haben
Willstätter und Stoll?) eine Strukturänderung des mit dem
Chlorophyll verbundenen Umlagerungsproduktes vermutet, eine Auf-
fassung, die geradezu zu dem vorhin erwähnten ungesättigten Peroxyd
0—-OH
zurückführt. Ausserdem haben Willstätter und Stoll
Verbindung von folgender Struktur: CX eine mit diesem
Rz
N
OH
als zum Zerfall geeignetes Isomeres der Kohlensäure an eine von ihnen
H\ ®
als „Formaldehyd-Peroxyd‘‘ bezeichnete Verbindung 2 os‘ ge-
HO (0)
dacht, die sich von dem vorhin genannten ungesättisten Peroxydat
1) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad. Nr. 20 S. 346.
1915; Bd. 48 S. 1540. 1915.
2) d’Ans, Ba. 45 S. 1845. 1912; Bd. 48 S. 1136. 1915.
3) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad., math.-physik.
Klasse. Nr. 20 S. 346. 1915; Bd. 48 S. 1540. 1915.
Zum Assimilationsproblem. 13
0)
° ' durch Addition der Elemente des Wassers an das Kohlenstoff-
K0)
atom selbst auszeichnet. Für die Metakohlensäure und ihre Salze
besteht ausser der Peroxydform — die sich decken würde mit dem
soeben besprochenen Peroxyd, welches sich aus dem Kohlensäure-
0)
peroxydat cc ' durch Addition der Elemente des Wassers bildet —
noch eine zweite Möglichkeit der Isomerisierung, die im Prinzip der
Existenz der schwefligen Säure in zwei isomeren Formen an die Seite
zu stellen wäre. Der symmetrischen und unsymmetrischen Form der
sym. unsym.
OH x ‚„H
H,S0,:0 = S IS würde für die formell gleichartige
-0E 6 ‚oH ; ;
OH O. H
H,CO, entsprechen: O = & x
‘OH .,0% ‘oH
Konstitutiv ist also für die Kohlensäure und alle ihre in Betracht
fallenden Derivate mehr als eine Möglichkeit der Isomerisierung ge-
geben. Es fragt sich nun aber vor allem, ob auch experimentelle
Anhaltspunkte hierfür bzw. für die mit der Isomerisierung einher-
gehende leichtere Angreifbarkeit gegeben sind. Auch hier empfiehlt
es sich, anzuknüpfen an Beobachtungen bei der schwefligen. Säure,
von der ja ausser der symmetrischen und der unsymmetrischen eben-
falls eine Peroxydform angenommen werden kann. Hier hat in der
Tat Raschig!) gefunden, dass es bei der Neutralisation des Bisulfits
mit Natronlauge und umgekehrt bei der Überführung des normalen
Sulfits in das Bisulfit durch Säurezusatz zu einem besonders starken
oxydativen Angriff der schwefligsauren Salze kommt. Dies dürfte
so zu erklären sein, dass zwar beide Endprodukte der stabileren Form
entsprechen, dass aber das Molekül während des Neutralisations-
prozesses des Bisulfits und der entsprechenden Gegenreaktion eine
unbeständige Intermediärform passiert. Unabhängig von jeder Theorie
über deren molekulare Beschaffenheit soll diese labile Zwischenform
im Sinne Skrabals ?) als Bisulfit im Entstehungs- oder ‚‚Verschwin-
dungszustand‘“ bezeichnet werden. Für die Kohlensäure sind zwar
einschlägige Untersuchungen nicht angestellt worden; aber es finden
sich mehrere Literaturangaben °), aus denen eine ungleiche Angreif-
il) Raschig, Zeitschr.f. angew. Chem. Bd. 16 S. 580, 1407. 1904; Bd. 19
S. 9. 1906.
2) Skrabal, zum Beispiel die induzierten Reaktionen, ihre Geschichte
und Theorie. Stuttgart 1908.
‚3) Lieben, Monatsheftef. Chemie Bd.16$.211.1895; Bd. 18S. 582. 1897.
14 Gertrud Woker:
barkeit der Kohlensäure und ihrer Derivate hervorgeht, und zwar
wird mit Übereinstimmung das Bikarbonat als diejenige Verbindungs-
form genannt, die die grösste Reduzierbarkeit besitzt. Das normale
Karbonat wird nur spurenweise angegriffen, und die freie Kohlen-
säure konnte einzig vom Natriumamalgam reduziert werden. Coehn
und Jahn!) haben hieraus den Schluss gezogen, dass weder das un-
dissoziierte Molekül noch das CO’,-Ion reduzierbar sei, sondern- nur
das HCO’,-ion. Wäre dies der Fall, so müsste im Gegensatz zu dem
vorhin besprochenen Verhalten der Sulfite das Bikarbonat als solches
stärker angreifbar sein, als wenn es sich im Zustand der Umwandlung
in Karbonat befindet und die Konzentration der vermuteten reaktions-
fähigen HCO’,-Ionen sinkt. Das umgekehrte — also den Sulfiten
entsprechende — Verhalten war dagegen zu erwarten, wenn das Bi-
karbonat seine grössere Aktivität einer teilweisen Existenz in einer
labilen isomeren Form verdankte. Dann musste im Zustand des Ent-
stehens oder Verschwindens die Menge des labilen Produktes und
damit der durch einen Reduktor angreifbare Anteil eine Zunahme
erfahren, denn es ist ausgeschlossen, dass in einem selbständig existenz-
fähigen Salz, wie dem ‚Bikarbonat und seinen Lösungen, mehr als
nur ein geringer Teil in labiler Form vorhanden sei, hat doch die
Existenzfähigkeit eine gewisse molekulare Stabilität zur Voraussetzung.
Die ersten orientierenden Vorversuche, welche ich zur experimen-
tellen Prüfung dieser Frage anstellte, sprechen zugunsten der An-
nahme, dass die Verhältnisse bei den Karbonaten ähnlich sind wie
bei den Sulfiten, — dass also Bikarbonat im Entstehungs- oder Ver-
schwindungszustand sowie auch Karbonat unter den nämlichen Be-
dingungen reaktionsfähiger sind als die beiden fertig vorliegenden Salze.
Während das Kalium- oder Natriumbikarbonat wie das Kalium-
oder Natriumkarbonat als vorgebildete Salze bei der Einwirkung von
Methylalkohol — den ich aus verschiedenen, im folgenden Kapitel
erörterten Gründen als Reduktor verwendete — im Sonnenlicht keine
nennenswerte Farbenänderung erkennen lässt und nach dem Ver-
dunsten des Methylalkohols Fehling’sche Lösung nicht reduziert, ist
das Bild ein anderes, wenn man Kalium- oder Natriumbikarbonat
gemischt mit Natrium- oder Kaliumkarbonat auf den Methylalkohol
im Sonnenlicht einwirken lässt oder Alkalibikarbonat mit wenig
Natronlauge bzw. Alkalikarbonat mit wenig Säure versetzt, derselben
lichtchemischen Reduktion unterwirft. Bei sehr intensiver Bestrahlung
konnte bei solehen Versuchen oft schon nach wenigen Minuten eine,
wenn auch schwache gelbbräunliche Verfärbung wahrgenommen
werden, die sich bei längerer Einwirkung noch etwas vertiefte. War
1) Coehn und Jahn, Ber. d. chem. Ges. Bd. 37 S. 2836. 1904.
Zum Assimilationsproblem. 15
diese Farbenänderung durch Zucker bedingt, so musste Fehling’sche
Lösung reduziert werden. Dies war bei den erwähnten Salzgemischen
in höherem Grade der Fall als bei den Komponenten und der Methyl-
alkoholkontrolle. Doch gelang mir die nachträglich angestellte Moore -
Heller’sche Reaktion mit Sicherheit in keinem Fall, und auch die
Karamelprobe bei Zusatz von konzentrierter Schwefelsäure verlief
negativ. Erwiesen scheint mir daher nur die leichtere Angreifbarkeit
von Salzen der Kohlensäure, die in einem Zustand der Umwandlung
begriffen sind, wobei ein starker Reduktor wie der Methylalkohol
zur Bildung einer reduzierenden Substanz aus den Karbonaten zu
führen vermag. Leider musste ich aus Mangel an Methylalkohol die
entsprechenden quantitativen Versuche und die den natürlichen Be-
dingungen am besten angepasste Einwirkung von freier Kohlensäure
auf Alkalikarbonat bei Gegenwart von Methylalkohol auf bessere
Zeiten verschieben.
Wenn schon unter so ungünstigen Umständen, wie bei diesen Ver-
suchen, eine allerdings rasch zum Stillstand kommende Reaktion ein-
setzt, so dürfte immerhin anzunehmen sein, dass bei passender Koppe-
lung mit einer anderen Reaktion, insbesondere der später besprochenen
Nitratreduktion und unter günstigen Kondensationsverhältnissen, die
hemmenden Endprodukte verbraucht und ein rascher Reduktions-
verlauf erzielt werden kann. Auch käme es unter natürlichen Be-
dingungen wohl kaum zu einer Zerstörung des gebildeten Zuckers
oder anderer reduzierender Stoffe, wie bei den Reagensglasversuchen,
wo die bräunliche Verfärbung auf eine solche Nebenreaktion hindeutet.
Wenn es nun auch nach den erwähnten Vorversuchen wahrscheinlich
ist, dass nicht der Ionisationszustand mit der Reduktionsfähigkeit
zusammenhängt, sondern die spezifische Konstitution des Kohlensäure-
restes, so ist damit noch nicht entschieden, welcher von den hierfür
ins Auge gefassten Möglichkeiten der Vorzug gegeben werden soll.
Da jedoch die Peroxydform. die grössten Vorteile für eine stattfindende
Reduktion auf sich vereinigt, so ist im folgenden nur mit diesem
Kohlensäureisomeren gerechnet worden. Offen bleibt vorläufig auch
die Frage, wie sich die Isomerisation vollzieht. Willstätter und
Stoll!) haben, wie schon erwähnt, angenommen, dass eine Bindung
der Kohlensäure an Chlorophyll hierfür verantwortlich zu machen
sei, und der von diesen Forschern geführte experimentelle Nachweis,
dass das kolloidale Chlorophyll in der Tat Kohlensäure zu binden ?)
vermag, ist eine Stütze dieser im Kapitel über die Chlorophyllfunktionen
noch einmal Werührten Auffassung. Aber auch meine, im vorigen er-
1) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad. Bd. 20 8. 345.
1915.
2) Dieselben, ebenda $. 338.
16 Gertrud W oker:
wähnten Versuche über die Labilisierung des Kohlensäuremoleküls sind
den natürlichen Bedingungen angepasst; denn das im pflanzlichen
Organismus weit verbreitete Kaliumkarbonat hat nach Stoklasa!)
die Aufgabe der Kohlensäureabsorption zu erfüllen, entsprechend der
Gleichung: K,CO, + H,CO, = 2 KHCO,. Das wäre aber nichts anderes
als der eine der beiden einander entgegengerichteten Vorgänge, die
wie beim Prozess der Bisulfitneutralisation und der Überführung des
normalen Sulfits in Bisulfit auch bei den Karbonaten vorübergehend
eine labile leichter angreifbare Form entstehen lassen. Im übrigen
ist auch die Karbonatbildung aus dem Bikarbonat von Grafe ?) be-
rücksichtigt worden. Die Vorstellung, dass die Isomerisierung durch
die Bindung an Chlorophyll erfolge, und diejenige, dass die zur Ab-
sorption notwendige ?) Karbonat-Bikarbonatreaktion die Veranlassung
der Umlagerung sei, brauchen auch hier nicht Gegensätze zu sein,
könnte doch die Bindung an Chlorophyll zu den Reaktionen gehören,
die wie die Reduktion erst durch die vorangegangene Isomerisierung
durchführbar werden. Das Peroxyd würde also dem Chlorophyll schon
vorgebildet als KHCO, im Entstehungs- oder „Verschwindungszustand‘“
geboten. Aber wie dem auch sei, den Kernpunkt bildet in jedem Fall
die Vorstellung der Isomerisierung des stabilen Kohlensäuremoleküls
zu einem labilen, wahrscheinlich peroxydischen Produkt, das zu der
im folgenden besprochenen Reduktion geeignet ist.
Die Reduktion der Kohlensäure.
Die Frage nach der Herkunft des Mehrgehalts an Wasserstoff,
durch welchen sich sämtliche Kohlehydrate vor der Kohlensäure oder
ihren Derivaten auszeichnen, hat Chemie und Botanik vom ersten
Beginn der Forschung über das Assimilatioasproblem bis zum heutigen
Tage beschäftigt. Die Mehrzahl der älteren wie der neueren Forscher,
so Liebig ®), Boussingault°), Berthelot®), Erlenmeyer”), Ballo®),
1) Stoklasa und Zdobnicky, Biochem. Zeitschr. Bd. 30 S. 434
451. 1911.
2) Grafe, ebenda 1911 S. 117.
3) Auch Willstätter und Stoll (l. e.) trennen die Kohlensäure-
bindung an Chlorophyll von der Absorptionsreaktion und nehmen ein
besonderes Absorbens im Blatt an (zum Beispiel Aminosäuren oder Ei-
weiss).
4) Liebig, Die Chemie. 1862 S. 50, sowie Ann. d. Chem. u. Pharm.
Bd. 46 S. 58. 1843.
5) Boussingault, Agronomie Bd. 4 S. 301, 399. 1868.
6) Berthelot, Lecons sur les methodes generales de synthese er
chimie organique. Paris 1864. p. 180/181.
7) Erlenmeyer, Ber. 10 S. 634. 1877.
8) Ballo, Ber. 17 S. 6. 1884.
Zum Assimilationsproblem. 187,
Brunner und Chuard!), Löb?) und Schroeder?°), vertreten die
Auffassung, dass dieser Wasserstoif unmittelbar dem Wasser ent-
stamme. Nur wenige, wie Stoklasa ?) und Pollacei°) und in ge-
wissem Sinne auch Baudisch, führen den disponibeln Wasserstoff
auf eine organische Quelle zurück. Schliesst man sich der letzteren
Ansicht an, so muss man sich zugleich bewusst sein, dass damit das
Reduktionsproblem der Kohlensäure nicht gelöst, sondern nur hinaus-
geschoben ist; denn jede wasserstoffreichere Verbindung, die durch
Abgabe von Wasserstoff oder durch Addition an Kohlensäure oder
eines ihrer Derivate (von gleichem Sauerstoffgehalt) zu der Entstehung
eines Produktes von höherem Wasserstoffgehalt die Veranlassung ist,
muss früher oder später in der Pflanze selbst entstanden sein, und
für eine solche Verbindung besteht dann also dieselbe Frage nach
der Herkunft ihres Wasserstoffes wie für die Kohlensäure selbst. Ganz
besonders auffallend ist dies bei der Vorstellung von Stoklasa, dass
der zur CO,-Reduktion verwendete Wasserstoff dem enzymatischen
Glukoseabbau entstamme ®). Denn hier würde sich also der zum
Kohlehydrataufbau erforderliche Wasserstoff auf dasselbe Produkt
oder wenigstens auf ein derselben Gruppe angehöriges zurückführen
lassen, ganz abgesehen von der Schwieriskeit, dass der enzymatische
Glukoseabbau doch nur einen kleinen Teil des erforderlichen Wasser-
stoffs zu liefern vermöchte. Man wird daher des Wassers als der pri-
mären Wasserstoffquelle in keinem Fall entraten können, wobei aber
nicht die Bedeutung zuvor gebildeter organischer Verbindungen als
Reduktoren im Assimilationsprozess in Abrede gestellt werden soll.
"Die Erörterung dieser Art der Kohlensäurereduktion hat daher hier
ebenfalls ihren Platz gefunden. Was zunächst die unmittelbare Re-
duktion der Kohlensäure durch den Wasserstoff des Wassers selbst
betrifft, so ist eine erste Möglichkeit in dem Umstand gegeben, dass
in einer wässerigen Lösung von Kohlensäure zwei Molekülarten dieser
Verbindung vorhanden sind, und zwar zu 0,67%, das Kohlensäure-
hydrat H,CO,, zu 99,33% das Kohlensäureanhydrid CO,. Nach den
Vorstellungen von Clausius, Williamson und Pfaundler °) würde
1) Brunner und Chuard, Ber. 19 S. 613. 1886.
2) W. Löb, Landwirtsch. Jahrb. Bd. 35 S. 569ff. 1906; Zeitschr. £f.
Elektrochem. Bd. 12 S.:282. 1906.
3) Schroeder, Die Hypothesen über die chemischen Vorgänge bei
der Kohlensäureassimilation und ihre Grundlagen. S. 14. Jena 1917.
4) Siehe Stoklasa und Zdobnicky, Biochem. Zeitschr. Bd. 30
S. 435, 436. 1911.
5) Pollacei, Atti dell istituto della Univ. di Pavia (II) Bd. 7 p. 101.
1901; Bd. 8 p. 1. 1902; Bd. 10 p: 9. 1904.
6) Stoklasa und Zdobnicky (l. c.), vorletzte Fussnote.
7) Pfaundler, Pogg. Ann. Bd. 131 S. 30. 1867; Journ. f. prakt.
ChemzıN. BE. Bd. 100943 zels7
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 2
18 Gertrud Woker:
anzunehmen sein, dass in der betreffenden Lösung beständig die beiden
Gegenreaktionen: Bildung des Hydrats aus dem Anhydrid und Wieder-
zerfall nebeneinander von statten gehen. Bei der Wasseraddition an
das Anhydrid käme es nun aber zu einer Trennung der H- und OH-
Gruppen des Wassers, die an verschiedenen Stellen des CO,-Moleküls
inseriert werden, und bei ihrer Wiederabspaltung aus den hydrati-
sierten Molekülen würden sie für einen Moment frei nebeneinander
vorhanden sein. Treffen nun in diesem kurzen Zeitintervall, das zwischen
der Abspaltung der H- und OH-Gruppen und ihrer Wiedervereinigung
zu Wasser liegst, CO,-Moieküle mit den Spaltprodukten des Wassers
zusammen, so ist der Fall denkbar, dass dieselben getrennt in ver-
schiedene CO,-Moieküle eingehen. Neben der Hydratationsreaktion,
in der H und OH gemeinsam vom Kohlensäureanhydrid aufgenommen
werden, entsprechend der Gleichung:
Metakohlensäure , Orthokohlensäure
CO, + H-OH =H;C0, bzw. CO, +2(H-OH) = H,CO,
könnten ferner die folgenden Reaktionen vor sich gehen:
8) OH
L A
x +4H'=BH;C Methylenglykol (Formaldehydhydrat)
oO OH
18) 00H 1) OH 10) OH
L AN N 7 IN
26 +40H=2C resp. 6 oder C
N DN f IN IE DR
18) OO OÖ OH 0 OH
(H;CO, = Überkohlensäure)
Der entwickelte Sauerstoff würde beim Zerfall der Überkohlen-
säure gebildet.
Das resultierende Gesamtreaktionsbild wäre dasjenige einer Oxydo-
reduktion, bei der ein Teil der Kohlensäuremoleküle zu Formaldehyd
bzw. seinem Hydrat — dem Methylenglykol — reduziert, ein anderer.
Teil dagegen zu Überkohlensäure oxydiert würde. In der Tat ist von
Bach!) ein zu Überkohlensäure und Formaldehyd führendes Re-
aktionsschema entworfen worden.
Während der erwähnte Mechanismus an den Kohlensäuremolekülen
selber anknüpft, würden andere Formen der Reduktion erst nach
stattgefundener Umlagerung am Peroxyd einsetzen. Akzeptiert man
die Hiffsvorstellung der Isomerisierung, deren Entwicklung und Be-
gründung der vorhergehende Abschnitt gewidmet war, so ergibt sich
für die Reduktions- und Kondensationsphase ein Bild von frappierender
1) Bach, Compt. rend. t. 116 p. 1145. 1893; Moniteur scientifique
(4) 7, II S. 669. 1893.
Zum Assimilationsproblem. 19
„0-OH
Einfachheit. Angenommen, es liege das sekundäre Peroxyd x
20H
vor, so wird dasselbe seiner ganzen Natur nach zur Sauerstoffabspaltung
für sich allein oder durch Wechselwirkung mit anderen Peroxydmole-
külen neigen, und es bleibt dann die ungesättigte und daher von vorn-
|
herein zur Kondensation prädisponierte Gruppe H—C—OH übrig,
aus welcher sich je nach den Bedingungen primär verschiedene Konden-
sationsprodukte zu bilden vermögen, worüber im Kapitel über die
Kondensationsphase berichtet ist. Indem man so auf Bildung und
sofortige Weiterverarbeitung des ungesättigten mit dem Formaldehyd
H-CH = O tautomeren Radikals HO—CH abstellt, umgeht man,
ohne auf ihre Vorteile zu verzichten, eine Reihe von Schwierigkeiten,
die der schönen Formaldehydhypothese v. Baeyer’s!) anhaften,
Schwierigkeiten, die begründet sind in dem noch niemals mit Sicher-
heit gelungenen Formaldehydnachweis in der Pflanze, der höchst
zweifelhaften Verwertbarkeit des Formaldehyds durch dieselbe, wenig-
stens für den Kohlehydrataufbau, der grossen Giftigkeit und der mit
den erwähnten Erscheinungen ursächlich zusammenhängenden anders-
artigen Reaktionsfähigkeit des Formaldehyds.
Auch Berthelot °) hat offenbar an eine ähnliche Gruppe gedacht,
und’Löb ?) bezeichnete die Gruppe COH, als Element der Zucker-
bildung. Doch sind die Vorstellungen W. Löb’s im übrigen völlig
anderer Art, da er nicht auf den Zerfall eines labilen Peroxyds, sondern
des Kohlendioxyds CO, selbst in Kohlenoxyd und Sauerstoff abstellt.
Das Kohlenoxyd würde sich dann mit dem Wasser zu CO, und H,
umsetzen, und der so gebildete Wasserstoff würde gemeinsam mit
dem Kohlenoxyd CO eben jenes Element der Zuckerbildung (CO,H,)
repräsentieren. Abgesehen von anderen Einwänden — wie der grossen
Giftiskeit des CO und der mangelnden Verwertbarkeit desselben durch
die Pflanzen auch in Gegenwart von H, — scheint mir die hier in
Frage kommende Reaktion zu gewaltsam, um sich in das feine Getriebe
des physiologischen Reaktionsmechanismus einzufügen.
Die grossen Vorteile der vorhin entwickelten Annahme bestehen
1) v. Baeyer, Ber. Bd. 3 8. 67, 68. 1870; v. Baeyer’s ges. Werke
Bd. 1 S. 495.
2) Berthelot, Lecons sur les methodes generales de synthese en
chimie organique. p.180, 181, 183. Paris 1864. Berthelot und Andre,
Ann. chim. phys. soc. (6) 10 p. 352. 1887.
3) W. Löb, Zeitschr. f. Elektrochem. Bd. 12 S. 28. 1906; N
Jahrb. Bd. 35 S. 541. 1906.
9%
20 Gertrud Woker:
ad
demgegenüber gerade darin, dass sie mit ungemein leicht abspalt-
barem Peroxydsauerstoff rechnet, dass sie für die Reduktion nichts
anderes als diese Sauerstoffabspaltung vorsieht und damit der während
der Assimilationstätigkeit beobachteten Sauerstoffausscheidung durch
die Pflanze gerecht wird, dass sie ohne weiteres neben Sauerstoff eine
Gruppe liefert, welche dieselbe prozentische Zusammensetzung wie die
Hexosen besitzt und unmittelbar zu diesen oder komplizierter zu-
sammengesetzten Kohlehydraten kondensierbar ist. Für die Um-
wandlung kommt also kein anderer Wasserstoff in Betracht, als er
im Molekül des Kohlensäurehydrates und seines peroxydischen Isomeren
schon gegeben ist.
Gegenüber dieser einfachen Vorstellung, die allen Anforderungen
vollkommen genügt, muss alles Weitere als eine unnötige Komplikation
erscheinen. Trotzdem seien hier auch andere Möglichkeiten in Be-
tracht gezogen, namentlich weil sich neue Gesichtspunkte hierdurch
ergeben, und weil der eine oder andere Vorgang wohl als Nebenreaktion
in Betracht fallen dürfte. Zunächst könnte ein kleinerer oder grösserer
Teil des ja in jeder Hinsicht reaktionsfähigen Peroxyds durch freien
Wasserstoff angegriffen werden, da solcher im pflanzlichen Organismus
auftreten kann, und es ist in dieser Hinsicht der Angabe von Stoklasa
und Zdobnicky!) zu gedenken, dass sich in Gegenwart von Alkali
aus Kohlensäure und Wasserstoff im Status nascens Formaldehyd. zu
bilden vermöge ?). Wichtiger als der schon früher erwähnte, durch
enzymatischen Glukoseabbau gebildete Wasserstoff, den Stoklasa
- (l. e.) vorsieht, wäre wohl für den vorliegenden Fall die von Baudisch ?)
in den assimilierenden Pflanzen vermutete Wasserstoffbildung im Ver-
laufe der Nitratverarbeitung; jedenfalls konnte Baudisch bei seinen
lichtehemischen Versuchen in vitro feststellen, dass aus Nitrat und
Nitrit in Gegenwart von Methylalkohol (oder — wenn für Abstumpfung
der Ameisensäure durch Zusatz von Magnesitımkarbonat gesorgt ist —
von Formaldehyd) im Sonnenlicht durch Zerfall der intermediär auf-
tretenden Formhydroxamsäure Kaliumkarbonat und nascierender
Wasserstoff gebildet wird. Die Reaktion würde sich dabei in folgenden
Phasen abspielen:
1. Abspaltung von Sauerstoff aus dem Nitrat- oder Nitritmolekül -
unter Bildung von Nitrosylkalium N—OK.
2. Oxydation des Methylalkohols unter Bildung von Tekmaldehyd.
1) Stoklasa und Zdobnicky, Biochem Zeitschr. Bd. 30 8. 434. 1911.
2) Siehe demgegenüber den negativen Befund von Spoehr, Biochem.
Zeitschr. Bd. 57 8. 110. 1913. :
3) Baudisch, Über N itrat und Nitritassimilation und über eine neue
Hypothese der Bildung von Vorstufen der Eiweisskörper in den Pflanzen,
Habilitationsschrift der Universität Zürich 8. 8. Jena 1912.
- Zum Assimilationsproblem. >}
3. Oxydation eines Teils des H—-CH=O zu Ameisensäure und
Wasserstoff.
4. Addition des Nitrosylkaliums an den übrigen Formaldehyd im
Status nascens unter Bildung von formhydroxamsaurem Kalium,
eine Reaktion welche entsprechend den übrigen
Aldehydadditionsreaktionen!) am einfachsten folgendermaassen
zu formulieren wäre: ;
0 em: ‚OH
N SS oder tautomer H-C
N=0 N—OH
Nitrosomethylalkohol Formhydroxamsäure
OH
bzw. deren Kalisalz H—C
"N--OK
5. Zerfall der gebildeten Formhydroxamsäure in NH, und K,CO;.
Die Koppelung der Kohlensäureassimilation mit der Nitratassimi-
lation würde nun nach Baudisch so zu denken sein, dass der (mittelst
Oxydation eines Teils des Formaldehyds durch das aus dem Kalium-
nitrat abgespaltene O neben Ameisensäure gebildete) Wasserstoff und
das Kaliumkarbonat im Status nascens miteinander reagieren. Doch
lässt sich, wie gesagt, auch ohne den Wasserstoff auskommen, wenn
man auf das früher Gesagte zurückgreift. Würde doch das Kalium-
karbonat während der Absorption der Kohlensäure, die ihm zufällt,
auf dem Wege zum Bikarbonat also, jene Umlagerung zum Peroxyd
erleiden, die es zur Reduktion durch Sauerstoffabspaltung wie zum
reduktiven Angriff durch Wasserstoff befähigt. Der Wasserstoff würde
dann lediglich in sekundären Prozessen verbraucht oder ausgeatmet.
Wenn das Kaliumkarbonat in der Pflanze auf dem Wege über die
- Formhydroxamsäure gebildet wird, wie dies Baudisch annimmt, so
müsste man dazu kommen, die Nitratreduktion als den Primärvorgang
anzusehen, der erst mit der Kaliumkarbonatbildung den Boden für die
CH, „=
1) Baudisch formuliert folgendermaassen: | +KNO,=C
OH ERNOR
OH
+ H3,0 sowie: KNO, Ba KNO+O CH, — OH + O = CH,0:OH Alkohol-
H
|
peroxyd CH, —O — OH = CH,0 + H,0 | CH,0 + KNO = C= NOK.
|
OH
3 Gertrud Woker:
Kohlensäureassimilation vorbereitet. Eine solche Auffassung schliesst
aber die grosse Schwierigkeit in sich, dass dann der Formaldehyd oder
der Methylalkohol als Primärprodukt eingeführt werden müssten, wie
dies in der Tat Baudisch verlangt !), wenn er sagt: „Für die Pflanzen
ist bei dieser Annahme die Anwesenheit von Formaldehyd für die
Inbetriebsetzung der Assimilationsmaschine, d. h. für die Bildung von
nascierendem Wasserstoff notwendig. Wir können in jedem Keimling
die Bildung von Formaldehyd erwarten ““. Demgegenüber muss
auf den bis zur Stunde ausstehenden Formaldehydnachweis in Pflanzen
verwiesen werden. In Pflanzenkeimlingen hat die Verfasserin mit
H. Maggi danach gesucht, weil die Peroxydase- und Diastase-
reaktionen?), welche der Formaldehyd zeigt, den Gedanken aufkommen
liessen, es möchte dieser Stoff, üm den sich seit der Hypothese
v. Baeyer’s ein guter Teil des Interesses der Pflanzenphysiologen
dreht, auch für die erwähnten ‚Fermentreaktionen“ verantwortlich
zu machen sein. In diesem Fall hätten dann die Keimlinge mit zu-
nehmendem Alter eine der Steigerung der Fermentreaktionen parallel-
gehende Zunahme der übrigen Formaldehydreaktionen in den näm-
lichen Zonen des Kapillarisationsfeldes zeigen müssen. Aber die zu
Differenzierungen und Isolierungen besonders geeignete kapillar-
analytische Methode verlief in bezug auf die Aufsuchung des Form-
aldehyds vollkommen negativ. Berücksichtigt man ferner, dass der
Formaldehyd als solcher nicht zu den natürlichen Nährstoffen der
Pflanzen gehört, ja dass seine Verwertbarkeit, wenn von einer solchen
überhaupt gesprochen werden kann, jedenfalls in keinem Verhältnis
zu der Bedeutung dieses Stoffes als vermutetes Primärprodukt der
Nitrat- und Karbonatassimilation steht, so wird man nicht umhin
können, diese Vermutung fallen zu lassen. Weit wahrscheinlicher
scheint es mir, an das Kaliumkarbonat selbst primär anzuknüpfen,
da die Verwertung dieses wichtigen Düngemittels durch die Pflanze
ausser Zweifel steht. Das resorbierte Kaliumkarbonat, wie dasjenige,
welches sich als letztes Produkt der Oxydationsvorgänge im pflanz-
lichen Organismus selber bildet, würde nun in der besprochenen Weise
1) Baudisch, |. ce. vorige Seite, Fussnote 1, S. 8.
2) In Bezug auf die diastatischen Wirluneen bestehen jedoch grösse
quantitative Differenzen im Vergleich mit dem E Fekt natürlicher Diastasen,
so dass es — wohl in der Hauptsache infolge der Bildung schwer spaltbarer
Reversionsdextrine — nur zu einer sehr unvollkommenen Spaltung kommt.
Die unveränderte Stärke macht sich durch eine Rückbläuung der Systeme
geltend in Gegenwart von zahlreichen Stoffen, die die Empfindlichkeit
der Jodstärkereaktion zu steigern vermögen, gerade so wie dies Skrabal
' bei parziell dextrinisierten diastatischen Spaltgemischen gefunden hat.
Chemikerzeitung 29, 550 (1905\, Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wissensch.
Wien, Abt. IIb 116, 275 (1907); 120, 635 (1911).
Zum Assimilationsproblem. 33
als Kohlendioxydabsorbens fungieren, und der Überführung des Kar-
bonats in Bikarbonat parallelgehend, käme es zu der Isomerisation
zum Peroxyd und danach zum Zerfall in O, und die reaktive Gruppe
CH-0H, welche gleichsam den Knotenpunkt bilden würde, durch
|
welchen Nitrat- und Kohlensäureassimilation miteinander verknüpft
sind. In bezug auf die Kohlensäureassimilation ist der weitere Fort-
gang im Abschnitt über die Kondenrsationsphase abgehandelt. In bezug
auf die Nitratassimilation wäre entweder die Umlagerung der CH (OH)-
Gruppe in den. tautomeren Formaldehyd und die weitere Addition
desselben an das zuvor durch Lichtenergie aus Nitraten und Nitriten
gebildete Nitrosylkalium anzunehmen, oder aber — und dies scheint
mir aus demselben Grunde wie bei der Kohlensäureassimilation wahr-
scheinlicher als der Umweg über den Formaldehyd — es käme zur
|
direkten Addition der CH (OH)-Gruppe an das Nitrosylkalium, welches
. ja ebenfalls als ungesättigte Gruppe betrachtet werden kann. Hierbei
würde die Formhydroxamsäure ohne weiteres als Additionsprodukt
entstehen entsprechend der Gleichung:
OH
Ya
CH (OH) + N-OK = CH = N-OK
Formhydroxamsäure.
Das beim Zerfall der Formhydroxamsäure bzw. ihrem Kalisalz
neben NH, zurückgebildete Kaliumkarbönat würde nun wiederum in
der besprochenen Weise in den Assimilationsmechanismus eingreifen,
so dass also, soweit dieser Anteil in Frage kommt, der Assimilations-
vorgang als Katalyse mit Kaliumkarbonat als Katalysator zu be-
trachten wäre. Die Untersuchungen von Baudisch über die Nitrat-
assimilation würden in diesem Sinne nicht nur keinen Widerspruch
zu der früher als am wahrscheinlichsten hingestellten Hypothese der
Isomerisierung und des Peroxydzerfalls enthalten, sondern sie wären
im Gegenteil eine wertvolle Ergänzung derselben, um so mehr, als
die Beziehungen, welche zwischen Nitrat- und Kohlensäureassimilation
bestehen 1) — Beziehungen, die von Baudisch zuerst als durch eine
Koppelung dieser beiden wichtigen Assimilationsvorgänge veranlasst,
gedeutet worden sind —, eine Menge neuer Gesichtspunkte eröffnen.
Der nascierende Wasserstoff, dem Baudisch, mit Rücksicht auf die
Befunde von Stoklasa und Zdobnicky (l. e.), die Hauptrolle im
-
1) Siehe Pagnoul, Ann. Agronom. t. 7.p. 5. 1881.
24 Gertrud Woker:
Reduktionsprozess der Karbonate zuzuschreiben geneigt ist, kann
füglich weggelassen werden. Auch Stoklasa!) selbst hat später auf
diesen Reduktor verzichtet oder wenigstens ein Reduktionsschema auf-
gestellt, in welchem der Wasserstoff nicht figuriert ?).
Auch könnte der Vorgang, durch welchen sich Baudisch im
System KNO, + , + Licht , Wasserstoff entstehend denkt, nur
H
den Charakter einer Nebenreaktion besitzen. Und. wie seine Bildung,
so wäre auch sein weiteres Eingreifen von sekundärer Bedeutung.
Ausser den Produkten, welche durch Reaktion des Peroxyds mit dem
Wasserstoff gebildet werden könnten, würde wohl namentlich die
reaktive CH (OH)-Gruppe reduziert, wobei Methylalkohol und Methan
diejenigen Reduktionsprodukte sind, die man direkt erwarten kann.
Was zunächst den Methylalkohol betrifft, so würde sich durch dessen,
wenn auch sekundäre Bildung das Schema realisieren lässen, welches
Baudisch für die lichtchemische Nitrat- und Nitritreduktion ins
Auge gefasst und durch seine Versuche als gangbar erwiesen hat. Aber
auch für die Kohlensäureassimilation könnte der Methylalkohol als
Reduktor in Frage kommen, und zwar nicht nur sekundär in dem
Sinne, wie sich Baudisch die Koppelung der beiden Assimilations-
vorgänge über Kaliumkarbonat und nascierenden Wasserstoff denkt,
sondern durch eine direkte Methylalkohol-Karbonatreaktion. Schon
im vorhergehenden habe ich diesbezügliche lichtchemische Versuche
erwähnt, die trotz der sehr primitiven Versuchsanordnung eine deutlich
stärkere Angreifbarkeit der Karbonat-Bikarbonat-Gemische gegenüber
den Komponenten allein erkennen liessen, und ich habe diese Be-
obachtung als eine Stütze für die Annahme einer während der Um-
setzung einsetzenden Isomerisierung des Kohlensäuremoleküls be-
trachtet. Als dasjenige Isomere, welches allen Anforderungen voll-
kommen zu genügen vermag, habe ich die dem Kohlensäureanhydrid.
entsprechende Peroxydatform GC bzw. das der Metakohlensäure
(6)
entsprechende aus dem soeben erwähnten Peroxyd durch Wasser-
„00H
addition gebildete sekundäre Peroxyd = x angenommen.
- — OH
1) Stoklasa, Sebor und Zdobnicky, Biochem. Zeitschr. Bd. 41
S. 333. 1912.
2) R,CO,.+ CO, + H,O — 2KHCO,
2 KHCO, + Licht = K;,CO, + H—COOH + 0
y>
Licht + H—COOH = H—C +0
Sp
n (HCOH) = (HCOH)n.
Zum Assimilationsproblem. 35
In diesem Stadium könnte man sich nun, wie mir scheint, den
Methylalkohol eingreifend denken, wobei das Kohlensäureanhydrid
0)
bzw. dessen Isomeres von Peroxydatstruktur er | durch Auf-
(0)
spaltung der Peroxydbindung ein H des Methylalkohols an Sauer-
stoff binden kann, während der Methylalkoholrest an den Kohlenstoff
treten würde.
H
10) |
| + H-C-0OH = HO0C—-CH,— OH. Die resultierende Glykol-
(0) |
H
säure, auf die auch von Baur (wenngleich in anderer Weise) ?) als
_Assimilationszwischenprodukt zurückgegriffen worden ist, würde dann
weiter in Ameisensäure und die ungesättigte SCH—OH-Gruppe bzw.
eventuell in den mit dieser Gruppe tautomeren Formaldehyd zerfallen.
Doch halte ich persönlich eine direkte Kondensation dieser Gruppe
zu Glukose, Fruktose oder Inosit für wahrscheinlicher.
Diese Reaktion von Methylalkohol und Kohlensäure unter Bildung
von Formaldehyd (oder seinem Tautomeren) und Ameisensäure würde
auch aus dem Grunde Interesse besitzen, weil sie als Umkehrung der
Reaktion zwischen Formaldehyd und Ameisensäure aufzufassen wäre:
10)
y
H—-CH + H-COOH 2? CH,OH + CO,. Der Verlauf der Gleichung
von links nach rechts bildet aber das vollkommene Analoson zu der
als wahrscheinlich angenommenen letzten Phase der alkoholischen
Gärung ?).
Ein Verlauf der Reaktion von rechts nach links und eine rück-
läufige Reaktion auch in den anderen Phasen unter Bildung von
Zucker wäre demnach nichts anderes als die schon von Döbereiner
und in unserer Zeit von van’t Hoff vermutete Reversibilität der
alkoholischen Gärung, d. h. Bildung von Zucker aus Alkohol und
Kohlensäure. Bei überschüssigem Methylalkohol könnte derselbe mit
der Kohlensäure auch noch in anderer Weise reagieren, wobei das
für die Zuckersynthese (&-Akrose = dl-Fruktose) besonders wichtige
1) Ich habe mir gestattet, aus Gründen, deren Angabe hier zu weitführen
würde, das Peroxyd in etwas anderer Weise zu formulieren, als dies bei
Willstätter und Stoll geschieht.
2) Baur, Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 63 S. 683. 1909. Die Natur-
wissenschaften Bd. 1 S. 474. 1913.
3) Schade lässt die Glykolsäure aus Oxalsäure und Ameisensäure
entstehen. Die weitere Umsetzung denkt er sich entweder über Form-
aldehyd und Ameisensäure oder direkt unter Zuckerbildung verlaufend.
26 Gertrud Woker:
Dioxyaceton !) als Zwischenprodukt der Zuckerbildung auftreten würde,
das zugleich die Umwandlung zu den Fetten über sein Reduktions-
produkt — das Glycerin — zu vermitteln vermag.
H OH H OH
Ss, Re 7
H—C + 0=C = O0 + C — OH HOCH; — U CH:0H
H HH OH
Methylalkohol Dioxyacetonhydrat.
Die Reduktionen mit dem Methylalkohol scheinen mir für das
Kohlensäureassimilationsproblem auch aus dem Grund interessant zu
sein, weil der Methylalkohol nicht nur im allgemeinen eine grosse
Verbreitung im Pflanzenreich besitzt, sondern weil spezieli das Chloro-
phyll ein Ester dieses Alkohols ist. An der Stätte der Reduktions-
arbeit selbst — im Chlorophylikorn — würde also beständig ein ge-
wisser hydrolytisch abgespaltener Anteil zu Reduktionszwecken ver-
fügbar sein, und umgekehrt würde das Chlorophyll einen Baustein, '
dessen es bedarf, durch die sekundäre Reaktion zwischen der wichtigen
Intermediärgruppe CH (OH) und dem Wasserstoff erhalten. Was das
zweite mögliche Reduktionsprodukt der CH (OH)-Gruppe, das Methan,
betrifft (welches sich auch aus dem soeben besprochenen Methyl-
alkohol durch Wasserstoffeinwirkung bilden könnte), sö ist demselben
von Pollacci ?), Stoklasa (l. e.), Löb (l. e.) und Maquenne eine
mehr oder weniger grosse Bedeutung als Assimilationszwischenprodukt
— oder -nebenprodukt — zugeschrieben worden. Maquenne ?) hält das
Methan sogar für das Hauptassimilationszwischenprodukt, aus welchem
der zu Zucker kondensierbare Formaldehyd durch Oxydation ent-
stünde. Dieser Gedanke dürfte zwar an Boden gewonnen haben, seit.
Hauser Methan quantitativ durch Ozon in Formaldehyd übergeführt
hat und der in Pflanzen allgemein verbreitete Peroxydsauerstoff viel-
leicht dem Ozon ähnlich zu reagieren vermag. Solange jedoch hierfür
der Beweis noch aussteht, spricht die grosse chemische Trägheit der
Paraffine eher dagegen, dass der Assimilationsvorgang über Methan
als Zwischenprodukt verläuft. Die Annahme von Kimpflin *) und
die im vorigen entwickelte, dass die Methanbildung nur eine bei Wasser-
1) Wohl und Neuberg, Ber. 33 S. 3098. 1900, und vor allem die
einschlägigen Arbeiten von Emil Fischer in den Ber. d. chem. Ges;
siehe auch ges. Abhandl.: Kohlehydrate und Fermente, 1. c. im folgenden
(S. 34).
p- 1...1902: Bd. 7, p. 101..1901;7Bd.r10.P2 9.1902:
3) Maquenne, Bull. soc. chim., Paris, 5. April 1882.
4) Kimpflin, Essai sur l’assimilation photochlorophyllienne du Car-
bone, These Lyon. 1908.
2) Pollacei, Atti dell’ istituto bot. della Univ. di Pavia (Ser. 2) Bd.8
- Zum Assimilationsproblem. 97
stoffüberschuss auftretende Nebenreaktion sei, wird daher wohl dem
chemischen Empfinden im allgemeinen besser gerecht.
Die Kondensationsphase.
Nach der Abspaltung von Sauerstoff aus dem isomerisierten Kohlen-
„9-%H ; Sn
säuremolekül CX war die reaktive ungesättigte Gruppe CHOH
"OH
übrig geblieben, die uns schon des öfteren beschäftigt: hat. Nun-
mehr handelt es sich darum, die weiteren Schicksale dieser Gruppe
im Hauptprozess, der Kondensation der Kohlehydrate, kennen-
zulernen.
Bei der Frage nach den primären Kondensationsprodukten ist in
erster Linie zu berücksichtigen, dass gemäss der genialen v. Baeyer-
schen Spannungstheorie bei Ketten von fünf und sechs Kohlenstoff-
atomen die endständigen C einander so nahe stehen, dass sich die
Kette fast von selbst zum Ring schliesst; so ist sowohl ein Austausch
zwischen den Atomen der endständigen C wie ein Ringschluss in dieser
Kondensationsphase am ehesten möglich. Bei einer geringeren Zahl
von Kohlenstcffatomen würde dagegen vorwiegend nur ein Nachbar-
atomaustausch in Frage kommen, so namentlich die Bildung des für
die Zucker- wie für die Fettsynthese gleich wichtigen Dioxyacetons
—
CH—-CH-CH = CH, —CO—CH,
aus 3CHOR: | Ken | . Bei sechs aneinander
OH OE 08 OH OH
x
gelagerten CH (OH)-Gruppen wären die folgenden drei Fälle die wahr-
scheinlichsten:
1. Eine endständige CH (OH)-Gruppe gibt ein H an die andere
endständige CH (OH)-Gruppe ab, so dass also die eine Gruppe auf
Kosten der anderen reduziert wird, und beide Gruppen abgesättigt,
somit selbständig existenzfähig werden:
BER >
x 7
CH Sal
R Ga Dr y
HO—CH CH—ÖOH HO—-CH CH,-OH
\ | | rd | | — Glukose
FO__CH ar: HO—CH CH—OH
cH a
OH OH
2. Beide endständigen CH (OH)-Gruppen werden auf Kosten der
beiden H der einen Nachbargruppe reduziert:
38 Gertrud Woker:
on on
CH ‚CH;
HO-CH HO-—-CH-CH—-OH HO—-CH CH-0H :
z ng | —= Fruktose
HO—-CH——-CH—OH HO—-CH C=0O
i: |
OH
3. Zwischen den ungesättigten endständigen Gruppen findet Bindung:
unter Ringschluss statt:
OH OH
CH CH
YA EN
HOCH : -CH-0B -> HOCH ©H20H
| | | | — Inosit
HO-CH GH HO-CH CH-OH
on OH Ku
OH OH
Bei der Kondensation von 5 CH (OH) könnte durch Wasserabspal-
tung und Wanderung von 2 H-Atomen der in vielen natürlichen Farb-
stoffen enthaltene y-Pyronring entstehen, oder wenn die Wasser-
abspaltung die zweitletzte CH (OH)-Gruppe betrifft, und 1 H der letzten
Gruppe wandert, Furfurol:
OH a
HC HC C=0
y RN, %
a a) /CH CH u
a Ne II | EN
| | % lach ” EN manaen
HO-CH CH EN HC cH
x id x NG NE
H-0 6) Ö
x
HOCH „CH 0 CH—CH CH-CH
| Bay | NY > | x | — Furfurol
CH: CH-CH-0H8 .'C. C-CH.0M CH ıE- CH =o
le N
OHHO Ö 9)
Ferner käme die Wasserstoffatomwanderung analog Schema 1 in
Betracht unter Pentosebildung (Aldose), während Schema 2 infolge
der grösseren Entfernung der betreffenden Kohlenstoffatome weniger
in Frage kommt.
Zum Assimilationsproblem. 29
Bei sieben Kohlenstoffatomen wäre Ringschluss nach Schema 3 zu
erwarten. Es würde dann die wichtige CH,OH-Gruppe als Seitenkette
im Inositring erscheinen, wobei das zur Reduktion des letzten CH (OH)
erforderliche H der benachbarten CH (OH)-Gruppe entstammt:
u on
EARZOH CE2=20H
A | ZA
HO an Be, HO-—-CH C—CHs--OH
ARE > | |
HO—CH CH—OH HO—CH CH—OH
N N
= CH
|
OH OH
Durch einfache Wasserabspaltung in verschiedener Richtung könnten
weiterhin aus dem Inosit Triphenole: Phlorogluem, Oxyhydrochinon,
Pyrogallol entstehen, die sich leicht zu Resorein, Hydrochinon und
Brenzkatechin oder zu Phenol reduzieren lassen.
Pyrogallol —= 2
OH On ne
|
C C—H C
yG N _ Sr BG
a, re en CH—-0OH HO—C er
| Ga | zn |
EIOSSSGCEL HO—CH ‚CH-OH —= CH
IN G I x
CH HO-CH C
| | |
| Inosit OH
Y | — Oxyhydrochinon
Brenzkatechin — Y |
CH v
7 N mr
C HO67 7€CZ0H |
ERS 8% 2
ee IBAN ‘I
B n ' = CH CH nn CH
| NSG \
ie CH Ö a
NL | \
H OH
0 — illanaglinenm |
Y — Hydrochinon
CH
N
HOE23,0ZOEI
NZ
CH CH
NZ
CH
— Resorcin
30 Gertrud Woker:
Bei der Kondensation von 7 CH (OH)-Gruppen würde, wie erwähnt,
die eine endständige zur Seitenkette. und über den entsprechenden
substituierten Inosit würde man dann zu Phenolen mit der seiten-
ständigen CH,—OH-Gruppe oder der daraus durch Oxydation ge-
bildeten Aldehyd- oder Karboxylgruppe gelangen. Guajakol, Proto-
katechualdehyd mit seinen Derivaten: Vanillin und Isovanillin, Gallus-
säure (Gerbsäure), Salicylalkohol, -aldehyd und -säure wären resul-
tierende Derivate. Dass diese Stoffe häufig als Glykoside auftreten,
.ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, dass wir im allgemeinen
in der Pflanze ein Nebeneinander der verschiedenen, vorhin ins Auge
gefassten Kondensationen zu erwarten haben, deren Produkte mit-
einander in Wechselwirkung zu treten vermögen. Verlaufen die Re-
aktionen 1 und 3 gleichzeitig, so kann neben Glukose Inosit selbst
oder eines seiner Wasserabspaltungsprodukte gebildet werden. Ist
eines dieser zur Bindung an Glukose geeignet, so resultiert das be-
treffende Glukosid zum Beispiel aus Phloroglucin und Glukose das
Phloridzin bzw. Phloretin. Ebenso würden sich die Reduktionsprodukte
der Triphenole, zum Beispiel das Hydrochinon, verhalten, welches
mit Glukose das Glukosid Arbutin liefert usw.
Verlaufen 1 und 2 gleichzeitig, so müsste ein Gemisch von Glukose
und Fruktose (Invertzucker) primär entstehen, das unter natürlichen
Bedingungen Rohrzucker oder vielleicht ein entsprechendes Trisacharid
(Raffinose) bilden würde. Vollzieht sich die Kondensation zu Rohr-
zucker sehr schnell, so würden dadurch die zahlreichen Befunde !),
die auf Rohrzücker als Primärprodukt der Assimilation hinweisen,
verständlich. Seltener dürfte 1 oder 2 oder 3 allein- ohne Neben-
reaktion realisiert sein. Glukose oder Fruktose oder Inosit wären
dann die einzigen primären Reaktionsprodukte, und die Kondensations-
produkte von 1 und 2, Stärke resp. Inulin, würden dementsprechend
nur das Glukose- resp. Fruktosemolekül enthalten.
Da schon diese einfachsten Kondensationen der CH (OH)-Gruppe
eine Fülle verschiedenartiger Pflanzenstoffe zu geben vermögen, so muss
die Zahl eine ausserordentlich grosse werden, sobald man ausserdem die
Reaktionen mit Produkten, die anderen Vorgängen ihre Existenz ver-
danken, berücksichtigt. Allein die Einführung des von Baudisch
beim Zerfali der Formhydroxamsäure oder auf anderem Wege ge-
bildeten Ammoniaks vermag zu den verschiedensten Körperklassen
zu führen. Durch Reaktion mit vier- und fünfgliedrigen CH (OH)-
Ketten entstehen die entsprechenden heterocyklischen Ringe, zu denen
1) Perrey, Compt. rend. t. 94 p. 1124. 1882; Girard, ebenda t. 97
p- 1305. 1883; Brown und Morris, Journ. chem. soc. v01.63 p. 604. 1895;
Grüss, Biochemie und Kapillaranalyse der Enzyme, Davis und Sawjer,
Bot. Zentralbl. Bd. 132 S. 60. 1916.
Zum Assimilationsproblem. 31
die Alkaloide der Pyrollidin- und Piperidinreihe in Beziehung stehen,
so zum Beispiel:
OH Mn ne
CH CH CH
HO—CH CH-OH HO—-CH CH-ÖH CH CH
wo en
| IQ
CH CH HCH HCH HC CH
| 13% [2 N
OH HO ‚OH HO ı
I Wan OH
N N x
N
Er |
OH OH
N
CH ‚cH
RS —= Oxypyridin
GEN CH
\\Y
(In ganz analoger Weise wäre der Ringschluss durch die Reaktion
mit Ammoniak auch bei 4 CH (OH)-Gruppen [Bildung von Pyrollidin-
und Pyrolderivaten] durchführbar.) Es bedarf wohl nur des Hinweises,
dass auch kompliziertere heterocyklische Ringsysteme (Chinolin, Indol-
kern usw.), ebenso wie mehrkernige Kohlenwasserstoffe bzw. ihre
natürlich vorkommenden Derivate in solch einfachen Kondensations-
mechanismen der CH (OH)-Gruppe ihre Bildungsursache besitzen
können. {
Statt unter Ringschluss mit den endständigen CH (OH)-Gruppen
zu reagieren oder allgemeiner mit den zueinander im Sinne der Baeyer-
schen Spannungstheorie am günstigsten für den Ringschluss gelegenen
CH (OH), kann sich das Ammoniak, auch nur mit einem H an der
Wasserabspaltung beteiligen... Haben die CH (OH)-Ketten schon zuvor
eine Umwandlung zu Oxysäuren erfahren, so resultieren die ent-
sprechenden Aminosäuren, deren Kondensation zu Eiweiss folgen kann.
Die Nukleine der Zellkerne und ihre Derivate würden ebenfalls in
der Reaktionsfähigkeit des Ammoniak mit Kohlensäure selbst und
mit den ersten Gliedern der aus der«CH (OH)-Gruppe sich bildenden
Kette ihren Ausgangspunkt finden. Das Auftreten der Phosphorsäure
gibt zur Bildung besonderer Kondensationsprodukte Veranlassung.
Fertige Körper, wie der Inosit (Phytinsäurebildung), werden von der
Phosphorsäure ebenso gut mit Beschlag belegt wie die Produkte einer
beginnenden Kondensation. So liefert das aus 3 CH (OH)-Gruppen
e
39 Gertrud Woker:
leicht durch Addition von 2H an die endständigen C sich bildende
Glycerin, die Glycerinphosphorsäure, iene wichtige Komponente der
Leeithine und anderer Lipoide. -
Der Umweg über Formaldehyd selbst ist also, wie die verschiedenen
im vorigen erwähnten Kondensationsmöglichkeiten der CH (OH)
Gruppe zeigen, nicht notwendig, aber wegen der Fähiekeit der
CH (OH)-Gruppe zur Umlagerung in den tautomeren Formaldehyd
auch nicht ausgeschlossen, ebensowenig wie die Umlagerung des voraus-
gegangenen ungesättisten Peroxyds zur gesättigten Perameisensäure
‚00H
c=0
Die Rolle des Chlorophylis.
In den bisherigen Erörterungen hat das Chlorophyll nur eine bei-
läufige Erwähnung gefunden, trotzdem das Bild des Assimilations-
prozesses in verschiedenen Phasen aufgerollt worden ist, und trotzdem
mindestens eine dieser Phasen, vielleicht sogar alle, der Mitwirkung
des Chlorophylis bedürfen. In welcher Weise wäre nun das Eingreifen
des Chlorophylis in den Reaktionsmechanismus zu deuten? Die An-
sichten, die hierüber geäussert worden sind, zeigen die grösstmögliche
Heterogenität, wie dies nur unter anderem daraus hervorgeht, dass -
Plotnikow !) das Chlorophyll als Katalysator fungieren lässt, während.
Weigert ?) diese Auffassung auf das entschiedenste ablehnt. Wesent-
lich zur Entscheidung dieser Frage scheint mir einzig zu sein, ob das
Chlorophyll im Verlaufe seiner Tätigkeit eine dauernde Veränderung
erleidet. Dies dürfte kaum der Fall sein. Dem Gedanken ist zwar
öfters Ausdruck gegeben worden, dass das Chlorophyll eine inter-
mediäre Veränderung durchmacht, aber an der Regenerierungsfähigkeit
ist nie gezweifelt worden. Das Chlorophyll würde also zum mindesten
den Zwischenreaktionskatalysatoren an die Seite zu stellen sein. Es
kann sich dabei um eine Zwischenreaktion in der Isomerisations-, der
Reduktions- und der Kondensationsphase handeln. Die Isomerisations-
phase betrifft die schon erwähnte Auffassung von Willstätter und
Stoll®), dass sich zunächst eine Chlorophylikohlensäureverbindung
bilde, in welcher unter dem Einfluss des Lichtes die Umlagerung des
Kohlensäureanteils in ein Isomeres von höherem Energiegehalt erfolge.
Auf die Reduktionsphase ?) würde sich die später wieder verlassene
1) Plotnikow, Photochemie. 1910 8. 122.
2) Weigert, Die chemischen Wirkungen des Lichtes. 1911 S. 99.
3) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad. math.-phys.
Klasse. Nr. 20 S. 337. 1915. -
4) Über die Annahme einer Bindung des CO, an Chlorophyll, welche
der Reduktion dienen soll, siehe Hoppe-Seyler, Zeitschr. f. physiol.
Zum Assimilationsproblem. 33
Ansicht derselben Forscher beziehen, dass von den beiden grünen Blatt-
farbstoffen das Chlorophyll a: C,;H.,0,N,Mg durch den beim Zerfall
des Kohlensäureisomeren frei werdenden Sauerstoff zu Chlorophyll b:
Cz;H,00,N,Mg oxydiert wird, welches dann durch direkte Sauerstoff-
abgabe oder unter Vermittlung des zu Xanthophyli oxydierbaren
Karotins wieder zu Chlorophyll a reduziert würde. Schon vor der
weitgehenden Aufhellung, die das Gebiet der Blattfarbstoffe durch
Willstätter erfahren hat, finden sich Vorläufer dieser Auffassung.
So hat Timiriazeff!) angenommen, dass das Chlorophyll den aus
dem Kohlensäuremolekül abgespaltenen Sauerstoff aufnehme und durch
Entfernung dieses hemmenden Endproduktes der Dissoziationsreaktion ?)
die weitere Sauerstoffabspaltung ermögliche. Eine ähnliche Funktion
mag Euler ?) vorgeschwebt haben, wenn er das mit grosser Affinität
zum Sauerstoff ‘begabte Karotin *) mit der Aufgabe betraut, den
Sauerstoffdruck im Chloroplasten herabzusetzen. Auch Wiesner’)
und Kraus®) haben die Oxydationsfähigkeit des Chlorophylis mit
der Sauerstoffabgabe aus der Kohlensäure in Zusammenhang gebracht.
Soweit diese Theorien mit der Bindung und nicht bloss mit der Be-
günstigung der Abspaltung des Sauerstoffes rechnen, ohne zugleich
einen Zerfall des neugebildeten Produktes (sei es ein Oxydations-
produkt von Chlorophyll bzw. dieses selbst oder eines anderen Blatt-
farbstoffes) unter Sauerstoffentwicklung ”) anzunehmen, werden sie
dem Einwand begegnen müssen, dass sie den bei der Assimilation
frei werdenden Sauerstoff nicht berücksichtigen.
Für die Kondensation ist in Verbindung mit den vorausgehenden
Phasen ebenfalls eine intermediäre Addition ®) an das Chlorophyll
oder einen Begleitstoff desselben herangezogen worden. So hat Emil
Fischer ?) eine Bindung der Kohlensäure, und zwar an Protein-
Chemie Bd. 3 S. 341. 1879; Tschirch, Untersuchungen über Chlorophyll
1884 S.4; Hansen, Würzburger Arbeiten Bd. 3 S. 429. 1888; Hällström.
Ber. Bd. 38 S. 2288. 1905; Baur, Die Naturwissenschaften Bd. I S. 475.
1913.
1) Timiriazeff, Proc. Roy. Soc. vol. 72 p. 424. 1904.
2) Gegen diese Auffassung kann eingewendet werden, dass O ein
flüchtiges, das Reaktionsgemisch ja ohnehin verlassendes Endprodukt ist.
3) Euler, Pflanzenchemie II/III S. 126; vgl. ferner Skibata, Jahrb.
f. wissensch. Bot. Bd. 5l S. 233. 1912.
4) Über Bindung der H,CO, an Karotin siehe Etard, La Biochemie
des Chlorophylles. 1906 p. 122.
5) Wiesner, Sitzungsber. d. Wiener Akad. Bd. 69 I S. 385. 1874.
6) Kraus, Flora 1875 S. 268.
7) Pfeffer, Osmotische Untersuchungen 1877 S. 166.
8) Siehe zum Beispiel Pfeffer, Pflanzenphysiologie, 1. Aufl., Bd. 1
Ss. 219; Euler, Pflanzenchemie II./III. S. 119, 210.
9) Emil Fischer (Organische Synthese und Biologie, Faraday Lecture,
abgehalten 1907, 2. Aufl., 1912 S. 8) nimmt Dissoziation von Sauerstoff
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 5)
34 Gertrud Woker:
körper, angenommen, Nach erfolgter O,-Abspaltung unter Bildung
eines Formaldehydderivates würde sich dieses entweder in dem ur-
sprünglichen asymmetrischen Komplex oder nach der Abspaltung und
Neuanlagerung !) zu Zucker polymerisieren. in einer früheren Ab-
handlung?) hatte es dagegen Emil Fischer offen gelassen, ob die
Bindung an die optisch aktiven Stoffe des Chlorophylikorns bei der
Kohlensäure oder beim Formaldehyd einsetze.
Im übrigen tritt für die Kondensationsphase, für sich allein ge-
nommen, der Gedanke, dass das Chlorophyll als Zwischenreaktions-
katalysator fungieren könne, mehr in den Hintergrund. Es ist dies
um so merkwürdiger, als fast immer an den Formaldehyd als Zwischen-
körper ?) angeknüpft worden ist, und für dessen Kondensation zur
Formose *) unter dem Einfluss von Metallverbindungen scheint mir
eine Zwischenreaktionskatalyse in hohem Grade wahrscheinlich. Da
das Mg und seine Verbindungen zu den Metallen gehört, welche die
Formosebildung zu beschleunigen vermögen, so haben H. Maggi und
ich die Autfassung vertreten 5), dass das Magnesiumatom des ‚Chloro-
phylis auf dem Wege einer intermediären Bindung an den Formaldehyd
dessen Kondensation vermittle. Diese Auffassung erfährt durch Ersatz
des Formaldehyds durch sein Tautomeres — die CH (OH)-Gruppe —
keine Veränderung.
Dass eine andersartige Pimehins; in Frage kommen könnte, scheint
mir wenig wahrscheinlich. Eine Methylenbindung an Eiweiss, wie sie
Bach ®) angenommen hat, dürfte zu fest sein, um dem erwähnten
Zweck zu genügen, und eine Methylenbindung an den Chlorophyll-
farbstoff selbst, wie sie Schryver’”) zur Entgiftung des Formaldehyds,
einführte, fällt ausser Betracht, da dieser Autor die Kondensation
erst nach stattgefundener Hydrolyse unter Rückbildung von Form-
aldehyd einsetzen lässt. Eine intermediäre Bindung der CH (OB)-
Gruppe an das Mg-Atom des Chlorophylis würde auch die wichtige
aus dem Chlorophyll bzw. einem Chlorophyliderivat unter dem Einfluss
des Lichtes an.
1): Schroeder, ee Vorgängebeider Kohlen-
säureassimilation. Jena 1917 S.
2) Emil Fischer, Ber. 27 = "189 1894; Die Chemie der Kohlen-
hydrate und ihre Bedeutung für die Physiologie. 1894 8. 29ff.
3) Über die Annahme einer Bindung von CO an Chlorophyll siehe
v. Baeyer, Ber. Bd. 3 S. 63. 1870.
4) Loew, Journ. f. prakt. Chem. N. F. Bd. 33 S. 321. 1886; Ber.
Bd. 22 S. 475. 1889; Emil Fischer, Ber. Bd. 21 S. 989. 1888; Bd. 22
S. 359. 1889; Untersuchungen über Kohlenhydrate und Fermente. Berlin
1909 S. 13—16, 159—161.
5) Woker und Maggi, Ber. 50 S. 1191. 1917.
6) Bach, Moniteur scientifique, 4. Ser. t. 7 p. 669. 1893.
7) Sehryver, Proc. Roy. Soc. Ser. B. vol. 82 p. 226. 1910.
Zum Assimilationsproblem. 35
Forderung berücksichtigen, welche Emil Fischer !) an jeden Versuch,
die Kohlehydratsynthese der grünen Pflanzen zu erklären, gestellt
hat: Die Forderung, dass der Bildung optisch aktiver Körper aus
inaktivem Ausgangsmaterial Genüge geleistet werde. Bindung an eine
asymmetrische Substanz, wie sie der Chlorophylifarbstoff selber dar-
stellt, ist aber die Voraussetzung der asymmetrischen Synthese. Auch
für den Fall, dass schon das Kohlensäuremolekül vor oder nach statt-
gefundener Isomerisation durch Chlorophyll gebunden würde, hätte
die Vorstellung, dass die Kondensation der CH (OH)-Gruppe mit der
Bindung an das Mg-Atom des Chlorophylis einhergeht, dien Vorteil,
dass Loslösung und Neubindung im Verlauf der verschiedenen Phasen
des Assimilationsprozesses nicht angenommen zu werden brauchte;
denn nach der Auffassung von Willstätter ?) wäre gegenüber der
Kohlensäure das Magnesiumatom ebenfalls Anziehungsursache. Eine
Bindung der Kohlensäure an den Lichtstrahlen absorbierenden Farb-
stoff würde in der Isomerisations- und Reduktionsphase, wie dies
Hällström ?) und Baur ?) betont haben, dem Zweck entsprechen,
die Kohlensäure der Lichtenergie zugänglich zu machen. Diese wichtige
Aufgabe könnte aber ebensogut wie durch eine feste oder lockere
‚chemische Bindung auch durch Lösung oder Absorption der Kohlen-
säaure durch das Chlorophyll bewerkstellist werden, und bei der
Schwierigkeit, zwischen einer lockeren chemischen Verbindung und
einem Lösungs- oder Adsorptionsvorgang gerade in. solchen Systemen
die Entscheidung zu treffen, dürfte man sich fragen, ob nicht auch
die Chlorophyll-Kohlensäureverbindung, welche Willstätter und
Stoll?) beschrieben haben. als eine Lösungs- oder Adsorptions-
erscheinung gedeutet werden könnte. Da Willstätter und Stoll
(l. e.) einen Eintritt der Kohlensäure in das Chlorophylimolekül selbst
nicht für unbedingt notwendig erachten, so kann man wohl für jeden
Modus — Bindung, Lösung, Adsorption —, welcher das Wesentliche:
einen innigen Kontakt der Kohlensäure mit dem Lichtstrahlen. absor-
bierenden Farbstoff ermöglicht, mit gleichem Rechte einstehen.
Lösung wie Adsorption würden sogar besser als eine chemische
Bindung der Anforderung grösstmöglicher Konzentrationsvermehrung
gegenüber dem Kohlensäuremolekül zu genügen vermögen, wodurch
schon allein eine Reaktionsbegünstigung erzielt werden kann. Dazu
1) Emil Fischer, Ber. Bd. 27 S. 3189. 1894; Die Chemie der Kohlen-
hydrate und ihre Bedeutung für die Physiologie. 1894 S. 29ff.
2) Willstätter, Liebig’s Ann. Bd. 350 S. 50. 1906; Willstätter
und Stoll, Chlorophyll S. 23ff.
3) Hällström, Ber. Bd. 38 S. 2288.. 1905.
4) Baur, Die Naturwissenschaften Bd. 1 S. 475. 1913.
5) Willstätter und Stoll, Sitzungsber. d. Berl. Akad. Bd. 20 S. 338.
1915.
DE
a Gertrud Woker:
kommen noch andere Möglichkeiten, wie die bei Lösungsvorgängen
häufigen Aktivierungen durch molekulare Aufteilung oder Umlagerung.
Es könnte also eine Isomerisierung auch auf diesem Wege zustande
kommen, der vielleicht für den aus dem Karbonat durch Hydrolyse
abgespaltenen Kohlensäureanteil gangbar wäre; doch besteht keine
Veranlassung, von dem im Abschnitt über die Isomerisationsphase
angegebenen Weg abzuweichen, wonach K,00O, als CO,-Absorbens
fungieren und während der Überführung in Bikarbonat die Um-
lagerung in eine labile Zwischenform stattfinden würde. Nach voraus-
gegangener Lösung oder Absorption wären es die optischen Eigen-
schaften des Farbstoffes und die Art ihrer Nutzbarmachung, die in
Frage kämen.
Dass das Chlorophyll rot fluoresziert und zugleich das Assimilations-
maximum im Rot liegt, dürfte mehr als ein zufälliges Zusammentreffen
sein, und. es muss zunächst die Frage aufgeworfen werden, ob ein ähn-
licher Zusammenhang mit der Fluoreszenz auch bei anderen chemischen
Prozessen vorkommt. Ein solcher Zusammenhang besteht bei den
Sensibilisierungsphänomenen, denen auch die photodynamischen Wir-
kungen fluoreszierender Farbstoffe anzureihen sind !). Bekannt ist,
dass die photographische Platte durch Beimischung geeigneter fluore-
szierender Farbstoffe rotempfindlich und gelbempfindlich wird. Der
die Rotempfindlichkeit vermittelnde Sensibilisator würde bei der
Assimilation dem Chlorophyll, der die Gelbempfindlichkeit vermittelnde
dem Karotin entsprechen. Hier wie dort würde so für ein Spektral-
gebiet von geringer chemischer Wirksamkeit dieselbe Aktivität gegen-
über dem Substrat — sei dies das Bromsilber oder das CO,-Molekül —
erzielt, welche die kurzwelligen Strahlen für sich allein besitzen. Für
die Kohlensäurereduktion kämen für sich allein überhaupt nur die
sehr kurzwelligen Strahlen der Quarz-Quecksilber-Lampe ?) in Be-
tracht, die dem Sonnenlicht, wie es nach der atmosphärischen Absorp-
tion die Erdoberfläche trifft, vollständig fehlen. Nur ein sensibili-
sierender Farbstoff könnte daher imstande sein, die Energie des Sonnen-
lichtes — deren für die Umwandlung des stabilen Kohlensäuremoleküls
in sein Isomeres von höherem Energiegehalt nicht zu entraten ist —
für den pflanzlichen Organismus auszunutzen.
Mit der Auffassung des Chlorophylis als Sensibilisator der Kohlen-
säureisomerisation und als Zwischenreaktionskatalysator der Konden-
sationsphase könnte das Bild über die Funktionen des wichtigsten
Blattfarbstoffes abgeschlossen werden. Aber es bliebe dann die Frage
1) Vgl. Woker, Die Katalyse. Allg. Teil. Stuttgart. 1910 S. 388ff.
Bd. 11/12 der Sammlung: ‚Die chemische Analyse‘.
2) Coehn und Sieper (Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 91 S. 347. 1916)
geben als wirksam nur eine Wellenlänge von X < 254 an.
Zum Assimilationsproblem, 37
nach der Natur der Sensibilisatorwirkung offen, die für den Mechanismus
des Assimilationsvorgangs von Bedeutung ist. Fasst man die Sensibili-
satorwirkung rein physikalisch auf, so kann sie wohl kaum anders
denn a!s Resonanzphänomen gedeutet werden, als die zunächst in der
Akustik, später im Gebiete der elektrischen Schwingungen (zum Beispiel
abgestimmte Funkentelegraphie) beobachteten Folgen kräftiger Mit-
schwingung, die sich an jedem Gebilde äussern, welches von einer
periodischen Erregung getroffen wird, deren Frequenz übereinstimmt
mit der Schwingungszahl, die ihm selber zukommt.
Es setzt dies demnach für das Chlorophyll wie für jeden Farbstoff
zunächst das Vorhandensein schwingender Atomgruppen voraus, deren
Eigenfrequenz übereinstimmt mit der Schwingungszahl der absorbierten
Lichtstrahlen, und die Absorption wäre also die erste Folge des Vor-
handenseins solcher Atomgruppen von gleicher Frequenz. Die sensi-
bilisierende Wirkung, welche nur bestimmten fluoreszierenden Farb-
stoffen eigentümlich ist, würde hinzukommen, sobald jenen schwingen-
den Atomgruppen im Molekül des Farbstoffes die notwendige Be-
wegungsfreiheit gewahrt ist, um in kräftige Mitschwingung zu geraten.
Die sensibilisierende Wirkung wäre dann primär als eine mechanische,
veranlasst durch die Stösse der heftig mitschwingenden Atomgruppen
des Farbstoffs, zu deuten. Die Vorstellung, dass die Lichtenergie auf
dem Umwege über die mechanische Energie der mitschwingenden
Atomgruppen in chemische umgewandelt werde, entspricht den physi-
kalischen Vorstellungen über das Wesen der Lichtabsorption. Auch
ist für die Beteiligung des Chlorophylls beim Assimilationsvorgang
von Reinke!) eine derartige Auffassung vertreten worden. Nichts-
destoweniger sei im folgenden auch eine, die vorige im gewissen Sinne
ergänzende Auffassungsweise dargelegt, welche an die von Straub?)
vermutete chemische Veränderung bei fluoreszierenden Farbstoffen,
insbesondere dem Eosin, während der photodynamischen Wirkung
gegenüber Mikroorganismen anknüpft, und die um so interessanter
ist, als sie auf prinzipiell verwandte Vorstellungen zurückzugreifen
gestattet, die, wie früher erwähnt, Willstätter und andere Forscher
über die chemische Beteiligung des Chlorophylis am Assimilations-
vorgang entwickelt haben. Nach Straub wäre Träger jener photo-
dynamischen Wirkung ein Peroxyd (Eosinperoxyd), welches sich in
Gegenwart von Sauerstoff aus dem fluoreszierenden Farbstoff zu
bilden vermöchte. An Stelle des freien Sauerstoffs würde bei der
Assimilation der in der Kohlensäure gebundene Sauerstoff treten,
und das Chlorophyll würde durch diese Wechselwirkung in ein Peroxyd.
1) Reinke, Bot. Ber. Bd. 1.8. 418. 1883.
2) Straub, Münchn. med. Wochenschr. Bd. 51 S. 1093. 1904; Archiv
f. exp. Pathol. und Pharmakol. Bd. 51 S. 383. 1904.
38 Gertrud Woker: Zum Assimilationsproblem.
übergehen. Da nun wohl kaum anzunehmen ist, dass das unveränderte
Kohlensäuremolekül zur Abgabe von Sauerstoff ohne Zuhilfenahme
sehr eingreifender Operationen veranlasst werden kann, und da auch
ein aus anderer Sauerstoffquelle gebildetes Chlorophyliperoxyd. gegen-
über der unveränderten Kohlensäure keine grosse Aktivität entfalten
dürfte, hätte jedoch die Isomerisation der Kohlensäure vorauszugehen,
und für diese Phase käme also nach wie vor die Resonanzwirkung
des sensibilisierenden Chlorophylis in Betracht. Nach stattgefundener
Isomerisation könnte dann die Wechselwirkung des Kohlensäure-
peroxyds mit dem Chloröphyli einsetzen, wobei letzteres zum Peroxyd,
ersteres in das früher besprochene reaktive Reduktionsprodukt über-
gehen würde. Das Chlorophyliperoxyd würde dann durch freiwilligen,
Zerfall oder durch Reaktion mit dem peroxydischen Isomeren der
Kohlensäure unter Sauerstoffentwicklung in das ursprüngliche Chloro-
phyll zurückverwandelt. Doch wäre gegenüber dieser Auffassung ein-
zuwenden, dass für die Reduktionsphase ein Chlorophyliperoxyd nicht
erforderlich ist, da die Moleküle des Kohlensäureisomeren wie andere
Peroxyde auch für sich allein unter Sauerstoffentwicklung reagieren
können. Dazu kommt, dass auch der naheliegende Vergleich eines
Chlorophyliperoxyds mit dem „Chlorophyll b“ und des ursprünglichen
Chlorophylis mit dem ‚Chlorophyll a“ Willstätter’s auf die Schwierig-
keit stösst, dass sich die beiden Chlorophylle ausser durch den Sauer-
stofigehalt durch den Wasserstoffgehalt unterscheiden !), wodurch die
Annahme einer komplizierteren Reaktion als die der ausschliesslichen
Sauerstoffabgabe aus einem Peroxyd wahrscheinlich wird, wenn man
nicht bei dem hohen Molekulargewicht den gefundenen Unterschied
im Wasserstoffgehalt als in die Fehlergrenze fallend betrachten will.
1) Chlorophyll a: C,,H,z0,N, Mg; Chlorophyll b: C,,H,,0,N, Mg2.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge.
VI. Mitteilung:
Allgemeine Folgerungen aus den bisherigen Untersuchungen.
$ Von
Prof. Dr. phil. et med. August Pütter, Bonn.
Mit5 Textabbildungen.
(Eingegangen am 14. März 1919.)
Der Versuch, eine Theorie der Reizvorgänge aus einfachen physi-
kalisch-chemischen Anschauungen über die Vorgänge des Stoffumsatzes
und Stoffaustausches heraus zu entwickeln, hat zu einem vollen Erfolg
geführt.
Wie in den vorigen Abhandlungen gezeigt wurde, lassen sich die
Erscheinungen, die sich auf die Nullschwelle, die Unterschiedsschwellen
und die Umstimmung beziehen, zahlenmässig richtig aus der Theorie
herleiten.
In erster Linie wurden bisher die Erscheinungen am menschlichen
Auge als Beispiele zur Prüfung der Theorie verwertet; aber die theoreti-
schen Erörterungen gelten ebensogut für mechanische Reize (Druck-
sinn) und, mit geringen Erweiterungen, die nicht grundsätzlicher Art
sind, auch für das ganze Heer der chemischen Reizwirkungen. Die
-Grundanschauungen bewähren sich nicht nur für die Sinne des Menschen,
scndern auch in ihrer Anwendung auf pflanzliche Objekte und be-
kunden dadurch ihre Allgemeingültigkeit bzw. allgemeine Brauchbarkeit.
In der Abhandlung über die allgemeinen Grundlagen der Theorien
konnten die Annahmen über die allgemeinen Reizwirkungen nur in
groben Strichen gezeichnet werden. Nachdem sich die Anschauungen,
die dort entwickelt wurden, so vortrefflich bewährt haben, und nach-
dem sie bei der Anwendung auf eine Reihe von Einzelfällen eine feinere
Ausgestaltung erfahren haben, ist es jetzt möglich, die Lehre von den
allgemeinen Wirkungen, die Reize auf lebende Systeme ausüben können,
in viel eingehenderer Weise darzustellen.
- 1. Allgemeines über das Eingreifen der Reize in das Getriebe
der Lebensvorgänge.
Es muss zunächst nochmals betont werden, dass es eine Grund-
annahme aller theoretischen Erörterungen über Reizwirkungen ist, die
40 August Pütter:
in diesen Studien niedergelegt sind, dass die Reize ausschliesslich
beschleunigend oder verlangsamend auf die Vorgänge des Stoffumsatzes
und des Stoffaustausches einwirken. Die Reize bewirken keine quali-
tativen Veränderungen des Geschehens in den lebenden Systemen,
sondern nur quantitative Veränderungen. Die Grössen, durch die
der jeweilige Zustand eines lebenden Systems bestimmt ist, sind Funk-
tionen der Intensität der Reize. Da diese Grössen keine qualitativen
Veränderungen erfahren, können alle Einflüsse, den Reize auf sie
ausüben, durch Zahlen zum Ausdruck gebracht werden, und infolge-
dessen bietet die Mathematik das gegebene Werkzeug zur Erforschung
der Reizerfolge.
Die apodiktische Behauptung, dass alle Reize nur dadurch wirken,
dass sie Plus- und Minusvariationen bestimmter Grössen hervor-
bringen, könnte Anstoss erregen. Dieser Anstoss ist beseitigt, wenn
ich die Behauptung in die Form einer Begriffsbestimmung kleide
und sage: meine theoretischen Erörterungen beziehen sich nur auf
solche Reize, für die die Annahme zutrifft, dass sie ausschliesslich
beschleunigend (in positivem oder negativem Sinne) auf die elemen-
taren Vorgänge in den lebenden Systemen einwirken. Die weite
Anwendbarkeit der Theorie, die auf dieser Grundlage erbaut ist,
wird die Berechtigung, d. h. die Zweckmässigkeit, dieser Festsetzung
zeigen.
Die Fälle von Reizvorgängen, die bisher theoretisch durchgearbeitet
worden sind, liessen sich darstellen durch die Gleichung:
q 1 ce-re P+ol ENT
u ap + +die ee “
Dq ee |
wenn die Integrationskonstanten c und d bestimmt sind durch die
Gleichungen:
G=X%o(Pi + 0), Zap. 20: “ ke Cla,
a... ©
wenn x, den Wert von x für die Zeit {= 0 bedeutet, und x durch
die Gleichung:
pp t
wu 2 6
p+rq
bestimmt ist.
Diese Fälle bestätigten die Berechtigung der Annahme, dass der
jeweilige Erregungszustand eines lebenden Systems durch
die Konzentration der „Erregungsstoffe‘ (R-Stoffe) be-
stimmt ist. Die Konzentration der R-Stoffe wird gemessen durch
die Grösse y.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 41
Über die Bedeutung der Integrationskonstanten ist nichts weiter
zu sagen, als was schon in der ersten Abhandlung !) auseinandergesetzt
wurde.
Die Grösse y hängt nach Gl. 1 ausser von der Zeit von vier Ver-
änderlichen ab. An diesen Grössen, die wir als q, r, p und a bezeichnen,
können sich die Wirkungen von Reizen geltend machen. Welcher Art
die Wirkungen sind, hängt von der besonderen Beschaffenheit des
einzelnen reizbaren Systems und von der Art des Reizes ab. Wir
wollen zunächst nur die Wirkungen von Lichtreizen und Druckreizen
betrachten, da sich für die chemischen Reize und Temperaturreize
noch einige Besonderheiten ergeben.
a) Die Veränderung der Reaktionskonstante q-
Die Grösse q bedeutet die Reaktionskonstante, durch die die Ge-
schwindigkeit gemessen wird, mit der die Umwandlung der ‚sensiblen‘
Stoffe (S-Stoffe) in die Erregungsstoffe (R-Stoffe) erfolgt. Es zeigte
sich, dass diese Grösse direkt proportional der Reizintensität J ist.
Das ist die einfachste Annahme, die man über die Abhängigkeit einer
Grösse von einer anderen machen kann. Die Beobachtungen haben
bisher keinen Anlass zu der Annahme einer verwickelteren Abhängig-
keit gegeben. Vor allem ist zu bemerken, dass die Grösse qg nicht
als Funktion der Zeit erscheint, während der die Intensität J
auf das lebende System eingewirkt hat.
Die Geschwindigkeit der Umwandlung der S-Stoffe in die R-Stoffe
ist in jedem Augenblick der gerade einwirkenden Reizintensität pro-
portional. Die Vorgeschichte übt keinen Einfluss auf die Wirkung
der Reizintensität; das chemische System reagiert ohne jede mess-
bare Trägheit.
b) Die Veränderung des Diffusionskoeffizienten r.
Die zweite Grösse, die durch Reize verändert wird, ist r, der
Diffusionskoeffizient, der die Geschwindigkeit misst, mit der die R-Stoffe
durch die Oberflächenschicht des Reizraumes hindurchtreten. In den
bisher betrachteten Fällen ist auch diese Grösse der Reizintensität J
direkt proportional. Hier kommt aber noch ein neuer Umstand von
grundsätzlicher Bedeutung hinzu: Die Grösse r ist auch eine Funktion
der Zeit, während der die Intensität J auf das lebende System ein-
gewirkt hat. Die grösste Veränderung, die r unter der Wirkung eines
Reizes von konstanter Stärke erfährt, wird theoretisch erst nach
unendlich langer Zeit erreicht. Dieser Unterschied des Einflusses
von Reizen auf die Grössen y und r erscheint aus allgemeinen Er-
1) Dieses Archiv Bd. 171 S. 210ff. 1918.
42 August Pütter:
wägungen heraus durchaus verständlich. Der Wert qg misst die Ge-
schwindigkeit des Umsatzes zweier gelöster Stoffe, die Grösse r da-
gegen eine Eigenschaft eines festen Körpers, denn jede Schicht, die
eine Protoplasmamasse gegen eine andere oder überhaupt gegen ein
anderes Mittel abgrenzt, hat die Eigenschaften einer Membran, eines
festen Körpers. Die Beobachtung, dass die endgültige Veränderung,
die ein Reiz bestimmter Stärke hervorzubringen vermag, erst nach
langer Zeit praktisch vollständig erreicht wird, zeigt, dass die Ober-
tlächenschicht ‚elastische‘ oder, sagen wir besser: ‚„‚gleichsam-elastische‘
Eigenschaften hat.
Während g unter der Wirkung eines Reizes sofort seinen neuen,
der Reizintensität entsprechenden Wert annimmt, hinkt r mit seiner
Veränderung nach, und daher muss sich der Erfolg eines Reizes mit
der Dauer seiner Einwirkung ändern.
Die Tatsache, dass die Vorgeschichte eines reizbaren Systems von
wesentlicher Bedeutung für die Wirkung eines Reizes ist, findet ihre
Erklärung darin, dass in dem heterogenen System, das eine lebende
Einheit darstellt, Elemente mit gleichsam-elastischen Eigenschaften
vorhanden sind, die träge den verändernden Einflüssen folgen und
nach dem Aufhören der Einflüsse noch lange Zeit sleichsam-elastische
Nachwirkungen erkennen lassen.
Solange nur Lichtreize und Druckreize in Betracht kommen, braucht
für die Grösse der Veränderung, die nach unendlich langer Zeit durch
einen Reiz an r hervorgebracht wird, keine verwickeltere Abhängigkeit
von der Reizintensität gemacht zu werden; die Annahme der direkten
Proportionalität reicht als erste Annäherung aus.
c) Die Veränderung der Konstante p und der Konzen-
tration a.
In allen Rechnungen zur Theorie der Reizvorgänge, die in den
vorigen Abhandlungen durchgeführt worden sind, haben wir p = 1,0
und a = 100 gesetzt. Die Resultate sind daher in besonderen Maass-
stäben für die Konzentration der R-Stoffe und für die Zeit ausgedrückt.
In der Festsetzung, dass p = 1,0 sein soll, ist gleichzeitig die An-
nahme enthalten, dass die Reize keine Wirkung auf die Zahl p aus-
üben. Eine solche Annahme ist zunächst nur zum Zweck der Ver-
einfachung der Rechnungen getroffen, und es wird nötig sein, von
ihr abzugehen, wenn Beobachtungen vorliegen, die zu der Annahme
zwingen, dass die Umwandlung der A-Stoffe in die S-Stoffe oder die
Diffusion der A-Stoffe durch die Wand des Reizraumes hindurch durch
die Reize oder durch die Konzentration der R-Stoffe beeinflusst wird-
Diese verwickelten Verhältnisse sollen hier zunächst beiseite ge-
lassen werden.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. ; 43.
2. Einfache Zahlenbeispiele.
Welche Mannisfaltigkeit des Verlaufes der Reizvorgänge sich. bereits
aus den verhältnismässig einfachen Wirkungen auf die Reaktions-
konstante q und den Diffusionskoeffizienten r ergeben, lässt sich am
besten an einigen Beispielsfällen zeigen.
Der Zustand eines reizbaren Gebildes im Grundumsatz ist be-
stimmt durch die Grössen q, und r,. Die Konzentration der S-Stoffe
(die Grösse x) und der R-Stoffe (die Grösse y) im Grundumsatz erhält
man, wenn man in den Gleichungen, die x und y darstellen, die Reiz-
’ 100
intensität J = 0 und die Zeit {= © setzt.‘ Es ist dann x, = 1 h
0
un NEE RER
le)
In welcher Weise sich diese Werte ändern, wenn gq, und r, ver-
schiedene Grössen annehmen, zeigt Tabelle 1. Als letzter Stab dieser
Tab. 1 ist eine Grösse H aufgeführt; sie bedeutet die grösste Kon-
zentration, die die R-Stoffe unter der Wirkung unendlich starker
Reize annehmen würden, wenn die Reize nur auf q und nicht auf r
verändernd einwirkten, d. h. wenn keine Umstimmung stattfände.
ee er 2. Tabelle 18
oe Baal Son ST 000 |
%— Ya ee Rz
7, 0,001 99,999 | 990 9100 50 000 91.000 100 000
0,01 9,999 99 910 5.000 9 100 10 000
0,1 0,999 9,9 91 500 910 1.000
1,0 0,099 0,99 91 50 91 100
5 10:000810950.009 4150, 0.009 0,099 0,91 5 9,1 10
De I m—=| wo | 9% 39002173590 Tele 91 | 50 | 9,1 |
Erfolgt die Veränderung von r durch die Reize langsam, oder ist
sie nur gering, so wird dieser Wert F annähernd erreicht, während
bei rascher Zunahme von r unter der Wirkung der Reize der grösste
Wert, den y erreicht, weit hinter H zurückbleiben kann, wenn die
Veränderung von r durch die Reize gross genug ist. :
Wir wollen als Beispiel einen Fall wählen, in dem q, = 0,1 und
To = 0,1 ist, dann sind x, und y, beide = 91,0, und der Wert H ist
1000. Es soll ferner die Beizahl k in der Gleichung y=g(1+KkJ)
im Beispielsfalle = 1,0 sein, und wir wollen dann die Erscheinungen
verfolgen, die zu erwarten sind, wenn in der Gleichung
BEE ee ll en
die Beizahl A’ nacheinander die Werte: 1,0; 0,1; 0,01; 0,001 und 0,0001
annimmt. Die Beizahl k’’ soll stets 0,01 sein.
"44 August Pütter:
Zunächst ist leicht zu berechnen, welchen Wert y unter der Wirkung
verschieden starker Reize nach unendlich langer Zeit annimmt. Dieser
‚Wert, ur ist.
1009, (1 +J)
N a)
Tab. 2 gibt die Ausrechnung dieser Gleichung für eine Anzahl
von Reizintensitäten und für die fünf Fälle, die sich dadurch von-
einander unterscheiden, dass die Umstimmung durch die Reize am
grössten in Fall I ist, wenn Ak’ = 1,0, und am geringsten in Fall V,
wenn k’ = 0,0001 ist.
In dem ersten Fall (I), in dem die umstimmende Wirkung des
Reizes am stärksten ist, ist nach einer genügend langen Einwirkung
eines Reizes die Konzentration der R-Stoffe stets, selbst bei den
schwächsten Reizen, vermindert. Ein solches reizbares System
würde gegenüber allen Reizintensitäten, von den schwächsten bis
zu den stärksten, nur vorübergehende Erregung zeigen, niemals
in dauernd gesteigerte Tätigkeit verfallen.
In den übrigen Fällen (II—-V) bewirken die schwächeren Reize
eine Dauererregung, die stärkeren nach vorübergehender Er-
regung eine Abnahme der Konzentration der R-Stoffe unter den
Wert. (y, = 91,0) des Grundumsatzes.
Tabelle 2.
k=1,0 M—Xe6) 9=Nl; 1 — 0:
1 I Ana EN V
wo kl k'—=0,01 | %'= 0,001 | %’ = 0,0001
J— Yo Yoıze Yo. Yon — Yo —
) 91,0 91,0 91,0 91,0 91,0
1 88, 152,0 166,0 166,0 166,0
2 77,0 193,0 225,0 230,0 231,0
5 62.5 250,0 353,0 375,0 376,0
10 47,8 262,0 479,0 520,0 525,0
20 32,2 226,0 566,0 662,0 680,0
50 16,5 140,0 560,0 795,0 838,0
100 9,05 2a 4550 830,0 900,0
500 1,95 19,3: .12.21620 660,0 935,0
1-103 0,99 9,8 90,0 495,0 900,0
5-103 N un 19,5 165,0 665,0
1.10% —_ = 98. 10° 805 1. .5000
5-10 — = = 195 | 166,0
1-105 = — - | 9,8 1779970
Je schwächer die umstimmende Wirkung ist, desto stärker muss
der Reiz sein, der nach genügend langer Einwirkung die Konzentration
der R-Stoffe gegenüber dem Zustande des Grundumsatzes vermindert.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 45
So geben in Fall II alle Reize, die schwächer als etwa J = 100 sind
eine Dauererresung, in Fall III alle Reize, in denen J < 1000, in Fall IV,
wenn J < 10000, und in Fall V, wenn J < 100000 ist.
Die stärkste Dauererregung, d. h. den höchsten Wert von Y,,;
erhalten wir in Fall II bei einer Reizintensität von etwa J = 10, m
Fall III bei J = 20, in Fall IV für J = 100 und in Fall V für J = 500.
Wollten wir den Erfolg einer Reizung nur an ihrem Dauererfolge
messen, so würden wir in den Fällen II—V finden, dass mit steigender
Reizintensität zunächst der Reizerfolg wächst, dann ein Maximum
erreicht, hierauf fällt und endlich nicht mehr in einer Steigerung
der Konzentration der R-Stoffe zum Ausdruck kommt, sondern in
einer Herabsetzung.
In übersichtlicher Weise veranschaulicht die Kurvenschar in Abb. 1
dieses Verhältnis. Die der Abszissenachse parallelen Linien G und H
bedeuten die Höhe der Konzentration der R-Stoffe im Grundumsatz,
d. h. für die Reizintensität J = 0 (Linie G = 91) und für die Reiz-
intensität J = o (Linie 7 = 1000) in dem Grenzfalle, dass der Reiz
überhaupt keine Wirkung auf r hat, d. h. dass A’ = 0 ist.
Je kleiner k’, d. h. je geringer die umstimmende Wirkung des
Reizes ist, um so näher kommt der Wert der stärksten Dauererregung
der Grösse H, und bei um so höherer Reizintensität wird diese grösste
Höhe erreicht.
Eine vollständige Übersicht der Verhältnisse erfordert aber die
Berechnung der Grösse y, die die Höhe der Erregung misst, für be-
liebige Zeiten. Für jeden der fünf Beispielsfälle erhalten wir dann
eine Kurvenschar, in der die Zeit als Abszisse und die Konzentration
der R-Stoffe als Ordinate erscheint, und bei der jede einzelne Kurve
die Verhältnisse für eine bestimmte Reizintensität darstellt.
In der folgenden Tab. 3 ist eine solche Rechnung durchgeführt,
und zwar für den Fall I, in dem die Umstimmung am stärksten ist. Die
46 August Pütter:
Ergebnisse zeigen alle wesentlichen Punkte, so dass eine Durchführung
der Rechnung für die übrigen Beispielsfälle nicht nötig erscheint.
Zunächst können wir die Zahlen der Tab. 3 in zwei Gruppen teilen.
Die eine umfasst die Werte, die höher als 91 sind, d. h. höher als der
Zahlenwert, durch den die Konzentration der R-Stoffe im Grund-
umsatz gemessen wird, die andere die Werte, die < 91 sind.
Die erste Gruppe bezeichnet die Fälle, in denen „Erregung“
durch die Reize stattfindet, die zweite die Fälle, in denen „Lähmung“
den Reizerfolg darstellt.
In unserem Beispielsfalle bewirkt schon der schwache Reiz J =1 ‚0,
wenn er lange genug einwirkt, eine Lähmung. Bei ?{ = 200 ist der
Wert von y kleiner als im Grundumsatz. Bei stärkeren Reizen
wird die Zeit, während deren der Reiz erregend wirkt, immer kürzer.
Tabelle 3.
a 0,1(1 19) n=1|J= 1c= 92 d= — 44,66
r=0,1[1 +71 ey] y=-91|J= 2 c— 183 da= — 58,97
IJ= 5 e= 456 d= — 72,65
|J= 1 c= 91,1 d= — 78,14
|J= 20 c=18231 d= — 80,56
17:50, 00 4451 ae 26
= .100% 88901 78
IL 200 ce 1780 °d- 8195
J= 500 c= 3560 d= — 82,0
t Tan. ES |»=1]7=2| 7-5 | 710 | 7- an n 72% - En |» 100|r— 200|7—500
0 91 | 91,| 9a 9 91 91 91 | 91
1°. 99%] 10417117 iS = 163 146 118 | 88
21 104 | 115 | 140 165 189 191 | 164 134 81
5| 116 | 189 | 182 220 240 205 15 | 8 | 37,8
10 | 180 | 162 | 209 | 234 | 218 140 3 I 55 | 192
»0.|.120 | 164 | ıss | ı55 | 1a ]J 82 1 as | 059 | 10%
50 | 126 | 129 | 154 105.015 40 222 | 11,8 4,34
100 | 102 | 108 | 125 68,52], 50 95:90.1142 7,6 3:
200] 90] 83 | 54,0 37 18,9 | 10,4 5,4 2,25
% ssıl 77. |®.625 | 478 22,2 16,5 9365| 4755| 1,9
So wirkt J = 10 schon nach 100 Zeiteinheiten lähmend, J = 20
nach 50 Zeiteinheiten usw., bis wir schliesslich zu einem Reiz kommen,
der schon nach einer Zeiteinheit den Wert von y herabsetzt, d. h.
lähmend wirkt. In Tab. 3 ist der Reiz J = 500 ein solcher Reiz, der
ohne vorherige Erregung lähmt.
Wir sehen hieraus, dass es reizbare Systeme geben kann, bei denen
die Zeit der Erregung durch einen Reiz um so kürzer wird, je stärker
der Reiz ist.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 47
Hätten wir einen Beispielsfall durchgerechnet, bei dem die Um-
stimmung schwächer ist, zum Beispiel den Fall II oder III, so hätten
wir für die schwachen Reize Dauererresung bekommen und erst für
stärkere eine zeitliche Begrenzung der erregenden Wirkung.
Der zweite Punkt, den Tab. 3 erläutert, ist die Stärke der Erregung.
Für jede Intensität ist der höchste Wert, den y unter ihrer Wirkung
annimmt, fett gedruckt. Wie man sieht, nimmt die Stärke der Er-
regung zunächst mit steigender Reizintensität zu. Bei der Reizstärke
J =1 ist der höchste Wert von y = 140, bei J =5 ist er 209, bei
J = 20 hat er 240 erreicht. Wächst nun aber die Reizstärke weiter,
so steigt der Wert von y nicht mehr, sondern fällt wieder. So ent-
spricht der Reizstärke J — 50 als höchster Wert nur y = 205, der
Reizstärke 100 nur y = 164, d. h. dieselbe Erregungsstärke, die wir
auch bei J = 2 erhalten.
Es ist also zu erwarten, dass es reizbare Systeme ib bei denen
die Reizwirkung bei schwachen Reizen mit wachsender Reizstärke
zunimmt, dagegen bei starken Reizen mit wachsender Reizstärke
abnimmt, so dass es eine Reizintensität gibt, bei der die Erregung
ein Maximum erreicht. y
Wir sehen in Tab. 3, dass der Reiz J = 2 und der Reiz J = 100
den Wert von y höchstens auf 164 bringen. Die beiden Reize sind
also in bezug auf ihre stärkste erregende Wirkung einander gleich;
sie unterscheiden sich aber dadurch, dass bei der Reizstärke 2 die
Einwirkung 20 Zeiteinheiten lang erfolgen muss, damit y = 164 wird,
während für J = 100 dieser Erfolg schon nach 2 Zeiteinheiten erreicht
ist. Die ‚„Reizmenge‘“ beträgt im ersten Falle 40, im zweiten 200.
Vergleichen wir die Erfolge verschieden starker Reize, die
gleich lange auf das reizbare System einwirken, so sehen wir, dass
die stärkeren Reize in derselben Zeit zuerst eine stärkere Erregung
bewirken als die schwächeren, dass dann aber bei noch weiter wachsen-
den Reizstärken die Werte von y, durch die wir die Erregung messen,
wieder kleiner werden.
Den höchsten Wert von y, der in unserem Beispielsfall y = 240
ist, erreichen wir nur, wenn ein Reiz von bestimmter Stärke (J = 20)
während einer bestimmten Zeit (! =5) einwirkt; alle anderen Kom-
binationen von Reizintensitäten und Zeiten geben geringere Erfolge.
Wir können hiernach der Reizmenge, wie man das Produkt von
Reizintensität und Reizzeit genannt hat,‘ keine bestimmende Be-
‘ deutung für die Grösse des Reizerfolges beimessen.
3. Die Besonderheiten der chemischen Reize.
Wir haben bisher als einfachsten Beispielsfall den Fall einer Reizung
betrachtet, bei der die Reizintensität im Beginn der Reizung sofort
48 August Pütter:
|
mit voller Intensität auf alle Teile des reizbaren Gebildes einwirkt
und mit unveränderter Intensität dauernd weiter wirkt. Dieser Fall
ist für die chemischen Reize kaum zu verwirklichen.
Im allgemeinen steht ja die Oberflächenschicht des Reizraumes
nicht in unmittelbarer Berührung mit dem Medium, in dem der Stoff
gelöst ist, der als chemischer Reiz wirkt, sondern ist von ihm durch
eine Membran getrennt, die an dem Reizvorgang keinen tätigen Anteil
nimmt. Wird an der Aussenseite dieser Membran eine gewisse Kon-
zentration des wirksamen Stoffes erzeugt, so dauert es eine bestimmte
Zeit, bis die ersten Spuren des Stoffes die Membran durchdrungen
und die lebende Oberflächenschicht des Reizraumes erreicht haben,
und es dauert eine längere Zeit, bis sich ein stationärer Zustand aus-
gebildet hat, in dem in der Zeiteinheit stets die gleiche Menge der
als Reiz wirkenden Verbindungen in das reizbare Gebilde eintritt.
Der Reiz schwillt also innerhalb einer gewissen Zeit, die nicht
vernachlässigt werden darf, an und erreicht dann erst seinen. vollen
Wert.
Aber auch wenn wir von dieser Verwicklung absehen, die dadurch
entsteht, dass eine Membran, die am Vorgang der Reizung selber
unbeteiligt ist, das eigentliche reizbare, Gebilde umhüllt, und wenn
wir uns vorstellen, dass im Beginn der Reizung sogleich die volle
wirksame Konzentration an der Öberflächenschicht des Reizraumes
herrschte, ergeben sich besondere Möglichkeiten für die Art der
chemischen Reizung.
Im Augenblick des Reizbeginns wird ja nur die Oberflächenschicht
von dem chemischen Reiz getroffen; erst später dringt der chemische
Reiz ins Innere des Reizraums, wo er auf die Geschwindigkeit der
chemischen Umsetzung der S-Stoffe in die R-Stoffe wirken kann.
Im einfachsten Falle erreicht die Konzentration der Stoffe, die‘
als chemische Reize wirken, nach einer gewissen Zeit im Reizraum
praktisch denselben Wert wie ausserhalb. In diesem Falle hätten
wir nur einen Zeitabschnitt, in dem der Reiz noch keine bzw. nur
eine geringe Wirkung auf die Grösse q, dagegen schon seine volle
Wirkung auf die Oberflächenschicht, auf die Grösse r entfalten kann.
Es ist aber noch an eine weitere Möglichkeit zu denken: Wir können
uns die Beschleunigung, die der Stoff N auf die Umwandlung der
S-Stoffe in R-Stoffe ausübt, so vorstellen, dass er eine Zwischenreaktion
bildet, bei der eine Verbindung entsteht, und können uns vorstellen,
dass diese den Reizraum verlässt. In einem solchen Falle wird die
Konzentration des chemischen Reizes im Reizraum nie so gross
wie an der Oberfläche des Reizraumes, und die Reizung verläuft so,
als ob auf den Wert r eine stärkere Reizintensität einwirkte als
auf den Wert q.
“
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 49
Es kann aber auch dazu kommen, dass die Konzentration der als
Reiz wirkenden Verbindungen im Reizraume grösser wird als an
seiner Oberfläche, wenn sie sich zum Beispiel infolge besonderer Lös-
lichkeitsverhältnisse der wirksamen Stoffe in der Substanz des Reiz-
raums stärker anhäufen.
Jedenfalls sind die Möglichkeiten, die sich für chemische Reizungen
ergeben, stets dadurch besonders mannigfaltig, dass die Wirkungen
auf den Diffusionskoeffizienten (r) und die Reaktionskonstante q (und
ebenso p) weder gleichzeitig einsetzen noch stets als Funktion der
gleichen Konzentration des wirksamen Stoffes. d. h. als Funktion der-
selben Reizintensität J, erscheinen. g
Am auffälligsten muss die Wirkung dieser Verhältnisse hervor-
treten, wenn die Veränderung von r früher einsetzt als die auf q, oder
wenn r dauernd unter der Wirkung einer höheren Reizintensität steht
als q. Die schematische Abb. 2
verdeutlicht die Erscheinungen,
die dann hervortreten müssen.
Schwache Reize müssen allein
auf r wirken und daher den
Wert von y, unter den Betrag
hinabdrücken, den er im un-
gereizten Zustande hatte (Y,).
Erst bei einer gewissen Reiz-
stärke wird wieder der Wert
y, erreicht und bei weiter
steigender Reizintensität über-
schritten. Wenn eine Steige- Abb. 2.
rung von y’ über y, als Er-
regung zum Ausdruck kommt, so muss die Herabsetzung von y unter
y, als das Gegenteil in die Erscheinung treten. Es wäre damit ein
Verständnis für die hemmende Wirkung schwacher Reize gewonnen,
wovon noch genauer die Rede sein soll.
Ein Sonderfall, in dem die Konzentration, die auf q und r
einwirkt, dauernd verschieden ist, verdient besondere Beachtung
und sei genauer durchgerechnet, da er häufig vorkommt. Wir
müssen an die Möglichkeit denken , dass der Stoff, der als chemi-
scher Reiz wirkt, im Reizraume in irgendeiner Weise in eine un-
wirksame Form übergeführt wird, so dass als Reiz immer nur der
unveränderte Anteil für die Beschleunigung (oder Verlangsamung)
der Umwandlung der S-Stoffe in die R-Stoffe in Betracht kommt,
während auf die Oberflächenschicht, auf den Diffusionskoeffizienten r,
die volle, ausserhalb des Reizraums bestehende Konzentration zur
Wirkung kommt.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 4
50 August Pütter:
Über die Art der Umwandlung im Reizraume brauchen wir keine
ins einzelne gehende Annahme zu machen. Sie könnte in einer Neu-
tralisation (bei Säuren oder Basen), in einer Oxydation, einer Paarung
usw. bestehen.
Wir brauchen zur theoretischen Behandlung der Frage, wie eine
solche Umwandlung in eine unwirksame Form wirken muss, nur die
Annahme zu machen, dass die Geschwindigkeit der Umwandlung in
jedem Augenblick proportional der Konzentration des wirksamen
Anteils des Stoffes im Reizraum ist, und können dann die Konzentration
des Stoffes im Innern des Reizraums als Funktion der Konzentration
angeben, die der Stoff ausserhalb des Reizraums hat.
Die Aufgabe ist formal gleich der Aufgabe, die bei der Besprechung
des Grundmodells der Reizvorgänge!) schon gelöst wurde. Wir brauchen
nur die Vorgänge, die am oberen Gefäss ablaufen, zu betrachten.
Wir hatten ein Gefäss von der Höhe a, in dem sich bis zur Höhe &
Wasser befindet. Der Wasserzufluss ist so geregelt, dass er nur auf
der Strecke (a—x) erfolgt. Seine Grösse ist proportional dieser Strecke
(a—x) und einem Faktor p, der die Grösse des Zuflusses pro Einheit
der Strecke misst. Am Boden des Gefässes befindet sich ein Loch,
durch das das Wasser ausfliesst, und der Ausfluss ist proportional der
Höhe der Wassersäule x und dem Faktor gq, der von der Grösse des
Loches abhängig ist.
Jetzt ist p proportional der Konzentration zu setzen, die der Stoff
ausserhalb des Reizraums hat. Wir nennen sie C. Die Grösse x bedeutet
die jeweilige Konzentration des wirksamen Stoffes im Reizraume, die
wir C’ nennen wollen. Der Faktor q misst die Geschwindigkeit, mit der
die Umwandlung des wirksamen Stoffes in die unwirksame Form er-
folgt; wir wollen ihn hier s nennen. Wie früher gezeigt wurde, ist
ap tere P+ot
P 14:
Bei Berechnung der Integrationskonstante ist x, = 0 zu setzen,
solange es sich um eine Reizung handelt, die ein Element trifft, das
bisher nicht unter der Wirkung dieser Reizart stand, so dass ce =— a: pist.
Es ‘genügt vorläufig, die Konzentration C’ für den stationären
Zustand zu kennen, der erreicht wird, wenn f= » ist.
a-p N
Bszistedann x
Pd
Die Grösse a ist gleich der Konzentration C. Drxz=C'undp=C_.
ist (siehe oben), so erhalten wir die Gleichung:
C:
mas
1) Siehe dieses Archiv Bd. 171 S. 208ff. 1918.
ı
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 5]
Die folgende Tab. 4 zeigt, welche Werte die Konzentration inner-
halb des reizbaren Elementes hat, wenn s die Zahlenwerte 1, 10,
100 und 1000 annimmt. Sie erreicht den halben Wert der Konzen-
: N ; (CR (&
tration, die aussen herrscht, wenn C = sist, denn dann ist C’ = 260" 2
Tabelle 4.
2
Zahlenwert des Ausdrucks 0’ — a
C+s
De SM) SM) s-—100 s —= 1000
BR ( (Ol (Oi (re
0,1 0,0091 0,00099 0,0000999 —
1.0 05 0.091 0,0099 4%
2.0 1,33 0,333 0.0394 ai
3,0 4,18 1,67 0,238 0,025
10.0 91 5.0 0.91 0.099
20,0 18) 19.3 3,983 0,393
50,0 49 41,8 16,6 2,38
100.0 99 u 2 50,0 91
200,0 199,5 190 133 33,3
500,0 — 490 418 166
1000,0 — 990 910 500
Ein Zahlenbeispiel mag zeigen, welche Folgen es für die Wirkung
eines Reizes haben kann, wenn der Stoff, der als Reiz wirkt, im Innern
des Reizraumes in eine unwirksame Form umgewandelt wird.
Wir wollen wieder nur den Erfolg einer Dauerreizung für ! = &
; 100 q
iintersuchen. "Es ist dann y =
r(l+9q
Essserq = 0.1.1 +C)
U. AUT ELE))
Der Gleichförmigkeit wegen wollen wir für C und C’ auch hier J
und J” setzen, da die Konzentrationen ja die Reizintensitäten bedeuten.
Jf= |
Esist dann J’' = —, und für q und r erhalten wir die Gleichungen
s
Tr
a
ee Be
a or
Wird s = 0, so haben wir den einfachen Fall, in dem der Stoff
"im Reizraume nicht in eine unwirksame Form übergeführt wird. Lassen
wir s nacheinander die Werte 10, 100, 1000 annehmen, so erhalten
wir Einblick in den Einfluss, den die immer rascher erfolgende Ver-
arbeitung des Reizstoffes im Reizraume hat.
In Abb. 3 sind die Reizstärken, d. h. die Konzentrationen ausserhalb
des Reizraumes, in logarithmischem Maassstabe als Abszissen, die
4*
52 August Pütter:
Werte von y%» in linearem Maassstabe als Ordinaten aufgetragen. |
Die Linie G bedeutet die Konzentration der R-Stoffe im Grundumsatz. "
Die Kurven, die mit s = 0, s = 10 usw. bezeichnet sind, lassen leicht
erkennen, in welcher Weise sich die Reizerfolge unterscheiden, wenn
die reizbaren Systeme nur darin voneinander verschieden sind, dass 4
der Stoff, der als Reiz wirkt, in ihnen mit verschiedener Geschwindig-
keit verarbeitet, und zwar unwirksam gemacht, wird.
Während unter der Wirkung von Reizen in dem System, in dem "
s =0 ist, d. h. in dem der Stoff, der die Reizung bewirkt, nicht um-
gesetzt wird, y bei schwachen Reizen stets wächst, haben wir für hi
s = 10 oder 100 usw. bei schwachen Reizen eine Abnahme von y.
Für eine Reizintensität J = 1,0, die bei s = 0 schon eine starke Zu-
nahme von y bewirkt (starke Erregung), hät in dem Falle, wo s = 10
ist, noch einen etwas geringeren Wert als im Grundumsatz (schwache
Hemmung oder gar keine Wirkung), für s = 100 einen deutlich ge-
ringeren Wert (deutliche Hemmung). Ist s = 100, so bewirkt ein
Reiz J = 5,0 sehr starke Hemmung, und J = 10 hemmt auch noch,
während dasselbe System für s = 0 bei dieser Reizintensität in maxi-
male Erregung geraten würde.
Wird s noch grösser, zum Beispiel s = 1000, so bekommen wir
bei allen Reizintensitäten immer nur eine Abnahme von y unter Y,,
d. h. unter den Wert, den es im Grundumsatz hat.
‚Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 53
Hiermit sind aber die Verwicklungen, auf die man bei chemischen
Reizen gefasst sein muss, noch nicht erschöpft.
Wir hatten bisher die Wirkung einer bestimmten Reizintensität J
auf r als proportional der Intensität des Reizes angesehen.
Wenn irgendein chemisch wirksamer Stoff &uf die Oberfläche
eines Körpers wirkt, so kommen häufig Erscheinungen zur Beobach-
tung, die wir als Adsorption bezeichnen. Es liegt sehr nahe, sich
vorzustellen, dass die Stoffe, die als chemische Reize auf die Ober-
tlächenschicht des Reizraumes wirken, an dieser Oberfläche adsorbiert
werden. In diesem Falle würde die Grösse der Veränderung der Ober-
flächenschicht, die in der Zunahme des Diffusionskoeffizienten zum
Ausdruck kommt, nicht mehr der Reizintensität J proportional sein,
sondern einer gebrochenen Potenz von J, wie wir dies für die Adsorption
kennen. Dem Gesetz der Adsorption entsprechend würden wir die
Veränderung von r proportional k-J® setzen, wobei nach den bisherigen
Erfahrungen über Adsorption b zwischen 0,2 und 0,7 liegen würde.
Wir hätten also für r die Gleichung:
a JE Evers ke]
Diese Besonderheiten der chemischen Reize gewinnen für eine
Theorie der Reizvorgänge höchste Bedeutung durch die überragende
Rolle, die chemische Reize bei der Einwirkung lebender Systeme auf-
einander spielen. ,
Gleichviel welcher Art die Reize sind, die auf die peripheren Sinnes-
elemente einwirken, stets besteht der Reizerfolg darin, dass die Kon-
zentration bestimmter wirksamer Stoffe in diesen peripheren Elementen
durch die Reize verändert wird. Jede Reizart wird durch die auf-
nehmenden Teile der Sinneszellen in eine chemische Zustands-
änderung, eine Konzentrationsänderung, übertragen. Diese Konzen-
trationsänderung der unmittelbar getroffenen Teile der Sinneszellen
stellt den Reiz dar, der auf die weiteren Zellen oder Zellteile wirkt,
die mittelbar durch die Reize verändert werden. Alle diese Reize,
durch die sich die verschiedenen Zellstationen einer Zellkette, zum
Beispiel einer Neuronenkette, beeinflussen, sind chemische Reize.
Die Veränderung lebender Systeme durch chemische Reize stellt den
allgemeinen Fall der Theorie der Reizvorgänge dar, demgegenüber
die Wirkung von Lichtreizen, Temperaturreizen, mechanischen Reizen,
so wichtig sie sind, doch als die Spezialfälle erscheinen.
Auch die Reizung lebender Systeme durch elektrische Reize erscheint
nur als ein Sonderfall chemischer Reizung. Alle lebenden Gebilde sind
Leiter zweiter Ordnung, d. h. sie leiten die Elektrizität nur unter Stoff-
‚verschiebungen. Geht ein elektrischer Strom durch ein lebendes Gebilde
hindurch, so finden in der durchströmten Strecke Stoffwanderungen statt;
es entstehen Konzentrationsänderungen gegenüber dem ungereizten
54 August Pütter:
Zustande (dem Zustande des Grundumsatzes), und diese Konzentrations-
änderungen sind es, die die Geschwindigkeit der Vorgänge des Stoff- h!
umsatzes und Stoffaustausches verändern, d. h. die die Reizwirkung }
des elektrischen Stromes hervorbringer. Die chemische Reizung, die |
mit Hilfe des elektrischen Stromes bewerkstelligt wird, bietet einige |
Besonderheiten. Die als Reiz wirksamen Konzentrationsänderungen "
entstehen an dem Ort, an dem sie ihre Reizwirkung entfalten; es ist
nicht wie bei anderen chemischen Reizen, bei en der wirksame |
Stoff häufig erst eine Membran durchdringen muss, bevor er nur zur A
Oberfläche des reizbaren Elementes gelangt. Die Konzentrations- |
änderung, die der elektrische Strom bewirkt, schwillt sehr rasch zu‘
ihrem vollen Betrage an und verschwindet wieder, sobald der Strom |
unterbrochen wird. |
Wir haben also in dem elektrischen Strom ein Mittel, eine chemische
Reizung zeitlich genau zu begrenzen, was sonst mit gewöhnlichen
chemischen Reizen nicht möglich ist.
Wenn wir im folgenden an Beispielsfällen die Besonderheiten
chemischer Reizwirkungen zeigen, so sind diese zum Teil auch bei elek-
trischen Reizungen zu erwarten und ferner bei Wirkungen, bei denen
verschiedene Zellstationen eines Nervensystems aufeinander einwirken.
4. Zahlenbeispiele für chemische Reize.
Um die Besonderheiten zu zeigen, die sich bei chemischen Reizen |
ergeben, wollen wir wieder ein Zahlenbeispiel durchrechnen. |
Für die Abhängigkeit der Grösse q von der Reizintensität J wollen
wir wie bisher setzen:
g:=0,1(7 40,1).
Für r wählen wir die Abhängigkeit von J, die sich unter der An-
nahme einer Adsorptionsverbindung ergibt, und setzen als Beispiel:
r = O1 42702 er
Die Grössen x und y sind wie immer:
100 em
1+g
q cemeAtot ie
U "rdrg (100 + rang -F d-e 2)
Zunächst wollen wir wieder untersuchen, welche Werte x und y
bei verschiedenen Reizintensitäten annehmen, wenn {= © wird. Es
=
=)
ist dann &u = ——,
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 55
Die umstehende Tab. 5 gibt die Resultate der Rechnung für eine
orössere Reihe von Reizintensitäten, und Abb. 4 zeigt anschaulich,
wie sich die Grösse y ändert, wenn Reize verschiedener Intensität
dauernd auf ein solches reizbares System einwirken.
SENT.
eu OB BERN
© 120 BENBBBNEH
207
4.
70?
Abb.
Für alle Reize, die schwächer sind als J = 36, nimmt y Werte an,
die kleiner sind als y = 91, d.h. kleiner als der Wert von y im
Grundumsatz. Am stärksten setzt ein Reiz J = 1,0 den Wert von y
herab, nämlich auf 49,5.
Unter der dauernden Wirkung eines Reizes von der Intensität
56 August Pütter:
Tabelle 5.
Reizintensität J — Ye — Be —
0,0000 91 91
0,0001 82 —
0,001 77 —
0,01 68,5 =
1 58,5 =
„0 49,5
5,0 92 87
10 60 3
20 74 7
50 102 62,5
100 126 47,7
200 142 32,2
300 146 24,4
400 146 19,6
500 145 16,2
600 144 14,2
700 142 12,4
1000 137: 9,0
10% 90 0,99
10° 53 0,099
108 30,8 0,0099
107 17,5 0,00099
y = 36 wird y ebenso gross wie im Grundumsatz, d. h. ebenso
gross, als ob gar kein Reiz einwirkte.
Stärkere Reize lassen den Wert von y steigen, und zwar zu-
nächst um so mehr, je stärker der Reiz ist, bis für J = 360 der
höchste Wert von y mit 147 erreicht ist. Steigt die Reizintensität
noch weiter, so sinkt der Wert von y wieder. Für J = 1000 ist er
nur noch 137.
Schliesslich nimmt unter der Dauerwirkung eines Reizes J = 9500
die Konzentration der R-Stoffe (7) wieder den Wert an wie im Grund-
umsatz, und bei noch stärkeren Reizen sinkt y unter den Wert, den
es im Grundumsatz hat. So wird, wenn der Reiz J = 100000 dauernd
einwirkt, y = 53, für J = 10° y = 30,8, usw.
Es gibt also für ein solches reizbares System drei Reizintensitäten,
unter deren Dauerwirkung y = 91 wird, nämlich die Werte J =,
J = 36 und J = 9500. \
Eine dauernde Zunahme der Konzentration der R-Stoife, d. h. eine
Dauererregung, findet unter der Wirkung von Dauerreizen nur statt,
wenn die Reizintensitäten > 36 und < 9500 sind.
Alle Reize, die schwächer als 36 und stärker als 9500 sind, setzen
y auf Werte herab, die geringer sind als der Wert von y im Grund-
umsatz. Bedeutet eine Zunahme von y über den Wert im Grund-
umsatz eine Erregung, so bedeutet eine Abnahme unter diesen Wert
das Gegenteil der Erregung.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 57
Wir wollen die Herabsetzung von y “unter den Wert, den y im
Grundumsatz hat, als „Hemmung bezeichnen, wenn sie durch
schwache, als „Lähmung‘‘, wenn sie durch starke Reize bewirkt wird.
An unserem reizbaren System würden also Dauerreize, die schwächer
als J = 36 sind, „Hemmung“ bewirken, und zwar würde die stärkste
Hemmung durch den Reiz J = 1 bewirkt werden.
Reize, die stärker als 9500 sind, würden bei dauernder Einwirkung
lähmen, und zwar um so mehr, je stärker sie sind.
Um einen vollständigen Überblick über die Reizbeantwortungen
unseres Systems zu bekommen, müssen wir nun noch den zeitlichen
Verlauf seiner Änderungen verfolgen.
In Tab. 6 sind die nötigen Zahlen berechnet; Abb. 5 gibt die bild-
liche Darstellung der Verhältnisse.
Tabelle 6.
g-t1Al+0O1N; r=0,1 [1 + I (l— el).
oO
Ze als | S$S
| | |
1m
-
|
53
91
Zunächst können wir wieder die Fälle, in denen y > 91 ist, von
denen trennen, in denen y < 91 ist. Wie die Tab. 6 leicht erkennen
lässt, haben wir zwei Gebiete, in denen y < 91 wird, also Hemmung
bzw. Lähmung als Reizerfolg erscheint.
Die schwächsten Reize — in der Tab. 6 bis zur Intensität J = 15 —
geben nur Hemmung, die um so stärker wird, je länger die Reize
einwirken.
Etwas stärkere Reize — in der Tab. 6 der Reiz J = 20 — erregen
bei kurzdauernder Wirkung, während sie bei längerer Einwirkung
zur Hemmung führen. Für den Reiz J = 20 erreicht die erregende
Wirkung nach zwei Zeiteinheiten ihren Höhepunkt und hört auf,
wenn der Reiz etwa 15 Zeiteinheiten eingewirkt hat.
Nun folgen Reizstärken — in der Tab. 6 von J = 40 bis J = 1000 —,
die nur Erregung hervorrufen, gleichviel, wie lange sie einwirken.
58 August Pütter:
Die Stärke der Erregung hängt dabei von der Dauer und Stärke der
Einwirkung des Reizes ab. Die stärkste Erregung tritt in diesem
Beispielfall für die durchgerechneten Reizintensitäten etwa beit =5
ein. Wirken die Reize länger, so nimmt die Reizwirkung wieder ab.
250
750
Die stärkste Erregung, in die das System überhaupt geraten kann,
ist gemessen durch die Zahl 235 für y und wird erreicht, wenn ein
Reiz von der Stärke 1000 fünf Zeiteinheiten lang einwirkt.
Werden die Reizintensitäten noch weiter gesteigert, so folgt auf
eine anfängliche Erregung bei langer Einwirkung der Reize eine
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 59
Lähmung. Die stärkste Erregung wird im Bereich dieser Reiz-
stärken — in der Tab. 6 die Intensitäten J = 10? bis J = 10° — immer
schwächer mit wachsender Reizstärke, und tritt nach immer
kürzerer Wirkungsdauer ein, bis wir schliesslich zu Reizen von solcher
Stärke gelangen — J = 10° —, dass sie schon in der ersten Zeiteinheit
den Wert von y verkleinern, d. h. ohne Erregung lähmen. In Abb. 5
sind die Kurven, die die abnehmende Wirkung starker Reize dar-
stellen, gestrichelt eingezeichnet. Man sieht zum Beispiel, dass für eine
Intensität von 1000 die Erregung zuerst stärker ist, als für J = 500,
aber schon nach wenigen Zeiteinheiten schwächer wird. Für die Intensi-
täten, die > 1000 sind, bleibt die Erregungsgrösse von Anfang an
hinter den Werten für die schwächeren Reize zurück.
5. Anwendungen.
Wenn wir Umschau halten, ob Beobachtungen bekannt sind, die
dem Verständnis näher gerückt werden, wenn wir auf sie die theore-
tischen Anschauungen anwenden, die in den vorigen Abschnitten ent-
wickelt wurden, so-finden wir reiche Ausbeute.
Wofür die Theorie das Verständnis eröffnet hat, das ist die Tat-
sache, dass dieselbe Reizart, je nach der Stärke und Dauer ihrer
Einwirkung, an demselben reizbaren System entgegengesetzte
Erfolge hervorrufen kann.
Wir sahen ja, dass der Wert von y, die Konzentration der Er-
regungsstoffe im Reizraume, unter der Wirkung von Reizen nicht
nur grösser, sondern auch kleiner werden kann, als er im
ungereizten Zustande war.
Kommt die Zunahme von y in einer Erregung zum Ausdruck,
so bedeutet die Abnahme das Gegenteil der Erregung. Wir kennen
zwei Zustände, die wir als „Gegenteil“ der Erregung betrachten können,
die Hemmung und die Lähmung. Ein Versuch, diese beiden Zustände
theoretisch zu trennen, wird später gemacht werden.
Da wir in den Reaktionen der ganzen Organismen häufig nur einen
abgeleiteten Erfolg der Veränderung der Konzentration der Erregungs-
stoffe sehen, kann es vorkommen, dass wir eine Herabsetzung, eine
Verlangsamung, einer Lebenstätiskeit beobachten, wenn y zunimmt,
dagegen bei abnehmendem y eine Steigerung, eine Beschleunigung.
Betrachten wir als Beispiel die Erscheinungen der Lichtwendigkeit
der Pflanzen.
Krümmt sich ein wachsender Pflanzenteil unter der Wirkung
mässiger einseitiger Belichtung nach der Lichtquelle hin, so -kommt
das dadurch zustande, dass das Wachstum auf der Seite, die der Licht-
quelle zugewandt ist, gehemmt wird. Wir denken uns, dass die
Konzentration von ‚„Erregungsstoffen‘ auf der belichteten Seite höher
60 August Pütter:
ist, als sie im Dunkeln war, und auch höher als auf der Seite, die .
der Lichtquelle abgewendet ist. Um die Erscheinungen erklären zu
können, müssen wir also annehmen, dass das Wachstum durch die
„„Erregungsstoffe‘‘ verlangsamt wird, um so mehr, je höher ihre Kon-
zentration (je grösser y) ist. Mit dieser Annahme erklären sich
nun in der Tat die Erscheinungen der Lichtwendigkeit und auch
die Bewegungen, die, zum Beispiel von Blüten, bei allseitiger Be-
lichtung von gleicher Stärke ausgeführt werden, die sogenannten
Photonastien.
Die schwächsten wirksamen Lichtintensitäten rufen bei den meisten
Pflanzen, die überhaupt lichtwendig sind, eine Krümmung zum Licht
hin hervor, eine positiv phototropische Reaktion.. Ebenso regelmässig
bewirken starke Lichtintensitäten eine Abwendung von der Licht-
quelle, eine negativ phototropische Reaktion. Bei welcher Licht-
intensität bzw. bei welcher Einwirkungsdauer einer gewissen Licht-
intensität die Umkehr der Reaktion erfolgt, hängt von der Besonder-
heit des einzelnen Versuchsobjektes ab. So sind zum Beispiel die
Wurzeln nur gegen ganz schwache Lichtintensitäten lichtzuwendig,
schon gegen mittlere Lichtstärken stets lichtabwendig. ;
Theoretisch betrachtet, ist für die Umkehr der Reaktion maass-
gebend das Verhältnis der Lichtwirkung auf die chemischen Um-
setzungen zu der Lichtwirkung auf die Schicht mit Membraneigenschaft,
die den Stoffaustausch regelt, d. h. das Verhältnis der erregenden
Wirkung im engeren Sinne, zu, der umstimmenden Wirkung. Die
negative Reaktion, die Krümmung vom Lichte fort, kommt ja erst
dann zustande, wenn das Wachstum auf der Lichtseite stärker wird
als auf der dem Licht abgewandten, schwächer beleuchteten. Wenn
die negative Reaktion eintritt, so ist das also ein Ausdruck dafür,
dass unter der Wirkung eines stärkeren Reizes y kleiner geworden
ist als unter der Wirkung eines schwächeren.
Die Beobachtung, dass ein stärkerer Reiz eine
schwächere Wirkung ausüben kann als ein schwächerer,
ist eine der bezeichnendsten im Bereich der Wirkung
von Reizen auf lebende Systeme. Ihre Erklärung ergibt sich
unmittelbar aus der Theorie. Es ist ja nur der Anfang des Weges,
der zu einem Zustande führt, bei dem ein starker Reiz ebenso wirkt,
als ob zar keine Reizung stattfände. %
In deutlichster Weise zeigen einige Vorgänge bei Blüten die Um-
kehrung der Reizwirkung. Bei Tragopogon (Bocksbart) und Calen-
dula (Ringelblume) sind die Blüten in der Nacht geschlossen. Sie
öffnen sich am Morgen, und zwar an hellen Tagen früher als an trüben,
schliessen sich aber schon im Laufe des Vormittags wieder. Die Zeit,
während deren sie geöffnet sind, ist bei starker Belichtung kürzer
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 61
als in gedämpftem Licht. Sehr intensives Licht veranlasst völlig ge-
öffnete Blüten von Calendula zu einer Schliessbewegung.
Auch bei konstant erhaltener Lichtstärke folgt auf eine Öffnung
der Blüte bei Dauereinwirkung des Lichts die Schliessung.
Hier haben wir ausgezeichnete Beispiele dafür, dass ein starker
Reiz, oder sogar ein mittelstarker, wenn er lange einwirkt, denselben
Zustand herbeiführt wie die Abwesenheit des Reizes. Im Dunkeln
und in starkem oder dauerndem Licht schliessen sich die Blüten; nur
als „‚Übergangsreiz‘‘ bewirkt das Licht die Öffnung der Blüten.
Auch bei einigen Blättern ruft sehr intensives Licht Erscheinungen
hervor, die unter dem Namen ‚‚Tagesschlaf‘“ bekannt sind. Zuweilen,
zum Beispiel bei Oxalis (Sauerklee), gleicht die Stellung, die die Blätter
dabei annehmen, durchaus der Nachtstellung. Also auch hier ruft
intensives Licht den gleichen Erfolg hervor wie Dunkelheit.
Genau so wie bei den Pflanzen finden- wir auch bei Protisten
und Tieren, dass starke Reize den entgegengesetzten Erfolg haben
können wie mittlere. .
Aethalium septicum ist (nach Strasburger) für sehr geringe
Lichtstärken lichtzuwendig, für alle höheren dagegen lichtabwendig.
Euglena ist bei gewöhnlichen Lichtstärken lichtzuwendig, bei sehr
hohen lichtabwendig, wie Stahl fand. Nach Mast verhalten sich
Trachelomonashispida, Chlamydomonasalboviridis,Chloro-
sonium und Volvox entsprechend.
Der Regenwurm (Allolobophora) gilt im allgemeinen als licht-
abwendig; doch fand Adams!), dass dies nur für Lichtstärken von
mehr als 0,012 Meterkerzen zutrifft. Für Licht (Bogenlampe) von
0,0011 Meterkerzen erwies sich der Wurm lichtzuwendig.
Unter den Schnecken bietet Limax maximus ganz ähnliche
Verhältnisse. Sie ist bei hohen Lichtstärken stark lichtabwendig.
Die Wirkung wird immer geringer mit abnehmender Lichtstärke, so
dass bei einer gewissen Reizstärke gar keine Reaktion erfolgt. Wird
die Lichtstärke noch weiter herabgesetzt, so wird die Schnecke licht-
zuwendig, und zwar wird diese Lichtzuwendigkeit bis zu einer gewissen
Lichtstärke hinab immer stärker, und erst dann bis zur absoluten
Schwelle hin geringer.
Für die Weibchen von Labidocera gibt Parker’) an, dass sie
bei Beleuchtung mit vier Kerzen lichtzuwendig, dagegen schon bei
Anwendung einer Beleuchtung von 100 Kerzen lichtabwendig seien.
Während beim Regenwurm, der Schnecke Limax und den Labidocera
weibehen schon geringe Lichtstärken eine negative Wirkung ausüben,
1) American Journal of Physiology vol. IX p. 26—34. 1903.
2) Zitiert nach Radl. Die Originalarbeit aus U. S. Fish. Comp. Word’s
Hall Mass. 1902 war mir nicht zugänglich.
62 August Pütter:
d. h. als „starke“ Reize wirken, bedarf es bei den Larven von Poly-
gordius intensiven direkten Sonnenlichtes, um sie lichtabwendig zu
machen, während sie bei allen gewöhnlichen Lichtstärken lichtzuwendig
sind }).
Noch schwerer ist diese Umkehr der Reizwirkung bei Orchestia
agilis (Amphipode) zu erreichen. Nur wenn durch mehrstündigen
Aufenthalt im Dunkeln die Erregbarkeit gesteigert war, sah Holmes?)
für einige Minuten eine starke Lichtabwendigkeit, die rasch schwindet.
Tiere, die im diffusen Licht gehalten wurden, waren selbst gegen
direktes Sonnenlicht zuwendieg.
Einige sehr lehrreiche Beobachtungen liegen über die Lichtreizbar-
keit von Quallen vor.
Berger?) sagt in bezug auf Charybdea, sie sei sehr empfindlich
gegen Licht, und zwar wirke mässig starkes Licht erregend, dagegen
starkes Licht, ebenso wie Dunkelheit, hemmend auf die
Bewegungen. Hier haben wir also die volle Analogie zu den Beobach-
tungen an pflanzlichen Objekten: starkes Licht und Dunkelheit be-
wirken den gleichen Reizerfolg.
Yerkes!) findet für Gonionema ebenfalls, dass sowohl Ver-
stärkung wie Abschwächung eines Lichtes von mittlerer Stärke die
Bewegungen dieser Qualle hemmt. Die Einschränkungen, die er
gegenüber dem Ergebnis Berger’s macht, beziehen sich nur auf
Unterschiede des Reizerfolges, die durch verschiedene Zustände der
Versuchstiere bedingt sind, worauf wir hier nicht eingehen wollen.
Dagegen verlangen seine genauen Messungen über die Reaktionszeit
der Quallen gegenüber verschieden starken Beleuchtungen besondere
Beachtung. Der Nachweis seiner Behauptung, dass diese Reaktions-
zeiten um so kürzer seien, je stärker das Licht ist, scheint mir durch
das angeführte Zahlenmaterial nicht erbracht. Wohl sind viele Fälle
für ihre Richtigkeit anzuführen, aber daneben stehen andere, die nicht
minder Berücksichtigung verdienen, und die deutlich zeigen, dass die
Reaktionszeit schon bei mittleren Lichtstärken ihren kleinsten Wert
erreichen und bei starker Beleuchtung wieder länger werden kann.
Die Abstufung der Lichtstärken war sehr grob; es werden nur
unterschieden: schwaches. Licht, d. h. Tageslicht an einem Fenster,
1) Jacques Loeb, Über künstliche Umwandlung positiv heliotropi-
scher Tiere in negativ heliotropische und umgekehrt. Pflüger’s Archiv
Bd. 54 S. 81—107. 1893.
2) Samuel J. Holmes, Phototaxis in the Amphipoda Americ. Journ.
of Physiol. vol. 5 p. 211—234. 1901.
3) F. W. Berger, Memoirs of the Biological Laboratory of Johns
Hopkins University vol. IV p. 22. 1900.
4) R.M. Yerkes, American Journal of Physiol. vol. IX p. 279 — 307.
1903.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 63
vor dem die Vorhänge zugezogen waren, mittleres Licht, d. h. zer-
streutes Tageslicht am Fenster, und starkes Licht, d. h. direktes Sonnen-
licht. Dafür, dass die Intensität des Lichtes in den verschiedenen
Fällen gleich war, liegt keine Beobachtung vor, und die Annahme
einer solchen Gleichheit ist recht unwahrscheinlich.
Die kürzesten Reaktionszeiten, die Yerkes in diesem Teil seiner
Untersuchungen !) mitteilt, sind 3,9—4,3 Sekunden. Es ist nun sehr
bemerkenswert, dass in den Fällen, in denen das starke Licht längere
Reaktionszeiten ergab als das mittlere, die Reaktionszeiten bei dem mitt-
leren Licht schon sehr nahe dem kleinsten Wert von ca. 4 Sekunden waren.
Die folgende Tab. 7, die die Nummern 3—6 der Tab. III von
Yerkes!) gibt, zeigt deutlich, dass hier der stärkere Reiz erst nach
längerer Zeit die Reaktion ausgelöst hat wie der schwächere.
Der Kritik, die Yerkes an seinen eigenen Beobachtungen übt,
um dem Schluss zu entgehen, dass starken Lichtreizen längere Re-
aktionszeiten zugeordnet sein können wie schwächeren, kann ich um
so’ weniger zustimmen, als er an anderen Stellen seiner Untersuchung
viel geringere beobachtete Unterschiede als wirklich vorhanden be-
trachtet, und zwar offenbar mit Recht, da die ganze Arbeit einen
sehr sorgfältigen Eindruck macht.
Da jetzt d’e theoretische Deutung dieser Verlängerung der Re-
aktionszeit, der Abschwächung der Reizwirkung mit steigender Reiz-
stärke, keine Schwierigkeiten macht, vielmehr mit anderen Beobach-
tungen derselben Arbeit in bestem Einklange steht, wird Yerkes
wohl gegen diese Verwendung seiner Zahlen keinen Einspruch erheben.
Wir haben hier also wieder einen der wichtigen Fälle, in denen
die Reizwirkung mit steigender Reizstärke abnimmt. Dass dies nur
der Anfang der Erscheinung ist, die wir eben bei Gonionema fest-
gestellt und früher schon kennen gelernt haben, der Erscheinung, dass
ein starker Reiz ebenso wirkt wie die völlige Abwesenheit des Reizes,
darauf habe ich schon oben bei den Lichtreaktionen der Blüten hin-
gewiesen.
Tabelle 7.
Nummer des r
Tieres Schwaches Licht | Mittleres Licht Starkes Licht
bei Yerkes
a. 2a. ©. Rab: Im Zeit Zeit Zeit
S. 290 in Sekunden in Sekunden in Sekunden
3 13,5 6,9 24,0
4 29,8 4,3 152
5 1069 4,6 8,7
6 6,7 g 4.9 OT
1) A. a. O. Tabelle III—-V S. 290292.
64 August Pütter:
Auch dafür, dass eine bestimmte Lichtstärke im Beginn ihrer Ein-
wirkung einen stärkeren Reizerfolg auslöst als bei Dauerwirkung,
können wir aus der Physiologie der Wirbellosen ein Beispiel anführen.
C. v. Hess!) sah die Siphonen der Muschel Psammobia unter der
Bestrahlung mit einer 25kerzigen Mattglasbirne (aus ca. 30 em Ent-
fernung) sich zuerst stark zusammenziehen. Nach einer Belichtung
von 1—2 Minuten waren sie wieder länger geworden.
Dass längere Einwirkung mittlerer Lichtstärken denselben Erfolg
haben kann wie kurze Einwirkung starker Lichter, zeigt die Beobach-
tung.von Loeb ?) an den Nauplien von Balanus perforatus, nach
der diese Krebslarven, die bei schwachem Licht (Lampenlicht) stets
liehtzuwendig sind, bei höheren Lichtstärken um so rascher licht-
abwendig werden, je stärker das Licht ist.
Alle diese Erscheinungen, deren Mechanismus im einzelnen nicht
stets. der gleiche ist, sind insofern grundsätzlich gleich zu beurteilen,
als sie auf einer Abschwächung der Lichtwirkung als Funktion der
Lichtstärke und der Einwirkungsdauer beruhen und in vollkommener
Analogie zu den Umstimmungserscheinungen des Menschenauges stehen.
Auf solche Analogien bei Pflanzen hat Pringsheim bereits hingewiesen.
Es bestehen freilich zwischen den einzelnen Fällen’ bei niederen
Tieren und Pflanzen und zwischen diesen und den Umstimmungs-
erscheinungen am menschlichen Auge grosse quantitative Unterschiede.
Während wir für das menschliche Auge selbst bei den höchsten Licht-
stärken, wie sie für längere Zeit nicht zu ertragen sind, nie den Zustand
erreichen, dass der stärkere Reiz von Anfang an schwächer wirkt
‚als der schwächere, und erst recht nicht den Zustand, dass unter der
Dauerwirkung eines starken Reizes y so klein oder kleiner wird wie
im Grundumsatz, ist bei Pflanzen wie auch bei manchen niederen
Tieren dieser Zustand schon mit geringen Reizintensitäten zu erreichen.
Es beruht das darauf, dass die umstimmende Wirkung des Lichtes
bei diesen Objekten verhältnismässig stärker ist als die Wirkung, die
den Stoffumsatz beschleunigt.
Für das menschliche Auge kann man nur aus dem Verlauf der
Umstimmung bei mittleren Lichtstärken erschliessen,, dass bei sehr
hohen Lichtstärken y kleiner werden würde als im Grundumsatz, bei
Lichtstärken, wie sie zu solchen Beobachtungen noch nicht verwendet
worden sind und wohl auch nicht verwandt werden können, da schwere
Schädigungen die Folge sein würden.
Entsprechende Erscheinungen sind auch bei Reizung mit anderen
Reizarten bekannt. So gelingt es durch starke Zentrifugalkräfte,
den Sinn der geotropischen Reaktion der Wurzeln umzukehren.
1) C. v. Hess, Gesichtssinn in Handb. d. vergl. Physiol. Bd. IV S. 685.
2) Pflüger’s Arch. Bd. 54 S. S1—107. 1893.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. V]. 65
Schwache Zentrifugalkräfte bewirken eine positiv geotropische
Krümmung der Wurzeln (Objekte: Lupinus, Phaseolus, Helianthus),
sehr starke dagegen eine negativ geotropische Krümmung, wie wir
'sie sonst bei den Stengeln sehen.
Dass Berührungsreize je nach ihrer Stärke einen ganz 'ver-
schiedenen Erfolg haben können, ‚lehren die Beobachtungen Bauer’s!)
bei Ctenophoren (Berö& ovata und B. Forskalii). Der Reizerfolg äussert
sich in der Beeinflussung des Schlages der Ruderplättchen. Schwache
Reize, zum Beispiel Berührung der Mundgegend mit einem Stäbchen,
hemmen den Schlag der Plättchen, starke Reize, zum Beispiel Stechen
oder Schneiden an derselben Stelle, beschleunigen, erregen ihn.
Dass diese verschiedene Wirkung nicht an das Vorhandensein von
nervösen Apparaten gebunden ist, lehren die Erfahrungen über die
Reaktion von Protozoen (zum Beispiel Ciliate Infusorien) gegenüber
schwacher und starker Berührung. Schwache Berührung hemmt die
Wimperbewegung stark (positive Thigmotaxis), stärkere löst den
Komplex von Bewegungen aus, der zum Zurückprallen des Tieres
unter Seitwärtsdrehung des Körpers führt. Die Bewegung kommt
durch Umkehr der Riehtung des wirksamen Schlages der Körper-
wimpern zustande, während die Wimpern des Mundfeldes (Peristom)
unbeeinflusst weiterschlagen und so eine Drehung des Körpers nach
der Seite bewirken, die dem Mundfelde abgewandt ist.
Dass die langdauernde Wirkung eines Reizes bestimmter Stärke
schwächere Reizerfolge bewirkt als die kurzdauernde, dafür können
wir auch die thermonastischen Bewegungen einiger Blüten anführen,
d. h. die Bewegungen, die sie bei allseitiger Temperaturerhöhung
ausführen. Bei Crocus und Tulipa bewirkt Erwärmung eine Öffnung
der vorher geschlossenen Blüten. Bei einer plötzlichen erheblichen
Temperaturerhöhung (etwa um 10°C.) öffnen sich die Blüten sehr
“weit; bleibt dann aber diese Temperatur dauernd bestehen, so geht
die Bewegung teilweise zurück. Bei langsamer Temperatursteigerung
kann die Schliessbewegung schon: wieder einsetzen, während die Tem-
peratur noch steist.
Besonders viele Beispiele dafür, dass ein Reiz zuerst erregt und
dann lähmt, findet man bei den chemischen Reizen.
So werden durch Akonitin und Delphinin die sensiblen Nerven-
enden der Haut zuerst erregt, dann gelähmt, durch Veratrin nicht
nur diese, sondern auch motorische und sekretorische Nervenenden.
Der Lähmung, die das Atropin an allen parasympathischen Nerven-
1) V. Bauer, Über die anscheinend nervöse Regulierung der Flimmer-
bewegung bei den Rippenquallen. Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. 10 S. 231.
1910.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 5
.
66 August Pütter:
enden hervorruft, geht eine Erregung voran. Das ist besonders leicht
an den Endigungen des Vagus im Herzen zu beobachten. Die an-
fängliche Erregung dieser Enden kommt in einer Pulsverlangsamung,
die endliche unvollständige oder vollständige Lähmung in einer Puls-
beschleunigung zum Ausdruck. Ist die Erregbarkeit dieser Endapparate
in bestimmter Weise verändert, wie das zuweilen bei und nach einigen
Infektionskrankheiten, zum Beispiel dem Typhüus abdominalis, vor-
kommt, so kann man bei einer Dosis (l mg per os), die am normalvn
Menschen nach kurzer Pulsverlangsamung eine starke Pulsbeschleuni-
gung macht, als einzigen Erfolg eine langdauernde Pulsverlangsamung
beobachten, also eine Dauererregung durch einen genügend wirkungs-
schwachen Reiz, der bei höherer Intensität lähmen würde.
Eine Reihe von Stoffen wirken auf die Ganglienzellen in geringer
Konzentration erregend, in höherer lähmend. So erregen zum Beispiel
Atropin, Kokain, Physostigmin, Apomorphin eine ganze Anzahl Zell-
arten des Gehirns, bevor sie sie lähmen. Einige Gifte entfalten diese
Wirkung. in auswählender Weise auf bestimmte Zellarten. So erregt
zum Beispiel die Karbolsäure in geringer Konzentration die motorischen
Vorderhornzellen des Rückenmarks, die sie in hoher Konzentration
lähmt. Lobelin erregt die Zellen des Atemzentrums, bevor es sie lähmt,
und Nikotin ruft dieselbe Wirkung an allen Ganglienzellen der auto-
nomen Nervensysteme hervor.
Auf das Atemzentrum wirken die H-Ionen des Blutes in geringer
Konzentration erregend, in höherer lähmend.
In dieselbe Gruppe der Erscheinungen dürften eine Reihe von
Erfahrungen über Umkehrung der Wirkung einer Nervenreizung oder
eines Pharmakons zu rechnen sein, wie zum Beispiel die Umkehrung
des Depressorreflexes nach Strychnin, die Bayliss beschrieben hat,
und ‘die Umkehrung der Adrenalinwirkung, die Gentry Pearce!)
bei beginnender Nervendegeneration an den Hinterbeinen des Frosches,
Streuli °) an der Blase des Kaninchens sah.
Während normalerweise Adrenalin in jeder überhaupt wirksamen
Dosis die Gefässe des Froschbeins verengt, erhält man während der
beginnenden Nervenentartung und auch bei Durchströmung des Prä-
parates mit Ca-freien Salzlösungen durch schwache und mittlere Adre-
nalingaben starke Gefässerweiterung, erst durch grosse Gaben die
typische Verengerung. Bei der Blase des Kaninchens wirken grosse
Adrenalinverdünnungen erregend, geringere Verdünnungen hemmend.
Die Angaben Streuli’s gestatten, eine Vorstellung von der Grösse
der wirksamen Konzentrationen zu gewinnen. In der Badflüssigkeit,
in der die Blase untersucht wurde, herrschten eine Adrenalinkonzen-
Il) Gentry Pearce, Zeitschr. f. Biol. Bd. 62 S. 243—294. 1913.
2) Heinrich Streuli, Zeitschr. f. Biol. Bd. 66 S. 167—228. 1915.
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI. 67
tration, die 1/16 x 10° betrug, wenn gerade die Grenze zwischen
hemmender und erregender Dosis erreicht war. Eine Konzentration
1/40 x 10°, also eine 21,mal geringere Konzentration, gab maximale
Kontraktion der Blase; eine Konzentration. von 1/80 x 10° nur noch
ganz schwache Wirkung, und bei einer Verdünnung von 1/20 x 1010
blieb jede Wirkung aus. Oberhalb der Konzentration 1/16 x 10°
wirkten die untersuchten Lösungen stets hemmend bis hinauf zu einer
Verdünnung von 1/80 x 10%. Diese Erscheinungen lissen. die Deutung
zu, dass es sich hier um die einfache Umkehr der Wirkung handelte
wie bei den oben angeführten Giften.
Nun machte aber Streuli die Beobachtung, dass die allerstärksten
Adrenalinkonzentrationen, die er anwendete, und die etwa 1:40000
betrugen, wiederum erregend, nicht hemmend einwirken. Leider
wurde diese Erscheinung nicht systematisch weiter untersucht. Die
niederen Konzentrationen, die gerade keine Hemmung mehr gaben,
und die hohen, die eben eine Kontraktion bewirken, verhalten sich
wie 1:2,5 Millionen. Wir hätten also bei ganz schwachen Konzentra-
tionen Kontraktion, bei mittleren in grossem Umfang Hemmung und
bei sehr hohen wieder Kontraktion und würden zur Erklärung auf das
Schema der Wirkung chemischer Reize geführt, das uns das Verständnis
dafür eröffnete, dass derselbe Reiz auf dasselbe Gebilde je nach seiner
Stärke (und Wirkungsdauer) hemmend, erregend oder lähmend wirken
kann. Da die mittelstarken Reize hemmend wirken, müssten wir
annehmen, dass die Zunahme der Konzentration der R-Stoffe (die
Zunahme von y) zu einer Abnahme des Erregungszustandes des Erfolgs-
organes führt. Es würden dann ganz schwache und sehr starke Reize
den Wert von y herabsetzen und dadurch eine Steigerung des Erregungs-
zustandes der Blasenmuskulatur bewirken.
Für die Tatsache, dass chemische Reize, die bei grösserer Stärke
lähmen, bei geringerer erregen, könnten leicht noch viele Beispiele
gebracht werden. Die Verallgemeinerung aber, die gelegentlich aus
diesen Erfahrungen gezogen worden ist, dass jeder chemische Reiz,
der lähmt, zuerst eine erregende Wirkung haben müsse, ist — wie
besonders betont sei — durchaus unbegründet. So lähmen zum Beispiel
Kokain und Protoveratrin die sensiblen Nervenendigungen ohne
vorhergehende Erregung, ebenso Curare die motorischen Enden
für die quergestreifte Muskulatur. Die nervösen Zentren werden durch
Chinin, Colchien und Coniin ohne Anfangserregung gelähmt. Die
Theorie lässt die anfängliche Erregung als einen möglichen, aber
durchaus nicht notwendigen Fall erkennen.
Theoretisch wichtiger scheint die Frage, ob nicht jeder chemische
Reiz, der bei geringer Intensität erregt, bei genügend grosser Stärke
lähmend. wirken müsse.
En
68 August Pütter:
Die Antwort der Theorie auf diese Frage ist folgende: Wenn ein
Stoff nur dadurch als Reiz wirkt, dass er die Grösse g, d. h. die Re-
aktionskonstante vergrössert, durch die wir die Geschwindigkeit der
Bildung der R-Stoffe aus den S-Stoffen messen, so kann seine Wirkung
nur darin bestehen, dass er y vergrössert, d. h. er erregt nur, ohne
zu lähmen. Einen solchen Fall werden wir nie bei Stoffen beobachten,
bei denen es möglich ist, hohe Konzentrationen zur Wirkung zu bringen;
denn auch Stoffe, die sehr wenig „giftig“ sind, schädigen oder töten
in genügend hohen Konzentrationen. Diese abtötende Wirkung darf
aber nicht ohne weiteres als die Steigerung der Wirkung angesehen
werden, die als Erregung merkbar wird, denn für sie können ganz
neue Momente in Betracht kommen, die nichts mit der erregenden
Wirkung schwacher Konzentrationen zu tun haben. Man braucht
nur an die osmotischen Wirkungen zu denken, die viele Stoffe ent-
falten, und für die nur die Zahl, nicht die chemische Eigenart der
gelösten Moleküle maassgebend ist.
Aber auch in dem allgemeinen Falle, in dem der chemische Reiz
ausser auf q auch auf r einwirkt, d. h. in dem er auch die Durch-
lässigkeit der Wand des Reizraumes erhöht, braucht eine Lähmung
durch hohe Konzentrationen nicht vorzukommen. Wie aus der Theorie
hervorgeht, kann die Reizintensität, die bei dauernder Einwirkung
eben eine Lähmung bewirkt, vieltausendmal höher sein als die Intensität,
die eine eben merkliche Erregung veranlasst, und es kann sehr wohl
vorkommen, dass die Löslichkeit eines Stoffes, der als chemischer
Reiz wirkt, nicht so gross ist, dass dieses hohe Vielfache der eben
lähmenden Konzentration herstellbar ist.
Wir haben hier wieder eine Eigentümlichkeit chemischer Reize,
die darin besteht, dass es eine physikalische Grenze fürihre Intensität
gibt. Während die Intensität eines Lichtes oder eines Druckes, die
als Reize wirken, beliebig wachsen und wenigstens theoretisch un-
endlich gross werden kann, ist das bei einem chemischen Reiz nicht
der Fall; vielmehr ist der stärkste Reiz von endlicher Intensität
und ist begrenzt durch die Löslichkeit des wirksamen
Stoffes in der Substanz des reizbaren Systems. Ist die
Löslichkeit gering, so kann der Abstand zwischen dem schwächsten
wirksamen und dem stärksten möglichen Reiz verhältnismässig
eng werden.
Wenn wir auch aus grundsätzlichen Gründen die Wirkung des
elektrischen Reizes zunächst bei diesen Studien noch nicht heran-
ziehen wollten, so sei doch auf eine Erscheinung hingewiesen, die bei
dauernder Einwirkung des konstanten Stromes auf den Nerven zu
beobachten ist, und die in voller Analogie zu den Erscheinungen steht,
die wir hier für andere Reizqualitäten festgestellt haben. Es handelt
Studien zur Theorie der Reizvorgänge. VI: 69
sich um die depressive Kathodenwirkung, die Werigo!) zuerst aus-
führlich beschrieben hat. Die bekannte Steigerung der Erregbarkeit
an der Kathode und in ihrer Nähe, die man beobachtet, wenn man
eine Nervenstrecke der Wirkung eines Kettenstromes aussetzt, bleibt
nur eine begrenzte Zeitlang bestehen; ja, bei sehr starken Strömen
kann sie ganz ausbleiben. Bei nicht zu starken Strömen, bei denen
die Erregbarkeitssteigerung an der Kathode zunächst deutlich ist,
geht sie nach einigen oder mehreren Minuten in eine Herabsetzung
der Erregbarkeit über. Nach der Öffnung des Stromes schwindet
diese Minderung der Erregbarkeit nur ganz allmählich wieder. Die
ganz entsprechende Erscheinung: zuerst Steigerung, dann Herabsetzung
der Erregbarkeit an der Kathode, hat Biedermann am parallel-
faserigen Muskel beobachtet. Dass es sich dabei um den Ausdruck
eines echten Erregungsvorganges handelt, betont er ausdrücklich ?).
1) Br. Werigo, Die sekundären Erregbarkeitsveränderungen an der
Kathode eines andauernd polarisierten Froschnerven. Pflüger’s Arch.
Bd. 31 S. 417—479. 1883.
2) W. Biedermann, Elektrophysiologie in Ergebnissen d. Physiol.
Bd. 2 S. 103—266. 1903.
Zu den Theorien der Narkose.
Von
Prof. Dr. J. Traube,
Technische Hochschule, Charlottenburg.
(Eingegangen am 24. März 1919.)
Man kann gegenwärtig drei verschiedene Theorien der Narkose
einander gegenüberstellen.
Die erste ist die bekannte Theorie von H. Meyer-Overton.
Nach dieser Theorie ist der Teilungskoeffizient zwischen Lipoiden und
Wasser für die Wirkungsstärke der Narkotika massgebend.
Die zweite Theorie rührt von mir her !). Sie nimmt an, dass die
treibende Kraft der Osmose der bei nichtflüchtigen Narkoticis
durch die Oberflächenaktivität messbare Haftdruck derselben ist.
Je geringer dieser Haftdruck gegenüber dem Wasser ist, um so mehr
konzentrieren sich nach Gibbs die Stoffe in der Phasengrenzfläche,
um so grösser ist ihre Chance und Tendenz, in die zweite Phase zu
diosmieren. Diese Betrachtungen behalten ihre Gültigkeit auch bei
Abwesenheit von Lipoiden. Eine Narkose ist auch für völlig lipoid-
freie Zellen möglich (Warburg und Schüler ?)); indessen ist es an-
zunehmen, dass die Lipoide, da, wo sie vorhanden sind, sekundär
eine erhebliche Rolle spielen. Erleichtert wird das Eindringen der
Stoffe mit geringem Haftdruck in die Zellen dadurch, dass sie die
Fähigkeit haben, Gele (Gelatine, Natriumcholat usw.) zu quellen und
zu lösen, sowie deren Reibung zu verringern (Traube und Köhler ’°),
Shryver)*). Gellöslichkeit und narkotische Wirkung gehen ein-
ander parallel.
An den Ort ihrer Wirksamkeit im Innern der Zellen angelangt,
wirken nun die Narkotika entsprechend den Vorstellungen der er-
weiterten Verworn’schen Theorie verlangsamend und völlig hemmend
auf Oxydations- und andere chemische Vorgänge. Auch hier ist der Haft-
druck- bzw. die Oberflächenaktivität für die Grösse der Wirkung maass-
1) Traube, dieses Arch. Bd. 153 S. 276. 1913; Berl. klin. Woch.
1915 Nr. 14.
2) Vgl. dies Arch. 1..c. S.. 283 u. 291.
3) Traube u. Köhler, Intern. Zeitschr. f. phys.-chem. Biol. Bd. 2
"8. 42. 1915. 5
4) Shryver, Proc. Roy. Soc., London, Serie B Bd. 83 p. 96. 1910
u. Serie B Bd. 87 p. 366. 1914.
Zu den Theorien der Narkose. Al
gebend (Warburg, Vernon)!!). Dabei dürfte die Flockung kolloider
Fermente, die wiederum der Oberflächenaktivität parallel erfolgt
(Battelli und Stern, Warburg, Moore und Roaf usw.) ?), eine
Rolle spielen. Nach einer neueren Arbeit von Freundlich und Rona °)
dürfte diese: Flockung sehr wahrscheinlich darauf beruhen, dass die
flockende Wirkung der in den Zellen vorhandenen Salzionen durch
die eindringenden Narkotika sensibilisiert wird. Die Zellen werden
durch die Narkotika zu toten Räumen im Sinne Liebreichs®). Infolge
der Anreicherung der Narkotika, wiederum entsprechend ihrem Haft-
drucke an den Grenzflächen der Zellen, werden die elektrischen Poten-
tiale und damit die bioelektrischen Ströme abgeschwächt (Grumbach,
Abl usw.) °).
Osmose, Quellung. Oxydationshemmung und Hemmung
sonstiger chemischer Reaktionen, Sensibilisation der
Flockung sowie Herabdrückung der elektrischen Poten-
tiale, ferner bis zu einem gewissen Grade auch die Ad-
sorptiop und ebenso die Lipoidlöslichkeit sind einfache
Funktionen des Haftdrucks. Derselbe ist messbar durch
Oberflächenaktivität, Löslichkeitsbeeinflussung und zahl-
reiche andere physikalische Eigenschaften ®), die gleich-
falis sich. als einfache Funktionen des Haftdrucks- er-
wiesen haben.
In neuester Zeit ist nun eine dritte narkotische Theorie den beiden
erwähnten Theorien gegenübergestellt worden. Ihre Verteidiger sind
namentlich Höber und seine Schüler, Winterstein und andere ?).
Diese Theorie nimmt an, dass durch die Narkotika bei Anwendung
narkotischer Dosen eine Permeabilitätsverminderung erfolge,
welche den Eintritt von Salzen und Wasser in die Zellen erschwere.
Diese Permeabilitätsverminderung, namentlich der gehinderte Durch-
gang der Salzionen, wird als die Ursache der Narkose angesehen. In
bezug auf die Abhängigkeit der Osmose der Narkotika von Haftdruck
bzw. Oberflächenaktivität sowie der Abhängiskeit der katalytischen
Wirkungen ‚der Narkotika von der gleichen Grösse stellen sich die
erwähnten Forscher, insbesondere Winterstein, auf den Standpunkt
1) Vgl. die Literatur Traube dieses Arch. Bd. 153 $. 289 u. 291. 1913.
2) Vel. 1. c. dieses Arch. Bd. 153 S. 300, 301 u. 309 u. f. 1913.
3) Freundlich und Rona, Biochem. Zeitschr. Bd. 81 8. 87. 1917.
4) Vgl. dieses Arch. Bd. 153 S. 297. 1913.
5) Vgl. dieses Arch. Bd. 153 S. 303. 1913.
6) Verh. d. d. physik. Ges. Bd. 10 1908 u. dieses Arch. Bd. 132
Bd2r51T. 1910: Bd 14978. 109: 1911.
7) 8. die Literatur bei Winterstein, Biochem. Zeitschr. Bd. 75
DAS 1916.
72 J. Br.aubie:
meiner Theorie, während die Höber’sche Schule noch immer mit der
Lipoidtheorie sympathisiert.
Was nun die Kritik der Theorien betrifft, so kann man doch wohl
ohne Anmaassung behaupten, dass die Lipoidtheorie durch die Narkose-
theorie des Haftdrucks widerlegt ist. Aus Warburg’s Arbeiten und
denen seiner Schüler folgt, dass auch in völlig lipoidfreien Zellen die
Narkotika in derselben Reihenfolge wie in lipoidhaltigen wirksam sind,
und aus meinen Arbeiten ergibt sich, dass die Berücksichtigung des
Haftdrucks bzw. der Oberflächenaktivität uns ganz wesentlich weiter
führt als lediglich Berücksichtigung der Lipoidlöslichkeit, welche
übrigens einigermaassen, wie ich immer hervorhob, dem Haftdruck
(an Wasser) parallel geht.
Nun wurde von mehreren Forschern ein besonderes Argument zu
gunsten der Lipoidtheorie geltend gemacht:
Es zeigte sich, dass nach den Messunger von H. Meyer die Temperatur-
abhangıekei der narkotischen Wirkung etlicher Narkotika mit der Tem-
peraturabhängigkeit der Teilungskoeffizienten zwischen Öl und Wasser
im Einklang stand, während dies, wie angenommen wurde, für den
Temperaturkoeffizienten der gegen Luft gemessenen Oberflächenspannung
der wässerigen Lösungen der Narkotika nicht der Fall war.
Für Äthylalkohol, Chloralhydrat und Aceton nahm die Wirkungs-
stärke zwischen 3° und etwa 30° gegenüber Kaulquappen zu und dem-
entsprechend auch der Teilungskoeffizient zwischen Öl und Wasser, für
Salizylamid, Benzamid und Monacitin dagegen nahmen mit wachsender
Temperatur beide Grössen ab!).
Es liegen hier drei neuere Arbeiten vor: von Knaffl-Lenz?), von
Issekutz°) und von Unger).
Die drei Autoren haben die Versuche Meyers mit den genannten
Verbindungen durch Messung von Oberflächenspannungen bei ver-
schiedenen Temperaturen gegen Luft und Paraffin bzw. Öl ergänzt und
zum Teil, wie namentlich Unger, auch durch entsprechende Tierversuche
nachgeprüft.
v. Knaffl-Lenz ist der Mae dass die Versuchsergebnisse weit
besser mit der Lipoidtheorie als mit der Haftdrucktheorie im Einklang
ständen, indessen, abgesehen von seinen Senlüssen, ist auch seine Ver-
suchsanordnung nicht einwandfrei. Es scheint mir nicht, dass die Tem-
peratur der Tropfen der Temperatur seines Kühlers entsprach, vor allem
ist es nicht angängig, dass man die Abtropffläche in der Weise zuspitzt,
wie dies geschehen ist. Es darf kein Emporziehen der Tropfen an der
vertikalen seitlichen Fläche erfolgen.
v. Issekutz gelangt auf Grund seiner Oberflächenspannungsmessungen
zu dem Schlusse, dass die Oberflächenaktivität der indifferenten Narkotika
durch die Temperaturerhöhung stets in demselben Sinne geändert wird,
wie ihre narkotische Wirksamkeit.
1) Vgl. die Tabelle in Biochem. Zeitschr. Bd. 89 8. 243. 1918.
2) v. Knaffl-Lenz, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 84 S. 66. 1918.
3) v. Issekutz, Biochem. Zeitschr. Bd. 88 S. 213. 1918.
4) Unger, ebenda Bd. 89 S. 243. 1918.
\
|
Zu den Theorien der Narkose. 13
Besonders gründlich sind die im Laboratorium des Herrn Winterstein
ausgeführten Untersuchungen von Unger. Während Unger die Tem-
peraturversuche und Schlüsse von H. Meyer an Kaulquappen bestätigen
kann, ist dies weniger der Fall bei Versuchen mit einer Fischart Leuciscus
und gar nicht bei narkotischen Versuchen am Nervus ischiadicus
eines Froschnervmuskelpräparates. Auch Oberflächenaktivitätsmessungen
führten zu keiner Übereinstimmung. Man kann daher nach Unger
die Temperaturversuche in bezug auf Teilungskoeffizient, Wirkungs-
stärke der Narkotika sowie Oberflächenaktivität kaum wesentlich mehr
zugunsten der Lipoidtheorie als zugunsten der Haftdrucktheorie ver-
werten.
Ich möchte in bezug auf diese Versuche von H. Meyer und den ge-
nannten anderen Autoren bemerken, dass die Einwände, welche für die
Insuffizienz der Lipoidtheorie sprechen, so erheblich und so mannigfaltig
sind, dass auch eine Übereinstimmung der genannten Temperatur-
koeffizienten sie nicht retten könnte. Vor allem ist ja darauf hinzuweisen,
dass man den Teilungskoeffizienten nur stets zwischen Öl und Wasser
bestimmt hat und Oberflächenspannungsmessungen gegen Luft, Paraffin
oder Öl den wirklichen Verhältnissen nicht entsprechen.
Das verschiedenartige Verhalten von Benzamid, Salizylamid, Chlor-
äthon gegenüber Alkohol, Aceton, Chloralhydrat kann vielleicht zu-
sammenhängen mit der verschiedenen Flüchtigkeit, andererseits auch sehr
verschiedenen Adsorptionsfähigkeit. Stoffe der Benzolreihe!) werden
weit stärker adsorbiert, als ihrer Oberflächenaktivität entspricht. Der
Einfluss der Temperatur auf die Wirkungsfähigkeit der Narkotika und
verwandte Grössen dürfte aber gerade durch die Flüchtigkeit und Festig-
keit der Adsorptionsbindung beeinflusst werden.
Wenn wir hiernach zu dem Ergebnis gelangen, dass die Haft-
drucktheorie der Lipoidtheorie überlegen ist, so müssen wir etwas
länger bei der Frage verweilen, ob wir es bei dieser Theorie be-
lassen können, oder ob wir uns im Sinne Höber’s, Winterstein’s
u. a. zu entscheiden haben, wonach zum mindesten eine Ver-
änderung der Theorie in der Richtung anzustreben ist, dass man
das Wesen des narkotischen Zustandes in einer Permeabilitäts-
verminderung anstatt in einer Permeabilitätserhöhung zu
suchen hat.
Soweit die Versuche Höber’s, Joel’s und Osterhout’sin Betracht
kommen, habe ich mich hierzu in einer kleineren Mitteilung zur Theorie
der Narkose (dieses Archiv Bd. 161 S. 530. 1915) bereits geäussert;
namentlich indessen die Arbeiten Winterstein’s ?) veranlassen mich,
zu diesem Problem nochmals Stellung zu nehmen.
Das Problem ist deshalb gerade für mich um so bedeutungsvoller,
als Winterstein annimmt, dass die durch die Narkotika herbei-
geführte Permeabilitätsverminderung sich nicht nur auf Salzionen er-
streckt, sondern auch auf das Wasser. Diese Frage interessiert nicht
l) Traube, Verh. d. d. physik. Ges. 1. c.
2) 8 er
74 J. Traube:
nur vom Standpunkte der Narkosetheorie, sondern vor allem vom
Standpunkte der von mir vertretenen Osmosetheorie !).
Ich war immer der Ansicht, dass kristalloide Stoffe von geringem
Haftdruck nicht nur selbst leicht diosmieren, sondern auch unter
Quellungserscheinungen eine gewisse Wassermenge mit sich reissen.
Die Frage ist wichtig genug, um hier nochmals eingehend erörtert
zu werden.
Angeregt durch Arbeiten von mir, hat Shryver?) die Geschwindig-
keit der Bildung eines Natriumcholatgels bei Gegenwart äquivalenter
Mengen verschiedener Narkotika untersucht. Es zeigte sich, dass die
Narkotika die Gelbildung entsprechend ihrer narkotischen Wirkungs-
stärke verzögern.
Shryver gelangte zu folgender Reihenfolge:
Chloroform ı Propylalkohol
Chloralhydrat Äthylurethan
Isoamylalkohol Tert. Butylalkohol
Sec. Amylalkchol Isopropylalkohol
Tert. Amylalkohol Allylalkohol
Propylurethan | Methylurethan
Butylalkohol .| Acetonnitril
Methylpropylketon Äthylalkohol.
Isobutylalkohol
Chloroform wirkt auf die Gelbildung am stärksten verzögernd usw.
Die Reihe stimmt im wesentlichen überein mit der’ Reihe der nar-
kotischen Wirksamkeiten nach Overton und einigermaassen auch mit
der Reihe der Haftdrucke bzw. Oberflächenspannungen.
Gemeinsam mit, meinem Schüler Köhler habe ich die Versuche
von Shryver auf Gelatine ausgedehnt (s. 1. c.).
Eine wässerige Lösung von 1,75% Gelatine wurde auf eine ge-
eignete höhere Temperatur erwärmt und gleiche Mengen dieser Lösung
wurden dann mit und ohne Zusatz entsprechender Narkotikummengen
in gleich weiten Reagenzgläsern in schmelzendes Eis gestellt; alsdann
wurden mit arretierbarer Sekundenuhr die Zeiten bestimmt, nach
denen die Gelatinelösung soweit gelatiniert war, dass kleine Glas-
perlen nur noch bis zur halben Höhe, in die Gelatine einsanken.
Von den zahlreichen Versuchen seien hier nur die folgenden
wiederholt:
Bd. 4132°82 5. 1910 und: Bd. 140)S.109 71972:
2) Shryver, Proc. Roy. Soc., London, Serie B Bd. 83 S. 96. 1910 und
Bd. 87 S. 366. 1914; vgl. auch Traube u. Köhler, Intern. Zeitschr. f.
pkys.-chem. Biol. Bd. 1 S. 275. 1914.
1) S. dieses Arch. Bd. 105 S. 541 u. 559. 1904; Bd. 123 S. 419. 1908;
Zu den Theorien der Narkose.
75
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1,84 10'20” +55 OR IERLTA154 10 0,25 13'35” — 165
1,15 10’20” | +50 0,15 | Klose, 0 0,17 13710”.| — 115
0,23 ET 0 099 11.19.2200 0,08 12'55”" — 100
0,00 1 19% 0 0,00 1lrıa" 0 0,04 | 11'457 | — 3
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— — —_ — — — 0,00 U)
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I | I
0,045 | 15' 00" 2258 120:045. 115245127 970217. 0:11 12’40” | — 8
0,000 11’ 15” 0 Ra 0,00 LT 0
Diese Versuche führten zu folgender Zusammenstellung:
Stoffe, geordnet nach der Grösse der
Verzögerung bzw. Beschleunigung
der Gelatinierungsgeschwindigkeit
Chloräthyl s
Äthyläther .
Chloroform
Chloralhydrat
. 1-Amylalkohol
Urethan .
i-Butylalkohol
Methyläthylketon .
Äthylacetat (nicht neutral)
tert. Amylalkohol.
Propylalkohol
Acetonitril .
Äthylalkohol .
Methylalkohol
Narkotische Konzentration '
in Molen pro Liter nach
Overton’s Kaulquappen-
versuchen
0,004
0,001
0,0014
0,006
0,023
0,041
0,045
0,09
0,03
0,057
0,11
0,36
0,39
0,57
76 J. Traube:
Man erkennt, dass bis auf kleine Abweichungen eine nahezu völlige
Parallelität zwischen narkotischer Wirkung und Gelatinierungsgeschwin-
digkeit besteht.
Es wurden nun die Versuche in umgekehrter Richtung ausgeführt,
etwa 2,5%ige bzw. 6% ige Gelatinelösung, welche entsprechende
Mengen von Nareotieis enthielt, wurde in schmelzendem Eis in gleicher
Weise zum Gelieren gebracht und nach 24 Stunden in gleichweiten
Reagenzgläsern in einem Thermostaten von 26° C. übergeführt. Als-
dann wurde die Zeit bestimmt, in welcher auf der Oberfläche der Gele
befindliche Perlen zur halben Höhe in die Flüssigkeit einsanken.
Einige dieser Versuche seien hier wiedergegeben:
7 cem 2,5%, Gelatine + 3 ccm %, n-Lösung:
Lösung der Gelatine
nach
1. Versuch: i-Butylalkohol . . . a een 229, Min. Seke
i-Propylalkohol.. va... Wannen aaa
Äthylalkohol: ..' 22: 20 en Sr do
WMASSER ui .H an lus. Bean SL N Re nee
Methylalkohol...! =. ar sn se Wr a WAS 72005
9..\ersuch:, Wasser...“ TE N
Chloralhydrat . SUR,
Urethan IRRE IA DEE
Propionitril . TS NZ LOyR
3. Versuch: Wasser . EINE O
Äthyläther 3 0a
Chloräthyl AL DO
4 ccm 6% Gelatine + 6 cem Y, n-Lösung:
Lösung der Gelatine
nach
4. Versuch Wasser... cu. ee sl Minae Del
Chloeralhydrat..2. 022.2 N Re neo ee
WUrethan. 4 u. al en ON SUR:
Athylalkohol, .....,.. cn 00 2100030.
5.4 Viersuches Massen u... Sa RR lao e
Bert. Amylalkohol.. „real
Propionitril 2... ee aller
6... Versuch: Wasser... u len an nee a OL
ı-Amylalkohol'.. =. ...000. ee le
a nViersuch 2. Massen... su. sau De Be N N URL
Chloroform, gesättigt. ..... 2 we E10
Diese Versuche führten zu der folgenden Zusammenstellung!):
1) Traube, Berl. klin. Woch. 1915 Nr. 14, sowie Traube und Köhler,
Iae. 18.244. med
Zu den Theorien der Narkose. 77.
Stoffe, geordnet nach der Narkotische Grenzkonzentra-
Lösung sgeschwindigkeit eines tion in Molen pro Liter für
Gelatineegels Kaulquappen nach Overton
Phenantren a een 2080;0000003%
Ibhyımolaue a ln ches u02,.0,000055
Naphtkalne eg nn nn. 2 2270,000065
Chloroform . .:. ER NE:
Chloralhydrat (ent: on) SR RE IR
Athylathergain ga kanns. gen 0,001
Ohlorithyle rg pr a en Net 7,0,0045
Sultonalama ses N ERREER 7 050088
INRTonalE ee ana se an rise 2 0,0064,
1 Amylalkohofe rar... 3 ak. 380.023
2 üRslaml. 0 an Re en 0,041
Bubydalkoholyer me an. ee. 50 0,045
Methyläthylketon . . . . = 0,09
Äthylacetat (nach Over Lone zum an! reif) 0,03
NerteAmylalkoholi ums #02 .....202230..8220.057
Bropylalkohole. 1 a ne en ers
INCELOIERE N EEE Rt 710526
INthylalkoholi ale en in 20,39
IMechvlalkcholt een zu. 2 2200,
Die Geschwindigkeit der Gelatinelösung geht der nar-
kotischen Kraft derart parallel, dass es höchst auffallend
wäre, wenn zwischen der Quellfähigkeit von Kolloiden und
der narkotischen Kraft der Narkotika nicht ein ursäch-
licher Zusammenhang bestände.
Eine Zunahme der Quellung bedeutet nun selbstverständlich Zu-
nahme der Wasseraufnahme, und es bleibt nur die Alternative, dass
entweder die Versuchsergebnisse von mir und Köhler, Shryver u.a.
nicht richtig sind, d. h. also, dass Stoffe wie Chlor oform, Chloräthyl,
Äthyläther in den für die Narkose in Betracht kommenden Konzen-
trationen nicht queilend wirken, oder aber diejenigen haben Unrecht,
welche für eine Verminderung zunächst der Wasserpermeabilität bei
der reversiblen Narkose eintreten.
v. Knaffl-Lenzt) hat nun in einer neueren Arbeit, Beitrag zur Theorie
der Narkose l. ce., ohne auf eine Kritik der Versuche von mir und Köhler
1) Wenn ferner Knaffl-Lenz in seiner Arbeit: Über die kolloid-
chemischen Vorgänge bei der Hämolyse (Pflüger’s Arch. Bd. 171 8. 51.
1918) zeigt, dass bei nicht zu langer Einwirkung von Äthylalkohol, Äthyl-
äther etc. auf rote Blutkörperchen eine erhebliche Volumenvergrösserung
stattfindet, und ebenso (S. 53) darauf hinweist, dass Seeigeleier in Benzol
oder ätherhaltigem Seewasser eine Volumvergrösserung zeigten, sofern
die Eier nicht mit Formalin oder Sublimat vorbehandelt waren, so lassen
78 J. Traube:
sowie Shryver einzugehen, auf Grund vereinzelter Versuche behauptet,
dass Narkotika wie Äthyläther auf ein Gelatinegel entquellend wirken.
Derselbe bringt Gelatineblöckehen in einem kleinen Wägegläschen unter
einem Glassturz mit Wasser gesättigten Ätherdämpfen zusammen und
bemerkt hierzu: „Nach mehrstündiger Einwirkung hatten die Wäge-
gläschen an Gewicht zugenommen und die Gele Wasser ausgepresst.
Durch Aufsaugen des ausgepressten Wassers mittels Filtrierpapier und
abermaliger Wägung wurde der durch Entquellung bedingte Wasser-
verlust der Gelatine bestimmt. Die so erhaltenen Werte sind insofern
ungenau, als das allenfalls verdunstete Wasser nicht mit in Rechnung
gezogen ist. Die Gewichtszunahme entspricht der Menge des auf-
genommenen Narkotikums.‘
Ich muss gestehen, dass diese Versuche (man vgl. die veröffentlichten
Zahlen) mir derart roh erscheinen, dass ich die Schlussfolgerungen von
Knaffl-Lenz nicht anerkennen kann.
Winterstein hat nun |. c. in einer grösseren, zum Teil kritischen,
zum Teil experimentellen Arbeit die Permeabilitätsfrage eingehend
erörtert. Und da ich schon in einer früheren Mitteilung in diesem
Archiv l. c. auf Höber’s und Joel’s Arbeiten eingegangen bin, und
die von Winterstein besprochenen Versuche von ÖOsterhout,
Lepeschkin, Lillie u. a. mir nicht sehr beweiskräftig erscheinen,
so möchte ich mich hier auf eine Besprechung von Winterstein’s
Versuchen beschränken.
Die erste Reihe von Versuchen Winterstein’s findet in der Weise,
statt, dass Froschsartorien einmal von einer isotonischen 0,7 %igen Chlor-
natriumlösung in eine hypotonische 0,35 %Wige Chlornatriumlösung über-
tragen werden und dass alsdann diesen beiden Salzlösungen die gleiche
Menge bestimmter Narkotika innerhalb der bei der eigentlichen Narkose
wirksamen Konzentrationen zugesetzt wurde, also beispielsweise 4%,
Äthylalkohol usw.
Es zeigte sich nun, dass die Gewichtszunahme der Muskeln beim Ein-
lesen in die Salzlösungen + Narkotikum wesentlich geringer war, als
beim Einlegen in die Salzlösungen allein.
Da dieses Ergebnis aber zu nicht ganz eindeutigen Deutungen führte,
so unternahm Winterstein weitere Versuche nach folgendem Prinzip:
Zwei kleine Glaszylinder von etwa 2 cem Inhalt wurden mit vorher
gewogenen Muskelmembranen bespannt. Der eine Zylinder wurde mit
0,7% iger Chlornatriumlösung, der zweite mit der gleichen Lösung, die
noch einen bestimmten Prozentgehalt des auf seine Wirkung zu unter-
suchenden Narkotikums enthielt, gefüllt, und es wurde dann die Flüssig-
keitsmenge in jedem durch Wägung bestimmt. Alsdann wurden beide
Zylinder während einer bestimmten Zeit, in der Regel etwa eine Stunde,
in eine hypotonische Lösung (meist destilliertes Wasser) getaucht, die
für den Narkoseversuch wieder den gleichen Prozentgehalt des-betreffenden
Narkotikums aufwies, so dass, wie Winterstein annimmt, „‚die osmotische
Druckdifferenz bei beiden Zylindern die gleiche war.‘‘ „Es ergab sich in
diese Versuche doch keine andere Deutung zu, als dass hier die Narkotika
eine quellende Wirkung auf das Ei bzw. die Blutkörperchen, und zwar
besonders auf die Eiweissstoffe ausgeübt haben.
Zu den Theorien der Narkose. 79
Übereinstimmung mit den obigen Versuchen am Sartorius, dass Alkohol
(5—6 Vol.-Prozent) Chloroform (0,1—0,12 Vol.-Proz.), Ather (3 Vol.-Proz.),
Urethan (3 Vol.-Proz.) in stark narkotischer Konzentration eine deutliche
Herabsetzung der Wasseraufnahme mitunter auf einen Bruchteil der
normalen bewirkte. ‘‘
Winterstein zeigt alsdann durch Chlortitration, dass nicht etwa
eine Verminderung des osmotischen Druckgefälles auf eine vermehrte
Salzpermeabilität zurückzuführen sei, und er gelangt zu dem Schlusse,
dass nur eine Verminderung der Salzpermeabilität unter dem Einflusse
des an der Membran adsorbierten Narkotikums eine Erklärung abgeben
. könne.
Den von Winterstein gezogenen Schlüssen kann ich indessen
nicht zustimmen.
Zunächst ist es nicht richtig, dass durch den beiderseitigen Zusatz
des Narkotikums das osmotische Gefälle keine Änderung erfährt. Wie
aus älteren Versuchen von mir!) sowie Baeyer?°) folst, wird durch
Salzzusatz die Oberflächenspannung beispielsweise einer wässerigen
Alkohollösung verringert. Der Haftdruck des in der 0,7 %igen Chlor-
natriumlösung vorhandenen Alkohols ist daher geringer als desjenigen
in den rein wässerigen Lösunger; daraus ergibt sich eine osmotische
Gegenkraft, welche im Sinne einer Verringerung der Wasseraufnahme
seitens der Salzlösung wirken muss.
Folgende stalagmometrischen Versuche wurden ausgeführt:
Tropfenzahl
DV SSe TE en an ee aa ed
2,8 %,ige Chlornatriumlösung . RE A N RER de 32
100 ecem Wasser + 6 Vol.-Proz. Äthylalkohol 67,8; 67,9
100 ‚, 0,7% NaCl-Lös. + 6 = e" 68,5; 68,6
100, 1,4% ni +6 » 68,85; 68,85
K002.2,8:9% & +6 Fe 3 69,85; 69,85
Aus ‚diesen Versuchen geht hervor, dass durch den Zusatz der
gleichen Menge des Narkotikums zu beiden Seiten der Membran die
osmotische Kraft derart geändert wird, dass eine Permeabilitäts-
verminderung eintritt, aber es scheint mir zweifelhaft, in Anbetracht
der kleinen Oberflächenspannungsdifferenzen, ob dieser Umstand aus-
reicht, um die Ergebnisse Winterstein’s vollauf zu deuten. Winter-
stein hat ganz recht, wenn er annimmt, dass durch die Adsorption
des Alkohols an der Membran eine Verringerung der Osmose eintreten
müsse, denn es ist darauf hinzuweisen, dass die Reibung in Alkohol-
wassergemischen weitaus grösser ist als in Wasser ?), aber anderer-
1) Traube, Journ. f. prakt. Chem., N. F. Bd. 31 S. 214. 1885; vgl.
auch Ber. d. d. chem. Ges. Bd. 42 S. 2187. 1909.
2) Baeyer, Biochem. Zeitschr. Bd. 13 S. 238. 1908.
3) Traube, Ber. d. d. chem. Ges. Bd. 19 S. 871. 1886.
Ss0 J. Traube:
seits darf auch nicht vergessen werden, dass ja die Versuche
Winterstein’s: isotonische-hypotonische Lösung und beiderseits
Narkotikum, ferner auch die Anwendungs von Muskelmeimbranen
keineswegs den tatsächlichen Verhältnissen bei der Narkose entsprechen,
und vor ailem sei darauf hingewiesen, dass die Permeabilitätsverminde-
rung weitaus am grössten bei dem nicht oder nur sehr wenig quellenden
Äthylalkohol (siehe weiter oben) gefunden wurde; hier wurde auch
bei dem nachfolgenden Kontrollversuche mit reinen Salzlösungen keine
Veränderung der Membran festgestellt; nahezu ebenso lagen die Ver-
hältnisse bei dem wenig quellenden Urethan; dahingegen deuten die
nachherigen Kontrollversuche mit Äthyläther und Chloroform auf
Veränderungen der Membran hin, welche, wie mir scheint, sehr wohl
verständlich werden, wenn man an die Quellfähigkeit der Membranen
durch starke Narkotika erinnert.
Es scheint mir daher nicht, dass Winterstein’s Versuche, und
aus denselben Gründen ebensowenig die von ihm erwähnten Versuche
Mac Clendon’s. Lillie’s u. a., geeignet sind, die aus der Paralielität
von Quellung und narkotischer Wirkungen gezogenen Schlüsse auf
eine Permeabilitätserhöhung zunächst für Wasser zu widerlegen.
Ich möchte nunmehr auf Arbeiten hinweisen, die mir in bezug
auf die hier in Betracht kommende Frage nicht nur der Wasser-
permeabilität, sondern auch der Permeabilität von Salzionen von
grosser Bedeutung zu sein scheinen. Es sind Arbeiten von Harvey!)
über das Eindringen von Natronhydrat in Seeigeleier und anderer-
seits in pflanzliche Blattzellen von Elodea bei Gegenwart von Nar-
cotieis wie Chloroform und Äthyläther.
Herrn J. Spek in Heidelberg verdanke ich den Hinweis auf
diese Arbeiten ?).
1) Harvey Science, N. S. Bd. 32 S. 565. 1910; Journ.- of exper. zoolog.,
Philadelphia Bd. 10 S. 538 u. 550. 1911.
2) Spek bemerkt in einer interessanten Arbeit über die Ursache der
sastrulainvagination usw. (Kolloid-chem. Beih. Bd. 9 S. 319. 1918):
„Unsere gebräuchlichsten Mittel, partenogenetische Entwicklung künst-
lich auszulösen, sind Stoffe, die erstens imstande sind, die Quellung der
Kolloide beträchtlich zu erhöhen, so besonders die Fettsäuren und Alkalien,
aber auch z. B. Chloroform (die übrigen organischen Partenogenetika sind
“ auf ihre Einwirkung auf die Quellung noch wenig untersucht worden)
andererseits aber sehr lipoidlöslich sind [Fettsäuren, Chloroform, Xylol,
Amylen usw.]).“
„Ein Stoff, der die Membrankolloide aufquellen lässt, muss die Durch-
lässigkeit derselben erhöhen, denn gelöste Stoffe diffundieren um so leichter
durch ein Kolloid, je wasserhaltiger es ist, je weiter die Partikelchen
des Kolloides durch die Wassermoleküle auseinandergedrängt werden
und je stärker die innere Reibung, die dem Eindringen des betreffenden
Stoffes den grössten Widerstand bietet, hierdurch vermindert sind.‘
Zu den Theorien der Narkose. S1
Harvey konnte den Eintritt von Basen in die betreffenden tierischer
und pflanzlichen Zellen mit Sicherheit feststellen mit Hilfe des Farben-
wechsels von Neutralrot, welches die Zellen im Innern enthielten.
Der rote Farbstoff nahm beim Eintritt von Natronhydrat eine gelbe
Färbung an.
Harvey bemerkt unter anderem Science N. S. 32 8. 566. 1910:
„If a concentration of NaOH which enters the egg in twenty minutes
be one quarter saturated with chloroform, the NaOH enters in ten
minutes. One quarter saturated chloroform in NaCl has no visible
effect on the eggs even after one hour. The effect of dilute solutions
of chloroform, which fail to eytolyze, on the eggs of Hippono&,
is to increase their permeability to NaOH. Indeed it may be shown
in the same way, that small concentrations of chloroform increase the
permeability of the leaf cells of Elodea, showing active protoplas-
matie rotation and that the normal permeability is again regained
when the leaves are returned to tap water. The above statements
are equally true for ether.“
An einer anderen Stelle bemerkt Harvey (nach brieflichen Mit-
teilungen von Spek), dass Chloroform, Äther und Alkohol auch in
geringen „amounts too small to have any irreversible effects‘ wirk-
sam sind.
Harvey weist auch hin: ‚On the swelling of the egg caused by
chloroform“.
Es folgt somit aus Harvey’s Versuchen, dass so-
wohl für pflanzliche wie tierische Zellen‘ durch Nar-
kotika wie Chloroform und Äther, und zwar in narkoti-
schen, nicht schädigende Dosen unter Quellungserschei-
nungen eine Erhöhung der Durchlässigkeit für Natron-
hydrat erfolgt, und es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass
das, was für die Ionen des Natronhydrats gilt, auch für
etliche andere Salzionen statthat.
Harvey’s Ergebnisse stehen somit in bestem Einklang
mit den Versuchen von Shryver sowie Traube und Köhler
über Quellung von Kolloiden wie Natriumcholat und
Gelatine.
Zwischen Gelatinequellung und narkotischer Wirkung be-
steht eine derartige Parallelität, dass man versucht sein möchte,
auch dem folgenden Faktor einen wesentlichen Anteil an der Auslösung
des narkotischen Zustandes zuzuschreiben.
Je mehr die Kolloide unter dem Einfluss von Narecoticis gequollen
werden, um so grösser wird der sich einstellende Quellungsdruck
sein. Dieser Quellungsdruck wid für verschiedene Zellen sehr ver-
schieden sein und namentlich auch von dem Lipoidgehalt der Zellen
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 116. 6
82 | J. Traube:
abhängig sein müssen. Die Annahme liegt nahe, dass die wahr-
scheinlich bedeutende Volumvergrösserung gerade der
lipoiden Ganglienzellen und der daraus sich ergebende
Druck den Narkosezustand erheblich hkeeinflussen kann;
indessen möchte ich nicht so weit gehen, etwa anzunehmen, dass
diese Druckdifferenzen und Druckverschiebungenr die einzige Ursache
der Narkose sind, sondern ich bleibe in dieser Beziehung der Meinung,
dass in erster Linie die Verlangsamung und Aufhebung chemischer
wie physikalischer, insbesondere auch elektrischer Vorgänge hierbei
maassgeberd sind.
Schliesslich möchte ich in wenigen Worten meine Ansichten über
den Erregungszustand bei der Narkose hier mitteilen.
Kleine Mengen von Nareotieis wirken bekanntlich auf Tiere und
ebenso auf Pflanzen erregend. Ich darf vielleicht darauf hinweisen,
dass in einer gemeinsam mit Hedwig Rosenstein ausgeführten,
gleichzeitig in der Biochem. Zeitschr. erscheinenden Arbeit über die
Wirkung von Narcotieis auf Gerste usw. gefunden wurde, dass kleine
Mengen von Stoffen mit geringem Haftdruck die Keimung sowie
anscheinend auch teilweise das Wachstum günstig beeinflussen,
während grössere Mengen, wie bei den Tieren, zu einer reversiblen
und alsdann irreversiblen Narkose führen. Es hat sich eine auffallende
Analogie auch in bezug auf den Wirkungsgrad der Narkotika für Tier
und Pflanze bei unseren Versuchen ergeben.
Es gibt nun bei verschiedenartigen kolloid-physikalischen Vor-
gängen der Flockung und Quellung mancherlei Analoga, welche uns
den Erregungszustand verständlicher erscheinen lassen. So wirkt nach
Hofmeister!) Äthylalkohol in Konzentrationen von 0,5—2%, auf
ein Gelatinegel quellungsfördernd, während derse!be in höheren Kon-
zentrationen auf das betreffende Gel entquellend wirkt. Ebenso wirken
kleine Mengen von Narcoticis auf Leeithin und gewisse Eiweissstoffe ?)
flockend, also dispersitätsvermindernd, während grössere Mengen lösend
und dispersitätserhöhend wirksn. So haben ferner Traube und
Köhler?) gezeigt, dass in ganz minimalen Konzentrationen Säuren
entquellend auf ein verdünntes Gelatinegel wirken, in grösseren Kon-
zentrationen dagegen quellend; nach Hofmeister *) wirken Alkali-
sulfate, -tartrate, -zitrate in sehr geringen Konzentrationen auf Gelatine
quellend, in grösseren entquellend. Von mir) wurde gefunden, dass
1) Vgl. Spek, Kolloidehem. Beitr. Bd. 9 8. 334. 1918.
2) Vgl. die Literatur Traube dieses Arch. Bd. 161 S. 532 u. 543.
1915.
3) Braubesu. Kohler,l.c.
4) Hofmeister, Arch. f. exp. Path. Bd. 28 S. 210. 1891.
5) Traube, Kolloidehem. Beih. Bd. 3 8. 237. 1912.
Zu den Theorien der Narkose. S3
kleinste Mengen etlicher Salze die Oberflächenspannung von Nacht-
blaulösungen vermindern, während grössere Mengen dieselben erhöhen.
Erinnert sei ferner an die Wirkung von Säuren auf gewisse fermentative
Vorgänge !). So wurde beispielsweise bei der Wirkung der Säuren
auf die Hydrolyse des Rohrzuckers durch Invertase oder auf diejenige
der Maltose durch Maltase zunächst eine Beschleunigung der fer-
mentativen Vorgänge mit einem Optimum der Beschleunigung be-
obachtet. Alsdann folgte von einer bestimmten Konzentration ab eine
Hemmung, die ein Maximum err>ichte.
Diese Fülle gleichartiger Tatsachen lassen den Gedanken naheliegend
erscheinen, dass analoge in kolloid-physikalischem Sinne entgegen-
gesetzte Vorgänge das Erregungs- und Narkosestadium bedingen.
Die Annahme liegt nahe, aass wenn in dem einen etwa narkotischem
Stadium eine durch die Narkotika durch Sensibilitation hervorgebrachte
Flockung (siehe weiter oben)/und somit Dispersitätsverminderung ge-
wisse Fermente unwirksam macht, im Erregungsstadium kleinere
Mengen derselben Narkotika möglicherweise den umgekehrten kolloid-
physikalischen . Vorgang auslösen könnten, und ebenso dürften die
Verhältnisse sich darstellen in bezug auf die quellend und entquellend
wirkenden verschiedenen Substanzmengen der Narkotika. Man kann
sich so gewisse kolloidphysikalische Vorstellungen machen, welche die
aufeinanderfolgenden Stadien der Erregung und Hemmung verständlich
machen. Reaktionsbeschleunigende Vorgänge, welche etwa auf einer
Dispersitätserhöhung von Fermenten beruhen könnten, gehen ver-
mutlich den reaktionshemmenden Narkosevorgängen voraus.
1) Kopaczevski, Intern. Zeitschr. phys.-chem. Biol. Bd. 1 S.420 1914.
6*
Über elektrischen Widerstand,
Kapazität und Polarisation der Haut.
I.
Versuche an der Froschhaut.
Von
Martin Gildemeister.
(Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts der
Universität Berlin.)
Mit 4 Textabbildungen.
(Eingegangen am 29. März 1919.)
Einleitung.
Die Versuche, über die hier berichtet wird, schliessen sich an die
Arbeiten von Galler!), mir?) und Belouss°) an. Die wichtigsten
Resultate habe ich auf dem Physiologentage in Berlin (Mai— Juni 1914)
vorgetragen; die ausführliche Veröffentlichung ist bisher durch die
Zeitumstände verhindert worden.
Die Grundtatsachen, von denen hier ausgegangen wird, sind kurz
folgende:
Anscheinende Veränderlichkeit der elektrischen Leit-
fähigkeit des Körpers. Der elektrische Leitungswiderstand des
tierischen Körpers ist anscheinend sehr variabel. Wenn man den
Gesamtkörper eines Kaltblüters (Frosch) oder Warmblüters (Mensch,
Kaninchen, Meerschweinchen, Taube) mittels unpolarisierbarer Elek-
troden mit einer konstanten Stromquelle in Verbindung bringt und in
den Kreis ein elektrisches Messinstrument einschaltet, so zeigt sich die
Stärke des entstehenden Stromes sehr von der Durchströmungsdauer
abhängig. Sie ändert sich im allgemeinen so, als ob der Leitungs-
widerstand, der zuerst verhältnismässig sehr hoch ist, allmählich
kleiner würde, unter bestimmten Umständen aber auch im umgekehrten
Sinne. Variiert man andererseits die Messspannung, so geht die
Stromintensität ihr nicht proportional; vielmehr wird mar zu dem
Schlusse genötigt, dass der Gleichstromwiderstand auch eine Funktion
1) H. Galler, dieses Arch. Bd. 149 S. 156. 1912.
2) M. Gildemeister, dieses Arch. Bd. 149 S. 389. 1912.
3) A. Belouss, dieses Arch. Bd. 162 S. 507. 1915.
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 85
der Spannung (und Stromstärke) ist, und zwar derartig, dass er
‚sich umgekehrt ändert wie sie.
Ausser von diesen und einigen anderen Variabeln, die vorläufig
übergangen werden können, hängt die Leitfähigkeit anscheinend auch
von der Stromform ab; wenigstens findet man mit Wechselströmen
nach der Kohlrausch’schen Methode viel kleinere Werte.
Diese »augenscheinliche Veränderlichkeit des Körperwiderstandes,
die durch Wegnahme der Haut fast vollständig aufgehoben werden
kann und die deshalb in dieses Organ verlegt werden muss, ist
eine den Klinikern lange bekannte Tatsache. Man könnte sich von
den geschilderten Erscheinungen folgendes Bild machen: der wahre
Leitungswiderstand ist derjenige, den man mit Wechselströmen misst.
Schickt man aber einen Gleichstrom durch den Körper, so entstehen
durch Elektroendosmose oder durch Verminderung von Elektrolyt-
. konzentrationen an semipermeablen Membranen der Haut schlecht-
leitende Schichten, daher erscheint dann der Widerstand stark
erhöht. Bei lange dauernder Durchströmung machen sich aber
andere Einflüsse geltend, die Durchblutung der Haut ändert sich, die
Hautporen werden weit usw., so dass der Widerstand sinkt, besonders
bei grosser Stromstärke.
Diese Theorie, die in klinischen Lehrbüchern noch immer herrscht,
hat der experimentellen Prüfung nicht standgehalten. Für unseren
Zweck genügt es, nur einen Versuch anzuführen: misst man während
der Durchströmung mit Gleichstrom den Wechselstromwider-
stand, so findet man ihn nicht erhöht, wie es sein müsste, wenn der
Gleichstrom nach obiger Hypothese die Leitfähigkeit verschlechtert
hätte (Galler a. a. O.). Man muüss also annehmen, dass die obigen
Überlegungen nicht das Richtige treffen, dass entweder die Gleich-
oder die Wechselstrommessung — oder vielleicht auch beide — falsche
Resultate gibt, und dass mindestens der eine von den beiden Wider-
ständen nur ein scheinbarer ist.
Erstes Modell. Vergleich des Körpers mit einer Polari-
sationszelle. Es ist nicht schwer, ein sich ähnlich verhaltendes
physikalisch-chemisches Modell zu finden. Taucht man zum Beispiel
zwei Platinplatten iv Schwefelsäure und misst nach der Kohlrausch-
schen Methode den Widerstand dieser Zelle, so erhält man einen ver-
hältnismässig kleinen Wert. Viel grösser aber erscheint der Gleich-
stromwiderstand; denn eine konstante angelegte Spannung weckt
elektromotorische Gegenkräfte, so dass der Strom viel schwächer
wird, als es dem Leitungswiderstand entspricht. Es wird also ein
hoher Gleichstromwiderstand vorgetäuscht, der sich sofort als nur
scheinbar erweist, wenn man gleichzeitig eine Wechselstrommessung
vornimmt.
86 Martin Gildemeister:
Überträgt man diese Überlegungen auf den tierischen Körper, so
muss man diesem eine hohe Polarisierbarkeit zuschreiben, wenn man
die beobachteten Erscheinupgen quantitativ auf Polarisation zurück -
führen will; man kommt zum Beispiel beim Menschen rechnungs-
mässig unter Umständen auf Gegenspannungen von mehreren Volt
(Gildemeister a. a. O.), was von vornherein nicht sehr wahrschein-
lich klingt.
Es ist aber noch eine andere Auffassung möglich. Um diese zu
erläutern, wollen wir von einem Phänomen ausgehen, welches zwar
schon oft beobachtet, aber noch fast gar nicht untersucht und vor
allem nicht in seiner Bedeutung gewürdist ist.
Das schlechte Minimum. Phasenverschiebung des
Stroms gegen die Wechselspannung. Bei Wechselstrom-
messungen des Körperwiderstandes nach der Kohlrausch’schen
Methode fällt auf, dass die Einstellung auf das Minimum des Tones |
sehr schwierig ist. Das Telephon schweigt nicht, und der Bereich
n 2)
Abb. 1. I. Zur Frequenzbestimmung der Wechselströme. (Erklärung im Text.)
II. „Schleifer“. C, kleiner, 0, großer Kondensator, Z Metallwalze mit
daran schleifendem Drähtchen, 7’ Telephon.
schwächsten Tönens ist sehr breit und verwaschen. Daraus sind für
unser Problem sehr wichtige Schlüsse zu ziehen; da aber die Be-
dingungen, von denen die Güte eines Tonminimums abhängt, in der
physiologischen Literatur meines Wissens noch nicht besprochen sind,
sei es mir gestattet, zunächst die einschlägigen physikalischen Ver-
hältnisse kurz zu erörtern.
Eine Wheatstonesche Brücke (Abb. 11) werde durch praktisch
widerstandslose Drähte von einer Wechselstromquelle Q gespeist, die
reine Sinusströme von der Maximalspannung V liefere. Der Punkt B
werde geerdet, so dass dort immer die Spannung Null herrscht. Dann
wird der Punkt A abwechselnd auf die Spannung + V und — V
kommen, während die maximalen Spannungswerte der auf den Wegen
ASchB und ADB liegenden Punkte zwischen + V und Null liegen
werden. Wir werden nun zu einem Punkt D des Weges ADB einen
solchen des Weges ASchB finden können mit der Bedingung, dass
die Spannungsschwankungen an beiden gleich sind. Wird dann in
dem Verbindungszweige DSch ein Strom fliessen ?
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 87
Sicher nicht, wenn die Spannungsschwankungen bei D und Sch
nicht nur gleichen Betrag haben, sondern auch gleichphasisch ab-
laufen. Hat D in jedem Augenblick dieselbe Spannung wie Sch, '
so kann kein Strom zustande kommen. Das ist zum Beispiel der Fall,
wenn sich in den vier Zweigen der Brücke nur ‚‚reine‘‘ Ohmsche Wider-
stände befinden, zwischen denen die bekannte Proportion besteht.
Es ist aber möglich, den Weg ADB so einzurichten, dass in ihm
die Ströme und deshalb auch die Spannungen am Punkte D zeitlich
gegen die Ströme in ASchB (mithin auch gegen die Spannungen bei
Sch) verschoben sind. Herrscht dann am Punkte D in einem Augen-
blicke gerade die Spannung Null, so wird bei Sch die Nullzeit schon
vorüber oder noch nicht erreicht sein, es wird also unter allen Um-
ständen zu einem Strom zwischen diesen beiden Punkten kommen.
Die Gleichheit der Spannungsschwankungen bei D und Sch ist also
nicht hinreichend, um Stromlosigkeit im Verbindungszweige zu sichern,
sondern es muss dazu noch die Bedingung der Gleichphasigkeit
kommen. Fehlt diese, so ist Stromlosigkeit im Brückenzweige nicht
zu erreichen. Und umgekehrt: gelingt es nicht, den Brücken-
strom 2um Verschwinden zu bringen, so lässt das auf
Phasenverschiebungen schliessen.
Bedeutung der Phasenverschiebung. Befinden sich nun in
drei Zweigen der Brückenanordnung reine Ohmsche Widerstände, wie
es bei der Kohlrausch’schen Methode sein soll (ein Rheostat und
die beiden Teile des Messdrahtes), so treten Phasenverschiebungen
erfahrungsgemäss in drei Fällen ein, nämlich wenn das zu messende
Objekt hat:
a) Selbstinduktion,
b) Kapazität,
c) Polarisation.
Im Falle a ist die Phase gegen diejenige der Stromquelle im Sinne
des Zurückbleibens, in den Fällen b und ce im Sinne der Voreilung
verschoben. Daraus ergibt sich die wichtige Folgerung, dass man
durch Hinzufügung einer Selbstinduktion zu einem mit Kapazität
oder Polarisation -behafteten Leiter (und umgekehrt) die Phasen-
verschiebung wird aufheben, also in unserem Falle das Tonminimum
absolut und scharf wird machen können.
Für unser Problem folgt aus diesen Erörterungen, dass der tierische
Körper eine der drei obengenannten Eigenschaften hat. Ob es sich
um Selbstinduktion einerseits, um Kapazität oder Polarisation anderer-
seits handelt, lehrt zum Beispiel folgender Versuch: Man misst den
Widerstand nach Kohlrausch unter Benutzung einer Stromquelle,
die Sinusströme gibt, schaltet vor den Körper eine variable Spule
und sieht zu, ob dadurch das Minimum zu einem absoluten gemacht
38 Martin Gildemeister:
werden kann, oder ob es noch schlechter wird. Tatsächlich gelingt
es so, das Telephon zum völligen Schweigen zu bringen, der Körper
hat also Kapazität oder Polarisation.
Je grösser die Selbstinduktion der zur Kompensation nötigen
Spule, desto mehr weicht das Objekt von einem reinen Widerstand
ab, so dass man auf diese Weise auch quantitative Angaben machen
kann. Davon soll später noch die Rede sein.
Ob es sich bei der Haut um Kapazität oder Polarisation handelt,
ist auf die bezeichnete Art nicht zu entscheiden; um hierüber Klarheit
zu schaffen, sind andere Untersuchungen nötig. Ehe davon gesprochen
wird, ist erst zu überlegen, ob auch die Annahme kordensatorischer
Eigenschaften geeignet ist, die eingangs erwähnten Beobachtungen
über die Variabilität des Widerstandes zu erklären.
Ein zweites Modell. Die Haut gilt als ein Organ besonders
schlechter Leitfähigkeit. Legt man nun zwei Flüssigkeitselektroden
an den Körper, so hat man folgende Reihenfolge: guter Leiter (Elek-
trodenflüssigkeit), schlechter Leiter (Haut), guter Leiter (Körperinneres)
c)
U,
Abb. 2. Schemata des von der Haut bedeckten tierischen Körpers. Z Elek-
troden, H Haut, K Körperinneres, w, und w; Widerstände, © Kondensator.
schlechter Leiter, guter Leiter (Abb. 2a). Darin kann man der Haut
die Rolle eines Dielektrikums zuschreiben, dessen Belege die Elek-
trodenflüssigkeit bzw. das Körperinnere sind, man hat also zwei in
Serie geschaitete Kondensatoren. Diese leiten hier aber auch in an-
sehnlichem Betrage den Gleichstrom, haben also schlechte Isolation ,
welchem Umstande man durch parallel geschaltete Widerstände
Rechnung tragen kann. Wir hätten es also mit dem in Abb. 2b
skizzierten System zu tun; da es aus zwei symmetrischen Teilen
hesteht, genügt es, das Schema Abb.2c (die Hälfte davon) zu betrachten.
Der Gleichstromwiderstand desselben ist durch w, plus w;, gegeben ;
der Wechselstrom dagegen gleicht sich zum Teil über den Kondensator
aus, so dass wir einen kleineren Wechselstromwiderstand beobachten
werden. Wegen der Kapazität entsteht eine Phasenverschiebung, das
Minimum wird schlecht, kann aber durch eine Spule verbessert werden.
Das trifft beim Körper alles zu.
Die Anfangszacke. Bemerkenswert ist das Verhalten dieses
Modelles dem Beginn eines Gleichstromes gegenüber. Dann ist der
Kondensator noch ungeladen, es wird in ihn also Elektrizität ein-
e
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 89
strömen, bis er die der Potentialdifferenz zwischen den Enden von w,
entsprechende Ladung hat. Der Gleichstrom muss also im ersten
Augenblick (Bruchteilen einer Sekunde) besonders hoch sein. Eine
solche ‚Anfangszacke‘‘ ist bei Versuchen bei Mensch und Tier oft
beobachtet (zuerst von G. Gärtner!), dann von Garten, Piperu.a.
bei Gelegenheit von saitengalvanometrischen Versuchen) und als Folge
der elektrostatischen Körperkapazität gedeutet worden.
Aber auch eine Polarisationszelle zeigt eine solche Anfangszacke,
weil im ersten Augenblick noch keine polarisatorische Gegenkraft vor-
handen ist, so dass der Strom dann noch keine Schwächung erleidet.
Ich habe mit einem Helmholtz’schen Pendel den Stromverlauf un-
mittelbar nach Anlegung einer kopstanten Spannung bei Frosch,
Mensch und einer Zelle, die aus zwei Zinkblechen in physiologischer
Kochsalzlösung bestand, aufgenommen und kann keinen wesentlichen
Unterschied erkennen (siehe Abb. 3).
Abb. 3. Anfangszacken des Stromes bei Anlegung einer konstanten Spannung.
a) Zink in Kochsalzlösung, 2 Volt; b) Froschhaut, 2 Volt; c Froschhaut,
0,75 Volt; d) Mensch 5,25 Volt. 1 o = !ıooo Sek.
Also kann die Anfangszacke nicht die Frage: Kapazität oder
Polarisation ? entscheiden.
Es lässt sich darüber streiten, ob man die beiden Begriffe überhaupt
reinlich trennen kann; und ich will hier nicht versuchen, eine scharfe
- Definition aufzustellen. Bei elektrostatischer Kapazität gerät ein
Dielektrikum in einen elektrischen Spannungszustand, und es kann
dadurch Elektrizität gespeichert werden. Auch ein polarisierbares
System ist zu einer Elektrizitätsspeicherung fähig, aber durch Ver-
mittlung von Ionen, und es kommt weniger auf die Dielektrizitäts-
konstante als die den Ionen eigentümlichen Eigenschaften, wie
Wanderungsgeschwindigkeit, Wertigkeit usw. an. Für unseren Zweck
genügt es, dass es einen quantitativ gut durchforschten Erscheinungs-
komplex gibt, bei dem man von elektrostatischer Kapazität spricht,
und einen anderen mit gleichfalls gut bekannten Gesetzen, den man
der (elektrolytischen) Polarisation zurechnet.- Wir haben hier nur
1) G. Gärtner, Wiener Med. Jahrb. 1886, S. 161.
90 Martin Gildemeister:
zu fragen, ob die quantitativen Beziehungen, die wir an der Haut
(und anderen tierischen Geweben) finden, in das eine oder das andere
Gebiet hineingehören. Das ist das Thema dieser Arbeit.
Hat die Haut elektrostatische oder Polarisationskapa-
zität ?
Es ist vielleicht nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, dass es sich
nicht nur um eine Doktorfrage handelt. Finden wir gemeine Kapazität.
so ist das angeschnittene Gebiet von nur sehr mässigem physiologischen
Interesse. Dass auch ein lebendes Gewebe nach Maassgabe seiner
Konstanten unter geeigneten. Bedingungen die Rolle eines Dielektrikums
spieler kann, wird niemand bezweifeln, und der Nachweis der Tatsache
regt nicht zu neuen Untersuchungen an. Finden wir aber elektrolytische
Polarisation, so werden wir auf das wichtige Gebiet der Ionenwanderung
und -verteilung im Körper geführt, auf die Fragen der Permeabilität
und anderes mehr.
Die quantitativen Gesetze der Kapazität urd der Polari-
sation. Bei dem in Abb. 2c skizzierten Kapazitätsmodell ist, wie
schon erwähnt, der scheinbare Gleichstromwiderstand grösser als der-
jenige gegenüber Wechselstrom. Er wird dargestellt durch die Summe
w, + ws. Von der angelegten Spannung und der Stromdauer ist
er aber, da wir sowohl w, als auch ıw, ausdrücklich als konstant voraus-
setzen, unabhängig. Insofern entspricht das Modell nicht der Haut,
bei welcher der Gleichstromwiderstand sich ja mit der Durch-
strömungsdauer ändert und außerdem desto kleiner gefunden wird,
je höher die Spannung (und die Stromstärke). Wenn wir dieses
Modeli als zutreffend annehmen, müssen wir noch zu der Hilfs-
hypothese unsere Zuflucht nehmen, dass w, oder w, (oder beide) im
Körper durch starke und lang dauernde Gleichströme veränderlich
sind, durch Erwärmung, oder Elektroendosmose, oder Veränderung des
Querschnittes der stromleitenden Wege oder dergleichen. Also ganz
decken sich die Eigenschaften des zweiten Modells mit der Wirklich-
keit nicht.
Der Wechselstromwiderstand desselben ist kleiner als w, + w,.
Solange das Minimum unscharf und richt absolut ist, kann man
bei der Messung nach Wheatstone nicht genau einstellen und
deshalb (und aus anderen Gründen) von Wechselstromwiderstand
eigentlich gar nicht sprechen. Es soll also angenommen werden,
dass eine Selbstinduktion passender Grösse zur Beseitigung der
Phasenverschiebung hinzugefügt ist. Die mathematische Analyse
(siehe den Anhang) ergibt dann folgendes: Sind bei dem Modell Abb. 2 c
die Werte von w, und w, sowie die Kapazität des Kondensators C
gegeben, so ist eine desto kleinere Selbstinduktion L zur Verbssserung
des Minimums nötig, je grösser die Frequenz N des Wechselstromes
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 9]
(Gl. 1, S. 103). Der nach der bekannten Proportion aus dem Vergleichs-
rheostaten und den beiden Abschnitten des Messdrahtes errechnete
Widerstand W, selbstverständlich nach Abzug des Widerstandes der
Zusatzspule, hängt auch von N ab; er liest zwischen den Werten w,
und w, + w, und wird desto kleiner, nähert sich also desto mehr ı,,
je grösser die Frequenz (Gl. 2, S. 103). Nennt man den Überschuss
von W über w, Aw, so gilt (immer beim Schweigen des Telephons)
die Gleichung:
"A IRlb
(k eine Konstante) (Gl. 4, S. 103).
Wir haben also eine Gleichung gewonnen, die erfüllt sein muss,
wenn es sich um elektrostatische Kapazität handelt. Sie kann leicht
geprüft werden, da sich Aw und L aus den Versuchsdaten ergeben.
Bei Polarisation liegen die Dinge anders. Jede Polarisationszelle
zeigt, sofern nicht sekundäre Reaktionen eintreten (schlechtleitende
Schichten u. dgl.) bei steigender Stromstärke ein Sinken des schein-
baren Gleichstromwiderstandes. Denn die Gegenspannung steigt nicht
in dem Maasse wie die angelegte und pfiegt schliesslich über ein ge-
wisses Maximum nicht mehr hinauszugehen. Es ist also keine
neue Hypothese nötig, um den Gang des Gleichstrom-
widerstandes des Tierkörpers verständlich zu machen,
wenn man Polarisation annimmt.
Über das Verhalten des Wechselstromwiderstandes einer Polari-
sationszelle gibt es zahlreiche Veröffentlichungen; besonders zu nennen
auf diesem Gebiete sind die Arbeiten von M. Wien!) und von FE. Krü-
ger ?), aus welch letzterer die Literatur zu ersehen ist. Von Wien
stammt auch der Kunstgriff, die Phasenverschiebung durch eine
Selbstinduktion aufzuheben.
Aus den besagten Arbeiten geht hervor, dass auch hier der Wechsel-
stromwiderstand (sobald der Brückenzweig stromlos ist) variabel ist;
er nimmt mit wachsender Frequenz gleichfalls ab. Die genaueren
quantitativen Beziehungen richten sich nach den besonderen Versuchs-
bedingungen, worauf hier nicht eingegangen werden kann; in allen
Fällen istaber anscheinend (in jeder Versuchsreihe) der Quotient
A
NL konstant oder fast konstant?°).
1) M. Wien, Ann. d. Physik Bd. 58 S. 37. 1896.
2) F. Krüger, Zeitschr. f. physikal. Chemie Bd. 45 S. 1. 1903.
3) In den zitierten Arbeiten ist nicht der Ausdruck sondern
Aw
NL’
2rz NCAw berechnetund annähernd konstant gefunden worden. Daskommt
aber auf dasselbe hinaus. Da die scheinbare Polarisationskapazität C aus N
92 Martin Gildemeister:
Wir haben nun also das gesuchte Kriterium: handelt es sich um
elektrostatische Kapazität in der Weise des Schemas Abb. 2c, so wird
Aw
GER konstant sein; haben wir aber mit Polarisation zu tun, so haben
A:
u
wir annähernd die Gleichung Nor konst. zu erwarten. Dies ist
in der vorliegenden Arbeit an der Froschhaut untersucht worden.
: Methodik.
Es kam also darauf an, den Wechselstromwiderstand der Frosch-
haut bei verschiedenen bekannten Frequenzen, nach Kompensation
der Phasenverschiebung durch eine Selbstinduktion bekannter Grösse,
in der Wheatstoneschen Anordnung zu messen und ihn mit dem wahren
Widerstand, d. h. demjenigen bei sehr hoher Frequenz, zu vergleichen.
Diese Aufgabe erforderte umfangreiche technische Vorbereitungen.
Apparate der Art, wie sie die Physiko-Chemiker zu ähnlichen
Arbeiten benutzt hatten, nämlich Saitenunterbrecher verschiedener
Schwingungszahl, optische Telephone, Vibrationsgalvanometer u. dgl.
standen mir nicht zur Verfügung. Es zeigte sich aber, dass auch ein-
fachere Vorrichtungen ausreichen, wenn, wie es hier sicher der Fall
war, eine grössere Genauigkeit als etwa 1% nicht notwendig war.
Wechselstromquellen !). Drei hölzerne gedeckte Orgelpfeifen,
die auf etwa g!, 9? und d? gestimmt waren, wurden von einem grossen,
auf 1—1,5 Atmosphären mit Luft gefüllten Windkessel durch ein
Reduzierventil sehr schwach angeblasen. Einige Zentimeter vor ihrer
Öffnung stand ein Mikrophon, dessen Strom zu einem Telephon-
transformator geleitet wurde. Der aus den sekundären Klemmen
desselben entnommene Wechselstrom erwies sich als für den vorliegen-
den Zweck genügend konstant hinsichtlich Intensität und Frequenz.
Über die Art der Kontrolle siehe S. 94.
Er war so arm an Obertönen, dass zur Beurteilung des Minimums
das Telephon verwendet werden konnte. Mit der Zeit bekommt man
eine grosse Übung im Heraushören der einzelnen Töne aus Klängen,
und es macht deshalb nicht viel, wenn manchmal der eine oder andere
Oberton zum Vorschein kommt.
Die Hochfrequenzströme wurden von einer kleinen, selbst ge-
fertigten Poulsenlampe geliefert. Bezüglich dieses sehr bequemen
1 R
und ZL nach der Thomsonschen Formel C = - 4 m2N®L ermittelt ist, kann
i Aw w
für 2rNCAw auch NZ gesetzt werden. Also NL = konst.
1) S. auch Anhang S. 104.
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 93
Wechselstromgenerators kann auf die früher gegebene Beschreibung!)
verwiesen werden. Die Spannung des Speisestroms betrug 250 Volt,
die Intensität, die durch Eisendrahtwiderstände in Wasserstoff (Varia-
toren der A. E. G., 70—210 Volt) konstant gehalten wurde, 1,9 Ampere.
Über die Stärke des Wechselstroms s. S. 99. Die Kondensatoren
hatte ich aus Schreibmaschinenpapier und Paraffin hergestellt (siehe
S. 105). Welche Frequerzen zur Anwendung kamen, ist aus den
Tabellen zu ersehen.
| Messbrücke. In einem vonder Tonquelle entfernten Zimmer befand
sich die Wheatstonesche Brücke. Um die Empfindlichkeit zu erhöhen,
wurde ein (sorgfältig graduierter) Messdraht erheblichen Widerstandes
(17 Ohm) gewählt. Als Vergleichswiderstand diente bei den Messungen
mit Mittelfrequenz ein gewöhnlicher Rheostat, dessen Kapazität
und Selbstinduktion, wie besondere Messungen mit höheren Frequenzen
lehrten, hier zu vernachlässigen war; kam Hochfreauenz zur Anwendung,
so wurde er durch einen im Zickzack gespannten Konstantandraht
(Asbestwiderstand von ©. Schniewindt in Neuenrade, Westf.) ersetzt.
Variable Selbstinduktion. Die Herstellung derselben und
ihre Experimentalkritik war ziemlich schwierig. Das schliesslich be-
nutzte Modell hatte folgende Einrichtung:
Es wurden aufeinem festen Träger und einem verschiebbaren Schlitten
zwei Glasrohre von 15 cm Länge angebracht, wie die beiden Spiralen
‘eines Induktoriums, das innere von 1,7 cm, das äussere von 2,7 cm
Lumen. Zuerst wurde das engere mit zwei Lagen Kupferdraht (0,2 mm
Stärke) umwunden, dann das äussere mit zwei etwas lockerer gewickelten
Lagen desselben Drahtes, derartig, dass die Selbstinduktion beider
Spulen möglichst gleich wurde. Die vier Drahtenden wurden zu einem
Umschalter geführt, so dass die beiden Spulen gleich- oder gegen-
sinnig geschaltet werden konnten. Das ergab, wenn man noch die
Verschiebung der Spulen zu Hilfe nahm, eine Veränderlichkeit der
Selbstinduktion von 3,6:10* bis 3-10? Henry. Die Eichung erfolgte
von Millimeter zu Millimeter durch Vergleich mit einer Selbstinduktions-
normale mit Hilfe von Messdraht und Induktorium (Kohlrausch,
Lehrb. der prakt. Physik, 11. Aufl., 117, 5). Dann wurden auf die
beiden Röhren nochmals je vier Lagen desselben Drahtes gewickelt
und die Selbstpotentiale der so entstandenen Spulen wieder möglichst
gleich gemacht. Schliesslich wurde eine Einrichtung getroffen, um auch
die ganzen sechslagigen Spulen nach Bedarf mit- oder gegeneinander-
schalten zu können; dadurch stieg jetzt der Bereich der stetig ver-
änderlichen Selbstinduktion des Aggregates auf 1,22-10”? Henry.
In passender Entfernung von diesem Variometer, so dass keine merk-
1) M. Gildemeister, dieses Arch. Bd. 162 S. 489. 1915. Zeitschr.
f. Sinnesphysiologie Bd. 50 S. 161. 1918.
94 Martin Gildemeister:
liche gegenseitige Einwirkung stattfinden konnte, wurden nun noch
vier feste Spulen von 1,10; 2,17; 4,31; 7,73-107? Henry angebracht,
die in beliebiger Kombination hinzugeschaltet werden konnten. Auf
diese Weise konnte jedes Selbstpotential von 3,6-107* bis 16,53-1072
Henry eingestellt werden (siehe auch Anhang S. 104).
Die Eichung der Apparate war auf mindestens 1%, genau, was
für den vorliegenden Zweck mehr als ausreicht. Da auf eine weiter-
gehende Präzision nach der Art des Materials verzichtet werden konnte,
brauchte auch auf die sonst bei physikalischen Aufgaben verwandter
Art notwendige parallele Führung der Drähte u. dgl]. keine übergrosse
Sorgfalt verwendet zu werden.
Nullinstrument. Zur Auffindung derjenigen Schieberstellung
und Spulengrösse, bei welcher der Ton verschwand, diente im Bereich
der hörbaren Frequenzen das Telephon. Selbst wenn diesem einige
Obertöne beigemischt sind, gelingt es doch mit fortschreitender Übung,
sehr scharf auf den Grundton einzustellen. Kommt Hochfrequenz zur
Anwendung, so sind natürlich besondere Maassregeln notwendig (siehe
darüber den Anhang S. 105).
Frequenzbestimmung. Da die Frequenz der Wechselströme in
die Rechnung eingeht, musste sie genau bekannt-sein. Ein einfaches
Messungsverfahren ergab sich aus folgender Überlegung: Befindet sich
in einem Zweig der Wheatstoneschen Brücke, zum Beispiel in DB
(Abb. 1), ein Kondensator C, in den anderen drei aber reine Wider-
stände, so wird das telephonische Minimum schlecht, weil die Phase
voreilt. Fügt man eine Selbstinduktion L passender Grösse hinzu,
so hebt man die Phasenverschiebung auf und erhält ein absolutes
und scharfes Minimum. In diesem Falle besteht zwischen C, L und
der Frequenz N die Gleichung N—= = ;—=!). Die variable Selbst-
induktion war vorhanden; ich brauchte also nur das Hautpräparat
mit einem bekannten Kondensator zu vertauschen und konnte, nach-
dem das Minimum mit Messdrahtschieber und Spule absolut gemacht
war, aus C und L die Frequenz berechnen. Ein Vorzug der Methode
besteht auch darin, dass man während des Versuchs ohne wesent-
liche Veränderung der Anordnung sich davon überzeugen kann, ob
die Frequenz konstant geblieben ist. Bei Hochfrequenz wird das
Telephon durch das im Anhang beschriebene Nullinstrument ersetzt ?).
1) Siehe z. B. H. Starke, Experimentelle Elektrizitätslehre, 2. Autfl.,
D. 1207.
2) Die Methode benutze ich seit Sommer 1913. Da sie nur eine
Umkehrung des Wien’schen Verfahrens (a. a. OÖ.) ist, aus N und L
die Kapazität zu bestimmen, habe ich sie nicht für neu gehalten.
Aus einer Veröffentlichung von Heydweiller und Hagemeister (Ber.
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 95
Die Elektroden sollten chemischindifferent sein, einen von der Fre-
quenz praktisch unabhängigen kleinen Widerstand haben und die Phase
des Wechselstroms nicht merklich verschieben. Nach vielfachen Versuchen
erwiesen sich als am geeignetsten gut platinierte Platin- oder Silber-
bleche, die mit einer dünnen Schicht Ringergelatine überzogen waren.
Die schliesslich benutzten Exemplare hatten folgende Einrichtung:
Auf ein platiniertes Silberblech war mit Guttaperchakitt ein Glasring
von 15 mm innerem Durchmesser und 2—-3 mm Höhe aufgekittet,
und der Hohlraum wurde mit 10% iger Ringergelatine ausgegossen.
Zwischen je zwei dieser Elektroden kam ein Stück einfacher oder
doppelter Haut (Innen- auf Innenseite).
Präparat. Die Haut stammte von gut erhaltenen Winterfröschen
(Temporaria und Esculenta); sie wurde sorgfältig abpräpariert und
bis zum Versuch in zimmerwarmer Ringerlösung aufbewahrt. Für
absolute Temperaturkonstanz konnte nach der Art der Versuchs-
anordnung nicht gesorgt werden, jedoch ist nicht anzunehmen, dass
wesentliche Temperaturschwankungen während eines Versuches vor-
gekommen sind, weil die Haut beiderseits von den Elektroden bedeckt
und deshalb der Verdunstung nicht ausgesetzt war.
Versuche.
Es sind im ganzen sieben Hautpräparate (A—G) gemessen worden.
Die Ergebnisse sind aus den folgenden Tabellen zu ersehen.
Versuch A. Temporaria, Rückenhaut doppelt genommen.
Kompen- a 4 j
Bus sierende el A Aw Danzzı Aw Reihen-
quenz |Selbstinduk-| stand h S.NL) tät —
N tion Lin Ohm Ohm 2a NL uF?) L folge
Henry -3
389 35,9 185,1 112,1 0,83 3,02 20 B)
769 18,0 137,6 64,6 0,75 2,39 3 2
169 21,3 150,5 77,5 0,75 1,55 36 6
1175 8,72 120,8 47,8 0,74 2,09 BB) 1
6 000 1,04 101,2 28,2 0,73 0,68 Pate 4
38 000 0,067 84,2 11,2 0,74 0,28 1670 5
er
=
Man sieht hier, dass bei steigender Frequenz das kompensierende
Selbstpotential, wie es zu erwarten war, stark abnimmt. Ebenso
nimmt auch der Widerstand ab. Anscheinend genügt selbst die Frequenz
d. D. Physik. Ges. 1916 S. 52) ersehe ich aber, dass sie bisher noch nicht
angegeben war. Ihre Ergebnisse decken sich vollständig mit akustischen
Bestimmungen.
1) Aus theoretischen Gründen ist im Nenner noch der Faktor 2r
zugefügt.
1
2) Berechnet nach der Formel C= 4 z2N2L‘
96 Martin Gildemeister:
38000 noch nicht, um den Einfluss der Polarisation ganz zum Ver-
schwinden zu bringen; deshalb ist durch graphische Extrapolation der
wahre Widerstand zu 73 Ohm ermittelt und danach (durch Subtraktion
Aw
von der dritten Spalte) Aw berechnet. Der Ausdruck S=NL ist merk-
27
lich konstant, wie es im Falle der Polarisation sein muss. Dagegen
Aw
wächst der Quotient FE der im Falle elektrostatischer Kapazität
konstant sein müsste, bis auf das mehr als SOfache. Dieser Versuch
spricht also im Sinne unserer einleitenden Betrachtungen für Polari-
sation. Das Präparat war am Anfange des Versuches (vgl. die beiden
Reihen für 769) noch nicht ganz mit den Eektroden im Gleichgewicht.
Das ist verständlich, wenn man berücksichtigt, dass für die Aussen-
seite der Froschhaut die Ringerlösung nicht die natürliche Bespülungs-
flüssigkeit ist.
Hier mögen zunächst zwei Versuche an Kondensatormodellen ein-
geschaltet werden, welche die Richtigkeit der in der Einleitung an-
gestellten Betrachtungen erweisen.
Versuch I. Zwei Widerstände und ein Präzisionsglimmerkonden-
'sator werden nach Abb. 2c miteinander verbunden: w; = 50 Ohm,
w, = 100 Ohm, C=1uF. Also Grenzwert des Wechselstromwider-
standes für Hochfrequenz 50 Ohm. Theoretischer konstanter Wert von
—— = 10-1073 Ohm/Henry (siehe Anhang Gl. 5, S. 103).
L
Kompen- |
En x
Frequenz Selbstin Widerstand] ,,, Ohm Aw Aw
Henry
389 9,9 145,0 95,0 3,89 9,6
769 8,1 132,2 82,2 2,10 10,0
1175 6,6 116,6 66,8 1,37 10,0
VersuchlIl. Dieselbe Schaltung, aber w, — 10 Ohm, ı0, = 1000 Ohm,
Aw
C =1uF. Theoretischer konstanter Wert von er 1-103 Ohm/
Henry.
i le
Frequenz | ;nauktion en .Iw Ohm = =
Henry 3 2nNL
389 145,1 160,9 150,9 0,43 1,04
769 41,6 54,8 44,8 0,22 1.08
1175 koııl 31,9 21,9 0,16 1,14
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I.
er
Die Übereinstimmung mit der Theorie ist in beiden Fällen be-
friedigend. Man vergleiche die konstante letzte und inkonstante vor-
letzte Spalte mit den gleichbezeichneten des Versuches A (und der
folgenden B bis G), wo die Verhältnisse umgekehrt liegen.
Nun mögen die weiteren sechs Froschversuche mitgeteilt werden.
Bei E bis G blieben die Elektroden vor dem Versuch mehrere Stunden
‘mit der Haut in Berührung, was offenbar günstig auf die Konstanz
der Resultate einwirkte.
; S GR en = = &
ae SE | 5 <
5 >| S Q| Z SI
aa || a ee
m > [| fee
2 a! 1691 | 1173 | 0 2,35 ia. 8
769 | 220 110,1 533 | 0,55 1.95 le
Ba 1175 |, 109 92.9 411 0,55 1,80 0 [1
figs | 110 97.0 452 | 055 1,67 a A
90 000 518 | 5
39 | 24 | 117 615 | 081 2,01 Be:
769 | 219 | 1241 339 | 032 1.95 5 [2
c!| 115 97 119,3 291 | 04 1.89 3 1
il le | 118.0 27.8 0.34 1.64 35 [4
L| 90 000 92 | 5
339 | 660 | 146,8 768 | 048 2,53 1a 3
769 | 92 | 191 491 0.53 2.23 % 12
DJ| 1175 89 | 1096 396 | 0,60 2.06 An
\l 1175 96 | 1109 109 | 0,58 1.91 3 |4
L| 90 000 70,0 5
3839 | 609 | 1089 647 | 044 9,75 ne
169 | 179 80.2 360 | 042 2.39 » 12
E}| 1175 83 70.0 58 | 042, | 221 3 1
I 1005 8.6 70,4 2 | 04 2.14 3 4
L| 90 000 442 5
(| 3s9 | 101,9 179,3 927 | 038 1,64 ale
|| ‚ee | 83 | 11 535 | 0,39 1,51 9 12
Be ze 131 130,8 42 | 046 1,40 an
| 115 | 184 1161519] 749 4
90.000 86, 5
389 | 9,1 164,0 94,6 | 0,49 2,12 2 |s3
769 | 218 | 1195 501 | 048 1.96 23 [2
5105| 71045 351. | 0,45 1.75 en
1175. nl 106.1 367 1.08 1.66 |
L| 90.000 69a | 5
1) Der Hochfrequenzwiderstand ist als der wahre angenommen.
2) Wahrscheinlich falsch protokolliert.
Pflüger’s Archiv für Physiologie.
Bd. 176.
7
98 | Martin Gildemeister:
Versuch B. Temporaria, Oberschenkelhaut, doppelt genommen.
Widerstand der Elektroden 39,7 Ohm. Präparat + Elektroden mit
Induktorium gemessen ca. 144 Ohm.
Versuch C. 'Temporaria, Bauchhaut, doppelt genommen. Wider-
stand der Elektroden 78,2 Ohm. Mit Induktorium gemessen + Elek-
troden ca. 127 Ohm.
Versuch D. Esculenta, Rückenhaut, doppelt genommen. Elek-
troden 59,4 Ohm. Mit Induktorium + Elektroden ca. 120 Ohm.
Versuch E. Esculenta, Unterschenkelhaut, einfach genommen.
Elekroden 34 Ohm.
Versuch F. -Esculenta, Oberschenkelhaut, doppelt genommen.
Elektroden 68.1 Ohm.
Versuch G. Esculenta, Bauchhaut, doppelt genommen. Elek-
troden 54 Ohm. \
A
Die Betrachtung der Tabelle lehrt, dass der Ausdruck SCNL
in jedem Versuch so gut konstant bleibt, wie es bei den Versuchen,
die eine geraume Zeit dauerten, nur verlangt werden kann, besonders
in den letzten drei Fällen, bei denen einigermaassen Gleichgewicht
w
eingetreten war. Dagegen war auch hier der Quotient L sehr
mit der Frequenz veränderlich, im Gegensatz zum Kondensatormodell.
Damit ist bewiesen, dass es sich bei der Froschhaut
um Polarisation und nicht um elektrostatische Kapazität
handelt.
Nach den Befurden der Physiko-Chemiker ist die Polarisations-
kapazität von Elektroden von der Dichte des Wechselstroms abhängig,
und zwar derartig, dass sie nur bis zu einer gewissen oberen Stromdichte
konstant bleibt (Initialkapazität). Die oben zitierten Untersuchungen
von Wien, Krüger u. a. beziehen sich auf die Initialkapazität, und
es musste deshalb festgestellt werden, ob die zulässige Stromdichte
hier nicht überschritten war. Deshalb wurde bei den drei letzten
Versuchen die Dichte stark variiert. Es wurde in den Stromkreis
zwischen Transformator und Messdraht ein Messinstrument (Vakuum-
thermoelement von Siemens & Halske, verbunden mit einem empfind-
lichen Galvanometer) eingeschaltet. Kannte man so die Stromstärke
in der unverzweigten Leitung, so war bei einer gewissen Schieberstellung
auf dem Messdraht und bei bekanntem Vergleichswiderstand auch der
Strom zu berechnen, der durch das Präparat ging. Beispiel: Versuch G,
Frequenz 389. Stärke des Stroms, der den Enden des Messdrahtes
zugeleitet wird, 1,4 Milliampere. Messdraht hat 17 Ohm, Rheostat +
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 99
Spule + Präparat im Augenblick der Kompensation 624 Ohm. Also
Strom durch das Präparat gleich 1,4 x 17: (17 + 624) = 0,037 MA.
Dann wurde Telephon und Stromquelle vertauscht; dabei änderte
sieh nichts, weder am Widerstand noch än der Selbst-
induktion.‘ Stromstärke in der unverzweigten Leitung wieder 1,4 MA.
Jetzt teilt sich dieser aber in einen Zweig durch den Rheostaten (300 Ohm)
‚und den einen Abschnitt des Messdrahtes (83 Ohm), und einen durch
das Präparat (314 Ohm) und den anderen Messdrahtabschnitt {9 Ohm).
die Stromstärke !m Präparat beträgt also 1,4 x 308: (308 + 331) =
0.67 MA; sie ist also 18mal so gross als bei der anderen Schaltung.
Da-die Konstanten des Präparats sich dabei nicht ändern,
befinden wir uns im Gebiet der von der Intensität un-
abhängigen, der Initialkapazität. Zugleich ist damit auch
bewiesen, dass die Stromwärme keine Rolle spielt. Ähnlich
verliefen einige andere Versuche, auch mit Hochfrequenz.
Besprechung der Ergebnisse.
Aus den Versuchen geht hervor, dass die in der Einleitung gestellte
Frage im Sinne der Polarisation zu beantworten ist, und dass die
Froschhaut Wechselströmen von der Frequenz 400—1200 gegenüber
hinsichtlich der Abhängigkeit der Widerstandszunahme von der Fre-
quenz denselben Gesetzen folgt wie metallische Elektroden in Elek-
trolyten. Nun kann bei solchen nach F. Krüger (a. a. O.) die Polari-
sationskapazität vier verschiedene Ursachen haben: 1. Konzentrations-
veränderungen in gewissen Schichten mit Beteiligung der Diffusion
(Diffusionskapazität); 2. lokale Verdichtung von Stoffen (Oberflächen-
dichtigkeitskapazität); 3. Bildung elektrischer Doppelschichten ; 4. nicht
momentane Dissoziation. Die Grösse der Phasenverschiebung und die
Veränderung der Kapazität beim Wechsel der Schwingungszahl folgen
in den vier Fällen verschiedenen Gesetzen. Ich halte es für verfrüht,
schon jetzt Hypothesen über die hier vorliegenden Ursachen aus-
zusprechen; augenscheinlich sind die Vorbedingungen für 1 und 3 an
den semipermeablen Membranen gegeben, gleichgültig, ob man diese
nun mit Nernst und Cremer u.a. als durch ein zweites Lösungsmittel
oder, wie es in der letzten Zeit besonders Bethe!) betont hat, durch
eine poröse Scheidewand gebildet denkt. Die Entscheidung, ob es
sich hier mehr um Diffusions- oder um Doppelschichtenpolarisations-
kapazität handelt, können erst weitere Versuche erbringen, etwa in
der Art, wie sie Krüger an Metallelektroden angestellt hat.
Dass tierische Organe polarisierbar sind, steht seit Peltier’s grund-
1) A. Bethe und Th. Toropoff, Zeitschr. f. physik. Chemie. Bd. 88
S. 686. 1914; Bd. 89 'S. 597.. 1915.
ZI
100 Martin Gildemeister:
legenden Versuchen !) fest, insofern zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit
scheinbar nichts Neues. Jedoch handelt es sich hier doch um Erschei-
nungen ganz anderer Grössenordnung als bei du Bois undHermann?).
Die Polarisation, welche diese Forscher beobachteten, lieferteim Vergleich
zur angelegten Spannung (bis zu 30 Volt!) nur ganz geringe Potentiale,
im günstigsten Falle etwa 1, Volt. Hier ist gezeigt worden, dass die
Polarisation äusserst stark sein kann, so stark, dass siefür den Ausfall
elektrischer Messungen ausschlaggebend wird. Lehrreich ist in dieser
Beziehung die folgende Tabelle. In der ersten Reihe ist der wahre
Widerstand der Haut angegeben (Hochfrequenzwiderstand minus
Elektroden), in der zweiten der mit der Frequenz 369 gemessene
(gleichfalls minus Elektroden), in der dritten derjenige, der sich bei
gewöhnlicher Messung mit Induktorium, ohne Kompensation des
schlechten Minimums, ergab:
Versuch .. a B 6 D E F G
Wahrer Widerstand Ran 01 2,1.512:0 14610218 15,4} S
Widerstand bei Frequenz 369 129,4 73,5 88,4 74,9 111,2 110,0 (@
Widerstand mit Induktorium 104 49 6i )
Durch die Polarisation erscheint also der Wechselstromwiderstand
bis auf das Zehnfache vermehrt. Der Gleichstromwiderstand weicht
noch viel mehr von der Wirklichkeit ab.
Man sieht auch, dass die Messungen üblicher Art mit Induktorium
und Telephon, wenigstens bei der Haut, über den Widerstand nichts
aussagen können. Überhaupt sind Messungen, bei denen das Minimum
schlecht ist nur mit grosser Vorsicht aufzunehmen.
Es liegt nun nahe, auch andere tierische Organe in derselben Weise
zu untersuchen und dadurch die alte Streitfrage zu entscheiden, welche
Rolle die Polarisation beim Nerven spielt?). Jedoch ist das vorläufig
technischer Schwierigkeiten halber leider unmöglich, da Objekte grossen
Widerstandes die Brückenströme zu sehr schwächen und dadurch die
Genauigkeit der Kompensationseinstellung beeinträchtigen. Auch wenn
sich da ein Ausweg finden lässt, wozu Aussicht vorhanden ist, so bleibt
doch das grundsätzliche Bedenken, dass sich im Nerven wahrscheinlich
wenig polarisierbare Gewebe (Bindegewebe) im Nebenschluss zur eigent-
lichen Nervensubstanz befinden, wodurch zweifellos die quantitativen
Beziehungen verändert werden.
1) Siehe E. du Bois-Reymond, Unters. üb. tier. El. Bd. 1 S. 376
1848; Arch. f. (An. u. Physiol.) 1884, S. 1.
2) Siehe die Literatur im Artikel von Cremer, Nagel’s Hdbch. d.
Physiol., Bd. IV Ss. .911fr. 1909.
3) Siehe dazu die Erörterungen von Cremer, a. a. O., S. 916.
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 101
Zum Schlusse sei es mir gestattet, auf einige Beziehungen zwischen
unserem Thema und allgemein physiologischen Fragen hinzuweisen.
Die nachgewiesene starke Polarisierbarkeit der Haut wird man nach dem
heutigen Stande der Erkenntnis den Zellmembranen zuschreiben müssen.
Ändern sich diese, so ändert sich auch die Polarisation, und umgekehrt.
Eine hierher gehörige Tatsache ist schon bekannt: wie in der Arbeit von
Belouss angegeben ist (a. a. O. S. 319), sinkt die Polarisationskapazität,
wenn die menschliche Haut von einem einsteigenden Gleichstrom
durchflossen wird, und umgekehrt. Man wird dabei an die Wirkung
von Konzentrationsveränderungen an den Membranen denken, und es
scheint, dass wir hier ein Mittel haben, um Eigenschaftsänderungen
der Membranen (zum Beispiel Verdichtung und Auflockerung) bequem,
ohne Schädigung und in vivo zu studieren. Was das für viele Probleme
heissen will, braucht nur angedeutet zu werden; ich erwähne nur die
Frage nach dem Einfluss der Narkotika. Andererseits hängt die
Polarisierbarkeit eng mit den relativen Wanderungsgeschwindigkeiten
der Ionen ausserhalb und innerhalb der Membran zusammen; sind
zum Beispiel in dem Nernst-Riesenfeld’schen Schema !) die Über-
führungszahlen in beiden Phasen dieselben, so kommt es durch Strom
zu keiner Konzentrationsveränderung der Elektrolyte an der Phasen-
grenze, also wird hier die Diffusionskapazität fehlen. Mithin wird es
möglich sein, aus Polarisationsmessungen Schlüsse auf die relativen
Wanderungsgeschwindigkeiten der Ionen im tierischen Gewebe zu
ziehen.
Jedenfalls ergibt sich aus unserer Betrachtungsweise eine Fülle
neuer Fragestellungen.
1) W. Nernst und E.H. Riesenfeld, Ann. d. Physik [4] Bd. 8 S. 600.
1902.
102 Martin Gildemeister:
Mathematischer und technischer Anhang.
Der Körper als Kondensator mit schlechter Isolation
betrachtet. Kompensierung der Phasenverschiebung dieses
Modellsdurch eineSelbstinduktion. Wir haben oben (S. 88) gesehen,
dass die Leitungseigenschaften des tierischen Körpers gegenüber Gleich-
und Wechselströmen, abgesehen von der Veränderlichkeit des Gleich-
stromwiderstandes, auch verständlich werden, wenn wir ihn nach der Art
des Schemas Abb. 2c aus Kondensatoren und Widerständen aufgebaut
denken. Nun fragt es sich, wie die physikalischen Eigenschaften eines
solchen Modells sind, insbesondere, ob die Phasenverschiebung, die der
durchgeleitete Strom gegenüber einer angelegten Wechselspannung er-
leidet, durch eine Selbstinduktion kompensiert werden kann und nach
welchen Gesetzen.
Man denke sich das Modell unter Zwischenschaltung einer Selbst-
induktion L mit einer Wechselstromquelle von der Spannung V =
E sin 2rNt verbunden. Dann macht es keine Schwierigkeit, nach den
Kirchhoff’schen Sätzen und den bekannten Gesetzen der Selbstinduktion
und Kapazität eine Differentialgleichung für den Strom I in der unver-
zweigten Leitung aufzustellen. Das Integral hat die Form I =
A sin (27 Nt+ 9) + M+ N, worin M und N zwei Ausdrücke sind, die mit
der Zeit verschwinden; für den stationären Zustand interessiert also nur
das erste Glied der rechten Seite. Die Bedingung, dass keine Phasen-
verschiebung vorhanden sein soll, ergibt tang gg = 0. Daraus erhält
man eine Gleichung zwischen N, L, w,, w, und C. Berücksichtigt man
diese, so findet man für A, die Amplitude des Wechselstroms, einen
ziemlich einfachen Ausdruck, aus dem zu ersehen ist, dass A im Falle
der Kompensation so gross ist, als ob der Widerstand den Wert w, + DE
1
besitze. Da weiter der Widerstand für. unendlich grosses N w, ist, so ergibt
sich die Widerstandszunahme für Wechselstrom von der Frequenz .N,
gegenüber dem Hochfrequenzwiderstand w,, al wie oben S. 91
1 w,C,
1
angegeben. Dort ist k für Ein: gesetzt, da ja w, und C als konstant
al
angenommen werden.
Diese grundsätzlich nicht schwierige, aber langwierige Rechnung soll
hier nicht ausgeführt werden. Viel eipfacher und eleganter führt ein
anderer Weg zum Ziel.
M. Wien hat in einer Arbeit!) darauf aufmerksam gemacht, dass man
die Amplitude und Phase eines Wechselstroms in einem Leitersystem mit
Selbstinduktionen und Kapazitäten berechnen kann, ohne auf die
Differentialgleichungen zurückzugehen, wenn man für eine Selbst-
induktion L den ‚‚Widerstandsoperator‘‘ 2rNiL, für eine Kapazität C
1
s_Ar7r einführt, und diese Ausdrücke behandelt wie gewöhnliche
2r NIC
Ohmsche Widerstände (( = YV — 1). Man erhält durch Summierung
der Widerstände und Operatoren im allgemeinen einen komplexen Aus-
druck; der reelle Teil desselben ist gleich dem in diesem Fall zur Wirkung
1) M. Wien, Ann. d. Physik. Bd. 44 S. 689. 1891.
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 103
kommenden, dem ‚wirksamen‘ Widerstand, die Phasenverschiebung ist
aus dem imaginären Teil zu ersehen; da sie in unserem Falle Null sein
soll, ist hier der imaginäre Teil gleich Null zu setzen.
Das Verfahren wird an unserem Beispiel klarer werden. Es sind
hintereinander geschaltet ein Widerstand w,, eine Selbstinduktion ZL,
für die der Operator 27 NiL einzuführen ist, und zwei zueinander parallel
liegende Leiter, der Widerstand w, und die Kapazität C, an deren Stelle
1 : : \
2. Nic ‚setzen ist. Da der Gesamtwiderstand zweier paralleler Leiter «
und b bekanntlich ab: (a + b) ist, hat man für den letzten Leiterteil
©. BrNic
zu setzen. Der Gesamtwiderstand W der ganzen Anord-
/
1 Ä
wur L /a zNiG
119) :
h 3 Ww, . 2% NiE ; 3
nung ist also w, + 2rNiL + NO, Bringt man alles auf einen
w,+ /2rNiC
Nenner und macht diesen schliesslich durch Erweiterung mit 1—2rNiCw,
w \ Cw? :
reell, so wirdW = w, + Ta © 22 in(L —_ +), worinS für4 r?2N?C?’w?,
+S 18
gesetzt ist. Stellt man die Bedingung, dass durch passende Wahl von
L die Phasenverschiebung aufgehoben sein soll, so hat man den imagi-
nären Teil gleich Null zu setzen; daraus folgt:
Cw,
£ w,
Wkomp. —=— W- Lac Ss RE NE RE AED 2)
Durch Verbindung von Gl. 1 und 2 folgt für den wirksamen Widerstand
im Falle der Kompensation
IE
Vı = -ı — - =
Wkomp. w, 7 N Den 3)
Für wachsendes N wird auch $ immer grösser, Lkomp. Konvergiert mithin
bei zunehmender Frequenz nach Gl. 1 gegen Null, W aber gegen w,
(Gl. 3). Es ist also der Hochfrequenzwiderstand
Wearsa) ww:
Führt man schliesslich für den Überschuss des bei endlicher Frequenz
gefundenen Widerstandes Wxkomp. über den Hochfrequenzwiderstand ı,
die Bezeichnung Aw ein, so ergibt sich aus Gl. 3
E
Es ıst also
Aw 1 k %
Er Eu OS RE er re)
Diese Gleichung ist den Versuchen zugrunde gelegt worden (siehe & 96).
Von Interesse ist noch diescheinbare Kapazität c des Modells, diesich
aus der Frequenz N und der Selbstinduktion L nach der Thomson’schen
1 | 1
4 »N2L berechnet. Es ist «= CH 7 ZEN Car,’
Formel c = also
104 Martin Gildemeister:
immer grösser als die wahre Kapazität, sich dieser aber mit steigender
Frequenz immer mehr nähernd.
Man könnte nun einwenden, dass das in Abb. 2c dargestellte Modell
zu einfach sei; man habe sich noch einen Widerstand w, in der Zuleitung
zum Kondensator zu denken. Dadurch ändert sich aber nichts Wesent-
w 1
L C (w, + w;)
konst. Die Versuche beweisen also, dass auch ein solches kompliziertes
Modell den Tatsachen nicht gerecht‘ wird.
liches im Endresultat; die Gleichung 5 heisst dann
Einzelheiten zur Methodik. Wechselstromquellen. Mir
stehen jetzt bessere Stromgeneratoren zur Verfügung als im Frühjahr 1914.
Sehr bequem ist der Larsen’sche akustische Wechselstromerzeuger!),
den man leicht improvisieren kann. Er ist durch elektrische Resonanz
noch bedeutend zu verbessern. Näheres darüber und über ein neues
Modell der Poulsenlampe wird demnächst
in der Elektrotechnischen Zeitschrift ver-
öffentlicht werden.
Variable Selbstinduktion. Das
Schaltungsschema derselken ist aus Abb. 4
zu erseben. Ihr Messbereich kann: nach
unten noch erweitert werden, wenn man
eine Einrichtung trifft, um die beiden
Spulenhälften auch parallel schalten zu
können.
Es musste experimentell festgestellt
werden, ob die Selbstinduktion und der
Widerstand sich merklich mit der Fre-
quenz ändern, da beide Grössen ja in die
Abb.4. Schaltungsschema der Fechnung eingehen. Das geschah auf
variabeln Selbstinduktion. i folgende Weise: a) Die Selbstinduktion
kleine innere, a kleine äussere wurde nach Maxwell (Kohlrausch,
Spule (je 2 Lagen Draht)), I Lehrb. d. prakt. Physik, 11. Aufl. S. 537
grosseinnere, Agrosseäussere Nr. 4a) in der Wheatstone’schen Brücke
ee ae mit einem Luftkondensator bei verschiede-
nur a und i(1) oder ausserdem nen Frequenzen unter Benutzung des Hör-
noch A und / eingeschaltet (2). telephons bzw. des im näcnsten Abschnitt
U, schaltet die Spulenhälften beschriebenen Schleifers verglichen. Er-
gleich- oder gegensinnig. gebnis: keine merkliche Änderung bis zur
Frequenz 20000. Bei höheren Frequenzen
wurde das Selbstinduktionsvariometer niemals benutzt, sondern nötigen-
falls kleine Flachspulen aus ‚‚Hochfrequenzlitze‘“ (bestehend aus vielen
dünnen isolierten, miteinander verdrillten Drähten), deren Selbstpotential
erfahrungsgemäss in weiten Grenzen von der Frequenz unabhängig ist.
b) Der Widerstand des Variators stieg, wie bei allen Spulen, merklich mit
der Frequenz. Die Messungen erfolgten gleichfalls in der Wheatstone’schen
Brücke in der Schaltung der Abb. 1, also mit dazugeschaltetem Kondensator.
Speist man die Brücke mit Sinusströmen und stellt auf absolutes Minimum
ein, so ergibt sich aus der Schieberstellung, wenn man links einen von der
Frequenz unabhängigen Widerstand (dünnen Ziekzackdraht) hat, nach der
1) F. Larsen, Elektrotechn. Zeitschr. 1911, S. 284.
Über elektr. Widerstand, Kapazität u. Polarisation der Haut. I. 105
bekannten Proportion der wirksame Widerstand von Spule + Kondensator.
Hat man eiren Luftkondensator oder bei Niederfrequenz einen guten
Glimmerkondensator, so kann man den Energieverbrauch in diesem ver-
nachlässigen und erhält also unmittelbar die Widerstandszunahme der
Spule. Die Zunahme betrug im ungünstigsten Falle 0,3 Ohm und wurde
in Rechnung gezogen.
Kondensatoren. Ausser Luft- und Präzisionsglimmerkondensatoren
kamen in einzelnen Fällen zur Frequenzbestimmung selbstgefertigte
Paraffinpapierkondensatoren zur Verwendung. Es gelang, solche her-
zustellen, deren Kapazität, verglichen mit Luftkondensatoren, fast gar
nicht von der Frequenz abhängig war. Verfahren: gutes Schreibmaschinen-
papier wird langsam durch auf 150° C. erhitztes offizinelles Paraffinum
solidum (Schmelzpunkt 68—72° C.) gezogen, bis keine Blasen mehr auf-
steigen. Nach dem Erkalten werden immer zwei Papierschichten und ein
Blatt Aluminiumstanniol übereinandergeschichtet, und einerseits die
geraden, andererseits die ungeraden Metallblätter miteinander verbunden
und nach aussen abgeleitet. Zum Schlusse wird das ganze, nicht mehr
als 5 mm dicke Pack in demselben Paraffin (sehr wesentlich!) auf der
Kante stehend längere Zeit auf 150°C. erhitzt, bis keine Luftblasen mehr
entweichen, und darin erkalten lassen. Die guten Eigenschaften rühren
wohl von der Abwesenheit der Luft und der beträchtlichen Dicke, also
geringen Belastung des Dielektrikums her. Käufliche Papierkondensatoren
erwiesen sich als viel schlechter. Die selbstgefertigten vertrugen ohne
merkliche Erwärmung viertelstundenlang Wechselspannungen von 2000 Volt.
Sie wurden auch, je zwei in Serie geschaltet, im Schwingungskreis der
Poulsenlampe benutzt. Neuerdings habe ich erfahren, dass die Firma
C. Meirowsky in Porz bei Köln für den letzteren Zweck geeignete
„Pertisax‘‘-Kondensatoren anfertigt.
Nullinstrument. Um bei Frequenzen, die über der Hörgrenze
lagen, die Kompensation akustisch vornehmen zu können, was viele Vor-
teile bietet, diente ein der Technik der drahtlosen Telegraphie ent-
nommener ‚‚Schleifer‘‘, der auch zwischen die Punkte D und Sch der Abb. 1
eingeschaltet wurde (siehe Abb. 1//). Unmittelbar mit diesen Punkten
wird zunächst ein kleiner Kondensator c, von einigen Hundertsteln „F
verbunden (der manchmal auch ohne wesentliche Beeinträchtigung der
Wirkung fehlen kann). Parallel zu diesem liegt ein Telephonkondensator cz
von 2 uF, und wieder parallel zu diesem ein Telephon T. Zwischen
beiden Kondensatoren ist dann die Vorrichtung angebracht, die der
Anordnung den Namen gegeben hat, nämlich ein blanker rotierender
Messingzylinder Z mit einem daran schleifenden feinen Kupferdrähtchen.
Ich verwandte dazu die Achse des Windrades eines Kymographiums.
Solange zwischen D und Sch noch Spannungen bestehen, ladet und
entladet sich der Kondensator c, abwechselnd. Macht dann der Draht
bei Z Kontakt, so strömt die Ladung nach c, über und gleicht sich durch
das Telephon aus, sobald der Kontakt bei Z zufällig unterbrochen wird.
Man hört also, wenn noch nicht scharf auf das Minimum eingestellt ist,
im 'Telephon ein eigentümliches Kratzen und Rauschen, das im Augen-
blick aer gewünschten Einstellung schweigt.
Für die Bewilligung des zu diesen Versuchen benutzten Helm-
holtz’schen Pendels bin ich dem Kuratorium der Gräfin Luise Bose-
Stiftung in Berlin zu grossem Danke verpflichtet.
Über einige Hilfsapparate für die Prüfung
der Atmung am Tiere.
Von
Dr. E. Impens, Elberfeld.
Mit 5 Textabbildungen.
(Eingegangen am 4. April 1919.)
Bei der Prüfung einiger secaleähnlichen Präparate auf ihre Ein-
wirkung auf die Bronchialmuskulatur habe ich mich einiger Apparate
bedient, welche sich für ihren Zweck gut bewährt haben und deren
Beschreibung denjenigen, die sich mit solchen Untersuchungen befassen
müssen, zweifellos von Nutzen sein kann!).
Für die graphische Registrierung der Luftbewegungen
in der Trachea ist die alte Einrichtung von Paul Bert noch die
einfachste und brauchbarste; sie besteht bekannterweise aus einem
Marey’schen Tambour, welcher durch Vermittlung einer grossen
Flasche, die als Luftvorrat dient, mit der Trachea in möglichst kurzer
Verbindung ist. Der Fehler dieses Apparates besteht in der verhältnis-
mässig rasch eintretenden Verschlechterung der Luft in der Flasche,
besonders wenn dieselbe nicht recht gross genommen wird. Die Ver-
suche müssen dementsprechend oft unterbrochen werden, um die Luft
zu erneuern. In vielen Fällen ist empfohlen worden, die Flasche weg-
zulassen und das Tier durch einen nach Bedarf mehr oder weniger
eng einzustellenden Schlitz der Trachealkanüle in der freien Atmosphäre
ein- und ausatmen zu lassen. Dieses Verfahren ist wenig empfehlens-
wert, weil der Spalt in der Kanüle ziemlich eng eingestellt werden muss,
wenn man eine einigermaassen zuverlässige Registrierung der Atem-
bewegungen haben will.
Ich habe nun den Paul Bert’schen Apparat dadurch vervoll-
kommnet, dass ich an der Flasche eine Einrichtung für Absorption
1) Die hier besprochenen Apparate sind im Prinzip nicht alle neu und es
mögen ähnliche Einrichtungen wohl schon Verwendung gefunden haben;
so 2. B. die Zwischenschaltung von einem Gummiballon in gewissen Fällen
von Marey, die Kohlensäureabsorption mit Sauerstoffnachfüllung bei
der S'auerstoffkonsumbestimmung nach Regnault-Reiset. Da diese Ein-
richtungen in der speziellen Form und Zusammersetzung, wie ‘ich sie
gebraucht habe, in den geläufigen Handbüchern für Laboratoriumstechnik
nicht erwähnt sind, habe ich es für richt überflüssig gehalten, dieselben
zu beschreiben.
Über einige Hilfsapparate für die Prüfung der Atmung am Tiere. 107
der gebildeten Kohlensäure und für die entsprechende Zufuhr von
Sauerstoff angebracht habe. Dadurch kann der Versuch beliebig lang
ohne jede Unterbrechung ausgedehnt werden und die eingeatmete
Luft erfährt keine störende Veränderung in ihrer Zusammensetzung.
Der Apparat, wie ich ihn aufgebaut habe, besteht nun aus der
T-röhrenförmigen Trachealkanüle T, welche einerseits mit dem Marey-
schen Tambour M durch den Schlauch R verbunden ist, anderereits
mittels der kurzen Leitung S in die Luftglocke V mündet, aus der
gesagten Luftglocke V, der Sauerstoffflasche O und der Druckausgleich-
und Messvorrichtung WZ (siehe Abb. 1). Die vorne durch die durch-
bohrte Glasplatte D dicht verschlossene Glocke V enthält
einen ihren ganzen Querschnitt einnehmenden, mit Kali-
stangen und Natronkalk gefüllten Drahtkorb A, welcher
sich nahe an der Einmündung der Leitung S befindet.
He |
FÄIN
—y i F
MN | i
Iiy | i
ii |
u \ i
= 0 N }
er EN DEM)
Abb. 1.
Durch die am entgegengesetzten Ende der Glocke angebrachten
Leitung E, in welcher das Müller’sche Wasserventil H eingeschaltet
ist, ist die Glocke in Verbindung mit der reinen Sauerstoff enthaltenden
Flasche O; andererseits ist diese letztere Flasche durch das Niveau-
rohr N mit dem Trichter WW verbunden. Niveaurohr und Trichter
sind mit Wasser gefüllt, so dass die Wasserhöhe in W genau mit
der Öffnung des Niveaurohrs in O übereinstimmt. In das Wasser
des Trichters W taucht das schräg geschnittene Ausflussrohr des mit
Wasser gefüllten, umgekehrt hängenden als Mariotte’sche Flasche
fungierenden Messzylinders Z. Die ausgeatmete Luft streicht über
das Alkali des Korbes K — die Kohlensäure wird dort fixiert und
durch Sauerstoff aus der Flasche O ersetzt. In diese Flasche fliesst
eine entsprechende Menge Wasser durch das Niveaurohr nach, und
an der Höhe des Wassers im Messzylinder Z kann der Sauerstoff-
verbrauch abgelesen werden. Bei gleichbleibender Temperatur im
108 E. Impens: }
Versuchszimmer kann demnach dieser Apparat annähernde Angaben
über den Sauerstoffkonsum liefern.
Um die Atembewegungen des Brustkorbes von aussen zu
registrieren, habe ich mich des in der Abb. 2 wiedergegebenen Apparates
bedient. Ein Gummikissen von länglicher viereckiger Form S wird
auf der Brust des Versuchstieres mit Hilfe eines undehnbaren Gurtes G
befestigt; das Innere des Kissens ist in Verbindung durch die Leitung A,
in welcher das T-Stück B eingeschaltet ist, mit dem Gummiballon H.
Dieser Ballon befindet sich in der durch einen doppelt durchbohrten
Kork verschlossenen kleinen Flasche F. Das obere Ende des T-Stückes B
wird durch eine Klemme abgesperrt. Die Flasche F ist andererseits
mit dem Marey’schen Tambour T durch die mit dem’ T-Stück C
versehene Leitung D verbunden; das obere Ende dieses T-Stücks ist
ebenfalls durch eine Klemme verschlossen. Vor dem Versuch werden
die Klemmen geöffnet, durch B Luft in das Gummikissen S eingeblasen,
Abb. 2.
bis es sich genügend an die Brustwand angeschmiegt hat; dann werden
beide Klemmen geschlossen und der Apparat ist in diesem Augenblick
gebrauchsfertig.
Diese Anordnung hat den Vorteil, dass in das Gummikissen genügend
Luftdruck gegeben werden kann, ohne dass der Marey’sche Tambour
eine unnötige Spannung erleidet.
In einigen Versuchen hielt ich es für zweckmässig, um eine Ver-
engerung der Bronchien feststellen zu können, diekiinstliche Atmung
von der Pleurahöhle aus durch alternative Vergrösserung und
Verminderung des Luftdrucks in derselben auszuführen, während die
Atembewegungen von der Trachea aus mit Hilfe des ersteren oben
beschriebenen Apparates registriert wurden.
Um diese Art der künstlichen Atmung einzuleiten, wird auf folgende
Weise verfahren: In der vorderen Brustwand des Versuchstieres wird
auf jeder Seite nach Inzision der Haut und der darunter liegenden
äusseren Muskulatur eine kleine Öffnung durch den Intercostalmuskel
bis in die Pleurahöhle angebracht und mit einer Kanüle, wie sie die
Über einige Hilfsapparate für die Prüfung der Atmung am Tiere. 109
Abb. 3 zeigt, versehen. Die untere ovale Platte A, deren Durch-
bohrung mit einem feinmaschigen Gitter verschlossen ist, wird vors
sichtig durch die Öffnung in die Brustwand eingeführt: die Haut und
die äusseren Weichteile werden auf Seite geschoben und die bewegliche
Platte B mit Hilfe der Mutter C angedrückt, so dass die von der inter-
kostalen Muskulatur gebildete Wand zwischen beide
Platten gepresst wird und ein luftdichter Verschluss ent-
steht.
Beide Kanülen werden durch Gummischläuche mit
den einen spitzen Winkel bildenden Schenkeln eines Y-
Rohres, dessen dritter Schenkel zu dem Zylinder einer
Luftpumpe leitet, verbunden.
Bevor man aber die Pleurahöhle mit der Luftpumpe
verbindet, ist die kollabierte Lunge durch Ansaugen in
mittlere Entfaltung zu bringen; ausserdem ist darauf zu achten, dass
im Augenblick, wo die Pumpe in Betrieb gesetzt wird, die Bewegungs-
richtung des Zylinders mit der Atmungsphase übereinstimmt. Die
auf diese Weise betätigte Lüftung der Lungen gibt zufriedenstellende
Ergebnisse.
Es bleibt mir nur noch übrig, ein Wort über die Luftpumpe,
welche ich für diese Versuche sowohl als auch für die Ausführung der
künstlichen Atmung in der üblichen Weise
durch die Trachea gebraucht habe, zu
sagen.
Diese Luftpumpe ist sehr einfacher
Bauart und besteht aus zwei parallelen
senkrechten Glaszylindern von 100 cem
Inhalt A und B (Abb. 4), welche oben
durch eine Metallkappe dicht verschlossen
sind, unten in den mit Quecksilber ge-
füllten Gefässen D und C tauchen. Der „
Boden der Metallkappen ist durchbohrt
und mit dem rechtwinklig gebogenen
Schlauchansatz E bzw. F versehen. Beide‘
Glaszylinder sind an einer wagerechten
Metallleiste G fest aufgehängt; die Leiste ihrerseits wird durch ein
Kurbel- und Pleuelstangensystem HM in senkrechte Bewegung ge-
bracht, so dass die Zylinder im Quecksilber abwechselnd gehoben
und gesenkt werden. Durch Ärderung der Kurbellänge kann die
Hubhöhe und mit ihr das Volum der von der Pumpe beförderten
Luft nach Belieben variiert werden.
Die Schlauchansätze. E und F sind in Verbindung mit den ent-
sprechenden Ventilpaarer IK und I’K’
110 E. Impens:
Für die gewöhnliche Art der künstlichen Atmung, bei welcher
die Einatmung unter dem Druck der Pumpe, die Ausatmung aber
spontan durch die Elastizität der Lunge und des Brustkorbes ge-
schieht, wird nur ein Zylinder gebraucht. Die Luft wird bei Hebung
des Zylinders A durch das Einlassventil / eingesogen, ‚bei darauf
folgender Senkung des Zylinders durch das Ventil X in die Leitung L
zu der Trachealkanüle gepresst. An der Trachealkanüle ist ein Auslass-
ventil angebracht, welches während der Einatmungsphase geschlossen
ist, sich aber am Ende derselben automatisch öffnet und bis zum
Schluss der Ausatmung offen bleibt. Dieses Ventil wird durch eine
längere Auslösevorrichtung, wie man sie für Objektivverschlüsse an
photographischen Apparaten hat, welche durch ein an der Stange H
passend angebrachtes Daumenpaar angetrieben wird, bestätigt.
Will man in gewissen Fällen die Ausatmung ebenfalls aktiv aus-
führen, so wird das Einlassventil I’ des zweiten Zylinders durch eine
Schlauchleitung mit dem Auslassrohr des 'Trachealventils verbunden.
Für die künstliche At-
mung von der Pleurahöhle
aus, wie ich sie schon be-
schrieben habe, genügt ein
mittelbar ohne Ventil mit
den Pleurakanülen verbun-
den wird.
Bei der Konstruktion der
Luftpumpe kann man für
die Stange H, welche die Zylinder trägt und in Bewegung setzt, eine
Hülsen- oder Schlittenführung verwenden. Indes habe ich vorgezogen,
eine geradlinige Führung anzubringen, die ich zum Schluss hier
noch erklären möchte.
Ihr Prinzip beruht auf folgender Tatsache: Sind zwei gleich lange
Hebel AB und CD (Abb. 5), welche um die Achsen A und D drehbar
sind und in einer Ebene liegen, derart durch eine doppelt so lange
Stange BC an den Enden B und C gelenkig miteinander verbunden,
dass diese Stange mit den Hebeln einen rechten Winkel bildet, wenn
diese Hebel in der Stellung, wie in der Abbildung angegeben, mit der
Verbindungslinie der beiden Achsen A und D einen Winkel von 45 Grad
bilden, so legen die Punkte B und C, wenn der eine Hebel in Bewegung
gesetzt wird, praktisch gleiche, aber entgegengesetzt gerichtete Strecken
zurück. Dieses gilt aber allein für den begrenzten Fall, dass die Be-
wegung des Punktes B nur zwischen den 22,5. und den 67. Grad auf
dem Kreise um A stattfindet; darüber hinaus hört die Kongruenz
der Bewegungen der beiden Punkte B und C auf.
Pumpenzylinder, der un-
Über einige Hilfsapparate für die Prüfung der Atmung am Tiere. ]]]1
Sind nun zwei andere gleich lange und mit der Verbindungslinie AD
einen gleichen, aber entgegengesetzt gerichteten Winkel bildende, um
die Achsen A und D drehbare Hebel AG und DE mit den Hebeln A B
und CD fest verbunden, so dass sie sich solidarisch mit denselben
bewegen, und weiter die beiden Endpunkte dieser Hebel ihrerseits
mit den gleich langen, um die bewegliche Achse O drehbaren Hebeln OG
und OE gelenkig verbunden, so kann der Punkt O zwangsmässig nur
eine geradlinige, auf die Verbindungslinie AD senkrecht gerichtete
Bewegung ausführen, soweit die Bewegung des Punktes B in den
oben angegebenen Grenzen bleibt.
Bringt man zwei solcher Vorrichtungen in einer Ebene parallel
übereinander an und verbindet die beiden Achsen O und O0’ durch
eine Stange, so kann diese Stange nur eine geradlinige Bewegung voll-
führen.
Ist nun diese Stange die auf dem Schema der Luftpumpe bezeichnete
Stange H, so werden die beiden Zylinder zwangsmässig senkrecht
und geradlinig geführt. Diese Führung, welche tadellos funktioniert,
kann noch in verschiedener Kombination für viele andere Zwecke
Verwendung finden.
Bemerkung zur Arbeit von Knud Sand über
experimentellen Hermaphroditismus.
Von
Prof. Dr. Alexander Lipschütz, Bern.
In Heft 1 Bd. 173 dieses Archivs berichtet Sand über den Befund
eines penisartigen Organs bei maskulierten Ratten. Ich möchte be-
merken, dass ich schon im Jahre 1916 gezeigt habe, dass bei der Masku-
lierung die Clitoris des Meerschweinchens sich in ein penisartiges Organ
umwandelt. Den Befund konnte ich an einem der Versuchstiere er-
heben, die Herr Professor Steinach operiert hatte, und die er mir
in entgegenkommender Weise für verschiedene andere Beobachtungen
in seinem Laboratorium zur Verfügung stellte. Ich habe über meinen
Befund in einer Abhandlung berichtet, die ich am 1. Dezember 1916
der Akademie der Wissenschaften in Wien (Sitzung der mathematisch-
naturwissenschaftlichen Klasse) vorgelegt habe). Sand hat jedoch,
wie ich mit Vergnügen feststelle, seinen Befund an Ratten unabhängig
von mir erhoben.
1) Vgl. Lipschütz, Entwicklung eines penisartigen Organs beim
maskulierten Weibchen. (Mitteilung aus der Biologischen Versuchsanstalt
der Akademie der Wissenschaften in Wien. Physiologische Abteilung,
Vorstand E. Steinach.) Akademischer Anzeiger Nr. 27, 1916. — Ferner
Lipschütz, Umwandlung der Clitoris in ein penisartiges Organ bei der
experimentellen Maskulierung. Archiv für Entwicklungsmechanik 1918,
Bd. 44. (Bei der Redaktion eingegangen am 17. Dezember 1916.)
Die Akkommodation des Aleiopidenauges.
Von
Prof. Dr. Reinhard Demoll, München.
Mit TafelIundIlIund1 Textabbildung.
(Eingegangen am 13. Januar 1919.)
Die Augen von Alciopa erfuhren in letzter Zeit von Hesse!)
(1899) und neuerdings von mir ?) (1909) eingehende Untersuchungen.
Hinsichtlich der Augenmuskulatur ergab meine Untersuchung eine
vollständige Bestätigung der Ergebnisse von Hesse. Das Bild, das
wir uns von der Akkommodation des Auges machten, war jedoch
etwas verschieden, hatte aber auf beiden Seiten nur den Wert einer
Vermutung. Nun hatte sich in diesem Jahre v. Hess mit dieser Frage
beschäftigt. Seine Ergebnisse veranlassen mich, auf meine frühere
Untersuchung zurückzukommen, einmal, weil seine Beobachtungen
der Linsenbewegung bei elektrischer Reizung mir eine wichtige Stütze
für meine Auffassung des Akkommodationsvorganges zu sein scheinen,
und dann, weil v. Hess selbst auf Grund eigener unzutreffender histo-
logischer Befunde eine neue Hypothese aufstellt und die Ansicht ver-
tritt, dass die älteren Auffassungen von Hesse und von mir „leicht
als irrig dargetan werden können“ (S. 1489 Münchner Med. Wochenschr.
1914, Bd. 27). ;
Meine eigene Auffassung ergibt sich aus den beigegebenen Text-
abbildungen, die ich meiner früheren Arbeit entnehme. Danach be-
ruht die Akkommodation auf der Tätigkeit von Meridionalfasern
(in der Textabbildung ist ihre Lage mit M bezeichnet), deren Kon-
_ traktion eine Verringerung des Querdurchmessers und eine Verlängerung
der Hauptachse des Auges bedingt. Gleichzeitig mit dieser Verlängerung
(Abb. 1c) wird die Linse nach vorn geschoben, so dass der Abstand
von der Retina wächst; es liegt also eine aktive Nahakkommodation
vor. Bei Nachlassen der Kontraktion der Muskeln mag wohl die
Elastizität des Augapfels ohne weiteres wieder die frühere Form be-
dingen.
Es wurde von Hesse zum erstenmal darauf hingewiesen, dass die
Zellen der inneren Cornea ihrer Gestalt und ihrer Färbbarkeit nach
1) Die Augen der polychäten Anneliden. Zeitschr. wiss. Zool. 1899 8.65.
2) Zoolog. Jahrb. Abtlg. Anat. 1909 Bd. 27.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 8
114 Reinhard Demoll:
von gewöhnlichen Epithelzellen abweichen und so Veranlassung geben,
in ihnen kontraktile Elemente zu vermuten. Ich habe mich dieser
Ansicht von Hesse angeschlossen, und glaubte mir die Kontraktions-
wirkung dieser Zellschicht so erklären zu müssen, dass sie zu einer
Abflachung der Cornea, damit zu einer Ausbuchtung der nachgiebigen
Zone, in der die Meridionalmuskelfasern liegen, führen. So würden
c
Abb. 1. Schema zur Erläuterung der Hypothese hinsichtlich der Wirkungs-
weise der Akkommodationsmuskeln. Co Cornea M Bezirke der meridionalen
Muskelfasern. a Ruhezustand. Mittlere Entfernungseinstellung. b Kon-
traktion der inneren Cornea. Dadurch wird die Linse der Retina nahe ge-
bracht und der Bezirk M passiv nach aussen gewölbt — Ferneinstellung.
c Kontraktion der Meridionalfasern. Linse und Cornea werden distal vor-
gedrängt = Naheinstellung. Die Pfeile in b und ce geben die Druckwirkung
an, in a die Kontraktionsrichtung der Muskeln.
sie schliesslich eine Zurückdrängung der Linse gegen die Retina hin
bewirken’ (Abb. 1b). Durch ihre Tätigkeit würde demnach nicht nur
nach Aufhören einer Nahakkommodation die Wirkung der Elastizität
des Augapfels unterstützt und dadurch das Auge in den ursprüng-
lichen Zustand zurückgeführt werden, sondern es könnte noch darüber
hinaus zu einer aktiven Fernakkommodation beitragen.
Die Akkommodation des Alciopidenauges. 1
Ich hatte dann in einem besonderen Abschnitte die Frage unter-
sucht, inwiefern bei Alciopa eine derartige doppelte aktive Entfernungs-
anpassung entstanden sein mochte.
lch schrieb damals S. 681: ‚„‚Alciopa besitzt keine Extremitäten, um
die Beute festzuhalten und sie zum Munde zu führen. Sie ist darauf
angewiesen, sie sicher zu erschnappen. Dies setzt aber ein scharfes Sehen
des Objekts in dem Moment voraus, in welchem dieses erfasst werden
soll. Nun liegt aber die Öffnung des ausgestülpten Schlundrohres in
ganz unbedeutendem Abstand von den Augen. Mithin ist hier eine maximale
Nahakkommodation erwünscht. Vielleicht ist man geneigt, dieselbe Be-
trachtung auch auf die Fische anzuwenden, die ebenfalls die Beute er-
schnappen und dennoch nur zwei Akkommodationsstellungen haben.
Hierzu ist anzuführen, dass bei den Fischen durch ihre geradlinigere
Fortbewegungsart ein Sehen der Objekte direkt vor der Mundöffnung
nicht so unbedingt nötig erscheint wie bei dem mehr schlangenartigen
Schwimmen der Aleiopoden. Weiter kommt hinzu, dass der absolute
Objektabstand bei den Fischen stets viel grösser ist als bei den Aleiopoden.
Nehmen wir einen kleinen Raubfisch von der Länge von 20 cm. Man
wird annehmen müssen, dass er im Augenblicke des Zuschnappens die
von ihm abgelegene Hälfte des Beutetieres scharf sieht. Daraus ergibt
sich "etwa eine Einstellung auf 5 em Objektabstand. Nehmen wir die
100fache Entfernung (5 m) als Maass für die Ferneinstellung, so ergibt
sich eine Differenz der Dioptrienstärke — die hier als Maass für die
Linsenbewegung gelten mag — von 20 — !/, = 19'/, D. Nehmen wir
anderseits für Aleiopa eine Naheinstellung auf 5 mm an — ein Wert,
der eher zu hoch als zu niedrig bemessen ist — und eine F erneinstellung
auf 50 em, so ergibt sich eine Dioptriendifferenz von 200 — 2 —= 198 D.
Daraus geht hervor, dass bei Wechsel der Einstellung innerhalb geringerer
Entfernungen ungleich stärkere Ortsveränderungen der Linse nötig werden.
Dieses Moment scheint mir nicht unwesentlich bei der Beurteilung der
drei Akkommodationsstellungen der Alciopiden zu sein.“
v. Hess kommt zu einer hiervon vollständig abweichenden Auf-
fassung. Veranlasst wurde er dazu durch seine Beobachtungen bei
Reizung der Augen vermittels Elektroden. Weiterhin versucht er nun
durch erneute anatomische und histologische Untersuchung des Objekts
die morphologischen Daten mit seiner Hypothese in Einklang zu bringen.
Er schreibt in seiner neuesten Publikation hierüber (Pflüger’s Arch.
Bd. 172 S. 454 unten, 1918): „Reizt man nun, ohne die Elektroden mit
dem Auge selbst in Berührung zu bringen, mit schwachen Strömen, so
sieht man regelmässig an der unteren Hälfte der Augenhüllen,
gerade nach unten von der Linse, eine leichte Zusammen-
ziehung der Hülle mit Bildung feinster Fältchen; dabei werden auch
die seitlich angrenzenden Teile der Augenhülle bis zur Hornhautbasis
ein wenig herangezogen. An den nach oben und seitlich von der
Linse gelegenen Teilen der Augenhülle sowie an der übrigen-
Hornhaut sind niemals Bewegungen sichtbar, auch nicht bei
Reizung mit starken Strömen. Die Veränderungen in der unteren Hälfte
der Augenhüllen sind bis nahe an den „Pupillarsaum“ sichtbar, der
zuweilen auch noch deutliche, wenn auch wenig ausgiebige Lagever-
änderungen zeigt.
Q*
©
116. Reinhard Demoll:
An genügend frischen Augen, die so liegen, dass die Linse im Profil
sichtbar ist, sieht man bei jeder Reizung die Linse deutlich,
wenn auch wenig, nach vorn, das ist hornhautwärts rücken.
Man kann einerseits das Hervortreten der Linse aus der Pupillenöffnung,
anderseits die Annäherungen des vorderen Linsenscheitels an die Horn-
haut an solchen Augen beliebig oft zur Anschauung bringen. Das Vor-
rücken der Linse bei Reizung erfolgt ziemlich rasch und plötzlich, während
die Rückkehr in die Ruhelage nach Aufhören der Reizung etwas lang-
samer vor sich geht. Diese Versuche sind an ganz frischen, noch gut
gefüllten Augen vorzunehmen; wenn man ein enukleirtes Auge längere
Zeit hindurch oft gereizt hat, so fallen die Hüllen allmählich zusammen,
und obschon die Muskeln bei Reizung sich auch jetzt noch gut zusammen-
ziehen, sind die Lageveränderungen der Linse an so deformierten Augen
nicht mehr einwandfrei zu verfolgen.
Die mitgeteilten Beobachtungen bringen den Nachweis,
dass die Alciopiden eine positive Nahakkommodation be-
sitzen, die durch Vorrücken der in ihrer Form unveränderten
Linse und Vergrösserung des Abstandes zwischen ihr und der
Netzhaut herbeigeführt wird.“
Mit diesem Reizeffekt bringt v. Hess die Glaskörperdrüse (s. Abb. 8
unten, Tafel II) in Beziehung.
Er schreibt darüber S. 459: „Diese Glaskörperausstülpung finde ich
nun gerade an jener Stelle der unteren Augenwand, an der
allein, wie die elektrische Reigung uns zeigte (s. oben), Muskeln
vorhanden sind, deren Kontraktion in entsprechenden Gestaltsver-
änderungen der Umgebung zum Ausdruck kommt; wenn sich diese
Muskeln zusammenziehen, müssen sie einen gewissen Druck auf
jene Ausstülpung ausüben, etwa so wie auf einen mit Flüssig-
keit gefüllten Gummiballon. Dadurch gelangt etwas von ihrem
ausserhalb der Bulbushülle befindlichen Inhalte in den Glas-
körperraum, wodurch die der vorderen Glaskörperfläche
leicht beweglich aufliegende Linse etwas nach vorn gehoben
werden muss. Mit dem Nachlassen der Muskelkontraktion tritt der
zähflüssige Inhalt wieder in die Ausstülpung zurück.‘
Da er durch diese Auffassung der Glaskörperdrüse eine den gewöhn-
lichen Drüsen fremde Aufgabe zuschreibt, andrerseits aber doch nicht
bestreiten möchte, dass hier ein wirkliches Drüsenorgan vorliegt, so
schreibt er in einer Anmerkung hierzu:
„Die Frage, ob dem merkwürdigen Gebilde neben der von mir nach-
gewiesenen akkommodativen auch eine sekretorische Funktion zukommt,
wird durch meine Befunde natürlich nicht berührt; im allgemeinen haben
sezernierende Gebilde in der Tierreihe ein ganz anderes Aussehen als die
hier in Rede stehende Ausstülpung.‘
Es wird sich also hier nicht darum handeln, zu entscheiden, ob
Drüse oder mit unveränderter Glaskörpermasse erfüllter Ballon,
sondern die Frage wird zu lauten haben: Liegt hier nur eine Drüse
vor oder ein den v. Hess’schen Anforderungen genügendes Organ,
gleichgültig, ob diesem ausserdem noch Drüsenfunktionen zukommen ?
Ich stelle nun einander gegenüber die Forderungen, die die Hypo-
these von v. Hess und die, die meine Hypothese an die Morphologie
Die Akkommodation des Alciopidenauges. 117
des Auges stellt und lasse den Leser selbst an der Hand der beigegebenen
Photogramme entscheiden, welche Forderungen erfüllt werden.
| Die Auffassung von Meine Auffassung
| v. Hess verlangt: “ verlangt:
1. Glaskörper- | Eine zum mindesten teil- | Normalen Drüsencharakter.
drüse. weise Anfüllung der Drüse
mit nicht veränderter Glas-
körpermasse.
2. Akkommoda- | Anordnung der Muskulatur, |1. In Höhe der lentikulären
tionsmuskel die ein Auspressen der| Retina (Abb. 1 ZL R, Abb. 8
Glaskörperdrüse möglich | unten) vor der Glaskörper-
erscheinen lässt. drüse meridional das Auge
vollständig umschliessende
Muskelzüge.
2. Kontraktilität der Zelle
der inneren Retina.
3. Mechanismus |Linse vor dem Glaskörper |Lage der Linse vor oder
der Linsenver- | liegend, von diesem nicht| in dem Glaskörper gleich-
schiebung. umschlossen. | gültig.
Zur Beurteilung (Punkt 1) der Frage nach dem Charakter der
Glaskörperdrüse und ihrer rein sekretorischen Tätigkeit, sei auf Abb. 4,
ferner auch auf 2 und 3 Gl. D. verwiesen. Ihre Lage ist aus dem
schematischen Bild Abb. S zu ersehen. Das Wichtigste ist, dass der
Inhalt der Drüse sich in zwei nicht scharf voneinander zu unter-
scheidende Bezirke trennt, von denen der eine, zentrale, wesentlich
dünnere sekretartige und dem Glaskörper ähnlichere Beschaffenheit
aufweist als der deutlich plasmatische periphere Teil. Es könnte dem-
nach in der Tat der Gedanke auftauchen, dass hier die mittlere Partie
bei Akkommodation in den Glaskörperraum ausgepresst wird und
nachher wieder zurückströmt. Doch wird eine solche Anschauung
unmöglich gemacht durch den Umstand, dass in dieser flüssigen
Phase der Drüsenmasse stets der Kern, und zwar nicht der ‚„Kern“
und auch nicht der ‚sogenannte Kern“, wie ihn v. Hess stets nennt,
sondern der, wie in Abb. 4 ersichtlich, typische und wohl nicht als
solcher zu verkennende Kern liegt. In Abb. 2 liest ein Anschnitt des
Auges vor, wie aus der Retina und Cornea zu ersehen ist, daher ist
dort der Kern nicht getroffen (Taf. Abb. 2 und 3).
Der zweite Punkt handelt von den Akkommodationsmuskeln. Was
hier v. Hess an Tatsachen bringt, ist folgendes:
Er schreibt S. 458: ‚Die ganze Ausstülpung (nämlich der Glaskörper-
drüse) ist von einem zarten, kernarmen Häutchen allseitig umschlossen.
Als Muskeln, deren Zusammenziehung den Inhalt der Ausstülpung nach
dem Glaskörper hin drängt (s. unten), sind wohl in erster Linie die zwischen
118 Reinhard Demoll:
der Ausstülpung und dem Greeff’schen Organ sichtbaren Fasern an-
zusprechen.‘‘ (Greeff’sches Organ —= lentikuläre Retina.)
Die zweite Stelle, die von Muskulatur handelt, ist bereits oben zitiert.
Wir lesen dort: „Diese Glaskörperausstülpung finde ich nun gerade
an jener Stelle der unteren Augenwand, an der allein, wie
die elektrische Reizung uns zeigte, Muskeln vorhanden
sind usf.“
Damit sind die positiven Angaben über Muskulatur erschöpft.
Was sonst noch bei v. Hess über Akkommodationsmuskeln zu finden
ist, beschränkt sich darauf, die von Hesse und mir festgestellten
histologischen Befunde beiseite zu schieben.
Man beachte im vorhergehenden, dass v. Hess aus der elektrischen
Reizung (von mir durch Sperrdruck hervorgehoben) auf die Lage der
Muskeln schliesst.
Stellen wir uns nun auf den Standpunkt, dass die Angaben von
Hess richtig wären, die zum Ausdruck bringen, dass ‚in erster Linie‘
„die zwischen der Ausstülpung und dem Greeff’schen Organ sicht-
baren Fasern‘ für die Akkommodation in Betracht kommen, so wäre
auch unter diesen Bedingungen nicht einzusehen, wie eine Kontraktion
ein Auspressen des Glaskörperinhalts zur Folge haben sollte. Man
vergegenwärtige sich (auf der Abb. 8C), wirkliche Längsmuskelfasern
zögen von der Glaskörperdrüse nach vorn zu in der Richtung nach
der lentikulären Retina. Für die von v. Hess geforderte Wirkung
einer Auspressung der Drüse wäre der Faserverlauf der denkbar un-
günstigste. Doch ist es belanglos, hierüber Betrachtungen anzustellen,
da derartige Muskeln überhaupt nicht vorhanden sind, und die, die
existieren, in anderer Weise verlaufen. Sie sind auf dem Schema
Abb.8 in Querschnitt getroffen, als schwarze, kurze Striche erkenntlich,
die in einer Reihe angeordnet, oben und unten sich zwischen die
Epidermis und zwischen das Auge etwa in Höhe der lentikulären
Retina und von da noch etwas nach hinten schieben. Die Photo-
gramme lassen sie deutlich erkennen; am besten kommen sie auf
Anschnitten zum Ausdruck, so in Abb. 4 M.M.; dort wird deutlich,
dass sie in starker Lage das Auge umziehen. Wir finden sie wieder
in Abb. 2 und 3 links vollständig quer geschnitten; rechts im Bild
(immer mit M. M. bezeichnet) etwas schräg angeschnitten. In Abb. 1
sind sie ebenfalls noch gut als vollständig das Auge meridional um-
schliessende, also als Ringmuskeln zu erkennen. Dass diese Muskeln
— man betrachte nochmals Abb. 4 — nur das Auge, nicht aber die
Drüse zusammenpressen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Wohl
sieht man auf der Abbildung einige wenige Fasern, die in der oberen
Umsgrenzung der Drüse eingelagert sind, während die ganze übrige
Drüse (Abb. 3 und 4 lassen dies deutlich erkennen) ohne jede Muskel-
hülle in ein synzytiales Parenchym eingebettet ist. Diese spärlichen
TE GT — Ge ee ne
Die Akkommodation des Alciopidenauges. 119
Muskelfasern, die auf der Abb. 4 zu erkennen sind, strahlen von der
Basis des in der Nähe festsitzenden Tentakels aus, und hier glaube
ich die Quelle des v. Hess’schen Irrtums zu finden. Ich vermute,
dass bei der elektrischen Reizung die Kontraktion der Akkommodations-
muskel äusserlich kaum oder gar nicht mit den Mitteln, die v. Hess
angewandt hat, zu erkennen ist, dass also nur ihr Effekt, die Linsen-
verschiebung, unter diesen Umständen wahrgenommen werden kann.
In der v. Hess beobachteten feinen Fältelung im unteren Teil des
Auges dagegen, die er auf Kontraktion der Akkommodationsmuskeln
zurückgeführt hat, vermute ich eine Wirkung der Kontraktion der
Muskelfasern, die von der Basis der Tentakeln ausgehen und natürlich
ebenso gut gereizt werden wie die Akkommodationsmuskeln, zumal
da die Elektroden mit dem Auge direkt gar nicht in Berührung kommen,
sondern nur in das Wasser eintauchen.
v. Hess wirft mir vor, dass ich zu apodiktisch eine Vermutung
als Behauptung aufstelle (S. 450):
„Während Hesse das Hypothetische der seiner Theorie zugrunde
liegenden morphologischen Annahmen ausdrücklich betont, betrachtet
Demoll (1909) diese Annahmen über die Natur der fraglichen beiden
Fasergruppen als Tatsachen, obschon er sich auf die Untersuchung ge-
härteten Materials beschränkt und sich der Darstellung von Hesse nur
anschliesst. Er beschreibt ‚in dem Bezirk zwischen dem Rande der
Hauptretina und der Cornea reichlich Maskelfasern, die die distale Hälfte
der Augenblase meridional und teilweise auch in Art einer Schraubenlinie
umziehen.
Dieser Satz, den er nach meiner Arbeit zitiert, bezieht sich — wie
ja daraus ohne weiteres zu ersehen — auf die meridionale Muskulatur.
Dass ich Gebilde, wie sie in Abb. 4 mit M. M. bezeichnet sind, als
Muskelfasern anspreche und hier nicht mit ‚Vermutungen‘ und mit
„es scheint, dass‘ arbeite, wird mir wohl kaum ein Histologe Ver-
übeln. Hinsichtlich der Muskelfunktion der inneren Cornea habe ich
mich jedoch nicht positiver ausgedrückt wie auch Hesse, da ich mich
ihm hinsichtlich seiner Auffassung voll angeschlossen habe und weiter
auch betonte, dass ich hierfür wie Hesse in der verschiedenen Färb-
barkeit ein wichtiges Argument sehe. Was den Akkommodations-
vorgang schliesslich selbst -betrifft, habe ich ihn deutlich als Hypothese
bezeichnet. Ich glaube daher, dass auf meiner Seite apodiktische
Behauptungen nicht vorliegen.
Was nun den Charakter der Zellen der inneren Cornea anlangt,
so war natürlich das färberische Verhalten nicht das einzig Maass-
gebende, um in ihnen kontraktile Elemente zu sehen. Die Abb. 2
und 3 /. R. lassen im Anschnitt den von dem normalen Epithel ab-
weichenden und zu dem Typus der Muskelfasern hinneigenden morpho-
logischen Charakter dieses Gewebes erkennen.
120 Reinhard Demoll:
\
In seiner Abhandlung hat v. Hess festgestellt, dass die Linse nicht
direkt an die Hornhaut anstösst. Daran anschliessend schreibt er
S. 453 unten:
„Den vorher erwähnten Akkommodationshypothesen von Hesse und
Demoll lag die Annahme zugrunde, die Linse liege der Hornhaut un-
mittelbar an; dies ist ein Irrtum, der entweder auf Beobachtung an nicht
tadellos konserviertem Material oder, soweit frisches in Betracht kommt,
auf Beobachtung in Luft zurückzuführen ist, wo eine unmittelbare Be-
rührung zwischen Hornhaut und Linse vorgetäuscht werden kann.‘
Einige Seiten später allerdings scheint er sich wieder zu erinnern,
dass dasselbe von mir auch ausdrücklich hervorgehoben wurde. Dort
lesen wir das Gegenteil über meine Ansicht (S. 459):
„Während also nach Demoll’s Beschreibung und Abbildung die
Linse von dem nach ihm bis zur hinteren Hornhautfläche reichenden
Glaskörper allseitig vollständig umgeben sein sollte, ruht sie nach
Hesse in einer Art Vertiefung der vorderen Glaskörperoberfläche.‘“
Diese Angabe trifft den Sachverhalt. Auf dem Schema, das ich
meiner früheren Arbeit beigegeben habe, war in derselben Weise, wie
auf dem hier in Abb. 8 niedergelegten, deutlich gemacht, dass die
Linse nicht direkt an die Cornea anstösst, sondern vollständig von
dem Glaskörper umgeben wird. Dass Hesse dies früher nicht be-
achtete, ist sehr leicht erklärlich, wenn man die Abb. 1 betrachtet,
die erkennen lässt, dass die Glaskörpermasse, die sich zwischen Linse
und Cornea hindurchschiebt, bei der Fixierung meist zu einem feinen
Strang zusammenfällt ; nur die eigentümlich zackigen Umrisse des
vorderen Linsenrandes und die einzelnen Granula, die hier isoliert
im Raume liegen, deuten darauf hin, dass durch Schrumpfung das
Bild verändert sein musste.
Es kommt als weitere Komplikation hinzu, dass der präretinale
Raum, wie in.Abb. 8 angegeben, seitwärts sich zwischen Glaskörper
und Augenwandung als feinste Spalte einschiebt. Dieser Spaltraum,
der zum Beispiel in Abb. 1 rechts sehr deutlich hervortritt, des weiteren
auch in Fig. 5 und 6 (P. $.) wird von v. Hess, seiner Zeichnung nach
zu schliessen, die das Auge wiedergibt, nicht gefunden.
Nun sollte man meinen, dass v. Hess sich meiner Ansicht ganz
angeschlossen hätte hinsichtlich der Einbettung der Linse in den Glas-
körper. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Es würde dies auch seiner
Auffassung von der Akkommodation die grössten Schwierigkeiten be-
reitet haben. Denn so wie die morphologischen Tatsachen liegen,
müsste die im Glaskörper ganz eingebettete Linse bei Vermehrung der
Glaskörperflüssigkeit durch Auspressen der Drüse von allen Seiten
gleichmässigen Druck empfangen. könnte also eine Ortsveränderung
nicht vornehmen. Diese Schwierigkeiten konnten für v. Hess nicht
bestehen, da er annimmt, dass die Linse zwar, wie bei Betrachtung
des ganzen Auges zu ersehen ist, von der Hornhaut durch einen
Die Akkommodation des Alciopidenauges. 121
deutlichen Zwischenraum getrennt ist, dass aber dieser Zwischen-
raum nicht von Glaskörpermasse erfüllt wird. Von welcher Sub-
stanz aber der von ihm deutlich erkannte Zwischenraum zwischen
Linse und Hornhaut ausgefüllt wird, sagt er nicht. Versuchen wir,
uns an seiner Abbildung zu orientieren, so sehen wir dort nur, wie die
Zeichnung der granulierten Glaskörpermasse etwa im Äquator der
Linse unvermittelt, d. h. ohne Abgrenzung durch Membran aussetzt
und an ihrer Stelle ein Nichts tritt, ein Spaltraum mit nicht ausgefüllter
Fläche, der zwischen Linse und Cornea hindurchläuft. Eine Abschliessung
gegen diesen Raum hat er also selbst nicht finden können. So bleibt
er uns die Antwort schuldig auf die Frage: Grenzt hier der Glaskörper-
raum ohne abgrenzende Wand an einen Luftraum oder an einen Raum,
der mit irgendeiner wässerigen Flüssigkeit erfüllt ist? Ich glaube
nicht, dass er auf Grund seiner Abbildung Nr. 2 in seiner Arbeit das
erstere behaupten wird. Wenn aber irgendeine Flüssigkeit, die in
freiem Austausch mit dem Glaskörper steht, sich hier anschliesst, so gilt
dasselbe, wie wenn der Glaskörper selbst die Linse allseitig umschliessen
würde; d. h. wir müssen dann ein Vorrücken der Linse auf Grund
eines Einspritzens von Glaskörperflüssigkeit von der Drüse aus schon
‚aus diesem Grunde ablehnen.
Falls aber v. Hess doch der Ansicht sein sollte, dass hier ein luft-
erfüllter Raum existiert, so würde er uns die Antwort auf die zweite
Frage schuldig bleiben: wie es kommt, dass die Linse mit der Grösse
des Auges, also mit der Grösse des Tieres ständig wächst, und zwar
nicht einseitig, sondern ringsum ? Dies Moment allein fordert schon
— wie ich bereits in der ersten Arbeit hervorgehoben habe — die
Annahme, dass die Linse allseitig von Glaskörpermasse umgeben ist.
Ich glaube hiermit dem Leser selbst die Möglichkeit gegeben zu
haben, zu beurteilen, welche von beiden Hypothesen den Vorzug ver-
dient. In der Beobachtung von v. Hess, dass bei Reizung mit
Elektroden eine Vorwanderung der Linse, mithin eine aktive Nah-
akkommodation stattfindet, sehe ich eine wichtige Stütze meiner Aus-
fassung. Das, was v. Hess irregeführt hat, die Faltenbildung auf der
unteren Seite, war — wie sich aus den anatomischen und histologischen
Tatsachen ergibt — jedenfalls ein falscher Indikator für die Tätigkeit
der Akkommodationsmuskeln. Es scheint mir — wie schon aus-
geführt —, dass die Kontraktion der Tentakelnmuskeln diese Ver-
änderung hervorbringt.
Schliesslich sei hier noch eine Bemerkung von v. Hess über die
Nebenretina angefügt. Er schreibt darüber S. 458:
„Bei manchen meiner Präparate kam mir die Frage, ob dieses Gebilde
auch als eine Art Stütze dienen könne, auf der die Linse mit ihrem unteren
Pole aufliest. Es findet sich ausschliesslich unten, dehnt sich nach den
1223 Reinhard Demoll: Die Akkommodation des Alciopidenauges.
Seiten nur eine kleine Strecke weit aus, sein oberer Rand liegt in nächster
Nähe des unteren Linsenrandes: eine solche Stütze würde also wesentlich
dazu beitragen können, Zerrungen zu verringern, wie sie insbesondere
beim akkommodativen Vor- und Zurückrücken der Linse an der vorderen
Glaskörperfläche leicht stattfinden können, da die Linse an letzterer
gewissermaassen frei schwebend befestigt ist. Die Beantwortung dieser
Frage muss ich dem Histologen überlassen; vom physiologischen Stand-
punkte stehen der Auffassung des Gebildes als Nebenretina, soweit ich
sehe, keine Bedenken entgegen. Für die Erörterung des Akkommodations-
mechanismus ist die Frage nach seiner Natur ohne Belang.“
Danach gibt er selbst zu, dass er sich histologisch nicht zu intensiv
mit diesen Gebilden befasst hat. Unter diesen Umständen hätte der
Satz, der von der Ausdehnung dieses Gebildes handelt: ‚es findet
sich ausschliesslich . . .‘“ weniger apodiktisch sein dürfen. Zumal, da
ich früher ausdrücklich eine grössere Ausdehnung beschrieben habe.
Ich hatte auf Grund von vielen Schnittserien und mühsamen Rekon-
struktionen festgestellt, dass sich diese Nebenretina median vorn bis
etwa zur horizontalen Hauptebene des Auges ausdehnt.
Der nervöse Charakter dieses Gebildes lässt sich bei günstiger
Schnittserie meist an einer Unzahl von Schnitten feststellen. In
Abb. 5 und 6 ist deutlich das Auslaufen der Retinazellen in Nerven-
fasern und die Vereinigung derselben zu einem Nervenstrang zu ersehen.
Ich habe in meiner ersten Arbeit wohi erkannt, dass hier Retina-
zellen vorliegen, konnte mir jedoch damals über die Form der Rezeptoren
nicht ganz klar werden. Die anscheinend sehr harten und durch das
Mikrotommesser häufig feine aufgesplitterten Cuticularröhren haben
mir damals einen Stiftehensaum vorgetäuscht. Neuerdings konnte ich
mich nun einwandfrei überzeugen, dass hier dieselbe Form der
Rezeptoren vorliegt wie in der Hauptretina, nämlich euticulare Röhren,
die nach ihrem freien Ende zu eine trompetenförmige Öffnung zeigen.
Das mit stärksten Vergrösserungen hergestellte Photogramm
(Abb. 7) zeigt (bei X) eine recht gut erhaltene, nicht gesplitterte der-
artige Röhre. Auch in der Abb. 6 (X) ist eine solche zu erkennen.
Auf dem Übersichtsbild Abb. 8 sind diese entsprechend eingetragen.
Erklärung der Abbildungen.
4A. C. =äussere Üornea. |. P. R. = Präretina.
G. L. = Glaskörper. ' P.S. =Spalt, in dem sich die präret.
@Il. D. = Glaskörperdrüse. | Masse fortsetzt.
I. C. = innere Cornea. | — Rezeptoren.
L. R. =lentikuläre Retina. | Z. = Retina-Zellen.
— Synzytiales Parenchym.
S. — Sekretstrom.
Inn ba
M.
N. — Nerv der lentic. Retina.
Je — Pigment.
Tafel I.
Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 176.
Ne ae? or
bi a
Burke ee m
Abb. 3.
Abb. 2.
Abb. 4.
i iopi "erlag v Julius Springer in Berlin.
Demoll, Akkomodation des Alciopidenauges. Verlag von Julius Spring
Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 176. Tafel II,
Demoll, Akkomodation des Alciopidenauges.
Verlag von Julius Springer ir Berlin,
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse.
Eine kritische Studie
Von
Prof. Dr. Paul Hari, Budapest.
(Aus dem physiologisch-chemischen Institut der Universität Budapest.)
(Eingegangen am 25. Februar 1919.)
In unserer schnellebigen Zeit werden oft Befunde als erwiesen
erachtet, ehe sie gründlich nachgeprüft wurden, und so vielfach in
Lehr- und Handbücher übernommen, wodurch die Unsicherheit, die
ohnehin auf dem Gebiete der chemischen Physiologie sich fühlbar
macht, noch vermehrt wird. Nachstehend sollen einige Angaben und
Folgerungen von G. Mansfeld, die sich auf die ea der Schild-
drüse beziehen, richtiggestellt werden.
Schilddrüse und Eiweissumsatz.
Dass durch Hypoplasie, Entartung oder Entfernung der Schild-
drüse der Eiweissumsatz erheblich eingeschränkt wird, wurde durch
Beobachtungen an Menschen und Versuche an Tieren einwandfrei
bewiesen, und dass hieraus umgekehrt auf eine gewisse Teilnahme
der Schilddrüse am Eiweissumsatz des normalen Organismus gefolgert
werden kann, ist natürlich nicht zu bezweifeln. Näheres ist jedoch
hierüber noch wenig bekannt. Die Untersuchungen von Eppinger,
Falta und Rudinger!) haben nebst bemerkenswerten Befunden
über den Zusammenhang verschiedener Drüsen mit innerer Sekretion
auch zu dem Ergebnis geführt, dass in schilddrüsenlosen Tieren ver-
schiedene Eingriffe von einem wesentlich anderen Erfolg auf den
Stoffwechsel begleitet sind als an normalen, im Besitze ihrer Schild-
drüse befindlichen Tieren. So fanden sie zum Beispiel, dass der am
normalen Tier stets beobachtete Abfall der Eiweisszersetzung nach
der Einfuhr von Kohlenhydraten oder Fetten am schilddrüsenlosen
Tier wesentlich geringer ist resp. ganz ausbleiben kann; ferner, dass
1) H. Eppinger, W. Falta und C. Rudinger, Über die Wechsel-
wirkung der Drüsen mit innerer Sekretion. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 66
S. 1. 1908.
124 Paul. Hari:
Adrenalin, das am Normaltier einerseits zu Glykosurie, andererseits
zu einer Steigerung der Eiweisszersetzung im Hunger führt, am schild-
drüsenlosen Tier unwirksam bleibt; endlich, dass auch die gewöhn-
lich sehr starke Steigerung des Hungereiweissumsatzes des pankreas-
losen Tieres ausbleibt, wenn ihm vorher die Schilddrüse exstirpiert
wurde.
Offenbar unter dem Eindruck dieser Mitteilungen haben es M.
und seine Mitarbeiter unternommen, an die Frage über den Zusammen-
hang zwischen Schilddrüse und Eiweisszersetzung näher heranzutreten.
Dass jedoch ihr Unternehmen infolge der mangelhaften Einrichtung
und Ausführung ihrer Versuche als gescheitert betrachtet werden
muss, soll in nachstehendem gezeigt werden.
In einer ersten Reihe von Versuchen !) sollte gezeigt werden, dass
bei dem durch den O,-Mangel erzeugten erhöhten Eiweisszerfall nicht
dis bisher angenommene ,‚,... airekte Schädigung der Protoplasmas
vorliegt, sondern die gesteigerte N-Ausscheidung die Folge
einer erhöhten Schilddrüsenfunktion ist‘ ?2). In diesen Ver-
suchen wurde teils an normalen, teils an schilddrüsenlosen Kaninchen
Sauerstoffmangel durch Blausäurevergiftung, oder durch Atmen in
verdünnter Luft, oder durch Blutentnahme erzeugt und aus den Ver-
suchsergebnissen gefolgert, ‚dass das normale Tier auf O,-Mangel ...
stets mit einer bedeutenden Eiweisszersetzung reagiert ?) ...“, hin-
gegen:,,An Tieren, welche ihrer Schilddrüse beraubt wurden,
sehen wir auch nicht eine Spur von gesteigertem Eiweiss-
zerfall, als Beweis dessen, dass die gesteigerte Eiweiss-
zersetzung infolge O.-Mangel an die Funktion dieses
Organs gebunden ist‘ ?).
Die Versuche, durch die obiges bewiesen werden soll, sind hierzu
gänzlich ungeeignet, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Der grösste Teil dieser Versuche krankt unheilbar an folgendem
Übelstand: die Werte für den Harn-N, der täglich gesondert be-
stimmt wurde, weisen Tage hindurch eine solche Gleichmässigkeit
auf, dass ihnen kein Vertrauen geschenkt werden kann. Denn es
betrug zum Beispiel die N-Ausscheidung in Gramm an nacheinander
folgenden Tagen zum Beispiel in den Versuchen:
1) G. Mansfeld und Friedrich Müller, Beiträge zur Physiologie
der Schilddrüse. I. Mitteilung. Die Ursache der gesteigerten Stiekstoff-
ausscheidung infolge Sauerstoffmangels. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 143
3:1. 197-2. 191.
2) 1. c. 8. 158; auch im Original gesperrt.
3)"1..e. 8.0165.
4) l.c. S. 166; auch im Original Saar
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 125
Wan) REXeNya2)7 2 2.1173) RE E) XIII >)
0,53 0,89 0,79 0,85 0,75
- 0,53 0,89 0,79 0,85 0,75
0,54 0,90 0,79 0.85 0,75
0,53 0,89 .0,79 0,85 0,75
0,54 0,89 0,79 0,85 0,75
0,54 0,89 ee 0,85 0,75
Wohlgemerkt, die Versuchstiere VII und VIII werden ausdrücklich
als Hungertiere ‘bezeichnet; bezüglich der übrigen hier beispielsweise
angeführten ist es aber sehr wahrscheinlich, dass es Hungertiere waren,
da M. sonst von seinen gefütterten Tieren immer auch angibt, wieviel
Stickstoff sie eingeführt erhielten. Eine dermaassen gleichmässige
Eiweisszersetzung resp. N-Ausscheidung ist an Hungertieren noch nie
beschrieben worden, ist auch in dem Fall undenkbar, wenn, wie in
M.’s Versuchen, zur Erzielung einer besseren und gleichmässigen
Diurese täglich genau dieselbe Menge Wasser per os eingeführt und
der Harn täglich abgegrenzt wird.
Dass dem so ist, geht, wenn es überhaupt eines Beweises bedürfte,
aus M.’s an anderen Stellen mitgeteilten Versuchen ®) hervor, in denen
zur Erzielung einer gleichmässigen Diurese ebenso vorgegangen und
der Harn täglich abgegrenzt wurde und trotzdem nichts von dem
obigen sonderbaren Verhalten des Harn-N zu sehen ist.
Es kann sich in M.’s obigen Versuchen nur um einen systematischen,
argen Versuchsfehler handeln, dessen Natur hinterher allerdings nicht
mehr festgestellt werden kann; da aber derselbe Fehler nicht nur in
obigen Beispielen, sondern mehr oder minder auch in 14 von ins-
gesamt 22 Versuchsreihen figuriert, wird man bemüssigt sein, die
Versuche, was immer sie auch ergeben mögen, als verfehlt zu be-
zeichnen resp. ihnen jede Beweiskraft abzusprechen.
b) Bei solchem Stand der Dinge ist es beinahe überflüssig, zu er-
wähnen, dass M. eine der Grunderfordernisse solcher vergleichender
Versuche, nämlich die relative Gleichheit der Giftdosen, un-
erfüllt liess; solchen Versuchen geht aber jede Beweiskraft ab. Es
erhielten nämlich in den Versuchen V—IX die schilddrüsenlosen Tiere
161.
MEISCES:
2). eos izm
S)r1. 0285162
Al.2c.08421638
S)ulze..9..168
6) Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. III. Mitteilung. Arch. f.
d. ges. Physiologie Bd. 152 S. 52. 1913. (Anmerkung.); und V. Mitteilung.
Ebenda Bd. 161 S. 403.
126 Paul Häri:
durchwegs mehr, bis beinahe dreimal soviel, Blausäure als die
normalen Tiere:
Normaltiere !) Schilddrüsenlose Tiere ?).
Nr. V, 1600 g, erhielt 1 mg; |-Nr. VII, 1400 g,, erhielt 2 mg;
also 0,6 mg pro 1 ke. | also 1,4 mg pro 1 kg.
» VI, 20008, erhielt: 1 me, VIIL: 2000°27 erhielt 2 me;
also 0,5 mg pro 1 kg. | also 1,0 mg pro 1 kg.
: 1X, 17508, erhielt 1,5 ms.
also 0,8 mg pro 1 kg.
c) Ferner kann auch nicht unerwähnt bleiben, dass in der Versuchs-
gruppe I—IV, in der die gefütterten Tiere Blausäure erhielten, einem
einzigen normalen Tiere drei schilddrüsenlose und, umgekehrt, in
den Versuchen XXIV—XXVI mit Abklemmung der Karotiden zwei
normalen Tieren ein einziges schilddrüsenloses gegenübergestellt ist.
M. hielt es für notwendig, die von ihm an Kaninchen erhobenen
Befunde auch an Hunden nachzuprüfen ?). Auch diesem Versuche
kommt keine Beweiskraft zu; denn hier sind einem einzigen
Normaltier (A.), an dem O,-Mangel durch mechanische Behinderung
der Atmung erzeugt wurde, wieder nur ein schilddrüsenloses Tier (B.)
gegenübergestellt, das auf dieselbe Weise dyspnoisch gemacht wurde,
und ein zweites (O.), das Blausäure erhielt.
Bezüglich der Versuche mit dem mechanisch erzeugten O,-Mangel
sei nur beiläufig folgendes erwähnt: M. führte an seinen Tieren die
Tracheotomie aus und liess sie noch vor den eigentlichen Versuchen
durch eine Trachealkanüle atmen. Am Tage des Versuches wurde
diese mit einer luftdicht schliessenden Kanüle vertauscht und durch
Anziehen einer Schraubenklemme das luftzuführende Rohr bis zur
deutlichen Dyspno& verengt. — Genau dasselbe Verfahren wurde
bereits von A. Fränkel) vor 42 Jahren eingeschlagen.
Analoge Mängel weist auch eine weitere Reihe von Versuchen °)
auf, in denen normale und schilddrüsenlose Kaninchen Chloroform-
wasser erhielten, aus welchen Versuchen gefolgert wird, ‚... dass
auch die Wirkung chlorierter Narkotika auf den Eiweissstoffwechsel
Mellirc. .S.,. 101:
2) 1. e..8. 161-162.
3) G. Mansfeld, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. VIII. Mit-
teilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 161 S. 502. 1915.
4) A. Fränkel, Über den Einfluss der verminderten Sauerstoff-
zufuhr zu den Geweben auf den Eiweisszerfall im Tierkörper. Virchow’s
Archiv Bd. 67 S. 273. 1876.
5) Elisabeth Hamburger, Über die Wirkung chlorierter Narkotika
auf den Eiweissumsatz. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IV. Mit-
teilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 152 S. 56. 1913.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 127
von der Tätigkeit der Schilddrüse bedingt ist, gerade so, wie wir es
für die Stoffwechselwirkung des O,-Mangels kennen gelernt haben‘ }).
Die Grundbedingung vergleichender Versuche, nämlich gleiche
Versuchsbedingungen zu schaffen, ist auch hier ausser acht gelassen,
was aus folgendem hervorgeht:
a) Die beiden Normaltiere I und II haben 6—7 ccm Chloroform-
wasser per os, hingegen die schilddrüsenlosen Tiere IV, V und VI
2—-3 cem subkutan erhalten (bloss III erhielt 6 ccm per os). Ver-
suche, in denen die Art der Giftapplikation nicht dieselbe ist, sind
von vornherein nicht vergleichbar.
Dem Umstande, dass durch die Art der Einführung eines Giftes
dessen Wirkung ausschlaggebend beeinflusst werden kann, ist dadurch
scheinbar Rechnung getragen, dass die normalen Tiere per os weit
mehr Chloroformwasser erhielten als die schilddrüsenlosen Tiere — mit
Rücksicht auf die zu erwartende schnellere resp. intensivere Wirkung —
von der subkutanen Dosis. Doch muss gefragt werden: Gibt es einen
Anhaltspunkt dafür, dass, wenn eine gewisse Dosis Chloroformwasser
einmal subkutan eingespritzt wird, ein anderes Mal jedoch die zwei-
bis dreifache Dosis per os gereicht wird, beide Male genau dieselbe
Giftwirkung zustande kommt? Und darf dies speziell bezüglich der
Einwirkung auf die Eiweisszersetzung angenommen werden ?
b) M.’s Versuchsergebnisse sind auch darum anfechtbar, weil sich
normale Tiere einerseits und schilddrüsenlose andererseits zur Zeit der
Chloroformeingabe mit Ausnahme eines Versuchspaares nicht in der-
selben, ja überwiegend in einer recht verschiedenen Hungerperiode
befanden, während es doch bekannt ist, dass gerade in dem Eiweiss-
bestand und in der Eiweisszersetzung der Tiere mit fortschreitendem
Hunger tiefgreifende Veränderungen statthaben, demzufolge auch Ein-
sriffe, die eine Veränderung im Eiweissstoffwechsel zu erzeugen ge-
“ eignet sind, wenn sie zu verschiedenen Zeiten ausgeführt werden,
nicht vom selben Erfolg begleitet sein müssen. Das Chloroformwasser
wurde beigebracht
dem Normaltiere | dem schilddrüsenlosen Tiere
I. am 4. Hungertag | III. am 4. Hungertag
Id: “x EEE n,
Vs:
N et Br
c) Was endlich die beiden gefütterten schilddrüsenlosen Kanin-
chen VII und VIII anbelangt, die an drei einander folgenden Tagen
je 20 ccm Chloroformwasser per os erhielten, darf ich wohl bloss auf
die Tatsache hinweisen, dass diesen schilddrüsenlosen gefütterten Tieren
*
128 Paul Häri:
überhaupt keine gefütterten Normaltiere gegenübergestellt sind.
Diese Versuche sind also erst recht nicht beweisend.
Nachdem M. bewiesen zu haben glaubt, dass Sauerstotffmangel }),
prämortaler Hungerzustand ?) und chlorierte Narkotika ?), die am
normalen Tier zu einer gesteigerten Eiweisszersetzung führen, diese
Wirkung am schilddrüsenlosen Tier nicht auszuüben vermögen — eine
Behauptung, die ich an entsprechenden Stellen widerlegt habe —, legt
er sich in einer weiteren Arbeit *) die Frage vor, ‚ob die gesteigerte
Fiweisszersetzung im infektiösen Fieber ebenso wie diejenige nach
Sauerstoffmangel (Mansfeld) die Folge erhöhter Schilddrüsentätig-
keitisti 10).
Den Schluss, den M. aus diesen Versuchen zieht, wollen wir hier
gleich vorwegnehmen; er lautet:
„... dass an allen normalen Tieren das experimentell
erzeugte Fieber von einer wesentlichen Steigerung des
Eiweissstoffwechsels begleitet war, an schilddrüsenlosen
Tieren jedoch kein einziges Mal eine Mehrzersetzung von
Eiweiss erfolgte“ ®).
Demgegenüber muss ich ebenfalls hier bereits vorwegnehmen, dass
diese Behauptung durchaus unbewiesen ist und teils auf
verfehlten Versuchsanlagen, teils auf falsch gedeuteten
Versuchsergebnissen beruht.
Die M.’schen Versuche wurden teils an gefütterten, teils an hungern-
den Kaninchen, teils an hungernden Hunden angestellt.
A. Bei der Deutung der an gefütterten Kaninchen erhaltenen
Versuchsergehnisse ist M. dem Irrtum verfallen, dass er die N-Bilanzen
der normalen und schilddrüsenlosen Tiere berechnet, bevor und nach-
dem sie in künstliches Fieber versetzt wurden, und aus der Veränderung
der Bilanzen auf eine gesteigerte Eiweisszersetzung bei normalen,
auf eine unveränderte Eiweisszersetzung bei schilddrüsenlosen Tieren
schliessen will. Des grösseren Nachdruckes halber stellt M. die N-
Bilanzen, die er in der nachfolgend reproduzierten kleinen Tabelle ?)
zusammenfasst, auch in jeder Versuchsreihe graphisch dar.
1) I. Mitteilung.
2) III. Mitteilung.
3) IV. Mitteilung.
4) G. Mansfeld und Z. Ernst, Über die Ursache der gesteigerten
Eiweisszersetzung und Wärmebildung im infektuösen Fieber. Beiträge zur
Physiologie der Schilddrüse. V. Mitteilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges.
Physiologie Bd. 161 8. 399. 1915.
5) 1. c. 8. 429.
6) 1. c. S. 429. Auch im Original gesperrt.
7) Il. ce. S. 409. Die Versuchsnummern sind von mir in die Tabelle
eingefügt. 3
f
ß
Co)
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 12
Änderung der täglichen N-Bilanz im Fieber gegenüber der Norm
Normales Tier Schilddrüsenloses Tier
N-Y 0,39 N-VI + 0,08
N-VII — 0,49 N-VIII + 0,09
N-IX — 0,47 N-X — 0,02
Abgesehen davon, dass die Aufstellung einer N-Bilanz am. ge-
fütterten Tier bloss aus dem Nahrungs- und Harn-N ohne Berück-
sichtigung des Kot-N ein Ding der Unmöglichkeit ist (bei M.
fehlen die Daten für den Kot-N durchwegs), ist es, wie erwähnt, ver-
fehlt, am gefütterten Tier bloss aus der N-Bilanz auf die Eiweiss-
zersetzung zu folgern, wo es doch klar ist, dass als Maass der
Eiweisszersetzung bloss der Harn-N und (am gefütterten Tier)
keineswegs die N-Bilanz gelten kann.
Es soll sofort gezeigt werden, dass N-Bilanz und Eiweisszersetzung,
das ist der Harn-N, sich gänzlich verschiedenartig verändern können
resp. auch in M.’s Versuchen sich verändern. Dass die Bilanzen seiner
normalen und schilddrüsenlosen Tiere sich ungleich verhielten, ist
einfach dadurch begründet, dass die normalen Tiere, sobald sie fiebe-
risch wurden und deshalb ihre Fresslust abnahm, durchwegs weniger
“ Stickstoff als vorher einführten, während an den schilddrüsenlosen
Tieren in zwei von drei Versuchen die Stickstoffzufuhr unverändert
resp. noch etwas gesteigert war. Es betrug die tägliche N-Einfuhr
in Gramm
am normalen Tier am schilddrüsenlosen Tier
NEVE NEVIE SNK N-VI N-VI | N-X
Im Vorversuch . | 0,97 1,00 0,89 0,67 026 | 0,90
Im Fieber .... 0,71 | 02 0,44 0,76 | 0,09 0,89
Änderung... .|—0,2%6 —038 |—045 |+009 1 —0,17 |—0,01
Bei diesem Sachverhalt ist es nur selbstverständlich, dass sich
die Bilanz der normalen Tiere verschlechtern, die der schilddrüsen-
losen Tiere aber kaum verändern musste, ohne dass jedoch hieraus
auf irgendeine Veränderung der Eiweisszersetzung gefolgert werden
dürfte. Denn diese, nach dem Verhalten des hierfür allein maass-
gebenden Harn-N beurteilt, verhielt sich ganz anders, wie aus
der nachstehenden kleinen Tabelle, zusammengestellt aus M.’s Daten,
ersichtlich ist.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 9
130 PaulHarı:
| Harn-N pro Tag am | Harn-N pro Tag am
Normaltier schilddrüsenlosen Tier
NY | Nu nız | Nvi |mva Ne
Im Vorversuch .| 102 | 05 | oo | 10 | 08 | 08
Im Bieber... ... 1. 114.| 066... 0,3 1,11. .,090.9.220:60
Änderung. ...|+012 |—009 +0,03 |+001 —026 |r+ 0,01
| | |
Am normalen Tier V nimmt der Harn-N im Fieber um etwa 12%,
zu; dieser Zunahme wird durch die 12%, betragende Abnahme am
Normaltier VII die Wage gehalten ; die Zunahme von 0,03 g am Normal-
tier IX dürfte aber kaum in Betracht kommen, da ja der zulässige
Versuchsfehler nicht viel geringer ist. Es lässt sich also an M.’s Normal-
tieren eine Zunahme der Eiweisszersetzung im Fieber nicht kon-
statieren. An den schilddrüsenlosen Tieren VI und X ist die Eiweiss-
zersetzung im Fieber ebenfalls unverändert; dass aber am schild-
drüsenlosen Tier VIII ein bedeutender Abfall in der Eiweisszersetzung
eintrat, ist eine einfache Folge dessen, dass dieses Tier im Fieber nur
täglich 0,09 (!) g N zu sich nahm, also sich beinahe im Hungerzustand
befand, wo bekanntlich die Eiweisszersetzung anfangs stark abzufallen
pflegt.
Also lässt sich der von M. postulierte Gegensatz zwischen
normalen und schilddrüsenlosen Tieren in den von ihm mit-
geteilten Versuchen nicht aufrechterhalten.
B. Zu weiteren Versuchen wurden hungernde Kaninchen ver-
wendet; diese Versuche sind ebenfalls als verfehlt zu bezeich-
nen, und zwar aus zwei Gründen:
a) Es sind da drei Versuche als brauchbar angeführt, und zwar
zwei an normalen Tieren, und einer am schilddrüsenlosen Tier; ein
dritter Normalversuch (XXI.) wird von M. als verfehlt bezeichnet !).
Es wird also hier ein einziges schilddrüsenloses Tier zwei normalen
gegenübergestellt; dass auf diese Weise kein Beweis geführt werden
kann, wird wohl nicht bezweifelt werden können.
b) Das in solchen vergleichenden Versuchen unerlässliche Er-
fordernis, gleiche Versuchsbedingungen zu schaffen, ist hier wieder
vernachlässigt, indem in den zwei Normalversuchen Coli-Filtrat,
im schilddrüsenlosen jedoch Dysenterie-Toxin appliziert
wurde! Solche Versuche lassen sich überhaupt nicht vergleichen.
Es folgen nun sechs weitere Versuchsreihen an hungernden Hunden,
deren N-Wechsel vor und nach erzeugtem Fieber geprüft wurde. Auch
1). 1.0.88 412!
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 131
diese Versuche sind nicht beweisend, da sie folgende schwere Mängel
aufweisen:
a) Es wurde den beiden normalen Tieren XXII!) und XXIII ?,,
im Gegensatz zu allen übrigen Tieren, nicht Coli-Filtrat, sondern
Gärtner’s Toxin resp. Dysenterie-Toxin eingespritzt, also
können sie mit den schilddrüsenlosen Tieren, die Coli-Filtrat erhielten,
nicht verglichen werden.
b) Somit verbleiben noch die Versuche XXIV und XXVI am
normalen, XXV und XXVII am schilddrüsenlosen Tier (XXIV und
XXVII wurden am selben Tier erst im normalen, dann im thyreopriven
Zustande ausgeführt). M. berechnet aus den Ergebnissen dieser Ver-
suche einen Anstieg des Harn-N am normalen Tier zu 29 resp. 35 %,
am schilddrüsenlosen Tier zu 3 resp. 6%.
Die Art der Berechnung, mittels deren M. zu diesem Ergebnis
gelangt, ist nicht einwandfrei. M. berechnet zunächst einen Mittel-
wert für die dem Fieber vorangehende Vorperiode, und indem er die
Werte der Fieberperiode mit dem Mittelwert der Vorperiode vergleicht,
ermittelt er die Veränderung der Eiweisszersetzung im Fieber. Was
die Vorperiode anbelangt, ist eine Berechnung aus allen Tagen
schlechterdings nicht zu umgehen resp. direkt geboten, wenn die
Werte der einander folgenden Tage eine fortschreitend sinkende
Tendenz zeigen, wie in Versuch XXVI, resp. wenn sie im grossen
und ganzen gleichmässig sind, wie in Versuch XXVII. Wenn aber
an den beiden ersten Beobachtungstagen die Werte solche Schwan-
kungen aufweisen wie 2,69, 1,53, 2,04 (Versuch XXV) oder 2,37 und
1,81 (Versuch XXIV), dann müssen diese hohen Initialwerte ausser
Rechnung gelassen werden. Am Normaltier XXIV hat M. dies auch
getan, am schilddrüsenlosen Tier XXV jedoch unterlassen; wo
doch hier nicht nur die beiden ersten, sondern auch der dritte Wert
wegbleiben muss, weil erst vom vierten Beobachtungstag angefangen
eine gewisse Gleichmässigkeit der Werte sich zeigt. Dadurch, dass
M. am schilddrüsenlosen Tier XXV die ganz unregelmässig schwanken-
den hohen Werte der ersten 3 Tage der Vorperiode mit m Rechnung
bringt, wird der Mittelwert der Vorperiode unnatürlich erhöht und
dementsprechend der ganz beträchtliche Anstieg des Harn-N dieses
schilddrüsenlosen Tieres im Fieber künstlich herabgedrückt.
Ebenso unrichtig ist aber auch die Berechnung der Steigerung
des Harn-N in der Fieberperiode, indem M. den Harn-N der Fieber-
periode an beiden Normaltieren aus zwei Tagen, an beiden schild-
drüsenlosen Tieren jedoch aus drei Tagen berechnet, wie aus nach-
stehender Tabelle zu ersehen ist, in der M.’s Berechnungen zusammen-
Due. S. 494.
2) 1.c. S. 420.
132 Paul Häri:
gestellt sind. (Die Klammern in der Tabelle deuten dies arı und sind
auch im Originaltext vorhanden.)
Normaltiere Schilddrüsenlose Tiere
Versuch Versuch Versuch | Versuch
xXXIV XXVIl XxXV 2 EREXAVATE
Mittelwert vor der
Injektion . . . 2,15 | 3412 1.75 1,47
"schder 1. Tag | 2,82% 29%0 joe! 35% | 1,86 3%0 1,54) keine
Tncktion 2. „| 2,76 $ Steigerung | 4,28 f Steigerung | 1,99 }Steige- | 1,50 1Steige-
J Sn 2,29 3,34 1,61) rung 1,35) rung
Diese Art der Berechnung lässt sich auf keinerlei Weise begründen
und ist nur geeignet, die Ergebnisse zu verschieben. Denn, wenn
man objektiv rechnen und die ganze Periode der Steigerung berück-
sichtigen will, muss man genau umgekehrt, alsM. es tut, vorgehen,
nämlich an den Normaltieren die Werte vom 3. Tag, 2,29 (Tier XXIV)
resp. 3,34 (Tier XXV]), mit in Rechnung ziehen, weil sie gegen
den Mittelwert der Vorperioden noch eine Steigerung aufweisen; an
den schilddrüsenlosen Tieren jedoch die Werte vom 3. Tag, 1,61
(Tier XXV) resp. 1,35 (Tier XXVII), weglassen, weil sie der Vor-
periode gegenüber keine Steigerung mehr aufweisen. Dann. ergibt
sich für die Normaltiere eine Zunahme von 22 und 19%, für die
schilddrüseniosen Tiere jedoch, wenn man in Versuchsreihe XXV die
ersten 3 Tage aus dem weiter oben angeführten Grunde weglässt
(wie M. richtigerweise in Versuch XXIV die ersten 2 Tage wegliess),
eine Zunahme von 23 resp. 3%. Es beträgt also, die Zunahme richtig
berechnet:
am normalen Tier am schilddrüsenlosen Tier
|
NrEXXIV 299 | Nr. 7 RX 235%
XXI 199% | „ XXVO 3%
Daraus nun, dass von zwei schilddrüsenlosen Tieren eines (XXVII)
sich anders verhält als normale Tiere, lassen sich schlechterdings
keine beweisenden Schlüsse ziehen.
Ebenso unbegründet ist auch die Art der Berechnung des Versuches
am Normaltier XXII, in dem eine Zunahme der Eiweisszersetzung
um 30%, konstatiert wird. Dies Ergebnis erhält M. dadurch, dass
er von den der Injektion folgenden Tagen bloss den ersten,
höchsten Wert in Betracht zieht. Da, wie oben erwähnt war, in
allen übrigen Versuchen konsequenterweise die Steigerung aus 2—3
der Injektion folgenden Tagen berechnet wird, ist es nicht gerecht-
fertigt, in Versuch XXII einen einzigen Versuchstag herauszugreifen,
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 133
bloss, weil er den Höchstwert aufweist. Führt man die Berechnung
so aus wie in den übrigen Versuchen, so erhält man für die Fieber-
periode eine Steigerung von bloss 18%.
c) Endlich blieben noch Versuche XXII (am normalen) und XXVIII
(am schilddrüsenlosen Tiere) zu besprechen. Bezüglich dieser Versuche
war oben schon bemerkt, dass am normalen Tier Gärtner’sches
Toxir, am schilddrüsenlosen jedoch Coli-Filtrat verwendet wurde,
daher die Versuchsergebnisse überhaupt nicht verglichen werden
können. Trotzdem seien diese Versuche eingehender besprochen, weil
an diesen beiden Tieren ausser dem Harn-N auch der respiratorische
Gaswechsel bestimmt wurde und aus diesen Ergebnissen weitgehende,
jedoch ganz und gar ungerechtfertigte Schlüsse gezogen wurden.
Durch Untersuchung des Gesamtstoffwechsels in Respirations-
versuchen nach Zuntz-Geppert wollte M. an diesen beiden Tieren
beweisen, dass die Schilddrüse ‚... überhaupt für die ganze
gesteigerte Wärmebildung im Fieber die Verantwortung
trägt‘ !). Aus den Ergebnissen seiner Versuche berechnet er eine
Steigerung der Wärmeproduktion am normalen Tier um 25%, am
schilddrüsenlosen Tier um 3% und folgert hieraus, ,.... dass am
schilddrüsenlosen Tier während eines zweitägigen Fiebers die Wärme-
bildung ... überhaupt nicht erhöht war, dass also die fieberhafte
Temperatur nach Entfernung der Schilddrüse einzig und allein durch
verminderte Wärmeabgabe zustande kam‘ ?).
Diese Folgerungen sind gänzlich unbegründet und beruhen auf
einer nicht entsprechenden Versuchsanordnung und einer verfehlten
Berechnungsart.
Wer je Respirationsversuche nach der Methode von Zuntz-
Geppert ausgeführt hat, wird die Schwierigkeiten erfahren haben,
die einer solchen Ausführung am nicht-narkotisierten oder nicht-
eurarisierten Tiere beinahe unüberwindlich im Wege stehen. Die
nicht zu vermeidende Ungleichmässigkeit im Verhalten des Versuchs-
tieres — einmal vollkommene Ruhe, ein anderes Mal Unruhe mit
ausgiebigen Muskelbewegungen — können solche Unterschiede im
Stoffverbrauche zeitigen, durch die die Versuchsergebnisse ausschlag-
gebend beeinflusst, verändert, ja verzerrt werden, so dass jeder Ver-
gleich unmöglich wird.
Man beachte bloss, dass der von M. berechnete Energieumsatz
am Normaltier XXI zwischen dem 21. und 24. November, also vor dem
Fieber, Werte aufweist, die zwischen 306 und 201 kg-Cal. pro 24 Stunden
schwanken. Diese bis zu 50%, betragenden Unterschiede, die bei der
Reduktion auf die Körpergewichtseinheit des Hungertieres sich bloss
1) l.e. S. 421; auch im Original gesperrt.
2) l.e. 8. 429; auch im Original gesperrt.
134 Paul Hari:
etwas verringern, rühren jedenfalls bloss zu einem Teil von dem an
Hungertieren nach den ersten Hungertagen oft beobachteten Abfall
des Energieverbrauches, zum grösseren Anteil jedoch offenbar davon
her, dass sich das Tier an den späteren Hungertagen ruhiger als an
den ersten verhielt.
Wenn es nun auch durchaus wahrscheinlich ist, dass am Fiebertag
eine Steigerung des Energieumsatzes stattgefunden hat, lässt sich
die auf Rechnung des Fiebers zu setzende Steigerung nicht einmal
annähernd feststellen. Denn einerseits ist über das Verhalten des
Tieres am Fiebertag in den Versuchsprotokollen nichts angegeben,
andererseits genügt es, vor Augen zu halten, dass die Lungenventilation
in dem Versuch, der knapp vor der Injektion ausgeführt wurde, 874 ccm
pro Minute betragen hatte, in dem Versuche jedoch, der 21, Stunden
nach der Injektion ausgeführt wurde, auf 2075 cem angestiegen war,
um erst im Laufe der nächsten Tage allmählich wieder auf Sil ccm
abzufallen. Eine solche Beschleunigung der Atembewegung ist aber
an sich bereits geeignet, den Umsatz im Vereine mit der ohnehin
wahrscheinlichen Unruhe des fiebernden und stürmisch atmenden Tieres
derart zu steigern, dass nicht einmal schätzungsweise zu ermessen
ist, welcher Anteil der Steigerung auf den Fieberumsatz, welcher
Anteil auf den Zuwachs aus grobmuskulärer Ursache entfällt. Ich
wiederhole ausdrücklich, dass an eine Steigerung des Umsatzes am
Normaltier XXI am Fiebertage nicht zu zweifeln ist; betone jedoch,
dass eine Berechnung dieser Steigerung aus M.’s Daten aus oben-
genannten Gründen ganz illusorisch ist.
Was nun das schilddrüsenlose Tier XX VIII anbelangt, ist zunächst
gar nicht zu begreifen, dass hier keine Zunahme der Wärmeproduktion
stattfinden soll, wo doch laut den Daten in M.’s Tabelle der stündliche
O,-Verbrauch 1%, Stunden vor der Injektion 1704 ccm, 3 Stunden
nach der Injektion bereits um 30%, am nächsten Tage gar um bei-
nahe 50% mehr betragen hatte und ein störendes Moment (wie etwa
die enorme Zunahme der Lungenventilation beim Normaltiere) nicht
vorhanden war.
Auch wenn man den O,-Verbrauch der Fiebertage nicht mit dem
unmittelbar vor der Injektion festgestellten O,-Verbrauch vergleicht,
sondern mit dem Mittelwert aus sämtlichen vorausgegangenen Ver-
suchen, was ja viele vorziehen werden, lässt sich für den 1. Fiebertag
eine Steigerung von 15, für den 2. Tag eine solche von zirka 26%
berechnen.
Vergleicht man nicht bloss den O,-Verbrauch, sondern den Gesamt-
stoffwechsel, und zwar auf Grund der von M. selbst berechneten
und nachfolgend wiedergegebenen Werte, kommt man zu einem ähn-
ichen Resultat:
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse.
135
pro 24 St. kg-Cal. Steigerung
243. Male Nee. 224)
ae 20204: Mittelwert: 223
Deren Ber 24h)
Du Ne AS (Bieber) 11%
2SN 2a 139%
ln 262 17%
31. 298 23:
Wie kommt es trotzdem, dass M. keine Steigerung findet? Einfach
so, dass er die den Fiebertagen folgenden aussergewöhnlich hoher
Werte der Nachperiode vom 30. und 31. Mai (die um 17 resp.
29%, höher sind als der Mittelwert der fieberfreien Vorperiode) zu
den Werten der Vorperiode hinzuschläst und zu einem
Mittelwert vereinigt. Das ist aber vollkommen unbegründet,
denn wenn es auch richtig ist, dass das Tier am 30. und 31. Mai keine
Temperatursteigerung mehr aufwies, kann es doch, wo sein Umsatz
um 17 resp. 29% gegen die Norm (Vorperiode) gesteigert war, nicht
als in normalem Zustand befindlich erachtet werden. Hier gingen
eben Temperatursteigerung und erhöhter Stoffzerfall, beide durch die
Intoxikation herbeigeführt, nicht bis zum Ende parallel einher, sondern
der Stoffzerfall war auch nach dem Abklingen des Fiebers immer
noch erhöht, ja, an diesem Tier sogar noch weiter angestiegen.
Dass auch M. dort, wo er von Fieber spricht, sich nicht streng
an den Befund einer erhöhten Körpertemperatur hält, geht aus nach-
stehenden, aus seinen Tabellen zusammengesteliten Daten hervor. In
seinen Tabellen !) sind nämlich folgende Maximaltemperaturen ein-
getragen resp. folgende Tage als Fiebertage bezeichnet:
Normales Tier XXII Schilddrüsenloses Tier XXVII
Oktober , . .2 38,6 264 Mala 2202982
22. en; 38, 20: 39,9 Fieber
23: = a re 28: SON
24. se A 33‘) 29. BSD 0%
5), 5 . 2. ..40,2 Fieber 30. 38,2
26. en 38,‘ Sl 38,2
2arle = a Lee)
28. Ri We 3u.s
29, ar ee
Wie dem immer sei, keinesfalls dürfen die Werte der Nachperiode,
die bis 30%, höher als die Werte der Vorperiode sind, als Normal-
1) 1. c. S. 424, 425 und 428.
136 Paul: Hart:
werte angesehen werden, und keinesfalls wird man mit M. diese Werte
mit denen der Vorperiode zu einem Mittelwert vereinigen und. die
Werte von den Fiebertagen mit diesem falschen Mittelwert vergleichen
dürfen.
Es ist also einerseits M.’s Behauptung, ‚dass am schilddrüsenlosen
Tier ... die Wärmebildung im Gegensatz zum normalen überhaupt
nicht erhöht‘ !) ist, vollständig unbegründet, andrerseits fehlt auch
seiner Schlussfolgerung, wonach ‚,... die fieberhafte Temperatur nach
Entfernung der Schilddrüse einzig und allein durch verminderte
Wärmeabgabe zustande ...' käme ?), jede Basis.
Voranstehend wurde über eine grosse Reihe von Versuchen be-
richtet, durch die der Zusammenhang zwischen Schilddrüsenfunktion
und Eiweisszersetzung erhärtet werden soll. Ein solcher Zusammen-
hang ist, wie eingangs bereits erwähnt, schon seit längster Zeit be-
kannt und, wie ebenfalls bereits erwähnt, neuerdings auch für kom-
plizierte Verhältnisse (verschiedene Einwirkungen an schilddrüsenlosen
Tieren) geprüft worden.
Die zahlreichen Fehler in den Versuchen von M., die sowohl in
der Einrichtung und Ausführung dieser Versuche als auch in der
Berechnung der Versuchsergebnisse nachzuweisen sind, nehmen jenen
Versuchen jede Beweiskraft, fördern daher unsere Erkenntnis nicht
darüber hinaus, was bereits bisher bekannt oder vermutet wurde. Ja,
mangels an Beweiskraft sind sie nicht einmal geeignet, bereits Bekanntes
zu bestätigen.
Blutbildung und Schilddrüse.
Dass die Schilddrüse auf die Bildung der roten Blutkörperchen
auf irgendeine Weise Einfluss hat, ist eine längst bekannte und ex-
perimentell festgestellte Tatsache, die auch Eingang in alle Lehrbücher
der Physiologie gefunden hat. Die Frage ist jedoch noch nicht geklärt,
und wird ihr Stand noch immer am besten durch Noorden °) charak-
terisiert: ‚.... es scheinen in der Tat gewisse Beziehungen der Schild-
drüse zu den blutbereitenden Organen zu bestehen; .... Doch sind die
feineren Beziehungen jedenfalls indirekte und durch das Experiment
nicht genügend geklärt.‘ Bei diesem Stande der Dinge musste sich
naturgemäss ein grösseres Interesse den vor wenigen Jahren erschienenen
Experimentalarbeiten von Mansfeld ?) und später seines Mitarbeiters
Dilac..8..429,
2) 1. c. S. 429; auch im Original gesperrt.
3) a v. Noorden, Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels.
IE. Aufl..Bq. 1198. 318. 21907:
4) G. Mansfeld, Blutbildung und Schilddrüse. Beiträge zur Physio-
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 137
Neuschloss!) zuwenden, die sich mit obigem Thema beschäftigten
und eine Reihe neuer Tatsachen gefunden haben wollen.
Nachdem M. in einer vorangehenden Mitteilung ?) bewiesen zu
haben glaubt, dass ‚der O,-Mange! mässigen Grades seine Wirkung
auf den Eiweissstoffwechsel durch eine Reizung der Schilddrüse be-
wirkt“ ®), legt er sich die Frage vor, „ob nicht auch noch andere
Wirkungen des Sauerstoffmangels, in erster Linie diejenigen auf die
Blutbildung, in einer gesteigerten Schilddrüsentätigkeit ihre nähere
Ursache finden‘ ®).
Aus den Ergebnissen der weiter unten zu besprechenden Versuche
ziehen die Autoren eine Reihe von Schlüssen, die, wenn sie richtig
wären, einen Fortschritt in der Erkenntnis der physiologischen Funktion
der Schilddrüse, namentlich bezüglich ihrer langvermuteten Rolle bei
der Blutbildung bedeuteten. Leider ist dem nicht so, denn, wie in
nachstehendem gezeigt werden soll, handelt es sich hier um mühsame,
jedoch grossenteils mangelhaft eingerichtete und berechnete Versuche,
deren Ergebnisse auch irrig gedeutet sind.
Wirkung des Höhenklimas, des anämischen Serums,
des Eisens und des Arsens auf das Blut normaler und
schilddrüsenloser Kaninchen. Die Prüfung der Wirkung des
Höhenklimas erfolgte so, dass an Kaninchen — teils mit, teils ohne
Schilddrüse — eine Blutkörperchenzählung vorgenommen wurde,
worauf sie nach einem über 1000 m hoch gelegenen Ort kamen und
20 Tage dort blieben ; nach ihrer Rücksendung fand wieder eine Zählung
der Blutkörperchen statt. Das Ergebnis der Höhenversuche (M.) war:
eine Vermehrung der Blutkörperchen am normalen, eine Verringerung
am schilddrüsenlosen Tier. Hieraus wird geschlossen, dass ‚,... das
Höhenklima mit seinem verminderten O,-Partialdruck die Organe der
Blutbildung dann erst zu erhöhter Tätigkeit reizt, wenn die Schild-
drüse ihre Arbeit leistet. Ist dieses Organ entfernt, so führt O,-Mangel
zu keiner Vermehrung an Sauerstioffträgern“ 3), weil, wie es an einer
anderen Stelle heisst, ‚,..... der O,-Mangel auf die Stelle der Blutbildung
logie der Schilddrüse.. II. Mitteilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol.
Bd. 152 S. 23. 1913.
1) 5. Neuschloss, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. VII. Mit-
teilung. Über den Mechanismus der Eisen- und Arsenwirkung. Pflüger’s
Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 161 S. 492. 1915.
2) G. Mansfeld und Friedrich Müller, Beiträge zur Physiologie
der Schilddrüse. I. Mitteilung. Die Ursache der gesteigerten Stickstoff-
ausscheidung infolge Sauerstoffmangels. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol.
Bd 14378. 157. 1912.
Sale ;S. 23:
A)al.ze. S. 26.
138 Paul Ear!:
selbst hemmend einwirkt und erst dann zu einer gesteigerten Blut-
bildung führt, wenn die Schilddrüse an ihrem Platze ist...“ N).
Dieselbe Wirkung und derselbe Wirkungsmechanismus nd auch
dem anämischen (Carnot’schen) Serum und in N.’s Mitteilung auch
dem Eisen zugeschrieben, nämlich eine Zunahme der Blutkörperchen-
zahl am normalen, eine Abnahme am schilddrüsenlosen Tier.
Nebenbei sei bemerkt, dass die Versuchseinrichtung, die M. zur
Prüfung der Wirkung der Höhenluft anwendet, schon lange vor ihm
an normalen Kaninchen von anderen Autoren benutzt wurde, die
auch zu demselben Ergebnis gelangten ; so von Mercier ?), Guillemard
und Moog?).
Es ist auch irrtümlich, wenn N. sagt: es ‚,... finden sich in der
Literatur keine Angaben darüber, ob auch an Tieren mit normalem
Blut durch Eisen eine Vermehrung der Erythrocyten stattfindet‘ ®).
Denn Hoffmann?) hat an vier jungen normalen Kaninchen, die
Eisen erhielten, nach 10—17 Tagen eine Zunahme um 9— 11%, be-
obachtet; an den Kontrolltieren (ohne Eisen) jedoch keine Veränderung
( 6, 4, =E ON).
Die eingangs zitierten Schlüsse von M. und N. wären gerecht-
fertigt:
a) wenn in den Versuchen alle Kautelen eingehalten wären, die
speziell bei Untersuchungen über Veränderungen der Blutbestandteile
geboten sind;
b) wenn für die Verringerung der Blutkörperchen in schilddrüsen-
losen Tieren andere, bereits bekannte Ursachen ausgeschlossen werden
können.
ad a) Als ein Mangel der M.- und N.’schen Versuche ist hervor-
zuheben, dass für die unentbehrlichen Kautelen offenbar nicht ge-
sorgt war. Zu solchen Untersuchungen dürften nur Tiere desselben
Wurfes einerseits im normalen, andererseits im schilddrüsenlosen Zu-
stande genommen werden; weiterhin muss dafür gesorgt sein, dass
nicht nur die Art der Ernährung, die Zusammensetzung des Futters
der normalen und schilddrüsenlosen Tiere dieselbe, sondern das Futter,
das beiden Tiergruppen vorgelegt wird, identisch sei. Es muss also mit
so vorbildlich peinlicher Sorge gearbeitet werden, wie Bürker®) es tut.
1. ..25.
2) Rei in Virchow-Hirsch’s Jahresber. 1895, Bd. I S. 263.
3) Befer daselbst 1906, Bd. I: S. 187.
4) | S. 493.
5) A een Die Rolle des Eisens bei der Blutbildung. Virchow’s
Archiv Bd. 160 8. 235. 1900.
6) K. Bürker, Die physiologischen Wirkungen des Höhenklimas.
Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 105. 1904.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 139
Bürker hat .‚sechs ... Kaninchen derselben Herkunft von an-
nähernd derselben Grösse und Haarfarbe gewählt und bezeichnet ...
Sie wurden zu dem Versuch mit demselben Futter (Heu und Hafer),
das ihnen auf der Schatzalpe gereicht werden sollte, und von dem
ein Teil heruntergeschickt worden war, in Tübingen vorgefüttert‘“.
Von ähnlichen Kautelen ist in M. und N.’s Mitteilung nichts er-
wähnt, welcher Umstand ihren Versuchen bereits ein gut Teil ihrer
Beweiskraft benimmt.
ad b) Die Abnahme der Blutkörperchen im schilddrüsenlosen Tiere
kann auf eine einfachere, natürlichere Ursache zurückgeführt werden,
und eine Hemmung im schilddrüsenlosen Tier durch den O,-Mangel usw.
braucht nicht angenommen zu werden. M.’s Schluss gegenüber drängt
sich nämlich der natürliche Einwand auf, ob nicht die Tiere durch die
Thyreoidektomie allein schon eine bedeutende, fortschreitende Ein-
busse an ihrem Erythrocytenbestand erleiden, sei es dass sie in der
Ebene, oder im Höhenklima, unter Eisenbehandlung usw. sich be-
finden. Denn ist dies der Fall, so kommt die Wirkung der Höhenluft,
des Eisens usw. im schilddrüsenlosen Tier einfach darum nicht zur
Geltung, weil sie durch die thyreoprive Verringerung der Blutkörperchen
verdeckt resp. überkompensiert wird. Dieser Einwand liesse sich nur
durch den Nachweis widerlegen, dass die Schilddrüsenlosiskeit allein
zu keinem ansehnlichen Blutkörperchenverlust führt. Insolange dieser
Beweis nicht erbracht ist, ist M.’s Annahme einer Hemmung der Blut-
körperchenbildung durch Höhenluft usw. unbegründet.
Besagten Einwand wirft auch M. auf, hält ihn jedoch für wider-
legt durch eigene Versuche, in denen ‚wohl eine mässige Verarmung
des Blutes an roten Blutkörperchen stattfindet, dieselbe jedoch selbst
nach 4 Wochen niemals mehr als 9% betrug‘ !). Da Versuchen, dessen
Daten und Belege nicht mitgeteilt sind, keine Beweiskraft zukommt,
ist der Einwand nicht als widerlegt zu betrachten, um so weniger,
da, wie erwähnt, zum Beispiel über die Ernährung der Tiere in
der Ebene und in der Höhe (siehe oben Bürker’s Kautelen) nichts
mitgeteilt ist, während doch gerade diesbezügliche Unterschiede
bei den kleinen Tieren gerade ausschlaggebende Differenzen zeitigen
können.
Wie steht es eigentlich um unser Wissen bezüglich der Wirkung
der Thyreoidektomie auf die roten Blutkörperchen ? Eine ganze Reihe
von Autoren hat eine erhebliche Abnahme derselben konstatiert.
Biedl?) sagt ganz im allgemeinen: ‚Man sieht eine fortschreitend
erheblichere Abnahme der Zahl der roten Blutkörperchen und des
DEITEES2 26;
2) Artur Biedl, Innere Sekretion. II. Aufl., I. Teil 1913. S. 155.
140 Paul Häri:
Hämoglohins.“ D’Amore, Falcone und Geoffredi!) finden au
Hunden eine geringe Abnahme, Formanek und Haskovec’?) an
15 thyreoidektimierten Hunden .‚eine systematische Abnahme‘, Levy?)
an Hunden eine Abnahme bis höchstens 25%, Mezinzescu ®) an
Hunden eine Abnahme um ca. 30%, und darüber; desgleichen auch
Kishi°) an Hunden und Katzen. Im Gegensatz zu den genannten
Autoren fanden Gluzinski und Lemberger ®), dass wohl ein 6 Monate
alter Hund auf Thyreoidektomie mit einer enormen Verringerung
der Blutkörperchen reagierte, ein 5—7 Jahre alter Hund hingegen
niit einer ansehnlichen Steigerung! (Siehe auch weiter unten Konradi’s
Versuche.)
Doch soll bei dem Unterschied, der zwischen Hund und Katze
einerseits und Herbivoren (namentlich Kaninchen) andererseits in der
anatomischen Lagerung der Epithelkörperchen und daher auch, wie
wir heute wissen, bezüglich mancher Folgen einer Schilddrüsen-
Exstirpatioüu bestehen, von den meisten älteren Versuchen, desgleichen
auch von der sicher festgestellten Tatsache der verringerten Blut-
körperchenzahl an myxödematosen Menschen abgesehen werden; hin-
gegen mit Nachdruck auf Esser’s”’) Hunde- und Kaninchen versuche
hingewiesen werden, in denen keine der notwendigen Kautelen ausser
acht gelassen wurde.
Esser entfernte sieben Hunden die Schilddrüse auf der einen
Seite vollständig, auf der anderen Seite (zur Schonung der Epithel-
körperchen) bloss zu drei Vierteilen. Von den sieben Hunden zeigten
sich bloss an zweien, und auch da bloss anfangs, leichte Anfälle von
Tetanie; die übrigen Hunde blieben, wie auch selbstredend alle vier
Kaninchen (an denen die Epithelkörperchen verschont blieben), ganz
wohlbefindend. Es sind daher alle diese Versuche gleichmässig be-
1) D’Amore, L., C. Faleone und G. Geoffredi, Ref. im Zentralbl.
f. sn Path. und a Anat. .V. 1894.
2) Formanek und Haskovec, Beitrag zur Lehre über die Funktion
der Schilddrüse. Wien 1896. Nölder, Referjiert bei Esser (s. unten).
3) A. G. Levy, Die im Blut von Hunden nach Entfernung der
Thyreoidea auftretenden Veränderungen. Journal of pathol. and bacter.
1898. Ref. in Maly’s Jahresber. f. Tierchemie Bd. 28 S. 429. 1898.
4) D. Mezinzescu, Les modifications du sang apres l’exstirpation
du corps thyroide. Arch. de med. exp. et d’anat. path. 1serie. t. XIV
p- 266. 1902.
5) K. Kishi, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. Virchow’s
Archiv Bd. 176 S. 260. 1904.
6) W. A. Gluzinski und J. Lemberger, Über den Einfluss der
Entfernung der Schilddrüse auf den Stoffwechsel im tierischen Organismus.
Ref. in Maly’s Jahresber. f. Tierchemie 1899, S. 492.
7) Esser, Blut und Knochenmark nach Ausfall der Schilddrüsen-
funktion. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 89 S. 576. 1907.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 141
weisend, und um so beweiskräftiger, da E. wie folgt vorging: ‚zu
Kontrolltieren, bei denen ich zu gleicher Zeit wie bei den Versuchs-
tieren Blutuntersuchungen vornahm, ... nahm ich Tiere desselben
Wurfes, ... die natürlich in gleicher Weise wie die Versuchstiere ge:
pflegt und ernährt wurden“ 1). —
Die Ergebnisse der Esser’schen Versuche, an denen nur zu be-
dauern ist, dass bloss die Ergebnisse ie zweier Versuchsreihen mit-
geteilt sind, waren die folgenden: an einem thyreopriven Hunde
nahm die Blutkörperchenzahl in 24 resp. 34 resp. 44 Tagen um 7 resp.
16 resp. 21%, ab; am zweiten Hund in 24 resp. 34 resp. 47 Tagen
um 14 resp. 12 resp. 23%; an einem Kaninchen in 26 resp. 43 Tagen
um 15 resp. 21 %, am anderen in 26 resp. 43 resp. 55 Tagen um 8
resp. 7 resp. 25%.
Der oben erwähnte Einwand ist also nur allzu begründet, denn
Esser’s Versuche beweisen sicher, dass die Thyreoidektomie
allein schon nicht nur an Hunden, sondern. auch an
Kaninchen zu einer Verringerung der Blutkörperchenzahl
führt, somit auch erwiesen ist, dass dies auch an M.’s und N.'s Kanin-
chen eingetreten ist. Allerdings reicht die Anzahl der Esser’schen
Versuche bei weitem nicht hin, um aus ihren Ergebnissen mit Sicher-
heit auf die Grösse des Verlustes folgen zu können; denn auch in den
weit zahlreicheren Hundeversuchen ist das Zahlenergebnis ein sehr
divergierendes. Immerhin sind aber Esser’s Befunde geeignet, den
oben formulierten Einwand als zu Recht bestehend erscheinen zu lassen.
Wenn demnach an den schilddrüsenlosen Tieren M.’s und N.’s in
der Höhenluft, während der Eisenbehandlung usw. eine Verringerung
der Blutkörperchen stattfindet, so wird man diese Verringerung dem
Schilddrüsenverlust allein zuschreiben müssen, insolange nicht
durch eine grössere Anzahl von Versuchen festgestellt ist, dass der durch
die Thyreoidektomie allein verursachte Blutkörperchenverlust geringer
ist als der durch M. und N. beobachtete. Und auch in dem Falle,
dass dieser Verlust als geringer sich herausstellt, wird man höchstens
auf eine etwas verlangsamte Regeneration etwa im Sinne von Noorden’s
Andeutung schliessen dürfen (ob etwa auch auf erhöhten Zerfall, soll
jetzt dahingestellt bleiben), doch keineswegs auf eine hemmende Ein-
wirkung des O,-Mangels, des Eisens ‚auf die Stätte der Blutbildung‘“
im Sinne von M. und N. Diese Annahme ist daher unerwiesen und
überflüssig.
Regeneration des Blutkörperchen am künstlich anä-
misch gemachten normalen und schilddrüsenlosen Ka-
ninchen.
Ele, 8.2587.
142 Paul Häri:
Dass der Schilddrüse bei der Bildung der Blutkörperchen eine
gewisse, jedoch in ihren Einzelheiten und in ihren Zusammenhängen
zurzeit noch nicht bekannte Rolle zukommt, ist, wie gesagt, selbst-
verständlich. M. geht jedoch viel weiter und will aus nachfolgend.
zu besprechenden Versuchen den Beweis erbringen, dass die Regeneration
in Abwesenheit der Schilddrüse äusserst mangelhaft vor sich geht.
Es soll nun gezeigt werden, dass auch dieser Schluss unbewiesen ist;
ja, es soll gerade aus diesen Versuchen gezeigt werden, dass die Regenera-
tion auch am schilddrüsenlosen Tier eine recht kräftige sein kann.
M. und N. zählten die Blutkörperchen von normalen wie auch von
schilddrüsenlosen Kaninchen, machten sie anämisch, stellten die Blut-
körperchenzahl wieder fest, hielten die normalen Tiere in der Ebene,
setzten je eine Gruppe der schilddrüsenlosen Tiere der Einwirkung
der Höhenluft oder des Eisens oder des Arsens aus und zählten dann
wieder an allen Tieren die Blutkörperchen.
Die Ergebnisse dieser Versuche will ich weiter unten gruppenweise
besprechen; zunächst soll jedoch auf folgende Momente hingewiesen
werden, die zur Beurteilung aller Versuche wichtig sind: 1. auf die
Art, wie die Anämie erzeugt wurde; 2. auf die Art der Berechnung
der Versuche.
ad 1. Die Anämisierung der Kaninchen geschah durch subkutane Ein-
spritzung von Phenylhydrazin, — ein Weg, den bereits Astolfini!),
Ritz 2), Tiberti?) und andere eingeschlagen haben. Dieser Modus
der Anämisierung mag ja gegenüber der Blutentziehung auf operativem
Wege — die von den meisten Autoren verwendet wird — manche
Vorteile haben; zu bedenken wäre jedoch, dass so prompt auch die
Wirkung eintritt, deren Abklingen nicht präzis vorauszusehen ist.
Es ist also auch, wenn man nach der Ph.-Einspritzung 48 Stunden
lang wartet, wie M. und N. es getan haben, nicht sicher, ob der Prozess
der Blutkörperchenzerstörung nicht zu einer Zeit noch andauert, wo
die Zählung der Blutkörperchen vorgenommen und die so gewonnene
Zahl als fixer Ausgangspunkt betrachtet wird. Man könnte diese
Schwierigkeit nur umgehen, wenn man durch fortlaufende Zählungen
an jedem einzelnen Tier vor dem eigentlichen Versuch festzustellen
sucht, wann die Umkehr (infolge der entgegenwirkenden Regeneration)
1) G. Astolfini, Über die Wirkung einiger Eisenpräparate auf die
Phenylihydrazin-Anämie. Lo sperimentale 59. Ref. in Maly’s Jahresber.
f. tier. Chemie Bd. 35 8. 160. 1905.
2) H. Ritz, Studien über Blutregeneration bei experimentellen
Anämien. Folia hämatologiea Bd. 8 S. 186. 1909.
3) N. Tiberti, Sur la regeneration extramedullaire du sang dans
l’an&mie experimentale produite par la phenylhyarazine. Arch. ital. de
biologie t. 54 p. 56. 1910.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 143
ungefähr erfolgt. Diese Vorsicht ist von M. und N. nicht geübt worden ;
wie notwendig sie aber ist, ist aus dem Bedenken M.’s zu ersehen,
die er selbst gegen vier seiner Versuche aus analogen Gründen äussert
(siehe weiter unten).
ad 2. Was die Berechnung der Versuche anbelangt, muss konstatiert
werden, dass M.’s und N.’s Ergebnisse schon aus dem Grunde nicht
standhalten, weil dieselben insgesamt unrichtig berechnet sind.
M. und N. berechnen nämlich den Grad der Regeneration aus dem
Verhältnis zwischen der Zahl der durch die Anämisierung ver-
lorenen und durch Höhenluft, Eisen, Arsen wiedergebildeten
Blutkörperchen. Diese Art der Berechnung ist jedoch hier durchaus
nicht am Platz und geeignet, ein falsches Bild von der Regeneration
zu geben. Diese Berechnung wäre richtig, wenn etwa zu ermitteln
wäre, ob und inwieweit die Geschwindigkeit der Regeneration von
der Grösse des vorangegangenen Blutverlustes abhängt. Hiervon ist
aber hier nicht im mindesten die Rede; hier handelt es sich um das
Ausmaass oder die Geschwindigkeit der Regeneration am anämischen
Tier während eines bestimmten Zeitraumes. Diese werden aber wieder-
gegeben durch das Verhältnis zwischen Blutkörperchenzahl des
bereits anämischen Tieres nach und vor der Einwirkung des zu
prüfenden Faktors (Höhenluft usw.), oder aber durch die Regenerations-
zeit, d. h. die Zeitdauer, deren es zur Herstellung der früheren Blut-
körperchenzahl bedarf.
Welch abweichendes Ergebnis sich durch die unrichtige M.’sche
Berechnungsart ergibt, ist aus nachfolgender schematischer Zusammen-
stellung ersichtlich, in der einmal (A.) die erlangte Blutkörperchenzahl,
ein anderes Mal (B.) der Blutkörperchenverlust konstant gesetzt sind.
| Blutkörperchenzahl Regeneration in °/o
EIN nach | nach der nach I arehg 7
Den Anämi- Regenera- | Mansfeld el
sierung tionszeit | berechnet | ?°7®
1 100 | 80 | 90 50 | 12
2 100 65 | 90 Al 38
AO 100 50 | 90 80 | 80
4 100 35 | 90 85 | 137
5 100 20 | 90 7 350
6 100 40 55 15 | 37,5
B 7 100 40) | 70 30 | 75
8 100 40 | 85 45 | 112,5
8) 100 40 | 100 60 | 150
| |
|
|
Nach M.’s Berechnung wäre die Regeneration in den Fällen 3, 4
und 5 der Gruppe A annähernd, in 4 und 5 sogar beinahe identisch
stark, wenn die Blutkörperchenzahl von 50 resp. 35 resp. 20 jedesmal
144 Paul Häri:
auf 90 angestiegen ist, wo es doch klar ist, dass die Regeneration im
Falle 4 beinahe doppelt, im Falle 5 aber mehr als viermal so stark als
im Falle 3 gewesen ist.
Etwas besser steht es um die Fälle der Gruppe B, indem hier die
Werte zwai gegen den richtigen Wert verschoben sind, doch die Ver-
schiebung eine gleichmässige ist.
Da die Höhe des durch die Anämisierung gesetzten Verlustes in
M.’s und N.’s Versuchen ebenso auch wie der durch die Regeneration
erlangte Zuwachs selbstredend von Versuch zu Versuch durchaus
verschieden sind, müssen auch infolge der falschen Berechnungsart.
die Verschiebungen resp. die Abweichungen von der Wahrheit ganz
unberechenbar hoch: einmal unbedeutend, ein anderes Mal sehr be-
trächtlich, sein.
Ich habe aus den in den beiden Mitteilungen enthaltenen Daten
in allen Versuchsreihen die Regeneration richtig berechnet und dann
in jeder Versuchsreihe den Mittelwert gezogen. Um dem Blutkörperchen-
verlust, den die Tiere infolge der 'Thyreoidektomie erlitten, gerecht
zu werden, habe ich ferner an diesen Ziffern eine Korrektion in der
Höhe von je + 10% angebracht, da eigentlich nur die so korrigierten
Werte einen Vergleich mit den Normalwerten gestatten. Die Korrektion
von 10°, ist natürlich eine willkürlich gewählte, doch jedenfalls eher
zu niedrig als zu hoch gegriffen, wenn man bedenkt, dass zwischen
der ersten und zweiten Zählung mehrere Wochen vergangen sind.
In M.’s Versuchen ist nämlich wohl angegeben, dass die Kaninchen
20 Tage lang in der Höhenluft gehalten wurden und 24 Stunden nach
der Rückkunft die zweite Zählung vorgenommen wurde, jedoch nichts
über den Zeitpunkt der ersten Zählung am schilddrüsenlosen Tier
(offenbar vor der Exstirpation). Da ja bis zur Heilung der Wunde
immerhin einige Tage vergingen, dürfte diese Zeitdauer annähernd
4 Wochen betragen haben, also so viel, als nach Esser’s Versuchen
zu einer ansehnlichen Verringerung der Blutkörperchen genügt.
In N.’s Eisen- und Arsenversuchen dauerte die Regeneration (damit
ist die Dauer der Medikation gemeint) 12 Tage. Wenn die erste Zählung
vor der Operation vorgenommen wurde, so waren es insgesamt mehr
als 2 Wochen, sonst annähernd 2 Wochen. Die Korrektion von 10%
ist um so eher gerechtfertigt, da N. in seiner — zwei Jahre nach der
M.’schen erschienenen — Mitteilung bereits angibt, dass die 11%
Abnahme an den mit Arsen behandelten schilddrüsenlosen Tieren
keine Arsenwirkung bedeute: ‚die Abnahme der Blutkörperzahl erfolgt
in diesem Maasse auch schon allein durch die Entfernung der Schild-
drüse‘“ }). |
1) 1: ce. 8. 498.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 145
Um wieder auf unsere Berechnung zurückzukommen, ergab es
sich dabei, dass leider gerade in den Höhenversuchen an anämischen
normalen und schilddrüsenlosen Tieren ein solcher Mittelwert schlechter-
dings nicht zu ziehen ist (was übrigens von M. auch angedeutet wird).
Da nämlich M. selbst je zwei Versuche von den je fünf Höhenversuchen
als mit einem Fehler behaftet (Zählung vor Ablauf von 48 Stunden
nach Phenylhydrazin) bezeichnet, verbleiben nur noch je drei Versuche.
Die Regeneration an den normalen Tiere; dieser Reihe beträgt, richtig
berechnet, 23, 67 und 151%. Aus solchen Werten, sintemal es nur
deren drei sind, lässt sich natürlich kein Mittelwert ziehen, der die
Basis eines Vergleiches mit den schilddrüsenlosen Tieren abgeben
könnte, die ihrerseits wieder bloss durch drei brauchbare Versuche
vertreten sind. Der Unterschied zwischen normalen und schilddrüsen-
losen Tieren ist zwar bedeutend, verliert jedoch an Beweiskraft infolge
der bei der Lösung ähnlicher Probleme allzu geringen Zahl (je drei!)
von brauchbaren Versuchen, um so mehr, da ja hier noch eine ganze
Reihe von anderen Faktoren (verminderte Fressluft, andersartiges
Futter usw.) mit im Spiele gewesen sein konnte.
Aus diesem Grunde konnten die Höhenversuche in nachfolgender
Zusammenstellung, in der alle übrigen Versuche an anämisch ge-
machten Tieren richtig berechnet sind, keinen Platz finden.
Regeneration am anämischen
Ver Nach der schilddrüsenlosen
suchs- IM. normalen Kaninchen Autor
Nr.) Anämisierung | Kaninchen.
: | berechnet | korrigiert
| 0/o %o um + 10%
I: Keine weitere Be-
handlung. . . 83 | 32 | 42 M.
II Keine weitere Be- | |
handlung . . . 44 | 20 | 30 N.
III Eisenbehandlung 57 | 96 | 106 N.
IV Arsenbehandlung 63 | 8 | 18 N.
Es sollen nun die einzelnen Versuchsgruppen, jede für sich, be-
sprochen werden.
Regeneration in anämischen Tieren in der Ebene und
in der Höhe, die ohne weitere Behandlung blieben. Aus
seinen Ergebnissen folgert M., dass ‚nach Giftanämien ... an schild-
drüsenlosen Tieren die Regeneration der roten Blutkörperchen eine
im Vergleich zu normalen Tieren äusserst träge“ ist, „indem sie in
der Ebene ein Drittel, in der Höhe sogar nur ein Zehntel jener Werte
l) Von mir so bezeichnet.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 10
146 Paul Hari:
erreicht, welche unter gleichen Bedingungen an normalen Tieren be-
obachtet wurden‘ }).
Demgegenüber ergibt sich aus meiner obigen Zusammenstellung,
dass in zwei zu verschiedenen Zeiten an normalen anämischen Tieren
ausgeführten Versuchsreihen I und II, die in der Ebene ohne weiteren
Eingriff gehalten wurden, die Regeneration ebenfalls eine sehr ver-
schiedene war: in I doppelt so intensiv (83%) als in IL (44 %,).
Aus diesem Grunde lässt es sich auch nicht sicher konstatieren,
ob die Regeneration am schilddrüsenlosen Tier geringer als am normalen
sei. Sobald man nämlich die Werte der schilddrüsenlosen Tiere ent-
sprechend ihrem Blutkörperchenverlust korrigiert und dann die schild-
drüsenlose Reihe I (42%) und II (30%) mit der Normalreihe IT (44%)
vergleicht, besteht kein nennenswerter Unterschied zwischen
normalen und schilddrüsenlosen Tieren. Vergleicht man aber dieselben
schilddrüsenlosen Reihen mit der Normalreihe I (83%), so ist der
Unterschied wohl ansehnlich, doch nicht grösser als zwischen den
beiden Normalreihen selbst, daher auch nicht beweisend. Der Unter-
schied zwischen normalen und schilddrüsenlosen Tieren wäre offenbar
noch weit geringer, würde wahrscheinlich ganz verschwinden, wenn
der durch die Thyreoidektomie allein verursachte Blutkörperchen-
verlust bekannt gewesen wäre und vollin Abzug gebracht werden könnte.
Habe ich doch bloss eine wahrscheinlich viel zu geringe Korrektion
von 10% angebracht!
Es ist also völlig unbewiesen, dass die Regeneration am
anämischen schilddrüsenlosen Tier in der Ebene ‚‚unvergleichlich träger
vor sich geht als in der Norm“ ?), wie sich M. ausdrückt. Vielmehr
wird man sagen müssen, dass ein Unterschied nicht nachzuweisen ist.
Über das Verhalten anämischer Tiere in der Höhenluft
lässt sich bei den (S. 142) erwähnten Mängeln dieser Versuchsreihe
überhaupt nichts sagen.
Regeneration in anämischen Tieren mit und ohne Eisen-
behandlung. Gerade bei den Eisen- resp. auch Arsenversuchen
zeigt es sich, welch grosse Vorsicht man bei Schlüssen walten lassen
muss, die aus den Ergebnissen solch naturgemäss komplizierter und
in ihrem Verlauf schwer kontrollierbarer Versuche gezogen werden
sollen.
Ich will bloss beispielsweise darauf hinweisen, dass, wenn nicht
zwei Jahre nach M.’s Veröffentlichung N.’s Versuche hinzugekommen
wären, man aus den Versuchen an Normaltieren bei einiger Phantasie
auf die Idee kommen könnte, dass am normalen anämischen Tier
SS)
nu
ww
I
DD m
En
hd jud
. .
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 147
durch die Einwirkung von Eisen resp. Arsen die Regeneration um
31 resp. 24%, verzögert wird:
Normal-Eisenlos Normal-Eisen Normal-Arsen
Vers.-Reihe I. 8%, Vers.-Reihe III. 57% _Vers.-Reihe IV. 63%,
oder umgekehrt, wenn M.’s Versuche nicht existierten, bloss die von N..,
um 30 resp. 43% beschleunigt ist:
Normal-Eisenlos Normal-Eisen -, Normal-Arsen
Vers.-Reihe II. 44% Vers.-Reihe III. 57% Vers.-Reihe IV. 63%.
Man könnte ferner aus einem Vergleich zwischen normalen und
schilddrüsenlosen Tieren folgern, dass das schilddrüsenlose Tier mit
Eisen weit besser regeneriert als das normale mit Eisen:
Normal-Eisen Schilddrüsenlos-Eisen
Vers.-Reihe III. 57% Vers.-Reihe III. 106%.
Und so weiter! Von alledem kann natürlich keine Rede sein (und
um jeden Missverständnis vorzubeugen, sei hier hervorgehoben, dass
M. und N. diese Schlüsse nicht gezogen haben). Hier soll nur betont
werden, dass in derlei Versuchen auch relativ grosse Unter-
schiede oft nichts bedeuten, und dass man aus obigen Eisen-
versuchen nichts anderes folgern kann, als dass ein sicherer Unter-
schied zwischen anämischen normalen und anämischen schilddrüsen-
losen Tieren in der Regeneration der Blutkörperchen unter Eisen-
behandlung nicht besteht. Dies würde auch mit Zahn’s!) Befund
übereinstimmen, der in drei tadellosen Versuchspaaren (gleichartige
Kaninchen desselben Wurfes für Eisen- und eisenlose Versuche) die
Blutkörperchenzahl anämisch gemachter Tiere vollkommen parallel
sich verändern sah, ob Eisen gegeben wurde oder nicht. Da er genau
dasselbe in anderen Versuchsreihen auch bezüglich des Hämoglobins
fand, steht er nicht an zu sagen, dass Eisen keine Einwirkung auf
sekundäre Anämien ausübe. Z. hält sogar Hoffmann’s?) Versuche
nicht für beweisend, weil dessen Zahlenunterschiede zu unbedeutend
und „noch vollständig in die Grenzen der bei Kaninchen normalen
Schwankungen fallen‘.
Dass in der durch Eisen bewirkten Regeneration anämischer Tiere
zwischen normalen und schilddrüsenlosen Tieren kein Unterschied
besteht, wird übrigens auch von N. hervorgehoben. Nur ist es wieder
ganz unbegründet, mit N. anzunehmen, dass durch die Anämie die
1) Alfred Zahn, Experimentelle Untersuchungen über Eisenwirkung.
Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 104 S. 245. 1917.
D)Elage= Hier) S. 2... besprochen:
10*
148 Paul Hari:
„Stätten der Blutbildung erst für Eisen sensibilisiert‘ !) werden. Sind
denn diese Stätten nicht ebenso gut auch ohne Eisen an den normalen
Tieren sensibilisiert, wo sie nichts (I und II) resp. Arsen (IV) erhielten
und die Regeneration ebenfalls eine sehr ausgiebige war? Freilich
muss zu ‘dieser Theorie Zuflucht genommen werden, wenn einmal
der Satz der hemmenden Einwirkung des Eisens auf schilddrüsenlose
Tiere aufgestellt und festgehalten wird, — ein Satz, den ich oben
widerlegt habe.
Wie prekär übrigens in Eisenversuchen nicht nur die aus den Er-
gebnissen gezogenen Schlüsse, sondern auch Versuchsergebnisse selbst
in ihrer Bewertbarkeit sind, soll noch an der Hand des folgenden Be-
fundes von Eger ?) gezeigt werden.
Eger machte Hunde durch wiederholte Blutverluste anämisch
und verglich nun die Zeitdauer, deren es zu Regeneration der Blut-
körperchen resp. des Hämoglobins bei verschiedenen Nahrung bedurfte.
Er fand, dass die Regeneration ‚,... bei verhältnismässig eisenarmer
Nahrung nur langsam, unvollständig, mitunter gar nicht“ erfolgt.
„Der Zusatz von anorganischem Eisen beschleunigt den Blutersatz,
ist aber nicht so wirksam als eine Nahrung, die genügende Mengen
organisch gebundenen Eisens enthält (Fleisch)‘“ ?). Dürfte nicht bei
M. und N., in der einen oder anderen Versuchsreihe, zum Beispiel
in den fraglichen Höhenversuchen, ein ähnlicher oder analoger Unter-
schied bezüglich der Zusammensetzung der Nahrung figuriert haben ?
Regeneration an anämischen normalen und schild-
drüsenlosen Tieren unter Arseneinwirkung. Die Ergebnisse
dieser Versuchsreihe sind unschwer zu deuten, und keineswegs lassen
sich aus ihnen die von N. gezogenen Schlüsse aufrechterhalten.
Während, wie wir oben sahen, das schilddrüsenlose anämische
Tier, ob sich selbst überlassen oder aber mit Eisen behandelt, soweit
sich durch obige Versuchseinrichtung überhaupt ermitteln lässt, seine
Blutkörperchen ebenso rasch wie das anämische Normaltier regeneriert,
zeigen die Arsenversuche, dass im schilddrüsenlosen Tier die Regenera-
tion erheblich verlangsamt ist. Von Versuchsfehlern in der Richtung
der bereits öfter erwähnten Kautelen, woran man auch hier denken
kann, will ich absehen und die Versuchsergebnisse resp. die Unter-
schiede zwischen normalen und thyreopriven Tieren gelten lassen;
doch muss ich fragen: Ist denn Hemmung der Blutbildung und
Ausbleiben der Zunahme der Blutkörperchenzahl dasselbe ? Ist
l)le.08. 497.
2) Eger, Über die Regeneration des Blutes und seiner Komponenten
nach Blutverlusten und die Einwirkung des Eisens auf diese Prozesse.
Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 32 8. 335. 1897.
3) l. ce. 8. 358.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 149
es nicht unbegründet und vorderhand überflüssig, eine Hemmung
der Blutbildung anzunehmen ? Ausser, man will einfach diesen Aus-
druck statt jenen gebrauchen. Eine Hemmung in dem Sinne, wie
sie für physiologische Prozesse angenommen wird, müsste erst be-
wiesen werden, um so eher, da ja das Ausbleiben der Regeneration
in den mit Arsen behandelten schilddrüsenlosen Tieren, ohne eine
neue Theorie in Anspruch zu nehmen, einfach und ungezwungen aus
der Wirkungsweise des Arsens auf die Blutkörperchen erklärt werden
kann. Es wird nämlich vielfach angenommen !), dass das Arsen sogar
in kleinen Gaben, wenn es fortgesetzt zugeführt wird, zu einem Zerfall
von roten Blutkörperchen führt und erst später durch die im Blute
kreisenden Zerfallsprodukte die Regeneration der Blutkörperchen an-
geregt wird; für grössere Arsendosen ist aber ein ausgiebiger Zerfall
sicher nachgewiesen ?). Ob und inwieweit Blutkörperchenzerfall und
Regeneration einander die Wage halten, resp. welches der beiden
Prozesse dem anderen gegenüber überwiegt, wird nur von dem Grade
der Giftwirkung abhängen. . Es müsste also zu einer einfachen Er-
klärung von N.’s Befunden nur der Beweis erbracht werden, dass
dieselbe Dosis von Arsen, einmal dem normalen, einmal dem schild-
drüsenlosen Tier beigebracht, am letzten eine stärkere Giftwirkung
ausübt, um zu verstehen, warum im normalen Tiere eine rasche Re-
generation, im schilddrüsenlosen hingegen nicht oder bloss in geringem
Grade stattfindet.
Dieser Beweis ist aber in dem sehr schönen Versuche von Jean-
delize und Perrin °) bereits erbracht, die in wirklich exakter Weise
gezeigt haben, dass sich an thyreoidektomierten Kaninchen nach
Applikation derselben Arsendosen Temperaturabfall, APpetit-
losigkeit und Durchfall stärker, und der Tod viel rascher
als an normalen Tieren einstellen. Die Autoren waren so vor-
sichtig, eine durch operative Shockwirkung bedingte erhöhte Gift-
empfindlichkeit auszuschliessen, indem sie an Kontrolltieren den Haut-
1) E. Kuhn und W. Aldenhoven, Die ausschlaggebende Bedeutung
der verminderten Sauerstoffspannung der Gewebe für die Anregung
der Blutbildung. Deutsche med. Wochenschr. Bd. 35 S. 1958. 1909. —
R. Marchesini, Beitrag zur Kenntnis usw. Ref. in Maly’s Jahresber.
f. Tierchemie Bd. 28 S. 156. 1898. — Ritz ce.
2) S. Saneyoshi, Über den Wirkungsmechanismus des Arseniks bei
Anämien. Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. Bd. 13 S. 40. 1913. — S. Bett-
mann, Über den Einfluss des Arseniks auf das Blut und das Knochen-
mark des Kaninchens. Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anat. u. allg. Path.
Bd. 23 °S. 377. 1898.
3) P. Jeandelize et M. Perrin, Moindre resistance des lapins thy-
reoideetomies & l’intoxication par l’arseniate de soude. I. Mitteilung.
Comptesr.d.1. S. B. t. 64 p. 233. 1908. II. Mitteilung. Ibidem p. 235.
150 Paul Häri:
schnitt, die Loslösung der Schilddrüse von der Luftröhre vornahmen,
die Schilddrüse jedoch im Tiere beliessen und richtig keine erhöhte
Giftwirkung konstatierten.
Da sich demnach die Ergebnisse in den mit Arsen behandelten
Tieren auf diese Weise viel einfacher erklären lassen, liegt auch hier
keine Veranlassung vor, eine spezifische Hemmung der Blutkörperchen-
bildung anzunehmen.
Es wurde in vorangehendem gezeigt, dass die Folgerungen, die
M. und später N. aus ihren Versuchen ziehen, einer näheren Prüfung
nicht standhalten. Es sprechen jedoch auch andere Erfahrungen da-
gegen, dass die Blutbildung derzeit auf einen einheitlichen Mechanismus,
der von der Schilddrüse aus beherrscht würde, sich zurückführen
liesse (bezüglich der Eisenwirkung an anämischen Tieren wird dies
auch von N. zugegeben). Denn wie liesse sich, wenn es wirklich die
Schilddrüse wäre, die da eine Hauptrolle spielt, der Befund Konradi’s!)
deuten, der an jungen, zwei und drei Monate alten Hunden die
Thyreoidektomie ausgeführt und an diesen sowohl als auch an ent-
sprechenden Kontrolltieren bei den Monate hindurch häufig wieder-
holten Blutkörperchenzählungen gefunden hat, dass in der Zunahme
der Blutkörperchenzahl, die mit dem Wachstum einhergeht, die
thyreopriven Tiere den normalen kaum nachstehen ?
Oder aber die von Gibelli?) gefundene Tatsache, dass ein anämisches
Serum, das, normalen Tieren eingespritzt, bereits an den nächsten
Tagen zu einer sehr bedeutenden Vermehrung der Erythrocyten führt,
am anämischen Tier zunächst unwirksam bleibt und erst später nach
einer wiederholten Einspritzung eine Steigerung der Blutkörperchen-
zahl bewirkt ?
Im Zusammenhange mit seinen Ausführungen beschreibt M. auch
seine Versuche, in denen er normalen Kaninchen Schilddrüsenextrakt
einspritzte und ‚eine mächtige Neubildung von roten Blutkörper-
chen ...‘“ sah, ‚niemals jedoch während oder kurz nach der Behand-
lung‘ ®). Dieser Befund ist interessant, doch nicht neu; denn bereits
im Jahre 1894 fand Donath *), dass die Blutkörperchenzahl von
Kaninchen, denen Glycerinextrakt von Kalb- oder Schaf-Schilddrüsen
1) Konradi, Daniel, Einfluss der Thyreoidektomie auf das Blut.
Magyar Orvosi Archivum Bd. 10 S. 368. 1909. (Ungarisch.)
2) Gibelli, Camillo, Über den Wert des Serums anämisch gemachter
Tiere bei der Regeneration des Blutes. Arch. f. exp. Path. u. Pharmak.
Bd. 65 8. 284. 1911.
3) 1.0.0 8.1810.
4) J. Donath, Zur Wirkung der Schilddrüse. Virchow’s Archiv
Bd.’ 144 S. 253. Supplement.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse.’ 151
in kleinen Dosen eingebracht wird, um 9— 15%, ansteigt; nach grossen
Dosen erfolgt allerdings beinahe ausnahmslos eine Verringerung. Ferner
hat Lepine!) an Ziegen nach Schaf-Schilddrüsenextrakt ebenfalls eine
Steigerung der Blutkörperchenzahl beobachtet.
M. selbst hat einen Widerspruch in der (nach seiner Auffassung)
doppelten Rolle der Schilddrüse gefunden, da er ja sowohl die unter
gewissen Umständen eintretende Steigerung der Eiweisszersetzung
als auch die mit einer Eiweissretention einhergehende Blutbildung
der Wirkung der Schilddrüse zuschreibt. Auf seine Ausführungen
hier näher einzugehen, ist nach dem, was ich weiter oben bezüglich
der Blutbildung, an anderer Stelle bezüglich der Eiweisszersetzung
entgegenhielt, überflüssig; nur will ich auf einen der beiden Stoff-
wechselversuche reflektieren, die von M. zur Klärung des vermeint-
lichen Widerspruches mitgeteilt werden. Erstens muss ich bemerken,
dass die Retention von Stickstoff während der Schilddrüsenbehand-
lung, die M. in seinem Versuche nachweisen will, von Schöndorff ?)
bereits im Jahre 1897 in einer längeren Versuchsreihe festgestellt
wurde; zweitens, dass es doch nicht angeht, eine Stickstoffbilanz
aufzustellen resp. einen Stickstoffansatz eines gefütterten Tieres
zu berechnen, in einem Versuch, den der Autor selbst wie folgt be-
schreibt: ‚Ein Fehler des Versuches lag darin, dass es unmöglich war,
den N-Gehalt des Kotes zu bestimmen, da so junge Hunde keinen
‚geformten Kot entleeren und denselben im Käfig derart verschmieren,
dass... >).
Wir wollen resumieren. Das, was eingangs nach v. Noorden
zitiert wurde, ferner das, was Horsley *) über das obliegende
Problem äussert: „... in den bisherigen Experimenten noch kein
Beweis dafür liegt, dass die Schilddrüse zur Blutbildung in direkter
Beziehung steht, dass aber die Blutbildung indirekt von der Integrität
der Schilddrüse abhängig ist ...“, ist im grossen und ganzen heute
noch wahr. Ail was darüber in den besprochenen Arbeiten mit-
geteilt oder gefolgert wird, ist entweder nicht neu oder, wenn neu,
so nicht erwiesen.
1) Jean Lepine, Etude de l’hyperglobulie dans le thyreoidisme
experimental. Compt. r. d. Soc. Biol. t. 54 p. 1301. 1902.
2) Bernhard Schöndorff, Über den Einfluss der Schilddrüse auf
den Stoffwechsel. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 67 S. 395. 1897.
Selıc. Ss. 43.
4) Zitiert bei Fritz de Quervain, Über die Veränderungen des
Zentralnervensystems bei experimenteller Kachexia strumiprima der Tiere.
Virchow’s Arch. Bd. 133 S. 496. 1893.
152 Paul Häri:
Über die prämortale Steigerung der Eiweisszersetzung.
Da Mansfeld in einer früheren Mitteilung !) bewiesen zu haben
glaubt, dass ‚der Eiweisszerfall, hervorgerufen durch O,-Mangel, nur
bei normalen Tieren, nicht aber an schilddrüsenlosen Tieren in die
Erscheinung tritt‘“ — eine Behauptung, deren Unhaltbarkeit oben ge-
zeigt wurde —, wollte er in einer weiteren Arbeit ?) untersuchen, ‚ob
auch die prämortale Eiweisszersetzung von der Tätigkeit der Schild-
drüse bedingt ist ...“ %). Nach M. war ‚zu erwarten, dass schild-
drüsenlose Tiere ohne Steigerung der Eiweisszersetzung den Hungertod
sterben. Dass dies in der Tat der Fall ist, beweisen die... an Kaninchen
ausgeführten Versuche“ *); denn von den drei normalen und vier
schilddrüsenlosen Kaninchen, die bis zu ihrem Tode hungerten, zeigten
die schilddrüsenlosen ‚,... wohl eine geringe Steigerung des Eiweiss-
umsatzes in den letzten 2 Tagen ...; dieselbe ist jedoch im Vergleich
zu der an normalen Tieren beobachteten verschwindend klein ...“ >).
Aus diesen Ergebnissen wird gefolgert, dass ‚in jener Erscheinung,
welche wir prämortale Eiweisszersetzung nennen, die Schilddrüse eine
wesentliche Rolle spielt‘ ©).
Bei einer flüchtigen Betrachtung der Versuchsergebnisse hat es
auch den Anschein, als ob jene Folgerungen richtig wären. Geht man
jedoch näher auf die Sache ein, so stellt sich heraus, dass die Beweis-
führung unannehmbar ist, demzufolge auch die Schlüsse, die aus den
Versuchsergebnissen gezogen werden, falsch oder zum mindesten weit
übertrieben sind. Dies soll in nachstehendem gezeigt werden.
Vor allem glaube ich, dass M. das Wesen der prämortalen Steigerung
der Eiweisszersetzung (die der Kürze halber fürderhin als P.S. E.-Z.
bezeichnet werden soll) missverstanden hat, indem er dieselbe als
einen bloss kurz (zwei Tage) vor dem Tod eintretenden Prozess sui
generis anzusehen scheint. Darum sei es gestattet, zunächst über
diese Frage Klarheit zu schaffen.
Was unter P.S. E.-Z. zu verstehen ist, geht aus nachstehender
Literaturübersicht sofort klar hervor.
1) G. Mansfeld und Friedrich Müller, Beiträge zur Physiologie
der Schilddrüse. I. Mitteilung. Die Ursache der gesteigerten Stickstoff-
ausscheidung infolge Sauerstoffmangels. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 143
8.197... 19117.
2) G. Mansfeld und Elisabeth Hamburger, Über die Ursache
der prämortalen Eiweisszersetzung. Beiträge zur Physiologie der Schild-
drüse. III. Mitteilung. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 152 S. 50. 1913.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 153
Eine auffallende Steigerung der Eiweisszersetzung eines verhungern-
den Tieres wurde zum ersten Male von Frerichs!) beschrieben; auf
eine Steigerung der Eiweisszersetzung (fürderhin bloss E.-Z.) gegen
das Lebensende des Tieres wurde zuerst von Carl Voit?) an einer
vor dem zu gewärtigenden Hungertode getöteten Katze aufmerksam
gemacht. Obwohl nun Voit’s Versuch denen der späteren Autoren,
die ihre Tiere tatsächlich den Hungertod sterben liessen, nicht ganz
gleichgestellt werden kann, machten sich die Autoren Voit’s Er-
klärungsweise, dass die zunehmende E.-Z. durch den Schwund des
Körperfettes veranlasst wird, mit Ausnahme von Schulz °) zu eigen,
und erst später kamen weitere Erklärungsversuche hinzu. Auf diese
sowie auf die lebhafte Kontroverse, die Schulz’ Einwurf hervorrief,
soll hier nicht eingegangen werden ; denn hier handelt es sich vorderhand
bloss um die Präzisierung der Frage, was unter der P. S. E.-Z. zu ver-
stehen sei. Rubner ?) sagt bereits ausdrücklich, dass die E.-Z. an
Kaninchen 3—4 Tage vor dem Hungertode anzusteigen pflegt. Der
erste, der das Wort prämortale E.-Z. benützt, ist, soviel ich ausfindig
machen konnte, May). Er sagt wörtlich: „Für die spätere Hunger-
periode tritt ... ein allmähliches langsames Absinken der E.-Z. ein,
bis zu dem Augenblicke, wo ... ein entsprechender, schroff in die
Höhe gehender Eiweisszerfall das herannahende Ende, das Verhungern,
anzeigt. Der Zeitpunkt des Eintrittes dieser prämortalen Steigerung
der N-Ausfuhr hängt von dem Fettgehalt der betreffenden Tiere ab.“
Auch E. Voit‘) sagt: „Die Kurve des Eiweisszerfalles verläuft an-
fänglich nahezu horizontal; sie steigt kaum merklich an. Im Moment,
"wo der Eiweisszerfall 16%. des Energiebedarfes deckt, ändert sich
aber die Richtung; sie geht nunmehr steil in die Höhe ...“.
Bei Heymans’) ist es an der Hand zahlreicher Versuche scharf
ausgesprochen, was auch bei früheren Autoren schon mehr oder weniger
1) Fr. Th. Frerichs, Über das Maass des Stoffwechsels usw. Vir-
chow’s Archiv, Jahrg. 1848. S. 479.
2) Carl Voit, Über die Verschiedenheiten der Eiweisszersetzung beim
Hungern. Zeitschr. f. Biologie Bd. 2 S. 326. 1866.
3) Fr. N. Schulz, Über das Wesen der prämortalen Stickstoffsteige-
rung. Münchener med. Wochenschr. 1899, S. 509; Beiträge zur Kenntnis
des Stoffwechsels bei unzureichender Ernährung. Arch. f. d. ges. Physiol.
Bd4.16 8,,3.19.1899.
4) Max Rubner, Über den Stoffverbrauch im hungernden Pflanzen-
fresser. Zeitschr. f. Biologie Bd. 17 S. 214. 1881.
5) Richard May, Der Stoffwechsel im Fieber. Zeitschr. f. Biologie
Bd. 30 S. 31. 1894.
6) E. Voit, Einfluss des Körperfettes auf den Eiweisszerfall im Hunger-
zustand. Münchener med. Wochenschr. 1896, S. 1132.
7) J. F. Heymans, Recherches experimentales sur l’inanition chez
le lapin. Archives de pharmacodynamie. t. 2 p. 348. 1896.
154 Paul Häri:
betont wird, dass die E.-Z. sich bei hungernden Kaninchen sehr ver-
schiedenartig gestalten kann (siehe weiter unten!), jedoch kein Wort
davon, dass der Eintritt der Steigerung an einen gewissen Tag oder
an gewisse Tage gebunden wäre.
Auch Schulz!) sagt ausdrücklich: ,,... die Menge des täglich um-
gesetzten Eiweisses nimmt erst langsam, dann rapid zu ...“, desgleichen
auch Kaufmann ?): „Die Eiweisszersetzung nimmt ... in manchen
Fällen nicht gleichmässig bis zum Hungertode ab, sondern man sieht
zumeist an den letzten Hungertagen eine allmähliche Zunahme des
Eiweisszerfalles.‘“ Endlich sagt Tigerstedt ?): man ‚beobachtet bei
hungernden Tieren nicht selten ®), dass die N-Abgabe nach einer
vorübergehenden Abnahme wieder beginnt anzusteigen und allmählich
Werte erreicht, welche die Anfangswerte wesentlich übertreffen‘‘.. Dass
hierunter die P. S. E.-Z. gemeint ist, geht aus einer weiteren Stelle
bei T. hervor, wo er direkt den Ausdruck ‚prämortale Steigerung
des Eiweisszerfalles‘‘ gebraucht.
Alle diese Aussprüche von Autoren führe ich bloss an, um zu zeigen,
dass unter P.S. E.-Z. nicht etwas zu verstehen sei, was wesentlich
verschieden ist von dem, was sich schon lange vor dem Hungertod
einstellen kann. Es ist bei einem dem Hungertod geweihten Tier von
den verschiedensten Umständen abhängig, ob überhaupt resp. wann
die Steigerung der E.-Z. sich einstellen wird; manchmal ist es früher,
manchmal später der Fall. Geschieht es an den letzten vier oder
gar zwei Lebenstagen, so kann man die Steigerung folgerichtig auch
als prämortal bezeichnen; hat die Steigerung früher oder gar bereits
beim Beginne des Hungerns eingesetzt, so ist es nicht folgerichtig,
diesen Ausdruck zu gebrauchen.
Demzufolge ist es auch nicht angängig, die auf den Harn-N be-
züglichen Daten der Hunggrversuche ganz willkürlich in zwei Ab-
schnitte zu zerlegen: in einen ‚„prämortalen‘ Abschnitt, der bei M.’s
Berechnung auf zwei Tage vor dem Tode beschränkt ist, und einen
vorangehenden, der alle früheren Tage umfasst, und dann die Mittel-
werte der beiden Abschnitte zu vergleichen. Zu welchen Irrtümern
diese Berechnungsart führen kann, soll weiter unten des näheren
besprochen werden.
Um zu beweisen, dass beim Entstehen der P.S. E.-Z. die Schild-
drüse eine wesentliche Rolle spielt, würde man erst den Beweis er-
I). 1. 6
2) Martin Kaufmann, Über die Ursache der Zunahme der Eiweiss-
zersetzung während des Hungerns. Zeitschr. f. Biologie Bd. 41 S. 78. 1901.
3) R. Tigerstedt in Nagel’s Handbuch der Physiologie Bd. I S. 386
und 388.
4) Von mir gesperrt!
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 155
bringen müssen: 1. dass die P. S. E.-Z. ausser an Kaninchen auch an
anderen Tierarten (Hund, Katze, Meerschweinchen, Huhn) immer
oder wenigstens in überwiegender Zahl der Fälle eintritt, wenn die
Tiere im Besitze ihrer Schilddrüse sich befinden; 2. dass der Verlauf
der N-Ausscheidung, wie sie am normalen Tiere beobachtet wird, am
schilddrüsenlosen Kaninchen nicht vorkomme, und umgekehrt; 3. dass
die Art der Berechnung der Versuchsergebnisse eine grundsätzlich
richtige sei; 4. dass die E.-Z. am schilddrüsenlosen Tiere gegen das
Lebensende hin nicht zunimmt.
1. Steigerung der Eiweisszersetzung an verschiedenen
Tierarten.
Ich habe in umstehender Tabelle I die, mir zugänglichen Literatur-
angaben über die E.-Z. verhungerter Tiere zusammengestellt, dabei
aber keine Rücksicht darauf genommen, ob in den betreffenden Arbeiten
der gesamte Harn-N oder bloss Harnstoff resp. an Hühnern Harn-
säure bestimmt wurde; denn über die Veränderung der E.-Z. gibt ja
welcher immer der genannten Harnbestandteile hinreichenden Auf-
schluss.
Man ersieht aus Tabelle I Folgendes:
Von drei Hunden fand bloss an einem eine ausgesprochene
Steigerung in den letzten Lebenstagen statt und auch diese nicht
an den beiden letzten Tagen; an einem anderen Hund trat die
Steigerung weit früher, an einem dritten überhaupt nicht ein.
Von vier Katzen wiesen zwei eine ausgesprochene prämortale
Steigerung auf, zwei eine kontinuierliche Abnahme. (Auch an zwei
weiteren Katzen Böhtlingk’s!) nahm die E.-Z. bis zum letzten
Beobachtungstag ab; in die Tabelle konnten diese Versuche bloss
darum nicht aufgenommen werden, weil die Daten der letzten Hunger-
tage fehlen.)
Von fünf Hühnern beginnt an drei Tieren die Steigerung am 5.
resp. 6. Tage vor dem Tode, an einem vierten 13 Tage vorher, an
einem fünften Tier findet ein deutlicher Abfall statt. ;
Also ist bei den oben angeführten Tierarten die kurz
vor dem Tode eintretende Steigerung der E.-Z. durchaus nicht als
Regel zu betrachten, ja, sie tritt entschieden bloss in der Minder-
zahl aller Fälle ein. (Dabei lässt sich vom Meerschweinchen, das nur
durch einen Versuch repräsentiert wird, getrost absehen.) Das allein
beweist schon die Unhaltbarkeit der M.’schen Schilddrüsentheorie.
ausser man wollte behaupten, dass eben nur die Kaninchen-Schilddrüse
1) Böhtlingk folgert gar aus seinen Versuchen, dass an Katzen die
Steigerung der E.-Z. durchwegs fehlt.
N
156 Paul Hari:
Tabelle I!).
Versuche an verschiedenen Tierarten.
an
rg Die Eiweisszersetzung
©
& Wr Autor und
on beginnt anzusteigen | Vessuchänumimar
Tierart =) SATT Der | steigt i SF
El am 2,24" früher'als |’; , in der Original-
u | nicht an, EP
S Tag vor |4 Tage vor mitteilung
&n | dem Tode | dem Tode | sondern
} N |
= Tag Tag
Meer- | |
schweinchen | fällt ab Rubner*)
9
Huhn... ... 9 | 6 | Schimanski°);2
N 9 | fällt ab Kuckein®); I
”
3 11 52) Schimanski°);1
RES 5 | Kuckein®); I
Hund. ... ..1:.20 5 Schulzu. Main-
zeri)s, IV
Huhn... .. 1,85 182). Schimanski?’);3
Katze .. . | 38 ' gällt ab | Böhtlingk®); 4
Hund... 2.1.88 | 12 Schöndorff!!),
| | Periode XII
Katze ...| 4 2 oder 3 | Böhtlingk®); 3
N ' fällt ab 5 6
Be 3) 6 | n 2
Hund. ....2.1.60 | | Zälltab | Falck®); IV
1) In diese Tabelle sind nicht aufgenommen: Falck’s Hund I, weil
an den letzten Lebenstagen ganz unwahrscheinlich kleine Werte ver-
zeichnet sind; ©. Schmidt’s !%) Katzenversuch, in dem so manche Momente
(wie Abortus während der Versuchsdauer usw.) störend auftraten; Carl
Voit’s®) Katze, die getötet wurde; Böhtlingk’s Katze I und V, weil
die Daten der letzten Versuchstage fehlen.
2) Am letzten Tage starker Abfall.
3) Am letzten Tage starker Abfall.
4) Max Rubner, Biologische Gesetze.
5) H. Schimanski, Der Inanitions- und Fieberstoffwechsel der
Hühner. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 3 8. 396. 1879.
6) Franz Kuckein, Beitrag zur Kenntnis des Stoffverbrauches
beim hungernden Huhn. Zeitschr. f. Biolog. Bd. 18 S. 17. 1882. |
7) Fr. N. Schulz u. J. Mainzer, Über den Verlauf der Phosphorsäure-
ausscheidung beim Hunger. Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. 32 S. 268. 1901.
8) R. R. de Böhtlingk, Des rapports quantitatives de certains sub-
stances dans l’urine des animaux soumis au jeune complet. Arch. des
sciences biolog. de l’institut demed. exp. St. Petersbourg. t.8 p. 483. 1901.
9) Ferdinand August Falck, Physiolog. Studien über die Aus-
leerungen des auf absolute Karenz gesetzten Hundes. Beiträge zur Physio-
logie, Hygiene usw. Hrsg. von C. Ph. Falck und F. A. Falck. 1875.
10) F. Bidder und C. Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoff-
wechsel. Zitiert bei Falek und Schimanski.
11) Bernhard Schöndorff, Über den Einfluss der Schilddrüse auf
den Stoffwechsel. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 67 S. 395. 1897.
12) 1. e.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 157
die Eigentümlichkeit hat, die P.S. E.-Z. zu ermöglichen! Jedoch
soll auch diese etwaige Behauptung sofort widerlegt werden.
2. Gibt es einen durchgehenden prinzipiellen Unterschied
in dem Verlaufe der Steigerung der Eiweisszersetzung an
normalen und schilddrüsenlosen Tieren ?
Um diesen Punkt näher zu beleuchten, habe ich zunächst in um-
stehender Tabelle II die mir zugänglichen Versuche an normalen ver-
hungerten Kaninchen zusammengestellt, wobei ich besonders auf die,
wie es mir scheint, zu wenig gewürdigten 32 Versuche von Heymans
hinweisen möchte.
Wenn man von einigen derselben, die als unvollkommen zu be-
zeichnen sind (siehe die Anmerkung am Fuss der Tabelle II), absieht,
bleibt immer noch eine sehr stattliche Anzahl von Versuchen. Auch
diese weisen wohl manche kleinen Mängel auf, so zum Beispiel, dass
der Harn in allen Versuchsreihen nicht täglich, sondern überwiegend
bloss von 3 zu 3 Tagen gesammelt wurde; ferner, dass es aus den Ver-
suchsprotokollen nicht immer klar ersichtlich ist, ob in den letzten
24 Stunden vor dem Hungertode der Harn untersucht wurde oder
nicht; endlich, dass der Harn nicht mit dem Katheter entnommen
wurde, was in M.’s Versuchen täglich geschah. Da es sich aber hier
um einen gröberen Vergieich — und nicht etwa zum Beispiel um eine
Berechnung des Energieumsatzes — handelt, kann man die Versuchs-
ergebnisse voll gelten lassen, um so eher, weil, wie der Autor ausdrück-
lich hervorhebt, alle Tiere vor dem Beginne des Hungerns wochen-
lang gleichmässig ernährt und bezüglich ihrer Gesundheit beobachtet
wurden.
Da an Kaninchen bei weitem mehr Versuche als an welch
anderer Tierart immer ausgeführt wurden, und da speziell M. an
Kaninchen experimentiert, sind die in Tabelle II enthaltenen Daten
von besonderem Wert. Es stellt sich da zunächst heraus, dass eine
Steigerung der E.-Z., die richtig als prämortal bezeichnet werden
kann, hier entschieden weit häufiger als an anderen Tierarten vor-
kommt. Von insgesamt 37 Fällen fehlt eine Steigerung bloss zweimal,
in weiteren 6 Fällen tritt sie bereits zu Beginn des Hungerns ein (ist
also nicht als prämortal zu bezeichnen); im den übrigen 29 Fällen ist
sie wohl prämortal, doch tritt sie bloss in der einen Hälfte der
Fälle tatsächlich 2-4 Tage vor dem Hungertode, in der
anderen Hälfte bereits 5—9 Tage früher ein. Da es nicht
möglich ist, Heymans’ Versuchsprotokolle auch nur auszugsweise
anzuführen, muss ich mich darauf beschränken, möglichst genau nach
dem französischen Originaltext mitzuteilen, was er aus seinen Ver-
suchsergebnissen ableitet: ‚Die Mehrzahl der Kaninchen zeigt während
158 Paul Häri:
Tabelle IL!).
Kaninchenversuche.
Die Eiweisszersetzung beginnt
Tag anzusteigen Autor und
a abzufallen
4 des im 5.24 | rüheralb| Cor dem a
unger- Tag vor 1/4 Tage vor Auer
todes dem Tode | dem Tode | Tode Originalmitteilung
Tag | Tag Tag
3 vonAnfangher | | Dreiche >)
3 | Rubner,; IV
6 vonAnfangher | Heym ans>); XXXI,
| | XXXIH
7 | | 3 Kaufmann’)
1) 3 | Schulzu.Mainzer°);Il
9 vonAnfangher | | Heymans?); OA,
| | XXVIIN, KOOL
9 4 Rubner‘%); II
10 4 | | Schulzu. Mainzer‘, Il
11 5
12 3 Heymans?): XXT ZEIL,
| xXXIV, XXVl
14 B) | | Heymans)); XIX
14 6 | XVILXVIN
15 | Böhtlingk'); 2
15 | 7 5)
15 3 Heymans)); XV, XVE
16 9 AN.
17 9 Böhtlingk' 1:6
18 6 Heymans?°); VII®),
VII, X
18 9 Heymans’); vl
18 5 Böhtlingk‘); 4
19 4 | Rubner‘); il
19 6 x Ay
19 3 oder 4 K:011'3)
21. 4 Böhtlingk’); 3
21 9 Heymans?); III, IV
24 6 N I
1) In diese Tabelle sind nicht aufgenommen: Rubner’s Nr. I, weil
die Abgrenzung des Harns sehr unsicher war; Böhtlingk’s Nr. 1, weil
die Daten der beiden letzten Tage fehlen; Heymans’ Nr. II, weil die
Daten der letzten Tage fehlen; Nr. V, IX und XI, weil die Tiere nach
dem letzten Beobachtungstag zu essen bekamen und am Leben blieben
(Nr. III bekam auch nach dem letzten Beobachtungstag zu essen, starb
jedoch kurz darauf, ging also tatsächlich an Inanition zugrunde); Nr. XII,
weil es nach H.’s Angabe krank gewesen ist; Nr. XIII, weil es eines Tags
unversehens zu Futter gelangte; Nr. XX und XXV, weil die Daten der
letzten Versuchstage unvollständig sind; Nr. XXIII, weil das Tier voran-
gehend zu einem Giftwirkungsversuch verwendet wurde; Nr. XXIX, weil
es im Gegensatz zu allen übrigen Tieren H.’s ein junges Tier war.
3) Frerichs spricht auch von einem zweiten Kaninchenversuch, der
ganz ähnlich verlaufen ist. 4) 1. c. (Zeitschr. f. Biologie Bd. 17).
»).. l.re: 6) 1. c. 7) l.c.
8) Koll, Die subkutane Fetternährung. Habil.-Schr. Würzburg 1897.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 159
einer ersten Periode des Hüngerns eine Zunahme der Harnstoff-
ausscheidung; dieser folgt ein um so schärfer ausgesprochener Abfall,
je länger die Inanitionsdauer ist; gegen das Lebensende hin erfolgt
beinahe immer eine Steigerung, die um so schärfer ausgesprochen ist,
je rascher der Tod eintritt ... Tritt der Tod rapid ein, so fällt die
zweite Periode (des Abfalles) aus, urd die Harnstoffausscheidung
wächst ununterbrochen bis zum Tode an.“
Es geht also aus Heymans’ Versuchen hervor, dass der Verlauf
der E.-Z. auch an Kaninchen durchaus kein einheitlicher ist, sofern
nur dieser in einer hinreichend grossen Zahl von Versuchen beobachtet
wird; namentlich dass an normalen hungernden Kaninchen
(die also im Besitz ihrer Schilddrüsen sind) das, was als P.S. E.-Z.
sensu strietu bezeichnet werden muss, auch vollständig
fehlen kann.
Nun können wir daran gehen, die schilddrüsenlosen Kaninchen M.’s
mit den normalen aus der Tabelle II zu vergleichen. Zu diesem Behufe
muss man bloss jeweils die Daten eines schilddrüsenlosen Tieres von
M. mit denen eines entsprechenden Normaltieres aus Tabelle II zu-
sammenlegen, um sofort zu sehen, dass jede Form des Verlaufes
der E.-Z. der schilddrüsenlosen Tiere auch an normalen
Tieren zur Beobachtung kommt (Tabelle III).
Die zum Vergleiche herangezogenen Normalversuche habe ich so
gewählt, dass sie möglichst von derselben Versuchsdauer wie die
schilddrüsenlosen seien. Dabei habe ich der besseren Übersicht und
des besseren Vergleiches halber in den M.’schen Versuchen von längerer
Dauer vorgezogen, die auf die N-Ausscheidung bezüglichen Daten
zu Mittelwerten von je drei Tagen gruppiert wiederzugeben, weil auch,
die Daten der zum Vergleich herangezogenen Heymans’schen Ver-
suche so angegeben sind.
Aus Tabelle III ist ohne weiteres zu ersehen, dass in keinem
einzigen der schilddrüsenlosen Fälle ein Verlauf der E.-Z.
zu beobachten ist, der nicht auch beim normalen, im
Besitz seiner Schilddrüse befindlichen Kaninchen vor-
käme.
Ja, es ist trotz der relativ geringen Anzahl von Versuchen, die
an anderen Tierarten ausgeführt wurden, wodurch es sehr erschwert
ist, Versuche von möglichst gleicher Dauer — einerseits normal, anderer-
seits schilddrüsenloss — zusammenzulegen, doch möglich gewesen,
wenigstens zwei von M.’s vier schilddrüsenlosen Tieren mit je einem
Normaltier aus Tabelle I zu vergleichen.
Zitiert bei: Erwin Voit, Die Bedeutung des Körperfettes bei der Eiweiss-
zersetzung. Zeitschr. f. Biologie Bd. 41 S. 506. 1907.
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DaulaErarı:
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162 Paul Hari:
Dabei mussten die Daten der langdauernden Versuche an Kanin-
chen V und am Schöndorff’schen Hunde wieder entsprechend zu-
sammengefasst werden (siehe die beiden unteren Reihen in Tabelle IIl).
Aus diesen Daten geht ohne weiteres hervor, dass das Verhalten
schilddrüsenloser Kaninchen nicht nur an normalen Kanin-
chen, sondern auch am normalen Hund und am normalen
Huhn angetroffen wird.
3. Die Berechnung des Grades der Eiweisszersetzung.
M. berechnet die Zunahme der E.-Z. an den normalen Tieren zu
110 resp. 182 resp. 127%, an den schilddrüsenlosen Tieren hingegen
zu 15 resp. 21 resp. 19 resp. 17%. Für den ersten Blick ist der Unter-
schied zwischen normalen und schilddrüsenlosen Tieren ein über-
zeugender. Bei näherem Zusehen stellt sich jedoch, teilweise auf
Grund des bereits früher Ausgeführten heraus, dass die von M. ge-
wählte Art der Berechnung eine unrichtige ist.
a) Vor allem ist es ein Mangel der Berechnung, dass der Harn-
stickstoff nicht auf die Einheit des Körpergewichtes reduziert ist.
Wenn man bedenkt, dass ein hungerndes Kaninchen in 30 Tagen
über 50%, seines ursprünglichen. Gewichtes einbüssen kann !), so wird
es klar, dass an M.’s schilddrüsenlosen Tieren Nr. IV und V, die 29
resp. 23 Tage lang am Leben geblieben sind, die absoluten N-Werte
kein richtiges Bild von dem Fortschreiten der E.-Z. liefern können,
resp. dass die richtigerweise auf die Körpergewichtseinheit reduzierten
Werte eine noch viel bedeutendere Steigerung ergeben würden. An
den kurzlebigen Tieren würde die Verschiebung. der Werte selbst-
redend eine weit geringere sein.
b) Ein weit bedeutenderer Mangel der M.’schen Berechnung be-
steht darin, dass der Mittelwert der beiden letzten Lebenstage
mit dem von sämtlichen vorangehenden Hungertagen verglichen und
der so berechnete Zuwachs in Prozenten des vorangehenden Mittel-
wertes ausgedrückt wird. Diese Art der Berechnung wäre ja richtig,
wenn die E.-Z. hungernder Tiere bis einige Tage vor dem Tode im
grossen und ganzen eine gleichmässige wäre (wie etwa ihre Wärme-
produktion) und der Anstieg immer erst an den letzten Lebenstagen
stattfände. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Denn es ist aus
Tabelle II ersichtlich, dass auch an Kaninchen die Steigerung in der
Mehrzahl der Fälle nicht erst an den letzten zwei Tagen, sondern häufig
5—6 Tage vor dem Tode oder noch früher einsetzt. Rechnet man aber
so, wie M. es tut, so wird man für die Steigerung der E.-Z. einen um
1) K. Katsuyama, Über die Ausscheidung der Basen im Harne des
auf absolute Karenz gesetzten Kaninchens. Zeitschr. f. physiolog. Chem.
Bd. 26 S. 549. 1898/99.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 163
so geringeren Wert erhalten, je früher und je stärker dieselbe
einsetzt. Es geht dies aus nachstehenden, von mir selbst konstruierten
schematischen Beispielen hervor:
BeispielI Beispiel II Beispiel III
6ekası voridem Node 2... 1a 1a IR
DER, 3 ER NE 1,5 1,8
Ale oe 5 er 2,0 2,9
De Be 2,5 3,6
Merletzter Tag 22 2.022.0.203,8 3,8 3,8
Letzter Tag ee nr 4,2 4,2
Steizerunel 02 22 0.0200.....190% 100% 60%,
Man erhält also nach M.’s Art der Berechnung im Beispiele III
den geringsten Wert für die Steigerung der E.-Z.. wiewohl sie evidenter-
weise stärker als in den anderen war, und zwar erhält man den geringen
Wert nur, weil die Kurve der E.-Z. hier weniger steil als in beiden
anderen endet.
Demgegenüber ist es klar, dass man ein richtiges Bild der
Vorgänge nur wird erhalten können, wenn man den ganzen
Verlauf der N-Ausscheidung vor Augen hält und nicht
nur die Mittelwerte aus unnatürlich abgegrenzten Ver-
suchsperioden vergleicht.
4. Findet an schilddrüsenlosen Tieren keine bedeutende
Steigerung der Eiweisszersetzung statt?
Will man nicht in M.’s Fehler verfallen, so muss man, um ein
richtiges Urteil über die E.-Z. im schilddrüsenlosen Tier zu erhalten,
den Lauf derselben während der ganzen Hungerperiode verfolgen.
Verfährt man so, dann stellt sich heraus, dass M.’s Behauptung, wo-
nach die E.-Z. an schilddrüsenlosen Tieren ‚.... im Vergleich zu der
an normalen Tieren beobachteten verschwindend klein...) sei,
durchaus unrichtig ist.
Um dies zu beweisen, wollen wir die vier schilddrüsenlosen Tiere
der Reike nach kurz betrachten.
Am schilddrüsenlosen Tier IV steigt die E.-Z., nachdem sie
zwischen dem 18. und 21. Hungertag eine Depression bis auf etwa
0,34 g N pro Tag erreicht hat, auf 0,61 g am letzten Tag, erfährt also
eine Steigerung um etwa 79%; am schilddrüsenlosen Tier V sinkt
die E.-Z. zwischen dem 12. und 14. Hungertag auf etwa 0,71 g, um
dann bis zum letzten Tag auf 1,14, also um 52%, anzusteigen.
Also ist die Steigerung der E.-Z. an den schilddrüsen-
losen Tieren keine geringe, sondern eine sehr ansehnliche.
Sl c.182 55,
al
164 Paul Häri:
Wie verhält es sich mit den schilddrüsenlosen Tieren VI und VII?
Es ist klar, dass wir es bei Tier VI mit einem der schon von Heymans
an normalen Kaninchen beschriebenen Fälle zu tun haben, in denen
die Steigerung der E.-Z. sehr früh und sehr stark einsetzt und
die mittlere Periode der Depression ausfällt. Da die Daten der ersten
drei Hungertage fehlen, ist leider nicht genau zu sagen, wann der
Anstieg begonnen hat: soviel ist jedoch sicher, dass die E.-Z. eine
sehr intensive war, denn sie erreicht bereits am 4. und 5. Hungertag
Werte wie bei keinem einzigen der übrigen M.’schen Kaninchen, was
um so auffallender ist, da dieses Tier das geringste Gewicht unter
allen hatte:
Normal Schilddrüsenlos
nn
Hunger- Tier I Tier II Tier III Tier IV Tier V Tier VI Tier VII
tag 15008 16005 14008 18008 16508 13008 Ig
4 1,05 0,85 0,46 0,78 0,95 1,86 1,26
5 0,76 0,70 0,47 0,75 0,87 1,90 1,20
Es ist also als sicher anzunehmen, dass an Tier VI eine weitere
starke Steigerung nur aus dem Grunde nicht stattfand, weil sie bereits
schr früh, zu einer Zeit, wo sonst eine Depression einzutreten pflegt,
schon ausnehmend stark war. Für dieses Tier VI eine Steigerung von
bloss 19% zu berechnen, ist nur möglich, wenn man die Steigerung
der beiden letzten Tage als etwas wesentlich Verschiedenes von
der bereits früher eingetretenen Steigerung ansieht und von derselben
künstlich abtrennt, was selbstverständlich zu einem ganz falschen
Rechnungsergebnis resp. zu einer Verzerrung des Sachverhaltes führen
muss, wie dies aus dem auf S. 163 aufgestellten konstruierten Beispiel
hervorgeht.
Dasselbe, was für Tier VI soeben ausgeführt wurde, gilt, wenn
auch nicht so klar ins Auge springend, für das schilddrüsenlose Tier VII,
bei dem gar die Daten der ersten vier Versuchstage fehlen, das aber am
5. Hungertag ebenfalls höhere Werte aufweist als die normalen Tiere.
Es ist nach alledem nicht daran zu zweifeln, dass die E.-Z. gegen
das Lebensende auch am schilddrüsenlosen Tier eine bedeutende
Steigerung erfährt, wenn auch nicht verkannt werden darf, dass diese
Steigerung nicht so steil verläuft und oft nicht so hohe Endwerte
erreicht wie am normalen Tier. Sicher ist jedoch, dass M.’s Erwartung,
„dass schilddrüsenlose Tiere ohne Steigerung der E.-Z. den Hungertod
sterben,‘‘ durch seine Versuche nicht bestätigt wurde. ‘Dasselbe gilt
selbstverständlich auch für den Schluss, der von M. in einer weiteren
Mitteilung !) aus einem einzigen Versuche am schilddrüsenlosen Hund
1) G. Mansfeld, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. VIII. Mit-
teilung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 161 S. 502. 1915.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 165
gezogen wurde: ‚... auch am Hund tritt der Hungertod ein, ohne
dass der Eiweissbestand vorher in erhöhtem Maasse angegriffen würde,
falls das Tier seiner Schilddrüse beraubt ist“. —
Die Schilddrüsentheorie der P.S. E.-Z. dürfte nach alledem als
erledigt zu betrachten sein; trotzdem muss auf einen bereits kurz
gestreiften Umstand noch zurückgekommen werden, der, obwohl er nicht
geeignet ist, der Richtigkeit meiner Beweisführung einen Abbruch zu
tun, doch immerhin einer Klärung bedarf, nämlich: Wie kommt es,
dass an M.’s normalen Kaninchen eher die kurze Lebensdauer von
12 resp. 10 Tagen mit der mehr gegen das Ende zu gedrängten Steigerung
der E.-Z. prävaliert (zwei von drei Fällen) und bloss ein Tier eine
mehr gedehnte Form des ganzen Verlaufes aufweist, von M.'s schild-
drüsenlosen Tieren aber zwar wieder zwei bloss 9 resp. 10 Tage am
Leben blieben, an anderen zwei Tieren jedoch eine auffallend lange
Lebensdauer von 29 resp. 23 Tagen und ein sehr gedehnter Verlauf
der E. Z. zu konstatieren ist ?
Es könnte sich da auch um einen blossen Zufall handeln, um .so
eher da die Anzahl der Versuche eine relativ beschränkte ist. Jedoch
ist dieser Zufall schon aus dem Grunde nicht wahrscheinlich, weil es
“ sogar unter den zahlreichen normalen Kaninchen Heymans’ nur
wenige gab, die diesen gedehnten Verlauf aufwiesen.
‚ Da sich, wie aus der Tabelle III ersichtlich ist, M.’s langlebige
schilddrüsenlose Tiere bezüglich ihrer E.-Z. ähnlich wie langlebige
normale Tiere anderer Autoren, M.’s kurzlebige aber so wie die ent-
sprechenden normalen Tiere anderer Autoren verhielten, so ist es
nicht zu bezweifeln, dass Lebensdauer des Hungertieres und Aus-
maass resp. Verlauf der E.-Z. miteinander zusammenhängen. Dieser
Zusammenhang ist so auffallend, dass Marinesco und Parhon!)
— allerdings etwas voreilig und auf Grund einer allzu geringen Zahl von
nicht viel besagenden Versuchen — geradezu eine lebensverlängernde
Wirkung der Thyreoidektomie auf hungernde Tiere annehmen, und
zwar mit der Begründung, dass in schilddrüsenlosen Tieren infolge
des herabgesetzten Eiweissstoffwechsels der Eiweissbestand länger er-
halten bleibt. Die lebensverlängernde Wirkung der Thyreoidektomie
soll natürlich dahingestellt bleiben; doch muss zugegeben werden,
dass auch Heymans’ Kaninchen den Hunger in der Regei um so
länger ertrugen, je weniger Eiweiss sie täglich zersetzen, resp. ie flacher
die Steigerung der E.-Z. verlief.
Jetzt brauchen wir bloss an die Tatsache des herabgesetzten Eiweiss-
stoffwechsels im thyreopriven Tiere zu denken — der ja auch durch
1) G. Marinesco et C. Parhon, L’influence de la thyreoidectomie
sur la survie des animaux en etat d’inanition. Comptes rend. d.1. S. Biolog.
t. 67 p. 146. 1909.
166 Paul Hari:
Ver Ecke!) an gefütterten Hunden nach partielier Thyreoidektomie
(Schonung der Epithelkörperchen), durch Maier?) am hungernden
Kaninchen, und durch Eppinger, Falta und Rudinger?) am
Hund, endlich von mehreren Autoren am myxödematösen Menschen
nachgewiesen wurde —, um zu folgendem Schluss zu gelangen: Da
die Exstirpation der Schilddrüse zu einer Verringerung der E.-Z.
führen kann (jedoch durchaus nicht muss), ist es zu erwarten, dass
es an schilddrüsenlosen Tieren relativ häufiger zu einem langgedehnten
Verlauf der E.-Z. kommt, genau so wie aıı normalen Tieren, deren
Eiweissverbrauch (infolge grossen Fettreichtums oder aus anderen
Gründen) geringer ist als an anderen normalen Tieren.
Fassen wir das zusammen, was über die Erfüllung der auf S. 155
aufgestellten vier Postulate vorangehend ausgeführt wurde, so er-
gibt sich:
1. dass hungernde Tiere, verschiedenen Arten an-
gehörend, ohne eine prämortale Steigerung der E.-Z.
sterben können, auch wenn sie im Besitze der normal
funktionierenden Schilddrüse sich befinden;
2. dass der an hungernden normalen Kaninchen be-
obachtete Verlauf der E.-Z. auch an schilddrüsenlosen
hungernden Tieren zur Beobachtung kommt;
3. dass die Berechnungsart, wie sie von M. geübt wird,
nämlich nur die zwei letzten, dem Tode vorangehenden
Tage mit dem Mittelwert aller vorangehenden zu ver-
gleichen, eine von vornherein verfehlte und geeignet ist,
zu falschen Schlüssen zu führen;
4. dass, im Gegensatz zu M.’s Behauptung, auch am
schilddrüsenlosen hungernden Kaninchen eine sehr be-
deutende Steigerung der E.-Z. stattfindet.
Dass über den Zusammenhang zwischen Schilddrüse und Eiweiss-
stoffwechsel noch manches zu klären gibt, braucht wohl nicht hervor-
gehoben werden: man denke unter anderem nur an die erwähnten
merkwürdigen Befunde, die Eppinger, Falta und Rudinger er-
hoben, indem sie fanden, dass am hungernden schilddrüsenlosen Hund
der Eiweissstoffwechsel durch Zufuhr von Fett und Kohlenhydraten
1) A. Ver Ecke, Etude sur l’influence de la secretion interne du
corps thyroide sur les echanges organiques. Arch. de Pkarmakodyn. t. 4
p: Sl. 1898.
2) E. Maier, Weitere Beiträge zur Kenntnis des Stoffwechsels thy-
reoidektomierter Kaninchen. Diss., Würzburg 1897. Ref. in Maly’s
Jahresber. f. tier. Chem. Bd. 30 S. 613. 1900.
a) lc.
Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 167
nicht eingeschränkt wird, während dies doch am normalen Tier in
der Regel beobachtet wird. Hat man das Recht, hieraus zu folgern,
dass es am normalen Tiere die Schilddrüse es ist, die den Eiweiss-
stoffwechsel unter obigen Umständen herabdrückt ?
Wenn die in Obigem erfolgte Widerlegung der M.’schen Ausführungen
und Folgerungen noch einer weiteren Unterstützung bedürfte, sei es
mir gestattet, noch auf folgendes hinzuweisen:
M. kommt auf Grund von Versuchen, die er an hungernden schild-
drüsenlosen Kaninchen ausführen liess, in seiner I. Mitteilung im Jahre
1911 zu folgendem Schluss: „Es ergab sich aus diesen Versuchen, dass
nach Exstirpation der Schilddrüse die Eiweisszersetzung
vor dem Hungertode genau in gleicher Weise in die Höhe
seht als bei normalen Tieren ...' !). Zwei Jahre später, in
der hier besprochenen III. Mitteilung wird behauptet: es ‚war...
zu erwarten, dass schilddrüsenlose Tiere ohne Steigerung der
Eiweisszersetzung den Hungertod sterben. Dass dies in der Tat
der Fall ist, beweisen die folgenden an Kaninchen ausgeführten Ver-
suche‘ ?2). Also genau das Gegenteil des vorher Gesagten. Da muss
aber gefragt werden: Sind die Versuche an schilddrüsenlosen hungernden
Kaninchen der I. Mitteilung dieselben, die in der III. Mitteilung be-
sprochen werden, oder nicht ? Wenn es dieselben sind, so ist erwiesen,
dass aus Versuchen mit so dehnbaren Ergebnissen keinerlei Schlüsse zu
ziehen sind. Handelt es sich jedoch in der III. Mitteilung um neuere
Versuche, so ist erwiesen, dass man derlei komplizierte Fragen nur
durch eine weit grössere Anzahl von Versuchen und nur mit Berück-
sichtigung der einschlägigen Literatur lösen kann, so man nicht Gefahr
laufen will, durch eine erste, allzu kleine Gruppe von Versuchen zu
einem bestimmten Resultat zu kommen, durch eine weitere Gruppe
jedoch zu dem genau entgegengesetzten.
EL. ©... 169.
2) l. c. (von mir gesperrt).
Über die Wirkung des Novokains auf den normalen
und den tetanusstarren Skelettmuskel und über die
Entstehung der lokalen Muskelstarre beim Wund-
starrkrampf.
Von
G. Liljestrand (Stockholm) und R. Magnus.
(Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.)
Mit 1 Textabbildung.
(Eingegangen am 5. April 1919.)
Inhalt. Seite
1. C Einleitung er ee 168
Il. Die Wirkung des Novokains auf den. Skelettmuskel im Zustand
der Enthirmungsstarren.. nn... 2 00 re ee 171
IH. Die Wirkung kleiner Novokaindosen auf den Skelettmuskel nor-
maler;Katzensr 0... u a er 183
IV. Die Wirkung des Novokains auf den tetanusstarren Skelettmuskel 187
V. Weitere Beobachtungen über die tetanische Muskelstarre . . . . 202
VI. Zusammenfassung der Ergebnisse .. ..........2.2. 206
I. Einleitung.
Im Jahre 1916 haben E. Meyer und L. Weiler!) einen Fall von
Starre der Bauchmuskulatur beschrieben, die sich im Anschluss an
eine Tetanusinfektion entwickelte und noch nach 2 Jahren fort-
bestand. Diese Starre blieb nach intralumbaler Einspritzung von
0,02 g Stovain in den Lumbalsack, wonach eine Hautanästhesie bis
zur Mammillarlinie (entsprechend dem fünften Thorakalsegment) auf-
trat, unverändert bestehen, während die Nerven für die Bauchmuskeln
nicht höher als aus dem siebenten Thorakalsegment entspringen.
Ebensowenig liess sie sich durch Einspritzung von 1 ccm Curarelösung
(entsprechend 8,5 mg Curare bzw. 2 mg Curarin) lösen. Dagegen
schwand die Starre nach Einspritzung von 10—15 ccm einer 1%igen
Novokainlösung in den Muskel, wonach aber die direkte elektrische
Muskelerregbarkeit unverändert blieb. Die mit dem ballistischen
Elastometer gemessene Muskelhärte nahm dabei deutlich ab. Während
die Haut nicht hyperästhetisch war, empfand der Patient den Einstich
der Nadel in den Muskel als äusserst schmerzhaft. In zwei weiteren
1) Erich Meyer und Leo Weiler, Über Muskelstarre und Koordi-
nationsstörung bei Tetanus. Münchner med. Wochenschr. 1916 S. 1525.
Über die Wirkung des Novokains usw. 169
Fällen von frischem Tetanus konnten Meyer und Weiler durch
Einspritzen von 10—15 cem 1%igem Novokain in die Masseteren ein
Nachlassen der Kieferklemme erzielen. Sie schliessen aus diesen Be-
obachtungen, dass die tetanische Muskelverkürzung nicht auf myosi-
tischen Schwielen beruhen kann, dass es sich nicht um eine
vom zentralen Nervensystem hervorgerufene Kontraktion
-handelt, und dass die Starre nicht durch aktive Muskel-
kontraktion hervorgerufen wird, vielmehr müsse es sich
um einen eigenartigen, von der gewöhnlichen Kontraktion
verschiedenen Verkürzungszustand handeln. Novokain
(und Kokain) sollen die Kontraktilität des Muskels un-
verändert lassen, aber die Elastizität desselben in be-
sonderer Weise verändern.
A. Fröhlich und H. H. Meyer!) haben in einer Kritik dieser
Arbeit darauf hingewiesen, dass es durch Injektion von Curare in den
Warmblütermuskei nicht gelingt, eine Lokalcuraresierung herbeizu-
führen, solange es nicht zur Allgemeinvergiftung kommt. Ferner zeigten
sie, wie schon früher Finkelstein?) und Baglioni und Pilotti?),
dass bei der Lumbalanästhesie durch Stovain die verschiedenen Ge-
fühlsqualitäten nicht gleichmässig aufgehoben werden, dass daher bei
vorhandener Analgesie die übrigen sensiblen Bahnen und vor allem
die motorischen Wurzeln nicht gelähmt zu sein brauchen. Daher sei
in den Versuchen von E. Meyer und Weiler weder durch Curare
noch durch Lumbalinjektion von Stovain die zentrale Innervation
des Muskels ausgeschaltet. Ferner haben Fröhlich und Meyer drei
Katzen mit Tetanustoxin vergiftet und nach eingetretener lokaler
Muskelstarre Novokain injiziert. Bei einer Katze von 650 g schwand
nach Einspritzung von 4—41, ccm 1%igem Novokain die Tetanus-
starre des Gastrocnemius teilweise, aber nicht gänzlich. Bei einer
Katze von 3000 g wurde durch 4 cem 1%,igem Novokain die Starre
des Gastrocnemius nicht vermindert. Zwei Tiere wurden nach Eintritt
der lokalen Muskelstarre dezerebriert, so dass die tetanischen Muskeln
unter den kombinierten Einfluss der tetanischen und der Enthirnungs-
starre gerieten. Einspritzung von 1%, Novokain in die tetanusstarren
Gastroenemii hob die Starre nicht auf, während .diejenigen (Ober-
schenkel-)Muskeln, welche sich nur unter dem Einfluss der Enthirnungs-
1) A. Fröhlich und H. H. Meyer, Über die Muskelstarre bei der
Tetanusvergiftung. Münchner med./Wochenschr. 1917 S. 289.
2) R. Finkelstein, Neurologische Beobachtungen und Untersuchungen
bei der Rückenmarksanästhesie mittels Kokain und Stovain. Münchner
med. Wochenschr. 1906 S. 397.
8) 8. Baglioni und G. Pilotti, Neurologische ;Untersuchungen bei
der menschlichen Lumbalanästhesie mittels Stovain. Zentralbl. f. Physiol.
Bd. 23 S. 369. 1909.
170 G. Liljestrand und R. Magnus:
starre befanden, durch die gleiche Lösung zur Erschlaffung gebracht
wurden. Meyer und Fröhlich schliessen hieraus, dass durch die
von E. Meyer und Weiler verwendeten Novokaindosen die
gesamte sensible und motorische Innervation des Muskels
bei erhaltener Muskelerregbarkeit ausgeschaltet worden
sei. Die tetanische Muskelstarre wird durch eine Einwirkung des
Tetanusgiftes auf das Rückenmark verursacht; nach einigen
Tagen kann sich hieran eine durch die Dauerverkürzung bedingte,
mit Atrophie einhergehende sekundäre myogene Verkürzung anschliessen.
In.dem Falle von E. Meyer und Weiler habe es sich nur
um die erste Art der Verkürzung gehandelt, die also nach
Lähmung aller Nerven durch Novokain aufhören musste.
In einer weiteren Mitteilung !) haben dann Erich Meyer und
Weiler zu dieser Kritik Stellung genomnien. Sie teilen mit, dass
man beim Menschen durch intramuskuläre Curareinjektion eine Parese
hervorrufen kann, und geben an, dass nach der von ihnen verwendeten
Stovaindosis (0,04 statt der in der ersten Arbeit genannten 0,02 g)
völlige Muskellähmung im anästhetischen Bezirk nach Lumbalinjektion
eingetreten sei. Ferner berichten sie über einen weiteren Tetanusfall,
an welchem genauere Beobachtungen gemacht werden konnten. Es
handelte sich um eine Starre des linken Biceps. Die indirekte faradische
Erregbarkeit wurde durch Reizung des Plexus brachialis bestimmt.
Nach Einspritzung von 20 cem 1%igem Novokain in den
linken Biceps erfolgte vollständige Lösung der Starre,
dabei blieb aber die aktive Beweglichkeit und die grobe
Kraft unvermindert erhalten. Ebensowenig wurde die in-
direkte faradische Erregbarkeit herabgesetzt. Auch auf der
gesunden rechten Seite erfolgte auf Einspritzung derselben Novokain-
‚dose in den Biceps keine Abnahme der indirekten Erregbarkeit. In
den starren Muskel konnten sogar bis zu 60 ccm der Novokain-
lösung injiziert werden, ohne dass sich grobe Kraft und indirekte
Erregsbarkeit änderten. Erst auf SO ccm erfolgte Abnahme der in-
direkten Erregbarkeit und der groben Kraft. Der durch Einspritzung
von 50 cem Novokainlösung zur Erschlaffung gebrachte tetanische
Biceps beteiligte sich danach noch an einem allgemeinen tetanischen
Anfall. Durch Novokaineinspritzung in die Masseteren liess sich die
Kieferklemme lösen, dabei konnte der Patient aber noch kräftige Kau-
bewegungen ausführen. Nach der Ansicht von Meyer und Weiler
ist also Novokain ohne Wirkung auf die Kontraktilität
des Muskels. Wo das Mittel angreift, lassen sie unentschieden,
weisen aber auf die Möglichkeit hin, dass es auf die von Boeke im
1) Erich Meyer und L. Weiler, Weitere Untersuchungen über die
tetanische Muskelverkürzung. Münchner med. Wochenschr. 1917 S. 1569.
Über die Wirkung des Novokains usw. 1brinl
Muskel beschriebenen akzessorischen Nervenendigungen einwirken
könne. Sicher ist aber nach ihrer Meinung eine Dauer-
innervation, die auf dem Wege der motcrischen Nerven
dem Muskel zufliesst, als Ursache der langdauernden teta-
nischen Starre auszuschliessen.
Bei dieser ganzen widerspruchsvollen Diskussion fällt auf, dass das
Novokain zur Aufklärung der Natur der tetanischen Muskelstarre be-
nutzt wird, ohne dass vorher seine Wirkung auf den innervierten und
durchbluteten normalen Muskel des Warmblüters hinreichend unter-
sucht wurde. Ehe man namentlich die zuletzt angeführten Befunde
von Erich Meyer und Weiler und die gegenteiligen Ansichten von
Fröhlich und H. Meyer gegeneinander abwägen kann, muss fest-
gestellt werden, ob am nicht tetanusstarren normalen Muskel das
Vermögen zur Dauerkontraktion (zentralbedingter Tonus) und zur
aktiven Bewegung durch Novokain in verschiedener Weise beeinflusst
wird. Hierbei muss vor allem die Wirkung der verschiedenen Novokain-
dosen quantitativ festgestellt werden. Wir haben deshalb zunächst
bei Katzen im Zustand der Enthirnungsstarre geprüft, ob es gelingt,
die Starre ganz oder teilweise zu lösen, ohne die Erreg-
barkeit vom Nerven aus zu beeinträchtigen, und den Me-
chanismus einer derartigen Wirkung aufzuklären. Erst danach sind
wir dazu übergegangen, entsprechende Versuche mit den gleichen
Novokaindosen am tetanusstarren Muskel auszuführen, die uns dann
auch zu einer ganz anderen Erklärungsweise des Einflusses von Novokain
auf die Tetanusstarre geführt haben, als sie von den früheren Unter-
suchern angenommen wurde. Wir waren uns dabei von vornherein
bewusst, dass die Enthirnungsstarre und die Tetanusstarre durchaus
nicht wesensgleich zu sein brauchen, wie schon aus der Angabe von
Fröhlich und H. Meyer!) und von Semerau und Weiler ?) hervor-
geht, dass der tetanusstarre Muskel stromlos sei.
II. Die Wirkung des Novokains auf den Skelettmuskel
im Zustand der Enthirnungsstarre.
Die zu den Versuchen verwendeten Katzen wurden ätherisiert, die
Karotiden abgebunden, die Vagi durchschnitten, das Rückenmark am
zwölften Brustwirbel freigelest, die Dezerebrierung zwischen vorderen
und hinteren Vierhügeln ausgeführt, und das ganze Gehirn proximal vom
Entkirnungsschnitt ausgeräumt. Darauf wurde die Äthernarkose ab-
1) A. Fröhlich und H.H. Meyer, Untersuchungen über die Aktions-
ströme- anhaltend verkürzter Muskeln. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 S. 269.
1912. — Vgl. auch Münchner med. Wochenschr. 1917 S. 290.
2) M. Semerau und L. Weiler, Elektromyograph. Untersuchungen
am tetanischkranken starren Muskel. Zentralbl.f. Physiol. Bd. 33 8.69. 1918.
172 G. Liljestrand und R. Magnus:
gestellt und das Tier mit künstlicher Atmung liegen gelassen, bis sich
eine gute Enthirnungsstarre ausgebildet hatte. Sämtliche Prüfungen
wurden an den Vorderbeinen, und zwar am Triceps (Ellbogenstrecker)
ausgeführt. War die Starre gering, so wurde sie durch Durchtrennung
des Rückenmarks am zwölften Brustwirbel (meist beträchtlich) verstärkt.
Das Novokain wurde stets in den Triceps der einen Seite injiziert,
das andere Bein diente dann zum Vergleich. In den Triceps dieses
Vergleichsbeines wurde in den meisten Versuchen eine ebenso grosse
Menge physiologischer Kochsalzlösung eingespritzt; dieses erwies sich
stets als wirkungslos. Bei der intramuskulären Injektion wurde immer
sorgfältig darauf geachtet, dass die Spitze der Nadel sich im Muskel-
bauche befand und nicht subkutan lag. Wenn am Anfang des Ver-
suches das eine Bein eine stärkere Enthirnungsstarre im Ellbogen
zeigte als das andere, so wurde Novokain stets in das erstere injiziert.
Gewöhnlich zeigten aber beide Beine gleiche Starre.
Als Maass der Starre und der Novokainwirkung wurde der Vergleich
mit dem Bein der Gegenseite benutzt. Dabei wurde entweder das Tier
in Rückenlage gebracht, die beiden Oberarme parallel gestellt und
nun der Winkel gemessen, den der Unterarm mit demselben bildete.
Oder es wurde der Winkel bestimmt, hei welchem zuerst hei passiver
Beugung des Ellbogens ein Widerstand fühlbar wurde. Oder es wurden
beide Arme mit gleichmässigem Druck im Ellbogen gebeugt und der
Winkel der beiden Ellbogen danach gemessen. Auf diese Weise war es
möglich, ein möglichst objektives Maass der Enthirnungsstarre in den
verschiedenen Stadien des Versuches zu gewinnen.
Ausserdem wurde vor und nack Novokain der Einfluss verschiedener
Kopfstellungen auf den Tricepstonus !\ untersucht. Beim Vorhanden-
sein von deutlichen tonischen Labyrinthreflexen tritt beim Umilegen
des Tieres aus der Seiten- in Rückenlage eine starke Streckung beider
Vorderbeine ein, deren Grad auf die oben angegebene Weise gemessen
werden kann. Beim Kopfdrehen in Seitenlage reagiert vor allem das
obere Bein (Streckung, wenn der Scheitel nach unten gedreht wird;
Abnahme des Strecktonus, wenn der Scheitel nach oben gedreht wird);
wenn die Labyrinthreflexe überwiegen, reagiert das unten liegende
Vorderbein im gleichen Sinne, wenn die Halsreflexe überwiegen, da-
gegen im umgekehrten Sinne. Man tut daher gut, die Prüfung des
Einflusses von Kopfdrehen in Seitenlage nacheinander in beiden Seiten-
lagen vorzunehmen.
In denjenigen Fällen, in welchen nach Novokaineinspritzung der
Tricepstonus bei symmetrischer Kopfstellung im Seitenlage schon voll-
1) R. Magnus und A. de Kleyn, Die Abhängigkeit des Tonus der
Extremitätenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Archiv Bd. 145
S. 455. 1912.
Über die Wirkung des Novokains usw. 173
ständig geschwunden ist, kann man ihn durch Verstärkung der toni-
schen Innervation durch Kopfdrehen oder durch Umlegen des Tieres
in Rückenlage häufig noch zum Vorschein rufen und seine Intensität
messen.
Zur Prüfung der aktiven Beweglichkeit diente entweder der ge-
kreuzte Streckreflex, ausgelöst durch Kneifen der Pfote des Vorder-
beines der Gegenseite. In einzelnen Fällen liess sich auch durch Be-
klopfen des Endgliedes des zu prüfenden Vorderbeines eine reflek-
torische Streckung des Ellbogens durch Tricepskontraktion hervor-
rufen. Dieser Reflex soll im folgenden als ‚‚Tricepsreflex‘‘ bezeichnet
werden. Er ist beim dezerebrierten Tiere nur in Ausnahmefällen aus-
zulösen, während er beim dekapitierten Tier gewöhnlich mit grösster
Deutlichkeit nachweisbar ist. Manchmal gelingt es auch, nach dem
Auslösen des gleichseitigen Beugereflexes (auf Kneifen der Pfote des
Versuchsbeines) eine Rückstosskontraktion (,,Rebound-contraction“ von
Sherrington) hervorzurufen, welche dann ebenfalls als Beweis für das
Vorhandensein zentraler motorischer Innervation benutzt werden kann.
Bei allen diesen Prüfungen muss man sorgfältig ‚darauf achten,
dass es sich im Einzelfalle wirklich um eine Kontraktion bzw. um
Enthirnungsstarre im Triceps, d. h. im Ellbogen, handelt, und dass
nicht etwa die beobachteten Bewegungen des Armes durch Kontraktion
der Schultermuskeln hervorgerufen werden. Denn diese sind natürlich,
wenn der Triceps durch Novokain bereits völlig gelähmt ist, noch
unverändert erregbar.
Am Schluss des Versuches wurde dann in einer Reihe von Ver-
suchen beiderseits der Plexus brachialis freigelegt und die indirekte
' Erregbarkeit des Triceps vom Nerven aus mit dem faradischen Strome
geprüft. Zu diesem Zwecke wurden die Muskeln, welche das Schulter-
blatt mit dem Rumpfe verbinden, vom Rücken aus durchschnitten,
der Brachialplexus sorgfältig vom umgebenden Bindegewebe gesäubert
und. der Erfolg oder Nichterfolg der Reizung durch Besichtigung des
freigelesten Triceps kontrolliert. Zum Schlusse wurde beiderseits die
direkte Erregbarkeit des Triceps gemessen. Zu den Versuchen diente
ein nach Kronecker geeichtes’ Induktorium.
Das Ergebnis der Versuche mag durch einige Protokolle veranschau-
licht werden.
Versuch XV, am 10. Dezember 1918. Katze 1,23 kg. Äther, Karo-
tiden abgebunden, Vagi durchtrennt, Freilegung des Rückenmarkes am
zwölften Brustwirbel. Dezerebrierung mit Ausräumung des Grosshirns.
9h 50’. Ende der Operation, Äther abgestellt. Gute Starre der vier Beine,
- Spontanatmung. ; x
10h 40’, Stärkste Starre der vier Beine. Auf Kopfdrehen in Seitenlage
starke Hals- und Labyrinthreflexe. Auf Umlegen in Rückenlage
deutliche Labyrinthreflexe. In Seitenlage bei symmetrischer Kopf-
174 G. Liljestrand und R. Magnus:
stellung linkes Vorderbein maximal gestr eckt, rechts
Ellbogenwinkel 155°.
105 48’. In den linken Triceps wird 1 ccm 1P/oiges Novokain, in den rechten
1 cem 0,9V%/oiges NaCl eingespritzt.
10h 54°. In Rückenlage Ellbogenwinkel links 110°, rechts 135° (das
vorher stärker gestreckte linke Vorderbein hat also jetzt geringeren
Tricepstonus als das rechte).
10h 56. In Rückenlage Ellbogen links 90°, bietet geringen Widerstand
gegen Beugen, rechts 135°, bietet starken Widerstand gegen Beugen.
Auf Kopfdrehen in rechter Seitenlage reagiert das linke Vorder-
bein stark (Scheitel unten maximale Streckung, Mittelstellung 90°,
Scheitel oben 45°).
11h 00°. Y2 ccm 1°/oiges Novokain in den linken, '/2 ccm 0,9%Yoiges NaCl in
den rechten Triceps eingespritzt.
115 05’. In Seitenlage Ellbogen links 90°, geringer Widerstand beim Beugen,
rechts 135°, starker Widerstand beim Beugen. Auf Kopfdrehen
in Seitenlage starke Reaktion des linken Vorderbeines im Ellbogen,
wie 10h 56’.
11h 12”. In rechter Seitenlage bei symmetrischer Kopfstellung Ellbogen
links 45°, rechts 135%. Bei Kopfdrehen mit Scheitel unten EIl-
bogen links 90°, bei Scheitel oben 0°.
Darauf Freilegung des Plexus brachialis und des Triceps beider-
seits. Faradische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extrawider-
stand im sekundären Kreis.
Erregbarkeit rechts (Normalseite): indirekt 20 Kronecker,
a direkt 200 .
Erregbarkeit links (Novokainseite): indirekt 15 5
direkt 150 a
Ergebnis: Nach Einspritzung von I und von 11, cem Novokain
in den -Triceps erfolgt eine sehr starke Abnahme der hochgradigen
Streckstarre. Reaktion auf Kopfdrehen erhalten, führt aber zu ge-
ringeren Tonusgraden als vorher. Indirekte und direkte Erregbarkeit
des Triceps vollständig unvermindert.
Versuch XI, am 2. Dezember 1918. Katze 1,3 kg. Äther, Karotiden
abgebunden, Vagi durchtrennt. Dezerebrierung mit Ausräumung der
vorderen Schädelgrube.
6h 55°. Ende der Operation. Gute Starre.
7h 25’. Deutliche Starre der Vorderbeine, links etwas kräftiger als rechts.
In Rückenlage rechter Ellbogen 90°, linker 130°. In Seitenlage
gute Reaktion beiderseits auf Kopfdrehen.
7h 30. Kräftige Starre der Vorderbeine, links stärker als rechts.
7h 35°. 1 cem 1"/oiges Novokain in den linken Triceps injiziert.
7h 38—42'. Tonusunterschied der beiden Vorderbeine ver-
schwunden. Deutliche Reaktion beider Vorderbeine auf Kopf-
drehen in Seitenlage.
7h 44. Ysccm 1°/oiges Novokain in den linken Triceps eingespritzt.
7h 54‘. Starre beiderseits gleich. Linkes Bein reagiert noch deutlich auf
Kopfbewegungen, wenn auch schwächer als das rechte. !/e cem
1%oiges Novokain in den linken Triceps..
sh 00’. Starre im linken Ellbogen geringer als im rechten, aber immer
noch kräftig. Das linke Vorderbein zeigt noch schwache Reaktion
auf Kopfdrehen.
sh Ol’. Yaccm 1°%/oiges Novokain in den linken Triceps.
Über die Wirkung des Novokains usw. 175
8h 07°. Starre im linken Triceps sehr gering (hat auch im rechten Triceps
abgenommen). Tricepsreflex auf Beklopfen der Pfote links deutlich,
rechts kräftig. Auf Kopfdrehen keine Reaktion des linken Triceps,
deutliche Reaktion des rechten Triceps.
Beiderseits Freilegung des Plexus brachialis und Triceps. Fara-
dische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extrawiderstand im
sekundären Kreis.
Erregbarkeit rechts (Normalseite): indirekt 50—60 Kronecker,
direkt 425 “
Erregbarkeit links (Novokainseite): indirekt 60 A
direkt 825 a:
Ergebnis: Nach 1 cem 1%igem Novokain beginnt die Starre
abzunehmen, nach 2%, ccm ist sie fast ganz geschwunden. Reaktion '
auf Kopfdrehen aufgehoben. Tricepsreflex dagegen deutlich. Indirekte
Erregbarkeit unverändert erhalten.
Versuch XI, am 6. Dezember 1918. Katze 1,15 kg. Äther, Karotiden
abgebunden, Vagi durchtrennt. Freilegung des Rückenmarks am zwölften
. Brustwirbel. Dezerebrieren mit Ausräumung der vorderen Schädelgrube.
10h 30. Ende der Operation. Starre der Vorderbeine. .
11h 08°. Durchtrennung des Rückenmarks am zwölften Brustwirbel. Enorme
Starre der Vorderbeine und des Nackens. Beugung der Vorder-
beine kaum möglich. Kopfdrehen in Seitenlage bewirkt Labyrinth-
reflexe.
11h 13. lccm 1°oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9°/oiges NaCl in
den rechten Triceps.
11h 18. In Seitenlage mit symmetrischer Kopfstellung Ellbogen links
h 90°, rechts 135°. Auf Kopfdrehen mit Scheitel unten maximale
Starre beider Vorderbeine. Gekreuzter Streckreflex auf das linke
Bein deutlich.
11h 25. 1 ccm 1%oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%/oiges NaCl in
den rechten Triceps. (Die Novokaineinspritzung ist wahrscheinlich
nicht in, sondern neben den Muskel erfolgt.)
11b 30°. In Rückenlage Starre rechts maximal, links sehr gering. In rechter
Seitenlage Starre rechts 90°, links 0°. Auf Kopfdrehen mit dem
Scheitel nach unten rechts Starre maximal, links deutlich geringer.
Gekreuzter Streckreflex auf das linke Vorderbein (Ellbogen) deutlich.
11h 39. Ye ccm 1%oiges Novokain links, Y/s ccm 0,9%Yoiges NaCl rechts.
11h 46'. In Seitenlage Starre links noch nicht ganz geschwunden, aber viel
geringer als rechts. Starke Reaktion beiderseits auf Kopidrehen,
aber auch bei Scheitel unten ist die Starre links viel geringer als
rechts. Streckreflex links positiv.
11h 52'. 1ccm 1°oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%/oiges NaCl in
den rechten Triceps.
11h 5%. Starre links noch nicht vollständig geschwunden. Linkes Bein
wird gestreckt gehalten, lässt sich aber total beugen, während
rechts bei gleichem Druck der Ellbogen einen Winkel von 135°
bildet. Deutliche Reaktion auf Kopfdrehen in Seitenlage.
12h 03°. 1 ccm 1°iges Novokain links, 1 ccm 0,9%oiges NaCl rechts.
1) Die einzelnen Teile der Tricepsoberfläche sind immer sehr verschieden
empfindlich gegen den faradischen Strom, so dass bei der Ermittelung der
direkten Muskelerregbarkeit auf kleine Unterschiede kein Wert gelegt
werden darf. ? /
176 G. Liljestrand und R. Magnus:
12h 08. Im linken Vorderbein ist noch immer etwas Starre vorhanden,
deutliche Reaktion auf Kopfdrehen, deutlicher gekreuzter Streck-
reflex.
12h 12', 1 ccm 1°/oiges Novokain links, 1 ccm 0,9%oiges NaCl rechts.
12h 17. Zustand unverändert.
12h 21’. 1ccm 1%oiges Novokain links, 1 ccm 0,9%/oiges NaCl rechts.
12h 26‘. In Rückenlage Tonus im linken Triceps verschwunden (bei deut-
lichem Tonus:der linken Schultermuskeln), im rechten Triceps stark.
Reaktion auf Kopfdrehen in Seitenlage links minimal (aber noch
deutlich), rechts sehr stark, Gekreuzter Streckreflex auf das linke
Vorderbein verschwunden. 5
12h 31‘. Ye cem 1®oiges Novokain links, Vs ccm 1",oiges NaCl rechts.
12h 37. Starre im linken Ellbogen verschwunden, rechts sehr stark. Auf
Kopfdrehen in Seitenlage reagiert der linke Triceps höchstens mini-
mal, die linke Schulter deutlich; der rechte Triceps maximal. Ge-
kreuzter Streckreflex verschwunden.
Beiderseits wird der Plexus brachialis und der Triceps freigelegt.
Faradische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extrawiderstand.
Erregbarkeit rechts (Normalseite): indirekt 400 Kronecker,
direkt 1500 e
Erregbarkeit links (Novokainseite): indirekt 3000 unwirksam,
direkt 2000 wirksam.
Ergebnis: Sehr starke Starre. Diese wird durch 1 cem 1% iges
Novokain bereits deutlich vermindert, während die Reaktion auf Kopf-
drehen und der gekreuzte Streckreflex erhalten bleiben. Auf 2 ccm
ist die Starre minimal, die Reaktion auf Kopfdrehen und der Streck-
reflex deutlich vorhanden. Dieser Zustand ist auch nach 51, cem noch
unverändert erhalten. Erst auf 61, ecm verschwindet der gekreuzte
Streckreflex, auf 7 cem die Reaktion auf Kopfdrehen. Die indirekte
Erregbarkeit des linken Triceps ist erloschen, die direkte fast un-
vermindert erhalten.
Diese Versuche zeigen, und alle anderen Experimente haben es
bestätigt, dass kleine Novokaindosen, intramuskulär ein-
sespritzt, die Enthirnungsstarre sehr beträchtlich ver-
mindern, ohne sie in den meisten Fällen vollständig auf-
zuheben. In diesem Zustand ist aber die aktive Beweg-
lichkeit noch unverändert erhalten, und bei indirekter
faradischer Reizung vom Plexus aus findet man dieselben
Schwellenwerte wie am unvergifteten Muskel. Erst be-
trächtlich grössere Dosen Novokain heben die indirekte
Erregbarkeit des Muskels und damit natürlich auch die
letzten Reste von Enthirnungsstarre und die aktive Be-
weglichkeit auf. Die direkte faradische Erregbarkeit ist
dann aber noch erhalten und häufig kaum vermindert.
Im einzelnen haben sich folgende Verhältnisse ergeben. Einspritzung
von Y, cem 1%igem Novokain in den Triceps erwies sich als wirkungs-
los. Die kleinste Dose, welche eine Herabsetzung der Enthirnungs-
Über die Wirkung des Novokains usw. 177
starre bewirkte, war 1, ccm. Unter sieben Versuchen war eine Dosis
von l ccm nur einmal nicht genügend, die Enthirnungsstarre zu ver-
mindern, so dass 2 cem eingespritzt werden mussten. (Das Gewicht
der Versuchstiere war meist zwischen 1 und 1,3 kg. Von einer Berech-
nung der Dosen auf 1 kg Körpergewicht wird Abstand genommen,
weil eigentlich nur das Gewicht des injizierten Triceps in Betracht
kommt, der auch bei Tieren gleichen Gewichtes nicht gleich schwer
ist.) Während die Herabsetzung der Enthirnungsstarre nach der In-
jektion der genannten kleinen Dosen in allen Fällen sehr deutlich und
unzweifelhaft ist, ist der Grad der Starre, welcher dann noch zurück-
bleibt, in den verschiedenen Versuchen sehr wechselnd. War die Starre
vorher gering, so kann sie nach Novokain fast vollständig schwinden,
so dass sie kaum noch nachweisbar bleibt. Handelt es sich dagegen
um ein Tier mit beträchtlichem Tricepstonus, so kann auch nach der
Injektion noch eine deutliche Starre zurückbleiben, die allerdings
dann immer sehr viel geringer ist als vorher. Die Gründe für dieses
wechselnde Verhalten können erst weiter unten auseinandergesetzt
werden. Auch wenn nach den kleinen Novokaindosen die Enthirnungs-
starre fast vollständig geschwunden ist, kann man meist durch geeignete
Lagerung des Kopfes (Rückenlage, Kopfdrehen in Seitenlage) die
tonischen Hals- und Labyrinthreflexe auf die Gliedermuskeln zum
Vorschein rufen und dadurch den Tonus des schlaffen Triceps wieder
steigern. Der Grad, bis zu welchem dieses möglich ist, hängt, solange
die indirekte Erregbarkeit des Triceps nicht abgenommen hat, davon
ab, wie stark diese Reflexe bei dem betreffenden Versuchstier aus-
gesprochen sind, was von Fall zu Fall wechselt und am Beginn jedes
Versuches festgestellt werden muss.
Zur völligen Aufhebung der indirekten Muskelerregbarkeit vom
Plexus aus sind bei Tieren von 1—1,3 kg 7—8 cem 1 %iges Novokain
erforderlich. In einem Falle war bei einem Tiere von 1,5 kg nach
8 ccm noch eine geringe Spur von Erregbarkeit vorhanden (4000 Kron-
ecker gegenüber 20 Kr. auf der Normalseite). Andererseits war einmal
bei einer Katze von 1,9 kg nach 4 cem 1%igem Novokain die indirekte
Erregbarkeit bereits erloschen.
Die kleinsten Dosen, bei welchen die indirekte Erregbarkeit abnahm,
ohne jedoch vollständig zu erlöschen, waren 3 ccm bei einer Katze
von 1,9 kg (2000 Kronecker gegen 100 Kr. auf der Normalseite) und
. 2 ccm bei einem Tiere von 0,75 kg (1000 Kr. gegen 100 Kr. auf der
Normalseite). In dem letzteren Falle war noch eine schwache Reaktion
des betreffenden Triceps auf Kopfdrehen und beim gekreuzten Streck-
reflex vorhanden. Andererseits war in einem Versuche bei einem
Tiere von 1,5 kg nach 8 cem Novokain noch eine schwache Reaktion
bei Plexusreizung erhalten (3000 Kr. gegen 20 Kr. auf der Normalseite).
Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 176. 12
178 G. Liljestrand und R. Magnus:
Wenn also auch im Einzelfalle die Dosen etwas wechseln, so ist
doch die wesentliche Tatsache über jeden Zweifel erhaben, dass nach
kleinen Novokaindosen die Starre beträchtlich abnimmt,
ohne dass die aktive Beweglichkeit und die indirekte
Erregbarkeit vermindert ist, und dass erst beträchtlich
srössere Novokaindosen erforderlich sind, um aktive Be-
weglichkeit und indirekte Erregbarkeit aufzuheben. Damit
ist für die Enthirnungsstarre der Befund, den Erich Meyer und
Weiler am tetanusstarren Muskel des Menschen erhoben haben, voll-
inhaltlich bestätigt.
Es fragt sich nun, wie diese Tatsache zu erklären ist. Dazu ist es
nötig, die Entstehung der Enthirnungsstarre zu erörtern. Durch
Sherrington !) ist nachgewiesen worden, dass dieselbe ein tonischer
Reflex ist, welcher hauptsächlich durch proprioceptive Erregungen
zustande kommt, die in den tonisch kontrahierten Muskeln selber.
ihren Ursprung nehmen. Ausser dieser Hauptquelle spielen aber noch
andere Dauererregungen eine Rolle. Zunächst proprioceptive Erregungen
von anderen Muskeln desselben Gliedes und des Gliedes der Gegen-
seite, ferner Impulse von Hautnerven der Extremität, tonische Ein-
flüsse vom Hals und den Labyrinthen und ausserdem noch von den
anderen Körperregionen ?). Schematisch können wir also sagen, dass
die Enthirnungsstarre entsteht erstens auf Grund von proprioceptiven
Erregungen, die von dem tonisch kontrahierten Muskel selbst aus-
gehen, und zweitens auf Grund von einer grossen Gruppe von anderen
afferenten Impulsen. Die proprioceptiven Erregungen, welche vom
betreffenden Muskel selber ausgehen, spielen für die Enthirnungsstarre
in allen Fällen eine sehr grosse Rolle. Die Impulse von den anderen
Quellen addieren sich je nach der Lage des Einzelfalles in verschiedenem
Grade hinzu.
Die in unseren Versuchen beobachtete Wirkung des Nevokains
auf den Skelettmuskel wird demnach verständlich, wenn man an-
nimmt, dass kleine Dosen nach intramuskulärer Einspritzung
ausschliesslich die sensiblen Nervenenden im Muskel selber
lähmen. Dann werden die proprioceptiven Erregungen, welche von
diesem Muskel selber ausgehen, aufgehoben und damit die wichtigste
Quelle der Enthirnungsstarre beseitigt. Die Folge ist, dass die Starre
abnimmt. Aber sie braucht nicht ganz zu schwinden, weil sensible
Erregungen von anderen Körperteilen noch einwirken können. Vor
1) ©. S. Sherrington, Integrative action of the nervous system p. 398.
1906. — Flexion reflex of the limb etc. Journ. of Physiol. vol. 40 p. 28. 1910.
2) R. Magnus und W. Storm van Leeuwen, Akute und dauernde
Folgen des Ausfalles der tonischen Hals- und Labyrinthreflexe. Pflüger’s
Archiv Bd. 159 S. 213ff. 1914.
Über die Wirkung des Novokains usw. 179
allem ist das der Fall für die Erregungen vom Hals und den Laby-
rinthen, welche je nach der Erregbarkeit des Tieres ihre Wirkung
noch entfalten können. In diesem Zustand ist die aktive Beweglich-
keit vom Zentralnervensystem aus und die indirekte Erregbarkeit
vom Plexus aus noch unvermindert erhalten. Erst sehr viel grössere
Dosen lähmen die motorischen Nervenenden im Muskel und heben
dadurch aktive Beweglichkeit und indirekte Erregbarkeit auf. Durch
die von uns verwendeten Dosen tritt eine Lähmung des Muskels selber
dagegen nicht ein.
Diese Hypothese ist experimenteller Prüfung zugänglich. Schaltet
man die Sensibilität des zum Versuche benutzten Muskels durch Durch-
schneidung der zugehörigen Hinterwurzeln aus und erzeugt danach
durch Dezerebrieren eine Enthirnungsstarre, so muss Einspritzung
von kleinen Dosen Novokain ohne jeden Einfluss auf die
Starre sein, während natürlich die grossen Dosen durch Lähmung
der motorischen Nervenenden Starre, aktive Beweglichkeit und in-
direkte Erregbarkeit aufheben. Die Versuche haben ergeben, dass
dieses tatsächlich der Fall.
"Von vornherein war es nicht sicher. dass diese Experimente zum
gewünschten Ziele führen würden, weil nach Hinterwurzeldurchschnei-
dung die Starre der zugehörigen Muskeln gering zu sein pflegt. Wenn
man den Einfluss von Novokain untersuchen will, muss man aber
an Muskeln arbeiten, welche zu Anfang eine deutliche tonische Kon-
traktion zeigen. Es ist nun möglich gewesen, durch Durchschneidung
des Rückenmarkes im untersten Brustteil und durch geeignete Lage-
rung des Kopfes bei den Tieren hinreichend starke Starre des Triceps
zu erzielen.
Folgendes Versuchsbeispiel möge das Ergebnis veranschaulichen:
Versuch XVI, am 11. Dezember 1918. Katze 1,27 kg. Äther, Karotiden
abgebunden, Vagi durchtrennt, Freilegung des Rückenmarks am zwölften
Brustwirbel. Beiderseits werden die Hinterwurzeln extradural vom sechsten
Halssegment bis zum zweiten Brustsegment durchtrennt!), Vorderwurzeln
intakt gelassen. Dezerebrierung mit Ausräumen der vorderen Schädelgrube.
10h 25'. Ende der Operation, Tier schlaff.
10h 55. Gute Starre der Hinterbeine, Vorderbeine schlaff. Durchtrennung
des Rückenmarks am zwölften Brustwirbel. Darauf sofort kräftige
Starre der Vorderbeine, welche auf Kopfdrehen in Seitenlage gute
Hals- und Labyrinthreflexe zeigen.
11h 04—11’. In Seitenlage mit symmetrischer Kopfstellung hat das linke
Bein deutlichen Tonus (90°), das rechte Vorderbein ist schlaff. Auf
Kopfdrehen mit Schädel unten bekommt bei rechter Seitenlage das
linke Vorderbein eine Starre von 155°, in linker Seitenlage das
rechte Vorderbein 90° Das linke Vorderbein hat also stärkere
Starre als das rechte.
1) Der Triceps wird bei der Katze von C, und Th, innerviert. S. u.
S. 198 und Polimanti, zit. nach v. Rynberk, Erg. d. Anatomie 18. 733. 1908.
12 *
180 G. Liljestrand und R. Magnus:
11% 13’. 1V/’e ccm 1P/oiges Novokain in den linken, 1’/a ccm 0,9%/oiges NaCl
in den rechten Triceps.
11h 23’. Ye ccm 1°/oiges Novokain in den linken, !/a ccm 0,9%Yoiges NaOl
in den rechten Triceps.
11h 33’. Ye cem 1°oiges Novokain in den linken, "sa ccm 0,9%/oiges NaCl
in den rechten Triceps.
11h 44. Ya ccm 1°/oiges Novokain in den linken, !/s ccm 0,9°/oiges NaCl in
den rechten Triceps.
11b 51’. 1 ccm 1°oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%/oiges NaQl in
den rechten Triceps.
11h 59. 1 ccm 1°/oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9/oiges NaCl in
den rechten Triceps.
12h 08. 1 cem 1°/oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%oiges NaCl in
den rechten Triceps.
12h 13. Nach Einspritzung von 6 ccm Novokain in den linken Triceps ist
der Zustand vollständig ungeändert. Der linke Triceps hat immer
noch mehr Tonus als der rechte. Derselbe nimmt in Rückenlage
und in rechter Seitenlage mit Scheitel unten auf 135° zu.
12h 15’, 1 ccm 1%oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%oiges NaCl in
den rechten Triceps.
12h 21’. Der Strecktonus im linken Ellbogen hat etwas abgenommen,
ist aber immer noch stärker als im rechten (90° in rechter Seiten-
lage mit Scheitel unten).
12h 25’. 1 cem 1°%oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9%iges NaCl in
; den rechten Triceps.
12h 30. Der Tonus im linken Ellbogen hat weiter abgenommen, ist a
noch nicht ganz geschwunden.
12h 32°. 1 ccm 1’/oiges Novokain in den linken, 1 ccm 0,9°/oiges NaCl in
den rechten. Triceps.
12h 38. In Rückenlage deutlicher Tonus im rechten Ellbogen, keine Spur
von Tonus im linken Ellbogen. Auf Kopfdrehen in rechter Seiten-
lage zeigt der linke Ellbogen noch eine ganz minimale Reaktion.
Beiderseits Freilegung des Plexus brachialis und des Triceps.
Faradische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extrawiderstand
im sekundären Kreis. |
Erregbarkeit rechts indirekt 200 Kr. direkt 600 Kr.
3 links n 2000 „. negativ, „ 600-800 .,
Sektion: Beiderseits Hinterwurzeln von C, bis Th, durchtrennt,
alle Vorderwurzeln intakt.
Ergebnis: Nach Durchtrennung der Hinterwurzeln für den Triceps
tritt genügende Enthirrungsstarre auf. Intramuskuläre Ein-
spritzung von kleinen Novokaindosen ist ohne jeden Ein-
fluss auf die Starre. Selbst nach 6 ccm 1%igem Novokain ändert
sich dieselbe nicht. Erst 7 cem vermindert die Starre, S ccm hebt
sie auf. Danach ist die indirekte Erregbarkeit erloschen, die direkte
fast unvermindert erhalten.
Nachdem dieser Versuch der Erwartung vollständig entsprochen
hatte, dass nach Ausschaltung der sensiblen Nerven kleine Novokain-
dosen ohne jeden Einfluss auf die Enthirnungsstarre sind und erst
grosse Dosen, welche die motorischen Nervenenden im Muskel lähmen,
die Starre aufheben, war noch festzustellen, ob tatsächlich sieh nach
Über die Wirkung des Novokains usw. 181
den kleinsten Novokaindosen, welche gerade eben die Starre vermindern,
auch bereits eine Herabsetzung der indirekten Erregbarkeit des de-
sensibilisierten Muskels nachweisen lässt. Auch dieses ist der Fall,
wie nachfolgender Versuch zeigt.
Versuch XX, am 18. Dezember 1918. Katze 1,5 kg. Äther, Karotiden
abgebunden, Vagi durchtrennt. Freilegung des Rückenmarkes am zwölften
Brustwirbel. Extradurale Durchschneidung der Hinterwurzeln links von
C; bis Th;, rechts von C, bis Th,. (Ausserdem wird, wie die später vor-
genommene Sektion zeigte, links noch die Vorderwurzel von Th, durch-
schnitten, welche sich aber an der Innervation des Triceps nicht mehr be-
teiligt.) Dezerebrierung mit Ausräumen der vorderen Schädelgrube. Ope-
rationsdauer 37 Minuten.
10h 02’. Ende der Operation. Geringer Tonus im linken Triceps. Spontane
Atmung. :
10h 40. In Rückenlage Tricepstonus links 135°, rechts 90%. Auf Kopfdrehen
in Seitenlage sehr starke Reaktion des linken, keine Reaktion des
rechten Ellbogens.
104 45. Durchtrennung des Rückenmarkes am zwölften Brustwirbel. Zu-
nahme der Starre der Vorderbeine In Rückenlage maximale
Streckung beider Vorderbeine; das linke ist vollständig steif, das
rechte bietet gegen passive Beugung etwas weniger Widerstand.
Kopfdrehen in Seitenlage macht starke Labyrinthreflexe an beiden
Vorderbeinen. Da das linke Vorderbein den stärkeren Strecktonus
hat, wird in dieses Novokain eingespritzt.
Von 10h 54’ bis 11h 47’ werden im ganzen 7 ccm 1°/oiges Novokain in den
linken und 7 ccm 0,9°/oiges NaCl in den rechten Triceps eingespritzt,
ohne dass sich der Zustand ändert. Noch immer hat das
linke Bein stärkeren Strecktonus im Ellbogen als das rechte. In
Rückenlage erfolgt deutliche Tonuszunahme beider Beine, links
aber stärker als rechts. Auf Kopfdrehen in Seitenlage reagieren
beide Vorderbeine kräftig.
11h 54. 1 ccm 1°/oiges Novokain in den linken, 1 cem 0,9%oiges NaCl in
den rechten Triceps.
12h 04’. Das linke Vorderbein reagiert noch auf Kopfdrehen in Seitenlage,
hat aber in Rückenlage deutlich weniger Strecktonus im
Ellbogen als das rechte.
Freilegung des Plexus brachialis und Triceps beiderseits. Fara-
dische Reizung, ein Akkumulator, kein Extrawiderstand.
Erregbarkeit rechts indirekt 20 Kr., direkt 250-500 Kr.
s links n 3000 „. * „ 300-350 „
Ergebnis: Nach Denervierung des Triceps ist Einspritzung von
7 cem 1%igem Növoka'n ohne jede Wirkung auf die Enthirnungsstarre.
Nach 8 ccm beginnt die Starre nachzulassen. Dabei ist die indirekte
Erregbarkeit vom Nerven aus beträchtlich herabgesetzt, die direkte
praktisch ungeändert.
In demselben Sinne fielen zwei weitere Versuche aus. In dem
einen war bei einer Katze von 1,15 kg die Starre im desensibilisierten
Triceps (C,—Th,) nach 3 cem 1%igem Novokain noch unvermindert
und begann nach 4 ccm abzunehmen; dabei war die indirekte Erreg-
barkeit von 20 Kr. auf der Kontrollseite bis auf 2000 Kr. auf der
182 G. Liljestrand und R. Magnus:
Novokainseite herabgesetzt. In dem anderen Versuche war bei einer
Katze von 2,65 kg die Starre im desensibilisierten Triceps (C,— Th,)
nach 4 com 1%igem Novokain ganz unvermindert, nach 5 ccm war
eine ganz unsichere und zweifelhafte Andeutung von Tonusabnahme
vorhanden, nach 6 ccm wurde eine geringe Abnahme deutlich. Der
Triceps hatte aber noch Enthirnungsstarre und zeigte Hals- und
Labyrinthreflexe. Die indirekte Erregbarkeit war von 20 (Normalseite)
bis auf 4000 Kr. (Novokainseite) herabgesetzt !).
Diesen vier positiven Versuchen, welche übereinstimmend zeigen, dass
nach Durchtrennung der zugehörigen Hinterwurzeln kleine Novokaindosen
ohne Wirkung auf die Enthirnungsstarre sind, und dass erst solche Dosen
die Starre vermindern bzw. aufheben, welche die motorischen Nervenenden
im Muskel lähmen, steht ein Versuch gegenüber, der im umgekehrten Sinne
ausfiel. Hier war bei einem Tier von 1,15 kg nach 3V/a com 1°%oigem Novo-
kain eine geringe Abnahme des Tricepstonus eingetreten, während die in-
direkte Erregbarkeit sich nicht geändert hatte (beiderseits 15 Kr.). Bei
dieser Katze hatte der Tonus des Versuchsmuskels schon vor der Novokain-
injektion eine Tendenz zur Abnahme gezeigt. Da es in Experimenten an
dezerebrierten Tieren nicht selten vorkommt, dass die Starre in einem oder
in beiden Beinen ohne direkt erkennbare Ursache. abnimmt, sind wir be-
rechtigt, das Ergebnis dieses Versuches als Zufallsresultat und nicht als
Folge der Novokaininjektion aufzufassen, um so mehr, als die übrigen vier
Versuche durchaus übereinstimmend und positiv ausfielen.
Die Versuche haben somit zu folgendem Ergebnis geführt:
Novokain in kleinen Dosen (im Mittel 1 ccm 1°, bei Tieren
von etwa 1 kg) in den Triceps dezerebrierter Katzen ein-
gespritzt, lähmt die proprioceptiven sensiblen Muskel-
nerven und vermindert dadurch die (reflektorisch bedingte)
Enthirnungsstarre. Bis zu welchem Grade dieselbe ab-
nimmt, hängt davon ab, in welchem Ausmaasse sich im
Einzelfalle noch andere reflektorische Einflüsse am Zu-
standekommen der Starre des betreffenden Triceps be-
teilisen. In diesem Stadium lassen sich durch Vermitte-
lung des Zentralnervensystems noch kräftige Reflexe auf
den Triceps hervorrufen. Bei faradischer Reizung des
Plexus brachialis zeigt sich die indirekte Erregbarkeit
quantitativ unvermindert.
1) In diesem letzteren Versuch war die Starre der Vorderbeine auch
nach Durchtrennung des Rückenmarkes am zwölften Brustwirbel zunächst
zu gering, um die Wirkung von Novokain untersuchen zu können. Es wurde
daher 0,03 mg Strychninnitrat intravenös eingespritzt. Diese Dosis steigert
nach den Erfahrungen von Magnus und Wolf (Pflüger’s Arch. Bd. 149
S. 447. 1913) die Enthirnungsstarre beträchtlich, ohne die Reflexerregbarkeit
störend zu erhöhen. Ausserdem nehmen die tonischen Hals- und Labyrinth-
reflexe stark zu, ändern aber ihren Charakter nicht. Dieser Erfolg trat
auch in dem geschilderten Versuch mit grösster Deutlichkeit ein, so dass
jetzt die Novokainwirkung untersucht werden konnte.
Über die Wirkung des Novokains usw. 183
Grosse Dosen Novokain (in den meisten Fällen 6—8 cem 1%,
bei Katzen von etwa Il kg) lähmen auch die motorischen Nerven-
enden im Muskel und heben damit die Enthirnungsstarre
völlig auf. Reflexe auf den Triceps sind nicht mehr aus-
zulösen, die indirekte Erregbarkeit erlischt. Dagegen ist
der Muskel selbst (meist unvermindert) noch direkt er-
reobar.
III. Die Wirkung kleiner Novokaindosen auf den Skelettmuskel
normaler Katzen.
Die bisher geschilderten Versuche gaben zu der Frage Anlass, ob
es auch bei normalen, nicht dezerebrierten Tieren gelingt, durch kleine
Novokaindosen die proprioceptive sensible Innervation eines bestimmten
Muskels vorübergehend bei erhaltener aktiver Beweglichkeit aus-
zuschalten und die Ausfallserscheinungen zu studieren. Auch diese
Experimente wurden hauptsächlich am Triceps der Katze angestellt.
Spritzt man einer Katze in den Triceps des einen Vorderbeines
0,3—1,5 ecem, im Mittel 1 ccm pro Kilogramm einer 1% igen Lösung
von Novokain — HCl, so entwickelt sich nach etwa 5 Minuten eine
ganz auffallende Störung. Der Strecktonus des Ellbogens der injizierten
Seite nimmt beträchtlich ab oder schwindet gänzlich, so dass passive
Beugung des Unterarmes auf keinen Widerstand mehr stösst. Steht
das Tier auf dem Boden, so kann man auf das Schulterblatt der Normal-
seite einen sehr kräftigen Druck ausüben, ohne dass das Tier einknickt,
während bei Druck auf das Schulterblatt der injizierten Seite das
Vorderbein sofort nachgibt. Packt man das Tier am Becken und
Nacken und lässt es allein mit dem normalen Vorderbein auf dem
Tische stehen, so trägt dieses Vorderbein den Körper, während derselbe
Versuch mit dem Vorderbein der injizierten Seite nicht gelingt und
der Vorderkörper des Tieres auf den Tisch fällt, weil der Ellbogen
widerstandslos nachgibt. Wenn das Tier läuft, se hinkt es auf dem
betreffenden Vorderbein, indem es mit demselben im Ellbogen ein-
knickt. Statt mit den Zehenballen tritt es mit der ganzen Sohle, ja
häufig sogar mit dem ganzen Unterarm bis zum Ellbogen auf. Indem
hierbei der Vorderkörper des Tieres sich dem Boden nähert, ist der
Schritt, den dabei das intakte Vorderbein ausführt, verkürzt, während
der Schritt mit dem injizierten Bein, während dessen das Normalbein
den Vorderkörper in normalem Abstand vom Grunde stützt, länger
ausfällt !). Infolgedessen findet das Laufen mit den Vorderbeinen im
Jambentakt statt. Überhaupt können die Tiere trotz des Tonus-
verlustes im einen Triceps sehr schnell laufen. Sie straucheln dabei
wohl einmal nach der Seite des injizierten Beines, kommen aber doch
1) Nicht zu verwechseln mit der S. 186 besprochenen Ataxie.
184 G. Liljestrand und R. Magnus:
schnell vorwärts. Die aktive Kontraktionsfähigkeit des be-
treffenden Triceps ist dabei vollständig erhalten. Davon
kann man sich erstens beim Laufen des Tieres überzeugen, wobei der
Ellbogen stark gebeugt und gestreckt wird. Je nach dem Temperament
der betreffenden Katze kann man die aktive Beweglichkeit auf ver-
schiedene Weise prüfen. Beim Halten in der Luft in Bauch- oder
Rückenlage, bei Versuchen des Tieres, zu kratzen, beim Kneifen der
Pfote des anderen Beines, bei starker Dorsalbeugung des Kopfes,
wenn das Tier auf dem Tische sitzt, und dergleichen kommt es zu
kräftiger Streckung des Ellbogens durch aktive Kontraktion des
Triceps, wovon man sich durch Betasten desselben und durch den
Widerstand bei Beugung des Ellbogens überzeugen kann. Diese Kon-
traktion ist aber immer nur von kurzer Dauer, solange eben die be-
treffende kurze Bewegung ausgeführt wird, und macht dann wieder
dem früheren Zustand der Tonuslosigkeit Platz.
Der Grad, bis zu welchem im Einzelfalle der Tonus des eingespritzten
Triceps schwindet, wechselt in den verschiedenen Versuchen. Meist
ist der Tonus vollständig aufgehoben, oder es sind, im Vergleich zur
Normalseite, nur noch geringe Spuren vorhanden. In einzelnen Fällen
bleibt etwas mehr Tonus zurück, wobei es dann zweifelhaft bleibt,
ob die Dosis ungenügend war, oder ob der Triceps in diesem Falle
seinen Tonus reflektorisch mehr aus anderen Quellen bezog. Stets
aber war in allen Versuchen ein ausserordentlich deutlicher Tonus-
verlust des injizierten Triceps nachzuweisen.
Die Deutung der Versuche stösst nach den Ergebnissen der vorher-
gehenden Abschnitte auf keine Schwierigkeiten. Der Tonus des Skelett-
muskels ist nach Brondgeest reflektorisch bedingt. Sherrington
vor allem hat betont, dass die hauptsächlichste Tonusquelle für einen
einzelnen Muskel in den proprioceptiven Erregungen zu suchen ist,
die aus diesem Muskel selbst stammen. Ausserdem kommen aber,
genau wie bei der Enthirnungsstarre (siehe oben S. 178), von anderen
Körperstellen ausgehende reflektorische Erregungen hinzu. Durch die
verwendeten kleinen Novokaindosen werden die sensiblen propriocep-
tiven Nervenenden im Triceps gelähmt, ohne dass die Funktion der
motorischen Nervenenden beeinträchtigt wird. Der Erfolg ist, dass
der proprioceptive tonische Reflex vom Triceps auf den Triceps auf-
gehoben wird, und dass nur noch der Rest von Tonus überbleibt,
welcher von anderen sensiblen Nerven ausgelöst wird, und welcher
von Fall zu Fall an Stärke wechselt.
Der Schluss, dass der Tonus eines bestimmten Skelettmuskels eine
Folge hauptsächlich der sensiblen Erregungen aus diesem Muskel selber
sei, beruht bisher auf Versuchen mit Durchschneidung der Hinter-
wurzeln, wobei es natürlich niemals möglich gewesen ist, die proprio-
Über die Wirkung des Novokains usw. 185
ceptiven Bahnen von einem einzelnen Muskel getrennt zu durch-
schneiden. Daher sind die hier geschilderten Experimente von be-
sonderem Interesse, weil es in ihnen zum ersten Male gelungen ist,
die Proprioceptoren eines einzelnen Muskels bei erhaltener Motilität zu
lähmen und die Folgezustände festzustellen. Das Ergebnis ist über
Erwarten deutlich ausgefallen und spricht für die Richtigkeit der
Anschauung von Sherrington: der Tricepstonus ist hauptsächlich
ein proprioceptiver Reflex vom Triceps selbst.
Durchschneidet man die Hinterwurzeln zu einem Vorderbein, so
ist der Triceps in den ersten Tagen ganz schlaff bei erhaltener aktiver
Beweglichkeit. Nach etwa einer Woche bekommt der Muskel aber
wieder Tonus, der im Laufe der Zeit dann weiter zunimmt und durch
tonische Reflexe aus anderen Körpergegenden bedingt ist. Bei diesem
und ähnlichen Versuchen erhebt sich die Frage, ob der erste tonuslose
Zustand des Muskels ausschliesslich durch die Durchtrennung der
sensiblen Nerven oder durch den Schock der Operation bedingt ist,
und ob andererseits der nach einiger Zeit wieder auftretende Tonus
auf Abklingen des Schocks beruht oder darauf, dass die Zentren des
betreffenden Muskels für die anderen afferenten Erregungen im Laufe
der Zeit erregbarer werden. Es erhebt sich also hier dieselbe Frage,
wie sie von Munk !), Trendelenburg ’; u. a. für die Folgen der
Querdurchtrennung des Rückenmarkes erörtert worden ist. Der Aus-
fall der hier geschilderten Versuche spricht sicherlich dafür, dass die
proprioceptiven Erregungen vom Muskel selbst in der Norm den Haupt-
anteil an dem Entstehen des Muskeltonus besitzen, dass nach ihrem
Fortfall der Muskel ganz oder nahezu schlaff wird, und dass, wenn
nach einer Hinterwurzeldurchschneidung nach einiger Zeit: wieder
Muskeltonus auftritt, dieses auf einer zunehmenden Erregbarkeit der
betreffenden motorischen Zentren für afferente Erregungen beruht. Denn
man kann sich nicht vorstellen, dass nach der peripheren Lähmung der
sensiblen Muskelnerven durch Novokain Schock im Zentrum auftritt.
Hierfür spricht auch, dass mit dem Abklingen der Novokainwirkung
alsbald die Funktion sich wieder vollständig herstellt. Gewöhnlich
dauert der oben geschilderte Symptomenkomplex 15—20 Minuten.
Nach %,— 3/, Stunde sind Tonus und Bewegungen im injizierten Vorder-
bein wieder völlig normal.
Die bisherige Schilderung gilt im wesentlichen für den Triceps.
Dasselbe Symptomenbild lässt sich aber, wenn auch nicht mit der-
1)H. Munk, Über das Verhalten der niederen Teile des Cerebrospinal-
systems nach der Ausschaltung höherer Teile. Berl. Akad. Sitzungsber.
1909 (2), 1106.
2) W. Trendelenburg, Die Methode der reizlosen Ausschaltung am
Gehirn und die Theorien der physiol. Hirnpathologie. Z. ges. exp. Med.
Bd. 3 S. 328. 1914.
186 G. Liljestrand und R. Magnus:
selben Deutlichkeit, am Gastrocnemius hervorrufen, wie ein Versuch
zeigte, in welchem Tonusverlust des betreffenden Fussgelenkes bei
passiver Beugung, Sohlenstand, Einknicken bein Laufen, Hinken und
Sohlengang bei erhaltener aktiver Beweglichkeit beobachtet wurde.
Doch ist nach den bisher gemachten Erfahrungen für Demonstrationen
der Triceps vorzuziehen, bei welchem der geschilderte Erfolg mit
grosser Regelmässigkeit eintritt, während am Hinterbein die anatomische
Anordnung der Muskeln derartig ist, dass wahrscheinlich Tonusverluste
eines einzelnen Muskels weniger schwere Symptome machen.
Nach Durchschneidung der Hinterwurzeln zu einem Vorderbein
ist neben der Muskelschlaffheit die hervorstechendste Folgeerscheinung
die Ataxie, welche sich in einem abnorm grossen Ausmaasse der
Bewegungen äussert, so dass beim Laufen die Vorderpfote sehr weit
nach oben und vorn, manchmal bis über das Ohr hinaus, gehoben
wird. Nach Novokaininjektion in den Triceps tritt eine derartige
Ataxie niemals auf. Es war deshalb zu untersuchen, ob, wenn man
ausser dem Triceps noch einige andere wichtige Muskeln und Gelenke
des Armes asensibel macht, dann Ataxie auftritt. Zu diesem Zwecke
wurden in verschiedenen Kombinationen und insgesamt der Triceps,
Biceps, Supraspinatus, Infraspinatus, Subscapularis sowie Schulter-,
Ellbogen- und Handgelenk mit Novokain eingespritzt. Danach trat
völlige Erschlaffung des Ellbogens, Erschlaffung der Schulterstrecker,
unvollständige Erschlaffung der Schulterbeuger auf. Das betreffende
Vorderbein konnte in Schulter und Ellbogen gut aktiv bewegt werden
und nahm beim Stehen und Laufen ganz abnorme Stellungen
an. Die oben erwähnten ausfahrenden ataktischen Bewegungen
waren aber nicht zu beobachten. Ob das Auftreten derselben durch
die erhaltene Sensibilität der übrigen, nicht eingespritzten Muskeln
(oder der Haut ?) verhindert wurde, ist ohne besondere Versuche nicht
zu entscheiden.
Die in diesem Abschnitte beschriebenen Versuche haben
gezeigt, dass durch Einspritzung kleiner Novokaindosen
(durchschnittlich 1 cem pro Kilogramm }%iger Lösung) in den
Triceps von Katzen bei völlig erhaltener aktiver Beweg-
lichkeit Erschlaffung des Muskels, Tonusverlust und da-
durch bedinste charakteristische Bewegungsstörungen auf-
treten, welche auf eine vorübergehende Lähmung der pro-
prioceptiven Muskelnerven zurückgeführt werden müssen.
Da es demnach durch Novokaimeinspritzung in den Muskel möglich
ist, einen Zustand vorübergehend zustande zu bringen, der bisher beim
Menschen nur durch die Förster ’sche Operation (Hinterwurzeldurch-
schneidung) erreicht werden konnte, so erscheint es wünschenswert,
dieses Verfahren auch klinisch zu verwenden, sei es zu diagnostischen
Über die Wirkung des Novokains usw. 137
Zwecken, um festzustellen, ob eine vorhandene Muskelspannung durch
proprioceptive Reflexe bedingt ist oder auf Kontraktur beruht, sei es
bei orthopädischen Maassnahmen, wenn man einen Muskelspasmus
vorübergehend aufheben will, was bisher nur durch tiefste Allgemein-
narkose möglich war bzw. die Tenotomie nötig machte. Über die
praktischen Ergebnisse dieses Verfahrens beim Menschen kann hoffent-
lich in einer folgenden Mitteilung berichtet werden !).
IV. Die Wirkung des Novokains auf den tetanusstarren
Skelettmuskel.
Nachdem sich in den bisher geschilderten Versuchen ergeben hatie,
dass kleine Novokaindosen die proprioceptiven Muskelnerven lähmen,
und dass es hierdurch sowohl beim normalen wie beim dezerebrierten
Tier zu einer hochgradigen Muskelerschlaffung bei völlig unverändert
erhaltener Motilität kommt, musste nunmehr untersucht werden, ob
diese selbe Wirkung auch am tetanusstarren Muskel eintritt,
und welcher Einfluss dadurch auf die Starre ausgeübt wird.
Im ganzen wurden bei elf Katzen, deren Gewicht von 0,6—3,7 kg
schwankte, Dosen von 0,3—1 ccm einer Y, %igen Lösung eines gut
wirksamen Tetanustrockentoxins in den Muskelbauch des Triceps
_ eingespritzt. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass sich die Starre
anfangs ausschliesslich auf den injizierten Triceps beschränkt und
erst sehr spät und in schwächerem Grade auf benachbarte Muskeln,
den Biceps und die Schultermuskeln, übergreift. Die Starre begann,
je nach der Grösse der Tiere und der Höhe der Dosis, nach 2—3 Tagen,
nur einmal war (bei einem Tiere von 1,3 kg) bereits nach 24 Stunden
der erste Anfang der Starre nachzuweisen. Wir haben dann die Tiere
in wechselnden Zeiten nach dem Starrebeginn, bis zu 7 Tagen nachher,
untersucht. Niemals kam es dabei zu allgemeinem Tetanus, nur in
einem Falle befand sich das Tier gerade an der Grenze des Auftretens
von allgemein gesteigerter Reflexerregbarkeit.
Die Starre entwickelte sich in der Weise, dass anfangs nur ein
gesteigerter Widerstand gegen passive Beugung im Ellbogengelenk
nachweisbar war, dass aber der Ellbogen bei Willkürbewegungen des
Tieres und nach Kneifen der Pfote noch vollständig gebeugt werden
konnte, wobei der vorher deutlich starre Muskel vorübergehend total
erschlaffte; daran schloss sich dann ein Stadium, in welchem der
Triceps bei derartigen Beugebewegungen nur noch teilweise, aber
nicht mehr vollständig erschlaffte, und schliesslich erfolgte (nach 5 bis
1) Inzwischen hat sich herausgestellt, dass man in Fällen von spastischer
Lähmung am Menschen durch Einspritzen von 1loigem Novokain die
Spasmen bei erhaltener aktiver Beweglichkeit aufheben oder hochgradig
vermindern kann. (Klinik von Prof. Winkler.)
188 G. Liljestrand und R. Magnus:
6 Tagen) weder spontan noch auf Pfotenkneifen eine Beugung des
Ellbogens und eine Erschlaffung des Triceps. Daraus folgt, dass im
Beginn der Starre der Triceps bei Beugebewegungen des Ellbogens
noch durch reciproke Innervation (Sherrington) gehemmt werden
kann, dass also die durch Sherrington gefundene Aufhebung der
reciproken Hemmung durch Tetanustoxin !) in den ersten Stadien der
Starreentwicklung noch nicht vorhanden ist und sich erst allmählich
ausbildet, also ein sekundärer Prozess ist, welcher erst später dazu
kommt.
Die Starre war in allen unseren Fällen rein zentral bedingt und
war nicht durch die von Gumprecht ?) und von Fröhlich und
H. Meyer) beschriebene sekundäre, Verkürzungskontraktur kom-
pliziert. Sie schwand nach Durchschneidung des Plexus brachialis
vollständig (in zwei Fällen nach zweitägiger Dauer der Starre, einmal
nach 3 Tagen, zweimal nach 5 Tagen). In einem Versuche liess sie
sich durch Einspritzung einer grossen Novokaindosis, welche die in-
direkte Erregbarkeit des Triceps vom Nerven aus vernichtete, voll-
ständig aufheben.
Nach unseren Erfahrungen können wir daher die Methode der
intramuskulären Impfung mit -Tetanustoxin für das Studium der
lokalen Muskelstarre durchaus empfehlen.
In einer ersten Versuchsreihe wurden die Katzen einseitig injiziert
und darauf in sehr verschiedenen Stadien von eben beginnender bis
zu hochgradiger Starre von mehrtägiger Dauer untersucht. Wir haben
die Tiere nicht dezerebriert, weil die Enthirnungsstarre das Bild der
Tetanusstarre sonst getrübt ‚hätte. Sie wurden vielmehr dekapitiert.
Man erhält dann ein sehr gutes Reflexpräparat ohne Enthirnungsstarre,
bei welchem der Unterschied zwischen dem tetanusstarren Triceps
der einen und dem völlig schlaffen, aber reflektorisch gut erregbaren
Triceps der anderen Seite ausserordentlich deutlich ist und sowohl
durch den Widerstand gegen passive Beugung im Ellbogen wie durch
die verschiedene Haltung der Vorderbeine bei symmetrischer Rücken-
lage des Tieres mit Schärfe festzustellen ist. Zur Gewinnung eines
zahlermässigen Ausdruckes bestimmten wir auch hier jedesmal den
Winkel, bei welchem bei passiver Beugung im Ellbogen zuerst ein
muskulärer Widerstand im Triceps fühlbar wurde. Dann wurde in
den tetanusstarren Triceps 1%ige Novokainlösung eingespritzt und
1) ©. S. Sherrington, On reciprocal innervation of antagonistie
muscles. 8. note. Proc. Roy. Soc. B. vol. 76 p. 269. 1905.
2) F. Gumprecht, Versuche über die physiol. Wirkungen des Tetanus-
giftes im Organismus. Pflüger’s Arch. Bd. 59 S. 105. 1894.
3) A. Fröhlich u. H. H. Meyer, Untersuchungen über den Tetanus.
Schmiedeberg’s Arch. Bd. 79 S. 55. 1915.
Über die Wirkung des Novokains usw. 189
festgestellt, bei welchen Novokaindosen eine teilweise und eine voll-
ständige Lösung der Starre erfolgte. Meist wurde zur Kontrolle auf
der normalen Seite die gleiche Menge 0,9 %,ige Kochsalzlösung injiziert,
die stets ohne jede Wirkung blieb.
Zar Prüfung der reflektorischen Erregbarkeit des Triceps benutzten
wir entweder den gekreuzten Streckreflex auf Kneifen der Pfote des
gegenseitigen Vorderbeines, meist aber den hierfür sehr geeigneten,
auf S. 173 beschriebenen ‚‚Tricepsreflex‘‘ auf Beklopfen des Endgliedes
des zu prüfenden Vorderbeines, worauf eine Streckung des Ellbogens
erfolgt, die durch Tricepskontraktion bedingt ist, welche sich meist
durch Betasten des Triceps durch die Haut hindurch als solche direkt
fühlen lässt.
Nach vollständiger Lösung der Starre wurde beiderseits der Plexus
brachialis freigelegt, der Triceps von Haut entblösst und der Schwellen-
wert für die indirekte faradische Erregbarkeit des Triceps und für
die direkte Erregbarkeit in Kronecker-Einheiten festgestellt.
Die folgenden Protokolle mögen als Beispiele für das Verhalten
bei beginnender und bei sehr hochgradiger Tetanusstarre dienen:
Versuch IX. Kätzchen von 1 kg.
18. Nov. 11h vorm. Injektion von 0,35 ccm Y/s/oiger Tetanustoxinlösung in
den rechten Triceps.
19. „ Noch keine Starre mit Sicherheit nachzuweisen.
20. „ 9V/eh. Deutliche Starre im rechten Triceps. Widerstand im Ellbogen
bei etwa 90°. Streckstand des rechten V orderbeines, wenn das Tier
frei in der Luft gehalten wird. Das Bein kann aber aktiv ziemlich
vollständig gebeugt werden. Das Tier läuft gut.
20. „ 10h. Athernarkose, Tracheotomie, Vagi durehtrennt, Karotiden ab-
gebunden. Dekapitieren nach Sherrington. Danach Äther ab-
gestellt. Tonische Starre im rechten Ellbogen deutlich. Wider-
stand bei etwa 70 -45°.
20. „ 11h 15’. Lebhafte Reflexe des Hintertieres (Patellarreflexe, Kratz-
reflex, Laufbewegungen). Linkes Vorderbein in Rückenlage voll-
ständig gebeugt, ohne Tonus. Am rechten Vorderbein steht der
Unterarm senkrecht nach oben, Ellbogen 135°, deutliche Starre des
Triceps. An beiden Vorderbeinen lebhafte gleichseitige Beugreflexe.
20. „ 11530’. Ye ccm 1°/oiges Novokain in den rechten Triceps, !/s ccm
phys. NaCl-Lösung in den linken Triceps injiziert.
20. „ 11435’. Stellungsunterschied der beiden Vorderbeine noch deut-
lich. Widerstand gegen passive Beugung im rechten Ellbogen etwas
vermindert.
20. „ 11h 37. "a ccm 1°oiges Novokain in den rechten, ’/; ccm NaCl
in den linken Triceps.
20. „ 11h 42’. Stellungsunterschied beider Vorderbeine verschwunden.
Bei passiver Beugung noch ein etwas grösserer Widerstand im
rechten Ellbogen als im linken.
„ 11h 45’ Ya ccm 1%oiges Novokain in den rechten, !/ ccm NaCl in
den linken Triceps.
20. „ 115 50’. In Ruhe kein Stellungsunterschied und kein Widerstands-
unterschied im rechten und linken Ellbogen. Auf Kneifen beider
20.
190 G. Liljestrand und R. Magnus:
Vorderpfoten rechter Ellbogen etwas mehr gestreckt als links, aber
kein stärkerer Widerstand rechts als links. Tricepsreflex beider-
seits deutlich. Nach einer Minute Stellungsunterschied verschwunden.
20. Nov. 11h 55'. Ys cem 1%oiges Novokain rechts, V/ı ccm NaCl links in
den Triceps.
„ 124. Stellungsunterschied völlig geschwunden. Kein
Widerstandsunterschied gegen passives Beugen beider Ell-
bogen, auch nicht nach Pfotenkneifen. Tricepsreflex beider-
seits deutlich.
Präparation des Plexus brachialis und Freilegung des Triceps
beiderseits. Faradische Reizung, zwei Akkumulatoren, kein Extra-
widerstand im sek. Kreis. i
Erregbarkeit: indirekt links 400 Kr., rechts 600.Kr.,
& direkt He 2800 5, 3.1700%25
Danach Tricepsreflex beiderseits noch deutlich vorhanden, ver-
schwindet auf Durchtrennung des Plexus.
Ergebnis: Die 2 Tage nach intramuskulärer Toxineinspritzung
deutlich ausgesprochene lokale Starre des Triceps ist nach dem De-
kapitieren unverändert erhalten. Sie nimmt nach Einspritzung von
1%, cem 1%igem Novokain wenig, nach 1 ccm fast völlig ab und ist
nach 13/4 ccm total aufgehoben. Dabei lässt sich aber der Muskel
im Tricepsreflex noch unverändert gut vom Zentrum aus erregen, die
indirekte und direkte faradische Erregbarkeit sind noch gut erhalten
(wenig herabgesetzt).
Versuch X. Katze 1,9 kg.
18. Nov. 11h vorm. 0,35 ccm Y/4P/oiges Tetanustoxin in den rechten Triceps.
19: Keine Starre.
20.
20. „ Starre im rechten Triceps wird deutlich.
21. „ Starre stärker.
22. „ Sehr starke Starre im rechten Triceps. Starker Widerstand bei 90°.
Kann noch gut springen und klettern, setzt aber die rechte Vorder-
pfote manchmal mit dem Rücken auf.
23. „ ÖSehr kräftige Starre des rechten Ellbogens, nicht im Fussgelenk,
dagegen wahrscheinlich etwas in der Schulter, nicht im Biceps.
Läuft und klettert unter Mitbenutzung des rechten Vorderbeins,
welches dabei noch bis auf 90° gebeugt werden kann. Bei Kopf-
senken in Fussstellung kann der rechte Ellbogen selbst bis auf 70°
gebeugt werden. Sonst ist der Widerstand des Ellbogens aber bei
135°. Starre ausserordentlich kräftig. Kein allgemeiner Tetanus,
keine Steigerung der Reflexerregbarkeit.
23. „ 10%. Dekapitieren in Athernarkose, die danach abgestellt wird. So-
fort danach beiderseits gute Tricepsreflexe. Widerstand im rechten
Ellbogen bei 80°.
23. „ 10h 31”. 1 cem 1°Poiges Novokain rechts, 1 ccm Ringer links
in den Triceps').
23. „ 105 36’. Starre nur wenig vermindert, Widerstand bei 50°. Tri-
cepsreflex beiderseits gut.
23. „105 38’. 1 cem 1%oiges Novokaiu rechts, 1 ccm Ringer links in
den Triceps.
1) Die Dosis wurde doppelt so gross genommen als im vorigen Versuch,
weil das Tier etwa doppelt so schwer war.
Über die Wirkung des Novokains usw. 191
23. Nov. 10h 44’. Starre hat deutlich abgenommen, ist aber nicht völlig
geschwunden. Widerstand bei 40—45°. Tricepsreflex deutlich. Die
Starre ist zum grösseren Teil geschwunden, aber ein zweifelloser
Rest ist noch vorhanden.
23. „ 10h 46’. 1 ccm 1°oiges Novokain rechts, 1 cem Ringer links in
den Triceps.
33. „ 10553’. Starre gering,aberdochnochetwasvorhanden.
Geringer Widerstand beietwa30° Tricepsreflex rechts
sehr deutlich, stärker als links. In Rückenlage ist der
rechte Ellbogen nur wenig mehr gestrecktalsder linke.
23. „ 10h 58’. 1 cem 1°/oiges Novokain rechts, 1 ccm Ringer links in
den Triceps.
233. „ 11h 8’ Starre rechts vollständig geschwunden. Kein Stellungs-
unterschied in Rückenlage, kein Widerstandsunterschied im rechten
und linken Ellbogen. Tricepsreflex links deutlich; rechts erfolgt
dagegen keine Bewegung im Triceps, nur in der Schulter.
Beiderseits Freilegung des Plexus brachialis und des Triceps.
Faradische Erregbarkeit: indirekt links 100—150 Kr.,
rechts unerregbar (2000 Kr.
unsichere Reaktion),
direkt links 900 Kr., rechts
1500 Kr.
Ergebnis: Die Starre des Triceps beginnt 2 Tage nach der Toxin-
injektion und ist nach 5 Tagen sehr stark ausgebildet. Sie bleibt nach
dem Dekapitieren erhalten. Nach 1 ccm 1%igem Novokain wird sie
wenig, nach 2 und 3 ccm dagegen sehr beträchtlich und bis auf einen
kleinen Rest vermindert. Dabei ist die reflektorische Erregbarkeit
des Triceps vom Zentrum aus noch unvermindert erhalten. Erst auf
4 ccm schwindet die Starre vollständig, die reflektorische Erregbarkeit
und die indirekte faradische Erregbarkeit vom Nerven aus sind dann
erloschen, die direkte Muskelerregbarkeit dagegen erhalten.
Die übrigen Versuche führten zu dem gleichen Ergebnis. Sie sind
hier in Tabellenform zusammengestellt.
Te Eee
Ge- \ regbarkeit barkeit
Nr £ kain- pro nn — Starre
Ze icht dosis kg Novo- Nor- | Novo- Nor- | schwindet
= kain- mal- | kain- | mal-
kg ccm ccm seite | seite seite | seite
4 0,60 13/4 2,9 500 250 2000 | 1000 | fast völlig
7 1,25 1!/a 1,2 70 50 2250 1750 | total
24 3,6 3 0,8 15 | 25 1000 1000 | fast völlig
29 1,3 1 0,8 50 50 400 500 | total
30 3,4 4 1,2 20 20 400 400 L;
sl 2,7 5) 1,85 10 20 200 | 300 5
Die Versuche 4 und 7 dieser Tabelle sind genau in der gleichen
Weise angestellt wie die oben ausführlich als Protokolle wiedergegebenen
Versuche 9 und 10. In den übrigen Versuchen 24—31 war das Tetanus-
192 G. Liljestrand und R. Magnus:
toxin beiderseits in den Triceps injiziert; nach Entwicklung der
Starre wurde dekapitiert und darauf Novokain nur an einer Seite
eingespritzt (an der anderen Seite wurden die Hinterwurzeln durch-
schnitten), so dass am Schlusse die faradische Erregbarkeit mit und
ohne Novokain an zwei Muskeln verglichen werden konnte, welche
beide unter dem Einflusse von Tetanustoxin gestanden hatten. Gerade
in diesen letzteren vier Versuchen ist nun durch Novokaindosen, welche
die Starre dreimal total und einmal fast völlig zum Verschwinden
brachten, wobei stets die Erregbarkeit des Muskels vom Zentrum aus
unbeeinträchtigt blieb, die indirekte faradische Erregbarkeit des Triceps
vom Nerven aus quantitativ unvermindert geblieben. Diese
Versuche sind also gerade besonders beweisend. In den Versuchen 4— 10,
in welchen das Toxin nur einseitig injiziert worden war, fand sich auf
der Seite der Tetanusstarre nach Injektion kleiner Novokaindosen. meist
eine etwas, wenn auch nur unbedeutend geringere indirekte und direkte
Erregbarkeit als auf der Normalseite. Hierdurch wird es wahrscheinlich,
dass diese leichte Verminderung der Erregbarkeit nicht auf Kosten
des Novokains, sondern des Tetanustoxins zu setzen ist, besonders
da durch Gumprecht gezeigt wurde, dass bei längerer Dauer der
Tetanusstarre die Erregbarkeit des Muskels durch den elektrischen
Strom allmählich abnimmt.
Diese Versuche zeigen also übereinstimmend, dass 'es
durch die verwendeten kleinen Novokaindosen geradeso
wie bei der Enthirnungsstarre so auch bei der Tetanus-
starre gelingt, die Dauerkontraktion des Muskels entweder
total oder in anderen Versuchen bis auf einen kleinen
unbedeutenden Rest zum Verschwinden zu bringen, ohne
die reflektorische Erregbarkeit vom Zentrum aus zu be-
einträchtigen, und ohne die indirekte faradische Erreg-
barkeit vom Nerven aus wesentlich zu vermindern. Letz-
tere kann vielmehr quantitativ unverändert bleiben.
Damit ist der tatsächliche Befund, den E. Meyer und Weiler
am Biceps des Menschen erhoben haben, vollinhaltlich beim Tiere
bestätigt worden.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass man die lokale tetanische
Muskelstarre beim dekapitierten Tiere durch kleine Novokaindosen
lösen kann, welche den Muske! und den motorischen Nerven nicht
lähmen, musste nunmehr geprüft werden, ob dasselbe auch beim in-
takten Tiere mit erhaltenem Gehirn gelinst. Es ergab sich, dass dieses
tatsächlich der Fall ist.
Zwei Versuchsprotokolle mögen als Beispiel dienen.
Über die Wirkung des Novokains usw. 193
Versuch XXIX. Katze 1,28 kg.
14. Jan. 1919 5\/’eh. Einspritzung von je 0,4 cem '/sP/oiger Tetanustoxin-
lösung beiderseits in den Triceps.
16. „ Beginnende Starre des rechten Triceps, links noch keine Starre.
17. „ Beiderseits Starre im Triceps. Bei Rückenlage des Tieres Ellbogen
links 90°, rechts 170°.
17. „ 457’. 1 cem 1%oiges Novokain in den rechten Triceps.
17. „ 95h. In Rückenlage linker Ellbogen 90°, rechter Ellbogen 45° (!).
Starkes Einknicken beim Laufen im rechten Ellbogen. Kurz darauf
Starre vollständig geschwunden. Sohlengang rechts. Bei
Druck auf das linke Schulterblatt beim stehenden Tiere fühlt man
einen kräftigen Widerstand, bei Druck auf das rechte Schulterblatt
dagegen keinen Widerstand, und das Tier knickt ein. Wird das
Tier an Kopf und Becken gehalten und mit einem Vorderbein auf
den Tisch gestellt, so kann es auf dem linken Vorderbein stehen,
auf dem rechten dagegen nicht und knickt sofort ein. Sehr starkes
Hinken mit dem rechten Vorderbein beim Laufen. — Der rechte
Ellbogen kann aber aktiv völlig gestreckt werden.
17. „ 57’. Läuft schnell durch das Zimmer unter starkem Hinken mit
dem rechten Vorderbein. Rechter Triceps völlig schlaff. Beim
Kneifen der linken Pfote wird der rechte Ellbogen völlig ge-
streckt.
17. „ 5515’ Tonus im rechten Triceps kehrt allmählich zurück. Hinkt
nicht mehr. Kein Sohlengang. In Rückenlage beide Ellbogen 90°.
17. „ 530’. Starre im rechten Ellbogen rechts wieder stärker als links.
Versuch XXX. Katze 3,4 kg.
20. Jan. 1919 21/eh. Injektion von je 1 ccm "/4P/oigem Tetanustoxin beider-
seits in den Triceps.
8 „ Beginnende Starre im rechten Triceps.
24. „ Beiderseits Starre im Triceps.
27. „ Sehr deutliche Starre beiderseits (ca. 110—135°).
27. „ 3h 44’. 5 ccm 1’/oiges Novokain (1,5 ccm pro Kilogramm) in den
rechten Triceps.
27. „ 3146’. Einknicken mit dem rechten Vorderbein beim Laufen.
Rechter Ellbogen passiv völlig beugbar, was vorher nicht möglich
war. Sohlengang des rechten Vorderbeines.
3h 50° Tonus des rechten Triceps völlig geschwunden. Kann auf
dem rechten Vorderbeine nicht mehr stehen und knickt sofort ein.
Stärkstes Hinken. Tritt beim Laufen mit dem rechten Vorderbein
bis zum Ellbogen auf. Aktive Streckung des rechten Ellbogens
deutlich vorhanden.
44h 10’. Starre des rechten Triceps beginnt zurückzukehren.
„ 5h45'. Rechter Ellbogen 135°, starke Starre des rechten Triceps.
27.
27.
Diese beiden Versuche zeigen, dass Einspritzen von kleinen
Novokaindosen (0,3—1,5 cem 1%ige Lösung pro Kilogramm) in
den tetanusstarren Triceps diesen in genau derselben
Weise zur Erschlaffung bringt, wie das beim Triceps
normaler Katzen der Fall ist und oben S. 183 eingehend ge-
schildert wurde. Auch die Bewegungsstörungen sind genau die gleichen
wie bei normalen Tieren.
Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 176. 13
194 G. Liljestrand und R. Magnus:
Das Ergebnis sämtlicher derartiger Versuche ist in nachstehender
Tabelle zusammengefasst.
Dauer der | Gewicht Novokaindosis
Nr. Starre der Tiere : com Erschlaffung
; des Triceps
Tage kg total | , pro kg
24 2 3,6 2 0,55 völlig
25 2 3,7 2 0,54 etwas
— — 3 0,8 deutlich
dr 3 — > 0,8 ”
29 2 1,3 1 0,8 völlig
30 5) 3,4 5 1,5 :
3l 1 2,7 4 1,5
”
x
=
Man sieht, dass bei vier Tieren die verwendeten kleinen Novokain-
dosen zu völliger Erschlaffung des in Tetanusstarre befindlichen Triceps
führten, während bei einem Tiere die Erschlaffung deutlich, aber nicht
total war. Auch hierin verhält sich der also tetanisch starre Muskel
wie der normale Muskel.
Da nun in den vorhergehenden Abschnitten gezeigt werden konnte,
dass die verwendeten kleinen Novokaindosen den Muskel und den
motorischen Nerven intakt lassen, dagegen die proprioceptiven sen-
siblen Nervenenden im Muskel lähmen, und dass hierauf die am nor-
malen Skelettmuskel beobachteten Novokainwirkungen beruhen, liest
die Schlussfolgerung nahe, dass auch die Lösung der lokalen
Muskelstarre beim Tetanus durch Novokain auf der peri-
pheren Lähmung sensibler Muskelnerven beruht.
Wenn dieser Schluss richtig ist, dann würde sich daraus weiter
ergeben, dass die lokale Muskelstarre beim Tetanus aus-
gelöst und unterhalten wird durch sensible Erregungen,
welche grösstenteils in den starren Muskeln selbst ihren
Ursprung nehmen, und welche nur deshalb zu der abnorm starken
Muskelstarre führen, weil durch das Tetanusgift das Zentrum in einen
Zustand von Übererregbarkeit versetzt worden ist. (Denn die An-
nahme, dass das Tetanusgift die sensiblen Nervenenden im Muskel
direkt erregt, darf als widerlegt angesehen werden !).)
Um diese Folgerung auf ihre Richtigkeit zu prüfen, war es nötig, den
Einfluss der Durchschneidung der Hinterwurzeln auf die lokale Tetanus-
starre zu untersuchen und am selben Tier den Erfolg der Hinterwurzel-
durchschneidung mit dem der Novokaineinspritzung zu vergleichen.
1) ©. Brunner, Deutsche med. Wochenschr. 1894, S. 100. — F. Gum-
precht, Deutsche med. »Wochenschr. 1894, S. 546 und Pflüger’s Arch. Bd. 59
S. 105. 1894. — H. Meyer und F. Ransom, Schmiedeberg’s Arch.
Bd. 49 S. 369. 1903.
20. Jan.
28.
28.
28.
28.
28.
28.
28.
28.
28.
Über die Wirkung des Novokains usw. 195
Um einen guten Vergleich zu ermöglichen, wurde zunächst bei
vier Katzen beiderseits Toxin in den Triceps eingespritzt und nach
Entwicklung einer guten Tetanusstarre an beiden Vorderbeinen die
zugehörigen Hinterwurzeln auf einer Seite durchschnitten. Darauf
wurden die Tiere dekapitiert und in der üblichen Weise untersucht.
Als Beispiel diene folgendes Protokoll:
Versuch XXX. Katze 3,4 kg.
1919 2!/eh, Injektion von je 1 ccm !/4°/oigem Tetanustoxin in den
rechten und linken Triceps.
Beginnende Starre im rechten Triceps.
Starre beiderseits im Triceps.
Deutliche, aber noch nicht maximale Starre der beiden Triceps.
Beide Ellbogen können auf Pfotenkneifen noch völlig gebeugt
werden. Ellbogen rechts 110°, links 70°.
Sehr deutliche Starre beiderseits (110—135°). Linkes Vorderbein
kann nicht mehr ganz gebeugt werden (bis etwa 70°). Rechtes
Vorderbein kann noch nahezu gebeugt werden. Prüfung der Novo-
kainwirkung am intakten Tier siehe oben S. 193.
Starre beiderseits sehr kräftig, links 135°, rechts 90°. Links ist
aktive Beugung nur bis 70—90°, rechts bis 30° möglich. Beide
Ellbogen können aktiv völlig gestreckt werden. Noch keine all-
gemein gesteigerte Reflexerregbarkeit.
9h 30’. Athernarkose. Karotiden abgebunden, Vagi durchtrennt.
Auf der linken Seite werden die Hinterwurzeln von (0, bis
Th, unter Schonung der Vorderwurzeln durchtrennt und die
Wunde geschlossen. Sofort danach in mitteltiefer Athernarkose
starke Starre im rechten Triceps, während der linke
Triceps völlig schlaff ist. Darauf Dekapitieren. Athernarkose
abgestellt. Danach lebhafte Reflexe des Hintertieres. Gute Starre
im rechten Triceps (90°), während die anderen Muskeln des rechten
Vorderbeines tonuslos sind. Linker Triceps ganz schlaff.
10h 15’. Ende der Operation.
10h 35’. Gute Starre des rechten Triceps, linkes Vorder-
bein ganz schlaff. Lebhafte Reflexe des Hintertieres.
11h 20’. Dasselbe. Passive Bewegungen des rechten Ellbogens
lösen lebhafte Bewegungen der Hinterbeine aus.
11h 30’. 4ccm 1°%oiges Novokain in den rechten Triceps (1,2 ccm
pro Kilogramm).
11h 35’. Starre des rechten Triceps fast völlig geschwunden.
11h 37’. Starre des rechten Triceps völlig geschwunden. Wird
das Tier am Hinterkörper kräftig angepackt und hin und her be-
wegt, so kehrt der Tonus des rechten Triceps vorübergehend etwas
zurück. Passive Bewegungen des rechten Ellbogens lösen jetzt
keine Reflexe auf das Hintertier mehr aus.
Präparation beiderseits des Plexus brachialis und Freilegung
des Triceps. Induktorium mit einem Akkumulator.
Faradische Erregbarkeit des Triceps:
Indirekt: links 20 Kr., rechts 20 Kr.,
Direkt: 3,4007 75, 400, 5,
12h 05’. Starre im rechten Triceps kehrt zurück. Linker Triceps
völlig schlaff.
2h 07’. Sehr schöne Starre im rechten Ellbogen, über 90°. Bei
passiven Bewegungen desselben lebhafte Bewegungen der Hinter-
13 *
196 G. Liljestrand und R. Magnus:
beine. Linker Triceps völlig schlaff. Das Tier ist gegen Ende des
Versuches an der Grenze der allgemeinen Reflexsteigerung.
28. Jan. 2b 40’. Nach Durchschneidung des rechten Plexus brachialis rechtes
Vorderbein völlig schlaff.
28. „ 2h 45’ Trachea abgeklemmt. Bei den Erstickungskrämpfen er-
folgt maximale Streckung des linken Ellbogens durch Kontrak-
tion des desensibilisierten linken Triceps.
Sektion: Links Hinterwurzeln von 0, bis Th, völlig durch-
trennt, alle Vorderwurzeln intakt.
Die übrigen drei Versuche hatten genau das gleiche Ergebnis. Sie
wurden 1, 2 und 4 Tage nach dem ersten Auftreten der lokalen Muskel-
starre angestellt.
Hieraus ergibt sich also, dass Durchschneidung der Hinter-
wurzeln nach dem Eintritt der Muskelstarre dieselbe auf-
hebt, und dass der Muskel dann auch nach dem Dekapitieren schlaff
bleibt. Injiziert man dann in den tetanusstarren Muskel der Normal-
seite eine kleine Novokaindosis, so erschlafft auch dieser Muskel. Diese
Erschlaffung war in drei unserer Versuche (Nr. 29, 30 und 31) total,
so dass der Triceps an beiden Seiten gleich schlaff war. In einem Ver-
suche (Nr. 24) blieb nach Novokain noch eine Spur von Tonus zurück,
so dass der Triceps auf der Seite der Hinterwurzeldurchschneidung
schlaffer war als auf der Novokainseite.
Diese Versuche zeigen, dass die lokale Muskelstarre
nach Tetanusvergiftung sowohl ‚durch kleine Novokain-
dosen wie durch Hinterwurzeldurchschneidung aufgehoben
wird, und stützen die Schlussfolgerung, dass die Wirkung
kleiner Novokaindosen bei der Tetanusstarre auf der Läh-
mung der sensiblen Muskelnerven und dem dadurch be-
dingten Fortfall proprioceptiver Erregungen beruht, welche
die lokale Muskelstarre reflektorisch unterhalten.
Gegen die Versuche mit Hinterwurzeldurchschneidung bleibt der
Einwand übrig, dass durch diese Operation ein so grosser Schock
gesetzt werde, dass hierdurch die Erschlaffung des tetanischen Muskels
vorgetäuscht wird. Dieser Einwand war zu der Zeit, als Brunner
und Gumprecht ihre grundlegenden Versuche ausführten, berechtigt,
hat aber bei der jetzigen Art des Vorgehens einen grossen Teil seiner
Bedeutung verloren. Jeder, der viel an dekapitierten Tieren experi-
mentiert, weiss, wie auffallend gering an derartigen Präparaten die
Schockerscheinungen selbst nach den schwersten Eingriffen am Zentral-
nervensystem sind. Hochgradiger Schock wird schon dadurch aus-
geschlossen, dass die lokale Starre im Vorderbein der anderen Körper-
seite so kräftig nach der Wurzeldurchschneidung bleibt, und dass
auch die Reflexe hier nicht abgeschwächt sind. Wenn aber das Tetanus-
toxin die lokale Muskelstarre durch alleinige direkte Einwirkung auf
das Rückenmark hervorriefe, ohne dass sensible Erregungen von der
Über die Wirkung des Novokains usw. 197
Peripherie dazukämen, und wenn die Tricepserschlaffung nach Hinter-
wurzeldurchschneidung allein durch den Schock der Operation hervor-
gerufen würde, so müsste es bei derartigen Tieren unmöglich sein,
vom Zentrum aus durch direkte zentrale Erregungsmittel tonische
Muskelkontraktionen hervorzurufen. Das ist nun aber wohl möglich.
Bei der Erstickung erfolgt jedesmal kräftige tonische Kontraktion
des desensibilisierten Triceps, deren Angriffspunkt bekanntlich im
Rückenmark liegt (Versuch Nr. 24, 30 und 31). Ausserdem liessen sich
in Versuch Nr. 24 lebhafte reflektorische Kontraktionen. des betreffen-
den Triceps von anderen Körperstellen aus auslösen. Der Einwand,
dass die Resultate der Hinterwurzeldurchschneidung durch Schock
wesentlich getrübt seien, kann daher vernachlässigt werden.
Um aber ganz sicher zu gehen, wurde in einem weiteren Versuche
zuerst die einseitige Hinterwurzeldurchschneidung und erst 10 Tage
später die intramuskuläre Tetanustoxin-Impfung vorgenommen. Im
Gegensatz zu früheren Experimenten wurde das Gift an beiden
Vorderbeinen injiziert, weil man nur dann Gelegenheit hat, am
. gleichen Tier die Tetanusstarre des normalen und desensibilisierten
Muskels zu vergleichen. Den Erfolg ersieht man aus nachstehendem
Protokoll.
Versuch XXXIII. Kätzchen 0,9 kg.
21. Jan. 1919. Ya mg Atropin. Äther-Chloroformnarkose. An der rechten
Seite werden die Hinterwurzeln von C-,, C,, Th, und Th, durch-
schnitten, Vorderwurzeln intakt.
22. „ Rechtes Vorderbein schlaff, aktiv beweglich. Ausgesprochene
Ataxie mit weitem Ausfahren nach vorn beim Laufen. Radiale
Zehe sensibel, entsprechend der nicht durchschnittenen Hinter-
wurzel 0, ').
23. „ Rechtes Vorderbein noch schlaff, bekommt aber doch gelegentlich
schon wieder etwas Tonus in Schulter und Ellbogen. Aktive Be-
weglichkeit sehr gut. Sehr starke Ataxie.
Kann auf dem rechten Vorderbein allein etwas stehen, knickt
aber deutlich ein. Strecktonus im rechten Ellbogen sehr gering,
aber doch manchmal deutlich. Aktive Beugung und Streckung
des rechten Ellbogens sehr deutlich. Läuft auf vier Pfoten. Starke
Ataxie.
28. „ Tonus im rechten Vorderbein sehr wechselnd, manchmal in Schulter
und Ellbogen deutlich vorhanden, manchmal vollständig fehlend.
„ Klettert unter starken Mitbewegungen des rechten Vorderbeines
bis auf die Schulter. Rechtes Vorderbein noch immer schlaff, wird
aber manchmal sehr deutlich tonisch innerviert. Besonders lässt
sich dieses durch bestimmte Kopfstellungen hervorrufen.
1. Febr. 0,5 ccm !4%oiges Tetanustoxin in den rechten und den
linken Triceps. 7
»„ Im linken Triceps deutlich beginnende Starre, Ellbogen kann
noch aktiv gebeugt werden. — Der rechte Ellbogen ist schlaffer
27.
l)C. S. Sherrington, Transact. Roy. Soc. B. vol. 184 p. 685. Lon-
don 1893.
198
5. Febr.
m
G. Liljestrand und R. Magnus:
als der linke, manchmal ganz schlaff, manchmal hat er deutlichen
Tonus, wie auch vor der Toxineinspritzung.
Sehr gute aktive Beweglichkeit des rechten Vorderbeines, Sohlen-
gang. Starre im linken Ellbogen sehr deutlich. — Auf dem
rechten Vorderbein kann die Katze nicht stehen, sondern knickt
sofort im Ellbogen ein. Der rechte Triceps ist viel schlaffer als
der linke, hat aber manchmal, nicht immer, deutlichen Tonus.
Wenn aber das rechte Vorderbein schlaff ist, ist keine Spur von
Starre im rechten Ellbogen fühlbar. Zustand also wie vor der
Toxininjektion. Aktive Beweglichkeit des rechten Ellbogens vor-
trefflich.
Deutliche Starre des linken Triceps. Starre 90° — Sehr schöne
aktive Beweglichkeit des rechten Vorderbeines mit starker Ataxie.
Im rechten Vorderbein sicher keine Starre Tier kann nicht
auf dem rechten Vorderbein allein stehen. Rechter Ellbogen be-
kommt bei willkürlicher Streckung schönen Tonus.
10h 18°”. Injektion von 1ccm 1%oigem Novokainin den
rechten Triceps.
10h 25’. Zustand ganz ungeändert. Rechter Ellbogen aktiv be-
weglich, gut streckbar, bekommt dabei deutlichen Tonus, sonst
Triceps aber ganz schlaff. Tier kann nicht auf dem rechten Vorder-
bein stehen. Klettert gut auf die Schulter.
10h 30'. Dasselbe. Durch die verwendete Novokaindosis
ist also der Zustand des desensibilisierten rechten
Triceps nicht verändert.
Zustand unverändert.
Dasselbe. Starre des linken Ellbogens 90%. Keine Starre im
rechten Triceps. Das Tier kann auf dem rechten Vorderbein allein
nicht stehen und knickt sofort ein, Sohlengang, Ataxie. Tonus
des rechten Triceps sehr wechselnd, manchmal deutlich vorhanden,
manchmal völlig fehlend. 2
9h 50’. In Athernarkose dekapitiert. Ather abgestellt.
10h 10’. Sehr deutliche Starre im linken Triceps (90%. Keine
Spur von Starre im rechten Ellbogen.
11h 10’. Andauernd derselbe Zustand. Sehr deutliche Starre im
linken Triceps, keine Spur von Starre im rechten Triceps.
11h 21’. Erstickung. Dabei prächtige steife Streckung des rechten
Ellbogens durch Tricepskontraktion. Danach wieder künstliche
Atmung. Starre links 90°, rechte Null.
Darauf werden, da nach Sherrington!) die proprioceptiven
sensiblen Muskelnerven jeweils denselben Weg nehmen und in das-
selbe Rückenmarkssegment eintreten wie die afferenten motorischen
Nerven, die Vorderwurzeln nach Herausnahme des Rückenmarkes
faradisch gereizt und der Effekt auf den blossgelegten Triceps
beobachtet. Wirkungslos ist die Reizung von C,, O5, O,, O; (viel-
leicht eine minimale Spur wirksam?) und Th. Kontraktion des
Triceps erfolgt bei Reizung von C, (sehr stark) und von Th,
(deutlich).
Also ist durch die vorgenommene Hinterwurzeldurchschneidung
C-—Th, der Triceps vollständig desensibilisiert gewesen.
1) ©. 8. Sherrington: Expts. in examination of the peripheral dis-
tribution of the fibres of the posterior roots of some spinal nerves. Trans.
Roy. Soc. B. vol. 184 p. 641. London 1593.
Über die Wirkung des Novokains usw. 199
Ergebnis: Nach einseitiger Hinterwurzeldurchschneidung (C, bis
Th,) tritt an dem zugehörigen Vorderbein Tonusverlust und Ataxie
bei ungestörter aktiver Beweglichkeit ein. Das Tier kann auf dem
Beine dauernd nicht allein stehen, wenn auch vorübergehend deut-
licher Tonus im Ellbogen fühlbar ist. Nach beiderseitiger Einspritzung
von Tetanustoxin in den Triceps heginnt auf der Normalseite nach
2 Tagen die lokale Starre, die in 6 Tagen allmählich an Stärke zunimmt.
An der desensibilisierten Seite ist keine Tetanusstarre nachweisbar.
Das Tier kann nicht einmal auf diesem Beine allein stehen, der Zustand
des Trieceps ändert sich während der Beobachtungsdauer nicht nach-
weislich. Einspritzung einer kleinen Novokaindosis ist auf der desensibili-
sierten Seite (5 Tage nach der Toxininjektion) ohne jede Wirkung auf
den Triceps. Nach dem Dekapitieren zeigt der Triceps der Normalseite
deutliche Tetanusstarre, während der Triceps auf der desenbilisierten
Seite keine Spur von Starre zeigt, aber bei der Erstickung mit kräftiger
Kontraktion reagiert.
Dieser Versuch zeigt auf das deutlichste, dass auch, wenn man den
Schock der (einseitigen) Hinterwurzeldurchschneidung abklingen lässt
und nun auf beiden Seiten gleiche Dosen von Tetanustoxin intramuskulär
einspritzt, auf der Normalseite Starre eintritt, während sie innerhalb
der Beobachtungszeit auf der desensibilisierten Seite ausbleibt.
Hieraus folgt, dass die tetanische Muskelstarre ganz oder
wenigstens grösstenteils ausgelöst wird durch afferente
Erregungen, die in das (durch das Tetanustoxin in den Zustand
der Übererregharkeit versetzte) Zentrainervensystem einströmen.
Durch Hinterwurzeldurchschneidung werder sämtliche sensiblen
Impulse, die von einem Körperabschnitte ausgehen, ausgeschaltet.
Durch intramuskuläre Novokaineinspritzung werden nur die proprio-
ceptiven Muskelnerven vorübergehend (und ohne dass die Möglichkeit
von Schock besteht) geläihmt. Da auch hiernach (bei unveränderter
zentraler und peripherer Motilität) die Starre ganz oder grösstenteils
schwindet, so‘’folet, dass auch die Tetanusstarre, solange sie
lokalisiert bleibt und nicht mit allgemeiner Reflexsteigerung gepaart
geht, überwiegend unterhalten wird durch afferente pro-
prioceptive Impulse, welche von den starren Muskeln
selbst ausgehen. Wir haben also hier grundsätzlich denselben
Vorgang wie beim Entstehen des normalen Muskeltonus und der
Enthirnungsstarre, nur dass der Zustand des Zentralorganes örtlich
durch das Gift verändert ist !).
1) Im Zustande hochgradiger lokaler Tetanusstarre kann man durch
passive Bewegungen des starren Gliedes häufig sehr deutliche „propriocep-
tive“ Reflexe auf die anderen Gliedmaassen — Beuge- und Streckbewegungen —
auslösen.
200 G. Liljestrand und R. Magnus:
Dass der Angriffspunkt des Giftes bei der lokalen Muskelstarre wirklich
das Zentrum und nicht etwa, wie Autokratow!) und Courmont und
Doyon?’) wollten, die sensiblen Nervenenden im tetanuskranken Gliede sind,
nehmen wir nach den Versuchen von Gumprecht?) undvon Hans Meyer,
Ransom und Fröhlich‘) als feststehend an. Es folgt das daraus, -dass
Rückenmarksimpfung lokalen Tetanus erzeugt, und zwar nach sehr
viel kürzerer Inkubationszeit als bei peripherer Einspritzung, und dass
nach Sperrung der Nerven mit Antitoxin periphere Tetanustoxininjektion
keine lokale Starre mehr hervorruft.
Die oben geschilderten Versuche, nach denen Hinterwurzeldurchschnei-
dung eine vorhandene Starre aufhebt und vorherige Hinterwurzeldurch-
schneidung den Eintritt der Starre verhindert, stehen im Einklang mit
alten Versuchen von Autokratow') und von Courmont und Doyon?).
Dagegen liegen einige Versuche in der Literatur vor, die dem anscheinend
widersprechen. Allerdings muss man hier alle diejenigen Experimente aus-
schalten, bei denen nach Hinterwurzeldurchtrennung das Toxin in das
Rückenmark selbst eingespritzt wurde. Denn dann bekommt man das
Bild des Tetanus dolorosus, das mit heftigen sensiblen Erregungen im
Rückenmark selbst gepaart geht und daher für die Deutung des Entstehens
des normalen lokalen Tetanus nicht herangezogen werden kann, bei dem der
Tetanus dolorosus fehlt. Vielmehr kann man hier nur Versuche benutzen,
in denen periphere Tetanusimpfung und Hinterwurzeldurchschneidung
kombiniert wurden und danach lokaler Tetanus auftrat. Dieser Forderung
genügen zwei Versuche:
1. Versuch von Gumprecht (Deutsche med. Woch. 1894, S. 546
und Pflüger’s Archiv Bd. 59 S. 105. 1894). — Am 6. Februar werden einem
Hunde von 6,5 kg auf der rechten Seite die Hinterwurzeln vom zweiten
Lumbal- bis zum letzten Sacralsegment durchschnitten, was später bei der
Sektion kontrolliert werden konnte. Am 7. Februar wird in das asensible
rechte Hinterbein das Filtrat einer Tetanusboullionkultur eingespritzt. Da
dieses ohne deutlichen Effekt bleibt, erhält das Tier am 19. Fe-
bruar eine nochmalige Injektion mit einer Tetanuskultur. Am 23. Februar
findet sich das rechte Hinterbein in steifer Streckstellung, sinkt aller-
:-dings in der Ruhe herunter, geht aber sofort auf Hände-
klatschen und (am folgenden Tage) auf Beklopfen des linken
sensiblen Hinterbeines in steifste Streckstellung über. Am
28. Februar allgemeiner Tetanus.
In diesem Falle blieb also die lokale Muskelstarre im de-
sensibilisierten Beine zunächst aus und trat erst zusammen
mit der allgemeinen Reflexsteigerung auf.
2. Versuch von Fröhlich und H. Meyer (Schmiedeberg’s
Arch. Bd. 79 S. 67. 1915). — Kleines Kätzchen. Am 6. Juni 1907 Durch-
schneidung aller Hinterwurzeln beiderseits vom zweiten Lumbal- bis zum
letzten Sacralsegment und des Filum terminale — Am 10. Juni Ein-
l) Autokratow, Rech. exper. sur le mode de production des contrac-
tures dans le Tetanos. Arch. de med. exper. t. 4 p. 700. 1892.
2) Courmont u. Doyon, Mechanisme de production de contracture
du Tetanos. Arch. de physiol. t. 25 p. 64. 1893.
8) F. Gumprecht, Versuche über die physiol. Wirkungen des Tetanus-
giftes im Organismus. Pflüger’s Arch. Bd. 59 S. 105. 1894.
4) H. Meyer u. F.Ransom, Unters. über den Tetanus. Schmiede-
berg’s Arch. Bd. 49 S. 369. 1903. — A. Fröhlich u. H. Meyer, Unters.
über den Tetanus,. Schmiedeberg’s Arch. Bd. 79 S. 55. 1915.
Über die Wirkung des Novokains usw. 201
spritzung der enormen Dosis von 135000 + ms Tetanustoxin in den
linken Ischiadicusstamm. — Am 12. Juni das injizierte Bein stark extendiert,
steif. Typischer lokaler Tetanus.
Leider fehlt in diesem Versuche die Kontrolle der Hinterwurzeldurch-
schneidung durch die Sektion oder eine genaue Sensibilitätsprüfung.
Diese Versuche zeigen, dass es gelingt, nach Hinterwurzeldurchschneidung
durch maximale Tetanusvergiftung die Rückenmarkszentren in einen
Zustand zu versetzen, dass sie auch von anderen afferenten Nerven aus er-
regt werden können, was natürlich hier nicht bestritten wird. Da aber die
Kontrollimpfung mit Tetanusgift auf der anderen Seite in beiden Versuchen
fehlt, so lässt sich nicht beurteilen, ob das Normalbein nicht früher oder
stärker reagiert hätte. Die in unserer Arbeit bewiesene Tatsache, dass
durch Tetanustoxin vergiftete Rückenmarkszentren am schnellsten und
leichtesten von den eigenen Proprioceptoren aus erregt werden, be-
sonders wenn man mit mässigen Toxindosen arbeitet, wird durch diese
Versuche nicht widerlegt.
Betrachtet man nun auf Grund der gewonnenen Resultate die
Beobachtungen von E. Meyer und Weiler am Menschen, so ergibt
sich, dass auch beim Menschen die Tetanusstarre, und zwar auch
nach monate- und jahrelangem Bestehen, hauptsächlich durch pro-
prioceptive Reflexe der starren Muskeln (Rectus abdominis, Biceps,
Masseteren) selbst unterhalten wird; denn sie lässt sich durch intra-
muskuläre Injektion von Novokain bei unverändert erhaltener moto-
rischer Innervation lösen.
Die Erklärungsversuche von E. Meyer und Weiler, dass Novokain |
eine unbekannte Wirkung auf den Muskel besitzt, und von H. Meyer
und Fröhlich, dass durch die betreffenden Novokaininjektionen die
gesamte motorische und sensible Innervation des Muskels aus-
geschaltet sei, werden durch die hier erhaltenen Ergebnisse hinfällig
und überflüssig.
Interessant ist, dass die Starre beim Menschen sich noch nach so
langer Dauer (bis über 2 Jahre) durch kleine Novokaindosen unter
Erhaltung der Motilität lösen lässt. Daraus kann man schliessen, dass
es nicht zur sekundären peripheren Kontraktur gekommen ist, dass
daher eine solche nicht aufzutreten braucht, ebenso wie auch wir
bei unseren Experimenten niemals eine derartige Kontraktur gesehen
haben.
Die in diesem Abschnitte geschilderten Versuche haben demnach
zu folgendem Ergebnisse geführt:
Die lokale Tetanusstarre lässt sich sowohl am normalen
wie am dekapitierten Tiere durch kleine Novokaindosen,
welche die proprioceptiven Muskelnerven lähmen, die
motorische Innervation aber quantitativ intakt lassen,
ganz oder bis auf einen kleinen Rest aufheben. Dasselbe
wird durch vor- oder nachherige Durchschneidung der
.
202 G. Liljestrand und R. Magnus:
Hinterwurzeln erreicht. Nach Durchtrennung der zuge-
hörigen Hinterwurzeln ist intramuskuläre Einspritzung
kleiner Novokaindosen in den tetanusstarren Muskel ohne
jeden Einfluss. Die lokale Tetanusstarre wird zum grössten
Teil bedingt bzw. unterhalten durch proprioceptive Im-
pulse, welche von dem starren Muskel selbst dem durch
das Tetanusgift affizierten Zentrum zufliessen. Die klini-
schen Beobachtungen von E. Meyer und Weiler über die
Lösung der tetanischen Muskelstarre beim Menschen er-
klären sich ebenfalls durch die dabei eintretende Lähmung
der sensiblen Muskelnerven.
V. Weitere Beobachtungen über die tetanische Muskelstarre.
Nachdem sich ergeben hatte, dass die tetanische Muskelstarre
durch afferente, hauptsächlich proprioceptive Erregungen unterhalten
wird, erhob sich erneut die Frage, wie sie sich in Allgemeinnarkose
verhält. Schon Courmont und Doyon!) sahen eine Abnahme des
lokalen Tetanus in Chloroformnarkose, während andererseits Fröh-
lich und Hans Meyer?) in einer Äthernarkose, die so weit vertieft
war, dass alle erkennbaren Reflexe schwanden, die lokale Tetanus-
starre des Gastrocnemius der Katze erhalten fanden.
Nach unseren Erfahrungen verhält sich die Tetanusstarre
bei der Ather- und Chloroformnarkose ungefähr so wie
die „Narkosestarre‘“. Sie ist bei ausgesprochener Narkosestarre
deutlich vorhanden, nimmt mit abnehmender Narkosestarre allmählich
ab und ist jedenfalls bis auf geringe Reste geschwunden, wenn die
Narkosestarre bei Vertiefung der Narkose verschwindet. Es ist möglich,
dass die Tetanusstarre in ihren letzten Resten noch etwas resistenter
gegen die Narkose ist als die Narkosestärre, aber gross ist der Unter-
schied jedenfalls nicht.
Der Verhalten in der Chloroformnarkose erhellt aus folgendem
Versuchsbeispiel.
Katze von etwa 2 kg.
3. März 1919. 1 ccm !as/oiges Tetanustoxin in den rechten Triceps.
9.» Beginnende Starre.
6. „ Deutliche Starre im rechten Triceps, der auf Pfotenkneifen noch
vollständig gebeugt wird.
„ Starke Starre im rechten Triceps, der nicht mehr vollständig ge-
beugt wird. Leichte Starre der Schulterbeuger.
10. ,„ ‘Leichte Starre im Biceps.
13. „ Bechter Ellbogen beim Pfotenkneifen nur noch bis auf 90° gebeugt.
Passive Bewegungen der rechten Schulter bewirken proprioceptive
1),.a.a..0: M
2) A. Fröhlich u. H. Meyer, Über die Muskelstarre bei der Tetanus-
vergiftung. Münch. med. Woch. 1917, S. 289.
Über die Wirkung des Novokains usw. 203
Reflexe auf die Hinterbeine und das linke Vorderbein. Keine all-
gemeine Reflexsteigerung. Starre des rechten Triceps wird durch
2 cem 1°/oiges Novokain intramuskulär fast völlig gelöst.
15. März. Starke Starre des rechten Triceps, deutliche, aber geringere Starre
des rechten Biceps, der Schultermuskeln und der Beuger des Hand-
gelenkes. Keine allgemeine Reflexsteigerung.
Nachmittag 3h 10’. Tiefe Chloroformnarkose bis zum Erlöschen
aller Reflexe. Tier völlig schlaff. Spontane Atmung. Starre des
rechten Vorderbeines geschwunden. (CHC],-Gehalt des Blutes etwa
0,04— 0,06 %o.)
15. „ 3519. Narkose beendet.
15. „ 352%. Schwache Narkoselaufbewegungen. Linkes Vorderbein
schlaff. Im rechten Triceps eine Spur Widerstand (ca. 0,036 %o).
15. „ 3530 Beginn der Narkosestarre in den Hinterbeinen und im linken
Triceps. Schwache Starre im rechten Triceps (ca. 0,028°)o).
Cornea- und Öhrreflex positiv, Patellarreflex schwach. Kurz
darauf Beugereflex. Nunmehr ist die Starre im rechten Tri-
ceps deutlich (aber noch nicht stark), die anderen Ge-
lenke des rechten Vorderbeines sind noch schlaftf
(0,023 9/0).
15. „ 333. Starre im linken Triceps deutlich, im rechten Triceps
stark (nicht maximal). Schwache Starre in der rechten Schulter.
Laufbewegungen (über 0,019 °/o).
15. „ 3535. Starre im rechten Triceps ++, in den rechten Schulter-
beugern +, in den Schulterstreckern —, im rechten Biceps schwach.
Der linke Triceps hat deutliche, die linke Schulter schwache
Narkosestarre. Beugereflex und gekreuzter Streckreflex positiv.
In einem anderen Versuche wurde die Tetanusstarre des Triceps nach
dreitägiger Dauer durch tiefe Chloroformnarkose bis zum Atemstillstand
(ca. 0,06% Chloroform im Blute) vollständig aufgehoben und war beim
Wiedererwachen aus der Narkose im Stadium der Narkoselaufbewegungen
bei vorhandener Narkosestarre des Quadriceps sehr stark ausgebildet
(0,02—0,023%o Chloroform im Blute).
In diesen Versuchsprotokollen ist auf Grund der Analysen von
- Storm van Leeuwen!) jedesmal der Chloroformgehalt des Blutes
in Gewichtsprozenten angegeben, der bei den einzelnen Narkosegraden
gefunden wird. Es ergibt sich, dass bei tiefer Narkose und schlaffer
Muskulatur (0,04— 0,06 %, Chloroform) die Tetanusstarre verschwindet
und etwa gleichzeitig mit der Narkosestarre oder nur wenig früher
(bei. etwa 0,036—0,028 %,) zurückkehrt. Bei etwa 0,02%, Chloroform
im Blute ist sie bei deutlicher Narkosestarre kräftig ausgesprochen.
In der Äthernarkose liegen die Verhältnisse etwas anders. Hier
dauert nach den Feststellungen von Storm van Leeuwen ?) die
Narkosestarre viel länger und ist selbst beim Atemstillstand nicht
immer völlig geschwunden. Der Atemstillstand tritt bei Katzen etwa
1) W. Storm van Leeuwen, Quantitative pharmak. Unters. über die
Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. I. Mitt. Pflüger’s
Arch. Bd. 154 S. 307. 1913. II. Mitt. Ibid: Bd. 159 S. 291. 1914. IV. Mitt.
Bd. 165 S. 594. 1916.
2) W. Storm van Leeuwen, III. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 165
S. 84. 1916. IV. Mitt. Ibid. Bd. 165 S. 594. 1916.
204 G. Liljestrand und R. Magnus:
bei 0,164%, Äther im Blute ein, während die oberste Grenze für die
Narkosestarre bei 0,18%, liegt. Die Tetanusstarre verhält sich etwa
ebenso. In einem Versuche war die Tetanusstarre noch vorhanden,
als mit Äther bis zum Atemstillstand narkotisiert war. In einem
anderen Falie wurde ebenfalls bis zum Atemstillstand narkotisiert,
dabei schwand sowohl die Narkose- als auch die Tetanusstarre. In
einem dritten Versuche atmete das Tier noch spontan, während sowchl
die Narkose- als die Tetanusstarre gelöst waren; als dann in den Hinter-
beinen wieder etwas Narkosestarre auftrat, kehrte auch die Tetanusstarre
zurück, und als der Patellarreflex wieder auszulösen war, war die Tetanus-
starre im Triceps sehr stark. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass
man durch Äther die Tetanusstarre nicht lösen kann, wenn man nicht
ungefähr bis zum Atemstillstand oder über diesen hinaus narkotisiert.
Die Narkosestarre beruht bekanntlich auf der Lähmung der höheren
Hirnteile und ist mit der Enthirnungsstarre Sherrington’s wesensgleich.
‘Sie ist also wie diese hauptsächlich abhängig von den proprioceptiven
Impulsen, die von den starren Muskeln selber ausgehen. Hierdurch wird
es verständlich, dass die Tetanusstarre der Narkosestarre ziemlich ge-
nau parallel geht. Da nach der Tetanusvergiftung sich die Rücken-
markszentren in einem Zustande der Übererregbarkeit für propriocep-
tive Impulse befinden, so ist es nicht zu verwundern, dass bei der Nar-
kose die Tetanusstarre, wenigstens in ihren letzten Resten, etwas später
schwindet als die Narkosestarre der nichttetanischen Extremitäten.
Durch Fröhlich und H. Meyer!) ist gezeigt worden, dass der
Warmblütermuskel im Zustande der Tetanusstarre bei elektrographi-
scher Untersuchung stromlos ist. Semerau und Weiler ?) haben
kürzlich diesen Befund für den Menschen bestätigt. Als sich aus den
hier geschilderten Versuchen ergeben hatte, dass die Tetanusstarre
reflektorisch unterhalten wird, erschien es wünschenswert, das Phä-
nomen aus eigener Anschauung kennenzulernen. Dank dem freund-
lichen Entgegenkommen von Professor J. K. A. Wertheim Salo-
monson in Amsterdam, der hierfür sein besonders empfindliches
Instrumentarium zur Verfügung stellte und die Aufnahmen selbst
machte, sind wir in der Lage, ebenfalls die Angabe von Fröhlich
und Meyer zu bestätigen.
Versuch XXIV. Katze 3,6 kg.
4. Jan. 1919. Einspritzung von je "/s cem YıP/oigem Tetanustoxin in den
Triceps beider Vorderbeine.
„ Beginnende Starre beiderseits.
7
7.
1) A. Fröhlich und H. Meyer, Unters. über die Aktionsströme an-
haltend verkürzter Muskeln. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 S. 269. 1912.
2) M.Semerau u.L. Weiler, Elektromyograph. Unters. am tetanisch-
kranken starren Muskel d. Menschen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 33 S. 69. 1918.
Über die Wirkung des Novokains usw. 205
8. Jan. Deutliche Starre beiderseits. DieV order-
beine können auf Pfotenkneifen noch
gebeugt werden.
Athernarkose, die so weit vertieft
wird, dass das Stadium der Narkose-
laufbewegungen durchlaufen wird. Ge-
ringe Narkosestarre der Hinterbeine,
bei Beugung im Knie tritt der erste
fühlbare Widerstand bei 90° auf. Der
Quadriceps ist bei der elektrographi-
schen Untersuchung völlig stromlos.
Dabei liegt das Hinterbein in Streck-
stellung, der Quadriceps ist also nicht
gespannt. Die Ableitung erfolgt mit
unpolisierbaren Elektroden von der
enthaarten befeuchteten Haut.
Bei dieser Tiefe der Narkose haben
die beiden Triceps noch starke Starre.
Ableitung mit unpolisierbaren Elek-
troden von der mit Strontiumsulfid ent-
haarten Haut über dem linken Triceps.
Die eine Elektrode liegt über dem
distalen Muskelende, die andere auf
zwei Drittel des Muskelbauches.
Empfindlichkeit der Saite 10 mm
per Millivolt. Widerstand der Saite
9000 Ohm. Feldstärke ca. 32000 Gauss.
Saitendicke 1,3 u. Saitenlänge 5,6 cm.
Vergrösserung 1340fach. Zeit !/ [100 Se-
kunde.
Auf der Aufnahme (Abb. ])
sieht man das Elektrokardio-
gramm. In denZwischenpausen
ist die Saite völlig ruhig.
Eine zweite Aufnahme hatte genau
das gleiche Ergebnis.
Wir kommen also zu dem überraschenden
Ergebnis, dass im Zustande der Te-
tanusstarre der Muskel reflektorisch,
und zwar hauptsächlich durch propriocep-
tive Impulse, in einen Zustand von
Dauerverkürzung gerät, während
welchem keine elektrischen Strom-
schwankungen vom Muskel abgeleitet
werden können. Das Instrumentarium
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war hinreichend empfindlich, um auch die kleinsten Schwankungen zu
zeigen, wenn sie vorhanden gewesen wären; ist doch sogar das Elektro-
kardiogramm bei einfacher Ableitung vom Triceps deutlich zum Vor-
schein gekommen.
Dass ähnliche Verhältnisse auch bei reflektorischer Erregung mensch-
licher Muskeln ohne Tetanusvergiftung zu finden sind, lehrt eine kürzlich
206 G. Liljestrand und R. Magnus:
erschienene Mitteilung von Wertheim Salomonson !), welcher bei
Patienten den Babinski’schen Reflex auslöste und gleichzeitig das
Mechanogramm und Elektrogramm des Extensor hallucis Jongus auf-
zeichnete. Die Saite zeigt zunächst 0,11—0,66 Sekunden lang lebhafte
Schwingungen, und 0,10—0,14 Sekunden nach dem Beginn dieser
Schwingungen fängt die Muskelkontraktion an, zuerst sehr langsam,
dann sich steiler erhebend und schliesslich in einen 2--3 Sekunden an-
haltenden kräftigen Kontraktionszustand übergehend.. Während
dieses letzteren ist der Muskel völlig stromlos ?).
Alle diese Tatsachen werden bei der so dringend nötigen Neu-
bearbeitung der Physiologie des zentral innervierten Warmblüter-
muskels Berücksichtigung finden müssen. Vorläufig erscheint es noch
verfrüht, sich in Hypothesen über die Deutung der Befunde zu ergehen.
Nur eine Tatsache mag in diesem Zusammenhange noch (anhangs-
weise) mitgeteilt werden. Bei einer Diskussion unserer Befunde äusserte
ein Kollege, anknüpfend an die Lehre de Boer’s von der Abhängig-
keit des Muskeltonus vom Sympathicus, die Vermutung, dass die
Tetanusstarre auf dem Wege über den Sympathicus auf den Muskel
übermittelt werde. Auch E. Meyer und Weiler haben etwas Der-
artiges für möglich gehalten. Wir haben daher bei zwei Katzen mit
voll entwickelter lokaler Tetanusstarre des Triceps, welche auch nach
dem Dekapitieren kräftig erhalten blieb, das Ganglion stellatum der
vergifteten Seite vom Rücken aus nach der Methode von Anderson ?)
exstirpiert. Danach blieb in beiden Fällen die Starre genau
so stark wie vorher. Dagegen wurde der Triceps nach Durch-
schneidung des Brachialplexus völlig schlaff. Für eine sympathische
Entstehung der Tetanusstarre hat sich demnach — entsprechend
unserer Erwartung — kein Anhaltspunkt gefunden. x
VI. Zusammenfassung der Ergebnisse.
Bei dezerebrierten Katzen wird die Enthirnungsstarre des Triceps
durch iniramuskuläre Einsprilzung von kleinen Novokaindosen (1,—I cem
1%, bei Tieren von I kg) hochgradig vermindert, aber in den meisten
Fällen nicht völlig aufgehoben. Dabei ist die aktive Beweglichkeit un-
verändert erhalten, und bei indirekter faradischer Reizung vom Plexus aus
findet man dieselben Schwellenwerte wie am unvergijleten Muskel. Auch
die tonischen Hals- und Labyrinthreflexe wirken noch auf den Triceps.
Erst beträchtlich grössere Novokaindosen (4—8 ccm 1%) heben die
1) J. K. A. Wertheim Salomonson, Sur le reflexe de Babinski.
Psychiatr. en Neurolog. Bladen 1918 (Winkler- Festschrift).
2) Anm. bei der Korrektur: Bornstein und Sänger (D. Z. f. Nerven-
heilkunde Bd. 52 S. 1. 1914) fanden in einem Falle von amyotrophischer
Lateralsklerose den spastisch kontrakturierten Biceps ebenfalls stromlos.
3) H.K. Anderson, Journ. of Physiol. vol.31. 1904. Physiol. Soc. 21. Mai.
Über die Wirkung des Novokains usw. 207
indirekte Erregbarkeit des Muskels und damit die letzten Reste der Ent-
hirnungsstarre und die aktive Beweglichkeit auf. Die direkte faradische
Erregbarkeit des Muskels ist dann noch erhalten.
Durchschneidet man die Hinterwurzeln zu einem Vorderbein und
erzeugt danach durch Dezerebrieren eine Enthirnungsstarre, an der sich
das desensibilisierte Bein beteiligt, so ist intramuskuläre Einspritzung
kleiner Novokaindosen ohne jede Wirkung auf die Starre. Erst grosse
Novokaindosen, welche die indirekte Erregbarkeit vom Nerven aus be-
einlrächligen, vermindern die Starre und heben sie auf.
Demnach lähmt Novokain, in kleinen Dosen intramuskulär ein-
gespritzt, die proprioceptiven sensiblen Muskelnerven und vermindert
dadurch die (reflektorisch bedingte) Enthirnungsstarre. Bis zu welchem
Grade dieselbe abnimmt, hängt davon ab, in welchem Ausmaasse sich
im Einzelfalle noch andere reflektorische Einflüsse am Zustandekommen
der Starre des betreffenden Triceps beteiligen.
Novokain in grossen Dosen lähmt die motorischen Nervenenden im
Muskel und hebt dadurch die Starre sowie die reflektorische und indirekte
Erregbarkeit völlig auf. Die direkte Muskelerregbarkeit bleibt erhalten.
Einspritzung von kleinen Novokaindosen in den Triceps normaler
Katzen führt zu vorübergehendem Tonusverlust bis zu völliger Erschlaffung
bei gut erhaltener aktiver Beweglichkeit. Es ergibt sich daraus eine sehr
charakteristische Störung im Stehen und Laufen. Ataxie konnte nicht
beobachtet werden.
Der normale Tonus des Triceps (und anderer Muskeln) wird haupt-
sächlich unterhalten von den propriocepliven Erregungen, welche von
diesen Muskeln selber ausgehen. Nach Hinterwurzeldurchschneidung
bildet sich nach einiger Zeit ein Zustand aus, in welchem die molorischen
Zentren auf sensible Impulse von anderen Körpergegenden erregbarer
werden, so dass dann wieder ein gewisser Grad von reflektorischem Tonus
möglich wird; dieser wird dann durch intramuskuläre Einspritzung von
kleinen Novokaindosen nicht weiter beeinträchtigt.
Nach intramuskulärer Einspritzung von Tetanusloxin in den Triceps
entwickelt sich die lokale Starre anfänglich allein in dem injizierten
Muskel. Dieser kann bei Beugebewegungen im Ellbogen zunächst noch
aktiv erschlaffen, später ist das nicht mehr möglich. Danach werden
auch der Biceps und die Schultermuskeln von Starre ergriffen. In allen
beobachteten Fällen war die Starre rein zentral bedingt und nicht durch
sekundäre periphere Kontraklur kompliziert.
Kleine Novokaindosen, welche die proprioceptiven Muskelnerven
lähmen, die motorische Innervation aber völlig intakt lassen, heben die
lelanische Muskelstarre im Triceps der Katze sowohl bei intakten wie
bei dekapitierien Tieren total oder fast vollständig auf, wobei die aktive
Beweglichkeit unvermindert erhalten bleibt.
208 G.Liljestrand u. R. Magnus: Über die Wirkung des Novokains usw.
Auch durch Hinterwurzeldurchschneidung wird die ausgebildete lokale
Tetanusstarre aufgehoben, während die Zentren des betreffenden Triceps
reflektorisch und durch zentrale Erregungsmilttel erregbar bleiben.
Wird nach einseitiger Hinterwurzeldurchschneidung gewartet, bis sich
im desensibtilisierten Bein wieder Tonus zu entwickeln beginnt, und
spritzt man dann Tetanusloxin in den Triceps beider Vorderbeine, so
entsteht nur in dem Arm mit erhaltener Sensibilität eine deutliche lokale
Muskelstarre, während der desensibilisierte Triceps (am intakten Tier
und nach dem Dekapitieren) bei erhaltener aktiver Beweglichkeit keine
Tetanusstarre zeigt. Einspritzung einer kleinen Novokaindosis in den
desensibilisierten Triceps ist dann wirkungslos.
Die lokale Muskelstarre beim Telanus wird ausgelöst und unterhalten
durch sensible Erregungen, welche grösstenleils in den starren Muskeln
selbst ihren Ursprung nehmen, und welche deshalb zu der abnorm starken
Muskelstarre führen, weil das Tetanusgift die Zentren in einen Zustand
von Übererregbarkeit verseizt hat. Die Wirkung des Novokains in kleinen
Dosen beruhl darauf, dass die proprioceptiven Erregungen aus dem
injizierten Muskel aufgehoben werden, und dass dadurch die wichtigste
Quelle für die lokale Starre abgeschnitten wird.
Aus einigen in der Literatur vorliegenden Versuchen lässt sich
schliessen, dass man durch maximalste Tetanusvergiftung die Rücken-
markszentren in einen Zustand verselzen kann, in welchem sie auch
von anderen afferenten Nerven aus in hochgradige Dauererregung versetzt
werden können. Nach den von uns angewendeten Dosen trat dieses aber
nicht ein.
Die klinischen Beobachtungen von Erich Meyer und Weiler, nach
denen man mit Novokain die telanische Starre auch beim Menschen lösen
kann, ohne die aktive Beweglichkeit zu beeinträchtigen, findet durch diese
Versuche ihre Erklärung. Aus ihnen ergibt sich ferner, dass die Tetanus-
slarre beim Menschen auch noch nach monate- und jahrelangem Bestehen
durch proprioceplive Erregungen unterhalten wird, ohne dass es zu sekun-
därer Kontraktur zu kommen braucht.
Die Tetanusstarre verhält sich bei Allgemeinnarkose ungefähr wie
die (ebenfalls durch proprioceptive Reflexe bedingte) ‚‚Narkosestarre‘‘. Sie
schwindet in tiefer Chloroformnarkose bei noch guter Almung, während
sie in Äthernarkose erst durch solche Dosen aufgehoben wird, welche
die Almung lähmen bzw. gefährden.
Während der reflektorisch ausgelösten tetanischen Dauerverkürzung
des Triceps lassen sich im Muskel mit dem Saitengalvanometer keine
Stromschwankungen nachweisen (Bestätigung der Beobachtungen von
Fröhlich und H. Meyer).
Nach Exstirpalion des Ganglion stellatum bleibt die lokale Tetanus-
slarre des Triceps unverändert bestehen.
Über die Einwirkung eines die alkoholische Gärung
beschleunigenden, in Alkohol löslichen Produktes
aus Hefe auf niedere Organismen.
I. Mitteilung.
Von
Emil Abderhalden und Adrienne Koehler.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Halle a. S.)
(Eingegangen am 15. Mai 1919.)
Der eine von uns (Abderhalden) hat gemeinschaftlich mit
H. Schaumann!) gezeigt, dass aus Reinzuchtbetriebshefe und aus
untergäriger Hefe mit Hilfe von absolutem Alkohol sich Stoffe aus-
ziehen lassen, die in wässeriger Lösung die Gärung verschiedener Kohle-
hydrate und ferner der Brenztraubensäure sehr stark beschleunigen.
Ferner wurde gezeigt, dass diese Wirkung sich sowohl bei lebenden
Hefezellen als auch bei Trockenhefe nachweisen lässt. Bei Verwendung
von lebenden Hefezellen konnte gezeigt werden, dass die Menge der
Substrate, die gespalten wird — es handelte sich in der Hauptsache
um Traubenzucker, Fruchtzucker und Rohrzucker —, bei Anwendung
gleicher Hefemengen ganz bedeutend grösser ist, wenn der erwähnte
Hefeauszug zugesetzt wird. Die Versuche wurden so ausgeführt, dass
je 10 g Kohlehydrat zu 250 ccm Wasser zugesetzt und ferner 1 g lebende
Hefe verwandt wurde. Sobald die Gärung stark nachliess, wurde
von neuem Kohlehydrat in der gleichen Menge zugesetzt und mit
dieser Zugabe so lange fortgefahren, bis sich die Gärung durch Substrat-
zusatz nicht mehr wesentlich steigern liess ?). Diese letztere Beobachtung
führte zu der Fragestellung, ob der Hefeauszug die Hefezellen
als solche beeinflusst und etwa vermehrte Sprossung be-
wirkt. Wie die folgenden Versuche zeigen, war das in der Tat der Fall.
Wir haben dann weiterhin geprüft, ob der Hefeextrakt in seiner
Wirkung auf die Hefezellen beschränkt ist, oder aber, ob
er auch auf andere Organismenarten einwirkt. Im Folgenden
sind die Versuche mit Colpoda eucullus und mit Algen mitgeteilt.
Ferner haben wir Versuche über die Resistenz von Organismen
mit und ohne Hefeextrakteinwirkung auf diese angestellt.
1) Z. £. Fermentforschung Bd. 2 S. 120. 1918.
2) Emil Abderhalden, Ebenda Bd. 3 (im Druck). 1919.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 14
210 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler:
Die Ergebnisse dieser Versuche sind die folgenden: Sowohl die
Hefezellen als Colpoda cucullus als auch die Alge Ulothrix
zeigten unter der Einwirkung des Hefeextraktes ver-
mehrtes Wachstum. Ferner war die Resistenz gegenüber den
angewandten Stoffen Methylenblau und salzsaurem Chinin
gesteigert. Die Versuche müssen selbstverständlich noch weiter
ausgebaut werden. Wir haben sie in erster Linie unternommen, um
nachzuforschen, ob im Hefeextrakt Stoffe vorhanden sind, die ganz
allgemein auf Zellen der verschiedensten Arten einwirken. Es ist zu
hoffen, dass es durch eine Weiterführung der Versuche und eine ge-
naue Analyse der einzelnen im Hefeextrakt vorhandenen Stoffe ge-
lingen wird, die Natur der die Zellteilung arregenden Verbindungen
festzustellen. Es sind Versuche im Gange, auch aus anderen Zell-
arten gewonnene Produkte in der gleichen Weise zu prüfen, um fest-
zustellen, ob es Stoffe gibt, die nur bei ganz bestimmten Zellarten
einwirken, und solche, die eine mehr allgemeine Wirkung besitzen.
l. Versuche mit Hefezellen.
Wir verwandten dazu obergärige Hefe. Die ersten Kulturversuche,
die ausgeführt wurden, zeigten, dass der Zustand der Hefe von aus-
schlaggebender Bedeutung für die Ergebnisse der unten mitgeteilten
Versuche ist. Es dürfen nur Hefepräparate verwendet werden, die
ganz frisch sind, und die sich unter günstigen Bedingungen ver-
mehren. Leider bedingten die Zeitverhältnisse, dass die Hefe, die wir
der Güte der Hochschulbrauerei in Berlin verdanken, oft schon ge-
schädigt in Halle ankam. Infolgedessen waren die Resultate nicht
immer gut. In der letzten Zeit haben wir stets grosse Unterschiede
in der Entwicklung zwischen den reinen Hefezellen, den Pepton-
Hefezellen auf der einen und den Hefeextrakt-Hefezellen auf der
anderen Seite gefunden. Die Zellen waren bei den letzteren viel
öfter vermehrt als bei den Pepton-Hefezellen und den Hefezellen,
die ohne Zusatz gezüchtet waren. Vergleiche die Übersicht über
einige. dieser Versuche S. 216. Die Versuchsanordnung war stets
die folgende: Es wurden Hefezellen mit und ohne Zusatz von Hefe-
extrakt auf ihr Vermehrungsvermögen und auf sonstige Erscheinungen
im Wachstum untersucht. Um den Einwand auszuschliessen, dass
etwa stickstoffhaltige Produkte in ihrer Eigenschaft als Bausteine
die beobachteten günstigen Wirkungen entfaltet haben könnten, haben
wir Kontrollversuche mit Zusatz von Peptonlösung ausgeführt, und
zwar gaben wir stets dem Stickstoffgehalt des Hefeextraktes ent-
sprechende Mengen hinzu.
Der Hefeauszug war aus der Trockenhefe in der folgenden Weise
gewonnen worden: Die an der Luft getrocknete Hefe wurde mit ab-
Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 211
solutem Alkohol ausgekocht. Das Alkoholextrakt wurde dann unter
vermindertem Druck zur Trockene verdampft und der Rückstand wieder
mit absolutem Alkohol ausgezogen. Das alkoholische Filtrat wurde
wiederum unter vermindertem Druck eingedampft und der Rückstand
in Wasser gelöst. Vor der Anwendung wurde diese Lösung durch
eine Schicht Asbestpulver mit Hilfe einer Wasserstrahlpumpe filtriert.
Es war dies notwendig, weil die Hefeextraktlösung Formelelemente
enthielt, die bei der Beobachtung unter dem Mikroskop stören konnten.
Bemerkt sei noch, dass das Hefeextrakt aufgekocht werden kann,
ohne dass seine Wirkung beeinträchtigt wird.
Die ersten Versuche sind mit Kulturen im hängenden Tropfen
durchgeführt worden. Zu diesem Zwecke wurde Hefe in 6 %,iger Rohr-
zuckerlösung aufgeschwemmt. Von dieser Aufschwemmung wurde ein
kleiner Tropfen auf ein Deckglas übertragen. Wir benutzten von
den so hergestellten Präparaten nur diejenigen, bei denen sich im
Tropfen nur eine einzige Hefezelle befand. Bei den eigentlichen Ver-
suchen gaben wir einen etwa gleich grossen Tropfen stark verdünnten
Hefeextraktes hinzu. Die Verdünnung wurde mit 6% iger Rohrzucker-
lösung hergestellt. Die Konzentration betrug !/,, der ursprünglichen
Lösung. Bemerkt sei, dass die unverdünnte Hefeextraktlösung einen
Stickstoffgehalt von 0,19% hatte. Zu weiteren Versuchen gaben wir,
‘wie schon erwähnt, eine Peptonlösung, deren Stickstoffgehalt mit dem
des Extraktes übereinstimmte, hinzu. Um das Eintrocknen der Tropfen
und die damit verbundenen Konzentrationsänderungen zu verhindern,
legten wir das Deckglas auf einen hohlgeschliffenen Objektträger und
dichteten mit Vaseline ab. Von grösster Bedeutung ist, dass bei der
Durchführung der Versuche möglichst steril gearbeitet wird, denn
Bakterienwachstum hemmt das Wachstum der Hefezellen stark.
Bei einer zweiten Versuchsanordnung haben wir in kleinen Kölbchen
zu 6 %iger Rohrzuckerlösung von einer gleichmässigen Suspension von
Hefezellen gleiche Anteile hinzugegeben. Ein Teil der Kölbehen blieb
ohne weiteren Zusatz, ein anderer Teil erhielt in wechselnder Menge
Hefeextraktlösung. Zu einer dritten Reihe gaben wir die dem Stick-
stoffgehalt der zugesetzten Hefeextraktlösung entsprechende Pepton-
menge. Bei weiteren Versuchen wurde Kaliumphosphat hinzugegeben,
um zu prüfen, ob eventuell die günstige Wirkung auf das Hefewachstum
der Phosphorsäure zuzuschreiben ist. Von Zeit zu Zeit wurden Proben
aus den Kölbchen unter dem Mikroskop betrachtet und auf diese
Weise Sprossvorgänge festgestellt und verglichen. Ferner wurden
Zählungen der Zellen mittels der Zeiss’schen Zählkammer vor-
genommen. Diese Versuche sind noch nicht abgeschlossen. Es sei
aber schon erwähnt, dass es sich herausstellte, dass grössere Konzentra-
tionen von Hefeextrakt hemmend wirken, während verdünnte Lösungen
14*
912 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler:
eine stark anregende Wirkung auf Zellteilung und Wachstum aus-
üben. Verschiedene Heferassen sind gegenüber verschiedenen Kon-
zentrationen des Hefeextraktes verschieden resistent. Es soll später
über die gemachten Erfahrungen noch berichtet werden.
Die Versuche im hängenden Tropfen ergaben übereinstimmend,
dass Hefeextrakt in der angewandten Verdünnung anregend auf die
ER
ur
Abb. 1. Hefezellen mit Yes Hefeextrakt behandelt.
Hefezellen wirkt, und zwar in der Weise, dass die Zellteilung ganz
bedeutend begünstigt wird. Es handelt sich bei der Vermehrung der
Hefeextraktkulturen nicht nur um eine Vermehrung einer Zelle auf
zwei bis drei solcher, worauf die Vermehrung der Kontrollen stets
nach Ablauf mehrerer Tage beschränkt blieben, sondern es erfolgte
eine Aussprossung unter Bildung ganzer Sprosszellkolonien. Diese
starke Vermehrung konnten wir schon makroskopisch
N an der Trübung des Tropfens erkennen. Leider sind die
meisten Beobachtungen durch das Auftreten von Bakterien
gestört worden, so dass langfristige Versuche nur in
D 9 wenigen Fällen ausgeführt werden konnten. Abb. I und 2
zeigen Kulturen mit und ohne Hefeextraktzusatz. Eine
Kolonie konnte während 14 Tagen beobachtet werden.
Die Kolonie war am 20. Februar 1919 angelegt. Am
4 21. Februar hatten sich die Zellen auf je fünf bis sechs
en vermehrt, während die Kontrollkulturen zum Teil nur
zu Abb. 1. je einmal ausgesprosst hatten. Die lebhafte Sprossung
hielt bei den Hefeextraktkulturen noch während mehrerer
Tage an und führte zu einer stattlichen Sprossenkolonie. Die Kon-
trolltropfen wiesen dagegen keine weitere Vermehrung der Zellen auf.
Am 4. März zeigten sich an den Kolonien Stadien, die an eine Askus-
bildung, wie sie bisher nur bei auf Gipsblöcken gezüchteter Hefe
beobachtet worden ist, erinnerten.
Zwischen einer Anzahl von Zellen bestanden bügelartige Ver
bindungen. Eine Anzahl von Zellen entsandte schlauchartige Fort-
Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 213
sätze, an die sich andere Zellen
anlesten. Abb. 3 zeigt diese
Art des Wachstums. Die Zellen
waren von stark lichtbrechen-
den Körperchen verschiedener
Grösse angefüllt, die man etwa
als Kern und Askussporen
deuten konnte. Bei den Se Abb. 3. Ascusähnliches Zellwachstum
deren Kulturen wurden diese unter Einfluss von Hefeextrakt ("/25)
Körperchen vermisst. Einige
auf Seite 216 mitgeteilte Protokolle mögen die Ergebnisse der ge-
machten Beobachtungen wiedergeben.
II. Versuche mit Colpoda eueullus.
Die Versuchsanordnung war dieselbe wie bei den Hefezellen. Aus
einem 1—2 Tage alten Heuaufguss wurde zunächst mit sterilem
_Infus aus einer Zelle eine Uhrglaskultur angelegt, um eine Übertragung
von Flagellaten in die endgültige Kultur möglichst zu vermeiden.
Aus dieser Kultur wurde dann ein einziges Tier an einem hängenden
Tropfen sterilen Heuinfuses isoliert. Auch hier wurde Hefeextrakt
resp. Pepton zugegeben und gegen Verdunstung abgeschlossen. Als
die geeignetste Konzentration erwies sich bei diesen Versuchen die
Verdünnung von 1:6 des Hefeextraktes. Höhere Konzentration be-
wirkt innerhalb weniger Minuten Schädigungen. Sie machten sich
zunächst in der veränderten Bewegung der Tiere kund. Bald ver-
langsamte sich diese. In kurzer Zeit trat dann der Tod ein.
Nach 24 Stunden setzte die erste Teilung ein, und zwar liess sich
ein Unterschied zwischen der Hefeextraktkultur und der Kontrolle
nicht feststellen. Dieses Ergebnis änderte sich, indem in den meisten
Fällen nach 2 Tagen schon zu bemerken war, dass die Hefeextrakt-
kultur eine viel regere Teilung aufwies. Vom dritten Tage an war
das bei allen Tieren der Fall. Die Hefeextraktkulturen wiesen im
Durchschnitt 20—50 Tiere mehr auf als die Kontrollkulturen. Be-
merkt sei noch, dass die Peptonkulturen gegenüber den Kulturen mit
Infus allein auch eine kleine, aber unwesentliche Steigerung in der
Zahl der Zellen zeigten. Vgl. Abb. 4—7.
Es ist klar, dass mit der Feststellung einer gesteigerten Zell-
vermehrung die Beobachtung nicht erschöpft ist. Es muss vielmehr
unser Bestreben sein, Einblick in etwaige Besonderheiten der neu-
gebildeten Zellen zu erhalten, um dadurch festzustellen, ob das Hefe-
extrakt bestimmte morphologische Veränderungen bedingt. Die von
uns beobachteten Verschiedenheiten — die Zellen waren zum Teil bei
Anwendung von Hefeextrakt grösser und träger beweglich als die
214 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler:
Pepton- und Infustiere — sind einstweilen nicht spruchreif, weil die
Möglichkeit besteht, dass durch den Zusatz physikalische Verände-
rungen (osmotischer Druck, Quellungserscheinungen) in Frage kommen.
Um physiologi-
> sche Unterschiede
| an den Tieren der
& » verschiedenen Kul-
turen feststellen zu
N können, haben wir
die Resistenz ge-
S ? genüber Methylen-
® ‘blau und salz.
saurem Chinin ge-
Abb. 4. Colpoda cucullus. Kontrolle mit Pepton. prüft. Auch diese
Versuche müssen
noch weiter ausgedehnt werden !\. Das Methylenblau wurde in
einer Konzentration von M-/,,, angewandt. In dieser Konzentration
trat der Tod der Tiere erst nach einiger Zeit ein und gestattete so
Vergleichsbeobachtungen. Von acht Versuchen, die mit gleich alten
KO) ®
B
Abb. 5. Colpoda
+ Hefeextrakt !/s Abb. 6. Colpoda + Hefeextrakt !/s vom
vom 10. März. 18. Februar, gefärbt am 27. Februar.
Hefeextrakt-, Pepton- und Infuskulturen unter ganz genau gleichen
äusseren Bedingungen angestellt wurden, war bei sieben das Resultat
ein übereinstimmendes. Es verhielten sich die Hefeextraktkulturen
gegenüber dem Methylen-
A blau widerstandsfähiger als |
® 8 ® die Tiere der anderen Kul-7f
turen. Im Durchschnitt
lebten die Hefeextrakttiere
18. Februar, gefärbt am 28. Februar. in der Methylenblaulösung
Y, Stunde länger als die
Tiere der anderen Kulturen. Ein Unterschied in der Aufnahme
des Farbstoffes war nicht zu beobachten. Es verhielten sich die
Abb. 7. Colpoda + Hefeextrakt ’/s vom
1) Weitere Versuche mit biogenen Aminen (Betain, Cholin, Acetylcholin,
Phenyläthylamin, p-Oxyphenyläthylamin, Imidazolyl-äthylamin, Adrena-
lin sind bereits im Gange (Abderhalden).
Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 215
einzelnen Individuen in allen Kulturen in dieser Beziehung ver-
schieden. \
Versuche mit salzsaurem Chinin (Mol-/ 00) fielen gleich aus. Auch
hier waren die Hefeextraktkulturen widerstandsfähiger.
Es sind auch einige Versuche unternommen worden, um die Ge-
wöhnung der Tiere an die Einwirkung von höheren Konzentrationen
des Hefeextraktes zu studieren. Sie sind jedoch noch zu keinem Ab-
schluss gelangt. Sie sind dadurch stark erschwert, dass das Auftreten
von Bakterien das Wachstum der Hefezellen stark beeinflusst, und
man infolgedessen besonderer Maassnahmen bedarf, um langlebige
Kulturen zu gewinnen. Auch diese Versuche werden fortgesetzt.
III. Versuche mit Algen.
Zu diesen Versuchen wurde Ulothrix verwandt, und zwar wählten
wir kurze Zellfäden von weniger als fünf Zellen aus. Als Nährlösung
benutzten wir MgSO, 0,125 g, CaNO, 0,5 g; K,HPO, 0,125 g; KÜl
0,06 g gelöst zu 500 cem Wasser. In ihr wurden die Zellfäden im
eg
Abb. 8. Ulothrix unter Einwirkung von Abb. 9. Kontrolle zu
Hefeextrakt !/as. Abb. Su.9 mit Pepton.
hängenden Tropfen untersucht und dann, wie üblich, die Zusätze
zugegeben. Die Hefeextraktlösung wurde in der Verdünnung 1,,
angewandt. Auch hier trat eine deutliche Steigerung der Zellvermeh-
rung gegenüber den Kontrollkulturen auf. (Vgl. Abb. S—9.)
(Nr
Abb. 10. Ulothrix unter Einwirkung von Hefeextrakt !/ss (wie bei Abb. 8).
Es sind ferner Versuche im Gange, um die Wirkung von Inkret-
stoffen (aus Schilddrüse, Thymus usw.) in gleicher Weise auf ihre
Wirkung gegenüber einzelligen oder duch einfacher zusammengesetzten
Organismen zu prüfen. Es ist die Frage zu entscheiden, ob es sich um
Stoffe handelt, die auf ganz verschiedene Zellarten gleichartig wirken
oder aber, ob eine auf bestimmte Zellen lokalisierte Wirkung vorliegt.
216 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler:
Protokolle einiger Versuche.
Versuche über Einwirkung von Hefeextrakt (!/s) auf Hefezellen im hängenden
Tropfen.
Pepton. | Vermehrte Kulturen
Bi Anzahl der Kulturen | extrakt-| kon- Hefe- | Pepton-
Kultur kulturen| trollen | extrakt- | kon-
kulturen | trollen
Datum der
10. Februar [26 hängende Tropfen 18 8 3 2
13. n 11 e 5 7 4 4 0
ia: : 19 h 5 11 8 2 0
20. = 17 5 ; 9 3 Re 2
21: 2 34 5 ; 22 12 3 1
24. h 20 h 5 16 4 6 1
7. März |3 Hr ; 15 16 4 0
28. April [28 5 ; 14 14 12 3
3. Mai 22 h ; 10 12 10 2
A 20 n, 5 10 10 9) 0
Dan 20 : ; 10 10 8 2
Be 18 5 ; 8 10 8 2
Kulturen von Colpoda ceucullus mit Hefeextrakt (Ve).
Anzahl der Tiere
Versuch Datum n . „Im Kontroll- | Bemerkungen
a ee
p | (Pepton 1/s°/o)
A. 12. Febr.| 13. Februar | Teilungscyste 4 |
a 4 Tiere ;
14. & 14 15% 14 |
A. 13. Febr.| 14. Februar 8 | 12 Es wurden 2 Tiere
| in den Tropfen
gebracht.
nachmittags 5 20
B. 130; 14. Februar 8 4
A. 13. Febr. | 15. Februar zirka 100 | zirka 30
B. 13.0, 15. R 14 12
E. 18. Febr. | 19. Februar 4 ' Teilungscyste |
| & 4 Tiere
nachmittags 4 4
20. Februar zirka 50 zirka 20
A. 18. Febr.| 19. Februar | 1 Teilungs- 4
cyste
nachmittags 4 | 4
20. Februar zirka 50 | zirka 20
D. 18. Febr. | 19. Februar | 6 Tiere und 16
Teilungscyste
a 4 Tiere
nachmittags 2 | 14
20. Februar | zirka 60-70 | zirka 40-50
|
Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 2]
Kulturen von Colpoda cucullus mit Hefeextrakt (!/s). (Fortsetzung)
Anzahl ne Tiere
Versuch Datum allenffete An KR Bemerkungen
N Eropienn
een nn /s%)
B. 24. Febr. | 25. Februar | 6 Tiere in
Teilung
28. 5 zirka 60-70 zirka 12
A. 26. Febr.| 27. Februar | 2 6 AnD ee oe
nachmittags 5) z
23. Februar 12 30 NN
A. 10. März| 11. März | 1 4
nachmittags 7 4
12. März 25 20
13. 60— 70 era
B. 10. März 11. März 5 | RE en
nachmittags 6 4
12. März 20 | 20
| A zirka 100 zirka 20—30
Versuche über die Einwirkung des Hefeextraktes (!/s) auf Ulothrix.
a ON len
Datum der | \ zahl der Kulturen | extrakt-| Pepton-| Hefe- Pepton-
Kultur kulturen|kulturen| extrakt- 7 turen
kulturen
7. März 5 hängende Tropfen 4 1 3++ 1+
Sn » 2 1 2 +- 1l+
lo, 5 s 5 2 3 1)dE 0
178 al 5 5 15 16 ar apar 0
Resistenzversuche mit Methylenblau an Colpoda cucullus.
ER des Zeit e Zustand der Tiere nach Zusatz von Methylenblau,
N Be- | Konzen- und zwar der
satzes BACH -
des Ver- ee SCHE ration: |, re Turmes 1a pas NEE ST
suchs uns Hefeextrakttiere Infustiere
3h 30' mol/10 000 ı Normal beweglich.
4h Langsam beweglich.
4h 15’ Minderzahl normal be-
weg]., vereinzelt unbe-
wegl., Mehrzahl Orts-
ı bewegung.
4h 35 Nurnoch Ortsbewegung.
5 Ortsbewegung.
6h Etwas erholt.
218 Emil Abderhalden und Adrienne Koehler:
Resistenzversuche mit Methylenblau an Colpoda cucullus. (Fortsetzung.)
“ Zeit des Zustand der Tiere nach Zusatz von Methylenblau,
Zeit der
N Be- | Konzen- und zwar der
des Ver-| ebach- | tration ——— —
suchs UNE Hefeextrakttiere Infustiere
3h 57 | 4h 15 Gut beweglich.
4h 30' Beweglich.
| 5h | Gut beweglich.
an | ar Lebhaft beweglich.
4h 50' Langsam beweglich.
| 5h 55 Langsam. beweglich.
9h 15 | Ih: Windend beweglich.
= l/500o | sich windend beweslich.
9h 35’ | 94 50° | mol/so00 Mehrzahlunbewegl.oder
, langs. beweglich, Orts-
| bewegung.
11» 30 | Dasselbe Bild.
Yh AT | 9h 55 | mol/3000 | Taumelnd beweglich.
115 10° Beweglich.
11h 30'
| Gut beweglich.
Resistenzversuche mit Methylenblau an apa ceueullus.
an des Zeit Zustand der Tiere nach Zusatz von Methylenblau,
Se der Be- und zwar der
desVer- a RT Bine FIIR RENTE ER
suchs et Hefeextrakttiere | Infustiere Peptontiere
9h 48’ | 9h 55 Zuckend, unbeweg-
' lich, wenige mit
Ortsbew egung.
| Langsam beweg-
lich undunbeweg-
| lieh.
11h 30'
114 10 BE 90"
Erregt beweglich. | Tot.
12h |12 h 15’ |Gut beweglich. |Mehrzahl unbe-
ı weglich, andere
Ortsbewegung.
12h 40’ |Noch gut bewegl. Tot.
3h 45’ | Einige unbeweg-
lich. Mehrzahlbe-
| weglich.
11% 20 |11% 30° |Gut beweglich. | Tot.
12h
Windend beweg-'
lich, ver einzelt |
unb eweglich. |
I
Über die Einwirkung eines die alkohol. Gärung beschleun. Produktes usw. 219
Resistenzversuche mit Methylenblau an Colpoda cucullus.
(Fortsetzung.)
RE Zeit
satzes der Be-
desVer- obach-
tung
suchs >
Zustand der Tiere nach Zusatz von Methylenblau,
und zwar der
Hefeextrakttiere
Infustiere
Peptontiere
11h 45’ [11h 45 | Normal beweglich. Erregt beweglich.
12h
12h
11% 30’ [11h
12h
12h
11h
11h
12h
‚11h 40’ [11h
12h
15’
30"
40’
10
10
25'
30"
55
20’
50'
20
” ”
2
|
Langsam od. win-
dend beweglich.
Mehrzahl beweg-
lich, andere Orts-
bewegung.
Mehrzahlabgerun-
det, andere lang-
| sam beweglich.
Erregt beweglich.
Langsam oder tau-
melnd beweglich,
keine unbeweg-
lich.
Mehrzahl unbe-
weglich od. Orts-
bewegung, doch
mehrere noch
langsam beweg-
lich.
Tot.
| Erregt und normal
beweglich.
Normal und lang-
sam beweglich,
keine unbeweg-
lich.
Langsam und win- |
dend beweglich.
Abgerundet oder
unbeweglich.
'Tot.
Alles abgerundet,
unbewesglich.
Unbewesglich, ab-
gerundet.
Unbeweglich.
Alles tot.
Mehrere unbeweg-
lich, andere tau-
melnd oder win-
dend.
Mehrzahl unbe-
weglich, andere
langsam beweg-
lich oder Orts-
bewegung.
Resistenzversuche mit Chinin hydrochloricum an Colpoda cucullus.
eitdes| zeit
satzes ne 3
des Ver- Ast
suchs 5
10h 20° | 11h 30’
12h
Zustand der Tiere nach Zusatz von Chinin,
-| Konzen- und zwar der
trALION. [sera ag:
Hefeextrakttiere | Peptontiere
mol/ıooo | Erregt beweglich, ab- Taumelnd oder Orts-
gerundet, taumelnd, bewegung, viele ab-
oder Ortsbewegung. | gerundet.
Abgerundet. Tot.
330 Emil Abderhalden und Adr. Koehler: Über die Einwirkung usw.
Resistenzversuche mit Chinin hydrochloricum an Colnoda cucullus. (Forts.)
Zeit des
An-
satzes
des Ver- a Be
suchs 5
11h 50’ 112h
12h 15’
118.835 111.840"
11h 50'
| 12h 10'
11h 301 11.2357
12h
12h 25
11% 30 EB
[12%
12h
12h
11h 40’
25
5!
20’
Zeit
der Be-| Konzen-
Zustand der Tiere nach Zusatz von Chinin,
und zwar der
Hefeextrakttiere
Noch gut bewegliche
Tiere vorhand., einige
abgerundet.
Noch einige langsam
beweglich.
Erregt beweglich.
Alles abgerundet.
Tot.
lich.
Gut beweglich, Mehr-
mehrere unbeweslich.
unbewesglich.
Langsam beweglich u.
vereinzeltunbeweslich.
Langsam beweglich.
Normal beweslich.
Gut beweglich.
Gut und erregt beweg-,
Langsam bewegl. oder
Ortbewegung, mehrere |
Peptontiere
ob:
| Bot:
Erregt beweglich.
Mehrzahl abgerundet u.
rotierend, einige noch
' beweglich.
' Mehrzahl abgerundet,
wenige Ortsbewegung.
Windend oder langsam
beweglich.
Langsam beweglich.
zahl langsam bewegl.,
Rot:
|
Mehrzahl unbeweglich,
. andere Ortsbewegung.
ı Tot.
| Taumelnd beweglich.
ı Langsam beweslich, ver-
einzelt windend be-
weglich.
Reflexus cochleopalpebralis und Ohr-
Lidschlagreflex.
Von
Dr. S. Galant, Bern-Belp.
(Eingegangen am 21. Mai 1919.)
In einer ausführlichen und interessanten Arbeit: ‚Ein unbekannter
Lidschlag- und Tränenreflex“‘, veröffentlicht im Bd. 173 (S. 224) dieses
Archivs, bemüht sich Bruno Kisch, ein allseitiges Bild der Reflexe
der Augenzone, die vom Ohr aus ausgelöst werden können, zu geben.
Er führt eine Menge Autoren (unter anderen v. Bechterew) an,
die sich mit derselben Frage beschäftigt haben, die aber die von ihm
angegebenen Lidschlag- und Tränenreflexe entweder überhaupt nicht
erwähnt oder sich über sie nicht genügend klar ausgesprochen hätten.
Kisch will nun absolute Klarheit in der Frage schaffen. Er lässt
aber einen Reflex fort, der auch in einem vom Ohr auslösbaren Lid-
schlag besteht und der von v. Bechterew (1903) beschrieben ist:
den Reflexus cochleopalpebralis. Diesen Reflex hat Belinow
neu in Erinnerung gebracht bei Gelegenheit der Demonstration eines
von ihm konstruierten Apparates, Mikrotympan genannt, der zur
Auslösung dieses Reflexes dient, in der Sechsten Hauptversammlung
der Vereinigung schweizerischer Hals- und Öhrenärzte in Basel).
Der Reflexus cochleopalpebralis besteht in einem Lidschlag, ausgelöst
durch eine Lärmerzeugung im Gehörgang, zum Beispiel durch die
Bäräny’sche Trommel). Der neu konstruierte Apparat von Belinow
eignet sich besser zur Auslösung des Reflexus cochleopalpebralis und
erweist seine Dienste dort, wo die Bäräny’sche Lärmtrommel versagt.
Das Mikrotympan ist eine kleine Trommel, auf welche automatisch
aus verschiedener Höhe und dadurch bei verschiedener Stärke ein
kleiner Hammer herunterfällt. Die Resultate Belinow’s sind folgende:
Der Reflexus cochleopalpebralis ist ein physiologischer Reflex und
tritt bei fast allen normal hörenden Menschen auf. Er fehlt bei Laby-
zinthzerstörung und bei Facialislähmung mit Entartungsdegeneration.
Bei psychoneurotischer Taubheit und in Fällen von Simulation ist
1) Belinow, Über die klinische Bedeutung des Reflexus cochleopalpe-
bralis. Demonstration des „Mikrotympans“. Corresp.-Blatt für Schweizer
Arzte Nr. 37 S. 1253. 1918.
NS)
92 8. Galant: Reflexus cochleopalpebralis und Ohr-Lidschlagreflex.
der Reflex vorhanden, und darum ist es nach Belinow so wichtig,
den Reflex zu prüfen, da er zu Entlarvung von Simulation dienen kann.
Wir sehen also, dass ein physiologischer Lidschlagreflex, ausgelöst
vom Ohr aus, also ein Ohr-Lidschlagreflex schon vor der Ver-
öffentlichung der Arbeit Kisch’s unter dem Namen Reflexus cochleo-
palpebralis bekannt war. Dass der Reflexus cochleopalpebralis v. Bech-
terew und der Ohr-Lidschlagreflex von Kisch grundverschiedene
Erscheinungen sind, erscheint mir nicht einleuchtend. Es liegt vielmehr
auf der Hand, dass man sie identifizieren kann, und dass der Haupt-
unterschied in der Auslösungsweise besteht. Man könnte noch von
dem Ohr-Lidschlagreflex Kisch’s, da er auf eine andere Weise als
der Reflexus cochleopalpebralis ausgelöst wird, höchstens als von
einer Varietät dieses letzteren sprechen, wie es Robert Bing die
so verschiedenen Auslösungsweisen des Babinski’schen Reflexes zu
nennen vorgeschlagen hat '). Dabei ist zu bemerken, dass die Aus-
lösung durch die Bäräny’sche Lärmtrommel oder das Belinowsche
Mikrotympan viel praktischer ist, da man sich dabei des Spiegels
nicht zu bedienen braucht, wie es in vielen Fällen bei der Aus-
lösungsweise Kisch’s geschehen muss.
1) Robert Bing, Über die Varietäten des Babinski’schen Zehen-
reflexes und ihre diagnostische Bedeutung. Korresp.-Blatt für Schweizer
Arzte S. 1217. 1915.
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte.
I. Mitteilung:
Das Wesen der Chininfestigkeit bei Protozoen.
Von
S. Neuschlosz.
(Mitteilung’ aus dem pharmakologischen Institut der Universität in Budapest.
Direktor: Professor Dr. A. v. Bökay.)
(Eingegangen am 20. März 1919.)
Einleitung.
Unsere Kenntnisse über das Wesen der Giftgewöhnung bei niederen
Organismen sind recht mangelhaft. Die ersten diesbezüglichen Angaben
verdanken wir Effront!!), dem es nachzuweisen gelang, dass an Fluss-
“ säure gewöhnte Hefe die Fähigkeit besitzt, das eindringende Fluor in
der Form von unlöslichem CaFl, festzulegen und unwirksam zu machen.
In der Asche von an Fluorammonium gewöhnter Hefe konnte er weit
grössere Mengen von Kalk nachweisen als bei normaler Hefe derselben
Herkunft.
Derselbe Autor?) hat auch die Ursache der Formaldehydgewöhnung
der Hefe aufgeklärt, indem er zeigte, dass dieselbe auf einer Zerstörung
des Giftes durch die Zellen beruht. Ähnliche Ergebnisse hatten auch
die Untersuchungen Gimel’s°) über die Gewöhnung der Hefe an
schwefelige Säure. Dieses Gift wird durch Oxydation seitens der
adaptierten Zellen unschädlich gemacht.
Anders verhält sich die Sache nach Pulst’s*) Untersuchungen bei
der Kupfergewöhnung von Penicillum glaucum. Hier wird die Gift-
festigkeit durch die Zellwand bedingt, welche infolge der Gewöhnung
“ für das Kupfer undurchgängig wird.
Über die Giftgewöhnung bei Protozoen liegen die Versuche von
Davenport und Neal’) mit Sublimat und Chinin und die von Neu-
1) Effront, Koch’s Jahresberichte über die Fortschritte in der Lehre
von den Gärungsorganismen Bd. 2 S. 154. 1891.
2) Effront a.a. O.
3) Gimel, Koch’s Jahresberichte Bd. 16 S. 229. 1905.
4) Pulst, Jahrbuch für wissenschaftliche Botanik Bd. 37 S. 205. 1902.
5) Davenport and Neal, Arch. f. Entwicklungsmechanik der Organis-
men Bd. 2 S. 564. 1896.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 15
2324 S. Neuschlosz:
haus!) mir Arsen, Antimon, Quecksilber und Kupfer vor, doch wurde
eine experimentelle Analyse der beschriebenen Giftfestigkeit von den
genannten Autoren nicht unternommen. Wichtige Beiträge zur Gift-
gewöhnung der Protozoen lieferten die Untersuchungen von Ehrlich ?)
und seiner Schüler über arzneifeste Trypanosomen, doch auch hier
ist das Wesen der Giftgewöhnung unaufgeklärt geblieben; denn die
Erklärung Ehrlich’s — die Giftfestigkeit beruhe auf einem durch
subletale Dosen hervorgerufenen Rezeptorenschwund — kann nur als
eine Umschreibung der Tatsachen angesehen werden.
Das ganze vorliegende Tatsachenmaterial ins Auge fassend, er-
scheinen etwa folgende Möglichkeiten der Giftgewöhnung bei niederen
Organismen zu bestehen :-l. eine Bindung und Überführung des Giftes
in eine unwirksame (eventuell unlösliche) Form (Fluorgewöhnung der
Hefe); 2. eine Zerstörung des Giftes durch die gewöhnten Zellen (Form-
aldehydgewöhnung der Hefe), 3. das Undurchdriaglichwerden der Zell-
wand für das Gift infolge der Gewöhnung (Kupfergewöhnung bei
Penicillum). Ob es noch andere Ursachen der Giftgewöhnung ausser
den erwähnten gibt, kann derzeit nicht gesagt werden. Die von manchen
Forschern ?) angenommene Abstumpfung der Giftempfindlichkeit der
Zellen ist eine rein hypothetische Vorstellung und sagt nichts über
das Wesen der Giftgewöhnung aus. Eine Abstumpfung muss not-
wendigerweise mit einer physikalischen oder chemischen Veränderung
der giftempfindlichen Zellen einhergehen, und gerade diese Veränderung
macht das Wesen der Giftgewöhnung aus. Die Art und Weise, wie
sich die gewöhnte Zelle des Giftes entledigt. muss für jedes einzelne
Gift und wohl auch für jede einzelne Zellart gesondert untersucht
werden. Es schien daher eine lohnende Aufgabe zu sein, den Mechanis-
mus der Giftgewöhnung bei einzelligsen Organismen einer systemati-
schen Untersuchung zu unterziehen.
Versuchsanordnune.
Als Versuchsobjekt habe ich zu diesem Zwecke ein Protozoon.
namentlich das Ciliat-Infusor Paramaecium gewählt. Die Wahl viel
auf Protozoen wegen dem grossen Interesse, weiches diesen Lebe-
wesen m der menschlichen Pathologie zukommt, auf Paramäcium
1) Neuhaus, Archives Int. de Pharm. et Therapie t. 20 p. 393. 1910.
2) Ehrlich, Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft Bd. +42
S. 17. 1909. — Ehrlich, Beiträge zur exper. Pathologie und Chemotherapie.
Leipzig 1909. — Ehrlich und Gonder, Exp. Chemotherapie in Prowazek's
Handbuch der pathogenen Protozoen. Leipzig 1914.
38) Santesson, Skandinavisches Archiv für Physiologie Bd. 25. 1911. —
Lewin, Nebenwirkungen der Arzneimittel. Berlin 1909. — Cloötta, Arch.
f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 50 S. 453. 1903.
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Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 1. 235
wegen seiner grossen Empfindlichkeit den meisten Giften gegenüber,
dann aber auch wegen der Leichtiekeit, mit welcher es verschafft,
isoliert und kultiviert werden kann.
Paramaecium caudatıım konnte in grossen Mensen in dem südlich
von Budapest befindlichen toten Donauast gefunden werden. Die
Tiere wurden auf die übliche Weise !) isoliert und in etwa 100 cem
grossen Kölbehen mit zugeschliffenen Glasstöpse!, in Heuinfus kulti-
viert. Alle 2-3 Tage wurden durch Überimpfen einiger Exemplare
in frisches Heuinfus neue Kulturen angelegt. Sämtliche zu den Ver-
suchen verwendete Tiere sind Nachkommen eines einzigen Exemplares,
bilden also eine reine Linie. Zu den Versuchen wurden die Tiere jedesmal
zentrifugiert, von der Resten der Nährlösung reingewaschen und in
destilliertem Wasser suspendiert. Ein vorsichtiges Zentrifugieren
schadet den Tieren gar nicht, wovon ich mich häufig überzeugen
konnte. Die Suspensionen mit destilliertem Wasser — wozu dann in
bekannter Konzentration das Gift hinzugefügt wurde — sind so ge-
macht worden, dass die Zahl der Paramäcien in einer Volumeinheit
eine recht grosse war, jedoch die freie Beweglichkeit der Tiere sicher
nicht einschränkte. Die Mischungen sind zuerst in Reagensgläsern
in dden später zu beschreibenden Versuchen mit grösseren Flüssigkeits-
mengen in Kolben mit zugeschliffenem Stöpsel hergestellt worden,
Nach Hinzufügen des Giftes wurde dann bis zum Ende des Versuches
etwa jede Minute ein Tropfen der Suspension mittels einer Pipette
abgehoben und bei Lupenvergrösserung (zehnmal) auf einem Objekt-
träger untersucht. Sämtliche Kulturen und Versuche sind bei Zimmer-
temperatur von etwa 20°C. ausgeführt worden.
Es wurde jedesmal die Lebensdauer der Paramäcien in verschiedenen
Konzentrationen des Giftes festgestellt. Als Zeichen des Todes wurde
das Aufhören der aktiven Lokomotion genommen. Dass diese Annahme
eine rein willkürliche ist, ist chne weiteres klar. Die Beweglichkeit
der Paramäcien hört früher auf als das Leben; die Lähmung ist in
den meisten Fällen zuerst noch reversibel und kann durch Versetzung
der vergifteten Paramäcien in ein giftfreies Medium wieder aufgehoben
werden, wovon wir uns wiederholt überzeugen konnten. Diese Rever-
sibilität der Giftwirkung hält einige Minuten an, nach welcher Zeit
dieselbe nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Für mich hat
es sich aber gar nicht darum gehandelt, den genauen Zeitpunkt des ein-
getretenen Todes festzustellen, sondern eine leicht fassbare und genau
feststellbare Phase der Giftwirkung festzuhalten, um den zeitlichen
Verlauf der Vergiftung bei den verschiedenen Giftkonzentrationen ver-
1) Pütter, Tigerstedt's Handbuch der physiologischen Methodik. ], 1.
Leipzig 1908.
15*
225 S. Neuschlosz:
gleichen zu können. Ob dieser Zeitpunkt der des Todes oder der einer
anderen, zeitlich festlegbaren und dem Tode naheliegenden Erscheinung
ist, war für meine Versuche ohne Belang.
Da die Resistenz der einzelnen Paramäcien trotz ihrer gemein-
samen Abstammung den Giften gegenüber recht grossen individuellen
Schwankungen unterworfen ist ');, wurden bei jedem Versuch zwei
Momente notiert: der Zeitpunkt, zu welchem das erste gelähmte Tier
gesehen wurde, und der, zu welchem keine mehr sich bewegen konnte.
Die unten angegebenen Zeiten sind aus den arithmetischen Mitte!
dieser beiden Zeitpunkte berechnet worden. Da die Giftempfindlich-
keit der Paramäcien auch von äusseren, zum Teil schwer kontrollier-
baren Bedinsungen abhängt, wie Temperatur, Beleuchtung usw., mussten
die miteinander zu vergleichenden Versuche einer Serie gleichzeitig
nebeneinander ausgeführt werden.
Normale Chininempfindlichkeit der Paramäcien.
Als erste zu analysierende Giftgewöhnung wählte ich die an Chinin,
die infolge ihrer Bedeutung für die Therapie der Malaria ein besonderes
Interesse beansprucht. Die erworbene Chininfestigkeit der Malaria-
parasiten ist ja eines der Haupthindernisse einer erfolgreichen Therapie
der Malaria. Chininfeste Malariaparasiten wurden zum ersten Male
von Sitt ?) erwähnt, dann von Neiva), Nocht und Werner) u.a.
Morgenroth und Rosenthal?) führten auf experimentellem Wega
nach Ehrlich’s Verfahren Chininfestiskeit bei Naganatırypanosomen
in der Ratte herbei und zeigten, dass dieselben auch in Vitro eine
srössere Widerstandsfähigkeit gegen das Gift innehatt ] l
srössere Widerstandsfähigkeit gegen das Gift innehatten als normale
Trypanosomen. Dass auch freilebende Protozoen gegen Chinin ge-
Tfestigt, werden können, wissen wir aus den Versuchen von Davenport
und Neal®) an Stentor coeruleus, doch ist die von den genannten
erreichte Festigkeit nur gering.
Bevor ich meine Versuche über Chininfestigkeit anfangen konnte,
musste ich zuerst die normale Resistenz meiner Paramäcien gegen
Chinin feststellen. Den Mittelwert vieler, gut übereinstimmender Ver-
suche mit Berücksichtigung aller oben angeführten Gesichtspunkte
gibt die erste Kolonne der Tabelie I wieder. Verwendet wurde immer
eine neutrale Lösung von Chininum hydrochlorieum.
1) Siehe hierzu auch Neuhaus a.a. O.
2) Sitt, Journal of the American Medical Assoc. vol. 1. Chicago 1908.
3) Neiva, zitiert nach Morgenroth und Rosenthal.
4) Nocht und Werner, Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 34.
1910. — Werner, daselbst Nr. 39.
5) Morgenroth und Rosenthal, Zeitschrift für Hygiene und In-
fektionskrankheiten Bd. 71 S. 501. 1912.
6) Davenport and Neala.a. O.
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 1. 397
Tabelle I.
Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in Chininlösungen
von verschiedener Konzentration.
Gewöhnte Paramäcien
Konzentration Normale Para- | Chininkonzentra- | Chininkonzentra-
der tötenden mäcien tion der letzten | tion der letzten
Onlösung Nährlösung: Nährlösung:
> 1: 200 000 1:20000
Lebensdauer Lebensdauer | Lebensdauer
le: 100 0X IR au
11@ 200 Du 4% 6’
1: 400 Dr Hr gR
1: 300 9’ 19% 14’
12-22 16600 14’ Sau 35.
10:0032200 an“ 30’ 48’
1: 6400 26 ' 38’ 1
1: 12800 32 Hl 1h47'
1: 25 600 Du 1 3% 2h56’
1: 51200 Ih 37 1h48' ”o
1: 102 400 20 5 3436’ =.
1: 204 800 02) 0.) o2
Es zeigt sich also, dass das Chinin in der Konzentration von
1:100 die Paramäcien augenblicklich tötet, während die
Schwelle der Chininwirkung bei Paramäcien etwa bei einer
Konzentration von 1:100000 liest. Irgendeine mathematische
Funktion zwischen der Konzentration der Giftlösung und der Lebens-
dauer konnte nicht festgestellt werden.
Die Chiningewöhnung.
Um eine Gewöhnung der Paramäcien an Chinin herbeizuführen,
wurde folgendermaassen vorgegangen. Es ist zuerst zu der Nährlösung
derselben eine geringe Menge Chininum hydrochlorieum zugefügt worden,
so dass die Gesamtkonzentration an Chinin 1:10000000 betrug. Aus-
gehend. von dieser Lösung ist dann die Giftkonzentration langsam und
sukzessive erhöht worden. Von etwa 1:100000 aufwärts konnte bei
jeder Steigerung der Konzentration an den Paramäcien eine vorüber-
gehende Depression beobachtet werden, die in einer Herabsetzung
der Bewegungsgeschwindiskeit und Teilungsintensität zum Ausdrucke
kam und manchmal nach einigen Stunden, manchmal -— besonders
bei den höheren Konzentrationen — erst in einigen Tagen wich. Die
Tiere gewannen dann ihre Beweglichkeit und Vermehrungsfähiskeit
vollkommen wieder. Bei vorsichtiger Steigerung der Konzentrationen
konnte ein Absterben der Paramäcien gänzlich vermieden werden.
Eine Erhöhung der Konzentration ist jedesmal nur dann vorgenommen
worden, wenn die Tiere die Depression gänzlich überwunden und sich
2 fe)
an die vorhergehende Giftkonzentration vollkommen akklimatisiert
228 S. Neuschlosz:
hatten. Die während der Gewöhnung durchgelaufene Konzentrations-
skala war die folgende: ] :10000000, 1:5000000, 1:3000000, 1:2000000,
1:1500000, 1:1000000, 1:800000, 1:500009, .1:300000, 1:200000,
1:150000, 1:106000, 1:80000, 1:50000, 1:40000, 1:30000, 1:20000,
1:15000, 3:10000.
Die Grenze der Anpassungsfähigkeit scheint bei I1:10000 zu liegen,
denn grössere Konzentrationen konnten unseren Erfahrungen nach
niemals ohne Schaden auf die Dauer ausgehalten werden. Die er-
reichte Chininfestiekeit der gewöhnten Paramäcien wurde ebenso fest-
gestellt, wie es bei der Resistenzbestimmung der normalen Paramäcien
geschehen ist. Hierbei zeigte es sich, dass die tatsächliche Festigkeit
der Paramäcien in destilliertem Wasser immer geringer war, als man
aus der Chininkonzentration der letzten, gut vertragenen Nährlösung
hätte schliessen können. Offenbar konnte das Chinin in der Nähr-
lösung nicht seine volle Giftwirkung entfalten. Die Erklärung dieser
Erscheinung ist in den Bakterienballen und in den kolloidal gelösten
Substanzen, welche die Nährlösung enthält und die einen Teil des
gelösten Chinins zu adsorbieren scheinen, zu suchen. Über die Lebens-
dauer gefestigter Paramäcien in Chininlösungen von verschiedener
Konzentration gibt die zweite und dritte Kolonne der Tabelle I Aus-
kunft, die ebenfalls die Mittelwerte vieler Versuche enthält. Die Ver-
suchsanordnung war die oben beschriebene.
Wenn wir nun die einzelnen Kolonnen der Tabelle I miteinander
vergleichen, ergeben sich folgende Tatsachen: Die Resistenz der
Paramäcien gegen Chinin lässt sich durch sukzessive Ge-
wöhnung wesentlich steigern. Konzentrierteren Lösungen
gegenüber, als die zur Gewöhnurg verwendeten waren,
erweisen sich jene Paramäcien resistenter, die durch Lö-
sungen verhältnismässig höherer Konzentration gewöhnt
worden sind. Die Beobachtung von Davenport und Neal!),
dass zu konzentrierte gewöhnende Lösungen die Protozoen anstatt
gegen das Gift abzuhärten, sie im Gegenteil empfindlicher machen,
konnte ich an Paramäcien nicht bestätigen. Diese Beobachtung scheint
auf die unrichtige — nicht sukzessive steigende — Art der Gewöhnung
zurückzuführen zu sein, welche die genannten Autoren angewendet
hatten. Denselben Grund wird wohl auch die geringe Chininfestiekeit
haben, welche sie erzielen konnten.
Beeinflussbarkeit der Chininfestigkeit durch Arsen.
Eine interessante und für das Wesen der Chininfestigkeit bedeutungs-
volle Beobachtung hat im Jahre 1911 Bilfinger ?) gemacht, indem
l) Davenport and Neala.a. O.
2) Bilfinger, Medizinische Klinik Nr. 13 S. 486. 1911.
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. I. 2239
es ihm gelang, die Chininfestigkeit eines Malariastammes mit Salvarsan
zu brechen. Diese Beobachtung konnten dann Morgenroth und
Rosenthal!) an Naganatrypanosomen in manchen Fällen, wenn auch
nicht immer bestätigen. Es fragte sich daher, ob auch die erworbene
Chininfestigkeit der Paramäcien mit Arsenikalien zu beeinflussen ist.
Wenn das der Fall wäre, so müssten gewöhnte Paramäcien in der
Gegenwart von Arsenmengen, die allen unschädlich sind, Chinm-
konzentrationen, denen gegenüber sie sich sonst als gefestigt erwiesen
haben, unterliegen. Um diese Vermutung zu prüfen. musste erst die
Wirkung des Arsens auf die Paramäcien allein untersucht werden.
Der Vorgang war hierbei derselbe, den wir bei den Chininversuchen
oben beschrieben haben. Die Wirkung des Arsens in verschiedenen
Konzentrationen zeigt die Tabelle II. Verwendet worden ist arsenig-
saures Natron.
Tabelle I.
Lebensdauer der Paramäcien in Arsenlösungen von verschiedener
Konzentration.
Konzentration
der tötenden Lösungen: A an
Na,AsO, er aramacıen
1 100 a3
1 200 Day
1 400 30'
I: =800 1510’
1: 1600 5h10’
1:..3200 6h
1: 6400 >24h
1:12800 0)
#s ergibt sich daher, dass eine Konzentration von 1:12800 von
Na,AsO, die Paramäcien auf die Dauer unbeeinflusst lässt. Um die
obenerwähnte Frage zu entscheiden, konnten wir also Na,AsO, in
einer Konzentration von 1:20000 ruhig verwenden. ohne Gefahr zu
laufen, dass die Paramäcien unabhängig vom Chinin bereits vom Arsen
getötet oder zumindest geschädigt werden. Dies haben wir dann auch
getan. Es wurden jedesmal drei Versuchsreihen aufgestellt. Die erste
ist mit normalen, nicht chininfesten Paramäcien unter steigenden
Chminkonzentrationen ausgeführt worden, die zweite ebenso mit an
Chinin gewöhnten Tieren, die dritte ebenso wie die zweite, nur enthielt
jedes Gefäss ausser dem in steigenden Mengen angewendeten Chinin
jedesmal auch Na,AsO, in der Konzentration von 1:20000. Die zur
zweiten und dritten Versuchsreihe verwendeten Paramäcien stammten
jedesmal aus demselben Kulturgefäss. Verwendet worden sind nur
jene Chininkonzentrationen, bei denen nach unseren früheren Er-
l) Morgenroth und Rosenthala.a. 0.
230 S. Neuschlosz:
fahrungen der Resistenzunterschied zwischen normalen und gewöhnten
Paramäcien recht scharf zutage tritt. Der Mittelwert dieser Versuche
ist aus Tabelle III ersichtlich.
Tabelle IT.
Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in verschiedenen Chinin-
konzentrationen mit und ohne Zusatz von NazAs0z.
Gewöhnte Paramäcien
Konzentration Normale Para- hs
der tötenden mäcien | Mit Na;AsO,
Lösung a Sun ı(1:20000) versetzt
| Lebensdauer Lebensdauer | Lebensdauer
1: 5.000 28 1. nzuN 28’
1:10 000 3. ahlyon | 367
1:20 000 40 ' ae | 44'
1:40 000 39% 06) | 6%
1:80 000 1147’ | o | 1559’
N
Aus diesen Versuchen geht also hervor, dass das Arsen
die Chininfestigkeit gewöhnter Paramäcien brechen und
ihre ursprüngliche Chininempfindlichkeit fast vollkommen
wieder herstellen kann. Eine Überempfindlichkeit, wie sie
Morgenroth und Rosenthal!) bei mit Salvarsan behandelten
chininfesten Trypanosomen beobachteten, konnte nicht festgestellt
werden. Die. Empfindlichkeit der gewöhnten, mit Arsen behandelten
Paramäcien scheint im Gegenteil etwas, wenn auch nur wenig hinter
der normaler Paramäcien zurückzubleibken. Der Unterschied zwischen
der Resistenz gewöhnter Paramäcien mit und ohne Arsen tritt klar
hervor.
Das Wesen der Chiningewöhnung.
Hiermit war der erste Teil der gestellten Aufgabe, der Nachweis
der Chinimfestigkeit gewöhnter Paramäcien und ihre Beeinflussbarkeit
durch Arsen, erledigt. Wir konnten uns zu unserer eigentlichen Frage,
der näheren physikalischen oder chemischen Analyse des Gewöhnungs-
vorganges, wenden. ;
Für den Mechanismus einer Giftgewöhnung haben wir anfangs
drei Möglichkeiten aufgezählt: die Zerstörung des Giftes durch die
gewöhnte Zelle, die Bindung desselben in einer unwirksamen Form
und das Undurchgängigwerden der Zellwand für das Gift. Bei einem
hochmolekularen Gifte, wie es das Chinin ist, musste zuerst an die
erste Möglichkeit gedacht und eine experimentelle Prüfung derselben
vorgenommen werden.
l) Morgenroth und Rosenthala.a. O.
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 1. 23]
Der einfachste Weg zu diesem Zwecke war die Verfolgung des
Schicksals des zu den Paramäcien zugefügten Chinins. Im Falle ge-
wöhnte Paramäcien die Fähigkeit erlangten, das Chinin zu zerstören,
musste der Chiningehalt der sie umgebenden Lösung — eine genügende
Anzahl von Paramäcien vorausgesetzt — während des Versuches ab-
nehmen. Um diese Möglichkeit zu prüfen, wurde die Chininkonzen-
tration der Lösung vor Hinzufügen der Paramäcien festgestellt, die
Verdünnung, welche dieselbe durch die Zugabe einer genau abgemessenen
Menge Paramäciensuspension erfuhr, berechnet und nach Abschluss
des Versuches die Chininkonzentration abermals bestimmt. Ein Ver-
gleich der Differenz in der Chininkonzentration bei normalen und ge-
wöhnten Paramäcien musste die Richtigkeit unserer Vermutung ent-
scheiden.
Voraussetzung dieses Verfahrens war eine verlässliche und möglichst
genaue quantitative Methode zur Bestimmung des Chinins in wässe-
rigen Lösungen. Als geeignet erwiesen sich hierzu die Methoden von
Heikel!) einerseits und von Gordin ?) andererseits, die abwechselnd
verwendet worden sind. Über die Einzelheiten der genannten Ver-
fahren muss auf die Orisinalarbeitev. verwiesen werden. Um die Brauch-
barkeit derselben zu prüfen, wurde die Chininmenge in einer genau
bekannten Lösung von Chinimum hvdrochlorieum bestimme. Diese
Analyse fiel wie folet aus: 0,2127 g Chininum hydrochloricum wurden in
genau 1000 cem gelöst. Von dieser Lösung wurde dann in vier Proben
zu 50 ccm das Chinin nach Gordin, in anderen vier nach Heikel
bestimmt. Die berechnete Menge Chinin in 50 ccm der Lösung betrug
0,0087 g. Die nach Gordin ausgeführten Bestimmungen ergaben:
0,0091 g, 0,0085 g, 0,0086 s und 0,0089 &, dienach Heikel ausgeführten:
0,0086 g, 0,0090 g, 0,0087 & und 0,0085 g. Die Fehlergrenze der beiden
Methoden beträst also etwa 5%.
Unsere Versuchsanordnung gestaltete sich folgendermaassen: Zu
25 cem einer recht dichten Paramäciensuspension wurden 100 ccm
einer genau bekannten Chininlösung hinzugefügt, so dass die Gesamt-
konzentration jedesmal ungefähr 1:5000 betrug. In dieser Konzen-
traticn ist der Unterschied in der Lebensdauer gewöhnter und un-
gewöhnter Paramäcien, wie wir das aus. unseren früheren Versuchen
wussten, ein recht beträchtlicher; wir konnten also hoffen, auch bei
der Chininzerstörung grosse Ausschläge zu bekommen. Bei noch
geringeren Konzentrationen, wo der Unterschied noch schärfer hervor-
tritt, hätte die geringe Menge des vorhandenen Chinins zu grosse Fehler
in der Bestimmung verursacht. Die Lebensdauer der Paramäcien in
jeder einzelnen Lösung wurde auf die oben beschriebene Weise fest-
1) Heikel, Chemikerzeitung Nr. 32. 1908.
2) Gordin, Berichte der deneenen chem. Gesellschaft Nr. 32, III. 1899.
229 S. Neuschlosz:
gestellt, nach Ablauf des Versuches die Paramäcien durch Filtrieren
oder Zentrifugieren entfernt und in der nunmehr reinen wässerigen
Lösung das Chinin in zweimal 50 cem bestimmt. Dass die vorhandenen
Lösungen nach Entfernung der Paramäcienleiber als reine wässerige
Lösungen angesehen werden konnten, habe ich wiederholt mit zu
‚diesem Zwecke ausgeführten Versuchen festgestellt. Die von den
Paramäcien während der kurzen Versuchszeit von weniger als einer
Stunde etwa in die Lösung, sezernierte Stoffwechselprodukte waren
jedenfalls in zu geringer Menge vorhanden, um die Chininbestimmung
erheblich zu beeinflussen. Dass die in einem Teil der Versuche gleich-
zeitig zugefügte Na,AsO, die Bestimmung nicht störte, habe ich auch
gesondert festgestellt. Um den nach der Heikel’schen Methode vor-
geschriebenen Niederschlag mit Kaliumquecksilberjodid nicht kolloidal
ausfallen zu lassen, wurden die abgemessenen 50 ccm Flüssigkeit vor
der Fällung am Wasserbade auf wenige Kubikzentimeter eingeenst,
wodurch das Verfahren wesentlich an Genauigkeit gewann.
Gleichzeitig mit der Frage, ob das Chinin durch gewöhnte Para-
mäcien zerstört wird, untersuchten wir auch. ob dazugefügtes Arsen
irgendeine Wirkung auf das Schicksal des Chinims ausübt, und ob die
festgestellte Eigentümlichkeit des Arsens, die Chininfestigkeit gewöhnter
Paramäcien zu brechen, auf dieser Grundlage eine Erklärung findet.
Bei diesen Versuchen wurde in den Versuchsgefässen bei gleichbleibender
Flüssigkeitsmenge und Chininkonzentration noch eine Konzentration
an Na,AsO, von 1:20000 hergestellt. Die Ergebnisse sämtlicher hierher
gehörigen Versuche sind in der Tabelle IV zusammengestellt.
Unsere Versuche zeigen also, dass die Chininkonzentra-
tion der Flüssigkeit, in welchem an Chinin gewöhnte Para-
mäcien sich befunden haben, im Durchschnitt um 80%
abnimmt, während normale nichtgewöhnte Paramäcien die
Chininkonzentration unbeeinflusst lassen; der durchschnitt-
liche Verlust von 4,5%, ist innerhalb der Fehlergrenzen, so dass der-
selbe keine Folgerungen zulässt; jedoch spricht der Umstand, dass
alle acht Bestimmungen einen Verlust an Chinin aufweisen, doch dafür,
dass auch normale Paramäcien das Chinin in ganz geringem Grade
zum Verschwinden bringen. Ferner konnte gezeigt werden,
dass gleichzeitig anwesende geringe Mengen von Arsen die
erwähnte Tätigkeit der Paramäcien zu hemmen imstande
sind, so. dass der Chininverlust durch gewöhnte Para-
mäcien in der Gegenwart von Na,AsO, den durch normale
Paramäcien bedingten kaum übersteigt (8%).
Mit diesen Ergebnissen ist eine Ursache für die Chinimfestigkeit
gewöhnter Protozoen gegeben. Dass das verschwundene Chinin tat-
sächlich durch die gewöhnten Paramäcien zerstört worden ist, erhärtet
239
T:
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte.
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2 LION ‚73 08 19000 | ‚2 ul I 7030°0 ‚TE 9030°0
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234 S. Neuschlosz:
die Tatsache, dass es uns auf keine Weise gelang, das Chinin aus
den toten und abzentrifugierten Paramäcienleibern wiederzugewinnen
und nachzuweisen. Es wurden zu diesem Zwecke die Paramäcien mit
Quarzsand zerrieben, mit Lauge versetzt und mit Chloroform aus-
geschüttelt, ein anderes Mal mit verdünnter Salzsäure stundenlang
gekocht. Sämtliche Extraktionsversuche blieben erfolglos: Es konnte
in den Extrakten mit Kaliumquecksilberjodid keine Spur
von Chinin nachgewiesen werden. Es muss daher auf eine
Zerstörung des Chinins durch die Paramäcien geschlossen werden.
Auf welche Weise diese Zerstörung vor sich geht, ist natürlich
noch keineswegs klar. Jedenfalls liegt es nahe, an Abwehrfermente
zu denken. Dass niedere Organismen die Bildung ihrer Fermente
nach dem augenblicklichen Bedarf regulieren können, ist ja bekannt),
und da könnte es uns gar nicht wundernehmen, wenn sie auch gegen
das ihnen zugefügte Chinin Fermente zu mobilisieren imstande wären.
Dass der tierische Organismus gegen Alkaloide gerichtete spezifische,
fermentartige Abwehrstoffe zu produzieren vermag, beweisen unter
anderen die Untersuchungen von Fleischmann ’?), Metzner?°) und
Schinz *) über die Atropinresistenz bei Kaninchen.
An dieser Stelle sei auch kurz die von Löwenstein und mir’)
und unabhängig von uns von Teichmann ®) beschriebene Chinin-
gewöhnung bei Menschen erwähnt, die nach unseren Versuchen auch
auf gesteigerte Zerstörung des Chinins im Organismus zurückzuführen
ist. Ähnliche Ergebnisse zeitigten auch die Versuche von Löwenstein
und Kosian’) an Hunden. Die Richtigkeit dieser Befunde ist von
Hartmannund Zilla 8) einerseits, von Giemsa und Halberkamm °)
andererseits bestritten worden, so dass die Frage als unentschieden
angesehen werden muss. Ich hoffe, auf dieselbe demnächst mit neuem
Versuchsmaterial eingehend zurückkehren zu können, will sie daher
hier nur gestreift haben.
Eine ganz neue Beleuchtung erfährt durch unsere Ergebnisse auch
die Beeinflussbarkeit der Chininfestigkeit durch Arsen. Arsen hemmt
nach den Angaben der Tabelle IV die Zerstörung des Chinins in Mengen,
welche die sonstige Lebenstätigkeit der Paramäcien vollkommen un-
3) Metzner, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 68 S. 110. 1912.
4) Schinz, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 81 S. 193. 1917.
5) Löwenstein u. Neuschlosz, Zeitschrift f. Hyg. u. Infkr. Bd. S4.
1917. — Neuschlosz, Münchener med. Wochenschrift Nr. 37 u. 39. 1917.
6) Teichmann, Deutsche med. Wochenschrift Nr. 36. 1917.
7) Löwenstein und Kosian, Zeitschr. f. Hyg. u. Infkr. Bd. 84. 1917.
8) Hartmann und Zilla, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 83. 1918.
9) Giemsa und Halberkamm, Arch. f. Schiffs- u. Tropenhygiene
Bd. 24. 1918.
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. 1. 235
beeinflusst lassen (s. Tab. III). Es ist also eine ganz elektive Wirkung
des Arsens. welcher wir gegenüberstehen. Und als elektive Wirkung
desselben ist auch die durch Arsen bedingte Hemmung der Dissimi-
lationsprozesse, namentlich der Oxydationen der Zelle, bekannt!). In
diesem Sinne muss auch die Hemmung der Chininzerstörung als Be-
einflussung des Dissimilationsvermögens der Zelle gedeutet werden.
Zusammenfassung.
Als Ergebnis unserer Arbeit lässt sich kurz folgendes sagen:
1. Paramaecium caudatum erweist sich Chinin gegen-
über als recht empfindlich. Der Schwellenwert der töd-
lichen Konzentration ist ungefähr 1:100000, das die Para-
mäcien in etwa 2 Stunden tötet.
2. Durch sukzessives Gewöhnen an immer steigende
Konzentrationen lässt sich eine hochgradige Festigung der
Paramäcien gegen Chinin herbeiführen. Die Festigung ist
um so erheblicher, je konzentrierter die letzte gewöhnende
Lösung war.
3. Durch gleichzeitiges Hinzufügen geringer — an sich
unschädlicher — Mengen von Na,AsO, lässt sich die Chinin-
festigkeit der Paramäcien brechen und die ursprüngliche
Chininempfindlichkeit wiederherstellen.
4. Gefestigte Paramäcien erlangen die Fähigkeit, das
Chinin zu zerstören; diese Fähigkeit geht normalen Para-
mäcien fast vollkommen ab.
5. Arsen, das die Chininfestigkeit der Paramäcien bricht,
hemmt auch die Zerstörung des Chinins durch dieselben.
l) Onaka, Zeitschrift für physiologische Chemie Bad. 70 S. 433. 1911. —
Siehe auch Otto Loewi, Noordens Handbuch der Pathologie des Stotf-
wechsels Bd. 2 S. 755. Berlin 1909.
Weitere Studien über die von einzelnen Organen her-
vorgebrachten Substanzen mitspezifischer Wirkung).
II. Mitveılung?2),
Von
Emil Abderhalden.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Halle.)
Mit Tafel III-VI.
(Eingegangen am 5. Mai 1919.)
Die Forschungen der letzten Jahre haben immer mehr Material
für die Annahme erbracht, dass der gesamte Stoffwechsel in Abhäneie-
keit von bestimmten exogenen Nahrungsstoffen steht. Je tiefer in
das ganze Forschungsgebiet vorgedrungen wird, um so mehr zeigt es
sich, dass die Verhältnisse nicht einfach liegen. Schon der Umstand,
dass die einzelnen Tierarten auf das Fehlen bestimmter Stoffe ganz
verschieden antworten, und ferner die Ausfallserscheinungen nicht durch
dieselben Stoffe zu beheben sind, zeigt, dass von einer Vielheit von
Substanzen gesprochen werden muss. Mir scheint immer mehr die An-
nahme am wahrscheinlichsten, dass man die sogenannten Nutramine
als Reizstoffe aufzufassen hat, auf die bestimmte Zellarten im Organis-
mus eingestellt sind. Es liegt in gewissem Sinne eine Wechsel-
beziehung vor, die über den Zellstaat des einzelnen In-
dividuums hinaus sich auf die Aussenwelt erstreckt. Viel-
leicht handelt es sich im einzelnen Falle um eine Anpassungserscheinung.
Mit der Nahrung werden diese Stoffe normalerweise aufgenommen.
Sie begleiten die einzelnen Nahrungsstoffe und sind vielleicht not-
wendig, damit deren Verwendung im Organismus in die richtigen
Bahnen gelenkt wird. Allem Anschein nach wirken diese Stoffe, oder
viele davon, auf die Verdauungsdrüsen ein. Ferner ist ein Einfluss
auf die Darmperistaltik unverkennbar. Darüber hinaus sind ohne
Zweifel Einflüsse auf das Nervensystem und speziell auf das sym-
pathische erkennbar.
Das ganze erwähnte Forschungsgebiet steht ohne Zweifel in engsten
Beziehungen zu dem Problem der Wechselbeziehungen der
1) Ausgeführt mit Mitteln der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft.
2) I. Mitteilung: Dieses Archiv Bd. 162 S. 99. 1915.
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 237
einzelnen Organe zueinander. Zurzeit stellen wir uns vor, dass:
die einzelnen Zellarten Stoffe hervorbringen, die ausserhalb des Zell-
verbandes in anderen Zellarten bestimmte Funktionen in die Wege
leiten oder doch beeinflussen. Wir nehmen an, dass sogenannte Inkrete
der Lymphbahn oder Blutbahn übergeben werden, worauf sie dann
eine Fernwirkung dadurch entfalten können, dass sie zu bestimmten
Zellen in Beziehung treten. Wir dürfen uns diese Beziehungen nicht
zu einseitig vorstellen. Sie brauchen nicht nur chemischer Natur zu
sein. Es ist sehr wohl möglich, dass physikalische und physikalisch-
chemische Einflüsse sich geltend machen. Vor allen Dingen muss
man an Beziehungen zu den Kolloiden der Zellen denken. Vor allem
wäre es möglich, dass durch die Inkrete auch die Durchlässigkeit der
sogenannten Zellmembranen, das heisst der Grenzschicht in den Zellen
in typischer Weise beeinflusst würde. Überblickt man das ganze
grosse Forschungsgebiet rein sachlich, dann muss man anerkennen,
dass zurzeit die Hypothesen noch einen sehr weiten Spielraum haben,
während das tatsächlich Festgestellte noch einen kleinen Raum ein-
nimmt. Um so mehr muss es unser Bestreben sein, aus den einzelnen
Organen Stoffe zu isolieren, die rein sind und ganz bestimmte Wir-
kungen entfalten. Wahrscheinlich wird sich dabei herausstellen, dass
der Organismus nicht mit einzelnen Stoffen, sondern mit Gemengen
von solchen arbeitet. Vor derartigen Studien schreckte die Vorstellung
zurück, dass die Inkrete hochmolekulare, kompliziert gebaute Stoffe
sein sollten. Dieser Gedanke wurde immer wieder genährt, weil be-
stimmt behauptet wurde, dass zum Beispiel das wirksame Prinzip
der Schilddrüse ein jodhaltiger Eiweisskörper sei.
Da nun die Schilddrüse auch dann bestimmte Wirkungen im
Organismus hervorbringt, wenn sie verfüttert wird, so musste der
Verdacht geweckt werden, dass vielleicht doch die wirksamen Stoffe
— die sogenannten Inkrete — einfacherer Natur sein könnten, als
man bis jetzt angenommen hatte. Dieser Gedankengang veranlasste
_ meine Studien über das Verhalten von vollständig abgebauten Organen
gegenüber verschiedenen Funktionen im Organismus höherer Tiere und
auf das Wachstum und die Entwicklung verschiedener niederer Tier-
arten. Der Plan war vollständig klar vorgezeichnet. Zunächst musste
_ festgestellt werden, ob gänzlich eiweiss- und peptonfreie Organbestand-
teile noch irgendwelche spezifische Wirkungen haben. Der Abbau
wurde zunächst durch Autolyse vollzogen. Dabei erhält man aller-
dings keine vollständige Spaltung. Dieser Weg wurde beschritten,
um fremdartige Zusätze zu vermeiden. In der Folge wurde dann der
Abbau der einzelnen Organe so durchgeführt, dass Autolyse und Ver-
dauung mit Pankreas- und Darmsaft zusammen durchgeführt wurden.
In einigen Fällen wurde die Verdauung durch Magensaft eingeleitet.
2338 Emil Abderhalden:
Von Zeit zu Zeit wurden die Verdauungssäfte von neuem zugesetzt.
Gewöhnlich dauerte die einzelne Verdauung 1—2 Monate. Das Fort-
schreiten des Abbaues wurde an Hand der Biuretreaktion kontrolliert.
Zur Kontrolle wurden stets Versuche ausgeführt, bei denen die un-
veränderten Organe direkt verwendet wurden.
Bei späteren Versuchen wurden die Organe mit Säure abgebaut.
Dieser Weg wurde nicht sofort beschritten, weil die Erfahrung gezeigt
hat, dass zahlreiche Stoffe das Kochen mit Säuren nicht vertragen.
Der Abbau durch Fermente ist auf alle Fälle der mildere. Der Abbau
mit Säure wurde in folgender Weise durchgeführt: Die Organe wurden
blutfrei gewaschen und dann ganz fein zerkleinert. Nunmehr wurden
sie auf Filtrierpapier vom aussen anhaftenden Wasser befreit und
dann mit der zennfachen Menge 5 %,iger Schwefelsäure bei der Tem-
peratur des Wasserbades so lange gekocht, bis vollständige Lösung
eingetreten war. Im Durchschnitt musste vier- bis sechsmal 8 Stunden
gekocht werden. Später wurde die Schwefelsäure 10 %ig angewandt.
Das Hydrolysat wurde filtriert und die Schwefelsäure sehr sorgsam
mit Baryt entfernt. Hierbei wurde peinlich genau darauf geachtet,
dass die Reaktion niemals alkalisch wurde. Die schwefelsäure- und
barytfreie Lösung wurde vom Barinmsulfat durch Filtrieren getrennt
und dann bei 40°.des Wasserbades und einem Druck von ungefähr
15 mm Hg zur Trockene verdampft. Der Rückstand wurde in Wasser
gelöst und dann zu den Versuchen verwendet.
In einigen Fällen wurden die Organe, bevor sie hydrolysiert wurden,
mit verschiedenen Lösungsmitteln, wie Alkohol, Aceton, Chloroform,
ausgezogen und die Extrakte für sich geprüft. In anderen Fällen wurde
der oben erwähnte Destillationsrückstand, der die Spaltprodukte aus
den Organen enthielt, mit den gleichen Lösungsmitteln behandelt.
Ferner wurden Fällungen erzeugt, -das heisst, die alkoholische Lösung
wurde zum Beispiel mit Aceton gefällt. Niederschlag und nichtgefällter
Anteil wurden dann getrennt auf Wirksamkeit geprüft. Diesen
Versuchen kommt zunächst keine ausschlaggebende Bedeutung zu,
denn die Erfahrung hat gezeigt, dass unreine Stoffe sehr leicht andere
mit niederreissen oder aber in Lösung halten. Von einer reinlichen
Trennung kann keine Rede sein. Ja, gleich durchgeführte Trennungs-
methoden können, wie der direkte Versuch zeigt, unter Umständen
zu ganz verschiedenen Resultaten führen. Wir legen deshalb auf die
aus derartigen Versuchen gezogenen Schlussfolgerungen keinen allzu
grossen Wert.
Vor allen Dingen müsste in jedem einzelnen Falle geprüft werden,
ob eine isolierte Substanz, die sich als unwirksam erweist, auch im
genuinen Zustande diese Eigenschaft besitzt, oder aber erst durch die
ganze Behandlungsmethode unwirksam geworden ist. Erweist es sich
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 239
ferner, dass aus einem Gemisch abgetrennte Substanzen andere Wir-
kungen zeigen als dieses, dann muss ebenfalls festgestellt werden, ob
nicht die angewandte Methode schuld an der ganzen Veränderung ist.
Man darf nicht einfach mit allen möglichen Lösungsmitteln trennen
und sich damit begnügen, die besonderen Wirkungen der einzelnen
Fraktionen zu prüfen. Die gegebene Versuchsordnung für die Ent-
scheidung derartiger Fragestellungen ist die folgende: Hat man eine
Substanz, die sich als wirksam erweist, und gelingt es, aus ihr eine
unwirksame und eine wirksame Komponente abzutrennen, von denen
die letztere eine andere Wirkung hat als das Gemisch, dann muss
festgestellt werden, ob nach Vereinigung der getrennten Komponenten
wieder die ursprüngliche Wirkung zustande kommt, oder aber, ob
durch die angewandte Methode sich eine Veränderung einer oder beider
Komponenten nachweisen lässt. Solange nur die abgetrennten Produkte
für sich untersucht werden, wird man nie zu klaren Schlüssen kommen.
Wir teilen deshalb unsere reichlichen, nach dieser Richtung ausgeführten
Versuche noch nicht mit, weil sie von dem erwähnten Gesichtspunkte
aus noch nicht spruchreif sind.
Die von mir gefundene Tatsache, dass vollständig eiweissfreie,
tief abgebaute Organe qualitativ die gleiche Wirkung auf
das Wachstum und die Entwicklung von Kaulquappen
ausüben, wie die nicht abgebauten Gewebe, ist von
J. M. Rogoff und David Marine!) und Romeis’) vollständig
bestätigt worden. Auch diese Forscher konnten zeigen, dass hydrolv-
sierte Organe in der genannten Beziehung wirksam sind. Romeis
hat darüber hinaus versucht, bestimmte Stoffe aus den Organen zu
isolieren, und die Frage zu entscheiden, ob bestimmte Körperklassen
für die Wirkung verantwortlich gemacht werden können. Er hat
damit den gleichen Versuchsplan betreten, den ich auf breiter Grund-
lage durchführen wollte. Selbstverständlich hat jeder Forscher auf
dem ursprünglich von Gudernatsch eröffneten Forschungsgebiete
freie Bahn. Ich würde die folgenden Versuchsergebnisse gern noch
zurückgehalten haben, um im Laufe der Zeit zu einem abgerundeten
Ergebnis zu kommen. Die von Romeis mitgeteilten Untersuchungen
veranlassen mich jedoch, jetzt schon diejenigen Resultate mitzu -
teilen, die in sich abgeschlossen sind.
Es sei auch darauf hingewiesen, dass Abelin ?) die wichtige Be-
obachtung gemacht hat, dass ein eiweissfreies jodarmes Schilddrüsen-
präparat ebenso auf den Stoffwechsel wirkte, wie ein eiweisshaltiges,
1) J.M.Rogoffund David Marine, J. Pharm. Therap. Bd. 98.57. 1916.
2) Benno Romeis, Z. f. die gesamte experim. Medizin. 6.-und Dieses
Archiv Bd. 173 S. 422. 1919.
3) J. Abelin, Biochem. Zeitschr. Bd. 80 S. 259. 1917.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 16
340 Emil Abderhalden:
das heisst, auch er hat feststellen können, dass die Wirkung der Schild-
drüse nicht an das Vorhandensein eines jodhaltigen Eiweisskörpers
geknüpft ist.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Inkretionsorgane geringe
Inkretmengen in freiem Zustand in sich enthalten. Laugt man frische
Organe mit Wasser aus, so erhält man in ihm wirksame Stoffe. Ihre
Menge ist jedoch sehr gering. Sie steigt mit zunehmender Autolyse.
Wird ein Organ durch Auskochen mit Wasser von allen löslichen Be-
standteilen befreit, dann gewinnt man bei seiner Hydrolyse wieder
wirksame Stoffe Es geht daraus hervor, dass die Inkretstoffe
in den Organen zum kleinsten Teil frei, zum grössten
Teil in Bindung vorhanden sind.
Ich möchte noch ganz besonders hervorheben, dass die ausge-
führten Untersuchungen auf keinen Fall etwas über die
gesamte Funktion der geprüften Organe aussagen können.
Es werden ja immer nur Teilfunktionen geprüft, so zum Beispiel Ein-
flüsse auf das Wachstum und die Metamorphose von niederen Tieren,
oder es wird der Einfluss auf die glatte Muskulatur für sich festgestellt.
Selbstverständlich kann ein bestimmter Einfluss beobachtet oder aber
vermisst werden, und trotzdem kann das geprüfte Produkt in anderer
Beziehung unwirksam oder aber wirksam sein. Man kann somit einst-
weilen auch nicht die gesamte pharmakologische Prüfung der einzelnen
Inkrete, zum Beispiel! durch Kaulquappenversuche, ersetzen. Es ist von
grösster Bedeutung, dass die einzelnen Stoffe auch am höher organi-
sierten Tiere und vor allen Dingen an überlebenden Organen geprüft
werden. ‚Je mehr verschiedenartige Beobachtungen vorliegen, um so
weiter wird unser Blick für die Beurteilung der Funktionen der ein-
zelnen Organe werden.
Meine eigenen Studien sind in der Hauptsache in den Jahren 1914
bis 1918, ausgeführt worden. Sie werden auch in diesem Jahre fort-.,
gesetzt. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, dass es notwendig ist.
die Zahl der Versuche möglichst gross zu gestalten und vor allen Dingen
möglichst viele Kontrollversuche durchzuführen. Es hat sich gezeigt,
dass auch ohne Zusatz von besonderen Substanzen eigenartige Er-
scheinungen im Wachstum und in der Metamorphose vorkommen.
Unter 1000 Kaulquappen waren immer 10-20, die in dieser Richtung
Abnormitäten zeigten. Wir haben beschleunigte Metamorphosen beob-
achtet, das heisst, es bekamen Kaulquappen innerhalb der ersten
10 bis 14 Tage alle vier Beine, während die überwiegend grosse
Mehrzahl der Versuchstiere unter denselben Bedingungen ihre Meta-
morphose beträchtlich später vollendete. Die sich rasch entwickelnden
Tiere blieben klein. Sie waren meist auch heller gefärbt. Wieder
andere zeigten ein gesteigertes Wachstum, oder besser ausgedrückt,
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 241
ihre Körpergrösse nahm bedeutend zu, während die Metamorphose im
Rückstand blieb. Es wird von grösstem Interesse sein. festzustellen,
ob diesen Erscheinungen Anomalien in der Funktion der Schilddrüse und
der Thymusdrüse oder anderer Organe zugrunde liegen. Histologische
Untersuchungen sind bereits im Gange. Bemerkt sei noch, dass es
vorkommen kann, dass alle Abkömmlinge aus einem bestimmten
Laichklumpen sich anormal entwickeln. Selbstverständlich sind der-
artige Tiere nicht zu den Versuchen verwandt worden.
Bezüglich der mitgeteilten Abbildungen sei noch hervorgehoben,
dass, wo nichts besonderes vermerkt ist, die Tiere S—14 Tage unter
dem Einilusse der betreffenden Substanz standen.
Die Versuche sind vor allen Dingen auch auf Axolotl, Tritonen
und Wasserkäfer, ferner auf Copepoden ausgedehnt worden, und
endlich sind mehrere Tausend von Wolfsmilchschwärmer-Raupen
als Versuchstiere herangezogen worden. Die Absicht war, festzustellen,
ob es möglich ist, die Raupen als solche in ihrem Wachstum zu be-
einflussen. Ferner war die Möglichkeit gegeben, dass die Verpuppung
früher oder später erfolgte, und endlich sollte geprüft werden, ob die
Farbe der Raupen sich durch die Art der dargereichten Zusätze be-
einflussen lässt. Bekanntlich zeigen die Wolfsmilchschwärmer-Raupen
ein ausserordentlich buntes Bild. Es scheint, als ob durch Ver-
abreichung von alkoholischem Hefeextrakt die Zahl der dunkel-
gefärbten Raupen zunimmt, doch möchte ich einstweilen keine
bestimmten Angaben machen. Auch hier gilt es, mehr Erfahrung
zu sammeln. Die Raupen sind alle gezeichnet und gemalt worden,
um so ein zuverlässiges Vergleichsmaterial für spätere Versuche zu
haben.
Hinzufügen möchte ich noch, dass zahlreiche Versuche über den
Einfluss der Färbung der Raupen auf diejenige der
Schmetterlinge gemacht worden sind. Es gibt bei den Wolfsmilch-
schwärmer-Raupen ganz besondere Typen von Färbungen, zum Beispiel
solche, deren Grundfarbe schwarz ist und die eine schwarze Rücken-
linie besitzen. Andere haben eine rote Rückenlinie, wieder andere
sind in der Hauptsache rötlich gefärbt. Es sind besonders die Seiten-
flecke rötlich. Wieder andere sind in der Hauptsache gelb bis gelb-
grün gefärbt. Alle diese Färbungen kommen auch kombiniert vor.
Wir haben eine grosse Zahl von solchen bestimmt gefärbten Raupen
ausgesucht und dann verfolgt, was aus ihnen wurde. Es liess sich ein
Zusammenhang der Färbung der Flügel der Schmetterlinge mit der
Färbung der Raupen nicht feststellen.
Als besonderer Befund, der zufällig erhoben wurde, sei erwähnt,
dass beim Auflegen von Schmetterlingsflügeln auf eine
photographische Platte ohne jede Belichtung ein positives
16
242 Emil Abderhalden:
Bild entsteht!). Wir haben diesen Versuch oft wiederholt; das
Resultat war immer das gleiche, nur wurde ab und zu einmal
ohne erkennbare Ursache auch ein negatives Bild erhalten.
Auch die entschuppten Schmetterlingsflügel geben positive Bilder. Wir
sind dabei, festzustellen, worauf diese Erscheinung beruht. In Frage
kommt in erster Linie der Kalium- und der Purinbasengehalt
der Flügel. Es soll auch geprüft werden, ob bereits die Raupen diese
Einwirkung auf die photographische Platte zeigen. Die im vergangenen
Jahr in dieser Richtung ausgeführten Versuche haben kein endgültiges
Ergebnis gezeitigt.
Wir haben vorläulig Versuche mit Purinbasen, Nukleinen, Nuklein-
säuren und Nukleoproteiden ausgeführt und ferner geprüft, ob auch
dann Bilder entstehen, wenn die Schmetterlinge bezw. die genannten
Substanzen der photographischen Platte nicht direkt aulliegen. Dass
die letzteren bei direkter Berührung mit der Platte Wirkungen zeigen,
ist nicht überraschend. Es könnte sich hierbei um direkte chemische
Einflüsse handeln. Die Seite 244 und 245 mitgeteilte Übersicht gibt einige
der erhalienen Resultate wieder. Die Versuche werden fortgesetzt.
Endlich interessierte die Frage, ob der Schmetterling als
solcher irgendwie durch besonders gefütterte Raupen be-
einflusst wird. Untersucht wurde die Grösse und die Farbe der
Schmetterlinge. Ein einheitliches Resultat wurde leider nicht erhalten.
Raupen, die Hypophysensubstanzen erhalten hatten, ergaben zum
Teil auffallend grosse Schmetterlinge. Ein Teil zeigte einen sehr grossen
Körper, die Flüge! dagegen waren ganz klein. Ferner zeigten auf-
fallend viele Tiere rötlich gefärbte Vorderflügel. Tiere, die Schild-
drüsensubstanz aufgenommen hatten, waren zum Teil auffallend
klein und dabei wohl ausgebildet. Einzelne Tiere zeigten auf den
Hinterflügeln ein sehr breites schwarzes Band. Zahlreiche Tiere
zeigten unvollkommen entwickelte Flügel. Auffallend klein blieben
die Tiere, die Nebennierensubstanz aufgenommen hatten. Auch,
hier waren zahlreiche missgestaltete Tiere vorhanden. Auffallend grosse’
Tiere wurden bei den Hodenversuchen beobachtet. Die Thymus-
tiere zeigten besonders zahlreich auffallend blasse Vorderflügel. Mit
Hefeextrakt — gewonnen durch Auskochen von Hefe mit Alkohol
und Eindampfen der alkoholischen Lösung und Lösen des Rückstandes
in Wasser — wurden im Durchschnitt auch recht grosse Tiere erhalten.
Auffallend waren besonders die lebhaften Farben sowohl der Raupen.
als der Schmetterlinge. Die Strumaschmetterlinge waren im Durch-
schnitt klein. Das gleiche war bei den Sarkomtieren der Fall. Bei
Verabreichung von abgebautem Carcinom wurden auffallend viele
l) Die gleiche Beobachtung hat kürzlich G. W olf in der Naturforschen-
den Gesellschaft in Basel mitgeteilt, wie ich einer Zeitungsnotiz entnehme.
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 243
missgestaltete Schmetterlinge beobachtet. Mit Ovarium gefütterte
Raupen ergaben Schmetterlinge, die besonders oft rötliche Vorder-
flügel besassen. In keinem einzigen Falle war jedoch das Resultat
ein einheitliches. Es mag sein, dass die ausserordentlich schwierige
Zufuhr der Substanzen an den unregelmässigen Resultaten schuld ist.
Die Versuche wurden in der Weise vorgenommen, dass die zu prüfenden
Substanzen in 1%,iger Lösung durch Zerstäuber auf die Wolfsmilch-
pflanzen geblasen wurden. Die Substanzen wurden während des Tages
stündlich aufgehlasen. Die Wolfsmilchpflanzen selbst wurden täglich
erneuert. Es ist natürlich unter diesen Verhältnissen sehr schwer,
für eine regelmässige und in allen Fällen gleich gute Aufnahme der
Substanzen Scrge zu tragen.
Endlich haben wir versucht, Einfluss auf die Entwicklung von
Ameisen zu gewinnen. Auch hier ist ein abschliessendes Urteil noch
nicht möglich.
Ich möchte noch ausdrücklich betonen, dass der Plan für diese
ganzen Versuche nicht nur von dem Gesichtspunkte aus aufgenommen
worden ist, eine Basis zum Studium der Wirkung der einzelnen
Inkretstoffe zu gewinnen, sondern es sollte gleichzeitig die Möslich-
keit geschaffen werden, die Inkrete mehrerer Organe in Mischungen
anzuwenden. Eine geregelte Aufnahme der einzelnen Produkte war
nur denkbar, indem man sie einzeln löste und dann ihre Lösungen
in bestimmten Anteilen mengte. Ich bin überzeugt, dass auf diesem
Wege in Zukunft am besten die Zusammenhänge der einzelnen Organe
sich klarstellen lassen.
Tıeider sind wir von der Reindarstellung der einzelnen
Inkretstoffe noch weit entfernt. Die ganzen Versuche sind
dadurch ausserordentlich gehemmt, dass zurzeit die einzelnen Organe
nur sehr schwer erhältlich sind. Dazu kommt noch der grosse Mangel
an Chemikalien, der noch auf lange Zeit hinaus die wissenschaftliche
Forschung sehr stark beschränken wird. Solange man nicht die einzelnen
Substanzen als einheitlich definieren kann, kann man derartige Studien
nur als Vorläufer für spätere exaktere betrachten. Sie stellen nur
eine Stufe an einer Stufenleiter dar, die noch sehr viele Sprossen nach
oben zeigt.
Besonders erwähnen wollen wir noch, dass sehr viele Untersuchungen
ausgeführt worden sind, um bereits bekannte Substanzen auf ihre
Wirkungen auf Wachstum und Entwicklung, speziell von Kaulguappen,
zu prüfen. Die Untersuchung der einzelnen Monoamino-
säuren ergab, dass diesen keine spezifische Wirkung auf
Wachstum und Entwicklurg zukommt.
Zu den einzelnen mit Kaulquappen ausgeführten Versuchen ist
ganz allgemein noch folgendes zu bemerken:
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246 Emil Abderhalden:
Die Versuchstiere wurden zu Gruppen vereinigt, und zwar bestanden
diese aus einer grösseren Anzahl von Kontrolltieren, und dann folgten
diejenigen Versuchstiere, die Zusätze erhielten. Jede Gruppe ent-
stammte demselben Laich. Es handelte sich um Laich von Rana tem-
poraria, Rana esculenta, Pelobates fuscus, Bombinator
igneus, Bufo vulgaris, B. calamita. Sämtliche Versuchstiere
befanden sich unter genau denselben Versuchsbedingungen. Sie wurden
ın Glasschalen (Durchmesser 14,3 cm, Höhe 4,6 cm) in 200 ccm Wasser
gehalten. Das Wasser wurde täglich oder alle zwei Tage gewechselt, um
zu verhindern, dass Zersetzungsprozesse die zugefügten Stoffe beein-
flussten. Ausserdem wollten wir stets über die Konzentration der an-
gewandten Stoffe genau unterrichtet sein. Das Wasser wurde nie frisch
aus der Leitung verwendet. Es wurde vielmehr schon am vorhergehenden
Tage im gleichen Raume aufhewahrt. Diese Vorsichtsmassregei wurde
angewandt, um Störungen im Wohlbefinden der Tiere durch schroffe
Temperaturänderungen zu vermeiden. Bei einigen Versuchen wurden
Algen zugesetzt, bei anderen nicht. Es zeigte sich, dass die besten
Resultate dann erhalten wurden, wenn der Zusatz von Algen oder
anderer Nahrung unterhblieb. Handelte es sich darum, die Tiere mög-
lichst lange am Leben zu erhalten, dann mussten Algen dem Wasser
zugefügt werden. Wir haben einzelne Versuchstiere 10 Monate be-
obachten können. Die Zahl der Versuche ist eine ausserordentlich
grosse. Die Versuchstiere wurden täglich gemessen, und zwar wurde
festgestellt: die Rumpflänge, die Schwanzlänge und die Rumpfbreite,
wobei der breiteste Teil des Rumpfes gemessen wurde. Die gemachten
Beobachtungen decken sich in vielen Teilen mit den bereits mitgeteilten
Ergebnissen.
I. Einfluss von Schilddrüsensubstanz auf Wachstum
und Entwicklung.
Zur Verwendung kam vollständig abgebaute Schilddrüsen-
substanz — hydrolysiert durch Fermentwirkung oder
durch verdünnte Schwefelsäure. Ferner wurde Schild-
drüse nur schwach verdaut, und zwar durch Pankreassaft während
3 Tagen, und dann das gewonnene Produkt der Dialyse unter-
worfen und das Dialysat verwendet. Ferner sind Versuche aus-
geführt worden, um den Einfluss von Schilddrüsen von Basedow-
Kranken zu prüfen, und endlich sind auch Strumen dazu verwandt
worden.Was die letzteren Versuche anbetrifft, so sind sie noch nicht zahl-
reich genug. Es scheint, als ob die Basedow --Schilddrüsen-Substanzen
in vermehrtem Maasse auf die Kaulquappen einwirkten. Vorallen Dingen
starben auffallend viele Tiere. Bei Verwendung von Strumen waren
die Resultate ungleichmässig, zum Teil blieb die die Metamorphose
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 247
beschleunigende Wirkung ganz aus. Es entstanden Tiere, die mehr
den Typus der Thymustiere zeigten. Bei manchen Fällen schien eine
Kombination von Wirkungen vorhanden zu sein. Die Tiere entwickelten
sich schneller als die normalen, wurden aber gleichzeitig auch grösser.
In diesen Fällen konnte man annehmen, dass neben der veränderten
Schilddrüse noch normales Schilddrüsengewebe vorhanden gewesen
und zur Verarbeitung gekommen ist. Vergleiche dazu die Abbildungen
auf Tafel III—-IV, 73—82.
Wir möchten auf diese Versuche keinen allzu grossen Wert legen,
weil einerseits die Zahl der Versuche noch zu klein ist und andererseits
die verwandten Organe histologisch nicht genügend geprüft worden
sind. Vergleichbare Resultate werden sich erst dann erreichen lassen,
wenn ganz gleichartige Gewebe zur Verwendung kommen. Vielleicht
lässt sich auf dem betretenen Wege genauer feststellen, ob in den
Fällen des Versagens der Schilddrüse im Organismus eine richtige
Hyper- oder Hypofunktion vorliegt oder aber eine Dysfunktion.
Die mit den Schilddrüsensubstanzen erhaltenen Resultate waren
bei allen verwendeten Batrachiern ganz gleichmässige. Wir haben
jedoch den Eindruck gewonnen, dass es nicht unwesentlich ist, wann
. die Einwirkung auf die Kaulquappen stattfindet. In der ersten Zeit
der Entwicklung scheint der Einfluss nicht so wesentlich zu sein als
in späteren Entwicklungsstadien. Auch hierüber müssen noch mehr
Erfahrungen gesammelt werden. Es wäre von grösstem Interesse, zu
erfahren, ob zum Beispiel die Schilddrüsensubstanz ganz besonders
dann ihre Wirkung zeigt, wenn es sich um die Entwicklung des Skelettes
handelt. Die Haupterscheinung ist ohne Zweifel die starke
Beeinflussung des Stoffumsatzes der Tiere. Es handelt sich
bei der Einwirkung der Schilddrüsensubstanz nicht nur um eine stark
beschleunigte Metamorphose, sondern es bleiben die Tiere zugleich
klein. Sie nehmen an Körpergewicht sehr stark ab. Sobald man
srössere Dosen von Schilddrüsenstoffen auf die Tiere ein-
wirken lässt, erhält man eigenartige Entwieklungsstörun-
gen. Ihr Studium wird von grösstem Interesse sein. Es ist ganz gut
denkbar, dass bestimmte Missbildungen, die sich auch beim Fötus der
Säugetiere und des Menschen zeigen, auf ein Versagen entsprechender
Drüsen mit Inkreten zurückzuführen sind. Die gemachten Beobach-
tungen seien an Hand einiger Protokolle belegt. Wir bemerken dazu,
dass im ganzen 500 genaue Protokolle aufgenommen worden sind.
Ferner geben die Abbildungen 1—30 auf Tafel III ein Bild der statt-
gefundenen Veränderungen. Man erkennt, dass der Hinterleib stark
verschmälert ist. Das gleiche erkennt man bei den mit Schilddrüsen-
dialysat behandelten Tieren, wie die Abbildungen 52—68 der Tafel III
zeigen. Auf Tafel IV (s4—8S) sind Kaulquappen dargestellt, bei denen
248 Emil Abderhalden:
grössere- Dosen von Schilddrüsensubstanz zu pathologischen Verände-
rungen geführt haben. Bei den meisten dieser Fälle kam es nicht
zur Entwicklung der vorderen Extremitäten, während die hinteren
ausserordentlich rasch hervorsprossten. Die Tiere gingen meist sehr
bald zugrunde. Gelang es, sie länger am Leben zu erhalten, dann er-
wiesen sie sich im Gegensatz zu den „normalen“ Schilddrüsentieren
als sehr träge und wenig beweglich.
Auf Tafel III sind in Abb. 3la und b zwei Axolotl abgebildet. Das
Tier a war der Schilddrüsensubstanzwirkung ausgesetzt, b ist das
gleichalterige normale Tier (Alter 4 Wochen). Vel. auch die Tabellen:
Gruppe I—IV S. 249— 252.
II. Einfluss von Thymussubstanz auf Wachstum
und Entwicklung.
Bei Verwendung von Thymussubstanz war der Erfolg immer der-
selbe. Die Tiere nahmen dauernd an Körpergrösse zu, ohne
dass es zum Beginn bzw. zur Fortsetzung der Entwicklung
kam. Wirhaben einzelne Tiere, die mit vollständig abgebauter Thymus-
substanz gefüttert worden waren, bis S Monate am Leben erhalten.
Die Tiere wuchsen dabei immer weiter, und es entstanden Riesen-
kaulquappen. Wir haben von Rana esculenta bedeutend grössere
Kaulquappen erhalten, als sie bei Pelobates vorkommen. Einige Tiere
zeigten insofern ein besonderes Verhalten, als der Rumpf sich mehr
und mehr der Kugelform näherte. Die Tiere vermochten dann im
Wasser das Gleichgewicht nicht mehr zu halten. Sie schwammen
zum Teil in Seitenlage, zum Teil in Rückenlage. Bei diesen Tieren
wurde ein auffallend grosses Herz gefunden. Es zeigte noch embryonale
Züge. Bei vielen war auch der Ruderschwanz zu einer ganz ausser-
gewöhnlichen Länge angewachsen.
Bei den Axoloteln war der Einfluss im grossen und ganzen nicht
so ausgesprochen. Immerhin wurden auch hier ein paar ausgesprochene
Fälle von verlangsamter Entwicklung beobachtet.
Auf Tafel IV sind eine Reihe von unter dem Einfluss von Thymus-
substanz stehender Tiere abgebildet, und zwar sind alle Kaulquappen
vom gleichen Alter, wie diejenigen, die auf Tafel III (Schilddrüsen-
wirkung) dargestellt sind.
Auch hier mögen einige Protokolle einen Einblick in die Ergebnisse
der vorgenommenen Messungen der Körperlänge und -breite geben.
(Tabellen Gruppe I—IV S. 253—256.)
III. Einfluss von Hypophysensubstanz auf Wachstum
und Entwicklung.
Die Ergebnisse mit Hypophysensubstanzen sind nicht einheitlich
ausgefallen. Wir erhielten zum Teil eine sehr starke Zunahme des
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II.
Ir
Gruppe.
249
Gemessen am 1. Mai 1917, eine Woche nach Einwirkung der Inkretstoffe.
Alle Maasse sind in Zentimetern angegeben, Jeder Einzelversuch bestand aus 20 Tieren.
Die einzelnen Werte sind Durchschnittswerte. Die Kaulquappen waren bei allen hier
in Tabellenform mitgeteilten Versuchen 3—4,Wochen alt.
| Ohne Zusatz
Schilddrüse
unabgebaut
Schilddrüse
durch Fermente
- Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
1,30
1,28
1,39
1,58
1,42
1,30
1,41
1,47
Grösste Rumpfbreite
11,71
Gesamtlänge
1.19
1,80
1,69
1,71
1,58
1,62
1,75
1,50
1,76
1,82
1,81
1,78
1,79
1,70
72
1,68
1,66
1,54
1,45
1,60
1.18
1,42
1,90
1582
1,65
1,82)
un
Schwanzlänge
Rumpflänge
Grösste Rumpfbreite
|
0,50 1,25.0,48
0,52|1,28,0,50
0,511,18/0,51
0,53.1,18/0,52
0,56 1,02,0,56
0,6110,01 0,58
0,60 1,15.0,40
0,50 11,30 0,45
0,511,25 0,51
0,60, 122 0,42
0,621,19/0,39
0,581 20 0,41
0,50.1,29\0,45
0,45 1,25.0,40
0,44 1,28.0,48
0,50 1,18/0,42
0,45 1,21 0,40
0,44 1,10.0,48
0,45 1,00 0,49
0,49 1,11.0,36
0,50 1,25 0,38
0,42 1.00 0,42
0,60 1,30,0,44
0,40 0,92 0,30
0,48 1,17,0,54
0,58 1,13.0,52
0,60 1,22 0,58
0,45 1,25 0,52
Gesamtlänge
1,80
1,80.
1,69
1,75
1,80.
1,69
1,69
1, 65
1,64
1,68
1,75
1,72)
1,69
1,68
1,78
1,85
1,78)
1,60
1,66,
1,65
1,68,
1,71
1,75)
1,45
1,68
1,65
1,70
1,66)
abgebaut
0,41
‚0,35
Schilddrüse
durch Säure
abgebaut
Schwanzlänge
Grösste Rumpfbreite
Rumpflänge
0,58
0,58
0,52
1,22'0,52
1,220,51
11,17.0,50
0,6111,14 0,49
0,44|1,36,0,44
0,40 11,29 0,48
0,45 1,24 0,56
0,46 1,19,0,50
0,44 1.20. 0,52
0,49 1,19,0,51
0, 45 1,30.0,48
0,48 1,24 0,42
0,49 1,20 0,40
0,48 1,20 0,48
0,40 1,38.0,51
0,5111,34.0,50
0,5211,26.0.45
0,40 1,20 0,40
0,4211,24 0,48
0,45 1,20.0,51
0,47 .1,21,0,52
‚300,58
'1,30.0,48
1,10.0,42
1.20.0,48
1.20 0,49
1,10. 0,51
120 0.52
0,45
0,48
0,45
0,60
025
Gesamtlänge
1,54 0,54
1,80. 0,40
1,62/0,32
1,38.0,47
1,90 0,60
1,95\0,63
1,66. 0,54
1,68,0,60
1,66.0,62
1.680,58
1,62.0,56
Rumpflän ge
Schwanzlänge
Grösste Rumpfbreite
1,00.0,40
1,40 0,52
1,30 0,48
1,41/0,49
1,30 0,32
1,62|0,40
1,12.0,39
1,08 0,45
1,04 0,42
1,10 0,50
1,06.0,51
1,64.0,52|1,12.0,52
1,66.0,66
1,72/0,64
1,50
1,45]
1,30
1,40
1,48
1,45
1,45
1,68]
1,62
1,44
1,40
1,59
1,48
1,52
0,42
1,00 0,38
1,08.0,32
0,5511.25 0,48
0,43 1,02 0,40
0,40 0,90 0,35
0,38 1,02.0,40
1,06 0,44
1,05.0,45
1,06.0,46
1,20 0,44
1,22.0,52
1,04.0,51
1,00.0,48
1,08 0,51
1,06 0,45
1,00.0,3
0,40
0,39
0,48
0,40
0,40
0,40)
0,51
0,42
0,52
Basedow-
Schilddrüse
unab a aut
Gesamtlänge
1,20
1,44
1,45
1,43
1,44
1,42
1,40
1,53
1,58
1,3
1,25
1,45
1,46
1,58
1,67
1,72)
1,68
1,44.
1,20
1,00
1,45
1,56
1,52
1,58
1,44|
1,68)
1,25
1,18
20,42
Rumpflänge
Grösste Rumpfbreite
0,38 .0,82,0,25
0,3211,12/0,32
'0,40 1,05.0,38
0,41.1,04.0,41
0,44 1.00 .0,40
0,41:1,01.0,39
0,45 0,95 0,38
0,45 1,08 0,41
0,58.1,00 0,40
0,90 0,42
0,90 0,48
1,06. 0,49
1,00 0,51
1,10 0,52
1,110,50
1,11.0,45
1,08.0,44
0,99 0,38
0,80.0,35
0,65.0,29
1,10.0,45
1,08.0,38
0,5211,00 0,41
0,52|1,06.0,42
0,4211,02!0,38
0,56 1,12) 0, 41
(0,400 ‚350, 44
0,38,0,80 0,42
10,35)
0,39
0,46
0,48
0,56
0,61
0,60
0,45
0,40
0,35
0,35
0,48
250
Emil Abderhalden:
ll. Gruppe.
Gemessen am 10. Mai 1918, 10 Tage nach der Einwirkung der Inkretstoffe.
Ohne Zusatz
Gesamtlänge
> Fr
Rumpflänge
Schwanzlänge
Grösste Rumpfbreite
Schilddrüse
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
unabgebaut
Grösste Rumpfbreite
Rana esculenta.
Schilddrüse
mit Fermenten
abgebaut
geb
Schilddrüse
mit Säure ab-
aut
Thymusdrüse
mit Fermenter
abgebaut
Rumpflänge
Schwanzlän ge
Gesamtlänge
Grösste Rumpfbreite
Rumpflänge
Gesamtlänge
Schwanzlänge
Grösste Rumpfbreite
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
_ Grösste Rumpfbreite
| |
1,66 0,62 1,04,
1,70 0,45 1,95
2,40.0,6711,73
2.41/0,75 1,66,
2,6110,72,1,89
2,58|0,78 1,80,
2,61.0,73|1,88
2,00.0,70.1,30
2.450,84 1,61
2,40 0,80 1,60
2,38/0,8011,58
2,2010,721,48
2,24.0,73|1,51
2,12,0.70.1,42)
2,10 0,7011,40
2,20 0,7111,49
2,32.0,80|1,52)
2,41 0,82|1,59)
2,40 0,8111,59
2,20 0,75 1,45
2,21.0,7911,42
2,20.0,72|1,48
2,10 0,7111,39
2,10/0,72!1,38
2,15.0,73,1,42
2,16: 0,7411,42
2,180,77 1,41
2,20 .0,7811,42
2,25.0,7211,43
0,73
10,78
0,68
0,70
0,72
0,72
1,680, 62) u
1,620,60
1,64.0,61
1,75.0,63
1,81.0,65
1,69 0,60
1,82.0,62
1,92,0,60
2,220,75|
2,00 0, 70
1,89.0,68)
0,701 1,72.0,62
0,71] 1,75/0,58)
0,711 1,82!0,60
0,73 | 1,95)0,65\ 1.5
0,74 | 1,89,0,69
0,70 | 1,720,70
0,74
0,72
0,70
0,72
0,78
50,54
0,56
0,61
0,52
3 0,45
0,51
0,48
2.0,49
10,53
0,44
0,32
0,22
0,34
0,52
0,42
0,32
10,33
0,68 2.13.0,65 “
0,69 | 2,12.0,68
0,70 | 2,00 0,62)1,38
0,72 | 1,89 0,601,29|
0,73 1,28.0,45.0,83
0,74 | 1,54.0,4211,12
0,70 | 1,66.0,4311,23
0,70 | 1,76 0,50 1,26
0,66 1,69 0,511,18
0,68 1,58 0,52 1,06
0,66 1,44 0,45 0,99
2,10 0,75.1,35
0,72 2,13 0,60 1,53
I
1,44
0,69 |1, 700 ‚50 1,20)
/0,32
0,34
0,22
0,24
0,44
0,51
0,45
0,48
0,49
0,45
0,48
0,43
0,48
211,520,4111,11)
Be
0,4811,32)
0, ‚ss 1, „a4
0,6711,33|
0,78.0,97
1,32|0,48 0,84 0,51
1,44 0,50 0,94 0,53
1,20 0,45 0,75 0,48
1,38.0,46 0,92.0,61
1,45 0,42 1,03 0,59
1,33) 0,56
1,80
2,10)
2,00
1,75
0,45
‚0,48
30,49
0,42
0,40 0,93
1,44 0,40 1,04.0,52
0,49
1,58 0,48 1,10.0,48
1,52.0,50 1,02.0,58
1,48 0,51 0,97 0,56
1,610 50, 110,71
1,630,52 1,11/0,65
1,750 531,220, 62
1,64 0,5211,12.0,61
1,62.0,48 1,14.0,66
1,58.0,49 1,09 0,48
1,44 0,50 0,94 0,49
1,32,0,51/0,81.0,48
1,58.0,52 1,06 0,51
1,62.0,50 1,12 0,52
1,72/0,50 1,22.0,58
1,81/0,5311,28 0,54
1,43 0, 48 0,95.0,52
1,45.0,40 1,05.0,58
1,50 0,40 1,10 0,61
ee ee a mn a a en
1,73,0,60
1,58 0,54
1,32)0,44)
1,34.0,40
1,45/0,42
1,48/0,43!
1,61/0,45
1,87/0,42
2,00 0,60
2,1210,71
1,89.0,72
2,45|0,75
2,01.0,70
1,89. 0,65
1,88.0,65
1,22)
1,64. 0,61
1,72/0,63
1,44.0,58
1,23.0,40
1,89.0,70
1,10. 0,30,
0,40
1,44
1,50
1,48
1,50
1,66 0,61
1,72 0,63
0,42
0,51
1,41
0,62)
0,50
1,13
1,04
0,88
0,94
1,03
1,05
1,16
1,45
1,40
0,34 | 1,90
0,42 | 2,78
0,43 | 3,10
0,45 | 3,15
0,51 | 2,90
0,48 [3,12
0,42 | 3,44
0,43 | 3,22
0,44 | 2,40
0,45 | 2,87
0,32 | 2,92
0,65
0,92
0,90
0,98
1,00
1,02
1,03
1,00
117
1.70
1,31
1,24
1,23
1,10
1,03
1,09
0,44 | 2,64.0,99
0,45
0,32
0,38 | 2,10
10,36 [2,12
0,34] 2,44
0,86 0,41 | 2,49
0,8310,33 | 2,45.
1.190,48 2,51
0,80 0,51 | 2,66
1,04.0,48 | 2,89
1.080, 45 | 3,15
‚0,97 0,48 | 3,20
.v0., 49 | 3,10
1,05. 0,48 | 3,48.
1.09 0.49 | 3.22
2,54.0,84
0,70
0,80
0,82
0,84
0,84
0,80
0,90
0,95
0,95
0,95
1,75 0,62)
1,20.0,40
1.130,49 | 3,00
‚0,80 0,48 | 3,00
1,00
1,00
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0,92:
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0,34 | 3,00 1,00::
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1,70,
0.8
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. 11.
EIS Gr.u pıpie.
251
Gemessen am 16. April 1917, 20 Tage nach der Einwirkung der Inkretstoffe.
Rana temporaria.
a Schilddrüse
Ohne Zusatz unabgebaut
| |
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5: a Er
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102211,7810,69
0,72.1,920,75
30, 78 1 ‚05 0,79
5. 0,75 2,00 0,76
'0,821,62,0,77
5.0,9111,54,0,72
4.0,91 1,63.0,78
40,89 1,75. 0,81
50,75 1,90,0.,80
40,77 2,07.0,82
5.0.72 2,03 0,81
90,78 11,91.0,69
150,75 2,00 0,62
0.73 11,95 0,62
38 0,75 1,93 0,63
0,72 1,92,0,70
> 0,77. 1350, al
24.0,78 1,76 0,62
om 1210,01
(0,92 1,4210,75| 2,
1,87 0,91 0,96 0,50
1,87.0,75 1,12. 0,45
1,86.0,78 1,08 0,44
1,96.0,72.1,24.0,45
2,00 0,60 1,40 0,40
2,02'0,65 1,37.0,51
2,05 0,65 1,40 0.52
2,07 0,68 1,39. 0,51
2,0910,72 1,27.0,45
2,11.0,71 11,40 0,44
24 0,70 1,54 0,50
A 19.0,42
2,04 0,8211,22/0,48
2,65 0,84.1,81.0,42
2,12.0.90 1,22 0,44
1.86 0.7811.0810,48
1,24 0,82.0,420, 45
IL, 2 ‚810, 73.0,61
1,55 '0,82.0, 730, Ir
1,230, 803 ‚37|
1,31.0,80 0, 510,49
1,44.0,85 0, 59 0, 51
1,45 0,82.0,63 0, 61
1,50. 0,88 0,62 0,6:
1,52 0,90 0,62 0,72
1,64 0,820, 82 0,71
1 ‚62.0,80 0,82 0,70
1.63 0,88 0,75 0,72
1,75.0,84.0,91 0,73
ri TI Hl
Gesamtlänge
Te gegegegeggege
Schilddrüse
mit Fermenten
abgebaut
Schilddrüse
mit Säure ab-
gebaut
Rumpfbreite
ee Zn I I En a |
Rumpflänge
Schwanzlänge
1.66.0,90 0,76.0,54
1,24.0,7210,52.0,45
1.34.0,69 0,65 0,44
1,35.0,69 0,66 0,46
1,86/0,721,14. 0,54
1,88.0,71.1,17/0,52
1,89.0,73 1,16 0,45
1.90 0,71 1,19 0,48
1,90.0,70 1,20 0,49
1,89.0,75.1,14.0,50
1,90 0,7211,18 0,58
1,75 0,69 1,06 0,48
1,60 0,70 0,90 0,52
1.63 0,72.0,91.0,58
1,68.0,71.0,97 0,59
1,72.0,77.0.95 0,63
1,72 0,74 0,98 0,64
1,73.0,72.1,01'0,64
1,74 0,71 1,03 0,61
3 | 1,75.0,73 1,02)0,62
1.78/0,77 1,01.0,63
1,79 0,72.1,07 0,63
1,20.0,73.0,97 0,63
1,68 0,71.0,97 0.68
1,71.0,74.0,97 0,38
1,69 0,75 0,94 0,44
1,90 0,76 1,14 0,54
1.83.0,78 1,05 0,52
2,000,
2,12.0,70)
2,20 0,75,
9.12.0,65|
2,14 0,62|1,52.0,52
1,78 0,70 1,08 0,62 | 2,
Änge
Gesamtlänge
Rumpflänge
Rumpfbreite
1,64 0,90
1,89 0,85
1,90 0,82/1,08 0,61
1,920,75 1,17.0,70
721,28 0,65
1,42.0,62
0.74 0,65
1,04.0,62
1,47.0,61
2,15 0,68 1,47 0,69
2,10 0,75 1,35 0,52
2,12.0,89 1,23.0,32
2,180, 91, 28 0,44
2.10 0,7211,38 0,62
2,10.0,72 1,38. 0,54
2,05 0,70 1,35
2.00 0,89 1.110,44
2,12. 0,72 1,40 0,32
2.010,69 1,42 0,45
2,00 0,82 1,1810,46
2,05 0,81 1,24.0.62
2,02.0,80 1,22)0,68
13.0,80 1,33 0,67
2,14 0,82 1,32.0,68
2,15.0,76. 1,39 0,71
2,10 0,72 1,38 0,66
2,14 0,69 1,45/0.63
2,15 0,70 1,45 0,62
1,55 0,58 | 3,
2.0,5213
2,20 0,82 1,38 0,32
Thymusdrüse
mit Fermenten
abgebaut
— 2:
| ©
© io ee)
SD an e| :S
S a |: ©
= | | = -
Gr leN |
ee | a >
= = Ss m
Eu
nor elle
oo | sl2|e
2,64 0,98 1,66 1,05
2,68 1,00 1,68 1.01
2,90.1,01 1.89. 0,98
3,12'1,00 2,12 0,99
2,78 1,021,76 1,00
3,45 1,03 1,42. 0,75
25,1,04 2,21 0,89
2,98 1,05 1,93 0,85
2,96 1,08 1,88 0,91
3,4311,10 2,33 0,93
3.40 1,20 2,20 0.92
3,5211,40.2,12.0,78
3,20 1,45.1,75.0,82
3.121,23 1,890,88
3,14 1,24 1,90 0.84
‚25.1,25.2,00 0,89
3011,34 1,96 0,99
511,27 2,08.0,91
36 1,322,04 1,04
28 11,101,18 1.05
30 1,33.1,92 0,99
2911.54 1,75 0,92
4
1
\w
H2R
7
’
2
9)
2)
2)
>}
>
2
011,60 1,80 0,98
011,28 1,82. 0.92
3,18 1,10 2.08 0,92
3,00 1.00 2,00 0,98
3.121,02 2,10 0,92
3,1211,65.1,47.0.91
3.141,72 1,42 0,98
>
>
)
(2)
I,
0)
137)
=)
37)
252
Gemessen am 15. Mai 1918, 14 Tage nach der Einwirkung de Inkretstoffe.
Bufo Eulsane:
Emil Abderhalden:
IV“Gruppe.
Ohne Zusatz
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
1,84 0,65
1,63,0,62
1,63,0,65,
1,62.0,63)
1,44 0,62
1,46 0,62)
1,48 0,63
1,50 0,68
1,50 0,50
1,50 0,52
1,52/0,51
1.510,51
1,65. 0,52
1,52.0,58
1,54.0,50)
1,62.0,61
1,72)0,62
1,80.0,68
1,72)
0,70
1,84
0,71
1,80.0,72
1,44.0,60
1,46.0,62
1,50.0,61
1.50 0,62
1,50 0,63
1,45.0,64
1,42.0,62
1,44.0,63
1,43.0,61
Rumpfbreite
1,19
1,01
0,98
0,99 0,48
0,82.0,46
0,84.0,48
0,85 0,42
0,82.0,45
1,00 0,48
0,98.0,42
1,01.0,48
1,00 0,42
1,13 0,41
0,99 0,38
1,04.0,39
1,01/0,48
1,10 0,42
1,12)
11,02
1,13
1,08
0,84
0,84
0,89
0,88
0,87
0,81
0,80
0,81
0,82
0,52
0,61
0,52
0,50
0,52
0,52
0,49
0,48
0,49
0,48
0,49
0,48
0,45
0,46
0,48
1,42
0,50
0,92.0,40
0,48 | 0,98
Schild
unabg
Rumpflänge
Gesamtlänge
0,60)
30,58
0,53
‚0,62
0,72
1,00 0,62)
1,80 0,80
1,02.0,46)
1,32.0,68
1,12. 0,58
1,00 0,50)
1,02 0,50
1,23.0,60
0,45,
0,75.0,30
0,99 0,45
1,010,51|
1,02/0,52
0,52
1,08
1 28 58
1,05.0,55
1,25.0,65|
1,34/0,71
1,020,52
1,04/0,54
1,05
0,61
‚0,50
0,54
drüse
ebaut
Schilddrüse
mit Fermenten
abgebaut,
Schwanzlänge
Rumpfbreite
‚38
0,42
0,42
0,48
0,58
0,51
2.0,60/0,42
‚0,43
10,50
0,70.0,51
0,50.0,48
0,38.0,42
1,00 0,48
0,56.0,41
0,64 0,48
0,54 0,50
0,5010,22
0,52.0,24
0,63,0,32
0,55.0,44
0,45 0,28
0,54/0,32
0,50[0.21
0,50 0,31
0,56,0,38
0,56.0,41
0,50 0,38
0,60 0,41
0,63/0,51
0,50.0,42
0,50 0,34
0,51/0,23
0,55
0,67
1,00|
0,50,
0,50/0,12
a —> N]
Gesamtlänge
Ru mpflänge
Schwanzlänge
1,46.
1,22
1,34,0,62
1,42.0,67
1,45.0,72
1,46.0,78
1,48 0,75
1,50 0,75
1,44.0,75
1,620,72)
1,66|0,78
1,66 0,88
0,76]
0,68
1,62,0,90
1,44
1,32
0,78
0,72
0,70
‚0,54
0,72
0,75
0,73
0,78
0,73
0,75
0,69
0,90
0,88
0,78
0,72)
0,66
0,60
1,82)
1,22
1
1,36
1,41
1.20
12
1,26
1,28
1,31
1,29
1.44
1,00
1,23
1,24
1,38
®)
9:
0,69
0,72
0,72
0,71
0,52
0,60
0,76
0,74
0,70
0,75
0,66)
0,60
0,70
0,60)
510,60
0,65
0,80
0,62)
0,47
0,76
0,71
0,65
0,61
0,38] 1,22
0,60
0.56
0,59
0,58
0,64
0,48
0,63
0,64
Gesamtlänge
Rumpfbreite
0,44 [1,46
0,56 | 1,48
0,48 | 1,49
0,51 [1,50
0,611 1,42)
0,71] 1,44
0,44 | 1,42
0,46 | 1,52
0,47 11,52
0,48 1 1,44
0,48 | 1,28)
0,45 11,22
0,61] 1,50
0,32] 1,61
0,44 | 1,24
0,45 | 1,10
0,32 | 1,12
0,511 1,15
0,51 [1,18
Rumpflänge
0,25 | 1,46 0,720,74
0,48 | 1,48 0,75 0,73
0,45 | 1,53
0,46 | 1,44
0,72] 1,40
0,61 | 1,52.0,68
0,46 | 1,540,70
0,31[1,13
0,44 | 1,14. 0,51
0,50
0,58.0,52 | 1,22)0,50
gebaut
Schwanzlänge
|
0,65 0,57
0,70 0,76
0,75/0,73
0.780,71,
0,75:0,75
0,80.0,62
0,78.0,66
0,72.0,70
0,74.0,79
0,78 0,74
0,80 0,72
0,80 0,64
0 ‚65,0,58
Schilddrüse
mit Säure ab-
Rumpfbreite
0,66
0,54
0,44
0,45
0,40
0,51
0,58
0,52
0,58
0,59
0,62
0,68
0,62
0,68
0,42
0,62.0,60.0,40
0,71
0,82
0,62
0,58
10,88)
0,84
0,84
10,90
0,72.0,52
0,70 0,40
0,52.0,60
0,54.0,59
10,68
0,65
0,68
0,71
0,50
0,73
0,72
0,53 | 1,23
0,51
0,72
0,43
0,48
0,58
0,52
0,60
0,60
0,62
0,61
0,41
0,8
0,32
0,31
0,30
0,38
0,39
i
Gesamtlänge
Rumpflänge
1,980,80
2,15.0,70
2,10 0,75
2,15 0,82
0,70
2,05
1,92
1,89
1,90
1,85.
1,90
1,92
‚0,68
0,65
|
1,94. 0,65,
1,95 0,65
2.10 0,71
2,10/0,68
312
2,20
2,15/0,65
2,44/0,80
1,50 0,60
1,60 0,52
1,78/0,54
1,85/0,58
1,92/0,65
1,80 0,60
1,60 0,52
1,58/0.51
1,60 0,50
1,77
1,79
1,85,
0,59
0,60
Thymusdrüse,
mit Fermente‘
abgebaut
'0 ‚62
v, 92
0,62)
0,64
0,65)
0,65
0,5811,
|
Schwanzlänge
— Rumpibreite
1,18
1,45
11,85
1,33
1,35
11,24
1,27
0,98
1,28
1,26
11,27
1,29
1,30
1,39
11,42
1,47
1,55
1}
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 253
I. Gruppe.
Gemessen am 1. Mai 1917, eine Woche nach der Einwirkung der Inkretstoffe.
Rana fusca.
Thymusdrüse Thymusdrüse
durch Fermente durch Säure
ET abgebaut
BR
Thymusdrüse
Ohne Zusatz unabgebaut
Grösste Rumpfbreite
Gesamtlänge
Rumpflänge
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
Gesamtlänge
Rumpflänge
Gesamtlänge
Schwanzlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
Grösste Rumpfbreite
Grösste Rumpfbreite
Schwanzlänge
Grösste Rumpfbreite
DDDNDNDMDMDIKVD
-1] -I 0
D X ©
er
m oO
SS
er Sr
Ne} —]
oO [0,0]
1,99 0,79 1.20 0,78
2,54 0,80 1,74 0,76
2,34 0,74 1.60 0,77
2,32 0,75|1,57| 0,30
2,10 0,70 1,40. 0,75
2,37 0,69 1,68 0,69
2,41 0,66 1,75| 0,75
2,32 ,0,72|1,60 0,85
2,18 0,68 1,50 0,90
2,00 0,60 11,40 0,77
1,80 0,55 |1,25| 0,72
1,65 0,45 1,20 0,75
1,82 0,50 1; 39 0,77
1,92 | 10,62) 1,30) 0,80
2,00 0,80, 1,20, 0,75
3,12 11, 381,74 0,89
2,68 | 10.90 1,78 0,90
2,71 ‚0,90 1,81| 0,90
2,75 0,92|1,83 0,90
2,81 0,90.1,91| 0,92
2,91 1,00 1,91) 0,91
2,42 | 0,90 1,52 0,75
2,32 0,70) 1,62) 0,69
2,00 ‚0,60 1,40) 0,77
2,12 | ‚0,72 1,40 0,69
2,101 ‚0,70 1,40 | 0,66
2,00 | 9701130 0,60
95
1.80 0,62) 1,08 0,60 | 1,86 ‚0.66 1,20 0,96 | 2,15 0,70 1,45 0,86
1,98 '0,75|1,23| 0,59 | 1,95 0,66 1,29) 0,90 | 2,38 \0,78|1,60 0.91
1.95 ‚0,65, 1,33) 0,63 | 2,25 0,75 1,50 0,99 | 2,45 |0,80 11,65 | 0,99
1,76 0,76 1,00| 0,58] 2,30 0,60 1,70 0,68| 2,5
- 1,97 0,75 1,22) 0,61 | 2,40 0,80 1,60 0,89
1,85 0,58 1,27, 0,65 | 2,86 11,16 1,70) 0,69
1,90 0,65 1,25 0,62 | 2,66 |1,06 1,60 0,71
1,85 ‚0,65 1,20 0,61 | 2,23 |0,83 1,40 0,75
1,82 0,60 1,22) 0,63 | 2,20 |0,89 1,31| 0,70 | 1,95 \0,65 1,30
1,88 0,62|1,26 0,65 [2,44 0,90 1,54 0,69 | 2,34 0,74 1,60 0,
1,90 0,60 1,30) 0,66] 2,89 11,04 1,85 0,71 [2,25
1,78 0,50|1,28) 0,58 | 2,14 |0,84 1,30) 0,89
1,80 0,62) 1,18] 0,61 | 1,85 |0,85 1,00, 1,00 [2,75 |1,00 1,75,
1,82 0,62 1,20 0,66 | 1,98 |0,80 1,18 0,75 [2,81 11,10 1,71 0,88
1,75 0,65 1,10 0,62 | 2,44 [0,90 1,54 0.89
1,60 |0,60 1,00 0,56
1,89 0,62 1,27| 0,58
1,95 0,68 1,27 0,61
2,55 |0,65 1,90 0,71
2,20 0,68 1,52| 0,60 | 2,44 0,89 1,55 0.79
2,15 0,70 1,45| 0,56 | 2,48 0,90 1,58 0,74
2,00 '0,65 1,35| 0,54] 2,50 0,90 1,60, 0,75
1,98 0,60 1,38, 0,61] 2,61 0,86 1,75 | 0,65
1,90 0,62 1,28| 0,68] 2,20 0,60 1,60| 0,85
1,95 |0,61|1,34 0,62 | 2,00 ‚0,61 1,39 0,69
1,98 0,66 1,32] 0,60 | 1,98 0,60 1,38] 0,71
51 |0,85| 1,66, 0,75
2,11 [0,70 |1,41| 0,68
1,89 0,89 1,00 0,78
1,90 |0,65 1,25 0
1,98 0,70. 1,28 0,
0
war
m
©
©
ı
=
o wo
1,55 0,69
2,60 0,80 1,80 0,72
7
|
er
1,79| 0,82
1,65
22. .0,72\1,50| 0,89
2,10 |0,62 1,48| 0,82
1.90 0,60 1,30 0,82
1.89 |0,60 1,29| 0,72]:
1,77 0,70 1,07 0,65
1,98 0,88 1,10 0,71
2,94 0,751,49 0,58
2,44 0,80 1,64) 0,61
2,20 0,73) 1,47 0,72
2.12 ED) 1,37 | 0,78
11,04 1,72 0,80
‚75 1,00 1,75 0,81
1,00 1,70 0,82
5 0,90 1,55 0,85
SOSSE
—]
oO =
N N N
|
He
RS
1,75 ‚0,56 |1,19 | 0,62 | 2,00 0,79 1,21) 1,00 | 1,95 |0,65 1,30 0,85
54
Emil Abderhalden:
208
Gruppe.
Gemessen am 10. Mai 1918, 10 Tage nach der Einwirkung der Inkretstoffe.
Rana esculenta.
Ohne Zusatz
Thymusdrüse
unabgebaut
Grösste Rumpfbreite
een m nn |
Rumpflänge
Schwanzlänge
Gesamtlänge
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
Grösste Humptbreile
Thymusdrüse,
mit Fermenten
Degeut
Gesamtlänge
Rumpflän ge
Schwanzlänge
= |
xrösste Rumpfbreite
Th yaaunde se
mit Säure ab-
schaut
Gesamtlänge
| Rumpflänge
Sehwanzlange
Grösste Rumpfbreite
—.
Schilddrüsel
mit Fermenter
=
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
abgebaut
©
SE)
-
©
-
==
rar)
=)
=
E£
(«bj
IE
G
ZT.
je
=
©
2,00 0,65 1,35 0,69
2,34 0,72 11,62,0,63
2,360, 511, ‚610,71
2 "300.80 1,50 0,72
2,40 0,80 1,60 0,74
2,54.0,811,73 0,72
2.610.821, 19 0,73
2,320,85 1,47 0,72
2,4110,8811 53.0, ei
1,90 0, 70 1,20 0,72
2,100 ‚701,40 0, 65
1,89 0,71/1,18 0.63
2,00 0,65 1,35 0,64
1,89 0, 651; 24 0.64
2,15/0,7011,45 0,62
2,20 0,7211,48 0,66
2,15/0,7311 ‚42 0,64 |:
2,16.0,7211,44 0,62
2,00 0,70 1,10 0,63
2,05 0,7111,34 0,48
2,32 0,72)1,40 0,48
2,40 0,80 1,60 0,53
2,25 0,75 1,50,0,68
2,3010, 72\1,58 0,65
2,44 0,82|1,62,0,59
2,450, 8111,64.0,61
2,50.0,80 1,70 0,63
2,40 0.801,60 0,65
2,35 0,80 11,55 0,66
2,42|0,80 1,62,0,72
|
er
2,340,
2,44
2.12
2,38|
2,48
2,86
3,12|
311
2,89
3,15
0,841 ‚640, 83
0,92.1,94.0,66
0.91. 2.210.78
1,00 2,11.0,89
1,00 1,89 0,91
0.99 2,16.0,92
72 1,62'0,75 |:
0,81 1,63 0,81 |:
0,70 1,42,0,92 |:
0,82 1,56,0,82 |:
2,48
2,45
2,65
0,81 1,65 0,68
5 0,82]1,63.0,62
0 [0,84 1,76. 0,71
0,8211,81 0,72
5 /0,8111,64.0,75
; [0,83 1,6310,79
0,8211,5710,73
'0,90 1,58.0,81
0,83 1.60 0,80
0,84 1,81.0,82
3,22
3,8911
3,45
3,2
3,00
3,00
2,58
2,61
223
2,25]
2,34
2,38
PS
2,89
2,90,
2,36
2,44
2,46
2,54
2,67
10,7511,61
1,10 1,1210,93
25 2,64.0,92
1.31 2,14.0,93
1,22 1,98 0,99
1,00 2,00 1,00
1.02 1,98 1,00
0,82 1,76.0,92
0.83 1.78 0.92
0,80 1,43 0. 93
0,75 1,50 0,90
0,72|1,62.0,92 | 2,
0.731,65 0,86 |2
0,90 1,85 0,84
0,92 1,97 0,92
0 ‚95.1,95 ) Kor
10,823
|
|
0,82
0,83
0,82
0,85
1,62
1,63
1,72
1,82
0,82
0,89
0,91
0,8113,
2,00 .0,70 1,30 0,92
2,12/0,71 1,41'0,95
2,10 0,70 1,40.0,72 [2
3,00 0,95 2,05/0,75
2,65 0,88 1,77/0,71
2,10.0,71/1,39.0,69
2,12. 0,71/1,610,68
2,24.0,75,1,59 0,69
Dx 25 0,76 1,49.0,69
2,14/0,7111,43|0,68
2,12.0,721,4010,64
0 ‚7411,54 0,75
10,7711,520,72 |:
2.0,72 1,40 0,70
i 20,98 2,14.0,79
0,99 2,25.0,80
0,98,2,02,0,89
0 Be 0,88
0,98 2,02,0,82
0,82 1,72 0,72
2,28)
223
3,00
2,54
}
)
| 3,10 1,00 2,10 0,82
3,40.1,15 2,25 0,84
3,12 1,01 2,1110,85
3,00 1,00 2,00 0,80
2,48,0,81 L, 67.0,72°
2,38 0,80 1,58 0,70
2,40 0,80 1,60.0,71
2,89 0.90 1.99 0,70
2,12.0,71 1,41.0,70
2,73 0,8411,89 0,75
2,10 0,70 1,40 0,73
2,48 0,81 11,67 0,78
‚510,83 1,68 0,69
2,63.0,86 1,77 0,71
2.63. 0,841,79 0,72
9,24 0,721,52 0,70
2,18.0,77 1,41 0,78
2,36 0,80 1,56 0,70
2,320, 781,54 0,72
2,00 0,70 1,30 0,62
2,10 0,70 1,40.0,61
2,38 0, 82|1,56 0,78
2,42)0,80.1,62 0,70
2,10.0,71.1,39 0,68
1,98 0,69 1,31,0,72
2,180 ‚221, 46, 10,86
3,1210,9812, 14.0,79
2,9811,00 1, 98.0,80
3.121,00 2 '12)0, 85
3.120,98 3,1410,88
en Be DEE
1,56 0,54 1,02
1.34 0,48 0,86
1,56. 0,5111,05
1,24 0,41.0,83
1,120,40 0,72
1,54 0,51 1,03
1,76 0,52,1,24
1,75.0,54 1,21
1,70 0,44 1,26
1,84. 0,61)
1,54 0,521,02
1,50 0,50 1,00
1,52 0,501, 02
1.64.0,5211,12
1.37/0,62.1,25
1,90 0,61.1,29
1,72 0.601,12
1,54/0,51 1,03
1,43 0,50 0,93
1,51/0,51 1,00
1,540,51 1,03
1,48 0,50
1,24.0,46
1,54 0,52
1,63/0,53
1,52.0,50)
1,63.0,51
1,64 0,53
1,23
‚0,78
1,02
1,10
1,02
1,12
1,11
0,98.0,2
1,75.0,58 1,17
1,89 0,021
|
Ohne Zusatz
III. Gruppe.
Gemessen am 16. April 1917, 20 Tage nach der
Rana ne ee
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. Il. 255
Einwirkung der Inkretstoffe.
Thymusdrüse
unabgebaut
Thymusdrüse
mit Fermenten
ab gebaut
Thymusdrüse
mit Säure ab-
gebaut
Schwanzlänge
Rumpfbreite
' Gesamtlänge =
0,68
50,70]:
0,62
0.61
0,77
0,62
0,54
0,52
0,54
0,62
0,68 |:
0.821,68
0,8111,73
3.0,83 1,85)
‚0,84|1,80 0,62
0,88 1,74.0,63
0,84 1,76 0,64
.68 0,90 1,78.0,62
0,92 1,82 0,63
0,99 2,73 0,68 |:
0,92/1,92)0,67
0,93 .1,89,0,70
4 0,98 1,86.0,70
0,92 1,89 0,64
0,72 1,40
0,74.1,54 0,54
0,84 1,79.0,42
74.0,92 1,82.0,45
5.0,98 1,87 0,54
0,99 1,91 0,58
0,98.1,94 0,48
1840,98 1,86.0,53
0,75
Gesamtlänge
| Rumpflänge |
-
Bumptlreile
2.860 solt,94/1,00
2,75 0,98 1,77.0,98
3,40 1,00 2,40 0,89
2,89 1,0212,87 0,88
2,91 1,03/2,88.0,89
2,95 1,052 ‚90 0,92
3,15 1,05 3,10/0,95
3,44 1,09 2,35 0,92
3,45 1,25 2,20 0,98
3,46 1,45 2,01 0,92
3,48|1.45 2,03 0,91
3,66|1,46 2,20/0,92
B 7511,44 2,3 10,98
3,7211,43.2,29 1,00
3,70 1,40 2,30 1,95
3,69|1,44 2,25 1,30
3,20 1,4311,77]1,20
3,15/1,4211,73|1,10
3,18 1,32 1,86 1,20
1,20 1,1311.10|3
11,32|2,02|1,60
11,33|2,33]1,02
11,5312,22!1,03
a2 00
3,621.1025 0,90
3541,122421 ‚20
3441,14 2 ‚3011,32
3,20.1,23 1,97|1,21
3151,41 1,52
1,74
3,16.1,00/2,16.1,34
EIER:
mo ww
Io
10%) SOECIOESE
oO ot a PC
Pflüger’s Archiv für Physiologie.
|
|
|
Gesamtlänge
Rumpflän ge
Schwanzlänge I
Rumpfbreite | |
2,87.0,95.1,92.0,89
3,00,0,92 2,08 0,90
3.12.0.94 2.18 0.90
3.15.0.99.2,16.0,98
3.10 1.05.2,05.0.92
3,10.1,10.2.00 0,99
3.10.1,20 1,90 1.00
3.0511.10 1,85/1.00
3.00 1,00 2,00 1,00
3,05|1,05 2,00 1,00
‚891.08 1,811,08
2,85 1,10 1,75.1,00
2.95 1,15 1,80.1,99
3,02 1,16.1,86 12
3.05 1.10 1,95 1,40
3.081,10 1,981.28
3.09 1,131,96.1,.28
3,12 1.14 1,98.1,00
3,00.1,12 1,88 0,89
2 1,10 2,02 0,90
3.921,09 2,13.0.99
3,12 11,05 2,07.0,92 |3
3,00 1,06 1,94.0,89
3.12.1,10.1,92. 0.82
3,00 1,15.1,85.0,82
3,25.1,20 2,05.0.94]:
3,101,2211,88 0,82
3,10 12311870,
3,00]1,25 1,75.0,88
3,1211,2611,86 0,9212
Bd. 176.
|
Schwanzlänge
Rumpfbreite
Gesamtlänge
Rumpflän ge
,84.0.921,92.0,92
2,66 0,89 1,67.0,80
70.01.8108
2,39.0,9011,99 0,84
2,75.0,921,83 0,82
2,69 0,98 11,71.0,85
>.80 0,99 1.81.0,79
2,95 1,00 1,95 0.88
2.96 1,0511,91.0,82
3.00 1,04.1,96 0,45
U
2,96 1.23/1,730,78
2.98 1,02.1.96 0,99
3,12 1,08 1,04 1,00
3,101,14 2,96 0,98
3.12 1,32,1,80 1,00
le
3,00 1,341,66.0,97
3,12 1,022,10.0,89
3,15.1,09 2,06 0,77
3,18 1,18 2,00 0,921
3,10 1,191,91.0,91
3.15 1,2011,95.0,93
3,10 1,25,1,85/0,99
3,15 1,24.1,86 0.92
2,95 1,05.1,90 0,98
2,67 1,03 1,64 0,94
2,68 1,09 1,59 0,99
2.75 1,1111.64.0,99
2,891.1811.7111.20
ai
|
Schilddrü se
mit Fermenten
en
Rumpfbreite
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
1.37.0,92 0,95 0,68
‚s60, 7211,14 0,52
1,75[0, 141.01.0,45
1,69 0,60 1,090, 393
1,55'0,64 0,91/0,45
1,58.0,45.1,130,44
1,630,51 1,12/0,48
1,740, 52 1,2210,45
1.7510, 5gl1,17/0,48
1.66 0,51 1,15 0,49
1,54 0,50 1,04 0,52
32 0,42.0,90 0,32
183 2/0,4210,90 0,25
1,20 0,40 0,80 0,32
1,63 ,0,4211,26 0,38
1.540, 52.1,02'0,43
1,53.0,53 1,00 0,42
1,82.0,6111,21.0,44
1.72.0,68.1,04 0,45
1,53 0,66 1,: 22 0,48
1,92 0,66 1; 26.0,49
1,68 0,63 1,05.0,52
1,75 0,62 1,13 0,44
1,80.0,63 1,17 0,48
1.79 0,68 1,11.0,48
1.92.0,69 1,230, 2
1,90/0,70 1,20 0;
1921072 1200.14
1.930,70 1,23.0,49
1,94.0,79 1,15/0,51
17
IV. Gruppe.
Emil Abderhalden:
(semessen am 15. Mai 1918, 14 Tage nach Einwirkung der Inkretstoffe.
Bufo vulgaris.
Thymusdrüse
Ohne Zusatz unabgebaut
Thymusdrüse
mit Fermenten
abgebaut
Thymusdrüse
mit Säure ab-
gebaut
Thymusdrüse |
Dialysat
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
Rumpfbreite
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
Rumpikreite |
Gesamtlänge
Rumpflänge,
Rumpfbreite
Schwanzlänge
1,03. 0,54 | 2,04|1,00 1,04
1,10 0,52 [2,11/0,801,31.
1,00 0,50 | 2,12.0,72|1,40
0,88/0,50 | 2,48 0,81 1,67
11,04.0,48 | 2,32\0,7511,57
1,08.0,32 | 2,00 0,70 1,30
1,25.0,44 | 2,10 0,711,39
1.180,45 | 2,00 .0,7211,28
1,17,0,46 | 2,12/0,6811,44
1,20 0,42 | 2,18.0,68 1,50
1.22.0,62.0,60 0,41 | 1,98 0,60 1,38
1,86 0,6311,23.0,48 ] 1,89 0,62|1,27
1.92.0,6211,30,0,42 | 2,44 0,88 1,56
1,78.0,6111,17!0,48 | 2,64 0,84 1,80
1.82 0,6011,2210,45 | 2,77 0,8911,88
1.81/0.60|1,21/0,48 | 2,64,0,90 1,74
1.75 0,60,1,15\0,50 | 2,44.0,99 1,55
1,82.0,61/1,21/0,45 | 2,42/0,8411,58
1.84,0,61 1,23)0,40 | 2,41/0,80 1,61
1,92.0,62|1,3010,51 | 2,40 0,85 1,55
1,82.0,60 1,22)0,50 | 2,220,84,1,38
1,88 0,62|1,26/0,42 | 2,32/0,84 1,48
1,92.0,6311,29/0,43 | 2,12/0,90 1,22
1,75 0,5411,21/0,48 | 2,14/0,75|1,39
1.810,66 1,1510,51 | 2,18/0,70 1,48
1.810,62 1,19,0,42 | 2,190 ul, 48
1,75.0,50 1,25,0,48 | 2,20 0,70 1,50
1,80 0,52 1,28 0,44 | 2,14. 0,71 1,43
1,83 0,63,1,25,0,44
1,64.0,61
1,72.0,62
1,63 0,63
1,54 0,66
1.62,0,58
1.620,54
1,63 0,48
1,68 0,50
1,69 0,52
1,71/0,51
0,72
0,62
0.60
0,52
0,50
0,50
0,75
0,78
0,90
0,72
0,74
0,70
0,72
0,73
0,71
0,78
0,70
0,70
0,78
0,72
0,70
0.69
2,12 0,7111,41
1,00 | 2,44
0,90 | 2,42
0,80 | 2,44
0,80 | 2,48
0,80 | 2,50
0,75 | 2,53 0,90 1,63 0,81
2,54
10,70 | 2,55
2,66
2,10
2,12
2,14
2,18)
2,20
2,18
2,00
1,98
1,78)
1,99
2,14
2,14,
9,15
2,18.0,88
2,12
2,48
2,32
2,22
2,25
2,00
0,90 1,
0,9211,50 0,68
0,8511, 590, 12
0,80 1,68.0,77
0.82.1,68.0,70
‚0,84 1,70.0,69
0,85/1,70/0,67
0,901, 76.0, 70
0,7211,48 0 ‚65
0,7811,34/0,68
0,77.1,41,0,70
0,781, 52 0, 71
0,72 1,46.0,80
0,70 1,30 0,90
0,70 1,28.0,92
0,85 0,93 0,82
0,90 1.090,88
0,8111,33)0,84
0,88 1,26 0,82
0,85 1,30 0,88
1,30 0,90
1,40 0,92
0,90
1,00
0,70
0,60
0,94
9
„I
0,72)
0,88 1,60
'0,84.1,48
0,82.1,40
0,84 1,41
0,811,19
I |
0,79.1,35 0,701 2
Gesamtlänge
2.93
3,12.
3,00
3,00)
2,86
2.66)
2,52)
2,40)
2,42
9, w
2,10
2,00
2,14
2,15
2,00
2,00
2,18
2,17
23,11)
2,05
2,18
2,12
2,18
2,48
2,50
2,18
2,12
Rumpflänge
0,87
Schwanzlän ge
1.00
1,10
1,20.
1,25|
1,46
1,24
0,99
1,00
0,89
2.0,90
10,95
0,80
0,81
0,82
0,80
10,75
0,70
0,72
10,71
0,75
0,72
0,76
0,74
0,80
0.82
0,80
0,78
|
1,93
Rumpfbreite
0,91
2,02|
1.80
1,75)
11,46.1,40
2,54.1,2411,30
1,42
1,53
1,40
1,55
1,51|
0,8512,
1722
ah al,
1,20
1.33
1,33
1.20
1,25
1,48
1,45
1,40
1,30
1,46
1,3
1,44
1,68
1,68
1,38
1,34
0,99
0,94
0,85
0,82
0,84
0,84
0,82
0,75
0,82
0,80
10,75
0,77
219] m
10,72
0,70
0,71
0,70
0,65
0,62
0.63
0,68
0,80
0,81
0,72
0,69
0,68
0,80
0,92
a
Gesamtlänge
Rumpflänge
Schwanzlänge
‚98 0,901,
0,851
‚98.0,88 1,10
0,87
0,80
0,70
50,75/1,00
0,72
10,71
5,0,69
0,66
>, 0,70
‚130,72 1,41
10,73
0,75
0,78
0,80
0,820,
0,82
‚0,85
0,83
0,54
30,32
0,88
0,90
0,60
0,67
1,01 0,99 0,90
0.72 1,40 0,62)
Rumpfbreite
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. II. 257
Wachstums, wobei gleichzeitig die Metamorphose zum Teil gehemmt
war. In anderen Fällen war die Metamorphose sehr stark beschleunigt.
Man hatte in vielen Fällen den Eindruck einer Thymuswirkung kom-
biniert mit Schilddrüsenwirkung, wobei bald die eine Wirkung, bald
die andere überwog. Zum Teil war das Grössenwachstum ein ganz
ausserordentliches. Bei vier von zehn Riesentieren war eine stark ver-
grösserte Hypophyse vorhanden. Die gleiche Beobachtung wurde
an drei spontan zu auffallend grossen Tieren entwickelten Kaul-
quappen von Rana esculenta gemacht.!) Die übrigen sieben der
erwähnten zehn Riesenlarven hatten keine vergrösserte Hypophyse.
Manchmal traten auch hier Missbildungen auf. Sie sind in der
Tafel V (Abb. 117 a) dargestellt. Wie schon erwähnt, waren die Resultate
ungleich. In manchen Fällen war’überhaupt keine besondere Wirkung
feststellbar. Die Versuche können zurzeit nicht als abgeschlossen
betrachtet werden. Es muss. eine Trennung der bekannten drei
funktionell so verschiedenen Teile der Hypophyse angestrebt werden.
Es ist wohl möglich, dass das unterschiedliche Verhalten darauf
zurückzuführen ist, dass alle drei Drüsenanteile zugleich aber in ver-
schiedenem Ausmasse zur Wirkung gekommen sind.
IV. Einfluss von Geschleehtsdrüsensubstanz auf Wachstum
und Entwicklung.
Wir haben einerseits Hodensubstanz auf ihre Wirkung auf
Kaulquappen geprüft, und ferner aus Ovarien gewonnene Produkte.
Bei den letzteren haben wir zum Teil die Corpora lutea getrennt von
der übrigen Eierstocksubstanz untersucht. Die Ergebnisse waren leider
auch hier keine so gleichmässigen wie beiden Schilddrüsen- und Thymus-
arüsensubstanzversuchen Bei der Verwendung von Hoden fanden wir
in den meisten Fällen ein rascheres Wachstum, während die Meta-
morphose nicht wesentlich beeinflusstschien. Vgl. Tafel V, Abb. 120— 122.
Besonders unregelmässig waren die Resultate mit aus Ovarien
gewonnenen Substanzen. Auffallend häufig erhielten wir kleine, zum
Teil missgestaltete Tiere. Sie glichen zum Teil den Schilddrüsentieren.
indem die Entwicklung überstürzt verlief, doch waren in Einzelheiten
Unterschiede vorhanden, wie schon ein Vergleich der Abbildungen auf
Tafel V, Abb. 123—128 zeigt.
Y. Einfluss von Nebennierensubstanzen auf Wachstum
und Entwicklung.
Die Nebennierentiere fielen meist schon dadurch auf, dass sie be-
ständig in ausserordentlich lebhafter Bewegung waren. Sie blieben
1) Vgl. auch hierzu Amandus Hahn, Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 50
Abt 1.01.1912.
Iies
>58 Emil Abderhalden:
zum Teil sehr klein. Bei einer Reihe von Tieren trat ein eigen-
artiges Phänomen auf, das auf Tafel V in Abbildung 129—32 dar-
gestellt ist. Zunächst bemerkte man, dass die äussere Haut sich
abzuheben begann. Nach einiger Zeit erblickte man den Körper der
Tiere in der Tiefe einer dünnen, mit wasserklarer Flüssigkeit erfüllten
Blase. Die Tiere lebten in diesem Zustande bis 6 Wochen. Es hatte
sich offenbar ein Transsudat gebildet, das die Haut am ganzen Körper
abgehoben hatte. Es ist naheliegend, an eine Wirkung des Adrenalins
auf die Blutgefässe zu denken. Wir konnten allerdings bis jetzt den-
selben Zustand mit Adrenalin selbst nicht hervorrufen. Erwähnt sei
ierner, dass mehrfach bei Schilddrüsen- und Thymustieren ganz ähnliche
Erscheinungen zu beobachten waren.
VI. Einfluss von Plazentasubstanz auf Wachstum
und Entwicklung.
Verfütterung. von Plazentagewebe wirkte ausserordentlich be-
schleunigend auf die Entwicklung von Kaulquappen. Es entstanden
innerhalb weniger Tage vollentwickeite Fröschehen hzw. Kröt-
chen. Im Gegensatz zur Schilddrüsensubstanz-Wirkung war die rasche
Entwicklung_nicht mit einer starken Steigerung des Verbrauchs von
Körperstoffen verknüp!t. Während die typischen Schilddrüsentiere
„Geigenform‘‘ annehmen, das heisst besonders im hinteren Teil des
Körpers auffallend schmal sind, war das bei den Plazentatieren nicht
der Fall. Sie entwickelten sich zu ganz normal aussshenden Tieren.
Abgebaute Piazenta hatte qualitativ die gleiche Wirkung, nur war
die Beschleunigung des Wachstums nicht so bedeutend. Versuche,
durch Auszüge mit organischen Lösungsmitteln die wirksamen Sub-
stanzen zu isolieren, sind auch hier ausgeführt worden. Über die
erhaltenen Resultate soll berichtet werden, sobald mehr Erfahrungen
vorliegen.
Wir haben weiterhin noch Versuche mit aus Pankreas und
Nieren gewonnenen Stoffen durchgeführt, und ferner geprüft, ob nicht
vielleicht Abbaustufen aus Organen, die innensekretorisch vorläufig
noch wenig in Frage gezogen sind, wie Muskeln, Haut, Lunge,
Milz usw. auch bestimmte Wirkunger auf die Kaulquappen aus-
üben. Es war dies nicht der Fail. Ferner haben wir Peptone der
verschiedensten Abkunft (aus Haaren, Federn, Seide usw.) auf
Kaulquappen einwirken lassen. um zu sehen, ob nicht vielleicht ähn-
liche Erscheinungen hervorgerufen werden, wie bei der Anwendung
der oben beschriebenen, spezifisch wirkenden Organsubstanzen. Wir
führten eine grosse Anzahl derartiger Versuche durch, um uns zu
überzeugen. ob wirklich spezifische Wirkungen den beobachteten Er-
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzen. Il. 259
gebnissen zugrunde liegen. Diese Peptone vermochten zum Teil wohl
Hemmungen in der Entwicklung zu bewirken, jedoch wurden keine
„Ihymustypen' erhalten.
Eine sehr grosse Anzahl von Untersuchungen war der Frage ge-
widmet, ob es möglich ist, durch Kombination verschiedener
Organsubstanzen eine besondere Wirkung zu entfalten.
Wir hatten die Hoffnung, auf diesem Wege das Zusammenspiel der
Inkrete studieren zu können. Zu diesen Versuchen verwandten wir
ausschliesslich die vollständig abgebauten Organe, sei es, dass sie mit
Hilfe von Fermenten, sei es mit Hilfe verdünnter Schwefelsäure zerlegt
worden waren. Es ist sehr schwer, aus den erhaltenen Resultaten
irgend welche Schlüsse zu ziehen. Es zeigte sich immer wieder, dass
im besonderen die Thymus- und Schilddrüsenwirkung überall da über-
wiegt, wo Substanzen aus diesen Organen zur Anwendung kamen.
Eine Reihe von Abbildungen auf der Tafel VI mag einige dieser
Ergebnisse illustrieren. Es handelt sich ausschliesslich um Tiere, die
14 Tage unter der Wirkung der betreffenden Substanzen gestanden
hatten. Die abgebildeten Tiere sind alle gleichalterig.
Erwähnt seien schliesslich noch einige Versuche, die mit Sarkomen
und Karzinomen ausgeführt worden sind, und zwar verwendeten
wir zum Teil unabgebaute, zum Teil abgebaute Gewebe. Wir haben
dabei mehrfach Störungen in der ganzen Entwicklung beobachtet.
Die Zahl der Versuche ist jedoch zu klein. Tabelle V (Abb. 135— 139)
zeigt einige Resultate dieser Versuche. Wir haben ferner auch Hefe -
substanz auf ihre Wirksamkeit auf Wachstum und Entwicklung von
Kaulquappen geprüft. Es zeigte sich, dass die letztere beschleunigt
wird, jedoch in der Hauptsache nur in den ersten Tagen.
Wenn wir alle Ergebnisse zusammenfassen, dann kommen wir zu
dem Resultat, dass unzweifelhaft bewiesen ist, dass man bei Kaul-
quappen regelmässig mit bestimmten Organsubstanzen
einen ganz spezifischen Einfluss auf das Wachstum und
die Entwicklung gewinnen kann. Am ausgesprochensten und
regelmässigsten sind die Erscheinungen bei Schilddrüsen- und Thymus-
substanz. Typische Erscheinungen sahen wir ferner, jedoch nicht
regelmässig, bei Verwendung von Hypophysen-. Hoden-, Ovarien- und
Nebennierensubstanz. Bei Verwendung von Hypophysen- und Hoden-
substanz beobachteten wir ein verstärktes Wachstum. Die Entwick-
lung verhielt sich dabei unregelmässig. Bei Verwendung von Ovarien-
substanz erhielten wir im allgemeinen schmale und lange Tiere mit
beschleunigter Entwicklung. Durch Kombination der aus verschiedenen
Organen gewonnenen Substanzen erzielten wir ganz deutliche Be-
einflussungen der einzelnen wirksamen Stoffe. Meist überwiegt die
Wirkung der einen Substanz. Oft gelingt es aber auch, eine kombinierte
2360 Emil Abderhalden:
Wirkung zu beobachten. So erhält man mit Thymusdrüse allein starkes
Wachstum und verlangsamte Entwicklung. Wendet man Thymus-
substanz und Schilddrüsensubstanz in geeigneter Kombination an,
dann erhält man eine raschere Entwicklung und gleichzeitig auch
vermehrtes Wachstum. Würden wir die Inkretstoffe kennen, dann
könnten wir sie genau dosieren und dann auch die Mengenverhältnisse,
unter denen sie die eine oder andere Wirkung zeigen, ganz genau an-
geben.
Das bemerkenswerteste Ergebnis der ganzen Forschung ist das,
dass die beobachteten Erscheinungen aufgetreten sind,
gleichgültig, ob wir die Organe selbst verwandten oder
aber die durch Hydrolyse aus ihnen gebildeten Produkte.
Damit ist bewiesen, dass die wirksamen Stoffe einfacherer
Natur sein müssen. Im allgemeinen ist der Einfluss der nicht
abgebauten Organe quantitativ demjenigen der gleichen Menge
abgebauten Gewebes überlegen.
Die ausgeführten Untersuchungen bedürfen noch weiterer Aus-
arbeitung. Es muss vor allen Dingen in exakter Weise festgestellt
werden, welche morphologische Wirkung durch die einzelnen Inkret-
stoffe hervorgerufen werden. Wir haben bis jetzt die Tiere in der
Hauptsache beobachtet und gemessen. In Zukunft werden wir die
einzelnen organischen Veränderungen genau zu studieren haben. Ver-
suche in dieser Richtung sind auf breiter Grundlage bereits im Gange !).
Erwähnen möchten wir, dass auch Versuche mit den entsprechenden
Kaltblüterorganen ausgeführt worden sind. Wegen der Kleinheit
der betreffenden Organe ist bis jetzt ein sicheres Ergebnis noch nicht
gewonnen.
Erklärung der Tafeln.
Tafel II.
Abb. 1—72: Schilddrüsentiere. wiedergegeben; a ist das Schild-
Die Tiere 1 und 2 erhielten un- drüsen-, b das Kontrolltier.
abgebaute Schilddrüse. 3—6 | Abb. 32—47: Schilddrüsentiere
wurden mit verdauter Schild- (Kaulquappen von Bufoarten).
drüsensubstanz gefüttert. 7 -15er- | Abb. 48-51 normale Tiere (Kon-
hielten mit verdünnter Schwefel- trolltiere).
säure bereitete Abbauprodukte aus | Abb. 52—68: Schilddrüsentiere.
Schilddrüse. Die Abb. 16—30 zeigen Verabreicht wurde Dialysat von
ältere Stadien von Schild- anverdauter Schilddrüse.
drüsentieren (Abb. 27—30 sind | Abb. 69—72: sgleichaltrige Kon-
um die Hälfte vergrössert). trolltiere.
In Abb. 3la und b sind Axoloti | Abb. 73-80: Strumatiere.
l) Vgl. hierzu auch die wichtigen Studien von B. Romeis, Zeitschr. £.
die gesamte experim. Med. Bd. 5 S. 99. 1916 u. Bd. 6 S. 101. 1918.
Weit. Studien üb. die von einz. Organen hervorgebrachten Substanzeu. Il. 261
Tafel IV.
Abb. 81-82: Strumatiere (Fort- |
setzung von Tafel II]).
Abb. 84 -88: Schilddrüsentiere.
Einwirkung grösserer Mengen von
abgebauter Schilddrüsensubstanz.
Abb. 89—105: Thymustiere. Tiere
89—98 unter der Wirkung voll-
ständig abgebauter Thymus in den
ersten 4—6 Wochen. Tiere 99--104
standen 2—6 Monate unter dem
Einfluss dieser Produkte. a und b
geben jeweilen zwei Ansichten des
gleichen Tieres wieder.
Abb.105a zeigt ein Thymustier u.
105b das gleichaltrige Kontrolltier.
Abb. 106a und b stellen besondere
Formen von Thymustieren dar.
Abb. 107b zeigt einen Axolotl unter
Thymuswirkung. Tier 107a ist das
gleichaltrige Kontrolltier. Tier10Sa
ıst das Kontrolltier zum Thymus-
tier 108b.
Tafel V.
Abb. 109b: Thymustier. Die bei-
den anderen Tiere (a) sind gleich-
altrige, normal ernährte Tiere.
' Abb.
Abb. 10a: Thymustier, b Kon- |
trolltier.
Abb. 111—115: a Hypophysentier
und b das Kontrolltier.
Abb. 116: a Hypophysentier,
b gleichaltriges Ovarientier,
e Kontrolltier.
Abbe 11Ta: Hypophysentiere,
Missbildungen.
Abb. 117: Kontrolltier zu 117a.
bildungen stellen normal ernährte,
gleichaltrige Tiere dar.
119a: normal ernährtes
Tier,bundc Hypophysentiere.
Abb. 120—122: a normal ernährte
Tiere, b Hodentiere.
Abb.: 123—128: Ovarientiere.
Abb. 129—132: Nebennierentiere.
Die Abbildungen zeigen die eigen-
artige Ablösung der Haut.
Abb. 1353—134: Weitere Neben-
nierentiere.
Abb. 135—138: Sarkomtiere.
Abb. 118: Grösstes Tier, Hypo- | Abb. 139a: Sarkomtier, b Kon-
physentier, die übrigen Ab- trolltier.
Mate: V1.
Wirkung der Verabreichung von abgebauten Gewebs-
substanzen aus mehreren Organen.
Abb. 140: Thymus-Schilddrüsen-
tier, a Schilddrüsentier, b
normales Tier.
Abb. 141: Verfütterung von Thymus
+ Schilddrüse.
Abb. 141a: Verfütterung vonSchild-
drüse+ Ovarium + Thymus
+ Hypophyse + Hoden.
Abb. 141b: Verfütterung von Schild-
drüse +Hypophyse.
Abb. 142a: Ovarium + Hypo-
physe + Hoden verfüttert.
Abb. 142b: Schilddrüse + Thy-
' Abb.1462:Thymus+Hypophyse.
mus + Hoden verfüttert.
Abb. 142c: Ovarium + Thymus
verabreicht.
Abb. 145: Ovarium + Hoden +
Hypophyse.
Abb.144a:Schilddrüse+ Hypo-
physe.
Abb. 144b: Thymus + Hypo-
physe.
Abb. 144c: Hypophyse+ Hoden.
Abb. 144d: Thymus + Hoden.
' Abb. 144e: Hypophyse+ Thymus
+ Hoden.
Abb. 144f: Thymus+ Schilddrüse
+ Hoden.
Abb. 144g: Thymus + Ovarium.
Abb. 145a: Ovarium.
Abb. 145b: Schilddrüse.
Abb. 145c: Hypophyse.
Abb. 146: Thymus.
Abb. 146b: Schilddrüse +Hypo-
physe.
Abb. 147a: Ovarium + Hypo-
physe.
Abb. 147b: Ovarium + Schild-
drüse.
262
Abb. 147c: Ovarium + Thymus.
Abb.1482:Hypophyse+Ovarium.
Abb.148b:Hypophyse+Thymus.
Abb.149a:Hypophyse+Thymus.
Abb. 149b:Hypophyse+Schild-
drüse.
Abb. 149c: Thymus.
Abb.150:Ovarıum+Hypophyse
+ Hoden.
Abb. 15la:Hypophyse-+ Schild-
drüse.
Abb.151b: Hypophyse-+ Thymus.
Abb. 15le: Schilddrüse.
Abb. 15ld: Thymus.
Abb. 152a: Struma.
Abb.152b: Struma + Schilddrüse.
Abb. 153a: Thymus.
Abb. 153b: Nebenniere.
Abb. 153c:Hypophyse+ Hoden.
Abb. 153d:Hypophyse+Neben-
niere.
Abb. 154: Hypophyse.
| Abb.
ı Abb.
Emil Abderhalden: Weitere Studien usw. 1.
154 a:
19954:
155b:
155 e:
155d:
156a:
156b:
156e:
Ovarium.
Hoden.
Schilddrüse.
Nebenniere.
Kontrolltier.
Hypophyse.
Hoden.
Schilddrüse.
156d: Nebenniere.
Abb. 157a: Thymus.
Abb. 157b: Schilddrüse.
Abb.158a:Hypophyse+Ovarium.
Abb. 158b: Schilddrüse + Ova-
rium.
Abb. 158c: Schilddrüse.
Abb. 159a:Schilddrüse+ Hypo-
physe.
Abb.159b: Thymus-+ Hypophyse,
Abb. 159c: Schilddrüse+ Hoden.
Abb. 159d: Thymus + Ovarium.
Abb. 159d: Thymus + Ovarium.
Abb. 159e: Thymus.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Versuche an Axoloteln.
Abb. 160a: Hypophyse.
Abb. 160b: Nebenniere.
| Abb. 161: Hoden.
1. Abb. 162: Thymus.
Plügers Archiv f: d. ges. Physiologie Bd. 176. Tafel II.
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Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden
untersucht.
Il,
Untersuchung des Pferde-, Rinder- und Hundeblutes.
Von
P. Kuhl, approb. Tierarzt aus Bensheim a. d. Bergstrasse.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Giessen.)
Mit 1 Textabbildung.
(Eingegangen am 13. Mai 1919.)
Inhalt. Seite
BE in tühr un Ne Ders ale 263
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1. Einführung.
Die Untersuchungen Marloff’s!) über die Zählung der Erythro-
eyten im Blute verschiedener Tiere haben ergeben, dass die mit den
älteren Apparaten, besonders mit der am meisten verwendeten Thoma-
schen Zählkammer ermittelten Zahlen mit um so grösseren Fehlern
behaftet sind, je grösser das Senkungsbestreben der betreffenden
Erythrocyten in der Verdünnungsflüssigkeit ist. Der Fehler kann
zum Beispiel bei den relativ schweren Erythrocyten des Frosches
volle 136 % erreichen, d.h. um diesen Wert fallen die Zahlen zu hoch aus.
Diese für die Erythrocytenzählung bedeutsame Tatsache wurde
in folgender Weise ermittelt. Es wurde unter möglichst gleichen Be-
dingungen in derselben Blutmischung eine Zählung nach der Thoma-
schen und nach der von dem genannten Fehler freien Bürker’schen
Methode durchgeführt Der sich ergebende Fehler wurde in Beziehung
zur Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten gesetzt; da diese bei
gegebener Verdünnungsflüssigkeit eine Funktion des Hämoglobin-
gehaltes eines Erythrocyten ist, so wurde der Hämoglobingehalt des
Blutes bestimmt, und aus diesem Werte und der Erythrocytenzahl
der Gehalt eines Erythrocyten an Hämoglobin berechnet. Je grösser
1) R. Marloff, Die früheren Zählungen der Erythrocyten im Blute
verschiedener Tiere sind teilweise mit grossen Fehlern behaftet. Dieses
Archiv Bd. 175 S. 355. 1919.
964 P. Kuhl:
nun letzterer Wert ausfiel, um so grösser auch die Senkungsgeschwindig-
keit und der Zählfehler.
Für die uns hier interessierenden Blutarten seien die von Marloff
erzielten Werte mitgeteilt.
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Erythrocyten De SER |sd- ES 425
zahl in Millionen 8 es ES ZU = HAER
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Blutart = Sen en, = sas |gres
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Bürker| Thoma| 5 HS ne ar DS
< an
Ida ef)
Frosch 0,452 1,066 136 14,6 822 16 0,375
Hund . 6,65 8,21 23 16,9 35 68 0,085
kezerde® el er) 12 14,3 19 95 0,061
Kind. 6.51 7,01 8 ar 18 103 0,058
Man. sieht, es bestehen also ganz beträchtliche Differenzen, und
Marloff war daher berechtigt zu schliessen, dass die früheren Zählungen
der Erythrocyten im Blute verschiedener Tiere wenig Wert haben,
sofern es sich um schwerere Erythrocyten handelte.
Von diesem so gewonnenen Standpunkte aus schien es erwünscht,
neue Zählungen am Blute der. Haustiere vorzunehmen und diesen
Zählungen auch noch Bestimmungen anderer Blutwerte beizufügen,
welche sich auf Grund der hämatologischen Untersuchungen der letzten
Zeit als wichtig für die Beurteilung des Blutes erwiesen haben und
die bisher entweder noch nicht genauer durchgeführt oder jedenfalls
noch nicht alle am gleichen Blute unter möglichst gleichen Bedingungen
gewonnen werden konnten. Dahin ist zu rechnen die Bestimmung
des absoluten Hämoglobingehaltes des Blutes, des daraus und aus der
Erythrocytenzahl ableitbaren absoluten Hämoglobingehaltes: eines
Erythrocyten, der Leukocytenzahl, der Leukocytenart und des pro-
zentigen Verhältnisses der verschiedenen Arten, des ungefähren Ge-
haltes des Blutes an Thrombocyten und endlich des Brechungsexpo-
nenten des Plasmas, der bis zu einem gewissen Grade als Mass des
Eiweissgehaltes der Blutflüssigkeit gelten kann.
Auf Anregung von Herrn Professor Dr. Bürker habe ich alle diese
Werte am Blute von Pferden, Rindern und Hunden mit einheitlicher
Methodik zu ermitteln versucht.
2. Bisherige Untersuchungen.
Über Erythrocytenzählung, Hämoglobinbestimmung, Leukocyten-
zählung und Leukocytendifferenzierung im Blute.von Pferden, Rindern
und Hunden liegt schon eine grössere Zahl von Arbeiten vor !).
1) Die Literatur war mir in der gegenwärtigen Zeit nur beschränkt zu-
gänglich. Leider konnte ich keinen Einblick in die Folia haematologica tun.
Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 265
Was zunächst
das Blut der Pferde
und seine Erythrocytenzahl betrifft, so macht zuerst A. Storch!)
genauere Angaben unter Berücksichtigung des Alters und Geschlechts der
Tiere; in der Storch’schen Arbeit ist auch die ältere Literatur erwähnt.
‘Storch erhielt mit der Thoma’schen Methode folgende Resultate:
Erythrocytenzahl En Durchschnitt
Anzahl und Geschlecht FeNmıkonen
2 männliche Fohlen. 9,02— 9,18 9,40
> Hengste. ...... RR 8,00— 8.41 821
bEStULENEE ER BR 6,33— 7,56 Tl?
nawWallacherzre tere: 6,81— 8,42 7,60
Ein älterer Wallach von 20 Jahren zeigte nur 5,66 Millionen.
Aus einer Zusammenstellung, die H. Baum?) gibt und die sich auf
Arbeiten von Sussdorf, Wiendieck und Gasse bezieht, berechne ich
unter Einschluss der Storch’schen Werte als Mittel für das Fohlen 9,40,
für den Hengst 8,57, für die Stute 6,79 und für den Wallach 7,70 Millionen.
Uber genauere Hämoglobinbestimmungen im Pferdeblut liegt
eine aus der Giessener medizinischen Veterinärklinik stammende Arbeit von
G.- Hofmann?) vor, in der auch die bis zum Jahre 1911 erschienene
Literatur eingehend berücksichtigt ist. Hofmann verwendete für seine
Bestimmungen neben dem Sahli’schen Hämometer den Autenrieth-
Königsberger’schen Hämokolorimeter, der gegenüber dem Sahli'schen
Apparat den Vorteil hat, dass er mehrere Einstellungen ermöglicht, den
Nachteil aber, dass die Vergleichslösung keine Blutfarbstofflösung ist. Der
Apparat wurde in Prozenten einer selbstermittelten Norm für Pferdeblut
geeicht.
Aus sieben Bestimmungen an Wallachen (a. a. ©. S. 49), welche Werte
zwischen 75 und 100° nach Sahli ergaben, berechne ich als mittleren Wert
91,7%. Der Apparat von Sahli ist im gleichen Jahre von Herrn Pro-
fessor Bürker spektrophotometrisch auf absolute Hämoglobinwerte geeicht
worden), 91,7% würde demnach
7.3,
100 1598
Hämoglobin in 100 ccm Blut entsprechen, ein Wert, der aber sicher viel
zu hoch ist und der sich nur erklären würde, wenn die Vergleichslösung
schon abgeblasst war, was früher häufig vorkam.
Bei seinen bekannten Blutanalysen fand E. Abderhalden’) in zwei
Fällen 16,7 und 12,6 8 Hämoglobin für 100 & Blut; der erstere Wert ist
-
1) A. Storch. Untersuchungen über den Blutkörperchengehalt des
Blutes der landwirtschaftlichen Haussäugetiere. Vet.-med. Dissertation,
Bern 1901.
2) H. Baum, Der Zirkulationsapparat. Ellenberger’s Handb. der
vergleich. mikroskop. Anatomie der Haustiere Bd. 2 S. 137. 1911.
3) G. Hofmann, Klinische Untersuchungen über den Hämoglobingehalt
des Blutes. Vet.-med. Dissertation, Giessen 1911.
4) Dieses Archiv Bd. 142 S. 289. 1911.
5) E. Abderhalden, Zur quantitativen vergleichenden Analyse des
Blutes. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 25 S. 107. 1898.
23656 Pre:
auffallend hoch. R. Marloff stellte in einem Falle mit der spektro-
photometrischen Methode 14,3 & in 100 ccm Blut fest (a. a. O. S. 365), bei
7,32 Mill. Erythrocyten und 19. 10-12 & Hämoglobingehalt eines Erythro-
cyten.
Der mittlere absolute Hämoglobingehalt einesErythrocyten
ist meines Wissens beim Pferde noch nicht zum Gegenstande einer ge-
naueren Untersuchung gemacht worden.
LeukocytenzählungenundDifferenzierungen sind beim Pferde
in grosser Zahl vorgenommen worden, ich verweise bezüglich der Literatur
auf den schon erwähnten Beitrag von H.Baum zum Ellenberger’schen
Handbuch S. 143; als Mittelwert für das Pferd wird 9,15 Tausend an-
gegeben. A. Storch erhielt bei der Mehrzahl der Tiere, deren Erythro-
cytenzahlen auf S. 265 angegeben wurden, folgende Werte:
Anzahl und Geschlecht Leukocytenzahl Im Durchschnitt
in Tausenden
2 männliche Fohlen. ... 12,56— 15,51 14,03
2. Hengste». 2.0... 0r 9,96 — 10,48 10,22
Austen Ele. ne 8,57—12,80 9,88
5)
MWallaches.. 2 ner, 7,67— 14,00 11,02
Nach Gasse weisen Hengste im Durchschnitt 9,00, Stuten 6,90 und
Wallache 8,50 Taus. auf, das sind niederere Werte als die von Storch
ermittelten. A. Rössle!) zählte im Blute, das der Vena jugularis ent-
nommen war, regelmässig 1,30—2,60 Taus. mehr Leukocyten als in dem
aus Ohr und Lippenschleimhaut gewonnenen Blute; nach ihm bewegt sich
die Zahl unter normalen Verhältnissen zwischen 5,50 und 10,50 Taus. für
dreijährige Pferde und darüber, wobei jüngere Pferde nach der höheren Zahl,
ältere nach der niederen hinneigen.
Nach verschiedenen Angaben kommt eine Verdauungsleukocytose
beim Pferde nicht in Betracht.
In vielen Arbeiten wird ganz besonderer Wert auf die Ermittlung
des Verhältnisses Erythrocytenzahl:Leukocytenzahl, des so-
genannten ÜOytenquotienten, gelegt. Nach den neueren hämatologischen
Erfahrungen lohnt sich aber die Bestimmung dieses Verhältnisses nicht,
da Erythrocyten- und Leukocytenbildung in weitem Masse unabhängig
voneinander erfolgen. „Fort also mit solchen erzwungenen Relationen, die
nur täuschen und zu den ärgsten Irrtümern führen!* schreibt O0. Naegeli?).
Was die so wichtige Leukocytendifferenzierung und die Fest-
stellung des prozentigen Verhältnisses der Leukocytenarten
betrifft, so ist die Zahl der darauf bezüglichen Arbeiten auch nicht klein.
Erschwerend fällt bei der Beurteilung dieser Arbeiten der Mangel an ein-
heitlicher Benennung der Arten ins Gewicht; in dieser Beziehung hat be-
sonders OÖ. Naegeli?) Wandel und Klarheit geschaffen, seine Nomenklatur
lege ich daher meinen Untersuchungen zugrunde.
Aus Resultaten, die Wiendieck, Fischer, Gasse, Meier und Franke
erzielt haben und die H. Baum in dem schon genannten Beitrag S. 144
1) A. Rössle, Untersuchungen über das Verhalten der Leukocytenzahl
im Pferdeblut. - Vet.-med. Dissertation, Giessen 1907.
2) O. Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik, 2. Aufl. S. 51.
Verlag von Veit & Co., Leipzig 1912.
3) Siehe das in 2) zitierte Werk S. 336 und 399.
. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 267
zusammenstellt, berechne ich als Mittelwerte für das Pferd 30° Lympho-
cyten, 4% grosse mononukleäre Leukocyten und Übergangsformen, 63%0
polymorphkernige neutrophile, 3% eosinophile und unter 1% basophile
Leukocyten.
Die Thrombocyten des Pferdes haben bisher verhältnismässig wenig
Berücksichtigung gefunden, obwohl sie es besonders verdienten; eingehender
befasste sich mit ihnen A. R. Walther!), der aber auch zu einer einwand-
freien Zählmethode nicht gelangte. Die Frage der Thrombocytenzählung,
und zwar nicht nur die beim Pferde, muss als zurzeit noch nicht gelöst be-
zeichnet werden.
Bestimmungen des Brechungsexponenten des Plasmas von
Pferdeblut im Zusammenhange mit der Bestimmung anderer Blutwerte
“sind mir nicht bekannt geworden:
Das Blut der Rinder.
Die ersten genaueren Erythrocytenzählungen hat auch hier
A. Storch (a. a. OÖ. S. 36 und 46) vorgenommen, der Tiere fränkischen
Schlages untersuchte mit folgendem Resultate:
Erythrocytenzahl
in Millionen Im Durchschnitt
Anzahl und Geschlecht
INDISATIDOTERRT NR RN, 6,76—9,90 8,92
I0jungyiehen se 6,14—8,41 7,06
IOrBullenssnere tn ae. 5,12— 7,61 6,50
IOROCHSETEE RO N 5,66—8,61 6,68
ZEN Von a LE 4,49— 6,16 5,47
Zu etwas anderen teils grösseren, teils kleineren Werten gelangte
H. Turowski?), der verschiedene Rassen untersuchte:
Anzahl und Geschlecht a nen Im Durchschnitt
IDOmRüllberiies Zu a ne, 6,24—9,96 1,92
meunerinder » 2. 3,92— 1,76 6,95
SeBullen seen. ee 1,32—8,55 7,99
I0SOchsenew an 9,82— 7,40 6,65
2UFKheg ee... 5,98— 1,58 6,54
Mit dem Hämoglobingehalte des Rinder- und überhaupt des Wieder-
käuerblutes befasst sich eine in der Giessener medizinischen Veterinärklinik
durchgeführte Arbeit von B.Scheuermann?), der wie Hofmann (S. 265)
den Hämokolorimeter von Autenrieth und Königsberger für seine
Bestimmungen verwendete. Um absolute Hämoglobinbestimmungen handelt
es sich auch hier nicht, sondern um Angaben in Prozenten einer selbst-
1) A. R. Walther, Beiträge zur Kenntnis von Blutplättchen und Blut-
gerinnung unter besonderer Berücksichtigung des Pferdes S. 46. Vet.-med.
Dissertation, Leipzig 1910. ’
2) H. Turowski, Über das Verhalten der körperl. Elemente zueinander
im normalen Rinderblut. Vet.-med. Dissertation, Berlin 1908.
3) B.Scheuermann, Klinische Untersuchungen über den Hämoglobin-
gehalt des Blutes der Wiederkäuer. Vet.-med. Dissertation, Giessen 1913.
208 PR u hl:
ermittelten Norm. E. Abderhalden fand bei seinen schon S. 265 erwähnten
Blutanalysen in 100 g Blut bei einem Stier 10,6 g und bei einem Rind
10,3 g Hämoglobin, R. Marloff mit der spektrophotometrischen Methode
in einem Falle 11,7 & in 100 ccm Blut (a. a. ©. S. 366).
Wie beim Pferde, so liegen auch beim Rinde keine genaueren Angaben
über den Hämoglobingehalt eines Erythrocyten (Marloff fand
im eben genannten Falle 18-10-12 9), über die Thrombocytenzahl und
über den Brechungsexponenten des Plasmas vor, dagegen ist die
Leukocytenzahl und -art bei diesem Tier genauer untersucht.
A. Storch (a. a. 0.8. 36 und 46) fassi seine Resultate folgendermassen
zusammen:
Anzahl und Geschlecht : u Im Durchschnitt
1. Kälber; an. ee 12,04—21,49 15,74
10 Jungviehr nn, 2a Le: 9,41—15,21 11,61
9eBulleni. re wer ru 5,43— 9,99 7,84
9.Ochsen: . N 6,51— 12,22 9,37
Sekten. Da 6,21— 9,87 8,24
Zu etwas niedereren Zahlen, 6,00 Taus. bei Rindern Simmentaler Schlags
von 3—8 Jahren, gelangte R. Utendörfer!).
Andere Rassen ergaben H. Turowski(a.a. 0.5.26) etwas andere Werte:
Anzahl und Geschlecht ze Im Durchschnitt
12, Kälber. mar No 9,63—16,76 11,89
7. Jungsrinder- 2. ...2 7,13—10,47 8,95
S-Bullene. ar ren 9,42==12,33 10,43
10.0 0 P—114 9.38
20. »Kıthe, ar ee ae 6,70— 9,20 7,65
In der Turowski’schen Arbeit ist auch die Literatur zusammengestellt.
K. Biber?) fand bei 42 Tieren, jungen und alten, Werte zwischen 5,74
und 13,26 Tausend, wobei die jüngeren Tiere die höheren Werte aufwiesen.
P. J. Du Toit°), der in seiner Arbeit die Literatur bis zum Jahre 1916
eingehend berücksichtigt, gibt als Gesamtleukocytenzahl für Kälber und
Jungrinder 12—15 Taus., für gesunde erwachsene Rinder 5—10 Taus., im
Mittel S Taus. an.
Eine Verdauungsleukocytose wurde übereinstimmend beim Rinde
und bei den Wiederkäuern überhaupt nicht beobachtet.
Was die Leukocytenarten betrifft, so stellt Turowski (a. a. O.
S. 37) folgende Leukocytenformel für das Rind auf: Lymphocyten 45,4,
mononukleäre und Übergangsformen 7,4, polymorphkernige neutrophile
1) R. Utendörfer, Über Leukocytose beim Rinde unter besonderer
Berücksichtigung der Trächtigkeit und Tuberkulose. Philos. Dissertation
S. 23, Leipzig 1907. Von S. 10 an eingehende Berücksichtigung der Literatur.
2) K. Biber, Untersuchungen über das Verhalten der Leukocytenzahl
im Rinderblut. Vet.-med. Dissertation, Bern 1908.
3) P. J. Du Toit, Beitrag zur Morphologie des normalen und des leu-
kämischen Rinderblutes. Vet.-med. Dissertation, Berlin 1916.
Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 26%
40,2, eosinophile 6,4 und basophile 0,60 auf. Damit stimmen die Angaben
von Du Toit (a. a. O. S. 51) — Lymphocyten 49,0, mononukleäre und
Übergangsformen 3 3,7, neutrophile 38,8, eosinophile 8,0 und basophile 0,5°/o —
ziemlich überein, der wiederum die Daun seiner Werte mit den
von Dimock und Thompson, Goodall und Lejeune gewonnenen be-
tont (S. 27). Damit weist also das Blut der Rinder eine entschiedene lympha-
tische Beschaffenheit auf um so mehr, je jünger das Tier ist; widersprechende
Angaben von R. Utendörtfer (a. a. O.S. 24), der durchschnittlich 25—35 %o
Lymphocyten und 60—70 0 neutrophile Leukocyten fand, werden mehrfach
in der Literatur zurückgewiesen. Du Toit macht die ununterbrochene
Tätigkeit des Magen-Darmkanals beim Wiederkäuer für diese Lymphocytose
verantwortlich (S. 29), die auch bei anderen Wiederkäuern beobachtet wird.
Bemerkenswert ist auch die Eosinophilie beim Rinde.
Das Blut der Hunde.
In der bekannten Arbeit von H. Welcker!) wird als mittlere Erythro-
cytenzahl nach Untersuchungen von Stölzing an elf Tieren, männlichen
und weiblichen verschiedener Rasse, 4,98 Millionen angegeben, schwankend
zwischen 4,09 und 5,50 Millionen, Werte, die als auffallend niedrig bezeichnet
werden müssen. J. F. Lyon?) zählte 7,00 bis 8,17, im Mittel 7,42, das sind
um 49% mehr: Rüden im Mittel 7,54, Weibchen 7,23 Mill. C. Kliene-
berger und W. Carl?), die das Blut der Laboratoriumstiere eingehend
untersucht haben, geben, gestützt auf zwölf Untersuchungen an sechs männ-
lichen und sechs weiblichen Tieren mittleren Alters, 7,23 Mill. als Durch-
schnittswert an, das ist ein um volle 45 °/o höherer Wert als der von Stöl-
zing ermittelte, er ist aber ungefähr gleich gross wie der von Lyon ge-
fundene Männliche und weibliche Tiere wiesen keine wesentlichen ein-
deutigen Unterschiede auf.
Wie beim Pferd und Rind liegen auch beim Hunde nur wenig Angaben
über den absoluten Hämoglobingehalt des Blutes vor. E. Abder-
halden fand bei zwei Hunden 13,3 und 14,6 & Hämoglobin in 100 & Blut
(a. a. ©. S. 107). Mit dem schon Bahnen Hämokolorimeter Eher
G. Hofmann (a. a. O. S. 64) etwas niederere Werte als beim Menschen,
aber höhere als beim Pferde. C. Klieneberger und W. Carl be-
stimmten mit dem Sahli’schen Apparat im Durchschnitt 94°/o (a. a. O.
S. 53), das wären auf Grund der Bürker’schen Eichungen des Apparates
16,3 & in 100 ccm Blut.
Bei einem männlichen Hunde (Foxterrier) stellten K. Bürker, R. Ederle
und F. Kircher*) 114 g Hämoglobin in 100 cem Blut bei 4,16 Mill.
. Erythrocyten und damit 27.10-12 & Hämoglobingehalt eines Erythocyten
fest, bei einem weiblichen Hunde anderer Rasse waren die entsprechenden
Werte 18,3 g, 6,55 Mill. und 28 - 10-12 g, bei einem Hunde, dessen Geschlecht
1) H. Welcker, Grösse, Zahl, Volum, Oberfläche und Farbe der Blut-
körperchen bei Menschen und bei Tieren. Zeitschr. f. ration. Medizin.
3. Reihe Bd. 20 S. 286. 1863.
2)J. F. Lyon, Blutkörperzählungen bei traumatischer Anämie.
Virchow’s Archiv f. pathol. Anat. usw. Bd. 84 S. 219. 1881.
3) C. Klieneberger und W. Carl, Die Blutmorphologie der Labora-
toriumstiere S. 53. Verlag von J. A. Barth. Leipzig 1912.
4) K. Bürker, R. Ederle und F. Kircher, Über Änderung der-
sauerstoffübertragenden Oberfläche des Blutes bei Änderung der respira-
torischen Oberfläche der Lungen. Dieses Archiv Bd. 167 S. 154 u. 156. 1917..
270 Pr Kühl:
nicht notiert wurde, fand R. Marloff (a. a. O. S. 366) 16,9 &, 6,65 Mill. und
25. 10-12 &; es können also beträchtliche Differenzen bestehen.
Der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten, die Thrombo-
cytenzahl und der Brechungsexponent des Plasmas haben beim
Hunde noch wenig Beachtung gefunden, mehr die Leukocytenzahl und -art.
Bei dem eben erwähnten weiblichen Hunde betrug der Brechungsexponent
des Plasmas 1,3482, was 7,1°/o Eiweiss entsprechen würde.
Bei Leukocytenzählungen an zehn:Hunden fand J. Pohl!) nach
meiner Berechnung Werte zwischen 8,32 und 21,90, im Mittel 15,43 Taus,,
C. Klieneberger und W. Carl bei der gleichen Anzahl von Hunden ver-
schiedener Rassen dagegen Werte von 5,13—14,10, im Mittel 10,56 Taus. (a. a. O.
S. 50), die also um etwa 30°%o niedriger sind. Während ferner Pohl eine
beträchtliche Verdauungsleukocytose nach Fleischfütterung mit einer Zu-
nahme der Leukocyten von durchschnittlich 78° beobachtete, konnten
Klieneberger und Carl eine solche Leukocytose nicht nachweisen, also
auch in dieser Beziehung Widersprüche.
Genauere Angaben über das prozentige Verhältnis der Leuko-
cytenarten finde ich nur bei Klieneberger und Carl, welche im
Mittel 15,6% Lymphocyten, 2,8% mononukleäre und Übergangsformen,
17,36% polymorphkernige neutrophile, 4,2% eosinophile und 0,04% baso-
phile fanden (a. a. O. S. 53).
Bei einem Rückblick auf die mitgeteilte Literatur ergeben sich
in mancher Beziehung Widersprüche und Lücken, die allmählich gelöst
und ausgefüllt werden müssen; einen Beitrag dazu sollen die folgenden
Untersuchungen liefern.
3. Neue Untersuchungen.
Da bei diesen Untersuchungen die Methodik eine ausschlaggebende
Rolle spielt, sei etwas genauer darauf eingegangen: dann erst sollen
die mit dieser Methodik erzielten Resultate mitgeteilt werden.
a) Methoden.
Die Beschaffung der Versuchstiere war in den Monaten Dezember
1918 bis Februar 1919, in welchen ich die Versuche vornahm, mit
Schwierigkeiten verknüpft. Pferde und Rinder standen mir bei der
Militärverwaltung zur Verfügung, die Hunde wurden mir von Privat-
besitzern meist erst nach langen Verhandlungen überlassen. Sämtliche
Versuchstiere waren gesund und nicht trächtig.
Die äusseren Umstände bei der Blutentziehung sind nicht so
konstant zu erhalten wie bei Blutuntersuchungen am Menschen. Die
Beleuchtung in den Ställen war meist so ungenügend, dass ich die
Blutentziehung im Freien vornehmen musste, wobei sich unter Um-
ständen die Kälte störend geltend machte. Dazu kam die Unruhe
der Tiere. Trotz ‘alledem liessen sich aber doch brauchbare Resultate
erzielen.
1) J. Pohl, Über Resorption und Assimilation der Nährstoffe. Archiv
für experiment. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 25 S. >34. 1889.
Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 271
Beim Pferde wurde das Blut mit einer Hohlnadel aus der Jug ular-
vene entnommen, beim Rind und Hunde schnitt ich die Ohrvene
vom Rande der Ohrmuschel her an und erhielt so immer reichlich
Blut. Nur in zwei Fällen bei Rind Nr. 1 und 2, entnahm ich das
Blut aus den durchschnittenen Halsgefässen, kam aber davon wieder
ab, weil der Strom des Blutes zu stark ist. Nach Untersuchungen
Bürker’s!) ist es wenigstens beim Menschen gleichgültig, ob man
das Blut den Kapillaren der Fingerkuppe, des Ohrläppchens oder den
Venen der Ellenbogenbeuge entnimmt, der Hämoglobingehalt und
die Erythrocytenzahl erweist sich als gleich. Anders kann dies freilich
mit der Leukocytenzahl sein, wie dies auch aus den S. 266 erwähnten
Versuchen von A. Rössle hervorgeht.
Das ausgetretene Blut wurde auf einem ausgehöhlten Paraffin-
blocke aufgefangen, nachdem in die Höhlung etwas Hirudin zur Ver-
hinderung der Gerinnung gebracht worden war. Der Einfluss gelösten
Hirudins auf den Brechungsexponenten des Plasmas wurde unter-
sucht. Das Blut direkt aus der Wunde zu entnehmen, ging bei der
Unruhe der Tiere nicht an. Die Verdünnung und Herrichtung des
Blutes zu den Bestimmungen geschah an Ort und Stelle, die Be-
stimmungen selbst wurden im physiologischen Institut vorgenommen.
Zur Erythrocytenzählung wurde das. Blut 200fach mit Hayem-
scher Lösung verdünnt, wobei zur scharfen Einstellung der Blutsäule
auf die Marke der Blutpipette eine Lupe verwendet wurde. Verdünnung
und Zählung geschah nach der Bürker’schen Methode ?), die sich
für die vorliegenden Untersuchungen als besonders brauchbar erwiesen
hat, da in dem verschlossenen Kölbchen das verdünnte Blut einwands-
frei transportiert werden kann, was für die Mischpipette nicht zutrifft.
Ausgezählt wurden jeweils 320 Quadrate und das Resultat in die
Zählschemata eingetragen. Der mittlere Fehler jeder einzelnen Zählung
beträgt etwa 2%.
Zur Hämoglobinbestimmung wurden 25 cmm Blut zu 2475 cmm
Ö,1%iger Sodalösung hinzugefüst, das Blut also 100fach verdünnt.
Die Verdünnung wurde in einem ähnlichen Glaskölbcehen, wie es zur
Aufnahme der Blutmischung bei der Blutkörperchenzählung dient,
vorgenommen. Die quantitative Bestimmung in dieser Lösung geschah
mit dem Hüfner’schen Spektrophotometer durch Ermittlung des Ex-
tinktionskoeffizienten €’, im Wellenlängengebiet 535,6—542,1 uu, also
in der Region des nach Grün zu gelegenen Absorptionsstreifens des
Hb—0O,, wobei
eo, = — log cos?o,
© aber den Drehungswinkel des Analvsators bedeutet. Aus diesem
1) Dieses Archiv Bd. 167 S. 143. 1917.
2) Tigerstedts Handb. der physiol. Methodik Bd. 2 Abt. 5 S. 57. 1913.
Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 170. 1S
‘
ID
12 IP Kkuchele
Extinktionskoeffizienten und dem Absorptionsverhältnis A’, ergab sich
dann die Konzentration c, also die Menge des Oxyhämoglobins in
Gramm in 1 ccm Lösung, zu |
c=eEyA),
und daraus endlich unter Berücksichtigung der 100fachen Verdünnung
des Blutes C, also die Menge des Oxyhämoglobins in Gramm in 100 cem
Blut.
Der Apparat ist von Herrn Professor Bürker mit kristallisiertem
Hämoglobin auf absolute Werte geeicht, A’, wurde zu 1,25-10 ge-
funden. Vor jeder Hämoglobinbestimmung wurde die Prüfung der
beiden Lichtbündel auf Gleichheit mit dem in diesem Archiv Bd. 167
S. 144 beschriebenen Rauchglas vorgenommen. Der mittlere Fehler
der Bestimmung beträgt etwa 1%.
Aus der Hämoglobinmenge und der Erythrocytenzahl, welche in
l cemm Blut enthalten ist, ergibt sich dann leicht der Gehalt eines
Erythrocyten an Hämoglobin, er sollin 10 ”1? g angegeben werden.
Auch die Leukocytenzählung geschah nach der Bürker’schen
Methode !). Es wurden also 25 cmm Blut zu 475 emm Türk ’scher
Lösung, welche die Erythrocyten auflöst, die Leukocyten aber leicht
anfärbt, hinzugefügt und damit eine 20fache Verdünnung des Blutes
vorgenommen. Um möglichst viele Leukocyten zur Zählung zu bringen,
wurde die Kammerhöhe durch Auflegen eines mit einem Einschliff
von 0,100 mm versehenen Deckglases verdoppelt. Ausgezählt wurden
125 Quadrate in der einen und ebensoviele in der anderen Abteilung
der Zählkammer und die Zählresultate in die Schemata eingetragen.
Die ermittelte Gesamtzahl war nur noch mit 10 zu multiplizieren,
um die Zahl der Leukocyten in 1 cmm Blut zu erhalten. Die Türk ’sche
Lösung ist verbesserungsbedürftig, sie gibt manchmal störende Eiweiss-
niederschläge in dem verdünnten Blut.
Zur Differenzierung der Leukocyten wurde ein mit einem
paraffinierten Glasstab übertragenes Tröpfchen Blut ganz zwischen
zwei 20x25 mm grosse Deckgläschen aufgenommen, die je nach der
Grösse des Tröpfchens mehr oder weniger zur Deckung gebracht und
dann rasch auseinander gezogen wurden. Das Blut auf einem Objekt-
träger mit Hilfe eines zweiten Objektträgers oder Deckgläschens aus-
zustreichen, wie es vielfach geschieht, empfiehlt sich nicht, da auf
diese Weise ein Teil des Blutes nicht in das Präparat eingeht, und
da ferner bei der grossen Klebrigkeit der Thrombocyten eine ganz
ungleichmässige Verteilung dieser Gebilde zustande kommt. Die beiden
lufttrockenen Präparate wurden nach der Pappenheim’schen Methode
1) Tigerstedts Handb. der physiol. Methodik Bd. 2, Abt. 5, S. 111. 1913.
2) A. Pappenheim, Grundriss der hämatologischen Diagnostik und
praktischen Blutuntersuchung S. 248. Verlag von Dr. W. Klinkhardt,
Leipzig 1911.
Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 9273
(kombiniertes May-Grünwald-Giemsa- Verfahren) gefärbt, und zwar
mit folgenden geringfügigen Abänderungen: Das im Uhrschälchen be-
findliche Präparat wurde mit May-Grünwald-Lösung unterschichtet
und 3 Minuten fixiert, durch Zufügen der doppelten Menge destillierten
Wassers 1 Minute lang vor-, dann mit Giemsa-Lösung (6 Tropfen
auf 4 ccm destilliertes Wasser) 7 Minuten lang nachgefärbt, abgespült,
getrocknet und in neutralen Kanadabalsam eingebettet. Die Präparate
zeigten meist eine schöne Färbung. Die Erythrocyten des Rinder-
blutes waren häufig nicht gut konserviert, sie zeigten wie in der
Hayem’schen Lösung so auch im Blutausstrich, also im unverdünnten
Blut, Neigung zur Agglutination und zu Stechapfelformen.
Bei der Differentialzählung, die mit Ölimmersion und Kreuz-
tisch vorgenommen wurde, bereitete im allgemeinen die Untersuchung
der einzelnen Leukocytenformen in den drei Blutarten keine Schwierig-
keiten; nur bei den grösseren Lymphocyten und den kleineren mono-
nukleären Leukocyten und Übergangsformen entstanden manchmal
Zweifel. Es wäre erwünscht, zur besseren Unterscheidung Differential-
färbungen vorzunehmen, leider fehlte es mir dazu an Zeit. Im ganzen
wurden bei jeder Differentialzählung 300—400 Leukocyten berück-
sichtigt.
In dem gleichen Blutausstrichpräparate, in welchem die Differential-
zählung der Leukoeyten vorgenommen wurde,wurde auch die Thrombo-
eytenmenge annähernd geschätzt.
Was endlich noch die Bestimmung des Brechungsexponenten
des Plasmas und damit die Schätzung des Eiweissgehaltes betrifft,
so wurde zunächst zur Gewinnung des Plasmas folgendermaassen
verfahren.
In ein 30 mm langes, 4 mm weites, unten zugeschmolzenes Glas-
röhrchen wurde eine Spur Hirudin gebracht, mit Hilfe einer Pipette
das Blut eingefüllt und mit dem Hirudin gemischt, worauf das Röhr-
chen mit einem Stopfen verschlossen wurde. Im Institut wurde dann
das Blut, dessen Gerinnung durch das Hirudin fast immer verhindert
wurde, etwa 5 Minuten zentrifugiert, das klare hämoglobinfreie Plasma
mit Hilfe einer Pipette abgehoben und direkt zur Untersuchung ver-
wendet. Mit Hilfe des Bürker’schen Vergleichsspektroskops wurde
geprüft, ob in der Tat auch Hämoglobinfreiheit bestand.
Zur Ermittlung des Brechungsexponenten diente das Pulfrich’sche
Eintauchrefraktometer der Firma Zeiss in Jena, und zwar mit dem
Hilfsprisma zur Untersuchung kleiner Substanzmengen. Nach der
Einfüllung des Plasmas wurde das Refraktometer in das Temperierbad
gebracht und der Brechungsexponent nn bei 17,5° C. bestimmt. Mit
Hilfe der der Beschreibung des Apparates beigegebenen Reiss’schen
Tabelle wurde endlich der Eiweissgehalt aus dem Brechungsexponenten
15 *
274 P:Ktuhll:
berechnet. Untersucht wurde bei Tages- und künstlichem Licht unter
Benutzung des Kompensators zur Beseitigung des farbigen Saumes.
Von Zeit zu Zeit wurde mit destilliertem Wasser geprüft, ob die Grenz-
linie entsprechend dem Brechungsexponenten dieses Wassers, wie ver-
langt, scharf auf Skalenteil 15,0 einstand.
Die Methode ist so genau, dass die Ablesungen bei sorgfältigem
Arbeiten nur um 0,1 Skalenteil schwanken, was im Mittel 3,7 Einheiten
der fünften Dezimale von np entspricht. Für unsere Zwecke genügt
die Angabe von vier Dezimalen.
Da nun dem Blute zur Verhinderung der Gerinnung Hirudin zu-
gefügt wurde, Hirudin aber ein dem Eiweiss nahestehender Körper
ist, so war noch festzustellen, welchen Einfluss dieser Stoff auf
den Brechungsexponenten ausübt. Zu dem Zwecke wurde zu
einer entsprechenden Menge doppelt destillierten Wassers eine ent-
sprechende Menge Hirudin zugefügt und dann der Brechungsexponent
der Lösung bestimmt. Es zeigte sich, dass, wenn einige Schüppchen
Hirudin wie normal zugesetzt wurden, der Brechungsexpönent des
reinen Wassers von 1,33320 auf 1,33328 anstieg, bei abnorm grossen
Mengen auf 1,33331, also höchstens um 0,008 %. Da nun der Brechungs-
exponent des Plasmas der untersuchten Tiere im Mittel 1, 490 beträgt
und damit gegenüber dem des destillierten Wassers eine mehr als
100mal grössere Zunahme, nämlich um etwa 1%, aufweist, so kann
das Hirudin einen wesentlichen Einfluss auf den Brechungsexponenten
nicht ausgeübt haben.
Noch ist eines im Giessener Institut eingeführten Schränkchens
zu gedenken, das ich zum Transport der Blutentziehungs-
und Verdünnungsapparate, der Verdünnungsflüssigkeiten
und des Blutes selbst, des verdünnten und unverdünnten, mit
Hirudin versetzten, verwendet habe, und das mir gute Dienste geleistet
hat; spielt doch der einwandfreie Transport bei solchen Blutentziehungen
ausserhalb des Hauses zur Gewinnung brauchbarer Werte eine wesent-
liche Rolle.
Ein mit einem Griff und einer verschliessbaren Türe versehenes
Schränkchen aus Holz von 28 cm Höhe, 23,5 em Breite und 11,5 cm Tiefe
ist innen in drei Abteilungen geschieden (Abb. 1)').
In die unterste Abteilung ist ein Kästchen eingeschoben, welches das
Instrument zur Blutentziehung, die Pipetten, ein möglichst fäserchenfreies
Leinentuch, den ausgehöhlten Paraffinblock, eine Tube mit Hirudin und
mehrere entfettete Pferdehaare zur eventuellen Reinigung der Blutpipetten
enthält.
In der darüber befindlichen Abteilung sind fünf Gläschen mit destilliertem
Wasser, Äther-Alkohol aa, Hayem’ scher, 0. 1%oiger Soda- und un scher
Lösung untergebracht.
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1) Die Skizze verdanke ich Fräulein M. H. Mülberger.
Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 275
In die oberste Abteilung sind
zwei Brettchen nebeneinander
eingeschoben, von denen jedes,
mit entsprechenden Aushöhlun-
gen versehen, zur Aufnahme
zweier Deckglasausstrichpräpa-
rate, eines Kölbchens mit Blut-
mischung zur Erythrocyten-,
Leukocytenzählung und Hämo-
globinbestimmung und endlich
eines Röhrchens mit unverdünn-
tem Blut bestimmt ist.
Bei einiger Sorgfalt lässt
sich das Schränkchen samt
Inhalt leicht so transportieren,
dass das Blut, das verdünnte
und unverdünnte, nicht an die
Stopfen der Gläschen gelangt.
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b) Resultate. mp Y
Aus den genannten äusse- Abb. 1.
ren Gründen musste ich mich
“auf die Untersuchung des Blutes von zehn Pferden, zehn Rindern
und zehn Hunden beschränken.
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Das Blut der Pferde.
Versuche vom 12. Dezember 1918 bis 8. Januar 1919, vom
4. und 8. Februar 1919 (siehe umstehende Tabelle).
Was zunächst die Erythrocytenzahl der Pferde betrifft, so
weist das Fohlen mit 8,55 Mill. den höchsten Wert auf, was zu
erwarten war. Dieser Wert ist aber wesentlich niederer als der von
früheren Autoren (S. 265) gefundene Mittelwert von 9,40.
Die Zahl für den Hengst liegt mit 6,77 Mill. verhältnismässig noch
tiefer als der aus der Literatur ermittelte Wert 8,57
Für die fünf Stuten ergibt sich als Mittelzahl 7,14 Mill., was
mit den Literaturangaben ungefähr übereinstimmt, dagegen ist die
für die drei Wallache gefundene Mittelzahl mit 6,68 wieder beträchtlich
kleiner als 7,70. Auffallend ist, dass bei den Wallachen kleinere Zahlen
gefunden wurden als bei den Stuten.
Nun darf man freilich aus der beschränkten Zahl von Versuchs-
resultaten nicht zu weitgehende Schlüsse ziehen; so viel scheint aber
doch sicher zu sein, dass die mit der alten Methode ermittelten Werte,
wie es nach den Untersuchungen Marloff’s zu erwarten ist, zu hoch
ausgefallen sind und auch zu schwankend.
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Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 277
Als Mittelzahl berechne ich für das ausgewachsene Pferd ohne
Rücksicht auf das Geschlecht 6,94 Mill.; die beobachteten grössten
Abweichungen liegen mit 6,28 bzw. 7.43 Mill. nur 10 bzw. 7%
von diesem Werte ab. Eine eindeutige Abhängigkeit der Erythrocyten-
zahl vom Geschlecht ergibt sich nicht.
Auch der Hämoglobingehalt des Blutes, der sich noch genauer
feststellen liess als die Erythrocytenzahl, ist relativ konstant. Als
Mittelwert aus allen Bestimmungen finde ich 12,4 g, als niedersten
H,2 g, als höchsten 13,5 g, das sind nur Unterschiede von 10 bzw. 9%.
Ein nennenswerter, durch das Geschlecht bedingter Einfluss ist nicht
nachweisbar: Fohlen 13,2, Hengst 11,4, Stuten 12,6, Wallache 12,3 &
Dasselbe gilt, abgesehen vom Fohlen, auch vom Hämoglobin-
gehalt eines Erythrocyten, der rund 18-101? & als Gesamt-
mittel und als Mittel für Stuten und Wallache beträgt; den niedersten
Wert weist das Fohlen mit 15, den höchsten ein Wallach mit 20 auf,
Marloff (S. 263) fand 19.
Die Leukocytenzahl schwankt den ng entsprechend
stärker, Mittelwert für das erwachsene Pferd 10,30, niederster Wert
8,18, höchster 12,24 Taus., also Unterschiede von 20 bzw. 19%.
Auch hier ist kein eindeutiger Einfluss des Geschlechtes nachweisbar
(Hengst 8,18, Stuten 10,26, Wallache 11,08), wohl aber des Alters:
das Fohlen hat wie üblich einen höheren Wert: 15,54 Taus. Alle
diese Zahlen stimmen noch am besten mit den von Storch ermittelten
und S. 266 erwähnten überein. »
Von den Leukocytenarten wurden im Mittel für das ausge-
wachsene Pferd:
Lymphocyten . . . . . 38% (Hengst 43, Stuten 36, Wallache 39)
Mononukleäre und Über-
sanesiormen‘ ..., 7 20.2 A, Me A 5 3% 5)
Neutrophile Leukocyten 54%, ( „ 50, ,„ Si 52)
Eosinophile Leukocyten 4%, ( ,„ SUEH en, 3% 4)
Basophile Leukocyten < 1%, gezählt.
Auch hier ist ein auf das Geschlecht zurückzuführender Unter-
schied kaum vorhanden, wohl aber wieder ein Altersunterschied,
kenntlich an der Lymphocytose des Fohlens, das volle 66%, Lympho-
eyten bei nur 27%, neutrophilen Leukocyten aufweist, daneben 5%
mononukleäre und Übergangsformen, 2%, eosinophile und unter 1%,
basophile. Interesse verdienen immer wieder die massigen Granula
der eosinophilen Leukocyten des Pferdes. >
Die Seite 266 erwähnten Autoren haben weniger ah ten
(30%), dagegen mehr neutrophile Leukocyten (63%) gefunden.
Die Thrombocyten waren in allen Präparaten in relativ geringer
Menge vorhanden.
BARS BaRsuhle
Recht konstant wurde auch der Brechungse xponent desPlasmas
beim ausgewachsenen Pferd gefunden, im Mittel zu 1,3495 mit grössten
Abweichungen von 0,07 bzw. 0.09% entsprechend Werten von 1,3485
und 1,3507. Das Fohlen weist mit einer Stute den niedersten Wert
von 1,3485 auf, der Hengst 1,3496, Stuten 1,3494, Wallache 1,3496,
also keine in Betracht kommenden Unterschiede. Entsprechend ver-
halten sich die daraus abgeleiteten Eiweissprozente, Mittelwert 7,8.
Als Gesamtergebnis ist beachtenswert, dass die aus-
gewachsenen Pferde eine recht konstante Zusammen-
setzung ihres Blutes aufweisen.
Noch sei eines anämischen Pferdes gedacht, das Herr Professor
Bürker Gelegenheit hatte, am 30. Oktober 1918 zu untersuchen:
1,43 Mili. Erythrocyten, 3,1 g Hämoglobin, 21-1071? & Gehalt eines
Erythrocyten an Hämoglobin, 10.72 Taus. Leukocyter, darunter 13%,
Lymphoeyten, 34%, mononukleäre und Übergangsformen, 53 %, neutro-
phile, unter 1% eosinophile und basophile Leukocyten, Brechungs-
exponent 1,3467, Eiweissprozente 6,3. Bei der Bewegung zeigte das
Tier Atemnot. Die Erythrocytenzahl beträgt also nur ein Fünftel der
Norm, der Hämoglobingehalt ein Viertel, dementsprechend ist der Hämo-
globingehalt eines Erythrocyten von 18 im Mittel auf 21-1071? g ge-
stiegen. Die Gesamtleukocytenzahl ist normal, auch die Zahl der
neutrophilen, dagegen sind die Lymphocyten stark vermindert, die
mononukleären und Übergangsformen schr stark vermehrt, der
Brechungsexponent des stark goldgelb „efärbten Plasmas erreicht
einen so niederen Wert wie bei keinem der bisher untersuchten Pferde.
Das Blut der Rinder.
Versuche vom 9. bis 23. Januar 1919 (siehe nebenstehende
Tabelle).
Leider war es nicht möglich, Kälber und Bullen in grösserer Zahl
zu untersuchen. i
Als mittlere Erythrocytenzahl ergibt sich ohne Rücksicht auf
Geschlecht und Alter 5,72 Mill., der niederste und höchste Wert 4,85
und 6,80 weichen vom Mittelwerte um 15 bzw. 19% ah. Eine Ab-
hängigkeit der Zahl vom Geschlecht besteht nicht: Stierkalb 5,70,
Kühe 5,73, Ochsen 5,67; das Stierkalb war offenbar nicht jung genug,
um die dem jugendlichen Organismus eigentümliche Zusammensetzung
des Blutes aufzuweisen.
Nach den Marloff’schen Untersuchungen war zu erwarten, dass
die mit der Thoma’schen Methode ermittelten Werte zu hoch aus-
gefallen sind. Das ist in der Tat der Fall, wie sich beim Vergleich mit
den früher (S. 267) erwähnten, von Storch und Turowski ge-
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Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht.
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fundenen Werten ergibt, die, abgesehen von den Storch’schen Werten
für die Kühe, um fast 1 Million höher liegen.
Ebenso konstant wie bei den Pferden ist auch der Hämoglobin-
gehalt bei den Rindern. Als Mittel berechne ich 10,8 &; der niederste
Wert 9,8 und der höchste 11,9 weichen davon nur um 9 bzw. 10%, ab.
Ein deutlicher Einfluss des Geschlechts ist nicht ersichtlich: Stierkalb
10,3, Kühe 11,0, Ochsen 10,4. Eine gute Übereinstimmung besteht
mit den S. 268 erwähnten, von Abderhalden gefundenen Werten
19,6 und 10,3 9.
Auch der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten ist nur
geringer Schwankungen unterworfen: Mittlerer Wert 19, niederster 17,
höchster 22-101? g. Marloff fand in einem Falle 18. Stierkalb 18,
Kühe 19, Ochsen 19, also kein Einfluss des Geschlechts nachweisbar.
Die Schwankungen in der Leukocytenzahl sind grösser, der
niederste Wert 6,04 und der höchste 9,88 liegen um 24 bzw. 25% vom
Mittelwerte 7,90 Taus. ab. Stierkaib 9,00, Kühe 7,93, Ochsen 7,23:
Werte von sogar über 9,00 kommen aber auch bei Kühen vor, das
Stierkalb ist eben nicht jung genug, um die Leukocytose des jugend-
lichen Organismus zu zeigen. Meine Resultate stimmen also im all-
gemeinen mit denen der S. 268 genannten Autoren überein, nur ist
der Schwankungsbereich bei meinen Werten kleiner, freilich auch die
Zahl der untersuchten Tiere.
Die Leukocytenformel für das Rind lautet nach meinen Unter-
suchungen: 64%, Lymphocyten, 10% mononukleäre und Übergangs-
formen, 21% neutrophile, 5%, eosinophile und. unter 1% basophile
Leukocyter. Ich finde daher eine noch ausgesprochenere Lymphocytose
bei diesem Tier als die früheren Untersucher (S. 268). Den Angaben
Utendörfer’s, der wie ich Rinder Simmentaler Rasse untersuchte,
kann ich nicht beistimmen. Erfahrungsgemäss herrscht unter den
Rindern sehr häufig Tuberkulose, bei der es aber gerade zu einer
Abnahme der Lymphocyten, wie sie Utendörfer konstatiert hat,
kommt. Im Blute des Rindes Nr. 9 wurden viel Coccen und Stäbchen
gefunden.
Eindeutige, durch das Geschlecht bedingte Unterschiede sind nicht
sicher erweisbar:
Mononukleäre
on ae
Stierkalbir 2, 773 9 12 6 |
Kühe » 0... 65 10 24 5 il!
Ochsen .. 70 le, 13 5 u
Thrombocyten waren immer reichlich in den Präparaten vor-
handen.
Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 281
Als Mittelwert für den Brechungsexponenten des Plasmas
ergibt sich 1,3490 entsprechend 7,6% Eiweiss, als niederster Wert
1,3478, als höchster 1,3507, das sind Abweichungen von 0,08 bzw.
0,13%. Stierkalb 1,3478, Kühe 1,3494, Ochsen 1,3485 im Mittel.
Auffallend ist auch beim Rinde die relativ grosse
Konstanz des Hämoglobingehaltes.
Das Blut der Hunde.
Versuche vom 24. Januar bis 6. Februar 1919 (siehe um-
stehende Tabelle).
Die mittlere Erythrocytenzahl beträgt 6,59 Mill., die Werte
schwanken um diesen Mittelwert von 5,39—7,74 Mill., also um 18
bzw. 17%. Rüden im Mittel 6,50, Weibchen 6,96. Die nicht aus-
gewachsenen Hunde Nr. 1 und 5 zeigen keine höheren Zahlen, sogar
aie niedersten. Der neueste, von Klieneberger und Carl gefundene
Mittelwert liegt mit 7,23 Mill. um 10% höher, was wohl auf den der
Thoma’schen Methode anhaftenden Fehler zurückzuführen ist.
Als niederster Hämoglobingehalt des Blutes wurde 12,9, als
höchster 19,3 & gefunden, Mittelwert aus allen Bestimmungen 15,8,
demnach grösste Abweichungen um 18 bzw. 22%. Rüden im Mittel
15,1 g, Weibchen auffallenderweise 18,6 g. Die nicht ausgewachsenen
Hunde zeigen wie die niedersten Erythrocytenzahlen so auch den
niedersten Hämoglobingehalt. Die Schwankungen sind bemerkenswert
gross, was wohl auf die grosse Variabilität in der Gattung Canis fami-
liaris zurückzuführen ist. Auch die früher (S. 269) genannten Autoren
haben sehr wechselnde Werte beobachtet. Der von Klieneberger
und Carl angegebene Mittelwert, 16,3 g, stimmt ziemlich genau mit
dem meinigen überein.
Der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten beträgt durch-
schnittlich 24, der kleinste Wert 22, der grösste 29; männliche Tiere 23,
weibliche 27. Die jungen Tiere unterscheiden sich nicht wesentlich
von den älteren.
Die Gesamtzahl der Leukocyten beträgt im Mittel 12,60 Taus.,
sie schwankt zwischen den Werten 5,81 und 22,08, von denen der
erste abnorm niedrig ist und ganz allein steht. Rüden 13,43, Weib-
chen 9,29. Das jüngste Tier weist den höchsten Wert auf. Meine
Werte stimmen noch am besten mit denen von Klieneberger und
Carl überein. Inwieweit bei meinen Hunden Verdauungsleukocytose
in Frage kommt, entzieht sich meiner Beurteilung, da ich die Futter-
aufnahme nicht kontrollieren konnte.
Unter den Leukocyten finde ich 25%, Lymphocyten, 8%, mono-
nukleäre und Übergangsformen, 57%, neutrophile, 10%, eosinophile
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|
|
Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. 283
und unter 1%, basophile. Für Rüden bzw. Weibchen sind die Werte
25 und 24, 8 und 10, 56 und 60, 11 und 7, unter 1. Eine Lympho-
cytose ist bei den jüngeren Tieren nicht eindeutig nachweisbar.
Auffallend ist die Eosinophilie. Gegenüber Klieneberger und Carl
finde ich mehr Lymphocyten, mononukleäre und Übergangsformen
und mehr eosinophile, dagegen weniger neutrophile.
Thrombocyten waren in den Präparaten nur in geringer Zahl
vorhanden.
Mittelwert des Brechungsexponenten des Plasmas 1,3454
entsprechend 7,2%, Eiweiss, niederster Wert 1,3469, höchster 1,3503,
also Abweichungen von 0,11—0,14%. Rüden 1,3481, Weibchen 1,3493,
kein eindeutiger Einfluss des Alters.
4. Zusammenfassung.
Die genauere Untersuchung des Blutes von zehn Pferden, zehn
Rindern und zehn Hunden, welche vor allem die Ermittlung abso-
luter Werte zum Ziele hatte, ergab für diese Tierarten die in der
nachstehenden Tahelle mitgeteilten Durchschnittswerte.
H Hämo- Bee
Ery thro- Hämoelobinlelobingehalt Leukocyten-
evten in |-: nr en zahl in
. in 100 ccm | eines Ery-
1 cmm Blut Blut in & | throcyten 1 SERIEN Blut
in Mill. in 10-12 9 | in Taus.
Pienderzunn ee eg 6,94 12,4 18 10,30
Binder... rer 5,12 10,8 19 7,90
Euer 6,59 15,8 24 12,60
|
Leukocytenarten in Prozenten a R
EN ET RE, ng m 2 ©
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= | Mono- e) Su ö © = Thrombo- = = 5 3° ®
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== | Übergangs- 57%, © a za g=*
a formen zZ | = IR
Bterde. 7.217238 4 54 4 <1| wenig 1,3495 | 7,8
Rinder. .| 64 10 21 o |<1I| viel 1,3490 | 7,6
Hunde. .| 25 S 57 10 wenig 1,3484 | 7,2
ar
Von den wesentlichen Blutwerten war das Hämoglobin am ge-
nauesten bestimmbar. Aus den geringen Schwankungen, welche der
Hämoglobingehalt des Pferde- und Rinderblutes aufweist — die ex-
384 P.Kuhl: Das Blut der, Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I.
tremen Werte weichen nur etwa um 10%, vom Mittelwerte ab — muss
man schliessen, dass diese Tiere eine im bezug auf die Erythrocyten
und das in ihnen enthaltene Hämoglobin sehr konstante Zusammen-
setzung ihres Blutes aufweisen. Das gilt nicht vom Hunde, hier sind
die Schwankungen etwa doppelt so gross, was offenbar auf die grosse
Rassenverschiedenheit zurückzuführen ist.
Die ermittelten Erythrocytenzahlen sind niedriger als die von
anderen Autoren gefundenen; da diese Autoren alle mit der zu grosse
Werte angebenden Thoma’schen .Methode gezählt haben, so war
dieses Resultat auf Grund der neueren Untersuchungen über die Methode
der Erythrocytenzählung zu erwarten.
Der so wichtige mittlere Hämoglobingehalt eines Erythrocyten ist
zum ersten Male genauer bestimmt worden, er ist mit 18 bzw. 19-1071? &
nicht wesentlich bei Pferd und Rind verschieden, erreicht aber beim
Hunde den Wert 24, beim Menschen sogar 30-1071? g.
Die ermittelten Leukocytenzahlen entsprechen etwa den von anderen
Autoren gefundenen.
Im Ausstrichpräparat des Rinderblutes fällt die starke Agglutination
der Erythrocyten und die grosse Zahl von Stechapfelformen auf, Er-
scheinungen, die man auch in der Hayem’schen Lösung bei der
Erythrocytenzählung beobachten kann. In diesem Zusammenhange
ist auch der reiche Gehalt des Rinderblutes an Thrombocyten be-
merkenswert.
Bestätigt wird die starke Lymphocytose des Rinderblutes im Gegen-
satze zum Pferde- und Hundeblut.
Der Brechungsexponent des Plasmas ist mit 1,3490 im Mittel bei
allen drei Tierarten nur geringen Schwankungen unterworfen. Er ist
durchschnittlich am grössten im Pferde-, kleiner im Rinder-, noch
kleiner im Hundeblut.
Auffallend ist, dass ein wesentlicher Einfluss des Geschlechtes auf
die Zusammensetzung des Blutes bei den ausgewachsenen Tieren nicht
nachweisbar war. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass bei
den Tieren eine Arbeitsteilung mit Rücksicht auf das Geschlecht nicht
so wie beim Menschen in Betracht kommt, doch bedarf es in dieser
Beziehung noch weiterer Untersuchungen.
Auch ist die genauere Differentialzählung der grossen Lymphoeyten
und der kleineren mononukleären und Übergangsformen bei den drei
Tierarten erwünscht.
Eine neue Methode der intracardialen Druckerhöhung
beimKaltblüter(Froseh),ihreErgebnisse undihrWert
im Vergleich mit den anderen, älteren Methoden )).
Von
Sanitätsrat Dr. Kaempffer, Frankfurt a. M.
(Aus dem Institut für animalische Physiologie zu Frankfurt a. M.,
„Theodor-Stern-Haus“.)
Mit Tafel VI.
(Eingegangen am 7. Mai 1919.)
Anatomisches und Methodisches.
Nach Ecker-Gaupp (Anatom. des Frosches, Abt. II, S. 437ff.) gelangt
die Lymphe aus den grossen, miteinander kommunizierenden Lymphräumen,.
wovon hier vornehmlich der prävertebrale, dorsal vom Herzen gelegene und
durch die Intervertebrallöcher mit den Lymphdrüsen des Wirbelsäulekanals
und der Schädelhöhle in unmittelbarer Verbindung stehende Sinus in Be-
tracht kommt, durch Vermittlung von je zwei vorderen und hinteren
Lymphherzen in das Venensystem. In der vorderen Körperhälfte ist es
die Vena vertebralis, ein Ast der V. jugularis interna, in die sich die
Lymphe ergiesst, um durch diese und weiter durch die V. cava ant. ins
Herz zu gelangen. Es besteht jedoch offenbar in der anatomischen An-
ordnung der Lymph- und venösen Gefässe zueinander für diese Region ein
erheblicher Unterschied zwischen Esculenten und Temporariern. Bei den
letzteren ist nämlich die Verbindung der Lymphräume der Schädelhöhle
mit der V. vertebralis und jugularis eine direkte, geradere und kürzere, bei
den ersteren dagegen scheint in der Regel eine solche unmittelbare.
Kommunikation nicht zu bestehen; die Lymphe gelangt daher bei ihnen
aus dem genannten Raum erst auf dem Umwege über den grossen Prä-
vertebralsinus in die V.V. cavae und ins Herz. Aus diesen anatomischen
Verschiedenheiten ist das verschiedene Verhalten der beiden Froscharten
gegenüber intrakraniellen Einspritzungen herzuleiten. Die luftdichte In-
jektion von Flüssigkeit in die Schädelhöhle hat nämlich bei Esculenten,.
soweit es sich um kleinere Quanten handelt, zunächst keine kardialen
Folgen; grössere Mengen, auf einmal oder nach und nach eingespritzt, be-
wirken ein Emporsteigen der Herzunterlage durch Ansammlung der In-
jektionsflüssigkeit in dem hinter dem Herzen gelegenen Teil des oben-
1) Die Ergebnisse der letzteren, und zwar sowohl nach fremden als auch.
nach eigenen Untersuchungen, finden sich in der Arbeit des Verfassers:
„Über die Einwirkung der Erhöhung des Intrakardialdruckes auf das Kalt-
blüterherz, zugleich ein Beitrag zu der Lehre von den Herzunregelmässig-
keiten“, Zentralbl. für Herz- u. Gefässkrankh., X. Jahrg. Heft 20—24 und
XI. Jahrg. Heft 2 und 3, ausführlich wiedergegeben. Ebenda findet sich.
auch die einschlägige Literatur.
280 Kaempffer:
genannten Lymphraumes und zugleich damit die zunächst frappierende
Erscheinung einer zuweilen mehrere Zentimeter betragenden Senkung der
Kurvenabszisse. Erst später beginnt auch die Herzhöhle sich stärker zu
füllen. Bei den Temporariern dagegen erscheinen auch die minimalsten
Flüssigkeitsmengen (von 0,2 an) sofort im Herzen, und zwar nur auf dem
Wege der beiden vorderen Hohlvenen, wie daraus hervorgeht, dass nach
Durchschneidung aller drei die Injektionsflüssigkeit nicht aus der hinteren
Vene, sondern nur aus den vorderen herausspritzt.
Will man also diese anatomischen Beziehungen der Schädel- zur Herz-
höhle zur Herbeiführung eines erhöhten Intrakardialdruckes und zum
Studium der dabei am Herzen eintretenden Erscheinungen ausnutzen, so
-wird man sich zunächst an die Rana temporaria halten und die Rana
esculenta, wenn überhaupt, nur zum Vergleich heranziehen. Und zwar
wird das folgende, in einer grösseren Versuchsreihe ausprobierte Verfahren
hierzu empfohlen.
Nach leichter Curarisierung des Versuchstieres wird in der Mittellinie
des Körpers zwischen den Augen mittels einer Präpariernadel oder feiner
Scherenbranchenspitze eine schräg nach hinten und ventralwärts verlaufende
Öffnung durch das Schädeldach gebohrt, eben weit genug, um die Kanüle
einer Pravaz-Spritze passieren zu lassen. Sodann wird das Herz freigelegt
und alles zum Engelmann schen Suspensionsverfahren fertig gemacht, der
Kopf hochgelagert, die Spitze der Kanüle vorsichtig bis in die Schädelhöhle
luftdicht vorgeschoben, die gefüllte Spritze in horizontaler Lage am Stativ
befestigt und ihr Inhalt ohne oder mit Zwischenschaltung eines kurzen
Stückes feinsten Gummischlauches langsam in die Schädelhöhle entleert.
Man kann die Injektionen beliebig. oft wiederholen und, wenn man will,
stundenlang an demselben Herzen arbeiten, da dasselbe in seinen natür-
lichen Verbindungen belassen wurde und seine Ernährungsbedingungen
fast normale blieben. Das Minimum der Injektionsflüssigkeit beträgt, um
ins Herz zu gelangen, (0,2 ccm, das Maximum kann beliebig hoch gewählt
werden; doch tut man gut, zur Vermeidung einer schwereren Schädigung
der Muskulatur und des ganzen Herzmechanismus über 2—3 ccm nicht
hinauszugehen. Es empfiehlt sich ferner, bei den voluminösen Injektionen
das Gummirohrzwischenstück einzuschalten und die Injektion langsam bzw.
in Absätzen vorzunehmen, um dem Herzen die Möglichkeit zu geben, sich
durch verstärkte und ausgiebige Kontraktionen zu entlasten. Nach völligem
Abklingen der Injektionswirkungen, was je nachdem nach 20 Sekunden
bis zu 1 oder auch 2 Minuten der Fall zu sein pflegt, kann man die
Einspritzungen fortsetzen usw. Das neue Verfahren stellt demnach, ohne
Hindernisse stromabwärts, ein gewöhnliches Belastungsverfahren durch Er-
höhung des Einlaufdruckes dar, allmählich geht es aber automatisch infolge
der immer stärker werdenden Füllung des geschlossenen Gefässsystems in
ein Überlastungsverfahren über; fügt man einen teilweisen oder völligen
Verschluss der arteriellen Strombahn mit seinen Hindernissen für die Ent-
leerung des Herzens hinzu, so tritt eine sofortige Überlastung mit ihren
bekannten Folgezuständen für das Herz ein. Es ist noch zu bemerken,
dass die störenden Abwehrbewegungen des nicht curavisierten Versuchs-
tieres nach einer einmaligen grösseren Injektion nach vorausgegangenem,
allgemeinem Strecktetanus oder nach einer grösseren Anzahl schwächerer
Injektionen völlig aufzuhören pflegen und einem Zustand absoluter Muskel-
erschlaffung und Aufhebung aller Reflexe, wohl infolge Ausserfunktionsetzung
des Zentralnervensystems, Platz machen.
Es wurden nach diesem Verfahren an 23 Fröschen, zumeist Tempo-
rariern, 188 Einzelversuche mit Injektionen von 0,1—5,0 cem vorge-
Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 287
nommen, und zwar 154 ohne, 34 mit Abflusshindernissen in der arteriellen
Strombahn, und zusammen 181 cem, also durchschnittlich fast 1 cem
pro Injektion eingespritzt. Die damit erzielten Ergebnisse waren
folgende: Bei den Versuchen ohne Abtlusshindernisse blieben Frequenz
und Zuckungsgrösse 40- bzw. 13mal unverändert, jedoch trat nach-
träglich eine Wirkung auf die Frequenz in 11, auf die Zuckungsgrösse
in 2 Fällen ein, so dass nur 29 bzw. 16 unbeeinflusste Fälle übrig blieben.
Die erfolgreichen Injektionen hatten 65mal eine Frequenzsteigerung,
49mal eine Frequenzabnahme zur unmittelbaren Folge. An diese
primären Wirkungen schlossen sich häufig Nachschwankungen mit
sekundären, tertiären usw. Modifikationen der primären Wirkung an.
Das Verhältnis der beschleunigenden zur verlangsamenden Wirkung
verhielt sich demnach wie 13; 10, oder mit anderen Worten, es über-
wog die erstere nur in geringem Grade. Dies Verhältnis verschiebt
sich noch mehr zuungunsten der beschleunigenden Wirkung, wenn
von den 11 nachträglich beeinflussten Frequenzfällen, von denen oben
die Rede war, 8 Verlangsamungen gegenüber 3 Beschleunigungen,
lie zu den 65 Beschleunigungen hinzutreten, zu den 49 primären Ver-
langsamungen hinzugerechnet werden.
Diese hohe Ziffer der Verlangsamungen hatte, wie wir später sehen
werden, nur in wenigen (8) Fällen in einer Vagusreizung ihren Grund,
in ihrer Mehrzahl dagegen andere, später noch zu besprechende Ur-
sachen.
Eine sofortige Grössenzunahme fand 3lmal gegenüber 105 Fällen
von Grössenabnahme statt. Dazu kamen von den anfänglich un-
beeinflussten Fällen noch 2 Abnahmen, so dass sich das Gesamt-
grössenverhältnis in Ab- und Zunahme wie 31, :1 darstellte, d. h. es
überwog die Abnahme in bedeutendem Grade.
Die Frequenzsteigerung schwankte zwischen 1 und 4 Schlägen,
die Frequenzabnahme zwischen 1 und 5 Schlägen, auf die Zeit von
10 Schlägen vor der Injektion bezogen. Die Zunahme der Zuckungs-
gsrösse bewegte sich zwischen !/,, und !/,, die Abnahme zwischen !/,
und Y, der ursprünglichen Grösse. Bei der Frequenz hielten sich dem-
nach Zu- und Abnahme das Gleichgewicht, bei der Zuckungsgrösse
. dagegen differierten Minima und Maxima um über das Doppelte zu-
ungunsten der Zunahme.
Bemerkenswert war das Verhalten des Herzens gegenüber den
kleinsten Injektionsquanten von 0,1 cem. Schon diese geringste Menge
genügte, um in Ausnahmefällen eine deutliche, sich in einer Änderung,
und zwar einer Zunahme der Schlagfolge, und einer Beeinflussung,
und zwar einer Herabsetzung der Zuckungsgrösse, äussernde Reaktion
hervorzurufen. In der Regel waren allerdings drei Injektionen, in
einigen Fällen sogar noch öfter wiederholte zur Hervorrufung einer
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 19
388 Kaempffer:
Reaktion durch Summierung der dynamischen Einzelwirkung erforder-
lich. Es machte sich dann aber immer schon vor den Erscheinungen
an der Frequenz und Systolengrösse eine deutliche Einwirkung auf
die Abszisse, bestehend in einer zwar minimalen, aber gut messbaren
Senkung derselben, bemerkbar. Diese Senkung war natürlich anders
zu beurteilen als die oben nach kopiösen Einspritzungen erwähnte
und vielleicht auf die durch die Ringer-Lösung veränderte Blut-
beschaffenheit und einen dadurch hervorgerufenen Nachlass des Tonus
der Herzmuskulatur zurückzuführen. Bei der Steigerung des Injektions-
quantums auf 0,25 ccm war der Erfolg stets ein positiver, und zwar
sowohl in bezug auf die Frequenz als auch in bezug auf die Stärke
der Systole, welche beide eine Abnahme oder Zunahme erfahren konnten.
Bemerkenswert waren auch die nach der ersten Injektionswirkung
erfolgenden Nachwirkungen, von denen schon vorher die Rede war.
Es wurden deren in bezug auf die Frequenz 68, in bezug auf die Kon-
traktionsgrösse 82 gezählt. Dieselben bestanden in einem regelmässigen
Wechsel entgegengesetzter Wirkungen, indem Beschleunigung von Ver-
langsamung und umgekehrt gefolgt war. Entsprechend verhielt sich
die Zuckungsgrösse. Ein solcher Wechsel konnte bis zu fünf Malen
auftreten, und kam um so häufiger zur Beobachtung, je mehr Um-
drehungen der Schreibtrommel der Versuch erforderte, aber auch
schon während einer halben Umdrehung (= 30 Sekunden) kam ein
ein- und zweimaliger Wechsel vor.
Die hierunter gegebene Zusammenstellung, in der die Zeichen = > <
Unverändertbleiben, Zu- und Abnahme bedeuten, möge zur Veranschau-
lichung des Gesagten dienen.
Frequenz- Grössen-
nachschwankungen nachschwankungen
Nummer der Kolumne . „| ı 2 > 4 s|s || 3 4|51.6\7
| | REES)
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Primäre Wirkung... 2.|2 = >= -<| == 2 2.
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Nachwirkungen . i (ER
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la | a
Einzelzahlen . . . . . 8316/80101 1 | 21.212): 1152|0) 3
Du mn N — — ne —
Gesamtzahlen.. . . . . 68 82
Es traten also für die Frequenz bis zu vier Malen (Kolumne 6)
und für die Zuckungsgrösse bis zu fünf Malen (Kolumne 4) Nach-
Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 289
schwankungen der gekennzeichneten Art und in der angegebenen
Reihenfolge auf. \
So kam es in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen, in
denen eine primäre Druckwirkung ausgeblieben war, nachträglich zu
einer solchen nach der negativen oder positiven Seite für die Frequenz
wie für die Grösse. Primäre Beschleunigungen gingen in Verlang-
samungen, primäre Verlangsamungen in Beschleunigungen mit und
ohne Wiederherstellung der Ausgangsfrequenz, ja auch mit Über-
schreitung derselben über oder wandelten sich nach vorübergehender
Beschleunigung wieder in Verlangsamungen zurück. Von den primären
Herabsetzungen der Zuckungsgrösse blieb nur ein kleiner Teil nach
einer vorübergehenden Heraufsetzung unverändert, der weit grössere
Teil ging mit und ohne Erreichung der Anfangsgrösse in Grössen-
steigerung über, 20mal über die Anfangsgrösse hinaus. Dagegen blieben
die primären Grössensteigerungen mit verschwindenden Ausnahmen
bestehen.
Das Herz gleicht also einem Pendel, das, durch eine Kraft aus
seinem ruhigen und gleichmässigen Gang gebracht, seine ursprüngliche
Schwingungszahl wiederherzustellen sucht, und bemüht sich, durch
Frequenz- und Grössennachschwankungen das verlorene rhythmisch-
dynamische Gleichgewicht, selbst bis zur Überkorrektur, zurück-
zugewinnen.
Bei den 34 Versuchen mit Abflusshindernissen bestanden die letz-
teren in der Ligatur einer oder beider Aorten bzw. des Truncus aortarum
mit oder ohne vorausgegangene oder nachfolgende Injektion von 1 bis
2 cem R.-L. Die Frequenz blieb hierbei 7mal, die Zuckungsgrösse
keinmal unverändert; 24mal trat primäre Beschleunigung und nur
3mal Verlangsamung ein; dementsprechend betrugen die Abnahmen
der Zuckungsgrösse 28 gegenüber 6 Zunahmen. Es überwog hier also
die Beschleunigung als erste Wirkung der Drucksteigerung in hervor-
ragendem Grade. Das Minimum der Frequenzzu- und -abnahme be-
trug, auf die Zeit von 10 Schlägen vor der Drucksteigerung bezogen,
übereinstimmend Y, Schlag, das Maximum für die Zunahme 7, das-
jenige für die Abnahme 9 Schläge. Für die Kontraktionsgrösse
schwankte das Minimum der Zu- und Abnahme zwischen !/,, und 1/13,
das Maximum zwischen ?/, und */, der Grösse vor den Injektionen.
Es fanden also bedeutende Schwankungen von den Minima zu den
Maxima und umgekehrt statt, die Endwerte selbst aber waren sowohl
bei der Frequenz als auch bei der Zuckungsgrösse nahezu dieselben.
Verschluss einer Aorta mit nachfolgender Injektion brachte für Schlag-
folge und Zuckungsgrösse die positiven, Verschluss des Truncus aorticus
oder beider Aorten + Injektion die negativen Maxima. Sonst zeigten
Frequenz und Grösse durchschnittlich ein entgegengesetztes Verhalten.
19 *
290 - Kaempffer:
Auch hier schlossen sich der ersten primären sekundäre usw.
Drucknachwirkungen an, so dass primär unbeeinflusste Herzen nach-
träglich deutliche Beeinflussung zeigten, Beschleunigungen in Ver-
langsamungen übergingen oder eine noch grössere Beschleunigung
nach vorübergehender Verlangsamung erfuhren, mit und ohne Wieder-
herstellung der Anfangsfrequenz oder auch unter Überschreitung der
letzteren, andererseits, wenn auch seltener, Verlangsamungen sich in
Beschleunigungen verwandelten. Bei der Zuckungsgrösse setzten sich
die Nachschwankungen noch länger als bei der Frequenz fort und
traten bis zu 6mal hintereinander auf. Nachträgliche Steigerung und
Herabsetzung hielten sich das Gleichgewicht. Wiederherstellung der
Anfangsgrösse sowie Überschreitung derselben kamen wiederholt zur
Beobachtung. Auch bei diesen Versuchen zeigte also das Herz das
Bestreben, sich allmählich wieder auf seinen ursprünglichen Rhythmus
einzustellen.
Auch nach dieser Methode der intrakardialen Drucksteigerung kam
es wiederholt zu Arhythmien verschiedener Art. Extrasystolen
traten sechsmal auf, vier nach Injektionen ohne, zwei nach solehen mit
Abflusshindernissen. Sie entbehrten sämtlich einer kompensatorischen
Pause. Bei zweien lag ein nomotoper Extrareiz, der dafür hätte ver-
antwortlich gemacht werden können, nicht vor: die übrigen waren
durch einen Sinusextrareiz hervorgerufen. Drei davon, von der vierten
wird später noch die Rede sein, bildeten den Übergang zu einem
neuen Rhythmus, und zwar zu einem schnelleren an Stelle
des durch die Drucksteigerung herbeigeführten, langsameren. Aus
diesem neuen Rhythmus konnte sich allmählich bei nicht zu grosser
Schädigung des Herzens durch die vorausgegangene Dehnung seiner
Wandungen der ursprüngliche Rhythmus wiederherstellen.
Denn wir fanden ja, dass das Herz das Bestreben hat, nach Über-
windung der Druckschwankungen sich auf diesen wieder einzustellen.
So war es bei dem zu der Kurve la!) gehörenden Herzen, das eine
Anfangsfrequenz von 48 Schlägen hatte, nach beiläufig 18 Injektionen
von je 0,1 eem und 2 Injektionen von je 0,5 cem unter beträchtlicher
Dehnung der Herzhöhlen zu einer geringen Beschleunigung der Schlag-
folge (52 Schläge) gekommen (links von der x-Marke). Nach einer
weiteren Injektion von 1 cem trat eine kurzdauernde, auf dromo- und
inotroper Vagushemmung beruhende und mit ausgesprochener, durch
Rhythmushalbierung verursachter Bradykardie und Herabsetzung der
Zuckungsgrösse einhergehende Irregularitätein (rechts von der x -Marke).
Durch die bei dem ©®-Zeichen einsetzende, einer kompensatorischen
i) Die Kurven sind von links nach rechts zu lesen! Zeit: ein
Doppelschlag des Metronoms (bei einer Umdrehungszeit der Schreibtrommel
von 1 Minute) = 1 Sekunde.
Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 291
Pause entbehrende Extrasystole wurde diese Arhythmie beseitigt und
an ihre Stelle ein schnellerer und regelmässiger Rhythmus gesetzt,
der später in den Anfangsrhythmus (Kurve 1) überging.
Während also sonst durch einen nomotopen Extrareiz bedingte
Extrasystolen mit Notwendigkeit zu einer Änderung des Urrhythmus
führen, ein Vorgang, der für das menschliche Herz nach dem Vorschlag
von Wenckebach (nach Brugsch und Schittenhelm, Lehrb. der
klin. Untersuchungsmeth. 1916 S. 141) als Paraarhythmie bezeichnet
zu werden pflegt, sehen wir sie hier an Stelle einer Arhythmie einen
regelmässigen Rhythmus zum Endzweck der Wiederherstellung des
Urrhythmus einleiten, also eine in Berücksichtigung dieses Endresultates
entgegengesetzte Funktion ausüben.
Für die beiden anderen, ebenfalls einer kompensatorischen Pause
entbehrenden, aber nicht durch einen nomotopen Extrareiz entstandenen
Extrasystolen lagen insofern abnorme Verhältnisse vor, als sie von
einem Herzen, das einem kranken, mit starkem Blutabgang aus Nase
und Maul behafteten Tier angehörte, herrührten. Wohl deshalb hatte
dasselbe die für einen Sommerfrosch relativ niedrige Frequenz von
40 Schlägen (Kurve 2). \
Nach Injektion von zusammen 3 ccm R.-L. auf zweimal trat Disso-
ziation von Vorkammern und Kammer mit langem Still-
stand der letzteren (Herzblock) ein und erst nach 30 Sekunden
eine Vs, der nach einer nur wenig kürzeren Pause eine zweite folgte
(Kurve 2a). Während der Ventrikelkontraktion schlug der Vorhof,
dessen Kurve in dem flachen Buckel auf dem aufsteigenden Schenkel
der Ventrikelkurve bei dem -+-Zeichen sich kenntlich macht, in seinem
alten Tempo (ab = bc) weiter: An diesem Herzen traten später, durch
lange Pausen, die nur von As As eingenommen waren, von der letzten
Vs und voneinander getrennt, ohne jede weitere Druckerhöhung, also
als Fernwirkung der zuletzt vorgenommenen noch zwei Extra-
systolen in Form der Bigemini, deren eine in der Kurve 2b
wiedergegeben ist, auf. Auch diese beiden Extrasystolen entbehrten
also einer kompensatorischen Pause, waren aber nicht durch einen
vom Sinus herabgekommenen Extrareiz hervorgerufen. , Wäre
dies der Fall gewesen, so hätte der im Vorhofrhythmus sich wider-
spiegelnde Grundrhythmus eine Veränderung erfahren müssen. Dies
ist aber nicht der Fall: ab=bc=cd, d. h. der Vorhof schlägt in un-
geändertem Tempo weiter. Es handelte sich also bei sofort wieder
unterbrochener Leitung um einen heterotopen, wahrscheinlich vom
Ventrikel selbst infolge eines momentanen Erwachens seiner Automatie
ausgegangenen Extrareiz. Ein solcher hätte aber nur dann, wenn die
bei a wiederhergestellte Leitung überhaupt nicht wieder unterbrochen
worden wäre, zu einer kompensatorischen Pause führen können.
2392 Kaempffer:
Ausser den Extrasystolen traten nach den Injektionen ohne Wider-
stände im arteriellen System noch an drei Herzen Unregelmässig-
keiten auf, welche mit den bereits beschriebenen einerseits identisch
oder doch ihnen ähnlich andererseits davon ganz verschieden
waren. Das erste Herz, das eine Anfangsfrequenz von 46 Schlägen
(Kurve 3) hatte, reagierte auf 3 Injektionen von je l cem mit einer
Verlangsamung der Schlagfolge, die, auf die Zeit von 10 Schlägen
vor den Injektionen bezogen, 2 Schläge ausmachte (Kurve 3a).
Diese Verlangsamung beruhte jedoch nicht auf einer chrono-, sondern
auf einer dromotropen Vagushemmung, und zwar nicht zwischen
Vorhof und Ventrikel, wie in der Regel, sondern zwischen Sinus
und Vorhof. Denn die Kurvenstrecke Oex gehört nur dem Sinus
und nicht teilweise auch dem Vorhof, dessen Kontraktion erst bei
den Marken x beginnt, an. Noch deutlicher sind diese Verhältnisse
auf der Kurve 3b wiedergegeben.
An diesen Sinuskurven fällt zweierlei, ihre im Vergleich zu der-
jenigen der Sinuskurven sowohl der Normalkurve (bei Sis) als auch
der Kurve 3b (ebenfalls bei Sis) ausserordentliche Länge und ihr
stufenförmiges Ansteigen, auf. Die erstere erklärt sich für das Stück Oe
ohne weiteres aus der infolge der Leitungsaufhebung eingetretenen
Verlängerung der Herzpause, das letztere kann nur dadurch entstanden
sein, dass an den mit ee bezeichneten Stellen, also lange vor Ablauf
der eben bestehenden Reizperiode ein wiederholter Sinusreiz, d.h. ein
Extrareiz eintraf, der den Sinus zu einer zweiten Kon-
traktion brachte und die Schreibhebelspitze und mit ihr die Sinus-
kurve noch höher steigen liess. Durch diesen zweiten, wirksamen
Reiz wurde die nach jeder Ventrikelsystole aufs neue unterbrochene
Reizleitung immer wiederhergestellt und somit das Herz in den Stand
gesetzt, eine geordnete Tätigkeit, wenn auch unter starker Verlang-
samung der Schlagfolge aufrechtzuerhalten. Wie man sieht, war
dies ohne diese beträchtliche, zeitliche Verschiebung der motorischen
Impulse, wie sie durch die Kurvenzeichnung veranschaulicht wird,
nicht möglich. Zu der ungewöhnlichen Länge auch des zweiten, höher
gelegenen Stückes der Sinuskurve trug offenbar eine noch fortbestehende
Leitungserschwerung zwischen Sinus und Vorhof und zugleich auch
eine bathmotröpe Hemmung der Sinusmuskulatur mit Verlangsamung
des Kontraktionsablaufs bei.
An demselben Herzen trat dieselbe Störung (Aufhebung der Leitung
zwischen Sinus und Vorhöfen) im weiteren Verlauf des Versuchs
(Kurve 3b) nicht nach jeder Vs, sondern nach zwei, drei und mehr
Vs Vs auf, so dass es zur Bildung von verschieden langen Gruppen
(die nur teilweise in der Kurve vertreten sind), kam. Die abnorme
Länge der Sinuskurve, ihre Zusammensetzung aus zwei Stücken, einem
Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 293
mehr horizontal verlaufenden Anfangs- und einem leicht bogenförmig
ansteigenden und von dem ersten durch eine deutliche Stufe sich ab-
setzenden Endstück und endlich die Wiederherstellung der Reizleitung
durch den bei e eintreffenden Sinusextrareiz sind auf dieser Kurve
besonders anschaulich dargestelt. Auch hier leitete der nomotope
Extrareiz keinen von dem vorhergegangenen verschiedenen Rhythmus
ein, sondern er diente wie dort dazu, das Herz in den Stand zu setzen,
seine Tätigkeit nach jeder Unterbrechung in dem bisherigen, für die
sämtlichen Gruppen einen Einheitsrhythmus darstellenden Rhythmus,
und zwar ebenfalls unter starker zeitlicher Verschiebung der Reiz--
intervalle, wie die Einzeichnung (/, /I, III) der Reizperioden der ver-
schiedenen Gruppen zeigt, immer wieder aufzunehmen.
Von den Gruppen ist die erste durch eine bei dem @-Zeichen be-
einnende Extrasystole, die letzte der bei diesen Versuchen beobach-
teten E. S., ausgezeichnet. Da unmittelbar nach derselben die leitende
Verbindung zwischen Reizzentrum und Herz unterbrochen wurde und
schon aus diesem Grunde die Bildung einer kompensatorischen Pause
unmöglich gewesen sein würde, so lässt sich nicht sagen, ob der Extra-
reiz ein nomo- oder heterotoper war. Immerhin ist es, da hier, wie
aus der Kurve hervorgeht, das seltene Vorkommnis einer mit Vorhofs-
systole kombinierten Extrasystole des Ventrikels vorliegt.
wahrscheinlich, dass der dazugehörige Reiz vom Sinus herabkam, also
ein nomotoper war.
Bei dem zweiten Herzen stellte sich nach drei Injektionen jedesmal
typische, chronotrope Vagushemmung ein. Auf die vierte, kopiöse
Injektion von 3 ccm antwortete es mit einer während mehrerer Minuten
anhaltenden, dromotropen Hemmung. Dadurch kam es zu Brady-
kardie durch Rhythmushalbierung (Kurve 4), zur Bildung
von Pseudobigeminis durch Einschiebung von Vs-Kurvenpaaren
und endlich zur Dissoziation von Vorhöfen und Ventrikeln
mit abwechselnd inkomplettem (partiellem) und komplettem
Herzblock. An der hierher gehörigen Kurve 4a, die einen Ausschnitt
aus einem zu Ende gehenden, kompletten Herzblock bringt, ist die
eigentümliche Erscheinung des treppenförmigen Ansteigens der
As-Kurven wahrzunehmen.
Dieselbe war, wie eine aufmerksame Beobachtung des Vorgangs
ergab, darauf zurückzuführen, dass das mit jeder As dem Ventrikel
zugeführte, von ihm aber nicht ausgetriebene Flüssigkeitsguantum das
Gewicht desselben ansteigen und diese im Vorhofsrhythmus erfolgende
Gewichtszunahme des Ventrikels die Spitze des Schreibhebels durch
Zug an seinem hinteren Ende in demselben Rhythmus höher und höher
steigen und zeichnen liess, bis durch eine Vs dem Spiel ein Ende ge-
macht wurde.
294 Kaempfter:
Bei dem dritten Herzen trat bereits nach zweimaliger Injektion
von je 1 ccm als Reaktion eine bei diesen Versuchen noch nicht be-
obachtete Unregelmässigkeit, nämlich Herzalternansein. Es handelte
sich um einen regelmässigen Wechsel von grösseren und kleineren,
und zwar vollständig ausgebildeten, mit Vorhofs- und Ventrikel-
zeichnung versehenen Pulsen. Dieselben entsprachen demnach (Kurve5a)
je einer vollen Herzrevolution und hatten mit Pseudoalternantes, durch
Bigeminie hervorgerufen, nichts zu tun, genügten also, um als echte
Alternantes angesprochen werden zu können, den über das Wesen
des Herzalternans heute wohl allgemein gültigen Anschauungen.
(H. E. Hering, Das Wesen des Herzalternans, Münchner med. Wochen-
schrift 1908 Nr. 13; derselbe, über dasselbe Thema ebenda 190%
Nr. 11; K. F. Wenckebach, Die unregelm. Herztätigkeit und ihre
klin. Bedeutung 1914 S. 198#f.; F. B. Hoffmann, Über die Änderung
des Kontraktionsablaufs an Ventrikel und Vorhof des Froschherzens,
Pflüger’s Archiv Bd. 47. 1891, zitiert von Wenckebach a. a. O.;
Boer, S. de (Physiol. Inst. Amsterdam), Herzalternans (scilic. des
Frosches). Zentralbl. f. Physiol. Bd. 30 S. 149. 1915, ref. im Zentralbl.
f. Herz- und Gefässkr., VII. Jahrg. Nr. 13, u. a.). Immerhin zeigte
unser Alternans einige Abweichungen von der klassischen Form des
Alternans, die hier an der Hand der Kurve kurz beschrieben und er-
klärt werden mögen. Die As vor der höheren Vs war nämlich von
(messbar) längerer Dauer als diejenige vor der niedrigeren Vs, und der
zu der ersten As gehörige Sinusreiz traf bedeutend früher ein als der
zu der zweiten gehörende. Ein Vergleich mit der folgenden Normal-
kurve zeigt, dass ein späteres Eintreffen des Reizes und ein schnellerer
Ablauf der As hätten erwartet werden sollen. Trotzdem war die Länge
dieser Alternantes (vom Beginn der höher gelegenen As bis zu dem-
jenigen der nächsten, gleich hoch gelegenen reichend) dieselbe wie die
Entfernung zweier aufeinander folgender, tiefer gelegener As As, und
dieselbe wie die Länge der beiden letzten Vollpulse der Normalkurve.
Dies wurde dadurch erreicht, dass der. Ablauf der niedrigeren Vs um
ebensoviel schneller als der der höheren Vs vor sich ging, wie der
Ablauf der höher gelegenen As langsamer im Vergleich zu dem der
niedriger gelegenen. Dies wiederum aber konnte nur dadurch ermög-
licht werden, dass die zweite Vs durch das frühere Eintreffen des zu
der ersten Vs gehörenden Sinusreizes in einem früheren Entwicklungs-
stadium abgebrochen und ihre Zeitdauer dadurch abgekürzt wurde.
So wurde zugleich auch die Gleichheit der physiologischen Reizperiode
zwischen Normal- und alternierenden Schlägen immer wiederher-
sestellt. Die Alternantes kamen also durch zwei einander parallel
laufende, miteinander abwechselnde und nur durch eine minimale Längen-
differenz ihres Zeitintervalls verschiedene Sinusrhythmen zustande.
Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 295
Wenckebach, ‘der früher ‚den Alternans beim Menschen auf
geschädigte Kontraktilität des Herzmuskels zurückzuführen‘ suchte,
ist neuerdings (a. a. ©. S. 202ff.) mehr geneigt, „das Alternieren auf
den Inhalt (die Füllung) des Herzens, auf den Blutstrom, auf den
arteriellen Widerstand‘ zurückzuführen und dasselbe als den Ausdruck
eines alternierenden Schlagvolumens anzusehen. In unserem Falle
verschwand der Alternans nach Ausweis der Kurve gerade nach Ver-
stärkung des arteriellen Widerstandes durch Unterbindung der einen
Aorta und machte einem regelmässigen Herzschlag Platz.
In wie hohem Grade übrigens eine individuelle Disposition für
eine bestimmte Art der Arhythmien auch beim Frosch besteht, be-
weist der Umstand, dass der Alternans während der ganzen, °/, Stunden
in Anspruch nehmenden Dauer des Versuchs sowohl spontan als auch
nach der Wiederholung der Drucksteigerungen immer wieder in der-
selben Form sich einstellte.
Bei den Versuchen mit arteriellen Abflusshindernissen traten, ab-
gesehen von den bereits erwähnten zwei Extrasystolen, noch an zwei
Herzen Unregelmässigkeiten auf. Bei dem ersten war der Injektion
von viermal je 1 ccm die Ligatur der einen Aorta hinzugefügt worden.
Es war dadurch zu einer bedeutenden Dehnung des Herzens gekommen;
zugleich setzten lange anhaltende Irregularitäten vom Typus der Reiz-
leitungsstörungen, also Bradykardie infolge Ausfalls je der
zweiten Vs, inkompletter und kompletter Herzblock und
Gruppenbildung durch Vs-Ausfall hinter zwei, drei und mehr einander
im Normalintervall folgenden Herzrevolutionen ein.
Bei dem zweiten Herzen war nach der Ligatur beider Aorten eine
zweimalige Injektion von je 1 ccm vorgenommen worden. Auch hier
war es infolgedessen zu einer starken Herzwanddehnung gekommen,
und das Herz, dessen Schlagfrequenz vor der Aortenligatur 62 pro Mi-
nute betrug, und dessen Normalkurve (Kurve 6) eine gute Herzmuskel-
kraft mit ausreichender Hubhöhe auswies, zeigte nach derselben eine
Frequenzsteigerung, die, auf die Zeit von 10 Schlägen der Normalkurve
bezogen, 11, Schläge betrug, und zugleich ein Sinken der Hubhöhe
auf nahezu ein Drittel der ursprünglichen (Kurve 6a). Doch war
das Herz imstande, während eines Zeitraums von kaum 2 Minuten
durch gewaltsame, bis zur äussersten Kraftentfaltung getriebene Kon-
traktionen von seinem Inhalt so viel durch seine Wandungen hindurch-
zupressen, dass es mehr Aktionsfreiheit erhielt und seine Hubhöhe
auf über die Hälfte der Ausgangsgrösse bringen konnte, während seine
Schlagfrequenz infolge des ausserordentlich langsamen Kontraktions-
ablaufs auf 30 pro Minute herunterging. Gleichzeitig war der merk-
würdige Vorgang zu beobachten, dass auf der Höhe der Ventrikel-
systole eine neue, kleinere, systolische Erhebung, deren Kurve der
"296 Kaempffer:
der Vs superponiert war, erfolgte, und dass dieselbe nicht dem Ventrikel,
sondern den Vorhöfen angehörte (Kurve 6b). Diese superponierte
As-Kurve konnte nur dem Umstand ihre Entstehung verdanken,
dass die Vorhöfe in dem Rhythmus der Kurve 6a, was auch durch
die Messung der Reizintervalle bestätigt wurde, weiterschlugen, der
zu der Gipfel-As gehörige Reiz aber bei der langsamen Zusammen-
‚ziehung des Ventrikels denselben noch im Refraktärstadium antraf
und daher keine Kontraktion auszulösen vermochte. Es handelte sich
also ohne eigentliche Leitungsunterbrechung um ein Liegen-
bleiben des Sinusreizes an der Atrioventrikulargrenze infolge
einer Art bathmotroper Hemmung der Ventrikularmusku-
latur rein mechanischer Natur, bei der eine Vaguswirkung nicht im
Spiele war.
Weitere Unregelmässigkeiten wurden nicht beobachtet.
Die neue Methode ergab demnach eine reiche Ausbeute an Un-
regelmässigkeiten der verschiedensten Art. Wir sahen Extrasystolen,
darunter zwei Bigemini und eine Kombination einer Ves + As, Brady-
kardien durch chrono-, dromo- und bathmotrope Hemmung, das Auf-
treten der Dromotropie nicht nur an der Atrioventrikulargrenze, sondern
auch an der Übergangsstelle vom Sinus zum Vorhof, die Steigerung
der dromotropen Hemmung von einem Ausfall jeder zweiten Vs bis
zur völligen Dissoziation von Vorhöfen und Ventrikel (inkomplettem
und komplettem Herzblock) mit Erwachen der Ventrikularautomatie,
Herzalternantes in langer Reihenfolge und Gruppenbildungen ver-
schiedener Zusammensetzung. Endlich lernten wir neben der be-
kannten, in der Änderung des Urrhythmus durch Bildung einer Extra-
‚systole bestehenden als neue Funktionen des nomotopen Extrareizes
die Überleitung von dem eben herrschenden zu einem davon ver-
schiedenen (schnelleren oder langsameren) Rhythmus überhaupt, eben-
falls durch Vermittelung einer Extrasystole und die Wiederherstellung
der unterbrochenen Reizleitung zwischen Sinus und Vorhof kennen.
Eine solche Leitungsstörung zwischen dem führenden Reizbildungs-
zentrum und Vorhof ist vom menschlichen Herzen schon länger bekannt
und beschrieben worden (K. Wenckebach, Beiträge zur Kenntnis
der menschl. Herztätigkeit, Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt. 1906;
derselbe, Die unregelm. Herztätigkeit und ihre klin. Bedeutung, 1914
S.78ff.; A. Hoffmann, Die Unregelmässigkeit des Herzschlags, Jahres-
kurse f. ärztl. Fortbildung 1913 (4. Jahrg.), Februarheft, S. 20ff.;
Rehfisch, Ein Fall von andauernd verlängertem Reizintervall und
Herabsetzung der Reizbarkeit des Herzens, Zentralbl. f. Herz- und
Gefässkr. 1917 Nr. 18, u. a.), ebenso vom Warmblüterherz (H. E. Hering,
Überleitungsstörungen am Säugetierherzen mit zeitweiligem Vorhof-
systolenausfall, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. Bd. 3. 1906). Und
Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 297
während man beim Menschen nicht nur einfache, sino-aurikuläre Über-
leitungsstörungen kennt, sondern auch zeitweisen sino-aurikulären oder
besser sino-atriellen Herzblock mit gelegentlichem As-Ausfall als
‚möglich annimmt (G. Riebold, Reizleitungsstörungen zwischen der
Bildungsstätte der Ursprungsreize usw., Zeitschr. f. klin. Mediz. Bd. 73.
1911), scheint man für das Kaltblüterherz solche dromotrope Störungen
zwischen Sinus und Vorhöfen als etwas Bekanntes und nicht Ungewöhn-
liches anzusehen (Rehfisch in einer Arbeit über die Wirkung der
Vagusreizung beim Warmblüter, Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt.
1906, sowie a.a. ©. S. 207, u. a.). Verf. gelang es trotz seiner Bemühungen
nicht, in der Literatur experimentell begründete und sicher bewiesene
Fälle der in Rede stehenden Störung auch beim Kaltblüterherz auf-
zufinden. Sollte ihm tatsächlich nichts entgangen sein, so würde der
hier veröffentlichte Fall der erste seiner Art sein, anderenfalls aber
eine willkommene Bereicherung der bisherigen Mitteilungen darüber
darstellen.
Gehen wir zum Schluss zu einer Wertschätzung der neuen Methode
über, so stehen ihr gegenüber den älteren, direkten Methoden der
Druckerhöhung durch Einbringung von Flüssigkeit in die Herzhöhlen,
völlig objektiv betrachtet, eine grössere Reihe von Vorzügen zur Seite.
Sie lässt das Herz in seinen natürlichen, anatomischen Zusammen-
hängen, sie hebt den Zufluss der normalen Nährflüssigkeit nicht auf,
sie benutzt zur Zufuhr der Druckflüssigkeit keine künstlich gesetzten,
sondern die natürlichen Wege, sie vermeidet jede Läsion des für diese
Versuche so wichtigen Sinuszentrums. Die Befürchtung, dass sich
eine Druckwirkung auf das medulläre Vaguszentrum störend bemerkbar
machen könnte, ist unbegründet. Es wurde früher schon bemerkt,‘
dass die nervösen Zentralorgane im Laufe des Versuchs allmählich
ausgeschaltet werden. Dasselbe lässt sich schneller durch eine ein-
malige oder wiederholte, kopiöse, brüske Injektion erreiehen. Ebenso
lassen sich die Zentralorgane durch nach Erreichung des Zweckes wieder
zurückzusaugende, kleinste Mengen Chloroform oder Chloralhydrat
(0,05—0,1 ccm), die man in die Schädelhöhle einspritzt, ausser Funktion
setzen und die extrakardialen Nerven durch Durchschneidung des
präganglionären Vagus. Die Methode ist ferner ausserordentlich einfach,
bequem zu handhaben und durch den Fortfall der mühsamen Mani-
pulationen, wie sie sowohl mit dem Arbeiten am Williams’schen
Apparat als auch mit den Durchspülungen vom Sinus aus unter An-
wendung des Engelmann’schen Suspensionsverfahrens verbunden
sind, nicht wenig zeitsparend. Sie gestattet, und das ist ein weiterer
Vorzug, mit so minimalen Dosen, um diesen Ausdruck zu gebrauchen,
von Druckerhöhung zu arbeiten, wie es bei den älteren Methoden
unmöglich ist, und stellt dabei äusserst feine Reaktionen fest; ebenso
298 Kaempfter:
setzt sie den Untersucher in die Lage, jeden gewünschten Druck mit
Sicherheit anzuwenden und damit nach Belieben zu wechseln, sowie
den Ablauf der Druckwirkung in der Form der Nachschwankungen
bis zu ihrem völligen Abklingen zu verfolgen. Sie gestattet ebensowohl
eine absolute Schonung der Muskulatur und der empfindlichen, nervösen
Herzapparate wie die Herbeiführung einer akuten Dilatation zur
Feststellung der danach sich ergebenden Reaktionsverschiedenheiten.
Endlich ist die neue Methode in bezug auf ihre Ergebnisse zuverlässig,
sicher und hinter den älteren nicht zurückstehend. Wie jene ergab
sie als hauptsächlichste Primärwirkung eine Frequenzsteigerung und
eine Abnahme der Zuckungsgrösse, doch war das Verhältnis zwischen
Druck und Frequenz bzw. Zuckungsgrösse wie dort kein konstantes.
Denn auch primäre Verlangsamungen mit Zunahme der Hubhöhe
waren nichts Seltenes und waren bei dem neuen Verfahren im ganzen
noch häufiger als bei den alten. Dass diese Erscheinung demselben als
solchem nicht zur Last gelegt werden kann, geht, abgesehen von den
soeben erörterten Gründen, auch noch daraus hervor, dass es wegen
des sofortigen Entweichens der injizierten Flüssigkeit in den Wirbel-
säulekanal und durch die Zwischenwirbellöcher zu einer Druckerhöhung
im Cavum cranii überhaupt nicht kommen konnte. Überdies waren
von den eingetretenen Verlangsamungen die wenigsten durch Vagus-
erregung, und zwar zweifellos peripherer Natur, nämlich dreimal durch
chrono- und fünfmal durch dromotrope Hemmung zustande gekommen.
Bei allen übrigen lagen andere Gründe vor. Bei schneller aufeinander-
folgenden Injektionen konnte sich das Herz nicht vollständig entleeren
und erfuhr eine starke Erweiterung, zumal der Vorhöfe (Zunahme
des Sagittal- und Frontaldurchmessers bis um 5 mm, des Umfanges
bis um 12 mm, an der Basis gemessen). Infolgedessen war eine schnell
verlaufende, steile Zuckung nicht ausführbar, sondern es bedurfte
eines stärkeren Pressdruckes seitens der Herzwände, um eine träge
ablaufende Kontraktion zu ermöglichen, die natürlich zur Verlang-
samung des Herzschlags führen musste und mit Vagushemmung, wie
auch aus der Form der Kurven hervorging, nichts zu tun hatte. Auch
durch genaue Messung der Länge der Vs-Kurven, die in diesen Fällen
um 2—5 mm zugenommen hatte, liess sich die Verlangsamung der
Systole direkt nachweisen. Eine bathmotrope Vaguswirkung aber war
hierbei bei dem gänzlichen Fehlen anderer Erscheinungen von seiten
des Vagus völlig ausgeschlossen. Immerhin lieferte auch diese Methode
einige Beispiele der Nichtausserfunktionssetzung des Vagus durch einen
hohen und höchsten Druck. Nur diesen Fällen, in denen die Hubhöhe
trotz der verlängerten Herzpause herabgesetzt war, kann eine Erregung
des Hemmungsapparates, und nur denjenigen, in denen die Hubhöhe
trotz der Verkürzung der Herzpause gesteigert war, kann eine Erregung
Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 299
des Acceleransapparates zugrunde gelegt werden. In allen übrigen
dagegen, in denen die Hubhöhe sich als abhängig von der Länge der
vorausgegangenen Herzpause gezeigt hatte, handelte es sich lediglich
um eine Erregung des frequenzerzeugenden Sinuszentrums. Und wir
müssen auch hier wieder für die so verschiedenen Reaktionen bei den-
selben Versuchsbedingungen die individuellen Verschiedenheiten des
Herzens und besonders auch den Zustand seiner Muskulatur ver-
antwortlich machen. Auchan Arhythmien fehlte es der neuen Methode
nicht, und was Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit der Formen und
das Vorkommen von Raritäten anbetrifft, so stand sie, wie die frühere
Zusammenstellung zeigte, in dieser Hinsicht hinter den älteren nicht
zurück. Nur an Bigeminis war sie ärmer, allerdings traten dieselben
dort in erster Linie am herausgeschnittenen, aber doch auch am im
Körper belassenen Herzen auf. Man kann dafür, wenn man sie nicht
in den Launen des Herzens suchen will, kaum eine andere Erklärung
als die früher hervorgehobene Tatsache des Vorhandenseins einer
individuellen Disposition der Herzen für eine bestimmte Art von
Arhythmien geben. — Auch in herzpharmakologischer Hinsicht ist
diese Methode, wie einige daraufhin unternommene Versuche lehrten,
vielleicht aussichtsvoll. Es ergab sich nämlich dabei als vorläufiges
Resultat ein früherer und niedrigere Minimaldosen erfordernder Eintritt
der Giftwirkung als bei subkutaner Einverleibung.
Alles in allem darf man daher wohl die neue Methode als brauchbar
und als eine Bereicherung der bisher allein im Gebrauch gewesenen
ansprechen. Allerdings ist sie nicht das vom Verf. in seiner eingangs
zitierten Arbeit (a. a. ©. 1919, Februarheft S. 31) in Aussicht gestellte
Verfahren am nicht isolierten Herzen geworden, sondern es entwickelte
sich daraus ein Verfahren an Herzen, die während des Versuches aus
den früher angegebenen Gründen von den nervösen Zentralorganen
immer unabhängiger wurden und somit fast als isolierte angesehen
werden konnten.
Zusammenfassung.
1. Die direkten, anatomischen Zusammenhänge des Cavum
cranii beim Frosch, zumal dem Temporarier mit dem Innen-
raum des Herzens, durch Vermittlung der Venae vertebrales, jugu-
lares internae und Cavae anteriores lassen sich durch Injektion von
Flüssigkeit in die Schädelhöhle unter Beobachtung gewisser
Kautelen mit Vorteil zur Erzeugung eines erhöhten Intra-
kardialdrucks verwerten.
2. Diese Methode der Drucksteigerung bedeutet, zumal auch bei
ihr durch arterielle Abflusshindernisse eine weitere Druckerhöhung
gesetzt werden kann, eine Kombination des Belastungs- und Über-
300 Kaempffer:
lastungsverfahrens und stellt eine Methode der Drucksteigerung in
erster Linie am nicht isolierten Herzen, bis zu einem ge-
wissen Grade aber zugleich auch eine solche am isolierten
Herzen dar.
3. Sie hat vor den älteren Methoden ausser einer Reihe anderer.
hier nicht nochmals aufzuzählender Vorzüge vor allem den der Mög-
lichkeit einer genauen Dosierung der dem Herzen zuzuführenden
Injektionsflüssigkeitsquanten und damit einer Dosierung der
Drucksteigerung selbst, sowie denjenigen voraus, dass sie mehr
als jene die Möglichkeit bietet, alle, auch die feinsten Druck-
reaktionsäusserungen des Herzens bis zu ihrem völligen Abklingen
zu verfolgen.
4. Ihre Resultate sind in bezug auf die Beeinflussung der Frequenz
und der Zuckungsgrösse im allgemeinen dieselben wie bei den älteren,
nämlich als hauptsächlichste Primärwirkung Frequenzsteige-
rung und Abnahme der Zuckungsgrösse, doch sind auch pri-
märe Verlangsamungen und Zunahme der Zuckungsgrösse
häufiger als dort.
5. Was speziell die primär verlangsamende Wirkung anlangt,
so liegt ihr infolge der anatomischen Verhältnisse, welche das Ent-
stehen eines erhöhten Druckes im Cavum cranii nicht begünstigen.
nur in den seltensten Fällen eine Vagusreizung, und zwar
nicht zentraler Natur, in der überwiegenden Mehrzahl dagegen
eine rein mechanische Ursache, nämlich die durch die starke
Füllung und Dehnung der Herzhöhlen herbeigeführte Unmöglichkeit
einer rasch verlaufenden, steilen Zuckung des Herz-
muskels zugrunde.
6. Die Ausbeute an Arhythmien und Regelwidrigkeiten
mannigfaltigster Art ist bei der neuen Methode eine reiche.
So ergaben die nach ihr angestellten Versuche eine Reihe von Extra-
systolen, die sämtlich einer kompensatorischen Pause ent-
behrten, darunter zwei Bigemini infolge von Ventrikularautomatie
und eine merkwürdige Kombination eines Ves mit einer As,
ferner eine grosse Zahl von Bradykardien infolge von
chrono-, dromo- und auch bathmotroper Vagushemmung,
vielfach eine Steigerung der Überleitungsstörungen vom halbierten
Ventrikelrhythmus zur Dissoziation von Vorhöfen und Ven-
trikel, zum kompletten Herzblock, an einem Herzen das vom
Warmblüter und Menschen schon länger bekannte Auftreten von
Leitungsstörungen auch zwischen dem Sinuszentrum und
den Vorhöfen, mit der Folge des Ausfalls je einer vollen Herz-
revolution und Wiederherstellung der Leitung durch Sinus-
extrasystolen, mechanisch bedingte Bradykardien, eben-
Eine neue Methode d. intracard. Druckerhöhung b. Kaltblüter (Frosch). 301
falls mit halbiertem Rhythmus des Ventrikels, dessen Systolenkurve
je die zweite As-Kurve, deren Reiz nicht zum Ventrikel weiter
gegeben wurde, superponiert war, durch diese Ausfälle der Ven-
trikel oder der Ventrikel + Vorhofssystolen bedingte Gruppen-
bildungen verschiedener Zusammensetzung und endlich Alter-
nantes, von der klassischen Form derselben in ihrem äusseren
Aufbau zwar etwas abweichend, im übrigen aber den über das
Wesen und den Begriff des Herzalternans heute allgemein gültigen
Anschauungen entsprechend.
7. Die neue Methode ist vielleicht auch herzpharmakologisch
verwertbar, doch wurden in dieser Richtung nur einige orientierende
Probeversuche angestellt.
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare
Gebilde, insbesondere den motorischen Nerven.
Von
Prof. J. von Kries.
(Aus dem physiologischen Institut zu Freiburg i. Br.)
Mit 3 Textabbildungen.
(Eingegangen am 20. Juni 1919.)
Die Untersuchungen, über die im folgenden berichtet wird, be-
schäftigen sich mit der Wirkung sehr kurz dauernder elektrischer
Ströme (sogenannter Stromstösse) auf den motorischen Nerven, zum
Teil auch auf andere reizbare Gebilde. Sie verfolgen jedoch nicht den
Zweck, dem in der letzten Zeit die meisten ähnlichen Untersuchungen
gewidmet worden sind. Es war das in der Hauptsache der, die Ab-
hängigkeit der Reizerfolge von den beiden in Betracht kommenden
Veränderlichen, Dauer und. Stärke des einwirkenden Stromes, fest-
zustellen. Zu diesem Zweck ist die Dauer der Stromschliessung von
kleinsten zu grösseren Werten allmählich zu steigern und für jeden Wert
die Stärke zu ermitteln, die erforderlich ist, um eben noch eine Er-
regung des Präparates zu ergeben. Man erhält so einen funktionellen
Zusammenhang zwischen Dauer und Stärke, für den zunächst eine
mathematische Formulierung, eventuell eine theoretische Deutung zu
suchen ist. Eine solche Untersuchung bildet einen Teil der ‘Aufgabe,
die Reizerfolge als Funktion der Elektrizitätsbewegung darzustellen,
einer Aufgabe, die, ganz allgemein gefasst, sich auch auf andere Formen
(periodische Stromoszillationen, lineare, der Zeit proportionale An-
stiege, Kondensator-Entladungen- u. a.) sich erstreckt. Die Unter-
suchung der Stromstösse führt also, wenn sie in diesem Sinne angestell-
wird, mit Notwendigkeit auf ein sehr viel weiteres Gebiet. — Ähn-
liche Untersuchungen können jedoch auch unter ganz anderem Get
sichtspunkt unternommen werden. Sehr bekannt ist ja [die wichtigen
Untersuchungen von Fick!) über den Schliessmuskel der Anodonta
haben es zuerst gezeigt], dass verschiedene tierische Gebilde sich in
bezug auf ihre Erregbarkeit durch kurz oder länger dauernde Ströme
ungleich verhalten. Von zwei Reizmodalitäten kann diese auf das eine,
jene auf das andere Gebilde stärker einwirken. Ebenso ist bekannt,
1) Fick, Beiträge zur vergleichenden Physiologie der irritabeln Sub-
stanzen. Braunschweig. 18693.
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 303
*
dass die Art, wie der Reizerfolg von den besonderen zeitlichen Ver-
hältnissen des Stromverlaufs abhängt, auch mit dem jeweiligen Zu-
stand des einzelnen Gebildes sich ändert. So habe ich schon in älteren
Untersuchungen gezeigt, wie das Frequenzoptimum periodischer Strom-
schwankungen durch die Temperatur beeinflusst wird!), ähnlich auch
die „Reizungsdivisoren“, nach denen sich die Wirkung geradliniger
(der Zeit proportionaler) Stromanstiege bestimmt?). In der relativen
Befähigung, durch kurze resp. längerdauernde Stromwirkungen “in
Tätigkeit gebracht zu werden, drückt sich ohne Zweifel eine wichtige
Eigenschaft des betreffenden reizbaren Gebildes aus.
Es schien mir von Interesse, in etwas grösserem Umfange fest-
zustellen, wie diese Eigenschaft von einer Reihe verschiedener Zustände
abhängt, und wie sie sich für verschiedene reizbare Gebilde darstellt.
Hierfür können die Stromstösse als besonders geeignet herangezogen
werden. Es ist aber zu diesem Zweck nicht erforderlich, jenen ganzen
funktionellen Zusammenhang festzustellen. Vielmehr genügt schon die
Vergleichung zwsier Fälle, etwa einer langen und einer kurzen Strom-
schliessung, um einen Wert-zu erhalten, der das Präparat oder seinen
jeweiligen Zustand zu charakterisieren, und zwar, was natürlich be-
sonders wichtig ist, in einer zahlenmässig angebbaren Weise zu
charakterisieren geeignet ist. — Wie dabei am zweckmässigsten zu ver-
fahrer ist, ergibt sich durch die folgende Überlegung. Für die länger
dauernden Ströme bietet sich naturgemäss diejenige Form der Reizung,
die wir als eine Dauerschliessung zu bezeichnen gewohnt sind;
es sind das Schliessungen, wie wir sie bei der gewöhnlichen Betätigung
eines Schlüssels mit der Hand erhalten. Ihre Dauer ist ja, streng ge-
nommen, sehr wechselnd; sie ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass
die zu erhaltenden Schwellenwerte sich bei weiterer Steigerung dieser
Dauer nicht mehr ändern. Wir haben also hier einen extremen Fall,
den zu wählen jedenfalls ratsam erscheint. Die Stromstärke, die bei
solcher Dauerschliessung eben noch einen Reizerfolg zu erzielen vermag,
soll mit ig bezeichnet werden.
Wird das gleiche Gebilde von einem Stromstoss von der sehr kurzen
Dauer s getroffen, so finden wir, dass eine grössere Stromstärke nötig
ist, um wiederum denselben an der Schwelle stehenden Reizerfolg zu
. “ © . . 5 . ls .
erzielen. Nennen wir diesen Wert i,, so wird das Verhältnis . die
la
Reaktionsweise des Gebildes in der gewünschten Weise charakterisieren.
1) v. Kries, Über die Erregung des motorischen Nerven durch Wechsel-
ströme. Berichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg VIII S. 170.
2) v. Kries, Über die Abhängigkeit der Erregungsvorgänge vom zeit-
lichen Verlauf der zur Reizung dienenden Elektrizitätsbewegung. Archiv
für (Anatomie und) Physiologie. 1884.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. : 20
304 J. von Kries:
Ich will für dasselbe den von jeder theoretischen Erwägung ganz ab-
sehenden Namen des Zeitquotienten festlegen. Zeitquotient ist also
die Zahl, die angibt, um wieviel die Stromstärke bei der kurzen
Schliessungsdauer höher genommen werden muss als bei Dauer-
schliessung, um den gleichen an der Schwelle stehenden Reizerfolg zu
erhalten. Natürlich ist sein Betrag von dem Wert s, der Dauer des
Stromstosses, abhängig.
Was diese anlangt, so kann sie zunächst innerhalb gewisser Grenzen
beliebig gewählt werden. Allerdings ergeben sich hier sogleich gewisse
Einschränkungen. Nennen wir die Dauer des Stromstosses s, die bei
dieser Dauer zu einer Schwellenerregung notwendige Stromstärke i,;.
so muss sich natürlich das Verhältnis von i, zu ig, je grösser wir s
machen, um so mehr der Einheit nähern, und es werden damit
etwaige Änderungen im Verhalten des gereizten Gebildes. sich mehr
und mehr verwischen. Es ist also ratsam, die Stromstösse mindestens
so kurz zu machen, dass jene Quotienten nicht unter den Wert 2 herunter-
gehen. Anderseits ist es nicht ratsam, die Stromschliessungen gar
zu kurz zu machen, teils wegen der dann erforderlichen sehr hohen
Stromstärken, teils auch, weil die Erzeugung der Stromstösse natür-
lich mit Ungenauigkeiten behaftet ist, die zwar sehr klein, aber doch
nicht gleich Null gemacht werden können, und die prozentisch um so
mehr ins Gewicht fallen, je kürzer die Schliessungsdauern gemacht
werden. Ich habe beim motorischen Nerven meist mit Schliessungs-
dauern von 0,17 o gearbeitet, wobei die Quotienten sich auf etwa 4
stellen. — Auch für die Stromstösse gelangen wir, wennihre Dauer unter
einen gewissen .Wert sinkt, zu Verhältnissen, die einen extremen Fall
darstellen, wodurch auch die Ergebnisse eine vorzugsweise einfache
Bedeutung gewinnen. Aus zahlreichen Untersuchungen geht nämlich
hervor, dass, wenn die Dauer der Stromstösse unter einen gewissen
Wert heruntergeht, die Produkte aus Reizdauer und Stromstärke
konstant bleiben. Die Wirkung sehr kurzer Ströme kann also durch
das Produkt r-i, charakterisiert werden, wenn r einen innerhalb dieses
Bereiches liegenden kleinen Zeitwert, 7, die bei dieser Schliessungs-
dauer für eine Schwellenerregung erforderliche Stromstärke bedeutet.
Und auch mit diesem Produkt sind wir zu einem Extrem gelangt, das
sich durch weitere Verkleinerung der Schliessungsdauern nicht ändert.
Die Reaktionsweise des betreffenden Gebildes wird. demnach nunmehr
. ag - - . -
durch das Verhältnis - ." festgelegt sein. Dasselbe ist, wie man sieht,
la
in der Form eines Zeitwerts gegeben und mag mit 3 bezeichnet werden.
Es ist diejenige Zeit, während deren ein Strom von der Stärke I, zur
Erreichung des Schwellenwertes andauern müsste, wenn das für kleinste
Zeitwerte geltende Proportionalitätsgesetz auch weiterhin zuträfe. — Die
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 305
reale Bedeutung dieses Zeitwertes kann man sich durch die folgende
Überlegung noch klarer machen. Die Tatsache, dass das Eintreten der
Erregung von der Dauer des Stromschlusses abhängt, lehrt jedenfalls,
dass ein unmittelbarer Erfolg des Stroms irgendwie angesammelt, ge-
speichert wird. Auch dürfen wir annehmen, dass die Erregung dann
eintreten wird, wenn infolge dieser Ansammlung eine gewisse Höhe
jenes Erfolges erreicht ist. Wenn ferner bei sehr kurzen Stromschlüssen
das Produkt aus Stromstärke und Stromdauer maassgebend ist, der Erfolg
also von der Schliessungsdauer in der nämlichen Weise abhängt wie von
der Stromstärke, so wird daraus hervorgehen, dass jene Aufspeicherung
hier in der einfachsten Weise stattfindet, nämlich die erreichte Höhe
der Zeit proportional wächst. Wenn dagegen bei längeren Strom-
schlüssen die zur Schwellenerregung erforderliche Stärke einen ge-
ringsten Wert erreicht, der bei weiterer Steigerung der Dauer nicht
mehr vermindert werden darf, so ist daraus zu schliessen, dass die
Ansammlung in einer gewissen Zeit einen Höchstwert erreicht, ihr
zeitlicher Verlauf also durch eine
Kurve etwa der nachstehend (Abb.1)
gezeichneten Form darzustellen ist.
Der Wert $ ist nun diejenige Zeit,
während deren die Kurve mit der
ihrem Anfangsstück eigenen Steilheit
ansteigen müsste, um diejenige Höhe ab. mes g
zu erreichen, zu der sie als Höchst- messenen Speicherungsvermögens.
betrag tatsächlich gelangt. In der
graphischen Darstellung erhalten wir ihn, indem wir an den Anfang der
Kurve eine Tangente legen und sie fortsetzen, bis sie die Endhöhe der
Kurve erreicht: der Zeitwert % ist die Projektion einer solchen Tangente
auf die die Zeitdarstellende Abszisse !). Nennen wirdie Höhe der betreffen-
den Stromwirkung A, ihren Maximalwert h„, die im Beginn bestehende
2 dh
Steilheit ihrer zeitlichen Zunahme (>) ‚ so ist der hier mit % be-
f)
h
zeichnete Wert = —— -. Die Werte von $ geben offenbar ein Bild von
(2).
der Fähigkeit des Nerven, die unmittelbaren durch den Strom hervor-
gerufenen Veränderungen anzusammeln; wir werden diese Fähigkeit
1) In der Formel, die G. Weiss für die zur Schwellenerregung er-
forderliche Stromintensität aufgestellt hat: = = + b, würde unser Wert
den Quotienten der beiden in die Formel eingehenden Konstanten, a/b,
bedeuten.
20 *
306 J. von Kries:
um so grösser nennen dürfen, je grösser $, je höher also (bei bestimmter
Anfangssteilheit) dıe erreichte Maximalhöhe ist, wie das besonders an-
schaulich hervortritt, wenn wir
mehrere Kurven von gleicher An-
fangssteilheit, aber verschiedener
Maximalhöhe zusammenzeichnen
(Abb. 2). Um für die betreffenden
Werte eine kurze Bezeichnung zu
haben, will ich sie als das abso-
Abb. 2. Schematische Darstellung un- fu e Speicherungsvermögen,
‚gleicher Speicherungen. abgekürzt Sp.V., bezeichnen. Be-
sitzt also ein Gebilde das Sp.V. 9,
so bedeutet dies, dass die bei irgendeiner Stromstärke zu erreichende
Maximalhöhe so gross ist, als ob die im ersten Beginn gegebene Steil-
heit des Anstiegs während einer Zeit $ andauerte.
In der soeben dargelegten Weise gelangen wir auch für die Ver-
kürzung der Stromdauer zu einem extremen Fall und erhalten dem-
gemäss auch in dem Sp.V. einen physiologischen Begriff von fester
Bedeutung. Für die hier verfolgten Zwecke ist es indessen nicht gerade
notwendig, die Stromstösse so kurz zu machen, dass sie sicher in jenen
. Oh . . . B ls
Proportionalitätsbereich fallen. Vielmehr ist der Quotient — unter
la
allen Umständen geeignet, ein Bild von der Reaktionsweise des unter-
suchten Gebildes zu geben: namentlich wird in seinen Änderungen
erkennbar werden, wie diese Reaktionsweise durch irgendwelche be-
dingenden Umstände, Zustände des Nerven usw., beeinflusst wird.
Und zwar werden wir aus seiner Zunahme eine Vermehrung, aus seiner
Abnahme eine Verminderung des Sp.V. zu entnehmen haben. — In
meinen Versuchen am Nerven habe ich überwiegend Stromstösse von
der Dauer 0,17 o verwendet, die, wie gelegentliche Versuche mit noch
kürzerer Dauer lehrten, in den Proportionalitätsbereich gefallen sein
dürften. Vielfach habe ich aber auch längere Dauern benutzt, die
schon ausserhalb jenes Bereiches gelegen haben werden. Auch ist es
mir richtiger erschienen, in den Tabellen die Zeitquotienten ohne
weitere Umrechnung aufzuführen. Will man die Sp.V. erhalten, so
ist die betreffende, überall angegebene Dauer des benutzten Strom-
stosses mit dem Betrage des Quotienten zu multiplizieren.
Zur Methodik.
Die Herstellung von Stromschliessungen in der hier erforderlichen
sehr kurzen Dauer ist bekanntlich eine technisch nicht ganz einfache
Aufgabe. Namentlich stösst sie auf Schwierigkeiten, wenn man sie in
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 307
der direkten Weise lösen will, dass durch Herstellung eines metallischen
Kontakts die Schliessung und in dem gewünschten Intervall da-
nach die Öffnung des Stroms stattfinden soll. Denn es ist besonders
schwierig, der Herstellung der metallischen Berührung, also der Strom-
schliessung, die genügende zeitliche Präzision zu geben. Obwohl be-
sondere diesem Zweck dienendeVorrichtungen konstruiert worden sind,
habe ich vorgezogen, den vorderhand wohl sichreren, jedenfalls ein-
facheren Weg einzuschlagen, dass auch der Beginn des Stromstosses
nicht durch eine Schliessung, sondern durch eine Unterbrechung be-
wirkt wird, die nach Maassgabe von Verzweigsungen und. Widerstands-
verhältnissen das Hereinbrechen des zuvor schon bestehenden Stroms
in den Nervenkreis zur Folge hat. Man braucht dann nur zwei Unter-
brechungen in einem genau bestimmten Intervall herzustellen, was
technisch sehr viel einfacher ist.
Was im einzelnen die Anordnungen anlanst, mittels deren man
durch zwei Kontaktunterbrechungen dem Nerven Stromstösse zuführen
kann, so besteht die einfachste darin, dass man durch den zuerst zu
unterbrechenden Kontakt eine sehr gut leitende Nebenschliessung führt,
mittels deren der Strom zunächst vom Nerven abgeblendet wird, und
nach deren Unterbrechung der Strom im Nerven entsteht. Ich habe
mich dieser Anordnung zuerst bedient. Da aber durch die Abblendung
niemals eine Stromlosigkeit des Nerven in ganz strengem Sinne erzielt
werden kann, so bin ich später zu einer anderen Anordnung über-
gegangen, die in diesem Punkte einwandsfrei ist. Man kann den Nerven
in einen Leitungszweig einschalten, der zunächst nach dem bekannten
Prinzip Wheatstones stromlos gemacht wird: auch hier kann dann
leicht durch Unterbrechung einer Leitung die Anordnung derart ge-
ändert werden, dass nunmehr der Nerv von einem Strom durchflossen
wird. Um dies auszuführen und dabei zugleich die dem Nerven zu-
zuleitenden Ströme in bequemer Weise abzustufen, bin ich in folgender
Weise zu Werke gegangen, wie es in Abb. 3 aut folgender Seite dargestellt
ist. Der Strom von einem, eventuell von einigen Akkumulatoren wird
in übereinstimmender Weise den beiden genau gleichen parallel ge-
schalteten Drähten A, B, und A, B, zugeleitet. Die Ableitung zum Nerven
erfolgt von den beiden Punkten C, und C,, die stets an entsprechenden
Stellen der beiden Drähte und demnach auf gleichem Potential sind, so
dass der Nerv stromlos ist. In die Zuleitung zum Endpunkt B, des
einen Drahtes ist die eine Unterbrechungsstelle X, eingefügt. Sobald.
hier die Leitung unterbrochen wird, entspricht die Verbindung der ge-
bräuchlichen Form: die Stärke des Reizungsstroms ist proportional
der Drahtlänge A, C, (sie ist von ihr nur dadurch verschieden, dass in
die von A, ausgehende und zum Nerven führende Leitung noch das
Stück A, C, eingefüst ist). Um die Reizungsströme abzustufen, muss
308 J. von Kries:
man bei dieser Einrichtung also die beiden Schieber verstellen, und
zwar stets so, dass sie auf denselben Teilstrichen stehen.
Zu beachten ist, dass die Stromzuleitung zu den beiden Drähten
genau übereinstimmend gehalten werden muss. Das ist für die Zu-
leitungen zu A, und A, sehr leicht zu erreichen, indem man von dem
Verzweigungspunkte A aus die Verbindung zu A, und A, durch kurze
dicke Kupferdrähte bewirkt. Auf der anderen Seite aber ist dies nicht
ausführbar, da in die eine der Leitungen, B B,, die Unterbrechungs-
stelle A, eingefügt werden muss, was schon infolge der allgemeinen An-
ordnung der Apparate etwas längere Drahtleitungen erfordert. Die
gewünschte Abgleichung der Widerstände liess sich leicht in der Weise
bewirken, dass in die Leitung BB, ein Stück blanken Neusilberdrahts
eingeschaltet wurde, der durch die Klemme bei B, durchging. So liess
sich das in den Stromkreis eingeschaltete Stück seiner Länge nach leicht
U
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14 Nerv
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Abb. 3. Schema der Versuchsanordnung. Erklärung im Text.
verärdern, bis sich die Verbindung gleichgelegener Punkte der beiden
Brückendrähte bei Prüfung mit einem empfindlichen Galvanoskop als
stromlos erwies. In die von C, zum Nerven führende Leitung war
dann die zweite Kontaktstelle A, eingeschaltet, durch deren Unter-
brechung der Reizungsstrom wieder aufgehoben wurde. Für diese
Leitung ist dann noch eine durch den Schlüssel 5 gehende Nebenleitung
angebracht. Ist dieser geöffnet, so wird der Reizungsstrom durch die
Unterbrechung des Kontakts A, beendigt, und die Reizung geschieht
in der Form des Stromstosses. Ist der Schlüssel dagegen geschlossen,
so bleibt auch bei der Unterbrechung des Kontakts RK, der Strom
bestehen, und wir haben Reizung in der Form der Dauerschliessung.
Die Handhabung jenes Schlüssels gestattet also in einfachster Weise,
zwischen den beiden Reizarten zu wechseln.
Die technische Hauptaufgabe besteht janun darin, die Unterbrechung
der beiden Kontakte K, und X, in einem sehr kleinen und dabei hin-
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 309
reichend genau bestimmten Zeitintervall auszuführen. Hierzu wurde
ein Pendelunterbrecher benutzt, der noch zu Anfang der achtziger Jahre
des vorigen Jahrhunderts von Zimmermann in Heidelberg genau nach
der bekannten Helmholtzschen Konstruktion angefertigt worden ist
und mit dem seinerzeit von Helmholtz angegebenen (in der gleichen
Werkstätte hergestellten) Instrument genau übereinstimmt. Bei diesem
Instrument steht der eine Kontakt fest; der andere kann mittels einer
sehr feinen Mikrometerschraube verschoben werden, deren Steigung
0,36 mm beträgt, und deren Trommel in hundert Teile geteilt ist. Die
Bewegung des verschieblichen Kontaktes erfolgt von einem Nullpunkt,
der etwa gleichzeitiger Unterbrechung entspricht in dem der Fall-
richtung entgegengesetzten Sinne, so dass seine Unterbrechung früher
als die des andern stattfindet. Es wurde also der bewegliche Kontakt
als A), der feststehende als A, benutzt. Was die Auswertung der
Zeiten anlangt, so ist einerseits der Nullpunkt, oder besser der Gleich-
zeitigkeitspunkt, zu bestimmen, d. h. diejenige Stellung der Schraube,
bei der der bewegliche Kontakt genau gleichzeitig mit dem festen
unterbrochen wird: sodann muss ermittelt werden, um welchen Zeit-
wert eine bestimmte Änderung der Schraubenstellung, etwa ein ganzer
Umgang der Trommel, die Unterbrechungszeit des beweglichen Kontakts
verschiebt. Von diesen beiden Aufgaben ist die letztere die einfachere,
da sie in bekannter Weise und mit genügender Genauigkeit im Wege
graphischen Verfahrens gelöst werden kann. Gegenüber der gewöhn-
lichen Art, in der die Geschwindigkeit einer Schreibfläche ermittelt
wird, kompliziert sie sich allerdings dadurch, dass die Geschwindigkeit
des Pendels eine wechselnde ist. Hierauf besondere Rücksicht zu
nehmen, ist jedoch nicht erforderlich, wenn die Unterbrechung der
Kontakte nur bei der tiefsten Pendelstellung, also maximaler Ge-
schwindigkeit, erfolgt. — Sodann ist zu beachten, dass die Geschwindig-
keit der verschiedenen Teile des Pendels ungleich ist; sie ist namentlich
für denjenigen Teil, der an der Schreibvorrichtung vorbeigleitet, eine
andere als für diejenigen Teile, die das Aufschlagen der Kontakte be-
wirken. Diesen Umständen wird Rechnung getragen, wenn man in der
folgenden Weise verfährt.
Ein Pfeilsches Signal wurde so aufgestellt, dass es seine Bewegung
auf die berusste Platte des Pendels aufzeichnete. Der das Signal be-
wegende Strom wurde dann durch den verschiebbaren Kontakt ge-
führt. Wird nun das Pendel langsam bewegt, so macht das Signal
seine Marke in dem Augenblick, wo der Kontakt unterbrochen wird,
und es wird so diejenige Stellung des Pendels bezeichnet, bei der diese
Unterbrechung stattfindet. Der gleiche Versuch wird wiederholt, nach-
dem der Kontakt um einen hinlänglich grossen Betrag (ich wählte
zwanzig ganze Trommelumläufe) verschoben worden war. Man erhält
310 J. von Kries:
dann eine zweite Marke, und der Abstand der beiden Marken gibt
an, um wieviel sich die in der Höhe der Schreibspitze stehenden Teile
verschieben, um aus derjenigen Lage, in der die Unterbrechung bei
der ersten Stellung des Kontakts erfolgt, in diejenige zu kommen,
bei der dies stattfindet, wenn der Kontakt um zwanzig ganze Trommel-
umläufe verschoben ist.. Dieser Abstand fand sich genau gleich 6 mm,
was für einen Trommelumgang 0,30 mm ergibt.
Des weiteren ist dann noch zu bestimmen die Geschwindigkeit,
mit der eben diese Teile des Pendels sich bewegen, die in bekannter
Weise erhalten wurde, indem das Signal durch eine Stimmgabel von
30 Schwingungen in der Sekunde in Bewegung gesetzt und diese
Bewegung auf das fallende Pendel aufgezeichnet wurde.
Da die Zeitintervalle in ziemlich weiten Grenzen geändert werden
mussten und es daher wünschenswert war, dies nicht allein durch
Verschiebung des beweglichen Kontakts, sondern auch durch die Be-
nutzung verschiedener Fallhöhen zu erreichen, so wurde diese Be-
stimmung für mehrere Fallhöhen ausgeführt. Es fand sich:
Fallhöhe u, Aa ms
20 17,8 mm 1,88 c
9 8,08 ., 4,12 „,
7 6,6... 5,05 „,
Hiernach berechnet sich die Zeit, um die die Unterbrechung des
beweglichen Kontakts bei Verschiebung um einen ganzen Trommel-
umgang verschoben wird,
für Fallhöhe 20 auf 0,564 o
ee) > 9 DrlEH 1,236 Se)
ai
Auf eine gewisse Schwierigkeit stösst die Ermittelung des Null-
punktes, d. h. derjenigen Stellung des beweglichen Kontakts, bei der
seine Unterbrechung gerade gleichzeitig mit der des festen erfolgt.
Denn die hierfür erforderliche Genauigkeit wird von dem graphischen
Verfahren selbstverständlich auch nicht annähernd erreicht. Am besten
und verhältnismässig einfach habe ich schliesslich den gewünschten
Erfolg mit Benutzung des Nervmuskelpräparates selbst erreicht. Macht
man nämlich die Reizströme stark und die Bewegung des Pendels
durch Benutzung allerkleinster Fallhöhen oder auch durch Führung
mit der Hand äusserst langsam, so kann man es dahin bringen, dass
man bei einer Stellung des beweglichen Kontakts noch keine, bei
einer Verschiebung um einen Teilstrich aber schon regelmässig eine
kräftige Zuckung erhält. In dem einen Falle muss also die Unterbrechung
von K, noch ein weniges vor, im anderen schon nach der von R,
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 311
stattfinden. Der Gleichzeitigkeitspunkt lässt sich also auf diese Weise
mit einer Genauigkeit von etwa einem Teilstrich feststellen !).
Über sonstige Einzelheiten des Verfahrens ist nur wenig hinzu-
zufügen. Die Zuleitung der Reizungsströme geschah (soweit nicht aus-
drücklich anderes bemerkt ist) immer durch sogenannte unpolarisier-
bare Elektroden, die in der hier seit langem üblichen Form der Faden-
elektroden benutzt wurden. In das untere Ende eines Glasröhrchens
ist eine Anzahl von Baumwollfäden mittels eines Gipspfropfens ein-
gefügt. Die Fäden werden mit physiologischer Kochsalzlösung, eventuell
auch mit Ringer-Lösung, in besonderen Fällen (worüber unten zu
berichten ist) auch mit noch anders zusammengesetzten Flüssigkeiten
getränkt, während man in das mit Zinkvitriollösung gefüllte Röhrchen
ein Stäbchen von amalgamiertem Zink eintaucht. Als Präparat diente
zunächst das bekannte aus Hüftnerv und Unterschenkel bestehende.
Der erstere wurde in der üblichen Weise in seiner ganzen Länge heraus-
präpariert; dagegen blieb der Unterschenkel und Fuss ohne Präparation
in ihrer natürlichen Verbindung. Wenn man dann mit einer unteren
Klemme das Femur, in einer etwas höherstehenden eine Hautfalte des
Unterschenkels fixiert, so sind die Erregungen des Hüftnerven an den
kleinen Bewegungen der Pfote sehr gut erkennbar, wie ich glaube mit
grösserer Genauigkeit, als wenn man den isolierten Wadenmuskel mit
einem Hebel in Verbindung bringt.
Für die Aufsuchung der Schwellenwerte ist es bekanntlich wünschens-
wert, ein ganz bestimmtes Verfahren anzuwenden. Ich bin immer so
zu Werke gegangen, dass ich mit sicher überschwelligen Werten begann
und dann die Reizstärke stufenweise verminderte, bis kein Erfolg
mehr sichtbar war. Macht man die Stufen nicht zu klein, so genügt
eine sehr kleine Zahl von Einzelversuchen zur Ermittelung der Schwelle.
Namentlich wenn bei der Wiederholung des Versuchs unter gleichen
Bedingungen die zu erwartenden Werte annähernd im voraus bekannt
sind, man also mit Stromstärken beginnen kann, die nur wenig über-
schwellig sind, kann man oft mit drei, gelegentlich wohl selbst mit
zwei Einzelversuchen den Schwellenwert erhalten.
Um einen Zeitquotienten zu erhalten, wurde stets in mehrmaliger
Abwechselung die Schwelle für Dauerschliessung und für den Strom-
stoss festgestellt. Der Zeitquotient wird dann erhalten als das Ver-
hältnis der Mittelwerte, zum Beispiel aus fünf Schwellen für Dauer-
l) Einen toten Gang der Schraube habe ich nicht feststellen können.
Trotzdem wurde die Vorsicht beobachtet, die Einstellungen immer durch
Verschiebung in demselben Sinne herzustellen (mit steigenden Werten).
Sollte also von einem höheren auf einen niedrigeren Wert übergegangen
werden, so wurde zunächst beträchtlich unter diesen letzteren herunter-
gegangen und alsdann erst, also wiederum im steigenden Sinne, eingestellt.
L
312 J. von Kries:
schliessung und aus den zwischen diesen erhaltenen vier Werten für
die Stromstösse. Natürlich ist diese Berechnung nur angängig, wenn
die einzelnen Bestimmungen gleicher Art genügend untereinander
übereinstimmen. War das nicht der Fall (was übrigens sehr selten vor-
kam), so ist der ganze Versuch als mit irgendwelchen Störungen be-
haftet nicht verwertbar.
Des weiteren war der Versuchsgang dadurch vorgezeichnet, dass
ja in der Regel die Abhängigkeit der Zeitquotienten von irgendwelchen
Bedingungen festgestellt werden sollte. Zu diesem Zweck wurde,
bekannten methodischen Regeln gemäss, wiederum in mehrfacher Ab-
wechselung der Quotient unter den einen und den anderen Bedingungen,
etwa bei erwärmtem und bei abgekühltem Nerven, bestimmt.
Die Tabellen sind durchgängig so eingerichtet, dass die unter den
einen Bedingungen erhaltenen Quotienten in eine obere, die unter
den anderen Bedingungen erhaltenen in eine untere Horizontallinie
eingetragen wurden; ferner sind die Ergebnisse ihrer Zeitfolge nach
von links nach rechts geordnet. Gemäss dem über den Versuchsgang
Gesagten folgt also von links nach rechts immer abwechselnd eine
Zahl in der oberen und eine in der unteren Linie.
Indem ich mich zur Mitteilung der erhaltenen Ergebnisse wende.
schicke ich zunächst einige Angaben über die absoluten Werte des
Speicherungsvermögens voraus, wie sie sich aus denjenigen Versuchen
entnehmen lassen, in denen die Dauer der Stromstösse sicher innerhalb
des Proportionalitätsbereiches lagen (vgl. oben S. 306). Die Versuche
lehren, dass das Sp.V. nicht sehr konstant ist, sondern ohne erkenn-
baren Grund bei verschiedenen Präparaten ziemlich beträchtlich aus-
einandergeht. Offenbar sind also die Beschaffenheit der Nerven in
den hier in Betracht kommenden Beziehungen bei verschiedenen Tieren
individuell mehr oder weniger ungleich. Auch bei demselben Präparat
übrigens ändern sich die Werte im Laufe längerer Versuchsdauer.
Da aus diesen Gründen auf die gefundenen absoluten Werte nicht gar
zu grosses Gewicht zu legen ist, so mag die Angabe genügen, dass.
wenn gewöhnlicherweise zu Werke gegangen, insbesondere auch bei
Zimmertemperatur beobachtet wird, scheinbare Speicherungsvermögen
erhalten werden, die sich etwa um 0,68 o zu bewegen pflegen; doch
habe ich auch niedrigere Werte, bis 0,4 o, und höhere, bis 1,5 o, be-
obachtet.
Von grösserem Interesse sind diejenigen Versuche, die sich auf die
Abhängigkeit des Sp.V. bzw. der Zeitquotienten von einer Reihe ver-
schiedener Umstände beziehen. Gemäss dem schon eingangs Gesagten
war hier in erster Linie an die Abhängigkeit von der Temperatur
zu denken. Um diese zu verändern, wurde der Nerv auf ein aus dünnem
Zinkblech gefertigtes Gefäss gelegt, durch das man aus grossen Stand-
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 313
gefässen Wasser von verschiedener Temperatur strömen lassen konnte.
Zur Abkühlung wurde eisgekühltes Wasser verwendet, wobei die
Temperatur im Innern des Gefässes sich auf etwa 2° einstellte. Der
Nerv lag dem Gefäss direkt auf; nach oben wurde er zunächst an den
beiden Stellen der Stromzuleitung durch die Fadenelektroden, über-
dies in seiner ganzen Länge durch ein Gummiblättchen und einen
Filzstreifen gedeckt, so dass seine Temperatur sich von derjenigen
des strömenden Wassers nur unerheblich unterschieden haben, auch
wohl in seinem ganzen Querschnitt sehr annähernd dieselbe gewesen
sein dürfte. In Übereinstimmung mit dem, was im voraus zu erwarten
war, liess sich hier sogleich unzweideutig feststellen, dass die Zeit-
quotienten mit steigender Temperatur abnehmen. Als Beleg führe ich
einige Versuchsbeispiele an.
Versuch vom Versuch vom Versuch vom
21. Mai 1917. 22. Mai ’1917. 19. Mai 1917.
SEZ0A8I0 N s=0,483 0 N 04870 N
IN) 1.8 K 2,08 2,09 W 1,03 1,06
u 1 \WV 12 K 17
Versuch vom Versuch vom Versuch vom
20. Juni 1917. 26. Juni 1917. 27.. Juni 1917.
s—020.6 X s=-02406 \ SW 2A N
K 4,8 549 4,2 K722 3.0 Re3:6 3.4
W 157 1,6 W Rz W 1
Versuch vom4. Juli 1917. Versuch vom 25. Februar 1918.
SEEN S02 0 N
KR 2,1 2,8 K 10,0 s,1
W 12 13 W 3.3
Die Abhängigkeit der Z.Qu. von der Temperatur quantitativ genau
festzulegen, habe ich nicht versucht. da dies bei der Einmischung
anderer, ohne erkennbare Ursache sich einmischenden Änderungen
nicht aussichtsreich erschien.
Dagegen wurde mit Bezug auf die Bedeutung der Temperaturen
eine Tatsache anderer Art gefunden, die von Interesse ist; sie besteht
darin, dass es wesentlich die Temperatur der Kathode ist, auf die
es ankommt. Um dies zu prüfen, wurden zwei kleine Gefässe sonst
gleicher Form und Einrichtung benutzt und auf dem Träger so be-
festigt, dass ihre einander zugekehrten Stirnseiten durch ein ca. 1 mm
starkes Gummiblatt getrennt aneinanderstiessen. Nerv und Elektroden
lassen sich dann leicht so anbringen, dass die eine Elektrode einer
St J. von Kries:
auf dem einen, die andere einer auf dem anderen Gefäss gelagerten Nerven-
stelle aufliegt. Es stellte sich sogleich heraus, dass eine Temperatur-
änderung allein an der Kathode die Quotienten in ganz ähnlicher
Weise wie die des ganzen Nerven beeinflusst. Die folgende Tabelle
lässt dies erkennen.
Versuch vom 28. Februar 1918.
SI 7 RoREEr
1IR658 6,0
W 2,4
Eine elegante Form kann man diesen Versuchen geben, wenn
man, während die eine Elektrode hoch, die andere niedrig temperiert
ist, die Stromrichtung wechselt. Während bei gleicher Temperierung
des ganzen Nerven (wie alsbald zu besprechen) die Änderung der Strom-
richtung keinen oder doch keinen nennenswerten Einfluss auf die
Quotienten hat, findet man hier regelmässige und sehr beträchtliche
Änderungen.
Versuch vom 5. Juni 1917.
s.— 0.2080
Obere Nervenstelle warm, untere kalt.
RR) 3,0
7 155
Beide Nervenstellen gleich temperiert, ca. 21°.
Sl 187
7 1,9
Das Entsprechende erreicht man, wenn man die Stromrichtung
ungeändert lässt, aber die Art der Temperierung umkehrt, so dass
das eine Mal die Kathode erwärmt, die Anode gekühlt ist, das andere
Mal umgekehrt, was sich durch die Einfügung eines Vierwegehahns
bewirken lässt.
Versuch vom 14. Dezember 1917.
Ss 025.70, 81
Kathode kalt 5-6 4,8
>> warm 3
Es ist hiernach nicht zu bezweifeln, dass die Quotienten von der
Temperatur der Kathode abhängen. Auch ist wohl mit Sicherheit an-
zunehmen, dass sie es ist, die bei der wechselnden Temperierung des
ganzen Nerven maassgebend in Betracht kommt. Um den Sachverhalt
in aller Strenge zu übersehen, erschien es aber doch geboten, durch
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 315
besondere Versuche zu prüfen, ob die Temperatur der Anode ganz
ohne Bedeutung ist, oder ob, und eventuell in welchem Sinne, die
Quotienten auch durch sie beeinflusst werden. Da es hierbei von
besonderer Wichtigkeit war, die Temperatur der Kathode genau un-
verändert zu erhalten, so benutzte ich auch bei diesen Versuchen die
beiden Gefässe und liess durch dasjenige, auf dem die Kathode auf-
ruhte, einen mässigen Wasserstrom von Zimmertemperatur fliessen,
während das andere in gewöhnlicher Weise wechselnd temperiert wurde.
Bei der Beurteilung dieser Versuche ist zu beachten, dass es wichtig
ist, auch die Stromrichtung im Auge zu behalten. Denn die Beteiligung
der Anodenstelle an dem ganzen Vorgang ist je nach der Stromrichtung
verschieden. Da der Erregungsvorgang jedenfalls an der Kathode ent-
steht, so hat er, um zum Muskel zu gelangen, im einen Falle (bei
aufsteigender Richtung des Reizungsstroms) die Anodenstelle zu
passieren, im anderen dagegen nicht.
Versuch vom 10. Mai 1919. Versuch vom 15. Mai 1919.
SELTEN Sa 0 aa
Anode warm 3,9 3,0 Anode kalt 3,9 3,9
kalt 4,1 ie warm 4,2
Versuch vom 16. Mai 1919.
SE (HEIL ON
Anode kalt 10,0 9,6 8.9
® warm 9.0 3,0
Versuch vom 28. Februar 1918.
NER sa — 081/20;
ot
Anode kalt 5,6 5,9 5,
warm 6,2 6,1
Hiernach scheint die Temperatur der Anode in jedem Falle ohne
bemerkbare Bedeutung für die erhaltensn Quotienten zu sein.
Ich berichte im Anschluss über einige weitere Versuchsmodalitäten.
deren Einfluss auf die Quotienten geprüft worden ist. Hier ist in erster
Linie die Stromrichtung zu nennen. Lässt man ohne sonstige
Änderungen die Reizströme abwechselnd in auf- und in absteigender
Richtung durch den Nerven fliessen, so erhält man im allgemeinen,
wie vorhin schon berührt, mit Annäherung die gleichen Quotienten.
Geringe Unterschiede sind freilich in der Regel vorhanden.
Versuch vom 13. Juni 1917. Versuch vom 11. Juli 1917.
G sa — 2906
ml 252 nel DATEN
u, „u
316 J. von Kries:
Versuch vom 13. Februar 1918. Versuch vom 14. Februar 1918.
s’—0,17°o s2— 0,1196;
Sad 5 4,4 49 4,6 5,0
7 3,7 5,0 7 5,8 4,9
Behält man im Auge, dass die Quotienten jedenfalls von der Be-
schaffenheit und den Zuständen der als Kathode dienenden Nerven-
stelle abhängen, so wird man geneigt sein, die hier beobachteten ge-
ringen und unregelmässigen Unterschiede nicht mit der Stromrichtung
als solcher in Verbindung zu bringen, sondern damit, dass die beiden
Nervenstellen, von denen einmal die eine, dann die andere als Kathode
benutzt wird, in irgendeiner Hinsicht verschieden sind, wobei ja
an kleine Unterschiede der chemischen Beschaffenheit, in der Art der
Zuleitung, vielleicht auch der Temperatur, gedacht werden könnte.
Im Hinblick hierauf habe ich den Versuch so modifiziert, dass allemal
dieselbe Nervenstelle als Kathode diente, als Anode aber abwechselnd
eine oberhalb und eine unterhalb jener gelegene Stelle benutzt wurde.
Der Strom wurde also nicht in der gewöhnlichen Weise mittels Pohlscher
Wippe in derselben Bahn umgekehrt, sondern die Zuleitung in der
angegebenen Weise geändert.
Bei dieser Anordnung verminderten sich in der Tat die Änderungen
der Quotienten auf Beträge, die in den Fehlergrenzen lagen, wie z.B.
die folgende Tahelle zeigt.
Versuch über Einfluss der Stromrichtung vom 15. Februar
1918. Anordnung mit drei Elektroden.
SI=.0,17°0,
sy 41 39
A 3.9
Die Länge der vom Strom durchflossenen Nervenstrecke hat einen
zwar nicht grossen, aber doch-unverkennbaren Einfluss auf die Quo-
tienten. Auch bei diesen Versuchen wurde aus den soeben berührten
Gründen so zu Werke gegangen, dass die Lage der Kathode ungeändert
blieb, entweder nahe dem Muskel oder nahe dem oberen Ende des
Nerven, als Anode aber abwechselnd eine dieser nahe, einmal eine von
ihr möglichst entfernte Stelle benutzt wurde. Regelmässig erhält man
etwas höhere Quotienten, wenn eine lange, als wenn eine kurze Nerven-
strecke durchströmt wird.
Versuch vom 26. Februar 1918.
S— 0; E70 N
durchflossene Nervenstrecke:
Lang 43 44 4,8
Kurz 3,8 4,0
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 317
Gleicher Versuch vom 27. Februar 1918.
Se 007
Durchflossene Nervenstrecke:
Kurz 4,0 30 - 2,9
Lang 5,9 3,8
Gleicher Versuch vom 16. Juni 1919.
SE 051720 35
Durchflossene Nervenstrecke:
Kurz. 3:2 2,6 2,4 2,4
Lang 5,1 4,2 4.3
Dass die Reizerfolge in dieser Weise von der Länge der durch-
flossenen Nervenstrecke abhängig sind, kann wohl zunächst besonders
auffällig erscheinen. Denn man könnte meinen, wenn für den Reiz-
erfolg wesentlich die Vorgänge an der Kathode maassgebend seien, so
könne es auch nur auf die den Nerven passierenden Stromstärken
ankommen; es müsse aber ohne Belang sein, ob diese durch höhere
elektromotorische Kräfte bei langer oder durch geringere elektro-
motorische Kräfte bei kurzer Nervenstrecke erzeugt werden. Man
wird indessen bedenken müssen, dass wir im Versuch immer nur die
auf den Nerven einwirkenden elektromotorischen Kräfte in bestimmter
Weise normieren, dass aber die den Nerven tatsächlich durchfliessenden
Ströme nicht ohne weiteres daraus entnommen werden können. Viel-
mehr ist zu berücksichtigen, dass diese auch durch etwa wechselnde
Widerstände und durch Gegenkräfte innerer Ploarisation mit beeinflusst
werden. Dass bei den den Nerven durchlaufenden Strömen solche
Verhältnisse in eigenartiger Weise zur Geltung kommen, lehren zum Bei-
spiel schon die bekannten Tatsachen des sogenannten Fleischl-
Phänomens. Man kann also wohl daran denken, dass bei gleicher
Herstellung der erregenden elektromotorischen Kräfte die tatsächlich
entstehenden Ströme bei langer und bei kurzer Nervenstrecke nicht
wirklich vollkommen übereinstimmen.
Da das Verhältnis, in dem kurz- und langdauernde Ströme am
Nerven wirksam werden, jedenfalls durch die physikalisch-chemischen
Vorgänge an den Elektroden sich bestimmt, so war es von Interesse,
auch in dieser Hinsicht Änderungen einzuführen und ihre Erfolge zu
beobachten. Die einfachste hierhergehörige Gruppe von Versuchen
bestand darin, dass statt der zunächst benutzten ‚„unpolarisierbaren‘“
Elektroden polarisierbare Platinelektroden zur Stromzuleitung
verwendet wurden. Es ergab sich, dass bei den Platinelektroden stets
kleinere Quotienten erhalten werden. Man kann dies auch so aus-
drücken, dass durch die Polarisation die Wirkung der länger dauernden.
318 J. von Kries:
Ströme in höherem Grade als die sehr kurzer Stromstösse geschwächt
wird, ein Verhalten, das in theoretischem Sinne verständlich erscheint.
Versuch vom 15. Februar 1918.
Ss. 20.1726:
Faden — 10 6,0 4,0 3,6 5,4 5,2
Elektroden I 2
Platin“ BIN 2,8 3,2
Von noch grösserem Interesse ist die Frage, ob es gelingt, die für
die Quotienten maassgebenden Verhältnisse durch experimentelle
Änderungen chemischer Art zu beeinflussen.
Um diese zu modifizieren, liess ich den Nerven längere Zeit in eine
Flüssigkeit von der einen oder anderen chemischen Zusammensetzung
hineinhängen. ‚Je nach der Zusammensetzung der umspülenden Flüssig-
keit werden sich Diffussionsvorgänge der einen oder anderen Art ent-
wickeln, und es wird sich die Zusammensetzung der im Nerven ent-
haltenen Flüssigkeit mehr oder weniger verändern.
Um bestimmte Erfolge des Diffussionsausgleiches zu erhalten,
schien es geboten, den Nerven ziemlich lange in einer bestimmten
Flüssigkeit zu halten. Auclrücklich sei aber gleich hier betont, dass
es durchaus dahingestellt bleibt, ob die im Nerven enthaltenen Flüssig-
keiten in irgendeiner Hinsicht wirklich auf die Zusammensetzung der
Umspülungsflüssigkeit gebracht wurden. Nur die Richtung, in der
wir ihre Zusammensetzung ändern, lässt sich mit Sicherheit beurteilen.
Im einzelnen wurde folgendermaassen zu Werke gegangen.
Ein Bechergläschen von ca. 100 cem Inhalt wurde bis zum Rande
mit derjenigen Flüssigkeit gefüllt, in die der Nerv getaucht werden
sollte. Dasganze Präparat wurde dann aufein.Korkplättchen gelagert. mit
dem das Glas zugedeckt war, der Nerv durch ein in diesem Korkplättchen
angebrachte Öffnung durchgezogen, sein zentrales Ende mit einem an-
gebundenen Glasstückchen beschwert, so dass der Nerv in seiner ganzen
Länge der Berührung der umspülenden Flüssigkeit ausgesetzt war.
Da der Nerv der einzelnen Flüssigkeit, wie erwähnt, immer ziemlich
lange ausgesetzt werden musste, so wäre es zu zeitraubend gewesen,
auch hätten sich sonstige unkontrollierbare Einflüsse in störender
Weise einmischen können, wenn man denselben Nerven abwechselnd
im einen und anderen chemischen Zustande hätte untersuchen wollen.
Demgemäss wurde hier stets so vorgegangen, dass von demselben
Tiere das rechte und linke Präparat hergestellt, das eine unter die
einen, das andere unter die anderen chemischen Bedingungen gebracht
wurde und die bei dem einen und anderen erhaltenen Quotienten
verglichen wurden. Und zwar liess ich stets vor Beginn der Versuche
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 319
beide Präparate eine Stunde lang in ihren Badeflüssigkeiten hängen.
Es sei noch bemerkt, dass auch die Fäden der für die Stromzuleitung
benutzten Elektroden mit der gleichen Flüssigkeit zu tränken waren,
deren Einwirkung der Nerv ausgesetzt werden sollte.
Wie vorhin erwähnt, können die Zeitquotienten auch dann, wenn
wir die Bedingungen, soweit wir sie übersehen und beherrschen, ganz
gleich machen, nicht ganz unbeträchtlich schwanken. Obwohl daher
hier die Versuchsbedingungen für das rechte und linke Präparat so
genau als nur möglich übereinstimmend hergestellt (namentlich auch
die Elektroden möglichst genau an die gleiche Nervenstelle angelegt)
wurden, kann es doch nicht als sicher gelten, dass man unter gleichen
chemischen Bedingungen genau übereinstimmende Quotienten erhalten
haben würde, und dass etwaige Unterschiede, wenn sie nicht von ziemlich
grossem Betrage sind, wirklich auf die Veränderung der chemischen
Bedingungen bezogen werden dürfen. Aus diesem Grunde erschien
es nicht angängig, sich mit einmaliger Prüfung des einen und anderen
Präparates zu begnügen, sondern ratsam, jedes mehrmals zu unter-
suchen, um von dem Betrage der zufälligen Schwankungen ein Bild
zu bekommen und beurteilen zu können, was sich trotz dieser Un-
sicherheit aus den Ergebnissen entnehmen lässt. Ich ging daher so
zu Werke, dass, wenn ein Präparat gepr'“ft war, dies sogleich wieder
in seine Badeflüssigkeit zurückgebracht wurde und auf diese Weise
die beiden Präparate abwechselnd eine Anzahl von Malen untersucht
und. verglichen wurden. Es bestätigte sich auch hierbei, dass die für
dasselbe Präparat in den wiederholten Versuchen erhaltenen Zahlen
wenigstens zuweilen nicht unbeträchtlich auseinandergingen. Die mit
dem Wechsel der chemischen Bedingungen parallelgehenden Unter-
schiede sind, wenigstens in mehreren Fällen, bedeutend genug, um
trotz dieser zufälligen Schwankungen erkennbar zu bleiben. Immerhin
muss betont werden, dass diese Versuche an Sicherheit und Klarheit
der Ergebnisse immer hinter denjenigen zurückbleiben, bei denen, wie
beim Wechsel der Temperatur an derselben Nervenstelle, eben diese
Bedingungen ganz allein geändert werden, alles übrige aber genau
unverändert erhalten werden kann.
Was nun die geprüften chemischen Verhältnisse anlangt, so wurde
fast immer das eine Präparat in einer Flüssigkeit gehalten, die, wie
wir ‚annehmen dürfen, die chemischen Verhältnisse des Nerven so
wenig wie möglich modifiziert, also in Ringer-Lösung, einige Male,
auch in physiologischer (0,6 %iger) Kochsalzlösung, das andere dagegen
in einer Flüssigkeit, die aus diesen durch bestimmte Zusätze oder Ver-
mischungen hergestellt wurde. Auch die Zusammensetzung dieser modi-
fizierten Flüssigkeiten musste selbstverständlich immer in den Grenzen
gehalten werden, dass keine eigentlichen Schädigungen des Nerven zu
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 2l
320 J. von Kries:
befürchten sind ; namentlich muss man sich von denjenigen Zusammen-
setzungen, bei denen die Flüssigkeiten selbst bereits chemisch reizend
wirken, hinreichend entfernt halten. Die erste und einfachste dieser
Modifikationen bestand in einer Verdünnung mit destilliertem Wasser,
wobei also die Konzentration jedes Bestandteils im gleichen Verhältnis
vermindert und namentlich der osmotische Druck der Flüssigkeit
auf einen Bruchteil seines ursprünglichen Werts herabgesetzt wird.
Die Versuche dieser Art verliefen insofern überraschend, als sich zeigte,
dass selbst eine sehr beträchtlich verdünnte Ringer-Lösung (Ver-
dünnungen auf !/, oder !/,) die Funktionsfähigkeit des Nerven nicht
schädigt. Des weiteren aber zeigte sich unzweideutig, dass die
Quotienten durch die Verdünnung der umspülenden Flüssigkeit ge-
ändert, und zwar verringert, werden. Die folgenden Zahlen machen
dies ersichtlich.
Versuch vom 25. Juni 1918. Versuch vom 25. Juni 1918.
20.17.06. s=0(,760.N
A.Ringer 'B. 4 Ringer. A. Ringer. B. Y, Ringer.
A. 4,6 4,4 A Ad 5,0
B. 33 2,9 B. 3,5
Versuch vom 26. Juni 1918. Versuch vom 28. Juni 1918.
SO Ss O-TON
A.1%ige, B. 0,1 %ige Kochsalzlösung. A. Ringer. B. !/, Ringer.
A. 5,6 5,8 A.R9:0 5,0
B. 4,3 B. 3,6
Es sei hier daran erinnert, dass auch eine andere Modifikation
funktioneller Verhältnisse am Nerven durch Verweilen in umspülenden
Flüssigkeiten von wechselndem osmotischem Druck schon beobachtet
worden ist. A. G. Mayer fand, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit
des Erregungsvorgangs im Nerven der Cassiopeia von dem osmotischen
Druck derjenigen Flüssigkeit abhängt, in der das Tier vorher gehalten
worden war, und zwar um so grösser ausfällt, je höher dieser osmotische
Druck ist, — eine zunächst vereinzelte, aber gewiss sehr beachtens-
werte Tatsache!).
Im Hinblick auf die bei der Durchspülung des Froschherzens be-
kannt gewordenen Tatsachen lag es nahe, das der Ringer-Lösung
gewählte Mengenverhältnis der Ca- und der K-Ionen abzuändern. Ich
habe daher mit der Ringer-Lösung einerseits solche Flüssigkeiten
verglichen, die kein Cl,Ca und stattdessen eine etwas erhöhte Menge
1) A. G. Mayer, The nature of nerve econduction in Oassiopea. Proc.
of the National Ac. of Sciences I 270. 1915.
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 321
von CIK enthielten, anderseits auch solche, die umgekehrt kein CIK
enthielten und mit Cl,Ca angereichert waren. Es stellte sich bei diesen
Versuchen sogleich heraus, dass geringfügige Zusätze von Caleium-
oder Kaliumsalz, wie sie die Herztätigkeit schon erheblich zu be-
einflussen vermögen, die Quotienten noch nicht in erkennbarer Weise
ändern. Für etwas stärkere Zusätze war es erforderlich, so zu Werke
zu gehen, dass der osmotische Druck der Flüssigkeit nicht geändert
wurde. Ich verfuhr daher so, dass ich der Ringer- Lösung isotonische
Lösungen von CaCl; und von KCl herstellte. Alsdann wurden Mischungen
zubereitet, dieaus Ringer-Lösung und diesen Salzlösungen in passendem
prozentischem Verhältnis gemischt wurden.
Versuche über die Zumischung von Cl,Ca.
A. 0,6 %ige Kochsalzlösung.
B. 90 Teile 0,6 %ige Kochsalzlösung + 10 Teile isotonischer
C1,Ca-Lösung. s=0,17 0. “
6. November 1918. 7. November 1918.
ARE: 3:8 4,4 NS al 4,1 4,2
B. 2,9 B. 3.4 32
9. November 1918. ll. November 1918.
A 2639 6,7 4,8 A. 6,6 5,7 6,3
B. Sal DA B. 3.1 2,8
Versuche über die Zumischung von CIK.
A. 0,6 %ige Kochsalzlösung.
B. 90 Teile 0,6 %ige Kochsalzlösung + 10 Teile isotonische CIK-
/09°75
Eosung= 2 0A En
12. November 1918. 14. November 1918.
Aa 25,6 3,4 4,9 NN RL Dal 5,1
B. 4.1 4,9 B. 4—5 4,5
15. November 1918.
N | 6.0 Dt
B. 4.4 4.4
Hiernach scheint es, dass das Sp.V. durch Zusätze von Ca und
von K nicht im entgegengesetzten Sinne beeinflusst wird, sondern in
beiden Fällen durch die Modifikation der sozusagen normalen Durch-
spülungsflüssigkeit eine Verminderung erfährt.
21*
2 J. von Kries:
ID
Die dritte Änderung der chemischen Bedingungen, die ich geprüft
habe, ist eine Verschiebung der Reaktion im Sinne der Alkaleszenz
oder der Säuerung.
Was die Verminderung der H-Ionen-Konzentration anlangt, so
zeigte sich, dass ein Zusatz von 0,6 bis 0,8 ccm !/,, normaler Natron-
lauge auf 100 ecem Ringer-Lösung oder auch 0,6% iger Kochsalz-
lösung ohne Schädigung ertragen wird. Die hierbei erhaltenen Er-
gebnisse sind in den folgenden Tabellen enthalten.
Versuche über den Einfluss von Alkalizusatz.
A. Ringer- Lösung.
B. 100 cem Ringer-Lösung + 0,6 cem !/,, normaler Natronlauge.
23. Mai 1919. 28. Mai 1919.
SE S— 010. N
A. "48 3,6 3.5 A. 3,9 3,8
B: 5%) 4,5 B.; 8,3 4,8 8,0
31% Ma121919: 2. Juni. 1919.
Ss 01.0: s:=0,.22023
A. 40 4,2 3.93% 3,7 AA 4,3 4,9
3. Juni 1919.
SEITEN
A. 44 4,0 4,1
Ber 6,0 4,2
Man sieht, dass gerade hier die Ergebnisse nicht so konstant und
einheitlich sind, wie man wohl wünschen könnte. Das mag zum Teil
wohl daran liegen, dass die mit kleinen Mengen von Natronlauge ver-
setzten Flüssigkeiten ohne Zweifel Kohlensäure aus der Luft auf-
nehmen und dadurch gerade in dem hier in Betracht kommenden
Punkte verändert werden. Dies wird für die unbewegt stehende Bade-
flüssigkeit vielleicht weniger ausmachen, eher aber für den Nerven
selbst in Betracht kommen, der beim Versuch der Berührung mit der
Luft ausgesetzt war. Trotzdem dürfte der Schluss gerechtfertigt sein,
dass die Verschiebung der Reaktion im Sinne der Alkaleszenz
die Quotienten erhöht (das Sp.V. vergrössert wird). — Was die
Ansäuerung anlangt, so ertrug der Nerv einen Zusatz von Il cem
1/0 normaler Salzsäure auf 100 cem Ringer-Lösung ohne Schädigung.
Bei dieser Zumischung hat sich eine deutliche Beeinflussung der
Quotienten nicht ergeben, wie die folgenden Tabellen erkennen lassen.
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 393
Versuche über den Einfluss von Säurezusatz.
A. Ringer-Lösung.
B. 100 cem Ringer-Lösung —- 1 ccm !/,, normaler Salzsäure.
30. Mai 1919. 24. Juni 1919.
Se ON REN SU TEN
A. 8.9 4,3 3.9 A227 16.0 6,7 6,2
B. 3,6 Saal B. 6,4 7,1
Neben der zunächst verfolgten Frage, wie das Speicherungsvermögen
des motorischen Nerven von einer Anzahl verschiedener Umstände
abhängt, sollte, wie eingangs erwähnt, auch das Sp.V. verschiedener
reizbarer Gebilde verglichen werden. Dabei konnte es sich einerseits
darum handeln, für bereits bekannte Tatsachen eine genauere quanti-
tative Festlegung zu gewinnen, anderseits aber auch um die Be-
antwortung von Fragen, die sich auf Grund der bekannten Tatsachen
noch nicht mit Sicherheit beantworten lassen. Das erstere gilt nament-
lich für den kurarisierten Skelettmuskel, dessen relativ geringe Er-
regbarkeit gegen sehr kurzdauernde Ströme ja hinlänglich bekannt
ist. Es liess sich danach schon erwarten, dass bei dem hier eingehaltenen
Verfahren weit höhere Quotienten, somit höhere Werte für das Sp.V.
erhalten werden würden als beim motorischen Nerven.
Für die Versuche über direkte Muskelreizung habe ich zu Anfang
das bekannte, aus Semimembranosus und Gracilis bestehende Präparat
verwendet, dessen Bewegungen in der gewöhnlichen Weise durch Über-
tragung auf einen längeren Hebel sichtbar gemacht wurden. Ich erhielt
indessen bald den Eindruck, dass die Beobachtung am Wadenmuskel
doch eine grössere Sicherheit und Genauigkeit in der Beobachtung
kleinster Reaktionen boten, und bin daher auch hier wieder zu diesem
zurückgekehrt. Es wurde daher das gleiche Präparat wie in den Ver-
- suchen mit Nervenreizung benutzt; auch die Befestigung desselben
war die nämliche. Die Zuleitung der Ströme geschah durch die gleichen
unpolarisierbaren Elektroden, deren zu diesem Zweck etwas länger
gemachte Fäden durch kleine Öffnungen in der Haut gezogen und
um das obere resp. untere Ende des Muskels geschlungen wurden.
Notwendig ist dabei, die für die Festhaltung des Muskels dienenden
Klemmen zu isolieren, damit nicht eine Abblendung der Reizströme
durch die metallischen Teile des Trägers stattfinden kann.
Die Versuche am kurarisierten Muskel bestätigten sogleich die
vorhin erwähnte Erwartung. Es wurden hier für das Sp.V. Werte er-
halten, die sich etwa zwischen 15 und 22 o bewegen.
Was den.nicht kurarisierten Muskel anlangt, so wird wohl allgemein
von der Voraussetzung ausgegangen, dass bei seiner „direkten Reizung
324 J. von Kries:
tatsächlich doch die in ihm verlaufenden Nervenstämmchen gereizt
werden. In der Tat erhielt ich hier Werte für das Sp.V., die sich von
den am kurarisierten Präparat erhaltenen sehr stark unterscheiden
und den für den Nerven geltenden annähern. Sie bewegen sich zwischen
0,5 und 1,7 6. Immerhin liegen sie etwas höher als die am Nerven-
stamm gefundenen, was nicht überraschen kann, wenn man bedenkt,
dass die Beschaffenheit der intramuskulären Nervenfäden doch eine
erheblich andere ist als die der Fasern im Nervenstamm.
Von besonderem Interesse war es, in der uns hier beschäftigenden
Hinsicht das Herz zu prüfen, da es hier, im Zusammenhang mit anderen
streitigen Fragen, auch zweifelhaft erscheinen kann, ob wir den An-
griffspunkt elektrischer Reize im Muskelgewebe oder in den Nerven zu
suchen haben. Ich habe auch hier relativ sehr hohe Werte für das
Sp.V. erhalten; sie bewegen sich zwischen 15 und 45 o und liegen
also wohl noch über denjenigen des. kurarisierten Muskels. Dies
steht in gutem Einklang mit der bekannten Erfahrung, dass man
bei der Reizung des Herzens mit Induktionsströmen immer verhältnis-
mässig starke Ströme anzuwenden genötigt ist. Die Applikation der
Elektroden am Herzen geschah bei diesen Versuchen zunächst so, dass
eine Elektrode auf einen Vorhof, die andere an die Kammerspitze
angelegt wurde, die Durchströmung also in der Längsrichtung statt-
fand; sodann wurde auch eine Elektrode am rechten, eine am linken
Vorhof angelegt oder eine an einem rechten, eine an einem linken
Punkt der Kammer. Eine Abhängigkeit der Quotienten von diesen
örtlichen Verhältnissen der Reizströme habe ich nicht feststellen können.
Zusammenfassung.
Man kann für reizbare Gebilde, in erster Linie den motorischen
Nerven, diejenigen Stromstärken ermitteln, die einerseits bei langer,
anderseits bei sehr kurzer Schliessung eben hinreichen, um eine Er-
regung zu erzielen. Das Verhältnis beider Werte, das als Zeitquotient
bezeichnet wird, gibt ein Bild davon, in welchem Maasse bei länger
dauernder Schliessung der unmittelbare 'Erfolg des Stroms sich an-
sammelt oder aufgespeichert wird. Insbesondere lassen die Änderungen
der Zeitquotienten erkennen, in welchem Sinne jenes Speicherungs-
vermögen geändert wird.
Bei Stromstössen von der Dauer 0,17 erhält man beim motorischen
Nerven Zeitquotienten, die sich auf etwa 4 belaufen.
2. Die Zeitquotienten vermindern sich mit steigender Temperatur,
d. h. der erwärmte Nerv ist gegen kurze, der kalte Nerv gegen länger
dauernde Ströme verhältnismässig erregbarer. Dabei kommt es ledig-
Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde. 325
lich auf die Temperatur der Kathode an, während diejenige der Anode
ohne Einfluss ist.
3. Eine Abhängigkeit der Zeitquotienten von der Stromrichtung
ist nicht zu bemerken, wenn man dieselbe Elektrode als Kathode
benutzt und den Strom einmal von einer dem Muskel, einmal von einer
dem zentralen Nerven näheren Anode zuleitet.
4. Bei Verwendung polarisierbarer Elektroden (Platinelektroden)
erscheint das Speicherungsvermögen vermindert (geringere Zeit-
quotienten.
5. Die Zeitquotienten und demgemäss das Speicherungsvermögen
können erheblich modifiziert werden, wenn man den Nerven längere
Zeit in Flüssigkeiten verschiedener chemischer Zusammensetzung hat
verweilen lassen. Man erhält durch hypotonische Flüssigkeiten
(verdünnte Ringer-Lösung) Verminderung der Quotienten. Wenn
man ohne Änderung des osmotischen Drucks die Na-Ionen zum Teil
durch Ca- oder K-Ionen ersetzt, so werden in beiden Fällen die Quotienten
vermindert. Durch Verschiebung der Reaktion im Sinne der Alkaleszenz
werden die Quotienten erhöht, während eine Verschiebung im Sinne
der Azidität keinen sicher erkennbaren Einfluss besitzt.
6. Der kurarisierte Muskel zeigt eine weit stärkere Speicherung
als der motorische Nerv, d. h. das Übergewicht längerer Stromdauern
über kurze ist bei ihm weit stärker als bei diesem. Man erhält hier
Zeitquotienten im Betrage von 4 bis 8 schon bei Stromstössen, deren
Dauer sich auf 3-4 co beläuft. Ähnlich, sogar noch etwas stärker,
trifft dies auch für das Herz zu, für welches bei einer Dauer der Strom-
stösse- von 4-7 o noch Quotienten im Betrage von 5—6 gefunden
wurden.
7. Nimmt man an, dass irgendein unmittelbarer Erfolg des Stroms
im ersten Augenblick seines Einsetzens der Zeit proportional zunimmt,
um sich dann einem Höchstwert zu nähern, so kann man den Wert
h
mn oc . .. . . «
— — , also das Verhältnis des Höchstwertes zu der Anfangssteilheit,
dh/dr
alsabsolutes Speicherungsvermögen bezeichnen. Es ist ein Zeit-
wert, und zwar diejenige Zeit, während deren der Anstieg mit seiner
im ersten Augenblick vorhandenen Steilheit anwachsen müsste, um
auf die tatsächlich erreichte Maximalhöhe zu kommen. Diese Zeit
beträgt für den motorischen Froschnerven bei Zimmertemperatur etwa
0,7 o, während sie für den kurarisierten Skelettmuskel auf etwa 15 bis
22 o, für das Froschherz auf etwa 15—45 o veranschlagt werden kann.
Ein Versuch, an die mitgeteilten Tatsachen weitergehende Folge-
rungen zu knüpfen, würde mir verfrüht erscheinen. Doch ist vielleicht
die Zeit nicht gar zu fern, wo dafür die genügenden Unterlagen gegeben
sein werden. Nach einer neuerdings von Bethe entwickelten Ver-
336 J. v. Kries: Über die Wirkung von Stromstössen auf reizbare Gebilde.
mutung!) hätten wir uns die Auslösung einer Erregung daran gebunden
zu denken, dass an gewissen Stellen eine gewisse Konzentration von
H-Ionen entsteht. Wenn diese oder eine ähnliche Anschauung sich
bestätigt, wird man auch in Erwägung ziehen dürfen, worin jener
Vorgang besteht, der für das Speicherungsvermögen maassgebend ist.
Denn dass ein solches überhaupt nur in beschränktem Maasse besteht,
dass der Erfolg der Durchströmung nicht unbegrenzt der Zeit pro-
portional anwächst, das muss ja jedenfalls darauf beruhen, dass die
durch den Strom bewirkte Veränderung durch einen Vorgang anderer
Art wieder rückgängig gemacht oder aufgehoben wird, zum Beispiel
eine Diffusion, die elektrolytische Produkte wegführt, Konzentrations-
unterschiede ausgleicht u. dgl. Dass solche Vorgänge durch die Tem-
peratur, chemische Verhältnisse und anderes beeinflusst werden, ist
ohne weiteres einleuchtend. Bestimmte Annahmen über diese Vorgänge
werden also die hier beobachteten Tatsachen zu erklären haben, ander-
seits, wenn sie das in befriedigender Weise tun, darin eine beachtens-
werte Stütze finden.
1) Kapillarchemische (kapillarelektrische) Vorgänge als Grundlage einer
allgemeinen Erregungstheorie. Dies Archiv 163 S. 147. 1916.
®
EFT N nein eier
TEN EN
Autorenverzeichnis.
Abderhalden, Emil und Koehler,
Adrienne, Über die Einwirkung |
eines die alkoholische Gärung be-
schleunigenden, inAlkohollöslichen
Produktes aus Hefe auf niedere
Organismen. 209.
Abderhalden, Emil, Weitere
Studien über die von einzelnen
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stanzen mit spezifischer Wirkung.
S. 236.
Demoll, Prof. Dr. Reinhard, Die |
Akkommodation des Alciopiden-
auges. 8. 113.
Galant, Dr. S., Reflexus cochleo- |
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reflex. S. 221.
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(Frosch), ihre Ergebnisse und ihr |
Wertim Vergleich mit den anderen,
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Liljestrand, Dr. G., und Magnus,
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Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
d, .
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