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ZEITSCHRIFT
FÜR
DAS OLASSISCHE ALTERTHUM
BEGRÜNDET
von F. W. SCHNEIDEWIN uno E. v. LEUTSCH
HERAUSGEGEBEN
VON
OTTO CGRUSIUS
IN MÜNCHEN
Supplementband ΧΙ.
EHER
LEIPZIG
DIETERICHSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
THEODOR WEICHER
INSELSTRASSE 10
1907— 1910.
Druck von H. Laupp jr in Tübingen.
Inhalt des elften Supplementbandes,
Seite
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides.. Von Wiühelm
Elsperger . . Re ΝΥ FAR AR 1
Novae quaestiones es Se Eugenius Sicher . . . . . 177
Die Fische in Ovids Haleuticon. Von Georg Schmid . . . 253
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. Von Michael Per 351
DieTalion.- Von R ἯΙ . τ ς΄. „un. RR 405
Aristonstudien. Von August Mayer . . . . τ 3 185
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RESTE UND SPUREN
ANTIKER KRITIK GEGEN EURIPIDES
GESAMMELT AUS DEN EURIPIDESSCHOLIEN
VON
WILHELM ELSPERGER.
Philologus, Supplementband XI, erstes Heft. 1
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Schwerlich hat ein zweiter Dichter des Altertums gleich
bei seinem ersten Auftreten so viel Widerspruch erfahren wie
Euripides. Freilich das Leben der Bühne hatte in der
Folgezeit rasch für ihn entschieden, aber in der literarisch-
ästhetischen Kritik wogte der Kampf für und wider Euripides
noch lange hin und her. Es lohnte sich deshalb, die Stellen
zu sammeln, wo in den erhaltenen Scholien zu den Stücken
dieses Dichters — es sind die Scholien zu Hekabe, Orestes,
Phönissen, Hippolytos, Medea, Alkestis, Troerinnen — Tadel
gegen den Dichter noch erhalten ist oder erschlossen werden
kann. Zu der letzteren Art von Scholien gehören vielfach
auch die, bei denen durch Ausdrücke wie οὐ χαχῶς, χαλῶς,
οὐκ ἀπρεπές, πιϑανῶς, εἰκότως oder durch auffallende Erklä-
rungsversuche der Verdacht entsteht, daß der Scholiast Tadel
vorfand. Doch müssen solche Stellen einzeln geprüft werden,
da diese Indizien nicht überall von gleichem Belange sind.
Unter den Gegnern nun, die in unsern Scholien zu Wort
kommen, kann man mit Schwartz Grammatiker, die bei
der χρίσις ποιημάτων ihr Urteil abgeben, und Enstatiker,
die den Tadel geflissentlich zu suchen scheinen, unterschei-
den. Finden sich enstatische Urteile auch besonders häufig in
den Phönissenscholien, so kann man doch nicht (Scholia in
Euripidem vol. 1 οὐ II, Berlin 1887 u. 91; index analyt. vol. 11
p. 404) sagen: ‘Ceterum in Phoenissarum scholiis praeter 1116,
1456, 159, 1110 vituperat poetam homo ἐνστατιχός, in ceteris
fabulis οἵ χριτικοί. Denn wenn Scholien wie Ph. 26 xal ϑης-
ριώδης, φασί, καὶ ἀνόητος (Laios), (παρόσονγ ἀνελεῖν μὲν 00%
ἤϑελε τὸ βρέφος, οὕτως δὲ χαλεπῶς ἐλωβήσατο, das Schwartz
ebendort zitiert, von einem Enstatikos stammen, stammen
ΤΣ
4 Wilhelm Elsperger,
Scholien wie Or. 418 ὅτι ποτ᾽ eiollv ol) ϑεοί: ἀκαίρως
τοῦτο ἑώρακεν (Orest) γὰρ τὸν ᾿Απόλλωνα καὶ ἀχήκοεν αὐτὸν
αἴτιον. ὡσεί τις ἰδὼν ἀετὸν λέγει τί ποτέ ἐστιν " ἦ ἀετὸς; oder
Tr. 906 und ähnliche ebendaher. Ferner finden sich Bemer-
kungen wie schol. Ph. 1566 χ αὶ τοῦτο ἀπρεπές, welche man,
da eine ähnliche Bemerkung durch viele anderes berücksichti-
gende Scholien getrennt ist, auf einen geflissentlichen Tadler
zurückführen möchte, z. B. auch zu Med. 972 (xai τοῦτο ἀπι-
ϑανῶς), Tr. 1049 (καὶ τοῦτο γελοῖον). Auch Tadel und Frage
(ζἡτημα) läßt sich oft nicht trennen, da es nur verschiedene
Formen des gleichen Urteils sind. Stehen sie doch bisweilen
(z. B. schol. Or. 396 ἐγκαλοῦσί τινες ' πῶς γὰρ xTA.) unmittel-
bar neben einander. Daher sind die Scholien beider Formen
aufgenommen. Dagegen habe ich fern gehalten Bemerkungen,
die sich offenkundig nur gegen Schauspieler richten, z. B.
Schol. Or. 268 ce [S. 126, 2]!) : ἔδει οὖν τὸν ὑποχριτὴν τόξα
λαβόντα τοξεύειν " οἵ δὲ νῦν ὑποχρινόμενοι τὸν ἥρωα αἰτοῦσι μὲν
τὰ τόξα, μὴ δεχόμενοι δὲ σχηματίζονται τοξεύειν, ferner solche,
die das Fehlen einzelner Verse berichten. Denn selbst wenn
dieses Fehlen auf Athetese zurückzuführen ist, so wollte doch
der Kritiker den Dichter nicht tadeln, sondern nur sein Werk
wieder rein herstellen.
Es erübrigt nur noch eine Begründung meiner Anordnung
der Scholien in der folgenden Arbeit. Sie folgt nicht der
Reihenfolge, die durch das einzelne Stück gegeben ist; denn
da hätte das Aehnliche getrennt werden müssen, sodaß man
die Art der Kritik kaum mehr hätte überschauen können.
Auch nach den alten Termini technici kann man die Scholien
nicht wohl ordnen, weil Ausdrücke wie ἰδίως, ἀπιϑανῶς im
unseren Scholien ihrer alten Bestimmtheit entkleidet sind. Eine
zeitliche Anordnung hat die Schwierigkeit, daß die Rück-
1) Sind zu einem Vers mehrere Scholien vorhanden, so sind sie in
der Reihenfolge, in welcher sie in Schwartz’ Ausgabe stehen, mit den
Buchstaben a, b, e u. s. w. bezeichnet. Wenn nötig ist auch noch
Seite und Zeile mit vorgesetztem S. angefügt. Scholien , die sich nur
bei Dindorf (Scholia in Euripidem IV voll. Ox. 1837—63) finden, sind
analog mit vorgesetztem D zitiert. Eine Bezeichnung des Bandes ist
auch hier als selbstverständlich unterlassen. In Betracht kommen für
Hec. vol. I, für Orestes vol. II, für Phoenissae vol. III. — In der Textes-
gestaltung folge ich, wenn nichts anderes bemerkt ist, stets Schwartz.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 5
führung auf bestimmte Männer oder nur bestimmte Perioden
der kommentierenden Tätigkeit oft sehr unsicher bleiben muß.
So habe ich die einzelnen Stellen nach der Art des Tadels
unter möglichster Beibehaltung der alten Termini in Gruppen
zusammengestellt; innerhalb dieser aber die Ordnung nach
dem Alter möglichst durchzuführen gesucht. Verhältnismäßig
leicht zu erkennen sind altalexandrinische Bemerkungen (vor
allem von Aristophanes und Aristarch) auf der einen, byzan-
tinische auf der anderen Seite. In der Zwischenzeit ist eine
Periode kenntlich, in der das Beibringen gelehrten Materials
über alles geht. Zu ihr gehört einerseits Didymus, ja wir
dürfen annehmen, daß mit ihm diese Periode der kommen-
tierenden Tätigkeit beginnt?). Andererseits hebt sich ein
Verteidiger des Dichters, der sich gern aufs hohe Roß der
Gelehrsamkeit setzt, deutlich ab. Auf Didymus und seine
(wenig jüngeren) Geistesverwandten können wir manchen Tadel
mit ziemlicher Sicherheit zurückführen. Wie weit im übrigen
diese Zeit des unnötigen Beiziehens von gelehrtem Material
hinabreicht, wage ich nicht zu entscheiden. Die Angabe
Trendelenburgs (Grammaticorum Graec. de arte trag. iudiciorum
religquiae, Bonn 1867), daß der Verteidiger des Euripides ins
4. oder 5. Jahrh. n. Chr. gehöre (S. 67), fußt auf ungenügen-
dem und überdies anders zu bewertendem Material. Ueberhaupt
?) Die sicher altalexandrinischen Scholien sind mit der Beiziehung
gelehrten Materiales sehr zurückhaltend. Dagegen steht fest, daß Di-
dymus diese Zurückhaltung nicht übte; man vergleiche nur schol.
Med. 264 Ὁ (frag. 10 p. 244 Schm.), das wir ihm wohl ganz verdanken.
Daß er mit seinen gelehrten Angaben nicht immer glücklich war, zeigt
schol. An. 1077 in der bei Schwartz stehenden Form. Aus den letzten
Worten ἀλλ᾽ ἐκεῖ οὐκ αὐτὸς ὃ πάσχων φησίν, ἄλλ᾽ ἕτερος περὶ αὐτοῦ (sie
gehören eng zum Vorhergehenden, sofern sie zeigen, warum Homer
nicht tadelnswert war, wenn er δὴν δέ μιν ἀμφασίη ἐπέων λάβεν sagte)
würden wir doch schließen: also paßt die Homerstelle nicht hierher.
Vgl. auch noch Roemer, Abhandl. d. K. Bay. Akad, d. Wiss. I. Kl. Bd.
XIX 5. 637f. über schol. Hec. 886 - fr. 18 p. 246 Schm.). Didymus
ist nun in unserer Ueberlieferung die erste wieder mehr greifbare Per-
sönlichkeit eines Kommentators seit den alten Alexandrinern; das be-
stätigt die Ansicht, die wir uns auch sonst nach all dem, was wir von
ihm wissen, bilden müßten, daß er in gewissem Sinn epochemachend
für die Tragikererklärung war. Deshalb werden wir solange für wahr-
scheinlich halten, daß die anderen, die in derselben Art arbeiten wie
er, ihn zum Vorbild haben, nicht er einen unbekannten Anderen, bis
uns gewichtige Gründe das Gegenteil beweisen. — Beispiele, die unsere
Ansicht stützen, werden wir im Verlauf der folgenden Untersuchung
mehrfach finden,
θ Wilhelm Elsperger,
habe ich meine Arbeit nicht durch einer näheren Auseinander-
setzung mit Trendelenburg belasten zu müssen geglaubt, weil
die Grundlagen, auf denen heute eine Untersuchung der ein-
schlägigen Fragen sich aufbaut, gegen die zur Zeit Trendelen-
burgs bestehenden sich wesentlich verändert haben, vor allem
durch die Untersuchungen Roemers (Abhandl. d. K. Bay. Akad.
ἃ. Wiss. I. Kl. Bd. XIX, Abt. 3; Bd. XXII, Abt. 1 α. 8; Philo-
logus Bd. 65, 1906, Heft 1).
Neben dem einigermaßen Bestimmbaren findet sich aber
noch mancherlei, das irgendwann in der langen Zeit der ersten
fünf nachchristlichen Jahrhunderte entstanden und irgendwann
unserer Scholiensammlung angegliedert worden ist; wissen wir
doch nicht einmal, wer die uns vorliegenden Sammlungen end-
gültig redigiert hat. Deshalb mußte über die zeitliche Zu-
weisung der Scholien sehr oft Hypothese und subjektives
Urteil, wie es sich mir durch mehrfach wiederholtes Durch-
arbeiten der ganzen Scholienmasse gebildet hat, entscheiden,
und so bleibt gar manches fraglich. — Ein Register der be-
handelten Stellen soll die Benützung der Arbeit erleichtern.
I.
Wir sammeln zunächst die Scholien, die sich auf
aesthetische Kritik
beziehen.
1. Vekonomie der Stücke und Widersprüche.
Allgemeinerer Art sind die Bemerkungen über den Prolog.
Schol. Tr. 1 scheint, wie das ὅλος ἐστὲ (so Cobet) τοῦ
ϑεάτρου und die Zitierung von Bacch. 1. zeigt, nur die Tat-
sache feststellen zu wollen und, entsprechend der knappen
Form, aus der älteren Zeit zu stammen. Nur konstatierend
ist auch das jüngere schol. Hec. 1 [D 219, 13] und die Be-
merkung der III. Hypothesis zum Orest [D 7, 8]. Dagegen
ist im schol. Tr. 36: ἄμεινον ἦν ἀπὸ τῶν πραγμάτων Tapeto-
ἄγεσϑαι (die Hekabe), ὀδυρομένην τὰ παρόντα " οὕτως γὰρ
ἂν ἢ τραγῳδία τὸ πάϑιος εἶχε, νῦν δὲ ψυχρῶς διαλέγεται τῷ
ϑεάτρῳ, der Tadel ersichtlich; nichts hindert uns, das Scholion
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 7
für alt zu halten, auch nicht die etwas äußerliche Auffassung
des πάϑος (vgl. Roemer, Philol. 5. 58). Auch das ῥητοριχῶς
im schol. Ale. 1a (προλογίζει ὃ ᾿Απόλλων ῥητορικῶς) ıst wohl
tadelnd gemeint: er spricht wie ein Redner zu dem Publikum.
Dieses schel. mag alt sein, ebenso wie schol. Ph. 88 e: 7) διά-
ϑεσις... ἀγωνιστικωτέρα γίγνεται: τὰ γὰρ τῆς Ἰοκάστης
(also der Prolog) παρελκόμενά εἰσι καὶ ἕνεχα τοῦ ϑεάτρου ἐχ-
τέταται. Daß die Alten diesen Abschnitt (v. 88—201) als
unnötig bezeichneten, brauchte sie doch nicht zu hindern, ıhn
in anderer Hinsicht gut zu heißen.
Interessant sind noch die Bemerkungen zu dem Stücke,
das keinen spezifisch-euripideischen Prolog hat, zur Medea.
Da haben wir im schol. 40 die sehr beachtenswerte Be-
merkung: ἔϑος δέ ἐστιν αὐτῷ προλέγειν τὰ μέλλοντα. Sie kehrt
wieder zu v. 971: χαὶ νῦν προλέγει τὰ μέλλοντα ὡς εἴωϑε.
Die präzise Formulierung läßt diese Bemerkungen als alt er-
scheinen; doch finden wir sie im schol. 40 inmitten einer Be-
merkung, die eine ganz unmögliche Erklärung zu stützen
sucht. v. 39 f.: δειμαίνω... νιν μὴ ϑηχτὸν ὥσῃ φάσγανον
δι᾿ ἥπατος] schol. οὐ τοῦ αὑτῆς ἥπατος, ἀλλὰ τῶν παίδων " προ-
eine γὰρ “στυγεῖ δὲ παῖδας᾽. ἔϑος δὲ --- μέλλοντα. ὁμοία δὲ ἣ
ἀμφιβολία παρ’ Ὁμήρῳ [Σ 34] “δείδιε γὰρ μὴ λαιμὸν ἀπο-
τμήξειες σιδήρῳ, Dieser Vers schützt die verkehrte Interpretation
nicht, denn bei Homer kann man auf Grund der ganzen
Situation nicht zweifeln, wer gemeint ist. Wir haben also
wirklich Zitatenunfug. (Daß übrigens die richtige Erklärung
schon früher aufgestellt war, ergibt sich aus den ersten Worten
[οὐ τοῦ αὑτῆς. .1, die eben unser Scholiast bekämpft.) Man
darf nun wohl folgendes annehmen: Von dem alten Satz aus-
gehend, nahmen schon die Alten, wie nach ihnen noch viele
andere bis auf die letzte Zeit, an den Versen 38 ff. und bes.
40 Anstoß°). Unser Mann, den der Mißbrauch des Zitates
8) Ich glaube, daß die Verse 33—43 wirklich zu tilgen sind. V. 38f.
enthält den gleichen Gedanken wie v. 44f.; v. 408. findet sich mit
einer kleinen Abweichung nochmals v. 379f. (vgl. Wecklein, erklärende
Ausgabe zu v. 38f.); dort sind sie unentbehrlich, dort müssen sie also
auch ursprünglich gestanden haben. Dazu kommt, daß v. 36, 37,
44 f. die Aufmerksamkeit der Hörer auf die Kinder lenkt, die gleich
nachher (v. 46.) auftreten. Das ist sicher Absicht. aber zu einer solchen
8 Wilhelm Elsperger,
genügend charakterisiert (er stammt aus der Zeit des Didymus
oder der zunächst folgenden), sucht durch seine Erklärung die
Schwierigkeit zu lösen. Es ist übrigens wohl möglich, daß
das Zitat von einem Früheren beigezogen war zur Stütze der
richtigen Erklärung, da auch dort des Achilleus Kehle, wie
hier der Medea Leber, gemeint ist, obwohl das Possessiv-
pronomen fehlt.
Dieselbe alte Anschauung war aber, so glaube ich, auch
bei dem Autor des schol. M. 375 maßgebend: πῶς ἐπαγγει-
λαμένη τὸν Ἰάσονα ἀνελεῖν οὐκ ἀνεῖλεν; N τάχα ἐπεὶ ἐλϑὼν ὁ
ἄγγελος μετὰ ϑάνατον 'λαύχης nal Κρέοντος ἐϑορύβησεν αὐτὴν
λέγων χρῆναι τάχιστα φεύγειν " ἔνϑα [1122] καί φησι Μήδεια
φεῦγε", ὅϑεν οὖκ ἔσχε σχολὴν τοῦτο ἐργάσασθαι. Die Lösung
ist wiederum völlig verkehrt *), aber ein Zitat schmückt auch
sie. Bei beiden Scholien war wohl der Angreifer wie der
Verteidiger der gleiche.
Ueber Nutzen und Berechtigung
einzelner Szenen handelt vor allem die Hypothesis zu den
Phönissen, deren einzelne Urteile wir mit den Scholien ver-
gleichen wollen.
Die Hypothesis tadelt die Antigoneszene (v. 88—201) als
überflüssig: μέρος τοῦ δράματος οὐκ ἔστιν. Die Bemerkung
in schol. 88 c: ἣ δὲ ἔξοδος τοῦ παρϑένου εἰκών ἐστι τῆς Ὅμη-
Absicht passen die Verse 40--48, die die Gedanken der Hörer auf
Medea, die Königstochter, Iason und wieder auf Medea richten, sehr
schlecht.
*) Eine bessere Lösung hat Wecklein (erklärende Ausgabe) zu v.
375 gegeben. — Die Entwicklung der Rachepläne überhaupt dachte sich
meines Erachtens der Dichter wohl so: Im Prolog brütet Medea über-
haupt Rache, ohne daß ihr Plan feste Gestalt gewonnen hätte; nur
möchte sie alles, was sie an Iason erinnert, beseitigen. (Vgl. Wila-
mowitz, Uebersetzung der Medea, Einleitg. S. 26). Dann kommt Kreon
und kündet ihr Verbannung an: ihr ganzer Haß wendet sich zunächst
gegen Kreon und in dieser Situation spricht sie unsere Verse. Da
kommt Iason und sein Benehmen und seine Aeußerungen über die
Kinder (v.558 und 562), an denen doch etwas Wahres sein muß, müssen
ihre Gedanken auf ihn und die Kinder richten. Es ist klug gemacht,
daß Medea jetzt, solange ihr noch ein Rückhalt fehlt, gar nichts äußert.
Als sie aber durch Aigeus Deckung gefunden hat, haben ihre Pläne
auch festen Halt gewonnen, und sie kann den Kindermord ernstlich
planen. Sie will fort, nicht um der Strafe zu entgehen, aber damit
Jason nicht die Freude hat, sich an ihr zu rächen: Sie will sich (v. 797)
von den Feinden nicht verlachen lassen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 9
ρικῆς τειχοσχοπίας τῆς Ἥλένης will, wie die letzten Worte
ἐκ τοῦ ἐναντίου " ἐκεῖ γὰρ γυνὴ τῷ γέροντι δείκνυσι zeigen,
jedenfalls nicht zur Entschuldigung des Dichters darauf
hinweisen, daß er nach berühmten Mustern arbeitet. Vielmehr
will der Erklärer nur seine Weisheit anbringen.
Von der Bemerkung (83 d) εὖ διῴχηται ἣ τῆς ᾿Αντιγόνης
ἔξοδος dagegen könnte man wohl annehmen, daß sie im Gegen-
satz zu dem Hypothesisurteil geschrieben ist. Betrachten wir
weiter den zweiten Teil des schol. 88 ce: διδάσχει δὲ πρόοδον
παρϑένου γίνεσθαι κατ᾽ ἐπιτροπὴν μὲν μητρός, παιδαγωγίαν δὲ
τροφέως, χρείας μὴ τῆς τυχούσης ἐπειγούσης τὴν ἔξοδον, der
sich durch διδάσχει δὲ als ein Resume aus den Worten des
Dichters einführt! Das χρείας μὴ τ. τυχούσης fällt auf; ge-
meint ist damit das στράτευμ᾽ ἰδεῖν ᾿Αργεῖον (v. 91); denn ein
solches Schauspiel ist nichts Gewöhnliches. Aber weshalb ist
dieser einfache Gedanke so gewunden ausgedrückt? Es liegt
nahe, anzunehmen, daß der Scholiast sich gegen jemand wendet,
der ein χρείας τῆς τυχούσης (ohne rechten Anlaß) ἔξεισιν N
᾿Αντιγόνη bemerkt hatte. Und diese Bemerkung, die in dieser
Form gewiß nicht alexandrinisch ist, mag vielleicht an ein
altes Urteil ‘ansetzen. Aber eine sichere Anknüpfung
der Scholien an das Hypothesisurteil finden wir auch hier nicht.
Auf einem alten Urteil fußt vielleicht auch die im schol.
88 d folgende Bemerkung: χαλῶς δὲ τῆν βασιλικὴν παρϑένον
οὐ γυναῖκες φυλάττουσιν, ἀλλ᾽ ὃ διὰ τὸ γῆρας σώφρων χαὶ φρό-
γιμος - τοιγαροῦν οὐκ ἀσχέπτως μετ᾽ αὐτῆς ἔξεισιν, ...: Man
mochte es für unpassend gefunden haben, daß die Jungfrau
nicht eine Amme, sondern einen Pädagogen bei sich hatte;
denn ersteres entspricht dem tragischen Gebrauch. (Vgl. die
Amme der Hermione in der Andr., der Phädra im Hipp., der
Medea in der Med.; die Greise im Ion (v. 725 N.) und in der
Electra (v. 487 N.) stellen sich ausdrücklich als Erzieher der
Väter der betreffenden Frau, also des Erechtheus und Aga-
memnon vor). Wenn außerdem die Worte nur zur Erklärung
geschrieben wären, so würden keine so allgemeinen Redens-
arten folgen, die ja auch von einer Greisin gebraucht werden
könnten. Der wahre Grund, weshalb ein Mann eingeführt ist
(nämlich damit er sich auf seine Beobachtung gelegentlich der
10 Wilhelm Elsperger,
Entsendung zu Polyneikes berufen könne) ist weder hier noch
auch im schol. 96, wo die Oekonomie gelobt wird, richtig
angegeben. Der Scholiast paraphrasiert mit den Worten oixo-
νομικῶς φησιν αὐτὸν ὁ ποιητὴς ἀπεστάλϑαι eis τὸ στρατόπεδον,
ὅπως εὔλογον ἔχῃ πρόφασιν τοῦ ἐπιγινώσχειν ἅπαντας mur Vv.
96—98, ohne doch diese Bemerkung mit der Frage nach der
Wahl eines Mannes in Verbindung zu bringen. Ebenso will
der Scholiast zu v. 93... ἵνα τὸν πρωταγωνιστὴν ἀπὸ τοῦ τῆς
᾿Ιοκάστης προσώπου μετασχευάσῃ " διὸ οὐ συνεπιφαίνεται αὐτῷ
᾿Αντιγόνη ... nur seine Weisheit anbringen.
Das gleiche Urteil wie über die Antigoneszene fällten
die Alten über die Szene, in der Polyneikes auf Betrieb der
Iokaste in die Stadt kommt, eine Szene, die ich im folgenden
kurz den ‘Sühneversuch’ nennen will (v. 261—637). Merk-
würdig ist, daß dies Urteil allein sogar noch im Bewußtsein
der Byzantiner blieb, allerdings sehr verflacht: (arg. V; D 9,
99) εἰ nal ἀπίϑ'ανον ἔχει τὴν εἰς Θήβας Πολυνείκους εἴσοδον.
Im Seholion 170 haben wir auch hier einen (allerdings
wenig angebrachten) Hinweis auf Homer (τὸν ‘Oynptxöv Me-
νέλαον μιμεῖται: I 205 ff), der wohl von demselben stammt,
wie schol. 88 ὁ und mit der alexandrinischen Bemerkung nichts
zu tun hat.
Auch zu dem Urteil über den Schluß des Stückes (ὁ...
μετ᾽ ᾧδῆς ἀδολέσχου φυγαδευόμενος Οἰδίπους προσέρραπται διὰ
χενῆς) finden wir in den Scholien kein Pendant. Trotz man-
cherlei Tadel wurden gerade die Worte des Oedipus (ab-
gesehen von den ganz albernen Notizen schol. 1606 und 07)
nicht getadelt.
Für die weiter zu besprechenden Stellen läßt uns die Hy-
pothesis im Stich, doch können wir für schol. 202 wahrschein-
lich machen, daß es nicht altalexandrinisch ist. |[S. 276, 23]
ἔδει δέ, φασίν, ἀπὸ πολιτίδων ἢ συγγενίδων τῆς ᾿Ιοκάστης τὸν
χορὸν εἶναι, αἵτινες ἔμελλον παραμυϑήσασθαι αὐτὴν ἐπὶ τοῖς
συμβᾶσιν. Zugrunde liegt zunächst die allgemeine Vorstellung,
als müsse der Chor der Hauptperson an Geschlecht und Alter
oder doch sonst irgend wie nahe stehen. Dies stimmt für 14
der uns erhaltenen Stücke (Aesch. Choeph.; Soph. Ö.T., Aj.,
El., Trach.; Eurip. Hec., Hel., Med., Iph. Taur., An., El.,
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 11
[Ale., Her. fur., Or.]). Aber, abgesehen von den Stücken,
wo der Chor die Hauptperson oder doch eine unbedingt nötige
Person vertritt (Aesch. Suppl., Pers., Eum.; Eurip. Suppl.),
haben wir drei Stücke (Ant.; Hipp., Ion), wo der Chor der
Hauptperson des Gegenspiels entspricht, und zehn (Sept. c.
Th., Prom., Agam.; Philoct., Oed. Col.; Iph. Aul., Bacch.,
Heraclid., Troad., Kykl.), wo er sonst durch die Situation er-
klärlich wird. Also auf Grund dieses Sachbefundes durfte man
kein ἔδει aufstellen. Noch zweifelhafter wird die Sache da-
durch, daß gefordert ist, der Chor hätte mit Rücksicht auf
Iokaste gewählt werden müssen. lokaste tritt doch nur im
Sühneversuch hervor und gerade diesen bezeichneten die Ale-
xandriner als überflüssig. Der Kritiker aber dachte wohl nicht
weiter wie an die unmittelbar folgende Szene und stellte da-
nach seine Forderungen auf. Dasselbe gilt von dem Vertei-
diger: ἐπίτηδες δὲ obx εἰσιν Eyywpıar ... ἀλλὰ ξέναι χαὶ lepö-
δουλοι, ὅπως ἐν τοῖς ἑξῆς ἀδεῶς ἀντιλέγοιεν πρὸς τὴν ᾿Ετεοχλέ-
ους ἀδικίαν [folgt v. 526]. ἀεὶ γὰρ ὃ χορὸς παρρησιαζόμενος
τοῦ διχαίου προίσταται. πῶς οὖν ἔμελλον τὸν βασιλέα ἐλέγχειν
εἰ ὑπ᾽ αὐτοῦ ἐβασιλεύοντο; die Idee an sich ist nicht so übel,
man vergl. nur schol. Med. 823 und Aj. 134 (Pap. 12,27—13,8);
aber sonst paßt die Verteidigung nur für die zwei Interloquien
(v. 497 ἢ u. 526 δ) im Sühneversuch; wäre der vom Ver-
teidiger angenommene Grund der einzige Grund gewesen, so
hätte Euripides sein Stück so wenig überschaut wie unsere
Scholiasten. Dagegen mag das Urteil schol. Ph. 1019 a und
1053 (ἀγάμεϑ᾽ ἀγάμεϑα: ἀπὸ τούτων ἐχρῆν εὐθέως ἄρξασϑαι
τὸν χορὸν " ἐχεῖνα [τὰ περὲ Οἰδίπουν καὶ τὴν Σφίγγα schol. 1019]
γὰρ περιττά ἐστιν) wohl alt sein; trägt es doch zur Bestätigung
des Urteils des Aristoteles (poet. 1456 a, 26) bei.
Auch das Lied An. 1009—43 war wohl einst als nicht
passend getadelt worden. Denn im schol. 1009 Ὁ und c suchen
die Scholiasten mit recht schwachen Gründen zu zeigen, wie
das Lied in die Situation paßt. Der erste Grund: βουλόμενος
παραμυϑήσασθαι ὃ χορὸς τὴν “Eppeövnv μέλλουσαν συνοικεῖν
ἑτέρῳ ἀνδρὶ φησὶν ὅτι xal ἄλλαι τοῦτο πεπόνθασιν “Ἑλληνίδες
ἐξ αἰτίας τῆς χατασχαφῆς τῆς Τροίας paßt nicht, da Hermione
doch deswegen keinen Trost bedurfte. Der zweite ist besser:
12 Wilhelm Elsperger,
6 χορὸς ὥσπερ ἐναντία τὰ πράγματα δρῶν ϑαυμάζει πῶς χαὶ
ὑπὸ τῶν ϑεῶν ᾧχοδομήϑη ἡ Τροία καὶ ἀτίμως ἑάλω, συμπαϑὼν
δὲ τῇ ᾿Ανδρομάχῃ ὀδύρεται τὴν ἅλωσιν τῆς Τροίας. Warum
tut er dies aber gerade hier, wo Andromache gar nicht auf
der Bühne ist und auch im Vorhergehenden keine unmittelbare
Rolle spielt? Hieher gehören auch schol. Alec. 962, Hipp. 1102,
in denen jetzt allerdings nur mehr konstatiert wird, daß das
Lied die Gedanken des Dichters, nicht des Chores ausdrückt.
Doch mögen alle diese Scholien auf alte Bemerkungen zurück-
gehen.
Schol. Med. 666 ist m der überlieferten Gestalt unver-
ständlich; nach Αἰγέα muß eine Lücke sein, die etwa so zu
ergänzen wäre: λέγουσι τὸν Αἰγέα (χατὰ ϑάλατταν διὰ Koptv-
ϑου) εἰς Τροιζῆνα ἐληλυϑέναι διὰ τὸ δεδοικέναι πεζῇ ποιεῖσϑαι
τὴν πορείαν... Νεόφρων δὲ εἰς Κόρινθον τὸν Αἰγέα φησὶ πα-
ραγενέσϑαι πρὸς Μήδειαν ἕνεκα τοῦ σαφηνισϑῆναι αὐτῷ τὸν
χρησμὸν ὑπ᾽ αὐτῆς (folgt frag. 1). Da hier Gründe angeführt
werden, weshalb Aigeus zu Medea kam, ist es möglich, daß
der Kommentator auf die Bemerkung, das Auftreten des Aigeus
sei unmotiviert, antworten will. Ob schol. Med. 724 (es ist
wegen des ἴσως, das wegen v. 730 völlig überflüssig ist, wohl
späteren Ursprungs) und schol. Or. 472 Tadel berücksichtigen,
wage ich nicht zu entscheiden.
Ueber die Hypothesis zur Andromache wird später, bei
Betrachtung der Urteile über den Charakter der Tragödie, zu
handeln sein.
Einzelheiten (Fehlendes und Ueberflüssiges)
in einzelnen Szenen finden wir mehrfach beanstandet.
Recht gut ist das schol. Tr. 268. Dort klagt Hecabe
v. 265 auf die Mitteilung des Talthybios darüber, daß ihre
Tochter Grabesdienst leisten muß; darauf antwortet Talth.
εὐδαιμόνιζε παῖδα σήν " ἔχει καλῶς. Hec. τί τόδ᾽ ἔλαχες; dpa
μοι ἀέλιον λεύσσει; Ta. ἔχει πότμος νιν, ὥστ᾽ ἀπαλλάχϑαι
πόνων. Hec. fragt nun sofort weiter nach Andromache. Dazu
das schol. .. χαὶ (πῶς) ἡ Ἑκάβη οὔτε στενάζει οὔτε (muvdave-
ται πῶς) ἀπηλλάγη; εἴτε γὰρ οἶδεν, (ἔδει) οἰκτίσασϑαι περὶ ϑυ-
γατρός " εἴτε μὴ oldev, ἐρωτῆσαι καὶ μαϑεῖν. Es steht nichts
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 13
im Wege, diese treffliche Bemerkung mit Roemer, Philol.
S. 77 Anm. 20 für alt zu halten. Er scheint dort zu ver-
muten, daß der Dichter in dem Bestreben des προχόπτειν τὴν
ὑπόϑεσιν die Sache so kurz abmachte, und tatsächlich ist dies
die einzig mögliche Erklärung. Uebrigens findet sich ein
ähnlicher Verstoß, wenn er auch nicht so schwer ist, Phoen.
v. 170, wo Antigone von der Antwort des Pädagogen, Poly-
neikes werde in die Stadt kommen, gar keine Notiz zu nehmen
scheint. Dort ist aber nichts in den Scholien bemerkt.
Für alt mag man auch die ähnliche Verhältnisse berück-
sichtigende Bemerkung schol. Ph. 1751 ce halten: ὃ δὲ χορὸς
ἀσυμπαϑὴς παρϑένον οὕτως ἀτυχῶς φεύγουσαν μὴ οἰχτιζόμενος.
Ganz berechtigt; denn die Phönizierinnen sind überhaupt wenig
um die Handlung bekümmert. Indessen steht diese Partie in
dem Schluß der Phönissen, dessen Echtheit fraglich ist.
Im schol. Or. 1210 ἀνοίχεια δὲ ταῦτα τοῦ προχειμένου
ἀγῶνος bezieht sich das ταῦτα nicht auf v. 1210 speziell, da
dieser mit den vorhergehenden eng zusammenhängt und an
sich nicht tadelnswert erscheint. Aber dafß Orest und Pylades
in dieser kritischen Situation (ἀγὼν) der Elektra ein so spezi-
fiziertes Kompliment machen (v. 1204—10, bes. ©... τὸ
σῶμα ... πρέπον), fällt wirklich aus dem Stil der Tragödie
heraus. Auch Gottfr. Hermann (praef. Orest. p. XIV a. E.)
nahm daran Anstoß. Die Gestaltung ist zwar sehr realistisch,
aber nicht so angemessen wie die Stellen Phoen. 446, 504;
Hip. 198, 201, 215, 672 u. a, zu denen die Alten (vgl.
Roemer, Phil. S.55) den Realismus des Dichters anerkannten.
Eine bestimmte Entscheidung über das Alter der Bemerkung
ist nicht möglich; doch kann sie wohl alt sein; vgl. das zu
den Scholien über das φιλοσοφεῖν (S. 45f.) Bemerkte.
Im schol. Ph. 1539 zeigen die Worte: ὅλως ἐν πᾶσιν
Εὐριπίδης πτω χοποιός ἐστι χαὶ νῦν ὁ Οἰδίπους οὐδὲ ὁδηγόν
αὑτῷ ἔχει ἐν τῇ πατρίδι ὦν, ἀλλὰ καὶ μόνος ἐχπορεύεται ἕαυ-
τὸν ὁδηγῶν deutlich, daß man nicht daran Anstoß nahm, daß
Oedipus überhaupt herauskam, sondern daran, daß er, der doch
noch nicht verbannt war (die Verbannung erfolgt erst v. 1588 ἢ),
ohne Diener kam. Die Bemerkung bis hierher für alt zu halten,
hindert uns zunächst die Uebertreibung des ὅλως ἐν πᾶσιν.
14 Wilhelm Elsperger,
Bei Aristophanes allerdings muß sich Euripides (von Aeschylos
ran. 842 Mein.) © . . . πτωχοποιὲ χαὶ ῥαχιοσυῤῥαπτάδη und
(von Dikaeopolis, Ach. 413 M.) οὐκ ἐτὸς πτωχοὺς ποιεῖς zurufen
lassen; ebendort findet sich auch sozusagen ein Katalog der
Euripideischen πτωχοί, den wir durch den Hinweis auf Mene-
laos in der Helena (cf. v. 411 N.), den Amphithryo, Megara,
des Herakles Söhne im Her. fur. (v. 51 £.), die Herakliden im
gleichnamigen Stück (ἀλῆται v. 51) ergänzen könnten. Aber
ein wissenschaftlicher Philologe durfte dies Urteil nicht so
verallgemeinern. Auch nahmen die Alten, wie die Hypothesis
zeigt, an dem Auftreten des Oedipus überhaupt, nicht an seinem
einsamen (bettlerhaften) Auftreten Anstoß. Angeschlossen sind
nun die Worte: τάχα δὲ τῶν παρόντων χαχῶν πάντες ἐξῆλϑον
ϑεαταὶ γενέσθαι" διὸ μεμονωμένον ϑεράποντος Οἰδίποδος τὸ
πρόσωπον ἔξεισιν. Ich erkläre sie: Vielleicht waren alle
hinausgegangen, um das gegenwärtige Unglück zu betrachten,
deshalb muß Ödipus allein kommen. Das ist, wie das τάχα
δὲ zeigt, ein Verteidigungsversuch, allerdings ein recht alberner.
Aber er schließt sich genau an die vorhergehenden Worte an,
wenn man diese so erklärt, wie wir es taten. Vor allem zeigt
das πρόσωπον, daß der Verteidiger an das Bühnenbild dachte.
Eine Aenderung der Ueberlieferung erscheint mir demnach
nicht am Platze.
Kamen wir mit diesem Scholion wohl schon in späte,
d. h. nachalexandrinische Zeit, so scheint mir das sicher für
schol. Tr. 408: μάταιός ἐστιν ὁ Ταλϑύβιος ἐπιπλήσσων καὶ AE-
γῶν" εἰ μὴ ἐμαίνου, ἐτιμωρήϑης dv’ πᾶς γάρ τις τοῖς μαινο-
μένοις συμπεριφέρεται. Der Kritiker meinte wohl: wenn er
nicht strafen will, sollte er auch nicht reden; niemand wird
es ihm verdenken, daß er nicht straft; denn jeder gibt nach.
Wie kleinlich eine solche Auffassung ist, brauche ich kaum
zu zeigen. Wir würden eine Bemerkung darüber, dafs der
Herold so ins Allgemeine redet, eher erwarten; aber sie ist
aus dem Scholion nicht zu gewinnen.
Zuletzt sei schol. Ph. 911 angeführt, dessen Autor dem
Dichter am wenigsten gerecht worden ist: ἔδει, φασί, μὴ ἄντι-
χρὺ τοῦ Μενοικέως λέγειν τὰ περὶ τῆς σφαγῆς αὐτοῦ, ἀλλ᾽ ὥσπερ
καὶ ἑτέρωϑι ποιεῖ [Ion 1521] “δεῦρ᾽ ἔλϑ᾽ ἐς οὖς σοι, Das
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 15
Zitat bat der Scholiast offenbar nur seines Wortlautes wegen
beigezogen; denn die Situation ist eine ganz andere. Ion
fragt seine Mutter leise, um sie nicht zu beschämen, ob sie
sich nicht vielleicht doch von einem Sterblichen hat verführen
lassen. Aber warum sollte Menoikeus den Seherspruch nicht
hören? Darauf führt die Widerlegung: λέγοι δ᾽ ἄν τις ὅτι
γεννικόν ἐστι τὸ πρόσωπον χαὶ φιλόδοξον, ὡς καὶ τὴν ψυχὴν
προέσϑαι ὑπὲρ εὐχλείας. Mit solchen Worten läßt sich die
Befürchtung widerlegen: Wenn Men. hörte, was ihm drohte,
so konnte er durch Flucht das Opfer unmöglich machen. —
Daß Men. die Worte hören muß, damit er sich gegen den
Willen des Vaters selbst opfern kann, darauf ist weder Kri-
tiker noch Verteidiger gekommen.
Tadel gegen einzelne Aeußerungen.
Ueber schol. Hec. 1219 hat Roemer (Philol. S. 45) bereits
gehandelt. Es ist wohl auch wahrscheinlich, daß die Alten
das τοῦδε (Hekabe sagt zu Polymestor: χρῆν ©’... τὸν χρυ-
σόν, ὃν φὴς .. . τοῦδ᾽ ἔχειν, δοῦναι) auf Polydor, der in v. 1216
genannt wird, bezogen. Aus den Worten des Th. Magister:
εἰ δὲ μὴ τὸ Tode’ διὰ τὸν ᾿Αγαμέμνονα νοήσεις ὡς ἅπαντες
λέγουσι (D 502, 30) darf man für die ältere Zeit nichts
schließen. Die älteren Kritiker schreiben also οὐχ εἶπεν Ilo-
λυμνήστωρ περὲ τοῦ χρυσοῦ " ἐπελάϑετο οὖν ὃ ποιητὴς ἑαυτοῦ
χαί ἐστιν ἀκατασχεύαστα ταῦτα. Die Byzantiner sahen, nach
dem Zeugnis des Th. Magister, ein διαβάλλειν in den Worten,
da sie ja das τοῦδε auf Agamemnon bezogen. Zur Entschul-
digung des Euripides bemerkten sie dann εὕροις δὲ χαὶ ἕτερα
τοιαῦτα παρά τε Σοφοχλεῖ χαὶ τοῖς ἄλλοις. Daß sie solche
διαβολίαι selbst festgestellt hatten, ist deshalb nicht nötig; der
Satz selbst ist wohl älter. — Thomas Magister befreit die
Hekabe von dem Vorwurf einer διαβολία (οὐχ ἂν δόξῃ ἣ “Ἑκάβη
διοβάλλουσα), indem er auf ν. 994—7 verweist.
Unbedeutender ist schol. Ph. 1751 c, das aber inhaltlich
durchaus zu Recht besteht: ἄδηλον δὲ πρὸς τί ποτέ φησιν
αὐτὴν (Oedipus ἃ. Antigone) ϑεοὺς ἀξιοῦν (verehren) χαὶ μάλιστα
Διόνυσον. Bis zu einem gewissen Grad berechtigt (vgl. Roemer
Phil. S. 66) ist die Bemerkung schol. Ph. 980: eis οὐδὲν χρή-
16 Wilhelm Elsperger,
σίμον τοπογραφεῖ χτλ. Den folgenden Worten liegt dieselbe
zu der Anschauung des Dichters nicht passende Ansicht zu
Grunde, wie dem schol. 1315 (vgl. 8. 29): μᾶλλον δὲ αὐτὸν
ἐχρῆν ononelv, ὅπως τῶν πολεμίων παρακαϑεζομένων λήσεται ὃ
Mevorxeds φεύγων. Ich glaube, eine solche Beratung hätte sich
auf der Bühne auch nicht gut gemacht oder zu viel Zeit er-
fordert.
Medea spricht zu ihren Kindern in Gegenwart des Iason
v. 900: οἴμοι χαχῶν ὡς ἐννοοῦμαι δή τι τῶν χεχρυμμένων. Ur-
sprünglich stand hier wohl etwas ähnliches, wie wir es jetzt
im schol. 901 (καὶ τοῦτο χατὰ διπλῆν ἔννοιαν, ἣν τε ὃ ᾿Ιάσων
ὑπολαμβάνει οὐχ ὑγιῶς καὶ ἣν αὐτὴ χρύπτει ἀληϑεύουσα) lesen,
und wie es jetzt noch durch das geschwätzige Scholion 899
[S. 188, 18] durchscheint. Die jetzige Form ist nicht mehr
die alte, das zeigt das ἀγωνιῶ χαὶ πάνυ τετάραγμαι (wo sagt
das Medea? so konnte sie höchstens dem Jason scheinen)
ἐχεῖνο ϑυμουμένη τῶν χεχρυμμένων καὶ ἀδήλων (auch solche
mit χαὶ nachgesetzte Erklärungen finden sich erst in späteren
Scholien) ἀνθρώποις πραγμάτων, εἰ ζήσονται κτλ. Aber schol.
900 tadelt ν. 900 — es stammt also aus anderer Zeit wie
schol. 901 und die Vorlage zu schol. 899 — mit den Worten:
οὖχ ἀναγχαῖον ἣν ταῦτα λέγειν φαντασίαν γὰρ παρέχει τῷ
Ἰάσονι ὡς χακχοτεχνοῦσα. Die Entgegnung ἀλλ᾽ ἕνεχα τῶν
χοινῶν Nat ἀνθρώπους χαχῶν τὰ τοιαῦτα παρεγχωρεῖ (geht
an) λέγειν (so daß also Iason nichts Besonderes zu denken
brauchte) ist die einzig mögliche und schließt sich wohl an
das alte Urteil an. Aber auf den Einwand kam der Kritiker,
weil er sich nicht recht in Geist und Situation des lason ver-
setzen konnte; er traut dem lason dasselbe Urteil über Medea
zu, das er selbst hat, weil er eben das ganze Stück des Euri-
pides kennt. Bei seiner Geneigtheit, die Medea auf gute Art
los zu werden, war dieser natürlich leichtgläubig (quod
volumus, credimus libenter) und ließ sich durch v. 886—92
gewinnen.
Daß wir dem Tadler mit obigem Urteil nicht unrecht tun,
zeigt sch. Med. 324: μέμφονται τῷ Eöpırlöy ὅτι πεποίηκε τὴν
Μήδειαν ἐξ ὧν λέγει φανερὰν γιγνομένην τῷ Κρέοντι ὡς ὑπαύλως
ἔχει πρὸς τὴν νύμφην. Kreon sagt v. 281 f., 286 ff. deutlich -
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 17
genug, daß er Medea seiner Tochter wegen fürchte, eine ge-
heime Feindschaft (ὑπαύλως ἔχει) brauchte also nicht erst
offenbar zu werden. Vor allem aber ist es ganz natürlich,
daß Medea den König bei dem beschwört, was ihm am teuersten
ist. Daß dies seine Kinder sind, zeigen eben seine Befürch-
tungen; auch sagt er es in v. 329 deutlich selbst.
Auf schol. 922, das die Charakterzeichnung rügt,
sei hier nur im Vorübergehen hingewiesen; dagegen haben
wir wieder das Mißtrauen gegen Medea angedeutet im schol.
972: χαὶ τοῦτο ἀπιϑάνως [so Schw. statt des sinnlosen πιϑανῶς
AB] τὸ napeyyvaodar τοῖς παισὶν ἐντελλομένην ἐχείνῃ αὐτῇ διδό-
ναι, ὑπόληψιν ἔχουσαν φαρμακχίδος. Wenn es mit diesem Ver-
dacht, den Kreon v. 285 allerdings indirekt ausspricht, so
schlimm war, warum nahm man dann überhaupt Geschenke
an? In Wirklichkeit läßt Euripides Medea ihre Kinder des-
halb schicken, damit sie sich auch dadurch zwingt, sie selbst
zu töten, um ihnen nicht durch fremde Hand den Tod, dem
sie doch verfallen sind, antun zu lassen (vgl. v. 976 £., 1064 Ε΄,
1236—41; deshalb erschrickt sie auch v. 1008 so sehr)?).
Beanstandungen von nur Erzähltem.
Sind wir mit den letzten Scholien schon unter die alt-
alexandrinische Zeit gekommen, so zeigt sich im schol. An. 630
ein belesener Mann, dem aber ästhetisches Verständnis fehlt:
ἄμεινον ᾧχονόμηται τοῖς περὶ Ἴβυχον eis γὰρ ᾿Αφροδίτης ναὸν
χαταφεύγει ἡ “λένη χἀχεῖϑεν διαλέγεται τῷ Μενελάῳ, ὃ δ᾽ ὑπ᾽
ἔρωτος ἀφίησι τὸ ξίφος. Da das schol. für Didymus zu borniert
ist, dürfte es wenig jünger als er sein.
Hier sei auch auf schol. Ph. 36 und 44 hingewiesen. Der
Dichter ist allerdings kurz und dadurch ungenau, aber dafür
liegt dies alles auch weit vor der Handlung und hat wenig
mit ihr zu tun.
Widersprüche.
Von dem νόσημα τῶν ἀντιϑέσεων handelt schol. Tr. 906:
) Schol. Alec. 252: εἰκῆ φασι δεδόσϑαι τὰ περὶ τῆς ἐν τῷ ᾿Αχέροντι
πορϑμείας widerspricht jeglichem Geschmack. Die Stelle ist wohl ver-
derbt; Matthiäs Lösung befriedigt nicht. Roemer vermutete einmal
εἰχαστιχῶς statt εἰχῆ, so daß Lob (ein Bild zum Greifen) dagestanden
hätte.
Philologus, Supplementband XI, erstes Heft. 2
18 Wilhelm Elsperger,
χαταφέρεται εἰς τὸ νόσημα τῶν ἀντιϑέσεων" ἣ γὰρ πρότερον
λέγουσα - ὅρα pi σε ἕλῃ, νῦν φησιν ἄχουσον αὐτῆς. Der Ver-
fasser hielt Widersprüche bei Euripides offenbar für etwas
Gewöhnliches; sonst hätte er nicht τὸ νόσημα geschrieben.
Charakteristisch ist aber, daß er v. 891, auf den er offenbar
anspielt, nicht genau zitiert: ὁρᾶν δὲ τήνδε φεῦγε, μή σ᾽ ἕλη
πόϑῳ ist etwas viel Bestimmteres wie ὅρα μή σε ἕλῃ. Schein-
bar wäre so der Widerspruch noch viel schlimmer geworden.
In Wirklichkeit ist der Gedankengang der Hekabe wohl so
zu denken: Den Blicken der Helena hat sich Menelaos nun
doch ausgesetzt; mit diesen spricht aber Helena eine nicht zu
widerlegende Sprache; eher wird eine Widerlegung gelingen,
wenn ich aufihre Worte antworten darf. Entweder konnte
oder wollte der Kritiker demnach nicht genau interpretieren,
jedenfalls kann ich ihn nicht für einen alten Alexandriner
halten; trotz Roemer Phil. S. 46.
Formell ist dem ἣ γὰρ πρότερον λέγουσα... νῦν φησι
sehr ähnlich das διαλέγεται... ὃ πρὸ ὀλίγων ἐγκαλῶν im schol.
Or. 526: ἰδίως ἀπέστρεψε τὸν λόγον χαὶ διαλέγεται (Tyndareos)
πρὸς αὐτὸν (Orestes) ὃ περὶ τούτου (nämlich τοῦ διαλέγεσθαι
αὐτῷ v. 481) πρὸ ὀλίγων ἐγκαλῶν Μενελάῳ. So oft ich die
Stelle v. 477—541 auf mich wirken lasse, kann ich nicht um-
hin, diese Kritik für ziemlich kleinlich zu halten.
Das eigenartige ἰδίως findet sich nun auch schol. Or. 1075
ἰδίως ταῦτα 6 Βιυὐριπίδης τοῦ ΠΠυλάδου ἔμπροσϑεν [v. 765] εἰρη-
χότος ὅτι ἐχβέβληται ὑπὸ τοῦ πατρὸς, εἰ μὴ ἄρα αἰνίττεται,
ὡς μετὰ θάνατον τοῦ πατρὸς δυνήσεται χατελϑεῖν. BRoemer
(Phil. S. 47) scheint anzunehmen, daß das ἰδίως zu einer
Bemerkung gehörte, die ursprünglich zu v. 765 das ἴδιον
hervorhob. Aber durch bloßes Schreibversehen kann das, was
wir jetzt lesen, nicht entstanden sein. Wir können dagegen
annehmen, daß dem Redaktor das ἰδίως aus der mit ἔμπροσθεν
zitierten Stelle noch vorschwebte, er sich aber nicht mehr klar
darüber war, wann die Alten ἰδίως gebraucht hatten, und
meinte, man könne damit jegliches Neue bezeichnen. Etwas
Neues führt tatsächlich dieser Vers ein, sofern er zu der alten
Voraussetzung nicht paßt. Aehnlich mag auch das ἰδίως im
schol. Or. 526 zu erklären sein. Ob schon früher Kritik, die
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 19
ganz berechtigt ist, da stand, können wir nicht sagen; das
jetzige Scholion mit dem schwachen Konkordanzversuch ist
sicher späteren Ursprungs. Durch Vergleich der drei Scholien
gewinnt die Vermutung Sicherheit, daß in allen drei Fällen
die Kritik nicht altalexandrinisch ist. Wer der Tadler war,
läßt sich mit Bestimmtheit nicht mehr sagen.
Widersprüche zwischen Handlungen oder
Aeußerungen und Bezugnahme auf sie.
Als älteste Stelle kommt hier, soviel ich sehe, Med. 169
in Betracht. Es handelt sich um die Deutung der Verse
(160 44) ὦ μεγάλα ϑέμι καὶ πότνι᾽ ἄρτεμι (so die Handschriften)
λεύσσεϑ᾽ ἃ πάσχω, μεγάλοις ὅρχοις ἐνδησαμένα τὸν χατάρατον
πόσιν; neben den Versen (169 fi.) ΤΡ: χλύεϑ᾽ οἷα λέγει κἀπι-
βοᾶται Θέμιν εὐχταίαν Ζῆνά ὃ᾽ ὃς ὅρκων ϑνητοῖς ταμίας νενό-
μίσται. Dazu das schol. 169 τῶν διαβεβοημένων ἐστὲ ζητημάτων
χαὶ τοῦτο, πῶς ἣ Μ. τὴν Θέμιν χαὶ τὴν Αρτεμιν ἐπιβοᾶται
[v. 160], ἣ δὲ πρεσβῦτις ἀντὶ τῆς ᾿Αρτέμιδος τὸν Δία φησὶν αὐὖ-
τὴν ἐπιμαρτύρασϑαι. Es folgt der 1. Lösungsversuch: ᾿Απολλό-
δωρος μὲν οὖν φησὶν ὃ Ταρσεὺς τῆς ἀμφιβολίας αἰτίους εἶναι
τοὺς ὑποχριτὰς συγχέοντες τὰ χοριχὰ τοῖς ὑπὸ τῆς Μ. λεγομένοις.
δεῖν δὲ τὴν διαστολὴν yeyovevar (οὕτως ") Ὁ) τὴν μὲν Μήδειαν
ἅπαντα ταῦτα λέγειν ἐκ τοῦ " «αἰ ai διά μου χεφαλῆς φλὸξ οὐ-
ρανία βαίη ἕως τοῦ “ἄιες ὦ Ζεῦ χαὶ γᾶ χαὶ φῶς", τὰ δὲ ἑξῆς
τῷ χορῷ προσάψαι: οὕτως γὰρ ἐχούσης τῆς διαστολῆς αὐτῆς
φησάσης τῆς Μηδείας διαρρήδην προσχαλεῖσθϑαι τὸν Δία,
τὰ (δὲ) ἑξῆς τὸν χορὸν λέγειν Haydv οἵαν & δύστανος μέλπει
γύμφα᾽ " εἰ δὲ μὴ, γελοῖον δοχεῖν τῆς Μηδείας χαταρασαμένης
ἑαυτῇ τὸν χορὸν λέγειν “Ares, ὦ Ζεῦ καὶ γᾶ χαὶ φῶς. λελύσϑαι
οὖν τὴν ἀπορίαν. Die Worte εἰ δὲ μὴ τ. 5. w. sollen der Er-
klärung dienen; Apollodor meinte: spräche der Chor die Worte
ἄιες--ρ,ῶς, so würde er damit diese Gottheiten anrufen, den
Wunsch der Medea (sie zu vernichten) zu erfüllen, und das
wäre doch lächerlich. Diese Erklärung bekämpft — wenig-
stens lassen sich die Worte des schol. Med. 148 so am leich-
5) Wilamowitz’ Emendation ist, wenn auch nicht sicher, doch sehr
möglich.
9*
20 Wilhelm Elsperger,
testen erklären ‘) — Didymus [ef. p. 243 ἔς Schm.] im schol.
148: τὸ ἄιες ὃ Δίδυμος ὡς πρὸς τὰς τοῦ χοροῦ φησι λέγεσθαι '
ἠκούσατε; nal οὐ πρὸς τὸν Δία, ἐν ἤϑει οὖν τὸ ὦ Ζεῦ nal γᾶ
χαὶ φῶς. Es folgt dann kurz die Erklärung des Apollodor,
die wir schon kennen. Mit dieser Entgegnung hatte Didymus
sicher recht. Aber in seiner Erklärung beruft er sich, ebenso
wie Apollodor, auf v. 144 f.: ὁ δὲ Δίδυμός φησιν ὅτι διὰ τοῦ
λέγειν “διά μου κεφαλῆς φλὸξ οὐρανία βαίη᾽ [v. 144] ἐπικαλεῖται
τὸν Δία. τίς γὰρ εἶχεν αὐτῇ ἐπιπέμψαι τὸν χεραυνόν, εἰ μὴ Ö
Ζεῦς; εἰ δὲ ἣ πρεσβῦτις μὴ πάντων ὧν ἡ Μ. ἐπεχαλέσατο ἐμ-
νήσϑη, οὐ παράδοξον ἠρχέσϑη γὰρ τοῖς σεμνοτάτοις. Der erste
Ausweg ist unmöglich; denn v. 148—59 sind durch die Ant-
wort des Chores abgetan. Ueber den zweiten Satz (εἰ δὲ ἣ
πρεσβῦτις --- σεμνοτάτοις) wage ich kein Urteil zu fällen; selbst
Wilamowitz, der die Ueberlieferung in v. 160 hält (Exkurse
zur Medea, Hermes XV, S. 513, und Uebersetzung ἃ. Medea),
muß wohl diesen Ausweg gehen.
Von den Worten, die zwischen Apollodors und Didymus’
Lösung stehen, muß ich absehen; sie sind wohl ein Rest eines
Lösungsversuches, aber es fehlt so viel, daß er sich nicht mehr
näher erkennen läßt. Ueber den dritten Lösungsversuch im
schol. 169: οἱ δὲ λείπειν φασὶ τὸ ὄμνυμι Ζῆνα χαὶ Θέμιν kann
ich wohl kurz hinweggehen; dagegen ist die Bemerkung sch.
208} οἱ γοῦν προυπομνηματισάμενοι γράφουσιν οὕτος " “δύναται
τὸ λέγειν , Ζηνὸς δρχίαν ϑέμιν“ βοηϑῆσαι τοῖς προεχχειμένοις
ὅτι διὰ τῆς Θέμιδος τὸν Δία ἐπεχαλεῖτο, διὰ τὸ εἶναι Διὸς τὴν
Θέμιν nicht so übel; man lese nur Wilamowitz’ Uebersetzung
v. 169 neben seinen Ausführungen Exkurs S. 514. Wer war
wohl dieser Erklärer? Didymus kann es nicht sein; er nimmt
aber auch in sch. 169 auf ihn keinen Bezug, auch nicht, so
viel wir sehen, in der verstümmelten Notiz. Sonst möchte
man an Aristophanes denken.
Hatte man hier nur Anstoß genommen, so bezeugen die
7 Daß Apollodor (N. 63 bei Pauli-Wiss.) vor Did. lebte, dafür haben
wir kein direktes Zeugnis, aber durch unser Scholion wird es wahr-
scheinlich ; scheint es doch, daß es ganz durch Didymus vermittelt ist
(vgl. M. Schmidt, Didymi fragmenta p. 244). Schol. ran. 320, wo seine
Erklärung im Gegensatz zu der Aristarchs steht, weist ihn ebenfalls
der älteren Zeit zu.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 1
Worte schol. Ph. 301: οἵ τούτων ἐπιλαμβανόμενοι xal λέ-
γοντες πῶς οὐδὲν αὐτῶν εἰπουσῶν Φοινικχῶς φησιν Ἰοκάστη
“Φοινίσσαν βοὰν χλύουσα᾽ .. ., daß der Dichter hier getadelt
war. Die Antwort ist einfach und schon von Gottfr. Hermann
(praef. ad Phoen. p. XIII) gegeben. Die hohe griechische
Poesie braucht bei derselben Dichtgattung stets denselben
Dialekt. In der Tragödie wird gelegentlich angedeutet, in
welcher Sprache gewisse Worte gesprochen zu denken sind.
(Beispiele hat Wecklein, erklärende Ausgabe, z. v. S01f. an-
geführt.) Aber vielleicht hatten die Alten diese Sitte noch
nicht ausdrücklich festgestellt. So kann über die Zeit des
Tadels nichts weiter ausgesagt werden, als daß er spätestens
aus Didymus’ Zeit stammt; denn die Widerlegung charakteri-
siert sich durch schlecht angebrachte Gelehrsamkeit. Der
Scholiast fährt nämlich fort: ἀγνοοῦσιν ὅτι χατὰ τὴν φωνὴν
ὑποτίϑεται ὃ Εὐριπίδης αὐτὰς τῇ κοινολογίᾳ τῶν Φοινίκων (χρω-
μένας) οὐχ οἷον βαρβαρικῶς διαλαλούσας.., ἀλλὰ τῷ τῆς
λαλιᾶς ἤχῳ ποιούσας τι τοιοῦτον, ὥστε σημῆναι ὅτι εἰσὲ
Φοίνισσαι χαὶ ἐμφαινούσας τινὰ χαραχτῇρα τῆς πατρίου φωνῆς.
εἰ γὰρ nal “Βλληνικῶς ἐλάλουν, ἀλλ᾽ οὖν γε τὴν πάτριον ἔσῳζον
ἀπήχησιν τῆς φωνῆς. Daß diese Erklärung gezwungen ist,
fühlte er wohl selbst; zu ihrer Stütze offenbar hat er dann
ein Zitat --- ich darf wohl sagen — gemißbrauecht: ὡς Σοφο-
χλῆς Ἑλένης ᾿Απαιτήσει (frag. 179): al γὰρ χαραχτὴρ
αὐτὸς ἐνγλώσσῃ τί με παρηγορεῖ Λάχωνος ὀσμᾶσθϑαι λόγου᾽.
Er will nämlich wohl zwischen den Worten χαραχτ. ἐν
yAwoo. τί (με παρηγορεῖ) und seinem Ausdruck: τῷ τῆς λαλιᾶς
ἤχῳ ποιούσας τι ὥστε σημῆναι... χαὶ ἐμφαιν. τινὰ χαραχ-
τῆρα eine Parallele herstellen. Indessen wollte auch Sopho-
kles kaum — etwas Bestimmteres kann man schwer sagen,
da der Zusammenhang fehlt, doch spricht wohl Helena von
Menelaos — andeuten, daß Menelaos zwar Gemeingriechisch
sprach, aber mit lakonischem Akzent. So etwas lag einem
Diehter des 5. Jahrhunderts, in dem es noch keine χοινή gab,
doch völlig fern. Wenn auch Menelaos der Fiktion nach —
der Schauspieler sprach natürlich im gewöhnlichen Sprechdia-
lekt der Tragödie — dorisch sprach, so war dies noch immer
griechisch, und es zeigte sich nur ein χαραχτὴρ ἐν γλώσσῃ.
29 Wilhelm Elsperger,
Also hat der Scholiast auch dieser Stelle Gewalt angetan.
Ungefähr ebenso unberechtigt ist schol. Med. 97, für das
ich auf koemer Phil. 46f. hinweisen kann.
Es steht noch schol. Tr. 1107 aus: φαίνεται ἐπιλελησμένος
ὧν Tpoelpmnev ‘ Antara γὰρ ἐπὶ τὰς ναῦς ὡς ἀποτυμπανισϑησο-
μένη. Tatsächlich scheint die Schilderung, die in dem (πέσοι
χεραυνοφαὲς πῦρ) ὅτε... χρύσεα. ἔνοπτρα .. . ἔχουσα τυγχά-
vor Διὸς χόρα gegeben wird, zu v. 1057 ... ὃ τῆσδ᾽ ὄλεϑρος
ἐς φόβον Badei... nicht zu stimmen. Aber die Frauen
scheinen den Menelaos doch besser verstanden zu haben wie
der Kritiker. Der Euripideische Menelaos macht immer —
man vergleiche nur Orest. v. 6893—716 — ziemlich viel Worte,
ohne doch recht ja oder nein zu sagen, und man fühlt, daß
hinter seinen halben Zusagen kein rechter Ernst steckt. So
auch hier, doch hätte der Dichter deutlicher zeichnen dürfen ;
diese Stelle ist rein aus unserem Stück heraus kaum verständ-
lich. Der zweite Teil des Scholions sagt Unmögliches (ἐπιλε-
λησμένας αὐτὰς εἰσάγει) oder Selbstverständliches (χαταστοχα-
ζομένας ὅτι πάλιν χαλλωπίζεται).
Widerspruch der geäußerten Absichten
sticht auf schol. Ph. 1692 ἃ, und wahrscheinlich wurde durch
dieselbe Sache schol. 1710 veranlaßt. Ueber den ersten Teil
des sch. 1710 (διὰ μὲν τοῦ [1657] “ἐγώ σφε ϑάψω᾽ σπέρματα (!)
παρέσχε τῇ Σοφοχλέους ᾿Αντιγόνῃ, διὰ δὲ τοῦ φεύγειν τῷ ἐπὲ
Κολωνῷ Οἰδίποδι.), eine schlechte Byzantinerbemerkung, brauche
ich wohl nichts zu äußern; den Satz ὡς βούλονται γὰρ οἶχο-
γομοῦσι τὰ δράματα dagegen hat Roemer Phil. S. 36 in Ver-
bindung gebracht mit dem im schol. Electr. 445 ausgespro-
chenen altalexandrinischen Grundsatz, daß der Dichter in
Einzelheiten nicht an den Mythus gekettet werden dürfe. Ur-
sprünglich mögen diese Worte diesen Sinn gehabt haben; aber
den Widerspruch in der Schlußpartie der Phönissen kann man
nicht mit ihnen verteidigen; denn das ist nicht ein Wider-
spruch zwischen pödos und Dichtung, sondern ein innerer
Widerspruch der Dichtung selbst; somit passen sie nicht hierher.
Ich glaube auch, daß der Scholiast mit ihnen nur eine Unter-
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 23
stützung seiner Behauptung beabsichtigte. Warum dagegen
Schwartz das schol. 1692 οὐ τηρεῖ τὸ σύμφωνον, ἀλλὰ χατὰ τὸ
δρᾶμα ὑποτίϑεται. πῶς γὰρ ϑάψει ΠΟολυνείκην ᾿Αντιγόνη, συμ-
φεύγουσα τῷ πατρί; πλεονάζει δὲ τῷ τοιούτῳ εἴδει ὁ Εὐριπίδης
als Byzantinisch bezeichnet hat, ist mir nicht klar; die Stellen,
die Roemer Phil. 5. 45 zusammengetragen hat, sprechen für
sein Alter. Wenn es auch nicht altalexandrinisch ist, so
stammt es doch wohl aus derselben Zeit wie schol. Or. 526
oder Tr. 906 (vgl. S. 18). Auffällig ist nur der Ausdruck
χατὰ τὸ δρᾶμα ὑποτίϑεται. “Ὑπόϑεσις ist der Stoff, die Grund-
lage des Dramas, χατὰ τ. öp. ὕποτιϑ'". mag heißen: er schafft
sich (neue) Grundlagen im Verlauf des Dramas; d. h. der
Dichter muß, wenn Antigone ihren Bruder begraben soll, eine
andere Entscheidung bei ihr voraussetzen (ὑποτίϑεσϑ'αι), als
wenn sie ihren Vater begleitet. Inhaltlich ist die Bemerkung
ganz richtig und auch an Widersprüchen, auch solchen, die
den Alten auffielen, fehlt es bei Euripides, wie eben diese
Arbeit zeigt, durchaus nicht; wenn er wohl auch die Wider-
sprüche im Phönissenschluß nicht selbst verschuldet hat.
Von den Konstatierungen von
Widersprüchen zwischen zwei Erzählungen
. läßt sich zunächst nur sagen, daß sie nicht altalexandrinisch
sind; für zwei ist das Beiziehen gelehrten Materiales bezeich-
nend.
Im Schol. Ph. 71b lesen wir den Tadel: οὗτος ὃ τόπος
(τὼ δὲ... ξυμβάντ᾽ ἔταξαν τὸν νεώτερον πάρος φεύγειν ἑκόντα...
v. 711.) εἰς ἀσυμφωνίαν ἄγει τὸ δρᾶμα. ἔδει γὰρ ἐξέλασιν ὗπο-
ϑέσθαι τοῦ [Πολυνείχους, ἵνα διὰ τῶν ἑξῆς [v. 401] δεόντως λέ-
γοι ποτὲ μὲν En’ ἦμαρ εἶχον, εἶτ᾽ οὐκ εἶχον᾽. εἰ γὰρ ἀλλήλοις
ὑπεχώρησαν ἐνιαυτὸν παρ᾽ ἐνιαυτὸν ἄρχειν, πάντως χαὶ τὰ ἐπι-
τήδεια ἐπεφέρετο (ἂν) 6 Πολυνείκης. Tatsächlich ist aber durch
v. 76 (vgl. Weckleins Anm.) die Schwierigkeit gelöst. Sollte
jemand den Einwand εἰ γὰρ... als zu Recht bestehend be-
trachten, der bedenke, daß in der Heroenzeit der Fürst die
Gastfreundschaft der ξένοι (v. 402f.) beanspruchte,
nicht, oder doch nicht hauptsächlich, von seinem Gelde lebte.
24 Wilhelm Elsperger,
Von dem Augenblick an, wo er verbannt war, also im zweiten
Jahr, verließen ihn, den Heimatlosen, die Gastfreunde; auch
mochten immerhin die Wertgegenstände, die P. etwa mitge-
nommen hatte, im 1. Jahr verteilt und vergeben sein. Man
sieht, daß der Kritiker weder richtig interpretieren, noch sich
in die Heroenzeit versetzen konnte. Es ist dies ein ähnlicher
Geist wie der aus schol. 405 oder 47 sprechende, und die
Kritik mag wohl von demselben Manne stammen. An der
zuletztgenannten Stelle haben wir auch, ebenso wie hier, eine
wissenstolze (ἀγνοοῦσι sch. 47) Verteidigung, die aber gar
nichts nützt und auch gar nicht nötig war. Nach den Worten
δεῖ οὖν εἰδέναι bringt er zunächst des Pherekydes und dann des
Hellanikos Erzählung über die Entfernung des Polyneikes aus
Theben vor und bemerkt zuletzt ὅϑεν ὐριπίδης ταῖς δύο toro-
ρίαις ἐχρήσατο, ἐνταῦϑα μὲν τῇ “Ελλανίχου, ὕστερον δὲ τῇ De-
ρεχύδους. Als ob das einen Dichter entschuldigen könnte!
Recht charakteristisch ist auch die Menge der Scholien
zu Ph. 805. Den Widerspruch zwischen σφυρῶν σιδηρᾶ χέντρα
διαπείρας μέσον (v. 26) und v. 803E.: μήποτε. ... ὥφελες
Οἰδιπόδαν ϑρέψαι, βρέφος ἔχβολον οἴκων, χρυσοδέτοις περόναις
ἐπίσαμον " hatten die Alten nach schol. Il. B 45 (Ὁ. I, S. 74)
für belanglos erklärt, vgl. Roemer Phil. 5. 47. Wir wollen
nun die Späteren charakterisieren, deren Bemerkungen in den
Euripidesscholien allein erhalten sind.
Der älteste Lösungsversuch von den dort erhaltenen scheint
der des schol. 805 c. [5. 336, 12]: ἐχτὸς εἰ μὴ οὐκ ἐπὶ τῶν
σφυρῶν λέγει τὸ ᾿χρυσοδέτοις περόναις ἐπίσαμον᾽, ἀλλὰ διὰ τὴν
τύφλωσιν ἐπίσημον αὐτὸν γεγονέναι. Dieselbe Erklärung bietet
schol. 805 b und d. Für sie, die auch Hermann und Valke-
naer noch annehmen, spricht weiter der Umstand, daß die
χρυσοδέτοι περόναι (vgl. die von Valken. zu v. 812 beigezoge-
nen Stellen Ph. 62, Soph. Oed. R. 1269) bei der Blendungsge-
schichte gewöhnlich genannt werden. Sie ist also nicht so
übel, nur spricht dagegen, daß Euripides v. 801 ff. die Kreig-
nisse in chronologischer Reihenfolge anführt und in den fol-
genden Versen erst auf die Sphinx zu sprechen kommt. Doch
nicht deshalb wurde sie abgewiesen: μᾶλλον δὲ ἐμφαίνει τὰ
σφυρὰ .. διὰ τὰ παραχείμενα" ἐπάγει yap' “βρέφος ἔχβολον
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 25
οἴκων᾽. οὐ τυφλὸς δὲ ἦν, ἡνίκα ἐχβέβληται. Der letzte Satz
klingt herzlich einfältig; was den ganzen Einwand betrifft,
so muß man eben das χρυσοδέτοις περόναις ἐπίσαμον nicht auf
βρέφος sondern auf Οἰδιπόδαν beziehen. Nun kommt ein Er-
klärer zu Wort — ob es derselbe ist, der die frühere Erklä-
rung zurückwies, läßt sich nicht sicher sagen — den wir wohl
mit dem Verteidiger zu Ph. 71 identifizieren dürfen: ἴσως οὖν
διαφόρου οὔσης τῆς ἱστορίας οὕτως ἀμφοτέραις συγχατατίϑεται.
Die anderen Versuche lassen sich kurz abfertigen: schol.
Ph. 805 a meint, die Phonikierinnen hätten es als Barbarinnen
nicht genau gewußt; wie konnten sie dann das Lied über die
Urgeschichte Thebens v. 638—75 singen? Auch Thomas Magi-
ster‘) hat sich an der Schwierigkeit versucht — es ist dies einer
der wenigen Fälle, wo auch ihn noch ein ζήτημα aus früherer
Zeit beschäftigt — zunächst mit der Annahme einer doppelten
Ueberlieferung, dann mit einer eigenen Lösung, die recht by-
zantinisch ist: ἢ ὅτι ὁμολογημένως σιδηραῖ ἦσαν, . . . τιμῶν
δὲ τοῦτον ὡς βασιλέα οὕτω ταύτας χαλεῖ (D 224,1: Gu.).
Derselbe hebt zu Orest 1536 eine Schwierigkeit hervor,
für die merkwürdiger Weise’) von keinem alten Erklärer eine
Bemerkung da ist. Vers 1512 (.. ἡ Τυνδάρειος. παῖς διώ-
λετο) und 1536 (παρϑένον τε χαὶ δάμαρτα δύο νεχρὼ χατόψεται
[Menelaos]) reimen sich nicht recht zu v. 1494f. (ἃ δ᾽ [Helena]
Ex ϑαλάμων ἐγένετο... ἄφαντος), 1580 und anderen; man
müßte denn annehmen, daß Orest hofft Helena noch zu finden.
Darum ist die Bemerkung [D 324, 26] πῶς λέγε: τὴν δάμαρτα;
od γὰρ τέϑνηχε nicht so übel. Die Lösung: „Verschwinden und
Tod läuft auf dasselbe hinaus“ ist ganz schlecht, weil sie
nicht zu dem χατόψεται paßt.
Auf die Frage des Menelaos (Or. 395) τίς σ᾽ ἀπόλλυσιν
γόσος: sagt Orest: ἣ σύνεσις und auf die weitere, Erklärung
heischende Frage φῶς φής; : λύπη μάλιστά γ᾽ ἡ διαφϑείρουσά
6) Daß nämlich von diesem der ausführlichere Kommentar im Guel-
ferbytanus stammt, hat Dindorf (der ihn mit Gu. bezeichnet) in seiner
Scholienausgabe praefatio vol. I p. XVII seq. nachgewiesen.
?) Sogar eine Athetese der ganzen Scene hat, neben anderen Grün-
den, diese Schwierigkeit veranlaßt. Vgl. Grueninger, de Euripidis
Oreste ab histrionibus retractata, Diss. Basileae 1898 p. 11—22. Die
Alten lasen aber die Scene (v. 1506—36), wie schol. 1512 und 1521 zeigt.
οθ Wilhelm Elsperger,
με [v. 398] μανίαι τε, μητρὸς αἵματος τιμωρίαι [ν. 400]. Offen-
bar sollen die zwei letzten Verse dem Menelaos erklären, in-
wiefern die σύνεσις den Orest vernichtet, und der Sinn ist der:
Solange ich bei Bewußtsein bin, zehrt an mir (infolge meines
schlechten Gewissens) die λύπη; wenn ich rase, die Erinyen.
Diese bildet sich ja der Orest des Euripides (vgl. v. 253 [bes.
204] —279) nur ein; d. h. sie sind nur eine Personifikation
des schlechten Gewissens. Aber diese Neuerung des Kuripides
hat weder der Tadler (πῶς γάρ, φασίν, αἰτιᾶται τὴν σύνεσιν,
τὸ πᾶν αἴτιον τῶν ’Eptvbwv ἐχουσῶν) noch der Verteidiger ver-
standen. Dieser setzt nämlich in den Worten ἀγνοοῦσι δέ, ὅτι
ὑπὸ δισσῶν (auch das ist nach dem oben Gesagten falsch) φησιν
ἀπόλλυσϑαι, περὶ μὲν τὸν χαιρὸν τῆς ὑγιείας ὑπὸ τῆς συνει-
δήσεως, ἐν δὲ τῇ λύσσῃ ὑπὸ τῶν ᾿Ερινύων: ὃ χαὶ ἐπάγει" μα-
νίαι te’ die λύπη gleich σύνεσις (συνείδησις) und hat das
Verhältnis der Erinyen (μητρὸς αἵματος τιμωρίαι) zu der σύνεσις
nicht erkannt. Er charakterisiert sich aber durch sein &yvo-
οὔσι als der wissensstolze, und ist wahrscheinlich mit dem Ver-
teidiger zu Ph. 47, 267 (5. 48 £.), 301 (5. 21) identisch; wenn er
auch der Verteidiger zu An. 32 b ist, ist er nachdidymeisch (vgl.
S. 59). So kommen wir mit dem Tadel wohl in Didymus’ Zeit.
Ebenso wenig hat den Dichter der Tadler in sch. Or.
418 b verstanden (v. 418 Or.: δουλεύομεν ϑεοῖς, ὅ τι ποτ᾽ εἰσὶν
οἱ ϑεοί) ἀχαίρως τοῦτο Ewpaxe γὰρ τὸν ᾿Απόλλωνα χαὶ ἀχής-
χοεν αὐτὸν αἴτιον " ὥσεί τις ἰδὼν ἀετὸν λέγει TE ποτέ ἐστιν "
ἢ ἀετός: Das Letzte zeigt eine gewisse Bosheit. Aber daß
Orestes den Gott sah, ist nirgends gesagt; aus v. 267 darf
man es nicht schließen. V. 1668f. dagegen sagt er selbst, er
habe gezweifelt, ob die Worte, die er hörte, auch wirklich
von dem Gott ausgingen. Seine Sinne nahmen also etwas
Uebermenschliches auf, das er sich als einen Ausfluß einer
göttlichen Macht deutete; aber er weiß nicht, was eigentlich
(um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen) das objektive
Korrelat seines subjektiven Empfindens ist. Der Tadel wird
wohl dem vorausgehenden gleichzeitig sein.
Recht kleinlich ist schol. Or. 32b ζητεῖται τί δήποτε Avw-
τέρω παρϑένον ἑαυτὴν εἰρηχυῖα (Elektra) [folgt v. 26], ἐνταῦϑα
γυναῖχα ἑαυτὴν λέγει. Es folgt eine richtige Lösung.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides, 37
Der Autor des schol. Tr. 453 (Non δὲ διεχορεύϑη (Kassan-
dra) ὑπὸ τοῦ Αἴαντος, καὶ πῶς λέγει ἑαυτὴν παρϑένον; φαμὲν
οὖν ὅσον τὸ χατ᾽ αὐτὴν ἧχεν, παρϑένος ἦν " βίᾳ γὰρ διεχορεύϑη)
hat, so scheint es, den Grundsatz, daß man jedes Stück mög-
lichst aus sich erklären müsse, vergessen oder v. 70 falsch
verstanden.
Was sich sonst noch findet, sind Wortklaubereien: Ph.
111b: πῶς δὲ ἐνθάδε κατάχαλκόν φησι τὸ πεδίον, ἐν δὲ τοῖς
ἑξῆς φησι [1099] λεύχασπιν εἰσορῶμεν ᾿Αργείων στρατόν. ἀλλ᾽
οὗ πάντες ἦσαν λευχάσπιδες [zum Beweis folgt v. 121] ἢ χαὶ
ἀπὸ τῶν ἄλλων ὅπλων χατάχαλκόν φησι τὸ πεδίον. Die Ant-
wort konnte kaum anders ausfallen.
Zu Ph. 1130 (σιδηρονώτοις ἀσπίδος τύποις) lesen wir: πῶς
οὖν ἀνωτέρω eine [1099] "Asbxaonıv εἰσορῶμεν ᾿Αργείων στρατόν᾽
ἐν δὲ τῇ ᾿Αντιγόνῃ λέγει [frag. 159] ᾿χρυσεόνωτον ἀσπίδα τὰν
Καπανέως", also — will der Scholiast sagen — drei sich wider-
sprechende Angaben. Es folgt dann eine Erklärung der Epi-
theta.
Hec. 504: xai πῶς ὑποχατιῶν φησι (Talthybios) [v. 509]
πέμπουσιν δέ με δισσοί τ᾽ ᾿Ατρεῖδαι nal λεὼς ᾿Αχαιικός" (während
er hier nur Agamemnon nennt.) τάχα οὖν αὐτὴν ἄφοβον χαϑι-
στάς (φησιν): ἐν (δὲ) προοιμίοις οὐ ϑορυβεῖ αὐτὴν πλήϑει ὀνο-
μάτων. Wenn man so schreibt, ist auch diese Antwort, wenn
anders der Vorwurf eine Widerlegung verdient, annehmbar.
Hec. 273 sagt Hekabe zu Odysseus: ἥψω τῆς ἐμῆς, ὡς
ons, χερός (nämlich bei seinem Kundschaftergange nach Troja);
dazu das schol. des Th. Magister: εἰ xal οὐδὲν ἄνω [245 f.]
αὐτολεξὲ εἶπεν ὡς ἥψατο τῆς χειρὸς "Exraßns nal τῆς παρειᾶς,
ἀλλὰ δι᾽ ὧν ὡμολόγησεν ὡς ἥψατο τῶν αὐτῆς γονάτων... χαὲὶ
τοῦτο ἐδήλωσεν. 6 γάρ τινα ἱχετεύων οὐ γονάτων αὐτοῦ μόνον
ἅπτεται, ἀλλὰ χαὶ χειρὸς καὶ πώγωνος... . τούτων δὲ οὕτος
ἐχόντων οὐδὲν δεῖ ϑαυμάζειν χαὶ ἀπορεῖν εἰ “ὡς φής εἶπεν.
Um endlich zu zeigen, wohin man mit dem Aufdecken
von Widersprüchen kam, sei noch schol. Hec. 683 [D 391, 19]
erwähnt: ζητητέον ἐπὶ τοῦ ᾿οὐχέτ᾽ εἰμὶ δή, ἀπολόμην δύστη-
vog’ διὰ τί ἣ Ἑκάβη, καὶ πρότερον ἔχουσα λύπας πολλὰς...
χαὶ ἀλλοτρόπως ϑρηνοῦσα οὐχ eine χαὶ τότε τὸ ᾿οὐχέτ᾽ εἰμὲ δ᾽.
Die Lösung läuft, halbwegs vernünftig, darauf hinaus, daß
238 Wilhelm Elsperger,
mit der Ermordung Polydors jede Hoffnung auf Wiederher-
stellung Trojas dahin war. Warum schrieb aber der Mann
dann überhaupt sein ζητητέον" Auch merkte er nicht, daß
ἀπολόμην bereits in v. 440 steht.
Sich widersprechende örtliche Voraussetzungen.
Zu den Worten [Hec. 521 {.] παρῆν μὲν ὄχλος πᾶς ᾿Αχαιικοῦ
στρατοῦ πλήρης πρὸ τύμβου σῆς χόρης ἐπὶ σφαγάς bemerkt das
schol. [5. 50, 27---20 ΞΞ D 348, 2ὅ---28] ganz richtig: αἴτημα.
ounvınov" πῶς γὰρ τοῦ ᾿Αχιλλέως ἐν τῇ Τροίᾳ ϑανόντος τοὺς
Ἕλληνάς φησι πρὸ τοῦ ϑύμβου αὐτοῦ ϑύειν ἐν Χερρονήσῳ ὄντας:
-- M. Hier haben wir auch die einzig richtige Lösung: αἴτημα
σχηνιχόν: mit den zitierten Versen malt nämlich der Dichter
seinen Hörern ein prächtiges Bild vor, und derartige Schil-
derungen entsprechen dem Bühnenstil. Wie wenig sich über-
haupt die Dichter um derartiges kümmerten, hat Blaß (die
Interpolationen in der Odyssee) S. 16f. an Beispielen aus
Aesch. Agam. und Eurip. Supplic. nachgewiesen, wo er am
Schluß bemerkt: „aber in der Poesie gibt es keine Chrono-
logie und keine Topographie, wenigstens in der tragischen
nicht“. Man begnügte sich auch mit dieser Lösung, und erst
den Byzantinern (Gu. ed. I, vgl. Dind. im Apparat) blieb es
vorbehalten, das αἴτημα σχηνικόν wegzulassen, und dafür zu
schreiben: χαὶ φαμὲν ὅτι ἢ χενοτάφιον Ev Χερρονήσῳ ἐποίησαν
(dies berichtet auch das arg. I. bei Dind. I, 201,4) 7) εἰς
Τροίαν ἀπῆλθον χαὶ ἔϑυσαν τὴν κόρην. (Fl. 10, Gu., ed. 1.)
Eine doppelte Schwierigkeit deckt das schol. Hec. 53a
auf: (1.) εἰ κατὰ τὸν Εὐριπίδην ἴδιαι γυναικῶν αἰχμαλώτων στέ-
γαι ἦσαν (dies stimmt, vgl. v. 1017; überhaupt ist der ganze
Racheplan der Hekabe gegen Polymestor nur unter dieser
Voraussetzung möglich) πῶς &x τῆς σχηνῆς ᾿Αγαμέμνονος [v. 53£.]
ἐξήει ἣ Ἑκάβη; (2.) πῶς δὲ χαὶ ἐχεῖϑεν ἐξιοῦσά φησι μετ᾽ ὀλί-
γον [v. 87] ποῦ πότε Κασάνδραν ἐσίδω, Τρῳάδ.᾽ τῆς K. τῷ ’Ay.
ouvorxodong [vgl. 824ff.]; (1΄, 2 νοητέον τὴν Ἕ χάβην ....
προελϑεῖν Ex τῆς σχηνῆς τῶν αἰχμαλωτίδων, εἰσελϑεῖν τε εἰς τὴν
σχηνὴν᾿ Αγαμέμνονος εἰς ζήτησιν τῆς Κασάνδρας, ἵνα αὐτῇ χρίνῃ
τοὺς ὀνείρους χαὶ μὴ εὑροῦσαν αὐτὴν διὰ τὸ ἴσως (2 τὴν χό-
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 29
ρὴν μετὰ τ. κοίτην τοῦ ᾿Αγαμέμνονος χαϑαρμοῦ χάριν ἕωϑεν εἰς
τὴν ϑάλλασσαν ἀπεληλυϑέναι πάλιν (17) ἐξελϑεῖν τὴν χάβην
τῆς βασιλικῆς σχηνῆς. Dies geschwätzige Scholion ist in seiner
jetzigen Form, die einem Verteidiger angehört, sicher jünger
als Didymus; wer ursprünglich den Widerspruch aufdeckte,
können wir nicht mehr feststellen. Es ist aber älter wie das
sicher byzantinische schol. Hec. 53d [S. 18, 18f.], das aus
der Andeutung ἴσως τὴν χόρην — ἀπεληλυϑέναι einen νόμος
macht. Das ebenfalls byzantinische Scholion Hec. 53 c setzt
einfach περᾷ ἀντὶ τοῦ εἰσέρχεται [S. 18,16] und ὑπὸ σχηνῆς
gleich ὑπὸ τὸ ἔσχατον μέρος τῆς σχηνῆς, dachte also
wohl an eine Art Ellipse des Ausdruckes.
Einfacher wie diese, teils unmöglichen, teils gekünstelten
Lösungen ist die Hartungs (Eur. restitutus I, p. 510 und nota),
daß die Hintergrunddekoration das Zelt Agamemnons mit meh-
reren (Hartung sagt drei) Türen vorstellte; das Zelt war in
zwei Räume geteilt, deren einer für Agamemnon, der andere
für die Frauen reserviert war. Aus diesem Teil, der aber doch
ein Teil des Zeltes Agamemnons war, kommt Hekabe. Da-
mit wäre der Widerspruch zwischen v. 53f. und 1017 und
auch die zweite Schwierigkeit beseitigt. Aber da Hekabe eben
erst auftritt, wird man sich an die Worte σχηνὴ ᾿Αγαμέμνονος
überhaupt nicht hängen dürfen, sondern sagen δοτέον τὰ τοι-
αῦτα τῷ ποιητῇ.
Einen ganz gewiegten Scholiasten haben wir im schol.
Ph. 1315 vor uns, in dem jetzt ein Verteidiger zu Worte
kommt. δεῖ νοεῖν ἔσω τῶν τειχῶν τὸν σηχὸν τοῦ δράκοντος εἶναι "
πῶς γὰρ εἶχε τὸ σῶμα ἀναλαβεῖν ὃ Κρέων τῶν πολεμίων παρα-
χαϑημένων; das Scholion zeigt (durch das γὰρ) noch deut-
lich, daß man nur durch den Anstoß zu der Erklärung kam.
Was nun die Schwierigkeit betrifft, so hat der Dichter auf
die ganze Szene kein so großes Gewicht gelegt (vgl. Weck-
lein Einleitung 5. 18); denn nachdem das neue Unglück
(v. 1480 ff.) gemeldet ist, wird des Sohnes mit keiner Silbe
mehr gedacht. Auch spielt ja all’ dies ἔξω τῆς σχηνῆς. Uebri-
sens könnte man annehmen, daß, während Kreon den Sohn
aufhob, das argivische Heer sich an einen Punkt zusammenzog
— es war ja Waffenstillstand (v. 1240) — um dem Zwei-
30 Wilhelm Elsperger,
kampf der Brüder zuzuschauen. Aber an das Nächstliegende
dachte der Scholiast nicht und schrieb lieber das Unwahr-
scheinliche. Denn schon an und für sich wird sich kein Hörer
oder Leser eine tiefe Höhle (vgl. v. 931 ϑαλάμαις, v. 1010
σηκὸς μελαμβατής, v. 1315 χρημνὰ δρακχόντεια) innerhalb des
Mauerrings an der Mauer denken, auch brauchte Menoikeus
nicht auf die Mauer zu steigen, wenn er sich in einen Ab-
grund innerhalb der Stadt stürzen wollte. Aber auf diesen
Einwand war der Scholiast gefaßt; darum schrieb er: ἀπὸ δὲ
τοῦ τείχους ἔρριψεν ἑαυτὸν ὃ παῖς εἰς ἐπίδειξιν τῆς ὑπὲρ τῆς
πατρίδος προϑυμίας. Wir dürfen dies Scholion, der sprach-
lichen Gestalt wegen, für älter halten als schol. Hec. 53a; aber
über die Kritik können wir nur das eine sagen, daß sie kaum
altalexandrinisch ist.
Dasselbe gilt für schol. Or. 796, das ebenfalls Dinge ἔξω
τοῦ δράματος unnötig genau nimmt. Ueberliefert ist uns die
Frage: ζητεῖται πῶς διαλαϑὼν τοὺς φύλαχας ἐπὶ τὸ μνῆμα τοῦ
πατρὸς ἀπιὼν οὐ φεύγει. Darauf antwortet der Autor des
schol. φαμὲν οὖν ὅτι τὰ μνήματα τῶν βασιλέων ἔσω τῆς πόλεως
ἦσαν. Aber wie die folgenden Worte (οἱ δέ [5.1]. φασὶν] ὅτι
βαδίζοντα αὐτὸν πρὸς τὸν τάφον τοῦ πατρὸς οὐ διεκώλυον) zeigen,
muß die Frage ursprünglich nur gelautet haben: wie konnte
er zum Grab des Vaters kommen? Der Dichter legt auf diesen
Zug, den er nur der Sitte entsprechend erwähnt, kein großes
Gewicht; denn er schweigt v. 866—956 völlig davon. Die
erste Erklärung ist deshalb unnötig, wenn auch nicht falsch;
denn durch die Angaben in einem anderen Stück®) ist der
Dichter nicht gebunden.
2. Unwahrscheinliehkeiten.
Die älteste Bemerkung dieser Art ist die zu Hec. 280:
ἥδ᾽ ἀντὶ πολλῶν ἐστί μοι παραψυχή
πόλις τιϑήνη βάχτρον ἡγημὼν ὁδοῦ:
8) Electra v. 90—94; vgl. Belger, Die mykenische Lokalsage von
den Gräbern Agamemnons und der Seinen; Progr. Berlin 1893, S. 17.
Was er aber über Orestes’ Gang zum Grabe des Vaters sagt, ist falsch
(S. 14.): Pylades gibt vor (?), ihn (den Orest) zum Grab des Vaters
bringen zu wollen und führt ihn dabei (?) über den Markt.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 91
ἀπίϑανα ταῦτα οὐ γὰρ ἔμελλε γηροβοσχεῖν ἣ ΠΠολυξένη τὴν
Exaßnv μὴ οὖσα ner! αὐτῆς. ὅμως μέντοι πρὸς τὴν ἱκεσίαν
χρήσιμα. Die Beobachtung wie die Erklärung sind gleich gut.
Da das Scholion wie aus einem Guß erscheint, gehören beide
wohl demselben Mann, und zwar sind sie eines alten Alexan-
driners (vgl. Roemer Phil. S. 49) durchaus würdig.
In frischem Ton geschrieben ist auch das schol. Ph. 985:
εἴποι ἄν τις " ἕως οὗ ἀποστείλῃς τὸν χρυσόν, πόϑεν ἕξει τὰ ἀναγ-
χαῖα ἐφόδια; Aber die Sache selbst ist recht kleinlich und
zeigt den geflissentlichen Tadler. Man möchte an den Mann
denken, der im sch. 71 (8. 23f.) sich auch um den Lebens-
unterhalt kümmert. Sollte dies etwa gar Didymus sein, der
zu 1747 bemerkte: (Δίδυμός φησι) συμβουλεύειν αὐτῇ (Oedipus
der Antigone) τοῦτο ποιῆσαι (zu ihren Gespielinnen zu gehen)
ἵνα ἐρανίσωσιν αὐτήν. οὐδὲν γὰρ λαμβάνουσιν ἐξιόντες ἐφόδιον ὃ
Allerdings ist er sonst im Tone trockener.
Eine halbwegs gute Bemerkung haben wir in der großen
Masse von Scholien, die die Darstellung des Dichters Orest.
1483 und besonders 1486—89 betreffen.
Es handelt sich um die Schwierigkeit, die das im übrigen
ganz konfuse?) Scholion 1489} (Z. 14) hervorhebt: od γὰρ einds
ἣν οὕτως πολλοὺς εἶναι τοὺς ἐν τοῖς βασιλείοις τεϑνηκότας ὡς
χαταλέγειν πτώματα μυρίων νεχρῶν. (Das Letzte eine starke
Uebertreibung). Dazu haben wir im schol. 1484 (S. 228, 3—6)
die Bemerkung: ἴδιον... τῆς τραγῳδίας τὸ τὰ μιχρὰ τῶν πραγ-
μάτων ἐξαίρειν καὶ φοβερὰ ποιεῖν: ὥσπερ νῦν 6 Eöpenlöns ὡς
περὶ πολλῶν. .. τὸν λόγον (ποιεῖται). Allerdings ist das
erwähnte Verfahren mehr der Komödie als der Tragödie eigen,
und ein Aristophanes würde demnach das Urteil nicht ge-
schrieben haben, da er über die ganze Partie anders geurteilt
hat (vgl. schol. 1369 5. 55f.). Aber älter ist diese Beobach-
tung jedenfalls wie die ganz unmögliche, über den Text sich
keck hinwegsetzende Erklärung, wie wir sie oben aus schol.
1483b anführten, wie sie im schol. 1483 a und breiter 1484
9) Vgl. die Worte: (τότε), φησὶν, ἐν τῇ συμβολῇ τῇ πρὸς τὸν Ὀρέστην
χαὶ πρὸς τὸν Πυλάδην ἐφάνησαν οἵ Φρύγες [die folgenden Worte mit
Recht von Schwartz getilgt] καϑ'᾽ ὅσον ἦμεν ἐλλάττους ἐν τῇ μάχῃ τῇ
πρὸς τοὺς “Ἕλληνας κατὰ τὴν Ἴλιον.
32 Wilhelm Elsperger,
(5. 227,19 — 228, 2), 1486a und b ausgeführt ist. Beachtens-
wert ist nur der Wissensstolz des Urhebers dieser Erklärung:
οἱ δὲ μὴ νοήσαντες (daß der Phryger in seiner Angst von den
Vorgängen in Ilion rede) πολλοὺς ᾧήϑησαν Ev τοῖς βασιλείοις
ὑπὸ τῶν περὲ τὸν Ὀρέστην ἀπολωλέναι; er ist wohl mit dem
Verteidiger zu Or. 996 (5. 251.) identisch und somit wahr-
scheinlich nachdidymeisch. Im schol. Hip. 125 a bezieht sich
das ἀπιϑάνως (κεῖται τὸ MV’. ἔδει γὰρ λέγειν: ἔνϑα μοί τις
συνέτυχε φίλη) wohl nur auf die sprachliche Beobachtung, daß
durch den Gebrauch von ἦν (ὅϑι μοί τις ἦν φίλα) für συνέτυχε
die Erzählung unwahrscheinlich scheine. Aber der Scholiast,
der das οὐχ ἀπεικότως (125b .. . φιλοῦσι γὰρ ἐν ταῖς τοι-
αὗταις συνόδοις ὁμιλίαι περὶ βασιλέων παρεμπίπτειν πρὸς παρα-
υυϑίαν τῶν καμάτων, ὥστε οὐχ ἀπεικότως πρὸς πλυνούσης φίλης
πυϑέσϑαι εἰπεῖν) schrieb, scheint (vgl. das über sch. Hec. 825,
S. 34 Bemerkte) einen Tadel, daß dies unwahrscheinlich sei
(ἀπιϑάνως ταῦτα ἔχειν), berücksichtigt zu haben. Doch scheint es
mir wahrscheinlicher, daß der Scholiast das schol. 125 a falsch
verstand, als daß er einen weiteren Tadel las.
Ebenso legt das εἰκότως ım schol. Ph. 151 nahe zu glau-
ben, ein Kritiker habe zu v. 15lf. ein ἀπεικότως oder Ant-
ϑάνως geschrieben. Jedenfalls ist die Erklärung: eixötws δὲ
τὴν "Apteuıv xat’ αὐτοῦ (Parthenopaios, der Atalante Sohn) ᾿
ἐπικαλεῖται ὡς ϑυμουμένην χατὰ τῆς ᾿Αταλάντης, ἐπεὶ... . ..
τῷ Μειλανίωνι γαμηϑεῖσα κατεφρόνησε τῆς ᾿Αρτέμιδος, von außen
geholt; der Dichter kennt sie nicht; denn er gebraucht das
Präsens: & μετὰ ματέρος. . . ἱεμένα. Umgekehrt hat die
Anrufung der Artemis gegen den Sohn ihrer Genossin etwas
Unwahrscheinliches.
An Einzelheiten hängen sich schol. Ph. 856 (στεφάνους
γὰρ ἔχουσιν Ey τοῖς πολέμοις, ἵνα νικῶντες ἀναδέωνται). WO
das γὰρ samt der gesuchten Erklärung es wahrscheinlich macht,
daß der Scholiast auf ein ἀπίϑανον τὸ ἔχειν στεφάνους ἐν τοῖς
πολέμοις antwortet; ebenso schol. Ph. 27b (zum v. 27 ὅϑεν
γιν Ἑλλὰς ὠνόμαζεν Οἰδίπουν schol.: ἣ μὲν Μερόπη πρώτη
αὐτὸν ἐκάλεσεν Οἰδίπουν, ἡ δὲ Ἑλλὰς ἀπ᾽ αὐτῆς διεδέξατο τὸ
ὄνομα), wo der Scholiast jedenfalls es unwahrscheinlich fand,
daf3 Griechenland dem Oedipus sollte den Namen gegeben haben.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 33
Daß die Gestaltung dadurch unwahrscheinlich werde, daß
sie nicht zum Wesen der handelnden oder sprechenden Person
passe, wird bemerkt im schol. Ph. 839, Or. 1378.
In jenem Scholion (εἰ δὲ τυφλὸς ἦν [Tiresias], μὴ ϑαυμά-
σῃς (daß er doch den Vogelflug notierte)" ἣ γὰρ ϑυγάτηρ...
τὰς γινομένας πτήσεις ἐσημειοῦτο. . . .) das im übrigen einem
Erklärer gehört, weist das μὴ ϑαυμάσῃς auf einen Anstoß,
den Frühere nahmen, und bezeugt ist dieser durch das ἀποροῦσι
im byzantinischen Scholion (D 235,1). Wenn auch beide
Scholien ziemlich spät zu sein scheinen, so mag doch die Aus-
stellung älter sein. Zum mindesten hat Sophocles (Antig.
1012 ff.) eine entsprechende Auseinandersetzung gegeben.
Im schol. Or. 1378 liegt der Tadel zu tage: τοῦτο (möv-
τον, ᾿ωὠχεανὸς ὃν ταυρόχρανος ἀγχάλαις. ἑλίσσων χυκχλοῖ χϑόνα)
ἔξωϑεν πρὸς ἀναπλήρωσιν τοῦ ἰαμβείου προσέϑηκεν οὐ γὰρ
ἁρμόττει ἀμαϑεῖ γε ὄντι τῷ Φρυγὲ τοῦτο λέγειν. Der Tadel
besteht im großen und ganzen zurecht; wie soll der Barbar
die griechische Mythologie kennen? Da er im übrigen als
richtiger Phrygier gezeichnet ist, hätte sein Wesen auch in
diesem Zuge rein bleiben sollen. Es steht nichts im Wege
diese Beobachtung für alt zu halten.
Ὁ. Charakterzeichnung.
Verletzung des ἡρωιχόν ἦ,ϑϑος (schol. Hec. 342).
Zu Phoen. 395 ἀλλ᾽ ἐς τὸ χέρδος παρὰ φύσιν δουλευτέον
bemerkt der Scholiast: οὐχ ἀξιόχρεως ἥρωος ὃ λόγος. Auf
derselben Vorstellung, die auf die alten Alexandriner zurückgeht,
beruhen die Bemerkungen, in denen gerügt wird, daß bei der
Charakterzeichnung die nötige Würde außer Acht gelassen sei.
Für den Charakter des Agamemnon ist dies bemerkt
schol. Hec. 898: od χαλῶς φησι ταῦτα ὃ ᾿Αγαμέμνων. Mit den
Worten ἐχρῆν γὰρ αὐτὸν... μὴ ἐλέγξαι τὴν ἑαυτοῦ γνώμην"
οὗ γὰρ ἀνάγχῃ τοιαύτῃ ὑπέχειτο βασιλεὺς ὧν bezieht sich der
Kritiker auf die Verse 898—901, in denen Aganıemnon tat-
sächlich Rechenschaft ablegt über die Gründe seiner Erlaubnis.
Der Tadler ist aber der eigentümlichen Charakterzeichnung,
die Euripides hier wie immer von den Königen gibt (vgl.
Roemer Abh. d. K. Bayer. Akad. d. Wiss. philos.-hist. Klasse,
Philologus, Supplementband XI, erstes Heft. 3
24 Wilhelm Elsperger,
Bd. XXII, Abt. III S. 585), — für Agamemnon z. B. noch Or.
1186, wozu die Scholien schweigen — nicht gerecht geworden.
Unser Agamemnon ist ebenfalls (durch v. 855ff. und besonders
857: ἔστιν γὰρ ἣ ταραγμὸς ἐμπέπτωχέ μοι) genügend charak-
terisiert. Ein Aristophanes oder Aristarch würde sich nicht
an das Einzelne, sondern an das Ganze gehalten haben, und
so mag Baumstark, Philol. 53, S. 693, Anm. 13 recht haben,
wenn er das Scholion auf Didymus zurückführt. Eine „Be-
ziehung auf die Gegenwart“ ist aber dem Dichter hier nicht
vorgeworfen.
Im schol. Hec. 825 lesen wir nur mehr die Verteidigung:
οὐ μαστροπώδεις οἱ λόγοι, ἀλλ᾽ ἀφαιρεϑεῖσα τὸν τ. τύχης ὄγχον
εἰς πᾶν ὁτιοῦν καταβαίνει χαϑομιλοῦσα τοῖς καιροῖς καὶ λέγουσα
ταῦτα δι᾿ ὧν ἔμελλε ϑηρᾶσϑαι βοήϑειαν; aber an sich schon
wäre das οὐ μαστροπώδεις verdächtig und tatsächlich ist der
Tadel hier erhalten 1) zu Aj. 520:
Tekmessa: ἀλλ᾽ ἴσχε χἀμοῦ μνῆστιν: ἀνδρί τοι χρεὼν
μνήμην προσεῖναι, τερπνὸν εἴ τί που πάϑῃ,
schol.: ... αἰδημόνως δὲ αὐτὸν ὑπομιμνήσχει τὰ τῆς εὐνῆς"
διὰ τούτου γὰρ μάλιστα δοχεῖ αὐτὸν πείϑειν" ὁ δέ γε Εὐριπίδης
μαστροπικώτατα εἰσάγει τὴν χάβην λέγουσαν (folgt v. 928 ff.).
Nun hat Roemer Philol. S. 51 mit Recht hervorgehoben, daß
der Scholiast das τερπὸν mißdeutet, um den Hieb gegen Euri-
pides anzubringen; aber dadurch wird es wahrscheinlich, daß
er den Tadel schon anderswoher kannte und hier nur verwer-
tete. Vergleicht man nun, wie dies Roemer a. a. Ὁ. 8. 59£.
getan hat, die Verteidigung mit der im schol. An. 32 Ὁ, so
wird es sehr wahrscheinlich, daß sie auf die alten Alexandri-
ner zurückgeht, und zwar nicht bloß dem Inhalt !!) nach, wie
wir es für An. 32 postulieren müssen (vgl. S. 59), sondern
auch der Form nach. Dann müssen wir aber weiter annehmen,
daß die Gestaltung des Euripides schon früher getadelt wurde,
10%) Dadurch gewinnen aber auch solche Vermutungen wie z. B.
die zu Hip. 125 (S. 30) aufgestellte an Wahrscheinlichkeit.
11) Diese Würdigung entspricht nämlich durchaus der Anerkennung
des Euripideischen Realismus, wie wir sie z. B. im schol. Ph. 446 χάλ-
AOTa πεποίηται τῷ τραγιχῷ τὸ πρόσωπον οἷον δεῖ εἶναι ἄδικον ἄνδρα und
Ἧς andern Stellen (vgl. noch Ph. 504. Hipp. 198, 201, 215, 345, 672)
naben.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 25
und es wäre auch fast unglaublich, wenn dies nicht geschehen
wäre, nachdem schon Aristophanes (ran. 1078) dem Euripides
sagen läßt: οὐ προαγωγοὺς χατέδειξ᾽ odtog..; dann erklärt sich
auch ganz einfach, weshalb in dem Euripidesscholion nur die
Verteidigung steht, weil nämlich der Tadel älter ist als die
kommentierende Tätigkeit, die mit Verteidigung einsetzt.
Der Euripideskritiker im Sophoklesscholion hat demnach nur
eine alte Bemerkung wieder aufgewärmt.
Zu Tr. 1010 lesen wir: χαϑόλου νῦν παρὰ τὸ πρέπον
ἣ Ἑκάβη δικαιολογεῖ (= redet vor Gericht, so A.) (ὡς οὐδὲν
τοιοῦτον φησὶν so Wil.) ὁ ποιητής. Bei dem Dichter muß man
wohl zunächst an Euripides in unserem Stück denken; wir
würden allerdings “Ἑλένη statt ποιητὴς lieber lesen; aber auch
schol. Or. 1075 (und sonst) ist Euripides statt des Sprechenden
(dort Orest) genannt. Nun nimmt v. 1010£.:
χἄπειτα πλεχταῖς σῶμα σὸν κλέπτειν λέγεις
πύργων χαϑιεῖσ᾽,. ..
deutlich Rücksicht auf v. 955—58; aber man kann das Scho-
lion auch auf die ganze Erörterung v. 1010—14 beziehen;
und tatsächlich geht Hekabe mit den Worten:
ποῦ δῆτ᾽ ἐλήφϑης 7) βρόχους ἀρτωμένη
7) φάσγανον ϑήγουσ᾽, ἃ γενναία γυνὴ
δράσειεν...
von dem ab, was Helena vorher gesagt hat. — Nun würde
χαϑόλου λέγει ἐν τῇ δίχῃ heißen: sie redet vor Gericht allge-
mein, und dasselbe wird χαϑόλου δικαιολογεῖ heißen: sie ver-
teidigt sich mit Allgemeinheiten. Sie macht es wie ein Ad-
vokat (vgl. Luc. Tim. 11 δικαιολογοῦντες), der keinen Zeugen
hat: εἰσὶ δὲ αἵ τοιαῦται ἐπιχειρήσεις ἀμάρτυροι πίστεις fährt
das Scholion fort. Die Konjektur εἰκαιολογεῖ ist demnach un-
nötig. Tadel war aber, wie das παρὰ τὸ πρέπον zeigt, ausge-
sprochen, und zwar offenbar gegen die moderne, also nicht
heroische Gestaltung. Ob die Kritik altalexandrinisch oder
didymeisch ist, wage ich nicht zu entscheiden.
Schlechtigkeit des Charakters.
Diese wird für Helena und Menelaos in den Orestesscho-
lien immer wieder bemerkt. Allerdings sind das nur Konsta-
53*
36 Wilhelm Elsperger,
tierungen; ein Tadel gegen den Dichter ist nirgends deutlich
ausgesprochen. Daß aber diese Charakterzeichnung getadelt
wurde, zeigt die Hypothesis (5. 93,20), wo das τὸ δρᾶμα...
χείριστον δὲ ἐν τοῖς ἤϑεσι offenbar im Gegensatz steht zu dem
Lob τῶν ἐπὶ σχηνῆς εὐδοχιμούντων. Und daß edle Charaktere
in der Tragödie gefordert wurden, beweist Aristoteles (poet.
1454 a 16: περὶ δὲ τὰ ἤϑη τέτταρά ἐστιν ὧν dei στοχάζεσθαι,
ἕν μὲν χαὶ πρῶτον, ὅπως χρηστὰ ἦν), der über unseren Mene-
laos speziell bemerkt: ἔστι δὲ παράδειγμα πονηρίας μὲν ἤϑους
μὴ ἀναγκαῖον ὃ Μενέλαος ὃ ἐν τῷ Ὀρέστῃ (1454a 28). Dar-
über, ob er mit dem μὴ ἀναγχαῖον recht hatte, läßt sich
streiten; denn die Handlungsweise unseres ÖOrestes ist nur
dureh die Schlechtigkeit des Menelaos ermöglicht; aber daß
er Tadel aussprach, stebt fest.
Beginnen wir also mit dem ersten Scholion, das von
Menelaos’ Charakter handelt: schol. Or. 356: ἀπὸ πρώτης παρ-
δου σημειοῦται τὸ καχόηϑες τῆς γνώμης Μενελάου. χαὶ γὰρ
οὐδὲ εἰς Σπάρτην ἀνήχϑη, ἀλλὰ πρότερον εἰς ἼΑργος ὡς ἐξε-
λάσων ᾿Ορέστην ὡς ἐν τοῖς ἑξῆς δῆλός ἐστι. Das Scholion ge-
hört weder zu dem Lemma ὦ δῶμα noch überhaupt zu der
Rede des Orestes, sondern es handelt allgemein über die Um-
stände seines Auftretens (daher auch and πρώτης παρόδου,
nicht etwa λόγου). Kommt aber Menelaos wirklich in der
Absicht an, den Orestes zu vertreiben? Aus v. 370 scheint
sich das nicht zu ergeben; die Idee kommt ihm wohl erst
allmählich. Daß Menelaos in Argos erscheint, ist keine Neu-
erung des Euripides; denn schon bei Homer (y 309 ff.) kommt
er an die Stätte des Mordes. So ist die Berechtigung der
Bemerkung zweifelhaft; nun muß aber gar Homer herhalten:
χαίτοι παρὰ τῷ ποιητῇ εὑρίσκεται τῶν πάλαι πολεμίων (alte
Feinde im Gegensatz zu solchen, die wie Orest ursprünglich
befreundet waren) φαιδόμενος " ἐν γὰρ τῇ Z ῥαψῳδίᾳ [37 —65]
χωμῳδεῖται συγχωρῶν ζῆν τὸν "Aöpaotov δόσιν χρημάτων Enay-
γειλάμενον. Also: Homer hat ihn gerade umgekehrt gezeichnet.
Es ist aber kaum anzunehmen, daß ein großer Alexandrinischer
Interpret in der Szene Z 37—56 ein χωμῳδεῖσϑιαι gesehen hätte,
und so werden wir diese Bemerkung, die auch im übrigen nicht
glücklich zu nennen ist, nicht für altalexandrinisch halten.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 37
Das Operieren mit einem Zitat bemerken wir ferner im
schol. Or. 687 zu v. 687:
τὸ δ᾽ αὖ δύνασϑαι πρὸς ϑεῶν χρύήζω τυχεῖν : τοὐναντίον
Αἴας φησί “χαὶ πρὸς δαίμονά περ, εἴ πὼς ῥυσαίμεϑα νεχρόν᾽.
Das Αἴας ist verderbt; denn den Vers Ρ 104 — und sonst
findet sich dieser Vers nicht — spricht Menelaos selbst. Es
ist dafür wohl ἐν Ἰλίαδι zu setzen. Wir würden gerade an
dieser Stelle (vgl. das unten, S. 40f. Bemerkte) etwas anderes
erwarten als den kalten Vergleich mit Homer, durch den für die
Erklärung doch gar nichts getan ist. Ich bin geneigt, die Zitate
in beiden Scholien auf Rechnung des Zitatenunfuges zu setzen.
Bei den übrigen Scholien ist vor allem zwischen solchen,
die etwas Berechtigtes bringen, und solchen, die den Anlaß
zu Tadel geflissentlich suchen, zu scheiden. Der letzteren
Art gehören wohl an:
Schol. Or. 373 a und c. Menelaos sagt v. 370 ff.: ich
hatte gehofft, (wenigstens) Orestes und seine Mutter (nachdem
Agamemnon tot war) begrüßen zu können ὡς εὐτυχοῦντας,
hörte jetzt aber τῆς Τυνδαρείας παιδὸς ἀνόσιον φόνον. Dazu
schol. 373e: τὸ εὐτυχοῦντας χαχοήϑως. Allerdings kann nur
ein ganz gewissenloser Mensch hoffen, daß es einer Gatten-
mörderin wohl gehen möge, und hätte der Scholiast dies ge-
meint, so wäre seine Bemerkung ganz berechtigt. Aber schol.
373a belehrt uns: εἰώϑασιν οἱ ἄνϑρωποι τὰς τῶν ἐχϑρῶν ἀτυ-
χίας εὐτελεῖς λογίζεσϑαι, βουλόμενοι μέχρι ϑανάτου τὴν ἀτυχίαν
αὐτοῖς προχόπτειν (= ihr Unglück möge bis zu dem Grade
fortschreiten, daß sie sterben) χαὶ ὃ M. τοίνυν ἔφεδρος ὧν τῇ τοῦ
᾿Ορέστου ἀρχῇ μόνον τὸ ζῆν αὐτὸν εὐτυχίαν ὁρίζεται. Aber
Menelaos wußte doch damals, als er sich dies dachte, noch
gar nichts von einem Unglück des Orestes; das εὐτυχοῦντας
bezieht sich überdies auch mit auf Klytämestra. Eine solche
Anmerkung kann nicht altalexandrinisch sein.
Auch schol. 374 ist gesucht; ἀνόσιος ist der Muttermord
jedenfalls, auch wenn er δίκαιος ist; der Scholiast zu 376 hat
gar τὰ dev’ ἔτλη gleich τὰ δεινὰ ἐργάσατο χαχὰ gesetzt. Im
schol. 403 scheint das χαχοήϑως zunächst aus der Luft ge-
griffen, doch ist die Bemerkung wohl mit schol. 419 (s. unt.)
in Verbindung zu bringen. Nicht geschickt ist endlich sch.
98 Wilhelm Elsperger,
1559 ἕως τέλους ὑποχρίνεται ὃ Μενέλαος. Heuchelei kann
man die Aeußerung Vers 1559ff. doch nicht wohl nennen!?).
Schol. 482c (zu dem v. φίλου μοι πατρός ἐστιν Exyovog): πάλιν
τὸ χαχόηϑες... δείκνυται, ὅτι τὸν ἀδελφὸν φίλον εἶπεν ist eine
Wortklauberei. Im schol. 488 ὁ zu v. 488: πᾶν τοὺξ ἀνάγχης
δοῦλόν ἐστ᾽ ἐν τοῖς σοφοῖς beruhen die Worte: ταῦτα δὲ ἐν
ὑποκρίσει λέγει, οὐ σπουδῇ (5. 153, 13) auf der vorausgehenden
falschen Erklärung: ἔστι δὲ ὁ λόγος ὅτι τιμᾶν ἀναγκαῖον τὸν
Ὀρέστην διὰ τὴν συγγένειαν. Im übrigen ist etwas Wahres
daran, daf Menelaos v. 482, 84, 86, 88 spricht, nicht um den
Orest zu schützen, sondern um sich gegen den Vorwurf des
Tyndareos v. 480 f. zu verteidigen. Aber viel besser wäre es
gewesen, wenn die Scholiasten hervorgehoben hätten, wie skru-.
pellos sich Menelaos mit seiner Antwort auf v. 487 ([λληνι-
χόν τοὶ) τῶν νόμων γε μὴ πρότερον εἶναι ϑέλειν zeigt. Ich
übersetze: Alles was einer der Notwendigkeit (hier gleich dem
Zwange der Gesetze) gehorchend tut, gilt bei den Weisen für
knechtisch: die reinste „Herrenmoral“. Hier ist es nun auch
evident, daß nicht Aristophanes oder ein anderer großer Ale-
xandriner der Autor unserer Bemerkung sein kann; denn nach
ihr wird in unserem Scholion des Aristophanes Meinung zitiert.
Leider ist sie verloren, aber es war wohl auch eine Erklä-
rung des schwierigen Verses 488.
Von dem Verfasser des schol. 371 ὕπαυλα πάντα τὰ ῥή-
ματα Μενελάου, ἀφ᾽ οὗ ὃ ποιητὴς τὸ ἄστατον τῆς Λακεδαιμονίων
γνώμης χωμῳδεῖ, ὡς χαὶ ἐν ᾿Ανδρομάχῃ (folgt ν. 445 [.)᾽ πρὸ
γὰρ Διοχλέους, ἐφ᾽ οὗ τὸν Ὀρέστην ἐδίδαξε, Λαχεδαιμονίων
παραπρεσβευσαμένων περὶ εἰρήνης ἀπιστήσαντες ᾿Αϑηναῖοι οὐ
προσήχαντο, ἐπὶ ἄρχοντος Θεοπόμπου. οὕτως ἱστορεῖ Φιλόχορος
möchte ich annehmen, daß ihm die Anbringung des Zitates
aus der Andromache und die Notiz des Philochoros wichtiger
schien, als die Interpretation. Immerhin mag man dem Scho-
liasten glauben, daß es dem Menelaos mit seinen Worten
ı2) Da die Scholiasten so viele üble Bemerkungen über Menelaos’
Charakter gemacht hatten, glaubten sie solche auch im Munde von
Personen des Stückes finden zu müssen, und so kamen sie dazu das
schol. 352 ὦ χιλιόναυν στρατὸν δρμήσας: δι᾿ ὧν δοχεῖ αὐτὸν ἐπαι-
νεῖν, διὰ τούτων λυπεῖ ἀναμιμνήσχουσα τῶν ἀπολομένων ἐν τῇ Τροίᾳ zu
schreiben, das allerdings keinen Tadel enthält, aber bezeichnend ist.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 39
370ff. und mit dem Mitleid, das durchklingen soll, nicht sehr
ernst ist; dazu ist er zu egoistisch, und ein Heuchler ist er
gewiß, vgl. v. 682—716. Man möchte die gelehrte Notiz für
didymeisch halten. Ist er auch der Autor der übrigen tadeln-
den Bemerkungen, oder doch der mit gelehrtem Material ar-
beitenden? Sehr kleinlich hat er sich auch in den Scho-
lien zu der hier zitierten Andromache (schol. An. 330, 362,
1077, vgl. Schmidt, Didym. frag. p. 242f.) gezeigt. Auf Rech-
nung seiner Anhänger sind die Notizen mindestens zu setzen.
An manchen Stellen mögen wir einen Mangel an Takt-
gefühl empfinden, doch wage ich nicht zu behaupten, daß die
Athener so empfanden; und jedenfalls sind die Scholiasten zu
schroff. Eine solche Taktlosigkeit deckt auf das im übrigen
recht gesuchte schol. 421 (πόσον χρόνον δὲ μητρὸς οἴχονται
πνοαί!) τὸ δὲ μητρὸς καχοήϑως καὶ δυσωπητικῶς (von der
Art, daß es Verstimmung hervorrufen muß). Auch v. 401:
ἤρξω δὲ λύσσης πότε; ist wohl eher aus Mitleid als πονηρῶς
gesagt. Ueberdies dienen die Fragen und Antworten v. 401ff.
noch der Exposition. Eher angehen mag der Tadel zu v. 411
αὗταί σε βαχχεύουσι συγγενεῖ φόνῳ ;: χαχόηϑες δὲ χαὲ τὸ ὗπο-
μιμνήσχκειν αὐτὸν. τοῦ φόνου τῆς μητρός, obwohl das καχόηϑες
zu scharf ist. — Das Wort βαχχεύουσι, in dem allerdings oft
bittere Ironie steckt, scheint getadelt zu sein in dem ersten
Satz des schol. 411 χαχοήϑως τῷ ὀνόματι ἐχρήσατο τῷ |M τὸν
TAB om.] τῆς μανίας. Mit ὄνομα τῆς μανίας scheint nämlich
angespielt zu sein auf βαχχεύουσι; denn μανία wurde ja gerade
für baechische Entzückung gebraucht. Jedenfalls scheint mir
der Gedanke so besser, als wenn man mit Schw. τῷ ὀνόματι
(ἀντὶ) τῆς μανίας liest. Denn es steht kein ὄνομα (βαχχεύειν
ist ein ῥῆμα) da, das statt der μανία gebraucht sein könnte.
Besser, obwohl in einem schol. byzantinischer und sehr schlech-
ter Redaktion stehend, ist die Bemerkung [411 b.]: Μενέλαος...
χατέχρινεν αὐτὸν χωρὶς χρίσεως, welche eigentlich zu v. 413
(οὐ δεινά, πάσχειν δεινὰ τοὺς εἰργασμένους) gehört.
Auch dem schol. 427 τὰ πρὸς πόλιν δὲ πῶς ἔχεις:
πονηρῶς πάλιν ἐρωτᾷ, ἵνα, εἰ μὲν εὐμενεῖς ἔχοι τοὺς πολίτας,
ἀφέξητα:. τοῦ ἐπιχειρήματος, εἰ δὲ ἐχϑραίνοντας, ἐπιϑέμενος χρα-
tion, wo nur der Ausdruck auf die Schärfe des schol. 437:
40 Wilhelm Elsperger,
πᾶλιν φιλοπράγμονος παραγυμνοῖ τὸ ἦϑος φροντίζων περὶ τῆς
βασιλείας reduziert sein müßte, liegt eine nicht völlig abzu-
weisende Anschauung zu grunde Wenigstens erlauben
die Worte des Dichters diese Deutung. Durchaus im Sinn
des Dichters ist dagegen sch. 370: μέμνηται τῆς γυναικὸς οὖχκ
ἐν δέοντι ἔρωτι, μεγίστῳ δὲ μᾶλλον. Denn obwohl Menelaos
sagt, er sei in Gedanken an Orest gekommen, kreuzt sich
doch mit diesem Gedanken die Erinnerung an seine Frau, der
er sofort Ausdruck geben muß, noch bevor er dazu kommt,
das zu sagen, was er sagen will.
Gut ist auch schol. 419 und 423. Letzteres bemerkt:
διὰ τούτων ἐλέγχει αὐτὸν ὡς ἀϑέως πεπραχότα τὸν φόνον, ὅπου
γε αἱ μὲν ᾿Βρινύες εὐϑέως τῇ μητρὶ συνεμάχησαν, 6 δὲ ᾿Απόλλων
ἀναβάλλεται τὴν συμμαχίαν. χαὶ ἀνϑυποφορά ἐστι τοῦ εἰρημένου ᾿
ὑπὸ ᾿Ορέστου : “τὸ ϑεῖόν ἐστι τοιοῦτον φύσει᾽, und vor eine etwas
breitere Ausführung setzt sch. 419 die Worte: πανούργως ἔχει
πᾶσα ἣ ἐρώτησις (v. 419—23). Wenn v. 423 ff. vielleicht??)
auch von Menelaos nicht so gemeint waren, wie sie der Scho-
last auffaßt, so konnten sie doch auch so verstanden werden,
und dies scheint der Dichter beabsichtigt zu haben. Eine solche
Auffassung ist auch Voraussetzung des schol. 403; wenigstens
ist das χαχοήϑως χαὶ τοῦτο unverständlich, wenn der Scholiast
mit dieser Bemerkung nicht die Frage ἐν ποίᾳ ἡμέρᾳ ἤρξω ;
(so lautet seine Paraphrase von v. 401) im Auge hatte und
v. 401 für eine προχατασχευή zu v. 421—23 ansah.
So haben wir eine stattliche Reihe von Bemerkungen,
die alle die Schlechtigkeit des Menelaos aufzeigen wollen; wir
sahen aber bei den meisten (höchstens schol. 370, 427, 37,
19, 23 macht eine Ausnahme) daß sie ziemlich kleinlich sind.
Für die Stellen, an denen sich des Menelaos Schlechtigkeit
hauptsächlich zeigt (so v. 486 ff., dann v. 682— 716, besonders
687, 694, 708, 718 ἢ, 16). endlich v. 1576, 1583, 1597 mit
13) Klarer würden wir hierin sehen, wenn die Gestalt von v. 424
sicher wäre. leh würde von allen Konjekturen die von Weil aufge-
nommene Bruncks: οὐ σοφός, ἀληϑὴς δ᾽ ἐς φίλους ἔφυν φίλος vorziehen;
Orest deutet damit an, daß von Menelaos das Gegenteil gilt. Jeden-
falls hat Orest keinen Anlaß zu sagen: od σοφὸς ἔφυς. Es würde dies
auch der ganzen Charakterzeichnung des Menelaos widersprechen.
14) Dieser Vers scheint noch dazu (mit Absiekt) dem v. 488 zu wider-
sprechen, mindestens paßt er so wenig wie Ph.395 (S. 33) zum ἡρωικὸν ἦϑος.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 41
1599, 1600, 1616) haben wir keine Bemerkung oder werden
mit einem Zitat abgespeist (schol. 687). Ich glaube demnach,
daß uns, in den Scholien wenigstens, nirgends mehr eine
authentische Bemerkung des Aristophanes vorliegt, daß viel-
mehr die Scholien didymeisch (vgl. neben dem oben Bemerk-
ten noch das zu schol. Or. 97a und An. 330 8. 51f. Ausge-
führte) oder noch jünger sind; doch stehen sie alle unter dem
Einfluß der Hypothesis und mittelbar wohl des Aristoteles.
Daß wir es nicht mit originellen Geistern zu tun haben, mag
mit — andere Vermutungen stellt Roemer Philol. S.61 auf —
ein Grund sein, weshalb die Scholiasten hier, wo Aristophanes
getadelt hatte, seine Bahnen breittreten, in der Andromache
dagegen, wo sie keinen Vordermann hatten, nicht auf die Idee
kamen, solche Bemerkungen zu schreiben. Aristophanes —
die Hypothesis zur Andromache ist soweit erhalten, daß eine
Bemerkung über Menelaos dastehen müßte, wenn sie über-
haupt gemacht wäre — mag den Menelaos in diesem Stück
nicht getadelt haben, weil er hier, wo er für sein Kind sorgt,
nicht μὴ ἀναγχαίως καχός ist; vgl. Roemer a. a. 0.
Aehnlich wie bei Menelaos haben die Scholiasten sich
auch bemüht, die Schlechtigkeit des Charakters bei Helena
darzutun; nur liegt entsprechend der kleineren Rolle weniger
Material vor. Auch gingen die Scholiasten nicht so weit und
brauchten auch nicht so zu suchen ; denn der Charakter der
Helena ist deutlicher, d. h. derber gezeichnet.
Gesucht ist das χαχονόως (schol. 108 b: ἣ πάλιν χακονόως
od παρϑένον δεῖξαι βούλεται τὴν ἬἪλέχτραν ὅτι οὐχ ἐπείσϑη
αὐτῇ zu v. 108 ἐς ὄχλον ἕρπειν παρϑένοισιν οὐ καλόν), wo aller-
dings eine Erklärungsschwierigkeit vorlag’); ebenso schol.
121 τὸ γὰρ ‘obs ἀπώλεσεν ϑεός᾽ δοχεῖ μὲν συναχϑομένη λέγειν;
πανούργως δὲ ἐμφαίνει, ὅτι ϑεοῖς ἀπηχϑημένοι εἰσίν: es liegt
höchstens eine Taktlosigkeit vor. Gleichen Geist zeigt schol.
102 μόλις ἐλεγχομένη τὸ ἀληϑὲς εἶπεν (δέδοικα πατέρας τῶν
ὕπ᾽ Ἰλίῳ νεχρῶν v. 102), denn es ist übertrieben: ὀρϑῶς ἔλε-
15) Man fragte sich wohl: wie kann Helena zu Elektra, einer Jung-
frau, sagen: ἐς ὄχλον ἕρπειν παρϑένοισι od καλόν, während sie sie eben
ἐς ὄχλον schickt. Darauf antwortet schol. 108a und der byzantinische
Schaltvers 108° [vgl. Hermann not. erit.]: χἀγὼ, γυναικῶν ἀφρὸς, οὐχὶ
παρϑένος.
493 Wilhelm Elsperger,
ξας sagt Helena schon v. 100 und auch v. 79 ἔπλευσ᾽ ὅπως
ἔπλευσα verbirgt sie (χρύπτει) zwar, wie der Scholiast 78c
richtig bemerkt, ihre Schuld (μοιχεία), aber sie zeigt damit
wenigstens etwas Schamgefühl. Doch dieselbe Auffassung wie
dem schol. 102 scheint dem schol. 101 zugrunde zu liegen.
Auf Elektra, die v. 101 spricht, passen die Worte πανούργως
τὸν φόβον αἰδῶ ἐχάλεσε (so Ag) nicht. Ich glaube, daß das
schol. ursprünglich hieß πανούργως φόβον τὴν αἰδῷ ἐχάλεσε
und zu v. 102 (Hel.: δέδοιχα πατέρας τῶν ὑπ᾽ ᾿Ιλίῳ γεχρῶν)
gehört. Dieses δέδοικα nimmt nämlich das αἰδὼς ἔχει aus v.
101 (αἰδὼς δὲ δὴ τίς σ᾽ ἐς Μυχηναίους Eyxer;) auf. Auch liegt
darin, daß man sich nicht schämen will, eher eine πανοὺρ-
γία. Das Scholion wurde dann, was bei einer glossa inter-
linearis leicht möglich war, zu v. 101 verschlagen und diesem
sprachlich angeglichen. Indessen ist der Tadel selbst ebenso
gesucht wie der zu v. 73f.:
πῶς ὦ τάλαινα, σύ TE χασίγνητός τε σὸς
τλήμων Ὀρέστης μητρὸς ὅδε φονεὺς ἔφυ: :
διὰ τούτου ὠνείδισεν αὐτὴν ὡς μητροφόνου ἀδελφήν.
Auch der Tadel zu v. 78 ἢ. προσφϑέγμασιν γὰρ οὐ μιαί-
γομαι σέϑεν ἐς Φοῖβον ἀναφέρουσα τὴν ἁμαρτίαν: schol. 76:
πανούργως᾽ ἀναμάρτητον γὰρ τὸ ϑεῖον wird dem Geiste des
Dichters nicht gerecht.
Nicht übel dagegen ist die ironische Bemerkung zu v.
120: ἐνταῦϑα ἡἣ βελτίστη οὐδὲ τὴν ϑυγατέρα ἑαυτῆς προέχρινε"
τοῦ γὰρ ἀνδρὸς μιχροῦ δεῖν χαὶ ἐπελάϑετο, die etwa auf gleicher
Stufe steht mit sch. Or. 370 (5. 40). Schol. 71 bedarf der
Erklärung:
(1) τοῦ προσήχοντος ἤἥϑους ἐξέπεσεν ὃ Εὐριπίδης. νῦν γὰρ
πρῶτον ἀλλήλας ἀποβλέπουσι χαὶ ἀΐϑως πάνυ οὔτε ἀσπάζονται
ἀλλήλας οὔτε προσφωνοῦσι, (2) καὶ ἣ μὲν Ἑλένη ἔξεισιν ἔχουσα
χοὰς καὶ τὸν βόστρυχον ἀποτετμημένον, (3) ἅμα δὲ δυσωπεῖ τὴν
᾿Ἠλέχτραν καὶ λυπεῖ ὑπομιμνήσχουσα τοῦ ὀνόματος Κλυταιμνήστρας
χαὶ προτάττουσα. ἀ(να)χολούϑως δὲ καὶ τὸ [τόδε ΜΒ, τὸ δὲ T]
διὰ μέσου. τὸ δὲ ENG" μαχρὸν δὲ μῆκος παρϑένε, ᾿Ηλέχτρα, ἀντὶ
τοῦ" ὦ πολυχρόνιε παρϑένε. Die Worte χαὶ ἣ μὲν EI. --
ἀποτετμημένον stehen nur im Laurentianus 32,33 an dieser
Stelle, im cod. M, T, A, B stehen sie ohne χαὶ nach διὰ μέσου.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 48
Das Scholion ist jedenfalls ein Konglommerat von drei
oder mehr Notizen, die ein Redaktor äußerlich zusammenschob.
So muß betont werden, daß selbst in der Form des Laur., die
sich durch ihre Glätte zu empfehlen scheint, ein innerer
Gegensatz zwischen χαὶ ἣ μὲν "EAevn χτλ. und ἅμα δὲ Övownei...
nicht besteht; d. h. daß sich aus dem Wortlaut nicht schließen
läßt, der Scholiast habe darauf hinweisen wollen, daß das
Verhalten der Helena zu dem Zweck ihres Kommens im Gegen-
satz stehe. Denn der Zweck ihres Kommens wäre mit ἔχουσα
χοὰς καὶ τὸν βόστρυχον ἀποτετμημένον nur ungenügend ange-
geben. Unter diesen Voraussetzungen läßt sich zunächst ein
erster Teil im Scholion (bis ἀσπάζονται) unterscheiden. Er
rügt das frostige Benehmen der Helena und Elektra gegen
einander und trifft nach dem Wortlaut beide gleichmäßig,
wenn er auch (wegen des Folgenden) vielleicht mehr auf erstere
gemünzt ist. Dann hat (2) der Redaktor des Laurentianus
eine szenische Bemerkung — wohl um eine glattere Form zu
erhalten — eingeschoben, die in ἃ. codd. MTBA selbständig
geblieben ist. Dann folgt die (3.) Bemerkung ἅμα δὲ δυσω-
πεὶ — προτάττουσα. Das Subjekt (EXevn) konnte fehlen, wenn
die Bemerkung ursprünglich selbständig war, da eben die den
v. 7Lff. sprechende Person gemeint sein mußte. Das προτάττουσα,
das die beste Handschrift (M) bietet, dürfte so zu erklären
sein, daß aus dem Vorhergehendem τὸ ὄνομα Καλυταιμνήστρας
zu ergänzen ist; tatsächlich steht nämlich v. 71 der Name
Klytämestras vor dem Agamemnons"). Es wird also der
Helena etwas vorgeworfen, was wohl auch die Alten (vgl.
schol. 120) für eine Taktlosigkeit hielten.
Im folgenden bieten die Handschriften ἀχολούϑως δὲ χαὶ
τόδε [MB, τὸ δὲ ΤΊ διὰ μέσους Das δὲ von τόδε ist wohl
Dittographie des ersten δέ; das bleibende τὸ διὰ μέσου muß
den mittleren Teil von etwas bezeichnen und zwar am ein-
fachsten von dem ganzen Satz (v. 71—74), also den v. 72f.,
der ja, wie das schol. 71 Ὁ zeigt, getadelt wurde. Bezieht es
sich auf v. 72, so könnte man das überlieferte ἀχολούϑως
16) προστάττουσα ließe sich nur unter Annahme starker Verstümme-
lung erklären. Als Ergänzung wäre etwa πρὸς τάφον μητρὸς ἱέναι mög-
lich; aber von derartigem ist, wie oben betont, im ganzen Scholion
nicht die Rede,
44 Wilhelm Elsperger,
(sc. εἴρηται) erklären: (dieser Charakterzeichnung) entsprechend
ist auch die Mitte (des ganzen Satzes); deutlicher aber wird
der Gedanke, wenn wir mit Schwartz ἀναχολούϑιως (unpassend)
schreiben. Daß die Alten in dem Satz v. 71—74 ein Ana-
koluth sahen, ist aus der Bemerkung nicht herauszulesen, schon
das δὲ χαὶ verbietet es. Natürlich ist das weiter Folgende
τὸ δὲ ἑξῆς χτλ. eine selbständige Notiz, die mit der voraus-
gehenden Bemerkung nichts zu tun hat.
Wie sehr übrigens die Ueberzeugung eingewurzelt war,
daß in den Versen 71—74 boshafte Aeusserungen vorlägen,
zeigt schol. 81 (πρὸς πάσας τὰς ὕβρεις ἀντέϑηχε τὸ “Edevn‘)
ebenso schol. 94 und 95. — Auch hier schwebte nach dem
Seite 36 Ausgeführten den Kritikern das Gefühl vor, daß eine
solche Charakterzeichnung fehlerhaft sei.
Die Angabe der Hypothesis χείριστον ἐν τοῖς ἥϑεσιν ist
ganz allgemein und nimmt nur den Pylades aus: mit Recht;
denn Hermann (praef. p. XIV) und Grueninger (a. a. Ὁ. S. 40)
haben nicht genügend bedacht, daß Rache für den Freund
etwas anderes ist, als Rache für sich selbst, und daß viele der
Alten das χαχῶς ποιεῖν τοὺς ἐχϑροὺς für eine Tugend hielten.
In den Scholien liegt außer dem schol. 71a Anfang, der Elek-
tra mittrifft, kein weiterer Tadel vor. Denn schol. 99 οὐδαμοῦ
ἀνώμαλον τὸ τῆς Ἡλέχτρας ἦϑος enthält keinen Tadel; Aristo-
teles würde die erwähnte Zeichnung gelobt haben, vgl. poet.
1454a 25. Gleichwohl trifft die Bemerkung der Hypothesis
außer Helena, die trotz Hermann (a. a. Ὁ. S. 15) als schlecht
bezeichnet werden muß, wohl auch den Orest und Elektra;
denn auch in dieser Hinsicht kann ich Hermann (5. 14 und
15) nicht beipflichten. Orest erscheint sich im ersten Teil
als Muttermörder sogar selbst schuldig, und im zweiten be-
nimmt er sich wie ein Mordbrenner (vgl. Christ, griech. Lit.-
Gesch.* S. 277). Auch Elektra (von v. 1077 ab) gibt dem
ÖOrestes und Pylades einen zwar vorteilhaften, aber darum
nicht guten Plan an die Hand. Ebenso zeigt Tyndareos min-
destens übertriebene Strenge. Auf Nebenpersonen, wie den
Boten, Hermione, den Phryger (auch dieser ist eigentlich nur
Typus einer Gattung), die kein ausgeprägtes ἦϑος haben, hat
sich das Urteil natürlich nicht erstreckt.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 45
Schlechtigkeit des Charakters wird sonst noch konstatiert
für Kreon im schol. Ph. 1310: ἵνα δόξῃ φιλόπολις ὁ Κρέων
χαὶ μὴ μόνον τοῦ παιδὸς λόγον ποιεῖσϑαι, φησί: τίνος ἄρξομαι
ϑρῆνον ποιούμενος, τοῦ παιδὸς ἣ τῆς πόλεως; καίτοι εἰδὼς
ὅτι διὰ τὸν ϑάνατον τοῦ παιδὸς εὐτυχεῖ τὰ τῆς πόλεως. μιχρὸν
γὰρ ὕστερον εἰπὼν “ἐμός τε γὰρ παῖς ὄλωλεν᾽ ἐπελάϑ'ετο
εἰπεῖν " “πόλις TE’, εἰς τὸ λυποῦν μὲν πένϑος ἐμμείνας, τῆς δὲ
χολακχείας ἀτέλεστον ἐάσας τὴν μνήμην. Für alexandrinisch
kann ich das spitzige Scholion nicht halten. Ob der Dichter
getadelt werden sollte, muß dahin gestellt bleiben. Wäre die
Notiz altalexandrinisch, so könnte man nach Analogie von
schol. Phoen. 446 und den anderen Bemerkungen über Eteo-
kles die Absicht zu tadeln bestimmt verneinen. Von schol.
Ph. 267, 274 b, 275 und 69 wird später (5. 48f.) die Rede sein.
Unwahrscheinlichkeit der Charakterzeichnung.
Hierher gehören zunächst die Bemerkungen über das φί-
Aooopeiv:
Schol. Ale. 779: οὖκ εὐλόγως τὸν Ἡρακλέα εἰσήγαγε φιλο-
σοφοῦντα ἐν μέϑῃ ὃν ἔδει καὶ ἄλλου φιλοσοφοῦντος διαπαίζειν ...
schol. Tr. 634: ob στοχάζεται τῶν ὑποχειμένων προσώπων
(ποικιλίας Roemer, Philol. 8. 85) χαὶ γὰρ νῦν ἣ ᾿Ανδρομάχη τὰ
αὐτὰ φιλοσοφεῖ ἅπερ καὶ ἔμπροσθεν ἡ Κασάνδρα. Ph. 388:
τοῦτο μετὰ Nous‘ οὐκ ἐν δέοντι δὲ γνωμολογεῖ τοιούτων χα-
χῶν περιεστώτων τὴν πόλιν. τοιοῦτος δὲ πολλαχοῦ ὁ Εὐριπίδης.
Die Notiz bezieht sich nicht auf eine in einer Rede ge-
gebene Auseinandersetzung, sondern auf eine Stichomythie;
immerhin aber mit Grund; denn der Vers führt eine allge-
meine Erörterung ein, die nicht streng zur Sache gehört. Hätte
nämlich der Dichter die Absicht gehabt, die ihm Hartung
(Euripides’ Werke Bd. 5 z. v. 732) unterschiebt, so hätte
er sich deutlicher ausgedrückt. Daß die Szene den Athenern
gut gefallen haben mag (besonders v. 391 und 393), wie sie
auch Schiller (Brief vom 27. XI. 1788) besonders angezogen
hat, darf uns nicht hindern dieses Urteil den alten Alexan-
drinern zuzuschreiben, die ja auf das προχόπτειν τὴν ὑπόϑεσιν,
wie gerade das Phönissenargument zeigt, den größten Wert
legten. Auf sie führt auch die Einleitung μετὰ ἥϑους und
46 Wilhelm Elsperger,
der letzte Satz. πολλαχοῦ ist etwas ganz anderes wie ὅλως
ἐν πᾶσι schol. Ph. 1539 (vgl. 5. 13£.). Ist aber diese Bemer-
kung alexandrinisch, so sind es auch die anderen hieher ge-
hörigen, also außer den bisher angeführten noch schol. An. 85,
das ja auch sprachlich dem vorhergehenden sehr ähnlich ist:
οὐκ ἐν δέοντι γνωμολογεῖ τοσούτων αὐτὴν περιεστώτων χαχῶν.
Allerdings ist hier das γυνὴ γὰρ εἶ (v. 85) und das ὁρᾷς"
ἀπαυδᾷς Ev χακοῖς φίλοισι σοῖς (v. 87) gnomologisch gefärbt;
zu dem letzteren Vers, dem es MNO beifügt, würde es viel-
leicht noch besser passen als zu v. 85, dem es A und Schwartz
zuteilen; denn er spielt an auf die bekannte Sentenz, daß
man im Unglück von den Freunden verlassen werde. Indessen
das richtige γνωμολογεῖν beginnt erst v. 93 ff. ἐμπέφυχε yap
γυναιξὲ τέρψις τῶν παρεστώτων χαχῶν ἀνὰ στόμ᾽ ἀεὶ καὶ διὰ
γλώσσης ἔχειν. Da nun der Sitz des Schol. überhaupt unsicher
ist, stand die Bemerkung vielleicht ursprünglich an keiner
dieser Stellen, sondern in einer allgemeinen Bemerkung über
diese Szene (v. 56—116) und wurde erst von den Redaktoren
der Scholien hieher gezogen.
In den Hippolytosscholien liegt ein späterer 17) Kommentar
vor, dessen Autor starke philosophische Neigungen (vgl. be-
sonders schol. 3a, 14, 518 und das gleich zu besprechende
schol. 953) hatte. Tadel gegen das φιλοσοφεῖν ist deshalb
nicht oft zu finden, auch darf man nicht aus jedem πιθανὸν
oder πιϑανῶς (z. B. schol. 374b) auf Verteidigung gegen Tadel
schließen. Doch im schol. Hip. 387... . οὐκ ἀπεικότως δὲ
τοῦτό φησιν ἀλλὰ πρὸς πλείονα δεῖξιν τοῦ μὴ μόνον οὐ χατὰ
φύσιν, ἀλλὰ χαὶ παρ᾽ ἐλπίδα νοσεῖν ἔρωτα wird wohl auf einen
früheren Tadel wegen φιλοσοφεῖν Rücksicht genommen. τοῦτο
bezieht sich nämlich auf die im Vorausgehenden gegebene
Paraphrase der Verse 388—90, die selbst wieder die ganz
philosophisch gehaltene Betrachtung v. 375—90 abschließen.
Anlaß zu tadeln war jedenfalls hinreichend vorhanden. Da-
gegen liegt in der Schlußbemerkung des schol. Hip. 953 ror-
οὔτος δέ ἐστιν ἀεὶ τὰ ἡρωϊκὰ πρόσωπα εἰσάγων φιλοσοφοῦντα
1) Der Nachweis, daß dieser Kommentator nachdidymeisch, ja jünger
sein muß als das 1. Jahrh. n. Chr., läßt sich am schol. Hip. 73 mit
ziemlicher Wahrscheinlichkeit führen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 47
zwar eine alte Beobachtung vor, aber der Scholiast hat sie
nicht im ursprünglichen Sinn verwendet. Theseus wirft v. 952
—54 dem Hip. vor, daf seine orphische (vegetarische) Levens-
weise Heuchelei sei; dazu das schol.: ἐπεὶ ἔνδοξος ἦν ὁ ΠΠυϑα-
yopas, ἤδη καὶ πολλοὶ ἐμψύχων ἀπείχοντο. Es hingen ja die
orphischen Bestrebungen mit den pythagoreischen zusammen,
und so sah sich der philosophisch gebildete Scholiast veranlaßt,
für Orpheus den Philosophen, Pythagoras, einzusetzen. Folg-
lich philosophiert nach seiner Auffassung Hippolytos auch
darin (nicht nur durch seine Keuschheit schol. 14), daß er der
orphischen Lehre folgt. Eine Aenderung der Ueberlieferung,
wie sie Roemer, Philol. S. 87 will, ist deshalb unnötig. Der
Scholiast selbst sah in der Sache nur einen Anachronismus,
den er mit ἀνάγει δὲ τοὺς χρόνους, περὶ (τῶν καϑ᾽ ἑαυτὸν Roemer
ἃ. ἃ. 0.) γὰρ αἰνίξασϑαι βούλεται nur aufdeckt, aber nicht tadelt.
In nachalexandrinische Zeit, aber nahe an dieselbe Zeit,
in der jener Scholiast zu Hipp. wahrscheinlich lebte, kommen
wir mit schol. Hec. 603 (D 371,8 ff.). Thomas Magister, der
Autor unseres Scholions, schreibt allerdings nur ἤσϑετο Eöpt-
πίδης ἑαυτοῦ παρεχβεβηχότος ἀχαίρως χαὶ διὰ τοῦτο τεϑερα-
πευκχέναι τοῦτο βουλόμενός φησι nal ταῦτα μὲν δὴ νοῦς ἐτό-
ξευσεν μάτην᾽.. . womit er etwas ganz richtiges aufdeckt; aber
die ganze Sache hat Theon, ein Rhetor wohl aus Hadrians
Zeit (Progymnasm. I, rhet. graec. Walz I, 149), 'getadelt: τὸν
δὲ Εὐριπίδην κχαταμεμφόμεϑ'α ὅτι παρὰ καιρὸν αὐτῷ Ἑκάβη
φιλοσοφεῖ, ein Urteil, das, wie der Plural χαταμεμφόμεϑα
zeigt, wohl überhaupt das der damaligen Rhetoren war. Auf
unsere Stelle ist die Bemerkung (zuerst von Scheff) wohl mit
Recht bezogen worden. Daß übrigens Byzantiner hier Tadel
lasen, findet eine Bestätigung an der Bemerkung des cod. B
(Ὁ 371, 14) ἐφιλοσόφησε, was Rest einer längeren Bemerkung
sein muß. Daß endlich Kritik eines Rhetors in den Kom-
mentar des Th. Magister kam, findet sein Analogon in dem
schol. 570 (vgl. Hermogen. rhet. graec. W. III, 181). Der
einzige (wie es scheint) unabhängige Hinweis der Byzantiner
auf das φιλοσοφεῖν (schol. Hec. 1187: γνωμικόν " φιλοσοφότατα
ἄγαν τὰ ῥήματα) dagegen enthält keinen Tadel; denn ἄγαν
heißt byzantinisch „sehr“.
48 Wilhelm Elsperger,
Auch sonst ist eine Unwahrscheinlichkeit der Charakter-
zeichnung gerügt in den alten guten schol. Hee. 241: ἀπί-
Yavov τὸ πλάσμα (daß Helene den Odysseus auf seinem Kund-
schaftergang an Hekabe verriet, diese aber ihn aus der Stadt
entließ) καὶ οὐχ Ὁμηρικόν (vgl. ὃ 249—262)° οὐ γὰρ ἂν ἐσί-
vnoev Ἑκάβη πολέμιον ϑεασαμένη χατοπτεύοντα τὰ χατὰ τοὺς
Τρῶας πράγματα. ἣ δὲ ᾿Βλένη εἰκότος - ἄτην γὰρ μετέστενεν
᾿Αφροδίτης (vgl. noch Eustath. Odyss. 1495,5 und Roemer,
Phil. S.71). Der Sagenzug ist, wie so mancher andere (vgl.
Roemer a. a. O.), von Euripides ad hoc erfunden, damit Hekabe
doch dem Odysseus etwas vorzuhalten hat. Hieher gehört auch
schol. Ph. 61b (ὃ. 258, 16) πῶς δὲ, φασὶν, ἣ ᾿Ιοχάστη μετὰ To-
σαῦτα nal τηλικαῦτα δυστυχήματα ἔζη; denn das πῶς zeigt
deutlich, daß man nicht die einfache Abweichung vom Mythus
tadeln wollte, sondern sich fragte, wie das Weiterleben Io-
kastes psychologisch zu erklären sei. Aber die Antwort mit
dem Menanderzitat (frag. ine. 16) trägt einen gelehrten An-
strich und gehört wohl in die Zeit um oder genauer nach
Didymus; denn auch schon der Tadel dürfte aus der Zeit des
Didymus stammen. So gewinnen wir mit diesem Scholion den
Uebergang zu den an anderer Stelle zu besprechenden schol.
Ph. 47, 405, 26b, 28c (24), 3la und ce, 21 Ὁ, die formell die
Charakterzeichnung des Dichters, in Wirklichkeit direkt
den Mythus angreifen.
Inkonsequenz der Charakterzeichnung.
Schol. Ph. 267 bemerkt zur Charakterzeichnung des Poly-
neikes: ἀνόητον, φασὶ, τὸ ξίφει πιστεύειν, ταῖς σπονδαῖς δὲ μή,
ὡσεὶ δὴ μόνος ὧν χρατῆσαι ἠδύνατο ἐπιβουλευόντων τοσούτων.
|Emendation nach Schw.]. Die Torheit besteht offenbar in .
einer Inkonsequenz des Polyneikes. Gegen den Vorwurf, der
hiemit indirekt auch dem Dichter gemacht ist, wendet sich
nun der Scholiast: ἀγνοοῦσι δὲ ὅτι οἱ μετὰ ἀνάγχης ἐπί τινα
χίνδυνον ἐρχόμενοι οὐκ ἐκ τῶν ἐνδεχομένων ϑηρᾶσθαι τὴν do-
φάλειαν ἐθέλουσιν, ἀλλ᾽ οἵαν παρὰ τοῦ χαιροῦ λαμβάνουσι, καὶ
(ὅτι) öl En’ ἐρημίας μετὰ ξιφιδίου πορεύονται ἧττον μὲν ὧπλισο-
μένοι τῶν ὑποπτευομένων ϑηρῶν ἢ λῃστῶν, ἄμεινον δὲ τῶν
ἀνόπλων. τοῦτο χαὶ []ολυνείκει συνέβη... . Die Widerlesung
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 49
wäre besser, wenn sie nicht so geschwätzig wäre; aber eben
diese Geschwätzigkeit ist charakteristisch für den wissensstolzen
Mann (ἀγνοοῦσιν, vgl. das zu schol. Or. 396 S. 26 Bemerkte).
Sie stützt den Beweis, daß der Verteidiger kein Alexandriner
der alten Schule sein kann; wir haben wohl auch hier Di-
dymus zum Ankläger, einen Mann nachdidymeischer Zeit zum
Verteidiger. Des Didymus würdig sind auch die folgenden Aus-
stellungen; ja wir werden bei einigen sogar seinen Namen finden.
So bemerkt schol. 274b (zu v. 274 ἔ.: ἀλλ᾽ ἐγγὺς ἀλχή"
βώμιοι γὰρ ἐσχάρα: πέλας πάρεισι) τοῦτο οὐ συν ῳ δὸν τῷ [267]
ὡπλισμένος δὲ χεῖρα τῷδε φασγάνῳ. Dieser Widerspruch
wird dann erklärt (γὰρ) : ϑρασύδειλον γὰρ τὸν ΙΠολυνείχην παρ-
ίστησι πρῴην μὲν φάσχοντα [folgt abermals v. 267 f.], νῦν δὲ
τοὺς βωμοὺς πλησίον εἶναί φησιν, οἷς προσφυγὼν νομίζει σωϑῆναι
χαϑάπερ ἱχέτης γενόμενος. Die beiden Bemerkungen sind wohl
erst durch einen Redaktor, der auch das y&p schrieb, zu-
sammengeschoben worden; denn es ist unglaublich, daß der-
selbe Mann so kurz nacheinander zweimal den v. 267 zitiert
haben sollte. Man könnte höchstens annehmen, daß die zweite
Bemerkung den Dichter verteidigen soll, in dem sie darauf
hinweist, daß er hier ein ἦϑος ϑρασύδειλον geschaffen habe
(vgl. über dieses ἦϑος schol. cod. B 1]. Γ 19; Ὁ. III 157, 14);
dann ist aber δὲ statt γὰρ zu schreiben. Jedenfalls zeigt sich
Polyneikes bald ängstlich bald mutig (vgl. noch v. 263 δέδοικα,
269 f., 272); aber das ϑρασύδειλον ist zu scharf. Polyneikes
ist nicht feig (δειλὸς), sondern er hat ein weiches Herz und
so überkommt ihn ein Schaudern so einsam in der feindlichen
Stadt. Deshalb ist es ihm auch eine Erleichterung, wenn er
jemand beim Hause sieht; daß ihm die Frauen in Gefahren
irgendwie helfen würden (vgl. schol. 275... . ἀσϑενοῦς δὲ ψυχῆς
τεχμήριον " τί γὰρ ἔμελλον αὐτῷ γυναῖχες συμβαλέσϑαι πρὸς
χίνδυνον) 15), daran denkt er natürlich gar nicht. Jedenfalls
18) Ob hiemit Tadel gegen den Dichter beabsichtigt war, muß
ebenso dahingestellt bleiben, wie es sich für die Konstatierung des
ϑρασύδειλον nicht bestimmt behaupten ließ. Ebenso ungewiß ist, ob
das εἰκότως ἔδεισαν (schol. Ph. 69) Tadel (etwa wegen des ἔδεισαν ?)
berücksichtigt. Aber daß die Söhne Besorgnisse hegten, ist so selbst-
verständlich, daß es nicht ohne besonderen Grund mit εἰκότως hervor-
gehoben zu werden brauchte.
Philologus, Supplementband XI, erstes Heft 4
50 Wilhelm Elsperger,
sind alle diese Bemerkungen dem Dichter nicht gerecht geworden.
Eine Inkonsequenz der Charakterzeichnung wird ferner
getadelt in der Hypothesis zur Medea (S. 138, 10—12) und im
schol. Med. 922. Hier kommt zunächst ein Tadler zu Wort:
ἔδει δὲ αὐτὴν μηδὲ χλαίουσαν εἰσάγεσϑαι. οὐ γὰρ οἰχεῖον τῷ
προσώπῳ: ὠμὸν γὰρ εἰσῆχται τοῦτο; derselbe gibt dann mit
ἀλλ᾽ ἐχφέρεται τῇ ὀχλικῇ φαντασίῳ ποιῆσας χλαίουσαν χαὶ συμ-
πάσχουσαν (dies muß hier ‘Mitleid haben’, nämlich mit den
Kindern, bedeuten) den vermutlichen Grund des Euripides an,
doch nicht um ihn zu verteidigen; denn was er sagt, ist ein
neuer Tadel: E. sei aus Rücksicht auf die Schaulust des
Pöbels (ὀχλικῆ φαντασία) vom Rechten abgewichen; denn an
und für sich sei diese Zeichnung unwahrscheinlich (anıdavws.
γὰρ τὴν τοιαύτην διαχειριζομένην τὰ τέχνα εἰσάγει). Schließlich
wird gegen den (schlechten) Dichter Euripides der (gute) Dichter
Homer ausgespielt (vgl. vor allem schol. Or. 687 8. 37):
ἄμεινον δὲ Ὅμηρος [τ 211]: ὀφθαλμοὶ δ᾽ ὡσεὶ χέρα ἕστασαν
(obwohl Odysseus, von dem die Rede ist, seine Gattin im
Herzen bedauerte, als sie auf seine erdichtete Kretergeschichte
hin in Tränen ausgebrochen war). Der Tadel ist an sich nicht
glücklich ; die Alten haben die Charakterzeichnung der Medea
besser gewürdigt (sch. 899 [S. 188, 16 ff.], sch. 1046 [S. 197,
12 ££.], sch. 903 [S. 189, 2£.]), aber die Herbeiziehung Homers
ist ganz unglücklich. Den verschlagenen Mann Odysseus
kann man doch nicht auf eine Stufe mit einer Mutter stellen;
auch weiß Odysseus, daß alles gut hinausgehen muß, ge-
schweige denn, daß er ein so großes Unheil plante wie Medea.
Der Tadel und der Mißbrauch des Zitates paßt zu Didymus’
Zeit; daß es Didymus selbst ist, ist sehr wohl möglich ; wahr-
scheinlich ist der Tadler identisch mit dem zu Med. 324, 900,
972 (vgl. 5. 16f.). Die Erwähnung des Tadels in der Hypo-
thesis (S. 138, 10—12) widerspricht dieser Ansetzung nicht,
da sie zwar nicht so spät wie z. B. die zur Hekabe, aber
auch nicht aristophaneisch ist.
Einen scheinbaren Widerspruch in dem Charakter des
Orestes fand offenbar der Kritiker, gegen den sich schol. Or.
268c (8. 126, 4 ff.) richtet: ..... εἰ δὲ xal μαινόμενος ἐπ᾽ ἐνίων
ὑγιαίνει, μὴ ϑαυμάσωμεν. ἣ γὰρ νόσος ποιχίλη τῶν μεμηνότων᾽
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 51
ὡς xav ταῖς Τρῴασιν ἣ Κασάνδρα [369] “τοσόνδε δ᾽ ἐχτὸς στή-
σομαι βαχχευμάτων᾽. (Auch Schw. führt dieses schol. im ind.
anal. p. 404 s. v. ἀσυμφωνία an). Was das ἐπ᾽ ἐνίων neben
ἢ γ. νόσ. ποικ. τ. μεμὴην. bedeutet, sieht man am besten aus
den Worten schol. Aj. 91 (Pap. 10,3 £.): οὐ παντελῶς δὲ ἀπώ-
λετο αὐτοῦ (des Ajas) τὸ ἡγεμονικόν, ἀλλ᾽ ἣ μανία γέγονε περὲ
τὸ λογιστικόν: Auf einigen Gebieten (des Seelenlebens) ist also
Orestes vernünftig — bemerkt das Scholion mit Recht —, auf
anderen nicht. Unser Scholion scheint wegen des μὴ ϑαυ-
μάσωμεν nachdidymeisch zu sein; den Anstoß mögen deshalb
wohl Zeitgenossen des Didymus genommen haben.
Widerspruch zwischen Charakterzeichnung
und Oekonomie der Szene oder des Stückes.
Ob der Scholiast zu Or. 97 (sch. 97 a) οὐχ ἐν χατρῷ nap-
ρησιάζεται ἣ Ἠλέχτρα, καὶ ταῦτα πρὸ ὀλίγου φάσχουσα ἐλπίδα
ἔχειν εἰς τὸν Μενέλαον den v.: σοὶ δ᾽ οὐχὲ ϑεμιτὸν πρὸς φίλων
στείχειν τάφον für einen Fragesatz hielt oder nicht, steht nicht
fest; denn, wie schol. 97 b zeigt, waren die Erklärer darüber
uneins; jedenfalls mochten so feinfühlige Geister, wie wir sie
S. 39 f., 4Lf. zu Or. 421, 401, 411, 423; 121, 102, 71 kennen
lernten, an dem Satz auch als Fragesatz Anstoß nehmen, was
schol. 97 ce πικρῶς ϑέλει αὐτὴν ὁμολογεῖν ποιῆσαι bestätigt.
Hieher gehört auch die Bemerkung zu An. 229 f.: μὴ τὴν
τεχοῦσαν τῇ φιλανδρίᾳ, γύναι (Hermione), ζήτει παρελϑεῖν:
[270, 8£] rap& τὰς προσ πὸ ας ÖE nal τ ὺς Xaıpoüs
ταῦτα " πῶς γὰρ οὐχ ἔμελλεν εἰς ὀργὴν καταστῆσαι τὴν “Ἕρμι-
όνην κατὰ τῆς μητρὸς δυσφημοῦσα; der fast wörtlich gleich
schol. 362 Ὁ: Δίδυμος μέμφεται πᾶσι τούτοις ὡς παρὰ τὸν
καιρὸν χαὶ τὰ πρόσωπα, ebenso schol. 330 Δίδυμος
μέμφεται τούτοις ὡς παρὰ τὰ χαϑεστῶτα ᾿ σεμνότεροι γὰρ οἵ
λόγοι ἢ κατὰ βάρβαρον γυναῖκα καὶ δυστυχοῦσαν. Da alle diese
vier Ausstellungen sprachlich und auch im Geiste sich sehr
ähnlich sind — alle werden dem Dichter nicht gerecht, vgl.
darüber auch Roemer, Abh. XIX 5. 642 —, werden wir sie
wohl alle auf Didymus zurückführen. Dieser hat v. 97 kaum
für einen Aussagesatz gehalten; wohl aber mag der ‘genaue’
Erklärer seinen Tadel mit der Anschauung, die schol. 97 c
4*
Ὁ) Wilhelm Elsperger,
vertritt, begründet haben. Daß sein Urteil in den Orestes-
scholien nicht so klar zutage tritt wie in den Andromache-
scholien, ist bei der Geschichte jenes Stückes nicht auffällig.
Wer aber so kleinlich mit dem Dichter umgeht, kann auch
Bemerkungen verschuldet haben, wie wir sie oben (5. 998)
für Menelaos und Helena fanden.
Beanstandung einzelner Aussprüche.
Zu Ph. v. 504—6 ἄστρων ἂν ἔλϑοιμ᾽ ἡλίου πρὸς ἀντολὰς
καὶ γῆς Evepdev...
τὴν ϑεῶν μεγίστην ὥστ᾽ ἔχειν τυραννίδα
lesen wir sch. 504: ... οὐχ ἐπιτιμητέον δέ ἁρμόδιοι γὰρ οἵ
λόγοι ἀνδρὶ πλεονεξίαν διώχοντι. Dem Gedankengehalt nach
sind die letzten Worte altalexandrinisch (vgl. S. 32, Anm. 11),
das schol. selbst aber ist, wie die im Vorhergehenden gegebene
Paraphrase zeigt (εἴϑε ἠδυνάμην εἰς obpavov ἀνελϑεῖν χαὶ εἰς
“Αἰδου χατελϑεῖν ἐπὶ τῷ καϑορϑῶσαι (τὴν) μεί(γίσ)την ϑεῶν τυ-
ραννίδα), jüngeren Ursprungs. Wir haben also hier den Fall,
den wir auch zu An. 32 b (S. 59) bekommen werden, daß ein
jüngerer Verteidiger auf einen (vielleicht aus Didymus’ Zeit
stammenden) Tadel mit altalexandrinischem Gut antwortet. Wer
aber hier tadelte, mußte wohl ein geflissentlicher Tadler sein.
Die Kritik in schol. Ph. 1605 (εὐήϑως δὲ χαταρᾶται τῷ Kı-
ϑαιρῶνι ὅτι οὐκ ἀπώλεσεν αὐτόν : δέον γὰρ τοῖς ἀνελομένοις
χαταράσασϑαι ἣ τῇ Πολύβου γυναικί... .) und zu v. 1606 (δου-
λεῦσαί τέ μοι δαίμων ἔδωχε Πόλυβον ἀμφὶ δεσπότην, schol.:
χαὶ τοῦτο εὐήϑως. οὐ γὰρ δοῦλον αὐτὸν ἐποίησεν ὃ Πόλυβος
ὡς χαὶ ἡ ᾿Ιοχάστη φησίν [folgt v. 807) richtet sich selbst. Die
Antworten der Scholiasten sind soweit richtig. Auch schol.
Tr. 1030 ist recht verkehrt: εὐήϑης ἡ Ἑ χάβη (sofern sie näm-
lich hofft, Melenaos werde Helena vielleicht doch strafen und
deshalb v. 1030 ff. spricht)" ἀπὸ γὰρ τῆς ἐχβολῆς [ Wil. ἐμβο-
λῆς A] τοῦ ξίφους ἐχρῆν ἐπιγνῶναι τὴν διάϑεσιν τοῦ ἀνδρός, ὡς
ἐν τῇ ᾿Ανδρομάχῃ [628] " "οὐκ ἔχτανες γυναῖχα χειρίαν λαβών᾽.
Die Worte ἀπὸ τ. ἐχβολῆς (ἐμβολῆς ist sinnlos) τ. ξίφ. können
nur so gedeutet werden, daß der Scholiast aus An. 629 ἢ,
(628 zitiert er ja selbst) ἐκβαλὼν ξίφος φίλημ᾽ ἐδέξω schloß,
Menelaos habe hier sein Schwert weggeworfen. Aber das ist
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 53
doch wirklich Zitatenunfug. Abgesehen davon, daß die Er-
zählung des zornigen Peleus (vgl. das giftige ὡς ἐσεῖδες μι α-
στόν und die übrigen Uebertreibungen) keine Geschichtsquelle
sein kann, hat der Scholiast noch den Fehler begangen, die
Handlung eines Stückes aus einem anderen zu erklären; und
das ist in unserem Fall um so schlimmer, weil Menelaos in
unserem Stück überhaupt ganz anders gezeichnet ist. So offen-
kundig blamiert sich der schlaue (vgl. S. 22 zu Tr. 1107)
Mann niemals. Auch der Tadel zu v. 1049 χαὶ τοῦτο γελοῖον
ist nicht berechtigt; denn v. 1049 ist durch 1051 hinreichend
motiviert; frostig (aber nicht gerade γελοῖος) ist dagegen
v. 1050, wozu mit besserem Recht bemerkt ist: γελοιότερον δὲ
ὃ ἀντερεῖ. Wenn die letzte Bemerkung von Didymus ist, so
sind die beiden anderen wohl nach seinem Muster geschrieben.
Jedenfalls gehören sie wegen des Zitatenunfugs in diese Zeit.
Das (im schol. Hip. 656 stehende) οὐκ ἔστι φορτικὸς ὃ λό-
γος (τοὐμόν σ᾽ εὐσεβὲς σῴζει), ἀλλὰ μᾶλλον τῆς ὑποψίας τοῦ ἅ-
μαρτήματος ϑεραπευτικός (= er ist dem Verdachte dienlich, daß
Hip. gefehlt habe, eine gute Bemerkung zur Oekonomie) und
das weitere ἢ τά χα προτραγῳδεῖ τὸ πάϑος, (τὸν) τοιοῦτον μι-
χρὸν ὕστερον ἐπὲ χαταγνώσει μοιχείας ποιῶν κατηγορούμενον
(auch nicht übel) legt nahe, daß jemand den tugendstolzen
Vers als φορτιχὸς bezeichnet habe. Das können auch die
zwei Bemerkungen zur Oekonomie, die inhaltlich aber nicht
formell alexandrinisch sein dürften, nicht widerlegen. Lag
wirklich Tadel vor, so ist er wohl älter als alle bisher be-
sprochenen einschlägigen Ausstellungen. Die Entstehungs-
geschichte des Scholion mag ähnlich sein wie die des schol.
Aj. 815; vgl. Roemer Phil. 35.
Mehr ins Kleine geht der Tadel, der sich im Grunde an
ein einzelnes Wort anschließt. So fand man — recht philiströs
— das ἔϑυσα vom Muttermord gebraucht (Or. v. 562) ἀπρε-
πῶς. Die im schol. [S] folgenden Worte ἣ τάχα ἵνα δείξῃ ὅτι
εὐσεβῶς διεπράξατο φονεύσας αὐτήν, ἔφη τὸ ἔϑυσα * τὸν Αἴγισϑον
μὲν ἔχτεινα, Ent τούτῳ δὲ τὴν μητέρα ἔϑυσα führen sich
mit ἣ τάχα als Verteidigung ein, die wohl darauf zielt, daß
die Rache als ein Totenopfer (daher εὐσεβῶς) erscheinen soll.
Man möchte auch hier annehmen, daß der Scholiast eine alte
54 Wilhelm Elsperger,
Bemerkung mit 7) τάχα seinen Zwecken anpaßte und durch
die Paraphrase des v. 562 zu stützen suchte. Dagegen liegt
dem χαλῶς [schol. Or. 4 e, 5. 96, 12 f.] χαὶ τὸ “ὡς λέγουσιν᾽ " οὐ
γὰρ πείϑομαι τὸν Δία τοὺς ἰδίους παῖδας οὕτως αἰκίζεσθαι
kein Tadel zu Grunde Man wußte allerdings (wie schol.
Or. 4 ἢ : οὐκ ἐνδοιάζουσά φησι εἰ παῖς ἣν τοῦ Διὸς ὁ Τάνταλος,
ἀλλ᾽ ὀνειδίζουσα τῷ δαίμονι ὅτι τοὺς ἰδίους Exyövoug...
παρορᾷ zeigt) nicht recht, wie das ὡς λέγ. zu erklären sei;
indessen, wäre das schol. 4e nicht in jüngerer Zeit in seine
jetzige Form gebracht, so stände wohl da: ἐν ἤϑει τὸ ὡς λέ-
γουσι χτλ. Die Erklärung ist nämlich nicht so übel, wenn
auch der Dichter wohl nur andeuten wollte, daß Elektra dies
nur aus Erzählung wisse. Denn sonst hat er zur Erörterung
so weit zurückliegender Dinge Gottheiten, die es wissen konnten
(vgl. die Hypoth. zum Ajas), oder mindestens betagte Personen
gewählt. Dagegen gehört hieher schol. Tr. 895, weil man das
τολμηρῶς (διὰ τί τολμηρῶς αὐτὸν Μενέλαον καὶ οὐ πόσιν προσ-
αγορεύει) tadelte, und weil auch der Verteidiger (διὰ τὸ μετὰ
φόβου ἐξάγεσϑαι ἀρχήν φησι τοῦ λόγου ταύτην ἀξίαν φόβου:
ἀξία φόβου soll wohl = τολμηρῶς sein) von der Stimmung der
Helena ausgeht. Aus demselben Geist, der sich über den Ge-
brauch des Namens statt einer Verwandtschaftsbezeichnung
oder einer Verwandtschaftsbezeichnung statt einer anderen
dem Kritiker angemessener erscheinenden wunderte, stammt
das schol. Ph. 1566 (nal τοῦτο ἀπρεπές, ὅτι τὸν Οἰδίποδα
ἄλοχον τὴν Iondormv ποιεῖ λέγοντα, ἐπιγνόντα ὅτι μήτηρ
ἦν. ἔδει οὖν τὸ ὄνομα παραιτήῆσασϑαι) ferner die S. 44 be-
sprochenen schol. Or. 81, 94, 95; 482 ce (S. 38), endlich schol.
Or. 15 c ἐπεὶ χακῆς πράξεως ὑπεμνήσϑη, διὰ τοῦτο οὐκ εἶπεν
ὃ πάππος 6 ἐμός, ἀλλ᾽ ὃ ᾿Ατρεύς und 5080]. 25 b: χαλῶς δὲ
τὸ πόσιν " εἰ γὰρ εἶπε τὸν ἐμὸν πατέρα, δι᾿ ἑαυτὴν ἐδόκει ἂν
χατηγορεῖν τῆς μητρός, wo die wunderlichen Erklärungen auf
Kritik schließen lassen.
4. Gharakter der Tragödie.
Hieher'’) gehört vor allem das Urteil der Hypothesis
über den Orestes: τὸ δρᾶμα χωμικωτέραν ἔχει τὴν χαταστροφήν
19) Vgl. für den ganzen Abschnitt Roemer, Philol. 8. 55—63.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 55
(S. 93, 11). Bei seiner Betrachtung dürfen wir uns nicht durch
die oberflächlichen, teilweise entschieden byzantinischen Urteile,
wie wir sie in der Ill. und IV. (Ὁ 7,10 und 9, 23—27) Hypo-
thesis bei Dindorf und im schol. des Thom. Magister (D 347,3
τοῦτο τὸ δρᾶμα Ex τραγικοῦ χωμικόν " Er γὰρ συμφορᾶς eis ed-
ϑυμίαν κατήντησεν) finden, irre machen lassen. Von schol.
Or. 1691 b, in dem die Worte ὁμοίως καὶ χτλ. (wie auch
Roemer a. a. Ὁ. 5. 58 bemerkt) auffallen, wollen wir eben
wegen dieser Worte zunächst absehen. Dagegen dürfen wir
die Bemerkungen schol. Or. 1512 ἀνάξια χαὶ τραγῳδίας xal
τῆς ᾿Ορέστου συμφορᾶς τὰ λεγόμενα (man beachte, daß es nicht
τῆς τραγῳδίας heißt!) und schol. 1521: ταῦτα κωμικώτερά
ἐστι χαὶ πεζά und vor allem schol. 1369 ᾿Αργεῖον ξίφος : Ev-
τεῦϑεν ἐξέστη τοῦ ἰδίου Nous ὁ Eüpınlöng ἀνοίχεια ἑαυτῷ λέ-
ywv unbedenklich beiziehen. Die beiden zuerst erwähnten
Scholien stützen die Erklärung des dritten: soll es nämlich
überhaupt einen Sinn haben, so muß es sich nicht auf v. 1369
allein, sondern auf die ganze folgende (cf. ἐντεῦϑεν) Szene
1369—1536 beziehen. Das ἴδιον ἦϑος ist dann wohl die Weise,
die Euripides bisher beachtet hat, und die ihm, dem tpayt-
χώτατος am eigensten ist, der tragische Ton. Somit wird hier
der Uebergang aus dem Tragischen in etwas anderes notiert,
und was anderes sollte dies, wenn man schol. 1512 und 1521
vergleicht, sein als der komische Ton? Es ist dabei natürlich
an die νέα χωμῳδία zu denken. Demnach ist es wahrschein-
lich, daß mit χαταστροφῆ der ganze Schluß von v. 1369 ab
gemeint ist. Weshalb die Alexandriner diese χαταστροφή eine
χωμιχωτέρα (nicht eine χωμικὴ) nannten, werden wir noch
festzustellen suchen. Zunächst sei nur bemerkt, daß der
Schluß wirklich etwas Komisches hat; die Bemerkungen sch.
1512 und 21 werden ergänzt durch die Ausführungen Rader-
machers (Rhein. Mus, 1902 N. F. 57 5. 278 ff.). Ob dieser aller-
dings auch schol. 1384 a τινὲς τοῦτο παρεπιγραφὴν εἶναι ὡς εἰς
τὰ χωμιχὰ δράματα mit Recht beizog, bezweifle ich; denn
Apollodor, von dem nach schol. 1384 e (S. 220, 22) die Be-
merkung stammt, kann sie auch bloß deswegen geschrieben
haben, weil er Aehnliches bei den Komikern gefunden hatte,
nicht weil er diese Stelle (ihrem Wesen nach) mit Partien
56 Wilhelm Elsperger,
der Komödie verglich. Auch in der letzten Partie von 1536 ff.
an, die Radermacher nicht mehr behandelt hat, wirkt es komö-
dienhaft, daß Hermione dem Orest, der sie eben noch hat töten
wollen, zur Ehe gegeben wird; ja solche Färbung zeigen auch
manche Worte des Gottes, z. B. v. 1638 ἄλλην δὲ νύμφην ἐς
δόμους χτῆσαι λαβὼν χτλ. oder v. 1653 ἐφ᾽ ἧς δ᾽ ἐχεις Ὀρέστα
φάσγανον δέρῃ, γῆμαι πέπρωται σ᾽ ᾿Ἑρμιόνην, ebenso die doppelte
Ermunterung v. 1678f. und 1682 ff.
Das gleiche Urteil lesen wir in dem älteren Teil der
Alkestishypothesis, die (vgl. Trendelenburg, Grammaticorum
Graec. de arte trag. iudic. rell. S. 11 1.) entschieden von Ari-
stophanes ist. Hier gestatten uns leider die Scholien keinen
näheren Nachweis für die Ansicht der Alten; doch ist soviel
sicher, daß die Notiz τὸ δὲ δρᾶμά ἐστι σατυρικώτερον ὅτι eis
χαρὰν nal ἡδονὴν χαταστρέφει, ζκαὶΣ ἐχβάλλεται ὡς ἀνοίχεια
τῆς τραγικῆς ποιήσεως ὅ τε ᾿Ορέστης καὶ ἡ ἼΑλχηστις, ὡς ἐχ
συμφορᾶς μὲν ἀρχόμενα, εἰς εὐδαιμονίαν (ÖE) καὶ χαρὰν λήξαντα,
(&) ἐστι μᾶλλον κωμῳδίας ἐχόμενα schon deshalb nicht genuin
sein kann, weil sie an die echte Hypothesis nachträglich an-
geschoben ist und einen Punkt weiter ausführt. Aber an dem
ἐχβάλλεται muß doch etwas sein; es lehrt uns sicher, daß je-
mand den ÖOrestes und Alkestis von den anderen Tragödien
getrennt wissen wollte. Welche Leute waren dies nun? Sicher
nicht diejenigen, die im schol. Or. 1691b schrieben ὁμοίως
χαὶ ἐν Τυροῖ Σοφοχλέους ἀναγνωρισμὸς χατὰ τὸ τέλος γίνεται
χαὶ ἁπλῶς εἰπεῖν πολλὰ τοιαῦτα ἐν τῇ τραγῳδίᾳ εὑρίσχεται.
Was für Leute wir aber hier vor uns haben, muß die Analyse
des ganzen schol. 1691b zeigen. ἣ χατάληξις τῆς τραγῳδίας
ἢ εἰς ϑρῆνον ἣ εἰς πάϑος χαταλύει, ἡ δὲ τῆς κωμῳδίας εἰς σπον-
δὰς χαὶ διαλλαγάς: die bei Roemer 5. 58 gesammelten Stellen
beweisen, daf die Alexandriner jedenfalls öfters, wenn auch
nicht immer, die τραγικά gleich πάϑη faßten. Aber durften
sie deswegen einfach konstatieren: die Tragödie als solche
endet unglücklich ?_Das wäre nicht nur entgegen der Wirklich-
keit, sondern auch gegen das Urteil des Aristoteles (1453 a,
23 ff.) gewesen. Hierin zeigt sich also nur ein Ansetzen
der Späteren an die Früheren, und bestätigt wird diese Be-
obachtung durch den Charakter des Zusatzes: ὅϑεν ὁρᾶται τόδε
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 57
τὸ δρᾶμα χωμιχῇ χαταλήξει χρησάμενον διαλλαγαὶ γὰρ πρὸς
Μενέλαον χαὶ ᾿Ορέστην. Der Scholiast meinte also mit der
χωμιχὴ χατάληξις, wie die Worte διαλλαγαὶ κτλ. beweisen, nur
den Ausgang selbst; aber die Alexandriner meinten mit ihrem
χωμικωτέρα καταστροφή), wie wir oben sahen, den ganzen letzten
Teil. Dieselbe flache Auffassung des Stückes zeigen nun aber
auch die Worte des Verteidigers ἀλλὰ xal Ev τῇ ᾿Αλχήστιδι Ex
συμφορῶν εἰς εὐφροσύνην nal ἀναβιοτήν. ὁμοίως χαὶ χτλ., der
deshalb nicht nur, was ja selbstverständlich ist, nach dem
Tadier lebte, also ebenfalls nachalexandrinisch ist, sondern
auch seinen eigenen späteren Anschauungen Ausdruck gab.
Daß aber auch bei ihm noch die Alkestis an erster Stelle er-
scheint, legt die Vermutung nahe, daß er eine verschwommene
Ahnung davon hatte, daß zwischen Orestes und Alkestis eine
besondere Beziehung bestehe. Es ergibt sich also mit Wahr-
scheinlichkeit, daß nicht die Späteren, sondern die Alexandriner
diesen Stücken eine besondere Stellung zuwiesen. Mit dieser
Tatsache und der weiteren Tatsache, daß sie nicht nur den
Ausgang selbst, sondern den ganzen Schlußteil — für Orestes
haben wir das gezeigt, für Alkestis dürfen wir es auf Grund
eines Analogieschlusses wohl annehmen — als χαταστροφὴ
χωμιχωτέρα bezeichneten, ist aber auch die Entscheidung ge-
troffen, daß die Alexandriner mit diesem Ausdruck eine (be-
wußte) Anlehnung des Dichters an die Komödie hervorheben
wollten. Wir müssen nunmehr nur noch die Notiz arg. Alc.
(S. 215, 7) etwas näher ansehen. Die beiden Begründungen (ὅτι
εἰς χαρὰν --- καταστρέφει und ὡς Ex συμφορᾶς xTA.) sind sicher nicht
die alten; ob das ἐχβάλλεται ὡς ἀνοίχεια τῆς τραγικῆς ποιήσεως
die ursprüngliche Form bewahrt hat, ist nicht zu entscheiden.
Nach den von Roemer a. a. Ὁ. 5. 58 gegebenen Proben
dürfen wir auch die Notiz napypntaı δὲ τὸ τραγικὸν χατα-
σχεύαμα. εἰ γὰρ παρῆν ἣ ᾿Ανδρομάχη, οἰκτρότερον ἂν ἐγένετο
τὸ πάϑος ϑρηνούσης αὐτῆς τὸν ἴδιον παῖδα (schol. Tr. 1129)
wenigstens dem Inhalt nach auf die Alexandriner zurückführen;
dazu paßt auch die vernünftige Schlußbemerkung: ἀντικατήλ-
λαχται δὲ τοῦ τοιούτου πάϑους τὴν τῆς ἀσπίδος εἰσαγωγήν.
Hier sind auch die tadelnden Bemerkungen der Hypo-
thesis zur Andromache anzuschließen. Bei Dindorf und Schwartz,
58 Wilhelm Elsperger,
denen v. Wilamowitz (Herakles I S. 158 Anm. 79) sich an-
schließt, steht allerdings kein Tadel da. Indessen steht nach
Dindorfs Angabe bei den Worten χαὶ ὃ πρὸς ᾿Ανδρομάχην λό-
vos (v. 147—80) οὐ κακῶς ἔχων, od χαχῶς im Vaticanus
909 (A) und Parisinus 2712, od χαλῶς im (Vaticanus-)
Palatinus 287, Guelferbytanus und nach Wecklein (kritische
Ausgabe der Andromache) auch im Laur. 32, 2. Aus den
Handschriften allein läßt sich also Sicherheit nicht gewinnen,
zumal M hier fehlt; nun schreiben Wecklein und Trendelen-
burg a. a. 0. p. 26 οὐ χαλῶς, letzterer mit folgender Begrün-
dung: ‘nihilo melius res se habet in sermone, in quo in ipsam
Andromacham invehitur Hermiona. quae excogitari queunt
opprobria maledicta convicia haec in eam fundit etc... . Quis
de tali reginae Hermoniae oratione iudicasse Aristophanem
5101 persuadeat x. 6. np. ’Avöp. λόγ. οὐ χαχῶς EXwv?’ Doch,
könnte man einwenden, dieses Urteil ist modern subjektiv.
Daß es aber tatsächlich dem Empfinden der Alten entspricht,
zeigt folgende Erwägung: In der Hypothesis ist unser Urteil
mit dem vorhergehenden eng verbunden; wir lesen nämlich:
ἐν τῷ δευτέρῳ μέρει ῥῆσις “Ἑρμιόνης τὸ βασιλικὸν T ὑφαίνουσα
[Α; ὑφαίνουσαι N] wat 6 πρὸς ᾿Ανδρομάχην λόγος χτλ. Aus
dem Wortlaut muß man doch schließen, daß nach Aristophanes’
Urteil unsere Partie ebenfalls ἐν τῷ δευτέρῳ μέρει ist. Diese
Worte können aber bier nicht heißen ‘im 2. Teil des Dramas’;
denn unsere Szene folgt ja unmittelbar auf die πάροδος; wohl
aber können sie bedeuten: ‘in zweiter Reihe stehen’, nämlich
hinsichtlich der Qualität. Das δεύτερος ist dann ebenso ge-
braucht wie in dem vorausgehenden allgemeinen Urteil τὸ
δρᾶμα τῶν δευτέρων 29, Wir müssen demnach erklären: von
geringerem Wert sind die ῥῆσις der Hermione und der λόγος
gegen Andromache. Unsere Szene ist also getadelt worden,
und damit ist bewiesen, daß die Lesart od χαλῶς den Vorzug
20) μέρος ist ähnlich gebraucht z. B. Dem. Olynth. II, 18 (p. 23, 14)
ἐν οὐδενὸς μέρει εἶναι — "für nichts gelten; demnach ἐν δευτέρῳ μέρει
εἶναι —= als es erscheinen, minderwertig sein. Auch der
Artikel findet sich in ähnlichen Wendungen, z. B. Plat. conviv. p. 185 ἢ
ἐγὼ ἐρῶ Ev τῷ σῷ μέρει — σὺ δὲ ἐν τῷ ἐμῷ. Zugleich vermittelt der
Artikel wohl noch den Nebensinn: Szenen „von der zweiten Qualität“,
die es ja nach dem allgemeinen Urteil geben muß.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides, 59
verdient. Es erübrigt nur noch die Emendation des verderbten
ὑφαίνουσα ; daß die Bemerkung sich auf v. 920 ff. bezieht und
daß diese Rede gar nichts Königliches hat, das hat Trendelen-
burg a. a. O. S. 25 f. und 27 nachgewiesen. Da nach dem
ÖObigen Tadel dagestanden haben muß, werden wir mit Bergk
und Wecklein die leichteste Konjektur οὐ φαίνουσα statt ὕφαί-
vouoa aufnehmen.
Mustern wir nun noch die Scholien, so fällt schol. 150
auf: ἐπίτηδες ὃ Εὐριπίδης τοὺς Λάκωνας κωμῳδῶν... Aarw-
νικῷ προσώπῳ ἀλαζονιχὰ ῥήματα προσάπτει. Es ist nicht un-
wahrscheinlich, daß diese Bemerkung sich gegen einen Tadel
der Rede, als enthalte sie ἀλαζονιχὰ ῥήματα, richtet. Der
Tadler hätte sich dann an das alexandrinische Urteil über
den λόγος πρὸς ᾿Ανδρομάχην angeschlossen.
Ueber schol. An. 32b kann ich mich kurz fassen. Es
gehört einem Verteidiger, der aber den Tadel anführt: οἱ φαύ-
Ang ὑπομνηματισάμενοι ἐγχαλοῦσι τῷ Εὐριπίδῃ φάσχοντες Ent
τραγιχοῖς προσώποις κωμῳδίαν αὐτὸν διατεϑεῖσϑαι. γυναικῶν τε
γὰρ ὑπονοίας κατ᾿ ἀλλήλων χαὶ ζήλους καὶ λοιδορίας καὶ ἄλλα ὅσα
εἰς χωμῳδίαν συντελεῖ, ἐνταῦϑ'ια ἁπαξάπαντα τοῦτο τὸ δρᾶμα
περιειληφέναι. ἀγνοοῦσιν - ὅσα γὰρ εἰς τραγῳδίαν συντελεῖ, ταῦτα
περιέχει ἐν τέλει, τὸν ϑάνατον τοῦ Νεοπτολέμου χαὶ ϑρῆνον Πη-
λέως ἅπερ ἐστὲ τραγικά. Der Tadler ging von v. 29—35 (ἐν-
ταῦϑα) aus, wo all das beisammen steht (συμπεριείληπται), was
er als komisch bezeichnet; er schritt dann weiter zu der all-
gemeineren Behauptung, die unser schol. zuerst anführt. Daß
der Tadler kein Alexandriner sein kann, ergibt sich daraus,
daß in der Hypothesis ‘kein Wort davon zu lesen ist, daß das
vorliegende Stück mehr zur Gattung der Komödie gehört’
(Roemer a. a. Ὁ. 5. 60). Daß es Didymus ist, hat schon
v. Wilamowitz (Heracl. I p. 158 f. Anm. 79) behauptet, zuletzt
hat es Roemer fast unumstößlich sicher gemacht. Der Ver-
teidiger charakterisiert sich durch sein wissensstolzes ἀγνοοῦσιν ;
daß er mit alexandrinischem Gut arbeitet, hat Roemer a. a. Ὁ.
nachgewiesen; daß er nachdidymeisch ist, ergibt sich aus dem
oben Gesagten. So können wir an diesem Scholion den Weg
der Würdigung, Anklage, Verteidigung, den wir schon mehr-
fach postulieren mußten, mit großer Evidenz aufzeigen.
60 Wilhelm Elsperger,
5. Dialogführung,
Es erübrigen noch eine Reihe von Bemerkungen, die sich
gegen die διάνοια oder, um einen etwas umfassenderen Aus-
druck zu gebrauchen, gegen die Führung des Dialogs und die
Gestaltung der ῥήσεις richten. Und zwar gehen diese Bean-
standungen teils mehr vom rhetorischen, teils mehr vom
rein logischen Standpunkt aus.
Ersterer Art ist schol. Phoen. 584c. Da lesen wir zu der
Mahnrede der Jokaste beim Sühneversuch (Ph. 528—85): ἐν
τούτοις οὐδὲν συμβεβούλευχε τοῖς παισὶ χοινωφελές, ἀλλὰ τῷ
μὲν λέγει" εἰς τί φιλοτιμῇ τυραννεῖν ; τῷ ÖE' εἰς τί πολεμεῖς τὴν
πατρίδα ; da die Ratschläge an sich der Situation der Brüder
angemessen sind, kann der Scholiast nicht wohl die „Flucht
in die Allgemeinheit“ (Roemer Philol. S. 64 ff.) haben tadeln
wollen. Daß ıhm wirklich in erster Linie das Fehlen eines
positiven Vorschlages anstößig war, ergibt sich daraus, daß
er selbst einen macht: ἐχρῆν δὲ τοῦτο συμβουλεῦσα: διελομέ-
vous τὰ πατρῷα (Familiengüter) καὶ τὴν βασιλείαν παύσασθαι
τῆς διχοστασίας, ὥσπερ ὑπέστησαν ἐξ ἀρχῆς ἀνὰ μέρος ἄρχειν.
Der Gedankengang des Letzten ist nicht ganz klar, indessen
gehören die Worte ὥσπερ ὑπέστησαν---ἄρχειν doch wohl enger
zu τὴν βασιλείαν διελομένους. Der Vorschlag des Kritikers
bringt also in der Hauptsache gar nichts Neues; und schon
die Wiederholung eines Vorschlages, der sich nicht bewährt
hat, würde sich herzlich matt machen. Aber setzen wir ein-
mal den Fall, Jokaste hätte den Vorschlag gemacht. Dann
mußte 51) ihn der Euripideische Eteokles, ohne nur auf
ibn einzugehen, abweisen, und es wären nur ein paar Worte
mehr verschwendet worden. Das einzige, was Jokaste jetzt
erreichen konnte, war eine Geneigtheit der Brüder sich
zu versöhnen; wie das geschah, war minder wichtig. Diesem
Hauptzweck angemessen ist auch die ganze Rede gestaltet.
Wenn wir nun mit der Tatsache, daß der Tadel unhalt-
3) Die Worte: ἐπὶ τῷ ποιητῇ ἦν (der Dichter hatte es in seiner Hand,
hatte die Möglichkeit) ποιῆσαι αὐτοὺς μὴ πειϑομένους zeigen, daß der
Tadler die Charakterzeichnung nicht verstanden hat; Eteokles wäre
ganz inkonsequent gewesen, wenner auf einen solchen Vorschlag ein-
gegangen wäre.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides, 61
bar ist, den Ton des sch. vergleichen, drängt sich die Vermu-
tung auf, daß hier ein ἐνστατιχός spricht. Einen Schein ge-
wann ja der Einwand dadurch, daß eine Rede des γένος συμ-
βουλευτικόν — und eine solche liegt hier vor — mit einem
positiven Vorschlag zu schließen pflegt, oder doch meist einen
solchen zur Voraussetzung hat.
Wir werden nicht irre gehen, wenn wir auf den gleichen
Mann den Tadel im sch. Ph. 507 zurückführen: ἀλόγιστος ὃ
᾿Ετεοχλῆς ° ἐξὸν γὰρ αὐτῷ τῷ τοῦ πρεσβυτέρου χρήσασϑαι Öt-
χαιώματι, ᾧ μᾶλλον ἐπέβαλλεν ἣ ἀρχή, ἀδικεῖν ὁμολογεῖ ἑαυτόν..."
πρὸς ὃ ῥητέον ὅτι μίμησιν ἀνδρὸς ἀδίχου ἐξεικονίζει 6 Εὐριπίδης
μηδὲ τῷ δοχεῖν εὐσεβεῖν βουλομένου * ἄλλως τε, εἰ ἔφασχεν ἄρ-
χειν ὡς πρεσβύτερος, ἠχολούϑει τῷ λόγῳ τὸ τῶν χτημάτων μέρος
δεῖν ἀπονέμειν. Wir haben da wieder die Erscheinung, daß
der Verteidiger mit altalexandrinischem Gut arbeitet; denn das
Urteil über Eteokles (ὅτι μίμησιν — βουλομένου ; die folgenden
Worte sind Eigentum des Verteidigers) stimmt zu dem sonst
abgegebenen (vgl. schol. Ph. 446). Wir werden ihn mit dem
Verteidiger zu An 326. identifizieren und lernen somit auch
aus diesem Scholion, daß der Tadler ungefähr in der Zeit des
Didymus oder wenig später arbeitete.
Dem gleichen &votatıxös dürfen wir wohl auch sch. Ph. 549
zuschreiben ; die Worte der Jokaste ἀδικίαν εὐδαίμονα 35) for-
dern ja auch Kritik heraus: ἔδει, φασι, δυσδαίμονα αὐτὴν εἰ-
πεῖν, ἵνα τὸν ’Ereonden τῆς περὶ αὐτὴν ἀσεβοῦς ἐπιϑυμίας ἀπο-
στρέψῃ.
Angeschlossen seien gleich hier die mehr vom Standpunkt
der reinen Logik aus erhobenen Ausstellungen, die sich noch
in den Phönissenscholien finden. Zunächst sch. 409a,
das eine tatsächliche (von den Neueren mit Recht durch Um-
stellung beseitigte) Schwierigkeit aufgreift: ἢ μὲν (Jokaste)
22) Der Ausweg des sch. 549a λείπει τὸ οὖσαν χαὶ τὸ ὡς " τί τιμᾷς τὴν
τυραννίδα, ἀδικίαν οὖσαν, ὡς εὐδαίμονα; (der älter sein mag als das jetzige
Scholion) wird mit Recht von sch. 549 Ὁ αὐτὴν τὴν τυραννίδα εὐδαίμονα
ἀδιχίαν φησὶν abgewiesen. Es scheint ein Oxymoron beabsichtigt;
aber damit dies zur Geltung käme, müßte der Begriff des Glückes
vorausgehen, der des Unrechtes folgen. Dem Euripides ist aber
ein verkehrtes Oxymoron am allerwenigsten zuzutrauen; also ist die
Stelle verderbt. Weckleins Vorschlag ἀδικίας γε μητέρα verdient Be-
achtung.
62 Wilhelm Elsperger,
τὴν αἰτίαν τῆς εἰς "Apyos ἀφίξεως ἐρωτᾷ, 6 δὲ (Polyneikes) τὴν
[αἰτίαν] τῆς αὐτόϑι καταμονῆς λέγει. etc. Der Ton ist wesent-
lich anders wie in den sachlich ähnlichen Orestesscholien (89
und 1074 vgl. S. 68) und legt es nahe auch diese Kritik dem
Enstatiker zuzuschreiben.
Er war wohl auch der Tadler, von dem sch. 46 (8. 247,
3 ff.) berichtet. Dort war Tadel erhoben wegen Inkonsequenz
in der Erzählung der Vorgeschichte, also vom Standpunkt der
Logik aus: ἔτι δέ τινες ἐγκαλοῦσι... ὡς 00% ἀχολούϑως γε-
νεαλογήσαντι" εἰ μὲν ἐξ ἀρχῆς ἐβούλετο τὰ πράγματα λέγειν,
ἐχρῆν τὴν ἐκ Φοινίχης ἀποικίαν τοῦ Κάδμου χατὰ λεπτὸν μετὰ
τῆς αἰτίας διηγήσασθαι" εἰ δὲ ἐκ τοῦ ὑπογυίου, ἔδει ἀπὸ τῶν
Λαΐου δυστυχημάτων ἄρξασϑαι. Die Verteidigung des Scholia-
sten (πρὸς οὺς ῥητέον ὅτι... μα Ἀρὸς ἂν ἣν ὁ λόγος, ἄλλως
τε χαὲὶ οὐκ ἔπρεπε Θηβαίαν γυναῖκα ἀχριβῶς τὰ Ev Φοινίχῃ ἐπί-
στασϑαι" [darüber hätte sich der Dichter ebenso hinwegge-
setzt, wie er es umgekehrt für die Phönikerinnen des Chores
tut, vgl. das zu sch. 805a (5. 25) Bemerkte] ei δὲ ἀπὸ τῶν
Λαΐου δυστυχημάτων, πολλὰς ἂν τῶν περὶ τὰς Θήβας συμφορῶν
παρέλιπεν [folgt eine Aufzählung von schrecklichen Ereignissen])
ist nicht schlechter, aber auch nicht viel besser als der Tadel:
solche Ausstellungen verdienen keine Widerlegung. Der Ver-
teidiger mag mit dem im sch. 805a zitierten identisch sein ??).
Endlich ist hieher zu ziehen, wenigstens in ihrer ursprüng-
lichen Gestalt, die Bemerkung zu Ph. 9831—41. Der Dichter
setzt v. 931—35
δεῖ τόνδε ϑαλάμαις οὗ δράκων ὃ γηγενήῆς
ἐγένετο... σφαγέντα φόνιον αἷμα γῇ δοῦναι, χοὰς
Κάδμου, παλαιῶν "Apeos ἐκ μηνιμάτων,
985. ὃς γηγενεῖ δράκοντι τιμωρεῖ φόνον
auseinander, daß Ares des Menoikeus Tod fordere im Zorn
über den Tod des Drachen, den Kadmos getötet hatte. War-
um gerade Menoikeus sterben soll, hat der Dichter nicht aus-
>) Hier sei gleich auf schol. Hec. 1103 (Ὁ) hingewiesen; in Vers
1101 ff. vermißten nämlich die Byzantiner nach Thomas Magisters
Zeugniss die nötige Konsequenz: ἀποροῦσι... πῶς... 6 Πολυμνήστωρ
᾿Ωρίωνος nal Σειρίου ἐμνήσϑη καὶ μηδενὸς ἄλλου τῶν ἄστρων. Kaum besser
als die Aporie ist die Lösung: ’Qpiwvog ἐμνήσϑη ὡς χυνηγοῦ...., Σει-
plov ὡς καυστικοῦ " διαχαὴς γὰρ ἦν nal αὐτὸς τῷ πάϑει.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 63
drücklich gesagt; ich glaube, wohl als ein Nachkomme des
Kadmos; denn ich nehme an, daß χοὰς Κάδμου (v. 933/4) Ap-
position zu φόνιον αἷμα ist, sodaß die χοαὲ Κάδμου Totenspen-
den sind, von Kadmos dem Drachen zur Sühne dargebracht*).
Darauf sagt Tiresias (v. 937—40) die Erde (χϑῶν) fordere
für eine Frucht (damit ist der kurz vorher genannte γηγενὴς
δράκων gemeint) eine andere Frucht, ἃ. ἢ. einen der Sparten,
die ja auch aus der Erde geboren sind, wie v. 940 zeigt. Dies
hat etwas Widersinniges, und, wie um den Widersinn recht
deutlich zu machen, schreibt der Dichter noch v. 940 ἢν: ἐχ
γένους δὲ δεῖ ϑανεῖν τοῦδ᾽ ὃς δράκοντος γένυος ἐχπέφυχε παῖς.
Es ist doch wirklich eigentümlich, daß [ἢ zur Sühne für den
Stammvater eines Geschlechtes einen Nachkommen eben dieses
Geschlechtes fordert. Darauf beziehen sich wohl die Worte
des schol. 934b: ζητοῦσι δέ τινες, εἴπερ ὡργίσϑη n Γῆ χαὶ ὃ
"Apns διὰ τὸν φόνον τοῦ δράκοντος, διὰ τί πάλιν χελεύει ὁ μάν-
τις ἀπ᾿ ἐχείνου τοῦ γένους σφαγῆναι (scil. παῖδα). Da dies
Scholion die Schwierigkeit logisch darlegt, scheint es das äl-
teste der zahlreichen diese Sache betreffenden zu sein. Daß
auch dies ζήτημα auf den Evoratınög zurückgeht, ist zwar nicht
ausgeschlossen, aber auch nicht recht wahrscheinlich; wir wer-
den es besser auf eine Stufe stellen mit den διαβεβοημένα ζητή-
ματα, wie sie zu Med. 169, Hip. 73, Phoen. 208 (vgl. 5. 19£.,
39 f., 43) und sonst behandelt sind; lauter Fragen, die schon
in vordidymeischer Zeit diskutiert wurden. Dagegen werden
wir (5. 128/32) sehen, daß der Enstatikos einer etwas späteren
Zeit angehört. Auch die Lösung, die hier angeschlossen ist
(πρὸς τοῦτο ῥητέον, ὅτι ἣ γῆ ἀνέδωχε τοὺς Σπαρτοὺς πρὸς τὸ
ἐχδιχῆσαν τὸν φόνον τοῦ δράκοντος" οὗτοι δὲ οὐκ ἐξεδίχησαν,
ἀλλὰ τοῖς Θηβαίοις [genauer ist das Κα δ μου ἔμειναν φίλοι
des schol. 9944] ἐχοινώνησαν. καὶ γὰρ ᾿Βχίων εἷς ὧν τῶν Σπαρ-
τῶν ἔγημεν ᾿Αγαύην τὴν Κάδμου) berücksichtigt wenigstens die
richtige Erklärung der Stelle und ist auch nicht unannehm-
bar. Später hat sich dann eine Reihe von Scholien ange-
schlossen, deren Urheber z. T. das Wesen der Schwierigkeit
gar nicht mehr richtig verstanden. So handeln sie vom Zorn
34) Wird dagegen Κάδμου mit γῇ verbunden, so ist es völlig über-
flüssig, da niemand zweifeln kann, welches Land gemeint ist.
64 Wilhelm Elsperger,
des Ares gegen die Sparten (schol. 934a: ... ἐπ᾽ &xöt-
χίᾳ γὰρ τοῦ δράκοντος ἔτι χαὶ νῦν μνησικαχεῖ τοῖς περιλειφϑεῖσι
τῶν Σπαρτῶν 6 "Apr, schol. 935 Ὁ: διὰ τί. ἐμήνιεν ὁ "Apns
τοῖς Σπαρτοῖς :), von dem der Dichter doch nicht spricht, da
Ares nur den Nachkommen des Kadmos zürnt. Dabei über-
tragen sie die Erklärung des schol. 994 Ὁ auch hieher, sie noch
dazu verderbend: ἐπεὶ μὴ ἤμυναν τῷ δράχοντι γεγονότες ἐξ αὖ-
τοῦ (das sind sie nach v. 940 f. nur sehr mittelbar), οὐδὲ τοῖς
ἀδελφοῖς (was sollen denn die hier ?), ἔμειναν δὲ Κάδμου φίλοι...
Doch hat das schol. 954a den Widerspruch noch gefühlt, wenn
auch nicht auf das Richtige bezogen, indem es schreibt τῷ
δράχοντι yeyev. ἐξ αὐτοῦ. Verwandt ist das schol. des
Moschopulos ®°) (D 254, 14—19), das sich z. T. wörtlich mit
schol. 934a berührt. Viel schlechter ist schol. 937 b [S. 349,
29 ff.) (vgl. noch das byz. schol. D 255, 13), welches meist
Periphrase gibt, aber in dem ἐλυπεῖτο ἣ γῆ ὅτι γηγενεῖς ἦσαν
ganz verkehrt ist. Der Autor des schol. 938 ἐλυπεῖτο ἣ γῆ
ὅτι τῶν γηγενῶν Σπαρτῶν ἐδέξατο τὸ αἷμα hat wohl das ἀντὶ
αἵματος (v. 937) mißverstanden. Th. Magister endlich gibt
nur Gründe an, warum Ares und Ge den Tod des Drachen
rächen wollen (D 255, 14 f.), sodaß man sieht, er hat die
eigentliche Frage nicht mehr gekannt.
Sehen wir nun die einschlägigen Bemerkungen zu den
übrigen Stücken an: Zunächst wieder einige rhetorische
Ausstellungen! Im sch. An. 216 wird nicht ein Motiv vermißt,
sondern ein angewendetes getadelt:
v. 215 ff. εἰ δ᾽ ἀμφὶ Θρήκῃν ...
τύραννον ἔσχες ἀνδρ᾽, ἵν᾽ ἐν μέρει λέχος
δίδωσι πολλαῖς εἷς ἀνὴρ χοινούμενος,
ἔχτεινας ἂν τάσδε:
sch.: ταῦτα δὲ οὐχ ὀρϑῶς" ἔφη γὰρ ἂν ἡ Ἕρμιόνη" ἀλλ᾽ οὐχ
ἐν Θρῃξὶν οἰκοῦμεν βαρβάροις, ἀλλ᾽ ἐν τῇ Ἑλλάδι καὶ τοὺς τῶν
“Ἑλλήνων νόμους σῴζομεν. Der Kritiker hätte ganz recht, wenn
die Rede eine Mahn- oder eine demütige Verteidigungsrede sein
sollte. Wir werden dies Scholion wegen der Aehnlichkeit mit
38) Daß der kürzere Kommentar im cod. Guelf. auf Manuel Mos-
chopulos zurückgeht, hat Dindorf, der ihn mit Gr. bezeichnet, in seiner
Scholienausgabe vol. I praef. p. XVII nachgewiesen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 65
schol. An. 229 (vgl. 8.51) mit Grund dem Didymus zu-
schreiben; er, der ja auch Redner kommentierte, mag auch
ihre Ideen sich zu eigen gemacht haben.
Zu Med. 536 ff. lesen wir im schol. 538 ὁ περιπετὴς ὁ λό-
yos (die Argumentation des Jason: du bist mir zu Dank ver-
pflichtet; denn durch deinen Aufenthalt in Griechenland hast
du gelernt νόμοις χρῆσθαι) κατὰ ῥήτορας. Schon dieser
Ausdruck lest nahe anzunehmen, dafS der Tadel, wenn nicht
direkt von Rhetoren, so doch von rhetorisch Gebildeten aus-
ging. Dazu paßt nun vortrefflich der ganze Ton des sch. 538 a
(von dem sch. 538b einen Auszug gibt): ἐπιλαμβάνονται τοῦ
ἐπιχειρήματος. ἔδει γὰρ αὐτὸν ταῦτα λέγοντα μηδὲν ποιεῖν döt-
χον. πρὸς γὰρ τὸν λέγοντα ὅτι νόμοις ἐπίστασαι χρῆσϑαι, εἴποι
ἄν τις εἰκότως" ἀλλὰ σὺ οὐκ ἐπίστασαι νόμοις χρῆσϑαι, ἀλλὰ
χαὶ τοὺς ὅρχους παραβέβηκας nal τὰς δεξιὰς καὶ τὰ τέχνα χαὶ
τὴν γυναῖχα προδέδωχας, ὅπως τὴν τοῦ τυράννου ϑυγατέρα λά-
βης, τοῦτο δὲ ἕνεχα φιλοδοξίας. Die Worte von ἀλλὰ σὺ ab
könnten ganz wohl in einer Rede stehen; zur Begründung des
starken Ausdruckes προδέδωχας, gegen den ein Hörer einwen-
den könnte: aber er kam ja (v. 460 ff.) um für Frau und
Kinder zu sorgen, ist der folgende Satz geschrieben: χαὶ γὰρ
ὅτε ἔλεγεν ἥκω ὅπως σοί ἐπαρχέσω, χαταμωχώμενος ἔλεγεν.
Was der Kritiker bemerkt, ist — von dem χαταμωχώμενος
abgesehen — ganz richtig; doch hat er des Dichters Absicht
nicht verstanden, welcher in Jason einen hohlen Sophisten,
einen Mann, der für Medea an Empfinden”) und Charakter
viel zu schwach und niedrig ist, darstellen wollte. Darum ist
auch das Resum& des Scholions verfehlt: ἥκιστα οὖν ἔδει νῦν
τὰ τῶν νόμων παραλαμβάνειν (sc. τὸν ποιητήν) μέλλοντα 57) πρό-
σωπον τοιοῦτον εἰσάγειν παραβεβηχὸς τοὺς νόμους. Ueber den
Kritiker läßt sich Bestimmtes nicht sagen; ziemlich sicher ist,
26) Das Anbieten von Geld wird eine tieffühlende Frau in Medeas
Lage immer als Hohn empfinden, während der Mann dafür bisweilen
(wie hier) gar kein Gefühl hat.
27) Das μέλλοντα εἰσάγειν führt uns sozusagen in das φροντιστή-
ριον des Dichters: damals, als er die Rede sich ausdachte, als das εἰσά-
yeıv, das seine Vollendung erst mit dem Auftreten der Person auf der
Bühne findet, noch bevorstand, durfte er nicht zu diesem Argumente
greifen.
Philologus Supplementband XI, erstes Heft. 5
66 Wilhelm Elsperger,
daß er mit dem Autor der Bemerkungen zu Medea 324, 900,
922, 972 (vgl. S. 50) identisch ist; daß dieser Didymus ist,
wagten wir oben nicht zu behaupten, so nahe es auch wegen
Scholien wie An. 330 (s. S. 51) läge; auch unser Scholion lehrt
uns nicht Sicheres, denn es wird sich nicht die Möglichkeit
ausschließen lassen, daß Didymus sich auch einmal in solchem
Fluß der Rede erging”); das Fehlen einer genauen Analogie
unter seinen Fragmenten kann dagegen nicht viel beweisen;
ist doch auch sein Kommentar zu Demosthenes, wie er in der
Berliner Papyrus vorliegt, nur ein Exzerpt, das, ganz einsei-
tig, fast nur die historischen Bemerkungen widergibt ?°). Jeden-
falls aber geht das Scholion auf einen Kritiker didymeischer
Richtung zurück.
Zu den Versen Tr. 975 ἢ: αἵ (Hera, Pallas, Aphrodite)
παιδιαῖσι Kal χλιδῇ μορφῆς πέρι ἦλθον πρὸς "Iönv (so las er)
bemerkt der Kritiker: ἀνοίκειον τοῦτο τοῦ ὑποχειμένου 30), ἔ-
der γὰρ αὐτὴν (Hekabe) ἀνελεῖν (ἐχεῖνα) (4. h., wie das Fol-
sende zeigt, die Geschichte von der χάλλους χρίσις als un-
wahr erweisen) χαὶ μὴ εἰπεῖν ὅτι παίζουσαι ἦλϑον εἰς τὴν τοῦ
χάλλους ἔριν. διόπερ χαὶ τοὺς Ev Ἰλίαδι στίχους (ὦ 29, 30)
ἀϑετοῦσι τοὺς ὃς νείκεσσε θεάς 51). (Das soll wohl heißen:
38) Vgl. über sein Streben nach vollerem Stil Diels-Schubart in der
Einleitung (p. XIV) zu Didymus’ Kommentar zu Demosthenes (Berl.
Klassikertexte 1).
29) Ebenda p. XV ff.
°0) ὕποχ. ist der Zweck als formgebendes Prinzip, das der ganzen
Gestaltung zugrunde liegt.
51 Ueber die Zahl der an dieser Stelle athetierten Verse schwanken
die Angaben. Nach sch. & 25 (cod. A) sind es 6 (v. 25—30); und zwar
wurden diese von Aristarch athetiert, was für v. 30 und 28 (vgl.
Ludwig, Aristarchs homerische Textkritik S. 495) bezeugt ist; aber mit
v. 28 mußte auch v. 25—28, mit v. 30 auch v. 29 fallen. — Nach dem
sch. BT sind es 8 (v. 23—30), von denen jedoch nach dem Urteil des
Scholiasten nur die letzten 7 mit Wahrscheinlichkeit athetiert sein
sollen, und zwar auch von Aristarch; von den Gründen, die für
den v. 24 gegeben werden, ist der erste (τὸ γὰρ χλέπτειν... Yeolg οὐ
πρέπον) mindestens nicht schlechter als der erste im sch. cod. A ange-
gebene (V. 25 f. sei lächerlich: τίνες μὲν γὰρ ἔτι ἐλείποντο τῶν τριῶν
|Hera, Poseidon, Athene] σεμνότεροι μετὰ τὸν Δία τῶν μὴ συνευδοκούντων);
der zweite (es sei widersinnig, daß der gleiche Dichter von der ge-
planten χλοπή spreche und dann doch alle Götter von Apollon tadeln
lasse) ist des Aristarch durchaus würdig. Eine Stütze findet diese An-
nahme daran, daß Aristarch nach sch. 71 auch v. 71 ff. (κλέψαι μὲν
ἐάσωμεν) athetiert hat; fehlt‘ aber dieser Vers, so erfährt niemand, war-
um Hektors Leichnam nicht in der Tat gestohlen wird. Ueberdies trägt
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides, 67
sie müßte die Erzählung als unwahr erweisen, wie sie auch
als dem Homer unbekannt aus der Ilias entfernt wurde.) Die-
ser Hinweis auf das Urteil der älteren Alexandriner ist aber
hier völlig unnötig und verfehlt und legt deshalb die Vermu-
tung nahe, dafß der Kritiker zu seiner Ausstellung nur durch
Aristarchs Athetese veranlaßt wurde. Ob das Folgende vom
Kritiker selbst geschrieben ist, oder ob ein anderer, ein Ver-
teidiger, zu Wort kommt, läßt sich nicht sicher ausmachen ;
für die Identität spricht die Wiederkehr der Forderung ὀφείλει
ἀναιρεῖν Exeiva am Schluß, dagegen die Bestimmtheit, mit
der der Kritiker das ἀνοίκειον aufstellt. Jedenfalls wird eine
Erklärung gegeben, die den nach unserer Annahme vom Kri-
tiker geforderten Sinn zu gewinnen sucht: δύναται δὲ χαὶ ad”
ὑπόχρισιν (beim Vortrag) ἐρωτηματικῶς ἀχούεσθαι" „at παιδ.
χ. τρυφ. ἦλϑ'. εἰς Ἴδην ;“, οὐ δῆτα “" ὥστε εἶναι πάντων τῶν προει-
ρημένων ἀναιρετικόν. τὸν γὰρ ἐναντίον λόγον χειρίζουσα ὀφείλει
ἀναιρεῖν ἐχεῖνα. Diese Erklärung macht also unseren Vers
zum Fragesatz, was unmöglich ist. Aber überhaupt ist das
ganze Scholion dem Dichter nicht gerecht geworden: Helena ,
setzt v. 925 ff., besonders v. 932—34, auseinander, es sei ein
Glück für Hellas gewesen, daß sie von Paris geraubt wurde,
da sonst Griechenland, entsprechend den Verheißungen der
Hera und Pallas, den Barbaren (Trojanern) dienen müßte. Da-
gegen wendet sich Hekuba v. 971 ff. und sagt zunächst: Es
ist unglaublich, daß Hera und Pallas etwas derartiges sollten
versprochen haben (v. 971—74). Denn sie kamen doch im
der ganze zweite Teil des Scholion cod. B (D. p. 337, 3—21), das wegen
seiner Länge hier leider nicht ausgeschrieben werden kann, ausge-
sprochen Aristarchischen Charakter. — Eustath. p. 1337, 19 spricht von
der Athetese von 5 Versen (natürlich ist zu verbinden τὸ χλέψαι
δ᾽ ὀτρύνεσκον χαὶ ἑξῆς [u.s.w.], τοὺς πέντε στίχους [v. 24—28]), ferner Z. 30
von der Athetese eines weiteren τόπος. Z. 36 sagt er ausdrücklich:
ἀδϑετοῦνται. .. ὥσπερ ol ἄνω αὐτῶν πέντε στίχοι, οὕτως καὶ ol ῥηϑέντες δύο
(29 f.). Diese eigenartige Berichterstattung und das Schwanken der
Angaben über die Zahl der athetierten Verse erklärt sich am ein-
fachsten, wenn man annimmt, daß die Verse nach Gruppen (v. 24,
v. 25—28, v. 29 [) athetiert waren, ἃ. ἢ. daß für jede Gruppe die
Gründe eigens angegeben waren. Dem entspricht noch jetzt die An-
ordnung der einzelnen Punkte im sch. cod. B. Für den Euripideskri-
tiker kam nur die letzte Gruppe, die sich ja auch bei Eustath. noch
abhebt, in Betracht, und so führt er nur die Athetese dieser Verse an.
5*
68 Wilhelm Elsperger,
Scherz zum Ida°?). Die ganze χάλλους χρίσις war von Seite
der Pallas und Hera nicht ernst gemeint; denn einen ernst-
lichen Wert hatte der Sieg doch für keine von beiden (v. 956
bis 81). Somit hat der Dichter erreicht, was er wollte und
allein mußte, die Entschuldigung der Helena v. 829—34 ab-
zuweisen. Ein völliges Leugnen der Geschichte hätte sich im
Mund der Hekabe sehr merkwürdig ausgenommen. Auch diese
Kritik gehört ihrer ganzen Art nach in dieselbe Zeit, wie die
zuletzt besprochenen Ausstellungen.
Vom Standpunkt der Logik wurde getadelt vor allem
das οὐ πρὸς τὴν πεῦσιν (sch. Or. 89, τὸ ῥηϑὲν sch. Or. 1074)
ἀπεχρίνατο. Sachlich deckt sich auch sch. Ph. 409a, von dem
schon die Rede war. Sch. Or. 89 ist so kleinlich, daß es sich
nicht lohnt, näher darauf einzugehen ; der Scholiast zu Or. 1074
hatte den richtigen Text: Or. οὐχ Extaves σὺ μητέρ᾽, ὡς ἐγὼ
τάλας. Pyl. σὺν σοί γε κοινῇ ᾿ ταὐτὰ καὶ πάσχειν με δεῖ, denn
er erklärt richtig ϑέλει εἰπεῖν ὅτι συνησέβησά σοι. Aber weil
er sich nur an das Einzelne hielt, hat er den Gedankengang
nicht verstanden. Orest sagst v. 1071 „Warum solltest du
sterben“ und (mit Ignorierung des v. 1072) „Du bist ja nicht
des Muttermordes schuldig“ (dies istder Sinn von v. 1073);
darauf Pylades: „Ich vollbrachte die Tat mit dir zusammen
und muß deshalb dasselbe leiden“. Er widerlegt also v. 1071,
mit dem 1073 enge zusammenhängt. Der Kritiker dürfte
identisch sein mit dem, auf den die Bemerkungen zum Cha-
rakter des Menelaos und der Helena zurückgehen.
Hierher gehört auch der Tadel, der dem Verfasser des
schol. Or. 108a zu dem Vers eis ὄχλον ἕρπειν παρϑένοισιν οὐ
χαλόν vorgelegen haben muß, wenn er schreibt: ταῖς νεάνισιν "
od γὰρ ταῖς ἀγάμοις" ἄγαμος γὰρ var ἣ ᾿Ηλέχτρα᾽ παρϑένος
δέ ἐστιν ἡ ἀμιγῆς τεΆ8) χαὶ [ἡ] ἄρτι ἡβῶσα. Man fragte sich
32) Wenn dann im folgenden gelesen wird χαὶ χλιδῇ, so muß χλιδῇ
etwas ähnlich Geringwertiges bezeichnen wie παιδιαῖσι, und tatsächlich
steht χλιδή (Weichheit, Ueppigkeit) in einem natürlichen Gegensatz zu
ernsten Dingen. Da somit keine Konjektur nötig ist, werden wir über-
setzen: „die doch in weichlicher (lässıger) Tändelei (Hendiadyoin) zum
Gericht über die Schönheit (μορφῆς πέρι) kamen“.
38) Das τέ, das in den codd. nach 7 steht, habe ich umgestellt, und
das ἢ eingeklammert, weil nur so ἅμιγής τε χαὶ ἡβῶσα ein Begriff wird.
Das muß aber sein; denn würde παρϑένος auch als ἀμιγὴς (ohne nähere
Bestimmung) definiert, so würde es ja wieder auch Elektra treffen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 69
wohl: wie kann Helena zu einer Jungfrau sagen ἐς ὄχλον ἕρπ.
παρϑένοισιν οὐ χαλόν, während sie eben diese ἐς ὄχλον
schickt? Die richtige Erklärung hat einem anderen Kritiker
nicht genügt, wie ja auch die Byzantiner nicht befriedigt waren,
sodaß sie einen Vers nach 108 einschoben: χἀγὼ, γυναικῶν
ἄφρος, οὐχὶ παρϑένος; (vgl. Hermann not. crit. zu v. 108).
Dieser Kritiker also warf (schol. 108c) die Frage auf: τί οὖν"
ταῖς terelais χαλόν;; (dies ist eigentlich eine kulturgeschicht-
liche Frage; da aber teXela:s offenbar im Gegensatz steht zu
ταῖς νεάνισιν und ἄρτι ἡβῶσα (schol. 108 8) mag sie hier be-
sprochen werden.) Was im schol. folgt (ἔστιν οὖν εἰπεῖν, ὅτι
ἐν Σπάρτῃ εἰώϑασι γυμνάζεσθαι al γυναῖχες nal παρϑένοι, ὥστε
δέδοται μὲν παρϑένοις εἰς ὄχλον ἕρπειν, οὐ μὴν χαϑόλου, ἀλλ᾽
Ent ὡρισμένοις πράγμασιν οἷον χανηφορούσαις 7) γυμναζομέναις
οὗ μὴν ἄλλο τι πραγματευομέναις), scheint nur mehr der Rest
einer aus einer guten Quelle geschöpften Erklärung zu sein;
der Gedankengang war wohl folgender: Zu gewissen Hand-
lungen (ἐπὶ ὥρισμ. rpay.), besonders zu Kulthandlungen (ver-
treten durch das Beispiel des χανηφορεῖν) war das Erscheinen
in der Oeffentlichkeit erlaubt. Zu den Kulthandlungen gehört
aber auch das Bringen von Totenspenden. — Ich möchte üb-
rigens glauben, daß der Autor unserer Notiz die Frage nur
deshalb aufwarf, um sein Wissen anbringen zu können; er ge-
hört also in die (spätere) Zeit der Gelehrsamkeit; und unge-
fähr in diese Zeit gehören ja auch die bisher besprochenen
Ausstellungen. — Hieher könnte man auch den Tadel in den
Scholien ziehen, in denen, wie zu Ph. 1605 (5. 52), ein εὐή-
ϑῶως an der Handlungsweise einer Person gerügt wird.
Damit nach diesen trockenen Bemerkungen auch der Witz
zu seinem Rechte komme, sei zum Schluß auf sch. Hip. 345 b
hingewiesen: χεχωμῴδηται ὃ στίχος ὑπὸ ᾿Αριστοφάνους (eg. 16)
χαὶ εἰς παροιμίαν μετῆχται. D. h. der v. 345 πῶς ἂν σύ μοι
λέξειας ἅ με χρὴ λέγειν; wurde als widersinnig berühmt und
verspottet. Doch übt Aristophanes ja nicht eigentlich Kritik;
er erlaubt sich vielmehr einen Scherz, der erst durch den Cha-
rakter der Unterredenden und den Gegenstand, von dem sie
sprechen, seine Spitze erhält.
70 Wilhelm Elsperger,
6. Bühnenwesen.
Wenngleich die einschlägigen Bemerkungen mit der eigent-
lichen Aesthetik nichts zu tun haben, so betreffen sie doch
die Kunst des Dichters und seien deshalb hier anhangsweise
angefügt.
Im schol. Hip. 171 a u. b liegt uns eine Bemerkung des
Aristophanes in doppelter Fassung vor; wir gehen von der
ausführlicheren (Ὁ) aus: τοῦτο σεσημείωχεν ᾿Αριστοφάνης ὅτι ward
τὸ ἀχριβὲς τὸ ἐχκύχλημα Ὁ τοιοῦτόν ἐστι τῇ ὑποϑέσει. ἐπὶ γὰρ
τῆς σχηνῆς δείκνυται τὰ ἔνδον πραττόμενα, 6 δὲ ἔξω προϊοῦσαν
αὐτὴν ὑποτίϑεται (B). Die Konjektur Dindorfs ἐχχύχλημα für
ἔγχλημα ist richtig; um nun das Uebrige zu verstehen, müssen
wir uns fragen, was hier ὑπόϑεσις ist: doch jedenfalls das Sub-
stantiv zu dem Drotidetet, das nachher folgt. Den Sinn dieses
Verbums geben wir am besten mit „deutet an“, natürlich
durch seine Worte, ὑπόϑεσις ist also der „vorliegende Text“.
(So ist ὅπ. noch gebraucht schol. Med. 115, Soph. schol. Oed.
Col. 1156; von schol. Ale. 233 wird nachher die Rede sein.)
Schreiben wir für das sinnlose τοιοῦτον ἀνοίχειον (oder ein
ähnliches Wort) ἢ), so ist der Sinn der Stelle: „Wenn man
es genau nimmt, paßt das Ekkyklema nicht zu den Andeu-
tungen des Dichters; es wird nämlich (durch diese Maschine)
das, was innen geschieht, auf der Bühne gezeigt; er aber
(der Dichter) deutet an, daß sie hinausgeht“. Diese Emen-
dation widerspricht nicht dem Scholion 171a (τοῦτο σεσημείω-
ται τῷ ᾿Αριστοφάνει ὅτι χαίτοι τῷ ἐχκχυχλήματι χρώμενος τὸ
ἐχχομίζουσα προσέϑηχεν περισσῶς), während die von Reisch
(Dörpfeld-R. das griechische Theater Κ΄. 235) vermutungsweise
gegebene Erklärung dieses Scholions dem 2. widerspricht.
Denn wenn Ekkyklema nur ein Rädergestell, hier eine Kline
auf Rädern ist, wie kann man von ihm sagen ἐπὶ τῆς σχηνῆς
δείκνυται τὰ ἔνδον πραττόμεναϑ Das Neue, was schol. 171a
bietet, mag man mit dem emendierten schol. 171 Ὁ so verbin-
den: τῷ (οὖν» ἐχχυχλήματι χρώμενος τὸ ἐχχομίζουσα προσέ-
84) Nachträglich sehe ich, daß Trendelenburg (a. a. Ὁ. 5. 46) bereits
o0x οἴχειον vorgeschlagen hat.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 71
ϑηχεν περισσῶς. Ob damit der Wortlaut der Aristophanei-
schen Notiz (s. u.) völlig hergestellt ist, muß allerdings offen
bleiben.
War es aber wirklich der Dichter, der das Ekkyklema
verwendete? Wir wissen aus schol. Or. 57 und 1366, daß die
(alexandrinischen) Schauspieler sich manche Freiheit nahmen,
und so gewinnt v. Wilamowitz’ Behauptung [Heracl. I, 5. 153
und Anm. zu Hip. 816 (Uebersetzungen griech. Tragödien ! I
pag. 180)] ziemliche Sicherheit, daß die Regisseure wider des
Dichters ursprüngliche Meinung das Ekkyklema anwandten.
Der Wortlaut des schol. 171b würde überdies die Deutung
zulassen, daß Aristophanes selbst darauf hinweisen wollte,
Euripides könne hier das Ekkyklema nicht gebraucht haben.
Dann aber müßte der Verfasser des schol. 171 a den ursprüng-
lichen Wortlaut nicht nur verkürzt, sondern bei der Zusam-
menziehung stark geändert haben. Es müßte dann nämlich
geheißen haben εἰ οὖν τῷ ἐχχυχλήματι ἐχρῆτο, περισσῶς (Av)
προσέϑηχε τὸ ἐχχομίζουσα. Doch ist dies nicht mehr als eine
mögliche Vermutung.
Mit sch. Hip. 171 hat Lachmann (in Niebuhrs rhein.
Mus. 1, S. 317 Anm. 3) und später Wilamowitz a. a. O. ver-
bunden sch. Alec. 233 οὐχ εὖ χατὰ γὰρ τὴν ὑπόϑεσιν ὡς ἔσω
᾿πραττόμενα del ταῦτα ϑεωρεῖσϑαι (Bi). Die Bemerkung bezieht
sich auf die Worte: ἥδ᾽ ἐχ δόμων πορεύεται. Was bedeutet
aber hier χατὰ τὴν ὑπόϑεσιν ὃϑ In unserem Abschnitt ist keine
Andeutung gegeben, auf die es sich beziehen könnte. Dagegen
steht im Prolog°°), der ja gewissermaßen die Grundlage
(ὑπόϑεσις) des Stückes gibt, v. 19 deutlich: ἣ (Alkestis) νῦν
“ar οἴχους ἐν χεροῖν βαστάζεται ψυχορραγοῦσα. Es muß
aber dahingestellt bleiben, ob der Scholiast es tadelnswert
fand, daß Alkestis herauskam, oder ob er nur den Ausdruck
πορεύεται tadeln wollte. In diesem Fall würde er aller-
dings eine Anwendung des Ekkyklema voraussetzen, bei der
Alkestis ja nicht herausschritt, sondern (etwa auf einer Kline)
88) Sollten (spätere) Grammatiker den Prolog selbst ὑπόϑεσις ge-
nannt haben? sch. Tr. 1 τοὺς λόγους ὃ Ποσειδῶν ποιεῖ παρῶν ἐν τῇ
ὑποθέσει ist doch wohl aus περὶ τῶν ἐν τῇ ὑποθέσει oder etwas Aehn-
lichem verderbt.
79 Wilhelm Elsperger,
herausgefahren wurde. Doch legt der Wortlaut des schol.,
das kein Ekkyklema erwähnt, es näher anzunehmen, daß er
nur auf das Erscheinen vor dem Hause abzielte, also nicht
auf den Widerspruch zwischen den Worten des Dichters und
dem Vorgang auf der Bühne. Scholien wie Med. 96 (τάδε
λέγει ἣ Μήδεια .... οὕπω ἐχχεχυκχλημένη) dürfen wir nicht
beiziehen; denn das Verbum ἐχχυκχλεῖν hat seinen eigenen
Entwicklungsgang gehabt, den Reisch (a. a. Ὁ. 5. 237 ff.)
darlegt.
Einen wirklichen Widerspruch zwischen dem, was auf
der Bühne vorging, und den Worten des Dichters sticht auf
sch. Or. 176 Ὁ: τοῦτο τὸ μέλος ἐπὶ ταῖς λεγομέναις νήῆταις
ἄδεται καί ἐστιν ὀξύτατον. ἀπίϑανον οὖν τὴν ᾿Ηλέχτραν ὀξείᾳ
φωνῇ χεχρῆσϑαι χαὶ ταῦτα ἐπιπλήσσουσαν τῷ χορῷ. Die be-
rührte Unwahrscheinlichkeit ist sicher zuzugeben. Aber wo-
her hatte der Tadler Kenntnis von der Melodie dieses Liedes?
Es scheint hier ein Mann zu sprechen, der wirklich noch eine
Aufführung gesehen hatte; sind doch gerade in den Orestes-
scholien zahlreiche Anspielungen auf die Art, wie das Stück
zur Zeit des Tadlers gespielt wurde: sch. 268c οἵ νῦν üno-
χρινόμενοι, sch. 57 οὐκ ὀρϑῶς νῦν ποιοῦσί τινες τῶν ὑποχριτῶν,
sch. 643 αἴρουσι, sch. 1366 ἐκπορεύονται (Präsens!); auch die
Bühnenanweisung in der Hypothesis (S. 93, 12), von der noch
die Rede sein wird, gehört hierher. Demnach läßt sich nicht
beweisen, daß der Tadler eine Partitur des Orestes eingesehen
haben muß; denn auch der Ausdruck ἐπὶ ταῖς λεγομέναις νήῆ-
ταῖς ἄδεται setzt allerdings Bekanntschaft mit Musik und
Musiktheorie, nicht aber unbedingt Studium einer Partitur
unseres Stückes voraus. Sicher aber ist, daß es eine solche
zur Zeit des Tadlers noch gegeben hat. Anders wäre ja eine
Aufführung mit Gesang (und der obligaten Flötenbegleitung)
kaum möglich gewesen; weiter analysiert Dionys. v. Halikar-
naß de comp. verb. 11°) den Anfang gerade unseres Liedes
(der Verse 140 ff.) so eingehend, wie es nur jemand tun kann,
der die Noten vor sich hatte. Ferner ist gerade ein Chorlied
aus Orestes (v. 330 ff.) auf einer Papyrus, die Wessely in die
Zeit des Augustus setzt, mit Noten erhalten, und zwar, wie
36) Erklärungen dazu s. Crusius, Philol. 50, 8. 171.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 73
Crusius (Philol. 52, S. 181 ff. und im Ergänzungsheft zu
Band 53 „Die Delphischen Hymnen‘, S. 96 und 147 ff.) nach-
gewiesen hat, mit Vokal- und Instrumentalnoten. — In unserem
Scholion wird sodann die λύσις gegeben, wohl von demselben,
der auch das ζήτημα aufgeworfen hatte: ἀλλὰ χέχρηται μὲν
τῷ ὀξεῖ Avayxalws, olxelov γὰρ τῶν ϑρηνούντων, λεπτότατα δὲ
ὡς ἔνι μάλιστα. Die allgemeine Feststellung anzuzweifeln,
haben wir keinen Grund; überdies hält sich auch die Melodie
der Papyrus (Philol. 52, S. 189 f.) in einer für Männerstim-
men ziemlich hohen Lage. Vor allem aber verdient Beachtung,
daß unser Kommentator nicht auf die Idee kommt, auch hier
die Schauspieler oder Aufführungsleiter verantwortlich zu
machen; obwohl dies die bequemste λύσις gewesen wäre, die
überdies unserem Manne recht nahe liegen mußte, wenn an-
ders er, wie kaum zu bezweifeln, mit dem Autor der oben
zitierten Scholien identisch ist. Also war er der Ansicht,
daß die Musik, auf die er Bezug nimmt, der echten Euripi-
deischen entspreche, d. h. daß sie ebenso überliefert sei,
wie der Text 57).
In dem Tadler hat v. Wilamowitz Heracl. I 5. 151 ff.
Aristophanes gesehen und zwar mit Recht; eine genaue
Durchsicht der Scholien bestätigt den Satz (S. 153) „die
Folgezeit hat eine Belebung der Anschauung durch die Bühne
so wenig gekannt wie die fortgesetzte Textverderbnis durch
dieselbe*. Doch läßt sich seine Behauptung, glaube ich, noch
durch einen positiven Beweis stützen, den wir aus der Hypo-
thesis (S. 93, 9—19) gewinnen.
Da lesen wir zunächst eine vollständige Bühnenanweisung:
ἡ [δὲ] διασχευὴ τοῦ δράματός ἐστι τοιαύτη ᾿ πρὸς τὰ τοῦ ’Aya-
μέμνονος βασίλεια ὑπόχειται ᾿Ορέστης χάμνων χαὶ χείμενος ὑπὸ
μανίας ἐπὶ χλινιδίου, ᾧ προσχαϑέζεται πρὸς τοῖς ποσὶν
Ἢλέχτρα. Diese Angaben können nicht aus dem Stück allein
81) Wilamowitz’ Anschauung (Herakl. I 162, Anm. 62) „davon daß
des Dichters Absicht die oder die gewesen wäre, weiß der Verfasser
nichts; nur die Praxis, wie sie auf der Bühne ist, kennt er“ hält nicht
stand gegenüber Scholien wie 57 οὐκ ὀρϑῶς νῦν ποιοῦσι .... ῥητῶς γὰρ
φησὶ. .. oder 268 Στησιχόρῳ Erönevog .. φησὶν. .. ἔδει οὖν... οἵ δὲ
νῦν ὑποχρινόμενοι, die die Absicht des Dichters in Gegensatz stellen zu
der Bühnenpraxis. Was jenen Scholien recht ist, ist unserem billig.
74 Wilhelm Elsperger,
geschöpft sein; denn gerade für den Umstand, an den sich
eine Aporie anschließt, nämlich daß Elektra zu den Füßen
des Orestes sitzt, läßt sich ein Beweis aus dem Stücke nicht
beibringen; auch v. 83 ff. gebraucht sie nur die Worte πάρ-
eöpos... ϑάσσω. Also stammt auch diese Angabe aus der
Bühnentradition. Es fragt sich nur auch hier, ob unser Ge-
währsmann einfach die Praxis der Bühne, die er selbst beob-
achtet hatte, berichtet, oder ob er ein Bühnenexemplar, das
auch Bühnenanweisungen enthielt, eingesehen hatte. Spuren
von Bühnenanweisungen sind in den Tragiker handschrif-
ten 55) zu Aesch. Eum. 115—24 und zum Kyklops des Euri-
pides v. 486/7 zu erkennen, aber zum ÖOrestes gab es in Ale-
xandrinischer Zeit in den üblichen Gelehrtentexten keine παρ-
επιγραφαί. Das lehrt sch. 1384a τινὲς τοῦτο παρεπιγραφὴν
εἶναι ὡς εἰς τὰ κχωμικ ὰ δράματα, verglichen mit den Worten
im sch. b (5. 220, 21 fi.) ᾿Απολλόδωρος ὃ Κυρηναῖος Tapent-
γραφὴν λέγει εἶναι τὸ “ἁρμάτειον μέλος᾽ εἰς τὸ Ἴλιον 35). Das
zweite Scholion ist aber didymeischen Ursprungs; Didymus
widerlegt diese Vermutung mit den Worten εἰ δὲ ἦν napent-
γραφῇ, ἅπαξ ἂν ἐπεγράφετο. Wir sehen, dieser Apollodor *°),
der demnach ein vordidymeischer Alexandriner ist, kannte
παρεπιγραφαΐ nur zu komischen Stücken, sonst hätte er
nicht geschrieben ὡς eis τὰ χωμικά (vgl. auch 5. 55). Wenn
aber παρεπιγραφαί fehlten, so dürften auch szenische Anwei-
sungen wie die in der Hypothesis gegebenen nicht in dem
Text gestanden haben, den die alten Alexandriner ihren Er-
klärungen zugrunde legten. So gewinnt die Annahme grös-
sere Wahrscheinlichkeit, daß anch unsere Bühnenanweisung
auf Grund eigener Beobachtungen im Theater gemacht ist.
Dazu kommt, daß sie zwischen Angaben steht, die auf Ari-
stophanes zurückgehen (vgl. auch 5. 55—57). Wenn dieser
in seinen Hypotheseis bemerkte: προλογίζει ö&2..., kann er
auch solche Angaben gemacht haben.
Die anschließende Aporie (διαπορεῖται δὲ τί δήποτε οὐ
38) Vgl. Rutherforth, a chapter in the history of annotation p. 108 ἢ.
39) Das letzte nach Schwartz’ wahrscheinlicher Emendation.
4.) Nr. 62 bei Pauly-Wiss.; seine Zeit ist sonst nicht näher zu be-
stimmen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 75
πρὸς τῇ χεφαλῇ κχαϑέζεται " οὕτως δὲ μᾶλλον ἐδόκει (Av) τὸν
ἀδελφὸν τημελεῖν πλησιαίτερον προσχαϑεζομένη) stand wohl ur-
sprünglich nicht in der Hypothesis, kann aber sehr wohl aus
der Zeit des Aristophanes stammen, ja auch durch Kallistratos
vermittelt sein, ebenso wie die oben zitierten Bemerkungen
gegen die Schauspieler. Dafür spricht auch der Umstand, auf
den schon Wilamowitz a. a. O. hinweist, daß solche Bemer-
kungen nur zum Örestes überliefert sind, also zu eben dem
Stück, zu dem ein ὑπόμνημα des Aristophanes durch Kalli-
stratos (direkt oder jedenfalls unmittelbarer als zu den anderen
Stücken) überliefert ist. Jetzt allerdings werden namentlich
von Aristophanes (Kallistratos) fast nur Lesarten angeführt;
aber daß er auch Erklärungen schrieb, beweist sch. 488, wo
leider seine Erklärung untergegangen ist, und wahrscheinlich
auch sch. 434, wo Kallistratos doch wohl die Meinung seines
Lehrers wiedergibt.
Was nun das ζήτημα selbst betrifft, so wurde es wohl
nur aufgeworfen, um beantwortet zu werden; denn der ange-
gebene Grund (ἔοιχεν οὖν διὰ τὸν χορὸν ὃ ποιητὴς ζοὕτωςΣ
διασχευάσαι. διηγέρϑη γὰρ ἂν Ὀρέστης ἄρτι xal μόγις κατα-
δαρϑεὶς πλησιαίτερον αὐτῷ τῶν χατὰ τὸν χορὸν γυναικῶν παρι-
σταμένων. ἔστι δὲ ὑπονοῆσαι τοῦτο ἐξ ὧν φησιν Ἠλέχτρα
[v. 140] “σῖγα, σῖγα, λεπτὸν ἴχνος ἀρβύλης᾽. πιϑανὸν οὖν ταύ-
τὴν εἶναι τὴν πρόφασιν τῆς τοιαῦτης διαϑέσεως) wäre allein
schon maßgebend genug gewesen. Dazu kommt noch, daß
auch der Prolog und die Unterredung mit Helena, bei der
Elektra sitzt (ϑάσσω v. 85), sich schlecht gemacht hätten,
wenn Elektra über den schlafenden Orest weg gesprochen
hätte. Daß aber nicht diese Momente in der Antwort ange-
führt werden, sondern nur auf v. 140 ff. hingewiesen ist, be-
weist, daß unser ζήτημα in engem Zusammenhang mit dem
vorhin Besprochenen aufgeworfen wurde. Demnach dürfen
wir beide ζητήματα für gleichzeitig halten und mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit in vordidymeische Zeit setzen.
An die ästhetischen Bemerkungen, die die Kunst des
Dichters mehr nach der materialen Seite würdigten, schließen
76 Wilhelm Elsperger,
wir sofort diejenigen, welche die mehr formale berücksichtigen ;
es handelt sich hier demnach um
11:
Beanstandungen der sprachlich-darstellenden Kunst des
Euripides.
Widerspruch zwischen Ausdruck und Situation.
Tadel fand vor oder suchte wenigstens in der Bemerkung
τοῦτο ὥσπερ οὖχ Ev Θράχῃ οὖσά φησι (nämlich Hec. v. 74f.
περὶ παιδὸς τοῦ σῳζομένου κατὰ Θρήχην) τῆς σκηνῆς ὕποχει-
μένης ἐν Χερρονήσῳ der Mann, der mit der üblichen Vertei-
digungsformel fortfährt: ῥητέον δὲ ὅτι ποιητικὸν ἔϑος ἐστὲ ᾿
τὸ τοιοῦτον. Das wird mit einem Beispiel (8 10) belegt. Viel-
leicht hat er eine alte Bemerkung in seiner Verteidigung wie-
derholt. Aehnlich ist der Sprachgebrauch des Dichters wie
des Scholions Orest. v. 462. Dort sagt Orest μ᾽ ἔϑρεψε, τὸν
᾿Αγαμέμνονος παῖδα περιφέρων : sch. ὡς περὲ ἑτέρου φησίν. 'Ent-
weder ist hier eine Würdigung des Ethos weggefallen, oder
die Bemerkung ist tadelnd gemeint.
Anders liest der Fall beim sch. Phoen. 748: γελοίως
τοῦτο (ἐλθὼν... ἐς πόλιν) φησιν ὡς μὴ ὧν νῦν ἐν mode. Ein
Hinweis auf den poetischen Sprachgebrauch würde hier den
Dichter nicht verteidigen; denn wer irgendwo ist, kann
nicht sagen, daß er ebendorthin gehen wolle. Doch ist
nach Weckleins richtiger Erklärung (z. v. 748) zwischen Burg
und Stadt im engeren Sinn (Unterstadt) zu scheiden, und dann
erscheint der Ausdruck ganz natürlich. Das Scholion ist viel-
leicht ebenfalls auf den Enstatikos zurückzuführen. Aehnlich
übertrieben ist der Tadel des sch. Hip. 860. Theseus spricht
am Leichnam der Phädra: ϑάρσει τάλαινα. Dazu das sch.
γελοῖον πρὸς νεχρὸν τὸ ϑάρσει. συγγνωστέον δὲ διὰ τὴν περι-
χειμένην συμφοράν. Das ist aber nicht nur zu verzeihen, son-
dern einzig schön. — Keine dieser Bemerkungen dürfte alt-
alexandrinisch sein.
Ὕστερον πρότερον (πρωϑύστερον).
Der älteste derartige Anstoß war nach sch. Med. 16 und
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides, 77
der Hypothesis (S. 138, 14 ἢ.) am Anfang der Medea genom-
men worden: ὃ δὲ Τιμαχίδας... τῷ ὑστέρῳ πρώτῳ φησι χε-
χρῆσϑαι, ὡς Ὅμηρος (ε 264) εἵματα δ᾽ ἀμφιέσασα ϑυώδεα καὶ
λούσασα. Dieser nüchterne Mann (vgl. schol.1 Ὁ [5.141..12] πρό-
τερον γὰρ. φησι φῦναι τὰ δένδρα, Eid” οὕτως κατασχευασϑῆναι
τὴν ᾿Αργώ) lebte vor Didymus, wenn anders sch. 167, das
gegen ihn polemisiert, von diesem stammt. Es zeigt ganz
den Charakter von Didymus’ mythographischen Bemerkungen,
wie wir ihn später werden kennen lernen (vgl. auch M. Schmidt,
Didym. frg. p. 358). Obschon bereits die Alten (d. h. Di-
dymus, wohl auf Grund älterer Andeutungen) bemerkt hatten,
daß der Anfang mit seinen ἐχβολαΐ (Digressionen)*!) oder wie
die Hypothesis besser sagt, mit seiner ἐπεξεργασία, ἄγαν παϑη-
τιχῶς 42), sei und einem τρόπος ποιητιχός 45), der sich oft auch
bei Homer finde (πολὺ τὸ τοιοῦτον γένος παρ᾽ Ὁμήρῳ) ent-
spreche, bezeichneten andere, wohl spätere, die Sache mit dem
τρόπος ὑπέρϑεσις.
Dieselbe Sache, wenn auch ohne Schlagwort, ist ausge-
führt zu Med. 235 ἢ: κἂν τῷδ᾽ ἀγὼν μέγιστος ἢ χαχὸν λα-
βεῖν ἢ χρηστόν... εἰς καινὰ δ᾽ ἤϑη καὶ νόμους ἀφιγμένην δεῖ
μάντιν εἶναι... sch. 288 τοῦτο πρῶτόν ἐστι τῇ τάξει τῶν
πραγμάτων χατὰ τὸν νόμον τοῦ γάμου. πρότερον γάρ ἐστι
τὸ τὴν παρϑένον ἀπιέναι πρὸς τὸν νυμφίον, εἶν οὕτως πει-
ρᾶσϑ'αι τούτου εἴτε δεξιοῦ ἢ χαχοῦ. Der Mann wollte, wie
besonders das εἶθ᾽ οὕτως zeigt, den Dichter einer Unrichtigkeit
überführen ; aber ἀγὼν (v. 235) und πειρᾶσθαι ist doch nicht
dasselbe. Zu Or. 1009 (τῶν δὲ τ᾽ äpeißer ... τὰ δ᾽ ἐπώνυμα
δεῖπνα Θυέστου λέχτρα τε Κρήσσας ’Aspönas....) hat der
Scholiast mit dem ἀνέστρεψε τὴν τάξιν τῆς ἱστορίας schwerlich
die Behandlung des Mythos selbst, sondern nur seine Dar-
stellung in unserem Stasimon im Auge. Dagegen drückt das
ayaoıpenteov (schol. Or. 685 und 206) nicht Tadel aus. An
der zweiten Stelle führt es sogar eine Lösung gegenüber dem
Vorwurf des περισσόν (vgl. S. 82) ein.
1) Der gerade Gang der Erzählung würde lauten: „wäre die Argo
nie durch die Symplegaden geflogen, dann wäre Medea nie mit lason
geflohen“.
#2) Hypothesis S. 138, 12; sch. 1a 8. 140, 6 f.; sch. 1b 5. 140, Sf.
48) Sch. 1b; dieses Scholion hat die ursprüngliche Form der Be-
merkung am besten erhalten.
78 Wilhelm Elsperger,
Mag man über das Alter der letzten Bemerkungen schwan-
ken, so stammt sicher aus später Zeit schol. Hec. 762 πρω-
ϑύστερον ποίησον, ἵνα γένηται σαφές: also ist das, was der
Dichter. schrieb (τοῦτόν ποτ᾽ Erexov χἄφερον ζώνης ὕπο) ἀσαφές.
Weist hier die ganze Form, besonders das ποίησον auf byzan-
tinischen Ursprung, so wird dies für die anderen Scholien
auch durch den Charakter der Handschrift bestätigt: Or. 702:
ἔνεστι (τῷ δήμῳ) δ᾽ οἶκτος, — ἔνι δὲ καὶ ϑυμὸς μέγας —
χαραδοχοῦντι χτῆμα τιμιώτατον : schol. Byz. cod. A: ἐνταῦϑ'α
πρωϑύστερός ἐστιν ὁ τρόπος" διὰ γὰρ τὴν βίαν τοῦ μέτρου
οὕτως συνηρμόσϑη τὸ ἔπος. Der „Zwang des Metrums“ darf
für solche Partien im jambischen Trimeter nicht in Betracht
gezogen werden. Der Sinn, den der Scholiast im folgenden
umständlich (in 3 Zeilen) auseinandersetzt und fordert (ὥφειλε
εἰπεῖν) ergibt sich ganz einfach, wenn man die Worte von
ἔνι — μέγας als Parenthese betrachtet. Zu Or. 576 endlich:
ἐπεὶ δ᾽ ἁμαρτοῦσ᾽ ἤσϑετ᾽ (Klytämestra), ... ἐζημίωσε πατέρα
χὰἀπέχτειν᾽ ἐμόν bemerkt schol. Fl. 6 (Ὁ. 162, 20) πρωϑύ-
gtepov; indessen hat der Scholiast dabei die feine Ironie nicht
beachtet, die in den Worten liegt: Auf Schuld folgt Strafe;
doch wird sie hier nicht an der Täterin vollzogen, sondern
diese selbst vollzieht sie an dem, gegen den sie sich ver-
gangen.
Widersinniges.
Peleus sagt An. v. 1077 οὐδέν εἰμ᾽ χτλ. wozu das schol.
1077: ἐγχαλεῖ Δίδυμος χαὶ εὐεπίληπτόν φησι τὸν αὐτὸν ἐν
πάϑει ὄντα λέγειν - “οὐδέν εἶμι" φρούδη μὲν adön’ παρὰ τὸ
ὋὍμηρικόν (P 695, ὃ 704) “δὴν δέ μιν ἀμφασίη ἐπέων λάβεν".
ἀλλ᾽ ἐχεῖ οὐκ αὐτὸς 6 πάσχων φησίν, ἀλλ᾽ ἕτερος περὶ αὐτοῦ
— folglich, würden wir schließen, paßt das Zitat nicht her.
(Vgl. 5. 5 Anm. 1). Aber Didymos schloß: Euripides hat
auch dies nicht sine auctore gemacht, nur hat er sein Muster
schlecht nachgeahmt. Im übrigen ist die Logik nicht dazu
da Dichter zu chikanieren.
Daß zwei Begriffe verbunden sind, die sich nicht vertra-
gen, scheint zu Hec. 9 getadelt gewesen zu sein. Zu v. 8£.
ὃς τήνδ᾽ ἀρίστην Χερσονησίαν πλάχα σπείρει, φίλιππον λαὸν
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 79
εὐθύνων δορὲ bemerkt das schol. οὐκ ἀλόγως [ἀλλὰ τραγικῶς
τὸ εὐθύνων δορί, add. cod. Al. βαρβάρους γὰρ ὄντας αὐτοὺς [καὶ
ἀνυποτάχτους A] τῇ διὰ ξίφους ἀπειλῇ [οἰκονομίᾳ A] ὑπέτασσεν
(MA). Aber dieser Gedanke ist in εὐθύνων δορὲ nicht ausgedrückt;
denn der Dichter will nur sagen: Er ist der Herr von Grund und
Boden, weil er Fürst **) des Volkes ist. Beide Gedanken nun
haben eine der Eigentümlichkeit der thrakischen Verhältnisse
angepaßte Färbung erhalten, indem beim ersten Gedanken
gleich auf die Nutzbarkeit des Landes für den Ackerbau, beim
zweiten auf die Kriegstüchtigkeit des Reiter volkes hinge-
wiesen wird. Die gezwungene Erklärung des schol. führt so-
mit auf dieselbe Vermutung wie das οὖχ ἀλόγως, daß näm-
lich früher ἀλόγως ταῦτα dastand.. Was damit gemeint war,
ist unschwer zu erraten; ein superkluger Kritiker, den wir
natürlich nicht unter den alten Alexandrinern suchen dürfen,
meinte, wer mit dem Speer (also als Kriegsfürst) ein Reiter-
volk regiere, von dem könne man doch nicht wohl sagen,
daß er (friedlich) das Land bebaue; ganz besonders kraß
mochteihm dieser Widerspruch erscheinen, wenn er das Particip
als epexegetisch zu σπείρει auffaßte.
Eigentlich denselben Tadel enthalten die Scholien, die un-
passende Epitheta rügen: So zu Hec. 1067 ἢ εἴϑε por ὁμ-
μάτων αἱματόεν βλέφαρον ἀχέσσαιο τυφλὸν ... φέγγος ἀπαλλάξας.
Hier muß τυφλὸν mit φέγγος verbunden werden; denn φέγγος
ἀπαλλάξας allein ist widersinnig. Dazu schol. 1068 Ὁ: τυφλὸν
φέγγος: τὸ σκότος, χα χ ὥ ς΄ φέγγος γὰρ ἐπὶ σχότους οὐ λέ-
γεται. Dies scheint die alte Bemerkung zu sein. Die Aus-
hilfe des schol. cod. B τυφλὸν γὰρ φέγγος τὸ ὄμμα φησίν ist
wertlos. Jedenfalls ist das Bild kühn, eine genau entsprechende
Parallele*5) ist bis jetzt noch nicht gefunden, doch zweifle ich
an der Berechtigung einer Konjektur **%). — Im byzantinischen
schol. Or. 220c legt das xaA&g5*’) εἶπεν “ἀφρώδη πέλανον᾽
*#) Vgl. Weils Erklärung (Sept trag. p. 218): L’epee tient lieu de
sceptre dans une nation belliqueuse mit den Belegen Hipp. 975 u. Aesch.
Choeph. 630 (Weil).
#5) Weder Phoen. 377 σχότον δεδορκὼς noch Soph. Oed. T. 419 βλέ-
royr& σχότον sind ganz gleich.
#6) Sonst würde mir die Weils ἐπαλλάξας für, ἅἄπαλλ. am besten
gefallen,
Αἴ) Dieser Fall ist doch anders wie schol. Hec. 24. Zu den Worten:
Priamos fiel gemordet am Altar ᾿Αχιλλέως παιδὸς &x μιαιφόνου legt ein
90 Wilhelm Elsperger,
ἐπὶ τοῦ στόματος, ἐπὶ δὲ τῶν ὀμμάτων οὐ δεὶ προσλαμβ ἅ-
νειν τὸ “ἀφρώδη πέλανον᾽, ἀλλὰ μόνον “πέλανον. ἐπὶ γὰρ
τῶν ὀμμάτων ῥύπος μὲν γίνεται, ἀφρῶδες δὲ οὗ [A] — es wird
aber jeder in den Worten (ἐξόμορξον) στόματος ἀφρώδη πέλα-
νον ὀμμάτων τ᾽ ἐμῶν gerade so konstruieren, wie es der Scho-
liast nicht will — mit der gezwungenen Erklärung die Ver-
mutung nahe, jemand habe daran Anstoß genommen, daß der
Dichter von einem ἃ ᾧ pwöng πέλανος ὀμμάτων spricht. Die
Auseinandersetzung darüber, ob es einen solchen ἀφρώδης πέ-
λανος ὀμμάτων gibt, dürfen wir wohl den Byzantinern über-
lassen. Dagegen ist schol. Tr. 547, das ein kühnes Bild mit
ἰδίως δὲ αἴγλην {μέλαιναν εἶπε τῆς νυχτὸς τὸ φῶς ganz ange-
messen würdigt, alt und nicht in der Absicht zu tadeln ge-
schrieben. Doch das χαμαιπετὴς (ἐπὲ φόνῳ χαμαιπετεῖ Or.
1491) und das δεόδμητος (von Athen Hip. 973) wurden wohl
als unpassend, weil nicht zu den Tatsachen stimmend, notiert
daher an beiden Stellen die Lösung, die das Epitheton schwächt
oder umdeutet: Schol. Or. 149] ο: οὐ τῷ πεσόντι ἐπὶ γῆς ᾿"
οὐδὲ γὰρ ἐφόνευσαν αὐτὴν (= Eievyv). ἀμέλει μετὰ μιχρόν
φησιν ὅτι διωχομένη ἐξ αὐτῶν ἀφανὴς ἐγένετο und schol. 1491 d:
χαμαιπετεῖ οὖν N) τῷ μέλλοντι πεσεῖν, ἢ τεϑορυβημένος οὐχ
ἀχριβολογεῖται ; schol. Hip. 973: τὴν ἐπὶ ᾿Αϑηνᾷ ᾧχοδομημένην "
... οὐ γὰρ ὑπὸ ϑεῶν ἐτειχίσϑησαν (Αιϑῆναι). Aehnlich ist
schol. Hip. 974.
Zweckloses.
In dem alten (oder didymeischen ?) schol. Med. 665
σοφοῦ Πανδίωνος : εὐεπίφορός ἐστιν ὃ Εὐριπίδης εἰς τὸ λέγειν
σοφὸς χαὶ σοφή, πρὸς μηδὲν χρήσιμον παραλαμβάνων τὸ ὄνο-
μα. κατὰ τί γὰρ σοφὸς ὃ Πανδίων λέγεται; οὐ γὰρ δὴ ὠνό-
μαᾶσται τοιοῦτον αὐτοῦ ἔργον, ἀλλ᾽ οὐδὲ πανουργίας ἐχόμενον, ὥστε
διὰ τοῦτο λέγεσϑαι αὐτὸν σοφόν. ἀλλ᾽ ὥσπερ παραπληρώματι
χρῆται τῇ λέξει zeigt das πρὸς μηδὲν χρήσιμον deutlich den
Tadel. Ein Epitheton allerdings mußte nach tragischem Ge-
brauch auch Pandion bekommen. Ein bezeichnendes gab es
Spätling mit dem schol. ἐκ μιαιφόνου εἶπε (καλῶς ἠσέβησε γὰρ περὶ
τὸ κοινὸν πρὸς τῷ βομῷ) ἀνελὼν τὸν Πρίαμον [M ergänzt nach Vatic. 1345]
nur die Absicht des Dichters dar, die doch auch so klar zu Tage liegt.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. Ω1
für ihn, wie Wecklein (z. diesem Vers) bemerkt, noch nicht,
also nimmt der Dichter ein farbloses. Aber das Merkwürdige,
worauf auch der Scholiast abzielt, ist, daß Euripides σοφὸς so
oft und so inhaltslos (ὥσπερ παραπλήρωμα) gebraucht.
Die Kritik des πρὸς οὐδὲν χρήσιμον wurde dann auch
später fortgesetzt, aber wohin man schließlich kam, zeigt deut-
lich schol. Or. 1398 (Fl. 6 = D 306, 15), wo an dem σι-
δαρέοισι ξίφεσι eine ἀδολεσχία getadelt wird!
Damit sind wir zur Notierung des περισσόν gekommen.
Von ganzen Versen wurde es bemerkt: schol. Tr. 863
περισσὸν τὸ ᾿Μενέλαός εἰμι’ - αὔταρχες γὰρ τὸ δάμαρτα τὴν
ἐμὴν χειρώσομαι᾽, schol. Ph. 428 zu v. 427 f.: δισσοῖς ᾿Αδρα-
στος ὥμοσε γάμβροις... Τυδεῖτε x&pol... schol. τοῦτο
γὰρ περισσόν - προεμηνύϑη γὰρ ἄνωθϑεν (v. 417—19). Beide
Verse sind gesetzt entsprechend der Eigentümlichkeit des Eu-
vipides, seine Personen dem Publikum gewissermaßen vorzu-
stellen (vgl. Roemer XXII 5. 597 u. S. 61). Zu tilgen sind
sie beide nicht, bei Tr. 863 ist wohl eine Lücke anzunehmen.
Ferner zu Med. v. 86 ἢ:
ὡς πᾶς τις αὑτὸν τοῦ πέλας μᾶλλον φιλεῖ,
οἱ μὲν δικαίως, ol δὲ καὶ χέρδους χάριν...
schol. 87 ὅτι περισσῶς ὃ στίχος (87) πρόσχειται ἐπεξεργασίαν
περιέχων... Es ist auch hier wohl nur ein σεσημείωται (mit
Wecklein adn. critic. ad v. 87) zu ergänzen, so daß eine
Athetese des Verses sich nicht auf das Zeugnis der Alten be-
rufen darf. Liegen uns in diesen drei Scholien vielleicht noch
direkt altalexandrinische Notizen vor, so mögen die folgenden
Scholien solche wenigstens zum Ausgangspunkt genommen
haben:
schol. Ph. 973: λέξει γὰρ ἀρχαῖς (Tiresias): ... ἤρχει
οὗτος" ὃ γὰρ περιφερόμενος ᾿πύλας Ep’ ἑπτὰ xal λοχαγέτας
μολών’ περιττός ἐστιν. Das περιφερόμενος legt nahe, daß die
Alexandriner den Vers atethiert hatten; doch ist er nicht so
zwecklos (vgl. Klotz zu v. 974): Wenn die Führer an den
Toren erfahren, daß Menoikeus geopfert werden muß, werden
sie seine Flucht unmöglich machen; einen solchen Gedanken
dürfen wir dem Euripides wohl zutrauen.
Weiter schol. An. 6 zu v. 6f.: Andr. (εἰμὶ) νῦν, εἴ τις
Philologus, Supplementband XI, erstes Heft. 6
22 Wilhelm Elsperger,
ἄλλη δυστυχεστάτη γυνή [ἐμοῦ πέφυχεν 7) γενήσεταί note] schol.
εἶπε τὸν δεύτερον στίχον περιττόν ".... An seiner Verteidi-
gung müht sich das schol. im weiteren vergeblich ab; die
Alexandriner, deren Urteil doch wohl dem didymeischen sch.
7 zu Grunde liegt, hatten ihn für interpoliert erklärt.
Die Anekdote schol. Ph. 1 παλαιά τις φέρεται δόξα ὡς Σο-
φοχλῆς μὲν ἐπιτιμήσειεν Böpıntön ὅτι προέταξε τούτους τοὺς δύο
στίχους, ὃ δὲ Εὐριπίδης ὅτι προέταξεν ἐν ᾿Ηλέχτρᾳ [1] ὁ Σο-
φοχλῆς τὸ “ὦ τοῦ στρατηγήσαντος ἐν Τροίᾳ more’ entstand wohl
dadurch, daß jemand die Verse als überflüssig bezeichnet hatte.
Es mag dies in voralexandrinischer Zeit (vielleicht durch einen
Komiker) geschehen sein; die Alexandriner berichteten es und
so entspann sich später — das Scholion ist, wie das παλαιὰ
zeigt, ziemlich jung — unsere Anekdote. (Vgl. noch Hartung
zu v. 1.)
Für die Anwendung des Terminus auf einzelne Aus-
drücke haben wir Beispiele nur aus ziemlich später Zeit:
Zu den Worten Or. 206 ἄγαμος ἐπὶ δ᾽ d&texvos, wie sie
der Scholiast las, bemerkt er: περισσὸν τὸ ἄτεχνος. Der Grund
des Anstoßes (daß nämlich eine ἄγαμος selbstverständlich keine
Kinder habe) tritt aus der Lösung deutlich hervor: ἀναστρεπ-
τέον οὖν τὴν obvrabıv ἄτεχνος ἐπειδὴ dyapos' δυνατὸν γὰρ
τὴν γήμασαν εἶναι ἄτεχνον.
Auf dasselbe läuft im Grunde hinaus sch. An. 50 zu v.
49 f.: (Νεοπτόλεμος) οὐτ᾽ ἐμοὶ πάρα προσωφελῆσαι, παιδί τ᾽
οὐδέν ἐστιν. schol. ἐκ παραλλήλου τὸ αὐτό τοῦτο (παιδί τ᾽
οὐδέν ἐστιν) γὰρ ἀκόλουϑον Tv ἐχείνου (οὐτ᾽ ἐμοὶ πάρα προσω-
φελῆσαι) Hal δι᾿ ἑκατέρου δηλοῦται... ἣ δὲ ἀνάγχη τοῦ μέτρου
τῆς ταυτολογίας αἰτία. Es enthält trotz der Beiziehung des
Schemas ἐκ παραλλ. τὸ αὐτὸ doch wohl Tadel; wenigstens
gleichen die letzten Worte einer Verlegenheitsausflucht. (Vgl.
das 5. 87 zu Or. 702 Bemerkte). Verwandte Kritik muß
dem schol. zu Or. 18 Μενέλεώς τε Κρήσσης μητρὸς ᾿Δερόπης
ἄπο vorgelegen haben; wenigstens ist die Begründung οὐ γὰρ
ἂν Ἑλληνὶς γυνὴ τοιαῦτα [μοιχείαν schol. 16] ἔπραξε " τοῦτο
οὖν προσέϑηχεν ἐλευϑερῶν μὲν τὰς ᾿Ελληνίδας, κὼ μῳ-
δῶν δὲ τὰς Κρήσσας sehr wunderlich. An dem Hec. v. 827
hinter φοιβάς angefügten ἣν χαλοῦσι Κασάνδραν Φρύγες, das
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 83
der Dichter wohl auch mit Rücksicht auf sein Publikum ge-
setzt hatte, nahmen, wie es scheint, zum mindesten die By-
zantiner Anstoß (schol. 827 D 422, 14—16); jedenfalls ist der
Hinweis anf eine Umnennung (ἣ Κασάνδρα πρώην ᾿Αλεξάνδρα
ἐχαλεῖτο, ὡς καὶ Λυχόφρων φησὶν, ἐχλήϑη δὲ Κασάνδρα παρὰ
τῶν Τρώων διὰ τὸ χάσιν χαὶ ἀδελφὸν ἀνδρεῖον ἔχειν τὸν "Ex-
topx Gu.) sehr gesucht und deshalb verdächtig.
Ungenauigkeiten.
Die wenigen Bemerkungen, die hier anzuführen sind, dürf-
ten ziemlich spät sein:
schol. Ph. 1046: τὸ δὲ ὕστερον γενόμενον προανεφώνησεν"
od γὰρ εὐθὺς ὡς ἐπεδήμησεν (Oedipus) ἄσμενοι αὐτὸν εἶδον (die
Thebaner), ἀλλ᾽ ὅτε ἔλυσε τὸ αἴνιγμα; ferner sch. Or. 353 =
An. 106 (beidemal wird das gegen Troja geführte Griechen-
heer χιλιόναυς genannt): τῷ ἀπηρτισμένῳ ἀριϑμῷ ἐχρήσατο.
[τοσαῦται γὰρ ἦσαν sch. Or] εἰσὲ γὰρ [sch. An] αἱ νῆες [τῶν
Βλλήνων add. Or.] gprs. Ob der Scholiast hier tadeln wollte,
läßt sich nicht sicher entscheiden.
Ueber das ὑπερβολιχῶς (sch. Ph. 809) vgl. S. 126,
über das ἀπιϑάνως χεῖται τὸ ἦν (schol. Hip. 125) 9. 32.
Unklarheit.
Hier ist das Material etwas besser: ἄδηλον selbst
lesen wir schol. Or. 80 zu Or. 77 fl.: στένω τὸν Κλυταιμήστρας
μόρον... ἣν, Emei πρὸς Ἴλιον ἔπλευσ᾽ ὅπως ἔπλευσα ϑεομανεῖ
πότμῳ, οὐχ εἶδον, ἀπολειφϑεῖσα δ᾽ αἰάζω τύχας schol.: ἄδηλον
τίνος ἀπολειφϑεῖσα ϑρηνεῖ, τοῦ ἰδεῖν τὴν Κλυταιμνήστραν 7) τοῦ
γνῶναι τῆς πορνείας τὴν αἰτίαν ; ein Scholion, das entweder von
einem Dummkopf oder, was mir wahrscheinlicher ist, von einem
böswilligen Kritiker herrührt. Wir haben hier wohl denselben
Mann, den wir z.B. zu Or. 418 (5. 26) und 662 (5. 84 ἢ.) an-
nehmen müssen. Weiter lesen wir im schol. Hip. 1253 ein
ἄδηλον ποίαν Ἴδην — was indessen ganz gleichgültig ist; es
ist eben ein Waldberg gemeint. Wie hier das ποίαν Ἴδην, so
greift im schol. Or. 1045 das ποῖον ὄνομα 48) ein ἄδηλον auf in
48) Dagegen ist das tig ἔλιπε; schol. Or. 63 nur eine nach byzan-
tinischer Art in Frageform gekleidete Bemerkung für den Schulunter-
richt; denn selbst damals werden höchstens Schüler Aufklärung über
das Subjekt des Satzes bedurft haben.
6*
84 Wilhelm Elsperger,
den Worten des Dichters ὦ... ἥδιστον... ἔχων τῆς σῆς ἀδελφῆς
ὄνομα (v. 1045 f.). Die Scholiasten suchen die Antwort zu
geben τὸ χαὶ αὐτὸν χαλεῖσϑα: ἀδελφόν, oder 6 γὰρ ἀδελφῆς ἔχων
ὄνομα ἀδελφὸς ἂν χαλοῖτο. Standen sich ἀδελφὸς und ἀδελφὴ
sprachlich so nahe, dafs diese Erklärung möglich ist? Da auch
das μίαν ψυχὴν des v. 1046 Schwierigkeiten macht, liegt wohl
Textesverderbnis vor.
Auch das ἀμφιβόλως schol. Tr. 1075 (zu v. 1071—76:
φροῦδαί o0r .... Φρυγῶν... ζάϑεοι σελᾶναι συνδώδεκα πλήϑερ)
bezieht sich wohl auf die sprachliche Gestaltung: ἀμφιβόλως
ἔχει πότερον χατ᾽ ἐνιαυτὸν διὰ τὸ δωδεχασέληνον εἶναι τὸν ἐνιαυ-
τόν, ἣ δι᾿ ὅλου τοῦ ἐνιαυτοῦ χατὰ μῆνα. λέγουσι δὲ ἔνιοι xal
τὰ πέμματα σελήνας. . . . δύναται οὖν λέγειν ἐκ δώδεκα πεμ-
μάτων ϑυσίας. Denn wenn es eine Frage nach der erwähnten
Sitte wäre, könnte das Verbum nach πότερον... ἢ kaum fehlen.
Die andere Deutung (σελήνη = πέμμα) ist natürlich verkehrt;
sie hängt indessen mit der ersten Frage nicht zusammen, son-
dern entstand durch Herübernahme eines lexikalischen Artikels.
Ein altes ζήτημα, das schon Kallistratos (des Aristophanes
Schüler) behandelte, waren des Orestes Worte: διὰ τριῶν ἀπόλ-
λυμαι (v. 433). Von den Lösungen des schol. 434 bringt die
zweite (τινὲς "tpr@v’ φασι τῶν ᾿Εἰρινύων) etwas völlig Fremdes
bei; die dritte (σύνεσις, λύπη, μανία) beruht auf falscher Deutung
der Verse 396 ff. (vgl. S. 25 f.); die erste (πρῶτον τῶν πολι-
τῶν, δεύτερον Οἴαχος διὸ ἐπάγει "tig ἄλλος", ἵνα πληρώσῃ τοὺς
τρεῖς) leuchtet zunächst ein; doch ist Oiax v. 430 f. zu den Bür-
gern gerechnet. Am ehesten geht noch die Deutung des Kalli-
stratos (ἐπιζητήσειεν ἄν τις πῶς διὰ τριῶν εἴρηχεν, εἰ μὴ διὰ τὸ
᾿Αγαμέμνονα χαὶ Διομήδην καὶ ᾿Οδυσσέα μετασχεῖν τοῦ φόνου
Παλαμήδους) obwohl sie eine gesuchte Anspielung enthält 49).
Gegen einen boshaften Kritiker, vielleicht den zu Or. 80 an-
genommenen, richtet sich schol. Or. 662; Orest spricht da zu
Menelaos ψυχὴν δ᾽ ἐμὴν δὸς τῷ ταλαιπώρῳ πατρί, schol. μὴ eis
“Αἰδου, ἀλλ᾽ εἰς σωτηρίαν. πατρὶ οὖν διὰ τὸν πατέρα. Der
Kritiker hatte wohl bemerkt, Orest wünsche sich selbst den
45) Ich würde (wie Weil, sept trag. p. 718) die Konjektur Madwigs
δι᾿ ἑτέρων besser verstehen: „Nicht Oiax bringt mich zu Tode, sondern
die Anhänger des Aegistos“. Diesen zeigt ja auch Talthybios v. 894
sein ὄμμα φαιδρωπόν.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 85
Tod; denn durch diesen komme seine Ψυχή zu seinem Vater
eis “Αιδου.
Im sch. Or. 144a (und ähnlich in sch. b) wird, wohl mit
Recht°°), bemerkt, daß in den Versen (145 f.) δύριγγος ὅπως
πνοὰ λεπτοῦ δόναχος φώνει μοι, πνοὰ σύριγγος das Rauschen
der Halme in den Sümpfen bedeute: οὐ γὰρ τὸ ὄργανον τῆς
σύριγγός φησι᾽ τοῦτο γὰρ πολύφωνον ὃν χαὶ "Evöuniwva ἐγεῖραι
δύναιτ᾽ ἄν. Die letzten Worte, denen ein gewisser Humor nicht
abzusprechen ist, fallen in dem trockenen an byzantinische Art
gemahnenden °!) Scholion auf: sollten sie nicht Reste einer Be-
merkung der Art sein: Euripides läßt den Chor, damit er den
nur leise schlafenden Orest nicht wecke, auffordern so zu tönen
wie eine Syrinx: αὕτη δὲ πολύφωνος οὖσα xal ᾿Ενδυμίωνα ἐγεῖραι
δύναιτ᾽ ἄν. Damit würde die Zweideutigkeit, die in den Worten
liegt, recht hübsch verspottet sein. Der Kritiker wäre derselbe,
von dem auch das vorhergehende Scholion herrührt.
Zu Or. 1034 πᾶσιν γὰρ οἴχτρὸν ἣ φίλη ψυχὴ βροτοῖς ist
endlich notiert: οὐκ ἐχράτησε τοῦ διανοήματος (wir würden
sagen: er unterlag beim Ringen mit der Sprache). Aber die
Erklärung ϑέλει γὰρ εἰπεῖν ὅτι πᾶς ἀποϑνήσχων οἰχτίζεται τὴν
ἰδίαν ψυχήν, zeigt, daß der Urheber kein großer Geist ist; denn
der fehlende Begriff: „wenn er es (das Leben) verlieren soll*
ist leicht zu ergänzen. Das οἰκτρὸν ist eben aufzulösen mit
„jeder jammert um sein Leben“.
Unschönes und Unpoetisches.
Die älteste einschlägige Ausstellung ist berichtet zu Med.
v. 476: ἔσωσα σ᾽ ὡς ἴσασι Ελλήνων ὅσοι: schol.: πλεονάζει ὃ
στίχος τῷ σῖγμα. ὅϑεν καὶ Πλάτων [fragm. 80] ... “ἔσωσας &x
τῶν olypa τῶν Εὐριπίδου᾽ καὶ Εὔβουλος [frag. 26 Kock] ...
.. Εὐριπίδου δ᾽
»ἔσωσα σ᾽ ὡς ἴσασιζν “Ἑλλήνων öyoor‘
χαὶ παρϑέν᾽ εἰ σζώσαιμι 0’) ἕξεις μοι χάριν"
χαὶ τοῖς ἐμοῖσιν ἐγγελῶσι πήμασι
τὰ σῖγμα συλλέξαντες, ὡς αὐτοὶ σοφοί.
0) Elektra will sagen „sprich leise“; die Syrinx aber hat einen
lauten Ton, das bestätigen auch die Epitheta λιγυρά (Hes. aspis
278), λιγεῖα (Kallim. hymn. Artem. (3) 242, Apoll. Rhod. 1, 577) und vor
allem hymn. Hom. Herm. 512 τηλόϑ᾽ ἀκχουστήν.
°!) Dem entsprechen auch die Ausführungen über das ἃ &.
86 Wilhelm Elsperger,
Gleich alt ist der im Grunde ähnliche Spott über Or. 742:
οὐχ ἐχεῖνος, ἀλλ᾽ ἐκείνη χεῖνον ἐνθάδ᾽ ἤγαγεν schol.:
χωμῳδεῖται δὲ ὁ στίχος διὰ τὴν ταυτότητα. Der Tadel des
schol. Tr. 14 (ψυχρῶς ἠτυμολόγησε τὸν ἵππον and τῶν δοράτων "
ἄμεινον γὰρ παρὰ τὰ δοῦρα πεποιῆσϑαι ἤγουν τὰ ξύλα. Ὅμηρος
[% 493, 512] ᾿δουράτεον᾽ ὅ ἔστι ξύλινον) mag in der jetzigen
Form etwa didymeisch sein 55); doch entsprechen des Euripides
Worte wahrscheinlich der Auffassung der Athener°?). Denn
diese nannten das eherne Pferd, das auf der Burg stand,
Sobperos ἵππος und zwar wohl nicht erst in Pausanias’ Zeit:
(1, 23, 10 Hitzig-Bl. I, 1 p. 535, 12 ff.). Wenigstens scheint
Platon [frag. 210 Kock] neben χριὸς ἀσελγόχερως auch das
Wort Δούρ(ε)ιος ἵππος gebraucht zu haben. Daß allerdings
aus dessen Leib „lauter Speere hervorguckten“ (Hartung z. v. 14)
hat Musurus in den Hesych (s. v. δουρ. ir.) hinein konjiziert;
überliefert ist, daß © (4 Männer, vgl. Pausan. a. a. Ὁ. 5. 53,
13 £.) hervorsahen. Somit könnte der Name auf dieses Pferd
als auf die Nachbildung des Trojanischen unter Vernachlässi-
gung des Materiales einfach übertragen sein, ohne daß er des-
halb eine Umdeutung erfuhr. Aber die Annahme einer Volks-
etymologie, die gemacht wurde, als man sich den Namen nicht
mehr recht erklären konnte, hat gerade dann große Wahr-
scheinlichkeit.
Mehr auf die allgemeine Darstellung geht ein Tadel, der
nur bei Thomas Magister und abgekürzt in einem anderen
späten Scholion erhalten ist. Wir lesen nämlich zu Hec. 568— 70:
.....% δὲ (Polyxena) χαὶ ϑνήσχουσ᾽ ὅμως
πολλὴν πρόνοιαν εἶχεν εὐσχήμων πεσεῖν,
χρύπτουσ᾽ ἃ χρύπτειν ὄμματ᾽ ἀρσένων χρεών,
in einem schol. cod. Fl. 17 (Ὁ 361, 26) χρύπτειν᾽ καχοζηλία
und ausführlicher bei Th. Mag. (Ὁ 362, 2) ἔπεσε εἰς τὸ χαχό-
ζηλον, ὅπερ χακχίζουσιν ot ὀβελίζοντες. Das ὀβελίζοντες heißt
hier wohl nur „als des Euripides unwürdig bezeichnen“; dafür
52) Vgl. Trendelenburg a. a. O. S. 62, der schol. Aristoph. Vesp.
972 beizieht.
88) Zur Tilgung ist also jedenfalls kein Grund vorhanden. Ob die
Ableitung des Euripides, wie Hartung z. v. 14 meint, die richtige ist,
ist nicht auszumachen, da auch das δουράτεος bei Homer, trotz dem
Scholion, doppelte Deutung zuläßt.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 87
spricht außer den von Schrader (De notatione critica, Diss.
Bonn. 1864) p. 5 beigezogenen Gründen auch das χαχίζουσι.
Aus der Tatsache ferner, daß Ovid Fasti II, 833 nur die zwei
ersten Verse nachgemacht hat, darf kein Schluß darauf ge-
zogen werden, daß er den letzten nicht las. Vgl. das unten
über Metam. XIII, 479 bemerkte. Aber der Tadel ist älter als
die Fassung des Scholions. Denn Hermogenes, ein Rhetor aus
Mark-Aurels Zeit, bemerkt in der Schrift περὶ εὑρέσεως IV, 12
am Ende (rhet. Graec. Walz III, 181): ἐὰν συμβῇ τινι μετὰ
σεμνότητα εἰς αἰσχρὸν χατενεχϑῆναι, κα κόζηλον ἐγένετο, und
nach Zitierung von v. 568 £. fährt er fort: τοῦτο σεμνῶς εἰπὼν
ἐπήνεγχεν εὐτελῶς χαὶ χοινὸν nal κακόζηλον χρύπτουσ᾽ ἃ χρύπτειν
ὄμματ᾽ ἀρσένων χρεών". Daß die ὀβελίζοντες des Th. Magister
von dieser Kritik abhängig waren, ist wohl ziemlich einleuch-
tend, zumal wir auch schol. Hec. 603 (vgl. S. 47) bei ihm Ab-
hängigkeit von einem Rhetor der Kaiserzeit (Theon) fanden.
Aber auch Hermogenes, beziehungsweise die Rhetoren der
Kaiserzeit δ) sind offenbar nicht die ersten gewesen, die em-
pfanden, daß v. 570 gegen die vorhergehenden abfalle.. Ovid
nämlich, der Metam. XIII, 479 die Stelle wiedergibt, drückt
sich nicht nur reicher aus (wie Weil sept. trag. S. 253 meint),
sondern, wenn er schreibt: Tune quoque cura fuit partes velare
tegendas cum caderet, castique decus servare pudoris, hat er
die Reihenfolge umgedreht und so das χαχόζηλον vermieden.
Denn offenbar entspricht das partes velare tegendas dem χρύπ-
τουσ᾽ ἃ χρύπτειν. .. χρεών v. 570, das casti decus servare
pudoris dem εὐσχήμων πεσεῖν (v. 569). Ob Ovid dazu durch
einen Tadel, der vielleicht schon damals in den Rhetorenschulen
ausgesprochen wurde, mitveranlaßt war, läßt sich nicht sagen ;
es könnte ihn auch sein poetisches Gefühl allein zu der Um-
stellung veranlaßt haben. Jedenfalls wurde die Stelle schon
in der Kaiserzeit getadelt; daß dies nicht von Grammatikern
geschah, hat wohl den Zustand herbeigeführt, daß die älteren
Scholien keinen Tadel anführen oder berücksichtigen.
84) Bei denen diese Verse überhaupt als Schulbeispiel verwendet
zu sein scheinen; denn auch Plin. epist. 4, 11, 9 zitiert den Vers πολλὴν
πρόνοιαν ἔσχεν εὐσχήμων πεσεῖν ohne durch den Gegenstand, von dem
er spricht (der Hinrichtung einer Vestalin), direkt dazu gezwungen zu
sein,
88 Wilhelm Elsperger,
Damit müssen wir das Gebiet der Aesthetik verlassen und
uns der zweiten Hauptgruppe von Ausstellungen zuwenden, die
sich gegen Wissen und Anschauungen des Dichters richten.
Hier kommt nach antiker Auffassung zunächst die Stellung des
Dichters gegenüber dem Mythos in Betracht, der im Princip
noch nicht scharf von der Geschichte geschieden wird. Bei
der Wichtigkeit des Mythos für die Tragödie ist es wohl billig
in einem eigenen Abschnitt
III.
von der
Mythopoiie
zu handeln.
Bisher war die Entscheidung darüber, ob eine Bemerkung
tadelnde Tendenz habe, oder nicht, verhältnismäßig leicht ; bei
den mythographischen Scholien ist dies anders. Von vorne-
herein absehn dürfen wir von den Scholien, die den Mythus
ergänzen; zu ihrer Charakterisierung mag ein Beispiel genügen:
zu Or. 11 τοῦ (Πέλοπος) δ᾽ ᾿Ατρεὺς ἔφυ lesen wir: ἐξ Εὐρυ-
ϑεμίστης τῆς Ξάνϑου: ἣ Κλυτίας τῆς ᾿Αμφιδάμαντος, ὡς ἱστορεῖ
Φερεχύδης ἐν τ. ὡς δὲ ἱστορεῖ (.. .) ἐξ Εὐρυανάσσης τῆς
Παχτωλοῦ. Wichtig dagegen sind für unsere Frage die Notizen,
die sich mit Abweichungen (διαφωνίαι) beschäftigen.
Da hebt sich zunächst eine Gruppe von Scholien ab, deren
präzise Form uns an die Homerscholien erinnert, welche wir
dank den Untersuchungen von Lehrs (de Aristarchi studiis Ho-
mericis) auf Aristarch zurückführen können. Wir dürfen
von solchen Euripidesscholien wohl annehmen, daß sie eben-
falls auf ihn zurückgehen. — Doch gehören diese Scholien
überhaupt in eine Arbeit, die die Kritik gegen Euripides,
also Tadel, beleuchten will? Nach den Ausführungen Roemers
(Philol. 5. 31—37) könnte es allerdings scheinen, als habe
Aristarch in keinem Falle die Jüngeren wegen mytho-
graphischer Abweichungen von Homer getadelt. Indessen lohnt
es sich doch wohl, nochmals auf diese Frage zu kommen,
schon wegen der Divergenz der Quellen, auf die Roemer selbst
a. a. Ὁ. hinweist. Allerdings würde es den Rahmen dieser
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 89
Arbeit sprengen, wollte ich das gesamte Material vorlegen ;
so sei nur eine Auswahl von Beispielen beigebracht, und zwar
zunächst Belege aus
Aristarchs Bemerkungen zu Homer,
wie sie durch Aristonikus auf uns gekommen sind °).
Da scheiden, weil sie offensichtlich keinen Tadel enthalten,
sofort aus die mannigfachen Formen der Mythenvergleichung
von der ausgeführten Gegenüberstellung 55) (z. B. in schol. B 596
ὅτι Θεσσαλίας ἡ Οἰχαλία nad Ὅμηρον. ol δὲ νεώτεροι
ἐπ᾿ ᾿Εὐβοίας πεποιήκασιν) bis zur negativen oder positiven Fest-
stellung, bei der, vielfach allerdings wohl durch Abkürzung
seitens der Redaktoren oder Abschreiber, selbst die Nennung
der νεώτεροι fehlt: z. B. schol. B 107 ὅτι οὐ yıyvaoxeı τὴν
ἔχϑραν ᾿Ατρέως καὶ Θυέστου ; und schol. Σ 90 ὅτι πάλιν συνοικεῖ
(d.h. καὶ ἐνταῦϑα συνοιχεῖν λέγει) τῷ Πηλεῖ ἡἣ Θέτις.
Eingehender behandeln müssen wir die Stellen, an denen
eine Anregung festgestellt wird:
Zu A 59 (Textscholion) lesen wir: πρὸς τὴν τῶν νεωτέρων
ἱστορίαν, ὅτι ἐντεῦϑεν τὴν κατὰ Μυσίαν ἱστορίαν (ἐφόρμισιν konji-
ziert Friedländer) ἔπλασαν. Erweitert ist diese Notiz in dem
-
sch. 59d, in dem die bezeichnenden Worte οἵ νεώτεροι... ἐν-
τεῦϑεν σημειοῦνται ἱστοροῦντες wiederkehren °”’). Hieher gehört
55) Scholien ohne Quellenangabe stammen aus dem Venet. A. Seiten
der Ausgaben von Friedländer (Aristonikus, περὶ σημείων ᾿Ιλίαδος) und
von Karnuth (περὶ σημείων ᾿Οδυσσείας), sowie von Lehrs’ Aristarch gebe
ich nur da an, wo sie für den vorliegenden Zweck wichtige Bemer-
kungen bieten.
56) Das Referat eines späteren (vielleicht Didymus im Homer k o m-
mentar?) über Aristarchs Bemerkung gibt schol. A 683 ὅτι δια-
φωνοῦσιν ol νεώτεροι τὸν Νηλέα λέγοντες ἀνῃρῆσϑαι ὑφ᾽ Ἡρακλέους, ὅτε
τὴν Πύλον ἐπόρϑησεν. φαίνεται γὰρ καϑ᾽ Ὅμηρον περιὼν καὶ μετὰ τὸ
πορϑηϑῆναι" ὃ γὰρ πρὸς ᾿Ηλείους πόλεμος τῶν Πυλίων μεταγενέστερος τοῦ
πρὸς Ἣραχλέα (ὡς ἐκ τῶν ἑξῆς δῆλον). Auch dem Beweis liegt wohl
Aristarchisches Gut zugrunde; aber die breite Ausführung ist nicht
in Aristarchs Art,
57) Demnach scheint ein ἐντεῦϑεν ἱστοροῦσιν oder τὴν ἱστορίαν ἔπλασαν
alte Ueberlieferung zu sein, und es erscheint somit bedenklich, das zweite
ἱστορίαν zu vertreiben. Vielleicht sind in dem Textscholion zwei
Exzerpte zusammengearbeitet, deren eines hieß: (ἢ διπλή), ὅτι
ἐντεῦϑεν οἱ νεώτεροι τὴν περὶ Μυσίαν ἱστορίαν ἔπλασαν. Das andere läßt
sich mit Benützung des im cod. T und Gen. Ueberlieferten annähernd
so herstellen: (ἢ διπλὴ) πρὸς τὴν τῶν νεωτέρων ἱστορίαν. τὰ γὰρ (T, δὲ G.)
περὶ Μυσίαν ἀγνοεῖ (5 Ὅμηρος fügt G. hinzu).
90 Wilhelm Elsperger,
ferner sch. Z 472, das leider auch von einem späteren um-
stilisiert scheint.
Zu Ὁ 257 sind zwei Scholien erhalten, die sich gegen-
seitig ergänzen °®):
cod. A: cod. T:
ὅτι &y τοῦ εἰρῆσϑαι ἱππιοχάρμην ἐντεῦϑεν
τὸν Τρωίλον
οἱ νεώτεροι Σοφοχλῆς ἐν Τρωίλῳ
ἐφ᾽ ἵππου διωχόμενον αὐτὸν φησὶν αὐτὸν λοχηϑῆναι 59) ὑπὸ
ἐποίησαν. ᾿Αχιλλέως ἵππους γυμνάζοντα
παρὰ τὸ Θυμβραῖον καὶ ἀποϑα-
γεῖν.
An solchen Stellen ist Neigung zu tadeln gewiß nicht zu
erkennen, ebensowenig wie im schol. Σ 54 (cod. B) δυσαρι-
στοτόχεια] καὶ ᾿Ολυμπιὰς ἐντεῦϑεν περὶ ᾿Αλεξάνδρου φησί" “κρείσσων
γέγονεν 7) μητρὶ συνέφερεν᾽, ein Scholion, das sich in seiner
Tendenz mit den Tragikerscholien berührt, die bemerken, daß
ein Vers sprichwörtlich geworden sei, z. B. sch. Soph. Aj. 746,
sch. Eur. Orest. 486, Phoen. 396 (vgl. Schwartz, ind. auct.
p- 391) 9.
58) Schwartz (de scholiis Hom. ad histor, fabul. pertinentibus; in
Fleckeisens Jahrbüchern, Supplb. XI, 1881) führt allerdings (ὃ. 428)
das sch. cod. T zu dieser Stelle, wie die noch zu besprechenden Scho-
lien zu Ὡ 259 und K 265 (S. 432) auf einen späteren Scholiasten
zurück, während er die in A erhaltenen Varianten allein als Aristoni-
kisch bezeichnet, Daß die Berichte in A dem ursprünglichen Wortlaut
meist näher stehen, ja ihn wohl oft genau erhalten haben, ist gewiß;
doch scheinen mir die Scholien aus T (wie auch einige aus B), da wo
sie ähnliches berichten, nur eine andere (spätere) Redaktion zu
bieten, nicht aber auf eine von Aristonikus unabhängige Quelle
GERU zugehen. (Vgl. das im folgenden zu den schol. ῶ 735, Ψ' 679,
X 209, © 259 Bemerkte),. Zum mindesten sind solche Scholien nicht
Eigentum desselben wie Scholien in der Art von sch. @ 617 (ΒΥ) (Schw.
a. a. O. 8. 424 f.), sch. W 346 (S. 426 ff.), W 783 (8. 428) und anderen,
von Schwartz im dritten Abschnitt der angeführten Abhandlung be-
sprochenen. Das deutet auch er selbst (S. 433) an: neque nimis certo
adfirmaverim omnia ab uno eodemque homine esse profecta.
®) So Maass, ὀχευϑῆναι T, λογχευϑῆναι Welker.
60) Auf schol. A5a (cod. A) näher einzugehen ist hier nicht der
Ort; der Wortlaut des Schlusses: ἵνα HN τὰ παρὰ τοῖς νεωτέῤοις πλάσματα
δεξώμεϑα erscheint mir keinesfalls genuin. Aristarch stellt einfach fest,
und erwähnt seine Person nie. Was wir lesen, stammt aus derselben
Redaktion aus der auch der Schluß des Scholions 5b (Dind. p. 7,5)
herrührt: ἡμεῖς δέ φαμεν κατὰ τὴν ᾿Αριστάρχειον καὶ Ἰλτρ ὡς
στοφάνους δόξαν τῆς Θέτιδος εἶναι βουλήν, ἣν ἐν τοῖς ἑξῆς φησι λι-
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides, 91
Dagegen zeigt der Vergleich von schol. cod. A mit sch.
cod. T. (zu K 265, Lehrs 1 p. 187)
cod. A: cod.. 1:
ὅτι τὸ κοινὸν χαὶ συμβεβηχὸς
ταῖς περικεφαλαίαις εἰπόντος τοῦ ἐντεῦϑεν 51)
ποιητοῦ
ζωγράφοι χαὶ πλάσται ᾿Απολλόδωρος ὃ σχιαγράφος
πιλίον ἐπέϑεσαν τῷ Ὀδυσσεῖ. πρῶτος ἔγραψε πῖλον Ὀδυσ-
ER
daß ἐντεῦϑεν hier an die Stelle einer Bemerkung getreten ist,
die den bildenden Künstlern implicite einen Vorwurf macht 55).
Dafür, daß die Form des cod. A die ursprünglichere ist, spricht
der Umstand, daß A der bessere Zeuge ist, während die
Scholien in T vielfach stark gekürzt sind.
Zu vergleichen ist ferner schol. & 735 (cod. A) ὅτι ἐντεῦϑεν
χινηϑέντες ol μεϑ’ Ὅμηρον ποιηταὶ. ... cod. B bietet noch
ἢ ὡς ἐχ στοχασμοῦ [ἢ στοχάζεται ΤΊ; was dort und in T
weiter folgt, ist allerdings schwerlich Aristarchisch; für den
Schlußsatz in T (οἱ δὲ vewrepot φασιν) ist schol. An. 10 zu
vergleichen; dagegen mag das &x στοχασμοῦ altes Gut er-
halten haben 55), und so ließe sich das Scholion etwa so ver-
vollständigen — wobei ich zur Stütze der Ergänzung sch. Z 457
daneben setzen will:
Q 735: Z 457:
ὅτι (ὡς ἐκ στοχασμοῦ οὕτως ὅτι κατὰ τὸ προστυχὸν οὕτως
εἰπόντος τοῦ ποιητοῦ) εἰπόντος Ὃμήρου
ol ned” Ὅμηρον ποιηταὶ οἱ νεώτεροι
- je ς [2 a - "» en -
τῷ ὄντι) 54) ῥιπτόμενον χατὰ τῷ ὄντι ὑδροφοροῦσαν
τοῦ τείχους ὑπὸ τῶν Πλλήνων
εἰσάγουσι τὸν ᾿Αστυάναχτα. εἰσάγουσιν αὐτήν.
τανεύουσαν τὸν Δία... Wer dies schrieb, hatte außer Aristarch (Ari-
stonikus?) sicher schon die ἱστορία vor sich, die S. 6, 21 mit den Wor-
ten ἣ δὲ loropia παρὰ Στασίνῳ beginnt.
61) ἐγτεῦϑεν ist hinter σχιαγράφος überliefert; ich habe es hieher
gestellt, um den Vergleich anschaulicher zu machen.
62) Andererseits ist Aristarch auch nicht verantwortlich für das,
was Eustath. p. 804, 16 schreibt: οἵ νεώτεροι ὡς ἴδιόν τι ἀκούσαντες ἐν-
ταῦϑα τὸ τοῦ πίλου ἔπεισαν τοὺς ζωγράφους πιλίον περιτιϑέναι etc.
63) Aehnlich sind im schol. W 679 Ὁ (cod. T) Dinge zusammenge-
stellt, die teils von Aristarch stammen, teils seiner Ansicht widerspre-
chen. Vgl. das schol. mit dem bei Lehrs! p. 110 f. Ausgeführten.
#4) So schon Roemer, Philol. S. 32,
92 Wilhelm Elsperger,
Auch hier können wir also die eine Handschrift durch
die anderen ergänzen 55) ἢ aber auch hier klingt die Vorstellung
mit, daß die νεώτεροι sich geirrt haben.
Dasselbe gilt für sch. X 209 (A) ὅτι ἐντεῦϑεν ἣ ψυχο-
στασία Αἰσχύλου πέπλασται, ὡς τοῦ Διὸς τὰς ψυχὰς ἱστάντος,
οὐ ϑανατηφόρους μοίρας. Das ὡς kann doch nichts anderes
heißen als „von dieser Stelle aus ist die Psychostasie ge-
dichtet, gerade wie wenn... ..“ oder aktivisch gewendet:
„Aeschylus hat die Ps. gedichtet in der subjektiven Vor-
stellung, daß Zeus...“ Deutlicher steht dies in schol. © 70
(cod. A) καὶ ὅτι τὰς ϑανατηφόρους μοίρας λέγει (sc. κῆρας). ὃ
δὲ Αἰσχύλος νομίσας λέγεσϑαι τὰς ψυχὰς ἐποίησεν τὴν Φυχο-
στασίαν etc. Von solchen Andeutungen aus sind dann die.
groben Bemerkungen im cod. B u. T (zu X 209) mit ihrem
φαύλως ἐξεδέξατο entstanden 56). Hieher gehört auch schol.
Χ 351 ὅτι ὑπερβολικῶς λέγει. ὁ δὲ Αἰσχύλος ἐπ᾽ ἀληϑείας
ἀντίσταϑμον χρυσὸν πεποίηχε πρὸς τὸ "Extopos σῶμα. Vogl.
sch. cod. T.
Ganz ähnlich sind die folgenden Scholien, in denen wir
ἐξέδεξατο lesen: schol. A 270: ὅτι παραλλήλως “τηλόϑεν ἐξ
ἀπιῆς", οἱ δὲ νεώτεροι ἐξεδέξαντο τὴν Πελοπόννησον, Β 599,
7, 153; ὦ 527: καὶ ὅτι δύο τοὺς πάντας λέγει πίϑους, τινὲς δὲ
τῶν νεωτέρων ἕνα μὲν... δύο δὲ... ἐδέξαντο 57), B 872 χαὶ
ὅτι οὐ λέγει ὅπλα αὐτὸν ἔχειν χρυσᾶ ὡς χαὶ πάλιν ὃ Σιμωνίδης
ἐξέλαβεν κτλ., endlich — auch dies vielleicht etwas vergröbert —
sch. & 258 b (cod. T) Στησίχορος ᾿Απόλλωνος αὐτόν (Hektor)
φήῆσιν οὐ νοήσας τὴν ὑπερβολήν.
Sehr bemerkenswert ist nun, daß wir völlig entsprechende
Aussageformen wie die bisher beobachteten auch für rein
sprachliche Fragen finden: z. B. das bekannte sch. E 670
(ähnlich K 231) ὅτι of νεώτεροι τλήμονα τὸν ἀτυχῆ, ὁ δὲ “Ὅμηρος
60) Natürlich braucht deshalb nicht jedes ἐντεῦϑεν durch Verkürzung
entstanden sein; im Gegenteil empfahl es sich erst recht, wenn es
schon von Aristonikus gebraucht war. Zumal wenn die Handschriften
übereinstimmen, haben wir keinen Grund ein ἐντεῦϑεν zu ersetzen.
66) Ebenso tadelt Herodian περὶ σχημάτων (rhetor. Gr. W. 8, 605)
mit einem od νοήσαντες, wo unsere Scholien (B 641) nur vermuten.
67) Die erste Hälfte des Scholions konstatiert mit ἐντεῦϑεν eine
Anregung.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 93
τὸν ὑπομονητιχὸν (ἀπὸ τοῦ τλῆναι) : eine vergleichende Gegen-
überstellung wie die oben so genannte ‘Mythenvergleichung'.
Des weiteren zeigt sch. ® 281 (Lehrs! p. 113) ὅτι ἐκ τούτου
(νῦν δέ με λευγαλέῳ ϑανάτῳ εἵμαρτο ἁλῶναι, ἐρχϑέντ᾽ ἐν μεγάλῳ
ποταμῷ) οἱ νεώτεροι ἐξεδέξαντο λευγαλέον τὸ δίυγρον verglichen
mit .sch. Y 109 und vor allem sch. I 119 ὅτι οἵ νεώτεροι
λευγαλέον τὸ δίυγρον ἀπὸ τοῦ 58) ᾿Αχιλλέως (folgt v. ® 281).
ἔστι δὲ χτλ., daß Absicht die νεώτεροι herabzusetzen nicht
vorliegt. Dasselbe Verfahren finden wir im sch. & 214 (zu-
sammengesetzt 59) aus cod. A und BT.) xeorös]... χαὶ οὐχ
ἔστι χύριον ὄνομα (tod ἱμάντος ὃ [τὸ] κεστὸς» ὧς Evioı
τῶν ἀρχαίων (sc. ἐξεδέξαντο), (ἀλλ᾽ ἐπίϑετον διὰ τὸ πεποι-
χίλθαι ἱμέροις καὶ τοῖς ἑξῆς)" διὸ χαὶ [ὡς χαὶ ΒΤ] ἐπὶ Πάριδος
[so BT ἐπ’ ἄλλου ΑἹ λέγει (T 8711): ἄγχε δέ μιν πολύ-
χεστος ἱμάς. Wer sind diese ἀρχαῖοι Dichter können es
nicht sein, denn die sind sonst stets entweder mit Namen ge-
nannt, oder aber als νεώτεροι bezeichnet. Ueberdies nimmt
Aristarch auf die Mythographie Alexandrinischer Dichter nie
Bezug, hat also auch keinen Grund die klassischen Dichter im
Gegensatz zu den späteren dpyaloı zu nennen. Es drängt
sich somit die Vermutung auf, daß an alte (voraristarchische)
Erklärer gedacht ist, und so sehen wir, daß sich Aristarch
diesen gegenüber ganz ähnlich verhielt wie bei Dichtern. Doch
noch einen Blick auf schol. I 119: es ist bezeichnend für die
echt wissenschaftliche Methode Aristarchs: er begnügt sich
nicht die richtige Erklärung (nebst dem Beweis) zu geben;
er erklärt auch die Entstehung des Fehlers, um ihm auch die
Autorität der Tradition zu nehmen.
Wenn wir nunmehr das bis jetzt betrachtete Material
überschauen, ergibt sich Folgendes: Aristarch behandelt die
Dichter nicht wesentlich anders als die Interpreten: er weist
ihnen Fehler nach. In diesem Sinne tadelt er sie wohl auch,
nicht weil er eine Weiterentwicklung des Mythos für unbe-
68) Dies scheint mir die einfachste Verbesserung des überlieferten
ἐπὶ τοῦ; ἀπὸ τοῦ ἐπὶ τοῦ Lehrs bei Friedl. p. 156.
69) Was in spitzen Klammern steht, ist nur in BT erhalten; doch
fehlen in B die Worte ἱμέροις --- ξξῆς, in dem sie wohl ein Abschreiber,
der sie nicht verstand, unterdrücktee Was nur durch A auf uns ge-
kommen ist, ist gesperrt.
94 Wilhelm Elsperger,
rechtigt hält, sondern weil er scharf zeigen will, daß sie nicht
den reinen homerischen Mythos wiedergeben, auch da nicht,
wo sie — wie er meint — diesem gefolgt sind.
Dies zeigt auch die folgende Scholiengruppe deutlich.
Nachdem zu A 439 (Lehrs! 181f.) unter Verweis auf N 299
festgestellt war, Δεῖμος und Φόβος seien des Ares Söhne, nicht
seine Rosse, wie Antimachos gemeint hatte, nachdem die Sache
auch zu N 299 mit Hinweis auf O 119 erörtert, folgt zu O 119
(ἵππους χέλετο Δεῖμόν τε Φόβον τε ζευγνύμεν) die Bemerkung:
χαὶ ὅτι ἐντεῦϑεν ἣ πλάνη γέγονε τοῖς δεξαμένοις Δεῖμον χαὶ
Φόβον ἵππων ὀνόματα. εἰσὶ δὲ Ἄρεως υἱοὶ (zum Beweis wird
N 299 zitiert)‘ τὸ δὲ γένος τῆς ἀμφιβολίας (nämlich, daß zum
Infinitiv ein Objekts- und ein Subjektsakkusativ tritt) ἐστὶν
εὑρεῖν nal ἀλλαχῇ (E 118) “τὸν δέ τ᾽ ἄνδρα ἑλεῖν nal εἰς ὁρμὴν
ἔγχεος ἐλϑεῖν᾽ χαὶ ἐν ᾿Οδυσσεία (γ 24) “αἰδὼς δ᾽ αὖ νέον ἄνδρα
γεραίτερον ἐξερέεσϑαι᾽ - ὅπερ ἀγνοήσαντές τινες ἔγραψαν νέῳ ἄν-
δρί. Also auch hier wird die Fehlerquelle namhaft gemacht.
Weiter wird nicht nur die beweisende Stelle angeführt, son-
dern auch die sprachliche Schwierigkeit, die an dem Fehler
schuld war, durch ähnliche Stellen erläutert. Ueberdies zeigt
auch dies Scholion, wie sehr Aristarch dazu neigte, Dichter
und Interpreten bez. Herausgeber — denn solche sind doch
mit τινὲς ἔγραψαν gemeint — auf eine Stufe zu stellen.
Aehnliche Bemerkungen finden wir noch: mit Rücksicht
(auf einen Dichter zu A 59 xal με πρεσβυτάτην τέκετο Κρόνος
schol. (cod. ABT) πλαγιασϑεὶς (πλανηϑεὶς BT) δὲ ἐντεῦϑεν
Ἡσίοδος νεὠτερόν φησι τὸν Δία : (Theog. 454); mit Rücksicht
auf einen Grammatiker: zu & 170 ὅτι ἐχ τούτου τοῦ τόπου
πλανη ϑέντες τινὲς διέλαβον τὴν ἀμβροσίαν εἶναι ὑγρὰν τροφήν 70),
weiter sch. 3 442 ὅτι οἵ τοιοῦτοι τόποι ἐπλάνησαν τὸν Ζηνόδοτον
ὥστε δέξασϑαι χωρὶς τοῦ ο Ἴλῇος 171).
Wie wir sehen, bleibt der Ton auch hier ruhig und sach-
lich; es liegt also kein Grund vor den in solchen Bemerkungen
enthaltenen Tadel dem Aristarch abzusprechen und Aristonikus
dafür verantwortlich zu machen.
το) Daß diese Beobachtung zweifelhaft ist, tut hier nichts zur Sache.
71) Auch hier haben wir, wie bei den ᾿Δεῖμος- ®ößog-Scholien eine
Reihe von Notizen (vgl. Lehrs ! p. 180), die dasselbe betreffen ; wieder
hat Aristarch das oben beleuchtete Verfahren eingehalten.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 95
Herauszufallen aus der Art der bisher besprochenen
Scholien scheinen nur zwei: sch. B 659 χαὶ ὅτι σὺν τῷ σ
Σελλήεντα τὸν ποταμὸν λέγει, ἀφ᾽ οὗ τὸ παροικοῦν ἔϑνος Σελλοὺς
χαλεῖ. ol δὲ νεώτεροι "EAAous λέγουσι πλανηϑέντες. Hier wird
ein Irrtum festgestellt, ohne daß zugleich die Fehlerquelle
durch ἐντεῦϑεν aufgezeigt würde. Aber vielleicht ist ἐκ τοῦ
“ἀμφὶ δὲ Σέλλοι᾽ (II 234, vgl. das Schol.) zu ergänzen. Oder
aber, Aristarch hatte deshalb so stark betont, daß die Jüngeren
im Irrtum seien, weil die gegenteilige Meinung hier besonders
nachdrücklich vertreten wurde; sagt doch noch Strabo VII,
7,10 p. C 328, der hier, wie vielfach, von Aristarch beein-
Außt ist (vgl. Lehrs! p. 240 f. und 250 f. = ?240 Γ) ἡ
γραφὴ ἀμφίβολος οὖσα 75).
Wirklich scharf ist ferner der Ton des sch. Y 234: ὅτι
ἐναντιοῦται τοῖς νεωτέροις (sc. ὃ ποιητής in den Versen Tavu-
μήδης τὸν καὶ ἀνηρείψαντο ϑεοὶ Διὲ οἰνοχοεύειν χάλλεος εἵνεκα
οἷο)" od γὰρ δι’ ἔρωτα τὸν Γανυμήδην ὑπὸ Διὸς ἀνηρπάσϑαι,
ἄλλ᾽ ὑπὸ τῶν ϑεῶν, ἵνα οἰνοχοῇ τῷ Διὲ διὰ τὸ χάλλος. (Lehrs '
p. 185). Man möchte vermuten, daß Aristarch die Sache
deshalb so nachdrücklich hervorhob, weil er seinen Homer
und speziell den höchsten Gott des Homer rein von dem Makel
einer perversen Liebe erhalten wollte; vgl. die Bemerkung im
sch. (cod. T) II 97: (die Verse 97—100 wurden verfaßt) ὑπὸ
τῶν ἀρσενιχοὺς ἔρωτας λεγόντων εἶναι παρ᾽ Ὅμήρῳ. Zugleich
wurde durch diese Verse die Athetese von II 97 (vgl. schol.
cod. A und T) gestützt.
Werfen wir nun noch, ehe wir zu Euripides übergehen,
einen Blick in die Scholien zu einem der νεώτεροι, nämlich
in die Pindarscholien’°).
13) Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, daß Aristonikus das rA«-
νηϑέντες aus seinem Eigenen gab; er kann dazu aus eben den Grün-
den gekommen sein, die wir sonst für Aristarch annehmen müßten.
18) Material ist gesammelt bei Feine, de Aristarcho Pindaris
interprete (Commentat. Philol. Jenens. II, 1883 p. 253—528) und Horn,
de Aristarchi studiis Pindarieis (diss. Greifswald 1883); doch ist gar
manche Aeußerung Aristarchs in den Scholien noch nicht ans Licht
gezogen. Umgekehrt konnte ich Scholien, die Horn anführt, nicht
verwerten, weil mir die genuine Form nicht mehr klar genug durch
die Redaktion hindurch schien. Häufig sind die alten Bemerkungen
von den späteren Kommentatoren (und Redaktoren, besonders auch
dem sogenannten Paraphrasten; vgl. Lehrs, die Pindarscholien S. 114 ff.)
96 Wilhelm Elsperger,
Pindarscholien.
Besonders lehrreich sind da die Scholien, in denen eine
empfangene Anregung und ähnliches festgestellt wird. So zu
Pyth. 4, 14 Bkh (Horn p. 45) ᾿Αργινόεντι μαστῷ] ᾿Αρίσταρχος
μὲν τὸ Ὁμηρικόν (1 141) ᾿Οὖϑαρ Apobpns’ παράγειν αὐτόν φησι
πιϑανῶς ὑπαλλαξάμενον τὸν μαστόν. Ferner schol. Ol. 7, 68 ἢ
Dr(achmann) (Horn p. 36) τοῦτο Ex τῶν Ὅμήρου ὁδρμηϑεὶς λέ-
γει, ὅτι Ζεὺς χρυσὸν ἔβρεξε τοῖς Ῥοδίοις διὰ τὸ τὸν ποιητὴν εἰρη-
χέναι (Β 670) nal σφιν ϑεσπέσιον πλοῦτον κατέχευε Κρονίων᾽ "
obx εἰρηκότος Ομήρου, ὅτι 6 Ζεὺς ἔβρεξε χρυσὸν, ἀλλὰ περι-
ἐποίησε χύδην αὐτοῖς τὸν πλοῦτον. Dem Sinne nach bietet dies
Scholion dasselbe wie schol. B 670 ὅτι Πίνδαρος χυρίως δέ-
δεχται χρυσὸν ὗσαι τὸν Διά, “Ομήρου μεταφορᾷ χεχρημένου διὰ
τοῦ χατέχευε πρὸς ἔμφασιν τοῦ πλούτου ; aber man sieht, wie
sehr die Pindarscholien in ihrer jetzigen Gestalt von der prä-
zisen Formulierung Aristarchs sich entfernt haben. Zu ver-
gleichen ist noch sch. @ 527 mit sch. Pyth. 3, 141 (1. Form
bei Bkh; Horn p. 44), und auf dasselbe zielt schol. Ol. 9, 46
Dr. ὅτι παραχήκοεν Ὃμήρου λέγοντος “ἐν πύλῳ Ev νεχύεσσι
(E 397)’ " διὸ καὶ μεμυϑολόγηχε τὰ περὶ τὴν Πύλον τοῦ Νέστο-
pos. Ὅμηρος SE οὐχ ἐν Πύλῳ λέγει τῇ πόλει
ἀλλ᾽ ἐν πύλῃ τῇ τοῦ "Ardov φησὶν αὐτὸν μάχεσθαι. Dem
entspricht schol. D zu E 397 (bei Bekker) ἀντὲ τοῦ ἐν πύλῃ,
πρὸς τῇ πύλῃ οὐ γὰρ ἐν τῇ Πύλῳ τῶν Πυλίων λέγει, ἄλλ᾽ ἐν
τῇ πύλῃ τῇ τῶν νεχρῶν χατὰ τὴν τοῦ Κερβέρου ἀναγωγήν. Hier
mag sogar das Pindarscholion, wenigstens in den gesperrten
Worten, den Aristarchischen Wortlaut erhalten haben.
Die Proben ließen sich noch sehr vermehren; doch sehen
wir jetzt schon: Aristarch war bei der Erklärung Pindars
überall en Anne von Homer anzunehmen, auch
nicht nur et sondern wohl auch erweitert worden. Während
ich dies bei schol. Pyth. 4, 370 Bkh. für wahrscheinlich halte, steht es
mir für schol. Ol. 7, 42 a Drachm. ‘(Feine p. 261) fest. Das "Achaios-
zitat (Aristarch arbeitet nicht mit solchen Gewährsmännern, ebenso-
wenig wie er zu sch. Ol. 9, 87 a den Pherekydes beizog) ist mindestens
(von Didymus ?) nachgetragen. — Einige Scholien, die Horn zitiert,
ohne den Text auszuschreiben, konnte ich nicht nachprüfen, da es mir
nicht gelang, sie im Scholienkorpus aufzufinden ; weicht doch Horns
Zählung bisweilen stark von der üblichen ab.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 97
da, wo die Darstellung der beiden nicht genau übereinstimmte;
in solchen Fällen nahm er lieber ein Mißverständnis an, als
daß er eine bewußte Weiterbildung konstatiert hätte. Wo
dagegen Homer dasselbe berichtete wie Pindar, hob er dies
ausdrücklich hervor, z. B. sch. Pyth. 4, 223... . χαὶ ὅτι οὗτοι
Αἴσονος ἀδελφοί, (ὡς) καὶ Ὅμηρός πού φησι " (folgt A 258 £.).
Wo keine Aehnlichkeit vorhanden war, finden wir wieder
die Form der Mythenvergleichung, wie in den Homerscholien.
So zu Nem. 8, 75 παρὰ μὲν ᾿Ομήρῳ μόνον παιδεύεται διδασχό-
μενος τὴν ἰατρικὴν (Achilleus), παρὰ δὲ τοῖς νεωτέροις καὶ τρέ-
φεται παρὰ Χείρωνι. (Lehrs! 5. 191). Die gleiche Form finden
wir für eine sprachliche Bemerkung (Horn p. 7).
sch. 01. 9, 96b Dr.: sch. (BL) 11 717:
(1) καὶ νῦν μὲν ὁ Πίνδαρος (2) οἱ δὲ νεώτεροι
τὸν ἐκ μητρὸς πάππον μήτρωα τὸν πρὸς μητρὸς (πάππον) μή-
ὀνομάζει. τρωα χαλοῦσιν.
(2) Ὅμηρος δὲ καὶ οὗ λοιποὸ (1) μήτρως] μητρὸς ἀδελφός 72).
τὸν τῆς μητρὸς ἀδελφὸν μήτρωα
χαλοῦσιν (folgt II 717 1).
Neu dagegen tritt in den Pindarscholien auf die Einleitung
einer Bemerkung mit ἰδίως; z.B. sch. Ol. 9, 115 ce Dr. ἰδίως
δὲ τοῦτο τάσσει χαριζόμενος τῷ Πατρόχλῳ “Ὅμηρος γὰρ διὰ
παντὸς λέγει αὐτὸν ϑεράποντα ᾿Αχιλλέως. Dies Scholion ent-
spricht in der Ausdrucksweise durchaus den echt aristarchischen.
Und daß Aristarch wirklich selbst den Ausdruck ἰδίως (oder
ähnliche) gebraucht hat, beweist sch. Ol. 6, 23a Dr. ὃ μὲν
οὖν ᾿Αρίσταρχός φησιν ὅτι ἰδιάζει χαὶ ἐν τούτοις ὃ Πίνδαρος ὡς
χαὶ ἐν ἄλλοις. Vgl. noch sch. Pyth. 4,281, ein Scholion, das
allerdings bereits einige Zusätze erfahren hat ’°).
Ob das x«:vös sch. Pyth. 4, 447 χαινῶς δὲ ὁ Πίνδαρος εἰς
ταῦτα τὰ πελάγη ἱστορεῖ πεπλανῆσϑαι τοὺς ᾿Αργοναύτας oder
das καινότερος sch. Pyth. 4, 37 Aristarchische termini sind, oder
ob solche Ausdrücke von den Späteren an die Stelle eines ἰδίως
gesetzt wurden, bleibt fraglich ; doch findet sich χαινῶς, ganz ab-
14) In BL ist natürlich die Reihenfolge der beiden Bemerkungen
umgekehrt. Das notwendige πάππος habe ich eingesetzt.
159) Sch. Pyth. 11, 25 = Lysimachos frg. 102 R(adtke, de Lysimacho
Alexandrino, Diss. Sraßburg 1893) stammt nicht von Aristarch.
Philologus, Supplementband XI, erstes Heft. 7
98 Wilhelm Elsperger,
gesehen von den Homerscholien, auch nicht in den Euripides-
scholien; und in dem einzigen 75) Sophoklesscholion zu Aj. 815
(p. 69, 20 Pap.) kann das χαινοτομεῖν sehr wohl von dem nach-
alexandrinischen Verfasser dieses Scholions (vgl. Roemer, Phil.
S. 35) eingesetzt sein.
Bei diesem Scholion zeigt der Wortlaut ebenfalls keine
tadelnde Tendenz. Wir kommen also — um alles zusammen-
zufassen — zu folgendem Resultat:
Aristarch legt großen Wert darauf, die homerische Form
der Mythen rein darzustellen; deshalb stellt er die Mythen der
Späteren den homerischen gegenüber und legt rein sachlich
die Abweichungen fest.
Er ist geneigt, Abhängigkeit an möglichst vielen Punkten
anzunehmen und schreckt infolge dessen nicht davor zurück,
Mißverständnisse vorauszusetzen.
Er tadelt also nicht geflissentlich, vermeidet es
aber auch nicht Bemerkungen zu machen, die — allerdings
oft nur mittelbar — einen Tadel in sich schließen.
Aristarch zu Euripides.
Demnach ergibt sich die Notwendigkeit, auch in den
Euripidesscholien die Aristarchischen Beobachtungen einzeln
zu prüfen.
Doch müssen wir vorher noch zwei allgemeine Bemerkungen
betrachten. So lesen wir zu Soph. El. 445 ὑφ᾽ fs... . ἐμα-
σχαλίσϑη, κἀπὶ λουτροῖσι κάρο. χηλῖδας ἐξέμαξεν in einem Scho-
lion, das seinem Ton nach zunächst den Eindruck eines jüngeren
Scholions macht: οὐ δεῖ δὲ διαφωνίαν δοκχεῖν εἶναι πρὸς τὸν
Ὅμηρον (folgt Verweis auf ὃ 585). ἤρχει γὰρ τὰ ὅλα συμφω-
veiv τῷ πράγματι " τὰ γὰρ χατὰ μέρος ἐξουσίαν ἔχει ἕκαστος ὡς
βούλεται πραγματεύεσϑαι, εἰ μὴ τὸ πᾶν βλάπτῃ τῆς ὑποϑέσεως.
Roemer (Philol. 65, S. 36) hat die letzten Worte von τὰ γὰρ 7)
ab für die alten Alexandriner in Anspruch genommen, und zwar
mit Recht; dafür spricht auch der Umstand, daß sie sich dem
Gedankengang nicht ganz glatt einfügen. Sie werden citiert,
16) Wenn anders Papageorgios’ Index nicht ganz unzuverlässig ist.
1 Da wir diese Worte als Zitat betrachten, haben wir keinen
Grund γὰρ in δὲ zu ändern. Das Zitat begründet und stützt die Be-
hauptung pre: χτλ.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 99
um zu beweisen, daß keine Abweichung vorliegt (οὐ δεῖ δὲ δια-
φωνίαν 75) δοχεῖν εἶναι). Aber das beweisen sie gar nicht, sondern
nur das Recht (ἐξουσία) im Einzelnen abzuweichen. Wenn sie
der Verteidiger trotzdem zur Abweisung der ihm vorliegenden
Behauptung 75.) wählte, so legt das den Schluß nahe, daß sie
von einer großen Autorität stammten. Eine solche aber werden
wir mit der meisten Wahrscheinlichkeit unter den älteren Ale-
xandrinern suchen, also Aristophanes oder Aristarch für den
Vertreter unseres Grundsatzes halten. Und daß nicht etwa
nur Aristophanes auf diesem Standpunkt stand, lehrt sch. B 45
(vgl. sch. Ph. 805 5. 24f.; Lehrs! p. 363) τὰ τοιαῦτα δὲ
χυρίως od λέγεται, ἀλλὰ κατ᾽ ἐπιφοράν ἐστι ποιητικῆς ἀρεσχείας.
Wie hat sich nun Aristarch in den Euripides-
scholien im einzelnen Fall gestellt?
Scholien wie sch. Or. 353 Ὁ νεώτερον τὸ τῆς ᾿Ασίας ὄνομα
oder Ph. 71 ο. (5. 260, 6) ὁ μὲν Εὐριπίδης τὸν ᾿Ετεοχλέα, ὃ δὲ
Σοφοχλῆς τὸν ΠΠολυνείκην μείζονα οἶδεν ἐν Οἰδίποδι (Oed. Col. 375
— wenn dies Scholion überhaupt von Aristarch stammt —,
ferner die Scholien mit ἰδίως, sch. Or. 1645 b ἰδίως ὁ Εὐριπίδης
ἐνιαυτίσαι τὸν ᾿Ορέστην ἐχεῖ φησιν, Tr. 448 ὅτι ἰδίως (so Roemer
für ἰδικῶς) ἱστορεῖ ἄταφον τὴν Κασάνδραν ἐχβεβλῆσϑαι εἰς ὄρος,
sch. Hec. 3 (5. 12, 16) τὸ x’ ὅτι ἰδίως Κισσέως φησὲ τὴν “Ε χάβην
Ὅμήρου Δύμαντος αὐτὴν εἰρηκότος (vgl. Ariston. zu II 718),
die teils durch die charakteristische Form, teils überdies noch
durch Wiederkehr in den Iliasscholien sich als Aristarchisch
bezeugen, enthalten keinen Tadel. Dasselbe gilt für schol.
Phoen. 1116 b ἰδίως 6 Εὐριπίδης ἔνια μὲν τῶν τοῦ ”Apyou
ὀμμάτων συνανατέλλειν τοῖς ἄστροις φησὶ δεδορχότα, τὰ δὲ πρὸς
ταῖς δύσεσι καταμύειν. Doch kann die Fortsetzung ὁ μὲν γὰρ
Φερεκύδης φησὶν ..... Διονύσιος δὲ ἐν τῷ α΄ τοῦ Κύχλου.
mal... ὃ δὲ τὸν Αἰγίμιον ποιῆσας φησὲ.. . nicht abgetrennt
werden, und diese ist durchaus nicht in der Art Aristarchs.
18) Was eine διαφωνία ist, lehrt sch. Ὡ 613 πρὸς τὴν διαφωνίαν τῶν
γεωτέρων" φασὶ γὰρ καὶ αὐτὴν (Niobe nicht nur ihr Volk) ἀπολελιϑῶσϑαι,
Ὅμηρος δὲ οὔ. Vgl. auch sch. Ὡ 604 ὅτι οἵ νεώτεροι διαφωνοῦσι περὶ τοῦ
ἀριϑμοῦ τῶν Νιόβης παίδων (Homer hat zwölf), ol μὲν γὰρ ιδ΄, ol δὲ χ΄'
τοὺς Νιοβίδας λέγουσιν.
19) Ueber den Autor, gegen den sich dieses Scholion vermutlich
wendet, vgl. S. 113 Anm. 96,
100 Wilhelm Elsperger,
Aus gleichem Grunde muß ich sch. An. 24, 32 sowie Tr. 822
und einige andere, von denen noch die Rede sein wird, für
nacharistarchisch halten.
Unter den sicher altalexandrinischen Scholien ist noch sch.
Hec. 421 αὔξουσα τὸ πάϑος φησί" ιϑ' γὰρ μόνους παῖδας ἐγέν-
γησεν (folgt © 496) wegen des begründenden Zusatzes be-
merkenswert; auch hier liegt kein Tadel zugrunde. Die fol-
genden Worte: σύλληψις δὲ λέγεται ὁ τρόπος: οὐδὲ γὰρ αὐτὴ
ἐγέννησεν, ὃ δὲ Πρίαμος ἐξ ἄλλων γυναικῶν sind jünger, denn
die beiden Arten der σύλληψις, welche wir aus den Homer-
scholien kennen, sind anders 85). Sachlich ist das συμπεριλαμ-
βάνει, wie es Z. 31 steht und im byzantinischen Scholion 421 b
wiederkehrt, ganz richtig, aber auch höchst selbstverständlich.
Wir werden also das ζητεῖν den byzantinischen Schul-
erklärern, von denen das sch. 421 b herrührt, überlassen.
Im schol. Hec. 4b: τὸ y’, ὅτι οἵ νεώτεροι συγχέουσι Φρυ-
γίαν καὶ Τροίαν, Ὅμηρος δὲ διαιρεῖ, das durch sch. B 862, T 184,
Q 545 (vgl. Lehrs! 5. 238) als Aristarchisch erwiesen wird,
lesen wir ebenso wie in den zitierten Homerscholien ein ouy-
χέουσι. Es scheint dieser Ausdruck schon von Aristarch ge-
braucht zu sein, der damit die Abweichung nicht tadeln wollte,
sondern ganz objektiv eine Verwechslung feststellte, etwa ebenso,
wie dies der Geograph Strabo (in Abhängigkeit von Aristarch)
XIV, p. C 665 tut: οἵ ποιηταὶ δέ, μάλιστα ol τραγικοί, συγ-
χέοντες τὰ ἔϑνη, καϑάπερ τοῦς Tpwas χαὶ τοὺς Μυσοὺς...
(Φρύγας προσαγορεύουσιν, οὕτω xal τοὺς Λυχίους Κᾶρας. Uebri-
gens hat Euripides die Vertauschung von Aeschylos übernom-
men, was Aristarch selbst bemerkt hatte (vgl. sch. B 862).
Selbst das συγχέειν fehlt im schol. Hec. 776, das die gleiche
Sache berichtet; ferner im sch. Ph. 125 ol vewrepo: τὴν αὐτὴν
Μυχήνην nal "Apyos φασὶν εἶναι 83). Durch die Vertauschung
80) Für die eine Art z. B. sch. Καὶ 349 ὅτι τοῦ ᾽Οδυσσέως εἰπόντος
μόνου εἶπεν συλληπτικῶς (den Diomedes mit einschließend): “ὡς ἄρα φω-
νήσαντε᾽ ; für die andere sch. Η 8 (ἐνϑ᾽ ἑλέτην ὁ μὲν...., Ἕκτωρ δὲ .. .):
ὅτι ἑλέτην συλληπτικῶς, ὕστερον δὲ προσδιασαφεῖ. Mehr Beispiele bietet
Roemer Abh. XIX, S. 653.
81) Dieselbe Sache berührt das sch. Or. 46: φανερὸν ὅτι ἐν "Apyeı
ἢ σχηνὴ Tod δράματος ὑπόχειται. Ὅμηρος δὲ ἐν Μυχήναις φησὶ τὰ βασίλεια
᾿Αγαμέμνονος, Στησίχορος δὲ χαὶ Σιμωνίδης ἐν Λαχεδαίμονι, das ich wegen
der gelehrten Belege (man beachte, daß Aeschylus und Sophokles nicht
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 101
ergab sich aber noch eine Schwierigkeit, die merkwürdigerweise
erst von Thomas Magister berührt wird. Dieser bemerkt sch.
Or. 898 (D) Διομήδης ὁμώνυμος τῷ ἐν Τροίᾳ. Natürlich dachte
der Dichter, wenn er sagt Διομήδης ἄναξ, an den bekannten,
den König von Argos (B 559 ff., y 180); er führt ihn aber
nicht anders ein wie Talthybios (v. 887 f.) und den Dema-
gogen (v. 902). Uebrigens ist auch dies einer der Züge, in
denen der Orestes von der Höhe der alten Tragödie abfällt:
der alte Heerkönig wird zum wackeren Bürger.
Endlich ist noch sch. Tr. 6b παρὰ (τὸν) Ὁμηρικὸν Ποσει-
δῶνα ταῦτα bemerkenswert, das eine einfache Konstatierung
enthält; daß nämlich Poseidon im Troadesprolog als Feind der
Griechen auftritt, steht im Gegensatz zu Homer, besonders ®
441—60.
Bis jetzt also sehen wir, daß Aristarch auch in den Euri-
pidesscholien, entsprechend den oben angeführten Grundsätzen,
eine Abweichung an sich nicht tadelt.
Es erübrigt nunmehr eine Gruppe von Notizen, die meist
ebenfalls für Aristarchisch gehalten werden; es sind dies die mit
Tap& mv loropiav
eingeführten. Alle diese Scholien — sch. An. 107 Ὁ, ce (παρὰ
τὴν ἱστορίαν " τρὶς γὰρ περὶ τὸ τεῖχος ἐδιώχϑη ὑπὸ ᾿Αχιλλέως ὃ
"Exrtwp [X 208], νεχρὸς δὲ περὶ τὸ Πατρόκλου σῆμα τρὶς ἐσύρη
[2 16]), 224, 616b, Tr. 943 — lesen sich wie rein mytho-
graphische Konstatierungen, und weichen dadurch von Scholien
wie sch. Ph. 4c τὰ τοιαῦτα δὲ οὐ πρὸς τὸ ἀληϑές, ἀλλ᾽ ὡς οἱ AE-
γοντες πάϑους ἔχουσιν oder sch. Hec. 421 αὔξουσα τὸ πάϑος
φησί (vel. 5. 100) erheblich ab. Es ist auch nicht wahrschein-
lich, daß überall eine derartige ästhetische Würdigung von den
Späteren unterdrückt wurde, wie es Roemer Philol. S. 40 für
sch. An. 107 annimmt. Denn es findet sich nirgends eine Spur
‘ davon, auch nicht im sch. An. 224, von dem noch eingehender
die Rede sein wird, obwohl dort eine Ausführung steht, die
den Dichter verteidigen soll. Dies gilt ebenso auch für die
berücksichtigt sind) dem Didymus oder seiner Schule zuschreiben möchte.
Noch jünger ist wohl das sch. Or. 1246b, das zu einer Verlegenheits-
erklärung greift: Muxnvidas δὲ αὐτὰς καλεῖ χαὶ ᾿Αργείας, ἐπεὶ ὀλίγον ἄφε-
στήκασιν ἀλλήλων al πόλεις.
102 Wilhelm Elsperger,
Sophoklesscholien, welche ein rap’ ἱστορίαν konstatieren: sch.
Trach. 633 a, Phil. 425 und besonders 445: τοῦτο (daß Ther-
sites noch lebt), παρ᾽ ἱστορίαν" λέγεται γὰρ ὑπὸ ᾿Αχιλλέως ἀνῃ-
ρῆσϑαι χαϑ' ὃν χρόνον καὶ τὴν [ΠΠενϑεσίλειαν ἀνεῖλεν χτλ. An
dieser Stelle drängte sich der Hinweis auf den Zweck, den der
Dichter mit seinem πλάσμα verfolgt, geradezu auf, und es wäre
schwer zu erklären, warum er unterdrückt wäre, zumal die So-
phoklesscholiasten ästhetische Bemerkungen der Alexandriner
in ihrer Art verwerteten, wie dies Roemer, Philol. 5. 35 zu
sch. Aj. 815 zeigt; und auch durch das in der jetzigen Form
sicher spätere sch. Soph. Electr. 539 (p. 128, 20 Pap.) klingt
eine alte ästhetische Würdigung durch, die wohl so gelautet
haben mag, wie sie Roemer (Philol. S. 42) herstellt: τούτῳ (die
Sage, daß Menelaos zwei Kinder hatte) ἐχρήσατο ὃ nomrns, ὅτι
συνέφερε τῷ λόγῳ τῆς Κλυταιμήστρας. — Also: Die Feststel-
lungen eines παρὰ τὴν ἱστορίαν hatten nie etwas mit ästhe-
tischer Kritik zu tun und rühren von einem Manne her, der
ästhetische und mythographische Fragen scharf auseinanderhielt.
Im Einzelnen lesen wir: sch. An. 224 τοῦτο παρὰ τὴν ἵστο-
ρίαν φασὶν εἰρῆσϑαι μὴ γὰρ ἱστορεῖσθαι "Ertop: ἐξ ἄλλης
γυναιχὸς γεγενῆσϑαι υἱούς. ἀπερίσχκεπτοι δέ εἰσιν οἵ ταῦτα λέγοντες "
"Avadınpaıns γὰρ διὰ τῆς β΄ τῶν ᾿Αργολικῶν οὕτως λέγει" Es
folgt eine stark verletzte Notiz, in der aber die Worte ἦσαν δὲ
αὐτῷ (im Vorausgehenden ist Hektor genannt) οὗτος μὲν νόϑιος
beweisen, was der Verteidiger beweisen will; wir haben näm-
lich einen Verteidiger vor uns; das zeigen die Schlußworte nach
dem Anaxikratesfragment: οὖκ ἀτόπως οὖν Eüpenlöns νόϑιος
φησὶν αὐτὸν ἐσχηχέναι παῖδας. Dieser Mann wenigstens sah
also in solchen Bemerkungen Tadel. Wer war es wohl?
Roemer (Abh. XIX, 5. 639 £.) hat an Didymus gedacht, Schwartz
vermutet (bei Pauli-Wiss. s. v. Anaxicrates), daß der Scholiast
mit Didymeischem Gut arbeitet, und tatsächlich erscheint das
00% ἀτόπως gar nicht Didymeisch. Doch kann er auch die-
selbe Quelle benützt haben, die sonst Didymus benützt, eine
Art mythographisches Handbuch (in unserem Fall die Nosten °?)
des Lysimachus fre. 12 p. 46 R.), und dann ist ihm wohl die
°>) Belege dafür, daß diese auch sonst von dem nachdidymeischen
Verteidiger benützt sind, bietet Radtke a. a, O. p. 29 ff.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 103
Notiz παρὰ τὴν ἱστορίαν durch Didymus wenigstens zugekom-
men, wie dies auch Radtke annimmt. Der Verteidiger ist
sicher nachdidymeisch ; denn einerseits ist er von seiner Art
beeinflußt: er stellt nämlich den ᾿Αναξυκράτης einem μὴ ἵστο-
ρεῖσϑαι ebenso gegenüber, wie im sch. An. 1240, das durch das
verwandte sch. An. 855 für Didymus gesichert ist (vgl. S. 108),
dem χαὶ Φερεχύδης ἱστορεῖ ein ἔψευσται gegenübersteht. Anderer-
seits hält er, wie das ἀτόπως beweist, Mythenkritik und ästhe-
tische Kritik (denn die ἄτοπα πλάσματα schlagen in diese ein,
vgl. 5. 30—33) nicht mehr scharf auseinander, ganz im Gegen-
satz zu Didymus’ Art, wie wir sie im Folgenden stets finden
werden. Um so mehr ist es beachtenswert, daß er nicht darauf
hinweist, wie dienlich doch die Bemerkung χαὶ μαστὸν ἤδη
πολλάκις νόϑοισι σοῖς (des Hektor) ἐπέσχον für Andromache ist,
um Hermione zu beschämen und zu zeigen, daß sie selbst doch
besser ist wie die Feindin; vgl. die Wirkung der Rede auf
Hermione (v. 235). Hätte ein alter Erklärer seiner Bemerkung
παρὰ τὴν ἱστορίαν noch eine Begründung beigefügt, so hätte
sie so oder ähnlich ausfallen müssen, und dann hätte sie unser
Verteidiger wohl benützen können, vgl. das oben Bemerkte.
Daß das Operieren mit gelehrtem Material ®) hier gar nichts
bessert, hat ebenfalls schon Roemer Abh. XIX S. 640 f. betont,
aber es ist, wie wir schon in den früheren Abschnitten sahen
und noch sehen werden, für den nachdidymeischen Verteidiger
bezeichnend.
Auch die Scholien zu An. 616a und b werden erst dann
recht verständlich, wenn man sie als Verteidigungen auffaßt.
Da sagt Peleus im höchsten Zorn zu Menelaos:
ὃς οὐδὲ τρωϑεὶς ἦλθες Er Τροίας μόνος,
χάλλιστα τεύχη δ᾽ ἐν χαλοῖσ: σάγμασιν
ὅμοι᾽ ἐχεῖσε δεῦρό τ᾽ ἤγαγες πάλιν.
Dazu die Bemerkung (schol. 616 b) παρὰ τὴν ἱστορίαν"
πρῶτος γὰρ ὑπὸ ΠΠανδάρου τέτρωται. Das πρῶτος stimmt, wenn
man — echt Aristarchisch, aber auch durchaus im Geiste des
88). Zumal wenn man es macht wie unser Mann, der die Worte
Σχαμάνδριος γὰρ ἀφιχνεῖται eig τὰ ἐν Ἴδῃ, Αἰνείας δὲ (καὶ ᾿Ασχάνιος ὃ υἱ-
ὃς) καὶ ᾿Αγχίσης ὃ πατὴρ αὐτοῦ, ἀλλὰ χαὶ ἄλλοι τινὲς. .. . εἰς Δάρδανον
μετανίστανται aus seiner Quelle mit herübernahm, obwohl sie gar nicht
zur Sache gehören.
104 Wilhelm Elsperger,
Didymus, vgl. sch. Med. 167, das wir mit Sicherheit auf diesen
zurückführen dürfen — nur die Hauptquelle — in diesem Fall
Homer, wie es dort Huripides ist — gelten läßt. Dagegen
sucht nun der eine die windige Ausflucht: εἰ μὴ ἄρα, ὅτι ηὐτέ-
λιζον τὰ τοξεύματα οἱ παλαιοί, οὐδὲ ἐμνήσϑη, und der andere
spielt den Gelehrten: σημειωτέον 84) ὅτι τρωϑεὶς εἶπεν, οὐ
βληϑείς - nal γὰρ ἐβλήϑη ὑπὸ Πανδάρου" διαφέρει δὲ τὸ βληϑῆναι
τοῦ τρωϑῆναι. Ὅμηρος" “βέβληται μὲν ὁ Τυδείδης, οὔτασται
δ᾽ ᾿δυσεύς᾽ (vgl. Lehrs! 5. 61 8). Er schmückt sich mit
den Federn Aristarchs, aber man sieht, daß er sie gestohlen;
denn sie wollen ihm nicht haften: τρωϑῆναι ist doch nicht das-
selbe wie οὐτασϑῆναι, auch nicht bei Homer, wie sch. M 66 (cod.
BT) zeigt: tpwoesdar] ἐλαττωϑήσεσθαι nal tpannoesdar: Ἴονες
γὰρ τὰς τροπὰς τρώματα χαλοῦσι χτλ. — Auch hier also steht
keine ästhetische Bemerkung, kein Hinweis darauf, daß Peleus
den v. 617 mit demselben Recht sagt wie v. 618 f. oder v. 629 ff.
Gerade das zweite Scholion zeigt aber auch, daß der Verteidiger
nicht Didymus sein kann; denn er, der sich in einer eigenen
Schrift bemühte, die kritischen Ansichten Aristarchs über den
Homertext rein herauszustellen, hat wohl auch in anderer Hin-
sicht Aristarchs Beobachtungen genauer gekannt.
Die Verteidiger also dürfen wir für nachdidymeisch halten.
Wer hat nun das παρὰ τὴν ἱστορίαν ursprünglich bemerkt ὃ
Vielleicht zeigen uns die Schwierigkeiten, die sich bei Betrach-
tung des sch. Tr. 943 zunächst ergeben, einen Weg zur Lösung
dieser Frage. V. 945 f. wirft Helena dem Menelaos vor:
ὅν (Paris), ὦ κάκιστε, σοῖσιν Ev δόμοις λιπὼν
Σπάρτης ἀπῆρας νηὶ Κρησίαν χϑόνα.
sch. χαὶ ταῦτα παρὰ τὴν ἱστορίαν φησίν" οὐ γὰρ παρόντος αὐτοῦ
(Menelaos), ἀλλ᾽ ἀποδημοῦντος ὃ ᾿Αλέξανδρος παρεγένετο. Nach
Helenas Aeußerung war Menelaos anwesend, als Paris ankam
und fuhr dann, ihn zurücklassend, nach Kreta. Uebersetzt
man im schol. παρεγένετο mit „kam an“, so erzählt es ganz
#4) Zwischen dem σεσημείωται (und Aehnlichem) der alten Tradition
und dem σημειωτέον (σημείωσαι oder Aehnlichem) der Späteren ist ein
großer Unterschied. Darauf hat Schrader, de notatione critica a vet.
grammaticis in poet. scen. adhibita (Diss. Bonn 1867) 8. 61 f. mit
Recht aufmerksam gemacht; aber er durfte unsere Stelle nicht aus-
nehmen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 105
folgerichtig das Gegenteil von dem, was der Dichter sagt.
Aber wo finden wir die ἱστορία, welche der Scholiast voraus-
setzt? Merkwürdigerweise ist für diese Fassung — späte Be-
richte, deren ältester Serv. Aen. 1, 651 zu sein scheint, aus-
genommen — Zeuge nur Euripides selbst, und zwar Iphig.
Aul.75fl.: (Paris) ἐλϑὼν .... ᾧχετ᾽ ἐξαναρπάσας Ἑλένην .. ..
ἔχδημον λαβὼν Μενέλαον; ferner scheint Peleus-Euri-
pides auch An. 592 ὅστις (Menelaos) πρὸς ἀνδρὸς Φρυγὸς ἀπηλ-
λάγης λέχος, ἄχ λῃστ᾽ ἄδουλα δώμαϑ' ἑστίας λιπών, ... VOLAUS-
zusetzen, daß Menelaos vor Ankunft des Paris abreiste; durch
Verwahren und Verschließen pflegt man ja doch sein Haus
vor dem Eindringen unwillkommener Gäste zu schützen.
Daß nun diese Sagenform nicht ad hoc von Euripides
erfunden ist, ergibt sich daraus, dafß weder Iphig. Aul. 76 noch
An. 592 das Ethos des Sprechenden gerade diese Fassung for-
dert; an der zweiten Stelle pafßte auch die Fassung der Tro-
ades vorzüglich. Zudem ist es unwahrscheinlich, daß Euri-
pides eine von ihm erst erfundene oder doch wenig bekannte
Sage so kurz und so beiläufig sollte erwähnt haben. Wir sehen
also, daß zu Euripides Zeit eine Sagenform, nach der Paris in
Abwesenheit des Menelaos nach Sparta kam, bekannt gewesen
sein muß.
Aber darf man einem Aristarch zutrauen, daß er diese
Sagenform als 7) ἱστορία bezeichnete? Mit diesem Wort wird,
wie hoemer Abh. XIX, 669 ff. feststellt, auf Homer, die Kyprien,
oder den χοινὸς λόγος verwiesen. Die Kyprien nun bieten die
Geschichte, wie sie Helena erzählt. Auch für Homer führt in
T 354 das Wort ξεινοδόχος, das Menelaos von sich gebraucht,
darauf, daß er selbst anwesend war, als Paris ankam. Aus
T 445 mitsammt dem sch.: ὅτι οὐκ ἐν Σπάρτῃ ἐμίγη τῇ ᾿Βλένῃ,
. ἵνα μὴ περιφανὴς γένηται ergibt sich allerdings nicht mit abso-
luter Sicherheit, daß sich Aristarch den Menelaos damals noch
in Sparta anwesend dachte; doch ist es höchst wahrscheinlich;
auch deshalb, weil diese Auffassung die natürlichste ist 55).
88) Daß „Homer“, der sich mit der Entführungsgeschichte der He-
lena nie näher befaßt, den Menelaos in Sparta bleiben läßt, ist
doch gewiß das nächstliegende. v. N 627, wo es von Paris und den
Trojanern heißt: ἐπεὶ φιλέεσϑε παρ᾽ αὐτῇ konnte Aristarch mit Τὶ 354
vereinigen, indem er annahm, daß die gastliche Aufnahme durch das
106 Wilhelm Elsperger,
Sicher aber ist, daß er nicht der Meinung war, als müsse
Menelaos damals fort gewesen sein; denn er verwirft
sch. B356 die Version von dem Raub der Helena, die des Me-
nelaos Abwesenheit voraussetzt: Βλένης ὁρμήματα] πρὸς τοὺς
χωρίζοντας" ἔφασαν γὰρ τὸν μὲν τῆς Ἰλιάδος ποιητὴν δυσανασχετοῦ-
σαν συνιστάναι ... διὰ τὸ βίῳ ἀπῆχϑαι ὑπὸ τοῦ ᾿Αλεξάνδρου, τὸν
δὲ τῆς ᾿Οδυσσείας ἑκοῦσαν " οὐ νοοῦντες ὅτι οὖκ ἔστιν ἐπ᾽ αὐτῆς ὃ
λόγος, ἀλλ᾽ ἔξωϑεν πρόϑεσιν τὴν mepl δεῖ λαβέϊν.... χαὶ ἔστιν
ὃ λόγος" τιμωρίαν λαβεῖν ἀνθ᾽ ὧν ἐστενάξαμεν... περὲ “Ἑλένης.
Mag man immerhin der Deutung nicht beistimmen, für uns ist
es wesentlich, daß Aristarch dieser Anschauung war.
Gesetzt also, die überlieferte Form des Troadesscholions
ist richtig; dann ist eine Version, die wir im besten Fall als
den χοινὸς λόγος betrachten könnten, als die (maßgebende, ἢ)
ἱστορία bezeichnet, obwohl die homerische Version davon stark
abweicht und die Kyprien das gerade Gegenteil bieten. Ari-
starch, dem doch in erster Linie Homer maßgebend war, kann
sie dann nicht geschrieben haben. Nun hat Roemer Philol. 65
5. 37 geschrieben: od γὰρ ἀποδημοῦντος αὐτοῦ, ἀλλὰ παρόντος
ὁ Ἀλέξανδρος παρεγένετο. Wo bleibt aber da der Wider-
spruch zu Euripides? Mindestens müßten wir rape-
γένετο im Sinn von „war da“ nehmen. Eine Diskrepanz läge
dann darin, daß Menelaos nach Homer da bleibt, nach Euri-
pides wegfährt. Aber wie schlecht wäre das ausgedrückt! Wir
würden doch etwa erwarten: οὐ γὰρ ἀπῆρεν ὁ Μενέλαος eis
Κρήτην παρόντος ᾿Αλεξάνδρου.
Sollen wir nun dem präzisen Aristarch eine so verschwom-
mene Bemerkung zuschreiben? Wir müßten wohl mindestens
annehmen, daß die Bemerkung ursprünglich zu einer anderen
Stelle δ) gemacht war und hieher übertragen wurde. Aber es
Ehepaar erfolgte, wobei die Frau wesentlich beteiligt war, ähnlich wie
Arete ἡ 54 ff. — Jedenfalls darf man nicht aus dem Postulat der „Un-
schuld“ der Helena gegen T 354 die Abwesenheit des Menelaos er-
schließen, wie dies van Leeuwen, Mnemos. N. S. XXXIV, p. 33 tut.
T 232 beweist nichts. Zu einer eingehenderen Widerlerung der dort
ausgeführten Behauptung ist hier "nicht der Raum; indessen darf
eine Hypothese, die zu ihrer Ermöglichung so viele und so gewaltsame
Konjekturen bedarf, doch als höchst unsicher gelten.
86) Z. B. etwa zu T 354 mit dem Wortlaut: ὅτι παρόντος αὐτοῦ ὁ
᾿Αλέξανδρος παρεγένετο, οὐκ ἀποδημοῦντος (ὡς παρὰ τοῖς νεωτέροιςν.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 107
ist überhaupt nicht in Aristarchs Art, bei der Homerexegese
auf gelegentliche Erwähnungen — und um solche
handelt es sich bei allen παρὰ τὴν ἱστορίαν - Notizen — Rück-
sicht zu nehmen. Also ist die zuerst aufgestellte Erklärung,
die die Ueberlieferung hält und unser Scholion überhaupt nicht
unmittelbar auf Aristarch zurückführt, immer noch die wahr-
scheinlichere, und sicher ist, daß es nicht authentisch Aristar-
chisch sein kann. Was nun von der einen Bemerkung gilt,
dürfte auch für die anderen anzunehmen sein.
Den Autor können wir allerdings nicht mehr sicher be-
nennen. Didymus, durch dessen Kommentar (vgl. Wilamowitz,
Herakl. I, 158 ff.) die Bemerkungen erhalten sind, könnte sie
spätestens selbst gemacht haben; doch sieht es auch ihm recht
unähnlich, so die Kyprien zu übergehen, wie es bei Tr. 943
geschehen ist. So müssen wir an irgend einen Aristarcheer
denken, den wir nicht bestimmt benennen können °”).
Es bleibt nur noch die Frage, ob dieser Mann tadeln
wollte. Sicher ist, daß seine Bemerkungen als Tadel aufgefaßt
wurden; weiter macht das Hervorkehren einer ἱστορία als der
ἱστορία 88) den Eindruck, als ob unser Scholiast dieser ἱστορία
kanonische Geltung beigemessen und somit ein Abweichen von
ihr als tadelnswert betrachtet hätte. Endlich scheint der Autor
des sch. Soph. Philoct. 425 (ϑανὼν ᾿Αντίλοχος αὐτῷ [Nestor]
φροῦδος, ὃς παρῆν, γόνος): ot μὲν γράφοντες μόνος παρ᾽ ἵστο-
ρίαν φασίν (εἶχε γὰρ καὶ ἄλλους), οἱ δὲ γόνος τῷ ποιητῇ ἄχο-
λουϑοῦντες λέγουσιν, wo als einziges Moment für die Entschei-
dung zwischen den Lesarten die Abweichung oder Ueberein-
stimmung mit Homer erwähnt wird, auf diese so großes Ge-
wicht gelegt zu haben, daß er eine Abweichung für eine Ver-
schlechterung hielt. Denn an sich kann Uebereinstimmung
oder Abweichung selbst von Homer bei einem Tragiker nie
allein darüber entscheiden, ob eine Lesart richtig ist, oder nicht.
81) Man könnte auch daran denken, diese Scholien für jünger zu hal-
ten als die gelehrte mythographische Schicht, von der im Folgenden die
Rede sein wird. Aber gegen eine so späte Ansetzung spricht einmal
die präzise Form, ferner der Umstand, daß diese Scholien nur zu An.
und Tr. auftreten, also in einem Korpus, das am wenigsten späte Zu-
sätze erfahren hat, endlich und vor allem eine Verteidigung wie die
zu An. 224. Auch ein sch. wie sch. Soph. Phil. 425 spricht dagegen.
88) In den Euripidesscholien heißt es stets παρὰ τὴ ν ἱστορίαν.
108 Wilhelm Elsperger,
Ueberdies scheint die Zahl der Söhne des Nestor nicht so all-
gemein bekannt gewesen zu sein; bemerkt doch selbst der
Scholiast: εἶχε γὰρ καὶ ἄλλους.
Didymus.
Bei den bisherigen Untersuchungen ist uns der Name des
Didymus wiederholt begegnet; es ist daher an der Zeit, daß
wir seinen Anteil an der mythographischen Kritik feststellen.
Hier ist uns die Aufgabe dadurch erleichtert, daß dreimal in
einem mythographischen Scholion sein Name erhalten ist,
nämlich zu Hec. 887 (=frg. 9, 18 p. 246 Schm.), Med. 264
(= frg. 9, 10 p. 244 Schm.) und An. 885 (=frg. 9, 3 p. 243).
Das letztgenannte Scholion lautet: ἐχβληϑεὶς τοῦ "Apyous ’Ope-
στης ἀπίει εἰς τὸ ἱερὸν ... τὸ ἐν τῇ Δωδώνῃ μαντευσόμενος, ποίαν
οἰχήσει πόλιν" ἀπιὼν οὖν ἔρχεται εἰς Φϑίαν. Δίδυμος δέ φησι
ψευδῆ ταῦτα εἶναι χαὶ ἄπιστα. Wegen der großen sprachlichen
und inhaltlichen Aehnlichkeit dürfen wir ihm auch sch. An.
1240 zuschreiben: ὅτι μὲν ἐν Δελφοῖς ὁ Νεοπτόλεμος τέϑαπται,
χαὶ Φερεχύδης ἱστορεῖ ὅτι δὲ νεχρὸς ἐλθὼν εἰς Φϑίαν πάλιν
εἰς Δελφοὺς ἐπέμφϑη, διέψευσται 89). Im Geiste durchaus
gleich und wohl nur umstilisiert ist sch. Med. 527 τοῦτο
(Κύπριν σώτειραν εἶναι μόνην) δὲ ψεῦδος - φαίνεται γὰρ τὴν Ἥραν ᾿
προστάτιν ἐσχηκὼς ἐξ ἀρχῆς διόλου χαὶ ὑπὸ ταύτης παρορμηϑεὶς
εἰς τὸν ἄϑλον" bp’ ἧς εἰκὸς αὐτὸν σεσῶσϑαι, ἵνα τὸν [Πελίαν
φονεύσῃ ἐχϑρὸν ὄντα τῆς Ἥρας ἔτι δὲ χαὶ ἣ ᾿Αϑηνᾶ κχινδυνεύ-
ουὐσαν τὴν ναῦν προσραγῆναι ταῖς πέτραις ἀνεσώσατο. Auf das
Ethos des Jason wird hier nicht die mindeste Rücksicht ge-
nommen, aber das ist charakteristisch für Didymus ebenso, wie
für den Autor der παρὰ τὴν ἱστορίαν - Scholion (vgl. noch das
89) Vgl. auch schol. Pind. Ol. 5, 20 (= ἔτ. 5, 8 p. 218 Schm.) τοῦτο
δέ φησιν ὃ Δίδυμος ἄμ ἄρτυρον εἶναι. οὗ γὰρ ἱστορεῖται ...- τοῦτο
γενόμενον, und sch. Ol. 6,55 = frg. 5,9 p. 219) αὐτὸς δέ (Didymus)
φησιν εἶναι (Φαισάναν) τῆς ᾿Ηλιαίας καὶ παρατίϑεται Ἴστρον ἱστοροῦν -
τὰ, .... ἣ τοι οὖν Πίνδαρος Φεύδεται, ἣ . .. κτλ. — Nicht hieher
gehört dagegen sch. An. 277: ἔνιοι δὲ ἐφεῦσθαί φασι τὴν χρίσιν τῶν ϑεῶν
χαϑάπερ ᾿Αντικλείδης. (Er gehörte wohl ins II. Jahrh. v. Chr.). Wie
nämlich die Deutung τρία γάρ ἐστι τῶν ἐπιχωρίων γύναια μαχλὰ εἰς τὴν
τῆς εὐμορφίας χρίσιν χαταστάντα zeigt, war er ein Rationalist, der aus
inneren Gründen, nicht (was für Didymus maßgebend gewesen wäre)
wegen mangelhafter Beglaubigung, die χρίσις bestritt. Erhalten ist dies
schol. indessen wohl auch durch diesen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Enripides, 109
S..51 Bemerkte) und unterscheidet seine Bemerkungen von den
altalexandrinischen. Solche Ausstellungen richten sich wohl
selbst.
Doch wir müssen des Didymus Tätigkeit noch weiter ver-
folgen. Er kann auch sehr ausführlich werden. Auf sch. Hec.
887 wurde schon zu Anfang dieser Untersuchung (S. 5 Anm. 2)
verwiesen; hier soll allerdings die Erzählung nur der Erklä-
rung dienen; aber in der Breite, mit der erzählt wird, drückt
sich ein gewisses Wohlgefallen am Beibringen des gelehrten
Materiales aus. Auch schol. Med. 264 will nur erklären; doch
zeigt sich auch das Bestreben, Quellenforschung zu treiben oder
die Geschichte des Mythos darzulegen, ein Bestreben, das im
Grund auch bei den vorhin besprochenen Scholien maßgebend
war. An unserer Stelle erwidert (ἐναντιοῦται) Didymus unter
Berufung auf Kreophylos auf eine Ausführung des Parmenis-
kos über den Tod der Kinder der Medea. Derselbe Parmenis-
kos wird zur gleichen Sache zitiert zu Med. 9, und aus der
Art, wie dies geschieht (πολυάικός τις λόγος φέρεται τῶν φιλο-
σόφων, ὃν χαὶ Uxpnevisxos ἐχτίϑησιν), gewinnt man den Ein-
aruck, daß die Notiz nicht einem Kommentar zur Medea —
einen solchen hat Parmeniskos nicht geschrieben, vgl. Suse-
mihl, alexandr. Litt.-Gesch. II, 164 —, sondern einer selbstän-
digen Schrift — dem astronomisch-mythologischen Werk? —
entnommen ist. Bestätigt wird dies dadurch, daß nachher weitere
Dichter und Schriftsteller (Hippys, Hellanikos, Eumelos, Simoni-
des für Beziehungen der Medea zu Korinth, Musaios ursprünglich
wohl?) vor allem für den Kult der Kinder der Medea, der
mit dem τέμενός der Ἥρα ᾿Αχραία zusammenhing, vgl. v. 1378
—83, sch. 264) beigezogen werden 3). Wer anders nun sollte
dies getan haben, als Didymus, der ja zu Med. 264 dem Par-
meniskos, dem Hauptzeugen an unserer Stelle, entgegen trat.
80) Jetzt wird allerdings von ihm nur mehr berichtet, daß er Me-
dea als unsterblich bezeichnet habe — also als ein Wesen, das selbst
einen Kult hatte, oder gehabt hatte — weiter, daß er über Feste
der Hera Akraia geschrieben hatte; aber unter diesen mußte auch das
erwähnt werden, das man auf die Kinder der Medea bezog.
ur) Allerdings palst sch. Med. 9 nicht an diese Stelle; denn in v. 9
ist von der Mordtat der Peliastöchter die Rede. Aber die Frage
nach dem Ort, wo das Scholion ursprünglich stand, ist für die Frage
nach dem Autor in unserem Fall belanglos.
110 Wilhelm Elsperger,
Dabei schrieb er ihn zunächst wörtlich (χατὰ λέξιν) aus und
führte dann an, was er selbst dazu zu bemerken hatte; ein
Verfahren, das wir bei ihm noch öfter beobachten werden.
Andererseits stützt sch. 9 die schon oft, auch von anderen, ge-
äußerte Vermutung, daß die gelehrten Scholien, in denen unter
Angabe der Gewährsmänner verschiedene Formen des gleichen
Mythos berichtet werden, auf Didymus zurückzuführen sind;
vgl. sein Verfahren im Demostheneskommentar.
Es ist nun interessant zu beobachten, inwiefern Didymus
(oder vielmehr Kreophylos) und Parmeniskos von einander ab-
weichen: Parmeniskos erzählt eine ätiologische Kultlegende,
von der aus eine Brücke zu des Euripides Darstellung nicht
zu schlagen war ; deshalb mußte er zugeben, daß eine Neue-
rung des Euripides vorlag, und im Anschluß daran hatte er
wohl das Gerücht von der Bestechung des Euripides durch die
Korinther (die so von dem Vorwurf, die Kinder im Heiligtum
ermordet zu haben, frei wurden, vgl. sch. 9) erwähnt. Der
Bericht des Kreophylos steht der Darstellung des Euripides in
doppelter Hinsicht näher: einmal hat Medea ein Verbrechen
am Königshaus verübt, sodann wird das Gerücht, daß Medea
ihre Kinder getötet habe, als ein uraltes hingestellt, das dem-
nach auch Euripides kennen konnte. Nach diesem Bericht hat
Euripides weniger starke Neuerungen eingeführt: dies war für
Didymus Grund genug, ihm den Vorzug zu geben. Daß er
ganz unwahrscheinlich ist und die Gestaltung des Euripides
ebenso voraussetzt 55), wie es das Gerede von der Bestechung durch
die Korinther tut, während die ätiologische Legende des Parmenis-
kos sehr viel älter sein kann, war ihm gleichgültig; wenn er
nur eine Quelle nachweisen konnte 38). Sonst hätte er ja, wenn
er konsequent sein wollte, hier ebenso wie schol. An. 1240 ein
διέψευσται konstatieren müssen. In diesem Streben für alles
und jedes eine Quelle aufzuzeigen, liegt eine große Schwäche
des gelehrten Mannes. Doch steckt darin etwas von (leider
erstarrtem) alexandrinischem Geist, sofern er den Grundsatz
5) Die Lebenszeit dieses Kreophylos, d. ἢ. des Historikers dieses
Namens, ist leider nicht näher zu bestimmen.
95) Und noch weniger kam es ihm auf eine Verteidigung des Dich-
ters gegen den Vorwurf der Bestechlichkeit an.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 111
des vonihm hochverehrten Kallimachos (vgl. S. 122 Anm. 108)
οὐδὲν ἀμάρτυρον ἀείδω als allgemein gültige Norm ansah.
Es lohnte sich wohl, auf die beiden Scholien gründlicher
einzugehen, obwohl sie Tadel gegen Euripides nicht eigentlich
enthalten, ‚weil wir auf Grund dessen, was wir hier über Di-
dymus gelernt haben, einige weitere kritische Bemerkungen
auf ihn zurückführen können.
Doch ehe wir dies tun, müssen wir noch verschiedene
voraristarchische
Ausstellungen besprechen, die durch Didymus auf uns gekom-
men sein müssen.
Da lesen wir im schol. An 10: Λυσανίας 5)ὴ κατηγορεῖ
Εὐριπίδου κακῶς λέγων αὐτὸν ἐξειληφέναι τὸ παρ᾽ Ὁμήρου λεχ-
ϑέν (ἢ τις ᾿Αχαιῶν ῥίψει χειρὸς ἑλὼν ἀπὸ πύργου) οὐχ ὡς
πάντως γενόμενον ἀλλ᾽ εἰκαζόμενον ὡσεὶ ἔλεγε καταχαυϑήσεσθϑαι
τὸν παῖδα, ἢ ἄλλο τι. Die folgenden Teile bedürfen auch nach
den Ausführungen von Baumstark a.a.0.8.705ff. u. Radtkea.a.O.
S. 30 f. noch der Besprechung. Da die im Folgenden vorliegende
Lücke nur erschlossen ist, möchte ich folgendermaßen ergänzen:
Ξάνϑον δὲ τὸν τὰ Λυδικὰ γράψαντα (ἱστορεῖν ὅτι οὐδόλως τεϑνήχοι"
μετὰ γὰρ τὰ Τρωικὰ ἐλϑεῖν τοὺς Φρύγας ἐχ τῆς Εὐρώπης χαὶ τῶν
ἀριστερῶν τοῦ Πόντου, ἀγαγεῖν δ᾽ αὐτοὺς Σχαμάνδριον καὶ ᾿Ασ-
χανίαν. πρὸς δὴ φασὶν ὅτι (οὐ φιλεῖ) 95) ὃ Εὐριπίδης Ξάνϑῳ
προσέχειν περὶ τῶν Τρωικῶν μύϑων, τοῖς δὲ χρησιμωτέροις χαὲὶ
ἀξιοπιστοτέροις : Στησίχορον μὲν γὰρ ἱστορεῖν ὅτι τεϑνήχοι καὶ τὸν
τὴν ἸΠέρσιδα συντεταχότα κυκχλικὸν ποιητὴν ὅτι χαὶ ἀπὸ τοῦ
τείχους ῥιφϑείη ᾧ ἠκχολουϑηχέναι Εὐριπίδην. εἰσί γε μὲν
οἵ φασιν αὐτὸν χαὶ πόλεις οἰκίσαι χαὶ βασιλεῦσαι, ὧν τὰς δόξας
Λυσίμαχος ἐν τῷ δευτέρῳ τῶν Νόστων ἀνέγραψεν" (folgt seine
aus Dionysios von Chalkis geschöpfte Angabe, aus der folgende
Worte bemerkenswert sind: τὸν "Axdpnavın .... Σχαμάνδριον
ον εἰληφότα χαὶ ᾿Ασχάνιον... ἐπιχειρῆσαι μὲν Ἴλιον χαὶ Adp-
δανον τειχίζειν .... Γέργιϑα (δὲ) καὶ Περχότην καὶ... . .. ᾿Αρίσ-
°%*) Ueber ihn, den Lehrer des Eratosthenos, 5. Baumstark, Beiträge
zur griech. Litt.-Gesch., Philol. 53, 1894, 5. 708—-16. Daß der Name
nicht verderbt zu sein braucht, ist ebendort, bes. S. 705 und 714 ff.
nachgewiesen.
. %) Die große Lücke ist nach Strabo 14, p. C 680 ausgefüllt; πρὸς
ὃ ist von Wilamowitz, od φιλεῖ von Radtke vorgeschlagen.
112 Wilhelm Elsperger,
Bav οἰχκίσαντα ἀναγορεῦσα! οἰκιστὰς Σχαμάνδριον καὶ ᾿Ασχάνιον.)
Ehe wir auf die Frage eingehen, wer den Xanthos beigezogen
hat, müssen wir feststellen, daß, worauf schon Baumstark
ἃ. ὃ. Ὁ. 8. 707 aufmerksam macht, die Worte εἰσί γε μὲν οἵ
φασιν χτλ. höchst wahrscheinlich auf Didymus zurückgehen.
Er, der den Lysimachos so gern benutzte, hätte sich dies
Zitat gewiß nicht entgehen lassen, und die Vermutung, daß
eine solche gelehrte Anmerkung von einem vordidymeischen
Kommentator herrühre, entbehrt hier, wie überall, jedes Haltes.
In der großen Lücke nun hat Radtke zwischen ἱστορεῖν und
οὐδόλως ein φασὶν ergänzt, dessen Subjekt „Didymus alive
obtrectatores“ sein sollen. Didymus scheidet aus; denn da das
Xanthosfragment dem Dionysiosfragment sehr ähnlich ist, ist
es kaum glaublich, daß Didymus beide sollte neben einander
gestellt haben. Und daß ein nachdidymeischer Tadler mit.
einem Fragment aus Xanthos operiert haben sollte, nachdem
eine längere Ausführung bereits von Didymus beigezogen war,
ist wenig glaubhaft. Auch spricht dagegen die Einleitung des
Lysimachos-Dionysiosfragmentes εἰσί γε μὲν οἵ φασιν αὐτὸν καὶ
πόλεις etc. Also dürfte Baumstark Recht haben, wenn er an-
nimmt, das Xanthosfragment sei von Lysanias beigezogen
worden, und dem entsprechend ist auch oben die Ergänzung
gestaltet. So erklärt sich auch einfacher das Eintreten der
Verteidigung vor der Didymeischen Bemerkung, obwohl der
Verteidiger, wie Baumstark richtig hervorhebt, später ist als
Didymus, da dieser den beachtenswerten Einwand nicht wider-
lest. Daß nämlich die Verteidigung zwischen zwei Didymeische
Bemerkungen gekommen sein sollte, ist wenig glaubhaft: wohl
aber mag sie an des Lysanias Ausführungen, die in Didymus’
Kommentar sich jedenfalls noch deutlich abhoben, angefügt
worden sein. Didymus hat also auch hier Ausführungen
aus einer selbständigen Schrift übernommen und daran seine
Bemerkungen geknüpft. Der Verteidiger arbeitet noch mit
gelehrtem Material, das er wohl auch aus Lysimachos schöpfte.
Merkwürdig ist noch, daß in den Troades, wo der Tod
des Astyanax im Stücke selbst sich vollzieht, keine entspre-
chende Bemerkung steht. Aber überhaupt beziehen sich die
mythographischen Ausstellungen nur auf Dinge, die erzählt
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 113
oder erwähnt, nicht aber auf solche, die unmittelbar vorgeführt
werden °°): die Mythenkritik hatte sich eben am Epos gebildet.
Eine andere Stelle, an der Tadel aus der Zeit vor Ari-
starch mit Bestimmtheit erschlossen werden kann, ist Hec. 3.
Daß Euripides schrieb "Exdßng τῆς Κισσέως, hatte schon, ehe
Aristarch die Differenz zwischen Homer und Euripides festlegte,
(vgl. S. 99), Anstoß erregt. Wir lesen nämlich schol. Hec. 9
(5. 12, 10 Ε΄ οὐ 10,4 ff.) γράφεται τῆς Κισσίας" nal ὑπονοοῦσιν
ἀπὸ γενεᾶς τινος Φρυγίας εἰρῆσϑαι ἢ ἀπὸ κώμης, ὡς Φιλόχορος
ἐν τῇ πρὸς ᾿Ασχλεπιάδην ἐπιστολῇ. Wir lernen daraus zunächst,
daß Philochoros konjiciert hatte, offenbar, um einem Tadel
(daher ἐπιστολὴ πρὸς ᾿Ασχλεπιάδην) entgegen zu treten. Denn
wenn niemand an dem überlieferten Wortlaut einer Stelle sich
stößt, wird auch niemand konjicieren. Anstoß aber kann Askle-
piades nur daran genommen haben, dafs Euripides von Homer
abweicht, der Hekabe als Tochter des Dymas bezeichnet (vgl.
sch. 3, 5. 12, 16 11718), denn nur dieser Anstoß wird durch
die Konjektur beseitigt. Daraus, dass Philochoros konjizierte,
sieht man aber auch, dass auch er eine Abweichung von Ho-
mer für etwas Tadelnswertes hielt. Die Konjektur war sehr
gelehrt; dem Κισσίη (Κισσίων) γῆ oder χώρα findet sich bei
Herodot V, 49 und 52, VI, 119; nach III, 91 ist es die Pro-
vinz, deren Hauptstadt Susa ist; auch Aeschylus gebraucht das
Adjektiv Κίσσιος Choeph. 423, Pers. 17 und frg. 396 (Nauck).
Aber trotzdem konjizierte Philochoros mit Unrecht, und des-
halb hatte seine Lesart auch keinen Bestand. Von den Späte-
ren folgten viele (Nikomachos, frg. 62 Schneider; Verg. Aen.
7, 320. 10, 705) dem Euripides, und nicht minder schlossen sich
die Mythographen seiner Darstellung an, vgl. schol. 3, 5. 12,
14 £.; Hygin 91. 111. 243. 249; letzterer stellt vielfach, ähn-
lich wie Aristarch, die beiden Traditionen neben einander.
Wie ist nun diese Nachricht auf uns gekommen? Baum-
stark a. a. Ὁ. 5. 706 Anm. glaubt, es sei durch einen sonst
96) In dem Werk des Lysanias oder in einer ähnlichen Schrift mag
auch zu Aj. 815 (vgl. Roemer Philol. S. 35), eine χατηγορία erhoben
worden sein, die der Scholiast vor sich hatte, wenn er schrieb: eix7j γὰρ
Kurnyopeiv ἀνδρὸς παλαιοῦ οὐχ ὅσιον; das εἰκῇ spricht dagegen, daß der
Verteidiger eine Anklage nur erschloß. Aus ähnlicher Quelle mögen
auch die Angriffe (λαμβάνονταί τινες τοῦ ποιητοῦ) zu El. 539 und 445
(vgl. 5. 119; 98 f.) geflossen sein.
Philologus, Supplementband XI, erstes Heft. 8
114 Wilhelm Elsperger,
verschollenen Kommentar des Aristophanes geschehen. Aber
die Annahme, dafs dieser in solcher Weise die Schriften Späterer
beizog, findet in seinen namentlich überlieferten Fragmenten
(vgl. Nauck S. 21 fi., 62 £.) so wenig einen Anhalt, wie an
dem, was wir sonst auf ihn zurückführen dürfen 57); und sein
Schüler Aristarch hat es jedenfalls nicht getan 35). Wenn wir
dann umgekehrt bedenken, wie sehr Didymus es liebte, Namen
seiner gelehrten Vorgänger beizuziehen, so werden wir es für
wahrscheinlicher halten, daß er die Nachricht von des Philo-
choros Konjektur in sein Hypomnema aufnahm.
So wären wir wieder bei
Didymus'
mythographischer Tätigkeit angelangt; doch müssen wir noch
die Scholien zu Hec. 3 darauf hin prüfen, ob sie wirklich auf
ihn zurückgehen. Das Material liegt in völlig zertrümmertem
Zustand vor; in Betracht kommen noch schol. 3a, b, e und e
(5. 12, 14). In dem durch M und A erhaltenen schol. 3b lesen
wir: τὰ περὶ τῆς "Exdßns διαφόρως ἱστόρηται. Φιλόχορος μὲν
γὰρ ἐν τῷ περὲ τραγῳδιῶν συγγράμματι Χοιρίλην αὐτήν φησι
51 Zu widersprechen scheint nur sch. ὃ 339, in welchem Aristoteles
zitiert wird; doch siehe darüber Nauck S. 23. Dagegen hat der Um-
stand, daf3 der Bericht über Philochoros auch im schol. 1 auftritt (er
steht ja auch in 9. ὁ hinter der „Didymusbemerkung“) nicht die hohe
Beweiskraft, die ihm Baumstark zuschreibt. Das Scholion ist ein wir-
res Konglomerat von Resten der Aristophaneischen Hypothesis,
einer Beobachtung Aristarchs (über den Vater der Hekabe) und
unserer Notiz, das für den Ursprung der einzelnen Bemerkungen allein
nichts mehr beweisen kann. Auch die Stilisierung unserer Notiz weist
auf späte Zeit, sofern zuerst das allgemeine ἔνιοι steht, während der
Autor, dessen Name sich darunter allein verbirgt, mit ὡς xat nach-
getragen ist. Ueberhaupt gilt die Vermutung, die Nauck S. 21 für
Homer aufstellt, wohl auch für Euripides, daß nämlich des Aristophanes
Erklärungen ihre Erhaltung nicht einem selbstverfassten Kommen-
tar, sondern der Schultradition verdanken. Seine Bemerkungen zum
Orestes z. B. sind durch Kallistratos erhalten (vgl. Wil. Herael. I S. 150).
98) Nennt er doch die nachhomerischen Dichter fast stets mit dem
Sammelnamen νεώτεροι, obwohl er den Autor wußte (z. B. sch.
B 862 Aeschylus); und daß der terminus νεώτεροι auf Aristarch selbst
zurückgeht, ist mir unzweifelhaft; ist er doch viel bestimmter wie das
ἔνιοι und τινές; und doch sind selbst diese allgemeinsten Ausdrücke —
mit denen dann die nachdidymeischen Scholiasten die alten Angaben
immer mehr verwischten — schon von Aristarch angewendet worden
(vgl. Ludwig, Arist. hom. Textkritik I, S. 126. 128).
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 115
χαλεῖσϑαι, ἴσως δὲ διὰ τὸ πολύπαιδα γεγενῆσθαι" ἣ γὰρ χοῖρος
πολλὰ τίκτει, καὶ ἐν τοῖς ᾿Ορφικοῖς οὗ χοῖροι Exdßar προσαγορεύ-
ονται. ol δὲ λοιποὶ τῷ χυρίῳ αὐτὴν ὀνόματι προσηγόρευσαν. In
diesen Worten liegt höchst wahrscheinlich ein Lysimachosfrag-
ment (frg. 88 R.) vor. Es fragt sich nur, wer es beizog; da
lesen wir im Folgenden: πολλάχις δὲ ὃ Εὐριπίδης αὐτοσχε-
Sıaber Ev Taig yevsakoylaıc, τος ναὶ ϑαὺτῷ
ἐνίοτε ἐναντία λέγειν, καὶ νῦν Κισσέως ἔφη ϑυγατέρα
τὴν Ἕ χάβην μετενεγχὼν τὸν πατέρα Θεανοῦς, περὲ οὗ φησιν Ὅμη-
ρος" (folgt A 223). Diese Worte sind zunächst von Aristarch
abhängig; aber Aristarch’s Bemerkung ist erweitert durch
Angabe der Stelle, aus der K:so7js stammt, also durch ein Homer-
zitat. Ferner war der Mann, der die gesperrten Worte schrieb,
sicher kein Freund der mythologischen Freiheiten, die Euri-
pides sich nahm. Beides ist charakteristisch für Didymus, und
so werden wir wohl an ihn denken, nicht an einen Mann, der
in seiner Manier arbeitet. Somit ist es wahrscheinlich, daß
Didymus uns auch das Lysimachosfragment erhalten hat. So-
weit stimme ich mit Baumstark (a. a. Ὁ. S. 708 f.) überein;
doch muß ich schol. 3a anders beurteilen wie er. Schon daß
das Pherekydeszitat um zu tadeln geschrieben sei, läßt sich
aus dem Wortlaut nicht beweisen: er heißt nur: Pepexböns
γράφει οὕτως Πρίαμος δὲ ὃ Λαομέδοντος γαμεῖ χάβην τὴν
Δύμαντος τοῦ ᾿Ηιονέως τοῦ Πρωτέως xal νήιδος νύμφης Εἰὐὖ-
αγόρας. Aus dem Zitat läßt sich aber auch nicht ersehen, daß
es zur Stütze einer tadelnden Bemerkung beigezogen sei;
denn die fehlt eben, während sie zu An. 10 ausführlich er-
halten ist. Ueberdies geht Lysanias dort von Homer aus, und
zieht Xanthos für eine Sache bei, über die Homer schweigt,
hier fehlt jeder Hinweis auf Homer in einer Angelegen-
heit, die sich aus Homer allein hinreichend klären ließ.
Außerdem haben wir hier zwei Scholien, deren eines nur durch
M erhalten ist, während bei An. 10 nur ein Scholion steht.
Aber es stehen in unserem Scholion noch die Worte Νί-
χανδρος δὲ Εὐριπίδῃ συνδραμὼν τὴν "Exraßnv φησὶ Κισσέως (fol-
gen 4 Verse=frg. 62; doch würden die ersten Worte vd’
“Ἑχάβη Κισσηὶς zum Beweise genügt haben)- Daß auch dies
aus Lysimachos geschöpft ist, ist kaum anzuzweifeln. Den
8Ὲ
110 Wilhelm Elsperger,
Autor der Notiz hält man für einen Verteidiger, und haupt-
sächlich deshalb wohl nimmt man an, daß die ersten Worte
in tadelnder Absicht geschrieben sind. Aber ein Verteidi-
ger hätte die Uebereinstimmung wohl stärker hervorgehoben,
auch statt des δὲ eine stärkere Partikel gebraucht, somit etwa
ἀλλὰ συμφωνεῖ τῷ Εὐριπίδῃ... geschrieben 5). Jetzt ist zwi-
schen dem δὲ hinter Νίκανδρος, das die Verteidigung einführen
soll, und dem δὲ des vorausgehenden Satzes (Πλαυχίππην δ᾽
ἔνιοι τὴν Ξάνϑου τῆς Ἑκάβης παρέδοσαν μητέρα) kein Unter-
schied. Aus Pherekydes kann dieser Satz nicht stammen, denn
es werden ja einige (andere) zitiert; er ist also zur Er-
gänzung des Pherekydes beigezogen, und zwar wohl auch von
Lysimachos. Wir gewinnen so ein einheitliches 100) Lysi-
machosfragment, das von einem Mann, in unserem Falle also
von Didymus, beigezogen wurde. Es ist ganz in seiner Art so
ausführlich zu zitieren; hat er doch auch im schol. 3b viel
mehr aus Philochoros beigeschrieben, als unbedingt nötig war.
Συνδραμὼν heißt dann einfach: „übereinstimmend mit Euri-
pides“, nicht „ihm zu Hilfe kommend‘.
Ebenso ist es recht wahrscheinlich, daß auch das (allein in M
erhaltene) Scholion (S. 12, 14) ἕνιοι Ἠετίωνος καὶ ᾿Ιπποϑόης τῆς
’Epıydoviov Κισσέα φασὶ γενέσθαι, οὗ χαὶ Τηλεχλείας τῆς Ἴλου
Ἕχάβην χαὶ Θεανώ auf gleiche Weise auf uns gekommen ist.
Die gesammte Scholienmasse ist teils in M und A, teils
nur in M erhalten. In A scheint ein Auszug vorzuliegen,
während M mehr erhalten hat; doch ist es recht wohl mög-
lich, daß die ursprüngliche Ordnung auch in M gestört ist.
Diese dürfte vielmehr so gewesen sein:
Didymus begann mit der (auch in A erhaltenen) Einlei-
tungsbemerkung: τὰ περὶ τῆς "Exraßns διαφόρως ἱστόρηται und
zitierte dann des Lysimachos Ausführungen über den Namen
der Hekabe. (Φιλόχορος --- οἱ δὲ λοιποὶ 191), προσηγόρευσαν.)
99) Ueberdies wäre dies ein recht ungeschickter Verteidiger, da Ni-
kander, ein Zeitgenosse Attalos’ III, nach Euripides lebte.
100) Dem Fehlen des'n&v nach Pherekydes kann ich kein großes
(rewicht beimessen, da das Scholion sich im Uebrigen völlig glatt liest.
101) Es ist für unsere Frage gleichgültig, ob bei Lysimachos die
„Uebrigen“ mit Namen genannt waren — in diesem Fall hat sie auch
Didymus namentlich aufgeführt und das λοιποὶ ist erst von Späteren
substituiert — oder ob er schon den Sammelausdruck gebrauchte.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 117
Sodann ging er zur Genealogie der Hekabe über, wobei
er wieder eine Einleitungsbemerkung machte: πολλάχις δὲ ὁ
Εὐριπίδης αὐτοσχεδιάζει χτλ.. woran er den speziellen Fall mit
dem Beleg aus Homer anfügte (xx! νῦν Κισσέως --- χαλλιπά-
pyov). An Homer schlossen sich billig Pherekydes und die
anderen, die er bei Lysimachos zitiert fand: diese Bemerkung
war aber minder notwendig und konnte deshalb von einem
verkürzenden Scholiasten gestrichen werden, daher das Fehlen
in A (Φερεχύδης — μητέρα S. 11, 9—13). Nunmehr kam er
auf die Zeugnisse, die mit Euripides übereinstimmten (συντρέ-
χειν); es folgten also die Worte, die noch jetzt im sch. 3a
folgen Nixavöpos — σχυλάχεσσιν. Dann hatte er noch einige
zitiert (S. 12, 14f., auch nur in M erhalten), die ebenfalls
Hekabe zur Tochter des Kisses machten. Schließlich berich-
tete er über die Konjektur des Philochoros, natürlich ausführ-
licher, als dies jetzt im schol. S. 12,10 ff. geschieht. Dies
interessierte auch den Redaktor der A-Scholien, der es nach
der Angabe über die Abweichung von Homer anführt. — Es
folgten sich also schol. 3b (MA), a, e (M), e (M A), wobei
allerdings nicht ausgeschlossen ist, daß einzelne Belegstellen,
die zwischen den erhaltenen Fragmenten standen, verloren ge-
gangen sind !?).
Das so rekonstruierte Scholion zeigt uns wieder den Di-
dymus, dem es vor allem um Darlegung der mythographischen
Ueberlieferung zu tun ist. Dies Verfahren könnten wir noch
an einer Reihe von Scholien aufzeigen; doch haben wir uns
in dieser Untersuchung auf die Stellen zu beschränken, an
denen er den Euripides, so wie hier, mißgünstig behandelt.
Da kommen vor allem die Scholien zu An. 24 und 32 in
Betracht. Leider sind ja beide Scholien, wie von allen, die
sich mit ihnen befaßt haben, hervorgehoben wird, sehr korrupt,
besonders das zweite. Doch kann man aus sch. An. 24 noch
die Absicht erkennen zu zeigen, daß Euripides mit der Version,
Neoptolemos habe nur @inen Sohn gehabt, allein stehe: ἰδίως
ἕνα φησι παῖδα γενέσθαι τῷ Νεοπτολέμῳ, ἄλλων τρεῖς λεγόντων... :
105) Was sonst noch in den Scholien zu Hec. 3 steht, ist ein ver-
sprengter Rest der Paraphrase (S. 12, 13: τὸ ἑξῆς " ἥχω Πολύδωρος 5
παῖς "Erding τῆς Κισσέως) und die Aristarchische Bemerkung (S. 12,
16 f.), von der schon die Rede war.
118 Wilhelm Elsperger,
zum Beweis dafür wird durch Lysimachos’ Vermittelung Pro-
xenos und Nikomedes für weitere Söhne von einer Leonassa
zitiert; dann fährt das schol. fort: φασὶ δὲ Πύρρῳ μὲν ἐγχει-
ρίσαι τὴν βασιλείαν τὸν πατέρα, Μολοσσῷ δὲ τὴν ἐκ τῆς προση-
γορίας τιμὴν προστάξαντα τὴν χώραν Μολοσσίαν ὀνομάζειν * *
διὸ τὸν Αἰαχίδην ὑπ᾽ αὐτῆς ὑπεχτεϑῆναι (τῆς) ᾿Ανδρομάχης πρὸς
τό, εἴτι διὰ τὴν ἀπαιδίαν “Eppiövns χαὶ τὴν ἑαυτῆς ἀσϑένειαν
γένοιτο τοῖς τέκνοις δυσχερές, μὴ ὑποχειρίους πάντας ληφ-
ϑῆναι. Ob in der Lücke eine Verteidigung des Dichters aus-
gefallen ist, wie Schwartz (excidit Euripidis defensio) annimmt,
ist mir höchst zweifelhaft. Denn die Worte hinter derselben
zeigen, daß der Mann, dessen Worte in der Lücke begonnen
haben, mehrere zur Zeit der Aussetzung des Aiakides noch -
lebende Kinder kannte. Die ausgefallene Verteidigung stünde
also weder mit dem vorhergehenden noch mit dem Nachfol-
genden in Verbindung; es müßte somit sehr viel ausgefallen
sein. Tadel braucht somit in der Konstatierung des ἰδίως
nicht zu liegen; doch vergleichen wir das schol. An. 32! Hier
handelt es sich um die Frage, ob Hermione Kinder von
Neoptolemos gehabt hat!”). Wenigstens beschäftigen sich
mit dieser Frage die ersten Worte ὁ μὲν HEöpınlöng ἄπαιδα Ex
Νεοπτολέμου φησὶν εἶναι τὴν ἙἭρμιόνην, ferner die Zitate, die
von Φιλοχλῆς δὲ (5. 259,21 8.) ab aus Philokles, Theognis,
Sosiphanes, Asklepiades, Dexios, Alexandros und Sklerias bei-
gebracht werden. Nicht direkt zur Sache gehört, was aus
Menestheus, Menaichmos und Apollodor angeführt wird. Falls
nicht Lücken vorliegen, muß man annehmen, daß Didymus
dies aus seiner Quelle (Lysimachbos, vgl. Radtke p. 6 sq. zu
frg. IV) mit herüber genommen hat. Die nächsten Worte
Πρόξενος δὲ... Νεοπτολέμου μὲν Πίελόν φησι γεγονέναι, τὸν
χαὶ Πηλέα sind unklar!%). Doch ist zu beachten, daß aus
108). Somit muß ich die Trennung der Scholien, wie sie jetzt vor-
liegt, schon für den Autor der Bemerkungen, also für Didymus, in
Anspruch nehmen, und kann demnach dem Urteil von Schwartz (ind.
anal. p. 405 scholii initium inepte constitutum, pendent omnia a vs.
24 ἰδίως Eva φησὶ παῖδα γενέσθαι) nicht beistimmen. Allerdings aber
mögen die Materialien, die hier beigezogen werden, bei Lysimachos
ursprünglich zusammengehört haben.
104) Uebrigens muß nach Πηλέα eine Lücke sein, da zu dem μὲν
ein entsprechendes δὲ fehlt. Es waren im Gegensatz zu den Kindern
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 119
Proxenos hier etwas ganz anderes berichtet wird als im sch.
24. Auch das zeigt, daß unser Scholion einen anderen Zweck
verfolgt, als jenes. Der Schlußsatz: od μὴν ὅτι ἐξ “Ἑρμιόνης,
παραδεδήλωται, kann kaum aus Proxenos entnommen sein (wie
Radtke für möglich hält), da dessen Meinung in indirekter
Rede gegeben ist. Weshalb sie Lysimachos geschrieben haben
sollte, dafür läßt sich nichts aufzeigen. Dagegen entsprechen
sie vortrefilich dem einleitenden Satz und gehören somit dem
Verfasser der ganzen Bemerkung, also Didymus, der wiederum
seine reiche Gelehrsamkeit anbrachte und es nicht unterlassen
konnte, mit einer gewissen Freude festzustellen, daß Euripides
Unrecht habe. Dieselbe Tendenz nun, die hier durchscheint,
dürfte bei der nahen Verwandtschaft dieses Scholions mit sch.
24 auch dort vorgelegen haben. Und warum sollte Didymus,
der kein Freund der ἴδια des Euripides ist, wenn man zu
Soph. El. 539 den Dichter angriff (λαμβάνονταί τινὲς τοῦ ποιη-
τοῦ ἐχ τῶν Ὁμηριχῶν, ἐπεὶ ἐχεῖνος μίαν γεγονέναι τῷ Μενελάῳ
τὴν “Ἑρμιόνην φησίν, οὗτος δὲ διπλοῦς ὁμομητρίους φησὶν αὐτῷ
γεγονέναι, Pap. p. 128), in diesem ganz ähnlichen Fall nicht
ähnlich vorgegangen sein ὃ
Uebergangen habe ich absichtlich den ersten Bericht: ὃ
δὲ Λυσίμαχος T ταύτην .. . . οὕτως γράφων γήμαντα δ᾽ Ἑ;ρμιό-
vnv τὴν Μενελάου etc. bis ταῦτα μὲν Λυσίμαχος οὕτως, weil
aus diesem Fragment wenig entnommen werden kann. Doch
paßte es insofern in die Erörterung der Frage, ob Neoptole-
mos von Hermione Kinder hatte, als es Hermione als Gattin
des Neoptolemos nennt und von verschiedenen Kindern dieses
Mannes aus verschiedenen Ehen handelt. Es liegt also auch
hier kein zwingender Grund vor anzunehmen, daf erst ein
Redaktor dieses Fragment von den Ausführungen des sch. 24
getrennt habe.
Eine ähnliche Fülle von Material ist beigebracht zu Hec.
123 und Tr. 31.
Auch diese Scholien zeigen, obwohl beide im Grunde die
gleiche Frage berühren, daß Didymus, dessen Art besonders
der Hermione von Neoptolemos wohl Kinder von ihr und einem anderen
(Orestes?) aufgeführt.
190 Wilhelm Elsperger,
sch. Hec. 123c entspricht!®), seine Erörterungen genau der
Einzelfrage entsprechend formulierte: Hec. 123 werden die
Theseiden auf gleiche Stufe gestellt mit den ande-
ren Heerfürsten; dagegen wendet sich das sch.: τοὺς
Θησέως παῖδας ἔνιοί φασι μὴ ἡγεμόνας στρατεύεσϑαι... μηδὲ
τῆς συμμαχίας χάριν, ἀλλὰ ἀποληψομένους τὴν Αἴϑραν - διὸ χαὶ
τὸν Ὅμηρον [Β 552] λέγειν τὸν Μενεσθέα ἡγεῖσϑαι τῶν ᾿Αϑη-
ναίων. Als Belege (γοῦν) werde aus Dionysios dem Kyklo-
graphen ein Bericht über die Auslösung der Helena, ferner
des Hellenikos Bericht über die Absichten der Theseussöhne
beigebracht; auch nach dessen Darstellung ist ja der einzige
Zweck der beiden Aethra zurückzuerhalten, mit Gewalt oder
gütlich. Ueberdies waren sie nach seiner Darstellung beim.
Abschluß des Krieges nicht mehr da: φεύγειν δὲ αὐτοὺς διὰ
τὸ μὴ βούλεσϑαι ἄρχεσθαι ὑπὸ Μενεσθέως. Daß auch die fol-
genden Worte (ἦσαν δὲ μετὰ (tod ᾿Ελεφήνορος τοῦ) Χαλχώ-
Sovros τοῦ Λβαντος ἐν Eößoix) mit herübergenommen sind,
obwohl sie hier nicht nötig waren, entspricht durchaus der
bekannten Art des Didymos. Den Schlußsatz, daß des Euri-
pides Darstellung somit im Widerspruche stehe mit den besten
Zeugnissen, hat Didymus nicht ausdrücklich ausgesprochen ;
ihm genügte auch hier die Ausbreitung des gelehrten Mate-
vıals.
Tr. 31 erwähnt Hekabe, daß Troerinnen unter anderen
auch an die Theseiden verlost seien. Dazu bemerkt jetzt
das referierende (φασὶ) und wohl verkürzte!°®) Scholion 31 b
erste Hälfte (ergänzt aus sch. 31a): ἔνιοι ταῦτά φασι πρὸς
χάριν (᾿ΑϑηναίωνΣ εἰρῆσϑαι: μηδὲν γὰρ εἰληφέναι τοὺς
περὶ ᾿Αχάμαντα nal Δημοφῶντα ἐκ τῶν λαφύρων ἀλλὰ μόνην τὴν
Αἴϑραν, δι΄ ἣν χαὶ ἀφίχοντο εἰς Ἴλιον, Μενεσϑέως ἡγουμένου
(τῶν ᾿Αϑηναίωνλ. Daß auch hier unter den ἔνιοι Didymus
(der sich möglicherweise mit einem Verweis auf seine Ausfüh-
rungen zu Hec. 123 begnügt haben mag) gemeint ist, ist
wegen der Analogie des sch. Hec. 123 kaum anzuzweifeln.
105) Mit Aristarch können diese Scholien nichts zu tun haben, weil
er, wie sch. T 144 zeigt, die dort erwähnte Aethra nicht für die Mut-
ter des Theseus hielt. By.
106) Es ist frühestens von dem Verteidiger in seine jetzige
Form gebracht.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 121
En
Gegen ihn wendet sich ein Verteidiger, der auch hier den
Lysimachos benützt hat (Λυσίμαχος δὲ τὸν τὴν Πέρσιδα πεποι-
ἡχότα φησὶ γράφειν οὕτως" ᾿Θησείδαις δ᾽ ἔπορεν δῶρα χρείων
᾿Αγαμέμνων... χτλ.}) ebenso, wie es der Verteidiger zu An. 10
tat: beide sind wohl identisch. Daß dieser Verteidiger nach-
didymeisch ist, ergibt sich aus unserem Scholion; daß er nicht
viel später sein kann, zeigt der Umstand, daß er noch so
klar primäre und sekundäre Quelle angibt.
Im Vorübergehen sei hingewiesen auf sch. Med. 2c. Nach-
dem dort eine geographische Erklärung der Symplegaden
gegeben und als Beleg Eratosthenes zitiert ist, bemerkt
der Autor — wohl ebenfalls Didymus —: οὗ δὲ νεώτεροι τὰς
παρ᾽ Ὃμήρῳ ΠΙῚλαγχτὰς ὑπενόησαν εἶναι. Auch dies ist eine
der kurzen Bemerkungen, in denen Didymus so gerne Seiten-
hiebe austeilt; doch sollte diese nicht den Euripides treffen:
das lehrt sch. M. 1342, als dessen Autor wir wohl auch Di-
dymus anerkennen dürfen: &x τούτων φανερός ἐστιν Εὐριπίδης
τὴν τοῦ ᾿Οδυσσέως πλάνην περὶ τὴν ᾿Ιταλίαν καὶ Σιχελίαν ὑὕπει-
ληφὼς γεγονέναι.
Ersterem Schelion ähnlich ist sch. Or. 257 Ὁ gehalten;
nachdem dort des Euripides Neuerung geistreich, aber nicht
im Sinn des alten Mythos, beleuchtet ist: ἐχ τοῦ ἀφανοῦς ὑπέ-
ὕετο τὰς ᾿ἰρινύας αὐτὸν διωχούσας, ἵνα τὴν δόξαν τοῦ μεμη-
νότος ἡμῖν παραστήσῃ ὡς εἴγε παρήγαγεν αὐτὰς εἰς μέσον,
ἐσωφρόνει ἂν ᾿Ορέστης τὰ αὐτὰ πᾶσιν ὁρῶν 197), schließt der
Autor: ταῦτα δὲ νεώτερα ᾿ “Ὅμηρος γὰρ οὐδὲν τοιοῦτον εἶπε περὶ
᾿Ορέστου. Aristarchischen Charakter hat, wie auch Roemer,
Philol. 5. 43, hervorhebt, diese Bemerkung nicht; aber von
Didymus kann sie sehr wohl sein, zumal der Schlußsatz nicht
gegen Aristarchs Ansicht zu verstoßen braucht. Mit dem
οὐδὲν τοιοῦτον kann jede Fassung der Sage von der Ver-
folgung Orests durch die Erinyen gemeint sein. Eine solche
107) Die letzten Worte sind nicht so übel wie Roemer zu meinen
scheint. Wenn die Erinyen auf der Bühne erschienen, sah sie das ganze
Publikum (πάντες); es handelte sich dann um eine Geisterer-
scheinung. Wer aber die hatte, galt bei einem Volk, das wie die
Athener an Geister und Geistererscheinungen glaubte, gewiß nicht
ohne weiteres für wahnsinnig, ebensowenig wie wir Hamlet und seine
Freunde im ersten Akt für geisteskrank halten. Wer dagegen Erschei-
nungen zu haben glaubt, mul als wahnsinnig erscheinen.
122 Wilhelm Elsperger,
kennt allerdings Homer nicht, eben weil er den Muttermörder
Orest nicht kennt (vgl. sch. α 300, y 309/10; Lehrs! 183).
Für den Positivisten Didymus indessen war es genug festzu-
stellen, der homerische Orest werde nicht von Erinyen verfolgt.
Hier seien noch einige Scholien eingereiht, die nicht mit
so umfänglichem und zum Teil entlegenem Material arbeiten
wie die bisher angeführten, aber immer noch gelehrte mytho-
graphische Kenntnisse verraten.
Da fällt zunächst sch. Hec. 472 auf: ἡ Τιτάνων ye-
νεάν: ἀντὶ τοῦ Γιγάντων. ὑποσυγχέουσι δὲ τὴν Ev ἔχα-
τέροις διαφοράν. καὶ Καλλίμαχος (fr. 195-465 Schn.) "Axt
πάλους ἐβάλοντο, διεχρίναντο δὲ τιμὰς πρῶτα [᾿γαντείου δαίμο-
νες ἔκ πολέμου. Mit Zitaten aus der Alexandrinerzeit!°®) zu
operieren, liegt nicht in Aristarchs Art, wohl aber haben wir
es bei Didymus und seinen Anhängern beobachtet; auf das
ὃ ro (συγχέουσι), das sich ebenfalls nicht in Aristarchischen
Scholien findet, will ich kein allzugroßes Gewicht legen.
Ferner ist Kallimachos zitiert, nicht um Euripides des Irrtums
zu überführen; dagegen spricht das %&!, auch handelt er
allem Anschein nach von der Verteilung der Ehrenämter, die
nach Hesiod (theog. 881—85) nach der Titan omachie
statthat. Aber auch von einem Verteidiger ist die Stelle nicht
beigezogen, denn nach dem Wortlaut muß man zu dem xal
ein συγχέει ergänzen. Der Verweis auf Kallimachos ist also
gewissermaßen Selbstzweck und entspringt der Neigung ge-
lehrtes Material möglichst überall anzubringen. Daß das Zitat
nachgetragen ist, ist aus folgenden Erwägungen wenig wahr-
scheinlich: wenn wir die Worte (v. 472 ff.) Τιτάνων γενεάν,
τὰν Zeds ἀμφιπύρῳ χομίζει φλογμῷ Kpoviöas mit der
Schilderung des Titanenkampfes bei Hesiod (bes. v. 687— 711:
v. 687 οὐδ᾽ ἄρ᾽ ἔτι Ζεὺς ἴσχεν Edv μένος, v. 689 ff.: ἄμυδις δ᾽ ἄρ᾽
105) Von den Kallimachoszitaten findet sich die Mehrzahl in Scho-
lien, die auch im jetzigen Zustand noch Didymus’ Geist verraten (sch.
Hec. 9940, Med. 1334, Hip. 33, 146, 65. 29 [342]; ef. An. 445). Doch
kommen sie auch in solchen vor, die von späteren verfaßt oder über-
arbeitet sind (sch. Ph. 134, Hip. 11, 979, 402; wohl auch Tr. 214). —
Aristarch erwähnt die Tırävsg gelegentlich und stellt fest, daß sie
mit den Göttern um Κρόνος identisch sind (sch. © 225, p. 191 Lehrs').
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 123
ἀπ᾽ οὐρανοῦ ἠδ᾽ ἀπ᾿ ᾽Ολύμπου ἀστράπτων ἔστειχε συνωχαδόν, οἵ
δὲ χεραυνοὶ ... ποτέοντο. ... ἱερὴν φλόγα εἰλυφόωντες, ταρ-
φέες, v. 0961. τοὺς δ᾽ ἄμφεπε ϑερῤμὸς ἀυτμ ᾽ὴ Τιτῆνες
ες φλὸξ δ᾽ ἠέρα δῖαν ἵχανεν. . . .) vergleichen, sehen wir,
daß Euripides sehr wohl mit diesen Worten den Eindruck
kann wiedergegeben haben, den die Hörer von der Schilderung
des Zeus im Titanenkampf empfingen. Er erschien
‘ (den Späteren mindestens) doch sicherlich als die Hauptperson,
‘nicht Kottos, Briareos u. s. w., was selbst für die Theogonie
durch v. 820 einigermaßen bestätigt wird. So liegt die po-
stulierte Verwechslung wahrscheinlich gar nicht vor, und so-
mit drängt sich die Vermutung auf, daß der Autor das Ganze
im Banne einer Kallimachosreminiszenz geschrieben hat!°°).
Hec. 70 ἢ. lesen wir: ὦ πότνια Χϑών,
μελανοπτερύγων μῆτερ ὀνείρων.
Ueber χϑιῶν ist incod. M von 1. Hand γρ. νύξ geschrieben;
dazu das sch. 71: μελανοπτερύγων : ἐπειδὴ Ev νυχτὲὶ
προσπελάζουσι. χἀὶ ᾿Ησίοδος περὶ τῆς Νυχτὸς λέγων ἐπιφέρει
(Theog. 212) “ἔτικτε δὲ φῦλον ὀνείρων᾽. εἰ δὲ γράφεται XI ὧν,
οὕτως εἶπεν, ἐπεὶ Ex γῆς λέγονται ἀναπέμπεσϑαι ol ὄνειροι. Der
letzte Satz lehrt, daß die Lesart νύξ so alt ist wie das Scho-
lion selbst, mindestens wie die Worte von χαὶ Ἡσίοδος ab.
Denn der Mann, der das Hesiodzitat mit seinem ἔτικτε beizog,
erklärte damit eben das νύξ. Nun ist χϑὼν sicher das richtige,
weil es das originellere ist, und es liegt nahe anzunehmen,
daß man die Lesart νύ ξ nur deshalb einführte, um keinen
Widerspruch gegen Hesiod zu haben. Didymus freilich macht
nie Konjekturen, um einen Widerspruch zu beseitigen, deshalb
dürfte der Scholiast wohl nachdidymeisch gewesen sein.
Stammt aber dies Scholion aus Didymus’ Schule, so werden
wir das sehr ähnliche sch. zu v. 472, in dem vor allem das
Zitat ganz gleich (mit χαὶ) eingeführt ist, auch dieser zu-
schreiben. Zu unserer Stelle hatte Didymus selbst vielleicht
nur auf den Gegensatz zu Hesiod hingewiesen. Auf eine Les-
art, die an der Ueberlieferung festhält, nimmt der letzte Satz
des Scholions Rücksicht.
100) Welche Bedeutung Kallimachos für die späteren Alexandriner
(auch für die Grammatiker) hatte, zeigt die in der vorigen Anmerkung
an 2. Stelle aufgeführte Scholiengruppe.
124 Wilhelm Elsperger,
Das Messen an Hesiod finden wir nun auch in sch. Tr.
855, das unter Beiziehung ausführlich ausgeschriebener Beleg-
stellen (theog. v. 391 und — nach Schwartz’ richtiger Er-
gänzung — v. 124) feststellt: χατὰ δὲ Ἡσίοδον οὐχ ἔστι Tad-
τὸν Ἠὼς καὶ Ἡμέρα. λέγει (γὰρ) ὁτὲ μὲν (folgt theog. v. 391)
(ὁτὲ δὲ (folgt theog. 124)). Das Scholion könnte zunächst
altalexandrinisch erscheinen ; doch spricht dagegen schon der
Umstand, daß man, um festzustellen ἠὼς und ἡμέρα sei nicht
dasselbe, doch nicht auf Hesiod zu verweisen brauchte. Und
hat Euripides überhaupt ἠὼς und ἡμέρα vertauscht, d. h. den
Tithonosmythus auf Ἡμέρα übertragen? Tatsächlich spricht
v. 847 nur von dem λευχοπτέρου ἁμέρας φέγγος. Bei diesem
Ausdruck liegt es nahe an das „Morgen weiß“ oder an das
Tagesgrauen zu denken; und andererseits bezeichnet ἠὼς nicht
nur das Morgenrot, sondern überhaupt den Tagesanbruch.
Das zeigen schon Homerverse wie K 251 μάλα γὰρ νὺξ ἄνεται,
ἐγγύϑι δ᾽ ἠώς, H 433, ο 50°), ja es läßt sich die Weiter-
entwicklung der Bedeutung (im Sinne von Vormittag), wie sie
z. B. ı 56 ὄφρα μὲν ἠὼς ἦν nal ἀέξετο ἵερον ἦμαρ vorliegt,
kaum ohne diese Vermittelung erklären; auch spricht Euripi-
des selbst Electr. 730 deutlich von einem λεὺυχὸν πρόσωπον
&oös. Wenn wir weiter beachten, daß an unserer Stelle das
ἔχουσα (v. 852) nicht nach ἁμέρας konstruiert ist, sondern nach
einem aus ἁμέρας φέγγος zu ergänzenden Feminin, so werden
wir als solches eben ἀὼς substituieren, ja wir dürfen wohl
annehmen, daß die Worte λευχοπτέρου ἁμέρας φέγγος eine
(gezierte) Umschreibung für ἠὼς sind. Aehnlich wie hier ist
Naturerscheinung und Personifikation verquickt schon in Ver-
sen wie © 1 Ἠὼς μὲν χροκόπεπλος ἐχίϑνατο πᾶσαν
ἐπ᾽ αἴαν (vgl. Rapp in Roschers mythol. Lex. 5. v. Sp. 1254).
So hat sich der Scholiast über den Sinn der Worte täuschen
lassen und dies spricht ebenfalls gegen alten Ursprung der
Bemerkung. Didymus ist auch hier nicht ausgeschlossen, doch
dürften derartige Bemerkungen wohl eher auf einen seiner
Nachahmer zurückgehen. Jedenfalls ist dies schol. älter wie
sch. Or. 1004, in dem ἡμέρα und ἠώς nun wirklich verwech-
110) Vgl. auch schol. cod. BEQ zu β 434: τὴν ὀῤθρινὴν ὥραν τὴν
μεταξὺ νυχτὸς χαὶ ἡλίου ἀνατολῆς.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 125
selt sind. Schol. 1004a bemerkt: μονόπωλον ἐς ᾿Αῶ: Eöpt-
πίδης μὲν Ev} ἵππῳ ἐποχεῖσϑιαί φησι τὴν ἫἩμέραν (φασὶ δὲ τοῦ-
τον εἶναι τὸν Πήγασον), ἄλλοι δὲ ἐπὲ δίφρουι Auf diese Be-
merkung nimmt Rücksicht sch. 1004 Ὁ: ἔνιοι: δὲ μονόπωλον
οὐχὶ τὴν ἕνα πῶλον ἔχουσάν φασιν, ἀλλ᾽ ἐν μιᾷ ἡμέρᾳ χαὶ μόνῃ
Die gekünstelte Erklärung legt die Vermutung nahe,
daß die Erklärer mindestens es tadelnswert gefunden hätten,
wenn Euripides vom üblichen Mythos, wie er vorher (ἄλλοι
δὲ etc.) festgelegt ist, abgewichen wäre. Um also dies nicht
annehmen zu müssen, stellten sie lieber die gezwungene Er-
klärung auf.
Auf gleicher Stufe mit sch. Tr. 855 steht noch sch. Or.
176a zu den Worten: νὺξ ἐρεβόϑεν ἴϑι; das ἔδει (ἔδει ἐχ Χάους
εἰπεῖν, ὡς Ἡσίοδος (theog. 123) “ἐκ Χάεος "Epeßös τε μέλαινά
τε Νὺξ ἐγένοντο.) zeigt, daß Tadel beabsichtigt war. Der Dich-
ter dachte natürlich nicht an die Aufstellung einer Genea-
logie 111).
Hier sei auch schol. Hec. 1279 mit ein paar Worten be-
rührt. v. 1277 ff. sagt Polymestor:
χτενεῖ νιν (Kasandra) ἣ τοῦδ᾽ ἄλοχος, οἰχουρὸς πικρὰ
1279 χαὐτόν γε τοῦτον, πέλεχυν ἐξάρασ᾽ ἄνω.
Daß das schol. hiezu (οἱ νεώτεροι: μὴ νοήσαντες τὸ παρ᾽ “Ομήρῳ
[ὃ 535] “δειπνίσσας ὥς τίς τε κατέχτανε βοῦν Ent φάτνη᾽ ἀντὲ
τοῦ "ὃν ἔδει μετὰ τοὺς πόνους ἀπολαύσεως τυχεῖν, τοῦτον ὡς
βοῦν ἀπέκτεινεν ---ἣἡ Κλυταιμήστρα, προσέϑ'ηχαν ὅτι καὶ
πελέχει ἀνῃρέϑη. διὸ σημειωτέον ἐνταῦϑα τὸ “χαὐτὸν τοῦτον πέ-
λεχυν ἐξάρασ᾽ ἄνω) nicht Aristarchisch sein kann, ist von Roe-
mer Philol. S. 33 neuerlich hervorgehoben worden. Und doch
spricht der ganze Ton (vor allem das pi) νοήσαντες im Parti-
zipium und der terminus νεώτεροι) dafür, daß es unter dem
Einfluß der Schule Aristarchs entstanden ist, nicht etwa eine
voraristarchische Beobachtung wiedergibt. Es ist vielmehr,
was auch das σημειωτέον (vgl. Anm. 84) lehrt, eine der An-
merkungen, mit denen Spätere Aristarchs Notizen ergänzen
111) Hier wäre auch sch. Med. 834 zu erwähnen, wenn Tadel vor-
läge. Aber der 2. Teil enthält nur die Widerlegung der Ansicht der
ἔνιοι; derselbe Gegensatz der Erklärung besteht heute noch zwi-
schen Wecklein (komment. Ausgabe z. Med. v. 834) und Wilamowitz
(Exkurse zur Medea, Herm. XV, S. 499; Uebersetzung der Medea).
120 Wilhelm Elsperger,
wollten. Dem Didymus, der über Aristarchs Anschauungen
im allgemeinen besser unterrichtet ist, dürfen wir eine solche
Anmerkung doch nicht wohl zutrauen ; also gehört sie in noch
spätere Zeit. Wie können etwa annehmen, daß die Beobachtung
Aristarchs, welche uns zu A 410 erhalten ist, τὸν γὰρ χιτῶνα χαὶ
τὸν πέλεχυν Ὅμηρος οὐχ οἶδεν verbunden wurde mit einer an-
dern, die vielleicht zu ö 535 stand (jetzt stehen dort nur mehr
spätere Scholien) des Inhalts, daß die νεώτεροι das βοῦν ἐπὶ
φάτνῃ mißverstehend (μὴ νοήσαντες), von dieser Stelle aus
(Evreödev) erdichteten (ἔπλασαν), Agamemnon sei mit einem
Beil (also wie ein Stier) erschlagen worden. Zu dieser Be-
obachtung, die richtig war, wenn dort von Aegisth die Rede
war oder ein allgemeines Subjekt (Passiv) stand, kam dann
aus den Euripidesversen — allerdings durch eine Gedanken-
losigkeit — das ἢ Κλυταιμήστρα hinzu und so entstand unser
konfuses Scholion.
Auf
späte Zeit
weist hin
das τοιοῦτον γάρ τι ἱστορεῖται des sch. Ph. 809} zu den Wor-
ten (Σφίγξ) . .. Καδμογενῆ ... φέρεν αἰϑέρος εἰς ἄβατον φῶς:
ὑπερβολικῶς ἀντὲ τοῦ εἰς ὕψος ... τοιοῦτον γάρ τι ἱστορεῖται
ὅτι εἰς ὕψος αὐτοὺς ἀνήγαγε καὶ ἠφίει ἐπὶ τῆς γῆς φέρεσθαι
πρῶτον ἄνω διασπαράξασα.
Ebenfalls später ist sch. Or. 982: ἣ μὲν ἱστορία λέγει τὸν
Τάνταλον ἀνατεταμέναις χερσὶ φέρειν τὸν οὐρανόν" νῦν δὲ ὃ
Εὐριπίδης ἰδίως τὸν ἥλιον ἐπηρτῆσϑαι λέγει αὐτῷ διάπυρον ὄντα
μύδρον. Die Meinung, daß Euripides mit der οὐρανοῦ μέσον
χϑονός (te) τεταμένα αἰωρήμασι πέτρα ἁλύσεσ: χρυσέαισι φερο-
μένα δίναισι βῶλος (oder wie die Worte sonst geheißen haben)
die Sonne meine, ist ja auch sonst überliefert (vgl. Schwartz
im Apparat), aber mit seiner ἱστορία steht das Scholion meines
Wissens einzig da. Es dürfte sich vielleicht um eine späte
Ausdeutung des Tantalosmythos handeln 115).
Endlich sind noch einige Proben
112) Darauf mich hinzuweisen hatte Herr Geheimrat Crusius die
Liebenswürdigkeit.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 197
byzantinischer Mythenkritik
vorzulegen: Die Worte Or. 562 ἐπὶ δ᾽ (Αἰγίσϑῳ) ἔϑυσα μητέρα
tadlt Thomas Magister (D 160, 13) folgendermaßen:
od χαλῶς λέγεις (für die Anrede des Dichters ist das ebenfalls
byzantinische schol. Hip. 385a τί φής, Εὐριπίδη, καχὴ ἡ αἰδώς;
[S. 136] zu vergleichen) πρῶτον γὰρ Exelvnv ἔχτεινεν, εἶτα χαὶὲ
τὸν Αἴγισϑον... nad ἅ φησι Σοφοχλῇζς. Die letzten Worte
sind bezeichnend für den Umfang des mythographischen Wis-
sens. Daß in den Choephoren — von des Euripides Elektra
will ich ganz absehen — ebenfalls Aegisth zuerst getötet wird,
wußte man also nicht mehr (vgl. dagegen Anm. 81). Es ist des-
halb auch ganz sicher, daß diese Notiz von keiner älteren ab-
hängig ist.
Aus dem sch. Hec. 1265 (D 509, 30) möchte man gar
schließen, daß einige die Verwandelung der Hekabe in einen
Hund für unwahrscheinlich hielten. Daher sagt der Scholiast:
οὖχ ἄπιστον δὲ περὶ τῆς χάβης κύων γενομένης. Es folgt
zum Beweis eine ähnliche Geschichte, die wir im Leben des
Apollonius von Thyana (Philostr. IV, 10 p. 68 Kaiser) aus-
führlicher lesen.
EV.
Im Folgenden sei gesprochen von den übrigen
Einwendungen gegen die Anschauungen des Dichters.
1. Religion, Moral, Philosophie.
Auf der Grenze zwischen den bisher besprochenen Aus-
stellungen und denen, die sich direkt gegen religiöse oder mo-
ralische Anschauungen des Dichters richten, stehen die
Angriffe auf den Mythos selbst.
Es findet sich nämlich zu den Phönissen eine Reihe von
Scholien, deren Angriffe sich auf unmittelbar aus dem Mythos
übernommene Gestaltungen beziehen. Auf drei hat schon
Roemer Philol. 56 S. 44 f. hingewiesen, doch seien der Ueber-
sichtlichkeit halber auch diese (im Folgenden mit R bezeichnet)
nochmals angeführt:
198 ; Wilhelm Elsperger,
Sch. Phoen. 24 (S. 250, 20 4}: ὅσοι δὲ ἐγχαλοῦσιν ὡς ἐν
ἱερῷ τόπῳ ἐχτεϑέντος τοῦ παιδός, ἴστωσαν, fährt der Vertei-
diger fort, daß auch ganz Athen der Athene heilig heißt, aber
nur die (relativ) kleine Akropolis in Wirklichkeit heiliger Be-
zirk ist 113). Ferner sch. Ph. 409 e (5. 297, 17) ἄτοπόν φασι
πιστεύσαντα τῷ ϑ'εῷ τὸν "Adpaotov δυστυχῆσαι τοσαῦτα κατὰ
τὰς Θῆβας χτλ. Beidemale geht der Angriff davon aus, daß
die Heiligkeit oder Gerechtigkeit der Götter durch
die Darstellung des Dichters verletzt sei. Das legt den Ge-
danken nahe, daß der Tadler von philosophischen Anschau-
ungen beeinflußt ist, denen die poetische Tradition überhaupt,
gleichgültig welcher Quelle sie entstammte, als sittlich anfecht-
bar galt. Doch hält er sich, wie es einem Literaturkritiker
entspricht, mehr an das einzelne, und schon dadurch unter-
scheidet sich seine Art von der rein philosophischen, wie wir
sie z. B. aus Philodem περὶ εὐσεβείας (1. Hälfte des 1. Teiles)
kennen. — Des weiteren zieht sch. Ph. 60} τί ἥμαρτεν ὁ Οἰδί-
πους ὅτι χαὶ αὐτὸς (auch er, nicht nur Laios) τιμωρεῖται 112);
die Gerechtigkeit der Weltordnung, wie sie der Dichter dar-
stellt, in Zweifel. Auch im sch. Ph. 405 (3. 296, 17) wird
darauf Rücksicht genommen, daß Apollo nichts Ungereimtes
raten darf: οὖκ ἂν γὰρ οὐδὲ 5 ᾿Απόλλων τὸν τυχόντα ἔλεγεν
ἐλέσϑιαι (nämlich dem Adrast zum Schwiegersohn). Diese Be-
merkung nun steht in einer Umgebung, von der später (S. 132 f.)
nachgewiesen werden wird, daß sie mit philosophisch-rheto-
rischen Angriffen die gleiche Quelle hat.
113) Uebrigens ist diese Lösung immer noch besser als die, welche
jetzt in der Form von Erklärungen vorausgehen. Auf die Frage, wie
Euripides dazu kam, den λειμὼν Ἥρας zu erwähnen, kann ich hier nicht
näher eingehen; es mag der Hinweis auf Bethe, Theban. Heldenlieder
cap. I S. 1-28 genügen. — Aehnlich fade wie diese Lösung sind auch
die Erwiderungen auf die meisten anderen Ausstellungen; so die zu
409 6 πρὸς οὖς ῥητέον (die übliche Formel) ὅτι ἐχδοῦναι τὰς ϑυγατέρας
προσέταξεν ὃ ϑεός, ἀλλ᾽ οὐχὶ καὶ ἐπιστρατεῦσαι ταῖς Θήβαις, vgl. auch sch.
26}, 28 ο, 81 ο, 21b. Die Verteidigung sucht eben, wo mit Gelehrsam-
keit nichts zu machen war und wo auch die älteren Alexandriner nichts
bemerkt hatten, Ausflüchte; am ausführlichsten in sch. 24 (S. 250, 23).
Das ist typisch für die späteren, nachdidymeischen Scholiasten.
114) So interpretierte auch der Verteidiger; das zeigt seine Ant-
wort: φασὶν ὅτι Πέλοῳφ Χρυσίππου ἁρπαγέντος κατηράσατο μέχρι παίδων
εἶναι τὸ nanöv. In der Lösung hat sich ein Rest alter Gelehrsamkeit
erhalten, was im folgenden Satz noch deutlicher hervortritt: τινὲς δέ
φᾶσιν ὅτι Adiog ἀνῃρέϑη ὑπὸ Οἰδίποδος, ὅτι ἀμφότεροι Hpwv Χρυσίππου : Also
war auch er nicht ohne Schuld.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 129
Soweit berücksichtigen die einschlägigen Scholien die Vor-
stellungen von den Göttern; doch seien hier noch einige an-
dere angefügt, die ebenfalls aus dem Mythos übernommene
Züge der Charakterzeichnung als unwahrscheinlich
(vgl. S. 45—48) rügen. So zeigt ein Vergleich von sch. 47
(R.) ἀνοήτως, φασὶν, ἐπὶ τὸν τῆς ἀδελφῆς γάμον τὸν τυχόντα
χαλεῖ 115) mit sch. 405 eine evidente Aehnlichkeit im Geist und
z. T. auch im Ausdruck. Dieser Bemerkung wiederum ent-
spricht in ihrer Art sch. Ph. 26b χαὲ ϑηριώδης φασὶ nal ἀνό -
nos (war Laios) (παρόσον) ἀνελεῖν μὲν οὐχ ἤϑελε τὸ βρέφος,
οὕτως δὲ χαλεπῶς ἐλωβήσατο, sch. 28ς (R.) ἀπίϑανον τὸ τοὺς
βουχόλους βρέφος ἀνελέσϑαι καὶ οὕτως λελωβημένον; dasselbe
für die Königin, sch. 951 (R.): εὔηϑες δὲ φασίν, εἰ λελωβημέ-
γον ὑπεβάλετο παιδίον ὅπου γε ἐχτίϑεμεν nal τὰ ἐξ ἡμῶν πεπη-
ρωμένα 116), endlich 21 Ὁ πῶς προεγνωχυῖα ἣ γυνὴ τὸν χρησμὸν
οὐχ ἀπέτρεψε τῆς μίξεως τὸν Λάιον; Solche Bemerkungen kön-
nen nur von einem Mann stammen, dem das Tadeln um je-
den Preis Freude macht; also haben wir auch hier über-
all den ἐνστατικός.
Doch nun zurück zu den sonstigen Bemerkungen über
Religion und Kultus.
Recht interessant sind da die Scholien zu Ph. 4. Im sch.
4c (5. 246, 6—21) hatten die Alten (vgl. Roemer Philol.
S. 25) ausgeführt, daß die Worte der lokaste:
Ἥλιε.... ὡς δυστυχῆ Θήβαισι τῇ τόϑ᾽ ἡμέρᾳ
115) Auch hier gibt sich die Verteidigung, ganz unnötig, aber eben
darum bezeichnend, einen gelehrten Anstrich: ἀγνοοῦσι δὲ ὅτι ἢ
χατεπείγουσα συμφορὰ χαὶ παρὰ τὸ πρέπον (also doch!) τι πράττειν προ-
τρέπεται. ἔπειτα χαὶ ἄριστόν τινα ᾧετο τὸν ἐγχειρήσοντα τῷ ἀγῶνι. κατὰ
γὰρ Πίνδαρον Ὃὃ μέγας χίνδυνος ἄναλχιν οὐ φῶτα λαμβάνει᾽; schon des-
halb dürfen wir auch den Tadel nicht allzu spät ansetzen. Genügt aber
hätte der Hinweis darauf, daß, wer die Märchenstimmung nicht ver-
steht, sich das Beste raubt.
116) Zu verbinden ist, falls nicht Verderbnis vorliegt, ὅπου πεπηρ.
ἔχτιϑ.. κ᾿ τ᾿ ἐξ ἡμῶν, sodaß der Kritiker meinte, so habe ja jedermann
merken müssen, daß er ein Findelkind vor sich habe. Daß dies der
Sinn der Kritik war, zeigt besonders deutlich die Verteidigung des
sch. 31c, die aus der Not eine Tugend macht: (Sie nahm das Kind
an) ἵνα καὶ πίστιν μείζονα ἐνδείξηται, ὅτι οὗτος ἐμός ἐστιν ὁ παῖς, ὅτι ἰδοὺ
καὶ λελωβημένον αὐτὸν ἔχω οὐκ ἂν γὰρ ξένον (ἀνειλόμην οὐκ ἄσινῆ ὄντα.
Philologus, Supplementband ΧΙ, erstes Heft. 9
130 Wilheim Elsperger,
ἀχτῖν᾽ ἐφῆχας, Κάδμος ἡνίκ᾽ ἦλϑε γῆν ...
zu schwarz malen. Tadel war aber nicht beabsichtigt, wie
die treffliche Bemerkung zeigt: τὰ τοιαῦτα δὲ οὐ πρὸς τὸ ἅλη-
ϑές, ἀλλ᾽ ὡς οἱ λέγοντες πάϑους ἔχουσιν. Aber was machten
die späteren daraus: ἀσεβεῖ, φασί, τῆν ἀχτῖνα τοῦ Ἡλίου
δυστυχῆ χαλῶν (sch. 4a), und daß damit wirklich der Vor-
wurf der Gottlosigkeit gegen den Dichter (καλῶν masc.)
erhoben sein sollte, zeigt die Verteidigung: πῶς δὲ ἀσεβεῖ,
ὁπότε χαὶ Ἡσίοδος (opp. 769 f.) ἀποφαίνει τινὰς τῶν ἡμερῶν
πονηράς. Auch hier also prunkt die Verteidigung mit einem
Zitat (vgl. sch. 47 Anm. 115), nur schade, daß es ebenfalls un-
passend ist, denn die Hesiodstelle und unsere Verse passen
nicht zusammen. Sollte auch diese Ausstellung auf den En-
statiker zurückgehen, so würde sie lehren, wie er alte An-
merkungen in peius umgeschmiedet hat.
Vielleicht liegt auch dem sch. Ph. 1060 Tadel zu grunde;
jedenfalls paßte es nicht zu der üblichen Auffassung von der
jungfräulichen Athene, wenn man sich an sie mit der Bitte
wandte (v. 1060£.) γενοίμεϑ' ὧδε ματέρες, γενοίμεϑ' eÜTExvor
und deshalb wohl bemerkt der Scholiast sein ὡς παρϑένοι δὲ
παρϑένῳ ϑεῷ εὔχονται, ταύτην τέως εἰδυῖαι ϑεόν, wo besonders
die letzten gekünstelten Worte nach Verteidigung aussehen.
Fußen diese Bemerkungen noch auf Anschauungen, die
einigermaßen den gemein-griechischen religiösen Begriffen ent-
sprechen, so kommen wir mit den folgenden Bemerkungen in
das Gebiet der reinen Philosophie. Da ist wiederum vom
Glauben an gerechte Götter bedingt der Zweifel schol.
Hip. 14: καὶ τί, φασίν, ἐλύπει αὐτὴν (Aphrodite) τὸ τῆς φιλο-
σοφίας ; (gemeint ist die Keuschheit des Hippolytos) χαὶ λεχτέον
ὅτι ὡς αὐτὴν ἀτιμάζων ἐδόκει αὐτῆς [νὴ ποιεῖν τὰ τερπνὰ ἀγνοῶν
ὅτι χαὶ σωφροσύνης ἔρωτας αὐτὴ ἀποστέλλει. Die Lösung trifft, weil
ebenso überphilosophisch wie die Kritik, natürlich nicht den
Sinn des Dichters, der, für altgläubige Griechen wenigstens,
mit v. 13 λέγει χαχίστην δαιμόνων πεφυχέναι den Zorn der
Aphrodite hinreichend motiviert hat, und es auch nicht ver-
säumt des Hipp. ungehöriges Benehmen dem Zuschauer direkt
vorzuführen (v. 98—120). Entsprechend ist bemerkt zu
Hip. 47 £.: ἣ δ᾽ εὐχλεὴς μέν, ἀλλ᾽ ὅμως ἀπόλλυται Φαίδρα :
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 131
τὸ δὲ αἴτιον ὅτι πάσαις ταῖς ἀφ᾽ ἩἭλίου 117) γενομέναις ἐμήνιεν
᾿Αφροδίτη;, διὰ τὴν μηνυϑεῖσαν ὑφ᾽ Ἡλίου μοιχείαν... Gerade
diese Angabe, daß Aphrodite den Nachkommen des Helios im
allgemeinen zürne, zeigt, daß der Scholiast dies schrieb, um
die Gerechtigkeit der Göttin, die nach des Dichters Darstel-
lung zweifelhaft blieb, festzuhalten. Der Dichter deutet näm-
lich v. 46—50 selbst an, daß er den Tod der Phädra nicht
für gerecht hält. Nachdem so die Lösung gegeben, fährt der
Scholiast fort: eixötws (auch dies Wort führt darauf, daß ur- .
sprünglich Kritik dastand) δὲ ἣ ᾿Αφροδίτη τὴν rap’ ἀμφοῖν
εἰσπράττεται τιμωρίαν, παρὰ μὲν Φαίδρας, ὅτι ἀφ᾽ Ἡλίου rap’
ἹἹππολύτου δέ, ὅτι οὐχ εἶχε τὰ περὶ αὐτὴν ἐν τιμῇ ἀπαξιῶν τὴν
πρὸς τὰς γυναῖχας ὁμιλίαν. Letztere Bemerkung ist so ziemlich
im Sinn des Dichters, nur tut Hippolytos v. 98--- 120 und später
noch mehr. Angriff und Verteidigung an beiden Stellen des
Hippolytos, wie auch an den im Folgenden zu besprechenden,
gehört wohl denselben Männern, über deren Zeit sich mit Si-
cherheit sagen läßt, daß sie nachalexandrinisch sind. Vielleicht
sind es Zeitgenossen des Porphyrios, der ja den Homer philo-
sophisch behandelte. Platonischen Einfluß erkennen wir in
diesem Kommentar vielfach, besonders deutlich z. B. in dem
eben besprochenen schol. 14. Auch das legt es nahe an Neu-
platoniker zu denken.
Zum Schluß sei noch kurz auf sch. Tr. 16 hingewiesen:
πεφόνευται δὲ 6 Ilpiapnos ὑπὸ Νεοπτολέμου διχαίως, ἐπειδὴ
χαὶ τὸν πατέρα αὐτοῦ ᾿Αχιλλέα ἐλϑόντα ἐπὶ τὸν γάμον τῆς 11ο-
λυξένης οἱ περὶ ᾿Αλέξανδρον ἐν τῷ τοῦ Θυμβραίου ᾿Α πόλ-
λωνος ἱερῷ... ἀνεῖλον. Darin scheint Widerspruch erhoben
gegen die Auffassung vom Tod des Priamus, die der Dichter
dem (erzürnten) Poseidon in den Mund legt: πρὸς δὲ χρη πί-
wmv βάϑροις πέπτωχε [Πρίαμος Ζηνὸς ἑρχείου ϑανών.
Denn auch das belastende Moment, das in xpyr. βαϑρ. Z. Epx.
liegt, findet im schol. in ἐν τ. τοῦ Θυμβρ. ᾿Απολλ. ἱερῷ sein
Gegenstück. Demnach wäre hier der Euripideische Poseidon
als ungerecht getadelt.
117) Nach der üblichen Tradition 2. B. bei Apollod. III, 1, 2,4 (Bekk.)
ist Pasiphae, Phädras Mutter, des Helios und der Perseis (oder auch
einer anderen) Tochter.
9%
182 Wilhelm Elsperger,
Praktische Philosophie und Moral.
Nicht verargen werden wir den Spott des Komikers über
die Sentenz μεταβολὴ πάντων γλυχύ (Or. 234), von dem das
Scholion berichtet. Doch lesen wir eine ganze heihe von Aus-
stellungen, die nicht in heiterer Laune, sondern in vollem Ernst
geschrieben sind.
Wieder beginnen wir mit den Phönissen; es handelt sich
vor allem um sch. 402 zu den Worten τὰ φίλων δ᾽ οὐδέν, ἤν
τι δυστυχῇς: πῶς δὲ ταῦτά φησιν, ὅπου γε ὑπὸ τῶν φίλων εἰς
τὴν πατρίδα χατάγεται; und sch. 405 zu den Worten: lok:
οὐδ᾽ ηὐγένεια σ᾽ ἦρεν ἐς ὕψος μέγαν; Pol.: ... τὸ γένος οὖχ
ἔβοσχέ με: ἐψεύσατο᾽ πρῶτον γὰρ διὰ τὸν χρησμὸν ὁμολογου-
μένως ὁ "Aöpaotog, ἔπειτα δὲ χαὶ διὰ τὸ γένος συνῴκισεν αὐὖ-
τῷ τὴν ϑυγατέρα ᾿Αργείαν. οὔκ ἂν γὰρ οὐδὲ 6 ᾿Απόλλων τὸν
τυχόντα ἔλεγεν ἑλέσϑαι. Hier können wir auch die mutmaßliche
Quelle des Tadels nachweisen. Denn bei Plutarch, exil. 606 E
(Bernad. III, 570, 20) lesen wir den Tadel wieder, und zwar gegen
beide Stellen zusammen: ταῦτα ἤδη χαὶ ἀχάριστα τοῦ Πολυνείκους
ἀτιμίαν μὲν εὐγενείας (v. 404/05), ἀφιλίαν δὲ (ν. 403) τῆς φυγῆς
χατηγοροῦντος, ὃς διὰ τὴν εὐγένειαν ἠξιώϑη μὲν φυγὰς ὧν γάμων
βασιλικῶν (cf. schol. 405), φίλων δὲ (schol. 402) συμμαχίᾳ χαὶ
δυνάμει τοσαύτῃ πεφραγμένος ἐστράτευσε χτλ. Aus Plutarch
direkt hat der Scholiast nicht geschöpft, denn schol. 405 ist
zurückhaltender als er; und noch unwahrscheinlicher ist es, daß
Plutarch durch den Scholiasten angeregt wurde. Der Scholiast
ist nämlich wohl derselbe, der auch die Bemerkungen wie
schol. 409 verschuldete (vgl. S. 128). Solchen Tadel hätte sich
aber ein Plutarch oder Musonius (s. u.) doch nicht erlaubt. Der
Tadel Plutarchs und des Scholiasten stammt also aus derselben
Quelle, und da wir Tadel derselben Partie auch von Mu-
sonius Rufus!) haben, einem Stoiker 115), der nicht viel
vor Plutarch lebte, dürfen wir wohl annehmen, daß, ebenso
118) Daß von ihm Tadel nur zu v. 391 erhalten ist, ist wohl nur
Zufall derepitomierenden Ueberlieferung (bei Stobäus floril. 40,9 ; Wachs-
muth-Hense III, S. 753 ff.).
119) Es ist dies bekanntlich nicht die einzige Stelle, wo Plutarch
in seinen moralischen Schriften etwas von der Stoa übernommen hat;
ein weiteres Beispiel bietet noch Wilamowitz, Herm. 29, S. 153 £.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen HKuripides. 133
wie die Frage ob die Verbannung ein Uebel sei in den stoi-
schen Philosophenschulen öfters besprochen wurde, so auch
der Tadel gegen den Dichter öfters ausgesprochen worden sein
mag 1). Was nun den Inhalt des Tadels betrifft, so gibt
für die erste Beanstandung schol. 402 die richtige Lösung:
ἢ τάχα πρὸ τοῦ γάμου δυστυχῶν ὑπὸ τῶν φίλων ἠμελεῖτο: γή-
μας δὲ χαὶ τῆς δυστυχίας ἀπαλλαγείς, τότε πάλιν φίλους
ἔσχε. πρὸ τοῦ τοίνυν ἐντυχεῖν τῷ ᾿Αδράστῳ ταῦτα παϑεῖν φησιν.
Arbeitet auch hier«der Verteidiger mit Alexandrinischem Gut
(πρὸ τοῦ γάμου — φίλους Eoye)? jedenfalls findet seine Er-
klärung eine Stütze an den Worten des Dichters φίλοι δὲ
πατρὸς xal ξένοι (0° οὐκ ὥφελον :) Und selbst wenn dem nicht
so wäre, müßte man dem erzürnten Polyneikos zugeben χαϑόλου
μὴ ὄντος χαϑόλου εἰπεῖν (Arist. rhet. 1995 ἃ 7). Der Tadel
an der anderen Stelle nimmt mit seinem χαὲ διὰ τὸ γένος συν-
ᾧχισεν αὐτῷ τὴν ϑυγατέρα zu wenig Rücksicht auf die Ver-
hältnisse des heroischen Zeitalterss und wird dadurch platt.
Nach der Anschauung des Dichters ist das πρῶτον γὰρ διὰ τὸν
χρησμὸν ὁμολογουμένως (schol. 405) das allein maßgebende,
weil das andere selbstverständliche Voraussetzung ist.
Auch in das schol. Ph. 393 scheint die Kritik, die wir
bei Plutarch a. a. Ὁ. 606 A wieder finden, ihre Wellen ge-
schlagen zu haben. Die Worte: τοῦτο δὲ ὡς ᾿Αϑηηναῖος ὧν 6
ποιητὴς eine: χἂν μὴ φυγὰς γὰρ ein [%?] τις, ὅμως φέρει τὰς
ἀμαϑίας τῶν χρατούντων, χἂν μὴ ϑέλῃ lesen sich wie ein Stoß-
seufzer eines römischen Stoikers der ersten Kaiserzeit: Ein
Athener konnte sagen, daß nur ein Verbannter die Torheit
der Machthaber tragen muß; für die Gegenwart stimmt das
nicht mehr. Dagegen scheinen diejenigen, die schrieben τὰς
τῶν πολιτῶν χρατοῦσι γὰρ οἱ πολῖται (erster Teil unseres Scho-
lions) in dem Vers ein Schlagwort gegen die Demokratie ge-
sehen zu haben.
120) Ob die übrigen Ausstellungen, welche Plutarch in seiner Schrift
περὶ φυγῆς (Mor. 605 E—606 F, Bern. IH, 568 ff.) macht, sich niemals
in den Scholien gefunden haben, oder daraus nur wieder z. T. ver-
schwunden sind, wage ich nicht zu entscheiden. Doch scheint mir
ersteres bei der gegenseitigen Unabhängigkeit von Scholiast und Phi-
losoph wahrscheinlicher.
194 Wilhelm Elsperger,
Hier 15 möchte ich auch anführen die Bemerkungen zu
Hip. v. 618—24, besonders zu dem Gedanken, daß man die
Kinder gegen Weihgeschenke, entsprechend dem Werte (τίμημα
τῆς ἀξίας) derselben, sollte erhalten können. Während schol.
620 (.. ἀτόπως δὲ ταῦτα" ol γὰρ πένητες οὐκ ἂν ἐχτήσαντο παῖ-
δας) die praktischen Unzuträglichkeiten dieses Gedankens rügt,
sucht sch. 623 die ärgste Ungerechtigkeit, die Hippolytos aus-
spricht, zu beseitigen mit den Worten: ἄμεινον τὴν ἀξίαν ἐπὶ
τῆς φύσεως Axoberv.... τινὲς δὲ ἐπὶ τῆς ἀξίας Tod ἀναϑήματος..
βέλτιον δὲ τὸ πρῶτον, οἷον ἐάν τις ἦ ἀγαϑός..... ‚Ivo χαὶ
τοῦ υἱοῦ ἀξίου τῶν (ἑαυτοῦ) ἔργων χαὶ ὁμοίου μεταλάβοι, al
πάλιν τοὐναντίον... Da die Erklärung sinnwidrig ist, liegt
die Vermutung nahe, daß der Scholiast selbst Anstoß nahm
oder Tadel vorfand.
Deutlicher verrät das Bedenken zu Hip. 919 f. (ἕν δ᾽ οὐχ
3
ἐπίστασϑ᾽ [ὦ ἄνθρωποι] . . . φρονεῖν διδάσχειν οἷσιν οὐχ ἔνεστι
3
νοῦς: schol. 920: περιτταὶ οὖν, φασίν, αἱ παραινέσεις χαὶ συμ-
N
βουλίαι τῶν ποιητῶν, οὐχὶ τὰ δέοντα φρονεῖν διδάσχουσαι τοὺς
ἀνθρώπους: λέγομεν δὲ ὅτι τῇ προσϑήκῃ τὴν ἀπορίαν ἔλυσεν
ἱπῶν “οἷσιν οὐκ ἔνεστι νοῦς) den Kritiker, der von der Sokra-
tisch-Platonischen Philosophie und der Ansicht von der Lehr-
barkeit der Tugend nicht unberührt geblieben ist. Das schol.
Med. 296... τοῦτο (χρὴ δ᾽ οὔποϑ' ὅστις ἀρτίφρων πέφυχ᾽ ἀνὴρ
παῖδας περισσῶς ἐχδιδάσχεσϑιαι σοφοὺς) δὲ οὐ δογματίζων ὃ ποι-
ἡτὴς λέγει, ἀλλ᾽ ἁρμοζόμενος πρὸς τὸ ὑφεστηχὸς ἦϑος, ἐπεὶ δο-
χεῖ ἡ Μήδεια σοφίας ἔχουσα δόξαν βλάπτεσϑαι könnte zwar ein-
fache Erklärung sein; doch zeigt das οὐ δογματίζων, daß der
Verfasser mindestens fürchtete, man könne die betreffenden
Verse als δόγματα, ἃ. h. als persönliche Ansicht des Dichters
auffassen ; möglicher Weise lagen ihm auch derartige Aeuße-
151) Dagegen soll, glaube ich, die Bemerkung schol. Hip. 645 τοῦτο
(v. 645—9) δὲ μάλιστα πρὸς τὸ παράφορον (in einer Weise, daß es sich
dem Verrückten nähert) εἴρηκεν eher dem Hippolytos als dem Dichter
selbts gelten, sodaß kein Tadel vorliegt, der ja auch ganz verkehrt
wäre. Ebensowenig glaube ich aus schol. Med. 77 Ὅμηρος ἐπὶ τῆς
γυναικὸς ἔλαβεν [folgt v. ο 21] auf Tadel schließen zu dürfen; der
Scholiast meint nur, der Vers παλαιὰ χαινῶν λείπεται χηδευμάτων, κοὐχ
ἔστ᾽ ἐχεῖνος τοῖσδε δώμασι φίλος entspreche einer Wahrheit, die nicht
nur die Verhältnisse der Männer, sondern auch der Frauen angehe,
was die Homerstelle beweisen soll. Hätte er Homer gegen Euripides
ausspielen wollen, so hätte er geschrieben: τοὐναντίον Ὅμηρος.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 135
rungen vor. In bildungsfeindlicher Absicht sind natürlich Vers
294 f. nicht gemeint, aber sie dienen als Einleitung zu den
Versen, in denen das Treiben der Bildungsfeinde zur Zeit des
Euripides geschildert wird. Tadel wegen des φιλοσοφεῖν, der
uns (vgl. Roemer, Abh. XXII 16 f£.) berechtigt scheinen würde,
liegt demnach nicht vor.
Was endlich die Moral im engeren Sinn betrifft, so
sind wir in der glücklichen Lage, die Scholien an dem Maß-
stabe des Aristoteles poet. 146l1a 5 prüfen zu können; dieser
stellt nämlich für das Urteil der Gebildeten folgende Regel
auf: περὶ δὲ τοῦ χαλῶς N) μὴ χαλῶς ἣ εἴρηταί τινι ἢ πέπραχται
οὗ μόνον σχεπτέον ἐς αὐτὸ τὸ πεπραγμένον ἣ εἰρημένον βλέποντα,
εἰ σπουδαῖον 7) φαῦλον, ἀλλὰ χαὶ εἰς τὸν πράττοντα ἣ λέγοντα,
πρὸς ὃν ἢ ὅτε 1) ὅτῳ 7) οὗ ἕνεχα χτλ. In diesem Sinn blieben
auch die Ausführungen des Hippolytos v. 645 (vgl. Anm. 121)
ungetadelt, weil sie nicht die Anschauungen des Dichters wie-
dergeben.
Ganz im Sinne des Aristoteles ist die Schlußbemerkung
des schol. Hip. 612, das sich mit dem Vers ἣ γλῶσσ᾽ ὀμώμοχ᾽,
ἣ δὲ φρὴν ἀνώμοτος beschäftigt: ἄλλως «δὲ φαίνεται διὰ τῶν
ἑξῆς τὸ εὐσεβὲς αὐτοῦ φυλάττων φησὶ γὰρ [6517] εἰ μὴ γὰρ ὅρ-
χοις ϑεῶν ἄφραχτος ηὑρέϑην᾽, ὥστε μηδὲ δόχησιν αὐτῷ ἐπιορχίας
προσάπτειν. Vorher gibt das sch. die richtige Erklärung der
Worte und legt dar, daß sie, im Gegensatz zu der Auffassung
des Komikers Aristophanes (Ran. 101 f., 1471; Thesm. 275 £.)
nicht χαϑολιχῶς aufzufassen sind. Dem Aristophanes tut er
allerdings mit seinem χαϑολιχώτερον νοήσας Unrecht. Dieser
wollte den Dichter falsch verstehen. Wie weit er in seiner
Polemik berechtigt war, zeigt Roemer Abh. XXII S. 78 (Ab-
satz 1 mit Anm. 1): Eine Verführung des Volkes war aller-
dings zu fürchten.
Einen von dem sonst in den Hippolytosscholien üblichen
Ton des Räsonnements !??) abweichenden Charakter trägt sch.
Hip. 385a. Es fällt mit seinen kurzen Sätzen, direkten Fra-
gen und Antworten ebenso aus der Art der übrigen Scholien,
wie durch seine äußere Form:
222) ygl. z. B. das unten ausgeschriebene sch. 385 b.
190 Wilhelm Elsperger,
τί φής, Εὐριπίδη, κακὴ ἡἣ αἰδώς;
γαί φησιν ἔσϑ' ὅτε χαχή. δισσαὶ γάρ εἰσιν αἰδοῖ.
εἰ δὲ ἤδειμεν εὐκαίρως αἰδεῖσθαι οὐκ ἂν δύο
ἦσαν Evi ὀνόματι χαλούμεναι....
ἴσως δὲ τὸ Ὁμηρικὸν ἀνέγνω Εὐριπίδης" [ὦ 45]
“ἢ T ἄνδρας μέγα σίνεται, ἣ δ᾽ ὀνίνησιν᾽.
Wie man sieht, handelt es sich um eine byzantinische Spiele-
rei, die das ältere Scholion 385b in politische Verse 135) um-
setzte: ἐπεί φησιν Ὅμηρος μίαν μὲν εἶναι τὴν αἰδῶ, δισσὴν δὲ
δύναμιν ἔχειν [folgt 2 45], τὴν διαφωνίαν ἰώμενός φησιν ὅτι τῆς
αἰδοῦς ἣ διπλῆ διάνοια παρὰ τὴν ἡμετέραν γίγνεται ἄγνοιαν.
ἡμεῖς γὰρ οὐ χατὰ καιρὸν αὐτῇ χρώμενοι διπλῆν ἡγούμεϑα τὴν
μίαν. ἔδει γὰρ τὴν εὐκαίρως γινομένην μόνην ὀνομάζειν αἰδῷ.
Anzuschließen sind hier einige Theateranekdoten.
Da lesen wir zu Orest. 554 ἄνευ δὲ πατρὸς τέχνον οὐχ «εἴη ποτ᾽
ἄν im sch.: λέγεταί τις αὐτοῦ εἰπόντος τοῦτο εἰρηκέναι: ἄνευ δὲ
μητρός; |so zu interpungieren!] ὦ χάϑαρμ᾽ Εὐριπίδη. Nach
derartigen Versen mag auch die Frage, die die byzantinischen
Verse einleitet, gebildet sein. Wir haben hier eine Anekdote
der Art wie die bei Plutarch, audiend. poet. 12 p. 33° und
Stobaeus Flor. 5, 82. Mein. (= III, 5, 36 p. 266 Wachsmuth-
Hense) über Antisthenes bez. Plato erzählte (vgl. Roemer Abh.
XIX 8. 76f.). Allerdings verzichtet sie auf die Nennung eines
bestimmten Namens, möglicherweise weil dieser von einem
Redaktor gestrichen wurde; vielleicht aber liegt ein Nieder-
schlag des Urteils vor, das einzelne ängstliche Gemüter (vgl.
Kephisodor b. Athen. 122B) in Athen schon zur Zeit des Eu-
ripides und auch später noch gehabt haben mögen. So ist
die Geschichte, wenn auch kaum wahr, so doch glaubhaft. er-
funden.
Dagegen gehört zu den unwahrscheinlichen Anekdoten
(vgl. Sen. epist. 115, 14; Plutarch. amat. 13, 4 p. 756°) die
im sch. Med. 1346 berichtete: δοχεῖ τὸν στίχον τοῦτον εἰπὼν
123) Auf das Auftreten der στίχοι πολιτικοί an dieser Stelle — ein
weiteres Beispiel habe ich in den Scholien der codd. MAB nicht finden
können; doch sind solche Verse bei Tzetzes und anderen Byzantinern
nichts Seltenes — hat mich Herr Geheimrat Crusius aufmerksam ge-
macht.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 137
Εὐριπίδης ἐχβεβλῆσϑαι. Daß der Scholiast sich den Dichter
se!bst auftretend dachte, brauchen wir aus dem εἰπὼν hier
ebenso wenig zu schließen, wie aus dem εἰπόντος des schol.
Or. 554. Der Dichter spricht ja durch den Mund seiner πρό-
σωπα und der Schauspieler; ἐχβάλλειν bez. sein Passiv Exrir-
τειν ist vom Dichter gebraucht z. B. Arist. poet. 1456a 18.
Indessen, weswegen soll sich denn das Volk über den Vers
ἔρρ΄, αἰσχροποιὲ χαὶ τέχνων μιαιφόνε (den Iason zu Medea spricht)
entrüstet haben? Das einzige Anstößige sind die Schimpf-
wörter; doch über die wird sich das Volk kaum aufgeregt
haben; im Gegenteil (vgl. Roemer a. a. Ὁ. S. 77 £.). Einzelne
aber haben dies getan, das wird durch die bei Athenaeus (Kaib.
III p. 283) p. 582C erzählte Anekdote bewiesen. Dafß man in-
des den Euripides selbst αἰσχροποιός nannte, ist nur eine (geist-
reiche und an sich nicht unmögliche) Vermutung Weils (Sept
traged. p. 193), die durch die zitierte Anekdote nicht bestätigt
wird. Wir haben in dieser von Machon (dem alexandrinischen
Komiker und Lehrer des Aristophanes) versifizierten Hetären-
anekdote dasselbe Spielen mit einzelnen Versen, wie wir es
bei dem Komiker Aristophanes (z. B. Eq. 15—18, Ran. 1471)
oft beobachten können. Vielleicht war übrigens auf das Ent-
stehen der Anekdote der Umstand von Einfluß, daß Euripides
nach der Hypothesis (S. 139, 4) mit seinen vier Stücken nur
den dritten Preis bekam; aber dieses Durchfallen, noch dazu
gegen Euphorion (Aeschylos?) und Sophokles wird andere als
so kleinliche Gründe gehabt haben.
In das Gebiet grauester Theorie zurück kommen wir
mit schol. Or. 10b τὴν γλωσσαλγίαν φησὶν αἰσχίστην νόσον
ὅτι πορνεία μὲν χαὶ γαστριμαργία χαὶ τὰ λοιπὰ πάϑη σὺν τῇ
βλάβῃ ἔχουσί τι χαὶ τερπνόν, ἣ δὲ γλωσσαλγία xal τούτου ἐστέ-
ρηται (darüber läßt sich doch wohl streiten!), χαὶ ὅτι τὰ μὲν
ἄλλα πάϑη τὸν χρώμενον βλάπτει, αὕτη δὲ nal κατὰ τοῦ ϑείου
ὁπλίζεται (dieser Grund ist für den Fall des Tantalos konstru-
iert, im Fall des Ixion ließe sich dasselbe für die πορνεία
sagen). Man sieht, die Gründe sind Ausflüchte; so ist es
wahrscheinlich, daß unser Scholion sich gegen einen Mann
wendet, der die πορνεία oder γαστριμαργία und andere Laster
für schändlicher erklärt hatte als die ἀχόλαστος γλῶσσα (v. 10),
138 Wilhelm Elsperger,
die Euripides die αἰσχίστη νόσος nennt. Ueberhaupt läßt sich
schon das Vorhandensein dieses Scholions sonst kaum erklären.
In dem Verteidiger jedenfalls erkennen wir einen Spätling.
Theoretische Philosophie.
Zu den Worten des Chors (Hec. 847 ff.):
χαὶ τὰς ἀνάγχας ol νόμοι διῴρισαν
(φίλους τιϑέντες τούς γε πολεμιωτάτους
ἐχϑρούς τε τοὺς πρὶν εὐμενεῖς ποιούμενοι) lesen wir sch.
Hec. 847ς ὃ δὲ Δίδυμος οὕτως: μᾶλλον ὥφειλεν εἰπεῖν ὅτι
τοὺς νόμους αἱ ἀνάγκαι διορίζουσιν al γὰρ ἀνάγχαι χαὶ τῶν νό-
μὼν ἐπιχρατέστεραι, οὐχ οἱ νόμοι τῶν ἀναγχῶν. Einen Ver-
such, die Worte des Dichters zu verstehen, scheint er
nicht gemacht zu haben, sowenig wie seine Nachtreter, von
denen einer — oder stammt die Argumentation wenigstens dem
Gedanken nach auch von Didymus? — im schol. 847b auch
Gründe anführen wollte: διότι οἱ νόμοι τὰ ἑχούσια τιμωροῦνται,
οὐχὶ τὰ ἐξ ἀνάγχης δρώμενα, und die praktische Anwendung
für den statuierten Gedanken gab: ὡς χαὶ νῦν ἣ γραῦς ἐξ
ἀνάγχης φίλον ποιεῖται τὸν πολέμιον. Didymus hat hier vor
allem die Bedeutung von ἀνάγχη und ἀνάγχαι verwechselt. Die
ἀνάγχαι (vgl. dazu Pflugsk-Klotz, Gotha-Leipzig 1877) sind 152),
das zeigt der Plural, eine Art von Notwendigkeit, wie sie aus
den relativen Verhältnissen entsteht, also mit diesen wechselt.
Weil also die ἀνάγχαι etwas Relatives sind, sind sie von etwas
anderem abhängig und nur dem Menschen gegenüber zwingend.
Als das, wovon die ἀνάγχαι abhängen, hat der Dichter die
νόμοι bezeichnet; diese müssen also etwas möglichst Absolutes
sein. Das Absoluteste nun sind für den Alten die νόμοι ἄγρα-
por und an solche ist hier, wie Hermann zu v. 826 bemerkt,
zu denken. Zu diesen gehört z. B. die Pflicht die Feinde des
Vaterlandes zu hassen, oder die Pflicht Blutrache zu üben.
Bisher stand für Hekabes Verhältnis zu Agamemnon der erste
γόμος im Vordergrund, und sie mußte ihn somit hassen, jetzt
tritt der zweite hervor, und demnach ist sie gezwungen (v. 750
τολμᾶν ἀνάγκη) sich mit ihm ins Benehmen zu setzen, wenn
1534) Bine Widerlegung der gegenteiligen Ansichten, bes. der Weils
(Sept. trag. p. 271), mag hier als zu weitläufig unterbleiben.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 139
es ihr auch Ueberwindung kostet (vgl. v. 736—51).
Steht diese Kritik noch auf dem Boden einer antiken
Auffassung (hinsichtlich der ἀνάγχη), so gilt dies für schol.
Hec. 801b kaum mehr. Der Dichter schreibt v. 800 f.: νόμῳ
γὰρ τοὺς ϑεοὺς ἡγούμεϑα χαὶ ζῶμεν ἄδικα χαὶ δίκαι᾽ ὡρισμένοι.
Dazu das schol.: χαὶ ζῶμεν ἄδικα (diese Worte sind als Vers-
anfang ins Lemma gesetzt; gemeint ist der ganze Vers): x«-
χοσυνϑέτως εἶπεν. ἔδει γὰρ οὕτως εἰπεῖν: χαὶ τὰ δίκαια Öpto-
ϑέντες παρὰ τοῦ ϑεοῦ τηρεῖν ἐν τοῖς πράγμασιν ἀδίκως ζῶμεν ...
Der Kritiker nahm, wie seine Ausführung zeigt, an dem zweiten
χαὶ Anstoß, nicht an dem ersten, das im Lemma steht. Wenn
man nämlich das zweite χαὶ tilgt und ἄδικα adverbiell faßt,
kommt der von dem Kritiker geforderte Sinn heraus; der ist
aber, wozu auch das τοῦ ϑεοῦ (statt τ. Yeods v. 800) beiträgt,
christlich gefärbt. Einen solchen Gedanken zu gewinnen war
dem Kritiker die Hauptsache; die Frage, ob der von ihm po-
stulierte Gedanke in den Zusammenhang passe, hat er sich
gar nicht vorgelegt. Das Scholion dürfen wir wohl bestimmt
als byzantinisch bezeichnen.
2. Mangelhafte Kenntnisse.
Naturwissenschaft.
Hieher würde sch. Or. 479 gehören, wenn dort Tadel aus-
gedrückt wäre. Doch schreibt der Scholiast sein εἶδος ἀντὲ
εἴδους wohl nur, um seine Weisheit anzubringen, ebenso wie
der Autor des sch. 524, der die Sache gar symbolisch auffaßt.
Euripides hat natürlich an Derartiges nicht gedacht.
Von Kritik gegen die rein physische Möglichkeit der
Artemiswiese dagegen gingen wohl die Urheber des διαβεβοη-
μένον ζήτημα aus, über das uns bei Schwartz 65 Zeilen Scho-
lien vorliegen (S. 13, 1—15, 2; 15, 19—16, 17; auch 15, 3—13
gehört mittelbar hieher). Es befasst sich mit der Frage, ob
Hippolytos wirklich einen Kranz bringt, oder ob der Kranz
samt der Schilderung der Wiese nur allegorisch gemeint sei.
Die Begründung jedenfalls des Anstosses ist die oben postulierte:
(sch. 73a Ζ. 18 ff.): καὶ γὰρ δὴ παράλογον εἶναι καὶ πολλὴν
140 Wilhelm Elsperger,
ἀτοπίαν ἔχον τὸ δοχεῖν ἄνϑινον λειμῶνα εἶναι, ὅϑεν ἐδρέφϑ'η τὰ
ἄνϑη, καὶ τοιοῦτον, εἰς ὃν οἵ εἰσιόντες ἐξετάζονται πότερον διδακτὴν
ἔχουσι τὴν σωφροσύνην ἣ ἔχ φύσεως, χαὶ ζὑπὸ τῆς αἰδοῦς» κατ-
ἄρδεσϑιαι αὐτόν. (Dasselbe in byzantinischer Redaktion 5.16.2 ff.)
Als ernste Interpretationsschwierigkeit scheint die Sache übri-
gens erst später aufgefafßßt worden zu sein; Aristophanes wenig-
stens war sich noch völlig klar, daß Hippolytos wirklich einen
Kranz bringe: sonst würden wir in der Hypothesis, die auf ihn
zurückgeht, nicht lesen: (6) χαὶ στεφανίας προσαγορευόμενος.
Da wir hieran einen sicheren Ausgangspunkt haben, können
wir es wagen, die verschiedenen Angaben des Scholions 73a
auf ihren Ursprung hin zu prüfen. Zunächst lesen wir χαὶὲ
οἱ μὲν (der Plural wie oft) ὑπέλαβον τὸν “ImnöAurov στέφειν τὴν
Αρτεμιν ἀνθίνῳ στεφάνῳ: unter diesem οἱ ist nach dem oben
ausgeführten wohl Aristophanes verborgen (vgl. auch
Anm. 125). Dann folgt die eigenartige Deutung, daß Hippo-
lytos sich selbst meine: οἵ δὲ ἐφ᾽ ἑαυτοῦ τὸν ᾿Ιππόλυτον ταῦτα
λέγειν ὅτι ἐμαυτόν σοι ἀνατίϑημι, ὦ ϑεά, στέφανον, τουτέστι
χόσμον ἀνϑιηρότατον᾽" χόσμον γὰρ εἶναι τῇ παρϑένῳ τὸ μετὰ τοῦ
σωφρονεστάτου τῶν νέων διημερεύειν. Es fragt sich nun, ob der
philosophisch gebildete Autor dieser Bemerkung der platoni-
sierende Hippolytosscholiast oder ein Aelterer ist. Gegen die
erste Auffassung zeugt zunächst das Alleinstehen dieser Deu-
tung, während das ganz den Charakter der sonstigen philoso-
phischen Erörterungen tragende sch. 73b unter dem Kranz
ein Lied versteht. Gegen späteren Ursprung dieser Deutung
spricht auch das Folgende: ἄλλοι δὲ μηδὲν αἰνίττεσθαι
τὸν ποιητήν φασι μηδὲ ἀλληγορεῖν, ἀλλὰ κυρίως λέγειν
χαὶ τῷ ὄντι στέφανον φέρειν τὸν Ἱππόλυτον, τοῦτον δὲ ἐχ τοι-
οὗτου λειμῶνος etc. Hier kommt ein Mann zu Wort, der auf
des Aristophanes Deutung zurückgreift, aber auch schon andere
Deutungen kennt 1535), wenn er sagt μηδὲν αἰνίττεσθαι μηδὲ ἀλλη-
yopeiv; auch muß er bereits umdeuten: &% τοιούτου λειμῶνος
125) Dadurch ist die Annahme ausgeschlossen, daß hier eine Dup-
lette der ersten Bemerkung anfängt. Weder deckt sich die Auffassung
des dritten völlig mit der "des ersten, noch auch können die Umdeu-
tungen auf ein Lied und auf Hippolytos selbst als Dupletten derselben
Vorlage erscheinen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 141
χαϑ᾽ ὃν οὐκ ἔστιν ἡμῖν ὅσιον δρέπεσθαι τῶν ἀνθέων τὸ γὰρ
οὐδ᾽ ἦλϑέ πω σίδηρος εἰς τοῦτο χαταστρέφει, ὅτι οὐ δέδρεπται
ὕπό τινος οὐδὲ εἴργασται. Wer ist dieser Mann? Darauf führt
das Apollodorfragment (sch. 79 ἃ) 15), das verschiedene Gewährs-
männer über die Bekränzung der Artemis im Kultus zitiert.
Das Scholion ist wegen dieser gelehrten Nachrichten, die doch
zur Erklärung nicht nötig sind, höchst wahrscheinlich durch
Didymus vermittelt; sein Autor muß aber wirkliche Bekränzung
auch in unserem Stück angenommen haben. Dies tut ja aber
auch unser Mann, und da er überdies an Aristophanes ansetzt,
dürfen wir in ihm wohl Didymus erkennen. Somit muß auch
aus diesem Grund die vorausgehende Umdeutung als vordidy-
meisch, aber nacharistophaneisch gelten. Es foigt dann die
Nachricht von der Deutung des Kranzes auf ein Lied: ἄλλοι
δέ φασι τὸν Εὐριπίδην τροπιχὦ τερον τὸν ἐπὶ τῇ ᾿Αρτέμιδι
ὕμνον στέφανον λέγειν, woran die oben ausgeschriebene Be-
gründung geschlossen: ist. Endlich folgt eine byzantinische
Notiz: φιλοσόφως 157 δέ φησι τῷ μὲν ξοάνῳ πλεχτὸν στέφανον
προσφέρειν, τῇ δὲ ϑεῷ τὸν ὕμνον. Im schol. 73b endlich sind
die Ausführungen des philosophischen Scholiasten in ganzer
Breite erhalten !?®). Da auch er den Kranz auf ein Lied deutet,
ist wohl seine Anschauung in dem zusammenfassenden sch. 73 a
mit dem τροπικώτερον u.s. w. wiedergegeben. Wenn es nicht
aus allgemeinen Erwägungen schon feststünde, würden wir es
aus diesem Scholion mit Sicherheit lernen, dafß unser Philo-
soph nachdidymeisch ist. Ueberhaupt aber können wir hier
126) Auch das Philochoros- und Istroszitat ist wohl aus Apollodor
übernommen; vgl. S. 144f. zu sch. Hec. 467.
7) So Schwartz statt φιλόχορος unter Hinweis auf p. 14,7 τῷ μὲν
γὰρ ξοάνῳ τὸν χειροποίητον στέφανον προσφέρει, τῇ δὲ ϑεῷ τὸν ὕμνον. Dies
Scholion ist aber sicher byzantinisch. Auch machen die Worte durch-
aus den Eindruck, als ob man die zwei Auffassungen äußerlich in Ein-
klang zu bringen suchte, indem man sie neben einander stellte. Denn
an und für sich ist diese Deutung so wunderlich, daß man sie einem
selbständig denkenden Mann, zumal einem Philochoros, nicht zutrauen
darf. Auch spuckt dieser Name dem Schreiber des Scholions fortwäh-
rend im Kopf (vgl. auch 5, 13, Z. 3£.); dafür ist er an der Stelle, wo
er ursprünglich stand (sch. 73 d) verschwunden.
128) Daß diese Ausführungen nicht aus byzantinischer Zeit stammen,
wird, abgesehen von dem Gesamteindruck des sch., dadurch ersichtlich,
daß sie in den jüngeren Handschriften daneben auch byzantinisch
stilisiert erscheinen (S. 16, 1—15).
142 Wilhelm Elsperger,
wohl fünf Schichten aus den verschiedenen Perioden kommen-
tierender Tätigkeit nachweisen 15").
Geographie.
Zu der Erwähnung des Niobidengrabes bemerkt
sch. Ph. 159 (S. 271, 5— 7): ὃ ᾿Αριστόδημος [nach Müller, F.H.G.
III, 308 b unbekannter Lebenszeit] οὐδαμοῦ φησι ἐν ταῖς Θήβαις
τῶν Νιοβιδῶν εἶναι τάφον, ὅπερ dANdES, ὡς αὐτοσχεδιάζειν νῦν
ἔοικεν ὃ Εὐριπίδης. Das οὐδαμοῦ ἐν Θήβαις legt es doch nahe,
anzunehmen, daf Aristodemos Lokalkenntnis besaß, daß mithin
zu seiner Zeit das Niobidengrab noch nicht gezeigt wurde 150).
Jedenfalls beweist das Vorhandensein des Grabes bei Pausanias
9,16, 4 nichts dafür, daß es schon in alter Zeit vorhanden
war; wie wenig kritisch der Perieget ist, zeigt die Stelle 9, 17,2,
an der er auch den letzten Satz gläubig hinnimmt: ἀπέχει δὲ
ἢ πυρὰ τῶν ᾿Αμφίονος παίδων ἥμισυ σταδίου μάλιστα ἀπὸ τῶν
ταφῶν 15η: μένει δὲ ἡ τέφρα χαὶ ἐς τόδε ἔτι ἀπὸ τῆς πυρᾶς.
Wer war aber der Kritiker, der den Aristodemus zu Rate zog,
seine Angaben kontrollierte, bestätigte und auf Grund des Be-
fundes dem Dichter das αὐτοσχεδιάζειν vorwarf? Das ganze
Verfahren entspricht durchaus der Art des Didymus. Daß er
selbst an Ort und Stelle war, braucht man aber nicht zu fol-
gern. Er kann sich Belehrung erholt haben aus einer Peri-
egese, einer Quelle, die er als nicht vornehm genug (vgl. Diels-
Schubart, Einleitung zu D.’s Demostheneskommentar S. XLII)
nicht namentlich zitierte. Der Tadel zeigt wieder den Didy-
mus, der für alles ein Zeugnis haben möchte (vgl. S. 110£.); in
129) Dagegen liegt in sch. Or. 982 c (ὃ. 194,9—11) nicht Tadel
vor; die διαποροῦντες bezweifelten nur die Erklärung, wonach die
Worte χρεμαμέναν ἁλύσεσι χρυσέαισι βῶλον (oder was sonst diese Er-
klärer lasen) auf die Sonne bezogen werden sollten (vgl. sch. 982 b
S. 193, 26 f.); und auch das χαταμίγνυσι, das der Verteidiger dieser
Erklärung schrieb, ist wohl nicht tadelnd gemeint: εἰ δ᾽ ἄρα τινὲς
διαποροῦσι πῶς ἐξ ἁλύσεως παρηῤτημένος περίεισι ὁ ἥλιος, γιγνωσχέτωσαν
ὅτι τὰ φυσικὰ τοῖς μυϑιχκοῖς καταμίγνυσιν ὁ Edperiöng.
130) ν, Wilamowitz’ Vermutung (Herm. 26, S. 220): „Aristodemos
mochte um des®2 [612] willen... oder weil er, wie sehr viele, den Tod
an den Kithäron verlegte, die Tradition verwerfen“ läßt sich durch
nichts widerlegen, aber auch durch nichts begründen.
131) Daß dabei wirklich an die Gräber der Niobiden zu denken ist,
weist Crusius (Sitzungsberichte ἃ. K. bay. Akad. 1905, S. 766 Anm.)
nach,
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 143
diesem Fall, wo es sich um eine geographische Frage handelt,
hätte es natürlich ein geographisches sein müssen. Daß die
Erwähnung des Amphiongrabes aus der Thebais stamme, wie
v. Wilamowitz (Herm, 26 S. 234) zeigt, ist trotzdem sehr wahr-
scheinlich.
Schol. Ph. 208b erwähnt eine doppelte Schwierigkeit: δια-
πορεῖται πῶς λέγουσιν αἱ κατὰ τὸν χορὸν ἀπὸ Φοινίχης eis Δελ-
φοὺς πλεύσασαι κατὰ τὸν Ἰόνιον πόντον χαὶ Σικελίαν γεγονέναι
χαὶ ταῦτα Ζεφύρου πνεύσαντος xal ἐναντιουμένου τῷ πλῷ. Die
Scholien stellen mancherlei Lösungen auf, die z. T. recht ge-
künstelt sind. Aus der großen Masse (schol. 208 Ὁ u. 211 =
30 Zeilen) hebt sich keines inhaltlich bedeutend hervor. Krates
wird für eine Erklärung genannt (S. 278, 21 ff). Wenn Didy-
mus auch seinen Beitrag geliefert hat, was sehr wahrschein-
lich ist, so gehört ihm wohl die gelehrteste Notiz (5. 278,
11—17). Eine Schwierigkeit liegt auch tatsächlich vor; da
aber des Euripides Angaben so detailliert sind, wird man wohl
glauben müssen, daß er wirklich den Weg beschreiben wollte,
den die Frauen seiner Meinung nach gekommen waren. Er
dachte also entweder (nach Wecklein) nur an den letzten Teil
der Fahrt über den Korinthiscnen Meerbusen, oder aber (nach
Hartung) an eine Reise von Karthago. Die Worte Τύριον
olöna schließen diese Deutung nicht aus, andererseits ist Troad.
221 mit Φοινίκα (χώρα) unzweideutig das afrikanische Punier-
land gemeint. Im Jahre 408 lag dies Land dem Vorstellungs-
kreis der Athener vielleicht noch näher als das eigentliche
Phönikien (vgl. Hartung zu v. 199).
Auch die Nennung des Teumesos Ph. 1100 hat den antiken
Erklärern, wie die 5 erhaltenen Scholien bezeugen, Schwierig-
keiten gemacht; noch einfacher als die beste der erhaltenen
Deutungen (schol. 1100 a ἀντὲ τοῦ τὴν τῷ Τευμεσῷ παραχει-
μένην χώραν: ἐπεὶ πῶς δρᾶν ἠδύνατο πλέον ἑἕχατὸν σταδίους τοῦ
T. ἀφεστηχότος τῶν Θηβῶν, ähnlich schol. 1100 d, ce; schol. 1100
b und e sind ganz verkehrt) wäre die Weckleins nach Pau-
san. 9, 19, 1, der ein χωρίον dieses Namens anführt. Aber
ob dies zu des Tadlers, geschweige denn zu des Euripides Zeit
schon bestand, bleibt unsicher. Dagegen liegt in der Erwäh-
nung des Teumesos eine Anlehnung an die Sage, was v. Wila-
144 Wilhelm Elsperger,
mowitz (Herm. 26 S. 232 Anm.) vor allem durch Hinweis auf
den Widerspruch zwischen der Schilderung des Aufmarsches
in der Teichoskopie (v. 106—181) und an unserer Stelle wahr-
scheinlich gemacht hat. Dieser Widerspruch ist tatsächlich
vorhanden, aber so wenig anstößıg, daß ihn nicht einmal unsere
Kritiker bemerkten. Und daß der Dichter, zumal im Anschluß
an die Sage, mit einiger poetischen Freiheit auch hinsichtlich
der Geographie verfuhr, wird kein billiger Beurteiler tadeln 133).
Deshalb haben wohl auch die alten Alexandriner hier so wenig
wie zu v. 159 Anstoß genommen. Ob der Tadler wohl auch
Didymus ist?
Kulturgeschichte und Verwandtes.
δὰ dem Wunsch der Troerinnen (Hec. 467) am heiligen
Peplos für Athene mit zu weben, bemerkt das sch.: οὐ μόνον
γὰρ παρϑένοι ὕφαινον, ὥς φησιν ᾿Απολλόδωρος [F.H.G.IV p.649a]
ἐν τῷ ἕπερὲ ϑεῶν [αὐλῆς], ἀλλὰ καὶ τέλειαι γυναῖχες, ὡς Φερε-
χράτης ἐν Δουλοδιδασχάλῳ. Der Anfang od μόνον γὰρ ist nicht
anders zu verstehen, als daß man zeigen wollte, Euripides habe
‚nicht mit Unrecht Frauen (τέλειαι γυναῖχες) einen solchen
Wunsch aussprechen lassen; die Worte sind also doch wohl
der Rest einer Verteidigung des Dichters. Es fragt sich nur,
ob die Bedenken, die man gegen die Darstellung des Dichters
hatte, aus Apollodor geschöpft sind, oder ob er nicht vielmehr
vom Verteidiger beigezogen wurde; d.h. ob nur der erste
Satz (bis ϑεῶν) aus ihm stammt, oder das Ganze 138). Zunächst
'#°) Ein derartiger Fall liegt doch ganz anders, als wenn Sopho-
kles (Ant. 105) sagt üxrig ἀελίου... Διρκαίων ὑπὲρ ῥεέϑρων μολοῦσα. Ja,
wenn der Dichter die aufgehende Sonne sich im Wasser spiegeln
ließe, dann würde der Zusatz der Anschaulichkeit dienen; so aber
haben wir hier wie an ähnlichen Stellen (vgl. Wil. Heracl. I S. 31£.
Anm. 57) den von Wilamowitz (Hermes 26, S. 231 Anm. 3) mit Recht
getadelten Mißbrauch geographischer Namen zu einem gedankenlosen
Ornament. Dagegen gewinnt bei Euripides der Bericht durch Nennung
des altüberkommenen Namens sehr an Anschaulichkeit. |
158) Leider haben wir für diese Spezialfrage keine kontrollierende
Parallelüberlieferung (die Quellen sind zusammengestellt bei Michaelis,
Parthenon S. 328). Von den Weberinnen des Peplos spricht nur noch
schol. Aristid. I p. 197,8 (III, p. 342 Dind.) und das späte Lactantius-
scholion zu Stat. Theb. 10,56. Sein Bericht (peplum quod matronae
.. . faciebant) ist wahrscheinlich durch Statius’ Erzählung von der
Weihung an Hera beeinflußt; und auch der Bericht des Aristides-
scholions (παρϑένοι [Ὁ oder αἱ καλαὶ τῶν παρϑένων BD]... . ὕφαινον πέπ-
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 145
ıst zu beachten, daß die nächstfolgenden Worte ὅτι δὲ χρόχινός
ἐστι καὶ ὑαχίνϑινος χαὶ τοὺς Γίγαντας ἐμπεποίχιλται, δηλοῖ
Στράττις (frg. 69). τοῦτον δὲ ἀνιέρουν διὰ πενταετηρίδος ἐν τοῖς
Παναϑ'ιηναίοις, die ebenfalls mit einem Zitat geschmückt sind,
hier nicht unbedingt nötig wären; das legt nahe anzunehmen,
daß sie aus derselben Quelle mit herübergenommen sind, aus
der auch das Pherekrateszitat stammt 152). Wenn nun Apollodor
über die Weberinnen des Peplos gesprochen hat — was er ja
nach unserem Scholion sicher tat — hat er gewiß auch von
seinem Aussehen (ὅτι δὲ xpöxtvog etc.) gehandelt; daß er dabei
auf Dichter der alten Komödie verwies, entspricht durchaus
seiner Art 135). Von dem Euripideskommentator andererseits
müssen wir annehmen, daß er, entsprechend seiner Art sich von
einer Quelle tragen zu lassen, nicht eine zweite Schrift auf-
schlug, wenn eine genügte; da er also bei Apollodor neben
den Bemerkungen über die Weberinnen des Peplos höchst
wahrscheinlich auch Angaben über sein Aussehen fand, hat er
doch auch diese übernommen: somit ist es wahrscheinlich, daß
die Worte ὅτι δὲ χρόχινος — ΤΠαναϑ'ηναίοις auf diesen zurück-
sehen. Wenn aber Apollodor überhaupt auf die Kultgepflogen-
. heiten des 5. Jahrhunderts einging und dazu auf die alten
Autoren verwies, so wäre es auffallend, wenn ihm das Zeugnis
des Euripides 156), und Pherekrates'!?’) entgangen wäre !’*), zu-
λον) kann außerhalb Athens leicht so entstanden sein, daß man für die
παρϑένος eben nur παρϑένοι sich arbeitend dachte; doch vgl. unten.
1841) Vgl. das Verfahren bei sch. An. 224 (S. 103 Anm. 83), An. 32
(S. 118), Hip. 73d (S. 141) und anderen.
155) In den mythographischen Abschnitten seines Werkes häuft er
Zitate (vgl. sch. Alc. 1 mit Münzel, Quaest. mythogr. 5. 8 ἢ, ferner
sch. Rhes. 346 frg. [F. H. G. I] 10 und andere); für die kultgeschicht-
lichen Abschnitte sehen wir das jetzt nicht mehr so deutlich; aber
es ist doch selbstverständlich, daß er hier das gleiche Verfahren be-
obachtete wie dort; und an einer Stelle sehen wir noch einen Rest
davon: frg. 24 (Harpocr. p. 136, 14 Bekker) ὅτι γὰρ βουστροφηδὸν ἦσαν
οἵ ἄξονες χαὶ χύρβεις γεγραμμένοι δεδήλωχεν Εἰὐφορίων Ev τῷ ᾿Απολλοδώρῳ ;
auch sch. Hip. 73d dürfte so zu beurteilen sein.
136) An dessen Kenntnis doch nicht zu zweifeln ist; und daß wirklich
Frauen sprechen, zeigt v. 475 ὥμοι τεχέων ἐμῶν, ferner v. 919 und 93%.
17) Wir haben keinen Grund die Angaben des Scholions zu be-
zweifeln. Aus frg. 16 (Kock) τάχυ τῶν ἐρίων al τῶν ἀνθῶν τῶν παντο-
δαπῶν χατάγωμεν sehen wir wenigstens, daß in dem Vers (wahrscheinlich
einem Chorvers) in etwas feierlicher Weise vom Weben die Rede
ist; das paßt recht gut zu der Angabe des Scholions.
138) Denn wenn er es kannte, durfte er nicht schlechtweg behaup-
ten nur Jungfrauen hätten weben dürfen.
Philologus, Supplementband XI, erstes Heft. 10
140 Wilhelm Elsperger,
mal er doch in seinem umfangreichen Werk von 24 Büchern
ausführlich auf die behandelten Fragen eingehen konnte. Also,
müssen wir schließen, auch der Passus mit dem Pherekrates-
zitat (d.h. die Worte ἀλλὰ χαὶ τέλειαι γυναῖχες) stammt aus
seiner Schrift. Demnach haben die Worte ὥς φησιν ᾿Απολλό-
δωρος etc. ursprünglich das Ganze eingeleitet, wurden aber
durch einen Scholiasten so verschoben, daß sie sich nur mehr
auf einen Teil der Ausführungen zu beziehen scheinen, ähnlich
wie z.B. im sch. Alc. 1 durch Apollodors Name der Name des
ursprünglich an erster Stelle genannten Dichters (6 τὰ Ναυ-
πακχτιχὰ ouyypadbasoder Κελέστης χαὶ Kervnolag) verdrängt ist 139).
Die Worte οὐ μόνον γὰρ παρϑένοι ὕφαινον endlich können
von dem gelehrten Verteidiger geschrieben sein, der hier den
Apollodor beizog, wie sonst z. B. den Lysimachos (vgl. 5. 121).
Die Meinung, daß nur Jungfrauen hätten weben dürfen, konnte
aus den oben angeführten Gründen außerhaib Athens jederzeit
leicht entstehen. — Doch ist noch eine andere Deutung der
Einleitung möglich: Apollodor mochte etwa 155) bemerkt haben:
(νῦν μὲν γὰρ παρϑένοι μόναι ὑφαίνουσι, παρὰ δὲ τοῖς παλαιοῖς)
χαὶ τέλειαι γυναῖκες etc. Unter dieser Voraussetzung erklärt
sich die Verschiebung des ὡς φησι noch einfacher. Jedenfalls
aber scheint es mir gewiß, daß das Ganze auf Apollodor zu-
rückgeht, nicht auf eine unbedeutendere (unabhängige) Neben-
quelle, während Apollodors Hauptwerk nur zitiert, aber nicht
ausgeschrieben wäre.
Einfacher erledigen sich einige andere Bemerkungen: So
lesen wir zu Or. 771 (Pyl.) οὐ προσήκομεν χολάζειν τοῖσδε (dem
Argivern), Φωκέων δὲ γῇ schol. 771 (0) ἰδίως eine‘ τὰ γὰρ ἐπι-
τίμια τῆς ἀδικίας ἡ ἀδικουμένη πόλις εἴωϑεν ἐπιτιϑέναι. (4) (ἀλλὰ)
ϑαρσύνων αὐτόν φησι ὅτι οὐ προσήχομεν εἰς τὸ χολάζεσϑαι τοῖς
᾿Λργείοις. Wenn wir die Scholien so zusammen ziehen (die codd.
beginnen jetzt mit ϑαρσύνων ein Neues), erhalten wir eine ge-
schlossene altalexandrinische Bemerkung, in der nur die sprach-
liche Form der letzten Worte nicht mehr genuin, sondern von
einem byzantinischen Paraphrasten umstilisiert ist.
199) vgl. Münzel a, a. Ὁ. p. 3—7 besonders 6.
10) Die griechischen Worte sollen den Zusammenhang nur ganz
allgemein andeuten.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides, 147
Vielleicht ist auch aus dem χαλῶς und ἴσως des sch. Ph.
139 a und b auf Kritik zu schließen. Zunächst scheinen beide
Scholien nicht zu σαχεσφόρος, was ım Lemma steht, sondern
zu μιξοβάρβαρος zu gehören. (schol. 139b: χαλῶς εἶπεν αὐτὸν
μιξοβάρβαρον ; schol. 139a ἔσως ὅτι ἐξηλλαγμένοι (εἰσὶν)
οἱ Αἰτωλοὶ περὶ τς ὁπλίσεις καταστίχτους αὐτὰς ἔχον-
τες χαϑάπερ nal τὴν ὑπόδεσιν ὥστε τὸν δεξιὸν μὲν ὑποδεδέσϑαι
πόδα, γυμνὸν δὲ ἔχειν τὸν ἀριστερόν.) Dem καλῶς des 2. Scho-
lions zusammen mit dem ἴσως γὰρ τότε .... ol μὲν “λληνες
ὅπλοις ἐχέχρηντο, οἱ δὲ βάρβαροι ἀχοντίζειν ἠπίσταντο - ὕστερον
δὲ καὶ τὸ ἀχοντίζειν μεμαϑήχκασιν Ἕλληνες könnte die Frage zu
grunde liegen: „Wasist denn an dem, was der Dichter schreibt,
halbbarbarısch?* Darauf würde der Scholiast hier und im
1. Scholion antworten. Uebrigens ist das, was der Scholiast
mit ἴσως anführt, sicher die Meinung des Dichters, der hier
das ἀχοντιστῆρες besonders hervorhebt, und ebenso bei der
Schlachtbeschreibung (v. 1141—99) das ἀχοντίζειν nur bei den
Aetolern (v. 1165—70) erwähnt. Verwendet auch hier der
Scholiast eine alte Erklärung für seine Zwecke? Dann würde
wohl die Kritik in die Zeit des Enstatikos fallen (vgl. z. B.
S. 52 u. 61) oder auf diesen selbst zurückgehen.
Anachronismen.
Hier haben wir zunächst sachliche Konstatierungen, die
mit gutem Material arbeiten ; solche sind schol. Med. 232 und
233, wo dieselbe Sache im zweiten schol. kurz berichtet, im
ersten begründet wird; beide gehen offenbar auf die-
selbe Bemerkung zurück. Als charakteristisch für die ältere
Art will ich das längere (schol. 232) anführen: Da heißt es
zu v. 2921, (γυναῖκες) ἃς... δεῖ χρημάτων ὑπερβολῇ πόσιν
πρίασϑαι, schol.: τοῦτο δὲ 6 Εὐριπίδης ἀπὸ τῆς χαϑ' αὑτὸν
συνηϑείας λέγει. οἱ δὲ ἥρωες οὐχ οὕτως ἐποίουν τοὺς γάμους,
ἀλλ᾽ ἐκ τῶν ἐναντίων αὐτοὶ ἐδίδοσαν, χαϑ'άπερ χαὶ αὐτὸς ἐν
ἄλλοις παρίστησιν. (Also modernisiert Euripides teils auf die-
sem Gebiet, teils archaisiert er: eine gute aus reicher Beob-
achtung geschöpfte Bemerkung.) Das folgende Homerzitat
A 244 ist durchaus am Platze. Kurz, die Notiz trägt den
Stempel der guten alten Erklärungen; Tadel drückt sich in ihr
ΤΟΣ
148 Wilhelm Elsperger,
schwerlich aus. Dasselbe gilt von schol. Hip. 231 (über die
πῶλοι ᾿Ενέται) und auch der philosophische Kommentator will,
wie zu schol. Hip. 953 schon S. 47 bemerkt, nicht tadeln.
Ebenso tragen zwar die Stellen, in denen Anspielungen auf
die Spartaner und den peloponnesischen Krieg notiert werden
(schol. Or. 772 und 903; sch. Or. 371 das wieder auf An. 445
verweist) da sie sehr gutes Material bieten, den Stempel
Didymeischer Gelehrsamkeit, sind aber mehr aus rein sach-
lichem Interesse geschrieben und wollen dn Anachronis-
mus nicht tadeln. Daselbe gilt von den jüngeren Bemer-
kungen sch. Or. 904 und 1682, die durch diese angeregt sind.
Ph. 854 erwähnt Tiresias, er komme aus Athen, wo er
den Erechtheiden zum Sieg gegen Eumolpos verholfen habe.
Dazu bemerkt schol. 854 b einfach ἐπίτηδες πρὸς ἔπαινον τῶν
᾿Αϑηναίων ἀναχεχρόνισται τέσσαρσι γενεαῖς προὔχοντα τοῦ Θη-
βαϊχοῦ πολέμους Tadel ist damit so wenig ausgesprochen,
wie in der längeren Ausführung des schol. 854c, die aber in
späterer Zeit mindestens überarbeitet worden ist (vgl. ἠἡττηϑεὶς
εἰς τὴν ἔριν S. 949, 23). Doch wollten andere den Anachro-
nismus nicht gelten lassen; sie schrieben deshalb (ὔμολπος)
ὃς πολεμῶν τὰς ᾿Αϑήνας ἐπὶ τοῦ νεωτέρου ᾿Ερεχϑέως ἐφονεύϑη
παρ᾽ αὐτοῦ. Dieser jüngere Erechtheus ist aber (vgl. Engel-
mann in Roschers mythol. Lexikon s. v., p. 1297, 14) nur er-
funden, um die Schwierigkeit zu beseitigen; überdies spricht
Euripides nicht von einem Erechtheus, sondern von Erechtheiden.
Daraus sieht man, daß Spätere in einem Anachronismus etwas
tadelnswertes sahen, weshalb man ihn zu beseitigen suchte.
Zu Ph. 1377 Ener δ᾽ ἀφειϑὴ πυρσος ὡς Tuppnvirng σαλ-
πίγγος ἤχη (griffen die Brüder einander an) lesen wir schol.
1377 Ὁ: ἐπὶ τῶν ἑπτὰ ἐπὶ Θήβας οὔπω ἐχρῶντο τῇ σάλπιγγι.
οἱ Ἕλληνες, ἀλλ᾽ οὐδὲ ἐπὶ τοῦ Τρωιχοῦ πολέμου. Die folgen-
den Worte Ὅμηρος γοῦν αὐτὸς μὲν οἶδε τὴν σάλπιγγα sind zur
Begründung der letzten Worte geschrieben; dann geht die hi-
storische Untersuchung weiter, die übrigens zeigt, daß auch
unser Gewährsmann erklärte: es wurde ein Feuerbrand ge-
schleudert wie der Ton der Trompete. (ἐχρῶντο οὖν χατὰ τὸ
παλαιὸν ἐν τοῖς πολέμοις ἀντὶ σαλπιγκτῶν πυρφόροις.) Aber
wir haben hier einfache Konstatierung ohne Tadel und dürfen
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 149
wegen der Bemerkung Ὅμηρος γοῦν — ἥρωας das Scholion,
wenn vielleicht auch nur mittelbar, auf die alten Alexandriner
zurückführen. Anders schol. 1377a. Auch dieses erklärt zu-
nächst die Sitte des πυρσὸν ἀφιέναι, fährt aber dann fort:
τούτῳ οὖν τῷ σημείῳ ἀντὲ σάλπιγγος χἂν τοῖς περὶ ᾿Ετεοχλέα
(die ältere Bezeichnung ist, wie schol. Ph. 854 Ὁ zeigt, Θηβαιχὸς
πόλεμος, oder schol. 1377 b Ent τῶν ἑπτὰ ἐπὶ Θήβας) χρόνοις
ἐχρῶντο: ὕστερον δὲ μετὰ τὰ Τρωικὰ χαὶ τὴν εἰς γῆν Ῥωμαίων
Αἰνείου κατοίκησιν Τυρρηνοὶ τὴν σάλπιγγα ἐξεῦρον χτλ.
Die Bemerkung: τὸ οὖν τούτῳ (πυρσῷ) αὐτοὺς χρῆσϑαι ἀντὶ
σάλπιγγος ἀφ᾽ ἑαυτοῦ ἐμφαίνων ὃ ποιητής φησιν᾽ οὐ γὰρ
δὴ εἰς τὸ τοῦ ἀγγέλου πρόσωπον τοῦτο ἀναφέρεσθαι πι-
ϑανόν, εἴγε ὅλως οὕπω ἤδεσαν τὴν σάλπιγγα legt aber die
Vermutung nahe, daß irgendwelche Erklärer den Anachronis-
mus dadurch beseitigen wollten, daß sie nach Analogie des
Ὅμηρος γοῦν χτλ. behaupteten: Die Trompete konnte (im Mund
des Erzählers = ἀνέφερον τοῦτο εἰς τὸ τ. &yy. προσ.) zum Ver-
gleich beigezogen werden, die Helden selbst brauchten sie nicht.
Gegen diese Bemerkung würde unser Mann Stellung nehmen.
Die Bezugnahme auf Aeneas zur chronologischen Fixierung
nötigt uns, das schol. für jünger zu erklären wie schol. 1377 b
und wir hätten somit auch hier den zu Ph. 854 beobachteten
Fall, daß sich altalexandrinische Konstatierung (sch. Ph. 854 b,
die oben postulierte Vorlage des sch. 1377b), verbreiternde
Ausführung (schol. Ph. 854c, der jetzige Wortlaut des schol.
1377 Ὁ), Tadel und Verteidigung (Ph. 854a, 1377a) folgten.
Zu der Erzählung des Talthybios, daß die Griechen den
Leichnam der Polyxena mit Laubwerk bestreuten (φύλλοις
ἔβαλλον Hec. v. 573 fl.), bemerkt ein Scholiast (schol. 573e:
S. 54, 7£.) φυλλοβολεῖται δὲ... ὥσπερ ἐν ἀγῶνι νικήσασα.
Und diese Ansicht ist auch Voraussetzung für die vorherge-
hende Erörterung, in der ein Anachronismus aufgedeckt wird.
Die Beweisführung des Mannes will ich in der Form, die sich
unter Beiziehung der Notizen der Lexikographen (siehe den
kritischen Apparat bei Schw.) ergibt, hieher setzen: τοῦτο
παρὰ τοὺς χρόνους ' Ἐρατοσθένης γὰρ περὲ τῆς φυλλοβολίας φη-
σὶν ὡς πάλαι (μὲν ἄϑλα προὐτίϑεσαν τοῖς ἀγωνιζομένοις, ὕστερον
-ν
δὲ) χωρὶς ἄϑλων ἀγωνιζομένων τῶν ἀνθρώπων τῷ νικήσαντι
150 Wilhelm Elsperger,
χαϑάπερ ἔρανον εἰσφέροντες ἔρριπτον τῶν ϑεατῶν ἕχαστος ὅπως
ηὐπόρει. οἱ μὲν οὖν ἐμπορευόμενοι διάφορα δῶρα (εἰσέφερον, οἵ
δὲ χατὰ φιλίαν 7) συγγένειαν προσήκοντες στεφάνοις ἀνέδουν.)
τῶν δὲ λοιπῶν οἱ μὲν ἐγγὺς καϑήμενοι (πλέονος ἄξια) ἐπετίϑεσαν,
οἱ δὲ ἀνωτέρω, τοῦτο ὅπερ ἣν λοιπόν, ἔβαλλον τοῖς ἄνϑεσι χαὶ
φύλλοις" (ὡς) nal νῦν ἐπὶ τοῖς ἐπιφανῶς ἀγωνιζομένοις προβἄλ-
λουσι ζῶνας, πετάσους, χιτωνίσχους, χρηπῖδας. διὸ σύνηϑες ἦν
χύχλῳ περινοστοῦντας (τοὺς ἀϑιλητὰς) ἀγείρειν τὰ διδόμενα. ἕως
μὲν οὖν ἕν ἀγώνισμα χατὰ τὴν ᾿Ολυμπίαν ἦν, δαψιλὴς ἐγίνετο ἡ
τῶν δώρων δόσις, πολυπλασιαζομένων δὲ τούτων ταῦτα ἐμειοῦτο
εἰς πολλὰ χαταμεριζόμενα χαὶ τέλος ἣ φυλλοβολία χατελείφϑη.
Damit ist der Beweis, daß die φυλλοβολία sich erst in viel
späterer Zeit entwickelt hat, geliefert, und wir würden nichts
weiteres mehr erwarten. Was nun die Notiz betrifft, so ist
sie mir zu breit, um sie als altalexandrinisch zu betrachten;
man möchte vielmehr annehmen, daß sie durch den gelehrten
Didymus in unsere Scholien kam (vgl. Baumstark Philol. NF7
S. 693 Anm. 14). Die Worte, die nun in den Handschriften
folgen (ταῦτα οὖν παρὰ τοὺς χρόνους Εὐριπίδης ode γάρ ποτε ὃ
ἀγερμὸς τῆς φυλλοβολίας ἐπεδείχϑ'η) widerstreben einer vernünf-
tigen Erklärung, da ἐπεδείχϑη nicht heißen kann „kam auf“.
Aber auch die Emendation von Schwartz (ὀψὲ γάρ ποτε ὃ
ἀγερμὸς (ἀντὶ) τῆς φυλλοβολίας ἀπελείφϑη) befriedigt nicht,
da Euripides hier, wenigstens nach Annahme der Scholiasten,
auf die φυλλοβολία, nicht den ἀγερμὸς anspielt. Auch fin-
den wir in den Scholien durchaus keine Andeutung, daß man
in v. 577£. (Eowmmas ... οὐ πέπλον οὐδὲ χόσμον . . EXWV;)
wenn man ihn überhaupt so las, eine Anspielung auf den
ἀγερμὸς gesehen hätte. Sinngemäß wäre: ὀψὲ γάρ ποτε (ἀντὶ)
τοῦ ἀγερμοῦ ἣ φυλλοβολία ἀπελείφϑη. Wem diese Konjektur
zu gewagt erscheint, der muß annehmen, daß die Worte ταῦτα
οὖν χτλ. mit dem Vorausgehenden ursprünglich nichts zu tun
hatten und nur durch einen Redaktor mit οὖν angeschlossen
wurden. Der Verfasser mag an den späteren ἀγερμὸς gedacht
haben, auf den im schol. mit den Worten ὡς xal νῦν χτλ.
angespielt ist, und den auch Platon republ. X, 621 D, sogar
unter Anwendung des Wortes περιαγειρόμενοι, erwähnt. Doch
müßte dann die Bemerkung auf einen recht gedankenlosen
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 151
Exzerptor der Ausführungen des Eratosthenes zurückgehen. —
Zum Schluß sei noch bemerkt, daß der Hinweis auf die Kampf-
spiele zur Erklärung gar nicht nötig war. Werfen mit Blüten
und Zweigen ist eine sehr natürliche Ehrung, die ja auch
heute nicht nur etwa einem siegreichen Heere, sondern auch
den Teilnehmern an irgend einem Festzug zu teil wird. Macht
diese Tatsache es ebenfalls unwahrscheinlich, daß die Alexan-
driner hier einen Anachronismus suchten, so spricht für Di-
dymus das ἐφυλλοβολοῦντο γὰρ μετὰ τὸ νικῆσαι, καϑὰ καὶ πρ o-
είἰρηται am Schluß des Scholions. (Vgl. M. Schmidt, Didym.
fragm. S. 243 zu frag. 9, 5.)
Im sch. Hec. 254 lesen wir zunächst die einfache Dar-
legung: eis τοὺς κατ΄ αὐτὸν δημοχοποῦντας ῥήτορας λέγει. Sie
ist völlig erschöpfend, sodaß sich das folgende schol. (254 ο:
zalüra εἰς NV) κατ᾽ αὐτὸν πολιτείαν λέγει. καί ἐστι τοιοῦτος ὃ
Εὐριπίδης, περιάπτων τὰ χαϑ' ἑαυτὸν τοῖς ἥρωσι xal τοὺς χρό-
vous συγχέων) als eine spätere Verbreiterung, wie wir sie schon
mehrfach beobachteten, darstellt. Das συγχέων enthält aber hier
nicht mehr bloße Konstatierung, sondern Tadel; wir sehen also
auch hier (vgl. S. 149), daß die Späteren die einfachen Bemer-
kungen der Alten in Tadel umsetzten. |
Und daß wirklich getadelt wurde, beweist schol. An. 734.
Hier war zu der Erwähnung der Stadt, die, einst befreundet,
jetzt verfeindet sei und zerstört werden solle, bemerkt: παρὰ τοὺς
χρόνους αἰνίττεται τὰ [Πελοποννησιαχά; die Verteidigung οὐχ
ἀναγχαῖον δὲ συχοφαντεῖν τὸν Εὐριπίδην, ἀλλὰ φάσχειν πλάσ-
ματι χεχρῆσϑ'αι stellt offenbar das πλᾶσμ. χεχρησϑ'. als etwas
dem Dichter Erlaubtes hin, nicht aber das παρὰ τ. xpov. αἴνιττ.
Auch unser Mann würde also dies für tadelnswert gehalten
haben. Er sagt ja auch nicht οὐ δεῖ sondern οὖχ ἀναγκαῖον,
man braucht es hier nicht zu tun, und tadelt mit dem ouxo-
φαντεῖν Leute, die die Anachronismen aufspürten, um sie
zu tadeln. In der Zeit vor diesem Mann, vielleicht auch noch
zu seiner Zeit, hielt man also Anachronismen für „einer An-
klage“ wert. Einen Alexandriner haben wir nicht vor uns,
der hätte nach den bisher gegebenen Proben οὗ δεῖ geschrieben,
und auch mit alexandrinischem Gut arbeitet er kaum, da diese
sich nicht mit dem πλᾶσμ. xeyp., was recht schwach ist, her-
[0]
152 Wilhelm Elsperger,
ausgeholfen hätten. Ob unser Mann auf Didymus anspielt,
ist nicht zu beweisen, aber allem nach sehr wahrscheinlich.
Jedenfalls aber dürfen wir annehmen, daß der Anachronismus
zu den bisher besprochenen Stellen, soweit die Bemerkungen
jünger sind, in mißbilligendem Sinn angemerkt war.
Anzuschließen ist noch die jüngste Notiz, die sich mit
einem Anachronismus befaßt, schol. Ph. 6b: ἡἣ Φοινίκη: προ-
ληπτιχὸς δὲ ὁ λόγος " οὐδέπω γὰρ ἐχαλεῖτο Φοινίκη (nämlich zur
Jıeit als Kadmos auszog). ἐν γοῦν τῷ Φρίξῳ φησίν [frag. 816]
.. σαν τρεῖς ᾿Αγήνορος χόροι,
Κίλιξ, ἀφ’ οὗ nal Κιλικία χικλήσχεται,
Φοίνιξ, ὅϑενπερ τοὔνομ᾽ ἣ χώρα φέρει,
χαὶ Θᾷᾶσος".
Das Zitat ist ungeschickt gewählt, da es zwar erzählt,
dafs von Phoinix dem Sohn des Agenor Phönikien den Namen
erhielt, aber den Kadmos nicht nennt, ja die ganze Behaup-
tung gefährdet. Denn der Anachronismus ist da, wenn Kad-
mos nach der gewöhnlichen Version (vgl. Schol. 5, S. 247, 24,
und 217b) ein Bruder des Phönix ist. Aber hier kennt
Euripides nur drei Brüder und darunter den Kadmos nicht.
Also haben wir richtigen Zitatenunfug.
Anspielungen des Dichters auf sich selbst
oderandere Dichter.
Der Autor des schol. Hip. 1102 (5. 117, 17—19) aller-
dings ging nicht so sehr von dem Inhalt des Liedes aus,
wenn er schreibt: γυναῖκες μέν εἰσιν al τοῦ χοροῦ: μεταφέρε:
δὲ τὸ πρόσωπον ἐφ᾽ ἑαυτοῦ ὃ ποιητής ..... μετοχαῖς γὰρ
ἀρσενιχαῖς (z. B. χεύϑων ν. 1105, λεύσσων v. 1107, 1120)
χέχρηται. Die Bemerkung wäre aber auch richtig, ja richtiger
gewesen, wenn er sie mit dem Inhalt des Liedes begründet
hätte. Ursprünglich war dies vielleicht auch geschehen ; jeden-
falls hätten die alten Alexandriner den Wechsel der männ-
lichen und weiblichen Formen (v. 1111 und 1117) schwerlich
übersehen. Wie dieser zu erklären ist, zeigt Wecklein zu
v. 1102. Dagegen geht das schol. Ale. 962 auch in seiner jetzigen
Gestalt (6 ποιητὴς διὰ τοῦ προσώπου τοῦ χοροῦ βούλεται δεῖξαι,
ὥσον μετέσχε παιδεύσεως) offenbar von dem Inhalt des stark
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 153
veflektierenden Chorliedes aus, vgl. besonders v. 962—81. Da-
hingestellt muß bleiben, ob mit schol. Med. 1224 (zu der Er-
örterung v. 1224—27 τὰ ϑνητὰ .. ἡγοῦμαι σχιάν, (nal)
εἴποιμι τος σοφοὺς .. δοχοῦντας εἶναι... μεγίστην μωρίαν
ὀφλισκάνειν) τοῦτο εἶπεν, ἐπεί τινες τῶν σοφῶν μεγάλα δύ-
νάσϑ'αι τοὺς ἀνθρώπους ἔφησαν χαὶ λογισμῷ δευτέρους εἶναι
ϑεῶν (d. h. gleich nach den Göttern kommen). Ὅμηρος μὲν
γὰρ [B 169, 407, K 137] ᾿Οδυσσέα χαλεῖ Ar μῆτιν ἀτάλαντον᾽,
Πίνδαρος δὲ... [folgt Nem. 6, 5], das sehr wohl alt sein könnte,
Tadel ausgedrückt werden sollte.
Hier seien auch die Scholien, die einige verwandte Ter-
mini anbringen, zusammengestellt:
πρὸς χάριν ᾿Αϑηναίων: schol. Tr. 31 (über die
Nennung der Theseiden, vgl. S. 120), gloss. Tr. 209 (zum
Wunsch der Troerinnen nach Athen zu kommen), schol. Ph.
854b (Eumolposkrieg (vgl. S. 148). In allen drei Fällen ist
nach Analogie des letzten ursprünglich kein Tadel beab-
sichtigt; das dritte ist wohl altalexandrinisch (vgl. S. 149),
die beiden anderen mögen durch ältere Bemerkungen ange-
regt sein.
τοῦ ϑεάτρου ἕνεκα: schol. Med. 922 (vgl. S. 50)
ἀλλ᾽ ἐκφέρεται τῇ ὀχλικῇ φαντασίᾳ, schol. Or. 128 ἔνιοι δέ φασι
ταῖς δμωσὲ ταῦτα (εἴδετε ἄκρας ws ἀπέϑρισεν τρίχας [Helena |)
λέγειν, οἱ δὲ πρὸς τὸ ϑέατρον ὃ χαὶ ἄμεινον: ἐφελχὺυ -
στιχὸς γάρ ἐστιν del μᾶλλον τῶν ϑεατῶν ὃ ποιητῆς, οὐ
φροντίζων τῶν ἀχριβολογούντων [---λογουμένων Μ.]. Hier wird
aus der Schwäche durch den Zusatz eine Tugend gemacht,
wenn anders die @xpıßoAoyoövres „Kleinigkeitskrämer“ bedeu-
ten 13). Zu vergleichen ist auch noch sch. An. 622 διαλέγεται
δὲ πρὸς τὸ ϑέατρον und sch. Ph. 1485 b τίνι γὰρ ἀπολογίζεται
1) Der Begriff des pedantischen Haarspaltens zeigt
sich z. B. auch Lucian, tyrannoct. 11. (Für die Belohnung ist es
gleichgültig, ob ich den Tyrannen direkt getötet, oder die unmittelbare
Ursache seines Todes herbeigeführt habe) μὴ τοίνυν ἀχριβολογοῦ ἔτι περὲ
τοῦ τρόπου τῆς τελευτῆς. Ferner Aristid. or. 13 p. 176 (288, 21 Dind.)t
τις ἀχριβολογεῖται περὶ τῶν δικαίων καὶ σοφιστής εἶναι μᾶλλον βούλεται
ἢ τῇ τῶν πραγμάτων φύσει συγχωρεῖν, vgl. or.46 p. 288 (373, 8). — Ebenso
ist ἀκριβολογία gebraucht: Aristid. or. 35 p. 453 (678,14) πρὸς ταύτην
τὴν ἀχριβολογίαν, μᾶλλον ἀπορίαν, ὀχνῶ γὰρ εἰπεῖν ἀποπληξίαν (Borniertheit).
154 Wilhelm Elsperger,
εἰ μὴ τῷ ϑεάτρῳ. Alle diese Bemerkungen mit Ausnahme des
sch. Or. 128 stehen der Neigung des Euripides nicht eben
freundlich gegenüber; und auch jenes Scholion zeigt, daß man
den Dichter darum getadelt hatte. Denn nur Tadler können
mit dem übelwollenden Worte ἀχριβολογοῦντες gemeint sein;
daß dies aber ganz achtbare Kritiker (vielleicht sogar Aristopha-
nes von Byzanz selbst) gewesen sein können, lehren die alten
Scholion über den Prolog (vgl. S. 6£.): sch. Ph. 88e τὰ τῆς
Ἰοχάστης παρελχόμενα εἰσι χαὶ ἕνεχα τοῦ ϑεάτρου ἐ χ-
τέταται; schol. Tr. 36 Ψυχρῶς τῷ ϑεάτρῳ προσδιαλέγε-
ται; berührt ist die Sache auch im schol. Tr. 1 ὅλος ἐστὶ
(coni. Cobet) τοῦ ϑεάτρου ὁ Βιὐριπίδης.
Der vorliegenden Arbeit würde etwas fehlen, wenn nicht
auch die ganz allgemeinen Urteile angeführt würden. Abge-
sehen von der Anklage des Weiberhasses, wie sie bei Gellius
(Schwartz 5. 7, 8 6), bei Suidas (5. 8,9) und im γένος (S. 6, 1)
steht, und auf die auch in den Scholien zu Hec. 923, 1186
(D 497, 32), Tr. 1057 (bis auf das letzte, von dem es dahin-
steht, lauter junge Scholien) Bezug genommen wird, bekam
Euripides — wenigstens im Scherz — von Aristophanes den
Titel πτωχοποιος (vergl. S. 14) und von Machon den eines
αἰσχροποιός (vgl. 5: 137). Ueber seine Kunst im allgemeinen
aber handelt das γένος (5. 4, 3) folgendermaßen: πλάσματι
δὲ μέσῳ χρησάμενος περι γέγονε τῇ ἑρμηνείᾳ, ἄχρως εἰς ἀμ-
φότερον χρώμενος ταῖς ἐπιχειρήσεσιν nal τοῖς μέλεσίν ἐστιν
ητος TR τος τοὺς μελοποιοὺς΄ σχεδὸν πάντας.
is @norßelorg mepıo Bi KA φορτικὸς χαὶ ἐν
oAöYoıc [el Ὁ Χ Δ ΡΟΙΞΣ ῥητορικώτατος δὲ
αἀσχευΐ χαὶ ποϊ χίλχος τῇ Ppdoeı χαὶ ὑμανὸς
ἀνασχευάσαι τὰ εἰρημένα. Mit diesem Urteil, das Vor-
züge und Schwächen würdigt, mit dem Urteil der guten Scho-
lien, soweit diese die betreffende Frage berühren, im Großen
und Ganzen übereinstimmt und wohl ziemlich richtig ist, kön-
nen wir Abschied nehmen von der bunten Menge berechtigter
und zum Glück meist unberechtigter Ausstellungen von allerlei
Geistern, die wir an uns haben vorüberziehn sehen.
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 155
Um einen ungefähren Ueberblick darüber zu geben, wie
man sich in den einzelnen Perioden der kommentierenden Tä-
tigkeit zu Euripides’ Kunst und Art stellte, sei im Folgenden
der Versuch gemacht, eine Tabelle zusammenzustellen, in der
die besprochenen Scholien nach ihrer Entstehungszeit einge-
tragen sind. Daß dabei manches fraglich bleiben mußte, ist
schon in der Einleitung (S. 6) bemerkt. Deshalb habe ich
verschiedene Stufen der Wahrscheinlichkeit für die Zuteilung
an eine bestimmte Zeit unterschieden.
Zugleich benütze ich die Gelegenheit, um meine Ansichten
über einige im ersten Teil dieser Arbeit — der ja geraume
Zeit, ehe das Folgende in Druck gehen konnte, als Disser-
tation erschien — besprochene Scholien zu modifizieren.
Meist bin ich dazu durch Bemerkungen veranlaßt, die Herr
Professor Roemer mir zu übersenden die Liebenswürdigkeit
hatte; es sei ihm dafür auch an dieser Stelle wärmstens ge-
dankt. — Minder wichtige chronologische Abweichungen der
Liste von dem Text der Arbeit bitte ich als stillschweigende
Berichtigungen zu betrachten.
Zu 5. 7 f. betont Roemer unter Hinweis auf schol. Townl.
zu der Athetese der v. 0 64—77 ἐοίχασι γὰρ Εὐριπιδείῳ προ-
λόγῳ ταῦτα, daß πρόλογος bei den Alten ausschließlich von
dem spezifisch-euripideischen „Prolog“ gebraucht wurde. Deshalb
wage ich es nicht mehr den Satz ἔϑος δέ ἐστιν αὐτῷ προλέγειν
τὰ μέλλοντα (sch. 40) und ebensowenig sch. 791 für altale-
xandrinisch zu bezeichnen. προλέγειν ist beidemale, besonders
deutlich an der zweiten Stelle, in dem allgemeinen Sinn von
„vorhersagen“ gebraucht. Das erste Scholion ist somit das
einheitliche Machwerk eines Mannes, der ungefähr in
Didymus’ Zeit gehört; aus dieser Zeit stammt dann wohl auch
sch. 791 und 375. Dabei ist es allerdings wahrscheinlich,
daß in dem προλέγειν eine erweiternde Fortbildung des πρό-
Aoyos liegt. Gebraucht ist es beidemale im Zusammenhang
mit dem geplanten Kindermord.
Im Anschluß daran muß ich Roemer zugeben, daß aller-
dings auf den Kindermord im Prolog (v. 36 f£., 90 ff., 114) deut-
licher hingewiesen wird, als sich dies mit der Situation am
Anfang der eigentlichen Handlung (v. 271) und mit der Ent-
150 Wilhelm Elsperger,
wicklung, wie sie S. ὃ Anm. 4 und 5. 17 dargestellt ist, ver-
trägt. Es wäre besser, wenn wir wirklich nicht wüßten, was
Medea tun wird; so aber ahnen wir es wenigstens. Doch das
Athenische Massenpublikum bedurfte eben eines deutlichen
Hinweises (vgl. Roemer, Abh. XXII S. 60), weil eine völlige
Neuschöpfung des Euripides vorlag.
Schol. Phoen. 1751c (5. 13 und 15) wird wohl mit mehr
Wahrscheinlichkeit dem Enstatikos zugeschrieben als den Alten.
Zu 8. 17. Den Grund, weshalb Medea ihre Kinder schickt,
haben schon die Alten erkannt, vgl. sch. Med. 1013.
Zu 8. 17 f. (sch. Tr. 906). Für die Formulierung χατα-
φέρεται εἰς τὸ νόσημα τῶν ἀντιϑέσεων verweist Roemer auf das
sicher altalexandrinische sch. Aristoph. vesp. 342 ἐπὶ τὸ αὖ-
τοῦ ἦϑος χατενήνεχται; ferner wird nicht die Neigung sich zu
widersprechen, sondern die, Rede und Gegenrede einander ge-
genüberzustellen (daher ἀντιϑέσεις) hervorgehoben; diese ist
aber durch den Ausdruck νόσημα trefflich als eine leidige Ge-
wohnheit bezeichnet. Das entspricht ganz dem Urteil der
Alexandriner; denn es zeigt sich in diesen Prozefsreden
ein Herabsinken von der Würde des Dramas (vgl. 5. 99 4);
in diesem Zusammenhang müßte das Scholion eigentlich auf-
genommen werden. Wenn aber diese Neigung betont wer-
den sollte, kam soviel nicht darauf an, V. 891 genau zu zitieren.
Zu 8. 27 (Hec. 504). Die Ueberlieferung ist wohl zu
halten und höchstens das 2. αὐτὴν zu tilgen; χαϑιστὰς ist fast
so viel wie χαταστῆσαι βουλόμενος.
Zu 5.28 (Hee. 521) fordert Roemer{\tnpa statt αἴτημα; dann
schließt sich allerdings das folgende πῶς γὰρ viel natürlicher
an. Trotzdem steckt vielleicht in dem αἴτημα eine alte Lösung.
Zu 8.35. Hier wäre auch sch. Tr. 906 zu erwähnen, s. oben.
Zu 8. 49 (Ph. 267). Auch dies Scholion geht wohl auf
den Enstatikos zurück.
Zu 8.133 (Ph. 893). Auch hier sieht Crusius ot. πολιτικοὶ
τοῦτο δ᾽ ὡς ᾿Αϑηναῖος ὧν ὃ ποιητὴς Ὁ εἶπε"
χἂν μὴ φυγὰς γὰρ εἴη τις En τῆς πατρίδος» ὅμως
φέρει τὰς ἀμαϑίας τῶν χρατούντων χἄν μὴ ϑέλῃ.
Das neben ϑέλῃ auffallende εἴη verdanke wohl „dem Zwang
des Metrums“ seinen Ursprung. Doch ist der Byzantiner —
Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides. 157
ob es derselbe ist, der die eben so schlechten Verse des sch.
Hip. 385 (vgl. S. 136) abfaßte, bleibt fraglich — gewiß auch
hier nicht originell. Ob seine Vorlage allerdings je in den
Scholien stand, muß zweifelhaft bleiben; doch könnte sie, min-
destens mittelbar, auf stoische Erörterungen aus der früheren
Kaiserzeit zurückgehn (vgl. S. 47 und 87).
Endlich noch einige Kleinigkeiten:
SD. 2.2. 15 lies 791 statt 971
5.110672. 2 v. ul ARE RR
ST BE ὑπούλως „ dradiug
S.2072.10 vu. „ οὕτως „ οὗτος
S. 20 2. 9 v.u. schiebe ein [v. 208] nach ϑέμιν
Ss. 2332. 9 vw.o. tilge die Worte „oder Tr. 906“
S. 34 A. 10 lies S. 32 statt 30
S93822: 10EvEuS σ΄ οὕπουλ᾽ τὕπαυλα
Εν a νεο Er, ἡ εἰχότῶς „; εἰδότος
S. 56 Z. 20 füge ein nach und einen Punkt: nämlich die Worte Ζ. 1 ἢ:
τὸ δὲ δρᾶμα κωμικωτέραν ἔχει τὴν καταστροφήν.
In der Tabelle selbst sind folgende Zeichen verwendet:
s Sicheres. v vielleicht, 2. Grad; m möglich, 3. Grad der
Wahrscheinlichkeit.
(Für den ersten Grad ist kein besonderes Zeichen gebraucht.)
* bezeichnet Scholien, die sich durch ein wissensstolzes ἀγνοοῦσι
oder durch Beibringen von gelehrtem Material abheben.
(-..) Erschlossen. (...) nicht tadelnd Gemeint.
A Anstoß, Aporie. T Tadel. V Verteidigung.
— ? Das Scholion könnte vielleicht auch aus dieser Periode stammen.
ον Ὁ) Es ist nicht sicher, ob Tadel u. 8. w. vorlag.
n. Ar. (in Spalte 2) nacharistarchisch.
E. (in Spalte 5) der Tadler ist ein Enstatikos.
Ar. (in Spalte 6) der Verteidiger benützt altalexandrinisches Gut.
Scholien, in denen Didymus ältere Bemerkungen umgear-
beitet hat, sind zweimal eingetragen; was durch ihn nur vermittelt
ist, bei dem eigentlichen Autor. In Spalte 2 gehen nicht beson-
ders bezeichnete Scholien auf Aristophanes bez. auf Aristarch zurück.
Wilhelm Elsperger,
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Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides.
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II. Sach- und Sprachregister.
Abweichungen v, Mythos 188 f.
Anachronismen 147 f.
Analogie 5, Verteidigung.
Anekdoten 82. 135 ἢ.
Angriffe auf ἃ. Mythos 127 ff.
Anrede an d. Dichter 127. 136.
Ansetzen d. Späteren 9. 56. 141.
Anspielungen auf Zeitereignisse
148.
— auf sich und Dichter 152£.
Anstoß auf Grund v. Reminiszenzen
67. 123,
Apollodor v. Tharsos 19 ἢ.
— v. Kyrene 55. 74.
— v. Athen 144 ff.
Aristarch zu Homer 89 fi.
— zu ἃ. νεώτεροι 93f. 96 f. 98 *.
— zu Euripides 98 ff.
— zu nachklass. Schriftstellern 93.
114. 122 A. 75.
— Methode 93/4,
Aristophanes 20. 31. 34. 38, 73. 114.
140.
Asklepiades 113.
ästhet. Würdigung 101f. 103 £.
Athetesen 81f. A. 31.
Aeußerungen, getadelt wegen Oeko-
nomie 15 ff.
— — wegen Ethos 52 f.
Berechtigung einzelner Szenen SA.
breite Ausführungen 16. 21. 29.
40 f. 109. 116. 120. 145. 148.
Bühnenexemplare 74.
Bühnenwesen 70 fi.
byzantinische Mythenkritik 127.
— Reminiszenzen älteren Tadels
10. 22. 25. 47. 87.
Charakter d. Tragödie 54 ff.
Charakterzeichnung 33—54,
vgl. npwındv ἦϑος
— schlechte 35 ff.
— unwahrscheinliche 45 ff. 129.
— inkonsequente 48 ff.
christl. Einfluß 139.
Chor 10£. 13.
Chor und Hauptperson 10£.
Dialekte d. Tragödie 21.
Dialogführung 60 ff,
Didymus 5. 102. 108 ff. 114 Ε΄
(vgl. Tafel I Sp. 4)
— Breite 109. 115 Εἰ 119 £. 141.
145. 150; cf. 38.
— Kleinlichkeit 39. 51. 108.
— Methode 103f. 110. 116 f.* 120.
122.
— Polemik 19. 109. 121.
— Quellensucher 109. 110. 142.
(vgl. φευδὲς, ἀμάρτυρον)
-- Rhetorisches 65. 66.
— Ton 31.
Ekkyklema 70 #.
Enstatiker 3 f.
(vgl. Tafel I Sp. 5)
— Zeitbestimmung 61. 147.
Eos-Hemera 124.
Epitheta, unpassende 79.
ergänzende Scholien 88.
Erklärung, aus anderen Stücken 53,
— in Frageform A. 48.
Erklärungsversuche, auffallende
(vgl. οὐ [xaxög]) 3. 7. 9f. 11. 12.
21: 293:9322:797807 82. 83: 195.
130 (ef. 131). 134. 137. 144. 148/9
A. 9
Erzählungen, getadelt 17.
Euripides, dichterische Gewohn-
heiten 7. 13. 23. 45. 464. 115.
147. 151. 153. 154.* 156.
Fehlende vom Standpunkt der
Oekonomie 12 ff.
— der Rhetorik 60.
Fehlerquelle angegeben 93, 94.
— fehlt 95.
Fragen s. ζήτημα.
Frageform A. 48.
Geographie 142 ff.
Gerechtigkeit der Götter 128. 130 f.
(cf. sch. Or. 76 S. 42).
Hauptperson und Chor 10 £.
Heiligkeit d. Götter 95. 128.
Helena, Charakter 41 ff.
Hemera-Eos 124.
Hesiod, Vergleich mit 123/24.
Homer, Mißverständnisse 92 ff.
— Nachahmung ὃ ἢ. 10. 78.
— Vergleich mit 36. 48. 50.
168
Ironie (cf. ἐπελάϑετο) 42. 45.
Kallimachos 111. 122. A. 108.
Kallistratos 75. 84. A. 97.
Konglomerat-Scholien 42f. A. 79.
Konjekturen, auffallende 113. 123.
Krates 143.
Kreophylos 109 £.
Kulturgeschichte 144 ff.
Kultus 129 ff.
Lakedämonier 38. 59. 148.
logische Ausstellungen 61 ff. 68f.
Lysanias 111 ἢ. A. 96.
Lysimachos 102. 111 f. 115. 118.
121. A. 75.
Melodie cf. μέλος 72 f.
Menelaos, Charakt. 22. 86 f.
Metrum, Zwang des 33. 78. 82.
Mißverständnisse, böswillige 18.
83/4. 85.
— Homers 85. dort.
Moral 132. 135 ff.
Musonius 132.
Mythenvergleichung 89f. 93. 97.
Mythopoiie 88 ff.
Nachahmung s. Homer.
Nachklassische Schriftsteller 114.
Naturwissenschaft 139 ff.
Oekonomie 6 ff. 58.
Parmeniskos 109 £.
Philochoros 113.
Philosophie, praktische 132 ff.
— theoretische 198 ἢ.
philosoph. Einflüsse 46. 128. 130 f.*
132.* 140.
philos. Hippolytusscholiast, Zeit
131. 141.
Pindarscholien 95 ff.
Plutarch 132 £.
politische Verse 136.
Prolog 6f. 71. 154/5.
Prunken mit Zitaten 38. 122. A. 121.
— mit gelehrten Ausführungen 5.
9. "Ὁ 38. 69. 109. 115. 119. 139.
141.
Quellennachweis 5. Didymus.
Realismus 13. 52. 61. A. 11.
Religion 129 ff.
Reminiszenzen, Anstoß aufgr. v. s.
Anstoß.
— byzantinische s. dort.
II. Sach-Register.
Rhetoren als Kritiker 47, 87.
rhet. Ausstellungen 60 f. 64 ff.
Schauspieler 4. 72f.
Schlechtigkeit d. Charakt. 35 ff.
Sophokles Ὁ. ἃ. Byzant. 22, 127.
Stoiker 132 £. [(56.)
sprichwörtl. Verse 90.
Sühneversuch 10 f. 11. 60.
Syrinx 85.
Tadler , Zeitbestimmung:
— — z. Orest (cf. Enstat.) 26.
— — der Anachronismen 149.
Textkritik, antike 107. 113. 123.
Theateranekdoten 136 ἢ.
— Rücksicht aufs Th. 6, 50.
Tragödie, Charakter der 54 ff.
Ueberflüssiges 81.
— v. Standp. ἃ, Oekonom. 12 ff.
Uebertreibung (cf. ὑπερβολικῶς) 13 f.
Ungenaues 83.
Unklares 83 ff.
Unschönes 85 ff.
Unwahrscheinlichkeit 30 ff.
— der Charakterzeichnung 45 ff.
Verteidiger, Zeitbestimmung 26. 32.
48. 102. 104. 112. 121.* 138. 149.
Verteidigung mit altalex. Gut u.
gelehrte vgl. Tafel I Sp. 5.
— benützt Lysimachos 102. 112.
121.
— — Apollodor 146.
— durch Analogie 56/7.
— v. Standp. des Sprechenden 25.
62. 134.
— durch Umdeutung 67. 80.
— d. Umkehrung des Sachverhalts
153, A. 116.
— Einführung d. V. 3.
(cf. ἀγνοοῦσι, ἀπερίσχεπτοι, Yıyvo-
σχέτωσαν, δεῖ εἰδέναι, εἰ μὴ ἄῤα,
ἴσως, οὐκ (ἀναγκαῖον ete.), πῶς,
ῥητέον, τάχα, φαμὲν (λέγοι) ἄν τις,
Verwandtschaftsbezeichnung 54.
Weiberhass 154.
Widersinniges 78 ff.
Widersprüche 17 ff. 115.
— zwischen Charakterzeichng. u.
Oekonom. 5l.
— zw. Ausdruck u. Situation 76,
Zitate, unnötige, unpassende (cf.
Prunkzitate) 7. 15 ἢ. 17. 18. 21,
36/7. (41). 48. 50/1. 58, 78. 104.
130. 152. A. 115.
ἀγνοήσαντες 94.
ἀγνοοῦσι 21. 26. 48. 59.
A. 115.
ἀγωνιστικωτέρα 7.
ἄδηλον 15. 88,
ἀδολεσχία 81. cf. 10.
ἀήϑως 42.
αἰνίττεσθαι (-εται) 18. 47.
140. 151.
αἰσχροποιός 137. 154.
[αἴτημα σκηνικόν 28.156.]
ἀκαίρως (cf. παρά) 26.
41.
ἀκατασχεύαστα 15 cf. 22.
ἀκόλουϑον 82.
(οὐχ) ἀκολούϑως 62 cf.
42.
ἀχριβολογεῖται 80,
ἀκχριβολογούμενοι 158.
(ἐπ᾿) ἀληϑείας 92.
ἀλληγορεῖν 140.
ἀλόγιστος 6].
(οὐχ) ἀλόγως 79.
ἀμάρτυρος 89. 111. cf. 35.
ἄμεινον ἦν 6. 17. 50. 184.
ἁμοιβεῖα 154.
ἀμφιβολία. (-wg) 84. 94.
ἀνάγει τ. χρόνους 47. cf.
148
ἀνάγκαι 188.
(οὐχ) ἀναγκαῖον 16 (cf.
151). :
ἀνακχεχρόνισται 148.
ἀναχολούϑως 42 ἔ,
ἀνάξια τραγῳδίας 55.
ἄναπλήρωσις 88.
ἄναστρεπτέον 82.
ἀνασχευάσαι 154.
ἀνέστρεψεν 77.
ἄνόητον (-ὡς) 48. 129,
ἀνοίχειον 13. 55. 66. 70.
ἀντιϑέσεις 17. 156.
(εἴποι) ἄν τις 15. 31. 65
(ef. 64). 84.
(οὐδαμοῦ) ἀνώμαλον 44.
ἀνωτέρω 26. 27.
ἀξιοπιστότεροι 111.
or ἀξιόχρεως ἥρωος
(οὐχ) ἀπεικότως 82. 46,
ἀπεκρίνατο 68.
ἄπερίσχεπτοι 102.
ἀπιϑανόν 10, 31. 82. 48,
712. 129.
II. Sprach-Register.
169
Zwang d. Metrums s. dort.
Zweckloses 80 ff.
ἀπιϑάνως 4. 17. 50. 83.
ἄπιστα 108.
(οὐκ) ἄπιστον 127.
ἀπορεῖν (-οὔσι) 27. 88.
A. 23
ἀπορία. 19. 34.
ἄπρεπές (-ὥς) 59. 94.
ἄρχαῖοι 93.
ἀσεβεῖ 130.
ἀσυμφωνία 23.
ἀτοπίαν ἔχων 140.
ἀτόπως (-ον) 108. 128.
134 (cf, 102).
αὐτοσχεδίαζει 115. 142.
(ἀφ᾽, a) αὗτόν 147.
149. cf. 151/2,
ἀχάριστα 132.
γελοῖον (ὡς) 53. 76.
(οὐ) γιγνώσχει 89.
Υιγνωσχέτωσαν A. 129,
γνωμολογεῖ 45. 40.
δεῖ οὖν εἰδέναι 25.
(οὐ) δεῖ 98.
— δέον (cf. ἔδει) 52.
— (οὐχ) ἐν δέοντι 46.
δεξάμενοι 94.
διαιρεῖ 100.
διανόημα 85.
διαπορεῖται (-odcı) 74,
143, A. 129.
διασχευή 73.
διαφωνία (-οὔσι) 88. 98.
136. A. 56. 78.
διέψευσται (cf. φευδὲς)
108 (ef. 110).
δικαιολογεῖ 33.
δικαίως 131.
(οὐ) δογματίζων 184,
δόξα (Anekdote) 82.
δυσωπητικῶς (-πεῖ) 39, 42.
ξαυτὸν 58. αὗτόν.
ἐγκαλοῦσι 4. 82, 62. 18.
126.
ἔδει (cf. ἐχρῆν) 4. 10.12.
14. 23. 32. 45. 50. 54.
61. 62. 65. 66. 125.
139.
Er: (cf. ἐξεδ-) 92.
f. 96.
590 7. 154.
— ποιητικόν 76.
εἶθ᾽ οὕτως 77 (2 X).
εἰ μὴ (ἄρα) 18. 104. cf.
24
[εἰκαίολογεῖ 35].
εἰχαστικῶς [εἰκῇ] A. 17.
εἰκός 31.
εἰκότως 3. 82. 48/9. 131.
A. 18.
εἰκών 9.
εἴποι ἂν τις 31. 65.
εἰσάγει 45/6. 50.* 65. 91.
A. 27
ἐχβάλλειν 137.
ἐχβολαὶ 77.
ἐχχυχλεῖν 72.
ἐχράτησε 8. διανόημα.
ἐμφαίνων (cf. αὑτόν) 147,
ἐναντιοῦται 95. 109.
ἔνιοι 84. 116. 120. 125.
153. A. 89. 97. 98.111.
— τῶν ἀρχαίων 93.
ἐντεῦϑεν 89 FF. cf. 96.
ἐξεδέξατο (cf. ἐδέξατο)
92: 99.
ἐξέλαβε 92.
— ἐξειληφέναι 111.
ἐξόν 61.
ἐξουσία 98. cf. A. 21.
ἐπελάϑετο 15. 42. 45.
— ἐπιλελησμένος 22.
ἐπεξεργασία 77. 81.
ἐπιλαμβανόμενοι sim, 21.
65.
ἐπιζητήσειεν ἄν τις 84.
ἐπιτηδές 11. 59. 149.
(οὐχ) ἐπιτιμητέον 52.
ἐπιχειρήσεις (-ημα) 35.
154 (65).
ἔπλασαν 89. 102.
ἑρμηνεία 154.
(οὐκ) εὖ 71.
εὖ διώχηται 9.
εὐεπίληπτον 78.
εὐεπίφορος 80.
εὐήϑως 52. 69. 129.
εὐσεβῶς 58.
ἐφελχυστικὸς τ. ϑεατῶν
ἔφη γὰρ ἄν 64.
ἐχρῆν (οἵ. ἔδει) 11. 16.
33. 60. 62.
ἐφεύσατο 132.
ἔψευσται 108.
170
ζηπεῖται (-οὔσι) 26. 30.
63. 100.
ζήτημα 24 f. 28. 63. 74.
84. 128. 130. 156.
— διαβεβοημένον 19.
139 ff.
ζητητέον 27.
ἦϑος (Im) 36. 40. 44.
αὑτοῦ 156.
ἡρωιχόν 33 ff.
ϑρασύδειλον 49.
ἴδιον 58.
προσῆκον 42.
ἐν ἤϑει 20. 54.
μετὰ ἤϑους 45.
ἤρκει 81. 98.
ϑαυμάζειν 27.
(μὴ) ϑαυμάσῃς (-wpev)
83. 50.
ϑέατρον 6 f. 158.
ϑρασύδειλον 5. ἦϑος.
ἰδιάζει 97.
ἴδιον τ. τραγῳδίας 31.
ἰδίως 4. 18. 80. 97. 99.
117. 126. 146. cf. 119.
ἱστορεῖται sim. 38. 97. 99.
-102. 103. 108. 114.
116. 126.
ioropiafı) 38. 97. 99.
(ἢ) “ἱστορία 105. 107. 126,
(παρὰ τὴν) ἱστορίαν 101 ff.
ἴσως 12.25. 28. 115. 147.
Kal” αὑτὸν 8. αὗτόν.
χαϑολικώτερον 135.
χαϑόλου 85. 198.
καὶ νῦν 13. 115.
χαὶ τοῦτο (ἀπρεπὲς sim.)
4. 16. 17. 40. 52/3. 54.
104.
καὶ φαμὲν 28.
καὶ z. Einführung eines
Zeugen 108.109. 122/3
A. 97.
χαινοτομεῖν 98.
χαινῶς sim. 97.
(παρὰ τὴ καιροὺς sim. 51.
καχίζειν 80.
χαχοζηλία (-ζηλον) 87 f.
χαχόηϑες (-ὡς) 90. 818,
39.
χαχονόως 41.
χαχοσυνϑέτως 139.
καχῶς 79.
II. Sprach-Register.
— x. ἐξειληφέναι 111.
[(οὐ) κακῶς 58.]
χαλῶς (Moral) 135.
χαλῶς 8. 9. 54. 79. 147.
(οὐ) καλῶς 33. 58. 127.
χατάληξις 97.
χαταμεμφόμεϑα 47.
χαταμίγνυσι A. 129.
χατασχεύαμα (-zuN) 57.
154.
χαταστρέφει 56.
χαταστροφὴ SAF.
κατηγορεῖν 111. A. 96.
(διὰ) κενῆς 8. προσέρρα-
πται..
κυρίως 96. 99, 140.
χωμιχά 58 Π 74.
χωμικ(ώτερ)ος 54f.
κωμῳδεῖν (-δεῖσθαι) 36.
38. 59. 69. 82.
χωμῳδία 55 ff. 74.
λαμβάνονται 119.
λέγοι δ᾽ ἄν τις 15.
λέγομεν 184,
λεχτέον δὲ 130.
(οἱ) λοιποί 97. 115.
μάταιος 114.
(οὐ) μαστροπώδεις 84.
μέλος (-Ὁ) 72. 154.
μέμφονται 16. 51.
μεταφέρει 152.
μιμεῖται 10.
(τὰ) μυϑικά Α. 129.
νεώτεροι 89 ff. 121. 125.
A. 98.
νεώτερον 99. 121.
(οὐ) νοήσα(ντε)ς 32. 92.
125.
vonteov (det νοεῖν) 28. 29
(ef. ὑπενόησαν u. χαϑο-
λικώτερον).
νομίσας 92.
νόμοι 188.
γόσημαι τ. ἀντιϑέσεων 17f.
156.
ὀβελίζειν 86.
οἱ δὲ (εἰσὶν οἷ) 20. 80.
111:
(οὐχ) οἷδε 126.
| oinetov 73 (cf. 50).
οἰκονομικῶς 10,
olnovonodar 22.
ᾧκονόμηται 17.
οἰχτρότερον 97.
(καϑ') Ὅμηρον 89.
(τῷ) ὄντι 91.
(οὐκ) ὀρϑῶς 64.
δρμηϑεὶς ἐκ 96.
(οὐδαμοῦ) ἀνώμαλον 44.
(οὐκ) ἀναγκαῖον (cf.1. 28)
16.
— ἀξιόχρεως 33.
yıyvooxe 89.
ἐν δέοντι 45. 46.
ἐν χαιρῷ 51.
ἐχράτησε τ. διανοήμα-
τος 85.
- εὖ 11].
χαλῶς 88, 58. 127.
οἷὸς 126.
οἰχεῖον 580,
ὀρϑῶς 84.
— συνῳδόν 49.
οὐκ (cf. S. 3; ἐπιτηδές,
εὖ).
— ἀναγκαῖον (cf. 1. 7)
151.
— ἀλόγως 79.
ἀπεικότως 32. 46.
ἄπιστον 127.
ἀτόπως 1028.
δεῖ 98.
δογματίζων 134.
ἐπιτιμητέον 52,
[κακῶς 3. 58.]
μαστροπώδεις 94,
παράδοξον 2].
- φορτικός ὅ8.
ὀχληρός 1584.
ὀχλικὴ φαντασία ὅ0. 158.
παϑητικῶς 77.
πάϑος 7. 58. 56/7. 100/1.
πανούργως 40. 41/2.
παρὰ τ. ἱστορίαν 101 ff.
— rt. καιρὸν sim. 5l.
— τ. πρέπον 80 A. 115,
— τ. πρόσωπα sim. 51.
— τ᾿ χρόνους 149 f. 151.
παράγειν 96.
(οὐ) παράδοξον 21.
παραγχήκοεν 96.
(Ex) παραλλήλου 82.
παράλογον 139.
παραμυϑεῖσθαι 10. 11.
παραπλήρωμα 80 f.
παρεγχωρεῖ 17,
παρελχόμενα 7. 154.
παρεπιγραφὴ ὅ5. 14.
περισσόν 12. 70. 77. 81 ἢ.
περισσός 78.
περιφερόμενος 81.
πιϑανῶς (-όν) 3. 46. 75.
πλαγιασϑείς 94.
πλανηϑείς (-ἐντες) 94/5.
— ἢ πλάνη γέγονς 94.
πλάσμα (cf. ἔπλασαν) 48.
— πλάσματι χεχρῆσϑαι
151, 154.
ποῖος (ποία) 89.
πονηρῶς 39.
προκόπτειν τὴν ὑπόϑεσιν
12 ἢ. 45.
προληπτικός 152.
πρόλογος (-λέγεν) 7.
154/5.
πρὸς ὅ 5. ῥητέον u. φασί.
- χάριν ᾿Αϑηναίων 152.
προσέρραπται διὰ χενῆς
10,
προσῆκον 5. ἦϑος.
(κατὰ τὸ) προστυχόν 91.
πρόσωπον 14. 15. 45/6.
50/1. 59. 149. 152.
προτραγῳδεῖ 58.
προυπομνηματισάμενοι 20.
πρωϑύστερον 78.
πτωχοποιός 13 f. 154.
πῶς cf. ζητεῖν 8, 9. 11.
12. 21. 23. 25. 26. 27.
28. 29. 48. 51. 129.
132. 143. A. 23..129.
πῶς δὲ (Vert.) 180.
ῥητέον (πρὸς ὃ sim.) 61.
62/3. A. 113,
ῥητορικῶς (-ὦτατος) 7.
154.
II. Sprach -Register,
| σατυρικώτερον 56.
σημειοῦται 86.
σημειωτέον 104. 125.
— σεσημείωτα: sim. 70.
81. 89.
σῖγμα 85.
σχηνικόν (αἴτημα) 28,156.
(Ex) στοχασμοῦ 91.
συγγνωστέον 76.
συγχέουσι(οἴ, ὕποσ-) 100 ἢ,
151.
συχοφαντεῖν 151.
σήλληφις 100.
συμπάσχειν 12. 50. ef. 13.
συμφωνεῖν (-vov) 98 (23).
συνδραμών 116 f,
συνήϑεια 5. αὗτόν.
(οὐ) συνῳδόν 49.
ταυτότης 86.
τάχα οὖν (δέ) 8. 14. 27.
53.
— ἢ τάχα 133.
τινές 62. 94. 128. A. 98.
129.
— τῶν νεωτέρων 92,
(ἕτερα) τοιαῦτα 15.
(πολλὰ) τοιαῦτα 56.
τοιοῦτος 45. 46. 151.
- τοιούτῳ εἴδει 28.
τολμηρῶς 54.
τραγῳδία, τραγικῶς 54 ff.
τροπικώτερον 14].
τρόπος ποιητικὸς 77.
— ὑπέρϑεσις 77.
(τὸν) τυχόντα (cf. προστ-)
128,9. 132.
171
ὑπενόησαν 121.
ὑπόϑεσις 23. 70. 71. 98.
(cf. προκόπτειν 12 f. 45).
ὑποχρίνεται (-χρισις) 38.
— (καϑ') ὑπόχρισιν 67.
ὑπομνηματισάμενοι (cf.
πρου-) 59.
ὑποσυγχέουσι 122,
ὑποτίϑεται 21. 28. 70. 121.
ὕπουλος 16 f. 88.
ὕστερον πρότερον 70 f.
φαμὲν οὖν 27. 80.
- χαὶ φαμεν 28.
— (πρὸς ö) φασί 111.
φαντασία, ὀχλική 50. 153.
φαύλως 59.
φιλοσοφεῖν 18. 45 ff. 195.
φιλοσόφως 14].
φιλοσοφώτατα 47.
φορτικός 154 (cf. 53).
φράσις 154.
φυλλοβολία 149.
(τὰ) φυσικά A. 129.
χάριν 8. πρὸς χάριν.
χρήσιμα 31.
— εἰς οὐδὲν (μηδὲν) -ον
15 f. 80/1.
χρησιμώτεροι 111.
χρόνοι 47. 149 f. 151.
φευδές [ef. (dr)ebevotee]
103.
φυχρῶς 6. 86. 154.
ᾧκχκονόμηται 17.
ὥφειλεν 138.
III. Stellenregister.
Eingehender behandelte, emendierte oder erklärte Scholien sind
mit * bezeichnet.
Euripides:
Hecabe:
1S 114 A. 97
'ıD 6
Θ᾽ 99, 1185 1 Ὲ
4b 100
9 78 f.
24 79. A 47
53 28
71 123
74 76
123 120
241 48
| 254 151 | 762 78
273 D 27 | 776 100
280 30 £. | 801 139
342 33 | 825* 34
421 100, 101|827 D 82f.
467* 144 ff. | 847 138
. |472* 122|887 5 A. 2. 108. 109
504 27.150 | 898 33
521 28. 156 | 923 154
570 D* 86 £.| 934 122 A. 108
573* 149 £. | 1068 79
603 D 47|1103 Ὁ 62 A. 23
683 D 27 | 1186 D 154
172
1187 41
1219 15
1265 D 127
1279 125
Orestes
arg πῶ, "51."
36, 44, δὅ
arg. III D 6, 55
4e,f 54
10 137
11 88
15 c 54
18 82
25 54
32b 26
46 100 Α. 81
57 122 A037
63 83 A. 48
71 b* 42f
716 99
73/6 42
78 cC 42
80 83
81 44, 54
89 68
94/5 44, 54
97 51
101* 42
102 41
108 a, c* 68 ἢ
108 Ὁ 41
120 42
121 41
128 153
144/5* 85
176 a 125
176 b* 72
206 17,:82
220 79f£
234 132
257 Ὁ 121
%68c 4, 50, 72 A. 37
352 38 A. 12
353 ἃ 83
353 Ὁ 99
356 * 36
370 40
371 38, 148
373/4/6 37
396* 4. 26
401 39
403 37. 40
411* 39
418 Ὁ 4. 26
419/23 40
421 39
427/37 39£,
III. Stellen-Register.
434 84
462 76
472 12
479 139
482/8 38, 54
486 90
524 139
526 18
554 136
562 8 53
562 D 127
576 Ὁ 78
662 84
643 12
685 77
687* 37
702 ἃ 78
742 86
ΠῚ 140
“12 148
796 30
898 D 101
903/4 148
982 b 126
982 ὁ 142 A. 129
1004 125
1009 77
1034 85
1045/6 89 ἢ
. 1074 68
1075* 18
1210 13
1245/6 83f.
1246 b 101 A. 81
1366 71, 12
1369* 55
1378 33
1384 δῦ, 74
. 1898 Ὁ 81
1483/4/6* 911.
1491 80
1512/21 55
1536 D 25
1559 38
1645 b 99
1682 148
1691 * 56
Phoenissae:
arg. 81
1 82
4 ἃ, 129 £.
4b 101
4c 62
6b 152
21 Ὁ 48. 129
24 128
26 b 3. 48. 129
27 Ὁ 32
28 cC 48. 129
Sla,c 48. 129
36 17
44 17
47 48. 129
60 128
61 48
69 49 A. 18
ἡ" 23
88 cC 7. 87. 154
88 αἴ 9
98, 96 10
111 27
125 100
134 122 A. 108
139 147
151 32
159 Ὁ 142
170 10
902 10
208 143
2367 48, 156
274/5* 49
301* 21
388 45
393 133
395 33
. | 396 90
402/05* 132 £.
405 48.128
409 a 61. 68
.1409 e 128
428 81
446 13, 34 A. 11
504 13, 84 A. 11, 52
507, 549 61
584 60
748 76
805 24 f.
809 83, 126
839 33
854 148, 153
856 32
911 14
934— 38 62.8.
973 81
980 15 £.
985 91
1019 11
1046 83
1053 11
1060 130
1100 143
1116 99
1130 27
1310 45
1315* 29
1377* 148 f.
1485 153
1539* 13
1566 4. 54
1605/06 10. 52. 69
1692* 22 1.
1710 22
1747 31
1751 13, 15, 156
Hippolytos:
11 122 A. 108
14 130
33 122 A. 108
47* 130 £.
73* 139 fi.
125 32, 83
146 122 A. 108
171” τ ἢ.
198, 201/15 13,34 A.11
231 148
345 ἃ 34 A. 11
345 b 69
385* 135 f.
387 .46
402 122 A. 108
612 135
620/3 134
645 134 A. 121
656
672 13, 34 A. 11
860 76
920 134
953* 46 f.,* 148
-973/4 8
979 122 A. 108
. 1102 12, 153
1253 83
Medea:
arg. 50, 76 ἢ.
lb 76 £.
2 121
9 109 £.
405 7, 155
7 134 A. 121
87 81
96 72
97 22
115 70
148, 169 19 1.
208 Ὁ 20
292 f 147 £.
238 77
264* 5 A. 2, 108, 109 £.*
236 134
324 16
III. Stellen-Register.
375 8, 155
476 85
527 108
538 65
665 80
666” 12
724 12
791 7, 155
823 11
834 195 Α:.11]
900/01 16
922* 17, 50)* 153
972 42.17
1224 153
1334 122 A. 108
1342 121
1346 136 £.
Alcestis:
arg. 56
la 7
lb 145 A, 135
233 let“
779 45
962 12, 152
Andromache:
arg.* dat.
6/7 s1f.
10* 111. Ὁ
24 100, 117 £.
32a 100, 118 ἢ.
32 b* 59
50 82
85 46
106 83
107 101
150 59
216 64f.
224* 101, 102 £.
229 51
277 108 A. 89
330, 362 51
445 122 A. 108
616 101, 103.
622 153
630 17
734* 151
885 108
1009 11:8
1077 5A. 2,78
1240 108
Troades:
1 6, 71 A. 35, 154
6 101
14 86
16 131
81 120, 158
36 6, 154 |
173
209 153
214 122 A. 108
268 12.
408 14
448 99
453 27
547 80
634 45
822 100
855* 124
863 81
895 54
906 17, 155
943* 101. 104 ff,
975* 66 f.
1010* 35
1030 52
1049 4. 55
1057 154
1075 84
1107 22
1129 97
[Rhesus]:
29, 342 122 A. 108
346 145 A. 135
Sophocles
A791 51
184 11
520 34
746 90
815 53, 98, 113
A. 96
El. 539 102, 113 A. 96
445 22, 98, 113 A.
96
Trach. 633 102
Philoct. 425 102, 107
445 102
Oed. C. 1156 70
Homer
A5 90 A. 60
59, 107 89
270 92
B 45 24, 99
107 89
356 106
596 89
599 92
641 92 A, 66
659 95
670 96
862 100, 114 A. 98
872 92
7519 49
144 120 A. 105
184 100
5 “Ὁ
fen)
225
III. Stellen-Register.
105 | II 97 95
94| 717% 97
96] 718 99
92|2 54 90
92. 90 89
61|r 109 93
91. 234 95
90. Φ 281 98.
100 A. 80 Χ 209, 351 92.
92. Ψ' 346 90 A. 58
93| 679 91 A. 63
92| 783 90 A. 58.
90 A.58,91*|Q 35 66 A. 31
100 A. 80| 257 90.
89 A. 586] 259 90 A. 58, 99
94| 527 92, 96
94| 545 100
93| 604, 613 99 A. 78
68| 617 90 A. 58
94 135* 91
122 Α.108 α 300, y 309/10 122
λ 410 126
Pindar
Ol. 5, 20 108 A. 89
6, 25 ἃ 97
6, 59 108 A. 89
7, 428, 96 A. 73
7, 63b 96
9, 46 96
9,8724 96 Alıza
9, 96*. 115c 97
Pyth. 3, 141 96
4, 14. 8 968.
4, 223. 2831 97
4, 810 96A.73
4, 447 97
Nem. 3, 75 97
Aristoteles
poet. 1454 a 16/28 36
1461a 5 135
rhet. 1395 a 7 133
Inhalt.
Einleitung. h :
I. Abschnitt: Aesthetisch- Wechnischeg
1. Oekonomie und Widersprüche:
Prolog
Nutzen und Berechtigung einzelner Szenen
Einzelheiten (Fehlendes und Ueberflüssiges)
Tadel gegen einzelne Aeußerungen
Oekonomie des Erzählten
Widersprüche: A
zwischen Handlung und Bezugnahme auf sie
zwischen geäußerten Absichten
zwischen zwei Erzählungen . :
sich widersprechende örtliche Voraussetzungen
2. Unwahrscheinlichkeiten
3. Charakterzeichnung
Verletzung des Ypwınöv ἦϑος
schlechte Charaktere
(Menelaos S. 36—41 ; Helena 5, 41—44; Son-
stiges S. 44f.)
Unwahrscheinlichkeit der Charakterzeichnung
(φιλοσοφεῖν S. 45—47 ; Sonstiges S. 48)
Inkonsequenz .
Widerspruch zwischen Charakterzeichnung
und Oekonomie . :
einzelne Aeußerungen : ᾿
4. Charakter der Bengödie N
5. Dialogführung. NR
6. Bühnenwesen.
II. Abschnitt: Sprachlich- darstellende nat
Widerspruch zwischen Ausdruck u. Situation
Ὕστερον-πρότερον
Widersinniges und unpassende Epitheta
Zweckloses
Seite
3-6
675
6-30
β--8
8—12
12—15
15---17
17
1730)
19—22
22 Ὁ,
23—28
98. 80
80--38
88. 54
33—35
35—45
45—48
48—51
51 ἢ
52—54
5459
60—69
70. 75
76—87
76
76—78
78-80
80-83
ΠῚ. Abschnitt:
Inhalt.
Ungenaues .
Unklares e
Unschönes und Unpoetisches ᾿
Mythopoeie .
Voruntersuchung .
(Aristarch zu Homer ΕἸ 89. 95, zu Pindar
Ss. 96—98)
Aristarch zu Euripides . :
Scholien mit παρὰ τὴν ἱστορίαν. .
Didymus und voraristarchische Kritik (8.
111—114)
sonstige gelehrte mythographische Scholien
Bemerkungen des ausgehenden Altertums
byzantinische Mythenkritik
IV. Abschnitt: Anschauungen des Dichters
1. Religion, Moral,
Philosophie:
Angriffe auf den Mythos selbst . ἀπ;
Religion und Kultus .
praktische Philosophie und Moral
theoretische Philosophie :
. mangelhafte Kenntnisse:.
Naturwissenschaft
Geographie . . .
Kulturgeschichte .
Anachronismen N
Anspielungen auf Dichter . .
Rücksichtnahme auf das Publikum .
Schluss
Nachträge und Berichtigungen
Entstehungszeit der Bemerkungen
Sach- und en,
Stellenregister .
Juli 1907—Januar 1908.
83
83—85
85—87
88—127
83—98
98—101
101—107
108—122
122 —126
126
127
127—154
127—139
127—129
129—131
132—138
138 £.
1359—154
139—142
142—144
144—147
147—152
152 f.
155 £.
154
155—157
157—166
167—171
171—174
NOVAE
QUAESTIONES PLAUTINAE
PRAECIPUE AD ORIGINEM DUARUM RECENSIONUM
PERTINENTES
SCRIPSIT
EUGENIUS SICKER.
Philologus, Supplementband XI, zweites Heft. 12
IOHANNI VAHLENO
PRAECEPTORI GARISSIMO
SACRUM.
179
Inter Ambrosianum et Palatinos qui vocantur codices quae
necessitudo intercedat probe et certa ratione proposita inquirere
quanti momenti esset ad tractandas omnes fere quae in fabulas
Plautinas cadunt quaestiones criticas, prae vetustate studiorum
Plautinorum viri docti sero agnoverunt. Nam etsi post Rit-
schelium multi varias duarum recensionum lectiones perpen-
derunt, qua ratione singulatim multa et egregia in lucem prolata
imprimisque scientiam metricam atque prosodiacam, ut mittam
scientiam sermonis Plautini, haud mediocriter esse dilatatam
negare nefas sit, et, quod mirum non est, alii Ambrosiano, Pala-
tinis alii maiorem fidem tribui voluerunt, tamen ea ipsa quaestio,
ex qua sola cura atque cogitatione aliquid erui potest, diu ne-
glecta iacuit: neque enim quisguam anquisiverat, quid tandem
iudicandum esset de iis locis, quibus A et P inter se congruentes
eandem scripturam haud dubie falsam traditam exhibent, aut
quae coniecturae ex eiusmodi consensu duarum recensionum
capiendae essent. Hinc primus profectus est Fridericus Leo,
qui vir doctissimus ratione ac disciplina usus in libri sui notissimi
qui inscribitur „Plautinische Forschungen‘ capite primo ita rem
gessit, ut exorsus ab impari quadam in singulis fabulis erebritate
hiatuum, quos quidem ambae recensiones nobis suppeditent,
statueret magnisque argumentis comprobaret fabulas Plautinas,
postquam ab initio suam quaeque traditionis viam iniisset,
Hadriani demum temporibus a grammatico quodam in unum
corpus esse coactas, qua ab editione servato eo textu, quem M.
Valerius Probus vel sectator quidam huius grammatici celeber-
rimi constituisset, in usum doctorum hominum curata et ipsa
corruptelis haud paucis deformata tamquam ab extremo fonte
omnium qui quidem nobis praesto sint codieum Plautinorum
origo repetenda esset, quamvis multas magnasque mutationes
12 *
180 E. Sicker,
singulatim et librariorum licentia et grammaticorum libidine
textui ingestas esse appareret, quo ex tempore (tertio vel quarto
p. Chr. n. saeculo) factis cum aliis editionibus tum illis duabus,
quarum alteram pro Ambrosianae, alteram pro Palatinae recen-
sionis archetypo habere nos solemus, textus memoria in diversas
partes discessisset. — Hanc rationem, quam non sine subtili
doctrina atque acumine Leo persecutus est, nuper impugnavit
Lindsaius in libro eo, quem inscripsit ‚The Ancient Editions
of Plautus‘ (Oxonii 1904). Is antiquitus duas fuisse textus con-
formationes autumavit, quarum altera repraesentaret textum
principalem et vere Plautinum, altera textum quasi secundarium,
sicut poeta iam pridem mortuo in usum scaenicum a dominis
gregum reconcinnatus atque retractatus esset (Revival text):
harum textus conformationum utriusque exemplaria nobis in
promptu esse: nam ut P praeberet textum in usum scaenicum
retractatum, sic A genuinum textum memoriae proditum habere,
nisi quod ambae textus conformationes quin quodam modo inter
se commiscerentur pro natura memoriae antiquissimae fieri non
potuisset. Certe autem quibus locis AP inter se congruentes
eandem exhibent scripturam, iis locis ipsa verba Plauti nobis
suppetere nullo intermisso intervallo (‚in an unbroken line of
tradition‘ ut ait ipse p. 37) usque ad tempora liberae Romanorum
rei publicae referenda, nisi forte in utrumque memoriae fontem
casu eandem corruptelam se insinuavisse appareret (‚unless there
is clear possibility of the two scribes having fallen independently vnto
the same error‘). —
Hane Lindsaii argumentationem vicissim Leo infirmare ac
diluere studuit recensione illius libri, quam publici iuris fecit in
„Göttingische gelehrte Anzeigen‘ 1904, p. 358—374, cum subducta
ratione quid consectarium foret ex iis, quae ille fidenter statuit,
plane diserteque exposuit. Nam siquidem vera sunt quae Lind-
saius asseveravit — neque satis dilucide explanavit — nullam ut
ita dicam genuinam necessitudinem inter A et P intercedere neque
omnino posse cogitari de fonte quodam antiquissimae aetatis
seilicet ingenti diuturnitate temporis usque ad nostram memo-
riam non servato, quo ex fonte utriusque recensionis librorum
origo repetenda sit, nimirum in corruptelis iisdem
Novae quaestiones Plautinae. 181
utrobique traditis aqua videtur haerere:
consequens enim est, ut tales corruptelas aut in utriusque recen-
sionis libros invasisse, quia librarii eodem modo seu erraverunt
seu dedita opera consultoque peccaverunt, aut re vera corrup-
telas adeo non esse dicamus, ut sint ipsa verba Plauti.
Videliceet a corruptelis iisdem utrobigque
traditis proficiscendum est ad disceptan-
dam hance controversiam: sed huic ipsi argumenta-
tionis parti, ex qua initium capere eum oportuit, Lindsaius parum
momenti attribuit, immo quasi rem ita ut ipse iudicat sese habere
inter omnes convenisset aut apertum esset, ipse quoque maxime
115 locis dedit operam, quibus cum A et P inter se discrepent utra
sit verior scriptura ambigitur et posthac fortasse ambigetur.
Verum tamen infitiari multa et praeclara ad scientiam nostram
cum aliarum rerum tum maxime utriusque recensionis proprie-
tatum, quae quidem ad externam illarum editionum formam
pertineant, eum contulisse iniquissimum est.
Hic igitur est cardo totius controversiae, hac in re vertitur
summa huiusce quaestionis, ut profecti a corruptelis iisdem in AP
traditis inquiramus atque disceptemus, utrum Leonis an Lind-
5811 ratiocinationes probabilitatem habeant maiorem. Quam ad
rem transigendam quoniam hoc maxime refert, ut, quae corrupte-
lae mero casu in utriusque recensionis libris separatim fieri po-
tuerunt, easdem secernamus ab iis, quae cum graviores sint in
hanc partem vix possunt accipi, perscrutandum mihi esse censui
Ambrosiani codieis reseripti apographum a Studemundo con-
fectum et a Seyfferto editum, ut quasi norma quadam iudieii
instructus accedere possem ad tractandam hanc controversiam
gravissimam, quam si mihi persuasissem prorsus esse diremptam,
iterum evolvere animum non induxissem.
Sed ne quis exspectet aut omnibus aut certe plerisque ex
locis, qui quidem in hanc quaestionem cadant, aliquid certi extri-
catum iri, liceet mihi praefari tantum abesse ut semper aut ple-
rumque verum coniectura adipisci possimus, ut saepenumero ne
115. quidem locis, qui gravioribus corruptelis videntur laborare,
certo res possit explorari. Neque enim satis est crebro strietim
atque obiter significare corruptela delitescat necesse esse aut,
182 E. Sicker,
si quam crucem in editionibus fixam invenimus, in ea acquiescere,
sed res poseit, ut quam sedem et naturam corruptelae esse ar-
bitremur de industria inquiramus, quae cum ita sint, persaepe
in utramque partem potest disputari. Nempe igitur, si mente
non occupata huic quaestioni dabis operam, ad Leonis rationem
numquam confugies nisi ubi corruptela eadem quemadmodum
etin A etin P separatim exsistere potuerit aut omnino non poteris
interpretari aut alia interpretatio pro rerum natura nimis longe
repetita esse et omnem finem probabilitatis transire videbitur.
Quod superest, de corruptelis ipsis quae dicenda sunt in
verba quam paucissima conferam. Agitur enim, ut quae minoris
momenti sunt omittam, aut de singulis verbis aut de totis ver-
sibus, qui cum utrobique traditi exstent utrum vere Plautini
sint habendi an prorsus a Plauto abiudicandi aut, id quod sae-
pius usu venit, utrum suum locum in codicibus obtineant an
aliunde sumpti et in margine adscripti postea in textum inva-
serint vel alia serie rerum illuc irrepserint dubitari potest.
Hiatuum quidem utrobique traditorum rationem omnino
non habebo, quoniam neque multum hoc refert et de iis quid
iudicandum sit viri doctissimi dissentiunt et, ut opinor, dissen-
tient (conferas velim ea, quae Leo exposuit in libri quem supra
dixi capitibus V.et VI. cum illis, quae Lindsaius statuit in libri
sui capite VIII. paragraphi 6.)!). lIam vero proficisci ab hac
parte rem maxime dubiam ambiguamque duco, a qua anxie ca-
vendum sit: namque periculum est, ne hac ratione instituta et
hac norma iudicii adhibita ad coniecturas falsissimas deducamur.
Atque etiam hoc mihi licet praefari: veritus enim, ne opus
!) De hiatu Plautino nuper egerunt Hermannus Jacobsohn
in dissert. Gotting. (1904) et Eugenius Krawezynski in dissert.
Vratislav. (1906). Novam quandam eamque multo, ut opinor,
probabiliorem rationem institut Paulus Friedlaender in Mus.
Rhen. vol. 62 (1907), cum magnis causis ostendit, qui hiatus fabulis
Plautinis ceterisque continentur, eosdem plerosque a poetis ipsis
esse admissos et inde repetendos, quod ad artem Saturniis versibus
adhibitam etiamsenarii septenariique relatiatqueaccommodati essent.
Certe nihil ineptius est quam ob unum hiatum eundemque fortasse
legitimum versus alioguin optime comparatos minimeque mancos
temptare et, sicut fit, depravare.
Novae quaestiones Plautinae. 183
nimium intumesceret, satis habui in hac quidem commentatione
tantummodo de corruptelis verborum disserere et
id quidem eo magis, quod vel ex hac parte argumentationis illa
controversia satis certo diiudicari potest. Neque tamen deero
illi alteri muneri et quomodo iudicandum esse censeam de ver-
sibus insiticiis qui perhibentur data occasione proponam. —
Sed cum controversiam totam usque ad umbilicum revolvere
mihi in animo esset, tantummodo eas corruptelas, quae certissi-
mae eaedemque ad diiudicandam hanc quaestionem praeter
ceteras idoneae esse videantur, illustrare — quam viam simpli-
cissimam inire potui — satis adeo non habui, ut, quaecumque
corrupta vulgo aut a plerisque existimantur, proponenda dili-
genterque examinanda esse putarem. Itaque in capite I. disserui
de iis locis, quibus scriptura codicum, quamquam a compluribus
viris doctis in dubium est vocata, tamen ab omni suspicione mihi
videtur vacare. Scilicet maxime mea interfuit, quaecumque
quandam partem incerta sunt — et esse incerta apud Plautum
etiam nunc permulta liquido profiteamur! — a principio seclu-
dere, quoniam cum aliis causis tum huic gravissimae cautio
adhibenda est quam maxima. Quae autem in hoc capite partim
fidentius partim dubitanter statui, eadem vere Plautina ideoque
retinenda esse omnia etsi ne ipse quidem praesto, tamen viris
doctis disceptanda permitto: seu approbantur seu improbantur
singula — et nonnulla saltem fore ut approbentur sane confido —
ego quidem, quoniam fortasse vera aut ambigua certe sunt, ex
iis aliquid certi ad hanc controversiam ut concluderem a fide mea
impetrare non potui. Haec dico, ne quis mihi crimini vertat,
quod Plauto interdum verborum constructiones aut metricas
prosodiacasque rationes maxime dubias obtrudere voluerim.
Verum tamen, cum saepenumero apud Plautum res se ita habeat,
ut verborum contextus libris traditus et sententia ipsa cum
prosodia aut metro discrepare videantur, eandem viam, quam
ingressi sunt plerique, minime esse mihi ineundam censui, sed
pluribus exemplis studui ostendere, quo usque evaderet ratio
illorum, qui non ad sententiam, sed ad metrum referenda esse
184 E. Sicker,
omnia arbitrantur, et identidem monui primum prospiciendum
esse sententiae, deinde operam‘ esse dandam metro restituendo
aut stabiliendo. Ac si quis contendat verba esse fortuita et
mobilia, metrum stabile fixumque, is secum reputet primum
contextum verborum libris traditum saepius ita esse comparatum,
ut uno vocabulo deleto vel mutato sententia universa prorsus
debilitetur aut certe in deterius vertatur, deinde scientiam pros-
odiacam metricamque nostram ne nunc quidem esse perfectam
atque absolutam, quamvis multa et praeclara cum ab aliis tum
a Skutschio prolata sint: enimvero illud Heracliti πάντα ρεῖ per-
tinet etiam ad has quaestiones. '
Ad confirmanda ea, quae in capite I. explicavi, licet mihi
singulatim pauca addere.
Ad Stich. v. 620, sicut Palatinis traditus est, sustentandum
praeter illa exempla, quae Seyffertum secutus posui, haud inepte
comparari potest Hor. Sat. II 6,78 (‚ex re‘) aut Graecum illud
πρὸς καιρόν (velut Soph. Ai. 38. Trach. 59. Phil. 1279).
Stich. 695. ‚vivimus‘ servandum et mensuram bisyllabam
adhibendam esse statui, quamquam posse adhiberi mensuram
‚vivimus‘ ipsam per se et hoc loco et Poen. 1187 me non fallit.
Etenim ceteris locis, quos illustravi, ad illam mensuram con-
fugiendum esse solam res ipsa indicat. Quocirca Curc. 664
fortasse servanda est forma versus tradita (‚dum vivat, med alat‘),
quod ita esse Schoellius sensit, etiamsi eoniectura usus est mi-
nime necessaria (cf. praef. edit. Teubner. min. p. XI). Dubia
est res in Men. v. 202 (‚mieis‘ ?).
Ad Cas. v. 157 544ᾳ. addiderim haec. Quod attinet ad formam
genetivi ‚flagitii‘, velim conferas, quae Bentleius exposuit ad
Ter. Andr. II 1, 20. Ad retinendam vero orationis formam
‚lagiti persequentem‘ (i. 6. idem fere ac ‚flagiti appetentem‘),
affero exempla aliquot Horatiana: ‚rixarum metuens‘ (Carm. III
19, 16) ; ‚metuens alterius viri‘ (ibid. III 24, 22); ‚metuens pendentis
habenae‘ (Epist. 11 2, 15).
Cas. 975. Exemplis Latinis, quae in pagg. 19. 20 posui sc.
ad sustentandam formam ‚scöipionem‘, Graeca adiungo haec:
Soph. Oed. R. 35 sq.: ὅς γ᾽ ξέλυσας ἄστυ Καδμεῖον μολὼν
σχληρᾶς ἀοιδοῦ δασμὸν ὃν παρείχομεν.
Novae quaestiones Plautinae. 185
ibid. 449 sQ.: — — — τὸν ἄνδρα τοῦτον, ὃν πάλαι ζητεῖς
ἀπειλῶν χἀναχηρύσσων φόνον τὸν Λαΐειον, οὗτός ἐστιν ἐνθάδε.
1014, 936 5α.: — — — τὸ δ᾽ ἔπος, οὑξερῶ τάχα, ἥδοιο μέν
(πῶς δ᾽ οὐχ dv;), ἀσχάλλοις δ᾽ ἴσως.
Soph. Oed. Col. 1150 sq.: λόγος δ᾽ ὃς ἐμπέπτωχεν ἀρτίως ἐμοὶ
στείχοντι δεῦρο, συμβαλοῦ γνώμην, ...
Soph. Trach. 289 sqq.: — — — τάσδε δ᾽ ἅσπερ εἰσορᾷς, ἐξ
ὀλβίων ἄζηλον εὑροῦσαι βίον χωροῦσι πρὸς σέ" ........
Eur. Orest. 1629 sqg.: Ἑλένην μὲν ἣν σὺ διολέσαι πρόϑυμος
ΟΥ̓ ἡ ρας, τ ον: νον ae 1% .2OEWv. na ι
Atque etiam in oratione soluta tales casuum assimilationes
vel attractiones inversae quae vocantur interdum occurrunt velut
Xen. Anab. V 5,19. aut Lycurg. Leocr. 42, de quo loco etiam
aliter iudicari potest.
Pers. 265. Ad comprobandam constructionem largeri alicui
aliqua re, quam etsi dubitanter Plauto vindicavi, comparari posse
mihi videbantur verba litandi et sacrificandi hoc modo usurpata:
praeter Epid. 175. Most. 241. Stich. 251. afferre potui etiam
Hor. Carm. I 4, 12. Cic. legg. II 12, 29. IL 21, 54 (parentare).
Ex capite II. sumi et huc referri volo Rud. v. 521, ubi illud
‚multo tanta miserior‘ in AP traditum quin Plautinum ideoque
(sieut Stich. 339 et Men. 800 cum libris, Men. 680 cum Β 1)
retinendum sit ex iis, quae Havetus et Leo (Woelffl. arch. 12, 99
544.) apte ad probandum exposuerunt, iam non dubito. Bacch.
310 (‚multo tanto carior P—A πη. 1.) vero — quam coniecturam
hoc loco repeto — haud scio an librarius in promptu habuerit
‚tanta‘, scripserit autem ‚tanto‘, sive aberravit ad idem hoc ver-
bum in versu insequenti positum sive in usum communem de-
lapsus est sicut Pers. 153 (‚ter tanto peior‘ P—A n. 1.).
Ceterum quam caute cogitateque in hac controversia trac-
tanda rem gesserim, intellegi potest etiam ex iis capitibus, quae
sequuntur. Nam ut illos locos, quibus scriptura in A tradita
aut lacunosa aut nimis incerta est (cf. quae ad Cas. v. 786 adnotavı
pag. 58), omnino praetermisi, sie in capite II. seclusi quosdam
versus, qui utrum corrupti sint neene diiudicare cum sit perdif-
ficile atque adeo viri docti magis minusve inter se dissentiant,
mihi non videntur esse adhibendi ad controversiam disceptandam.
186 E. Sicker,
Quin etiam eos locos ambiguos, qui mihi ipsi videantur esse cor-
rupti, non dubitavi separare (cap. III.) ab iis, qui cum haud dubie
corrupti sint, fraudi saltem nobis esse nequeunt. Mil. 488
quidem monui illud ‚invita‘ (‚invitam‘ A) pro sententiarum 'con-
textu esse ineptissimum et corruptum ex ‚in via‘: hoc vero ap-
tissimum esse potui ostendere comparato loco haud dissimili
Cist. 159.
Ad ea, quae de Capt. v. 925 exposui, mihi videntur addenda
esse haec. Primum ‚guas‘ contra librorum fidem quin sit sceri-
bendum ego non dubito, id quod causis rationibusque declarare
studui. Deinde sicut illud ‚te‘, quod praebent Palatini, retinen-
dum esse statui, sic Ambrosiani scripturam ‚huc‘, ex qua Leo
iniuria elicuit ablativum ‚hoc‘, ortam esse censeo eadem librarii
neglegentia, de qua dixi quaest. nov. cap. I d 4 (sc. verbi
‚adhuc‘ syllaba altera spatio intermisso perperam est iterata):
quapropter si quis iuberet ‚Auc‘ vel ‚hic‘ — quippe quod fortasse
pro ‚huc‘ postea in P repositum sit — ut supervacaneum omnino
deleri, ei minus adversarer quam Leoni. Tum quod attinet ad
mensuram „quas ddhuc te‘ sane raram, illis exemplis quae attuli
(‚dederünt, locaverünt, emerünt‘ sqq.) volo adiungi ‚vertörünt‘
Hor. Epod. 9,17 (in media dipodia) et in versibus dactylieis
‚dederünt‘ Hor. Epist. 14,7. Huc referri potest etiam Poen. 224:
‚aggerundaque?) aqua sünt virt duö defessi
quod exemplum posui ad comprobandam mensuram ‚quas adhüc
te‘, quam mensuram ne hoc quidem exemplo (Men. 573).
‚optumi, maxume morem habent hunc‘
evidenter ac necessario confirmari posse haud gravate concedo:
nam ‚optumi‘ verbi syllaba prima potest adnecti ad versum
superiorem, qui hac ratione fiat tetrameter bacchiacus acatalec-
tus. Quae cum ita sint, mihi videtur confugiendum esse ad
mensuram ‚quas ddhue te‘, qua ‚-huc‘ eodem modo tractetur quo
‚hoc‘ in versibus iambicis vel trochaieis. Quae vero reliqua sunt
huius mensurae exempla et quae in pag. 54 illustravi, ea existimo
non esse temptanda. Sed si quis mihi obiciat me non solum in
scirpo nodum quaerere, verum etiam ipsum ultro difficultatem
2) ‚aggerunda‘ utique servandum esse ac non cum Spengelio
reponendum ‚gerunda‘ (cf. Cas. 124. Rud. 484) iterum moneo.
Novae quaestiones Plautinae. 187
metricam versui politissimo iniunxisse, eum interrogem, quonam
alio modo ipse versum restitui velit. An ex omni parte perfec-
tum esse arbitratur? Immo sana atque integra esse omnia pro-
bato!
Nihilo setius ne ex his quidem locis certas coniecturas capere
animum induxi, non quo ipse dubitarem de iis, quae ad persua-
dendum, ut opinor, satis accommodate explicavi, sed quod huic
quoque rei cautionem quam maximam adhibendam esse cense-
bam. Eandem normam persecutus sum in capite IV., ubi dispu-
tavi de illis locis sine dubio corruptis, qui quemadmodum sa-
nandi sint valde ambigitur. Itaque cum hodie quoque scientia
nostra quibusdam cancellis circumscripta sit, quos memet ipsum
posse removere parum confido, pluribus locis, quas medelas
docti adhibuerunt, easdem, quantum potui, infirmare ac diluere
studui. Atque etiam, si mihi interdum contigerit, ut quae via
emendationis ineunda esset significarem — quoniam vel hoc per-
multum interest, ut vitentur conamina emendandi falsa — non
nihil certe me profecisse existimabo. Ceteroquin mihi videtur
interim profitenda esse ratio nesciendi. Est igitur haec quoque
pars commentationis, ut ita dicam, negativa: nam quibus locis
emendatio certa nec antehac reperta est nec nunc posse reperiri
videtur, ex iis aliquid certi ad hanc controversiam concludere
sane dubitavi. Quo fit, ut separatis omnibus iis locis, qui ali-
quatenus incerti sint, restent eae corruptelae, quae ipsae satis
certae eaedemque certa quadam ratione sanandae sunt.
Singulislocisillis, quos in capite IV. tractavi, addiderim haec.
Cas. 72. De producta verbi ‚Apulia‘ syllaba secunda, quam
mensuram Lindsaius in editione statuit, me non sine causa du-
bitare dixi (sc. comparato v. 77). At tamen verborum ‚Apulus‘
et ‚Apulia‘ mensuram non eandem esse sane bene intellegitur e
quibusdam versibus Horatianis (‚Ap@lia‘ occurrit Sat. 1 5, 77.
Epod. 3, 16. Carm. III 4,10, ubi praecedit v. 9 ‚Apirlo‘ perinde
ut III 5,9), quae variatio mensurae nescio an etiam Plauto sit
vindicanda. Quae cum ita sint, Lindsaii de hoc versu senten-
tiam non plane improbo, etsi pro mea amplecti etiamnune dubito.
Non liquet, ut aiunt.
Rud. 537. Dubitanter cauteque ut in re incerta conieci
188 E. Sicker,
formam versus genuinam fuisse hane:
‚iure optumo me elavisse arbitror, Labrax‘.
sc. excidisse vocativum ante ipsam eiusdem personae notam, da
quo genere corruptelarum dixi ad Pseud. v. 954. De metrica
forma huius versus pauca addam. Nam etsi sunt qui in ea
haereant (sc. quia in quinto versus pede occurrit iambus purus),
memet ipsum cum Vahleno non offendere confiteor. Exstant
enim apud Plautum plura exempla, quae pugnant cum illa lege
a Bentleio posita, et ea quidem prorsus certa (velut Poen. 447.
Trin. 533; 590. Truc. 49. Curc. 66; 86. Men. 550. Most. 573).
Pseud. 81, quos locos esse corruptos nemo asseverabit nisi qui
mente occupata huic quaestioni dabit operam; accedunt 11 loci
haud pauci, quibus cum alia mensura aut ratio meditandi for-
tasse possit adhiberi, res magis minusve ambigua sit). Hinc
intellegimus illam legem, quam quasi sancetam ducunt, non tan-
tum valere quantum vulgo fertur. Immo fuit illis quidem
temporibus dumtaxat consuetudo quaedam, a qua identidem
discessum est: quamquam postea hanc consuetudinem cessisse
in legem iustam et prope sanctam utique concedo.
Haec interim sufficiant ad defendendam eam rationem,
quam ingressus sum, sc. ut putaverim non solum servandos
esse versus ab illa regula discrepantes, dummodo ne, sieut traditi
sunt, apta sententia carerent, verum etiam emendari posse versus
corruptos®) — siquidem corruptelis ipsis tale quid indicatur aut
commendatur — quasi illa lex omnino non exstaret: quam ratio-
nem quamvis audacem nonnulli iudicent, iam Vahlenus iniit in
restituendo Men. v. 821 (‚immo hercle ludiere negas‘ in septenario
trochaico, optime ad sententiam). Confer etiam, quae exposuit
in prooem. Berolin. 1880. pag. 5.
Sententia autem et orationis forma mihi videntur esse summa
norma iterumque moneo nihil ineptius, nihil gravius esse quam
3) ]llud versus dimidium, de quo potissimum agitur, sanum
atque integrum est; exitus vero sustentatur ceteris eiusmodi ex-
emplis.
4) Quamquam hiatum ‚elavisse | arbitror‘, qui nobis videbatur
esse removendus, ipsum quoque legitimum esse concludit Fried-
laenderus illo loco, quem supra dixi.
Novae quaestiones Plautinae. 189
sermonem Plautinum metrieis vinculis nimis artis obstringere:
videant critici, ne quid detrimenti sententia capiat!
Quaestionum novarum eaput 1.
Jam e finibus magis minusve ambiguis egressi procedamus
ad certiora. Itaque primum disputabo de locis illis haud dubie
corruptis et certa quadam ratione sanandis, quibus tamen, quo-
niam utrobique eadem corruptela casu ac fortuito oriri potuit,
nihil aut non multum momenti tribuendum sit. Atque hanc
rationem instituam, ut singulis exemplis selectis ostendam, quam
nihili fere aestimandae sint tales corruptelae.
2.
Trin. 371 tolerabilis AUD — tolerabis B.
Eiusdem modi est illa corruptela, quae Rud. 221. occurrit
in A (‚exanimabiles‘ pro ‚exanimales‘) vel Amph. 72 in B (‚aedi-
biles‘ pro ‚aediles‘).
Quae cum ita sint, scriptura prava ‚tolerabilis‘ non modo
Palatinae recensioni, cuius memoriam B maiore cum fide servasse
quam CD inter omnes convenit, sed ne Ambrosianae quidem
certo potest vindicari. Idem hoc cadit in eos locos omnes, quibus
ACD corruptela deformati inter se congruunt adversus B velut
Most. 768. Stich. 449: hostium 5) ACD — ostium B.
5) In alterutra recensione ‚hostium‘ pro ‚ostium‘ saepius scriptum
exstat velut Mil. 352 (A). Pers. 758 (P—A.n.]|.). Pseud. 604 (A:
an ex nota personae H ortum?). Trin. 525 (A). Most. 795 (A).
Comparanda sunt cum alia menda tum haec:
‚horco ostiüis‘ pro ,‚orco hostiis‘ Epid. 176 (A).
‚honestos‘ pro ‚onustos‘ Pseud. 218 (A); 1306 (AP).
‚hos‘ pro ‚os‘ Poen. 760 (P). Pers. 283 (AD).
‚haut‘ pro ‚aut‘ Trin. 862 (A). Pseud. 836 (A). Stich. 152 (A).
‚haecequa‘ pro ‚ecqua‘ Mil. 794 (A — haecque P).
‚habitat‘ pro ‚abitat‘ Rud. 777 (AB).
‚habere‘ pro ‚abire‘ Mil. 944; 979; 1146 (P—An.1.); 1148 (P);
1208 (B—ACD n.]l.); 1416 (Ρ). Cist. 596 (P—A.n.]l.). Pers. 45
(P—An.l.); 297 (P). Men. 327 (P—An.l.); 1044 (B!C—A.n.].).
Merc. 1016 (P—A.n.|1.). Pcen. 607 (P: ex personae nota H natum
sicut Rud. 834—An.1l.); 814 (P—An.l.); 1049 (A). Trin. 714
(P—A.n.1.). Most. 633 (B!'D—A.n.l.). Rud. 812 (ΒΟ6--Α π.1.):
190 E. Sicker,
Most. 577: clamabo CD, etiam A ut videtur — clamo B.
Most. 786: quo ACDB? — quod B!.
Men. 1132: postgquam ACD — post quem B.
Mil. 374: mihi possunt ACD — possunt mihi B.
Stich. 289: hamum ACD — hamulum B.
Poen. 964: manum ACD — manu Β 5).
Pseud. 957: cantarum ACD — cantharum B.
Rud. 570: baratrum ACD — barathrum B.
Pseud. 1126: commessurus ACD — comesurus B.
Rud. 564: gquod ACD — φιοί B.
Stich. 615: agis ACD — ais B.
cf. Epid. 151: repperibitur AVE — reperibitur BJ.
Cas. 604: accesserem AVE — arceserem B.
b.
Corruptelae eae, quas natura ipsa tulisse videatur. Hoc
in numero haberi velim cum alia tum haeec:
Mil. 34. ‚auribus peraudienda sunt‘ ABD.
‚auribus peraurienda sunt‘ Οὐ recte: nam agitur de facetia
quadam sermonis eodem modo comparata atque illud ‚dentes
dentiant‘ (cf. Pl. F. p. 282. adn.) 7 Atque etiam fuerunt qui post
‚peraurienda‘ inserendum esse ‚haec‘ censerent, id quod minime
necessarium est: nam etsi hoc quidem loco quominus sic rem
geramus metro non impediamur, tamen aliis locis iisque simillimis
(cf. Amph. 945. Most. 49: patiunda sunt) de hac ratione ineunda
propter metrum cogitari non potest. Reicienda igitur est illa
coniectura.
Gas. 778. amb(as e)strices AP (pro ‚ambestrices‘), quae scrip-
tura sententiae convenit, metro repugnat: nam de aphaeresi
litterae e minus potest cogitari.
1013 (priore loco BC; posteriore loco P—An.].). Pseud. 393 (AP);
390 (P); 910 (P). Curc. 210 (VE—A n.|1.). Rud. 1031 (CD—A n.|.),
unde intellegas etiam in singulos eiusdem recensionis libros has
corruptelas sese insinuasse.
6) Ceterum Poen. 1102; 1348; 1392. P semper ‚manum‘ ex-
hibere, quibus locis A partim non legitur, partim ‚manu‘ recte
scriptum praebet, non mitto commemorare.
?) Oınnino Plautus non veretur audacissimas verborum iunc-
turas effingere velut Asin. 286: ‚fraudem frausus sit‘.
Novae quaestiones Plautinae, 191
Ad illustrandam harum corruptelarum naturam ex singulis
recensionibus affero haec:
‚propterve‘ pro ‚proterve‘ Truc. 256 (A). Bacch. 612 (P—A
n. 1.). Amph. 837 (D).
‚cavillator‘ pro ‚caulator‘ Truc. 683 (P—A n. 1).
‚navigatorias‘ pro ‚nugatorias‘ (vel ‚naugatorias‘ forma prisca)
Trin. 844 (A).
‚inimici‘ pro ‚in amici‘ Mil. 741 (P).
‚tormentis‘ pro ‚et ornamentis‘ Poen. 425 (A).
‚memorandum‘ pro ‚memoradum‘ Poen. 1063 (P).
‚perculi‘ pro ‚peculi‘ Most. 253 (P—A n. |.)
‚fuistis‘ pro ‚fustis‘ Poen. 1320 (A).
‚omnes‘ pro ‚homines‘ Poen. 979 (A).
‚ferrea stulte‘ pro ‚ferreas tute‘ Pers. 573 (A) 8).
‚praeteremore‘ pro ‚prae tremore‘ Rud. 526 (A).
‚capellas‘ pro ‚cape illas‘ Stich. 351 (A).
‚audite‘ pro ‚aut ite‘ Poen. 5611 (P—A n. 1.)
‚limen, pro ‚limem‘ Poen. 294 (P).
‚cedere‘ pro ‚caedere‘ Pers. 282 (AC: porro corruptum in D).
‚audıbo‘ pro ‚adibo‘ Poen. 982 (P).
‚tuapste‘ pro ‚tuapte‘ Trin. 666 (A).
‚prosumpserit‘ pro ‚prosum perit‘ Trin. 1130 (P—A n. ].).
‚ergo‘ pro ‚ego‘ Merc. 471 (A). 960 (P—A n.1. ). Bacch. 499
(P). Men. 330 (P—A n. 1.). Mil. 308 (P—A n. 1.) Pers.
26 (P).
‚ego‘ pro ‚ergo‘ Poen. 386 (A). Pseud. 914 (P). Epid. 22 (P).
Men. 1155 (A). Aulul. 323.
‚ergo‘ pro ‚ero‘ Men. 965 (P—A πη. ].).
‚ego‘ pro ‚eo‘ Men. 434; 663. Mil. 812 (P—A n.1.). Poen. 482
(P). Epid. 704 (AB!EJ: corr. B2).
‚agts‘ pro ‚ais“ Merc. 448 (P—A n.1.). Most. 959 (P). Stich.
596 (AP); 615 (ACD).
‚ut‘ pro ‚uti‘ Poen. 1289 (AP). Stich. 193 (AP ?); saepius
in alterutra recensione.
Huc cadunt etiam ‚abisse, perisse, redisse, venisse‘ etc.
8) Videlicet eiusmodi corruptelarum causa est falsa verborum
separatio.
192 E. Sicker,
perperam scripta pro ‚abiisse, periisse, rediisse, veniisse‘ etc.
Atque etiam contraria ratio persaepe exstat.
Eiusmodi corruptelis num re vera indicetur unus idemque
ambarum recensionum fons diiudicatu quam difficile sit illu-
strare mihi licet Mil. glor. v. 391:
Mil. 391. ‚illa ausculta‘ A 5).
‚illam ausculta® B!: correxit, cum reposuit ‚illa osculata‘
B?cum CD.
Quae cum ita sint, vix est dubium, quin B! vel propter scrip-
turam priscam aut repraesentet lectionem recensionis P ipsam
aut proxime saltem ab ea absit, sc. praeter formam ‚illam‘, qua
de re suo iure potest dubitari. Nimirum res perdifficilis est di-
iudicatu: agitur enim aut de una littera a omissa (velut ἐ om.
in v. 379, r in v. 396) aut de littera ὁ inserta (cf. ‚instimulawit‘
v. 365 A[Pers. 129] vel ‚invita(m)' AP Mil. 488; ‚conductibile‘
Trin. 36 P; ‚maledictas‘ Trin. 186 P; ‚auscultantem‘ Bacch. 478 A;
‚auscultatur‘ Bacch. 897 P—A ἢ. 1.) posteaque, id quod saepius
usu venit, syllaba -ἰα semel tantum scripta. Videmus igitur
incurrere nos in difficultates magis magisque ingravescentes et
summam vero quaestionis — sc. utrum ‚ausculta‘ in utraque re-
censione a librariis seorsum in eandem fraudem inductis scriptum
sit, quae opinio eo minus est deneganda, quod quam facile verba
ausculandi et auscultandi inter se confundi potuerint utique
apparet, an indicetur hac scriptura fons ambarum recensionum
communis — vix umquam certo posse explorari. Accedit, quod
in superiore versu ipso quoque perperam ‚auscultata‘ scriptum
exhibet Bl, quod mendum eodem modo correxerunt B?CD, A
veram scripturam praebet. Ceterum similes librariorum errores
saepius inveniuntur 115 ipsis locis, quibus propter rerum ac ver-
borum contextum minime exspectentur velut Mil. 1214. ‚im-
peratum‘ P—A n. ]. velibidem 1224. ‚audisse‘ (cf. v. 1222; 1225)
P—An. 1. Quapropter satis habebimus iudicare in hanc sententi-
°») teste Studemundo; ‚ausculer‘ testatur Loewius, quod, si
modo recte dispexit, aut idem est aut ex ‚ausculta‘ depravatum est:
nam 6 et ἐ praetereaque r et a quam facile propter similitudinem
scripturae in maiuscula scriptione confundi potuerint, intellegitur
e Studemundi apogr. praef. p. 26.
Novae quaestiones Plautinae. 193
am, ut profiteamur: non liquet. Sed idem hoc dicendum est de
multis locis, quorum scriptura AP falso inter se conspirant, et
fortasse convenit etiam in illud ‚elarata‘ v. 379 (sic AP pro ‚cla-
trata‘).
Latius patent etiam errores sententiae velut Trin. 85:
Trin. 85: ‚quod‘ AP — ‚qui‘ reponatur necesse est. Sed
lapsus ille quemadmodum in codicibus fieri potuerit — sc. cum
librarii insipientes genus pronominis relativi ad ‚Capitolium‘ ut
verbum proximum (vel ad ‚caput‘) temere accommodaverint —
quoniam facile intellectu et prope manifestum est, non licet nobis
certo affirmare hoc esse indicium unius eiusdemque ambarum
recensionum fontis. Ceterum enuntiata relativa identidem suum
locum non obtinere satis constat: cf., ut pauca exempla eademque
insignia afferam, Asin. 65; 70; 175.
Poen. 315. ‚dexteram‘ AP (pro ‚deteram‘) nullius argumenti
esse mihi videtur, quoniam hoc mendum natura ipsa tulit propter
verborum iuncturam illam, quae saepenumero in fabulis Plau-
tinis oceurrit ‚cedo dexteram‘.
Poen. 852. ‚offeras‘ AB (pro ‚offers‘ CD).
‚offeras‘ forsitan error sententiae sit inde repetendus, quod
‚cum‘ perperam coniunctionis loco positum a librariis intellec-
tum est. Sed dubiam esse rem non gravate concedo.
Pseud. 671. ‚cornu copiast‘ AP (pro ‚copiaest‘) .
Haud scio an librarii, quoniam quid sibi vellent ea quae in
promptu habebant mente non perceperunt, ad suum arbitrium
traditam verbi formam mutaverint. Nam hoc quidem conceden-
dum est, si quis rem attento animo non consideraverit, eum ver-
borum structura in fraudem induci posse.
Stich. 587, ‚edepol ne ego nunc mihi m(ed)iumnum meille esse
argenti velim‘ A
‚edepol ne egomet mihi mediam (medediam B) nunc mille esse
argenti velim‘ P.
Proficisceendum est a palimpsesti scriptura ceteroquin vera,
nisi quod pro ‚medimnum‘ falso scriptum est ‚mediumnum‘.
Neque adeo mirum est hoc mendum, quoniam quid faceret hac
voce parum usitata posterisque temporibus prope ignota libra-
rium desperasse quis est quin intellegat ? Quae cum ita sint, quid
Philologus, Supplementband XI, zweites Heft. 13
104 E. Sicker,
magis in promptu fuit quam cogitare de adiectivo ‚medium‘,
quasi haec esset pars verbi compositi prior? Atque etiam si
paulo litteratiorem fuisse librarium ponamus, facile ‚medimnum‘
cum ‚modium‘ aliquo modo confundi aut adaequari potuisse con-
cedas. Neque pro re nata est quod miremur eandem corruptelam
in P non modo exstitisse, sed etiam (praesertim in B) aliquanto
longius processisse.
Huc cadunt etiam ‚ad‘ pro ‚at‘ falso scriptum sc. ubi positum
est ante ipsum substantivum vel pronomen (velut Truc. 237 A;
Stich. 342. AP; 694. AP), ‚adque‘ pro ‚atque‘ aliaque.
6.
Vocabula, quorum forma prisca a librariis mutata et ad usum
ipsorum aetatis accommodata est, sive dedita opera mutarunt sive _
inscii inopinantesque in usitatum sermonem delapsi sunt. Huc
cadunt cum multa tum haec:
‚similiter‘ pro ‚simulter‘ Pseud. 382 (AP).
‚periculum‘ pro ‚periclum‘ Poen. 878 (AP) ac saepius utro-
bique; item ‚populo‘ pro ‚poplo‘.
‚drachmarum‘ pro ‚drachumarum‘ saepius.
‚deliciae‘ pro ‚delicia‘ Poen. 365 (AP); 398 (A) 19).
‚vostrum‘ pro ‚vostrorum‘ Pseud. 584 (AP).
‚nummorum‘ pro ‚nummum‘ Trin. 848 (AP) aliaque.
‚me‘ pro ‚med‘ Men. 515. Poen. 301. Stich. 488 sq. 504 (AP).
Men. 589 (P: etiam A ut vid.).
‚te‘ pro ‚ted‘ Mil. 58; 1421. Poen. 889. Pseud. 350 (AP).
Merc. 927; 982 (P—A n.].).
‚ea ipsa‘ pro ‚eapse‘ Cas. 163 (P: ‚ea‘ om. A); cf. Cas. 602;
604 (P).
‚eum ipsum‘ pro ‚eumpse‘ Truc. 133 (AP); 114 (Α--Ρ ὃ).
‚eam ipsam‘ pro ‚eampse‘ Truc. 133 (A—P ?); cf. Pseud 833
(P3:
‚ae‘ pro ‚-aö‘ scriptum in genetivo singularis creberrime:
cf. quae exposui ad Trin. v. 492 1).
10) ‚delicia‘ testatur Gellius XIX 8, 6. (Nonius p. 100.)
11) Huc cadunt etiam genetivi propriorum nominum in libris mi-
rum in modum depravati velut
Trin. 359: Charmidi A — charamide P (pro ‚Charmidar‘);
Novae quaestiones Plautinae. 195
‚Ulic‘ forma adverbii novicia pro ‚ill‘ saepius velut Poen.
1176 (AP).
‚postea‘ pro ‚poste‘ Stich. 380; 383 (A); 623 (P); 568 (P—A
n. 1.). Cist. 525 (P—A n. |.).
‚post‘ pro ‚poste‘ Stich. 380 (P); 388 (AP). cf. Men. 839
(‚post te‘ P—A n. ]1.).
‚tamen‘ pro ‚tam‘ saepius velut Stich. 44 (P); cf. Pers. 362,
ubi etiam in Ambrosiani seriptura aliquantum obscurata videtur
latere ‚tamen etsi‘.
‚eveniat‘ pro ‚evenat‘ Trin. 41 (AP); Curc. 39; Epid. 290; 321
(P—A n. 1.); ‚perveniat‘ pro ‚pervenat‘ Rud. 626 (P—A n. 1.) 12)
semper in fine versuum. Verum tamen sintne reponendae hae
formae etiam in mediis versibus, sieut Leo rem gessit (cf. quae
adnotavit ad Bacch. v. 144), sane potest dubitari.
‚sciebam‘ pro ‚scibam‘ etc.
‚aiebat‘ pro ‚aibat‘ etc. Mil. 66 (A: porro corruptum in P).
Trin. 428 (AP). Poen. 464; 900 (AP). Pseud. 1083 (P); 1118 (P—A
ns)
‚opinor‘ pro ‚opino‘ 1?) Bacch. 487; 611. Cas. 541. Pers. 343.
Trin. 422 (semper AP). Poen. 1169 (P: iam pridem ‚opino‘ resti-
tutum est fortasse cum A). Epid. 259. Rud. 999; 1268 (P—A n. |.)
‚ludificatur‘ pro ‚ludificat‘ Most. 832 (AP). Paulo plenius
disserendum est de Stichi v. 165:
Stieh. 165. ‚uteri dolores mihi oboriuntur cotidie‘ AP.
Epid. 246: Perifani A — periphane P (pro ‚Periphanai‘; an scri-
bendum est ‚Periphanei‘, quod aliis magis probatur?)
Epid. 508: Periphani AP (pro ‚Periphanai‘);
Epid. 635: Periphani P—A π. 1.
Poen. 1045: Antidamati A — anthidamarchi P_ (pro ‚Antida-
mai‘: sc. genetivus saltem in A conformatus est ad exemplum no-
minativi ‚Antidamas‘, quae forma novicia in AP legitur v. 955:
1051; 1058).
13) Noli mirari Pseud. 1030. ‚advenat‘ BD recte scriptum ex-
hibere (‚adveniat‘ C—A.n.]1.).. Immo aliae quoque formae priscae
interdum librorum scriptura servatae sunt velut ‚balineator‘ Rud.
527 (A).
12) ‚opino‘ formam activam testatur Nonius (p. 474) ad Bacchi-
dum fragmentum quoddam (X. in ed. Teubn. min.) itemque ad
singulos versus Ennii Pacuvii Caecilii.
13 *
196 E. Sicker,
Hoc quidem pro explorato habeo, verbum oboriendi suo
loco esse positum neque quicquam esse, quod cum Bentleio offen-
damus in verbo composito et ad sanandum versum reponamus
simplex ‚oriuntur‘. Nam ut Curc. 309. ‚oboriuntur‘, sic Pers. 313
oceurrit ‚cooriuntur‘ et id quidem in contextu rerum simillimo.
Immo alia nobis videtur esse sedes corruptelae et maiore cum
probabilitate statuamus ‚oboriuntur‘ scriptum esse pro ‚oboriunt‘,
quam fuisse formam priscam intellegitur ex Naevii trag. fgt. 16
(‚adoriant‘). — An cum Goetzio statuendum est corruptelam de-
litescere in verbo ‚cotidie‘, quod vel ex ipsa forma ‚gquot dies‘ a
librario depravatum sit vel ad interpretandam illam formam
adscriptum, scilicet quoniam pro correctione habitum est, genu-
inam formam e textu eiecerit? Certe ne hoc quidem praefracte
denegandum est. Eodem autem modo ‚quot dies‘ usurpatum
sit quo dietum habemus etiam atque etiam ‚quot annıs‘, quot
mensibus‘, ‚quot calendis‘ (Stich. 60), nisi forte haereas in casu a
consuetudine sermonis alieno1?).
Dubitanter subiungo Trin. v. 1046.
Trin. 1046. ‚nonne‘ AP.
Hac verbi conformatione videtur obtecta iacere forma prisca
‚noenu‘ (vel ‚noenum‘), quam in codieibus hoc modo depravari
potuisse et id quidem in utraque recensione etsi fortasse mirere,
tamen, ut opinor, concedas. Neque enim incredibile est dietu
librarios hanc formam ipsam existimasse corruptam et ad sanan-
dam quam putabant corruptelam de suo reposuisse vocabulum
illud quidem scripturae haud dissimilis, sed pro rerum ac senten-
tiarum contextu minus aptum. Eadem haec corruptela occurrit
Merc. 62in P(An.1|.). Ceterum ‚noenu‘ (vel ‚noenum‘) etsi apud
Plautum raro usurpatum est, tamen in libris plane ac dilucide
scriptum legitur Aulul. 67. Atque etiam glossarium Plautinum
exhibet ‚noenum‘ e Bacchidibus excerptum, quod in versum 736
rettulit Lachmannus (Lucr. comm. p. 150), initio fabulae in
codicibus deperdito attribuit Ritschelius (opusc. 1], p. 242).
Interdum etiam constructiones mutatae sunt velut Trin. 358
14) Sed cf. ὅσοι μῆνες Demosth. 24, 142. — ὅσαι ἡμέραι Arist.
Pol. Ath. 43, 3. ὁσημέραι Arist. Plut. 1006. Thucyd. VII 27, 5.
Plat. legg. VIII 849 Ὁ.
Novae quaestiones Plautinae. 197
librarios de suo genetivum multo usitatiorem (‚cuius‘) pro dativo,
quippe qui flagitari videatur orationis forma in sequenti versu
usurpata, reposuisse utique cogitari potest. Accedit quod libra-
riorum menti vel oculis obversari potuit v. 338, quo in versu simil-
lime comparato et ipso genetivum (‚eiws‘) codices ad unum omnes
traditum exhibent, nisi quod sitne ibi retinendus an dativus item
reponendus fortasse potest dubitari. Videlicet res difficilior ma-
gisque ambigua est quam ut ex hoc librorum seripturae consensu
certae coniecturae capi possint. Aliguanto magis perspicua res
estin Merc. v. 530, ubi prisca constructio verbi ‚orare‘ (‚orare cum
aliquo‘ cf. Asin. 662; 686. Bacch. 494; 554. Cas. 324; 595. Cure.
432. Pers. 117. Poen. 601. Rud. 77315) in P mutata et ad usum
posteriorum temporum accommodata est: ‚me oravit‘. Hinc in-
tellegitur etiam talia nonnumquam contineri finibus alterutrius
recensionis.
Item ‚guam si‘ post comparativum identidem usurpatum
est pro ‚quasi‘, quae forma metro flagitatur, velut Trin. 265 (AP).
Truc. 341 (P—An.].). Pseud. 641 (AP: etsi P om. ‚s‘), quam-
quam Aulul. 231. ‚quasi‘ recte scriptum habent libri omnes,
Mil. 482. AB!.
Possunt etiam alia huc referri et fortasse insigniora: sed lon-
gum est omnia enumerari neque adeo multum hoc refert.
d.
Corruptelae eae, quarum origo repetenda est a certis qui-
busdam codicum proprietatibus.
1.
Corruptelae ad scriptionem maiusculam eandemque conti-
nuam referendae — nam Palatinorum archetypon ipsum quoque
scriptione maiuscula continuaque exaratum fuisse ex ipsa men-
dorum natura satis certo colligitur, quam ob rem vel maximam
probabilitatem habent eae emendationes, quae profieiscuntur ab
ipsa scriptione maiuscula, velut Truc. 36. ex codieis B seriptura
depravata (‚finfa‘) et in CD porro corrupta Studemundus ad
probandum accommodatissime extricavit ‚lnea(m)‘. Hoc etsi
16) cf, ‚mentionem facere cum aliquo‘ eodem modo usurpatum,
sc. ita ut inde pendeat sententia finalis aut certe subaudiatur,
Aulul. 685. Cist. 134. Pers. 109.
198 RB. Sicker,
satis notum est, tamen hoc loco non mitto: commemorare. —
Exempli causa affero haec:
Trin. 311: ‚iubet‘ (pro ‚lubet‘) AP. cf. Epid. 696 (BE).
Poen. 1351 (A: P?). Pers. 316 (A).
Stich. 277 (A). Truc. 234 (P). Pseud. 1125 (‚Zubet‘ CD atque
etiam A ut videtur, ‚‚ubet‘ B) ac saepius ‚me vwubente‘ pro ‚me
lubente‘ velut Curc. 665. Men. 272 (P—A n.].). Stich. 474 (B).
Poen. 952: ‚mel fratris‘ AB (pro ‚mei fratris‘).
Bacch. 951: ‚llorum‘ AP (pro ‚Ihorum‘).
Mil. 743: ‚illas‘ P (pro ‚/lias‘).
Pseud. 364: ‚permittes‘ A — ‚permilies‘ P (pro ‚permities‘).
Cas. 616: ‚aut‘ P ( pro ‚awi‘).
Pseud. 319: ‚tactibus‘ A (pro ‚lactibus‘).
Pers. 420: ‚civilas‘ A (pro ‚civitas‘).
Pers. 568: ‚voluero‘ A (pro ‚votuero‘).
Pers. 497: ‚alienent‘ A (pro ‚attinent‘).
Pseud. 631: ‚vale ibi‘ A (pro ‚vae δῖ").
Mere. 761: ‚aeque‘ P et A ut videtur (pro ‚atque‘).
Men. 573: ‚maxumi‘ AP (pro ‚maxume‘)*®).
Pseud. 323: ‚fuge‘ A (pro ‚euge‘).
— videlicet agitur de litteris e fü lt in sceriptione capitali similli-
mis inter sese confusis; idem hoc cadit in litteras cgog ipsas
quoque simillimas ideoque saepius inter se commixtas velut
Pers. 551: ‚gessavit‘ A (pro ‚cessavit‘).
Pseud. 166: ‚gallum‘ P (pro ‚callum‘).
Pseud. 1282: ‚grapulam‘ P (pro ‚cerapulam‘).
Cas. 964: ‚subicitare‘ AP (pro ‚subigitare‘).
Pseud. 1131: ‚Iucrifucos‘ A (pro ‚luerifugos‘).
Pseud. 988 sq. 991: ‚Polymachaeroplacides‘ AP (pro ‚Poly-
machaeroplagides‘: item 1150. P; 1153. P—A n. 1.)
Stich. 221: ‚locos‘ (pro ‚logos‘) AP: item 383 (A); 393 (P).
Men. 779 (P—A n..).
Epid. 237: ‚solens‘ P (pro ‚sciens‘).
Paulo plenius disputabo de Persae v. 173.
16) Potuit autem sic scribi etiam errore quodam sententiae, quo
coniuncta sunt a librariis verba ‚opltumi mazumi‘.
Novae quaestiones Plautinae. 199
Pers. 173. quis!?) A — cuis B — cuwius CD (pro ‚ovis‘).
Hoc indicium communis ambarum recensionum fontis esse quod
fidenter statuit Leo (Pl. F. p. 8), mihi quidem non probavit.
Immo vero statuendum est merum librariorum mendum: com-
mixtae enim sunt litterae o gc , id quod neque mirum est propter
similitudinem scripturae et pluribus exemplis illustratur velut
Merc. 524. ‚ovem‘ recte scriptum παροὺ A, ‚guem‘ falso P; Merc.
781. ‚haec vasa‘ recte exhibet P, ‚haequassa‘ falso A; Poen. 1372.
recte ‚qui‘ P, ‚cut‘ falso A; Pseud. 822. recte ‚colunt‘ P, ‚golunt‘ A:
ef. etiam Mil. 588. ‚gquin ‘A (pro ‚cuin‘ vel ‚quoin‘: P ‚quod in‘);
Merc. 458. ‚guidam‘ AP (pro ‚cuidam‘; an agitur de falsa casuum
assimilatione, cum praesertim in A saltem scriptum esse videatur
‚ille‘ ?).
Quae cum ita sint, Leoni vix assentiamur. Quid enim
aliud in illo fonte communi exstitisse existimat nisi ‚ovis‘? Sed
ipsum hoc in utriusque recensionis codicibus olim scriptum fuisse
et in recensione altera altero modo depravatum esse quominus
statuamus pro re nata quid obstat ?
Ineptum igitur est ex his corruptelis per se ipsis concludere
ambas recensiones manavisse ex uno eodemque fonte.
2.
Litterae aut syllabae semel tantum scriptae vel post aequa-
biles omissae.
Poen. 876. ‚tacitus tibi resistam‘ AP (pro ‚tacitas tibi res
sistam‘).
Agitur de littera s ante s omissa et, id quod librariis plane
in promptu fuit, duobus verbis quae olim erant in unum coactis,
quod ubi primum factum est, reliqua mutatio, qua ‚tacitas‘ cessit
in ‚tacıtus‘, prorsus erat consectaria. Sic unum errorem alterum
esse subsecutum et librarios, quandoquidem illud mendum com-
miserant, in hunc errorem sententiae incidisse tam perspicuum
est, ut hanc totam corruptelam separatim in utraque recensione
oriri potuisse Lindsaio non gravate concedam. Idem hoc pertinet
ad eos locos omnes, quibus litterae singulae ante easdem aut ae-
17) Prorsus eadem corruptela recurrit Truc. 655. (‚guis‘ P—A n.|.
SC. PTO ‚ovis‘).
200 E. Sicker,
quabiles litteras in codicibus omissae sunt. Huc referri volo
cum alia tum haec:
Mil. 386; 591; 156; 722. Stich. 191. Truc. 272. Poen. 691;
455; 1189. Capt. 923 (?). Pseud. 583; 598; 1167, quibus omnibus
locis AP inter se congruunt. Alterutra recensione continetur
corruptela cum aliis locis tum his: Trin. 181; 202; 215; 338; 667.
Poen. 461. Epid. 471. Pers. 13. Pseud. 390; 420; 445. Stich. 626
(semper A). Mil. 700. Stich. 496 (P). Merc. 980. Cist. 630.
Epid. 529. Pseud. 295. (P—An. 1.) —
Syllabae ante easdem aut aequabiles syllabas omissae (quin
etiam tota verba hoc modo interciderunt): haplographiae.
Ex permultis exemplis, quae afferre possim, eligo pauca
eademque satis perspicua:
Trin. 757: ‚rei‘ inter ‚ei‘ et ‚re‘ om. AP (cf. Cas. 773 A).
Trin. 773: ‚re‘ inter ‚re‘ et ‚rem‘ om. AP (οἵ. Trin. 1015.
P—A n.|.).
Cf. etiam Trin. 385; 561; 744; 1051. Poen. 1116; 1234.
Pseud. 973. Stich. 84. Pseud. 1332. Rud. 581. Merc. 457.
Epid. 225. (semper A). Poen. 495; 696. Stich. 35 (P). Pseud.
1193 (B). Epid. 702. Pseud. 293. Stich. 552. Poen. 610. Trin. 817.
(P—A n.1.).
Mil. 602: ‚consultum‘ ante ‚consilium‘ om. AP.
Cas. 847: ‚pectus‘ post ‚huius‘ omissum in AP, sed in fine
versus additum in 4.18).
Poen. 921: ‚iterem‘ post ‚iterum‘ om. P.
Pseud. 294: ‚homines‘ post ‚omnes‘ om. P—A ἢ. |.
Pseud. 1236: ‚guantum‘ post ‚tantum‘ om. P.
Stich. 288: ‚dicam‘ post ‚quidnam‘ om. A.
Stich. 698: ‚cape‘ post ‚capere‘ om. A.
Epid. 154: ‚tibi‘ post ‚ubi‘ om. A.
Epid. 679: ‚quaeras‘ post ‚quaeras‘ om. P.
Poen. 1084: ‚habit‘ pro ‚habitabit‘ ser. P—A n. 1.
3.
Atque etiam de duplicatis falso iisdem seu litteris seu syllabis
18) Sic ego quidem iudico de hoc loco utrobique eadem corrup-
tela deformato.
Novae quaestiones Plautinae. 201
ita iudicandum est, ut, si qui inter A et P intercedit scripturae
consensus, eum fortuitum esse aut esse posse statuamus. Velut
ex Poen. v. 885, quoniam AB falso seriptum exhibent ‚mortalis
sciat‘ pro ‚mortali sciat‘, colligere hac re indicari communem am-
barum recensionum fontem et exstitisse in hoc fonte communi
ipsam hanc pravam scripturam pro re nata nobis non licet 19).
Haeserunt autem viri docti in his librariorum mendis maxime,
ut opinor, ideo, quod hoc modo interdum exsistit sententia
prorsus aliena eademque inepta velut hoc loco, a quo profectus
sum, aut, ut alia exempla afferam, Pseud. 1203 (‚dedistis servo‘ P);
1217 (‚dedistis sumbolum‘ BC). Poen. 669 (‚accurres‘ AP). Pers.
393 (‚accurras sis‘ P). Mil. 945 (‚accurrate‘ P—A n. ]1.). Poen. 316
(‚terras‘ A). Trin. 796 (‚terrere P—A n. 1.). Trin. 530 (‚reddit‘
AP — cf. Pers. 504. Pseud. 877; 1326, unde satis intellegas,
quanto opere in libris scriptura fluctuet). Pers. 796 (‚additast‘
P—-A n. |.) fortasse etiam Truc. 112 (‚aggerimus‘ AP, quod minime
mirum est propter idem verbum ‚aggerunt‘ in eodem hoc versu
positum) — et ob eamipsam rem his mendis multo plus momenti
tribuerunt quam tribui oportuit, praesertim ubi ambarum re-
censionum scripturae inter se congruunt. Eas vero corruptelas,
quae ad sententiam nihil attinent 39), non dignas existimarunt
quae attenderentur, quamquam harum aliarumque corruptela-
rum natura illis doctis scrupulum saltem inicere et monere debuit,
ne ex meris librariorum mendis coniecturas facerent tam inanes.
4.
Syllabae aut verba in eodem versu spatio intermisso per-
peram iterata.
Poen. 331. ‚et secunda tu in secundo salve in pretio tertia‘ AP.
Agitur de falsa vocabuli ‚.n‘ iteratione, quod genus mendo-
19) Forsitan etiam haec corruptela nata sit errore sententiae ita,
ut librarius quidam ineptus versu 887. in fraudem inductus de suo
‚morlalis‘ reposuerit tamquam subiectum cum ‚sciat‘ coniungendum
esse ratus. Potuisse hoc fieri egomet non negaverim.
20) cf. Trin. 556 (A). Epid.:731 (A). Pseud. 675; 717; 861 (A).
Merc. 249. Stich. 365; 536. Merc. 489. Pseud. 30. Trin. 637. Merc.
775 (semper A). Trin. 558 (AD: idemque mendum 757. A; Poen.
616. P—-A n.1.; 762. P. Pseud. 402. P. Epid. 151. AVE.). Pseud.
823 (A).
202 E. Sicker,
rum in codieibus Plautinis latissime patet. Quod ita esse cum
Leonem non fugerit, eo magis est cur miremur eum his corrup-
telis tantum momentum tribuisse (cf. ea quae exposuit Pl. F.
p. 7). Exempli causa affero haec: Most. 235; 311; 1081; 1177.
Mil. 335; 660. Men. 654 (P—A n. 1.). Mil. 277; 706. Men. 572.
Merc. 304; 460. Epid. 495; 511; 513; 595. Trin. 185; 365; 512:
541. Pers. 280; 284; 392. Poen. 461; 599; (1212). Pseud. 223;
626; 891; 944; 1312. Stich. 58; 82; 271; 511 (semper A). Cas.
1005. Men. 1041 (P). Bacch. 736. Epid. 487. Poen. 994 (B). Epid.
493. Stich. 20; 94; 120; 304; 532. Pseud. 672 (semper P). Merc.
731. Epid. 669. Capt. 201; 959. Cas. 513. Truc. 801. Pers. 653.
Poen. (529) 1387. Pseud. 521 31). Capt. 111. Aulul. 660 (P—A
n. 1.). Epid. 443 (BE—A n. 1.). Scripturae consensus inter AetP_
intercedit Mil. 826 (cf. Poen. 1212. A). Trin. 294 (cf. Stich.
20. P). Pseud. 683. Stich. 311. Poen. 720, qui loci omnes mihi vi-
dentur ita esse comparati, ut eandem corruptelam utrobique
quasi serie quadam rerum oriri potuisse concedam??).
Huc referri volo etiam Stich. 342 (‚ecquem‘ P, ‚ecquwidem‘ A
sc. respecto ‚eequem‘) et Pseud. 69 (‚ibidem tibi‘ AP pro ‚itidem
tibi‘). Eodem’hoc modo fortasse natum est illud ‚nam‘ Stich.
292 (AP).
Sed ut revertar ad illum Poenuli versum, a quo profectus
sum, hoc quidem certo exploratum est, de illa, quam Lindsaius
(p. 117) significavit, traditae scripturae interpretatione cogitari
minime posse idque vel ideo, quia, si ‚insecundo‘ Plauto vindicare
non verearis, pro toto rerum tenore non possis non obtrudere
etiam ‚insecunda‘ versui sane obnitenti, qua ratione fiat, ut
alteram altera premat dubitatio. Ceterum egomet cum Camera-
rio et Leone delendum esse censeo ‚in‘ priore loco positum.
Non sine causa cum hoc loco Poenuli comparandus mihi
videtur Cas. v. 882 in AP sic fere traditus (cum lacuna in medio
21) Hunc versum censeo restituendum esse sic:
‚bene atque amice dieis: nam etiammünc meu’s.“
22) Hae corruptelae sintne mera librariorum menda an addita-
menta deliberato consilio alibi aliis de causis facta (velut nonnum-
quam ad stabiliendum metrum omisso aliquo verbo turbatum:
cf. Pseud. 521, ubi ‚etiam‘ post ‚nam‘ excidisse videatur), generatim
atque universe dici non potest.
Novae quaestiones Plautinae. 203
versu in P):
Cas. 882.
‚sed tamen tenebrae ibi erant tamquam in puteo: dum senex
abest, decumbe inguam‘.
Nam ‚tamen‘ cum in hunc quidem sententiarum contextum
non quadret, corruptela deformatum esse nobis statuendum est.
Itaque versus formam genuinam cum Spengelio existimo fuisse
hane:
‚sed tam tenebrae ibi erant quam in puteo‘ sqq.'
in qua postquam interpretandi causa ante ‚guam‘ insertum est
‚tam‘, illud prius ‚ijam‘ mutatum cessit in ‚tamen‘ (sic AP: ‚sed
tamen‘ autem saepius apud Plautum coniunctum exstat) aut in
‚tum‘, quam scripturam praebent schedae Turnebi. Sed quo-
niam quae necessitudo intercedat inter Turnebi schedas et recen-
sionis Palatinae libros satis constat, mirum fortasse videtur, quae
scriptura in A occurrit, eandem in P inveniri (ac non illud ‚tum‘),
qua ex re non temere quis colligere possit ‚tamen‘ e quodam exem-
plari recensionis A translatum esse in exemplar quoddam recen-
sionis P. Sed quoquo modo res se habet, nonne aliquanto proba-
bilius est hac tam mirifica serie rerum indicari fontem ambarum
recensionum communem, quo in fonte iam illud ‚tam‘, unde cetera
manarunt, additum fuisse putamus ?
9.
In proprietatibus codieum Plautinorum potissimis numeran-
dae sunt etiam falsae casuum aut exitus verborum assimila-
tiones, quod genus corruptelarum imprimis dignum est cuius
ratio habeatur.
Falsae casuum assimilationis exempla cum alia sunt tum
haee:
Mil. 488; 563; 704. Trin. 298; 650. Truc. 184. Merc. 458
(fortasse). Poen. 379 (?); 482; 891. Pers. 338; 495. Pseud. 36;
305 (‚huic‘); 329; 356. Stich. 281; 526; 530. Epid. 228. Cas. 157
(semper A). Poen. 401 (BC). Pseud. 193; 1244. Stich. 525.
Bacch. 956. aliaque (P). Mil. 787; 912. Trin. 796; 808; 1031;
1038. Rud. 1247 (P—A n. ].).
Scripturae consensus inter A et P intercedit Mil. 57; 67; 591.
Pers. 330; 515. Pseud. 185 (item Aulul. 582); 1000. Stich. 444
204 E. Sicker,
( ‚verberabundum‘). Mil. 374 (‚oculis‘ ABl). —
Vocabulorum exitus assimilationes ineptae inveniuntur cum
aliis locis tum his: Mil. 165 (‚talis dolis‘); 1432. Trin. 39123);
412; 512; 753. Truc. 209. Poen. 922 (‚intro ero‘). Pseud. 583;
975. Rud. 576; 774. Most. 986. Mil. 569. Trin. 74; 247: 522
(a correctore primo emendatum); 530. Pseud. 201; 205; 1132.
Epid. 245. Men. 572 (semper A). Mil. 748. Trin. 394. al. (P).
Mil. 788; 880. Trin. 695. Merc. 703; 895. Pers. 198 (P—A n.].).
Truc. 234 (‚guodo modo‘ B).
Scripturae consensus inter A et P intercedit his locis:
Trin. 425. Poen. 695. Most. 1069?*). Rud. 786 (AB). Pseud.
582 (AB).
Ceterum sitne in promptu nobis falsa casuum assimilatio-
an inepta quaedam exitus vocabulorum accommodatio, haud raro
in utramque partem disputari potest velut Poen. 439 (‚bonam
dicam‘ A pro ‚bona d.‘, etsi littera m expuncta est).
Seorsum mihi videtur disserendum esse de insigni quodam
genere verborum exeuntium assimilationis. Atque exordior a
Mostellariae v. 580 in AP sic tradito:
Most. 580. ‚ Reddeturne igitur faenus ?— Reddetur: nunc abi‘??)
Potuisse fieri ut utrobique librarii forma ‚reddetur‘, quae in
eiusdem versus initio suum locum obtinet, in fraudem inducti
23) An agitur de errore sententiae: ‚agerem curam‘ (id quod
fortasse conveniat etiam in Trin. v. 412)?
24) ‚docte atque a(stut)e‘ AP: hanc corruptelam in utraque recen-
sione separatim a librariis admitti potuisse non est quod infitiemur
cum ob rem ipsam tum propter inusitatam quandam adverbii
(‚docte‘ ) et substantivi (,‚astu‘) copulationem, in qua haesitasse
librarios quis est qui miretur? Ceterum ‚docte atque astu‘ occurrit
etiam Poen. 111.; ‚astu‘ solum Capt. 221. Poen. 1223. Pers. 148
(‚docte‘ in eodem versu). — ‚docte atque astute‘ suum locum obtinet
Rud. 1240. atque etiam Rud. 928. fortasse: nam statui potest
tetrameter anapaesticus hypercatalectus (cf. ad Cas. v. 819).
25) Quod attinet ad orationis formam (sc. ‚reddetur...... reddet‘:
nam sic est scribendum), genus verbi simillimo modo in eodem
versu variatum saepius invenimus velut Rud. 1128 (reddas — red-
detur). Curc. 526 (des — dabuntur ). Bacch. 883 (dabin — dabuntur
- dabo). Pseud. 1078 (dabin — dabuntur ). Cf. etiam Asin. 489.
Men. 1155. Merc. 777.
Novae quaestiones Plautinae. 205
in altere versus dimidio, guamguam cum metro discrepat, eandem
hance formam iterarent, utique concedendum est. In eandem
sententiam iudicavit Lindsaius, cum hunc errorem pro re nata
ne potuisse quidem vitari contendit (p. 118). Eiusdem modi
sunt cum aliae corruptelae tum
Merc. 327 (P—A π᾿ 1.): ‚Bene ambulato. — Bene valeto‘ sqq.
Epid. 272 (P—A n. 1.): ‚sicut cras hie aderit: hodie non vene-
γε sqg.
Copiosius mihi disputandum est de Militis gloriosi v. 254:
Mil. 254. ‚vera ut esse credat quae mentibitur‘ AP (‚menti-
bimur‘ correctum in B).
De ineunda ea quam Lindsaius proposuit interpretationis
via (p. 117 et p. 49 ad Cas. v. 185 sqq.), qua formam traditam
firmare sibi visus est, non potest cogitari, quoniam nullum om-
nino eiusmodi exemplum certum praebent fabulae Plautinae,
sicut memoriae proditae sunt. Monuit enim Lindsaius in promp-
tu esse nobis constructionem quandam priscae Latinitatis pro-
priam, qua constructione accusativus coniungeretur cum passivo
impersonali. — At primum posse omnino verbum ‚mentiri‘ ın
partem passivam acecipi (sicut ‚Judificari‘ Amph. 952. Bacch. 642.
Capt. 487. Cas. 558. Cist. 501. Mil. (490); 1161. Truc. 636.
‚tutari‘ Amph. 651. ‚arbitrari‘ Epid. 267. passive posita sunt)
scilicet excepto participio ‚mentitus, -a, -um‘ vel potius hoc modo
a seriptoribus bonae quam dicunt Latinitatis, ne dicam a Plauto,
esse usurpatum nullo quod sciam exemplo potest comprobari.
Deinde autem quod attinet ad accusativum e passiva verbi
forma pendentem, quibus locis Plautinis praecipue nititur Lind-
saius (Cas. 186: ‚pessumis me modis despicatur domi‘ et ‚vir‘
ad v. 185 adnexum, ubi propter metrum stare non potest, A —
versum om. P; cf. etiam Mil. 24), iidem magis dubii sunt quam ut
tales coniecturae ex iis capi possint. Sed quod Lindsaius ad
sustentandam suam opinionem (Lat. Lang. VIII par. 63) attulit
exemplum quoddam ex Ennii Iphigenia repetitum (v. 241 in
altera editione Vahleni):
‚incerte errat animus, praeterpropter vitam vivitur‘
quem versum Gellius XIX 10. usurpavit ad illustrandam vim
ac sententiam verbi ‚praeterpropter‘, ne hie quidem res prorsus
206 E. Sicker,
explorata est: etenim, ut mittam sententiam illorum, qui ‚vitam‘
falso scriptum esse suspicantur, ‚vitam‘ est accusativus interni
obiecti, qui in constructione passiva sicut in Graeca lingua in-
teger relictus est aut potuit certe relinqui, id quod in hune Militis
versum minus cadit. Atque etiam de Terentii Eunuchi prol. v. 17:
‚habeo alia multa, quae nunec condonabitur‘
quamvis similis primo aspectu videatur, aliter iudicandum est;
nam in promptu nobis est illa constructio, quae in prisca Lati-
nitate latius patet: condonare aliquem aliquid (cf. Bacch. 1143.
Rud. 1368. Ter. Phorm. 947. Afran. com. 173), quae constructio
ubi in passivam formam redigitur, accusativus rei (‚guae‘) non
mutatur. Hinc apparet verbum personaliter esse dietum. De-
nique non dubito praedicare, quam constructionem Lindsaius ᾿
Plauto iniungi voluit, eadem ut priscae Latinitatis sit propria,
tantum abesse, ut non modo a Plautino sermone, verum etiam
ab omni Latinitate abhorreat. Atque etiam quod Graeci dicere
potuerunt ἃ ψευσϑήσεται, inde non sequitur, ut scriptoribus La-
tinis licuerit dicere ‚guae mentibitur‘. Contra, si quidem pro ‚men-
tibitur‘ reposuimus ‚mentibimur‘, verborum structura quin vere
Plautina eademque Latina sit dubitari minime potest. ‚menti-
bimur‘ autem sine ullo scrupulo reponere nobis licet, quoniam
multis illis verborum personis tertiis, quae praecesserunt et qua-
rum ultima proxime abest (‚credat‘), in fraudem inductos libra-
rios hoc ipso quoque loco tertiam verbi personam neglecta sane
sententia usurpasse verisimillimum est. Quae cum ita sint, ne
hoc quidem fidentur asseveraverim, hunc scripturae consensum,
qui inter A et P intercedit, certissimum indicium esse fontis am-
barum recensionum communis, immo vero concedendum est,
ut opinor, potuisse fieri ut hoc mendum in utriusque recensionis
codicibus separatim committeretur ab librariis securis vel sen-
tentiarum tenori non ita intentis. Cf. Poen. 1173, ubi eadem fere
corruptela oceurrit in P: ‚praestolabitur‘ (A recte ‚praestolabimur‘),
nisi quod hie librarium in fraudem incidisse propter rerum con-
textum multo magis est cur miremur.
Alia eiusmodi exempla sunt haec: Mil. 182 (‚possint" A —
‚videat‘ P: videlicet in recensione altera alterum mendum).
700 (AP). Trin. 27; 211. Truc. 301 (‚perdidere abiere‘). Merc.
Novae quaestiones Plautinae. 207
527. Pers. 273. Pseud. 207. Stich. 615. Cas. 543. (semper A).
Truc. 233 (‚habent dent‘ P). Merc. 327. -Poen. 552 (P—A n. 1.).
Atque interdum librarios etiam verba insequentia spectasse
iisque verbum quod litteris mandabant accommodasse sententia
prorsus neglecta vel ex iis exemplis, quae supra congessi, satis
intellegitur, etsi alia haud pauca afferre possum.
Religquum est, ut agam de Pseudoli versu 910, quem versum
consulto omisi, quoniam quam corruptelam praebent AP, eius-
dem origo etiam aliunde repeti potest.
Pseud. 910.
‚tum pol ego interii, homo si ille abüit, neque hoc opus quod
voluit hodie efficiam‘
(sic AP omissis quibusdam exiguis scripturae discrepantiis, nisi
quod P post verbum ‚volwit‘ insertum habet ‚ego‘: recte ‚volui‘
restituit Bothius).
Hocine sit indicium fontis ambarum recensionum communis,
sane ambiguum est. Nam primum ‚voluit‘ scriptum esse potest
et id quidem in utriusque recensionis libris falsa ad verbum ‚abest‘
exitus accommodatione, cuiusmodi peccata quam late in codi-
cibus Plautinis paterent explanare non frustra, ut spero, studui.
Deinde autem haud scio an ‚voluit‘ depravatum sit e prisca illa
seriptura, quae fuit ‚voluer‘ quaeque scriptura compluribus exem-
plis potest comprobari velut
dixtei Merc. 754. dedei Men. 535; 1139.
seqguiminei Merc. 782. advexei Merc. 391 (ut vid.).
experirei Merc. 769. emei Merc. 500 (ut vid.).
darei Merc. 777; 778. metuei Poen. 1378.
deixei Men. 591. periei Stich. 497 35).
(etsi e ante ὁ expunctum est).
Quae cum ita sint, vix est dubium, quin ei (pro 7 scriptum)
delitescat in corruptelis pluribus velut
repperit Stich. 176 (A).
deamavit Poen. 1176 (A).
explicavit Poen. 750 (A: nisi forte agitur de errore senten-
tiae sc. forma ‚is‘ effecto).
iussit Poen. 386 (A).
38) Hae scripturae priscae omnes servatae sunt in A.
208 E. Sicker,
moderaris (vel ‚moderarei‘, quod eruisse sibi videtur Schoel-
lius) Pers. 297 (A)
— fortasse etiam Stich. 359 in AP ‚piscator attulit‘ errore quodam
sententiae corruptum est ex ‚piscatu rettuler‘, quae orationis forma
etad sententiam magis accommodata videtur et exemplis potest
confirmari velut ‚opsonatu redire‘ Men. 277; 288. Cas. 719.
Forsitan idem hoc pertineat ad illum Pseudoli versum, a
quo profecti sumus. Palatini vero libri quam multis eiusmodi
corruptelis deformati sint, dici vix potest.
6.
Falsae litterarum inter se assimilationis exempla in libris
plura inveniuntur velut his locis:
Mil. 177; 181; 488. Merc. 250; 490; 491. Trin. 22. Pseud.
826; 891. Epid. 488. Cas. 610 (semper A). Pseud. 1198. Rud.
723 (P). Stich. 185 (B).
Quocirca illum seripturae consensum, qui inter A et P
intercedit Truc. 206 (‚atte‘ pro ‚ad te‘ AB), fortuitum esse aut
posse certe esse facile concedas. Idem hoc cadit in Poen. v.
1307 (‚atte AB) et Truc. v. 369. (‚atte bene‘ A — ‚attibent‘ P sc.
ex scriptione maiuscula eademque continua natum). Comparanda
sunt etiam
Pseud. 1067 (‚atte B— ‚adte CD—A π. 1.
True. 716; 921 (‚atte‘ B— ‚ad te CD—An.|.).
Pseud. 1159 (‚atte P— A n.|].).
Stich. 535 (‚atte A — Pn.].).
Poen. 638 (‚atte‘ A — ‚ad te‘ P).
Ceterum attendendum est omnino in libris saepius occurrere
scripturas cum alias tum has:
‚set‘ pro ‚sed‘; ‚aput‘ pro ‚apud‘; ‚quwit‘ pro ‚quid‘; ‚quot‘ pro
‚quod‘.
7:
Ad illustrandum aliud genus corruptelarum, quae in codi-
cibus longe lateque patent, proficiscor a Poenuli versu 352.
Poen. 352. ubi AP seriptum habent ‚nunec‘ pro ‚non‘. Is codi-
cum scripturae consensus quamvis gravis primo aspectu esse
videatur, tamen quam nihili aestimandus sit intelleges, si dili-
gentius rem tecum consideraveris. Nam referenda est haec cor-
Novae quaestiones Plautinae. 209
ruptela ad eandem librariorum neglegentiam, qua propter ho-
moearcton quod vocatur versuum 351 et 352 aberrarunt ad ver-
sum 35letinde verbum ‚nunc‘ temere ac fortuito transscripserunt.
Potuisse saltem utrobique hoc fieri propter rerum condicionem
quam significavi utique concedendum est atque adeo, ut opinor,
probabilitatem quandam habet?”). Omnino verba vel formae
verborum, praesertim si in pari vel simili verborum contextu eo-
demque loco versus posita sunt, saepius e proximo versu seu su-
periore seu inferiore se insinuarunt: cf. Mil. 561. Trin. 352 (egwi-
dem). Pseud. 379 (postulas); 678 (certum). Stich. 249 (eo quantum
potest); 473 (facies) aliisque locis (A). Poen. 389 (colustra).
Mil. 404 (ob oculos). Pseud. 864 (simul). Stich. 133 (mendiecis)
aliisque locis (P). Most. 142 (an est glossema consulto additum ?).
Men. 55. Merc. 40. Mil. 752; 777. Pers. 60. Trin. 1176. Truc. 54.
Rud. 1403. Aulul. 553 (aedibus). Bacch. 366 (eius). Cas. 792
(hinc). Epid. 211 (gqwisque). 396 (P—A πη. 1.). Pseud. 1193(,guid‘
AC). Mil. 699 (huius similia® AP sc. propter eandem verborum
iuneturam ‚huius similis‘ in v. 700 positam); fortasse etiam Trin.
207 (‚id quod‘ AP ex insequenti versu immissum, si modo etiam
P in hoc versu olim sceriptum habuit ‚id‘, quod haud scio an
interciderit: sed maxime ambigua res est neque quicquam certi
apparet). Huc cadunt, ut opinor, etiam Cas. 49 et Stich. 248,
de quibus locis egi in capite III. (p. 46 sq.)
Ceterum nonnumquam res videtur ita se habere, ut illud
verbum, de quo agitur, in exemplari olim nescio quo modo omis-
sum et sive ab eadem sive a posteriore manu in margine additum,
sed postea ab eo librario, qui utrum tandem ad versum pertineret
ignoraverit, a margine in utriusque versus textum inepte sit in-
gestum.
Poen. 1049. Tamquam appendieis loco disputabo de quo-
dam versu Poenuli, quem, ut est corruptus in libris, satis certo
emendatum esse quivis existimaret, nisi Lindsaius sese aliter de
hac re iudicare editione sua ostendisset. Nam in v. 1049.
Seyffertus contra utriusque recensionis memoriam (‚est par probe,
27) Stich. 163. item ‚nunc‘ pro ‚non‘ seriptum legitur in A neque
tamen apertum est, unde sumptum illuc invaserit.
Philologus, Supplementband XI, zweites Heft. 14
210 E. Sicker,
nam habeo domi‘ AP: sic enim legendum est neglectis exiguis qui-
busdam seripturae discrepantiis) scribendum esse ‚guam habeo
domi‘ iam pridem statuerat, Lindsaius nihilo setius codicum
scripturam retinuit. — Sed ut breviter rem examinemus, utram
scripturam res et sententia poscunt? Desideraturne causa, qua
de causa Agorastocles testatur vel testari potest hanc sc. Han-
nonis tesseram probe parem esse — nimirum suae ipsius tesserae,
cuius tamen sententiae nihil usquam significatum exstat? Mi-
nime, ut opinor. Atque adeo quam mira causa nominatur: ‚nam
habeo domi‘, quasi non consentaneum sit Agorastoclem, quoniam
non est peregre abiturus, tesseram hospitalem non secum ferre,
sed domi habere! Immo vero sententia poscit ut dicatur, ceui
probe par sit illa tessera — scilicet ei, qua m ipse domi habet
— aut, id quod etiam simplicius esse videatur, quid probe par
sit tesserae ei, quam Hanno ostendit — scilicet ea tessera, quam
Agorastocles ipse habet domi. Sequitur ut adsciscamus illam
Seyfferticoniecturam, quaeipsaperseaccommodata est ad persua-
dendum et quae probata est Goetzio Schoellioque Leoni aliisque.
Iam si quaerimus, quomodo nata sit in libris haec corruptela,
quoniam de mero librariorum mendo pro scriptione maiuscula
vix potest cogitari, verisimillimum est aut librariorum oculos
aberrasse ad eundem fere locum insequentis versus, ubi ‚nam‘
recte scriptum exstat, aut verbum ‚nam‘ nescio qua alia serie
rerum ex hoc versu in superiorem irrepsisse. — Comparandus
est Persae v. 379, ubi contra ambarum recensionum fidem (,‚scis
nam‘) Seyffertus recte reposuit ‚scis iam‘, nisi quod hie fortasse
agitur de mero librariorum mendo, atque etiam Truc. 186, ubi
pro ‚nam‘ (AP), quippe quod cum ,‚opsecro‘ parum conveniat,
idem reposuit ‚guam‘ (sc. vocem exclamantium), etsi illud ‚nam‘
quomodo natum sit, ego quidem non perspicio. Sed haec hac-
tenus.
8.
Corruptelae eae, quae ad ligaturam referendae esse videantur.
Duas litteras atque adeo tres (velut -unt Capt. 906. Men. 221)
haud raroin A ligatura coniunctas esse exapographo satis intelle-
gitur. Imprimis autem ligatura secum coniunctae exstant litte-
rae -um (cf. Mil. 208; 257; 1038; 1138. Cist. 103; 494; 505.
Νονδε quaestiones Plautinae. 2ll
Cas. 877. Poen. 914; 917; 1205. Pers. 360; 399; 553; 593. Pseud.
687. Rud. 743. Stich. 58; 129; 283; 360) et id quidem aut in ipso
fine aut sub finem versuum. Tale aliquid convenire etiam in
Palatinorum archetypon maiuscula scriptione exaratum eadem-
que fere cum Ambrosiano aut huius archetypo aetate conscriptum
non sine causa, ut opinor, licet nobis concludere. Quae cum
ita sint, non tribuendum esse censeo magnum momentum illi
corruptelae, quae in AP occurrit Most. 1049. (‚congerronem‘ pro
‘congerronum‘), quippe quae nata sit ex ligatura litterarum -um
in A usitatissima, sc. ita ut litterae ligatura coniunctae a libra-
riis falso diremptae sint. Cf. Stich. 64, ubi Studemundus testa-
tur ‚videntir‘ (sc. pro ‚videntur‘, quod per ligaturam scriptum
habere A testantur Goetzius Schoelliusque ed. min. fasc. VI,
praef. p. 16: videlicet quam facile ex eiusmodi scripturis errores
exsistere potuerint).. Eodem modo videtur natum esse illud
‚volimus‘ (Pseud. 233; 462. Truc. 192. Mil. 598. A sc. pro
‚volumus‘), quod Plauto vindicari non potest.
Ὁ:
Persaepe in libris inveniuntur etiam ea menda, quorum origo
repetenda sit a compendiis quibusdam exemplarium scripturae
adhibitis vel ipsis pravis vel pravam in partem acceptis aut —
id quod et ipsum identidem videtur usu venisse — omnino omis-
sis. Hue cadunt cum alia tum haec:
%
‚ust‘ et ‚-umst‘ saepissime inter se commixta sunt. Nempe
igitur per compendium scripta fuerunt et id quidem non modo
in fine versuum (cf. cum alia tum Pseud. 289 in apogr.), sed
etiam aliis locis (vide Epid. 95 in apogr.). Quapropter si qui
ambarum recensionum scripturae consensus occurrunt, iis nihil
admodum est tribuendum velut Men. 263 28). Pers. 371. Pseud.
331; 1178 (AP). Trin. 1045 (AB). Plerisque autem locis 118,
quibus utriusque recensionis scripturae nobis suppetunt, si non
recensiones ambae, at certe alterutra formas recte perscriptas
exhibet velut Mil. 749. Trin. 1058. Pseud. 452; 455; 474 (recte
perscriptum A). Pseud. 289 (recte per compendium scriptum
38) cf. ea quae Studemundus adnotavit in apogr.
14*
212 E. Sicker,
A: ef. Epid. 95). Truc. 317. Poen. 909; 1203; 1303. Pseud. 309:
Stich. 94; 99; 218; 467. Capt. 1026. Epid. 234 (P).
Sie etiam intellegas, quomodo interdum oriri potuerint
menda absurdissima velut ‚negotius est‘ Pseud. 993 (B); ‚aeguiumst‘
Stich. 290 (A) aliaque.
β
‚est‘ falso scriptum pro .-εϑδ΄: |
Poen. 1039; 1194. Mil. 1419 (A). Stich. 325. Mil. 684 (P).
Poen. 351. Pers. 581; 591 (AP). Trin. 264 (AP partim congruen-
tes partim discrepantes: sed sane dubia est res). Item Truc. 317.
in fine versus AP falso sceriptum habent ‚potest‘ pro ‚pote‘ (νοὶ
‚potis‘), quae corruptela in eodem verborum tenore recurrit Aulul.
309.
‚es‘ pro ‚-est‘ falso scriptum:
Men. 576. Mil. 1141 (A) aliisque locis. Huc cadit fortasse
etiam ‚melius‘ Poen. 677 in AP pro ‚meliust‘ scriptum (cf. v. 679,
ubi recte ‚meliust‘ A, ‚melius‘ P exhibet).
‚pro‘ et ‚prae‘ inter se confusa in libris identidem occurrunt
velut his locis:
Truc. 385 codices inter se discrepant ita, ut A veram scrip-
turam ‚provenisti‘ exhibeat, Ρ falsam ‚praevenisti‘. Eadem ratio
est in Poen. v. 478 (‚praesternebant‘ A — ‚prosternebant‘ P) et
in Stichi v. 466 (‚prosiliunt‘ recte A — ‚praesillunt‘ P). Quae
cum ita sint, non multum est tribuendum scripturae consensui,
qui inter A et P intercedit Mil. 1152 (‚prosenserit‘ scriptum pro
‚praesenserit‘: nam hoc reponendum est; cf. Trin. 172. Pseud.
408; 426).
Item commutata sunt ‚per‘ et ‚pro‘ Mil. 597 (‚perspectare‘
AD, etiam C — ‚prospectare‘ B), ‚per‘ et ‚prae‘ Mil. 591. (‚prae-
hibuit‘ recte A — ‚peribunt‘ P).
In libris Palatinis talia per compendium scripta esse apparet
cum aliis locis tum Amph. v. 1071. Men. v. 979, quibus locis eius-
dem recensionis libri scriptura inter se discrepant.
Ab omisso compendio cum alia repetenda esse mihi videntur
tum illud ‚piratus‘ in Truc. v. 656 (P—A n. 1.) pro ‚periratus‘
scriptum.
Novae quaestiones Plautinae. 213
ὃ
‚-asti‘ pro ‚-avisti‘ scriptum:
Saepius AP inter se discrepant (velut Poen. 416), congruunt
inter se, cum praebent Epid. 493. ‚pugnasti‘ (‚pugnavisti‘ videtur
reponendum esse).
‚dixti‘ pro ‚diwisti‘ aliaque eiusmodi non raro in libris seripta
inveniuntur.
Huc referenda esse videatur etiam illa corruptela, quae in
AP occurrit Epid. 506: nam ‚liberaverit‘ in P videtur scriptum
fuisse per compendium, etsi ‚liberavi‘ B!, ‚Iiberavit‘ AJ seriptum
exhibent. Itaque quod Leo ait (Pl. F. p. 12.) hoc tam miro senarii
exitu aliquid demonstrari, hoc sane ambigitur.
Haud scio an huc referenda sint etiam alia, quae tamen
utrobique separatim orta esse pro rerum natura minus probabile
sit, velut Mil. 482. (,‚servitute serviat‘ AB, porro corruptum in
CD: sc. pro ‚servitutem serviat‘, quae verborum iunctura ceteris
locis recte tradita est velut Capt. 391; 544. Pers. 7; 34. Rud. 747.
Trin. 302; 304. excepto Mil. v. 745, ubi P scripturam corruptam
praebet, A veram suppeditat 35).
Ab omissis aut neglectis compendiis repetendae sunt etiam
illae corruptelae pro rerum contextu satis mirae, quibus laborant
Pseud. v. 1050 (‚guamguam nequa homo es‘ AP sc. pro ‚nequam‘ ;
cf. ‚obvia‘ Mil. 898 B vel ‚gua‘ Men. 592 A) et Stichi v. 593 (‚tu‘
pro ‚tum‘ AP; cf. Mil. 1003: ‚tum‘ recte AD — ‚tu‘ BC), quo de
versu quandam ob causam paulo plenius disserendum esse mihi
videtur.
Stich. 593. ‚quin tu stans obstrusero aliquid strenue‘ 566. AP
(etsi ‚tu‘ expunctum in A).
‚tum‘ flagitat sententia, 1. 6. δὲ ta est ut dicis sc. ut nullus
tibi superfiat locus. Hanc in partem ‚tum‘ saepius accipiendum est,
sive protasis condicionalis aut causalis apparet (velut Amph.
933. Asin. 242. Merc. 458. Poen. 488; 984; 1281. Most. 671.
Pseud. 906; 910. Rud. 1137; 1342; 1389 sqq. Stich. 757; eodem
modo positum est ‚igitur‘ Mil. 772. Rud. 930, quibus tamen locis
—— ..
39). Hucine referendus sit etiam Mil. v. 740, propter rerum
eondicionem potest dubitari.
214 E. Sicker,
protasis temporalis est, atque etiam ‚igetur tum‘ Most. 132; 689)
sive ex sententiarum contextu mente est supplenda (velut ‚tum‘
Aulul. 567. Cure. 74. Epid. 35. Mil. 980; 1014. Pers. 134. Rud.
1115; 1146; 1305 et ‚tum vgitur‘ Asin. 107; 330. Capt. 641; 857.
Cas. 374. Curc. 239. Epid. 284. Most. 261. Pers. 189. Poen.
497; 591. Pseud. 715. Stich. 363). Quorsum igitur haec tam
copiose disputo? Nempe ad reiciendam Lindsaii opinionem?®®),
qua putavit coniungi posse ‚quin tu‘? (sc. ‚vocas me‘), quae ver-
borum iunctura velideo, quod indiget verbo finito, vix est ferenda.
Nam quae apud Plautum occurrunt eiusmodi formae orationis
ceterae (velut ‚gwid tu?‘ aliaeque), earum natura est longe di-
versa, quoniam vis ac pondus inest in ipso pronomine, Sed si
in hunc locum id caderet, necesse esset Gelasimus Epignomum
aversaretur et appellaret Pamphilippum, qua ratione sententia
non modo in deteriorem, verum etiam in pravissimam partem
verteretur. Videlicet corruptela eadem et A et P laborare utique
statuendum est, nisi quod utrum pro indicio unius eiusdemque
ambarum recensionum fontis hoc habendum sit necne in medio-
relinguam, etsi nonnulli hoc fortasse mirentur.
10.
Errores quidam e notis personarum orti:
Quam ad rem illustrandam profieiscor a Pseudoli v. 954,
quem versum neglectis exiguis quibusdam scripturae discrepan-
tiis AP sie traditum exhibent:
Pseud. 954. IIlcinest? PS. Illic e(st. SI. Malast) me(rs.
PS. Illu)c sis vide AP (mala mercist P) 31).
Versum, quem utrobique mancum esse apparet, lenissime,
ut opinor, sanavit Bothius, cum pro nota personae — ante ‚elluc
sis vide — nomen ipsum ‚Pseudole‘ reposuit. De summa re,
mihi videtur recte iudicasse Lindsaius (p. 92 in adn.), etsi quo-
modo natas esse tales corruptelas animo sibi informaverit me non
ita perspicere confiteor. Nempe sic res se habet, ut a librariis
aut nomina propria interdum ad compendium conlata sint, quo
30) quamquam illud ‚tum‘ in textum recepit.
31) Quae uncis inclusae sunt litterae, eaedem in A prorsus eva-
nuerunt, quadrant autem in spatia.
Novae quaestiones Plautinae. 215
factum est, ut pro notis personarum haberentur ibique, ubi nomen
in compendii formam redactum subsequebatur eiusdem personae
nota, omnino praetermitterentur, aut personarum notae nonnum-
quam litteris dilatatae sint, quo factum est, ut nomina propria,
ubi ante ipsas personarum notas litteris dilatatas erant posita,
non raro omitterentur. Tale aliquid mihi videtur pertinere ad
locos complures velut Cas. 1004. (‚Cleostrata‘ ante eiusdem per-
sonae notam om. AP); Epid. 29. (‚T’hesprio‘ item om. P—A ἢ. 1.);
Mil. 1344 (‚Philocomasium‘ item om. P—A n. 1.); Stich. 669
(‚Sangarine‘ item om. P—A n. 1.); Most. 804 (‚Stmo‘ similiter om.
P—A n. 1.); fortasse etiam Rud. 537 (‚Labrax‘ similiter om. AP;
οὗ. quae de hoc loco exposui) et Most. 495 (‚T'heopropides‘ om.
P—-A n. ]., quamquam res satis dubia est: agitur enim, nisi omnia
fallunt, de maiore defectu inde repetendo, quod haec pars exem-
plaris nescio quo pacto male mulcata aut lacerata fuit; cf. v. 517.
518 simili defectu deformatos, qui versus in codice illis fere re-
spondisse videantur). Nihil autem obstat, quin tales corruptelas
eodem modo utrobique separatim oriri potuisse suspicemur.
Atque etiam alii errores nati sunt e personarum notis: sed
Trin. v. 495, quem in versum ipsum quoque tale aliquid convenit,
cur huc referri nolim intellegitur ex iis, quae de loco ipso exposui.
Ibidem etiam de ceteris eiusmodi versibus disputavi.
Hae codicum Plautinorum proprietates mihi visae sunt di-
gnissimae, quae exemplis quibusdam insignitis illustrarentur.
Sed cum ipsa crebritate tum maxime natura harum corruptela-
rum ductus, etsi singula nonnulla fortasse idonea sint, quae scru-
pulum nobis inieiant, tamen moneam, ne nimis fidenter certas
coniecturas inde capiamus.
e.
Subiungo quae de omissis quibusdam verbis aut versuum
partibus dicenda mihi videntur. Atque exordior a Poenuli v.
1004 sq., quibus de versibus quandam ob causam pluribus verbis
disserendum est. Leguntur in AP traditi sie:
Poen. 1004 54.
Fortasse medicos nos esse arbitrarier. —
Si est, nega esse: nolo ego errare hospitem.
Hunc locum Lindsaius strietim tetigit (p. 112) ita, ut quid
216 E. Sicker,
tandem sibi velit vix perspicias.. Neque enim quisquam aut
dubitavit aut dubitabit, quin e verbo ‚fortasse‘ in prisca Latini-
tate nonnumguam pendeat infinitivus vel potius accusativus
cum infinitivo velut Asin. 36. Merc. 782. Truc. 68032). Ter.
Hec. 313 (cf. etiam quae Donatus ad locum adnotavit) eodemque
modo hoc verbum usurpatum sit ac ‚necesse est‘??). Sed si Lind-
saius, id quod Leo suspicatur (p. 367), ad verba ‚si est‘ (v. 1005)
subiectum ‚fortasse‘ intellegendum esse putat, versatur in errore.
Nam quominus aliter ac Leo interpretatus est verba interpre-
temur?*), stat per ipsam sententiam. Quapropter a Camerario
recte insertum esse nobis videtur ‚ta‘, qua ratione exsistit forma
orationis et ad sententiam etadusum Plautinum prorsus accom-
modata (cf. cum alia tum Poen. 1047; 1072. Bacch. 554. Pers.
133). Itaque cum ‚si ἡΐα est‘ sententiarum contextu utique desi-
deretur, hie est cardo totius causae, ut anquiramus, sitne cre-
dibile aut verisimile utrobique illud ‚ta‘ casu ac fortuito esse
omissum. @uodsi mecum considero et crebritatem et naturam
omissorum in A verborum — nam verba in P non minus saepe
eademque mirum in modum praesertim in Epidico ac Trucu-
lento omissa mihi licet silentio praeterire — et eorum quidem,
quae omitti potuisse pro rerum ac verborum tenore minime ex-
spectes, ne huius quidem vocis omissioni, quamvis mira uni al-
terique videatur, magnum momentum esse tribuendum censeo.
Profecto nemo in hac re offenderet, si in alterutra tantum recen-
sione verbum omissum esset. Nunc autem, quoniam in neutra
recensione seriptum invenitur, obstupefiunt et haerent pleri-
que et tale aliquid incredibile esse contendunt. At tamen caven-
dum nobis est, ne iudicium praecipitemus aut inopinantes ad
coniecturas falsissimas deducamur. Denique ex hac quidem
re nihil certi colligendum esse statuo.
en nn
32) quamvis obscura atque ambigua sint reliqua, verborum con-
structio ipsa satis apparet.
38) Eodem modo usurpatum exstat ‚scilicet‘ cum aliis locis tum
Asin. 787. Curc. 263. Pseud. 1179. Rud. 395. Ter. Heaut. 358 sq.
856 sq. 892. atque etiam ‚videlicet‘ Asin. 598 sq. Stich. 555; 557.
84) Bacch. v. 915. comparandum non esse intelleges, si paulo
diligentius rem tecum reputaveris.
Novae quaestiones Plautinae. 217
Idem hoc cadit in Most. v. 962 (‚mihi‘ post ‚ei‘??) omissum
in AP; οἵ. Poen. 1351 A vel Pseud. 941 P) — Most. 794 et 854
sitne re vera statuendus cuiusdam verbi defectus magis minusve
ambiguum esse alio loco dixi. Ὁ
Huc referri volo etiam Stichi v. 357 in AP sic traditum:
‚nisi forte hospites venturi sunt. — Lectos sternite‘
quem versum ‚ut est mancus, ad sententiam aptissime supplevit
Weisius, cum ante ‚lectos‘ inseruit ‚vos‘, quod optime convenit
cum verbo ‚alt‘ in proximo versu posito.
Incertum est an fortuitus sit ille defectus, quo laborat Stichi
v. 167, quo de versu non mitto paulo plenius disputare.
Stieh. 167. ‚auditavi saepe hoc volgo dieier‘ (adnexum est
‚solere‘ i. 6. primum verbum v. 168) A.
‚audivi saepe hoc volgo dicier‘ P.
Versum utrobique mancum esse apparet. Sanandus autem
esse videatur ita ‚ut profeceti ab Ambrosiani scriptura ante ‚audi-
tavi‘ aliquid excidisse statuamus (velut ‚atque‘, quod conieecit
Leo). Neque haerendum est in illa sermonis abundantia, quae est
‚auditavi saepe‘, quoniam vis frequentativa insit in verbo ‚audı-
tavi‘ ipso per se: immo ut universe abundantia quaedam orationis
est proprietas vere Plautina latissimeque in fabulis patet, sic
ne hie quidem pleonasmus exemplis caret velut Pseud. 727:
‚gui hie: non visitatus saepe sit‘. Quorsum igitur hoc disputo ?
Nempe ad redarguendam illam Lindsaii opinionem, qua putavit
errorem esse ortum ex glossa ‚audivi saepe‘ ad ‚auditavi‘ ad-
seripta: nam etsi verum est Paulum Festi epitomatorem p- 28
afferre ‚auditavi, saepe audivi‘, tamen in hunc quidem locum
illa ratiocinatio non convenit. Immo etiam debilior versus
foret, quoniam consequens esset, ut verbum ‚saepe‘ ex Ambrosiani
lectione eiceretur. Nunc autem retineamus ‚saepe‘ et perstemus
in 115, quae supra exposui. ‚auditavine‘ vero ut cum Lindsaio scri-
batur ego quidem minime suadeo, quippe quae forma versus ine-
untis absona et vix Plautum resipere mihi videatur. Accedit
35) ‚ei mihi‘ verborum iunctura apud Plautum usitatissima est,
praesertim si continuatur ‚periü‘ vel ‚oceidi‘: cf. Aulul. 391; 796.
Bacch. 411; 1116; 1174. Men. 303. Most. 1030. Stich. 753. — ‚ei
solum occurrit Most. 543; 979 al.
218 BE. Sicker,
quod etiam vis orationis particula interrogandi ingesta potius
imminuatur quam servetur. Omnino cavendum est, ne cuilibet
versui seu lacuna seu hiatu laboranti sic temere interrogationis
particula iniungatur, quam rationem sane simplicem saepius cum
detrimento sententiae Lindsaium instituisse Leo rectissime mo-
nuit (p. 364 in adn.).
Priusquam ad versus graviore quodam defectu corruptos
nos convertamus, breviter agendum est de quibusdam versibus
ita comparatis, ut librarios in errorem incidisse atque adeo non
potuisse non incidere pro re nata prope manifestum sit. Itaque
de Mil. glor. versibus 727 sqq. Lindsaius recte iudicavit (p. 109):
nam ut in P librarius inde a verbo ‚statuit‘ (v. 727) priore trans-
siluit ad idem verbum posteriore loco positum (v. 728), sie in A
librarii oculos a voce ‚probast‘ (v. 728) aberravisse ad ‚impro-
bast‘ (v. 729) apparet eo magis, quod ambo versus incipiunt ab
eodem verbo ‚quae‘. Res igitur in eo est, ut in utraque recen-
sione propter eundem librariorum lapsum verba quaedam omissa Ὁ
sint neque tamen eadem verba: qua re impedimur, ne statuamus
hoc esse indicium fontis ambarum recensionum communis. Nempe
ergo caute atque cogitate de locis similiter comparatis iudicandum
esse hoc exemplo docemur.
Iam, ut alia afferam exempla, Trin. 8 librarius in A inde a
verbo ‚mihi‘ transsiluit ad idem verbum ‚mihi‘ in v. 9 positum.
— Poen. 635 in A librarius postquam litteris mandavit ‚malo
siquid‘, transsiluit ad idem verbum ‚seqwid‘ in v. 636 positum et
quae hoc sequuntur continuavit, deinde v. 636, quoniam ab alia
voce incipit ac v. 635, totum perscripsit, quo errore factum est,
ut versus 635. 636 maiorem partem inter se ad verbum concinant.
Idem hoc, ut opinor, pertinet ad Poen. v. 994, nisi quod hie in A
librarius a verbo ‚guoiatis‘ posteriore (v. 994) videtur aberrasse
ad idem verbum priore loco (v. 993.) positum, quo lapsu factum
est, ut altera v. 993 pars dimidia iterum litteris mandaretur. Nam
laceratum fuisse hoc loco codieis rescripti exemplar parum pro-
babile est, quoniam iis locis, qui fortasse respondeant illis ver-
sibus, maioris defectus in A nulla exstant vestigia. — Atque
etiam in P eiusmodi librariorum lapsus inveniuntur velut Pers.
559 sq. Poen. 286 sq. 493 sq., quibus locis etsi A semper lectio-
Novae quaestiones Plautinae. 219
nem integram exhibet, tamen quomodo error nasci potuerit
satis perspicuum est. Sed haec hactenus.
Caput 1.
Venimus nunc ad versus graviore defectu mulcatos, qui etsi
plures sunt, unum saltem illustrare satis habeo. Non sine causa
haeremus in Stichi v. 312 in AP sic tradito:
Stich. 312. ‚nimis vellem hae fores erum fugissent ea causa
ut haberent manum‘.
‚ut haberent malum magnum‘ recte coniecit Hermannus.
Permirum est AP prorsus eandem scripturam iisdemque litteris
omissis depravatam exhibere. Immo si traditum esset aut ‚ma-
lum‘ aut ‚magnum‘ et id quidem in utraque recensione, maiore
iure cogitari posset de mero librariorum lapsu. Nunc autem
hoc pro re nata parum probabile est.
Magis vero contorta quam ut eandem corruptelam utro-
bique separatim oriri potuisse credamus res est in Poenuli v. 1051.
praeter exiguas quasdam scripturae discrepantias in AP sic
tradito:
Poen. 1051. ‚patritus ergo hospes Antidamas fwit‘ — Mirum
quantum erravit Lindsaius, cum (p. 112) hiatu illo, qui inter
‚ergo‘ et ‚hospes‘ intercedit, indicari priscam formam verbi ‚ergo‘
tres in syllabas dispertiendam (,erego‘) satis fidentur coniecit.
Neque enim intellegimus, quid tandem profectum sit hac ratione
ipsa perquam ambigua. An putamus verbum ‚erego‘ a Lindsaio
fietum in syllaba prima vocalem longam habere, quod nisi sta-
tuerimus, hiatum illum, quem removere studuit, nihilo minus
integrum servari apparet? At prorsus incredibile hoc est, immo
vero ne ipsum quidem Lindsaium de hac re serio cogitare exi-
stimo®®). Nam quid sibi vellet illud verbum aut unde natum esset,
.animo vix possemus nobis informare. Accedit quod exemplis
ad persuadendum satis accommodatis illam mensuram verbi com-
probare omisit, quasi tale quid prorsus esset consentaneum.
36) Lindsaium ipsum ei rei, quam olim non gravate statuit,
nuper aliquantum diffidere intellegitur ex iis, quae in editione ad-
notavit.
290 E. Sicker,
Sed quae sit summa rerum, quid in hoc versu suspectum esse
videatur ille non agnovit. Nam reete monet Leo (p. 367) quid
sibi velit ‚ergo‘ in hoc sententiarum tenore et quomodo usui Plau-
tino respondeat maxime dubium esse. Hac quidem de re Leoni
utique assentior: sed quod totum fere versum in suspicionem
vocavit et in allam quandam formam redegit, non recte eum
fecisse censeo (cf. quae ad locum adnotavit). Immo mihi quidem
multo probabilius videtur seu ante seu post verbum ‚patritus‘
aliquid excidisse posteaque ad sarciendum versum debilem ex
v. 1053 ‚ergo‘ inepte sane translatum esse. Itaque haud scio an
scripserit Plautus:
‚patritus avitusque hospes‘
qua forma orationis usus Hanno nihil aliud, ut opinor, dicat
nisi antiquitus secum Antidamam hospitio coniunetum fuisse.
Eodem iure Plautus loqui potuit sie: ‚vetus atque antiquus hospes‘,
quam iuncturam verborum saepius usurpavit (cf. Amph. 118.
Bacch. 711. Mil. 751. Most. 476. Pers. 53. Poen. 978. Trin. 381).
Verum sicut rem natam intellego, non tam ipso cuiusdam
verbi defectu quam inculcata particula ‚ergo‘, quippe quae pec-
cata et in A et in P inveniantur, plane diserteque indicari mihi
videtur ambas recensiones esse referendas ad unum eundemque
fontem. De forma novicia ‚Antidamas‘ confer quae exposui
quaest. nov. cap. I c. (pag. 195, adn. 11.)
Non aliter iudicandum est de Stichi v. 45 in AP sic tradito:
Stich. 45. ‚ne quid magis sit (simus P) omnibus obnixe
opibus‘.
Aliquid deesse intellegitur cum ex sententia manca tum ex
metro collabefacto, quamquam Lindsaius quidem integrum
esse rerum contextum arbitrari videtur. Quapropter facere
non possumus, quin duo versus aliquot verborum defectu immi-
nutos coaluisse in unum statuamus — sicut Leo ad sensum recte
versus explevisse mihi videtur — nisi quod utrum ad exemplar
hoc loco laceratum an ad homoeoteleuton quod vocatur (quo
modo fieri potuit, ut librarius a voce quadam prioris versus dela-
beretur ad similem quandam vocem posterioris) referendus sit
hie verborum defectus, certo explorari non potest. Sed utrocum-
que modo res se habet, non sine causa suspicemur hac tam mira
Novae quaestiones Plautinae. 221
serie rerum ostendi unum eundemqgue ambarum recensionum
fontem.
Caput IH.
Jam vero disputandum est de interpretamentis, quae in
utraque recensione inserta esse partim non improbabile, partim
minus aut parum probabile sit. Pendet autem hoc iudicium
maxime ex ea quaestione, cuiusmodi fuisse Ambrosianam recen-
sionem quae dieitur an omnino fuisse nullam putemus; nam
fuerunt, qui recensionem Ambrosianam fuisse praefracte negarent
velut Ritschelius, qui vir doctissimus in schedis quibusdam,
quas decurso aetatis spatio reliquerat et quae postea ad Schoel-
lium missae sunt, recensionem Ambrosianam usurpari ineptissi-
mum esse praedicavit?”). Haec Ritschelii sententia verane sit
ego diiudicare non ausim, nisi quod unam saltem dubitationem
habere mihi videtur: nam etsi nulla in A exstant vestigia, quibus
significetur Ambrosiano dedisse operam eum grammaticum,
qui metricas rationes persecutus sit — id quod de Palatinis vulgo
constat — tamen ex ea re, quod Ambrosiano et eo quidem non-
numquam solo (cf. Trin. 351; 361; 842 (P ?). Truc. 278. Pseud.
451; 877. Merc. 305. Poen. 342. Most. 682; 986) interpreta-
menta recepta continentur, non temere colligi potest temptatum
esse Ambrosianum aut eius archetypon a grammatico nescioquo,
cui grammatico si non aliae rationes, at certe interpretandi ratio
imputanda sit: quod si ita est, recensionem Ambrosianam usur-
pare nobis licet atque id quodam iure. An probabilius esse exi-
stimas omnibus illis locis interpretamenta a principio in mar-
gine exemplaris antiquissimi aut supra versus adscripta fuisse
posteaque ut in P grammaticorum opera sublata aut oppressa®®)
3”) Auctorem huius rei nomino Seyffertum, qui benigne ut
solebat coram hoc mecum communicavit.
38) Cui opinioni videtur obstare, quod etiam in P saepius inter-
pretamenta perperam in textum immissa sunt, id quod grammati-
corum opera potius vitatum esse putares. Immo ipsi grammatici
in recensione Palatina identidem verba Plautina interpretamentis
explanare studuerunt, nisi quod quae interpretamenta iam in exem-
plari vetustiore tradita habuerunt, eadem integra servavisse eos
facile intellegas. Hoc mihi quidem probabilius videtur.
222 E. Sicker,
sic in A librariorum lapsu — sc. quia pro correctionibus habita
sunt — falso in textum immissa esse? Quod si ita sit, illis inter-
pretamentis haud paucis, quae Ambrosiano cum Palatinis commu-
nia sunt, tamquam manifesto indicetur referendum esse Ambro-
sianum ad eundem fontem, a quo repetendi sunt libri recensio-
nis Palatinae.
Hanc quaestionem sane ambiguam usque ad umbilicum
evolvere quoniam longum est, satis habeo certa quaedam inter-
pretamenta ex ea strage ac ruina, quam editione Lindsaiana
pluribus locis effectam esse suspicor, quantum potest, expedire
atque illustrare.
Sed priusquam ad interpretamenta certissima aggrediamur,
breviter agamus de quibusdam locis, quibus sitne omnino inter-
pretamentum nobis in promptu disputari potest in utramque
partem.
Stich. 254. ‚rogare opinor te voll — Mene ut ab sese petam‘ AP.
‚te volt‘ interpolatum esse ratus eiecit Gruterus, ‚se‘ pro ‚sese‘
scripsit Bothius. Videlicet res admodum ambigua est atque adeo
haud mediocriter obscuratur mirifico quodam hemistichiorum
in A ordine, per quam lectionis turbam vereor ne nobis non
liceat statuere verba ‚me volt‘ in utriusque recensionis libris mero
casu ex eodem versus superioris loco in v. 254 delapsa esse sc.
ita, ut pro ‚me‘ repositum sit ‚te‘, quem lapsum in codicibus usi-
tatissimum exemplis illustravi quaest. nov. cap. 1d 7.
Pers. 386. ‚gquoiusmodi hic cum mala fama facile nubitur‘ AP
(cuvus A: quovis CD).
‚quoivismodi‘ reposuit Guietus, ‚mala‘ tamquam glossema
delevit Camerarius, qua ratione instituta fieri versum imprimis
expolitum utique concedendum est. Sed si retinemus illud ‚mala‘,
num re vera diruantur et sententia et metrum (Leo Pl. F. p. 9),
potest fortasse dubitari. Neque enim aut abundantia illa ser-
monis prorsus inaudita aut metrum collabefactari mihi videtur
(cf. quae exposui ad Pers. v. 265 in cap. I. pag. 37), etsi careri
posse verbo ‚mala‘ idque salva sententia concedere non dubito.
Pers. 182. Versus in AP traditus est sie:
‚conveniam hunc Toxilum.: eius auris (aureis A) quae
mandata sunt onerabo‘.
Novae quaestiones Plautinae. 223
Anapaestica mensura quin versui adhibenda sit, hoc quidem
dubium non est, sed suo iure potest dubitari de correpta syllaba
verbi ‚mandata‘ media. Quod cum nullo exemplo eomprobari
possit, versum esse corruptum nobis statuendum est. Atque
restitui versum Ritschelius voluit ita, ut et ante ‚eius‘ insereretur
‚et‘ — sc. ad hiatum removendum, id quod minus necessarium
videtur — et verba ‚mandata sunt‘ transponerentur. Ego aliam
viam ingressus sic ratiocinor, ut ante ‚guae‘ pronomen demon-
strativum ‚eis‘, sicut nimis facile potuit fieri, omissum et post
‚mandata‘ sc. interpretandi causa ‚sunt‘ additum esse statuam.
Sie igitur versum legi volo:
‚conveniam hunc Tozxilum: eius auris (eis) quae mandata
onerabo‘.
Lieuisse Plauto copulam praetermittere non minus certum
quam additam esse postea a grammatico nescioquo verisimile
est. Ceterum de copula praetermissa quoniam hodie quoque
a nonnullis dubitatur, confer ea, quae Leo disseruit de Merc. v.
385 similiter comparato;
‚eo ego, ut quae mandata amicus amicis tradam. — Immo
mane‘.
(Pl. F. p. 234 sq.). Addi velim exempla haec: Amph. 474; 573;
575; 779; 1111; 1133. Aulul. 432. Bacch. 510. Poen. 718. Trin.
209; 393; 1049. (plerumque subaudiendum est ‚sunt‘). Asin. 271.
Pers. 379. (sc. ‚sum‘). Stich. 73. (A recte omisit ‚sum‘, quod P
habet sc. interpretandi causa additum). Curc. 354. Rud. 453
(sc. ‚sumus‘). Asin. 648. Stich. 649 (sc. ‚estis‘). Haec iam suf-
ficiant ad confirmanda illa quae proposui.
Venimus nunc ad eos locos, qui praeter ceteros ambigui esse
videantur.
True. 234. ‚nugae sunt nisi qui modo quom diberit dare iam
libeat denuo‘ A.
‚nugae sunt nisi quodo modo quom dederit dare iam iubeat
denuo‘ B (quoda modo CD).
Nempe neglectis exiguis quibusdam scripturae discrepan-
tiis codices inter se concinunt ita, ut ante verbum ‚modo‘ aliquid
insertum habeant. In ‚guodo‘ conformatione verbi satis mira et,
ut opinor, ad vocem insequentem absurde accommodata inesse
224 E. Sicker,
videatur dativus ‚qwoi‘. Sed ipsum hunc dativum, qui forsitan
in Ambrosiani scriptura leviter infuscatus delitescat (‚gui‘ pro
‚eui‘), utique suum locum obtinere pro rerum contextu conce-
deres, nisi metrum obstaret: neque enim probabilis est octonarius
iambicus septenariis trochaicis immixtus. Cetera vero verba
temptare salva sententia nobis non licet — inepte pro ‚dederit‘ re-
poni voluit ‚det‘ Muellerus — praeter verbum ‚sunt‘, quod cum
interpretandi causa adscriptum esse possit (cf. quae exposui ad
Pers. v. 182), dubitamus an sit delendum??). Videlicet res magis
ambigua est quam quae certo possit explorari. Atque etiam
aliud quiddam attendendum est: nam Ambrosiani scriptura
(‚nisi qui‘), quae ipsa per se minime suspecta est — etenim no-
minativus ipse quoque cum usu Plautino sane bene convenit,
quod ita esse sensit Dousa; cf. quae explicavi ad Trin. v. 492 (I)
— haud scio an orta sit respecto versu 231, ubi eadem verborum
iunetura occurrit. Nimirum prout attento animo rem spectas,
pererebrescunt et ingravescunt dubitationes, quarum ex laby-
rintho aegre te expedias. |
Poen. 875.
‚quid iam? quasi tu tacere vero quiequam poti(s) sis rectius‘ A.
‚quid iam? — Quasi tu tacere quicquam potis sis rectwus‘ P.
Praeterguam quod Palatinae recensionis versus mancus ac
debilis est, ambarum recensionum lectiones videntur cum metro
pugnare, ut non dicam de personae nota utrobique ante ‚rectius‘
omissa. Neque enim aut cogitari potest de eo proceleusmatico,
cuius syllaba tertia sit corripienda — ‚quasi tu ta(cere)‘ — aut
metrum trochaicum hoc in versu cedere in iambicum probabile
est, quoniam versus insequentis mensura quin rursus sit tro-
chaica fieri non potest. Nimirum aqua haeret in verbo ‚tacere‘,
quod non possumus retinere nisi ea condicione, ut aut pronomen
‚tu‘ deleamus, quod servari iussit Kaempfius de pron. pers. p. 37,
aut confugiamus ad mensuram verbi ‚tacere‘ maxime ambiguam,
qua mediam verbi syllabam aut ipsam per se brevem aut corri-
piendam esse statuamus. Ambiguam autem dixi hanc mensuram,
quia dubium est, habeatne Plautus verbum tacendi etiam ad
39) ‚nugae‘ ipsum per se satis est; cf. Trin. 760: ‚gerrae‘.
Novae quaestiones Plautinae. 225
exemplum tertiae coniugationis usurpatum. Quod ita esse
magnis causis demonstrari non potest, quoniam hoc solum exem-
plum sit: nam quae reliqua exstant exempla huius verborum
in prisca Latinitate usus — velut ‚olere‘ Poen. 268. Most. 42;
278; fortasse etiam 268; ‚praeol£re‘ Mil. 41; ‚subolere‘ Ter. Heaut.
899; ‚sord@re‘ Poen. 1179 (verisim.); ‚scatöre‘ Aulul. 558 (recte
a Gulielmio restitutum; fortasse etiam Pers. 177) al.; ‚fervere‘
cum multis locis tum Pseud. 840 (recte A); ‚contuor, contui‘
Pers. 208. Most. 838. Asin. 124; 403; 523; ‚intuor‘ Most. 836°)
— iis exemplis possitne ‚tacöre‘ satis confirmari et Plauto vindi-
cari haudquaquam certum est. ‚placere‘ vero ex Merc. v. 81,
sieut traditus exstat (P—A ἢ. 1.), erui non potest, immo verba
‚esse me‘ cum Pylade videntur transponenda esse. Idem hoc
cadit in Capt. v. 321, ubi mensura ‚decere‘ vix potest statui.
Denique ex Asin. v. 372 et Capt. v. 431 (‚caveto‘) num suo iure
concludatur verbum ‚cavere‘ sc. ita, ut reponatur forma ‚cawito‘,
egomet non sine causa dubito: nam probabilius videtur formae
‚caveto‘ adhibendam esse mensuram bisyllabam: cf. quae explicavi
ad Stich. v. 695 (pag. 12) — Atque etiam corripiendam esse sylla-
bam ipsam per se longam secundum legem illam, quae apud
Plautum Terentium ceterosque plurimum valet, his quidem locis
improbabile mihi videtur.
Quae cum ita sint, Goetzius et Leo profecti a Palatinae re-
censionis lectione pro ,‚tacere‘ reposuerunt ‚tacitum habere‘,
quod genus dicendi fuleiri videtur versu 890. Quae si est vera
seriptura, relinquitur ut statuamus ‚tacere‘ interpretamentum esse,
quo interpretamento vox genuina e textu eiecta sit, quo facto in
A ad versum debilem explendum ‚vero‘ licenter insertum sit.
Sed dubitari potest, an aliter res se habeat, cum praesertim
illud ‚vero‘ a sententia haud alienum videatur neque adeo aper-
tum sit, unde sumptum huc invaserit. Proinde nescire nos li-
quido profiteamur.
Scilicet ex his locis, qui quam incerti essent explanare mea
40) numquam nisi in fine versuum — Asin. 403. in fine hemi-
stichii prioris septenarii iambici; in mediis autem versibus, id quod
vulgo ferebatur, Plautum has formas usurpasse vix est probabile
(ef. quae Leo adnotavit ad Bacch. v. 668a).
Philologus, Supplementband XI, zweites Heft. 15
226 PB. Sicker,
maxime interfuit, nihil coniecturarum fieri potest. —
Atque etiam ubi glossema nobis in promptu esse rerum
condicione indicatur, interdum sane ambigimus, utrum sit illud
glossema. Maxime attendendi mihi videntur hi loci:
Trin. 660. ‚at operam perire meam sic et te haec dicta corde
spernere‘ AP (‚haec‘ om. A).
Cum syllabarum numerus finem modumque versus excedat®!)
neque adeo probabilis sit illa ratio, qua Hermannus verba prio-
ris hemistichii traieeit, quaeritur numquid interpretandi causa
postea additum sit. Itaque quoniam verbum ‚sic‘, quod Brixius
seclusum voluit, sententiae aptissimum est — ‚sic‘: = οὕτως: 80
ohne weiteres; cf. cum alia tum Merc. 785. Ter. Andr. 175%) —
agitur aut de ‚dicta‘ aut de ‚corde‘, quorum verborum hoc deleri
iussit Camerarius, illud Bothius. Ego quidem profectus a voce
‚haec‘, quam Palatini soli traditam habent et quam necessariam
esse omnes fere editores senserunt, sie ratiocinor, ut statuam
hanc vocem olim etiam in Ambrosiana recensione exstitisse,
sed interpretamento ‚dicta® suprascripto e textu esse eiectam
—- quod genus errorum alio loco exemplis illustrabo — cum
praesertim unde sumptum et concinnatum sit hoc interpreta-
mentum (sc. ex versu 655) prorsus appareat. Accedit quod
pronomen simplex ut interpretamento explanaretur natura ipsa
tulit: nam quo spectet etiamsi nos quidem non dubitamus,
tamen ab interprete quodam vetere significari potuisse concedas.
Atque etiam aptissime dieitur ‚corde (i. e. im Grunde deines
Herzens) spernere‘ proinde ut ‚corde amare‘ Capt. 420. Truc. 177.
aliaque. Quae cum ita sint, ‚corde‘ tamquam interpretamentum
secludere animum non induxerim. Minime vero cum Schoellio
de lacuna cogitaverim hunc in modum — sc. ad exemplum True.
v. 180; 226. — explenda:
‚at operam perire meam sic et te (hac pertinacia,
lingua quom agis gratias,) haec dieta corde spernere‘
quippe cum hoc supplementum plane supervacaneum atque
41) De versu hypercatalecto sc. duabus syllabis maiore pro rerum
tenore cogitari non potest.
#2) Paulo aliter ‚sic‘ accipiendum est Bacch. 1004. Pseud. 388.
Men. 657, quibus locis et ipsis respondet Graeco οὕτως.
Novae quaestiones Plautinae. 227
adeo, si adseiscamus, consequens sit, ut cum Langeno?®) temp-
temus verba ‚summas habeo gratias‘ (sic AP) versus antecedentis,
quae verborum iunctura quoniam sustentatur Poen. v. 1274.
Trin. 821. Asin. 143; 545. (cf. etiam Pers. 756. Stich. 403.
‚grates habeo‘) ab omni suspicione vacare mihi videtur. —
Mil. 404. ‚resipisces: si ad erum haec res prius devenerit,
peribis pulchre‘ A
‚resipisci: ad erum haec res prius ob oculos creverit pervis
pulchre‘ P (respicis si‘ et ‚pervenit‘ CDB?).
Ac primum quidem ‚ob oculos‘ (quoniam ex versu insequenti
huec invasit, secludendum esse apparet. Deinde ‚resipisci‘ vel
‚respicis si‘ corruptum esse ex ‚resipisces si‘ pro certo haberi
potest. Tum pro ‚pervis‘, quod iam in archetypo Palatinorum
ex ‚peribis‘ videtur esse corruptum — cf. illa exempla, quae ad
Stich. v. 695. (pag. 10 sp.) collegi in adnotatione — cum B?
reponere ‚peribis‘ non dubitabimus, quibus rebus mutatis oriatur
versus in hanc formam redactus:
‚resipisces: si ad erum haec res prius pervenit peribis pulchre‘
quae versus forma excepto uno verbo ‚pervenit‘ (vel ‚cereverit‘)
cum forma in A tradita utique congruit. Sed in ipso hoc verbo
vel potius verbi forma aliquid offensionis inesse viri docti recte
agnoverunt. Itaque sive cum Ritschelio traiectione verborum
usi ‚venerit‘ reponere eademque opera ‚prius‘ delere malumus
— quamquam sententiae aptum est et ‚prius‘ et ‚devenerit‘ —
sive cum Studemundo tantummodo verbum ‚pulchre‘, quo verbo
et ipso, ut est cum ironia dietum, aegre sane careas, secludere,
semper restat aliquid dubitationis, quod vix aliter removeri posse
censeo nisi cum magis minusve versum iam in fonte ambarum
recensionum communi depravatum aut interpretamento quodam
amplificatum fuisse suspicamur. Nam de versu hypercatalecto
eadem de causa, quam significavi ad Trin. v. 660., cogitari vix
potest. —
23) Ba quae Langenus symb. p. 13 sq. excogitavit — ‚summas
ago ego gratias' — sunt captiosissima: apage illud ‚ego‘, quod a
sententia minime desiderari, sed tantummodo sarciendi causa inser-
tum esse nos non fugit! Haec ratio est nihil aliud nisi textus memo-
riae vim adhibere. Neque multo aptius est illud Fleckeiseni ‚summam
habebo gratiam‘: sc. futurum_ displicet.
228 E. Sicker,
Quae quoniam de locis dubiis praefati sumus, aggrediamur
ad certa quaedam glossemata. Ac primum quidem disseremus
de iis interpretamentis, quae in AP aut in alterutra certe recen-
sione in textum immissa aliam turbam non fecerunt.
Trin. 302. ‚tuis servivi servitutem imperüis et praeceptis pater‘ AP
‚et‘ a grammatico quodam, cui videtur displicuisse asynde-
ton, insertum est ita, ut metrum collabefiat: nam de elisione
litterae s ante vocalem facta propter longam syllabam in s desi-
nentem haudquaquam potest cogitari (cf. Leo Pl. F. p. 297 sqq.).
Ceterum tales verborum quae ἀσυνδέτως posita erant inter se
copulationes in codicibus licenter a librariis vel potius gram-
maticis saepius usurpatas esse compluribus exemplis apparet _
velut Merc. 192., qui versus simillime comparatus est:
‚armamentis complicandis et componendis studuimus‘ (P—A
ἢ.)
adde exempla haec:
Capt. 647. Trin. 673. Truc. 924. (‚et add. P—A n. 1.) for-
tasse etiam Poen. 697 (A). —
Poen. 867. Rud. 224 (‚que‘ add. A). Trin. 287b (P). Most.
105; 144 (P-An.l.) —
Capt. 658. Cure. 280. Most. 523 (‚atque‘ add. P—A n. |.)
quibus versibus particulam inculcatam aut adnexam esse
plerumque turbato metro plane indicatur. Sed potuisse hoc
fieri in utriusque recensionis libris ego non negaverim. —
Pseud. 627. ‚Ballionis curo, argentum accepto expenso et
quoi debet dato‘ AP.
Hoc de versu quaecumque Lindsaius protulit p. 118., prae-
fracte reicienda sunt: neque enim aut de forma nominis decur-
tata — ‚Balli‘ pro ‚Ballionis‘ — pro rerum tenore potest cogi-
tarı aut ullo modo probabile est duas lectiones gemellas hoc
loco esse conflatas. Immo ‚expenso‘, quippe quae vox idem fere
sibi velit quod ‚quoi debet dato‘, quin sit glossema minime est
dubium. Ac mea quidem sententia ne mirum quidem est ipsum
hoc interpretamentum esse adseriptum. Potuit enim adscribi
a grammatico comparatis cum aliis exemplis tum
Most. 304: ‚bene igitur ratio accepti atque expensi inter nos
conwenit.“
Novae quaestiones Plautinae. 229
vel Truc. 73: ‚accepta dico, expensa nequi censeat‘.
aut, id quod multo etiam verisimilius est, cum ille gram-
maticus probe meminisset haec duo verba persaepe secum con-
iuncta legi — cf. cum alia tum illum codicem accepti et expensi.
Quae cum ita sint, egomet non praefracte negaverim potuisse
hoc interpretamentum in utraque recensione a grammaticis
separatim adscribi, etsi probabilius mihi videri confiteor hoc
quoque librorum consensu indicari fontem ambarum recensi-
onum communem. —
Pseud. 880. ‚guin tu vllos inimicos potius guam amicos vocas“
AP (‚tuas‘ A)
Huius versus quae fuerit forma genuina in diversas partes
disputari potest. Itaque Acidalius coniectura lenissima 510]
visus est expedire hunc versum:
‚guin tu illo wnimicos potius quam amicos vocas ?“
quae ratio ut probata est Lindsaio, sic nobis minus probatur,
quoniam ‚illo‘ vel tale aliquid sententiarum contextu minime
requiritur. Rectius de voce ‚illos‘ delenda cogitarunt Bentleius
et Ritschelius, qua deleta exsistit versus hie:
‚quin tu inimicos potius quam amicos vocas Τ᾽
ipse per se non vituperandus.
Atque etiam Lorenzii coniectura illa, qua commendavit:
‚quin tuos inimicos potius quam amicos vocas ?‘
aliquantum probabilitatis habet. Quarum lectionum utracum-
que est Plautina, condicio rerum mihi videtur fuisse haec: in
promptu enim librariis fuit utrobique interpretamentum ‚illo‘
— 1. 6. ‚ad cenam‘: cf. Stich. 185. et 250., ubi parasiti animo
statim obversatur cena — supra ‚tu‘ vel ‚tuos‘ scriptum, quod
interpretamentum aut post ipsum vocabulum ‚zw‘ in textum
immissum posteaque falsa casuum assimilatione ad proximam
vocem accommodatum sit aut — videlicet quia pro correctione
habitum est — cum verbo ‚tuos‘ ita conglutinatum sit, ut in
medium verbum inculcaretur. Sed utrocumque modo res se
habet, haec turba scripturae mihi videtur effecta esse immisso
interpretamento. —
Pseud. 124. ‚utrfum an in afur]em‘ 564. A.
‚oculum utrum anne in aurem‘ 8464. P.
290 E. Sicker,
‚oculum ? anne in aurem Ὁ 866.
scribendum esse censeo secutus Bentleium et Kamp-
mannum. Nam Calidorus mirifica illa Pseudoli locutione
obstupefactus postquam ipsum illud ‚oculum‘ repetiit, ipse tam-
quam corrigit, cum dicit ‚anne in aurem‘. Quae turba scripturae
in codieibus occurrit, eadem quomodo orta sit rectissime mihi
videtur iudicare Leo (Pl. F. p. 10.)?%). Etenim grammaticus
quidam dedita opera studuit sententiam versus magis illustrare
ad exemplum v. 709; 878. alioramque. Qui vero ‚utrum‘ iubent
retineri, ii aut longius discedunt a scriptura codicum, quoniam
praepositionem ‚in‘*5) traicere coguntur, aut si ‚oculum‘ tam-
quam interpretamentum reiciendum esse statuunt, quid sibi
velint omnino non intellegimus: immo illa scriptura, quam in
minore editione Teubneriana et apud Lindsaium legimus —
‚utrum ? anne in aurem?‘ — apta sententia mihi videtur non
modo prorsus carere, verum etiam maxime idonea esse quae
pravam in partem accipiatur.
Videlicet glossema ‚utrum‘ in AP in textum immissum ut
in P maiorem turbam non fecit, sie in A vocem genuinam ‚oculum‘
extrusit. Contraria ratio est in Bacch. v. 518.: nam interpreta-
mentum ‚mihr‘ in AP additum ut in textum immissum in A
ante infinitivum ‚blandiri‘ locum habet, sie in P infinitivum e
textu eiecit — nimirum haec turba repetenda est inde, quod
supra ‚blandiri‘ scriptum erat. Possunt eiusmodi multa afferri,
quae tamen continentur finibus alterutrius recensionis: cf. Most.
682. Poen. 342. Pseud. 451 (A). Cas. 805. Epid. 487. Pers.
321; 495. Pseud. 43 (P).
Postremo non mitto commemorare in Pseud. v. 833. ‚patinae‘,
quod praebent AP, mihi ipsi quoque interpretandi causa additum
— sc. e versu 831. sumptum — videri, quamquam de retinendo
hoc verbo cogitarunt Guietus Ritschelius Bergkius Buechelerus,
4) Rx Palatinorum scriptura Vahlenus concludit illud ‚oculum
utrum‘ ortum esse — fortasse mero lapsu — e verbis ‚oculum utrum-
vis‘ in v. 123. positis, id quod fieri potuisse concedo.
5) in‘ utique suum locum obtinet neque opus est iterari ante
‚oculum‘ ; cf. quae Leo adnotavit. Latina exempla affero Hor. Carm.
III 25,2. Epist. 111, 25, Graeca Soph. Oed. R. 734. Ant. 367; 1176:
πότερα, πατρῴας ἣ πρὸς οἰχείας χερός:
Novae quaestiones Plautinae. 231
id quod fieri non potest nisi temptatur illud ‚eaepse‘: sed ipsam
hanc formam, quam praebet A, servandam esse censeo. Quam
vero formam coneinnavit et in textu posuit Lindsaius (,‚eae-
psae‘), eandem non sine causa improbamus.
Jam demus operam iis locis, quibus eodem interpretamento
immisso in AP eadem vox genuina e textu eiecta est.
Mil. 149. ‚faciemus ut quod viderit non viderit‘ AP.
‚ne viderit‘ lectionem haud dubie probabiliorem magisque
sermonis Plautini propriam — cf. v. 187; 199; 227. — nobis
suppeditat Priscianus. Quam autem AP traditam exhibent
scripturam, eius origo videtur repetenda esse a glossemate ad
interpretandam voculam ‚ne‘ supra versum posito, quod ut
adderet grammaticus, ut opinor, eo facilius adduci potuit, quod
per scriptionem continuam ei lieuit ‚ne viderit‘ in unum verbum
contrahere, quam viam si iniit, consentaneum est priscam quam
putabat formam interpretamento eum illustrare voluisse; cf.
Trin. 361: ‚non volt‘*%) A pro ‚nevolt‘.
Trin. 92: ‚non possum‘ P pro ‚nequeo‘, cuius verbi syllaba
prima falso omissa est in A.
Neque mirum est verba genuina interpretamentis supra-
scriptis, quippe quae a librariis non pro interpretationibus, sed
pro correctionibus habita sint, postea extrusa esse.
Idem hoc cadit in Poenuli v. 1317. in AP sie traditum:
Poen. 1317. ‚gur non adhibuisti, dum istaec loquere, tym-
panum ?
Recte Geppertus in principio versus reposuit ‚guin‘, quod
ubicumque particulae interrogativae loco positum est, idem sibi
vult atque ‚cur non‘ — exempli causa affero Merc. v. 189 sq.
Ad interpretandam igitur hanc particulam ‚quin‘ seu in margine
seu supra versum adscriptum fuit ‚cur non‘, et quoniam a H-
brariis ineptis pro correctione habitum est, lectionem genuinam ex-
trusit. Potuisse autem idem hoc in utraque recensione separatim
46) Atque etiam Epid. 42. (‚senem non voli‘ P—A.n. 1.) corrup-
tela videtur repetenda esse inde, quod ‚non‘ interpretandi causa
supra ‚ne‘ scriptum postea in textum est immissum, quo facto ‚ne‘
a librario insipientissimo cum pronomine ‚se‘ in unam vocem coactum
et accedente sententiae errore in formam accusativi redactum est.
232 E. Sicker,
fieri ego non negaverim. Confer illa, quae Lindsaius explicavit
p- 107 sq., ubi recte monuit eodem modo rem se habere in Pseud.
v. 501. (‚cur non‘ P —An.].). —
Videlicet his locis eodem interpretamento in AP immisso
eiectum est ipsum illud verbum, quod interpretamento explanari
grammaticus voluit. Sed etiam alia verba interdum hoc modo
extrusa sunt.
Pseud. 189. ‚guibus cunctis montes maxumi frumenti acervi
sunt domi‘ ΑΔ).
‚quibus cunchis montes maxumi acervi frumenti sunt domi‘ P.
Exordior ab ea coniectura, qua Schoellius putavit e codicis
rescripti lectione eruendum esse ‚frumenti atque ervi‘. Quae
emendatio quamvis lenis esse videatur, tamen unam alteramque
dubitationem παροὺ. Nam primum ‚atque ervi‘ sententia minime
desideratur, quin etiam offendimus in hoc additamento, quoniam
ervum ipsum est quoddam genus frumenti. Deinde attendendum
est verba ‚frumenti acervi‘ in P inverso ordine tradita legi, qua
traiectione metrum turbari apparet. Nempe igitur satis est
quod miremur eundem recensionis Palatinae grammaticum, quem
praecipue metro stabiliendo aut corrigendo operam dedisse con-
stat, non modo ea quae ad metrum sane bene accommodata
erant non servasse, sed etiam ultro traiectis verbis metrum vio-
lasse. Talia usu venisse vix est credibile dietu. Propterea maiore
iure Acidalium secuti statuemus ‚acervi‘ esse glossema ad illustran-
dum illud ‚montes maxumi frumenti‘, quod cum translatione
quadam dietum est — cf. Epid. 84. Most. 352. sim. — supra
versum ut videtur adscriptum et post ‚frumenti‘ olim aliquid
seriptum exstitisse — velut ‚structi‘ — quod postea interpre-
tamento a librariis ineptis immisso in AP e textu eiectum sit.
Mirum est, ut opinor, non tam interpretamentum in utriusque
recensionis libris in textum invasisse quam hoc interpretamento
unum idemque verbum et id quidem ab illo alienum utrobique
extrusum esse. Nempe haec serie rerum indicatur manavisse AP
ex uno eodemque fonte, quo in fonte ipsum illud glossema, quo
41) Hanc scripturam ut minime suspectam Lindsaius in textu
posnit.
Novae quaestiones Plautinae. 233
ceterae turbae effectae sunt, iam suprascriptum fuisse putamus.
Huc referri volo etiam Pseudoli versum 1127., de quo versu
plenius agendum est.
Pseud. 1127. ‚dum calet dum datur devora(ri de)cet iam A.
‚dum datur dum calet devorari decet tam P.
Hoc quidem certum est, verba sicut aut in A aut in P
tradita leguntur, nullo modo adsciscenda esse. Etenim praeter-
quam quod metrum haeret — nam et praecedunt et sequuntur
versus bacchiaci — ne sententia quidem integra est. Quid enim
5101 vult in hoc rerum tenore ‚dum datur‘ ? Immo non ieiunum
modo atque exile est prae illa orationis forma ‚dum recens est,
dum calet‘, verum etiam intolerabile, quoniam, si retineretur,
necesse esset subiectum mutari, id quod orationis aequabilitate
non solum dissuadetur, sed etiam impeditur?®). Quam ad re-
stituendam duae viae possunt iniri, quarum utra sit probabilior
fortasse ambigitur. Leo quidem profectus a lectione Palatinorum,
quibus omnino saepius quam fieri oportuit maiorem fidem tribuit,
versum in hanc formam redigendum esse censuit:
‚dum recens est
dator, dum calet, devorari decet iam.“
quod si est verum, aut ‚dum‘ falso additum esse — cadat
igitur hoc quoque exemplum in illam codicum proprietatem, de
qua pluribus verbis dixi ad Poen. v. 331. — quo verbo addito
prorsus consectarium fuerit, ut pro ‚dator‘ scriberetur ‚datur‘,
aut pro ‚dator‘, quippe quod vocabulum non sit intelleetum, a
principio — velut Truc. 247. in P — scriptum fuisse ‚datur‘,
unde secutum sit, ut ‚dum‘ adderetur, necessario nobis statuen-
dum est. Sed egomet non sine causa alteram viam ingredi malim
et id quidem profectus ab ea re, quod ordine verborum AP
inter se differunt. Neque enim casu ac fortuito haec discrepantia
mihi videtur nata esse neque, si verba ipsa essent vera, futurum
fuisse credo, cur in alterutra recensione transponerentur. Immo
diverso in AP verborum ordine mihi videtur indicari verba
‚dum datur‘ interpretandi causa esse suprascripta, quo factum
est, ut in recensione altera alterum locum nanciscerentur, nisi
quod hoc interpretamento vox genuina extrusa est. Genuinam
48) Nihilo setius Ambrosiani scripturam Lindsaius retinuit.
234 E. Sicker,
autem vocem fuisse ‚homo‘ Goetzius haud inepte excogitasse
mihi videtur. Atque haec est sententia:
solange einer — vel er — noch frisch ist, solange er noch
brühwarm ist, muß man ihn gleich hinunterschlingen.
Neque vereor ne quis miretur subiectum intellegi personam,
tametsi Epid. 142; 256. Mil. 226. Most. 665. Poen. 914. semper
res subiectum intellegitur. Quippe: dixerat enim Ballio ‚am
admordere hunc mihi lubet‘ et subinde interrogaverat Simo ‚iamne
illum comessurus es ὁ“ scilicet per iocum, cum obiectum intelle-
geret personam, qualis iocus identidem occurrit velut Asin. 338.
et Most. 12 sqq., ubi tamen facetia aliquanto augetur addito
illo ‚absentem‘. — Quae cum ita sint, hoc quoque esse indiecium
unius eiusdemque ambarum recensionum fontis existimo et id
quidem satis certum. Sed haec hactenus. —
Caput IV.
Quae in capite II. tractavimus et quae de interpretamentis
postremis exposuimus, vel ex iis satis intellegitur fieri non posse,
quin statuamus ambas recensiones repetendas esse ab uno eodem-
que fonte. Non aliter iudicandum est de quibusdam corruptelis,
quae cum in nullam earum quas supra (la—e) posui rationes
cadant, fortuitae haberi non possunt, nisi omnem finem modum-
que probabilitatis utique transeamus. Satis habeo enumerare
illas corruptelas, cum nihil amplius de iis diceendum esse mihi
videatur.
Mil. 797: ‚hoc‘ AB (ef. 931: ‚hoc B—An.l.) pro ‚hunc‘.
Trin. 292: ‚latitant‘ AP pro ‚lutitant‘.
Trin. 293: ‚te‘ AP pro ‚de‘.
Pseud. 719: ‚accersabat‘ A— ‚arcessabat‘ B.
Stich. 529: ‚huc longissume‘ AP pro ‚hau longissume‘, quod
recte coniecit Guietus; cf. ‚haud longius‘ Trin. 721.
Pseud. 207: ‚nolint‘ A — ‚nolunt‘ P: nam ‚volunt‘ sententia
flagitat, sive Plautina sunt illa verba, quae Ritschelius seclusit,
sive interpolata.
Epid. 496: ‚fandum‘ AP (‚eandum‘ P) pro ‚fando‘??).
49) Fpid. 496: ‚istune hominem‘ retineri potest; nam etsi in hoc
verborum contextu plerumque res obiectum intellegitur velut Amph.
588, tamen cf. cum alia tum Sil. Ital. 10, 484.
a
Novae quaestiones Plautinae. 235
Epid. 508: ‚strathippoclen‘ A — ‚stratippoden‘ B, quod idem
est: nam litterae cl, sicut scriptio minuscula saepius tulit, in
unam litteram ὦ coactae sunt. Diserepant libri in v. 245: -em
AE — -en BJ. Cf£. etiam v. 126: -en P—An.l.
Epid. 612: ‚periphanen‘ AP; cf. Mil. 56 (AP). Poen. 1043 (A).
Nempe mira cum fide perscripserunt librari, quae eis in promptu
fuerunt.
Plenius disserendum est de his locis:
Trin. 495. ‚an mirum quin‘ AP.
Hac de corruptela Lindsaius sic iudicavit (p. 92. adn.),
rem in eo esse, ut librarii utrobique eadem personae nota ὦ in
exemplaribus pro Stasimo usurpata in eundem sententiae er-
rorem inducti esse viderentur, id quod primo aspectu compro-
batur nota personae in P prorsus omissa. Id potuisse fieri Lind-
saio sane concederem, nisi una restaret dubitatio: nam praeter-
quam quod B solus hanc personarum notationem exhibet, si
quidem recte rem dispexi, personae nota pro Stasimo usurpata
non & est, sed K et ea quidem non modo per hanc scaenam,
verum etiam per religquam fabulam totam. Nota «& autem signi-
ficatur persona Philtonis excepta tantummodo tertii actus scaena
tertia, ubi cum Philto in scaenam non prodeat, Megaronidis
persona hoc signo denotatur. Quae cum ita sint, Lindsaii inter-
pretationem non amplectemur, nisi forte sie ratiocinabimur ut
dicamus personarum notas perperam utrobique commutatas esse,
id quod etiamsi non prorsus incredibile est, tamen parum pro-
babilitatis habet. Accedit quod satis improbabile est eandem
se. falsam personae notam, quam et in ἃ et in P separatim
usurpatam fuisse aegre ceredimus, insuper eundem in modum
falsum litteris dilatatam esse (‚an‘). Sed tamen insit in iis,
quae Lindsaius explicavit, aliquid veri, nisi quod in fontem
communem hoc cadere multo probabilius est quam in utramque
recensionem. Huc igitur omnia videntur redire ut statuamus
‚an mirum‘ exstitisse in fonte ambarum recensionum communi,
nisi quod quemadmodum ortum sit verbum ‚an‘ in illa editione
antiquissima Lindsaio iudicanti fortasse assentiamur.
Quibus autem locis nititur Lindsaius ad illustrandam ac
probandam suam opinionem, ii plerique aliter comparati sunt
236 E. Sicker,
se. ita, ut personae nomini ad compendium collato in P respon-
deat una littera nullo spatio relieto in contextum sermonis recepta
in A velut Mil. 173. et 790., quibus locis ita ut ait Lindsaius rem
se habere non improbabile est, atque etiam, ut opinor, Pseud.
370., ubi tamen addita altera littera in A res leviter infuscata
est. Confer eam scripturae discrepantiam, quae Ter. Heaut. 611.
intercedit inter Bembinum et Calliopii codices, quod exemplum
attulit Leo (p. 7.). — Cistell. v. 518. rectissime facimus quod
omnino praetermittimus, quippe cum quid tandem in A inter-
ceiderit nimis ambiguum sit. — Poen. 1016. litterae M (νοὶ K)
in contextum sermonis receptae in A, qua littera Milphionis
nomen indicatum fuisse putamus, respondet in codice vetere
qui vocatur signum B; quod signum litteris dilatatum (MIL.)
exstat in CD.
Poen. 474. In eiusdem vero Poenuli versu 474. AP inter se
congruunt ita, ut ambae recensiones ineunte versu praebeant
‚Evolaticorum‘ — pro ‚volaticorum‘ — nisi quod in A littera E
expuncta est, sc. quia librarius in errorem sese ineidisse in tem-
pore intellexerat (nempe e v. 473; 475.).?°) Est igitur cogitandum
de personae nota E pro Lyco usurpata, quam notam eandem in
utraque recensione separatim usurpari potuisse forsitan con-
cedas, quamquam factum esse hoc non tam verisimile est. Immo
vero probabilius — nam maiorem expetimus probabilitatem,
quoniam veritatem ipsam coniectura assequi vix possumus —
sine dubio est eandem hanc personae notam esse repetitam
e fonte communi, etiamsi utrobique librarios incidisse in eundem
sententiae errorem non gravate concedemus: nam hoc saltem
asseverare dubito, fieri non posse, quin iam in illo fonte com-
muni perperam scriptum fuerit ‚Evolaticorum‘. Ceterum per-
sonarum notae hoc modo pravam in partem acceptae in Pala-
tinis solis identidem occurrunt velut Aulul. 829. Idem hoc
mihi videtur pertinere ad Rud. v. 821; 1304. aliosque locos.
Ex Casinae v. 800., in quem ipsum quoque tale aliquid cadit,
50) Ut in A librarius peccato suo studuit mederi, sie in libris
deterioribus corruptela grassata est ita, ut non modo huic ipsi
versui insuper personae notam L. praepositam, verum etiam in
superinre versu scriptum lezamus ‚Evolaticorum‘.
Novae quaestiones Plautinae. 2331
ut ullam coniecturam capiam a fide mea impetrare non possum,
quoniam res nimis dubia est. —
Pseud. 132. ‚atque ipse egreditur penitus periuri caput‘ AP.
‚penitus‘ suum locum obtinere, quippe cum omni pondere
memoriae sustentetur, Lindsaius (p. 111.) non probavit. Etenim
quam vim huie voci tributam vult — ‚from within‘ ut ait ipse
— eadem in voce ipsa non inest, sed inesse circuitu quodam
conclusit ex verbi ‚intus‘ significatione Plautina neque tamen
animum attendit, quae differentia sententiae inter has voces
intercederet, ut omittam, quod Lindsaius ipse praedicavit ‚peni-
tus apud Plautum esse adiectivum. Itaque quid re vera sibi
velit ‚egreditur penitus‘ si animo nobis informare volumus, re-
ponamus formam orationis solidam atque integram, quae Plau-
tinum in modum concinnata sit haec:
‚ipse egreditur domo penitissuma‘ °!)
intellegemus, quam contorta ac fucata in re simplicissima ideo-
que inepta, ne dicam absurda, sit eiusmodi sententia. Ergo
recte Acidalius reposuit ‚intus‘. Verum etsi verbi ‚penitus‘ primae
duae litterae in A evanidae aut incertae sunt, tamen exstitisse
etiam in A olim ‚penitus‘ satis liquido statuere nobis licet. —
Pseud. 306. ‚non est iustus quisgquam amator nisi qui per-
petuat data‘ AP.
‚iustus amator‘ quamquam ipsum per se apta sententia non
caret — cf. ‚probus amator‘ Men. 203. Truc. 231; 236. — tamen
iis, quae Pseudolus interrogavit, parum respondet. Quapropter
libros deteriores secutus Fleckeisenus recte videtur coniecisse
‚usw. Profecto quoniam ‚usui‘ in superiore versu scriptum
exstat, hie ambarum recensionum error (iustus) videtur esse
mirior quam ut de corruptela utrobique separatim facta cum
aliqua probabilitate cogitari possit. —
Stich. 389. ‚ridiculosissimos‘ AP, pro qua scriptura libri
deteriores recte praebent ‚ridieulessimos‘.
Illam verbi formam quod ait Lindsaius (p. 112.) utrobique
a librariis exaratam esse ita, ut pro forma antiqua reposuerint
51) cf. ‚ex Arabia penitissuma‘ Pers. 522; 541.
‚usque ex penitis jaueibus‘ Asin. 40.
‚pectore penitissumo‘ Cist. 63.
238 E. Sicker,
formam ipsorum temporibus usitatam, ego quidem vereor ne
non multis hoc persuadeat. Nam praeterguam quod sane dubium
est, fueritne re vera tum in omnium ore illa forma, cum obsole-
verit haec, quam utrobique librarios in promptu habuisse statu-
endum sit et quam metro convenire solam apparet, nonne est
cur miremur paucis versibus ante (v. 382) ipsam hanc formam
‚ridiculissimus‘ recte in AP esse traditam ? Accedit quod, si ita
esset, non temere suspicaremur etiam alibi librarios in eundem
hunc errorem incidisse, cuius tamen rei nulla quantum scio
vestigia exstant. Nihilo setius huic scripturae consensui per se
ipsi magnum momentum non tribuerem — fortasse enim maiore
iure potest cogitari de inepta unius syllabae iteratione velut
Stich. 449. occurrit in P ‚individiam‘, forma sane absurda — sed
quoniam unus est e permultis idemque satis insignitus, hoc quo-
que fontis ambarum recensionum communisindicium esseiudico.—
Stich. 703 54. — — — — ‚potius quam in subsellio
cynice hie accipimur quam in lectieis‘ AP. (‚hic‘ om. P).
Lindsaii sententiam perquam mirabilem, qua putavit ad-
verbium ‚inlectice‘ Plauto vindicari posse (p. 111.), Leo rectissime
refutavit (p. 366.) 5%). Quapropter acquiescendum est in illa
coniectura, qua Pius pro ‚lectieis‘ reposuit ‚lectis‘, et concedendum
AP praebere eandem corruptelam, quam mero casu utrobique
natam esse non crediderim. Hoc quidem certissimum est: sed
quod in v. 703. verbum ‚potius‘ in AP subsequitur ‚guam‘, hoc
utrum retinendum sit — quod si verum est, non potest esse
nisi exclamantis — an cum Saraceno delendum tamquam inter-
pretamentum pravo loco sc. post ipsum comparativum insertum 3)
certo diiudicare non ausim, quamquam huius vocabuli delendi
indicia quaedam apparent. Neque adeo ullo exemplo prorsus
52) Immo adverbio ‚eynice‘, quod idem sibi vult atque ‚Uyni-
corum ritu‘, si quid contrarii opponere voluisset poeta — neque
tamen sententia hoc flagitatur — tum si non ‚hedonice‘ (si novas
ludierasque verborum conformationes Plauto iniungere licet), at
certe ‚summatum virorum ritu‘ vel tale aliquid dietum oportuit.
Nunc autem necesse est inter se respondeant ‚in subsellio‘ et ‚in
lectis‘ (cf. v. 488 sq.) et optime respondent inter se.
53) Contraria ratio est in Cas. v. 253, ubi ‚potius‘ ante ‚gquam‘
falso repetitum est e versu superiore in P (A.n.|.).
Novae quaestiones Plautinae. 239
aequabili confirmari potest illa tam mira vocis exclamantium
collocatio, si quidem {πὶ ‚guam‘ retinemus: nam quae
Leo in adnotatione posuit exempla, ea mihi quidem videntur
ad persuadendum parum accommodata. Immo maiore saltem
iure potuit afferre ‚nimis quam‘ Capt. 102. al. —
Pers. 271. ‚offerre potest quin sim peritus. sed Toxili puerum
Paegnium eccum‘ AP.
Agitur aut de verbis aliquot omissis et in eum fere modum quem
suasit Leo supplendis: ‚sed (quis hinc exit ?, Toxil‘, quam rati-
onem si inierimus, reliqua verba in clausulae formam redigenda
sint, aut de maiore versus turba et transpositis quibusdam verbis
et adiecto interpretamento effecta. Potest enim cogitari versus
formam fuisse vel...... ‚sed eccum puerum Toxih‘ νοὶ ......
‚sed eccum puerum Paegnium‘ — forsitan enim ‚Toxil‘ inter-
pretandi causa additum sit velut ‚Pistocleri‘ Bacch. 453. (P—
An.l.).
Quarum viarum utrameumque ingrediendam esse censes,
non tam simplex esse res videtur, ut cum probabilitate quadam
cogitare possis de corruptela eadem utrobique separatim orta.
Corruptela autem statuenda est: neque enim probantur nobis
duae clausulae aequabiliter conformatae et inter se coniunctae. —
Pers. 310.Eodem hoc modo iudicandum est de Persae v. 310.
ita comparato, ut traiectionem verborum statuamus necesse
sit, seu cum. Ritschelio seribimus:
‚Ecquid quod mandavi tibi in te speculae est? — Adito.'
seu, id quod mihi quidem probabilius videtur:
‚Bequid quod mandavi tibi est mi speculae in te? — Adıto.'
Nam ‚mi‘ salva orationis perspicuitate deesse non posse
existimo sicut in Cas. v. 306: ‚si non impetravit, etiam specula
in sortist mihi.‘ Sed origo huius verborum in libris traiectionis
unde repetenda sit si quaerimus, non inepte, ut opinor, statuamus
librarium vel grammaticum quendam — id quod nimis facile
potuit fieri — vocem speculae pravam in partem accepisse ita,
ut non a substantivo ‚spes‘, sed a verbo speciendi derivaret, et
ad removendum hiatum quem putabat verba licenter trans-
posuisse. Iam encliticum ‚ne‘ a librario ineptissimo potest cor-
ruptum esse e forma pronominis ‚mi‘. Denique hoc quoque
240 E. Sicker,
exemplum, quoniam plures sunt errores in hoc versu, mihi
videtur satis certum indicium esse unius et eiusdem ambarum
recensionum fontis. —
Poen. [1245.] 1265. Versus 1245. et 1265. sicut traditi
leguntur easdem offensiones metricas praebent: nam qua de
causa in v. 1242. pro ‚periures‘ contra ambarum recensionum
fidem reponendum est ‚perieres‘ 5) et in v. 1271. seriptura
Ambrosiani (‚contingit‘) reicienda, eadem de causa nec v. 1245.
nec v. 1265. integer esse potest, immo in v. 1245. pronomen
‚vos‘ suspectum et, ut in prioris hemistichii exitu oriatur iambus
purus, omnino removendum videtur, in v. 1265. verborum
iunetura ‚primum me‘ item metrum turbatur. Sed hoc in versu
qua ratione malum sanandum sit valde ambigitur et id quidem
eo magis, quod forma orationis ipsa per se vix potest vituperari.
Quam ob rem non facio cum Bentleio, qui vir doctissimus reponi
voluit ‚prima‘. Nam pro rerum ac sententiarum contextu refert
non illud, quis primus Hannonem agnoverit — ceterum ne est
quidem dumtaxat ancilla prima, quae Hannonem agnoverit,
immo vero hanc recognitionem antecesserat illa Hannonis et
Agorastoclis inter se recognitio mutua — verum hoc refert,
ancillam erum suum statim i. e. ubi primum aspexit (cf. v.
1122 5646.) recognovisse, et hoc quidem significari potest tantum-
modo adverbio ‚primum‘. Quod ita esse cum senserit, Leo dubi-
tanter commendavit ut scriberetur ‚primum erum‘. Sed ne haec
qauidem lectio mihi probatur: nam ut ‚erum‘ supervacaneum,
sie ‚me‘, quod est traditum, videtur necessarium. Quapropter
ego aliam viam ingressus versum censeo restituendum esse sic:
‚nam vostra nutrix primulum??) cognovit me. — Ubi ea
amabo est?
Etenim pro deminutivis?®) in codieibus saepe verba simplicia
perperam tradita legimus velut
54) quae ratio persaepe ineunda est, quoniam codices constanter
exhibent ‚periuro‘ vel ‚deiuro‘ praeter A in Cas. v. 670; cf. Stich.
229 (A).
55) ‚primulum‘ in simili rerum contextu occurrit Mil. 1004.
56) Deminutivam vero formam pro simplici verbo scriptam raro
invenimus velut Stich. 432. ‚ancillulam‘ pro ‚ancillam‘ in A.
Novae quaestiones Plautinae. 241
Truc. 290: ‚buccas‘ P pro ‚bucculas‘.
Poen. 366: ‚oculus‘ A pro ‚ocellus‘.
Poen. 375: ‚auris‘ A pro ‚auriculis‘; cf. Asin. 668.
Pers. 572: ‚anulum‘ AP pro ‚anellum‘>?)
Pers. 687: ‚cruminam‘ P pro ‚crumillam‘.
Stich. 620: ‚loci‘ P pro ‚loculi‘.
Epid. 623: ‚ungulo‘ A pro ‚unguiculo‘.
Aulul. 711: ‚paulum‘ pro ‚paululum‘.
Asin. 925: ‚paulum‘ BD pro ‚paululum‘.
Stich. 289: ‚hamum‘ ACD pro ‚hamulum‘ B,
quo exemplo apparet in utriusque recensionis codieibus separatim
librarios in eandem fraudem incidisse. Maxime autem atten-
dendus mihi videtur Cas. prol. v. 40: ‚primo‘ P pro ‚primulo‘58),
quae scriptura Ambrosiani plane diserteque sustentatur Amphi-
truonis v. 737. — Quae cum ita sint, non dubitabimus in hoc
Poenuli versu reponere ‚primulum‘. Denique pronomen ‚me‘ in
libris transpositum esse statuemus sc. ad stabiliendum metrum
omissa una syllaba collabefactum. Sed cum ea scriptura, quam
codices nobis suppeditant et quam corruptam esse inter nos
convenit??), quasi serie quadam rerum effecta sit, hoc quoque
exemplo mihi videtur indicari AP manavisse ex uno eodemque
fonte 60), —
Most. 599. In Mostellariae v. 599. ‚licebit‘ et A et P scrip-
tum habuisse ex codicum scriptura, etsi utrobique lacunosa est,
tamen satis certo colligitur. Neque vero perspieuum est, quo-
modo eadem illa corruptela, qua metrum turbatur, utrobigue
oriri potuerit. —
2) Corruptela haud scio an nata sit ex ligatura litterarum E
et L — sc. in scriptione maiuscula — id quod convenit etiam in
Cas. v. 825: ‚tantulum‘ P pro ‚tantillum‘.
»®) Itidem res se habet in quodam versu ex deperdita fabula
Plautina sumpto, quem traditum exhibet Varro (L. L. VII 77).
»®) Hoc dico, quia Lindsaius eam retineri posse censet.
60) Forsitan cogitaveris etiam de hac forma versus:
‚nam vostra nutriz primulum me agnovit‘ 566.
nisi quod cavendum est, ne verbum ‚cognoscere‘ ipsum per se
suspectum habeatur: nam saepe apud Plautum idem sibi vult ac
‚recognoscere‘ vel ‚agnoscere‘ velut Poen. 1130; 1324; 1374; 1378.
Amph. 822. Asin. 879. Bacch. 730; 963. Pseud. 988; 1002. Rud. 1145.
Philologus, Supplementband XI, zweites Heft, 16
242 E. Sicker,
Epid. 568. De Epidiei v. 568., ubi ‚Acropolistidem‘ pro
‚Telestidem‘ falso scriptum exhibent AP, fortasse in utramque
partem disputari posse concedo, quamquam egomet ad eam
sententiam, quam Lindsaius p. 113. pluribus verbis exposuit,
accedere non queo. Üeterum hoc iudieium maxime pendet ex
ea quaestione, quidnam iudicandum esse censeamus de scaenarum
titulis, de qua causa satis controversa disserere nolo. —
Imprimis vero ad probandum accommodati mihi videntur
hi loci, quos cum plurimos specie corruptos, re vera sanos atque
integros Lindsaius duxerit, copiosius quam Leo rem gessit mihi
disputandum est:
Trin. 509. ‚de stultitiis meis‘ A.
‚de stultitia mea‘ P.
‚divitiis‘ quin pro rerum contextu cum Bergkio et Leone
reponendum sit non est dubium neque opus est plura verba de
hac re fieri. Sed potuisse eandem illam corruptelam a librariis
in utriusque recensionis libris separatim admitti prorsus impro-
babile est cum ipsum per se tum propter numeri differentiam,
qua quemadmodum corruptela in P longius processerit — sc.
respecto versu 507. — satis evidenter apparet. Quae cum ita
sint, confugiendum est ad fontem ambarum recensionum com-
munem, quo in fonte iam illud ‚stultitiis‘ exstitisse verisimillimum
est. Huius autem lectionis origo haud scio an repetenda sit a
seriptura quadam lacunosa UITIIS sc. litteris DI post DE
omissis (cf. Trin. 621. P—A ἢ. 1.) effecta, quam scripturam postea
ad exemplum versus 507. suppletam esse intelleges, si quidem U
pro LT litteris per ligaturam coniunctis haberi potuisse tecum
reputabis (cf. Stud. apogr. p. XXVI.).
Tale aliquid mihi videtur pertinere etiam ad Trin. v. 502.,
cuius formam genuinam censeo fuisse hanc:
‚guin fabulare: res bene vortat, spondeo γ΄
scilicet versus omisso verbo ‚res‘ (post ‚re‘) laceratus per-
peram suppletus est ita, ut in A ‚vin‘, in P ‚di‘ servata forma
‚vortat‘ insertum sit, qua de re iam Schoellium cogitasse postea
intellexi. —
Trin. 538.
‚magis apage dicas, si omnia a me audiveris‘ A
Novae quaestiones Plautinae., 243
‚magis apage dicas, si ommia me audiveris‘ B (‚mea‘ CD).
Videlicet praepositio, quam P omnino non exhibet, in A
suppleta est — sc. ex versu superiore repetita — falso: nam rerum
tenore requiritur non ‚a‘, sed ‚ex‘ 51), quam vocem esse usitatam
etsi concedit Lindsaius, tamen reponere animum non induxit.
Sed ne operam chartamque consumam in re satis superque nota,
enumero illos tam multos locos Plautinos, quibus omnibus in
eodem rerum contextu ‚ex‘ recte traditum est et quos si quis probe
secum consideraverit, non poterit non concedere in hoc quoque
Trinummi versu ‚ex‘ necessario esse reponendum; cf. Amph.
745; 764; 812. Aulul. 734; 796; 822. Bacch. 911 sq.; 1161. Capt.
619; 779. Epid. 44; 246; 254; 564. Men. 1070. Mere. 375. Mil.
289; 689. Pers. 219. Poen. 156. Pseud. 347. Rud. 739. Stich. 38.
Trin. 1080.
Epid. 108. ‚in praeda es mercatus‘ AP (‚im‘ A).
‚de praeda‘ eum Studemundo seribendum est; cf. v. 44; 64;
621, quos locos iam Leo in adnotatione attulit. Comparari potest
etiam Pseud. v. 1164: ‚de praeda dare‘. — ‚in praeda‘ vero, quam-
quam Lindsaius retinuit, in hoc quidem verborum contextu diei
posse nego.
Poen. 670. ‚trecentos nummos Philippos portat praesibi‘ AP.
Ab hac ambarum recensionum scriptura paulo longius mihi
videtur digrediendum esse. Nam Lindsaius p. 115 ut emendatio-
nem illam (‚praesidi‘) a Gulielmio factam satis fidenter adsciscere
nobis licere concessit, sie cautionem esse adhibendam monuit
et tecte occulteque significavit posse fieri ut haec codieum lectio
praeter opinionem vera esset, neque tamen quid sibi vellet aut
qua ratione esset interpretanda ostendit. Itaque si quid sibi velit
haec lectio quaeramus, forsitan dixerit quispiam natam esse
hanc verbi conformationem ex adverbio ‚praes‘, quod idem sit ac
‚praesto‘ forma illa usitata, cui adverbio Plautinum in modum
adnexum sit ‚bi‘ velut ‚inibi‘ ‚interibi‘ ‚postibi‘: dietum autem
esse hoc cum prolepsi quadam pro ‚ut sibi praesto sint‘. Quae
_ verbi interpretatio etsi perguam ambigua videtur, tamen nobis
51) Comparari velim Cas. v. 689, ubi P falso scriptum habet
‚a te‘, A recte ‚ex te‘: nam de verbo exquirendi idem hoc dicendum
est.
244 E. Sicker,
fortasse probaretur, si illa forma ‚praes‘ codieum fide satis est
confirmata. Nunec autem res se habet ita, ut illius formae unum
exstet testimonium ac ne id quidem certum: nam Pers. 288
quondam vulgo ferebatur scriptum esse in A ‚praes est‘, dum
Studemundus certam codieis rescripti lectionem eruit ‚prae-
stost‘, quo ex tempore de adsciscenda vel retinenda forma ‚praes‘
nemo iam cogitavit. @Quapropter in hoc Poenuli versu vocem
‚praesibi‘ Plauto vindicare nostro iure dubitabimus et acquie-
scemus in coniectura Gulielmii, quam si reete interpretamur,
‚praesidi‘ est genetivus liberiorem in modum — sc. cum prolepsi
quadam — ad verbum finitum adnexus pro ‚ut praesidi sint‘.
Confer Cistell. 561 sq. Merc. 703. Pers. 394. Trin. 1158. Ter.
Heaut. 838. Eodem modo interpretanda sunt cum alia tum haeec:
compendi facere aliquid] Asin. 307. Bacch. 183. Capt. 965.
Most. 60. Pers. 471. Poen. 351. Pseud. 1141. Truc. 377.
lueri facere aliquid] Most. 354. Pers. 668; 713. Poen. 771.
Truc. 690.
dammi facere aligquid] Mere. 422.
sumpti facere aliquid] Cas. 425.
Sed cur Leo p. 367 attulerit Pers. v. 125:
‚marsuppium habeat, inibi paulum praesidi‘,
ego quidem non perspicio, quoniam hic genetivus, ut pendet e
verbo ‚paulum‘, prorsus aliter comparatus est.
Sed ut redeat illuc unde deflexit oratio. Nempe in eo res est,
ut eadem corruptela in AP tradita exstet, quam si tamquam men-
dum fortuitum — nam de scriptura genuina utrobique deliberato
consilio correcta vel potius depravata cogitare paene dementis
est — utrique recensioni assignemus, omnem finem modumque
probabilitatis, ut opinor, utique transeamus, etiamsi concedendum
est litteras Det Bnonnumquam inter se confusas esse®?). Subducta
igiturratione non temere statuemus hoc quoque esse indieium unius
et eiusdem ambarum recensionum fontis idque satis certum. —
Poen. 1225. ‚in vus vos volo* AP 68).
.®) cf. Cas. 63; 8382 (A), quibus tamen locis P veram scripturam
exhibet.
6) nam quod B scriptum habet ‚lTusuos‘ pro ‚tus vos‘, merum
librarii mendum est a scriptione maiuscula repetendum, quam scrip-
turam porro depravatam esse in CD nihil refert.
Novae quaestiones Plautinae. 245
Hanc orationis formam quamquam suspectam esse persen-
tiseit, Lindsaius causis rationibusque adeo non confirmavit, ut
captiosissimo genere argumentationis usus interroget p. 112,
sitne tandem haec lectio tam inaudita, ut necesse sit statuamus
utramque recensionem esse frustra. Ad hoc etsi iam Leo strietim
respondit p. 367, tamen mihi quoque licet respondere et id qui-
dem paulo plenius. — Frustra sunt et A et P; etenim Plautus
ut loqui potuit sie:
‚vos volo‘ se. convenire vel conloqui, cf. Asin. 392; 452; 639.
Bacch. 1140. Capt. 977. Cistell. 705. Curc. 303; 391; 686 sq.
Men. 1084; 1086. Mil. 1255; 1267; 1282; 1386. Poen. 1211.
Pseud. 251. Trin. 516; 717.
atque etiam ‚paucis verbis vos volo‘ cf. Mil. 375. Epid. 460.
Trin. 963.
vel ‚te volo secreto‘ Bacch. 1149.
vel ‚solus te solum volo‘ Capt. 602,
ita ‚in vus vos volo‘ dicere non potuit: nam in hac orationis
forma, si modo esset legitima, supplendum esset non ‚convenire‘
vel ‚conlogui‘, sed ‚venire‘ vel ‚me sequi‘, scilicet e verbo ‚velle‘
penderet non infinitivus simplex neque ullo negotio supplendus,
verum accusativus cum infinitivo, qua in constructione infini-
tivus supplendus ad insertam illam loci terminationem (‚in
vus‘) potius quam ad ipsum verbum ‚velle‘ applicandus®? ) esset.
Talia multo magis exquisita atque contorta sunt quam quae
aligquam probabilitatem habere videantur, cum praesertim
verum ipsum quaerentibus sua sponte se offerat: flagitant enim
v. 1232; 1233; 1343 — cf. etiam Pers. 745 sq. Curc. 683. Asin.
480 — ut reponatur ‚voco‘. Denique, ut rationem subducam,
64) At tamen in fabulis Plautinis unum saltem exemplum oc-
currit, quod propter quandam similitudinem non mitto afferre atque
illustrare. Est Stichi v. 496, ubi Epignomus parasitum breviter
absolvit, cum dieit:
‚cras de reliquiis nos volo. multum vale.
Suppleri potest pro rerum contextu nihil aliud nisi ‚cenare‘ vel
‚edere‘: nam cenae reliquias intellegi certissimum est; cf. Curc. 321.
Men. 142; 462. Pers. 77; 105; 138. Stich. 231. Deesse autem in
hoc verborum tenore infinitivum cur miremur eo magis est, quod
de interrupta oratione non posse cogitari prorsus apparet. — Multo
simpliciora sunt cum alia tum illud ‚quid me vis?‘ sc. facere.
240 E. Sicker,
hoc exemplo imprimis insigni certo mihi videtur indicari AP
manavisse ex uno eodemque fonte, ubi iam illud ‚volo‘ quamvis
ineptum sit exstitisse necessario est statuendum 65).
Cas. 571. ‚rogitare oportet prius .et contarier‘ AP.
Erravit Lindsaius, cum non modo mensuram ‚prius‘, verum
etiam simplicem formam ‚contarier‘ (pro ‚percontarier‘) Plauto
vindicavit, denique versum, sicut traditus est, poetae obtrusit.
Neque enim mensurae ‚prius‘ ulla certa exempla apud Plautum
reperiuntur — immo quibus locis statuenda esse Lindsaio vide-
tur, iisdem aut alia mensura est adhibenda velut Bacch. 932.
Cas. 839 (quo de versu recte iudicavit Leo p. 368) 6%). Pseud. 578
(cui versui immutato trochaica mensura adhibenda esse videtur
sieut v. 584 sqq.). Rud. 494 (ubi Lindsaium ipsum huic mensu-
rae aliquantum diffidere ex adnotatione intellegitur, id quod
cadit etiam in v. 455) aut nescio quae corruptela ingesta est velut
Cas. 378 6°) — neque ‚contarier‘ scriptum est pro ‚cunctarier‘,
quod verbum in hunce quidem sententiarum contextum non
convenit: immo vero sententia flagitat, ut reponatur ‚percon-
tarier‘, quod cum verbo rogitandi saepius coniunctum est vel-
ut Most. 682 — cf. Pers. 606: ‚percontare, exquire quidvis‘.
Omnium autem minime potest cogitari Plautum hoc loco
usurpasse simplex pro composito, cuius usus non apud Plautum
modo, sed ne in tota quidem Latinitate ullum usquam exemplum
ἫΝ 85) Ceterum fieri non potuisse, quin illa scriptura corrupta in
pravam partem acciperetur, ipsum per se consentaneum est atque
adeo comprobatur absurda illa librorum deteriorum scriptura, quae
est ‚illius os volo‘.
66) Est enim dimeter bacchiacus cum iambica tripodia acata-
lecta, nisi quod, si exempla quaerimus, magis quam illa, quae Leo
attulit, ad probandum accommodata mihi videntur Cas. 831. et
659. sc. dimeter bacchiacus cum iambico dimetro catalectico utro-
que loco sicut Poen. 254 '(apud Leonem) praetereaque fortasse
Poen. 252 cum ea versuum distributione quam exhibet B sec. di-
meter bacchiacus cum dimetro iambico acatalecto; confer etiam
illos locos haud paucos, quibus dimetro bacchiaco adiungitur tri-
podia iambica catalectica et quos plerosque collegerunt Goetzius
Schoelliusque in conspectu metrorum ad editionem minorem adnexo
p- 163 sa.
67) Stich. 197. manca est Ambrosiani scriptura ‚privus quam
loquor’, recte P praebet ‚conloquar’.
Novae quaestiones Plautinae. 247
T
reperitur. Haec iam sufficiant ad redarguendam Lindsaii senten-
tiam. Indieium autem communis ambarum recensionum fontis et
id quidem certum est, ut aiunt Graeci, εἴπερ te χαὶ ἄλλο xal τοῦτο.
Stich. 282. Verba ‚benefacta maiorum tuum‘ hoc loco in
AP tradita salvo rerum ac sententiarum contextu retineri posse
prorsus incredibile est dietu. Itaque nihil agere mihi videtur
Lindsaius iis, quae ad locum adnotavit. Immo repetita e versu
303 et in margine adscripta fuisse haec verba iam Ritschelius
recte agnoverat, etsi quo consilio fuerint adsceripta — utrum ad
illustranda verba ‚honesta dicta factis‘ sc. iuxta v. 280 adscripta 68)
an ad amplificandum illum dimetrum ‚eraeque egenti subventi‘,
in quo similis senteßtia inest atque in priore v. 303 hemistichio
et qui fortasse ad exemplum reliquorum versuum in formam
tetrametri redigendus esse grammatico cuidam videbatur —
diiudicari non potest; neque vero quicquam hoc refert: nam sicut
rem natam intellegimus, ex hoc tam miro ambarum recensionum
consensu planissime intellegitur AP manavisse ex uno eodemque
fonte.
Trin. %65 5ᾳᾳ. Hos versus, sicut traditi sunt, nulla omnino
interpretatione servari posse inter omnes fere convenit. Ac
primum quidem v. 766. ut ex interpretatione sc. versus insequen-
tis et ex iteratione sc. versus 769. exiliter consutum secluden-
dum esse Brixius recte agnovit. Sequitur ut v. 769, quem solus
exhibet A, olim etiam in P exstitisse, sed per homoeoteleuton
quod diecitur, sicut facile est intellectu, in P omissum esse sta-
tuamus. Deinde quoniam nihil apparet, ex quo pendeant verba
‚mendacilocum aliquem, falsidicum, confidentem‘, aut totus ver-
sus 769 pro suppositicio habendus et de lacuna maiore cogitan-
dum est hunec fere in modum quem Schoellius proposuit sup-
plenda 6°) —cf. ed. min. fasc. VII. praef. pag. VI. — aut altera
saltem versus 769 dimidia pars quin suppositicia sit fieri non pos-
set, cum praesertim posterioris Latinitatis signum prae se ferre
videatur. Hoc modo si ratiocinamur, necesse est hemistichii
exstincti loco reponamus vel cum Ritschelio ‚esse hominem opor-
68) saneinepte: nam ‚honesta‘ est non adiectivum, sed impera-
tivus verbi ‚honestare‘ cf. Capt. 247; 356.
6%) quamquam mihi quidem hoc minus probatur.
248 E. Sicker,
tet de foro‘ (cf. v. 815) vel cum Spengelio ‚est usus hominem calli-
dum‘ (cf. Pseud. 385) vel tale aliquid, praeterquam quod in v. 768
pro ‚ignota facies‘ scribendum est ‚ignota facie‘ sc. cum prolepsi
quadam dietum pro ‚ignota facie qui sit‘ (cf. Rud. 316 al.), quam
interpretandi rationem si inierimus, v. 768 ei versui qui praecedit
recte, ut opinor, subiungi potest. Haec tanta versuum strages
ac ruina quomodbo in libris effeeta sit si quaerimus, tales ineptias
ad verbum fere congruentes a librariis separatim utriusque re-
censionis codieibus ingestas esse prorsus incredibile est dietu
atque etiam Lindsaius, credo, potuisse hoc fieri negaret, si modo
corruptos esse hos versus sibi persuasisset. Nunec autem omnia
sana atque integra eum existimavisse valde miramur. Quid?
quod etiam illud ‚facies‘ retinuit, quamquam neque nominativus
quid sibi velit intellegitur et ablativus optime, sicut exponere
studui, in hunc rerum contextum quadrat. Quod attinet ad ab-
lativum qualitatis hoc modo usurpatum, legentes delego etiam
ad hos locos: Asin. 353. Pers. 547. Pseud. 724; 1217. Rud. 314;
565; 1149; 1155. Trin. 903. — Immo hac tam mirifica turba
lectionis manifesto indicatur ambas recensiones manavisse ex
uno eodemque fonte. Atque ita rem se habere censeo, ut in illa
editione antiquissima iam alterum versus 769 hemistichium
nescio quo pacto perditum defuerit et ad explendum versum
iam mutilum neglecta sane sententia licenter illa verba ineptis-
sima, quae nos in promptu habemus, quasi planta insita sint,
quo facto nescioquis verba ‚quasi sit peregrinus‘ ad interpretanda
illa ‚graphice in peregrinum modum‘ seu in margine seu supra
versum scripta perperam ac temere ad exemplum versus 769
ipsius male reconcinnati suppleverit et in formam integri versus
redegerit 7°). Sed etiamsi fortasse aliter de hac re iudices, hie
ipse locus mirum in modum depravatus mihi quidem videtur
esse in eo numero, quos rationi illi a Lindsaio institutae vel ma-
xime repugnare apertissimum est.
Quae cum ita sint, quaerimus ex Lindsaio, quomodo harum
τ0) Prorsus aliter res se habet in Pers. v. 157 sq., ubi quoniam
omnia optime comparata sunt, forma versuum tradita minime est
temptanda.
Novae quaestiones Plautinae. 249
corruptelarum numerum atque naturam putet convenire cum
iis, quae quasi consentanea essent fidenter statuit. An vero, quo-
niam satis magnis causis probavimus corrupta esse ea, quae ipsa
verba Plauti esse dixit, nunc respondebit, quippe cum tot et
tantas corruptelas posse fortuitas esse concesserimus, ad reliquas
idem hoc pertinere quominus iudicemus quid obstare? At nihil
egerit, si quis talia autumaverit. Nam primum, etsi illae corrupte-
lae, si quidem spectamus rem universam — quamquam singulae
quaedam maxime idoneae sunt, quae scrupulum nobis iniciant
— τῳ comparatae sunt, ut potuisse saltem utrobique eodem casu
oriri haud gravate concedas, tamen nihil admodum est, quod vide-
atur pugnare aut discrepare cum ea suspicione, qua putamus
manavisse AP ex uno eodemque fonte. Accedunt hae corruptelae
aligquanto graviores, quae cum quasi serie quadam rerum eaque
satis mira effectae sint, aut mero casu aut eadem falsa libra-
riorum vel grammaticorum ratiocinatione utrobique ortae esse
nullo modo probari possunt. Tum quot et quantos corrup-
telarum consensus nos reperturos esse arbitramur, si Ambro-
sianus aliquanto plenius largiusque nobis suppeteret ac non
eximia quadam vetustate temporis tanto opere conflictatus esset ?
Maxime vero ad persuadendum accommodati sunt illi versus, qui
ubi traditi exstant in AP suum locum adeo non obtinent, ut sen-
tentiarum contextum plane divellant. Denique ipsa rerum natura
prope manifesto refutatur illa ratio, quam Lindsaius non sine
acumine institut. Nam cum appareat ambas recensiones repe-
tendas esse ab uno eodemque fonte, corruunt illa omnia, quibus
declarasse sibi videtur suppeditari nobis Ambrosiano textum
principalem, Palatinis textum quasi secundarium et posse si non
ambos, at certe illum continua litterarum memoria referri usque
ad tempora rei publicae Romanorum liberae.
Sed si quis mihi obiciat me nonnumquam fortasse pro re
satis perspicua nimis longum fuisse, hoc volo excusari: veritatem
enim, quantum quisque potest, dedita opera appetimus omnes,
quam ad confirmandam me ipsum quoque aliquid contribuisse
spero, quod sentio quam sit exiguum prae illis, quae antehac
ab aliis iam explorata sunt.
Berolini. Eugenius Sicker.
Philologus, Supplementband XI, zweites Heft,
250
Conspectus argumenti.
A)Epraefatior. το 0 ρον A ΠΣ Ρ. 179—183.
B) summa eorum, quae ee Ken at, et
additamenta Aula) Du Ba SE Ah ee) ο΄ Ὁ. 1 deli);
C) quaest. πον. caput l.: de corruptelis, quae mero casu
in utraque recensione nasci potuerunt. . . . 189—219.
a) corruptelae, quibus deformati codices ACD autor
se congruunt adversus B. ... τ 199) Ξῆ-
b) corruptelae, quas natura ipsa videtur ee quo
in numero cum alia sunt tum errores sententiae 190—194.
c) vocabula, quorum forma prisca a librariis mutata
et ad usum ipsorum aetatis accommodata est 194—197.
d) eae corruptelae, quarum origo repetenda sit a
certis quibusdam codiecum proprietatibus . . . 197—2]15.
1) corruptelae ad scriptionem maiusculam
continuamque referendae . . . . .....197 qq.
2) litterae aut syllabae semel tantum scriptae
vel post aequabiles omissae (haplographiae) 199 sq.
litterae aut syllabae falso duplicatae . . 200 sq.
syllabae aut verba in eodem versu spatio
intermisso perperam iterata . . . . . 20] sqq.
falsae casuum aut exitus verborum assimi-
lationes („mechanische Corruptelen‘) [ver-
borum exitus scriptura prisca a librariis
interdum pravam in partem accepta]. . 203 sqq-
6) falsae litterarum inter se assimilationes . 208
verba aut verborum formae e versu pTOo- |
ximo perperam immissa . 2. 2... 208 544.
corruptelae ad ligaturam . ut videtur,
referendae . . . 2 RZ E20;
corruptelae a one seu ἩΠΟΗΣ adhibitis
seu postea in pravam partem acceptis seu
omnino omissis repetendae . . . . . 2ll sqq-
10) errores 6 notis personarum orti. . . . 214 sq.
e) verba aut versuum partes simpliciter omissa . 215—219.
D) caput 11.: de versibus graviore defectu mulcatis. . 219—221.
E) caput III.: de interpretamentis . . 2 2 2.0.2... 221—234.
F) caput IV.: de corruptelis gravissimis et ita compa-
ratis, ut fortuitae vel utrobique mero casu ortae
putari'non, possint. Ὁ u Dean are. Da Din:
6) οἶσε, 2,22 22, Dee rear, 248 ρα.
> ὦ
or
-—]
Ὁ
o
Index locorum,
de quibus plenius disputatum est:
Gapt 0259). -- PD. 186 sq. ||, Poen. 1317
15 1. 8}... ee... 187. Pseud. 124 .
rege)... 1 ee,
ST τ τὴς ὦ 9240 56:0} -- 189
ΞΘ ΠΥ πος 100. | — 806.
ΠΕ θα ων τἴτ 208% Kae lange
ET {ΠῚ uaNUnTBalsg ἘΠ : 7 RR
Bipid. 108.110 ἢ παι 248: — 880.
— 568 any Tr. = m2A2r | — 910...
ΠΕ ς΄ πὸ τ τς θῇ: — 984.
A902, m ἢν — ΤΠ] ος
ΞΟ N ea πη ἩπΩς 521%)
SIE ΟΝ τος EHE ΘΩΡΡῺΣ — 5371).
— A047 SIERT 22T Stich. BA5 N
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Pers. 173 er 090, — 282.
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ΞΘ ΟΣ oe ΡΣ ΟΘυΒα Ἢ ΠῚ 80
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Ξε OR la 2A: = Sie IHN
ἘΞ δ. τ ς E98 ru —,49 .
TEE As | 509.1.
ΞΞΝ 810. 0... 81199 | ΞΞο 5Ὁ8585.. ς
ΞΟ Προ πα... 5 660;
= 1049.92, Ὁ, 209894 | = πθδ, ϑαῆ,
NEE TE 298g. | -- 21046:
— 1225 ς΄ . .244sqq. | Truc. 234 .
— (1245) 1265. . 240 κα.
251
p- 231 5α.
229 sq.
237.
232 sq.
237.
228 sq.
193.
229.
207 sq.
214 sq.
233 586.
185.
187 sq.
220 sq.
195 sq.
217 54.
222.
247.
219.
237 sq.
193 sq.
213 sq.
184.
184.
238 sq
193.
228.
189.
235 sq.
242.
242 sq.
226 5α.
247 sq.
196.
223 sq.
1) ΗΙ loci ex ipsa dissertatione sumpti additamentis dilatati sunt.
252
Corrigenda.
Trin. v. 660. interpretamento amplificatum esse ex dis-
crepantia quadam scripturae conclusi. Hanc quidem opinionem
non esse abiciendam etiamnunc arbitror. Sed quod de versu
hypercatalecto sc. duabus syllabis maiore cogitari non posse
adnotavi, minus recte mihi videor fecisse. Nam exstare eius-
modi versus in fabulis Plautinis nuper Vahlenus in actis academ.
litter. Boruss. a. 1907 (‘Kritische Bemerkungen zur Verstechnik
des Plautus XXXVII.) ad persuadendum, credo, satis accom-
modate exposuit isque cum alios versus huc referri voluit tum
illum (pag. 11 sq.). Illunce quidem versum huc cadere egome,
pro rerum condicione minus fidenter statuam: sed cum eat
quae Vahlenus explanavit de versibus trochaicis, latius pateant
et, sicut ipse recte dicit, pertineant etiam ad versus iambicos
— de anapaesticis versibus ipse iam in dissertatione (pag. 17.)
in eam sententiam dixeram — huc referri volo imprimis Mil.
glor. v. 404. ita comparatum, ut unoquoque verbo aegre sane
careas. Quae cum ita sint, hunc versum censeo separandum
esse ab 115, quae de interpretamentis explicavi, quoniam inter-
pretamentum omnino non in promptu nobis esse nunc mihi
persuasi.
B. TWIS:
DIE
FISCHE IN 0VIDS HALIEUTICON.
ZOOLOGISCHES UND LEXIKOLOGISCHES.
VON
GEORG SCHMID
DR PH.
MIT EINEM ANHANG:
ZU 0. SCHRADERS REALLEXIKON DER INDOGERMANISCHEN
ALTERTUMSKUNDE.
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft. 17
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u U ΝΗ ΔΝ ἈΠ ΝΣ πὶ ἊΝ ἰδ Kr Σ᾽
Die Fische in Ovids Halieuticon.
Unter dem Titel Halieuticon erwähnt Plinius Natur-
kunde B. XXXII K. 2 ὃ 11 ein K. 11, 152 als unvollendet
geblieben bezeichnetes volumen des Ovid, das aber in der
ältesten Handschrift De piscibus et feris überschrieben ist.
Der Dichter habe es im Pontus angefangen — nämlich in dem
moesischen Küstenstädtehen Tomi, wo er vom Jahre 8 ἢ. Chr.
an in der Verbannung lebte und im J. 17 starb — ὯΙ] id
volumen supremis suis temporibus inchoavit’. Es ist offenbar
leicht hingeworfen, ungefeilt und unfertig, und obenein recht
mangelhaft überliefert. Immerhin weist ein gewisser zu Grunde
liegender Plan auf ein Gedicht von größerem Umfang, als ihn
das uns vorliegende hat.
Der erste Teil, v. 1—48, erläutert den allgemeinen Satz,
daß die Natur ihren Geschöpfen Waffen verliehen habe, durch
die Beschreibung der Art und Weise, wie einige Fische sich
den Nachstellungen der Menschen zu entziehen wissen. Es
werden neun Beispiele angeführt, die von sieben Fischen han-
deln; der Dichter gibt äußerst genaue, interessante Beobach-
tungen, die er doch auch den örtlichen Fischern verdanken
konnte. Die Beschreibung der Fische überhaupt beruht offen-
bar auf Autopsie; als Feinschmecker und in der Langeweile
des weltfernen Exils mag er manches Mal auf dem Fischmarkt
gewesen sein. Nach Fr. Birt freilich, der nicht an die Autor-
schaft Ovids glaubt, liegt dem Gedicht eine literarische Quelle
zu Grunde, aus der auch Plutarchos in der Abhandlung Πότερα
τῶν ζῴων φρονιμώτερα, τὰ χερσαῖα ἣ τὰ ἔνυδρα (gewöhnlich
angeführt unter dem Titel De sollertia animalium), Oppianos
in seinen ᾿Αλιευτικὰ und Ailianos in Ilep! ζῴων geschöpft
haben.
1.5
2356 Georg Schmid,
Indessen scheint der Satz, der sich auch in W. 5. Teuffels
Geschichte der römischen Literatur I S. 573 findet, der Stoff
des Gedichtes sei nur aus griechischen Büchern geschöpft und
nicht auf eigene Beobachtungen über die Fische des Schwarzen
Meeres gegründet, noch nicht bewiesen; die Vermutung, daß
sich die Entlehnung nur auf die in der ersten Hälfte des Ge-
dichtes behandelten Beispiele des Verstandes der Fische beziehe
und daß daran Ovid eine Aufzählung ihm bekannter und durch
Färbung, Wohlgeschmack oder andere Eigenschaften bemer-
kenswerter Fische anschloß, diese Vermutung ist ohne Zweifel
ebenfalls berechtigt. Einiges Interesse für Fische zeigen die
Briefe aus Tomi, z. B. Trist. ΠῚ 10, 49 und Ex Ponto III 1,
15, sowie II 7, 28 und besonders IV 1,56 quotque fretum Ὁ
pisces ovaque piscis habet, welche Beobachtung doch wohl
auf die an Ort und Stelle erworbene Kenntnis des Kaviars
hinweist.
Allein es handelt sich hier nicht um diese schwierigen
Fragen, sondern nur um die Bestimmung der sechsundfünfzig
Fische, die Ovid in den 132 Versen, von denen 3 unvollständig
sind, aufzählt. In Wörterbüchern und Kommentaren findet
man so oft bei den Namen von Fischen Bezeichnungen, wie
„ein unbekannter“, „ein leckerer Seefisch*, oder gar solche
wie „squilla, ein Fisch, Pinnenwächter“, oder es heißt zu
Horaz epod. 2, 50 „der Lippfisch scarus“, scheinbar ganz richtig
und doch höchst unbestimmt, da die Lippfische, labridae, eine
fast vierhundert Arten zählende Familie ausmachen, von denen
Leunis-Ludwig zehn Gattungen anführt; die erste sind die
Lippfische im engeren Sinne, die neunte bilden die scari, die
Papageifische, in zehn Arten, von denen jedoch nur eine, der
bei Horaz genannte, von den tropischen Arten des Atlantischen
Meeres äußerlich gänzlich verschiedene, im Mittelmeere vor-
kommt. Ohne Zweifel ist es Aufgabe der Forschung, an
Stelle dieser ganz falschen oder nur halbwahren Bestimmungen
womöglich richtige und genaue zu setzen. Eine vollständige
Zusammenstellung der Nachrichten der Alten über die einzelnen
Fische ist dabei nicht beabsichtigt. Dagegen liegt es in der
Natur der Sache, daß sich da und dort auch ein kleiner Bei-
trag zur alten und sogar zur neueren Ichthyologie aufdrängt,
Die Fische in Ovids Halieuticon. 257
wie zur Erklärung der Schriftsteller usw. So liest man im
Leben Ovids in der Ausgabe von Haupts Metamorphosen
(7. Aufl. von H. J. Müller) S. 6, das Gedicht handle von den
Fischen des Schwarzen Meeres und sei von geringem Werte,
wie auch Teuffel a. a. O., der ebenfalls nur von Schwarzmeer-
fischen spricht, es eine wenig glückliche, trockene Behandlung
des freilich undankbaren Stoffes nennt. Ueber den Wert wird
man anders denken dürfen: in ichthyologischer Beziehung gibt
es manches Interessante. Die andere Behauptung ist positiv
unzutreffend, wie schon aus des Plinius Bemerkung XXXII
11, 152 hervorgeht, Ovid habe elf Fische aufgeführt, die sonst
bei keinem anderen genannt werden, die aber vielleicht im
Pontus vorkommen; er behauptet also keineswegs, wie Teuffel
lehrt, der Stoff sei dem Ovid eigentümlich. was natürlich ein
Irrtum des Plinius wäre, wenigstens zum Teil.
Gleich der erste von Ovid genannte Fisch hat niemals
dem Schwarzen Meere angehört. Es ist der schon erwähnte
scarus, nach allgemeiner Annahme (Aubert Tierk. S. 139)
scarus Cretensis, der Seepapagei; jetzt noch im Kykladen-
meere σχάρος genannt wird er etwa 40 cm, aber in den sizi-
lischen Meeren höchstens 25 cm lang (Griffini 5. 315). Er
zeichnet sich aus durch Farbenpracht: der Rücken purpurn,
die Seiten rosenrot mit violetten Punkten, Brust- und Bauch-
flossen orange mit blauen Linien, die andern Flossen violett
mit roten Flecken ἢ).
Ovid beschreibt zwei seiner Listen, v. 9
et scarus arte sub undis
sın
decidit adsumptaque dolo tandem pavet esca,
non audet radiis obnixa occurrere fronte,
aversus crebro vimen sed verbere caudae
laxans subsequitur tutumque evadit in aequor.
Es handelt sich also um die Selbsthilfe zur Befreiung aus dem
Netze. Diesen Zug findet man aber sonst nirgends; Oppian,
!) Die Bemerkung des Rezensenten von Franz Graf von Poceis
Buch: Der Fasan in Bayern (zu S. 122), in der Beilage zur Münchner
Allg. 2. 1906 N. 166, der scarus sei „scines lächerlichen Aussehens we-
gen hochgehalten“ gewesen, ist unverständlich,
358 Georg Schmid,
der alle dem scarus nachgerühmten Listen mit seiner Liebe zu
den Artgenossen in Beziehung setzt, gibt IV 40—46 an, daß
oft schon der Freund eines πληγέντος ὑπ᾽ ἀγκχίστροιο δαφοινοῦ
als πρόμαχος
ὁρμιὴν ἀπέχερσε Hal ἐξεσάωσεν Eraipov, er spricht also
von dem an der Angel gefangenen Fisch.
Auch der zweite Zug v. 15 ff.
quin etiam si forte aliquis, dum praenatat, arto
mitis luctantem scarus hunc in vimine vidit,
aversi caudam morsu tenet atque citato
verbere, servato quem texit cive, resultat,
wird von ÖOppian 40—46 etwas anders erzählt. Bei Ovid
beißt der freie scarus den gefangenen in den Schwanz und
zieht ihn heraus; bei Oppian steckt er den Schwanz in das
Netz, worauf der gefangene hineinbeißt und so herausgezogen
wird. Es heißt, wenn die andern scari den im Netz ἀμήχανα
διγεύοντα sehen, v. 58
Kal πού τις ἑὴν ὥρεξε διασχὼν
οὐρὴην ἠύτε χεῖρα λαβεῖν ἔντοσϑιεν ἑταίρῳ "
αὐτὰρ ὃ δὰξ μὲν ἔρεισεν, ὃ -δ᾽ ἔσπασεν ἄιδος ἔξω
οὐρὴν ἡγήτειραν ὑπὸ στόμα δεσμὸν ἔχοντα.
Plutarch c. 25 und Aelian Nat. An. I 4 stimmen mit
Oppian überein. Ueber beide Züge enthält, scheint es, die
neuere Ichthyologie keine Beobachtungen. Günther sagt 8.
378, es gebe keinen Fisch, von dem die Alten so viel zu er-
zählen gewußt haben, als von diesem. Gewiß wird er oft er-
wähnt, meistens aber wegen seines delikaten Fleisches, wovon
gleich die Rede sein wird. Die Naturforscher führen ihn
wegen einer anderen Eigentümlichkeit auf und wegen dieser
nennt ihn auch Ovid noch einmal v. 119
epastas qui solus ruminat escas,
er bezeichnet ihn also als Wiederkäuer. Dies war die Ansicht
schon des Aristoteles, der Tierk. II 17,85 und VII 2, 33
freilich vorsichtig sagt 50x et (man glaubt) μηρυκάζειν ὥσπερ
τὰ τετράποδα μόνος, danach Plinius IX 17, 62 solus piscium
dicitur ruminare herbisque vesci, non aliis piscibus. Be-
stimmt behauptet es Oppian I 135 und nach ihm Aelian 11
54; wie jetzt noch Griffini S. 304 und 316 e erbivoro e ru-
Die Fische in Ovids Halieuticon. 359
mina l’alimento. Daß er Pflanzenfresser sei, sagt ebenfalls
Aristoteles Tierk. VIII 2, 28, er habe keine Reifßzähne, wie
alle andern Fische II 13, 58, und in einer von Athenaeus
VII c. 113 p. 319 E erhaltenen Stelle χαίρει τῇ τῶν φυχίων
τροφῇ, διὸ xal τούτοις ϑηρεύεται (obwohl er hier anfangs
fälschlich auch als xapyapööous und oapxopayos bezeichnet
wird, was Aristoteles nur geschrieben haben kann, wenn er
nicht den scarus Cretensis im Auge hatte). Nach Günther
sind sog. Ledertange seine Nahrung. Das Wiederkäuen aber
ist nur scheinbar und erklärt sich aus der Anordnung der
Zähne, die so dicht mit einander verwachsen erscheinen, daß
sie gleichsam nur eine Schuppenplatte bilden (Brehm 5. 202,
Plinius XI 37, 162 huie uni plani dentes), sowie aus der Not-
wendigkeit, die Pflanzennahrung gehörig zu kauen, wobei der
scarus sie im Munde vor- und rückwärts schieben muß. Tat-
sächlich kommt sie sehr fein zerteilt in seinem Magen an
(Günther).
Zu des Plinius Zeit galt der scarus als der delikateste
Fisch: nunc principatus scaro datur IX 17, 62. Die Angabe
Günthers aber, die alten Dichter nennen ihn einen Fisch, dessen
Exkremente sogar die Götter selbst nicht verschmähen würden,
beruht auf einem kleinen Mißverständnis. Aus der Komödie
„die Hochzeit der Here* von Epicharmos hat Athenaeus VII
114 p. 320c u. a. den Vers aufbewahrt, σχάρους, τῶν οὐδὲ τὸ
σχῶρ ϑεμιτὸν ἐχβαλεῖν ϑεοῖς. Das ist natürlich ein Scherz:
der Fisch ist so delikat, daß die Götter, die doch an Ambrosia
gewöhnt sind, den Brauch haben, nicht einmal seinen Darm-
inhalt wegzuwerfen. Indessen stellt ‘diesen Scherz in eine
eigentümliche Beleuchtung die Angabe Belons, in Kreta ködere
man den Fisch mit einem anderswo nicht wachsenden Kraute
an, da er sich sonst weder an der Angelschnur noch mit dem
Netze fangen lasse; er nennt es phaseolus, also eine Bohnenart.
Das beste an dem Fische sei eben diese Pflanze, von der sich
stets eine große Menge in seinem Magen finde. De aquat.
p- 239 nennt er noch Erbsenkraut als Lieblingsnahrung des
Fisches und erzählt, man zerstoße den Magen und die von
Natur sehr große Leber ohne Galle zu einem Brei, dem man
Salz und Essig zugebe; denn insipidus est scarus, nisi cum
260 Georg Schmid,
suis faecibus edatur. So versteht man erst richtig Martial
XIII 84 scarus — visceribus bonus est, cetera vile sapit:e. Und
diese Beobachtung steht nicht allein; nach Sucker 8. 45 gilt
manchen Fischliebhabern der lange Darmkanal der gemeinen
Meeräsche, mugil cephalus, mit seinem Inhalt als Delikatesse
— und dieser Inhalt besteht, wie bei der Schnepfe, aus meist
in Verwesung begriffenen, also weit unappetitlicheren Dingen,
als der des Darms des scarus! Dies muß auch bei Horaz
Sat. II 8, 29 passeris atque ingustata mihi porrexerat ilia
(Magen und Eingeweide) rhombi im Auge behalten werden.
Die Erklärung der viscera als Bauchstück bei J. Marquardt
Privatleben S. 420 Anm. ist nicht zutreffend. Die Bezeichnung
des scarus bei Ennius als cerebrum lovis supremi, die auf ein
ὑψίστου Διὸς ἐγκέφαλον bei Archestratos hinweist, ist ein ebenso
scherzhafter Einfall. Ausfünrliches über den scarus und sein
Vorkommen im Altertum in der Abhandlung De Archestrati
Gelensis et Qu. Ennii fragmentis quibusdam (Petropoli, 1896,
Leipzig, Fock) S. 13—18. Die Angabe über die Standorte bei
Aristoteles ist — damit kann einiges in dem Schriftchen genauer
gefaßt werden — nicht ganz sicher: IX 37, 144 sagt er, der
scarus komme im Euripos nicht vor; da vorher der Euripos
von Pyrrha genannt war, so kann dieser gemeint sein, die
Stadt lag in Thessalien am pagasäischen Meerbusen, der Bai
von Volo. Aber die Lesart σχάρος ist nicht sicher, es ist auch
o&pyos überliefert. Bei Archestratos Fragm. 41 wird der
σχάρος ἐξ ᾿βφέσου empfohlen; von Fragm. 13 oxdpov Ev παρά-
λῳ Καλχηδόνι... χαὶ ἐν Βυζαντίῳ wird unten die Rede sein.
Weshalb das Fragment des Ennius über den scarus im Vater-
lande des Nestor, in Messenien, nicht ohne weiteres Beweis-
kraft hat, ist S. 18 nachgewiesen. Von Varro werden in der
Satire περὶ ἐδεσμάτων bei Gellius VI 16 die scari Cilices ge-
lobt, von Horaz epod. 2, 50 der aus den Eois fluctibus, eine
Stelle, die S. 17 erklärt ist, nach Plinius IX 17, 62 soll er
nördlich nie über das Vorgebirge Lectum (jetzt Kap Baba) an
der Küste von Troas hinausgegangen, aber zu seiner Zeit be-
sonders häufig im Karpathischen Meere gewesen sein; von dort
sei er unter Tiberius durch den Flottenkommandanten Optatus
(aber nicht Elipertius, sondern nach des Gelenius Oastigationes
Die Fische in Ovids Halieuticon. 261
von 1535 e libertis eius) an die italische Küste zwischen- Ostia
und Kampanien verpflanzt worden und seitdem häufig an der
Küste Italiens, wo er früher nie vorgekommen sei. Auch nach
Columella VIII 16, 9 kam er an den Küsten von ganz Klein-
asien und Griechenland bis Sizilien sehr häufig vor, ging aber
niemals ins ligurische und iberische Meer. Petronius spricht
Kap. 19 v. 33 von dem scarus in Sizilien, Kap. 93 v. 5 von
dem ultimis ab oris attractus. Nach Quintilian VI 10, 24
kann er das mare nostrum d. h. das italienische nicht mehr
bewohnt haben. Nach Lucian endlich De conser. hist. c. 28
kaufte jemand sehr große und teure Fische der Art in Caesa-
rea in Mauretanien. Von den neueren Forschern versichert
Belon De aquat. p. 239 auf Grund absichtlich angestellter
Nachforschungen sein Fehlen im Marmarameer (wie Plinius),
in den Dardanellen und im Schwarzen Meere, sowie in der
Adria, deshalb ist er auch bei Keßler und Sucker nicht auf-
genommen ; die französische wissenschaftliche Expedition (1829)
hat ihn in der Morea konstatiert; Erhard fand ihn, wie Belon
dreihundert Jabre früher, 1858 im Ueberfluß an den Küsten
Kretas und häufig im ganzen Archipel; in Italien kommt er
nicht mehr vor, außer, nach Griffini S. 315, ziemlich selten
in den sizilischen Meeren und nach dem französischen Ichthyo-
logen E. Moreau auch sehr selten bei Nizza; er erwähnt auch
je eines in Marseille und in Valencia gefangenen Exemplars.
Suppl. 5. 56. Auf eimigen Kykladeninseln, wie Amorgos und
Pholegandros wird der Fang noch ganz so vermittelst eines
an einer Schnur befestigten Weibchens betrieben, wie ihn
Oppian IV 72—110 beschreibt (Apostolides 5. 54).
Mit dem oxdpos des Archestratos hat es eine eigene Be-
wandtnis. Außer der oben angegebenen Stelle nämlich im
Fragm. 41, sagt Athenaeus, werde er auch noch in einem
anderen Teile (χὰν ἄλλῳ δὲ μέρει) des Gedichtes angeführt
(Fragm. 13) in folgenden Versen:
nal σχάρον Ev παράλῳ Καλχηδόνι τὸν μέγαν ὅπτα
πλύνας εὖ χρηστὸν δὲ χαὶ ἐν Βυζαντίῳ ὄψει
χεὐμεγέϑη, χκυχλίῃ δ᾽ ἴσον ἀσπίδι σῶμα φοροῦντα
(wie P. Brandt den letzten Vers gibt). Daraus geht mit
Sicherheit hervor, daß hier Archestratos nicht denselben Fisch,
202 Georg Schmid,
den sc. Cretensis gemeint hat, wie im Fragm. 41; denn dann
hätte der Dichter nach seiner sonstigen Gewohnheit nicht in
einem anderen Teile auch von ihm gehandelt, wie Brandt S.
131 richtig bemerkt, weshalb er im Fragm. 13 σπάρον liest.
Umgekehrt habe ich p. 14 wegen der Angabe über den ge-
wölbten Rücken hier σχάρον und Fragm. 13 odpyov lesen
wollen. Aber das letztere verbietet sich dadurch, daß der
sargus im Fragm. 36 behandelt wird.
Vielleicht läßt sich das Rätsel auf andere Weise lösen.
Angesichts der bestimmten Angabe des Plinius, daß scarus
Cretensis nicht weiter als Lectum nach Norden gehe, und der
ebenso bestimmten eines so zuverlässigen Forschers wie Belon
über sein Nichtvorkommen in jenen Meeresteilen und im
Schwarzen Meere kann der ox&pog des Fragm. 13 nicht scarus
Cretensis sein. Dies. scheint unbestreitbar.
Auch Apostolides und Hoffmann-Jordan zählen ihn nicht
auf, der erstere offenbar, weil er an der griechischen Ostküste
nicht oder seltener vorkommt, der letztere wohl, weil er an
den Orten, wo er sammelte, kein Exemplar davon bekam.
Nach Apostolides S. 23 heißt ox&pos jetzt diplodus oder sargus
vetula und Hoffmann-Jordan 5. 262 nehmen dies an, setzen
indessen hinzu, gegenwärtig werden die Namen σχάρος, σπάρος
und σάργος mehr oder weniger unterschiedslos für alle Arten
der Gattung sargus (diplodus), Meerbrassen, gebraucht. Bei
sargus vetula ist die Färbung des Rückens graulich mit etwas
helleren Seiten. Nun sagt Nikander bei Athenaeus a. a. O.,
es gebe zwei Arten von oxapot, der eine werde ὀνίας, der an-
dere αἰόλος genannt. Der letztere muß der kretische sein,
dem auch Oppian IV 49 dieses Epitheton gibt. Der andere,
ὀνίας, kann seinen Namen doch wohl nur vom Esel, und zwar
von seiner Farbe haben. Da nun nach Hoffmann -Jordan 8.
261 eine Art, diplodus vulgaris, jetzt außer o&pyog und σπάρος
auch σχαρογαΐδαρο, Skarusesel, genannt wird, und seine Färb-
ung am Rücken als graugelblich bezeichnet wird, so sind also
zwei Fische des Namens σχάρος für das Altertum wie für die
jetzige Zeit anzunehmen, der scarus Cretensis, der an den Stellen
der Alten immer gemeint ist mit Ausnahme der des Aristoteles
bei Athenaeus und des Archestratos Fragm. 13, und der sar-
Die Fische in Ovids Halieuticon. 263
gus, eine Gattung der sparidae, Meerbrassen. Diese nährt sich
hauptsächlich von Mollusken und Krustentieren, deren harte
Schalen sie mit ihren Mahlzähnen zerbricht (Griffini S. 332);
sie sind also fleischfressend und haben auch Reißzähne, so daß
sich das oben angeführte Aristoteleszitat bei Athenaeus, wie
die Angabe von dem kleinen Maule auf sie beziehen könnte
und dort erst von μόνος δὲ-μηρυχάζει an der scarus ÜCretensis
zu verstehen ist.
Das zweite Beispiel ist die sepia v. 19:
Sepia tarda fugae, tenui cum forte sub unda
deprensa est jam iamque manus timet illa rapacis,
inficiens aequor nigrum vomit ilicet umorem
avertitque vias oculos frustrata sequentis.
Ganz ähnlich bei Plutarch c. 26 und Oppian II! 156, hier
ἀνὰ δ᾽ ἔτραπε πᾶσαν ὀπωπὴν, dort ἀποδρᾶναι τὴν τοῦ ϑηρεύοντος
ὄψιν. Esistdiesepia officinalis, die gemeine Tintenschnecke,
der gemeine Tintenfisch, jetzt σηπία und σουπιά, ital. sepa;
sie wird ohne die Fangarme über 30 cm lang, nach Aristoteles
Tierk. IV 1,7: zwei Ellen. Derselbe nennt sie IX 37, 147
πανουργότατον, das verschlagenste aller Weichtiere, «al μόνη
χρῆται τῷ ϑόλῳ χρύψεως χάριν χαὶ οὐ μόνον φοβουμένη. (Θόλος
oder τὸ μέλαν heißt eben die Tinte, auch ὑπόσφαγμα Aelian
I 34, der fast an Ovid anklingt, indem er sagt χλέπτεται τὴν
ὄψιν ὃ ἁλιεύς" ἣ μὲν Ev ὀφθαλμοῖς ἐστιν, ὃ δὲ οὐχ δρᾷ, bei Cic.
De nat. deor. Ii 50, 127 und Plin. IX 28, 84 atramentum,
hier mit dem Zusatz quod pro sanguine his est.) Nach
Ο. Schmidt 5. 277 ist die Sepie furchtsam und hüllt sich in
Tintenwolken. Bei allen Acht- und Zehnfüßern, octopoda und
decapoda, welche die erste Klasse der Weichtiere, mollusca,
bei Aristoteles μαλάχια, bilden, mündet in den Trichter noch
der Ausführungsgang des Tintenbeutels, einer Drüse, die eine
schwarzbraune Masse absondert, die in der Malerei bekannte
Sepia (nach Br. Dürigen „Hausschatz des Wissens“ Abt. VI
Bd. 8 Das Tierreich S. 612 hat diese jetzt nur noch den Namen
von dem Tiere, kommt aber nicht von ihm her). Die Drüse
wird willkürlich entleert und nur eine kleine Quantität gehört
dazu, um das Tier in eine dunkle Wolke zu hüllen, wodurch
es den Augen seiner Verfolger urplötzlich entzogen wird (0.
264 Georg Schmid,
Schmidt 5. 258) ?).. Die Sache kannte schon Aristophanes
Acharn. v. 351. Tarda erklärt sich dadurch, daß das Tier
überhaupt keine Bewegung liebt, da es ebensowenig wie die
Oktopoden nach Beute umherstreift, sondern auf sie lauert und
zwar immer in der Nähe der Küste (ebenda S. 279).
Die sepia wurde gebraten gegessen (Aristoph. Eccles. v.
126 und Athenaeus {Π| 71 p. 107c), wie auch jetzt noch, ob-
wohl das Fleisch zäh und süßlich ist (Sucker 5. 139; das
Rezept S. 170).
Uebrigens beachte man, dafß die sepia wie v. 31 der Polyp,
v. 132 die lolligo und caris zu den Fischen gerechnet wird,
wie nach dem Vorgang des Aristoteles bei Plinius, der Kap.
28 des aquatilium naturae überschriebenen IX. Buches mit der
Bemerkung piscium sanguine carent..... tria genera zu den
Mollusken, Krustazeen und Testazeen übergeht.
Das dritte Beispiel ist der lupus im Netz. V. 23
clausus rete lupus quamvis inmitis et acer,
dimotis cauda submissus sidit harenis .
in auras
emicat atque dolos saltu deludit inultus.
Lupus ist, wie im Anhang näher ausgeführt werden wird,
der europäische Seebarsch, labrax lupus Cuv. (Aubert
S. 135), perca labrax Linn., noch jetzt λάβραξ, wie im Alter-
tum, auch λαβράκι (Hoffman-Jordan 5. 259) oder λαυράχι, ital.
spigolo, branzino; der junge baicolo. Seine Färbung ist ein
schönes Silbergrau, das auf dem Rücken ins Bläuliche, am
Bauche ins Weißliche übergeht; die Floßen sind blaßbraun
(Brehm). Ueber das geschilderte Verfahren des Fisches, der
nach Sucker S. 1 80-90 em, nach Griffini 5. 365 bis 1 m
lang wird und in allen italienischen und griechischen Meeren
häufig ist, aber auch in den schwachsalzigen Teilen des Pontus
vorkommt, fehlen sonstige Beobachtungen, außer den ganz
ähnlichen bei Plut. c. 26 und bei Oppian III 121; doch muß
schon Aristophanes ihn von dieser Seite gekannt haben, da er
ihn fragm. 489 Dind. πάντων ἰχϑύων σοφώτατον nennt, was
Athenaeus VII 86 p. 310 F dadurch erklärt, daß er erfinderisch
2) Die chemische Analyse nach Bizie bei J. F. Brandt und 7, Εἰ, C.
Ratzeburg Medizinische Zoologie, Berlin 1833, II S. 311.
Die Fische in Ovids Halieuticon. 265
sei, sich freizumachen, und alle Fische an Verstand übertreffe.
Als siebentes Beispiel wird er noch einmal angeführt, jetzt
nach seinem Benehmen an der Angel. V. 39
lupus acri coneitus ira
discursu fertur vario Huctusque ferentes
prosequitur quassatque caput, dum vulnere saevus
laxato cadat hamus et ora patentia linquat.
Genau so schreibt Plutarch ce. 24 αὐτὸς ἑαυτὸν βελουλκχεῖ
τῇ δεῦρο χἀχεῖ παραλλάξει τε χεφαλῆς ἀνευρύνων τὸ τραῦμα
χαὶ τὸν ἐκ τοῦ σπαραγμοῦ πόνον ὑπομένων ἄχρις ἂν ἐχβάλῃ τὸ
ἄγχιστρον, und Oppian III 128
λάβραξ δ᾽ ἀγκίστροιο τυπεὶς εὐχαμπέος αἰχμῇ
ὑψόσ’ ἀναϑρῴσκων κεφαλὴν ἀζηχὲς ἐρείδει
αὐτῇ ἐν ὁρμιῇ βεβιημένος, ὄφρα οἱ ἕλχος
εὐρύτερόν τε γένοιτο χαὶ ἐχφυγέῃσιν ὄλεϑρον.
Das rapidus V. 112, wo der lupus zum dritten Mal er-
wähnt wird, ist wohl wie rapax bei Columella VIII 17 gleich
vorax. Im allgemeinen bestätigt Brehm 5. 40: „Da er an
Gefräßigkeit hinter seinen Verwandten nicht nachsteht, wird
er auch leicht mit der Angel gefangen, wendet aber wirklich,
wie die Römer“ (ὃ, nur Ovid und nach diesem Plinius XXX
2, 11 und 13, s. unten) erzählen, „alle Kräfte an, um zu ent-
kommen, schwimmt mit erstaunlicher Kraft hin und her und
zwingt den Fänger, alle Kunstfertigkeit anzuwenden, um sich
seiner zu versichern. *
Wenn er weiter angibt, nach Plinius schätze man beson-
ders die lupi, die im Tiber oder unmittelbar in Rom selbst
gefangen würden, weil sie von dem Unrat aus den Aborten
sich nährten und feisteten, so dies ist ungenau. Plinius sagt
allerdings IX 17, 61 in lupis in amne capti praeferuntur und
54, 169 Jupi pisces in Tiberi amne inter duos pontes seien
besser. Der Grund aber, der von der cloaca maxima herge-
nommen ist, stammt aus Juvenal 5, 106; wie man die Sache
zu verstehen hat, ist in De Lucilio et Archestrato atque de
piscibus qui apud utrumque inveniuntur (Petropoli 1897) S. 18
nachgewiesen. Juvenal zeigt den von ihm, vielleicht nach der
Stelle des Horäz Tiberinus (sc. lupus) genannten Fisch an
einem ganz anderen Standort als Horaz — wie den Aal als
206 Georg Schmid,
vernulam riparum, pinguem torrente cloaca et solitum mediae
cryptam penetrare Suburae® —) und es ist unmöglich, diese
Angabe mit der des Horaz zu kombinieren und dadurch die
Lage des pons sublicius für bestimmt zu erklären, wie Fr.
Marx zu Lucilius Comm. p. 37 meint, zumal da Juvenal offen-
bar gar nicht vom labrax lupus, sondern von der perca fluvia-
tilis, dem Flußbarsch spricht, da er ihn vernula riparum nennt,
wie in dem genannten Schriftchen S. 20 bewiesen ist und
auch aus der Stelle des Galenos περὶ τροφῶν δυνάμεως 3, 30
bei Marquardt S. 418 Anm. 10 hervorgeht. Auch bei Fried-
länder zu v. 104. Die ebenda S. 19 gegebene Erklärung von
Horaz Sat. II 2, 31 ist mit einer kleinen Modifikation die
einzig haltbare: es sind je zwei Stellen erwähnt, wo der See-
barsch, der eben auch in den Tiber aufsteist, gefangen werde,
im Tiber oder in der See, genauer im Tiber inter duos pontes
oder an der Mündung — ostia sub Tusci entspricht dem alto.
Bei der gewöhnlichen Auslegung kommt die Ungereimtheit
heraus, daß der Fisch lupus Tiberinus heißt und doch in alto
gefangen wird. Es sind zwei Doppelfragen, in der ersten das
erste Glied ohne ne. Von S. 15—21 werden überhaupt die
Stellen besprochen, wo der Seebarsch bei den Römern erwähnt
wird, der eine Zeit lang als erste Delikatesse galt nach Plinius
IX 17, 61; nach Belon De aquat. p. 120 verkauften die fran-
zösischen Händler ihn teurer als den Lachs (er heiße in Bor-
deaux lubine, in Marseille und Genua louuazzo). Bei Martial
IX 26, 6. X 30, 21. XI 50, 9 ist er ebenfalls gemeint. Die
Bemerkung Günthers S. 264, er trete niemals in Süßwasser
ein, ist schon angesichts der Angaben der römischen Schrift-
steller einzuschränken, zu denen noch Varro kommt De re
rust. III 3, 9: duleis undae tolerans. Aber auch von den
neueren Ichthyologen wird sein Aufsteigen in die Flüsse be-
zeugt: Griffini S. 365, Sucker 5. 2, E. Moreau Il p. 337 (geht
in die Rhone, Charente, Sevre, Seudre u. a. manchmal ziem-
lich hoch hinauf); von dem Seebarsch in der Ostsee sagt M.
3) Wie der letzte Vers hei O. Gilbert Geschichte und Topographie
der Stadt Rom III 5. 352 Anm. 1 unter die Beweisstellen dafür ge-
kommen ist, daß es immer bedenklich war, sich in das unsaubere Ge-
triebe dieses Stadtteils hineinzubegeben, ist unverständlich.
Die Fische in Ovids Halieuticon. 267
v. d. Borne im Taschenbuch der Angelfischerei 4. Aufl. S. 353,
er gehe mit der Ebbe aus und mit der Flut ein. Aristoteles
gibt Tierk. V 10, 36 nur an, er laiche da, wo Ströme fließen,
ἃ. ἢ. an den Mündungen, was Canestrini bestätigt, 5. Moreau
a. a. Ὁ. Die Beobachtung, die Günther dem Aristoteles zu-
schreibt, er grabe, wenn er vom Netze umgeben sei, einen
Kanal (besser: eine Furche) für sich durch den Sand, um zu
entrinnen, gehört vielmehr dem Ovid, Plinius (s. u.) und Oppian
ΠῚ 121—125 an. Dagegen berichtet Aristoteles IV 10, 116,
er werde wie einige andere Fische oft am Tage während des
Schlafens mit dem Dreizack erlegt. Sonst werden See-
barsche von Milet erwähnt bei Aristophanes Ritter v. 361 und
überschwenglich gepriesen von Archestratus Fr. 45; sie wur-
den sprichwörtlich. Blaydes, der sich auf die lakonische Be-
stimmung beschränkt: «λάβραξ, lupus, Anglice the seawolf“,
ist in großem Irrtum befangen, wenn er den großen, von Ch.
Fellow Asia Minor 5. 279 beschriebenen schuppenlosen Fisch
im Mäander mit ihm identifiziert; dies ist vielleicht ein Wels.
Der Scholiast berichtet auch für Milet das Aufsteigen des
Fisches in den Fluß (Maeander); seine Angabe, bei Milet gebe
es die größten und meisten, geht wohl auf Archestratus zurück.
Das vierte Beispiel ist die murena v. 27
murena ferox, teretis sibi conscia tergi
ad laxata magis conixa foramina retis
tandem per multos evadit lubrica flexus
exemploque nocens cunctis iter invenit una.
Dies ist de murena Helena), die gemeine M u-
räne, zur Gattung der Muraale und Familie der Aalfische
gehörig, bei Aristoteles μύραινα oder σμύραινα, auch σμῦρος
(Aubert S. 136), jetzt σφῦρνα oder σμῦρνα im Kykladenmeere,
sonst σμέρνα und σμυρένα, ital. moene und amarene. Die
Muräne lebt sowohl in der Nähe des Landes als in der hohen
See und kann bis 1,3 m lang werden (Griffini S. 175), bei
Mart. XIII 80 heißt sie grandis. Im Mittelmeer ist sie fast
Ὁ Der seltsam scheinende Beiname ist wohl auf einen Witz bei
Athenaeus VII 53 p. 298D zurückzuführen, wo ein Epikureer von dem
aufgetischten Aal sagte: da ist der Gastmähler Helena, ich werde also
der Paris sein. "EyysAug, sonst der Flußaal, kommt auch für den
Meeraal vor. ’
268 GeorgSchmid,
überall häufig, so bei Nizza und bei Toulon, fehlt aber im
Schwarzen Meere. Das teres tergum und lubrica erklärt sich
dadurch, daß der Fisch keine Schuppen und eine sehr dünne,
schleimige Haut hat, s. Plinius IX 12, 40 molli cute ut mu-
renae und 23, 77 tenuissimum his tergus. Auch Oppian I 141
nennt ihn schlüpfrig. Der stark variierenden Färbung nach
beschreibt ihn Ovid v. 114 als ardens auratis notis, Oppian
II 274 spricht von παναίολα νῶτα. Nach Sucker 8. 94 ist er
braun, gelblich marmoriert, nach Aubert Tiergesch. S. 136
gelb und braun marmoriert; Brehm sagt S. 407, die Grund-
färbung des Vorderleibes sei ein schönes, lebhaftes Gelb, die
des hinteren gehe ins Bräunliche über, die Zeichnung bestehe
aus braunen Marmelflecken, die durch dunkle Binden um-
schlossen werden. Nach Plinius IX 23, 76 kamen in Nord-
frankreich solche Muraale vor, bei deren dextera maxilla sep-
tenae maculae ad formam septentrionis aureo colore fulgent,
dumtaxat viventibus, pariterque cum anima extinguuntur.
Das von Ovid und auch von Oppian III 117 und Aelian
1 33 geschilderte Verfahren des Fisches ist sonst nicht be-
stätigt, doch gibt Brehm S. 408 an, ihre Gefräßigkeit solle so
groß sein, daß sie in Ermangelung hinreichender Beute ihres-
gleichen die Schwänze abbeißen. Gefangene kämpfen wütend
(m. ferox des Ovid) und bringen ungeschickten Fischern ge-
fährliche Wunden bei... Nach Belon De aquat. p. 159 fassen
die Fischer das Maul des gefangenen Meeraales mit Zangen
und schlagen ihn mit einem Stock auf Kopf und Rücken.
Auf die hartnäckige Selbstverteidigung weist auch hin,
was Ovid von der murena an der zweiten Stelle sagt v. 43
nec proprias vires nescit murena nocendi
auxilioque sui morsu nec comminus acri
deficit aut animos ponit captiva minacis.
Beide Züge wenigstens im allgemeinen bei Aelian I 90:
ζητεῖ ἣ βρόχον ἀραιὸν ἣ ῥῆγμα τοῦ δικτύου πάνυ σοφῶς χαὶ
ἐντυχοῦσα τούτων τινὲ καὶ διεχδῦσα ἐλευϑέρα νήχεται αὖϑις᾽ εἰ
δὲ τύχοι μία τῆσδε τῆς εὐερμίας, καὶ al λοιπαὶ ὅσαι τοῦ αὐτοῦ
γένους συνεαλώχασι, χατὰ τὴν ἐκείνης φυγὴν ἐξίασιν, ὡς ὁδόν
uva λαβοῦσαι παρ᾽ ἡγεμόνος.
Columella VIII 17, 2 gibt an, einige halten den Fisch nicht
Die Fische in Ovids Halieuticon. 369
mit anderen zusammen, denn wenn er an der Tollwut leide,
was vorkomme wie bei den Hunden, saevissime persequuntur
squamosos plurimosque mandendo consumunt.
Die Bemerkung Aelians IX 40, natürlich wehre sich der
Muraal mit den Zähnen, da er zwei Reihen davon (διστοιχίαν)
habe, ist richtig: er hat spitzige lange Zähne in einer Reihe
oben und unten (Brehm 8. 407). Ob die Beobachtung des
Aristoteles V 9, 35 gegründet ist, steht dahin; Aubert S. 466
hat sie als unecht eingeklammert, aber Plinius hat sie gelesen
und so übersetzt IX 23, 76: Aristoteles zmyrum (d. ἢ. opöpov)
vocat marem qui generet ; discrimen esse, quod murena varia
et infirma sit, zmyrus unicolor et robustus dentesque et extra
os habeat (Aristoteles: χαὲ ἔσωϑεν χαὶ ἔξωϑ'εν). Dann ist nach
Aubert 5. 136 opöpos sehr wahrscheinlich ophisurus serpens
Linn., die Seeschlange, die 2 m lang wird (Sucker 8. 93,
Griffin 5. 172).
Das folgende Beispiel bietet der polypus v. 91
at contra scopulis crinali corpore segnis
polypus haeret et hac eludit retia fraude,
et sub lege locı sumit mutatque colorem,
semper ei similis quem contigit. atque ubi praedam
pendentem setis avidus rapit, hie quoque fallit,
elato calamo cum demum emersus in auras
bracchia dissolvit populatumque expuit hamum.
Es ist der octopus vulgaris, der gemeine
Krake, die große Sprutte, griech. jetzt ᾽χταπόδι (ὀκτάπου-),
ital. polpo, franz. pourpre, der zunächst wegen des Aufenthalts
und Charakters in Gegensatz zum vorigen gesetzt wird. In
der Tat halten sie sich auf felsigem Grunde auf und verbergen
sich gewöhnlich in Löchern und Felsspalten; über Tag be-
wegen sie sich wenig und sitzen stunden- und tagelaug auf
einem Flecke (0. Schmidt 5, 262 und 269 Anm.), daher segnis.
Ein zweites Moment ist der Farbenwechsel: „ihre weißgraue
Farbe geht im Zustand der Aufregung in braune, rote und
gelbe Tinten über; halten sie sich in grauem Gestein auf, so
nehmen sie selbst die graue Farbe an, dann gleicht das Tier
mit den eingezogenen Armen und dem gekrümmten Rücken
selbst einem verwitterten Steine“. Die Beobachtung ist uralt,
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft. 18
2370 Georg Schmid,
schon Theognis ὁ. 215 erwähnt des πουλύποδος πολυπλόκου,
ὃς ποτὶ πέτρῃ τῇπερ ὁμιλήσῃ, τοῖος ἰδεῖν ἐφάνη, auch bei Plu-
tarch z. Β. c. 27. Etwas anders Aristoteles Tierk. IX 37, 149
ϑηρεύει τοὺς ἰχϑῦς τὸ χρῶμα μεταβάλλων καὶ ποιῶν ὅμοιον οἷς
ἂν πλησιάζῃ λίϑοις. Aehnlich wieder Plinius IX 29, 87 colo-
rem mutat ad similitudinem locı, mit dem Zusatz et maxime
in metu, während Aristoteles IX 37, 147 so das Entleeren des
Tintenbeutels erklärt. Die Angabe bei Athenaeus VII 101
p. 316 D, die Flüssigkeit sei beim Kraken nicht schwarz, wie
bei der Tintenschnecke, sondern rötlich, bestätigt Belon De
aquat. p. 331, der auch erzählt, er habe im Hafen von Corceyra
nigra einen Kraken eine ganze Stunde mit einer Krabbe (wie
es scheint, der gemeinen Meerspinne) kämpfen sehen. Die
Fangarme eines anderen fand er bei einer Sektion in Epidaurus
im Magen eines Muraales. Andere Zeugnisse bei Oppian II
233—297 und Athenaeus a. a. Ὁ. Der zweite von Ovid dem
Kraken zugeschriebene Kunstgriff wird ebenfalls von Belon
bezeugt. Aristoteles sagt umgekehrt Tierk. IV 8, 96 δελέασιν
ἁλίσκονται xal.. οὕτω μὲν προσέχονται (am Köder), ὥστε μὴ
ἀποσπᾶσϑαι ἀλλ᾽ ὑπομένειν τεμνόμενοι, wobei Aubert auf John-
stons Conchyliologie verweist, und häufiger läßt er in seiner Ge-
fräßigkeit sich mit dem Köder herausziehen, 5. Ὁ. Schmidt δ.
259 und seine Beschreibung des Fanges S. 264, aus der nur
das avidus rapit zu belegen ist: „der Oktopus hat den Köder
kaum bemerkt, so stürzt er sich darauf“, da man ihn in Italien
jetzt mit der bloßen Schnur ohne Angelhaken zu fangen scheint.
In Griechenland, „für dessen Einwohner der Krake und der
Kalmar Leckerbissen sind“, fängt man sie aber mit solchen
nach Apostolides S. 58. 60. Auch der Gebrauch der Pflanze
χόνυζα, jetzt κονυζό (erigerum, Berufkraut, entweder viscosum
oder graveolens) ist noch üblich, um sie aus ihrem Versteck
zu treiben, wie zur Zeit des Aristoteles IV 8, 96. Salz wird
wohl nicht mehr dazu gebraucht, wie früher, s. Athenaeus.
Der in προσεχόμενοι liegende Zug wird durch die Worte eines
Forschers bei Ὁ. Schmidt 5. 264: „rasch ergriffen und vom
Boden gerissen, dem er sich mit aller Gewalt anzuklammern
suchte“, in anderer Weise bestätigt und diese Eigentümlich-
Die Fische in Ovids Halieuticon. 271
keit kennt schon Homer Od. V 432. Nach Sucker S. 141
wird das Fleisch in Italien wenig geachtet.
Darauf folgt der mugil v. 38
at mugil cauda pendentem verberat escam
excussamque legit.
Mugil ist de Meeräsche, eine Familie, von der man
nach Günther 5. 358 vier Gattungen mit einigen siebenzig
Arten kennt, franz. muge, mujon, mulet; die größte, m. cephalus,
ital. cievolo und volpina, kann bis zu 70 cm, eine andere, m.
capito, die gemeine Meeräsche, ital. muzao gango, bis 50 cm
lang werden. Der mugil entspricht unzweifelhaft dem χεστρεὺς
des Aristoteles, der z. B. χέφαλος, μύξων, χελὼν als Arten an-
führt, deren spezielle Bestimmung aber schwierig ist (Aubert
Tierk. S. 130, Zeug. 5. 34). Heute heißen sie χέφαλος, μυξι-
γάρι, χελώνια. Etwas anders und ausführlicher wird das Be-
nehmen des Fisches bei Plutarch K. 24 geschildert und bei
Oppian III 520 ff., der sagt
ἄλλ᾽ ὅτε ϑαρσήσας πελάσῃ σχεδόν, οὐ μάλ᾽ ἑτοίμως
Ψαῦσε βορῆς, οὐρῇ δὲ πάρος μάστιξεν ἐγείρων
ἄγκιστρον, μή πού τις Evi χροὶ ϑέρμετ᾽ ἀυτμή ᾿
ζωοῦ γὰρ χεστρεῦσιν ἀπώμοτόν ἐστι πάσασθαι.
ἔνϑεν ἔπειτ᾽ ἄκροισι διαχνίζει στομάτεσσι
δαῖτα περιξύων ᾿ ἁλιεὺς δέ μιν αὐτίκα χαλχῷ
πεῖρεν ἀναχρούων.
Der Köder soll nach v. 485, da der Fisch eben nichts
Lebendiges anrühre, was richtig ist, aus Brot, saurer Milch
und etwas Pfefferminze bestehen; nach Apostolides S. 53 nimmt
man jetzt etwas Brotteig mit Käse, oder auch den Magen von
frisch gefangenen Orevetten und anderen Krebsen; Brehm sagt,
am besten seien Fischeingeweide oder in Fleischbrühe abge-
kochte Kohlblätter. Ihre Nahrung seien besonders Stoffe, die
bereits in Verwesung begriffen seien (5. 162). Nach dem
englischen Forscher Couch fangen sie sich an der Angel selten,
weil sie den Köder nicht gleich verschlingen, sondern erst sorg-
fältig betasten, oft wieder von sich speien und ihr bedeutendes
Gewicht und die Anstrengungen, sich loszumachen, sie außer-
dem oft befreien, wenn die Spitze des Angelhakens wirklich
in ihrem Munde faßte. Der Fang mittelst eines an einer
18”
979 Georg Schmid,
Schnur angebundenen Weibchens wird noch heute so betrieben,
wie ihn Oppian IV 40 ff. beschreibt.
Auch sonst werden die Angaben der Alten über die Meer-
äsche von neueren Forschern bestätigt. Nach Aristoteles IX
37, 134 und Plinius IX 42, 144 ıst sie der schnellste aller
Fische. Wie Plinius c. ὃ, 3l sagt, mugilum velocitas transilit,
was sich im besonderen auf die Gattung mugil saliens bezieht,
s. u., so erzählt der Engländer Öarew, sobald sie sich in einem
Grundnetze eingeschlossen sehen, beeilen sie sich so schnell als
möglich zurückzukehren und springen dann gewöhnlich über
den oberen Rand der Netze hinweg, und wenn einer der Ge-
sellschaft einen Weg fand, folgen ihm die übrigen unverzüg-
lich nach. (Dies erinnert an das von der murena v. 30 Er-
zählte.) Wie die griechischen Fischer das Ueberspringen des
Netzes unwirksam machen, beschreibt Apostolides 5. 47. Colu-
mella nennt VIII 17, 8 den mugil inertem, was schwer zu ver-
stehen ist.
Nach Keßler 5. 229 kommen im Schwarzen Meere vier
Arten vor, m. cephalus (russisch kefal), chelo, auratus und
saliens. Brehm irrt also, wenn er m. cephalus nur dem Mittel-
meere zuschreibt, wo er allerdings überall häufig ist. In der
Krim berechnet man den Jahresertrag des Fanges auf 3—4
Millionen im Werte von 15—25 000 Rubeln. Weithin geschätzt
wird auch der Kaviar des m. cephalus, von dem an Ort und
Stelle 16,38 kg 30—60 Rubel kosten. Die Frage der Ver-
wendung des Fisches bei Catull 15, 19 und Juvenal 10, 317
ist nicht mit der Bemerkung der Scholien grandi capite abzu-
machen, obwohl sie richtig ist, da die ganze Gattung, die einen
spindelartig oblongen Körper hat, sich durch einen verhältnis-
mäßig großen Kopf auszeichnet, besonders der mugil cephalus.
Aber daß der Fisch selbst so verwendet worden wäre, wie die
beiden Satiriker zu sagen scheinen, ist doch undenkbar; es
wird wohl ein seiner Körperform ähnliches Instrument aus
Holz oder Leder gewesen sein. Eine Parallele bietet die natrix
bei Lucilius, fr. 72 Marcks, die ursprünglich eine Wasser-
schlange ist, mag sie nun die virga oder scutica bedeuten, qua
coercentur in scholis pueri nach Isidor Origines V 27, oder
obscönen Sinn haben.
Die Fische in Ovids Halieuticon. 973
Das letzte Beispiel ist der anthias v. 46:
anthias his, tergo quae non videt, utitur armis
vim spinae novitque suae versoque supinus
corpore lina secat fixumque intereipit hamum.
Fast Uebereinstinnmendes erzählt von den anthiae Plinius,
nur daß sie nach ihm dem gefangenen Genossen beistehen,
IX 59, 182: cum unum hamo teneri viderint, spinis quas in
dorso serratas habent — XXX 2, 13 sagt er, in dorso cultellata
spina — lineam secare traduntur eo qui teneatur extendente
ut praecidi possit; ebenso Plutarch c. 25. Bei Oppian III
333 aber heißt es wie bei Ovid vom ἀνϑιεὺς, daß er sich
selbst so helfe:
πολλάχι δ᾽ ὀξύπρωρον ὑπὲρ ῥάχιν Eruays δάψας
ὁδρμιὴν ἀπό τ᾽ ge λιπὼν χενὸν ἀγρευτῆρα.
Aber was für ein Fisch der anthias ist, ist nicht so leicht
zu entscheiden. Nach Üurcio der jetzt anthias sacer oder
serranus anthias genannte, eine Art der Barsche. Allein dies
hat schon Cuvier als nicht zutreffend bezeichnet. Aristoteles
erzählt in einer bei Athenaeus VII 17 p. 281c erhaltenen
Stelle, wo der anthias sei, sei kein Raubfisch, auf dies An-
zeichen tauchen die Schwammfischer und nennen ihn den heiligen
Fisch; Tierk. VI 17, 101 aber sagt er ὁ αὐλωπίας, ὃν καλοῦσί
τινες ἀνϑίαν. Bei Oppian I 255 wird eine von vier Anthias-
arten εὐωποὶ καὶ αὐλωποὲὶ genannt,
οὕνεχα τοῖς χαϑύπερϑεν ἑλισσομένη κατὰ χύχλον
ὀφρὺς ἠερόεσσα περίδρομος ἐστεφάνωται.
Das Auge ist groß; sein Durchmesser beträgt ein Fünftel
oder Sechstel der Kopflänge. Den αὐλωπίας, dessen Fangart
von Plinius IX 59, 180 und von Aelian XIII 17 in den Haupt-
zügen übereinstimmend geschildert wird und den der letztere
recht genau beschreibt: der Rücken tiefstes Stahlblau, der
Bauch weiß, vom Kopf an beginnt eine goldene Linie, die bis
zum Schwanze geht und hier in einem Kreis endet, mit weit-
geöffneten, runden, großen Augen, der größte kleiner als die
größten Thune, aber stärker hat Cuvier als thynnus alalonga,
den Langfinner oder Germon bestimmt (Aubert 5. 125
hält dies aber für sehr unsicher). Die Beschreibung der
Rückenflossen bei Brehm $. 14 (in der ersten 14, in der zweiten
274 Georg Schmid,
3 und 12, außerdem 8 Bastardflossen oben und unten) könnte
dem serrata oder cultellata spina des Plinius günstig sein, zu-
mal wenn man seine Angabe VIII 25, 91 von der cultellata pinna
des Nildelphins hinzuzieht, mit der sie subeuntes alvum croco-
dili secant. Er wird 1 m lang, ist aber in den italienischen
Meeren selten; im Schwarzen Meere fehlt er. Die gegebene
Bestimmung gewinnt an Wahrscheinlichkeit dadurch, daß bei
Athenaeus VII 6 p. 277 E ein Abbeißen der Angelschnur der
&ula zugeschrieben wird, die eine nahe Verwandte des thynnus
alalonga ist, nämlich pelamys sarda, der Bonito, eine Gattung
der Thunfische.
Nach Dorion jedoch in seinem Fischbuch nannten einige
den anthias auch x&AA:ydug und noch χαλλιώνυμος und Era, .
was aber verschiedene Fische seien (bei Athenaeus VII 17 p.
282 D.E) und Athenaeus selbst sagt kurz ἀνϑίας, κάλλιχϑυς
(c. 16 p. 282 A). Tritt man denen bei, welche den Fisch für
den χαλλιώνυμος ansehen, so wäre die Frage anders zu lösen,
denn χαλλιώνυμος ist nach Cuvier, dem Aubert zustimmt, ein
uranoscopus. Das ist auch die Ansicht des Plinius; er sagt
XXXII 6, 69 callionymus et uranoscopos vocatur ab oculo quem
in capite habet (dies stimmt zu Oppian) und 11, 146 callio-
nymus sive uranoscopos. Danach wäre also anthias urano-
scopus scaber, der Himmelsgucker oder Meerpfaff, ital. pesce
prete und lucerna, griech. im Kykladenmeere jetzt λῦχνος oder
λίχνος, der gourmet, wie Apostolides S. 13 mit Corais erklärt,
und λοῦτζος. Die Augen sind klein, auf der obern Fläche des
Kopfes und aufwärts gerichtet (Leunis-Ludwig S. 685). In
den italienischen Meeren gemein wird der dort höchstens 27
cm lange Fisch nach Keßler S. 209 auch an den Küsten der
taurischen Halbinsel in ziemlich großer Menge gefangen. Nach
Rondelet ist sein Fleisch weiß, aber von schlechtem Geschmack,
was nach Risso von dem Standort abhängen soll. Sucker 8. 8
findet es sehr schmackhaft, besonders im Brodetto (5. 163);
jedenfalls ist er wie in Triest, so in Nizza, Toulon, Marseille
und Cette auf den Märkten zu haben. E. Moreau II p. 95.
Die Gattung uranoscopus gehört zur Familie der trachinidae,
Drachenfische, „die mit ihrer stachlichten ersten Rückenflosse
so schmerzhafte Wunden beizubringen wissen, daß man sie von
Die Fische in Ovids Halieuticon. 2375
alters her als giftige Tiere verdächtigt hat* (Brehm 5. 119).
Griffini bestätigt S. 455, daß der Fisch gifthaltende Organe besitzt,
doch seien seine Stiche für den Menschen absolut unschädlich.
Allein es ist kaum anzunehmen, daß diesem Fische das
von Ovid geschilderte Verfahren zukommen sollte.
Das Stück v. 49—81, das mit dem Verse Cetera quae
densas habitant animalıa silvas eingeleitet wird, handelt vom
Löwen, Bären und Eber, vom Hasen, Damhirsch und Edel-
hirsch, aber auch vom edlen Rosse und Jagdhund, die doch
keine Waldtiere sind, so daß also das De feris der Handschrift
auch nicht recht paßt, und hat mit dem halieuticon nichts zu
tun. Ob es überhaupt von Ovid herstammt, ist eine Frage.
Nun enthalten die V. 82—91 einige Anweisungen für den
Fischfang. Von dem auf der hohen See wird abgeraten, der
Mittelweg sei der beste. Sodann merke: erstens, ob das Ufer
felsig ist, da ist die Angel am Platze, an ebenem das Netz;
zweitens, ob ein Berg seinen Schatten ins Meer wirft, das
fürchten und suchen die Fische; drittens, ob unter dem Wasser
Gras und Algen sind. In diesem Abschnitt tritt das Unfertige
besonders hervor. Für den Mittelweg zwischen Hochseefischerei
und Netzfischerei am Ufer ist die Ausdrucksweise inter utrum-
que loci melius moderabere finem sehr gezwungen. Die Be-
merkung über den Schatten ist sehr richtig, in der Tat ver-
scheucht dieser gewisse Fische, andererseits ist an heißen
Sommertagen lebhafter Wind und Wolkenschatten für das
Angeln vorteilhaft (M. v. d. Borne, Taschenbuch der Angel-
fischerei S. 240). Im letzten Vers, ob der Grund — denn
imum soll doch wohl Subjekt sein — oblectet moras et molli
serviat algae ist das erste Hemistich (den Aufenthalt ergetz-
lich mache) eine nicht weniger verwunderliche Wendung als
das zweite. Gewiß hätte Ovid bei einer letzten Redaktion hier
manches geändert.
Statt einer Fortsetzung der Anweisungen folgt nun eine
Belehrung darüber, daß die Fische einen verschiedenen Stand-
ort haben, denn v. 92
discripsit sedes varie natura profundi
nec cunctos una voluit consistere pisces.
nam gaudent pelago quales scombrique bovesque.
2376 Georg Schmid,
So zählt er sie denn jetzt nach den Standorten auf und
die erste Abteilung v. 94—117 bilden die qui gaudent
pelago, die pelagli, die Hochseefische. In der Tat gehört da-
zu der scomber, die Makrele: Ovids Angabe hat die Fisch-
kunde lange ignoriert, erst seit neuerer Zeit ist sie dank den
Untersuchungen des italienischen Forschers Pavesi anerkannt.
Die Makrelen halten sich in den tiefen Gründen der See auf
(Brehm 5. 104, Griffini S. 393), sie sind pelagische Formen
(Günther 5. 323). Von Aristoteles werden sie allerdings nicht
direkt als solche, sondern nur als ἀγελαῖοι, Herdenfische be-
zeichnet Tierk. IX 2, 26; doch geht aus VIII 13, 94 auch ihre
pelagische Eigenschaft hervor. Sie sind nicht nur im Mittel-
meer überall häufig. Aubert Tierk. S. 139 sagt: „Da scomber
der häufigste Fisch im Schwarzen Meere ist (nach Pallas bei
Cuvier), von den Griechen und Russen in Taurien scumbro
genannt wird“ (d. h. von den Russen skumbrija oder skombrija,
von Griechen wohl, wie im Neugriech. σχομπρὶ oder σχομβρί,
auch nach Hoifman-Jordan 5. 254 σχουμβρί), „so ist es wahr-
scheinlich scomber scomber, die gemeine Makrele, ital. scom-
bro oder sgombro“, die bis 40 oder 45 cm lang wird (Sucker
S. 31). Nach Keßler 5. 211 kommt sie im Schwarzen Meer
in ungeheuren Herden vor (ἀγελαῖοι). Im Jahre 1889 berech-
nete man den Ertrag des Fanges der von Otschakow bis zur
Donau bestehenden gegen 100 Fischereibetriebe auf 60—80
Millionen Stück im Wert von gegen 1200000 Rubeln. Wenn
Hermippos bei Athenaeus I 50 p. 27 E den Dionysos unter
anderen Gaben auch σχόμβρους ἐξ "EAAnonövrou bringen läßt,
so ist damit noch nicht gesagt, dafß diese hellespontischen die
gesuchtesten gewesen seien, wie Kock zu Aristophanes’ Rittern
v. 1008 meint; dies würde besser zu der Angabe des Aristo-
teles Tierk. VIII 13, 93 stimmen, die χολίαι, eine Makrelenart,
die meist auf dem Zug in den Pontus gefangen werden (nach
Apostolides S. 19 scomber colias), seien ἄριτοι Ev τῇ Ilporovric:
πρὸ τοῦ τίχτειν (vor dem Laichen). Das νέων bei Aristophanes
erklärt der Scholiast durch vewoti τεταριχευμένων. Die Ma-
krelen werden aber auch gebraten gegessen, nur muß dies
rasch geschehen, da das vorzügliche Fleisch rasch verdirbt;
so gibt auch „frisch“ einen guten Sinn (Sucker S. 31, Brehm
Die Fische in Ovids Halieuticon. 977
S. 105). Ob die Beobachtung bei Plinius IX 15, 49 scombris
in aqua sulpureus color, extra qui ceteris, richtig ist, wäre
interessant zu wissen. Bei dem „wunderbaren Reichtum der
Farben des Rückens“, wie ihn Moreau II p. 411 beschreibt,
wäre auch diese Frscheinung nicht unglaublich.
Bos, βοῦς bei Aristoteles V 5, 15, wo er als Selachier,
und VI 12, 66, wo er als lebendig gebärend bezeichnet wird,
gehört ohne Zweifel zu den Rochen, die sich ausschließlich
auf sandigem oder schlammigem Grunde des Meeres aufhalten
(Brehm 5. 467, Griffini S. 116). So Oppian 1103 βοῶν ὑπέρ-
οπλα γένεϑλα, die πηλοῖσι χαὶ ἐν τενάγεσσι ϑαλάσσης YEpßov-
ται, nach II 141---140 der breiteste Fisch, oft 11—12 Ellen
breit; er sei aber οὐτιδανὸς βίην, und seine Zähne Δείδελοι,
βαιοί τ᾽ οὐ κρατεροί τε" βίῃ δέ χεν οὔτι δαμάσσαι, ἀλλὰ δόλῳ
χαὶ φῶτας ἐπίφρονας εἷλε πεδήσας ᾿ δαιτὲ γὰρ ἀνδρομέῃ μέγα
τέρπεται. Auch nach Aelian I 19 ist er μήχιστος χαὶ πλατύ-
τατος, am Bauche weiß, Kopf und Seiten stark dunkel (μέλας
δεινῶς), Maul klein, die Zähne kaum zu sehen. Unter den
Adlerrochen (myliobatidae) gibt es eine Gattung, deren „Kopf-
flosse jederseits die Gestalt eines hornartigen, nach vorwärts
gerichteten Fortsatzes hat“ (Leunis S. 792) oder „deren Schä-
delflossen seitlich am Kopfe stehen und die Hörner bilden“
(Brehm 5. 475); ein älterer Beobachter sagt, der Fisch habe
zwei Hörner wie ein Ochse (5. 474). Es ist dicerobatis oder
cephaloptera edentula oder Giorna, der Hornrochen, der
zu den lebendig gebärenden Rochen gehört, aber immer nur
ein Junges zur Welt bringt; er hat mehrere Reihen (nach
Griffini 5. 134 mehr als 150) sehr kleiner, spitziger oder
höckerartiger Zähne; die Färbung ist oben dunkelbraun (Grif-
fini braun -schwärzlich). Er wird nach Brehm 1,5 m, nach
Griffini 3 m lang, die Breite aber beträgt das Dreifache. Nur
inbetreff des Maules stimmt Griffini nicht überein, er findet
es groß. „Der Hörner wegen nennen ihn die Italiener Kalbe,
wenn er sehr groß ist, Kuh“, vacca marina, vacchetta, auch
Meerteufel. Eine Abbildung gibt Griffini 5. 133. Es ist
wahrscheinlich, nach Külb S. 1072 sicher, die von Plinius in
dem Seefischverzeichnis XXXIH 11, 145 aufgeführte cornuta
(Femininum wegen raia), deren Namen er IX 27, 82 eben von
278 GeorgSchmid,
den cornua fere sesquipedanea ableitet. Im Mittelmeere selten,
da er nur in großen Tiefen sich aufhält, kommt er im Schwar-
zen Meere nicht vor. Plinius sagt IX 24, 78 planorum pis-
cium alterum genus est quod pro spina cartilaginem habet
(Knorpelfloßer, jetzt chondropterygii), ut raiae.... et quos
bovis, lamiae, aquilae, ranae nominibus Graeci appellant... .
haec Graece in universum σελάχη appellavit Aristoteles (Tierk.
V 5, 15) primo hoc nomine eis imposito. nos distinguere non
possumus nisi si cartilaginea appellare libeat .... hoc genus
solum ut ea quae cete appellant animal parit excepta quam
rananı vocant (VI 10, 50). Dabei mag an den Ausspruch des
Plinius IX 15, 52 erinnert sein, es sei angemessen meist die
griechischen Namen zu gebrauchen, da verschiedene Landstriche-
dieselben Fische immer wieder anders benannt haben. So hat
er denn auch verhältnismäßig wenige lateinische Fischnamen.
Doch =. u.
V. 95 hippuri celeres et nigro tergore milui.
Die Bestimmung von hippurus scheint schwierig. Da nach
der Angabe von Hoffman-Jordan S. 264 heute chrysophrys aurata
und chr. crassirostris Cuv., welche letztere, im Mittelmeer sehr
selten, 60 cm lang wird, τσιππούρα heißt, nach Bikelas auch
σιπποῦρα und χιπποῦρα, so könnte es wohl chr. crassirostris
sein, da chr. aurata von Ovid v. 110 genannt wird. Plinius
IX 6, 57 gibt nach Aristoteles VIII 15, 100 an, im strengen
Winter liegen verborgen in Löchern maxume hippurus et cora-
einus hieme non capti praeterquam statis diebus paucis et lis-
dem semper. Nach Oppian I 184 sind es pelagische Fische,
die IV 411 als ἐσσυμέναι μεϑέπουσαι bezeichnet werden.
Aber von der Schnelligkeit der Gattung chrysophrys wird
nichts berichtet. Dagegen ist „blitzartige Schnelligkeit“ von
dem jetzt coryphaena hippurus genannten Fische be-
zeugt, der Goldmakrele, auch Goldkarpfen, gemeinen oder
unechten Dorade, ital. cataluzzo, pesce cappone, neugr. λαμ-
ποῦγα (sie heißt wissenschaftlich auch lampugus pelagicus) und
μανάλια, einer Art der Gattung Schillerfische (Brehm S. 98, 99),
deren Glieder alle pelagisch und tüchtige Schwimmer sind
(Griffini 5. 415). In der Tat geben nach Athenaeus VII 68
p- 304 C Dzwei alte Kenner, Dorion in seinem Fischbuch und
Die Fische in Ovids Halieuticon. 2379
--
Epainetos in seinem Kochbuch, an, der hippurus werde χορύ-
φαινα genannt. Wenn Numenios sagt, er sei ein ἀρνευτής, ein
Springer, es sei seine Natur, συνεχὲς ἐξάλλεσϑιαι, so stimmt
dies mit seiner von Brehm beschriebenen Art, auf der Jagd
nach fliegenden Fischen aus dem Wasser zu springen. Die
Angabe des Aristoteles V 9, 35, er gehöre zu den schnell
wachsenden Fischen und werde, anfangs sehr klein, außer-
ordentlich schnell sehr groß, findet Brehm kaum glaublich.
(Woher er die Nachricht hat, schon den Alten haben die
Schillerfische Bewunderung abgenötigt, so daß sie sie der Göttin
der Schönheit (!) heiligten?). Außerdem spricht für die Identi-
tät, daß Plinius den hippurus in sein Seefischverzeichnis auf-
genommen hat, nicht aber die coryphaena, da es eben derselbe
Fisch ist. Dann läßt sich vielleicht desselben oben angeführte
Angabe über das seltene Vorkommen im Winter auf die
Tatsache zurückführen, daß die Schillerfische nur während der
Laichzeit gegen den Herbst sich den Küsten nähern, und zwar
ausschließlich felsigen, und wenn sie kleinere Fische verfolgen;
sonst halten sie sich in ziemlicher Entfernung vom Lande und
im offenen Meere auf. Wichtig ist endlich auch die Beobach-
tung von Pechuel-Loesche, daß sie wie der Lotsenfisch gelegent-
lich Treibholz und Wrackstücke umspielen, vielleicht nur um
auf die sich daselbst überhaupt vielfach versammelnden Fische
Jagd zu machen, eine Beobachtung, die ganz mit der Oppians
IV 406 übereinstimmt. Ohne Zweifel meint also Ovid diesen
Fisch, der 80 cm bis 1m groß wird und wie in den griechi-
schen, so auch in allen italienischen Meeren, wenn auch nicht
häufig vorkommt. Im Schwarzen Meere fehlt er.
Den milvus — dies ist die wahrscheinlich richtige Lesart,
die Handschrift hat tergoret milii — hat Plinius in seinem
Verzeichnisse der aquatilia XXXII 11, 149 nicht, dagegen findet
sich hier neben iulis ein ietinus; ἰκτῖνος aber, das im Griechi-
schen nicht als Fischname vorkommt, heißt z. B. auf den
- Kykladen die Gabelweihe, milvus niger oder ater, der auf dem
Rücken, den Schultern und den Flügeldeckfedern dunkelbraune
Milan. Nach ihm ist also auch ein Fisch benannt, der bei
Plinius IX 26, 82 mit dem lateinischen Namen, im Verzeich-
nis aber mit dem griechischen aufgeführt ist. (Als Fischname
380 Georg Schmid,
kommt er also im Lateinischen vor, was zu P. Wessner,
Berl. Philol. Wochenschr. 1906 S. 1106 nachzutragen ist).
Das Merkmal der Färbung ist damit gegeben. Ein zweites
gibt die eben angeführte Stelle: volat hirundo, sane perquam
similis volucri hirundini. item miluus. Dieser gehört also zu
den Fischen, die zu fliegen vermögen. Dies sind einerseits die
Hochflugfische, exocoeti, deren bekanntester Vertreter der
Schwalbenfisch oder fliegende Hering, exocoetus volitans, χελι-
δών, hirundo, jetzt noch χελιδονόψαρο ist (Hoffman-Jordan S.
249); die Bemerkung des Plinius von der Aehnlichkeit des
Fisches mit dem Vogel Schwalbe, welche wirklich vorhanden
ist, wie die Abbildung bei Brehm 5. 312 zeigt, nötigt dazu,
seine hirundo für diesen Fisch zu halten. Außerdem aber auch
die Beschreibung der Färbung, die nach Brehm azurblau, nach
Griffini S. 250 grau-azurn ist. Als Naturwunder wurde sie
nach Belon De aquat. p. 194 getrocknet und aufgehängt.
Aubert hält mit Cuvier die χελιδὼν des Aristoteles allerdings
für den Flughahn (5. 144).
Das Vermögen zu fliegen besitzt nämlich auch der Flue-
hahn, dactylopterus oder trigla volitans, bei Hoffman-Jordan
S. 273 cephalacanthus volitans, ital. pesce falcone und rondine di-
mare, franz. gallina und arondelle, der ebenfalls jetzt noch
yerıöovobapo heißt. Und für diesen ist, wie schon Belon tat,
ohne Zweifel der milvus zu halten, wie der ictinus, da das
entscheidende Moment die Färbung des erwachsenen Flughahns
ist, die von Griffini S. 344 als auf dem Rücken braun mit Flecken
von verschiedener Farbe bezeichnet wird, während sie nach
Brehm S. 136 ein schönes Hellbraun, nach Sucker hellbraun
sein soll, was sich auf ältere Exemplare bezieht; die jüngeren
sind dunkelbraun, s. Moreau II p. 259. Damit läßt sich das
nigro tergore vereinigen. Solche werden auch bei Aristoteles
IV 9, 104 die χελιδόνες ϑαλάσσιαι sein, die πέτονται μετέωροι,
οὖχ ἁπτόμεναι τῆς VaAdoong’ τὰ γὰρ πτερύγια ἔχουσι πλατέα
χαὶ μαχρά. Das οὐχ ἁπτόμεναι τῆς ϑαλάσσης scheint auf einen
niedrigeren Flug, als den der Hochflugfische hinzudeuten.
Diese werden 50, die Schwalbenfische 35 em lang. In Venedig,
sagt Belon De aquat. p. 195, komme der Fisch selten auf den
Markt, in Rom so häufig, daß man ihn gar nicht beachte.
Die Fische in Ovids Halieuticon. >81
Bei den Griechen heiße er ἱέραξ und ἔχϑυνος. Den Fisch
Flughahn meint auch Horaz mit dem milvus epp. I 16, 51,
nicht den Vogel, wie Gemoll Realien I S. 26 meint.
Daß der Vogel ixtivos des Aristoteles richtig bestimmt ist,
geht auch aus der Angabe der Größe VIII 3, 33 hervor: er
ist so groß als der τριόρχης, der Mäusebussard, buteo vulgaris.
Dessen Länge beträgt nach Leunis-Ludwig 50—56 cm, die der
Gabelweihe 55—58 cm. Nur inbezug auf die Zahl der Eier
ist eine Differenz: nach Aristoteles VI 5, 38 hat die Gabel-
weihe meist zwei, manchmal auch drei Junge, nach Brehm legt
sie drei bis vier Eier; dagegen werden zwei, seltener drei Eier
von der Königsweihe, milvus regalis, angegeben.
V. 96 pretiosus helops, nostris incognitus oris.
Wie in dem oben angeführten Schriftchen über die Fische
bei Lucilius S. 25 dargetan ist, wird von Ennius, Varro, Pli-
nius, Plutarch, sowie von Archestratos, Lynceus und Epichar-
mos ein helops im mittelländischen Meere erwähnt, den schon
J. 6. Schneider richtig als Stör bestimmt hat, was Ὁ. Weise
Griechische Wörter usw. 5. 115 entgangen ist: es gibt wirk-
lich zwei Störarten, die im Mittelmeere vorkommen, nicht aber
im Schwarzen und Kaspischen, s. u. zu v. 134. Richtig sagt
deshalb Plinius XXXII 11, 153, der Zusatz Ovids nostris in-
cognitus undis — so hat er, nicht oris — beweise, daß es
falsch sei, seinen helops für den acipenser (sturio) zu halten.
Da der helops als pretiosus bezeichnet wird, wie bei Lucilius
fr. ine. 51 M. als praeclarus, und Plinius $ 153 hinzufügt
helopi palmam saporis inter pisces multi dedere, so wird er
wohl der nach Keßler 5. 281 in den weniger salzhaltigen
Stellen des Schwarzen, Asowschen und Kaspischen Meeres vor-
kommende, eigentlich aber nur in den Flüssen einheimische
acipenser Ruthenus, der Sterlet (russisch Sterljäd),
sein. Plinius meint aber IX 17, 60 schwerlich ihn, sondern
den Stör, weil er hier sagt: apud antiquos piscium nobilissi-
mus habitus acipenser ... . . nullo nune in honore est, quod
quidem miror, cum sit rarus inventu; eine Bemerkung, die
doch natürlicher auf das Vorkommen im mittelländischen Meere
zu beziehen ist. Wenn Aelıan, Zeitgenosse Adrians, VIII 28
erzählt, der ἔλλοψ sei selten, solle aber im pamphylischen Meer
282 Georg Schmid,
gefangen werden; die Leute bekränzen dann sich selbst und
ihre Kähne und bringen die Beute mit Jubelgeschrei und
Flötenspiel nach Hause, so meint er sicher einen Stör. Später
sagt ein Zeitgenosse des Septimius Severus (193—211), der
gelehrte Sammonicus Serenus (bei Macrobius III 16, 5), Pli-
nius habe für seine Zeit recht, aber die Wertschätzung des
Fisches habe sich geändert, da er einmal bei einem Opfer-
schmaus unter dem gegenwärtigen Herrscher von bekränzten
Dienern mit einem Flötenbläser aufgetragen worden sei, übri-
gens eine Schande für den Kaiser, der dem Fische damit eine
Verehrung bezeigte, die nicht einer Delikatesse, sondern nur
einem göttlichen Wesen gebühre. Auf diese Stelle bezieht
sich Athenaeus (um 228), der die Sache wie Aelian verallge-
meinert, indem er VII 43 p. 294 E sagt, Archestratos habe
den Fisch, den er γαλεὸν τὸν ἀλώπεχα nenne, für identisch
gehalten mit τῷ παρὰ Ῥωμαίοις ner’ αὐλῶν χαὶ στεφάνων εἰς
τὰ δεῖπνα περιφερομένῳ, ἐστεφανωμένων χαὶ τῶν φερόντων αὐτόν.
χαλούμενόν τε ἀχχιπήσιον, ἀλλ᾽ οὗτος μὲν μιχρὸς χαὶ μαχρο-
ρυγχότερός ἐστι καὶ τῷ σχήματι τρίγωνος ἐχείνων μᾶλλον " τού-
των δ᾽ ὁ εὐτελέστατος χαὶ μιχρότατος οὐχ ἧττον ἀττικῶν χιλίων
πιπράσχεται. Auch Apion habe in seinem Buch über die
Schlemmerei des Apicius den elops für diesen acipenser ge-
halten. Aus dieser Beschreibung geht bestimmt hervor, daß
Athenaeus den Fisch für den Sterlet hielt, der „sich an seiner
langgestreckten dünnen Schnauze leicht erkennen läßt“ (Brehm
S. 427). Der parodische Dichter Matron nennt ihn deswegen
in dem Attischen Gastmahl speerberühmt (v. 69) und vergleicht
sein Fleisch mit der Ambrosia. Da das Gedicht des Arche-
stratus etwa 335—330, das des Matron um das Ende des
4. Jahrhunderts vor Chr. abgefaßt worden ist, so hat man also
schon damals in Griechenland den Fisch gekannt. Selten wird
er mehr als 1 m lang. Was übrigens über den dreieckigen
Durchschnitt gesagt wird, trifft auf die ganze Familie der
acipenseridae, Rüsselstöre, zu und erklärt sich durch Brehms
Beschreibung 5. 426. Eine andere Ansicht über den helops
bei Birt 8. 111.
V. 97 durus xiphias, ictunon mitior ensis
ist der Schwertfisch, xiphias gladius, wie Plinius IX
Die Fische in Ovids Halieuticon, 283
15, 54 und XXXII 2, 15 übersetzt, der angibt, nach Trebius
Niger sei er rostro mucronato, ab hoc naves perfossas mergi,
auch jetzt ξιφιὸς oder ξιφίας, ital. pesce spada, franz. l’espadon
epee. Länge bis 4 m. Er ist pelagisch, das Schwert eine
furchtbare Waffe (Günther S. 304 f.), über deren Gebrauch
s. Brehm S. 80 ff.; es beträgt aber nur etwas mehr als ein
Viertel der ganzen Körperlänge (Sucker S. 41), anderthalb
Ellen nach Belon De aquat. p. 210, und ist nicht, wie es in
einem Zitat aus Aristoteles bei Athenaeus VIi 96 p. 314E
heißt, föyxous.. τὸ χαϑύπερϑεν ὀστῶδες μέγα, ἴσον τῷ ὅλῳ
αὐτοῦ μεγέϑει. Aber seine Beobachtung, er sei zahnlos, ist
richtig, nach Griffini S. 390 ist er entweder völlig ohne Zähne
oder diese sind ganz minimal. Das durus erklärt sich daraus,
daß er ohne Schuppen, aber mit rauher Haut bekleidet ist
(Brehm 5. 78); nach Leunis-Ludwig ist die Haut chagrinartig
(5. 678). Im Marmarameer häufig (Belon), im Mittelmeer
ziemlich gemein, auch an den französischen Küsten, ist er nach
Keßler 5. 213 im Schwarzen Meere ziemlich selten; der Haupt-
sache nach wird dadurch die Angabe Aelians XIV 23 bestätigt.
V. 98 pavidi magno fugientes agmine thynni.
Thynnus thynnus oder vulgaris, der gemeine Thunfisch
ϑύννος, jetzt τουνῖνα (Aubert 5. 128) oder toviv« (Hoffman-
Jordan S. 254), ital. tonno, franz. le thon, ist der größte Ver-
treter der Familie der Makrelen und wird über 5 m lang. Im
Mittelmeere kommt er massenhaft vor, zuweilen in Herden
von tausenden (Brehm S. 107), sie sind ἀγελαῖοι Aristot. 1
1, 11. Von einer Art wird berichtet, sie scheine eine instink-
tive Furcht vor dem Hai zu haben (Günther 5. 325); den
gemeinen Thun nennt ein spezieller Kenner des Fisches, der
Abbate Cetti, überhaupt äußerst furchtsam (Brehm ὅ. 110).
Ein besonderer Zug dieser Eigenschaft wird von Plinius IX
15, 50 berichtet: huius aspectu repente territi ..... promun-
turium . . praecipiti petunt agmine. Die Einrichtung der
„Aufpasser“ auf den Zug kennt schon Aristoteles Ritter v. 313
(ϑυννοσχοπῶν). In Italien wird für den Tag des großen
Fanges ein besonderer Heiliger als Schutzherr ausgelost und
beschenkt, wenn er sich bewährt hat (Brehm S. 112). Nach
Antigonos von Karystos brachten die Fischer gegen die Thun-
284 Georg Schmid,
zeit hin dem Poseidon ein Opfer; hatten sie einen guten Fang,
so opferten sie ihm den ersten gefangenen Thun; dies Opfer
heiße ϑυνναῖα. Athen. VI 50 p. 297E. Aelian XV 6. Zu
Aesch. Pers. 424 ὥστε ϑύννους ἢ τιν᾽ ἰχϑύων βόλον ἀγαῖσι
χωπῶν ϑραύμασίν τ᾽ ἐρειπίων ἔπαιον, ἐρράχιζον anzumerken,
daß die Thune mit Harpunen getötet wurden, gibt eine nicht
ganz zutreffende Vorstellung. Aeschylus hat sicher in den
Hauptzügen dasselbe Bild vor Augen, wie es aus neuerer Zeit
bekannt ist: totgeschlagen werden die Thune mit schweren
Keulen, an deren Spitze ein eiserner Haken befestigt
ist (Brehm 8. 111), dann werden sie mit langen mit Haken
versehenen Stangen gespießt und herausgezogen. Auf dem Bilde
„La Mattanza“ von A. Sartorio (Mailänder Ausstellung v. 1906
s. Leipziger Illustrierte Zeitung Nr. 3282) sind es augenschein-
lich Bambusrohre. Harpunen, sofern man darunter Lanzen
mit einer Leine versteht, sind auch nicht gemeint Aristoph.
Wespen 1087 ἑσπόμεϑα ϑυννάζοντες εἰς τοὺς ϑυλάχους, οἱ δ᾽
ἔφευγον τὰς γνάϑους χαὶ τὰς ὀφρῦς Xevrobnevor, sondern wie
der Scholiast hinzusetzt τριόδουσι, nach Plinius IX 18, 51
navigia comitantes . . . a gubernaculis spectantur ne tridente
quidem in eos saepius iacto territi. (So ist das „mit Spießen
und Harpunen“ zu verstehen auch bei Georg Wermert Die
Insel Sicilien, Berlin 1905, S. 283, nach dessen Angabe 1898
in Italien insgesamt 44094 Thune im Wert von 2745243 Lire
erbeutet wurden.) Zu Horaz Sat. II 5,25 Lucians Timon 22
anzuführen gibt eine falsche Vorstellung, da der Thun ge-
wöhnlich nicht mit der Angel gefangen wird; οὐχ ὀλίγον τὸ
δέλεαρ χαταπιὼν bezieht sich auf das Anködern. Die Angabe
Gemolls I S. 29, das Fleisch sei nur eingesalzen gegessen
worden, ist durch v. 44 nicht begründet, wie sie denn auch
durch Aristophanes Ritter v. 354 ϑυνναῖα ϑερμὰ widerlegt wird
und auch für heute nicht zutrifft. 5. Brehm 5. 113, Griffini
S. 396, Sucker 5. 22. Zu dem Zitat aus Belon De la nature
et diversites des poissons von 1555 bei Marquardt, Ausg. von
1886, in der französischen Uebersetzung von V. Henzy (Ma-
nuel des Antiquit6s Romaines . .. . traduit sous la direction
de M. @. Humbert, XV vol., Paris 1893) Il p. 60 ist zu be-
merken, daß es in Belons Schrift De aquatilibus, von der die
Die Fische in Ovids Halieuticon. 2385
oben genannte nur eine Bearbeitung ist, p. 106 etwas ab-
weichend heißt, die eingesalzenen Stücke werden a salgamariis
et ichthyopolis verschieden benannt, ventris pinguiorem adipeni
uentrescam ac surram, dorsum autem magis carnosum ac maci-
lentum tarantellam appellant; quae longe minori pretio venun-
darı sole. Ebenso heute nach Brehm: am meisten schätzt
man den Bauch, ein wirklich köstliches, weiches, saftiges,
schmackhatftes, gehaltvolles Stück, für das man frisch oder ein-
gesalzen noch einmal so viel bezahlt, wie für das, das man
außerdem für das beste ansıeht°).
V. 99 parva echeneis, at est, mirum, mora puppibus
ingens.
Dieser Fisch, bei Plinius XXXI 1,5 ebenfalls mora genannt,
ist echeneis remora, der Schildfisch oder Schiffs-
halter, jetzt auch χολλησόψαρο genannt, von dem Plinius
IX 25, 79 richtig sagt: parvus admodum ... . hoc carinis ad-
haerente naves tardius ire creduntur inde nomine inposito.
Seine übertreibende Behauptung XXXII 1, 3ft., daß er Schiffe
im Laufe aufhalte, inhibere ac tenere, die er mit Beispielen
5) Es mögen hier einige Einzelheiten eingeschaltet werden, um die
Genauigkeit der Beobachtungen zu veranschaulichen, die den Aristo-
teles auszeichnet. Es heißt Tierk. VI 17, 196 ἢ αὔξησις τῶν ϑυννίδων
ἐστὲ ταχεῖα᾽.. γίγνονται ἐκ τοῦ God ἃς καλοῦσιν ol μὲν σχορδύλας (Plinius
IX 15, 47 cordyla), οἵ δὲ Βυζάντιοι αὐξίδας διὰ τὸ ἐν ὀλίγαις αὐξάνεσθαι
ἡμέραις. Brehm 83, 108: „Sie wachsen sehr schnell. Im Juli kommen
die Jungen aus, einige Tage später wiegen sie schon 40—50 gr, im
August bereits 100 und darüber, im Oktober fast 1 kg.“ Aristoteles
VIII 15, 101 φωλοῦσι δὲ καὶ οἱ ϑύννοι τοῦ χειμῶνος ἐν τοῖς βάϑεσι (Plinius
c. 15, 53 latent in gurgitibus imis). Erst Pavesi hat nenerdings die
Richtigkeit dieser Beobachtung wieder entdeckt. Bei Brehm ὃ. 107
sagt er: „Der Thun hält sich gewöhnlich in den größten Tiefen und
steigt zur Laichzeit herauf“, er ist also nicht, wie man bis dahin an-
genommen hatte, ein Wander- oder Zugfisch im gewöhnlichen Sinn,
wie noch Sucker S. 32 ihn nennt: er erscheine mit der wärmeren
Jahreszeit und verschwinde mit Anfang Winter. Aristoteles fährt fort
ἄρχονται ϑηρεύεσϑαι ἀπὸ Πλειάδος ἀνατολῆς μέχρι ᾿Αρχτούρου δύσεως τὸ
ἔσχατον" τὸν δ᾽ ἄλλον χρόνον ἢσυχίαν ἔχουσι φωλεύοντες. Die Zeitangabe
bedeutet vom 15—19. Mai bis zum 21—25. Oktober. Nach Brehm
S. 110 beginnt in Italien, nach Apostolides S. 39 in Griechenland die
Jagd noch jetzt im Mai. Aristoteles VIII 5, 92 εἰσπλέουσιν ἐπὶ δεξιὰ
ἐχόμενοι τῆς γῆς, ἐχπλέουσι δ᾽ ἐπ᾽ ἀριστερά. Kessler S. 211: er hält sich
(erg. beim Hineinschwimmen) fast ausschließlich ans südliche Ufer.
Wenn er hinzufügt, sie kommen, wie es scheine, nur einzeln ins
Schwarze Meer, so heißt es bei Brehm: in Trupps von zwei oder drei
Stücken oder in starken Schwärmen, wie bei Aelian XV ὃ χατὰ τοὺς
Ahroug, ἄλλοι δὲ κατ᾽ ἀγέλας.
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft. 19
286 Georg Schmid,
belegt, bezeichnet Günther 5. 326 als Märchen, gibt aber zu,
daß die Anheftung einer der größeren Arten die Fahrt eines
segelnden Schiffes verzögern dürfte, vorzüglich wenn es mehrere
Fische seien. Das Anheften ist ein Ansaugen; das Saugorgan
beschreibt er S. 325, Brehm 5. 117. Während Plinius im
IX. Buche, dem Aristoteles Tierk. II 14, 60 folgend, der aber
wohl einen anderen Fisch meint, ihn fälschlich adsuetum petris
nennt, bezeichnet Oppian J 212 ihn richtig als pelagisch, wie
Aelian II 17. Nach Griffini 5. 401 wird er höchstens 35 cm
lang, nach Brehm selten über 20—25, nach Aelian etwa wie
ein mittelgroßer Aal. Die Färbung sei schwarz d. h. dunkel;
Oppian 1 214 sagt χροιὴ αἰϑαλόεσσα ; nach Brehm ist der Fisch
braungelb bis dunkelbraun. Die Bemerkung des Aristoteles
ἔστι δὲ ἄβρωτον und des Plinius in cibos non admittitur trifft
auf ihn zu: „das Fleisch ist nicht geschätzt“, Sucker 5. 91.
Im Mittelmeer häufiger als der verwandte Lotsenfisch fehlt er
im Schwarzen Meere.
V. 100 tuque, comes ratium tractique per aequora sulci,
qui semper spumas sequeris, pompile, nitentes.
Dieser πόμπιλος, ὃν πέρι ναῦται ἅζονται, πομπῇ δ᾽ ἐπεφήμισαν
οὔνομα νηῶν Oppian 1 186, der bis v. 210 seine Tätigkeit
beschreibt, ist naucrates ductor, der Lotsenfisch, Pilot,
bei den Griechen oft (auch in den Scholien zu Ilias XVI 407)
erwähnt, jetzt χουλαγοῦζος (Hoffman-Jordan S. 257), ital. pesce
pilota, „der in der Tat den Schiffen, noch treuer aber den
Haifischen folgt und seinen Namen mit vollem Recht trägt“
(Brehm S. 93), nach Sucker S. 34 von der Gewohnheit, Schiffe
in der Gesellschaft der Haie zu begleiten, letztere, die ihn
sonderbarer Weise verschonen, scheinbar führend. Sein alt-
griechischer Name bedeutet eigentlich Begleiter, comes, wie
Ovid übersetzt. Brehm vermutet, er folge den Segelschiffen
in der Hoffnung, von ihnen aus gefüttert zu werden. Günther,
der S. 314 über diese Erscheinung spricht, nennt ihn einen
echt pelagischen Fisch: er gehört ebenfalls zur Familie der
Makrelen. Ziemlich häufig in den italienischen Meeren wird er
20—30, höchstens 35 cm lang. Auch er wurde von den alten
Griechen ἱερὸς genannt, wie bei Athenaeus ausgeführt wird, der
ihm B. VII die Kapitel 13—21 widmet. Fehlt im Schwarzen Meere.
Die Fische in Ovids Halieuticon. 387
V. 102 cereyrosque ferox, scopulorum fine moratus,
oder, wie Plinius XXXII 11, 152 dies wiedergibt, in scopulis
vivens, wird außerdem nur noch bei Oppian in der Form x£p-
xaupos erwähnt, der ihn ebenfalls zu den Fischen zählt, die
ihren Standort an Felsen haben, die voll von Muscheln sind,
ἐν δέ σφι ϑαλάμαι τε χαὶ οὔλια δύμεναι ἰχθῦς I 141. Es ist
also unmöglich, ihn zu bestimmen. G. Curcio hält ihn wegen
ferox und der Angabe des Standortes für eine Haifischart und
zwar für galeus canis, pesce cane, den gemeinen Hundshai,
auch Meersau genannt.
V. 103 cantharus ingrato suco, tum concolor illi
orphus.
Dieser orphus ist keineswegs der jetzt Orf oder Orfe, wissen-
schaftlich leuceiscus oder eyprinus orfus genannte, zu den Rohr-
karpfen gehörende Süßwasserfisch (s. Brehm 5. 262), der auch
als „falscher Goldfisch* in den Handel kommt. Vielmehr ge-
hört der ὀρφὼς oder ὀρφὸς des Aristoteles Tierk. V 10, 36.
VII 2, 28. 13, 87. 15, 100 jedenfalls zu der Familie der
Barsche. Auf Erhards Angabe gestützt, daß im Kykladen-
meere noch jetzt öppös der Wrackfisch, polyprion cernuus
(andere cernium) oder Couchü heiße, der ein Vertreter der
Gattung Riesenbarsche ist, jetzt ital. Cornia u. a., hält Aubert
S. 137 ihn für diesen. Nach Brehm 5. 45, der den Alten
die Kenntnis dieses Fisches abspricht, ist er einfarbig braun-
grau, in jüngerem Alter auf braunem Grunde dunkler gefleckt,
gewölkt und gemarmelt; so nennt ihn Philoxenos bei Athenaeus
I8p.5D αἰολίας. Er kann bis 2 m lang werden. Ver-
gleicht man, was Athenaeus in dem von ihm handelnden
Kapitel VII 97 angibt: er sei mehr Küsten- als pelagischer
Fisch, fleischfressend, spitzzähnig und einsiedlerisch lebend,
mit der Beschreibung Rissos bei Brehm: er lebe in Italien,
wo er nicht sehr selten ist, an felsigen Küsten, halte sich aber
in Tiefen von 1000 m und nähre sich von Weichtieren und
kleinen Fischen, sowie mit der Angabe von Leunis- Ludwig
S. 664, seine Zähne seien bürstenförmig — so bezeichnet man
die feineren und langen Fangzähne — auch Gaumen und Zunge
bezahnt, so scheint diese Bestimmung zweifellos. Allein nach
dem Zoologen der französischen Morea-Expedition heißt dort,
19*
2388 GeorgSchmid,
wie auch Aubert anführt, ὀρφὸς serranus gigas, serran le merou,
der große Zacken- oder Sägebarsch, auch epinephelus
oder cerna gigas genannt, ital. chierna und cerna, franz. le
merou brun, und da Apostolides S. 18 und Hoffman-Jordan
S. 260 den heute ebenfalls noch ῥοφὸς und ὀρφὼς genannten Fisch
mit diesem gleichsetzen, so ist es geratener, dieser auch auf
Autopsie gegründeten Ansicht beizutreten, zumal da ein Kenn-
zeichen, das des einsiedlerischen Lebens, auf den Wrackfisch
nicht zu passen scheint, während dieses, wie die Beschaffenheit
der Zähne auch auf den Sägebarsch zutrifft, 5. Griffini S. 370:
„feine Zähne, unter denen einige kleine Hundszähne‘“, und:
„lebt in allen unseren Meeren, ist aber nicht gemein“. Die.
Zeichnung ist der des Wrackfisches ganz ähnlich: braun in
verschiedenen Abstufungen, zuweilen mit blässerer Färbung
oder mit grauen, großen Flecken. Er erreicht eine Länge von
1,2 m und nach Apostolides 5. 56 ein Gewicht von 25 ke:
im adriatischen Meere wird er nur 80 cm groß und 12 Κρ
schwer nach Sucker S. 3, der seine Färbung am Rücken als
schokoladebraun bezeichnet. Das Fleisch wird nach Aposto-
lides seiner Weiße wegen sehr geschätzt, auch Sucker nennt
es sehr gut. Ob die Beobachtung Oppians I 143, daß er ein
sehr zähes Leben habe und noch zerschnitten zappele, richtig
ist ?
Belon ist ganz anderer Ansicht. Nach De aquat. p. 198
heiße der vulgär rophus genannte Fisch in Kreta cheluda,
acheluda, meist petropsaro. Wahrscheinlich ist damit labrus
maculatus oder bergylta gemeint, der nach Apostolides S. 25
auch χελούδισες und πετρόψαρο genannt wird, wie übrigens
alle Arten der Gattung. Belon bezeichnet die Schuppen als
rauh und so fest sitzend, daß sie sich kaum entfernen lassen; er
sei Pflanzenfresser und auf feineren Tafeln in jeder Zubereitung,
geröstet, gebraten und gekocht, hoch geschätzt. Nach Griffini
S. 307 ist er 50 cm lang, aber nur selten in Neapel gefangen
worden.
Zu ὀρφὼς in Aristophanes Wespen v. 493 ἣν μὲν ὠνῆταί
τις ὀρφώς, μεμβράδας δὲ μὴ ϑέλῃ, gibt Fr. Blaydes die Er-
klärung: piscis pretiosus, van Leeuwen: magnus pretiosusque
piscis. Das magnus ist richtig; da der Mann den großen
Die Fische in Ovids Halieuticon. 289
Fisch kauft, so verdächtigt ihn der Händler daneben, der nur
kleine Fische hat, er habe wohl Hochverrat im Sinn, ἐπὶ
τυραννίδι. Nur in der englischen Ausgabe von W. W. Merry
wird richtig angegeben, es sei ein Barsch; dies ist aber dem
Kommentar von B. B. Rogers entnommen, wo er noch als
großer Barsch bezeichnet wird. Auch über die μεμβράς, attisch
βεμβράς, wie wohl auch bei Aristophanes zu schreiben ist,
herrscht bisher Unsicherheit. Rogers scheint sie für die
Sprotte, clupea sprattus gleich meletta phalerica, jetzt παππα-
λίνα, oder für die Sardine, clupea pilchardus oder sardina, auch
alosa sardina, jetzt σαρδέλα zu halten, welche die Alten, bei
der jetzigen Verbreitung dieser Arten in den ihnen bekannten
Meeren, doch wohl gekannt, aber nicht unterschieden haben
(gegen Brehm 8. 383). Noch Belon erklärt IB. 75 Kap.,
trotz sorgfältiger Prüfung habe er zwischen Sardine und Sar-
delle keinen Unterschied finden können, als den in der Größe.
Allein der Vers aus des komischen Dichters Phrynichos Tragö-
den bei Athenaeus VII 28 p. 287 Β ὦ χρυσοχέφαλοι βεμβράδες
ϑαλάσσιαι entscheidet: es ist engraulis encrasicholus, die
Sardelle, Anchovis, mittelgriechisch ἀγχινόια oder ἀγχινώια,
jetzt χαψιά, χαψί, bei den Krimschen Griechen χαμσά, ital.
acciuga, ancioa, sardon (Bikelas 5. 230, Hoffman-Jordan S. 244,
Keßler S. 274, Griffini S. 243). Nur auf diese paßt das xpu-
σοχέφαλος: der Kopf ist goldig gefärbt nach Brehm 5. 383,
Griffini S. 244. Bei der Sardine haben nur die Kiemendeckel
einen goldigen Schimmer. Auch das πολιόχρως bei Aristo-
phanes Fr. 179 Dind. paßt, wenn man darunter mattsilbern
versteht, was der Fisch an Bauch und Seiten ist.
Allerdings ist die obige Bestimmung nicht im Einklang
mit Aristoteles. Dieser nennt in einer Stelle bei Athenaeus
VII 137 p. 328 E neben einander ἐγχρασίχολος und μεμβράς,
und lehrt VI 15, 93, aus einer ἀφύη. die aber schwer zu deuten
ist, entstehen einerseits die phalerischen &pbat und aus diesen
in gerader Folge die μεμβράδες, dann die τριχίδες, zuletzt die
τριχίαι, andererseits aus der im Hafen der Athener, wohl dem
Peiraieus, die sog. ἐγχρασίχολοι (ἐγγραύλεις steht bei Aelian VIII
18). Allein wie die ganze Theorie von der Entstehung von
Fischen aus Schlamm und Sand, die in dem Kapitel vorge-
200 Georg Schmid,
tragen wird, so mag auch diese Unterscheidung von μεμβράδες
und ἐγχρασίχολοι eine problematische sein. Die nicht über
17 cm lange Sardelle kommt übrigens nicht nur im Mittel-
ländischen Meere vor, wie Brehm zu meinen scheint, sondern
auch im Schwarzen und Asowschen und zwar manchmal in
solcher Masse, daß 1859 die Bucht von Balaklava durch den
von Delphinen gejagten Fisch so angefüllt wurde, daß man
kein Wasser mehr sah und ein ganzes Jahr die Umgegend
durch die in Fäulnis übergegangenen Kadaver verpestet wurde;
das Silber in den Schränken, sowie Oelgemälde (mit Bleiweiß)
wurden schwarz; in kleinerem Mafßßstabe wiederholte sich dies
im Februar 1867; anfangs 1876 wurde eine ungeheure Menge
am Nordufer des Asowschen Meeres ans Land geworfen, wo
sie erfroren. Keßler S. 274. Vgl. Oppian IV 477 Es
wird berichtet, daß manchmal mit Einem Zug des Netzes
800 kg gefangen wurden.
Nach der Anordnung Günthers bilden die Cantharina die
erste Gruppe der sparidae, Meerbrassen (S. 285). Bei Aristo-
teles wird χάνϑαρος nur als in der Nähe des Landes lebend
bezeichnet; nach Erhard bei Aubert S. 129 heißen jetzt im
Kykladenmeere mehrere Kantharusarten ox&dapos und σχαϑάρι
soll der gemeinschaftliche Name für cantharus auf den Fisch-
märkten sein nach Hoffman-Jordan 5. 265, die ihn in Ueber-
einstimmung mit Apostolides für cantharus griseus und lineatus
oder spondyliosama cantharus halten, die gestreifte Cantara,
die nach Griffini S. 325 am Rücken graulich ist, an den Seiten
silbern; nach Sucker S. 20 ist die Färbung am Rücken dunkel-
grau, heller am Bauche, dabei metallisch glänzend; unter der
Seitenlinie dunklere Längsstreifen. Allein das ingratus suco
paßt auf diese Fische nicht. Da nun der ebenfalls an den
Küsten lebende trachinus draco oder lineatus, das
Petermännchen, die gemeine Queise, 30—40 cm lang,
jetzt δράχαινα, ähnlich beschrieben wird (Brehm 8. 121: „seine
sraurötliche Grundfarbe geht gegen den Rücken mehr ins
Braune, gegen den Bauch hin mehr ins Weißliche, wird allent-
halben mit schwärzlichen Wolkenflecken gemarmelt, zu denen
sich in der Augengegend, auf den Schläfen, Kiemendeckeln
und Schultern noch gekrümmte Streifen von azurblauer Farbe,
Die Fische in Ovids Halieuticon. 291
_
auf den Seiten und am Bauche von gelblicher Färbung ge-
sellen“) und dieser Fisch wirklich giftige Eigenschaften hat,
wie auch Plinius weiß, der an mehreren Stellen Mittel gegen
sein Gift angibt, so wird wohl er von Ovid gemeint sein.
Günther S. 129: „die Stacheln sind tief gefurcht und die
Furche mit dünnem Schleim gefüllt‘. Nach Brehm 8. 122
ruft eine Verwundung peinliche Schmerzen und eine heftige
Entzündung hervor, nach Griffini 5. 452 Fieber. δ. auch
Apostolides S. 13. Aelian XIV 12 ἴὸν φέρει τὰ κέντρα καὶ
ἔστι τῷ ϑιγόντι οὐ χρηστά (ingrata). Das Fleisch ist sehr ge-
schätzt. Keßler 5. 209.
V. 104 caeruleaque rubens erythinus in unda.
Unzweifelhaft ist dies der ἐρυϑρῖνος des Aristoteles, πελάγιος
VIII 13, 87, kermaphroditisch IV 11, 123 — und danach Plinius
IX 16, 56 — den Aubert Zeug. 5. 32 und Tierk. S. 127 mit
Cuvier für serranus anthias, franz. barbier hält wegen der
schönen roten Farbe (Moreau II p. 375: die Färbung ist
ganz hervorragend, rosenrot an dem Rücken und den Seiten,
blaßrot, silbern am Bauche). Es ist also eine Sägebarsch-
art. Nach Sucker heißt er auch anthias sacer; er werde
30 cm lang, die Färbung beschreibt er ebenso; über die
Kiemendeckel laufen drei goldgelbe Binden (5. 4). Griffini,
der ihn übrigens als besondere Familie aufführt (S. 372), gibt
ihm nur 23, Moreau höchstens 18 cm. Er hält sich ın der
Tiefe auf, weit von der Küste. Die Meinung, der erythrinus
des Aristoteles sei pagellus erythrinus, ital. fragolino, der
Pagel, eine Rotbrasse, ist von Cuvier widerlegt. Belon De
aquat. p. 185 scheint ihn dem pager gleichzusetzen, obwohl
dieser nach ihm größer ist; er führt als Namen lethrinari und
lethrini an.
V. 105 insignis sargusque notis, insignis et alıs.
Σάργος heißt nach dem Zeugnis Erhards bei Aubert 5. 138
jetzt im Kykladenmeere der auch in den italienischen Meeren
ziemlich häufige, wohlschmeckende sargus Rondeletii oder
sparus sargus Linn., nach Sucker 5. 22 die kleine Geiß-
brasse, die nach Griffini S. 334 höchstens 35, nach Sucker
nur 30 cm lang wird, aber meist in kleineren Exemplaren auf
den Markt kommt, und die er so beschreibt: „Der Fisch ist
209 Georg Schmid,
sroßschuppig, von Farbe silbergrau; längs der Seiten bemerkt
man zahlreiche bleigraue oder goldige, jedoch nicht sehr deut-
liche Längsstreifen, auch sind vier bis fünf schwach sichtbare
dunkle Querbinden vorhanden“ (nach Belon De aquat. p. 245
sind sie am lebenden Fisch deutlicher); „auf dem Schwanz-
rücken ist ein schwarzer Fleck, ein solcher auch im Winkel
der Brustflosse; der obere Rand des Kiemendeckels, ferner die
Bauch- und Afterflossen, wie auch ein breiter Saum am Ende
der Schwanzflosse sind gleichfalls schwarz“. Dies erklärt die
notae und alae.
Nach Th. Birt gibt jedoch Curcio den Text so: insignis
ıulis, nicht et alıs; denn Plinius führt den iulus unter den
von Ovid allein und sonst von niemand erwähnten Fischen auf
XXXH 11,152, s. S. 61. Die ἰουλὶς bei Aristoteles, Oppian
und Athenaeus heißt jetzt im Kykladenmeer ἰῆλος (Anbert
Tierk. 5. 129), zu einer Gattung der Familie der Lippfische
gehörig, die übrigens Küstenfische sind (Günther 5. 374).
Wahrscheinlich ist es die Art julis vulgaris oder coris julis,
wie schon Belon sie bestimmte, der gemeine Meerjun-
ker oder Regenbogenfisch., jetzt auch γύλος (Aposto-
lides 8. 23), ital. donzella, Jungfer, „pour leur beaute“, ebenso
französisch girella, nach Belon in Genua zigurella h. e. puella
(De aquat. p. 254), vulgär griechisch iglicqua.. Er wird nur
20 cm lang. Nach Sucker 5. 68 ist der Milchner oberseits
blaugrün, am Bauche licht; die Grenze zwischen der dunkein
oberen und der lichten unteren Färbung des Kopfes bildet ein
himmelblauer Streifen usw. Deutlich zeigen die dunkle Färbung
die Abbildungen bei Brehm S. 202 und bei Griffini 8. 313.
Noch verständlicher werden die notae durch Leunis - Ludwigs
Beschreibung 5. 706: „Auf der Achsel ein dunkler Fleck, auf
dem Ende des Deckels ein blauer, im vorderen Teile der
Rückenflosse ein violetter; an der Seite des Körpers meist ein
breites, gezacktes, orangefarbenes Läugenband“. Keßler 5. 238:
im Schwarzen Meere selten. Aristoteles zählt ihn IX 2, 26
zu den Herdenfischen, Geßner sagt, sie schwimmen allezeit mit
ganzen Scharen, wie die Mücken, was auf Oppian Il 446 zu-
rückgeht: μυίαις ἐναλίγχιοι, sowie Aelian Il 44.
V. 106 et super aurata sparulus cervice refulgens.
Die Fische in Ovids Halieuticon. 293
Dies Deminutiv von sparus kommt sonst nur noch bei Martial
III 60 vor, wo der Fisch als geringwertig dem rhombus ent-
gegengestellt wird. Wie sparus, so ist auch sparulus gewiß
eine Brassenart und da σπᾶρος im Kykladenmeere jetzt die dort,
wie in den italienischen Meeren häufigen sargus Salviani und
sparus oder sargus annularis heißen (Aubert 5. 140), so wird
dies der letztere sein, de gemeineGeißbrasse, zumal
da die Beschreibung Suckers S. 22 zutrifft: „Färbung ober-
wärts goldig, unten silberig; ein schwarzer Ring umgibt die
Schwanzwurzel“. Das Deminutivum, weil es die kleinste Art
ist, nach Sucker 15—20, nach Griffini 5. 333 höchstens 18 cm
lang; darum wird sie in Italien neben sparo auch sparletto,
in Frankreich sparaillon genannt, wie auch der französische
Forscher Lacepede ihr die Bezeichnung sparus sparulus gegeben
hat. Ihr Fleisch „hat keinen Wert“ nach Griffini, nach
Sucker ist der Fisch nur im September fett und schmackhaft.
V. 107 et rutilus phager et fulvi synodontes et
ex se concipiens channe gemino fraudata parente.
Sicher ist φάγρος bei Aristoteles, der VIII 13, 87 von ıhm
sagt, er lebe sowohl an der Küste als in der Tiefsee, und
19, 122, er erstarre in harten Wintern, da er einen Stein im
Kopfe habe, und werde ans Land geworfen (s. Plin. IX 16, 57),
eine Brasse, nur über die Art kann ein Zweifel sein, da
jetzt φαγγρὶ und φάγκχριον dentex macrophthalmus, die groß-
äugige Zahnbrasse ist (Hoffman-Jordan S. 267 und Erhard bei
AubertS. 142); und auch diese ist nach Griffini S. 325 rosen-
rot oder rötlich. Diese von Aubert geteilte Ansicht scheint
die wahrscheinlichste. Der Fisch wird bis 40 cm lang. Doch
heißt jetzt payypi oder λυϑρίνι, Audptviov (aus ἐρυϑρῖνος), und
ἐρυϑιρόψαρον auch einerseits pagrus vulgaris, die gemeine Sack-
brasse, ital. pagro, anderseits AuYpive und Audprvap: pagellus
erythrinus, ital. fragolino, der bis 60 cm lang wird. Da nun
die Färbung des ersteren bei Brehm S. 58 bezeichnet wird als
schön karminrot, an dem Bauche, den Seiten und Flossen
rosenrot, so könnte man auch an die letztere, die Rotbrasse,
denken, von der Sucker ὃ. 25 sagt, sie sei hellrosa gefärbt,
mit einem bläulichen Schimmer metallisch glänzend, Griffini
S. 329: „am Rücken rot, am Bauche hellrosa“, wozu rutilus
294 GeorgSehmid,
auch paßt. Keßler 5. 206: hält sich im Schwarzen Meere
fast stets an das südliche und südöstliche Ufer. Es ist aber
schwer eine Entscheidung zu treffen, da einige, wie Risso und
Brehm den pagellus erythrinus dem pagrus erythrinus gleich
setzen, während Griffini beide unterscheidet. Die Angabe des
Aristoteles, daß er pelagisch und Küstenfisch sei, bestätigt
Belon De aquat. p. 251; er halte sich in den Löchern von
Felsen auf.
Für den συνόδων, συνόδους oder σινόδων, wie Aristoteles
und andere schrieben nach Athenaeus VII 119 p. 322 B, reichen
die Angaben der Alten zu einer sicheren Bestimmung nicht
aus. Die Bemerkung des Athenaeus VII 133 p. 327 D, φάγροι,
χρόμις, ἀνϑίας, ἀκαρνᾶνες, ὀρφοί, συνόδοντες, συναγρίδες seien
der Art nach ähnlich, sowie die VII 52 p. 355 E συνόδους
καὶ χάραξ τοῦ αὐτοῦ γένους εἰσί, die richtig ist, wenn die Be-
stimmung von Lenz 5. 482 und 512 zutrifft, sind nicht ent-
scheidend. Auch Plinius erwähnt den Fisch XXXVII 10, 182,
ohne dafs sich etwas daraus ergäbe. Nach Lenz, dem übrigens
Belon De aquat. p. 179 ın diesem Sinne vorangegangen ist,
ist es ein dentex, wahrscheinlich sparus dentex oder dentex
vulgaris, die im Mittelmeere ungemein häufige, aber auch nach
Keßler S. 204 im Schwarzen Meere lebende Zahnbrasse, die
Sucker S. 27 so beschreibt: „Rücken blaugrau, die Seiten
fallen etwas ins Rötliche“, oder sind nach Moreau IlI p. 58
leicht goldiggelb. Rücken und Seiten zeigen schwarze Tupten
in unregelmäßiger Verteilung. Dies könnte zu fulvi, rötlich-
gelb, stimmen, auch zu ἐρυϑροποίχιλος, wie der Fisch von Epi-
charmos genannt wird; auch die λευκὴ συνόδων bei Numenios
ließe sich so deuten, indem λευχὴ sich auf den Bauch des
Fisches bezöge. Allein nach Erhard bei Aubert 5. 140,
Apostolides 5. 24, Hoffman-Jordan 5. 267 ist dentex vulgaris
die ovvaypis des Aristoteles, noch jetzt συναγρίδα. So muß
es eine andere Art der Zahnbrasse sein.
Dagegen ist die channe dank dem auch von Ovid gegebenen
Merkmale sicher bestimmbar. Die Angabe des Aristoteles,
dieser πελάγιος gehöre zu den Fischen, bei denen τὸ μὲν τίκτον
ἐστὶ χαὶ γεννῶν, τὸ δ᾽ ὀχεῦον (das Männchen) οὐχ ἔστι" πάντα
γὰρ ταῦτα ᾧὰ φαίνεται ἔχοντα IV 11, 128. VI 13, 74 — von
Die Fische in Ovids Halieuticon. 295
«αὶ
Plinius IX 16, 56 übersetzt und XXXIH 11,153 aus Ovid
wiederholt; IX 51,166 spricht er sogar von der Angabe, sie
habe weibliche Geschlechtsteile — zusammen mit dem Zitat
aus Aristoteles bei Athenaeus VII 134 p. 327 F, nach dem er
sie ποικιλερυϑρομέλαιναν xal ποιχιλόγραμμον nenne διὰ τὸ με-
λαίναις γραμμαῖς πεποιχίλθαι, weist nach Aubert Zeug.
S. 32 und Tierk. S. 143 auf den zur Gattung der Zacken-
oder Sägebarsche, serranı, gehörenden serranus scriba, den
Schriftbarsch oder Buchstabenfisch. „Der Kopf des
schön gefärbten Fisches besitzt an den Seiten einige krumme,
lasurblaue Linien, denen er seinen Namen verdankt“ (Sucker
S. 2). Er ist „auf ziegelrotem, in der Rückengegend dunk-
lerem Grunde mit breiten schwarzblauen Querbinden und lasur-
blauen, krummen, Schriftzeichen ähnelnden Linien geziert*“
(Brehm S. 45). Allerdings trägt er jetzt den Namen der
ganzen Familie, πέρχη, ital. sperga, während %&vos oder χάννος
die verwandte Art serranus cabrilla heißt (Hoffman-Jordan
S. 259). Nach Belon I B. 30 Kap. heißt er in Lemnos, wo
er an der Angel gefangen wird, cano, vulgärgriechisch χάννο,
in Marseille serran, in Genua bolasso: nach Griffini S. 368
heißt dort jetzt serranus hepatus bolaxo de tacca neigra.
Die Beobachtung des Aristoteles, daß er hermaphroditisch
sei, ist durch Cavolini 1787 und durch die mikroskopischen
Untersuchungen Dufosse’s an 368 Exemplaren 1856 bestätigt
worden: zur Zeit der Reife der Eier sind auch Spermatozoiden
vorhanden. Günther hält S. 106 dies für bewiesen; bei den
europäischen Arten sei ein hodenähnlicher Körper an dem
unteren Teile des Eierstocks befestigt, viele Exemplare seien
jedoch zweifellos Männchen. Brehm meint, die Angabe über
die Zwitterbildung sei durch neuere Untersuchungen widerlegt.
Der Fisch wird nach ihm 20—30 cm, nach Griffini 5. 369
höchstens 20 em lang. Nach Keßler 5. 204 ist er im Schwar-
zen Meere ziemlich selten. Belon De aquat. p. 268 gibt an,
man fange ihn am besten mit Krabben als Köder.
V. 109 tum viridis squamis, parvo saxatilis ore
et rarus faber.
Faber ist Uebersetzung von χαλχεύς. den nach Athenaeus
Vlle. 137 p. 328 ἢ Herakleides im Kochbuch und Euthyde-
296 Georg Schmid,
mos im Einmachbuch als περιφερὴς und χυχλοειδὴς charak-
terisieren. Von der χαλχίς. die offenbar mit χαλχεὺς identisch
ist, obwohl Athenaeus dies verneint, sagt Aristoteles IV 9, 103
Ψοφεῖ οἷον συριγμόν, Aelian X 11 συρίττει, sie bringe eine Art
Zischlaut hervor. Während Aubert S. 143 die yxAxis für un-
bestimmbar hält, erklärt, auf diese Eigentümlichkeit gestützt,
Johannes Müller in seinem Archiv für Anatomie usw. den
Fisch für zeus faber, den Heringskönig, jetzt σαν-
πιέρος und χριστόψαρο. ital. pesce di San Pietro, der nach
Griffini S. 411 selten 60 cm. nach Brehm 5. 96 über 1 m
lang wird. Plinius IX 8. 68: zeus idem faber appellatus,
XXXH 11,148: fabri 5. zaes (nach Mayhoff zaei). Dazu
stimmt χυχλοειδής: der Körper ist suboval; ebenso viridis,
denn nach Sucker S. 35 ist die Hauptfarbe ein schmutziges
Gelbgrün (die Färbung ist indessen nach Jahreszeit und Gegen-
den verschieden); auch rarus, da er meist einsiedlerisch lebt.
wodurch Buffons Einwand sich. erledigt, der rarus auf das
Vorkommen bezog. das häufig ist. Auch saxaiilis trifft zu,
da er zwar nach Brehm das hohe Meer den Küsten vorzieht,
sich aber doch nach Couch den Küsten mit den Pilchards,
einer Heringsart, clupea p. u. sardina, nähert. Nur parvo ore
scheint nicht zuzutreffen. Keßler S. 212 kennt im Schwarzen
Meer nur eine andere sehr seltene Zeusart, den z. pungio.
Obgleich es ferner auffallen kann, daß Ovid den von einem
lichten Ring umgebenen großen schwarzen Fleck auf der Mitte
jeder Körperseite nicht erwähnt, dem der Fisch die jetzigen
Namen verdankt, da er von der Hand des Apostels Petrus her-
rühren soll (Matth. XVII, 27), und Columella VIII 16, 9 an-
gibt, er komme nur im Atlantischen Meere vor (dort findet er
sich auch) und werde in Gades zu den edelsten Fischen ge-
rechnet eumque prisca consuetudine Zeum appellamus, so gibt
es doch noch ein weiteres Zeugnis für die Identität von χαλκὶς
und faber. Aristoteles VIII 20, 132 gibt an, die χαλκὶς werde
von einer heftigen Krankheit befallen: φϑεῖρες ὑπὸ τὰ βράγχια
γιγνόμενοι πολλοὶ ἀναιροῦσιν. was bei keinem anderen Fisch
vorkomme, und Griffini S. 412, alle Exemplare, die er auf
dem Markte von Foggia gesehen und die aus Manfredonia
kommen, seien an den Kiemen mit einer Menge parasitischer
Die Fische in Ovids Halieuticon. 397
Würmer, wahrscheinlich echinorhynchi (Kratzer) behaftet ge-
wesen. Ein anderes Beispiel gibt Aubert zu der Stelle, der
aber die Beweiskraft mit der Bemerkung ablehnt, parasitische
Krustazeen finden sich an den Kiemen der meisten Fische.
Doch möchte zu fragen sein, ob es wahrscheinlich ist, daß
Aristoteles mit φϑείρ. die Laus, ein Krustentier bezeichnen
wollte.
Th. Birt meint, der faber sei nur durch rarus gekenn-
zeichnet, das viridis squamis, parvo saxatilis ore beziehe sich
auf einen andern, nicht namentlich genannten Fisch und zwar
auf den turdus. Dies ist unwahrscheinlich, unter anderem,
weil der richtige Satz sine turdis fere nunquam merulae me-
morantur, gerade hier nicht zuträfe; merulae kommen erst
v. 114 vor.
V. 110 pietae mormyres et aun
chrysophrys imitata decus.
Aus dem jetzigen Namen μουρμούριον und μουρμούρα (Aposto-
lides S. 24 und Hoffman-Jordan S. 263), sowie aus dem ital.
mormora, mormiro, franz. morme, schließt man, daß μόρμυρος
bei Aristoteles, μόρμυλος bei Dorion Athen. VII 93 p. 313 D,
und μύρμη bei Epicharmos sparus, pagrus oder pagellus
mormyrus, deMarmorbrasse ist, wie Öuvier annahm
(Aubert 5. 136); bei Oppian I 100 heißt sie αἰόλος und III
126 wird dasselbe von ihr erzählt wie vom Seebarsch. Aber
nicht nur der Name, auch die Beschreibung des Fisches stimmt
zu dem pictae: „Die Färbung ist silberweiß mit 13—14 gleich
weit von einander abstehenden, braunen“ (oder schwärzlichen
vertikalen) „Querstreifen, von denen 7 besonders deutlich sind“
(Sucker S. 25). Sie wird 20, höchstens 30 cm lang (Griffini
S. 991). Wie sie für Archestratos fr. 53 ein χαχὸς ἰχϑὺς
οὖδέ ποτ᾽ ἐσϑιλὸς ist, so wird ihr Fleisch auch jetzt nicht be-
sonders geschätzt. Sie gehört zu den Rotbrassen und fehlt im
Schwarzen Meer.
Chrysophrys aurata, die Goldbrasse, der
Goldstrich, hat als charakteristisches Kennzeichen einen präch-
tigen Goldstreif an der Stirn zwischen den Augen (Sucker
S. 26), Kallimachos nennt sie in der Galateia χρύσειον ἐπ᾽
οφρύσιν. Von Archippos ἱερεὺς ᾿Αφροδίτης genannt, von Matron
298 Georg Schmid,
v. 65 χάλλιστος ὃς ἐν ἄλλοις ἵσταται ἰχϑύς (Athen. VII 136
p. 328 A und IV 136 p. 1896 Α) heißt sie heute noch lokal
χρυσόφα (Hoffman - Jordan 5. 264), sonst τζηπούρα, bei den
Römern z. B. Martial XIII 90 aurata, aber bei Festus p. 182 b
M. auch schon orata, a colore auri, quod rustici orum dice-
bant, und so jetzt orata, franz. dorade. Sie wird 50—60 cm
lang. Aristoteles zählt sie VIII 13, 87 zu den an der Küste
lebenden, nach ἃ 89 laiche sie massenhaft an den Flußmün-
dungen und im Brackwasser (λιμνοθάλαττα!, 5. Cuvier bei
Aubert S. 144). Nach Columella VIII 16 züchteten die Alt-
vordern eine Zeitlang sie und den Seebarsch in Süßwasserseen,
von denen er vier nennt; zu Martials Zeit war der Lukriner-
see dafür bekannt. Noch jetzt wird sie nach Sucker mit Vor-
teil in den Fischgräben, den sog. valle, gezogen und nach
Martens bei Brehm 8. 57 in tiefen Teichen; nach Griffini
Ὁ. 328 aber nur in Meerwasser. Wenn Martial sagt, nur die
sei lobens- und preiswert, cui solus erit concha Lucrina cibus,
so hat er wie von der Züchtung, so davon gewußt, daß sie
sich vorzugsweise von Muscheln nährt. Ihr Fleisch ist je nach
dem Standort mehr oder weniger delikat; nach Griffin allge-
mein äußerst gesucht. In Ephesus hieß sie nach Archestratos
fr. 13 ἰώνισχος. Im Schwarzen Meere fehlt sie.
ΜΗ 111 tum corporis umbrae
liventis rapidique lupi percaequetragique.
Unzweifelhaft ist umbra Uebersetzung des griechischen oxiatve,
die jetzt zum Teil σχιὸν heißt (Aubert S. 139). Die Färbung
fast aller Fische dieser Familie, der sciaenidae, Umberfische,
paßt nach den Beschreibungen nicht recht zu dem livens Ovids,
das bleifarbig, bläulich, auch blaugelb bedeutet. Nur von
umbrina cirrosa und vulgaris, auch sciaena eirrosa, dem ge-
meinen Umberfisch, auch Wärzer, jetzt oxıös, ital.
ombrina, sagt Griffini S. 376, die Grundfarbe der oberen Teile
sei gelblich-silbern, und Leunis-Ludwig 8. 677: „Grundfarbe
messinggelb oder bleigrau, während Brehm S. 73 sie
angenehm hellgelb findet; offenbar wechselt sie etwas bei ver-
schiedenen Exemplaren. Varro de 1. Lat. V 77 leitet den
Namen ausdrücklich von der Farbe (des Schattens) ab. In
dem Seefischverzeichnis Plin. XXXII 11, 151 fehlt sie natur-
Die Fische in Ovids Halieuticon. 299
gemäß, da dort die griechischen Namen sciaena u. sciadeus auf-
genommen sind. (Die umbra bei Ausonius v. 90, die man als
salmo thymallus oder thym. vulgaris, Aesche, bestimmt, kann
es nicht sein, da diese ein echter Flußfisch ist). Columella
sagt VIII 16, 8: sandige Tiefen pelagios melius pascunt, ut
auratas ac dentices Punicasque et indigenas umbras, nach
Brehm bevorzugt umbra cirrosa einen schlammigen Grund.
Der bis 70 em lange und wegen seines ausgezeichneten weißen
und höchst schmackhaften Fleisches sehr geschätzte Fisch heißt
bei den Griechen in der Krim μυλοχόπι (melocopia bei Keßler
S. 210); in Griechenland ist dies der Name von sciaena aquila
und sc. umbra (Apostolides S. 18. Hoffman-Jordan 8. 269).
Belon De aquat. p. 118 glaubt, daß es die letztere sei, obwohl
er ihre Schuppen im Mittelmeer silber-, golden-, zuweilen
regenbogenfarbig nennt. Die sehr großen Otolithen des Fisches
werden von den französ. Juwelieren in Silber gefaßt und als
pierres de colique verkauft, gegen die sie, am Halse getragen,
helfen, aber nur wenn man sie als Geschenk bekomme.
Die perca ist gewöhnlich, wie πέρχη bei Aristoteles (Aubert
S. 138) und sonst, perca fluviatilis, der Flußbarsch, den Ovid
nicht meinen kann; wenn aber Numenios den μελάνουρος
Führer der πέρχαι nennt bei Athenaeus VII 115 p. 320 E,
wenn es ein Sprichwort gab ἕπεται πέρχη μελανούρῳ ib. 110
p- 319 cc, so muß es auch einen Seefisch dieses Namens gegeben
haben, wie auch die percae bei Plinius IX 16, 57 zu verstehen
sind. In der Tat nennt man heute den Schriftbarsch und den
serranus (bei Leunis centropristis, bei Hoffman-Jordan para-
centropristis) hepatus, den Beutelbarsch, saechetto,
einen Fisch von höchstens 12 cm Länge, πέρχα (5. Erhard bei
Aubert und Hoffman-Jordan S. 259. 260); da nun der erstere
von Ovid schon v. 108 erwähnt war, ist bei ihm vielleicht die
zweite Art von Sägebarschen zu verstehen. Auch bei Epichar-
mos (Athenaeus VII 110 p. 319B) ist πέρχη sicher ein See-
fisch und Plinius zählt ausdrücklich XXX 11, 145 die percae
zu den communes amni ac mari. Das Fleisch des im Mittel-
meere gemeinen Beutelbarsches ist wenig geschätzt. Griffini
S. 368, Sucker 8. 5. Nach Belon De aquat. p. 265 hat er
seinen Namen von der Farbe und Größe der Leber (ἧπαρ).
300 Georg Schmid,
Ueber den lupus 8. o. S. 264. Nach Aristoteles VII
30,173 bekommt das Männchen der μαινίς, das länger und
breiter sei als das Weibchen, wenn dies anfange trächtig zu
werden, eine dunklere Farbe und werde bunter; es schmecke
dann am schlechtesten und werde von einigen τράγος, Bock,
genannt. So stehen die τράγοι bei Oppian I 108 neben den
μαινῖδες. Ueber die patvis 5. zu v. 120. Außerdem wird ein
durchaus unbestimmbarer Fisch dieses Namens aus des Klear-
chos „Wassertieren“ erwähnt bei Athenaeus VIII 5 p. 332 D:
der ἐξώχοιτος, den einige ἄδωνις nennen, sei im ganzen am
ähnlichsten τῷ τράγῳ ἰχϑυδίῳ, πλὴν τοῦ ὑπὸ τὸν στόμαχον
μέλανος, ὃ χαλοῦσ: τοῦ τράγου πώγωνα. Auch Belon De aquat.
p. 132 wagt diesen tragus wegen des Mangels genauerer Be-
schreibung bei den Alten nicht zu bestimmen.
V. 113 quin laude insignis caudae melanurus et ardens
auratis murena notis merulaeque virentes.
Wie der μελάνουρος des Aristoteles, von dem er nach dem Zitat
bei Athenaeus VII 93 p. 313 D wie der σάργος ὀρροπυγόστι-
χτος, πολύγραμμος und μελανόγραμμος genannt wird, ist auch
der melanurus des Ovid und des Plinius (XXXII 11, 152 pla-
cens cauda und 2, 17) ohne Zweifel oblata melanura, jetzt
μελανούριον und μελανοῦρι, ital. obbiata, occhiata, in Nizza
oyata ab oculorum magnitudine, Belon De aquat. p. 270 —
sie ist auch in den italienischen Meeren häufig — franz. blade,
oblado, de Bandbrasse, an der „charakteristisch ist ein
schwarzer Fleck auf dem Rücken des Schwanzes, der an beiden
Seiten des letzteren herabsteigt“ — das bedeutet das nur ein-
mal vorkommende erste Epitheton, von ὀρροπύγιον; der Schwanz
und στίζω versehe mit einem Mal oder Fleck, abgeleitet, und
nicht: an den Schwanzfedern gefleckt, wie bei Pape zu lesen
ist —; „über der stark markierten Seitenlinie sind schwarze,
unter derselben goldige Längsstreifen* nach Sucker S. 21, —
dies sind die γραμμαί. Ziemlich deutlich ist dies zu sehen an
der Abbildung bei Griffini 5. 336. Die Länge des Fisches,
der ein Herden- und Küstenfisch ist, beträgt 20, höchstens
28 cm. Sein Fleisch ist ziemlich gut.
Ueber die murena 5. o. ὃ. 267. Merula ist bei Aristo-
teles erstens die Schwarzdrossel oder Amsel, χόττυφος μέλας,
Die Fische in Ovids Halieuticon. 301
turdus merula und m. vulgaris, jetzt χότσυφας und κότζιφος,
bei denen das Männchen ganz schwarz ist, und zweitens ein
Fisch, den derselbe nach Athenaeus VII 71 p. 305 B μελανό-
στιχτον, schwarz- oder dunkelpunktiert, Numenios μελανόχρων
dunkelgefärbt nennt; nach Auberts Vermutung 5. 133 ist es
ein Labroide, Lippfisch. Dann ist wegen des Beiworts die
merula Ovids ohne Zweifel labrus merula oder livens Linn.,
jetzt λάμπρινα (Apostolides 5. 25. Hoffman-Jordan S. 270),
der Amsellippfisch, da dieser am Rücken tief braun-
bläulich, an den Seiten lasurblau oder grünlich ist (Griffini
S. 306), oder auch braun oder olivenfarben (Sucker S. 63);
die Färbung weist große Verschiedenheiten auf, wie man z. B.
an der Beschreibung Moreaus Il p. 88 sehen kann. In den
italienischen Meeren ist er nicht sehr häufig, in den französi-
schen ziemlich gemein. Dort heißt er nach Belon merlo.
Virens würde freilich noch besser auf labrus turdus oder creni-
labrus melops, die Goldmaid oder den grünen Lippfisch passen,
dessen vorherrschende Färbung ein schönes, auf dem Rücken
ins Blaue übergehendes Grün mit goldigem Schimmer ist
(Brehm S. 200); allein nichts berechtigt, dem Ovid absichtliche
oder unabsichtliche Verwechselung der Fische turdus und
merula zuzumuten.
Turdus wird von Plinius XXXII 11, 149 inter saxatiles
nobilis, merula inter saxatiles laudata genannt, was sich wahr-
scheinlich auf die Färbung und Zeichnung bezieht, nicht auf
das Fleisch, das, wie das aller Lippfische, wenig geachtet ist
(Sucker 5. 63, Griffini S. 304). Columella VIII 17 rechnet
auch den melanurus zu den saxatiles. Auch Ennius nennt zu-
sammen melanurum, turdum merulamque. S. De Archestrato
etc. S. 5.6. Beide Fische, 3909—85 cm lang, kamen nach Pli-
nius IX 15, 52 im Schwarzen Merre nicht vor, jetzt findet sich
dort labrus turdus, aber ziemlich selten (Keßler S. 231).
V. 115 inmitisque suae conger per vulnera gentis,
so haben tadellos die Handschriften; die gewöhnliche Lesart ist
infamis, Riese liest intutus; die Lesart cancer, die Curcio auf-
genommen hat, ist in diesem Zusammenhang ganz unglaub-
würdig. Von den γόγγροι, deren eine Art, die λευχοί, πελά-
yıoı sind, die andere, die μέλανες sowohl dies als Küstenfische
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft. 20
902 Georg Schmid,
nach Aristoteles VIII 13, 87, sagt derselbe c. 2, 29 ἀλληλοφα-
γοῦσι πάντες πλὴν χεστρέως, μάλιστα δ᾽ οἱ γόγγροι. . Nach
Aubert S. 126 gehört γόγγρος jedenfalls zur Familie der
Muraenoiden, Aalfische, Dann muß er zur Gattung Meeraale
gehören und ist ohne Zweifel conger conger, oder vulgaris,
niger, der Seeaal, im Kykladenmeere μουγχρίον, sonst μουγ-
γρί, bei Plinius XXXI 11, 148 noch gonger, ital. grongo,
ruongo, der über 2, ausnahmsweise 3 m lang werden kann.
„Er ist ungemein gefräßig und verschont nach Raubtierart
auch schwächere seines Geschlechtes nicht: aus dem Magen
eines Stückes von 12 kg Gewicht nahm Yarrell drei Schollen
und einen jungen Seeaal von 1 m Länge“ (Brehm 5. 404).
In den italienischen Meeren häufig ist er nach Keßler 5, 278
im Schwarzen Meere selten. Dagegen kommt er in der Nord-
see häufig vor, wo er bis 100 Pfd. schwer wird.
V. 116 captus duro nociturus scorpios ictu,
wie Birt das unverständliche capitis der Handschr. verbessert.
Da der griech. Name σχορπίος und σχορπὶς jetzt in der Form
σχορπίδι und σχορπῆνα, σχορπίνα, auch σχορπιός (Hoffman-
Jordan S. 274) der scorpaena scrofa und scorpaena porcus ge-
geben wird und nach Athenaeus VII 15 p. 282 Numenios
jenen ἐρυϑρὸν nennt, c. 115 p. 320 D aber zwei unterscheidet,
einen pelagischen (Aristot. V 10, 36), der ruppös, und einen
Schlammskorpios (Aristot. VIII 13, 87), der μελανίζων ist, so
ist nach Aubert 5. 140 der größere, wirklich lebbaft mennig-
rote, bei Plinius XXXI 7,70 und 10, 128 scorpio marinus
rufus, als scorpaena scrofa, der kleinere, braune als scorpaena
porcus zu bestimmen, als der große und der kleine Drachen-
kopf, auch Seekröte, Meereber, ital. scorpena, scrofana, jener
50, dieser selten 30 cm lang. Sie lauern an steinigen, mit
Algen bewachsenen Ufern auf Beute (Sucker 5. 16). Bei vielen
Scorpaenoiden hat nach Günther S. 158 der von der Öber-
fläche des Fisches abgesonderte und durch den gezähnelten
Stachel eingeimpfte Schleim offenbar giftige Eigenschaften und
nach S. 291 sind durch ihre Flossenstacheln beigebrachte
Wunden außerordentlich schmerzhaft, haben aber keine ernst-
lichen Folgen. S. Griffini S. 354. Brehm stellt dies 5. 62
nur als eine natürlich falsche Ansicht „der“ Alten dar; allein
Die Fische in Ovids Halieuticon. 303
außer bei einigen der spätesten Griechen, z. B. Marcellus
Sidetes, finden sich darüber nur bei Ovid und Plinius An-
gaben; auch ist noch zu berichtigen, daß nicht die Leber des
Fisches als Gegenmittel gegen seinen Stich bezeichnet wird,
sondern das Fleisch des Meersternes XXXII 5,45; nach c.
7, 67 wird die Galle gegen das Ausfallen der Haare usw. an-
gewandt. Aristoteles hat nach Athenaeus den Fisch nur all-
gemein als πληχτικὸς bezeichnet. Daß übrigens Plinius XXXII
11, 151 scorpaena und scorpios neben einander nennt, beweist,
daß er beide Arten gekannt hat. Nach Belon De aquat. p. 248
wird der Drachenkopf in besonders großen Exemplaren bei
Euböa gefangen und hat ein sehr zähes Leben; selbst wenn
Eingeweide und Herz herausgenommen seien, bewege er sich
noch. Im Schwarzen Meer kommt sc. porcus in bedeutender
Menge vor; bei den Krimschen Griechen heißt er σχορπίδα.
Keßler S. 207. Der Seeskorpion, cottus scorpius (Ὁ. Weise
Griechische Wörter S. 119) kann es nicht sein, da nach Griffini
S. 353 dessen Vorkommen im Mittelmeer zweifelhaft ist; nur
ein Forscher will ihn bei Catania gefunden haben. Die Fär-
bung scheint auch der Beschreibung nach nicht zu passen.
V. 117 ac nunquam aestivo conspectus sidere glaucus.
Offenbar derselbe, nach Aristoteles VII 13,87 pelagische
γλαῦχος, von dem er VIII 15, 105 und nach ihm Plinius IX
16,58 und XXXI 11,153 (wo er Ovid anführt und augen-
scheinlich die Stelle im IX. B. vergessen hat) angeben, er ver-
krieche sich im Sommer etwa 60 Tage lang; er sei trächtig
ebenso gut als nicht trächtig. Aber weder hierdurch noch durch
die ziemlich zahlreichen Stellen, wo die Griechen ihn erwähnen
(5. Athenaeus VII c. 45), werden wir in stand gesetzt, den
Fisch zu bestimmen. DBelon De aquat. p. 110 hält ihn für
sciaena aquila, in Genua heiße er fegaro, wohl gleich dem
figau bei Griffini 5. 373. Auch „Cuvier rät auf sciaena aquila“,
sagt Aubert S. 126, aber dieser ist der v. 121 aufgeführte
χρόμις. Hoffman-Jordan und Sucker geben ebenfalls keinen
Anhalt. Nach Jacobs zu Aelian I 16 balten ihn mehrere Ge-
lehrte, unter diesen I. (ἡ. Schneider, wohl wegen der schiefer-
blauen Farbe des Rückens für squalus oder galeus glaucus,
auch carcharias oder prionodon glaucus, den gemeinen Blau-
20 *
904 Georg Schmid,
hai, der nach Sucker 5. 110 und Griffini S. 94 im Mittelmeere
ziemlich selten ist und im Pontus fehlt. Daß ihm von Aelian
und Oppian I 747 ff. eine besondere Fürsorge für seine Jungen
zugeschrieben wird, wie von den Neueren den Haien überhaupt
(s. Brehm S. 440 und 444), würde dazu passen; auch, daß er
sich nach Oppian 1170 an Felsen und im Sande aufhält; denn
Brehm sagt 5. 439, sie seien vorzugsweise, jedoch keineswegs
ausschließlich in der Nähe der Küsten, was dann wieder Aristo-
teles VIII 13, 87 nicht widerspricht. Allein Apostolides be-
streitet S. 7 mit Bestimmtheit die Identität von γλαῦχος mit
carcharias glaucus.
Nunmehr folgen bei Ovid die Pflanzenfresser, die herbosa
laetantur arena oder nach v. 90 da leben, wo vada subnatis
imo viridentur ab herbis, also die den pelagischen entgegen-
gesetzten Küstenfische.
Von diesen ist der erste, scarus, oben besprochen; v. 120
folgen
fecundumque genus maenae lamirosque smarisque,
Die maena ist identisch mit der μαινὶς des Aristoteles,
einem kleinen Fische, der nach VI 17, 103 πολυγονώτατον τῶν
ἰχϑύων ist. Es ist die mena des Plinius, was aus dessen Be-
obachtung IX 26, 81 mutant colorem candidum menae et fiunt
aestate nigriores, verglichen mit Aristoteles VIII 30, 173 her-
vorgeht, τοὺς ἄρρενας τῶν μαινίδων μέλαν τὸ χρῶμα ἴσχειν καὶ
ποιχιλώτερον. Das Weibchen soll eine rundere Gestalt haben,
das Männchen länger und breiter sein, Bestimmungen, die
Belon De aquat. p. 225 wiederholt. Nach Cuvier gehört sie
zu der Familie der Maeniden und heißt in Morea patviö«;
einige Arten heißen jetzt im Kykladenmeere μέλλωνα, z. B.
maena vulgaris, m. Osbeckii, m. jusculum; diese hat nach
Griffini S. 321 eine etwas längere Körperform; m. vulgaris ist
nach Sucker S. 27 der auf Schlamm- und Algengründen lebende
gemeine Laxierfisch (das Fleisch soll Durchfall hervor-
rufen), ital. menula schiava, zerolo, franz. mendole.. Er wird
nur 20 cm lang; daher maena brevis Mart. XI 51, 14, der
XII 32, 15 ihn auch inutilis nennt. Während Aubert 5. 135
diese Bestimmung als ziemlich unsicher bezeichnet, haben
Apostolides S. 24 und Hoffman-Jordan S. 267 sie angenommen.
Die Fische in Ovids Halieuticon. 305
Sie sind eine Gattung der Familie Meerbrassen. Dazu
stimmt, daß Speusippos im zweiten Buch der Aehnlichkeiten
nach Athenaeus VII 92 p. 313A sagt, der βόαξ und die σμαρὶς
seien der μαινὶς ähnlich; mit beiden werden sie mehrmals zu-
sammen genannt. Beide gehören zu derselben Familie; βῶξ
ist nach Aristoteles (eb. c. 27 p. 286D) νωτόγραπτος, am
Rücken mit Strichen (Brehm 5. 55 und Sucker 5. 21 mit drei
oder vier goldig schimmernden Längsstreifen) wahrscheinlich
box boops, der Gelbstriemen, jetzt βῶπα und γοῦπα (Hoffman-
Jordan S. 266), ital. boba, buga usw. Auch in den italienischen
Meeren ist maena vulgaris häufig, fehlt aber im Schwarzen Meer.
Die ebenfalls zu den maenidae gehörende smaris, jetzt
μαρῖδα und σμαρῖδα, auch σμαρίς, μαρίς, μαινούλα, μέλωνα (nach
Hoffman-Jordan 5. 267), ital. gewöhnlich menole, menelle, ist
smaris vulgaris oder sparus smaris, die gemeine Schnauzen-
brasse (Aubert 5. 140), der gemeinste Fisch in Griechenland,
höchstens 18 cm lang. Eine verwandte Art, sm. chryselis und
alcedo, kommt nach Keßler S. 205 im Schwarzen Meere in
ganzen Herden vor und heißt bei den krimschen Griechen eben-
falls σμαρῖδα.
Lamirus findet sich als Fischname sonst nirgends außer
Plin. XXXII 10, 149, der es aus Ovid zitiert. Bijrt vermutet
Ὁ. 116 und 177, es sei der λάριμος bei Oppian ΠῚ 399 (nach
anderer LA Azpıvos); aber auch dieser Fisch ist unbekannt.
V. 121 inmunda chromis, merito vilissima salpa,
atque avium dulces nidos imitata sub undis.
Ὃ χρόμις bei Aristoteles ist von Cuvier und Joh. Müller
alssciaena aquila,der Adlerfisch bestimmt (Aubert
5. 144), der jetzt μυλοχόπι und xpavıös heißt (Apostolides
S. 18), ital. aquila di mare, boceca d’oro, ombra, franz. le
maigre, ’aigle..e. Nach Tierk.. IV 9, 103 bringt er einen Ton
hervor, der dem Grunzen der Schweine, ypö, ähnlich ist.
Neuere Forscher nennen es eine Art Brüllen (Brehm S. 74),
die französischen Fischer in der Gegend von La Rochelle haben
ein besonderes Verbum, seiller, dafür (Moreau II p. 402).
Höchst wahrscheinlich meint Ovid eben diesen großen, 2 m
und darüber langen Fisch, obwohl das inmunda nicht ganz
klar ist: es geht wohl auf die Färbung — der Rücken braun-
906 Georg Schmid,
bleifarbig, unten grau-silbern (Griffini S. 374). Verwickelt
scheint die Sache dadurch zu werden, daß Plinius XXXI 11,
153 die ovidische Stelle so zitiert: chromin, qui nidificet in
aquis. Allein dies ist wohl entweder als Irrtum des Plinius
oder als Lücke in der Ueberlieferung des Textes anzusehen, da
es seiner eigenen Angabe IX 26, 81 widerspricht, nach der
nur die phycis ein Nest baut. Der Adlerfisch fehlt im
Schwarzen Meere.
Eine andere Gattung dieser Familie ist wohl der χοραχῖνος,
der z. B. bei Aristophanes Ritter v. 1053 und Lysistr. v. 560
erwähnt wird. Blaydes erklärt ihn als saperda, wohl weil er
wirklich bei Athenaeus VII p. 308E damit identifiziert wird;
er sagt aber nicht, was für ein Fisch saperda ist. Nach
Aubert 5. 132, der übrigens die Bestimmung nach Aristoteles
für sehr unsicher hält, bestimmt Cuvier den xopanxivos als
chromis castanea, sparus und heliastes chromis Linn., als den
Rabenfisch, in Neapel coracino, in Korsika corvolo. Er
ist breit elliptisch, daher in Alexandria nach Athenaeus ἡλάταξ
genannt, und wird nur 10—12 cm lang; die senkrechten
Flossen des braunen Fisches sind fast schwarz, wozu das Epi-
theton bei Aristophanes Fragm. 452 μελανοπτέρυξ gut paßt.
Auch Joh. Müller billigt die Ansicht Cuviers. Das Fleisch
des Rabenfisches hat wenig Wert nach Sucker S. 61, nach
Griffini S. 317 wird es nicht gegessen. Vgl. De Lucilio οἷο.
Ὁ: 19:
Die σάλπη des Aristoteles wird auf Grund der bei Athe-
naeus VII 72 p. 305D und 118 p. 321E von jenem ange-
sebenen Kennzeichen πολύγραμμος und ἐρυϑρόγραμμος, auch
ποικίλος mit Sicherheit als box oder boops salpa, Goldstrie-
men, bestimmt (Aubert 5. 138), „an dessen Seiten sich zehn
bis zwölf rotgoldene Längsstreifen finden“ (Sucker 8. 21),
χρυσίζουσαι ῥάβδοι, wie Philon bei einem ähnlich gezeichneten
Fisch sie nennt. Er heißt noch jetzt so (auch yör«, Hoffman-
Jordan S. 266), ital. salpa und sarpa, franz. saupe, und wird
höchstens 40 cm lang. Plinius IX 18, 68 rechnet ihn zu den
Fischen, die nur an einzelnen Orten geschätzt werden: circa
Ebusum (die spanische Insel Iviza) salpa, obscenus alibi et qui
nusquam percogui possit nisi ferula verberatus, was nach Belon
Die Fische in Ovids Halieuticon. 307
De aquat. p. 187 zu der falschen Annahme geführt hat, es
sei der Stockfisch. Uebereinstimmend auch die Griechen: bei
Epicharmos heißt es σάλπαι πίονες, oxatopdyor Aal βδελυχραί,
kotfressend und abscheulich, wohlschmeckend im Sommer,
Archestratos sagt σάλπην δὲ χαχὸν μὲν ἔγωγε ἰχϑὺν ἀεὶ χρίνω,
Fragm. 28, am efbarsten sei er noch, wenn das Getreide im
Sommer reife. Wie er sich nach Aristoteles VIII 2, 23 von
Mist und Tang nährt, so hält sich nach Sucker „dieser pracht-
voll gezeichnete Fisch gern in der Nähe der Häfen auf, wo
er seine Nahrung im schmutzigsten Schlamme sucht. Hievon
hat sein Fleisch oft einen unangenehmen Geruch und wird
daher nicht geschätzt“. Deswegen vilissima.. Wenn nach
Pankrates die Fischer sie Kühe nannten, so ist das eine Ver-
gleichung: weil für den Magen stets sie mahlen den Tang mit
den Zähnen. Denn die ganze Gattung der Blöker, zu denen
die Art gehört, echte Pflanzenfresser, zeichnet sich durch ein
Gebif aus, das nur aus einer Reihe platter, gekerbter, schnei-
dender Zähne besteht, geeignet zum Abweiden von Pflanzen
(Brehm 5. 55).
Den Namen des nestbauenden Fisches v. 122 hat Ovid
nicht genannt, also als leicht zu erraten vorausgesetzt. Es
handelt sich aber jetzt doch um zwei Fische, an denen man
diese Eigentümlichkeit kennt, — denn die Kaulquappe oder
Groppe, cottus gobio, die nach Linne auch ein Nest bauen soll
(Brehm S. 129), ist ein Süßwasserfisch — um gobius niger,
die Meergrundel, χωβιὸς und noch jetzt γωβιός, (die übrigens
in sehr bedeutenden Mengen auch im Schwarzen Meere vor-
kommt, nach Keßler S. 218) und um den Stichling, gasterosteus
(oder gastrosteus). Nach Aristoteles hat ein Fisch, den er
φύχης und φυχὶς nennt, folgende Kennzeichen: 1. er laicht
zweimal im Jahre, 2. nährt sich außer von Tang nur von
kleinen Krustern und rührt kein anderes Fleisch an, 3. wechselt
die Färbung, 4. baut ein Nest, 5. ist stachelbedeckt; dazu
kommt aus Diphilos 6. es ist ein zartes Fischchen, das Fleisch
ohne übeln Geschmack und leicht verdaulich. Von der ersten
Bestimmung abgesehen, paßt die zweite besser auf die Meer-
grundel, als auf den Stichling, der sich auch von anderen
kleinen Fischen nährt, die anderen ausschließlich oder besser
908 Georg Schmid,
auf den Stichling, so die dritte (Griffini: die Färbung
wechselt sehr nach Alter, Standort und Aufregung), die fünfte
(ἀκανϑοστεφὴς und ποιχιλόχρως bei Aristoteles Athen. VII 110
p. 319c), die erste Bestimmung der sechsten und die über den
Nestbau. In Bezug auf diesen sagt Aristoteles VIII 30, 174,
die φυκὶς μόν τῶν ϑαλαττίων ἰχϑύων στιβαδοποιεῖται, ὥς φασι,
χαὶ τίχτει ἐν τῇ στιβάδι d.h. phyeis piscium 5018 nidificat, wie
es Plinius IX 26, 81 schon ohne dicunt wiedergibt, wobei er
noch ex alga hinzufügt, wie übrigens auch Plutarch c. 33 ἐκ
τῶν φυχίων. Doch scheint eine gewisse Unsicherheit über den
Fisch darin zu liegen, daß er XXXII 11, 150 sagt phycis
saxatilium quaedam, welches letztere Wort allerdings Konjektur
Birts für das que der Handschr. ist. Nun hat aber 1792 der
italienische Forscher Olivi (s. Lenz S. 492) die Beobachtung
veröffentlicht, daß eine Art Meergrundeln, gobius niger (nach
Sucker 8. 54 g. lota Cuv. oder g. Venetiarum) in den Lagunen
von Venedig, wo sie stark mit Seetang bewachsen seien, ein
Nest baue, das sie mit Wurzeln einer Pflanze bedecke. Apo-
stolides versichert dasselbe von dem gobius niger in den La-
gunen von Missolonchi 5. 70. Aber die Abbildung bei Brehm
S. 141 zeigt wenig Aehnlichkeit mit einem Neste. Aristoteles
hat sicher von einem Nestbau des gobius nichts gewußt, wie
vor Olivi niemand; denn VI 13,76 gibt er an, der gobius
laiche an Steinen; der Laich sei breit und körnig; hier hätte
er sicher das Nest erwähnt; στροφάδας περὶ πέτρην nennt sie
Numenios. Ein zweites, die Frage entscheidendes Moment
liegt in der Stelle VIII 2, 32, wo als meist von Algen usw.
sich nährende Fische neben einander die φυχὶς und der χωβιὸς
genannt werden, die also nicht identisch sein können. Das
Bedenken, das Aubert S. 143 noch zurückhielt, der Bestimmung
der yuxis als gasterosteus ganz beizutreten, nämlich daß über
sein Vorkommen in den griechischen Meeren nichts bekannt
sei, ist nur scheinbar begründet, auch bei Hoffman-Jordan wird
er nicht aufgezählt; doch kommt g. aculeatus, ital. spinarello,
franz. epinoche, ein Fischehen von 8 cm Länge, nach Keßler
S. 199 im Schwarzen Meere und an den Mündungen der in
dieses sich ergießenden Flüsse vor; eine andere Art, g. platy-
gaster von Kefßler benannt, findet sich nicht nur im Schwar-
Die Fische in Ovids Halieuticon. 309
zen, sondern auch im Kaspischen Meere und im Aralsee, so-
wie in den mit diesen zusammenhängenden Buchten, was bei
Brehm zu ergänzen ist; nach dessen Abbildung 5. 165 und
Beschreibung S. 169 handelt es sich bei φυχὶς gasterosteus
um ein richtiges Nest, das etwa faustgroß ist‘). Ovid hat
sicher diese phyeis gemeint, da er v. 122 das Femininum ge-
braucht (imitata) und den gobius als Meergrundel v. 130 auf-
zählt. — Petromyzon fluviatilis, das Flußneunauge, die Fluß-
bricke, kann phyeis nicht sein, wie Ὁ. Weise Griechische
Wörter 5. 120 meint.
Belon geht De aquat. p. 256 bei der Bestimmung der
phyeis von den damaligen Benennungen aus. Φόχος (Druck-
tehler statt φύχος) sagt er, Graecis, phuca vel phycis Latinis,
pavo vel merlo Romanis, lagionus Genuensibus, roquau Massi-
liensibus, lambena Venetis, lampina vulgo Graeco.. Nach
Hoffman-Jordan S. 270 heißt jetzt λάμπρινα labrus livens,
λήπαινα und λαπίνα μαύρη symphodus tinca oder crenilabrus
pavo; der genuesische Name entspricht wohl dem jetzigen
laggiun bei Griffini S. 305. Das sind alles Lippfische. Auch
Hoffman-Jordan gehen vom Namen aus. Sie bestimmen den
Fisch als labrus bergylta oder 1. maculatus, da er neben
χελούδισες, χεῖλος, χειλοῦ auch φυχόψαρο und πετρόψαρο heißt.
S. ο. 5. 288°. Wie Belon die Stelle des Ovid über den Nest-
bau, so führen sie Aristoteles dafür an. Aber dies von der
phycis allein aufs bestimmteste bezeugte Kriterium trifft eben
auf keine Gattung der Lippfische zu und deswegen kann man
diesen Kombinationen nicht zustimmen.
V. 123 et squatus et tenui suffusus sanguine mullus.
Da Plinius XXXII 11, 150 sagt rhine quem squatum vocamus
— dies squatus findet sich noch als Name eines Fisches ohne
Schuppen bei Festus, wo man vor der phototypischen Ausgabe
von A. Thewrewk de Ponor fälschlich scarus las, 5. De Lucilio
S. 6, und nach Birt unter den nomina natantium bei Pole-
mius Silvius in C. Suetoni Reliquiae ed. Reifferscheid S. 259
— so ist squatus, wie das handschriftliche etsqua richtiger zu
δ Die Geschichte der Entdeckung des Nestbaues von gasterosteus
bei E. Blanchard, Les poissons des eaux douces de la France, Paris
1886 p. 202—212.
310 GeorgSchmid,
ergänzen ist als durch squatina, unzweifelhaft ein Roche,
wahrscheinlich einer mit dickem Schwanze nach Aristoteles
V 5, 14, eine Unterscheidung, die nur auf die Rochen paßt.
So muß die Identifizierung mit squatina, dem Engelhai, ob-
wohl dieser jetzt ῥίνα heißt, abgelehnt werden. S. Aubert
Tierk. 5. 147, dessen Beweisführung überzeugend ist. Doch
ist nicht zu leugnen, daß Plinius IX 51, 162 mit sargi, tor-
pedo, squali die Stelle des Aristoteles V 11, 37 σάργος xal
γάρχη χαὶ ῥίνη wiedergibt; nach der Stelle im XXX B. hätte
er auch hier squati schreiben müssen. Daß σάργος beanstandet
und zul νάρχη χαὶ ῥίνη als Einschiebsel bezeichnet wird, darauf
kommt es bei der Frage nicht an. Keßler führt S. 285 zwei
in erheblicher Anzahl im Schwarzen Meer vorkommende Rochen-
arten auf, den Dornrochen, raja clavata und pontica, und den
Stechrochen, raja pastinaca oder trygon p.
Die Familie der Seebarben, mullidae, jetzt τρίγλες, bildet
die Gattung Rotbarben, mulli, bei Aristoteles τρίγλαι, ital.
trigliee Da er VIII 2, 33 angibt, der σάργος folge Nahrung
suchend der τρίγλη, die den Schlamm aufzuwühlen vermöge
(Belon De aquat. p. 245 und Griffin 5. 340 bestätigend: mit
den Bärteln und dem Kopf, um Würmer zu suchen) und Pli-
nius IX 17, 64 dies vom sargus und mullus erzählt caenum
fodiente eo excitatum devorat pabulum — von dem er außer-
dem sagt: barba gemina insignitur inferiori labro — so ist
sicher, daß nach ihm die τρίγλη des Aristoteles mullus barba-
tus, die rote Meerbarbe, der Rotbart ist, was nach den
sonstigen, zutreffenden Merkmalen bei Aristoteles doch mit
Sicherheit zu sagen nicht möglich gewesen wäre. Im Kykla-
denmeere hat er, wie sein Verwandter, m. surmuletus „den
offenbar ungriechischen Namen prapprobveov“ (Aubert), der
eben von barbus abgeleitet ist, wie der Fisch bei Ausonius
Mos. 94. 134 heißt, sleich dem deutschen Barbe, und barbun,
barbulla, wie m. barbatus von den Griechen in der Krim ge-
nannt wird. Anderswo nennt man ihn jetzt χεφαλάδες, wegen
des Kopfes, der fast ein vertikales Profil zeigt (Apostolides
S. 15). Er ist gleichmäßig karminrot gefärbt nach Brehm
S. 53, „Hauptfärbung mattes Karmoisin“ nach Sucker S. 10,
wie bei Matron Att. Gastmahl v. 27 μιλτοπάρῃος, von μίλτος,
Die Fische in Ovids Halieuticon. 311
Rötel, Mennig, minium. Plinius sagt noch, nach Fenestella
seien sie von der Farbe der mullea caleiamenta, der Rot-
barbenschuhe, so genannt (welche die Patrizier trugen, die ein
kurulisches Amt bekleidet hatten), was wohl umgekehrt ist.
Der sterbende Rotbart zeige, zumal wenn man ihn in einem
gläsernen Behälter betrachte, ein buntes und oft sich änderndes
Farbenspiel, indem er nach vielfältigem Wechsel der roten
Schuppen blafß werde. Dieselbe Erscheinung beschreibt Seneca
Quaest. Nat. III 17. 18: die Barbe scheine nicht frisch, wenn
sie nicht in der Hand der Tischgenossen sterbe. Man bringe
sie also in Gläsern her und beobachte die Farbe der sterben-
den, die in multas mutationes mors luctante spiritu vertit.
Man entschuldige dies mit dem herrlichen Anblick: ipsa collue-
tatione animae sese affligenti rubor primum, deinde pallor
subfunditur: quam aeque variantur et in ceteras facies inter
vitam ac mortem coloris est vagatio! Brehm S. 52 gibt das
sehr ungenau wieder; auch tadelt Seneca, wie im Grunde auch
Plinius, die Raffiniertheit; der letztere schreibt sie den „Aristo-
kraten des Gaumens“ zu. Nach Günther 5. 123 erscheint die
Färbung am intensivsten in der Zeit zwischen dem Fang des
Fisches und seinem Tode, was offenbar von dem Drucke der
krankhaft komprimierten Muskeln auf die Chromatophoren
(Pigmentzellen) herrühre. Diese Tatsache machen die Fischer
sich unbewußt zu nutze, indem sie die Seebarben unmittelbar
vor deren Tode abschuppen und dadurch die gewünschte In-
tensität der roten Färbung der Haut hervorbringen, ohne die
der Fisch nicht verkäuflich wäre, was Sucker S. 10 bestätigt.
Indessen genüge dazu auch der bloße Uebergang von Dunkel-
heit zum Licht, wobei der Fisch blässer werde und vice versa.
Plinius gibt auch einzelne für den mullus gezahlte hohe Preise
an und sagt über die Hochschätzung desselben $ 64: ex pro-
xima nobilitate et gratia maxuma est et copia mullis, sicut
magnitudo modica, sie gehen selten über 2 Pfund Gewicht
hinaus (vgl. Horaz sat. II 2, 23 und Martial X 37, 8); größere
Exemplare hält Belon De aquat. p. 173 für portenta. Die
Länge gibt Brehm auf 30—40, Griffini auf höchstens 30,
Sucker nur auf 25 cm an. Auch wachsen sie nicht in Fisch-
teichen, sagt Plinius, und Columella VII 17,7, der mullus
912 GeorgSchmid,
sei höchst empfindlich, Sklaverei ihm unleidlich, selten halte
es einer im Gefängnis aus. So auch Brehm 5. 54: sie halten
nur dann geraume Zeit aus, wenn man sie in einem durch
reichliche Luftzufuhr gespeisten Seewasserbecken halte, was
schon Martial XIII 79 (spirat in advecto, sed iam piger, aequore
mullus. Languescit? vivum da mare: fortis erit) gewußt habe.
Im Mittelmeere ist die Seebarbe überall häufig, sonst aber
nach Plinius septentrionalis tantum hos et proxima occidentis
parte gignit oceanus. Hier muß man nach den Arten unter-
scheiden. Der mullus barbatus ist im Meerbusen von Biscaja
ziemlich selten, ebenso an den Küsten der Bretagne; ob er im
Kanal vorkomnt, läßt Moreau II p. 250 unentschieden; aber
die andere Art, mullus surmuletus, die gestreifte Meerbarbe, -
ist an allen französischen Küsten gemein. Nach P. Tschicha-
tscheff ist mullus barbatus nicht selten im Marmarameer und in
den Dardanellen, nach Keßler S. 205 kommt er im Schwarzen
Meer an den Ufern Abchasiens und der Krim in großen Her-
den, m. surmuletus außerdem in bedeutender Menge im Mar-
marameer vor. Ob die Angabe des Plinius, die am meisten
gerühmten schmecken nach Konchylien, auch jetzt noch be-
stätigt wird? Jedenfalls gehört er auch jetzt in Italien nach
Sucker zu den geschätztesten Tafelfischen, wie nach Aposto-
lides in Griechenland; er wird meist auf dem Rost gebraten,
aber auch gekocht.
Wenn Juvenal VI 40 die zwei am vorderen Ende des
Zungenbeines beim mullus sitzenden fleischigen Bartfäden seine
Mähne, iuba, nennt, so ist dies sehr kühn; er mag an die
Stirnhaare der Pferde gedacht haben. Unverständlich aber ist,
wenn die Bezeichnung der τρίγλη als γενεᾶτις bei Sophron von
Athenaeus VII 126 p. 325c dadurch erklärt wird, daß αἱ τὸ
γένειον ἔχουσαι ἣδίονές εἰσι μᾶλλον τῶν ἄλλων, denn, so viel
bekannt ist, hat die ganze Familie mullidae Bartfäden.
V. 124 fulgentes soleae et concolor illis
passer et Hadriaco mirandus litore rhombus.
Die solea ist nach Plinius IX 20, 72 und Columella VIII 16, 7
ein Flachfisch oder, wie der letztere sich ausdrückt, ein iacens,
prostratus piscis, wie rhombus und passer, so gut als gewiß
die gemeine Zungenscholle oder Seezunge, solea vulgarıs,
Die Fische in Ovids Halieuticon. 313
pleuronectes solea, γλῶσσα, ital. sfoglia, da diese, im Unter-
schied von anderen Arten, milchweiß ist auf der sog. Blind-
seite, nach der Ovid sie offenbar mit fulgentes charakterisiert,
5. Sucker 5. 837 (Brehm 5. 227 und L. Staby im „Haus-
schatz des Wissens“ a. a. Ὁ. S. 802 nennen sie bräunlich;
hierin scheint ein Unterschied zwischen den Mittelmeer- und
den Ost- und Nordseezungen zu liegen). Die Länge beträgt
in Mittelmeere höchstens 40, sonst 60 cm. Im Schwarzen
Meere ist sie in beträchtlicher Menge vorhanden (Keßler S. 237).
Milchweiß ist die Blindseite nach Sucker S. 87 auch bei
dem höchstens 40 cm langen passer, der dem unter den πλα-
zeig genannten στρουϑὸς Aelians entspricht (s. u.); passera und
passerina heißt noch jetzt in Italien pleuronectes passer oder
flesus, der Flunder, Butt, „der häufigste Seitenschwimmer
des Golfs von Triest, wohl des Mittelmeers überhaupt“, der
auch im Brackwasser lebt und in die Flüsse hinaufsteigt, wie
aus dem Schwarzen Meer in Menge in die Buchten des Dnjepr,
Bug, Dnjestr usw. Keßler S. 236. Auch aus der Ost- und
Nordsee geht er oft weit in die Flüsse hinauf, weshalb schon
ältere Ichthyologen ihn passer fluviatilis benannt haben, zuerst
3elon De aquatilibus p. 144, 5. von Siebold Die Süßwasser-
fische Mitteleuropas S. 78. Die Benennung Stachelflunder
bei Kießling zu Horaz Sat. II 8,29 und Gemoll Realien I
S. 29 ist weder in der wissenschaftlichen noch in der populären
Terminologie zu finden. Nach Brehms auch hier etwas ab-
weichender Beschreibung soll die Blindseite lichtgelb oder gelb-
lichweiß sein mit feinen schwarzen Punkten.
Der rhombus ist der Stein- oder Dornbutt, jetzt in
Griechenland χαλχάνι, ital. rombo, franz. und engl. turbot,
rhombus oder pleuronecetes maximus, auch rh. aculeatus, nach
Athenaeus VII 139 p. 330 B griechisch ψῆττα und von Nausi-
krates als γαλαχτόχρως bezeichnet, auch bei ihm ist die Blind-
seite milchweiß oder weißlich.
Wenn Athenaeus Recht hat mit dem Satze οἵ Ῥωμαῖοι
χαλοῦσι τὴν ψῆτταν ῥόμβον χαὶ ἔστι τὸ ὄνομα ἑλληνικόν, und
dabei die Stelle aus Archestratos εἶτα λαβεῖν ψῆτταν μεγάλην
(Fragm. 32) anführt, wozu noch Matron v. 27 kommt, so wird
sich die Bemerkung Kießlings zu Horaz Sat. I 2, 116, der
914 Θόας
rhombus sei eine spezifisch römische Delikatesse, nicht aufrecht
erhalten lassen. Aber allerdings wird er bei den Römern
öfter erwähnt, z. B. Martial XIII 81 wegen seiner Breite, da
er in allen italienischen Meeren häufig und sein Fleisch sehr
geschätzt ist. Besonders rühmte man den von Ravenna nach
Plinius IX 54, 169; Juvenal sagt 4, 39 Adriaci spatium ad-
mirabile rhombi. „Er ist der größte Fisch dieser Familie im
adriatischen Meere* (Sucker 8. 84), bis 15 kg schwer und in
den größten Exemplaren 75 cm lang; anderwärts erreicht er
eine Länge von 1 m und darüber. Nach Belon De aquat.
p. 139 bekam man in Frankreich manchmal über 40 Pfund
schwere aus dem Atlantischen Ozean. Ob die Beobachtung.
des Plinius c. 42, 144, daß squatina et rhombus, ähnlich wie
lophius piscatorius (s. u. 8.315) abditi pinas exsertas movent
specie vermiculorum, um ihre Beute anzulocken, richtig 150}
Vom rhombus findet sich nur, daß er bis auf die Augen mehr
oder weniger im Sande versteckt und mit Ausnahme der Augen
bewegungslos liegt, bis eine Beute ihn hervorlockt (Brehm
S. 229). Im Schwarzen und Asowschen Meere kommt eine
besondere Art häufig vor, rhombus maeoticus, bei den Tataren
in der Krim auch mit dem türkischen Worte kalkan genannt
(Keßler 5. 235); diesen meint wohl Plinius IX 15, 52, wenn
er sagt Pontum non intrant soleae, cum rhombi intrent.
Uebrigens stimmt Aelian XIV 3 nicht mit Athenaeus überein;
er führt als Flachfische auf Φήττας τε χαὶ ῥόμβους Kal στρου-
ϑοὺς (passeres) καὶ νάρκας Aal τὰ τοιαῦτα.
V. 126 tunc epodes lati, tum molles tergore ranae.
Da epodes nur hier und nach dieser Stelle bei Plinius XXX1I
11,152 als lati generis erwähnt werden, so kann man nicht
mehr wissen, als daß auch sie Flachfische sein sollen, von
denen Hoffman-Jordan 5. 277 außer den hier genannten noch
sieben als vorkommend anführen. Wäre nicht eine besondere
(Gattung gemeint, so könnte man an das griechische nepodes
denken. Birt schlägt S. 128 vor, lepores zu lesen, da ein
λαγὼς ϑαλάσσιος erwähnt wird bei Plutarch c. 35, Aelian
XVI 19 und Athenaeus VII c. 126 p. 425c; aber auch dieser
Fisch ist nicht sicher bestimmbar; cyelopterus lumpus, der
Seehase, kann es nicht sein, da dieser im Mittelmeere nicht
Die Fische in Ovids Halieuticon. 315
vorkommt, wie auch nicht im Schwarzen. Die Vermutung
von Bikelas, der jetzige λαγὼς sei eine Merlanart, merlangus
vulgaris, ist unhaltbar, da dieser identisch ist mit merlangus
poutassou nach Apostolides S. 29. Auch Hoffman - Jordan
S. 251 finden die Bestimmung des λαγὼς unmöglich. 8. u.
Die rana ist der βάτραχος ὃ ἁλιεὺς καλούμενος bei Aristot.
IX 37,133, der sich im Sande verbirgt und mit seinen Fühl-
fäden die Fische anlockt, wie mit einer Angel, s. Griffini
S. 457, bei Plinius, der die Aristotelesstelle benützt IX 42, 143
rana piscatrix. Die Angabe über die Lage der Gallenblase an
der Leber (Arist. II 16, 68) hat eine Sektion durch Dr. Chr.
Gilbert bestätigt (Hoffman-Jordan 5. 279). Es ist also lophius
piscatorius, der Angler oder Seeteufel, auch Frosch-
fisch und Froschteufel, von dem ÖOppian II 98 sagt νωϑῆὴς
μὲν ὅμως χαὶ μαλϑαχὸς ἰχϑύς, αἴσχιστος δὲ ἰδεῖν. Wie Aristo-
teles seine Art, Fische zu fangen, genau beschreibt und nach
ihm Plinius, so Oppian II 86—119; kürzer Aelian IX 24 und
sanz kurz, aber richtig Cicero De nat. deor. II 49, 125 (wo
übrigens Schömanns Anmerkung verbesserungsfähig ist, etwa
nach Brehm 3. 124 und 127). Mittelgriechisch hieß er
βαϑρακχός, jetzt πεσχανδρίτζα, in Chalkis χλάσχα, in Patras
βατραχόψαρο, ital. pesce rospo, diavolo di mare, franz. boudraie,
crapaud. Er kann 2 m lang werden — im Epidaurus fand
Belon De aquat. p. 86 drei Ellen lange —, ist aber meist
kleiner und kommt nach Sucker 5. 58 in über 1 m langen
Exemplaren in Triest selten auf den Markt; es ist ein plumper
Fisch von auffallender Häßlichkeit, im Aeußeren den Rochen
ganz ähnlich. Der Körper ist nackt (Günther 5. 333), daher
molles tergore. Im Mittelmeer überall gemein kommt er
zuweilen auch im Schwarzen Meere vor (Keßler S. 225).
V. 130 lubrieus et spina nocuus non gobius ulla.
Die Bestimmung des χωβιὸς bei Aristoteles schien zwar Aubert
S. 134 nicht ganz sicher, da aber gewisse Arten von Meer-
grundeln (von den bis jetzt bekannten beinahe 300) im
Kykladenmeer und sonst noch jetzt γοβιὸς heißen und außer-
dem, wie hinzuzufügen ist, einige Angaben des Aristoteles, wie
die über das Leben πρὸς τοῖς λίϑοις, und daß sie truppweise
sich zusammenhalten, VI 13, 76. IX 2,26, bestätigt werden
816 Georg Schmid,
(bei Brehm 5. 140), so sind offenbar diese gemeint, die weder
mit der Kaulquappe, cottus gobio, noch mit dem Süßwasser-
fisch gobio, dem Gründling, verwechselt werden dürfen, wie
bei J. Marquardt Privatleben S. 149 Anm. 5 (franz. Ueber-
setzung von 1893 II p. 59 not. 5) geschieht. Die Meergrun-
deln haben eine nackte oder beschuppte schleimige Haut und
daß ihre Stacheln keinen Schaden verursachen, wie z. B. auch
bei Aelian II 50 steht ἰὸν ἀφιᾶσιν, od μὴν eis ϑάνατον, geht
aus Günthers Beschreibung der Familie gobiidae 5. 345 her-
vor: „Die stachelige hückenflosse oder der stachelige Teil
derselben ist weniger entwickelt und aus biegsamen Stacheln
zusammengesetzt“. Belon De aquat. p. 233 sagt sogar, die
Rückenflosse sei weich und ohne Stacheln. Es sind kleine
Fische, selten über 15 cm, nur gobius capito oder exanthe-
maticus, die große Meergrundel, nach Griffini 5. 428 aus-
nahmsweise 28, nach Brehm 35 em und darüber lang. Keßler
zählt 5. 213—225 über 50 Arten auf, von denen 20 dem
Schwarzen Meere angehören.
V. 191 et nigrum niveo portans in corpore virus
lolligo durique sues sinuosaque caris.
Die jetzige lolligo vulgaris, bei Aristoteles wahrscheinlich
τευϑίς, der gemeine Kalmar, ital. calamaro, calamajo (Belon
De aquat. p. 337 quasi atramentarium dicere vellent), griech.
χαλαμάρι, kann nicht wohl die von Ovid genannte lolligo sein,
da sie nach O. Schmidt S. 279 ein vorherrschend sehr brillantes
karminrotes Kolorit hat, wogegen freilich Leunis-Ludwig 8. 841
sagt: Körper blaßfleischfarben oder gelblichweiß, was indessen
ebenfalls zu niveum corpus wenig paßt. Damit ist wohl das
Durchscheinende gemeint, wie es z. B. an der lolligo sagittata,
dem Pfeilkalmar, beschrieben wird; von zwei anderen Arten,
lolligopsis Veranyi und ]. vermicularis heißt es ebenfalls bei
Schmidt S. 281f., der Körper sei gallertig durchsichtig; die
letztere wäre bei dem Mangel aller Farbzellen gleich einem
Stück Eis im Wasser nicht sichtbar, wenn nicht die beiden
schwarzen Augenpunkte den Beobachter leiteten. Aber auch
bei lolligo subulata ist der Körper silbergrau und durchschei-
nend. Es läßt sich also nur sagen, daß die lolligo Ovids eine
Kalmarart ist. Die 1. vulgaris wird 45—60 cm lang und
Die Fische in Ovids Halieutieon. 317
kommt nach Plinius IX 15, 52, der 30, 93 fünf Ellen lange
im italienischen Meere erwähnt, im Pontus vor; einiges über
sie ebenda 28, 83 und 29, 84. Wegen Birts Bemerkung 5. 122
sei hinzugefügt, einmal, Aristoteles’ Angabe IV 1,11, diese
Tinte — dies ist virus — geben alle Weichtiere von sich, am
meisten aber die sepia, und dann die von Leunis-Ludwig S. 831
$ 645 bei der sepia schon angeführte. Bei Horaz Sat. I 4, 100
ist nigrae sucus lolliginis eine transpositio epithetorum, statt
niger sucus lolliginis; die Färbung des gemeinen Kalmars ist
ja karminrot. Kießling verwechselt den Kalmar mit der sepia,
wie die angezogene Pliniusstelle zeigt. Bei Plautus Cas. II
8, 57. 58 werden sepiola und lolliguncula neben einander ge-
nannt; schon deswegen ist die Gleichsetzung von sepia und
lolligo bei O. Weise Griechische Wörter S. 112 und 516 un-
haltbar. Nach Aristophanes Acharn. 1156 und Ritter 930 wird
der Kalmar gebraten. Die mittelgroßen Exemplare werden
nach Ὁ. Schmidt wegen ihres guten Geschmackes und zarteren
Fleisches vorgezogen. Darin hat sich der Geschmack geändert,
denn nach Belon De aquat. p. 338 ist der Kalmar wie die
Sepie bei allen Nationen wenig geschätzt.
Die duri sues sind nicht sicher bestimmbar. Auch über
die in Ainos und im Pontus zu kaufende ὗς bei Archestratos
Fragm. 22, ἣν καλέουσί τινες ϑνητῶν ψαμμῖτιν ὀρυχτῆν, 5. Athe-
naeus VII 131 p. 326E, ist nur eine Vermutung möglich.
Curzio erklärt sie für pesce porcd, womit er wahrscheinlich —
denn es gibt vier im Italienischen so genannte Fische — cen-
trina Salviani, eine Seekatze, meint, die die Tiefen und schlam-
mwigen Gründe vorzieht (Griffini 5. 109). Duri würde dazu
nicht passen, da ihr Fleisch so gut als ungeniefßsbar ist und
einen öligen Geschmack hat, s. Brehm S. 477. Archestratos aber
gibt Anweisung zum Kochen des Kopfes und zum Braten des
Rückenstückes, an dem die Flossen sitzen (λοφιή), und mit
Ψψαμμῖτις ὀρυχτὴ ist sicherlich kein fossiler Fisch gemeint, was
bei diesen Anweisungen komisch wäre, sondern einer, der sich
in den Sand zu vergraben pflegt. Athenaeus vermutet, Nu-
menios nenne die ὗν ψαμαϑῖδα. Wenn man als gleichbedeu-
tendes Femininum die Öx:vx annähme, die nach Aelian IX 49
zu den χήτεα τὰ μέγιστα gehört, so führt eine Angabe Belons
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft. 21
918 Georg Schmid,
zu einer Kombination. Er sagt nämlich De aquat. p. 105, in
Byzanz, wo man den Wels aus dem Strymon häufig sehe,
werde er mit der antiken Benennung glagnus ab insigni gla-
britie genannt, und in Les Observations IB. 99 Bl.: Glaignon
ou Glanos, c’est & dire Silurus, autrement Hiena: 5. III B.
48K; auch heiße er halb griechisch, halb türkisch glanos baluk
(Fisch). Die Beschreibung seiner Lebensweise bei Brehm
S. 236 trifft zu: „Ruhige Tiefen mit Schlammgrund bilden
seinen Standort. Hier lauert er träge hinter Steinen, ver-
senkten Baumstämmen, Schiffstrümmern u. dgl. auf Beute,
spielt mit seinen Bärteln und fängt die nach diesen schnappen-
den Fische weg“ usw. Das durus würde durch Brehms Be-
merkung erklärt, das Fleisch der älteren Welse sei eigentlich
nur für einen außereuropäischen Gaumen geeignet, verlange
wenigstens sorgfältige Zubereitung, ehe es geniefßbar werde.
Daraus verstünde man des Archestratos Rezept. Allerdings
ist der Wels eigentlich ein Süßwasserfisch, wie ihn auch Belon
nennt; doch bezeichnet ihn schon Plinius im Verzeichnis $ 145
mit dem lateinischen Namen als amni ac mari zugleich ange-
hörig; unter den eigentlichen Seefischen führt er ihn ὃ 149 als
glanis auf; daß er auch im Schwarzen Meer (im Kubangebiet)
und im Asowschen vorkommt, darüber s. den Anhang. Ob
die hyaena, die Plinius bei Ischia sah, nach XXXII 11, 154,
derselbe Fisch ist, ist fraglich; daß man die Thune Meer-
schweine nennen könnte, wie Athenaeus VII 64 p. 302c sagt,
hat für die Bestimmung der sus keine Bedeutung. Die heutigen
Namen οὔαινα, οὔγαινα, yvalv« kommen dem charax puntazzo,
ital. morrudo, einer Brassengattung zu (s. Apostolides S. 23,
Hoffman-Jordan 5. 263), die hier nicht in Betracht kommt.
Sinuosus, reich an Windungen, sollte man als Epitheton
etwa des Aales erwarten, wie es Vergil Georg. I 244 ein solches
der Schlange ist. Es bezieht sich aber auf einen Kruster, da
χαρὶς bei Aristoteles einen solchen bezeichnet und zwar wahr-
scheinlich den palaemon squilla, den gemeinen Granat-
krebs, gamberello oder gamberetto d’acqua salsa, nach Ouvier
crevette (Aubert 5. 152, Sucker 5. 123), bei Plinius squilla,
denn der Angabe des Aristoteles über die χαρὶς V 7, 22 ent-
spricht die des Plinius IX 51, 158 über die squilla.. DBelon
Die Fische in Ovids Halieuticon. 319
gibt De aquat. p. 356 als damalige Namen noch an bei den
Griechen carides und caranıdıa, in Marseille caromboti, an der
atlantischen Küste cheurettes, a saltatione, quasi capreolas
dicant, in Paris entstellt guervettes, in Venedig squillae. Diese
crevette, die grünlichgrau mit braunen Punkten, fast durch-
scheinend, 5—6 cm lang wird, ist es ohne Zweifel, mit der
bei Horaz Sat. II 4, 58 der schlaffe Magen des Trinkers an-
geregt werden soll — daß sie auf Kohlen und auf der Pfanne
geröstet wurden, weiß man auch aus Stellen der komischen
Dichter Ophelion und Sotades bei Athenaeus III 66 p. 106 A
und VII 41 p. 293A — und die, mit welcher der Seeaal
Sat. II 8, 42 garniert ist, selbstverständlich nicht die Krabbe,
wie Gemoll Realien I S. 51 meint, obwohl nach Leunis-Lud-
wig ὃ 1157, 6 die Ostseefischer sie mißbräuchlich so nennen;
auf sie würde das sinuosa, das sich durch die den Hinterleib
bildenden Segmente oder Ringe erklärt, gar nicht passen. Nur
auf das Krebschen, nicht auf die Krabbe passen auch die Be-
zeichnungen χυρτή, χαμπύλη (gekrümmt) der Komiker bei
Athenaeus. Auch in Griechenland ist der Granatkrebs sehr
verbreitet, doch soll er nach E. Guerin Exped. Scient. de
Moree ΠῚ 2 p. 43 weniger gesucht sein, als im übrigen Europa.
In Italien ist er sehr beliebt und nach Sucker ziemlich häufig
und in Oel gebacken recht schmackhaft. Auch dies stimmt,
daß er wie die Palämoniden überhaupt, beim Kochen rot wird
(wie beim Rösten, nach Anaxandrides: ἐρυϑρότερον χαρῖδος
ὀπτῆς σ᾽ ἀποφανῷ, bei Sophron heißen sie ἐρυϑραί, bei Epi-
charmos Yorvixızt), während die meisten übrigen Garneelen,
auch crangon vulgaris farblos werden nach Leunis - Ludwig
S 1157, 1 und Ὁ. Schmidt S. 54, nach welchem die Palämo-
niden die fünfte Gattung der Familie Garneelen, carididae,
bilden. Die wissenschaftliche Terminologie scheint etwas zu
schwanken. Aubert sagt S. 150: χαρίδες xupal, Crevette,
Heuschreckenkrebs; nach ©. Schmidt S. 56 ist es der gemeine
Heuschreckenkrebs, squilla mantis, die französische Crevette
aber crangon vulgaris, die Garnate oder Granate, engl. shrimp,
nach Sucker S. 124 die gemeine Garneele, ital. squilla, schilla.
Die Färbung und der Geschmack wie beim Granatkrebs; aber
crangon vulgaris wird, wie gesagt, beim Kochen nicht rot.
21 *
920 | Georg Schmid,
Gerade bei den Garneelen erfordert die Unterscheidung der
Gattungen und Arten ein besonders mühsames Detailstudium,
OÖ. Schmidt S. 52.
Eine andere, eine parva squilla, die mit der Steck- oder
Schinkenmuschel, pina, eine Verbindung zur Versorgung mit
Nahrung eingehen soll, erwähnt Cicero De nat. deor. II 48, 123.
Schömann verweist dabei auf Plinius IX 42, 142, nach neueren
Naturforschern sei aber dieser Zweck sehr zweifelhaft, was
übrigens auch schon 1829 G. H. Moser in seiner Uebersetzung
S. 1623 bemerkt hatte, der außerdem angibt, nach Murets
Var. Lect. V 10 stamme die Erzählung aus dem fünften Buche
von des Chrysippos Περὶ τοῦ καλοῦ xal τῆς ἡδονῆς, dem sie .
Athenaeus III 38 p. 89 D entnommen hat. Daß sie von Chry-
sippos herrührt, sagt schon Plutarch c. 30 mit dem sarkas-
tischen Zusatz, der πιννοτήρας, wie er ihn nennt, habe die
meiste Tinte des Chrysippos aufgebraucht und führe in natur-
wissenschaftlichen und moralischen Büchern den Vorsitz. An
einer zweiten Stelle, De fin. III 19 erklärt Cicero die Sym-
biose, wie sie Plutarch nennt, etwas anders: die squilla be-
wache die Muschel und wenn sie sich in diese zurückziehe, so
sehe es aus, als warne sie sie, auf der Hut zu sein. Hiezu
bemerkt Madvig, nach den Zoologen verhalte sich die Sache
nicht so: die squilla verirre sich vielmehr in die Bartfäden,
den Byssus der Muschel und verwickle sich darin. Dies ist
aber schwer zu verstehen, da die squilla eben in der Muschel
gefunden wird, der Byssus aber die Fäden sind, mit denen
sich diese an Steine usw. festheftet.
Schon Belon, der De aquat. p. 399 angibt, in Griechen-
land bringen die Schiffer ganze Kähne voll Steckmuscheln auf
den Fischmarkt, während sie in Venedig selten und in Rom
noch seltener seien, bestreitet die teleologische Erklärung der
Alten mit der doppelten Begründung, die Steckmuschel nähre
sich nicht von Fischehen und wenn sie es täte, so müßte der
pinophylax sich in allen finden, man könne aber zehn öffnen,
bis man einen antreffe.. So bestreiten sie auch die neueren
Naturforscher, Ὁ. Schmidt nennt sie ein artiges Märchen
S. 455 und Br. Dürigen etwas zu poetisch; doch dürfe mau
annehmen, sagt der letztere, daß die Muschel dem erbsen- oder
Die Fische in Ovids Halieuticon. 331
En
vogelkirschengroßen Krebs Schutz gewähre und dieser der
Genossin kleine mikroskopische Brocken von seinem Mahle zu-
kommen lasse; er sei der Reiche, der sich im Hause eines
Blinden niedergelassen habe und als guter Mieter aus Dank-
barkeit für die sichere Wohnung und das bequeme Lager die
Mieterin an seiner Tafel mitessen lasse (im „Hansschatz des
Wissens“, Abt. VI Bd. 8 S. 241).
Aber die Tatsache steht auch ihnen fest, wie den Alten,
von denen sie schon Sophokles fragm. 109 und Aristophanes
Wesp. 1510 gekannt haben. Von den Zoologen hat sie zuerst
Aristoteles besprochen. Nach Tierk. V 15, 68 kommen in der
Steckmuschel, pina nobilis, zwei Weichschaltiere vor, die zu
den χαρχίνοι gehören, ein χαρίδιον und ein xapxiviov (man teilt
sie jetzt der ersten Ordnung der Krebse zu), erstens πινοτήρης
oder πινοφύλαξ, jetzt pinoteres pinophylax oder veterum ge-
nannt — dies ist eine Krabbe von der angegebenen Größe,
auch von Aristoteles als τὸ μέγεθος μιχρὸς πάμπαν bezeichnet,
da das Männchen nur 6,5, das Weibchen 15—18 mm lang
ist; sie bildet die fünfte Gattung der Familie Viereckkrabben,
ein ζῷον χαρχινῶδες, wie Plutarch sagt, und ein Brachyuros;
zweitens ein χαρίδιον, das man mit pontonia Tyrrhena gleich-
setzt, das aber von Cicero nicht gemeint ist — dies ist ein
zur Familie der Garneelen gehöriges, langschwänziges Krebs-
chen. Von den Muscheln sagt Aristoteles einfach ἔχουσιν ἐν
αὑταῖς πινοφύλακα, αἱ μὲν χαρίδιον, αἱ δὲ χαρκίνιον, Plinius
übertreibend nec unguam sine comite. Die pina (wie man jetzt
im Lateinischen, analog dem Griechischen, gewöhnlich schreibt)
nobilis, wird im Mittelmeere bis 30 cm lang. Nicht erst bei
Plinius, sondern schon bei Chrysippos findet sich also die oben
erwähnte Erklärung der Symbiose, aus ihm hat sie Cicero ent-
lehnt. Naturgetreu ist die Krabbe pinoteres veterum abge-
bildet auf dem Elektronstater aus Kyzikos bei Imhof-Blumer
und Keller Tier- und Pflanzenbilder Taf. VII 8 und auf den
Gemmen Taf. XXIV 25 und 27. Das Fleisch der Muschel
ist von mittlerer Güte, die „allen Austernessern wohlbekannte “
Krabbe wird mitgegessen (Sucker 5. 136).
Bei Aristophanes erklärt sich das σμικρότατος τοῦ γένους
aus der minimalen Größe des männlichen x«xpxiv:ov πινοτήρης
ζ
>» Georg Schmid,
©
(Arist. V 16, 68. 70). Philokleon erkennt dies kleinste Mit-
glied der Familie Krabbe nicht gleich, wobei er wohl eine ent-
sprechende Bewegung macht, und fragt, ob es eine ὀξὶς oder
eine φάλαγξ sei. Das erstere Wort ist noch nicht aufgeklärt,
φάλαγξ aber ist wohl gleich φαλάγγιον, was eigentlich Spinne
bedeutet, wie ἀράχνη. Die größte Aehnlichkeit mit einer sol-
chen hat ein Aristot. Tierk. IV 4, 52 erwähntes χαρχίνιον
ὅμοιον ταῖς ἀράχναις, wahrscheinlich stenorrhynchus phalangium,
eine Dreieckkrabbe, oxyrrhynchus, Abbildung bei Leunis-Lud-
wig $ 1148, 4.
Gewiß hat der Dichter bei den Söhnen Krabbes, die er
der Größe nach bezeichnet, ganz bestimmte Krabbenarten im
Sinn gehabt, die auch die Zuschauer gekannt haben müssen.
Versucht man eine Bestimmung, die natürlich nur hypothetisch
sein kann, so muß man von Aristoteles ausgehen, der Tierk.
IV 2,17 die xopxivor ebenfalls der Größe nach aufführt (vgl.
Plinius IX 31, 97): die größten sind die μαῖαι, dann kommen
die n&yovpo: und Ἡραχλεωτιχοί und noch die ποτάμιοι, zuletzt
kleinere, namenlosere (Aubert S. 154). Offenbar soll das vor-
nehm klingende Καρχινίτης des Dichters den größten Krabben-
sohn bezeichnen, der tpxywöös wohl als tragischer Tänzer
heißt, v. 1505. Die größte Krabbe im Mittelmeer ist maja
sauinado 7), die gemeine Meerspinne, Teufelskrabbe, ital. granzo
das Männchen, granzevola das Weibchen, die, zu den Dreieck-
krabben gehörig, 10—18 cm lang und 13,5 cm breit wird und
„wegen ihrer Größe, Schmackhaftigkeit und Häufigkeit das
wichtigste Krebstier des Triester Marktes ist“ (Sucker 8. 133;
über das Fleisch urteilt Leunis-Ludwig anders). Ob Aristoteles
gerade sie meint, was Aubert wegen der nicht ganz zutreffen-
den Angaben über die Augen und Füße V 3, 34 in Frage
zieht, kommt nicht in Betracht. Abbildungen bei Ὁ. Schmidt
S. 33, Leunis-Ludwig $ 1148, 1. ᾿
Der Bruder, der ἕτερος v. 1508, ist nach den Scholien der
πάγουρος. Nimmt man das an, so gehört er also zu der zweit-
τὴ Belon De aquat. p. 370 leitet den Namen, der in Marseille ge-
bräuchlich sei, von den unzähligen Stacheln auf dem Rücken der Krabbe
ab, die wie eine Flachshechel aussehen: une squinaude, ad pectinem,
ad quem linum attenuatur, alludentes. In Frankreich sei der vulgäre
Name iraigne de mer (d. h. araigne, Spinne).
Die Fische in Ovids Halieuticon. 3923
größten Art des Aristoteles, die aber bei diesem unbestimmbar
ist. Indessen ist gewiß, daß Plinius IX 31, 98 nach Aristo-
teles V 15, 74. einen pagurus beschreibt, nicht, wie im Texte
steht, einen pinotheras. Dies ist nach Aristoteles ein xap-
χίνιον, wie Aristophanes Ritter v. 606, die jetzt nicht mehr
streng zu den Krabben, sondern von einigen zu den sog.
Mittelkrebsen, anomura, gezählte Familie der Einsiedlerkrebse,
von denen eine Gattung, der p. Bernhardus, Bernhardkrebs,
12—15 cm, eine andere, p. Prideauxii 7—10 cm lang ist.
Abbildung bei ©. Schmidt nach 5. 38, bei Leunis- Ludwig
δ 1152, 1. Jetzt ißt man sie nicht; bei Aristophanes, der die
athenischen Rosse nach der Landung auf korinthischem Boden
sie fressen läßt, mag darin noch ein besonderer Witz versteckt
sein. DBelon De aquat. p. 268 versteht unter pagurus den
gleich zu nennenden Taschenkrebs.
Dann bleibt als der mittelste Bruder von den dreien, den
Philokleon später verspeisen will, v. 1502, wohl der Heracleo-
ticus übrig, der nach Aubert 5. 155 wahrscheinlich der in
Griechenland sehr verbreitete, jetzt χάβουρι genannte cancer
pagurus oder moenas ist, der gemeine oder breite Taschen-
krebs, dessen Länge 9—12 cm bei 30 cm Breite beträgt. Er
ist nicht nur in den Mittelmeerländern, sondern auch in Eng-
land beliebt (Br. Dürigen S. 258).
Wenn Philokleon sich zu den Krabben eine Brühe bestellt:
v. 1515 ἅλμην χύχα, so vergleiche man das Rezept für das
Sieden der Krebse bei Sucker 5. 168: man macht eine Brühe
aus Möhren und Zwiebeln mit zerlassener Butter, gießt ein
Glas Weißwein an (v. 331 ὀξάλμη, Essig und Salzwasser),
eine große Tasse brauner Kraftsauce und eine solche durch-
geseihter Krebsbrühe, dann noch Petersilie und Paprika.
Eine ganz andere Version gibt das Scholion zu der Stelle
der Wespen: die Muschel öffne sich, um die Wärme der
Sonnenstrahlen hereinzulassen; diesen Moment benutze die
Krabbe, um hineinzudringen und sie zu beißen, worauf die
Muschel sich schließe und von der Krabbe aufgezehrt werde.
— Uebrigens wäre es Zeit, den alten Zopf abzulegen, den die
Konchyliologen und so noch Ὁ. Schmidt S. 29 und 458 mit
der Schreibung pinnotheres beibehalten; der zweite Bestandteil
324 Georg Schmid,
kommt natürlich von τηρεῖν her, das Cicero mit custodire
wiedergibt; pinotheras bei Plinius IX 31, 98 ist von ϑηρᾶν
gebildet und bezeichnet einen Einsiedlerkrebs.
Lucilius sagt v. 1240 ed. Marx tadelnd: omnia in ista
consumis squilla, wozu im Kommentar 5. 393 bemerkt wird:
σχίλλα bedeute eine Pflanze — es ist scilla maritima, die
Meerzwiebel, jetzt σχυλοχρομμύδι 5. C. Fraas Synopsis 5. 285
— und zugleich genus locustae parvulae. Dazu ist es gut,
vor allem anzumerken, daß locusta in diesem Falle nicht etwa
die Laub- oder Wanderheuschrecke, ἀχρὶς und ἀττέλαβος bei
Aristoteles und locusta bei Plinius XI 29, 101 ff. bedeuten soll.
Vergleicht man sodann mit den Angaben des Aristoteles
V 17,86 und VIIL2, 25£. (auch bei Athenaeus III 65 p. 105c)
über den χάραβος die des Plinius IX 30, 95 über die locusta,
so ist kein Zweifel, die letztere ist mit dem ersteren identisch.
Κάραβος aber ist nach Cuvier und anderen (8. Aubert S. 152)
so gut als gewifS der im Mittelmeere häufige palinurus vul-
garis, die Languste, die der ersten Gattung der Familie
Loricata, Panzerkrebse, angehört. Plinius hat IX 31, 97 das
griechische Wort beibehalten, indem er als erste Gattung der
Krebse die caravi nennt; natürlich hat er sie dann in das See-
tierverzeichnis nicht aufgenommen, weil er hier den lateinischen
Namen locusta vorzog. Wenn er weiter sagt: caravi cauda a
ceteris cancris distant, so ist das richtig, da die Langusten zu
den Langschwänzen, macrura, gehören, bei denen die Glied-
maßen der beiden letzten Segmente mit dem letzten Körper-
gliede eine lange Schwanzflosse bilden. ©. Schmidt 3. 44.
Daß die locusta des Plinius von der squilla desselben und des
Lucilius verschieden ist, geht eben schon daraus hervor, dafs
er IX 51, 158 und XI 37, 152 beide neben einander nennt und
in dem Verzeichnis, in dem auch pinoteres besonders steht,
XXXII 11, 149. 151 locusta und squilla je an ihrem Orte auf-
führt. Also kann die squilla des Lucilius keine Languste sein,
wie z. B. Götte bei Friedländer zu Juvenal 5, 81 mit Unrecht
annimmt.
Aber auch der gemeine Granatkrebs, die Crevette, ist sie
schwerlich. Denn wenn das auch für die Stelle des Lucilius
paßte, wo das Wort generell und kollektiv gebraucht ist, so
Die Fische in Ovids Halieuticon. 395
widerstrebt eben Juvenal 5, SO ff., wo es ohne Zwang nur als
einzelnes Exemplar zu verstehen ist, das der knauserige Gast-
geber sich selbst servieren läßt garniert mit Spargeln. Da es
also ein größerer Krebs sein muß und Juvenal sagt: aspice,
quam longo distendat pectore lancem, so ist diese squilla, wie
die des Lucilius, vermutlich der χραγγὼν des Aristoteles (Aubert
S. 153), squilla mantis, der gemeine Heuschrecken-
krebs, ital. canocchia; nach anderen Gespenstheuschrecken-
krebs, der nach Sucker 5. 137 lang gestreckt ist, 18 cm lang
wird und nach ihm und OÖ. Schmidt S. 57 als ausgiebig und
wohlschmeckend auf den Markt kommt. Daß es ein sehr
sroßer Meerkrebs gewesen sei, ist aus Juvenal nicht zu er-
weisen, aber auch nicht aus Cicero Ep. fam. IX 10 ingentes
squillae, da dies eben relativ, im Verhältnis zu den gewöhn-
lichen kleineren Exemplaren der Art gemeint ist. Das qua
despiciat cauda bezieht sich auf den breiten Fächerschwanz,
der von den zwei letzten Segmenten gebildet wird und für den
Krebs charakteristisch it. Der cammarus aber, der dem
schlecht behandelten Gaste vorgesetzt wird, muß ein geringer
Krebs sein; man darf daher nicht mit Weidner an den ge-
meinen Hummer, homarus vulgaris, astacus marinus denken —
der doch eben eine Delikatesse ist —, aber auch nicht, aus
denselben Grunde und wegen der geringen Größe, die 5 cm
nicht überschreitet, mit Götte an die nica edulis, den italie-
nischen Granatkrebs, saletto, eine Garneele, die zu den belieb-
ten Krebsen gehört. Vielmehr wird cammarus — der aller-
dings bei Plinius in seinem Seetierverzeichnis XXXII 11, 148
aufgeführt wird, und zwar an einer Stelle, wo er die wenigstens
beabsichtigte alphabetische Ordnung auffallend unterbricht,
nämlich zwischen cynops und cynodexia, aber in einer Reihe
von Handschriften fehlt, und mit Recht, da $ 147 cancrorum
genera schon genannt sind — einfach der ἀσταχὸς ποτάμιος,
astacus fluviatilis, der Flußkrebs sein. Dies ist er ganz un-
zweifelhaft bei Varro De re rust. III 11, 3 und übereinstim-
mend bei Columella VIII 15, 6, nach denen den Enten zu-
weilen ex aqua cammarus gegeben werden soll. Und derseibe
nach dem Kochen rote Krebs ist es, den Martial II 43, 12 an-
redet concolor in nostra, cammare, lance rubes, als gleichfarbig
396 GeorgSchmid,
mit dem Rotbart, mullus, den der reiche Candidus sich vor-
setzen läßt im Gegensatz zum armen Dichter. So hat ihn
schon Belon De aquat. p. 353 bestimmt als gammaro bei den
Anwohnern des Po, gammarella bei den Römern, escrevisse in
Frankreich und caranis oder caranidia bei den Griechen. Beide
Krebse werden bei Juvenal erst beim Essen mit Oel begossen,
vom Hausherrn mit dem aus Venafrum (wir würden jetzt
sagen: mit Provenceröl erster Sorte). Bei Horaz Sat. II 8, 42 ff.
ist das Oel in der Brühe enthalten, in der der Fisch serviert
wird; sie ist außerdem aus Fischgarum, Wein, weißem Pfeffer,
Essig und einigen Kräutern (eruca, Rauke, Senfkohl und inula,
wahrscheinlich thymus incanus, wohlriechender Thymian) und
Seeigeln bereitet. Dazu vergleiche man das Rezept, nach dem
jetzt in Triest der Heuschreckenkrebs zubereitet wird (Sucker
S. 169): „man läßt Oel recht heiß werden und gibt geriebenes
Brot, fein geschnittene Petersilie und Knoblauch hinein. Wenn
alles schön braun geworden, legst man die Krebse hinein und
läßt sie ein wenig dünsten. Dann gießt man so viel weißen
Wein dazu, daß sie bedeckt sind, sowie fein gestoßenen Pfeffer
und Zimmet und läßt sie noch 20 Minuten dünsten. Man
bringt sie mit der Sauce in einer Schüssel auf den Tisch“.
Sicher bilden bei Juvenal die zwei Krebse einen besonderen
Gang; diesem folgen, als weiteres ferculum, die Fische, der
teure Rotbart, dem die Muräne beigegeben wird, um dem Virro
noch einen Hieb zu versetzen, und diesen entsprechen dann
der geringe Flußaal oder der Flußkrebs.
Uebrigens vertritt die Languste, die 45 cm lang und in
Riesenexemplaren 6—8 kg schwer wird, den Anwohnern des
Mittelmeeres den hier selteneren Hummer und ist ein ge-
schätzter Tafelkrebs (Ὁ. Schmidt 5. 44. Sucker 5. 129); die
Angabe des Aristoteles, sie habe ihre Schlupfwinkel an Riffen
und felsigen Stellen, ist richtig. Sie ist „ausgezeichnet durch
die den Körper an Länge übertreffenden äußeren Fühler mit
dieken stachlichten Stielgliedern und langer Geißel“, s. die
Abbildung bei Ὁ. Schmidt nach S. 44, die an Plin. IX 30, 95
cornibus inter se dimicant erinnert. Dies macht es erst be-
greiflich, wie bei Petronius ec. 35 die locusta marina als Sinn-
bild auf den Steinbock gelegt werden konnte: die gewaltigen
Die Fische in Ovids Halieuticon. 397
Fühler können mit dem Gehörm des Steinbocks verglichen
werden. Eine antike Abbildung findet sich aus dem Museo
Borb. VI Taf. 38 in dem „Stilleben“ in Guhl und Koner,
Leben der Griechen und Römer, 6. Aufl. von Engelmann S. 752
Fig. 964; nur sind die Fühler hier wenig gebogen. Sogar die
dichte Bestachelung des Kopfbruststückes ist angegeben. Sie
mache, sagt Belon De aquat. p. 350, die Bestrafung des Fischers
bei Sueton v. Tib. 60 so grausam, weil tota corporis anterioris
pars aculeis riget, vgl. Sucker S. 128: die ganze Oberfläche
des Rückenpanzers ist rauh, stachelig. Uebrigens findet Belon
die Languste besser gedämpft als gesotten; im letzteren Falle
speie sie die mutis — id autem esse putant piscis stercus —
aus und dies sei das schmackhaftere an ihr, weshalb man in
der Provence sage: De la langusta meglior la merda, que la
grusta. Er teilt diese Auffassung der μύτις des Aristoteles
nicht; es sei die Leber (De aquat. p. 354). Dies hält auch
Aubert zu Tierk. IV 1,11 für wahrscheinlich. Der Redner
Kallimedon, der nach Athenaeus III 64 p. 104D von seiner
Vorliebe für Langusten den Spitznamen Karabos erhielt und
dem nach Alexis die Fischhändler eine eherne Bildsäule mit
einer gerösteten Languste in der Rechten errichten wollten,
ist eine Parallele zu dem Karkinos des Aristophanes.
Bei der ersten Stelle des Cicero: pina — sic enim Graece
dieitur — duabus grandibus patula conchis, cum parva squilla
quasi societatem coit comparandi cibi, muß auffallen, daß nur
die pina, nicht aber auch die squilla als griechisches Lehnwort
bezeichnet wird. O. Weise Griechische Wörter 5. 116 und 154
tut dies allerdings, aber mit Unrecht. Cicero hatte seinen
guten Grund: nur der Pflanzenname, den man jetzt scilla
schreibt — an zwanzig Stellen allein bei Plinius — ist natür-
lich Lehnwort, aber der Name der Krabbe ist griechisch eben
χαρίς, wie auch mehrere Glossen bezeugen, z. B. Corp. Gloss. Il
p. 187 squillae χαρίδες ϑαλάσσιαι, squilla χαρίς. Dies ist also
griechisches Lehnwort bei Ovid, der es allein von den römischen
Schriftstellern gebraucht, 5. Ὁ. Weise S. 118 und 370.
Die χαρὶς in dem Fragment aus Antiphanes bei Athe-
naeus VII 4 p. 295 F, die mitten unter lauter Fischen steht,
328 Georg Schmid,
und die nach zwei Fischen erwähnte bei Aristoteles VIII 30, 174
können ganz gut die Garneele oder die Krabbe sein.
V. 133 tam deformi non dignus nomine asellus.
Darin liegt ein ziemlich abschätziges Urteil über den Esel,
das auch sonst angedeutet wird, z. B. darin, daß er von Horaz
als surdus, störrisch, male parens, iniquae mentis bezeichnet
wird Epp. II 1, 199. I 20, 15. Sat. I 9, 20. Auch seine Leist-
ungen werden nicht besonders hochgestellt: sein Hauptnutzen
oder wie Plinius VIII 43, 167. 170 sagt, opera generi muni-
fica, mularum maxime progeneratione, liegt darin, daß er Zucht-
tier ist; er leistet also direkt lange nicht das, was das Pferd
oder das Maultier leistet. Nach Varro De 1. Lat. V 77 ge-
hören zu den Fischnamen, die translata a colorıbus, von der
Farbe hergenommen sind, die des asellus (den er IX 113 noch
einmal nennt), der umbra und des turdus. Die gewöhnliche
Farbe des italienischen Esels ist aber nach Columella VI 37, 6
murinus, mausgrau, obwohl es daneben auch dunkle, nigros,
gebe. Diese Färbung ist also für den Fisch gegeben. Nun
kennt man noch jetzt nach Apostolides 5. 29 einen Fisch mit
Namen γαϊδουρόψαρο oder γαδουρόψαρο von γαΐδαρος, γαΐδουρος,
γάδαρος, der Esel. Dies ist nach ihm und Hoffman - Jordan
S. 276 gadus poutassou oder vernalis, auch merlangus com-
munis und pollachius poutassou genannt, eine zur Gattung der
bärteliosen Schellfische gehörige Art, der Merlan, bei
Belon marlangus. Die Färbung ist nach Griffini 8. 192 grau-
bräunlich am Rücken, am Bauche silbern. Er ist im Mittel-
meere überhaupt häufig, im Adriatischen jedoch selten, und
erreicht höchstens eine Länge von 42 cm. Sein Fleisch ist
delikat und zart und deswegen sagt ja doch Ovid, daß er seinen
Namen nicht verdiene. Noch zutreffender wäre es allerdings,
wenn man annehmen dürfte, es sei eine andere Art der Schell-
fische, der gadus merlangus oder merlangus vulgaris, dessen
Fleisch Brehm 5. 215 als ausgezeichnet, an Güte das jedes
anderen Schellfisches übertreffend, höchst schmackhaft rühmt
(nach Griffini wird es auch getrocknet und gesalzen, wie das
des Stockfisches); am Rücken sei er blaß rötlichbraun, ins
Aschgraue spielend; er nennt ihn Wittling (Weißling), wie
auch Leunis-Ludwig S. 710, der jedoch über sein Fleisch anders
Die Fische in Ovids Halieuticon. 329
urteilt, was subjektiv sein mag. Unsere Bestimmung gründet
sich also wesentlich auf die Färbung und den jetzigen Namen
des Fisches, der übrigens im Kykladenmeere, wo er häufig
vorkommt, nach Erhard bei Aubert 5. 137 σχαρμός, auf dem
Fischmarkt in Athen τσοιπλάχι heißt (Hoffman-Jordan).
Auf eine Schellfischart kommt man auch auf anderem
Wege. Eine solche ist jedenfalls der ὄνος des Aristoteles und
der des Archestratos Fragm. 14, nach dem er auch χαλλαρίης
heißt; ihm schmecke er nicht, aber andere loben ihn höchlich.
Nun nennt aber Dorion bei Athenaeus VII 90 p. 312 D γαλλα-
ρίας den ὀνίσχος und c. 99 p. 315F sagt er γαλλερίας, ὃν
χαλοῦσί τινες ὀνίσχον τε χαὶ μυξῖνον, und Euthydemos ebenda
οἱ μὲν βάχχον καλοῦσιν, οἱ δὲ γελλαρίην, οἱ δὲ ὀνίσχον. Ganz
so sagt Plinius IX 17, 61, der das Zeugnis des Cornelius Nepos
und des Mimendichters Laberius dafür anführt, daß in älterer
Zeit neben dem lupus die aselli besonders geschätzt worden
seien: asellorum duo genera, collyri minores et bacchi, qui
non nisi in alto capiuntur, ideo praelati prioribus, und XXXII
11, 146 collyris (Mayhoff: callarias) asellorum generis, mit dem
Zusatz: nı minor esset. Wie es scheint, faßt Plinius den
asellus als Gattung (asinus ist im Lateinischen nicht Fisch-
name) und die collyri (offenbar γελλαρίης) und bacchi als Arten
auf. Dann könnte man bei collyrus an den Zwergdorsch, gadus
minutus, euxinus denken, der im Schwarzen Meer vorkommt,
namentlich in bedeutender Menge an den Ufern der Krim, wo
die griechischen Fischer ihn ἀσπρόψαρο nennen (Keßler 5. 234),
Angaben, die zu Brehm 5. 214 nachzutragen sind. Külb
(Uebersetzung des Plinius 5. 1064) meint, asellus sei das zur
fünften Gattung der Schellfische gehörige Seewiesel, die ge-
meine Seequappe oder Dreibärteltrüsche, motella tricirrata,
bezeichnenderweise auch onos trieirratus genannt. - Das Fleisch
gilt jetzt ebenfalls für gut (Sucker S. 82), was also zu Ovids
Bemerkung passen würde. Aber die Beschreibung der Färbung
bei Brehm 5. 220: „längs des Rückens und auf den oberen
Flossen auf schön gelbbraunem Grunde mit großen dunkel-
braunen Flecken gezeichnet“, spricht gegen diese Bestimmung,
Uebrigens kommt die 35—40 cm lange motella auch im
Schwarzen Meer allerorten vor. Keßler S. 235.
330 Georg Schmid,
Zuletzt ist zu bemerken, daß P. Belon in seinen Obser-
vations I B. 3 Kap. den asellus für eine andere Gattung der
Familie Schelläsche, den Meerhecht, merluccius, Kummel oder
Hechtdorsch erklärt, den man in Kreta Gaideropsaro nenne.
De aquat. p. 129 hatte er gesagt, er sei an den griechischen
und italienischen Küsten häufig und ohne Zweifel der callarias
des Aristoteles und Galenos. Es gebe überhaupt viele Arten
aselli; er handelt von ihnen von p. 122 bis 133.
Bei Gellius VI 16 zählt M. Varro in der satura περὶ
ἐδεσμάτων eine Reihe von Tieren und Früchten auf mit der
Angabe, wo sie am besten seien; darunter sind auch aselli
Pessinuntiü. Die Anordnung: drei Vögel, ein Vierfüßler (hae- -
dus), drei Fische, unter diesen die aselli, zwei Muscheln, zwei
Fische, drei Baumfrüchte, ist offenbar keine symmetrische,
sondern zufällig, vielleicht durch das Metrum bestimmt; außer-
dem zitiert Gellius nach dem Gedächtnis. Die Annahme ist
daher nicht allzu kühn, Varro habe nach dem Böcklein nicht
drei, sondern nur zwei Fische und dann wieder einen Vier-
füßler genannt. Denn es ist ganz unverständlich, wie die
aselli nach Pessinus gekommen sein sollten, einer tief im
Binnenlande gelegenen Stadt Galatiens, bei Plinius V 32, 146
Pisinous, nicht einmal unmittelbar an einem Flusse, sondern
vielleicht 20 km vom Oberlauf des Sangarius entfernt, dem
heutigen Sacari, der allerdings nach Livius XXXVII 18, 8
piscium accolis ingentem vim praebet, und nach Rich. Pocockes
Beschreibung des Morgenlandes, übersetzt von Chr. E. von
Windheim, Erlangen, 1755 ΠῚ 8. 128 (in der englischen Ori-
ginalausgabe II S. 86) eine Menge sehr großer Karpfen be-
herbergt. Aber das sind Süßwasserfische, die aselli aber mit
einer einzigen Ausnahme, der Quappe, lota vulgaris, Seefische,
bei Plinius im Verzeichnis zu den peculiares mari gehörend,
und es ist nichts davon bekannt, daß Schellfische in Flüsse,
zumal so hoch hinauf, eintreten. So ist man zu der Auffassung
geradezu genötigt, daß die aselli des Varro wirkliche junge
Esel, equi asini, sind. Daß der Braten von Eselsfüllen auf
vornehme Tafeln kam, ist fast aus Varros Zeit bezeugt: nach
Plinius VIII 43, 170 pullos asinarum epulari Maecenas insti-
tuit multum eo tempore praelatos onagris. post eum (also nach
Die Fische in Ovids Halieuticon. 331
dem Jahre 8 p. Chr. n.) interiit auctoritas saporis asino, näm-
lich dem zahmen. Denn vom Wildbret der Wildesel, die in
den an Galatien grenzenden Provinzen Phrygien und Lykaonien
vorzüglich seien, heißt es 44, 174 pullis ceu praestantibus sapore
Africa gloriatur. Danach ist der neue Thesaurus s. v. asellus
zu berichtigen, wie Ὁ. Hense im Rhein. Mus. N. F. LXI
(1906) 8. 3.
Man hat der Bestimmung des asellus auch die Angabe
des Plinius XXXII 7, 77 bacchi quem quidam myxona vocant,
zugrunde gelegt. Wenn diese Lesart richtig ist (Mayhoff liest
mizyenen), so ist der myxon offenbar der μύξων oder σμύξων
des Aristoteles V 11, 38. VI 17, 99 und nach Aubert S. 136
sicher eine Meeräschenart, die sich jedoch nicht genauer be-
stimmen lasse. Nun heißt aber jetzt noch an manchen Orten
Griechenlands μυξινάρι die Springmeeräsche, mugil saliens, ital.
verzelata, die, bis 40 cm lang, auch im Schwarzen und Asow-
schen Meere vorkommt (Keßler S. 229); die Färbung würde
passen: sie ist auf dem Rücken dunkelgrau, wie die anderen
Arten, und auch der Umstand, daß ihr Fleisch, wie das aller
Meeräschen sehr schmackhaft ist. Allein daß Ovid den mugil
schon v. 38 erwähnt hat, verbietet den asellus auch als Meer-
äsche zu deuten.
In dem Schriftehen De Lucilio ete. ist auch von dem
letzten Fisch des Ovid gehandelt in v. 134
tuque, peregrinis acipenser nobilis undis.
Durch das Attribut sind die Störe, a. sturio, a. Naccarii, u. a.
Nardoi, von denen der ‚erste im Mittelmeer überhaupt nicht
selten ist (otoup:öv: bei Hoffman-Jordan S. 241, und storione),
die anderen, kleineren, ausschließlich dem Adriatischen ange-
hören, sowie a. huso, der Hausen, der im letzteren, wenn auch
sehr selten gefunden wird (Griffini 5. 141. Sucker 5. 104),
ausgeschlossen. (Es mag hier eingeschaltet werden, daß nach
Belon De aquat. p. 103 die Fischhändler in Ferrara den Hausen
betrügerischerweise für den Stör verkauften und daß er damals
dort Copesce, sonst aber in Italien Calpesce hieß; jetzt heißt
Cöpese der a. Nardoi). Nach der Monographischen Darstellung
der Gattung Acipenser von L. Fitzinger und J. Heckel (Wien
1836) ist der acipenser Ovids der Stern- oder Rüssel-
339 Georg Schmid,
stör, acipenser stellatus, helops, Donensis und Ratzeburgi
oder sewrjüga (nach dem Russischen), der nur im Schwarzen,
Asowschen und Kaspischen Meere vorkommt, hier aber nach
Keßler S. 283 der am häufigsten erscheinende, namentlich im
Asowschen Meere der vorherrschende Fisch der ganzen Familie
ist. Das nach Sucker 5. 104 einmal bei Zara gefangene, jetzt
im Museo civico in Triest aufbewahrte Exemplar ist offenbar
ein zufällig dahin verschlagenes. Uebereinstimmend damit
führt ihn Griffini nicht unter den Mittelmeerfischen auf.
Richtig hat ihn so schon Külb in seiner Pliniusübersetzung
S. 3514 gedeutet. Nach Brehn, der noch die deutschen Namen
Scherk, Schirkel, Schörgel, Spitznase und Sternhausen angibt,
da er auch in der mittleren Donau erscheint, wird er etwa
2 m lang und bis 25 kg schwer (5. 428). Die Frage, ob
Martial XIII 91 Ad Palatinas acipensem mittite mensas: am-
brosias ornent munera rara dapes, eine ausländische Störart
im Auge gehabt habe (0. Schrader, Reallexikon S. 830), ist
wohl zu verneinen, 8. o. 5. 281 zu v. 96 Plin. IX 17, 60. Auch
jetzt. scheint sein Vorkommen in den italienischen Meeren
nicht sehr häufig (Griffini S. 140), doch vielleicht häufiger als
im Altertum (Nissen Ital. Landesk. 1 5. 316). Vgl. De Lucilio
ete. p. 25. Vielleicht interessiert die Erinnerung, daß Leibnitz
in Scriptor. Rerum Brunsuic. I p. 93 den Namen Stör von
dem nordischen stor, groß, abgeleitet und daß Forster Bey-
träge zur Länderkunde ΠῚ S. 262 eine ähnliche Etymologie
befolgt hat, wie zu lesen ist bei J. G. Schneider in Petri
Artedi Synonymia piscium etc. sive Historia piscium naturalis
et literaria, Lipsiae 1789 p. 127.
Die Beobachtungen, die Ovid im ersten Teile mitteilt und
die dem Satze Brehms ὃ. 10: „wir können die Fische nicht
als begabte Tiere erklären“ sowie dem S. 12: „Auch Verstand
haben die Fische, aber freilich sehr wenig“, einigermaßen
widersprechen, sind oben als interessant bezeichnet worden.
Dies fand auch Plinius; XXXII 2, 11—13 leitet er die Be-
sprechung der einzelnen Beispiele, die er offenbar nicht inımer
mit dem volumen Ovids in der Hand macht, mit den Worten
ein: mihi videntur mira et quae Ovidius prodidit piscium in-
Die Fische in Ovids Halieuticon, 333
genia, eine Stelle, die auch dadurch merkwürdig ist, daß sie
z. T. die Erklärung eines alten Schriftstellers durch den an-
deren enthält. Das erste Beispiel vom scarus gibt er so
wieder: scarum inclusum nassis non fronte erumpere nec in-
festis viminibus caput inserere, sed aversum caudae ictibus
crebris laxare fores atque ita retrorsum erepere (Mayhoff
repere). So frei diese Wiedergabe in einzelnen Ausdrücken
ist, so liegt es doch nahe zu vermuten, das sin der Hand-
schriften Ovids v. 10 sei zu si nassis inclusus zu ergänzen.
Eine Schwierigkeit, die Plinius nicht hebt, liegt in adsumpta-
que (so hat die Handschrift) dolo tandem pavet esca v. 11.
Offenbar soil der Köder, wie das Netz v. 26, als dolus be-
zeichnet werden, wie Odyssee XII 252 ἰχϑύσι τοῖς ὀλίγοισ’
δόλον κατὰ εἴδατα βάλλων (was ich übrigens anderswo unter
Heranziehung von Oppian III 458—475 und Plinius IX 59, 180
so erklärt habe, daß der Fischer einige Tage lang die Fische
ködert, „anfüttert“). Die Lesart bei Ovid, die prosaisch durch
adsumpta tandem esca sive dolo zu erklären wäre, ist so selt-
sam, daß est fast notwendig ist anzunehmen, Ovid habe ge-
schrieben: adsumptoque dolo tandem pavet escam. Den
nächsten Zug v. 15 gibt Plinius so wieder: quem luctatum
eius si forte alius scarus extrinsecus videat, adprehensa mordi-
cus cauda adiuvare nisus erumpentis. So frei auch hier
namentlich der Schluß Ovids Gedanken umschreibt, so möchte
doch aus extrinsecus zu schließen sein, daß das handschrift-
liche mitis durch Riese’s intus sehr wahrscheinlich verbessert
ist. Indem Plinius die sepia merkwürdigerweise übergeht, was
die oben gemachte Bemerkung bestätigt, daß er das Gedicht
nicht immer einsah, sagt er vom Seebarsch, lupum rete cir-
cumdatum harenas arare cauda atque ita condi, dum transeat
rete. Arare harenas in der in ihrer Art poetischen Sprache
des Plinius ist das dimotis harenis des Ovid, submissus sidit
gibt er durch conditur wieder; das absolut nötige dum transeat
rete muß in irgend einer Form in der Lücke v. 25 gestanden
haben. Das ovidische in auras ist hier wie v. 36 immerhin
seltsam. Von der murena sagt Plinius dann, maculas adpetere
ipsas consciam teretis ac lubriei tergi, tum multipliei flexu
laxare, donec evadat, wo maculae, die Maschen, den foramina
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft. 22
334 Georg Schmid,
retis Ovids entspricht. Vom Polypen aber übergeht er den
ersten Zug in dessen Verhalten, die Anpassung an die Oert-
lichkeit, den zweiten umschreibt er so: polypum hamos adpe-
tere braechiisque conplecti, non morsu, was dem bracchia dis-
solvit entnommen ist, nec prius dimittere quam escam circum-
roserit, aut harundine levatum extra aquam; hier hat Plinius
wohl bei Ovid populatumve gelesen: wird er mit der geho-
benen Angelrute über das Wasser emporgezogen (emersus),
so läßt er das Pferdehaar los, das er mit den Armen um-
klammert hatte, um den Köder zu verspeisen, und fällt natür-
lich ins Meer zurück, oder er speit den Haken aus, der ihn
verletzt hat. Zur Meeräsche v. 38 gibt Plinius die natur-
wissenschaftliche Erklärung: scit et mugil esse in esca hamum
insidiasque non ignorat, aviditas tamen tanta est, ut cauda
verberando excutiat cibum. Dann erklärt er, den Seebarsch
mit der Meeräsche vergleichend: minus in providendo lupus
sollertiae habet, sed magnum robur in paenitendo, das zweite
Beispiel von diesem so: nam si (is ut Mayhoff) haesit in hamo,
tumultuoso discussu laxat volnera, donec excidant insidiae, dies
ist der saevus hamus des Ovid. Aus desselben acri concitus
ira schließt Plinius offenbar, daß er alle Kräfte anstrengt —
magnum robur in paenitendo —, wenn aber tumultuoso dem
vario des Ovid entspricht, so muß bei Plinius discursu gelesen
werden, was schon Mayhoff aufgenommen hat. Das zweite
Beispiel des Meeraals v. 43 gibt Plinius so wieder: murenae
amplius devorant quam hamum, admovent dentibus lineas atque
ita erodunt. Hier wird morsu sehr richtig durch dentibus
umschrieben, s. 0. S. 258. Aber der Anfang wie das Ende
der Erklärung scheint darauf hinzuweisen, daß der Text Ovids
nicht ganz vollständig ist, weshalb Riese mit Recht eine Lücke
andeutet. Die Erklärung des Beispiels vom anthias — anthias
tradit idem infixo hamo invertere se, quoniam sit in dorso
cultellata spina, eaque lineam praesecare, ist dadurch bemer-
kenswert, daß die Strahlen, die IX 59, 182 mit einer Säge
verglichen waren, jetzt mit Messerchen verglichen werden, so-
wie dadurch, daß Ovids lina als Angelschnur erklärt sind.
Zuletzt sagt Plinius XXXI 11, 152, folgende Seetiere
zähle Ovid auf, quae apud neminem alium reperiuntur, sed
Die Fische in Ovids Halieuticon. 335
fortassis in Ponto nascentia: bovem, cercyrum in scopulis vi-
ventem, orphum rubentemque erythinum, iulum, pietas mor-
myras aureique coloris chrysophryn, praeterea parum, tragum
et placentem cauda melanurum, epodas lati generis, also elf.
Bei neminem alium hat er offenbar an Naturforscher gedacht
und sich selbst ausgeschlossen; denn er erwähnt den erythinus
viermal IX 16, 56. 52, 166. XXXIL 9, 101 und 10, 139, die
chrysophrys unter dem lateinischen Namen aurata dreimal,
IX 16, 58. XXXII 11, 145 und 5, 43, den melanurus XXXII
9, 17, den orphus IX 16, 57, den bos 24, 78 in der 5. 277 an-
geführten Stelle als griechischen Namen eines Flach- und
Knorpelfisches; es ist ein starker Gedächtnisfehler des Plinius,
daß er hier die Arıstotelesstelle vergessen hat, zumal da er
doch die mit bos identische cornuta nennt. Vgl. o. zu chromis
v. 121. Der melanurus wird ja auch bei Ennius genannt, den
Plinius unberücksichtigt läßt, s. o. und De Archestrato etc.
S. 2. Die übrigen hat er in das Seefischverzeichnis am Ende
des XXXII B. aufgenommen. Auffallend ist endlich, daß er
unter den Fischen Ovids einen parus nennt. Diese Schwierig-
keit läßt sich nicht auf dern Wege lösen, den nach dem Vor-
gang von Broterius Mayhoff eingeschlagen hat, indem er bei
Plinius statt des parum der Hdschr. percam liest; denn die
percae hatte Plinius schon in demselben Kap. 11, 145 als
Fluß- und zugleich Seefische aufgeführt. Man muß also an-
nehmen, daß entweder ein Gedächtnisfehler vorliegt, oder daß
Plinius in seinem Ovidexemplar v. 112 nicht percaeque, son-
dern parique gehabt hat. Wenn das letztere der Fall ist, was
für wahrscheinlicher gelten mag, so kommt ein Vogel parus
im Lateinischen noch einmal vor und zwar in dem Carmen de
Philomela (Poetae Lat. min. Rec. A. Baehrens. Vol. V, LXI
Ῥ. 363), wo es heißt, er könne nicht mit der Nachtigall ver-
glichen werden, sein Gesang niemandem gefallen, quamquam
per noctem tinniat omnem°). Man hat ihn für eine Meise
8) Die Schreibart parrus, die Baehrens vorzieht, kommt bei unserer
Frage nicht in Betracht. Sie findet sich noch bei Aldhelmus Ep. ad
Acircium (Opp. ed. J. A. Giles 1844) p. 303 parri tinnipant. Auch par-
rula Corp. Gloss. III 18, 3 ist etwas anderes, da es durch χορυδαλλός
erklärt wird, was, wie im Altgriechischen, so noch jetzt in dieser und
in der Form σχορδαλὸς die Lerche bedeutet. Die Kenntnis der beiden
Stellen verdanke ich Herrn A. Malein.
22%
996 Georg Schmid,
erklärt — in welcher Bedeutung schon Belon im 16. Jahr-
hundert den Namen anführt — und nach ihm in der Ornitho-
logie die ganze Familie der Meisen paridae benannt; aber das
tinnire per omnem noctem paßt auf keine einzige. Dies kann
sich nur auf einen Nachtsänger beziehen. Als solche kämen
zunächst zwei Rohrsänger in Betracht, die Rohrdrossel, acro-
cephalus turdoides, von der Brehm 5. 868 angibt, das Männ-
chen singe in der ersten Zeit sogar zu allen Zeiten der Nacht,
und der Uferschilfsänger, acrocephalus oder calamodus phrag-
mitis, der immer sehr eifrig singt, am meisten in der Morgen-
dämmerung, aber auch in hellen Nächten (S. 871). Allein zur
Beschreibung des Gesanges beider will sich das onomatopoe-
tische tinnire oder tinnipare, wie auch gelesen wird, nicht
fügen. Dagegen paßt dazu der Gesang des Heuschrecken-
oder Grillensängers oder Schwirls, der locustella Rayi oder
certhiola, der als ein einziger, einförmiger, sehr langgezogener,
zischender Triller oder ein Schwirren, dem, wie es die großen
grünen Heuschrecken mit den Flügeln hervorbringen, täuschend
ähnlich bezeichnet und durch den Laut sirrrr wiedergegeben
wird (S. 874). Am Brutplatz fängt er nach Naumann erst
nach Sonnenuntergang ordentlich an, singt immer eifriger, je
mehr die Mitternacht naht, bis nach zwölf Uhr, setzt nun eine
gute Stunde aus, beginnt wieder und treibt es ebenso eifrig
als vor Mitternacht bis zum Aufgang der Sonne. Hat das
Weibchen erst Nest und Eier, so singt das Männchen bloss
bei mitternächtlicher Stille oder früh, wenn der Morgen kaum
zu grauen anfängt. Ob es nun eine einigermaßen wahrschein-
liche Vermutung ist, daß der parus diesen Vogel bedeutet,
oder nicht, jedenfalls könnte dieser Vogelname ebenso gut auf
einen Fisch übertragen worden sein, wie z. B. der der Drossel,
χίχλη, der Amsel, χόττυφος, der Schwalbe, χελιδών, des
Kuckucks, χόχχυξ, der Turteltaube, τρυγῶν und des Milans,
ἰχτῖνος. Aber welcher Fisch mit dem Vogelnamen parus ge-
meint wäre, das zu wissen ist unmöglich. Die Vermutung
Haupts (auch bei Külb 5. 3514), es sei sparum zu lesen, ist
unannehmbar, da sparus ein öfters genannter Fisch ist.
Nach dem jetzigen Stand unseres Wissens ist übrigens
die Vermutung des Plinius inbetreff des Vorkommens jener elf
Die Fische in Ovids Halieuticon. 337
Fische im Pontus nicht begründet: abgesehen von den unbe-
stimmbaren cereyrus, parus, epodes kommen gerade bos
orphus, mormyr, chrysophrys, tragus und melanurus im
Schwarzen Meere nicht vor.
Anhang.
Einige ichthyologische Beiträge zu Ὁ. Schraders Real-
lexikon der indogermanischen Altertumskunde.
S. 349 wird gesagt, „die Entscheidung über die Frage,
ob der Hecht schon den Alten bekannt war, hänge davon
ab, ob man mit zahlreichen Auslegern denselben in dem la-
teinischen lupus, entsprechend dem griechischen λάβραξ, er-
blicke, die von anderen als eine Art Seebarsch gedeutet wer-
den“. Gemeint sind offenbar die Ausleger des Horaz, die den
lupus Sat. II 2, 31 entweder für einen Meerwolf erklärt haben,
von dem die Wissenschaft nichts weiß, — sie kennt nur einen
Seewolf, anarrhichus lupus, der jedoch im Mittelmeer nicht
vorkommt —, oder sie haben ihn für den Hecht ausgegeben
und zwar mit solcher Konsequenz und solchem Erfolg, daß
diese irrtümliche Lehre in den angesehensten Handbüchern der
Altertumskunde vorgetragen wird. So bei J. Marquardt im
Privatleben der Römer, nicht nur in der Ausgabe von 1882,
S. 418f., wo die entscheidenden Stellen der Schriftsteller ganz
mißverstanden sind, sondern auch in der von 1886 und folge-
richtig in der französischen Uebersetzung von V. Henry [1
p. 58: „le brochet (lupus)“. Dazu die Anm. 5 Auson. Mos.
122 le nomme lucius. Ebenso p. 59 Anm. 7. Ihm folgen
Guhl und Koner, 6. Aufl. von Engelmann, 1895, 5. 749, und
W. Gemoll in den Realien des Horaz I 5. 29 (1892). Und
doch hatte schon 1845, um zunächst nicht weiter zurückzu-
greifen, Oken (eigentlich Ockenfuß) m der Abhandlung über
Ausons Fische in der Mosel, Isis 5. 7, festgestellt, daß lupus
der sog. Meerbarsch sei (der übrigens auch in der Nord- und
Östsee in großen Schwärmen vorkommt), Ph. H. Külb hatte
338 Georg Schmid,
1853 in seiner Pliniusübersetzung zu IX 16, 57. 17, 61 und
64, 169 lupus mit Wolfsbarsch, wie man in der Wissenschaft
die ganze Gattung nennt, und H. O. Lenz 1856 S. 488 mit
Lachsbarsch wiedergegeben, alle also richtig die Familie der
Barsche, percidae, und die Gattung labrax erkannt, die man
übrigens neuerdings dicentrarchus nennt. Andererseits hatte
Oken S. 10 konstatiert, daß als Hecht, esox lucius, von den
Gelehrten „unanimiter“ der lucius v. 122 anerkannt sei. Für
die zoologische Wissenschaft, die doch in solchen Fragen ein
gewichtigeres Wort zu reden hat, als die zahlreichsten, ja alle
Ausleger des Horaz, sofern sie sich um naturwissenschaftliche
Forschungen nicht kümmern, wie leider in diesem Falle die
deutschen, scheint es, ausschließlich — auch in der neusten
Kießlingschen Ausgabe von R. Heinze heißt es nur: „lupus,
λάβραξ“ und dafür gibt Pape wiederum: Meerwolf — für die‘
Wissenschaft ist es ausgemacht, daß Jupus nicht der Hecht
sein kann. Vielmehr ist der lupus der Römer ausnahmsweise
an einigen Stellen, wie Varro De re rust. ΠΠ 3, 9 und Colu-
mella VIII 16, 3, der Flußbarsch, der sonst perca heißt,
wissenschaftlich perca fluviatilis, zu Belons Zeit in Rom cerna,
jetzt pesce persico; sonst aber ist es regelmäßig der labrax
lupus, der Seebarsch (s. ο. 5. 264). Den immer noch Un-
gläubigen überzeugt vielleicht H. Nissen, der Italische Landes-
kunde I S. 316 (1883) mit Verweisung auf Strother A. Smith,
The Tiber and its tributaries, London 1877 (vgl. S. 308) sagt:
„Der auf der Insel gefangene lupus, perca labrax, labrax
lupus, spigola, eine Art Bars, welcher bis 20 Pfund schwer
wird“, also noch heute. Trotzdem findet sich in Baumeisters
Denkmälern Bd. ΠῚ 5. 1499 Art. Rom noch im Jahre 1888
die ganz originelle, aber nicht weniger unrichtige Angabe, der
lupus sei eine flußaufwärts gekommene Meerbarbe, da doch
diese der bekannte mullus ist, der nach den Ichthyologen nie-
mals in Flüsse aufsteigt.
Um wieder auf den Hecht zu kommen, so lebt er nach
Griffin S. 246 in den Seen, stehenden Gewässern, Sümpfen,
Flüssen und Gräben Ober- und Mittelitaliens massenhaft, im
Süden vielleicht seltener, ist also auch hier ein Süßwasserfisch,
was der lupus bei Horaz nicht ist; wenn er auch zuweilen
z. B. in den Lagunen von Venedig vorkommt nach Canestrini
bei Moreau III p. 468, heißt er doch auch nach Griffini 5. 246
der Hai der süßen Gewässer.
Daß der Hecht, ἴσοξ, wie ihn die griechischen Zoologen
mit dem bei Hesych gebrauchten Namen nennen, noch jetzt
auch in den Flüssen und Seen Griechenlands vorkomnt, zeigt
N. Apostolides in dem Schriftchen Οἱ ἰχϑύες τῶν γλυχέων
Die Fische in Ovids Halieuticon. 339
ὑδάτων τῆς Θεσσαλίας, ᾿Αϑήνησιν, 1892 5. 12°). Das Volk
nennt ihn τοῦρνα.
Es ist an sich höchst unwahrscheinlich, daß die Alten
einen jetzt in den ihnen bekannten Flüssen so gemeinen Fisch
nicht gekannt und keinen Namen für ihn gehabt haben sollten.
Wenn sie ihn nicht erwähnt hätten, was sich indessen aus dem
Folgenden als irrig erweisen wird, so wäre dies offenbar so zu
erklären, daß sie, Anwohner der fischreichen Meere, sich für
die Flußfische weniger interessierten, macht doch Bikelas die
Bemerkung (5. 230 A. 2), daß wie Belon 1555, so noch Th.
von Heldreich in La Faune de la Grece 1878 nur sehr wenige
Süßwasserfische anführe, „weil die Kenntnis derselben noch
sehr unvollkommen sei“. Auch Hoffman-Jordan haben den
Flußhecht nicht aufgenommen (S. 249). Wenn die Neueren
lupus mit Meerwolf übersetzten, so ist das sehr naheliegend:
lupus, der Wolf, da es ein Seefisch sein soll, der Meerwolf,
heifSt doch der Flußhecht auch Wasserwolf; aber auch sehr un-
richtig, wenn z. B. Leunis-Ludwig den Gattungsnamen labrax
ὃ 482, 2 so übersetzt: λάβραξ, Meerwolf, ein gefräßiger
(λάβρος) Fisch bei Aristoteles“, und dann doch im Text die
Gattung richtig Seebarsch nennt. Auch war es naheliegend,
dann außerdem noch Abxos herbeizuziehen, wie Weise tat
(Griechische Wörter S. 111), um die schöne Gleichung λύχος,
lupus, Wolf herzustellen. Leider ist sie gänzlich unhaltbar,
da wir aus Athenaeus VII 16 p. 282D, der einzigen Stelle,
wo ein Fisch λύχος genannt wird, erfahren, daß nach Dorion
von einigen der ἀνϑίας, von anderen der χαλλιώνυμος so ge-
nannt werden, beides Fische, die weder mit dem Hecht noch
mit dem Seebarsch etwas zu tun haben.
In der römischen Literatur hat man bisher die erste sichere
Erwähnung des Hechtes in dem um 368 an Ort und Stelle
verfaßten Idyllium Mosella des späteren Konsuls in Gallien,
Dec. Magnus Ausonius gefunden, wo der Flußhecht ganz un-
zweifelhaft mit dem Namen lucius bezeichnet wird (s. ο. S. 237)
und zwar mit dem witzigen Zusatz: Latio risus praenomine,
woraus aber der prosodischen Verschiedenheit wegen nicht auf
eine Entlehnung von Abxos geschlossen werden darf. Dies
lucius hat sich sowohl im Italienischen, als von da im Neu-
griechischen als Name des Hechts erhalten: italienisch heißt
der Flußhecht luccio, liozzo, luzzo, und luceio di mare ist der
8) Die Kenntnis und den Besitz desselben verdanke ich der Liebens-
würdigkeit des H. Direktors der Nationalbibliothek in Athen, Dr
M. Deffner, die meinen lange vergeblichen Bemühungen, etwas über
das Vorkommen des Hechts in Griechenland zu erfahren, ein Ende
gemacht hat.
340 Georg Schmid,
Name des Pfeilhechts. Nach Belon I B. 3. Kap. wurde die
sphyraena, die in Smyrna und Mitylene den alten Namen
sphyrna trage, in Kreta mit dem griechischen Vulgärnamen,
qui tient de l’Italien, luczo marino genannt, d. h. also λοῦτζος,
wie auch nach De aquat. p: 296 die unter venetianischer Herr-
schaft stehenden Griechen den Fisch nannten, während die
türkischen turcies sagten. Der andere, jetzt noch vulgärgrie-
chische Name toöpv« findet sich schon im Mittelgriechischen ;
in dem Θησαυρος τῆς "Popamns χαι της Dpayxınns TAwoocs
von Alexios da Somavera (Paris 1709) heißt es S. 414 und 454
ἡ τοῦρνα, τὸ γομρὲ (und yovppi), il luzzo und im italienischen
Teil S. 281 noch luzziole, toupvaxı, yoppaxı, und wenn er
S. 452 sagt, Aaßpax: heiße jetzt ὁ Abxos, τὸ λυχόψαρον, il Bai-
colo, il pesce lupo, spinola (der Seebarsch), so beweist dies nur,
daß damals das lateinische lupus ins Griechische übersetzt
worden ist. Dies τοῦρνα für den Flußhecht begegnet aber
schon bei Belon in der französischen Schreibung turne (aus
einem zwei Tagereisen von Salonich gelegenen See Peschiac
oder Covios, Observ. Bl. 94), und noch früher in dem zum
ersten Mal von Krumbacher herausgegebenen Opsarologos aus
dem 14. Jahrhundert (Sitzungsberichte der philosophisch-philo-
logischen und der historischen Klasse der K. B. Akademie der
Wissenschaften 1903, H. 1II 5. 345 ff.).
Also λοῦτζος ist auch jetzt wieder im Griechischen, wie luc-
cio di mare im Italienischen, der Name eben des See- oder Pfeil-
hechtes, der sphyraena sphyraena oder vulgaris, auch sphyraena
spet und esox sphyraena genannt (Erhard für das Kykladen-
meer, allgemein Hoffman-Jordan 8. 25). Da σφύραινα nicht bloß
Hammer, sondern auch Spieß bedeutet (Aubert 5. 140), so
hält Cuvier diese Deutung für wahrschtinlich, zumal da, wie
nach Rondelet und Belon, so nach Apostolides S. 28 jetzt der
Fisch neben λοῦτζος auch σφύραινα genannt wird. In einem
kleinen Beitrag zum Opsarologos (St. Petersburger Byzantinische
Zeitschrift B. X 3. 4 19083) ist die Vermutung ausgesprochen,
der Flußhecht habe vielleicht deswegen keinen besonderen
Namen bei den alten Griechen gehabt, weil sie ihn mit unter
dem des Pfeilhechts, der σφύραινα, verstanden haben. Diese
Vermutung erscheint jetzt zu hoher Wahrscheinlichkeit ge-
bracht, zumal da beide Fische in Gestalt und Zahnbau in der
Tat große Aehnlichkeit mit einander haben (Brehm S. 156),
was an der Abbildung bei Griffini 5. 303 besonders sichtbar
ist. Auch jetzt nennen nach Brehm die Küstenbewohner in
Italien den Pfeilhecht geradezu Hecht, also luccio statt luccio
di mare, ἴῃ Nizza lussi.
Nach Athenaeus VII 122 p. 323 A. B wurde die σφύραινα
Die Fische in Ovids Halieuticon. 341
von Epicharmos auch χέστρα genannt und in Attika war dies
der gebräuchliche Name des Hechts: nachdem bei dem Komiker
Antiphanes A die σφύραινα genannt hat, korrigiert ihn B:
χέστραν ἀττιχιστὲ δεῖ λέγειν. Wenn also in Aristophanes
Wolken v. 339 gesagt wird χεστρᾶν τεμάχη μεγαλᾶν ἀγαϑᾶν,
so ist das nicht der allgemeine „leckere Seefisch“, sondern
ganz speziell der esox lucius. Sein Fleisch wurde also in
Athen geschätzt, wie aus ἀγαθϑᾶν hervorgeht, wie heute noch
in Thessalien, nach Apostolides Οἱ ἰχϑύες S. 12. Uebrigens
zeigt sich auch hier, daß der Geschmack verschieden ist. Bei
Ausonius ist der Flußhecht nullos mensarum lectus ad usus,
was Brehm nicht als für den römischen Geschmack überhaupt
geltend hätte nehmen sollen; auch in Triest wird das Fleisch
nicht sonderlich geschätzt, obwohl es weich, weiß, wohl-
schmeckend und leicht verdaulich ist (Sucker 8. 74). Umge-
kehrt soll nach Brehm und Sucker 8. 9 das Fleisch des Pfeil-
hechts derb und wenig geschätzt sein, während die Zoologen
der französischen Expedition es delicieuce et fort recherchee
nennen (T. III 1 p. 76).
Eigentlich heißt χέστρα der Spitzhammer (Soph. fr. 19)
und der Pfeil. Speusippos bei Athenaeus a. a. O. bezeichnet
als παραπλήσια χέστραν, βελόνην, σαυρίδα. Auch das trifft zu,
denn wenn auch bei Aristoteles βελόνη einen anderen Fisch
bezeichnet, so heißt doch jetzt im Kykladenmeere βελονίδι,
sonst βελονίδα, βελόνι oder ζαῤγάνο. (Aubert 5. 125 und Hoff-
man-Jordan S. 249) belone acus oder esox belone, der Horn-
hecht, dessen Name schon auf Aehnlichkeit mit dem Hechte
deutet, obwohl er jetzt zu einer anderen Ordnung und Familie,
der der Trughechte, scomberesocidae, gerechnet wird. Der
andere Fisch aber, jetzt σαυρίδι, ist nach Hoffman - Jordan
S. 257 trachurus mediterraneus, eine Stöckerart, die nach
Griffini S. 408 ebenfalls eine gewisse Aehnlichkeit mit dem
Hechte hat, denn er schreibt beiden ein corpo quasi subeilin-
drico zu (vgl. S. 302). Endlich wird nach der Stelle bei Athe-
naeus statt σαῦροι bei Aristoteles IX 1, 26, das schon Aubert
zu d. St. als verdächtig bezeichnete, σαυρίδες zu lesen sein.
Die Trachurusarten, die im Maximum 50 cm lang werden,
heißen jetzt nach Griffini Sauri, Suri, Soralli, Savari.
Die Frage, ob der Hecht bei den Römern einen Namen
gehabt habe und welchen, wird durch Plinius beantwortet: er
hieß sudis. Unter den von „keinem anderen Schriftsteller
genannten“ Fischen, sagt er ΧΧΧΙΙ 11,154, sudis Latine
appellatur, Graece sphyraena, rostro similis nomini, magnitu-
dine inter amplissimos; rarus is et non degenerat. Sudis be-
deutet eigentlich Pfahl (natürlich der angespitzte), und dies
349 Georg Schmid,
hat gewiß Varro im Auge, wenn er De lingua lat. V 77 den
Namen sudis zu den Fischnamen zählt, die wie anguilla und
lingulaca a terrestribus ex aliqua parte similibus rebus herge-
nommen seien; es wird aber z. B. von Juvenal 4, 128 auch
von den Strahlen des Steinbutts gebraucht, der in der Wissen-
schaft auch pleuronectes aculeatus heißt; schon Külb hat den
Fisch sudis als esox sphyraena, eben den Pfeilhecht, erklärt,
er nennt ihn Spießhecht, in Italien heiße er spetto (vielmehr
spiedo), Bratspieß (5. 3515) und es ist jedenfalls beachtens-
wert, daß einer der französischen Namen des Hechtes, der ge-
wöhnliche, dieselbe Bedeutung hat — brochet von broche —
wie Belon De aquat. p. 296 bemerkt. Da Plinius weder die
sudis noch die sphyraena in sein Verzeichnis der Seefische
aufgenommen hat, tantum marina dicens, wie er in der Ein-
leitung dazu S. 144 sagt, so hat er gewiß den Flußhecht ge-
meint. Dazu stimmt seine Bemerkung über die Größe; nach
von Siebold, Die Süßwasserfische von Mitteleuropa, 1863 5. 327
kann der gemeine Hecht zu einer ungeheuren Größe heran-
wachsen; Hechte von 25 Pfund Gewicht seien keine Selten-
heit; nach Brehn kann dieses sogar bis 35 kg und die Länge
bis 2 m steigen; der Pfeilhecht aber wird selten 1 m lang.
Auch rarus paßt, denn der Hecht lebt einsiedlerisch und auch
der Pfeilhecht kommt nach Griffini zwar in allen italienischen
Meeren vor, ist aber hier nirgends gemein. Endlich non de-
generat wird nicht die gewöhnliche, sondern die Bedeutung
haben: er hat keine Unterarten. In der Tat ist esox lucius
die einzige Gattung der Familie esocidae; daß man jetzt sieben
Arten unterscheidet, konnte Plinius nicht wissen.
Uebrigens ist mit unserer Darstellung der Hauptsache
nach nur eine alte Wahrheit wieder ans Licht gezogen: Belon
sagt De aquat. p. 296 beim lucius: quantum fallantur, qui
Lucium (den Hecht) Lupum (den Barsch) esse putant, in La-
brace et Sphyraena diximus. Bei der sphyraena p. 165 unter-
scheidet er zwei. Die Abbildung des Pfeilhechtes, der in Cor-
cyra der häufigste Fisch sei, hat die Ueberschrift: Σφύραινα
Graecis: Sudis Plinio: Italo et Graeco vulgo Luczo marino:
Sphyrna Mitilenis: Zarganes Asiatiecis: Pes escome Massilien-
sibus.
Der Flußhecht fehlt nach Keßler S. 244, „wie es scheint*,
in den Flüssen Transkaukasiens und der taurischen Halbinsel,
wogegen der Pfeilhecht auch im Schwarzen Meere an den nörd-
lichen Küsten, von Odessa bis Feodossia, vorkommt (5. 245).
Endlich ist doch zu bemerken, daß unter den wegen ihrer
Größe von Plinius IX 15, 45 neben einander gestellten Fluß-
fischen der isox in Rheno allerdings von J. α΄. Schneider als
x
Die Fische in Ovids Halieuticon. 343
Rheinlachs gedeutet worden ist, was Schrader S. 246 und 494
als sicher annimmt, daß aber von andern, z. B. Külb (S. 1055)
dieser wie der gleich darauf genannte attilus in Pado, inertia
pinguescens ad mille aliquando libras, catenato captus hamo
nec nisi boum iugis extractus für den Stör unter verschiedenen
Namen gehalten worden ist. Den attilus hält auch Lenz
S. 485 dafür, den isox für einen unbestimmten Fisch.
Zu 5. 951. Vom silurus bezweifelt Schrader, daß er
in den altgriechischen Flüssen vorkam. Es möge also beiseite
bleiben, daß er nach Plinius an der eben genannten Stelle
praecipue in Moeno Germaniae amne protelis boum et in
Danuvio marris extrahitur porculo marino simillimus!°). Allein
der Wels ist doch so gut als zweifellos seit Cuvier für den
γλάνις des Aristoteles zu halten, der wissenschaftlich silurus
glanis heißt. 5. die Begründung bei Aubert S. 126, zu der
noch zwei Züge hinzugefügt werden mögen: VI 14, 81 das
Laichen der kleineren παρὰ ῥίζαις ἰτέας 7) ἄλλου τινὸς δένδρου
χαὶ πρὸς τῷ χαλάμῳ δὲ χαὶ πρὸς βρύῳ vgl. mit Brehm 5. 237
„im Ried und Röhricht“, und das langsame Wachstum Arist.
ὃ 84 βραδυτάτη Ex τῶν φῶν ἢ τῶν γλανίων αὔξησις, Brehm:
„bei niedrigem Wasserstand erreicht die Brut im ersten Jahre
nur (0,3, im zweiten bis höchstens 1 kg Gewicht“. Der γλάν'ς,
auch von Matron v. 80 (Athen. IV 13 p. 136c), also als be-
kannter Fisch erwähnt, kam nach Athen. VII 88 p. 311F
im Istros vor, wie auch jetzt noch vorzugsweise, nach Pausa-
nias IV 34, 2 im Hermos und Maiandros. Im 16. Jahrhundert
konstatiert Belon sein Vorkommen im Strymon, s. o. 3. 318.
Jetzt findet man ihn nach Keßler 5. 237 auch in den Flüssen,
die sich ins Schwarze, Asowsche, Kaspische Meer ergiefßen
(„in außerordentlicher Menge in der unteren Kura*) und in
den schwach salzhaltigen Teilen dieser Meere; im Wolga-Kasp.
Gebiet wurden 1897 562570 Stück gefangen, wovon 21 740
Stück im Meere; sie werden im Dnjepr über 4 m lang und
320 kg schwer. In Italien und Frankreich fehlt der Wels;
in seltensten Fällen findet man ihn im Doub (Moreau 11]
p- 441). Allerdings sagen nun Hoffman-Jordan S. 241, es sei
nicht bekannt, daß die Art silurus glanis (der Gattung silurus)
10) Von diesem porcus marinus, quem Lacedaemonii orthagorisceuu
vocant, sagt rn bei Plinius XXXIIL 2, 19 grunnire eum, cum capia-
tur. 8. Külb 5 S. 3450. Dies bestätigt Oriffini S, 156: der orthagori ISCUS
mola lasse in diesem Moment ein langgezogenes Stöhnen vernehmen.
Es ist also der jetzt deutsch Mondfisch genannte dreissig lateinische
Namen führende Fisch und Brehm sagt mit Unrecht S. 422, die Alten
scheinen ihn nicht gekannt zu haben. "Auch i in den griechischen Meeren
vorkommend, 5. Hoffmann- Jordan S. 278 wird er bis 2,5 m lang und
kann über 300 kg schwer werden.
344 Georg Schmid,
in Griechenland vorkomme, sie deuten den Fisch mit Agassiz
und Garman als parasilurus Aristotelis, eine andere Welsart,
die sich im Acheloos in Akarnanien finde. Allein dies wäre
doch immer ein Wels und Apostolides 8. 31 teilt die Ansicht
Cuviers; er komme in Menge im Peneus vor und heiße γλανὸς
und γουλιανός ; nach 8. Meliarakes im "Eyyeipiötov Ζῳολογίας
(Athen 1889 S. 255) findet er sich auch in anderen Flüssen
Griechenlands. — Der silurus des Ausonius, Mosella 138 (aber
nicht der silurus überhaupt, wie J. Marquardt sagt Privatleben
Ss. 415 Anm. 2,419 Anm. 7 und 423 Anm. 3, in Henry’s
französischer Ausgabe II p. 58 not. 2. 59 not. 7; einen aci-
penser silurus gibt es nicht) ist wahrscheinlich der Stör, s. die
Beweisführung Okens in der Isis 1845 5. 39 ff., die freilich
Brehm 8. 236 nicht überzeugt hat, und De Lucilio et Arche-
strato usw. 5. 10.
Zu 5. 1. Die Angabe Brehms 5. 399 über das Fehlen
des Flußaales, anguilla fluviatilis, im Schwarzen und Kas-
pischen Meer und allen in diese sich ergießenden Gewässern
ist auch bei von Siebold Die Süßwasserfische 5. 345 mit An-
führung der russischen Forscher als richtig angenommen wor-
den. Allein der letzte unter diesen, Keßler, stellt in seinem
zusammenfassenden Werke 8. 277 fest, daß der Aal aus dem
Mittelmeere — wo er nach Griffini S. 166 überall gemein ist,
wie auch in den italienischen und griechischen Flüssen und
Seen, in den letzteren χέλι genannt — manchmal auch ins
Schwarze Meer gehe und aus den Flüssen des baltischen Bassins
manchmal auch in die des Schwarzmeer- und Kaspibassins,
z. B. in den Dnjepr und die Wolga eindringe. Ob dann die
Folgerung Schraders noch aufrecht zu halten ist? Max v. d.
Borne meint übrigens in dem Taschenbuch der Angelfischerei
(1904) S. 314, der Aal fehle in den Flußgebieten des Schwar-
zen Meeres, weil ihm dessen schwefelwasserstoffhaltige Tiefen
nicht zusagen.
5. 408 und 723 wird, wohl nach Lenz 5. 517, gesagt,
die Bekanntschaft mit dem Karpfen lasse sich für das
klassische Altertum nicht nachweisen. Dies kann nur von dem
Namen carpa oder carpo gelten, der nach Kluge wahrschein-
lich aus dem Germanischen stammt, und hat der Sache nach
ebenso wenig Wahrscheinlichkeit, wie beim Hecht, weil der
Fisch auch jetzt in Italien wie in Griechenland einheimisch ist
(Griffini 5. 223, Apostolides $. 30: in den Seen Aetoliens und
Thessaliens im Ueberfluß; nach Οἱ ἰχϑύες 5. 21 heißt er hier
μπράνα). Außerdem aber ist nach Aubert 5. 134 die Bestim-
mung des χυπρῖνος bei Aristoteles und des cyprinus bei Plinius
IX 16, 58. 51, 162 als cyprinus carpio mit Cuvier als sicher
Die Fische in Ovids Halieuticon. 345
anzunehmen; xurpivos heißt er in Aetolien nach Belon, wie
auch jetzt noch ebenda, sonst χρυσόψαρο, nach Apostolides
Οἱ Ἰχϑύες 5. 15 auch σαζάνι, im See Boibeis auch χαρλόψαρο.
Hat doch von Siebold S. 90 nachgewiesen, daß Aristoteles so-
gar die unfruchtbaren, „gelten“ Karpfen gekannt hat, die noch
heute wegen ihres zarten Fleisches sehr hoch geschätzt werden;
er nennt sie ἐπιτραγίαι, beschreibt sie als ὅλοι στερεοὶ χαὶ πίονες
und setzt hinzu, δοχοῦσιν ἄριστοι εἶναι Tierk. IV 11, 123. Dazu
kommt, wenn nicht auf der Münze bei Imhoof-Blumer und
Ο. Keller Tier- und Pflanzenbilder usw. Taf. VI 47, so gewiß
auf dem Achatonyx Taf. XXIII 12, Text S. 141, die Abbildung
eines Spiegelkarpfens, an der noch die freilich verkehrt ein-
gegrabenen Bärtel erkennbar sind. 5. Brehm S. 249, der
durch die Angaben Kefßlers über das Verbreitungsgebiet S. 246
etwas zu berichtigen ist: in Menge finde er sich im Aralsee,
im Kaspischen und Asowschen, sowie in den schwachsalzhaltigen
Teilen des Schwarzen Meeres. Auch ist er in zahlreichen Seen
Kleinasiens gemein (nach P. Tschichatscheff). Dagegen fehlt
er im europäischen Rußland in den ins Weiße Meer und in
die Ostsee, in Sibirien in den in das Eismeer mündenden
Flüssen.
Zu 5. 830. Gewiß kann der ἀνταχαῖος des Sopatros
bei Athenaeus III 88 p. 119 A, ὃν τρέφει μέγας Ἴστρος, eben
deswegen nicht acipenser sturio, der Stör sein, weil dieser ge-
rade im Donaugebiet, wie im Schwarzen Meere fehlt; in der
russischen Ichthyologie heißt er der deutsche Stör. Der im
Istros wird also der Hausen, acipenser huso und beluga (russisch)
sein. Belon De aquat. p. 103 hat in Deutschland ein Exem-
plar von 600 Pfund aus der Donau gesehen; er leitet den
Namen von der Größe ab — quasi cuiusdam parvulae domus
— und nennt auch die „Hausen plosen*, die getrocknet durch
Deutsche aus dem Pontusnach Frankreich versandt werden (im 16.
Jahrh.); im Pontus heiße er collanus (offenbar von χολλᾶν,
leimen, ἰχϑυόχολλα heißt der Fischleim, nach Plin. XXXII
7, 73 auch ein Fisch, cui glutinosum est corium), bei den An-
wohnern der Donau wegen der Bärtel barbotta; das Fleisch
gelte, mit Salz bestreut, bei den Griechen als Delikatesse, das
Volk nenne es morona. In Italien komme er im Po vor.
Schwerlich aber ist er auch der ἀνταχαῖος im Borysthenes
(Dnjepr) bei Herodot IV 53, da der Hausen nach Keßler S. 282
aus dem Schwarzen Meere vorzugsweise in die Donau, aus dem
Asowschen in den Don geht. Aus demselben Grunde ist
Rondelets Ansicht, der den acipenser huso geradezu antacaeus
Borysthenis nennt, schwerlich aufrecht zu erhalten. Gestützt
auf die Angabe Keßlers S. 281, acipenser schypa nach Lovetzkij
346 Georg Schmid,
und Brandt oder acipenser glaber nach Fitzinger, der ilın
Glattstör und Glattdick nennt, gehe z. B. in die Donau, den
Dnjepr, den Don, wird man wohl diesen für das große, stachel-
lose χῆτος Herodots halten müssen, wie für den knochen- und
grätenlosen Fisch (d. h. den Knorpelstör, chondrosteus, deren
erste Familie die Rüsselstöre bilden) bei Plinius IX 15, 45 et
in Borysthene memoratur praecipua magnitudo nullis ossibus
spinisve intersitis, carne praedulci (natürlich nicht „sehr süßes“,
sondern „sehr wohlschmeckendes Fleisch“). Der acipenser
Gueldenstaedtii aber, der bei den Russen der russische Stör
heifSt, bei Fitzinger Waxdick, geht fast ausschließlich in den
Don, 5. Kefller 5. 284, nach dem er jetzt der kostbarste Fisch
der Gattung ist.
Zu 8. 933 ist zu bemerken, daß die φάλαινα des
Aristoteles nach Aubert S. 76 delphinus tursio, der Tümmler
ist, die φώχαινα aber delphinus phocaena, der Braunfisch oder
das Meerschwein. Bei μῦς τὸ κῆτος Aristoteles III 12, 79 ist
die Vermutung Auberts 5. 73 beachtenswert, es sei ein ins
Mittelmeer verirrter, gestrandeter Wal gewesen. Drei Beispiele
von Pottwalen, auf Tenos 1840 und 1857, und auf Melos
beobachtet, erwähne Erhard Fauna der Cykladen 5. 28 und 95.
Zu Seite 1019. Zu der Bemerkung über die von der
Färbung genommenen Fischnamen vgl. die zu Ovid v. 133
angegebene Stelle Varros.
Zu 8.54. Ob τήϑεα in der Ilias XVI 747 (wo übrigens
die gewöhnliche, auf den Scholien beruhende Erklärung nicht
richtig ist) Austern bedeutet, wie auch Ὁ. Weise Griechische
Wörter usw. 8. 112 glaubt, ist doch recht fraglich, s. Virchow
in Schliemanns Ilios S. 135, obwohl unter den in Troja ausge-
grabenen Muscheln sich ostrea lamellosa, die hblätterige Auster,
eine Art oder Varietät der o. edulis, befindet; ist ja doch
nicht auszumachen, ob die ὄστρεα des Aristoteles unsere Au-
stern sind (Aubert 8. 180). Da τήϑυα bei Aristoteles Ascidien,
Seescheiden bezeichnet, von denen die rote IV 6, 64 mit cyn-
thia papillata identifiziert wird (Aubert 5. 183, Leunis: Man-
tel starkrot), und diese noch heute an der Küste des Mittel-
meeres gegessen werden (Virchow und Ὁ. Schmidt 5. 239),
so sind auch bei Homer wahrscheinlich diese zu verstehen. Eine
Seescheide ist es auch, die bei Plinius XXXII 9, 93 tethea
similis ostreo genannt und 11, 151 aufgeführt wird. Bei J.
Marquardt Privatleben der Römer, franz. Ausg. Il p. 68 durfte
die Stelle über die Austern aus Ennius’ Heduphagetica nicht
beigezogen werden, da sie Uebersetzung aus Archestratos ist.
S. De Archestrato etc. 8. 6.
Zu ὃ. 494. Daß der Lachs oder Salm, salmo salar,
Die Fische in Ovids Halieuticon. 347
im Mittelmeer und seinen Zuflüssen nicht vorkommt, ist all-
gemeine Annahme; Schrader schließt daraus, daß die Alten
auch keinen Namen dafür hatten. Schon Belon spricht De
aquat. p. 277 seine Verwunderung aus, daß der jetzt so be-
kannte Fisch keinen griechischen Namen habe. Denn den
lateinischen hat er ja seit Ausonius und oben 5. 242 ist die
Vermutung erwähnt, bei Plinius heiße er isox. Auffallender
Weise gibt Miliarakis S. 256 an, der Fisch komme in Griechen-
land vor im Trichonissee, im Ladon, Alpheus, Achelous und
anderswo und heiße πέστροφα. Dies ist eine Verwechslung
mit der Bachforelle, salmo oder trutta fario, die nach Aposto-
lides Οἱ ᾿Ιχϑύες 5. 14 und Hoffman-Jordan 5. 244 jetzt diesen
Namen hat. Indessen kommt ein anderer Salmonide im
Schwarzen Meere vor, nämlich der von Pallas salmo labrax
genannte, der an den Ufern der taurischen Halbinsel lebt und
in mehrere südrussische Flüsse eintritt (Keßler 5. 238). Da
die Krimschen Griechen ihn Aaßpax: nennen, so ist es nicht
unwahrscheinlich, daß die Alten das Wort λάβραξ, das sonst
den Seebarsch bezeichnete, auch für diesen Salmoniden ge-
braucht haben. Nachdem Eichwald und Nordmann Pallas zu-
gestimmt, bezeichnete Keßler eine neue Untersuchung und Be-
schreibung als notwendig; sie ist aber, scheint es, noch nicht
erfolgt. In Griechenland ist Arßpax: der Vulgärname für die
Gattung der Salmoniden coregonus lavaretus, Bodenrenke, s.
Apostolides a. a. Ὁ. 5. 13.
Dazu möge noch an den nach Kefßler salmo Caspius be-
nannten Lachs erinnert werden, der im Kaspischen Meer ein-
heimisch in die Kura aufsteigt. Er ist zwar nach Keßler
S. 63 von salmo salar vollständig verschieden und steht salmo
trutta, der Lachs- oder Meerforelle, merklich näher, ist aber
kaum kleiner als jener: eines der Keßlerschen Exemplare hatte
1,13 m Länge bei über 19 kg Gewicht. Der Beschreibung
nach (salmo salar: der Rücken blaugrau, salmo Caspius: der
Rücken dunkelgrau) bestätigt er einigermaßen die Angabe des
Curtius Hist. Alexandri VI 4, 18 piscium in eo (mari Caspio)
longe diversus ab aliis color est.
Literatur.
Ausgaben: außer denen von Riese und Merkel Th. Birt, De
halieuticis Ovidio falso adscriptis, 1878; der Text S. 201 bis 204. Dar-
nach Poeti Latini minori. Testo eritico, commentato da G. Curcio.
Vol. I. Acireale 1902. Aristoteles Von der Zeugung und Ent-
wicklung der Tiere, Leipzig 1860, und Tierkunde von H. Aubert.
(Zoolog) und Fr. Wimmer (Gymnasialdirektor), 1868. Ausgezeich-
net durch die streng wissenschaftlichen Tierbestimmungen (die Fische
1 8. 121—148), überall mit Berücksichtigung der Arbeiten der großen
französischen Ichthyologen, eines Cuvier und Valenciennes etc. A.
Günther, Handbuch der Ichthyologie, übersetzt von G. von Hayck.
1886. Brehms Tierleben VIII Bd. Die Fische. 3. Aufl. von Pechuel
Loesche. 1892. X Bd. Niedere Tiere von O. Schmidt, neubear-
beitet von W. Marschall. 1893. H. O. Lenz, Zoologie der alten
Griechen und Römer. 1856. Petri Bellonii Cenomani De aquatili-
bus, Libri duo. Cum eiconibus ad viuam ipsorum effigiem, quod eius
fieri potuit, expressis, Parisiis MDLIII. Les observations de plvsievrs
singularitez et choses memorables ete. par P. Belon «u Mans. Reueuz.
En Anvers. 1555 — „Die Grundlagen der modernen Ichthyologie“ sagt
mit Recht die Grande Encyclopedie VI, 103. Erhard, Fauna der
Cycladen. 1858. Ὁ. Bikelas Sur la nomenclature moderne de la
faune grecque, Annuaire de l’Association pour l’encouragement des
Etudes orecques XII, 1878. N. Apostolides, La pöäche en Grece.
Ichthyologie, migrations etc. Athenes 1883. Horace Addison Hoff-
man und David Starr Jordan, A catalogue of the fishes of Greece,
with notes on the names now in use etc. Proceedings of the Academy
of Naturale Sciences of Philadelphia. 1892 5. 239—285. A. Grif-
fini, Ittiologia italiana 1903. L. Sucker, Die Fische nebst den
eßbaren wirbellosen Tieren der Adria und ihre Zubereitung. 1895.
E. Moreau, Histoire naturelle des poissons de la France. 3 vol.
1881. Suppl. 1891. K, Ph. Keßler, Die im ichthyologischen Aral-,
Kaspi- und Pontusgebiet lebenden und vorkommenden Fische. IV Bd.
der Arbeiten der Aral-Kaspischen Expedition unter der Redaktion von
C. A. Grimm, St. Petersburg 1877. (In russischer Sprache.)
Register.
I. Verzeichnis der Fische Ovids.
accipenser v. 134 S. 331 a. stellatus,
Sternstör.
anthias 46 S. 273 viell. thynnus
alalonga Langfinner.
asellus 133 S. 328 gadus poutassou,
Merlan.
bos 94 S. 277 eine Rochenart, wahr-
sch. dicerobatis giorna, Horn-
roche.
cantharus 103 S. 290 wahrsch. tra-
chinus draco, Petermännchen.
caris 132 S. 318 palaemon squilla,
gemeiner Granatkrebs.
cercyrus 102 S. 287 unbestimmbar.
channe 108 5, 294 serranus scriba,
Schriftbarsch.
chromis 121 S. 305 sciaena aquila,
Adlerfisch.
chrysophrys 111 8. 297 chrysophrys
aurata, Goldbrasse.
conger 115 S. 301 conger conger,
Seeaal.
echeneis 99 S. 285 echeneis remora,
Schiffshalter.
epodes 126 S. 314 unbestimmbar.
erythinus 104 5, 291 serranus an-
thias, ein Sägebarsch.
faber 110 S. 295 zeus faber, He-
ringskönig.
glaucus 117 S. 303 unbestimmbar
(earcharias glaucus, Blauhai ?)
gobius 130 5. 315 gobius, Meer-
grundel.
helops 96 S. 281 acipenser Ruthe-
nus, Sterljäd.
hippurus 95 S 278 coryphaena hip-
purus, Goldmakrele.
iulis 105 S. 292 viell. iulis vulgaris,
coris julis, Regenbogenfisch.
lamyros 120 S. 305 unbestimmbar.
lolligo 132 S. 316 eine lolligopsis,
Kalmarart.
lupus 23. 32. 112 S. 264 labrax lu-
pus, Seebarsch.
maena 120 S. 304 ein sparus Meer-
brassenart, wahrsch. Laxierfisch.
melanurus 113 S. 300 oblata mela-
nura, Bandbrasse.
merula 114 S. 300 wahrsch. labrus
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft.
merula, Amsellippfisch.
milvus 95 S. 279 dactylopterus vo-
litans, Flughahn.
mormyr 110 S. 297 wahrsch. pagel-
lus mormyrus, Marmorbrasse.
mugil 33 S. 271 mugil, Meeräsche.
mullus 123 S. 310 mullus barbatus,
Rotbart.
murena 27 S. 267 murena Helena,
die gemeine Muräne.
orphus 104 S. 287 serranus oder
epinephelus gigas, großer Säge-
barsch.
passer 125 S. 313 pleuronectes fle-
sus, Flunder.
perca 112 S. 299 eine Seebarschart,
viell. serranus hepatus, Beutel-
barsch.
phager 107 S.293 entw. dentex ma-
erophthalmus, Zahnbrasse oder
pagellus erythrinus Rotbrasse.
(phycis) 122 5. 308 wahrsch. gaste-
rosteus, Stichling.
polypus 32 5. 269 polypus, Krake.
pompilus 101 S. 286 naucrates duc-
tor, Lotsenfisch.
rana,126 S. 315 lophius piscato-
rius, Angler.
rhombus 125 8. 313 rhombus s. pleu-
ronectes maximus, Steinbutt.
salpa 121 S. 306 box salpa, Gold-
striemen.
sargus 105 S. 291 wahrsch. sargus
Rondeletii, kleine Geissbrasse.
scarus 9. 119 S. 257 scarus Creten-
sis, Seepapagei.
scomber 94 S. 276 scomber scomber,
Makrele.
scorpios 116 8,302 scorpaena scrofa,
großer Drachenkopf.
sepia 193.263 sepia, Tintenschnecke,
smaris 120 S. 305 smaris vulgaris,
Schnauzenbrasse,
solea 124 S. 312 pleuronectes solea,
Seezunge.
sparulus 106 8.293 wahrsch. sargus
annularis, gemeine Geißbrasse.
squatus 123 S. 309 eine raia, Ro-
chenart.
23
390
sus 132 S. 317 viell. silurus glanis,
Wels.
synodon 107 S. 294 viell. dentex
vulgaris, Zahnbrasse.
thynnus 98 S. 283 thynnus thynnus,
Thun.
Georg Schmid, Die Fische in Ovids Halieuticon.
tragus 112 S. 300 s. maena, deren
Männchen.
umbra 111 S. 298 umbrina cirrosa,
Bartumber.
xiphias 97 S. 282 xiphias gladius,
Schwertfisch.
11. Verzeichnis der Stellen.
Aeschylus Pers. 424 ἐρράχιζον S. 284.
Antigonus Car. ϑυνναῖα 3, 284.
Archestratus fr. 13. 41 oxdpog S.
260 f.; 14 övos S. 329; 22 ὃς
S. 817; 28 σάλπη S. 807: 45
λάβραξ S. 267.
Aristophanes Ach. 351 u. Ecel. 126
σηπία 8. 264; 1156 τευϑίς S. 317;
Ritter 313 ϑυννοσχοπῶν S. 283;
354 ϑύννεια 5. 284; 361 λάβραξ
S. 267; 606 χκαρκίνιον 5. 323; 930
τευϑίς S. 317; 1008 σκόμβρος S.
276; 1053 u. Lys. 560 xopaxtvog
S. 306; Wolken 339 χέστρα S.
341; Wespen 493 ὀρφώς, μεμβράς
S. 288; 1087 ϑυννάζειν S. 284;
1501 Καρχίνος 5. 321,323. Fragm.
179 βεμβράς S. 289; 452 μελανο-
πτέρυξ S. 306; 489 λάβραξ S. 264.
Ausonius Mos. 90 umbra S. 299;
94. 134 barbus S. 344; 122 esox
lueius ὃ. 338; 138 silurus S. 344.
Catullus 15, 19 mugil 5. 272.
Cicero Nat. Deor. II 48, 123 squilla
5: 320: 5824; 1124984195 δ
S. 315; II 50, 127 sepia S. 263.
Columella VIII 15 cammarus ὃ.
325; VIII 16 solea S. 312, aurata
S. 298, umbra S. 299, zeus S. 296;
VIII 17 murena S. 268, mugil
S. 272, melanurus S. 301, mullus
5.811.
Ennius Heduph. scarus S. 260; me-
lanurus S. 301.
Epicharmus σχάρος S. 259; πέρχη
Ss. 299; σάλπη 8. 807; χέστρα
5. 341.
Hermippus σχόμβρος S. 276.
Herodotus IV 53 ἀνταχαῖος S. 345.
Homerus Il. XVI1 747 τήϑεα S. 346;
Od. V 432 πολύπους S. 271.
Horatius Epod. 2,50 scarus S. 256.
260; Sat. 12,116 rhombus S. 313;
I 4,100 lolligo S. 317; I 2,31
lupus S. 266. 338; II 2, 34 mul-
lus 8. 311; 11 4, 58. 8,42 squilla
S. 319. 326; 1I 8, 29 passeris ilia
S. 260. 313; II 5, 25 hamo S. 284;
Epp. I 16, 51 milvus S. 281.
Iuvenalis IV 39 rhombus S. 314;
IV 128 sudes S. 342; V 80 squil-
la, cammarus S. 325; V 106 lu-
pus, perca fluviatilis S. 265; VI
40 mullus S, 312; X 317 mugil
8. 272.
Lucianus De conser. hist. 21 oxdpog
S. 261.
Lucilius 51 helops S. 281; 72 na-
trix S. 272; 1240 squilla S. 324.
Martialis II 45, 12 S. 312; camma-
rus S. 325; III 60 sparulus ὃ.
293; IX 26, 6 lupus S. 266; XI
31, 14 maena ὃ. 304; XIII 81
rhombus S. 314; XIII 84 scarus
S. 260; XII 90 aurata S. 298;
ΧΙΠ 91 acipenser ὃ. 332.
Matron 27 τρίγλη S. 310; 65 χρύ-
ooppug 8. 298; 69 ἔλοψ S. 282.
Numenius hippurus ὃ. 279; πέρχη
5. 299; σχορπίος ὃ. 802; ὗς 8. 317.
Petronius 35 locusta S. 326; 19. 98
scarus ὃ. 261.
Plautus Cas. 11 8, 57 sepiola S. 317.
Quintilianus VI 10,24 scarus S.
261.
Sammonicus Severus acipenser S.
282.
Seneca Qu. Nat. III 17, 18 mullus
Sl
Sopater ἀνταχκαῖος S. 345.
Sophocles fr. 109 πινοτήρης S. 321.
Suetonius Tib, 60 locusta S. 327.
Theognis 215 πουλύπους S. 270.
Varro de Rer. III 3,9 lupus S. 266;
III 11,3 cammarus S. 325; De
l. Lat. umbra S. 298, asellus
S. 328; sudis ὃ. 342; Sat. asellus
S. 330; scarus S. 260.
NEUE
BEITRAGE ZUR CHARAKTERISTIK
0VIDS.
MICHAEL POKROWSKIJ.
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Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids ἢ).
Die vorliegenden Skizzen stellen sich die Aufgabe, einige
der dunkelsten Seiten des Lebens und der Tätigkeit Ovids
aufzuklären.
Zu diesem Zwecke bedarf es einer ziemlich weiten histo-
rischen Perspektive.
Vor allem wird es uns nützlich sein, die Geschichte
des letzten Jahrhunderts derkepublik ab und
zu heranzuziehen. |
Der Typus eines Subjektivisten, wie Ovid war, mit seinem
Indifferentismus und politischen Quietismus hatte sich schon
am Ende der Republik entwickelt, teils unter dem Einfluß
des Epikureertums und noch mehr unter dem jener blutigen
Gräuel, durch die die letzten Tage der Republik verdüstert
wurden.
Schon Cicero hatte sich über die große Anzahl der Geg-
ner der staatlichen Tätigkeit beklagt, die dieselbe unter dem
Einfluß des Epikureertums und teilweise anderer Lehren ver-
achteten. Vgl. z. B. De rep. I 3—7 und besonders De Off.
I 69: eine gewisse Klasse der Philosophen, sagt er, strebte
nach absoluter Freiheit, nach dem Recht so zu leben, wie man
will (ut velis), indem man sich Niemandem unterwirft. Cicero
mißbilligt eine derartige Stellung zum Staatsdienst: sich dem
zu entziehen, sei nur den talentvollen Leuten gestattet, die die
Wissenschaft treiben und zum Teil den kränklichen Personen
(vgl. Ovid Tr. IV 10,37: nee patiens corpus nec mens fuit
apta labori). Aber die Leute, die solche triftige Gründe nicht
haben ($ 71), si despicere se ea dicant, quae plerique mirantur
(vgl. Ovid Amor. I 15, 35: vilia miretur vulgus), imperia et
1) Vgl. N. Jahrb. f. d. klass. Altert. IX, 1, 252 f.
354 Michael Pokrowskij,
magistratus, iis non modo non laudi, verum etiam vitio dan-
dum puto. Charakteristisch ist u. A. die Figur eines älteren
Zeitgenossen Ciceros — des M. Pupius Piso Calpurnianus (der
allerdings Peripatetiker war): is laborem forensem diutius non
tulit, quod et corpore erat infirmo, et hominum ineptias ac
stultitias, quae devorandae nobis sunt, non ferebat respuebat-
que sive morose, ut putabatur, sive ingenuo liberoque fastidio
(Brutus 236).
Aber als Hauptquelle für das Verständnis Ovids wird
natürlich die Kulturgeschichte derKaiserzeit von
Augustus an etwa bis zu Trajan zu gelten haben.
Eine derartige Weite der historischen Perspektive erscheint
deshalb als notwendig, daß manche gesetzgeberische Versuche
des Augustus, die einen gewissen Eindruck auf Ovid und seine
Zeitgenossen machten, von den folgenden Kaisern weiter fort-
geführt wurden; selbst solche Augusteische Gesetze, die als
unerfüllbar in Vergessenheit gerieten, versuchten einige Kaiser
zu restaurieren.
So restaurierte Domitian zum Entsetzen einiger Gesell-
schaftskreise die harten Sittlichkeitsgesetze des Augustus. Der
Eindruck, den diese Restauration auf die Gesellschaft gemacht
hat, ist uns aus den Werken der Schriftsteller bekannt, die
die finstere Zeit Domitians erlebten, nämlich des Juvenal und
Martial und indirekt des Tacitus, der sich mit der Geschichte
dieser Gesetze in der Kaiserzeit von Augustus an sehr aus-
führlich beschäftigte.
Die Zusammenstellung der Eindrücke der Zeitgenossen
Domitians mit den ähnlichen Eindrücken Ovids wird für uns
vieles in den Schriften des Letzteren klar legen.
Außer diesem kulturhistorischen Materiale gestatten wir
uns namentlich das römische Recht in großem Maße
auszubeuten, da ja vieles in den Schriften Ovids ohne dies
weder inhaltlich noch auch nur sprachlich verständlich ist.
Ein weitgehendes Heranziehen der Jurisprudenz zum Stu-
dium Ovids wird übrigens grade durch die Besonderheiten
seiner Bildung und seiner literarischen wie amtlichen Tätig-
keit bedingt: 1. er lernte in der rhetorischen Schule, wo
juristische, speziell auf das Kriminal- und Familienrecht be-
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 355
zügliche Fragen eine große Rolle spielten (überhaupt werden
wir die Abhängigkeit Ovids von dieser Schule wiederholt be-
tonen müssen); 2. er mußte wider seinen Willen für die Be-
kleidung der Staatsämter das Recht studieren; als ein em-
pfindsamer Subjektivist konnte er nicht umhin, auf diese ihm
aufgebürdete Arbeit in seinen Schriften zu reagieren; 3. er
wurde als doctor obsceni adulterii verbannt, folgerichtig als
einer der gefährlichsten Gegner der neuen Gesetze; schon von
diesem letzteren Standpunkte aus verdient er eine größere Auf-
merksamkeit, als es ihm bisher zu Teil wurde.
Ich werde mich viel mit der Stellung Ovids zur lex de
adulteriis beschäftigen, was mich u. A. zu einer neuen Unter-
suchung der Frage nach den Ursachen seiner Verbannung
zwingt.
Die Geschichte der lex Julia ist wegen ihrer Tragik sehr
lehrreich. Das Gesetz ist beim ersten Anblick ziemlich ein-
fach: es bestraft den Ehebruch (adulterium) und die bewußte
und eisennützige Mitwirkung seitens des Ehemannes ebenso
wie anderer Personen (lenocinium); dieselbe Strafe für die Mit-
wirkung wie für die Tat — das stimmt vollkommen zu den
Grundprinzipien des Kriminalrechts; das Gericht ist ein öffent-
liches (iudicium publicum), folgt also der Analogie der bis-
herigen quaestiones perpetuae; als accusator publicus derfte
sowohl das unmittelbar betroffene Mitglied der Familie (Ehe-
mann, Vater) auftreten, wie ein Fremder (extraneus), wie über-
haupt in den Quaestionsprozessen. Nun ist aber grade die
Sphäre der Anwendung schablonenhafter Verfahren des Quae-
stionsgerichtes — das Eheleben — zu kompliziert und zu deli-
kat. Augustus kam sogar' dazu, die Sklaven als Zeugen zu-
zulassen.
Da weiter der accusator publicus, falls seine Anklage sich
als unbegründet erwies, derselben harten Strafe unterlag, wie
der Ehehrecher, so kam es nicht selten vor, daß Ankläger
überhaupt nicht auftraten; manchmal aber tauchten in großer
Anzahl Chantagisten auf, die die Anklage wegen Ehebruchs,
um des Erfolges sicherer zu sein, mit der wegen Majestätsbe-
leidigung kombinierten. Aber auch für den betrogenen Mann
war es nicht immer leicht als Ankläger aufzutreten: die ganze
356 Michael Pokrowskij,
Angelegenheit verursachte zu viel Schande und Klatsch; außer-
dem hielt die Gesellschaft eine einfache Ehescheidung (repu-
dium) für eine genügende Strafe für die schuldige Frau.
Solche tieffühlende Leute, wie Taecitus, die die mißlungene
Restauration dieser Gesetze unter Domitian erlebten, pflegten
ohne Scherz zu sagen, daß die römische Gesellschaft unter den
Gesetzen und an deren Ueberfluß leide; ihnen ergab sich eine
wichtige Frage: ein augenscheinlich gutes Gesetz, wenn es
weder mit der menschlichen Psychologie noch mit dem ethischen
Zustande der Gesellschaft rechnet, kann schwerlich das Niveau
der Sittlichkeit in ihr heben; vielmehr demoralisiert es einzelne
Klassen derselben, insofern es Chantagisten erzeugt. Bei den
Germanen, sagt Tacitus mit Bitterkeit, wird die Keuschheit
besser durch gute Sitten, als anderswo durch gute Gesetze
geschützt.
Aehnliche Gedanken — wenn auch in einer pikanten Um-
rahmung — finden wir schon bei Ovid.
In allem, was das adulterium, bezw. stuprum, incestum,
betrifft, findet man bei ihm ein fortwährendes Spielen mit
juristischer Terminologie und Argumentation; dasselbe offen-
bart er auch in anderen auf das Kriminal- und Zivilrecht be-
züglichen Themen. Diesen Fragen wird ein spezielles Kapitel
gewidmet.
Um aber seine latenten Angriffe gegen die Jurisprudenz
gebührend zu würdigen, müssen wir die entschieden subjektive
Gestalt des Dichters möglichst klar zeichnen und die allge-
meinen und persönlichen Bedingungen skizzieren, die die Ent-
wicklung dieses Subjektivismus förderten.
Zu diesem Zwecke müssen wir etwas weiter ausgreifen
und zwar mit dem Familienleben Ovids und seinen Ansichten
sowohl über die Ehe (diese Ansichten sind natürlich mit denen
über den Ehebruch eng verbunden), wie über die offizielle
Laufbahn eines vornehmen Jünglings seiner Zeit den Anfang
machen (d. h. über den Kriegsdienst und seine staatliche
ebenso wie zivile Tätigkeit.
Nach dieser Einleitung könnten wir eigentlich schon jetzt
zu unserem Thema übergehen, aber bei seiner Bearbeitung
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 357
stoßen wir gleich im Anfang auf eine sehr schwierige Frage
— auf die Lehre vom lenocinium mariti, die
dem republikanischen Recht fremd war.
Die Schwierigkeit der Frage besteht nämlich darin, daß
wir zu wenig geschichtliche Fälle der Verurteilung wegen
Kuppelei kennen. Denn die Kaiser kämpften, wie es aus Ta-
eitus und z. T. aus Juvenal ersichtlich ist, vorzugsweise gegen
emancipierte Frauen, die, trotz aller Repressionen, zur Kaiser-
zeit ebenso wie am Ende der Republik, im römischen Leben
und sogar in der Politik eine große Rolle zu spielen fort-
fuhren. Wütende Angriffe der Ankläger von der Zeit des
Tiberius an treffen mit aller Wucht grade solche glänzende
und extravagante Matronen. Die banalen Ehemänner solcher
Damen, die bei dem Benehmen ihrer Frauen die Augen zu-
drückten, konnten für die Ankläger kaum ein besonderes
Interesse bieten; außerdem war es nicht leicht, solche Herren
zu überführen, die gewiß umsichtiger waren als ihre Frauen.
Jedenfalls mußten selbst die Kaiser späterer Zeit, um das
lenoeinium mariti zu bestrafen, zur Verletzung von Prozessual-
formen ihre Zuflucht nehmen (z. B. zur Verurteilung ohne
einen speziellen Prozeß, ohne Ankläger usw.) ?).
Nun beschäftigt sich schon Ovid nicht wenig mit dieser
Frage; seine darauf bezüglichen Anspielungen sind aber zu
fein und nicht sofort verständlich.
Daher gestatten wir uns, noch einen vorläufigen Exkurs
der Frage zu widmen, wie das lenocinium u. z. T. das
adulterium von den mit Ovid verwandten Quellen behan-
delt wurde, und zwar von den Dichtern Juvenal und Mar-
tial und von den Deklamatoren, von den Lehrern
Ovids an, insofern wir dieselben aus den berühmten „Kontro-
versien“ kennen, die von Seneca dem ÄAelteren er-
halten sind.
‚ Sehr interessant ist ein faktischer leno bei Juvenal
Bu 1 55:
?) Dig. 48,5,2,2... 6: Quaeri potest, an is, qui de adulterio
cognoseit, statuere in maritum ob lenocinium possit. Et puto posse.
Nam Claudius Gorgus vir clarissimus uxorem accusans cum detectus
est uxorem in adulterio deprehensam retinuisse, et sine accusatore le-
nocinio damnatus est a divo Severo.
358 Michael Pokrowskij,
cum leno accipiat moechi bona, si capiendi
ius nullum uxori, doctus spectare lacunar,
doctusetadcalicem vigilanti stertere naso.
Das Thema dieses Textes berührt sich sehr nahe mit dem
der 325. Deklamation Quintilians (hereditas fidei
commissa): „ein Reicher und ein Armer waren Nachbarn; der
Arme hatte eine schöne Frau; es ging das Gerücht, daß der
Reiche mit Wissen des Mannes mit dieser Frau Ehebruch be-
gehe. Der Arme wurde wegen Kuppelei vor Gericht gezogen,
aber freigesprochen. Der Reiche starb, nachdem er als Erben
seines ganzen Vermögens den Armen bestimmt hatte, mit fol-
gender Klausel: „ich bitte dich dieses Vermögen der Person
zurückzugeben, wegen der ich dich persönlich gebeten hatte“.
Die Frau fordert von ihrem Manne ihr Vermögen, als ob es
ihm anvertraut wäre.“
Der Unterschied dieser Situation von der Juvenals besteht
vorzugsweise darin, daß das lenocinium mariti in einem Falle
vor Gericht kam, im anderen Falle nicht. In der Deklamation
ist die Frau ebenfalls dem Klatsch ausgesetzt, und das Testa-
ment ist auf den Namen des Mannes „salvo pudore“ der Frau
errichtet °).
Schließlich ist der Sinn des satirischen Ausfalls Juvenals
der, daß de iure der Mann ein leno sei (also bestätigt Juvenal
indirekt die Existenz des Gesetzes vom lenocinium mariti), daß
aber faktisch dieses menage ἃ trois das Gesetz zu umgehen
versteht, als ob es nicht bestände. Mit anderen Worten führt
Juvenal hier seinen Lieblingsgedanken durch, daß die Ehe-
gesetzeentweder unanwendbar sind oder mit
leichter Kunst umgangen werden können. Vgl.
„ubi nunc lex Julia? dormis? (11 37) und besonders die 9. Sa-
tire: da überträgt ein Ehemann die Erfüllung seiner Ehe-
pflichten seinem Klienten; das Verhältnis des letzteren mit
seiner Frau ist für den Mann vorteilhaft, da die Geburt der
Kinder aus diesem Verhältnis dem Manne die Erbrechte und
8) Das Testament eines Verehrers zu unmittelbarem Nutzen einer
fremden Frau kann ebenso die Letztere wie ihren Mann in den Augen
der Gesellschaft kompromittieren — vgl. Senec. Contr. II 15 (peregri-
nus negotiator).
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 359
die wichtigen politischen Rechte der lex Papia Poppaea zufolge
gibt (ius trium liberorum — v. 89—90). Ueberdies erscheint
faktisch das adulterium, — das de iure nach dem Sinne der
vor kurzem erneuerten leges amarae das Eheleben zerstört, —
nicht selten als das einzige Mittel gegen die Ehescheidung
(v. 75—80):
Tabulas quoque ruperat (uxor) et iam signabat ...
instabile ac dirimi coeptum et iam paene solutum
coniugium in multis domibus servavit adulter !
Ueberhaupt erhöhte die Erneuerung dieser strengen Gesetze
unter Domitian nicht das Niveau der Sittlichkeit in Rom,
sondern sie brachte nur einen Zug von Heuchelei in das Ge-
sellschaftsleben (Satire II).
Die Frauen beklagen sich darüber, daß diese Zensur aus-
schließlich gegen sie gerichtet sei und gegen die ausschweifen-
den Männer, die sich solidarisch zu unterstützen verstehen,
ganz wirkungslos sei‘). Der Kaiser selbst habe sich durch
verbrecherisches Verhältnis mit seiner Nichte Julia befleckt
(28). Denunzianten und Ankläger seien wieder erschienen.
Aber diese neuen Scauri (35) und Catones (40) seien viel ver-
brecherischer als die von ihnen angeklagten Frauen. Es sei
schwer, ruhig zu bleiben, wenn ein Clodius anfange Ehebrecher
anzuklagen; nicht weniger empörend sei das, daß als Ankläger
nach der lex Julia solche Leute auftreten, zu denen man die
lex Scantinia, die das stuprum cum masculo verfolgte, hätte
anwenden müssen (44).
Denselben Gedanken von der Disharmonie der Julischen
Gesetze mit dem Gesellschaftsleben führt auch Martial
durch, bei allen seinen schmeichlerischen Lobeserhebungen
Domitians wegen seines Versuches, das Niveau der Sittlichkeit
auf dem Wege der Restauration dieser Gesetze zu erhöhen.
So rät er in einer Dichtung (IV 5) dem gutmütigen
Fabianus, nicht nach Rom überzusiedeln, unter Anderem des-
halb, weil er weder leno noch adulter sein könne.
Im 6. Buche konstatiert er einige Fälle einer offenbaren
*) De nobis post haec tristis sententia fertur? dat veniam corvis,
vexat censura columbas (62—63, vgl. 44—47).
360 Michael Pokrowskij,
und gröblichen Umgehung der soeben erneuerten Julischen
Gesetze: im Laufe eines einzigen Monats seit ihrer Restauration
verheiratet sich Telesilla schon zum zehnten Male — nach
dem Sinne des Gesetzes ist sie natürlich nicht eine verheiratete
Frau, sondern eine adultera; vgl. den anderen Fall einer Witwe
Proculina, die, um nicht unter das Julische Gesetz zu fallen,
sich mit ihrem Buhlen verheiratet (Epigramm 22):
quod nubis, Proculina, concubino
et moechum modo nunc facis maritum,
ne lex Julia te notare possit:
non nubis, Proculina, sed fateris.
Ueberhaupt war das Gesetz gegen die eingewurzelte Sitte
wirkungslos, der zufolge einer Ehe sehr oft ein Ehebruch vor-
anging.
So war es zur Zeit Neros (vgl. z. B. Tacit. Ann. XIII
44 und 45: nec mora quin adulterio matrimonium iungeretur,
oder Senec. fragm. 86), aber so war es auch unter Augustus,
unmittelbar nach der Veröffentlichung seiner Gesetze. We-
nigstens verführt Paris bei Ovid Helena zum Ehebruch durch
die Aussicht auf eine Ehe (Her. XV 293): casta tamen tum
sis, cum te mea Troia tenebit; nunc ea peccemus, quae corri-
get hora iugalis!
Jetzt gehen wir zu den „Kontroversien“ Senecas
und zu den Schriften Ovids über.
Hier wie dort wird — zuerst in der römischen
Literatur — das Thema von allen möglichen Gattungen
des lenocinium weitläufig behandelt, wobei als lenones (bzw.
suasores, conscii u. dgl.) die Mitglieder der familia (Männer,
Väter, Söhne, Sklaven) ebenso wie die Bekannten auftreten ;
in denselben Schriften kommt auch der charakteristische Ter-
minus leno maritus zuerst vor.
Die „Kontroversien“ schließen zwar viel griechisches Ma-
terial in sich ein, aber auch nicht wenig rein römisches.
So ist die Kontroversie Il 15 folgendem "Thema gewid-
met: ein Ehemann verreist in Geschäften und läßt seine schöne
Frau zu Hause zurück; ihr macht der reiche Nachbar vergeb-
lich den Hof. Vor seinem Tode bestimmt der Letztere sie als
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 361
Erbin seines ganzen Vermögens mit der Klausel im Testament,
daß von allen Frauen, die er je gekannt hat, diese die einzig
anständige sei. Der Mann zieht sie vor Gericht aus Verdacht.
In seinen Argumenten tauchen rein römische Züge auf: unter
anderem ($ 1) sagt er, daß seine Frau im Falle der Verur-
teilung zwar ihre Mitgift verliere, aber aus ihrem schand-
haften Gewerbe (quaestus) mehr zu beziehen habe, als sie im
Falle der Verurteilung verlieren könnte; folglich sei es für sie
selbst nach der Bestrafung vorteilhafter, daß sie adultera ge-
wesen ist. Infolgedessen darf der Mann nicht mehr schweigen,
denn dieses Schweigen würde dem Eingeständnis gleich kom-
men, daß er grade deshalb verreist sei, um mit seiner Frau
in der Vermehrung ihres Vermögens zu wetteifern. Mit an-
deren Worten, er wünscht nicht ein leno zu sein und aus
selbstsüchtigen Rücksichten für das adulterium Zeit und Ort
durch seine Abreise zu verschaffen °).
In der 7. Kontroversie des 6. Buches tritt ein Vater
seinem Sohne — mit Rücksicht auf seine seelischen Leiden —
seine Frau, des Letzteren Stiefmutter ab, in die der Sohn noch
vor ihrer Verheiratung leidenschaftlich verliebt war.
Das Betragen des Sohnes wird als adulterium conciliante
marito commissum qualifiziert, das Betragen des Vaters als
lenocinium (alter lenocinio curavit) und als adulterium (quam
demens est, cui adulterium pro beneficio imputatum est!
Strinxit gladium maritus, non ut vindicaret adulterium, sed ut
faceret).
Das entspricht ebenso dem Sinne wie der Terminologie
der Julischen Gesetze: das lenocinium wird ebenso wie das
adulterium bestraft (wie überhaupt die Ausführung eines Ver-
brechens wie die Teilnahme daran); anstatt lenocinium kommt
im Texte der Gesetze auch adulterium vor: denn ein leno
maritus adulterat uxorem, oder, wie es in der Kontroversie
gesagt ist, facıt adulterium.
Eigentümlich ist die 4. Kontroversie des 1. Buches, wo
als leno ein Sohn auftritt.
Diese Kontroversie basiert auf Motiven, die sich sehr nah
°) Vgl. Ovid. Ars II 365: cogis adulterium dando tempusque lo-
cumque.
362 Michael Pokrowskij,
mit den Julischen Gesetzen berühren: adulterum cum adultera
qui deprehenderit, dum utrumque corpus interficiat, sine
fraude 510.
Ein Ehemann, der im Kriege seine Hände verloren hatte,
befiehlt seinem Sohne, die von ihm en flagrant delit betroffene
Frau mit ihrem Liebhaber zu töten, denn er selbst darf nicht
dimittere adulteros.
Der Sohn tut das nicht, und der Vater beschuldigt ihn
wegen lenocinium (ὃ 12): sie narravit tamquam filio sciente
factum esset adulterium; suspectum quasi conscium matri suae
fecit; oder $$ 1—2: solus ego ex omnibus maritis nec dimisi
adulteros nec occidi . . . Arcessitus (filius) ut oceideret adul-
teros, venit ut dimitteret... Steti derisus ab adulteris meis;
patris desertor, matris leno, quem puto iam creditis non esse
filium viri fortis, tertius in eubiculo derisor stetit .. . Also
der Sohn dimisit deprehensos adulteros, folglich hat er beim
Ehebruche bewußt mitgewirkt und demzufolge ist er leno.
Diese Themen werden auch in den Deklamationen
Quintilians behandelt. Eine (325) haben wir schon
kennen gelernt; eine andere (275) ist folgendem Falle gewid-
met: der ältere Bruder, der den jüngeren in adulterio betroffen
hatte, ließ ihn los, auf Bitten des Vaters, der versprochen
hatte, den jüngeren Sohn zu verstoßen und zu enterben. Nach
dem Tode des Vaters wird der ältere Sohn Erbe, aber er ist
ignominiosus, qui pecuniam ob adulterium acceperit (hanc legem
adversus eos primum constitutam esse dico, qui pecuniam
acceperunt, ut adulterium committeretur, ideoque ignominiam
adiuncetam, quod viderentur rem fecisse lenonis).
Er rechtfertigt sich damit, daß er nicht in der Hoffnung,
Geld zu gewinnen (in der Form einer Erbschaft) für seinen
Bruder eingetreten sei, daß ihn selbstsüchtige Rücksichten
nicht leiteten, sondern andere Motive, wie z. B. die Bruder-
liebe (non possum videri propter pecuniam dimisisse, — ego
alias causas dimittendi habui quam pecuniam).
In der 355. Deklamation findet sich eine Streitsache
zwischen einem Zögling und seinem Vormund. Der erste führt
einen Prozeß wegen der Vormundschaft, der zweite beschuldigt
den ersten des adulterium mit seiner Frau. Auf diese Be-
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids, 363
schuldigung antwortet man dem Vormund mit der Beschul-
digung wegen lenocinium, indem man in seinem Verhalten
nicht eine credulitas aut indulgentia, sondern conscientia findet.
S 1. Die Polemik Ovids gegen die leges Juliae
de adulteriis.
Jetzt kommt Ovid selbst.
Vor allem ist es charakteristisch, daß Ovid, wie sehr er
auch immer sich mit seinen Vorgängern Tibull und Properz
in den Motiven berührt, in die Bearbeitung dieser Motive sehr
interessante Einzelheiten einführt, welche das Leben der zeit-
genössischen römischen Gesellschaft, die von den strengen leges
Juliae überrascht war, zum Inhalt haben.
Der Kaiser ist ein censor morum, aber auch Ovid ist ein
censor morum; nur pflegt Ovid — scheinbar unschuldig, in
Wahrheit aber mit beißendem Witze — zu scherzen, daß seine
eigene Zensur sich durch Humanität und Toleranz auszeichne,
— vgl. Amor. III 14, 3: nec te nostra iubet fieri censura
pudicam.
Diese Humanität führt freilich nur zur Konstatierung der
Tatsache, daß die zeitgenössische, verzärtelte
römische Gesellschaft unverbesserlich ist
und daß die neuen Gesetze entweder gerade
zu grausam oder unklar oder überhaupt auf
das Leben nichtanwendbar sind.
Das lenocinium mariti ist ein weitverbreitetes Laster in
dem lasterhaften, wahrhaftig „goldenen“ Zeitalter (Ars II 277),
da man mit Gold alles kaufen kann — tugendhafte Matronen,
die durch ihre Strenge an die Sabinerinnen erinnern, und ihre
Männer, ebenso wie die von den letzteren bestellten Wächter
(Amor. III 8, 64: si dederis, tota cedet uterque domo).
Das adulterium liegt seit Alters in den Sitten der Stadt
begründet, da ja schon ihre Begründer Romulus und Remus
non sine crimine erzeugt sind (Amor. III 4, 39), und daher
rusticus est nimium, quem laedit adultera coniux (ibid. v. 37)!
Und solchem ungeschobelten eifersüchtigen Menschen,
wird anfangs eine, die stoische Lehre parodierende, Predigt
264 MichaelPokrowskij,
gehalten über das Thema, was die wahre Keuschheit ist (ca-
stitas), und nachher wird der Rat gegeben, die Rechte des
Ehemannes nicht zu hoch zu schätzen, sondern mit der Frau
und ihren zahllosen Verehrern im Frieden zu leben und sich
an zahlreichen Vorteilen, die sich daraus ergeben, zu ergötzen,
ἃ. ἢ. offen gesagt, leno maritus zu werden.
Mit diesem Gedicht ist die 19. Elegie des 2. Buches un-
mittelbar verknüpft, die sich mit ihr in einzelnen loci com-
munes berührt, aber ihrem Thema nach entgegengesetzt ist.
- Nicht gut ist es, wenn der Ehemann durus, rigidus ist,
so hieß es im ersten Gedicht, aber gut ist es auch nicht, wenn
er nimis patiens ist (v. 51: lentus es et pateris nulli
patienda marito); der Dichter verzichtet humoristisch auf das
vom Manne zugelassene Verhältnis mit seiner Frau (v. 52;
at mihi concessa finis amoris erit), und rät ihm, sich einen
anderen Nebenbuhler zu suchen (v. 59: quin alium, quem
tanta iuvet patientia, quaeris?); aber seine äußerste
Toleranz ist er geneigt als Kuppelei anzuer-
kennen (v. 57: quid mihi cum facili, quid cum lenone marito ?
corrumpit vitio gaudia nostra suo).
Hinter diesem Scherze steckt ein juristisches Hauptpro-
blem, das sich offenbar aus dem nicht ganz klaren Texte des
Gesetzes ergibt: wie isteine Grenze zwischen pa-
tientia und lenocinium zu ziehen, besonders
wennesnicht möglichist den Eigennutz des
Ehemannes und seine absichtliche Nachsicht
zubeweisen?
Jedenfalls ist dieses Problem viel später von Ulpian —
zweifellos nach seinen anderen Vorgängern — aufgegriffen
Dig. 48, 5, 20, 4: quodsi patiatur uxorem delinquere non ob
quaestum, sed neglegentiam vel culpam vel quandam patien-
tiam vel nimiam credulitatem, extra legem positus
videtur.
Also werden patientia und credulitas nicht bestraft, selbst
nicht bei einigen Verdachtsspuren des lenocinium, wenn es
gelingt das letztere mit Hinweis auf Unkenntnis oder Unwahr-
scheinlichkeit zu decken — Dig. 48, 5, 30 pr.: tunc autem
puniendus est maritus, cum excusare ignorantiam
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 365
suam non potest vel adumbrare praetextu incredibilitatis:
ideirco enim lex ita locuta est „adulterum in domo deprehen-
sum dimiserit“, quod voluerit in ipsa turpitudine prehendentem
maritum coercere.
Ein ähnlicher Fall, nur in noch schärferer Form, wird
von Ovid in der 14. Elegie des 3. Buches der Amores behan-
delt: eine Frau täuscht offen ihren verliebten Mann (vgl. II
2,57) und gibt ihre Abenteuer nicht nur ihrem Manne, son-
dern auch der Gesellschaft öffentlich bekannt. Er bittet sie,
in ihrem Verhalten vorsichtig zu sein (v. 14: saltem imitare
pudicas): da populo, da verba mihi; sine, nescius errem et
liceat stulta eredulitate frui (v. 29—30).
Das ist eine klare Anspielung auf das bestehende Recht:
der Ehemann darf nicht in einem solchen Falle sceiens sein,
und es sind für ihn error und credulitas vorteilhafter; sonst
wäre er /eno im juristischen Sinne.
Er rät der Frau, ihm gegenüber zu leugnen, selbst dann,
wenn er sie in media culpa betroffen hat: dann würde er sich
bemühen, seinen eigenen Augen nicht zu glauben (während de
iure ein Ehemann, der die Ehe mit seiner in adulterio depre-
hensa Frau fortsetzte, der Anklage wegen lenocinium unterlag).
Dieses Gedicht ist überhaupt mit evidenten Parodien auf
die stoische Moral ebenso wie auf die gerichtliche Verhandlung
de adulterio überfüllt: eine schöne Frau kann nicht ohne Sünde
sein; aber eine Frau, die ihre Sünde zu leugnen versteht, ist
keine Sünderin ; um offiziell casta zu sein, muß sie ein keusches
Gesicht und überhaupt ein gutes Aussehen haben und auf
ihren Ruf halten: solaque famosam culpa professa facit (v. 6).
Der letztere Vers ist sehr einem juristischen Zitat ähnlich —
vgl. z. B. Sueton Tib. 35: feminae famosae lenocinium pro-
fiteri coeperant.
Von anderen Anspielungen auf das Recht und den Pro-
zeß kann man vor ailem den Vers 3 anführen: nec te nostra
iubet fieri censura pudicam (im Gegensatz zur Zensur des
Princeps) ἢ), v. 11—12: tu tua prostitues famae peccata sini-
5) Indem Ovid seine eigene Zensur der offiziellen Zensur des Prin-
ceps gegenüberstellt, betont er eine gewisse Heuchelei der Letz-
teren. Das Principat richtete seine besondere Aufmerksamkeit auf die
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft. 24
966 Michael Pokrowskij,
strae, commissi perages indieiumque ἐπὶ v. 41: nil equidem
ingwiram nec, quae celare parabis, insequar. v. 50: etsi non
causa, iudice vince tuo.
An dieses Gedicht schließt sich unmittelbar die 2. Elegie
des 2. Buches an, wo der Verführer der Frau eines blind ver-
liebten Mannes (furiosus — v. 13) an den Sklaven, der ihr
Wächter ist, eine Rede hält.
Hier ist es unter anderem leicht, einen Protest gegen die
neue Gesetzgebung zu erblicken, die in den Sachen des adul-
terium eine vom römischen Standpunkte aus sonst unzulässige
Denunziation der Sklaven gegen ihre Herren zuließ. ἡ
Ovidius meint, dieser Punkt des neuen Gesetzes sei fast
nicht zu verwirklichen: culpa nec ex facili quamvis manifesta
probatur (v. 55).
Wenn der Mann gegen seine Frau gleichgültig ist, dann
wird er den Warnungen des Sklaven keine Aufmerksamkeit
schenken; wenn er aber seine Frau liebt, — viderit ipse licet,
credet tamen ille neganti damnabitque oculos et 5101 verba
dabit 7).
äußere Seite des Benehmens der höheren Gesellschaft, auf das äußere
Decorum. Die Mitglieder der Gesellschaft mufsten vor allem ‘umsichtig
sein und dafür Sorge tragen, daß weder die Gesellschaft noch die
regierenden Sphären irgend etwas von ihrem Leben erführen. Cha-
rakteristisch ist ein Fall aus der Zensur des Claudius (Suet. Claud. 16):
corruptelis adulteriisque famosum (iuvenem) nil amplius quam monuit,
ut aut parcius aetatulae indulgeret aut certe cautius, addiditque: quare
enim ego scio, quam amicam habeas?
Unter anderem hat es Ovid in diesem Gedicht mit dem deutlich
ausgeprägten Typus einer schönen Weltdame zu tun, der uns schon
seit dem Ende der Republik bekannt ist: vgl. auf der einen Seite Sem-
pronia (Sallust. Cat. 25: pecuniae an famae minus parceret, haud facile
discerneres .... verum ingenium eius haud absurdum: posse versus
facere, iocum movere, sermone Εὖ] vel modesto vel molli vel procaci;
prorsus multae facetiae multusque lepos inerat), andererseits z. B. die
berühmte Sabina Poppaea (Tac. Ann. XIII 45: huic mulieri cuncta
alia fuere praeter honestum animum; .. .sermo comis nec absurdum
ingenium: modestiam praeferre et lascivia uti. rarus in publicum egres-
sus, idque velata parte oris, ne satiaret aspectum vel quia sic decebat;
famae nunquam pepereit, maritos et adulteros non distinguens).
1 Nach den römischen Sitten so wie nach den Besonderheiten der
römischen forensischen Beredsamkeit zu urteilen konnten die nachsich-
tigen Ehemänner das Argumentum nec vidi nec credo sehr leicht an-
wenden. Jedenfalls enthält Senecas 4. Kontroversie interessante Nuan-
cen, die mit dem betreffenden Argumentum Ovids nahe verwandt sind.
Ein Mann ohne Hände überrascht seine Frau en flagrant delit und
befiehlt dem Sohne die Schuldige zu töten. Der Sohn gehorchte
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 367
Der Mann ist Richter (index — vgl. III 14, 50) seiner
Frau, ein liebender Mann ist ein parteiischer Richter, und der
Sklave, der ihm die Frau denunziert, wird schwer dafür büßen:
Vidi ego compedibus liventia crura gerentem,
unde vir incestum scire coactus erat.
poena minor merito!
Nichts ist schlimmer als Denunziation, und für den Skla-
ven, der ihr Wächter ist, gibt es nichts vorteilhafteres als zu
schweigen, um so mehr, da es keine schwere Tugend ist (v. 28:
quis minor est autem, quam tacuisse, labor? vgl. Ars II 603:
exigua est virtus praestare silentia rebus, at contra gravis est
culpa tacenda loqui), ebensowenig wie Mitwisser (conscius,
anders gesagt, leno) seiner Herrin zu sein in der Hoffnung auf
großen Gewinn von ihrer Seite.
Dieses Thema von der Niedrigkeit der Denunziation °) in
Liebessachen und vor den Vorzügen, die das lenocinium ihr
gegenüber hat, wird von Ovid wiederholt behandelt.
So z. B. ist von ihm von diesem Standpunkt aus die
homerische Liebesgeschichte von Ares und Aphrodite (Ars Il
561 sq.) dargestellt: Liebesgeheimnisse dürfen nicht veröffent-
nicht, und der Liebhaber machte sich aus dem Staube. Der Vater
beschuldigt den Sohn des lenocinium. Latro und Cestius führen zur
Verteidigung des Sohnes eine große Konfusion an, infolge deren er
nichts gesehen habe — $ 7 (Latro): pater, tibi manus defuerunt, mihi
omnia. et cum oculorum caliginem, animi defectionem, membrorum
omnium torporem descripsisset, adiecit: antequam ad me redeo, exie-
runt. 8 9 (Cestius): prosiluit protinus mater et in amplexu suo manus
meas adligavit. ago confusioni meae gratias, quod nihil in illo cubiculo
vidi praeter patrem et matrem.
®) Die augusteische Ehegesetzgebung hat überhaupt zahlreiche
Denunzianten, falsche Zeugen und Ankläger hervorgebracht, worüber
sich unter anderen Juvenal und Tacitus Ann. ΠῚ 15 beklagten. Es
gab ihrer viele offenbar schon zur Zeit Ovids. Außer den erwähnten
Angriffen gegen die Denunziation vgl. noch Met. IV 190, V 542 u. 551,
XV 503 u. a.
Es ist charakteristisch, daß bei Ovid Sextus Tarquinius der Lucretia
droht, gegen sie als falscher Zeuge aufzutreten und sie der
Möglichkeit zu berauben, zu beweisen, daß sie vim passa est (Fast. Il
807): eripiam per erimina vitam: falsus adulterii testis adulter ero (aber
vgl. Liv. 1 58 u. Dionys. IV 65, 1u. 3, wo keine Rede von einem fal-
schen Zeugen oder drohenden Ehebrecher ist). Dieser Um-
stand beweist nochmals, wie nachteilig das neue Gesetz für die Frauen
war. Auf der anderen Seite ist Sextus ein typischer römischer Don
Juan, zum Teil in der Art von Paris. So schreibt Helena dem letzteren
(Her. XVI 217): ipse mihi quotiens iratus „adultera“ dices, oblitus
nostro crimen inesse tuum? Delicti fies idem reprehensor et auctor.
24*
368 Michael Pokrowskij,
licht werden, und solange das Verhältnis zwischen Mars und
Venus geheim war, plena verecundi ceulpa pudoris erat! Aber
als auf die Denunziation (indicio) von Helios Vulkan die Ver-
liebten überraschte und die übrigen Götter als Zeugen herbei-
führte, so brachte er Venus in eine sie beleidigende und lächer-
liche Lage: schließlich fingen die Verliebten an, sich schamlos
zu betragen.
Wer ist daran schuld? Erstens Helios als ein Denun-
ziant, der ein schlechtes Beispiel gibt. Anstatt der Denun-
ziation könnte er für sein Schweigen (v. 575) eine Belohnung
von Venus empfangen haben (mumus — worin sie hätte be-
stehen können, ist gleichgültig), d. h. leno werden. Aber vgl.
Dig. 48, 5, 30, 2: pleetitur et qui pretium pro comperto stupro
acceperit.
Zweitens, ist auch der Mann schuld: saepe tamen demens
stulte fecisse fateris teque ferunt artis paenituisse tuae (v. 591
bis 592). |
Ueberhaupt paßt es sich nicht, die Nebenbuhler abzu-
fassen: das gehört sich nicht einmal für gesetzliche Ehemänner
(v. 597): ista viri captent, si iam captanda putabunt, quos
faciet iustes ignis et unda viros.
Mit anderen Worten, auch Vulkan hätte patiens oder so-
gar leno sein müssen.
Ueberhaupt liebt es Ovid sehr, hinsichtlich des lenocinium
zu scherzen, und in einem Gedicht (Amor. III 12, 7) hat er
sich selbst, man kann sagen, den Untergang prophezeit, indem
er sagte, er habe die Dame seines Herzens durch seine Verse
zu bekannt und zugänglich gemacht, und folgerichtig sei leno
geworden ὃ).
Aber mit besonderer Schärfe wird von Ovid die Lehre
vom lenocinium in seiner eigentümlichen Darstellung des
Romans von Paris und Helena verspottet.
9) Fallimur, an nostris innotuit illa libellis ?
sie erit. ingenio prostitit illa meo.
et merito. quid enim formae praeconia feci?
vendibilis culpa facta puella mea est.
me lenone placet, duce me perductus amator,
ianua per nostras est adaperta manus.
an prosint, dubium; nocuerunt carmina semper.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 369
Wenn Helena auch eine adultera ist, so ist sie doch ein
nobile crimen (Amor. II 18, 38).
Es ist gradezu lächerlich, daß das ganze Griechenland
es auf sich genommen hat eine persönliche Angelegenheit von
Menelaus zu verteidigen (Ars I 687):
iurabant omnes in laesi verba mariti:
nam dolor unius publica causa 19) fuit.
Wie soll man die Rolle von Menelaus qualifizieren, der un-
mittelbar nach der Ankunft von Paris nach Kreta abreiste?
Nun kehrt Ovid wieder zum Problem von der Abgrenzung
der credulitas vom lenocinium zurück.
In den Augen der Oinone, der Nebenbuhlerin der Helena,
ist Menelaus ein durch seine Leichtgläubigkeit bekannter Ehe-
mann (credulus ille — Heroid. V 106).
Auch der Helena scheint er ziemlich leichtgläubig zu sein
(Her. XVI 172: moribus et vitae credidit ille meae; de facie
metuit, vitae confidit); sie ist geneigt die plötzliche Abreise
von Menelaus mit unaufschiebbaren Geschäften zu erklären
(v. 155: ita re cogente profectus: magna fuit subitae iustaque
causa viae); aber nach Insinuationen von Paris ist auch sie
im Stande, über die lächerliche commoditas ihres Mannes zu
scherzen und zuzugeben, daß die Unaufschiebbarkeit seiner
eiligen Abreise nur scheinbar war (157: aut mihi sic visum).
Jedenfalls ist diese seltsame Abreise sehr geeignet, sie zum
Fehltritt zu verführen (175: tempora ne pereant ultro
data praecipis utque simplicis utamur commoditate viri. et libet
et timeo).
Also sogar Helena neigt sich nach dem Briefe von Paris
dazu, eine Art lenocinium seitens ihres Mannes zu vermuten.
Was Paris betrifft, so sei nach seiner Meinung in dieser
Angelegenheit vor allem Venus selbst lena; daher habe Helena
das Recht, ungeniert und mit Ueberlegung (so zu sagen,
ohne Furcht vor leges Juliae) den Fehltritt zu begehen (Her.
10) Dieser Ausdruck konnte zweideutig sein, insofern causa u. a.
„Prozess“ bedeutete. Man kann hier gewissermaßen eine Verspottung
der neuen Gesetze erblicken, die für eine vom Standpunkte Ovids aus
rein private Eheirrung einen öffentlichen Prozess (publicum iudieium)
bestimmten.
370 Michael Pokrowskij,
XV 16: hoc mihi suasit mater Amoris iter: namque ego di-
vino monitu ... . ne nescia pecces . . . advehor).
Den Menelaus selbst schildert er als einen bewußten,
sogar schlauen und aktiven leno, indem er dies
der Helena mit der Sophistik eines Juristen beweist (v. 297):
sed tibi et hoc suadet rebus, non voce, maritus,
neve 501 furtis hospitis obstet, abest.
non habuit Zempus, quo Üresia regna videret,
aptius . o mira calliditate virum!
„Restat, ut Idaei mandem tibi*, dixit iturus,
„curam pro nobis hospitis, uxor, agas“.
Neclegis absentis, testor, mandata mariti.
cogimur ipsius commoditate frui.
paene suis ad te manıbus deducit amantem:
utere mandantis simplicitate viri.
Noch schärfer spricht sich Ovid von Menelaus in der Ars
II 365 aus:
Nil Helene peccat, nihil hie committit adulter.
Cogis adulterium dando tempusque locumque.
quid nisi consilio (!) est usa puella tuo?
Viderit Atrides: Helenen ego erimine solo:
usa est humanı commoditate υἱγὶ 11).
Also Paris rechtfertigt sich damit, daß Menelaus ein leno
sei; zu derselben Rechtfertigung neigt sich auch Helena (ein
adulterium coactum!); aber jedenfalls ist in alledem eine Ver-
spottung des Gesetzes klar, dessen Sinn von Ulpian folgender-
weise dargestellt ist (Dig. 48, 5, 2, 45): qui hoc diecit lenocinio
mariti se fecisse, relevare quidem vult crimen suum, sed
non est huiusmodi compensatio admissa. ideo si maritum velit
reus lenocinii reum facere, semel delatus non audietur. Si
publico iudicio maritus uxorem ream faciat, an lenociniz alle-
gatio repellat maritum ab accusatione? et putem non repellere:
lenocinium igitur mariti ipsum onerat, non mulierem ewcusat.
11) Fast ebenso behandelten diese Frage auch die Deklamatoren —
vgl. z. B. die 15. Kontroversie des I. Buches bei Seneca und die dazu
gehörigen Excerpta (II 7): formosa est, hoc natura peccavit; sine marito
fuit, hoc maritus peccavit. Vergl. noch Quintil. Decl. 347: temere pro-
fecto, temere in longius iter ituri coniuges nostras domi relinquimus:
subito absentium obliviscuntur, et paene cum ipsis toris uxorum pec-
tora refrigescunt.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 371
Auch andere Einzelheiten des Briefwechsels von Paris
und Helena tragen einen juristischen Charakter und drehen
sich vorzugsweise um die leges de adulteriis.
Z. B. sieht Paris voraus, daß Helena (dem Gesetze nach)
nicht freiwillig undbewußt ihm folgen darf; daher
wünscht er, die Schuld auf sich zunehmen und
Helena zu rauben, wie es einmal Theseus getan hat (was
für Paris einen mildernden Umstand bilden wird):
Si pudet et metuis, ne me videare secuta,
ipse reus sine te criminis huius ero.
nam sequar Aegidae factum fratrumque tuorum:
te rapuit Theseus, geminas Leucippidas illi:
quartus in exemplis adnumerabor ego.
Die öffentliche Meinung im Munde der Oinone, der Neben-
buhlerin der Helena (Her V 17. u. 131) wird Helena für alle
soeben erwähnten Entführungen natürlich verurteilen und bei
ihr Uebereinstimmung mit ihnen voraussetzen: nunc
tibi conveniunt, quae te per aperta sequantur aequora; vim
licet appelles et culpam nomine veles: quae totiens rapta est,
praebuit ipsa vapi.
Helena sieht es vorher: für sie würde es am besten ge-
wesen sein, wenn ihr Fall ein error gewesen wäre, womit sie
obumbrare crimen hätte können (vgl. Dig. 48, 5, 30 pr.: adum-
brare patientiam praetextu incredibilitatis); es wäre für sie
besser /usa und im Falle eines Fehltritts nicht sciens 15) zu
sein; daher sei für sie am passendsten eine vis (bei weitem
nicht raptus), bei der das Fehlen der Freiwilligkeit
(nolle von ihrer Seite) klar wäre, da sie ja im Falle von Ueber-
einstimmung unbedingt schuldig wäre; nun bietet sie schließ-
lich Paris anstatt des male persuadere das bene cogere 8ῃ 15).
15) XVI 45: Matris in admisso falsa sub imagine lusae
error inest: pluma tectus adulter erat,
nil, ego si peccem, possum nescisse nec ullus
error, qui facti erimen obumbret, erit.
illa bene erravit vitiumque auctore redemit.
Vgl. zum letzteren Vers Liv. I 4,2: Vestalis, seu quia deus auctor cul-
pae honestior erat, Martem incertae stirpis patrem nuncupat.
13) An quio vim nobis Neptunius attulit heros,
rapta semel videor bis quoque digna rapi?
erimen erat nostrum, si delinita fwissem:
cum sim rapta, meum quid nisi nolle fuit?.....
372 Michael Pokrowskij,
Ueberhaupt ist es ein typisches Bild der römischen Sitten
mit evidenten Anspielungen auf die Epoche von Augustus und
Ovid (z. B. XVI 41: at peccant aliae matronaque rara pudi-
ca est).
Zum Schluß dieses Abschnittes wollen wir hinzufügen,
daß Ovid in allen seinen Dichtungen, einschließlich der „Me-
tamorphosen“ und der „Fasten“ solche Motive sehr liebt, in
welchen stupra incesta adulteria behandelt werden.
Nicht Helena allein, sondern auch seine anderen Heroinen,
z. T. auch Heroen bekennen ihre Verantwortlichkeit gegenüber
den Gesetzen und dem Gericht mehr oder minder und
bemühen sich, sie teils mit sophistischen, teils mit juristischen
Argumenten zu rechtfertigen; einige Heroinen beschuldigen
ihre untreuen Männer oder Verehrer, man kann sagen, nach
allen Regeln forensischer Beredsamkeit.
So z. B. gesteht Phyllis, daß sie crimine (stupro) die
Liebe Demophoons erreicht hat (Her. II 23).
Oinone nennt ihre Liebe zu Paris geradezu stuprum (Her.
V 144) und noch dazu cum servo commissum (v. 12: servo
nubere nympha tuli). Zu ihrer Rechtfertigung führt sie erstens
das an, daß sie sich nicht ohne ‘Widerstand preisgab, ἃ. h.
Reddidit intactam minuitque modestia crimen;
et iuvenem facti paenituisse patet.
Die letzten Verse sind vom juristischen Standpunkte aus interessant:
die Handlung des jungen Theseus ist eigentlich ein crimen, das nur
angesichts der mildernden Umstande verziehen wird (iuvenis, modestia,
paenituisse) — vgl. Dig. 48, 6, 5, 2: qui vacantem mulierem rapuit vel
nuptam, wltimo supplicio punitur, et si pater iniuriam suam precibus
exoratus remiserit, tamen extraneus sine quinquennii praescriptione reum
postulare poterit, cum raptus crimen legis luliae de adulteriis potesta-
tem excedit.
Daher ist Helena gegen den raptus, aber für die vis während der
Abwesenheit von Menelaus; aus denselben Gründen sucht auch Paris
für seinen raptus mildernde Umstände, die eigentlich für Helena be-
leidigend sind.
Uebrigens neigt Helena dazu, die Handlung des Theseus am ehe-
sten als eine attemptatio zu qualifizieren, das heißt als eine solche Form
von iniuria, welche beim Zusammentreffen günstiger Umstände ver-
ziehen oder wenigstens entschuldigt werden könnte — vgl. Dig. 47,
10, 9, 4: si quis tam feminam, quam masculum .... impudicos facere
attemptavit, iniuriarum tenebitur. 47, 10, 11, 1: iniuriarum actio ex bono
et aequo est et dissimulatione aboletur. si quis enim iniuriam dereli-
querit, hoc est statim passus ad animum suum non revocaverit, poste&
ex paenitentia vemissam iniuriam non poterit recolere. Vgl. übrigens
Themen der Deklamationen vom Entführer bei Quintil. Inst. IX 2, 90.
Neue Beitrage zur Charakteristik Ovids. 373
daß sie gewissermaßen vergewaltigt wurde, und zweitens, daß
sie für ihren Fall keine Belohnung forderte (v. 143: nec pre-
tium stupri gemmas aurumque poposci: turpiter ingenuum
munera corpus emunt). Das Betragen ihrer Nebenbuhlerin
Helena qualifiziert sie als ein unzweifelhaft bewußtes
adulterium (v. 125) und glaubt nicht daran, das Theseus
seiner Zeit ihr gegen ihren Willen Gewalt angetan habe (v. 131).
Hypsipyle sagt von ihrer Nebenbuhlerin Helena, daß sie
crimine dotata est (VI 138).
Dido begreift, daß ihr Betragen eine culpa, sogar noxa
ist (VII 105—106), aber sie versucht es auf einen error zu-
rückzuführen, welcher causas habet honestas: decepit idoneus
auctor (v. 109).
Es ist charakteristisch, daß Vergil, die Quelle Ovids,
solche sophistische und juristische Einzelheiten nicht darbietet.
Deianira qualifiziert das Verhältnis von Hercules mit lole
als ein crimen, adulterium, turpis infamia (IX 53: una recens
crimen, referetur adultera nobis, 134: turpia famosus corpora
iungit Hymen).
Die in ihren Bruder verliebte Canace nennt ihre Handlung
wiederholt crimen (XI 49, 64, 66 u. a.).
Interessant sind die Rechtfertigungen incesti bei Phädra,
Byblis und Myrrha.
Die Phädra Ovids sagt vor allem (Heroid. IV 34): peius
adulterio turpis adulter obest. Man soll Theseus für seine
zahlreichen iniuriae (v. 113) ihr gegenüber ebenso wie gegen-
über Hippolytos bestrafen: i nunc, sic meriti leetum reverere
parentis! (v. 127).
Die Sittlichkeitsgesetze sind konventionell, und im nächsten
Zeitalter werden sie liberaler sein: Juppiter esse pium statuit,
quodeumque iuvaret, et fas omne facit fratre marita soror.
Diese typische römische Matrone verachtet einerseits die
homines belluli, welche zur Zeit Ovids in Rom zahlreich waren
(v. 75: sint procul a nobis iuvenes ut femina compti), andrer-
seits rät sie dem Hippolytus, weder durum maritum, noch
custodem zu fürchten (v. 141).
Die in ihren Vater verliebte Myrrha versteht, daß ihr
Gefühl ein scelus, nefas ist, aber sie sucht sich iure naturali
574 Michael Pokrowskij,
und iure gentium zu rechtfertigen: ein verführerisches Beispiel
für sie sind auf einer Seite die Tiere, auf der anderen die
Völker !*), die Ehen zwischen Eltern und Kindern gestatten;
die bestehenden Gesetze aber verabscheut sie als ein Produkt
menschlichen Hasses (Met. X 329: humana malignas cura dedit
leges, et quod natura remittit, invida wura negant). Sie be-
dauert, daß sie nicht bei den erwähnten Völkern geboren
wurde und daß ihr fortuna loci schade (v. 335). Andererseits
errät sie, daß sie iura et nomina vermischt (confundit — v. 346),
und daß sie u. a. de iure matris paelex et adultera patris ge-
wesen wäre; nun sucht sie im Kampfe mit sich selbst sich
mittels der bekannten philosophischen These des Kriminal-
rechtes aufzurichten (v. 351): at tu, dum corpore non es passa
nefas, animo ne concipe (denn mens peccat!).
Interessant sind auch die Auseinandersetzungen von Byblis,
die in ihren Bruder verliebt ist. Ihre Liebe kann man durch
das Beispiel der Götter rechtfertigen, angefangen von Jup-
piter selbst, aber, ach! sunt superis sua iura! (Met. IX 500).
Sie zieht vor, die bestehenden Sittlichkeitsgesetze zu ig-
norieren: ihr Studium und ihre Interpretation sei Sache der
alten Männer (v. 551):
ura senes norint, et quid liceatque nefasque
fasque sit, inguirant legumque examina servent.
quid liceat, nescimus adhuec.
D. h. sie wünscht sich durch eine ignorantia iuris zu
rechtfertigen, welche in gewissen Fällen von der Gesetzgebung
für die Frauen, die Unmündigen und das Militär zugelassen
war; unter anderem waren die Gesetze bekanntlich geneigt die
Bestrafung der Frauen für incestum iure gentium non prohi-
bitum zu mildern — Dig. 48, 5, 39, 2: mulieres in iure erran-
tes incesti crimine non teneri ... . (ibid. $ 4); vgl. noch Dig.
22,6,9: minoribus viginti quinque annisius
ignorare permissum est: quodet in feminis in quibus-
dam causis propter sexus infirmitatem dieitur.
14) Merkwürdigerweise gebrauchte später dasselbe Argument Vitel-
lius, indem er die Ehe des Kaisers Claudius mit seiner Nichte Agrip-
pina zu rechtfertigen suchte: at enim nova nobis in fratrum filias
coniugia; sed αὐτί gentibus sollemnia neque lege ulla prohibita (Taeit.
Ann. XII 6).
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 375
Indem wir die Argumente der Phädra, Myrrha und Byblis
zusammennehmen, ersehen wir klar einen humoristischen Ver-
such, das incestum vom Standpunkte des bestehenden Rechtes
sowie des ius divinum, ius naturale, ius gentium aus zu quali-
fizieren 15).
S 2. Die Verbannung Ovids.
Die vorhergehende Erörterung hat uns allmählich zur
Frage nach der Verbannung Ovids geführt.
Seine Dichtungen waren unter anderem gegen die leges
Juliae de adulteriis gerichtet. Die ars amatoria zeichnet, wie
sehr auch sich der Verfasser bemühte, ihr den Charakter eines
Lehrbuches für die Hetären und ihre Kavaliere zu geben, vor-
zugsweise ein Bild des Verfalls des häuslichen Lebens, wobei
der Verfasser an verschiedenen Stellen als Gegner des Ehe-
lebens und folglich der Versuche des Augustus, es durch ge-
künstelte und terroristische Maßregeln wiederaufzurichten,
auftritt.
Augustus beschuldigt ihn als doctorem obsceni adulterii
(Trist. II 212 — vgl. Ex Pont. III 3, 57: quid tamen hoc
prodest, vetiti si lege severa credor adulterii composuisse notas?)
Zu seiner Verteidigung führt Ovid — besonders Trist. II
— an, daß seine Ars nicht für Ehegatten bestimmt ist und
daß er nicht allein für die ganze griechische und römische
Poesie leiden kann, die sich ausschließlich mit Problemen des
Ehebruches beschäftigt.
Das andere Verbrechen, das als Vorwand für die Ver-
bannung Ovids diente und, wie einige Kritiker bemerkt haben,
mit dem ersteren (d. h. mit der literarischen Propaganda des
Ehebruches) verwandt war, wird von Ovid nur in der Form
von Anspielungen mitgeteilt, die in ihrer Gesamtheit auf den
von einigen unserer Vorgänger geteilten Gedanken führen,
15) Unter anderem ist das von Myrrha erwähnte Gesetz, das Ehen
zwischen Eltern und Kindern zuließ, orientalischen Ursprungs, und ge-
gen dieses kämpft mit Energie Philo (De spec. leg. — zum 7. Gebote
— 8 3, M. 301) und die christlichen Apologeten wie Minucius Felix
Oct. 31 8 3, Tertullian Apolog. 9 u. ἃ. Wir fügen hinzu, daß das
Som dieser Autoren für die Erklärung Ovids überhaupt sehr nütz-
ich ist.
376 Michael Pokrowskij,
daß Ovid in eine Art lenocinium verwickelt wurde, die nicht
geradezu, wohl aber indirekt unter das bestehende Gesetz de
adulteriis fiel.
Versuchen wir nun seine Hauptanspielungen (vgl. Schanz
Gesch. d. röm. Lit. 1? 189) zu klassifizieren, wobei wir be-
denken müssen, daß das lenocinium ebenso wie das adulterium
bestraft wurde.
1. Seine Handlung war nicht Ὁ ew u ßt- verbrecherisch 16),
wenn auch verwerflich und eine Schuld in sich schließend, die
eine gewisse, aber nicht zu strenge Strafe verdiente; diese
Schuld ruhte auf einer Verirrung (error) und Unbedachtsam-
keit von der Art der Schuld Aktäons, der die nackte Diana ἡ
ohne zu wollen gesehen hatte; aber andererseits ist diese Ver-
irrung nicht der Art, daß man Ovid weiß waschen könnte;
Sünde (peccatum) und Schande werden bei ihm bis zu seinem
Tode bleiben 17).
Zwar hat er nichts getan, was vom Gesetze direkt ver-
boten 15) gewesen wäre, aber es ist nicht möglich, sein Ver-
gehen ganz und gar zu rechtfertigen; das Vergehen ist übrigens
derart, daß sogar die feinsinnigsten rednerischen Argumente
(colores) für seine Verteidigung nicht ausreichen, und trotzdem
ist es möglich es zu entschuldigen 1°).
Danach war Ovid ein unfreiwilliger Zeuge eines
fremden verderblichen (funesti) Verbrechens (Trist. ΠῚ 6, 28);
aber er suchte daraus keinen Gewinn ?°).
16) Tr: 1 2,98: a culpa facinus scitis abesse mea, v. 100: stulta
mens nobis, non scelerata fuit. II 7, 104: cur imprudenti cognita culpa
mihi? v. 103: cur aliquid vidi? cur noxia lumina feci? III 5, 49: inscia
quod cerimen viderunt lumina, plector; peccatumque oculos est habuisse
meos — vgl. III 6, 28: nec breve nec tutum, quo sint mea dicere
casu lumina funesti conscia facta mali. III 6, 35: stultitiamque meum
erimen debere vocari.
7) Pont. III 3, 74: non potes a culpa dicere abesse tua, tu licet
erroris sub imagine crimen obumbres, non gravior merito vindieis ira
fuit. 1 1,66: ne non peccarim, mors quoque non faciet. Tr. V 8, 23:
vel quia peccavi citra scelus, utque pudore non caret, invidia sic mea
culpa caret. UI 6, 31: et quaecumque adeo possunt afferre pudorem,
illa tegi caeca condita nocte decet.
18) Pont. II 9, 71: nec quiequam, quod lege vetor committere, feci.
19) Tr. III 5, 5l: non equidem totam possum defendere culpam;
sed partem nostri criminis error habet. I 9,63: ergo ut defendi nullo
mea posse colore, sic excusari crimina posse puto.
2°) Tr. III 6,33: nil igitur referam, nisi me peccasse, sed illo prae-
mia peccato nulla petita mihi.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 377
Ihm schadete anfänglich seine Verirrung, sodann Furcht,
Naivität und Torheit ).
2. Augustus verurteilte Ovid weder durch ein Senatsdekret
noch durch ein Gerichtsurteil, sondern durch ein persönliches
Edikt, das in finsteren, harten und drohenden Ausdrücken 55)
abgefaßt war. Dabei wurde Ovid übrigens weder der Bür-
gerrechte noch des Vermögens oder des Lebens be-
raubt, obgleich er Gründe hatte alles das zu fürchten, ja so-
gar geneigt war, derartige Strafen als verdient zu betrachten °°)
und unter anderem mit einem Ankläger in literarische Fehde
eintrat, der für ihn eine härtere Strafe erwirken wollte.
Die Handlung Ovids war für Augustus eine persön-
liche Beleidigung, aber sie schloß keine böse Absicht
in sich gegen die Person des Kaisers ein, was Augustus selbst
bemerkte, der ihn dem höchsten Strafmaß nicht unterwarf 55).
Der Dichter war nicht auf der Seite der Feinde des römi-
schen Volkes und seines Kaisers, sondern er erwies umgekehrt
dem Letzteren eine Pietät, die seiner Majestät geziemt; nach
Maß seiner Kräfte verherrlichte er den Kaiser in allen seinen
Schriften; weder bewußt noch unbewußt redete er etwas gegen
Cäsar; nicht einmal im Zustand der Betrunkenheit 55) ließ er
sich zu pietätlosen Aeußerungen gegen den Kaiser fortreißen.
1) Tr. IV 4,39: aut timor aut error nobis, prius obfuit error.
I 5,42: hanc merui simpkeitate fugam — vgl.12,100. Pont. II 2, 17:
nil nisi non sapiens possum timidusve vocari.
32) Tr. II 131: nee mea decreto damnasti facta senatus, nec mea
selecto iudice iussa fuga est; tristibus invectus verbis ..... ita principe
dignum est... ultus es offensas, ut decet, ipse tuas. adde quod
edictum, quamvis immite minaxque, attamen in poenae nomine lene fuit.
25) Tr. V 11,15: πρὸ υἱέαηι nec opes nec ius mihi civis ademit,
quae merui vitio perdere tota meo. V 2,59: omniaque haec timui,
quoniam meruisse videbar. V 10, 49: merui tamen urbe carere; ..
ipsam quoque perdere vitam Caesaris offenso numine dignus eram.
**) Tr. III 4,43: ergo ut iure damus poenas, sic abfuit omne pec-
cato facinus consiliumque meo. Idque deus sentit; pro quo nec lumen
ademptum nec mihi detractas possidet alter opes.
38) Tr. II 51: causa mea est melior, qui nee contraria dicor arma
nec hostiles esse secutus opes. V. 59: et pia tura dedi pro ie cumque
omnibus unus ipse quoque adiuvi publica vota meis. quid referam
libros, illos quoque, cerimina nostra, mille locis plenos nominis esse tui?
1Π 5,43: denique non possum nullam sperare salutem. non mihi quae-
renti pessumdare cuncta petitum Caesareum caput est, quod caput orbis
erat; non aliquid diei violentaque lingua locuta est lapsaque sunt nimio
verba profana mero.
378 Michael Pokrowskij,
Juristisch ausgedrückt kann man ihn nicht als reus
maiestatis aut perduellionis bezeichnen.
Jedenfalls gibt der Dichter zu, daß Augustus in seiner
Sache eine große Milde und Nachsicht an den Tag legte 55).
Indem wir alle diese Anspielungen zusammenstellen,
schließen wir uns an die Forscher an, die als Anlaß zur Ver-
bannung Ovids seine unpassende Vermittlung im Roman des
Silanus und der Enkelin des Augustus Julia betrachten.
Zwar wurde Ovid strenger als Silanus bestraft (dabei
müssen wir nicht vergessen, daß Ovid schon ein fünfzigjähriger
Hier ahnen wir gewissermaßen die terroristische Atmosphäre der
späteren Geschichte des Principats.
So betont Seneca Ben. III 26 $ 1 eine „rabies“ der Ankläger unter
Tiberius, da ezeipiebatur ebriorum sermo, simplicitas iocantium.
Die Anfänge dieser Unsitte reichen teilweise in die letzte Zeit des
Augustus (ib. III 27 8 1): sub divo Augusto nondum hominibus verba
sua periculosa erant, iam molesta. Als ein gewisser Rufus, der zum
senatorischen Stande gehörte, sich an der Tafel einen zweideutigen,
aber im Grunde unschuldigen Scherz gegen Augustus gestattet hatte
(ne Caesar salvus rediret ex ea peregrinatione quam parabat; idem
omnes et tauros et vitulos optare), so wurden einige Teilnehmer des
Schmauses darauf aufmerksam. Schon beim Anbruch des Tages beeilte
sich ein treuer Sklave des Rufus, ihn daran zu erinnern, quae enter
cenam ebrius dixwisset, et hortatur, ut Caesarem oceupet atque ipse se de-
ferat. —
Höchst interessant ist, daß die Ankläger unter Nero den berühm-
ten Thrasea Paetus dessen beschuldigten, was schon Ovid befürchtete:
prineipio anni vitare Thraseam sollemne iusiurandum; nuncupationibus
votorum non adesse; nunquam pro salute principis immolasse. Daß
Thrasea drei Jahre hinter einander im Senate nicht erschien, sondern
seine Muße den Privatangelegenheiten seiner Klienten widmete, gab
den Anklägern Anlaß zu vermuten „secessionem jam et partes et, sı
idem multi audeant, bellum! (Ann. XVI 22).
Auch Nero (ibid. c. 27) tadelte offiziell im Zusammenhange mit
dieser Angelegenheit, die Senatoren wegen Vernachlässigung der Staats-
pflichten (publica munia desererent): ihr Beispiel verführe auch die
Ritter zur Trägheit (segnitia) und zur Vermeidung der gericht-
lichen Tätigkeit.
Wir erinnern daran, daß man auch Ovid wegen Trägheit tadelte
(Amor. 1 15); später in seinem Rechtfertigungsschreiben an Augustus,
z. T. auch in seiner Selbstbiographie hielt er für nötig zu betonen,
daß er verschiedene gerichtliche Aemter und spezielle Aufträge gewis-
senhaft erfüllt habe; wenn er auch der Würde eines Senators auswich,
so sei das aus Anlaß der körperlichen Schwäche geschehen, ebensowie
der offenbaren Unfähigkeit, die komplizierten Pflichten eines Senators
zu erfüllen.
360) Tr. I 2, 61: quamque dedit vitam, mittissima Caesaris ira.
II 125: cuius in eventu poenae clementia tanta est, venerit ut nostro
lenior illa metu.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 379
war und in den Augen des alten Kaisers seine Schuld als
eines Anstifters vielleicht noch schwerer war als die der
jüngerer Don Juans), aber ziemlich ähnlich: beide wurden
weder dem öffentlichen Gerichte übergeben noch der Bürger-
rechte oder des Vermögens beraubt; beiden schadete selbst bei
Tiberius das, daß sie Augustus persönlich beleidigt hatten
(offenderunt).
Dem Silanus gelang es erst im Jahre 20 n. Chr. durch
Vermittlung eines einflußreichen Bruders, nach Rom zurück-
zukehren; Ovid erlebte seine Rückkehr nicht, und aus der Rede
des Tiberius an den Bruder des Silanus ist ersichtlich, daß
die fragliche „offensa“ selbst nach dem Tode des Augustus
in Kraft blieb. Diese Rede enthält gradezu viele Punkte, die
auch Ovid hervorhebt (Tacit. Ann. III 24): se quoque laetari,
quod frater eius e peregrinatione longingqua revertisset; idque
üure lieitum, quia non senatus consulto, non lege pulsus foret:
sibi tamen adversus eum integras parentis sui offensiones, neque
reditu Silani dissoluta quae Augustus voluisset (vgl. Ovid.
Trist. II 131—134).
Diese Zusammenstellung zeigt nochmals, wie stark sozu-
sagen die juristische Atmosphäre in den Dichtungen Ovids
aus der Verbannung ist.
Sie brauchen unbedingt einen juristischen Kommentar,
und ein derartiger Kommentar im Zusammenhang mit einigen
historischen Hindeutungen wird uns aufs neue zur Vermutung
führen, daß Ovid für eine art lenocinium bestraft wurde.
Ovid beruft sich auf die Humanität des Augustus (clemen-
tia, mitissima ira), der sein Leben geschont hat. Auch Seneca
erkennt eine große Nachsicht des Augustus gegenüber den
Liebhabern seiner Tochter an, die er anstatt der Relegation
mit dem Tode hätte bestrafen können 57).
Uebrigens kann dieses Argument nur im Zusammenhang
mit anderen Beweisen wirksam sein.
Augustus war geneigt, die Ehebrüche in seinem eigenen
31) Ovid. Tr, II 125: poenae clementia tanta est, venerit ut nostro
lenior illa metu: vıta data est, citraque necem tua constitit ira. Senec.
Clem, I 10, 3: quoscumque ob adulterium filiae suae damnaverat, adeo
non occidit, ut dimissis quo tutiores essent diplomata daret: hoc est
igqnoscere.
980 Michael Pokrowskij,
Haus mit dem Tode zu bestrafen: culpam inter viros ac femi-
nas vulgatam gravi nomine laesarum religionum ac violatae
maiestatis appellando clementiam maiorum suasque ipse leges
egrediebatur (Tacit. Ann. III 24).
Dieser Text fordert eine Erklärung ebenso für sich selbst
wie in Bezug auf Ovid.
Aus Seneca erfahren wir, daß Augustus in seinem Alter
gradezu ein Attentat auf sein Leben seitens seiner Tochter und
ihrer zahlreichen Liebhaber fürchtete (Dialog. X 4, 6: filia et
tot nobiles iuvenes adulterio velut sacramento adacti infractam
aetatem territabant).
Ihrerseits fällt laesa maiestas seit Augustus auch
mit laesae religiones zusammen (vgl. bei Ovid Trist.
II 107 laeso numine oder Caesaris offenso numine — ibid.
V 10, 52). Vgl. Dig. 48, 4, 1: proximum sacrilegio crimen
est, quod maiestatis dieitur (die Griechen bezeichneten das
crimen maiestatis als eine ἀσέβεια ---- Mommsen Strafrecht 540),
quo tenetur is, cuius opera consilio malo consilium ini-
tum erit, quo quis magistratus populi Romani quiwe im-
perium, potestatemve habet oceidatur.
Der Kaiser ist das Haupt desStaates, daher konnte
seine persönliche Beleidigung als laesa maiestas
betrachtet werden. Nach dem Zeugnis des Tacitus (Ann. 172)
fing Augustus zuerst an, unter das Gesetz von der Majestäts-
beleidigung (specie legis eius tractare) die gegen ihn gerich-
teten Pamphlets (famosi libelli) zu beziehen.
Jedenfalls wurde bereits im Anfange der Regierung des
Tiberius eine Verwandte des Augustus (eine Enkelin seiner
Schwester) Apuleja Varilla wegen Majestätsbeleidigung vor
Gericht gestellt 1. wegen probrosi sermones gegen Augustus,
Tiberius und seine Mutter, 2. quia Caesari conexa adulterio
teneretur.
Resümieren wir nun die Rechtfertigungsversuche Ovids:
1. seine literarische Tätigkeit war keine bewußte Pro-
paganda des Ehebruches;
2. weder bewußt, noch unbewußt führte er Böses gegen
Cäsar oder das römische Volk im Schilde;
3. er war ein nur unfreiwilliger Zeuge einer unerlaubten
'Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 381
Handlung, die den Kaiser persönlich beleidigte, aber Nutzen
daraus hat er nicht gezogen.
Die beiden erstern Argumente sind schon durch die vorher-
gehenden Zusammenstellungen aufgeklärt; was das Letztere
betrifft, so sei es gestattet, es mit folgendem Gesetz vom leno-
cinium zusammenzustellen (Dig. 48, 5, 30, 2): pleetitur et qui
pretium pro comperto stupro acceperit; nec interest utrum
maritus sit qui acceperit, an alius quis; quieumque enim ob
conscientiam stupri accepit aliquid, poena erit plectendus. ce-
terum si gratis qui remisit, ad legem non pertinet.
Aber das Material im Ganzen gibt ein interessantes Bild
eines komplizierten Falles von Ehebruch im Hause des Augu-
stus selbst.
8. 3. Das Eheleben Ovids und seine Ansichten
über die Ehe.
So fiel Ovid als Opfer seines Leichtsinns und zwar eines
solchen, der sich als gefährlich für den Staat ergab.
Wie blickte er nun selbst auf den Lauf seines persön-
lichen Lebens und auf die zeitgenössische gesellschaftliche und
staatliche Ordnung in jener einerseits liederlichen, andererseits
finstern und terroristischen Epoche, die unter allen Umstän-
den durch ihre scharfen Kontraste auf seinen empfänglichen
Sinn wirken mußte?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Tatsachen
seiner zurückhaltenden, diplomatischen Selbstbiographie (Trist.
IV 10) eingehend interpretieren und durch den Inhalt aller
seiner Schriften beleuchten, ebenso wie durch alles das, was
uns — in entsprechenden Grenzen — sowohl von seiner wie
von der vorangehenden und darauf folgenden Zeit bekannt ist.
Der gutmütige Dichter mit seinem schwachen Charakter
ist schließlich weder mit seinem persönlichen Leben noch mit
seiner Zeit zufrieden: ebensowenig im persönlichen Leben wie
in der gesellschaftlichen Tätigkeit gelang es ihm so zu leben,
wie er wollte. Desto schätzbarer sind alle seine Eröffnungen,
die allerdings nicht leicht aus der pikanten Form seiner Dich-
tungen hervortreten: in diesen Eröffnungen fühlen wir nicht
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft. 25
383 Michael Pokrowskij,
allein seine Stimme, sondern auch die einer ganzen Gesell-
schaftsklasse in einer sehr wichtigen, aber auch sehr dunklen
Epoche in der Geschichte Europas.
Der Dichter, der dreimal verheiratet war und der dem
Augustus ebenso wie der römischen Gesellschaft seine Keusch-
heit versicherte, tritt, wie wir früher gezeigt haben, als Geg-
ner der gründlich bedachten augusteischen Gesetzgebung auf
und wurde sogar trotz seines Alters in eine schmutzige Liebes-
geschichte am Hofe des Augustus verwickelt. |
Wie ist dieser Widerspruch zu erklären ὃ
Einige wichtige Anspielungen hierauf gibt seine oben ge-
nannte Selbstbiographie.
Eine Schwärmerei für die Poesie seit der Jugend, eine
Unfähigkeit sich prosaisch auszudrücken, die ebenso vom
Dichter selbst wie von Seneca dem Aelteren bezeugt ist °°),
ein zweifelloser, stark entwickelter Subjektivismus, der noch
durch das Studium der epikureischen Philosophie erhöht
war, — alle diese Umstände flößten dem Dichter einen Wider-
willen gegen jede praktische, besonders öffentliche Tätigkeit
ein, und seine Selbstbiographie zeigt, daß er gegen seine
Neigung bald dem Druck seiner Familie, bald dem des staat-
lich-gesellschaftlichen Lebens nachgeben mußte.
So hat man ihn zu früh und unglücklich verheiratet
(v. 69: paene mihi puero nec digna nec utilis uxor est data).
Diese Ehe wurde bald geschieden, ebenso die zweite, obgleich
seine zweite Frau sine crimine war; als dauerhaft erwies sich
nur die dritte Ehe, wenn man auch aus den Briefen Ovids an
seine Frau zur Zeit der Verbannung schließen kann, daß die
Beziehungen zwischen den Ehegatten sich nicht gerade durch
sroße Herzlichkeit auszeichneten.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß das persönliche Leben
des Dichters schon früh dadurch verdüstert wurde, und daß er
aus diesem Grunde nach und nach zum entschiedenen Gegner
des Ehelebens und der gekünstelten Maßregeln wurde, durch
die Augustus dasselbe zu heben gedachte.
38) Trist. IV 10, 26: quod temptabam dicere, versus erat. Sen.
Contr. II 2 (10), 8: oratio eius iam tum nihil aliud poterat videri quam
solutum carmen.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 383
_ Wie sehr auch Ovid seine Ars amatoria rechtfertigte, so
konnte Augustus, doch gewiß zu seinem großen Mißvergnügen,
darin Angriffe auf seine Gesetze finden (vgl. z. B. das Urteil
über Menelaus und Helena); ebenso wie in der Behauptung, daß
die freie Liebe interessanter und sogar humaner sei als die
förmlichen, von ewigem Zank begleiteten ehelichen Beziehungen.
Das Eheleben ist für Ovid ein Synonym der ihm ver-
haßten militia, die freie Liebe ist für ihn der Friede; dem
iussus legis wird die Liebe gegenübergestellt, die im vollen
Maße im Stande ist, die Funktionen dieses Gesetzes (munere
legis) auszufüllen: „denn nur das ist fest, was die Liebe ver-
eint hat“, behauptet der Dichter 29).
Nach dem Muster des Augustus ist er selbst geneigt Maß-
regeln zur Verbesserung des Ehelebens vorzuschlagen, aber
nur solche, die aus dem Bereich der freien Liebe genommen
sind; z. B. würde selbst das langweilige Familienleben viel
gewinnen, wenn der Ehemann mit dem Wächter zu rechnen
und sein veto zu hören hätte 3°).
Männer, die wirklich ihre Frauen lieben, gibt es nur
wenige; deshalb pflegen die Männer selbst gegen offenbare
Abenteuer ihrer Frauen gleichgültig zu sein und zeigen sich
als geheime lenones (ebenso wie einige wenige verliebte Ehe-
männer), die schwer, sogar unmöglich ist vor Gericht zu
ziehen °").
Endlich, — und das dürfte wohl die Hauptsache sein, —
39) Ars II 145: Dextera praecipue capit indulgentia mentes.
asperitas odium saevaque bella movet.
151: Este procul lites et amarae proelia linguae.
lite fugent nuptaeque viros nuptasque mariti
inque vicem credant res sıbi semper agi.
hoc decet uxores, dos est uxoria lites.
non legis iussu lectum venistis in unum:
fungitur in vobis munere legis amor.
Heroid. IV 135: illa coit firma generis iunctura catena,
imposuit nodos cui Venus ipsa suos.
Ars IIl 502: candida pax homines, trux decet ira feras.
lI 175: proelia cum Parthis, cum culta pax sit amica.
0) Ars III 585: hoc est uwores quod non patiatur amari:
econveniunt illas cum voluere viri.
adde forem et duro tibi dicat vanitor ore
„non potes“, exclusum te quoque tanget amor.
81 Ars II 597: ista viri captent, si dam captanda putabunt.
Amores II 2, 53: seu iepet, indicium securas perdis ad aures;
sive amat, officio fit miser ille tuo.
25 *
984 Michael Pokrowskij,
schilderte Ovid dem Scheine nach die Hetären, in Wirklich-
keit aber vorzugsweise die römischen Damen und ihr Eheleben.
So verstand seine Dichtungen Augustus, der ihn mit dem
scharfen Ausdruck „doctor obsceni adulterii* bezeichnete und
hervorhob, daß seine artes „Romanas erudiunt nurus“ (Tr. II
244), „vetitos sollicitaverunt toros“ (v. 346).
Die Ars amatoria rief schon bei ihrem ersten Erscheinen
scharfe Angriffe seitens der Moralisten hervor (Rem. am. 361);
als Antwort darauf schrieb Ovid Remedia amorum, aber es
ist nicht schwer, sich davon zu überzeugen, daß auch diese
Dichtung nur eine sophistische Palinodie der Ars war, stellen-
weise noch herausfordernder als die Ars selbst.
Der neue Kommentator der Ars amatoria Brandt ist ge-
neigt, Ovid aufs Wort zu glauben, daß die Ars nur die He-
tären im Auge hatte.
Das ist aber sehr fraglich. Vor allem ist das genannte
Urteil des Augustus schwerlich zu ignorieren. Augustus kannte
doch wohl das römische Gesellschaftsleben besser als wir.
Aber auch für uns, insofern wir Kulturhistoriker sind,
kann es nur empfehlenswert sein, das Verhältnis der Ars ama-
toria zu den früheren Dichtungen Ovids (Heroides und beson-
ders Amores), ebenso wie zu den Vorgängern Ovids, die das
römische Gesellschaftsleben schildern, eingehend zu verfolgen.
Als ein solcher kann unter Anderen Horaz gelten — z. B.
mit seiner bekannten 6. Ode des 3. Buches (v. 25: mox iunio-
res quaerit adulteros inter mariti vina ... lussa coram non
sine conscio surgit marito).
Interessant ist es, daß Ovid selbst Tibull als Lehrer des
Ehebruches ansieht (Tr. II 462: docet, qua nuptae possent
fallere ab arte viros), und vielleicht hat er Recht.
Aber schon manche republikanischen Damen, — wie Sem-
pronia bei Sallust (Cat. 25) und Clodia in der Schilderung
Ciceros (pro Caelio) und z. T. Catulls, — können als Urbild
der Gestalten der Ars amatoria gelten.
Ueberhaupt können viele Einzelheiten der Ars auf die
verheirateten Frauen bezogen werden. Nehmen wir z.B, die
Entführung der Frauen nach dem Gastmahl (1 603, Amor.
I 4, 51) und stellen wir damit folgende Stelle aus der Rede
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 925
Ciceros für Caelius zusammen ($ 20): ‘nec tamen illud genus
alterum nocturnorum testium pertimesco. Est enim dietum ab
illis fore qui dicerent, uwores suas a cena redeuntes attrectatas
esse a ÜCaelio”.
8 4. Die Ansichten Ovids über die Tätigkeit eines ge-
riehtlichen Redners (actor causarum) und über den
Kriegsdienst.
So wurde Ovid zu früh und unglücklich verheiratet, was
sich notwendigerweise in seinem späteren Leben und in der
Gestaltung seines Charakters abspiegeln mußte.
Auf einen nachdrücklichen Wunsch seines Vaters und mit
Rücksicht auf die gesellschaftliche Sitte (mos patrum) wurde
er genötigt, sich wider seinen Willen mit der Jurispru-
denz zu beschäftigen und die üblichen Ehrenämter zu
übernehmen. Natürlich ärgerte ihn das, wie man nach der
15. Elegie des 1. Buches urteilen kann, wo er es für sich als
gemein und verächtlich (mortale, vile) betrachtet, Kriegs-
dienst zu leisten, die geschwätzigen Gesetze zu stu-
dieren, und seine Stimme auf dem undankbaren Forum zu
prostituieren.
Selbst in seiner Autobiographie erinnert er sich nicht ohne
Bitterkeit daran. Man weiß auch, daß er sich beeilte vom
Staatsdienste loszukommen, und sich auch nicht durch die ihm
bevorstehende Würde eines Senators verlocken ließ (v. 35:
curia restabat; clavi mensura coacta est: maius erat nostris
viribus illud onus; nec patiens corpus nec mens fuit apta la-
bori sollicitaeque fugax ambitionis eram).
Wie dem auch sei, bei aller Verehrung, mit welcher Ovid
von seinem Vater spricht, tauchte doch immer bei ihm eine
sehr bittere Erinnerung an die Tage seiner Jugend auf.
Sein Vater, ein ehrgeiziger munizipaler Ritter, sah sehr
unfreundlich auf die Schwärmerei des jüngeren Sohnes für die
Poesie. Er hatte seine Kinder in die Lehre bei den besten
Rednern jener Zeit gegeben, in der Hoffnung, daß die Kinder
zu hohen Beamten werden oder überhaupt sich selbständig
den Lebensunterhalt verdienen würden.
386 Michael Pokrowskij,
Zweifellos war ihm sein älterer Sohn, der sich als geeignet
zum Redner erwies, eine Genugtuung; aber mit dem jüngeren
hatte er viele Uneinigkeiten und er sagte ihm oft mit kommer-
zieller Derbheit, die Poesie sei etwas ganz Nutzloses, da ja
Homer selbst keine Mittel hinterlassen habe (v. 21: studium
quid inutile temptas? Maeonides nullas ipse reliquit opes).
Aber bei aller Bereitwilligkeit dem Vater Folge zu leisten,
war es dem jungen Dichter schwer, sich auch nur an die Prosa
zu gewöhnen.
Aber welche praktische Tätigkeit sollte er nun für sich
wählen ?
Als Wege zur Beförderung eines vornehmen jungen
Mannes diente seit den Zeiten der Republik die gericht-
liche Tätigkeit (actio causarum) und der Kriegs-
dienst.
Wir haben schon die allgemeine ziemlich verächtliche
Aeußerung Ovids über beide Wege angeführt, und jetzt wen-
den wir unsere Aufmerksamkeit auf die politisch-gesellschaft-
liche Lage dieser Karrieren, so wie sie sich nicht nur Ovid
und seinen Zeitgenossen, sondern auch den nachfolgenden,
z. T. den vorangegangenen Geschlechtern darstellte.
A. Die Advokatur (actio causarum).
Ovid bekennt selbst, daß er, im Gegensatz zu seinem äl-
teren Bruder, nicht für die kriminale Beredsamkeit und Ad-
vokatur, die eine große Anspannung der Kräfte forderte, ge-
schaffen war. (Tr. IV 10, 7: frater ad eloguium viridi tendebat
ab aevo, fortia verbosus natus ad arma fori).
Im Zusammenhange damit ist das Zeugnis Senecas des
Aelteren charakteristisch, daß Ovid schon in der Schule die
Suasorien den Kontroversien vorzog, da ihm jede Argu-
mentation lästig war (molesta — Contr. II 2, 12).
Außerdem verlor die kriminale und besonders die krimi-
nalpolitische Beredsamkeit seit Augustus und z. T. schon seit
Caesar ihre frühere Freiheit und Schwungkraft. Die gericht-
lichen Sitten selbst verschlechterten sich, besonders im Zusam-
menhange mit den neuen Gesetzen: es vermehrte sich die An-
zahl geldgieriger Advokaten und Ankläger.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids, 387
Im Jahre 17 vor Chr. mußte Augustus ein Gesetz (als
Variation der alten lex Cincia) einbringen auf Vervierfachung
der Strafe (quadruplatio) für Advokaten, die für ein im vor-
aus vereinbartes Honorar verteidisten (Mommsen Strafrecht
706).
Und z. B. im Jahre 20 nach Chr., unter Tiberius, wurde
im Senat die unaufschiebbare Frage der Einschränkung der
Tätigkeit der Ankläger in allen in Verbindung mit der lex
Papia Poppaea stehenden Strafsachen erwogen (Tacit. Ann. III
25 und 28).
Es kommen nun bei Ovid sehr scharfe Ausfälle gegen die
Advokaten und Ankläger seiner Zeit vor.
Ein Advokat, der seine Stimme verkauft, ist ein Lohn-
diener (mercennarius), eine Prostituierte; eine derartige Ver-
käuflichkeit schließt in sich keine gratia ein; daher lohnt es
sich nicht mit dem ingratum forum zu tun zu haben: eine
solche Tätigkeit ist niedrig (vilis).
Die gerichtliche Beredsamkeit wird eigentlich dazu stu-
diert, um Unschuldige zu verteidigen; nichtsdestoweniger deckt
sie Schuldige und unterdrückt Leute, die es nicht verdient
haben.
Was ist das anderes als Räuberei (latrocinium)? Und
solche Aeußerungen Ovids kann man nicht einmal als zu sehr
subjektiv bezeichnen: ähnliche Gedanken spricht später z. B.
Quintilian aus °?).
82) Amor. 1 15,5: nec me ingrato vocem prostitwsse foro; v. 85:
vilia miretur vulgus (vgl. Amor. 1 10,39, wo die Verkäuflichkeit eines
Advokaten mit der einer Frau zusammengestellt wird, v. 41—42 u. z.
T. 21—22).
Trist. Π 271: et latro et cautus praecingitur ense viator:
ille sed insidias, hie sibi portat opem.
discitur, innocuas ut agat facundia causas,
protegit haec sontes immeritosque premit.
Vgl. Quint. Inst. XIl 7,3: accusatoriam vitam vivere et ad deferendos
reos praemio duci proximum latrocinio est. $ 8: longe est honestissi-
mum ... non vendere operam nec elevare tanti beneficii auctoritatem,
cum pleraque hoc ipso possint videri vilia quod pretium habent. $ 11:
paciscendi ille piraticus mos et ponentium periculis pretia procul abo-
minanda negotiatio etiam mediocriter improbis aberit, cum praesertim
bonos homines bonasque causas tuenti non sit metuendus ingratus.
8 12: nihil ergo acquirere volet orator ultra quam satis erit; ac ne
pauper quidem tanguam mercedem accipiet, sed mutua benevolentia
utetur, cum sciat tanto se plus praestitisse. non enim, quia venire hoc
beneficium non oportet, perire oportet. Vgl. noch XII $ 25: non enim
388 Michael Pokrowskij,
B. Der Kriegsdienst.
Noch weniger anziehend war der Kriegsdienst für
einen jungen Mann, der zur Zeit der Bürgerkriege erwachsen
und in einer Philosophie erzogen war, die den Krieg über-
haupt verdammte.
Noch im Jahre 63 vor Chr. stellte Cicero, — allerdings
gemäß der Pflicht eines Patrons und angesichts der besonderen
Lage Roms, — die militärische Tätigkeit des Murena höher
als die zivile, privatjuristische Tätigkeit seines Konkurrenten
Sulpicius.
Sonst aber ist Cicero ganz entgegengesetzter Ansicht. So
z. B. schreibt er an Caelius (Fam. II 16, 3) beim Anfang des
Bürgerkrieges zwischen den Pompejanern und Caesar, daß er
bei aller seiner Energie immer Parteigänger des Friedens
war.
Denselben Gedanken spricht er auch später, nach dem
Tode Caesars im Traktat De Officiis (135) aus und fügt hin-
zu, daß aus zwei Kampfweisen die eine — disceptatio — mehr
für die Menschen geeignet ist, die andere — vis — für die
Tiere (beluarum $ 34): multo maiora opera sunt animi quam
corporis (II 46). Der Kriegsdienst war ehrenwert im alten
Rom, als die Kriege nur noch mit den Fremden geführt wur-
den; aber jetzt, schreibt er an seinen Sohn, tua aetas incidit
in id bellum, cuius altera pars sceleris nımium habuit, altera
felicitatis parum.
Und solche Gedanken werden zum Lieblingsthema der
gebildeten Römer der Kaiserzeit.
Was hat der Menschheit das „eiserne“ Zeitalter mit den
unter den Menschen anhebenden Kriegen gegeben ?
Es hat menschliche Verhältnisse gänzlich verkehrt, selbst
zwischen den nächsten Verwandten und Freunden:
non hospes ab hospite tutus,
non socer a genero, fratrum quoque gratia rara est;
imminet exitio vir coniugis, illa mariti;
filius ante diem patrios inquirit in annos (Met. I 144).
forensem quandam instituimus operam nec mercennariam vocem, nec, ut
asperioribus verbis parcamus, non inutilem sane litium advocatum,
quem denique causidicum vulgo vocant.
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Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 389
Seneca der Philosoph, der diese Verse zitiert, findet, daß
diese Beschreibung der Gräuel des Bürgerkrieges noch schwach
ist (De ira II 9, 2): et quota ista pars scelerum est? non de-
scripsit castra ex una parte contraria et parentum liberorumque
sacramenta diversa, subiectam patriae civis manu flammam et
agmina infestorum equitum ad conquirendas proscriptorum
latebras circumvolitantia. Vgl. noch eine contio imperatoria:
pugnate contra coniuges, pugnate contra liberos, aras focos
penates armis incessite (De benef. V 15,5).
Und Ovid spart weder Pathos noch Sarkasmus oder Hu-
mor für die Verspottung des Krieges, des Kriegsdienstes und
des Militärs.
Die Zeiten der Bürgerkriege, in die Ovids Kindheit fiel,
beförderten viele Soldaten zu Rittern, die sich durch die Habe
der besiegten Mitbürgern bereichert hatten, und der in sozialer
Hinsicht sonst anspruchslose Dichter rühmt sich demonstrativ
damit, daß er selbst ein Ritter alten Geschlechts ist.
In der diplomatischen Selbstbiographie (Tr. IV 10, 7—8)
sagt er:
51 quid id est, usque a proavis vetus ordinis heres,
non modo fortunae munere factus eques.
In der Jugend hieß es bei ihm stärker — anstatt fortunae
munere — militiae turbine (Amor. III 15, 5—6).
Die reuen Mitglieder des Rittertums sind Lohndiener,
die ihren Körper wie die Prostituierten verkaufen:
quid puerum Veneris pretio prostare iubetis?
nec Venus apta feris Veneris nec filius armis.
non decet imbelles aera merere deos.
stat meretriz certo cuivis mercabilis aere
et miseras iusso corpore quaerit opes (Amor. I 10, 17 sq.).
ecce recens dives parto per vulnera censu ;
quaesitum est illi corpore quidquid habet.
Also die Advokatur isteine Art Prostitu-
tion, der Kriegsdienst — eine unbedingte
Prostitution.
Der Kriegsdienst steht außerdem im Widerspruch mit der
Humanität, als etwas Tierisches (vgl. das oben angeführte Zitat
aus Cicero), als etwas, das mit Blutvergießen verbunden ist:
390 Michael Pokrowskij,
miles... aeternum sanguine nomen emat (Amor. II 10, 31);
sanguine pastus eques (lII 8, 10).
Blutvergießen und tierische Wildheit werden gern mit
dem Kriegsdienste verglichen.
So z. B. verursachte sich Corinna einen Abortus, und der
Dichter fragt ironisch, warum solche Frauen nicht in den
Kriegsdienst treten (Amor. II 14, 1—4): quae prima instituit
teneros convellere fetus, militia fuerat digna perire sua.
Die besten Seiten des Kriegsdienstes, — Energie, Aus-
dauer, Wachsamkeit, — kann man auch in anderen edleren
Beschäftigungen an den Tag legen, besonders in der freien
Liebe, die auch eine militiae species ist (Amor. 1 9,
Ars 11 674, oder 233 u. dgl.; ein Vergleich, der von den
römischen Komikern und Lyrikern aus der griechischen Litera-
tur übernommen war). Dabei haben Triumphe auf diesem Ge-
biete den Vorzug, daß sie unblutig sind — sanguine praeda
care (Amor. II 12, 5) 88).
Von dieser allgemeinen Ansicht aus über den Krieg sei
es gestattet, die Auswahl einiger Motive in den „Briefen“
Ovids zu erläutern: als direkte Opfer des trojanischen Krieges
erscheinen so sympathische Frauen, wie Penelope (Her. 1),
Laodamia (Her. XIII), Briseis (Her. ID); indirekt gehören zu
den vom Kriege hart getroffenen Frauen auch Dido (Her. VII)
und Hermione (Her. VIN).
Der Anlaß zum Kriege ist nichtig: es ist das eine per-
sönliche Beleidigung des einzigen Menelaus; also lohnte es
vielleicht nicht dieses berüchtigte adulterium zu bestrafen.
Das war auch der Standpunkt der Lehrer Ovids. Unter
anderen hat auch Iphigenie durch den Krieg gelitten. In der
3. Suasorie bei Seneca setzte Arellius Fuscus auseinander, dafs
Agamemnon nicht nach Troja hätte segeln dürfen, quia plus
impenderetur quam peteretur: peti Helenam, impendi Iphige-
niam: vindicari adulterium, committi parricidium.
Wir müssen hinzufügen, daß dies ein euripideischer color
38) Mögen immerhin der Ton und einige stilistische Einzelheiten
dieser Klegie von der neuattischen Komödie vorweggenommen sein
(vgl. z. B. Plaut. Bacch. 925 sq.), das hindert nicht, daß sie eine
Verspottung der realen Verhältnisse zur Zeit des Ovids ist.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 391
ist (vgl. Iph. Aul. 396 sq., 881 seq., auch Enni fragm. tr.
195 52 gehört hierher).
8 5. Das Zivilrecht. Die Aemter eines Triumvirn und
eines Mitgliedes des Centumviralgerichts.
Schließlich mußte Ovid für sich irgend eine praktische
Tätigkeit wählen. Der Kriegsdienst war ihm überhaupt ver-
haßt, die nervöse Tätigkeit eines Patrons schon deshalb, weil
er, obgleich schulmäßig vorbereitet, mit Rücksicht auf seine
Gesundheit sich nicht zutraute, sie zu übernehmen.
So mußte er sich also mit einer Tätigkeit befassen, die
nicht bloß ihm selbst widerwärtig war, sondern überhaupt als
zu kleinlich und langweilig für einen gebildeten und talent-
vollen jungen Mann angesehen wurde, nämlich mit dem Studium
des Rechts, besonders des bürgerlichen Rechts.
Aber dieser Beschäftigung widmeten sich, wie Quintilian
sagt, vorzugsweise Leute, die an ihrer Befähigung zum Patron
endgültig zweifelten; außerdem beschäftigten sich damit nicht
selten arme Teufel, um ein Stück Brot zu verdienen, und die
Profession eines causidicus wurde als Handwerk betrachtet °°).
Angesehene Patrone erblickten in den Beschäftigungen
mit dem bürgerlichen Rechte etwas ganz nebensächliches und
waren geneigt, auf dieselben mindestens mit Ironie, wenn nicht
mit Verachtung, zu blicken.
Dieser Ansicht war schon Cicero.
3) Folglich muß man die Elegie nicht bloß im Zusammenhang
mit der Komödie, sondern auch mit der euripideischen Tragödie stu-
dieren, — noch besser — alle diese drei Gattungen im Zusammenhange
mit der sophistischen Philosophie, die sie so oder so vereinigt. Die
Elegie und die Tragödie verfluchen den Krieg; ihrerseits spart auch
die Komödie keine Farben zur Verspottung der milites gloriosi, neben
denen überdies die widerwärtigsten und verschmitztesten Schmeichler
hervortreten, wie es z. T. schon Cicero bemerkt hat (De amie. 98: nec
parasitorum in comoediis adsentatio faceta nobis videretur, nisi essent
milites gloriosi).
3) Quint. Inst. XII 3, 9: quodsi plerique desperata facultate agendi
ad discendum ius declinaverunt ... Vgl. Friedländer Sittengesch. 15
330 mit Hinweis auf Juven. VIII 46 und auf Petron. 46: emi ergo nunc
puero aliquot libra rubricata, quia volo illum ad domusionem aliquod
de iure gustare. habet haec res panem (vgl. mit diesen Auseinanderset-
zungen eines armen Plebejers die von Ovids Vater) .... destinavi illum
artifieii docere, aut tonstreinum, aut praeconem, aut certe causidicum.
992 MichaelPokrowskij,
In der Rede für Murena (wo die Ironie natürlich über-
trieben ist) betrachtet er die Tätigkeit des Sulpicius als arti-
ficium, tenuis scientia (88 25—25): res enim sunt
parvae, prope in singulis bitteris atque interpunctionibus
verborum occupatae; deinde etiamsi quid apud maiores nostros
fuit in isto studio admirationis, id enuntiatis vestris mysteriis
totum est contemptum et abiectum (vgl. de orat. 1 236: est
iuris consultus ipse per se nihil nisi leguleius quidam cautus
et acutus, praeco actionum, cantor formularum, anceps sylla-
barum). Und weiter (ὃ 26) verspottet er die verbositas und
loquacitas der zivilen Rechtsprechung. Ueberhaupt ($ 28)
dignitas in ista scientia nusquam fuit, gratia vero multo etiam
minus.
Nicht ohne bemerkenswerte Ironie zählt er auch den Kreis
der zum Centumviralgericht gehörigen Geschäfte auf (de orat.
I 173: in quibus usucapionum tutelarum gentilitatum agnatio-
num adluvionum nexorum mancipiorum parietum luminum
stillieidiorum testamentorum ceterarumque rerum innumera-
bilium iura versantur).
In der Kaiserzeit entwickelten sich die letzteren Gerichte
sehr stark (Tacit. Dial. de orat. 38), aber die näheren Um-
stände ihrer Tätigkeit schienen selbst solchen Liebhabern, wie
Plinius dem Jüngeren, manchmal ziemlich langweilig zu sein.
Da eine solche Tätigkeit für Ovid selbstverständlich lästig
war, braucht man seinem Briefe aus der Verbannung (Ex
Ponto III 5) an seinen jungen Freund Maximus Cotta keine
besondere Bedeutung beizulegen, in dem er ihm Glück wünscht
anläßlich einer schönen Rede, die der Letztere im Centumviral-
gericht gehalten hatte.
Trotzdem war Ovid ein triumvir (scheinbar capitalis), nahm
am Centumviralgerichte Teil (Tr. IV 10, 33; II 93: nec male
commissa est nobis fortuna reorum lisque decem deciens in-
spicienda viris), war ein Mitglied des Vigintivirats oder des
Decemvirats (s. Schanz Gesch. ἃ. röm. Lit. II, 15 188), und
endlich fungierte er tüchtig als Richter in Privatprozessen
(Tr. II 95).
Das Amt eines Triumvirn mußte, wenigstens wenn Ovid
eintriumvir capitalis war, schon an und für sich die
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 393
Gefühle des kränklichen und verzärtelten Dichters verletzen:
denn zum Kreis der Tätigkeit eines solchen Beamten gehörten
verschiedene polizeiamtliche Pflichten, namentlich die Aufsicht
über die Gefängnisse und die Vollstreckung der Todesstrafe!
(Mommsen Staatsrecht II, I? 596).
Das Zivilgericht ärgerte ihn auch mit seiner Silben-
stecherei. Wie Cicero, verachtet er verbosae leges (Amor. I
15, 5), garrula vadimonia (1 12, 23).
Der Sinn einiger Hlegien von ihm besteht geradezu darin,
daß diese widerwärtige zivilgerichtliche Tätigkeit ihn verhin-
dert, sich der freien Liebe zu ergeben!
Sein billet doux wurde ihm zurückgesandt, und er ruft
tragikomisch aus, daß es besser wäre auf den verfluchten
Täfelchen dieses Briefes garrula vadımonia quae aliquis duro
cognitor ore legat aufzuschreiben (Amor. I 12, 23—24).
In der darauffolgenden Elegie (I 13) schilt er komisch
die Morgenröte wegen ihres für die Verliebten allzufrühen
Aufganges: sie ärgert unter anderem auch die Rechtskenner
und ihre Klienten, indem sie sie zwingt früh aufzustehen, um
schließlich für ein einziges Wort schwer zu büßen (vgl.
Cie. pro Mur. 25):
atque vades sponsum stultos (die Ueberlieferung ist verderbt)
ante atria mittis,
unius ut verbi grandia damna ferant;
nec tu consulto nec tu iucunda diserto:
cogitur ad lites surgere uterque novas.
$ 6. Abspiegelungen der amtlichen und gerichtlichen
Tätigkeit Ovids in seinen Schriften.
Ueberhaupt spiegeln sich in den Schriften Ovids, beson-
ders in den früheren, seine unfreiwilligen Beschäftigungen mit
der Jurisprudenz verschiedenartig ab, und das ist ganz ver-
ständlich angesichts seiner großen Empfindsamkeit.
7. B. indem er sich wegen der Unfähigkeit zum heroi-
schen Epos verteidigt, ruft er komisch aus, daß die Heroen
eines solchen Epos nicht in seiner Angelegenheit mit der Dame
394 Michael Pokrowskij,
seines Herzens als Patrone auftreten werden (v. 30: quid pro
me Atrides alter et alter agent?)
Eine grundlose Eifersucht der Dame seines Herzens ruft
in ihm den Gedanken hervor, daß er immer in neuen Krimi-
nalsachen als Angeklagter erscheint (Amor. II 7), und daß er
sich wahrhaftig zu einer Sünde zu bekennen wünscht, um die
verdiente Strafe ruhig zu ertragen; er darf nicht der Zofe
seiner Herrin Hof machen, wenn auch nur um der Denun-
ziation vorzubeugen. Dieses Thema von der Denunziation
wird verschiedenartig in der nächsten Elegie variiert, die eine
Palinodie zur vorhergehenden darstellt.
Noch besser: der verliebte Acontius (Her. XIX) beklagt
sich ausführlich darüber, daß er sich vor den Verwandten der
Cydippe und z. T. vor ihr selbst ohne Patron verteidigen muß
(was nach den römischen gerichtlichen Verhältnissen undenk-
bar ist), und daß die Gerichtssitzung in seiner Abwesenheit
vor sich geht (was auch vom Standpunkte einer normalen
Rechtsprechung aus unmöglich ist) ?°). |
Derselbe Acontius läßt die Gelegenheit nicht vorüber, auf
die Ehegesetze Anspielung zu machen: er selbst sei kein ein-
facher Kurmacher; derjenige, der die kranke Cydippe vielleicht
pflegt, greife in das Recht des Acontius ein, als eines dominus
und vindex: nach der Hochzeit werde ein solcher Mann direkt
ein Ehebrecher sein; es wird ihm empfohlen, die Formel des
Ehevertrages vorzulesen, wobei die juristischen Rechte des den
Vertrag machenden Vaters gewiß niedriger als die mensch-
lichen, natürlichen Rechte der Braut geschätzt werden; auch
wird die Wichtigkeit eines iusiurandum im Vergleich mit
einem promissum aufgeklärt 57).
Außerdem liebt Acontius überhaupt das „pactum conven-
tum“ zu parodieren, besonders insofern es die Verlobung
3) V, 91: nune reus infelix absens agor, et mea, cum sit optima
non ullo causa tuente perit.
87) V, 148: post modo si facies istud, adulter eris. 151: recitetur
formula pacti. 155: nam quod habes et tu gemini verba altera pacti,
non erit ideireo par tua causa meae. haec mihi se pepigit, pater hanc
tibi, primus ab üla: sed propior certe, quam pater, ipsa sibi. promisit
pater hanc, haeec et iuravit amanti: ille homines, haec est testificata
deam; hic metuit mendax, timet haec periura vocari. Angesichts dessen
sein Nebenbuhler pro causa pugnat iniqua (v. 171).
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 395
(sponsalia) berührt. Er beharrt darauf, daß Cydippe eidlich
gebunden ist (v. 1 und 159), daß sie se pepigit (157), daß er
pactam fidem, non crimina erlangt (7), daß die Göttin Zeugin
war (18), daß fides selbst sine teste (180) erfüllt werden soll
(face modo pollieiti conscia templa colas. non bove mactato
caelestia numina gaudent, sed, ας praestanda est et sine teste,
fide), endlich daß Cydippe schon astricta est verbis (28).
Der Text seiner sponsalia ist ihm von einem vorzüglichen
Juristen, dem Amor, diktiert (29: dietatis ab eo feci spon-
salia verbis, consultogue fui iuris Amore vafer).
In seinem Betragen gibt es weder fraus noch dolus
(31 und 34), für die er weder eine angeborene, noch durch
Erfahrung erworbene calliditas hat (allem Anscheine nach
ist das eine Parodie auf das Edietum praetorium de pactis —
Dig. 2, 14, 7: pacta conventa quae neque dolo malo.... neque
quo fraus cui eorum fiant facta servabo. ὃ 9: dolus malus
fit calliditate et fallacia).
Strittig bleibt in der Wissenschaft die Frage, ob causae
liberales zur Zeit des Augustus noch zum Decemviral- oder
Centumviralgerichte gehörten (Mommsen Staatsr. II, I? 698).
Jedenfalls liebt Ovid (was seine Vorgänger Tibull und
Horaz nicht getan haben) die Termine des Vindikationspro-
zesses zu parodieren 38), und in der 2. Elegie des 2. Buches
der Amores beschreibt er dem Wächter Bagous ausführlich,
was für ein Schicksal ihm de iure et de facto bevorstehe im
Falle der Zustimmung oder Nichtübereinstimmung mit seiner
Herrin, zu der ihn der eifersüchtige Mann bestellt hatte 38).
Uebrigens, um nicht zu weitläufig zu sein, verweilen wir
38) Z. B. Amor. III 11,3: asserui iam me fugique catenas. Her.
VII 7: quid facis, Aeacide? non sum sine vindice, dixi: haec tibi sub
domino est puella suo. V. 116: inice non timidas in tua iura manus.
Rem. Am. 73: publicus assertor dominis suppressa levabo pectora. vin-
dictae quisque favete suae u. s. w.
89) Uebrigens müssen wir hinzufügen, daß die Sophismen dieser
Elegie griechischen Ursprungs sein könnten: sie erinnern an die So-
phismen bei Plaut. Mil. Glor. 294. Der zu Philocomasium bestellte
Sklave Sceledrus sah, wie sie sich mit einem fremden Manne küßte.
Man warnt ihn, daß er damit cruribus capitique fraudem caputalem
zuziehen könnte: seine Geschwätzigkeit könnte ihn auf zwei Wegen
(duplieiter) zum Verderben bringen: primumdum, si falso insimulas
a muunto, hoc perieris; iterum perieris, si id verumst: tu ei custos
additu’s.
396 Michael Pokrowskij,
zum Schluß bei zwei charakteristischen Gruppen von juri-
stischen Fragen, die Ovid ebenso an und für sich, wie im Zu-
sammenhange mit seiner unfreiwilligen amtlichen Tätigkeit
interessierten.
Das sind 1. eine heihe von Fragen, die mit den krimi-
nalen Theorien von der gewaltsamen und unfrei-
willigen Tötung gebunden sind; mit solchen Fragen
konnte Ovid z. T. in seiner Eigenschaft als Triumvir zu tun
haben; 2. eine scharfe Verspottung der obligationes in ihrem
Verhältnis zu den officia (Amores 1 10): hier stößt ein in-
differenter Philosoph mit einem unfreiwilligen Juristen zusam-
men, der das Zivilrecht verachtet.
A. Die unfreiwillige Tötung; abortus;
expositioliberorum.
Die Pflichten eines Triumvirn brachten Ovid natür-
lich in fortwährende Berührung mit dem Kriminalrecht‘),
und schon in seinen früheren Schriften gibt es ziemlich viele
kriminalistische Motive, wodurch er sich scharf von seinen
Vorgängern unterscheidet.
So beharren Dido und Phyllis darauf, daß die Heroen,
die sie verraten haben, sie zum Selbstmorde verleiten und
folglich anihrem Tode schuldig sind, z. B. Her. VII
195: praebuit Aeneas et mortis causam et ensem.
Das ist eine direkte Umschreibung der lex Cornelia de
sicarlis: nihil interest, occidat quis an causam mortis praebeat
(Dig. 48, 8, 15).
Weiter versucht Dido Aeneas noch wegen parricidium zu
beschuldigen: wenn sie schwanger ist, so ist Aeneas an
dem Tode des noch nicht geborenen Kindes
schuldig, schuldig ist er auch gegenüber seinem anderen
Sohne Iulus, der also des nur in ihrer Einbildung lebenden
Bruders beraubt wird.
In diesem Falle stimmt Ovid mit den Deklamatoren
(Quint. Decl. 277) und mit Cicero überein, der in der Rede
40) Uebrigens beschäftigte sich Ovid mit den Problemen des Kri-
minalrechts schon in der Deklamationsschule; dazu führte ihn auch
die fortwährende Beschäftigung mit Euripides.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 397
für Cluentius den Standpunkt der Milesier einnimmt: die letz-
teren verurteilen eine Frau, die sich einen Abortus verursacht
hatte, zum Tode. In den Augen des Cicero beraubte sie das
Kind des Lebens, bevor es das ihm von der Natur bestimmte
Licht sehen konnte; zugleich vernichtete sie einen zukünftigen
Staatsbürger (dieses Beispiel wird auch von den Juristen zitiert
— Dig. 48, 18,39). Also ist der Embryo nach dieser
Theorie ein lebender Mensch. Vgl. Ovid Heroid. XI
43: nimium viverc 11) admotis restitit infans artibus.
Dieses Thema beschäftigt ihn auch in der 14. Elegie des
2. Buches: ein Attentat auf nondum nati (v. 28) schildert er
im tragikomischen Stile als eine Handlung gegen die Mensch-
heit selbst (v. 10: gens hominum vitio deperitura fuit) und
gegen die Natur (v. 23—26, 395 —36).
Denselben Standpunkt teilt unter anderen auch Juvenal
(VI 596: quae steriles facit atque homines in ventre necandos),
und später die christlichen Apologeten, wie Minucius Felix
Octav. 30, Tertullian Apol. 9 (s. Mommsen Strafrecht 636).
Aber hier weicht Ovid vom römischen Rechte ab, das sich
an die Lehre der stoischen Philosophie anschloß, der zufolge
der Embryo ein Teil des Mutterleibes war (μέρος τῆς γαστρός)
und daher nicht als ein Mensch betrachtet wurde (s. Soko-
lowski Die Philosophie im Privatrecht 452 sq.), — vgl. z. B.
Dig. 35, 2, 91: partus nondum editus homo non recte fuisse
dieitur; 25, 4, 11: partus antequam edatur mulieris portio est
vel viscerum.
Jedenfalls hat die Bekanntschaft mit solchen philoso-
phisch-juristischen Lehren eine Spur in der Sprache Ovids im
Gegensatz zu seinen Vorgängern hinterlassen.
Der Mutterleib, «terus, wird in der technischen Sprache
viscera genannt. Vgl. Quint. X 3, 4: nascendi quoque hanc
fecit legem (natura), ut maiora animalia diutius visceribus pa-
4) Vgl. Tertull. De anima 25 (gegen die Stoiker): praesumunt,
non in utero coneipi animam, ... sed effuso iam partu nondum vivo
infanti extrinsecus imprimi .... Respondete, matres, vosque praegnan-
tes, vosque puerperae, ... an aliquam in fetu sentiatis vivacita-
tem..., an hi motus gaudia vestra sint et certa securitas, quod ita
infantem et vivere confidatis et ludere. C. 26: Aspice viventes uteros
sanctissimarum feminarum, nec spirantes iam illie infantes, verum etiam
prophetantes.
Philologus, Supplementband XI, drittes Heft, 26
398 Michael Pokrowskij,
rentis continerentur. Dig. 48, 8: si mulierem visceribus suis
vim intulisse, quo partum abigeret, constiterit, eam in exilium
praeses provinciae exiget.
Dieses Wort gebraucht auch Ovid nicht selten in der be-
nannten Bedeutung, z. B. Her. XI 42: visceribus crescens
excuteretur onus.
Aber bei der weit verbreiteten Ansicht über den Embryo
als einen Teil der viscera konnte das Wort viscera auch im
Sinne „Embryo oder Kind“ gebraucht werden (ein interessanter
semasiologischer Prozeß!), und es ist charakteristisch, daß
Ovid, soviel wir wissen, zuerst in der römischen Literatur
viscera gradezu in seiner letzteren Bedeutung oftmals gebraucht,
z. B. Her. XI 90: mea viscera montanis ferret edenda lupis;
ibid. 118. Rem. am. 59, Met. VI 651, X 465 u. dgl.
Im Zusammenhange damit berührt er in der 13. und 14.
Elegie des 2. Buches der Amores die Lehre von Abortus,
welche, ebenso wie die Lehre von der Kastration (vgl. speziell
für die letztere die 3. Elegie desselben 2. Buches) so oder so
bezogen werden konnte (und schließlich auch bezogen wurde,
— 5, Mommsen Strafrecht 636), unter die lex Cornelia de
sicariis et veneficis, mit welcher ein triumvir capitalis viel zu
tun hatte.
Bemerkenswert ist dabei das, daß Ovid sich in diesem
Falle von seinen Vorgängern nach den Motiven oder ihren
Nuancen unterscheidet: so steht die 13. Elegie des 2. Buches,
bis zur buchstäblichen Entlehnung einzelner Verse, dem Tibull
(IV 4) und dem Properz (11 28) sehr nah, die den Kummer
des Dichters anläßlich einer Krankheit der Dame seines Her-
zens schildern. Ovid selbst hat die Krankheit spezialisiert:
es waren die schweren Folgen eines künstlichen ‚Abortus.
Die nächste Elegie (Il 14) erinnert an eine gerichtliche
Anklagerede gegen den Abortus, die übrigens mit einer humo-
ristischen Aeußerung des Anklägers endet, die seine vorher-
gehenden gewichtigen Argumente paralysiert: di faciles, peccasse
semel concedite tuto; et satis est: poenam culpa secunda ferat.
Der leichtsinnige Dichter, der unfreiwillige Jurist Ovid
kam somit zu der sehr wichtigen humanitären Frage, die erst
unter den Severi vom römischen Rechte endgültig gelöst wurde.
1
#
I
N
N
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 399
Ovid protestiert gegen den Abortus als eine grausame, mehr als
tierische Handlung gegenüber zukünftigen Menschen; er spricht
sich auch sehr scharf gegen eine schonungslose Aussetzung
(expositio) der Kinder, besonders der unehelichen aus.
Eben in diesem Sinne stellt er den Mythus von den aus-
gesetzten Romulus und Remus dar: quos lupa nutrit, perdere
cognatae sustinuere manus (Fast. II 415).
Wie seltsam es auch ist, der Brief der verbrecherischen,
von ihrem Bruder schwangeren Canace (Her. XT) atmet nicht
bloß Rhetorik, sondern reine Menschlichkeit. Sie hatte einen
Abortus versuchen, sogar einen Selbstmord begehen wollen, aber
sie erkannte, daf dies ein grave crimen (v. 56) ihrem Kinde
gegenüber sei. Sie ist darüber erschüttert, daß ihr Vater es
den wilden Tiere zum Fraß auszusetzen befahl. Sie söhnt sich
mit ihrem eigenen verdienten Tode aus, aber es empört sie,
daß man ein kaum geborenes Kind, das selbst niemanden be-
leidigen konnte, für die Sünden seiner Mutter verantwortlich
machen wollte (v. 107—112).
Dieser Gedanke gehörte zum Erbgut solcher humanitären
Philosophen, wie Philo (De spec. $ 19, M. 318 sq., wo der
hellenistische Standpunkt stark vertreten ist), der Apologeten,
wie Minucius Felix Octav. 30 $ 2, Lactantius Inst. VI 20
(tam nefarium est exponere quam necare).
Die späteren Gesetze betrachteten den Abortus und die Ex-
positio als ein homicidium — vgl. Dig. 25, 3, 4: necare vide-
tur non tantum is qui partum praefocat, sed et is qui abicıt
et qui alimonia denegat et is qui publieis locis misericordiae
causa exponit, quam ipse non habet.
B. Obligationes et officia.
Wenn bei der Behandlung kriminaler Probleme unser
leichtsinniger Dichter sogar zum Pathos fähig ist, so hat er
andrerseits seine unfreiwillige ziviljuristische Tä-
tigkeit nirgends mit einer so großen Ironie, wie in der 10.
Elegie des 1. Buches der Amores verspottet.
Außerdem sind in dieser Elegie viele Angriffe auf andere
Besonderheiten des römischen kulturpolitischen Lebens ent-
halten.
400 Michael Pokrowskij,
Hier verspottet der Dichter, wie gewöhnlich, vor allem
den Kriegsdienst, den er der Prostitution gleichstellt,
insofern miles und meretrix corpore aera merent und folglich
von seinem Standpunkte aus einen turpis quaestus treiben *?);
weiter parodiert er die stoische Lehre de officiis (ungefähr in
der Form, wie sie von Cicero dargestellt ist) in ihrem Ver-
hältnisse zur juristischen Lehre de obligationibus; indirekter-
weise wird in dieser Dichtung auch die Ehe angegriffen, in-
sofern sie als pactum conventum oder obligatio vorzugsweise
rein materieller Natur erscheint im Gegensatz zur freien selbst-
losen Liebe. Die beim ersten Anblick zu lange Reihe von
Argumenten und Beispielen stellt übrigens eine ziemlich statt-
liche Reihe ziviler und kriminaler Thesen dar, die eine ent-
weder unmittelbare oder doch ziemlich nahe Berührung mit
der öffentlichen Tätigkeit Ovids hatten.
Der Dichter ist komisch darüber empört, daß die Dame
seines Herzens, anstatt sich mit freiwilligen Geschenken von
seiner Seite zu begnügen, von ihm eine Remuneration fordert
(munus, praemium, pretium), was ihm als eine Art obligatio
vorkommt.
Was ist aber juristisch obligatio quae ew contractu naseitur ?
Aus vier Gattungen einer solchen obligatio (re, verbis,
litteris, consensu — Gai Inst. III 89) sind für unsere Elegie
besonders die 1. und die 4. wichtig, d. ἢ. re und consensu.
Re contrahitur obligatio mutui datione, veluti vino oleo
frumento pecunia numerata (Dig. 44, 7,1, 2).
Consensu fiunt obligationes in emptionibus venditionibus
locationibus conductionibus societatibus mandatıs (Dig. 44, 7,
2,1 — vgl. über mandata Cie. Rosc. Am. 111).
Der arme Dichter kann nicht numerare pecuniam,
aber dafür bietet er an (v. 57) numerare (eine eigenartige
Parodie auf die juristische Obligationssprache!) offieium stu-
diumgque fidemque, ἃ. h. das, was man von jedem gewissen-
haften Manne und besonders von jedem Politiker (nach den
Gesetzen und nach den Traktaten de officiis) verlangt, im
Gegensatz zu einem käuflichen Zeugen, Richter, Gerichte,
#2) Vgl. Cicer. Off. I 150: inliberales autem et sordidi quaestus
mercennariorum omnium, quorum operae, non artes emuntur.
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 401
Patrone, die Ovid alle wegen turpitudo, wegen turpis quaestus
tadelt (v. 37—40) ??).
Sein Verhältnis zur Geliebten fällt am ehesten unter
societas (v. 36: socio motu) ebenso im juristischen wie
im philosophischen Sinne dieses Terminus. Juri-
stisch societas si dolo malo aut fraudandi causa coita sit,
ipso iure nullius momenti est, quia fides bona contraria est
fraudi et dolo (Dig. 17, 2,3, 3; fides ist vom Dichter ver-
sprochen). — Ita coiri societatem posse, ut nullam partem
damni alter sentiat, lucrum vero commune sit, Cassius putat.
Aristo refert, Cassium respondisse societatem talem coiri non
posse, ut alter lucrum tantum, alter damnum sentiret (Dig.
17,2, 29, 1--2).
Von diesem Standpunkte aus ist das Betragen der Ge-
liebten ungesetzlich (v. 35):
cur mihi sit damno, tibi sit luerosa voluptas,
quam socio motu femina virque ferunt?
Vom philosophischen und politischen Ge-
sichtspunkte aus ist societas eine natürliche Basis mensch-
licher Gemeinschaft, die die verständigen Menschen
von denunverständigen Tieren unterscheidet. Cicero
(Off. 1 50) betont diesen Unterschied (neque ulla re longius
absumus a natura ferarum . . . suntenim rationis et ora-
tionis expertes); Ovid (v. 25) beklagt sich in übertriebener
Weise darüber, daß die geliebten Frauen nicht einmal auf der
Höhe unverständiger Tiere stehen (sumite in exem-
plum pecudes ratione carentes).
Was macht also eine Frau, die für ihre Liebe eine Be-
lohnung fordert ?
Sola viro mulier spolüs ewsultat ademptis (v. 29).
Schon aus der Sprache ist ersichtlich, daß in den Augen
Ovids eine solche Frau ihren Kavalier wie einen besieg-
ten Feind des Vaterlandes, aber nicht wie
einen Mitbürger behandelt!
48) Uebrigens ist fides bona eine Basis auch des Obligationsrechtes.
So lehrte z. B. der Pontifex Q. Scaevola (Cie. Of. III 30), daß sie ver-
sari in tutelis societatibus, fiduciis mandatis, rebus emptis venditis, con-
ductis locatis, in quibus vitae societas contineretur.
402 Michael Pokrowskij,
Wenn ein Mensch seine Vorteile auf Kosten seines Näch-
sten vermehrt, wenn er ihm etwas abnimmt (detrahit — vgl.
bei Ovid spolia adimit), so handelt er vor allem contra na-
turam, id est contra ius gentium: illud natura non
patitur, ut aliorum spoliis nostras facultates copias opes au-
geamus. Ein solcher Mensch tollit convictum humanum et
societatem. Aber seine Handlung ist auch dem Staats-
recht zuwider (contra leges populorum), dem zufolge non
licet sur commodi causa nocere alter (Cie. Off. ΠῚ 21- 25).
Mir scheint es, daß Ovid hier einen locus communis der
stoischen Lehre von den Pflichten vom Standpunkte des ius
gentium und ius populorum aus parodiert.
Es ist charakteristisch, daß dieser locus communis ak
in der Praxis des Gerichtes angewendet wurde. So erzählt
Plinius der Jüngere (Ep. V 19) vom Prozesse eines käuflichen
Advokaten. Vor der Fällung des Urteiles hielt ein Tribun
Nigrinus eine gewichtige und pathetische Rede, daß venire
advocationes, venire etiam praevaricationes, in lites coiri, et
sloriae loco poni em spolüs ciwium magnos et statos reditus.
Plinius selbst ist froh ($ 8), daß er die Geschäfte immer ohne
Entgelt geführt habe: oportet quidem, quae sunt inhonesta,
non quasi illieita, sed quasi pudenda vitare. Vol. Ovid v. 39:
turpe reos empta miseros defendere lingua.
Wir erwähnen nochmals, daß im Jahre 17 vor Chr. Au-
sustus die alte lex Cincia (ne quis ob causam orandam pecu-
niam donumve accipiat) erneuerte, indem er gegen dasselbe
fehlende Advokaten mit der Quadruplation bestrafte (Dio Cass.
54, 13 — s. Mommsen Strafrecht 706); aber die Quadruplation
gehörte, wenigstens zur Zeit der Republik, zur Kompetenz der
tres viri capitales (Mommsen Staatsrecht 115 599).
Nun also ist das Betragen der Geliebten des Ovids eine
Versündigung gegen die societas **); es fällt auch nicht unter
mandatum, denn mandatum nisi gratuwitum nullum esse: nam
originem ex officio atque amieitia trahit: contrarium ergo (vero?)
est o/ficio merces (eine ebenso juristische wie philosophische
4) Außer den oben angeführten Argumenten vgl. die allgemeine
These: generaliter traditur rerum inhomestarum nullam esse societatem
(Die. 17,:3,87).
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids. 403
Lehre — vgl. unten): interveniente enim pecunia res ad loca-
tionem et conduetionem potius spectat.
Eben locatio, conductio und die mit ihm verwandten 1)
emptio und venditio spielen eine große Rolle im Roman des
Dichters.
Die Frau begeht, so zu sagen, eine doppelte locatio (v. 30):
sola locat noctes, sola locanda venit. Sie vendit credit; ihr
Verehrer conducit emit debet 45).
Ihr Betragen schwankt zwischen der philosophischen Lehre
de offieiis und der juristischen de obligationibus (eine sophis-
tische Verspottung beider Lehren!): sowohl die Philosophie
wie das Recht erkennen als Basis einer societas — mutwi da-
tionem an; die Philosophie fordert dazu noch gratia (im wei-
testen Sinne des Wortes), um societatem et convictum humanum
zu befestigen. Vgl. Cie. Off. 1 56: magna etiam illa commu-
nitas est quae confieitur ex beneficiis ultro et citro datis accep-
tis, quae dum et mautua et grata sunt, summa devinciuntur
societate.
Wo es ein pretium (munus, merces, emptio, venditio, pac-
tum) gibt, da gibt es weder officium noch gratia. Vel.v. 31:
et vendit quod utrumque wwvat; ... et prefium quantı gaudeat
ipsa, facit; quae venus ex aequo ventura est grata duobus ...
44—45: mercede solufa non manet officio debitor ille tuo
(vgl. anläßlich der letzteren Verse Gai Inst. III 168: tollitur
autem obligatio praecipue solutione eius, quod debetur).
Nach der hedonischen Lehre des Dichters, — das wollen
wir noch hinzuzufügen, — basiert offieium (um vom porno-
graphischen Gebrauch des Wortes, z. B. Amor. ΠῚ 7, 24, zu
schweigen) nicht nur auf gratum, sondern auch auf dulce, —
z. B. Her. XIII 141: arma dabit, dumque arma dabit, simul
oscula sumet: hoc genus offieii dulce duobus erit.
In einer Liebesangelegenheit ist also eine obligatio, die
#5) Vgl. Gai Inst. IIl 145: adeo autem emptio et venditio et locatio
et conduetio familiaritatem aliquam inter se habere videntur, ut
in quibusdum causis quaeri soleat, utrum emptio et venditio contraha-
tur, an locatio et conductio.
#6) V. 31: et vendit quod utrumque iuvat. 34: altera cur illam
vendit et alter emit? 45: omnia conductor solvit; mercede soluta non
manet officio debitor ille tuo.
404 M. Pokrowskij, Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids.
mit pactum und pretium verbunden ist, ein turpis quaestus
oder eine sordida praeda (v. 48).
Diese durch das ganze Gedicht durchgehende These wird
belegt durch Beispiele von Militärpersonen und meretrices 47)
(beide prostituunt corpus), ebenso wie von Leuten, die zum
Gerichtswesen eine Beziehung haben (speziell causarum actores
prostituunt Iinguam — v. 39, vgl. Amor. I 15, 6).
Die letzteren Personen sind in folgender Ordnung (v. 37 sq.)
erwähnt: Zeugen, Geschworene (iudices selecti — vgl. Tr. I
132), Patrone *®).
Diese Ordnung entspricht ganz dem wirklichen Verhältnis
zwischen den betreffenden Kategorien der Gerichtspersonen,
insofern sie durch iusiurandum (v. 37: non bene conducti ven-
dunt periuria testes) dignitas, fides, mores, gravitas verbunden
sind (Dig. 25, 1,5, 2. Cie. Cael. 54 von den Zeugen: socius
vestrae religionis wurisiurandigue).
Der Schluß des Gedichtes trägt einen humoristischen
Charakter, er ist nicht frei von Anspielungen auf das Obli-
gationsrecht und z. T. auf die Philosophie: eine Belohnung zu
fordern ist gestattet (ja selbst non indignum), aber nur von
einem Reichen.
Sonst aber ist eine derartige Belohnung besser, die auf
keiner Obligation beruht (v. 63—64) : nec dare, sed pretium
posei dedignor et odi: quod nego poscenti, desine velle, dabo 35}.
Moskau. M. Pokrowskiy.
41) Unter anderem wich Ovid in der Lehre von femina quaestuaria
und von condictio ob turpem vel iniustam causam von seinem berühm-
ten Zeitgenossen, dem Juristen Labeo, ab — 5. Dig. 12, 5, 4,8: quod
meretrici datur, repeti non potest, ut Labeo et Marcellus scribunt, sed
nova ratione, non ea quod utriusque turpitudo versatur, sed solius
dantis: illam enim turpiter facere, quod sit meretrix, non Lurpiter
accipere, cum sit meretrix. ᾿
48) Von den letzteren vgl. Cie. Off. II 66: diserti hominis et facile
laborantis, quodque in patriis est moribus, multorum causas et non
gravate et gratuito defendentis beneficia et patrocinia late patent.
49) Der russische Text dieser Abhandlung ist in den ersten Heften des
Journals des Ministeriums für Volksaufklärung von 1907 (Februar-April)
erschienen. Für die Verbesserung meines deutschen Ausdrucks bin ich
den Herren Professoren Goetz und Schrader in Jena ebenso wie dem
verehrten Herrn Herausgeber zu großem Danke verpflichtet.
Ze —
DIE TALION.
VON
R. HIRZEL.
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 27
Die Talion.
So oft von der Talion die Rede ist, so wenig wird doch
beachtet, daß der Begriff derselben von Verschiedenen ver-
schieden gefaßt wird, und noch weniger, daß er im Laufe der
Zeiten sich gewandelt hat. Die Talion ist in gewissem Sinne
uralt, als der natürliche Reflex des Leidenden oder seiner
Vertreter gegenüber dem Täter 1). Instinktiv wird die Talion
auch von der Rache geübt, die aber freilich in sich auch die
Neigung hat, das durch die Talion gesetzte Maß zu über-
schreiten. Insofern ist die Talion eine Einschränkung des
Rachetriebs ?), und die Griechen haben diese Einschränkung
an den Namen des Rhadamanthys geknüpft. Ihm wird der
Satz beigelegt, daß Jeden von Rechtswegen das Leid treffe,
das er selbst durch seine Tat Andern verursacht habe).
Was sich der zuerst diesen Satz aussprach dabei dachte,
kann wohl nicht zweifelhaft sein. Wer einen Menschen ge-
tötet hat, der soll auch selber getötet werden *), der Schlag
hat den Schlag’), der Raub den Raub‘), Schmähung die
Schmähung 5) zur Folge. Dies ist uralte Lehre ®). Es genügt,
!) Daß die Vergeltung zunächst „eine reflektorische Affektäuße-
rung“ sei, bemerkt Windelband Willensfreiheit S. 204 „Die Rückwir-
esleeen das Unrecht“ nennt Trendelenburg die Strafe, Naturrecht ?
δ 60 8. 141.
ἢ Günther, Die Idee der Wiedervergeltung, I 8f. 18,32 (die Talion
eine gemäßigte Rache). Hirzel, Der Eid, 92.
3) Ei χε πάϑοι τά χ᾽ ἔρεξε, δίκη κ᾽ ἰϑεῖα γένοιτο: Hirzel, Der Eid, 90.
ἢ Soph. Ο. Τ. 100 φόνῳ φόνον πάλιν λύοντας. Plut. Rom. 28 φόνον
φόνῳ λελύσϑαι, Aesch. Choeph. 304 Kirch ἀντὶ δὲ πληγῆς φονίας φονίαν
πληγὴν τινέτω. δράσαντι παϑεῖν, τριγέρων μῦϑος τάδε φωνεῖ.
5) Aesch. Ag. 1384 τύμμα τύμματι τεῖσαι.
6) Aesch. Ag. 1521 φέρει φέροντ᾽, ἐχτίνει δ᾽ ὃ χαίνων mit Paleys An-
merkung.
?) Aesch. Ag. 1519 ὄνειδος ἥκει τόδ᾽ ἄντ᾽ ὀνείδους. Choeph. 301 ἀντὶ
μὲν ἐχϑρᾶς γλώσσης ἐχϑρὰ γλῶσσα τελείσϑω " τοὐφειλόμενον πράσσουσα Δίκη
μέγ᾽ ἀυτεῖ.
8) τριγέρων μῦϑος ο. Anm. 4,
27 *
408 R. Hirzel,
daß die Tat überhaupt sich auf den Täter zurückwendet °).
Nicht dasselbe ist es!®), sondern scheint erst das Ergebnis
einer weiteren Ueberlegung, wenn die Richtung der rückwir-
kenden Tat noch genauer bestimmt und als Ziel derselben
nicht überhaupt die Person des Täters, sondern ein einzelner
Teil derselben, insbesondere ihres Leibes bezeichnet wird, der-
jenige Teil, der auch am Verletzten der allein leidende ge-
wesen war.
Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß
um Fuß forderte das jüdische Gesetz !!), wer einem Andern
ein Glied gebrochen hatte, dem wurde es nach den Zwölf-
tafeln wieder gebrochen!?). Beide Gesetze nahmen es damit
ursprünglich gewiß ernst 15). Aber die Griechen haben diese
5) Das Leid der Verbannung soll den Eteokles treffen, weil dieser
es hat den Polyneikes kosten lassen: Aesch. Sieben 620 Kirch. ζῶντ᾽
ἀτιμαστῆρα τὼς ἀνδρηλάτην φυγῇ τὸν αὐτὸν τόνδε τίσασθαι τρόπον. Das-
selbe gilt auch von der nur gewollten Tat: auf den Verläumder selber
fällt zurück das einem Andern zugedachte Leid 5 Mos. 19, 19. Susanna
62; Pufendorf, De jure nat. VIII 3,27 S. 1200; J. D. Michaelis, Mos.
Recht $ 240 S. 41; „in nachkonstantinscher Zeit kommt für die An-
klägerbestrafung das Prinzip der Talion auf: dieselbe Strafe, welche
bei begründeter Anklage den Beklagten getroffen hätte, trifft bei ge-
wissenloser Klaganstellung, namentlich bei Kapitalanklagen, den Klä-
ger“, Mommsen, Strafrecht S. 496, vgl. Günther, Wiedervergeltung
1 142,37; daß aber auch den Griechen älterer Zeit der Gedanke einer
solchen „poena reciproci“ (Cod. Theod. IX 2,3) nicht fremd war, zeigt
Isaeus 4, 11 mit dem Vorschlag eines Gesetzes, daß Jeder die Summe
Geldes, die er widerrechtlich von einem Andern eingeklagt habe, selbst
erlegen solle (ἐχρῆν μὲν οὖν, ὦ ἄνδρες, ὅστις κατὰ δόσιν χρημάτων ἀμφισ-
βητῶν ἥττηϑείη, μὴ κατὰ τὸ τέλος ζημιοῦσϑαι, ἀλλ᾽ ἐφ᾽ ὅσαπερ ληψόμενος
ἤει, τοσαῦτα τῇ πόλει ἀποτίνειν). Schließlich auch als eine Talion des
bloßen Conatus kann gefaßt werden, was der Mythus erzählt (Hygin.
f. 86) und was den Athenern wohl schon die Bühne des 5. Jahrhun-
derts vor Augen führte, daß Atreus beabsichtigt, den Sohn des Bruders
zu ermorden, statt dessen aber den eigenen Sohn tötet. Halirrothios
tötete sich mit der Axt, mit der er den heiligen Oelbaum schlagen
wollte: Schol. Arist. Wolk. 1005, Preller-Robert, Griech. Myth. I 341, 1.
Den Epilog hierzu spricht Hesiod. W. u. T. 266 ἣ δὲ κακὴ βουλὴ τῷ
βουλεύσαντι κακίστη (vgl. Sittl z. St.).
:) Diese beiden Auffassungen der Talion, und noch mehrere, be-
greift unter sich die Definition derselben als der Wiedervergeltung des
Gleichen mit Gleichem (Günther, Wiedervergeltung I 3).
11) 2 Mos. 21,24. J. D. Michaelis, Mosaisches Recht 5 ὃ 240.
15) Mommsen, Strafrecht 802.
18) Eine verwässernde Auslegung bei Bodinus De rep. VI S. 1203
(Frankfurt 1609). Vgl. Pufendorf De jure nat. VIII 3, 27. Enthauptung
für Enthauptung bei Joseph. bell. Jud. I 17,2 u. 8 Bis ins Abenteuer-
liche haben diese Forderung spätere wundersüchtige Zeiten durchzu-
führen versucht: der Herodias, die die Schuld an der Enthauptung
Die Talion. 409
Forderung nicht von den Juden entlehnt, auch nicht etwa von
den Indern 15), sondern haben sie in folgerechtem Denken aus
dem Satz des Rhadamanthys entwickelt. Diese Entwickelung
des Satzes, zugleich seine älteste Interpretation, liegt vor in
den Gesetzen des Zaleukos 15) und Charondas!®), nach denen
wenigstens das Ausschlagen eines Auges für den Täter Blen-
dung zur Folge hatte. Hier zeigt sich außerdem, wie man in
derselben Richtung weiter dachte: der einen Einäugigen ge-
blendet hat, soll beide Augen verlieren 1). Man blieb auch
nicht bei den Teilen des Körpers stehen, sondern ging zu den
Teilen der Rechtspersönlichkeit fort: wie der Koran fordert
Sklave für Sklave, Weib für Weib 15), so wurden, um den
Mord von Dions Frau und Schwester und Sohn zu sühnen,
die Frauen und Töchter des Hiketas getötet 1), konnte Kly-
taimnestras Tod ein Entgelt für Kassandras scheinen ?°) und
mußten die Argiver, was sie an einem Kinde, Crotopus’ Enkel,
gesündigt, mit dem Verderben ihrer eigenen Kinder bezahlen ?°°);
sing Xerxes’ Palast in Flammen auf als späte Rache für den
Brand Athens ?!) und wurde das den Persern in ihren Gesand-
Johannes des Täufers trug, sollte, nach einer Nachricht wenigstens,
durch einen wunderlichen Zufall ebenfalls der Kopf abgeschlagen wor-
den sein, Cedrenus Hist. Comp. I Sp. 360 C. Migne.
1) Bei denen wenigstens nach Strabo XV 710 5 πηρώσας — τὰ
αὐτὰ — ἀντιπάσχει. Vgl. jedoch Günther, Wiedervergeltung I 37.
15) Demosth. 24, 140,
16) Diod. Sic. XI 17, 4.
17) Demosth. 24, 141. Diod. Sie. XII 17,4. Von Diog. Laert. I 57
wird diese Korrektur des ursprünglichen Gesetzes Solon zugeschrieben.
18) Günther, Wiedervergeltung I 68.
19) Plutarch Timol 33.
20) Aesch. Ag. 1272 ὅταν γυνὴ γυναικὸς ἄντ᾽ ἐμοῦ ϑάνῃ, was also
doch mehr als „nur ein augenblicklich aufgestellter Parallelismus
äußerer Art“ (Schneidew. zu 1277) scheint.
2°a) Statius Theb. 1, 586 ff., 601 ff. An den Bewohnern von Kaphyä,
die Kinder gesteinigt hatten, erscheint die göttliche Talion dadurch,
daß ihre Weiber fortan nur tote Kinder gebären: Pausan. VII 23,7.
Laios erfäbrt an seinem Sohne Oedipus Leid, wie er es dem Pelops
an dessen Sohn Chrysippos bereitet hatte: Preller, Gr. Myth. 2, 347.
Auch ohnedies erkennt z. B. Sokrates an, daß eine Talion, die an seinen
Kindern vollzogen wird, so gut ist, als wenn sie an ihm selber vollzogen
würde: Platon. Apol. 41 E.
21) Plutarch Alex. 38: ἔτι δ᾽ ἂν ἥδιον ὕποπρῆσαι (ἔφη ἢ Θαϊς) κωμά-
σασα τὸν Ξέρξου τοῦ καταχαύσαντος τὰς ᾿Αϑήνας οἶκον, αὐτὴ τὸ πῦρ ἄψασα
τοῦ βασιλέως ὁρῶντος, ὡς ἂν λόγος ἔχῃ πρὸς ἀνθρώπους, ὅτι τῶν ναυμάχων
χαὶ πεζομάχων ἐχείνων στρατηγῶν τὰ μετὰ ᾿Αλεξάνδρου γύναια μείζονα
δίκην ἐπέϑηχε Πέρσαις ὑπὲρ τῆς “Ἑλλάδος. κτλ.
410 R. Hirzel,
ten zugefügte Leid an den Spartanern in deren Gesandten ver-
golten ??).
In allen diesen Fällen spüren wir den alten Geist der
Rache 535. Während fürstlicher Milde es ansteht unter das
Gleichheitsmaß herabzugehen **) und Antigones liebevolle Seele
sogar fürchtet, es könne dem schuldigen Täter etwa das
verdiente Maß Leides widerfahren 54), ist die Rachsucht
eher besorgt, dem Feinde möchte des Leides und der Schmer-
zen ”°) zu wenig geschehen 36); an sich unbändig wird sie nur
mühsam durch das Talionsgesetz in gewissen Schranken ge-
halten.
Viel mehr erscheint der Zusammenhang mit der Rache
gelockert in anderen Fällen, in denen man doch ebenfalls
noch berechtigt ist von Talion zu sprechen. Nach einer rö-
mischen Definition der letzteren ist die Talion eine gewisse
Aehnlichkeit in der Strafe, wobei Einer nur auf dieselbe
22) esse ἡ 157: f
23) Trendelenburg, Naturrecht 5 $ 69, S. 153: „Wo ununterschied-
lich AugeumAuge, Zahnum Zahn, Leben um Leben gilt,
wo in der Strafe das Handgreifliche herrscht, die leibliche Pein, die
körperliche Züchtigung, Verstümmelung der Glieder: steht die Strafe,
die Wiedervergeltung bezweckend, noch der Rache nahe.“ Die
Rachegöttinnen, die Erinyen, sollen den Jason aus seinem Vaterlande
verjagen, wie er die Medea um die eigene Heimat gebracht hat: Apoll.
Rhod. Arg. 4, 385 ff.
24) τὰς τιμωριάς ἐλάττους ποιεῖσϑαι τῶν ἁμαρτανομένων : Isokrat. 2, 23.
3464) Soph. Ant. 925 ΗΕ, : ἀλλ᾽ εἰ μὲν οὖν τάδ᾽ ἐστὶν ἐν ϑεοῖς καλά, παϑόντες
ἂν ξυγγνοῖμεν ἡμαρτηκότες " εἰ δ᾽ οἵδ᾽ ἁμαῤτάνουσι, νὴ πλείω κακὰ πάϑοιεν
ἢ καὶ δρῶσιν ἐχδίχως ἐμέ. Wer freilich hierzu anmerkt , μὴ πλείω χαχά
perinepte dietum ubi μὴ μείω aut ἴσα καχὰ potius dicendum erat“, hat
sich das Wesen der Antigone nicht vergegenwärtigt, wie sie es aus-
spricht 523 οὔτοι συνέχϑειν, ἀλλὰ συμφιλεῖν ἔφυν.
25) λύπη für λύπη will die Rache auch nach Sokrates bei Platon
Apol. 41 E.
26) Joseph. bell. Jud. VII 8,1 od μὴν ἀλλὰ φαίη τις ἂν αὐτοὺς ἐλάττω
παϑεῖν ὧν ἔδρασαν. Vgl. den ähnlichen Ausdruck Aesch. Pers. 804
χαγχῶς δράσαντες οὐκ ἐλάσσονα πάσχουσιν. Daher stehen neben einander
Hom. Il. 20, 250 ὁπποῖόν x’ εἴπῃσϑα ἔπος, τοῖόν χ᾽ ἐπαχούσαις und Hesiod.
W.u.T. 721 εἰ δὲ χαχὸν εἴποις, τάχα χ᾽ αὐτὸς μεῖζον ἀκούσαις ; im ersten
Falle, bei Homer, haben wir die reine Talion, in dem andern, bei
Hesiod, bricht neben der Talion, die Gleichartiges mit Gleichartigem
vergilt, auch die Rache hindurch, die auf ein Mehr in der Vergeltung
dringt. Daß auch die der Rache verwandte Notwehr nicht anders ver-
fährt, läßt Sophokles OR 810f. seinen Oedipus andeuten od μὴν ἴσην Ἢ
ἔτισεν (nämlich Laios), ἀλλὰ συντόμως σκήπτρῳ τυπείς ἐκ τῆσδε χειρὸς
ὕπτιος μέσης ἀπήνης εὐϑὺς ἐχκυλίνδεται χτείνω δὲ ξύμπαντας; auf den ein-
fachen Schlag, den Einer erhielt, folgt hier der Totschlag, der über-
dies nicht bloß Einen sondern Mehrere trifft.
Die Talion. 411
Weise (taliter), aber nicht gerade dasselbe leidet ?”). Läßt
man diese Definition gelten, so ist kein Grund von der Talion
auszuschließen eine Strafe, die sich desselben Mittels be-
dient, mit dem das Verbrechen begangen oder die Verletzung
bewirkt wurde: denn eine gewisse Aehnlichkeit zwischen Strafe
und Verbrechen wird auch durch die Gleichheit des Mittels
schon hergestellt. Auf diese Art der Talion zielt Christi
Wort „wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert um-
kommen“?®) und das jüdische Gebot, das den Giftmischer, so-
gar bei bloßem Versuch 53, durch Gift töten heißt ?%) ; sie
schwebte aber auch schon Homer vor, der es für ganz natür-
lich erklärt, daß Einer in Worten angetanen Schimpf mit
denselben Worten erwidert ἢ). Dem Byzantiner Cedrenus
scheint es ganz in der Ordnung, daß, wer das Bild der Jung-
frau Maria mit einem Stein zertrümmert hatte, nun auch
selber von einem Stein erschlagen wurde °?).
Im Laufe der Zeit ist dann auch diese Talion noch mehr
zugespitzt worden. Es genügte nicht mehr, daß die Strafe
31) Isidor. Orig. V 24 definiert die Talion als „similitudo vindictae
ut taliter quis patiatur, αὖ fecit: hoc enim et natura et lege insti-
tutum, ut laedentem similis vindicta sequatur.
38) Ev. Matth. 26, 52. Worauf man hierbei verweist, 1 Mos. 9, 6
„Wer Menschenbiut vergießt, deß Blut soll auch durch Menschen ver-
gossen werden“, hat die vorher besprochene Form der Talion, wobei
es ankommt nicht auf das, wodurch, sondern was man leidet.
29) 0. S. 408,9.
30) Joseph. Arch. IV 8, 34: φάρμακον μήτε ϑανάσιμον μήτε τῶν εἰς
ἄλλας βλάβας πεποιημένων Ἰσραηλιτῶν ἐχέτω μηδὲ εἷς. ἐὰν δὲ κεχτημένος
φωραϑῇ, τεϑνάτω, τοῦτο πάσχειν ὃ διέϑηχεν ἂν ἐχείνους Rad’ ὧν τὸ φάρμακον
ἣν παρεσχευασμένον.
31) 0.8,410, 26, vgl. ο. 5. 407,7. Hirzel, Eid 94, 2, Taeitus Annal.4, 35:
dietis dieta ultus est. Polybius XII 11,4 Hultsch: πικρὸς γὰρ (Timaios)
γεγονώς καὶ ἀπαραίτητος ἐπιτιμητὴς τῶν πέλας εἰκότως ἂν nal ὑπὸ τῶν
πλησίον αὐτὸς ἀπαραιτήτου τυγχάνοι κατηγορίας. Anderes Aehnliche bei
Sittl zu Hesiod. W. u. T. 721.
3) Gedren. Hist. Comp. I p. 873 B. Migne: Κωνσταντῖνος δέ τις
στράτωρ τοῦ ᾿Αρταβάσδου, ἰδὼν εἰκόνα τῆς Θεοτόκου ἑστῶσαν, λαβὼν λίϑον
ἔρριψε nur’ αὐτῆς χαὶ συνέτριψεν αὐτὴν καὶ πεσοῦσαν κατεπάτησε. Θεωρεῖ
οὖἦν ἐν δράματι παρεστῶσαν αὐτῷ τὴν Δέσποιναν καὶ λέγουσαν αὐτῷ, ,Οἴδας
ποῖον πρᾶγμα γενναῖον εἰργάσω εἰς ἐμέ; Ὄντως χατὰ τῆς ἑαυτοῦ κεφαλῆς
τοῦτο ἐποίησας.“ Τῇ δὲ ἐπαύριον προσβαλόντων τῶν Σαραχηνῶν τῷ τείχει
χαὶ πολέμου χροτηϑέντος, δραμὼν εἰς τὸ τεῖχος ὃ ταλαίπωρος βάλλεται τῷ
ἐκ τοῦ μαγγανικοῦ λίϑῳ, ὃς συνέτριψεν αὐτοῦ τὴν κεφαλὴν καὶ τὸ πρόσωπον,
ἄξιον τῆς αὐτοῦ δυσσεβείας κομισάμενος τὸ ἀνταπόδομα. Dieselbe An-
schauungsweise tritt auch in dem kretischen Sprichwort hervor (Jean-
naraki, Kretas Volksl. S. 301, 85) Μαχαῖρι δώσῃς, μαχαῖρι λάβῃς. Πάγην
ἱστὰς ἐν πάγῃ ληφϑήσῃ.
419 R. Hirzel,
mit einem Mittel nur gleicher Art vollzogen wurde; sondern
zur vollen Talion schien erforderlich, daß es ein und dasselbe
Mittel oder Werkzeug war. Insofern Aegisthus an Atreus
auch den Tod der Pelopia rächt, hat wohl schon eine Vari-
ante des alten Mythus Wert darauf gelegt, daß mit demselben
Schwert, mit dem Pelopia sich umgebracht, auch Atreus er-
schlagen wurde 38). Wo dergleichen ohne menschliche Absicht
geschah, schien es ein Zeichen göttlicher Gerechtigkeit zu sein,
die man deshalb auch in Kallippos’ Tode ahnend verehrte, als
er ebenso durch Freunde fiel, wie Dion, den er verraten, und
durch das gleiche Schwert ®*). Besonders seit dem Ausgang
der römischen Republik und seit der Kaiserzeit mehren sich für
uns solche Beispiele. In den Kämpfen am Janiculum 87 vor
Chr. tötete ein Soldat im Heere des Pompeius seinen Bruder
und dann zur Sühne der Tat mit demselben Schwerte sich
selber 35). Mit demselben Dolch, mit dem er Cäsar durchbohrt,
tötet Cassius sich selber 35), nach späterer Nachricht tat dies
nicht bloß Cassius sondern auch Brutus 5). Dem Stier, den
Perilaos verfertigt, um Andere damit hinzurichten, fällt er
selbst als erstes Opfer: erst ein Dichter der Kaiserzeit aber
preist dies als höchste Gerechtigkeit ®). Und erst bei einem
3) Hygin. fab. 88. Preller, Griech. Myth. II? 389.
31) Plutarch. Dion. 53: ’Exel δὲ λυπρῶς πράττων καὶ χαχῶς διατρέφων
τοὺς μισϑοφόρους ὑπὸ Λεπτίνου καὶ Πολυπέρχοντος ἄἀνῃρέϑη., χρησαμένων
ξιφιδίῳ κατὰ τύχην, ᾧ καὶ Δίωνα πληγῆναί φασιν. ᾿Εγνώοδη δὲ τῷ μεγέϑει
(βραχὺ γὰρ ἦν, ὥσπερ τὰ Λακωνικά) καὶ τῇ κατασχευῇ τῆς τέχνης, εἰργασ-
μένον γλαφυρῶς χαὶ περιττῶς. Τοιαύτην μέν οὖν τίσιν Κάλλιππος ἔόῤωχε.
De 5. n. v.8 p. 553 D.: Τὸ δ᾽ ἐν καιρῷ καὶ τρόπῳ τῷ προσήκοντι γενέσθαι
τὰς τιμωρίας οὖ: βέλτιον εἶναι νομίζεις τοῦ ταχὺ καὶ παραχρῆμα; οἷόν ἐστι
τὸ χατὰ Κάλλιππου, ᾧ ξιφιδίῳ φίλος εἶναι δοκῶν ἀπέκτεινε Δίωνα, τούτῳ
πάλιν αὐτὸν ὑπὸ τῶν φίλων ἀποθανεῖν.
35) Valer. Max. V 5,4: At deinde subiecta face protinus eodem
gladio, quo illum interremerat, pectus suum transverberavit.
36) Plutarch Cäsar 69: ἡττηϑεὶς ἐν Φιλίπποις ἐκείνῳ τῷ ξιφιδίῳ διέ-
φϑειρεν ξαυτόν, ᾧ κατὰ Καίσαρος ἐχρήσατο.
81) Cassius Dio. 48,1: ὃ μὲν οὖν Βροῦτος ὅ τε Κάσσιος οὕτως ἀπώλοντο
τοῖς ξίφεσιν οἷς τὸν Καίσαρα ἀπεχρήσαντο σφαγέντες. Derselbe erkennt
in dem Ende der Cäsarmörder das Walten einer göttlichen Gerechtig-
keit: ὥς ποὺ τό τε δίχαιον ἔφερε καὶ τὸ δαιμόνιον ἦγε κτλ.
88) Ovid. a. a. 1, 653 fl.:
Et Phalaris tauro violenti membra Perilli
Torruit. infelix inbuit auctor opus.
Justus uterque (außer Phalaris auch Busiris) fuit. neque enim
lex aequior ulla est,
Quam neeis artifices arte perire sua.
Hierzu die mittelalterliche Nachahmung bei Thil. Comin. Commentariüi X
Die Talion. 413
Dichter der Kaiserzeit will mit der gleichen Waffe, mit der
er seine Kinder ermordet, Hercules sich selber töten 35): bei
demselben Dichter sucht Oedipus das Schwert, mit dem er
Laius gemordet, und will damit sich selber das Leben nehmen 9).
Auch die Fabel zeigt dasselbe Rechtsgefühl: unter die Regie-
rung des Augustus versetzt uns Phädrus, da er von dem
Vater erzählt, der aus falschem Verdacht den eigenen Sohn
getötet hatte und dann in dasselbe Schwert, das er allzu-
gläubig gegen diesen gezückt, sich selber stürzte *'). Daß aber
schon früher und allgemein ein Rechtsgefühl durch diese Art
Talion befriedigt wurde, zeigen die triumphierenden und wie
ein Sprichwort klingenden Worte des terentianischen Demea,
in denen er sich rühmt, den Micio „mit dessen eigenen Waffen
zu schlagen“ *?).
Bis in die mittleren Zeiten hinein ragen Beispiele der-
selben Rechtsanschauung. Daß Moseilama mit demselben Speer
durchbohrt wurde, der Mahomets Onkel tödlich verwundet hatte,
schien ganz in der Ordnung 3). Nicht immer aber erscheint,
wie in den angeführten Beispielen, diese Talion als ein Zu-
fall, dessen göttliche Gerechtigkeit man hinterdrein erkennt **),
p. 309: in die eisernen Käfige, die er sich als Gefängnis ausgedacht,
wurde der Cardinalis Baluensis selbst als Erster eingesperrt. Die Verse
des Ovid klingen an an Kallimach fr. 119 Schn.:
Πρῶτος ἐπεὶ τὸν ταῦρον Exaivıoev ὃς τὸν ὄλεϑρον
εὗρε τὸν ἐν χαλχῷ καὶ πυρὶ γιγνόμενον.
Doch fehlt bei dem Alexandriner der Hinweis auf die Gerechtigkeit
_ dieses Todes. Vgl. über Halirrothios o. S. 408, 9.
39) Seneca Herc. fur. 1296:
Herc. hoc en peremptus spiculo cecidit puer
hoc nunc ego utar etc.
Tatsächlich erliegt schließlich Herakles doch der Talion: denn das
Gift des Pfeils, mit dem er den Nessus getötet, bringt auch ihm Ver-
derben, und dies verdient darum beachtet zu werden, weil wenigstens
in der Odyssee 1, 262f. der Gebrauch vergifteter Pfeile von den Göttern
verpönt wird. Vgl. Grotius De iure belli ac pac. III 4, 16.
40) Oedipus sagt zur Antigone bei Seneca Phön. 106: si fida es
comes, ensem parenti trade, sed notum nece ensem paterna.
“ἢ Phädrus 3, 10, 32 £.:
Repraesentavit in se poenam facinoris,
Et ferro incubuit, quod credulitas strinxerat.
#2) Terent. Adelphi V 8, 35 = 958: suo 5101 gladio hunc iugulo.
Cicero pro Cäcina 82 u. Erkl. Vgl. hiemit das Sprichwort τοῖς σαυτοῦ
πτεροῖς ἥλως, über dessen Verbreitung die Göttinger Herausgeber der
Par. Gr. II S. 222 Auskunft geben.
#3) Gibbon, History of the Roman Empire IX ch. 51 S. 318 (Leipzig
1821). 4) Vgl. o. S. 412, 34.
414 R. Hirzel,
oder als der Ausbruch blinder, wenn auch von natürlichen
Trieben geleiteter Leidenschaft, sondern wird bisweilen ab-
sichtlich und mit Ueberlegung herbeigeführt. Mit demselben
Schwerte, mit dem er den Lyaios erschlagen, wurde unter
Maximian der h. Nestor kraft kaiserlichen Urteils hinge-
richtet *°); auch Chärea, dem Mörder Caligulas, erging es
schließlich ähnlich, daß er mit demselben Schwerte hingerichtet
wurde, mit dem er den Kaiser getötet hatte, freilich nicht
kraft richterlichen Spruches, sondern nach seinem eigenen
Wunsche, in dem eine ironische Hindeutung auf die Schärfe
und bewährte Tüchtigkeit gerade dieses Schwertes lag **).
Auch Historikern und Poeten hat dieses Rechtsgefühl
mehr als ein Mal die Hand geführt und ihre Darstellung des
Vergangenen beeinflußt. Oedipus und Hercules sollten wenig-
stens den besten Willen gezeigt haben, jener mystischen Ge-
rechtigkeit zu genügen 17); und was die Oäsarmörder betrifft *?),
so gab Plutarch sich noch mit Cassius zufrieden und ließ ihn
allein auf diese Weise enden, bei Cassius Dio gesellt sich ihm
Brutus “7 und Appian staffiert die Sache vollends abenteuer-
lich aus, indem er Cassius’ Todestag zugleich zu dessen Ge-
burtstag macht δ). Man glaubt ein Steigen der romantischen
Flut zu beobachten. Ob den Brudermörder schon Sisenna hat
so enden lassen, wie wir sahen °'), und ob dies nicht eine rhe-
torische Zutat des Valerius Maximus ist, wird nach Tacitus’
Bericht 55) mindestens zweifelhaft bleiben. Auch Plutarch
treibt der Kitzel, daß er in den zwei Erzählungen vom Tode
des Kallippos 5?) sich nicht gleich bleibt, sondern in der einen
als bedeutungsvollen Zug der Gleichheit zwischen Tat und
#5) Κακχεῖσε τῷ ἰδίῳ ξίφει ἀναιρεθῆναι ὑπὸ Μηνουχιανοῦ προτίκτορος :
Acta Sanct. IV 92. Usener, Rh. Mus. 53, 370 £.
40) Josephus Arch. XIX 4,5: πλήϑους τε ἀνθρώπων ἑπομένου χατὰ
ϑέαν, ὡς Fmev ἐπὶ τὸ χωρίον, ἤρετο τὸν στρατιώτην εἰ διὰ μελέτης αὐτῷ
γεγόνοιεν αἴ σφαγαί, ἢ πρῶτον ἔχοι τὸ ξίφος nal ἐκέλευε κομίζειν ᾧ Γάιον
διαχειρίσαιτο αὐτός.
ΑἸ ΟΣ 5. 412. Ε: 48) ὁ. Κ΄. 412. ν
#) Eine weitere Steigerung haben wir wohl in den „nonnulli“
Suetons zu sehen, ‚Div. Jul. 89: nonnulli semet eodem illo pugione,
quo Caesarem violaverant, interemerunt. ᾿
50) Appian. Bell. eiv. 4, 113: Κασσίῳ μὲν δὴ τέλος ἦν τοῦ βίου κατὰ
τὴν αὐτοῦ Κασσίου γενέϑλιον ἡμέραν.
51) 0. 8. 412. s2) Taeit. hist. 3, Bl. 53) 0, 8. 412, 34.
Die Talion. 415
Strafe außer dem Tod durch das gleiche Schwert auch
das Ende durch Freundeshand hervorhebt. Nun gar in der
Natur der Legende liegt es immer mehr in das Mystische
hineinzuwachsen: daher weiß der älteste Bericht über das
Martyrium des h. Nestor °*) noch nichts von einer Hinrichtung
mit demselben Schwert, sondern läßt den Heiligen auf Befehl
des Kaisers von den Spießen der Soldaten durchbohrt werden ὅ5).
Nicht bloß innerhalb des Altertums, sondern auch bei der
Uebernahme antiker Nachrichten durch die Modernen ist die
Ueberlieferung nach derselben Richtung zu abgeändert worden.
In Lessings „Befreytem Rom“ sollie Tarquinius mit demselben
Dolche erstochen werden, mit dem Lucretia sich selber, d. h.
in letzter Hinsicht Tarquinius, als der Urheber ihrer Schande,
sie getötet hatte‘); antik ist hieran nur soviel, daß der Dolch
der Lucretia für Brutus und seine Mitverschworenen zum Eides-
hort wird ?”) und wenigstens insofern zum Sturze der Tarqui-
.nier und damit zur Rache der Lucretia mitwirkt.
Man könnte von einer Tendenz zur Talion sprechen, die
in der antiken Ueberlieferung bereits sich regte, die aber erst
der moderne Dramatiker weiter zu verfolgen und kräftiger
durchzuführen mindestens die Absicht hatte. Viel stärker tritt
dieselbe Tendenz in einem griechischen Mythus hervor, ohne
daß ihr jedoch selbst hier antike Dichter zu vollem Durch-
bruch verholfen hätten. Das Beil, mit dem Klytaimnestra ihren
Gatten getötet, kann seitdem nicht mehr zur Ruhe kommen;
sie schwingt es auch gegen ihren Sohn. So hatte Stesichorus
gedichtet 5°), und auch Aeschylus glaubt an diese Sagenform
erinnern zu sollen ®). Das Beil gleicht jenen fluchbeladenen
Dingen, die immer von’ Neuem Unheil erzeugen müssen; wie
das Altertum nicht müde wurde, in immer neuen Dichtungen von
54) 0, S. 414.
„ 55) λόγχαις ἐν οἷς καϑεῖρχτο τόποις χελεύει τοῦτον ἀναιρεϑῆναι : Photios
bibl. ο. 255 S. 469, vgl. dazu Usener Rh. Mus. 53 S. 370, 1.
56) Lessing Schriften, von Lachmann-Maltzahn, 2, 453 ff.
57) Liv. 157 fl. (Ovid. Fast. 2, 721 ff.) Dion. Hal. 4, 70 ff.
5) Ὁ, Robert, Bild und Lied S. 176 ff.
59) Seine Klytaimnestra ruft Choeph. 882 f. Kirch. :
δοίη τις ἀνδροχμῆτα πέλεχυν ὡς τάχος ᾿
εἰδῶμεν εἰ νικῶμεν, ἢ νικώμεϑα,
Vgl. hierzu Robert a. ἃ. O. S. 160.
416 R. Hirzel,
den verderblichen Wirkungen zu berichten, die der Halsschmuck
der Harmonia über alle seine Besitzer und deren Angehörige
gebracht hatte‘). Man traute ihnen Seele und Leben zu “ ἢ).
Die Gesinnung dessen, der die Waffe führt, tritt in diese selber
hinüber, und Hektors Schwert tötet dessen alten Gegner Aias®?),
das Schwert des ungetreuen Aeneas die Dido 55). Ein dämo-
nisches Wesen waltet in den Waffen. Wie an der Seite un-
seres ritterlichen Dichters das Schwert in der Scheide klirrt
und sich zum Streite sehnt, so bewegen sich des Vandalen-
könig Geiserichs Waffen und künden das Nahen des Kriegs °*).
Sogar Macht über seinen Träger gewinnt das Schwert und reift
ihn fort in Streit und Kampf, wie es der homerische Vers
und seine Varianten aussprechen ®). Wie Jokaste ihre Söhne
tot findet, entreißt sie im Uebermaß ihres Schmerzes ihnen
das Schwert und stößt es sich selbst in die Brust: für solche
Hörer seines Dramas, die etwas von der dämonischen Gewalt
der Waffen empfanden, hatte dies Euripides besonders wirkungs-
voll gedichtet %). Unheilbringende Schwerter kennt nicht bloß
60) Der Erste, der dem Verderben erliegt, ist Amphiaraos; ihm folgt
Eriphyle. Auch Alkmaion, da er den Halsschmuck von Phegeus zurück-
erhalten hat, wird von den Söhnen desselben erschlagen: Apollodor
bibl. III 7, 5,6. Pausan. VIII 24, 6, 4. Die letzteren weihen es end-
lich nach Delphi. Als aber in viel späterer historischer Zeit Ariston
es von dort wegnimmt und sich aneignet, ist sogleich wieder das Ver-
derben rege und er findet mit seinem ganzen Hause durch Sohnes
Hand den Untergang: Plutarch De s. n. v. 8 p. 553 E. Mit diesem
Nachklang alter Sage nicht zufrieden erfand man zum Kern derselben
noch eine Vorgeschichte. Hephaistos der Künstler sollte bereits „varias
pestes“ (Statius Theb. 2, 282) in den Schmuck der Eriphyle hineinge-
arbeitet haben; zum Ausbruch kam das Verderben schon an der ersten
Besitzerin, an Harmonia, dann an deren Töchtern Semele und Agaue,
sowie an Jokaste und der Adrastostochter Argia: Statius Theb. 2, 269 ff.
Lactant. ad 2, 272.
61) Das Schwert frißt, wie man es sich persönlich dachte und an-
redete: Grimm, Wörterbuch IV 1,1 Sp. 135. Ein Schwert, das sich
von selbst schwingt, bei 4. Grimm ἢ). M.3 218, 1.
62) Soph. Aias 661 ff., 817 ff. Vgl. Anacreont. 8, 13 fl.
3) R. Heinze, Virgils epische Technik S. 139.
6) Procop. bell. Vand. I 7 p. 194C. Auf solchen Glauben scheint
das „ancilia movere“ der Römer zurückzudeuten: Marquardt, Staats-
verw. III? 431,6. Vgl. auch Xenophon Hell. VI 4, 7.
65) Hom. Od. 16, 294: αὐτὸς γὰρ ἐφέλκεται ἄνδρα σίδηρος 19,13. Val.
Flaecc. Arg. 5, 541: namque virum trahit ipse chalybs. Lucan. Phars.
7,490 f.: Odiis eivilibus ensis suflicit, et dextras Romana in viscera
dueit. Vgl. Seneca Here. fur. 403 ff.: arma non servant modum; nec
temperari facile nec reprimi potest strieti ensis ira.
66) Kur. Phön. 1455 f.
Die Talion. 417
das deutsche Mittelalter ὁ): das Schwert, mit dem Prokne
ihren Sohn getötet, hatte die Erinys unter dem Baum ver-
graben, unter dem dann wieder Pentheus von Mutterhand den
Tod finden sollte °%). Unsere Romantik hat diesen Aberglauben
nicht ungenutzt gelassen und erzählt von Messern, die einmal
mit Blut befleckt immer neues Blut vergießen, einmal zum
Mord gezückt immer wieder morden °). Als wenn es nach
Blut dürste, soll sich auch das Henkerbeil bewegen, wenn
eine Hinrichtung nahe ist ’%). Solchen Aberglauben hat schon
Sophokles, wo nicht geteilt, so doch wie moderne Dichter zu
poetischen Zwecken verwandt.
Der Chor seiner Elektra tröstet sich, daß die Rache für
Agamemnons Tod nicht mehr fern sei: denn nicht vergessen
hat der Gemordete selber, was ihm geschehen ist, und nicht
67) J. Grimm, ἢ. M. > 186. 196.
#8) Nonnus Dion. 44, 265 ff. :
᾿Αχταίην δὲ μάχαιραν ἀπ᾿ ᾿Ατϑίδος ἤγαγε δαίμων,
ἀρχαίην ᾿Ιτύλοιο μιαιφόνον, ἢ ποτε μήτηρ
Πρόχνη ϑυμολέαινα σὺν ἀνδροφόνῳ Φιλομήλῃ
τηλυγέτην ὠδῖνα διατμήξασα σιδήρῳ
παιδοβόρῳ Τηρῆι φίλην δαιτρεύσατο φορβὴν "
χείνην χειρὶ φέρουσα φόνων ὀχετηγὸν ᾿Εριννύς
ἀρχεχαχοῖς ὀνύχεσσι διαγλύψασα χονίην
᾿Αττικὸν ἔχρυφεν ἄορ ὀρεσσιφύτῳ παρὰ ῥίζῃ
μηκεδανῆς ἐλάτης, ἢ Μαινάδες, ὁππόϑι Πενϑεύς
μέλλε ϑανεῖν ἀκάρηνος χτλ.
Vgl. hierzu 46, 209 ff.
69) Man denke an das Messer in Arnims Kronenwächtern 2 =
Werke 4, 181. In G. Freytags Brüdern vom deutschen Hause 11 Schl.
(= Werke 10, 298) ist hieraus zugleich eine rechte Talion geworden: „Je-
ner grobe Mann ist still geworden, und das Eisen, welches er damals mir
gegen die Kehle zückte, hat er mit besserem Recht gegen sich selbst
gebraucht.... Doch vernahm der Kaufmann auch Wunderliches von
dem Messer, denn der Tote soll es seit Jahren vermißt haben, und
man sagt, kurz vor seinem Ende sei ihm ein Geist erschienen, habe
ihm das Messer zurückgebracht und sein bevorstehendes Ende ange-
zeigt.“
10) Jean Paul, Quintus Fixlein Vorr. = Werke bei Reimer 4, 34:
„Das Kometenschwert schwankte hin und her, wie ein Richtschwert
sich selber bewegt, zum Zeichen, daß es richten werde‘. 37: „Und das
Richtschwert zuckte wieder“. Siebenkäs — Werke 14, 46: „Der Schul-
rath und Lenette sahen in seiner Stube eine Sense, die sich von selber
bewegte“. Hierzu bemerkt er: „Nach dem Aberglauben, daß sich das
Scharfrichter-Schwert von selber bewege, wenn es jemand zu töten
bekomme“. Daß das Scharfrichter-Schwert nach Blute lechzt und den
Unglücklichen, der es in der Hand hält, so sehr betört, daß er die
besten Freunde damit verwundet, erzählt als alten Aberglauben H.
Heine, Memoiren = Werke von Elster 7, 508; vgl. auch 5, 309,
418 R. Hirzel,
vergessen hat es das alte Beil, mit dem er erschlagen wurde”!).
Sie haben es nicht vergessen; nach dem Zusammenhang kann
dies nur heißen, sie sinnen auf Rache, das Beil ebenso wie
Agamemnon. Während moderne Erklärer hier seltsam in die
Irre gegangen sind oder sich gewunden ausdrücken, hat der
Seholiast mit einfachen Worten längst das Richtige getroffen 75).
Das Mordbeil — nur dies war es für Stesichoros 75) — schickt
bei dem attischen Dichter sich an, zum Richtbeil zu werden.
In ihm arbeitet dasselbe Gerechtigkeitsgefühl, das die euripi-
deische Elektra zu dem Ausruf treibt, sie sei bereit die Mutter
mit demselben Beil zu erschlagen, mit dem der Vater getötet
wurde °%). Aber hierbei bleibt es: weder im sophokleischen
noch im euripideischen Drama wird Klytaimnestra schließlich
mit diesem Beil getötet, und auch sonst sieht man sich ver-
sebens nach einer Sagenform um, in der dieser von den beiden
Tragikern gestellten Forderung höchster Gerechtigkeit genügt
wäre. Erst ein neuerer Dichter, erst Goethe, ist den von den
alten Dichtern nur eben beschrittenen Weg weiter gegangen
und läßt die Rache an Klytaimnestra nicht durch ein beliebiges
Mordinstrument vollführt werden, sondern durch „jenen alten
Dolch, der schon in Tantals Hause grimmig wüthete“ 75). Was
Goethe nicht bloß durch die beginnende romantische Strömung
nahe gelegt wurde 15), wäre in der Zeit des Sophokles und
”1) Soph. El. 484 ff. Dind.:
od γάρ ποτ᾽ ὁμναστεῖ γ᾽ ὁ φύσας “Βλλάνων ἄναξ,
οὐδ᾽ ἃ παλαιὰ χαλχόπλακτος ἀμφάχης γένυς,
ἅ νιν κατέπεφνεν αἰσχίσται ἐν αἰκίαις.
12) Schol. El. 484 οὐδ᾽ ἀμνημονεῖ, φησίν, ἣ χαλκχόπληχκτος γένυς N
ἑλοῦσα αὐτὸν ἀλλὰ χαὶ αὐτὴ τιμωρὸς ἥξει κατὰ τῶν δρασάντων.
18) ο, ἢ. 415.
14) Eur. ἘΠ. 278f. frägt Orest ob Elektra bereit sei, in Gemein-
schaft mit dem Bruder die Mutter zu töten, und sie antwortet ταὐτῷ
γε πελέχει τῷ πατὴρ ἀπώλετο.
70) Iphigenie 3, 1.
16) Auch in der delphischen Iphigenie wollte er dieser Strömung
nachgeben. In diesem Stück sollte Elektra gleich zu Anfang „die grau-
same Axt, die so viel Unheil in Pelops Hause angerichtet, als schließ-
liches Sühnopfer dem Gotte“ in Delphi weihen. Dann aber bringen es
die Umstände mit sich, daß sie mit demselben Beil, das sie dem Altar
wieder entrissen, beinahe die Schwester ermordet hätte: Goethe, Werke
(Ausg. letzter Hand) 27, 170. Die unheimliche Vorstellung der immer
neues Unheil drohenden Mordwaffe würde den empfänglichen Zuschauer
so durch das ganze Stück begleitet haben. Der moderne Dichter hat
bier ganz aus seiner Zeit heraus und für sie gearbeitet. Die antike
Tradition (Hygin f. 122) bot ihm nichts dergleichen.
Die Talion. 419
Euripides eine Neuerung gewesen, zu der das Gefühl der
Menschen noch nicht in dem Maße drängte, wie im späteren
Altertum. Sophokles, so sehr er sonst die Talion anerkennt,
zeigt doch für diese Art derselben, die in der Gleichheit nicht
‚des Leidens sondern des Mittels besteht, keinen Sinn, sondern
geht auch da stillschweigend an ihr vorüber, wo sie, wie in
seinem Aias, tatsächlich vollzogen wird ’”). Für die Rache,
die man damals noch immer vorzüglich unter der Strafe suchte
und die eine Gleichheit des Leidens erstrebt, war die Benutzung
desselben Mordinstruments nicht eben erforderlich, da Identität
des Instruments nicht gerade notwendig dasselbe Leiden her-
vorbringt. Letzteres tritt noch besonders deutlich im Mythos
von Jasons Tod hervor, wie ihn sich das Altertum später vor-
stellte 75): mit der Argo, da er in unbekannte Meere hinaus-
fuhr, hatte Jason die Götter beleidigt, und durch die Argo,
die über ihm zusammenstürzt, findet er deshalb seinen Tod’);
obgleich die sühneheischende Tat und die Strafe beide durch
dasselbe Mittel, die Argo, vollzogen werden, so ist doch das
Leiden, das Jason vermittelst der Argo den Göttern zufügt,
ein Leiden ganz anderer Art als dasjenige, das ihm selbst da-
für durch die gleiche Argo widerfährt. Wie wenig die Rache
den Gebrauch derselben Waffe verlangt, mag ein Beispiel aus
Tassos „Befreitem Jerusalem“ lehren: Die Rache, die an So-
liman vollzogen wird und nach göttlichem Geheiß vollzogen
wird für Sveno’s Tod, wird vollzogen nicht mit dem Schwerte
Solimans, mit dem dieser den Kreuzfahrer erschlagen, sondern
mit des letzteren Schwert 5). Die spätere Zeit des Altertums
7) Sein Aias stürzt sich in dasselbe Schwert, mit dem er die
Herden geschlachtet, d. i. die zu sühnende Tat begangen hat, und
das ihm ἔχϑιστον βέλος heißt (658), nicht sowohl als Hektors Geschenk,
wie als Ursache seiner Schmach. Für die Bedeutung dieses Vorgangs,
daß mit derselben Waffe die Tat begangen und gesühnt wird, hat der
Dichter kein Wort.
18) Staphylos im Argument zu Eurip. Med. vgl. schol. 1386. Ob
schon Euripides, wie die Ueberlieferung unserer Handschriften will
(1386 f. xaryavet καχὸς κακῶς, ᾿Αργοῦς κάρα σὸν λειψάνῳ πεπληγμένος) ist
seit Bothe zweifelhaft. Nach Neophron fr. 3 Nauck war es nicht die
Argo, die Jason den Tod brachte, sondern erhängte er sich selber;
Selbstmord auch bei Diodor. Sie. IV 55, 1.
19) Seneca Med. 614 ff.: exitu diro temerata ponti iura piavit.
80) Tasso, Gerusalemme Lib. VIII 36:
Soliman Sveno uceise, e Solimano
Dee per la spada sua restarne uceciso.
420 R. Hirzel,
dagegen, die in der Strafe nicht sowohl eine persönliche Rache
als einen Akt allgemeiner Gerechtigkeit sah, glaubte dem
Schein der letzteren auch durch die Gleichheit des Instruments
zu dienen, mit der das Verbrechen begangen und dann die
Strafe vollstreckt wurde; dabei konnte bestimmend sein die
Analogie der Notwehr, dieses uralten Naturrechts 5) des
Menschen, das ihm verstattet, jeden Angriff mit der Waffe ab-
zuwehren, mit der er gemacht wird 83), oder auch die Absicht,
die Strafe als ein Abbild des Verbrechens und so als dessen
notwendige und darum gerechte Folge erscheinen zu lassen.
Noch in anderer Weise ist das Werkzeug des Verbrechens
auch an der Strafe beteiligt, aber nicht indem es sie voll-
ziehen hilft, sondern insofern es sie erleidet. Die Waffen,
mit denen er seine Kinder gemordet, will Senecas Hercules
vernichten, es soll dies ihre Strafe sein, „dent arma poenas“
sagt er°®); sowie man am Buphonienfeste in Athen das Beil,
das den Stier erschlagen, und zwar, was betont werden muß 84),
kraft richterlichen Spruches, ins Meer warf. Nur m einem
Falle konnte hieraus eine Art Talion werden, wenn nämlich
Auch Hektors Schwert wäre hiernach berechtigt gewesen, und zwar
aus einem andern Grunde als dem im Text angegebenen, an Aias die
Rache zu üben, wenn wirklich, wie moderne Forscher wollen (Bethe
N. J. f. ἃ. klass. A. 1904 5. 1ff., Cauer a. a. O. 1905 8. 10 ff.), Aias
den Hektor erschlagen hätte. Das Schwert des Laius, an dem Jocaste
durch ihre Ehe mit Oedipus gefrevelt, bringt ihr den Tod, wenigstens
bei Statius Theb. 11, 635 ἢ,
5 Ulpian Dig. 43, 16, 1, 27: idque ius natura comparatur.
83) Ulpian Dig. 43, 16, 1, 27: Vim vi repellere licere Cassius scri-
bit idque ius natura comparatur: apparet autem, inquit, ex eo arma
armis repellere liceree.e Mommsen Strafrecht 653. Weil die Vorstel-
lungen der Notwehr und Vergeltung in einander überflossen, kann
τοῖς αὐτοῖς ἀμύνεσθαι die eine wie die andere bedeuten: Classen zu
Thuk. 1, 42, 2.
88) Sen. Herc. fur. 1235.
841) Es sollte eine Strafe sein. Bei Kaibel zu Soph. El. 482 kommt
dies nicht deutlich genug zum Ausdruck, vgl. A. Mommsen, Feste der
Stadt Athen S. 515 #f. Ebenso wird es aufzufassen sein, ἃ. h. als Be-
strafung, wenn die Agrigentiner den Stier des Phalaris ins Meer
stürzten: schol. Pind. Pyth. 1, 185 u. dazu Böckh. Busolt, Gr. Gesch.
I 422, 4. Vgl. Soph. OR 1410 f. Anders verfuhr man mit dem Hals-
schmuck der Eriphyle, den man auf dem delphischen Altar weihte,
nicht um ihn zu bestrafen, sondern unschädlich zu machen: o. ὃ. 416, 60.
Könnte nicht dasselbe von dem Mordbeil gelten, mit dem Klytaim-
nestra den Gatten erschlagen und das uns Vasenbilder auf dem Grab-
hügel Agamemnons, also an geweihter Stätte liegend, zeigen (Robert,
Bild und Lied 177)?
Die Talion. 421
das verbrecherische Werkzeug, das bestraft wird, ein Glied der
Person ist, die das Verbrechen begangen hat. Den Verbrecher
gerade an dem Teile zu strafen, mit dem er sich vergangen
hat, scheint ein uralter und weit verbreiteter Grundsatz zu
sein und ist es in gewissem Sinne. Schon das mosaische Ge-
setz übt ihn 85): dem Weibe, das die Scham eines Mannes mit
der Hand angegriffen hat, soll die Hand abgehauen werden 88).
Auf diesen Grundsatz deutet doch wohl auch Christus in der
Bergpredigt, wenn er den Menschen gebietet, die Glieder, die
Aergernis geben, Auge, Hand, Fuß, von sich abzutun 57). Voll-
ends bieten die Rechte des Mittelalters zahllose Beispiele des-
selben: das Messer wurde durch die Hand geschlagen, die es
gezückt hatte, Angebern und Verrätern schnitt man die Zunge
aus, Verläumdern schlug man aufs Maul, die meineidige Hand
wurde abgehauen 88. Bei Neueren und Neuesten erscheint er
als Sprichwort 89).
Auch dem heidnischen Altertum der Griechen und Römer
ist er nicht fremd. Einen sehr alten Beleg würden die Gesetze
des Zaleukos geben, die wir schon einmal vom Talionsgedanken,
freilich in anderer Weise, berührt fanden °°). Sie verordneten
das Blenden des Ehebrechers ®') und konnten hierdurch die
Talion der fraglichen Art insofern zum Ausdruck zu bringen
scheinen, als die Augen der verführende und so den Incest ver-
ursachende Teil des Menschen sind ”). Ferner die Bestrafung
#5) Günther, Idee der Wiedervergeltung 1, 61.
86) 5, Mos. 25, 11 f. Am Bauche der Ehebrecherin sollen die
schädlichen Wirkungen des Eiferwassers hervortreten: 4. Mos. 5, 21 ff.
87) Ev. Matth. 5, 29 ff. 18, 8ff. Marc. 9, 43 fi.
88) J. Grimm RA. 707. 709. 711. 740. Kl. Schr. 6, 186. Günther
Wiederverg. I 18, 34. 251 ff. II 55.
89) Lessing, Schriften von Maltzahn 12, 607 (Brief an Claudius
19. April 1778): Nach dem alten Sprichworte, per quod quis peccat,
per idem punitur et ipse, hätte er, der Hofmarschall, mir ohnedem
die Zunge, und der Chan die Ohren hergeben müssen. Kant, Rechtsl.
I, Anhang 5 = Werke von Hartenst. 7, 116 begründet damit insbe-
sondere die Kastration in Fällen der Notzucht und Päderastie. Vgl,
H. Taine, Vie et Corr. lI 74: je suis puni par ou j'ai fait souffrir les
autres. Die Form des Sprichworts wurde bestimmt durch Weish.
Salom. 11, 17; δι’ ὧν τις ἁμαρτάνει, διὰ τούτων κολάζεται.
90) Anm. o. S. 409.
91) Aelian V. H. 13, 23: Ζάλευκος ὃ Λοχρῶν νομοϑέτης προσέταξε τὸν
μοιχὸν ἁλόντα ἐκχόπτεσϑαι τοὺς ὀφθαλμούς.
92) Doch finde ich diese Erklärung erst bei Pufendorf, De iure
nat. VII 3, 26 S. 1199 (Frankfurt 1684): Sie Zaleucus adultero ocu-
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 28
422 R. Hirzel,
der Selbstmörder in Athen, denen die Hand abgehauen wurde 58),
rechtfertigt man am einfachsten aus diesem Grundsatz °*). Den-
selben fand man sogar schon in homerischer Zeit angewandt,
und hier schon auf das ja auch sonst rechtlich geordnete Ver-
hältnis zwischen Menschen und Tieren übertragen, indem einer
Sau, die die Saaten verwüstet hatte, die Zähne eingeschlagen
wurden °°); und auf die gleiche Weise erklärt man es, wenn
dem, der das Siegel eines Orakels vor der Zeit bricht, mit Ver-
lust entweder der Augen oder der Hand oder der Zunge ge-
droht wird, was indes seine Bedenken hat). Unbedenklich
wäre dagegen auf diese Weise zu erklären, daß man Hyperei-
des und anderen athenischen Rednern die Zungen ausriß, stünde
hier nur die Tatsache selber fest”). Dies sind die ältesten
lum erui voluit, quia primi incestant oculi nuptas, et libidinis est irri-
tamentum ardentius adspexisse matronam. Ebenso A. Dieterich, Ne-
kyia 205. An die Verschärfung des Ehebruchverbots schließt sich in
der Tat Ev. Matth. 5, 28 f. das Gebot an das Auge auszureißen, das
Aergernis gibt. Blendung des Ehebrechers in Athen: Meursius Themis
Att. I 4 (Auct. Probl. Rhet. c. 58 νόμος ἐχέλευε τὸν μοιχὸν καταλαμβα-
vönevov τυφλοῦσϑαι ἀκρίτως. Curius Fortun., Rhet. Schol. 1. I adulteros
deprehensos licet excaecare); aber auch Meier-Schöm. A. Pr.? 404.
98) Aesch. Ctesiph. 244. A. Dieterich Nekyia 205. S. auch Archiv
f. Religionswiss. XI 126, 2.
94) Vielleicht weist auf ihn auch zurück die Selbstverstümmelung
des Muttermörders Orest durch Abbeißen des Daumens, die eine süh-
nende Wirkung katte: Archiv f. Religionsw. XI 5. 113, 3. „In dem
Daumen steckt die Kraft der Hand“: W. Grimm im Deutsch. Wörterb.
Il Sp. 848 o. Abhauen des Daumens als Strafe: J. Grimm RA. 707,
Wörterb. II Sp. 846 ff.
95) Hom. Od. 18, 28 f. sagt Iros mit Bezug auf Odysseus:
ὃν ἂν χαχὰ μητισαΐίμην
χόπτων ἀμφοτέρῃσι, χαμαὶ δέ χε πάντας ὀδόντας
γναϑμῶν ἐξελάσαιμι συὸς ὡς ληιβοτείρης.
Zu ληιβοτείρης bemerkt ein Scholiast: νόμος ἦν, ὡς ἐὰν εὑρεϑῇ σῦς
ἀλλότριον σπόριμον πεδίον βοσκομένη ἐξωδοντίζετο. Und ein anderer weiß,
daß dieser νόμος παρὰ Κυπρίοις galt.
96) Zenob. VI 11 (Paröm. Gr. I 164): ᾿Αριστείδης μὲν οὖν φησίν,
ὅτι ὃ μαντευόμενος ἐν Δελφοῖς σεσημασμένον ἐλάμβανε τὸν χρησμόν" χαὶ προ-
εἰρηται αὐτῷ, εἰ λύσει πρὸ τῆς νενομισμένης ἡμέρας, ἕξει μίαν τῶν τριῶν "
ἢ γὰρ τῶν ὀφθαλμῶν αὐτὸν ἔδει στερηϑῆναι, ἢ τῆς χειρός, N τῆς γλώττης.
Das τῆς γλώττης fügt sich nicht ohne weiteres der gewöhnlichen Auf-
fassung dieser Worte, da in diesem Falle die Zunge wenigstens nicht
für ein bereits begangenes Unrecht bestraft wird, vgl. indessen Gün-
ther, Wiedervergeltung I 94 ἢ. A. Dieterich, Nekyia 205 („auch die
Zunge wird ihm wohl ausgeschnitten, damit er nicht ausplaudern
könne“).
57 Die anderen Redner kommen auf Rechnung nur des Tzetzes
Chil. 6, 178; und was Hypereides betrifft, schwankt die Ueberlieferung
nicht bloß zwischen Plutarch Demosth. 28 und Leben der 10 Redn.
Die Talion. 423
und, wie man sieht, zum Teil nicht einmal sicheren Belege,
aus denen sich ein Gelten dieser Art Talion in der frühgrie-
chischen Zeit erschließen läßt.
Die anderen Belege gehören der römischen Zeit an. So
folgt die Verstümmelung unter den Kaisern bisweilen die-
ser Regel, und den Ueberläufern werden die Kniekehlen
durchschnitten 55) oder die Füße abgehauen 35), wie den Fäl-
schern 1%) und den Abschreibern ketzerischer Schriften !°') die
Hände, aber ohne Konsequenz !®). Doch lag der Grundsatz
damals in der Luft '0%2®). Bei Lucian wird der Vorschlag gemacht,
einen Redekampf damit abzuschließen, daß den Unterliegenden
die Zunge abgeschnitten werde). Erst vom Standpunkt
dieser späteren Zeit aus interpretierte man dann dieselbe Rechts-
anschauung auch in die alte Sage und Dichtung hinein, und
Demetrios von Skepsis fand es ganz in der Ordnung, daß
Homer einen Parasiten am Bauche und den meineidigen Pan-
daros an der Zunge verwundet werden läßt !%), während nach
Servius Philoktet seine Wunde gerade an dem Fuße empfing,
mit dem er den Grabhügel des Herakles verraten hatte 1%).
Offen bekennt sich zu diesem Grundsatz Martial und erklärt
es für verkehrt, einen Ehebrecher durch Abschneiden der Nase
p. 849 B f., sondern auch zwischen denen, die hinsichtlich des Zungen-
ausschneidens übereinstimmen und von denen der einzige uns bekannte
Hermippos ist.
τῇ 3 Vule. Gall. v. Avid. Cass. 4, 5. S. aber auch Mommsen, Strafr.
99) Konstantins Verordnung bei Mommsen, Strafr. 981, 5:
100) Lamprid. v. Alex. Sev. 28, 3.
10%) Mommsen Strafr. 982, 3.
®) So daß die Ueberläufer auch an den Händen gestraft wurden.
Lamprid. v. Alex. Sev. 28, 3. Mommsen, Strafr. 981, 4.
1054) Gegen Kupplerinnen wird verordnet Cod. Theod. IX tit. 23,1:
ut eis meatus oris et faucium, qui nefaria hortamenta protulerit, liquen-
tis plumbi ingestione claudatur. Vgl. auch Latin. Pacat. Paneg. 44:
non postremo illam tanti ream mendacii linguam radicitus erui prae-
cepisti.
108) Lucian. Tox. 10. o. S. 422, 97.
104) Athen. VI 236 Ὁ.
105) Serv. ad Verg. Aen. 3, 402: Inventus itaque Philoctetes, cum
ab eo Hercules quaereretur, et primo negaret se seire ubi esset Her-
cules, tandem confessus est mortuum esse. Inde cum acriter ad in-
dicandum sepulerum eius cogeretur et primo negaret, pede locum per-
eussit, cum nollet dicere. Postea pergens ad bellum cum exerceretur
sagittis, unius sagittae casu vulneratus est pedem, quo percusserat
tumulum. Dazu Schneidewin, Philol. 4, 661.
28 *
494 R. Hirzel,
und nicht an dem Gliede zu bestrafen, das gesündigt hat 196).
Mit den Worten „a! pereant partes, quae nocuere mihi!* be-
gleitet Attis bei Ovid 107) seine Selbstverstümmelung; und bei
demselben Dichter wird der Nymphe Lara zur Strafe ihrer Ge-
schwätzigkeit die Zunge ausgerissen 10). Andere bemerken
wenigstens das Gelten dieser Art Talion bei anderen Völkern,
bei Aegyptern 199), Persern 1995), Skythen 119) und Deutschen 111).
106) Martial 3, 85:
Quis tibi persuasit nares abscidere möcho ?
Non hac peccatum est parte, marite, tibi.
Stulte, quid egisti? nihil hie tibi perdidit uxor,
Cum sit salva tui mentula Deiphobi.
Aehnlich rügt ein kirchlicher Schriftsteller es als Absurdität, si quis
qui manu peccavit in tergo feriatur (Grotius De iure belli ac pac. 11 21,17,2).
Das Abschneiden der Nase war freilich eine Verstümmelung, mit der
auch andere Verbrechen bestraft wurden: Mommsen, Strafr. 981, 3.
J. Grimm, RA. 2, 296. Namentlich aber rächen sich damit Eifersüch-
tige noch jetzt in südlichen Ländern und rächten sich so im Altertum.
Daher wird in der Verstümmelung des Deiphobus gerade dies von
Virgil Aen. 6, 497 (truncas inhonesto volnere naris, woran auch mit-
telalterliche Zitate J. Grimms a. a. Ὁ. anklingen) hervorgehoben. Den
naheliegenden Grund spricht Diodor aus (1 78, 3) im Sinne der Aegyp-
ter, die zwar nicht den Mann, aber das ehebrecherische Weib mit Ver-
stümmelung der Nase straften, ὑπολαμβάνοντες δεῖν τῆς πρὸς ἀσυγχώρητον
ἀνρασίαν καλλωπιζομένης ἀφαιρεθῆναι τὰ μάλιστα κοσμοῦντα τὴν εὐπρέπειαν.
Bei Saxo Gramm. Hist. Dan. II S. 90 ed. Müller-Velschow rächt Hjalto
sich an einer Hure, indem er sie „praeciso naso deformem reddidit,
erubescendoque vulnere libidinosae percontationis dietum mulctavit,
mentis lasciviam oris jactura temparandam existimans.“ Vgl. hierzu
Günther Wiedervergeltung I 30, 28. Die Gerechtigkeit der Talion,
in diesem Falle der Kastrierung, konnte also von Martial nicht stär-
ker hervorgehoben werden, als wenn er ihr gegenüber die andere sonst
so angemessen scheinende Bestrafung des Ehebrechers gänzlich verwarf.
107) Ovid. Fast. 4, 240.
108) Ovid. Fast. 2, 607: quaque est non usa modeste, eripit huic
linguam.
109) Diodor I 78, 3: Kal τῶν μὲν τὰ ἀπόρρητα τοῖς πολεμίοις ἄπαγ-
γειλάντων ἐπέταττεν ὃ νόμος (der Aegypter) ἐχτέμνεσθαι τὴν γλῶτταν, τῶν
δὲ τὸ νόμισμα παραχοπτόντων ἢ μέτρα καὶ σταϑμὰ παραποιούντων ἢ παρα-
γλυφόντων τὰς σφραγῖδας, ἔτι dE τῶν γραμματέων τῶν φευδεῖς χρηματισμοὺς
γραφόντων ἣ ἀφαιρούντων τι τῶν ἐγγεγραμμένων, καὶ τῶν τὰς ψευδεῖς συγ-
γραφὰς ἐπιφερόντων, ἀμφοτέρας ἐκέλευσεν ἀποκόπτεσθαι τὰς χεῖρας, ὅπως
ἕχαστος οἷς μέρεσι τοῦ σώματος παρενόμησεν, εἰς ταῦτα χολαζόμενος αὐτὸς
μὲν μέχρι τελευτῆς ἀνίατον ἔχῃ τὴν συμφοράν, τοὺς δ᾽ ἄλλους διὰ τῆς ἰδίας
τιμωρίας νουϑετῶν ἀποτρέπῃ τῶν ὁμοίων τι πράττειν.
1094) Plutarch Artax. 14.
110) Τῆς Σχυϑικῆς ἐπιτίμιον war 68 dem, der im Zweikampf unter-
lag, die rechte Hand abzuhauen: Lucian Toxaris 10 vgl. 35. 62.
111) Florus IV 12,36 f. (von den Deutschen nach der Varusschlacht):
nihil insultatione barbarorum intolerantius, praecipue tamen in cau-
sarum patronos, aliis oculos, aliis manus amputabant: unius os
sutum, rescisa prius lingua; quaminmanutenens |)
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Die Talion. 495
Welcher Ausdehnung dieser Grundsatz fähig ist, lehrt die
Weisheit Salomonis. Hiernach kommt er zur Anwendung auch
in der Bestrafung derer, die Götzendienst mit Tieren getrieben
haben und nun dafür durch Tiere geplagt werden 115). Was
der Anlaß der Sünde oder des Unrechts war, ist hier an die
Stelle des Mittels getreten. Dasselbe geschieht in einer Er-
zählung des Periegeten Pausanias: ein Mädchen aus Temesa,
das einer der Gefährten des Odysseus vergewaltigt hatte, gab
den Anlaß diesen zu töten und eben deshalb wurden die Mör-
der vermittelst eines Mädchens d. i. durch alljährliches Opfern
eines solchen gestraft 115). Weil das Kindesverhältnis, in dem
alle Menschen zu Gott als ihrem Vater stehen, das Unrecht
des Selbstmörders ausmacht, wird er nach der Meinung des
Josephus auch selber in seinen Kindern bestraft 1.5). Denselben
gewundenen Gang nehmen Ciceros Gedanken, wenn er die in
Rom übliche Bestrafung des Vatermörders erläutern will: wer
den gemordet hat, dem er die Existenz verdankt, sagt Cicero,
wird mit Fug und Recht in dem bestraft, was seine Existenz
bedingt, d. h. die Elemente, Luft, Sonne, Wasser und Erde,
werden ihm entzogen 115). Ein Fall derselben Art liegt bereits
barbarus. „Tandem, inquit, vipera, sibilare desisti‘“.
Zur Bekräftigung deutschen Rechts hat diese Worte benutzt J. Grimm,
RA. 703 f. Vgl. auch o. S. 424.
42) Σοφ. Σαλ.: 11, 16f.: ἄντὶ δὲ λογισμῶν ἀσυνέτων ἀδικίας αὐτῶν,
ἐν οἷς πλανηϑέντες ἐϑρήσχευον ἄλογα ξρπετὰ καὶ χνώδαλα εὐτελῆ, ἐπαπέ-
στειλας αὐτοῖς πλῆϑος ἀλόγων ζώων εἰς ἐχδίχησιν, ἵνα, γνῶσιν ὅτι δι᾽ ὧν τις
ἁμαρτάνει, διὰ τούτων κολάζεται.
118) Pausan. VI 6, 3.
112) Joseph. b. 1. III 8, 5 5. 266 Bekk : ὅσοις δὲ καϑ᾽ ξαυτῶν ἐμάνησαν
αἵ χεῖρες, τούτων μὲν Köng δέχεται τὰς ψυχὰς σχοτιώτερος, ὃ δὲ τούτων πα-
τὴρ ϑεὸς εἷς ἐχγόνους τιμωρεῖται τοὺς πατέρων ὕβριστάς. Hier ist in τοὺς
πατέρων ὑβριστὰς der Plural verallgemeinernd, obgleich zunächst nur
Gott, der Vater der Menschen, gemeint ist. Daß das Verbrechen,
dessen sich der Selbstmörder schuldig macht, in τ. rn. ὑβριστὰς ausge-
drückt werden soll, ergeben außer dem Gedankenzusammenhang noch
besonders im Vorhergehenden die Worte τὸν δὲ ϑεὸν οὐχ οἴεσϑε dyavan-
πεῖν ὅταν ἄνϑρωπος αὐτοῦ τὸ δῶρον ὕβρίζῃ. Was die Priester der Kybele
als Kinder, durch Undankbarkeit gegen die Eltern gefehlt haben, wird
ihnen in den Kindern, d. i. dadurch, daß sie derselben entbehren müs-
sen, vergolten: Lucret. 2, 614 f., anders Ovid. o. 5. 424,107. Vgl. noch
Aristot. Eth. Nik. VII 7 p. 1149b 9 ff.
110) Öjcero pro Roscio Am. 71: O singularem sapientiam, iudices!
Nonne videntur hunc hominem ex rerum natura sustulisse et eripuisse,
eui repente caelum, solem, aquam, terramque ademerint, ut qui eum
necasset , unde ipse natus esset, careret eis rebus omnibus, ex quibus
omnia nata esse dieuntur? Ein ähnliches Beispiel dieser Talion gibt
426 R. Hirzel,
als sophokleisch vor: im Euryalos des Dichters sollte Odysseus
erst diesen seinen Sohn erschlagen haben und dann selber von
Telegonos erschlagen worden sein, für das, was er am Sohn
gesündigt hatte, wurde er durch einen Sohn bestraft !!%). Die
logisch-rechtlichen Beziehungen sind hier dieselben wie in einer
Erzählung der Volsungasaga, wonach die an einem Stein durch
Beschädigung und Befleckung desselben sich versündigt hatten,
dann zur Strafe durch Steine getötet wurden 11. Trotzdem
hat Sophokles nicht in dieser Weise gedacht und gedichtet.
Vielmehr hat man gerade die Worte im Bericht des Parthenios,
welche den entscheidenden Gedanken enthalten, als Zutat erst
des späteren Berichterstatters erkannt 115) und auch die Ab-
weichung von der älteren Ueberlieferung bemerkt, die zugleich
eine Annäherung an die Talion bedeutet und als solche viel-
leicht in der Absicht des Alexandriners lag. In der Regel
werden so künstliche Rechtskonstruktionen
erstspäteren Zeiten eigen sein.
Und einer späteren Zeit gehört noch eine andere Ueber-
spannung des ursprünglich einfachen Satzes an, nach welchem
nicht die Gesamtpersönlichkeit des Verbrechers bestraft wird,
sondern derjenige Teil, der unmittelbar die Ursache des Ver-
brechens war. Gemeint war dies ursprünglich von Gliedern
des Körpers, durch Ueberspannung aber wurde es auch auf
Teile oder Regungen der Seele übertragen. Wie das gemeint
ist, zeigt uns Cicero, der in seiner idealen Gesetzgebung, die
sich aber an Römisches anlehnt, den Ehrgeizigen eben an sei-
nem Ehrgeiz, daher mit Schande, den Gewinnsüchtigen ebenso
in seiner Gewinnsucht, daher mit einer Geldbuße strafen will 119).
ein neuerer Philosoph. Wer sich durch „Bestialität“ an der Mensch-
heit versündigt hat, durch die von ihm beleidigte Menschheit zum
Verbrecher geworden ist, wird, so zu sagen, vermittelst der Mensch-
heit, d. h. durch Ausstoßen aus derselben bestraft: so will es Kant
und unter Berufung auf den Grundsatz „per quod quis peccat, per idem
punitur et idem“ (Rechtsl. I Anhg. 5 = Werke von Hartenst. 7, 116).
116) Parthen. Erot. ὁ. 3: χαὶ ᾽Οδυσσεὺς μὲν διὰ τὸ μὴ ἐγχρατὴς φῦναι
μηδὲ ἄλλως ἐπιεικὴς αὐτόχειρ τοῦ παιδὸς ἐγένετο, καὶ οὐ μετὰ πολὺν χρόνον
ἢ τόδε ἀπειργάσϑαι πρὸς τῆς αὐτὸς αὑτοῦ γενεᾶς τρωϑεὶς ἀχάνϑῃ ϑαλασ-
σίας τρυγόνος ἐτελεύτησεν.
117) Volsungas. ed. Ranisch c. 42, 24 ft.
118) Wilamowitz, Hom, Unters. 191.
119) Cicero De legg, 3, 46: legesque cum magis iudiciis quam ver-
bis sanciendae sint, adiungitur „noxiae poena par esto“, ut in suo
Die Talion. 497
Aus demselben Grunde ist im Erysichthonmythus Hunger die
angemessene Strafe für Gefräßigkeit!?%). Den gleichen Rechts-
satz trugen dann christliche Schriftsteller auch in die Parabel
vom Reichen Mann und dem Armen Lazarus hinein 57), gerade
wie moderne Philologen in die Tantalosfabel 155): denn in bei-
den Fällen sollte das Dürsten und Schmachten in der Hölle
die gerechte Strafe sein für ein schwelgerisches Leben. Den
Dichtern der neutestamentlichen Parabel und der Tantalosfabel
ist er schwerlich so deutlich zu Bewußtsein gekommen. Der
erste, der in dieser Weise die Tantalosfabel erklärt, ist wenig-
stens für uns Seneca 1"); wie überhaupt dieselbe später einer
spielenden Deutung verfiel, zeigt eine der unter Quintilians
Namen gehenden Declamationen !?*).
vitio quisque plectatur, vis capite, avarıtia multa, honoris cupiditas
ignominia sanciatur. Vgl. schol, or. pro Sulla 18. Mommsen, Strafr.
874.
120) Callim. ἢ. in Cer. 55 ff. 114 ff. Spanheim 8. 701 ἢ. 718.
121) Ev. Luc. 16, 24. Der ächte Joh. Chrys. in Matth. hom, 63, 3
spricht nur von der entsetzlichen Höllenqual des Reichen, der ewig im
Durste liege. Auf den fraglichen Grundsatz und zwar in der mehr
konkreten, auf ein Körperglied bezogenen Form führt dies erst die
or. spur. in Div. et Laz. 8, 595 Migne zurück: τὴν γλῶσσαν χολάζεται,
δι᾿ ἧς τὴν τροφὴν ἐλάμβανε.
122) Th. Bergk Fleck. Jahrb. 1860 3. 420, 157: Die Strafe des
Tantalos in der Unterwelt ist nichts anderes als das Gegenbild seines
früheren Glückes. Tantalos, der Vertraute der Götter, der mit ihnen
Ambrosia und Nektar genoß und so der Unsterblichkeit teilhaftig
ward, aber das Vertrauen schmählich täuschte, indem er Sterblichen
der Götter Nahrung zuwenden wollte, muß nun büfßsen so wie er ge-
frevelt: noch hängen über ihm wie früher im Göttergarten die gol-
denen Früchte, noch ist er mitten im himmlischen See; aber der Ge-
nuß ist ihm ewig versagt und die Erinnerung an die verscherzte Selig-
keit wird ihm zur bittersten Qual. Vgl. Preller-Robert Gr. M. I 822,
2. Comparetti, Philol. 32, 251. „Rächende Schatten der Fehler selbst“
nennt Welcker, Gr. G. 1, 817 diese Unterweltsstrafen. Vgl. jetzt noch
Radermacher, Rh. Mus. 63, 550 ff.
123) Seneca Thyest. 91f. sagt Tantalus’ Schatten „ingenti licet
taxata poena lingua cerucietur loquax, nec hoc tacebo“. Zu „lingua“
vgl. o. Anm. 121. Anders begründet der Chor 149 f. die Strafe, aber
doch auch durch Angleichung an die Schuld : hos aeterna fames per-
sequitur cibos, hos aeterna sitis; nec dapibus feris decerni potuit
poena decentior. Bei Pindar Ol. 1, 55 ff. besteht, wenigstens für den
unbefangenen Leser, noch keine solche Angleichung; und was die
dürftigen Andeutungen darüber in der ᾿Ατρειδῶν κάϑοδος (Athen. VII
281 Β 8) betrifft, so frägt er sich überdies, ob sie dem alten Dichter
selbst gehören (Wilamowitz H. U. 201, 2). Von der Auffassung der
Tantalosstrafe bei Hegel, Aesthetik 2, 54 und Wilamowitz, H. U. 201f.
kann ich hier absehen.
124) Decl. 12 Schl.: Adeo ne apud inferos quidem ulla poena est
fame maior; et ille haec patitur, qui hominem adposuit epulandum.
498 R. Hirzel,
Auch die Fassung des Satzes, daß jeder in dem bestraft
wird, wodurch er gefrevelt hat, ist dem entsprechend erst in
späterer Zeit erfolgt. Uns Neueren ist er freilich geläufig bis
zum Sprichwort, auf das außer den schon gegebenen Bei-
spielen 155) auch Shakespeare einmal hindeutet 155). Im Alter-
tum begegnet er zuerst in der Weisheit Salomonis 157), dann bei
Diodor !?®) und schließlich bei christlichen Schriftstellern '?°).
Die Formulierung ist ganz allgemein, so daß sie alle besproche-
nen Fälle begreift, sowohl die, in welchen die Schuld des Ver-
brechens einem Körperglied, als die, in welchen sie einer See-
lenregung oder gar nur irgend welchem Anlaß zur Tat!?®) ge-
geben wird 1?). :
Man hat gefragt, ob man diese Talion überhaupt noch als
Talion dürfe gelten lassen 153). Und in der Tat mit der ur-
sprünglichen Talion 55) hat sie nichts zu tun, da sie nicht ein
der Verletzung gleiches, dem Verletzten genugtuendes Leiden
im Täter bezweckt, überhaupt von dem Verletzten absieht und
daher den Charakter der Rache abgestreift hat. Ihren Sinn
haben schon die Alten richtig erkannt, sei es, daß sie in ihr
eine Spezialprävention 15) oder eine Abschreckung 155) sahen.
125) (0.18.1421, 08%
126) King Lear V.3: The gods are just, and of our pleasant vices
Make instruments to plague us. Die Anwendung, die er dann von
diesem Satze macht, ist freilich eigentümlich.
127) 0.8. 425, 112.
128) 0. 8. 424, 109.
120) Pseudo-Chrysost. o. S. 427, 121, Theodoret. in Num. Quaest.
X 57 col. 360C Migue: δι᾽ ὧν γὰρ ἣ ἁμαρτία, διὰ τούτων ἣ τιμωρία. Cedrenus
hist. comp. I 60]. 657 D Migne: δι᾽ ὧν γάρ τις ἁμαρτάνει, δι᾽ αὐτῶν καὶ
παιδεύεται.
130) 0, S. 425 f.
131) Wie nahe der Satz in dieser Fassung an den Gedanken streift,
ohne jedoch mit ihm identisch zu sein, daß jede moralische Handlung
ihren Lohn in sich selber trägt, liegt auf der Hand. Vgl. z. B. die
Fassung dieses Gedankens im Römerbrief 1, 27: ἄρσενες ἐν ἄρσεσι τὴν
ἀσχημοσύνην κατεργαζόμενοι καὶ τὴν ἀντιμισϑίαν, ἣν ἔδει, τῆς πλάνης αὐτῶν
ἐν ἑαυτοῖς ἀπολαμβάνοντες.
132) Pufendorf De iure nat. VIII 3, 26 unterscheidet sie von der
Talion, auf die er erst 27 zu sprechen kommt; ebenso J. Grimm,
RA. 740.
133) Vgl. oben.
134) Lamprid. v. Al. Seu. 28, 3: cum notarium qui falsum causae
brevem in consilio imperatorio rettulisset incisis digitorum nervis, za
ut numquam posset seribere, deportavit. Ueber „Spezialprävention“
vgl. Günther, Wiedervergeltung I 132 Anm. ι
135) Diese scheint mit der Spezialprävention zu verbinden Diodor I
Die Talion. 429
Sie stellt das Wesen der Strafe dar, wie man es erst später
zu fassen begann, und so mag es sich weiter erklären, daß
auch diese Talion erst später praktisch und theoretisch mehr
zur Geltung kam, in einer Zeit, da man die Strafe in ihrer
Eigentümlichkeit von der alten Rache zu sondern bestrebt
war 155). Wie auch innerhalb der Talionssphäre die Strafe im
engeren Sinne die alte Rache ablöste, wird namentlich in der
Behandlung des Ehebrechers klar, da in diesem Falle die
Kastrierung, von Martial sehr entschieden als die allein ange-
messene Strafe bezeichnet !?”), an die Stelle der älteren ῥαφα-
νίδωσις 138) getreten ist, die doch nur aus dem Rachebedürfnis
erklärt werden kann, den Verbrecher dasselbe Leid fühlen zu
lassen, das er anderen zugefügt hat 155). Trotzdem hiernach
die eben besprochene Talion eine Talion in ursprünglichem
und strengem Sinne nicht ist, kann sie doch als „Talio ana-
logica“ bestehen !*%). Die Formulierung derselben wenigstens,
wonach sie mit denselben Mitteln geschieht, mit denen das
Verbrechen begangen wurde (δι΄ ὧν ἣ ἁμαρτία, διὰ τούτων ἡ
τιμωρία 151), ist eine so allgemeine, daß darunter auch solche
Fälle begriffen werden können, in denen das Werkzeug des
Verbrechens rückwirkend zur Bestrafung des Verbrechers dient,
78, 3 (o. S. 424, 109): ὅπως — — αὐτὸς μὲν μέχρι τελευτῆς ἀνίατον ἔχῃ
τὴν συμφοράν, τοὺς δ᾽ ἄλλους διὰ τῆς ἰδίας τιμωρίας νουϑετῶν ἀἁποτρέπῃ τῶν
ὁμοίων τι πράττειν. Günther, Wiedervergeltung I 29, 25.
136) Besonders klar sind in dieser Beziehung Platons Worte Pro-
tag. 324B, an die deshalb hier erinnert werden darf: οὐδεὶς γὰρ κολάζει
τοὺς ἀδικοῦτας πρὸς τούτῳ τὸν νοῦν ἔχων καὶ τούτου ἕνεκα, ὅτι ἠδίκησεν,
ὅστις μὴ ὥσπερ ϑηρίον ἀλογίστως τιμωρεῖται * 6 δὲ μετὰ λόγου ἐπιχειρῶν
χολάζειν οὗ τοῦ παρεληλυϑότος ἕνεχα ἀδικήματος τιμωρεῖται --- οὗ γὰρ
ἂν τό γε πραχϑὲν ἀγένητον ϑείη --- ἀλλὰ τοῦ μέλλοντος χάριν, ἵνα μὴ
αὖϑις ἀδικήσῃ μήτε αὐτὸς οὗτος μήτε ἄλλος ὃ τοῦτον
ἰδὼν κολασϑέντα. Vgl. Gess. XI 934 A,
157) 0. S. 424, 106, vgl. Hor. Sat. I 2, 44 Ὁ
188) Meier-Schöm. A. Pr.” S. 404, 595. Günther , Wiedervergel-
tung 1, 95.
189) Sje aber deshalb mit A. Dieterich, Nekyia 206, 1 als eine Be-
strafung ursprünglich der Päderastie zu fassen, geht nicht wohl an,
da wir von einer derartigen Bestrafung dieses Lasters, wenigstens bei
den Griechen, sonst nichts wissen. Vielmehr genügt es anzunehmen,
daß man, soweit als es in diesem Falle eben möglich war, auch hier
die Strafe dem Verbrechen anglich, vergl. noch Hor. Sat. I 2, 44 per-
minxerunt — stupraverunt Porph. Val. Max. VI 1, 13 familiae
stuprandum obiecit.
140) Ueber diese Benennung vgl. Günther, Wiedervergeltung I 18, 34
1), 048. 428) 129.
480 R. Hirzel,
und solche Fälle pflegt man doch als Fälle der Talion anzu-
sehen 142).
Noch in anderer Weise hat man in späterer Zeit die Ta-
lion mehr und mehr von der Rache, was sie ursprünglich war,
abgedrängt. Man war zufrieden in der Strafe
ein Bild der verbrecherischen Handlung zu
geben !*?), unbekümmert, ob das verursachte Leiden des Ver-
brechers dadurch dem des Verletzten gleich werde, und wohl zu-
nächst auch nicht in der Absicht, dadurch eine abschreckende
Wirkung zu üben. Dies gilt gerade von einem berühmten Bei-
spiel der Talion, das den Beifall sogar eines Vertreters der Auf-
klärung erhalten hat. Daß nach einer Bestimmung der 12 Tafeln
der Brandstifter verbrannt werden soll !**), ist nach Gibbons Ur-
teil das einzige Beispiel einer vernünftigen Talion 145). Und doch
liegt gerade hier der vorwiegend symbolische Charakter 146) der
Strafe vor Augen. Weder vergilt sie wie die echte rächende Talion
das Leid mit gleichem Leid — wie die Rache in diesem Fall aus-
sieht, hat sich uns gezeigt an der Verbrennung des Palastes
des Perserkönigs, mit der der Brand Athens vergolten wurde 1.)
— noch war zur Abschreckung gerade der Feuertod notwen-
dig. Straffer schon ist der Zusammenhang zwischen Strafe
und Tat in der Beziehung, in die das Ertrinken der Aegypter
im Roten Meere zum Ertränken der Judenkinder im Nil ge-
setzt wird, beruht aber hier nur auf der Auslegung eines so
späten Autors wie Cedrenus 1.8). Und auch ob in jenem Fall
222) 10.18: ALOE, 143) 0. 8. 420. :
144) Dig. 47, 9, 9. Mommsen, Strafr. 923, 3. Weil ein Fuchs die
Saaten verbrannt hatte, werden an den Cerealia Füchse verbrannt:
„quoque modo segetes perdidit, ipsa perit“ Ovid Fast. 4, 712, was
aber nur Ovids, also erst eines Späteren Gedanke ist und nicht etwa
dem alten Brauche zu Grunde liegt. N
146) Gibbon, History VIII ch. 44 (S. 83 Leipz. Ausg.): The malice
of an incendiary. After the previous ceremony of whipping, he him-
self was delivered to the flames; and in this example alone our reason
is tempted to approve the justice of retaliation.
146) Ueber diese Bezeichnung vgl. K. Fr. Hermann, Ueber Grundss.
und Anwendung des Strafrechtes im griech. Alterth. (Abh. d. Gött.
Ges. VI) S. 40.
147)7.9: 8.0409, .21. A
148) Cedrenus Hist. Comp. I. Sp. 116 A Migne: Ὅτι ἐν τῇ Λεπτῇ
Γενέσει χεῖται μόνους δέκα μῆνας ῥιφῆναι τὰ βρέφη τῶν Ἰσραηλιτῶν ἐν τῷ
ποταμῷ, ἕως οὗ ἀνελήφϑη Μωῦσῆς ὑπὸ τῆς βασιλίσσης ᾿ διὰ τοῦτο δέκα πλη-
γαὶ ἐδόϑησαν ἐν δέκα μησὶ τοῖς Αἰγυπτίοις, καὶ τέλος ἐν τῇ 9 α -
|
Die Talion. 431
der Feuertod als alte Strafe für Brandstiftung wirklich schon
ursprünglich eine Wiedervergeltung sein sollte, bleibt bei der
Häufigkeit dieser Strafe auch für andere Verbrechen mindestens
zweifelhaft 1.5).
Einer späteren Zeit war es dann nicht genug, nur überhaupt
die Art der Handlung 159) nachzubilden, wenn sie dieselbe nicht
auch bis in ihre Modalitäten darstellte. Daß man es mit einer
solchen Durchführung der Talion in späterer Zeit ernst nahm,
ergibt sich aus dem Einwand, den gegen sie der Philosoph
Favorinus bei Gellius erhebt: ließe man die Talion gelten, so
würde die Absurdität folgen, daß eine unabsichtlich begangene
Missetat auch unabsichtlich bestraft werden müsse !°!). Der
Jurist Cäcilius lehnt allerdings diesen Einwand ab, weil man
an die Talion nicht den genauesten Maßstab anlegen und beim
Bemessen derselben nicht alles, was der zu bestrafenden Tat
nur zufällig ist, beachten dürfe 15°). Der allgemeinen Meinung
entsprach diese letztere Ansicht aber nicht, und tatsächlich ist
bisweilen die Talion in der Weise, wie Favorinus voraussetzt,
geübt worden. Für die Bestrafung des Theseus konnte es
genügen, wenn er sich ebenso um seinen Vater bringt, wie die
Ariadne durch ihn um ihre Angehörigen gekommen ist. Der
Ariadne Catulls genügt es aber nicht, sondern das Leid, das
über Theseus kommt, muß auch aus der gleichen Wurzel ent-
springen wie das Leid, das er seiner Geliebten zugefügt hat:
also muß beides, die Tat wie die Strafe, eine Folge von Ver-
λάσσῃ κατεστράφησαν ὃν τρόπον τὰ βρέφη τῶν βραξων
ἐν τῷ ποταμῷ ἀπέπνιγον, χιλίων ἀνδρῶν ἀποπνιγέντων ἰσχυρῶν
Αἰγυπτίων ἄνϑ᾽ ἑνὸς βρέφους ἸἸσραηλιτικοῦ. m
149) Trotz Mommsen, Strafr. 923, der aber gerade auf andere alte
Beispiele derselben Bestrafung und nicht für Brandstiftung verweist
923, 4 und 5, vgl. J. Grimm RA. 699 ἢ.
150) τρόπος, Aesch. Sieben 621 betont Polyneikes das τὸν αὐτὸν τίσασ-
ϑαι τρόπον. Dasselbe Wort für die gleiche Sache bei Plutarch De sera
num. vind. 8 p. 553 D Cedrenus Hist. Comp. I. Sp. 116 A Migne (o.
S. 430, 148).
151) Gellius N. A. XX 1, 16f.: „In qua re primum ea difficultas
est inexplicabilis. Qui sin membrum‘“, inquit, „alteri inprudens ru-
perit? quod enim inprudentia factum est, retaliari per inprudentiam
debet. Ietus quippe fortuitus et consultus non cadunt sub eiusdem
talionis similitudinem‘.
152) Gellius a. a. O. 34.
433 R. Hirzel,
gesslichkeit sein 15). In welche Aeußerlichkeiten sich hier
die Talion verirrt, ist klar 158").
Zu den Modalitäten einer Tat, die noch nicht das Wesen
ausmachen, gehört auch die Gerechtigkeit derselben und ihr
Gegenteil, die Ungerechtigkeit. Ob man überhaupt Unrecht
mit Unrecht vergelten dürfe, wird gestritten. Bodin 154) beruft
sich auf das göttliche Gesetz, das nicht Ehebruch mit Ehebruch,
Diebstahl mit Diebstahl vergilt, während Kant auch hier streng
an der Talion festhält, was ihm freilich nur durch eine künst-
liche Auslegung derselben möglich wird 155). Daß man nicht
glauben dürfe, Uebel mit Uebel gut zu machen, hat unter den
Alten namentlich Polybios ausgeführt 156), der auch hierin seine
philosophische Bildung verrät; auf seiner Seite steht Appian,
der es eines Römers unwürdig findet, Arglist mit Arglist zu
vergelten 15. Andere Römer der Kaiserzeit urteilten hierüber
anders. Wer Unerlaubtes tut, muß nach Martial darauf ge-
faßt sein, daß auch ihm geschieht, was nicht erlaubt ist 158) ;
153) Catull 64, 199 ff. aus Ariadnes Fluchgebet:
vos nolite pati nostrum vanescere luctum,
sed quali solam Theseus me mente reliquit,
tali mente, deae, funestet seque suosque.
Die nähere Erklärung geben 207 ft.:
ipse autem caeca mentem caligine Theseus
consitus oblito dimisit pectore cuncta
quae mandata prius constanti mente tenebat,
dulcia nec maesto sustollens signa parenti etc.
246 ff.:
sic funesta domus ingressus tecta paterna
morte ferox Theseus gualem Minordi luctum
obtulerat mente immemori talem ipse recepit.
Vgl. F. Friedrich zu 200.
1584) Saxo Gramm. Hist. Dan. VI. S. 109 Müller: fraudulenter quae-
sitae res eadem sorte defluunt qua petuntur.
151) Bodinus de rep. VI c. ult. bei Pufendorf De iure nat. VIII3,
27 S. 1200.
155) Kant, Rechtsl. II 1 Allg. Anm. BE 1 = Werke von Hartenst.
7, 150 ἢ: Wer andere bestiehlt, bestiehlt sich selbst. Was heißt das
aber: „bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst?“ Wer da stiehlt,
macht alles Eigentum unsicher; er beraubt sich also (nach dem Rechte
der Wiedervergeltung) der Sicherheit alles möglichen Eigenthums“ u. 8. w.
156) Polyb. V 11, 1 ff. über König Philipp: τοῖς γὰρ Αἰτωλῶν ἄσε-
βήμασι συνεξαμαρτάνων διὰ τὸν ϑυμὸν καὶ χαχῷ καχὸν ἰώμενος οὐδὲν ᾧετο
ποιεῖν ἄτοπον. Aehnlich urteilt Plutarch De vitioso pud. 13 p. 534 A.
157) So wie Galba verfuhr gegenüber den Lusitanern ἀπιστίᾳ μὲν
ἐρᾷ ἀπιστίαν μετιών, οὖκ ἀξίως δὲ Ῥωμαίων μιμούμενος βαρβάρους : Appian
er. 60.
168) Martial II 60, 3£.:
Die Talion. 433
und Tacitus muß sich den Tadel seines modernen Herausgebers
gefallen lassen, daß er Corbulos Hinterlist, weil gegen einen
Treubrüchigen geübt, für nicht unedel erklärt 155), Und schon
früh hat man hierüber im Altertum anders geurteilt: so-
gar des höchsten Gottes findet es Aeschylus nicht unwürdig
so zu handeln !°0); auch nach Sophokles ist es gestattet, Trug
mit Trug zu begegnen 157), ja sogar heiliges Recht gegen den
zu verletzen, der selber erst heiliges Recht gebrochen hat 155).
Dieselbe Ansicht kommt nach Seneca in der Myrtilusfabel zum
Ausdruck, in der der Verräter seines Herrn auch selbst durch
Verrat den Tod findet 163). Während es aber in diesen Fällen
sich darum handelt das Unrecht nur zu entschuldigen, wird
dasselbe in einem anderen sogar zur Pflicht gemacht. Weil
Agamemnon hinterlistig ermordet wurde‘), soll auch die
Rache in derselben Weise, durch Hinterlist und nicht mit offener
Gewalt, ausgeführt werden 166), Orest darf nicht ein Heer sam-
lam mihi dices
„Non licet hoc.“ Quid? tu quod facis, Hylle, licet?
159) Tacitus Ann. 11, 19: Nec irritae aut degeneres insidiae fuere
adversus transfugam et violatorem fidei. „Ein nicht zu billigendes Ur-
teil“ bemerkt Nipperdey.
160) Aesch. Suppl. 388 f. Kirch.:
Ζεὺς ἑἕτεροῤῥεπής, νέμων εἰκότως
ἄδικα μὲν κακοῖς, ὅσια δ᾽ ἐννόμοις.
Vgl. Paley zu 397.
161) Soph. OC. 229 ff.:
οὐδενὶ norpröla τίσις ἔρχεται
ὧν προπάϑη τὸ τίνειν ἀπάτα δ᾽ ἀπά-
ταις ἑτέραις ἑτέρα παραβαλλομέ-
va πόνον, οὗ χάριν, ἀντιδίδωσιν ἔχειν.
Vgl. den ungenannten Dichter (Plutarch, De aud. poet. 4 p. 21 E De
vitioso pud. 13 p. 534 A) ποτὶ πονηρὸν οὐκ ἄχρηστον ὅπλον ἅ πονηρία
(Lorenz, Epicharm 5. 302).
162) Hierauf beruft sich Hyllos, da er der Mutter flucht Soph.
Trach. 809 ff.: εἰ ϑέμις δ᾽ ἐπεύχομαι. ϑέμις δ᾽ ἐπεί μοι τὴν ϑέμιν σὺ
προὔύβαλες, πάντων ἄριστον ἄνδρα τῶν ἐπὶ χϑονὶ χτείνασ᾽, ὁποῖον ἄλλον
οὔκ ὄψει ποτέ.
163) Seneca Thyest. 139 ff.:
proditus oeeidit
deceptor domini Myrtilus, et fide
vectus qua fuerat nobile reddidit
mutato pelagus nomine.
162) Aesch. Choeph. 543 Kirch. ὃ ὁ λῳ κτείναντες 881 δόλοις ὁλού-
ned” ὥσπερ οὖν ἐχτείναμεν. Vgl. 89 σῖγ᾽ ἀτίμως ὥσπερ οὖν ἀπώλετο πα-
zip. Soph. El. 124 ff. τὸν πάλαι ἐκ δολερᾶς ἀϑεώτατα ματρὸς ἁλόντ᾽
ἀπάταις ᾿Αγαμέμνονα κακᾷ τε χειρὶ πρόδοτον. 198 δόλος ἦν ὃ φράσας.
166) Gewissermaßen durch den von Bodin (ο. S. 432) verpönten Dieb-
stahl: Denn δόλοισι χλέφαι-- ἐνδίκους σφαγάς sagt Orest bei Soph.
434 R. Hirzel,
meln !%), um die Mörder des Vaters zu überwältigen und zu
töten, sondern muß allein und ungerüstet ans Werk gehen.
So will es der delphische Gott des Aeschylus '°”) sowohl als
des Sophokles 1%). Man wird dieß erst in diesem Zusammen-
hange recht verstehen und würdigen. Auch in Senecas Aga-
memnon ist es derselbe Gott, der auf ein widernatürliches Ver-
brechen eine widernatürliche Strafe fordert 165). Mit der ur-
sprünglichen naiven Auffassung hat diese Raffinierung der
Talion schwerlich etwas zu tun: ihr mußte es genügen, wenn
Örest die Mörder seines Vaters tötete; ob mit offener Gewalt
oder mit List, danach wird sie kaum gefragt haben 179). Wohl
aber konnte dieß eine grübelnde Priestertheologie, die in dem
Verhältnis der Strafe zum Verbrechen durchaus die gepriesene
Gleichheit, das Fundament aller Gerechtigkeit, auch bis ins
einzelne zum Ausdruck bringen wollte 17). Die verbreche-
El. 37, wobei man das poetische Oxymoron mit Justinian Nov. 123
c. 11 erklären kann ἵνα ὅπερ ἀδίκως ἐποίησε δικαίως ὑπομείνῃ (ebenso
Plotin 42, 13 = 11 5. 898 Kirch. φονευϑῆναι ἀδίκως μὲν τῷ ποιήσαντι,
αὐτῷ δὲ δικαίως τῷ παϑόντι; Ähnlich Plutarch Thes. 11 ἐν δὲ τοῖς τρόποις
τῆς ξαυτῶν ἀδικίας τὰ δίκαια πάσχοντας). Ueber den Meineid, den Orest
hierbei leistet, vgl. meinen Eid 72.
166) στρατοῦ Soph. El. 36 erscheint nun vollends richtig und darf
nicht durch irgend welche Konjektur, wie man gewollt, geändert
werden.
167) Aesch. Choeph. 542 ff. Kirch. sagt Orest: αἰνῶ δὲ κχρύπτειν
τάσδε συνθήκας ἐμάς, ὡς ἂν δόλῳ χτείναντες ἄνδρα τίμιον δόλοισι (Hartung
für δόλῳ Te) χαὶ ληφϑῶσιν ἐν ταὐτῷ βρόχῳ ϑανόντες, 7 καὶ Λοξίας ἐφή-
μίσεν. Vgl. 265 f.: εἰ μὴ μέτειμι τοῦ πατρὸς τοὺς αἰτίους, τρόπον τὸν αὐτοὸν
ἀνταπογτεῖναι λέγων (sc. Λοξίου χρησμός).
168) Soph. El. 35 ff. berichtet Orest:
χρῇ μοι τοιαῦϑ'᾽ ὃ Φοῖβος ὧν πεύσει τάχα"
ἄσγχευον αὐτὸν ἀσπίδων TE Aal στρατοῦ
δόλοισι χλέφαι χειρὸς ἐνδίκους σφαγάς.
169) Seneca Agam. 27 ff. sagt der Schatten des Thyest: viscera
exedi mea. nec hactenus Fortuna maculavit patrem, sed maius aliud
ausa commisso scelus gnatae nefandos petere concubitus iubet. non
pavidus hausi dieta, sed cepi nefas. etc, ete. Lactant, ad Stat. Theb.
1, 694: cum responsum accepisset Thyestes aliter malorum remedium
inveniri non posse, nisi cum Pelopeia filia concubuisset, paruissetque
responsis, natus est ex ea Aegisthus etc. Ders. ad 4, 306. Hygin
fab. 87. W. E. Weber, Goethes Iphig. u. Schillers Wilh. Tell δ. 9.
170) Man müßte denn auf ἀτίμως in Aesch. Choeph. 89 (o. S. 433, 164)
Gewicht legen, auf die schimpfliche Art, wie der Mord Agamemnons
erfolgte, und weiter der Meinung sein, daß die mit δόλος vollzogene
Rache schimpflicher sei als die mit offener Gewalt, und darum auch
für den schimpflichen Mord die allein angemessene.
111) Ueber das Anschwellen des Gleichheitsgedankens bei den
Griechen vgl. meine Themis, namentlich S. 277 ff.
Die Talion. 435
rische Handlung sollte noch ein Mal in der Strafe
wie im Bilde erscheinen !”).
Nicht immer aber hat man dieses Bild in allen Zügen ausge-
malt, sondern bisweilen sich mit diesem oder jenem einzelnen Kenn-
zeichen begnügt. Solche Kennzeichen können sehr bedeutsam
sein und, wenn auch nicht die ganze Handlung, so doch einen
wesentlichen Zug vor Augen stellen, wie z. B. wenn man einen
Feigling in Weiberkleider steckte 118) oder die Ehebrecherin
ins Bordell schickte”). Nicht immer wird so wie hier durch
172) 0. S. 430, 143.
173) Diese Bestimmung in einem Gesetz des Charondas bei Diodor.
Sic. XII 16, 1: Ἕτερον δὲ ἔϑηχε νόμον χατὰ τῶν λιπόντων τὴν ἐν πολέμῳ
τάξιν ἣ τὸ σύνολον μὴ ἀναλαβόντων τὰ ὅπλα ὑπὲρ τῆς πατρίδος. Τῶν γὰρ
ἄλλων νομοϑετῶν κατὰ τῶν τοιούτων τεϑεικότων ϑάνατον τὸ πρόστιμον, οὗτος
προσέταξε τοὺς τοιούτους ἐν τῇ ἀγορᾷ ἐφ᾽ ἡμέρας τρεῖς χαϑῆσθαι ἐν ἐσθῆσι
γυναικείαις. Dieselbe Strafe Feiglingen angedroht von einem sarazeni-
schen Fürsten bei Cedrenus Hist. Comp. II Sp. 301 B Migne: τοὺς δὲ
διαφυγόντας στρατιώτας τὸν χίνδυνον ϑριαμβεύσειν ἠπείλησε γυναιχείους περι-
βεβλημένους στολάς. Auf die gleiche Weise verfährt aber auch Aristo-
phanes mit dem Dichter Agathon, indem er ihn zur Strafe für seine
weibische Kunst in Weiberkleidern auf die Bühne bringt Thesm. 95 ff.
(vgl. auch 943 f. u. schol.); und ähnlich Platon Symp. 179 D mit Or-
pheus, der für Weichlichkeit und Feigheit durch Weiberhände den Tod
findet und hierdurch als ein Weib erscheint, das durch seinesgleichen
gerichtet wird. Weiberkleidung diente als eine Art Strafe für weibi-
sches Wesen auch den Lykiern nach Plut. Cons. ad Apoll. 22 p. 112
F. f. (wozu Wyttenbach noch auf Val. Max. II 6 Ext. 13 verweist); den-
selben Sinn hat das Herumtragen einer nackten Hure, was als Strafe
für Gemeinheit und Feigheit von Artaxerxes verordnet wird bei Plu-
tarch. Artax. 14. Auf der gleichen rechtlichen Grundanschauung be-
ruht es schließlich, wenn Herzenshärtigkeit mit Verwandlung in Stein
bestraft wird: Anton. Lib. 39. Ovid Met. 14, 696 ff. Daß auch in
den Strafen der Seelenwanderungsiehre dasselbe Prinzip waltet, und
nur in einem concreten Bilde, wie z. B. bei der Verwandlung von Ty-
rannen in Wölfe und Raubvögel, anschaulich werden soll was die
eigentliche Natur des Sünders uud die Quelle seiner Handlungen war,
hat bereits J. Grimm RA Vorr. S. XIV Anm, angedeutet. Ein besonders
deutliches Beispiel gibt Platon Gess. IX 872E alter Priesterlehre (ἐκ
παλαιῶν ἱερέων) entnommen: danach soll wer seine Mutter getötet, als
Weib wiedergeboren und dann in einem anderen Leben ebenfalls von
seinen Kindern getötet werden (χἂν μητέρα [sc. ἀποχτείνῃ), γενέσθαι τε
αὐτὸν θηλείας μετασχόντα φύσεως ἀναγκαῖον, nr τε ὑπὸ τῶν γενηϑέν-
τῶν λιπεῖν τὸν βίον ἐν χρόνοις ὑστέροις).
114) Als römischen Brauch berichtet Socrates h. 600]. 5, 18: Ei ἥλω
ἐπὶ μοιχείᾳ γυνή, οὐ διορϑώσει, ἀλλὰ προσϑήχῃ τῆς ἁμαρτίας ἐτιμωροῦντο
τὴν πταίσασαν. Ἔν γὰρ πορνείῳ στενῷ χατάκχλειστον ποιήσαντες, ἀναιδῶς
ἐποίουν πορνεύεσθϑαι. Κώδωνάς τε σείεσϑαι κατὰ τὸν καιρὸν τῆς ἀχκαϑάρτου
πράξεως ἐποίουν, ὅπως ἂν μὴ. λανϑιάνῃ τοὺς παρόντας τὸ γινόμενον " ἄλλ᾽
Ex τοῦ ἤχου τῶν σειομένων χκωδώνων ἣ ἐφύβριστος τιμωρία τοῖς πᾶσιν Eyvw-
ρίζετο. Theodosius soll diesen Brauch aufgehoben haben. Bedenken
gegen die Wahrheit der ganzen Nachricht “findet man in Migne’s An-
480 R. Hirzel,
die Angleichung und die ihr anhaftende Beschimpfung zugleich
der Zweck der Abschreckung erreicht 1). Um Dionysos die
Strafe anzupassen, bedroht ihn nach später Dichtung Pentheus
mit Feuertod oder Durchbohrung der Hüfte und erinnert da-
mit an sein Hauptvergehen, daß er sich die Göttlichkeit und
eine wunderbare Geburt angemaßt hat 17. Wie hier bei
der Strafbestimmung auf das Subjekt des Verbrechens und
dessen eigentümliche Natur, so wird anderwärts auch auf das
Objekt Rücksicht genommen, und demnach Kadmos in eine
Schlange verwandelt, weil er eine Schlange getötet hat 177).
merkung. Doch bleibt auch der Gedanke als solcher, ganz abgesehen
davon ob er einmal realisiert war, beachtenswert. Vgl. noch Pufendorf
De iure nat. VIII 3, 27 S. 1202.
175) Daß die von Charondas verordnete Strafe der Feigheit eine
abschreckende Wirkung hatte, rühmt ihr u. a. nach Diodor. Sic. XII
16, 2: ὃ δὲ νόμος οὗτος --- — — λεληϑότως τῷ μεγέϑει τῆς ἀτιμίας ἄπο-
τρέπει τοὺς ὁμοίους τούτοις τῆς ἀνανδρίας χρεῖττον γάρ ἐστιν ἀποθανεῖν ἣ
τοιαύτης ὕβρεως ἐν τῇ πατρίδι πειραθῆναι.
116) Pentheus bei Nonnus Dion. 44, 148 f.:
ἄξατε πῦρ ϑεράποντες, ἐπεὶ ποινήτορι ϑεσμῷ,
ἐκ πυρὸς εἰ πέλε Βάχχος, ἐγὼ πυρὶ Βάκχον ὁπάσσω.
156 ff.: καὶ μιν ὀλέσσω,
οὐ ποδός, οὐ λαγόνων, οὐ στήϑεος, οὐ χενεώνων
ὠτειλὴν μεϑέποντα᾽ --- --- -- -- --
οὐδὲ διατμήξω μέσον αὐχένος - ἄλλά E τύψω
ἔγχεϊ χαλκείῳ τετορημένον eig πτύχα μηροῦ,
ὅττι Διὸς μεγάλοιο γονὴν ἐψεύσατο μηροῦ
nal πόλον ὡς ξὸν οἶχον.
177) Dieser Zusammenhang tritt am deutlichsten beim spätesten
Dichter, bei Nonnus Dion. 4, 416 ff. hervor:
al δαπέδῳ τετάνυστο δράκων νέχυς ἀμφὶ δὲ νεκρῷ
ϑοῦρος "Apns βαρύμηνις ἀνέκραγε" χωομένου δέ
Κάδμος ἀμειβομένων μελέων ἑλικώδεϊ μορφῇ
ἀλλοφυὴς ἤμελλε παρ᾽ Ἰλλυρίδος σφυρὰ γαίης
ξεῖνον ἔχειν ἴνδαλμα δρακοντείοιο προσώπου.
Bei Ovid Met. 4, 569 ff. erfolgt die Verwandlung auf Kadmos’ eigenen
Wunsch und erscheint auch sonst nicht als Strafe (vgl. 602 f. schol.
Pind. Pyth. 3, 153). Nur 3,97f. scheinen die Worte des Mars dar-
auf zu deuten, daß die Verwandlung eine Talion für die Tötung der
Schlange sein sollte: „quid, Agenore nate, peremptum serpentem spec-
tas? et tu spectabere serpens“. Einen Wilderer, der einen Hirsch ge-
tötet, ließ der Bischof von Salzburg in eine Hirschhaut stecken und
dann von seinen Hunden zerreißen: aus dem Jahr 1557 berichtet von
Günther Wiedervergeltung II 54, 179, vgl. I 251. Wickeln in eine
Tierhaut zur Strafe auch im Altertum: Sintenis zu Plutarch Kleome-
nes 38,2. Vergleichbar dieser Art der Talion, bei der der Gegenstand
des Verbrechens in der Strafe durchscheint, sind die mythischen Strafen
durch Seelenwanderung, wie sie indischer Rechtsglaube namentlich für
Diebstahl kannte; „der Täter wurde in ein gewisses Tier verwandelt,
dessen Namen, Gestalt oder Stimme meistenteils auf dem gestolnen
Gegenstand anspielt“ (J. Grimm RA Vorr. 5. XIV Anm.). Noch
Die Talion. 437
Mutet uns schon dies letztere wie Spielerei an 175), so ist
dasselbe vollends der Fall, wenn der äußere Zusammenhang
zwischen Verbrechen und Strafe nur durch den gleichen Klang
der Worte oder eine gewisse Aehnlichkeit des sprachlichen
Ausdrucks hergestellt wird. Weil die Bewohner Sodoms ent-
zündet waren in frevelhafter Begierde zu einander, deshalb
wurde entzündet auch ihr Land durch vom Himmel herab-
fallendes Feuer. So verkündet uns Johannes Chrysostomus!”?)
und betont ausdrücklich, daß in der Art der Strafe sich die
Art der Sünde spiegele 159), Nicht minder scharfsinnig zeigt
sich der Byzantiner Cedrenus, der in der Verdrehung des
Schamgliedes, an der der Kaiser Herakleios in seinen letzten
Tagen litt, eine Hindeutung auf die Umkehr der Gesetze findet,
die des Kaisers Ehe mit seiner Cousine Martina bedeutete 151).
Aehnlich ist, wenn es auch entfernt nicht an die Abge-
schmacktheit dieser Christen reicht, was wir jetzt im Monolog
des sterbenden Aias lesen: „Möge es meinen Feinden einst
ebenso ergehen, wie jetzt mir, mögen sie ebenso, wie ich jetzt,
αὐτοσφαγεῖς ihren Untergang finden* betet der Held 153) und
mehr trifft mit der Kadmos-Fabel zusammen der indische Mythus
(Schopenhauer Werke 2, 420), daß „wer nur ein Tier tötet, einst in
der unendlichen Zeit auch als eben ein solches Tier geboren werden
und denselben Tod erleiden wird“. Vgl. hiermit was aus Platons Gess.
o. S. 435, 173 angeführt wurde.
178) Infolge eines ähnlichen Spiels mit der Strafe und dem Objekt
des Verbrechens sah dichterischer Witz in der Weinspende, die beim
Bocksopfer dargebracht wurde, eine Mahnung an den Frevel, den der
Bock durch Verletzung des Weinstocks begangen und für den er ge-
opfert wurde: AP IX 75 u. 99 Ovid Fasti 1, 353 ff.
179) Joh. Chrys. Ad pop. Ant. ἢ. 19, 2 Sp. 191 Migne: Τοῦτο χαὶ
ἐπὶ Σοδόμων ἐγένετο ἐπειδὴ γὰρ ἐξεχαύϑ'ησαν ἐν τῇ ὀρέξει αὐτῶν εἰς
ἀλλήλους, ἐξεκχαύ 9. καὶ τῆς γῆς ἢ φύσις ὑπὸ τοῦ χατενεχϑέντος ἄνωϑεν
πυρός.
180) ἃ, ἃ. Ο.: Καὶ γὰρ αὐτὸς ὃ τῆς χολάσεως τρόπος τῆς ἁμαρτίας τὸν
τρόπον μεμίμηται. Καϑάπερ γὰρ Exeivor μίξιν ἐπεισήγαγον ἄγονον, obx εἰς
παιδοποιΐαν τελευτῶσαν, οὕτω δὴ καὶ ὃ Θεὸς τιμωρίαν ἐπήγαγεν, ἣ τὴν γα-
στέρα τῆς γῆς ἐποίησεν ἄγονον χαϑάπαξ χαὶ καρπῶν ἔρημον ἁπάντων.
181) Cedrenus hist. comp. I Sp. 824 A Migne: χαὶ δὴ μετὰ ταῦτά
νόσῳ περιπεσὼν ὑδεριχῇ, δι᾿ ἧς καὶ τέϑνηχε, δεινῶς ἐτιμωρεῖτο " ἐπὶ τοσοῦτον
γὰρ τὸ πάϑος ἐπεχτάϑη, ὡς ἡνίκα ἃπουρεῖν ἔμελλε, σανίδα τίϑεσθϑαι κατὰ
τοῦ ἤτρου διὰ τὸ στρέφεσϑαι τὸ αἰδοῖον αὐτοῦ καὶ χατὰ τοῦ προσώπου τὸ
οὖρον ἀναπέμπειν. ἜἜλεγχος δὲ ἦν τοῦτο τῆς ξαυτοῦ παρανομίας ἕνεχεν τοῦ
εἰς τὴν ἰδίαν ἀνεψιὰν Μαρτῖναν παρανομωτάτου γάμου.
182) Soph. Ai. 839 ff.:
χαί σφας χαχοὺς χάχιστα χαὶ πανωλέϑρους
ξυναρπάσειαν (sc. αἵ ’Epıvbsg), ὥσπερ εἰσορῶσ᾽ ἐμέ
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 29
438 R. Hirzel,
spielt dabei, in einer für uns nicht übersetzbaren Weise, mit
dem Worte αὐτοσφαγής, das ebenso den bedeuten kann, der
durch sich selbst, wie den, der durch seine Nächsten fällt 1#°).
Dafß aber diese nur im sprachlichen Ausdruck begründete Ta-
lion nicht schon Sophokles hergestellt hat, sondern erst sein
Iuterpolator, haben bereits antike Erklärer eingesehen 152).
Mit einem an sich verständigen Grundsatz, die Strafe dem
Verbrechen anzupassen oder anzugleichen 185), wird ein phan-
tastisches und müßiges Spiel getrieben, das den Schein der
Gerechtigkeit, nicht diese selbst erzeugt. Als Auswüchse einer
richtigen Grundvorstellung weist dergleichen auf spätere Zeiten.
Das gilt sogar von solchen Fällen, in denen die Strafe durch
gewisse Zahlen den exaktesten Ausdruck zu finden scheint.
Wo diese quantitative Angleichung zugleich eine qualitative
ist, haben wir noch die alte Talion und ist das Leiden
das der verbrecherischen Tat entsprechende. Ein Bei-
spiel gibt Platon in seinen Gesetzen, indem er verordnet, daß
der Fremde, der einen Einheimischen geschlagen, genau so
viel Schläge wieder empfangen soll 155). Unter derselben Vor-
aussetzung sagt ein Rhetor: „Du hast nicht so viel Glieder
αὐτοσφαγῆῇ πίπτοντα, τὼς αὐτορφαγεῖς
πρὸς τῶν φιλίστων ἐχγόνων ὀλοίατο.
183) Lobeck zu 842.
184) Schol. Soph. Ai. 841 τὼς αὐτοσφαγεῖς: ταῦτα νοϑεύεσθαί φασιν
ὑποβληϑέντα πρὸς σαφήνειαν τῶν λεγομένων. Gutillustrirt wird diese na-
mentlich später grassirende Sucht einer spielerischen Angleichung der
Strafe durch Saxo Gramm. Hist. Dan II S. 79 Müll.: ponderosum
animi erimen annexa corporibus m ole mulctando. 8.86: transver-
sum hominis animum vultus obliquitate mulctando.
185) Das „accommodare“ billigt auch Pufendorf De iure nat. VIII
3,27 S. 1202. Die ἐπανόρϑωσις soll σύμμετρος τῆς δίκης sein, fordert
Sopater bei Stob. fl. 46, 58. Auf Gleichgewicht zwischen Strafe und
Verbrechen dringt Feuerbach Revision 1, 215 (aequilibrium bei Pufen-
dorf De iure nat. VIII 3,27 5. 1202) und des gleichen Ausdrucks (τὰς
τιμωρίας ἰσορρόπους τοῖς πλημμελήμασι) bedient sich Kaiser Justin II (Me-
nander bei L. Dindorf Histor. Gr. min. Il S. 64). Dasselbe meint Ci-
ceros (de legg. 3,11 u. 46 s. o. S. 426, 119) „noxiae poena par esto*.
186) Platon Gess. IX 879 E: Ἐὰν ἄρα ἀδίκως δοκῇ ὃ ξένος τὸν ἐπιχώ-
ριον τύπτειν τῇ μάστιγι, τὸν ξένον, ὅσας ἂν πατάξῃ, τοσαύτας δόντες τῆς
ϑρασυξενίας παυόντων. Platon war also doch nicht so schlechthin Geg-
ner der Talion, wie Liszt Lehrb. des deutsch. Strafrechts® S. 16 an-
nimmt und wie es nach anderen Aeußerungen (0. S. 429, 136) scheinen
könnte. Mochte immer ein Verfahren, wie das in den Gesetzen ver-
ordnete, auch abschreckend wirken, so war dies doch nur eine Neben-
wirkung, und läßt sich die Eigentümlichkeit der Verordnung nicht aus
solchem Zwecke erklären.
Die Talion. 439
als du zu verlieren verdienst, deshalb kann die Talion nicht
an dir vollzogen werden“ 15). Auch eine Konstitution Justi-
nians erkennt diesen Grundsatz an und bestimmt, daß wer
widerrechtlich einen anderen in privatem Gefängnis gehalten
habe, selber ebensoviel Tage eingekerkert werden solle 158) ;
und noch in neueren Zeiten haben Vergeltungsfanatiker z. B.
für acht Tage Freiheitsentziehung in acht Tagen Gefängnis-
haft das durch die Sache vorgeschriebene Strafmaß erblickt 155),
Während hier die Strafe in Art und Zahl zum Verbrechen
stimmte, deckt sich in anderen Fällen nur die Zahl der Straf-
handlungen mit der der Verbrechen, ohne daß jedoch die
Strafe dem Verbrechen gleichartig wäre. So ist es poetischem
und zugleich volkstümlichem Empfinden durchaus gerecht, die
Küsse des ungetreuen Geliebten mit der gleichen Anzahl Dolch-
stöße zu vergelten 139) oder umgekehrt für die Wunden der Tür-
kenkugeln und -Säbel den Tapfern als Lohn in einem seligen
Jenseits die gleiche Menge Umarmungen, Lorbeern und Küsse
zu verheißen 15). In die Erklärung der Bücher Mosis aber
hat diese Empfindung erst hineingetragen Cedrenus, wenn er
in den zehn Monate währenden Plagen der Aegypter die ge-
rechte Strafe sieht für das zehn Monate hindurch fortgesetzte
Ertränken der Israelitischen Kinder 155), und gar in die wirk-
157) Seneca Contr. X 33, 9 (8. 319 Bu): Exigi a te talio non potest:
non habes totidem membra quot debes,
188) Cod. IX 5, 2: Ἢ διάταξις κελεύει μὴ γίνεσθαι ἰδιωτικὰς φυλακάς "
τοὺς δὲ τοῦτο πράττοντας ὑποχεῖσθαι nal ἐπιτιμίῳ nal διάγειν ἐν τῇ δημοσίᾳ
φρουρᾷ τοσαύτας ἡμέρας, ὅσας δήποτ᾽ ἂν γέγονεν ὁ ἐγχλεισϑεὶς ἐν τῇ γενο-
μένῃ παρ᾽ αὐτῶν φυλαχῇ χτλ. In einer anderen Verordnung dagegen
desselben Kaisers, Nov. 123 ο. 11, werden Bischöfe und Presbyter, die
einen Christen aus der Gemeinde ausgeschlossen haben, zwar mit der
gleichen Strafe der Ausschließung bedroht, die Gleichheit aber nicht
bis auf das Zeitmaß ausgedehnt.
189) Zachariae bei Liszt Lehrb. des deutsch. Strafr.? S. 15.
190) Jeannaraki Kretas Volkslieder 236:
Μ᾽ ὅσαις φοραίς μ᾽ ἐφίλησες x’ ἔπιασες τὰ βυζιά μου
Τόσα μαχαίρια δίστομα νὰ κόψουν τὴ καρδιά σου.
191) Salomos Τὰ Höpoxöpeva Corfu 1859 S. 54 Strophe 55:
Kai ἀγχκαλιάσματα ἐχεῖ πλήϑια
Δάφναις ἔλαβαν, φιλιά,
Ὅσα ἐλάβανε εἰς τὰ στήϑια
Βόλια τούρκικα, σπαϑιά.
192) Cedrenus Hist. Comp. I Sp. 116 A Migne: Ὅτι ἐν τῇ Λεπτῇ
Γενέσει χεῖται μόνους δέκα μῆνας ῥιφῆναι τὰ βρέφη τῶν Ἰσραηλιτῶν ἐν τῷ
ποταμῷ — — — ' διὰ τοῦτο δέχα πληγαὶ ἐδόϑησαν ἐν δέκα μησὶ τοῖς
Αἰγυπτίοις χτλ. ο. 5. 480, 148.
29*
440 Ἐπ. ἩΓΕ ΖΘ],
liche Geschichte Marwitz, nach dessen Urteil durch die sieben
Jahre der Knechtschaft Preußens (1806—1813) siebenjährige
Sünden (1799—1806) gebüßt wurden 158). Auch in die Praxis
des deutschen Rechtslebens fand sie Eingang, da Glockenläuten
und Lampenanzünden einmal auf kaiserlichen Befehl durch
Viehbuße in der Weise bestraft wurde, daß die Menge der
Pferde der Zahl der Glocken und Lampen gleichkommen
sollte 1%). Was dagegen das griechische Recht betrifft, so hat
meines Wissens nur Platon versucht 1%), zwei Bestimmungen
seiner Gesetze diesem BRechtsgefühl anzupassen. Soviel Wein-
beeren und Feigen ein Sklave gestohlen hat, soviel Schläge
soll er bekommen, nach der einen dieser Bestimmungen, deren
von modernen Erklärern gerügte Strenge in dem Bedürfnis,
Strafe und Vergehen möglichst mit einander auszugleichen,
eine gewisse Bechtfertigung findet 155) ; nach der anderen wird
dem, der gefälschte Waren feil hat, mit einem Geißelschlag
für jede Drachme des Preises gedroht !?”)." Dem Wachsen der
Missetat entspricht hier doch noch eine Erhöhung der Strafe,
wie es die heilige Vehme wollte, daß doppelt gebüfßt werde
doppelte Missetat 158). — Nicht immer aber kommt in der
a or Fr. A.L. v. d. Marwitz Lebensbeschreibung herausg. von Meusel
. 500.
194) Grimm RA 667.
15) Bloß ähnlich ist was o. ὃ. 408,9 aus Isaios angeführt wurde.
Mehr läßt sich vergleichen das Gelübde, das Kallimachos und die
Athener vor der Marathonschlacht der Artemis ablegten, soviel Rinder
oder Ziegen ihr zu opfern als sie im Kampfe würden Perser getötet
haben: Xenoph. Anab. III 2, 12 schol. Arist. Ritt. 660, Mommsen Feste
d. Stadt Athen 175.
196) Platon Gess. VIII 845 A: ἐὰν δὲ δὴ δοῦλος μὴ πείσας τὸν δεσπό-
τὴν τῶν χωρίων ἅπτηταί του τῶν τοιούτων, κατὰ ῥᾶγα βοτρύων καὶ σῦχον
συκῆς ἱραρίϑμους πληγὰς τούτοις μαστιγούσθω. „En severitatem plus quam
Atticam“ ruft hierzu Stallbaum aus.
197) Platon Gess. XI 917 D: ὁὃ δὲ φανερὸς γενόμενός τι πωλῶν τοιοῦ-
τον πρὸς τῷ στερηϑῆναι τοῦ χιβδηλευϑέντος, ὁπόσης ἂν τιμῆς ἀξιώσῃ τὸ
πωλούμενον, κατὰ δραχινὴν ἑκάστην τῇ μάστιγι τυπτέσϑω πληγὰς ὑπὸ κύήρυ-
χος ἐν τῇ ἀγορᾷ γχηρύξαντος, ὧν ἕνεχα μέλλει τύπτεσϑαι. Aus der Art
übrigens, wie hiernach die Strafe vor der Oeffentlichkeit vollzogen
werden sollte, ergibt sich, daß Platons Absicht dabei neben der aus-
gleichenden Gerechtigkeit auch auf Abschreckung ging (0. ὃ. 438, 186).
198) Goethe Götz v. Berlich. 5, Szene des heiml. Gerichts. Bisweilen
freilich binden sich Rache und Strafe nicht an dieses Maß, sondern
zahlen Einfaches mit Doppeltem, worüber s. meine T’hemis 190, 4.
Diodor. Sie. XX 70, 4 lobt sogar ein solches Verfahren als das eines
ἀγαθὸς νομοϑέτης.
Die Talion. 441
Zahl ein so enger Zusammenhang zwischen Strafe und Ver-
brechen zum Ausdruck, dafß die Zahl der Gradmesser für beide
ist; zuweilen ist die Gleichheit der Zahl eine der Sache zu-
fällige und scheint nur willkürlich hergestellt, um dadurch bei
der Strafe an das Verbrechen zu erinnern. In einem Militär-
aufstand der Kaiserzeit, von dem uns Tacitus berichtet, schlugen
immer je sechzig Soldaten auf einen Centurio los. Daraus folgt
nicht, daß nun etwa auch vorher immer je sechzig Centurio-
nen einen Soldaten geschlagen hätten 155); vielmehr sollte diese
Zahl nur eine mahnende Erinnerung sein an die Gesamtzahl
der mißliebigen sechzig Centurionen, an denen man sich rächen
wollte. Der Zusammenhang zwischen Zahl und Zahl ist hier
ebenso locker wie in dem Fragment eines kretischen Volks-
liedes zwischen den neun Krügen Weins, die Jemand heraus-
gibt, und den neun Seilen, mit denen er dafür gebunden
wird 500),
Je mehr in solchen Fällen die Zahl selbständigen Wert
erlangt, desto leichter konnte ihr namentlich in späterer Zeit
eine mystische Bedeutung beigelegt werden, die das Ahnungs-
vermögen des Menschen aufregt und dadurch auch poetisch
werden kann. Dem Verstande, insbesondere dem juristischen,
sind solche Zahlengleichungen öfter dunkel; desto mehr hat
hier freies Feld der Witz, ein bisweilen grausamer Volkswitz,
der aber bei Sophokles einmal sich bis zu tragischer Wirkung
erhebt. Nach zwei Beilhieben der Klytaimnestra 591) und mit
190%) Tacitus ann. 1, 32 und Nipperdey zu sexageni singulos.
200) Jeannaraki Kretas Volkslieder 79, 11f.:
᾿Εννιὰ χανάταις ἔβγαλε ὀγιὰ νὰ τσὴ χεράσῃ,
᾿ῬἜννιὰ σιτζίμια βγάλανε χ᾽ ἐδέσαν τὸ Βασίλη.
Die eine Neun zieht die andere nach sich: gewiß nicht zufällig waren
vorher schon ἐννιὰ νομάτοι erwähnt. Der Zauberritus der Göttin Tacita
erforderte, daß man drei Weihrauchkörner mit drei Fingern faßte („et
digitis tria tura tribus sub limine ponit“ Ovid Fasti 2, 573. Vgl. 4, 315
„ter caput inrorat, ter tollit in aethera palmas“, 551 „terque manu
permulsit eum, tria carmina dixit“. 6, 753 „peetora ter tetigit, ter
verba salubria dixit“).
20) Aesch. Ag. 1297 ruft Agamemnon ὥμοι, πέπληγμαι καιρίαν πλη-
γὴν ἔσω und 1300 ὥμοι μάλ᾽ αὖϑις, δευτέραν πεπληγμένος. Klytaimnestra
selber bestätigt dies 1338 παίω δέ νιν dig" navy δυοῖν οἰμλώγμασι μεϑῆκεν
αὑτοῦ χῶλα. Freilich spricht sie dann auch von einem dritten Schlag
1359 f. καὶ πεπτωχότι τρίτην ἐπενδίδωμι, τοῦ χατὰ χϑονὸς “Αἰιδου νεχρῶν
σωτῆρος οὐχταίαν χάριν. Aber diesen dritten Schlag bezeichnet sie selbst
als überflüssige Zugabe (ἐπενδίδωμι), insofern er nicht eigentlich dem
442 R. Hirzel,
doppeltem Weheruf 505) stürzt Agamemnon in Aeschylus’ Tra-
gödie und ist tot ?®); und nun überlege man noch einmal
die angeführten Fälle, in denen die Rache gerade vermittelst
der Zahl dem Verbrechen angeglichen wird, überlege ferner,
wie gerade Sophokles sogar uns unbedeutend scheinende Mo-
dalitäten des Verbrechens in der Strafe wieder hervortreten
ließ ?°%), und wie er dies tat gerade in der Darstellung von
Örestes’ Rachetat 395), und man wird etwas mehr als bloß eine
„konventionelle Formel“ ?°), mehr auch als nur eine Nach-
ahmung des Aeschylus durch den jüngeren Dichter 307) darin
erkennen, daß auch die hache an Klytaimnestra, entsprechend
dem gegen Agamemnon geführten Doppelschlag und dem von
ihm ausgestoßenen Doppelschrei, durch zweimaliges Zustoßen
und abermals unter doppeltem Weheruf des Opfers erfolgt 398),
Was der Dichter hierbei empfand, werden athenische Zuschauer,
denen Agamemnons Ermordung mit allen Zügen, die ihr
Aeschylus geliehen, vor der Seele stand, ihm nachempfunden
haben, die furchtbare Gerechtigkeit einer nicht bloß obenhin
geübten, sondern bis ins einzelne unnachsichtigen Talion. Als
Freund einer solchen zeigt sich uns Sophokles außer in den
angeführten Zügen 3988) noch in einem anderen, der ebenfalls sei-
ner Schilderung von Orestes’ Rachewerk eigen ist oder doch in
ihr besonders stark, stärker als bei andern Dichtern hervortritt.
Einem verbreiteten Empfinden unserer Tage entspricht es,
Agamemnon gilt, sondern dem unterirdischen Zeus Retter zu Ehren
geführt wird.
2022) Aesch. Ag. 1298 und 1300. 1338.
203) 1339 μεϑῆχεν αὑτοῦ χῶλα.
204) 0. 8. 433 fl.
205) Vgl. auch o. S. 409, 20.
306) Kaibel zu Soph. El. 1415.
207) z. B. Schneidew. zu Soph. El. 1415.
208) Soph. El. 1415 £.:
Κλ. ὥμοι πέπληγμαι. Ἢλ. παῖσον, εἰ σϑένεις, διπλῆν.
Κλ. ὥμοι μάλ᾽ αὖϑις.
Wenn Elektra den Bruder zum zweiten Stoße antreibt, so verrät sich
darin nicht sowohl eine gewisse Härte des Charakters, wie Wolff.-Bel-
lermann anzunehmen scheinen, als der leidenschaftliche Drang die
Talion aufs Strengste durchzuführen. In Aesch. Choeph. 901 ff. fand
Sophokles dies noch nicht vorgebildet. Nur um so bezeichnender ist
es für seine Auffassung der Talıon.
2082) Auch Soph. fr. 770 Nauck? πικρὰν πικρῷ κχλύζουσι φαρμάκῳ
χολὴν deutet auf eine Art Talion in dem Zusammenhang, in dem Plu-
tarch den Vers braucht.
Die Talion. 443
daß Verbrecher auf dem Tatort hingerichtet werden. Die
Sühne scheint dadurch vollkommener zu werden. Die Dichter
reden auch hier im Namen ihres Volkes 595. Hebbel fordert
dies: auf der Stelle, wo der „freche Raub begangen ward“,
soll auch die Strafe vollzogen werden *!°), wo Einer „sündigte,
da soll er büßen* 5). Und Schillers edler Räuber will das
But seines Bruders an der Stelle verspritzen, wo der Vater ge-
litten hat 315. Was so Poetenmund laut als gerecht verkün-
det 315), hinter dem bleibt auch die ganz prosaische Praxis
unseres Jahrhunderts nicht zurück. Die Volksjustiz verfährt
so, die einen Neger auf derselben Stelle Iyncht, wo er sein
Verbrechen begangen 315); aber zu demselben Schluß kam auch
das geordnete Rechtsverfahren, nach welchem der Mörder des
deutschen Gesandten in China, Kettelers, am 31. Dezember 1900
auf der Mordstätte hingerichtet wurde 515). Auch für die gött-
liche in der Geschichte sich offenbarende Gerechtigkeit sollen
dieselben Normen gelten: ein neuerer Historiker findet es des-
halb bemerkenswert, daß der türkische Admiral seinen Geist
an derselben Stelle aushauchte, wo er die chiischen Geißeln
hatte ermorden lassen 31. Wird die Strafe auch nicht
am Tatorte in der engsten Beschränkung dieses Wortes voll-
zogen, so soll doch wenigstens der Blick des Verbrechers im
Augenblick der Hinrichtung auf ihn gerichtet sein: so wurde
299). Als dichterisch begegnet auch bei den Griechen schon die Vor-
stellung, daß überhaupt der Ort des Todes dem Menschen durch frü-
here Schicksale vorherbestimmt ist: Aristot. Poet. 16 p. 1455 10 {ἢ
= Nauck trag. fr. S. 841. Vgl. Plutarch Lysand. 29.
210) Hebbel Rubin I 10 S. 160.
211) Hebbel Rubin II 4 S. 194.
212) Schiller Räuber 4, 5. Ohne daß es nötig wäre die Beispiele
zu häufen vgl. doch noch Ariosto Orl. fur. 23,51. Klinger Fausts Leben,
Thaten und Höllenfahrt S. 272 f. (2. Ausg. Petersburg 1794), wo ein
Mörder auf der Landstraße gerädert wird d.i. an der Stelle, an der er
das Verbrechen begangen.
518) Auch Lessing in einem Briefe an seine Frau vom 6. Februar
1772 setzt es scherzend voraus: Einen ganz außerordentlichen Anstoß
mit meinen Augen hatte ich vor einigen Tagen in der Komödie. Ich
sahe auf dem Theater anstatt Eines Lichts zwölfe, aber keine Personen.
Sie werden denken, daß ich mich auch wohl mit meinen
Augen da könnte versündiget haben, wo ich daran
gestraft ward.
214) Magdeburg. Zeitg. 1900 No. 605.
215) Magdeburg. Zeitg. 1901 No. 2.
216) Gervinus Gesch. des 19, Jhdts. 5, 316.
444 R. Hirzel,
Winckelmanns Mörder hingerichtet angesichts der Locanda
Grande „auf dem Platz vor dem Fenster, wo er den Mord be-
gangen“ ?1”), und so mochten Juden oder Christen es erbaulich
finden und den Finger Gottes darin erkennen, daf® Pompejus,
der Frevler am salomonischen Tempel, da endete, wo Judäa,
die Stätte seines Frevels, vor Augen zu liegen schien 518).
Diese Vorstellung, die jetzt noch so kräftig wirkt, hat
aber tiefere Wurzeln und reicht bis in frühere Zeiten zurück.
In das Mittelalter führt uns eine Nachricht aus den Albi-
genserkriegen, daß 1209 in der Magdalenenkirche zu Beziers
7000 Menschen verbrannten und daß man dies für eine Fügung
des Himmels hielt, weil vor Jahren an derselben Stelle die
Einwohner der Stadt ihren Grafen und Herrn verräterisch
umgebracht hatten 31). Der Byzantiner Cedrenus, der sich
darin gefällt auf hervorstechende Beispiele der Talion hinzu-
weisen, läßt uns auch hier nicht im Stiche und modifiziert
entsprechend dem Interesse, das er und seine Zeit an einer
möglichst weitgehenden Durchführung der Talion nehmen,
ältere Berichte. So erzählt er nach den Büchern der Könige,
daß die Hunde das Blut Ahabs an derselben Stelle leckten,
wo sie das Blut Naboths geleckt hatten 59), und fügt nur,
weiter ausmalend und hierdurch sein Behagen an der Sache
dokumentierend, zu den Hunden noch die Schweine””!). Daß
Nachkommen Sauls zur Sühne seines Frevels gekreuzigt wur-
den, berichten Josephus???) und Cedrenus; aber nur der spä-
tere Historiker bemerkt, daß es an der Stätte des Frevels
selber geschah ???). Die Gleichheit des Orts, an dem beides
geschieht, ist namentlich für christliche Schriftsteller das Zei-
27) Justi Winckelmann 2,438. Vgl. Ranke Engl. Gesch. 1 (= Werke
14) S. 201: „Ueberall da, wo sie gelehrt hatten, sollte ihre Bestra-
fung“ u. s. w.
218) Grotius De iure belli ac pac. III 5, 2,5: quam ob causam qui-
dam factum arbitrantur singulari Dei providentia, ut is quem dixi
Pompeius quasi in conspectu Judaeae trucidaretur ad Casium Aegypti
promontorium.
219) Raumer Hohenstaufen? 3, 147. 220) 1. Kön. 21, 19. 22, 38.
221) Gedrenus Hist. Comp. I Sp. 212 C Migne: διὰ τοῦτο ἐν τῷ τόπῳ
ᾧ ἔλειξαν ol ὕες καὶ ol κύνες τὸ αἷμα Ναβουϑαί, ἐκεῖ λείξουσιν ol κύνες τὸ
αἷμά σου... καὶ ἐξέλειξαν οἵ ὕες χαὶ οἱ κύνες τὸ αἷμα αὐτοῦ.
222) Arch. VII 12, 1 S. 135 Bekk.
223) Gedrenus Hist. Comp, I 81 Sp. 188 D Migne: Ἂν ἐχείνῳ τοίνυν
τῷ χωρίῳ ἀνεσχολόπισαν τοὺς ἄνδρας ἐν ᾧ τὰς παρανόμους ἐτόλμησεν Exel-
νος μιαιφονίας.
Die Talion. 445
chen, an dem sie erkennen, daß das Ende eines Frevlers die
von Gott verordnete Strafe seiner Missetat sein soll: Uliphos,
so berichtet Prokop 55), kommt, durch göttliche Fügung, an
eben dem Orte um, wo er selbst den Kyprianos getötet hatte,
und auch an der Kaiserin Valeria offenbart sich für Lactanz
die Gerechtigkeit Gottes darin, daß die Kaiserin in denselben
Fluß Orontes gestürzt wird, in dem auf ihren Befehl so oft
christliche Jungfrauen waren ertränkt worden 555).
Bei den Römern ist diese Anschauungsweise sogar in die
menschlichen Gesetze eingedrungen, freilich erst in späterer
Zeit 555), aber doch nicht erst durch die christlichen Kaiser 55).
Und abgesehen von der gesetzlichen Regelung finden wir sie
sogar weit früher schon. Bei den Juden trat sie uns bereits
>24) Beil. goth. IV 33 S. 663 f. ed. Haury: τῷ μέντοι Οὐλίφῳ ξυνέβη
τίσις ἔχ τοῦ ϑεοῦ δηλονότι ἐπιπεσοῦσα, Ev αὐτῷ μάλιστα διεφϑάρϑαι τῷ χώρῳ,
ἵνα δὴ αὐτὸς τὸν Κυπριανὸν διεχρήσατο.
355) Lactant. De mort. persec. 50: sed prius mater eorum in Oron-
tem praecipitata est: ibi saepe illa castas feminas mergi iusserat. sic
omnes impii vero et iusto iudicio dei eadem, quae fecerant, receperunt.
226) (Gothofred. ad Cod. Theod. IX 32 S. 258 Ὁ Ritt. Mommsen Straf-
recht 914.
351) Dig. 48, 19, 28, 15: Famosos latrones in his locis, ubi grassati
sunt, furca figendos compluribus placuit, ut et conspectu deterreantur
alii ab isdem facinoribus et solacio sit cognatis et adfinibus interemp-
torum eodem loco poena reddita, in quo latrones homicidia fecissent.
48, 2, 7, 4: Idem imperator (divus Pius) rescripsit servos ibi puniendos,
ubi deliquisse arguantur. Cod. 9, 33: flammis eo loco consumatur, in
quo vetustatis reverentiam et propemodum ipsius imperii appetierit
securitatem. Vgl. Vulc. Gall. in Avid. Cass, 4, 2: milites in illis ipsis
locis, in quibus peccaverant, in crucem sustulit ο. S. 423,98. Günther
Wiedervergeltung I 138, 23. Von derselben Anschauungsweise wenig-
stens beeinflußt scheinen Dig. 49, 16, 3 pr.: ibi eum (sc. desertorem)
plecti poena debere, ubi facinus admissum est, divi Severus et An-
toninus rescripserunt. Cod. Theod. IX 1, 10: oportet illie eriminum iu-
dicia agitari, ubi facinus dicatur admissum. 16. Daß diese Verfügungen
nicht bloß praktische Gründe hatten, den Gang des Rechts zu erleich-
tern und zu sichern, deutet an Symmachus Epist. IX 148: cum facinus,
ubi admissum sit, debeat expiari. Dagegen ist zweifelhaft, ob auch
hierher gehört, was Mommsen Strafrecht 914, 5 hierher zieht, Galenus
π. ἄνατομ. ἐγχειρίας 1. ὃ vol. 2 p. 385 Kühn: ἐπί τε λῃστῶν ἐν ὄρει χει-
μένων ἀτάφων. Schon ἀτάφων erregt Bedenken, ob es sich hier um den
Ort der Hinrichtung handelt. Aber dies zugegeben, daß man die
Räuber auf Bergen hinrichtete, so folgt daraus noch nicht, daß diese der
Tatort waren: denn Berge wählte man zu Richtstätten auch um die
Execution weithin sichtbar zu machen, vgl. J. Grimm RA 886 „eine
offene Anhöhe“ „sur un haut mont“ 683 „füret man in aus zu dem ge-
richt auf den Berg“. In England wurden Schuldige verbrannt „auf
den Anhöhen des Landes, damit alle Umstehenden der Schrecken er-
greife“: Ranke Engl. Gesch. 1 5 S. 80 (Werke 14). Vgl. Quintil. Deecl.
275 S. 531 Burm: Quoties noxios cruci figimus, celeberrimae eliguntur
viae, ubi plurimi intueri, plurimi commoveri hoc metuw possunt.
4406 R. Hirzel,
in den Büchern der Könige entgegen ??®); ein weiteres Zeugnis
liest vor aus der Makkabäerzeit, da göttliche und menschliche
Gerechtigkeit sich verbanden, um Andronikos an demselben
Ort zu richten, wo er den Onias erstochen hatte??®). Daß
aber auch bei den Juden dieses Rechtsgefühl nicht von jeher
lebendig war, lehrt das mosaische Gesetz, das zwar sonst die
Talion zu so kräftigem Ausdruck bringt 330), gerade diesen die
Gleichheit auch des Orts betonenden Zug aber nicht kennt
oder doch nicht als für das Recht wesentlich anerkennt.
Um so mehr fragt es sich, wann etwa bei den Griechen
diese Anschauungsweise aufkam. In der Aktaionsage scheint
sie sich zu verkörpern; aber nur nach der Darstellung, die
dieser ein römischer Dichter der Kaiserzeit gegeben hat ?#).
Was sodann Diodor von Sicilien erzählt, daß der Karthager
Hannibal 3000 Gefangene an der Stelle hinrichten ließ, wo
sein Großvater Hamilkar war von Gelon getötet worden 355),
stammt zwar aus älterer Quelle, bezieht sich aber nicht auf
Griechen. Dagegen mitten in die griechische Welt führt uns,
was wir ebenfalls aus älterer Quelle ableiten dürfen und jetzt
bei Pausanias lesen, daß die Arkader auf dem Schlachtfeld
von Chaironeia das Gericht der hellenischen Götter erreichte
und sie von Metellus und seinen Römern überfallen und ge-
tötet wurden an derselben Stelle, wo ihre Vorfahren einst die
nationalhellenische Sache an die Makedonier verraten hatten 358).
228) 0. 8. 440, 220.
239) 2 Maccab. 4, 33: χαὶ πυρωϑεὶς τοῖς ϑυμοῖς παραχρῆμα τὴν τοῦ
᾿Ανδρονίκου πορφύραν περιελόμενος καὶ τοὺς χιτῶνας περιρρήξας, περιαγαγὼν
χαϑ' ὅλην τὴν πόλιν, ἐπ᾽ αὐτὸν τὸν τόπον οὗπερ εἰς τὸν “Ονίαν ἠσέβησεν,
ἐχεῖ τὸν μιαιφόνον ἀπεχκόσμησε, τοῦ χυρίου τὴν ἀξίαν αὐτῷ κχόλασιν ἄπο-
δόντος.
280) ο, 5, 408.
γ81) So lange hetzen den Aktaion die eigenen Hunde durch Wald
und Gebirge, bis er wieder zu dem Quell kommt, an dem er die Diana
belauscht hat, und dort seinen Tod findet, „donee placidi fontis in unda
cornu a vidit vulturque feros; ibi virgineos foverat artus nimium saevi
diva pudoris“: Seneca ‘Odip. 760 ff. Ovid Met. 3, 198 ff. hat diesen Zug
noch nicht trotz 200 „in unda“.
382) Diod. Sic. XIII 62, 4: τῶν δ᾽ ἀνδρῶν τοὺς ἁλόντας ἐς τρισχιλίους
ὄντας παρήγαγεν ἐπὶ τὸν τόπον ἐν ᾧ πρότερον ᾿Αμίλκας ὁ πάππος αὐτοῦ ὑπὸ
Γέλωνος ἀνῃρέϑη, καὶ πάντας αἰκισάμενος κατέσφαξε.
233) Pausan. VII 15, 6: ᾿Απιοῦσι δὲ ὀπίσω σφίσιν ἐς τὴν Πελοπόννησον
Μέτελλος καὶ Ρωμαῖοι περὶ Χαιρώνειαν ἐπιφαίνονται. ἔνϑα δὴ ἐπελάμβανε
τοὺς ᾿Αρχάδας ἐκ ϑεῶν δίκη τῶν ᾿λληνικῶν, οἱ ἐν Χαίρωνείᾳ Φιλίππου χαὶ
Μακεδόνων ἐναντία ἀγωνιζομένους ἐγκαταλιπόντες “λληνας τότε ἐν χωρίῳ
τῷ αὐτῷ ἐκτείνοντο ὑπὸ “Ρωμαίων.
Die Talion. 447
Doch ist dies im besten Falle ein Beleg erst für die Anschau-
ungsweise der alexandrinischen Zeiten 555); und auch, ob die
nur aus Pausanias bekannte Νεοπτολέμειος τίσις 3535), kraft deren
Neoptolemos ebenso an einem Altar getötet wird, wie er selbst
an einem solchen den Priamos gemordet hatte — ein Verfahren
übrigens, das nicht Identität des Straforts, sondern nur Gleich-
artigkeit voraussetzt — schon ein älteres Sprichwort war, kann
bezweifelt werden. So bleibt schließlich das älteste griechische
Beispiel, das einzige aus der klassischen Zeit des Griechen-
tums, dasjenige, welches uns Sophokles gibt, der mit einer
gewissen Vorliebe, mehr als andere, der Mystik des Rechts
in dessen Ursprung und Wirkungen nachgeht. Während
es Aeschylus gleichgiltig scheint, wo Aegisth erschlagen wird,
ob auf dem Thron Agamemnons sitzend oder indem er Orest
entgegengeht 558), betont Sophokles nachdrücklich, daß es ge-
schehen müsse an dem gleichen Orte, wo Aegisth den Aga-
memnon gemordet”?’). Weder Stesichoros hat diesen Zug???)
noch später Euripides?®). Der Orest des Sophokles, und nur
23) Man möchte vermuten, daß, um ein solches Urteil über das
Schicksal der Arkader zu fällen und eine solche Beobachtung anzu-
stellen, eine Zeit exaltierten hellenischen Nationalgefühls besonders gün-
stig war.
235) Paus. IV 17,4: Περιῆλϑε μέντοι χαὶ αὐτοὺς Λακεδαιμονίους ἀνὰ χρό-
γον ἣ Νεοπτολέμειος καλουμένη τίσις. Νεοπτολέμῳ γάρ τῷ ᾿Αχιλλέως ἀπο-
κτείναντι Πρίαμον ἐπὶ τῇ ἐσχάρῳ τοῦ ᾿Βρχείου συνέπεσε χαὶ αὐτὸν ἐν Δελ-
φοῖς πρὸς τῷ βωμῷ τοῦ ᾿Απόλλωνος ἀποσφαγῆνα:, καὶ ἀπὸ τούτου τὸ παϑεῖν
en τις καὶ ἔδρασε Νεοπτολέμειονὶ τίσιν ὀνομάζουσι. Vgl. auch meinen
id 94,1.
236) Bei Aesch. Choeph. 558 ff. setzt Orestes zwei Fälle als möglich,
unter denen er seine Rache ausführen werde: εἰ δ᾽ οὖν ἀμείψω βαλὸν &p-
χείων πυλῶν χάχεϊνον Ev ϑρόνοισιν εὑρήσω πατρός, ἢ καὶ μολὼν ἔπειτά μοι
χατὰ στόμα χτλ. Vgl. Robert Bild und Lied 180 Anm.
>37) Die Frage des Aegisthus, warum Orest ihn hineingehen heiße,
ob seine Tat etwa das Licht scheue, beantwortet dieser Soph. El. 1495 f.
mit den Worten: μὴ τάσσξ᾽ Χώρει δ᾽ ἔνϑαπερ κατέκτανες πατέρα τὸν ἀμόν,
ὡς ἂν ἐν ταὐτῷ ϑάνης. Kaibel zu 1493.
388) Wenn Stesichoros den Aegisth ἐν ϑρόνοισιν ᾿Αγαμεμένονος töten
ließ (Robert Bild und Lied 179) so beißt dies nicht etwa, er habe dies
beim Mahle getan, wie Aegisth den Agamemnon erschlug δειπνίσσας
ὥς τὶς τε κατέχτανε βοῦν ἐπὶ φάτνῃ (Hom. Od. 4, 535 f.), sondern
muß erklärt werden nach’ Soph. El. 267 (ὅταν ϑρόνοις Αἴγισϑον ἐν-
Yarodvr’ ἴδω τοῖσιν πατρῴοις) als gehäufte Schuld: er erschlug den feigen
Mörder, da dieser sich obendrein die Würde des großen Königs an-
maßte, also in der Blüte seiner Sünden.
3289) Eurjp. El. 784 f. wird Aegisth allerdings beim Opfer, bei den
Vorbereitungen zum Mahle erschlagen ; abgesehen davon, daß jede Hin-
deutung fehlt, könnte dies doch auch nur künstlich auf das homerische
448 R..Hurziall,
der Orest dieses Dichters macht sich eine Pflicht daraus, daß
die Rache an demselben Orte vollzogen wird wie das Verbre-
chen und so auch von dieser Seite 540) dessen Gegenbild ist.
Für bloß individuell-sophokleisch möchte ich dies aber
nicht halten, sondern man wird auch hier ein Anwachsen des
Talionsgedankens annehmen dürfen, so daß die Strafe immer
mehr der Tat angeglichen wird, wie dies bereits die Verglei-
chung von Cedrenus und Josephus ergab °*!) und wie es auch
innerhalb des Judentums hervortrat °*?). Damit soll nicht ge-
sagt sein, daß man nicht auch schon früher den Mörder ge-
legentlich an der Mordstätte getötet habe. Nur geschah es
dann aus anderen Motiven. Zwei Motive kennt der römische
Jurist), die bestimmen konnten, die Mordstelle als Richt-
platz zu wählen, die Abschreckung und die genugtuende Rache.
Von diesen beiden Motiven kommt für die alte Zeit nur die
Rache in Betracht, und in der Tat ist dieser nicht jeder Ort
gleichgiltig; vielmehr, da sie eine Genugtuung zunächst für
den Getöteten 53) und erst in zweiter Linie für die Familie
oder das Geschlecht sein sollte 545), so wählte man zu ihrer
Durchführung solche Orte, die eine Gewähr gaben, dafs der
Ermordete bei der Rache gegenwärtig war und ihrer genoß.
Man riß den Mörder zu den Füßen des eben Ermor-
deten ?*%); dort sollte er nach norwegischem Recht erschlagen
werden °*”). Und kraft desselben Rechtsgefühls sieht Plutarch
δειπνίσσας bezogen und als eine Vergeltung des darin Gesagten gefaßt
werden.
340) Kaibel zu Soph. El. 1493. o. 8.433 ff. 441.
>41) 0. 8. 444. 222) .,0.48. dAoıf. 243) 0, 8. 445, 227.
>44) Rohde Psyche I 264. 275,2. Daher konnte die Strafe erlassen
werden, wenn der Sterbende vor seinem Ende dem Mörder verziehen
hatte: s. meine Themis 191,1.
245) solacio sit cognatis et adfinibus“ o. S. 445, 227. πάσης τῆς ξυγ-
γενείας τὸν ϑυμὸν ἀφιλασαμένη zoynion: Platon Ges. IX p. 873 A.
246) Bine ähnliche Situation schafft das gleiche Rachebedürfnis in
der Erzählung Arnolds von Melchtal (Schiller Tell 5, 1):
Nicht lag’s an mir, daß er das Licht der Augen
Davontrug, der den Vater mir geblendet.
Nach jagt’ ich ihm, erreicht ihn auf der Flucht
Und riß ihn zu den Füßen meines Vaters.
Geschwungen über ihn war schon das Schwert;
Von der Barmherzigkeit des blinden Greises
Erhielt er flehend das Geschenk des Lebens.
247) Wilda Strafrecht der Germanen 500. Vgl. Brunner Deutsche
Rechtsgesch. II 475, 44 ff.
Die Talion. 449
eine göttliche Fügung darin, daß Cäsar getötet wurde an einer
von Pompeius geweihten Stätte und vor der Statue des Pom-
peius”*5), in der man diesen wie fortlebend empfinden mochte 535).
Daß man dem Ermordeten ein Recht über seinen Mörder zu-
gestand, findet hierin seinen Ausdruck, noch crasser freilich
in der mittelalterlichen, aber an antike Bräuche erinnernden
Verordnung, den Mörder mit der Leiche des Ermordeten zu-
sammenzuschließen *°), Auch anderer Frevel außer Mord konnte
in derselben Weise gesühnt werden, so daß die Sühne in
Gegenwart des irgendwie Beleidigten erfolgte: nicht zufällig,
äußert wenigstens Cicero, wurde der tödliche Streich gegen
Clodius gerade vorm Heiligtum der Bona Dea geführt, der
Göttin, gegen die Clodius gefrevelt hatte und in deren Angesicht
{ante ipsam Bonam Deam) er nun bestraft wurde ”°!).
348) Plutarch Caesar 66: 5 δὲ δεξάμενος τὸν φόνον ἐκεῖνον χαὶ τὸν
ἀγῶνα χῶρος, εἰς ὃν N σύγχλητος ἠϑροίσϑη τότε, Πομπηΐου μὲν εἰκόνα χει-
μένην ἔχων, Πομπηΐου δὲ ἀνάϑημα γεγονὼς τῶν προσχεχοσμημένων τῷ ϑεά-
τρῳ, παντάπασιν ἀπέφαινε δαίμονός τινος ὑφηγουμένου χαὶ χαλοῦντος ἐχεῖ
τὴν πρᾶξιν ἔργον γξγονέναι. — --- — — χαὶ παρῆκεν ἑαυτὸν (sc. Caesar),
εἴτε ἀπὸ τύχης εἴτε ὑπὸ τῶν χτεινόντων ἀπωσϑείς, πρὸς τὴν βάσιν, ἐφ᾽ ἧς ὃ
Πομπηΐου βέβηκεν ἀνδριάς. Cassius Dio 44, 52: καὶ ἐπειδὴ ἔν τε τῷ τοῦ
Πομπηΐου οἰχοδομήματι καὶ παρὰ τῷ ἀνδριάντι αὐτοῦ τῷ τότε ἐχεῖ ἑστῶτι ἐσ-
φάγη, ἔδοξέ τινα τιμωρίαν αὐτῷ δεδωκέναι κτλ. Uebrigens erzählen so
nur die griechischen Berichterstatter, vgl. Drumann Gesch. Roms ΠῚ
730, 19.
249) Cassius betete vor der Tat zur Statue des Pompeius: Plutarch
Caesar 66. Auf „die altertümlich rohe, bei allen der Idololatrie er-
gebenen Völkern vorkommende Vorstellung, dafs die Macht eines »Gei-
stes< in seinem Abbilde wohne“ hat Rohde hingewiesen Psyche 2, 194.
Man erinnere sich auch an ©. Gracchus, wie ihn uns Plutarch zeigt
Ὁ. Gracch. 14, vorm Standbild seines Vaters.
350) Für das Kreuzheer der Könige Richard und Philipp wurde
unter anderen auch das Gesetz aufgestellt, daß wer einen Pilger auf
dem Lande umbringt, vergraben wird, auf der See mit dem Leichnam
des Getöteten zusammengebunden und ins Meer geworfen: Fr. von
Raumer Hohenstaufen ? 2, 469. Bekannt ist der grausame etruskische
Brauch gleicher Art (Aristot. Pseudep. fr. 35), auf den auch Virgil hin-
deutet (Aen. 8, 485 ff. u. Erklärr.). Verglichen kann aber auck werden,
was unter den merkwürdigen Gesetzen der Aegypter Diodor Sie. I 77,
7 anführt, daß Eltern, die ihre Kinder getötet, die Leiche derselben
drei Tage hindurch mußten umschlungen halten (καὶ κατὰ μὲν τῶν γο-
νέων τῶν ἀποχτεινάντων τὰ τέχνα ϑάνατον μὲν οὐχ ὥρισαν, ἡμέρας δὲ τρεῖς
χαὶ νύχτας ἴσας συνεχῶς ἦν ἀναγκαῖον περιειληφότας τὸν νεχρὸν ὑπομένειν
φυλαχῆς παρεδρευούσης δημοσίας). Vgl. Ovid Fast. 6, 459 f. über das
Lebendbegräbnis der unkeuschen Vestalin: Sic incesta perit, quia quam
violavit, in illam Conditur.
25!) Cicero pro Milone 86: Nisi forte hoc etiam casu factum esse
dicemus, ut ante ipsum sacrarium Bonae Deae, quod est in fundo 8.
‘Sestii Galli, in primis honesti et ornati adolescentis, ante ipsam, in-
450 R. Hirzel,
Soweit der Bereich des Toten sich erstreckte, so weit
war auch die Möglichkeit der Rache gegeben, also nicht
außerhalb der Grenzen seines Landes?’?). Da aber vorzüg-
lich im Grabe der Tote zu hausen und dort ein dunkeles
Leben weiter zu führen schien 255), so waren es auch die
Gräber besonders, die man sich zu Stätten der Rache ersah,
ganz folgerichtig, da die Gräber Stätten des Totencultus waren
und die Rache nur eine einzelne Form dieses Cultus darstellte.
„Zu vollerer Genugtuung“, bemerkt Jakob Grimm, soll nach
einem langobardischen Gesetz der Verbrecher nicht an Baum
oder Galgen, sondern auf dem Grabe des Ermordeten seine
Strafe erleiden 55); anderen Rechtsgewohnheiten, und nicht
bloß des Mittelalters, entspricht es, daß der Totschläger unter
dem Sarge des Toten lebendig beerdigt wird ?”). Schon
Jakob Grimm vermutete, daß Beispiele solcher Art mehr vor-
handen seien. Uns bietet sie das Altertum. Durch die Nieder-
lage der Spartaner bei Leuktra am Grabe böotischer Mäd-
chen 35) wurde, wie es Götterspruch vorausgesagt, die Gewalttat
gesühnt, die an diesen Mädchen Spartaner einst begangen
hatten 2°%). Von demselben Rechtsgefühl, wie hier ein Aber-
glaube, wird aber auch das förmliche Verfahren geleitet, nach
dem auf dem Grabe Philopömens die messenischen Gefangenen
von den Arkadern gesteinigt wurden ?°®). Auch die wilde Rache
kleidete sich in die gleiche Form, wenn Kaiser Galbas Haupt
quam, Bonam Deam, cum proelium commississet, primum illud vulnus
acciperet, quo taeterrimam mortem obiret. Auch das Vorausgehende
kann verglichen werden, wo der Redner die Hügel, Haine, Altäre Al-
bas und den Latiaris Juppiter anruft, um mit den Worten zu schließen:
vobis illae, vobis vestro in conspectu serae, sed iustae tamen et
debitae poenae solutae sunt.
252) Daher εἴργειν τῆς τοῦ παϑόντος πατρίδος Demosth. 23, 37 f. τῆς τοῦ
φονευϑέντος χώρας Platon Gess. IX 871 ἢ vgl. Rohde Psyche 1, 265.
253) Rohde Psyche 2, 345.
254) Dies und anderes der Art RA. 2, 263 f.
255) Französische Gewohnheiten bei J. Grimm RA. 2, 275, über die
Kosacken 276.
256) περὶ αὐτὸ τὸ μνῆμα Plutarch Amat. narr. 3 p. 774 Ὁ.
257) Am einfachsten Xenoph. Hell. VI 4,7. Vgl. Diod. Sie. 15, 54
und ausführlicher Plutarch Pelop. 20 Amat. narr. 3, Rohde Psyche II
349,3. Nach Pausan. IX 13,3 hätte der Kampf stattgefunden οὐ μᾶλ-
λον ὑπὲρ σωτηρίας Θηβαίων ἣ καὶ τιμωρίας ἐκείνων.
268) Ῥ]αὐαγοι Philop. 21: τάφη μὲν οὖν, ὡς εἰκός, ἐνδόξως, καὶ περὶ
τὸ μνημεῖον ol τῶν Μεσσηνίων αἰχμάλωτοι χατελεύσθησαν.
Die Talion. 451
aufgespießt wurde am Grabhügel des von ihm hingerichteten
Patrobius??®). Und einen Schein des Rechts borgt daher die
Kaiserin Theodosia, da sie aus Liebedienerei gegen eine Circus-
partei den Kallinikos auf dem Grabe der von diesem bestraften
Aufrührer kreuzigen ließ?®%). So konnte sich die Meinung
bilden, daß Christi Kreuz sich über dem Grabe Adams erhob,
weil durch seinen Erlösertod der Fluch vom ersten Menschen
genommen wurde, und der Byzantiner Cedrenus konnte diese
Wahl des Straforts als besonders passend bewundern ?°!). Der
altheidnische Glaube, der hier der dogmatischen Grübelei eines
Christen dient, ist aber schon in der besten Zeit des Griechen-
tums von Platon in dem Idealstaat seiner Gesetze zu der Be-
stimmung benutzt worden, daß, wenn ein Sklave einen Freien
getötet, der Henker ihn hinausführen mußte zum Grabmal,
da wo man den Grabhügel sehen kann, und ihn dort schlagen
und töten ?°2).
Der hier vorwaltende Glaube will, daß die Seele des Ver-
storbenen an das Grab gebunden ist. Man dachte sie sich
aber auch außerhalb des Grabes weilend, an den gewohnten
Stätten ihres leiblichen Lebens und Wirkens, wovon aus dem
Altertum ein Beispiel gibt die Erzählung, die durch die „Braut
25%) Taeit. hist. 1, 49: caput per lixas calonesque confixum lacera-
tumque ante Patrobii tumulum (libertus is Neronis punitus a Galba
fuerat) postera demum die repertum etc.
260) Prokop hist. are. 17 p. 49C (ὃ. 100 Dindf.): καὶ ὃ μὲν τοὺς
στασιώτας ἄλλων τε πολλῶν χαὶ τοῦδε ἁλόντας τοῦ φόνου ἐν Ölum ἀνεῖλεν,
ἢ δὲ μαϑοῦσα ὅτι καὶ τοὺς Βενέτους προσποιεῖται ἐνδεικνυμένη, «ἔτι αὐτὸν τὴν
ἄρχὴην ἔχοντα ἐν τῷ τῶν φονέων τάφῳ ἀνεσχολόπισεν οὐδενὶ λόγῳ.
361) Cedrenus Hist. Comp. I Sp. 820 D Migne: Διόπερ οὐκ ἀλλαχόσε
πάσχει Χριστὸς οὔτε μὴν εἰς ἄλλον σταυροῦται τόπον ἢ eig τοῦ Κρανίου τό-
πον, ἐν ᾧ δὴ τῶν “Ἑβραίων οἵ διδάσκαλοί φασι τοῦ ᾿Αδὰμ εἶναι τὸν τάφον "
ἐχεῖ γὰρ αὐτὸν μετὰ τὴν χατάραν τεϑάφϑαι διαβεβαιοῦνται. Διὰ τοῦτο
ϑαυπαξ Tod τόπου τὴν olxesLöryra.
262) Platon Gess. IX 872 B: ἐὰν δὲ δοῦλος ἐλεύϑερον ἑκών, εἴτε αὐτό-
χειρ εἴτε βουλεύσας ἀποκτείνῃ χαὶ ὄφλῃ τὴν δίκην, ὁ τῆς πόλεως κοινὸς
δήμιος ἄγων πρὸς τὸ μνῆμα τοῦ ἀποθανόντος, ὅϑεν ἂν δρᾷ τὸν τύμβον, μα-
στιγώσας ὁπόσας ἂν ὃ ἑλὼν προστάττῃ, ἐάνπερ βιῷ παιόμενος ὃ φονεύς, ϑα-
νατωσάτω. Bemerkenswert ist, daß nur Sklaven, nicht Freie, in dieser
Weise hingerichtet werden sollten; auch in dem Beispiel bei Grimm
RA. 686 ist es ein „servus“, dem diese Strafe bestimmt wird. Offenbar
hielt man eine solche Art der Hinrichtung für besonders schimpflich,
und zwar vermutlich, weil, wer also hingerichtet wurde, dadurch einem
“πὰς ἐξ zum Opfer dargebracht (o. 5, 450), ihm zu eigen gegeben
wurde.
452 R: Hirzel,
von Korinth“ allbekannt geworden ist?‘). So erklärt sich,
wie man auf den Gedanken kommen konnte, einem Sohn, der
seinen Vater mit einem Tritt des rechten Fußes getötet hatte,
diesen rechten Fuß abzuhauen und zwar vor der Tür seines
Vaters "ἢ; und eben daher versteht man nun, weshalb Me-
noikeus’ Blut gerade in das alte Lager (ϑαλάμαι, onxös) der
Schlange fließen mußte, die Kadmos getötet hatte und deren
Tod nun einer aus Kadmos’ Geschlecht, entsprossen zugleich
der Drachensaat, sühnen sollte ?°). Man suchte den Getöteten
auch nach dem Tode noch da, wo er lebend sich aufgehalten,
und glaubte, daß er dort am ehesten zum Genuß der Rache
kommen werde.
Außer daß die Seele im Grabe ruht oder zu den Woh-
nungen ihres Lebens hingezogen wird, wird sie auch festge-
halten am Orte ihres Todes. Es kostet sogar Mühe und er-
fordert die Zauberkraft eines religiösen Ritus, sie davon zu
lösen "6, Um die Stätte ihres Unglücks schweben die Gei-
ster "6, Vollends haften sie, und in ganzen Scharen, an der
268) Deber die antiken Quellen Lobeck Aglaoph. I 236», Rohde Kl.
Schr. 2, 173. Der Wurwolak der Albanesen geht um in eigenen oder
verwandten Häusern: Hahn Albanesische Studd. 163.
564) So geschehen in Schlesien 1570: Günther Wiedervergeltung II
55, 182.
265) Hur. Phön. 931 ΠῚ:
det τόνδε ϑαλάμαις, οὗ δράκων ὃ γηγενής
ἐγένετο Δίρχης ναμάτων ἐπίσχοπος,
σφαγέντα φόνιον αἷμα γῇ δοῦναι χοάς
Κάδμου, παλαιῶν "Apsog ἐκ μηνιμάτων,
ὃς γηγενεῖ δράχοντι τιμωρεῖ φόνον.
1009 £.:
ἀλλ᾽ εἶμι nal στὰς ἐξ ἐπάλξεων ἄχρων
σφάξας ἐμαυτὸν σηχὸν εἰς μελαμβαϑῇ
δράγιοντος, ἔνϑ᾽ ὁ μάντις ἐξηγήσατο κτλ.
1315 £.:
ὃν ἄρτι χρημνῶν ἐκ Öpunovreiwv ἑλών
αὐτοσφαγῇ δύστηνος ἐκόμισ᾽ ἐν χεροῖν.
Statius Theb. 10, 777 ff. hat diesen Zug nicht mehr, sondern da-
für den rhetorisch wirksameren, daß Menöceus sich „super medias acies“
von der Mauer herabstürzt „et in saevos cadere est conatus Achivos“.
266) Des dreimaligen Totenrufs gedenkt Hom. Od. 9,65. So soll
die Seele des Phrixos von Kolchis gelöst werden: Böckh zu Pindar Pyth. 4,
159 f. Der Scholiast z. St.: &%og δὲ ἦν τῶν τελευτησάντων En’ ἀλλοδαπῆς,
εἰ χαὶ μὴ τά σώματα εἴη παρ᾽ αὐτοῖς, τὰς γοῦν ψυχὰς διά τινὼν μυστηρίων
ἀναχαλεῖσθαι καὶ ὥσπερ συμπλεούσας εἰς τὴν πατρίδα διαπεραιοῦν.
567) Rohde Psyche 2, 362. Daß die Geister ihre Todesstätte um-
schweben, ist ein Glaube, der auch zu Grunde liegt bei Pope Moral
Essays Epist, II 241 ἢ:
Die Talion. 453
Walstatt?°®) nach einem Glauben, der nicht sowohl aus dem
Altertum in die Neuzeit verpflanzt ist, sondern sich immer
neu erzeugt in Folge des Anteils, den die Masse der Lebenden
an solchen Stätten nimmt, namentlich, wenn weltgeschichtliche
Krisen dort zum Austrag kommen wie auf den katalaunischen
Feldern und bei Marathon°°®), Auch daß Kreuzwege von
Geistern heimgesucht werden, will man davon ableiten, daß
dort häufig die Richtstätte war 379. Wie schon diese Bei-
spiele lehren, hat insbesondere gewaltsamer Tod die Folge,
daß die Seele nicht zur Ruhe kommt und die Mordstätte
spukend zu einer unheimlichen macht?”!). Noch in der Kai-
serzeit dauert dieser alte Aberglaube: in Caligulas Sterbe-
hause ging der Geist des gemordeten Kaisers um, bis das
Haus durch eine Feuersbrunst vernichtet wurde 373), und Plu-
tarch berichtet aus seiner Zeit und Heimat, daß man damals
noch zu Chaironeia Gespenster sah und ihr Seufzen hörte in
dem Badhaus, in dem einst in Lucullus’ Tagen Damon durch
Verrat ein gewaltsames Ende gefunden ?”). Nach diesem
Glauben mußte man die Rache, sollte anders der Getötete,
und nicht bloß sein Geschlecht, den Genuß davon haben, auf
der Todesstätte selbst vollziehen. Ein anderes Motiv treibt
also in solchem Falle dazu, den Tatort auch zum Strafort zu
wählen, als wenn dies geschieht, um die Strafe möglichst
dem Verbrechen anzugleichen. Es ist dasselbe Motiv, das
sich in dem altgermanischen Rechtsbrauch kund tut, der die
Still round and round the ghosts of Beauty glide,
And haunt the places where their honour dy’d.
8 1, Grimm D. Myth.? 2,892 ἔ. Golther Germ. Myth. 89.
369) Rohde Psyche II 349,5. Vgl. Statius Theb. 4, 434 ff.
?70) Gruppe Gr. Myth. 760, 9. Ueber die δαίμονες πολυάνδριοι Rohde
Psyche 2, 424.
211) Ueber die βιαιοϑάνατοι Rohde Psyche I 264, 1. 275 ff.
515) Sueton Calig. 59: (constat) in ea quoque domo, in qua occu-
buerit, nullam noctem sine aliquo terrore transactam, donec ipsa do-
mus incendio consumpta sit.
273) Plutarch Cimo 1: Τὸν δὲ Δάμωνα λῃστείαις καὶ καταδρομαῖς πορ-
Yodvra τὴν χώραν καὶ τῇ πόλει προσχείμενον ὕπηγάγοντο πρεσβείαις καὶ
Φηφίσμασι φιλανϑρώποις οἱ πολῖται, κατελϑόντα δὲ γυμνασίαρχον κατέστησαν "
εἶτ᾽ ἀλειφόμενον ἐν τῷ πυριατηρίῳ διέφϑειραν. Ἐπὶ πολὺν δὲ χρόνον εἰδώ-
λων τινῶν ἐν τῷ τόπῳ προφαινομένων Aal στεναγμῶν ἐξαχουομένων, ὡς οἵ
πατέρες ἡμῶν λέγουσι, τὰς ϑύρας ἀνῳχοδόμησαν τοῦ πυριατηρίου " καὶ μέχρι
νῦν ol τῷ τόπῳ γειτνιῶντες οἴονταί τινας ὄψεις χαὶ φωνὰς ταραχώδεις φέ-
ρεσθϑαι.
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 30
454 R. Hirzel,
Hinrichtung durch Zeugen auf handhafter Tat an der Mord-
stelle selber forderte 57). In dem Orte selber schien ein Geist
der Rache zu wohnen, der sich wohl auch selber Befriedigung
schaffte. Ein Sklave, der das Blut des erkrankten Aristobul
hinausträgt, strauchelt und vergießt dasselbe, das Blut des
Brudermörders, an der gleichen Stelle, die noch mit dem Blut
des gemordeten Andronikos befleckt war; und bald danach,
nachdem er dies gehört, stirbt auch der Mörder Aristobul.
Merkwürdig ist, und deutet auf eine verbreitete Sitte, daß
man dem Sklaven zutraute, das Blut absichtlich an der Mord-
stelle vergossen zu haben, wie eine dem Toten dargebrachte
Spende. ‚Josephus dagegen, der alles dies erzählt, sieht in den
scheinbaren Zufällen, die schließlich zum Tode des Mörders
führen, die Wirkungen eines göttlichen Wesens?”’). Aus dem
Blute des Gemordeten steigen hier die Rachegeister auf 3576), wie
nach altem Griechenglauben die Erinyen 577), und walten ihres
Amtes. Sogar in das Ehebett, dessen heilige Rechte verletzt
sind, trägt Aeschylus eine dem Verbrecher zürnende Seele
514) Golther Germ. Myth. 424,
275) Joseph. De bell. Jud. I 3, 6: ᾿Αριστοβούλῳ γε μὴν εὐθὺς ἢ περὶ
τοῦ μύσους μεταμέλεια νόσον ἐνσχήπτει, nal πρὸς ἐννοίαις TOD φόνου τὴν φυ-
χὴν ἔχων del τεταραγμένην συνετήχετο, μέχρι τῶν σπλάγχνων ὅπ᾽ ἀκράτου
τῆς λύπης σπαραττομένων ἄϑρόον αἷμα ἀναβάλλει. τοῦτό τις τῶν ἐν τῇ ϑερα-
πείῳ παίδων ἐκφέρων, δαιμόνίᾳ προνοίᾳ σφάλλεται nad” ὃν τόπον ὃ ᾿Αντίγο-
νος ἔσφακτο, καὶ φαινομένοις ἔτι τοῖς ἀπὸ τοῦ φόνου σπίλοις τὸ αἷμα τοῦ
χτείναντος ἐπεξέχεεν. ἤρϑη δ᾽ εὐθὺς οἰμωγὴ τῶν ϑεασαμένων, ὥσπερ ἐπίτη-
ὃες τοῦ παιδὸς ἐχεῖ ἐπισπείσαντος τὸ αἷμα " τῆς δὲ βοῆς ἀκούσας ὃ βασιλεὺς
τὴν αἰτίαν ἐπυνθάνετο, χαὶ μνηδενὸς τολμῶντος εἰπεῖν μᾶλλον ἐνέχειτο μα-
ϑεῖν ἐθέλων τέλος δ᾽ ἀπειλοῦντι καὶ βιαζομένῳ τἀληϑὲς εἶπον. ὃ δὲ τούς
τε ὀφθαλμοὺς ἐμπίπλησι δαχρύων, καὶ στενάξας ὅσον ἦν αὐτῷ δύναμις, εἶπεν
οὐχ ἄρα ϑεοῦ μέγαν ὀφθαλμὸν ἐπ᾽ ἔργοις ἀϑεμίτοις λήσειν ἔμελλον, ἀλλά |
με ταχεῖα μέτεισι δίκη φόνου συγγενοῦς. μέχρι ποῦ μοι, σῶμα ἀναιδέστατον,
τὴν ἀδελφῷ καὶ μητρὶ χκατάχριτον ψυχὴν καϑέξεις; μέχρι ποῦ δ᾽ αὐτὸς ἐπι-
σπείσω χατὰ μέρος τοὐμὸν αἷμα ; λαβέτωσαν ἀϑρόον τοῦτο, Aal μηκέτι ταῖς
ἐκ τῶν ἐμῶν σπλάγχνων χοαῖς ἐπειρωνευέσθω τὸ δαιμόνιον“. ταῦτ᾽ εἰπὼν
εὐθέως τελευτᾷ, βασιλεύσας οὐ πλεῖον ἐνιαυτοῦ. Dasselbe nur mit anderen
Worten wiederholt Arch. XIII 11,3.
516) Um ihrer los zu werden, riß man im Mittelalter wohl „da
Haus, wo der Frevel geschehen war, nieder, damit das Blut derer, welche
hier für den König starben, nicht länger um Rache schreie“: Fr. Rau-
mer Hohenstaufen? 4, 272.
311) Wie eine Erläuterung der Worte des Josephus klingt das Chor-
lied Aesch. Choeph. 388 ff. Kirch: ἀλλὰ νόμος μὲν φονίας σταγόνας χυμέ- |
νας ἐς πέδον ἄλλο προσαιτεῖν αἷμα. βοᾷ γὰρ Aoıyög ’Epıvov παρὰ τῶν πρό- ᾿
zepov φϑιμένων ἄτην ἐτέραν ἐπάγουσαν ἐπ᾽ ἄτῃ. Robert Bild u. Lied |
177, 25.
Die Talion. 455
hinein °°®), an deren Stelle in einem ähnlichen Falle bei Sha-
kespeare der Talionsgedanke tritt, dem es als eine besonders
ausgesuchte Gerechtigkeit gilt, daß Desdemona getötet werde
in demselben Bett, das sie entehrt hat ?”®).
Und so, als eine weitere Durchführung der Talion, wird
diese Angleichung des Straforts an den Tatort in der
Regel bei den Späteren aufzufassen sein: nicht ein Rachedurst
sollte dadurch befriedigt werden, und auch eine abschreckende
Wirkung konnte man sich in den meisten Fällen kaum davon
versprechen °°°); höchstens daß man dem Täter noch einmal
recht nachdrücklich seine Tat zu Gemüte führen wollte, da-
mit er die Strafe als verdiente Strafe einsehen könne 351).
Die Hauptsache aber, auf die man es anlegte, war nicht ein
Empfinden sei es des handelnden oder leidenden Subjekts, son-
dern die ganz objektive Gerechtigkeit, die man so herzustellen
glaubte. Besonders ist dies dann anzunehmen, wenn es sich
nicht um Blutschuld handelt: in Desdemonas Falle wird es aus-
drücklich gesagt, daß Othello nur der Gerechtigkeit zu dienen
glaubt, wenn er sie im Ehebett tötet; auch in Aktaions Schick-
sal wird man die spätere Hinzufügung gerade dieses Zuges ?*?),
die Angleichung des Straforts an den Tatort, kaum anders
rechtfertigen wollen. Abschreckung oder Befriedigung des
Rachebedürfnisses kommt auch nicht in Frage, wenn König
278) So fasse ich auf εὐνὰς ἀδελφοῦ τῷ πατοῦντι δυσμενεῖς Aesch.
Agam, 1147. Die Auffassung ist nicht ohne Schwierigkeiten, wie sie
aber noch mehr sich der anderen entgegenstellen, die δυσμενεῖς auf die
Erinyen bezieht. Vgl. Paley zu 1163. Cicero pro Cluentio 15: O mu-
lieris scelus incredibile — — non timuisse, si minus vim deorum ho-
minumque famam, at illam ipsam noctem facesque illas nuptiales, non
limen cubiculi, non cubile filiae, non parietes denique ipsos superio-
rum testes nuptiarum.
319) Shakespeare Moor of Venise 4,1:
Jago. Do it not with poison, strangle her in her bed, even the
bed she hath contaminated.
Othello. Good, good: the justice of it pleases: very good.
Dasselbe Talionsprineip, das sich hier ausspricht, liegt dem Dichter
auch am Schlusse seines Stücks im Sinn und wird von ihm zu einer
dramatischen Wirkung benutzt: weil nach einem Καὶ Othello Desde-
mona gemordet hat, so will er selber auch nach einem Kusse sterben
(Oth. J kiss’d thee ere J kill’d thee: no way but this, [Falling upon
Desdemona] killing myself, to die upon a kiss).
280) 0. 8. 448.
381) Trendelenburg Naturrecht 8 60.
282) 0. S, 446.
30 *
456 R. Hirzel,
Zedekia auf derselben Stelle geblendet wird, wo er den Eid
gebrochen “55); so wenig kommen die beiden Motive hier in
Frage als in anderen Fällen, in denen namentlich christliche
Schriftsteller das Walten göttlicher Gerechtigkeit verehren ?®*)
und in denen die Gleichheit zwischen Tat- und Strafort erst
nachträglich von dritten Unbeteiligten lediglich zu eigener Er-
bauung beobachtet wurde. Ja, wie kühl heißt selbst Orest
den Aegisth, damit ihn das gleiche Schicksal wie Agamemnon
auch am gleichen Orte treffe, ins Haus hineingehen °®5), nicht
wie einer der dort einen heißen Rachedurst, den eigenen oder
des Vaters, löschen will, sondern eher wie ein Richter, der
streng sich nur an den Buchstaben des Gesetzes hält und dem
nur darum zu tun ist, eine objektive, von seinem und Anderer
Empfinden unabhängige Gerechtigkeit herzustellen. In dem-
selben Sinne mag man später gedichtet haben, daß Achill an
dem gleichen Altar den Tod fand, an dem er selber den Troi-
los erschlagen 5388 8),
Das Siegel wird dieser Gerechtigkeit aufgedrückt, wenn
zu den andern Gleichheiten, auch zu der Gleichheit des Orts
noch die Gleichheit der Zeit kommt.
Das Ideal ist die momentane Strafe. Eine prompte Justiz
zeigt sich nicht bloß darin, daß die Strafe dem Urteil auf dem
Fuße folgt, oder womöglich beides, Strafe und Urteil, auf
einen Schlag geschieht, sondern tritt ebenso hervor im eng-
sten zeitlichen Anschluß der Strafe gleich an das Verbrechen “5.
Die Blutrache war in den Augen unserer germanischen Vorfah-
ren eine heilige Pflicht, die nicht aufgeschoben werden durfte ?*”),
und altgermanischem Rechtsbrauch entsprach es, daß die Hin-
388) Πῶς οὖν Βαβυλῶνα οὖκ εἶδεν; Ὅτι ἐν τῇ 'Iovdaige τὴν πήρωσιν
ὑπέστη ᾿ ἔνϑα γὰρ ὃ ὅρκος ἠϑετήϑη, ἐχεῖ καὶ ἐξεδικεῖτο χαὶ τὴν τιμωρίαν
αὐτὸς ὑπέμεινε : Joh. Chrys. Ad pop. Ant. hom. 19,3. Auch hier trägt
ein späterer und namentlich ein christlicher Schriftsteller seine eigene
Rechtsanschauung in die ältere Geschichtserzählung hinein (o. S. 444),
wie sie ganz kahl und ohne Hinweis auf eine besonders hervorleuch-
tende Gerechtigkeit Gottes 2 Kön. 25, 7 gegeben wird.
284) 9. 8.444 f.
285) 0. 8. 447, 237.
3858) Tzetzes zu Lykophr. 307: Achill tötet den Troilos am Altar
Apollons, ᾧ, φασί, καὶ τιμωρῶν ὃ ᾿Απόλλων αὐτόϑι παρεσχεύασεν Avatpe-
ϑῆναι τὸν ᾿Αχιλλέα. Preller Gr. Myth. II? 438, ὃ.
286) Beispiele hierfür in meinem Eid S. 184 f.
287) Golther Germ. Myth. 395 ἢ,
Die Talion. 457
richtung des Mörders auf handhafter Tat erfolgte 5585). „So
schnell als die Rache des Rächers“ sagt Lessings Höllengeist ?°°)
und will damit einen höchsten Grad von Schnelligkeit aus-
drücken. In dem Augenblick, wo der Richter wider Recht
und Gewissen einen falschen Spruch tut, erhebt sich nach grie-
chischer Vorstellung der Strafdämon und geht an sein Ge-
schäft 390), oder, wie dies auch ausgedrückt wird, er ist dem
Verbrechen „gleichaltrig“ 33. Dringend fordert augenblick-
liche Bestrafung des Unrechts der sophokleische Orest 555).
Aber diese „repraesentatio talionis“ δ) ist nur eine Forderung,
die er stellt und der nicht immer genügt werden kann. Die
Gottheit erfüllt sie, wie Josephus anerkennt, indem sie bis auf
Tag und Stunde gleichzeitig dem Römermord in Jerusalem einen
Judenmord in Cäsarea an die Seite stellt 55). Aber immer
genügen auch die Götter dieser Forderung nicht ?”).
Wenn es auch nicht immer gelang die Strafe mit dem
ZOOS: 359. 1
289) Lessing Schriften von Lachm.-Maltz. 2, 516.
29) Hesiod W.u. T. 219:
Αὐτίκα γὰρ τρέχει Ὅρχος ἅμα σχολιῆσι δίκῃσι.
391) Die τιμωρία soll nicht ἀκόλουϑος der ἀδικία sondern deren ἣλι-
χιῶτις sein: Plutarch De s. ἢ. v. 9 p. 553 FE.
222) Soph. El. 1505 ff.:
χρῆν 8° εὐθὺς εἶναι τήνδε τοῖς πᾶσιν δίκην,
ὅστις πέρα πράσσειν γε τῶν νόμων ϑέλοι,
κτείνειν ᾿ τὸ γὰρ πανοῦργον οὐκ ἂν ἦν πολύ.
Daß diese Verse von Dindorf und von Mau in Commentt. Momm-
sen. S. 292, 2 als unecht verworfen werden, weiß ich, kann aber die
nie der Verwerfung nicht für ausreichend halten, vgl. auch meinen
id 184, 4.
398) Tertullian. Adv. Marcion. 4,16. Eid 184, 4.
294) Joseph. bell. iud. 2, 18 S. 197 Bekk.: τῆς δὲ αὐτῆς ἡμέρας καὶ
ὥρας, ὥσπερ ἐκ δαιμονίου προνοίας, ἄνήρουν οἱ Καισαρεῖς τοὺς παρ᾽ αὐτοῖς
Ἰουδαίους, ὡς ὑπὸ μίαν ὥραν ἀποσφαγῆναι μὲν ὑπὲρ δισμυρίους χτλ. Auf
derselben Vorstellung beruht es, wenn Fr. Raumer Hohenstaufen ? 2,
575, nachdem er die Grausamkeiten Heinrichs VI erzählt hat, fortfährt:
„An dem Tage dieser Gräuel, am 26sten December 1194 — welch eine
furchtbare Vorbedeutung für sein eigenes Geschlecht! — lag des Kaisers
Gemahlin Konstanze zu Jesi in Kindesnöten, und gebar einen Sohn,
Friedrich Roger, den nachmaligen Kaiser Friedrich II“. Die Sache ist
zwar nicht eigentlich dem Frevel gleichzeitig, aber der Keim dazu
wird doch an demselben Tage gelegt, ein Sohn wird geboren und da-
mit ist der Boden gegeben, auf dem die Rache erwachsen kann.
295) Eid 184,4. Vgl. dazu was Cicero pro Caelio 59 ihnen zum
Vorwurf macht: Pro di immortales! cur interdum in hominum sceleri-
bus maximis aut conivetis aut praesentis fraudis poenas in diem re-
servatis ?
458 R. Hirzel,
Verbrechen in der gleichen Zeit zusammenzudrängen, so konnte
es doch ein Surrogat dafür scheinen, wenn man mit ihr war-
tete bis zur Wiederkehr einer gleichartigen Zeit.
Winckelmanns Mörder wurde, wie wir bereits sahen, hin-
gerichtet an dem Tatorte ?°°); um aber die Talion vollständiger
zu machen, wurde die Hinrichtung vollzogen nicht bloß an dem-
selben Orte, sondern auch an demselben Wochentage und zu
derselben Tagesstunde, an denen der Mord geschehen war 357).
Dies mag hier Absicht gewesen sein 3575). Findet dagegen ein
solches Zusammentreffen der Zeiten wider Erwarten und
ohne Zutun der Menschen statt, so freut man sich hieran als
an einem Beweise göttlicher Gerechtigkeit. Bald ein wirk-
liches Geschehen deutend bald ein ideales schaffend geht man
den Spuren dieser Gerechtigkeit nach, und die Interpreten der
Wirklichkeit, Historiker und Journalisten, scheinen an einem
solchen Zusammentreffen der Zeiten kaum minder interessiert
als die Poeten in ihrer Welt des kunstvollen Scheins. Eine be-
deutende, zu ernsten Betrachtungen aufregende Fügung mochten
nach Friedrich von Raumers Ansicht Manche darin sehen, daß
Papst Innocenz am Jahrestage des Todes Kaiser Friedrichs II,
am 13 ten Dezember 1254, starb 555); und auch in der neusten
Geschichte findet es ein Historiker bemerkenswert, daß am
189 sten Jahrestage der Besitzergreifung Straßburgs durch Lud-
wig XIV ein deutscher Fürst, der Großherzog Friedrich von
Baden, im Geleite seiner Krieger in die Feste einzog 355). Durch
die Uebereinstimmung der Zeiten soll die spätere Handlung als
eine Sühne der früheren erscheinen. Sogar unsere Tagesblätter
unterlassen es nicht zu notieren, daß mit der Wiederkehr des-
selben Tages, an dem Mörder ihr Verbrechen begangen, die-
selben auch den verdienten Lohn empfingen 350). Unter den
286) ο, 8. 448 f.
391) Justi Winckelmann 2, 438.
2916) Vgl. Friedjung Oesterreich von 1348—1860 1, 220: „Am Tage
nach dem Falle Komorns wurde das Bluturteil zu Arad vollzogen. Es
war der 6. Oktober, und dieser Tag wurde deshalb gewählt, weil genau
ein Jahr vorher Kriegsminister Latour in Wien ermordet worden war“.
2398) Fr. v. Raumer Hohenstaufen? 4, 327.
399) A. Dove Großherzog Friedrich 159.
800) Vgl. was über die Hinrichtung zweier Raubmörder berichtet
wird im „Tag“ 1905 27. Febr. No. 985 und 31. August No. 428». In
derselben Zeitung vom 6. Dezember 1906 war zu lesen: „Der Raub-
Die Talion. 459
Dichtern mußte namentlich den Romantikern dieses Mittel
willkommen sein, um mystische Schauer in der Seele des Lesers
zu erregen. Die Gräfin Dolores „starb den vierzehnten Juli,
an demselben Tage, in derselben Mitternachtstunde, in welcher
sie vor vierzehn Jahren die heilige Treue gegen Gott und
ihren Mann gebrochen“ ἢ, Das crasseste und bekannteste
Beispiel der Art ist Zacharias Werners 24 ster Februar.
Den Flug in dieses geheimnisvolle Land, wie andere ro-
mantische Flüge, hat schon die Phantasie des Altertums gewagt.
Daß es bei Bestrafungen, noch mehr als auf Beschleunigung,
auf Beobachtung der rechten Zeit ankomme, betont Plutarch 395).
Und diese Zeit war für den König Agathokles von Syrakus
gewonnen mit der Wiederkehr desselben Monats und desselben
Tags, an denen er den Ophellas gemordet und sich dessen Heer
genommen und an denen er nun sein eigenes Heer und durch
den Tod seine beiden Söhne verliert, zum deutlichen Zeichen,
sagt Diodor, daß eine Gottheit über den Geschicken der Menschen
waltet 9). So schien auch Ventidius’ Sieg über Pacorus und
die Parther den Römern namentlich deshalb eine volle Genug-
tuung für Crassus’ Niederlage zu sein, weil der Sieg auf den-
selben Tag fiel, an dem vor fünfzehn Jahren die Niederlage
stattgefunden hatte 59). Nur scheinbar aus älteren Quellen
schöpfend 305) erzählt in späterer, hadrianischer Zeit Phlegon,
daß ein Jahr nach dem Tage, an dem die ÄAetoler sich einem
mörder Henning hat den Mord genau ein Jahr später mit dem Tode
gesühnt. Er hat den Kellner Giernoth am 5. Dezember 1905 umge-
bracht; ein Jahr später war er selber seinem Schicksal verfallen.“
801 A. v. Arnim Werke 8, 449. „Ewige Gerechtigkeit“ ruft der
Dichter gleich nach diesen Worten aus. Auch die doppelte Vierzehn
scheint bemerkenswert: o. S. 441, 200.
302) Plutarch De s. n. v. 8 p. 553 D: Τὸ δ᾽ ἐν καιρῷ καὶ τρόπῳ προ-
σήχοντι γενέσϑαι τὰς τιμωρίας οὐ βέλτιον εἶναι νομίζεις τοῦ ταχὺ καὶ παρα-
χρημα;
303) Diod. Sic. XX 70, 3: Εἷς τηλικαύτην δ᾽ ὑπεροχὴν προελϑόντος αὖ-
τοῦ, καὶ τὸν ᾿Οφέλλαν φονεύσαντος ὄντα φίλον καὶ ξένον, φανερῶς ἐπεσημή-
γατο τὸ δαιμόνιον, ὡς διὰ τὴν εἰς τοῦτον παρανομίαν τῶν ὕστερον αὐτῷ YEye-
νημένων τὸ ϑεῖον ἐπιστήσαι. Τοῦ γὰρ αὐτοῦ μηνὸς καὶ τῆς αὐτῆς ἡμέρας
Ὀφέλλαν ἀνελὼν παρέλαβε τὴν δύναμιν καὶ πάλιν τοὺς υἱοὺς ἀπολέσας
ἀπέβαλε τὸ στρατόπεδον ο. S. 440, 198.
804) Cassius Dio 49, 21, 2: ἐψηφίσαντο δὲ χαὶ τῷ Οὐεντιδίῳ, ἅτε καὶ
τὴν συμφορὰν τὴν ἐπὶ τοῦ Κράσσου σφίσι γενομένην ἱκανώτατα τοῖς Πάρϑοις
διὰ τοῦ Πακόρου, καὶ μάλιστα ὅτι ἐν τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ ἑκατέρου τοῦ ἔτους ἄμ-
φότερα συνηνέχϑη, νομίζοντες ἀνταπυδεδωχέναι.
306) E. Rohde Kl. Schr. 2, 183 ff.
400 R. Hirzel,
Gespenst ungehorsam gezeigt, sie auch das dafür angedrohte
Unglück trifft 3°). Das Walten einer rächenden Gottheit wollte
auch Sueton fühlbar machen, so trocken seine Worte lauten,
wenn er sagt, daß Nero starb im 32sten Jahre seines Alters
an demselben Tage, an dem er einst die Octavia getötet hatte ?”).
Nicht besser erging es unser aller Stammvater Adam, wenig-
stens nach der Vorstellung eines auf die Talion aller Art so
erpichten Mannes, wie des Byzantiners Cedrenus °°®), der ihn
sterben läßt genau an dem gleichen Tage, an dem er vor Jahr-
hunderten gesündigt hatte ®®). Selbst die Tageszeit erschien
nicht gleichgültig: die Schlangen, die das Herakleskind um
Mitternacht töten wollten, sollen um Mitternacht verbrannt
werden, so gebietet es der Seher Teiresias und so erzählt es
uns freilich erst Theokrit 510).
Wohl nicht zufällig gehören diese Beispiele einer späteren
Zeit an. Die in ihnen sich aussprechende Vorstellung, daß mit
der Wiederkehr gleicher Zeiten das Bild des Frevels
in der Strafe sich gewissermaßen erneut, erinnert doch sehr
an die gleichfalls bei den Griechen nur spät und allmählich sich
verbreitende phantastische Lehre von der Wiederbringung aller
Dinge, die der Ablauf hier nicht eines gewöhnlichen, sondern
des großen, des Weltenjahrs zur Folge hat 311),
Höchstens eine Ahnung solcher Zusammenhänge, könnte
man meinen, dämmert schon in einer der letzten unter den
306) Phlegon Mirab. 2 (S. 123 ff. in Westermanns Paradoxogr.).
Heute übers Jahr ist Allen der Tod bestimmt (ἤματι γὰρ τούτῳ περιτελ-
λομένου ἐνιαυτοῦ ὥρισται πᾶσιν ϑάνατος S. 124, 17 Westerm.), so sprach
es aus dem Haupt des getöteten Kindes und so ging es in Erfüllung.
307 Sueton. Nero 57: Obiit triecensimo et secundo aetatis anno, die
quo quondam Octaviam interemerat.
308) Derselbe Cedrenus Hist. Comp. I Sp. 657 Migne hält es sogar
für bemerkenswert, daß das römische Reich mit einem Romulus begann
und mit einem Romulus sein Ende erreichte, daß also auch hier, und
nicht bloß in dem Verhältnis der Strafe zum Verbrechen, das Ende
zum Anfang zurückkehrt.
309%) Cedrenus Hist. Comp. I Sp. 41 Migne: Τῷδε ἐνναχοσιοστῷ τρια-
χοστῷ ἔτει ᾿Αδὰμ ἐχοιμήϑη κατ᾽ αὐτὴν τῆς παραβάσεως ἡμέραν.
310) Theokrit. Id. 24, 89 f.: καῖς δὲ τώδ᾽ ἀγρίαισιν ἐπὶ σχίζαισιν δρά-
χοντε νυχτὶ μέσᾳ, ὅχα παῖδα χανεῖν τεὸν ἤϑελον αὐτοί.
311 Was den Ursprung dieser Lehre bei den Griechen betrifft, so
geht auch Zeller Phil. ἃ. Gr. I* 411, III 13 154 f. nicht über die Pytha-
goreer zurück; Th. Gomperz Gr. D. 1, 116 traut sie nicht einmal die-
sen zu.
Die Talion. 461
homerischen Dichtungen, im Schiffskatalog, nach dessen Er-
zählung Peirithoos für die an seiner Hochzeit ihm angetane
Schmach sich an den Kentauren rächt an demselben Tage, an
dem ihm der Sohn Polypoites geboren wird ὅ15), d. 1. in der
homerischen Sprechweise nach Ablauf eines Jahres 315). Die
Rache geht auf wie die Saat 512).
Gefördert wurde dieser Aberglaube durch einen andern
älteren, der ebenfalls von der Wiederkehr gewisser Tage
die gleichen Schicksale hoffte oder fürchtete, indem er diese
Tage ein für alle Mal zum Glück oder Unglück bestimmt
glaubte. Dieses Glaubens war schon Hesiod 515) und namentlich
pflegten ihn die Orphiker ®!°). In zahllosen Beispielen kommt er
zum Ausdruck; hier gehen uns nur solche an, in denen ein
bestimmtes Ereignis oder eine Tat den Tag gestempelt haben,
die nun immer weiter bei der Wiederkehr desselben Tages zu
ähnlichen Ereignissen oder Taten drängen.
Auch hier fehlen Beispiele gerade der letzteren Art aus
der wirklich alten Zeit; desto mehr bietet deren die spätere.
Daß die Schlacht bei Tagliacozzo auf den Bartholomäustag
fiel, hat der Geschichtsschreiber der Hohenstaufen hervorge-
hoben nicht ohne zu bemerken, wie unheilvoll auch sonst in
der Geschichte gerade dieser Tag gewesen ist 5). Was dieser
Glaube auch für die Praxis bedeutet und wie er in die Be-
rechnungen selbst der Strategie sich eindrängt, zeigt das Bei-
22), Hom. 11.42), 742 Ὁ}:
τόν ῥ᾽ ὑπὸ Πειριϑόῳ τέκετο χλυτὸς Ἱπποδάμεια
ἤματι τῷ ὅτε φῆρας ἐτίσατο λαχνήεντας.
318) Hom. Od. 11, 248 sagt Poseidon nach dem Beilager zur Tyro:
χαῖρε, γύναι, φιλότητι, περιπλομένου δ᾽ ἐνιαυτοῦ
τέξεαι ἀγλαὰ τέχνα.
Aus dem Samen des Uranos gebiert die Erde Erinyen und Gi-
ganten περιπλομένων ἐνιαυτῶν Hesiod Th. 184. Vgl. hiermit die Be-
deutung von περιτελλομένου ἐνιαυτοῦ in der Weissagung bei Phlegon o.
S. 460, 306.
514) Diese oft wiederholte Vergleichung schon bei Hesiod fr. 174
Rzach ed. mai.: Ei κακά τις σπείραι, κακὰ κέρδεα χ᾽ ἀμήσαιτος Auch das
Aufgehen der Saat erfolgte aber mit dem περιπλόμενος ἐνιαυτός : Hesiod
W. u. T. 386.
315) Hesiod W. u. T. 765 ff.
316) Lobeck Aglaoph. 1,428 ff.
517) Raumer Hohenst.? 4,567: die Schlacht „fällt auf den durch
so viel furchtbare Ereignisse bezeichneten Tag des heiligen Bartholo-
mäus“,
402 R. Hirzel,
spiel Friedrichs des Großen, der für den 18. Juni, den Jahres-
tag von Kolin mehr als sonst auf der Hut sein zu müssen
glaubt, „weil Daun sich einbilden wird, daß der Tag ihm favo-
rabel ist“ 15). Vollends steht dieser Glaube an die gleichartige
und gleichwirkende Natur gewisser Tage in der Welt der Dich-
ter fest, und Byron konnte deshalb den Schluß wagen, daß,
weil Cromwell am Tage zweier Siege stirbt, auch der Tod für
ihn ein Glück gewesen sein müsse 31?),
Gehen wir sodann weiter zurück auf das Altertum zu,
so lesen wir bei byzantinischen Historikern, daß Kaiser Leo
an demselben Tage stirbt, an dem er einst war verwundet
worden 35. Aus der früheren Zeit der römischen Kaiser er-
zählt uns Tacitus von zwei Bränden Roms, die an demselben
Tage stattfanden 351), und sein Zeitgenosse Josephus berichtet das
Gleiche mit Bezug auf zwei Brände des Tempels in Jerusalem 355);
letzterer weifS außerdem auch noch von zwei Eroberungen der
heiligen Stadt, von denen ebenfalls die zweite an die Wieder-
kehr des Tages der ersten geknüpft war 338). Bei den Römern
hat dieser Glaube auch offizielle Anerkennung erlangt. Kaiser
Tiberius ließ öffentlich bekannt geben, daß Agrippina an dem-
selben Tage geendet hatte, an dem einst Seian war hingerich-
tet worden 354); solchen Wert legte auf dergleichen Beobach-
518) Koser König Friedrich ἃ. Gr. 2, 174.
819) Byron, Childe Harold IV 85,6 mit der Anmerkung von A. Mommsen.
320) Cedrenus Hist. Comp. 1 Sp. 1149 A f. Migne: ᾿ἀπέϑανε γὰρ μετὰ
δέκα χρόνους κατ᾽ αὐτὴν τὴν ἡμέραν ἐν ἢ χαὶ ἐπλήγη. -
8321 Tacit. ann. 15, 41: Fuere, qui adnotarent quartum decimum
Kal. Sextiles principium incendii huius ortum, quo et Senones captam
urbem inflammaverint. Alii eo usque cura progressi sunt, ut totidem
annos mensesque et dies inter utraque incendia numerent. Zu der
Zahlenspielerei der „alii“ vgl. o. ὃ. 459, 301.
san) Joseph. bell. iud. VI4,5 5. 97 Bekk.: τοῦ δὲ (sc. ναοῦ) ἄρα
κατεφήφιστο. μὲν τὸ πῦρ ὁ Yeög πάλαι, παρῆν δ᾽ ἣ εἱμαρμένη χρόνων περίο-
δος, ἡμέρᾳ δεκάτῃ Λώου μηνός, καϑ' ἣν καὶ τὸ πρότερον ὑπὸ τοῦ τῶν Βαβυ-
λωνίων βασιλέως ἐνεπρήσϑη. 4, ὃ 5. 99: ϑαυμάσαι δ᾽ ἄν τις ἐν αὐτῇ (sc.
τῇ εἱμαρμένῃ) τῆς περιόδου τὴν ἀκρίβειαν. nal μῆνα γοῦν, ὡς ἔφην, καὶ
ἡμέραν ἐπετήρησε τὴν αὐτήν, ἐν Ὦ πρότερον ὑπὸ Βαβυλωνίων 6 ναὸς ἐνε-
πρήσϑη.
328) Joseph. Arch. XIV 16,4 5. 281 Bekk.: τοῦτο τὸ πάϑος συνέβη
τῇ Ἱεροσολυμιτῶν πόλει ὑπατεύοντος ἐν Ῥώμῃ Μάρχου ᾿Αγρίππα καὶ Kavı-
νίου Τάλλου, ἐπὶ τῆς πέμπτης χαὶ ὀγδοηχοστῆς χαὶ ἑἕχατοστῆς ὀλυμπιάδος,
τῷ τρίτῳ μηνί, τῇ ξορτῇ τῆς νηστείας, ὥσπερ ἐκ περιτροπῆς τῆς γενομένης
ἐπὶ Hoprniov τοῖς ᾿Ιουδαίοις συμφορᾶς " καὶ γὰρ ὕπ᾽ ἐχείνου τῇ αὐτῇ ἑάλωσαν
ἡμέρᾳ, μετὰ εἴκοσι καὶ ἑπτά.
324) Taeit. ann. 6, 25: Eodem die defunetam, quo biennio ante
Seianus poenas luisset, memoriaequae id prodendum addidit Caesar.
Die Talion. 463
tungen über die feststehende Natur gewisser Tage der Gönner
des Astrologen Thrasyllus. Und römischem Glauben galt es
nicht für zufällig, daß der Tod der Fabier an der Üremera
auf denselben Tag fiel wie die Niederlage an der Allia, auf
den Tag, der seitdem für jedes Öffentliche und private Unter-
nehmen verpönt war 55); ob freilich schon ältestem römischen
Glauben, und ob nicht auch hier die ältere Tradition sich dem
späteren Aberglauben hat fügen müssen, steht dahin 5").
Aehnliches wissen dann Römer auch aus der griechischen
Welt zu berichten. Durch einen römischen Dichter der Kaiser-
zeit, oder vielmehr nur durch seinen Scholiasten, erfahren wir,
daß immer an demselben Tage, an dem der Blitz einst in den
Asopus gefahren war, der Fluß von Neuem erglühte 55). Und
wie ein römischer Schriftsteller der Kaiserzeit, der ältere Plı-
nius, bemerkt, daß Pompeius’ Geburtstag zugleich der Tag
seines Triumphes wurde 355), so findet sich nur beim Römer
Cornelius Nepos die Nachricht, daß Timoleon seine Siege an
seinem Geburtstage gewann 53). Erst der nachklassischen Zeit
25) Liv. VI1,11: tum de diebus religiosis agitari coeptum, diem-
que ante diem XV Kal. Sextiles duplici clade insignem, quo die ad
Cremeram Fabii caesi, quo deinde ad Aliam cum exitio urbis foede
pugnatum, a posteriore clade Aliensem appellarunt, insignemque rei
nullius publice privatimque agendae fecerunt.
326) Th. Mommsen Röm. Forsch. 1255, 42 ist geneigt „die einzige
von der Alliaschlacht unabhängige Angabe des Tages der Katastrophe
(Ovid Fast. 2, 195)“ für die ältere zu halten, während Niebuhr Röm.
Gesch. II 222, 441 und Peter zu Ovid ἃ. ἃ. Ο. zwischen den streitenden
Nachrichten eine Concordanz herzustellen suchen.
327) Statius Theb. 7,325, der aber nur vom Erglühen spricht:
Adhuc ripis animosus gurges anhelis
Fulmineum cinerem magnaeque insignia poenae
Gaudet et Aetnaeos in coelum efflare vapores.
Daß dieses an die Wiederkehr der gleichen Zeit geknüpft war, bemerkt
nur Lactantius zu 7,315 „hune Juppiter fulminavit. unde hodieque
dieitur eo tempore, quo fulmen excepit, prunis viventibus fluere“ und
731 „quo facto igni divino percussus est et, ut infamia eius excepti
fulminis in aeternum maneret, dieitur hodieque illo tempore, quo ictus
est, prunis ardentibus fluere. Man darf sich hier wohl des christlichen
Aberglaubens erinnern, daß die Stigmata der Heiligen alle Freitage
von Neuem bluten.
328) P]lin. nat. hist. 37, 13: Tertio triumpho, quem de piratis, Asia,
Ponto gentibusque et regibus in septumo volumine operis huius indi-
catis M. Pisone, M. Messala consulibus pridie Kalend. Octobris natali
suo egit.
329) Nepos sieht hierin etwas Wunderbares Timol. 5, 1: Ad hanc
hominis excellentem bonitatem mirabiles accesserant casus. Nam proelia
maxima natali suo die fecit omnia; quo factum est, ut eius diem na-
464 R..Hirzel,
der Griechen gehört auch die Beobachtung an, daß an dem-
selben Monatstag der Welt geschenkt wurden der apollinische
Genius Platons und der Gott Apollon selber, und erst eine noch
spätere Zeit vermutlich ließ den Geburtstag des Maieutikers
Sokrates mit dem der Geburtshelferin Artemis zusammen fallen.
Eine magische Gewalt geht von solchen Tagen aus, so
daß sie auch den Willen der Menschen umstrickt, und zwar
nicht bloß in der Welt der Fabel. Wie moderne Regenten
frohe Gedenktage gern durch neue Taten in Krieg und Frieden
weihen 350), wie schon Arcadius an demselben Tage Augustus
wurde, der seinen Vater Theodosius zum Kaiser erhoben hatte 38),
so wird von einer dunklen Macht eine Tochter verleitet an dem-
selben Tage Selbstmord zu begehen, an dem das Jahr zuvor
ihr Vater sich das Leben genommen 385).
War man einmal geneigt die Rache auf denselben Tag
zu legen wie die Freveltat, so konnte durch den eben bespro-
chenen Glauben, daß gleiche Tage ähnliche Schicksale und
Handlungen mit sich bringen, diese Neigung nur unterstützt
werden, insofern in der Rache, wenigstens für das Vorstellen
der Menschen, die Freveltat von Neuem auflebt oder beide doch
aufs Engste zusammengehören. Die angeführten Beispiele haben
gezeigt, wie viele jenes Glaubens waren. Wie fest er aber
saß und wie weit er sich verzweigte, mag uns noch das
Spüren der Historiker nach Synchronismen lehren.
talem festum haberet universa Sieilia. Oder folgte Nepos hier dem
Timäus, dessen Vorliebe für Synehronismen bekannt ist? Jedenfalls
war unter Nepos Landleuten damals der Glaube weit verbreitet, daß
in solchen Synchronismen nicht bloß der Zufall sein Spiel habe. Dies
lehrt Cicero ad Att. IV 1,4: Brundisium veni Nonis Sextilibus: ibi mihi
Tulliola mea fuit praesto natali suo ipso die, qui casu idem natalis
erat et Brundisinae coloniae et tuae vicinae Salutis; quae res animad-
versa a multitudine summa Brundisinorum gratulatione celebrata est.
Als wenn Cicero sich im Gleichmachen nicht genug tun könnte, wird
in der Erzählung desselben Vorgangs pro Sestio 131 auch noch hervor-
gehoben, daß ihn damals aufgenommen „domus eadem optimorum et
doctissimorum virorum, M. Laenii Flacci et patris et fratris eius, —
quae proximo anno — receperat et suo praesidio periculoque defenderat“,
880) Vgl. Ovid Fast. 4, 819 f.:
apta dies legitur, qua moenia signet aratro.
sacra Palis suberant: inde movetur opus.
381) Ritter zu Cod. Theod. II S. 6548.
382) „Tag“ 1908 Nr. 29 Morgenausgabe. Ebenso hat man beobach-
tet, daß auch der Ort, an dem ein Selbstmord geschehen, leicht einen
zweiten Selbstmord dem ersten nachzieht.
Die Talion. 465
Man stellte sich nicht bloß aufeinander folgende Hand-
lungen und Ereignisse, die eine Beziehung zu einander hatten,
gern als gleichzeitige vor, sondern man suchte diese Gleich-
zeitigkeit auch im Querschnitt der Geschichte auf. Was in diesem
letzteren Sinne gleichzeitig geschah, schien ebenfalls eine be-
sondere Beziehung zu einander zu haben. Eine solche Bezieh-
ung ist die der Strafe zum Verbrechen, die uns schon in einem
Beispiel entgegentrat 558). Aber auch sonst ahnte man hier
ein göttliches Walten, wie das welches in zwei weit auseinander
liegenden Gegenden der hellenischen Welt an demselben Tage
die Hellenen zu ruhmvollem Kampfe gegen die Barbaren
führte #*). Oft freilich diente eine solche vergleichende Ge-
genüberstellung nur einer witzelnden Rhetorik, die nicht
verlegen war den ephesischen Tempelbrand und Alexanders
des Großen gleichzeitige Geburt in ein Causalverhältniß zu
bringen 385. Wo die wirkliche Geschichte im Stich ließ, half
man dann wohl auch mit künstlichen Synchronismen nach.
Außer dem Synchronismenjäger Timaios °°*) wußte Niemand
etwas davon, daß die Todfeindinnen Rom und Karthago in
einem und demselben Jahre gegründet waren 557).
333) 0. S. 457, 294.
584) Diodor. Sic. XI 24,1: Συνέβη γὰρ τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ τὸν Γέλωνα
νικῆσαι καὶ τοὺς περὶ Θερμοπύλας μετὰ Λεωνίδου διαγωνίσασθαι πρὸς Ξέρξην,
ὥσπερ ἐπίτηδες τοῦ δαιμονίου περὶ τὸν αὐτὸν καιρὸν ποιήσαντος γενέσθαι
τήν τε καλλίστην νίχην καὶ τὴν ἐνδοξοτάτην ἧτταν.
335) Plutarch Alex. 3: ᾿᾿γεννήϑη δ᾽ οὖν ᾿Αλέξανδρος ἱσταμένου μηνὸς
᾿Εχαμβαιῶνος, ὃν Μαχεδόνες Λῶον καλοῦσιν, ἕχτῃ, χαϑ' ἣν ἡμέραν ὃ τῆς
"Eyeoiag ᾿Αρτέμιδος ἔνε Ξπρήσϑη γεώς" ᾧ γ᾽ ᾿Ηγησίας 6 Μάγνης ἔπιπες φώνηχεν
ἐπιφώνημα χατασβέσαι τὴν πυρκαϊὰν ἐχείνην ὑπὸ φυχρίας δυνάμενον " εἰκότως
γὰρ ἔφη κχαταφλεχϑῆναι τὸν νεὼν τῆς ᾿Αρτέμιδος ἀσχολουμένης περὶ τὴν
᾿Αλεξάνδρου μαίωσιν. Cicero De nat. deor.2,69: Coneinneque, ut multa, Ti-
maeus, qui quum in historia dixisset, quanocte natusAlexander esset, eadem
Dianae Ephesiae templum deflagravisse, adiunxit minime id esse mirandum
quod Diana, quumin partu Olympiadis adesse voluisset, afuisset domo. Der
Ausspruch scheint beider, sowohl des Timäus wie des Hegesias, würdig,
des letzteren vielleicht noch mehr, Ich möchte deshalb Plutarch mehr
Glauben schenken und auch aus andern Gründen: denn es hat die
Wahrscheinlichkeit für sich, daß er in allem, was seinen Helden betraf,
genauer war als Cicero, der nur nebenher darauf zu sprechen kommt,
und außerdem ist auch nicht so leicht zu sagen, in welchem Werke
Timäus eine solche Aeulserung tun konnte.
36) L. Mendelssohn in Ritschls Acta 2,186 ff. C. Wachsmuth Einl.
in ἃ, Studium ἃ. alten Gesch. ὃ. 552. Doch mag hier auch noch ehren-
halber auf Dalılmanns altes, aber keineswegs veraltetes Werk über
Herodot S. 189 f. hingewiesen werden.
#7) Dion. Hal. A. R. 1, 74: Τὸν δὲ τελευταῖον τῆς Ῥώμης οἰκισμὸν ἢ
466 R. Hirzel,
Die älteste Spur wo nicht eines Synchronismus, so doch der
Hinweisung auf einen solchen begegnet uns schon bei Homer,
aber hier nur leise angedeutet 338), Bei Späteren wird die Nei-
gung immer stärker, und Heraklits Predigt, daß ein Tag wie
der andere sei 388), traf auf taube Ohren. Plutarch, der doch
nur wenige Beispiele geben will, überschüttet uns damit 55),
muß also deren noch weit mehr gekannt haben 351). Je rheto-
rischer die spätere Geschichtsschreibung wurde, desto mehr
bedurfte sie auch dieser Würze. Zwar hatte Aeschylus schon,
wie es scheint, das zeitliche Zusammentreffen der Schlachten
von Salamis und Himera zu einer künstlerisch-patriotischen
Wirkung benutzt 545); Herodot aber, obgleich er die Meinung
ὅτι δήποτε χρὴ χαλεῖν τὸ γενόμενον, Τίμαιος μὲν ὃ Σικελιώτης οὐκ old’ ὅτῳ
κανόνι χρησάμενος, ἅμα Καρχηδόνι χτιζομένῃ γενέσθαι φησίν, ὀγδόῳ καὶ
τριακοστῷ πρότερον ἔτει τῆς πρώτης ὀλυμπιάδος. Es liegt hier einer der
Gegensätze vor, in deren Zusammenfassung sich auch sonst diese rhe-
torisierende Geschichtsschreibung gefiel. Nach ihrem Sinne war es,
daß Euripides, der Tragiker der Bühne, an dem Tage starb, an dem
der ältere Dionys, der Tragiker des wirklichen Lebens, geboren wurde
(Timaios bei Plutarch Quaestt. Conv. VIII 1,1 p. 717c), daß die im
Leben sich als gegensätzliche Typen gegenüber gestanden hatten,
Alexander der Große und der Cyniker Diogenes durch die Gleichheit
des Todestages verbunden waren (Plutarch. a. a. O. Zeller Phil. d. Gr.
II 13 S. 244 Anm.); ihr gefiel es, wenn an demselben Tag ein Sieg
und eine Niederlage zu verzeichnen war (o. S. 465, 334). Aehnlich, Ent-
gegengesetztes miteinander kontrastierend, verfuhr sie übrigens auch
im Längendurchschnitt der Geschichte und ließ Geburts- und Todestag
eines Mannes zusammenfallen (wovon Plutarch Quaestt. Conv. VII
1,1 p. 717 D gleich zwei Beispiele gibt) oder hob hervor, daß der
gleiche Tag bezeichnet war durch den Sieg Luculls über Tigranes und
durch die Niederlage, die Rom von den Cimbern erlitten hatte (Plu-
tarch Camill. 19). Ovid Fast. 6, 463 sagt mit Bezug auf einen Fall der
letzteren Art: scilicet interdum miscentur tristia laetis.
33) Hom. 1]. 2,740 ff. Hier wird hervorgehoben, daß Hippodameia
einen Sohn gebar an demselben Tage, an dem Peirithoos sich an den
Kentauren rächte. Bemerkenswert wird aber dieser Synchronismus
erst, wenn man aus der Sage hinzunimmt, daß der Frevel der Ken-
tauren gerade am Hochzeitstage begangen war (o. S. 461). Diesen
Umstand verschweigt aber der homerische Dichter, so daß der an sich
so bedeutungsvolle Parallelismus der Ereignisse (Mannhardt Antike
Wald- u. Feldkulte 2,45 f.) bei ihm nicht klar hervortritt.
889) Heraklit fr. 120 Byw.
. 840) Plutarch Camill. 19. Numa 9.
841) Plutarch Sertor. 1 zählt noch andere Fälle eines merkwürdigen
Zusammentreffens zwischen historischen Ereignissen und Männern auf,
Das Interesse, das man hieran nahm, ist freilich keines, das sich auf
die Uebereinstimmung der Zeiten bezog, aber es ist doch dem ver-
wandt, das zum Aufspüren und Feststellen von Synchronismen führte,
322) Daß aber etwas Aehnliches sich auch bei Pindar Pyth. 1, 75 ff.
finde, scheint mir Busolt Gr. Gesch. II? S. 790, 1 nicht mit Recht an-
zunehmen.
Die Talion. 467
kennt, daß an demselben Tage die Barbaren des Ostens und
die des Westens in entscheidendem Kampfe besiegt wurden,
hat doch kein Wort über die Bedeutung dieses Synchronis-
mus #2), und noch weiter geht Aristoteles, der gerade diesen
Synchronismus gewählt hat, um die vollkommene Bedeutungs-
losigkeit eines solchen zeitlichen Zusammentreffens zweier Er-
eignisse zu zeigen, die, wenn auch der Zeit nach aufs Engste
verbunden, doch unter sich nicht die geringste Beziehung
haben 832. An diese einfach-nüchterne Auffassung solcher Dinge
halte man die Darstellung Diodors von Sicilien 345), der den
Kampf bei Thermopylä der Schlacht bei Himera gleichzeitig
setzt und dies außer zu einer rhetorischen Pointe 5.5) auch
zu einem Hinweis auf das Walten der Gottheit benutzt 557).
Auch Herodot ist ja überall darauf aus, uns das Eingreifen
göttlicher Gewalten in den Gang der menschlichen Geschicke
zu zeigen, und besonders erwähnt er dergleichen, wo er von
der Gleichzeitigkeit der Schlachten bei Platää und bei Mykale
redet, aber gerade diese Gleichzeitigkeit rechnet er nicht unter
die göttlichen Zeichen (dei«) 5:5).
So bewährt sich auch hier wieder °*°), daß das Streben,
auch die Zeiten auf einander bezüglicher Handlungen und Er-
eignisse möglichst unter sich auszugleichen, in höherem Grade
erst später auftritt. Insofern dies mit zur Talion gehört, den
Gipfel derselben darstellt, zeigt sich nur von Neuem, daß die
weitere Ausbildung, ja Raffinierung derselben nicht das Ur-
sprüngliche ist °°). Es ist nicht eben die „prisca
gens mortalium‘“, die vorzüglich von solchem
Streben geleitet wird, obgleich selbst ein Kenner
848) Herod. 7,166: πρὸς δὲ χαὶ τάδε λέγουσι, ὡς συνέβη τῆς αὐτῆς
ἡμέρης ἔν τε τῇ Σιχελίῃ Γέλωνα χαὶ Θήρωνα νικᾶν ᾿Αμίλχαν τὸν Καρχηδό-
νιον χαὶ ἐν Σαλαμῖνι τοὺς Ἕλληνας τὸν Πέρσην.
344) Aristot. Poet. 28 p. 1459 a 25 ff.: — — ὡς ἔτυχεν ἔχει πρὸς ἄλληλα.
ὥσπερ γὰρ χατὰ τοὺς αὐτοὺς χρόνους ἣ τ᾽ ἐν Σαλαμῖνι ἐγένετο ναυμαχία
χαὶ ἢ ἐν Σικελίᾳ Καρχηδονίων μάχη οὐδὲν πρὸς τὸ αὐτὸ συντείνουσα τέλος κτλ.
845) Diod. Sic. XI 24,1 ο. 3. 4θ5, 884. Timaios? Busolt Gr. Gesch.
E=790,.1.
346) Kontrast zwischen vixn und ἧττα.
317) ὥοπερ ἐπίτηδες τοῦ δαιμονίου — — ποιήσαντος χτλ.
848) Herod. 9, 100.
δαῦτο; 9. 46] τ
60) 0, S. 434.
408 R. Hirzel,
antiken Aberglaubens, wie Lobeck, sich hierüber im Irrtum
befand 351).
Von den beiden großen Tragikern ist gerade der jüngere,
Sophokles, ein energischerer und consequenterer Anwalt der
Talion gewesen als Aeschylus, so grandios übrigens in des letz-
teren Agamemnon und Choephoren der Talionsgedanke wieder-
klingt, mächtiger noch dadurch, daß die beiden Stücke sich
an einander anschließen und das eine die Wirkung des anderen
verstärkt. Aber bei Aeschylus erscheint die Talion als brüchig
und bedarf deshalb der nachfolgenden Sühne; für Sophokles
dagegen stellt sie das volle Recht dar, so daß der Vollstrecker
derselben, sein Orest, vor den Angriffen der Erinyen gesichert
ist 2). Die Talion des jüngeren Tragikers erschien uns be-
reits als raffinierter, da sie über die Angleichung des Modus
der Ausführung 355). hinaus auch auf die des Ortes 353 und
der Zahl der Schläge 355) sich erstreckte. Man glaubt den
Apostel der pythagoreischen Gleichheit auch hier wieder zu
hören, als der sich der Dichter anderwärts vernehmen läßt 556),
Ueberhaupt lagen diesem Dichter Rechtsfragen viel mehr am
Herzen als Neuere Wort haben wollen 357). In Grübeleien ver-
51) Lobeck zu Soph. Ai. 1029 spricht von „superstitiosa illa for-
tuitarum συνεμπτώσεων observatione, qua prisca gens mortalium duci
solebat“.
352) Schl. der Elektra. Vermittelst der Talion rechtfertigt der Dichter
sogar den Vatermord 0.0. 270 ff.:
χαίτοι πῶς ἐγὼ χαχὸς φύσιν,
ὅστις παϑὼν μὲν ἀντέδρων, ὥστ᾽ εἰ φρονῶν
ἔπρασσον, οὐδ᾽ ἂν ὧδ᾽ ἐγιγνόμην κακός;
vgl. hierzu meinen Eid S. 94, 1.
353) Diese Angleichung auch bei Aeschylus o. S. 434.
354) 0. S. 447. 855). 0.8. 44:1: Ὁ-
356) Soph. Ai. 669 ff. Vgl. meine Themis 311, 5.
57) Z. B. meint Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurispru-
denz S. 229, 2, daß in Sophokles’ Elektra „die markige Zeichnung der
sittlich juridischen Factoren“ verwischt sei. Auch Mau in Commentt.
Momms. S. 292, 2 behauptet, daß ein Vorschlag zur Vereinfachung
des Strafgesetzes, wie ihn Sophokles El. 1505 ff. (o. S. 457, 292) zu ma-
chen scheint, nicht den Anschauungen des Dichters entspricht. Vgl.
im übrigen o. S. 410,24a. 418 f. und meinen Eid 7] ff. Auch in den
Worten voll blutiger Ironie Soph. Ὁ. R. 810 (od μὴν ἴσην γ᾽ ἔτισεν,
ἄλλὰ συντόμως σκήπτρῳ τυπεὶς ἐκ τῆσδε χειρὸς ὕπτιος μέσης ἀπήνης εὐϑὺς
ἐχκχυλίνδεται), in denen Oedipus seiner Ermordung des eigenen Vaters
gsedenkt, werden wir auf das herrschende Talionsprinzip verwiesen.
Wie angelegentlich im Kreise des Perikles, mit dem sich doch auch So-
phokles berührte, gerade Rechtsfragen erörtert wurden, ist aus Plu-
tarch Per. 36 bekannt.
Die Talion. 469
liert er sich darüber, und bildet sich die Sage, selbst die ihm
so ehrwürdige homerische, zum Vehikel derartiger Gedanken.
Man weiß, wie beim epischen Dichter die Leiche Hektors an
den Wagen Achills gebunden wird, beim Tragiker geschieht
dasselbe dem noch Lebenden, und zwar geschieht es ihm mit-
telst des Gürtels, den er einst von Aias empfangen: erst so
konnte der Teukros des Sophokles auf das wunderbare Schick-
sal zweier Sterblichen hinweisen, von denen jeder durch das
Geschenk des andern seinen Tod findet, Hektor durch den
Gürtel, den er von Aias erhalten, und dieser durch das Schwert,
das ihm Hektor gegeben und in das Aias sich gestürzt hat 555),
Mag Sophokles dieß selber erfunden oder mag er nur die Er-
findung eines Andern benutzt haben, jedenfalls waltete auch
dann die Absicht vor, die Talion an einem besonders einleuch-
tenden Beispiel zu zeigen.
Wie schon früher vermutet wurde °°°), stand Sophokles
damit nicht allein. Zwei so fromme Dichter, wie er und Aeschy-
lus, sind auch hier religiösen Einflüssen zugänglich. Die Talion
wird bei beiden dem Orest durch das delphische Orakel zur
Pflicht gemacht, und zwar nicht einfach, sondern mit einer
gewissen Umständlichkeit, so daß es, außer auf die Tatsache der
Rache, auch auf die Art ihrer Ausführung ankommt 55). Auf An-
stiften des pythischen Gottes wird auch die Νεοπτολέμειος τίσις ὅ50 8)
358) Soph. Ai. 1028 ff.:
σχέψασϑε, πρὸς ϑεῶν, τὴν τύχην δυοῖν Bporotv.
"Exrtwp μέν, ᾧ δὴ τοῦδ᾽ ἐδωρήϑη πάρα
ζωστῆρι πρισϑεὶς ἱππικῶν ἐξ ἀντύγων
ἐχνάπτετ᾽ αἰέν, ἔς τ᾽ ἀπέφυξεν βίον"
οὗτος δ᾽ ἐχείνου τήνδε δωρεὰν ἔχων
πρὸς τοῦδ᾽ ὄλωλε ϑανασίμῳ πεσήματι.
ἄρ᾽ οὖκ ᾿Βρινὺς τοῦτ᾽ ἐχάλχευσε ξίφος
γχάχεῖνον "Ardng, δημιουργὸς ἄγριος;
ἐγὼ μὲν οὖν καὶ ταῦτα χαὶ τὰ πάντ᾽ ἀεί
φάσχοιμ᾽ ἂν ἀνθρώποισι μηχανᾶν ϑεούς ᾿"
ὅτῳ δὲ μὴ τάδ᾽ ἐστὶν ἐν γνώμῃ φίλα,
χεῖνός τ᾽ ἐχεῖνα στεργέτω χἀγὼ τάδε.
Die letzten Worte scheinen auf ein Glaubensbekenntnis zu deuten, das
der Dichter selber hier durch Teukros’ Mund ablest.
359) 0. S. 448. 360) 0. S. 434.
3608) 0, S. 437,235. Nach Eur. Andr. 1147 und schol. ist die Stimme,
die aus dem Heiligtum dringt und schließlich zur Ermordung des Neo-
ptolemos führt, die Stimme des Gottes. Andere hielten, was am Einde
auf dasselbe hinausläuft, die Priester für die Anstifter des Mordes:
Blümner-Hitzig zu Pausan. I S. 186.
Pbilologus, Supplementband XI, viertes Heft. ol
470 R. Hirzel,
vollzogen, in der doch die Macht der Talion besonders anschau-
lich wird: denn selbst ein göttliches Gesetz, das Gesetz, wel-
ches verbietet, das Heiligtum mit Blut zu beflecken, muß sich
hier der Talion beugen, damit diese an Neoptolemos vollstreckt
werden könne, so wie am Schluß der Volsungasaga die Un-
verwundbarkeit der Helden, eine Art Naturgesetz in der Welt
der Fabel, nur durch die Talion bezwungen werden kann, nur
durch Steine getötet werden können die an Steinen gefrevelt
haben ὅ ἢ, Daher mußten Männer, deren Weisheit sich ge-
nährt und gekräftigt hatte an der Luft des delphischen Orakels,
die Vertreter einer delphischen Theologie, auch besonders
laute Verkünder des Talionsgedankens werden, wie Hesiod 355)
und Pindar 3%), wie die Pythagoreer 3") und Plutarch 3%), und
konnte dieser Gedanke, den Aeschylus einen uralten nennt 5,
der sonst als eine Rechtsregel des Rhadamanthys erscheint 557),
schließlich für einen pythischen Orakelspruch gelten 368),
Die Talion aus natürlichem Keim erwachsen, aus dem
tief wurzelnden und verbreiteten Drange, den Frevler das von
ihm verursachte Leiden auch an sich selber kosten zu lassen,
ist dann künstlich, namentlich auch von Theologen, gepflegt
und weiter entwickelt worden zu einer Vergeltung, die mehr
und mehr, und nach verschiedenen Richtungen zu, die Strafe
dem Verbrechen anzugleichen sucht. Erst allmählich ist sie so
aus einem dunkeln Triebe, dem man sich unwillkürlich über-
ließ, zu einem klaren Rechtsprinzip geworden, das man mit
Bewußtsein durchzuführen suchte. Nicht von jeher hat sie ihre
861) 0.8. 426.
362) Hesiod. fr. 174 Rzach ed. mai.:
Ei χαχά τις σπείραι, κακὰ κέρδεά χ᾽ ἁἀμήσειεν᾽"
εἴ χε πάϑοι τά χ᾽ ἔρεξε, δίκη κ᾽ ἰϑεῖα γένοιτο.
363) Pindar Nem. 4, 31:
ἐπεὶ ῥέζοντά τι καὶ παϑεῖν ἔοικεν.
364) Ueber deren ἀντιπεπονθϑὸς vgl. meine Themis $. 193 f£.
365) Plutarch. Arat. 45: καὶ ταῦτα μὲν ἔσχε τὸν τῆς ἀμύνης νόμον
χτλ. Theseus 11. Auch die Wendung δράσαντάς τι παϑεῖν Aristid. 18
(vgl. dazu Hercher praef. ad Aristid. p. ID), obwohl in anderem Sinne
gebraucht, soll doch wohl an die alte Talionsregel anklingen, vgl. Comp.
Ag. et Cleom. et Gracch. 4.
368) τριγέρων μῦϑος Aesch. Choeph. 313 u. Wecklein.
37) Ὁ: 15: AUT,
368) Julian Caesar. 314 A: ἢ λέληϑεν ἣ δοθεῖσα Δελφοῖς μαντεία
„al χε πάϑῃ τά τ᾽ ἔρεξε, δίκη χ᾽ ἰϑεῖα γένοιτο“.
Die Talion. 471
später so bedeutende Rolle in den Sagen von Herakles und
Theseus, den rechtbringenden der Heroen, gespielt. Herakles
war Anfangs überhaupt kein Heros der Gerechtigkeit 369). Aber
auch der Cyklus von Talionstaten 879), die Theseus auf dem
Wege von Trözen nach Athen vollbringt, die Tötung des Sinis,
des Skeiron, des Kerkyon und des Prokrustes °”!), scheint nicht
etwas Ursprüngliches, sondern macht eher den Eindruck einer
Konstruktion, die den Zweck hatte, einen Triumphzug der Talion
darzustellen, einer Konstruktion übrigens, deren Gefüge schon
den Alten nicht ganz fest erschien 3). Erst Spätere, wie
Plutarch, der auch hier wohl von Lokalpatriotismus getrieben
wurde, sahen dann in Thesens gar nur einen Nacheiferer des
Herakles, und meinten, daß der ältere Heros mit seiner Be-
strafung des Busiris, Antaios, Kyknos und Termeros, denen
man noch Lityerses 575) hinzufügen könnte, das Vorbild gege-
ben habe °”*).
In wie weit etwa hierbei auch religiöse Tendenzen mit-
gewirkt haben, entscheide ieh nicht. Jedenfalls wurde, wie
369) Meine Themis 183, 1.
370) Preller Gr. Myth. 2?, 289.
371) Plutarch Thes. 8: Ἔν δ᾽ ᾿Ισϑμῷ Σίνιν τὸν πιτυοκάμπτην ᾧ τρόπῳ
πολλοὺς ἄνήρει, τούτῳ διέφϑειρεν αὐτός χτλ. 10: Σκείρωνα δὲ πρὸ τῆς Me-
γαριχκῆς ἀνεῖλε ῥίψας κατὰ τῶν πετρῶν, ὡς μὲν ὁ πολὺς λόγος λῃστεύοντα τοὺς
παριόντας, ὡς δ᾽ ἔνιοι λέγουσιν ὕβρει καὶ τρυφῇ προτείνοντα τὼ πόδε τοῖς ξέ-
νοις καὶ χελεύοντα νίπτειν, εἶτα λαχτίζοντα χαὶ ἀπωϑοῦντα νίπτοντας εἰς 9ά-
λατταν. 11: Ἔν δὲ ᾿Ελευσῖνι Κερχκυόνα τὸν ἐξ ᾿Αρκαδίας χκαταπαλαίσας ἀνεῖλε᾽
χαὶ μικρὸν προελθὼν Δαμάστην ἐν "Epper τὸν Προχρούστην, ἀναγκάσας αὐτὸν
ἀπισοῦν τοῖς χλιντῆρσιν ὥσπερ τοὺς ξένους ἐχεῖνος.
372) Man sehe doch, welche Mühe sich Plutarch Thes. 9 gibt in
dieser Reihe der Talionstaten auch das Abenteuer der krommyonischen
Sau als ein πάρεργον ὅδοῦ unterzubringen. Megarische Schriftsteller
leugneten gar, daß Skeiron ein Verbrecher gewesen sei und verwandel-
ten ihn im Gegenteil in einen Freund aller guten und gerechten
Männer, der selbst die Räuber gezüchtigt hatte und an dem daher
eine Talion von Rechtswegen gar nicht vollzogen werden konnte: Plu-
tarch a. a. O. 10.
373) Preller Gr. Myth. 22, 229 ἢ, wo auch noch das ähnliche Bei-
spiel des Syleus sich findet.
374) Plutarch Thes. 11 nach den o. Anm. 371 angeführten Worten:
"Enporte δὲ ταῦτα μιμούμενος τὸν Ἡραχλέα. Καὶ γὰρ ἐκεῖνος οἷς ἐπεβουλεύετο
τρόποις ἀμυνόμενος τοὺς προεπιχειροῦντας ἔϑυσε τὸν Βούσιριν καὶ χατεπά-
λαισε τὸν ᾿Ανταῖον χαὶ τὸν Κύκνον κατεμονομάχησε nal τὸν Τέρμερον συρ-
ρήξας τὴν κεφαλὴν ἀπέκτεινεν. ᾿Αφ᾽ οὗ δὴ καὶ τὸ Τερμέρειον καχὸν
ὀνομασϑῆναι λέγουσι ᾿ παίων γάρ, ὡς ἔοιχε, τῇ κεφαλῇ τοὺς ἐντυγχάνοντας
ὃ Ῥέρμερος ἀπώλλυεν. Οὕτω δὴ nal Θησεὺς κολάζων τοὺς πονηροὺς ἐπεξῆλ-
ϑεν, οἷς μὲν ἐβιάζοντο τοὺς ἄλλους, ὕπ᾽ ἐκείνου χαταβιαζομένους, ἐν δὲ τοῖς
τρόποις τῆς ξαυτῶν ἀδικίας τὰ δίκαια, πάσχοντας.
ΒΝ
472 R. Hirzel,
wir schon sahen 3“), in den Kreisen einer gewissen Theologie
für die Talion bewufßstte Propaganda gemacht 57). Die Talion
erschien als ein heiliges BRechtsprinzip, und da man nun von
theologischer Seite her, um die Macht und Geltung des Rechts
zu erweisen, von jeher auch das Leben nach dem Tode zu
Hilfe genommen hat, so lag es nahe, auch die Talion dorthin zu
übertragen und die Strafen auch in der Unterwelt diesem
Prinzip anzupassen. Als einen Ausdruck der Talion hat man da-
her angesehen, was uns von solchen Unterweltsstrafen bereits
die Odyssee erzählt. Ich glaube indessen, nicht mit Recht 577).
Nur ganz spät wird im Altertum das ewige Schmachten des
Tantalos als die angemessene Strafe für seine übermäßige
Genußgier aufgefaßt, noch Virgil verhängt die gleiche Strafe
über Ixion und Peirithoos 5“), Statius über Phlegyas 575), also
für ganz andere Verbrechen, ja dieselbe Strafe ist dem deut-
schen Recht bekannt und hier erleiden sie säumige Dingpflich-
tige ®®%). Auch das Rädern des Ixion, so nahe es den Gedanken
an dessen τροχήλατος μανία lest!) und so sehr die Sünde
selber hier dem Verbrecher zur Qual zu werden scheint, ist
doch so wenig als das Steinwälzen des Sisyphos eine diesem
einzelnen Frevler und seinem besonderen Verbrechen ange-
glichene Strafe, vielmehr waren beide Strafen auch sonst in
Uebung 353). Es waren Strafen, die auch die Oberwelt kennt,
875) 0. 8. 469.
376) Auch an Teiresias, der auf Talion sogar in der Ausgleichung
der Zeit dringt, mag hier erinnert werden: o. S. 460.
311) 0. 8. 427.
378) Virgil Aeneis 6, 601 ff.
379) Statius Theb. 1, 712 ff.
380) Grimm RA 842 Anm.: „Nach dem Frankfurter fronhofsrecht
wird der säumige dingpflichtige so lange mit gebundenen händen, vor-
gehängter speise und weinflasche, wovon er nichts genießen kann, ge-
fangen gehalten, bis er sich löst.“ Mit der andern Vorstellung, die
Tantalos in der Luft schweben läßt (ἀέρι ποτᾶται Eur. Or. 5f. vgl.
Lucret. 3, 980), läßt sich vergleichen die Art, wie sich das Mittelalter
Muhammeds Strafe dachte nach Petrus de Vineis Querimoniae 31:
Machometi vero corpus in aöre pendere didicimus obsessum daemoni-
bus, animam inferni cruciatibus deditam. Vgl. Prometheus’ αἰϑέριον
χίνυγμα Aesch. Prom. 159 f. Kirch.
881) Eur. J. T. 81 u. dazu Köchly u. Bruhn. Herakles, da er sein
fluchbeladenes wie im Wahnsinn umhergetriebenes Leben schildern
will, nimmt zur Vergleichung τὸν ἁρματήλατον ᾿Ιξίονα : Eur. Herc. fur.
1297 £.
382) Schon Grimm RA 6883 hat zur Strafe des Räderns Ixion ver-
glichen. Nach ihm war das Rädern ursprünglich ein Ueberfahren, was
Die Talion. 473
und die man sich insofern auch an jenen Sündern ursprünglich
in diesem Leben vollstreckt denken konnte 355). Was die grie-
chische Hölle characterisiert, sind nicht die ausgesuchten Qua-
len der Dante’schen, wie sie eine grausam erfinderische Phan-
tasie neu erdacht hat, sondern zum größten Teile bekannte
und auch unter Menschen übliche Strafen, die nur durch ihre
ewige Dauer von allen irdischen sich unterscheiden °°*). Die
Talion haben in diese Strafen erst Spätere, wie Seneca °*°),
hineingedeutet; das Ursprüngliche war es nicht °°°). Man ist
mit den Mythen der Unterwelt nicht anders umgegangen als
mit denen der Oberwelt. Wie man den Aktaionmythos zu
diesem Zweck nicht eigentlich änderte, sondern nur leise umbog,
sahen wir bereits 5. Ebenso ist es dem Mythos von Hippo-
menes und Atalante ergangen: nach gewöhnlicher Erzählung
wurden beide in ein Löwenpaar verwandelt, weil sie einen Götter-
tempel durch ihr Beilager befleckt hatten °°®); weshalb sie gerade
in diese Tiere verwandelt wurden, dafür weiß nur Hyginus den
Grund anzugeben, weil den Löwen „dii concubitum Veneris dene-
gant“ °°°) und hat damit die Strafe in eine Talion verwandelt.
Auf dieselbe Weise holte man sich Beispiele der Talion aus
der Geschichte heraus oder trug sie in sie hinein ὅ5). So
konnten durch Deuten und Dichten späterer Zeiten auch die
großen Büßer der Unterwelt schließlich Opfer einer Talion
an den ἁρματήλατος Ἰξίων Eur. Herc. fur. 1297 erinnern kann. — Daß
das Steinwälzen des Sisyphos nicht an dessen Person gebunden war,
belegt Radermacher Rh. M. 63, 549 f. mit deutschen Volkssagen; man
ri a an die mittelalterliche Strafe des Steintragens denken (Grimm
A 720 2.).
. 353) Comparetti im Philol. 32, 242 ff. Preller Gr. M. II? 381,1.
Rohde Kl. Schr. 2, 286. Preller-Robert Gr. M. 1821. Wilamowitz Hom.
Unters. 200 f£ Auch Tzetzes Chil. 5, 479 ff. :
To λίϑον τοῦτον οἴεσθαι δισταχτικῷ τῷ τρόπῳ,
"Eyaoav, ὡς τιμώρημα Ταντάλου πεφυκέναι,
᾿Ἐχβεβλημένου μὲν ϑεῶν, ἀέρι δ᾽ ἀρτηϑέντος,
Καὶ λίϑον ἄνω χεφαλῆς χρεμάμενον σχοποῦντος.
Τοῦτο μὲν τὸ τιμώρημα ζ ὥντός φασι Ταντάλου.
384) τιμωρίαι αἰώνιοι, ἀΐδιοι Platon Gorg. 525 E Axioch 372 Af. Se-
neca Here. fur. 750 ff. Phädr. 1226 ff. Rohde Psyche II 368, 1.
885) 0. S. 427, 123.
386) Vgl. Rohde Kl. Schr. 2, 286 f.
387) 0. S. 446.
388) Ovid Met. 10, 698 ff. Verwandlung in Tiere als eine Strafe
auch o. ὃ. 436.
889) Hygin. fab. 185. 390) 0. S. 414.
474 R. Hirzel,
werden. Außer Tantalos legt dies besonders klar vor Augen
Sisyphus. Nur der späte Scholiast des Statius weiß uns zu er-
zählen von dem grausamen Räuber Sisyphos, der die Menschen
tötete, indem er einen großen Felsblock auf sie wälzte; darum
wurde nach Talionsgesetz dieser Felsblock, mit dem er Andere
gequält, in der Unterwelt ihm selbst zur Qual, da er ihn ewig
wälzen mußte 351). Ein älteres Beispiel der Talion scheint zwar
Tityos zu geben, dem der Geier an der Leber frißt, dem Sitz
der sinnlichen Begierden und so dem Teile, mit dem jener ge-
frevelt hatte 333); auch hier aber müssen wir uns hüten zu rasch
für Talion zu halten was einer späteren Zeit so scheinen mochte,
worin aber eine ältere Zeit nur die ungeheure Qual sah, die
die Götter deshalb auch über Prometheus verhängten 358) und
damit für Verbrechen, zu denen sie nicht mehr im strengen
Talionsverhältniß stand.
Das früheste sichere Beispiel einer Talion in der Unter-
welt gibt uns erst der Maler Polygnot in dem Unterweltsbilde,
das er für die delphische Lesche der Knidier gemalt hatte;
es ist die Darstellung des Gewürgten (ἀγχόμενος), des Sohnes,
der bei Lebzeiten an seinem Vater Unrecht begangen hat und
den der Vater nun in der Unterwelt würgt°”*). Es ist das einzige
Beispiel der Art auch im Gemälde des Polygnot 555) und dürfte
von dem Künstler, oder wer ihn hier inspirierte und leitete,
auf die eigene Zeit gemünzt sein, in der Söhne, die ihre Väter
391) Lactant. zu Stat. Theb. 2, 380: cum inter duo maria montem
positum Sisyphus crudeli latrocinio occupasset — hac enim poena mor-
talium pascebatur, ut homines praegravans ingenti saxo necaret —
tandem ab accolis deorum lege punitus apud inferos saxi, quod vol-
vit, poenas exsolvit pondere.
#2) Preller-Robert Gr. Myth. I 822,1. Radermacher Rh. Mus. 63,
808, 0. δ. 420 ff.
393) Radermacher a. a. 0.
894) Paus. X 28, 4: Ἐπὶ δὲ τοῦ ᾿Αχέροντος τῇ ὄχϑῃ μάλιστα ὑπὸ τοῦ
Χάρωνος τὴν ναῦν ἀνὴρ οὐ δίκαιος ἐς πατέρα ἀγχόμενός ἐστιν ὑπὸ τοῦ πα-
τρός. Περὶ δὲ πλείστου γὰρ δὴ ἐποιοῦντο ol πάλαι γονέας ne
Ἔν δὲ τῇ Πολυγνώτου γραφῇ πλησίον τοῦ ἀνδρὸς ὃς τῷ πατρὶ ἐλυμαίνετο
χαὶ δι᾿ αὐτὸ ἐν “Αιδου κακὰ ἄναπίμπλησι, τούτου πλησίον ἱερὰ σεσυληκὼς
ἄνὴηρ ὑπέσχε δίκην κτλ.
390) Denn ob seine Darstellung der Phaidra deren Talion bedeuten
solle (Paus. X 29, 3), ist mir trotz A. Dieterich Nekyia 208, 1 doch mehr
als zweifelhaft, vel. Archiv f. Religionswiss. XI S. 92. Vebrigens wird
die Talion des Elternmords auch von Platon als einziges Beispiel her-
ausgehoben Gess. IX 872 E.
Die Talion. 475
würgten und sich so gerade jener Talion würdig machten,
wiederholt Gegenstand der Komödienkritik waren 55). Für die
ältere Zeit scheint also die Talion in der Unterwelt noch eine
Ausnahme zu sein. Diese Meinung, die überdies durch die
Unterweltsdarstellungen Platons ὅ57) und des Axiochos bestätigt
wird, umzustoßen ist auch „die gesamte spätere Apokalyptik“
nicht genügend, „die mit Vorliebe den Gedanken anwendet,
daß die auferlegte Buße irgend eine Beziehung zur Tat haben
müsse“ 39°).
Insoweit die Talion in die Unterwelt eindrang, mag Theo-
logie, insbesondere delphische, mit wirksam gewesen sein ?”°),
wie ja die Geistlichkeit verschiedener Zeiten, heidnischen und
christlichen Bekenntnisses, begierig die Talion ergriff, um an
ihr den Finger Gottes zu demonstrieren 400). Ob freilich diese
Geistlichkeit der orphischen Sekte angehörte 401), mag dahin-
gestellt bleiben. Auffallend wäre dann jedenfalls, daß die
Orphiker in diesen. Darstellungen der Unterwelt so wenig den
eigentümlichen Gerechtigkeitstrieb befriedigten, der ihnen mit
den verwandten Pythagoreern gemeinsam war 595), und der bei
ihnen wie bei diesen sich auf die Gerechtigkeit als Vergeltung
(τὸ ἀντιπεπονϑός) richtete *%°). Vielleicht erklärt sich dies aber
daraus, weil diesem Gerechtigkeits- oder Talionstrieb bei ihnen
386) Aristoph. Wesp. 1039: οἱ τοὺς πατέρας τ᾽ ἦγχον νύχτωρ χαὶ τοὺς
πάππους ἀπέπνιγον. schol. 1038: τὸ δὲ τοὺς πατέρας ἦγχον λέγει διὰ τὸν
ἥττονα λόγον, τὸν πατραλοίαν. ἣ διὰ τὸν ὕπ᾽ αὐτοῦ, ὥς φησι, πέρυσιν εἰσαχ-
ϑέντα ἐν Νεφέλαις τύπτοντα τὸν πατέρα αὐτοῦ. Hecles. 638f. Auch der
πατραλοίας Vögel 1352 sagt ἄγχειν ἐπιϑυμῶ τὸν πατέρα. Vgl. hiermit die
Katechese, die Pheidippides mit seinem Vater anstellt Wolk 1409 ff.
397) Insbesondere hat Platon Rep X 615 C für Ardiaios, den er doch
bezichtigt seinen alten Vater getötet zu haben, keine diesem Verbrechen
talionartig angepaßte Strafe bereit.
398) Radermacher Rh. Mus. 63, 551. Vgl. auch A. Dieterich Ne-
kyia 208. Was dieser aus Lucian beibringt (Ver. Hist. 2, 31), den
geilen Kinesias, der in der Unterwelt ewig ist ἐξ αἰδοίων ἀνηρτημένος,
gibt freilich ein Beispiel der Talion (o. S. 420 ff.), dasselbe gehört aber
wiederum erst der späten Zeit des Heidentums an und steht obenein
in einem Werke witzelnder und spielender Phantasie, kann also nicht
ohne Weiteres zur Kenntnis alten Volksglaubens benutzt werden.
399) Rohde Psyche 1, 317. A. Dieterich Nekyia 68.
#00) 0. 8.434 f. Auch an Teiresias o. S. 460 mag hier noch ein-
mal erinnert werden.
#01) Gegen die Meinung, daß schon die Büßerepisode den Orphikern
entnommen sei, vgl. Rohde Kl. Schr, 2, 285 f.
402) S, meine Themis 140. 154, 2.
408) S, meine Themis 193 f,
4706 R. Hirzel,
auf andere Weise Genüge geschah, durch andere und ernst-
hafter gemeinte Vorstellungen vom Jenseits, wie sie ihnen die
Seelenwanderungslehre an die Hand gab 195). Diese ist
durchweg Talion, indem sie die Seelen der Menschen nach dem
Tode in die Leiber solcher Tiere eingehen läßt, deren Natur der
Art der begangenen Sünden oder Verbrechen entspricht, also
z. B. die Seelen der Tyrannen in Wölfe und Raubvögel 405) ;
in besonders hohem Maße aber tritt in ihr der Talionsgedanke
hervor, wenn die Elternmörder in einem andern Leben von
ihren Kindern getötet werden und der Muttermörder zu diesem
Zweck als Weib wieder geboren wird *0%). Alte Priesterlehre,
die in heiligen Weihen verkündet worden, nennt dies Platon 597).
und kann damit kaum eine andere als orphisch-pythagoreische
meinen ?08); auf diesen Ursprung soll vielleicht auch die „ur-
alte Lehre“ (τριγέρων μῦϑος) des Aeschylus hindeuten 395).
Noch weiter ausgeführt zeigt die Talion vermittelst der Metem-
psychose uns in ganz später Zeit Plotin: die bösen Herrn sollen
in einem andern Leben Knechte werden und solche, die mit
ihrem Reichtum Mißbrauch getrieben, das Los des Armen
kosten, und so soll alles jetzige Leiden der Menschen die ent-
04) Auch Platon kennt die Talion eines andern Lebens nicht in
den Unterweltsdarstellungen (o. S. 475), wohl aber in der Seelenwande-
rung.
106) 0. S. 435, 173. 436, 177. Plotin ΧΥ 2 ΞΞῚ 85: 135 Kirch. Die
Platon-Stellen bei Zeller Phil. d. Gr. III 2* S. 646, 4.
406) Platon Gess. IX 872 E: ὃ γὰρ δὴ μῦϑος ἢ λόγος ἣ ὅ τι χρὴ προσ-
ἀγορεύειν αὐτόν, ἐκ παλαιῶν ἱερέων εἴρηται σαφῶς, ὡς ἣ τῶν ξυγγενῶν
αἰμάτων τιμωρὸς δίκη ἐπίσκοπος νόμῳ χρῆται τῷ νῦν δὴ λεχϑέντι χαὶ ἔτα-
ξεν ἄρα δράσαντί τι τοιοῦτον παϑεῖν ταὐτὰ ἀναγχαίως, ἅπερ ἔδρασεν εἰ
πατέρα ἀπέχτεινέ ποτέ τις, αὐτὸν τοῦτο ὑπὸ τέχνων τολμῆσαι βίᾳ πάσχοντα
ἔν τισι χρόνοις, κἂν μητέρα, γενέσθαι τε αὐτὸν ϑηλείας μετασχόντα φύσεως
ἀναγκαῖον, γενόμενόν τε ὑπὸ τῶν γεννηθέντων λιπεῖν τὸν βίον ἐν χρόνοις
ὑστέροις ᾿ τοῦ γὰρ χοινοῦ μιανϑέντος αἵματος οὐχ εἶναι κάϑαρσιν ἄλλην, οὐδὲ
ἔχπλυτον ἐϑέλειν γίγνεσθαι τὸ μιανϑὲν πρὶν φόνον φόνῳ ὅμοίῳ ὅμοιον ἢ
δράσασα ψυχὴ τίσῃ καὶ πάσης τῆς ξυγγενείας τὸν ϑυμὸν ἀφιλασαμένη κχοι-
μἰσῃ.
407) Platon Gess. IX 8170 Ὁ.: ὃν χαὶ πολλοὶ λόγον τῶν ἐν ταῖς τελε-
ταῖς περὶ τὰ τοιαῦτα ἐσπουδακότων ἀκούοντες σφόδρα πείϑονται, τὸ τῶν
τοιούτων τίσιν ἐν “Αἰδου γίγνεσθαι, καὶ πάλιν ἀφικομένοις δεῦρο ἀναγχαῖον
εἶναι τὴν κατὰ φύσιν δίκην ἐχτῖσαι, τὴν τοῦ παϑόντος, ἅπερ αὐτὸς ἔδρασεν,
ὑπ᾽ ἄλλου τοιαύτῃ μοίρᾳ τελευτῆσαι τὸν τότε βίον. Vgl. auch ἐκ παλαιῶν
ἱερέων vor. Anmkg.
408) Lobeck Aglaoph. II 807 f. Zeller Phil. ἃ, Gr. III 2% S. 647,1.
409) Aesch. Choeph. 305 f.: δράσαντι παϑεῖν, τριγέρων μῦϑος τάδε pw-
vet. Daß sie wirklich uralt war, folgt daraus freilich noch nicht, dafs
sie auf den nur durch Fiction uralten Orpheus bezogen wurde.
Die Talion. 477
sprechende Strafe sein zu einem in einem früheren Dasein ver-
übten Frevel 41. Die Talion hat in diesen Fällen eine ideale
Höhe erreicht: hier wo die Strafe an dem Verbrechen zu messen
nur dem Blicke einer alle Zeiten und Räume überschauenden
Gottheit gelingen kann, ist von Rache und Abschreckung, die
noch Platon von den Unterweltstrafen erwarten konnte *!!),
ganz abzusehen *!?), und die Talion erscheint in voller Reinheit,
nicht gerichtet auf irgendwelche subjective Wirkung, sondern
lediglich als die Darstellung einer ganz objectiven Gerechtig-
keit und Gleichheit 115).
Die Talion, ursprünglich die erste Reaktion der Wut gegen
jede Beleidigung, und insofern der Bestialität im Menschen
angehörig *!*), war so schließlich bis zur Göttlichkeit geläutert
worden, zum reinsten Ausdruck einer über jede menschliche
Bedürftigkeit hinausgehobenen Gerechtigkeit. Wie die Talıon
selber verschiedene Seiten bietet, so ist das Urteil über sie
nach Zeiten und Völkern verschieden gewesen. Während man
findet, daß ihr die Germanen und überhaupt die nördlichen
Völker weniger zugetan waren, als Juden und Römer *!?), ist
sie doch kaum bei einem Volk so machtvoll hervorgetreten als
#10) Plotin 49, 13 = 11 5. 133 Kirch: ἐπεὶ οὐδ᾽ ἐχεῖνον ἀποβλητέον
τὸν λόγον, ὃς οὐ πρὸς τὸ παρὸν ἑχκάστοτέ φησι βλέπειν, ἀλλὰ πρὸς τὰς πρόσ-
εν περιόδους καὶ αὖ τὸ μέλλον, ὥστε ἐκεῖθεν τάττειν τὴν ἀξίαν καὶ μετα -
τιϑέναι ἔχ δεσποτῶν τῶν πρόσϑεν δούλους ποιοῦντα, εἰ ἐγένοντο χαχοὶ δεσ-
πόται Kal ὅτι σύμφορον αὐτοῖς οὕτω, καὶ εἰ χακῶς ἐχρήσαντο πλούτῳ πένης-
τας + καὶ ἀγαϑοῖς οὐκ ἀσύμφορον πένησιν εἶναι, χαὶ φονεύσαντας ἀδίκως
φονευϑῆναι ἀδίκως μὲν τῷ ποιήσαντι, αὐτῷ δὲ δικαίως τῷ παϑόντι, καὶ τὸν
πεισόμενον συναγαγεῖν εἰς τὸ αὐτὸ τῷ ἐπιτηδείῳ ποιῆσαι ἃ παϑεῖν ἐχρῆν
ἐχεῖνον ᾿ mM γὰρ δὴ κατὰ συντυχίαν δοῦλον μηδὲ αἰχμάλωτον ὡς ἔτυχε μηδὲ
ὑβρισθῆναι εἰς σῶμα εἰκῇ, ἀλλὰ ἦν ποτε ταῦτα ποιήσας, ἃ νῦν ἐστι πάσ-
χων" καὶ μητέρα τις ἀνελὼν ὑπὸ παιδὸς ἄἀναιρεϑ'ήσεται γενόμενος γυνὴ χαὶ
βιασάμενος γυναῖκα ἔσται, ἵνα βιασϑῇ. Vgl. 15, 2 ΞΞ 1 5. 135 Kirch.
#11) Z. B. Gorg. 525 C.
#12) Abschreckend wirken die Strafen der Seelenwanderung nur in
der Androhung, nicht in der Ausführung: Platon Gess. IX 870 E. 372 E.
413) Zeller Phil. d. Gr. III 2* S. 646. Plotin nach den o. Anm. 410
angeführten Worten: ὅϑεν χαὶ ϑεία φήμη ᾿Αδράστεια αὕτη γὰρ ἢ διά-
ταξις ᾿Αδράστεια ὄντως καὶ ὄντως Δίχη nal σοφία ϑαυμαστή. In demselben
Sinn nannte Platon ο. S. 476, 406 die Talion eine χάϑαρσις, die auch an
sich mit Rache oder Abschreckung nichts zu tun hat, sondern ein da-
von unabhängiger objectiver Prozeß ist. Vgl. auch o. S. 434, 169.
#14) Schon Platon läßt seinen Protagoras sagen Protag. 324B daß
Besserung oder Abschreckung sich bei der Strafe Jeder zum Zwecke
macht, ὅστις μἢ ὥσπερ ϑ΄ἡρίον ἀλογίστως τιμωρεῖται.
#15) Grimm RA II 210,8. 4. D. Michaelis Mosaisches Recht? 5
ἃ 242 S. 64.
478 R. Hirzel,
bei den Griechen, in der Praxis und fast noch mehr in der
Theorie. Auch bei den Griechen aber wurde sie der Kritik
unterworfen, die sich bei Plutarch 110 und dem Rhetor Ari-
stides?!”) gegen das Bestialische in ihr und Vulgäre kehrt,
gegen die blinde, gedankenlose *'?) Grausamkeit, sei es daß
Einzelne oder ganze Volksgemeinden davon zu leiden hatten,
bei Polybios aber aus einer etwas platten Verständigkeit fließt,
die es töricht findet ein vorhandenes Uebel durch ein anderes
neues heilen zu wollen 415). Auch zu anderen Zeiten ist gerade
die Verstandesaufklärung der Talion nicht günstig gewesen,
wie zwei Vertreter derselben, Pufendorf 10) und Gibbon 5257),
zeigen mögen. Vertieft sich dann die Aufklärung, wie in neue-
rer Zeit bei Leibniz 4513), Kant 1535) und Hegel, in alter bei Sokra-
tes und Platon, so urteilt sie auch wohl anders und kommt
wieder auf die Vergeltung als Strafprinzip zurück. Sie lenkt
nun wieder um zur Tradition, wie sie für die Griechen aus der
#16) Plutarch Timol. 33: ’EnaveAYövrog δὲ τοῦ Τιμολέοντος ol Συρα-
χούσιοι τὰς γυναῖχας τῶν περὶ τὸν “Ἱκέτην καὶ τὰς θυγατέρας Ev ἐχχλησίᾳ
καταστήσαντες εἰς χρίσιν ἀπέκτειναν. Κα αὶ δοκεῖ τοῦτο τῶν Τιμο-
λέοντοςἔργων ἀχαριστότατονγενέσθαι᾽ μὴ γὰρ ἂν ἐκεί-
νου κωλύοντος οὕτως τὰς ἀνθρώπους ἀποθανεῖν. Δοχεῖ
δὲ αὐτὰς ὑπεριδεῖν καὶ προέσθαι τῷ ϑυμῷ τῶν πολιτῶν δίκην λαμβανόντων
ὑπὲρ Δίωνος τοῦ Διονύσιον ἐχβαλόντος. “Ἱκέτης γάρ ἐστιν ὃ τὴν γυναῖχα
τοῦ Δίωνος ᾿Αρέτην χαὶ τὴν ἀδελφὴν ᾿Αριστομάχην καὶ τὸν υἱὸν ἔτι παῖδα
χαταποντίσας ζῶντας χτλ.
417) Man solle nicht den Athenern, sagt er Or. 32 p. 401 (= vol.
1 S. 603 Dind.), mit gleicher Grausamkeit vergelten, was sie an den
Bewohnern von Skione und Melos getan: ἃ 8° αὖ περὶ τοὺς Σχιωναίους
χαὶ Μηλίους ἐξήμαρτον πῶς οὐχ ἄτοπον χατηγορεῖν μὲν χαὶ λέγειν ὃς ἅμαρ-
τήματα συμβαίη, μιμεῖσθαι δ᾽ ἀξιοῦν ὡς ὀρθῶς ἔχοντα, χαὶ pin λογιζεσθαι
μηδ᾽ ὁρᾶν ὅτι τοῖς μὲν ᾿Αϑηναίοις χαὶ λόγος τις ὑπῆν ἴσως ταῦτα ποι-
od -- ---- - - ---Ο'΄͵ - ἡμῖν 8 οὐδὲ λόγος καταλείπεται τὸ μὴ
ταῦτ᾽ ἔσεσθαι δεδρακότας ὧν αὐτοὶ χατεψηφίσμεϑα χαὶ ἃ διωρίσμεϑα μὴ
δεῖν ἐν τοῖς λλησι γίγνεσθαι.
418) Die Strafe soll nicht ἀλογίστως ausgeübt werden ο. S. 477, 414;
λόγος τις wird dabei erfordert vgl. Anm. 417.
119) König Philipp von Makedonien habe zwar auf die Blutsver-
wandtschaft mit dem alten Philipp und mit Alexander sehr gepocht,
ihnen aber keineswegs nachgeeifert, sagt Polybios V 11, 1. Τοιγαροῦν
τἀναντία τοῖς προειρημένοις ἀνδράσιν ἐπιτηδεύων τῆς ἐναντίας ἔτυχε παρὰ
πᾶσι δόξης, προβαίνων χατὰ τὴν ἡλικίαν. ὧν ἦν ἕν καὶ τὸ τότε πραχϑέν.
τοῖς γὰρ Αϊτωλῦῶν ἀσεβήμασι συνεξαμαρτάνων διὰ τὸν
θυμὸν καὶ καχῷ χκχαχὸν ἰώμενος οὐδὲν ᾧετο ποιεῖν ἄτοπον.
#20) Pufendorf De iure nat. VIIL3 8 27.
#21) 0. S. 430, 145.
#21a) Pfleiderer Leibniz S. 468 ἢ,
422) Ueber Kant o. S. 421, 89 über Sokrates vgl. Xenoph. Mem. II
2, 2 und 6, 35 und Zeller Phil. ἃ. Gr. II 1° S. 142.
β
|
Die Talion, 479
Ferne alter Zeiten unter Rhadamanthys’ gefeiertem Namen he-
rankam und die Talion zu einem Hauptsatz der Gerechtigkeit
erhob. Unzählige Male ist gewiß nach diesem Grundsatz Recht
gesprochen und geübt worden, ehe er, so wie bei den Juden und
Römern, auch bei den Griechen gesetzlich sanctioniert wurde
durch Charondas und Solon *??) und in einer idealen Welt durch
Platon 432). Auf diese Praxis war nicht ohne Einfluß die Theorie
der Pythagoreer 425), denen die Talion (τὸ ἀντιπεπονϑός) nicht
bloß als ein Haupt-, sondern geradezu als der Grundsatz alles
Rechts und aller Gerechtigkeit galt: Platon stand unter dem
Einfluß dieser Theorie *?%), und noch Aristoteles hat sie mit
einer Modification für ausreichend gehalten, die Basis des Rechts
zu bilden 45. Wir haben früher im Einzelnen zur Genüge
gesehen, wie der Begriff der Talion im Laufe der Zeit sich
immer mehr entfaltete und insbesondere auch auf mystische
Weise durch Priester und Theologen zur Geltung gebracht
wurde, daß namentlich auch das Delphische Orakel ihn pflegte
und empfahl. Im Allgemeinen mag diese Entwicklung eine
geradlinige gewesen sein. Doch darf man vielleicht von einem
An- und Abschwellen des Talionsbedürfnisses und Talions-Ge-
dankens reden. In leidenschaftlichen und gewalttätigen Zeiten
wird mehr Anlaß und Neigung zur Talion sein als in andern
ruhigern, deren oberstes Prinzip die allgemeine Sicherheit ist,
die zu verwirklichen es vor Allem verständiger Berechnung
bedarf. Eine Zeit jener Art war das fünfte Jahrhundert, eine
Zeit außerdem, in der die ursprüngliche Natur des Menschen
wieder einmal durchbrach und in der als Glaube und Aber-
glaube religiöser Sinn sich vielfach regte. Daher konnte da-
mals die Talion sich hervordrängen und zwar nach ihrer doppel-
ten Seite, sowohl da wo sie die Bestialität des Menschen ver-
kündet, als da wo sie auf eine höhere göttliche Gerechtigkeit
deutet. Der Aristophanische Pheidippides, dessen Talionsdrang
selbst durch das Pietätsverhältnis zum Vater nicht gehemmt
wird 155), soll uns das Erste bezeugen; das Andere leuchtet uns
aus Sophokles’ Dichtungen an mehr als einem Orte und in
#28) 0. S. 409. 424) 0. 8. 440. ΞΟ Ὁ: 3. lol.
#26) 0. 5, 438, 186. 440. #7) Themis 194.
428) 0. S. 475, vgl. meinen Eid S. 104 ἢ,
480 R. Hirzel, Die Talion.
verschiedenen Farben entgegen 355). und so noch bei Platon *?°),
in der bildenden Kunst brachte es Polygnot zum Ausdruck,
indem er die Talion in die Unterwelt und somit dahin übertrug,
wo die göttliche Gerechtigkeit am reinsten strahlte 15. Spä-
tere Zeiten lieben es die Talion hinauszuschieben, sei es für
dieses oder für ein anderes Leben, beides aber, damit sich der
Finger Gottes in ihr nur desto deutlicher offenbare. Daneben
geht ihr aber auch die Kritik zur Seite bald spielend, wie bei
Lucan 455). bald tiefer greifend wie die des Skeptikers Favori-
nus 155). Aber auch die römischen Juristen hielten zu ihren
zwölf Tafeln 45) und führten deren Tendenz sogar weiter bis
zur Ortsangleichung 155). Bei Juden und Christen fand sie den
Boden schon vorbereitet, auf dem sie weiter wachsen konnte 455),
bis in das Mittelalter und in neuere Zeiten, vielfach zwar an-
gefochten, aber auch immer wieder genährt und gestützt, be-
sonders noch, wie schon im Altertum, durch religiöse und
poetische Motive, anziehend außerdem ebenso in der Einfach-
heit und Klarheit, mit der sich ihr Prinzip beim ersten Anblick
ausspricht 5), wie in dem geheimnisvollen Dunkel, in das un-
vermeidlich jeder Versuch, sie zu begründen, führt 458),
R. Hirzel.
429) Ὁ. 8. 468. Eid 94, 1. 105,1.
480) 0. 8. 476. 431) 0. S. 474.
#32) Lucan. Pharsal. 10, 516 ff. beklagt es, daß Pothinus auf die-
selbe Weise endete wie Pompejus:
Nec poenas inde Pothini
Distulit ulterins (sc. Caesar): sed non qua debuit ira,
Non cruce, non flammis, rabido non dente ferarum:
Heu facinus! cervix gladio male caesa pependit:
Magni morte perit.
33) Gellius N. A. XXI, IE. 0.'S. 431:
223), Gelliussa, ἃ. Ὁ: Ὁ: 5.251]. 15}:
25) 0. S. 445, 227.
456) Günther Idee der Wiedervergeltung I 153.
181) Lotze Praktische Phil. $ 66 5. 70 nennt deshalb unter den Grund-
sätzen über Art und Maaß einer Strafe den Grundsatz der Talion den
einzigen, der sich durch seine Einfachheit empfiehlt.
38) Tihemis 208, 5.
Nachtrag zu 5. 413, 32:
ἐχ τοῦ βοὸς γὰρ τοὺς ἱμάντας λαμβάνει Kock Com. Att. 3, 496 (fr. 466).
h
Inhaltsübersicht.
Begriff der Talion und älteste Fassung — 408. Auge um Auge,
Zahn um Zahn u. 5. w. Die Talion als Rache — 410. Aehnlichkeit
und Gleichheit des Strafmittels a) indem es die Strafe vollzieht
— 420, b) indem es sie erleidet — 425. In Ausdehnung desselben Grund-
satzes wiederholt sich der Anlaß des Verbrechens in der Strafe
— 426. Dieselbe wendet sich ausser gegen die Glieder des Körpers,
welche das Verbrechen ausgeführt, auch gegen Teile und Regungen
der Seele — 427. Die talio analogieca — 430. Die Strafe soll ein
Bild der verbrecherischen Handlung geben — 431. Sie bildet sogar
deren Modalitäten nach — 435, begnügt sich aber bisweilen einen
einzelnen Zug des Bildes herauszuheben — 436. Spätere Spielereien
mit der Talion — 438. Uebereinstimmung der Zahlen — 442.
Gleichheit des Ortes — 456, der Zeit — 467. Die Talion erst
später mehr durchgeführt — 469. Einfluss des delphischen Orakels
— 471. Talion in der Unterwelt und in der Seelenwanderung — 477.
Geschichtlicher Ueberblick — 480.
Register.
Achill 456. 469. Erysichthonmythus 427.
Adam 451. 460. Euripides 416. 447.
Aegypter 424. Favorinus 431. 480.
Aeschylus 415. 433. 434. 441f. 447. | Feuerbach 438, 185.
454. 468 f. 470. 476. Geiserich 416.
Agathokles 459. Gibbon 430. 478.
Aias 437. 469. Goethe 418,
Aktaion 446. 455. 473. Halirrothios 408, 9.
Antigone 410. Hannibal 446.
Appian 414. 432. . Harmonia 416.
Arcadius 464, Hegel 478.
Argo 419. Hektors Schwert 419, 80, 469,
Ariadne 431. Henkerbeil 417.
Aristides, Rhetor 478. Herakleios 437.
Artoxerxes 435, 173. Herakles 413. 414. 420. 460, 471.
Asopus 463. Herodot 467.
Atalante 473. Hesiod 408, 9. 410, 26. 461. 470.
Berge Hinrichtung auf denselben | Hippomenes 473.
445, 227. Homer 410, 26. 411. 422. 460 f. 466.
Bodinus 408, 13. 433, 165. Hypereides 422.
Brutus 412. 414. Jason 419.
Buphonienfest 420. Jerusalem, Brände von 462.
Byron 462. Johannes Chrysostomus 437.
Caligula 453. Josephus 425. 444. 454, 457. 462.
Cassius 412. 414. Juden 440, 445 f. 448. 477. 479.
Catull 431. Justinian 439.
Cedrenus 408, 13. 411. 430. 435, 173. | Ixion 472.
437. 439. 444. 451. 460. Kadmos 436. 452.
Chärea 414. Kallippos 412.
Charondas 409, 16. 435, 173. 436, | Kant 421, 89. 425, 115. 478.
175. 479. Klytaimnestra 415 ff. 441 £.
Christus 411. 421. 451. | Kreuzwege 453.
Cicero 425. 426. 438, 185. 449. 463, | Lactanz 445.
329. Laius’ Schwert 419, 80.
Clodius 449. Leibniz 478.
Cornelius Nepos 463. Leo, Kaiser 462.
Deutsche 424. Lessing 415. 421, 89. 443, 213.
Diodor 428. 446. 467. Lobeck 468.
482
Lucan 480.
Lucian 423. 475, 398.
Martial 423 f. 429. 432.
Moseilama 413.
Myrtilusfabel 433.
Νεοπτολέμειος τίσις 447. 469.
Nestor der Heilige 414. 415.
Nonnus 436.
Norwegisches Recht 448.
Notwehr 420.
Oedipus 414.
Orakel, Delphisches 469. 479.
Orest 433 f. 447 f. 456 f. 468.
Orphiker 461. 475. 476.
Ovid 436, 177.
Parthenios 426.
Pausanias Perieget 425. 447.
Peirithoos 461.
Pelopia 412. 434, 169.
Pentheus 417. 436.
Perilaos 412.
Perser 424.
Pheidippides 475, 396. 479.
Philoktet 423.
Philopömen 450.
Phlegon 459.
Phlegyas 472.
Pindar 427, 123. 470.
Platon 439, 136. 435, 173. 438, 186.
440. 451. 464. 474,395. 475. 476 f.
478 f. 480.
Plotin 476.
Plutarch 414. 432, 150. 448 f. 459.
466. 410 f. 478.
poena reciproci 408, 9.
Polybios 432. 478.
Polygnot 474. 480.
Polypoites 461.
Pompeius 444. 449. 463.
Pope 452, 267.
Priestertheologie 434. 435, 173.
Prokop 445.
Pufendorf 438, 185. 478.
Pythagoreer 468. 470. 475. 476. 479.
Quintilian 427.
ῥαφανίδωσις 429.
repraesentatio talionis 457.
Römer 421. 445. 477. 479.
Rhadamanthys 407. 470. 479.
Kom, Brände von 462.
R.Hirzel,
Die Talion.
Romantik 418. 419.
Salomo, Weisheit 425. 428.
Saxo Grammaticus 438, 184.
Schwert als belebtes Wesen 416.
Seelenwanderung 476.
Seneca 427. 433. 434.
Shakespeare 428. 455.
Sisenna 414.
Sisyphos 472. 474.
Sklaven 451, 262.
Skythen 424.
Sokrates 409, 20 a. 464. 478.
Solon 409, 17. 479.
Sophokles 410, 26. 417 f. 419. 426.
433. 434. 437. 441 f. 447. 457.
468 f. 479 £.
Spezialprävention 428.
Statius 452, 265. 472.
Stesichorus 415. 418. 447.
Synchronismen 464 ff.
Tacitus 433. 441. 462.
Tantalosfabel 427. 472. 474.
Tasso 419.
Tatort 443 ff.
Teiresias 460. 472, 376.
Terenz 413. :
Theodosia 451.
Theodosius 464.
Theokrit 460.
Theologie, Delphische 470, 475.
Theseus 431. 471.
Tiberius, Kaiser 462 f.
Timaios 463, 329. 465, 335 und 336.
467, 345.
Timoleon 403.
Tityos 474.
Unterweltsstrafen 472 ff.
Valeria 445.
Ventidius 459.
Vergeltungsfanatiker 439.
Volksjustiz 443.
Volsungasaga 426. 470.
Walstatt 453.
Wiederbringung aller Dinge 460.
Zahlen 438 ff.
Zaleukos 409. 421.
Zedekia 456.
Zeit der Strafe 456 ff.
Zwölftafeln 430 f. 480.
Behandelte Stellen.
Aeschylus Agam. 1147 — 455, 278
᾿ Choeph. 542 ff, — 434
Sophokles Antig. 925 ff. — 410, 24a
a 1. 35 ff. — 434
484 ff. — 418
„ ᾽᾽
4} ΕΣ]
1415 f. — 442, 208
_ ARISTONSTUDIEN
AUGUST MAYER.
Aristonstudien.
81.
Eine neue Untersuchung, auf deren Titel der Name Ari-
ston erscheint, mag bei dem Leser die Befürchtung hervor-
rufen, wieder einmal die ganze Frage nach der Scheidung der
beiden homonymen Philosophen aus Keos und Chios, des Pe-
ripatetikers und des Stoikers, aufgerollt zu sehn: und so soll
denn gleich erklärt werden, daß wir diese Frage insofern für
gelöst halten, als vorderhand kein einleuchtender Grund geltend
gemacht worden ist, — abgesehn von den Nachrichten, deren
Beziehung auf den Peripatetiker von jeher zweifellos war —
irgendetwas mit Sicherheit dem Keer zu vindicieren.
Drei Punkte waren es, die von jeher im Mittelpunkt der
Untersuchung standen: die Frage nach der Gewähr des Urteils
von Panaitios und Sosikrates (bei Diog. Laert. VII 163), die
Autorschaft der bei Stobaios excerpierten ὁμοιώματα und end-
lich die Frage, ob die in Plutarchs Moralia begegnenden, an
Bion erinnernden, popular-philosophischen Erörterungen dem
Peripatetiker oder — scheinbar gegen Strabos Zeugnis X 486,
der Keer sei Bions ζηλωτής gewesen — dem Stoiker zuzu-
weisen seien. Alle diese drei Fragen scheinen mir heute zu
gunsten des Stoikers entschieden zu sein: gegen die Samm-
lung seiner Fragmente bei Arnim (Stoic. vet. frgm. I 76 ff.)
kann ein berechtigter methodischer Einwand nicht erhoben
werden. Was den ersten Punkt betrifft, hebt er ganz richtig
hervor, daß die Kritik des Panaitios sich ja überhaupt nicht
auf die Liste des Diogenes zu beziehen brauche, deren stoi-
scher Charakter, wie schon Krische Forsch. 409 betonte, im
übrigen unverkennbar ist!). Mithin ist diese Frage als prin-
!) Dümmler Antisthenica 66 Anm. 1 meint, daß der Grund für
Panaitios’ Athetese eher Bedenken dogmatischer als kritischer Natur
Philologus, Supplementband ΧΙ, viertes Heft. 32
480 August Mayer,
cipielle Grundlage von Untersuchungen über Ariston ganz aus-
zuschalten.
Die Autorschaft der ὁμοιώματα hat mit Ausnahme Gerckes
(Archiv f. Gesch. ἃ. Philos. V 198 ff.) kein ernst zu nehmen-
der Forscher dem Stoiker abgesprochen?). In diesen Aus-
sprüchen spielt die für den Stoiker zweifellos (Diog. Laert.
VII 161) bezeugte Verachtung der Dialektik eine so große
Rolle, daß nur an den Chier — der also auch πρὸς τοὺς δια-
λεχτιχοὺς geschrieben haben wird — zu denken ist?).
Daß endlich in Plutarchs Moralia der Stoiker Ariston
benützt ist, haben Heinze und Hense (Rh. Mus. 45, 497 ff.,
541 ff.) zu erweisen unternommen; und Arnim hat, da es bis-
her nicht gelungen ist, bestimmte Stellen aus sich heraus als
peripatetisch zu erweisen, nicht anders thun können als —
trotz seines seinerzeitigen Widerspruchs gegen die Ergebnisse
Heinzes und Henses (PRE II 958) — sämtliche Aristoncitate
aus Plutarchs Moralien in seine Sammlung aufzunehmen.
In den Bestand dieses seines Besitzes — ich sage absicht-
lich nicht „Eigentums“ — zugunsten des Peripatetikers eine
Bresche zu legen, könnte nur in einzelnen Fällen und durch
ganz entscheidende Gründe besonderer Art geschehn. Mit der
— immerhin nicht abzuleugnenden — Möglichkeit, daß sich
tatsächlich peripatetisches Gut unter des Chiers Schriften ver-
irrt habe, ist ohne weitere Beweismittel nichts auszurichten.
Jede weitere Untersuchung‘) hat sich somit unabhängig vom
Urteil des Panaitios mit den einzelnen Bruchstücken und
Buchtiteln „Aristons“ zu befassen; erst auf Grund einer solchen
Detailforschung wird ein ganz sicheres Bild der beiden Philo-
sophen zu gewinnen sein. Das Bild des Stoikers Ariston wie
gewesen seien — wohl mit Recht, wenn man die starken Abweichungen
des Ariston von der stoischen Orthodoxie bedenkt.
?) Siehe die Zurückweisung von Gerckes Aufstellungen bei A. Gie-
secke, Ariston von Chios, Jahrb. f. Philol. 1892 S. 206 ff.
3) Arnim, Stoic. frgm. vol. I praef. pg. V: ὁμοιωμάτων collectionem,
qua Stobaeus... usus est, ad Chium pertinere et ipse Stobaeus testa-
tur et Laertii vita docet, in qua dialecticorum sophismata cum aranea-
rum telis comparantur.
*) Der allergrößte Theil der Aristonfragmente ist schon der philo-
sophischen Doctrin wegen für den Chier gesichert, und da von den
ὁμοιώματα dasselbe gilt, so kann ein Zweifel höchstens nur bei ge-
wissen Moraliastellen (s. unten S. 562 Anm. 158) entstehen.
Aristonstudien. 487
es sich aus Arnims Sammlung ergibt, bildet für eine solche
Untersuchung kein hinderndes Vorurteil, falls wir uns das
Recht vorbehalten, ein oder das andere Fragment aus zwin-
genden Gründen spezieller Natur dem Keer zu vindicieren.
Was nach Abzug des von Arnim als stoisch beanspruch-
ten Materials vom Peripatetiker übrig bleibt, ist recht wenig:
außer seinen Biographien der vier ersten Häupter des Peri-
patos, die nach Zeller II? 2, 926 zu erschließen sind aus
Diog. Laert. V 64, gab es die Schrift über Kindererziehung
(bei Varro im Logistoricus Catus fr. 9 Riese) und eine popu-
lar-philosophische Schrift „Lykon“, die Plutarch de aud. poet.
1, pg. 14 E als leichte Lektüre für junge Leute bezeichnet.
Dann geht auf ihn die Erzählung von einer wunderbaren
Quelle auf Keos zurück, deren Wasser um den Verstand brachte
exc. Laur. 25, Vat. 34; Varro bei Plin. NH. 31, 12; Vitruv
VII, 3). Ritschl (Rh. Mus. 1, 193 ff. = Opp. I 551 8.) hat
ihm vielleicht mit Recht die Schrift „Tithonos über das Alter“
(Cicero, Cato maior 3) zugeschrieben’); noch zweifelhafter ist
die Combination Sauppes (Philodemi de vitiis liber decimus.
Leipzig 1853, p. 6f.), der den von Philodem in diesem Buche
zweimal (88 10 und-23) genannten Ariston als den Peripate-
tiker und Verfasser der im Diogenes-Katalog genannten ὕπο-
μνήματα ὑπὲρ κενοδοξίας ansehn wollte: denn daß der bei
Philodem Genannte Charakterschilderungen schrieb, genügt
noch nicht, um den Stoiker auszuschließen °).
Außerdem scheinen ihn nur zwei Autoren in gröfserem
Umfange benützt zu haben: einmal Athenaeus, der seine Schrift
περὶ Epwrıx@v ὁμοίων ausschreibt (X 419C XII 563 XV 674B)
und indirekt Plutarch in den Viten. Diese letztere Behauptung
5) Auch hier hängt die Entscheidung in letzter Linie von der Frage
ab, ob Merkmale bioneischen Stils (ef. Hense, Teletis reliquiae, Pro-
legg. pg. XCIX) mit Sicherheit nur auf den Keer führen; eine Frage,
die jetzt wohl verneint werden muß (siehe zuletzt Giesecke a. ἃ. Ὁ.
209), denn wie sich zeigen wird (siehe unten S. 548 Anm. 131) war
auch der Chier Βίωνος ζηλωτής.
8) Dazu kommt, daß Giesecke (De philosophorum sententiis quae
ad exilium spectant pg. 64) u. zw. wohl mit Recht die Identität der
bei Philodem erwähnten Schrift rspi τοῦ χουφίζειν ὑπερηφανίας mit den
ὑπομνήματα ὕπὲρ xevodokiag überhaupt leugnet: χενὴ δόξα in diesem
Titel bedeutet offenbar “vana opinio“ im kynischen Sinn, nicht “ina-
nis gloria*.
828
»
488 August Mayer,
führt uns im weiteren dazu, einen Beitrag zur Kenntnis des
Peripatetikers Ariston zu liefern.
8 2.
Wir haben gesehen, daß „Ariston“ in Plutarchs Moralien
jetzt allgemein als der Stoiker zu gelten hat, sofern es nicht
gelingt, Ausnahmen mit Bestimmtheit zu statuieren — die
dann natürlich an sich noch nicht geeignet sind, den übrigen
Besitzstand des Chiers zu stören. Ich glaube nun tatsächlich
eine Stelle aus Plutarchs Moralien (praec. ger. reip. 10,
p. 804E; fr. 402 Arnim) auf den Peripatetiker zurückführen
zu sollen, hoffe aber dem Keer damit nicht nur den dort
namentlich bezeugten Ausspruch, sondern auch große Partien
der betreffenden plutarchischen Schrift — der πολιτικὰ παραγ-
γέλματα — zueignen zu können; es führt darauf nämlich die
Erkenntnis des Zusammenhangs dieser Schrift mit Plutarchs
Biographien des Demosthenes, Themistokles und Aristides, in
denen, wie ich nachweisen zu können glaube, mittelbar eine
Schrift πρὸς τοὺς ῥήτορας des Peripatetikers benützt ist. Die-
selbe Schrift ist es, deren Reste in einem von Philodems vo-
lumina rhetorica vorliegen.
Während, wie gesagt, in Plutarchs Moral vorwiegend
der Stoiker benutzt erscheint, liegt das Verhältnis in den
Viten umgekehrt: von den fünf in Betracht kommenden Stellen
lassen sich vier ohne weiteres mit Sicherheit auf den Keer
zurückführen.
Zweifellos auf den Peripatetiker geht zurück die an zwei
Stellen (Aristid. 2; Themist. 3; das erstemal ist ausdrücklich
᾿Αρίστων ὃ Keios als Gewährsmann genannt) erhaltene Nach-
richt über die Eifersucht zwischen Themistokles und Aristides
in ihrer Knabenzeit. Während diese Stellen niemals für den
Stoiker in Anspruch genommen worden sind, schreibt noch
Arnim (fr. 380, 381) die zwei Aristoncitate aus der vita De-
mosthenis (c. 10 und c. 30) dem Chier zu; aber dies ist nur
möglich durch Beibehaltung eines offenbaren Fehlers der
Ueberlieferung, die den ᾿Δρίστων ὃ Χῖος statt ὃ Keiog einen
für Demosthenes ungünstigen Ausspruch des Theophrast er-
zählen läßt. Nicht bloß das Interesse für persönliche Details
Aristonstudien. 489
und die Antipathie gegen Demosthenes’) — beides vereint
zeigt auch die zweite Nachricht c. 30 über das Ende des Demos-
thenes®) —, sondern auch der ganze Quellenbestand der haupt-
sächlich aus peripatetischen Autoren (Hermipp) gearbeiteten
Demosthenesvita zeigen, daß hier Theophrast nur durch den
Keer benutzt worden sein kann. Die fünfte Stelle aus den
Viten (Cato 18 = fr. 398 Arnim), wo nur ὃ φιλόσοφος ᾿Αρίστων
genannt ist, könnte höchstens der Analogie zuliebe dem Peri-
patetiker zugeschrieben werden: der Inhalt (Der Besitz des
Notwendigen macht glücklicher als der des Ueberflüssigen)
paßt wohl für beide.
Die Stellen der Plutarchviten nun, die sicher dem Keer
gehören — und, wie sich gleich ergeben wird, offenbar aus
einer Schrift πρὸς τοὺς ῥήτορας stammen —, bahnen uns in
überraschender Weise den Weg zu der Schrift praecepta ge-
rendae reipublicae und lehren uns, daß dort Aristons Buch
πρὸς τοὺς ῥήτορας in viel weiterem Umfange benützt ist als in
den Viten®). Der Zusammenhang ist folgender:
Vita Demosthenis c. 10 heißt es von dem Keer Ariston,
daß er außer dem Ausspruch des Theophrast über Demosthenes
auch noch einen anderen (mit ähnlicher Tendenz) des Poly-
euktos von Sphettos berichtet habe, wo Phokion gegen De-
mosthenes ausgespielt wird!®); derselbe Ausspruch findet sich
nun praec. ger. reipubl. c. 7 p. 803E: ὃ γοῦν [Πολύευχτος
ἀπεφαίνετο ῥήτορα μέγιστον εἶναι Δημοσθένην, δεινότατον δ᾽ εἰ-
πεῖν Φωχίωνα.
Eine zweite sichere Spur des Peripatetikers Ariston finden
wir praec. c. 13 p. 807B. In der vita Aristidis c. 2 lesen wir
nämlich unmittelbar hinter der Nachricht über die Knaben-
eifersucht zwischen Themistokles und Aristides, daß Themi-
τ Gegen den Demades, der sich als Autodidakt der Sympathien
des Peripatos erfreute, ausgespielt wird.
5) Die offenbar in eine tendenziöse Aufzählung von elend umge-
kommenen Rhetoren gehört.
®») Wo offenbar Plutarch den Ariston nicht selbst zur Hand hatte,
sondern ihn nur gelegentlich in seinem historischen Autor eitiert
fand.
10) ὃ δ᾽ αὐτὸς φιλόσοφος (Ariston) Πολύευχτον ἱστορεῖ τὸν Σφήττι
ἀποφαίνεσϑαι μέγιστον μὲν εἶναι ῥήτορα Δημοσθένην δυνατώτατον δὲ
Φωχίωνα " πλεῖστον γὰρ ἐν βραχυτάτῃ λέξει νοῦν ἐχφέρειν.
490 August Mayer,
stokles seine politischen Freunde auf Kosten des Gemeinwohls
begünstigt habe, wie aus seinem Ausspruch erhelle: μηδέποτε
εἰς τοῦτον ἐγὼ καϑίσαιμι τὸν ϑιρόνον, ἐν ᾧ πλέον οὐδὲν ἕξουσιν
οἱ φίλοι παρ᾽ ἐμοὶ τῶν ἀλλοτρίων.“ Derselbe Ausspruch findet
sich praec. 807 B wieder: beidemal stammt er sicher aus Ari-
ston; denn einerseits folgt er in der Vita sofort auf eine
für Ariston bezeugte Nachricht, andrerseits ist das Verhältnis
analog dem der Stellen vita Demosth. 10 und praec. 7.
Mithin können wir jetzt schon sagen: der praec. c. 10
p- 804 Καὶ mit Namen genannte Ariston (οὔτε γὰρ πῦρ φησίν ὃ
᾿Αρίστων χαπνὸν ποιεῖν οὔτε δόξαν φϑόνον, ἣν εὐθὺς ἐχλάμψῃ
nal ταχέως: ἀλλὰ τῶν χατὰ μικρὸν αὐξανομένων καὶ σχολαίως
ἄλλον ἀλλαχόϑεν ἐπιλαμβάνεσθαι) ist nicht der Stoiker, sondern
der Peripatetiker.
Aber was ist dies nun für eine Schrift, aus der jene den
praecepta und den Viten gemeinsamen Aristonstellen stammen ?
Es ist, wie schon oben angedeutet, eine Schrift πρὸς τοὺς ῥή-
topas. Daß der Peripatetiker Ariston eine solche Schrift ver-
faßt hat, gedenken wir im folgenden ($ 4) mit Sicherheit zu
erweisen. Der Schriftitel πρὸς τοὺς ῥήτορας unter den Schriften
des Stoikers soll damit vorderhand nicht tangiert werden,
wenn auch immerhin die Möglichkeit offen bleibt, daß Pan-
aitios gerade diese Schrift mit Recht als peripatetisch aus dem
stoischen Katalog ausschied 11).
Antirhetorische Tendenz zeigen, wie bemerkt, sämtliche
in Betracht kommende Stellen: vita Dem. c. 10 = praec.
803 E wird Demosthenes, das Ideal aller Rhetoren, gegenüber
seinen Gegnern wie Demades und Phokion heruntergesetzt.
Vita Dem. c. 30 paßt trefflich in eine Aufzählung von Rednern,
die unglücklich geendigt haben, was einen bekannten Topos
gegen die Rhetorik liefert!?). Die Anekdote (Arist. 2, Them.
3), daß die Gegnerschaft zwischen Themistokles und Aristides
ihren Ursprung in einer erotischen Rivalität aus ihrer Knaben-
zeit habe, soll wohl zeigen, daß das Verhalten der großen
11) Daß gerade Ariston von Chios höchst wahrscheinlich nicht
gegen die Rhetorik geschrieben hat, soll im $ 7 erwiesen werden.
12) Vgl. den Katalog verunglückter Rhetoren bei Philodem II 180
Sudh.
Aristonstudien. 491
Staatsmänner nicht nach sachlichen, sondern nach unlauteren
persönlichen Motiven sich bestimmt. Ebenso zeigt der Aus-
spruch des Themistokles (cit. Arist. 2 = praec. 807 B), daß
die Rhetoren ihre persönlichen Interessen auf Kosten des Ge-
meinwohls durchsetzen.
ὃ 3.
Wir wollen nun im folgenden versuchen, im Zusammen-
hang von Plutarchs „praecepta* diejenigen Gedanken aufzu-
weisen, die wir für den Kreis der Argumente gegen die
Rhetorik in Anspruch nehmen. Eine gewisse Umbiegung
haben diese Gedanken bei Plutarch dadurch erfahren, daß er
hauptsächlich darauf ausgeht, praecepta zu geben und nur
nebenbei auf die schlechten Politiker als abschreckendes Bei-
spiel hinweist, während in seiner Quelle das Verhältnis um-
gekehrt war.
So braucht man nur gleich zu Anfang, wo Plutarch über
die Notwendigkeit eines inneren Berufs zur Politik spricht
unter den von Plutarch getadelten ἔνιοι die Rhetoren zu ver-
stehen und hat gleich einen Topos gegen die Rhetorik:
„Rhetor wird nur wer zunichtsandermtaugt“:
ὥσπερ γὰρ οἷς οὐδὲν ἐστιν οἴχοι χρηστὸν, ἐν ἀγορᾷ διατρίβουσι,
χἂν μὴ δέωνται, τὸν πλεῖστον χρόνον, οὕτως ἔνιοι τῷ μηδὲν ἔχειν
ἴδιον ἄλλο πράττειν ἄξιον σπουδῆς ἐμβάλλουσι ἑαυτοὺς εἰς δημόσια
πράγματα. Eine weitere Ausführung dieses Gedankens ist der
folgende Satz, der wie der erste in die charakteristische Form
des Homoioma gekleidet ist!?): πολλοὶ δ᾽ ἀπὸ τύχης ἁψάμενοι
τῶν χοινῶν χαὶ ἀναπλησϑέντες οὐχέτι ῥᾳδίως ἀπελϑεῖν δύνανται,
auto τοῖς ἐμβᾶσιν εἰς πλοῖον αἰώρας χάριν εἶτ᾽ ἀποσπασϑεῖσιν
εἰς πέλαγος πεπονθότες. Nachdem nun Plutarch gezeigt hat,
daß sich der wahre roArtıxös von den bittern Erfahrungen,
die jene machen, nicht schrecken lassen darf, erwähnt er
weiter (798 E), daß manche (Rhetoren) die Politik nur als
Geldquelle ergreifen und führt als Beleg den charakteristischen
18) Wir werden sehn, daß die ganze plutarchische Schrift von sol-
chen ὁμοιώματα durchzogen ist. — Daß der Peripatetiker Ariston sich
dieser Form ebenso bediente wie der Stoiker, geht ja schon daraus
hervor, daß der Keer nach dem unverwerflichen Strabozeugnis X 436
Biwvog ζηλωτής war.
492 August Mayer,
Witz des Demagogen Stratokles an, der die Rednerbühne
χρυσοῦν ϑέρος nannte. Man begreift leicht, welche Wirkung
dies in einer antirhetorischen Schrift machen konnte.
Im folgenden begegnen andere unedle Motive, sich der
Politik zu widmen; zusammengefaßt werden diese Gedanken
in folgendem Homoioma (799 A): ἀλλ᾽ ὥσπερ εἰς φρέαρ οἶμαι
τὴν πολιτείαν τοὺς μὲν ἐμπίπτοντας αὐτομάτως χαὶ παραλόγως
ταράττεσϑαι χαὶ μετανοεῖν, τοὺς δὲ καταβαίνοντας ἐκ παρασχευῆς
χαὶ λογισμοῦ χαϑ' ἡσυχίαν, χρῆσθαί τε τοῖς πράγμασι με-
τρίως χτλ.
Im dritten Kapitel behandelt Plutarch die χατανόησις τοῦ
ἤϑους τῶν πολιτῶν: erst wenn man die Eigenart seines Publi-
cums erkannt hat, kann man daran denken, es zu beeinflussen 1).
Etwas andres aber ist es um die Routine der Demagogen,
welche genau wissen, was sie sich dem Volk gegenüber er-
lauben dürfen: sie fangen es, indem sie aufseine
Art eingehen, von solchen Rhetoren läßt sich der Pöbel
alles bieten. Dies beweisen die Anekdoten von Kleon (799 D),
Alkibiades und Stratokles (799 F). Im folgenden Satz (800 A)
werden solche Politiker in der Form eines Homoioma mit
Vogelstellern verglichen, die die Vögel mit ihrer eignen
Stimme locken.
Kap. IV: DieRhetoren müssen entwederihr
Privatlebeningewaltsamer Weiseverändern—
wie Themistokles und Perikles — oder sieerregen —
wie Alkibiades — umsomehr Abscheu als auch
kleine Fehler beim Politiker groß erschei-
nen; wenn sich das Volk trotzdem von unsau-
beren Gesellen leiten läßt, geschieht das
doch mit Widerwillen und Verachtung.
Bei Plutarch wird das Beispiel des Themistokles, der sich
plötzlich des Weins enthielt, weil ihn die Trophäen des Mil-
tiades nicht schlafen ließen), und des Perikles, der beim
14) Wird 799 Ο in der Form eines Homoioma dargelegt.
15) Was leicht als Beispiel ehrgeizigen Neides ausgelegt werden
konnte, Uebrigens steht der entsprechende Bericht bei Plut. Them. 3
(λέγειν πρὸς τοὺς ἐρωτῶντας nat ϑαυμάζοντας τὴν περὶ τὸν βίον μεταβολὴν
ὡς χαϑεύδειν αὐτὸν 00% ἐῴη τὸ Μιλτιάδου τρόπαιον) in einem deutlich
antirhetorischen Zusammenhang: denn vorher geht Aristons Angabe
Aristonstudien. 493
Eintritt in die politische Laufbahn seine Körperhaltung änderte
(p. 800 B, C), als nachahmenswertes Vorbild hingestellt. In
Plutarchs Quelle sollte wohl damit gezeigt werden, welcher
Künste und Mittelchen die Rhetoren sich bedienen müssen,
jenes „scheue Tier“, das Volk zu fangen: p. 800 C: ἀγαπητὸν
εἰ pm ὄψει μήτε φωνῇ πτυρόμενος (ὃ ὄχλος) ὥσπερ ϑηρίον
ὕποπτον χαὶ ποιχίλον ἐνδέχοιτο τὴν ἐπιστασίαν. Im folgenden
wird dargelegt, daß besonders das Privatleben der Rhetoren
allerhand Angriffen ausgesetzt ist (als Beispiel dient Alkibiades
800 D): die Rhetoren ruinieren sich wie Alkibiades durch ihr
schandvolles Privatleben die schönsten politischen Erfolge. Daß
auch kleine Fehler beim Politiker groß erscheinen, wird p. 800E
in der Form eines Homoioma dargelegt. Ganz deutlich wendet
sich gegen die Rhetoren p. 801 A: das Volk hat das Bewußt-
sein, was für Leute es an seiner Spitze duldet; auch hier
wieder ein Homoioma: Wie die Schwangeren ungeniefßbare
Speisen in den Mund nehmen und dann ausspucken, so be-
handelt das Volk die Rhetoren.
Einen Hauptbeweis dafür, daß Aristons Schrift gegen die
Rhetorik Plutarchs Quelle ist, liefert das fünfte Kapitel. Hier
wird nämlich im Gegensatz zur „rhetorischen* Definition der
Rhetorik 415, πειϑοῦς δημιουργὸς“ die Macht der Rede dahin
eingeschränkt, daß gesagt wird, sie sei bloß „neitcüs συνεργὸς“.
Zweifellos weist uns die Diskussion über den ὅρος der Rhe-
torik in das Gebiet der Frage: εἰ τέχνη ἣ ῥητοριχή, mithin
auf die Schriften „adversus rhetoras“. Plutarch spricht (801 Ο)
in der Form eines Homoioma aus, daß die Rhetorik nicht
αὐτάρχης sei, ebenso wie nicht das Steuerruder das Schiff lenke,
sondern der Steuermann; und mit einem ähnlichen Bilde (801F),
daß πολιτικὸς und ῥήτωρ sich verhalten wie χυβερνητῆς und
χελευστής 1) : jenem kommt der νοῦς, diesem der λόγος zu, und
.
«
der ideale πολιτικὸς muß eben beides vereinen „örws μὴ δέ-
über die Eifersucht auf Aristides. Das gleiche gilt vom Schluß des
2. Kap.: τὰ χοινὰ πράττειν ἀποτρέπων αὐτὸν ὃ πατὴρ Enedeinvve πρὸς τῇ
ϑαλάττῃ τὰς παλαιὰς τριήρεις ἐρριμμένας χαὶ παρορωμένας ὡς δὴ καὶ πρὸς
τοὺς δημαγωγοὺς ὅταν ἄχρηστοι γένωνται τῶν πολλῶν ὁμοίως ἐχόντων
(antirhetorisches Homoioma: vielleicht Ariston); vorher (Kap.2 Anfang)
eine Angabe über seine Rhetorikübungen in der Knabenzeit.
16) Vgl. Sextus adv. rhet. 41: ἄλλ᾽ ὃν λόγον ἔχει φαρμαχοπώλης πρὸς
ἰατρὸν, τοῦτον ὁ δημαγωγὸς πρὸς τὸν πολιτικόν.
494 August Mayer,
«ἡ
ται φωνῆς ἀλλοτρίας “: nur insoweit (als bloß formelle Fertig-
keit) ist die Rhetorik zulässig und berechtigt. Wörtlich die-
selbe Behauptung nun finden wir in dem unten zu behandeln-
den Abschnitt Philodems (Sudhaus I 360 ff.) als Ansicht eines
antirhetorischen Autors namens Ariston. Es heißt dort col.
72, 11: ,φησὶ δὴ (sc. Ariston) πρῶτον | ἀποτρέπων, ὅτε χελευ-
Ιστοῦ χαὶ οὐ χυβερν ἥτου χώραν ἔχων ὃ᾽ ῥήϊτωρ οὐχ ἄξιός ἐστι
| προσποιεῖσϑαι χυβερ)νήτης (eiv)aı.“ Vergleiche auch col.
93: ,(ὥσπερ γὰρ ὃ χελευστὴς δύναιτ᾽ ἂν τάχα) | 3 π(ηδ)αλιου-
(χεῖν ἐπὶ τοῦ) | πλοίου (τ)ῶ(.) δὲ μ(ῆτε π)οῦ | μῆτε πῶς μήτε
(πότ)ε | πλευστέον εἰδέναι προς βλαβὴς ἂν γένοιτο (μ)ᾶϊλλον
οὕτω(ς) δὴ (ai) © ῥ(ἠήτ)ωρ“. Es ist somit klar, daß die
Quelle des Plutarch der von Philodem bekämpfte Autor ist: der
Verfasser einer antirhetorischen Schrift, Ariston mit Namen.
p. 801 ἢ, E wird die bloß relative Berechtigung des λόγος
erwiesen durch das Beispiel der homerischen Helden, die (Ilias
IX 443) ομύϑων ῥητῆρες“ (rhetores) und ,πρηχτῆρες Epywv“
(politici) zugleich waren!”). Die Berufung auf Homer weist
uns ebenfalls in den Kreis des Kampfes um die Rhetorik, in
dem die allegorische Homerinterpretation bekanntlich eine
große Rolle spielte.
Zur Diskussion des Verhältnisses von πολιτικὸς und ῥήτωρ
gehört der Ausspruch des Feldherrn Iphikrates, der die An-
klage des Redners Aristophon mit den Worten zurückwies:
βελτίων μὲν 6 τῶν ἀντιδίκων ὑποχριτὴς, δρᾶμα δὲ τοὐμὸν ἄμεινον.
Auch hier kann man sich leicht vorstellen, welche Wirkung
dies Citat in einer Schrift gegen die Rhetorik machen mußte.
Von ähnlicher Wirkung waren wohl die beiden folgenden Anek-
doten; deutlich antirhetorischen Charakter hat allerdings nur
die Berufung (802 A) auf jenen Baumeister, der von seinem
redefertigen Concurrenten sagte: ὡς οὗτος εἴρηχεν, ἐγὼ ποιήσω,
doch ist der Sinn des vorhergehenden offenbar der, daß dem
berühmten Architekten und schlechten Redner Iktinos der Re-
chenschaftsbericht erlassen wird, da sein Werk für sich selbst
spricht (vgl. den Exkurs). Plutarch selbst wendet die Sache
ı7) Dieselbe Stelle wird von Cicero de oratore III 57 angezogen,
wo er sein Bildungsideal (Vereinigung von Philosophie und Rhetorik)
entwirft.
Aristonstudien. 495
anders, indem er den Mangel an Redefertigkeit als banausisch
erklärt. Er betont eben die λόγου δύναμις mehr als Ariston.
Somit wird auch der Schluß des Kapitels (von 802 B an), der
nur der Verherrlichung des λόγος dient, ganz dem Plutarch
zuzuschreiben sein.
Gemeinsam zu behandeln sind Kapitel VI-VIII: sie ent-
halten rhetorische Vorschriften für den πολιτικός. Das anti-
rhetorische Element liegt hier erstlich darin, daß die Theorie
nicht die vulgäre, sondern die peripatetische (genauer: theo-
phrastische) ist, und zweitens in der Auswahl der Beispiele.
Daß hier die Lehre des Theophrast zugrunde liegt, habe
ich an andrer Stelle!®) zu zeigen versucht. Hier genüge der
Hinweis, daß 802 F τῷ λόγῳ τοῦ πολιτευομένου καὶ συμβου-
λεύοντος καὶ ἄρχοντος ἐπιφαινέσϑιω μὴ δεινότης μηδὲ πανουργία
μηδ᾽ εἰς ἔπαινον αὐτοῦ τιϑέσθιω τὸ ἑχτικῶς ἢ τεχνικῶς 7) διαι-
ρετικῶς, ἀλλ᾽ ἤϑους ἀπλάστου χαὶ φρονήματος ἀληϑινοῦ καὶ
παρρησίας πατριχῆς χαὶ προνοίας χαὶ συνέσεως χηδομένης ὃ λόγος
ἔστω μεστός“ wörtlich stimmt mit dem Theophrast-Fragment
bei Quintilian III, 8, 62 (= fr. XXIII S). Ferner wird Theo-
phrast selbst genannt (p. 804 A), was natürlich wieder auf
Ariston führt, dem wir vita Dem. c. 10 eine Ansicht des
Theophrast verdanken!?). Ferner wird hier mit Beispielen
aus Aristoteles περὶ λέξεως gearbeitet (Rhet. III p. 1411 A 4
und 15 kehren am Schluß von Kapitel VI wieder), was für
Theophrasts Buch περὶ λέξεως eigentümlich ist. Mit den
Worten im Anfang des VI. Kapitels „ö μέντοι λόγος... ..
ἀνϑηρῶν ὀνομάτων“ wendet sich Theophrast gegen Isokrates
(, πανηγυρίζοντος χαὶ στεφανηπλοχοῦντος ἐξ ἁπαλῶν Hal ἀνϑηρῶν
ὀνομάτων“), denn auf Theophrast führt die Idee des ἀνθηρὸν
und das Bild mit dem Kranz (cf. Cicero orat. 20 und 65);
so auch andere theoretische Details (p. 809 A, B).
Die hier benützten theophrasteischen Doctrinen warnen
erstens (Kap. VI) vor allzu unmäßigem sophistischen Schmuck,
ἃ. ἢ. sie erklären das ἀνθηρὸν für das genus deliberativum
als unpassend. Dieses darf wohl geschmückter sein als das
genus iudiciale (cf. Aristot. Rhet. III. c. 12 Ende) und darf
18) Theophrasti περὶ λέξεως libri fragmenta p. 35 Anm. 1; 37; 44.
10) Vgl. Heylbut, Rh. Mus. 39, 159,
496 August Mayer,
γνωμολογίαι, ἱστορίαι, μῦϑοι, μεταφοραὶ haben (803 A), aber die
wahre politische Rede muß sich fern halten von sophistischen
Erzeugnissen, wie den Reden in den Geschichtswerken eines Ana-
ximenes und Ephoros; hier ist vielmehr 'Thukydides Muster.
Zweitens: Im VII. Kapitel stehen Vorschriften für
die Anwendung von σχῶμμα und γελοῖον: ihr Gebrauch soll
hauptsächlich auf die Replik beschränkt sein. So wie die
ganze Beschäftigung mit diesen Dingen sind auch diese Vor-
schriften echt peripatetisch "ἢ: der Witz soll nie kränken,
sondern nur bessern.
Drittens: Im Kapitel VIII wird mit der Begründung
ὀξεῖς γὰρ οἱ χαιροὶ nal πολλὰ φέροντες ἐν ταῖς πολιτείαις ai-
φνίδια “ von dem praktischen Redner die δεινότης verlangt (eine
der wichtigsten „Ideen“ bei Theophrast). Diese Eigenschaft
wird hier dem Demosthenes abgesprochen: ebenso dem Alki-
biades, mit ausdrücklicher Berufung auf Theophrast. Offenbar
wegen seiner Schlagfertigkeit stellte (Plut. Dem. c. 10) Theo-
phrast den Demades über Demosthenes ?!); bei Ariston aber
war der Zusammenhang offenbar der: auch den berühm-
testen Rednern hilft die Rhetorik beim ὀξὺς
καιρὸς nichts: ἀναγχάζονται χατασιωπᾶν (cf. Aristot.
Rhet. III p. 1413B 5).
Die theophrastische Doctrin konnte Ariston trefflich
brauchen: der von Theophrast geforderte Stil der politischen
Rede — wobei das Hauptgewicht auf die facultas celeriter
20) Vgl. die theophrastische Definition des σχῶμμα bei Plut. quaest.
conv. II pg. 631 E: ὀνειδισμὸς γάρ ἐστι τῆς ἁμαρτίας παρεσχήμαντι σ-
μένος τὸ σχῶμμα χατὰ τὸν Θεόφραστον und davon abhängig ΟἿο, de
or. II 237 sqq.; Quint. VI, 3, 28.
3) Die Stellen lauten: vita Demosth. c. 10 πλὴν τόν γε Δημάδην
πάντες ὡμολόγουν τῇ φύσει χρώμενον ἀνίκητον εἶναι Aal παραφέρειν α ὑ-
τοσχεδιάζοντα τὰς τοὺς Δημοσθένους σκέψεις χαὶ παρασκχεὺυ ἄς.
᾿Αρίστων δ᾽ ὁ Κεῖος (codd. : Χῖος) χαὶ Θεοφράστου τινα δόξαν ἱστόρηχε περὶ τῶν
ῥητόρων. ἐρωτηϑέντα γὰρ, ὁποῖός τις αὐτῷ φαίνεται ῥήτωρ 6 Δημοσθένης εἰπεῖν
»ἄξιος τῆς πόλεως“, ὁποῖος δὲ Δημάδης οὑπὲρ τὴν πόλιν“ (folgt Aristons
Bericht über einen den Demosthenes gegenüber dem Phokion herab-
setzenden Ausspruch des Polyeuktos, der praec. ger. reipubl. c. 7,
pg. 803 E wiederkehrt) praec. ger. reipubl. c. 8 pg. 804 Δεῖ δ᾽ ὅμως
καὶ πρὸς τὰς ἀπαντήσεις τὸν λόγον εὔστροφον ἔχειν καὶ γεγυμνασμένον. ὀξεῖς
γὰρ οἵ χαιροὶ nal πολλὰ φέροντες ἐν ταῖς πολιτείαις αἰφνίδια " διὸ nal An-
μοσϑένης ἡλαττοῦτο πολλῶν, ὥς φασι, παρὰ τὸν χαιρὸν ἀναδυόμενος καὶ
κατονκ νῶν. ᾿Αλχιβιάδην δ᾽ ὃ Θεόφραστος ἱστορεῖ in μόνον ἃ δεῖ λέγειν,
ἀλλὰ καὶ ὡς δεῖ βουλόμενον πολλάκις ἐν αὐτῷ τῷ λέγειν ζητοῦντα nal
συντιϑέντα τὰς λέξεις ἐνίσχεσθαι χαὶ διαπίπτειν.
Aristonstudien. 497
respondendi gelegt wurde — stand im Gegensatz zum Kunst-
stil der Sophisten ; andrerseits enthielt Theophrasts Witztheorie
Hiebe auf die berühmten Redner.
Damit sind wir auf den zweiten angekündigten Punkt
gekommen: das Material dieser drei Kapitel ist durchaus anti-
rhetorisch. Gleich im Anfang heißt es, daß im Gegensatz zu
der (theophrastischen) Vorschrift über den πολιτικὸς λόγος
Demosthenes stehe, dessen Beredsamkeit nach der Anklagerede
des Pytheas charakterisiert wird (das bekannte: ἐλλυχνίων ὄζει).
Zwei Beispiele im VII. Kap. enthalten Schimpfreden zwischen
Demosthenes und Pytheas, Demades und Demosthenes: ferner
zwei Witze des Rhetors Demokrates, die dessen eigne Bered-
samkeit heruntersetzen. 803 E endlich wird die δεινότης des
Phokion über die des Demosthenes gestellt, welchen Ausspruch
des Polyeuktos wir nach vit. Dem. 10 dem Ariston verdanken.
Also wird er auch die Quelle für das übrige antirhetorische
Material sein und insbesondere werden wir ihm den sowohl
vit. Dem. 10 als praec. 808 E vorkommenden Ausspruch des
Demosthenes über Phokion („N τῶν ἐμῶν λόγων χοπὶς ἀνίστα-
ται") zuschreiben.
Wie antirhetorisch nämlich dieses Material ist, läßt sich
in einzelnen Fällen noch des nähern zeigen: die beiden Witze
des Demokrates enthalten cynische Bemerkungen über die
politische Lage und Selbstverspottung und fügen sich schon
deshalb gut in den von uns vermuteten Zusammenhang. Aber
daß Demokrates tatsächlich in antirhetorischen Schriften eine
Rolle gespielt hat, zeigt Sextus adv. rhet. 42, wo die Rhetoren
verglichen werden mit den Ammen αἵ μιχρὸν Tod Ψωμίσματος
τοῖς παιδίοις διδοῦσαι τὸ ὅλον χαταπίνουσιν. Dieser Vergleich
stammt wie aus Aristoteles Rhet. III. c. 4. p. 1407 A 7 hervor-
geht??) aus Demokrates. Auch der Stob. XIII 30 überlieferte
Ausspruch : Δημοχράτης ἰδὼν κλέπτην ὑπὸ τῶν ἕνδεχα ἀπαγόμενον
ἄϑλιε“ εἶπε „re γὰρ μικρὰ ἔχλεπτες ἀλλ᾽ οὐ τὰ μεγάλα, ἵνα καὶ
σὺ ἄλλους ἀπῆγες“. ist wohl auf eine antirhetorische Quelle
zurückzuführen.
22) Dort ist der Ausspruch offenbar in besserer Form erhalten:
χαὶ ὃς Δημοχράτης εἴχασεν τοὺς ῥήτορας ταῖς τίτϑαις αἱ τὸ ΦΨώμισμα χατα-
πίνουσαι τῷ σιάλῳ τὰ παιδία. παραλείφουσιν.
408 August Mayer,
Eine ähnliche Rolle wie Demokrates scheint der im
VIII. Kapitel (804 A, B) erwähnte Leon von Byzanz gespielt
zu haben. Ist auch der dort von Plutarch berichtete Witz an
sich harmlos, so zeigt doch die sonstige Ueberlieferung, dafß
auch er gegen Demosthenes ausgespielt wurde: Philostratos
(V.S. p. 204, 17 Kayser) sagt von ihm, er hätte durch eine
treffende Replik seine Vaterstadt Byzanz befreit, Demosthenes
aber hätte mit all seinen langen Reden nicht dasselbe erreicht.
Gerade dieser Ausspruch paßt trefflich in Plutarchs Zusammen-
hang). Schließlich ist auch die Erwähnung des Pytheas
(p. 804 B) in einem solchen Zusammenhang sehr verständlich:
denn er galt ja neben Demades als Beispiel dafür, wie man
trotz mangelnder Vorbildung und jugendlichen Alters Erfolge
in der Rhetorik erringen könne (cf. Schol. ad Herm. IV 39 f.
Walz); wenn nun mit dem bei Plutarch eitierten Ausspruch
Pytheas sich gegen den Vorwurf der Unreife glücklich ver-
teidigt, werden wir auch hier eine antirhetorische Quelle an-
nehmen dürfen.
Es liegt also im den Kapiteln VI—VII erstlich theo-
phrasteische, im Gegensatz zur Vulgärrhetorik stehende, Doc-
trin vor und zweitens antirhetorisches Beispielmaterial. Aus
beiden Gründen können wir diese Kapitel für Aristons Schrift
gegen die Rhetoren in Anspruch nehmen, da wir durch Heran-
ziehung von vit. Dem. 10 wissen, daß Ariston den Theophrast
benützte.
Gestützt auf diese Erkenntnis können wir überdies noch
die dem zehnten Kapitel der vita Demosthenis benachbarten
Kap. VIII und XI wenigstens teilweise dem Ariston zuschreiben.
Der Vorwurf, daß die Beredsamkeit des Demosthenes
keine natürliche, sondern das Ergebnis mühevoller Studien ge-
23) Dagegen weist Suidas s. v. Λέων auf sein unglückliches Ende
hin (er muß sich aufhängen, nachdem Philipp ihn beim Volk in den
Verdacht der Käuflichkeit gebracht hat) mit den bezeichnenden Worten:
“μηδὲν ἀπὸ τῆς σοφίας χαὶ τῶν λόγων κερδάνας 6 δείλαιος". Auf Leon geht
sicher auch die Stelle Sext. adv. rhet. 38: ὅϑεν χαὶ 6 Βυζάντιος ῥήτωρ
ἐρωτηϑεὶς πῶς ὁ Βυζαντίων ἔχει νόμος elnev' „og ἐγὼ ϑέλω“. Mit dem
Plut. vit. Nie. 22 überlieferten Ausspruch Leons: Βούλομαι μᾶλλον dp’
ὑμῶν ἢ ner ὑμῶν ἀποθανεῖν vergleiche die praec. 803 D erzählte Ant-
wort eines (sonst unbekannten) Xenainetos auf den Vorwurf, daß er
als Stratege die Flucht ergriffen habe: ,μεϑ᾽ ὑμῶν γ᾽ ὦ φίλαι κεφαλαὶ“.
Aristonstudien. 499
wesen sei, wird im VIII. Kap. besprochen: &% τούτου (gemeint
sind die bekannten Geschichten von Demosthenes’ Fleiß) δό-
ξαν εἶχεν ὡς οὐχ εὐφυὴς ὧν ἀλλ᾽ ἐκ πόνου συγχειμένῃ δειν ὁ-
τὴτι nal δυνάμει χρώμενος" ἐδόκει τε τούτου σημεῖον εἶναι μέγα
τὸ μὴ ῥᾳδίως ἀκοῦσαί τινα Δημοσϑένους ἐπὶ κατροῦ λέγοντος,
ἀλλὰ καὶ χκαϑήμενον ἐν ἐκχλησίᾳ πολλάκις τοῦ δήμου χαλοῦντος
ὀνομαστὶ μὴ παρελϑεῖν, εἰ μὴ τύχοι πεφροντιχὼς χαὶ παρεσχευασ-
μένος (cf. praec. 804 Α). Es folgt der Ausspruch des Pytheas
und Demosthenes’ Antwort (praec. 802E, 803D) und dann:
τῆς δὲ πρὸς καιρὸν ἀτολμίας αὐτοῦ χαὶ τοῦτο ποιοῦνται
σημεῖον, ὅτι Δημάδης μὲν ἐχείνῳ ϑορυβηϑέντι πολλάχις ἀνα-
στὰς συνεῖπεν, ἐχεῖνος δ᾽ οὐδέποτε Δημάδῃ. Dies alles läßt sich
wegen der Parallele zu den praecepta auf Ariston zurück-
führen.
Ebenso begegnen wir dem antirhetorischen Gedankenkreis
im zweiten Theil von Kap. XI?*) der vita: da berichtet Her-
mipp das Urteil von Demosthenes’ Studiengenossen Aision,
daß die Reden des Demosthenes bloße Buchreden wären, was
zu dem in Kap. VIII entwickelten Gedanken (Mangel an
Schlagfertigkeit) gehört. Der unmittelbare Gewährsmann des
Hermipp wird hier Ariston gewesen sein; denn im folgenden
kehrt der Wortwechsel zwischen Demosthenes und Demades
(praec. 809 D) wieder, und zwar mit dem bezeichnenden Vor-
wurf, die geschriebenen Reden des Demosthenes enthielten zu-
viel πικρὸν (was nach theophrasteischer Doctrin nur als Abwehr
erlaubt ist).
In den „praecepta“ hatte Plutarch ein antirhetorisches
Buch, das hauptsächlich aus Ariston schöpfte (wenn nicht ihn
selbst), vor sich: daher hat er dort Material gegen Demos-
thenes verbunden mit sonstigem antirhetorischen Material. Die
Quelle der vita Demosthenis dagegen ist in letzter Linie die
Biographie des Hermippos, der seinerseits Aristons Buch: πρὸς
tous ῥήτορας benützte 55. So erklärt es sich, daß Plutarch
2?) Kap. IX enthält Plutarchs Verteidigung gegen diese Vorwürfe.
25) Daß dem so ist, schließe ich aus einem analogen Fall: Her-
mipp hat nämlich im I. Buch seiner Aristotelesbiographie Aristons
Geschichte des Peripatos benützt (vgl. F. Nietzsche Rh. Mus. 24, 191).
Dazu stimmt ganz gut die Art, wie Ariston und Hermipp bei Plut.
Dem. 30 zusammenstehn. So werden wir auch die Suidasstelle (s. v.
500 August Mayer,
in zwei so verschiedenen Werken uns beidemale als Zeuge für
Ariston dienen kann. — Setzen wir nun die Analyse der prae-
cepta fort.
Das kurze Kap. IX (über die Notwendigkeit einer starken
Stimme für den Politiker) wird wohl Plutarch allein gehören.
Höchstens könnte die Erwägung, daß oft der bloße Schreier
durch die Uebermacht seiner Stimme über den guten Redner
die Oberhand behält (804 C), in eine Schrift gegen die Rhetorik
passen.
Im folgenden (Kap. X und XI) behandelt Plutarch die
beiden möglichen εἰσβολαὶ τῆς πολιτείας: die rasche und ge-
fahrvolle (Kap. X) und die sichere und langsame (Kap. XI).
Hier würde weder die Rückführung auf Ariston noch der
Nachweis eines ursprünglichen antirhetorischen Zusammenhangs
möglich sein, wenn nicht (804E) der Name des Ariston an
einer Stelle stünde, die uns über seine Ansicht aufklärt. Es
heißt nämlich (auch hier in der Form eines Homoioma): οὔτε
γὰρ πῦρ φησιν ὃ ᾿Αρίστων χαπνὸν ποιεῖν οὔτε δόξαν φϑόνον, ἣν
εὐθὺς ἐχλάμψῃ καὶ ταχέως" ἀλλὰ τῶν χατὰ μιχρὸν αὐξανόμένων
χαὶ σχολαίως ἄλλον ἀλλαχόϑεν ἐπιλαμβάνεσϑιαι᾽ διὸ πολλοὶ πρὶν
ἄνϑ'ῆσαι περὶ τὸ βῆμα χατεμαράνϑησαν. Ariston ist also dafür,
daß man den raschen Weg zur Erlangung des politischen Ein-
flusses wähle; im andern Falle wird man durch den Neid
der Concurrenten eher gestürzt als man zur Macht ge-
langt. Es versteht sich nun von selbst, daß der von Ariston
empfohlene Weg eben nicht der der meisten Rhetoren ist;
und so scheint uns die Stellung des aristoneischen Homoioma
in einem anti-rhetorischen Zusammenhang ganz gut denkbar?").
Damit stimmt vortrefflich, daß sich der gewöhnliche Weg der
Δημοσϑένης) ,ἐπιμελὴς μᾶλλον ἣ εὐφυὴς ὡς Ἕρμιππος ἱστορεῖ“, die den
Succus von Aristons Angriffen auf Demosthenes enthält, auf diese Weise
erklären. — Die im harpalischen Procell gehaltene χατηγορία Δημοσθέ-
γνοὺς des Pytheas hat nicht nur Ariston sicher benützt (Vorwurf der
νυχτογραφία und der Schildwegwerfung; vit. Dem. 8 und 20), sondern
auch (wie aus Dionys. de Isaeo c. 1 hervorgeht) Hermipp im Leben
des Isaeus (es handelt sich um den Vorwurt, Demosthenes habe die
τέχναι des Isaeus geschluckt). Auch hier wird Hermipp die Rede des
Pytheas aus Ariston kennen.
26) Der übrige Inhalt im Kap. X ist jedenfalls ganz plutarchisch
(römische Beispiele 805 A, B und Rücksichtnahme auf Plutarchs eigene
Zeit).
Arıstonstudien. 501
Rhetoren der Sympathie des Ariston offenbar nicht erfreute.
Er scheint nämlich (Kap. XI) damit hauptsächlich an die-
jenigen Politiker gedacht zu haben, die auf den Schultern der
andern emporkommen 27), was ganz verwerflich ist, wenn man
sich dann gegen seinen Protektor undankbar erweist, wie es
(805 F) Agesilaos mit Lysander gemacht hat.
Damit stimmt nun vorzüglich, daß im XI. Kapitel ein
gewichtiger Grund gegen die σχολαία εἰσβολή angeführt wird:
dieEifersucht derRhetoren aufeinander,ins-
besondere der Neid der berühmten. Auch hier
wieder ist der Hauptgedanke in Form eines Homoioma aus-
gesprochen (8060): ὡς γὰρ οὐ πᾶν δένδρον ἐϑέλει προσίεσθαι
χαὶ φέρειν περιπλεχομένην. τὴν ἄμπελον ἀλλ᾽ ἔνια χαταπνίγει
χαὶ διαφϑείρει τὴν αὔξησιν αὐτῆς, οὕτως ἐν ταῖς πόλεσιν οἵ μὴ
φιλόχαλοι (also die Rhetoren) . ... οὐ προΐενται τοῖς νέοις πρά-
Eswv ἀφορμὰς ἀλλ᾽ ὥσπερ τροφὴν ἑαυτῶν τὴν δόξαν ἀφαιρουμέ-
γους πιέζουσιν ὑπὸ φϑόνου παὶ κατἀμαραίνουσιν. Hier ist gleich
auf beide in Betracht kommende Eventualitäten angespielt:
der alte Baum erdrückt die junge Pflanze — die Schmarotzer-
pflanze saugt dem Baum das Leben aus. Nach Beispielen aus
der römischen Geschichte heifst es weiter (806 F): τούτων (wie
Sulla) οὖν ἔχεσϑαι τῶν ἀνδρῶν al τούτοις ἐμφύεσθϑιαι μὴ,
χαϑάπερ ὃ Αἰσώπου βασιλίσκχκος ἐπὶ τῶν ὥμων τοῦ ἀετοῦ
χομισϑεὶς αἰφνίδιον ἐξέπτη χαὶ προέφϑασεν, οὕτω τὴν ἐκείνων
δόξαν ὑφαρπάζοντας αὐτούς. Auch dieser Satz betrachtet das
Verhältnis von Alt und Jung nach beiden Seiten hin: entweder
lassen die berühmten Alten die jungen Leute nicht aufkommen
oder die Schützlinge bringen ihre Wohltäter um ihren Ruhm,
wie der Zaunkönig den Adler. In die Sprache des Ariston
übersetzt bedeutet das Ganze: Die Rhetoren können
einander nicht Freunde sein.
Daran schließt sich trefflich das XIII. Kapitel, wo über
die sonstigen Freundschaften der Rhetoren gehandelt wird:
auch hier wird auf doppelte Weise die sittliche Nichtswürdig-
keit dieser Leute gezeigt: sie verleugnen entweder, wenn sie
zur Macht gelangt sind, ihre früheren Freunde (wie Kleon
51) 805 E: τούτων γὰρ ἕχαστος ὥσπερ ol χιττοὶ τοῖς ἰσχύουσι τῶν δέν-
ὅρων περιπλεχκόμενοι συνεξανίστανται.
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 33
502 August Mayer,
806 F, 807 A), oder sie begünstigen sie auf Kosten des Ge-
meinwohls wie Themistokles (807 B). Die Stelle über ihn
(der Ausspruch: μηδέποτ᾽ eig τοιοῦτον ἐγὼ χαϑίσαιμι ϑρόνον χ.τ.λ.)
ist, wegen vit. Arist. c. 2. aus Ariston von Keos. Mithin
dürfen wir auch diesen ganzen Gedanken für ihn in Anspruch
nehmen.
Auch das folgende stimmt gut zu dem voraussetzlichen
Charakter von Arıstons Buch. In einem Homoioma (807 D)
werden die Rhetoren setadelt, daß sie in der Wahl ihrer
Freunde nicht ebenso vorsichtig sind, wie der Steuermann in
der Auswahl seiner Matrosen: οὐδὲν τ᾽ ὀφθήσεται διαφέρων
οἰχοδόμου τινὸς ἣ τέχτονος ἀπειρίᾳ καὶ πλημμελείᾳ γωνίαις Ypw-
μένου καὶ χανόσι καὶ στάϑμαις ὕφ᾽ ὧν διαστρέφεσθαι τοὔργον
ἔμελλεν. Es folgt (807 E ff.) eine Reihe von Klatschgeschichten
(z. Th. erotischen Inhalts) zum Zweck des Nachweises, wie
sich die Rhetoren?®) von ihren persönlichen Freunden in un-
heilvoller Weise beeinflussen lassen: Solon verräth seinen
Freunden die Seisachthie, Agesilaos setzte sich für Phoibidas
ein (807 F) und bat auch den Sphodrias los δεήσεσιν ἐρωτιχαῖς
τοῦ παιδὸς μαλαχϑ'είς, was dann beides (808 B) großes Unglück
(die Schlacht von Leuktra) im Gefolge hatte. Das Ende dieses
Kapitels (bis p. 809 B) enthält Plutarchs eigne Weisheit.
Im XIV. Kapitel bespricht Plutarch die Privatfeindschaften
der Politiker und setzt auseinander (809 D, E), ein Staatsmann
dürfe überhaupt neben politischen Differenzen keine Privat-
feindschaften haben. Er beginnt damit, daß er sagt (809 B):
einige lobten den Themistokles und Aristeides, weil sie ihre
persönlichen Zwistigkeiten außerhalb der Landesgrenzen ver-
gessen hätten. Mit Unrecht — wie aus dem folgenden her-
vorgeht?”) — denn der Staatsmann soll überhaupt keine Feinde
haben und (so dürfen wir ergänzen) Themistokles
undAristeides haßten sich im@Grunde nur aus
38) Jeder Staatsmann, der nicht nach dem Ideal des Peripatos war,
konnte von Ariston als „Rhetor“ betrachtet werden, da rhetorische
Ausbildung als selbstverständlich galt.
39) Der Gedanke wird (nach Einschiebung der Erzählung von Kre-
tinos und Hermias) wieder aufsenommen 809 D: οὐ μὴν ἀλλὰ βέλτιον
ol περὶ Φωχίωνα. . . μηδ᾽ ὅλως ἔχϑραν τινὰ πρὸς πολιτιχὰς τιϑέμενοι δια-
φορὰς... δεῖ γὰρ ἐχϑρὸν μνηδένα πολίτην νομίζειν.
Aristonstudien. 503
persönlichen Motiven. Nun wissen wir aber, daß
die Erzählung vom Ursprung der Feindschaft zwischen diesen
beiden Männern aus Ariston stammt; also wird auch er es
sein, der hier die Rhetoren tadelte, daß sie sich ebenso wie
von ihren persönlichen Sympathien (Kap. XIII) von ihren
privaten Antipathien leiten lassen.
Im folgenden wird dargelegt, wie man seine politischen
Gegner zu behandeln habe: man muß ihnen mit ethischem
Tadel begegnen, d. h. ihre guten Seiten anerkennen und
dadurch ihren Ehrgeiz anstacheln, nicht aber (wie die Rhe-
toren) mit Schimpfworten um sich werfen. Dieser Gedanken-
zusammenhang weist wieder deutlich auf Ariston: einerseits
ist nämlich die Vorschrift über „ethischen Tadel“ echt peri-
patetisch®®), und wenn Plutarch 809 E vorschreibt, man solle
seine politischen Gegner, soweit sie nicht geradezu eine Pest
für den Staat sind, eis τὸ ἐμμελὲς ἄγειν durch sanften Tadel
(ἡϑικώτερον), nicht σὺν ὀργῇ nal πρὸς ὕβριν. ebenso wie man
— auch hier wieder ein Homoioma — eine Ziehharmonika
sanft dehnt und zusammenzieht, so stimmt dies völlig mit
peripatetischen Anschauungen. Zu diesem Gedanken gehört
auch 809F: ἄν τέ τι χρηστὸν εἴπωσιν 9 πράξωσιν (gemeint
sind die politischen Gegner) μὴ τιμαῖς ἀχϑόμενον αὐτῶν μηδὲ
ν
΄
λόγων εὐφήμων ἐπὶ χαλοῖς ἔργοις eins μενον: οὕτω γὰρ ὅ τε
Ψόγος, ὅπου δεῖ, πίστιν ἕξει καὶ πρὸς τὴν καχίαν διαβαλοῦμεν
αὐτοὺς αὔξοντες τὴν ἀρετὴν χαὶ ταῦτα παραβάλλοντες ἐχείνοις
ὡς ἄξια χαὶ πρέποντα μᾶλλον. Darauf folgen Beispiele und
dann heißt es weiter (810 Ο) ὁ γὰρ μεμιγμένος ἐπαίνῳ
Ψόγος (das ist eben der ethische Tadel) οὐκ ἔχων ὕβριν ἀλλὰ
παρρησίαν, οὐδὲ ϑυμὸν ἀλλὰ δηγμὸν ἐμποιῶν χαὶ μετάνοιαν εὐμε-
vis φαίνεται χαὶ ϑεραπευτιχός 5).
Noch deutlicher als diese peripatetischen Theorien weist
auf Ariston die Verurteilung der Schimpfereien der Rhetoren
30) ef. Demetr. Περὶ ἑρμηνείας 291 (aus Theophrast): πολλαχῇ μέν-
τοι χαὶ ἐπαμφοτερίζουσιν οἷόντ᾽ ἐοιχέναι (durch Mischung von Lob und
Tadel) ei καὶ φόγους καὶ οὐ φόγους εἶναι ϑέλοι τις und 295: χαί ποτε
αὐτὸν τὸν ἁμαρτάνοντα ἐπαινέσομεν οὐχ ἐφ᾽ οἷς ἥμαρτεν ἄλλ᾽ ἐφ᾽ οἷς οὐχ
ἡμάρτηκεν.
81) Ganz ebenso das Beispiel bei Demetrius 295: τὸν DES
(ἐπαινέσομεν) ὅτι χϑὲς ἐπῃνεῖτο πρᾷος φανεὶς ἐπὶ τοῦ δεῖνος ἁμαρτήμασιν.
ἥδέως γὰρ ἕχαστος μιμεῖται ξαυτὸν χ.τ.λ.
99%
504 August Mayer,
8106: „ai δὲ λοιδορίαι τοῖς πολιτικοῖς ἥκιστα πρέπουσιν ὅρα
δὲ τὰ πρὸ Αἰσχίνην ὑπὸ Δημοσθένους εἰρημένα χαὶ
τὰ πρὸς τοῦτον ὑπ᾽ Αἰσχίνου καὶ πάλιν ἃ πρὸς Δημάδην
γέγραφεν Ὑπερείδης εἰ Σόλων Aveinev...“ Die Ausschrotung
der gegenseitigen Beschimpfungen, die sich in den erhaltenen
Reden der berühmten Rhetoren fanden, war nämlich ein be-
quemer und oft ausgenützter Topos aller antirhetorischen
Schriftstellerei; und wenn wir nun wissen®®), daß Aristons
Schüler Kritolaos sich dieses Arguments bedient hat, so liegt
es nahe, seine Verwendung auch dem Ariston zuzuschreiben.
In Gegensatz zu diesen λοιδορίαι wird (810 D) Phokion gestellt,
der auch 803E von Ariston gegen Demosthenes ausgespielt
wird. Im folgenden (810E) werden λοιδορίαι. eventuell als
Repliken auf gegnerische Schmähungen gestattet, aber auch
hier soll dies — wieder echt peripatetisch — μετὰ παιδιᾶς
χαὶ χάριτος geschehen; insbesondere werden die Repliken emp-
fohlen, die witzig an den gegnerischen Angriff anknüpfen,
gleichwie — auch hier wieder ein Homoioma — Geschosse,
die vom Getroffenen auf den Werfenden zurückspringen. Unter
den Beispielen solcher witziger Antworten steht 811 A eine
Replik des Phokion (der offenbar als Gegner des Demosthenes
der Liebling des Peripatos war) gegen Demades.
Im XV. Kapitel wird die Frage untersucht, ob der Staats-
mann sich mit allen öffentlichen Angelegenheiten abgeben
solle oder nicht. Hier gesteht uns Plutarch selbst ein, dafß er
mit seiner Quelle in Widerspruch steht. Im Anfang des
Kapitels (811 B, C) verteidigt er nämlich sein eigenes Ver-
halten in dieser Beziehung gegen die Spöttereien seiner Mit-
bürger: er selbst verschmäht es nicht, sich zum Wohl von
32) Philodem vol. Il pg. 74 fr. II bekämpft den λόγος eines unge-
nannten Gegners mit folgenden Worten: (εἰ δ᾽ Ato)xiv(ng ἐχϑ)ρὸς ὧν
ner’ ἄλί(λων πλ)ειόνων καὶ λέξεως (ϑαυμ)ασιο(υργ)ίαν ὀνειδίζει (sc. Demo-
stheni), τί &(v εἴη) τοῦτο ; καὶ γὰρ ὑμεῖς ol φιλό(σοφ)οι τοῖς φιλοσόφοις
οὖν. αἰσχί(ύνεσϑ)ε ϑανατηφόρους ὅσον ἐφ᾽ ὑ(μῖν) προστρέπειν χηλίδας. Der
Gegner Philodems hatte also aus gewissen Aeschinesstellen (wie III 167)
geschlossen, daß die Rhetoren selbst aneinander kein gutes Haar lassen,
und Philodem antwortet nun, auch die Philosophen fügten sich töd-
liche Brandmale zu. Daß Philodems Gegner hier Kritolaos ist, geht
aus dem ganzen Zusammenhang hervor; denn der Widerlegung der
λόγοι des Kritolaos sind mit wenigen Ausnahmen die ganzen Fragmente
des zweiten Buchs (Sudhaus vol. II pg. 65—130) gewidmet.
Aristonstudien. 505
Chaeronea um alle möglichen Kleinigkeiten zu kümmern. Die
Meinung seines Gewährsmanns aber kommt im übrigen Inhalt
des Kapitels zum Ausdruck: die πολυπραγμοσύνη der
Rhetoren, die sichkeine vonden öffentlichen
Angelegenheiten entgehen lassen wollen, ist
nicht nurlächerlich,sondern auch schädlich:
811 Ο: ἕτεροι δὲ σεμνότερον οἴονται Hal μεγαλοπρεπέστερον TO
τοῦ Περικλέους (über ihn 812 9) ὧν χαὶ Κριτόλαος ἐστιν ὃ
Περιπατητιχὸς 38), ἀξιῶν ὥσπερ N) Σαλαμινία ναῦς ᾿Αϑήνησι χαὶ ἡ
Πάραλος οὐκ ἐπὶ πᾶν ἔργον ἀλλ᾽ ἐπὶ τὰς ἀναγκαίας χαὶ μεγάλας
χοτεσπῶντο πράξεις, οὕτως ἑαυτῷ πρὸς τὰ χυριώτατα καὶ μέγιστα
χρῆσϑαι ὡς ὃ τοῦ χόσμου βασιλεὺς (Nauck Εὶ TG p. 675) τῶν
ἄγαν γὰρ ἅπτεται ϑεὸς, τὰ μικρὰ δ᾽ εἰς τύχην ἀνεὶς ἐᾷ“ χατὰ
τὸν ᾿υὐριπίδην. Wenn hier nicht, wie wir erwarten würden,
Ariston, sondern sein Schüler Kritolaos, der bekanntlich auch
gegen die Rhetorik schrieb, genannt wird, so kann uns dies
in unserer Ansicht über die Quelle des Plutarch nicht irre
machen; denn da im früheren alles auf Arıston selbst hinwies,
dürfte die Sache wohl kaum so stehn, daß dem Plutarch die
Ansichten des Ariston nur durch die Schrift des Kritolaos be-
kannt wurden. Sondern Plutarch benützte wohl eine jüngere
Zusammenstellung von τόποι gegen die Rhetorik, wo außer
den Ansichten des maaßgebenden und wohl auch ältesten
Autors Ariston auch besonders gelungene Bemerkungen (wie
dies Homoioma) aus der offenbar ganz gleichartigen Schrift
seines Schülers Kritolaos verzeichnet waren 55). Jedenfalls ist
die Erwähnung des Kritolaos eine Bestätigung unserer Ansicht,
daß Plutarchs Quelle ein gegen die Rhetorik schreibender
Peripatetiker war.
33) Vo]. Frank Olivier, de Uritolao Peripatetico (Diss. Berlin 1895) p. 27.
3) Vielleicht hat Plutarch hier den Ausspruch des Kritolaos aus
derselben Quelle (also einer historischen Schritt) eingefügt, die er im
Leben des Perikles cap. 7 benützt, wo es heißt: ὃ δὲ χαὶ τῷ δήμῳ ...
οἷον &x διαλειμμάτων ἐπλησίαζεν οὖχκ ἐπὶ mavıl πράγματι λέγων οὐδ᾽ ἀεὶ
παριὼν εἰς τὸ πλῆϑος ἄλλ᾽ ἑαυτὸν ὥσπερ τὴν Σαλαμινίαν τριήρη; φησὶ Κρι-
x
τόλαος, πρὸς τὰς μεγάλας χρείας ἐπιδιδούς, τἄλλα δὲ φίλους Kal δήτορας
Β,Ο: εὐθὺς δὲ καὶ τοῖς περὶ τὴν δίαιταν ἑτέραν τάξιν ἐπέϑηκεν᾽ ὁδόν τε
γὰρ ἐν ἄστει μίαν ξωρᾶτο τὴν ἐπ᾽ ἀγορὰν καὶ τὸ βουλευτήριον πορευόμε-
γος. — Auch hier wie imLeben des Demosthenes und Themistokles wird
ursprünglich antirhetorisches Material in historische Darstellungen über-
gegangen sein.
506 August Mayer,
Denn daß es auch hier gegen die Rhetorik geht, ist aus
dem folgenden deutlich zu ersehen: die „Vielgeschäftigen “
(811 E), die sich mit ihrem Eifer nur Haß erwerben, sind offen-
bar die Rhetoren. Das Ideal dagegen ist die Verteilung der
einzelnen staatlichen Functionen mit einer geistigen Leitung
an der Spitze, wie auf dem Schiff der Steuermann und seine
Hilfskräfte (dies wird 812 C in der Form eines Homoioma aus-
einandergesetzt). Ein Beispiel dafür ist (812 D) Perikles, auf
den Kritolaos hinwies. Eine solche Aemterverteilung ist nütz-
licher für die Allgemeinheit, was wiederum in der Form eines
Homoioma (die Finger an der Hand) dargelegt wird. Dagegen
ist es (812 E) von Schaden, wenn einer ἀπληστίᾳ δόξης ἢ δυ-
νάμεως Aemter ausfüllen will, für die er nicht taugt, wie der
Demagoge Kleon, der auch Stratege sein wollte®°). Es folgen
812 F noch drei Beispiele: nämlich wiederum Lob des Perikles,
dann Lob des Eubulos, der sich mit der Finanzverwaltung be-
gnügte®®), endlich Tadel des Iphikrates, der auch sophistische
Redeübungen mitmachte.
Das kurze XVI. Kapitel zeigt keine Spur antirhetorischer
Tendenz oder überhaupt älterer Ueberlieferung. Aehnliches
gilt von Kapitel XVII (wie überhaupt Plutarch in der zweiten
Hälfte seiner Schrift Gedanken des Ariston nur gelegentlich
benützt). Der Inhalt dieses Kapitels gibt Vorschriften über
Führung der Aemter mit so deutlichen Beziehungen auf Plu-
tarchs Zeit, daß zunächst der Gedanke an Entlehnung ausge-
schlossen scheint. Er mahnt nämlich (813E, F) sich stets daran
zu erinnern, daß einem der calceus des römischen Prokonsuls
auf dem Nacken sitzt und vergleicht nun (814 A) diejenigen,
die, als wäre Griechenland noch frei, ihre Mitbürger mit leeren
Declamationen auffordern, die Taten ihrer Vorfahren nachzu-
ahmen mit Kindern, die die zu großen Stiefeln ihrer Väter
anziehen wollen. Die Erwähnung der Befreiungskämpfe bei
Marathon, Platää. und am Eurymedon, die die Leute nur mit
leerer Eitelkeit erfüllt, gehört in die Sophistenschule (814 C)!
86) Hier tritt die ursprüngliche Tendenz gegen die Rhetoren beson-
ders deutlich hervor.
830) Das hat gewiß niemand geschrieben, der die Beurteilung dieses
Mannes aus Demosthenes übernahm.
Arıstonstudien. 507
Könnte man da nicht — mutatis mutandıs — daran denken,
daß auch ein Ariston sich über die nutzlosen, ja gefährlichen
Declamationen der Rhetoren lustig machen konnte? sehr wohl
konnte er damit auf die athenische Demagogie, die den lami-
schen Krieg heraufbeschwor, ja auf Demosthenes selbst zielen.
Die antirhetorische Tendenz dieses Abschnitts steht jedenfalls
fest und das Homoioma 814 Α ist so fein und treffend wie
nur irgendeines der früheren.
Im Kapitel XVIII ist wieder alles auf römische Verhält-
nisse zugeschnitten; in gleichen Bahnen bewegen sich auch
die Kapitel XIX— XXIII: bei allen ist die Frage nach der
Quelle gegenstandslos.
Der manifeste Hauptinhalt von Kapitel XXIV ist die
Vorschrift, man müsse in kleinen Dingen dem Volk gegenüber
nachgiebig sein, um dann in großen mit desto mehr Strenge
auftreten zu können. Darin ist eine Billigung der Luxus-
bauten (solche werden 818D von Perikles, Demetrius von
Phaleron und Kimon erwähnt), Schauspiele und Geldverteilungen
enthalten; immerhin scheint aber hier eine Spur darauf zu
‚führen, daß Plutarch einen Autor benützte, der ein solches
Mästen des Pöbels durch die Demagogen mit deutlicher anti-
rhetorischer Tendenz tadelte. Es ist nämlich 818C davon die
Rede, man solle dem Demos keine Confiskationen aus habsüch-
tigen Motiven gestatten, denn mit Recht sage Plato (Respubl.
5920, D) von Kleon und seinen Leuten, die die Begehrlichkeit
des Pöbels fütterten: «πολὺν χηφῆνα τῇ πόλει χεχεντρωμένον
ἐνεποίησαν“. Also erscheint hier Kleon als Vertreter der de-
magogischen Rhetoren, die der Quelle des ersten Teils der
Schrift so unsympathisch sind; hierin sehen wir umsomehr eine
Spur davon, daß Plutarch sich hier wieder des Ariston erinnert,
als im Kapitel XXV an zwei Beispielen gezeigt wird, wie weit
die Bequemlichkeit der Athener durch dieses Drohnenleben
gediehen war°’): es wird erzählt wie Demades (818 Εἰ, F) und
Phoikon (819 A) es verstanden hätten, die Athener durch Be-
drohung ihrer gewohnten Bequemlichkeit von kriegerischen
Unternehmungen abzuhalten.
5 Bei Plutarch stehen diese zwei Erzählungen mit dem vorher-
gehenden offenbar in keinem ursprünglichen Zusammenhang.
508 August Mayer,
In Kapitel XXVI wird anempfohlen, sich zu jeder Unter-
nehmung geeignete Hilfskräfte zu wählen, so sei es möglich
(819 D), durch fremde Hilfe höheren Ruhm zu erlangen; und
nun folgen die Worte: «οὐχ ὥσπερ ol ᾿Αργοναῦται τὸν ἫἩραχλέα
χαταλιπόντες ἠναγχάζοντο διὰ τῆς γυναικωνίτιδος καταδόμενοι
χαὶ φαρμαχευόμενοι σῴζειν ἑαυτοὺς χαὶ χλέπτειν τὸ νάχος“.
Diese Worte stehen mit dem Vorhergehenden in einem so er-
zwungenen Zusammenhang, daß wir uns des Eindrucks nicht
erwehren können, daß Plutarch auch hier fremdes Gut in seiner
Weise verwendet. Wenn dem so ist, liegt es nahe, an ein
mythologisches Homoioma des Ariston zu denken: Dieser konnte
ganz wohl mit den Argonauten, die das Vließ stehlen, die
Rhetoren vergleichen, die durch unsaubere Mittel ilır Ziel er-
reichen. Dazu stimmt trefflich das Detail: denn wie die Argo-
nauten im Gemach der Medea mit Zauberformeln gesegnet
werden, so werden die Rhetoren in der Sophistenschule mit
technischen Formeln gespeist; und da es ferner nach peripa-
tetischer Ansicht nur einen Weg für den wahren Staatsmann
gibt, die Philosophie, so geht wohl die Zurücklassung des
Herakles, dessen Kraft die Argonauten befähigt hätte, mit Ehren
das Abentener zu bestehn, auf die den iIthetoren mangelnde
philosophische Bildung. Wegen dieses Mangels können die
Rhetoren im politischen Leben nicht Ehrenmänner bleiben,
sondern müssen aus der Politik ein Geschäft machen, was (819E)
ebenso schlimm ist wie ἀφ᾽ ἱερῶν κλέπτειν. Vielleicht darf man
‘auch den Vergleich (819 E), man solle vor dem Eintritt ins
öffentliche Leben die Habsucht ebenso beiseite lassen, wie Eisen
an der Pforte eines Tempels, auf Ariston zurückführen.
In antirhetorischen und somit aristoneischen Gedanken-
kreis bringen uns auch die Kapitel XXVII—XXXI zurück:
dort wird gezeigt, daß es dem guten Staatsmann nicht so sehr
auf äußere Ehren, wie Standbilder und dergl. ankommen dürfe
als auf das Vertrauen und die Liebe des Volkes; diese falschen
Ehren erwerben sich die Rhetoren?®) (Kap. XXIX) durch
maaßlosen Aufwand (ϑέατρα, νεμήσεις), der umso tadelnswerter
ist (Kap. XXXT), als er oft die Verhältnisse der betreffenden
3) Auch hier nehmen wir als den Antipoden des wahren πολιτιχὸς
unbedenklich den ῥήτωρ in Anspruch.
Aristonstudien. 509
DV,
übersteigt: vorbildlich in dieser Beziehung waren Phokion und
Lamachos, die sich nicht schämten, ihre Armuth einzugestehen.
Im einzelnen ist auch hier manches, was vielleicht direkt
auf Ariston führt: so wird p. 820 A als Autorität für die Be-
hauptung, daß der wahre Politiker innere Schätze habe, die
ihm äußere Ehren entbehrlich machen, Platon aufgeführt, der
(Respubl. p. 416 E) sagt: den Jünglingen mit den „Goldseelen “
(also den praedestinierten Leitern der πόλις) müsse Gelderwerb
verboten werden, da sie das Gold in der eigenen Seele be-
säßen 55).
Daß sich der Tadel der Bildsäulen und sonstigen äußeren
Ehren gegen die Rhetoren richtet, geht deutlich hervor aus
den 820 F gewählten Beispielen: , τῶν δὲ Δημητρίου τοῦ Φαλη-
ρέως τριαχοσίων ἀνδριάντων οὐδεὶς ἔσχεν ἰὸν οὐδὲ πίνον, ἀλλὰ
πάντες ἔτι ζῶντος προανῃρέϑησαν ' τοὺς δὲ Δημάδου χατεχώνευσαν
εἰς ἀμίδας“ — wohl ein gutes Beispiel für die Bitterkeit des
Tons in jenen Streitschriften. Unmittelbar daher stammt viel-
leicht auch die gute Bemerkung (820 B), daß die Standbilder
mehr dem Künstler als dem Dargestellten zum Ruhm gereichen :
wer weiß heute noch etwas von dem Athleten, den Polyklet
als Doryphoros dargestellt hat?
In Kap. XXVII wird gezeigt, was wahre Ehren sind:
Vertrauen und Liebe der Mitbürger. Die Ausführung dieses
Gedankens gehört wohl ganz Plutarch.
Im XXIX. Kapitel schreitet der Gedanke, wie oben an-
gegeben weiter: die ψευδώνυμοι τιμαί erwerben 'sich die Rhe-
toren durch namenlosen Aufwand. Gedanke und Form gehören
hier wohl gleichermaßen dem Ariston; denn auch hier findet
sich ein Homoioma: αἵ δ᾽ ἀπὸ ϑεάτρων 7) νεμήσεων ἣ μονομάχων
Ψευδώνυμοι τιμαὶ καὶ φευδομάρτυρες ἑταιρικαῖς ἐοίχασι χολαχείαις
ὄχλων ἀεὶ τῷ διδόντι καὶ χαριζομένῳ προσμειδιώντων ἐφήμερόν
τινα χαὶ ἀβέβαιον δόξαν: wie die Hetäre demjenigen, der zahlt,
zulächelt und morgen wieder einem andern, so stellt das Volk
dem Bilder auf, der es beschenkt. So sind es denn auch —
heißt es dann weiter — die Demagogen selbst, die durch Fütte-
80) Schon für pg. 818 C haben wir versucht ein Citat aus Platos
Staat (pg. 552, C, D) auf Ariston zurückzuführen (oben 5. 507).
510 August Mayer,
rung des Pöbels die δήμου χατάλυσις herbeiführen: eine Ver-
urteilung der Demokratie, die gut für den Peripatetiker paßt.
Das XXX. Kapitel ist ganz von Plutarch: er ist darin be-
strebt, die schroffe Ansicht seiner Quelle über die Zulässigkeit
der νεμήσεις zu mildern.
In Kapitel XXXI geht dagegen der Gedankengang der
Quellenschrift weiter: Aufwand für das Volk übersteigt oft die
Verhältnisse der Spender; in dieser Beziehung sind Phokion
und Lamachos vorbildlich (822D, E). Auch hier wird wohl
die Erwähnung des Phokion, den, wie wir sahen, Ariston
eegenüber den ῥήτορες auszuspielen liebte, ein Hinweis auf die
(Juelle sein.
Es folgt (822 F, 823 A—C) ein ziemlich inhaltsleeres, po-
sitives Idealbild des wahren πολιτικός. Am Schluß des Kapitels
(823 Ὁ, E) wird der Unterschied zwischen dem wahren πολι-
τικός und den Demagogen (Rhetoren) in Form zweier Homoio-
mata aufgezeigt, die mindestens im Geist des Ariston sind:
„wie die Schmeichler des Königs Demetrios die übrigen Dia-
dochen nicht „Könige“ nannten, sondern den Seleukos ἐλεφαν-
τάρχης, den Lysimachos γαζοφύλαξ, den Ptolemaios ναύαρχος,
den Agathokles νησιάρχης, so wird auch das Volk, zur Einsicht
gelangt, nun den wahren πολιτικός mit diesem Ehrentitel be-
zeichnen, alle andern aber (die Rhetoren) χορηγός, ἑστιάτωρ,
γυμνασίαρχος nennen.“ Das andere Homoioma lautet: „wie in
den sokratischen Symposien ein Kallias den Wirt spielt, aber
doch Sokrates der Mittelpunkt des Interesses ist, so werden in
den gesunden Staaten Leute, die die Kosten tragen, nur eine
untergeordnete Rolle neben dem geistigen Staatslenker spielen‘.
Keinerlei Spur einer fremden Quelle findet sich im letzten
(XXXIL.) Kapitel.
Am Ende der Schrift angelangt, können wir nunmehr
konstatieren, daß sich Plutarch sein Material aus der Schrift
des Ariston gegen die Rhetoren in zusammenhängender Weise
nur im ersten Theil der Schrift (Kap. II—XV) holt und auch
da mit eigenartiger Verschiebung des Gesichtspunktes. Kap. XVI
bis XXIV sind im großen und ganzen völlig plutarchisch. Nur
in Kapitel XVII scheint die Verspottung der leeren rhetorischen
Deklamationen auf Ariston zurückzugehen, ebenso in Kapitel
Arirtonstudien. ΠῚ
XXIV die Verurteilung der Drohnenpolitik des Kleon, welche
im XXV. Kapitel fortgesetzt wird. Im XXVI. Kapitel könnte
höchstens das Homoioma über die Argonauten einen von Plu-
tarch unterdrückten Gedanken des Ariston errathen lassen.
Dagegen kehrt Plutarch im letzten Theil (Kap. XXVII—XXX])
zum Gedankenkreis des Ariston zurück, aber auch hier bieten
Kap. XXVIH und XXX für Ariston ebensowenig Ausbeute
wie das Schlußkapitel.
Stellen wir nunmehr kurz zusammen was — falls unsere
Quellenuntersuchung uns nicht allzusehr in die Irre geführt
hat — Ariston für Anklagen gegen die Rhetoren erhebt:
Rhetoren werden nur Leute, die zu nichts anderm taugen;
sie ergreifen die Öffentliche Laufbahn nur aus Habsucht wie
Stratokles (Kap. II). Sie wissen das Volk wie Vogelsteller zu
fangen und dürfen ihm dann — wie Kleon, Alkibiades und
Stratokles — alles bieten (Kap. Ill). Um nun dies Volk, dies
scheue Thier, in ihre Netze zu bekommen, verändern sie ihr
Privatleben in heuchlerischer Weise, wie Perikles und 'Themi-
stokles; das Volk läßt sich aber auch oft in Ermangelung
besserer Führer mit Bewußtsein von unsauberen Gesellen leiten
(Kap. IV).
Die Rhetorik ist keineswegs πειϑοῦς δημιουργός wie die
Rhetoren behaupten, sondern höchstens nur πειϑοῦς συνεργός,
eine bloß formelle Fertigkeit. Daher ist der ῥήτωρ ohne den
πολιτιχός hilflos, wie der χελευστήῆς ohne den Steuermann
(Kap. V).
Um nun zu zeigen, daß die Rhetoren gar nicht die richtige
politische Rhetorik besitzen, wird ihnen die wahre (theophra-
steische) Kunstlehre entgegengehalten (Kap. VI—VII).
Tadelnswert ist auch das Verhalten der Rhetoren gegen-
einander (Kap. X— XI). Ebenso nichtswürdig zeigen sie sich
in Bezug auf ihre persönlichen Freunde (Kap. XIII). Zudem
lassen sie sich durch ihre Privatfeindschaften beeinflussen; statt
mit ethischem Tadel begegnen sie sich mit wüsten Schimpf-
reden (Kap. XIV). Lächerlich und schädlich zugleich ist die
Vielgeschäftigkeit der Rhetoren (Kap. XV).
Aus dem zweiten Theil der plutarchischen Schrift sind
nur vereinzelte τόποι des Ariston erkennbar: Lächerlich und
512 August Mayer,
gefährlich sind die Deklamationen der Rhetoren über die Taten
der Vorfahren (Kap. XVII). Sie füttern die Habgier des Volkes
(Kap. XXIV, XXV). Mit solchen niedern Mitteln (cf. Kap.
XXVI) erwerben sie sich Ehrenstatuen ohne wahren Wert
(Kap. XXVU—XXX).
Aus der Analyse von Plutarchs πολιτικὰ παραγγέλματα
hat sich somit ergeben: Plutarch benützt eine antirhetorische
Schrift eines Ariston, dessen Zugehörigkeit zur peripatetischen
Schule hauptsächlich wegen der Benützung theophrasteischer
Lehren zweifellos ist. Es erübrigt uns nunmehr nachzuweisen,
daß es sich dabei tatsächlich um den bekannten Ariston von
Keos, Nachfolger des Lykon und Vorgänger des Kritolaos*)
handelt.
S4.
Daß es Ariston von Keos war, der πρὸς τοὺς ῥήτορας
schrieb, hat schon v. Arnim (Dio von Prusa S. 88) ausgesprochen.
Aber bald darauf (Rostocker Univ.-Progr. Sommer 1900 p. 13)
zeigte er sich vielmehr geneigt, die antirhetorischen λόγοι eines
Peripatetikers Ariston, die er in Philodems Rhetorik erkannt
und wiederhergestellt hatte, nicht dem berühmten Ariston
sondern dem von Strabo XIV 658 genannten Ariston von Kos
zuzuschreiben; tatsächlich schien zu diesem Schluß der Um-
stand zu zwingen, daß bei Sextus Emp. adv. math. 11 61
(p- 687 Bekker) und Quintilian 11, 15, 19 ein als Schüler
des Kritolaos bezeichneter Ariston als Gegner der Rhe-
toren erscheint. Da nun der Keer Lehrer des Krito-
laos war, lag nahe, zu argumentieren, daf es sich hier um
einen andern Ariston handle, wozu sich der sonst gänzlich un-
bekannte Koer zu eignen schien 51): dieser hätte also — ein
ziemlich künstlicher Ausweg! — sowohl das Schulhaupt Ariston
40). Als vollständige Liste peripatetischer Schulhäupter ist die Auf-
zählung bei Plut. de exilio. ec. 14 pg. 605 B anzusprechen (Aristoteles,
Theophrast, Straton, Lykon, Ariston, Kritolaos). Dieselbe Liste hat (aus
Antiochos von Askalon) Cicero de fin. V 13; der dort neben Ariston
erwähnte Hieronymos war (Diog. Laert. V 68) nicht Schulhaupt. Die
Liste des Clemens Al. Strom. I 301 B, wo der Name des Ariston fehlt,
ist sicher lückenhaft.
#1) So schon Susemihl, Gesch. ἃ. alex. Lit. I 152 A 795. Vorsich-
tiger ließ Gomperz (Z5G. 17, 700) die Entscheidung zwischen dem
„Schüler“ und dem „Lehrer“ des Kritolaos in der Schwebe.
Aristonstudien. 513
(nach Strabo) als auch dessen Nachfolger Kritolaos (nach
Quintilian und Sextus) gehört ??).
Tatsächlich aber besteht gar kein Grund, daran zu zweifeln,
daß der Peripatetiker Ariston, der gegen die Rhetorik schrieb,
der bekannte Keer gewesen sei (umsomehr, als es schon an
sich unwahrscheinlich ist, daß der obskure Koer weit deutlichere
Spuren in der Ueberlieferung zurückgelassen hätte als das be-
kannte Schulhaupt). Die beiden Stellen des Quintilian und
Sextus nämlich (oder vielmehr ihre gemeinsame Quelle) ent-
halten nur irrtümlich den Beisatz „discipulus Critolai*
und „KperoAdov γνώριμος“ beim Namen des Ariston.
Die Ueberlieferung über Aristons antirhetorische Schrift-
stellerei findet sich nämlich wie bei Quintilian so auch bei
Sextus in einer Aufzählung von — zur Bekämpfung der khe-
toren verwendbaren — Definitionen der Rhetorik. Beiden
Autoren lag dieselbe Liste vor; diese selbst aber bot schon ihre
gemeinsame Quelle nicht mehr in fehlerloser Weise.
Die ursprüngliche Anordnung läßt sich jedoch so rekon-
struieren, daß deutlich wird, daß nacheinander drei Definitionen
von peripatetischen Schulhäuptern: Aristoteles, Ari-
ston, Diodoros angeführt wurden. Nun war aber tat-
sächlich nicht Ariston „Schüler“ (d. h. Nachfolger) des Kri-
tolaos, sondern Diodoros; der Beisatz , Κριτολάου γνώριμος“
gehört daher nicht zum Namen des Ariston,
sondern zu dem des Diodoros. Daher sind die Zeug-
nisse des Quintilian und Sextus kein Hindernis dem Keer die
Schrift πρὸς τοὺς ῥήτορας zuzuweisen.
5) Ebenso Gercke bei Pauly-Wissowa. Dieser unterscheidet (II
953—957) vier Peripatetiker Ariston: Nr. 52 den Keer, 53. den Koer,
54. den (weit späteren) Peripatetiker aus Alexandria, der ind. Here. 35
als Akademiker geführt wird und dessen Umgang mit Antiochos von
Askalon im Jahr 87 Cicero Acad, pr. II 12 berichtet. Von diesem
hat er als Nr. 55 den von Strabo XVII 790 genannten Ariston geschie-
den, von dem es heißt, daß er gleichzeitig mit dem Akademiker Ku-
doros unter gegenseitigem Vorwurf des Plagiats das Problem der Nil-
schwelle behandelte. Aber schon Diels, Doxogr. pg. 228 Anm. 5 hat
diesen Ariston richtig mit dem Alexandriner (Nr. 54) identificiert: denn
auch dieser wird mit dem Akademiker Eudoros zusammen genannt u.
zw. als Erklärer der Kategorien des Aristoteles (Simpl. in categ. ϑ' 3a
[pg. 61 A 25 Br.]). Es gibt also von anderen Peripatetikern namens Ari-
ston nur den Koer, von dem wir außer seiner Existenz nichts wissen, und
den dem ersten vorchristlichen Jahrhundert angehörigen Alexandriner,
ὅ14 AugustMayer,
Es erübrigt nun zu zeigen, daß die Abschnitte des Quin-
tilian und des Sextus, wo die betreffenden Stellen vorkommen,
aus gemeinsamer Quelle stammen:
Radermacher (bei Sudhaus, Philodemi voll. rhet. suppl.
p. IX ff.) hat nachgewiesen, daß bei Sextus adv. rhet. 10 ff.
der Gedankengang des Kritolaos vorliegt, der an die stoische
Definition der τέχνη (als σύστημα Ex χαταλήψεων συγγεγυμνασ-
μένων Hal ἐπὶ τέλος εὔχρηστον τῷ βίῳ λαμβανόντων τὴν ἀναφορᾶν)
anknüpfend, einen Angriff gegen die Meinung der Stoa unter-
nimmt, die Rhetorik sei eine τέχνη: dies tut er, indem er
nachweist, daß der Kunstbegriff der Stoiker auf die Rhetorik
nicht passe: sie ist kein σύστημα ἐκ χαταλήψεων (SS 10—12),
ihr fehlt das sicher zu erreichende τέλος (Mißerfolge der Rhe-
toren 88 18—15; es gibt Rhetoren, die nie Rhetorik studiert
haben wie Demades 88 16—19), ihr Ziel ist kein χρήσιμον
(88. 20—47) 15. Nachdem nun Sextus (oder vielmehr Kritolaus)
nachgewiesen hat, daß die Stoa mit Unrecht in der Rhetorik
eine τέχνη sieht, zeigt er weiter (88 48 ff.), daß die Rhetorik
weder ($$ 48—51) eine ἐπιστήμη λόγων sei (mit andern Worten:
keine ἰδία ὕλη habe) noch ($$ 52—59) eine ἐπιστήμη τοῦ εὖ
λέγειν 44), welcher Abschnitt offenbar auch gegen die Stoa ge-
richtet ist, die (Sextus $ 6) die Rhetorik als ἐπιστήμη τοῦ εὖ
λέγειν definierte. Im ἃ 60 geht nun Sextus zu etwas neuem
über: er will ἀπὸ τοῦ τέλους die Rhetorik angreifen: dies
ist nun scheinbar eine Wiederholung der Auseinandersetzung
88 13—15 über das mangelnde τέλος der Rhetorik. In Wahr-
heit geht aber Sextus hier nach einem wohlüberlegten Plan
vor, den er im ὃ 9 also entwirft: „&nei γὰρ I) τέχνην N
II) ἐπιστήμην a) λόγων ἢ b) τοῦ (ed) λέγειν χαὶ JII) πειϑοῦς
περιποιητικὴν βούλονται τυγχάνειν τὴν ῥητορικὴν . . . πειρασόμεϑ'α
χαὶ ἡμεῖς τῶν τριῶν τούτων ἐχόμενοι διδάσχειν τὸ ἀνυπό-
στατον αὐτῆς. Punkt I wird behandelt 88 10—47; Ila SS 48
bis 51; ΠΡ 88 52-59; III 88 60 ff. Während er also in den
zwei ersten Abschnitten bewiesen hat, daß die Rhetorik weder
#3) Vgl. Radermacher pg. XV.
4) Diesen Zusammenhang hat Radermacher verkannt, indem er
(pg. XVII) behauptet, nach ὃ 51 werde der Zusammenhang durch zwei
Einlagen unterbrochen.
Aristonstudien. 515
τέχνη sei, noch ἐπιστήμη τοῦ εὖ λέγειν (beides gegen die Stoa),
weist er von $ 60 an nach, daß die Rhetorik auch nicht πει-
ϑοῦς δημιουργός sei (4. h. kein τέλος habe); dieser Abschnitt
richtet sich offenbar gegen nicht-stoische Gegner ®°).
Damit ist nun die Notwendigkeit gegeben, Definitionen
der Rhetorik 415, πειϑοῦς δημιουργός“ aufzuzählen; und in
dieser Liste befindet sich die uns angehende Stelle.
Bevor wir uns aber diese Liste näher ansehn, werfen wir
einen Blick auf Quintilian: Während Sextus Gegner der Stoiker
ist, steht Quintilian durchaus auf stoischem Standpunkte: für
ihn ist die Rhetorik mit der Stoa „bene dicendi scientia* (II,
15, 34 und 38; 16, 11); er bejaht diese Frage auch in dem
Abschnitt „an rhetorice ars sit“ (II 17) und erklärt II, 17, 41
ausdrücklich, daß auf die Rhetorik die stoische Definition der
τέχνη passe. Bezüglich des dritten Punktes (ob die Rhetorik
πειϑοῦς δημιουργός sei) leugnet er zwar II, 16, 11 (mit der
Stoa), daß dies der Fall sei, folgert aber daraus nicht wie
Kritolaos den Mangel eines τέλος: für die Stoa ist das eben εὖ
λέγειν Selbstzweck, ohne Rücksicht auf den Erfolg (II, 16, 38).
Die Ansicht, daß die Rhetorik πειϑοῦς δημιουργός sei, ist nach
Quintilian II, 15, 1—3 das πρῶτον ψεῦδος, worauf gestützt alle
Gegner der Rhetorik dieser Kunst ihre Mißerfolge vorwerfen.
Quintilian gelangt somit dazu (II, 15, 4 ff.), die Vertreter dieser
irrigen Ansicht aufzuzählen, und in dieser mit Sokrates be-
ginnenden Reihe steht der uns angehende ὅρος des Ariston.
Wir sehen also, daß wie für Sextus so auch für Quintilian
die Notwendigkeit bestand, eine Liste mit Definitionen der
Rhetorik als πειϑοῦς δημιουργός zu benützen. In diesem
einen Punkte — der Verurteilung dieser Definition —
treffen sich nämlich der stoische Quintilian und der auf Kri-
tolaos fußsende Sextus. Mithin ist von vornherein die Benützung
ein und derselben Definitionenliste sehr wahrscheinlich 10).
#5) Denn auch die Stoa leugnet (Quint. II, 16, 11), daß Ueberredung
das Ziel der Rhetorik sei.
#) Natürlich gehen (wie schon z. Th. Radermacher gezeigt hat),
die Berührungen der beiden Autoren viel weiter. Beiden lagen λόγοι
des Kritolaos gegen die stoische Doctrin vor, wobei Sextus sich für,
Quintilian gegen Kritolaos entschied. — Ob Sextus auch 85 60 ff. noch
Kritolaos folgt, ist nicht sicher. Jedenfalls ist die Definitionentafel
bei beiden Autoren auf die augusteische Zeit hinuntergeführt.
516 August Mayer,
Betrachten wir nunmehr diese Listen selbst, sehn wir sofort,
daß sie bei beiden Autoren in ziemliche Unordnung geraten
sind und dringend einer leicht zu gebenden Ordnung und Ver-
besserung bedürfen.
Was zunächst Sextus betrifft, so ist zu der $ 61 (mit
Platos Gorgias) beginnenden Reihe von Definitionen auch der
Abschnitt $$ 2—8 hinzuzunehmen, wo ὅροι des Plato ($$ 2
bis 5), Xenokrates ($ 6) und Aristoteles ($ 8) aufgezählt
werden; dieselben drei Philosophen kehren dann $ 61 kürzer
behandelt wieder?”). Daß die beiden Abschnitte aus einer
Quelle stammen und daher zu vereinigen sind, zeigt der Um-
stand, daß die im ersten Abschnitt (SS 2—5) vorkommende
Discussion über Platos ὅρος bei Quintilian, der sonst mit dem
zweiten Abschnitt stimmt, genau wiederkehrt (Il, 15, SS 5—
10, 18). Der Grund für Sextus, das in seiner Quelle Vereinigte
zu zerreißsen, lag darin, daß er Beispiele aller drei Hauptirr-
tümer (die Rhetorik sei τέχνη, sei ἐπιστήμη τοῦ εὖ λέγειν, sei
πειϑοῦς δημιουργός) brauchte: diese lieferten ihm Plato (πειϑοῦς
δημιουργός), Xenokrates (ἐπιστήμη τοῦ εὖ Asyeıy)??) und Aristo-
[6165 (τέχνη λόγων).
Dieselben drei Philosophen kehren nun im zweiten Re-
sister ($ 61) wieder?’) und danach stehen noch folgende
Namen:
᾿Αρίστων ὁ Κριτολάου γνώριμος
δ 62 ἙἭ μαγόρας
᾿Αϑήναιος
᾿Ισοχράτης
Isokrates gehört offenbar an die erste Stelle vor Plato, Xeno-
krates, Aristoteles: denn zweifellos war die Liste historisch
#7) Mit Unrecht meint Radermacher (pg. XIX), das erste Register
stamme aus anderer Quelle wie das zweite, weil $6 dem Xenokrates
eine andre Definition zugeschrieben werde als $61. Vielmehr wird
Ss 6 des Xenokrates persönliche Meinung, $ 61 die allgemeine Ansicht
ie Akademie (οἱ περὶ τὸν Ξενοχράτην) angeführt.
48) Aber nicht im stoischen Sinn, wie Sextus selbst bemerkt.
19) Um sich nicht zu wiederholen gibt Sextus hier die ὅροι der alten
Akademie (οἱ περὶ τὸν Πλάτωνα, οἵ περὶ τὸν Ξενοχκράτην). Von Aristo-
teles wird der ὅρος aus Rhet. 12 angeführt; auf dasselbe Werk be-
zieht Sextus (wohl etwas ungenau) den ὅρος im $ 8. Daß Sextus in
seiner Quelle noch andere ὅροι des Aristoteles (wohl aus den Theo-
dekteia und aus dem Gryllos) vorfand, deutet er (8 9) selbst an.
Aristonstudien. 517
geordnet, wie aus dem Eingang von Quintilius Register II, 15,
4 deutlich wird: „haec opinio (daß die Rhetorik πειϑοῦς δη-
houpyöc sei) originem ab Isocrate ... duxit“.
Wir sind hiemit bei Quintilians Register angelangt, welches
eine viel reichere Liste bietet als Sextus. Was die hier be-
sonders verwirrte, aber dennoch leicht herstellbare, Anordnung
betrifft, so geht nur im Anfang alles gut: nach Isokrates ($ 4)
folgt Plato (ὃ 5). Dann längere Erörterung bis $ 10, die sich
auf den ὅρος des platonischen Gorgias bezieht; Quintilian er-
klärt hiermit, warum Plato die Rhetorik πειϑοῦς δημιουργὸς
διὰ λόγων genannt habe. Genau dieseibe Erörterung auch
mit der (tendenziös antirhetorischen) Geschichte von der Phryne
finden wir bei Sextus SS 2—4, offenbar aus gleicher Quelle.
Aber Plato hat, wie Sextus ἃ 5 ausführt, zu der De-
finition der Rhetorik als πειϑοῦς δημιουργός noch weitere Zu-
sätze gemacht: nämlich: ἐν αὐτοῖς τοῖς λόγοις τὸ χῦρος ἔχουσα
(zum Unterschied von der Heilkunst, die auch διὰ λόγων πείϑ'ει)
und: πειστιχὴ οὐ διδασχαλική (zum Unterschied von allen andern
theoretischen Künsten, wie der Geometrie). Nun findet sich
auch dieser Theil der Besprechung der platonischen Definition
bei Quintilian; allerdings arg versprengt ($ 18).
Nach der Akademie folgt bei Sextus der Peripatos; und
so war es offenbar auch in der ihm und Quintilian gemein-
samen Vorlage: II, 15, 10 extr. lesen wir: a quo (Platonis
Gorgia) non dissentit Theodectes, sive ipsius id opus est, qui
de rhetorice nomine eius inseribitur, sive, ut, creditum est,
Aristotelis (folgt der ὅρος des Theodektes mit Kritik ὃ 11).
Gewiß hat dies Theodektescitat in Quintilians Vorlage gelautet:
„ Ἀριστοτέλης ἐν τοῖς Θεοδεχτείοις. Daran sind die zwei
weiteren ὅροι des Aristoteles anzuschließen: ὃ 13 die Definition
aus Rhet. 1 2 (= Sextus ὃ 61) und ὃ 16 eine ganz ähnliche
Definition, wohl aus dem Gryllos°®). Wenn wir diese drei
ὅροι zusammenziehen und von ὃ 18 (der zur Besprechung
Platos gehört) absehn, bleiben noch folgende Namen:
$ 12 Apollodorus
14 Hermagoras
50) Vgl. Rose, Aristot. pseudepigr. pg. 77. Der Gryllos als maß-
gebende Schrift in dieser Frage wird erwähnt II, 17, 14.
Philologus, Supplementband ΧΙ, viertes Heft. 34
518 August Mayer,
16 Patrocles
17 Diodorus
19 Ariston Critolai Peripatetici discipulus
21 Theodorus Gadareus.
Damit schließt die Liste, denn $S 22ff. enthalten außer der
Definition des Eneyclopädisten Cornelius Celsus (Quintilians
Quelle?) nur eine Abfertigung jener Leute, die, wie Kritolaos
und Athenaeus, die Rhetorik überhaupt nur als „fallendi ars“
betrachten °'). Darauf $$ 33>—38 Darlegung des einzig richtigen
stoischen Standpunktes.
Aus Quintilians Liste der Nacharistoteliker haben wir die
ursprüngliche Anordnung der Quelle aus sachlichen Erwägungen
zu reconstruieren: hinter den Namen des Aristoteles gehören
offenbar zunächst die übrigen Peripatetiker. Sextus führt hinter
Aristoteles die Namen des Ariston, Hermagoras, Athenaeus auf.
Dies wird (abgesehen von event. Auslassungen) auch die An-
ordnung der Quelle sein 55); was sonst bei Quintilian steht,
ordnet sich mit Leichtigkeit: Apollodorus und Theodorus,
die beiden gegnerischen Schulhäupter der augusteischen Zeit,
müssen unbedingt den Schluß des ganzen machen. Es
bleibt nun°®) nur noch der Name des Diodorus übrig, der
niemand anderer sein kann, als der Peripatetiker, Schüler des
Kritolaos. Diesen haben wir offenbar hinter Ariston einzu-
ordnen 5). Die gemeinsame Quelle des Quintilian und Sextus
5!) Kritolaos, der leugnet, daß die Rhetorik ihr angebliches Ziel, die
πειϑώ, überhaupt erreiche, konnte natürlich nicht in einer Reihe mit
Autoren stehn, die die Rhetorik als πειϑοῦς δημιουργός bezeichnen. Daß
Athenaeus bei Sextus ὃ 62 in dieser Reihe steht, bei Quintilian da-
gegen als radikaler Gegner der Rhetorik ausgeschlossen ist, wäre
vielleicht so zu erklären, daß in der gemeinsamen Quelle wohl von
diesem Radikalismus berichtet war, dabei aber doch der Versuch eine
ὅρος von Seiten des Athenaeus angemerkt wurde (Sextus $ 62: ᾿Αϑηή-
ναιος δὲ λόγων δύναμιν προσαγορεύει τὴν ῥητορικὴν στοχαζομέν ν τῆς
τῶν ἀχουόντων πειϑοῦς).
52) Die zwei gegnerischen Schulhäupter Hermagoras und Athenaeus
werden auch sonst (Quint. III, 1, 16) zusammen genannt.
53) Außer dem völlig unbekannten Patroecles (er schrieb nach Quint. III,
6, 44 über die στάσις also vielleicht Hermagoreer). Radermacher schreibt
den Namen latrocles.
54) Diodorus (in den Hdschr. Theodorus und Kudorus) ist eine
sichere Emendation Spengels auf Grund von Nicol. Soph. progymn. III;
451, 7 Sp. Daß auch der Peripatetiker Diodorus gegen die Rhetorik
schrieb, geht hervor aus Cicero de orat. 145; genau wie Ariston wollte
er: repelli oratorem a gubernaculis eivitatum.
Aristonstudien. 519
enthielt somit eine Liste, die mit Isokrates begann, zu Platos
Gorgias überging (dazu fügt Sextus noch ὅροι der alten Aka-
demie und des Xenokrates), dann zu Aristoteles fortschritt, von
dem ὅροι aus verschiedenen Schriften namhaft gemacht waren.
Für die Nacharistoteliker ist die Anordnung des Sextus und
die sachliche Erwägung, daß auf Aristoteles zunächst Peripa-
tetiker folgen mußten maßgebend: daraus ergibt sich die
Folge: Ariston, Diodorus — Hermagoras Athenaeus. Die
Schulhäupter der augusteischen Zeit hat Quintilian wohl aus
Eigenem hinzugetan.
Die gemeinsame Quelle des Sextus und Quintilian bringt
also hinter dem Namen des Aristoteles den zweier Peripate-
tiker Ariston und Diodorus. Zum Namen des Ariston fügt
sie den Beisatz „Schüler des Kritolaos“ hinzu, den wir für
Diodorus erwarten. Es ist also keine Frage, daß der Fehler
schon in der gemeinsamen Vorlage der beiden Autoren steckt:
die beiden Zeugnisse schrumpfen auf eins zusammen. Aber
eine Liste von peripatetischen Schulhäuptern, die Ariston, nicht
Diodoros, Schüler des Kritolaos nennt, kann unmöglich richtig
sein ὅδ).
Ich hoffe, daß nach dieser, wenn auch scheinbaren radi-
kalen Kur, kein Hindernis mehr besteht, in dem Ariston dieser
Liste den Keer zu erkennen. Der Anspruch des Koers ist ja
ohnehin so schwach, daß er nicht eigens zurückgewiesen zu
werden braucht.
Es erübrigt nun, nachzuweisen, daß der in jener gemein-
samen Vorlage überlieferte öpos des Keers Ariston einer
antirhetorischen Schrift entstammt. Aus den
Worten des Sextus ($ 61) freilich geht dies nicht ohne weiteres
hervor: χαὶ ᾿Αρίστων [ὃ Κριτολάου γνώριμος] σκοπὸν μὲν
ἐχχεῖσθαί φησιν αὐτῇ τὴν πειϑ'ώ, τέλος δὲ τὸ τυχεῖν τῆς πειϑοῦς.
Diese Worte enthalten nämlich sozusagen nur die ideale For-
derung an den hedner. Ariston muß aber — was Sextus
55) Das unmögliche γνώριμος Κριτολάου suchte Zeller 1138 2, S. 925
A. 2 hinwegzuinterpretieren, freilich in wenig überzeugender Weise:
„wenn Aristo .. . bei Sext. Math. II 62 der γνώριμος des Kritolaos heißt,
so ist schwerlich ein gleichnamiger jüngerer Peripatetiker .... gemeint,
sondern γνώριμος, welches sonst den Schüler bezeichnet, steht hier in
weiterer (?) Bedeutung.“
34 *
520 August Mayer,
unterdrückt — der Rhetorik neben dem τέλος, das eben in den
wenigsten Fällen erreichbar ist, auch ein ἔργον, ἃ. ἢ. die
praktisch durchführbare Tätigkeit des Rhetors zugewiesen
haben ἢ. Und dieses nun, das ἔργον des RKhetors nach Ari-
stons Ansicht, gibt uns Quintilian. Er führt I, 15, 19 Ari-
stons Definition als „sceientia videndi et agendi in quaestionibus
ceivilibus per orationem popularis persuasionis“ an.
Ariston hat somit dem KEhetor als sein ἔργον das: „Vewpelv
χαὶ πράττειν ἐν πολιτιχοῖς ζητήμασι διὰ λόγου ὀχλιχῆς
πειϑοῦς“ zugewiesen.
Halten wir damit die Ansicht des von Sextus ($ 62) un-
mittelbar darauf angeführten Hermagoras zusammen: “Epua-
γόρας τελείου ῥήτορος ἔργον εἶναι ἔλεγεν τὸ τεϑὲν TOALTL-
κὸν ζήτημα διατίϑεσθαι χατὰ τὸ ἐνδεχόμενον πειστιχῶς.
Wir sehen hier eine solche Abhängigkeit des Hermagoras von
der peripatetischen Schule?”), insbesondere von Ariston, daß
wir nicht umhin können, das ἔργον der Rhetorik nach Herma-
goras dem Sinne nach auch dem Ariston zuzuschreiben. Denn
von Ariston entlehnt Hermagoras offenbar nicht nur den Be-
griff des πολιτικὸν ζήτημα, sondern auch die peripatetische
Scheidung von ἔργον und τέλος 58). Nun hat aber diese Unter-
scheidung eine eminent antirhetorische Tendenz,
indem sie voraussetzt, daß die πειϑῶ nur eine nie oder höchst
selten erreichte ideale Forderung der Rhetorik ist, der der
5%) Diese Unterscheidung wird am klarsten ausgedrückt bei Cicero
de inv. I, 5, 6 (hermagoreische Doctrin): „officium (ἔργον) autem eius
(oratoriae) facultatis videtur esse dicere apposite ad persuasionem, finis
(τέλος) persuadere dietione. Inter officium et finem hoc interest, quod
in officio, quid fieri, in fine, quid confiei, conveniat consideratur: ut
medici officium dieimus esse curare ad sanandum apposite, finem sa-
nare curatione*. Diese Unterscheidung auch dem Ariston zuzuschrei-
ben (der überhaupt mit Hermasoras Berührungspunkte hat) tragen wir
umsoweniger Bedenken, als Ciceros Lehre auch die des Aristoteles
(Rhet. I. c. 1 pg. 1355 B 10) ist: καὶ ὅτι od τὸ πεῖσαι ἔργον αὐτῆς ἀλλὰ
τὸ ἰδεῖν τὰ ὑπάρχοντα πιϑανὰ περὶ Exaorov.... οὐδὲ γὰρ iatpıy ἧἥς τὸ
dyıa ποιῆσαι (ἔργον) ἀλλὰ μέχρι οὗ ἐνδέχεται κτλ. Die Unterscheidung
von σχοπός und τέλος ist somit nicht nur stoisch (Stob. 60]. II 138);
vielmehr ist sie schon (Stob. ecl. II 58) dem Plato bekannt ; vgl. Hir-
zel, Unters. II 556.
57) Vgl. Aristoteles a. a. O. 1355 B 26 ἔστω δὴ ῥητορικὴ δύναμις περὶ
ἕγχοστον TOD VEWPTIOR TO ἐνδεχόμενον πιϑανὸν.
58) Das τέλος des Hermagoras hat Sextus unterdrückt; Quintilian
gibt es II, 15, 14: „Hermagorae (satis responsum est) qui finem eius
esse ait persuasibiliter dicere“ (also ganz wie Ariston)
“ Aristonstudien. 521
Redner nur χατὰ τὸ ἐνδεχόμενον — ἃ. h. wie Ps.-Augustin
(Rhet. Lat. min. p. 139, 1 Halm), offenbar nach Hermagoras,
sagt: „quatenus condicio rerum personarumque patitur“ — ge-
nügen kann.
Das zweite antirhetorischeElement, das wir für
Ariston anzunehmen haben, ist die Beschränkung des Rhetors
auf πολιτικὰ ζητήματα und ὀχλιχὴ πειϑιώ. Die Bedeutung dieser
Begriffe macht uns in ausgezeichneter Weise Quintilian klar
(II, 15, 19): „hie (Ariston) scientiam, quia Peripateticus est,
non ut Stoiei virtutis loco ponit?®); popularem autem con-
prendendo persuasionem etiam contumeliosus est adversus artem
orandi, quam nihil putat doctis persuasuram“. Wir wissen
aus den Berichten über die Lehre des Hermagoras genug über
die πολιτικὰ ζητήματα, um sagen zu können, daß es die Fragen
sind, zu denen keine besondere Einsicht und Bildung gehört
die Fragen des sog. gesunden Menschenverstandes°°); im
Gegensatz dazu stehen offenbar die philosophischen Probleme,
ἃ. h. die allgemeinen Fragen περὶ τοῦ διχαίου, περὶ τοῦ συμ-
φέροντος, περὶ τοῦ χαλοῦ, die später Hermagoras als ϑέσεις
seinem System einverleibte; denn offenbar muß Ariston die
Fragen, die er der Competenz des Rhetors entzogen, dem
Philosophen vorbehalten haben. Das Publicum des Rhetors
ist also die große Menge, nicht die πεπαιδευμένοι, die philo-
sophisch geschulten; danach muß auch sein Verfahren eine
ὀχλιχκὴ TELIW sein.
Diese doppelte antirhetorische Tendenz macht es zweifellos,
daß Ariston von Keos der Verfasser einer antirhetorischen
Schrift war®!). Die eine Quelle zu ihrer Reconstruction, Plu-
59) Diese Worte dienen zur Aufklärung des von Ariston offenbar
gebrauchten Ausdrucks: (ἔστι μὲν ῥητορικὴ) ἐπιστήμη Tod ϑεωρῆσαι
χαὶ πρᾶξαι ἐν πολιτικοῖς ζητήμασι διὰ λόγου ὀχλιχῆῇς πειϑοῦς.
80) Man führt diesen Begriff gewöhnlich auf die Stoa zurück, da
ihn Ps.-Augustin mit Hinweis auf die stoischen χοιναὶ Zwora: erklärt.
Nun sehen wir aber, daß Hermagoras diesen Hauptbegriff seiner Lehre
nicht der Stoa verdankt, sondern dem Peripatetiker Ariston. Wie in
der λέξις von Theophrast, so werden auch in der Lehre von der εὕρεσις
die hellenistischen Rhetoren vom Peripatos abhängig gewesen sein. So
verdankt die Stasislehre des Hermagoras wohl den aristotelischen Ka-
tegorien ihren Ursprung. — Völlig verkehrt ist es somit, wenn G. Thiele,
Hermagoras 193 den Ariston gegen Hermagoras kämpfen läßt.
51) Daß uns die Schrift des Ariston bei Quintilian nicht ausdrück-
lich genannt wird, ist vielleicht nur ein Febler unserer heutigen Ueber-
522 August Mayer,
tarchs praecepta, haben wir schon besprochen. Wir gelangen
nun zum andern Theil unserer Aufgabe, zur Besprechung der
bei Philodem erhaltenen λόγοι des Ariston.
Ὁ:
Zunächst handelt es sich darum, zu zeigen, daß der von
Philodem behandelte Ariston kein anderer ist, als der bei
Quintilian und Sextus als Gegner der Rhetorik erscheinende.
In diesem Bestreben beginnen wir, bevor wir auf den Text
des zusammenhängend erhaltenen Papyrus 1004 eingehen, mit
zwei zugehörigen Fragmenten XI und XII. Obgleich nämlich
die zusammenhängende Besprechung der λόγοι des Ariston —
wie v. Arnim (Rostocker Univ.-Progr. Sommer 1900) nachwies
— erst mit col. 71 des fortlaufenden Papyrus (Sudhaus vol. I
p- 360) beginnt, erscheint der Name des Ariston doch schon
auf einem Fragment (XII; p. 328 Sudh.) des verlorenen ersten
Theils des betreffenden (wohl letzten) Buches von Philodems
Rhetorik. Dieses Buch kann also nicht mit der Besprechung
der λόγοι des Diogenes von Babylon — die den ersten Theil
des zusammenhängenden Papyrus bis col. 70 ausfüllen — be-
gonnen haben, sondern es muß vor Diogenes noch ein anderer
mit Ariston in Beziehung stehender Philosoph (wenigstens
summarisch) besprochen worden sein. Das Fragment XII lautet
nämlich: . . . τισὶν ὀρϑῶς | ϑ(ἀπαντᾶ)ι, καϑόλου δ᾽ ε(ἰ πεῖὴν
φ(αῦνεται τ(δὴν περὶ | (τῆς) ῥητορικῆς (λ)ό(γο)ν ἐπι(δε)έστερον
(π)επ(οι)ῆσϑαι, | (π)ερ(ὶ) τῆς φιλοσοφίας | 19 δέ τι(σ)ιν ᾿Αριστω(ν)εί
(ars ὑπο)μνήμασιν ἐπι[(σπέσϑ'αι), ἐν οἷς ἔστι μὲν (λό γ)ιος, (τ)ὰ
πολλὰ δ᾽ αὐτῶν (ἔκ IMa)twvos χα(τὰ λέξιν ὑφελόμενος ἐπὶ)
τὸ χεῖρον (μ)ετή (νεγκχε) .. . .. 85).
lieferung: II, 17, 14 f. werden Autoren aufgezählt, die gegen die Rhe-
toren geschrieben haben ; zunächst Aristoteles (im Gryllos); dann heißt
es weiter ($ 15): „multa Critolaus contra, multa Rhodius Athenodorus
(sonst unbekannt). Agnon quidem detraxit 5101 inscriptione ipsa
fidem, qua rhetorices acceusationes professus est; nam de Epicuro qui
disciplinas omnes fugit nihil miror“. Die hier genannten bis auf Epi-
kur sind wohl alle Peripatetiker, da in dem ganzen Abschnitt (II, 17),
wie Radermacher a. a. O0. IX—XX nachwies, nur λόγοι des Kritolaos
besprochen werden. Nun ist „Agnon“ nur als Name eines Akademikers
bekannt (bei Athen. XIII 602 E). Wir möchten daher am ehesten an
eine Corruptel denken und den Namen Ariston einsetzen, der neben
Kritolaos trefflich paßt.
2) v. 10, 11 ᾿Αριστω(ν)εί(οις) Usener || v. 13, 14 (ἐκ Πλά)γτωνος Gom-
Aristonstudien. 523
Es wird hier von einem Autor gesprochen, der gegen die
Rhetorik geschrieben hat und zwar hat er offenbar einen Ver-
gleich der Rhetorik und der Philosophie zu ungunsten der
ersteren angestellt. Dieser Vergleich wird nun von Philodem
kritisiert und zwar wird die Behandlung der Rhetorik als un-
genügend bezeichnet. In der Behandlung der Philosophie aber
sei der Autor einer Schrift des Ariston gefolgt, die wohl sehr
reich an Inhalt sei (λόγιος) 65), das meiste dieser Ausführungen
aber sei wörtlich aus Plato abgeschrieben und dabei — offen-
bar durch mißbräuchliche Anwendung von Platos Worten —
zum Schlimmeren gewendet. D. ἢ. also: Ariston benützt pla-
tonische Stellen zu Angriffen gegen die Rhetorik und zwar
entgegen Platos eigener Meinung.
Diese Auffassung steht und fällt natürlich mit Gomperz
(26G. 1866 p. 700) Ergänzung (IMx)twvos; daß aber diese
Ergänzung das richtige trifft und tatsächlich eine Menge anti-
rhetorischer τόποι dem Plato (insbesondere dem Gorgias) ent-
lehnt wurden, beweist Quintilian II, 15, 24: „plerique autem,
dum pauca ex Gorgia Platonis a prioribus inperite excerpta le-
gere contenti neque hoc totum neque alia eius volumina evolvunt,
in maximum errorem inciderunt creduntque eum in hac esse
opinione, ut rhetoricen non artem sed peritiam quandam gratiae
et voluptatis (p. 462 B) existimet et alio loco (463 D) civilitatis
particulae simulacrum et quartam partem adulationis.“ Hier
nämlich wird genau dasselbe Verfahren der Rhetorikgegner
beschrieben, wie wir es bei unserer Ergänzung supponierten:
jene Leute benützen ein paar aus dem Zusammenhang gerissene
Platostellen, um die Rhetorik zu bekämpfen.
Nun fragt es sich weiter, wer der Autor ist, der den
Ariston und durch diesen den platonischen Gorgias zur Be-
kämpfung der Rhetorik benützt. Und da kann die Antwort
nicht zweifelhaft sein: es handelt sich um Kritolaos.
Auf ihn hat schon Radermacher (a. a. O. p. XXIII) die Quin-
perz || v. 11, 12 ἐπι(σπέσϑαι) Arnim ||v.5 (ἀπαντᾶ)ι und v. 12, 13 (Aöy)ıog
und v. 14, 15 ich || das übrige von Sudhaus.
58) λόγιος habe ich vorgeschlagen, weil es den Resten (.ICO. gibt
Sudhaus an) am besten zu entsprechen scheint; man könnte auch an
μαχρὸς oder λάλος denken.
ὅ24 August Mayer,
tilianstelle bezogen °*), außerdem paßt, soviel wir wissen, nur
für ihn die Benützung einer Schrift des Ariston von Keos,
seines Vorgängers im Scholarchat.
Das Fragment XII gehört somit zu einer (wenigstens sum-
marischen) Besprechung des Kritolaos oder vielmehr es bildet
durch Darlegung der Abhängigkeitsverhältnisse des Kritolaos
von Ariston eine Ankündigung der am Schluß dieses Buches
(col. 71 #.) folgenden ausführlichen Besprechung des Keers:
mit den Sätzen des Kritolaos hat sich Philodem schon im II.
Buch seines Werkes eingehend beschäftigt ®).
Wenn also wirklich fr. XII von Kritolaos zu Ariston über-
geht und dessen Entlehnungen aus Platos Gorgias verdammt,
so wird es uns umso leichter, auf eine solche vorläufige Cha-
rakterisierung der ᾿Αριστώνεια ὑπομνήματα (die wohl am An-
fang des Buches stand), auch fr. XI (Sudhaus vol. 1 328) zu
beziehen; dieses ist nämlich eine direkte Parallele zu dem, was
uns Quintilian (II, 15, 19) von Aristons Lehre über das Ver-
hältnis von Philosophie und Rhetorik berichtet. Damit ist
aber der Beweis geliefert, daß der Ariston Quintilians
derselbe ist wie der Philodems.
Wir lesen Zeile ὃ des Fragments: χα(ὲ τὸ μ)ὲν (π)ρότ(ε)- ᾿
ρον ἔργ(ον) οἰήσονται τῆς | ὅ φιλοσο(φί)ας, τὸ δ᾽ ὕστ(ε) ρον τῆς
(ῥη)τοριχῆς. Auch hier handelt es sich also wieder um den
bekannten Competenzstreit zwischen Philosophie und Rhetorik.
Dann heißt es weiter: οὐ | μὴν ἀλλ᾽ (α)ὐτά γε τὰ συμ φέροντα
(καὶ) ἀσύμφορα, | av ἐπε(μ)νήσ(ϑ)η, πληϑῶν | ᾿θέἐστιν᾽ „ei δὴ
(1. e.: δεῖ) πολεμίοις | πιστεύειν τὰς πόλεις χα(ὶ) | τῶν χρειττό-
(νων οὐχ ἐπί) τρ(ε)πόντων (τ)οῖ(ς ὃδίοι(ς) | (χγαταχρᾶ(σϑαι “,
5) Vgl. Frank Olivier, de Critolao Peripatetico (Berliner Diss. 1895)
. 49.
65) Kritolaos und Ariston scheinen zusammen genannt zu werden
in einem Fragment des Hypomnematikon (vol. IL 197 fr. IV zu ver-
binden mit pg. 277 fr. XVI). Dort heißt es von Theophrast, er habe
keine Autorität auf dem Gebiet der Politik, weil er sein ganzes Leben
in der Studierstube zugebracht habe und nicht „mit dabeigewesen“ sei:
(μ)ὴ δύνασϑαι πε(ρὶ πολιτε)ίας γράφειν (διὰ) τὸ μ(ὴ παρατ)εϑεῖσθαι διάδηλί(ον
εἶναι) Θεόφραστον ᾿ ἀλλὰ το(ῦτον διηγχέναι τὸν ἅπαντα (Xpövo)v ἐν ἰδιωτείᾳ
χαὶ φιλο(σο)φίᾳ καὶ βασ(ιλιγκῶν ἀπειρίᾳ πραγμάτων. Im folgenden scheint
zu stehen: denselben Witz habe man über Kritolaos und Ariston ge-
macht: ...HT..de τι καὶ περὶ τ(ῶν αὐτῶν) καὶ Κριτολάῳ καὶ ᾿Αρί(στωνι)
προσπαί(ισϑ)έν ...
Aristonstudien. 525
re)pt ὧν | 15 (οὐ)χ ὃ φιλόσ(οφος) ἀλλ᾽ (6) (χυδαῖος ἱκανὸς) ἐπι-
νον... δή (τωρ). Der von Philodem bekämpfte
Philosoph behauptete also: Fragen über συμφέρον und ἀσύμφορον,
ἃ. h. also allgemeine Fragen oder ϑέσεις (wozu auch die Fragen
über „iustum — iniustum“ und „honestum — turpe“ gehören)
fallen in das Gebiet des Philosophen, dem Rhetor gehört nur
was ν»πληϑῶν ἐστιν“, d.h. also die ohne besondere Vorbildung
lösbaren πολιτικὰ ζητήματα. Nun wissen wir aber aus Quin-
tilian II, 15, 19, daß es Ariston war, der der Philosophie die
Priorität über die Rhetorik zuerkannte und den Rhetor auf
die ὀχλιχὴ πειϑιώ beschränkte. Mithin enthält fr. XI die Be-
kämpfung der Hauptlehre des Ariston, dessen vorläufige Be-
sprechung in fr. XII beginnt.
Wenn wir nun von col. 71 (Sudh. I 360) an antirheto-
rische λόγοι eines Ariston zusammenhängend und ausführlich
besprochen finden, so werden wir in ihm unbedenklich den
von Quintilian und Sextus behandelten wiedererkennen. Daß
dieser Arıston aber auch mit der antirhetorischen Quelle von
Plutarchs πολιτικὰ παραγγέλματα identisch ist, hat sich schon
oben (S. 494) ergeben: col. 72 wird nämlich dem πολιτικός die
Rolle eines Kapitäns, dem ῥήτωρ nur die eines Hilfsorgans zuge-
teilt; ganz dasselbe Bild aber finden wir auch bei Plutarch c. 5
p- 801 Ὁ. Wir gelangen nunmehr dazu, die zusammenhängende
Besprechung des Ariston bei Philodem, die von col. 71 bis
zum Schluß des Papyrus 1004 (und damit wohl auch des
ganzen Werkes) reicht, im einzelnen zu behandeln.
S 6.
Wir legen den von den Neapolitanern (Voll. Here. coll.
alt. tom. III fol. 110 ff.) gebotenen Text unter Berücksichtigung
von Sudhaus’ Lesungen (vol. II. praef. p. XXILf.) zugrunde. Die
Möglichkeit aber, uns mit diesem z. Th. arg zerstörten Text
selbständig beschäftigen zu können, bietet uns weit mehr als
Sudhaus’ Ergänzungen (vol. I p. 360 ἢ), v. Arnims obener-
wähnte Publication: De Aristonis Peripatetici apud Philodemum
vestigiis (Rostocker Ind. Sommer 1900). Er hat nicht bloß
zuerst erkannt, daß es sich um einen Peripatetiker — Sud-
haus vol. I. p. 111 dachte an den Stoiker — handelt, sondern
526 August Mayer,
auch in der Herstellung der meisten Seiten das Erreichbare
geleistet. Wenn ich trotzdem in Ergänzung und Interpretation
hie und da von ihm abgewichen bin, geschah dies nur in dem
Bestreben, die Herstellung dieser wichtigen Quellenschrift etwas
weiter zu fördern, als es einem einzelnen möglich ist. — Die
Ergänzungen sind wo nicht anders bemerkt von Sudhaus.
Arnims Ergänzungen bezeichne ich mit A, die meinen mit M.
Col. 71, 3: ᾿Αλλὰ (νῦν, ἐ)πί(ειδὴ) | τούτου πλέον 9) προσ(ῆ)-
ὄχον ἴσως ἦν ἀπελαύϊσαμεν, εἰ χαὶ μεμήκυντ(αι) τὸ βιβλίον,
τ᾿ Αρίστω νος x(at) (τῶν σ)ὺν (τ)ούτ(ῳ), | χκαϑόσον (δή π)οτε συμ-
᾿1θρέροντα τίούτων ἐξ)εταίσϑέντων, ἀποϑεωρήϊσομεν πρότερον
ἐπι σημαινόμενοι τ(ὸ) μη δὲ τούτοις ἐνη(νέχϑ'αι) | "tod μὴ φιλο-
ρἠτίορας γε) νέσϑα(: π)άλαι πίίστιν. --- Πό) τερον ἄτο(πον μᾶλλον)
| φιλοσοφικὴν (ῥ)ητο(ρικὴν) | τοῖς (φιλοσόφοις ἢ) το(ῖς ῥγ) τορσ(ι)ν
oluyxwpeiv . . .°9).
“Nach dem was Arnim (p. 4, 5) über die Stelle auseinander-
gesetzt hat ist klar, daß hier Philodem „trotz der übergroßen
Länge seines Buches“ von den bisher besprochenen λόγοι des
Diogenes von Babylon (er ist v. 3 mit τούτου und v. 10 mit
τούτων gemeint) übergeht zur Besprechung des Ariston. Im fol-
genden wird nun das Hauptproblem aufgestellt: Ariston hat die
„ethisch-politische Wissenschaft“ (φιλοσοφιχὴ ῥητορικὴ) für die
Philosophen in Anspruch genommen und sie den Rhetoren aber-
kannt. Diesem positiven Theil seines Buches stand, wie wir
aus der eingeschobenen Zwischenbemerkung (vv. 12—16) ersehn,
ein negativer gegenüber (die eigentliche Invective πρὸς τοὺς
ῥήτορας) : ähnlich wie Diogenes von Babylon (col. 70) hat Ariston
gegen die Rhetoren vorgebracht, sie wären von jeher verbaßt
gewesen ®‘); auf diesen, dem Stoiker und dem Peripatetiker ge-
meinsamen λόγος kommt Philodem hier kurz zurück.
Col. 72, 1: (Λέγει γ)ὰρ (τὴν σοφισ) τικ(ὴν π)ᾶσα(ν sbo|ta)-
σιν ἔ(χειν ἐχ) το(ῦ ψεύδους) κἂν σωϑῇ (τὰ πι)στὰ (διὰ) | ὅτὸ
(ἢ) προτ(ρέψ)αι- παντελῶς ἀφι(στάν)ειν τῆς | ῥητορικῆς (αὐτὸ)ν
ταῖς | ἐπιχει(ρ)ήσ(εσιν οὐ) φαίϊνεσϑιαι, μόνον δὲ τῆς ἃ 1ῦγαν προσ-
66) vv. 8, 8, 10]: A || 14] A: ἐνχ(αλεῖν) || 15 ff.]: Μ
ἢ An die Bekämpfung der λόγοι des Diogenes über die Verhaßt-
heit der Rhetoren schließt sich der Uebergang zur Besprechung des
Ariston unmittelbar an.
Aristonstudien. 527
σχλίσεως, τῆς | δὲ πολιτικῆς οὐδ᾽ ὅλως φησὲ δὴ πρῶτον | ἀπο-
τρέπων, ὅτι χελευ στοῦ χαὶ οὐ χυβερνή ἴὄτου χώραν ἔχων ὃ ῥή-
Itwp οὐχ ἄξιός ἐστι | προσποιεῖσθαι κυβερνήτης (εἶν)αι " πολιτικῆς
γὰρ οὐκ ἔστιν (ἰδῇ) ὡς λέγειν" διὰ σὰ... ..-- =):
Ariston stellte — wohl am Anfang seiner Schrift — der
sophistischen Rhetorik seine Rhetorik (die philosophische)
gegenüber: jene weist er a limine ab: denn sie ist ganz auf
ψεῦδος aufgebaut, obgleich sie (weil bloße Declamation) keine
praktischen Ziele verfolgt. Die Rhetorik an sich dagegen will
Ariston keineswegs verdammen und die Politik schon gar
nicht: nur will er ihren Betrieb vereint dem Philosophen re-
servieren. Denn der Anspruch des Rhetors auf politische
Rhetorik ist ebenso lächerlich, wie der Anspruch des xeAsuoti;s
auf Steuerung des Schiffes: der Rhetor weiß eben nur zu
reden, während die Politik nicht wie die Rhetorik das λέγειν
zum spezifischen ἔργον hat.
Col. 73 φησὶν ὅλην τὴν σύστασιν ἔχειν En τοῦ ψεύδους |
ὥστε φαίνεσθαι τῷ φιλαληϑεῖ φευχτέαν. ᾿Εγὼ δὲ τὴν σοφι-
στεύ(ου) σ(αὴν ἀφεὶς, εἰ χαὶ περὶ ταύτης ἐδυνάμην τι λέγειν
χαὶ τὰς τέχναί(ς τὰς) | ᾿Δριστοτέλους — χαὶ τό(πους | 12 πο)λλ(ολὲ
τῶν ἀχ(ουσ)τῶ(ν) σὺν ἐγραψαν ἐπ᾽ αὐτοῦ πανουργίαις τῶν ῥητόρων
" σοφιστικῶν — εἶχον ἐ(πι) δεικνύειν, τὴν Περι [δχλέ(ους) καὶ
Καλλισ(τρ)ά(του [καὶ Δηγμοσϑένους (ῥδηϊτορείαν ti)va τρόπον εἴ -
(ρηχεν ὅλην ἔκ τοῦ ψεύδους συνεστάναι. .. .) 55).
Ariston hat der sophistischen Rhetorik vorgeworfen, daß
sie nur Täuschung sei, worauf hier Philodem nicht näher ein-
gehen will’), indem er sich mit einer Berufung auf die oft ci-
tierten ae Redner begnügt. Den Angriff des Ariston auf
68) vv. 1—4]: Μ΄} 7]: A || 10] Neap.: TTIPOCKAYCE@C; corr. A || 15]
Neap.: AWZAN; corr. A.
av. 9. 107: ΜΠ 170.]: A,
70) Philodem sagt ungefähr folgendes: „Ebenso wie die sophistische
Rhetorik will ich hier die τέχναι des Aristoteles beiseite lassen, obgleich
— so haben wir uns wohl den Zusammenhang zu erklären — ich mich
serade auf den Gründer der Schule, der mein Gegner angehört, zu
Gunsten der sophistischen Rhetorik berufen könnte.“ Den gleichen
Sinn hat wohl der Zwischensatz: „Sophistisch sind auch die von Aristo-
teles’ Schülern veranstalteten Sammlungen von τόποι“. Daß solche zum
Zweck von Disputierübungen angelegt wurden ist zweifellos; vgl. Rose,
de Arist. libr. ord. et auct. p. 66 und Arist. pseudepigr. p. 122 sowie
Zeller 115. 2 S. 74 A. 7.
528 August Mayer,
-“
die Vulgärrhetorik möchten wir, die Lücke am Ende von 00]. 73
ausfüllend, etwa so mit dem folgenden verbinden:
Col. 73, 14 τὴν Dlepij!’aAeloug) χαὶ Καλλισ(τρ)άτ(ου | καὶ
Δη)μοσϑένους (fnjropsiav τίνα τρόπον εἴ(ρηχεν ὅλην ἔχ τοῦ
Ψεύδους συνεστάναι, τὸ εἰκὸς μόνον ἐπιτηδεύουσαν: εἰ γὰρ λέγει
60]. 74 τὸ εἰκὸς χ)αὶ συ(νεγγίζον | τἀλη)ϑεῖ ψε(ῦδος, τούτῳ | ἐνη-
σχ(ημένους ὁρῶ χαὶ | χ(ρω)μένους τοὺς οἵους (τ᾽ | δ ε(ἰπεῖν) " εἰ δὲ τὸ
χατεστο χίασμ)ένον εἰκότως | (ἢ τἀληϑ)εῖ συνεγγ(ί)ζον | πιϑανὸν
ἔλεγεν ὥσπερ | ἀδυνατ(οῦ)ν ἀληϑὲς εἶ Πῦγαι nal ἀποβαίνειν, ὃ
(π᾿), ϑανῶς λέγουσιν οἱ ῥήτορες, αἰσχύνομαι περὶ τοῦ μηδ᾽ ὅποι-
ανοῦν | ἀπόδειξιν εἰσεν(εγ)κε(ν . .. 71).
Ariston hat der Vulgärrhetorik ihr Operieren mit dem
bloßen εἰκός vorgeworfen und behauptet, daß eine auf bloßer
Wahrscheinlichkeit aufgebaute Kunst eine trügerische sei;
Philodem weist dagegen die Identifizierung von eixös und
Ψεῦδος ab (mit Hinweis auf die großen Redner); ebenso-
wenig könne Ariston behaupten, das rhetorische πιϑανόν sei
wohl „wahrscheinlich“ aber niemals „wahr“
Das nächste ist arg zerstört; doch fehlt wohl nur der
Uebergang 75) zu dem nächsten λόγος des Ariston, der, wie aus
dem Folgenden hervorgeht, darin bestand, daß gesagt wurde:
„Bine Kunst, die wie die Rhetorik ihre Adepten sittlich schädigt,
ist keine Kunst. *
Col. 75, 1... CHMA ... Μ ἄτοπον μεμφῳφϑῆναι (τὸν)
| βίον τὸν τῶ(ν) αὐλητρίδων παρὰ ΠῚ πο "λαβόντ' εἶναι"
πρὸς τὸν πὺυν ϑανόμενον, lt) γίνεται | παρ᾽ αὐτ(ῆ)ς, τίς (π)οτε
τ(ὴν) | μαλαχ(ι)στὴν αἰτιάσ(εται) φύσιν; τοῦτον δὲ πειϑ'ό [μενον
(τῷ) τὸν ϑρασύνο(ν) τα nal τὴν ἀναίδ(ε)ιαν | ὑπὸ τῆς ῥητορικῆς
γεν νᾶσϑαι ---- pn τὸ παραπλήσιον (ἀ)λλὰ τὸ ἀντίστρο 'ὅφον (ἐρω)-
τᾶν χαὶ ἀπο(χρί) νασ(ϑαι ÖE)ov — ποιήσασ(ϑ'αι) | τὴν μὲν E(pw)-
τησιν, (τὴν) | ϑρασύ(τηγτα (δ᾽ αἰτιᾶσϑαι τῶν ῥητόρων πῶς οὐχ
ἄτοπον: ")... .).
ΤΣ, vv, 13]: : Ml| vv 4, 5] οἵους (τ᾽ s(inetv): Εἰ, Gaar || 10, 11] δί(πι)-
Yavög A; Neap-: €.. |PWNGIC.
Τὴ Diese Ueberleitung möchte ich versuchsweise so gestalten (col.
74, 15): Πρὸς δὲ στ(άσιν λα) λήσαντες μετ᾽ ἀ(ρ)ε(τῆς ταῦ)τα πονεῖν εἶναι
φ(ασὶν χαὶ) | χοσ(μιότητος τὸ δὲ ϑρασύνεσ)ϑαι ἀ(ναφέρουσιν | εἰς τὴν ῥητο-
ρυκὴν οςν.) d.h.: die Philosophen sehen in ihrem Lehrbetrieb die höch-
ste sittliche Vollkommenheit, in der Rhetorik die größte Frechheit. Πρὸς
στάσιν λαλεῖν“ etwa gleich dem , ϑέσεις ληκυϑίζειν bei Strabo XII 609.
73) v. 2] Neap.: ATOTEN; ἄτοπον M | 3] Neap.: TIONTON; βίον τὸν
Aristonstudien. 529
Philodem bekämpft hier den Ariston folgendermaßen: Es
ist unsinnig, wenn man die Frage, ob das liederliche Leben
der Flötenbläserinnen eine Folge ihrer Kunst sei, bejaht, ihnen
dann noch sittliche Vorwürfe zu machen: denn auf jene Frage
(„ei γίνεται παρ᾽ αὐτῆς “) ist dieser Tadel keine Antwort. Ariston
nun im analogen Fall bejaht zwar diese Frage, tadelt aber doch
die Frechheit der Rhetoren. Umgekehrt hätte er fragen müssen:
erstens: ist das Leben der Rhetoren tadelnswert? und zweitens:
hat dies Leben in ihrer Kunst selbst einen Grund ? (was Phi-
lodem natürlich leugnet).
Col. 76 ist am Anfang verstümmelt; der Sinn ist etwa
folgender: (Λέγει πρὸς τοὺς ὑμνοῦντας τὴν ῥητορικὴν ὡς χρησί-
μὴν ἐν τῷ | "βίῳ (καὶ) ἡδεῖαν, ὅτι (χ)ρήϊσιμον (E)repov, ἀλλ᾽
(ογὐ(δ)ὲ | ὅτ(οὐ)λάχιστον δύναται | συνεργεῖν, πλήϑους δ᾽ ὕ (πειξ)ίς
ἐστιν χαὶ ὀχλι[(χγ)ήν (τ)ινα διοικοῦσ᾽ (εὐϊπείϑει)αν ἐν ἐχχλησίαις | 19
χαὶ δικαστηρίοις (καὶ) | ἐν τοῖς μετα(ξ)ὺ (χ)α(ιρ)ο(ἴς) | οὐκ ἔ(σ)τιν
κί της. Xpelal . .. 7%).
Hier klafft der Zusammenhang. Es wurde der λόγος
des Ariston: „die Rhetorik ist nicht nützlich“ — beachte in
col. 76 insbesondere das Schlagwort von der ὀχλιχὴ πειϑώ —
des weiteren ausgeführt, und zwar durch die ganze Lücke
(Ende dieser und Anfang der nächsten Seite): denn wo der
Text wieder lesbar wird, stand etwa: „wie kann man die Rhe-
torik als Brotstudium empfehlen, da es doch auf andere Weise
möglich ist, sich sein Leben zu verdienen ?*: col. 77,5...
χρησίμων ὄντω(ν | καὶ) ἑτέρων ὡς χ(ἄν ευ)] τα(ύ)της (π)ου
π(ογρ(ἰϊζ)ειν τὰ πρὸ(ς τ)ὸν Biov | καὶ τῶν (πλουσ)ίων ἀμέ 'ὅλει
τούτ(ων ἢ δ)ιὰ τῆς | ῥητορικῆς ἐνδόξω(ν) | καὶ μετ᾽ ἄλλων μυ-
ρίων | γίνεσϑα: με(λλόνγτων: καὶ τὴν ῥητορικὴν φασι [5 κόντων
(εἶνγαι (τέχν)ην | τοιάνδ(ε) ἐν (ἢ κέρ)δη καὶ [ πρὸς ἡ(δονήν ὃ... .15).
Einen neuen λόγος des Ariston bespricht Philodem am An-
fang der nächsten Columne: (xal τῶν Στωϊκῶν μόνον) col. 78 πολι-
τεύε(σϑαι τ)ὸν (σο))φὸν (ο)ομέ(νω)ν, κατ(ὰ) τ(ὸ | τὴν) πολιτικὴν φι-
λο]σοφίαν (ε)ῖναι παρ(άγ)ει | ὅ τὸ τὴ(ν) ῥητο(ρικ)ήν, διότι | πλή(ϑ)ε-
M || 6]e(t) A || 7] Neap.: TOC. OTE; τίς roreM || 8] Neap.: MANAAETHN;
corr. A|] 10] A: (τῷ) τὸν | 17 ff.]: M.
1 vv. 4, 7, 8—10, 12]: A.
"
530 August Mayer,
(σὴν (ἀεὶ) ὑπηρετεῖ (πρὸς | χ)άρι(ν), μὴ μόνον Too (πρά)τ(τ)ειν ἀλλὰ
χαὶ (τοῦ) | ο(ὐι)εῖν τινα καὶ διοιχκ(εῖ)ν | 19 ἣ τ(ὰ κ)όσ(μ)ον ἔχοντα
ν(ο) εῖ(ν) ἀ(φ)ε(μ)ένη, τὸ πα(ρα) πλ(ήσιοὴν ἐπιτηδεύω(ν) .... 78).
᾿Αὐϊβίοῃ. hat also unter Berufung auf den bekannten sto-
ischen Satz μόνος ὃ σοφὸς πολιτεύσεται“ erklärt, die Politik
sei eine Wissenschaft, die Rhetorik daher nicht: ıhr fehlen
alle Kriterien der wahren Politik.
Gegen diesen λόγος kämpft nun Philodem im folgenden:
Ariston muß nämlich andrerseits die dem citierten stoischen
Dogma entsprechende These: μόνος ὃ σοφὸς ῥητορεύσει"
leugnen. Darin hat er wohl recht, er setzt sich aber inconse-
quenterweise mit der Lehre der Stoa über die Politik in Wider-
spruch: denn für die Stoa ist die Politik bloß ein Zweig der
ῥητορικὴ φιλοσοφία:
Col. 79, 3 χαλῶς μὲν ἐπέβαλλεν 77) | ἀλλ᾽ οὐ (συμφώνως
οἷς δ ὁπὲρ (τοῦ πο)λιτεύεσϑαι | δοχ(ιμάζ)ουσιν ἅζτεν χα (ταλ)έ-
γοντες αὐτὸ τοῖς | λοιπ(οῖς ῥητ)ορικ(ῆς) φιλοσοφίας ἐνερ(γήμασι)"
| 10Käxeiv’ ἀτιμώντων | εἶναι δι᾿ αὐτὸ καϑάπερ | καὶ τὴν ϑέαν τῶν
(ἐγνν(οιῶ)ν. | Λέγει δὲ καὶ τ(ὸ) πλε(ῦστον. .. .. 78).
Jene stoische Ansicht, daß die Politik nur ein Annex der
Rhetorik sei, bedeutet nach Ariston ebenso eine Herabsetzung
der Politik, wie die von der Stoa vorgeschriebene Rücksicht-
nahme auf die χοιναὶ ἔννοιαι, worin Ariston offenbar eine
Concession an den Unverstand der Menge sieht. Der Angriff
des Ariston auf die communis opinio (dessen zweite Hälfte
durch die Lücke col. 79 verloren gegangen ist) wird von Phi-
lodem folgendermaaßsen abgeschlagen:
Col. 80, 3:. EN.N ἀλλὰ μύρι(α) | ταῦτα μᾶλλον, ei μὴ
χαὶ | "παρὰ πολλοῖς τῶν δια τριβικῶν ἄλλως δὲ | τοῦ μὲν σ(ώ)-
φρονος χριτοῦ σπαν(ί)ου τινὸς ὄντος, ἄφρονος τ᾽ οὐ πλέονος
χαὶ τούτου παραπίεπλη) ξομένο(υ μᾶλ)λον ὑπὸ | τῆς κατασχευῆς,
εἰ μὴ καὶ} τῆς λέϊξεως, .....),
Im Anfang scheint zu stehn: wie können sich die Philo-
16) vv.6—8,10, 11: A || καὶ τῶν Στωϊκῶν A || 12]: Neap.: ETTITHAEYE.
A: ἐπιτηδεύεί(ιν).
11) sc. τοῖς Στωϊκοῖς mit Bezug auf ihre Behauptung μόνος 6 σοφὸς
ῥητορεύσει.
18) vv. 6—8, 12]: M.
Του, τὸ, 101: 2M,
Aristonstudien. 531
sophen gegen die loci communes der Rhetoren aussprechen,
da solche doch bei ihnen selbst nicht bloß vereinzelt, sondern
zu tausenden vorkommen — ganz zu schweigen von der Mehr-
zahl der διατριβικοί (von Bions Art)? Ferner führt Philodem
zur Verteidigung der rhetorischen Topik den Umstand an, daß
der ideale weise Richter ebenso selten ist, wie der gänzlich
unverständige: somit muß der Redner die dem mittleren Durch-
schnitt entsprechende communis opinio berücksichtigen. Ferner
sind es nicht gerade die τόποι, welche die Zuhörer raparıyaro:
machen, sondern ornatus und bloße elocutio.
Um das für und wider betreffs der loci communes handelt
es sich auch im folgenden: col. 831,2 ... . ἐδωρο δόχησεν.
Τὸ μὲν (γὰ)ρ δΙλοσχερὲς εἶναι χαὶ τῆς | Pnpodeoews οὐ Yıyyalvov,
ἄλλως δὲ ῥάιδιον | ταύτῃ (ἁπαν)ταχῆι συν]αίδ(ειν) Solxe)i(v τ)όδε
(εἰ γγοῦν xali) τῆ(ς κα)! 19τ᾽ αὐτοῦ πίστεως πειρώ-
Inevov ϑι(γ)γάνειν τὸν | ῥήτορα δέλτζον σδῴ(ζ)οντα | (τ)αὲ ἀδια-
χίνητον ὁμο(λ) ο(γ)εῖ ἐπὶ πρότέρων χα 1 τα)φέρεσθαι χαὶ τὸ
π(ρῶ) τον σ(υνάδειν) τῶι τέ(λει) | π(οιεῖν δύνασθαι sed).
Die Seite möchte ich — nur z. Th. mit Arnims scharf-
sinniger Behandlung übereinstimmend — folgendermaßen er-
klären: τόδε“ (v. 8) bezieht sich auf die Anwendung der loci
communes*!). Ariston behauptet: der Redner darf nicht etwa
Argumente anführen, die wie die τόποι einerseits (τὸ μὲν) allzu
allgemein (ὁλοσχερές) sind und mit dem speziellen Thema
nichts zu tun haben und andrerseits (ἄλλως δὲ) den Uebel-
stand haben, dafß sie sich auf jede beliebige πρόϑεσις allzu
leicht anwenden lassen; nein: spezielle Beweise mufS der Redner
führen und sogar die möglichen Gegenargumente in Betracht
ziehen. Einem solchen Redner, gesteht Ariston zu, ist es
möglich, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen°®) sich
im Redefluß zu ergießen {(. καταφέρεσθαι“), während der Redner,
der sich bloßer Gemeinplätze bedient, leicht aus dem Text zu
bringen ist.
°) vv. 8, 16]: A|] 19] (εἰ γ)γοῦν M; A: (τὸγ)οῦν || 12] Neap.: AEAIW.
ONTA; A: ῥήτορ᾽ ἀδεὲς (σγώζοντα || 13, 14] Neap.: OMO. C.€l; daraus
Sudhaus zweifelnd ὁμο(λ) ο(γ)εῖ; A: & δεδείχει.
81) Arnim le auf die peripatetische Disputierübung des eig
τὰ ἐναντία ἐπιχειρεῖν; diese wird m. E. erst vv. 9ff. den rhetorischen
τόποι entgegen gestellt.
82) Dies, glaube ich, bedeutet δέλτον σώζων καὶ ἀδιακίνητος.
August Mayer,
or
ΩΟῦ
DD
Um die loci communes handelt es sich auch noch auf der
folgenden Seite:
Col. 82, 2: (ἐλ)γαμβάνετο | καϑολικόν,͵ es E)orlxev, εἰ
χα(ὶ τοῦτ(ό) ποτε | «εν κρίνουσι ar: χαιρὸν οἱ πραχτιχοὶ τῶν
ῥητόρων, ΠΝ ο(ὐ) χαταϊχόρως" ἀ(μέλει δὲ χ)αὶ | πρὸς τῶν
Rdn ra! parveitar (τὰ) πολ τὸ τοιοῦτον
ἄν δάνον διὰ (τ)ὴν ἀργίαν | nal τί(ὴν ἀγκοπίαν, öltav (μὴ ἔχῃ) τὸ
μεϑοί 5 δικόν τίς. «ὁ. ος .88).
Arnim interpretiert sehr richtig, daß es sich hier um
einen Fehler handelt, den Ariston, wie Philodem sagt, zu Un-
recht der ganzen Rhetorik zum Vorwurf macht, während Phi-
lodem behauptet, die praktischen Redner ließen ihn nur selten
und dann an passender Stelle zu, und daß die Sophisten
(Lehrer der Rhetorik) seine Vermeidung anempfehlen. Dieser
Fehler („quale id fuerit nescimus* Arnim p. 7) kann nach
dem vorausgehenden kein andrer sein als die Anwendung der
loci communes, der typische Faulheitsbehelf (@vexvov διὰ τὴν
ἀργίαν) der Rede.
Aristons eigene Worte liegen von col. 89 85) an vor; er
kämpft nr gegen einen stoischen Verteidiger der Rhetorik:
Col. : α(ὐ)τὸ μόν(ο)ν τόϑ᾽ appörliteoda: χατὰ τοὺς
ὶ ἡ τι ὧν φασιν ἐ(κ) } ϑεῖν(αι) τὰ κατὰ μέρος, ἐϊποίσεται
χαὶ τὸ ἐγχω]μιάσ(α)ι καὶ ψέξαι δυνα 0 τὸν εἶναι τὸν ῥήτορα |.
Καὶ εἰ διὰ τὸ τοὺς ἀνθρώ πους (ε)ὐ(φγωνῆ(σ)αι μό(ν)ον | ἐπα-
{ὑγετα) τον Ὁ.
Ariston weist hier offenbar die Einwendungen zurück, die
gegen seine Kritik des rhetorischen Beweises (Verwerfung der
loci communes) erhoben werden könnten: der Rhetor wird zu
seiner Verteidigung anführen (ἐποίσεται), daß der von ihm an-
gewandte Gemeinplatz im speziellen Falle eben der einzig be-
weiskräftige ist. Außerdem behaupten die Rhetoren, daß sie
tür die refutatio außer Gemeinplätzen auch spezielle Beweise
(τὰ κατὰ μέρος) lehren. — Dann wird) der Rhetor noch
anführen, daß seine Argumentation, wenn auch nicht für
38) vv. 9, 13]: A |] 10, 11] &vö&vov Sudhaus; A: ἀλλὰ που.
ὦ Arnim läßt Aristons eigene Worte erst col. 85 beginnen.
11] καὶ ei gibt Sudhaus als überliefert an. Die Neap. haben:
KAIOYOY. Arnim: χαὶ (οὐ).
Aristonstudien. 533
einen strieten Beweis, so doch für das genus laudativum aus-
reicht. — Endlich wird er sich verteidigen mit Hinweis auf
das bekannte stoische Argument (Quint. II, 17, 12), daß die
Rede den Menschen allein verliehen ist.
Col. 84, 1 (τὴὸν ῥ(ήτορ)α τ(ῶν Ev πολι τεύ) μασι xalt) μόνον
ἔμπειρον ἰδί(ω)ν εἶναι, χαϑὸ | ῥήτωρ, πῶς μὴ ϑαυμά ὅσωμεν;
SH Se οὐδὲ τὸν | πολιτικὸν ἐροῦσιν 7) | τοῦτον ὁμο(λ)ογοῦντες
, ἕως οὐ δε(δ)εί(χγ)ασιν ἕϊτερον ὄντα, τῆς τῶν ῥητόρων ἐμ-
πειρίας Exe(t)vov οὐκ ἐχ(β)ά(λλ)ουσιν | ὥστ᾽ οὐδ᾽ ἐγκω(μιάζε)ιν
χαὶ ψέγειν χ(υρίως τοῖς εἰὐ)φωνο(τάτοις ἀπονέμω.. .89).
Wie sollten wir uns — fragt Ariston — nicht über die
Behauptung wundern, daß von allen im Staatsleben Tätigen,
der Rhetor allein eine ἰδία ὕλη hat?°”). Denn, sagt er, aus
dieser Behauptung ergäbe sich die Alternative, entweder auch
dem πολιτιχός ein spezielles Gebiet abzusprechen oder ihm
dieses zuzugestehn und den Beweis auf sich zu nehmen, daß
es neben der Function des roA:tıxös im Staatsleben noch
Raum gibt für eine andere, die des ῥήτωρ (was eben Ariston
leugnet); nur dann gelänge es den Verteidigern der Rhetorik,
dem Politiker den Anteil an der ἐμπειρία des Rhetors abzu-
sprechen: Ariston also erkennt überhaupt keine dem Rhetor
allein zustehende ὕλη an, nicht einmal Lob und Tadel.
In der Lesung und Interpretation von col. 85 kann ich
mich vollkommen Arnim anschließen:
Col. 85, 2: οὁμοίω(ς δ᾽ οὐ) δὲ refpl) ἄ(λ)λων δῆλον | (ὅ)τι "
ὶ δὲ συμφερόν ὅτων ποίων; ἄλλον γὰρ | ἄλλου προεστηλέναι | τὸν
ῥήτορα μηδενὸς, | fe τοιοῦτος.“ Συμφερόνίτων μὲν γὰρ πόλι
(i. e.: πόλει) τῶν | τοιούτων ἔμπειρός Eoltıv, οἵων (ὁ) νοούμε-
νος | π(ο)λιτικός, καλῶν δὲ | χαὶ δικαίων τῶν χατὰ | δόξας " χαὶ
διαλέγεται | 1δ(π)ερὶ αὐτῶν, ὡς ἔφαμεν, | οὐ(χὶ) τοῖς (εἰδ)όσιν
ἈΠ ΘΝ 914, 888):
Bis v. 8 spricht Ariston: es handelt sich noch immer um
die Frage nach der ἰδία ὕλη des Rhetors. Weder im Gebiet
Σὲ
86) Vor v. 1]: τὸ δὲ μὴ δοχεῖν ἐπαίνων A || v. 2] statt μόνον schreibt
A φόγων || 3] statt ἰδίων schreibt A ἰδίως || 10, 11] statt &xetvov schreibt
A ἐκείνους || 13, 14]: M.
87) Bekanntlich sprechen die Gegner der Rhetorik ihr gerade diese
Eigenschaft ab.
NE 10]:
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft.
9)
un,
οἱ
os
ar
ὅ94 August Mayer,
‚des συμφέρον, noch des δίκαιον, noch des χαλόν ist nach Ariston
der Redner Fachmann: jedes dieser Gebiete hat seinen Spezia-
listen. — Nun antwortet Philodem: der Rhetor wird sich auf
allen diesen Gebieten der communis opinio anschließen ; be-
steht ja auch das Publicum nicht aus Fachleuten.
Die nächsten drei Seiten (col. 86—88) enthalten, wie
Arnim erkannte, zusammenhängende λόγοι des Ariston; zu-
nächst unter direkter Anführung seiner Worte:
Col. 86, 2... φ(υσ)ιχκὸν | γὰρ τούτου γ᾽ ei(v)ar τὸ πλε(ῖσ) τον
ὅσον δ᾽ ἐξ ἐπιμελείας καὶ παρανγελμάτων | οὐκ &v ἡμέρ(α)ς
βραχεῖ | μέρει παραδοτόν. -----Ὅμοιια δ᾽ εἶναι καὶ περὶ τοῦ | προσ-
εχτιχοῦ. Καὶ μὴν | [τῆς γε διηγήσεως ἐπεὶ | τὸ κυριώτατον ἐν
τῶι | σαφῶς, σαφέστατον ὑπὲρ ἑχάστου διηγητὴν | εἶναι (τὸν)
μάλιστα πα 15 ρακο(λουϑιο)ῦντα, τὸν ῥήτοί(ρα δ᾽ οὐχ) εὐϑύς, ἧι
δή (τωρ, εἶναι!) μᾶλ(λον οἷόντε παραχολουϑεῖν τῶν μὴ ῥητό-
DOW. ee ae!
Hier führt Ariston im einzelnen aus, daß nichts an den
Lehrvorschriften der Rhetorik ihre spezielle ὕλη sei: von v. 7
an ist offenbar die Rede von der Vorschrift: „attentos reddere
oportet auditores in prooemio“; dann folgt die Besprechung der
Vorschriften über die narratio (deren Haupterfordernis die σα-
φήνεια). Am Anfang der Seite mag über das „benevolos red-
dere“, die Hauptaufgabe des Prooemium, gehandelt worden
sein “Ὁ.
Col. 87, 3 (ἄξιον) δ᾽ ἐπιστ(ά)σεω(ς) τὰς μὲν ἀτέχν(ους)
ὅχοινὰς ἁπάντων ὑπαά(ρ)])χεί(ι)ν, τῶν δ᾽ ἐντέχνων τ(ὸ) | εἰκὸς Hal
τὸ σημεῖον | χαὶ τὸ τεχμήριον οὐϊϑὲν αὐτοῖς προσήχε(ὴν, ἀλλὰ
τὸ μὲν σημεῖον eilvalı) τοῦ παρηκολουϑη κότος ἴδιον, οἷον τὸ
μὲν | ἐν νόσοις ἰατρ(ῶν),. τὸ | δ᾽ ἐν τοῖς περὶ τὸ πλεῖν | 'ὄχ(ει-
μῶ)σιν κυβερνήτου, παραπλησίως (δ)ὲ καὶ | ἐπὶ τῶν ἄλλων ᾿ τὸ
δ᾽ εἰ χὸς (το)ῦ παραϑεωρή (σαν)τος, πῶς γέ(γονε τὸ | αὐτὸ) αὐτοῦ
πρό(τερον) 52).
Hier ist Ariston von der διήγησις zur πίστις übergegangen;
80) v, 17]: ἢ ῥήϊ( τωρ) Sudhaus praef. XXIII || das folgende A.
90) Die Ergänzung „y(vo)ıxdv“ v. 2 befriedigt nicht ganz; denn wo
greift der Rhetor ins Spezialgebiet des Physikers ein? Vielleicht ist
zu lesen: ο»φ(ιλ)ικόν“ in dem Sinn: dieses Gebiet (das εὔνους ποιεῖν) ge-
hört unter die Probleme περὶ φιλίας.
92\"yy, 19, :20]:2M.
Aristonstudien. 53D
und zwar bespricht er zuerst die unkünstlichen, dann die künst-
lichen Beweise: das σημεῖον kommt nur dem Spezialisten zu,
das eixös nur dem, der die Praecedenzfälle kennt.
Auf der anschließenden Seite 88 gibt Philodem den λόγος
des Ariston in indirekter Rede wieder:
Col. 88, 1: (ὁσαύτως οὐδὲ τὰ πά) ϑη κα(ταχωρεῖ τοῖς ἀν-
δ)!)ρά(σι)ν, εἰ τ(ὸ) κυριώταϊτον ἐν τῶι κατανοῆσαι, διὰ τίνων χαὶ
γεννᾶται καὶ χαταπραὔνεϊται ταῦτα " τοῦτο δὲ μόϊνον, ὡς οὐ
προσῆκον ἑαυτοῖς, ο(ὐχ) ἐνχειρῆσαι | ᾿ὑτοὺς ῥήτορας ἔχ τῶν
᾿ΑΙριστοτέλους μετενε(γ) κεῖν τὰ λοιπὰ μετενηϊνοχότας. --- Τοιού-
τῶν δήϊτινων λεγομένων | δ προχειρό(τατο)ν ἂν δόξί(ει)εν εἶναι
(τὸ) τῶν τρ(ι)ῶν | μερῶν (μὴ κ)αταφρονῆ(σιαι) τὸν ῥ(ήτορὰ φά-
σχεῖν... ς Ὁ) 5):
Hier geht Ariston von der λογικὴ πίστις zur παϑ'ητική
über: auch hierin fehlt es den Rhetoren — wie sie übrigens
selbst einzusehen scheinen — an Competenz.
Von Z. 13 an beginnt, wie v. Arnim gesehen hat, Philo-
dems Widerlegung: „keineswegs vernachlässigt der Rhetor die
τρία μέρη der πίστις (unkünstlicher, künstlicher, pathetischer
Beweis) 8).
Col. 89, 1 (Τὸ δ᾽ ὅτι, οὐχ) | ἄν (δυν)ατὸς (εὔνους) | &(d)p6
(o)us πο(ιεῖν), ἐ(πεὶ) | ο(ὐ)δ(ὲ κ)αϑ' ἕνα, παραπλη ὁσίως τοῖς τοὺς
νοσοῦντας | (ὑγγιάζουσι“ διὰ τῶν KvayAöolywv παραιτ(η)σόμεϑα |
(ἐξ)ῆς, δι’ ὧν τὸν ἀξιοῦντα 32) | μηδ᾽ ἀϑρόου(ς nei)derv 210 πειδ(ή)
περ οὐδ᾽ ἑα(υ)τοὺς | οὐδ᾽ ἐρώμενον καὶ φίλον, προσεπ()σημηνά μενοι
διότι καὶ π(οι)εῖν | φάσιν εὔνους οὐ δια "5 ϑετι(κ)ῶς ἀλ(λ)ὰ .. .3ὅ).
Philodem behandelt hier zwei ganz ähnliche Sätze des
Ariston, von denen sich einer auf die (wohl am Anfang von
col. 86 besprochene) Vorschritt über das „benevolos reddere*
bezieht. Der erste lautet: „wie dem Arzt, so mißklingen auch
dem Rhetor Einzelversuche; somit ist sein Anspruch auf öffent-
liche Tätigkeit abzuweisen“. Der zweite Satz fordert: „Hilf
Dir erst selbst!“ (auch hier läge die Analogie mit dem Arzt
22) y vv. 1-3]: M || 16] A: (αὐγτῶν τὸ (τ)ῶν.
98) Dieselbe Einteilung liegt Philodems Widerlegung zugrunde:
60]. 92 ἄτεχνοι πίστεις, col. 93, 94 ἔντεχνοι, 00]. 95 rad.
94) sc. λόγον.
#5) wy, 1—3]: A; εὔνους und ποιεῖν M || 6] Neap.: AAOTON; corr.
A || 8]: A|] 13]: π(οιγεῖν M; A: τ(ὸ) εἰ (μ)ὴ ||
35*
536 August Mayer,
nahe). — Philodem bemerkt hiezu, daß wenn sich die Rhetoren
das εὔνους ποιεῖν zuschreiben, sich dies nicht auf Hervorrufung
eines dauernden Zustandes bezieht "ἢ.
Col. 90, 3... (οὐκ Em’) | ἀ(ποτ)ύχη(μ᾽ ἀ)λλ᾽ Ent τὴν | ὅκαι-
protexviyav, ἣ παρὰ τὴν | ἰδιότητα τοῦ χειρισμοῦ | τὸν λοι(πὸ)ν
παραγινοϊμέν(η χρόνον οὐ)δ᾽ „ev ἡϊμέρα(ς) βρα(χεῖ) μέ(ρει“ ἐγ)
10 velvesdar (πέφυκεν ἢ τὸν | (δὲ ν)ικᾶ(ν μ)ὴ δυνάμεϊνο(ν) καὶ
γεινόμεγον (E)IwA(ov) Kalt τ)απε[ρ]ινό(ν. .. .)°”).
Nachdem Philodem Aristons Angriffe auf das „benevolos
reddere“ abgelehnt hat, kämpft er gegen die (col. 86 Anfang)
im Anschluß daran erhobene Behauptung, die einschlägige
Materie könne bei dem kurzen Lehrkurs der Rhetorik gar
nicht ordentlich beigebracht werden. Er sagt: die Rhetorik
bescheert ihren Schülern keine Mißerfolge (Aroröynpx), sondern
führt sie zur χαιϊριοτεχνία, die als Resultat spezieller Uebung
ihnen durchs ganze Leben bleibt. Selbst Mißerfolge der Rhe-
torik im einzelnen zugegeben — so etwa können wir uns die
Ueberleitung zur nächsten Seite denken — leistet sie doch
jedenfalls noch viel mehr als die Philosophie:
Col. 91,1... (οὕγτως e[i)neiv ὡς μέ(λλει) | καὶ τὸ πλῆ-
ϑος ἐν ὀ(λίγῳ) | καιρῶι ποιῆσαι (π)αρα ὅ χολουϑεῖν. Θαυμαζ(έ) σϑὼ
δὲ χαὶ χαϑό(σον) | , εἰ ταῦτα γινώσχᾳει), | ὁμοίως 00% ἀπεῖ(δ)ξν
διαφορὰ(ς) τοῖς πεπαι 1Ῥδευμένοις καὶ φιλοϊσόφοις ἐν τῶι σα-
φέστεϊρον ἐξενεγχεῖν πρὸς | τοὺς μὴ το(ἡ)ο(ύ)τους (δ)παρχούσας..
Philodem geht hier über zu der von Ariston (col. 80.
10 ff.) besprochenen Vorschrift von der σαφὴς διήγησις und
führt aus: Ariston sagt mit Recht, man müsse so reden, daß
auch das Volk schnell folgen kann. Jedoch bei dieser richtigen
Einsicht hätte er nicht übersehen dürfen, daß zwischen Philo-
sophen und Laien eine tiefe Kluft die Verständigung erschwert;
mit Unrecht hält er daher die Philosophen für fähiger, sich
verständlich zu machen als die Rhetoren.
Col. 92, 4 πολλῶν σοφιστῶν, Woldte χαὶ περὶ τῶν ἄλλων |
σχημάτων τῆς λέξεως | ἡμεῖς --- ὑπαχούειν τὰ | παραπλήσια
55) Aehnlich Arnim, aber mit einer etwas künstlichen Ergänzung:
διότι χαὶ τὸ „el μή φασιν εὔνους“ οὐ διαϑετικῶς, wo die Worte ei μή paoıv
εὔνους der Anfang eines Satzes Aristons sein sollen.
91) ν, 4]: M||5] Neap.: KAIPIAIOXNAN; corr. M ||
Aristonstudien. 537
χαταξιῴ (σ)αντες, ὅταν τῶν πίστε19(ω)ν τὰς ἀτέχνους φῆι χοιϊνὰς
εἶναι πάντων, οἷον | μαρτυρίαν, βα(σ)άνους | (χ)αὲ τὰ τοιαῦτα ---
λέγωϊμεν, ὅτ(ι) τούτων ἣ μὲν | 15 εἴδησίς ἐστι χοινὴ | (καὶ τῶ)ν
ἰδιω(τῶν) ἡ | (δὲ) χρῆ(σις ε)ὐκαιρίαι... . . .. ἷ
Ariston hat auch betreffs der σχήματα λέξεως auszuführen
versucht, daß sie χοινὰ ἁπάντων seien (worauf Philodem er-
widert: jeder wisse wohl, worin sie bestehen, verstehe aber
nicht, sie richtig anzuwenden). Im Zwischensatz bemerkt
Philodem: eine ähnliche Antwort verdiene Ariston®®) auf seine
Behauptung (col. 87 Anfang), die unkünstlichen Beweise seien
nicht das Monopol des Rhetors.
Col. 93... . (ὥσπε)ρ (γὰρ | τὸ τῆς νόσ)ου σημεῖ(ον ἢ) τὸ
(εὐχὸς (6) ἰατρὸς οἶδε χαὶ | τὸ τῶν χειμώνων χυ δβε(ρ)νήτης,
οὕτω χαὶ | ῥή(τ)ορ᾽ ἀποβησομέϊνων τινῶν τῆι πόλει, χκαϑάπερ καὶ
χατὰ τοῦτο τοὺ(ς πο) )λιτικούς ς“ χαὶ τοῦτο πα(ρ)αϑεω(ρεῦν δέ,
πῶς πάν(τα) | πράττουσιν, ἐξ ἧς ε( δή σεώς φησι ϑηρεύεσθϑαι |
BANN), 0dzE..:.,.r..22).
Philodem geht hier über zu der folgenden (col. 87) Be-
hauptung des Ariston: „nur die speziellen Fachleute beherr-
schen eixös und σημεῖον: der Rhetor hat aber kein spezielles
Beobachtungsgebiet.“ Für Philodem ist nämlich das Erfah-
rungsmaterial des Rhetors dasselbe, wie das des πολιτικός (den
Ariston als Spezialfachmann dem Rhetor gegenüberstellt) nämlich
das Staatsleben; und da Ariston selbst zugesteht, auf Grund
dieser Kenntnis sei es möglich, Herrschaft über die Menge zu
erlangen, so muß er — meint Philodem — dieselbe Fähigkeit
dem Rhetor einräumen.
Col. 94 toö(tov μ)ὴ (yı)valor)e(ıv) | τὸ π(ολλο)ῖς ἄλυπον ---
ὥσιπερ τ(ῶν) σημείων καὶ τῶν εἰκότων, ἂν χαὶ | "μὴ β(ράζηπαι,
ἀλυπούνίιτων " od μὴν οὕτω γε | συντίϑησι τὰς ἀποί δείξεις ὃ
ῥήτωρ ὡς 6 | διαλεχτικὸς καὶ φι!1ϑλόσοφος " ἴσως γὰρ ἂν | καὶ
προσ(χόπτοιτο) παρὰ τῶι π(λήϑει), καϑ᾽ ὃν δὲ τρόπ(ο)ν... .100).
Ariston scheint den Rhetoren auch eine zu geringe An-
wendung der σημεῖα und εἰκότα vorgeworfen zu haben. Damit
nun verträgt sich, meint Philodem, schlecht Aristons Behaup-
98) Zu a ιν (v. 7) ergänze: ᾿Αρίστωνα.
99) v. 2]: A||6]: Sudhaus praef. pg. XXI.
ON NINE En δ]. M ||5]: Μ mit den Neap.
538 August Mayer,
tung (col. 91), der Rhetor (τοῦτον col. 94, 1) wisse seine Rede
nicht angenehm für die Menge zu gestalten — als ob die
σημεῖα und εἰκότα. auch mäßig angewandt, ein Schmuck der
Rede wären. — Daß die Beweise des Rhetors nicht so an-
gelegt sind wie die des Dialektikers und Philosophen kann
nach Philodem nur von Vorteil sein.
Col. 95 (τὸ μὲν γὰρ δύνασθαι) χα ϑόλου (τῶν) πί(αϑ)ῶν
χαὶ | κα(κιῶν Tıv)as ἀπαλλά (ξ)αίι τούτω)ν τάχα oa Pal
το)ῖς piAocölpors εἰ(ὐσχη)μονοῦντες "| ἃ δὲ προβάλλοντες | αὑτοῖς
οἱ βουλευόμενοι Hal διχά(ζο)γντες ἐν 19 εργητικῶς ἐλεοῦσ(:) | καὶ
(δ)ιοργίζ(ον)γται χαὶ | τἄλλί(α πάϑη κινοῦνγται, ϑειωρεῖν α(ὐτοί
φασι) κα(λ γον "Rat Tor... 0.01):
Philodem kommt nun zum letzten Punkt, den πάϑη (oben
col. 88). Auf Aristons Behauptung: „Die Theorie der Affecte
und ihre Behandlung kommt allein den Philosophen zu“ er-
widert er: die Rhetoren werden den Philosophen vielleicht aus
einem gewissen Anstandsgefühl zugeben, daß einige von ihnen
imstand sind, von Affekten zu befreien; jedoch DE sie
selbst, besser zu wissen, was sie vorbringen müssen 10°), da-
mit ihr Publicum in Volksversammlung und Gerichtssaal auf
wirksame Weise in Affekt gerathe. Das heißt also: die in
ihr Fach einschlagenden Affekte (wie Zorn und Mitleid) zu
erregen, verstehen die Rhetoren besser als die Philosophen.
ς
Col..96, 4 τῶν οἷς οἱ πολλοὶ βούλονται συνεπιγράφε σϑαι
τὸν ῥήτορα διὰ τὴν | ἀρέσχειαν" ἐπεὶ ,πειϊϑέ(τ) “ φησὶν ,δι-
χαίως | (καὶ) σωφρόνως αὐ(τ)ὰς 198), 19 ἐπιϑυμίας ἀποτρεπέ! τ(ω),
ϑυμοὺς πραὔνέτω | καὶ πειϑέτω χαϑάπερ | (ὄχλ)ον οὕτω καί(ὶ
χ)άϑ᾽ ἕϊνα, περὶ ὧν ἂν πί(ροέ)λη(τ)αι χαὶ πολὺ... on).
Auch die weiteren Angriffe des Ariston gegen die Rhe-
torik gipfeln in der Gegenüberstellung des ῥήτωρ und des
wahren πολιτικός: jener ist ein niedrer Schmeichler, dieser ein
wahrer Volksberather. In dem mit φησίν direkt angeführten
101) vv. 1—4, 6, 12, 13]: A.
102) Ich kann προβάλλειν (v. 7) nur so verstehn; die Construction
(„quae autem proferentibus sibi iudices commoveantur . . .*) verlangt
allerdings προβάλλ οὐσιν.
108) j, e,: τὰς πόλεις. (Arnim).
104) y. 13] (ὄχλ)ον A || 14] πί(ροέ)λη(τ)αι Sudhaus praef. pg. XXIII.
%
Aristonstudien. 539
λόγος des Ariston scheint dieser ein Idealbild der Aufgaben
des πολιτικὸς φιλόσοφος zu zeichnen 195).
Col. 96 extr. (πάντες οἱ χαριέστεροι τεχνῖται) col. 97 βού-
λονται τυχεῖν | ὡς olövre auverwi(ta)ru(v χριτ)ῶν ' ol) δὲ ῥήτορες
ἐ(ν) τῶ(.) τῶ(ν) πολιϊδτευμά(τγων ἀσυνετω | τάτωι, τῆι δημοκχρα-
(ar) | ἀγωνίσ[τ]ασϑαι (βούλ)ονίτα(ι), κχἄπειϑ᾽ ἧττον ἀν(ει))μέ-
(ν)αίις) σ(υγνόντες. ... (3 Zeilen unleserlich) 15 τὸν | χατα-
φρον(οῦν)τα (χ)αὶ | τῆς δημοχ(ρ)ατίας (καὶ | 1’rov) βουλευτηρί(ων
χαὶ | τῶν τεϑ)αυμασμέ(νων. ... .}196).
Den hier von Philodem in direkter Rede wiedergegebenen
λόγος des Ariston reconstruiert Arnim folgendermaßen: jeder
anständige τεχνίτης wünscht sich möglichst verständige Richter
(aus col. 99 zu entnehmen); die Rhetoren aber können nur
bei der unverständigsten Staatsform, der Demokratie, ihre so-
genannte Kunst betreiben. In einem nicht völlig demokrati-
schen Staat verleumden sie — diesen Begriff enthielt wohl die
Lücke — den Verächter der Demokratie und der vielbewun-
derten demokratischen Einrichtungen als Vaterlandsverräter.
Col. 98... . (ὥσπερ γὰρ ὃ κχελευστὴς δύναιτ᾽ ἂν τάχα)
5 π(ηδ)αλιουζ(χεῖν ἐπὶ τοῦ) | πλοίου, (τ)ω(Ὁ δὲ μ(ήτε π)οῦ | ὅμήτε
πῶς μήτε (πότ)ε | πλευστέον εἰδέναι προσϊβλαβὴς ἂν γένοιτο
(μ)ᾶλ'λον, οὕτω(ς) δὴ (χ)αςὶδ ὃ ῥ(ήτ)ωρ. | Περὶ γὰρ ὠφελίμ(ων) |
ya βλαβερῶ(ν) ὡς (τοι) οὐτων οὖχκ ἂν γ᾽ (ἐπί τ)ὸ παραχολου-
ϑεῖν (εἴποι) τις αὐτὸν ἐναρχή(σ) εἰν παντάπασι δ(ι)ὰ | 15(τ)ὴν τ(ού-
τῶν π)άντων (ἀπειρία)ν. Koi καϑιάπερ οὔ(τος) | οὐχ Av... . 197).
Hier setzt sich der λόγος des Ariston fort: der Rhetor
(, κελευστοῦ καὶ οὐ χυβερνήτου δόξαν ἔχων “ col. 72, 13) ist ohne
den πολιτιχὸς ebenso hilflos wie der χελευστὴς ohne Steuer-
mann; denn er kann wohl „reden“ (formelle Fertigkeit), weiß
aber nicht was? und wann?; denn wenn es sich um Nutzen
105) Etwas anders Arnim: „fac enim conari aliquem iuste et
prudenter iis suadere — num putas eum ad finem orationis perventu-
rum esse?“
106) col. 96 extr.; 97 v. 3, 16]: A || 7] ἀγωνίσασθαι mit Streichung
des T: A.
107) vv. 1—3, 8]: A | 11] Neap.: ANT...C; ἂν γ᾽ (ἐπὶ τ) M; avılı-
χρυὴς Sudhaus praef. p. XXIII || 12]: εἴποι M; A: φήσει || 13] ἐναρχή(σ)ειν
M; A: ἐν ἀρχῇ (δέον vo)atv || 14,15: δ()ὰ | (τ)ὴν Sudhaus praef. p. XXIII
15, 16] τ (odtwv π)άντων (ἄπει ρία)ν M; A: ὧδε πάντων ἀναφορὰν.
540 August Mayer,
und Schaden als solche!) handelt, reicht seine Fähigkeit
nicht einmal dazu aus, den Beratungen zu folgen.
Von col. 99 an beginnt die Entgegnung Philodems; diese
Seite ist aber so zerstört, daß es Arnims Bemühungen 195) nur
gelang, aus Zeile 7—12 einen Sinn herauszubekommen: al
ἰότε χαὶ | ψεῦδος ἦν τὸ καϑολιζκόν, ὡς ἄρα πάντες οἵ | 1θχαρ-
(ιἐ)σ(τ)εροι τεχνῖται | σπουδά(σγονται μᾶλλ : συ)νετω-
τέροις [{χρυτ)αῖς ns.
Hier sucht Philodem den Obersatz von Aristons Syllogis-
mus (col. 97) zu widerlegen. Der Entkräftung des Untersatzes
(Macht der Rhetorik in der Demokratie) ist das folgende ge-
widmet:
col. 100, 3 πίρὸς μὲν) | γὰρ ἀφρό(νγως (ἔχοντας) | ὅ καὶ
πρὸς ὡμῶ(ς πανταχοῦ " εὐ) σχολεῖ δὲ (καὶ) συ(νετ)ωτέ ρους χρι-
(τ)ὰς ἐπάγων | οἷς ὑπηρετεῖν ὃ ῥήτωρ οὐκ ἐβουλήϑη χα(ὶ) | 19 πρὸς
οὃς οὐχ ἔστιν εὔϊχρησ(το)ὴς ἣ δύνα(μις α)ὐ]τοῦ. (n)ai γὰρ (τ)οι-
οὔτό (τ)ι | καὶ πρὸς (τ)ὸν (πολι)τ(υκ)ὸν | αὐτῶν ὃ vro.cu ἀντ(ι) |
᾿Ἰδπροσάξει τὴν τέχ(νην) ἐ πιφ(έ)ρων Alp’ ἧ)ς KAle χαὶ
Θε)μισ(τοχλέα) | καὶ Περικλέ(α φασί ποτε) | τῶν (δήγμί(ων χρα-
ont.» el):
Im Anfang scheint Philodem zu sagen: mit unverständigen
und rohen Elementen hat man es im Staatsleben überall zu
tun, nicht allein in der Demokratie. Auch die Beispiele Ari-
stons von Fällen, wo der Einfluß des Rhetors bei συνετοὶ χρι-
ταὶ versagt, beweisen nichts. Vielmehr könnte man Beispiele
anführen, wie nicht der ideale πολιτικός der Philosophen wohl
aber Leute wie Kleisthenes, Themistokles, Perikles es verstan-
den hätten, das Volk zu beherrschen.
col. 101, 4 προσ δίενται S(E χ)α(ὲὶ δ)υ(να) σται καὶ συνανα-
(σ)τρεφο μένους ἔχουσιν, οὐ μόννον ϑαυμάζουσι, χαὶ | δήμων μᾶλ-
λον ὡς Πύ θϑωνα Φίλιππος καὶ τὸν | Φαληρέα Δημήτριον | Π{το-
λεμαῖος χαὶ πολλοὶ Ve (ἄγλλους : καὶ ἀ!ριστοχρα(τί)αι καὶ
συν ᾿δεδρίαι πο(λ)λὰ παρεδέ (o)vro τῶν ῥητόρων .. .. 112.
108) Hier steckt der Begriff der ϑέσις (allgemeine Frage über δίκαιον,
συμφέρον, καλὸν).
109) vv. 2—6 lauten bei ihm: (μᾶλ)λο(ν) τεχν(ωκὴ)ν (ταύτ)ην ἐ πὶ τοῦ
ῥήτορα... σι. νὅχιν εἴ(τ Ev(ön)Aög ἐστιν | εἴτ᾽ τ ἔ(ν)δ()) αἱραλλα(γὴ).
110) vv. 5,6]: M |] 14] ὃ τύχῶν || 18 £.]:
11) ΠΟΥ: 5,6]: Gomperz Zög. 1866, 704 || τ, 16] παρεδέ (ο)ντο: A.
Aristonstudien. 541
Hier wird die Behauptung des Ariston, die Rhetoren seien
auf die Demokratie angewiesen, des weiteren mit dem Hinweis
auf das Ansehen der Rhetoren bei Tyrannen und Aristokraten
bekämpft.
Ein neuer λόγος des Ariston wird auf der nächsten Seite
wörtlich aufgeführt:
col. 102, 5 Λεγέσϑω δὲ καὶ πρὸς τὸ | „Auvanınwrarov
elv(at) | a τὸν Ἐπ ποιοῦντ(α) πίσ στεις; οἷον
οὔ(φημ":) τὸ(ν | 197 ου, διότι |
()? “μα λέως τοῦ | (λ)ό(γ)ου τὸ ὃν πρὸς πο λέ(γω)
εἶναι " πρὸς (μ)ὲν γὰρ ἕνα | 18 (χ)αὶ περὶ τῶν εἰς Eva ἀν ηχόντ)ω(ν
διαλεγόμ)ενοί(ς .. .. 112).
Ariston sagt: nur derjenige λόγος ist wirklich beweiskräf-
tig, dessen Beweise unwandelbar sind (d. h.: nicht nur für
einen Spezialfall passend, sondern allgemein gültig); diese Bi-
genschaft kommt aber nur dem philosophischen λόγος zu, nicht
dem rhetorischen 115).
Auf der folgenden Seite muß wieder ein λόγος des Ari-
ston stehn, weil auf der zweitnächsten Seite (col. 104, 6) aus-
drücklich der Beginn des „dritten λόγος“ angegeben wird!!?):
col. 103, 5 ὥστ᾽ ἐξο(κέ)λλί(ειν) | ταύτας κατ(ὰ πόλεις, | ἐξο-
ρίζειν (ἐστὲν ἤ)δη | τούτων πολιτικὴν καὶ | παραπλησίως τῆι ῥητο-
Ἰορικῆις (ὀ)λίγα τὰ πραϊ(γμ)ατα nal τὰ χρίνοντα | ἔχειζνΣ ταῦτα"
χαὶ τὸν | φιλόσοφον (μ)έντοι λόϊγον ἐπὶ τῶν ἀναλό 5(γω)ν εὑρή-
σομεν ara. τ}.
Ariston sagt: wenn man die philosophischen αἱρέσεις (v. 6:
ταύτας) aus den Staaten verbannt, so verjagt man zugleich
damit die wahre Politik und muß sich dann begnügen, wie
die Rhetoren einen ganz beschränkten Wirkungskreis und ganz
112) γι 9] A: φαμεν || 13] Neap.: T@WNTTPOCTI... NE. Daraus τὸ ὃν
πρὸς πά(ντας) λέ(γω) Μ; A: τῶν πρός τι (pai)ve(t’) mit Sudhaus.
115) Für Arnim beginnt mit v. 11 (διότι... .) Philodems Widerle-
gung, die mir unverständlich ist.
14) Arnim sieht daher mit Unrecht in col. 103 eine Widerlegung
von col. 102; er faßt col. 102 als „zweiten λόγος“; wo ist dann aber
der erste?
118) v. 6] Neap.: KAT... AEIO daraus κατ(ὰ πο)λεις M; A: χατ(ὰ
τὸν) λόγο(ν) || 7] A: (ἐχρῆν ἤ)δη v. 10] (ὀ)λίγα M; Arnim: (αὶ y&(p) || 12]
ἔχει(ν) M; A: ἔχει τἀυτὰ || 15] εὑρήσομεν ist Sudhaus’ Lesung.
549 August Mayer,
wenige Kriterien zu haben, während der philosophische %5-
Bo):
col. 104 und den größten Teil der folgenden Seite nimmt
der „dritte λόγος“ οἴη 117). col. 104, 6 Kai πρὸς τὸ τρίτο(ν)
& λειγέσϑω τὸ" κἂν πάνυ πειϊστιχὸς ὁ λόγος (ἢ μ)η(δὲ γι)-]
γώσχ(ηι τ)ίνας δεῖ (πεί) 1ὅϑειν nal ποῖα καὶ (πότ)ε | (π)άντω(ν)
iv ἀχρηστότατος εἴη χαϑ'άπερ nal πη δάλιον ᾿ ὃ συμβέβηχε | (χ)αὶ
τῶι τοῦ (ῥ)ήτορος, ὅ1ὅ(τι) λόγος μὲν οὐχ (εἴ) δέναι λέγοιτ᾽ ἂν
— ὥστ᾽ οὐ (δ᾽ 6) τοῦ ῥήτορος — ἃ φή(σει | Je, οὐδὲ τὸ πηδά-
Now):
Ariston sagt: selbst zugegeben, der λόγος der Rhetoren
habe beweisende Kraft — was im ersten λόγος (col. 102) ge-
leugnet wird — so ist er doch nutzlos, da der khetor nichts
über das Materielle weiß. Denn jeder Aöyos, mithin auch der
des Rhetors ist eine bloß formelle Fertigkeit (weiß sozusagen
nicht, was der Redner sagen wird) und kann gut und schlecht
gehandhabt werden wie ein Steuerruder (cf. col. 98) 115).
col. 105 ıst äußerst unsicher, es scheint mir aber — vor-
ausgesetzt daß sich nicht eine Zwischenbemerkung Philodems
einschob — der „dritte λόγος“ hier fortgesetzt zu werden:
col. 105, 3 „(ötav δὲ) | vepxwon τις (μὴ δηὰ | δ(τ)ῶν λό-
γῶν ψ(υχὰς μόν)ον, | τί ποτ᾽ αὐτό σε (δεῖ) | ϑαυμάζειν; α(ὐτὸς) |
γὰρ εἶδ(ε) τἀν(ύσιμα Πε) ρικλῆ(ς) καὶ (τ)ὸ (δυσχερὲς x)! οὐκ ἂν
ἄλλος ἐ(ξ ἴσου δημο)χοποῖτο τὸ δ᾽ ἀπὸ (χενοσ)ο φίας οὐδ᾽ ἂν
προσδέ(ξγαιτο μᾶλλον οὐδ᾽ ἀν(έ)χοιϊτο δῆμος“. ᾿Αλλὰ (μὴν χ)αὶ
TOD) νερορτοῦ τ(50.. AoYav)i... „el
116) Arnims Frgänzungen bedeuten hingegen: „die ἀμετάπτωτου
πίστεις sind ebenso wie der Rhetorik auch der Politik abzusprechen;
denn Stoff und Kriterien sind bei beiden identisch“. Aus dem oben
angeführten Grunde kann aber hier gar nicht Philodem reden, sondern
nur Ariston.
117) Es wird also hier zuerst ein Complex von λόγοι des Ariston
vorgelegt und dann bekämpft; ebenso stehen col. 84—88 λόγοι des Ari-
ston (bekämpft 89—95); dann folgt wieder ein Gomplex von λόγοι (col.
96—68), die dann col. 99-- 101 bekämpft werden. Somit beginnt mit
col. 102 ein neuer Abschnitt und col. 102 ist als erster, 103 als zweiter,
104 als dritter λόγος zu zählen.
118) vv. 8-10] Sudhaus praef. p. XXIII |] 15] Neap.: MENOYP dar-
aus μὲν od“ M; A: μὲν οὐϑ(ἑν); (εἰ)δέναι A || 17] οὐ(δ᾽ δὴ) A || 17,18] ἃ
φήσ(ει ὶ τὴς M nach Sudhaus; A: ἢ φησ᾽ (odro)g.
110) Arnim läßt mit v. 15 (ὅτι Aöyog....) Philodems Entgegnung
beginnen in dem Sinne: von keinem λόγος läßt sich sagen, daß er
etwas „weiß“. 120) vv, 3—9, 11]: M.
Aristonstudien. 543
„Die Rhetorik ist also nutzlos; die Erfolge der ofteitier-
ten berühmten Rhetoren wie Perikles beweisen dagegen nichts;
denn dieser hatte neben seiner Redefertigkeit auch wirkliche
politische Sachkenntnis und war überhaupt ein Ausnahms-
[41] 151); daß also einer durch mehr als bloße λόγοι die Hörer
betört, ist nicht weiter verwunderlich. Leute wie Perikles
können Erfolg haben; inhaltsloses Wortgeklingel wird aber
stets dem Volk mißfallen.* Darauf wird (v. 14) der „vierte
λόγος“ eingeführt.
Dieser Aöyos selbst — der etwa gelautet haben wird: „den
Philosophen ist von den Rhetoren die ihnen gebührende Staats-
leitung entrissen worden“ — ist durch die Zerstörung am Ende
von col. 105 verloren, jedoch aus dem col. 106 aufgeführten
Homoioma (ein wie wir wissen für Ariston charakteristisches
Stilmerkmal) zu erschließen !??).
col. 106, 1 φησὶν γ(ὰρ εἶναι παρα) πλήσιον ὡς εἴ τις
δ(ρ)απ(έ)τας ἐχβεβληχόϊτας τοὺς κυρίους, εἰκῆι δ κατὰ ῥοῦ(ν πλέ)-
οντας — (ὥ)σ᾽ πείρ δὴ μηδ)ὲν κα(τεπ)εῖ yo(v) A πί(λείους ἃ)"
(ν)ὰς (ἕξουσιν) διὰ πλῆϑ(ος) χρ(όν)ου | τῆς τοιαύτης χομιδ(ῆ
ἸΟχυβερνῶντας δ᾽ ἀεὶ το(ὺς) | ϑρασυί (τ)άτους, ebd (δὲ) | rat
xapıcövrals | τοῖς) συμπλέ(ο)υσιν — πρὸς τούὐϊτίους ὡ)ς (εἴ) τις
ea ἢ ορ σἘΝ
Der von den Rhetoren geleitete Staat wird — soviel steht
fest — hier mit einem von rebellischen Sklaven gesteuerten
Schiff verglichen; diese haben ihre steuerkundigen Herrn ins
Meer gestürzt und treiben jetzt ziellos herum; Steuerleute wer-
den die frechsten, zugleich diejenigen, welche sich dem Willen
der Menge am besten fügen.
col. 107 beginnt die Widerlegung Philodems: col. 107, 3:
ἀποχλα(ι)όμ(ε)νον δὲ ταῖς | ἐρημίαις τὴν ἀτυχίαν | — ὅταν δὲ χαὶ
π(αγραπλή σιος α(ὐ)τὸς ἦι τοῖς πλασϊτῶς ὀδυρομένοις ὡς | μεγάλην
οὐ(σίαν) ἀφημρημένοις τὴν οὐχ ὑπάρ! "ξασα(ν), οὐδὲ ἂν ἐλεήσει(έ)
ις α(ὐ)τὸν. ᾿Αλλὰ μὴν δεσί(πόγτας χαὶ χυβερν(ή)τας | οἶδα
“,ἱ
=
Ω7
oO
’
ὩΣ Ἢ
121) Ganz ähnlich Plutarch, Perikl. 15: αἰτία (der Volkstümlichkeit
des Perikles) δ᾽ οὐχ ἢ τοῦ λόγου ψιλῶς δύναμις, ἀλλ᾽ ὡς Θουχυδίδης (II, 65)
φησίν ἢ περὶ τὸν βίον δόξα nal πίστις χτλ.
122) Auch 00]. 106 ist schwer zerstört; wir folgen dem scharfsinni-
gen Versuch Arnims, der den an zweifellos richtig trifft.
1228) yy, 3,5-8, 11, 13,14]:
544 August Mayer,
μέν ποτε νεὼ(ς κα) τὰ (τὸ) νοούμί(ενον) Er) ὁ βεβ(λγημένους ὑπὸ
(δ)ρα (πετῶν), τὸν δ᾽ ὑπὸ τ(ῶν..-... 132.
Philodem wendet sich zunächst gegen den „vierten λόγος “
(col. 106). Er macht das von Ariston entworfene Bild lächer-
lich, und sagt (v. 5): Aristons Klage, die Rhetoren hätten
die Philosophen aus ihrem eigensten Besitz (der Politik) ver-
trieben — dies muß also der Inhalt des vierten λόγος gewesen
sein — verdient kein Mitleid; jenes angebliche Besitztum ha-
ben die Philosophen nie besessen. Wohl könne man sich nach
dem Gleichnis des Ariston (χατὰ τὸ νοούμενον) vorstellen, daß
ein Steuermann von rebellischen Sklaven ausgesetzt wird, aber
— so müssen wir ergänzen — ganz unvorstellbar sei, daß
Philosophen je einen Staat gelenkt hätten.
Gegen den ganzen Complex der vier λόγοι, die den Phi-
losophen dem [ποίου gegenüberstellen, geht col. 108125): col.
108, 2 (el) | παρὰ χαιρδίν ἔλϑ)οι (τι) δέοιτο τούτω(ν) " nal
πεί. ϑομ)ένους οὐ το(ὃς τῶν φι λο(σγόφων ἀλλὰ τοῖς τῶν | ῥη-
τόρων πολιτικοῖς νό μ(ο)γις. ᾿Αλλὰ δὴ καὶ ποίων λέγει φιλοσόφων;
ἐ(ἢ τὸμὲν, ἰδίῳ προσσ(η)μαίνεισϑαι παραχελευόμε(νος ἕ) να, (τὸὴν
πολι(τικὸδὴν 155), οὐ δὲ(ν τὴοῦ πολιτικοὺς αὐ (το)ὺ(ς) εἶναι νο(εῖν
ἀγποδεῖ "1 τ᾿ τῶν δὲ λοιπῶ(ν φιλ)ο(σό) φω(ν) τοὺς ἀφ᾽ ἑτέ(ρας)
δι ιαίτρι β)ῆς οὐδ᾽ ἂν α(ὐτὸς λέ); γοι" ἱτο)ὺς δὲ ao ee:
Am Anfang (vv. 2—4) scheint zu stehen: der Philosoph
ist in schwierigen Lagen hilflos ohne den Rhetor. Ferner
(vv. 5—7) lehrt die daß die Leute den πολιτιχοὶ
γόμοι der Rhetoren gehorchen, nicht den idealen νόμοι der Phi-
losophen. Und was für ein Philosoph soll überhaupt zur
Staatsleitung berufen sein? Ariston könnte zur speziellen
Namhaftmachung einer Gattung von Philosophen gezwungen
höchstens nur den πολίιτιχὸς φιλόσοφος nennen; zwischen diesem
aber und dem πολιτιχὸς im gewöhnlichen Sinn besteht gar kein
Unterschied. Ein andrer Zweig des philosophischen Lehrbe-
triebs kommt hier ἀντ nicht in Betracht.
col. 109, l.... (En)rölpwv | δ)ύνα(μιν ἐσ)χηχότω(ν οὕ σ)περ
12 24) y 4) Ma AYYXIAN; ἀτυχίαν A || 13, 14]: A.
120) Ob die drei ersten λόγοι überhaupt speziell widerlegt wurden
ist ungewiß.
129) ac. ey Er λέγει.
121) vv. 2—5; 11171: A.
Aristonstudien. 545
(οἶδ)γα μὲν προσ(τάτας | δήμου, χαϑὸ) ἦν ἐνδε(χό) ὅμενον (π)όλεις
ὀρϑῶ(ς A) πεύϑ(υν)αν καὶ Tob(t)wv | (ο)ὐδ᾽ ἂν σοφὸς ἐπισταίτεῖν
δ)ύναιτο (βέλ)τιον. "AA? οἱ σοφοὶ πάλιν, (οὕς | :ὁπ)ρώτους προ-
ἱστα(μέ)νους (ὠγφελῆσαι τοσοῦ (τ). δήμους (λέγου)σιν οὔ τ᾽ οἴδα-
σιν ὅτι μέλ(λου σ)ιν ἀνεπίδεκτο(: | 15el)var völper... . 1238):
Philodem fährt hier in seiner Darlegung, daß der Philo-
soph als Staatslenker unmöglich sei, fort: „soweit ich aus der
Geschichte Beispiele von Rhetoren als führende Politiker kenne,
haben sie ihre Sache besser gemacht als ein σοφός es ver-
möchte. Denn was jene σοφοὶ betrifft, von denen die Philo-
sophen behaupten, sie hätten vor den Rhetoren dem Staat
gedient, so wissen sie nicht einmal, daß ihre Gesetze in einem
wirklichen Staat keinen Eingang finden könnten.
col. 110, 2 τ(ο)ὺς δὲ | (φιλογσόφους οὐδὲν δύ (να)σϑαι ταύ-
τας ὠφελεῖν" | ὅ(μη)δὲ μιμοῖντο τ(οὺς δρ)α πέτας ἀπὸ χαλο-
(χ)άιγα | (ϑίας) ἀλλὰ τὸν ἀπρόσ(ι)(τον) | ϑέντων αὑτοῖς (π)α(ρά-
δ)είγμα | , τὸν γε πολιτ(ι)κὸ(ν) δη ᾿“λονότι καὶ μεγ(α)λοπρε πῆ
χαὶ (μὴ) συνόν(τ)α τοῖς | δημαγωγοῖς, olÜ τε σ)υν]καταβαίνειν
τ(οῖς πλ)ή(ϑεσιὴ)ν εἰς λοιδορ(ία)ν κα(κὴν) | 1 ὥσπίερ ... .. 129).
Der erste Satz dieser Seite resumiert die These Philodems:
die Philosophen nützen den Staaten nichts. Das weitere be-
sagt: die Rhetoren sollen sich nicht die von Ariston fingier-
ten δραπέται ἀπὸ χαλοχάγαϑίας zum Muster nehmen, sondern
einen Staatsmann, der sich keinen zu nahe kommen läßt (ἀπρό-
σιτος) und sich fern hält von den Zänkereien der Demagogen.
Wenn dies geschieht — so mag Philodem auf der (völlig
unleserlichen) Seite 111 geendet haben — wird der ganze Streit
von Philosophie und Rhetorik um die Staatslenkung von selbst
aufhören.
Col. 112, nur bis zur Mitte beschrieben, ist die letzte Seite
des Papyrus!®®). Mit ihr schließt das Buch und wohl auch
das ganze Werk περὶ ῥητοριχῆς.
128) yy, 14; 8; 11—15]: M || 7] Neap.: YAAN: (ο)δ᾽ ἂν M; Sud-
haus: οὐδὲ ö|.
129) vy, 5, 7,8, 11—13]: M
180) Eine Schlußformel steht col. 112, 6—10. Lesung sehr unsicher:
(Inavög ἀπελαύσαμεν τῶν "Aplorwvog δογμάτων ἠξ)ιωμένων | ἐπιπλήξε(ως, ἢ)
ὅταν μὴ | περι(ῇστασϑί(αι) τὰς ἁμα(ρ) τίας αὐτῶν συνοίση(ι) | ἄλλοις, ἀντι(ρρ)ή-
σεως.
546 August Mayer,
Versuchen wir nunmehr kurz zusammenzufassen, was wir
aus Philodems Polemik für unsere Kenntnis von Aristons Schrift
gewinnen.
Hauptzweck von Aristons Buch ist der Nachweis, daß die
Vulgärrhetorik verwerflich ist; dagegen verdammt er weder
die Rhetorik an sich (falls sie sich in ihren Grenzen als bloß
formelle Fertigkeit hält), noch auch die Politik: der wahre
Leiter des Staates ist nämlich nicht der Rhetor, sondern der
Philosoph: zur Politik gehört mehr als die bloße formelle
Redegewandtheit (col. 72). Ariston stellt somit die Forderung
einer neuen Wissenschaft auf, der φιλοσοφιχή ῥητορικὴ, die es
bis jetzt noch nicht gibt (col. 71, 18). Er versteht darunter
philosophische Ausbildung in Politik und Ethik nebst der
(praktisch notwendigen) Redefertigkeit.
Die Verwerflichkeit der Vulgärrhetorik zeigt sich vor allem
darin, daß sie nur mit dem eixög, nicht mit zwingenden Be-
weisen operiert (col. 73). Außerdem schädigt sie (col. 75) ihre
Jünger in sittlicher Beziehung; auch der Versuch, die Rheto-
rik mit Hinweis auf ihren praktischen Nutzen zu verteidigen,
ist hinfällig (col. 76, 77).
Nur die Politik also kann den Anspruch erheben, von der
Stoa zur φιλοσοφία gerechnet zu werden, nicht aber die Vul-
gärrhetorik, die nur nach Volksgunst trachtet, und sich um
die eigentlichen politischen Aufgaben nicht kümmert (col. 78).
Der Satz der Stoa: νμόνος ὃ σοφὸς ῥητορεύσει“ ist zurückzu-
weisen ebenso wie die von der Stoa vorgeschriebene Rücksicht-
nahme auf die χοιναὶ ἔννοιαι (col. 79); denn Gemeinplätze sind
(col. 81) überhaupt völlig ungenügend: spezielle, selbst aus-
gearbeitete Beweise muß der Redner bringen.
Im folgenden (col. 83) kämpft Ariston gegen stoische Ar-
gumente für die Rhetorik (Lob und Tadel unbestrittenes Com-
petenzgebiet der Rhetorik; die Rede ist den Menschen allein
verliehen, daher der Wert der Rhetorik). Denn mit Unrecht
behaupten die Stoiker (col. 84), der Rhetor hätte eine ἰδία ὕλη,
an der der πολιτιχὸς keinen Anteil habe. Nicht einmal Lob
und Tadel kommt den εὐφωνότατοι allein zu.
Nun wird (col. 85) ausgeführt, daß weder im Gebiet des
iustum, noch des utile, noch des honestum der Rhetor alleiniger
Aristonstudien. Hu
Fachmann sei, und dann (col. 86—88) im einzelnen dargelest,
daß nichts von den Lehrvorschriften der Rhetorik (über pro-
oemium, narratio, argumentatio durch unkünstliche, logische
und pathetische Beweise) ihre spezielle ὕλη sei.
Es folgt (col. 89) der Satz, daß der Rhetor, um gegrün-
deten Anspruch auf allgemeine Geltung zu haben, erst seine
Kunst an sich selbst und seinen Nächsten erweisen müßte.
Im weitern stellt Ariston eine Vergleichung des πολιτικὸς
nach seinem Sinne und des Rhetors auf. Zunächst (col. 96)
ein Idealbild des πολιτικὸς ; der Rhetor jedoch (col. 97) kann
nur in der schlechtesten Staatsform, in der Demokratie, Ein-
fluß erlangen; tatsächlich ist er ohne den roArtıxög hilflos (col.
98). Ferner bringt nur der philosophische λόγος unumstöß-
liche Beweise (col. 102); ohne Philosophie ist an ein wirk-
liches politisches Leben im Staat nicht zu denken (col. 103).
Der λόγος des Rhetors dagegen ist als bloß formelle Fertig-
keit völlig nutzlos; Männer wie Perikles verdanken ihre Er-
folge nur ihrer politischen Einsicht, nicht dem bloßen λόγος
(col. 104, 105). Aber heutzutage ist den Philosophen die ihnen
gebührende Staatslenkung leider entrissen worden.
87.
Ich glaube somit nachgewiesen zu haben, daß Ariston von
Keos Verfasser einer Schrift gegen die Rhetorik war, deren
theoretische Leitsätze (Unwissenschaftlichkeit der Vulgärrhe-
torik und Superiorität der Philosophie) sich aus dem von uns
behandelten Teil des philodemeischen Werks rekonstruieren
lassen, während die eigentliche Invektive gegen die Rhetoren
in Plutarchs πολιτικὰ παραγγέλματα benutzt ist.
Was nun den Buchtitel πρὸς τοὺς ῥήτορας anlangt, der
im Verzeichnis der Schriften des Ariston von Chios vorkommt,
so läßt es sich m. E. wahrscheinlich machen, daß nur der
Peripatetiker nicht auch der Stoiker gegen
die Rhetorik geschrieben hat und also mindestens dieser eine
Titel — ohne daß wir uns deshalb auf das angebliche Panai-
tionurteil zu berufen brauchen — irrtümlich in den bei Dio-
genes überlieferten Katalog geraten ist.
In dem bei Sudhaus fünften Buch seines Werks περὶ ῥη-
548 August Mayer,
τοριχῆς (Papyrus 1669; Voll. Herc. coll. prior V fol. 1ff.;
vol. I 225 ff. Sudh. vgl. dazu: W. Schneidewin, Studia Phi-
lodemea, Göttinger Diss. 1905) bekämpft Philodem einen ano-
nymen ἐγχωμιαστὴς der Rhetorik, unter dessen Argumenten sich
solche finden, die in überraschender Weise mit den bekannten
Aussprüchen des Chiers gegen die Dialektik stimmen,
Es läßt sich nämlich nachweisen, daß der von Philodem
bekämpfte Autor der kyrenäischen Schule angehört; die Be-
rührung dieser Kyrenäers mit dem Chier Ariston — wir wol-
len zunächst unentschieden lassen, auf wessen Seite die Ent-
lehnung liegt — ist ein neuer Beweis dafür, daß von diesem
merkwürdigen „Stoiker* nicht nur zum Kynismus sondern
auch zur kyrenäischen Schule Fäden hinüberführen 131), die, wie
wir gleich sehen werden, bis auf Aristipp zurückreichen.
Da aber die Stellung dieses Kreises eine der Rhetorik
keineswegs feindliche war 155) — begegnet uns doch hier bei
Philodem ein hedonischer Verteidiger der Rhetorik — so ist
damit (das Verhältnis Aristons zu dem Anonymus des Philo-
dem möge sein wie immer) zugleich bewiesen, daß der Chier
wohl gegen die Dialektiker geschrieben hat, aber unmöglich
πρὸς τοὺς ῥήτορας geschrieben haben kann.
Wir müssen nun zuerst Philodems „Verteidiger der Rhe-
torik“ dem Leser etwas näher bringen, wobei wir das philo-
131) Daß Ariston von Chios ein „nach bioneischer Art hedonisch
gefärbter Kyniker war“ (Hense, Rh. Mus. 45, 545) geht nicht nur aus
dem Urteil des Eratosthenes bei Athen. 281 C hervor, sondern auch aus
seinen unleugbar engen Beziehungen zu Bion, dessen geistiges Gesicht
eben hauptsächlich durch die zwei — nur scheinbar (vgl. Zeller II*,
1,372) so grundverschiedenen — Richtungen Kynismus und Hedonis-
mus bestimmt wird; daß auch der Chier Biovog ζηλωτής war, hat zuerst
Weber Lpz. Stud. X 186 richtig hervorgehoben (wegen des bei Diog.
Laert. VII 160 wiederkehrenden bioneischen Schauspielerbildes) und
Heinze Rh. Mus. 45, 513 f. mit neuen Gründen gestützt. Die Beziehungen
zwischen Bion und Ariston führt aber weiter (über Theodoros Bions
Lehrer) zu Aristipp; ist ja doch das Dialektik und Physik abweisende
Bild von den Freiern der Penelope für Aristipp, Bion und Ariston be-
zeugt (D. L. II 79; Ps.-Plut. de lib. ed. p. 7D; Stob. ἴον. IV 110).
132) Arnim (Dio von Prusa 27) nimmt mit Recht für Aristipp eine
Art von rhetorischem Lehrcursus an; gieng er doch (Diog. Laert. II 65
und 92) auf das εὖ λέγειν und das δύνασθαι πᾶσι ϑαρρούντως ὁμιλεῖν aus.
Diese sophistische Unterweisung im εὖ λέγειν ruhte natürlich auf der
ethischen Prineipienlehre. Zum Standpunkt des Aristipp in der Rhe-
torikfrage vgl. auch Diog. Laert. Il 72: ὀνειδιζόμενός ποτε ὅτι δίκην ἔχων
ἐμισθώσατο ῥήτορα „nal "ap" ἔφη“ ὅταν δεῖπνον ἔχω μάγειρον μισϑοῦμαι.
„
Aristonstudien. 549
demeische Material keineswegs erschöpfen sondern bloß auf
den Hedonismus des Autors und seine Berührungen mit Ari-
ston von Chios hinweisen wollen.
Bereits aus den Fragmenten des fortlaufenden Papyrus
1669 (es sind dies die Ueberbleibsel des zum größten Teil
untergegangenen ersten Teiles des Papyrus) wird klar, daß
Philodem, der hier umgekehrt wie in dem von uns behandelten
Buch den Verteidiger der Philosophie (natürlich der epikurei-
schen) spielt '??), gegen einen Gegner kämpft, der vor allem
die praktische Notwendigkeit der Rhetorik
betonte:
fr. I (Sudhaus I 225): χαὶ (δι ἄ(λ)λων | ὅ (πογλλῶν προ-
τρέψεται 194) | μεταχειρίζε(ιν) χαὶ τὸν μὴ | φιλοσοφοῦν(τα) καὶ
τά χα λυσι(τ)ελέσ(τε)ρον τοῦζτον» | (τοῦ) ῥητορεύει(ν) πρὸς ἐπί!-
τοδειξ(ιν) καὶ μάλ(ηστα τοῦ | σοφιστικῶς (εἴ) δὲ φιλοσόφω(ς,
τ)ίνα (τρό)πον | ὑπ᾽ α(ὐτ)ῆς εὐϑ(ὺ)ς πενίας | δυν(ή)σεται τάπίει)-
γοῦ ᾿ὅσϑαι; χτλ.
Der Gegner Philodems hatte also behauptet, daß wer auf
praktische Betätigung als Rhetor verzichtet und die epikurei-
sche Weltflucht wählt εὐθὺς ὑπ᾽ αὐτῆς πενίας ταπεινωϑύήσεται.
In fr. II stellt Philodem dem πραγματοχόπος, dem Rhetor
der ὅλον τὸν βίον ϑωπεύειν ὑπομένει, den freien Weisen ent-
gegen, der μηδὲ βασιλεῦσιν ἐντυγχάνει μηδὲ δήμοις. Dort heißt
es v. 16: (AA)A& μ(ὴην) nal τὴὸ | φάσ(χειν) τοῖς εὐ(ημεροῦσι)ν |
ἀναγχ(αξγαν (εἶναι τὴν ῥη) τοριχὴ(ν . . . ... Der Verteidiger der
Rhetorik behauptet also nicht nur dem Mittellosen sondern
auch dem Reichen sei die Rhetorik nötig.
Wir gehen — da von den Fragmenten sonst nichts ver-
ständlich ist — auf die fortlaufenden Seiten über (Sudh. I
231 ff.).
In col. 2 ist hervorzuheben: v. 9: „x«i τοῖς tu|10(p&v)volts
ὡ)μοίωσε τοὺς | ῥήτορας“. Dies tat der Gegner Philodems
selbstverständlich in lobendem Sinne: „die Rhetoren setzen
ihren Willen durch wie Tyrannen“. Dies geht hervor aus
188) Der Widerspruch ist nicht gar so arg, wenn man bedenkt, daß
Ariston von Keos der Philosophie die Staatsleitung vindicieren wollte,
während dieser Gegner Philodems sie nicht einmal in ihrer Weltflucht
in Ruhe läßt,
134) sc.: der epikureische Philosoph.
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 36
550 August Mayer,
dem, einem andern Papyrus (1078 + 1080), der aber sicher
auch zu diesem Buch gehört, entstammenden Fragment bei
Sudhaus Π 151: (v. 6) (μοί ως δ᾽ οὐ νομί(ίζω, | διότι ἃ β)ούλ-
oyraı πάντα | (περαίνογυσιν οἵ μέγισ(τοι τῶν) ῥητόρων, ἀλλὰ
10 (οὐδ᾽ ἐν ταῖς) ἰδίαις πόλεσιν | (ἔχουσι)ν ἅπαντα ταῦ (τα" τύ)ραν-
νοι γὰρ ἂν ἦσαν | (οὕτως, ἐπ)ειδὴ καὶ τύ(ραννος) Sbvaralı μό᾽-
15,05 ἕχαστο)ν ποιεῖν, (ὃ ϑέ λει Ev τῇ π)όλει etc.
Ein neuer λόγος des Verteidigers der Rhetorik begegnet
col. 3. Toför)o γὰρ | (ὅτι παρέ)ϑηχεν οὕτως | (ἔχειν) ἐστὶν
ὡς πανα | (πιστόγτατον τὸ ,τὸν ἔμ" (πειρον κα)ὶ τῶν τοιούτων |
(μη)δέπ(οτ)ε ἂν (γ)ενήσε (σϑιαι χκαλ)ὸν χἀγαϑόν, εὖ (δαιμ)ονίαν δὲ
δὴ μη (δενὲὶ περ)ι(π)οήσειν ἀλλὰ | 10 (μηδ᾽ ἐθελ)ήσειν, εἰ μὴ τὰν
ἡ (μιμαν)ῆ καὶ καχοδαίμ(ο)γνζαδΣ | (πάνγτως “ folgt Philodems Er-
widerung.
Unser Anonymus scheint hier zu behaupten: selbst zuge-
geben die Epikuräer verstünden alles, was sie sich anmaaßen,
können sie uns doch nicht zum Glück führen, und darauf allein
konmt es an.
Nachdem Philodem (col. 4 und 5) epikureische und rhe-
torische προαίρεσις τοῦ βίον verglichen hat, folgt col. 5, 15 ein
neuer λόγος des Gegners: ἀλλὰ [μὴν χαὶ περὶ τοῦ προ(ΐε) oda:
τοὺς μὴ ῥήτορας | suno(p)avrars πότερ(ον) .. .. (das übrige un-
klar). Soviel ist sicher, daß der Gegner gesagt hat: „ohne
die Rhetorik ist man schutzlos den Sykophanten preisgegeben “.
Dieser λόγος setzt sich in col. 6 fort: , (ἀλλὰ τὴν ῥητο) ρ(ιχ)ὴν
ὥσπερ (π)ύ(ργ)ον | (πε)ριβάλλεσϑ(αι)5 τῆς οὐ σ(ῇας“. Worauf
dann Philodem antwortet: der Arme braucht nach des Gegners
eigenen Worten die Rhetorik nicht; besser arm als Rhetor; der
reiche Kephenides („Drohnerich“) ist nicht nur Geldquelle für
Sykophanten sondern auch für Sklaven, Huren, Schmeichler 135)
und Wahrsager 15). In col. 7 führt Philodem gegen die Rhe-
toren ihre offen eingestandene ἀδυναμία τοῦ φιλοποιεῖσϑ'αι τοὺς
πολλοὺς ins Feld: τὸν γὰρ Bilov οἷον ἀ(ν)ϑ' οἵου mpol!%Expıvav,
ἐ(πεὶ τὸν αἱ)ρού μενον ο(ὐδ᾽ ἔχειν ἀ)ποϊτελέσμα(τά φασιν); darauf
00]. 8 wieder ein Lob der Epikuräer, die sich über ihre even-
135) Zur Ergänzung vgl. Schneidewin p. 9.
186) Eine köstliche Stelle, deren Ursprung wohl in der kynischen
Diatribe zu suchen ist.
Aristonstudien. 551
tuellen Mißerfolge nicht zu ärgern brauchen, weil sie τοῖς
ὀλίγοις ἀρέσχοντα λέγειν αἱροῦνται.
Also der Gegner Philodems hat bisher behauptet: zum
Lebensglück führt Rhetorik, nicht philosophische Weltflucht:
der Arme braucht praktische Betätigung zum Leben, der
Reiche um seine Habe gegen Sykophanten zu verteidigen.
„Rhetorik ist Macht!“
Wie man sieht, sind dies Gedanken, die sich trefflich zu
der Stellung fügen, die etwa Aristipp der Rhetorik in seinem
Lehrgebäude eingeräumt haben wird. Neu ist hier nur die
Spitze gegen die Philosophie, die sich natürlich nur daraus
erklärt, daß der Autor seine Angriffe gegen den durch die
Epikuräer neugestalteten Hedonismus richtet.
Von col. 9 an beginnt die Spezialisierung dieses Angriffs
auf die Dialektik, die uns hier besonders interessiert:
00]. 9, 1: (οὐ μὴν ἀλλὰ) νῦν καὶ τοῦτ᾽ ἔδοξε χ(α) ταριϑιμεῖν
ἐν τοῖς ἐγχ(ω) μίοις τῆς ῥητορικῆς τὸ | ὅ, πελαγίζειν“ς ἐν τοῖς
λόγους, τοὺς δὲ βρ(αχ)εῖς ἀϊποδοχιμάζειν, καϑ'ά πε(ρ) τὰ (π)λοιάρια
τὰ μὴ | δυ(νγάμ(ε)να τῆς γῆς all'nalipe)ıv, ὡς οὐϑὲν διαιπρα(τ)-
τομένους λαμπρόν. Der Anonymus schreibt also den Rhetoren
den „reichen Fluß der Rede“ zu und tadelt dagegen die βρα-
χεῖς mit einem Homoioma: sie sind wie die kleinen Schiffchen,
die nicht imstande sind vom Ufer abzustoßen. Diese βραχεῖς
müssen also die Philosophen sein, und von diesen paßt dieser
Tadel offenbar am besten auf die Dialektiker'?”) Die-
ser Umstand und das Homoioma lassen uns gleich an den
Chier Ariston denken.
Im folgenden (col. 11, 15) scheint ein λόγος des Gegners
ausgefallen zu sein, der es als schmählich bezeichnete sich
137) Dies geht auch aus Philodems Widerlegung hervor; nachdem
er ausgeführt hat, daß, wenn das ,πελαγίζειν“ maßlosen Wortschwall
bedeute, die Rhetoren sich damit etwas närrisches zuschreiben, wenn
es aber Redeflulß am rechten Ort bezeichnen solle, diese Fähigkeit nicht
den Rhetoren allein zukomme, heißt es weiter col. 10, 27: (διόπ)ερ ἐοί-
χ(α) σι (παρὰ τῶν) φιλοσόφ(ων | Enaysatar το)ὺς δι᾽ (ἐ ργω(τήσεως κχ)αὶ ἀ(πο) -
χρίσίεως λόγους᾽ ὡ)ς ϑαῦί(μα) | δὲ σεμ(νύν)ουσιν, οὗ (τὸ) | γένος ἀ(πο)δοκχιμ(άλ) -
ζουσι. . . « 60]. 11, 8 5 δὲ | συνζητητικ(ὸς) τρόπος | καὶ τὰ πολλὰ τ(ο)ῦ τοιοῦ -
τοῦ προσδεῖτ(α). χαρακτῆρος ἀλλ᾽ (οὗτος μὲν) | παρὰ τοῖς ῥή(τορσιν &)v | κρί-
νετίαι δ) τρ(όπ)ος οὐ δκ ἐν τοῖς δικαστηρίοις μόνον ἀλλὰ χ(ἀ)ν ταῖς ἐχ-
χλησίαις.
36 *
552 August Mayer,
nicht selbst verteidigen zu können und auf einen προστάτης
angewiesen zu sein, der oft tief unter seinem Klienten stehe;
dies scheint aus dem erhaltenen Rest von Philodems Entgeg-
nung hervorzugehn (v. 20): (χρὴ δὲ τ)ὸν συ(ν) (ἡγορο)ν τοῦ
(πλου)σίου λέγειν | (οὐ πρ)οσ(τ)άτην ὡς τῶν μετοίκων, ἄλλ᾽, εἴ
μὲν ἀστεῖος εἴη φίλον, εἴ δ᾽ ἥττων | “5 ἢ κατὰ τὸν τοιοῦτον 139),
πρόϊχυνα᾽ διόπερ οὐδ᾽ ἄν τι(ς) | εἴπαι τὸν οὕτω πλού(σι) ον οὐκ
ἔχειν χ(ατ)αφ(υγὴν); | εἰ καὶ (μ)ὴ ῥητ(ορεύοι ἀλ) 59λὰ πολὺ βε(λ-
τίον). Οὐ δεῖ | (δ) ὠχυ(ρ)ῶσϑαι περιφράϊγμασιν ἀλλὰ (ἐλευϑὴε -
ροῖ σε λύτρων λ(ο)γογραφικῶν οὐ δοῦ(λονν..... .) d. h. wer
ein Freier ist wie der Weise, braucht sich die Freiheit nicht
erst durch den Beistand eines Logographen verschaffen zu
lassen. |
In col. 12 ist nochmals die Rede von λόγος δι᾿ ἐρωτήσεως
χαὶ ἀποχρίσεως, mit dessen Kenntnis sich die Rhetoren zu
Unrecht brüsten, da nicht sie sondern die Philosophen ihn er-
funden haben. i
Ein neuer λόγος des Kyrenäers steht col. 18: wir wollen
die Jugend von Weltfremder Spekulation weg und zum Leben
zurückleiten (vgl. zur Ergänzung Schneidewin a. a. Ὁ. 12):
(ὅτι βούλονται τοὺς νέους καταλιπόντας τὰ) ϑεωρή(μα)τ᾽ αὐτῶν 139)
ἐχ(λύ) ονταὰ τῆς ἀνθρωπίνης | διαίτης ἐπὶ τὴν ὁδὸν | τοῦ βίου τὴν
φέρουσαν | ὄντως εἰς πόλιν χαὶ ἀγοράν, ὅπου πάντ᾽ ἐστι τὰ
πρὸς τὸ ζῆν, ἐπανάγειν | ἣν αὐτοὶ (π)ορεύονται. Hier spricht
offenbar das hedonische Weltkind, das sich nur auf dem „Pfade
des Lebens“, d. h. auf dem Marktplatz mitten unter Menschen
wohlfühlt.
Ferner hat unser Anonymus ebenso wie die Dialektik die
Geometrie, als bloße Spielerei für müßige Stunden, verworfen.
Denn es schließt sich an (v. 8): Κα᾽ταγελάστως μὲν τὴν |
10 γεωμετρίαν ἡδονῆς | Hal κόσμου παρασχευ)αστικὴν εἶναι Acyou|-
av’ οὐ μὴν ἡμεῖς γε πάν᾽τὰ τὸν βίον εἰς τα(ύ)την | 1ὅ κατατί-
ϑεσθαι λ(έγο)με(ν)" | πῶς δ᾽ οὐδὲ βα(ιὸν) αὐϊτοῦ 149) φιλοσοφία
(ἕξει μ)έρος χτλ.
Im weitern weist dann Philodem auf die praktische Wich-
138) 1), h. sittlich schlechter als sein Klient.
139) Gemeint sind wie aus dem folg. hervorgeht die γεωμέτραι.
140) sc.: τοῦ βίου.
Aristonstudien. 558
tigkeit des ἠϑικὸς τόπος der Philosophie hin: somit haben die
Sophisten mit ihrem Bild der Lebensfremdheit sich selbst ge-
zeichnet: denn ihre Deklamationen sind es, denen der prakti-
sche Wert abgeht! Somit (col. 14, 4) ist es nur natürlich,
wenn man politische und sophistische Rhetorik ganz verwirft.
Ein neuer λόγος beginnt col. 14, 13: Καὶ τὰ | συνεχῆ δὲ
τούτοις εἴτε | 15. περὶ τῶν SrLadexrtıx(ö)v | ἐλέ(γ)ετο,
πρὸς ἡμᾶς (οὐ) ἦν, εἴτε περὶ ἡμ(ῶν), | ἐφληναφᾶτο, διότι (p)ao|-
χόντων 11) ἀχριβεῖς (ποιεῖ) 29σϑί(α). λόγ(ου)ς, οἵου(ς οὐ)κ &(v) |
οἱ ῥδήτορ(ε)ς δύνα(ιντ᾽ ἀντεπ᾿άγε)ιν ἅ(τε) καὶ διὰ τῶν | (εἰχ)ότ(ων)
τοὺς λόγου(ς) συν (τιϑ)έντ(ες), δια(τελοῦ)σι | 2? (λ)έγοντες ὡς
χαὶ τῶν || (ξζραχνίων ἀκριβέστείρον ὑφασμένων
ἤπερ τῶν ἱματίων οὐχ Exeilva χρείττω — χρώ-
μεϑα | 39 γὰρ τούτοις — οὕτω χαὶ τὴν | τῶν φιλοσόφων ἀχρί -
Berav ἄχρηστον εἰς τὸν | βίον εἶναι διὰ τὸ μηδέϊπως β(ουλ)ευομέ-
col. 15
vo(us) | 35 καὶ τί(ὸ εὔχαι)ρον αἱρ(ο)γυϊμένους τοῖς συλλογισ μο)ῖς
ἀλλὰ Tolis εἰχ)ό(σι) | χρῆσϑαι χαὶ τ(ο)ῖς εὐλόγγοις.
Unsere Vermutung, daß in col. 9 der Vorwurf „nicht
vom Land abstoßen zu können“ ein gegen die Dialektiker ge-
richtetes Homoioma des Ariston von Chios sei, bestätigt sich
hier in erwünschter Weise; wir lesen nämlich bei Stobaeus
ecl. II p. 24, 8W (fr. 391 Arnim): ᾿Αρίστωνος ' ᾿Αρίστων τοὺς
λόγους τῶν διαλεχτικῶν εἴχαζεν τοῖς τῶν ἀραχνίων ὑφάσμασιν
οὐδὲν μὲν χρησίμοις λίαν δὲ τεχνιχοῖς ζοὖσι». Wir sehen also,
daß unser Anonymus ebenso wie Ariston die Dialektik an-
greift 145), ἃ. ἢ. in Bildern, von denen eines sogar bei beiden
wörtlich übereinstimmt.
Bei der kyrenäischen Färbung unseres Schriftstellers und
Aristons Beziehungen zu Aristipp ist diese Tatsache leicht er-
klärlich. Es entsteht aber natürlich die Frage, wem die
Priorität gebührt. Liegt hier vielleicht als gemeinsame Quelle
ein alter Kyrenaiker vor, aus dem unser Anonymus direkt
schöpft und dem auch Ariston seine Bilder ebenso verdankt,
11) βρι; τῶν διαλεχτικῶν.
142) Das Bild von den Spinnweben stammt sicher aus den im Dio-
geneskatalog erwähnten drei Büchern πρὸς τοὺς διαλεκχτυκοὺς, ebenso wie
die drei folgenden Fragmente (392—394; Stob. ecl. II p. 22, 22; 23, 15;
24, 12 W) die Vergleichungen der Dialektik mit dem Krebsenessen, dem
Nießwurz und dem Straßenkoth.
54 August Mayer,
OT
wie das flor. IV 110 (IV 109 Hense) excerpierte Bild von den
Freiern der Penelope dem Aristipp (Diog. Laert. II 79), bezw.
dem Bion? (Plut. de lib. ed. p. 7.0) oder ist unser Anonymus
selbst Aristons Quelle !*?)? oder schöpft er umgekehrt aus Ari-
stons Schrift gegen die Dialektik ?
Ich glaube niemand wird sich anders entscheiden als für
die letzte Möglichkeit: denn daß hier die λόγοι des Ariston
insekundärer Verwendung vorliegen, geht aus fol-
gender Erwägung hervor: es mußte doch offenbar der erste
Schritt sein, die Dialektik zu bekämpfen und dann erst konnte
der zweite gemacht werden, diesen Angriff auf die ganze Phi-
losophie auszudehnen und zur Verteidigung der Rhetorik zu
benützen. Mit andern Worten: Aristons Bilder sind für eine
Spezialschrift gegen die Dialektik ausgedacht, nicht für ein
Buch, das sich wie das des Anonymus ein viel weiteres Ziel
(den Angriff auf Epikur) setzt 13). Aus diesem Grunde müs-
sen wir auch die erste Möglichkeit, daß der Anonymus und
Ariston aus gemeinsamer (Quelle schöpfen, ausschließen.
Daß aber ein kyrenäischer ἐγχωμιαστὴς der Rhetorik Ari-
stons Werk πρὸς τοὺς διαλεχτικοὺς benutzen konnte, lehrt uns,
daß Ariston gerade in seiner Stellung zu den ein-
zelnen Wissenschaften — was ja schon die Ab-
hängigkeit von Aristipp und Bion im Gleichnis von den Freiern
der Penelope beweist, das ja auf Abweisung von Physik und
Dialektik 145) hinausläuft — ganz Kyrenäer war, da-
her unmöglich die Rhetorik angreifen konnte
143) Der Versuch, unsern Anonymus einfach mit dem Chier zu iden-
tifizieren, ist wohl von vorneherein abzuweisen.
144) Scheint ja aus Philodems Worten col. 14, 14 εἴτε περὶ τῶν δια-
λεχτικῶν ἐλέγετο... εἴτε περὶ ἡμῶν (sc. ᾿Επικουρείων) hervorzugehn, daß
die urspr. Beziehung auf die Dialektik beim Anonymus gar nicht mehr
ersichtlich war, Außerdem ist es keineswegs geschickt mit antidialek-
tischen Argumenten gerade den Epikureismus zu bekämpfen. Alles
spricht mithin dafür, daß jene ὁμοιώματα nicht für den Gedankenkreis
des Anonymus erfunden worden sind.
145) Daß eine solche Abweisung der Dialektik und Physik auch
kynisch ist (Belege bei Zeller II* 1 p. 289 A 2) ist wohl zuzugeben.
Aber daß Ariston hier von Aristipp abhängt, nicht von dem auch die
Rhetorik verwerfenden Kynismus, beweist eben die Herübernahme des
Bildes. Was Kießling (Greifswalder Progr. Winter 1887/8 p. Vf.) aus-
führt, um das Zeugnis des Stobaeus IV 110 zu verdächtigen, ist gänz-
lich haltlos.
Aristonstudien. 555
(was natürlich für einen reinen Stoiker ganz gut möglich wäre);
wie wäre auch sonst unser rhetorfreundlicher Anonymus dazu
gekommen, gerade in einem Werk des Chiers sich Waffen zur
Verteidigung der Rhetorik zu holen? Es ist also sicher, daß
das Buch πρὸς τοὺς ῥήτορας tatsächlich — wie vielleicht schon
Panaitios bemerkte — aus den Schriften des Keers unter die
des Chiers geraten ist.
Aus einem weitern Blick auf Philodem ersehen wir, daß
unser Anonymus nicht nur das Spinnwebengleichnis und das
von den kleinen Schiffchen (col. 9) der Schrift des Chiers
entnommen hat, sondern ihr auch weiter folgte; denn nach
einer col. 15 und 16 füllenden Auseinandersetzung über rhe-
torische und philosophische Argumentation heißt es col. 17,11
mit Beziehung auf unsern Anonymus: ὃ δ᾽ εἶχα σίαν τοῖς οὕτως
ἐσί(τ)ηϊκόσιν προσφέρων ὑπερβολὴν ἠλιϑιότητος | 15 οὐκ ἀπο-
λέληιπεν : ὧν | ο(ὕγτως ἐχόντων ἐξύ]ϑ(λ)ηται τὰ περὶ τῶν dpal-
χνίυν καὶ τῶν τρὺυ π ά (ν) ὦ ν καὶ (π)ρ ὁ (ν) ὦ ν olis | τοὺς)
χέγχρωης nal τὰ (ὅμιοι)α (κ)ε(ν)τῶσι καὶ δῴ(ιασχί ζου)σι zur Er-
gänzung vgl. Schneidewin S. 14 und Sudhaus Bph. W. 1907
Sp. 147). Ariston scheint also die Dialektiker auch mit
zu feinen Sägen und Bohrern verglichen zu haben; denn
der Analoge halber dürfen wir wohl auch diese Homoiomata
auf ihn zurickführen, zumal sie mit dem sicher dem Chier
gehörigen Spnnwebenbild zusammengenannt werden. — Ein
weiteres Hom6oma des Ariston gegen die Dialektik werden wir
00]. 18, 32 erknnen 14%): χαϑάπερ οὔτε παίγίσι | λεπτο)τέραις
ἔστ(ι) ϑηρεύ (ειν Y)bvvov οὔ(τε τὴ)οῖς τού δ5(του) δικτύοις ἀ(φύ)ας,
οὔ (τως) οὐδὲ τὰς τῶν φιλ)οϊ(σόφων λεπτολογίας) col. 19 περαίί-
νεσϑ) αἱ τὰ πρὸς τὸ; πράξεις ἐν | ταῖς ἐρωτήσεσιν᾽ Καὶ τὸ | πρὸς
ϑεοὺς πεποιηκέναι | (τ)οῦτο, οἰ) ὀμνύειν Aeloyeı...... Das heißt also:
Philodems Gegner behauptet, a,ß die Götter, bei denen zu schwören der
Redner angibt, ihm auch den nhalt seines Eides angeben.
5506 August Mayer,
τὸν ϑαυμάζοντα | πῶς ἐν μὲν τοῖς σχοτειϊνοῖς χαὶ δυσχόλοις
δύνανται διαβλέπειν, τὰ δ᾽ ἐμίμέσωι μὴ δύνασϑαι, τὰ | γινόμενα
περὶ τὰ(ς) 1" γλαῦχας τιϑέναι (sc. ἄτοπόν ἐστιν) .... wie Ari-
ston die Dialektiker mit allzufeinen Netzen verglichen hat, die
nur zum Sardellenfang taugen, für Thunfische aber unbrauch-
bar sind, so hat er, der Unerschöpfliche, sie wohl auch wegen
ihrer Fähigkeit in Spitzfindigkeiten klar zu sehn, die sie bei
einfachen Dingen verlasse, mit Eulen verglichen, die am Tage
blind sind.
Im folgenden läßt sich Philodem über die Dummheit
seines Gegners aus (col. 10, 10—35), wobei er noch kurz den
Vergleich mit den Thunfischnetzen und den Eulen streift.
Dann aber (col. 19, 35) beginnt ein ganz neuer Gedanken-
zusammenhang, den wir hier nur deshalb in Betracht ziehen,
um die Zugehörigkeit unseres Anonymus zur kyrenäischen
Schule zu erhärten:
Kal τὰ συν(εχ)ῆ δὲ | τούὐτ(οι)ῖς περὶ τ(οῦ τινα φύϊσα μὲν
αἰσχρὰ καὶ ἄδικα col. 20 δοχεῖν εἶναι (ὅμως δ ἄδικα παρὰ τὰ
δοξαϊζόμενα πρὸς τῶν πολ]λῶν οὖχ εἶναι, τοὺς δ᾽ δ᾽) “πολαμῥάνοντας
(ὡ)μοιϊῶσϑιαι τοῖς καταφρονοῦσι τῶν νομισμάτων, | οἷς χρώμεϑα,
ζητοῦσι | δ᾽ ἕτερα, χἂν ἐξῆι δ᾽ ἄλ!!λα κατανοῆσαι τὶν ζή τησιν
αὐτῶν οὐδὲν ζἧττον suppl. Schwartz) ἄ χρηστον εἶναι΄ χρήσαϊσϑαι
γὰρ οὐχ οἷόν τε τοῖς ] εὑρεϑεῖσι διὰ τὸ μήτε 1δτὰς πόλεις Av
παραδέϊξασϑαι μήτ᾽ ἂν α(ὐ)τοὺς σώζεσϑα(") | παρὰ αὖτά τι | πρά-
ττοντας᾽ ὑπὸ δὲ | τῆς ῥητορικῆς οὐδέ[(τ)ερα πως /yveodar); zur
Ergänzung vgl. Schneidewin 25 Anm. 2.
Der Anonymus zeigt sich hier als Kyrnäer darin, daß
er gegen die kynische Weise sich in Widespruch mit Gesetz
und Sitte zu stellen ankämpft: in seinem Bild von den Mün-
zen scheint er direkt auf Diogenes’ Ausspnch (Diog. Laert. VI
20 und 71) vom παραχαράττειν τὸ νόμισια hinzuzielen.
Es folgt eine sehr zerstörte Stelle‘) (v. 19—24); wo
der Text wieder leserlich wird (v. 2) befinden wir uns in
Philodems Entgegnung, der hauptsächich darauf hinweist, daß
seine Schule (Epikureismus) mit den sittlichen npoArbers
der Volksmeinung übereinstimme un! sich von dieser nur περὶ
17) Sudhaus’ Ergänzung gibt keine‘ passenden Sinn; doch vgl. die
Restitution von Schneidewin S. 32,
Aristonstudien. 557
τῶν εἰς τὰς προλήψεις ἐναρμοττόντων (col. 21, 16) unterscheide;
in 60]. 22 sucht er nachzuweisen, daß es vielmehr die Politi-
ker sind, welche dem Volk statt seiner eigenen sittlichen An-
schauungen die ihrigen beibringen; ferner ist zu bemerken,
daß den Epikureern ihre sittliche Begriffe nicht nutzlos sind,
weil sie eben wahr sind und daher von der Uebereinstimmung
mit der Umwelt nicht abhängen (col. 23). Diese Diskussion setzt
sich über col. 24 (wo darauf hingewiesen wird, daß die Epikureer
die Landesgesetze achten, andernfalls aber das betreffende Land
verlassen) fort bis col. 25 (die Epikureer sind gesetzestreu u.
zw. sowohl öffentlich als im geheimen, mit freiem Willen und
standhaft; wäre die Rhetorik dies im Stande, so könnte man
wirklich von ihr sagen, daß sie allein zum Glücke führe, nicht
in den Gerichtssaal und in die Volksversammlung und damit
zu Schande und Elend).
Wo der Text lückenhaft wird (col. 25, 21) hat wohl ein
neuer λόγος des Gegners eingesetzt; Zeile 22—30 sind zerstört:
dort war offenbar vom Nutzen des Rhetorikstudiums die
Rede 145); sicher spricht im folgenden (v. 32) der kyrenäische
Anonymus: „ö γὰρ πείϑων τοὺς | ἀνθρώπους δόξει nal καλὸς
nal ἀγαϑὸς εἶναι, τού ὅτου ὃ᾽ ἕνεχα βού(λ)οντ᾽ eivalı) | καὶ φρό-
νγιμοι nal δίχκαιο(ι) | τοῦ γίνεσϑαί τι μεῖζον αὑτοῖς
παρ ἀνϑρώπων“. Eskommt also nur auf den Schein
der Tugend an und ihn erstreben die Menschen nicht „virtu-
tis amore* sondern um praktischer Vorteile willen. Daß hier
ein Hedoniker spricht, ist außer Zweifel 145).
So nehmen — heißt es im folgenden — die Menschen
die Tugend notgedrungen wie eine bittere Medizin (col. 25, 40)
col. 26
„a μὴ φ(άρ) μαχό(ν τι ἁπ)λοῦν 159) ἀγαϑι(ὸδὴν εἶναι δέξαιτ᾽ ἄν τις, el
δοχῶν | νοσεῖν ἀναγχά(ζ)οιτο τὰς | ϑεραπείας ὑπομένειν, μή ὅτι δή
γε τὴν ἀρετήν“. Indem, was sich ausschließt, redet wieder Philo-
dem: ᾿Αλλὰ | τούτων ἄχαιρος μὲν ἡ παιρεμβολὴ τοῦ μὴ διδακ -
148) ν, 80: μᾶλλον | ὠφελεῖσθαι δ(ιὰ) τὴν ῥητορικὴν ...
149) Vgl. Diog. Laert. Il 93: μηδὲν τε εἶναι φύσει δίκαιον ἢ χαλὸν N
αἰσχρὸν ἄλλὰ νόμῳ nal Eder" ὁ μέντοι σπουδαῖος οὐδὲν ἄτοπον πράξει διὰ
τὰς ἐπιχειμένας ζημίας χαὶ δόξας.
160) Der Sinn ist: wenn sich nicht einmal ein Kranker einreden
läßt, daß das bittere Simplex, das er doch zu Heilzwecken einnimmt,
etwas Gutes ist, so wird dies umsoweniger einer von der Tugend glauben.
558 August Mayer,
τὸν [εἶναι τὴν ἀρετήν. Der Kyrenäer hat also der Philoso-
phie ihre Berufung auf ihre Eigenschaft als Tugendlehre streitig
gemacht: die Tugend ist nur eudaimonistisch, nicht intellektua-
listisch abzuleiten. Philodem führt dagegen aus, daß die Ar-
gumentation des platonischen Protagoras (auf die sich die
Gegner offenbar beriefen) gerade gegen die Rhetorik beweist.
De große Lücke (col. 26, 20—80); danach (v. 31) spricht
wieder der Kyrenäer: , πλέον ὠφελῆ(σα). τὴν PrTopinnv τῶν
ἀπ᾿ αὐτῆς πείϑειν δυναμένων τοὺς ἀν ϑρώπους ὥς εἰσιν καλοὶ
8δ χἀγαϑιοί“. Also auch hier heißt es: der Nutzen der Rhe-
torik (ef. col. 25, 30) besteht darin, daß der Redner vor seinen
Zuhörern den Schein der Tugend gewinnt. Nun wieder
kurze Widerlegung (gerade der Rhetor erscheint verdächtig;
dann kann bloßer Schein nie Glück gewähren); im Anfang
von col. 27 redet wieder der Kyrenäer: „vn Al | ἀλλὰ διότι
τῆς μὴ πειϑούσης ἀληϑείας χρησιμωτέρ(α γ᾽ ἣ) .) κατὰ νόμον
ἄξιον | ΠΕ Pe: (Nauck FT@G? fr. 542) λέγοντι πιστεύ ειν͵, οὔ τοι
γόμισμα λευχὸς | ἄργυρος μόνον ἀλλὰ χαὶ | ἀρετὴ βροτοῖς “ 15?)
πολλὰ γοῦν | τῆι χρηστότητι καϑάπερ | 19 ἀργυρίωι χτῶνται“.
Das heißt also: unsere Tugendbegriffe sind konventionelle vopfo-
ματα und wie mit den wirklichen νομίσματα kaufen wir uns mit
unserer Tugend das Wohlergehen, auf das es alleinig ankommt.
Im folgenden erklärt Philodem — ohne auf die sehr an-
fechtbare Interpretation von Euripides’ Worten einzugehn —
es für unwürdig eines Philosophen die unbeweisbaren Behaup-
tungen des Dichters anzuführen.
Dann (col. 28) widerlegt Philodem einen λόγος des Kyre-
näers, der also gelautet haben muß: „Dem ἀρετηφόρος ἀνήρ
nützt ohne Rhetorik seine ganze Tugend nichts“ 155). Auf
181) Die Ergänzung von Schwartz bei Schneidewin ὃ. 60: ἣ κατὰ
νόμον ἀληϑεία -Ξ δόξα.
152) Die Verse (aus dem Oedipus) lauten vollständig (Stob. flor. 1, 8):
οὔ τοι νόμισμα λευχὸς un: μόνον
ὯΝ χρυσός ἐστιν ἀλλὰ χἀρετη βροτοῖς
νόμισμα χεῖται πᾶσιν, 7 τε χρεών.
158) Col. 28, 2: "Ap οὖν | οὐχὲ δὲ αβληῦεί ὶ)ς ἄρετηῷ ρό ρος ἀνὴρ καὶ r(e)i-
ὕειν ἄδυ δνατῶν τοὺς ἀνϑρώπους | οἷός ἐστι (sc. σωϑῆναι), κἂν τιμωρίας, | od%
ἐλέου χαὶ τιμῆς τύχοι; | τίς od φησίν; also: wahre Tugend kann nicht
verkannt werden; das Gegenteil wäre ein wahres Wunder, und χατὰ
ARE ῥητόρων λόγον darf man nur mit dem Wahrscheinlichen (εὔλογα)
rechnen.
|
|
|
Aristonstudien. 559
derselben Seite widerlegt Philodem noch die Behauptung, daß
die Rhetoren „aus der Not eine Tugend machen “ 152).
Der letzte λόγος des Gegners (col. 29) ist ein großes Lob
der Rhetorik: sie ist es, die uns gegen unsere persönlichen
Feinde hilft nicht die Tugend; col. 29, 2: ἑξῆς | δ᾽ εἰρηκότων,
ὡς ἀγ(ω)νιζοιμένων ἡμῶν οὐ πρὸς τοὺς | “ἔξω πολεμίους, ὑφ᾽ ὧν
τὸ | τελευτᾶν ἱερόν ἐστιν, ἀλλὰ | πρὸς τοὺς ἐντὸς τῶν τειχῶν, |
ὕφ᾽ ὧν αἴσχ(ι)στον, οὐκ ἐπὶ | τὴν ἀρετὴν ἣ κατάντησις | 1 --- οὐδὲ
γὰρ Σωκράτην ὠφέϊλησεν --- οὐδ᾽ ἐπὶ τὴν ἰατρι χὴν --- ἐξαιρεῖται
γὰρ ἐκ νόσων | οὐχ Ex δικαστηρίων --- οὐδ᾽ ἐπ᾽ ἄλλην τινὰ δύνα-
μιν, ἀλ]λ᾽ ἐπὶ τὴν δητορινχὴν οὐ περὶ τελευτῆς μόνον ἀγω νι-
ζομένοις βοηϑοῦσαζν» ἀλλὰ χαὶ περὶ χ(ρηγμάτων καὶ | ἀτιμία(ς
χαὶ φυ)γῆς᾽ οὐδὲ [30 γὰρ ἐξεῖν(αι τῶ)ι φιλοσόφωι | προ(δ)άλλ(:σ-.
Yaı) τὸ τὴν ἡσυχίαν (ὑπάρχειν χ)αὶ δικαί(ιο) | πρα(γίαν χαὶ) ἀσ-
φάί(λειαν | ἐχ)εί(νοις ὥσπ)ερ εἰς (ἀεὶ... ..). Bis zum Ende der
Seite ist der Text unverständlich; wo er wieder lesbar wird,
ist Philodem schon in der Entgegnung begriffen: col. 30, 8
od μὴν ἀλ|(λὰ) καὶ τὸν ἐκ τῶν ἀντιδίκων τοῖς αὐτοῖς ὅπλοις |,
ὡς παρεστήσαμεν, διὼω ϑούμεϑα. Er wendet sich nun speziell
gegen die Behauptung: „Sokrates hat seine Tugend nichts
genützt“ 1°) und gegen die Worte: „nur die Rhetorik kann
aus dem Gefängnis befrein nicht etwa die Arzneikunst“. In
col. 31 bekämpft er die Ansicht, es sei schmählich seinen
Widersachern zu unterliegen. Am Ende dieser Seite wird die,
auch dem Philosophen erlaubte, Anwendung der Ueberredungs-
kunst (wohltätige Wirkung in der Familie) angegeben. Dies
setzt sich fort col. 32, 2: ὥστ᾽ εἰ διὰ ταῦτα (ϑ)εὸς | (N π)ειϑὼ
ροσηχόντως | ἐ(νο)μίσ(ϑ)η διὰ τὴν φιλοσοφίαν ἀπεϑεώϑη.
Dann der Gedanke, daß die Uebel, die aus der schlechten An-
“
154) Philodem ironisiert hier den een Vergleich von der
Medizin: δοκχοῦσ(ι δὴὲ μεί (ζον)γας τῶν νοσ(ού)ντων (ὃ [30 πο)μένειν ϑεραπείας
(μὴ) | που γε τὴν ἀρετὴν (ἃ. h.: die Rhetoren „zwingen“ sich nie zur Tu-
gend) ἅ ἡσπείρ ) | οὐχὶ χαὶ ταύτης ἀληϑι(νῶς) ἀγαϑοῦ γαϑεστώσης ἢ | ϑερα-
πείας ἥπρθεωςς ὕσης (ἤσ 3δτηνος κα(χ)ίαν χα ταγνό(ν)τες, εἰ πολλοὶ ΠΡΒΟΦΈΒΘΗΙ σιν,
(„einnehmen“) 7 πα(ρ᾽) ὅλον (τ)ὸν βίον ταῦτα προσφερόντων (ἀλ)})λ᾽ οὐχ᾽ ἅπαξ.
155) Daß ein solches Problem in der kyrenaischen Schule behandelt
wurde, beweist der Ausspruch des Aristipp bei Diog. Laert. II 71 (wo
die Lösung allerdings erheblich „sokratischer“ lautet): πρὸς τὸν ὑπὲρ
αὐτοῦ λογογράφον Bora εἰπόντα χαὶ νικήσαντα ἔπειτα φάσκοντα πρὸς αὐτὸν
ΠΈΣ ΣΈ ΟΣ y N σε Σωκράτης} ἔφη τοῦτο. τοῦς Aö ὀγοὺς οὺς εἶπας ὑπὲρ
ἐμοῦ ἀληϑεῖς Ὑ τη
560 August Mayer,
wendung der Ueberredungskunst entstehen, nur der ῥητορικὴ
πειϑὼ (, ἀφ᾽ ἧς ἣν καὶ Πεισίστρατος“) zur Last fallen: zwi-
schen ihr und der philosophischen πειϑῶ ist ein gewaltiger
Unterschied.
Wir sind hiemit am Ende des Buches angelangt und
hoffen den Nachweis erbracht zu haben, daß hier wirklich ein
auf dem Boden kyrenäischer Weltanschauung stehender Autor
es ist, der — mit deutlicher Tendenz gegen die Weltflucht
der Epikureer — ausführt: daß zum glücklichen Leben viel-
mehr das πᾶσιν ϑαρρούντως ὁμιλεῖν Aristipps — mit andern
Worten die Rhetorik nötig sei: sie ist die wahre Macht in
der Welt und der gangbaren Tugendlehre weit vorzuziehen,
ebenso auch der unnützen Beschäftigung mit Geometrie und
Dialektik. Es ist zwecklos und schädlich neue sittliche Be-
griffe einführen zu wollen: man muß sich an die alten gang-
baren νομίσματα halten, ἃ. h. der σπουδαῖος wird, um Schaden
zu vermeiden, die sozialen Konventionen respektieren — etwas
anderes ist die ganze Tugend nicht; mithin ist sie auch nicht
lehrbar — den Schein der Tugend wird sich aber am besten
der Rhetor zu geben wissen (eben vermöge seiner Ueberredungs-
gabe) während Leute wie Sokrates sich nicht einmal ihrer
Haut zu wehren wissen.
Hoffentlich steht nun auch der zweite Teil unserer Be-
hauptung außer Zweifel: daß dieser Kyrenäer zu seinem An-
griff auf die Philosophie die Schrift des Chiers Ariston gegen
die Dialektik benützt.
Sehr verlockend wäre es nun natürlich, den merkwürdigen
Anonymus Philodemi mit dem Namen eines kyrenäischen Au-
tors zu schmücken. Dazu scheint sich auf den ersten Blick
Theodoros von Kyrene besonders zu eignen; erstens
weil er ebenso auf Bion von Einfluß war (vgl. Hense, Teletis
rell. proll. p. LXIV ff.), wie dieser auf Ariston von Chios (vgl.
Heinze a. a. Ὁ. p. 513 f.); zweitens weil er in Form eristischer
Fangschlüsse sich mit der Frage „el τέχνη ἣ ῥητοριχή“ be-
schäftigt hat !°%); außerdem würde sich auch sein weitgehen-
156) Mindestens drei λόγου des Theodoros von Kyrene hat Philodem
besprochen, u. zw. in dem nur fragmentarisch erhaltenen Teil des
II. Buchs, wo (jetzt wenigstens) Kritolaos den breitesten Raum ein-
Aristonstudien. 561
der ethischer Skeptizismus (Diog. Laert. II 99 ἢν; cf. Zeller
II* 1 5. 375) und die Auffassung der Sittengesetze als soziale
Konvention nicht übel zu den Anschauungen unsres Autors
fügen. Aber wir können die methodische Schwierigkeit nicht
überwinden, die darin läge, den Ariston ein Spezialwerk gegen
die Dialektik aus einem offenbar viel umfassenderen Werk des
Theodoros schöpfen zu lassen; außerdem scheint es nicht an-
gängig zu sein, schon dem Theodoros eine Bekämpfung des
(zu seiner Zeit erst im Entstehen begriffenen) Epikureismus
zuzutrauen. Ebensowenig Sinn hat es unter andern Namen
herumzuraten.
Wir wären hiemit eigentlich am Ende unserer Aufgabe,
deren greifbares Resultat zur Lösung der Aristonfrage nur
ein sehr bescheidenes ist: es befindet sich im Diogeneskatalog
mindestens eine Schrift, die nur dem Keer allein gehören kann,
das Buch πρὸς τοὺς ῥήτορας. Aber lehrreich ist es immerhin,
daß wir für einen solchen Nachweis auf die Autorität des
Panaitios verzichten konnten.
nimmt. Die Behandlung des Theodoros beginnt col. II p. 116 fr. IX:
ἐπεὶ δὲ | (τὰς πῦστεις ἀποϑεωρή (σαμεν) τοῦ φιλοσόφ(ου το)ύ (του, κατὰ τὸ)
ἀχόλου(ϑον) ἐγ ὃ (τρῖναλι δε(ῖ ) καὶ τὰς τοῦ | (Kupnv)aiov Θεωδόρου!
(περὶ τ)ῶν αὐτῶν, ὥς φη (σιν αὐ)τὸς, ἢ ρ ὦ τ μ έ(ν ἃς καὶ) πρῶτον ἣν καὶ]
10(αὐτὸς) πρώτην (ig) συν[(πάσης τι ἰϑεί(τ)αι πραγμα (τείας χ)αὶ χτλ. Dieser
„erste“ Fangschluß ist verloren; vom zweiten haben wir, wie leicht
nachzuweisen, zwei Fassungen (p. 90 fr. XVIII und p. 113 fr. IV); der-
selbe wird von Philodem p. 89 fr. XVII und p. 88 fr. XVI widerlegt.
In diesem letzteren Fragment schließt sich die Widerlegung des τρίτος
συλλογισμὸς an, von dem eine andere Fassung p. 88 fr. XV steht.
Der „zweite Schluß“ lautet (col. II p. 90): „(einsp ἀπα)τῶσιν οἵ ρή-
τορες | (καὶ αὐτοὶ sum ἀπατῶσιν | (ἀπατῶνται, ὥγ)σπερ οὐδ᾽ ἄλλοίς | γίνε-
ται ἐν) ὁράσει οὐδ᾽ ἀκού (σει εἰ γὰρ) ἄλλῳ συμβ ἐβη (κεν 7 ἀπ χαὶ αὐτὸς
ἄπατα "(ται οὐ μᾶλλ)ον τοίνυν ἀπατῶ (συν ἢ ἀπατῶ)νται,.“ Ganz ähnlich
die zweite Fassung wobei (p. 114, 11) der Name des Theodoros steht.
— Der dritte λόγος lautet (col. II p. 89): (καὶ) γὰρ ὁ (ν)οσ(ῶνν | "(οὐ-
ϑὲ)ν ἧττον ὑγιαίν(ει τοῦ Lar)pod τὰ er σολοι χίζ)γοντος ἢ βαρβα-
ρίζον, (τος) ἢ εἰ προστάττοι ῥη (τορι)κῶ)ς ᾿ οὐ γάρ τι δεῖ γραμματ(ικῴ)τερον λέγειν
τὸν , Διονύ (σου “ τὸ) πρῶτ(ον) γρά(μ)μα λέ (γοντα τοῦ) τὸ δεύτερον καὶ | (ἐφε-
Ei) τἄλλα... .“ (ähnlich p. 88 fr. XV). Es ist klar, daß aus diesen
Ausführungen nicht etwa geschlossen werden darf, daß Theodoros im
Gegensatz zu den übrigen Kyrenäern ein Gegner der Rhetorik war.
Hat er doch, wie Philodem sagt (col. II p. 116f.), diese Syllogismen
ausdrücklich selbst (ὡς φησιν αὐτὸς) als eristische Fangschlüsse („Npw-
τημένας “ bezeichnet, die also nicht ernst zu nehmen waren. — Aus
den oben ausgeschriebenen Worten der Stelle geht auch hervor, daß
sich aan mit der Rhetorik in einer eigenen πραγματεία. beschäf-
tigt hat
562 August Mayer,
Der Gang unserer Untersuchung brachte es ferner mit
sich, daß wir in einer andern „Aristonfrage“ nämlich in Be-
zug auf das Verhältnis zu Bion eine indirekte Bestätigung
des schon von Weber, Heinze und Giesecke gewonnenen Re-
sultates beibringen konnten 157): der Chier Ariston, der so greif-
bare Beziehungen zur kyrenäischen Schule hat, muß Βίωνος
ζηλωτής gewesen sein ebenso wie der Peripatetiker: denn an
dem Strabozeugnis möchte ich mit Hense (Tel. rell. Proll. LVI)
unbedingt (gegen Heinze und Giesecke) festhalten; es ergibt
sich auch hierin wieder die große (gut von P. Hartlich Leipz.
Stud. XI 274 betonte) Aehnlichkeit der beiden Schriftsteller,
die somit unter anderem auch darin bestanden hat, daß sich
beide nach bioneischer Weise der Gleichnisse bedienten.
Diese Erkenntnis ist natürlich von Wichtigkeit für den
einzigen etwa noch strittigen Punkt der „Aristonfrage“: die
Zuweisung der zweifelhaften Stellen 155) aus Plutarchs Mora-
lien: denn daß der „bioneische“ Charakter den Chier nicht
ausschließt, darf wohl mit Sicherheit ausgesprochen werden;
und so entfällt jeder Grund an der Autorschaft des Chiers für
die in Betracht kommenden Fragmente zu zweifeln.
Mit vollster Sicherheit läßt sich dies für die Stelle Amat.
c. 21 p. 766 F (fr. 390 Arnim) aussprechen, die eine eingehen-
dere Behandlung verdient.
157) Eine weitere Bestätigung dieser Ansicht soll sich aus dem fol-
genden ($ 8) ergeben: wir meinen den Nachweis, daß die in Plutarchs
Ἔρωτιχὸς benützten ἐρωτικαὶ διατριβαὶ des Chiers voll von bioneischen
Bildern sind.
15%) Ks erübrigen (außer der im folgenden ausführlich zu bespre-
chenden Stelle aus dem ’Epwrinög) folgende vier Citate: de exil. ὃ
p- 600 E (Arnim fr. 371), de tuenda sanitate praec. 20 p. 133 D (fr. 389),
de curiositate 4 p. 516 F (fr. 401), aqua an ignis utilior 12 p. 958 D
(fr. 408). Die dritte Stelle hat eine eingehende Behandlung durch
Hense erfahren, der (Rh. Mus. 45, 541—548) den Nachweis unternimmt,
daß „nicht weniges, vielleicht das beste“ (d. h. die bioneischen Bilder)
der Schrift περὶ πολυπραγμοσύνης auf den Chier zurückgeht. Auch daß
in „de exilio“ der Chier vorliegt, wird ebend. p. 551 mit Bestimmtheit
ausgesprochen ünd ist nach den Untersuchungen von A. Giesecke, de
philosophorum sententiis quae ad exilium spectant p. 59—64 (Leipzig
1891) nicht mehr zweifelhaft. Für die ὑγιεινὰ παραγγέλματα hat Wend-
land (Quaest. Musonianae p. 60) Berührung mit Musonius nachgewiesen;
auch dies führt (nach Hense a. a. O. p. 553) auf Ariston von Chios, so
daß Musonius hier Vermittler zwischen Ariston und Plutarch wäre; für
die letzte Stelle (der Schlaf als τελώνης, der das halbe Leben für sich
nimmt) wird der stoisch-kynische Ursprung von Hense p. 547 sehr wahr-
scheinlich gemacht; vgl. Dümmiler, Akademika, p. 170.
Aristonstudien. 563
8. 8.
Ich glaube nämlich den Nachweis erbringen zu können,
daß ebenso wie in den πολιτικὰ παραγγέλματα auch hier das
— scheinbar nur beiläufige — Aristoneitat uns Plutarchs
Hauptquelle 155). verrät, u. zw. kann es sich nur um die im
Diogeneskatalog erwähnten ἐρωτικαὶ διατριβαί handeln.
Daß der Peripatetiker hier ausgeschlossen ist, hat schon
Heuse (a. a. Ὁ. 5. 553) ausgesprochen; auch hier wie im Fall
der ὑγιεινὰ παραγγέλματα (vgl. die Anm. 158 auf Seite 562) auf
die Ergebnisse P. Wendlands (Quaest. Muson. p. 54—57) 1°)
gestützt, der Berührungen des plutarchischen Amatorius (p. 752F,
753 A) mit dem aus des Stoikers Musonius Ehevorschriften
schöpfenden Clemens Alexandrinus (Paed. III 53 p. 288 Pott.
und II 122 p. 244 Pott.) nachwies; diese Folgerung ist umso
richtiger, als erstlich der Kern des plutarchischen Dialogs
völlig stoisch ist 1°!) und zweitens in einem ebenfalls dem Ge-
biet der Ehevorschriften angehörigen Falle (Wendland 5. 58)
der Consens von Plutarch (de amore prolis p. 499 E) und
Clemens (Strom. II 505 Pott.) direkt auf Ariston u. zw. sicher
den Chier führt 165) (Stob. flor. 67, 16; fr. 400 Arnim).
Daß es sich also in der Stelle Amat. c. 21 p. 766 F um
den Stoiker handelt, ist ausgemacht. Während aber Wendland
159) Der ᾿Ερωτικὸς wurde von E. Graf, Comment. Ribb. p. 70 Plu-
tarch dem Sohn zugeteilt; zustimmend Hirzel, Dial. II 234 ff,; die Echt-
heit verteidigt mit Recht K. Hubert, De Plutarchi amatorio, Berliner
Diss. 1903. — Material zur Quellenuntersuchung bietet der Commentar
der .trefflichen Spezialausgabe von A. W. Winckelmann Zürich 1836
(Plutarchi Opera moralia selecta vol. I), der allerdings den stoischen
Kern der Schrift völlig verkennt und Plutarchs Quellen innerhalb der
peripatetischen Erosliteratur sucht; ähnlich Hirzel, Dial. II 233 Anm. 1
und F. Wilhelm, Rh. Mus. 57,57: „unter fleißiger Benutzung der älte-
ren, namentlich der peripatetischen Schriften über die Liebe“.
160) Vgl. auch Wendland und Kern, Beiträge zur Gesch. der griech,
Phil. und Rel. S. 68 ff.
161) Dies ist trotz der von Praechter, Hierokles der Stoiker Leipzig
1901 beigebrachten stoischen Parallelen noch nicht mit genügender
Klarheit ausgesprochen worden.
162) Die Stellen Jauten: Plut. de am. prol. 493 Εἰ: πρῶτον on ἄνα-
μένει (τὰ ζῷα) νόμους ἀγάμου καὶ ödıydnon χκαϑάπερ οἵ Λυκούργου πολῖται
χαὶ Σόλωνος (vgl. Lysand. c. 80 extr.); Clem. Al. Strom. II 505: αὐτίκα
ὁ τῶν Λακώνων νομοϑέτης οὐκ ἀγαμίου μόνον ἐπιτίμιον ἔστησεν ἀλλὰ καχο-
γαμίου καὶ ὀφιγαμίου al μονοδιαιτησίας. — Stob. flor. 67, 16: ἐκ τῶν
᾿Αρίστωνος ' Σπαρτιατῶν νόμος τάττει ζημίας τὴν μὲν πρώτην ἀγαμίου τὴν
δευτέραν ὀφιγαμίου τὴν τρίτην καὶ μεγίστην κακχογαμίου.
564 August Mayer,
und Hense annehmen, daß die eigentliche Quelle Plutarchs
Musonius war 5) (der wieder gelegentlich den Ariston erwähnte),
möchte ich vielmehr darauf aufmerksam machen, daß ein Hin-
weis auf des Musonius yapınds τόπος 102) keinesfalls eine be-
friedigende Lösung der Quellenfrage bieten kann: denn wie
schon der Titel ’Epwrxös sagt, stellt sich diese Schrift viel
weitere Aufgaben: nämlich Untersuchungen über den Eros
(speziell über die Frage der Gleichberechtigung der Weiber-
und Knabenliebe) wobei das Ehethema nur nebenbei berührt
wird und Ehevorschriften überhaupt nicht gegeben
werden.
Nun läßt sich tatsächlich zeigen, daß der namentlich auf-
geführte Ausspruch des Ariston (p. 766 F) dermaßen im Mit-
telpunkt des eigentlichen Dialogthemas steht, daß die Autor-
schaft des Ariston für den eigentlichen Kern der plutarchi-
schen Schrift zweifellos wird !°); dazu treten noch deutliche
Spuren von Bions Einfluß; bioneische Bilder in einer stoischen
Schrift können aber nach dem oben dargelegten nur auf den
Chier Ariston führen.
Ich habe nunmehr den Beweis zu erbringen, daß auf den
c. 21 p. 766F redenden Ariston zugleich die leitenden Ge-
danken des ’Epwrexög zurückgeführt werden müssen; zu diesem
Zweck muß ich den Fortschritt der Untersuchung (d. i. die
Behandlung des Erosproblems) in diesem Dialog darlegen;
dabei wird sich der eigentliche Kern der Schrift (der bei Plu-
tarch Anfang und Ende des Gesprächs bildet) von selbst von
dem zum größten Teile aus anderer Quelle stammenden Mit-
telteile scheiden.
Unter Uebergehung der einleitenden Kapitel wenden wir
168). Dagegen erklärt Giesecke (a. a. O. p. 36, 37 Anm.) — wie wir
sehn werden mit Recht — die Uebereinstimmungen zwischen Plutarch
und Musonius daraus, daß beiden aus gemeinsamer Quelle (etwa Ari-
ston) bioneisches Material zugeströmt sei. Plutarch habe den Musonius
überhaupt nicht benützt, wohl aber den Ariston u. zw. direkt.
164) Auch Praechter zieht den Amatorius nur zu Belegstellen für
die Eh 6 vorschriften des Hierokles heran.
165) Die Berührungen mit Musonius und der ähnlichen praeceptiven
Literatur (Antipater von Tarsos, Hierokles) sind wertvoll, weil sie den
stoischen Charakter der Schrift erklärten, aber keine direkten Quellen-
hinweise: gewisse Sätze des Ariston eigneten sich eben zur Uebernahme
in jene Moraltractate.
Aristonstudien. 565
uns gleich zu den Kap. 4 und 5, wo uns zwei Reden, eines
Verteidigers der Knabenliebe (4) und eines Anwalts der ehe-
lichen Liebe (5) begegnen.
Jeder der beiden Redner sucht nachzuweisen, daß die von
ihm verteidigte Form der Liebe der stoischen Forde-
rung!‘‘), die Liebe solle φιλία und ἀρετή erzeugen, ent-
spricht.
Protogenes beginnt (p. 750 C) damit, daß die Ehe wohl
notwendig sei zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts: ταῦ-
τὰ μὲν... ἀναγκαῖα πρὸς γένεσιν ὄντα σεμνύνουσιν οὐ φαύλως οἵ
νομοϑέται καὶ κατευλογοῦσι πρὸς τοὺς πολλοὺς 157). aber Weiber-
liebe sei nicht die wahre Liebe; denn, heißt es mit einem an
Bion 168) gemahnenden Bilde: man „liebt“ die Weiber ebenso-
wenig wie die Fliegen die Milch und die Köche die von ihnen
gemästeten Tiere1°®); Weiberliebe ist nur Sache der ἡδονή
750 Ὁ: ἔνεστι τῇ φύσει τὸ δεῖσθαι τῆς ἀπ᾿ ἀλλήλων ἡδονῆς γυναῖκας
>
χαὶ ἄνδρας" τὴν δ᾽ ἐπὶ τοῦτο χινοῦσαν δρμὴν ῥώμῃ γενομένην
πολλὴν καὶ δυσχάϑεχτον οὐ προσηχόντως Ἔρωτα χαλοῦσιν 170).
166) Die Stoa definiert den Eros als ἐπιβολή φιλοποιίας διὰ χάλ-
λος ἐμφαινόμενον νέων ὡραίων; Stob. ecl. II, 115, 1W und sonst; siehe
überhaupt Arnim FS. III p. 164 und 180 (fr. 650 ff. u. 716 ff.) für die
stoische Eroslehre; vgl. auch das Fragment aus Zenons πολιτεία Ὁ. Ath.
XIHI 561 Ο (fr. 263 Arnim).
167) Der von Protogenes gemeinte Topos zum Lob der Ehe findet
sich tatsächlich bei Musonius p. 77 Hense.
166) Den Zusammenhang mit Bion beweist der ähnliche Ausspruch
Aristipps (750 E): ᾿Αρίστιππος τῷ χατηγοροῦντι Λαΐδος πρὸς αὐτὸν ὡς οὐ
φιλούσης ἀποχρινάμενος ὅτι χαὶ τὸν οἶνον οἴεται καὶ τὸν ἰχϑὺν μὴ φιλεῖν
αὑτὸν ἄλλ᾽ ἡδέως ἑχατέρῳ χρῆται. Die Stelle sitzt fest im Zusammenhang
und ist ein wichtiger Hinweis auf die Quelle: es muß sich um einen
„hedonisch gefärbten Stoiker handeln und dies ist unser Ariston.
169) Die folgenden Worte: ἀλλ᾽ ὥσπερ ἐπὶ σιτίον ἄγει καὶ ὄψον ἢ φύσις
μετρίως καὶ ἱκανῶς τὴν ὄρεξιν N δ᾽ ὕπΞρβολὴ πάϑος ἐνεργασαμένη λαιμαργία
τις ἢ φιλοψία καλεῖται οὕτως ἔνεστι. ... wollte Winkelmann auf Theo-
phrast (fr. 115; Stob. 64, 27) zurückführen, der den Eros als ἀλογίστου
τινὸς ἐπιϑυμίας ὑπερβολὴ definierte. — Die zwei Stellen haben nichts
miteinander zu tun.
170) Die Gegenüberstellung von dovn und φιλία steht im Centrum
der stoischen Eroslehre; vgl. Diog. Laert. VII 129 (fr. 716 Arnim) xal
μὴ εἶναι συνουσίας ἀλλὰ φιλίας; Stob. ecl. II 65 W (fr. 717 Arnim) τὸν δ᾽
ἔρωτα οὔτε ἐπιϑυμίαν εἶναι... ἀλλ᾽ ἐπιβολὴν φιλοποιίας ete.; Cic. Tuse. IV
35, 70 (fr. 653 Arnim): Ad magistros virtutis philosophos veniamus,
qui amorem negant stupri esse, — Möglicherweise sind die Worte über
die ὁρμὴ Eon γενομένη, die nicht den "Namen ”Epwg verdiene, eine Po-
lemik gegen die Etymologie Platos Phaedr. 233 B, C: ἢ γὰρ ἄνευ λόγου
. ἐπιϑυμία πρὸς ἥδονὴην ἀχϑεῖσα κάλλους... ἀπ᾽ αὐτῆς τῆς δώμης ἐπω-
νγυμίαν λαβοῦσα Ἔρως ἐκλήϑη.
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 37
566 August Mayer,
Ἔρως γὰρ εὐφυοῦς xal νέας ψυχῆς ἁψάμενος 171) εἰς dpe-
τὴν διὰ φιλίας τελευτᾷ 17?) ταῖς δὲ πρὸς γυναῖχας ἐπιϑυμίαις
ταύταις ἂν ἄριστα πέσωσιν ἧ δ ὸν ἣν περίεστι χαρποῦσϑαι καὶ
ἀπόλαυσιν ὥρας χαὶ σώματος... τέλος γὰρ ἐπιϑυμίας ἧδονὴ
nal ἀπόλαυσις. Ἔρως δὲ προσδοκίαν φιλίας ἀποβαλὼν (ist
er doch ἐπιβολὴ φιλοποιίας ἢ) οὐκ ἐθέλει παραμένειν... el χαρ-
πὸν ἤϑους οἰχεῖον εἰς φιλίαν χαὶ ἀρετὴν οὐκ ἀποδίδωσιν 173),
Dies ist stoische Eroslehre bis ins Detail; dieselbe Herkunft
hat auch der zweite Teil des Kapitels: wenn die Weiberliebe
schon Eros heißen soll, ist sie ein Bastarderos ὥσπερ eig
Κυνόσαργες συντελῶν “ 174); der echte Eros ist der Knabeneros 175)
(cf. Plato Symp. 181C, wo die Knabenliebe mit dem Sproß
der ᾿Αφροδίτη Οὐρανία identifiziert wird). Es folgt nochmalige
Gegenüberstellung von ἀρετή und ἡδονή p. 751 B: χαλὸν γὰρ
N φιλία nal ἀστεῖον,ἣ δ᾽ ἧδον ἢ κοινὸν κἀνελεύϑερον; daher
ist auch Sklavenliebe verwerflich 176).
Dieser stoischen Lobrede auf die Knabenliebe folgt im
5. Kapitel eine ebenfalls von der stoischen Eros-
lehre ausgehende Verteidigung der ehelichen Liebe;
1171) Dazu vgl. auch Plato Symp. 218 A: δηχϑεὶς ὑπὸ τῶν ἐν φιλοσο-
φίᾳ λόγων οἱ ἔχονται ἐχίδνης ἀγριώτερον νέου Φυχῆς καὶ μὴ ἀφυοῦς
ὅταν λάβωνται.
112) Lauter Schlagworte der Stoa: die ἔμφασις εὐφυΐας πρὸς ἀρετὴν
läßt nach stoischer Lehre (Diog. Laert. VII 129; fr. 716 Arnim) erken-
nen wer ἀξίεραστος ist; cf. übrigens auch Amat. 767 B.
173) Im folgenden wird dargelegt, daß fleischlicher Verkehr mit
einer Frau, die einen haßt, keine Liebe ist; vgl. dazu Diog. Laert. VII
129 (fr. 716 Arnim) τὸν γοῦν Θρασωνίδην καίπερ ἐν ἐξουσίᾳ ἔχοντα τὴν
ἐρωμένην διὰ τὸ μισεῖσθαι ἀπέχεσθαι αὐτῆς. Thrasonides ist die Haupt-
person des menandrischen Μισούμενος (über dessen Rolle bei kynischen
Schriftstellern vgl. Giesecke de phil. sent. p. 113). Eine ähnliche Per-
son aber aus der Tragödie (Nauck FTG? p. 916) setzt Plutarchs Autor
ein: ἀκούεις δέ τινος τραγικοῦ γαμέτου λέγοντος πρὸς τὴν γυναῖχα "
μισεῖς; ἐγὼ δὲ ῥαδίως μισήσομαι
πρὸς κέρδος ἕλκων τὴν ἐμὴν ἀτιμίαν.
174) Dieser Vergleich ist nach Hirzel (Dial. II 233 A 1) unmöglich
von Plutarch selbst. Das gleiche scheint mir von dem (751 A) folgen-
den (bioneischen ?) Bild zu gelten: Knaben- und Weibereros verhalten
sich wie der echte Bergadler zum Sumpfadler.
175) Im folgenden ist das einzelne unverkennbar stoisch: so die
Gegenüberstellung der τέχνη χομμωτυκὴ der Frauen (cf. Clem. Al. Paed.
10 p. 232 Pott.; nach Musonius) und der Knaben auf dem Ringplatz ;
ferner der Ausdruck „nept ϑήραν νέων“ denn die Liebe ist nach fr. 717
Arnim: νέων ϑήρας εὐφυῶν ἐπιστήμη.
176) ᾿Πλευϑερία und wahren Eros bringt im Zusammenhang Zenon
bei Athen. 561 C (fr. 263 Arnim).
Aristonstudien. 567
ihr Grundgedanke ist, daß die ἡδονή die Protogenes an der
Weiberliebe tadelt, nicht absoluter Gegensatz zu der von der
Stoa geforderten φιλία ist, sondern im Gegenteil zur φιλία
hinführt.
Daphnaios argumentiert p. 751 C also: ἐγὼ δὲ παμμέγεϑες
τοῦτο ποιοῦμαι σημεῖον ὑπὲρ τῶν γυναικῶν" εἰ γὰρ ἣ παρὰ
φύσιν ὁμιλία πρὸς ἄρρενας οὐκ ἀναιρεῖ τὴν ἐρωτικὴν εὔνοιαν
οὐδὲ βλάπτει, πολὺ μᾶλλον εἴκός ἐστι τὸν γυναικῶν ἣ ἀνδρῶν
ἔρωτα τῇ φύσει χρώμενον εἰς φιλίαν διὰ χάριτος ἐξικνεῖσθαι
ἃ. ἢ. also: ἡδονή und φιλία schließen sich nicht gegenseitig aus,
wie in der Weiber- so auch in der Knabenliebe; denn welches
Recht haben überhaupt die Verteidiger der Knabenliebe der
ἡδονή den Krieg zu erklären? Enthalten sie sich etwa selbst
des Sinnengenusses? p. 751 F: ei μὲν οὖν τἀληϑὲς σχοποῦμεν
... ἕν xal ταὐτόν ἐστι πρὸς παῖδας καὶ γυναῖκας πάϑος τὸ τῶν
Ἐρώτων 117 4. h.: auch die Knabenliebe beruht auf ἡδονή: die
gegenteiligen Behauptungen ihrer Verteidiger sind bloße Heu-
chelei: 752 A οὗτος (sc. ὃ παιδικὸς Ἔρως) δ᾽ ἀρνεῖται τὴν ἧδο-
γήν - αἰσχύνεται γὰρ nal φοβεῖται" δεῖ δέ τινος εὐπρεπείας ἅπτο-
μένῳ καλῶν καὶ ὡραίων" πρόφασις οὖν φιλία χαὶ ἀρετή"
χονίεται δὲ καὶ ψυχρολουτὲϊ xal τὰς ὀφρῦς αἴρει χαὶ φιλοσοφεῖν
φησι χαὶ σωφρονεῖν ἔξω --- διὰ τὸν νόμον" εἶτα νύχτωρ καὶ
χαϑ᾽ ἡσυχίαν
γλυχεῖ ὀπώρα φύλακος ἐχλελοιπότος.
Plutarchs Quelle sucht also hier nachzuweisen, daß die
Päderasten nur durch Heuchelei eine ideale Form der Liebe
sich zuschreiben. Dieser selbe Vorwurf nun wird bei Athe-
naeus 563 E (fr. 247 Arnim) gegen die alte Stoa (Zenon)
erhoben: ϑρυλεῖτε γὰρ ὅτι δεῖ μὴ τῶν σωμάτων ἀλλὰ τῆς ψυ-
χῆς ἐρᾶν, οἱ μέχρι χη ἐτῶν δεῖν λέγοντες συνέχειν τοὺς ἐρωμέ-
γους. Es hat sich aber in der Stoa selbst in dieser Beziehung
später eine große Wandlung vollzogen: denn zur Zeit eines
Musonius und Hierokles sind die Stoiker Verteidiger der Ehe
und offene Gegner der Knabenliebe (vgl. Prechter a. a. O.
171) Dies ist einer der wichtigsten Gedanken des ganzen Dialogs:
Die Wesensgleichheit von Knaben- und Weiberliebe (die dann aus der
Gleichheit ihrer Entstehung hergeleitet wird) ist das Hauptargument
für ihre Gleichberechtigung.
37 *
568 August Mayer,
S. 149). Plutarchs Gewährsmann, der von der stoischen Eros-
lehre ausgehend (denn φιλοποιία ist auch ihm das höchste
Ziel) den Nachweis unternimmt, daß auch die Weiberliebe
ihren Anforderungen genüge und man sich der ἡδονή auf
keinen Fall zu schämen brauche, ist nun offenbar ein frondie-
render Stoiker, dessen Werk jedesfalls zu jener Wandlung
innerhalb der Stoa nicht wenig beigetragen haben wird. Alles
dieses paßt für Ariston von Chios, dessen Standpunkt der
Knabenliebe gegenüber durch Diog. Laert. IV 40 (fr. 345
Arnim) charakterisiert wird: (ὁ ᾿Αρχεσίλαος) φιλομειράκιός τε
ἦν χαὶ χαταφερήῆς ᾿ ὅϑεν ol περὶ ᾿Αρίστωνα τὸν Χῖον Στωϊχοὶ
ἐπεχάλουν αὐτῷ φϑορέα τῶν νέων χιναιδολόγον καὶ ϑρασὺν ἀπο-
χαλοῦντες. ᾿
Wenn sich aber — führt Daphnaios in seiner Argumen-
tation fort — die Verteidiger der Knabenliebe auch wirklich
des Sinnengenusses enthielten, so wäre ihre Liebe erst recht
der wahre Eros nicht: p. 752 Β: εἰ δ᾽ ὥς φησι Πρωτογένης
00% ἔστιν ἀφροδισίων παιδικῶν κοινωνία, πῶς "Ἔρως ἔστιν ᾽Αφρο-
δίτης μὴ παρούσης; .... εἰ δ᾽ ἔστι τις "ἔρως χωρὶς ᾿Αφροδίτης
ὥσπερ μέϑη χωρὶς οἴνου πρὸς σύχινον πῶμα al χρίϑινον, (bio-
neisches Bild?) ἄχαρπον αὐτοῦ χαὶ ἀτελὲς τὸ ταραχτιχὸν ἐστι
χαὶ πλήσμιον χαὶ ἁψίκορον 118).
Der Standpunkt der Päderasten ist also: die Knabenliebe
ist die ideale Form, ihr Ziel φιλία und ἀρετὴ (stoische Forde-
rung), das der Weiberliebe bloß ἧἥδονή. Dieses Glaubensbe-
kenntnis wird vom Verteidiger der Weiberliebe angegriffen ;
bestehn bleibt nur als gemeinsame Grundlage die Aufgabe der
Liebe als ἐπιβολὴ φιλοποιίας; daß aber dieses Ziel nur unter
Ausschluß der ἧδονη erreicht werden könne wird verneint:
führt doch auch die Knabenliebe — mögen es Heuchler im-
merhin leugnen — durch ἥδονή zur φιλία.
Dieser Gedanken nun wird — es ist dies die für die Rekon-
178) Bemerkenswert ist im 5. Kap. sonst noch, daß 751E dieselbe
Platostelle (Phaidros p. 250 E, wo es von dem sinnlichen Liebhaber
heißt daß er ἥδονῇ παραδοὺς τετράποδος νόμον βαίνειν ἐπιχειρεῖ χαὶ παι-
δοσποριεῖν was für einen antipaederastischen Zusammenhang gut ver-
wendbar ist) benutzt wird wie Clem. Paed. II 86 p. 222 Pott. — Aus-
serdem: der Gedanke, daß (752 A) die natürliche Liebe συνεργὸς ἀϑανα-
σίας ist (Plato Symp. 206 C, E 207 Ὁ, 208 A, B), wird auch von Musonius
(p. 73, 2 Heuse) und Clem. Al. Strom. II 138 p. 503 Pott. verwendet.
9
ᾳῳ.
Aristonstudien. 5
struktion des Gedankengangs von Plutarchs Quelle wichtigste
Tatsache — erst in Kap. 21 wieder aufgenommen 17). An
diesem Punkte wird nämlich an das im 5. Kap. (751 ΕἾ ge-
wonnene Resultat, daß Knaben- und Weiberliebe aus derselben
Wurzel nämlich dem sinnlichen Eindruck her-
zuleiten seien (ἕν χαὶ ταὐτόν ἐστι πρὸς παῖδας nal γυναῖκας
πάϑος τὸ τῶν ᾿Πρώτων) angeknüpft und aus der Gleichartigkeit
der Entstehung ihre Ebenbürtigkeit gefolgert:
c. 21 (p. 766 E) ἔτι τοίνυν ὃς λέγουσιν αἰτίας χαὶ γε-
νέσεις Ἔρωτος, ἴδιαι μὲν οὐδετέρου γένους εἰσὶ χοιν αἱ δ᾽
ἀμφοτέρων" nal γὰρ εἴδωλα δήπουθεν ἐνδυόμενα τοῖς
’Epwrinois καὶ διατρέχοντα χινεῖν χαὶ γαργαλίζειν τὸν ὄγκον εἰς
σπέρμα, συνολισϑάνοντα τοῖς ἄλλοις σχηματισμοῖς, οὐ δυνατὸν
μὲν ἀπὸ παίδων ἀούνατον δ ἀπὸ γυναικῶν χαὶ
τὰς χαλὰς ταύτας χαὶ ἱερὰς ἀναμνήσεις καλοῦμεν 180) ἡμεῖς ἐπὶ
τὸ ϑεῖον χαὶ ἀληϑινὸν καὶ ὀλύμπιον ἐχεῖνο κάλλος αἷς ψυχὴ
πτεροῦται, τὶ ἂν κωλύοιγίγνεσθαι μὲν ἀπὸ παίδων
καὶ ἀπὸ νεανίσχ ων, γίγνεσθαι δ᾽ ἀπὸ παρθένων
Kal γυναιχῶν:
Plutarchs Autor knüpft hier sowohl an die platonische 15)
wie an die (wohl näher in der Lücke von Zeuxipp entwickelte)
epikureische 1°?) Liebestheorie an; der Sinn der Stelle ist:
179) Was dazwischen liegt (Kap. 6 Uebergang; Kap. 7—9 Nutzen
des Reichtums der Frau; Kap. 10—12 Uebergang; Kap. 13—20 Beweis
daß Eros Gott ist) wollen wir vorderhand beiseite lassen. — Uebrigens
ist zu beachten, daß gerade vor Kap. 21 eine (in den Handschriften
nicht bezeichnete) große Lücke klafft, welche nicht nur Rahmenerzählung
enthielt (nach 771 Ὁ τῶν Θεσπιῶν ἐγγὺς οὖσιν muß sich die Gesellschaft
vom Musenhain am Helikon in die Stadt zurückbegeben haben), son-
dern auch (nach 767C) eine Rede des Zeuxippos, wo er die stoische
Auffassung des Eros ablehnend, sie (nach epikureischer Doctrin) über-
haupt mit ἡδονή gleichsetzte. Schon daraus wird wahrscheinlich, daß
die Behandlung des Erosproblems ursprünglich schon vor Kap. 21 wie-
der einsetzte.
150) Der Text ist verderbt; am wahrscheinlichsten wird eine Lücke
zwischen ἀναμνήσεις und καλοῦμεν anzunehmen sein,
181) Die platonische Liebestheorie wird von Plutarch p. 765 A—766 A
entwickelt; ob dies auch in der Quelle der Fall war, lassen wir fürs
erste dahingestellt.
182) In den Worten εἴδωλα δήπουϑεν. ... ἄλλοις σχηματισμοῖς wird
die Wurzel der erotischen Affeetion, der Sinneseindruck, nach Epikur
geschildert: das εἴδωλον des geliebten Knaben oder Mädchens (ἃ, 1. das
mit dem Auge wahrgenommene Bild) dringt in den Körper des Lieben-
den ein, durchläuft ihn ganz, bringt in den Atomen Bewegung und
pruritus hervor (xıveiv Kal γαργαλίζειν τὸν ὄγκον) und fließt mit den .
570 August Mayer,
mögen die Ansichten über die Entstehung des Eros auch wie
immer lauten, sowohl aus der materialistischen Erklärung der
Liebe durch Epikur als auch aus der idealistischen Theorie
Platons folgt de Ebenbürtigkeit der Knaben- und
Weiberliebe.
Offenbar haben wir hier die Hauptthese von Plutarchs
Gewährsmann vor uns: nachdem in den Kap. 4 und 5 das
Resultat gewonnen ist, daß die Frauenliebe, weil sie ἡδονή
verschafft, nicht etwa eine mindere Form der Liebe sei, wird
jetzt gezeigt, daß sowohl Knaben- als Frauenliebe in letzter
Linie aus dem sinnlichen Eindruck entspringen und somit eben-
bürtig sind.
Wir haben also hier einen geschlossenen τ ee
indem die Behauptung von der Gleichwertigkeit der Knaben-
und Weiberliebe abhängig ist von dem in Kap. 4 und 5 ge-
wonnenen Resultate. Den Urheber des Ganzen bezeichnen uns
aber m. E. mit voller Deutlichkeit die bei Plutarch (766 F)
anschließenden Worte: ὅταν ἦδος ἁγνὸν χαὶ χόσμιον Ev ὥρᾳ
χαὶ χάριτι μορφῆς διαφανὲς γένηται χαϑάπερ ὄρϑιον ὑπόδημα
δείκνυσι ποδὸς εὐφυΐαν ὡς ᾿Αρίστων (fr. 390 Arnim) ἔλεγεν:
in diesen Worten nämlich ist der — Plato wie der Stoa ge-
läufige — Gedanke enthalten, daß die wahre Liebe im schönen
Körper nur die schöne Seele sucht 158): mit andern Worten:
wenn die Frauen schöne Leiber haben (die geeignet sind den
verschiedenen andern Formen (der Atome) zu Sperma zusammen (ähn-
lich ist 765C die Rede von einer ϑερμότης wıvodoa σεισμὸν ἐπὶ σπέρμα
var ὄλισϑον ἀτόμων ὑπὸ λειότητος καὶ γαργαλισμοῦ ϑλιβομένων). — Ueber
die Spermabildung nach Epikur vgl. Ps.-Plut. plac. phil. 417 Diels (fr.
329 Usener) ’Ertxovpog (τὸ σπέρμα φησὶ) ψυχῆς nal σώματος ἀπόσπασμα und
Schol. zu Epic. 166 (fr. 311 Usener) τό τε σπέρμα ἀφ᾽ ὅλων τῶν σωμάτων
φέρεσθαι; vergleiche auch was Lucrez IV 1042 vom Sperma sagt: per
membra atque artus decedit corpore toto. Die genaueste Parallele zur
Plutarchstelle (die bei Usener fehlt) ist Lucrez IV 1030 ff.: tum quibus
aetatis freta primitus insinuatur semen, ubi ipsa dies membris matura
ereavit, conveniuntsimulacra foris ecorpore quodam, nun-
tia praeclari voltus pulchrique coloris, qui ciet inritans loca turgida
semine multo etc. — Epikurs Theorie kann (nach Plutarchs Autor)
natürlich nur höchstens den ersten Sinneseindruck, niemals das Wesen
der Liebe erklären.
183) Zu beachten ist der Ausdruck εὐφυΐα in Aristons Worten: der
schöne Leib zeigt seelische εὐφυΐα; ἔμφασις εὐφυΐας πρὸς ἀρετήν ist aber
nach stoischer Lehre (Diog. Laert. VII 129) das Kennzeichen der ἀξιέρ-
αστοι; vgl. auch Amat. 750D, 767 A, B.
Aristonstudien. ayal
ersten sinnlichen Eindruck hervorzurufen) so müssen sie auch
schöne Seelen haben 13) und sind somit ἀξιέραστοι. Offenbar
gehört also dem Ariston nicht nur das Homoioma selbst, son-
dern auch die dadurch gestützte Behauptung daß Frauenliebe
wahre Liebe ist, und somit de Hauptlehre des ganzen
Dialogs und der ganze bisher entwickelte
Gedankengang.
Der Gedanke, daß auch den Frauen die zur Liebe erfor-
derliche seelische εὐφυΐα nicht fehlt, wird nun eine Strecke
weit des nähern ausgeführt (bis p. 767 ΟἹ und auch hier zei-
gen sich deutliche Spuren unseres stoischen Autors, den wir
nunmehr Ariston nennen dürfen: zunächst eine Doublette von
Aristons Worten „ötav os... . διαφανὲς γένηται“: ὅταν 18°) -
ἐν εἴδεσι καλοῖς καὶ καϑαροῖς σώμασι ἴχνη λαμπρὰ nal σημεῖα
(trad.: χείμενα; corr. B. Leonardos) ψυχῆς ὀρϑῆς χαὶ ἀϑρύπτου
χατίδωσιν οἱ δεινοὶ τῶν τοιούτων αἰσϑάνεσϑαι. Dann folgt der
Gedanke, daß wenn schon ein φίλ ἤδονος keinen Unterschied
zwischen den beiden Geschlechtern macht, es einem φιλό χ ἃ -
λος xal γενναῖος umsomehr zukommt, nicht πρὸς μορίων δια-
φοράς sondern πρὸς τὸ χαλὸν καὶ τὴν εὐφυΐαν den Gegen-
stand seiner Liebe sich zu erwählen; weiter heißt es 767 Β:
χαΐίτοι τὴν γ᾽ ὥραν ,ἄνϑος ἀρετῆ ς“ λέγουσι 18) μὴ φά-
var δ᾽ ἀνθεῖν τὸ ϑῆλυ μηδὲ ποιεῖν ἔμφασιν εὐφυΐας πρὸς
ἀρετὴν 87 ἄτοπόν ἔστι; und sollte man im Antlitz einer
Frau wohl die Kennzeichen eines lasterhaften Lebenswandels
sehn nicht aber auch die Merkmale edler Sitte? oder dies der
184) Lehrt doch die Stoa sogar, daß nur, wer eine schöne Seele hat,
Körperschönheit zeigt und umgekehrt; Plut. de comm. not. c. 28 p. 1072F
(fr. 719 Arnim) τῶν δὲ περὶ "ἔρωτος φιλοσοφουμένων ἐν τῇ Στοᾷ παρὰ τὰς
χοινὰς ἐννοίας τῆς ἀτοπίας πᾶσιν αὐτοῖς μέτεστιν" αἰσχροὺς μὲν γὰρ εἶναι
τοὺς νέους φαύλους γ᾽ ὄντας χαὶ ἀνοήτους, καλοὺς δὲ τοὺς σοφούς.
186) Der Text ist wegen der mangelnden Verbindung mit dem frü-
heren nicht in Ordnung, so daß auch nicht klar ist, was Aristons eigene
Worte sind; denn es ist entweder zu lesen: ὅταν ἦϑος ἁγνὸν al κόσμιον
ἐν ὥρᾳ καὶ χάριτι μορφῆς διαφανὲς γένηται (nal) καϑάπερ ὄρϑιον ὑπόδημα
δείκνυσι ποδὸς εὐφυΐαν ὡς ᾿Αρίστων ἔλεγεν, ὅταν ἐν εἴδεσι χ. τ. A. oder ὡς
᾿Αρίστων ἔλεγεν (N) ὅταν. ...
186) Djog. Laert. VII 129 (fr. 716 Arnim): εἶναι οὖν τὸν "Ἔρωτα φιλίας
.. εἶναι δὲ καὶ τὴν ὥραν ἄνϑος ἄρε τῆ ς.
181) Dies ist (vgl. σὰ p. 750D) nach stoischer Lehre (fr. 716 Arnim)
das Kennzeichen des ἀξιέραστος.
579 August Mayer,
Fall sein und eine solche Frau doch keine Liebe hervorrufen?
(767 C: οὐδέτερον γὰρ εὔλογον οὐδ᾽ ἀληϑὲς).
Von dieser Stelle ab schreitet der Gedanke fort zu dem
Nachweis, daß der Eros 155) nicht wie die Epikureer 155) (deren
Vertreter hier Zeuxipp ist) behaupten, bei der bloßen ἣἥδονή
stehen bleibt sondern sich zur φιλία erhebt; falsch ist also
188) Nachdem im vorigen das Resultat gewonnen ist, daß Knaben-
und Weiberliebe ebenbürtig sind, werden hier beide zugleich
gegen die Gleichsetzung mit der ἐπιϑυμία in Schutz genommen: 667C:
ἀλλὰ χοινῶς ὥσπερ δέδεικται τοῖς γένεσι πάντων ὑπαρχόντων ὥσπερ
χοινοῦ συστάντος {τοῦ ἀγῶνος suppl. Bern.) ὦ Δαφναῖς πρὸς ἐκείνους μα-
χώμεϑα τοὺς λόγους οὺς 6 Ζεύξιππος ἀρτίως διῆλθεν (die Rede des Ζ. ist
durch die Lücke von c. 21 verloren gegangen) ἐπιϑυμίῳ τὸν "Epwra τἀυτὸ
a. Diese Anknüpfung an das Vorhergehende beweist Gleichheit der
uelle.
189) Plutarchs stoische Quelle (Ariston) bekämpft hier die epiku-
reische Eroslehre, deren Hauptsätze (vielleicht aus Epikurs
Schrift περὶ ἔρωτος Diog. Laert. X 27) bei Diog. Laert. X 118. stehen:
ἐρασϑήσεσθαι τὸν σοφὸν οὐ δοχεῖ αὐτοῖς (dazu vol. Chrysipp bei Stob. flor.
63, 31: εἰπόντος τινὸς „on ἐρασϑ'ήσεται ὃ σοφός" μαρτυρεῖ γοῦν Μενέδημος,
᾿Ἐπίχουρος, ᾿Αλεξῖνος“ ,τῇ αὐτῇ“ ἔφη, χρήσομαι ἀποδείξει " 7 γὰρ ᾿Αλεξῖνος
ὁ ἀνάγωγος καὶ ᾿Επίκουρος ὃ ἀναίσϑητος χαὶ Μενέδημος ὃ λῆρος οὔ φασιν ;
ἐρασϑήσεται ἄρα.“) οὐδὲ ϑεόπεμπτον εἶναι τὸν Ἔρωτα ὡς Διογένης ἐν τῷ
Et ..... συνουσίην δέ φασιν ὀνῆσαι μὲν οὐδέποτε, ἀγαπητὸν δὲ εἰ μὴ
χαὶ ἔβλαψε. — Die epikureische Definition des Eros steht am vollstän-
digsten bei Hermias in Platonis Phaedrum p. 76: οἱ μὲν γὰρ ὑπέλαβον
ἁπλῶς φαῦλον τὸ ἐρᾶν ὡς ᾿Εἰπίκουρος δρισάμενος αὐτὸν (τὸν "Epwra) σύντο-
νον ὄρεξιν μετὰ οἴστρου χαὶ ἀδημονίας. Die übrigen Stellen stehen bei
Be unter fr. 483 (bei Alexander Aphr. Comm. in Aristot. Topica Il
57 Ald. [Arnim fr. 722], Gegenüberstellung der stoischen und des
nik meilchen ὅρος). — Daß Epikur das Hauptgewicht auf die ἡδονὴ
legte, beweist der Ausspruch (Usener fr. 512; ähnlich fr. 70) προσπτύω
τῷ χαλῷ Aal τοῖς χενῶς αὐτὸ θαυμάζουσιν ὅταν μηδεμίαν ἥδονὴν ποιῇ. Also
ἡδονὴ ist sein Schlagwort, wie φιλία das der Stoa: vgl. die Frage der
Epikureer an die Stoiker bei Cie. Tuse. disp. IV 33, 70: „Quis enim est
iste „amor amicitiae?“ (cf. Diog. Laert. VII 129: εἶναι οὖν τὴν ἔρωτα
φιλία ς) cur neque deformem adulescentem quisquam amat neque for-
mosum senem? — Zwei erotische Probleme (das erste sicher aus dem
Symposion) führt Plutarch an: das eine περὶ καιροῦ συνουσίας (Quaest.
conv. III, 6, 1 p. 6535B; Usener fr. 61) erhielt die Lösung ὡς ἀεὶ μὲν
ἐπισφαλοῦς εἰς βλάβην Tod πράγματος ὄντος κάχιστα δὲ τοὺς παρὰ
πότον καὶ ἥδονηὴν χρωμένους αὐτῷ διατιϑέντος. Das andere (vielleicht aus
den Διαπορίαι; Usener fr. 21) steht contra Epic. beat. 12 p. 1094 Εἰ : ὅτι
τοίνυν αἴ Tod σώματος ἥδοναὶ χαϑάπερ ol ἐτησίαι μαραίνονται μετὰ τὴν ἀλχ-
μὴν καὶ ἀπολήγουσιν od λέληϑε τὸν ᾿᾿ἰπίκουρον᾽ διαπορεῖ γοῦν εἰ γέρων χ.
τ. Δ. Epikur lehnte also die Liebe hauptsächlich deshalb ab, weil sie
keine ἡδονὴ καταστηματικὴ gewährleisten könne (als πρᾶγμα eis βλάβην
ἐπισφαλές : vergleiche auch „Ayanmrov εἰ μὴ χαὶ ἔβλαψεν“), sondern nur
vergängliche Lust (vgl. Plut. Amat. 767C ἐπιϑυμία ἀχκατάστατος) mit
Leid gemischt, da sie Angst und Aufregung hervorbringt. — Vgl. übri-
gens Zeller Is 1 S. 452 A, 3.
Aristonstudien. 918
was die Gegner behaupten (p. 768 E): ᾿Αφροδίτη ἔρωτι προσ-
ϑεμένη κωλύει φιλίαν γενέσθαι 170),
Diese Auseinandersetzung gestaltet sich selbstverständlich
zu einem Lob der „natürlichen“ Liebe, da ja in dieser die
ἡδονή die größere Rolle spielt, während die Verteidiger der
Knabenliebe — wenngleich in heuchlerischer Weise — die
ἡδονῇ von sich weisen; so erklärt es sich, daß im folgenden
ein Fortschritt in der Gedankenentwicklung auch in der Weise
wahrnehmbar wird, daß die Wagschale sich immer mehr zu
Gunsten der ehelichen Liebe neigt; der Autor begnügt sich
nicht mit dem Nachweis der Ebenbürtigkeit, er beansprucht
für die natürliche Liebe sogar eine höhere Stellung.
Es heißt also p. 767 C, daß die von ἄνδρες δύσχολοι al
ἀνέραστοι 191) ausgesprochene Gleichstellung von ἐπιϑυμία ἄχα-
τάστατος 153) und "Epwg bekämpft werden soll, und zwar für
beide Formen der Liebe; in den folgenden Worten
werden diese Feinde der Liebe und Ehe näher charakterisiert:
die einen brauchen nur eine Wirtschafterin 155), die andern
heiraten bloß der Kinder wegen 15).
Es folgt eine Schilderung ehelicher Liebe und Treue, die
190) Man könnte hierin einen Rückschritt des Gedankens erblicken,
da schon in Kap. 5 Daphnaios gegen Protogenes ausführen mußte, daß
es keinen Eros ohne Aphrodite gibt (p. 752B); aber an jener Stelle
handelt es sich um den (vorbereitenden) Nachweis, daß die ἡδονή kein
Unterscheidungsmerkmal zwischen Knaben- und Weiberliebe bildet; die
jetzige Erörterung war erst möglich, nachdem die ἥδονή als gemein-
same Wurzel beider Formen der Liebe nachgewiesen ist.
191) Als ἀναίσϑητος bezeichnet den Epikur Chrysipp bei Stob. flor.
63, 31.
182) Dies ist offenbar ein epikureischer Ausdruck; siehe oben Anm. 189.
198) Das Gegenstück zu der durch Mitgift verführten Frau (ἄϑλια
γύναια προικχιδίοις ἐφελχόμενα) ist der Mann, der nur des Geldes wegen
heiratet: vgl. Antipater von Tarsos (bei Stob. III, 32, 6; Arnim fr. 62),
Musonius 1014. v, 30; Hierokles bei Stob. III, 11, 6; Clem. Al. Strom.
IV 128 p. 621P.
19%) Schönes (bioneisches?) Bild p. 767 Ὁ: οἱ δὲ παίδων δεόμενοι μᾶλ-
λον ἢ γυναικῶν ὥσπερ ol τέττιγες εἰς σχίλλαν ἢ τι τοιοῦτο τὴν γονὴν ἀφιᾶσιν.
Vgl. dazu Ps.-Aristoteles p. 144, 10 (ed. min. Rose): propter quae non
decet hominem sanae mentis ut ubicunque contingit ponere semen (aus
dem „liber secundus yconomicorum Aristotilis“) und Plato Symp. p.191B:
ἐγέννων καὶ ἔτικτον οὐκ εἰς ἀλλήλους ἀλλ᾽ εἰς γῆν ὥσπερ οἵ zerrıyeg. Daß
mit dem Ganzen die Epikureer gemeint sind, geht hervor aus dem Ver-
gleich mit Epikurs Vorschrift bei Diog. Laert. X 119: χαὶ μὴν καὶ γα-
μήσειν χαὶ τεχνοποιήσειν τὸν σοφὸν ὡς ᾿᾿ὑπίκουρος ἐν ταῖς Διαπορίαις καὶ ἐν
ταῖς Περὶ φύσεως κατὰ περίστασιν δέ ποτε βίου γαμήσειν.
974 August Mayer,
schließlich (c. 22) mit der Geschichte von Sinorix und Kamma
belegt wird; dieser Teil scheint mir den Gedankengang der
Quelle zu unterbrechen, denn das Liebesproblem selbst wird
erst im Anfang von Kap. 23 wieder aufgenommen: (p. 768 E)
τὶς ἂν ἀνάσχοιτο τῶν τὴν ᾿Αφροδίτην λοιδορούντων ὡς Ἔρωτι
προσϑεμένη καὶ παροῦσα χωλύει φιλίαν γενέσϑαι; Wir haben
offenbar in diesem Satz die Begründung der gegnerischen
Theorie (Eros = ἡδονή) zu sehn: dem Stoiker mußte es na-
türlich darauf ankommen den Beruf der Liebe zur φιλοποιία
zu erweisen; der Epikureer, der diesen Beruf leugnet, muß da-
gegen den Eros auf den Sinnesgenuß beschränken.
Wie nun aus ἡδονή wirklich φιλία entsteht, führt Plutarchs
stoischer Gewährsmann p. 769 A aus (aber charakteristischer
Weise nur für die natürliche Liebe): ἀλλὰ γυναιξί γε γαμεταῖς
ἀρχαὶ ταῦτα (der Geschlechtsverkehr) φιλίας ὥσπερ ἱερῶν
μεγάλων χοινωνήματα " Kal τὸ τῆς ἣδον ἧς μικρόν, vielmehr
geht aus dem geschlechtlichen Verkehr mit der Zeit τιμή, χάρις,
ἀγάπησις und πίστις hervor 195. P. 769 B: ἄτοπον οὖν τὸ γυ-
γαιξὶν ἀρετῆς φάναι μηδ᾽ ἄλλης μετεῖναι (μηδὲ φιλίας
suppl. Reiske).
Nun folgt zum Beweise der moralischen Ebenbürtigkeit
von Mann und Frau 155) eine Aufzählung weiblicher Tugenden
und dann p. 769 Ο: τὸ δὲ πρὸς τἄλλα καλὴν τὴν φύσιν αὐτῶν
ἀλλὰ φέγοντας εἰς μόνην φιλίαν ἀνάρμοστον ἀποφαίνειν παν-
τάπασι δεινόν. Im folgenden (769 D) heißt es dann, daß der
Frau ihre Schönheit sowohl zur Erzeugung von ἧδονή als
auch von φιλία dient je nach ihrem Charakter 1”).
'»5) Es folgt ein solonisches Gesetz über Ehegemeinschaft und dann
(769 B) die Bekämpfung des Einwands ,πολλὰ φαῦλα χαὶ navırnd τῶν
γυναικείων ἐρώτων“: dasselbe gelte von der Knabenliebe. — Für Plu-
tarchs Quelle möchte ich eher eine Bekämpfung der vorauszusetzenden
epikureischen Behauptung, daß die Liebe überhaupt eine μανία sei, er-
warten (vgl. Kap. 24). Epikur dürfte sich auf Dichterstellen gleich der
(schwer verderbten) von Plutarch angeführten berufen haben, wo sich
ein Liebhaber wünscht, in der Umarmung der Geliebten zu sterben;
denn gegen Epikur bemerkt Plutarch non posse suaviter p. 1094 A:
οὔπω δέ τις ἐρωμένῃ πλησιάσας ὑπὸ χαρᾶς ἐβουϑύτησεν οὐδ᾽ ηὔξατό τις ἐμ-
πλησϑεὶς ὄψων ἢ πεμμάτων βασιλικῶν εὐθὺς ἀποϑανεῖν.
196) Eine Schrift περὶ τοῦ ὅτι ἢ αὐτὴ ἀρετὴ ἀνδρὸς καὶ γυναικός steht
im Verzeichnis der Werke des Kleanthes (D. L. VII 175). ;
1#7) Der Schluß von Kap. 23 (p. 769 Ὁ: 5 μὲν οὖν Πλάτων . . . .) ist
eine (etwas erweiterte) unpassende Wiederholung von praec. coning.
p- 141F, 142 A.
---- τ---ὐἷςν,
nn
ums
Aristonstudien. 915
Während nun die Rede des Daphnaios (Kap. 5) p. 751C, D
auf dem Standpunkt steht, daß der Geschlechtsverkehr bei
Homo- und Heterosexuellen eis φιλίαν διὰ χάριτος EEıxvel-
ται, wird dies hier wohl für die Weiberliebe des näheren be-
gründet, aber in Bezug auf die Männerliebe gelangt unser
Dialog nun zu einem andern Resultat: es wird nämlich auf
die Fälle hingewiesen, wo die wider den Willen der Natur
genossene ἧδονή geradezu Feindschaft erzeugt (p. 768E, F):
denn wer sich eine solche ὕβρις gern gefallen läßt, hat an der
φιλία schon ohnehin keinen Anteil, und die besseren Naturen,
die durch List oder Gewalt dazu gebracht werden, hassen ihre
Schänder (Beispiele: Archelaos, Alexander von Pherae, Peri-
ander); wir sehn also hier die oben besprochene steigende
antipäderastische Tendenz.
In Kap. 24 wird nun noch ein Punkt erledigt: Zeuxipp
scheint (vom epikureischen Standpunkt 155) aus) das ἐμπαϑὲς
χαὶ ödrvov der Liebesleidenschaft als nicht wünschenswert be-
zeichnet zu haben. Dies wird widerlegt mit der Begründung,
dies sei nur im Anfang so, dann entstehe die χρᾶσις δι᾿ ὅλων 19°),
während alles andere Zusammenleben dem Zusammenstoß und
Aneinanderprallen der Atome nach Epikurs Lehre gleiche ?09).
Und nun (p. 770 A) kehrt der Hauptgedanke dieses Ab-
schnitts wieder: οὔτε γὰρ ἧδοναὶ μείζονες ἀπ' ἄλλων οὔτε
χρεῖαν συνεχέστεραι πρὸς ἄλλους οὔτε φιλία ς τὸ καλὸν ἑτέρας
ἔνδοξον οὕτω... .. καὶ γὰρ ὃ νόμος βοηϑεῖ καὶ γεννήσεως
198) Definiert doch Epikur (fr. 483 Usener) den Eros als σύντονος
ὄρεξις ἀφροδισίων μετὰ οἴστρου καὶ ἀδημονίας.
199) Ganz ähnlich Antipater von Tarsos bei Stob. flor. 67, 25 (vol.
III, 12, 25 Mein. = III, 255, 12 Arnim) at μὲν γὰρ ἄλλαι φιλίαι N φιλο-
στοργίαι ἐοίκασι ταῖς τῶν ὀσπρίων ἢ τινων ἄλλων παραπλησίων κατὰ τὰς
παραϑέσεις μίξεσιν αἵ δ᾽ ἀνδρὸς χαὶ γυναιχὸς ταῖς δι᾿ ὅλων χρά-
σεσιν ὡς οἶνος ὕδατι καὶ τοῦτο ἔτι μὲν (Arnim: ἐπιμένίων); Jacobs: μέ-
λιτι) μίσγεται δι᾿ ὅλων; vgl. auch Plutarch praec. coning. 34: δεῖ δ᾽ ὥσπερ
οἵ φυσιχοὶ λέγουσι δι᾿ ὅλων γενέσθαι τὴν κρᾶσιν οὕτω τῶν γαμούντων
καὶ σώματα καὶ χρήματα καὶ φίλους καὶ οἰχείους ἀναμιχϑῆναι; F. Bock,
Leipz. Stud. XIX 36 hält für die gemeinsame Quelle des Antipater und
Plutarch den Aristoteles! — Zugrunde liegt die bekannte Lehre der
stoischen Physik von den verschiedenen Arten der Mischung (Diog.
Laert. VII 151; genauer Stob. Ecl. I 374f.; Alexin. de mixt. 142; vgl.
Zeller III® 1 S. 127 A. 1), wobei u. a. παράϑεσις wie bei der Vermengung
verschiedener Getreidearten und χρᾶσις δι᾿ ὅλων unterschieden werden.
200) Ausführung durch (bioneische?) Vergleiche p. 769E, F.
576 August Mayer,
χοινῆς χαὶ τοὺς ϑεοὺς ?01) "ἔρωτος - ἢ φύσις ἀποδείχνυσι δεομέ-
νους. Es folgen einige Worte über die Rolle des Eros im
Weltall und dann zum Schluß eine Aneinanderreihung bio-
neischer Bilder, welche sämtlich die Unbeständigkeit der
Knabenliebe zum Gegenstand haben: p. 770B: ἀλλ᾽ ἵνα μὴ
μαχρὰν ἀποπλανᾶσϑαι δοκῶμεν... . οἶσϑα τοὺς παιδιχκοὺς ἔρωτας
ὡς εἰς ἀβεβαιότητα πολλὰ —- λέγουσι Aal σχώπτουσι λέγοντες
ὥσπερ ᾧὸν αὐτῶν τριχὶ διαιρεῖσϑαι τὴν φιλίαν [= Bion bei Stob.
flor. 66, 5 392] αὐτοὺς δὲ νομάδων δίκην ἐνεαρίζοντας τοῖς τε-
ϑηλόσι καὶ ἀνθηροῖς εἶθ᾽ ὡς ἐκ γῆς πολεμιᾶς ἀναστρατοπεδεύειν "
ἔτι δὲ φορτικώτερον ὃ σοφιστὴς Βίων τὰς τῶν χαλῶν τρίχας
᾿Αρμοδίους ἐκάλει χαὶ ᾿Αριστογείτονας ὡς ἅμα χαλῆς τυραννίδος
ἀπαλλαπομένους ὕπ᾽ αὐτῶν τοὺς ἐραστὰς.
Diese hier an den Schluß 595) des Dialogs gestellten bio-
neischen Bilder können wir wohl als Signatur des Ganzen
— soweit die Behandlung des Erosproblems selbst in Betracht
kommt — in Anspruch nehmen ?%): denn stoische Doktrin
zusammen mit den Ausdrucksformen des Borystheniten 505) —
die wie wir gesehn haben die leitenden Gedanken begleiten —
legen uns nach dem, was jetzt über das Verhältnis der beiden
feststeht, den Namen des Chiers Ariston nahe. Er also ist es
gewesen, der sowohl auf der stoischen wie auf der platonischen
Liebestheori€E fußend — daneben finden sich (man denke
nur an die Rolle der sonst von der Stoa ganz totgeschwiege-
201) Stoische Parallelen zu diesem Gedanken in Menge bei Prechter,
Hierokles p. 143; vgl. besonders Chrysipp bei Hieronymus adv. Jovin.
II 48 (Arnim fr. 727; Seneca fr. 46 Haase), Musonius bei Stobaeus III,
6, 12 und 74, 24 (p. 75, 7 und 78, 6 Hense).
202) Vol. II, 406, 15 Mein.: Βίων πρὸς τοὺς λέγοντας ὅτι τυραννίδα ἔχει
τὸ κάλλος , φεῦ“ ἔλεγε «τυραννίδος τριχὶ καταλυομένης“. --- Zum Verständ-
nis des Zusatzes ὥσπερ ᾧὸν ist heranzuziehen Plato Symp. p. 1901:
ἔτεμνε τοὺς ἀνθρώπους δίχα ὥσπερ ol τὰ ὅα [τέμνοντος καὶ] μέλλοντες Tapı-
χεύειν [ἢ ὥσπερ οἵ τὰ ᾧφὰ] ταῖς ϑριξίν.
208) Es folgen noch die Worte ταῦτα μὲν οὐ δικαίως κατηγορεῖται τῶν
γνησίων ἐραστῶν, die zeigen, daß Plutarchs Autor die Knabenliebe nicht
ganz verurteilt; dann Ueberleitung zur Geschichte von Sabinus und
Empona (Kap. 25) und Schlußworte des Erzählers (Kap. 26).
304) Daß hier Plutarch nicht, wie Hense (Proll. p. LVIIl und Rh.
Mus. 45, 553) annahm, direkt aus einer bioneischen Diatribe schöpft,
sondern Ariston es ist, der (mit leiser Kritik) bioneisches anführt, erkannte
schon Giesecke, de phil. sent. p. 66 Anm. Auch er denkt an Aristons
ἐρωτικαὶ διατριβαί.
ἐ05) Ist doch das Aristonfragment p. 766F selbst ein bioneisches
Homoioma.
πον ὅτῳ
Aristonstudien. 577
nen ἥδονἡ) Anklänge an den Hedonismus Aristipps (cf. p.750E),
was ebenfalls für unsern Ariston stimmt — die Ebenbürtig-
keit der Frauen- mit der Knabenliebe nachzuweisen unter-
nahm und den Eros sowohl von der ihm heuchlerisch erschei-
nenden Askese seiner Schulgenossen als auch von der im epi-
kureischen Hedonismus bedingten Beschränkung auf den Sin-
nengenuß befreien wollte 595); daß eine solche Wandlung inner-
halb der Stoa einmal vorgegangen sein muß, ist sicher (vgl.
oben S. 567); als Wortführer dieser Bewegung paßt aber nie-
mand besser als unser frondierender Stoiker: seine ἐρωτιχαὶ
διατριβαί ---- denn nur dieses offenbar auch dialogisch gehaltene
Buch kann Plutarch vorgelegen sein — bezeichnen also einen
bedeutsamen Schritt auf dem langen Wege, der von der gewöhn-
lich als „hellenisch“ geltenden Auffassung der Liebe zu den der
späteren Stoa entstammenden Moraltraktaten der Kirchenväter
führt.
Es erübrigt nun noch einen Blick auf die von uns bisher
übergangenen Kapitel des Amatorius |7—9 und 13—20 507}
zu werfen, u. zw. bleibt in dieser Beziehung besonders zu
untersuchen ob sich nicht auch in den andern Teilen des Dia-
logs Gedanken finden, die sich in den Kreis der (von Plutarch
offenbar nur ganz summarisch wiedergegebenen) Leitsätze des
Ariston fügen: derartiges müßte sich uns erstens durch seine
enge Beziehung zum eigentlichen Erosproblem und zweitens
durch schlechte Verbindung mit dem sonstigen Zusammenhang
verraten.
Denn daß im großen und ganzen sich unsere Beobachtung,
daß Kapp. 4, 5 und 21, 23, 24 einem Gedankenkreis und
einem Autor zugehören, bestätigt, lehrt ein Blick auf den
sonstigen Inhalt.
Kapp. 7—9 wird die Frage behandelt, inwieweit die Ehe
mit einer bedeutend reicheren und älteren Frau dem Jüngling
von Nutzen oder Schaden sein könne: also ein Eheproblem,
kein Erosproblem und schon deswegen dem Ariston von Chios
208) Die aus Oicero Tusc. disp. IV, 33, 70 (Usener fr. 483; Arnim
fr. 653) zu erschließende Polemik über den Eros zwischen Epikureismus
und Stoa geht somit vielleicht in der Hauptsache auf Ariston zurück.
>07) Das übrige gehört zur Rahmenerzählung.
578 August Mayer,
abzusprechen, da er prinzipiell den präzeptiven Teil der Ethik
(insbes. Rücksichtnahme auf die individuell verschiedenen Le-
benslagen) ausschloß °°®), mochte ihn auch die Besprechung
der natürlichen Liebe in den £pwrixa! διατριβαί dazu führen,
auf die Wichtigkeit und Heiligkeit der Ehe hinzuweisen (in
diesen Zusammenhang gehört wohl fr. 400 Arnim, Stob. flor.
67,16):
Was nun die Kapitel 13—20 betrifft so ist von vorneher-
ein klar, daß der darin enthaltene Beweis „Eros ist Gott“
mit dem Hauptproblem des Dialogs (Wesen der wahren Liebe)
nichts zu tun hat 595): dazu tritt bestätigend die Beobachtung,
daß Kap. 21 mit Kap. 5 auf das engste zusammenhängt und
dazu stimmt auch, daß der eigentliche „Gottesbeweis“ nichts
anderes ist als eine mit hauptsächlicher Benützung von Pla-
tons Phaidros und Symposion und unter Heranziehung des
aristotelischen ’"Epwrexös zusammengestellte Rede auf Eros 310) ;
in dieselbe sind allerdings, wie wir gleich sehen werden, ge-
wisse Partien eingelegt, die sich sowohl durch ihr loses Fest-
sitzen im Zusammenhang als auch durch ihre Zugehörigkeit
505) Bei Seneca ep. 94 (fr. 359 Arnim), wo der diesbezügliche Stand-
punkt Aristons dargelegt wird, finden wir ausdrücklich die Ueberflüs-
sigkeit der praecepta coniugalia betont (S$ 3, 5, 8, 15, 26); so heißt
es in ὃ 15, daß wer sich auf spezielle Lebensvorschriften einlassen
wollte, auch detaillieren müßte „quomodo vivat cum uxore aliquis quam
virginem duxit..... quemadmodum cum locuplete quemadmodum
cum indotata“. Der Abschnitt gehört somit zum γαμικὸς τόπος und
darauf weisen auch die von Wendland (Quest. Muson. p. 57) hervorge-
hobenen Berührungen von 752F, 753A mit dem Paed. des Clem. Al.
(III 58 p. 288; II 122 p. 244 Pott.) hin. Doch schöpft Plutarch auch
hier aus einer stoisch-kynischen Diatribe, deren Stil unverkennbar da-
durch gekennzeichnet wird, daß die zwei entgegengesetzten Standpunkte
(Reichtum der Frau ist schädlich — vor dem Reichtum der Frau sich
zu fürchten ist kleinlich) jedesmal in bioneischen Bildern zusammen-
gefaßt werden (p. 752F, 753 A ὅϑεν οἵ νοῦν ἔχοντες x. τ. A. 754Α ὃ δὲ
συστέλλων τὴν γυναῖκα χ. τ΄ λ.), was (vgl. Hense, Proll. p. LXVIII) der
bioneischen Diatribe mit ihren Wechselreden (opinio communis und
wahre Ansicht) eigentümlich ist.
509) Daß dieser „Gottesbeweis“ tatsächlich bis Kap. 20 reicht (d.h.
über den Excurs c. 19 hinaus), hat K. Hubert a. a. O. 5. 5 richtig aus
der Stelle p. 766C: τῷ δ᾽ Ἔρωτι καὶ τοῦτο καϑάπερ τοῖς ἄλλοις ϑεοῖς
εν νον geschlossen.
>10) Die Plutarch wohl ganz gut selbst verfaßt haben könnte; aber
er trennt durch fremde Einschübe Zusammengehöriges in einer Weise,
daß deutlich wird: er verfährt auch hier nach Gutdünken mit einer
fremden Composition.
Aristonstudien. 579
zum Erosproblem als membra disiecta von Aristons Diatriben
erweisen.
Den ersten Beweis für die Gottheit des Eros leitet
Plutarch aus der πάτριος πίστις her ?!!): warum überhaupt am
Götterglauben zweifeln ἢ ἀρχεῖ γὰρ ἢ πάτριος nal παλαιὰ πίστις.
Greift man sie an einem Punkte an, so wankt sie ganz 315)
(p. 756 B), jeder Gott müßte dann angezweifelt werden |p. 756
C, Ὁ 3:5]; zum Schluß (757 A, B) wird die allegorische Götter-
erklärung des Chrysipp ?!*) als Beispiel des modernen Atheis-
mus angeführt.
Das Vorbild dieser Erörterungen ist zweifellos die Phae-
drusstelle p. 229 D, wo Sokrates die rationalistische Erklärung
des Mythos von Boreas und Oreithyia mit der Begründung
abweist, daß wer einen Mythos rationalisiert, gezwungen ist
dasselbe Verfahren bei allen übrigen anzuwenden: ἀνάγχη μετὰ
τοῦτο τὸ τῶν ἹἹπποχενταύρων εἶδος ἐπανορθοῦσθαι καὶ αὖϑις τὸ
τῆς Χιμαίρας καὶ ἐπιρρεῖ δὲ ὄχλος τοιούτων Τ᾽οργόνων χαὶ Im-
γάσων...... αἷς εἴ τις ἀπιστῶν προσβιβᾷ κατὰ τὸ , εἰκὸς “ ἕκαστον
οὖς πολλῆς αὐτῷ σχολῆς δεήσει.
Der zweite Gottesbeweis (aus dem Alter des Eros) ist
nicht nur in den ersten eingeschoben sondern auch wieder
selbst zerstückt; er beginnt p. 756 C: οὐ γὰρ νῦν αἰτεῖ πρῶτον
βωμὸν ὁ ἥρως xal ϑυσίαν οὐδ᾽ ἔπηλυς ἔχ τινος βαρβαρικῆς
δεισιδαιμονίας... .... παραδύεται... . ὥστε παρεισγραφῆς δίχην
φεύγειν χαὶ νοϑείας τῆς ἐν ϑεοῖς; und nun werden drei Beleg-
stellen für das Alter des Eros angeführt: zuerst die Verse
des Empedokles über die kosmogonische Rolle der Φιλότης
(fr. 17, 20 Diels) mit dem Zusatz δοξαστὸς ἡμῖν ὃ ϑεὸς οὗτος
ἐν τοῖς πάνυ παλαιοῖς. Dann (durch einen längeren Ein-
211) C. 13 Anfang bis p. 7560 ἄδηλον : dazu gehört aber auch außer
den Worten 756E ὧν ἂν περὶ ἑκάστου... .. ἀπολείφεις der Schluß des
Kapitels von p. 757 A ὥσπερ οὐδὲ τῶν ἄλλων ϑεῶν an.
212) Vjelleicht ist zu lesen ἐπισφαλὴς γίγνεται πᾶσα (trad.: πᾶσι) καὶ
ὕποπτος.
218) τὶ οὖν διαφέρει τὴν περὶ τοῦ Διὸς δόξαν ἣ τῆς ᾿Αϑηνᾶς ἣ τοῦ "Epw-
τος εἰς ἀμφιβολίαν τῷ λόγῳ ϑέσθϑαι ἢ καὶ (εἰς) ἄδηλον ; dann folgen nach
Einschiebung eines zum zweiten Gottesbeweis gehörigen Stückes die
Worte p. 756 Ὁ ὧν ἂν περὶ ἑκάστου τεχμήριον ἀπαιτῇς παντὸς ἁπτόμενος
ἱεροῦ. ., οὐδὲν ἀσυχοφάντητον. .. ἀπολείψεις. Dieser Zusammenhang
ist jetzt ungeschickt unterbrochen.
214) Stammt also schon deshalb nicht aus stoischer Quelle.
580 AugustMayer,
schub getrennt) p. 756 F die Parmenidesstelle fr. 13: διὸ Παρ-
μενίδης μὲν ἀποφαίνει τὸν "Epwra τῶν ᾿Αφροδίτης ?15) ἔργων
πρεσβύτατον... . Ἡσίοδος (Theogon. 120) δὲ φυσικώτερον
ἐμοὶ δοχεῖ ποιεῖν "Epwra πάντων προγενέστατον, ἵνα πάντα
δι᾿ ἐκεῖνον μετάσχῃ γενέσεως.
Sowohl der Gedanke, daß Eros der älteste Gott sei, wie
auch die zum Beweis herangezogenen Verse des Parmenides
und Hesiod stammen aus der Erosrede des Phaidros (Sympos.
p. 178 B), aus der überhaupt besonders viel entlehnt wird.
Zwischen diesen Stücken des zweiten Beweises steht zu-
nächst der oben behandelte zum ersten Gottesbeweis gehörige
Satz 756 Ὁ (ὧν ἂν περὶ Exdorou.... . ἀπολείψεις), dann ein
Citat (Eurip. frgm. 898 + Hippolyt. 449 f.), aus dem offenbar
die Gottheit der Aphrodite hervorgehn soll:
τὴν δ᾽ ᾿Αφροδίτην οὐχ ὁρᾷς ὅση ϑεὸς ....-
und zum selben Gedanken gehören die Worte, die auf den
zweiten Gottesbeweis folgen: ἂν οὖν Töv"Epwra τῶν vevonto-
μένων τιμῶν ἐχβάλλωμεν οὐδ᾽ ai τῆς ᾿Αφροδίτης κατὰ
χώραν μενοῦσιν (folgen eine Euripides- und eine Sophokles-
stelle, die Eros bezw. Aphrodite feindlich sind). Plutarch hat
also offenbar speziell aus der Gottheit der Aphro-
dite die Gottheit des Eros beweisen wollen 316) ;
offenbar nur um dieses „Beweises“ willen ist das noch erübri-
gende Stück von Kap. 13 eingeschoben worden.
Der Inhalt des Stückes (p. 756 E, F ἀλλ᾽ ὅμως τὸ μέγα
τοῦτο... .. καὶ obyxpaow)ist:ohneAphroditeistEros
nichts und umgekehrt; daraus soll nun — nach Plu-
tarchs Meinung — wegen der Gottheit der Aphrodite auf die
Gottheit des Eros geschlossen werden! Man sieht aber sofort,
daß dieses Stück nicht hierhergehört.
Andrerseits ist seine Zugehörigkeit zum Erosproblem
in die Augen springend: Kap. 5 Ende (p. 752 B) hat der Ver-
215) Die namenlose Daimon des Parmenides (vgl. Diels z. St. S. 109
der Sonderausgabe) bezeichnet Plutarch willkürlich als Aphrodite,
offenbar um die Anknüpfung mit dem vorhergehenden aus ganz ande-
rem Zusammenhang stammenden Einschiebsel zu besorgen.
216) Dies ist aber ein Cirkel wegen des von Plutarch selbst beton-
ten engen Verhältnisses gerade dieser beiden Gottheiten. Etwas ande-
res ist das Argument aus der πάτριος πίστις im allgemeinen.
Aristonstudien. 81
teidiger der Weiberliebe die Frage aufgeworfen: πῶς Ἔρως
ἔστιν ᾿Αφροδίτης μὴ παρούσης; ἣν εἴληχε ϑεραπεύειν Ex ϑεῶν
χαὶ περιέπειν, τιμῆς τε μετέχειν καὶ δυνάμεως ὅσον ἐκείνη δί--
δωσιν; genau so hier: τὸ μέγα τοῦτο χαὶ ϑαυμαστὸν ᾿Αφροδίτης
μὲν ἔργον "Epwros δὲ πάρεργόν ἐστιν ᾿Αφροδίτῃ συμπαρόντος.
— Die nächsten Worte dagegen sind das genaue Widerspiel
der vorigen: „was ist Aphrodite ohne Eros?“: μὴ συμπαρόντος
δὲ (sc. ἔρωτος ᾿Αφροδίτῃ) κομιδῇ τὸ γιγνόμενον ἄζηλον ἀπολεί-
πεται..... ἀνέραστος γὰρ ὁμιλία (ΞΞ Aphrodite ohne Eros)
χαϑάπερ πεῖνα χαὶ δίψα πλησμονὴν ἔχουσα πέρας εἰς οὐδὲν
ἐξιχνεῖται χαλόν 517). Hier liegt uns also offenbar eine Ent-
scheidung in dem für Aristons Diatriben anzunehmenden Streit
über das Verhältnis von Eros und Aphrodite
vor: die Knabenliebhaber behaupten: Eros ist alles, Aphrodite
nichts, die Gegner das Gegenteil. Hier wird nun die Ent-
scheidung getroffen: das eine ist nichts ohne das andere 3:5).
Diese Erkenntnis bahnt uns den Weg zur Zuweisung
eines weitern Abschnitts der Rede des πατήρ (Plutarchs) an
die Diatriben Aristons: denn auch hier paßt das Stück einer-
seits nicht zu Plutarchs eigenem Zusammenhang, andrerseits
hängt es mit dem Erosproblem aufs innigste zusammen: ich
meine die Stelle Kap. 16 p. 759 F bis zum Schluß des Ka-
pitels.
Der Inhalt derselben ist nämlich wiederum: „Aphrodite
ist nichts ohne Eros“. Plutarch fügt diesen Gedanken hier
in seinen „Gottesbeweis“ ein, um — was von p. 759D gegen
Ende 515) an geschieht — die Gottheit des Eros aus seiner
δύναμις zu erweisen: u. zw. soll zunächst gezeigt werden, daß
217) Völlig unpassend sind die folgenden Worte: ἀλλ᾽ 7) ϑεὸς Ἔρωτι
τὸν κόρον ἀφαιροῦσα τῆς ἡδονῆς φιλότητα ποιεῖ χαὶ σύγχρασιν. Gerade das
umgekehrte wäre zu erwarten: Eros bewirkt, daß den Liebenden die
ἡδονή (Aphrodite) nie zuviel wird.
215) Indem wir dieses Problem und seine Lösung für Ariston an-
nehmen, lassen wir ihn (ebenso wie an der ähnlichen Stelle Kap. 4
p: 750E) in die Fußstapfen Aristipps treten, von dem Stob. flor.
63, 32 (vol. II, 375, 12 Mein.) folgendes überliefert ist: "Aplounnog ὃ
Κυρηναῖος φιλόσοφος ἐρωτηϑεὶς el ὃ ἔρως ἕνεκα τῆς συνουσίας γίγνεται
„odr’* ἔφη ,διὰ τοῦτο οὔτ᾽ ἄνευ τούτου“. Weitere Aussprüche des Aristipp
zur Erosfrage siehe Diog. Laert. II 69, 74, 75.
219) ὅμως δ᾽ ἐπεὶ δυνάμει χαὶ ὠφελείᾳ μάλιστα ϑεοὺ(ς διαχρίνο-
μὲν suppl. Bern.) .... ὥρα σχοπεῖν πρότερον εἴ τινι ϑεῶν ὃ Ἔρως ὑὕφίεται
δυνάμευω ς.
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 38
ὅ82 August Mayer,
Eros stärker ist als Aphrodite. An sich gewiß kein schlech-
ter Zusammenhang, aber für Plutarchs Disposition unmöglich,
da in Kap. 5 die gegenteilige Behauptung von dem Verteidi-
ger der Eheliebe (zu dem ja auch Plutarch selbst hinneigt)
geäußert worden ist, die dann in Kap. 13 dahin rektifiziert
wird, daß Eros und Aphrodite sich gegenseitig ergänzen; die
einseitige Behauptung „Aphrodite ist nichts ohne Eros“, die
hier begegnet, erweist sich daher für Plutarch als ein Rück-
schritt des Gedankens: uns aber ist sie deutlich erkennbar als
päderastisches Gegenstück zu der feministischen These des
Daphnaios in Kap. 5; bei Ariston werden diese beiden Thesen
aufeinandergefolgt sein und dann wird (wie in Kap. 13 ge-
schieht) die Antinomie gelöst worden sein.
Daß hier (wie schon Hubert a. a. Ὁ. 5. 10 bemerkte) ein
„fragmentum laudationes amoris puerilis“ vorliegt, wird jeder
selbst sehn: σχοπῶμεν οὖν εὐθὺς ὅτι τῆς ᾿Αφροδίτης τοὔργον
(ἄνευ suppl. Reiske) 339) Ἔρωτος ὥὦνιόν ἐστι δραχμῆς χαὶ οὔτε
πόνον οὐδεὶς οὔτε χίνδυνον ἀφροδισίων ἕνεκα μὴ ἐρῶν ὑπέμεινε 331)
. οὕτως ἀσϑενὴς καὶ ἁψίχορός ἐστι ἣ τῆς ᾿Αφροδίτης χάρις
Ἔρωτος μὴ ἐπιπνεύσαντος. Die päderastische Tendenz zeigt
sich deutlich in den folgenden Worten: ἔτι δὲ μᾶλλον xdxel-
εν ἂν συνίδοις " πολλοὶ γὰρ (sc. Liebhaber von Weibern) &ppo-
δισίων ἑτέροις ἐκοινώνησαν οὐ μόνον ἑταίρας ἀλλὰ χαὶ γαμετὰς
npoaywyebovtes .... (folgen zwei Anekdoten) ἂρ οὖν ἐραστῶν
(Knabenliebhaber) τοσούτων γεγονότων Aal ὄντων olod ἐπὶ ταῖς
τοῦ Διὸς τιμαῖς προαγωγὸν ἐρωμένου γενόμενον; Eifersucht
schöner Knaben wegen ist auch das einzige Motiv Tyrannen
entgegen zu treten (Beispiele: Aristogeiton, Antileon und Me-
lanippos 3"). Es folgen noch zwei (nicht zum Gedanken pas-
220) Bernardakis schlägt vor: "Epw(tog μὴ παρόν τος.
321) Als Bekräftigung wird die Tatsache erwähnt, daß man für
Hetären, an denen man hundertmal achtlos vorbeigegangen ist, plötz-
lich die größte Leidenschaft empfindet. Das sei nicht der Aphrodite
Werk, sondern das des Eros (p. 759F). Ein Gegenstück dazu ist viel-
leicht p. 767F die Erwähnung der Lais, die aus Liebe (ἐπεὶ δ᾽ "Epwg
ἔϑιγεν αὐτῆς) zu einem Einzigen Korinth und die Schar ihrer Liebhaber
verließ.
222) Die Geschichte von Melanippos von Akragas und seinem An-
schlag auf den Tyrannen Phalaris erzählte ausführlich Herakleides
Pontikos ἐν τῷ περὶ ᾿Πρωτικῶν (bei Athen. XIII p. 602B, C: daraus auch
Aelian V. H. II, 4 und Suidas 5. v. ᾿Αντέρως). Natürlich braucht Plu-
tarchs Gewährsmann das Beispiel nicht gerade daher zu haben.
Aristonstudien. 583
sende), Anekdoten über Alexander, der sich der Weiber enthielt,
die seine Freunde liebten.
Ein viertesmal begegnet der bei Plutarch in den Kapiteln
5, 13, 16 berührte Gedankenkreis über das Verhältnis von
Eros und Aphrodite in Kap. 19: dort wird unter dem Vor-
wand eines Exkurses über die Eroslehre der Aegypter “5 die
Behauptung aufgestellt: Eros gleiche der Sonne, Aphrodite
dagegen dem Mond; das erstere wird in einer Reihe von Bil-
dern, die z. T. an Bion gemahnen 235) p. 764 B—D (rip μὲν
γὰρ οὐδέτερόν ἐστιν. ... πάντων ὑπερορᾶν) ausgeführt; dann
heißt es: σελήνην δ᾽ ᾿Αφροδίτην καλοῦντες ἅπτονταί (die Aegyp-
ter) τινος ὁμοιότητος" καὶ γὰρ ἀδρανὴς δὲ Rad" ἑαυτὴν χαὶ σχο-
τώδης ἡλίου μὴ προσλάμποντος ὥσπερ ᾿Αφροδίτη μὴ
παρόντος Ἔρωτος. Also kehrt hier die päderastische
These wieder, daß Aphrodite nichts sei ohne Eros, u. zw. hier
in einem schönen Bilde ausgeführt; wir werden wohl nicht
fehl gehen, wenn wir auch diesen mit dem Erosproblem so
eng zusammenhängenden Vergleich dem Ariston zuschreiben.
Kehren wir nunmehr zum „Gottesbeweis“ zurück: nach
dem Beweis aus der πάτριος πίστις und dem Alter — der Be-
weis aus der Gottheit der Aphrodite ist offenbar Plutarchs
Vorlage fremd — wird drittens die Gottheit des Eros
durch eine Reihe von Induktionsschlüssen bewiesen; zunächst
daraus, daß es auch für alle andern χρεῖαι des Lebens (Ge-
burt, Krankheit, Tod) einen Gott gibt (c. 15 p. 758A, B);
eine offenbare Doublette zu diesem allgemeinen Gedanken sind
die im 14. Kap. vorausgeschickten Spezialisierungen desselben:
238) Aeußerlich ist dieser Abschnitt mit dem vorhergehenden ver-
knüpft durch den Hinweis auf die Bemerkung c. 17 p. 762 A über die
Lehren der Aegypter, die Rückkehr Liebender aus dem Hades be-
treffend. Soklaros bittet Plutarch, dies nun näher zu begründen. Plu-
tarch jedoch führt, wie man sieht, etwas ganz anderes aus, was mit
der Rückkehr aus dem Hades nichts zu tun hat. Also ist klar, daß die
Erwähnung der Eroslehre der Aegypter (Eros = Sonne; Aphrodite =
Erde bezw. Mond) nur ein ganz roher Kitt ist, um den Gedanken der
Quelle (Aphrodite ohne Eros ist wie Mond ohne Sonne) anzubringen.
224) So z. B.: ὡς δ᾽ ἥλιος ἔκ νεφῶν καὶ ned” ὀμίχλην ϑερμότερος οὕτως
Ἔρως per’ ὀργῆς καὶ ζηλοτυπίας ἐρωμένου διαλλαγέντος ἡδίων καὶ δριμύ-
tepog. Direkt an Ariston erinnert wegen des Parallelismus von seeli-
scher und körperlicher sanitas (vgl, fr. 375 Arnim; Plut. de virt. mor.
2 p. 440 F) καὶ μὴν οὔτε σώματος ἀγύμναστος ἕξις ἥλιον οὔτ᾽ ἔρωτα δύναται
φέρειν ἀλύπως τρόπος ἀπαιδεύτου ψυχῆς.
38 Ὁ
584 August Mayer,
wenn es einen Kriegsgott gibt, so gibt es auch einen Gott
der Liebe 355); wenn es einen Jagdgott gibt, so hat auch die
Liebe — ist sie ja nach stoischer Definition ἐπιβολὴ φιλοποιίας
— als χάλλιστον ϑήραμα ihren Gott.
Interessanter als diese Gedanken sind uns die in den Kapp.
14 und 15 noch erübrigenden Sätze: denn auch hier scheint
Plutarch ein Stück der aristoneischen Diatriben seiner andern
Vorlage (dem „Gottesbeweise“) eingearbeitet zu haben: klingen
nämlich schon die oben berührten Worte p. 757 E ἀνδρὶ δὲ
χάλλιστον ἐπιχειροῦντι ϑήραμα φιλίαν ἑλεῖν οὔτε ϑεὸς οὔτε
δαίμων . «. . . συνεφάπτεται τῆς ὁρμῆς; ganz stoisch, so gilt
dies in noch höherem Maß von den folgenden Gedanken (Kap.
14 Ende, Kap. 15 Anfang; p. 757 E, F): der Mensch hat wie
die Pflanze einen (seelischen) Wachstrieb, welcher ὥραν xal
κάλλος σώμαπος καὶ Ψυχῆς), anzeigt (cf. p. 767 B:
ὥρα als ἄνϑος ἀρετῆς); so wie die Pflanze bedarf auch der
Jüngling ἐν ὥρᾳ χαὶ ἄνθει der Pflege, damit er erreiche das
εἰς ἀρετὴν ὀρϑὸς ἐλϑεῖν χαὶ μὴ παρατραπῆναι μηδὲ κλασ-
ϑῆναι τὸ γενναῖον ἐρημίᾳ κηδεμόνος 7] κακίᾳ τῶν προστυγχανόν-
των, ἃ. ἢ. also: er bedarf eines guten ἐραστής. Dieser
Gedanke???) gehört offenbar zu einer Verteidigung der
Knabenliebe, denn er zeigt ihre veredelnde Wirkung auf
den ἐρώμενος. Eben dahin möchte ich u. zw. besonders wegen
ihres polemischen Tons die Worte p. 758 C ziehen: οὐδὲν γὰρ
ἐστιν αἰσχρὸν οὐδ᾽ ἀναγκαῖον ἀλλὰ πειϑὼ καὶ χάρις. . . . ὅφη-
γεῖται πρὸς ἀρετὴν καὶ φιλίαν (die zwei Ziele der Liebe
nach stoischer Lehre).
Zu diesem den ἐρωτικαὶ διατριβαὶ entstammenden Gedanken
(veredelnde Wirkung der Liebe auf den ἐρώμενος) möchte ich
225) Keinesfalls stammt dies aus derselben Quelle wie p. 758F (wel-
che Stelle sicher dem Bestand von Plutarchs zweiter Vorlage — der
Rede ὅτι ϑεὸς ὁ Ἔρως — angehört), da dort ebenfalls aus der Existenz
des Ares auf die des Eros geschlossen wird. Mithin wird Kap. 14 wohl
Plutarchs eigene Erfindung sein.
226) Auch hier erinnert der psychophysische Parallelismus direkt
an Ariston (p. 766 F). j
227) Plutarch hat diesen einfachen Vergleich seinem „Gottesbeweis“
zuliebe verschoben und damit verdorben; es heißt nun bei ihm: wie
das Wachstum der Pflanze den Dryaden am Herzen liegt, so sorgt für
das Wachstum des Menschen ein Gott: Eros. Das notwendige Binde-
glied „der Liebhaber als Erzieher“ ist ausgefallen.
Aristonstudien. 585
gleich sein ebenfalls versprengtes 355) Gegenstück stellen (c. 16
p. 759 D): die veredelnde Wirkung der Liebe auf den ἐραστής.
Die Stelle lautet (nach Bernardakis’ Ergänzung): ὁ μὲν γὰρ
Ῥωμαῖος Κάτων ἔλεγε τὴν ψυχὴν τοῦ ἐρῶντος ἐνδιαιτᾶσϑαι τῇ
τοῦ ἐρωμένου: ζἔμοιγε δὲ δοχοῦσιν.. ἐνεῖναι τῇ τοῦ ἐρῶντος
ψυχῇ τοῦ ἐρωμένου» χαὶ τὸ εἶδος καὶ τὸ ἦϑος καὶ ὁ βίος καὶ
ai πράξεις bp’ ὧν ἀγόμενος ταχὺ συναιρεῖ πολλὴν ὁδὸν (nal)
ὥσπερ οἱ Κυνικοὶ 2339) λέγουσιν, σύντονον ὁμοῦ χαὶ σύντομον “
εὑρίσκεται (trad.: εὑρηκέναι) πορείαν ἐπ᾽ ἀρ ετὴ ν.
Es folgt (Kap. 16 Anfang) ein weiterer Induktionsschluß,
den Plutarchs Vorlage wohl nicht direkt aus Plato geschöpft
hat wie den ersten und zweiten Gottesbeweis aber doch unter
Anlehnung an platonische (bezw. peripatetische) Doktrin ge-
bildet hat: nach dem sich auf Aristoteles berufenden doxo-
graphischen Bericht über Platos Einteilungen war es Platos
Lehre (Diog. Laert. III 81) daß es drei Arten von φιλία gäbe
φυσική, ἑταιρική, Eeviny) und einige zählten noch als vierte die
ἐρωτική hinzu 23%), Nun lesen wir hier p. 758 ἢ: εἰ τέσσαρα
γένη τῆς φιλίας ὥσπερ οἱ παλαιοὶ διώρισαν τὸ φυσικὸν πρῶτον
εἶτα τὸ συγγενικὸν 231) ἐπὶ τούτῳ Hal τρίτον τὸ ἑταιριχὸν καὶ
τελευταῖον τὸ ἐρωτικὸν, ἔχει τούτων ἕκαστον ἐπιστάτην ϑεὸν....
μόνον δὲ τὸ ἐρωτικὸν... . ἀδέσποτον ἀφεῖται:
Ganz ähnlich ist der folgende Induktionsschluß, der wieder
direkt aus Plato geschöpft ist, was Plutarch selbst mit folgen-
den Worten ankündigt: ἀλλὰ μὴν... τάγε τοῦ ΠΙλάτωνος
(Phaedr. p. 244, 245) ἐπιλάβοιτ᾽ ἂν τοῦ λόγου καὶ παρεξιόντος 353).
Der Beweis selbst (p. 758E ff.) besteht in folgendem: jede
338) Es unterbricht den Zusammenhang der Erörterung über die
Göttlichkeit der erotischen μανία. Richtig Hubert a. a.O.S. 7: amore
animos ad amicitiam et virtutem duci hoc loco nihil refert.
2539) Bezeugt durch Apollodor bei D. L. VII 121; Clem. Al. Paed. I
3 p. 103 Pott.; Julian or. VII p. 225C Sp.
230) Dieselbe Theorie wird D. L. V 31 dem Aristoteles zugeschrieben;
ebenso die Διαιρέσεις ᾿Αριστοτέλους 58 (Rose, Ar. ps. p. 692, 15); vgl. Stob.
Ecl. II, 7, 22 (vol. II, 143, 1W) und G. Heylbut, De Theophrasti libris
περὶ φιλίας (Bonner Diss. 1876) p. 8.
23!) Wie sich aus dem Vergleich der übrigen Berichte ergibt, ist
φυσικόν und ovyyevızöv dieselbe Art der φιλία; Plutarch drückt also die
erste Species zweimal aus und vergißt dafür das ξενικόν.
389) Zum Ausdruck vergleicht Bernardakis Plato Rep. p. 508 A:
ἄττα ἦν τὰ λεγόμενα παρεξιόντος xal παραχαλυπτομένου τοῦ
ὀγου.
586 August Mayer,
Art der μανία hat ihren Gott: die Mantik den Apollon, die
bacchische Raserei den Dionysos, die poetische die Musen, die
kriegerische den Ares; es bleibt jedoch (p. 759 A λείπεται. .... )
noch eine Art der μανία, die Liebesraserei, die auch einen Gott
haben muß, den Eros.
Dies schließt sich, wie man sieht, ziemlich eng an Plato
an, der (p. 244C) als erste Art der μανία die Mantik zählt
(μανικὴ---κμκαντικῆ), als zweite die kathartische Ekstase (p. 244
1), E), als dritte die Poesie (p. 245 A) 338), als τετάρτη μανία
(p. 249 D) den Eros 252.
Als Anhang zu diesem Gottesbeweise ist die folgende Er-
örterung (von p. 759 A 7 γὰρ οὐχ δρᾷς ab bis p. 759 Ο τὸν
ἄλλον χρόνον; dann ein Einschub über die veredelnde Wirkung
des Eros auf den ἐραστής, über dessen Zugehörigkeit oben
Ὁ. 585 gehandelt wurde; dann Resume p. 759 ἢ λέγω δὴ xe-
φάλαιον..... καὶ ϑύομεν) zu betrachten: kriegerische, bacchi-
sche, mantische Raserei beruhigen sich erotische aber nimmer-
mehr.
Die drei behandelten Induktionsschlüsse (für jede χρεία,
φιλία, μανία gibt es einen Gott, so auch für die Liebe) kann
man leicht unter einem Gesichtspunkt zusammenfassen. Plu-
tarchs Vorlage beweist also die Gottheit des Eros erstens aus
der πάτριος πίστις, zweitens aus dem Alter, drittens aus der
Analogie.
Ein vierter Beweis beginnt Kap. 16 p. 759 ἢ: ὅμως
δ᾽ ἐπεὶ δυνάμει καὶ ὠφελείᾳ μάλιστα ϑεοὺςς διαχρίνομεν
suppl. Bern.) χαϑότι χαὶ τῶν ἀνθρωπίνων ἀγαϑῶν δύο ταῦτα
βασιλείαν χαὶ ἀρετὴν ϑειότατα nal νομίζομεν καὶ ὀνομάζομεν,
ὥρα σχοπεῖν πρότερον εἴ τινι ϑεῶν ὁ ἔρως ὑφίεται δυνάμεως.
Dieser Disposition gemäß soll nun zuerst die δύναμις des Eros
dargelegt werden und zwar zunächst im Vergleich zu Aphrodite,
dann zu Ares. Der erste Punkt (Aphrodite) wird bis zu Ende
388) Plutarch citiert p. 758F Platos eigene Worte: τρίτη δ᾽ ἀπὸ Mov-
σῶν λαβοῦσ᾽ ἁπαλὴν καὶ ἄβατον ψυχήν.
384) Eine leise Abweichung von Plato besteht darin, daß Plutarch
die Liebe einer höheren Art von Raserei (χρείττονος δυνάμεως ἀρχὴν
ἔχουσα χαὶ χίνησιν) zuweisen will und daher p. 758 E eine Unterscheidung
von μανία und ἐνθουσιασμός (dieses Wort dient wegen der Etymologie
ἔνϑους — ἔνϑεος zugleich als „Gottesbeweis“) vorausschickt.
Aristonstudien. 587
des 16. Kap. behandelt: wir haben jedoch oben (5. 582) ge-
sehn, daß dieses Stück mit dem „Gottesbeweis“ nichts zu tun
hat. Sicher gehört aber die Erörterung des zweiten Punktes
(„Eros ist kriegerisch*) zu der nun immer deutlicher hervor-
tretenden zweiten Plutarchischen Vorlage, der Rede ὅτι ϑεὸς
ὃ Ἔρως. Denn auch hier sehen wir engsten Anschluß an
Plato: ganz ebenso wie hier wird in der Rede des Phaidros ?°°)
Symp. p. 179 A auf die Tapferkeit der Liebenden hingewiesen:
ἐρῶν γὰρ ἀνὴρ ὑπὸ παιδικῶν ὀφθῆναι ἢ λιπὼν τάξιν ἢ ὅπλα
ἀποβαλὼν ἧττον ἂν δήπου δέξαιτο ἢ ὑπὸ πάντων τῶν ἄλλων χτλ.
Dies wird von Plutarch in breiter Weise 555) von Kap. 17 An-
fang bis p. 761 Εἰ (ὅρκους τε λαμβάνοντες) ausgeführt; daß die
Beispiele der Verherrlichung der Knabenliebe dienen, ergibt
sich aus der Natur des Gegenstandes 55); die von Plutarch
hier benützte Quelle ging auf das Thema der andern Vorlage
(Ebenbürtigkeit der Weiberliebe) offenbar gar nicht ein.
Den Schluß dieses Abschnitts macht der ebenfalls der
Phaidrosrede (Symp. p. 179B καὶ μὴν ὑπεραποῦνήσχειν γε
μόνοι ἐθέλουσιν ol ἐρῶντες οὐ μόνον ὅτι ἄνδρες ἀλλὰ χαὶ αἱ
γυναῖχες [folgt längere Ausführung über Alkestis]) entnommene
Gedanke p. 761 E: ”Apeos γὰρ οὐ πάνυ μέτεστι γυναικί, ἣ δ᾽
ἐξ ἔρωτος χατοχὴ προάγεταί τι τολμᾶν παρὰ φύσιν χαὶ ἄπο-
385) Der Plutarchs Vorlage auch den zweiten Beweis (aus dem Alter)
entlehnt hat; ebendaher (p. 179 E—180 B) das Beispiel des Achill als
Liebhaber (p. 761 D).
386) Der Hauptgedanke p. 760 D ἀνὴρ γὰρ ὑποπλησϑεὶς "Epwrog οὐδὲν
ἼΑρεος δεῖται μαχόμενος πολεμίοις. — Das historische Material entstammt
in der Hauptsache dem ’Epwrixög des Aristoteles (fr. 83 Rose; Citat
p. 761 A): so der Bericht über den Krieg zwischen Chalkis und Eretria
(Plutarchs unmittelbare Vorlage nennt den Helden der Geschichte Kleo-
machos von Pharsalos, während er bei Aristoteles Anton heißt und aus
dem thrakischen Chalkis kommt); ebenso auch der folgende (p. 761 B)
Bericht über die Schlachtordnung der thebanischen Hopliten, wo der
ἐρώμενος neben dem ἐραστής steht; denn die darauf bezügliche witzige
Kritik des Pammenes an Homer steht vita Pelopidae 18, wo dann so-
fort unter namentlicher Anführung des Aristoteles (fr. 82 Rose) die
Nachricht über die Liebesschwüre der jungen Krieger am Grab des
Iolaos folgt, was wieder mit amat. 761 E stimmt. Auch die Erwähnung
der Kreter p. 761 D ist wohl ebendaher wegen Athen. 601 E, der sicher
den Aristoteles ausschreibt. — Ein ähnlicher Gedankencomplex wird
bei Athenaeus XIII 602A dem Hieronymos von Rhodos (fr. 17Hi.) zu-
geschrieben.
281) Vgl. darüber Hirzel, Dial. II 233 A. 1, welcher aus dem der
sonstigen Tendenz der Rede widersprechenden Lob der Knabenliebe auf
Benützung älterer "Epwrxoi schließt.
ὅ88 August Mayer,
ϑνήσχειν. Beispiel ist auch hier natürlich Alkestis 238), Der
platonische Gedanke p. 179 C, daß die Auferstehung vom Tode
außer Alkestis nur wenigen zuteil geworden sei, ist bei Plu-
tarch p. 761 F: μόνῳ ϑεῶν ὁ "Aröng "Ἔρωτι ποιεῖ τὸ προσταττό-
μένον wiederzuerkennen.
Daran knüpft nun ein weiterer einer andern Platostelle
entlehnter Gedanke an: p. 761 F: ὅϑεν ἀγαϑὸν μὲν... τῆς
ἐν Ἔλευοῖνι τελετῆς μετασχεῖν ἐγὼ δ᾽ ὁρῶ τοῖς Ἔρωτος
ὀργιἄᾶσταϊς χαὶ μύσταις ἐν “Αιδου βελτίονα μοῖραν οὖσαν
ἐννν 162 A εἶ γὰρ δὴ λέγουσι... ἐξ “Αἰδου τοῖς ἐρωτικοῖς ἄνο-
δον εἰς φῶς (d. h. ins himmlische Lichtreich) ὑπάρχειν, ὅπη
δὲ καὶ ὅπως ἀγνοοῦσιν, ὥσπερ ἀτραποῦ διαμαρτόντες, ἣν πρῶτος
ἀνθρώπων διὰ φιλοσοφίας Πλάτων κατεῖδε 239%). Zugrunde
liegt vor allem die Stelle des Phaidon p. 69 C: ὃς ἂν ἀμύη-
τος χαὶ ἀτέλεστος εἰς Αἵδου ἀφίκηται Ev βορβόρῳ κείσε-
τῶι, ὃ δὲ χεχαϑαρμένος Exeioe (ins Lichtreich) ἀφικόμενος μετὰ
ϑεῶν οἰχήσει; andrerseits kommt in Betracht die metaphysi-
sche Rolle des Eros bei Platon als Vermittler zwischen Sin-
nenwelt und Reich der Ideen.
Vollkommen deutlich wird Herkunft und Zusammenhang
der Stelle durch Heranziehung der Partie Kap. 19 p. 764 E
χαὺ τἀναντία φαίη Ts ἂν. ᾿ :.: 765 A παρέστη μυσταγωγός.
Nachdem Plutarch nämlich über das Verhältnis von Eros und
Aphrodite (unter dem Bild von Sonne und Mond) gehandelt
hat 540) Jest er die Verschiedenheit der Körper- und Gedanken-
welt dar: auf Erden werden unsere Gedanken von den νοητά
388) Den Uebergang verschafft sich Plutarch ziemlich ungeschickt,
indem er an die Erzählung über Iolaos, den Liebling des Herakles (aus
Aristoteles!), die Rettung der Alkestis durch Herakles und Apollons
Frohndienst bei Admet — also zwei völlig unpassende Beispiele — an-
knüpft; daher liegt wohl die Annahme nahe, dafs das dem aristoteli-
schen ρωτικός entstammende Material in die — allein auf Sympos.
179 fußende — Vorlage Plutarchs noch nicht eingearbeitet war.
230) Folgt eine Stelle über eine ähnliche Lehre der ägyptischen
Mythologie, worüber vgl. 5. 583 Anm. 223.
340) Den Vorwand zur Einfügung dieses Stücks gibt die Erwähnung
der Aesypter p. 762A, während aber Kap. 19 Anfang (p. 764 A) So-
klaros gerade mit Bezug auf diese Stelle den Plutarch bittet, über Plato
nichts weiter zu sagen und nur seine Andeutung betrefis der Aegypter
auszuführen, tut Plutarch gerade das Gegenteil: über die ägyptische
Eschatologie erfahren wir nichts, dagegen wird die platonische Lehre
wieder aufgenommen u. zw. so, daß sich beide Stücke zusammenfügen.
͵
Aristonstudien. 589
zu den «tsdmr& abgelenkt und dazu verführt nur in der Sin-
nenwelt die Wahrheit zu suchen **!). Dieser Gedanke stammt
— was wegen des Zusammenhangs von Wichtigkeit ist —
aus dem Phaidon p. 81 B: dort ist die Rede von Seelen, die
durch das stete Zusammenwohnen mit dem Körper schaden
erleiden: χαὶ τοῦτο (σῶμα) ϑεραπεύουσα (sc. ψυχὴ) χαὶ ἐρῶσα
χαὶ γοητευομένη (ebenso Plutarch: λαμπρότητι τῆς ὄψεως Yon-
τεύων) ὑπ᾽ αὐτοῦ ὑπό τε τῶν ἐπιϑυμιῶν καὶ ἡδονῶν, ὥστε μηδὲν
ἄλλο δοκεῖν εἶναι ἀληϑὲς ἀλλ᾽ N) τὸ σωματοειδὲς (ähnlich Plu-
tarch: ἀναπείϑων ἐν ἑαυτῷ χαὶ περὶ αὑτὸν αἰτεῖσϑαι τὰ τ᾽ ἄλλα
χαὶ τὴν ἀλήϑειαν)...... . τό τε τοῖς ὄμμασι σχοτῶδες χαὶ ἀιδὲς,
νοητὸν δὲ xal φιλοσοφίᾳ αἱρετὸν, τοῦτο δὲ εἰϑισμένη μισεῖν.....
(vgl. Plut.: ἀποστρέφει γὰρ ἀπὸ τῶν νοητῶν ἐπὶ τὰ αἰσϑητὰ
τὴν διάνοιαν); während wir also über dem Körperlichen die
Welt der Ideen vergessen bringt uns Eros ἀνάμνησις (p. 764 E
Ende).
Ρ. 764 F gegen Ende heißt es, daß die Seele bloß auf
Erden alle Schönheit sucht ἂν μὴ τύχῃ ϑείου καὶ σώφρονος
ἰατροῦ καὶ σωτῆρος: er ist es, — soviel ist aus der verstüm-
melten Stelle 2?) klar — der die Seelen aus dem Hades
auf das πεδίον ἀληϑείας (Phaedr. p. 248B) führt, εὐμενὴς
οἷον Ev τελετῇ παρέστη μυσταγωγός 5:3). Die letzten
Worte zeigen die enge Verbindung mit der Stelle p. 761 F
(ἔρωτος ὀργιασταῖς xal μύσταις). Plutarchs Quelle
hat also unter Verbindung zweier platonischer Gedanken aus
dem Phaidon (p. 69C und 81 B) dargelegt, daß die „einge-
weihten“ Seelen im Jenseits ein besseres Los haben, als die
nur aufs irdische gerichteten. Der Mystagoge ist aber Eros
als Mittler zwischen Sinnen- und Gedankenwelt (durch die
ἀνάμνησις).
541) Plutarch sagt statt „Sinnenwelt“ speziell „Sonnenlicht“, um
die Verknüpfung mit dem vorhergehenden zu besorgen, Daß seine
Quelle allgemein „Körperwelt“ und „Reich der Ideen“ gegenüberstellte,
zeigt die hier zugrundeliegende Phaidonstelle.
242) Nach σωτῆρος eine Lücke von 9—12 Buchstaben; befriedigende
Ergänzung noch nicht gefunden. Die Hauptschwierigkeit besteht darin,
daß die ersten Worte vor der Lücke διὰ σωμάτων ἀφικόμενος“ sich auf
die Rolle des Eros auf Erden beziehn, während das folgende: „iywydg
ἐπὶ τὴν ἀλήϑειαν ἐξ Aldon καὶ τὸ ἀληϑείας πεδίον offenbar die eschatolo-
gische Rolle des Eros betrifft. Vgl. übrigens Hubert a. a. Ο. S. 15 Anm.
243) Was folgt, bezieht sich auf die Rolle des Eros auf Erden; vgl.
unten S. 592.
500 August Mayer,
Der Phaidon hilft uns aber noch ein drittes in diese Ge-
dankenreihe gehöriges Stück [p. 766 Β 52] aufzufinden: hier
liegt nämlich die Stelle Phaidon p. 81 D zugrunde, die fast
unmittelbar nach der von Plutarch p. 764 E benützten Stelle
p. 81 Β folgt: es wird hier das unglückliche Los jener mit
Erdenschwere belasteten Seelen geschildert 245); glücklich da-
gegen das Los der ἀληθῶς ἐρωτιχοὶ im Jenseits: ἐπτέρωται 246)
χαὶ κατωργίασται 557 (auch hier wieder die Erwähnung der
Mysterien) χαὶ διατελεῖ περὶ τὸν αὑτοῦ ϑεὸν ἄνω χορεύων xal
συμπεριπολῶν (ΞΞ Phaedr. p. 252 C, D) bis zur nächsten Zehn-
tausendjahrperiode: ἄχρι οὗ... . . ἑτέρας ἄρχηται γενέσεως.
Diese drei Stellen schließen sich offenbar zu einem Gan-
zen zusammen: und da die erste davon (p. 762 A) sich treff-
lich an das unmittelbar Vorhergehende anschließt, wird auch
der ursprüngliche Sitz der zwei andern dort zu suchen sein:
Plutarchs Vorlage hat also — um die δύναμις des Eros im
Verhältnis zu den andern Göttern zu beweisen — gezeigt, daß
Hades dem Eros allein von allen Göttern zu willen ist | Bei-
spiel der Alkestis 325). Daran schließt sich vorzüglich die
ebenfalls für einen „Gottesbeweis* gut passende Erörterung
über die eschatologische Rolle des Eros: da Eros den Seelen
ein besseres Los im Jenseits verschafft muß er ein Gott sein.
Es folgt der Disposition (p. 759D) gemäß der zweite
Punkt des vierten Gottesbeweises (ὠφέλεια "Epwros) p. 762 B:
344) Dazwischen liegt die Erörterung über die Rolle des Eros auf
Erden (Ursprung der Liebe).
245) Phaidon p. 81D: 7 τοιαύτη ψυχὴ Bapbverai τε χαὶ ἕλχεται πάλιν
εἰς τὸν ὁρατὸν τόπον (Plut.: μετὰ τὴν τελευτὴν δεῦρο πάλιν στρεφόμενοι...)
. περὶ τὰ μνήματα nal τοὺς τάφους χκυλινδουμένη (Plut.: ἐν ϑύραις νεο-
γάμων καὶ δωματίοις χυλινδοῦται) περὶ ἃ δὴ καὶ ὥφϑη ἄττα σχιοειδῇ φαν-
τάσματα.... (Plut.: δυσόνειρα φαντάσματα φιληδόνων χαὶ φιλοσωμάτων
ἀνδρῶν).
2406) Dieses Los wird nach Phaedr. p. 249 A den φιλοσοφήσαντες ἢ
παιδεραστήσαντες μετὰ φιλοσοφίας zuteil, welche in drei Tausend-
jahrperioden zur Wahl gestellt, jedesmal die oberste Staffel der Seelen-
stufenleiter einnehmen: πτερω ϑεῖσαι τριχιλιοστῷ ἔτει ἀπέρχονται.
247) Zum Ganzen vergl. Phaidros p. 250 Β, Ο: κάλλος δὲ τότ᾽ ἣν ἰδεῖν
λαμπρὸν ὅτε σὺν εὐδαίμονι χορῷ μακαρίαν ὄψιν τε καὶ ϑέαν... -. εἶδόν τε
ya ἐτελοῦντο τῶν τελετῶν, ἣν ϑέμις λέγειν μακαριωτάτην, ἣν ὦ ρ-
γιάζομεν... εὐδαίμονα φάσματα μυούμενοι τε καὶ ἐποπτεύοντες.
248) Der Gedanke, an das Beispiel der Alkestis die eschatologische
Rolle des Eros anzuknüpfen, lag umso näher, als der Opfertod Alke-
stis’ im Symposion außer p. 179 B noch p. 208D erwähnt wird, wo es
sich um den dem Eros zugrundeliegenden Unsterblichkeitstrieb handelt.
Aristonstudien. 591
διὸ ταῦτα μὲν ἐῶμεν, μετὰ δὲ τὴν ἰσχὺν τοῦ "Epwrog .
τὴν πρὸς ἀνθρώπους εὐμένειαν χαὶ χάριν ἐπισχοπῶμεν.
Hier begegnet zunächst der dem Sympos. p. 196 E 245) ent-
stammende Gedanke, daß Eros zum Dichten begeistert (an bei-
den Stellen mit demselben Euripideszitat belegt); dann wird
überhaupt gezeigt (p. 762C) wie Eros in verschiedener Hin-
sicht den Charakter verbessert; dies setzt sich in Kap. 18 fort
(p. 762 Ὁ, E: φρόνημα, ἐλευϑερία, φιλοτιμία, χάρις, ἀφειδία).
Es [οΙοὺ 55 fünftens ein Gottesbeweis aus dem Ver-
halten der Liebenden 351): die Liebe ist ϑεοληψία, somit ist
ihr Erwecker ein Gott.
Endlich können wir als sechsten Beweis den aus dem
consensus omnium zählen 355: während es sonst zwischen
Dichtern, Gesetzgebern und Philosophen so viel Meinungsver-
schiedenheiten über die Götter gibt, vereinigen sich diese drei
στάσεις in diesem einen Punkt: Eros ist Gott.
Es folgt p. 763F ein begeistertes Schlußwort (bis Kap.
18 Schluß); aber außer den beiden zur Ausführung über die
eschatologische Rolle des Eros (p. 762 A) gehörigen Stücken
(764 E ff. und 766 B) findet sich noch ein Stück des „Gottes-
beweises® p. 766C: τῷ δ᾽ ἔρωτι χαὶ τοῦτο χαϑάπερ τοῖς ἄλ-
λοις ϑεοῖς ,ἔνεστινς ὡς Εὐριπίδης (Hippolyt. 7. 8) φησὶ
»τιμωμένῳ χαίρειν ἀνθρώπων ὑπὸ“ χαὶ Töuvavziov (folgt als
Beweis eine Erzählung 555), welche durch die Lücke zwischen
Kap. 20 und 21 unterbrochen wird).
242) Ueberhaupt ist an dieser Stelle der Zusammenhang ganz ähn-
lich wie bei Plutarch; siehe Symp. p. 196D: χαὶ μὴν εἴς γε ἀνδρείαν
Ἔρωτι οὐδ᾽ "Apng ἀνθίσταται (damit soll die ἀνδρεία bewiesen werden);
das folgende (Dichtkunst) gehört zum Beweis der σοφία.
250) p. 762 Εἰ, F, 763 A, B: ἐχεῖνο δ᾽ εἶπεν ὃ Δαφναῖος. .. .. τὸν δ᾽
ἐάσας.
351) Hubert ἃ. ἃ. O. 5. 13 sagt über diesen Abschnitt: „abhorret ab
utilitate demonstranda“. Daß aber der Zusammenhang einwandfrei ist,
ergibt sich daraus, daß auch hier die Gottheit des Eros erwiesen
wird; siehe bes. p. 763 A: ταῦτ᾽... od FeoAndia καταφανής; οὗτος οὐ
δαιμόνιος σάλος τῆς ψυχῆς; und p. 763B: ἀλλ᾽ ὃ ϑεὸς αἴτιος (daß
der eine ergriffen wird, der andre nicht).
252) p. 763 B ὃ τοίνυν ἐν ἀρχῇ . . .. 768 E Μυτιληναίους τύραννον.
253) Vorher (p. 766 D) heißt es: τὶ γὰρ ἂν λέγοι τις Εὐξύνϑετον χαὶ
Λευχομάντιδα τὴν ἐν Κύπρῳ; diese Stelle hat Winckelmann wegen Strabo
X 478 auf Theophrast (fr. 113) zurückführen wollen, wo es aber heißt,
Theophrast habe ἐν τῷ περὶ "Epwrog λόγῳ etwas von zwei Jünglingen
Ἐυξύνϑετος und Λευχοχόμας erzählt; außerdem spielt die Sache in Kreta,
599 August Mayer,
Unserer Analyse hat sich nur mehr ein Stück entzogen:
zwischen den beiden von uns als zur Erörterung über die
eschatologische Rolle des Eros (und somit zum „Gottesbeweis ‘)
gehörig erkannten Stücken 764 E—765 A und 766B steht
ein Abschnitt [p. 765 A ἐνταῦϑα δὲ πάλιν πεμπομένων...
766 A ἐχφῳλέγεται τὴν διάνοιαν ?5%)], welcher sich gemäß der
platonischen Theorie zur Aufgabe stellt zu zeigen, daß die
Liebe durch Anamnese an die in der Präexistenz geschauten
Urbilder des Schönen, welche durch Anschauung irdischer
Schönheit hervorgerufen wird, entsteht. Dies kann schon des
Arguments halber nicht zum „Gottesbeweis“ gehören. Der
Grund aber, demzuliebe Plutarch hier diese Erörterung ein-
fügt, ist zweifellos das Bestreben, eine passende Ueberleitung
zu der bald darauf (Kap. 21; nach der Lücke) wieder ein-
setzenden andern Quelle (Aristons Diatriben) zu gewinnen:
dort geht nämlich Ariston, um zu beweisen, daß Knaben- und
Frauenliebe ebenbürtig seien, von der platonischen und
epikureischen Liebestheorie aus und zeigt: sowohl wie
sich Plato als auch wie sich Epikur die Entstehung der Liebe
erklärt [,ἔτι τοίνυν ἃς λέγουσιν αἰτίας al γενέσεις
Ἔρωτος ἴδιαι μὲν οὐδετέρου γένους εἰσὶ, κοιναὶ δ᾽ ἀμφοτέρων 355)
kann die Frau ebenso Liebe hervorrufen wie der Mann. Da-
mit lag für Plutarch der Gedanke nahe, die (von Ariston offen-
bar als bekannt vorausgesetzte) platonische Theorie über Ent-
stehung der Liebe seinen Lesern ausführlicher mitzuteilen,
umsomehr als dies auch eine passende Verbindung mit der
andern Quelle (dem platonisierenden „Gottesbeweis“) herstellte.
Außerdem stellt Plutarch schon hier der platonischen Liebes-
nicht auf Kypros. Also handelt es sich offenbar um zwei ganz ver-
schiedene Geschichten.
254) Hubert a. a. O. S. 17 bemerkt richtig, daß diese Darlegung in
zwei Teile zerfällt (der erste reicht bis zum Anfang von Kap. 20), die
beinahe dasselbe enthalten; die Wiederholung ist dadurch veranlaßt,
daß Plutarch — es ist dies wohl sein eigener Einfall — in Kap. 20 sich
zu zeigen bemüht, daß in der Bezeichnung des Eros als Sohn der Isis
ein tiefer Sinn liegt; dazu bedarf er der platonischen Theorie: „wie
wir den von der Sonne ausgehenden Regenbogenglanz in die Wolke
verlegen, so findet eine Reflectierung der Erinnerung zwischen irdischer
und himmlischer Schönheit statt“.
255) Es folgt (καὶ γὰρ. . . γυναικῶν) kurze Erwähnung der epiku-
reischen Theorie und dann (xal τὰς wadlüs ..... φυχὴ πτεροῦται) eben-
so kurz die platonische Theorie.
Aristonstudien. 593
theorie die epikureische gegenüber (wie dies von Ari-
ston Kap. 21 geschieht), indem er betont, daß beim σώφρων
ἐραστής Platons die Liebe keine brennende μανία sei ”°°), son-
dern nur ein wärmendes Licht (p. 765 Ο ὅσοι δὲ σώφρονι Ao-
γισμῷ .. . πυρὸς ἀφεῖλον τὸ μανικὸν, αὐγὴν δὲ καὶ φῶς ἀπέλι-
rov τῇ ψυχῇ μετὰ ϑερμότητος). Die Epikureer dagegen fürch-
ten die Beunruhigung durch die Liebe: sie ist ihnen das bren-
nende Feuer, das einen σεισμὸς ἐπὶ σπέρμα in Bewegung setzt
und ein Zusammenfließen (ὄλισϑος) der Atome ὑπὸ λειότητος
χαὶ γαργαλισμοῦ ϑλιβομένων. Genau dieselbe epikureische An-
schauung bespricht Ariston in Kap. 21 (p. 766 E): dort sind
es die εἴδωλα der Geliebten, welche den Körper durchlaufen
und den pruritus der Atome hervorrufen und mit ihnen zu
Sperma zusammenfließen. Wir sehen also daß Plutarch hier
die Wiederaufnahme seiner ersten Quelle, welche von den pla-
tonischen und epikureischen Theorien über die Entstehung der
Liebe ausgeht, dadurch vorbereitet, daß er eben diese Theorien
auseinandersetzt — wobei er vielleicht bis zu einem gewissen
Grade mit dem bei Ariston vorliegenden Material arbeitet.
Aus unserer Analyse ergibt sich somit, daß Plutarch in
den Kapiteln 13—20 eine Rede ὅτι ϑεὸς ὁ Ἔρως benützt hat,
die in der Hauptsache 357) aus den ἐρωτιχοὶ λόγοι Platons (Sym-
posion und Phaidros) geschöpft ist; davon schieden sich deut-
lich mehrere zum Erosproblem gehörige Stücke, die Plutarch
aus seiner andern Vorlage, den Diatriben Aristons, bezogen
und in äußerlicher Weise in die „Gottesbeweise* hineingear-
beitet hat.
Die Erkenntnis, daß die ἐρωτικαὶ διατριβαί 358) des Dio-
256) Epikur hat (fr. 483 und 61) eben deswegen die Liebe verwor-
fen, ἃ. h.: weil sie keine ungeteilte und dauernde Lust ist („del Znt-
σφαλὲς εἰς βλάβην τὸ πρᾶγμα“) und eine schmerzhafte Aufregung und
Angst (οἶστρος καὶ ἀδημονία) mit sich bringt; somit gehen wohl auf
Epikur die Worte p. 765 B ὅϑεν διὰ σχαιότητα (trad.: σχαιότητος ; corr.
Bern.) ἔνιοι φίλων zul οἰκείων σβεννύναι πειρώμενοι (trad.: πειρωμένων ;
corr. Reiske) βίᾳ καὶ ἀλόγως τὸ πάϑος οὐδὲν ἀπέλαυσαν αὐτοῦ χρηστὸν ἀλλ᾽
ἢ χαπνοῦ χαὶ ταραχῆς ἐνέπλησαν ἑαυτοὺς ἢ πρὸς ἡδονὰς σχοτίους καὶ
παρανόμους ῥυέντες ἀχλεῶς ἐμαράνϑησαν. — Ebenso die entsprechende
Stelle aus der zweiten Fassung (Kap. 20) p. 766 A: ἀλλ᾽ οἵ πολλοὶ. ...
οὐδὲν ἡδονῆς μεμιγμένης λύπῃ δύνανται λαβεῖν βεβαιότερον.
551) Historisches Material (aus dem ἐρωτικός des Aristoteles) scheint
Plutarch selbst hineingearbeitet zu haben.
25) Seiner literarischen Form nach stellt sich dieses Werk, welches
504 August Mayer,
geneskatalogs tatsächlich dem Chier gehören, führt dazu, eine
Vermutung von Ritschl (Rh. Mus. I (1841) 199 = Opuse. I
558) von der Hand zu weisen, der erklärte „die ἐρωτικὰ ὅμοια
des Ariston von Keos, welche eine Sammlung von auf Liebes-
verhältnisse sich beziehenden Gleichnissen wären, möge man
immerhin, wie sehr allgemein 5355) geschehen sei, in den &pwtt-
χαὶ διατριβαί, die Diogenes VII 163 unter den Schriften des
Stoikers aufzählt, wiederfinden wollen“, wobei er offenbar die
ὅμοια als Exzerpte aus den Diatriben angesehn wissen wollte.
Auch wenn über die Autorschaft des Chiers für die &pwrixat
διατριβαί noch irgend ein Zweifel bestände, würden sich gegen
Ritschls Vermutung Bedenken erheben ; denn erstlich ist „Epw-
τικὰ ὅμοια“ gar nicht als Titel der Schrift des Peripatetikers
gesichert, sondern Athenäus zitiert einmal (XIII 563 ΕἾ „ev τῷ
δευτέρῳ περὶ τῶν ἐρωτικῶν ὁμοίων“ und es ist zum mindesten
fraglich, ob die zwei andern Zitate (X 419 C und XV 674 B) „£&v
ἐρωτικῶν ὁμοίων δευτέρῳ “ berechtigen, das περὶ τῶν zu strei-
chen; zweitens identifiziert Ritschl ohne weiteres den Ausdruck
ὅμοια mit ὁμοιώματα 350) wogegen Hirzel, Unters. II 32 mit
Recht Stellung nimmt: während ὁμοιώματα nämlich „Gleich-
nisse“ bedeutet, heißt ὅμοια als Buchtitel „vergleichende Zu-
sammenstellung“ 251); außerdem enthalten die Fragmente gar
keine Gleichnisse 365), sondern außer einem Wortwitz (bei Ath.
563 F) einen Bericht über die Symposien in der Akademie
offenbar ebenso dialogisch abgefaßt war, wie die Schrift Plutarchs, zu
den διάλογοι ἐρωτικοί des Sphairos (Diog. Laert. VII 178); auch Zenons
διατριβαί enthielten nach D. L. VII 34 erotisches Material; dialogisch
waren auch die einschlägigen Schriften des Aristoteles und Theophrast.
259%) Vgl. Winckelmanns Spezialausgabe p. 97, der das Citat 766 F
auf den Peripatetiker bezieht.
260) Allerdings denkt er nicht wie die früheren (Menagius, Hub-
mann, Winckelmann) daran, dem Keer außer den „erotischen“ auch
noch die bei Stobaeus überlieferten ὁμοιώματα zuzuschreiben.
2361) Hirzel verweist z. B. auf das öfters bei Athenaeus begegnende
Citat Σπεύσιππος ἐν δευτέρῳ ὁμοίων (vgl. Zeller II*, 1 S. 997 A. 1), wel-
ches Buch nach Ausweis der Fragmente vergleichende Zusammenstel-
lungen (ÜOlassifizierungen) naturwissenschaftlichen Inhalts enthielt: der
Titel lautet bei Diog. Laert. IV 5 vollständig: διαλογαὶ (trad.: διάλογοι;
corr, Zeller) τῶν περὶ τὴν πραγματείαν ὁμοίων. — Ebenso übrigens schon
Ritschl selbst ind. lect. Bonn. 1839/40 p. XII (Opp. I 580).
362) Auch Athen. XIII 563 F (Wortwitz über den schönen Doros),
welche Stelle Ritschl als wirkliches ὅμοιον ἐρωτικόν erklärt, ist weder
ein ὅμοιον noch ein ὁμοιώμα.
Aristonstudien. 895
(p. 419 ΟἹ und einen mit dem 'Epwrexög des Aristoteles (fr. 80)
stimmenden Bericht über die Ursache des Gebrauchs der Kränze
bei Symposien (Athen. 674 B) “5; auf enge Beziehung zum
’Epwrixös des Aristoteles weist auch die Erwähnung des Ari-
ston bei Athen. p. 564 A hin (καὶ γὰρ τὸ παλαιὸν παίδων ἤρων
ὡς nal ᾿Αρίστων ἔφη ὅϑεν nal καλεῖσϑαι τοὺς ἐρωμένους συνέβη
raröınd); denn gleich darauf wird Aristoteles (fr. 81) erwähnt.
Es wird somit die erotische Schrift des Ariston von Keos
ebenso wie die ähnlichen Bücher des Aristoteles, Theophrast ?®*),
Klearchos, Herakleides, Hieronymos, Demetrios von Phaleron
hauptsächlich von historischem Interesse getragen gewesen sein.
Die Quellenanalyse des plutarchischen ’Epwrexös hat uns
ermöglicht, einen letzten Punkt, der in der Aristonfrage Ver-
wirrung angerichtet hat, zu erledigen: wohl haben sich beide
᾿Αρίστωνες mit der Liebe beschäftigt, aber auch hierin kann
ihre literarische Tätigkeit streng geschieden werden. Der
Keer liegt nur bei Athenäus vor, auf die Schrift des Chiers
geht außer fr. 400 Arnim (Stob. flor. 67, 16) die Abhandlung
über Gleichberechtigung der Knaben- und Weiberliebe in Plu-
tarchs Dialog zurück. Wir erhalten somit einen neuen Beleg
für Plutarchs Aristonstudien, deren Spuren schon in den
Schriften περὶ τύχης (Dümmler, Akad. 211 ff.), περὶ εὐθυμίας
(Heinze), περὶ πολυπραγμοσύνης (Hense) und περὶ φυγῆς (Gie-
secke) erkannt worden sind.
Exkurs zu 8. 494.
Daß Plutarch praec. ger. reip. 802 A aus einer antirhe-
torischen Quelle schöpft, zeigt der Vergleich mit der ähnlichen
Ueberlieferung über den Architekten Philon von Athen,
deren Herkunft aus rhetorischen Kampfschriften sicher ist:
wie die Rhetorikgegner auf den redeunfähigen Iktinos den
Baumeister des Perikles — nur dieser Name dürfte bei Plu-
tarch gute Ueberlieferung sein — so beriefen sich die Ver-
268) Dazu gehört wohl auch Ath. p. 88 F χαλῶς οὖν ᾿Αρίστων ὁ Κεῖός
φησιν ἥδιστον ποτὸν εἶναι τὸν ἅμα μὲν γλυκύτητος ἅμα δ᾽ εὐωδίας κοινω-
νοῦντα.
=) Es kommen außer den προβλήματα ἐρωτικά (D. L. V 47) noch
der ’Epwrixdg (ibid. τῷ und ein λόγος περὶ "ἔρωτος (Strabo X p. 478:
D. L. 48: ἄλλο περὶ "Epwrog &) in Betracht; Wimmer fr. 107— 115.
ὅ90 August Mayer,
teidiger der Rhetorik auf den glänzenden Redner Philon den
Erbauer des Arsenals: dies ist zu erschließen aus der Polemik
des Philodem gegen einen λόγος des Diogenes von Babylon
(fr. 700 Arnim), der sich offenbar auf diesen Philon berufen
hatte um zu zeigen, daß der σοφὸς auch ein guter Redner ist.
Bei Philodem col. 48 a 346 Sudh.) heißt es: (φαίνεται περὶ
ἑτέρου) εἶναι Φίλωνος ὃ (An) τριος ὃ Φαληρεὺς ἐν (τ)ῷ | περὶ
τῆς ῥητορικῆς ἔτα(ξ)εν ἴσως τὰ πράγματ᾽ ἄλλα, | ὅκατ᾽ αὐτοῦ
(sc.: Διογένους) δὲ καὶ τὰ περὶ ϑάτέρου | Φίλωνος: τς τε γὰρ
ὃ μᾶλιλον εἰδὼ(ς τῶν) εἰδότων μὲν πί(ράγ)μαϑ' ἥ(τ)τον δ᾽ ε(ἰδό)-
τῶν ἀφείλ(ε) το τὴν Epyoraßliav τῆς) | ἀνασχε(υῆς) ἄρ(α) τοι
(νυκή)σει τὸν ὅλ(ω)ς au) | σοφὸν τῶν πολιτικῶν | ὃ τὴν
ἄχραν ἐσχηχὼ(ς) | 15 ῥήτωρ ἐμπί(ειραν ἀ(πὸ) | τῶν enienne
των rat) | ee Sr
Philodem wendet gegen Diogenes ein das Beispiel von
Philo beweise nur gegen seine Theorie vom idealen Rhetor der
Stoa: wohl sei es größere Sachkenntnis, die Philo zu einem
rednerischen Erfolg verholfen habe, aber Sachkenntnis in po-
litischen Dingen habe eben nicht der stoische Weise, sondern
nur der praktische Rhetor.
Aber offenbar steht das Beispiel des Philon bei Diogenes
nur in sekundärer Verwendung: viel geeigneter war er als
Beispiel für Vereinigung von Sachkenntnis und formeller Red-
nergabe, somit geradezu zur Abwehr antirhetorischer Argu-
mente. Und so finden wir diesen Namen tatsächlich bei Phi-
lodem I 192 als Beweis für die These der Rhetoren, daß ohne
die Rhetorik ein praktischer Erfolg unmöglich sei (col. Xla, 1):
(ὡ)ς χαὶ ρῶς τὸν ἀ(ρ) χιτέ(κ)τονα περὶ τῆς -σχευοϑ χης οὗτος
αὐτὸς (1. e.: der Verteidiger der Rhetorik) εἰσήγαγεν | δημηγο-
ροῦντα. ἜΤ in derselben Verwendung erscheint die Ge-
schichte bei Cicero de orat. I 6 2: „neque enim si Philonem
illum architectum qui Atheniensibus armamentarium fecit con-
stat perdiserte populo rationem operis sui reddidisse, existiman-
dum est architeeti potius artificio disertum quam oratoris fuisse “
und Val. Max. VIII 12 ext. 2: „cuius (armamentarii) archi-
tectum Philonem ita facunde rationem institutionis suae im
theatro reddidisse constat, ut disertissimus populus non mino-
rem laudem eloquentiae eius quam arti tribueret“.
Die beiden römischen Zeugnisse ?°5) reden allerdings von
einem Rechenschaftsbericht für den Arsenalbau, während Dio-
genes eine bei einer Offertkonkurrenz gehaltene Rede meint;
auf diese Divergenz bezieht sich gewiß der Anfang der Philo-
demstelle I 346: dieser will offenbar sagen, der von Diogenes
2655) Und wohl auch Philodem 1 192.
|
a
.
Aristonstudien. 597
angezogene Philon sei nicht identisch mit dem bekannten Er-
bauer des Arsenals, von dem Demetrius Schrift über die Rhe-
torik 26%) einen glänzenden Rechenschaftsbericht erwähne; tat-
sächlich handelt es sich ja bei Diogenes um eine ἐργολαβεία
nicht um eine εὐθϑύνη, nicht um das berühmte Arsenal, sondern
um einen namenlosen Umbau.
Vielleicht ist sogar eine Vermutung darüber gestattet, wer
der „Philon“ war, mit dem Diogenes (wenigstens nach Philo-
dems Meinung) den berühmten Athener verwechselte: am
nächsten liegt der Name des Mechanikers Philon von Byzanz
des Verfassers der erhaltenen μηχανικὴ σύνταξις; und tatsäch-
lich ist diese Verwechslung nicht nur einem modernen Autor
wie Sillig (Catal. artif. 351) begegnet, sondern lag auch offen-
bar im Altertum besonders nahe: ein Beispiel dafür ist der
Anonym. Byz. Poliorc. p. 212, 11: τὸν δὲ βουλόμενον εὐκόπως
πορϑεῖν τὰς πόλεις κατὰ Φίλωνα τὸν ᾿Α ϑ'ην αἴον δεῖ μάλιστα
%. τ. A.! er meint natürlich das erhaltene Buch des Byzantiners,
das er fortlaufend benützt ?°”).
Nachträge.
Während eines Aufenthalts in Neapel hatte ich Ge-
legenheit?°®) den von mir oben S. 525 ff. behandelten Teil des
Papyrus 1004 einer Nachprüfung zu unterziehen, deren Re-
sultate ich im folgenden gebe:
fr. XII (siehe oben 5. 522): 10 δέ τισιν ᾿Αριστωνεί(οις ὑπο)-
μνήμασιν ἐπιϊ(σπέσϑαι) ἐν οἷς ἔστι μὲν | (πλ)είω(ν), τὰ πολλὰ δ᾽
αὐτῶν | ἐκ τῶν (Π)λάτωνος χλ(έ 1ὅψας ἐπὶ) τὸ χεῖρον ἔτι | (με-
τήνεγχ)εν" ἀλ(λὰ) δὴ . ... ..
Zu den Fragmenten habe ich sonst noch zu bemerken,
266) Auf die zweifellos die drei Berichte Philodem I 192, Cicero de
or, 162 und Val. Max. VIII, 12 zurückgehn.
2617) Das richtige Ethnikon hat er übrigens p. 260, 5.
268) Ich bin den Herrn Albert Parisotti und Dominik Bassi für die
freundliche Ermöglichung meiner Arbeit besonders verpflichtet. — Aus-
serdem will ich nicht verfehlen meinem lieben Freunde Achilles Vog-
liano zu danken, dessen geübtes Auge mir manche schwierige Lesung
erleichtert hat. — Wo meine Lesung von der Zeichnung der Neapoli-
taner abweicht, beruht dies durchaus auf dem Zeugnis des Papyrus.
Die Lesungen der Neap. lege ich nun dort zu Grunde, wo der heutige
(durch Brüche, Staub und Einfluß des Lichtes) deteriorierte Zustand
des Originals eine Kontrolle unmöglich macht.
Philologus, Supplementband XI, viertes Heft. 39
598 August Mayer,
daß die Annahme fr. XII wäre vor fr. XI einzureihen (wie
sie meine Aeußerung S. 525 nahelegen könnte) dadurch wider-
legt wird, daß diese „Fragmente“ nicht solche im eigentlichen
Sinn, sondern ein Teil eines fast zusammenhängenden Papyrus
sind, der auch heute noch erkennen läßt, daß unmittelbar vor
XI die frgm. IX und X anzusetzen sind.
Außerdem ist hinzuzufügen, daß die Neapolitaner den
neben der als „fr. XI“ bezeichneten Colonne erhaltenen Colon-
nenrest zu zeichnen unterlassen haben: ich lese:
TONCYMIPEIPIONTON ........
MHOINGCEBI I. [A-
HPACAFNOOYENPFFL KT
5STOVCKMTOIAYTAL.. πν
"THNKOINOTHTIA. .......
FCTIANKAIBT FE ER
TONANE IE ER ΕΣ
1037.22 ERBE ee:
Z. 5 ist NO mit der in diesem Papyrus vereinzelten Li-
gatur ΜΘ geschrieben.
Ich gehe nunmehr zu der fortlaufenden Behandlung der
λόγοι des Ariston (oben S. 526 ff.) über:
00]. 71,6: εἰ καὶ peprauvitfar) τὸ βυβλίον ζ, ᾿Αρίστωνος
— es) τὸ (ν)ῦν (τ)οῦτο | καϑόσον δή ποτε συμ φέρον --- τὰ
ἕωλ(α) el ἀποϑεωρή σομεν πρότερον Enılonparvönevor
(6) μη δὲ τούτοις ἐν τό(ποις) | ᾿ὅτοῦ μὴ φιλορήτ(ορας γε) νέσ-
dalı) ἀγαπί(ᾶν πό)τερον ἄτο(πον μᾶλλον χτλ. 269).
Der Anfang von col. 72 ist zu schwer zerstört, um den
Text mit Sicherheit feststellen zu können; doch glaube ich zu
lesen: (ἐὰν χ)αὶ (μὴ ὀρϑῶς | σοφισ)τικ(ὴν ἰδι)άσα(ι | λέγωσίν)
τινες. . . . 4ΤΟ | χαὶ σωϑῇ (σοφι)στα(ῦς | δ τὸ μὴ προτ(ρέψαι),
πανϊτελῶς "ἢ 5:
ΣΡ) ΒΥΒΛΙΟΝΖΑΡΙΟΤΩΙ bietet der Pap. wie schon die Neapolit.
richtig sahen. Papyrus 1004 ist also das VII. (und letzte?) Buch von
Philodems Rhetorik. Wir haben also außer dem I. II. und IV. Buch
jetzt noch ein weiteres das VII. sicher. Zwischen IV und VII dürften
Pap. 1669 (bei Sudhaus Ν) und 1915 (VI?) einzureihen sein. — v. 8
heute unkontrollierbar ergänze ich nach der Zeichnung der Neap. —
v. 16 ATATT[AN] nach der Originalzeichnung.
270) Uebrigens werden die Emendationen von Arnim v. 10 und v. 15
durch den Papyrus bestätigt.
Aristonstudien. 599
vv. 18—20 steht: πολιτικῆς γὰρ οὖχ ἔστιν (τὸ) | εὖ λέγειν
δῖα σαφηνείας ἢ το. .
00]. 73, 9 bietet der Pap.: TO.O.. also ist τό(π)ο(υς)
wohl sicher; in der nächsten Zeile ἄλλοι τῶν ἀχ(ο)υστῶν; v. 16
MOCOENOYCPH.
col. 74, 4 311) vielleicht χρ(ησα)μένους.
5: e(in)e(iv).
v. 10 ist die Lesung der Neap. richtig und daher Arnims
Coniectur aufzugeben; der Papyrus bietet ATTOBAINEINEIS@WNGC
also: ἐφ᾽ ὧν, ὡς λέγουσιν οἵ ῥήτορες, αἰσχύνομαι περὶ τοῦ μηδ
ὁποιανοῦν | ἀπόδειξιν εἰσεν(εγ) κεῖν; es ist dies also ein Zwi-
schensatz und erst im folgenden beginnt der Nachsatz zu: „el
ÖE τὸ χατεστοχασμένον . 2... χαὶ ἀποβαίνειν“ von diesem
Nachsatz ist jedoch nur mehr die erste Zeile leserlich (v. 15):
KEINTTPOCAGOETH also: eioev(sy)|xeiv, προσαϑετή(σει.. .. .) das
folg. ist heillos zerstört und aus der Zeichnung der Neapol.
kann ich wenigstens keinen Sinn herausbekommen 5372).
col. 75 ist nur mehr die linke Hälfte erhalten; die Zeich-
nung der Neapolit. ist aus zwei Stücken zusammengesetzt.
Am Anfang ist zu lesen: &ton(o)v μεμφϑῆναι | βίον τῶν
αὐλητρίδων παρὰ (τ)έχζνης ὑπο!δλαβόντ᾽ εἶναι.
In v. 3 lese ich ΤΩΝ da die linke Hälfte des ® im Pap.
erhalten ist; von der rechten verlorenen Hälfte bieten die
Neap. die Zeichnung INAYAH; das ist wie oben geschehen zu-
sammenzusetzen; was die Neap. bieten: TIONTONT@ .AYAH
ist offenbar interpoliert. v. 4 τέχνης nach der Zeichnung der
verlorenen rechten Hälfte: OXHCYTTO,
Das folgende lese ich: πρὸς τὸν ruvjdavönevov εἰ yiverat |
πα(ν)αύτως. ... εἰ stand auf der Bruchfläche zwischen den
beiden Hälften; die Neapol. haben davon noch Spuren ge-
sehn; TTA. AYT@C Pap.; der Sinn ist: „auf die Frage ob diese
Beziehung so ganz ohne weiters stattfindet.“
211) Die oben 8. 528 versuchte Verbindung des Schlusses von col. 73
mit col. 74 dürfte wohl dem Sinne nach das richtige treffen, ist aber
dem Wortlaut nach unzutreffend, da zwischen den einzelnen erhaltenen
Colonnen (oder vielmehr Colonnenhälften) im Durchschnitt etwa 20
Zeilen fehlen: Pap. 1004 ist nämlich ein „terzo di papiro* es fehlt so-
wohl das obere als auch das untere Drittel.
272) Die oben 8. 528 Anm. 72 versuchte Restitution muß nach dem
im Text Gesagten aufgegeben werden.
39*
600 August Mayer,
col. 76 Anfang: (Λέγει πρὸς τοὺς ὑμνοῦντας τὴν) | ἦϑο-
πίοιίγαν (ὡς χρησίμην ἐν | Bw (καὶ) ἡδεῖαν χτλ.
00]. 77, 9: xal τῶν ῥ(ητόγρων ἀμέϊλει τοὐύτ(ων χαὶ με)τὰ
τῆς | ῥητορικῆς ἐνδόξων | καὶ μετ᾽ ἄλλων μυρίων | γίνεσϑαι μελ-
(λόν)των-
col. 79, 6: OYCINA. ΑΙ. ΕΓΟΝΤΕΟ also doch wohl: öox(:-
μάζ)ουσιν ἀ(ν)α (λ)έγοντες. ἷ
col. 80, 2΄.... τω(ν οὐ τὴρὶς μιόνον ἀλλὰ μυρίῳ ταῦτα
μᾶλλον χτλ. Ba
Der Sinn wäre also: die loci communes überwiegen bei
den Philosophen nicht ums dreifache, sondern ums zehntau-
sendfache.
v. 7,8: o(w)ppovos χριϊτοῦ onav(i)ou πὼς ὄντος.
v. 10: Pap.: TAPAIZOMENO also: ταραϊξομένο(υ).
Um eine sichere Restitution von col. 81 habe ich mich
umsonst bemüht; doch glaube ich v. 6 und 7: ἄλλως δὲ ῥάι-
διον | τραπὲν δίκ(ης ἀνασχ)ευῇῦ (in dem Sinn: der locus com-
munis unterliegt allzuleicht einer commutatio argumenti in
der refutatio des Gegners) zu lesen. Zeile 8 und 9 dagegen
sind hoffnungslos zerstört — auch Sudhaus Lesung (vol. 11
p. XXII) von Zeile 9 ριτειν. ovv hilft nicht weiter — und es
ist mehr als unwahrscheinlich, daß die Neapol. Zeichnung eine
mögliche Basis der Restitution abgeben kann. — vv. 13, 14
glaube ich zu lesen: ὁμο(ῇ ὡς ἐπὶ προτέρων.
col. 82, 11, 12: τὸ τοιοῦτον ἀλλὰ (μὴ)ν ὃ διὰ (τ)ην ἀρ-
γίαν χτλ. Sudhaus (vol. II p. XXI): ἀλίλαπο.. δια.
col. 83, 6, 7: Pap.: ®ACINE.|OEIN TA da zwischen ΘΕΙ͂Ν
und TA der Papyrus sicher unbeschrieben, ist könnte der Rest
nur zu φᾶσιν ἐ(λ) ϑεῖν ergänzt werden, was vielleicht corrupt
für {διεξελθεῖν ist. Zeile 11 liest Sudhaus (nicht die Neap.
wie Anm. 85 irrig angegeben): KAIOYOY (heute unkontrol-
lierbar) daher wohl Dittographie für x«! οὐ.
Von col. 84 ist die linke obere Hälfte verloren (von den
Neap. in zwei Stücken gezeichnet und dann zusammengesetzt).
Den Anfang lese ich: Ῥή(τορα) all) φωνῶν ἔμπειρον
ἰδί(ω)ν εἶναι 273) χτλ.; denn der Anfang der Zeile PH ist heute
273) Mithin hat der von Ariston angegriffene stoische Rhetor (vgl.
das bekannte stoische Argument das col. 83 Ende gestreift wird) dem
Rhetor auch einen eigenen Wortschatz zugeschrieben.
Aristonstudien. 601
noch erhalten und daher das von den Neap. zu dieser Zeile
als linke Hälfte gezeichnete Stück des abgesplitterten Fetzens
MACIN sicher falsch.
Das weitere ist dann so zu interpretieren: ὅ ἢ γὰρ οὐδὲ
τὸν | πολιτικὸν ἐροῦσιν 274) ἣ | τοῦτον ὁμο(λ)ογοῦντες, ἕως οὐ δὲ
(δ)εί(χ)γασιν δ(εύγτερον ὄντα τῆς τῶν ῥητόρων ἐμπειρίας (ἃ. h.:
daß die Redefertigkeit des πολιτιχὸς der des ῥήτωρ nach-
steht) «TA.
δ(εύ) τερον schreibe ich für das von Sudhaus gebotene
Eltepov; denn v. 8 am Ende bietet der Pap.: CINA..; was die
Neapler Originalzeichnung bietet: EIITEPON ist offenbar die
Spur von ΔΊΕΥ ΤΕΡΟΝ.
col. 85, 5 ist ἄλλον γὰρ (Sudhaus vol. II, p. XXI) sicher.
col. 88, 3: PIA..N οἷοι; es wird daher zu Sudhaus’ Er-
sänzung (1 370) zurückzukehren sein.
" col. 89, 3: ἀ(ϑ)ρόους wyle)A(eiv), ἐ(πεὶ) κτλ.
v. 6 am Ende: AAO doch scheint die Coniectur von Arnim
alva)Aöywv auch gegen die Autorität des Papyrus gesichert.
v. 8 ist am Zeilenanfang erhalten: HCAIQN also: (ξξ)ῆς
δι᾿ ὧν.
00]. 90, 5: Pap.: ΚΑΙΡΙΚΗΝΟΧΛΑ... TTAPA also wohl: (ἀ)λλ᾽
ε(ἰς) τὴν | Prarpınnv ὄχλ(ου) παρὰ τὴν | ἰδιότητα τοῦ χειρισμοῦ |
τὸν λοι(πὸ)ὴν παραγινο μέν(η χρόνον). Es ist wohl die Rede von
der χαιριχὴ ἰδιότης τοῦ χειρισμοῦ (d. ἢ. die sich nach dem
χαιρὸς richtende individuelle Behandlung der Zuhörerschaft)
die sich ihrerseits wieder nach dem speziellen Charakter des
Publikums (ὄχλου παρὰ τὴν ἰδιότητα) richtet 275).
v. 13]: (τ)απεινό(ν).
00]. 93, 9: χαὶ τοῦ παᾷ(ρ)α | 10 Yewfpei)v δέ. Sudhaus (vol.
II, p. XXI) irrig.: καὶ τοῦτο (π)α(ρα) Yewf(pei)v.
12: φησι ϑηρεύεσθαι 378).
00]. 94, 5: βιάζηται ἀλυπούν των.
col. 95, 3 bietet der Pap., wie die Neap. richtig sahen,
KAO....AZ, also doch wohl (trotz des großen Spatium): χα -
ϑό(λ)ου (τῶν) παϑῶν καὶ | καϑ(άπ)αξ ἀπαλλά ξα(ι).
214) sc.: ῥητορικῶν φωνῶν ἔμπειρον εἶναι.
275), "Ἰδιότητα steht also wohl ἀπὸ κοινοῦ.
276) Oben S. 537 schon nach Vermutung von Arnim in den Text
gesetzt; vgl. Sudhaus II p. XXII,
602 August Mayer,
col. 96, 13: ὄχλον.
col. 97, 8ff.: χκἄπειϑ᾽ ἧττον ἀνει[μέ(ν)αις συνόντες, (ὧν) |
10 τὰ (β)ελτίω ἴδια, ὧὡ(ς) | τ(αῦ)ς ἀκράτο(ις) ἀρι(στο)κρατίαις,
ἐ(πὶ) πλεῖστον | κατα φρον(εῖν) φασ(ὴν | τῆς δημοχ(ρ)ατίας (rat) |
1ὅ (τῶν) βουλευτηρίω(ν χτλ.
00]. 98, 2: (ἄρι)στος (χελευστὴς) | π(ηδ)αλι[ε]ου(χεῖν ἐπὶ
τοῦ) | πλοίου, (τ)ὴῷᾧῷ δὲ μ(ήτε π)οῦ | ὅ μήτε πῶς μήτε (πότ)ε |
πλευστέον εἰδέναι προσ βλαβὴς ἂν γίνοιτο, (μ)ᾶλίλον οὐχ οἶδεν
δ᾽ ὃ ῥ(ἠτ)ωρ. Sudhaus (a. a. O.) irrig: oln οἶδ᾽ εἰ (οὐ)δ᾽ ὁῥήτωρ
col. 99, 2 577 (&)Awg | τεχνι(κ)ῶν .. .. εἰν ἐϊπὶ τοῦ ῥήτο-
(ρος) ἄτοπόν | ὃ (ἐστ)ιν, eilt’) ἔνδηλὸς ἐστιν | εἴτ᾽ οὖκ ἔνδηλος ἣ
παϊραλλα(γή) "78.
Der Sinn scheint zu sein: „es ist absurd, gerade dem Rhe-
tor technische Kenntnisse abzusprechen“. Dies sowie die Worte
εἴτ᾽ ἔνδηλος χτὰλ. beziehen sich offenbar auf die Gleichung
Staatsmann — Steuermann und Rhetor — χελευοτῆς (col. 98).
col. 100, 12 ff. Auch diese Zeilen sind wiederum aus zwei
Hälften zusammenzusetzen, von denen die rechte nur mehr
durch die Neapler Zeichnung erhalten ist:
12 [KJAI TTAP ON\OY TOTT[OY]
ΚΑΙ ΤΤΡΟΟΤΟῚΝ. AYTH ON
AYT@ITTONEOLN] Σ ΔΝΤΙ
I9:TIRrOCHZEI Fe
Der Sinn ist also offenbar: Ariston wird Beispiele von
συνετοὶ χριταὶ, οἷς ὑπηρετεῖν ὃ ῥήτωρ οὐκ ἐβουλήϑη (aus vv. 6—9
zu ergänzen) gegen die Rhetoren anführen (ἀντιπροσάξει) und
zwar sowohl aus der ganzen Welt (παρ᾽ ὅλου τόπου) als auch
aus solchen Staaten, die dem Rhetor (αὐτῷ) sich freundlich
erweisen 275).
col. 101, 15 f.: συνέδρια πολλὰ παρεδέ (ξ)ατο τῶν ῥητό-
ΠΟ τὸ ΣῈ
277) Diese Colonne ist wiederum um ein seinerzeit von den Neapol.
separat gezeichnetes Fragment verstümmelt. Folgende Buchstaben
sind somit nur durch die Neap. erhalten: v. 3: NI|4: ΤΟΥ | 5: INEI |
6: EITOYK | 7: ΡΑΛΛΑ.
218) y. 4 schreiben die Neap. TIITOYPHTOPATOI@N (wobei
ATOIWN für ATOTTON verlesen); jedoch ist zwischen PHTOP und
AT eine Lücke. — v. 5 ist KINEI offenbare Interpolation, da die Zeich-
nung des Fragments in der Originalzeichnung nur INEI aufweist.
279) Dieser Gedanke verbirgt sich wohl hinter dem corrupten
AYTH: ON der Neapolit. Zeichnung; es dürfte zu lesen sein: πρὸς τῶν
(ἀγλυπή(τ)ων | αὐτῷ nörsw(v).
Aristonstudien. 603
col. 102, 13 ist die Lesung von Sudhaus τῶν πρὸς τι (Yal)-
ve(t) anzunehmen, da AINE noch im Pap. deutlich ist.
col. 103, 6 KATATTONEIC Sudhaus (p. XXIII) irrig: AOIO.
col. 104, 17 A®HC.
col. 105, 3: (ὅταν δὲ τοὺς ἀχουστὰς) | ναρχώσῃ τις (μὴ μό-
γον διὰ) | "τῶν λόγων ψ(υχαγωγῶ)ν | τί ποτ᾽ αὐτό σε (τοῦτο
δ)εῖ 230) ϑαυμάζειν; α(ὐτὸς μὲν) | γὰρ εἶδ(ε) κτλ.
v. 11]: [KEIJNOC[O]JJ®IAC.
v. 14. : ᾿Αλλὰ (μὴν χ)αὶ | 1ὅ τοῦ τετάρτου το(ύτω)ν xal |
λόγον το τ ἔχ(ειν ἐχρῆν)... .. zu v. 16 bemerkt Sud-
haus irrig: πὸ- τὶν tanquam πίστιν᾽.
col. 106, , φησὶν γ(ὰρ εἶναι ταύτης) | πλησίον ὡς εἰ νοήσεως |
δ(ργαπ(έ)τας ... d. h.: Ariston sagt: diesem Begriffe der Rhe-
toren komme der Vergleich mit entlaufenen Sklaven nahe:
die Construktion ist (mit leichtem Anakoluth): ὡς εἰ δραπέτας
er. 13 πρὸς τούτους ὡς εἴ τις φαίη.
vw. 13ff.: πρὸς (τού) τίους @)s (εἴγτις φαίη χυ [5(βερνήτης)
ἄλλην (ὁδ᾽ὸν πορεῦσαι Ὁ) Kal οὐχ ἣ(ν ἐχ|εῖνοι πλέο)υσι" ταὺυ.....
col. 107, 16: τὸν δ᾽ ὑπὸ τ(ῶν σοφῶν) E(xeiv)wv ϑρυλού-
(μενον -- ἢ.
col. 108, 4: καὶ μεί(μ| δ φομ)ένους οὐ Toli)s τῶν φι λο(σγόφων
ἀλλὰ τοῖς τῶν | ῥητόρων πολιτικοῖς νόϊμ(ο)ις. Also reicht bis
zu diesen Worten ein λόγος des Ariston und die Entgegnung
Philodems beginnt erst mit ᾿Αλλὰ δὴ χαὶ ποίων λέγει φιλο-
σόφων ;
v. 10]: iöi« der Papyr. 25").
v. 12]: (τ)ὸν πολι(τικό)ν.
vv. 16—18] das von den Neap. separat kopierte Stück
HONCHKETE
HCOYAENA
VCAEZYTO
ist nicht mehr erhalten. v. 16 ist aın rechten Rand noch AC
erhalten also sicher: τοὺς ἀφ᾽ ἑτέ(ρ)ας | (διατριβ)ῆς darauf ent-
280) Den Zeilenschluß von v. 6 Εἰ haben die Neap. fälschlich zu
v. 5 gezeichnet.
381) Für das von den Neap. gebotene KAIA schreibt Sudhaus χἂν
dagegen vol. II p. XXIII richtiger nach eigener Lesung : μενιδιασιροσο
(das ist: ἰδίᾳ npooo . .". .).
604 August Mayer,
weder mit der Zeichnung οὐδένα oder mit Arnim οὐδ᾽ ἂν ἀ(υ-
τὸς λέγοι).
col. 109, 9 bieten die Neapol. richtig (@A)|A” οἱ φιλόσοφοι
πάλιν Sudhaus irrig: (ἀλ)λ᾽ οἱ σοφοὶ πάλιν.
v. 11] Pap.: ΝΟΥΘΩΦΕΛΙΗΊΟΛΙ.
v. 13] οἴδασιν δ(πό)τε μέλλ(ου) σιν.
col. 110, 5» Bap:: μιμοῖντο so schon Sudhaus a. a. 0:
doch ist nicht οὐδὲ μιμοῖντο zu lesen sondern (μη)δὲ. — Zeile
11 ist zwischen χαὶ und συνόντα Spatium.
in)
5, 6 PAITTETACATOKANDO.
7, 8: τὸν ἀπρόσ(ιτον) | ϑέντων αὑτοῖς (x)avölve) |.
col. 111, 2: (ἀ)λἰλὰ καὶ τἀλη(ϑ)ὲς οὕτως | (ἔχ)ειν ὥσπερ
οὗ δυνα) μένων τοχέων (παι)σὶν | ἐλάσαι τινά προσερ(χ)ό (μ)ενον
ἀ(λ)εκ(τρυόν)α (φ)ω!ρῶ φιλο(σο)φ(ο)ύντω(ν τι)νάς " | τὰ τοιαῦ(τα)
προφερ(ὀ)με 1ϑν(ο)ν τῶν (ἀ)τόπων᾽ εἶ σαψ(φῶ)ς λαλοῦσί τινες |
κα(ϑ ἡμί(έραν Ὁ) δοῦσαν (ἀ) φορμὰ(ίς εἰς Ὁ) μάλιστ᾽ ἀπίό)ν]-
ὭΣ ΛΗ 282).
Aus der schwer zerstörten Colonne, deren Herstellung im
einzelnen große Schwierigkeiten bietet ist soviel klar, daß Phi-
lodem in Fortsetzung des col. 110 entwickelten Gedankens
(Lächerlichkeit der Klagen der Philosophen um ein ihnen ent-
rissenes Besitztum) die Philosophen in ihrer Rhetorenfurcht
mit ängstlichen Eltern vergleicht, die ein ihren Kindern sich
nahendes Thier vertreiben möchten. Im folgenden scheint er
einen absurden Syllogismus gegen die Rhetorik anzuführen.
col. 112, 6: (ἀξ)ιωμένων | ἐπιπλήξε(ω)ν, ὅταν μὴ 288) | πε-
ρι()στασϑίαι) τὰς ἁμα(ρ) τίας αὐτῶν Ex τῆς τ(οϊ)ς ἢ | 10 ἄλλοις
ἀντι(ρρ)ήσεως. Fi a
Schließlich möchte ich noch zu dem 8. 487 (mit Anm. 6)
2382) 5 Pap. MEN@NT@KE@N. Sudhaus (a. a. Ὁ.) irig.: τῶι.
εξ τῶν ; ebenso beruhen die Angaben für 2.7 (ἄστικ), 10 (yonwvera), 11
(νκάλουσ) und 12 (χα. ζημ. λσδιδουσαν — καὶ ζημίας δ.) auf falschen
Lesungen.
8 Neap.: $IAO..®..TO...KA woKA offenbar irrig Lesung
für NA; C am Schlusse ist sicher also: (τι)νάς.
13 ἀφορμὰς vermutete schon Sudhaus.
283) sc.: ἀξιῶ ιεν.
Aristonstudien. 605
gesagten bemerken: daß der bei Philodem de vitis X 10 und
23 genannte Ariston tatsächlich der Peripatetiker ist, kann
nunmehr, wie mir Christian Jensen, der eine Ausgabe von
Philodem περὶ ὑπερηφανείας (περὶ κακιῶν A) vorbereitet, freund-
lichst mitteilt als feststehend betrachtet werden. — Gieseckes
Einwand gegen die Combination des Philodemeitats mit den
ὑπομνήματα ὑπὲρ χενοδοξίας unter den Schriften des Stoikers
und die daraus gezogenen Schlüsse Sauppes über den Wert
der Kritik des Panaitios bleibt natürlich aufrecht.
Endlich habe ich auf S. 503 die Stelle Plut. praec. ger.
reipubl. 809 E, wo von einem χαλᾶν xal ἐπιτείνειν τὸ ἅρμονι-
χὸν (ἃ. ἢ. also: einem Regulieren der Saitenstimmung) die
Rede ist, durch einen groben Irrtum auf das Spielen einer
Ziehharmonika bezogen *).
Register.
Aeschines: Von Demosthenes an- A. 40; Umgang mit Ariston von
gegriffen 504; und umgekehrt Alexandreia 513 A. 42.
A. 32, Antipater von Tarsos: 564 A. 165;
Agesilaos: Undankbarkeit gegen 573 A. 193; 575 A. 19.
Lysander 501; Begünstigung sei- | Antirhetorische: Tendenz der Ari-
ner Freunde zum Unheil des stonfragmente in Plutarchs βίοι
Staates 502. 490 ; Anekdoten 492; 494: 497 f.;
Alkibiades: Behandlung des De- 502; Unterscheidung von ἔργον
mos 492; 511; Privatleben 493; und τέλος 520; Bedeutung der
Mangel an Schlagfertigkeit 496. πολιτικὰ ζητήματα 521; 525.
Anonymus Philodemi: Lobredner | Aristides: Eifersucht zwischen ihm
der Rhetorik 548 ff.; 559; Zuge- und Themistokles 488 f.; 502 £.
hörigkeitzurkyrenäischen Schule | Aristipp: Abweisung von Dialektik
548; 551 ff.; 556 ff.; Beziehungen und Physik 548 A. 131; 554;
zu Ariston von Chios 548; 553 ff.,; | rhetorischer Lehrkurs 548 A. 132;
Angriffe auf Epikur 549 £.; 551; | 551; 560; Nutzen von Philoso-
560; Hauptsätze 551; 560; ge- phie und Rhetorik 559 A. 155;
gen die Dialektik 551 ff.; gegen über die Liebe 565 A. 168; 577;
den Kynismus 556. 581 A. 218.
Antiochos von Askalon: Liste pe- | Ariston von Alexandreia: 513 A. 42.
ripatetischer Schulhäupter 512 | Ariston von Chios: Schriftenliste
*) [Die Ueberlieferung ist, del... τοὺς δ᾽ ἄλλως ἀπάδοντας ὥσπερ
&ppovınoy (ohne τὸ) ἐπιτείνοντα χαὶ χαλῶντα πράως εἰς τὸ ἐμμελὲς ἄγειν
ἃ. ἢ. doch wohl: „man soll die disharmonierenden (Menschen) wie ein
Instramentalmusiker (&ppovxdv) durch schärferes oder gelinderes An-
spannen in die rechte Stimmung bringen“. Or.)
606 August Mayer,
bei Diogenes Laertius 485; 487;
490; 547; 561; 563; Excerpte
bei Stobaeus 485 f.; Citate in
Plutarchs Moralia 485 f.; 562
A. 158; Abweichungen von der
stoischen Orthodoxie 486 A. 0;
548; 568; ὁμοιώματα 486; 491
A. 13; πρὸς τοὺς διαλεχτικοὺς 486;
548; 551 ff.; ὑπομνήματα ὑπὲρ χε-
νοδοξίας 487; Beziehungen zu
Bion 487 A. 5; 491 A. 13; 548
A. 131; 562; einzelne Fragmente
(besprochen fr. 345, 359, 371,
375, 380, 381, 389, 390— 394, 398,
400—403): fr. 380, 881 dem Keer
gehörig 488; fr. 402 ebenso 488;
490; 500; fr. 398 zweifelhaft 489,
fr. 391—8394 : 553; fr. 390: 562 f.
570; fr. 371, 389, 401, 403: 562
A. 158; fr. 345: 568: fr. 359:
578 A. 200; fr. 400: 578; fr. 375:
583 A. 224; unmöglich Autor
einer antirhetorischen Schrift
490 A. 11; 547 ff.; nicht der von
Philodem erwähnte 525; Bezieh-
ungen zum Anonymus Philodemi
548; 553 f.; Vergleich der dia-
lektischen Schlüsse mit kleinen
Schiffehen 551; 555; mit Spinn-
weben 553; mit Krebsenessen,
Nießwurz, Straßenkoth 553 A.
142; mit Sägen und Bohrern
554; mit Netzen zum Sardellen-
fang 555; mit Eulen 556; Stel-
lung zu den Einzelwissenschaften
554; die Bilder gegen die Dia-
lektiker beim Annoymus Philo-
demi in sekundärer Verwendung
354; 560; ἐρωτικαὶ διατριβαί 562
ἊΣ: 7157: 563#.; 577: 593 Ar 258;
Aehnlichkeit mit Ariston von
Keos 562; von Musonius benützt
562 A. 158; Quelle für den Kern
von Plutarchs Amatorius 564 ff.;
Stellung zur Knabenliebe 568.
Ariston von Keos: Bioneischer Stil
485; 491 A. 13; 562; Biographie
der vier ersten Schulhäupter 487;
499 A. 25; Schrift über Kinder-
erziehung, Lykon, Tithonos 487;
περὶ τοῦ κχουφίζειν ὑπερηφανίας
487 A. 6 (vgl. aber 605); περὶ
ἐρωτικῶν ὁμοίων 487; 594 f.; πρὸς
τοὺς ῥήτορας: benutzt in Plutarchs
βίοι (Aristid. 2 [vgl. 502], Them.
3 [492 A. 15], Demosth. 10 [496
A. 21] und 30) 488 ff., in den
πολιτικὰ παραγγέλματα 491 ff., bei
Philodem de rhet. VII (pap. 1004)
488; 512; 522 fl; 525 fl.; 597 ff.;
irrtümlich unter die Schriften
des Chiers geraten 555; 561;
Verfasser einer antirhetorischen
Schrift 490; 512 ff.; 519 ff.; 547;
der Ariston Philodems identisch
mit dem Rhetorikgegner Ariston
bei Plutarch 494 ; 525 ; identisch
mit dem Ariston bei Quintilian
und Sextus 522 ff.; benützt Py-
theas 497; 499; 500 A. 0; von
Hermipp benützt 499 A, 25; Zu-
sammenstellung seiner Haupt-
sätze Sllf.; 546 f.; bei Quinti-
lian und Sextus 512 ff.; Stellung .
in der Reihe peripatetischer
Schulhäupter 512 A. 40; irrtüm-
lich als „Schüler des Kritolaos“
bezeichnet 513—519;, gegen die
Stoa 529 ff.; eigene Worte 532 f.;
534 f.; 538 f.; 54lf.
Ariston von Kos: 512 fl.; 519.
Aristonfrage: Heutiger Stand der
486 ff.; Beitrag zur Lösung der
561 f.; 595.
Aristophon: Anklage gegen Iphi-
krates 494.
Aristoteles, περὶ λέξεως 495; Defi-
nitionen der Rhetorik 516 A. 49;
011, 91957 920, AR 56, ὌΝ’ 5185
Theodectea 517; Gryllos 517 A.
20; 522 A.0; Rhetorik von Phi-
lodem als Argument gegen den
Peripatos benutzt 527; daraus
haben nach Ariston die Rhetoren
ihre Weisheit 535; ’Epwuxög in
Plutarchs Amatorius 578; 587
A. 236; 588 A. 238; 593 A. 257;
von Ariston von Keos benützt
595; διαιρέσεις 585 A. 230.
Apollodoros: Definition der Rhe-
torik 517; Gegner des Theodoros
518.
Athenaeus: Benützer von Ariston
περὶ ἐρωτικῶν ὁμοίων 487; 594 f.
Athenaios Rhetor: Definition der
Rhetorik 516; Gegner des Her-
magoras 518 A. 52; 519; radi-
kaler Standpunkt der Rhetorik
gegenüber 518 A. 51.
Bion: Verhältnis zu Ariston von
Keos 485; 491 A. 13; 562; zu
Ariston von Chios 487 A. 5;
548 A. 131; 554; 562; "Material
Aristonstudien. 607
bei Plutarch und Musonius 564
A. 163; Einfluß auf den Ama-
torius 564 f.; 567; 578 A. 208;
583.
Chrysipp: 572 A. 189; 573 A. 191;
576 A. 201; 579.
Clemens Alexandrinus: Benützt die
Ehevorschriften des Musonius
563; Consens mit Plutarch führt
auf Ariston von Chios 563.
communis opinio: 530 f.; 534.
Cornelius Celsus: Quelle Quinti-
lıans 518.
Definition der Rhetorik: Diskussion
über die 493; 511; Liste bei
Quintilian und Sextus 513 f.;
stoische der τέχνη 514; antirhe-
torische des Ariston 519 ff.
Demades: 499; 504; 507; Autodi-
dakt 489 A. 7; 514; gegen De-
mosthenes ausgespielt 489 Α. 7;
490; 496 f.; 499; Bildsäulen 509.
Demetrios von Phaleron: Luxus-
bauten 507; Bildsäulen 509;
Günstling des Ptolemaios 540;
über die Liebe 595; περὶ ῥητορι-
χῆς 596 f.
u : Antirhetorische Witze
497.
Demosthenes: Ungünstiges Urteil
des Theophrast 488 f.; unglück-
liches Ende 489; gegen Dema-
des und Phokion herabgesetzt
489 f.; 496 A. 21; 497; 499: 504;
509; Mangel an Schlagfertigkeit
496; 499; Schimpfreden 497; un- |
günstiger Vergleich mit Leon von
Byzanz 498; Beredsamkeit müh-
sam erarbeitet 499; nıxpörng 499:
voxroypapix und Fahnenflucht
500 A. 0; Beurteilung des Eubu-
los 506 A. 36; unzeitgemäße Be-
rufung auf die Perserkriege 507;
Beredsamkeit nach Philodem 527.
Dialektik: Verachtung der bei Ari-
ston von Chios 486; 548; ange-
griffen vom Anonymus Philodemi
851 ff.
διήγησις: 534; 536; 547.
Diodoros: Schüler des
513; 519; schreibt
Rhetorik 518 A. 54.
Diogenes von Babylon: Im ersten
Teil des Pap. 1004 besprochen
522; 526; 596.
Kritolaos
gegen die |
Diogenes der Kyniker: 556.
Diogenes Laertius: 485; 487; 490;
547; 561; 5693; 594.
Ehevorschriften: 564; 577; ihre
Ueberflüssigkeitnach Ariston von
Chios 578 A. 208.
εἰκὸς: 528; 834; 537; 546; 558.
Epikur: Von Philödem gegen die
Rhetoren verteidigt 549 ff.; Lie-
bestheorie 569 A. 182; 572 A.
189; 574 A. 195; 575 A. 198;
592 A. 255; 593 A. 256; Atom-
theorie 575.
Erosproblem : 564 ff.; 577 ff.; 593.
ἐρώτησις καὶ ἀπόκρισις: 551 A. 137;
552; 555.
genus laudativum 532f.; iudiciale
und deliberativum 521; 838.
Hermagoras: Definition der Rhe-
torik 516 ff.; ἔργον und τέλος 520
A.58; Abhängigkeit von Ariston
520 f.; πολιτικὰ ζητήματα 521;
Kein Stoiker 521 A. 60.
Hermipp: Quelle der Demosthenes-
vita 489; 499: Verhältnis zu Ari-
ston 499 A. 25.
Hierokles der Stoiker: 563 A. 161;
564 A. 164; 567; 573 A. 193.
Hieronymos von Rhodos: Kein
Schulhaupt 512 A, 40; über die
Knabenliebe 587 A. 236; 595.
Homoiomata: Des Ariston von
Keos 491 ff.; 500 ff.; 505 ff. 543;
des Ariston von Chios 551; 553;
571; beide bedienen sich dieser
Form 491 A. 13; 562; Bedeutung
des Wortes 594.
Hypereides: Angriffe auf Demades
504.
Iktinos: Als antirhetorisches Bei-
spiel verwendet 494; 595.
Iphikrates: Prozeß antirhetorisch
ausgenützt 494; sophistische Re-
deübungen 506.
Isaeus: Benützung seiner τέχναι dem
Demosthenes vorgeworfen.
Isokrates: Urteil des Theophrast
495; Definition der Rhetorik
515 ff.; 519.
Kallistratos: Beredsamkeit 527.
Kimon: Luxusbauten 507.
Kleisthenes: Beispiel eines Dema-
gogen bei Ariston 540.
608
Kleon: Demagoge 492; 511; ver-
leugnet seine früheren Freunde
501; Vielgeschäftigkeit 506, füt-
tert die Habgier des Pöbels 507.
Kritolaos: Argument aus den
Schimpfreden der Rhetoren 504;
über die Vielgeschäftigkeit der
Rhetoren 505; nicht Plutarchs
unmittelbare Quelle 505 A. 34;
Hinweis auf Perikles 506; Nach-
folger des Ariston 512; Quelle
des Sextus adv. rhet. 10 ff. (Nach-
weis daß die Rhetorik keine
Kunst ist) 514; 515 A.46; radi-
kaler Standpunkt 518 A. 51;
Verhältnis zu Ariston dargelegt
Pap. 1004 fr. XII 523£.; mit
Ariston zusammen genannt 524
A. 65.
Kynikeer: Beziehungen zu Ariston
von Chios 548; 585 A. 229; Dia-
triben 550 A. 136; Benützung
des menandrischen Μισούμενος
566 A. 173.
Kyrenaer : Beziehungen zu Ariston
von Chios 548; 562; Rhetorik-
Freundlichkeit 548 A. 132; 551;
Nutzen der sokratischen Philo-
sophie 559 A. 155.
Leon von Byzanz: Gegen Demos-
thenes ausgespielt 498; sein un-
glückliches Ende 498 A. 23.
Liste: von Definitionen der Rhetorik
bei Quintilian (516) und Sextus
(517) aus gemeinsamer Quelle
514 ff.; peripatetischer Schul-
häupter 512 A. 40; 519.
Musonius: Benützt von Plutarch
in den ὑγιεινὰ παραγγέλματα 562
A.158; Quelle der Ehevorschrif-
ten des Glemens Alexandrinus
563: 566. A. 175; 508. A.2178;
573 A. 193; nicht Quelle Plu-
tarchs im Amatorius 564.
ὀχλικὴ πειϑώ: 520 ἢ; 529; 560.
Panaitios: Athetese der Schriften
des Ariston von Chios 486 f.;
490; 547; 555; 561.
πάϑη: 535; 838; 546.
Perikles: Plötzliche Aenderung ge-
tadelt 493; 511; gelobt wegen
seiner Beschränkung auf die
August Mayer,
wichtigsten Geschäfte 505 f.; Lu-
xusbauten 507; Beredsamkeit
527; Beispiel eines Demagogen
540; Erfolge nicht aus seiner
Beredsamkeit allein zu erklären
542 £.; 547.
Peripatetische: Theorie über : λέξις
495; Witz 496; ethischen Tadel
503; 5611. — Topensammlungen
527 A. 70; Disputierübungen 531
A. 81; Erosliteratur 563 A. 159;
582 A. 222.
Philodem: de rhetorica 11: 504 A.
32; 524; V (9) Pap. 1669: 548 ff. ;
Fragmente des fünften (?) Buchs
(Pap. 1018 +
(Pap. 1004): 488; 494; 512; 522 ff. ;
525—547 und 598 ff. (Behandlung
der λόγοι des Ariston von Keos);
Hypomnematikon 524 A. 65;
vol. 1192 und 345 Sudhaus: 596;
der Papyrus 1004 ist das siebente
Buch der Rhetorik 598 A. 269;
de vitiis I: 605; X: 487; 605.
Philon von Athen: Beispiel für
Vereinigung von Sachkenntnis
und Rednergabe 595 f.
Philon von Byzanz: Mit Philon
von Athen verwechselt 597.
Phokion: Gegen Demostkenes aus-
gespielt 489 f.; 496 A. 21; 497;
504; 509; Replik gegen Demades
504; mit Demades zusammenge-
nannt 507; ehrenvolle Armuth
509 f.
πίστεις ἔντεχνοι und ἄτεχνοι: 534 f.;
537; 547.
Plato: Staat 522 C, Ὁ: 507; 4161:
509; Definitionen der Rhetorik
516 ἢ; 519; Unterscheidung von
σχοπός und τέλος 520 A. 56; Gor-
gias zu Angriffen gegen die Rhe-
torik benützt 523; Lehrbarkeit
der Tugend 558; Etymologie des
Eros 565 A. 170; Phaidros 751 E
benutzt von Plutarch und Cle-
mens: 568 A. 178; Liebestheorie
von Plutarch entwickelt 569 A.
181; 592; Phaidros und Sympo-
sion für den Beweis der Gottheit
des Eros im Amatorius des Plu-
tarch herangezogen 578 ff.; 593;
ebenso der Phaidon (69C und
81 B, D) 588 ff.; drei Arten von
φιλία 585.
Plutarch: Aristoncitate in der Mo-
ralia 486 f.; 562 A. 158; in den
1080) 550; VII
Aristonstudien.
βίοι 487—491; 505 A. 34; Quelle
der πολιτιχὰ παραγγέλματα 491 bis
512; 547; 595; ihr Zusammen-
hang mit den Viten des Demos-
thenes, Aristides, Themistokles
488 f.; Dem. VIII und XI: 498 f.;
Periel. VII: 505 A. 34; XV: 543 |
A. 121; im Amatorius sind die
ἐρωτικαὶ διατριβαὶ des Ariston von
Chios benutzt 562 A. 157; stoi-
scher Kern des Dialogs 563 ff.;
dieser geht auf Ariston zurück
564 ff.; der Mittelteil aus anderer
Quelle 564; 578 ff. ; 593; Berühr-
ung wit Musonius und Ariston
von Chios 562 A. 158; 563; Con-
sens mit Clemens führt auf Ari-
ston von Chios 569.
Polyeuktos von Sphettos: Aus-
spruch über Demosthenes 489;
496 A. 21.
Prooemium : 534; 547.
Pytheas: Anklage gegen Demos-
thenes 497 ; 499 ; rednerische Er-
folge trotz Unreife und mangeln-
der Vorbildung 498; von Ariston
und Hermipp benützt 500 A. 0.
Python: Günstling Philipps 540.
Quintilian: Behandlung des Rhe-
torikproblems 512 ff.; 523; stoi-
scher Standpunkt 515.
Rhetoren: Verunglückte 489 A. 8;
490 A. 12; Berufswahl 491f.;
511; Behandlung des Demos 492;
von Freund und Feind 501 f.:
511; Heuchelei 492£.; 511; Pri-
vatleben 493; Schimpfreden 497;
503£.; 511; Concurrenzneid 500;
Vielgeschäftigkeit 506; 511; Auf-
wand 507f.; 512; patriotische
Declamationen 507; 511; Stand-
bilder 509; 512; Frechheit 529;
ohne spezielles Fach 533; 537;
wissen sich selbst nicht zu hel-
fen 535; 547; die schlechteste
Staatsform verhilft ihnen
zur |
Macht 539; entreißen den Phi- |
losophen die Staatsleitung 543 f.;
547; den Tyrannen gleichgestellt |
549 f.
Rhetorik: Sophistische abgewiesen
527; operiert mit dem bloßen |
eindg 528; 546; sittliche Schädi-
gung 528f.; 546; Nutzlosigkeit
529; 543; 546; Mißerfolge 536; |
609
551; Kürze des Lehrkurses 536 ;
stoische Argumente zugunsten
der 532f.; 546; bloß formelle
Fertigkeit 542; 546; praktische
Notwendigkeit 549.
σχήματα λέξεως : 590 f.
Sextus Empiricus: Behandlung des
Rhetorikproblems 512 ff.; repro-
duziert den Gedankengang des
Kritolaos 514.
Sokrates: Nutzen seiner Philoso-
phie 559.
Solon: Begünstigt seine Freunde
502; Muster vornehmen Tons
504.
Stobaeus: Excerpte aus Aristons
ὁμοιώματα 486 f.; 5853; 594 A.
260.
Stoiker: Rhetorikideal 529 f.; 546;
von Ariston bekämpft 530; 546;
χοιναὶ ἔννοιαι 5980; 546; Argument
aus der natürlichen Redegabe
der Menschheit 532f.; 546; De-
finition des Eros 565 A. 166;
Eroslehre 565 A. 166 und 170;
566 A. 172: ΟΣ: 571 A. 184,
186, 187; Wandlung auf diesem
Gebiete 567; 577, über Mischung
575 A. 199.
Strabozeugnis über: Ariston von
Alexandreia 513 A. 42; Ariston
von Keos als Nachnahmer Bions
485; 491 A. 13; 562; Ariston von
Kos 512.
Stratokles: Antirhetorischer Witz
492; Behandlung des Demos 492;
Habsucht als Motiv der Berufs-
wahl 51].
Themistokles: Persönliche Eifer-
sucht zwischen ihm und Aristi-
des 488 f.; 502/f.; begünstigt seine
Freunde 490 f.; 502; ehrgeiziger
Neid auf Miltiades 492 A. 15;
Rhetorikübungen in der Knaben-
zeit, sein Vater warnt ihn vor
dem Ende der Demagogen 493
A. 0; plötzliche Aenderung der
Lebensweise 5ll; Beispiel eines
Demagogen 540.
Theodoros ἄϑεος: Vermittler zwi-
schen Aristipp und Bion 548
A. 131; eristische Fangschlüsse
über das Rhetorikproblem 560
A. 156; ethischer Skeptizismus
561.
610 August Mayer, Aristonstudien.
Theophrast: περὶ λέξεως: 488f.;
05 πὸ: 503 FAR 0:2
A. 60; politische Schriftstellerei
524 A. 65; Definition des Eros
(fr. 115 W) 565 A. 169: περὶ "Epw-
τος (fr. 113 W) 591 A. 253; 595
A. 264.
τόποι: 527; 991 1: 546.
Tugendlehre: 557 f.
Verhältnis von: Rhetorik und Po-
litik 493 £.; 527;: 530; 533; 539;
Neapel.
544; Rhetorik und Sachkennt-
nis 494 f.; 539; 548; 596; Rhe-
torik und Philosophie 508; 521;
524; 536; 538; 541—545; 549 ff.
Xenokrates: Definition der Rhe-
torik 516.
Zenon: Ueber die Liebe 505 A.
166; 566 A. 176; 567; διατριβαί
594 A. 0.
August Mayer.
Druckfehler.
S. 507 Z. 3 von unten statt „Phoikon“ lies „Phokion“.
515, 2. 9 Ὁ Ξ „ Sokrates „ Isokrates.
517.2. 1, "oben: ., "Qumtilius „ Quintilians.
A162: 100, Σ „ ἄἀμετάπτωτου, ἀμετάπτωτοι.
5. 547 2.3 „ unten ;. Panaition „ Panaitios.
563 2.7 „ oben „ Heuse „ Hense.
. 178 letzte Zeile ebenso.
Pn»>
. 262 letzte Zeile
»
. 582 Z. 15 von oben statt „laudationes“ lies „laudationis“.
ὁμοιώμα &
ὁμοίωμα.
ῬΗΠΙΟΙΠΘΘΓ8
ZEITSCHRIFT
FÜR
DAS CLASSISCHE ALTERTHUM
BEGRÜNDET
vos F. Ἢ. SCHNEIDEWIN uno E. v. LEUTSCH
HERAUSGEGEBEN
VON
OTTO CRUSIUS
IN MÜNCHEN
Supplementband XI. Heft 1.
LEIPZIG
DIETERICHSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
THEODOR WEICHER
INSELSTRASSE 10
1908,
Erstes Heft.
Seite
Reste und Spuren antiker Kritik gegen ee Von Wilhelm
ΓΕΒ ΣΟ SEN EN Ne. Et, REITER SM ἢ
Ausgegeben am 15. Februar 1908.
Druck von H. Laupp jr in Tübingen.
ΡΠ ee ne a 1.
PHILOLOGUS
FÜR
DAS GLASSISCHE ALTERTHUM
BEGRÜNDET
von F. W. SCHNEIDEWIN vo E. v. LEUTSCH
HERAUSGEGEBEN |
VON
OTTO CRUSIUS
IN MÜNCHEN
Supplementband XI. Heft 2.
\Dvi egr.
NAITR Wi 1760
LEIPZIG
DIETERICHSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
THEODOR WEICHER
INSELSTRASSE 10
1908,
Sicker
Ser. Eugenius
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Ausgegeben am 20. Dezember 1908.
ones Plautinae.
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PHILOLOGUS
ZEITSCHRIFT
FÜR
DAS GLASSISCHE ALTERTHUM
BEGRÜNDET
vos F. W. SCHNEIDEWIN vs» E. v. LEUTSCH
HERAUSGEGEBEN
VON
OTTO CRUSIUS
IN MÜNCHEN
Supplementband XI. Heft 3.
LEIPZIG
DIETERICHSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
THEODOR WEICHER
INSELSTRASSE 10
1909,
Drittes Heft.
Zu Ovid.
Die Fische in Ovids Haleuticon. Von Georg Schmid . .
Neue Beiträge zur Charakteristik Ovids Von Michael Po-
N 03 ΕΠ RE RER DE LE RER NR ER HERREN
Ausgegeben am 5. Oktober 1909.
Soeben ist erschienen:
Geschichte des Qorans
Theodor Nöldeke
Zweite Auflage
bearbeitet von
Friedrich Schwally
Ἶ Erster Teil ΠῚ
Über den Ursprung des Qoräns
M. 11.—.
PHILOLOGUS
ZEITSCHRIFT
FÜR
DAS CLASSISCHE ALTERTHUM
BEGRÜNDET
von F. W. SCHNEIDEWIN vum E. v. LEUTSCH
HERAUSGEGEBEN
VON
OTTO CRUSIUS
IN MÜNCHEN
Supplementband XI. Heft 4.
LEIPZIG
DIETERICHSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
THEODOR WEICHER
INSELSTRASSE 10
1910.
Viertes Heft.
Seite.
Die Talion. "Von’R. Hirzel. na Re es aA A
Arıstonstudien.' | Von August Mayer)... Era nn „nr son dos
Ausgegeben am 10. Dezember 1910.
Dieterich’jche Derlagsbuchhandlung Theodor Weicher Keipzia,
Wolf, Profefior Dr. Heinrich
Angewandte Gefichichte
Eine Erziehung zum politifchen Denken und Wollen
1910, XIV und 377 Seiten gr. 8. M. 4.20 geh, M. 4.80 geb.
Aus drei Briefen praktijcer Schulmänner
Die „Angewandte Gejchichte” von Wolf fejjelt mich jtetS$ von
neuem und in immer jteigendem Maße; es {Π{ ein jehr umfangreiches
Material in jehr gefchiefter Weife verarbeitet, jodaß das Buch, eine
wahre Funpdjtätte von den bedeutendjten Gejichtspunften und leitenden
Kdeen, wie fie [ὦ im Gang und in der Entwicklung der gefchichtlichen
Greignijfe darftellen, mit vollem Necht genannt werden darf. Zu Bücher:
prämien, wie deren an vielen Schulen verliehen werden, eignet fich das
Buch vorzüglich. Gymn.:Brof. Dr. R. in W. am 30./10. 10.
Das it allerdings die trefflichite Bürgerfunde, die ich fenne, weil
fie alles hiltorifch begründet. Dazu der warme vaterländijche Ton.
Neforın-Realgymnaftalrektor Prof. Dr. R. in ©. v. 1/.11. 10.
Wolf Buch hat mich entzücdt! So etwas haben wir fchon lange
gebraucht. Das Buch {{{ wie gejchaffen, am Ende des Gejchichtsunter:
richtes unfern höheren Schulen αἰ Grundlage für Nepetitionen zu dienen.
Da werden die Kernfragen des heutigen politifchen Xebens bis in ihre
legten Wurzeln verfolgt und unter den höchiten Gejichtspunften. Ueber-
all jpürt man die großen YZufammenhänge des gejchichtlichen Lebens,
vor denen das rein Außerliche Tatfachenmaterial verfchwindet. Wolf
regt an zum Denken, indem er mit verblüffender Offenheit alteingemwur-
zelten Vorurteilen entgegentritt, und in lapidaren Sägen die gejchicht-
lichen Wahrheiten verfündet. Sein Wort will politifch bilden, es voll-
bringt mehr, e8 wirkt charafterbildend.
Neal-Gymn.-Lehrer Dr. Ph. in ©.
Soeben erschienen:
Dante’s Göttliche Komödie
Ausgewählte Abschnitte aus dem Gedicht mit Uebersetzung,
Erklärung und Einleitung sowie einem Dante-Bildnis
von Franz Settegast
a. o. Professor für romanische Philologie an der Universität Leipzig
1910. XXII u. 112 Seiten. 4°. Preis M. 4.—, gebunden M. 5.—
Das Buch dürfte allen Gebildeten, die bereits italienische Studien getrieben haben und
- die sich für italienische Sprache und Literatur, besonders Dante, interessieren, willkom-
men sein.
Ἢ | Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Theodor Weicher, Leipzig.
Hebräisches und aramäisches
Wörterbuch zum Alten Testament
mit Einschaltung und Analyse aller schwer erkennbaren Formen, Deutung der
Eigennamen sowie der massoretischen Randbemerkungen und einem deutsch-
hebräischen Wortregister
von Dr. phil. und theol. Eduard König
x ordentlichem Professor und Geheimen Konsistorialrat in Bonn.
1910. X u. 665 5. gr. 8°, M. ı1r.—, gebunden M. 13.—
Das Wörterbuch ist von der Kritik bereits glänzend beurteilt worden. Der Preis ist
so niedrig bemessen worden, dass auch weniger bemittelte Freunde der althebräischen
Literatur und Kultur dieses neue Hilfsmittel sich leicht erwerben können.
Cominianus
Beiträge zur Römischen Literaturgeschichte
von Dr. Johannes Tolkiehn
Universitätsprofessor in Königsberg ji. Pr.
1910. VI u. 174 S. gr 8°. Geh. M. 5.—, geb. Μ, 7.—
Die vorliegende Arbeit sucht ein möglichst genaues Bild von dem verlorenen gramma-
tischen Werke des Cominianus, des Lehres des Charisius, zu gewinnen und will die Wege
weisen, die zu einer Rekonstruktion desselben führen können. Im I. Teile werden Chari-
sius, Diomedes, die Excerpta Bobiensia Dositheus und Marius Vietorinus auf Cominiani-
sches Gut hin untersucht, der II. Teil behandelt Aufbau und Anordnung der Grammatik
des Cominianus, die in ihr enthaltenen Beispiele und Zitate, ihre sprachvergleichenden
Tendenzen und die Quellen, aus denen sie geschöpft sind. Ein Rückblick fasst die haupt-
sächlichsten Ergebnisse zusammen, ein Sach- und Stellenregister geben über alle wichtigen
Zinzelheiten Aufschluss.
Sentenz und Reflexion bei Sophokles
Ein Beitrag zu seiner poetischen Technik
von Eugen Wolf
1910. VI u. 178 S. gr. 8°, M. 4.50.
Der Verfasser geht aus von der Tatsache, dass das künstlerische Schaffen des Sopho-
kles ein enorm bewusstes ist, und sucht unter dieser Voraus-etzung die einzelnen Sentenzen
und Reflexionen an ihrer jeweiligen Stelle in Drama zu analysieren. Von den sich er-
gebenden drei Hauptteilen behandelt der erste die psychologischen Ursachen der Verwen-
dung von Sentenz und Reflexion und die daran sich knüpfenden charukterisierenden Wir-
kungen. An den ersten, psychologischen Teil schliesst sich ein zweiter, kompositioneller,
an, der die Verwendung der Seutenz im Aufbau des Dramas untersucht, Der dritte Teil
behandelt die Sentenz als solche, die Ursachen des ästhetischen Gefallens an Sentenz und
Reflexion.
In demselben Verlage beginnt soeben zu erscheinen:
Das Erbe der Alten
Schriften über Wesen und Wirkung der Antike
Gesammelt und herausgegeben
von
0. Crusius 0. Immisch Th. Zielinski
Heft I:
Hellenische Stimmungen in der Bildhauerei von
Einst und Jetzt
von
Georg Treu
Mit Zweiundsechzig Abbildungen und einer Tafel
64:18: "Dosen
Preis M. 1,80 geh., , M. 2.50 geb., in Pergament gebunden M.5.—
Diese Sammlung wendet sich an die grosse Gemeinde der Gebildeten
_ und Bildung Suchenden; besonders kommen alle höheren Schulen und zwar
_ nichthumanistische ebenso’ wie humanistische in Betracht. Nur Sachverstän-
.dige von Ruf werden das Wort führen, auch Germanisten, Juristen und
Theologen. Eine der endlosen Monographienfolgen ist nicht beabsichtigt.
Es handelt sich um eine Auslese der noch heute wirkenden und zur Wirkung
berechtigten Kräfte und Persönlichkeiten.
Ausführliche Prospekte stehen gern zu Diensten.
Druck von H. Laupp jr in Tübingen.
Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Theodor Weicher, Leipzig.
Le quae feruntur epistolae ed. Engelbertus Drerup. 1904. 768. gr. 89,
. 2.40.
Aly, W., Der kretische Apollonkult. Vorstudie zu einer Analyse der
kretischen Götterkulte. 1908. Mk. 1.80.
Beermann, E., Die internationale Hilfssprache Novilatin. Ein
‘Vorschlag. 1907. IV u. 211 S. 8%. M. 3.—, geb. M. 4.—.
Belling, H., Studien über die Compositionskunst Vergils in der Aeneide. 1899.
VII u. 250 S. gr. 8. Μ, 5.--. ;
Benecke, G. F., Wörterbuch zu Hartmanns Iwein. 3. Ausgabe besorgt von
Ο. Borchling. IX u. 313 5. gr. 8°. ΝΜ. 10.— geb. M. 12.
Bernart Amoros: La premiere partie du chansonnier de B. A., conservee par
les mss. a ca Fa. Publiee par Edm. Stengel. 1902. 328 S. gr. 89, Μ, 12.—.
Böhmer, H., Kirche und Staat in England und in der Normandie im XI. u.
ΧΙ]. Jahrhundert, 1899. XI u. 498 5. gr. 8°. M. 12.— geb. M. 14.—.
Dyroff, A., Demokritstudien. 1899. IV u. 188 S. gr. 8°. M. 3.60.
ger. Alb., Die Geschichte des griechischen Skeptizismus. 1905.
VII u. 337 5. gr. 8°. M. 10.— geb. M. 12.—.
Hahn, Ludwig, Rom und Romanismus im griechisch römischen Osten. Mit
besonderer Berücksichtigung der Sprache. Bis auf die Zeit Hadrians,
1906. XVI. u. 2738 5. gr. 8. M. 8.— geb. M. 10.—.
Als Ergänzung hierzu erschien von demselben Verfasser:
Zum Sprachenkampf im römischen Reich bis auf die Zeit Justinians. 1907.
44 S. gr. 8°. M. 1.40. [Sonderdruck aus „Philologus“].
Herzog, R., Koische Forschungen und Funde. 1899. VIII u. 244 S. gr. 8°.
Mit 7 Tafeln. M. 12.— geb. Μ, 14.—.
Ibn Al-Qifti’s Ta’ rih Al-Hukamä’. Auf Grund der Vorarbeiten Aug. Müllers
herausgegeben y von Julius Lipperk, 1905. 22 u. 496 5. gr. 4°. M. 36.—.
Isocratis opera omnia. Recensuit scholiis testimoniis apparatu eritico in-
struxit Engelbertus Drerup. Vol. I, 1906. CXCIX 196 8. gr. 8°
mit 2 Tafeln. M. 14.— geb. M. 16.—.
Kornemann, E., Kaiser Hadrian und der letzte große Historiker von Rom.
1905. VII u. 136 S. gr. 8°. M.'4.20.
Kukula, C. R, Alkmans Partheneion. Ein Beitrag zum Lakonischen
Artemiskulte (Sonderdruck aus „Philologus‘“). 80 Pf.
Manilii, M., astronomica. Ed. Theodorus Breiter I Carmina. 1907. XI u.
149 S. gr. 88 M.380. Teil II: Kommentar. Mit 2 Tafeln Zeichnungen.
XVII u. 196 3. m. 1 Tab. 1908. M. 4.20. (Vollständig in 1 Bd. M. 8.—.
geb. M. 9.—).
Marquart, J., Osteuropäische und Ostasiatische Streifzüge. Ethnologische und
historisch-topographische Studien zur Geschichte des 9. und 10. Jahr-
hunderts. 1903. Τὶ und 557 8. gr. 8°. M. 30.— geb. M. 32.50.
— „—, Untersuchungen zur Geschichte von Eran. 2 Hefte, 1896 u. 1905.
"88 und 266 8. gr. .8%..:'M. 18,
— „ —, Die Chronologie der alttürkischen Inschriften. 1898, VII u. 112 5.
gr. 89°. M. 4.—
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Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Theodor Weichen Te
Marquart, J., Fundamente israelitischer und jüdischer Geschichte. 1896. ἽΝ
88 5. gr. SU. ΤΟΝ 13
Merguet, H., Handlexikon zu Cicero. 1905. 816 5, Lex. 8°. M. 24.— geb. M. 26.—.
Ovidii Nasonis, P., de arte amatoria libri tres. Erklärt von P. Brandt. 1905.
XXI u. 255 8. gr. 8°. Μ, 8.— geb. M. 10.--
Re „— Fasti, Tristia, Epistulae ex Pe, Für den Schulgebrauch ER ἈΠῸ
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1908. VII u. 148 8. 8°. Geb.M. 1.80.
Praechter, K., Hierokles der Stoiker. 1902. VII und 1598. gr. 8°. M. 5.—
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Schmid, W., Ueber den kulturgeschichtlichen Zusammenhang und die Be-
deutung der griechischen Renaissance in der Römerzeit. 1898. 48 8.
gr. 8°. M. 1.20
_ Scehulten, A., das römische Afrika. 1899. VI u. 116 8. gr. 8° mit 5 Tafeln.
Be ΔΗ)
Schwally, F., Semitische Kriegsaltertümer. Heft 1. Der heilige Krieg im ey
alten Israel. 1900. VIII und 111 8. gr. 8. M.3.—.
Schwarz, H., der moderne Materialismus als Weltanschauung und Gesch
prinzip. 1904. IV 128 5. gr. 8°. M. 2.— geb. M. 2.60.
Soltau, Wilhelm, Livius Geschichtswerk, seine Komposition und seine Quellen.
Ein Hilfsbuch für Geschichtsforscher und Liviusleser. 1897. VIII. u. 2248.
“ gr. 8°. M. 6.—
Tolkiehn, J., Homer und die römische .Poesie. BON IV u. 219 S. gr. 8°.
M. 6.— geb. M. 8.—
Waltharii, Poesis, Das Waltharilied Ekkehards I von St. Gallen, nach den
Geraldushandschriften herausgegeben und erläutert von Hermann Althof.
Teil I: 1899 VII u. 184 5. gr. 8°. M. 4.80.
„ II: Kommentar 1905. XXIV. und 416 8. gr. 8°. M. 13.—.
Weber, W., DRAN Studien. 1908. VI und 180 8. gr. 8. M.5.—
geb. M. 6.— SR
Wiclif’s Joh., de veritate sacrae scripturae. Aus den Handschriften zum
erstenmal herausgegeben, kritisch bearbeitet und sachlich erläutert von
D. Dr. Rud. Buddensieg. 3 Bde. 1904. (CXII. 408. 271 u. 377 8.)
gr. 8%. M. 36.—.
Wunderer, Carl, Polybius-Forschungen. Beiträge zur Sprach- und Kultur: Eu
geschichte. RES DT
Teil I: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten. 1898. 1248.
gr. 8°. M. 2.80. 1 SR:
„ I: Citate und geflügelte Worte bei Polybios. 1901.. V u 108
gr. 8°. M. 2.40.
Teil III erscheint in Kürze.
Zielinski, Th., Die Antike und wir. Uebersetzung von E. Schoeler. 2. Aufl.
1909. IV u. 126 8. gr. 8°. M. 2.40 geb. M. 3.—.
Druck von H, Laupp jr., Tübingen.
EN
Dieterichsche Verlagsbuchhandlung, Theodor Weicher, keipzig. _
Soeben ist erschienen:
Der kretische Apollonkult
Vorstudien zu einer Analyse der kretischen Götterkulte
von Dr. Wolf Aly.
Mk. 1.80.
Als Kreuzungspunkt der Fäden, die zwischen Hellas und Asien hin und her laufen und
zugleich als Sitz einer uralten kräftig entwickelten Eigenkultur bietet die Insel Kreta zur
Frage nach dem Ursprung mancher griechischen Vorstellung den Schlüssel. Religion bildet
bier wie überall den ersten Bewusstseinsinhalt. So hofft der Verfasser in einer Reihe von
Arbeiten, von denen die vorliegende die Einleitung bildet, Beiträge zur Beantwortung der
mykenisch-kretischen Frage zu geben, zumal es hier bisher an methodisch gesicher-
ten Resultaten mangelt. — Die Abhandlung soll den Nachweis führen, dass Apollon verhält-
nismässig spät als fertiger Gott nach Kreta gekommen und dort mit einigen älteren Sonder-
göttern verwachsen ist. :
Aristophanische Studien
Aristophanis comoediae mihi fuerunt inter remedia
animi aegritudinis.
Von Hugo Weber.
Aus dem Nachlasse.
VI u. 180 8. gr. 8°. M. 5.—, gebunden M. 6.—.
Der Verfasser behandelt ausgewählte Verse und Szenen aus den Komödien der Achar-
ner, Ritter, Wespen und Wolken. Er gibt Erklärungen und Emendationen, zu deren Begrün-
dung er aus seinen Forschungen auf dem Gebiete der griechischen Syntax und Wortbedeutungs-
lehre Mitteilungen macht. Auf die verlorenen Komödien der Daitales und Babylonier fällt
neues Licht. Von Art und Kunst des Aristophanes ist die Rede, namentlich wird das Ver-
hältnis seiner poetischen Erfindungen zur Wirklichkeit näher bestimmt und dem unmittelbaren
Verständnis des heutigen Lesers nahe gebracht durch anschauliche Erklärung, wie sie bloss
gelehrte Kommentare nicht zu bieten pflegen.
Anfänge reformatorischer Bibelauslegung
herausgegeben von Johannes Ficker.
Band 1:
Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/16.
Teil 1: Die Glosse. CIVu.161S8. gr. 8° mit einer Lichtdrucktafel M. 6.40
9:.Die’Scholien.‘- Vlu. 346 8..gn. 80, A un nam Bea a Fr
”
Die grosse geschichtliche Aufgabe der Forschung unserer Zeit ist vor allem, die An-
füänge der Reformation zu erkennen, Nichts hat für diese eine grössere Bedeutung gehabt, als
die Bibel und ihr verändertes Verständnis. Aber nichts ist so wenig erforscht, als die Schrift-
auslegung der frühen Zeit der Reformation. Die hauptsächlichsten Werke, alle bis jetzt un-
bekannt, soll die hier begonnene Sammlung bringen. Unter diesen Werken die wichtigsten,
die seit mehreren Jahrhunderten gesuchten ersten Auslegungen Luthers über das Neue Testa-
ment, an ihrer Spitze die Vorlesung über den Römerbrief aus den Jahren 1515 und 1516. Ab-
schriften haben sich in der alten Pfälzer Bibliothek im Vatikan erhalten, schliesslich hat sich
auch Luthers Originalmanuskript wiedergefunden. Auch die von Luther veranstaltete Druck-
ausgabe des Römerbriefes, auch studentische Nachschriften des Lutherschen Kollegs sind
wieder an den Tag gekommen. Die vorliegende Ausgabe bringt die grosse, reiche Arbeit
Luthers mit Einleitung und eingehenden Kommentar. Es ist das bedeutendste Werk, das für
Luther und für die Geschichte der Reformation gefunden werden konnte. Denn erst jetzt wer-
den wir verstehen lernen das Werden Luthers und die Anfänge der Reformation.
Druck von H. Laupp jr, Tübingen.
ΟΠ Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Theodor Weicher, Leipzig.
Aeschinis quae feruntur epistolae ed. Engelbertus Drerup. 1904.
76 8. gr. 8°. M. 2.40.
Belling. H., Studien über die Compositionskunst Vergils in der Aeneide,
1899. VII u. 250 S. gr. 8°. M. 5.—.
Benecke, 6. F., Wörterbuch zu Hartmanns Iwein. 3. Ausgabe besorgt
von C. Borchling. IX u. 313 8. gr. 8°. M. 10.— geb. M. 12,—
Bernart’Amoros: La premiere partie du chausonnier de B,*A., con-
servee par les mss. a caFa. Publiee par Edm. Stengel. 1902.
328 8. gr. 8°. M. 12.—.
Böhmer, H., Kirche und Staat in England und in der Normandie im
ΧΙ. u. XII. Jahrhundert. 1899. XII u. 498 S. gr. 8°, M. 12.— gebd.
Ν. 14.—.
Dyroff, A., Demokritstudien. 1899. IV u. 188 S. gr. 8°. M. 3.60.
Goedeekemeyer, Alb., Die Geschichte des griechischen Skeptizismus.
1905. VIII u. 337 S. gr. 8°, M. 10.— gebd. M. 12.—.
Hahn, Ludwig, Rom und Romanismus im griechisch-römischen Osten.
Mit besonderer Berücksichtigung der Sprache. Bis auf die Zeit
Hadrians. 1906. XVI u. 278 5. gr. 8°. M. 8.— gebd. M. 10.—.
Als Ergänzung hierzu erschien von demselben Verfasser:
Zum Sprachenkampf im römischen Reich bis auf die Zeit Justi-
nians. 1907. 44. S. gr.8°. M. 1.40. [Sonderdruck aus „Philologus“.]
Herzog R., Koische Forschungen und Funde. 1899. XIII u. 244 5,
gr. 8°. Mit 7 Tafeln. M. 12.— gebd. M. 14.—.
Ibn Al-Qifti’s Ta’rih Al-Hukamä’, Auf Grund der Vorarbeiten Aug.
Müllers herausgegeben von Julius Lippert. 1905. 22 u. 496 8.
gr. 4°. ΝΜ. 36.—.
Isoeratis opera omnia. Recensuit scholiis testimoniis apparatu eritico
instruxit Engelbertus Drerup. Vol. I. 1906. CXCIX 196 5.
gr. 8° mit 2 Tafeln. M. 14.— gebd. M. 16.—.
Kornemann, E., Kaiser Hadrian und der letzte große Historiker von
Rom. 1905. VII u. 136 S. gr. 8°. M. 4.20.
Manilii, M., astronomica, Ed. Theodorus Breiter I Carmina. 1907. XI
u. 149 S. gr. 8°. M. 3.80. (Teil II: Kommentar befindet sich im
Druck und erscheint in Kürze).
Margquart, J., Osteuropäische und Ostasiatische Streifzüge. Ethnolo-
gische und historisch-topographische Studien zur Geschichte des
9. u. 10. Jahrhunderts. 1903. L u. 557 S. gr. 8°. M. 30.— gebd.
M. 32.50.
— „ —, Untersuchungen zur Geschichte von Eran. 2 Hefte, 1896 u,
1905. 88 u. 266 S. gr. 3°, M. 12.
— „ —, Die Chronologie der alttürkischen Inschriften. 1898. VII u,
112 8, gr. 8%. ΜΝ. 4.--,
Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Theodor Weicher, Leipzig.
Marquart, J., Fundamente israelitischer und jüdischer Geschichte.
1896. 88 8. gr. 8°. M. 3.—.
Merguet, H., Handlexikon zu Cicero. 1905. 816 Lex. 8°. M. 24.—
gebd. M. 26.—.
Ovidii Nasonis, P., de arte amatoria libri tres. Erklärt von P. Brandt,
1905. XXIII u. 255 5. gr. 8°. M. 8.— gebd. M. 10.—.
Praechter, K., Hierokles der Stoiker. 1902. VII u. 159 8. gr. 89,
M. 5.— gebd. M. 6.25.
Rolandslied, das altfranzösische. Kritische Ausgabe besorgt von E.
Stengel. Band I: Text, Variantenapparat und vollständiges Na-
menverzeichnis. 1900. X u. 404. 5. gr. 8°. M. 12.— gebd. M. 14.—.
Sehmid, W., Ueber den kulturgeschichtlichen Zusammenhang und die
Bedeutung der griechischen Renaissance in der Römerzeit. 1898 S.
48 5. gr. 8°. M. 1.20.
Sehulten, A., das römische Afrika. 1899. VI u. 116 S. gr. 8° mit 5
Tafeln. M. 2.—.
Schwally, F., Semitische Kriegsalterthümer. Heft 1. Der heilige Krieg
im alten Israel. 1900. VIII u 111 S. gr. 8. M. 3.—.
Schwarz, H., der moderne Materialismus als Weltanschauung und Ge-
schichtsprinzip. 1904. IV 128 8. gr. 8°. M. 2.— gebd. M. 2.60.
Soltau, Wilhelm, Livius Geschichtswerk, seine Komposition und seine
Quellen. Ein Hilfsbuch für Geschichtsforscher und Liviusleser,
1897. VIII u. 224 5, gr. 8°. M. 6.—.
Tolkiehn, J., Homer und die römische Poesie. 1900. IV u. 219 8.
gr. 8°. M. 6.— gebd. M. 8.—.
Waltharii, Poesis. Das Waltharilied Ekkehards I von St. Gallen,
nach den Geraldushandschriften herausgegeben und erläutert von
Hermann Althof.
Teil I: 1899 VIII u. 184 S. gr. 8°. M. 4.80.
„ 1: Kommentar 1905. XXIV u. 416 5, gr. 8°. M. 13.—.
Wielif’s Joh., de veritate sacrae scripturae. Aus den Handschriften
zum erstenmal herausgegeben, kritisch bearbeitet und sachlich
erläutert von Ὁ. Dr. Rud. Buddensieg. 3 Bde. 1904. (CXIJI,
408. 271 u. 377 8.) gr. 8°. M. 36.—.
. Wunderer, Carl, Polybius-Forschungen. Beiträge zur Sprach- und
Kulturgeschichte 4
Teil I: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten. 1898. 124 8.
gr. 8°. M. 2.80.
„ II: Citate und geflügelte Worte bei Polybios, 1901. V u. 1008.
gr. 8°. M. 2,40.
Zielinski, Th., Die Antike und wir. Uebersetzung von Εἰ, Schoeler.
1905. IV u, 126 S. gr. 8°, ‘M. 2.40 gebd. M. 3.—.
PA Philologus. Supplementband
3
P52
Nr.11
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