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PHILOLOGUS
ZEITSCHRIFT
FUR 65347
das CLASSISCHE ALTERTHUM..
BEGRÜNDET
von F. W. SCHNEIDEWIN UND E. v. LEUTSCH,
HERAUSGEGEBEN
VON
| OTTO CRUSIUS.
IN TÜBINGEN.
Achtundvierzigster Band.
(N.F. Zweiter Band).
GÖTTINGEN,
DIETERICH'SCHE VERLAGS - BUCHHANDLUNG.
i 1889,
Göttingen,
Druck der Dieterich'schen Universitäts-Buchdruckerei
(W. Fr. Kaestner).
m mr
Inhalt des achtundvierzigsten (zweiten) Bandes *).
Homer Od. s 116—117. Von C. Häberlin .
Zu (Hes.) Aspis 218. Von R. Peppmüller
Zur Batrachomyomachie, Von R. Peppmüller
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende von der
Verwandlung der Tyrsener. Von O. Crusius
Der Hymnus auf Pan. Von ER. Peppmüller .
Adnotationes ad poetas elegiacos Graecos. Ser. @. G. A. Murray,
Studien zu Theognis. Von Fr. Caüer.
Zu den Simonideischen Epigrammen. Von E. Hiller
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylus’ Schutzflehenden.
Von B. Todt... yo . . . . . .
Aeschylus Suppl. 555 K. Ser. C. Haeberlin
Zu Aischylos (Eumen. 268). Von C. Häberlin
Zu Sophokles’ Elektra V. 1415. Von A. Thimme
Ad Sophoclis Epigonos. Scr. O. Immisch ,
Zu Aristophanes. Von O. Bachmann, en.
Ein Epigramm auf Hyllos den Herakliden. Von O. Crusius .
Die Wiener Handschrift. der orphischen Argonautica. Von
C. Wessel , . . . . . . . . . . 379.
Platon’s Phädros. Von P. Natorp. . . . . . 428
180
178
578
582
*) Die Titel der Miscellen und Lückegbüfer sind mit kleinerer
Schrift gedruckt, die Namen ihrer Verfasser nicht gesperrt.
Ml
IV " Inhalt des achtundvierzigsten (zweiten) Bandes.
Exegetisches zu Plato’s Symposion I. Ven O. Crusius . . . 628
Zu Juba von Mauretanien. Von K. Tümpel . . . . . . 180
Zu Polybius I 2, 7. Von H. Stich . |. . . . . . . . 365
Zu Palaiphatos. Von H. Martini... . . . . . . 305.
Lucianea. Ser. E Bethe. . . . . . . . . . . 629
Galeniana. Ser. J. Ilberg . . . . . . . . . . 52
Emendationum ad Aristidem specimen III. Scr. W. Schmid . 56
Die Quellen des sogenannten Etymologicum Magnum. Von .
R. Reitzenstein. . . 2 2 . . . . . . 450
Das Alter der Epitome aus den Werken der vier Aristarcheer.
Von W. Schmid , , 2. + + 5. + 558
: Ad Orionem Thebanum. Ser. 0. Immisch . 00. + + + . 167
Zur vita Sophoclis. Von J. Mähly . . . . . . . . . 555
Kritisches zu Prokop. Von J. Haury . . . . . . . . 456
Zu den Kyraniden des Hermes Trismegistos. Von H. Haupt , 371
Nachträgliches zu den Excerpta Palatina. Von M. Herz , . 192
Quaestiuncula Plautina. Ser. G. Suster. i... 456
Nachtrügliches zu Mattius, Laevius und Livius. Von H. Düntzer, 755
Licinii Calvi tagnenta duo et Aemilii Macri unum. Ser.
BR. Unger . . . nn " . . 557
Die Arbeiten über die Tragidien des L. Ánnaeus Seneca
in den letzten Jahrzehnten. Von L. Tachau . 340. 723
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. Von
H. Kóstlin. . . . . . . . ^. . . . . . 647.
Vorbilder und Nachahmer des Valerius Flaccus. Von M. |
Manitiug . . . . . . . . . . 248
Bemerkungen zu den poetae Latini minores. Von M. Petschenig. 562
Zu Iuvenal Sat. VIII. Von A. Hückermann . . . . . . 168
Ad Orientium. Ser. R. Ellis. . . . . . . . . . . 465
De codice Varronis Mutinensi. Ser. I. Antonibon, . . . 185
Die Personenzeichen in den Handschriften von Cicero's Tuscu-
lange disputationes. Von A. Spengel. . . . . . . . 367
"Livius VIII 1. VO 33. 16. Von- A. Eufmer . . . . 275. 339
Weiteres 2 zur Kritik des Rhetor Seneca. Von R. Opite . 67°
Inhalt des achtundvierzigsten (zweiten) Bandes.
Zum XI. Buche des Quintilianus. Von M. Kiderlin .
Zu Frontin’s Kriegslisten. Von M. Schanz.
Zu Ammianus. Von M. Petschenig , rn
- Zur Quellenanalyse des Charisius. Von J. W. Beck.
Zur Schrift de dubiis nominibus. Von M. Hertz ,
Zum Fortleben Catull’s. Von C. Weyman , .
Beiträge zur Geschichte der römischen Prosaiker im Mittelalter,
V—IX. Von M. Manitius . . .
Kaxxaßn-Axx«ßn und Aehnlicheg& Von A. Sonny ,
Talesgivoc-Ai9ógpivoc, Von J. J. A. Sanneg
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dich-
tern. Von H. Blümner . . . . . . . . 142.
Zum Gebrauch der Tempora im abhängigen Irrealis. Von A.
Zimmermann.
Das Porson’sche Gesetz bei den Komikern. Von Cr.,
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos. Von E. Me yer.
Herodot über die Ionier. Von E. Meyer. -. . 007
Der T'od des Philippos Aridaios 316 v.Chr. Von G. F. Un ger.
Die rómisch-karthagischen Verträge. Von W. Soltau. 131.
Die rómischen Nachrichten Diodor's und die consularische
Provinzenvertheilung in der älteren Zeit der römischen
Republik. Von J. Karst . |
Die polybianische Beschreibung der Schlacht bei Zama. Von
W. Streit en
Pron und Haliaia in Argos. Von E. Meyer
Haliaia. Von JH. Swoboda ,
Altersklassen und reguläre Dienstzeit des Legionars. Von
Th. Steinwender
306 |
188
185
762
285
VI Inhalt des achtundvierzigsten (zweiten) Bandes.
Die Sacra Argeorum. Von W.Studemund. . . . . 168
Ueber die Zeit der ludi Romani. Von L. Holzapfel. . . . 369
Zur Frage der Ernennung des 'municipalen' praefectus fabrum.
Von H.C. Maué. . . . . . . . . . . . . . 468
Zur Topographie des alten Alexandria. Von H. Schiller . . 191
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. Von J.
Baunack . . . 0... . i 886. (576. 768)
Noch einmal die Bühne des “Aeschyloa Von B. Todt . 505
Zu den Bühnenalterthümern. Von O. Crusius. . . . 697
| 4ovvesog ‘Ales. Von K. Tümpel . . . . . . . . 681
Lesbiaka. 1. ‘Enid Aeofides. Von K, Tümpel ... . 99
.Die Legende von der Verwandlung der Tyrsener. Von
0. Crusius. : . . . . . . . . 204
Korobios von Itanos. Von P. Knapp. . . . . . . 498
Typhon-Zéphén. Von O. Gruppe . . . . . . . . 487
Baal-Zephón. Von E. Meyer. . . . . . . | . . . . 462
Verzeichnis der Mitarbeiter und ihrer Beiträge *).
Antonibon, I, De codice Varronis | Belling, H., I p. 378.
Mutinensi p. 185. Bergk, Th., (t), I p. 386.
Bachmann, O., 1 p. 187, 343, 370, . e
755; Zu Aristophanes p. 180. |? ethe, E., 1p. 554; Lucianea p. 629.
Bauer, A. I p. 242. Blümner, Hugo, Ueber die Far-
Baunack, Joh. , Epigraphische Klei-| benbezeichnungen bei den róm.
nigkeiten aus Griechenland p. 386.| Dichtern p. 142. 706: I weiß 1.
Beck, J. W., Zur Quellenanalyse albus p. 142 ; 2. candidus p. 155;
des Charisius p. 255. 9. niveus, lacteus, eburneus, mar-
*) Die ausgeschriebenen Titel beziehen sich auf den laufenden
Band II (XLVIII).
mets ne)
Verzeichnis der Mitarbeiter und ihrer Beiträge.
moreus,argenteus p.706; II sch warz |.
l. ater p. 712.
Bornemann, L., I p. 589.
Cauer, Fr., Siudien zu Theognis
p. 542. |
Chambalu, A., I p. 569, 765.
Cron, Chr., I p. 209, 400, 599.
Crusius, O., I p. 33, 44, 185, 202,
208, 235, 382, 399, 484, 448;
Ein Epigramm auf Hyllos den
Herakliden p. 178; Das Porson-
sche Gesetz bei den Komikern
p. 192; Der homerische Diony-
soshymnus und die Legende von
der Verwandlung der Tyrsener
p. 193; Exegetisches zu Platons
Symposion I p.628 ; Zu den Büh-
nenalterthümern p. 697.
Deiter, H., I p. 677.
Düntzer, H., Nachtrügliches zu
Mattius, Laevius und Livius
p. 755. E
Ehwald, R., I p. 764.
Elis, R., I p. 91; Ad Orientium
p. 465.
Eufiner , A., 1 p. 162, 635; Zu
Livius (7,33, 16) p. 239; Livius
8, 1, 10 p. 275.
Friedrich, W., I p. 291.
Graf, E., I p. 758.
Gruppe, O., I p.92, 328; Typhon-
Zéphón p. 487.
Haeberlin, C., I p. 234, 310, 598;
Aeschyl. Suppl. 555 K. p. 66;
Zu Aeschylos (Eum. 263) p. 254;
Hom. Odyss. s 116—117 p. 696.
Häckermann, A., I p. 176; Zu Iu-
venal. Sat. VIII p. 183.
Hanssen, Fr., I p. 274.
Haupt, Herm., Zu den Kyraniden
des Hermes Trismegistos p. 371.
Haury > J., Kritisches zu Procop
. 756.
Hertz, M., Nachtrügliches zu den
Excerpta Palatina p. 192; Zur
Schrift de dubiis nominibus p.646.
Hiller, E., Zu den Simonideischen
Epigrammen p. 229.
Hoffmann, Otto A., 1 p. 678.
Holzapfel, L., 1 p. 165; Ueber die
Zeit der ludi Romani p. 369.
Hürschelmann, I p. 1.
Jessen, Jul., I p. 321.
liberg, Joh., Galeniana p. 56.
Immisch, O., Ad Orionem Theba-
VII
num p. 167; Ad Sophoclis Epi-
gonos p. 554.
Kaerst, J., Die römischen Nach-
richten Diodors und die consu-
larische Provinzenvertheilung in
der älteren Zeit der römischen _
Republik p. 306.
Kiderlin, M., Zum XI. Buche des
Quintilianus p. 76.
Klebs, E., I p. 53, 559, 623.
Knapp, P., Korobios v. Itanos p.498.
Köstlin, Zur Erklärung und Kritik
des Valer. Flaccus p. 647.
Landwehr, H., V p. 108.
Linde, L., 1 p..173, 384.
Maehly, J., 1 p. 568, 702; Zur vita
Sophoclis p. 555; Kritische Bei-
- träge zu lat. Schriftstellern p.640.
Manitius, M., I p. 562, 710; Vor-
bilder und Nachahmer des Va-
. ler. Flaccus p. 248; Beiträge zur
Geschichte der römischen Pro-
saiker im Mittelalter p. 564.
Martini, H., I p. 760; Zu Palai-
phatos p. 305.
Maué, A., lp. 487; Zur Frage
der Ernennung des »municipalen«
praefectus fabrum p. 768.
Meyer, Ed., Pron und Heliaia in
Argos p. 185; Herodot und die
Ionier p. 268; Die Pelasger in
Attika und auf Lemnos p. 466 ;
Ba'al-zephón p. 762. |
Meyer, Metellus, I p. 653. .
Mommsen, A., I p. 449.
Müller, A., I p. 514, 721.
Müller, C. Fr., I p. 762.
Murray, G. G. A., Adnotationes
ad poetas elegiacos Graecos p.363.
Natorp, P., Platons Phaedros p.
428, 583.
Opitz, R., Weiteres zur Kritik des
Rhetor Seneca p. 67.
Peppmiiller, R., 1 p. 18, 163, 552;
Der Hymnus auf Pan p. 1; Zu
(Hes.) Aspis 213 p. 497; Zur
Batrachomyomachie p. 577.
Petschenig, M., I p. 273, 319; Be-
merkungen zu den poetae La-
tini minores p. 562; Zu Seneca
p. 680; Zu Ammian p. 722.
Ramsay, W. M., I p. 754. .
Reitzenstein, R., Zu den Quellen
des sogenannten Etymologicum
Magnum p. 450.
Roscher, W. H., I p. 708,
Rühl, Fr., I P. 577,
VII
Verzeichns der Mitarbeiter und ihrer Beiträge.
Sanneg , J. J. A., Talavosvos -ds- | Swoboda, Heinr., Haliaia p. 762.
dopesvos p. 314.
Schanz, M., Zu Frontins Kriegs-
listen p. 674.
Schiller, H., Zur Topographie des
alten Alexandria p. 191.
Schmid, W., I p. 24, 52, 426, 433,
. 573; Emendationes ad Aristidem
specimen IlI p. 56; ' Das Alter
der Epitome aus den Werken
der vier Aristarcheer p. 553.
Schwabe, L., I p. 169.
Schweder, E., I p. 636.
Sihler, E., 1 p. 652.
Soci», A. I p. 575.
Soltau, W., Die römisch - kartba-
gischen Verträge p. 131, 276.
Sonny, A., Kaxxd fn — Axxa Bn und
Aebnliches p. 559.
Spengel, A., Die Personenzeichen
in” den Handschriften von Ci-
ore Tusculanae disputationes
. 367.
Stangl, Th., I p. 643.
Steinwender, Th. Altersklassen u.
reguläre Dienstzeit des Legio-
nars p. 285.
Stich, H., Zu Polybius 1, 2, 7 p. 365.
Streit, W., Die polybianische Be-
schreibüng der Schlacht bei Za-
ma p. 188.
Stroebel, E., Ip. 170, 171.
Siudemund, W., Die Sacra Árgeo-
rum p. 168.
Suster, Guido, Quaestiuncula Plau-
tina p. 496.
| Treu, M., I p
Tachau , Die Arbeiten über die
Tragódien des L. Annaeus Se-
neca in den letzten Jahrzehnten
p. 340, 723.
Thimme, A., Zu Sophocles Electra
v. 1415 p. 753.
Todt, .B., Zur Erklärung und Kri-
tik von Aeschylos’ Schutzflehen- :
den p. 20; Noch einmal die
Bühne des Aeschylos p. 505.
193, 622.
Tümpel, K., Lesbiaca p. 99; Juba
von Mauretanien p. 120; 4s0-
vvoog “Alsevs p. 681; Tiryns bei
Stephanos v. Byzanz und Eusta-
thios p. 690.
Unger, G, F., I p. 177, 183, 374,
644; Der Tod des Philippos Ari-
daios 316 v. Chr. p. 88.
Unger, R., I p. 80, 555; Licinii
Calvi fragmenta duo et Aemilii
Macri unum p. 557.
Wagener, C., I p. 554.
Weise, O., I p. 45.
Wessely, C., Die Wiener Hand-
schrift der orphischen Argonau-
tica p. 379, 578.
Weymann, C., Zum Fortleben Ca- .
tulls p. 760.
Wiedemunn, A., 1 p. 81, 344.
y, Ip: 186.
Zielinski, Th., I p. 25.
Zimmermann, 4. , Zum Gebrauch
der tempora im abhängigen Ir-
realis p. 376.
Inhalt des achtundvierzigsten (zweiten) Bandes *).
Homer Od. s 116—117. Von C. Hüberlhin | . |. | |. 696
Zu (Hes.) Aspis 213. Von R. Peppmüller . . . . . . . 497
Zur Batrachomyomachie. Von R. Peppmüller . . . 571
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende von der
Verwandlung der Tyrsener Von O. Crusius . . . 198
Der Hymnus auf Pan. Von R. Peppmüller . . . . 1
Adnotationes ad poetas elegiacos Graecos. Ser. G. G. A. Murray, 365
Studien zu Theognis. Von Fr. Cauer. . . . . . 542
Zu den Simonideischen Epigrammen. Von E. Hiller . 229
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylus’ Schutzflehenden.
Von B. Todt . + + à à ; . 20
Aeschylus Suppl. 555 K. Ser. C. Haeberlin . . . . . . 66
Zu Aischylos (Eumen. 268). Von C. Häberin . . . . . 254
Zu Sophokles Elektra V. 1415. Von 4. Thimme . . . . 758
Ad Sophoclis Epigonos. Scr. O. Immisch . . . . . . . 554
Zu Aristophanes. Von O. Bachmann. oe ew + + . 180
Ein Epigramm auf Hyllos den Herakliden. Von O. Crusius . 178
Die Wiener Handschrift. der orphischen Argonautica. Von
C. Wessely |... . . . . 0... s. 879. 578
Platon’s Phüdros. Von P. Natorp. . . . . . 428. 582
*) Die Titel der Miscellen und Lückegbüßer sind mit kleinerer
Schrift gedruckt, die Namen ihrer Verfasser nicht gesperrt.
IV . Inhalt des achtundvierzigsten (zweiten) Bandes.
Exegetisches zu Plato’s Symposion I. Ven O. Crusius . 628
Zu Juba von Mauretanien. Von K. Tümpel , 130
Zu Polybius I 2, 7. Von ZH. Stich , 865
Zu Palaiphatos. Von H. Martins 305 .
Lucianea. Scr. E. Bethe . 629
Galeniana. Ser. J. Ilberg 52
Emendationum ad Aristidem specimen IIL Ser. W. Schmid 56
Die Quellen des sogenannten Etymologicum Magnum. Von .
R. Reitzenstein. . . . . . . . . 450
Das Alter der Epitome aus den Werken der vier Aristarcheer.
Von W. Schmid . 553
: Ad Orionem Thebanum. Ser. 0. Immisch . 167
Zur vita Sophoclis. Von J. Mähly . 555
Kritisches zu Prokop. Von J. Haury . . . . . . . . 756
Zu den Kyraniden des Hermes Trismegistos. Von H. Haupt , 371
Nachtrügliches zu den Excerpta Palatina. Von M. Hertz , 192
Quaestiuncula Plautina. Ser. @. Suster. 456
Nachträgliches zu Mattius, Laevius und Livius. Von H. Düntzer, 755
Licinii Calvi fragmenta duo et Aemilii Macri unum. Ser.
. R. Unger . . 557
Die Arbeiten über die Tragódien des L. Annaeus Seneca
in den letzten Jahrzehnten. Von L. Tachau . 340. 728
Zur Erklürung und Kritik des Valerius Flaccus. Von
H. Kóstlin. . . . . . . TE . . 647
Vorbilder und Nachahmer des Valerius Flaccus. Von M.
Manitiug . . . . . . . . . . 4 248
Bemerkungen zu den poetae Latini minores. Von M.Petschenig. 562
Zu Iuvenal Sat. VIII. Von A. Hückermann ^. . . . . 168
Ad Orientium. Scr. R. Elis, . . . . 2 . . . 465
De codice Varronis Mutinensi. Scr. I. 4ntontbon , 185
Die Personenzeichen in den Handschriften von Cicero's Tuscu-
lanae disputationes. Von A. Sprengel. . . . . . . . 367
“Livius VIII 1. VO 33. 16. Von- A4. Eufiner . . . . 275. 339
Weiteres zur Kritik des Rhetor Seneca. Von R. Opitz. 67°
I.
Der Hymnus auf Pan.
Der Dichter ruft in feierlieher, alt hergebrachter Form
(du qi uo. ‘Equeluo pliov yovov EZvvene!) die Muse an, ihm
ein Lied von Pan zu singen, dem Genossen der Nymphen, wel-
che über die Bergpfade dahin schreiten, den Gott preisend, dem
Hóhen und Berge gehóren.
Bei diesem Gotte verweilt das Lied zuerst: es schildert, wie
der Gefeierte bald über die weichen Wiesen dahin schreitet, bald
auf steilen Bergen schweifend bis zu den Höhen hinaufsteigt, die
sonst nur die Ziegen zu betreten wagen. Und wenn er bei Tage
die Berge durcheilt und die Waldthäler durchmessen hat, Thiere
erjagend, die er mit scharfem Blicke erspäht, so widmet er den
Abend ganz der Musik und läßt zum Klange der Syrinx ein
süßes Lied ertönen, das selbst Philomeles Klagesang nicht zu
übertreffen vermag. — Dann vereinigt sich der Chor seiner
Freundinnen, der Nymphen, die vordem mit dem Gotte die Berge
durchstreiften, mit ihm zu fröhlichem Thun, und sie tanzen und
singen, daß der Berggipfel wiederhallt. Der Gott aber wendet
sich nach dieser oder jener Seite des Kreises oder tanzt in der
Mitte den Solotanz. Denn die herrlichen, auf der üppigen Wald-
wiese ertönenden Klänge erfreuen sein Herz.
Und wovon singen die Nymphen? Sie preisen die se-
ligen Götter und den weiten Olympos. Und einmal sangen sie
1) Vgl. Crusius Wochenschr. für klass. Phil. 1887 Nr. 45, 1391 £.
Philologus. N.F. Bd. II, 1. 1
2 | R. Peppmüller,
auch vornehmlich von Hermes, der aller Götter hurtiger Bote ist.
Der ging nach Arkadien, wo er einen Weihebezirk hat, und
weidete dort bei einem sterblichen Manne die Schafe, von Dryope,
der schönen Nymphe, bezaubert. Mit ihr feierte er Hochzeit,
und siehe, sie gebar ihm einen lieben Sohn, der gleich bei der
Geburt einen seltsamwunderbaren Anblick bot: bocksfüßig war
er und hatte zwei Hórner und liebte Lürm und Lachen. "Was
Wunder, daß die Nymphe in ihrer Angst vor dem struppigen,
bürtigen Kinde in die Hóhe fuhr und floh, indem sie das Kind,
zu dessen Pflege sie berufen war, ohne Pflege zurücklieb? Da
nahm denn Hermes den lieben Knaben selbst vom Boden in
seine Árme und hielt ihn fest: denn er freute sich gewaltig
über den Neugeborenen. — Aber auch die übrigen Götter
sollten den neuen Gott sehen und in ihren Kreis aufnehmen.
Darum wickelte der Vater das Kind wohl in ein Hasenfell und
trug es zu Zeus und den anderen Unsterblichen. Und alle
Götter hatten ihre Freude daran, keiner derselben aber so sehr
wie Bacchos. Eben darum nannten sie das Kind auch Pan
— sagt der schalkhafte Dichter —, weil es allen das Herz ergótzte.
Diesem Gotte, den er im Liede gefeiert, ruft der Dichter
zum Schluß dann ein Lebewohl zu: nach ihm will er, — so
sagt er mit herkömmlicher Formel — auch eines anderen Lie-
des gedenken.
So ist die natürliche Gliederung des kleinen Gedichtes,
dessen Hauptabschnitte durch Absätze markiert sind. Pan will der
Dichter feiern — so sagt sein Proómium (1—3) — und mit ihm
die Nymphen, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern weil
auch sie den Pan in ihrem Liede preisen (4—7). Also der Gott
bleibt der Mittelpunkt des Liedes: ihm gilt auch der
nüchste Abschnitt (8—18), der keineswegs 'den Fortgang
des Liedes hemmt’, wie man gemeint hat, sondern dasselbe
erst eigentlich beginnt. Daß dieser Theil in Einzelnheiten an das
Proómium anklingt, liegt in der Natur jeder Ausführung. Auch
der folgende, — mit dem vorhergehenden eng verbundene
Abschnitt (19— 26) greift auf das Proómium zurück; er hat zu-
nächst die Nymphen zum Gegenstande, mit deren Lobe sich
aber alsbald das des Gottes mischt, dem ja der Hymnus ge-
hören sol. Darum muß nun auch das Lied, welches die Nym-
phen singen und das, wenn man von der Einleitung absieht,
Der Hymnus auf Pan. 9
Am zweiten Hauptabschnitt und wichtigsten Theil des
Bnzen Gedichtes füllt, vor allen Göttern grade ihn ver-
lichen. Das Lied erzählt von der Liebe des Hermes zur
iryope und Pans Geburt und schildert zum Schluß den Schre-
n der Mutter und die Freude des Vaters über „den lieben
hn“ (36), wie schon der erste Vers ihn nennt. Wie Hermes
n den neuen Gott in den Kreis der übrigen Götter einführt,
der Inhalt des Schlusses dieses Haupttheiles, an welchen sich
kurze Epilog anschließt.
Somit zerfällt das Proömium in zwei inhaltlich unterschie-
ene, der Form nach zusammengehörige Theile, von denen der
ine den lieben Sohn des Hermes (1—3) und der andere (4—7)
die mit Pan und Hermes so gern vereinten Nymphen behan-
delt *), und besteht gewissermaßen aus ceya und weruoyu. Die
weitere Wahrnehmung drängt sich von selbst auf. Die beiden
folgenden Abschnitte (8— 18, 19—26) schließen sich der Dispo-
sition des Proómiums aufs genauste an: sie verhallten sich wie
xatatoona und weraxurgon«. Auch fehlt es nicht an ziemlich
deutlicher Markierung dieser Theile. Das von Ludwich als ‘un-
geschickt’ empfundene govrg von V. 8 weist auf das qourx von V. 3
zurück und markiert die xazazgora, und yoırwoas, am Anfang
der ueraxaturoonu, ist nicht minder signifikant. Nach dem Tanze
der Nymphen und des Gottes läßt der Dichter den eigentlichen
vurog folgen, der mit dem hervorhebenden
vuvevov dé Feovs uáxagag xai uaxgov "OAvunov
beginnt, um sich alsbald, wie man erwarten muß, zu dem ei-
gentlichen Thema des owpañdçs, der Liebeswerbung des
Hermes und der Geburt des Pan, zu wenden. Die Erzählung
findet einen Ruhepnnkt, wo sie von der Vaterfreude des Her-
mes berichtet:
yuioev dà vow megiwora daluwv V. 40;
sie ähnelt darin dem Hymnus auf den delischen Apollo; denn
auch hier heißt es nach der Erzählung von Apollos Geburt
(125 f):
yatos dé Antw,
ovvexa toEopogoy xai xagrtQóv viov Fuxrev.
* [Ebenso gilt in dem sicher nomisch gegliederten Apollohymnus
die @gye dem Apoll, die usrapyà seiner Mutter, vgl. Crusius ‘Verh.
der Züricher Philologenversammlung' 1887 S. 266. 268].
1*
4 R. Peppmüller,
Der Schluß, Hermes’ Auftreten mit Pan unter den Unsterb—
lichen, vollendet das Lied der Nymphen: die mehrfache Wieder—
holung des Wortes @%avaros (42. 44. 46) deutet auf die Zu-
sammengehörigkeit dieses Absehnittes.
Ich glaube den Beweis geführt zu haben, daß die überlie-
ferte Reihenfolge der Verse einen wohlgeschlossenen Zusammen-
hang giebt, und ich meine, daß diesen Zusammenhang selbst
derjenige anerkennen muß, welcher meinen weiteren Andeutungen,
welche den Zweck hatten, zugleich zu zeigen, daß der Hymnus
nach der Weise des vouoc komponiert sei, keinen Glauben schen-
ken mag. Es war nöthig auf die Disposition des Gedichtes,
von der Nomostheorie ganz abgesehen, hinzuweisen, weil die
Reihenfolge der Verse vor kurzem als verworren und gestórt
bezeichnet und durch wesentliche Umstellungen alteriert wor-
den ist. Denn A. Ludwich hat jüngst im Rhein. Museum (Bd.
42, B. 547 ff) an Stelle der Ueberlieferung folgende Ordnung
der Verse vorgeschlagen: 1—7, 12—29, 8—11, 80.—37, 40,
39, 38, 41— 49: der so erzielte ‘Gewinn’ ist nach Ludwichs
Meinung der, daB Dinge, die 'in nüchster Nühe schon deutlich
genug gesagt sind’ (S. 549), nicht ‘in ganz unertrüglicher Weise
wiederholt werden’. Denn Ludwich läßt die lästigen Verse (8—11)
an sich passieren und athetiert sie wenigstens nicht, überträgt
sie aber vom Sohne auf den Vater. Jetzt lautet der Anfang die-
ses Abschnittes, den auch Ludwich mit vwvevow beginnen läßt:
27 vuvevow dé Fsovs waxugas xal waxgov "OAvunov*
oiov oF 'Egus(av Egsovviov EEoyov aliwy
Évrenov, ws Oy’ anacı 9eoig Jodc ayyelöc don.
8 qor d’ ivta x«l Erde did dwrnia nuxve
dote uiv Qel9govsw Epuriowevos wohaxotoy,
aAhote d° av nérggow Ev nAußaroıcı dvotyvov
11 axporaryv xogvynv unkooxonog eloavußalveı.
80 xat 6’ oy dc ° Aoxadlny nohunldaxa, uqréga unlw,
Exe, Ev9 a TÉ où téusvos Kvdanvlov dortv*
èv9° Oye, xoi Feos wr, Wapagorgyya uni Èvopevev xrà.
Ich muß gestehen, daß, wenn die Ordnung der Verse so über-
liefert würe, sie mir nicht gefallen würde: doch das ist Ge-
schmackssache. Immerhin darf behauptet werden, daß alles was
V. 8—11 gesagt wird, doch auf Pan ungleich besser paßt, als
auf Hermes, und, was mir fast noch wichtiger erscheint, daß
Der Hymnus auf Pan. 5
die eine Gewohnheit ausdrückenden Präsentia gourd und elouva-
Bal nebst Zubehör nach dem erzählenden Imperfektum &-
v" oy und vor dem von einmaligem Ereigniß gebrauchten Aorist
Élxro recht disharmonisch wirken. Im überlieferten Zusam-
menhange haben die Präsentia neben den ‘gnomischen’ Ao-
risten diédoumer und dindace, die als Tempora wiederholter
Handlungen durch das doppelte zodduxs 12. 13 deutlich ge-
kennzeichnet werden, ihre vollberechtigte Stelle. Was Ludwich
8. 554 gegen die überlieferte Ordnung der Verse sonst vorbringt,
das ist sammt und sonders ohne Belang. V. 29 soll vom Her-
mes ‘zu wenig’ bringen und ‘zu abgerissen’ sein, als daß sich
die Erzählung von seinem Liebeswerben in Arkadien ungezwun-
gen daran unmittelbar anschließen könne. Auch habe der Göt-
terbote nichts mit den uzàe zu thun: Hermes müsse als Her-
dengott charakterisiert werden. Dazu mißfalle das zweimalige
bys. Aber Hermes soll auch als Bote der Götter weder etwas
mit den Herden zu thun haben, wie sein ‘Liebeswerben’ etwas
damit zu thun hat. Die Nymphen — nach Ludwich, der V. 15 f.
hovous aFvoov ÿdvuor schreibt, sind es Musen und Nym-
phen — sangen einmal vornehmlich von Hermes, dem Göt-
terboten: ihr Lied behandelte die Liebschaft des Hermes
mit Dryope, — nicht deshalb, weil Hermes Götterbote ist,
— um dieser bevorzugten Stellung willen wählten die Nymphen
nur grade diesen Gott aus — noch auch in Folge seiner Be-
zehung zu den Herden — denn darauf kommt es nur insofern
an, als sich daher der Aufenthalt des Hirten Hermes bei der
arkadischen Nymphe mtt erklärt — als vielmehr darum, weil
er mit Dryope den Pan, den vom Dichter gefeier-
ten Gott, gezeugt hat. Letzterer, nicht Hermes, ist der
eigentliche Mittelpunkt der Erzählung !
Den Konjekturen, welche Ludwich in dem oben abgedruckten
Abschnitte aufgenommen hat, — ich habe sie durch Sperrung der
Typen bezeichnet, — kann ich theilweise zustimmen. Auf dvow vv
. doavaßulveı 10. 11 (anstatt deowvet . . . sloavußulv wr)
bin ich auch verfallen, ebenso billige ich Hermanns &v9u 18 oi,
eine Verbindung, die ja so häufig in èvda dé oi verderbt ist.
Auch épullouevos ist mir eingefallen, ehe ich sah, daß das über-
lieferte Participium 2yeAxowevog an Thuc. I 42, 3 eine unver-
ächtliche Stütze hat, die in einem aus attischer Zeit stammenden
6 R. Peppmüller,
Hymnus (s. Ludwich S. 558) darum nicht hinfällig wird, weil
sich der Ausdruck im Epos sonst nicht findet. Anstoß nehme
ich an de69g000v ualoxoiow: weder kann hier ‘vom Baden’ die
Rede sein, woran Guttmann dachte, noch $si99ov ‘FluBufer’ be- .
deuten, wie Gemoll meint. Wenn der Thesaurus sagt: inter- .
dum vero ÿeiToov ponitur et pro rivo, so versteht er darunter
doch nur das Fluf bett, nicht das Flußufer (ripa) Ich ver-
muthe, daß del$ü0:0 aus Asıu@coıv verderbt ist, was paläo-
graphisch nicht zu weit abliegt und mit waluxdç an mehreren
Stellen, wie e 72 und + 133 im Hymnus auf Demeter V. 4,
sowie in unserem Hymnus selbst V. 25, verbunden wird. Der
Ausdruck daxgoiurgv xogupiv ugAooxonov, der V.11 überlie-
fert wird, ist nicht so ‘unmöglich und völlig sinnlos’, wie Lud-
wich S. 555 glaubt: es ist der hóchste Gipfel gemeint, den nur
die Ziegen beschauen und keines Menschen Fuß besucht: man
denke nur an ‘die schroffen Felsenwünde, wohin das Vieh sich
nieht getraut zu steigen’, von denen Schiller im Tell spricht
(4. Akt, 3. Scene). Möglich und leicht herstellbar wäre Gemolls
unAooxonov, das van Herwerden ihm vorweggenommen hat?), al-
lerdings. Dagegen halte ich Ludwichs Vorschlag 0 for 0 39" 'Egusfav
st. olóv 9° “Eguelur für verfehlt: man tibersetze nur wörtlich,
was da steht: „Und sie feiern die seligen Götter und den weiten
Olympos, so wie damals, als sie den Segenspender Hermes vor-
nehmlich vor den anderen besangen", — und man wird ohne
weiteres herausfühlen , daß der Dichter so schwerlich ge-
schrieben haben wird. Die von Ludwich zur Begründung sei-
ner Vermuthung beigebrachten homerischen Stellen sind sämmt-
lich von der unsrigen verschieden : x 460 ermahnt Kirke: „Es-
set und trinket, bis ihr den Muth wieder bekommt, wie damals,
als ihr das Vaterland verlieBet“, » 387 fordert Odysseus Athene
auf: „Tritt mir zur Seite und flöße mir starken Muth ein, so-
wie damals, als wir Troja zerstörten‘, y 226 schilt die Göttin :
„Nicht mehr hast du, Odysseus, den Muth und die Stärke, wie
damals, als du vor Troja kämpftest“, / 447 versichert Phönix
Achill nimmer verlassen zu wollen, auch dann nicht, wenn ihn
ein Gott wieder jung und blühend machen wollte, wie damals, als
ms
-—
er Griechenland verlassen, und £ 294 sagt Zeus, er sei also in
2) Vgl. denselben im Rhein. Mus. 48, 85.
Der Hymnus auf Pan. 7
Liebe zu Hera entbrannt, wie damals, als sie sich zuerst in
Liebe vereinigten. Ueberall haben wir eine Beziehung auf die
Vergangenheit , welche herangezogen wird zum Nutzen der un-
mitelbaren Gegenwart. Das Präsens in y 226, welches Lud-
wich mit dem Präsens im Hymnus vergleicht, ist von diesem
sehr verschieden: jenes bezieht sich auf die unmittelbare Gegen-
wart, dieses drückt eine Gewohnheit aus. Wie unsre Stelle,
wenn sie überhaupt verderbt ist, emendiert werden kann, lehrt
der Anfang der hesiodeischen Theogonie. Dort besingen die
Musen die Götter:
Evvugiai oreiyov megexudiéa 000av leiGns,
vuredoas Dla v alyloyov xai nowıav “Hony —
dieselben Musen, von denen es dann weiter heißt:
at vu nod? ‘Hoiodov xaÀgv dóídaSav aoıdıv.
Aehnlich könnte auch der Verfasser des Hymnus auf Pan ge-
schrieben haben :
27 umvevouv dì Fsovg paxagas xai paxgov OÀvunov
al vv no9' ‘Eouslav égsovvov EEoyov alAwv
Èvvermov xz,
Doch ist auch oio» 9’ im Sinne des lateinischen veluti nicht
unmöglich. |
V. 13 ff. lautet die Ueberlieferung nach Herstellung des
fehlerhaften &xogc, das Pierson verbesserte :
noddaxe d° Ev uvnuoiîci dınAuoe Fnoag évalowr,
ota degxouevos tore d° ÉomsQog Èxhayev olov,
ayons avi.
Hermann änderte rore in roté und olov in ofos; die lateinische
Uebersetzung der Didotschen Ausgabe giebt also die Stelle fol-
gendermaBen wieder: aliquando autem vespertinus clanxit solus.
Dagegen ist nicht nur zu bemerken, daß ofog ‘unhaltbar ist,
weil die Einsamkeit des Gottes ja alsbald durch die Nymphen
gestört wird’ (Ludwich S. 550), sondern auch daß ein aliquando
!. clanzit zum Vorhergehenden nicht paßt. Auch hier muß der
Dichter, wie vorher, eine Gewohnheit des Gottes im Sinn haben:
Tag und Abend werden einander entgegengesetzt. Baumeister
vermuthete sinnentsprechend: roi d’ Eonegov ExAaysv olun», und
Ludwich danach in näherem Anschluß an die Ueberlieferung :
Oféa déQxouevo ; I°. Ste d’ donego» Payer oùumnv ...
8 R. Peppmüller,
Der Nachsatz sollte alsdann durch die Worte dovaxwv tno
movour &Jugov vndvuov gebildet werden. Auch, meint Lud-
wich, wäre für olun» vielleicht vuror vorzuziehen gewesen. Aber
warum dann nicht wenigstens olwov, wie im Hymnus auf
Hermes V. 451 und bei Kallimachos Hymn. auf Zeus V. 78?
Doch dürfte die Aenderung noch einfacher sein. Ich schreibe
mit Benutzung der Ilgenschen Vermuthung 3° öre anstatt rore:
okta deguopevoc 9'* ore d° Eansgog fi, xAnyev olov.
Also: am Tage jagt Pan; wenn es aber Abend geworden, dann
musiciert er nur. Das Adverbium ofov d. h. uovov gebraucht
wiederum Hesiod, in dem bekannten, von Timon Fr. 33 Wachsm.
nachgeahmten Verse:
nouuéves ayguvdos, xox’ èMéyyea, yaotéges olov,
d. h. nach Hesychius zgoypng uovov émiusAovutvos, und ähnlich
steht ofov bei Aesch. Ag. 126. Wenn der Dichter Pan später
zum Spiel auch tanzen läßt, so ist das kein Widerspruch.
V. 16 ff.:
ovx av rOvye nagadoumoı iv uelfecow
dovic, Hi’ Éugos zoÀvav9£og Ev netadorow
Honvov Enınooykovon yée medlynouy «oid qv
läßt sich zwar eine vollkommen sichere Entscheidung über die zur
Herstellung der verdorbenen Stelle vorhandenen Möglichkeiten
nicht fällen, aber soviel ist sicher, daß der temporale Genitiv
Euoog molvav3fog „im blüthenreichen Frühling“ keineswegs wie
Köchly und Abel glauben, zur Annahme einer Lücke nöthigt. Auch
Ludwich weist (S. 551) auf r 517 ff. hin: ‘Q¢ & dre lluvda-
o£ov xovon, yAwonis Andwv, Kalòv asidnaw Éagoc véov tora-
mévoso, devdotwr ày ne164i0101 xadelomern nvxwoicw, “Are
Jaya rQumGGCa yésy noAvnyfa quvrv, und man kann mit
Zuversicht behaupten, daß diese Stelle dem Dichter des Hymnus
vorgeschwebt hat. Was er daraus gemacht hat, ist nur eine
Verkürzung, die indeß alle wesentlichen Momente ent-
hält: es ist müßige Arbeit, den knappen Ausdruck mit Hülfe
dieser oder anderer Stellen à la Köchly in gemächlich flie-
ßende Breite zu verwandeln. Die Worte £«gog moAvard£og
gehören begrifflich ebenso eng zusammen wie bei Mimnermos
Fr. 2, 1 f£: Husis 0 ola 1e quida ques nolvav29éogc wen
Zaooc und bezeichnen trotz des fehlenden wen dasselbe.
Wenn schon Hesiod den Genitiv og99ov Op. 577 temporal
Der Hymnus auf Pan. 9
gebraucht, Homer E 523 vnueuins, © 470, 525 nouc, X 27
örwong, n 118 yeluuros und Ségev; sagt, so hieß es doch
nur einen verzeihlichen Schritt weiter thun, wenn man zu die-
sen Genitiv noch ein Adjektivum setzte, und #agog moAÀvav9éog
it mindestens nicht härter als Sesofov aludéov (Hes.) Scut. 158.
Aber wäre der Genitiv wirklich unerträglich, so bedürfte es
such dann nicht, wie sich weiter unten herausstellen wird, der
Kichlyschen Interpolation
opus, 7 1° Fagog [noloù véov iorauévoso
tans ébouévg] modvar3éog lv rerudosci.
Was V. 18 betrifft, so wird freilich ein jeder zugeben, daß der
identische Ausdruck envoy Znırngoy£ovoa yé ss weilyngvr
aodnv unhaltbar ist, und es fragt sich nur, welches von beiden
Verben verbessert werden soll. Ruhnkens Pojvov Enıngo-
z{ovo’ Layer ist von Hermann und Ludwich gebilligt worden:
es stützt sich auf das Epigramm Anthol. III 24: Ovx Eu dy
ziwooicıw Eyelouevog netadosow ‘Hdsiav utinwy éxnooyéess baya»,
wo ndeiav dayav genau dem wellyngur aoıdnv unserer Stelle ent-
spricht und die Hauptverba dieselben sind. Das Epigramm spricht
also, wie z 520, vielmehr für Beibehaltung von yées Das-
selbe Verbum wird durch Scut. 396: reruf . . . marnuegiog
1 xai qos yfev aödnv und Op. 582 f.: Amos ... fyfra
itm Aevd pew dgetóusvog luyvghy xatayever dosònv Ilvxvóv
und nisguywr, FE0E0G xxuarwdsoc won empfohlen, und die hierauf
beruhende Reminiscenz des Alcäus Fr. 39, 3 f.:
ayes 0 ix nerulwv puden rétwé, nreguywv d° Vno
xaxyéer Auyvgav (nuxvov) doldav
empfiehlt doch eher yés als Hauptverbum beizubehalten als dem
ayes mit Gemoll ein jyées zu entnehmen. Wenn Baumeister auf
Orph. Arg. 422: ix oróuaroc meAlyngvv beis Gnérsuxer cosdyy ?)
hinwies, um sein émimgoyéovo« es zu rechtfertigen, so spricht
diese Stelle vielmehr umgekehrt für ein auch in unserem Hymnus
einzusetzendes, mit fuse zusammenhüngendes Participium. Als
solches erkannte Spitzner è rımooieio«. So heißt es u 192
nach dem Gesang der Sirenen: ‘A gpacar leloaı ona
3) Vgl. auch Soph. Oed. tyr. 1219 ff.: dügouæ yàp ws negiali'
lav giwv tx oroudtuv. Aeschyl. Pers. 940 ff.: Ve alarg navdugiov dio-
Spoor aùdav xrÀ. und vorher ja» . . néuvo.
_ —
10 R. Peppmüller,
xadAAımwov*), im hom. Hymnus auf Diana V. 18: «ai d’ außooatnv
On’ teiaaı ‘Yuvevow Antw xalAlopugov, und ähnlich mehrfach
wiederum in der Theogonie docarteious. Vgl. insbesondre 43 ff.
«Y 0° außoorov 000a» lsicur @ewv yévog aldoiov nowrov xiet-
ovow cod) und 65 ff: é0arnv dì dia croua ooouv leiou Mei-
movras, Narımv TE vomoug xai nOta xedva Asavarmv xislovow
émígurov oooav isiout. Nach alledem würde ich es jetzt, ent-
gegen einer in der Rezension von Gemolls Ausgabe der homeri-
schen Hymnen (Wochenschrift für klass. Philol. IV 1484) ge-
äußerten Ansicht, doch für gerathen halten, mit Spitzner Ogjvoy
Eningoision yées usMynovv Koıdyv zu lesen, und das hat auch Abel
aufgenommen. Für Köchlys Anhänger habe ich eine ganz leichte
Aenderung in Bereitschaft, welche die Lücke hoffentlich für immer
beseitigt. Man könnte, theilweise nach Mimnermos, schreiben :
dovic, nr’ &aoog moÀvavO9éog dv merdloscw
won Oma ngoisio« yée uellynovr aodny:
„Die Nachtigall läßt zur Zeit des blumenreichen Frühlings, die
Stimme herausschmetternd °), süßen Gesang erténen“. An der
Nichtbeobachtung des Vau von ona wäre bei einem so späten
Dichter kein AnstoB zu nehmen, eher vielleicht an der Stellung
von won. Nôthig ist die letzte Aenderung freilich nicht mehr.
Was aber die Vertauschung der Verba nooi&va, und mgoyéew an-
langt, so begegnen wir derselben auch sonst, z. B. bei Hesiod
Fr. 64 Rzach: “Og 1e Akatn9ev mooter xadliogoov vdweg. Denn
so liest der Schol Ven. 4 zu B 522, während Eustathius
mooyées giebt, genau so wie die Ueberlieferung im Hymnus auf
Apollo V. 241 bietet 9).
V. 19 ff:
cvv dé ope torè Nougat dgecuudec, AsyumoAnor,
porro: muxu modoiv éni xonvn mthavudow
puéinovtai
ist in dem überlieferten Zusammenhange jede Erklürung, welche
oy als Plural nimmt, ausgeschlossen: man begreift es nicht,
, 4) Kurz vorher (187) stehen auch die Worte uellyngu» and cro-
uarwv on axovoat.
5) "Ona Asıpgsoscoav leto sagt Hom. P 152 von den Cikaden.
6) Ich will daher auch die Möglichkeit nicht verschweigen, daß
wir es mit einer doppelten Recension zu thun haben könnten: die
eine mir mehr gefallende Recension lautete: $995vov insngoision yéss
und die andere émimgoyéovca tes, mit erlaubtem Hiat. Die fehlerhafte
Ueberlieferung ließe sich so sehr leicht erklären.
Der Hymnus auf Pan. 11
wie Kóchly darauf kommen konnte, zu meinen, neben Pan sei
die Nachtigal mitzuverstehen, trotzdem der Gesang derselben nur
zum Vergleich herangezogen wird, ohne daß irgendwo von einer
Mitwirkung des Vogels bei der Musik des Pan die Rede würe!
Nicht nur die Köchlysche Auffassung, sondern nicht minder die
von Hermann empfohlene und in den Orphica (S. 792. 797) belegte
singularische Deutung von cg wären nach Ludwich (S. 554)
'sehr bedenkliche Nothbehelfe, zu' denen man — sagt Ludwich —
gewiB nicht seine Zuflucht genommen haben würde, wenn man
bedacht hütte, wie dringend bei der engen Zusammengehórigkeit
dieses und des vorigen, notorisch verdorbenen Verses
der Verdacht gemeinsamer Verderbung sei, der auf ihnen
beiden ruhe”. Allerdings ist êmengoyéouou yés verderbt: aber
was diese Verderbniß mit der von Ludwich V. 15 angenom-
menen auch nur im Entferntesten zu thun haben sollte, hat uns
Ludwich nicht gesagt. Und warum sollen bei den Nymphen
die Musen nicht fehlen ‘dürfen’? Warum fehlen denn die
Satyrn, welche bei Horaz neben ihnen als gelehrige Schüler des
sangliebenden Bacchus erscheinen, die holden Charitinnen und
die andern Genossen, von denen Lehrs spricht ? Gewiß begegnet
sich ‘die Wirksamkeit der Nymphen mit der Wirksamkeit der
Musen’, wir können beide neben einander finden, aber wir
müssen es nicht. Und ferner, povouy adugew soll ein 5m-
merhin wunderlicher Ausdruck’ (S. 550) sein, wie mit Heran-
zehung von Hesychius, welcher augev mit nullsıv erklärt,
bewiesen werden soll. Aber uovoa hat die Bedeutung „Lied“ bei
den attischen Dichtern sehr häufig, wie sich jeder aus dem
Thesaurus leicht überzeugen kann, und @9vgew wird von einem
leichten Lied ebenso gern gebraucht, wie das lateinische ludere.
Horaz sagt Carm. IV 9, 9: si quid olim lusit Anacreon '), und
in den Anakreonteen heißt es 41, 8 ff: “Aßooyulrag d’ apo
200005 Irouuıwv adv nveóviwv Ilgoy&wrv Myesav öuyiv Kata 9)
maridov &Ovoti. Auch mit dem Accusativ findet sich «3v-
our, z. B. bei Apoll. Rhod. Argon. III 948: waous dé où (Mn-
7) Sat. I 10, 37 £.: haec ego ludo, Quae meque in aede sonent
certantia iudice Tarpa Nec redeant iterum atque serum spectanda
theatris, und dieser Gebrauch des Wortes ist noch an vielen Stellen
sach weisbar.
8) Bergk vermuthete nach unserm Hymnus va.
RE. eee |
12 R. Peppmüller,
deln), qoruv a Fvoos MoAnnv, ovx ini dnodv Éprirduver Éyua-
acdu. Warum sollte à2votw uovoar befremden ?
Somit bleibt als einziger Grund für Ludwichs Aenderung
das singularische coq.» übrig, und wir müssen sehen, wie es mit
dem von Hermann angenommenen ‘Nothbehelf’ steht. Daß oper
auch Dativus singularis sein könne, hielt Buttmann Lexil.
I 60 immerhin für sicher. Er sagt: „Für diesen Gebrauch
kenne ich jetzt nur vier Beispiele, worunter zwei epische in den
homerischen Hymnen 18 oder 19 (Pan), V. 19, und 30 (Mat.
Deum), V. 9 nach der natürlichsten Verbindung (vgl. V. 8—11)“.
Die Stelle des letztgenannten Hymnus lautet:
9 êx Géo 0 sUnaidés te xal evxugmor tEdéFovor,
norvia, 080 À Eyeras dovvies Plov nd upertodas
Fvntoig uvFouw now, o O^ 08106, Ov xe OD Fuuodi
mgoqouv» Turion, To d° uyIova navra nagesuv
Bolte mer Cp ägougu pegéoBios ids xur’ Aygovg
10 xımreow svdnvet, oîxog d’ QuntunAatos eotiwr
adroit J” sBvopinoi nólw xata xuddsyovarxa
xoıgav£ovo’, 0Afos di noÂdç xai nÀovrog onmi,
maiósg 0° evpoocurn veoFniés xudiowor,
nagdevinal te yogots pegsardeciv evpoore Fuug@
15 maltovoas oxalgovos rar’ avdea uaiFaxt moin,
ov; xs OÙ tiunons, Ceuvn Fea, aptove datuor.
Gewöhnlich setzt man nach 4v9gunoww einen Punkt, nach -
ions ein Kolon und nach z&georw» wieder einen Punkt. Wer
so interpungiert, erschwert sich das Verständniß: es wäre nun
allerdings natürlich, daß in V. 9 eine pronominale Beziehung
im Singular folgte, daß also entweder Bolte mer oi &govg«
gelesen, oder oysr singularisch gefaßt würde. Gegen diese
Auffassung erklärt sich mit Matthiae Franke wegen V. 11, da-
für Gemoll; letzterer sucht das in aroi .. liegende Bedenken da-
durch aus dem Wege zu räumen, daß er sagt, V. 11 „sei von dem
Vorhergehenden doch ziemlich scharf geschieden“. Allerdings ste-
hen die «dot (die Männer) zu den dann erwähnten zuideg und
sapderızai in klarem Gegensatz, aber darum ist der ganze Ge-
danke von dem Vorhergehenden doch nicht so scharf abgeson-
dert, daß der Wechsel des Numerus ohne Härte wäre: und was
man übersehen hat, auch vorher V.5 und V. 7 sind ja Plurale
Der Hymnus auf Pan. 18.
gebraucht, und der Plural dominiert also: ihm ordnet sich
auch das kollektivische, nur erläuternd angefügte ó d° 04-
Bsos xi. unter. Also: Bolte wer opsy ist doch wohl Plu-
ral?) Dann fällt freilich V. 9 ff. Gemolls Dreitheilung, und
bei eudnret könnte nicht 6Aßsos, sondern nur &govoa, wie Bau-
meister wollte, Subjekt sein. Und es kann wohl auch nicht anders
sein. Denn es ist ganz undenkbar, daß das erste und dritte Glied
ein besonderes Subjekt haben sollte, wührend man sich in dem
dazwischen stehenden zweiten Gliede das Subjekt aus dem vorigen
Satze ergänzen müßte. „Von Lebensgut strotzt der Acker und
nicht minder von lündlichen Herden !?) von Reichthum füllt sich
das Haus denen, welche die Mutter Erde segnet. Die Männer
walten mit Gerechtigkeit der Gesetze der Stadt, die Segen er-
füllet, die Kinder erfreuen sich blühenden Frohsinns und blu-
menreicher Reigentänze die Jungfrauen“.
Mit dem singularischen ogy dieser Stelle wäre es also al-
lerdigs bedenklich. Aber Buttmann kennt noch „zwei tragische
Beispiele Aesch. Pers. 756 und Soph. Oed. Col. 1490“. Atossa
sagt zum Schatten des Dareios
round 2E avdowy aveldn nolAuxig xAvwv xuxov
tivd éfovAsvotv x£AevOov xai oigureuu’ Ep “Ehduda,
und dieser erwidert:
Touyug api Eoyov Eoriv ÈSesgyacutrov
utyıcrov, cetuvnoror, olov ovdenw
100° aot Zovowv 2Eexelvwosv mecov, xrà.
Man kann nicht leugnen, daß eine korrektere Beziehung oger
singularisch zu fassen empfiehlt, zumal die ganze folgende Rede,
welche die einzelnen Könige verfolgt, dahin zielt, zu zeigen, daß
alles Leid, welches durch sie über Persien gekommen sei, in keinem
Vergleich stehe mit dem Elend, welches der eine Xerxes über das
Land gebracht babe: denn der König ist im absoluten Reich ver-
antwortlich, nicht seine Rathgeber. Aber freilich die Möglichkeit
9) Der Gedanke an die Korrekturen Syyroïc dvSewnoss, ob d’ öl-
Bios, ob c xe où Fvud noógoov nuage, toic d' aqdova ndvra nagscwuy
ist natürlich zurückzuweisen.
10) Ich möchte also x«r dypods mit xıyjvsohw verbinden, da es sonst
in jedem Falle ein ganz müßiger Zusatz wäre. Man vergleiche foes
&ypavlos und nöpzsses &ypavios Nun erscheint auch die von Herwer-
den im Rhein. Mus. 43 S. 85 vorgetragene Aenderung der Stelle:
foie. piv &pgovga ... 5 d ék xaon Q, Knjveos d’ evdevées überflüssig.
14 R. Peppmüller,
69v auf die schlechten Freunde mitzubeziehen kann nicht geleug-
net werden, und so bleibt die Erklürung doch zweifelhaft.
Wir kommen zur Sophoklesstelle. Oedipus, der sein Ende
nahe fühlt, fragt die Tochter, ob der Mann, welchem er seine Gunst
zugedacht hat, nun nahe sei, auf daß er ihn noch lebend treffe.
Antigone móchte wissen, was der Vater jenem anzuvertrauen
habe, und dieser erwidert ihr (1489 f):
av? wv Émacyov ev, reÀeGqóQov yagw
dovval opi, nvmeg tuyyavwv unecyouny.
Man sollte meinen, daß Oedipus antworten müsse, er wolle sei-
nem Wohlthäter Gleiches mit Gleichem vergelten, und ein Ue-
bergang vom Einzelnen, um dessen Kommen es sich handelt
und den Oedipus sehnlichst erwartet, auf sein Volk, die Athe-
ner, welche allerdings an der Wohlthat theilnehmen sollen, de-
nen sie aber doch nicht allererst zugedacht ist, sei ausgeschlossen,
und gewiß ist der Zusammenhang an der letzten Stelle mehr als
an einer der vorher besprochenen für die singularische Auffassung;
dennoch ist diese, wie in den Persern von Teuffel, so selbst hier
von Bernhardy, geleugnet worden (Syntax S. 62), ohne daß letz-
terer freilich bei den späteren Auslegern, soweit ich sehe, Beifall
gefunden hätte. Das Lexicon Sophocleum von Ellendt bemerkt:
oplv pro aviò dictum aperte Oed. Col. 1487 . . . . De Theseo
loquitur und fügt hinzu: Hoc a Suida agnitum: Oplv, wvroic.
xai avi tig of dvrcovvuias naga ZogoxAsi* Ede ydg telsecgoooy
yaouw dovvar splow (corr. aqu). of avid. Immerhin bleibt auch
hier nach meiner Ansicht eine, wenn auch nur sehr schwache
Möglichkeit für die pluralische Auffassung. Ganz ausgeschlossen
scheint eine solche aber in der von Lobeck zum Aiax S. 290?
(V. 801. 802) nachgewiesenen Lykophronstelle zu sein, der
letzten, die in Betracht kommt. Es ist von Aeneas Irrfahrten
die Rede gewesen und gesagt, daß ihn Tyrsenien und die schaf-
reichen Thaler von Agylla aufnehmen würden: “Og nowıu uiv
Pulxniov olxnosı woAwWv ... ix O' ' Aiuuntag Mali u-
miavntnv d€&eras Togonvia Aıyyevg re Feguav deldoov Èx-
Beacowv nowy Kai IIic^ ’Ayvidns 9° ai noAvoonvos vinci. Dann
heißt es V. 1242 ff. weiter:
6)» dé ope ulEu plliov ÈyF006 wv Grgazóv
0Qxosg xgarjGag xoi Auaig yovvaouarwv
Der Hymnus auf Pan. 15
vavog, nAuvascı navi egevynous puvyov
aÀog te xai yîs.
Da können sich doch unmöglich die Troer unterschieben, wo
immer nur von einem gesprochen und von einem prophezeit
wird. Nuvo; ist Odysseus: dieser, sein Feind aus früherer
Zeit, macht mit Aeneas Frieden und Freundschaft: Aéye ov»,
ws dsagogog wy glitov Giqgurdr ui£es mer avioù dea Tag
Gnovduc, ogxovg xai Astavelas Tomas, wo av dn gvyag
wy. Ich meine nun, daß diese letzte Stelle für den Hymnus
insofern von Belang ist, als sie die Ansicht der Gramma-
tiker, welche singularischen Gebrauch von oyır für gestattet hiel-
ten, nicht nur bestätigt, sondern vielleicht gradezu als eine Re-
miniscenz an den Hymnus auf Pan zu gelten hat, welche den ge-
lehrten Dichter zu dem seltenen Sprachgebrauch, dem er eben w e-
gen seiner Seltenheit folgte, gradezu veranlaßt haben könnte.
Beachtenswerth ist grade die Abweichung ov» dé oq. ul£e für
civ dé cpuv ulss, wie der Dichter aus metrischem Grunde seine
Reminiscenz ändern mußte. Es ist sicher das einzige Mal, wo os
als Dativus singularis vorkommt. Buttmann kannte die Stelle
nicht. Er sagt im Lexilogus (I 60): „Ein sehr seltener Ge-
brauch kannte og» als Singular, vielleicht jedoch nie in der
Form opf, da o«ív in die Analogie von éulv, 16», è tritt“. Mit
anderen Worten: der Singular og» ist ein regelrecht nach der
Weise der dorischen Pronomina gebildeter Dativ: wie riv für
tpív, das homerische rev für reriv steht, so ward vom Prono-
minalstamm der dritten Person ein Dativ oriv und oepèr ge-
bildet: daraus entstand einerseits c{v: dies findet sich im
Recht von Gortyn (Rh. Mus. 40, Ergänzungsheft S. 20): civ d°
avig péixaciov énugsogeror und bei Hesiod Fr. 31 Rz.: "fv (oder
vielmehr civ) d° avt 9avdzov «unc, 69° Elo! anoléoFas —
denn so meine ich den Vers (Rhein. Mus. 40, 626) hergestellt
zu haben — und sodann éí», was Antimachos und Korinna
gebrauchten !). Andrerseits verhürtete sich das -, wie
durehgehends im Plural des Pronomens, und so entstand die
Form og aus opw, wie ope aus dre. Der Plural og»), der
für opio(r) steht, hat hiermit nur äußere Aehnlichkeit: Butt-
manns oben angeführte Bemerkung beruht auf gutem Grunde.
11) Apollon. de pron. 366 B: fom xai 7 itv ano 156 tly nagd
Amudyw xai Kopivvn ini donxÿs to? ote nagalaußavousvn.
16 R. Peppmüller,
Daß ein späterer Schriftsteller mit dem Singular equ» wie mit
dem Plural verfahren zu kónnen meinte, erklürt der Mangel des
lebendigen Sprachgefühls.
V. 33 habe ich unabhängig von Ludwich (vgl. Wochen-
schrift f. klass. Phil. 1887 S. 1488) nach d 596: ovd€ x€ m
otxov fos nodog statt der sinnlosen Ueberlieferung Sule ydg
nodoc vygos EneAIwv Fie yàg notoc $. è. geschrieben, und im
folgenden Verse räth vuugy, das für xovon nicht gebraucht
werden kann, allerdings, wie Ludwich bemerkt, die Ilgensche
Korrektur /0vózy an.
Aber für die folgenden Verse ist das Verfahren des Kö-
nigsberger Gelehrten recht gewaltsam. Da Dryope zu étéleoos
Subjekt sein soll, so wird zur Markierung des Subjektwechsels
V. 35 zunächst z d’ ëréleooe vermuthet. An V. 37 soll sich
99. 38 anschließen mit der Korrektur n9nvw statt des überlie-
ferten 1,97v;y. Endlich muß der Anfang von V. 41 in de&«-
peros dì rom yuiger nequuicia daluwv abgeändert werden. So
viel Veränderungen auf einmal in 7 Versen? Ich glaube, Ludwich
würde das keinem andern durchgehen lassen! Allerdings enthält
die Stelle einiges Ungewóhnliche. Denn es findet V. 35, wie man
die erste Hälfte auch verstehen mag, ob von Hermes oder der
Nymphe, wie Ludwich will, ein Subjektwechsel statt, der streng
genommen hütte angedeutet werden sollen: allein mit Ludwichs
Aenderung n Ó' éréAsooe yuuor wird der Stelle nicht geholfen.
denn in keinem der von ihm beigebrachten Citate heißt éréAecoe
schlechthin „gewähren“, sondern entweder bezieht es sich auf
die Machtvollkommenheit der alles zum Ziele führenden Gottheit,
von der jede Gabe kommt, (so y 50, 8 34, o 112, y 286,
149, d 7 und so auch v 73: Eir "Agoodiın dia rnooctouye
paxgàv OAvunov Kovgns alijdovou t£Ao; Faleooîto ycuoo) —
oder es geht, wie / 598, auf ein früher gegebenes Versprechen, das
der Versprechende hält oder nicht hält. Im ersten Fall entspricht
es dem lateinischen Verbum perficere, im andern Falle dem Verbum
persolvere, nie aber einfachem praebere. Es kann also hier nichts
anderes gemeint sein, als was À 246 mit den Worten éréleoces
Feds pidornosa Egya ausgedrückt ist, und wer den Wechsel des
Subjekts, welcher übrigens wegen des gleich folgenden "Eouein
nicht allzu hart empfunden wird, nicht ertragen mag, dem bleibt
nur eine Korrektur des Epithetons Jadegor übrig, welches aus
rr
Der Hymnus auf Pan. 17
v 73 eingedrungenen sein könnte. Dann bietet sich die Ver-
muthung :
ix d' Èifleoce yauor Fedor n d° Erex’ dy usycigososw xi.
Ein wenig auffällig könnte m9nvq 38 zu sein scheinen, welches
nur von Koluthos 378 (372) für wyrno gebraucht wird, aber der
Dichter hat eine fórmliche Gleichsetzung von urne und r3»
wohl gar nicht beabsichtigt: nicht ohne Anflug von Humor nennt
er diejenige ‘Pflegerin’ welche in ihrem Schreck davon eilte
und ihres Amtes zu warten vergaß:
gevys 0 avaläuca, Mnev d üpu naîda, — u9yvy.
Ilgens x97vp verdiente die Beachtung in der That nicht, welche
Ludwich der Vermuthung gewünscht hätte; Ludwich hat nicht
nur darin Recht, daß eine Amme im Gedicht ‘mit keiner Silbe
angedeutet' ist und vollkommen unmotiviert sein würde, sondern
er fühlte auch richtig heraus, daß eine solche das hübsche naive
Bild nur stören würde Aber zs9n7v@? „Pfleger“ ist der
Vater doch eigentlich auch nicht geworden, wenn er sich des
verlassenen Wesens auch für den Augenblick annimmt. Worin
besteht denn seine Pflege? Mit der einen Hand nimmt er das
Kind auf, um es in den anderen Arm zu schließen (so verstanden,
sind die Worte èc yéga Inxev debausrog nicht sinnlos): mit Wohl-
gefallen weilt sein Blick einen Augenblick bei dem Neugeborenen:
— man denke nur an den Praxitelischen Hermes —: dann eilt
er schnell von dannen: ó(ugo d° ic aJuvarwr Edgac xl. An
&deas hat man Anstoß genommen: nicht von den Sesseln oder Bün-
ken, wo die Götter sitzen, sondern von ihrer] Versammlung, ihrem
Wohnsitz, sollte die Rede sein. Wer ändern will, dem bietet sich
öluya d° ig cPavatwy Edog jee
ohne Mühe dar (cfr. E 360 und O 456). —
Ich lasse eine Uebersetzung des Gedichtes folgen.
Auf Pan.
"doy.
Singe vom lieben Sohne des Hermes, Muse, ein Lied mir:
Ziegenfüfig , gehörnt und ein Freund des Lachens — so
zieht er
Ueber die schattigen Wiesen einher mit den fröhlichen
| Nymphen,
Philologus. N. F. Bd. II, 2. 2
18
10
15
20
R. Peppm üller,
. Welche vom jühen Gebirge herab die Pfade beschreiten, -
Pan mit dem glünzenden Haar anrufend, den Schirmer der.
Herden,
Pan, den struppigen Gott, der die schneeigen Hóhen zu
eigen
Einstmals gewann und die Gipfel der Berge und felsigen
Häupter.
Karargona.
Hierhin ziehet der Gott und dorthin durch waldiges Dickicht,
Und bald locken die Wiesen ihn an, die üppiges Gras deckt,
Bald auch wandelt der Gott auf schwindlichtem Stege zur
Höhe,
Klimmt zu den Gipfeln hinan, die das Vieh nur wagt zu
ersteigen.
Oftmals eilt er daher über schimmernde Rücken der Berge,
Oftmals streift er in Thälern, wenn Wild zu erjagen ihn
freuet,
Mit aussphähendem Blick. Doch am Abend erschallet sein
Lied nur,
Kehret er heim von der Jagd: süß klingt auf der Flöte
die Weise,
Welche er spielt: nicht würd’ ihn der Vogel im Liede
besiegen,
Welcher im blumigen Lenz, in Blättern sich bergend, sein
Klaglied
Weithin ruft und des Sangs süß tönende Klänge hinabschickt.
Mit ihm ziehen die Nymphen, die singenden Bergesbe-
wohner,
Tanzen und tändeln ein Lied an finster sprudelnder Quelle,
Also, daß rings das Echo den Gipfel des Berges umtönet.
Aber der Gott tanzt hierhin und dorthin und tritt in die
Mitte
Eilend mit flüchtigem Fuß: — des Luchses röthliche Decke
Huüllet den Rücken ihm ein: — hell schallt ihm zur Freude
25
des Herzens
Dann auf üppiger Wiese das Lied, und vereint mit dem
| Grase
Mischet zu lieblichem Duft sich Krokos sammt Hyacinthe.
Der Hymnus auf Pan. 19
'Ougaàoc.
Und sie feiern die Gótter im Lied und den weiten Olympos:
Und einst sangen sie auch vor andern vom segnenden
Hermes,
Ihm, dem hurtigen Boten der ewig waltenden Götter.
90 Zog nach Arkadien hin, der quellenden Mutter der Schafe,
Da, wo den Weihebezirk am Berg der Kyllenische Gott hat.
Dort hat der góttliche Hirt rauhhaarige Schafe gehüthet
Bei dem sterblichen Mann: denn heimliches Sehnen er-
griff ihn
Sich schönhaariger Maid, der Dryope sich zu vermühlen.
Und die blühende Hochzeit beging er, und drauf im Ge-
ae mache
85 Schenkt’ einen theueren Sohn sie dem Hermes, — ein Wun-
der von Anfang:
Ziegenfüßig, gehörnt, ein Freund des Lürmens und Lachens
War er! Und siehe, die Pflegerin floh, ließ einsam den
Knaben:
Denn sie erschrak, da sein Antlitz sie sah mit dem häß-
lichen Barte.
Doch alsbald nahm Hermes ihn auf, in den bergenden
Arm schloß
40 Jenen der segnende Gott und freute im Herzen sich innig.
Schnell zu der Seligen Sitzen er ging, und er hatte den
Knaben
Fest in des flüchtigen Hasen dickwolligem Vließe geborgen.
Setzt’ ihn dann nieder bei Zeus und den anderen seligen
Göttern,
Zeigte den theueren Sohn: und es hatten die Seligen alle
45 Herzliche Freude darob, Gott Bacchos aber vor allen.
Allgott nannten sie ihn, da die Herzen er allen ergótzte.
*EntAoyog.
Und nun lebe mir wohl, o Herr, Dich flehet mein Lied an:
Nach Dir will ich sodann auch anderen Liedes gedenken.
Seehausen i. A. Rud. Peppmüller.
9*
II.
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’
Schutzflehenden.
Für die nachfolgenden Versuche, an einigen Stellen der —
‘Schutzflehenden’ die Hand des Dichters herzustellen und das
Verständniß desselben zu fördern, muß ich noch in höherem
Grade, wie wohl früher, die Nachsicht der Leser und Beur- |
theiler erbitten, wenn ich hier und da schon anderwärts gefun-
dene Vorschläge wiederhole oder gemachte Bemerkungen über-
gehe. Was in Weckleins sehr verdienstlicher Konjecturen-
Sammlung steht, glaube ich sorgfältig beachtet zu haben, aber
viele in Zeitschriften und Programmen zerstreute Beiträge sind
mir wahrscheinlich entgangen. Was die Methode meiner Un-
tersuchungen betrifft, so haben mich auch Schwerdt's „me-
thodologische Beiträge“ nicht davon überzeugen können, daß es
eine andere „Methode“ giebt, als diese, daß man mit fleißiger -
Lektüre in den Geist und die Schreibart unseres Poeten ein-
dringe, und dann durch genaue Erwägung des Sinnes und Zu-
sammenhanges jeder einzelnen Stelle zu ermitteln suche, was
er geschrieben haben müsse oder wenigstens geschrieben haben
könne, nachdem man sich überzeugt hat, daß er das Ueberlie-
ferte nicht geschrieben haben könne. Es ist selbstverständlich,
daß hierbei die genaueste Beachtung und Benutzung der hand-
schriftlichen Ueberlieferung einschließlich aller Scholien und der
früher zu sehr mißachteten Interlinear-Scholien Pflicht ist. Diese
| ‘resa mem
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos' Schutzflehenden. 21
Hülfsmittel sind bei der Auffindung der echten Lesart anzu-
wenden, entscheidend aber für das SchluBurtheil kann keines
von ihnen sein, denn in allen stecken alle Arten derjenigen
Fehler, mit denen der Text des Aeschylos leider behaftet ist.
Vielmehr ist schließlich das einzige empfehlende Kriterion für
eine Konjectur dies, daß sie einen verständlichen, verständigen
und des Dichters würdigen Sinn ergiebt. Näher zugesehen lau-
fen auch Schwerdt’s methodologische Beiträge, wenn man
einiges gelehrte Beiwerk abthut, auf diese „Methode“ hinaus.
Eine unfehlbare Methode ist es freilich nicht, und die Ae-
schylos-Kritiker müssen darauf gefaßt sein, ihre Mitarbeiter nur
langsam zu überzeugen und ihre Vorschläge in die coniecturae
minus verisimiles aufgenommen zu sehen. Aber es giebt eben
keinen anderen Weg, um dem Verständniß des Dichters an den-
jenigen Stellen, wo die Ueberlieferung im Stiche läßt, näher zu
kommen, und es sind durch vereinte Bemühungen seit Her-
manns Ausgabe doch auch schon nennenswerthe Resultate er-
zielt worden.
1. Str. 2 des ersten Chorliedes lautet bei Wecklein (nach
dessen Zahlen, die ja mit Dindorf-Weil im Ganzen stimmen, ich
citiere), folgendermaßen :
V. 58 db dì xvoei us nélaç olwvonoAwv
dyyaiog olxrov olxıyor &lwr
60 dofkoe mg axovesy
ona tag Tnesias
pntldog olxroüs aAgyou
xıoxnAarov T andovos.
Hier ist zunächst mit M. Schmidt zu schreiben wy olonoAwr,
erstens um der Konstruktion des xvgs? gerecht zu werden, und
zweitens, weil ein olwvonodoc doch wohl der letzte Mensch wäre,
von welchem man eine Verwechselung menschlicher Rede mit
Vogelgesang erwarten darf. Sodann ist mit Schwenck V.
59 olxzgoy zu streichen. In V. 60 hat Pearson anstatt des
verschriebenen, schon in den Scholien als pleonastisch bezeich-
neten rg das richtige rey’ hergestellt: rw! ona, „etwa ein Lied
der Nachtigal^. Endlich wird man nicht umhin kónnen zur
Beseitigung des unlogischen 1e in V. 63 mit Hermann xoxn-
darag zu schreiben. So ist die Strophe richtig. Die Antistrophe
beginnt :
22 MEM B. Todt,
: V. 64 Gr’ ano your noramwv v! égyouéra
nevIet véov olxıov 7IEwv.
Die folgenden Worte sind richtig. Hier hat der Mangel an ein-
gehender Erwügung, in welcher Beziehung der Chor sich mit
der Philomela vergleicht, Hermann zu dem für Viele, selbst
für Dindorf, bestechenden Einfall geführt: ür uno yAwgóv
merxÀwv éygouéve. Aber die grünen Blätter und das Erwachen
der Nachtigal würden nur poetischer Kleinmalerei dienen, wäh-
rend der Dichter hier verbunden war, die Vergleichungspunkte
zwischen den Danaiden und der Nachtigal anzugeben. Diese
bestehen darin, daß beide ihrer väterlichen Heimath u n-
gern entrückt, in neuen ungewohnten Verhältnissen sich un-
glücklieh fühlen. Denn die Danaiden betrachten ihre Flucht
an sich als ein Unglück (V. 18 xvdior ayéwy u. A.), und Phi-
lomele oder Prokne beklagt zunächst auch nur sich selbst und
ihre Lage. Hierfür ist lehrreich Agam. V. 1135 fL, wo der
Chor zu Kasandra sagt, sie klage ,um sich selbst" wie eine
Nachtigal, worauf Kasandra erwidert, daß die Götter die Nach-
tigal, welcher sie einen gefiederten Leib gegeben und das Leben
gelassen, gnüdig behandelt hätten im Vergleich mit ihr selbst,
die in ihren sicheren Tod gehe. Die Klage um Itys ist dort
und hier nur accessorisch, V. 60 $vvr(9. o4 dé nudög uogor.
Hiernach ist die richtige Emendation des V. 64 die von Hücker
gfnudeene dr’ d70 ywowv narQíwv égyouéva, wozu ich in V.
65 füge: mevdei véov olwo» (anstatt olxror) ndéwy: „ welche
von dem väterlichen Gelände ausgeschlossen, den neuen Weg
(d. i. die ungewohnte Art) ihres Aufenthalts betrauert". “Hodéwy
ist in den Scholien schon richtig dureh rw» ourÿ3wy zonwv er-
klärt worden.
2. V. 79 ff. Ant. 3 Aida, Seod yevérat,
V. 80 xduev ev 10 dixasov idovisc,
nBaı un rÉAsov
dovres Eye nag alduy
Ufo» d° Eruumwg Orvydrtes
V. 84 ného div Evdızos yaposc.
So der Codex. Der Chor verlangt von den Stam mes - Gót-
tern Gehór, daB sie auf das Recht schauen sollen. Das Recht
aber besteht dem Chor, wie an mehreren Stellen ausgesprochen
wird, in einer billigen Gleichmäßigkeit für beide Par-
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 23
teien. Er hat V. 32 das „leidlichste Uebel“ gewählt, er er-
wartet V. 407 ff. „gleiches Maß für beide‘ vom Zeus, ähnlich
ist der Gedanke V. 816 ff. Derselbe Gedanke liegt auch in
dieser Stelle, und um ihn deutlich zum Ausdruck zu bringen,
setze ich anstatt des verdorbenen Wortes 780, in V. 91 Array,
im Sinne der bekannten juristischen Metapher. Durch die An-
rede Seoi yevétus wird in V. 84 die Emendation R. Menzels
yéves (für yauoss) bestätigt. „Wenn ihr mir nicht eine Nieder-
lage gegen die Billigkeit (ulo«) endgültig zu tragen gebet, son-
dern Frevelmuth in Wahrheit hasset, werdet ihr gegen das Ge-
schlecht gerecht sein". TeAsov fasse ich, wie die Uebersetzung
zeigt, adverbial zu dorreg Eyes; in dieser Verbindung ist auch
die Stellung des wn richtig.
9. V. 88 giebt die Handschrift:
el9e(n dios eù mavaln3ws.
Das hiermit beginnende Strophenpaar hat durch Westphals
schöne - Entdeckung, daß die Verse 91—94 und 98—101 die
Stellen getauscht haben, erst einen vernünftigen Gedankengang
gewonnen, „Der Wille des Zeus ist nicht zu erspähen, denn
dunkel sind die Wege seines Sinnes. Wenn aber ein Ding in
seinem Haupte fest beschlossen ist, so trifft es sicher zum Ziel
und fällt nicht machtlos auf den Rücken; alles erhellt er, selbst
im Dunkel des Zufalls (x&v oxoıw puedulvag Svvrvy(ag) den Men-
schen". Mit der Erkenntniß dieses Gedankenganges ist es nicht
schwer zu erschließen, daß die herausgehobenen Eingangsworte
der Strophe einen Satz für sich bilden müssen, und weder mit
der vorhergehenden Antistrophe 3 noch mit der folgenden Sen-
tenz, welche mit 4iòs fusgoc asyndetisch beginnt, grammatisch
verbunden sein können. Auch daß sie einen einfachen Wunsch
ausdrücken müssen ist kaum zu verkennen; zwischen der An-
rufung göttlicher Hülfe in Str. und Ant. 8, und der Erkenntniß
von der verborgenen Weisheit und der Allmacht des Zeus bleibt
für einen überleitenden Vers kaum ein anderer Inhalt übrig als:
„Möge es Gott zum Guten lenken!“ Dies ist ja auch schon
wiederholt erkannt, insbesondere ist der Optativ und das Sub-
jekt 3sog, welches in der falschen durch Abirrung auf den
nächsten Vers entstandenen Lesart Aıöc steckt, hergestellt wor-
den. Nur das im ersten Worte des Verses sich verbergende
Verbum ist, soviel ich weiß, noch nicht mit genügender Wahr-
24 B. Todt,
scheinlichkeit aufgefunden. Mir scheint mit ziemlicher Sicher-
heit eu$uvos, oder wohl noch besser die poetische Form i3uvos
zu setzen zu sein. Die letztere Form lautet, mit Jotacismus ge-
lesen, bis auf das », der handschriftlichen Lesart gleich , wo-
durch sich vielleicht der Fehler erklären läßt. Also 29uvos Jeog
eU. nuvaindüc.
4. V. 192 £.: "AA d anyuwv sie xoi tedeiuéros
Qui Evr doyj) türd’ éncdgrutas crodov . . .
So die Handschrift. Danaos spricht von dem ankommenden
Zuge des ihm noch unbekannten Königs. Subject im vorausge-
henden Satze ist doynyfra. In V. 192 hat man statt zeIe-
pévog mit Pearson rePnypévog vulgo aufgenommen und V. 193
vielfach mit Turnebus rovde anstatt ıwrde gesetzt, um es
mit 01040» in Uebereinstimmung zu bringen. Aber bei dieser
Auffassung muß man aus dem vorhergehenden Subjecte coyn-
yéras ein anderes apynyfıns rig zu éndgvutas ergänzen. Dies ist
unbequem, und auch der Objects - Akkusativ bei dem Medium
éxogvumas ist vereinzelt. In beiden Beziehungen wird die Kon-
struktion glatt und einfach, wenn man das handschriftliche rwvde
beibehält, und vielmehr 07040» in oroAog ändert: „ob der
Zug dieser Leute sich freundlich oder zorngereizt naht“ —.
D. V. 290 f.: Ba. Kai rallu moar’ éneexaoas dlxasov nv
&) un nagovrs pIoyyos ny 0 Onpavay.
An V. 250 hat man seit langem mit Recht Anstoß genommen,
Der Vers ist schlecht, ohne Cäsur in drei Dipodieen zerfallend,
und das logische Subject fehlt. Aber auf den Hauptfehler des
Gedankens, den verkehrten Begriff des dfxusor, hat meines Wis-
sens noch kein Erklärer hingewiesen. In wie fern Rathen und
Vermuthen als „recht und billig" zu bezeichnen ist, wenn man
das Wort nicht zur Aufklärung hat, das ist wohl unerfindlich !
Nicht „recht“, sondern ,nothwendig ist es. Mfxasov ist
ein Interlinear-Glossem zu yeewv, und der Vers lautete
xoa) Tara no Ev eixacuı pw’ av qv yotulv.
"Er sìxaca, mit Martin.
6. V. 265: Ba. cuvituves d 0006
vyeas Falacons' rwvde tani rade xoatw.
Hier ist anstatt öypäg wohl feo c zu lesen.
m
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 25
i, V. 319 £.: Xo. AsBun, wéysorov yüg saorovptrn.
Ba. tly’ oov Er Giov riçde Blaornudy Akysıs;
Ob man die Lücke in "V. 319 mit Porson durch övou« yc,
oder mt Wecklein durch oyyua yns, oder mit Burges-
Kruse durch yzZc ss&dov, oder vielleicht durch yzg uegos, um
eben den ,Erdtheil'* anzudeuten, ergänzt, macht für den Sinn
nicht eben viel aus; Libya wird als des Epaphos "Tochter und
als eine hohe, reiche Frau bezeichnet. (Wäre nicht nach dem
constanten Gebrauch der Griechen anzunehmen, daß das Land
von dem Heros den Namen empfängt, und nicht umgekehrt,
s0 würde ich mit Porson peylotng ovopu yng x«gmovuévg vor-
zehn). „Im folgenden Verse aber ist ér’ addov sinnlos. Denn
„noch einen andern‘ Sprößling der Libya kann der Chor
nieht nennen, da er noch gar keinen Nachkommen derselben ge-
nannt hat, und „noch einen andern Nachkommen des Epaphos
dureh Vermittelung der Libya", wie die Uebersetzer meist die
Sache auffassen, das heißen eben die Worte nicht. Die beiden
anstößigen Worte scheinen ein Wort verdrängt zu haben, in wel-
chem, entsprechend dem tragischen Stil in den Stichomythieen,
auf die in dem vorhergehenden Verse angedeutete Hoheit der
Libya Bezug genommen wurde, und ohne welches r760s auch gar
zu kahl dasteht, wahrscheinlich gy uc oons.
8. V. 398 ff: Xo. undorgov dé 504
uiyao ogilouu ydpov duoygovog
pure
Hier scheint Heimsoeth mit Recht für das Glossem duc-
pooros, welches Wort nur aktiven Sinn hat, das richtige êm-
pIorov gesetzt zu haben. Außerdem aber scheint für wunyug,
umgekehrt wie Agam. V.2, unxog zu schreiben zu sein, so daß der
Sinn ist: „Ich setze für meine Flucht vor der verhaßten Ehe
ein 6za0100v xoc, eine Länge, so weit die Sterne gehen“. Die
Versuche der Neueren zur Erklärung von txacrgoy piyag (mit
oder ohne Aenderung) zu kritisieren erlasse ich mir. Einen
eigenthümlichen Eindruck macht das Scholion. Der Verfasser
desselben hat augenscheinlich piyyag schon im Texte gehabt,
denn er beginnt zzv rov yéuou pnyarhy Serovpat roig caoreose.
Zugleich aber scheint ihm eine ültere Bemerkung vorgelegen zu
haben, welche vzacrQov pijxog erklärte. Wenigstens würden wir,
wenn wir nur die Schlufworte des Scholions lüsen: of yàg
26 B. Todt,
puxguv odov gevyovies dv &arouv onuulvecdas tdeyov, sofort auf
vauotgov wnxog schließen, denn oquatrecd« ist Erklärung für
SofCouce. Beide Bemerkungen aber verbindet unser Scholion
durch das Zwischenglied: dvri rov unyarnoouas qevytw. ds’ odoù
paxoág 10» y&uov, worin wnyarnooum sich als Erklärung von
uiyao oolCouus darstellt und uuxoäç förmlich hineingepascht wird.
9. V. 410: Xo. TI rorò’ & toov benoutvwy ueradysic
to dlxusor EyKus;
Hartung hatte wohl Recht zu sagen: „uszolyeig ist gar nichts“.
Es ist in der That eine sinnwidrige Composition, welche nur
bedeuten könnte „hinterher Schmerz empfinden“. Tournier hat
vorgeschlagen u’ é’ ágysig; aber einfacher und sinnentsprechen-
der ist £i? oxveic.
10. V. 412 f£: Bu. dei 10s Badelug poovridos owrnolov
dixnv xoAvußnınoos slg fv9óv podsiv
dedopxög Supa und’ aya» dvwpévor.
Das „nicht gar zu sehr weinberauschte Auge“ des ‘l'auchers ist
zwar von Weil für eine translatio prorsus Aeschylea erklärt wor-
den, auch bemerkt dieser Gelehrte, daß die Neueren mit Recht
die Verbesserung von Schütz devouuevor abgelehnt hätten ; diese
Ablehnung ist aber offenbar nur darum erfolgt, weil der an sich
gar nicht üble Vorschlag nur noch nicht genügend er-
schien um die kolossale Ungeheuerlichkeit eines
„scharf blickenden, nicht allzu betrunkenen Auges“ zu heben,
denn die Zahl der Verbesserungsvorschlüge ist groß. Sie sind
aber unglücklich, da sie sich an die Begriffe des Schlafes oder
des Rausches anschließen (varwusror, xouuwuevoy, dxrovueror,
öxvo uvov u. À.) Einige haben auch mit Recht ayav mit in
das Bereich des zu Emendierenden gezogen, denn das und’ aya»
ist doch hier gar zu komisch! Als ob nur ein Zuviel von
Rausch oder Schlaf dem Auge des Tauchers schädlich, ein
mäßiger Grad aber zulässig wäre! Von Schlaf und Rausch darf
gar nicht die Rede sein, denn beides ficht einen Taucher, wel-
cher in der Tiefe Schwämme oder Perlen sucht, nimmer an,
wohl aber die Dunkelheit, das ungewohnt gebrochene Licht, die
verwirrenden Eindrücke der Wunder in der Meerestiefe, denen
gegenüber sein Auge — notabene bei den Alten ohne die
Schutzbrille unserer Taucher! — scharfblickend (dedogxóg) blei-
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 27
ben muß und sich nicht blenden lassen darf. Ich vermuthe:
und ayn dAaovmevov.
„Ein scharfblickendes Auge, welches sieh durch Staunen nicht
blenden läßt“. Für die Synizese y und & ist ein Beispiel Cho.
917 un add’. Erst so entsteht eine translatio prorsus Aeschylea,
ein Bild von detaillierter Genauigkeit, wie sie der Dichter ge-
rade vom Seeleben herzunehmen liebt, — ich erinnere an die
Korkstücke, welche das in der Tiefe schwebende Netz mit dem
Lichte der oberen Welt verbinden Cho. V. 504. In unserer
Stelle darf der Kónig, der Staatsmann, sich die Schürfe des Ur-
theils in der Tiefe der Erwügung durch das Staunen über die
unerwartete Erscheinung des Danaos mit seinen 'Tóchtern nicht
stören, und sein Auge von seinem einzigen Ziele, dem Besten
der Stadt, nicht ablenken lassen, ebenso wenig wie ein 'laucher
in der Meerestiefe sich durch die wunderbaren Eindrücke der
Lichtreflexe oder der befremdenden Thier- und Pflanzenwelt da-
selbst verwirren und sein Auge von seinem Ziel, — der Mu-
schel oder dem Schwamme, — ablenken lassen darf.
11. V. 447 ff.
Diese Stelle wird einer eingehenden Besprechung bedürfen. Es
ist, wie ich glaube, die einzige in diesem Drama, wo sich
eine bedeutendere Interpolation vorfindet, in Folge deren auch
die echten Verse in Konfusion gerathen sind. Glücklicherweise
lassen sich die Grenzen der Interpolation genau bestimmen, und
darnach auch die echten Verse vollständig einrenken. Zuerst
gebe ich die Stelle nach dem Kodex:
Be. Kai di) neponouu: devgo 0 èEoxéAieras
n zolow 7 roig noAsuov algeodas uéyav
nao’ tor’ avdyen’ xoi yeydupwrar Gxdgoc
450 oreéBiasos vavwxaiow wg mooonywevor.
aveu dé dunno ovdapov xatacigogi*
xal yonuatwy uiv dx douwv nogFovuerwv
amv yeullwv xai uty! Zuninous yopov
yévoit av alla xınolov dios yag
455 xai yidoc« 10Ffevoaca un tè xulgıu
yEvoıro uv Fou uvdos av Fedxrnosos,
&Àytwá Fupoù xcora xuwrrjosa.-
Snug d ouaınor alua ph yevoerar
28 B. Todt,
dei xupra Jue, xul mecsiv yonornoux
460 Yeoics noAloig nodda, nnuorñs axn.
7 xagıa velxovs Tovd’ éyw magolgopus
Fw d° aidgig paddov N Gogóg xaxd
sivas’ yévosso d ev nagd. yvwpnv du.
Suchen wir uns nun an der Hand des Gedankenganges der
ganzen Scene klar zu machen, welche Gedanken etwa man aus
dem Munde des Königs zu erwarten hat, und welche nicht.
Der Chor hat den König um Schutz gegen die Aegyptos-
Söhne gebeten (V. 351—357). Der König fürchtet für die
Stadt Schaden und Krieg davon (V. 358 — 862). Der Chor
sagt ihm, die Gunst der Götter belohne die Frömmigkeit (V.
968—869). Er antwortet, der Chor flehe ja doch nicht an sei-
nem Haus-Altar, sondern an dem Altare der Stadt; er könne
persönlich nichts versprechen, sondern erst nach Berathung mit
der Stadt (V. 870 — 374). Darauf der Chor: „Du bist das
Haupt der Stadt, wie du entscheidest, so entscheidet die Stadt,
hüte dich vor Frevel!“ (V. 875—880). Darauf gesteht der
König seine Unentschlossenheit und seine Furcht, sein Geschick
zu wählen. Er fürchtet Schaden , wenn er den Danaiden hilft,
und den Vorwurf der Unbarmherzigkeit, wenn er es nicht thut
(V. 381—385). Der Chor warnt aufs neue vor dem Zorn des
Zeus (V. 386—391). Darauf drückt der König sein Bedenken
aus, ob nicht die Söhne der Aegypter begründete Rechtsan-
sprüche an die Danaiden haben könnten ; diesen letzteren liege
es ob, den gegentheiligen Beweis zu führen (V. 891—396).
Darauf geht der Chor nicht ein, sondern spricht nur seinen Ent-
schluß aus, bis an das Ende der Welt vor der Zwangs-Ehe zu
fliehen, und fordert den Kónig auf, zwischen ihnen und ihren
Vettern zu richten (V. 397 —401). Dies lehnt der König ab,
und erklürt aufs neue, ohne Zustimmung des Volkes in der
Sache nichts thun zu wollen, damit er nicht dem Vorwurf un-
terliege, um der Fremden willen die Stadt geschädigt zu haben
(V. 402—406). Nach einem nochmaligen Hinweis des Chores
auf die ausgleichende Gerechtigkeit des Zeus (V. 407—411) er-
klärt der König, es bedürfe für ihn der eingehendsten Ueberle-
gung, um einerseits nichts Schüdliches für die Stadt und ihn
selbst zu unternehmen, andererseits auch nicht durch Ausliefe-
rung des Chores einen @Axaorwe für die Stadt heraufzubeschwören
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 29
(V. 412—431). Diese Ueberlegung findet während des nach
V. 421 folgenden lyrischen Gesanges statt, und ihr Resultat
wird in unserer Stelle ausgesprochen.
Was ist nun der Gegenstand dieser Ueberlegung ? In Be-
treff welcher Frage hat der König einen Entschluß zu fassen ?
Lediglich in Betreff der Frage, „ob er das Bittgesuch der
Danaiden seinerseits a limine abweisen, oder ob
er es dem Volke befürwortend vortragen solle“.
Daß er nicht selbständig ohne Volksbeschluß etwas in der Sache
unternehmen könne, hat er bereits endgültig erklärt; es handelt
sich bei ihm nur darum, ob er das Gewicht seiner Auktorität
bei dem Volke zu Gunsten der Danaiden in die Wagschale zu
werfen habe, oder nicht. Er hat also in seiner Ueberlegung
abzuwügen, ob die Gefahr des zu erwartenden Krie-
ges oder des zu erwartenden cidorwe die größere
sei, weiter nichts.
Das Resultat seiner Ueberlegung ist trotz der Interpolation
und der Konfusion klar genug: er geht auf die ganze Sache
nicht ein, er läßt diesen Streit links liegen (refxous rovd’ dyw
xagoíroua:), will vom Unheil lieber nichts wissen als zuviel,
und wünscht, daß es besser ausgehen möge, als er hofft (V.
461—463). Dieser ablehnende Entschluß ist fest und endgültig
gefaßt ; der König hat den &Auoiwg der Danaiden, deren Recht
ihm nicht nachgewiesen ist und deren Widerwillen gegen die
Vettern er wohl nicht ganz ernsthaft nahm, für minder gefähr-
lich gehalten, als den Krieg gegen die Aegyptos-Söhne.
Als er jedoch den festen Entschluß der Danaiden, sich an
den Götterbildern aufzuhängen, vernimmt (V. 474), da trifft
ihn dieses Wort ins Herz und stimmt ihn um. Diese
Befleckung des Stadtaltares, welche er nicht würde hindern kön-
nen, da er die Danaiden zwangsweise nicht von den Götterbil-
dern und dem Altare entfernen darf, würde einen Zorn des
„Zeus der Sehutzflehenden“ erregen, welcher schlimmer wäre als
ein Krieg mit den Aegyptiaden, obwohl auch dies ein bitterer
Verlust ist, „Männerleben der Weiber wegen zu opfern“. (V.
485 f£) Nun erst glaubt er an den bitteren Ernst der Situation,
und entschließt sich, die Sache der Danaiden dem Volke em-
pfehlend vorzutragen.
Die in Rede stehende Stelle enthält nun aber neben der
30 B. Todt,
Mittheilung seines festen Entschlusses, auf die Sache nicht ein-
zugehen, und dem Ausdrucke seiner Befürchtungen in V. 452—
460 eine Árt von Motivierung seiner ablehnenden Entschei-
dung, welche sehr sonderbar ist. „Ein Vermögensverlust“, heißt
es, „kann durch eine größere Gabe des Zeus ersetzt werden;
ein ungehóriges, beleidigendes Wort kann durch ein besänfti-
gendes Wort gut gemacht werden: aber daß nicht Ver wandten-
Blut vergossen werde, dafür müssen Opfer fallen als Heil-
mittel des Unheils*. Was in aller Welt haben diese Behaup-
tungen mit dem in Rede stehenden Fall zu thun? Insbeson-
dere, — wenn man von dem Vermögensverlust und der Wort-
beleidigung absieht, — welche ja ausdrücklich nur als minder
heillose Unglücksfälle herbeigezogen sind, — in wie fern kann
die Vorsicht ozwg ôuamuor aluu un yerjosıwv (V. 458) den
König zu seiner ablehnenden Erklärung 4 xdgru vefxovs roùd”
éyw nugolyouar (V. 461) bestimmen? Er hat ja doch, wenn er
sich der Danaiden annimmt, kein öuusuov aiua zu befürchten,
sondern nur den gewóhnlichen Krieg mit seinen Verlusten an
Menschenleben (V. 483—486). Denn daf man den Krieg der
Aegyptiaden gegen die Argiver als einen Krieg unter Ver-
wandten ansehen könne, (wie wohl von einzelnen Erklürern an-
genommen ist), das ist undenkbar. Wenn gleich die Aegyptia-
den Nachkommen einer Argiverin sind, so können sie doch in
der fünften Generation nicht als Blutsverwandte aller Ar-
giver, die nicht von Jo abstammen, angesehen werden. Gilt
doch nicht einmal der Mord Agamemnons durch die Gattin als
ein ouasuor uluu (Eum. V. 608); so eng waren den Hellenen
die Grenzen der Blutsverwandschaft. Auch wird diese Erklä-
rung ausdrücklich ausgeschlossen durch V. 483, wo der König
sagt, „wenn ich mit deinen Verwandten kümpfe", ou«t-
poss céder, also nicht mit „unseren“. Daß aber ein opas-
pov aluc aus dem Kampfe der Danaiden mit den Aegyp-
tiaden entstehen kónne, das kann ihm gar nicht einfallen; an
einen' mórderischen Kampf der Basen mit den Vettern kann er
gar nicht denken. Ja, und könnte der Dichter ihn ahnen las-
sen wollen, daß wirklich ein öuasuov alga durch den Mord der
Aegyptiaden bevorstand, so müßte diese Erwägung gerade den
gegentheiligen Entschluß zur Reife bringen; der König mußte
dann, um diesen hóchsten Frevel zu verhüten, sich der Müdchen
La
ns
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzfleh enden. 31
annehmen, selbst mit Opfern, wie V. 459 sagt. Kurz, die ganze
Motivierung seiner Ablehnung ist absurd, und gehört nicht
hierher; der Entschluß des Königs bedarf auch nach der breiten
vorangegangenen Darlegung seiner Bedenken nicht einer noch:
maligen Begründung, es genügt, ihn einfach auszusprechen. —
Daß die bezeichneten 9 Verse 452 — 460 auf die in V. 461
gleich darauf folgende Ablehnung des Bittgesuches auch wirk-
lich nicht überleiten, haben mehrere Herausgeber gefühlt, und
darum Aenderungen vorgeschlagen. Hermann wollte den V.
461 nach V. 463 stellen und ihn mit sehr bedenklicher Aende-
rung dem Chor geben, Burges stellte ihn ebenfalls geändert
nach V. 454, Weil wil V. 451 zwischen V. 460 und 461
stellen, um eine sinngemäße Verbindung herzustellen, andere
schlagen noch anderes vor. Am richtigsten hat hier Weck-
lein gefühlt, welcher V. 461 unmittelbar nach V. 451 folgen
lassen wil. In der That folgt V. 461 unmittelbar auf die von
V. 447—431 reichende Versgruppe, jedoch nicht unmittelbar
auf den jetzigen V. 451, weil auch diese Verse in Konfusion
gerathen sind. Aber freilich darf man den V. 461 nicht vor
die jetzt vor ihm stehenden 9 Verse stellen wollen, darf ihn
auch von seinen Nachfolgern nicht trennen, sondern muß die
Annäherung an V. 451 durch Beseitigung der Interpolation von
V. 452 —460 herstellen. Diese 9 Verse scheinen von Jemand,
welcher noch eine Motivierung des Entschlusses des Königs für
nóthig hielt, aus einer anderen Tragódie des Dichters, die sich
etwa um ein ouumoyr aiu« drehte, hierher versetzt zu sein.
Vielleicht stammen sie aus dem zweiten Stücke dieser Trilogie,
wo der Gedanke der Ermordung der Aegyptiaden in der Braut-
nacht auftauchte. Sie würden dem Sinne nach auch in die
Septem contra Thebas passen. Und es giebt ja noch andere Tra-
gödienstoffe, in denen Verwandtenmord ein Motiv war. Jeden-
falls gehóren sie hier nicht her und sind aus dieser Stelle zu
entfernen. Sie sind außerdem selbst durch Verschreibungen und
Umstellungen arg entstellt, doch davon hernach; für jetzt wende
ieh mich zur Neuordnung der übrig gebliebenen echten Verse
441—451.
Der König sagt nach der Ordnung des Kodex: „Ich habe
überlegt, und darauf läuft es hinaus: entweder mit diesen oder
mit jenen muß man Krieg unternehmen. Und das Schiff (na-
82 B. Todt,
türlich meines Entschlusses) ist fest gefügt, ohne Kummer aber
giebt es nirgends einen Ausweg“. Soweit V. 447 —451, dann
V. 461, ich gehe auch diesen Streit nicht ein". Das sind of-
fenbar richtige Gedanken in Unordnung. Die Reihenfolge mu fj
diese sein: 1) Ich habe überlegt, 2) und mein Entschluß steht
fest. 8) Zwar ist überall Kummer, 4) denn entweder hier oder
dort muß man Krieg haben, 5) aber mein Entschluß läuft dar-
auf hinaus: 6) Ich will mit dieser Sache nichts zu thun haben.
Zwischen einigen von diesen Gliedern ist ein Asyndeton ange-
messen ; die Verse des Dichters reihen sich aber fast von selbst
in der angegebenen logisch richtigen Folge:
447. 449 xoi di népeacuasr xoi yeyóuqunas oxugos
450 orpfßlascs vavrixaiow ws nouooutvo»,
451 aveu dè Avrns ovdapoù xaructeogy’
448 n roiGi à roig moÀtuov alotoJus utyuv
449. 447 nao’ Fei avayxn devgo d' éfoxéllerus”
461 5 xagra velxovg 1000. dye nagolyouu,
Ham d aidgig náAAev 7 Gogog xaxmv
slvase yévosto d’ zu naga yrwunv èunv.
Erst in dieser Ordnung der Verse gewinnt auch das Bild vom
Schiffe äschyleischen Charakter. Voran steht der Begriff des
Festgenageltseins, welcher den Dichter erst auf die Vorstellung
vom Schiffsrumpf mit seinen Nägeln und Schrauben brachte, und
aus diesem ergeben sich weiter die termini xaraorgogn und éEo-
xélderas, welch letzterer Ausdruck an der Stelle, wo er jetzt
steht, befremdet, weil die starke Metapher so unmotiviert er-
scheint. — Im Texte habe ich V. 450 von den vielen Kon-
jecturen für das handschriftliche neanypévoy die von Lincke
femocuérov adoptiert, obgleich auch einige andere einen genü-
genden Sinn ergeben. Wecklein’s Vorschlag sgoonennypévoy
aber ist nicht möglich, weil man die Vergleichungs-Partikel ws
nicht entbehren kann. Im Uebrigen ist die Stelle völlig richtig
und gesund. In V. 448 ist weder am Maskulinum 7 zoiow 7
toig, während doch die Danaiden Weiber sind, Anstoß zu neh-
men, denn der Kónig denkt nur an die beiden gegnerischen
Parteien, mit deren einer er es verderben muB, noch korrigiere
man mit Wecklein «guodas noAsuor, denn die actio infecta
algecSus ist am Platze. Vor allem lasse man V. 461 unge-
ändert. |
pe —
Zur Erklürung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 38
Komme ich nun auf die 9 eingeschobenen Verse zurück,
so werde ich gleich diejenige Restitution derselben geben, welche
ich für die richtige halte, und die Vorarbeiten anderer (zu de-
nen auch der Scholiast schon gehört) mit möglichster Genauig-
keit dabei erwähnen. Alle gemachten Vorschläge zu beurtheilen
wäre nutzlos und unendlich. — Die Stelle zerfällt in 3 Gruppen
von je drei Versen; in den beiden ersten Gruppen ist eine Um-
stellung das entscheidende Heilmittel, neben welchem noch kleine
Schreibfehler-Korrekturen einzutreten haben.
V. 452—455 lauteten etwa:
xal yonuaıwv pèr ix douwv noo9ovut£vuv
yévosr’ av addn xınolov dióc yuquc
ans te wellwv xai pty’ ÈunAinoas youos.
Die Umstellung hat Stanley empfohlen, yowog Scaliger, adn
gags ist von Hartung, hiervon ist ze ueflwr für das handschrift-
liche ye usto die Konsequenz. Die Vulgata ysullwv ist nur
die von Skaliger empfohlene Konjectur des Scholiasten, welcher
schon yéuor las. In obiger Fassung bieten die Verse schon
einen vernünftigen Sinn in konstruirbarem Griechisch ; dennoch
glaube ich noch zwei Aenderungen empfehlen zu müssen. In
V. 451 würde die Konstruktion übersichtlicher sein, wenn man
douov anstatt douwy lise, und in V. 453 dürfte in den über-
flüssigen und nach ueilwv sogar lästigen Worten xui uéy ein
Object zu &uninoag stecken, vielleicht duuar: „eine Fracht,
größer als der Schaden, welche die Räume des Hauses anfüllt“.
— In der zweiten Triade ist die Umstellung ebenfalls schon
von Stanley, die weitere nothwendige Aenderung xıynıngıog
für xwnrjouu von Schwerdt vorgeschlagen; es handelt sich
nur darum, Beides zu verbinden.
V. 455—487: xai ylüoca rotevoacu un Ta xalgım
dÀytwwà JuuoU xugra xivntiosos,
yévouro pudou witog av 9exinguog.
Außerdem scheint in V. 456 für xdégza das von Hartung ge-
fundene xérrga eintreten zu müssen. Der absolute Nominativus
wird durch die Sinnesverwandschaft von yAwoou und uv3og sehr
erleichtert. — Die dritte Gruppe steht in richtiger Ordnung,
anstößig ist nur in V. 459 das neben zeosiv yonorngeu tauto-
logische ves, wofür man einen allgemeineren Begriff erwartet,
von welchem der Satz Saws un und yerjasımı abhünge. Ich
Philologus. N. F. Bd. I, 1. 3
94 MM | — P. Todt,
vermuthe, daß durch einen Schreibfehler das bei Aeschylos be-
liebte Wort élever (cf. V. 537) in Suey entstellt ist, also zu.
lesen dei xdgT adeve x. 7. À.
19. V. 484 ff:
Ba. ei d° avd’ opolworg nusciv Alyinıov oéfSev
ora9sìs mod tesgtwv dia payns NEW réhove,
nuc ovy r avadwua ylyverus mxgòv
avdgug quvarmmv ouvey’ almasuı nédor;
Hier ist in V. 485 der Ausdruck did uoyns n&w tédovc dunkel.
Pauw schreibt z£Aoc, „wenn ich schließlich in den Kampf gehe",
mit schiefem Sinn, denn die etwa vorhergegangenen Verhand-
lungen, welche einen Verlust an Menschenleben nicht bedingen,
bilden kein Moment der Erwägung Hartung setzte dA9siv
Jélw; dabei ist ‘aber FeAw, welches den freien Entschluß be-
zeichnet, weniger passend als 7£w, „wenn ich durch den einmal
getroffenen Entschluß dazu komme, fechten zu müssen“. Ich
vermuthe B éAovc für :£Aovg. „Der Kampf der Waffe" ist eine
hier sehr angebrachte Specification des Begriffes ua yr.
13. V..511: Ba. Kai Evuaßoloıcıy ov noAvoronsiv yoewr
vavım dyovias word Epéotiov Fewv.
Für das Substantiv o fvmfodog führen die Wörterbücher nur
diese Stelle an. Die Bedenken aber, welche sich gegen diese
Wortbildung erheben, sind so bedeutend, daB man trotz des
Scholions 10îç cvrivyyarovor wohl auch hier dies Wort wird be-
seitigen und xuv SuuPodatos schreiben müssen.
14. V. 538 ff: Xo. "Ava& avaxımv, uaxauv
uaxaorars xai tehéwy
tehevoraroy xgaroc, OAßse Zev,
mdov te xai yeviodw.
Die letzten Worte, welche so aussehen, als habe der Schreiber
des Kodex seine Vorlage nicht mehr lesen können und sich nun
bemüht, jedenfalls griechische Worte zu setzen, haben eine Menge
von Besserungsvorschlägen hervorgerufen, welche sich den hand-
schriftlichen Zügen anzuschließen versuchen. Das ist hier auch
ganz das Richtige. Ich beschränke mich darauf, ihrer Zahl
einen neuen Vorschlag hinzuzufügen,
mudov Àwaig yuvasxwy.
dirai hatte schon Martin gefunden. Man wird hoffentlich zu-
pps
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 35
geben, daß mein Vorschlag 1) sich ziemlich genau an die Schrift-
züge des Kodex anschließt, 2) daß er durch Aszeis in V. 580
und durch den Gegensatz avdoí» im nächsten Verse 537 ge-
stützt wird. Dieser nothwendige Gegensatz der Bittenden gegen
die ardges macht auch die in den neuesten Ausgaben beliebte
Lesart nıJou 1e xai yÉver où | kAsvcov avdgwy tBgsv unmöglich.
Denn die «rdgec, deren vfg«; Zeus abwenden soll, sind ja auch
sein yévog in gleichem Grade wie die Danaiden, und die Bitte
des Chores geht ja eben dahin, daß Zeus im Andenken an ,,die
geliebte Frau“ die weiblichen Nachkommen der Io vor den
münnlichen schützen móge.
15. V. 549 ff: Xo. . . . Astumva Bovysdor, &y9ev ? lo)
olotoom Eosccoueva
pEvyes ünagrlroog
n0AÀà Soorwy diaussfoptva
guia, dıyn d' avılmogov
yulav dv uloa diuré-
urovoa mogov xvuattav oglles.
Bei dieser Stelle haben sich die Erklärer und Uebersetzer zu
früh beruhigt, die Lesart giebt keinen Sinn, den man ertragen
könnte. In der älteren Zeit faßte man dıyn = „zweimal“ auf,
dachte an den thracischen und den kimmerischen Bosporos, und
meinte, der Dichter sage, Jo habe durch zweimaliges Ue-
berschreiten von Meerengen Asien erreieht. Das war, ganz ab-
gesehen von der Wortbedeutung und der Konstruktion, auch ein
falscher Kalkül, denn Jo erreichte Asien mit einmaligem
Durchschwimmen einer Meerenge; solle sie aber beide
Meerengen passieren und schließlich in Asien bleiben, so mußte
sie dreimal ins Wasser. Die neueren Erklürer haben denn
auch den Gedanken an den kimmerischen Bosporos aufgegeben.
In der That ist die Reiseroute der Jo in den folgenden Stro-
phen von Phrygien bis Memphis mit so wünschenswerther Ge-
nauigkeit aufgezeichnet, daß man nicht zweifeln kann, der Dichter
rede hier nur von dem thracischen Bosporos, wührend im Pro-
metheus, welcher ja viel später abgefaßt resp. überarbeitet ist,
und am Kaukasus spielt, der kimmerische Bosporos in die Sage
gebracht ist. Die vulgäre Erklärung der Neueren läßt sich am
besten mit den Worten Weils geben: disterminatque (dsyj
ogiles) terras oppositas (’Aoiuy xai Eùgwnnv recte schol.) secundum
3*
i 000 LB
86 | B. Todt,
fatum freto maritimo transnato. Kaum anders fassen es die An-
dern auf, nur daß Hartung an diurfuvovoa Anstoß nimmt und
diatelrovoa schreibt. Aber ist es denn möglich, daß dyÿ avrrt-
nogoy yaiav öglLes heiße, „sie scheidet zwei Länder“? Ich muß
das bestreiten; dvrímogog yuia ist „ein der Furt gegenüber
liegendes Land“, und die Worte heißen nur „sie begrenzt das
Gestade zwiefach“. Und überdies, welch ein Anspruch, daß Io
die Grenze Asiens und Europas bestimmt haben solle!
Das habe der Dichter sagen wollen? Credat Iudaeus Apella!
Das hat weder er noch die Sage gethan. Nur den Namen
gab Jo der Meerenge, welche schon seit den 'Tagen der Schó-
pfung oder der großen Fluth die Erdtheile schied. Nur darauf
bezieht sich é» atog diurturovoa mogov xvuurlur. Was Aeschylos
ohne Künstelei an dieser Stelle sagen muB, ist einfach folgen-
des: Sie durchirrt vieler Männer Stämme, durchschneidet die
Meerenge und kommt ans jenseitige Land hinüber. Die Emen-
dation der verderbten Worte diyz, avitnogov und oofbes ist nicht
mit gleicher Sicherheit zu machen. In avr(mogo» steckt z wei-
fellos avunégav, in dıyy wahrscheinlich gvyzc, in
elfes vielleicht xgootte:, jedenfalls ein Verbum, welches „er-
reicht, betritt^ bedeutet. Der Sinn aber, „und das der Flucht
gegenüberliegende Land erreicht sie, den wogenden Sund durch-
schneidend“, ist dieser Stelle einzig angemessen. Auch an dsa-
z£uvovo« hat Hartung nicht ohne Grund Anstoß genommen, ob-
wohl sein Vorschlag deurelrouoa zu nichts nützt. Die Bedeu-
tung ,durchschwimmen" läßt sich von dem Verbum nicht nach-
weisen, — freilich könnte es dieselbe in Verbindung mit ogo»
xzuuurlav unmißverständlich annehmen, — und man erwartet
das part. aoristi. Ich vermuthe daher, daB dearéurouaa ein
Interlinearglossem zu dıurun&aca ist. Dieses Verbum ist von
Apollonius Rhodius und Callimachus in der Bedeutung des Durch-
schwimmens gebraucht worden, ein sicherer Beweis, daß es auch
in der attischen Poesie in dieser Bedeutung vorkam. Also lese
ich die letzten Worte ... guys 0° àvunégav yalav Èv alog
diaruntaca nógov xvuartav nooolte.
16. V. 784: Xo. "Iw yà Bovrin, Evdıxov otfac,
tl n&«coutc9a ;
Der Chor redet den Gesammtaltar, seinen einzigen Schutz, an.
Darum ist wohl mit Recht von Paley aus dem Scholion 5»
vO
Zur Erklirung und Kritik von Aeschylos' Schutzflehenden. 37
xüvreg dıxalwc tiuwosw die Lesart navdsxov offas entnommen
worden, und Dindorf hat fouvs hergestellt. Aber ya Boum
heißt „Hügelland“ und müßte auf die ganze Küste bezogen
werden. Ich meine, der Sinn erfordert zu lesen yüs fov»,
.(heiliger) Hügel des Landes“, „Landesheiligthum“. Das Wort
Bouvsg kommt nur noch in diesem Stücke zweimal und zwar
in einem Refrain, V. 128 und 134, also eigentlich nur ein-
mal, vor in der Verbindung '4zíav fovwv, wo es ebenfalls
offenbar Substantiv ist, denn "Ania sc. yn ist eigentlich Adjectiv.
17. Der Schluß von Str. 2 und Ant. 2 lauten nach dem
Kodex :
V. 806 f.: noiv datxrogos Blau
xagdias yauov xugjous.
und V. 814 £.: tiv dug! avias En nogov
téuvw yauou Avia;
Beginnen wir mit der Gegenstrophe, so scheint Heimsoeth
in dem Wort der Scholien eëgw die richtige Lesart réruw für
téuvw entdeckt zu haben. Nimmt man nun das von Paley
oder Hartung gefundene duqvyác statt aug avıag hinzu,
streicht das unmetrische und für den Sinn überflüssige gs und
setzt zur Verbindung mit dem vorigen Verse (mit vielen Ge-
lehrten) «ws hinzu, so ergiebt sich der metrisch richtige und
verständliche Schluß:
we tw dupuyas 70Qov
réruw yapov Avtiea.
Hiernach emendiert sich der Schluß der Strophe leicht:
zolv pe xagdiug Bly
dalxropog xvgijcas.
Ich habe auch hier kein Verdienst als das der Zusammenstel-
lung, denn es ist alles schon gefunden. Das grammatisch noth-
wendige us hat Butler eingesetzt, yauov hat schon Bothe
als Glossem erkannt. Der Sinn aber ist vortrefflich: „ehe ich
gegen meines Herzen Willen meinen dalxrwe finde ^ —, meinen
„Henker, Schlichter“. Kann es eine drastischere Bezeichnung
für einen aufgezwungenen Gatten geben?
18. Die böse Stelle vom Auftreten des Herold’s an V.
849 ff. erlaube ich mir in einer summarischen Epikritik durch-
zugehen. Längst noch nicht alle Schäden sind gehoben, aber
38 B. Todt,
wenigstens über die Vertheilung zwischen Chor und Herold
läßt sich Sicheres aufstellen.
Der Chor hat die Landung des Häschers gesehen (V. 836),
vermuthet, daß sofort Gewalt gebraucht werden werde (V. 842),
und flieht zum Schutze des Altars (V. 845), flehend, daß der
Landesherr die Macht des Landes dem Frevel entgegenstelle
(V. 846 — 848). Die diesen Sinn herstellenden Besserungen
mehrerer Gelehrten sehe man bei Wecklein u. A.
Nun kommt der Herold. Sein erstes Wort ist:
V. 849: oovode, voucH ini Baoıv we rayos.
(Tayos für nodwv Heimsoeth aus den Scholien, we für onwe
aus unten ersichtlichen metrischen Gründen) Der grobe Ton
des Befehls, welcher ohne jeden Versuch der Verhandlung oder
Ueberredung gegeben wird, bestätigt die Befürchtungen des
Chores: die Mädchen rufen: „Also Gewalt!“ Dies ovxou»
V. 851 ist im Munde der Danaiden ganz angebracht, und die
folgenden Worte, „Raufen, Mord, Enthauptung‘‘ drücken ihre
schlimmsten Befürchtungen aus, während sie im Munde des He-
rolds widersinnig sein würden. Denn er soll ja doch seine Beute
lebendig abliefern, und seine Drohungen beschränken sich
auch später auf Zerreißen der Kleider und Schleifen an den
Haaren. Also auch der Sinn spricht für Hermanns An-
nahme einer mesodischen Strophenbildung, so, daß die Worte
des Chores V.851—854 zwischen den sich entsprechenden Ver-
sen des Herolds V. 849—50 und V. 855 stehen. Die Worte des
Chores sind, wie Bamberger gesehen hat, einzelnen Choreuten,
und zwar dreien, zuzutheilen, und sind einzelne Dochmien außer
dem ersten ovxovv. Sie dürften gelautet haben:
' Xo. ? a. oùxovr |
Tuuoi xai orypol.
n B. dvoaluwv povos.
j y. ümoxoma xgarog.
Dovos für «qo»g ist von Bamberger, die Syllaba anceps
am. Schlusse des zweiten Dochmios wird durch den Wechsel der
Person und die Interpunktion gerechtfertigt. Auch dvoaluwr,
das rechte Wort für das Glossem zoàva(uwv, glaube ich schon
einmal bei einem Kritiker gefunden zu haben, doch ist mir die
Notiz darüber nicht zur Hand. In der Gegenstrophe des He-
rods V. 855 hat Hermann ebenfalls die wichtigste Emen-
pu t
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 39
dation 0oAoad für dAvuevar 0Àousy, was offenkundige Glosseme
sind, bereits gefunden. Aber wenn er weiter schreibt uéy’ én’
auala, so kann ich ihm nicht folgen. Méyu ist hier ein Flick-
wort, und én’ «uada, die bei Hesychios aus dem /7owreds ca-
Tvosxög citierte Glosse, ist um kein Haar wahrscheinlicher als
das handschriftliche œufda. Dieses Wort zu ändern sehe ich
keine Veranlassung. Warum sollte es nicht die doppelte ihm
beigelegte Bedeutung und die schwankende Quantitüt des « ge-
habt haben, zumal in dem Munde von Barbaren? Nur glaube
ich um des Metrums willen ngóg duídu setzen zu müssen. Der
Herold ruft den Chor in seinem ersten Zuruf ,auf's Schiff",
in seinem zweiten ,zum Kahn", als dem ersten Schritt zur
Ueberfahrt. |
Das folgende Strophenpaar umfaßt die VV. 856—865 und
866—877. Die Analogie der übrigen Strophen und die Ge-
pflogenheit der gesammten griechischen 'Tragódie in solchen kom-
matischen Gesängen, wo Chor und Schauspieler zu einer
Strophe mitwirken, läßt erwarten, daß die Partie des Herolds
am Schluß der Strophe stehe, nicht aber in deren Mitte falle.
Die meisten Herausgeber aber haben, die Worte irrig deutend,
die Rede des Herolds mitten hinein in den Gesang des Chores
(oder der Halbchöre) gestellt Hartung jedoch hat dem He-
rold nur die letzten Worte jeder Strophe zugetheilt, und eine
genaue Erwägung des Sinnes giebt ihm Recht. Wie man sich
die Vertheilung der einzelnen x&Au des Chorgesanges unter ein-
zelne Choreuten, (oder Gruppen, oder Halbchöre) zu denken
habe, läßt sich mit Bestimmtheit nicht nachweisen; anzunehmen
ist jedoch, daß dabei die größte Mannigfaltigkeit angewendet
worden sei, daß z. B. Ausrufe, wie oloi oder iov von Gruppen
oder dem ganzen Chore ausgestoBen wurden, während Drohungen
und Proteste einzelnen Choreuten zufielen. Jedenfalls ist eine
strenge Scheidung in Halbchor-Partieen abzuweisen. Denn man
muß sich die Aktion in dieser Scene äußerst lebhaft denken.
Der Chor, auf der Scene sich an die Stufen des .Altares und
an die Gótterbilder selbst anklammernd, bildete malerische Grup-
pen und war in Bewegung, um den Drohungen und Näherungs-
Versuchen des Heroldes und seiner Schergen zu widerstehen.
Den Herold läßt der Dichter es in einer unwillkürlichen Scheu
vor dem Heiligthum zuerst mit Befehlen und Drohungen ver-
40 | B. Todt,
suchen, um die Danaiden zum Aufgeben ihres Asyls zu bewe-
gen, und erst ganz zuletzt läßt er ihn zur Anwendung wirk-
licher Gewalt schreiten, weil sie nicht hören (V. 920). Ein-
zelne seiner Schergen, die doch auch nicht steif dastehen konnten,
scheinen dabei einzelne Choreuten am Fuße oder am Kleid er-
griffen, oder mit Schlingen zu fassen gesucht zu haben. Darauf
deuten die Aeußerungen von der Spinne, die heranschleicht, (V.
900) und der Natter, die in den Fuß beißt (V. 906).
Die chorische Partie der nächsten Strophe (Str. 1 bei Weck-
lein) umfaßt die Verse 856—863, und man unterscheidet deut-
lich zwei, vielleicht drei, grammatisch getrennte und mehr psy-
chologisch als logisch verbundene Perioden, weshalb ich glaube,
daß auch zwei oder drei einzelne Choreuten sie vorzutragen ge-
habt haben. Die erste Periode ist korrekt (V. 856—859 :
el?’ dva zoÀvQvtov
GAunevta rOQov
deonocio oùv ufos
youpodér® te dogs dswiov.
Desto schlimmer steht es mit den folgenden Worten :
V. 860—861: afuores ws énauldu
7 0vdovmara wire.
Das Scholion sagt yuayutvov ce xuIllw, woraus man auf alyor’
tw 0’ én’ aulda geschlossen hat. Das genügt natürlich nicht;
doch ist ein erträglicher Sinn durch die vereinten Bemühungen
von Enger, Hermann und Schwerdt gefunden. Ich lese:
aluov Yous d im aulda
708 rovmióv AHO yas.
(Die meisten neueren Herausgeber haben 2#’ Xuuàa, ich aber
halte és’ «ulda aus dem oben angegebenen Grunde fest, denn
die gleiche Verschreibung an zwei Stellen ist doch sehr un-
wahrscheinlich). Die erste Danaide hat also gesagt: „Wärest
du doch mit sammt deiner Herren Frechheit auf dem Meere um-
gekommen!* Der zweite fügt hinzu: „Vielleicht treibt dich blu-
tig zum Kahn die herankommende Landesmacht". Wenn man
nun die folgenden Worte V. 802—808:
xelsvw Bla us9£o9ai
tyag poevt T’ arav . iw lov. .
dem Herold zutheilen will, so sind die verstündlichen Worte
anm
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos Schutzflehenden. 41
unpassend und die unverständlichen uncorrigierbar. V. 362 soll
bedeuten: „Ich rathe dir, der Gewalt nachzugeben“ ; das heißen
die Worte nicht, auch darf der Herold noch nicht mit Gewalt
drohen; endlich muß man, wenn man hier schon deu Herold
| reden 1868t, einen Zwischenschrei des Chores iw iw, oder ios lov
annehmen. Die Worte gehören vielmehr noch dem Chor. wohl
einer dritten Danaide, und sind von Hartung recht wahrschein-
lich emendiert :
xelevw flag pedeotas
zloysır qorroc «rav los lev.
Sie ruft dem Herold zu: ,Ich rathe dir, von Gewalt abzulassen
und des Sinnes Verblendung zu zähmen“. Wenn das Scholion
sagt: rz» émdvulur Tyug einer, tiv urnr 156 posro:, 80 hat der
Schreiber desselben wohl irrthümlich die noch einmal daneben
stehende Erklärung #m9vufa auf das verderbte Wort yag be-
zogen, während £»Jvuía nichts sein wollte, als eine Erklärung
zu ggevög atny. In fyag eine Glosse zu suchen, wie A/yag oder
yMyag mit Lobeck, dürfte vergeblich sein. Es ist verderbt,
und war dies schon, als jenes zweite Scholion geschrieben wurde.
Ob hinter den Worten id lov, welche ich mit Hartung vorläufig
als Zoo iov annehme, nicht doch etwas anderes steckt, muß ich
dahin gestellt sein lassen. — Erst jetzt tritt der Herold ein
mit dem wiederholten Befehl V. 864:
sip’? Edguva xt? dg door.
Diese Worte sind korrekt, aber der nüchste Vers ist wieder ver-
unstaltet :
arte ava nohw evoefu.
Man hat hier anstatt des unmüglichen eboef iv längst evoeBety
gesetzt, aber da man an Aw mit Beziehung auf Argos fest-
hielt, blieb der Sinn unverstanden. Fruchtbar ist nur der Vor-
schlag von Weil «ra nodw êuuvr n&Àw evosBeir, insofern er na-
lv hinzusetzt und das „wieder fromm sein“ auf die Aegyptischen
Götter bezieht. Mir scheint, der Herold begründe seine Auffor-
derung, diesen argivischen Altar zu verlassen, höhnisch mit einem
Zusatze, welcher sie auf die Verehrung der heimischen Götter
hinweist. Hieraus ergiebt sich mir die Vermuthung für V. 865
us © ab t&wralw eboeßeiv, „genug, wenn du an den früheren
Heiligthümern fromm bist". Und daß in der Hindeutung auf
Aegypten vom Herold ruAır gebraucht sei, geht mit annähernder.
42 | | B. Todt,
Gewißheit daraus hervor, daß der Chor in seiner Gegenrede
V. 866 eben dieses n«Aıw aufnimmt.
In der Gegenstrophe (Ant. 1 bei Wecklein, V. 866—879
ist der Gedankengang der chorischen Partie ganz klar. Sie
gliedert sich ebenfalls in drei Perioden, von denen die erste
wieder korrekt überliefert ist, (weshalb ich sie nicht herschreibe).
Diese sagt (V. 866--869): „Nie will ich den nährenden Strom,
den Nil, wiedersehen“, In der zweiten macht der Chor sein
uraltes und so eben neu anerkanntes Bürgerrecht in Argos gel-
tend, und folgert daraus seine Befugniß, an diesen Stufen zu
sitzen. Die Worte lauten V. 870 —871:
aysiog éyw Badvyatos
Butoelas Batostacs yégov.
Es ist mir kein Zweifel, daß in der Lesart «“yeiog richtig von
Bothe ’Aoystos entdeckt worden ist. Die Maskulinarform darf,
wie auch Weil bemerkt, nicht auffallen. Ob durch die Ditto-
graphie f«3getus noch etwas mehr verdrängt sei als &yw oder
xaréyw, muß dahin gestellt bleiben. Ueberhaupt darf man nicht
sagen wollen, daß die Worte völlig hergestellt seien, aber sie
geben in folgender Fassung:
"Aoysiog ty Badvyuios
Ba39stag xaréyw, y&gov,
einen gesunden Sinn, mit dem man sich vorlüufig begnügen
muB. In der dritten Periode (V. 872—875) sind zwei Ditto-
graphieen, vo? und fix; im Uebrigen ist das Metrum zwar nicht
restituiert, aber der Sinn klar und richtig. Die dritte Danaide
(oder Gruppe) sagt zum Herold: „Du aber wirst bald im Schiff
abfahren, wollend oder nicht, vor der Uebermacht“. Daß dieser
Sinn in den, wie gesagt, schwerlich ganz korrekten Worte où 0”
lv val Pace ruya 9£Asog &96Acog Bla noAÀg liegt, ist mir un-
zweifelhaft. Es folgt V.875—877 der Schluß der Gegenstrophe
mit den Worten des Herolds. Dieser wiederholt sein Dekret,
den Altar zu verlassen, fiigt aber zum erstenmal eine Drohung
von Thätlichkeiten hinzu. Die handschriftliche Lesart goovda
Bareus Baduì tooxarama9ddiv diouevar noÀapatg ist in ihrem
ersten Verse von Enger richtig, auch metrisch entsprechend,
restituirt :
yoovda Barca Basuldwv
recedendum est a gradibus, ganz im Tone eines befehlenden
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos' Schutzflehenden. 43
Schergen. Aber der Rest sieht noch übel aus; die Verlegenheit
hat Vorschläge sonderbarer Bildung entstehen lassen, z. B. x90-
xaxa. Daß man nudauors festhalten müsse, geht aus V. 879
duonaieuws 04010 hervor, in welchen Worten der Chor eben den
Begriff zuluuaıs aufnimmt ; das óÀousrva: unseres Verses hat
man als eine verderbte Interlinearinterpretation zu 0400 zu be-
seitigen. In zgoxuxonudeiv mag sich soir xuronadeir, was ver-
schiedene Gelehrte empfohlen haben, verbergen, jedenfalls genügt
noir xuxomadeir nulummg £uuisg dem Sinne. Nur ist xuxo-
#udety kein poetisches Wort, sondern sieht einem Glossem sehr
ähnlich und stimmt auch metrisch nicht mit der Strophe. Si-
chere Vorschläge können nicht gemacht werden, doch würden
noir oluwtas oder auch 790 100 xAuvca, dem Metrum und auch
dem Stil entsprechen. Von dem zgo (rgo) der Handschrift habe
ich eigentlich den Eindruck der Echtheit.
In dem folgenden Strophenpaar (Weckleins Str. 2) V. 878
—886 und V. 887—895 gehen die Reden des Herolds in Tri-
meter über, und die chorischen Partieen bestehen je nur aus
einer Periode. Die Strophe des Chores V. 878 — 883 beginnt
mit einem nach der Androhung von Thätlichkeiten ganz be-
rechtigten Angstschrei ai«i alai, (wohl des vollen Chores), wor-
auf dann die (wohl von einem einzelnen Choreuten vorgetrage-
nen) Verwünschung folgt, daß der Herold ans Sarpedonische
Grabmal verschlagen umkommen möge. Der Text ist leidlich
korrekt. V. 879 ist die von Paley gefundene folgernde Par-
tikel rofyag für xai y«g durchaus nothwendig: „weil du mit
nade wats drohst, darum mögest du dvonaléuws umkommen“.
Außerdem sind die Korrekturen von Emperius zoAuyuuuor
für noAvpanuusor V. 882 und ovgí«g für edgetass V. 883 an-
nähernd gewiß, nun schriebe man das letztere Wort wohl lieber
ovolascıu uvgu; Statt ovolug èv uvonis. Außerdem ist V. 881
xetà Sagnydovoy unmetrisch, und auch für den Sinn ist xara
nicht das rechte Wort, denn nicht „in die Gegend“ des
Grabmals, sondern „an dasselbe“ soll der Herold verschlagen
werden; also dürfte neög Zaonndomor ywua zu lesen sein. —
Von den drei Versen des Herolds ist. der dritte V. 886 ent-
stellt; doch genügen die Vorschläge von Hermann und Weil
dem Sinne, welcher ziemlich leicht erkenntlich ist. — Die cho-
rische Partie in der Gegenstrophe ist stark verderbt, doch, wie
44 B. Todt,
ich glaube, herstellbar. Ich nehme V. 888 das von Vielen ge-
billigte Avu«g eic, welches Dindorf aus den Scholien hergestellt,
auf, vermuthe nach eben demselben Scholion vie zov» AI-
yurılwr, daß in der Lesart mgd yág sich mQ0 yévovg ver-
berge, eigne mir V. 889 Kruse's neolxouna für negsyauııra
an, und glaube in demselben Verse in Pouxbeus als das richtige
Wort pAivaoesîs zu erkennen. Endlich ist mir sehr wahr-
scheinlich, daß in oc éowräç V. 890, was ganz sinnlos ist, ein-
fach evowrag steckt als Epitheton zu Neîdos. Der Dichter
durfte sich den adjectivischen Gebrauch dieser seinem Publikum
nicht mißverständlichen Wortbildung ebenso leicht gestatten, als
dieselbe von spüteren Abschreibern verkannt und verschrieben
werden konnte. "Yßoıv ist natürlich Glossem zu wsfyfCovra. So
ergiebt sich die dem Sinne und dem Metrum vollkommen ent-
sprechende Gegenstrophe ;
oloi oloi*
Avpus &lg nod yévous tlaoxwy
meglxouna gàvagtig*
eügutag d àó uéyuç
Neilog vfoilovta 0’ amorgt-
wesev els asOTor.
Die mehr Entrüstung als Schreck und Angst ausdrückende In-
terjection oloi ist hier ganz angebracht, nachdem der Chor die
letzten mit renommistischer Sicherheit ausgestoßenen Worte des
Herolds vernommen hat. Auf dessen Prahlerei geht denn auch
der ganze nächste Gedanke: „Du, der Eine, bellst Schmähun-
gen an Stelle der Sippe, und faselst Prahlereien“. Das aber
ist nicht im Geiste des „großen schönfließenden Nil“, eines
Gottes, gehandelt; „möge er dich, den Frevelnden, nicht in der
Heimath landen lassen, sondern ins Unsichtbare abtreiben“. —
In V. 895, dem dritten Trimeter des Herolds, dürfte «urn an-
statt ouros zu lesen sein:
0Àx] yàg avin nAoxauor ovdap alerar.
Hiermit lasse ich zunüchst von diesem Chorliede ab.
19. V. 953 £: Ba. rosade dnmongaxıog ix modews uta
wügog xExgavıas, umor’ Exdouvas Bla
GIOdoOv yuvasxiiv.
In diesen Worten ist mir nicht dguómQaxrog anstößig, wie
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 45
Hartung, wohl aber 2x nolswç und pla w7qoc. "Ex nolswç im
Sinne von publice ist mir überhaupt befremdlich, jedenfalls ist
diese Phrase neben dnuungaxıog überflüssig. Und zaude dy-
ponguxiog pla wipog ist griechisch schwerlich möglich. Die
Einstimmigkeit des Volksbeschlusses sollte hervorgehoben
werden; ich vermuthe, daß der Dichter schrieb:
rosude Onucnguxtog dx yv unc Meas
yrgoc xexgavrus.
90. Die Schlußworte der Rede des Königs sind V. 976:
tl rud? xugiwrigovg pévecc;
d. h.: „Wozu erwartest du noch festere Bürgschaften als die
Genannten ?“ als ob die Danaiden überhaupt wirklich auf eine
Bürgschaft warteten! Der Sinn ist: „Ich und die zustimmenden
Bürger gewähren dir Schutz, und es giebt nichts, was größere
Sicherheit bieten könnte“. Es muß heißen:
tl tds xvguuregov utvelc ;
91. In der ersten Hälfte der Anapüsten von V. 977 an
hat wohl Heimsoeth recht gesehen, daß V, 982 hinter vate
stark zu interpungieren, und dann mit xs, anstatt x«f, fortzu-
fahren ist. Ich füge hinzu, daß anstatt des folgenden Wortes
1020; zu setzen ist mods:
xel nos evpowr, nüg ug Entıneiv
woyor aAAoFg00ıgG
evruxog* ein dé ta Agora.
Tono; kann doch die Gesammtheit der Bürger im Gegensatz zu
den Einzelnen nicht ausdrücken. Um diesen Gegensatz handelt
es sich hier aber. Der Chor sagt: „Ich möchte ohne des Vaters
Rath die Wahl der Wohnung nicht treffen. Denn wenn auch
die Stadt als Ganzes wohl gesinnt ist, so ist doch jeder Ein-
zelne geneigt, Andersredenden Tadel nachzusagen". Tomos ist
Interlinearglossem zu 704.
22. Ueber die anapüstischen Systeme V. 977—990 sind
die Ansichten überhaupt noch sehr schwankend. Zwar, daß sie
dem Chor allein gebühren, ist seit Klausen, und daß sie in
System und Gegensystem zerfallen, seit Wellauer und Her-
mann herrschende Ansicht. Demgemäß nimmt man im Gegen-
system eine Lücke von 3 Versen an. Ob aber nicht noch mehr
ausgefallen sei, namentlich ein Schlußwort des Königs zwischen
46 B. Todt,
beiden Systemen, darüber herrscht noch Ungewifheit. Har-
tung sagt hierüber mit einer bei ihm seltenen Unentschieden-
heit: „Nach der ersten Anapästengruppe kann der König ein
paar Trimeter erwidert haben, oder auch nicht. Dann muß
er sogleich abgegangen sein", Mir ist gar kein Zweifel, daß
der Kónig zwischen beiden anapüstischen Systemen einige, wahr-
scheinlich 4, Trimeter gesprochen haben muß, ehe er abging.
Er kann nicht abtreten wie ein Statist, nicht verschwinden wie
die Katze vom Taubenschlag, das wäre ganz gegen den Stil der
Tragódie. Er kann zumal die Bitte des Chores, ihnen den Vater
zu Schicken, nicht unbeantwortet lassen. Er muB dem Chore
sagen, daß Danaos bereits auf dem Wege zu ihm sei, und wohl
auch, daß er selbst nach Argos gehe und den Chor dort erwarte.
Man mache sich nur die dramaturgische Situation klar,
und erwäge, daß derartige anapästische Systeme mit ihrem
Marschrhythmus in der Regel Bewegungen des Chores oder
der Schauspieler begleiten") Nun’ befindet der Chor V. 976
bei dem Schlusse der Rede des Königs sich noch auf der Scene
an dem Gesammtaltar. Nach den beruhigenden Worten des
Königs steigt der Chor von seinem Asyl auf die freie Wiese,
d. h. von der Scene in die Orchestra hinab ; dies geschieht wäh-
rend des ersten anapästischen Systems V. 977—985. (Hierin
ist noch eine Korrektur vorzunehmen. Das System nämlich
gliedert sich in zwei Perioden, von denen die erste V. 980—981
mit einem Parómiakos schließen sollte. Ein Parömiakos steht
&uch im Gegensystem am entsprechenden Ort V. 987, nümlich
Bate Auwv Ev ywow, was jedenfalls Buses Auw» évi ywow heißen
muß, leider aber von Hermann in @uSe haw» tuv eyywowy ge-
ündert worden ist, um den Vers in Uebereinstimmung mit dem
strophischen zu setzen:
davaor, ng0v00v x«i Bovdugyor.
Aber vielmehr dieser Vers war zu korrigieren, denn erstens
ist mgovoor kein Substantiv und zweitens ist #porooy xai Bov-
1) Für die folgenden Ausführungen sei bemerkt, daß ich den
Aufsatz von v. Wilamowitz-Móllendorff im 21. Bd. des Hermes über
die Bühne des Aeschylos wohl kenne, seine Ansichten aber in Betreff
des Logeion mitten in der Orchestra mit den Zuschauern rings herum
nicht theilen kann, insbesondere auch nicht für die Schutzflehenden.
Das bedarf aber einer eigenen Untersuchung.
| "cmm
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 47
Augyor eine leidige Tautologie. Der Vers, welcher, wie gesagt.
ein Parömiakos sein muß, hat gelantet
duvnov, ngóvoov ot1acíagyor, |
„den versorgenden Anführer“. Ueber or«cí(ugyov hatte Jemand.
aus V. 12 xai BovAagyor geschrieben, und diese Beischrift hatte
das echte Wort verdrängt). — Nachdem der Chor in der Or-
chestra angelangt ist, spricht der König seine Abschiedsworte,
deren ohngeführer Inhalt oben bereits angegeben ist. Dann geht
er ab, während der Chor das anapüstische Gegensystem beginnt.
Ob der Weg nach Argos in diesem Stücke durch die rechte
Nebenthür oder den Ausgang neben der Parodos führte, läßt
sich mit Bestimmtheit nicht sagen. Wahrscheinlich jedoch ist
das erstere der Fall. Denn sowohl der Kónig als auch Danaos,
wenn sie von Argos kommen, erscheinen jedesmal plötzlich und
unvorhergesehen (außer von der Warte aus) in der Nähe des
Altares. Insbesondere an unserer Stelle würde der König, wenn
er den ganzen Weg bis zur rechten Parodos auf der Scene zu-
rücklegen müßte, mit seinen Begleitern dem Danaos und dessen
Begleitern begegnen, was schwer ausführbar wäre. Also wird
wohl der Kónig mit wenig Schritten durch die rechte Neben-
thür abgegangen, und gleich nach ihm Danaos durch eben die-
selbe Thür eingetreten sein. Dazu paßt auch die Kürze des
anapästischen Gegen-Systems. — Dieses System entsprach also
dem ersten, es fehlen ihm drei Verse, und wo sie fehlen, das
zeigt die Stelle des Parömiakos V. 980—981 und V. 987, wo-
durch beide Systeme in je 2 Perioden von je 4 Versen zerlegt
werden. Also sind vor V. 986 zwei anapüstische Dimeter
ausgefalen, und nach V. 987 ein solcher. Der Inhalt auch
dieser ausgefallenen Verse ist mit Sicherheit zu errathen. Der
Chor fürchtete V. 983—995 die bösen Zungen der Eingebo-
renen. Als nun der König abgeht, kann der Chor kaum etwas
anderes in den beiden verlorenen Versen sagen als: ,, Wohlauf
denn, nach Argos, in die neue Heimath! Geschehe es’ — und
dann weiter: |
Evy evxdela xai Gunvlro
Puke Auwv dri wow.
Hier, nach dem Parömiakos, muß voll interpungiert werden; es
ist offenbar sinnlos, die beiden eben angeführten Verse mit dem
in der Handschrift folgenden V. 988 r460t096 x. v. À. gram-
48 B. Todt,
matisch zu verbinden; denn was in aller Welt kónnte die bó-
seste Zunge daran zu tadeln finden, daß sich die Zofen in der-
-selben Ordnung aufstellen, wie ihre Fräulein? Es ist eben
nach V. 987 noch ein Dimeter ausgefallen, des Inhalts: „für
den Einzug in Argos aber“:
100608098, pllur duwldes, ourwg x. T. À.
23. Das Auszugslied des Chores ist ebenfalls noch
ein Problem der Kritik; bis in die neuesten Ausgaben von Weil
und Kirchhoff geht die Unsicherheit, und die Aufzählung der
Ansichten über die Komposition des Chores und die Vertheilung
der Strophen füllt bei Wecklein mehr als eine ganze Seite.
Die Fragen, die in Betracht kommen, sind mannigfaltig. Bilden
die Dienerinnen einen eigenen Chor? Singen sie mit? Singen
sie nach? Was und wie viel singen sie? Wie viele singen ?
u. s. w. Ich gestatte mir, aus den Worten der Tragödie, der
Sachlage und der Gewohnheit des Tragikers das Mögliche und
Wahrscheinliche zu erschließen. |
Zunächst nehme ich es als sicher an, daß der eigent-
liche Chor der Tragödie aus 12, nicht aus 15 Personen be-
stand. Die Zahl 12, die ja für Aeschylos im Leben des So-
phokles überliefert ist, ist speciell für sein letztes Werk, die
Orestie, durch jene Stelle des Agamemnon V. 1847 ff. , wo
der Koryphüos sagt, GAAd& xouwwouueS, avógsg (sic), dopadf
Bovdevuara, und dann 11 Choreuten ihre Meinung abgeben,
worauf der Koryphäos als zwölfter (ravrg» Zuaweiv mavrodev
ninFuvouur V. 1369) resumiert, unwidersprechlich festgestellt.
Das Scholion zu Ag. V. 1347 enthält nur die ästhetische An-
sicht des von der Annahme der 15 Choreuten ausgehenden al-
ten Erklärers, und darf ebensowenig wie Schol. Eum. 587 als
gültiges Zeugniß angenommen werden. Vergl. Wecklein Neue
Jahrb. für Phil Suppl XIII S. 217. Was aber von seinem
letzten Werke gilt, wird auch von diesem viel früher abge-
faßten anzunehmen sein. Der eigentliche Chor bestand also aus
12 Personen und zwar nur aus den Töchtern des Danaos, denn
alles bisher Gesungene und Gesprochene geht nur auf sie und
paßt nur für sie, es ist unzulässig anzunehmen, wie auch ge-
schehen ist, daß er aus 6 oder 9 Danaiden und 6 Dienerinnen
zusammengesetzt sei. (Hartung freilich, wie er den Chor der
Eumeniden auf 3 Personen beschränkte, nahm hier um der Sage
psum
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos Schutzflehenden. 49
gerecht zu werden 50 Danaiden und 50 Dienerinnen an — eine
Verkennung des idealen Rechtes der Bühne und ihrer festen
Normen) Dennoch sind die Dienerinnen vorhanden, sie werden
V. 965 zuerst vom Könige erwähnt, sie werden V. 989 aufge-
fordert, sich zu reihen und V. 1033 „die Weise aufzunehmen",
sie sind nicht bloße Statisten, wie die Speertrüger des Königs
und des Danaos und die Schergen des Herolds, sondern sie
agiren, wenn auch in bescheidener Weise, mit. Wir müssen
also einen singenden Nebenchor annehmen, wie ein sol-
cher in den Eumeniden am Schlusse erscheint. Während
sich aber in den Eumeniden der Punkt ganz genau angeben
läßt, wo die zeonouno, aus dem Tempel der Athene hervortre-
tend erscheinen, müssen in unserem Stücke die pfias onaovec
bereits da sein, als sie V. 965 zum erstenmal vom Könige er-
wühnt werden, und im ganzen Stück ist kein Punkt zu finden,
wo sie auftreten könnten. Die Dienerinnen müssen also gleich
Anfangs mit oder hinter dem Chor der Danaiden, (vielleicht mit
einigem Theater - Gepäck von Kleidern und Schmuck belastet)
eingezogen sein, dann aber stumm in der Orchestra, etwa zur
Seite der Stufen, die zur Scene führten, oder vielleicht auf den-
selben, Platz genommen haben und in dieser Situation bis zum
Schlußliede verharrt sein. Dies entspricht der socialen Stellung
der Dienerinnen, — ibr Schicksal hängt von demjenigen ihrer
Herrionen ab, — und die Zuschauer werden durch die ruhig
dastehenden oder dasitzenden Gestalten weder zerstreut noch in-
teressiert worden sein. Fragt man aber nach der künstleri-
schen Absicht, welche der Dichter bei der Einführung dieser
und anderer Nebenchöre gehabt habe, so ist die eine Absicht
augenfällig, nämlich den Schlußpartieen der Tragödien mehr
Glanz und Effekt zu geben. Es scheint dieser Gebrauch jedoch
auch mit dem ganzen System der Aeschyleischen
Dramaturgie zusammen zu hängen; doch meine Ansicht
hierüber aussprechen, muß ich mir auf ein andermal aufsparen.
Um nun über die Gliederung unseres Auszugsliedes festen
Boden zu gewinnen, muß man sich über die Bedeutung der
Worte V. 988 ff.:
ra 006096, gíAos duwides, oùrwç
ws dg! Exaoın diexdriowoev
Aavaòs Fsoarorilda peovnv
Philologus. N.F. Bd. II, 1. 4
50 | |. BP. Todt,
verständigen. Es könnte in diesen Worten gesagt sein sollen:
„Stellt euch eine jede zu jeder von uns, wie ihr uns zugeloost
seid“. Dann würde man aber doch eine andere Wortstellung
erwarten, nämlich «002098 iq! Exiorn ovrws, ws x. r. À, und,
was die Hauptsache ist, diese Deutung würde eine in der Tra-
gödie unerhörte Neuerung bedingen. Nämlich der singende Chor
der Danaiden würde den Nebenchor der Dienerinnen in sich
aufnehmen und beide Chöre sich zu einem Doppelchor von
24 Personen vereinigen. Aus diesen beiden Gründen hat man
die oben angeführten Worte zu erklären: „Stellt euch in der-
selben Ordnung wie wir uns stellen“. Es bleiben also zwei
Chöre; die Führerin des zweiten Chores ist die Dienerin der
Führerin des Hauptchores u. s. w.
Um nun die Frage zu entscheiden, wie sich das Lied unter
die Chöre vertheile, haben wir als Ausgangsbasis nur die Worte
in der ersten Strophe desselben V. 1033: unodéEucte d' önadei
péioc. Diese Worte bedeuten in jedem Falle: ,,Nehmet das
Lied auf nach uns“, wenn wir gesungen haben. Aber dieses
„Nachsingen“ kann verschieden sein, nämlich eine Wieder-
holung des Gesungenen, oder ein Weitersingen. Die erstere
Art des Nachsingens ergiebt sich aber sofort als unmöglich, wenn
wir das erste Strophenpaar V. 1029—1036 und 1037—1044
nach Form und Inhalt betrachten. Da finden wir kein Glied,
welches sich als zur Wiederholung bestimmt kennzeichnete, kein
Epiphonem, keinen Refrain. Beide Strophen zerfallen durch eine
starke Interpunktion in je zwei dem Umfange nach ziemlich
gleiche, inhaltlich streng geschiedene Perioden. Die zweite Pe-
riode von Str. 1 beginnt eben V. 1033 mit den angeführten
Worten vzodf£ac9s d’onadoi utdog; diese Worte können doch
die omadot unmöglich wiederholen, das wäre einfach lächerlich,
also können sie weder die zweite Periode noch die ganze erste
Strophe wiederholen. Vielleicht aber die erste Periode allein
von V. 1029 — 1032 ? Auch diese nicht; denn sie enthält
die ganz allgemein gehaltene befehlende Aufforderung, nicht
mehr die Aegyptischen, sondern die argivischen Gottheiten zu
verehren, sie ist an die Danaiden und die Dienerinnen ge-
richtet und kann in dieser Form von Gehorchenden nicht wie-
derholt werden, sondern der Imperativ müßte in die 1 pers. pl.
conj. übergehen. Ferner beginnt die Gegenstrophe V. 1037
rt
LU
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 51
mitten im grammatischen Satz mit dem Object rorauovc
dé, wozu man das regierende Verbum oéSwuev aus dem unmit-
telbar vorhergehenden strophischen Verse bei un mittelbarem
Anschluß sehr gut ergänzen kann, nicht aber, wenn sich
die Wiederholung der ersten Periode der Strophe dazwischen
schiebt. Hiermit ist das „Nachsingen“ als Wiederholung des
Gehörten ausgeschlossen, und es bleibt nur das „Weitersingen“
des Liedes durch die Dienerinnen übrig. Also hat Kirchhoff,
und, soviel ich weiß, er allein, die Sache richtig bezeichnet, in-
dem er das zweite Strophenpaar den Dienerinnen zutheilte.
Dies wird durch eine Betrachtung des Inhaltes lediglich be-
stätigt. Dieses Strophenpaar nämlich V. 1045—1053 u. 1054
stellt sich in einen entschiedenen Gegensatz gegen
den Geist und die Gesinnung der Danaiden, wie sie sich bisher
von Anfang an gezeigt haben. Sprödigkeit und Eheflucht, zwar
zunächst in Betreff ihrer Vettern, aber auch im Allgemeinen,
athmen alle Gesänge des eigentlichen Chores, nirgends findet
sich eine Einschränkung, oder der Ausdruck eines weicheren
Gefühles in Betreff der Liebe und Ehe. Die Antistr. 1 schließt
mit einem Appell an das Mitleid der keuschen Artemis, und den
Worten und’ un’ avuyxac yauos 590i Kudegelac orvyegov nées
100° «FAov. (So lese ich mit Dindorf und Anderen die letzten
Worte, statt der handschriftlichen Lesart oruyssov nélos Wenn
man mit Weil für yauoc, welches Wort ein Glossem sei, réloç
KvBeostag setzt, so ist das für den Sinn dasselbe, gemeint ist
eben der yœuoçs). Diese Worte drücken einen entschiedenen
Widerwillen gegen die Ehe aus, selbst wenn man tn’ dv«yxag
premirt: „Dieses Kampfspiel («34ov kann doch hier sonst nichts
heißen) ist verhaßt; möge es mir nie aufgezwungen werden". —
An dieses Stichwort yanog Kvd3eoetas direkt anknüpfend mit
Kunoldos 0° oix ausi preist nun das zweite Strophenpaar
die Macht, das Werk und den Reiz der Aphrodite, warnt vor
der Flucht vor ihr und stellt die Ehe als das unentrinnbare
Frauenloos, auch der Danaiden, hin. Es ist ganz unmüglich,
diesen Gedankengang den Danaiden selbst in den Mund zu le-
gen, zumal da in Str. 3 V. 1063 wieder ein ganz energischer
Protest dagegen erfolgt. Selbst wenn man annehmen wollte,
daß hier die ersten Spuren einer andern Meinung, wie sie in
dem folgenden Stücke in der Person Hypermnestra's (und
4 *
a JG 8 _V SEE, oa
52 B. Todt,
auch wohl Ámymone's in dem gleichnamigen Satyrspiel)
dramatisch wirksam wurde, angedeutet werden sollten, so müßte
dies einerseits deutlicher, andererseits schüchterner geschehen.
Es ist nur anzunehmen, daß eben andere Mädchen, als die
Danaiden, anderer Meinung sind, wie diese, daß also beide
Strophen den Dienerinnen gehören. Diese, der Aufforderung
„die Weise aufzunehmen" folgend, führen sich nun in die Aktion -
ein, indem sie sich als einen „wohlgesinnten Schwarm" bezeichnen.
Die seit langem gemachte Emendation éouoc für Fecuog V. 1045
ist unzweifelhaft richtig, und der Vers ist mit Weil zu lesen
Kvretdos 0° ovx ausing écuog Od’ evpowr.
(Die Versuche 3eouóc zu halten, sind verunglückt. Am besten
findet sich noch Hartung damit ab, indem er schreibt Kunoldos
doux duel Feopor, 05 eupowr. Aber evpgwy ist doch nicht
der richtige Gegensate zu tn’ avayxas). Einen écuog nennen
auch die Danaiden selbst sich V. 234, eine ungeordnete, von
der Führung ihres Weisels abhängige Schaar; evpgwy aber heißt
dieser Schwarm, weil die Dienerinnen wirklich zum Besten zu
rathen meinen. Im übrigen ist das Strophenpaar fast ganz kor-
rekt überliefert (nur V. 1042 wird mit Hartung wedugoi rgíflo,
zu lesen sein). Insbesondere lasse man den Anfang der Gegen-
strophe V. 1054 unangefochten. Er lautet: gpuyudecow d’ êm-
nvoí(ag . .... noopofovuus. (eigentlich freilich hat der Kodex
guyades d° Enınvola, aber die gemachten Aenderungen sind si-
chere Korrekturen) Der Ausdruck ist absichtlich allgemein ge-
halten, natürlich mit deutlicher Anwendbarkeit auf den Fall der
Danaiden: „Wer sich aber ihrer, Aphroditens, Macht durch
Flucht zu entziehen sucht, den trifft, wie ich fürchte, das Wehen
ihres Zornes, Leid und blutiger Kampf“. Beweis dafür ist in
diesem Falle die günstige schnelle Fahrt der Aegyptossöhne.
Fragen wir nunmehr nach dem ‘Wie@’ des Vortrages, so
deutet alles auf den Gesang Einzelner hin. Unzweifelhaft
und allgemein anerkannt ist, daß die 3. Strophe und Antistrophe
ein Wechselgespräch einzelner Personen ist, und daraus kann
man schon auf die gleiche Vortragsweise der in demselben ioni-
schen Metrum gedichteten beiden ersten Strophenpaare schließen,
Aber auch die Betrachtung des Inhaltes führt zu demselben
Schluß. Während nämlich das trochäische vierte Stro-
phenpaar ein Gebet enthält und als durchaus melische Kompo-
pu
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 53
sition für den vollen Chorgesang bestimmt erscheiut, so enthalten
die beiden ersten Strophenpaare Aufforderungen und Erórte-
rungen mehr rüsonierender als lyrischer Art, die sich dem vollen
Chorgesange schlecht anpassen lassen. Müssen wir aber Solisten-
Vorträge annehmen, so ergiebt sich auch aus der Gliederung
der beiden ersten Strophenpaare in je zwei fast ganz gleich um-
fangreiche, dem Inhalt nach aber streng geschiedene Perioden,
mit großer Wahrscheinlichkeit, daß die beiden Halbchorführer
jedes Chores abwechselnd je eine Periode sangen. In dem
zweiten Strophenpaare findet sich freilich noch in jeder der bei-
den Perioden an derselben Stelle des Verses eine starke Inter-
punktion, aber es ist mir unwahrscheinlich, daß dabei auch ein
Personenwechsel stattgefunden habe, weil die Gedanken trotz
dieser letzteren Interpunktion in engem Zusammenhange stehen.
Die 4 Perioden des zweiten Strophenpaares drücken aus: 1) Ehre
und Macht der Aphrodite; 2) ihre Begleitung und ihren Reiz;
3) die Gefahren derjenigen, die sich ihrer Macht entziehen; 4)
Zeus Schicksalswillen, dem sich auch die Danaiden werden un-
terwerfen müssen. Hiernach ist mir folgende Gliederung des
Vortrages sehr wahrscheinlich :
Str. I V. 1029—1032 Chor der Danaiden. 1. Halbchorführerin.
V. 1038 — 1036 , 2. s
Ant. I V. 1037—1040 " l. n
V.1041— 1044 n 2. »
Str. II V. 1045—1048 Chor der Dienerinnen 1. Halbchorführerin.
V.1049—1053 " 2. »
Ant. II V.1054— 1057 " 1. »
V. 1058— 1062 n 2. »
Von dem dritten Strophenpaare V. 1063—1072 habe ich in
allen Ausgaben und Uebersetzungen den Eindruck, als sei der
Dichter bisher noch unverstanden. Auch Kirchhoff vertheilt
diese Verse unrichtig. Allerdings sind die einzelnen Sentenzen
s kurz und so pointirt, und es ist dabei so viel zwischen den
Zeilen zu lesen, daß es begreiflich ist, wie man den Sinn ver-
kennen konnte.
Es ist ein Zwiegesprüch zwischen einer Danaide und einer
Zofe, also wohl den beiden Chorführerinnen. Der am SchluB-
von Ant. 2 ausgesprochene Gedanke, daß die Ehe schließlich
auch der Danaiden Lebensloos, wie so vieler früherer Frauen,
54 B. Todt,
sein könne, empört die Danaiden, und die Führerin ruft aus
V. 1063 —1064 :
0 uéyas Zevc anaréEor
y&pov Alyvnroyevi uos.
Darauf folgen die Worte:
T0 ui» av ffArarov ein,
welche von einigen Uebersetzern und Herausgebern noch der
Danaide gegeben werden. Das ist unmöglich. In dem Munde
eben derselben Person, welche dies Gebet zum höchsten Zeus
gesendet, ist der Gedanke, daß das eben erbetene Loos das
beste sei, pleonastisch, das concessive uèv aber unverständlich.
Die Worte gehören vielmehr der Dienerin, welche zwar in
dem Wunsche, den Aegyptiaden entgehen, mit der Herrin sym-
pathisiert, aber weiter denkt, als sie. „Das wäre freilich wohl
das Beste‘ sagt sie, und dazu entnimmt man aus der zweiten
Hälfte der 2. Gegenstrophe den ergänzenden Gedanken: „Ob
aber dieses beste Loos nach dem Willen des Zeus auch dein
Loos sein werde, ist ungewiß, und darum ist es räthlich, sich
auch auf das gewöhnliche Frauenloos, die Ehe, gefaßt zu ma-
chen“. Nun folgen V. 1066 die schwierigen Worte:
où di Jélyou Av à3tAxrov,
von denen mir noch keine irgend verstündliche Erklürung zu
Gesicht gekommen ist. Sie heißen doch auf deutsch: „Du aber
dürftest einen Unerweichlichen erweichen“. Wenn diese Worte
von der Dienerin zur Danaide gesagt werden, wer soll
der „Unerweichliche“ sein? Zeus? oder der ägyptische Bräuti-
gam? Das geht nicht. Die Worte sind der Danaide in
den Mund zu legen, und enthalten die Antwort auf die in der
zweiten Gegenstrophe und im vorhergehenden Vers 1065 insi-
nuirte Ermahnung, nachgiebig zu sein. Sie bedeuten „Du dürf-
test eine Unerweichliche zu erweichen versuchen“ (I&yoıs av de
conatu gefaßt), d.h. „Du bemühst dich vergebens, mich mit dem
Gedanken an die Ehe zu versöhnen, ich bleibe bei meiner Ge-
sinnung". Hierauf antwortet dann die Dienerin V. 1067:
ov dé y” oùx olode 10 péllor,
»Verrede es nicht zu bestimmt, du weißt nicht, was die Zu-
kunft bringt!“ — In derselben Eintheilung, wie die Strophe,
verlüuft auch die 8. Gegenstrophe V. 1068 — 1071. Die Da-
pr
Zur Erklärung und Kritik von Aeschylos’ Schutzflehenden. 55
naide muf auf die vorhergehenden Worte der Dienerin be-
kennen, daß sie allerdings die Zukunft zu durchschauen nicht
vermag :
tl dì uéllw goéva Atav
xadoour, Ow afvocar;
woraus die Dienerin die Folgerung zieht: „Also sprich ein
maßhaltendes Gebet“, uíérgiov yovv Enog evyov. Man muß hier
your für viv schreiben. Nvv bräche die Verbindung mit dem
vorangegangenen Gedanken ab; wührend gerade aus der einge-
ráumten Unkenntniß der Zukunft die Folgerung gezogen wird,
beten dürfe man, aber, da man den Willen der Gottheit nicht
kenne, nur mit einer gewissen Einschränkung, nur ein u£rgsov
£noc. Die Berechtigung dieser Ermahnung anerkennend fragt
die Danaide dann nach diesem einschränkenden Maße, V. 1071:
Ilva xasgov ue diducxesg;
(Kasgóg ist hier, wie auch sonst z. B. Ag. V. 377 und 778 so-
viel wie „Maß und Ziel“), Und die Dienerin giebt die richtige
Grenze eines frommen Gebetes mit den Worten an:
ta Oed» undev ayulery,
welche im Scholion richtig erklärt werden: Aluv éerates». Das
Aktivum ay«Ces» kommt nur hier vor, kann aber keinen andern
Sinn haben als ‚ein «y«Lleo9u bewirken“, also „erzürnen, be-
fremden, verstimmen, reizen“. Das richtige Maß im Gebet ist
also, nicht durch Eigenwilligkeit und Besserwissen die gött-
liche Macht (rà Sewr) zu reizen, sondern sich göttlicher Weis-
heit und göttlichem Willen in Demuth zu unterwerfen.
In diesem vereinbarten Sinne wird endlich das letzte 4.
Strophenpaar vom vollen Chore gesungen. V. 1078—1084,
mit welchem die Chóre abgezogen zu sein scheinen. In der
Strophe wird der erlaubte Wunsch ausgespochen, daß Zeus die
Aegypterehe abwenden möge (V. 1073 —74 wird mit Hartung
ánoGrgéqos wos anstatt anocısgoln zu lesen sein, und V. 1077
xuraorgopav mit Hermann für xarucyeFwv). Die Gegenstrophe
enthält dann in der Parenthese den Ausdruck der Bescheidung:
10 BéAtegov xaxov, xoi 1d O(uowgov aivw, nur daß dem Recht
sein Recht werde. (Ich lese V. 1082: xai dixa dleav Exec,
den Infinitiv abhängig gedacht von dem in dem vorhergehenden
Optativ véuos liegenden Verbum des Wunsches). .
56 B. Todt, Zur Erklärung und Kritik u. s. w.
Ob während der Einzelgesänge der drei ersten Strophen-
paare die übrigen Choreuten Tanzbewegungen gemacht haben,
muß dahin gestellt bleiben; es ist aber immerhin sehr wahr-
scheinlich.
Magdeburg. B. Todt.
Emendationum ad Aristidem specimen III *).
Or. XLVI p. 339, 428 pro xadagovvres lege xata-
gov»rec. — ibid. P. 407, 516 tolle verba quae sunt 0 neg’ 176
quic elg AsAypovg dgixôpevog et scholiastis relinque. — ibid.
p. 409, 520 apparet tg’ aózo?g xai ngog avrovg (non
adrov;) scribendum esse. — ibid. p. 413, $22 ser.: énei (pro
ini) prio cogíag (pro YıAocoplg) yé poi av (pro xab) al-
Ox Qv ed un (pro xat) petny Wo TE av &ÀÀo To tor
ovrm. — ibid. p. 414, 523 legitur wu? puowueda ügcneg
àv jpegopagla, legendum esse videtur àv rz Ournoov Iso-
payla: respicit rhetor locum Iliadis XX 321 seq.
Or. XLVII p. 415, 525 pro un &yyos scr. und’ dyy vc.
— ibid. p. 410, 530 dubito num quis intellegat, quid sibi ve-
lint verba ors aAnFn slo, wiv où rv Aoywx dnnov-
Fev axovoaviec, eloi dì of Ao you: rectum restituerimus,
si pro eloi utroque loco boo ci scripserimus. — ibid. p. 428,
542 scr. dvti tov mateos &vijg 7v (pro av m).
Or. XLVIII p. 443, 560 pro ava nA£ov eig 9 £9 wo-
TEQG dpexvet scr. dvaniior. in eadem pagina vox 06a in
elocutione «42° weneg Sou founvéws 2deiro delenda est, cum Ari-
stides nusquam Philostrati consuetudinem secutus Soa eodem
sensu quo wgneg usurpaverit. — ibid. p. 472, 597 pro yor-
O&T 04 scr. yojoras. — ibid. p. 477, 605 ratio poscit, ut scri-
bamus Bog£aı Gurelpouor a végn navıun xai xivovoi:
vocula xaí cum ante xsvoves evanuisset, postea falso ante rép
inserta 7a articulum de suo loco detrusit. — ibid. p. 483, 608
ser. Mevé£Aaov» Exsice nooçoyeir (pro mgoogti»).
Or. XLIX p. 528, 669 2£ooyoüpaı cum e py particula
pendeat, in é£ogyüuars mutandum est. — ibid. p. 531, 673
scr. ofa dgaceles (pro dodosi). — ibid. p. 533, 676 scr.
éyu d° ov» (pro où), xafıoı nÀ&óvog «TA.
Or. LI p. 576, 722 pro uallov d’ ws Msloınora $ntg-
Bois» ser. wällov 9 GAhous AeAoınora va. — ibid, p. 579,
726 tov goírix« megtxoulloviag muta in Yowixourıe, de quo 80-'
phistarum vestimento vide Rohdium (griech. Roman S. 8073.
(*) Cf. Philologi novi vol. I (XLVII) p. 375. 433.]
Tubingae. W. Schmid.
III.
Galeniana.
Adservatur in bybliotheca Regia Dresdensi Galeni ope-
rum exemplar Aldinum, ab Andrea Asulano Venetiis editum
anno 1525 tomis quinque, non integrum id quidem (volumen
enim tertium casu quodam aut periit aut delituit), sed hac re
conspicuum, quod et in textu ipso nonnulla atramento sunt cor-
recta, et in margine librorum plurimorum adnotantur argu-
menta brevia, versiones latinae, variae denique lectiones haud
paucae. de quo brevissime rettulit F. A. Ebertus in lexico biblio-
graphico (IV p. 643 n. 8054), praesto id sibi fuisse narrat
Kuehnius in medicorum graecorum editione. (I praef. p. X), nemo
adhuc ad textum Galenianum emendandum adhibuit. atque de
lectionum origine quamquam certi quidquam erui non posse per-
suasum habeo nisi Galeni codicibus in bybliothecis delitescen-
tibus accurate excussis, tamen de earum pretio quae sentiam,
obiter a me indicata ea quidem in ephemeride Berliner Philolo-
gische Wochenschrift (1885 Nr. 15 p. 470 sq.), sequentibus pa-
gellis placet exhibere.
Paucissimis et argumentis et correcturis exceptis, quae manu
recenti addita esse in propatulo est, adnotationes omnes a viro
docto, quem saeculo decimo sexto vixisse suo iure sumit Ebertus
l c., adiectae sunt, rubro partim colore, partim atro. videtur
autem significasse qui adnotavit non eandem earum esse condi-
conem, facilime enim tria adnotationum genera dignoscas: aut
58 Ioannes Ilberg,
rubrae extant et voces et signum, (+, +, A, Il) aut signum ru-
brum, voces atrae, aut signum atrum cum vocibus. quod adeo
non e lusu inani videtur esse profectum, ut accurata diligentia
factum inde liceat suspicari, quod locis nonnullis, quibus pri-
mum quidem rubro pinxerat colore vir doctus, pigmento atro
rubrum studuit extinguere.
Quaeritur unde lectiones fluxerint: utrum coniecturae sint
ex eius qui exemplar nostrum tractaverit ingenio profectae, an
codici, sive uni, sive pluribus debeant originem. atque illud qui-
dem conicias e talibus locis, qualis est vol. II quat. dd p. 32 b,
ubi legitur in textu: ruv 0° émifgezouévuv , Ehavov eUxgatov +.
ini nAuouarwv dè, 1078 nvpivov àAevgov di’ vdgedalov xai 6 &orog
avroc, in margine: + éurmdarropévwv vel Èunidorowv vel xatu-
RAacwa TOY quod magis placet. similiter vol. II quat. uu p. 152 a
ad textum hunc: xuAws émoínosv xai Tavınv inv Enuyyellur, xai
wu» + ovrvn decay einwv, éyw dè... in margine scripta habes:
+ ouvFeow vel oxevactur. cf. quat. yy p. 272a: œaoi roùs +
dv nvgeroig cay Inregiworw QoS [ovzag 10v mvggóv xaQmóv tic xv-
vocfrov wpedeicFas nagayonua xag. mg.: + ámvoérovg vel
avev. — contra inveniuntur haud pauca, quae ex suo ipsius ce-
rebro non prompsisse adnotatorem certissimum est. taceo de vo-
cibus singulis, quid? quod tota enuntiata addidit.
Exempli causa iam commentarios in Hippocratis aphorismos
scriptos, qui leguntur tom. V quat. Pp p. 100a — quat. Xx p.
155a percurramus, quas invenerimus adnotationes colligamus,
primum quidem eas, quae coniecturae esse possint, tum quae non
possint brevi conspectu ponamus commentis futilibus emenda-
tionibusque, quae post Aldinam impressam item a posterioris
aetatis editoribus excogitatae sunt, omissis omnibus, ita quidem,
ut eas, quas ad hune diem frustra quaeris in textu, selectas
habiturus sis.
Editiones adhibuimus hasce: 1. Basileensem, apud Andr.
Cratandrum anno 1538 emissam tomis V, cuius vol. quintum, in
quo commentarii nostri extant p. 219—329, curavit Hier. Ge-
musaeus, Aldinam quasi fundamentum operis substruens, non-
nulla corrigens ; 2. Parisiensem Renati Charterii anni 1679,
ubi multa habes correcta, multa depravata, plurima posteris cor-
vigenda relicta. leguntur de quibus agimus commentarii tom, IX
B p.1—338; 3. Lipsiensem C. G. Kuehnii ann. 182] sqq.,
Galeniana. $9
nostri quidem commentarii textum Charterianum nulla mutatione
repetentem. praeterea versiones latinas inspexi et Nicolai Leoni-
ceni Vicentini, — (cuius praesto erant editiones Basileenses Cra-
tandri (1529) et Frobeni (1549), haec quidem muitis recentis-
simis translationibus per Ianum Cornarium medicum physicum exor-
nata ab eodemque recognita ex toto et innumeris locis restitutis ab-
solutissima) — et eam, quae apud Charterium Kuehniumque
legitur.
I. tom. V p. 102b Ald. (XVIIB p. 381 Kuehn): Galeni
editiones omnes primae sectionis aphorismum XII imprimunt hoc
modo: rov¢ dè Bagosvouous xoi Tag xaractuorag Iniwoovay al
vovoos xal al woas 100 Ereog xai al tv meqeodwy nods GAAndac
avramodooes. qui locus cum aliis multis documento est textum
singulorum capitum Hippocrateorum, Galeni commentariis prae-
fixorum cum eo quem Galenum legisse ex ipsius commentariis
appareat non conspirare. neque enim aviamodocies ante oculos
habuisse Pergamenum, sed êxsdocseç ex his interpretis verbis
intellegas (p. 387 K): Aéyes uiv yag 0 Innoxgains oùtw: ‘xai ab
ı0v mEQsodwy moog aAdnhac Emdocies Hv 1e nad’ Muéonv qv te
mao nucony jv te xai did nÀe(ovog yoorov yiyvwvras. evdniov
d' ore énudooeic tiv rmeouodwv tag avEnosis Ayes twv xat! abrág
magobvouv xrÀ. quae cum ita sint, recte Zmidoosg aphorismi
textui adscripsit adnotator.
p. 107a Ald. (p. 439 K): rlvu dn mote Eoılv A dei ayew;
in mg: AdN. coniecit idem editor Basileensis, falso omisit éoriv
Charterius.
p. 109a Ald. (p. 461 K): éy’ wv (scil. cwuarwr) dì uóva
exer On Ta byod xai rà avevuatu, emi tovrwy dià Tuylmv dva-
rofgeıv dyywgei, xai + axows sUdaggovviac ti Tüv OreQtQv eù-
quworla. interpunctionem falso positam esse post éyywost voca-
bulum nemo non videt qui verba antecedentia legit: dia zovr'
oùr Ev yoorm nAslovı yon Ta Toımvıa Avatgépesv xai Aswrws Ónto
wropace vw3gds. coniungendum igitur avargépesr axow;, quod
vix intellego. habuit quidem in deliciis axgw¢ adverbium Ga-
lenus, ‘ut, e. gr. XVII B p. 487 habes: wouvrwçs dé dniovors
ngoonxes 17 Ovoraces Eye rà mooaBaliduevo xal un TO piv
üxgsfld)g &lva, vygóv, 10 dì à xg wc Enoov, sed qualis nostra est
constructionem nondum legi. voluit adnotator à d p © & quod valde
60 Ioannes Ilberg,
adridet, praesertim si hos locos spectas Hippocrateos, quibus item
ut nostro ádgóg opponitur 4ez710g adiectivo: aphor. [5 bis, I 7,
cf. IV 9 cum Galeni comment. (XVIIB p. 667 K): adgortzgws
dì slonxev avıd tov opodgws. accedit quod versiones latinas qui
composuerunt legisse videntur ädoüç, non &xgws, vertunt enim
plenius item ut locis Hippocrateis modo allatis.
Possis conicere à29ówg eiusdem sect. aphorismi XVIII me-
mor: TV TeEportwy GOg0ug xai tuyfws Taysiat xai ul dsayw-
enoses yivovra, ubi interpretatur Galenus (p. 487): dou we»
ÓMyg yoove reépes, tovro dé tou to aJgówg . . ., sed lon-
gius hoc a tradita scriptura recedit.
p. 110b Ald. (p. 484 K): raysora uiv. ovv xai dIqouitata
olvos teéper, foadituta dé xal xarà Boayd fosov xoéag xoi
xoyAlas xai onovdvAos Ialdrrıo xal + axgldss xui xdguBor xoi
aotaxol xai GvvtÀóvu paras mnávian rà OxÀAngoGagxoa tc avıng dor
rovTOLG pvoewg. locustis quamquam praeter Ioannem Baptistam
etiam alios homines veteres vesci solitos esse constat (cf. Ari-
stoph. Ach. 1116 sq., Diosc. II 57), eis tamen in nostro Galeni
catalogo nnllus est locus. perlege, quaeso, Athenaei Dipnoso-
phistarum libr. III cap. 64—67 (p. 104 sqq.), statim intelleges,
huie Nerei bestiolarum societati, cochleis, spondylis marinis (cf.
Plin. N. H. XXXII cap. 53 sq.), carabis, gammaris, necessario
adiungendum esse aliud cancrorum genus, quod appellatur x a-
oidsg sive xagideg. atque id recte in margine habes ad-
positum.
Ceterum Leonicenus aut coniecit xugides aut in codice suo
legit, vertit enim squillae.
p. 112b Ald. (p. 508 K): Duo distinguuntur morborum
acutorum genera, alterum eorum qui intra diem decimum quar-
tum iudicentur (unAwg ó£éa), alterum qui intra diem quadrage-
simum (ix uerantwosws OËéu). eos autem interpretes impugnans
Galenus, qui huius differentiae ignari aphorismi II 28 verba:
iv taîs id’ nufguss xolveodu a dEfu ruv voonuatwy et prognos-
tici: óx0ca Gv» nvgeioig tor xoi Ev roig w xolverai fuéoass
hoc modo studeant conciliare, ut unum morborum acutorum ge-
nus agnoscant idque dierum XXXX cui XIV dies sint decre-
torii, haec profert: ovdè yàg slg tiv (sic edd. omnes, scriben-
dum elovy) id uéygs tig M ui xolouuos, alla peta piv rdv Ex
patantwoews mistoug, aveu dì Ext(ruv Rlurtovs. petantwoews
pr PI
Galeniana. 61
ineptum est, sed quidnam reponamus? — tria sunt dierum iu-
dicatoriorum genera, quae breviter habes enumerata in comm. II
ad Hippocratis de humoribus libellum (XVI p. 273 sqq. K),
unum eorum qui nuncupantur xvgvos, scilicet 7. 14. 20; 27. 34.
40 etc., alterum qui éxfdnho sive Fewonrexol (4. 11. 17; 24.
31. 37 etc), tertium qui wageuntniovtes (3. 5. «62. 9). vides
adnotatori nostro, weranıwoewg in nagewntrwoews qui mu-
tavit, fidem esse habendam, neque enim XIV sunt usque ad qua-
dragesimum dies iudicatorii, sed intercidentibns illis exceptis
XII (ZAarrov;), non exceptis plures (zAsloug).
p. 114b Ald. (p. 535 K): etre dè rnv Ewer elspegouernv
-9opv 19 Guam, ere thy Ev avrQ) negueyopévqy etonxe + uoydn-
olay, éxategos alnFng 0 Aoyog. ‘woyFnyluv’ mirum quod in
omnes fluxit editiones, recte woy nov» in margine.
p. 115 b Ald. (p. 548K): 500, uévros quos wiv (p. pu. om.
Kuehn.) four ovppetqor, dialın d' doyoréva yonsumevos nayeig
lyévovto .... convehit cum adnotatore &doorég a scribente eis,
qui victu delicatiore sive pleniore verterunt. quorum partes utrum
sequamur an Aldinae adstipulemur, haeremus ancipites, uygozegu
certo lectio Kuehniana expellenda.
p. 118a Ald. (p. 588 K): . . . x(»dvrog Favatovs ys-
réodas roig nusdloig xai tag yurastiv, qxsora dé 10000 npeofvie-
00,04, Tous dé + naguyevouéroug slg terugraîor umorelevrüv nai
av tov retagtuiov elg vdowra. recte in exemplari nostro scriptum
extat zsgsyevouévovg (cf. Hippocrat. II 44 L). quod non
invenitur in editionibus. ne qui evaserint versiones.
p. 121b (p. 627 K): xudovor dì obrwc (scil «pdas) Tag
Imınoing &xwoss xata To oroua dia waduxotnia pudota TOV
bpyarwr yiyvouéras, un Yeoovım nurse rv apy (haec in
reliquis omittuntur editionibus) pyre rjv nosornıa 108 yaAaxtoc,
Eyovıog ovx oÀfyor deowdeg Ev avınic. a 910) mg. consentit recte
Charterius.
p. 126a Ald. (p. 687 K): 0 xa:& rorde :óv apogsouor
hoyog èorì duvaues tosoviog* Ev te yon péluva (nei ng 6 mgo-
reyeamuéros upogıonig edldaker) dav 1e ta ufluva ta 16 uluan
loıxora (megì wv 0 + nooxeluevos) Asdentvoutvorg eoyatws Em-
gary, xarà thy vorígav anoFvnoxovow, de atra bile in aphorismo
praecedente agi (IV 22) cum dixerit Galenus, pergit his verbis:
lav ze ta péiava ta TQ aluats Poo: (mtQi wv 0 mgoxsl-
> a
62 Ioannes Ilberg,
ptvoc) . . . quae stare non possunt eam ob rem, quia relegari
lectorem ad priora apertum est. speciosa adnotatum est con-
lectura: negi wy 6 ngò èxetvov, legis enim in aphorismo
XXI: uroywgquura u£Aava olovei aluo, ano 1a2010ua10v lóvia. xoi
Eby mvgetdó x«i avev nvgtroU xoxiGtG.
p. 181a Ald. (p. 757 K): ro yoùv Aexióv ovgov el cup-
pétows ylırıwı (1. y£votso) noyo xol 10 Aevxov 7} wyedr, &v r0s-
oviQ roomate neodniot zz» xolow. pro n particula e] esse cor-
rigendum praeter, adnotatorem nostrum unus vidit Vicentinus
apud quem legis: et si alba ruffa fiat. |
p. 181b Ald. (p. 759 K): Aphorismum IV 71 interpre-
tatus Galenus (quo iis quibus die septimo crisis contingeret,
quarto nubeculam in urina rubram apparere Hippocrates dixerat)
quaestionem de ea re instituit, num fortasse ex eodem sympto-
mate, undecimo die exorto, calculum petere liceat ad crisin
quartodecimo expectandam. qua de re hoc modo iudicat: é2i dé
tig évdexatng quviv où navy il uos doxei tour muegwr der-
Ccotus porwr, add xal missovwv, dinFeorarov uiv yag gore 10
Tv tovvinv + xosiav Emiusigeiv u roig Avoeow. nihili sunt
quae apud Charterium Kuehniumque latina leguntur: verissimum
si quidem est, talem dierum indigentiam aliquid suffragari solutioni-
bus. lenissima mutatione adscriptum in exemplari nostro: ‘y@ oa»
(scil. éoudocuv), quod colorem verterunt Vicentinus et Cornarius.
p. 182a Ald. (p. 766 K): cow Ó' ovros xeivras (scil. of
OVENTITOEE) vegguv TE xai xUorews xal yo] Ovvunuxovev A aUrÓ
&xelvoss Ald. avtovg adnotator, Charterius, male idem éxeívovg.
p. 133 Ald. (p. 788 K): Docuisse Hippocratem referens
Galenus convulsionem oriri e vacuatione et repletione corporum
nervosorum pergit his verbis: gor dé tavra (scil za owuate
veuowdn) Tovoı Ovvdsouos xai uves xai révovreg" woreo || 0p uev
ini rw» Exrög iudvrug te xai yogÓag t&woufrvag, idv te En-
oarImow Eni nikov iv 9? vyootnie noAAn dıußpaywor, obtu) xai
xuta TOv bulwr cwuaru zu modda tov craouov tlxog ylvsodas.
atque primum quidem inter zovos et ovvdecuos inserendum est
xai, item ta post xo1d ; offendit porro, quae secuntur: wo7eQ
OQüuey — oviw — yiveodas nulla particula cum anteceden-
tibus esse iuncta. yag excidisse, id quod adnotatori visum est,
veri est simillimum.
p. 136a Ald. (p. 819 K): otros 0 apogsouos (V 29) et-
|
Galeniana. - 68
enzas xai nooodev Ev roig negi + paguaxois Aoyoug (IV 1), alla
za] vov Ev roig megì twv yuvasxeltov xara ye ta màslora tv Qv-
nuyoupwr evoloxerut. recte quidem alterum casum restituit Char-
terius zsgi gpuguuxwv scribens, nec tamen omnem sustulit offen-
sionem, cum non de medicamentis purgatoriis praecipiat Hippo-
crates in priore quarti libri parte, sed de purgatione in uni-
versum. faciendum igitur sine dubio cum adnotatore &v roig mei
puouwnxelugs scribente.
p. 186a Ald. (p. 819 K): zwig d’ Euigovosy (immo E&«ı-
Qov csv) avtióv Ünw; undsig y yeyoauuéros in editionibus omnibus.
coniectura palmari adnotator: u 7 dic, quod versiones comprobant.
p. 146 a Ald. (XVIII A p. 62 K): 6 ui» ovv ormacuòs Uno
zwv Evuvilwr (scil. uno wAngwosws 7 revwoswse) -slxorwg yivetat,
dvyuòs dé cvyywosicFw uiv ôvouabeodo crouuyou nudos, OTuv
Éugov ti nooçxelueror 7 xara Aöyov xtà.
Grouayov nudos scribere non potuisse Galenum e sequen-
tibus elucet. etenim: ‘cum vero id ipsum solum quaeritur' inquit,
'ut huius mali natura cognoscatur, melius fortasse est, non con-
vulsionem id appellare, sed motum quendam' (où cracuor 0vo-
pulesy avto, alla xlvnolv tiva). itaque quod proposuit adnotator
(rou yov Gr 40g 0c reponendum est, versum id quidem a Leo-
niceno, Cornario, Charterio. |
p. 146b Ald. (p. 63 K) docentem invenimus Galenum, quae
stomachi partes vomitu, quae singultu evacuentur. atque im-
pressa sunt in editionibus haec: xara qv ro)g éufrovs 1d ne-
uegopevov dv 17 176 yuotgos eUguywola uovor èpletu dıwoaodaı,
xara dè rovg Avyuoùs xai ta dia Badovg dv adid Tic yaorgds
16 OTomanı mequegopeva. verba èv avi HS yactoòs 1Q Grouars
quid sibi velint nostro loco nemo hercle intellegit. possunt qui-
dem sibi opponi stomachi svouywolu et oroua, neque vero recte
quae ventriculi ore continentur ‘reconditiora’ (ra did fu3ovc)
vocaveris, neque quae stomacho recepta sunt in profundum re-
conditumque fluentia ad os eius perveniunt, ut habes in sequen-
tibus (p. 64 K : 175 100 nouarog Fepmorntog modnyovong elg to
B«9oc to nemegı). os enim ventriculi ut apud medicos recentes,
sic apud veteres eam stomachi partem significat, qua cibus re-
cipitur, non eam, qua exit.
Quam difficultatem vide quam eleganter solverit, qui auctor
nobis fait commentationis. etenim ad verba sequentia: oz dè
EN REEL... —- —————— ——
64 Toannes Ilberg,
TGv dvosszoliwv te xol olor avanotéviwy ele 10 -Foróuo Tg
yuoteds 3] did ròv Avypov Exxgsosg ylverai, uadeiv Fors uri. ad-
notavit cw a rubro colore lectoremque ad tertii libri de sympt.
causis cap. II relegavit (VII p. 216 sq. K.), ubi eandem rem
tractans Pergamenus dicit: i» uiv yao roig éuéroig ta xard 19»
evouywolar Exxolrovon Èv dà Tu Avbesy tO xav udıd 126 yuotoòs
10 c@pua, cui loco addas p. 217 K: paddov yag éyxazadveros
10 t0i0v10» (scil méméqi) odi 1@ cupar tig xolas, ibid.:
oca wwyoria te xoi Fegualrovia tH cupa 1756 yaco:Qóg Eyxa-
zußalveı, ibid. : ra Avmovria 10 oüua tig yaoteos. cf. p. 210 etc.
p. 151a Ald. (p. 137 K).: In duas partes Hippocratis co-
dices mss. discedere in aphorismo VII 33 tradendo testis est
Galenus, alios enim exhibere: öx0o000 de Aszugn 5 énloracic
xol a9oon (scil 7H» ovgwr), alios vzóoracig. atque sese quidem
et propter rem ipsam priorem praeferre lectionem et ideo, quod
in aphorismo antecedenti legatur: öx000s06 de ini roig ovgotc
nouqoàÀvyeg éplotartas, vepgstixa onualver xoi uaxo)v my GQ-
quoiíj» Éceoda. convenire enim égforartas verbum cum eis quae
sequantur: 6x000401 dè drug) fj 000106046 xal &OQgor, tovIOLOIY
vepoirixà onnalves xıl. quae intellegi omnino nequeunt, nisi cum
adnotatore et cum versionibus $nocracig editionum omnium lec-
' tione mutata in éaioracecs. notandum ceterum 9zóc1acig
librorum Hippocrateorum volgatam esse lectionem.
p. 191b Ald, (p. 145 K): xard. rovrov yovv ıdv Aoyov xuv
19 nguiQ twv Zmudnus@v ini Mediiwrog Éygayev* ‘Aovrgoig &yon-
0010 xata tTiç-xspaÂñs. primum Epidemiorum librum si evolveris,
de Melitone nihil omnino occurret, leges autem in morbo septimo
(II p. 700 sq. Litt.) de Metone quodam nonnulla. ubi locus
quem spectat Galenus extat sic: wera dé xglow ayQvnvocg, na-
oéAeyev, ovga Àenra, tnoutiara. Aovrgoiow éyorga10 rat xeyaäng.
eundem memorat Metonem is qui septimum Epidemiorum librum
conflavit (V p. 448 sq. L.). quae cum ita sint, MeAlrwvog edi-
tionum cum adnotatore et Cornario in Mérwros corrigemus.
p. 152a Ald. (p. 155 K.): Aphorismus VII 49 iteratus
legitur in libro VI (nr. 37). falsum igitur quod impressa ha-
bemus: é£gyguos d’ aviór év 16 verd Qro rüvde THY vzoprnuatuv
et ex Aldinae exemplari nostro reponendum £xrw, quod solus
Cornarius vertit.
Ceterum in aphorismi VI 87 textu Galeniano (XVIII A p.
pu
Galeniana. 65
58 K) verba: fw yag toémetas r0 vovonua uncis includenda
esse ex eo quem tractamus loco elucet. ideo enim in septimo
libro repetitum esse sexti aphorismum suspicatur Galenus, quia
aphorismos qui collegit adiungendum esse censuerit: fw ydg
weémetus 10 vouoquu (immo voonue).
p. 154a (p. 181 K): Aphorismum VII 68 eam ob rem
ab Hippocrate ipso conscriptum non esse suspicio est Galeno,
quia cum elocutione Hippocratea non congruat. quam sententiam
quo solet uti vana verborum mole exprimit his: uvaonrevw ydg
xai rovrov (Scil róv aqogicuov) oùy "[nnoxoutovc sivas, ın AEn
téxuasgóusvog 00x iyovog 1)» avinv ldíav roig (zu lesen r oic)
ixe(rov . . . orav youv inn To ‘aa MxiOTa Omose TOUTOU,
tutta voosgwiegu’ ilo oUx av utuwaro vooegwWregu Aéyovts oid
avrè 10U voOtQU Tata, TOU te <iote Ald.> vorator .voowdns
rocegut ara e comparativo vogegu reg « Aldinae recte restituit
noster, restituerunt editores; idem bene fecit, quod zoze mutavit
in rovıforı.
Restat ut duobus locis numeros ab adnotatore correctos
esse moneamus. etenim p. 154b Ald. (p. 189 K) ódevregov
scripsit pro réragror (cf. XVII B p. 464 K), p. 155a Ald.
(p 192 K) E$ßdouw pro £xro (cf. XVIII A p. 122 K).
II. Adnotationibus eis quae non debent quidem, sed pos-
sunt esse coniecturae perlustratis venimus ad eas quas de suo
non adscripsit vir doctus, sed aliunde hausit. quarum priorem
ideo omittere nolui, ut indoles horum critici apparatus subsi-
diorum accuratius cognosceretur.
p. 196b Ald. ( XVII B p. 828 K) citatur Hippocratis
locus e libro 'de natura pueri, cuius verba extrema haec sunt:
stur d’ avido (scil. 10) #uPovm) zavru (scil. nutrimenta) onanw-
nou yevntas xal adgov n 10 ruıdlov Untovv te nàÉfov tig vmag-
govons toopic, coxaglles xoi tovg vuévag n Ónyvvov dognv uno-
zun0ewg mugéyet 17 uml. quae e memoria fudisse Galenum suspi-
ceris in ipso libro Pseudippocrateo extare certior factus haec
verba: óxo:iav Ó' avi onavıwregn tavıa ylvnras xai adgov En
10 nudiov, modfov nislovu tig Unaoyovans Toogns aoxuglle xoi
1005 vuérac Öryvvos (VII p. 534 L). vides quanta cautione in Ga-
leni testimoniis ponderandis agendum sit. quid? quod adnota-
torem in Aldina nostra locum a Galeno falso citatum etiam am-
Philologus. N. F. Bd. II, 1 5
66 Ioannes Ilberg, Galeniana.
plius corrumpentem deprehendimus, his verbis inter vuéras et
Önyvvov interpositis: A önyvvos dijiov ovv xai n000IEv rwv déxa
purdv Otay 10 naidlor ivdews Eyes (sic) rQogrig xai coxnollov
x«l 1006 vuéraçn. en! tenemus glossema, quod e libri Pseudip-
pocratei capite XXX originem duxisse certum est!), lectum id
quidem iam a Leoniceno cuius in versione extant haec: liquet
igitur quod et ante decem menses foetus est indigena alimento et cal-
citrans et membranas disrumpens initium partus matri affert. |
p. 146b Ald. (XVIII A p. 66 K): Concludimus con-
spectum verba nonnulla graecis litteris reddentes, quae in edi-
tionibus graecis desunt, versa leguntur apud Leonicenum, Corna-
rium, Charterium, Kuehnium. etenim aphorismi huius: év roioi
ixtegixoios 10 nnug oxdnoow ysvéous movnoov cum in hac re
versetur interpretatio, ut tres icteri causae enumerentur, hepatis
inflammatio (qAsyuovr, oxfggoc) et obstructio (£upou£:s), redun-
dans in venis humor ad cutem protrusus (rg œuoews xgvnxüg
anwoupérns slg To dégua 10v Ev roi; plspi mleovalorta yuudy),
quarum primae symptoma sit durities: admodum placet, quod in
principio adici voluit adnotator: Vixrego» dvza$ 9a tov dia
THY pAeymovn» tov naarog A€yes, quibus quae secuntur:
dvdelxvuras yao 7) GxÀngórgg invixadtu pleyuornr n oxlogov sivas
xata TO OnÀayyvo», optime iuncta sunt. Leonicenus et Corna-
rius: morbum regium hoc loco dicit, qui fit ex hepatis inflamma-
tione, apud Charterium et Kuehnium : icterum hic dicit ex hepatis
ortum inflammatione,
1) Hegi quotos naidiov VII 534 sq. L: ab dé te xatauñria 0M ya
pe9uicoi autas xal totes naWioss ToU yoovou To Vorator, Ove» dn
&doov En, tv rooq zv onavioréonv naQéyovoas, Nosk-
ovosr àoxapíteuvv xal nooc9sv 10v déxaumgvov EtelOsiv
Insiyso9as.
Lipsiae. loannes Ilberg.
Aeschyl. Suppl. 555 K.
Nach Aeschyl. Suppl. 555 K. Zeug alwvoc xofwv anavotov
ist ein Vers ausgefallen, dem in der Antistrophe Vs. 563 èv9ey
nace foa, y9w» entsprechen würde. Ich glaube, den Vers bei
Eustathius S. 1923, 61 (Aesch. Fr. 305 Dind.) wiedergefunden
zu haben Derselbe lautet: wc Aéyes yégov dio pu, denn so ist
statt des überlieferten youuua zu lesen.
Hannover. C. Haeberlin.
IV.
Weiteres zur Kritik des Rhetor Seneca.
In meiner Anzeige der neuesten Ausgabe des Rhetor Se-
neca, der von H. J. Müller (vgl. Jahrbücher für classische Phi-
lologie 1888 Heft 4 S. 273—293) habe ich behauptet, daß auch
nach dieser bedeutenden Leistung für die Kritik in diesem Autor
noch viel zu thun übrig bleibe. Den Beweis habe ich dort
schon angetreten und möchte an dieser Stelle weitere Belege
beibringen.
1. S 18, 16 f. Ein junger Mann ist der Spielball zwischen
zwei feindlichen Brüdern. Hat er erst den Oheim unterstützt
gegen den Willen des Vaters, so wird er jetzt verstoßen, weil
er dem verarmten Vater beisteht gegen den Willen des Oheims.
Er fragt: positus inter duo pericula, quid faciam? qui alunt abdi-
cantur , mendicant qui mon alunt. Statt des sicher verderbten
mendicant schreibt H. J. Müller auf den Vorschlag von Gertz
hin qui alunt abdicantur, vindicantur qui non alunt, dem von bei-
den vorausgesetzten Sinne nach unzweifelhaft richtig, wie schon
der Hinweis auf das Thema der Declamation ergiebt. Indessen
vindicare mit persönlichem Objekte heißt „jemanden rächen“ und
wird so auch von Seneca gebraucht z. B. S. 60, 8 f. mea optio
et te vindicat, tua me non vindicat. ‘Jemanden bestrafen’ kann es
nicht heißen. Nur Ausdrücke mit sachlichem Objekte wie cae-
dem alicuius vindicare lassen sich so übersetzen. Ich lese des-
halb qui alunt abdicantur, penasdant (d. i poenas dant) qui
5 *
68 Richard Opitz,
non alunt. Die Redensart penas dare findet sich bei Seneca sehr
oft, in jener Schreibung z B. auch oben S. 16, 14.
2. 8.24, 15 ff. heißt es in derselben Streitfrage Fuscus illum
colorem introduxit, quo frequenter uti solebat, religionis : movit, in-
quit, me natura, movit pietas, movit humanorum casuum tam mani-
festo approbata exemplo varietas. Der Verstoßene sieht den Vater,
der erst so selbstbewußt war, als verarmten Mann vor sich.
Man wird also auch im Folgenden stare ante oculos Fortuna vi-
debatur et dicere talia hae sunt qui suos non alunt einen Hinweis
auf etwas Sichtbares erwarten, der ja auch durch talia deutlich
genug gegeben ist. Schon deshalb ist H. J. Müllers Lesart
stare . . . videbatur et dicere talia: esuriunt (Thomas schlug hi
esuriunt vor) qui suos non alunt — wenig wahrscheinlich. Anderer-
seits ist dicere talia bei den wenigen, aber bestimmten Worten,
welche folgen, sehr auffällig. Die Beziehung von talia faßten
richtig Madvig (talia accersunt) und Gertz (talia habebunt), doch
trafen sie nicht das richtige Verbum, welches aber deutlich durch
die VerderbniB hindurchschimmert stare ante oculos Fortuna vide-
batur et dicere: talia patiuntur (pat-iunt’) qui suos non alunt.
9. S. 30, 22 f. Ein Mädchen, welches in der Gewalt der
Seerüuber und in einem lupanar gewesen ist, aber seine Un-
schuld gerettet hat, bewirbt sich um das Priesterinamt und wird
abgewiesen. Nemo, inquit, me attigit. Da mihi lenonis rationes:
captura convincet, Da mihi schrieb schon Faber für das über-
lieferte domi. Für diese Herstellung läßt sich anführen etwa
S. 70, 16, noch wahrscheinlicher aber ist mir <ce>do mihi, vgl.
S. 72, 8 cedo mihi epistulas patris, ebenda Z. 19 f. cedo mihi
patris mei censum.
4. 8.35, 11 ff. Proclama ingenuam esse te; quid exspectas? Cum
in lupanar veneris, iam tibi omnia templa praeclusa sunt. <Quae-
cumque istuc inclusa est, conservarum osculis inquinatur, inter ebrio-
rum convivarum tocos tactatur u. S. w. Die von Gertz herrüh-
rende Ergünzung nannte ich in der Anzeige eine ganz künst-
liche d. h. nicht innerlich begründete, ohne selbst etwas Bes-
seres zu empfehlen. Es handelt sich hier um den Begriff ingenua.
Diese Eigenschaft, heifit es, kann dir nichts mehr nützen, nach-
dem du im lupanar gewesen bist. Denn dort verliert die in-
genua die für das Priesteramt erforderliche Reinheit. Ich schreibe
also iam tibi omnia templa praeclusa sunt. <ingenua> conser-
LEE
Weiteres zur Kritik des Rhetor Seneca. 69
varum osculis inquinatur u.s. w. Wie leicht konnte jenes Wort
vor conservarum ausfallen!
5. S. 38, 21 ff. Hispo Romanius accusatoria usus pugnacitate
negavit. puram esse; non ad eam hoc referens, sed ad corpus, trac-
tavit: inpuram esse quae osculum impuris dederit, quae cibum cum
impuris ceperit. Die Auffassung des Hispo Romanius stand im
Gegensatze zu der anderer, welche die Frage, ob das Müdchen
pura sei, vom richterlichen Standpunkte beurtheilten. Sie hatte
nümlich in der Nothwehr einen Soldaten getódtet, war aber von
der Anklage des Mordes freigesprochen worden. Dieser Gegen-
satz ergiebt sich klar aus Z. 2 ff. An pura sit, in haec divisit:
an, etiamsi merito occiderit hominem, pura tamen non sit homicidio
coinquinata u. 8. w. So schrieb denn R. Wachsmuth non ad cae-
dem hoc referens und H. J. Müller mit ihm. Allein wo bleibt
die Concinnität des Gegensatzes? Hispo Romanius fragt, ob ihr
corpus purum Sei, die andern, ob die caedes pura? Diesen Fehler
vermeiden wir, wenn wir mit leiser Aenderung schreiben non ad
<r>eam hoc referens d. h. indem er nicht auf das Mädchen als
Angeklagte dies bezog, sondern auf ihren Körper. Von der rea
ist öfter die Rede, vgl. S. 33, 5.
6. 8.40, 1 f. [cruenti] et in perniciem ruenti suam ‘en’ inquit
'arma quae mescis te gerere pro pudicitia. Nachdem gegen die
von Kießling herrührende Beseitigung des cruenti sich erklärt
haben Linde, der (vgl. Philologus XLVI 1887 S. 762) amenti vor-
geschlagen hat, und Otto, der in der Recension der Müller-
schen Ausgabe (vgl. Zeitschr. f. d. Gymn.- Wesen XLII 1888
S. 132) befürwortet furenti, will auch ich meine Ansicht nicht
zurückhalten: <f>eruenti et in perniciem ruenti u. 8. w.
7. 8. 52, 16. Adulescens, quos dimisisti sequere. Dies wird
einem Sohne zugerufen, nachdem er vor den Augen des Vaters,
der seine Hände eingebüßt hat, die Mutter und ihren Buhlen
hat entschlüpfen lassen. Die Stelle ist ohne alle Pointe, wäh-
rend man gerade als Abschluß der Sätze dimittitur, inquam, ad
matrem suam, nescio an et ad patrem u. s. w. eine solche bestimmt
erwartet. Vergleichen wir nun aus der Rede des Latro den
Schluß S. 56, 14 f. cum exeuntis adulteros descripsisse | adiecit:
adulescens , parentes tuos sequere, so drängt sich uns die Vermu-
thung auf, daß auch an der ersten Stelle zu schreiben sei
adulescens, «parentes tuos> quos dimisisti sequere,
70 Richard Opitz,
8. Una nocte quidam duas rapuit; altera mortem optat, altera
nuptias. — S. 58, 6 ff. Iuni Gallionis . Sumatur de illo sup-
plicium: (dies dürfte die angemessenste Interpunktion sein) con-
stituatur in conspectu publico, caedatur diu, toto die pereat, qui tota
nocte peccavit. An diu hat sich schon Haase gestoßen, welcher
interdiu vorschlug — ohne alle Wahrscheinlichkeit. Auch ich
halte diu für unbedingt falsch, da der Ausdruck viel zu unbe-
stimmt ist. Denn wie lange soll er geschlagen werden? Mit
Wiederholung der vorhergehenden Silbe lese ich caedatur <vir>-
gís. Nun ist der Sinn der Stelle folgender: er soll nicht auf
schnelle Weise, durch das Beil, zum Tode befördert werden,
sondern durch Ruthenstreiche und so einen ganzen Tag lang zu
Grunde gehen, er der eine ganze Nacht gesündigt hat. Uebri-
gens glaube ich, daß statt des von allen Handschriften über-
lieferten totus hodie vielmehr totum die zu lesen ist und ebenso
im Folgenden totd nocte.
9. Jemand hat zwei Brüder getódtet, einen Tyrannen und
einen Ehebrecher. Als er in die Hände von Seeräubern geräth,
bietet der Vater diesen doppeltes Lósegeld für den Fall, daß
sie seinem Sohne die Hände abschnitten. Der Freigelassene
verweigert dem verarmten Vater die Unterstützung. Die Er-
günzung von Gertz, welche H. J. Müller aufgenommen hat S.
78, 7 ff. ‘Duplam pecuniam dabo’.... Unde tantas patrimoni vires
habes? etiamnunc tamquam <potitus> tyranni arca loqueris? Cor-
rupit frater uxorem meam, quam nec tyrannus. violaverat — diese Er-
günzung, sag ich, kann auf besondere Wahrscheinlichkeit keinen
Anspruch machen, so wenig wie die übrigen Vorschläge. Ich
halte für das Passendste tamquam tyranni <p >ater loqueris.
So erinnert der Angeklagte den Vater zugleich an die eine Ur-
Sache seines ungerechtfertigten Grolles.
10. Weiterhin vertheidigt sich der Vater gegen den Vorwurf,
mit dem 'Tyrannen Gemeinschaft gehabt zu haben S. 75, 12 ff.
Nemo tyrannidem me uno sensit magis. | Argumentum habeo maai-
mum quod vivo: mon pepercissetis mihi, st putassetis me patronum
tyranni. Wie kann der Privatmann ein patronus des Tyrannen
genannt werden? In dem überlieferten patrem steckt wohl viel-
mehr: mon pepercissetis mihi, si putassetis me G parem tyranni.
Das Wort compar wird substantivisch gebraucht in der Bedeu-
tung Genosse bei Plautus (z. B. Cas. 4, 2. 18 Meus socerus,
ases
Weiteres zur Kritik des Rhetor Seneca. 71
compar, commaritus villicus), dann bei Catull und Horaz. Daß
es nun bei den Prosaikern auftaucht, ist ja der gewöhnliche Gang.
11. 8.76, 3 ff. Ustus es? subice ignes, semimortuam hanc fa-
cem (H. J. Müller nach Bursian, die Handschriften partem),
quae tantum in contumeliam suam spirat, quia extingui non potest,
ezure. Dazu bemerkt Gertz (Jahrbb. f. class. Phil. 1888 4. Heft
8. 294): ‘faciem gewiß unpassend, ich vermuthe carnem’. Wie
paßt aber spirat zu carnem? Zu lesen ist semimortuam hanc p e-
stem (das ist natürlich der Redende selbst) quae tantum in con-
tumeliam suam spirat (lebt) . . . exure.
12. Ein Vater wollte den Sohn, der dreimal schon tapfer sich
gezeigt hatte, hindern zum vierten Male ins Feld zu ziehen.
Da jener auf seinem Willen beharrt, verstößt er ihn und führt
zur Begründung an S. 88, 15 ff. Miraris si, quod legi satis est,
patri nimis est? ‘Numquid luxuriam! inquit *obicis ? Ego vero te
diam hortari possum in voluptates. Quousque duro castrorum ta-
cebis cubiculo * quousque somnum classico rumpes? quousque cruentus
vives? Was soll im Lager das harte Schlafzimmer ? Die Hand-
schriften — im Antverp. A fehlt die betreffende Stelle — ha-
ben cubiculi, was wir offenbar unter Annahme einer Dittographie
cubi[ cu Ji lesen müssen. Schon das Fehlen der Präposition deutet
auf dieses Wort. [Aus dem inzwischen erschienenen Jahresbe-
richte von H. J. Müller ersehe ich, daß schon Petschenig cubili
vermuthet hat. |
13. 8.90, 5 ff Putabat Plancus, summus amator Latronis, hunc
sensum a Latrone fortius dictum, a Lesbocle Graeco tenerius, qui
dizit SICKeICO M AI ws reiyos. Gegen die von H. J. Müller
aufgenommene Vermuthung R. Herchers éxxelcouas ws reiyog
hat Gertz (vgl. Jahrbücher f. class. Phil. 1888 S. 294) Ein-
spruch erhoben, mit Recht wie mir scheint. Aber sein eigner
Vorschlag coi énoxs(couas bleibt ein Nothbehelf. Daraus daß
ein color des Lesbocles nur hier angeführt wird, dürfen wir
schließen, daß Seneca diesen Rhetor nicht selbst gehört hat,
deshalb beruft er sich eben auf das Zeugniß des Plancus, den
er sonst nie erwähnt. Es wird also zu schreiben sein qui dixis-
set: xeloonas ws TEiyoc.
14. Der Sohn eines Armen will sich nicht von einem Reichen
adoptieren lassen. Deshalb hält ihm der Vater vor S. 116, 10 ff.
Facilius possum paupertatem laudare quam ferre. -Quid mihi Pho-
72 Richard Opitz,
cionem loqueris, quid Aristiden? tunc paupertas erat saeculi. Quid
loqueris Fabricios, quid Coruncanios ? pompae ista exempla «cum?
fictiles fuerunt. dii, Facile est, ubi non noveris divitias, esse pau-
sperem. Das eingeschobene cum rührt von H. J. Müller her.
Aber der Gedanke bleibt trotzdem verschroben. Denn auch re-
lativ können Leute wie Fabricius nicht pompae exempla genannt
werden, Dieses Zugeständniß paßt auch gar nicht in die Ab-
sicht des Redners, der nur zeigen will, daß es früher leicht war
arm zu sein. Für das überlieferte pompeista schreibe ich pau-
pertatis exempla fictiles his (Hdd. fictilibus) fuerunt. dii.
15. 8.117, 11 ff. Quid enim ad amittendum patrem interest,
uirum eiciar an transferar? si non licet recusare [quare], cur potiua
abdicas me quam tradis? Man vermißt eine Anrede und zwar
si non licet recusare, pater, cur U.S. W.
16. S. 125, 4 ff. Otho Iunius pater solebat difficiles controversias
belle dicere, eas, in quibus inter silentium et actionem medio tempe-
ramento opus erat. Actionem ist offenbar verderbt. Deshalb
schlug Schultingh significationem vor mit Rücksicht auf die Stelle
S. 127, 16 ff. solebat hos colores, qui silentium et significationem
desiderant, bene dicere. Indessen diese ist zu erklären: colores,
welche ein Verschweigen und doch auch eine Andeutung ver-
langen. Was ist nun aber das dem Verschweigen entgegenge-
setzte Extrem? H. J. Müller hat Gertzens Vermuthung de-
tectionem in den Text aufgenommen. Allein was soll hier, wo
man einen bekannten Begriff erwartet, ein unklarer Ausdruck,
ein Wort, das nach Ausweis der Lexika nur bei Tertullian ein-
mal im Sinne von Offenbarung sich findet. Beweisen kann hier
auch nichts der Umstand, daß es an der eben erwähnten spä-
teren Stelle S. 127, 18 ff. weiter heißt itaque et hanc controver-
siam hoc colore dixit, tamquam in emendationem abdicatorum et re-
conciliationis causa faceret. Hoc non detegebat, sed omnibus sententiis
utebatur ad hoc tendentibus. Ich halte mich an eine andere Formu-
lierung derselben Sache S. 125, 14 f. Otho tamen Iunius bene di-
cebat has controversias quae suspiciose dicendae erant; suspiciose
heißt ‘mit versteckter Anklage’, wir schreiben also mit leisester
Aenderung : in quibus inter silentium et ac<cusa>tionem medio
temperamento opus erat. Das Wort accusatio findet sich z.B. 8.295, 25.
17. Mann und Frau hatten sich geschworen, wenn dem einen
etwas widerführe, solle das andere den 'Tod suchen. Auf die
pom
Weiteres zur Kritik des Rhetor Seneca. 73
vom Manne selbst geschickte Todesnachricht hin stürzt sich denn
auch die Gattin irgend wo herab, bleibt aber am Leben und
soll nun, so verlangt es der Vater, den Gatten verlassen. S.
131, 12 ff. Vir, dum mimis amat uxorem, paene causa periculi
fuit; uxor dum nimis amat virum, paene causa luctus fuit. Jeder
fühlt, daß periculum in Verbindung mit paene zu schwach ist.
S. 129, 14 scheint periculum bloß durch das Wortspiel mit ez-
perimentum verursacht zu sein. Gertz möchte deshalb den alten
Genetiv pernicii schreiben, H. J. Müller paene beseitigen, indef
wird dadurch die Concinnitit des Gegensatzes zerstört. Ich
schlage vor paene causa interitus fuit. Das mehrfache Vor-
kommen des Wortes periculum hat den Abschreiber irre ge-
macht. — Weiter heißt es pater, dum nimis amat filiam, abdicat.
Servate <di> totam domum amore mutuo laborantem. Weahr-
scheinlicher aber als die Ergänzung von di (Schultingh) ist die
von dii inmortales zwischen ab dicat. servate und totam, vgl. S. 129,
13 f. D inmortales, qua debetis providentia humanum genus regitis.
18. S. 132, 4 f. an, etiamsi non malo adversus uxorem animo fuit
maritus fecit, tamen . . . relinquendus sit. Für das von Kießling
schon getilgte fuit wollte Bursian illut, Gertz suus, H. J. Müller
fecit (unter Tilgung des überlieferten fecit) Es wird sich aber
kaum eine bessere Erklärung finden lassen als die: etiamsi non
malo adversus uxorem animo filie (filiae) maritus fecit.
19. S. 167, 1 £. Nihil amplius patri debes quam uxori,
Mihi crede, maus fuit tyrannicidium pati quam facere. Da die
Worte gar nicht zu verstehen sind, schlug Gertz vor maius fuit
tyrannum pati quam tyrannicidium facere. Ich vermuthe vielmehr
tyrannicidium tacere quam facere, indem ich vergleiche S. 164,
18 ff. tyrannus torquebat et cum de tyrannicidio quaereret . . .
tacuit ac silentio tyrannicidium fecit, certe tyrannicidam und
S. 166, à f. caeditur: tacet; uritur: tacet. Utrum putas mi-
randum esse, tuum tyrannicidium an huius silentium? Auch
S. 168, 11 f. etiamsi scisti de tyrannicidio viri nec indicasti und
S. 160, 15 ist tyrannicidium als die erst geplante, noch nicht
vollzogene Tödtung zu verstehen.
20. S. 174, 17 f. Quidquid longa cogitatio alii praestatura
erat, <illi> prima intentio animi dabat. Illi ist jedenfalls zu
ergänzen, nur wird es hinter animi einzuschieben sein.
21. S. 183, 1 ff Duo luxuriantur una in domo: alter iu-
74 Richard Opitz,
venis, alter senex ; alter filius, alter pater . . . alter vobis hoc ait:
concessis aetate opus utor et tuvenali lege defungor. Concessis ae-
tati iocis haben H. J. Müller und Gertz, wührend Bursian con-
cessis aetati voluptatibus schrieb. Sachlich gefüllt dies mir bes-
ser, denn iocis ist für die heftig getadelte Zururia des Sohnes —
auch wenn man die partheiliche Fürbung in seinem Munde be-
rücksichtigt — doch zu schwach. Die angeführte Stelle (Hor. epist.
1, 6. 65) beweist gar nichts. Außerdem stört der auch nicht
ganz klare Begriff aetati, zumal da das zweite Glied éuvenali
lege defungor danach eine ganz matte Wiederholung ist. Ohne
Voreingenommenheit wird man also den Gedanken erwarten: ich
gebe mich erlaubten Vergnügungen hin und berufe mich dabei auf
mein Recht als Jüngling. Damit deckt sich aufs Beste meine
Wiederherstellung concessis <ob> lectation<ib>us utor.
22. S. 245, 17 f. Fabricius aurum a Pyrrho accipere no-
luit; beatior fuit [ille] animo quam ille regno. So H. J. Mül-
ler. Zu lesen ist wohl beatior fuit multo animo quam ille
regno wie es in einem ähnlichen Falle heißt Val. Max. IV 8 Ext. 2.
(Gillias) multo etiam animo quam divitiis locupletior,
Ueber die Stellung vgl. S. 426, 22 f. Triarius multo rem magis
ineptam, 566, 14 adieceratque his alia sordidiora multo.
28. S. 258, 9 f. Habes gloriam, quam per ignes quidam,
per arma <alii> quaesierunt, Warum hat H. J. Müller alii
nicht lieber nach quidam eingeschoben ?
24. S. 281, 9 ff. Ein Sohn wird verstoßen, weil er den
wegen parricidium verurtheilten Bruder auf ein Wrack ausge-
setzt hat, statt ihn ins Meer zu versenken. Der Vater spricht
parricida meus in mari regnat. Doch ist der Gedanke zu leer,
als daß ihn gerade unter wenigen Seneca der Aufzeichnung für
würdig gehalten haben könnte Schon verständiger wird er,
wenn wir schreiben parricida <da>mnatus in mari regnat,
vgl. Z. 11 damnatus parricida post poenam potuit dicere patri suo:
‘morere’. Es fehlt aber noch der Gegensatz zu in mari: par-
ricida «domi damnatus in mari regnat. Derselbe Ge-
gensatz S. 279, 7 f. Cognosce innocentiam meam $n mari, quam
domi noluisti. Ueber domi damnatus 8. S. 273,8 f. u. 279, 10.
25. Der Verstoßene vertheidigt sich mit folgenden Worten
S. 282, 7 ff. Non possum fratrem occidere. Pone hoc loco pi-
ratam: Non poterit. Quidam occidere hominem tantum non pos-
- | |
Weiteres zur Kritik des Rhetor Seneca. 75
sunt; quorundam adversus hostes deficit manus. Jenes hominem
tantum vertheidigten Bursian und Madvig, zuletzt Gertz in der
Recension durch die Erklärung „der nur die Eigenschaft hat
Mensch zu sein“. Indeß dies wäre eine unbeholfene Ausdrucks-
weise, die man auch einem Rhetor nicht zutrauen darf. Dessen
Schwäche lag vielmehr in den Gedanken. Zeichnete sich einer
durch unklare Ausdrucksweise aus, so wird dies besonders ge-
rigt. Doch an dieser Stelle haben wir es mit dem gefeierten
Latro zu thun. Aber auch der Gedanke erregt selbst bei ei-
nem Rhetor Bedenken. Latro kann sich unmöglich auf den
Standpunkt stellen, daß der Durchschnittsmensch ohne jedes Be-
denken jeden beliebigen ins Jenseits zu befördern bereit und im
Stande sein müsse. Noch ungeheuerlicher wird der Gedanke
durch H. J. Müllers Ergänzung quidam occidere hominem cogna-
tum non possunt. Man kann allenfalls erwarten, daß ein jeder
im Stande sei, einen hostis nieder zu stoßen, oder andererseits
einen Feind der menschlichen Gesellschaft unschädlich zu ma-
chen. So verfiel Schultingh auf quidam occidere hominem damna-
tum non possunt. Damit ist ein genaues Correlat zu hostis noch
nicht gewonnen, auch ist die Entstehung der Korruptel nicht
gerade klar. Seneca schrieb wohl quídam occidere hominem
<ne> fandum non possunt, Nefandus auf eine Person bezo-
gen findet sich Plin. N. H. 28, 1 (2) 9. Quintil. I. O. I 3, 17.
26. S. 286, 12 invenioque poenam simillimam reo. Reo ist
gewiB verderbt; deshalb vermuthete H. J. Müller peccato, Otto in
der Recension rei (von res), viel zu|unbestimmt. Vielleicht stand da:
reatui d.h. eine der (zweifelhaften) Klagsache ganz, entsprechende
Strafe. Dazu vergleiche man die interessante Stelle Quintil. I. O.
VIII 3, 33 f. Quaedam tamen (vocabula) perdurant. Nam et quae
vetera nunc sunt, fuerunt olim nova, et quaedam sunt in usu per-
quam recentia, ut Messala primus reatum, munerarium Augustus
primus dixerunt. In der angenommenen Lücke scheint aber noch
der Anfang des nächsten Wortes verschwunden zu sein. Wir
lesen nämlich mersam, non tamen ex toto perditam ratem, quae vel
punire fratrem posset vel absolvere. Mersam wird schwerlich je-
mand das betreffende Schiff genannt haben, wohl aber <ezar>-
matam wie S. 279, 4; 278, 2.
Leipzig. ^ Richard Opits.
V.
Zum Xl. Buche des Quintilianus.
XI 1, 21: et aperte tamen gloriari nescio an sit magis tole-
rabile vel ipsa vitii huius simplicitate, quam illa tactatio perversa,
si abundans opibus pauperem se neget, nobilis obscurum et potens
infirmum et disertus imperitum plane et infantem vocet.
B N geben se neget, b T sed, M si. Das von Halm auf-
genommene se neget halte ich für unmüglich. Erstens paBt der
Gedanke: „wenn ein Reicher sagt, er sei nicht arm“ nicht zu
den folgenden Gedanken: „wenn ein Berühmter sich unbekannt,
ein Müchtiger sich schwach und ein Beredter sich ganz uner-
fahren und unmündig nennt“. Und dann könnte Quint. über
eine derartige Aeußerung eines Reichen nicht so wegwerfend ur-
theilen. Wenn ein Reicher veranlaßt wird sich über seine Ver-
mögensverhältnisse auszusprechen (daß dies vorkommen kann,
wird sich nicht bestreiten lassen), so ist es gewiß nicht unpas-
send, wenn er sagt: „Ich gebe zu, daß ich nicht arm bin“. In
den meisten Ausgaben steht bloß se, Meister schreibt besser : se
et” Er kommt damit der Ueberlieferung näher und beseitigt ne-
benbei eine Unregelmäßigkeit in der Gedankenverbindung. Viel-
leicht darf aus der Ueberlieferung von se neget geschlossen wer-
den, daß Quint. sese et geschrieben hat. Vgl. z. B. I 12, 10;
X 1, 6; XII 10, 79.
Auch die vorhergehenden Worte sind nicht richtig über-
liefert. B N geben illa tactatione, b M ilia in iactatione. Ges-
ner wählte die erstere Lesart und dachte sich gloriari hinzu,
Spalding wählte die letztere und faßte perversa als Neutrum auf.
Ich halte beide Erklärungen für unannehmbar. Capperonnier
Zum XI. Buche des Quintilianus. 77
setzte uti nach perversa ein. Halm und Meister entschieden sich
fir die von Rollin vorgeschlagene Herstellung des Nominativs
iactatio. Durch diese Aenderung wird aber das, was mir an der
Stelle das Bedenklichste zu sein scheint, nicht beseitigt. Kann
_@ als eine verkehrte Prahlerei bezeichnet werden, wenn ein
Richer sich arm, ein Berühmter sich unbekannt, ein Mächtiger
ich schwach und ein Beredter sich ganz unerfahren und un-
nindig nennt ? Daß Quint. hierin keine Prahlerei fand, geht
dutlich hervor aus IV 1, 9 inde illa veterum circa occultandam
doquntiam simudlatio, multum ab hac nostrorum temporum iactatione
dvena. Henke übersetzte perversa durch „künstlich“, Baur durch
‚versteckt. Aber diese Bedeutungen hat das Wort nicht, und
van man dies auch annehmen könnte, auch eine künstliche,
vesteckte Prahlerei wird man in jenen Aeußerungen nicht fin-
den können. Der Prahler hebt seine Vorzüge in anstößiger
Weise hervor, jene Reichen, Berühmten, Mächtigen und Beredten
verbergen ihre Vorzüge in widerlicher Weise; ihre Aeußerungen
sinlalso das Gregentheil von Prahlerei. Diesen Gedanken erhalten
vi, wenn wir schreiben: quam illa iactationi diversa (als jene der
| Prahlerei entgegen gesetzten Aeußerungen). Vgl. $42 iucundissima
tero in oratore humänttas, facilitas, moderatio, benivolentia. sed illa
qu diversa bonum virum decent: malos odisse, publica vice com-
muri, ultum ire scelera et iniurias. Bekanntlich gebraucht Quint.
dirus öfter in dieser Bedeutung und zwar gewöhnlich in Verbin-
dung mit einem Dativ (vgl. z. B. VII 2, 25), weshalb ich nicht
a ixtatione, sondern :/actationi vorschlage. Die Veränderung von
perversa jn diwersa ist nicht leicht, in den Quintilianhandschriften
sind aber manchmal einander ganz unähnliche Präpositionen ver-
seht!) ^ WV er perversa festhalten wollte, müßte entweder nach
VW1,9 ia simulatio (oder occultatio) perversa oder illa iacta-
toni diversa simulatio perversa schreiben. Aber die Veränderung
ton iactatione in simulatio oder occultatio ist weniger leicht, als
1) So gibt II 4, 15 A digressus, B egressus — II 4, 28 A adversa,
B diversa — IL 12, 5 A provenit, B evenit — III 1, 4 A inspirant, B
aspirant — 111 1, 5 A produxit, B induxit — III 11, 28 A incipiet,
Beoncipiet — IV 1,76 A in, B ad — IVI, 70 A relatione, B trala-
tone 1V 2, 18 A discutiendi, B excutiendi — IV 5, 11 A pro, B
(—1V 5, 20 A convertenda, B avertenda — V 10, 108 A b in, B
pst — V 10, 116 A b reprend, B adprendi — V 11, 31 A b separata,
B disparata — V 13, 17 A contrarerit statt detraxerit — V 13, 28 B
de statt in — V 14, 9 AB expositionem statt propositionem — VII 4,
Salle Hdsch. € statt er — VII 5, 3 GS describit statt proscribit,
78 M. Kiderlin,
die von mir vorgeschlagene, und der andere Verbesserungsver-
such empfiehlt sich deshalb nicht, weil es unwahrscheinlich ist,
daB Quint. diversa und perversa so rasch nach einander ge-
braucht hat.
XI 1, 24 in carminibus utinam pepercisset (sc. Cicero), quae
non desierunt. carpere maligni: ‘cedant arma togae, concedat laurea
linguae! et ‘o fortunatam natam me consule Romam!" et Iovem illum,
a quo in concilium deorum advocatur, et Minervam, quae artes eum
edocuit: quae sibi ille secutus quaedam Graecorum | exempla per-
miserat.
Baur übersetzte: „Wäre er doch nur in seinen Gedichten
sparsamer mit seinem Selbstlob gewesen. Böswillige konnten
nicht aufhören sich aufzulassen über die Verse etc.". Aber von
Selbstlob steht in dem Texte nichts, und auch der Zusammen-
hang gibt kein Recht zu dieser Einschaltung. Spalding hätte
gern die Präposition in gestrichen und carminibus als Dativ auf-
gefaßt. Bonnell verwarf diesen Gedanken, da sich vor quae
leicht #s hinzudenken lasse. Wie sollen aber die Akkusative
Iovem illum und Minervam erklärt werden? Da wir es hier
nicht mit wörtlichen Citaten zu thun haben, wie aus dem Man-
gel einer metrischen Form und dem Gebrauche der 3. Person
(advocatur und eum) hervorgeht, so müssen die Worte doch wohl
in die Konstruktion des Satzes eingefügt sein. Von welchem
Verbum sollen aber die Akkusative abhängig sein? Wolff ver-
band sie mit carpere. Ich glaube aber, daß sie nur von dem
Verbum des Wunschsatzes abhängen können. Vielleicht ist also
statt pepercisset repressisset zu schreiben.
XI 1, 32 in iuvenibus etiam uberiora paulo et paene pericli-
tantia feruntur. at in isdem siccum et sollicitum et contractum di-
cendi propositum plerumque adfectatione ipsa severitatis tnvisum est,
quando etiam morum senilis auctoritas inmatura in adulescentibus
creditur.
Was soll unter morum senilis auctoritas verstanden werden?
Henke übersetzte: „eine altkluge Gesetztheit des Charakters“,
Baur: „altkluge Gesetztheit des Wesens“. Hat denn aber
auctoritas die Bedeutung ,,Gesetztheit‘“? Die Stellen II 4, 9
quare mihi ne maturitas quidem ipsa festinet nec musta in lacu
statim austera sint und XI 3, 74 senes austeri ac mites
führen auf den Gedanken, daß Quint. nicht auctoritas, sondern
Zum XI. Buche des Quintilianus. 79
austeritas geschrieben hat; vgl. II 2, 5 non auster itas
eius tristis. austeritas entspricht nicht nur dem vorhergehenden
severitatis besser, sondern es paßt auch besser zu morum, zu se-
niis und zu inmatura.
XI 1, 54 quo fugerit interim dolor tlle? ubi lacrimae substi-
terint? unde se in medium tam secura observatio artium miserit ?
non ab exordio usque ad ultimam vocem continuus quidam gemitus
et idem tristitiae vultus servabitur, st quidem volet dolorem suum
eliam in audientis transfundere? quem si usquam remiserit, in ani-
mum iudicantium non reducet.
Die Worte unde se in medium miserit sollen nach Wolff be-
deuten: ,,quo loco et qua talis orationis parte in auditorum animos
se insinuaverit‘? Dem entsprechend übersetzte Henke: „Wie will
diese kaltblütige Beobachtung der Regeln Eingang ins Herz fin-
den ?“ und Baur: „wie kann eine so kaltblütige Beobachtung
der Kunstregeln den Weg ins Herz finden"? Zumpt, von die-
ser Auffassung nicht befriedigt, schlug in odium vor mit der
Erklärung ,,quando tandem odisse incipiet, quando se in odium ef-
fundere? | Halm und Meister führen diese Konjektur an, woraus
wohl geschlossen werden darf, daß sie die Ueberlieferung für
nicht unbedenklich hielten. |
Mir scheint jeder Anstoß beseitigt zu sein, wenn wir über-
setzen: ,, Wohin ist inzwischen jener Schmerz geflohen? Wo
sind die Thränen geblieben ? Woher ist mitten hinein eine
so kaltblütige Beobachtung der Kunstregeln gekommen“ ? Quint.
will sagen: Wenn ein Vater, welcher über die Tödtung seines
Sohnes oder über eine Vergewaltigung die noch schlimmer ist
als der Tod, zu sprechen hat, in der Einleitung und in dem
Schlusse der Rede seinen Schmerz auch noch so ergreifend kund-
gibt, so wird er doch keinen tiefen Eindruck hinterlassen, wenn
er in der Mitte, in der Erzählung und in der Beweisführung
(vgl. $ 53), kaltblütig die Kunstregeln beobachtet; das Mitleid,
welches er durch seine Einleitung erweckt hat, wird bald ver-
schwunden sein, und durch den rührendsten Schluß wird es ihm
nicht gelingen dasselbe wieder wach zu rufen. Die beiden fol-
genden Sätze und die Worte nam qui intermittere in agendo do-
lorem potest, videtur posse etiam deponere im $ 56 scheinen mir
diese Auffassung zu empfehlen ?).
2) Zu § 56 dürfte zu erwägen sein, ob nicht, da B und N in ipsa
80 M. Kiderlin,
XI 1, 61 aliquando tamen necesse est (sc. in matrem pero-
rare), ut in causa Cluenti Habiti, sed non semper illa via, qua con-
tra Sasiam Cicero usus est, non quia non ille optime, sed quia plu-
rimum refert, qua in re et quo modo laedat.
Zwei Ellipsen würen in dieser Stelle enthalten. Die zweite
(non quia non ille optime) ist von gewöhnlicher Art, leicht läßt
sich fecerit hinzudenken; vgl X 2, 24 und X 3, 25. Anders
urtheile ich über die erste. Was soll zu den Worten sed non
semper illa via hinzugedacht werden? Etwa necesse est? Das
würde dem Zusammenhange nicht entsprechen. Quint. will in
diesem Ahschnitte zeigen, quibus modis ea, quae sunt natura pa-
rum speciosa, non tamen sint indecora dicentibus, durch welche
Mittel z. B. die Durchführung einer Klage gegen die eigene
Mutter schicklich gemacht werden kann. Es handelt sich darum,
was sich ziemt und was sich nicht ziemt; vgl. $ 63 quid de-
ceret — $ 64 tum lenior atque summissior decebit oratio —
§ 65 avertere quoque in alios crimen decet — $ 66 numquam
decebit sic adversus tales agere. personas — § 68 aliquando
etiam inferioribus praecipueque adulescentulis parcere aut videri de-
cet. Ich glaube daher, daß in unserem Satze (etwa nach non
semper) decet einzusetzen ist. Dafür sprechen auch die Worte
non quia mon ille optime; diese haben nur dann einen Sinn, wenn
vorher etwas gesagt worden ist, worin ein Tadel gegen Ci-
cero gefunden werden kann.
XI 1, 68 aliquando etiam inferioribus praecipueque adulescen-
tulis parcere aut videri decet. utitur hac moderatione Cicero pro
Caelio contra Atratinum, ut eum non inimice corripere, sed paene
patrie monere videatur: nam et nobilis et iuvenis et non iniusto do-
lore venerat ad accusandum.
Quint. läßt zwar das Verbum sum oft aus, manchmal auch
ein praeteritum desselben. An den letzten Worten dieser Stelle
fällt es aber doch auf, daß in der ersten Satzhälfte nicht erat
steht, da die zweite ein selbständiges Verbum (venerat) hat. Daß
venerat nicht auch zu der ersten Satzhälfte gehört, suchten die
Herausgeber vor Bonnell dadurch anzudeuten, daß sie nach iu-
venis ein Semikolon setzten, wodurch der Mangel eines Verbums
nur noch mehr in die Augen fällı. Noch ein anderes Bedenken
geben, 12 ipsa zu schreiben ist. 8 23 hat Halm aus intuenda (B N)
tlla tuenda gemacht, worin ihm Meister folgte.
Zum XI. Buche des Quintilianus. 81
erregen mir die Worte. Da praecipueque adulescentulis voraus-
geht, so kann jeder Leser, wenn er es auch vorher nicht wußte,
sich leicht denken, daß Atratinus, welcher als Beispiel dafür
dienen soll, wie schonend Cicero manchmal junge Leute behan-
delte, ein Jüngling war. Daß Quint. dies doch ausdrücklich
sagt, ist an und für sich nicht anstóBig ; aber das scheint mir
bedenklich zu sein, daß das jugendliche Alter, welches in die-
sem Zusammenhange doch in erster Linie in Betracht kommt,
zwischen anderem (,denn er war sowohl vornehm als auch
jung und ein nicht ungerechter Schmerz hatte ihn zu der An-
klage getrieben“) angeführt wird. Auch die Uebersetzer schei-
nen dies bedenklich gefunden zu haben. Denn Henke iiber-
setzte: „Denn es war ein junger Mensch und vom Stande; dazu
war er mit nicht ungerechter Betrübniß zur Anklage erschie-
nen*, und Baur: ,Denn er war ein junger Mensch von vorneh-
mem Stande, und war durch einen nicht unbegründeten Schmerz
zum Anklagen veranlaDt worden‘; sie erlaubten sich also eine
Abweichung von dem lateinischen Texte.
Vielleicht ist das zweite et in erat zu verändern. Dann
können wir übersetzen: „Der Jüngling war ja auch von vor-
nehmer Herkunft und ein nicht ungerechter Schmerz hatte ihn
zu der Anklage veranlaßt“. Der Satz gibt dann die Gründe
an, warum Cicero den Atratinus so besonders rücksichtsvoll
(paene patrie) behandelte. Nicht nur sein jugendliches Alter,
sondern auch seine vornehme Herkunft und sein gerechter
Schmerz bestimmten ihn hiezu.
XI 1, 68. Sed in his quidem, in quibus vel iudici vel etiam
adsistentibus ratio nostrae moderationis probari debet, minor est la-
bor: illic plus difficultatis, ubi ipsos, contra quos dicimus, veremur
offendere.
Die Handschriften geben, wie es scheint, sämmtlich oratio;
wer zuerst ratio geschrieben hat, gibt weder Halm noch Meister
an. Was soll unter ratio hier verstanden werden? Die Er-
klárer bemerken nichts hierüber. Henke übersetzte: „Allein,
sich dem Richter oder den Anwälten der Gegenpartei durch
sanfte Mäßigung empfehlen müssen, kostet nicht so gar viele
Mühe“, Baur: „Doch solche Fälle, in welchen unsere Mäßigung
bei den Richtern oder den Umstehenden Beifall finden soll, ko-
sten weniger Mühe‘; beide berücksichtigten also ratio gar nicht.
Philologus. N.F. Bd. II, 1. 6
82 M. Kiderlin,
Uebrigens scheint mir der Gedanke, welchen die Uebersetzer in
den Worten gefunden haben, auch nicht in den Zusammenhang
zu passen. In den Fällen, von denen im vorigen Abschnitte
die Rede war, (cum est filio filiive advocatis in matrem peroran-
dum cet. haben die Redner dem Richter oder den Zuhörern
nicht ihre Mäßigung annehmbar zu machen, sie haben ihnen
vielmehr ihre Rede durch Beobachtung weiser Mäßigung an-
nehmbar zu machen. Es dürfte daher zu schreiben sein: oratio
nostr a moderation e probari debet, Da das Possessivpronomen hier
nicht zu betonen ist, so steht dasselbe auch passender nach dem
Substantivum, als vor demselben. Möglich ist es auch, daß
Quint. geschrieben hat: oratio nostra colore moderationis p. d.;
vgl. $ 85 mollienda est in plerisque aliis colore asperitas orationis
und $ 49 sollicitudinis colorem.
XI 1, 71—72 haec est profecto ratio et certissimum praecep-
torum genus illius viri observatio, ut, cum aliquid detrahere salva
gratia velis, concedas alia omnia: in hoc solo vel minus peritum
quam in ceteris, adiecta, si potuerit fieri, etiam causa cur id ita sit,
vel paulo pertinaciorem vel credulum vel iratum vel inpulsum ab
aliis. hoc enim commune remedium est, &i tota actione aequaliter ap-
pareat non honor modo eius, sed etiam caritas.
$ 68 sagte Quint., schwieriger sei das Verfahren in jenen
Fällen, wo wir diejenigen selbst, gegen welche wir sprechen, zu
beleidigen uns scheuen müssen. Statt sofort darzulegen, welches
Verfahren er in solchen Fällen für rathsam hält, theilt er zu-
nächst in den beiden folgenden $$ mit, wie es Cicero in einem
solchen Falle gemacht hat. Dann fährt er, indem er aus dem
Verhalten dieses Mannes in einem einzelnen Falle eine allge-
meine Regel ableitet, meiner Ansicht nach in folgender Weise
fort: „Dies ist fürwahr das Verfahren, wie denn die Beobach-
tung jenes Mannes die zuverlässigste Art von Vorschriften ist,
daß man nämlich, wenn man, ohne anstoßen zu wollen, etwas
absprechen will, alles andere zugesteht, daß man sagt, nur in
dieser einen Beziehung sei jener weniger erfahren, als in den
übrigen etc. Dies ist für jene Fälle das gemeinsame Heilmittel,
nur ist es nothwendig, daß in der ganzen Rede gleichmäßig
nicht nur die Achtung vor demselben, sondern auch die Liebe
zu ihm hervortritt“.
Aus dieser Uebersetzung geht bereits hervor, daß ich meh-
Zum XI. Buche des Quintilianus. 88
rere Textesänderungen für nothwendig halte. Erstens kann ich
nicht glauben, daß, wie Spalding und Wolff wollten, certissimum
pr. genus als Apposition von observatio angesehen werden kann.
observatio, was nach Wolff hier so viel als imitatio sein soll,
kann nicht mit ratio verbunden werden; denn haec weist offen-
bar auf die zwei vorhergehenden $$ zurück, und in diesen ist
nicht von einer Beobachtung oder Nachahmung des Cieero die
Rede, sondern von dem Verhalten desselben gegen Sulpicius und
Cato bei der Vertheidigung des Murena. Noch weniger kann
observatio als Apposition von certissimum pr. genus angesehen
werden,: was die Uebersetzer angenommen zu haben scheinen.
Baur übersetzte nämlich : „In der That ist dies die Theorie und
die sicherste Regel der Kunst, die man diesem Mann abmerken
kann“; ähnlich schon Henke. FT M geben: ut cum et. Daraus
mache ich: ut est. cum ist vielleicht deshalb eingedrungen,
weil auf der nächsten Zeile nach ut cum folgt. — Zu den
Worten in hoc solo etc. vermißte Spalding ein Verbum, er wollte
dicas zwischen ceteris und adiecta eingesetzt haben. Mir scheint
ein solches Verbum eher entbehrlich zu sein (vgl $ 88 non
mirum und hoc fieri) als ein Subjektsakkusativ zu den Prädi-
katen peritum, pertinaciorem etc. Vielleicht ist zu schreiben: pe-
rium esse istum. Nach perétum konnte esse istum ganz leicht
ausfallen, und iste wäre das entsprechende Pronomen. Natür-
lich kann auch dicas esse istum ausgefallen sein. — Im näch-
sten Satze gebe ich :llis den Vorzug vor enim, was nur G gibt.
Schreibt man illis, so hat es nichts Anstößiges, daß zwei auf-
einander folgende Sätze mit dem gleichen Pronomen anfangen ;
wir haben dann eine Anaphora. Uebrigens scheint mir enim
auch dem Zusammenhange nicht zu entsprechen. Unter is
(Neutrum) kann man jene Fälle verstehen, bei welchen wir die-
jenigen selbst, gegen welche wir sprechen, zu beleidigen fürchten
müssen (vgl. $ 85 in plerisque aliis). — Das vor tota stehende
si ist eine Konjektur von Regius. Alle Handschriften geben
nisi. Meister schlug daher vor: est irritum, nisi. Dadurch
erhielten wir aber einen Gedanken, welcher mir nicht in den
Zusammenhang zu passen scheint; jedenfalls würde man autem
erwarten statt enim. Gegen die Aenderung von Regius aber
spricht der Konjunktiv appareat; man würde eher den Indikativ
erwarten. Becher (J. B. von Bursian-Müller 1887 S. 58) möchte
6*
84 ^ M. Kiderlin,.
nist durch ut ersetzen mit Hinweis auf $ 87. Mir scheint diese.
Aenderung doch zu stark zu sein; daß aus ut zuerst in, dann
nisi wurde, oder daß nisi aus einer Dittographie von mst ent-
standen ist und dann ut verdrängt hat, ist nicht sehr wahr-
scheinlich. Vielleicht ist eine Lücke anzunehmen und zu schrei-
ben: nisi quod necesse est tota etc. Lüeken sind ja in den-
jenigen Theilen, welche uns weder durch A noch durch Bn über-
liefert sind, sehr häufig . nisi quod findet sich ebenso gebraucht
I 4, 9; III 6, 43; VII 2, 56; IX 2, 59; 4, 145. Durch den
mit nisi quod angeknüpften Satz würde Quint. eine Bedingung
beifügen, welche nach seiner Meinung erfüllt werden muB, wenn
das von Cicero vorgemachte Mittel zu voller Wirkung kommen
soll; die Erklärung, daß man alles andere zugestehe, ist nicht
genügend, es muB aus der ganzen Rede gleichmäßig die Ehr-
erbietung und die Werthschätzung hervorleuchten.
XI 1, 80. Tubero iuvenem se patri haesisse, illum a sendtu
missum non ad bellum, sed ad frumentum coemendum ait, ut pri
mum licuerit, a partibus recessisse: Ligarium et perseverasse ei non
pro Cn. Pompeio . . . ., sed pro luba atque Afris inimicissimis
populo Romano stetisse.
recessisse kann sich nur auf illum, den Vater Tubero,
beziehen. Spalding hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß
die Behauptung, jener habe sich sobald als möglich von der
pompejanischen Partei losgesagt, nicht mit dem übereinstimme,
was Cicero von demselben erzählt hat. Man kann dagegen sa-
gen, "Tubero habe eben die Sache zu seinen Gunsten, Cicero
aber zu Ungunsten desselben dargestellt. Ich habe aber noch
ein anderes Bedenken. Als Tubero gegen Ligarius sprach, hatte
er sich selbst zu rechtfertigen, nicht seinen Vater. Die Behaup-
tung, daß der Vater nicht zum Zwecke der Kriegsführung abge-
schickt worden sei, diente zu seiner eigenen Rechtfertigung ; wenn
sich dies wirklich so verhielt, dann brauchte er sich nicht zu
bedenken sich dem Vater anzuschließen, dann konnte ihm aus
seinem Anschlusse kein Vorwurf gemacht werden. Durch den
Hinweis darauf aber, daß jener sobald als möglich von Pom-
pejus sich losgesagt habe, konnte er seinen Anschluß nicht ent-
schuldigen ; denn daß dies geschehen werde, konnte er ja bei
der Abreise noch nicht wissen. Ich glaube daher, daß recessisse
se zu schreiben ist. Die Nachstellung von se könnte nicht auf-
Zum XI. Buche des Quintilianus. 85
fallen wegen des Gegensatzes zu den Worten: Ligarium et perse-
verasse. Vgl. $ 92, wo Meister nach dem Vorschlage von Gertz
nach egisse se eingesetzt hat.
XI 1, 82 ut cum pater ex meretrice natum, quod
duzerit meretricem tn matrimonium , abdicat: scholastica materia,
sed non quae $n foro non possit accidere. hic igitur multa non
deformiter dicet: vel quod . . . ., vel quod humilior ipse fuerit (li-
cet enim huic ducere), vel quod etc.
Zwei Lücken sind in diesem $ bereits ausgefüllt. Ich
glaube, daß noch eine dritte auszufüllen ist. G S geben: hoe
ducere. Die frühere Lesart Aoc dicere (M) ist offenbar unpas-
send. Halm schrieb nach Spalding: huic ducere; huic soll be-
deuten eius conditionis homini. Spalding meinte, daß noch eine
weitere Aenderung nothwendig sei, daß nämlich statt licet licebat
oder Zicuit geschrieben werden müsse, und Meister schreibt denn
auch: Zicutt enim huic ducere. Damit erhalten wir aber nur
den Gedanken: „es war ja einem Manne von dieser Stellung das
Heirathen erlaubt". Gerade der Begriff, auf welchen es hier in
erster Linie ankommt, meretríces, ist nicht ausgedrückt. Ich
nehme eine Lücke an und schreibe: licet enim hoc loco natis
meretrices ducere. Das Präsens licet wird nicht beanstandet
werden kónnen. Warum sollte Quint. nicht in Parenthese die
Bemerkung beifügen kónnen: „es dürfen ja Männer dieses Stan-
des Buhldirnen heirathen" — ?
XI 1, 87—88 in quibus omnibus commune remedium est, ut
ea, quae laedunt, mon libenter tractare videaris, nec in omnia im-
petum facias, sed in id, quod expugnandum est, et reprendens alia
laude conpenses: si cupidos milites dicas, sed non mirum, quod pe-
riculorum ac sanguinis maiora sibi deberi praemia putent: eosdem
petulantes, sed hoc fieri, quod bellis magis quam paci consuerint, li-
bertinis detrahenda est auctoritas: licet tis testimonium reddere indu-
striae, per quam exierint de servitute,
Die Kritiker vermiften zu reprendens ein Objekt. Francius
wollte daher vor diesem Worte ea, Rollin quaedam, Lach-
mann nach demselben alia einsetzen, Spalding wollte et in
quod, Halm aka in aligua, Gertz reprendens in repren-
denda verändern. Da mir der Zusammenhang einen Sing u-
lar zu fordern scheint, so halte ich es für erwügenswerth, ob
86 M. Kiderlin,
nicht aliquid vor alia einzusetzen ist. Vgl. $ 71 ut, cum ali-
quid detrahere s. g. velis, concedas alia omnia.
Statt cupidos milites dicas, sed geben alle Handschriften :
cupidum dedicasset. Diese Ueberlieferung wird, glaube ich sorg-
fältiger berücksichtigt, wenn wir aus cupidum dedicas machen:
cupidum militum ordinem dicas, Nach cupidum konnte militum
leicht ausfallen, und in de läßt sich ein Rest von ordinem er-
kennen. Im vorhergehenden $ aber hat Quint. davor gewarnt,
ganze Stände totos ordines, zu beleidigen. Vgl. VI 3, 34 si aut
nationes totae incessantur aut ordines. — Aus dicasset hat Spal-
ding dicas sed gemacht. Gertz hat bereits darauf aufmerksam
gemacht, daß man, wenn man das annimmt dann auch besser
mit Spalding s in sic verändert. Ich glaube aber, daß etwas
anderes in dicasset steckt. Da Quint. im vorhergehenden $ ge-
sagt hat: sed interim fides patrocinii cogit quaedam de universo
genere aliquorum hominum dicere, libortinorum vel militum etc., so
ist vielleicht zu schreiben: dieas necesse est oder mec. sit („daß
man, wenn man den Stand der Soldaten habgierig nennen muß,
sagt, es sei kein Wunder, wenn sie meinten, daß ihnen für die
bestandenen Gefahren und das vergossene Blut grófere Beloh-
nungen gebührten“; vgl. zu $ 71). Für necesse est spricht ex-
pugnandum est und detrahenda est. Gegen das von Spalding ein-
geführte sed spricht, daB dann auch vor Aoc fieri sed geschrieben
werden mnß, während dort das durch alle Handschriften be-
glaubigte et ganz unbedenklich ist. Es läßt sich ganz gut dnrch
„auch“ übersetzen; auch die petulantia der Soldaten läßt sich
ebenso, wie ihre cupiditas, durch ihren Beruf entschuldigen. —
Vor libertinis ist vielleicht s? ausgefallen; für nothwendig
halte ich jedoch die Einsetzung der Konjunktion nicht.
XI 1, 90 verborum etiam moderatione detrahi solet, si qua
est rei invidia: si asperum dicas nimium severum, iniustum persua-
sione labi, pertinacem ultra modum tenacem esse propositi: plerum-
que velut ipsos coneris ratione vincere, quod est mollissimum.
Die Worte plerumque . . . vincere vermochte niemand in
befriedigender Weise zu erklären. Rollin, Burman und Spal-
ding nahmen Anstoß daran, daß die Worte mit dem Vorherge-
henden gar nicht verbunden seien. Spalding dachte daran, ob
nicht vielleicht nach proposita ita einzusetzen sei, war jedoch
selbst von diesem Gedanken nicht befriedigt. Aber der Mangel
Zum XI. Buche des Quintilianus. 87
einer Verbindung ist es nicht allein, welcher mir diese Worte
bedenklich macht. Was soll plerumque? Was soll velut? Baur
übersetzte: „Man suche solche Menschen mit Vernunftgründen
zu beschümen", lief) also diese beiden Wörter unübersetzt.
Vielleicht ist plerumque mit dem vorhergehenden Satze zu
verbinden. Wenn man von einem Eigensinnigen sagt, er halte
gewöhnlich übermäßig an seiner Absight fest, so drückt man
sich noch milder aus, als wenn man „gewöhnlich“ wegläßt. Vel
kann nach que durch Dittographie entstanden sein. Schreiben
wir: propositi plerumque, ut, so können wir übersetzen: „wenn
man von einem Hartherzigen sagt, er sei zu streng, von einem
Ungerechten, er irre in seiner Ueberzeugung, von einem Eigen-
sinnigen, er halte gewöhnlich übermäßig an seiner Absicht fest,
so daß man sie selbst durch Vernunft zu besiegen versucht, was
das mildeste Verfahren ist“. Durch eine solche Mäßigung in
der Ausdrucksweise gelingt es dem Redner vielleicht, diejenigen
selbst, welche er anzugreifen hat, durch Vernunft zu besiegen.
XI 1, 91 cuius rei (sc. modi) observatio iudicio magis quodam
sentiri quam praeceptis tradi potest, quantum satis sit et quantum
recipiant aures: mon habet res mensuram et quasi pondus, quia ul
in cibis alia alits magis complent.
Das durch alle Handschriften überlieferte haberet reman-
suram haben alte Herausgeber verändert in habet haec res men-
suram. Aus haberet haben sie also habet haec gemacht, gewiß
keine leichte Aenderung. Halm ließ haec weg, Meister behielt
es bei. Ob man aber das Pronomen weglälit oder beibehält, so
wie so kann ich keinen befriedigenden Sinn in diesen Worten
finden. Baur übersetzte: ,,Die Sache selbst gibt keinen Maf-
stab und kein Gewicht". Man sollte aber meinen, daß gerade
die Sache einen Maßstab gäbe. Der Zusammenhang scheint mir
folgenden Gedanken zu fordern: „Es gilt nicht für jede Sache
gleiches MaB und Gewicht". Ich schlage daher vor: mon habet
res omnis parem mensuram etc. Das überlieferte haberet konnte
gewiß leichter aus habet res entstehen, als aus habet haec oder
habet (vgl. VI 3, 51 wo A G M pervenires geben statt pervenit
res); die Einsetzung von omnis pa aber wird bei der lücken-
haften Ueberlieferung unseres Textes nicht als zu gewaltsam be-
zeichnet werden können.
(F. £)
München. M. Kiderlin.
VI.
Der Tod des Philippos Aridaios 316 v. Chr.
Das Todesdatum des Königs Philippos Aridaios, von be-
sonderer Wichtigkeit deßwegen weil von ihm die Zeitbestimmung
vieler früheren und späteren Ereignisse abhängt, ist scheinbar
sicher und leicht aus der Angabe des Diodoros XIX 11, er
habe 6 Jahre 4 Monate geherrscht, zu entnehmen und bisher
von allen ohne Ausnahme ihr gemäß bestimmt worden: da Ale-
xander d. Gr. am 28. Daisios (Thargelion) Ol. 114, 1, d. i.
(nach Jul. Valer. 3, 35, s. Phil. XXXIX 494) dem 4. Phar-
muthi des ägyptischen Wandeljahres — 13. Juni 323 gestorben
und Aridaios bald darnach König geworden ist, so kommt man
mit dem Sturz desselben an der Hand jener Angabe in den
Herbst 317. Wir besitzen aber noch eine zweite ebenso be-
stimmte, welche seinen Tod in den Sommer 816 bringt: die
Excerpte des Eusebios (im I. Buch seiner Chronik) aus Por-
phyrios zählen demselben 7 Regierungsjahre und zwar genau 7,
keinen Monat mehr oder weniger '), anhebend mit dem 1. Monat
(Hekatombaion) von Ol. 114, 2. 323/2, und ablaufend mit dem
Ende von 115, 4. 317/6 ?). Zwar rechnet Diodoros nur bis
1) Philol. XXXVHI 457 fg. Porphyrios zählt bis Antigonos Go-
natas Jahre und Monate, ausgenommen die Regierungen, deren Dauer
keinen Ueberschu8 von Monaten enthielt.
2) Nach der Weise der alten Chronographen mit Anfang im He-
katombaion 114, 2. 328 und Abgang im Hekat. 116, 1. 816 gleich-
bedeutend.
Der Tod des Philippos Aridaios 316 v. Chr. 89
zum Sturz, Porphyrios dagegen bis zum Tode des Aridaios;
aber der Widerspruch wird dadurch nicht gehoben: die Zwi-
schenzeit zählt Diodoros nicht nach Monaten sondern nach Tagen
(txt woddag nuégas), sie betrug also höchstens ein paar Monate.
Die Autorität des Porphyrios ist, obgleich er drei Jahr-
hunderte spüter geschrieben und demnach vielleicht eine abge-
leitete Quelle benutzt hat, so groß wie die des Diodoros: was
jenem an Alter abgeht, ersetzt er durch größere Sorgfalt; Fehler
haben beide gemacht. Wären wir bloß auf Abwägung der zwei
Angaben gegen einander angewiesen, so würde das einzige Kri-
terium, welches man dann zu Hülfe nehmen könnte, zu Gunsten
der 7 Jahre sprechen: die Rücksicht auf die Möglichkeit eines
Textfehlers auf der einen oder der andern Seite. Die 7 Jahre
werden von Porphyrios in der ägyptischen Chronographie (Eu-
seb. I 161), in der makedonischen (I 230) und thessalischen
(I 241) übereinstimmend angegeben, ebenso von Eusebios I 241.
246 in den aus beiden letzten gezogenen Listen; überdies dient
ihnen die Jahrzählung der Regierungsnachfolger zur Bestätigung.
Dagegen die 6 Jahre 4 Monate stehen nur einmal bei Diodoros
und können, da Zahlen einer Entstellung mehr ausgesetzt sind
als andere Wörter, leicht dem Versehen eines Abschreibers ihre
jetzige Gestalt verdanken. Daß Diodoros in der That eine an-
dere Zahl vorgefunden (und angegeben) hat, soll jetzt gezeigt
werden.
Demetrios von Phaleron regierte Athen 10 Jahre lang, Dio-
doros XX 45 und Diogenes V 75 £r déxu; Strabon IX 398
iol qao xai Belmore tore a0robg mohitevoucFus dexası] X00-
vor, Or nox& Muxedovwv Kuoouvdoos; Demetrios selbst gab der
Schrift, in welcher er später seine Staatsverwaltung rechtfertigte,
den Titel regt ıng dexasitus. Demetrios und Diogenes haben
sicher Archontenjahre im Sinn; bei Diodor liegt wahrscheinlich
Hieronymos zu Grunde, welcher nach Naturjahren, beginnend
mit dem Frühling .rechnet. Demetrios legte sein Regiment am
27. Thargelion 118, 1 — 12. Juni 307 nieder (Diod. XX 45
5 vorequlu nach dem 26. Tharg., s. Plutarch Demetr. 8), das
erste der 10 Archontenjahre ist also 115, 4. 9317/6 und sein
Antritt fällt zwischen 5. Juli 317 und Frühlings Anfang 316.
Wenn trotzdem allgemein derselbe in das J. 318 (Okt. oder
Nov., Droysen) gesetzt wird, so ist das die nothwendige Conse-
90 G. F. Unger,
quenz der aus Diodors Textüberlieferung abgeleiteten Ansicht,
daß Aridaios schon 317 um Thron und Leben gekommen sei:
denn der Thronwechsel in Makedonien fällt ein Jahr später als
die Einsetzung des Demetrios in Athen. Nachdem Kassandros
diese vollzogen hatte, beschäftigten ihn, wie Diodoros XVIII 75
erzählt, die Abfallspläne seines Befehlshabers in Munychia (XVIII
74); dann machte er einen Einfall in Makedonien (XVIII 75),
welcher glücklich anfing (XIX 35) aber, was Diodoros übergeht,
nicht zum Ziel führte; entschädigt wurde er durch den günsti-
gen Umschwung der Stimmung in Hellas. Wo und wie sich
dieser geäußert hat, theilt Diodoros ebenfalls nicht mit; aber
aus der nächsten Jahresgeschichte erfahren wir, daß er in der
Peloponnesos gegen Polysperchons Sohn und die mit diesem ver-
bündeten Städte Krieg führte, als Polysperchon mit Olympias
gegen Philippos Aridaios heranzog (XIX 11), und die Ermor-
dung desselben erfuhr er bei der Belagerung von Tegea (XIX 35).
Die Angabe, daß Demetrios 10 Jahre regiert hat, nennt
Droysen Hell. II 1. 235 mit Unrecht?) nicht ganz genau: sie
lautet ganz bestimmt und ist so gut verbürgt wie nur irgend eine,
einerseits durch das authentische Zeugniß des Demetrios selbst
andrerseits durch die Uebereinstimmung so vieler, von einander
unabhängiger Zeugen, und sie wird dadurch bestätigt, daß die
Angabe des Porphyrios über Aridaios, welche, wie oben be-
merkt, an sich betrachtet der des Diodortextes vorzuziehen ist,
den Tod desselben eben in das Jahr 316 bringt, in welches er
fallen muß, wenn die um ein Jahr frühere Einsetzung des De-
metrios 10 Jahre vor 307, also 317 geschehen ist. Ueberdies
ist die Monatszahl Diodors für Aridaios, auf welcher allein der
herrschende Ansatz des makedonischen Thronwechsels beruht,
der Textverderbniß dringend verdächtig, weil noch ein drittes
Zeugniß vorliegt, welches eine weit höhere voraussetzt.
Daß die angeblichen 61/s Jahre des Philippos Aridaios nur
bis zur Gefangennahme, nicht bis zur Hinrichtung desselben ge-
rechnet sind, lehrt nicht bloß der Wortlaut, Diod. XIX 11 @f-
Ammo» mgoctrate Ogalí now xxevrjoa faciAén yeyevnuévov 8E
Fm xal pivaç terıugag, sondern auch der übrige Text: nur bis
3) Auch bei seiner Auffassung, nach welcher sie vielmehr falsch
(statt 11) sein müßte; aber diese Bezeichnung anzuwenden erlaubte
die Güte und Menge der Zeugnisse nicht.
Der Tod des Philippos Aridaios 316 v. Chr. 91
zur Gefangennahme wird von Diodor Aridaios als König, Eu-
rydike als Königin betrachtet, von da an der Olympias das
Königthum zuerkannt: C. 11 Démos uiv ovv Baotdets evtis
jaw, 0 Evovdlxn sl; MuqinoAw anoywpouc« ourskipdn. 108-
tov dì tov zoonov 'Olvumg tv Buosdeluv muguluBovon xi. ;
gleich nach seinem Tod: Euvgudlxyy magoncialouévgr avin uad-
dov moocizev neg Olvumıadı moooyxew rjv Pucıkeluv, dann:
Evovdlxn tov üvdgx (die Leiche des Aridaios) megseossılev. Da-
gegen Porphyrios rechnet bis zum Tode des Aridaios, Euseb. I
230 Aoylleras dì avi Erg D. enélCyoe yag ayos Exurooing nevre-
xadexarng ÖAvumıados Erovs d° (incl). Mit Aoyilsrw zeigt Por-
phyrios an, daß man auch anders rechnen konnte, d. h. daß er
in Wirklichkeit nicht so lange regiert hat; die andere bloß bis
zur Entthronung führende Zählung ist offenbar deßwegen ver-
worfen worden, weil sie Jahre und Monate, nicht wie diese bloß
Jahre ergibt (vgl. Anm. 5). Die Thronbesteigung des Aridaios
setzt Porphyrios richtig an den Anfang von Ol. 114, 2: denn
bis zu ihr hatte Alexanders Leiche unbestattet gelegen, 30 Tage
lang nach Aelianus var. h. XII 645); vom 13. Juni 323 füh-
ren diese auf 12. Juli, attisch 2. (bei Kallippos 1.) Hekatom-
baion oder den folg. Tag. Der Hekatombaion 116, 1, in wel-
chen sein Tod fällt, beginnt 24. Juli 316; 1—3 Monate etwa
(uoÀÀag $ufoac) hatte seine Gefangenschaft gedauert, so daß auf
seine Regierung 6 Jahre 9—11 Monate kommen. Dies bestä-
tigt ein vielleicht dem Dexippos entlehntes Zeugnif, bei Syn-
kellos S. 505 wera '""MAéEavógov ng Ee Muxedovwv perovonacdeòs
in’ avrayv Dllinnog — èyyùc Erg C. Um so sicherer dürfen
wir daher bei Diodoros einen Textfehler annehmen: die leich-
teste Aenderung, eigentlich gar keine Aenderung sondern nur
andere Lesung ist (85 £rg xai wivac) déxa: ein Schreiber hat
die Ziffer 4 in ihrer späteren Bedeutung (4) genommen, während
die ältere (10) gemeint war. Dazu stimmt, daß Olympias, welche
nach Porphyrios®) 1 Jahr regierte, nach Anfang des Frühlings
4) Curtius X 10, 9 septimo die ist Irrthum oder Schreibfehler, s.
Zenon und Antigonos, Akad. Sitzungsb. München 1887 S. 144.
5) Das Jahr der Olympias wird der Regierungszeit des Kassandros
zugerechnet, schreibt er b. Eus. I 234, 18, was insofern ungenau ist,
als die 2 ersten Monate schon dem Aridaios gezählt sind. Hätte das-
selbe im Hekatomb. 116, 1 begonnen und Hek. 116, 2 geendigt, so
würde Olympias sicher besonders aufgeführt gewesen sein und Kas-
92 G. F. Unger,
315 (Diod. XIX 50. 51) gefangen genommen und getödtet wor-
den ist, dies trifft auf den Munychion; in diesen dürfen wir also
auch die Gefangennahme des Aridaios, mit welcher ihre Regie-
rung anhebt, setzen, den 10. Monat seit Hekatombaion ©).
Die im Vorstehenden gewonnene Datirung des Philippos
Aridaios und Demetrios Phalereus gibt Anlaß, verschiedene Er-
eignisse der Jahre 818—315 anders zu stellen als bisher theils
von Droysen u. a. theils von mir im Anschluß an die unrich-
tigen Data jener beiden geschehen ist. |
Demetrios ist Ol. 115, 4, mithin frühestens 1. Hekatomb.
— 5. Juli 317 eingesetzt, Aridaios um Munychion 115, 4 =
26. April / 26. Mai 316 entthront worden. Im Frühling 316
eröffnete also einerseits Polysperchon den ,,Frauenkrieg“, welcher
Olympias an die Stelle der Eurydike als Oberhaupt des könig-
lichen Hauses bringen sollte, andrerseits Kassandros den pelo-
ponnesischen Feldzug gegen Polysperchons Sohn; dem vorherge-
henden Winter 317/6 dürfen wir den größten Theil der Vor-
günge in den hellenischen Stüdten zuweisen, welche einen Um-
schwung der Stimmung gegen Polysperchon zu Gunsten Kas-
sanders ausdrückten; dem August und September’) 317 den
ersten, ungünstig verlaufenen Einfall Kassanders in Makedonien;
vor diesem hatte er mit der Untreue des Nikanor in Munychia
zu schaffen; die noch früher geschehene Einsetzung des Deme-
trios Phalereus dürfte also ungefähr im Hekatombaion gesche-
hen sein.
Eine Stütze der bisherigen Anordnung bildete eine Stelle
Diodors, nach welcher es den Anschein hat, als sei Nikanor von
der glücklichen Seeschlacht bei Byzantion erst nach der Ein-
setzung des Demetrios Phalereus zurückgekehrt: denn diese
Schlacht läßt sich nicht anders als mit Droysen in das J. 318
(Herbst) setzen. Es ist aber nur ein fahrlässiges Anakoluth,
welches jenen Schein erweckt: der Verdacht des Strebens nach
sandros 18 st. 19 Jahre erhalten haben ; maßgebend war das Streben,
die Zahl der nach Monaten zählenden Regierungen thunlichst zu ver-
mindern.
6) Justinus XIV 5, 10 (Aridaeus) sex annis potitus regno = Ol.
114, 2. 323/2 — 115, 4. 317/6. i
7) Diyllos, hier Diodors Quelle, setzt den Jahreswechsel um die
Herbstnachtgleiche (S. 99); der Feldzug bildet aber den Schluß die-
ser Jahresgeschichte.
Der Tod des Philippos Aridaios 316 v. Chr. 98
eigener Herrschaft, welchen Nikanor nach seiner Rückkehr er:
regte, kann, da er durch keine Entdeckung irgend eines be-
stimmten Unternehmungsplanes oder einer Handlung. der Un-
treue, sondern nur durch sein selbstbewußtes Auftreten und die -
ohne Noth fortgesetzte Unterhaltung eigener Söldner erregt und
genährt wurde, erst nach langer Zeit so erstarkt sein, daß Kas-
sander sich entschloß, Nikanor aus dem Weg zu räumen. Die-
ser kam im Herbst 318 nach Munychia zurück und wurde im
August oder September 817, nach der Einsetzung des Deme-
trios und vor dem ersten Einfall Kassanders in Makedonien, be-
seitigt; daß dieser Einfall noch nicht stattgefunden hatte, aber
bevorstand , schließt Droysen II 226 treffend aus Polyainos IV
11, 2. Diodor hat wie in vielen andern Fällen durch fahrläs-
sige, das veränderte Zeitverhältniß nicht ausdrückende Darstel-
lung eine anachronistische Verknüpfung hervorgebracht, beste-
hend in der Erzühlung eines dem laufenden Jahre nicht ange-
hórigen, aber mit der Geschichte desselben zusammenhüngenden
Vorganges. Er schreibt XVIII 75 nach der Angabe über die .
Einsetzung des Demetrios Phalereus: were dì ruvım (Nixavogog
xutandsvoarioc &lg tov [lege xexoounutro 19 ordiw 10ig ano
mo ví(xgg uxpoorodloss TO uiv ngurov anodoyng urtov NElwoe ue-
yuAns 6 Keoouvdoos did 106 ebmueolus peta dé rovro) oewy
adrov Oyxov nAjon| xci negoormuuriouéror — xelvag aviòv dÀ-
Aotoee mooveir édolopornoer. Das hier von uns Eingeschlossene
gehórt dem Vorjahr an und Diodoros meinte es sicher auch nicht
anders, hat aber mit 7&/woe (statt xoà «&woarroc) ein Anakoluth
begangen, durch welches auch der Inhalt der eingeschlossenen
Worte dem laufenden Jahre zufüllt und in die Zeit nach De-
metrios Einsetzung geräth.
Die nachlässige Flüchtigkeit dieser Darstellung erklärt sich
aus dem Streben mit dem Buch (C. 75 bildet den Schluß des- .
selben) zu Ende zu kommen; daher kommt es auch, daf er den
ersten makedonischen Feldzug mit seinen wechselnden Schick-
salen auf zwei Zeilen abthut und nur die Thatsache des Ein-
falls aber gar nichts Näheres, nicht einmal den Ausgang mit-
theilt (S. 91). Aehnlich hat er im vorh. Capitel die Vorge-
schichte der Einsetzung des Demetrios behandelt. In C. 64 ff
erzählt er, was 918 in Attika geschehen war, unter andern den
Mißerfolg Kassanders bei der Belagerung von Salamis; daß er
94 G. F. Unger,
aber Salamis schließlich (317) doch gewonnen hat, übergeht er
ebenso wie den aus Inscr. Att. II 584 bekannt gewordenen
Bürgerkrieg zwischen dem attischen Demos und den im Pei-
raieus vereinigten Aristokraten, welche mit Kassandros gemein-
same Sache machten. Weiter hat er auch die Unternehmungen
Polysperchons in Hellas (vgl. S. 91) nach dem Abzug von Me-
galopolis nur flüchtig und nebenbei berührt; erst jetzt zeigt es
sich, daß von diesem Ereigniß des Sommers 318 ab bis zu sei-
nem Erscheinen in Epeiros, von wo er Frühj. 316 mit Olympias
und Aiakides gegen Eurydike zog, seiner bei Diodoros kaum
eine vereinzelte Erwähnung geschieht.
Nachdem erkannt ist, daß Aridaios nicht 317 und Olym-
pias nicht 316, sondern beide ein Jahr später den Tod gefun-
den haben, läßt sich auch die Frage, ob Eumenes am Anfang
916, wie Droysen u. a. wollen, oder, wie ich behauptet habe,
im Januar 315 getódtet worden ist, zum Austrag bringen. Mit
bloßer Abschätzung der Zeit, welche die Heerbewegungen und
Rasten vermuthlich weggenommen haben mögen, kommt man
hier nicht zum Ziel: wenn Droysen, Festzeit der Nemeien, Her-
mes 1879. XIV 18 fg. findet, daß die wahrscheinlich vom Tod
des Eumenes bis zum Eintreffen des Antigonos in Kilikien ver-
flossene Zeit viel länger gedauert haben müsse als ich annehme,
so ist umgekehrt Philol. 1878. XXXVII 531 ff. gezeigt wor-
den, daß die Dauer der Züge des Eumenes östlich des Euphrat
bei der andern Ansicht viel zu kurz bemessen wird, und Droy-
sen a. a. O. hat gegen diese Ausführung nichts einzuwenden ge-
funden. Entscheidend sind die synchronistischen Angaben.
Als Olympias sich dem Kassandros ergeben hatte, wollte
Anfangs einer ihrer vornehmsten Anhänger, Aristonus, die Stadt
Amphipolis nicht übergeben, ermuthigt durch den Sieg über eine
Heeresabtheilung Kassandere xai :0» Evuérn Cova hyovmevog,
Diod. XIX 50. Durch das Vorurtheil, daß diese Vorgänge dem
Frühling 316 (st. 315) angehören, genóthigt, habe ich in dem
Particip eine Andeutung, daß Eumenes noch wirklich gelebt und
Aristonus dies nicht gewußt aber errathen habe, gesucht, eine
schlagende Parallelstelle aber für die Deutung Civ önsp xai
ovv£ßaıyev nyovmsvog nicht beibringen können. Diese wird jetzt
durch die Richtigstellung der Zeit des makedonischen Thron-
wechsels hinfällig: Eumenes war schon todt, aber in Amphi-
Der Tod des Philippos Aridaios 316 v. Chr. 95
polis davon noch nichts bekannt. Daß aber Aristonus im April
315 vom Tode des Eumenes noch nichts gewußt habe, wenn
derselbe bereits vor 1!/, Jahren stattgefunden hätte, läßt sich
von vorn herein nicht annehmen und wir wissen auch, daf) das
Ereigniß schon bei der Ankunft des Antigonos in Kilikien Mitte
November (bei Droysen also 10 Monate nach Eumenes Tod, bei
mir 3!/; Monate) dem Kassandros und Lysimachos in Europa
bekannt war: als Antigonos von dort nach Syrien zog, kamen
Gesandte von beiden und von Ptolemaios, welche unter andern
auch die Theilung der Schätze verlangten, welche er nach der
Schlacht gegen Eumenes an sich genommen hatte (Diod. XIX
57); wenige Tage nach dieser Schlacht war Eumenes getódtet
worden (C. 44) und Antigonos hatte später die 5000 Talente in
Ekbatana (C. 46) und noch später 15000 Talente in Susa (C.
48) weggenommen. Das wußten die Gegner aus dem Mund des
Seleukos, welcher nach der Wiederankunft des Antigonos in Ba-
bylon zu Ptolemaios geflohen war. Um die Zeit da Antigonos
in Kilikien einzog, etwa ein paar Wochen vorher, setzen wir die
anfängliche Weigerung des Aristonus, welche mit darauf be-
ruhte daß er von Eumenes Tod noch nichts wußte. Die Kunde
davon mußte sich aber kurze Zeit nachher in Hellas und Ma-
kedonien ausbreiten: denn die Wirkung jener Botschaft der drei
Verbündeten war, daß Antigonos, um Bundesgenossen zu ge-
winnen, den Agesilaos zu den Fürsten von Kypros, den Ido-
meneus und Moschion nach Rhodos, den Aristodemos in die Pe-
loponnesos schickte und seinen Neffen Ptolemaios, der nach Kap-
padokien abging, zugleich beauftragte, von da an den Hellespont
zu gehen und aufzulauern :oig megi Kacouvdgor, dv èmyeo
dıaßalveıv èx 175 Evownng, Diod. XIX 57. Er wußte also, daß
dieser schon Makedonien behauptete oder wenigstens seinem
Aufbruch und Durchzug durch dieses Land kein Hinderniß im
Wege stand. Kassander hätte aber auch nach der Einschlie-
Bung der Olympias in Pydna so lange mit seiner Hauptmacht
Makedonien nicht verlassen können, als Polysperchon noch mit
einem Heere von Perrhaibien aus jene zu entsetzen drohte, d.i.
nicht vor dem Herbst 316, in welchem dieser geschlagen und
eingeschlossen wurde (Diod. XIX 36).
Wann der eben erwähnte Aristodemos, welchen Antigonos
nach Empfang jener Botschaft in die Peloponnesos schickte um
96 G. F. Unger,
Bundesgenossen zu gewinnen und Söldner anzuwerben, dort an-
gekommen ist, läßt sich jetzt genauer bestimmen. Kassandros
bekam Olympias und die Stadt Pydna nach Anfang des Früh-
lings (April 315), die zwei andern Städte aber, welche große
Besatzungen hatten, und damit ganz Makedonien gleich darnach
in seine Gewalt; das nüchste sichere Datum ist der Haupttag
der Nemeienfeier, welche er am Ende seines zweiten peloponne-
sischen Zuges leitete, 18. Panemos (Hekatombaion) = 31. Juli
815 5. In der Zwischenzeit sind auf einander gefolgt: zuerst
(XIX 51—54) die Hinrichtung der Olympias, Vermählung mit
Thessalonike , Gründung von Kassandreia, feierliche Bestattung
des Aridaios und der Eurydike, Aushebungen, erster Zug zur
Peloponnesos gegen Polysperchons Sohn Alexandros (etwa Mai
315), auf dem Wege Anordnung des Wiederaufbaus von The-
ben, Ueberfahrt von Megara nach Epidauros, Gewinn (ohne daß
ein .Kampf erwühnt wird) von Argos, Messenien (die Hauptstadt
ausgenommen) und Hermione; Rückzug. Dann (XIX 63—64)
überfállt Kassanders Befehlshaber von Árgos in der Nacht Stym-
phalos, in seiner Abwesenheit rufen die Argiver den Alexandros,
aber jener kommt ihm zuvor und wüthet mit Feuer und Schwert
in Argos (etwa Juni 315). Kassandros erfährt von der Lan-
dung des Aristodemos in Lakonien (vgl. C. 60) und seinen
Werbungen, sucht den Polysperchon?) vergeblich auf seine Seite
zu bringen und zieht mit Heeresmacht gen Süden (ungef. An-
fang Juli 315: die Betheiligung an dem Bau Thebens auf dem
Wege kann wegen der Bestimmung des Zuges nur sehr kurze
Zeit gedauert haben. Es folgt die Eroberung von Kenchreai,
Verwüstung des korinthischen Gebiets, Einnahme zwei fester
Landorte, Sturm auf Orchomenos und Uebergabe der Stadt, De-
monstration vor Messene, Zug durch Arkadien nach Nemea zu
den Spielen, dann zurück nach Makedonien. — Man erkennt
leicht die Unrichtigkeit der Ansätze Droysens, welcher z. B.
8) Strategenjahr der Achaier. Akad. Sitzungsb. München 1879.
II 164 ff.
9) Auf die Nachricht vom Untergang der Olympias war er aus
der Einschließung mit wenig Leuten entschlüpft (Diod. XIX 52) und
mit dem landflüchtigen Molosserfürsten Aiakides nach Aitolien ge-
gangen (etwa April 316), wohin Kassandros seine Botschaft gerichtet
haben mag. Bald nach der Ankunft des Aristodemos ist er in der
Peloponnesos (XIX 60).
Der Tod des Philippos Aridaios 316 v. Chr. 97
Aristodemos zu Anfang 315 von Kilikien abgehen läßt (Herm.
XIV 28). Von dort bis Lakonien konnte dieser bequem in 7—8
Tagen fahren: wenn er, wie gezeigt, Juni 315 gelandet ist, so
bestätigt sich unsere Beziehung von XIX 56 disuéosce rj» du-
vausy sic nagaysıuaolav wera duow Rolwros auf den Spätunter-
gang des Orion um 24. April (315) gegen Droysen , welcher
an den Frühuntergang Mitte November (316) denkt. Die Nach-
holung der im Winter selbst abgebrochenen Winterrast !°) fand
demgemäß Ende April und im Mai statt; auf dem Weitermarsch
kam die Botschaft der drei Statthalter, nach deren Empfang
Aristodemos abging. i
Antigonos ist also doch schon 3'/:, nicht 10 Monate nach
Eumenes Tod in Kilikien eingezogen, in der 'That eine starke
Leistung, die aber zu vollbringen ein mächtiger Beweggrund
aufforderte: wie schon Philol. XXXVII 539 bemerkt ist, galt
es so schnell als die Umstände erlaubten, zu den königlichen
Schätzen, den 5000 Talenten in Ekbatana, 20000 in Susa und
10000 in Kilikien zu kommen, ehe sich ein Anderer ihrer be-
müchtigte. Aus dem Wirken dieses Hauptzweckes und nur
daraus allein erklärt sich auch die seltsame Route am Schluß:
nachdem er in Kilikien angelangt ist, wohin er doch durch
Nordsyrien gekommen war, und dort die erwähnte Rast ge-
halten hat, zieht er wieder nach Nordsyrien, um es ganz zu
unterwerfen, Diod. XIX 57 nooayovios Ó' eig mv arm Zvelayv
Ayııyoyov nageylvovro notoftc.
Durch die Feststellung des makedonischen Herrschaftswech-
sels erledigt sich nun auch der, wie Droysen Herm. XIV 20
glaubte, schlagende Einwand , daß die erdichteten Nachrichten
des Eumenes von dem Einzug der Olympias in Makedonien und
dem Falle Kassanders (Diod. XIX 23) nach dem Frühling 316
unmöglich und verkehrt, ja für ihn selbst gefährlich gewesen
sein würden, zu einer Zeit wo Olympias schon todt gewesen sei.
Letzteres ist erst ein Jahr später geschehen und gerade im Früh-
10) Während des Frühlings wird oft von der Fortdauer der „Win-
terquartiere “ gesprochen, vom Neubezug derselben spricht Livius
XXXIV 13 (aus Cato, Philol. Suppl. III 68) gegen Frühjahr: cum (ob-
gleich) tam id tempus anni appeleret, quo res geri possent, castra hi-
erna posutt.
Philologus. N. F. Bd. II, 1. 7
98 G. F. Unger, Der Tod des Philippos Aridaios 316 v. Chr.
ling 316 Olympias wirklich dort eingezogen, was Eumenes da-
mals noch nicht wissen aber wohl vermuthen konnte.
Zum Schluß eme Verbesserung anderer Art. Die Diado-
chengeschichte Diodors in B. XVIII—XX beruht größtentheils
auf Hieronymos ; mehrere Stücke sind Akad. Sitzungsber. Mün-
chen 1878. I 48 ff. auf Diyllos zurückgeführt worden, unter
andern deßwegen, weil die Jahrbeschreibung in denselben nicht
wie in den aus Hieronymos stammenden Stücken mit dem Früh-
ling anhebt sondern der Winter dem Sommer vorausgeht. Von
Ephoros, welchen Diyllos fortsetzt, hat sich inzwischen heraus-
gestellt, daß er nach lakonischer und makedonischer Weise. das
Jahr mit dem der Herbstnachtgleiche nächsten Neumond (1.
Pyanopsion) anfüngt; um so mehr dürfen wir diese Anfangs-
epoche auch bei Diyllos erwarten. Nur das falsche Todesdatum
des Aridaios war schuld, daß diese auf den eigentlichen Win-
tersanfang gesetzt wurde; jetzt steht jenem Postulat nichts mehr
im Wege. Die europäische Geschichte von Ol. 115, 4 endigt
XIX 11 mit dem Wüthen der Olympias in Makedonien (Som-
mer 816) die von 115, 1 beginnt XIX 35 mit dem Zuge Kas-
sanders von 'Tegea gegen Olympias, welcher passender in den
Herbst als in den Winter 316 gelegt wird, um so mehr als vom
Winter (316/53) erst später, bei der Belagerung von Pydna XIX
49 die Rede ist; die Jahresgeschichte endigt C. 63 mit dem
Heimzug Kassanders aus der Peloponnesos August 315. Die
europüische Geschichte von 115, 2 endigt XVIII 49 im Sommer
919 mit den Vorbereitungen Kassanders zur Flucht aus Make-
donien, die von 115, 3 beginnt XVIII 64 mit dem Bekannt-
werden der Flucht Kassanders zu Athen, also Herbst (nicht
Winter) 319, wirft aber zwei Jahre zusammen und schlieft
XVIII 75 mit dem ersten Einfall Kassanders in Makedonien
(S. 93), etwa August und September 317.
Würzburg. G. F. Unger.
VII.
Lesbiaka.
1. “Extra Aeopldes.
Die Topographie von Lesbos ist in den letzten Jahren mehr-
fach Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen, durch
welche die alte bis auf den heutigen Tag unentbehrliche Mono-
graphie von S. Plehn!) z. T. veraltet ist Nachdem 1865 A.
Conze *) die Ergebnisse seiner Reise veröffentlicht hat, ist jetzt
der lithographierte Probedruck der neuen Spezialkarte H. Kie-
perts und R. Koldeways?) in den Händen der Interessenten und
wird von seinen gelehrten Freunden auf Lesbos selbst einer
Nachprüfung hinsichtlich der vielen neuen Ansetzungen unter-
worfen. So dürfte es angezeigt sein, auf eine bis jetzt noch
nicht aneinandergepaßte Gruppe von Mythenfragmenten aufmerk-
sam zu machen, welche von sieben lesbischen Heroinen han-
deln und sich auf eine vorgeschichtliche Sieben zahl lesbi-
scher Ortschaften zu beziehen scheinen.
1.
Die erste wichtige Beobachtung hat C. Robert gemacht
(Eratosth. Reliquiae Proleg. p. 3 sqq.) und zwar zu Hygins
Poet. Astron. II 24, p. 67. Hier lesen wir: Conon mathe-
maticus . . . cupiens inire gratiam regis (Ptolemaei) dixit crinem
(Berenices) inter sidera videri conlocatum et quasdam vacuas a fi-
1) Lesbiacorum liber 1826.
2) Reise auf die Insel Lesbos 1865.
3) AéoBov v5jcov nivaf tonoygaqixoc 1885/6.
7*
100 K. T ümpel,
gura septem stellas ostendit, quas esse fingeret crinem. — Eratosthenes
autem dicit et virginibus Lesbiis dotem, quam cuique relictam
a parente nemo solverit, iussisse reddi et inter eas constituisse peti-
tionem.
2.
Nun hatte freilich schon Valckenaer damit richtig kombi-
niert das Scholion zu Germanicus Arati Phaenomena
(p. 72 19 Breyßig): Videntur aliae iuxta caudam eius (leonis)
stellae obscurae VII, quae vocantur crines Berenices Evsoy£ridog
(sic). dicuntur et earum virginum, quae Lesbo perierunt.
Aber weder Valckenaer noch Haupt‘) zu Catulls Coma Bere-
nices, noch Bunte?) zu Hygin wußten sich Rath. Erst Robert
hat ein Verständniß angebahnt durch Supplierung der Worte
<Cononem mathematicum> | iussisse, reddit dotem virginibus Lesbiis
und die Thatsache erschlossen, daß jene durch den schmeich-
lerischen Grammatiker ‘Haar der Berenike' benannten 7 Sterne
‘vorher nach lesbischen Jungfrauen benannt waren (fuerunt qui
septem illas stellas .... Lesbiarum virginum crines dicerent) Aber
‘auch er resigniert sich: virgines illae quae fuerint, hodie sciri ne-
quit, und macht nur allgemeine Vorschlüge; er verweist (S. 6)
auf berühmte lesbische Jungfrauen, wie die ungenannte Tochter
‘eines Phineus oder Smintheus in dem Enalosmythos der lesbi-
schen Penthiliden bei Myrsilos (S. 12, FHG. IV 459 aus Plu-
tarchos de sollert. anim. c 36 p.984 E)®), sowie auf die Myti-
‘lenäerinnen Hellanis und Lamaxis (Agathias ep. 82, Anth. Palat.
VII 614, I p. 392 Dübn.), jene in die Geschichte des atheni-
schen Feldherrn Paches verflochtenen duoggoras jowlvag || mazgag
xoi noolwy njuara noaufrag, welche turevos d° Eis navit.
4) Quaestiones Catullianae = Opusc. I p. 61: Quod illud esset
quod de virginibus Lesbiis Eratosthenes in "Mercuri suo marraverit
nec Valckenarius neque quantum scio quisquam alius in-
dagavit . aque haec quidem in medio relinquamus. Damit geht
er von dem Gegenstand ab.
9) De virginibus Lesbiis earumque dote nihil apud alios scrip-
lores repperi.
6) Vrgl. die uuSoloyoëvrss négj ww tv Me9Uuvp (Myrsilos?) bei
Antikleides' Nostoi 16 in Athenaios XI p. 466 CD, 781 C Schweigh.
und das pseudoplutarchische VII sapientum convivium c. 20 p. 163,
welches sie eine Tochter des Smintheus nennt. Dieser Name hat
auf der troischeu Nachbarinsel in der That mehr Berechtigung und
ist wohl auch für den Phineus des plutarchischen Textes einzusetzen
(so C. Müller a. O.).
Lesbiaka. 101
Mögen diese auch, trotz der merkwürdig anklingenden Erzählung
des Aristoteles (Polit. V 3) vom Ursprung des pachetischen Auf-
standes aus dem eifersüchtigen Racheakt eines athenerfreundlichen
und verrütherischen Mytilenüers und seiner 2 Sóhne an zwei
spróden Mitbürgerinnen, dem Gebiet der milesischen Märchen
angehören, wie Reiske und Jakobs wollten; mag also auch zf4-
puëis = Volkskümpferin ein erfundener Name sein, so steht doch
der ganze Vorgang zu sehr auf historischem Boden, als daß
man ihn zur Erklärung einer Gestirnsage heranziehen könnte.
Mit Recht scheint daher Robert selbst seinem Hinweis auf die
Smintheus - (‘Phineus’-)Tochter ein größeres Gewicht beizule-
gen; wenn auch die Gründe, die ihn dazu veranlaßten, weil aus
seiner Hypothese von der wesentlichen Identität unserer Kata-
sterismen mit dem Werk des Eratosthenes entlehnt, seit den Un-
tersuchungen von E. Maat?) und dem Widerrufe Roberts 9) hin-
fällig sind. Er machte nämlich in den Prolegomena zu Era-
tosth. rell. p. 3199) darauf aufmerksam, daß der Lesbier Myr-
silos, welchem Plutarchos ausdrücklich, Antikleides und Ps,-Plu-
tarchos hochwahrscheinlich, ihren Enalosmythos nacherzühlten,
von dem Verfasser unserer Katasterismen ebenfalls (z. B.
bei den Kadmosentstammten Hyades) benutzt sei, und daß an-
dererseits der (nach Robert von dem Verfasser der Katasterismen
angeblich epitomierte) Eratosthenes von Hyginus als Ge-
währsmann für seinen Katasterismos der Lesbierinnen genannt
ist (S. 3. 5). Bedenklich mußte gegen diese Begründung schon
der Umstand machen, daß in unseren ps.-eratosthenischen Ka-
tasterismen der zu erwartende Abschnitt über die von Erato-
sthenes doch behandelten Lesbierinnen gerade fehlt?) Gleich-
wohl wird sich zeigen, daß auch ohne eine solche gemeinsame
Zusammenfassung in den Lesbiaka des Myrsilos wirklich Ena-
losmythos und Verstirnung der Lesbierinnen sich um den glei-
chen Angelpunkt drehen, Robert also auf richtiger Fährte war;
wenn es auch verwunderlich erscheint, daß er manche andere
7) Analecta Eratosthenica 1883.
8) In seiner Bearbeitung von Prellers Griech. Mythologie I* 22
mit Anm. 5.
9) Robert p. 3 cf. p. 6: Qua re cum ad Catasterismos (Eratosthe-
nis) referendam hanc capitis partem certis argumentis demonstrari ne-
queat, inter operis illius fragmenta eam recipere molut, schließt Robert.
102 K. Tümpel,
mythenberühmte Lesbierin nicht zur Erklärung beizog: so die yvvn
tiv Aecfotev nyev (Achilleus) Dopßarıos Jvyéino d sou d g xul-
Aınaonog (Il. 1 664 £), oder Peisidike, die Tochter des Kö-
nigs von Methy mna, welche dem Achilleus die Stadt in die
Hände spielte (nach Parthenios Erot. 21, Meineke Anal. Alex.
p. 924, und einem unbekannten Epiker ebenda, in welchem
C. Müller zu FHG. IV 459, 9 ohne Grund den Rhodier A pollonios
vermuthete); ferner Árisba, die Tochter des Merops (Ephoros
Frg. 21, FHG. I 238, aus Steph. Byz. “4ofofy) oder des (lesbi-
schen) Makar (Hellanikos FHG. I 63, 130, ebendaher), Eponyme der
lesbischen Stadt gleichen Namens (Steph. a. a. O.), welche nach
Vergil (Aen. IX 264 und Servius z. d. St.)!") von Achilleus
erobert wurde und trotz der Verwechslung in den pseudoservia-
nischen Scholien nichts gemein hat mit der troischen Heroine
und Stadt Arisba ''); endlich A priate '?), die spröde, sich ins
Wasser stürzende Geliebte des Telamonsohnes Trambelos (Par-
thenios C. 26, Meineke Anal. Alex. p. 329, vrgl. Aristokritos
neoi Miünıov, FHG. IV 335, 2a ebendaher und Tzetzes zu Lyk.
467). Da die letztere durch Achills Hand an dem gewalt-
thütigen Trambelos gerücht wird, die ersteren beiden ebenso in
den Sagencyclus von der Eroberung der Insel Les-
bos durch Achilleus gehóren, so liegt die Vermuthung nahe,
daß hier der Schlüssel zur Erklärung des Mythos von den Lesbier-
innen liegt. Freilich daß bei diesen, wie bei Berenike, das
Haar das entscheidende Motiv für die Verstirnung abgegeben
habe, und daß dieses Haar auch wiederum den Uebergang von
der alten Benennung zu der neuen des Konon vermittelt habe,
ist eine unbegründete Vermuthung Roberts (‘Lesbiarum virginum
10) Devicta . . Arisba] atqui secundum Homerum (sic! richtiger
Antehomerica) Arisba Troianis misit. auxilium et ab Achille subversa
est. — Devicta] sc. ab Achille. — Zu trennen von Arisba, Gattin des
Priamos, Mutter des Thymoites (nach Euphorion bei Serv. VA. II
82), Heroine der troischen Tochterstadt Mytilenes, Arisba; nach Ke-
(phalon (bei Steph. a. O. vielmehr Gattin des Dardanós, nach Ephoros
(ebenda) des Alexandros (— Paris).
11) So urtheilte schon Heyne z. d. St. (vrgl. auch Excurs I* in
III 1* p. 521 ed. Wagner): (Arisbam) ab Achille eversam esse Servius
tradit nescio qua auctoritale; sed si qua fuit, ad Arisbam in in-
sula Lesbo ea spectasse videtur. Wenn Gaede (Demetrii Scepsii
quae supersunt DD Greifswald 1880 p. 26) Recht hat, so gehórt der
Artikel des Stephanos größtentheils dem Skepsier.
12) Vrgl. Pape-Benselers Namenwörterbuch ; in Roschers Myth.
Lex. fehlt der Artikel.
Lesbiaka. 108
crines' schlügt er als früheren Namen des Sternbilds vor S. 5).
Besagt doch der Text ausdrücklich, daß die sieben Sterne ur-
sprünglich nicht in eine einzige Figur (wie eine Haarlocke) 18)
zusammengefaßt waren (vacuas a figura VII stellas), daß
vielmehr erst Konon eine solche einheitliche Figur fingierte (esse
fingeret crinem). Das Sternbild reprüsentierte also mit seinen 7
Sternen ursprünglich wirklich eine Siebenzahl, natürlich von
Lesbierinnen, deren Zahl also, von Robert unerkannt, im My-
thos selbst gegeben ist. Sieben Lesbierinnen also muß,
wenn anders obige Induktion richtig ist, derlesbische Achil-
leusmythos gekannt haben: und sie sind wahrlich leicht zu
finden.
8.
Homeros selbst ist der erste klassische Zeuge für den
Kern unseres Mythos, den mit der betreffenden Ilias-Stelle (7128 ff.
— 270 ff.) freilich, so viel ich sehe, niemand bis jetzt in Be-
ziehung gesetzt hat. Agamemnon verspricht dem wegen der ent-
führten Briseis grollenden Achilleus: |
dwow 0 Enıa yuvaixas auvuova Zoya ldv(ag
Asoßldus, as ose Afoßov Evxırufvnv &lev da 9-
1 0 c (Achilleus),
èEedounv, af xudies Evlxwv pila yvvoixüv,
vrgl I 638: vuv dé ro. Entu nagloyouor Foy’ aglorag und
T 245 f.: ix d° ayov ulya yuvaixag auvuova Eoya ldvtag ||
Enr ...15. Zum Ueberfluf wird zwischen Homeros und je-
ner späteren Zeit, vielleicht eben schon Myrsilos, der als Lo-
kalhistoriker seiner Heimath so wichtige Mythen kaum mit Still-
schweigen übergehen konnte, zeitlich wenigstens eine Kontinuität
. hergetsellt durch die attische Komödie.
Dichtete doch nach Eustathios (zu dieser Stelle p. 741, 22)
und dem Scholiasten zu Aristophanes Ran. 1808 (8.309, 86 ff.
Dübn.) Pherekrates (Frg. 149, Kock CAF. I p. 192) in dem
13) Dachte Robert vielleicht an die Mlöxauos Asofiadwv süunko-
xauw» des Antipatros Thess. (Anth. Pal. IX 26, 4, II S. 6 Dübn.) und
das zogqegobv . . Asofidos xóugc dÀvyyua des Leonidas Tarent. (Ant.
Pal. VI 211, 2, I S. 196 Dübn.)? Aber letzteres wenigstens scheint
eine falsche Flechte bezeichnet zu haben (vgl. Jakobs in den Ani-
madvv. VII S. 62), die schwerlich Verstirnung erfuhr.
14) So wichtig diese Gabe ist, so läßt sie doch Fleischer 'Achil-
leus’ (in Roschers Myth. Lex. S. 16) unberücksichtigt, obgleich er die
von Agamemnon gleichzeitig angebotenen Sühnegaben von Gold und
Erz, die 20 trojanischen Weiber und 7 peloponnesischen Städte aufzählt..
104 K. Tümpel,
sonst Nikomachos oder Platon zugeschriebenen Cheiron !5) mit
Bezug auf Homeros
<u> dwow dé co yvvaixag nta Asofldas.
<B> xadov ye dwoov, Ent Eysıv Auızacıolas.
Passen wir erst die gewonnenen Fragmente aneinander, bevor
wir nach neuen suchen. Zu dem Verlust des Heirathsguts im
hyginischen Referat erbringt Homeros den Grund: Kriegsgefan-
genschaft durch Achilleus war die Ursache, Verstirnung die
mythische Entschüdigung der sieben ungliicklichen Lesbierinnen,
die ohne Freiheit und Mitgift keine Freiwerber mehr fanden und
durch den sternkundigen Hófling Konon um einer Galanterie
gegen Berenike willen sogar des letzten Trostes beraubt wurden:
des Ehrenplatzes am gestirnten Himmel. Den Gipfel der hófi-
schen Schmeichelei des Astronomen bildete ein Gedicht, in wel-
ehem die ihres Sternbildes beraubten Müdchen die stolze Bere-
nike demüthig ersuchen, ihnen wenigstens nun die Mitgift zurück-
zugewühren, für welehe einst die Verstirnung hatte einen Er-
satz bieten sollen.
Was das Wesen dieser sieben lesbischen Heroinen betrifft,
so wird es sich zunächst darum handeln, das klassische Zeugniß
Homers gründlich auszubeuten ; in diesem Falle keine einfache
Aufgabe, da es sich in zwei verschiedene Aussagen zerlegt, die
einander nur zum Theil bekräftigen, in einem Hauptpunkte sich
widersprechen. Die Abweichung ist schon im Alterthum dunkel
empfunden worden, und es sei darum der gelehrte Apparat der
Scholien und des Eustathios mit hergesetzt. Obige Stelle in J
hat nümlich eine wichtige Fortsetzung:
dwow 0 Enıa yuvuixaç auvuova Eoya idulac
Asoßldas, ag ore AéoBov Évxriuérnr Zev avrog,
180 éfelounr, al xadiree Evixwv quia yuraav
tag uÉv of dwow, weta d Fooetas, nv nor anniowy
Eustath. zu 1 131 (S. 741, 4 ff): 770 oùv adtaig oydon toostas 5
Bosonts. Znvodotos pévtos toùto sic dugiBoliar Èounpev. où y&o
oydonv Exsivos évonos mv Bosonida, meta và c Ente, alld xai avt
Tag énta Gv ves c sjyaye. ToU dé nosmtov Avoavtos 10 dugifolor ty
toig ignc (T 246), ore sing ‘0ydoamv Bosontda zaklındomov', Zn-
15) Meineke Hist. crit. I p. 75 sq. und Kock CAF. I p. 187. Der
Text im obigen nach Eustathios, da er die Personenvertheilung der
Rollen ermöglicht: der Aristophanes-Scholiast: dece dé tos . . xadòy
sb dagoy xri.
Lesbiaka. 105
xovon Boiojoc ..; und im gleichen Buch sagt, als
Achilleus gleichwohl unversöhnlich ist, Aïas:
+. Gol À GAAnxtoV te xaxov» TE
637 Juuor evi 01798001 9eol 9écav slvexa xovons
olng (Briseis): viv dé ro Extra nagloyouer Foy’ aplorag,
Gilda te noÀÀ éni jov — ohne die Briseis besonders zu
erwähnen! Dagegen heißt es in T:
245 2x d° ayov alya yuvaixas apuuova toya lóv(ag
Ent, aıag dydodtnv Bosontda xurlınaonov.
vodotog nespatas uetaygaáqe tov otiyoy Exeivov, Iva pulaty my
olxsiav nescuovnv.
Schol. I 130: &£slöunv] A: Acictapyos yiloi xai npodecr naga-
deystaı, Ws te elvar Ev uéoos Aöyov. L. Znvodoros dacive to
8E. do19uov avro éxdsydusvos, ovy byséws quoi yao (6 nourzc T
246) ‘ateo oóydodrg»'. dllws 16 ov dupor Bosonts.
Schol. I 181 werk d" Foostas] A: (4 dinky nevsecriyuivn) on évradda
nlayndsic Znvodotoc ovragiD ueio9a, Ev voi; intra xai vy» Bos
ontda EdoËrr, xai ly &llows (T 245 f.) yodpss* ‘de d' ayor inte
yvvaix«c auvuova Egy’ sidvias 8E, arap EBdoudtnv Bosontda xadis-
ndogov'. tow dé éxróc 7 Bosonts.
Schol. Z 271 4: (4 dinAg) ov tag U Atafidac insoyveitas, ovy Ws Zn-
vódotog iv toic ( xai my Bosonida tatiss. ton yào Avovnocia
(B 689).
Schol. 1638 A (5 dinAz nspueanyuévy) on Zyvidotog èléyyera: ygá-
guy “FE, drág éBdoudtyy Bosontds’. ywois yao ai Entd.
Schol. 7 246 Znvodotos '&E, dico ifdouamv', ro? nosmrod Aéyovroc*
‘duaw d’ énta yvvairas Asoßidas. 4 dé Boronis Avovnociîs jy
(B 689).
Also eine Kontroverse zwischen Zenodotos und
Aristarchos. Letzterer rettete den Text durch Interpretation
und spielte Gesang T gegen / aus; seine Argumente sind er-
halten. Zenodots Gründe, welche ihn zu einer gewaltsamen Text-
änderung in J und T veranlaßten, um Briseis als eine der sie-
ben Lesbierinnen zu erweisen, sind nicht angegeben; er gilt dem
Gewührsmann des Scholiasten (Aristonikos, letzthin Didymos,
vrgl. Ludwich Aristarchs homerische Textkritik I 448) als der
durch Aristarchos längst Widerlegte !6).
Beide alten Grammatiker trafen aber zusammen in dem ge-
meinsamen instinktiven Bestreben, die einheitliche Komposition
der Ilias, hier von J und 7, zu erweisen, nöthigenfalls herzu-
16) Auch den Neueren, von denen keiner noch hier für Zenodotos
eine Lanze gebrochen hat; Düntzer (de Zenodoti studiis hom.) nennt
& #louny eine mera coniectura (p. 123) und ff statt Enz eine infeli-
cissima emendatio (p. 200). Nach Zenodot's Motiven fragt keiner.
7 eee — LL
106 K. Tümpel,
stellen. Diese Voraussetzung gilt längst als mindestens anfecht-
bar, und auch das Verhältniß von J und T darf als ein Problem
hingestellt werden. Bei solch veründerter Fragestellung müssen
auch nunmehr diejenigen antiken Zeugnisse berücksichtigt werden,
von denen wir nicht wissen, ob sie den beiden alten Gramma-
tikern vorgelegen oder bei ihnen Berücksichtigung gefunden ha-
ben. Der streitige Punkt war offenbar die Herkunft der Briseis;
Aristarchs Hauptargument lautete: „Homeros selbst bezeichnet
T 246 die Briseis als die achte, hinzutretend zu den lesbi-
schen Sieben“; sein zweites: „Homeros selbst nennt B 689 die
Briseïs als eine Lyrnessierin vom troischen Festlande. Des-
wegen kann sie in J 181 nicht pera sc. za 104» ‘unter’ den
sieben Lesbierinnen mit ein begriffen, sondern nur peta sc. rag
ihnen angereiht sein. Deswegen muB man ferner anneh-
men (!), daß in 7638 ff, da Briseis überhaupt nicht mit aufge-
zählt ist, dieselbe unter den adda re 042° ini zjow mit einbe-
griffen ist, nicht unter den émrà agora, ". So die Ansicht
Aristarchs.
Gleichwohl muß Zenodotos seine Gründe gehabt haben, wes-
halb er gegen die Autoritüt der homerischen Ueberliefe-
rung in T und B Briseis als eine Lesbierin bezeich-
nete und mit verwegener Konjektur unter die Sieben Lesbier-
innen einrechnete! Und diese Gründe kónnen wir errathen.
Es ist eine geistvolle Entdeckung vonU. v. Wilamowitz (Homer.
Unters. (1883) S. 409 f. 412), daB Bgsonlg eigentlich nicht so-
wohl "Tochter der Brises’ als vielmehr ‘Mädchen aus Brisa’
bedeutete, nämlich aus dem lesbischen Ort an der SWKüste
der Insel, an den noch heute das Kap Vrisio (Bofosov) '") und das
Dorf Bovota (s. Kieperts Pinax) erinnert. Und auch gewissen
Kreisen des Alterthums muß eine solche Erkenntniß nahe gele-
gen haben; denn sein Beweismaterial sind antike Zeugnisse, die
bier z. T. aufgeführt sein mögen, da in Roschers Myth. Lex.
Sp. 820 f. von jenen Thatsachen keine Notiz genommen ist.
Steph. Byz. kennt eine Bçoiou* &xg« AfoPov, welche An-
drotion (im Etym. M. Baweiogs = FHGI 377, 59) Boca (gen.
Boícg;) nannte. Den heute schon aus dem Namen des Dorfes zu
vermuthenden zugehórigen Ort hatte Boeckh schon aus dem in
17) Plehns Karte legt es fálschlich NW, statt SÓ, von der Ein-
fahrt in den Kallonegolf, nach Choiseul (S. 20).
Lesbiaka. 107
Byzanz gefundenen Stein CIG. 2042: Koprmlla Aevxtov Bon-
custs erschlossen, und die Bestätigung brachte die Weihinschrift
von Vris(s)ia (= Boiou) im Bullet. Corr. Hell. IV 445: Me-
yuosrog Aloylcvasos> diervow | Bgnoayé£cra-. Nun gewinnt
auch ein Schol. des Townleyanus zu A 366 (v. Wilamowitz a.
O. S. 411 !°) Bedeutung: örgomog . . . ovvexdoy] xad’ è xoi
tag uddug ouvedéSuro (d. h. modes roig Onßaıg) 1)» Xovoav xoi
tiv Bovcuv (0 nomrjg) — vielleicht ein Trümmerstück zeno-
dotischer Gelehrsamkeit. v. Wilamowitz beobachtet nun, daß
der Dichter des alten Theils von 4, einer der ältesten der Ilias,
nur die Bezeichnung xoven Boss kennt (V. 184. 336 Bysonis
allein 323. 346), kein weiteres Detail giebt und überhaupt den
Ausdruck schon formelhaft auwendet, zum Zeichen, daß er von dem
Sagenzusammenhang (der Eroberung von Lesbos durch Achilleus,
der Gewinnung der briseischen Jungfrau) keine klare Vorstel-
lung mehr hat. Der schon von Aristarchos als Nachdichter er-
kannte Verfasser von 4392 (Achilleus und Thetis) wie der et-
was ältere von J setzen das alte 4 schon voraus und operieren
auf ihm weiter: sie schreiben xovyy Boso 705 (V. 182. 274). Der
noch spätere Ausdichter von T, welcher Boysoms schon ganz als
Eigennamen behandelt, füllt die Lücken der älteren Ueberliefe-
rung aus: ihr von Achilleus getódteter Gatte wird erwähnt, ohne
Namen, und als Ort ihrer Gefangennahme eine n0%6 Mévntoc
Senannt (V. 296), freilich abermals ohne Namen und „ohne daß man
erkennen könnte, in welchem Verhültnib Mynes zur Briseis stand“
(v. W. 8. 410). Der Katalog B 689 9) läßt schon Briseïs aus Lyr-
nessos stammen, stellt aber, da zugleich Thebe genannt ist, im-
mer noch die Wahl frei zwischen den Königen Mynes und Epi-
strophos, Erst dem Scholiasten zu B 692 pass. blieb es vor-
behalten, das Stemma zu kombinieren:
Brises
|
Briseis — Mynes = König von Lyrnessos,
obgleich daraus die Konsequenz sich ergübe, daß Epistrophos
seinerseits nun als König von Thebe anzusehen wäre. Als sol-
chen nennt aber A 366 und Z 414 den Eëtion. Obendrein
18) B 689 + + +. xovons Bosontdos . ..
tiv ix Avovnodod Eksilsıo nolla uoygcac
4vovnocóv dienop9noas xai teiyea Onßns
xad' dì Móv nt EBalev xai Enioroowor . . .
108 K. Tümpel,
geben die Kyprien (Frg. 15 Ki, aus Schol. Vict. Il. 7757) und
danach Diktys vielmehr Pedasos als Heimath der Briseis an.
— Endlich liefert das Schol 4 392 sogar den Namen der Bri-
seis nach: Hippodameia.
So der Göttinger Gelehrte, dessen lehrreiche Parallelisie-
rung dieses Schicksals der Briseisüberlieferung mit dem gleichen
Verfahren bei der Chryseis man a. a. O. nachlesen möge. Bei
Abwägung des historischen Werths der verschiedenen homeri-
schen Zeugnisse wird man sich nun freilich nicht zur Verwer-
fung der muthmaßlich jüngeren verleiten lassen dürfen. Denn
angesichts des gewichtigen Zeugnisses des Strabon (XIII p.
616. 622 CO), daß Lesbos oysdov unrgonols 1d» Alokızwv n0-
Aewy war, darf man nicht zweifeln, daß die Sagen von Pe-
dasos und Lyrnessos, wenn sie wirklich sich mit der Briseis
beschäftigten, jedenfalls aus Lesbos übertragen waren und im
Bewußtsein jenes von der Insel aus das Festland besetzenden
Volkselements lebten. Geschah der Uebertritt um etwa 700, so
würden jedenfalls die Stellen im alten 4 und wohl auch die in
I vor diesen Zeitpunkt und nach Lesbos selbst zu verweisen,
diejenigen in T nach 700 und den festländischen Kolonieen
zuzuweisen sein, deren Bevölkerung in ihren neuen Wohnsitzen
den ursprünglich lesbischen !*) Mythos umformte und so seinen
Zusammenhang zertrümmerte. Dies wird besonders deutlich an
einer dem lydischen politischen Einfluß Rechnung tragenden Ge-
nealogie, die freilich bis jetzt keine Beachtung finden konnte,
weil ihr Sinn eigenthümlichen Mißverständnissen unterworfen ge-
wesen ist. Weder Pape- Benseler (‘Ardys’) noch Roscher (‘Bri-
ses’ 2‘) im Myth. Lex.) notieren, daß Eustathios (zu Il. 4 184,
S. 77, 31) Brises und Chryses an einen Ardys ankindelt.
Dieser hätte längst kombiniert werden sollen mit einem nach
Xanthos Lyd. von Steph. Byz. erwähnten ‘’‘Agduviov’ noAsg
dy Onßns ndo (Audıaxa II, Frg. 17, FHG. I 39). Der
Hinderungsgrund war: Pape- Benseler denken an das ig y p-
tische 'Theben! citieren überhaupt falsch Charax statt Xan-
19) Ueber die vergeblichen Versuche der Lesbier, im Skamandros-
thale sich festzusetzen, als Grundlage der troischen Sage und den in-
haltlich wie formell lesbischen Ursprung des troïschen Cyclus über-
haupt vrgl. v. Wilamowitz Homer. Unters. S. 407 ff.
20) Artikel ‘Ardys’ fehlt.
Lesbiaka. 109
thos (1. Charon?) Und doch kam diese Stadt in ‘Lydiaka'
vor und sollte nach Nikolaos Damasc. (Frg. 49, FHG. III 384),
den Pape-Benseler selbst ziüeren, von dem Myserkönig Ar-
nossos gegründet sein, lag also offenbar bei der mysischen |pla-
kischen) Thebe, in deren Ebene Alyattes von Lydien, der Vater
bezw. Sohn eines Ard ys") oberster Regent war. Ardys war
also Eponymos von Ardynion und somit als Nachbar von Thebe
und Lyrnessos sehr geeignet, in der festlündischen Tradition
Vater der Briseis, Großvater der Briseis zu werden.
Der Gegensatz zur alten lesbischen Tradition, wie sie in
Ilias Z vorliegt, wurde somit immer größer, und die alte Wis-
senschaft bemühte sich um so eifriger, die Spuren desselben zu
verwischen: Zenodotos zwar durch gewaltsame Textänderung,
aber mit richtigem Gefühl für die historischen Verhältnisse, Ari-
starchos scheinbar zwanglos, in Wirklichkeit aber doch gewalt-
sam in der Interpretation *?) Denn werd Ó' éooeras kann nach
der Analogie von w£ısors (c. dat.) sowohl wie des absolut ge-
brauchten uera und der analogen Stellen nur verstanden werden
als: „darunter aber soll sein“, d. h. einbegriffen in
die Siebenzahl der Lesbierinnen, wie es ja auch bei einer Les-
bierin wie der Briseis gar nicht anders denkbar ist. Man vrgl.
über den Sprachgebrauch jetzt die mustergültige Zusammenstel-
lung in Ebelings Homerlexikon unter pézesus und pera I 1 mit
2?9) wo freilich die Konsequenz, daß nunmehr hier in J Briseïs
als eine der Sieben gerechnet sein muß, nicht gezogen ist.
Die Herausgeber scheinen vielmehr sich die Sache so zu den-
ken, daß Briseis, auch wenn sie „unter den Sieben Lesbier-
innen" dem Achilles versprochen wird, doch immerhin als eine
achte gerechnet sein könne. Dies ist z. B. die Auffassung
von Ameis-Henzen z. d. St., aber nur in Unkenntniß des von
v. Wilamowitz gelieferten Nachweises der lesbischen Brisa und
unter dem Druck des Zeugnisses in T, also harmonistischer Ten-
denz. Betrachtet man die beiden Stellen in 7 für sich, so kann
21) Nikol. Dam. Frg. FHG III 380 sqq.
22) Damit denke ich den richtigen Mittelweg zwischen den bei-
den sich so heiß befehdenden Heerlagern der Homerkritik einge-
halten zu haben.
23) In # 133: 100096 uiv innzsc, usta dà vépos sinsto neluv
ist wohl Tmesis anzunehmen, und der Gegensatz als zwischen 706094
und weSeinsto bestehend.
110 K. Tümpel,
kein Zweifel aufkommen, daß Zenodotos zwar leichtsinnig än-
derte, aber richtig interpretierte; und nur hinsichtlich der beiden
sich stoßenden Verben #5#2Z0unv sc. tag Enıa Asoßldus und
ännvewv sc. Bysontda (die eine von ihnen) wird man eine
kurze Ueberlegung anstellen: beide Handlungen Agamemnons
scheinen prinzipiell verschieden. Wirklich gehören sie verschie-
denen Zeiten an: die erstere der Vertheilung der Beute gleich
nach Achills Eroberung von Lesbos, wo der Oberkönig und
Oberfeldherr kraft seines Amts sich sein yéguc, darunter von les-
bischen Sklavinnen eine unbestimmte Zahl ?*), aus der Beute
auswählte ; die andere der Rückgabe der Chryseis, an deren
Statt Agamemnon nachträglich aus dem bei Achilleus verblie-
benen lesbischen Beuteantheil die Briseis für sich zur Entschä-
digung entnahm, „gewaltsam“ (annvgwr), wie er, sich selbst ta-
delnd, sich ausdrückt. Aber was diesen auffälligen Ausdruck
annvowv betrifft, so hat schon die alte Wissenschaft die Beob-
achtung gemacht, daß Achilleus selbst und zwar im höchsten
Groll zuerst der Handlung (é€cdeiv) ?°) des Agamemnon diese
Bezeichnung gegeben hat (&movgac A 856), und Agamemnon
dieselbe nun nur aus Artigkeit gegen Achilleus, um ihn zu be-
gütigen, von sich selbst braucht, Eustath. IL / 131 (p. 741,
36 ff.) amnuowr] . . elnorıog yàg 100 "Mydtug wc luv 6 Aya-
uéuvuv ‘Eyes yéoas aviòs anovgag’ (A 356), évtubda dxeivog d o-
zei Gv» Oé£GÓO at. wg ovrws menolnxs. Verfolgt doch Aga-
memnons Erinnerung an „Achills ruhmvolle Eroberung von Les-
bos ohne fremde Beihülfe* im gleichen Zusammenhang den glei-
chen Zweck: dem grollenden Helden zu schmeicheln. Schol.
I I 129, B: .4éofov .. Elev avióg] moavws Tov Eravov
"Ayuléws moochuke . . . nuvıa ngOQq mes du dorov. Die
gleiche entgegenkommende Tendenz (nicht etwa wie in T pe-
dantische Gründlichkeit der Aufzählung) liegt vor, wenn Aga-
memnon nach Erwähnung der gesammten 7 Lesbierinnen noch
24) '4uaw Ente Asoßidac’ zuerst ganz unbestimmt, wohl weil aus
einer größeren Zahl im yéges Agamemnons ausgewählt; dann
erst bestimmt ‘rag uév oi dwow’, zusammengefaßt als Sühnge-
schenk an Achilleus; „eine unter ihnen soll die dem Achilleus
besonders werthvolle Briseis sein“.
25) Achilleus erkennt sie trotz platonischer Remonstrationen fak-
tisch doch als rechtmäßig an, indem er auf jeden Widerstand ver-
zichtet.
. Lesbiaka. 111
einmal mit Epanalepse *9) anhebt: zag u£v of dwow x1&., bloß
um ausdrücklich hervorzuheben, daß er sogar die schöne Bri-
seis unter ihnen mit zurückliefern wolle.
Durfte demnach Aristarchos aus dem Wechsel des Aus-
drucks äravour für Briseis, nach dem éedeiy für die Enı«, kein
Beweismittel formen für eine Ausscheidung der ersteren aus der
Zahl der letzteren, so ist es noch weniger gerechtfertigt, wenn er,
‘den Terminus des yéouç als eines angeblich in allen Fällen frei-
willigen Ehrengeschenks urgierend meint: Briseis sei kein
dwoov (= yégac) wie die Lesbierinnen, sondern eine willkürlich
geraubte Beute. Beisolcher grammatischen Peinlichkeit hätte sich
Aristarchos ebensogut die Konsequenz seiner eigenen Er-
klärung vorhalten müssen: wenn nämlich Briseis, die hochberühmte
Schönheit, nicht zu den gata agıcıas (I 638) gehören soll, af
xaddes évixwy qUÀa yevasxwy (130), dann muß sie unter den
gvÀo yvvacxwy sein, welche von jenen Sieben im Wettstreit der
Schönheit übertroffen und in den Schatten gestellt wurden !
Die gewichtigste Waffe gegen Aristarchs Erklärung von /
128 ff. bietet die andere Stelle des gleichen Gesangs selbst (I
638). Man bedenke: um den Groll Achills wegen der Briseis
zu verscheuchen, hat Ágamemnon wohlweislich in zwei beson-
deren Versen (V. 131 f) hervorgehoben, daß er namentlich
die Briseis selbst, das Streitobjekt, herausgeben wolle.
Als nun Achilleus, trotz alles Zuredens des Odysseus und Phoi-
nix, doch im Groll verharrt, wendet sich Aias, der bis jetzt,
geschwiegen, zornig zum Gehen, schilt ihn wegen seiner Unver-
söhnlichkeit eivexa xovons olng . viv dé 10, Enta nagloyousy
Foy agiotas alla te moÀÀ éni rouy .., — und da soll dieses
werthvollste der Sühngeschenke Agamemnons unter diesen ent-
weder gar nicht genannt sein oder unter den so ganz beiläufig
hintennach erwähnten « Ada 20424 stecken ? !— Das aristarchische
Scholion findet dies freilich ganz in der Ordnung und triumphiert
nun: hier ist es doch nun ganz zweifellos, daß ywoic (775 Bovontdos)
al &nıa sind! 2A £yyez as Znvodorog.... Wir wissen nicht, ob
solche aus dem Text selbst entnommenen Argumente Zenodotos zu
seinen verketzerten Emendationen ermuthigten. Vielleicht hatte er sie
nicht nóthig und verfügte vielmehr über Realien, wie die obigen
26) Von Eustathios zu Il. 1 128 (p. 741, 3) hervorgehoben,
—————— ——— —
112 K. Tümpel,
Zeugnisse für die lesbische Stadt Bresa; daß es noch andere gab,
ließe sich entnehmen aus jenem Stein von Jera (Conze T. XVII
1; S. 53; vrgl. Lolling Mitt. d. Kais. deutsch. Arch. Inst. XI
285), der einen erblichen Priesternamen Bresos (Boñcov Bon0w)
in nüchster Nühe von Bresa noch in spüter Zeit verbürgt.
Ein wichtiges Hülfsmittel zur Erkenntniß des Wesens der
sieben verstirnten Lesbierinnen ist nunmehr Dank Zenodotos ge-
wonnen. Denn wenn eine derselben eine xoven Bong, be-
nannt nach ihrem lesbischen Heimathsorte, war, so ist hoch-
wahrscheinlich, daB auch die übrigen kriegsgefangenen lesbischen
Müdchen nach dem von v. Wilamowitz (S. 411) beregten lange
beibehaltenen Gebrauch als Sklavinnen wie Zé, KtAisco, Oparra
nach dem Namen ihrer Heimathsorte benannt, kurz gesagt: Re-
präsentantinnen ihrer Heimathsorte in dem Sinne
waren, daß der Heerführer sich von jedem eroberten Ort das
Beste aus der Beute herausgrif. Dann steht hinter diesen sieben
schónheits- und sagenberühmten, schließlich an den Himmel ent-
rückten lesbischen Heroinen eine Siebenzahl lesbischer
Orte, die von Achilleus erobert und vielleicht in ihren Ver-
treterinnen symbolisch selbst dem Oberkónig Agamemnon aus-
geliefert werden. Eine unter ihnen war Bresa. Es gab aber
weit mehr als sieben: diente doch eine achte Lesbierin Dio-
mede, Tochter des Phorbas, dem Achilleus als Ersatz für die
Briseis, so lange diese mit ihren 6 Genossinnen im Zelte des
Agamemnon weilte; und rühmt sich Achilles doch im gleichen
Gesang J 328, daß er zu Schiffe 12 Städte erobert habe, von
denen man höchstens Tenedos abrechnen müßte; die andern
wären auf Lesbos zu suchen: d ddex« dn ov» vqvci no-
Aeg &AnaE! avtounwy, | 18006 dà Evdexa pui xara Tootny
éo{Bwlor. Die Gesammtheit von diesen höchstens 11, minde-
stens 8 von Achilleus eroberten Stüdten zu ermitteln, ist eine
ganz unsichere Aufgabe. Sie wird noch erschwert, wenn man
sie auf die Ermittelung der sieben von Achilleus wiederum an
Agamemnon abgetretenen beschrünkt, welche in unserer Verstir-
nungssage eine gesonderte Behandlung erfuhren. Denn selbst
wenn man einige bestimmt von Achilleus eroberte Stüdte, die
in einer weiblichen Reprüsentantin heroisiert wurden, ausfindig
macht, so hat man noch keine Sicherheit, ob sie zur Sieben-
oder zur Mehrzahl gehören. Dies ist der Fall bei der oben er-
Lesbiaka. 113
wühnten Makartochter Arisba und der Methymnäerin ‘Pei-
sidike', deren Name ebenso verdächtig ist wie derjenige der Bri-
säerin: "Hippodameia. Von der ‘Apriate’ genannten Lesbierin
wissen wir den Heimathsort ebenso wenig wie von Diomede,
welche Diktys einer schlecht bezeugten, wohl fabelhaften ‘Stadt
Lesbos’ zuweist ?*". Die dieserhalb überhaupt nicht recht ver-
trauenswürdige Darstellung des s. g. Diktys (II 16) nennt um-
gekehrt zwei. lesbische Städte, Pyrrha und Hiera-
polis?9) (= der Hiera des Plinius NH. V. 31 (39) 139 =
Steph. Byz.'fo« (sic) . . nolıg A£oßov), als von Achilleus er-
obert, ohne daß wir zugleich von zugehörigen Heroinen Mel-
dung erhielten, welche den Sieben eingereiht werden könnten.
w
5.
Welche Rolle die geschlossene Siebenzahl lesbischer
Städte, wie sie aus Homeros gefolgert werden mußte, auch in
den Erinnerungen der späteren Lesbier spielte, be-
zeugt die oben schon erwähnte Smintheus-(,Phineus’-)s age
des Mytilenäers Pittakos in dem pseudo-plutarchischen
Symposion. Diese kennt eine Siebenzahl von Archa-
geten, welche unter Führung des getrennt aufgeführten Eche-
laos, als des Achten, auf Lesbos landen. Diese Landung ist in
dem parallelen *?) Bericht des Antikleides bei Athenaios mit der
Gründungssage von Methy mna verflochten und den Mu o-
Aoyouvısg meoì zy» àv Medvmvn entnommen; die kurze
Wiedergabe der Sage beim echten Plutarchos (de sollert. ani-
mal.) beruft sich direkt auf Myrsilos von Methymna.
Was aber das Wichtigste ist: während Echelaos, der 7yesuum,
27) So das Septimianische Excerpt II 16 (locus) und das des Malalas
IV S. 125 B (704); dazu des Verfassers Artikel ‘Achilleus und die
lesbische Hierapolis’ in Fleckeisens Jahrb. 137 (1888) S. 829 ff.
28) Nach der Emendation des Verfassers in Fleckeisens JB a. a.
O. — Dederich 1833 und Meister 1872 geben in ihren Ausgaben ge-
gen die Ueberlieferung fälschlich Scyrum et H. und suchen beide
Städte in Phrygie n! — Die Stelle lautet: Achilles . . sumptis ali-
quot navibus Lesbum aggreditur ac sine ulla difficultate e a m capit
et Phorbanta loc eius regem . . . interficit atque inde Diomeden fi-
liam regis . . . abducit. den Pyrrham et Hierapolim urbes ...
excindit. — Tod: = lesbisch für ‘Isoa, wie Zozsov (= isusiov) auf lesbi-
schen Steinen, s. Philol. Suppl. II (1863) 8. 579, 581; Ahrens de dial.
aeol. p. 26.
29) S. des Verfassers ‘Bemerkungen zu einigen Fragen der griech.
Religionsgeschichte’. Progr. Neustettin 1887 S. 1 ff.
Philologus. N.F. Bd. II, 1. 8
114 K. Tümpel,
nach ausdrücklicher Angabe ‘noch ledig ist’, losen auf den Be-
fehl des Orakels, welches ein Jungfrauenopfer bei der
Landung heischt, die sieben Archageten darum, wessen
Tochter den Wassertod erleiden soll. Man kann trotz
unbestimmten Ausdrucks bei Pseudoplutarchos: Tv dé énra
xAnoovusvwv (gen. abs., nicht partit), 00015 üyumoı maidesg
70a, xutadaufaves «ré, nur schlußfolgern: wenn alle sieben
Archageten losten, mußten doch alle sieben auch Töchter haben
(zumal da von Echelaos, dem überzähligen achten, der ehelose
Stand als Ausnahme ausdrücklich hervorgehoben wird); und zwar
loste wahrscheinlich jeder für eine Tochter, so daß sieben
Töchter heraus kamen. Und wenn ferner deren Väter Ar-
chageten und Könige heißen, so werden sie jeder einen zu grün-
denden lesbischen Ort, zusammen also sieben Orte, ver-
treten, deren Namensrepräsentantinnen dann die Töchter heißen
konnten, wie die homerische Briseis diejenige von Bresa. Für
die Zusammenpassung mit dem hyginischen Mythosfrag-
ment ist entscheidend, daß auch hier wieder die ayaula als
charakteristisches Motiv erscheint.
Plut. de soll. anim.
des
96 p. 984 E. "Evalor
dè 10» AloA£u, Mvo-
G4Àoc 6 Akoßsos
lorogei = tng Divéwe
(sic) éowrra Juyu-
tooo pspelong xarà
xonsuòv tig “Aug-
tolans uno twv Il ev-
Fecdsirmdwr, xai
avzov &addopevoreic
m Falaccay uno
deAyivog cj» E&s-
yeyO9T»as nQ0G 17
A£0ßov.
Athenaios XI p.
466 CD, 781 C. Schw.
"Avyruxkeldns o
"ASnvaiog év tO Éx-
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9vuvgc
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0904 tov "Evakor ..,
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olxov-
(Ps. - Plut.) Symp.
VII sap. 20 p. 163.
Äynouov yàg yevo-
pévov rotg obxt-
Covos AécBor...
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ıwv intra xai Ba-
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100», xaralaußaves
Fuyartoa Sustiwe
0 xA7jQog xié.
à
Ù Lesbi 115
Welche 7 Städte gründeten aber nun, und welche 7 Töchter
hatten diese-7’Gründungsheroen auf Lesbos? Denn dort lan-
deten sie doch und begannen mit der Anlage von Methymna,
während der tochter-, also stadtlose Echelaos (= Archelaos) auf
dem Festland erst Kyzikos besiedelt (Strab. XIII p. 582 C).
Während seit Ps.-Skylax immer die Fünfstadt Methymna,
Mytilene, Antissa, Pyrrha, Eresos für Lesbos als
charakteristisch gilt?®), kannte Herodotos (I 151 = Strabon
XIII p. 590 C, vrgl. 616—618) noch eine sechste längst
untergegangene, die oben erwähnte Arisba; Bresa, dazu
gerechnet, würde die Siebenzahl vollmachen. Aber während die
übrigen Städte früher oder später sümmtlich eine Verkörperung
in gleichnamigen Heroinen gefunden haben, wird Eresos in der
Ueberlieferung nur durch ein münnliches Wesen, den Ma-
karsohn Eresos (Steph. Byz. s. v.), repräsentiert. Und suchen
wir nach Ersatz, so macht uns der zustrómende Vorrath Verle-
genheit. Da ist zunächst eine schon von Hellanikos (Lesbiaka
II Frg. 119, FHG I 61 aus Strabon IX p. 426) und Steph. Byz.
(s. v.) bezeugte nolıs Naan oder Aunn, die von Kiepert jetzt
SÓ von Methymna, NNÓ von Arisba angesetzt ist, und, dem
Hirtenroman des wohl in Lesbos einheimischen Longos zufolge,
eine Heroisierung in einer gleichnamigen 'Hirtin' Nape erfuhr °°);
da ist ferner die noAss Penthila (Steph. Byz. s. v.) und die
30) Und zwar Mytilene schon seit Hekataios (FHG I 7, 101 aus
Steph. Byz.) bezeugt, Methymna von Herodotos selbst erwühnt (a. a.
O.), die anderen zwar nicht von diesem selbst, aber wenigstens von
Thukydides (III 18 — VIII 100 pass.).
31) Sie ist Nachbarin des zapadesaos 4iovécov (IV 1 f), welcher
als Glanzpunkt des Landgutes des Mytilenäers 'Dionysophanes' 200
Stadien (1 1), 2—3 Tagereisen (IV 9) von Mytilene, dagegen nur 30
Stadien von einem Jagd- und Fischgrund der Methymnäer (II 13) lag,
mithin ebenda, wo Kieperts Pinax die hellanikische Stadt Nape an-
setzt. Plehn p. 43 irrt also wohl, wenn er meint, Nape sei haud du-
bie in Methymnaeorum ditione gewesen; zu Longos’ Zeit jedenfalls in
derjenigen der Mytilenäer. Dionysophanes ist ein deutlicher Dionysos,
sein z«gadécoc entspricht genau dem 4sovdaov xynos in dem lakoni-
schen Boacsai (dor. für Benosai, vrgl. Bozca) Paus. III 24, 3 f. Der
Mythos, welcher, wie niemand bezweifelt, dem Süjet des Romans zu
Grunde liegt, scheint, wie die Wandgemülde, die ihn darstellten, dem
Dionysostempel zu Mytilene zu eignen. Denn der Dichter wird mit
dem '&oyioe?c" von Mytilene identisch sein, den wir jetzt aus der In-
schrift von Thermi im Bullet. de corresp. hellén. 4 (1880) S. 431 f.
kennen: AYAON.....ON* AOITON 4IONY....ON* HAI44' AY<ho>;
vrgl. die Erginzungen der Herausgeber. Ein solcher konnte direkt
aus der Tempellegende schópfen.
8 *
116 K. Tümpel,
aus den Aagusouias nérQas ??) von Plehn (p. 29) erschlossene, in
dem heutigen Aa000 oder Adoı00os°?) erhaltene Larisa: beide
trotz der späten Erwähnung aus der penthilidischen und pelas-
gischen Zeit der Insel stammende Ansiedelungen, doch beide in
unserer Ueberlieferung einer gleichnamigen Heroine entbehrend.
Aber, auch gesetzt, daß wir eine solche kännten: wo ist eine
Andeutung, daß eine von ihnen mit den anderen 6 zu einer
Heptapolis verbunden war? ja, daß sie überhaupt von Achilles
erobert wurden ?
Da dieser Weg sich in bedenklicher Weise verbreitert **),
so empfiehlt es sich, ihn zu verlassen, zumal ein neues Zeugniß
auf bessere Fährte führt.
6.
Es gehört wie das vorige dem lesbischen Mythographen
Myrsilos (bei Arnobios adv. gent. III 16, p. 121 Galand,
in Müllers FHG fehlend). Dieser kannte eine Siebenzahl
lesbischer Musen: Ephorus has (Musas) igitur tres refert,
Mnaseas, quem diximus, quattuor, Myrsilus inducit septem,
octo asseverat Crates; und diese Siebenzahl war in’ den wichtigen
Sagenkreis des lesbischen Makar verflochten. Denn nach Cle-
mens Alex. (Protr. p. 9, 24 Sylb. = FHG IV 457) berichtete
derselbe Myrsilos: Movoas ovous Fegunasvidag 1uvraç éwvn-
tat Meyaxie) n Fvyamo Maxagoc 6 dì Maxag AecBiwy piv
&Buotievey diepéosro dé wei mods mv yvvoixa. “Hyuvaxtes de 7
Meyaxdw nig tig ugrogóg. Tt d° ovx Eusdhe; xoi Movoag
Seganawidag taU rag tocavtas 109 &gsO uov (?) wvreitas
32) Von Kiepert jetzt richtig mit Larso identifiziert an dem in-
nersten NW Winkel des Golfs von Jero (Hiera) ; von Plehn (Karte) und
Conze (S. 17, 6) noch fälschlich an die OKüste, nach dem Festland zu
versetzt. Letzterer erklärte, zur Fixierung nichts beitragen zu können,
obwohl er selbst Taf. [a Larso richtig ansetzte. — Die Stadt ist pe-
lasgisch wie Metaon nói (Hellanikos Frg. 121 aus Steph. Byz. s.
v., FHG. I 61) und Xanthos (Steph. s. v.), aus der Zeit, da Lesbos
‘Pelasgia’ genannt wurde. Metaon und Xanthos haben männliche
Eponymen, Metas den Tyrrhener und Xanthos den Pelasger (a. a. O.),
weswegen sie hier aus dem Spiel bleiben.
33) So der Name beim Gewührsmann Conzes' S. 57).
94) Vom ywoiov '"YneodéEsov, dem rönos Molso» (beide bei
Steph. B.), der xwuy Alyssooc (Strab. XIII p. 617, mit dem Namen
der Insel Aegira bei Plin. NH. V 31 (39) 139 zusammenhüngend und
von Forbiger in Paulys Real-Ene. ‘Lesbos’ fälschlich mit der Alyas
govooa Herodots I 49 identifiziert) sind bloß die Namen bekannt,
Lesbiaka. 117
xai xadsi Mvcag (Moícag? Müller FHG a. O.) xarà tv dea-
hextov 1». Alodtwv. Tuvıus édidataro ade xoi xıFagllew 106
ngabus tac nalmug tu n6 0 g^ ab dé oureyWs xsIaollovoas xai
radi Enadovons tov Muxaga Èbelyov xai xaténavov tig 00rî6-
ov di yaos i MeyaxiwW yaguornosov avtaic unig tic pnteos avé-
Inxe orndus yadxag xai ava novia éxéleve tiudodas ta eoa.
xai ui wiv Movou rowa(de. i de ictoota nagà MvgocíAo w
Acoptw. Daß in obigem éuuelwçs der Nachklang einer Etymo-
logie des von den lesbischen Musen gepflegten Aoc steckt,
scheint hervorzugehen aus dem zugehórigen dritten Myrsilos-
fragment (aus Cramer Anecd. Oxon. I p. 285 — Et. Mag. p.
577, 16; FHG. 458, 5): Mvgolàog dà tac lv Atoßw yevo-
Btvag nag9£vovc Movong ini ta névIn qouav xoi Fonveiw
oder Enexguınoe 10. Gddueva pesa xinFnves. Man wird
schwerlich bezweifeln dürfen, daß hier wirklich nur eine, aller-
dings sehr originell abweichende, Weiterbildung des homerischen
Mythos von den sieben Lesbierinnen vorliegt. Es stimmt der
Sklavenstand, die Jungfräulichkeit, die Heimath
und, wie hervorzuheben ist: trotz des eigenthümlichen ungenauen
Ausdrucks des Clemens, der diese lesbischen Musen mit den
boiotischen in Zusammenhang zu bringen bemüht scheint, auch
die Zahl. Arnobios, der sein Myrsilosfragment aus derselben
Quelle wie Clemens schöpfte, ist in der Zahlangabe ungleich
peinlicher und zuverlässiger *). Er zählt sieben. |
Räthsel genug giebt der Mythos auf. Die 60y? des Makar
läßt sich schon kaum in ihren Gründen erklären; aber wurden
diese Musen wirklich in allen Heiligthümern bei allen heiligen
Handlungen, auch anderer Gottheiten verehrt? aller lesbi-
schen Städte oder bloß einer? und welcher? Wie hieß die
unglückliche Gattin Makars ? Lysimachos in den Thebaika para-
doxa I (aus Schol Eur. Phoin. 26 — FHG. III 336, 5) nannte
Sphinx, die Tochter des Ukalegon (nach Valckenaers Besserung) ; die
35) Denn daß bei Arnobios (IV 12 S. 143 Gal.) lange der Name
der Megaklo verstümmelt gelesen wurde, fällt nicht, wie Plehn p. 207
wollte, dem Schriftsteller selbst, sondern ausschließlich den Abschrei-
bern zur Last, die Meglaconis bieten. Es ist nicht des Arnobios
Schuld, wenn die Herausgeber das „aus Megalconis entstanden“ wissen
wollen statt aus Megaclonis. Die Stelle heißt: Myrtilus est auctor, qui
Macar? filiae, (Canter; cod. filias) Megaclonis (corr. Canter) ancillulas
profitetur fuisse Musas. [Reifferscheid S. 161 hat die Verbesserungen
des Canterus richtig in den Text gesetzt). .
118 K. Tümpel,
Schol. Vill. und Vict. zu Il. Z 486 dagegen Lesbos, die Tochter
der Mytilene, und Mytilene muß auch die Stadt gewesen
sein, auf deren wavra ta tegu sich die Verehrung der Musen
beschrünkte. Denn Megaklo gehórt ihrem Namen nach deut-
lich in die Umgebung des Mytilenäers Megakles, des
Feindes der Penthiliden (Orestiden, Agamemnoniden), die er ver-
nichtete nach Aristoteles Polit. V 8, 8 (FHG. II 158, 172)?9) ;
und für Mytilene ward auch eine Muse mit der cau Bv xn *)
durch den Künstler Lesbothemis auf Bestellung angefertigt ( Eupho-
rion v. Chalkidike, FHG. III 73, 8), welche zu jener einheimi-
schen Siebenzahl gehört haben wird. Und in Mytilene auch
findet sich die einzige Sage, welche ein Streiflicht auf die öyyn
des Makar wirft. Bei Ailianos (Var. Hist. XIII 2) heißt Makareus
ein Priester des Dionysos, MuuAnvaiog ung . . bdeiv nodos ..
xai Ümuwjó, Avocı Wrarog dì urdiowrwv rà uddsota, wel-
cher, ovv 00y7 x«i Fuue@ herbeieilend, mit dem Thyrsos die
Gattin tódtet. Diese hatte den eigenen Sohn erschlagen, weil
dieser in Nachahmung des väterlichen Opferdienstes °°) seinen klei-
nen Bruder rite auf dem brennenden Altar geschlachtet hatte.
Makar gleichwohl dà zu ung nade x«i dnpoola Era pn tov Feoù
nçoçtuëurrog °°) — er war also selbst ein kultgenießendes gött-
36) iv Muniyvn tous Hsrdalidas Mseyaxling neouovras xai
wuntovins tabs xopuvars iniOéusvog meta TOv pidwy aveile. Auch Longos
(IV 35) führt einen Megakles ein, welcher bei dem Dionysosmahl
der Vornehmsten unter den Mytilenüern wegen seines Alters und
seiner ehrenvollen Verwaltung der Choregie und Trierarchie den ober-
sten Ehrenplatz einnimmt, wohl im Prytaneion und als Prytane. Vgl.
auch Duncker G. d. A. V5 443.
37) Die cauBuxn ist als ein barbarisches, asiatisches In-
strument bezeugt bei Strabon X p. 471: ano de roù wéloug xai ToU
Öv9uoü xai vd» ÓQydvwv xai y uovosxn nüca Bogzia xai ‘AG
Tous vevousctas . Onklov Jd” Ex te ténwy tv ols ai Mosca, teriunvta..
Folgt zuerst die @pgxia ydoa in Makedonien und am Helikon, dann
xai ob TO SAsovdcow inv Aciav olny ispuoaviec utyos vic Ivdixijo
ixe$ 95v xai 12v noliny uovcixyv ustapigovas, . . xi9dgav ...
1005 avdovs . ., xai TO» bdpyavuv Ema Beo Bà o wc wvöucorm véflac
xci Gv Boxy xai Baoßıros xai uayadıs xai alla nisiw. Sie reichen
aus, um 7 lesbische ,,Musen“ auszustatten, die sowenig thrakisch sind
wie die Sphäre des asiatisch-lesbischen, namentlich mitylenäi-
schen Dionysos.
38) Hiermit ist zu kombinieren: xai Asofiovs dsovvaq my ó-
posav Fvoiav (wie dem kretischen Zeus, nämlich Menschenopfer)
neoscyssv Aocidsog (libri: Awaides) léyes (Frg. 5 aus Clemens Alex. Protr.
c. 3, p. 12, 84 Sylb., FHG IV 400).
39) Diodoros rühmt wenigstens die duüvauss und «4x7 des Makareus
' Aéo»' (V. 82, mit Aenderung dyduace de aó toy Afovia (statt advo»).
Lesbiaka. 119
liches Wesen, und zwar im Kultkreis des mytilenäischen Dio-
nysos.
Wir haben hier deutlich den von Makareus gestifteten Dio-
nysoskult von Bresa, der nach Untergang der Stadt sich wohl
nach Mytilene rettete. Man erinnere sich nur des in Hiera bei
Mytilene gefundenen erblichen Erzpriesternamens Bresos. Steph.
B. weiß zwar nur, daß Bgica eine axga A£oßov war, dv 7 Idev-
tas Midvvdoc Rovcuios, aber das Et. Mag. ‘Bosouioc’ hilft weiter:
outws 0 didvvoos . . . ano uxeag Asoßıaxns Bonons, nc uturn-
zu 'Avdooılwr (FHG. I 377, 59, der Hauptgewährsmann
des Timaios und Philochoros) özs ro isoöv rov Feoù dv i; Bolton
gnoiv idovoda: uno Máxagoc (= Hesych. u. Phavorin.
Bensooios). Makar also und Bresa verflochten ! Diese Ueber-
lieferung Androtions ist alt und vertrauenswürdig, denn die
Dias kennt noch überhaupt von Lesbos weiter nichts, als 1. daß
es Muxugoç Edo; war, und 2. außerdem die Brisäerin; als
drittes wichtiges Zeugniß tritt hinzu, daß Achilleus zugleich
diese Makarinsel erobert und die Brisäerin gewinnt,
welche dann von Agamemnon kraft seines Hegemonenamts
beschlagnahmt wird.
Drei Heroen werden hier von der Ueberlieferung in theils
kriegerischen theils rivalisierenden Gegensatz gebracht. Das
Streitobjekt sind sieben lesbische Heroinen, welche nach der les-
bischen Lokalsage bei Myrsilos einst ‘durch Kauf’ in den Besitz
des alten Makar gekommen waren, von Achilleus ihm mit
dem Schwert entrissen und schließlich von Agamemnon be-
ansprucht werden. Daß hier historische Verhältnisse in mythi-
sches Gewand gekleidet vorliegen, geht daraus hervor, dal das
eine der sieben Mädchen Repräsentantin einer lesbischen Stadt
ist, und daß ferner Agamemnon, der angebliche Oberleiter
bei der ersten Eroberung des nordasiatischen Küsten- und
Inselgebiets , der direkte Urahr der später Lesbos und Troas
(Kyzikos) besetzenden Penthiliden ist. Konfrontieren wir
die Zeugnisse der Alten, um die autoritative Ansicht der älte-
sten Besiedler selbst kennen zu lernen!
Das Resultat ist eigenthümlich : je älter das Zeugniß, desto
älter angeblich die Einwanderung. Während die Ilias Aga-
memnon selbst nach Lesbos kommen läßt, berichtet Hel-
lanikos der Lesbier wenigstens: Orestes Agamemnons
120 K. Tümpel,
Sohn, sei auf Lesbos gelandet; wenn auch erst sein Nachkomme
Gras nach 100 Jahren (d. h. nach 3 Menschenaltern, nümlich
des Orestessohns Penthilos, des Penthilos-entstammten Archelaos
oder Echelaos, und nach Ablauf seiner eigenen Entwicklungszeit
etwa mit dem 30. Lebensjahre Gras) die erste — nicht genannte —
Stadt auf Lesbos gegründet habe *") Der Hauptbericht, dessen
Abhängigkeit von Hellanikos unter Vorgang von O. Müller
(Orch.? 466: ‘Gras bei Hellanikos’) zuerst von Preller (de Hel-
lanici scriptis p. 29 = Ausgew. Aufsätze I S. 47) erkannt und
von C. Müller (zu FHG IV 632a sq., Nachtrag zu FHG. I 60
frg. 114) und Plehn (p. 40) anerkannt ist, steht in Tzetzes’
Kommentar zu Lykophron 1874: 6 óevregog dé roù msgacuévov
(Ayuuéuvovos) xélwe]*') aldo dé quo, dti mera viv. &valgeow
AlytoIov xoi Kiviasviotgug maga tots Alacıvy'doxucıy
dvuavrov Og&£oıng diarglwas, ws xai Evguatdns qqotv, . . . suv-
dbac Ex diapdguwr B9vdv Aaovg, ovg txaiegev Aloleis, dia
16 ix diagoowy tonwy elvas**) mA Der elc M£oBov. Adroç
piv rayo anotarwy mOÀw xılacı ovx @duvn In . andyovog**) dè
rovrov xadovuevos gag uera Exatov Eryn xvguevoas Tic AéoBov
moÀsv Ernos , to megi zig anoızlas AéisBov Edia-
vsxog 0 A&oßsog iorogsi dv nowy Alolıxwv. Preller hätte
auch die Konsequenz ziehen können, daß ebenso die Angabe der
Vita Homeri (C. 38) auf die gleiche lesbische Autorität zu-
40) Vellejus I 1 sqq. rechnet nach Agamemnons Tod 7 Regie-
rungsjahre des Aigisthos, 70 des Orestes, 3 der (Halb-)Brüder Penthilos
und Tisamenos bis zum Heraklidenzug, also 80 seit Trojas Fall (I 2),
dazu 15 bis zur Gewinnung einer sedes circa Lesbum insulam durch
Orestis liberi, im ganzen also 95 Jahre, so daß die 100 nicht vollzäh-
lig sind. Wenn man nur Archelaos als Enkel des Orestes zu dessen
‘bert’ im weiteren Sinne rechnen wollte, Gras als Urenkel nicht, so
würde man unter der sedes circa Lesbum hier Kyzikos verstehen
müssen, was kaum angeht.
41) Vrgl. Schol. Pind. Nem. XI 43: meo 175 Opéotov sic tiv Alo-
dida Gnosxias 'Ellavıxos Ev nowtw Alolıxwv = FHG. I 60, 140. Pin-
daros a. a. 0.: AuvxlaSsr yao Ba (Meicavdoos) civ Oo éorg,
Aioléwy cipatòv yalxivıea devo’ (sis wv Tévsdov) &v&yov.
42) Aehnlich etymologisiert Hellanikos {lépoœ aus Ieoosvs, vrgl.
des Verfassers 'Aithiopenlünder' S. 150 f. -- Aloleis . . ano Tod, alo-
ÀAito auch Menekles (Frg. 8 aus Etym. M. p. 37, 25, FAG IV 451).
43) Schol. min. fast wörtlich ebenso, nur noch &AÀoc Gussvor toy
Tod &xovtw: xélop obv 6 deérspos vióc xaleitav ton ydp Tees vig (!)
'Ogécrov: eine gezwungene Erklärung, die sich freilich in den verschie-
denen Fragmenten des Myrsilosberichtes (Gras: Genosse des noch le-
digen Archelaos, statt Sohn, wie Strabon XIII p. 582, vrgl. Paus. III
2, 1, hat) widerspiegelt.
| orti
Lesbiaka. 121
rückgeht, nicht auf Ephoros, wie O. Müller (Orch.? 466) und
Plehn (p. 414°) meinten: dao rig el; Divo» oroazelag, qv Ayau-
péuvwr xai Mévelaog nysıguv, Eteoıw vorsgov éÉxav Ov xai tosa-
rovra Atoßos axlotn xara nodes, nootegor oùou anolıg — nüm-
lich von Gras. Die zugefügten 30 Jahre entsprechen dem Le-
bensalter des Orestes, das zugerechnet werden mußte, da die
Rechnung hier nicht von Orestes, sondern von Ágamemnon selbst
ausgeht **), Wie steht es aber nun um den historischen
Werth dieser hellanikischen Tradition? Gras als erster
Gründer einer Stadt auf Lesbos ist bestimmt bezeugt,
ebenso daß Archelaos keinen Erfolg gehabt hatte. Daß
auch Penthilos selbst nicht Lesbos betreten hatte, sah schon
0. Müller (Orch.? 466, Dor. I? 66) 45); nur von dem schon weit
zurückliegenden Orestes wagt es die Sage bei Hellanikos
zu behaupten, und noch geringeren Widerspruch brauchte die
homerische Dichtung zu gewärtigen, wenn sie gar den Urahn
Agamemnon selbst Lesbos gewinnen ließ: allerdings nicht
mit eigener Hand (so ehrlich ist die Sage), sondern „kraft sei-
ner selbst über den nordachäischen Achilleus sich erstreckenden
Hegemonie“, O. Müller, der früher diese verschiedenen Wande-
rungen pragmatisierte 19), hat später (Dor. I? 114) selbst darauf
aufmerksam gemacht, daß die Pietät griechischer Kolonisten den
44) Die oben gegenübergestellten Fragmente des Myrsilos können
angesichts der vollständigen Ueberlieferung des Hellanikos aus dem
Spiel bleiben, zumal sie mehrfache verzweifelte Widersprüche ent-
halten.
45) Da er in der Peloponnesos (Helike in Achaia) Nachkommen
hinterließ: Paus. V 4, 2; VII 6, 2. — C. Müller möchte (zu FHG.
I 383) von diesem Penthilos denjenigen des Demon (Frg. 20 aus Schol.
Vat. Eurip. Rhes. 250) ganz trennen, weil dieser nicht Orestes'
Sohn zu sein scheine. Allerdings zählt Demon bei der Erklärung
des Sprichworts éni ro» Éoyeto» Muawy nie als diejenigen Könige,
welche diese Mahnung des Orakels nicht beachteten, nicht „Aga-
memnon — Orestes — Penthilos“ in ununterbrochener Reihenfolge auf,
sondern schiebt zwischen den beiden letzten erst noch Tisamenes und
Kometes ein. Aber diese Reihenfolge soll durchaus nicht die reine
Descendenz darstellen, vielmehr giebt Demon zunächst die echte
Nachkommenschaft Orests (seinen Thronfolger Tisamenos und dessen
Sohn Kometes) und dann die unechte (den auswandernden) Pen-
thilos). Vgl. Paus. II 18, 6: ‘Ooéorov dì anotavortoc lays Tioauevôc
my coyny; VII 6, 4: Kounms dé o nosaButatos tiv Tioausvod naidwy;
II 18, 6: row dé Ooéarov vodov Mev Iidoy.
46) Auch Orestes ,landet" nur und gründet ebensowenig eine
Stadt wie Penthilos oder Echelaos (Archelaos), welcher seinerseits
ebenfalls nur „landet‘‘ (am lesbischen Mesogeion-herma, s. Myrsilos).
122 K. Tümpel,
Göttern und Ahnen der väterlichen Heimath den Ruhm zuzu-
schreiben liebte, ein fremdes Land gewonnen zu haben“), und
gibt zu, daß Orestes, wenn er als Führer der ersten lesbischen
Kolonie genannt wird, nur für seine Nachkommen stehe, also
Gras und Genossen (Dor. I? 66). Umso mehr wird Agamemnon
seine führende Rolle in den Troika dem Ansehn und der Pietät
der Penthiliden verdanken, deren Versuche, sich in Lesbos und
im Skamandrosthal festzusetzen, Rückspiegelung in die Vorzeit
des Orestes und Agamemnon erfuhren (v. Wilamowitz Hom. Un-
ters. S. 407, vrgl. Duncker V? 315).
Wir sahen oben, daß diese sagenspinnenden Penthiliden
in blutigen Gegensatz traten zu Megakles, ihrem
Verdränger aus der bisherigen Machtstellung. Ueber den ver-
wandten Namen der Makartochter Megaklo konnten wir auf eine
Gegensätzlichkeit auch des Makareus selbst zu dem Penthi-
lidenstamm Agamemnons schließen, wie er bei Homeros in
der Gewinnung des ,Makarsitzes*?) durch Agamemnon" deutlich
vorgebildet ward. Es fragt sich nun: Wer ist Makar?
Seit Movers (Phoen. I 415 ff) und^Olshausen (Rh. Mus.
NF VII (1850) 328 ff) antwortet die neuere Wissenschaft ein-
stimmig: ein Phönizier, und benutzt den Gleichklang im Namen
des karthagisch-libyschen Makar-Melkarth mit dem des Herakles-
Maxnoıs (Paus. X 17, 2) und angeblich identischen Muxageds
zu einer Aufweisung angeblicher phönizischer Kolonieen in Grie-
chenland. Peppmüller, der sich im Uebrigen zwar der Hypo-
these jener Gelehrten anschließt (Kommentar zu Ilias 2 S. 260 ff.)
macht gleichwohl selbst 1. den Einwand, daß dieselben das bi n-
nenländische (!) Makaria (-eai) der arkadischen Aza-
nen nicht berücksichtigt haben (S. 262). Während er nun
freilich in jene Anschauung zurücksinkend daraus folgern will,
daß „der phönikische Melkarth (demnach) offenbar schon
lange vor der dorischen Wanderung (in der Peloponnesos) hei-
misch war“, macht er doch anderseits wieder in richtiger Weise
47) Orch.? 465: „Die Kolonie der Aeoler geschah nicht . . . in
einem fortlaufenden Zuge, sondern in einzelnen Stößen; je nachdem
die Dorer gewaltiger wurden, lösten sich einzelne Haufen achäischer
und ihnen verwandter Völkerschaften von dem Mutterstocke“.
48) So auch Plehn p. 38%): scriptores ili in Orestem contulerunt,
quod ab eius posteris factum esse Velleius tradit, vrgl. C. Müller zu
FHG. I 382, 20, Duncker G. d. A. V5, 165.
Lesbiaka. 128
dagegen geltend, 2. daß nach Diodoros (V 81, d. i, wie Pape-
Benseler ‘Jac’ nicht berücksichtigen: Hesiodos Frg. 95 Ki.)
Makareus aus der Ias-Achaia kam und bei sich hatte rovg pév
"Iov«g (aus der Ias) rovg d iE 44A wv navtodanwy ovr-
tdóvuxózac 4), was nach der hellanikischen Etymologie nichts
als eine Umschreibung der Æiodeïc („von uïolos“) ist. Pepp-
müller erkennt darin richtig den Ausgangspunkt der aiolisch-
schäischen Kolonisierung von Lesbos und erhebt 3. den Ein-
wand gegen Movers und Olshausen: „daß nach einer anderen
Wendung Makar sogar selbst zum Sohn des Aiolos ward,
so im hom. Hymnos auf den delischen Apollon (v. 37 M «-
xapos Edos AloAlwvog = A£oßos) und bei Pausanias" (X
38, 2). Diesen Maxag Aloilwv erklärt er vorsichtig und be-
sonnen als einen „aiolischen Heros“, trennt ihn sogar ganz von
dem Olshausenschen Makar - Melkarth; aber schließlich lenkt er
doch wieder in das alte Fahrwasser ein durch den Zusatz: „aber
möglicherweise ist auch dieser aiolische Heros nichts als
der phönizische Melkarth“ (!).
Prüfen wir die Sachlage ohne solche Befangenheit an den
folgenden Stemmata, deren erste drei homerisch sind:
Helios Helios Helios Helios Aiolos
| | |
Aietes Augeias(«öyn) Makar (Alodiww HHApoll. Makareus 5°)
Kirke Medeia Agamede Agamede ‘Maxagia’ 5!)
(von Aia)
Die homerischen Zauberinnen Kirke, Medeia die paguaxts,
Agamede, 7 roca paguara non doa roéper evosia yFwr, (Il. A
740 f.) setzte schon Gerhard (Gr. Myth. § 506, 3) einander
gleich; die rinderreichen Aietes, Augeias (den ‘Glinzenden’, spót-
tisch genannt "Axacıog ‘den Unsaubern’ wegen des Augeiasrinder-
49) Diodor. V 82 ganz entsprechend: die Söhne des Ion
und Makareus.
50) Sostratos Tyrrhenika II, Frg. 1 aus Stob. Flor. 64 (35) S. 404,
FHG. IV 504, (vrgl. Plut. Parall. C. 98), weder von Jakobis WB
(‘Kanake’, ‘Makar’ , ‘Aiolos’) noch von demjenigen Roschers (Sp. 192)
berücksichtigt.
51) Steph. Byz. ‘Ayaundn‘ ıonos nsoi Muidbav ins Aécfov, dno
Ayaundns 156 Maxcosas (Perusinus Maxpias, Meineke Maxapog)
Uk xai Moddac inieinaw. fon xai xonvn "4yaundn (in Lesbos?), ws Ne
xolaos (v. Damask., FHG. III 379, 48).
124 K. Tümpel,
stalls) erkannten O. Müller und H. D. Müller 5?) als Heroïsie-
rungen des rinderreichen Helios von Tainaron und von Thri-
nakia (— der dreigespitzten Peloponnesos, v. Wilamowitz Ho-
mer. Unters. S. 168). Helios aber ist der Stammgott der Aio-
ler, an deren alten Sitzen sich überall jene Sagen finden (H.
D. Müller Myth. II 339. 336), und welche ihr Gótterheim als
eine Insel zu denken lieben: Aia (des Aietes) Thrinakia. Es
ist nur eine Ergünzung und Bestütigung dieser geistvollen Kom-
binationen, wenn der lesbische Makar in sich alle jene Kriterien
vereinigt, ohne daß sie mit Rücksicht auf ihn oder auch nur im
Gedanken an ihn zusammengestellt wären. Er ist Sohn des
rhodischen Helios nach den Rhodiern Zenon und Antisthenes
(bei Diodoros V 57, FHG. III 176, 1), bewohnt eine Insel, ja
ist der Herr der Mux«owv vyoo, ist Vater einer Agamede und
heißt ‘ Aioilwv’ ganz ausdrücklich. Dürfen wir nun Aga-
memnon wegen seines mehrfachen Kultes unter dem Namen ei-
nes Zeug "dyaufura» als eine Heroisierung des achäischen Zeus
und somit einen Repräsentanten einwandernder Achäer auf
Lesbos ansehen, so ist Makar der Vertreter der „von Aga-
memnon“ vorgefundenen Aioler auf Lesbos. Die home-
rische Unterwerfung des Muxugos #dos unter den Befehl Aga-
memnons wie der historische Antagonismus zwischen Megakles
und Penthiliden ist der Ausdruck nationalen Gegensatzes
zwischen Aiolern und Achaiern. Wirklich ist auch an
die Erinnerung des Makar ein Kult des aiolischen Helios ge-
knüpft. Denn nach Boutan (vrgl. Bullet. de corresp. hellen. IV
445) lebt noch jetzt an dem promontoire appelé Vrission Akrotiri
(= Boic«, Bolovov axou) une signification locale de vaóg tow
‘Hitov, welchem Boutan (unter Widerspruch von Hauvette-Ber-
nault a. a. O.) die vorgefundenen Tempeltriimmer zuschreibt.
Diese Tradition ist um so bemerkenswerther, als die alte Ue-
berlieferung nur die Stiftung eines Dionysostempels durch Makar
kennt. Aber die Phaon- (= Phaethon-)sage beweist allein schon
für einen lesbischen Helios der Aioler.
Eigenthümlich ist, daß trotz des scharf betonten politischen
Gegensatzes der aiolischen und achäischen Kolonisten auf Les-
52) Prolegomena z. Myth. 224. 367. Myth. II 330 ff 336 ff. I
225; über Medeia IL 341. Vgl. auch Voigt, Beiträge zur Mythologie
des Ares und der Athene. DD Leipzig 1881, S. 249.
Lesbiaka. 125
bos beide aus der gleichen H eimath sich herleiten: Ma-
kar über Olenos in der Ias (Hesiodos) wohl aus der Makaria
(-eai) im arkadischen Azanenlande, und der Agamemnonsohn
Orestes nach Hellanikos aus dem Lande der arkadischen Azanen :
wenn letzthin Agamemnon und Orestes nach Pindaros aus A m y-
klai und Lakedaimon kamen, so muß anderseits die m e s-
senische Ebene von Makariaunddas von den Heliosrindern
beweidete Tainaron (Thrinakia) dem Heliosheros Makar gehört
haben. Auch gemeinsame Wege schlug nach demselben Ziel die
Wanderung beider ein: Makar über die azanische Makaria wohl
nach Korinthos zunächst, wo Helios den Poseidon verdrängte 55),
und von da nach Olenos und weiter; die Achaier des Orestes
und Penthilos über das Azanenland nach ‘Achaia’, wo (in Helike)
Penthilos Nachkommen wohnten (Paus. V 4, 2, VII 6, 2). Ja
Hellanikos läßt sogar Orestes, also die Achaier, und die Aioler
(‘dsaqoga E3vn’) gemeinsam in einem Heerhaufen wandern ?!).
Hiergegen will zwar nicht allzuviel bedeuten, daß die Rhodier
Diodors den achaischen Makar über Rhodos nach Lesbos
führen 55); wohl aber das Zeugniß Homers, welcher Makar
und Brisa auf Lesbos eine frühere Ansässigkeit zuspricht,
53) Vrgl. des Verfassers ‘Aithiopenlinder’ S. 172 119)..
54) Wieder weitere Weg nach Lesbos war, ist bei beiden un-
sicher. In der pragmatisierenden Darstellung bei Strabon XIII p. 582
heißt es, daß Gras der Penthilide mit der adolıxn anosxia . . . eos
179 foxgida xai 16 Poixsov dgos (in Boiotien) dsaroiyas nolóv ypovor,
bevor er den Toavıxos nach sich und Kvun Poıxwris nach dem lokri-
schen Berg benannte. Anderseits muß Makar, wenn er der Gründer
des brisäischen Dionysosdienstes auf Lesbos war, die ältesten brisäi-
schen Nymphen, die Bresades (s. u. S. 129 9!) wie den Dionysos aus
Boiotien mitgebracht haben. — Läßt doch auch die älteste Darstellung,
die homerische, den Agamemnon seine buntzusammengewürfelte Völ-
kerschar in Boiotien, in Aulis, sammeln, wie seinen spüteren Nach-
kommen, den Gras. Wenn nun die Myrmidonen Achills dahin über
die später Tanagra genannte Landschaft Graia, westlich von Aulis,
zogen, um den Eponymen von Poimandria, Poimandrios, zur Heeres-
folge zu zwingen, (Euphorion bei Eustath. Il. B 498, p. 266, 21;
Plutarch. Quaest. graec. 37), eine wohl alte Sage (Giesecke 'Thrak.-pe-
lasg. Stämme’ Anm. 273), so könnte dieser einmal in den troischen
Kreis gezogene Name Graia als früherer Wohnort lesbisch-troischer
Kolonisten seine Verkórperung in dem G ras der hellanikischen Tra-
dition gefunden haben. Denn es ist nicht ersichtlich, wie der Stra-
bonische Bericht den Umweg über Boiotien behaupten kónnte, wenn
nicht schon die frühere Sage in der Reihenfolge Agamemnon-Orestes-
Penthilos(- Archelaos)-Gras die Stationen Amyklai, Azania-Achaia-
Boiotien anzeigen wollte.
55) Vrgl. ‘Aithiopenländer’ S. 195.
126 K. Tümpel,
als dem mit Achilleus eindringenden Agamemnon. Es muß
erst manches Jahrhundert vergehen, in unseren Zeugnissen etwa
300 Jahre, ehe die Tradition des Hellanikos Aioler und Achaier
vermischt. Nun werden achäische Männer zu Führern übers
Meer gestempelt, trotzdem vielmehr aiolische Scharen, mit
Seefahrt früh vertraut und ferne Inseln in ihre Sagenmasse ver-
flechtend °°), ihre Pfadfinder, Vorgänger und Führer gewesen
waren.
Da nun Homeros als vorachilleisch auf Lesbos außer
Makar nur noch die Brisäerin, mithin die Stadt Bresa,
kennt, so könnte man auf den Gedanken kommen, daß die Bri-
seis vor ihrer spüteren Genealogisierung von einem Vater Brises
vielmehr eine Tochter Makars gewesen sei und mit den übrigen 6
als Töchter Makars uns überlieferten Lesbierinnen, die sämmt-
lieh mit Ortsnamen benannt sind, jene Siebenzahl von vor-
achilleischen Stadtheroinen gebildet habe, welche durch den Er-
oberungszug der Achaier zu Sklavinnen dieser Eindringlinge ge-
macht wurden. Dieser Gedanke, so verlockend er ist, wäre
gleich wohl zu verwerfen. Denn wirklich alt bezeugt sind als
Töchter des Makareus, bezw. Makar, nur
1. Mytilene — von Hekataios (Frg. 101 aus Steph. Byz.
s. v, FHG I 7) und Diodoros V 81; und zur Noth
2. Methy mna (Diodoros ebenda, wohl auch nach guten
Quellen, Parthenios Erot. 21, Steph. Byz. s. v.);
die anderen erst aus späterer Hand, so
9. Issa als ‘Macareis’ von Ovid (Met. VI 124), wohl freilich
nach alexandrinischer Quelle;
4. Antissa von Philon von Byblos (Frg. 16 aus Steph. Byz.
s, v., FHG III 574) uud Schol. Il. 2 544;
5. Arisbe von Demetrios dem Skepsier (Frg. 20 Gaede aus
Steph. Byz. s. v.) und den danielischen Scholien zu
Verg. Aen. IX 264; endlich
6. Agamede als ‘Maxagola’ (Meineke Maxugoc) 3.0. S. 12851).
(7. Bresa (Briseis) als Makartochter wäre reine Hypothese) 57),
96) Man vrgl. die Odysseuseage H. D. Müller Myth. I S. VII und
* Aithiopenlünder' S. 198 f. 180.
57) Anstatt deren erscheint wirklich eine siebente: Me gaklo,die
oben schon erwähnte. Sie rangiert aber nicht gleich mit den übrigen,
da sie keinen Städtenamen trägt, und darf auch schon deshalb zu
den ersten 6 nicht zugerechnet werden, weil sie in dem Myrsileischen
Lesbiaka. 127
Obendrein hat es den Anschein, als habe spätere Gelehr-
samkeit oder Dichtung (alexandrinischer Zeit frühstens), etwa an-
geregt durch die doppelsinnige Aeußerung von Diodors (V 81)
wohl sklavisch abgeschriebener Quelle: Muxuosi dì Fuya-
réoss Ey£&vovıo cov Mus Murano xoi Midvuvu, u g’
wv (von welchen? den zwei zuletzt erwühnten ? oder auch den
fünf A?) ui no Asie Ecyov tnv xoocçnyogluys, die Na-
men der übrigen 5 Makareustóchter nachliefern wollen. Ver-
düchtig ist namentlich der Name Issa, der hier mitten unter
Städtenamen erscheint, also wohl auch als solcher gedacht ist.
Und doch sagt Myrsilos (Frg. 1 aus Strabon I p. 60 C,
FHG. IV 456) ausdrücklich, daß Issa bloß ein anderer Name
der Insel Lesbos war (vrgl. Diodoros V 81 und Lykophron
V. 219 iv megidóvio “Joon). Und sein Zeugniß muß gelten ge-
gen die Bestrebungen des Eustathios, mit Hinweis auf die falsch
verstandene Lykophronstelle und die Analogie einer gleich
problematischen „Stadt Lesbos“ eine moAw "Iso zu schaffen, von
welcher die Insel den Namen haben soll (p. 1462 zu Od. y 170;
p. 741, 14 zu Il. 7 129, und zu Dionys. Per. 587 — C. Müller
GGM. II 323, 15) 55
Mythos, der ihren Namen allein erhalten hat, jene sieben Skla-
vinnen kauft, welche ihrem Vater Makar den Zorn beschwören
sollen: denn sonst müßte sie sich selbst gekauft haben, wenn sie
in dieser Siebenzahl noch ein mal entbalten wäre! Sie gehört nach
Mytilene (wegen des gleichnamigen Megakles), und so würe dann
diese Stadt auch doppelt vertreten ! — Noch einen anderen Namen
könnte man für die siebente Makareustochter vorschlagen: MAKAPA
giebt Kieperts Pinax an der NWLandzunge der Einfahrt in den Kal-
lonebusen als alte Stadt an, nach Boutans Vorgang. Freilich hatte
Conze schon (S. 40 *) seine Zustimmung von dem Nachweis auch nur
eines antiken Zeugnisses abhängig gemacht, für dessen Mangel
weder die z. T. christlich gefärbten modernen Zeugnisse noch die
Bürgschaft Boutans für „pelasgische Natur“ der vorhandenen Trüm-
mer entschüdigen kann.
58) Eustathios wird seiner eigenen Lehre untreu, wenn er leicht-
berzig an einer anderen Stelle in einer Aufzühlung der lesbischen
Städte "4vnocav 7 (|) Iocav als ganz identisch setzt (p. 1462, 26 zu
Od. y 170). Ebenso irrt O. Müller (Orch.? 453) wenn er boiotische
Kolonisten „in Issa a uf Lesbos“ wohnen läßt mit Berufung auf „Tze-
tzes zu Lykophron 219“: die tzetzianischen Scholien erwähnen eben-
sowenig wie die Schol. min. eine Stadt Issa, sondern beiderseits nur
eine vvugn Icon. Richtig bezeichnete schon Wesseling (zu Diodor.
V 81, I S. 396) die eustathische Tradition in des Steph. Byz. Artikel
als apokryph und eliminierte zugleich eine dritte fabelhafte 'Stadt
Himera' (mit der noch Olshausen Rh. Mus. NF VII (1850) 8. 329 ope-
siert), indem er schrieb: 1. nodss Ev 4éofo xlyFsion (statt -Isica)
128 K. Tümpel,
Somit ist eins sicher: Makareus' Tóchter haben mit
Makareus 7 Sklavinnen nichts zu schaffen; mithin war
Bresa keine Techter Makars, sondern eine Sklavin dieses
aiolischen Lokalheros, sogut wie sie später eine Sklavin des
Achaiers Agamemnon wurde. In die Hand des älteren Be-
sitzers war sie mit ihren 6 Genossinnen (Myrsilos zufolge) „durch
Kauf der Megaklo“ gekommen, faktisch wohl schwerlich anders
als durch Gewalt, durch Kriegsereignisse; d. h., wenn wir ein
älteres Volkselement suchen, das auf Lesbos vor-aiolisch und
also auch vor-achäisch war, so war sie wie ihre 6 Genossinnen
Pelasgerinnen: denn weiter ist uns auf der Insel kein
Volksthum bekannt, als die Pelasger des Hippothoos und Py-
laios, (Il. P. 840 f£)°®), unter welchem die Lesbier des
Hilaior 0gog gekämpft haben wollten 5°), die Pelasger von
Xanthos (Steph. B.) und die Tyrrhener von Metaon (Hel-
lanikos, s. o. S. 115*?), endlich die Larisaier (s. o. S. 116??),
die vielleicht mit jenen Pylaiern identisch sind. Ein unsicherer
Boden freilich, auf dem wir bestenfalls das Rohmaterial finden,
aus welchem die einwandernden ersten Griechen ihren Siebenge-
stirnmythos formten. Denn wieviele von den später erhaltenen
Städten auf Lesbos ebenfalls ursprünglich pelasgischer Anlage
gewesen sein mögen (Methymna? Mytilene? Arisba?) läßt sich
einstweilen noch nicht überschauen. Ganz klein kann die Zahl
nicht gewesen sein, da seinerzeit die ganze Insel als eine ‘ /Is-
Aacyla’ bezeichnet werden konnte (Strab V p. 122, Diodor V
81, Plinius, Eustathios u. a. bei Plehn p. 3 sqq., und 27 sqq.,
welcher übrigens nicht immer scharf genug scheidet!) Auch
Bresa mit seinem Dionysoskult müßte dann pelasgisches 9!*) Fun-
"Iusot (wegen Plinius NH V 31: ‘Lesbos . . Himerte appellata fuit ;
statt Juépa, iuége, muéoa) sita Melacyle xai ‘loon (statt -yia und -4):
omnia haec cognomina . . insulae erant, non unius urbis („Issae“).
Meineke imputiert ihm (zu Steph. Byz. a. O.) merkwürdiger Weise
gerade den Irrthum, dem jener entgegentreten wollte, und behauptet:
Wesseling habe ‘xdnSeion "Iuépo! vorgeschlagen!
59) ... gvia Melacywr tyysciuuowr tov of Adosocay èofulaza
vasstaaoxoy’ T)» joy Innodods re Milasds v obos Aonos, vis duo
47900 Iltlacyov Teviauidao,
60) Strab. XIII p. 621: Aéofso: d' ino Hvlaiw retdy9as Myovos
opis rg .. . tov Ilslaoywv coyovu, ag’ où xai To nag’ avrog ópog
i Hvlasov xalsiotas.
61) Z. B. Maxaoes und Kagec identifiziert (p. 33)!
61a) Dionysios von Halikarnassos (I 18) erzählt: Hslacyoi
Lesbiaka. 129
dament haben, was auf den ersten Blick freilich wenig plausibel
scheint.
Bestimmtere Muthmaßungen lassen sich über die formalen
Anschauungen geben, unter denen der Mythos von den sieben
verstirnten lesbischen Ortsheroinen ins Leben getreten ist: die
Siebenzahl und die Verstirnung. Beide werden der Ap-
perceptionsmasse der einwandernden Aioler angehürt haben; galt
doch die Siebenzahl auch sonst im Helios-Makar-mythos für
heilig. Sieben Söhne hatte Helios, einer hieß Makar. Unter
sieben Archageten vollzieht sich auch die ‘Aiolische’ Wanderung.
Und was die Verstirnung betrifft, so kannten die Makareer
in ihrer peloponnesischen Heimath schon die sieben verstirnten
Atlastóchter unter dem Namen der Pleiaden. Diese bewohnten
nach dem einen der erhaltenen beiden Zeugnisse, bei Dionysios von
Halikarnassos I 60, ein sonst nicht bezeugtes KavxaGior ogog in
Arkadien 9"); und dieses muß seinem Namen zufolge an der
Grenze der Kaukonen gelegen haben, also etwa eben bei jener
azanischen Makaria, die im SW Winkel Arkadiens an das kau-
konische Triphylien angrenzte. Wenn anderseits die pseudo-
apollodorische Bibliothek (III 10, 1) die Heimath dieses jung-
fräulichen Siebengestirns an das KviAnrıov 0gog ©?) versetzt —
das übrigens, weil es keine kaukonischen Ansiedler gehabt hat,
(die thessalischen) .. xarécyov .. tjv xadovutvnv Atoßov, dv au sy 96v-
res toss Ex ty c Klladog avéllovos tg» nowrnv dnosxiav ele
authy G yov to c Mo xagogc tov Kysaciou (statt ‘Hiiov oder Kosvdxov).
Nach dieser Stelle, welche Preller (de Hellanico p.16, 18 — Ausgew.
Aufsätze S. 36, 48) auf Hellanikos zurückführt, vereinigte sich die
s. g. erste aiolische Kolonie des Makar mit Pelasgern, wohl un-
terwegs, d. h. nach Analogie der Troika und Orestidenwanderung
(Gras, s. o. S. 125%) in Boiotien, wo an der Kadmeia zugleich
der Name Maxagwv vzcoc und Erinnerungen an Pelasger und Sphinx
haften. Dementsprechend erhält auf Les bos die Vereiniguag von
Aiolern und Pelasgern ihren mythischen Ausdruck in der Ehe Ma-
kars mit der pelasgischen Sphinx, der lówengestaltigen
Aphrodite des Kabeirendienstes, aus welchem nun Makar auch sei-
nerseits die Löwengestalt übernimmt; s. o. S. 118*?) und des Verfas-
sers ' Aithiopenlánder' S. 216, wo die Möglichkeit hätte erwogen
werden sollen, daß die pelasgische Sphinx aus Boiotien nach Lesbos
durch die Pelasger übertragen ward; aus Thebai aber stammen auch
die Bresades des Dionysos (Bull. de corr. hell. II (1878) S. 28) =
Beicas ; 8. 0. S. 125%).
62) Das auch wohl die älteste Heimath des Prometheusmythos ist,
wenn man nicht mit K. Jacobi Kavxwrıov lesen muß.
63) Ein anderes KvlAnvn 0goc èruvesov touv 'Hlsiwv : Schol. Il. O
518 — (Apollodoros bei) Strab. VIII S. 337 C.
Philologus. N.F. Bd.II, 1. 9
130 K. Tümpel, Lesbiaka.
mit dem Kaukasion nicht identifiziert werden darf —, so lag es
auch hier im Gesichtskreis der nach Lesbos wandernden Maka-
reer von Ias- Achaia. Liegt doch gar unten am Fuß des Kyl-
lenebergs eine Stadt Aigeira, gleichnamig der Insel Lesbos selbst
(Aegira genannt bei Plinius a. a. O.) und einer ihrer Städte:
Aigeiros. Ja, sogar die Zusammenfassung von Städten zu einer
Heptapolis war der ältesten Makaria der Aioler, der
in Messenien, eigenthümlich: wenigstens müssen die si e-
ben Städte, welche Agamemnon fast in einem Athem mit
den sieben lesbischen Heroinen dem grollenden Achilleus als
Sühngeschenk verspricht (/ 150 ff.: Ira, Kardamyle, Enope, Phe-
rai, Antheia, Aipeia und Pedasos) in der messenischen Makaria
oder deren nichstem Umkreis gelegen haben. Solche alte Hei-
maths-Erinnerungen konnten auf die Einkleidung neuer Erleb-
nisse auf der neuen Heimathsinsel gestaltend einwirken.
Es ist ein wenig befriedigendes Resultat, mit dem wir von
diesen ehrwürdigen Mythenfragmenten scheiden; immerhin reicht
es hin, um die von Peppmüller (Kommentar S. 261) und Dun-
cker (G. d. A. V° 168) adoptierte Vermuthung von Movers (Phó-
niz. I 419) zurückzuweisen, daß in der Siebenzahl der auf Les-
bos landenden Archageten unter Echelaos als dem achten die
„8 Kabiren der Phönizier“ zu erkennen seien. Diese Hypothese
steht und fällt schon mit ihrem einzigen Argument: daß „die Sie-
benzahl der Fürsten deswegen schwerlich den Hauptorten der In-
sel entnommen sein könne, weil sie deren nur fünf (!) zähle“.
Neustettin. K. Tümpel.
Zu Iuba v. Mauretanien.
Zu den 19 Büchern vor Iuba’s "Ouossznzeg weist C. Müller
FHG III 469 nur 2 Fragmente (84. 85) nach. Aber zu den simili-
tudines quae inter diversorum populorum instituta moresque intercesserint
(rómisch praetexta virilis: parthisch xagın, rómisch structor: grie-
chisch zguneLoxouog) paßt vortrefflich der Vergleich zwischen
dem römischen camillus (unngerwv 10 beget tov 4fióg) und dem
griechischen Kapsddog (ano 175 diaxoriac) bei Plut. Numa c. 7,
der fälschlich zur ‘Pwuaixÿ torogle (frg. 7) gerechnet ist.
Neustettin. K. Tümpel.
VIII.
Die rümisch - karthagischen Vertráge.
1. Waren die 3 polybianischen Urkunden datiert?
Polybius!) theilt aus der Zeit vor den punischen Kriegen
drei Verträge zwischen Rom und Karthago größtentheils im
Wortlaute mit.
Den ersten setzt er 28 Jahre vor Xerxes’ Uebergang in
das Consulat des Brutus und Horatius, den dritten in Pyrrhus
Zeit, den zweiten datirt er nicht.
Livius erwähnt gleichfalls drei Verträge. Doch setzt er
dieselben Varr. 406, V. 448 und V. 475 und er zählt merkwür-
diger Weise den von 448 als dritten, den von V. 475 als
vierten, was doppelt auffällig ist, da er nach allgemeiner An-
nahme ebenso wie Orosius 3, 7 und Diodor 16, 69 (zu den
Consuln von V. 406) diesen als ersten gerechnet haben mu,
wenigstens vor V. 406 keinen Vertrag kennt.
Wie viele Vertrüge sind zwischen Rom und Karthago ab-
geschlossen und wie sind die einzelnen Vertrüge zu datiren?
Die Beantwortung dieser Fragen ist bisher sehr verschieden
ausgefallen, hauptsächlich wohl deshalb, weil die Gelehrten,
welche Lösungsversuche unternahmen, von vornherein mit ge-
wissen Voraussetzungen und Vorurtheilen an die Untersuchung
gegangen sind.
1) 3, 21 f. 2) Liv. 7, 27, 2 Epit. 13.
9 *
182 Wilhelm Soltau,
So war es z. B. ein verhängnißvoller Irrthum, anzunehmen,
daB irgend eine Quelle den Vertrag von V. 448 als zweiten
angesehen habe. Bei dieser Voraussetzung konnte ebensowenig
ein gesichertes Resultat gewonnen werden, wie bei dem neuesten
Radicalmittel Matzat's, welcher aus dem Schweigen des Diodor
unter V. 448 die Existenz eines in jenem Jahr abgeschlossenen
Vertrages leugnet.
Hier sollen nicht noch einmal alle Seiten dieses unendlich
oft behandelten *) Gegenstandes durchgesprochen werden, viel-
mehr sollen lediglich zwei Punkte erörtert werden, welche neues
Licht zu verbreiten im Stande sind und die Entscheidung we-
sentlich fördern helfen.
Die Entscheidung über die Frage, wie die römisch - kar-
thagischen Bündnisse zu datiren seien, hängt zunächst von der
Beantwortung der Vorfrage ab „waren die römischen Vertrags-
urkunden sonst im Original datirt oder nicht“ ?
Stand in der ersten L. Iunio Bruto M. Horatio cos. oder
waren in der dritten wirklich die Consuln zur Zeit der dsaBuoss
Ilvóóov (L. Aemilius Q. Marcius Philippus) beigefügt, so ist
alles Debattiren über die Zeit dieser beiden Urkunden aus-
geschlossen.
Dafür, daß die Urkunden datirt waren, könnte z. B. die
Erwähnung der Consuln in internationalen Verträgen des 7.
Jahrhunderts d. St. (C. I. G. 2485. 5879) angeführt werden
(Mommsen RC. 320), allenfalls auch auf den übrigens später
restituirten *) Bundesvertrag des Consuls Cassius und den nicht un-
bedenklichen Vertrag mit Ardea (Livius 4, 7) hingewiesen werden.
Jedoch folgt aus diesen Angaben keineswegs, „daß die Da-
tirung jedesmal angebracht wurde“. „Dazu bedürfte es ent-
weder eines das Herkommen oder die Vorschriftsmäßigkeit er-
härtenden Zeugnisses oder, da dieses nicht vorhanden ist, innerer,
die Nothwendigkeit der Datirung beweisender Gründe“ (Unger
3) Nachdem Th. Mommsen Róm. Chronol. 820 den ersten Vertrag
des Polybius aus dem Jahre 245 entfernt und ins Jahr 406 gesetzt
hatte, haben sich im Wesentlichen für seine Ansicht ausgesprochen
A. Schaefer Rhein. Mus. 1860 S. 396. Unger Rhein. Mus. 1882 S. 158.
Gegen ihn Nissen Fleckeisen Jahrb. 1867 S. 321. Wende Progr. Bonn.
1876, Vollmer Rhein. Mus. 1877 S. 614, Meltzer Geschichte der Kar-
thager 1, 180 f., Matzat róm. Chronol. 1, 296. Holzapfel róm. Chro-
nol. 345 f.
4) Liv. 2, 38. S. jedoch Seeck Urkundenstudien. Rhein. Mus. 37, 15.
Die rómisch-karthagischen Verträge. 183
Rhein. Mus. 37, 156)". Aber solche gibt es nicht. Die rómi-
schen Urkunden aus republikanischer Zeit erfordern einen das
Jahr oder die Eponymen präcise angebenden Zusatz nicht 5) und
wie oft ein solcher gerade in ülteren internationalen Vertrügen
z. B. bei Thukydides fehlt, hat Unger Rhein. Mus. 37, 157
gezeigt.
Gewichtige specielle Gründe nun sprechen dafür, daf alle
drei von Polybius in der cella Iovis in Capitolio eingesehenen
Urkunden einer Datirung entbehrten und diese Gründe verlohnt
es sich einmal vollständig zusammenzustellen.
Von der zweiten Urkunde hat noch niemand glaubhaft ma-
chen können, daß sie eine bestimmte Datirung getragen habe,
„Was hielt Polybius ab“, sagt Unger Rhein. Mus. 37, 158 tref-
fend, „wenn er in der That grundsätzlich für die ältere Zeit
römische Datirung vermeiden wollte, bei der zweiten Urkunde
zu thun, was er 2, 18 f. in nicht weniger als 10 Fällen nach
einander gethan hat und ihre Zeit durch Angabe des Jahrab-
stands von dem Datum der ersten zu bestimmen? Er thut dies
vielmehr deswegen nicht, weil ihm die Urkunde weder im Prä-
script eine Datirung noch im Haupttext ein Zeitmerkmal darbot“.
Aber auch der dritte Vertrag kann keine Datirung ge-
tragen haben. Die Angabe releurulug rosouvra OvvJ jxac "Po-
pulo, xarà 1ÿv IIvgdov dıaßacıvy ngo tov 0vornoacdas
mug Kaoyndoviovs tov megi tic Zexshlus noAsmov zeigt allerdings
in ihrem ersten Theile, daß Polybius anfänglich an die Zeit
gedacht hat, da Pyrrhus von Epirus nach Italien übersetzte.
Wenn Polybius bei der diafacis an Sicilien gedacht hätte,
„würde er xata un» Tlvbdov slg Zıxeilav diafacsv ngo
tov ovoınoacsas rovg Kaoyndorlovs tov negì avıng noÂeuor ge-
schrieben haben.
Der Vertrag wäre in der That ins Frühjahr 280 v. Chr,
und damit noch in Varr. 473 zu setzen, wenn Polybius ihn allein
mit den Worten xara inv Hugpov didfaciv datirt und nicht noch
hinzugefügt hätte: mgd tov cuornoacdas rovc Kagyn-
5) Mommsen R. Ch. 320: „Es ist nicht richtig, daß die dffent-
lichen Urkunden Roms mit der Angabe des Consulats versehen sein
mußten, unter dem sie ausgestellt waren; vielmehr findet sich in der
ganzen republikanischen Zeit in den Öffentlichen Dokumenten wohl
der Monatstag, aber nicht die Angabe der Consuln, ausgenommen na-
türlich wo sie als Antragsteller vorkommen".
134 Wilhelm Soltau,
Qdoví(ovc róv negli Zsxsilas nolegov. Er gibt da-
mit Anfangs- und Endtermin eines Zeitraums von ungefähr 2
Jahren 9), innerhalb dessen der Vertrag abgeschlossen ist,
nicht einen bestimmten Zeitpunkt des Vertrags-
schlusses an. Wäre die erste Zeitangabe für sich allein schon
genau gewesen, so wären die Worte 9d rov cvorpoacda: rovg
Kagyndovlous xov megi Zixeilag modguov nicht nur ein über-
flüssiger, sondern sogar ein irreleitender und verkehrter Zusatz,
wie wir ihn dem Polybius, selbst in diesen ersten etwas flüch-
tiger geschriebenen Büchern , schwerlich zutrauen dürfen. Ge-
rade der Umstand, daß Polybius hier, wo nothwendiger Weise
ein bestimmter Zeitpunkt oder ein engbegrenzter
Zeitraum angegeben werden mußte, nur eine ungefähre Da-
tirung gab, zeigt, wie er das Consulat nicht gekannt, dasselbe
nicht in der Urkunde vorgefunden haben kann.
Uebrigens bietet uns der Wortlaut des IIT. polybianischen
Vertrages hierfür noch eine überaus wichtige Bestätigung. Die
Anfangsworte der III. Urkunde bei Polybius zeigen klar, daß
ein eigentlicher Vertrag zwischen Rom und Kartlıago gegen Pyr-
rhus bei Eintragung dieses Zusatzes (noooxsırmı dì rovrowg xai
rà vroyeygauptva) noch nicht abgeschlossen war, daß wir es
somit nicht mit dem eigentlichen Vertrag aus Pyrrhus’ Zeit,
sondern nur mit einer zwar zu Pyrrhus’ Zeit eingetragenen, aber
einem früheren Vertrag beigefügten Clausel zu thun ha-
ben. Bei Polybius heißt es nämlich: moooxsızas dé rautoig ta
vroyeyqappéva* ’Env ovamarluv noswvras ngóc llódóor
Éyygamrov, noselo9woav aupotegor, Iva ten Bondeiv aÀÀgAosg dv
zn 1ü» nodemovpévav ywça x.1. À.". Nachdem hier früher cwu-
payía moog Ilvgbov flottweg als societas cum Pyrrho übersetzt
worden ist ", hat Unger ein besseres Verständniß angebahnt
(Rhein. Mus. 37, 201 f). Treffend hebt er 202 hervor: „das
ganze von Polybius ausgeschriebene Stück der Urkunde enthält
anerkannter Maßen die Bestimmungen eines gegen Pyrrhus
6) Diodor 22, 4 iv "Iralíg inaléus, Em dio xai ujvac ticcapas.
7) Zuunayiav noiodaı noos nva heißt allerdings in der Regel
„einen Bund mit einem andern schließen“. Gerade hier aber, wo
Polybius dem griechischen Sprachgebrauch Gewalt anthut, um in sei-
ner Uebersetzung dem „Wortlaut des Originals“ gerecht zu werden,
war die Möglichkeit einer andern Uebersetzung nicht bei Seite zu
assen.
Die römisch -karthagischen Verträge. 185
gerichteten Uebereinkommens; man erwartet also von Akten
nicht der Freundschaft gegen diesen, sondern das Gegentheil zu
lesen“. „Nicht mit, sondern gegen Pyrrhus heißt sooc Mug-
dov in dem Satze ia» ovuuuylur noswvias moog IIugdov Èy-
yeagov “. Die Worte bedeuten also: Falls sie (d. h. beide
Staaten, die augorego: des Nachsatzes) einen Bündnißvertrag
gegen Pyrrhus schriftlich festsetzen uud abschließen
sollten 8), so sollen ihn beide abschließen zu dem Zwecke, daß
es gestattet sein möge, sich untereinander auch in dem mit
Krieg überzogenen Lande zu unterstützen.
Der Bedingungssatz ist jedenfalls so sicher und unbestritten
überliefert, daß es nicht möglich sein wird, ihn zu eliminiren
und damit ist in der Hauptsache alles entschieden.
Der Pyrrhus- Vertrag kann damals noch nicht &yyoayog,
d. h. nach feierlicher Beschwörung und Ratification urkund-
lich, mit bindender Kraft ausgestattet gewesen
sein, sondern die hier citirten Worte weisen auf einen erst dem-
nächst abzuschließenden, noch nicht perfect geworde-
nen Vertrag hin, sind selbst nur ein „Zusatz“ zu einem frü-
heren Vertrage.' Kurz, der sogenannte III. Vertrag des Poly-
bius ist nicht das eigentliche foedus quartum renovatum Pyrrhi
temporibus, sondern wirklich nichts anderes als ein früherer Ver-
trag der annalistischen Tradition, vermehrt durch eine Klausel
aus Pyrrhus Zeit, Nur die Präliminarien dieses 4. Vertrages
sind erhalten. |
Als eine solche Klausel giebt er sich übrigens auch schon
durch die Art der Bekräftigung und Ratification zu erkennen.
Alle übrigen Verträge riefen nach altem Fetialenrecht den Jup-
piter Lapis zum Zeugen. Hier wurden zum Schluß die dama-
ligen Schutzgottheiten des latinisch-sabinischen Doppelstaats ?),
Mars und Quirinus citiert.
Der eigentliehe IIT. Vertrag des Polybius, welchen er nur
andeutet, nicht im Wortlaut mittheilt !°), kann kein anderer sein,
8) Unger Rhein Mus. 37, 208 setzt hinzu ein Bündniß mit einem
Dritten, schwächeren Staate und Matzat Röm. Chron. 1, 800 folgt
ihm darin, ohne zu merken, da$ damit der ganze Passus sinnlos
wird. Es war ganz gleichgültig für die Hülfeleistung „in dem Lande
des mit Krieg überzogenen“, ob die letztere Macht noch mit ir-
gend einem kleineren Staate im Bunde war oder nicht.
9) Mommsen Hermes 21, 570 die Tatiuslegende.
10) Es kann danach als fraglich erscheinen, ob Polybius seinen
136 Wilhelm Soltau,
als der, welcher bei Livius 9, 43 zu V. 448 erwähnt ist"):
et cum .Carthaginiensibus eodem anno foedus tertio renovatum, le-
gatisque eorum, qui ad id venerant, comiter munera missa.
Zu diesem Vertrage ist in Pyrrhus' Zeit die von Polybius
überlieferte Klausel hinzugefügt, welche zeigt, daß Karthager,
die zum Abschluß eines formellen Bundes - Vertrages noch nicht
befugt waren, doch die augenblickliche bedrängte Lage Roms
benutzend den Römern eine für sie nicht grade günstige Zusatz-
klausel zum III. Vertrage entlockt haben. Denn warum in al-
ler Welt sollte Rom Truppen hergeben, um den Pyrrhus in Si-
cilien zu bekämpfen? Es lag ja gerade in seinem Interesse,
dem Pyrrhus die Ueberfahrt nach Sicilien nicht zu erschweren
und dafür zu sorgen, daß er dauernd in Sicilien beschäftigt
wurde 15).
Ob daneben noch ein IV. Vertrag abgeschlossen ist, darf
zweifelhaft erscheinen. Jedenfalls war ein solcher zu Polybius’
Zeit weiteren Kreisen unbekannt, er müßte als Geheimvertrag
damals in den rómischen Archiven nicht mehr vorhanden gewe-
sen sein.
Damit ist aber für die vorliegende Hauptfrage, ob die Ur-
Wortlaut gekannt hat und nicht vielmehr denselben nur im Auszug
bei einem Schriftsteller benutzt hat. Seine Polemik gegen Philinos
9, 26), welcher behauptet hatte on ‘Pwpaiors xci Kaoyndovioss indo-
gosev ouvdixas, xa Gc sds “Pwucions uèv anéyecda, Zixeliag anaons,
Kaoyndoviovs d" ‘Ttakias, würde schon dadurch bedeutend im Werth
sinken (vgl. auch Serv. ad Aen. 4, 628). Sie verliert aber allen Werth
in Anbetracht, daß ja gerade die Vertragsklausel, welche gestattet,
daß die Römer den Karthagern auch in dem mit Krieg überzogenen
Lande d. h. eventuell in Sicilien nur auf punischen Schiffen helfen
durften, das Verbot involvirt oder voraussetzt, mit eigenen, rómischen
Kriegsschiffen Sicilien zu nahen.
11) Ohnehin ist längst erkannt worden, daß der zweite polybiani-
sche Vertrag, welcher die Tyrier mit einschloß, nicht nach der Zer-
stórung von Tyrus durch Alexander den Großen 333 v. Chr. gelegt
werden darf.
12) Meines Erachtens ist klar, kein anderer als Mago wird diese
Klausel hinzugefügt haben, jener karthagische Feldherr, welcher nach
Justin 18, 2 in auxilium Romanorum cum centum viginti navibus mis-
sus senatum adit, aegre tulisse Carthaginienses adfirmans, quod bellum
in Italia a peregrino rege paterentur ; ob quam causam missum se, ut,
quoniam externo hoste oppugnarentur, externis auxilus wuvarentur. Der
weiter folgende Satz des Epitomators Gratiae a senatu Carthaginien-
sibus actae auxiliaque remissa bietet einen verständlichen Commentar
zu dem Wortlaut der Vertragsklausel: Rom hatte kein Interesse auf
den punischen Antrag einzugehen und verhielt sich in der Sache ab-
lehnend, nur in der Form entgegenkommend.
Die rómisch-karthagischen Vertrüge. 187
kunden im Original datiert waren, mit nicht zu unterschützender
Sicherheit eine Antwort gefunden worden.
Weder der Nachtrag aus Pyrrhus' Zeit noch die III. Ur-
kunde selbst waren datiert. Der letztere war so wenig durch
irgend ein Kennzeichen einer bestimmten Zeit zugewiesen, dab
Polybius die Pyrrhusclausel zugleich auch als maßgebend für
die Abfassungszeit des Hauptvertrages ansehen konnte. Von
dem II. Vertrag hat noch keiner die Wahrscheinlichkeit seiner
Datierung vertreten können. Sollte da der I. Vertrag die Na-
men der Consuln L. Iunius Brutus M. Horatius geboten haben?
Ehe auf die Unwahrscheinlichkeit dieser Annahme noch
näher eingegangen wird, ist es erwünscht noch z wei andre That-
sachen festzustellen.
Erstlich hat sich nämlich aus der bisherigen Erörterung
auch die wichtige Thatsache ergeben, daß Polybius und die an-
nalistische Tradition nicht, wie sonst angenommen worden ist,
in der Zählung der Verträge divergiren. Auch nach Poly-
bius sind von den Unterhandlungen in Pyrrhus Zeit drei Ver-
träge abgeschlossen. Beide Versionen zählten vor dem
letzten Vertrag vor Pyrrhus d. h. vor V. 448 zw ei an-
dere Urkunden.
Sodann aber kann aus dem Wortlaut der zweiten poly-
bianischen Urkunde gezeigt werden, daß dieselbe in die Zeit
nach V. 406, wahrscheinlich 411, fallen m ü s s e.
2. Derzweite polybianische Vertrag.
Der zweite polybianische Vertrag enthält zwei Paragraphen,
welche theils an sich, theils im Vergleich mit den entsprechen-
den Bestimmungen des ersten polybianischen Vertrags zeigen,
daB bei seinem Abschlufi Rom in einer ganz besonders kriegeri-
schen Ausnahms-Stellung Latium gegenüber gewesen sein muß.
Sowohl $ 5 wie $ 6 besprechen den Fall, was mit denje-
nigen Latinern geschehen solle, welche beim Plündern, beim
Zerstören von Städten und Beutezügen in die Hände der Kar-
thager gekommen seien.
Kann das römische Volk in Friedenszeiten die Karthager
ausdrücklieh zu Plünderungszügen gegen jede ihnen nicht-unter-
worfene Stadt Latium's, in beschränktem Maße gegen die eige-
nen Unterthanen aufgefordert haben ?
138 Wilhelm Soltau,
Wann anders als allein in schweren Kriegszeiten mit La-
tium sollten die Rómer den Karthagern unbeschrünkte Vollmacht
gegeben haben in Latium nicht nur jede beliebige Stadt zu er-
obern, sondern auch die Bevölkerung in die Sklaverei zu führen,
Hab und Gut der Einwohnerschaft als gute Prise mit sich zu
nehmen, falls sie Rom ungehorsam geworden wäre.
Ganz anders lauteten die entsprechenden Abschnitte des
ersten polybianischen Vertrages. In allen 3 auf Latium und
die Bundesgenossen bezüglichen Postulaten desselben tritt der
schärfste Gegensatz hervor.
Von den mit Rom verbündeten Latinerstädten Ardea, An-
tium, Laurentum, Circeii, Terracina, welche im ersten Vertrag
mit in den Schutz (un ddixarwoav) einbegriffen werden, ist im
zweiten Vertrag selbst nicht die Rede und nur in dem Inter-
pretationsversuche des Polybius 3, 24, 16 erscheinen sie wieder.
Derselbe ist jedoch derartig verunglückt, daf man fast an sei-
ner polybianischen Herkunft zweifeln móchte !?).
Schon dieser Gegensatz ist entscheidend.
Daß Rom diese Städte am Meer, welche es im ersten Ver-
trag in Schutz nimmt, im zweiten den Karthagern, die doch nur
den Küstenstädten gefährlich werden konnten, preisgibt, ist nur
erklärlich, wenn zur Zeit des 2. Vertrages zwischen ihnen und
Rom ein Kriegszustand bestand.
Im ersten Vertrag war man ängstlich darauf bedacht ge-
wesen, jedes Festsetzen und dauerndes Verweilen der Karthager
in Latium zu hintertreiben. Der Bau eines Castells oder das
Uebernachten einer feindlich in Latium einrückenden Punierbe-
satzung war ausdrücklich untersagt worden. In dem späteren
Vertrag war der Fall geradezu als regulär hingestellt, daß die
18) ‘Ouoiws de, sagt Polybius daselbst, x«i Pouasos megs inc 4a-
Tivns ovx olovtas dsiv toùs Kapyndoriovs adızsiv 'Agdsatac, Avnatas, Kıo-
xariras, Taßoexıviras und fügt dann zur Rechtfertigung mit einem be-
gründenden de hinzu: avını d' elaiv ai node al negsiyovoas napà Ia-
Aattay mv Aativav Ywopav nio je Nosovvtas ac ovvdnxag. Polybius
setzt hier für die in den Eingangsworten des zweiten Vertrags (24, 3)
erwähnten ,,xai ros; Puuaiuv Suundyoss“ die nur im ersten Vertrag
genannten 4odsatas, Avytıcını, Aavosvtivov, Kıoxasitas, Tagoaxsviras,
wührend der Wortlaut des zweiten Vertrages doch gerade zeigt, wie
eilig die Römer dabei waren, die node negséyovoas nage Sdlanay
thy Aativny ywoav den Karthagern preiszugeben.
Die römisch -karthagischen Verträge. 189
Karthager die latinischen Städte, soweit sie nicht den Römern
gefügig waren (um7jx00s Pwualoıs), zeitweise besetzen durften.
Und nicht minder ist der Gegensatz von 22, 12 und 24, 6
bezeichnend. Dort wird zwar auch schon die Eventualität eines
Abfalls der Latinerstädte gedacht (éàv dé rives un Wow vnnxoos),
aber doch zunächst von den Karthagern verlangt, daß sie sich
fernhalten sollten, und nur daneben die andere Möglichkeit (é&»
dé Außwos) berücksichtigt, in welchem Falle dann restitutio in
integrum verlangt wird. Im 2. Vertrag wird dagegen die Mög-
lichkeit einer Einnahme der Städte der bereits unterworfenen
Latiner wie der latinischen Bundesgenossenstädte (mods og el-
onvn wEv ior, Eyyoanıog "Pouolosc, un buorarıwvras Os Te avtois) .
von vornherein als gegeben hingestellt.
Und während, wie gesagt, der erste Vertrag im Falle eines
Conflictes mit einer der Bundesstädte eine unversehrte Heraus-
gabe (axfgasor) der eroberten Städte gefordert hatte, wird im
zweiten Vertrag gleichsam eine Prämie für die Eroberung der
revoltirenden Städte ausgesetzt: es wird den Karthagern zuge-
standen, daß sie die Männer verkaufen, alle Beute behalten und
mr den Grund und Boden den Römern cediren sollen.
Können derartige Maßregeln Varr. 448 verabredet sein, da
Laurentum im Latinerbunde, Ardea und Circeii stimmberechtigte
Colonieen waren, Antium seit V. 416, Anxur / Tarracina seit V.
425 (Velleius 1, 14) Bürgercolonien waren und Latium seit 416
unterworfen war? Oder können solche Stipulationen V. 406
aufgestellt worden sein, da Rom mit Latium in Frieden und mit
den Seestädten im Bündniß lebte ?
Es kann nicht zweifelhaft sein, der zweite polybianische
Vertrag fällt in die Zeit, da Rom mit Latium in offenem Kriegs-
zustand war, in die Zeit des großen Latinerkrieges.
Damit tritt dann die von Schäfer, Nissen, Unger mit Recht
hervorgehobene Nachricht des Livius 7, 38, 1 in den Vorder-
grand. Nach dem durch die Sage ungebührlich übertriebenen
Siege, welchen die Römer am Schluß des ersten Samniterkrieges
bei Suessula erfochten haben sollen, heißt es bei Livius a. a. O.
zu V. 411: huius certaminis fortuna et Faliscos, cum in induttis
essent, foedus petere ab senatu coegit et Latinos tam exercitibus com-
paratis in Paelignum vertit bellum. neque ita rei gestae fama Italia
se finibus tenuit, sed Carthaginienses quoque legatos gratulatum Ro-
140 Wilhelm Soltau,
mam misere cum coronae aureae dono, quae in Capitolio in Iovis
cella poneretur.
Diese Notiz ist „im besten Chronikenstil“ geschrieben (Nis-
sen a. a. O. 323), sie ist in jeder Beziehung glaubwürdig, zu-
mal sich die Erinnerung an sie mit dem im Juppitertempel auf-
gehüngten goldenen Kranz verknüpfte. (Ganz ohne Grund be-
anstandet diese Angabe Matzat Róm. Chron. 1, 308).
Sollten diese Gesandten in einer Zeit, da Rom vor dem
Abgrund des Latinerkrieges stand, ein reiches Geschenk über-
bracht, wichtige materielle Unterstützung zugesagt haben, ohne
gewisse Gegenleistungen zu empfangen? Auch auf diese Frage
giebt der Wortlaut der zweiten Urkunde Auskunft oder vielmehr
nur dann, wenn er in den Zeiten der größten Bedrängniß Roms
abgeschlossen worden ist, ist die Art und Zahl der Zugestünd-
nisse, welche in demselben Rom an Karthago gemacht hat, ver-
stándlich. Das wird am Besten folgende Gegenüberstellung
lehren :
1) I. V. Paciscenten sind einer-
seits Römer und Bundesgenossen,
andererseits Karthager und Bun-
desgenossen.
2) I V. Als Grenze für die
Machtsphäre der Römer ist das
promontorium pulchrum (16 xa-
Aöv axgwıngıov) festgesetzt.
3) Der I V. gestattet den Han-
del in Africa und Sardinien und
regelt die Formen des Verkehrs:
dou d' av toutwy nagurıwv (d.i.
éni xnovx N youupatel) r0aÿ,
Inwoolg nic opehiotw 19
anodoutro . 00a uv T7] àv A
Bun, n i» Zagdon nou].
4) Der I. V. gestattet den Ró-
mern Handelsfreiheit auf Sici-
1) II. V. Die Karthager schlie-
Ben "Tyrus und Utica (bez. das
Gebiet, und die Colonien dieser
Stüdte) mit in den Vertrag ein.
2) Der II. V. fügt als fernere
Grenze Maoıl« und Tagonsov
in Südspanien hinzu, was wahr-
scheinlich für den Silberhandel
sehr wesentlich war !*).
3) Der II. V. untersagt dieses
ausdrücklich: èv Zugdovs xai
Ain undeis "Pupatuv unt Èp-
nogevéodw, pire nodsv xulérw
. ed un Eug rov &podıa Au-
Rev 7 mhoîov Émoxevdouw. Eur
de yesuuv xarevéyxn, dv névd”
nuéQuis anorgeyeiw.
4) Der II. V. fügt noch das
freie Handelsrecht für die Rö-
14) Kiepert Alte Geographie S. 485. Die Lesarten im Einzelnen sind
controvers, doch darf nicht mit Unger Rhein. Mus. 37,197 geändert werden.
Die römisch-karthagischen Verträge,
lien in dem den Karthagern ge-
hörigen Gebiete: 2av ‘Pwpalwv
nc eig Lixedlay negaylyyntas,
ns Kagyndomos énugyovow, toa
foiw ta "Pwuulwv ndvra.
141
mer in der Stadt Karthago, für
die Karthager in Rom hinzu:
"Ev Zsxella, 75 Kagyndovios Enug-
xovss, xoi dv Ka 0xndovi, zavia
xai moeliw xai nwisitw, 00a
xai 16 noAlın Éteonv. ‘LQoaviws
dt xoi o Kugyndômos novelty
iv ‘Puun. Das kam auf eine
Beschränkung des römischen
Handels heraus, da den Kar-
thagern ja daneben viel weiter-
gehende Rechte auf Italien zu-
gewiesen waren.
Diese handelspolitischen Artikel des II. Vertrages sind ins-
t den Römern ungünstig, ja können den Römern nur in
den Zeiten der Noth abgerungen sein. Auch deshalb also kann
wird dieser II. Vertrag schwerlich V. 406 oder V. 448 abge-
schlossen sein. Kein Zeitpunkt erscheint auch hiernach passender
als der Anfang des großen Latinerkrieges.
Dazu kommt dann noch ein drittes. Wer hat, so kann
man wohl vor allem fragen, den Römern jene mächtigen See-
städte mit großen Flotten, Antium und Auxur / Terraeina in die
Hände geliefert ?
Die Bezwingung der Seemacht von Antium war ein so
epochemachendes Ereigniß, daß mit den Schiffsschnäbeln der
zerstörten Kriegsschiffe die Rednerbühne geziert ward (Liv. 8,
14, 12 vgl. 8, 13, 5). Wie diese wichtige Stadt erobert, wie
ihre Rom mindestens gleichwerthige Seemacht gebeugt sei, dar-
über erfahren wir nicht das Geringste. Erst der Wortlaut von
$ 5 des Il. Vertrages : éuv dè Kuoyndoveos M" iv ın Aa-
riv modev wa pui ovoav drijxoov ‘Pwuators ... tiv z0Àw dno-
dıdorwoa» kann hier Licht verbreiten.
Die Karthager haben die Kraft jener müchtigen Seestüdte
zwischen Rom und Neapel gebrochen.
Sie vernichteten damit die Concurrenz jener wichtigen Han-
delsstädte und leisteten Rom einen so bedeutenden Dienst, daß
nebenher für sie auch directe handelspolitische Vortheile abfielen.
Auf die Frage endlich, weßhalb denn Livius und die ró-
mischen Chroniken unter V. 411 von einem Vertrage nichts wis-
sen, giebt wahrlich der skandalöse Inhalt der II. Urkunde eine
hinreichende Antwort. Derartige Vertragsbestimmungen mußten
ebenso gut anfänglich geheim gehalten, wie später von der
Stadtchronik verschwiegen werden.
(Schluß folgt).
Zabern i. Elsaß. Wilhelm Soltau.
IX,
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen
Dichtern !.
Wir haben bei den Farbenbezeichnungen, von denen wir
im Folgenden handeln wollen, im wesentlichen drei verschiedene
| 1) Ein zu der folgenden Abhandlung jehöriges Brucbstück, wel-
ches von den wesentlichsten Farbenbezeichnungen für Roth (ruber,
rubicundus, rutilus etc.) handelt, habe ich in den Philologischen Ab-
handlungen, Martin Hertz zum 70. Geburtstage von ehemaligen Schü-
lern dargebracht (Berlın 1888), S. 14 ff. veröffentlicht. Was das Ma-
terial zu meiner Untersuchung anlangt, so ist dabei die heidnische
Poesie vollständig in Betracht gezogen; von der christlichen , abge-
sehn von dem was bei Baehrens Poetae Latini minores (von mir unter
P. L. M. citiert) steht, noch die Gedichte des Ausonius (nach der
Ausgabe von Peiper), Claudian (Jeep), Apollinaris Sidonius (Lütjohann),
Martianus Capella (Eyßenhardt) Corippus (Partsch). Mit A. L. ist die
Anthologia Latina, Bd. IV der P. L. M., gemeint. Aeltere Litteratur
über den hier behandelten Stoff giebt es wenig. |n Betracht kom-
men vornehmlich folgende Abhandlungen: Döring, de coloribus ve-
terum. Gotha 1788 (auch in dessen Commentationes, Nürnberg 1839,
S. 86 ff) C. G. Jacob, Quaestiones epicae, Lips. 1889, p. 69 ff.
Marg, de usu et significatione. epithetorum quorundam colores indi-
cantium, Bromberg. Gymn. Progr. v. 1857. O. Weise, Die Farben-
bezeichnungen bei den Griechen und Rómern, im Philologus XLVI
593 ff. Ueber vergilische Farbenbezeichnungen handelt Th. R Price
im American Journal of philology IV | ff. (mir unzugänglich). Vgl.
auch noch Boeh mer, De colorum nominibus equinorum, in dessen
Romanischen Studien I 231 ff. und den Aufsatz von O. Weise, Die
Farbenbezeichnungen der Indogermanen, in Bezzenbergers Bei-
trägen z. Kunde der indogerman. Sprachen, Il 273. Anderes wird
bei Gelegenheit angeführt werden. (lch verdanke den Nachweis ver-
schiedener älterer Abhandlungen der Freundlichkeit meines verehrten
Lehrers M. Hertz). Der kurze Abschnitt in Goethes Farbenlehre:
,Farbenbenennungen der Griechen und Römer“ ist von Interesse, aber
ohne Belegstellen.
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rümischen Dichtern. 148
Arten zu tunterscheiden: 1) solche, welche absolut eine bestimmte
Farbe in allen ihren Nüancen bezeichnen und nicht von der Ver-
gleichung mit irgend welchem farbigen Gegenstande entlehnt
sind, sondern an sich schon in ihrem Stamm die Bedeutung der
Farbe enthalten. Das sind also, wie bei uns weiß, schwarz, roth
etc., so im Lat. albus, ater, ruber u. dgl. 2) diejenigen , welche
von einem Vergleich mit irgend welchem Gegenstand der be-
lebten oder unbelebten Natur entnommen sind, wie unser rosig,
lat. roseus, lacteus , oder auch einen Farbstoff bezeichnen, wie
purpurn, purpureus, ohne daß dabei der Gedanke der Färbung
durch diesen Stoff noch festgehalten würe. Diese Ausdrücke ge-
hóren, wie bei uns so auch im Lateinischen, vornehmlich der
poetischen Diction, weniger der Sprache des täglichen Lebens an;
hinsichtlich ihrer Bildung ist zu beachten, daB in unserer leicht
Zusammensetzungen bildenden Sprache, ebenso wie im Griechi-
schen, die meisten solcher Farbenbezeichnungen den verglichenen
Gegenstand entweder mit dem Namen der Farbe selbst verbin-
den: rosenroth, grasgrün, kohlschwarz, oder wenigstens die Endung
„farben“ hinzufügen: fleischfarben, wie im Griech. poddygous
u.ä; der lateinischen Sprache dagegen, die sich der Composition
viel weniger zu bedienen im Stande ist, genügt schon das vom
verglichenen Gegenstande selbst gebildete Adjectiv mit der für
Farben und Stoffe charakteristischen Endung eus, und zusam-
mengesetzte Adjectiva mit color gehören erst der späten Lati- .
nitit an. 3) Farbenbezeichnungen, die man in gewissem Sinne
relative nennen kann. Streng genommen sollte man sie eigent-
lich überhaupt nicht Farbenbezeichnungen nennen, da sie weniger
eine Farbe, als den Begriff der größeren oder geringeren Leucht-
kraft oder Helligkeit, der Intensität irgend einer beliebigen
Farbe enthalten, während sie freilich im Sprachgebrauch vor-
nehmlich für die entsprechende Nüance einer bestimmten Farbe
gebraucht werden. So bedeutet unser „blaß“ an und für sich jeg-
liche Farbe in sehr zartem Ton, weshalb wir von blaßgelb,
blaßroth etc. sprechen; im speciellen aber verstehen wir dar-
unter ein mattes weiß. Ebenso verhalten sich im Lat. candidus,
pallidus, wahrscheinlich ursprünglich auch rutilus, indem diesel-
ben an sich keine bestimmte weiße oder gelbe oder rothe Farbe
sondern das Strahlende, das Blasse oder Stumpfe, das metallisch
Leuchtende bedeuteten, aus dieser relativen Bedeutung aber,
mehr und mehr in die absolute einer bestimmten, nur eben in
der bezeichneten Weise nüancirten Farbe übergegangen sind.
Wir betrachten jedoch im Folgenden die Farbenbezeich-
nungen nicht nach den eben angeführten Unterschieden, sondern
nehmen die Bedeutung der Farben selbst zum Eintheilungsgrund,
indem wir mit Weiß beginnen.
144 Hugo Blümner,
L Weif.
1) albus ?).
Während bei manchen Farbebezeichnungen, wie z. B. bei
ruber (vgl. meine oben angeführte Abhandlung S. 16) im dichte-
rischen Sprachgebrauch das Verbum des entsprechenden Stammes
resp. das dazu gehörige Partic. praes. bei weitem häufiger zur
Anwendung kommt, als das Adjectivum, gilt dies von albus kei-
neswegs. Unter den ungefähr 300 Fällen, die für uns in Be-
tracht kommen, fallen etwa 67 Proc. auf albus, 18 Proc. auf
albere, davon 11 Proc. auf den Partic. albens, sodaß also das
Adjectivum etwa sechsmal häufiger angewandt ist, als das Par-
ticipium. Wie die Beispiele weiter unten zeigen werden, hat
dabei aldere viel häufiger die Bedeutung „weißlich sein“, als
„weiß, d. h. von ansgesprochen weißer Farbe sein“. Von
sonstigen zu dem Stamm gehörigen Wörtern kommt am häu-
figsten vor, obgleich im ganzen auch nicht zahlreich vertreten,
albescere (ich habe 17 Beispiele notirt); alle übrigen sind in
unsrer poetischen Litteratur nur ganz spärlich vertreten: je
einmal albidus (Ov. met. III 74); albulus (Catull. 29, 8);
albicascere (Matius ap. Gell XV, 25); zweimal albatus
(Hor. Sat. U 2, 61. Pers. 2, 40) und dreimal albicare (Ca-
tull. 68, 87. Hor. Carm. I 4, 4 Priap. 76, 2 Baehr);
dazu kommen noch einige vereinzelte Composita, nämlich aÿbica-
pilus (Plaut. Mil. gl. 631); albicomus (Venant. Fortun.
4, 2), albiplumis (Anth. Lat. 550, 11 Baehr.) und ajbicolor
(Coripp. Iust. I 329).
Was nun die Bedeutung von albus?) anlangt, so bezeichnet
es an sich die weiße Farbe xur é£oynv, namentlich im Gegensatz
zur schwarzen; vgl Lucr. II 820: et quoniam plagae quoddam
genus excipit in se Pupula, cum sentire colorem dicitur album,
atque aliud porro, nigrum cum et cetera sentit. Catull. 98, 2:
utrum sis albus an ater homo. Phaedr. III 15, 10: niger
an albus nascerer. Der Gegensatz von albus zu dem ursprüng-
lich der Klasse der relativen Farbenbezeichnungen angehörigen
candidus, candere, wird sehr bestimmt von Servius ad: Verg.
Georg. III 82 in folgenden Worten ausgesprochen: aliud est
candidum, id est quadam nitenti luce perfusum esse, aliud al-
bum, quod pallori constat esse vicinum. Diese Unterscheidung
entspricht durchaus dem Sprachgebrauch: und der auch sonst *)
2) Ueber albus und candidus handelt Marg a. a. O. S. 12 ff.
3) Der von Dóderlein, Lat. Synon. III 196 bezweifelte Zusam-
menhang mit aàgoc, nach Hesych. s.v.a. Aevxoc, als Subst. ein
weißer Ausschlag, ist heut so ziemlich allgemein angenommen; vgl.
Curtius, gr. Etymologie*, S. 292 f. Kuhn, Ztschr. f. vgl. Sprach-
forschg. IV 109.
4) Vgl. Dóderlein a. a. O. 193.
pu
Ueber die F'arbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern. 145
dafür angeführte Beleg V er g. Ecl. 7,38: candidior cycnis, hedera
formosior albà ist nach dieser Richtung hin ganz bezeichnend.
In der That werden wir auch finden, daß auf gewisse Dinge,
de eine sehr stark glänzende weiße Farbe haben, wie z. B. der
Mond, aZbus niemals angewandt wird; für andere, welche ausge-
sprochen weiß, aber ebenfalls von starker Leuchtkraft sind, wie
Schnee, Schwanenfedern u. dgl., kommt es zwar vor, aber bei
weitem nicht so häufig, als candidus). Ebenso charakteristisch ist
de Anwendung beider Bezeichnungen auf die menschliche
Hautfarbe. Für den weißen, aber dabei gesunden Teint
von Frauen ist candidus ein gewöhnliches Attribut; hingegen
kommt aZb«s in solcher Anwendung nur ganz vereinzelt vor.
Ein paar mal bedeutet es allerdings die von Natur weiße Haut-
farbe, theils im Gegensatz zu derjenigen, welche durch Schminke
erzielt wird (Hor. Sat. I 2, 124: mec magis alba velit, quam
datnatura, céder), theils im Gegensatz zur schwarzen Race (Iu v.
2,23); im Sinne von candidus, also wirklich als zartes, anmu-
thiges Weil, finden wir es nur Hor. Carm. II 5, 18 albo hu-
mero nitens; id. Sat. I 2, 36: mirator cunni albi; Mart. XI 84,
3: alba brachia; Claud. in Olyb. et Prob. 90: album pectus.
Das sind aber die einzigen Stellen, welche man dafür anführen
kann; eine verschwindend kleine Zahl gegenüber der Menge von
Stellen, wo candidus in diesem Sinne steht. Sonst aber bedeutet
albus, wo es von der menschlichen Haut gebraucht wird, nicht
die natürliche gesunde Hautfarbe, sondern entweder die, welche
durch Furcht, Schrecken u. dgl. entsteht (E n n. trag. frg. 46 Vahl.
Ov. am. I 7, 51. A p. Sid. 5, 601), daher auch direct albus timor,
Pers. 8, 115, oder pallor, Hor. ep. 7, 15); oder es ist ein Zeichen
von Krankheit, zumal von Wassersucht (Hor. Carm. II 2, 15;
Sat. II 2, 21. Pers. 3, 98. Sulpic. sat. 36. Seren. Sam-
mon. 510; ähnlich ist wohl auch Plaut. Capt. 647 gemeint);
oder es charakterisiert den sich den bräunenden Sonnenstrahlen
nicht aussetzenden Stüdter (Mart. I 55, 14; X 12, 9), daher
auch übertragen Mart. III 58, 24: mon segnis albo pallet
otio copo.
Sehr häufig wird albus für die weißen Haare des Al-
ters gebraucht; zwar nicht so gewöhnlich, wie canus, grau, aber
doch unvergleichlich öfter, als candidus. So finden wir es denn
5) Hingegen hat Doederlein ebenso unrecht, wenn er III 198 be-
hauptet, daß das album sich mehr dem Gelblichen nübere, obschon das
bisweilen der Fall ist, wie wenn er VI 50 sagt, album sei das
Weiße, insofern es der Gegensatz aller Farbe überhaupt ist, das Farb-
lose, candidum aber das Weife, insofern es selbst eine positive Farbe
ist. Man vgl. die Bemerkungen von Marg a. a. O., welcher selbst
den Satz aufstellt: Constat, omne candidum album quoque esse, non
omne album etiam candidum, der allerdings nur theilweise zutreffend
ist, da, wie die Beispiele oben zeigen, eine candida puella in der
Regel nicht alba genannt werden kann.
Philologus. N. F. Bd. II, 1. 10
146 Hugo Blümner,
bei crinis (Iu v. 2, 112) und crines (V erg. A. VIL 417; IX 651.
Stat. Silv. IV 3, 116: alba crinibus); capillus (Hor. Carm. III
14, 25: albescens; id. ep. 17, 23. Plaut. mil. gl. 681: albi-
capillus. Symphos. 188) und capilli (Tib. 18,45. Prop. IV
(III) 25, 13. Ov. her. 18 161; met. XV 213: alba capillos.
Priap. 76, 2 Baehr.: caput albicet capillis. Maximian. 2,
55); coma (Ov. am. I 8, 111) und comae (Ov. a. a. II 266;
met. XIII 534; ex Pont. IV 12, 30, jedesmal albentes) ; caesa-
ries (P. L. M. 19, I 44); barba (Plaut. Bacch. 1101); auch
direkt mit canities (O v. met. X 424) oder mit cant (Dracont.
8, 589: albentes cani, wo aber v. Duhn crines vermuthet) ver-
bunden; ferner bei caput (Nemes. ecl. 1, 13), facies (Mart.
IV 78, 2: alba pilo), tempora (Ov. met. III 516: albentia), und
übertragen auch bei senecta (Prop. IV 4 (III 5), 24 und fast
wörtlich gleichlautend O v. trist. IV 8, 2). — Wie in diesen
Fällen nicht an silberweiße, sondern mehr an grauweiße Haare
zu denken ist, so ist auch, wenn albus von Zähnen gebraucht
wird, wie Plaut. Epid. 428, und von thierischen Zähnen Ver g.
A. VII 667; XI 681, nicht der Glanz derselben, sondern die
weiße Farbe an sich im Gegensatz zum umgebenden Mund oder
thierischen Rachen die Hauptsache, wie die betr. Stellen das von
selbst ergeben. — Häufig wird sodann albus resp. albere ge-
braucht von menschlichen oder thierischen Gebeinen, bei de-
nen ja auch die weiße Farbe in der Regel nur stumpf oder
gelblich blab ist; und zwar weniger in der Form, daß die Kno-
chen selbst dies Attribut erhalten (so Hor. Sat. I 8, 16: albis
informem ossibus agrum. Claud. rapt. Pros. III 841 [al. IV 10]:
immania ossa . . . albent. Ap. Sid. carm. 7, 192: albentes lu-
nae) als in der Weise, daß die Erde, auf der sie zahlreich lie-
gen, als weil} von Gebeinen bezeichnet wird: so campi, Ver g.
A. XII 86 und in Nachahmung davon Coripp. Ioh. III 296;
humus, Ov. Fast. I 558 und fast wörtlich ebenso III 708; sco-
puli, Verg. A. V 865; solum Sen. Oed. 94, cf. Stat. Silv.
II 7, 65: albos ossibus Italis Philippos. Uebrigens ist dabei
noch hervorzuheben, daf es wohl nicht zufüllig ist, wenn unter
den zehn angeführten Stellen das Adj. albus nur dreimal vor-
kommt (Verg. A. V 865. Hor. u. Stat. ll. Il), sonst aber
immer das Verbum albere (bei Coripp. 1.1. albescere) gebraucht
ist; denn es liegt wohl darin der Gedanke, daß die Erde nicht
&n sich, sondern nur durch die auf ihr liegenden Gebeine weifi
ist, weshalb man nicht alba humus direkt sagen wollte. Aehn-
lich sagt Val. Fl. III 167: sparsusque cerebro albet ager. —
Das weiße Mark der Knochen erwähnt O v. met. XIV 207.
Was die weiBe Farbe in der Thierwelt anlangt, so
zeigen auch hier die Beispiele, daß albus zwar meist von reinem
Weiß, vielfach aber auch von einem mehr in's Graue hinüber-
spielenden Weiß gebraucht wird. Unter den Vierfüßlern
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rómischen Dichtern. 147
sind am hüufigsten die Pferde so bezeichnei, und zwar meist
mit Beziehung auf den Triumph, bei welchem bekanntlich der
siegreiche Feldherr mit einem Viergespann weißer Rosse auf das
Capitol fuhr; vgl. Plaut. Asin. 279. Verg. A. X 575; XII
164. Hor. S. I 7, 8. Prop. V (IV) 1, 32. Ov. met. VIII 33.
Mart. VIII 26, 2. Claud. cons. Stilich. III 20. Ap. Sid.
carm. 2, 375. Nun sagt aber Verg. Geo. III 81 ff von den
Hengsten : honesti Spadices glaucique, color deterrimus albis Et gilvo.
Wie man das zu verstehen habe, darüber waren schon die alten
Erklärer nicht ganz einig. Servius giebt a. d. St. die oben an-
geführte Unterscheidung von candidus und albus, bemerkt aber
weiterhin : multi ita legunt : ,,albis et gilvo, ut non album vel gilvum,
sed albogilvum vituperet [quod falsum est] quod si singuli colores
vituperandi sunt, quaniio magis mixtus uterque, id est albogilvus ?
Indessen diese zweite Erklürung dürfte wohl schwerlich zu halten
sein, da sonst Vergil sicherlich aldis et gilvis geschrieben hätte ;
eher möchte man glauben, daß Virgil an dieser Stelle unter den
equi albi die gewöhnlichen Schimmel versteht, deren Farbe al-
lerdings mehr ein schmutziges Weif ist, wührend man zu den
Triumphalrossen nur tadellose Exemplare aussuchen mochte, wie
solche bekanntlich in Persien besonders gezüchtet wurden. —
Sonst lieben aber die Dichter auch die weiße Farbe an ge-
fleckten Rossen (Schecken) hervorzuheben, namentlich bei schwar-
zen Pferden: Verg. A. IX 49. Stat. Theb. VI 386. Co-
rip p. [oh. IV 520; und zumal in der Form, daß die Vorder-
füße und die Stirn weiß sind, Verg. A. V 565: albis. ...
equus bicolor maculis, vestigia primi Albi pedis frontemque ostentans
arduus albam, und, vielleicht in Nachahmung, Sil. It. XVI 349:
patrium frons alba nitebat Insigne et patrio pes omnis concolor albo.
Bei andern Vierfüßlern wird die weiße Farbe vornehmlich her-
vorgehoben, wenn es sich um Opferthiere handelt (alba victima,
Ov. Fast. I 720); so ganz besonders bei Rindern (Verg.
Geo. If 146. Hor. C. saec. 49. Ov. ex P. IV 9, 50; auch
wenn sonst etwas feierliches damit verbunden ist, wie O v. Fast.
IV 826; am. III 4, 24; Erwähnung weißgefleckter Rinder Ver g.
Geo. III 56). Ebenso kommt der weiße Ziegenbock als
Opferthier vor bei Hor. C. III 8, 6; hingegen ist P. L. M. 19,
I 7 der weiße Fleck auf der Stirn des Bockes eine besondere
Schönheit, während bei V er g. Ecl. 2, 41: capreoli, sparsis etiam-
nunc pellibus albo, solche weiße Flecken gemeint sind, welche
später, wenn die Thiere älter sind, dunkler werden, vgl. Serv.
z. d. St. — Auch weiße Lämmer als Opfer für oberirdische
Gottheiten sind bekannt und oft erwähnt, Verg. Geo. III 386;
A. III 120. O v. Fast. I 56; hier galt die weiße Farbe ja nicht
allein als Schönheit, sondern sie verlieh dem Thiere noch be-
sondern Werth wegen der in reinem Weil hochgeschützten Wolle
(vgl. unten), daher Calpurn. ecl. 2, 36 den Gegensatz hervor-
10 *
148 Hugo Blümner,
hebt: niger albae maritus ovis. Da man dem Wasser der Flüsse
oder Büche, von dem die Herden tranken, Einflu8 auf die Für-
bung des Felles zuschrieb (vgl. Prisc. carm. 2, 481: hoc
albat gurgite nigras), so nennt Mart. XII 63, 3 den Galaesus,
dem man auch solche Kraft nachrühmte, direkt albus, — Hin-
gegen wird bei der weißen Sau mit ihren dreißig weillen Fer-
keln in der bekannten Gründungsgeschichte von Alba longa die
Farbe nur hervorgehoben, weil sie eben im Mythus eine Rolle
spielt; s. Verg. A. III 392; VIII 45 u. 82. Prop. V (IV),
1, 85. Iuv. 6, 177. (Zu Iuv. 18, 117: alba omenta porci be-
merken die Erklürer alba e natura adipis; vel porci albi; doch
ist wohl erstere Erklärung vorzuziehen. — Bei Hunden
wird nur einmal von weißen Flecken im Fell gesprochen, O v.
met. III 221. — Wenn albus als Attribut des Elephanten
vorkommt (H or. Ep. II 1, 196), so sind damit die seltenen
weißen Elephanten gemeint, deren Farbe freilich auch kein ganz
reines Weiß ist; wenn es dagegen mehrfach auch vom Esel
gesagt ist (Ov. met. XI 176: villis albentibus; Pers, 1, 59:
auriculas albas), so ist hier direkt die Bedeutung graulich weiß
anzunehmen. — Endlich können wir es hier noch anführen, daß
der weißliche Schaum, welcher Thieren bei Anstrengung oder
Wuth und wohl auch rasenden Menschen vor den Mund tritt,
in der Regel albens genannt wird, seltner albus oder albidus (so
Enn. Ann. 507. O v. met. III 74): bei Pferden O v. met. XV
519. Stat. Theb. VI 419. Enn. 1. l, bei Hunden Ov. met.
VII 415; bei Schlangen Ov. met. III 74; bei einem rasenden
Menschen Sil. Ital. IV 251.
Unter den Vögeln sind es die Schwäne, die am häu-
figsten dies Attribut erhalten, aldi olores, V erg. A. XI 580.
O v. her. 7, 2. Stat. Theb. IX 858. Sil. It. XIV 190; albi
cygni, Ov. met. XIV 519; der Schwan ist daher auch der weiße
Vogel x«:' &£oynr, Hor. C. II 20, 11; cf. Ov. met. X 719;
XII 144. Demnächst tritt albus zur Taube, namentlich der
der Venus heiligen, Tib. I 7, 18. O v. Fast. I 452. Ps. Ov.
her. 15, 37; cf. den albulus columbus bei Cat. 29, 8, und Anth.
L. 550, 11 (Baehr): albiplumem columbam ; ferner zur Gans,
Hor. S.H 8,88. Petron c. 93 v.4. Dagegen ist der weiße
Rabe bei den Alten bereits ebenso sprichwörtlich als Seltenheit,
wie bei uns der weiße Sperling; vgl. Lucr. II 822: conveniebat
enim corvos quoque saepe volantis Ex albis album pinnis tactare
colorem. luv. 7,202: corvo rarior albo ; und wenn Iu v. 18, 141
von weißen Hennen spricht, so hat das den gleichen Sinn,
da die italischen Landwirthe solche weiße Hennen nicht liebten
(Colum. VIII 2, 7) und dieselben daher ungewóhnlich waren.
Auch sei hier noch bemerkt, daß die Excremente der Vögel als
weiß bezeichnet werden; so vom Raben Hor. S. I 8, 37; vom
Hahn Seren. Samm. 714. — Aus der übrigen Thierwelt
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rómischen Dichtern. 149
sind keine Beispiele anzuführen, als hóchstens der bei O v. met.
VI 880 beschriebene weilbe Bauch des Frosches.
Wenn wir zum Pflanzenreich übergehen, so sind es
unter den Blumen selbstverständlich die Lilien, welche am häu-
figsten mit dem fast Epitheton perpetuum gewordenen albus ver-
sehen werden: Verg. Geo. IV 130; Aen. XII 68. Ps. Tib.
III 4, 33. Prop. II 3,10. Ov.fast. IV 442. Petron. c. 127
v. 5. Val Fl VI 492. Dracont. 6, 7. Sonstige Blumen
erhalten das Attribut nur vereinzelt: so die überhaupt sehr selten
erwähnten weißen Rosen (rosae albentes), Ov. a. a. III 182.
A. L. 499, 6; die äußere Blattreihe der Narzisse (O v. met.
III 510), die weiße Kamille (Cat. 61, 190: alba parthenice),
die Blüthe des Ligusters (Verg. Ecl. 2, 18. Claud. rapt.
Pros. II 130) und des Birnbaums (Verg. Geo. II 81). —
Unter den Sträuchern können wir von vorn herein diejenigen
aussondern, welche das Attribut albus mehr aus botanischem, als
aus poetischem Gesichtspunkt erhalten, insofern es nämlich zur
Bezeichnung der Gattung erforderlich ist: so bei der Zaun-
rübe, bei den Alten vitis alba genannt, Ov. met. XIII 800.
Colum. X 347; ferner beim Weil dorn, spina alba, Ov. Fast.
VI 130 u. 165, und auch bei der einen Art des Epheu, he-
dera alba, Verg. Ecl. 7, 38, denn es gab auch eine hedera nigra,
und Servius sagt z. d. St.: nigra autem vel alba hedera non ez
foliis sed ex ligno cognoscitur. Dasselbe ist auch Colum. X 417
mit der alba ficus der Fall, quae servat flavae cognomine cerae; der
didaktische Dichter umschreibt auf diese Weise nur diejenige
Feigenart, welche sonst albicerata hieß, s. Plin. XV 70. —
Auch bei der Weißpappel, populus alba, ist, wenn sie bei
Dichtern so genannt wird, das Epitheton bisweilen ein lediglich
botanisches , so namentlich bei Seren. Samm. 164 u. 697;
allein in anderen Erwühnungen ist doch meist das Epitheton als
ein wirklich bezeichnendes aus poetischen Rücksichten gewählt,
da das hellere Laub der Pappel, das freilich noch ziemlich weit
davon entfernt ist, rein weiß zu sein, damit charakterisiert wer-
den soll; man vgl, abgesehen von bloßen Erwähnungen wie
Hor. C. I1 3, 9. Tib. I 4, 30 (wo die Hss. allerdings alta
haben, aber alba eine durchaus wahrscheinliche Emendation ist).
Ov. her. 9, 64, namentlich Stat. Silv. III 1, 185: populeaque
movens albentia tempora silva, und Sil. It. X 531: albae populus
alta comae. Wahrscheinlich hat man daher auch bei Val. Fl.
V 10: pars auguris alba Fronde caput vittisque legant die Blütter
der Weißpappel zu verstehen; denn für die grauweißen Blätter
der Olive kommt albus nur ganz vereinzelt vor (O v. her. 11, 67:
ramis albentis olivae). Lucil. frg. 1181 k (Lachm.) nennt auch
den jungen Rebenschößling (pampinus) alba; der Farbenton des-
selben kommt ja auch in der That dem Weiß recht nahe. Wenn
aber Ov. Fast. V 357 sagt: maturis albescit messis aristie, so. ist
150 ^. Hugo Blümner,
da nach unserer Anschauung der Begriff des albus schon be-
trächtlich erweitert, da die reife Halmfrucht bei weitem mehr
dem Gelb angehört, wie denn sonst auch flavus das gewöhnliche
Attribut dafür ist. Es gehört das also zu den Füllen, wo albus
in den Begriff des gelblich-weißen übergegangen ist; eben dahin
rechne ich Calpurn. ecl 4, 116: messis — nec inertibus ulbet
avenis, vom wilden oder tauben Hafer gesagt. — Eßbare weiße
Schwümme nennt Ov. Fast. IV 697.
Spärlich ist die Anwendung von albus für Objekte aus dem
Mineralreich. DerMarmor, welchen die Griechen bekannt-
lich A(3og Asvxog nennen, wird im Lat. öfters mit candidus be-
zeichnet; als lapis albus kommt er nur bei Hor. S. I 6, 116
und Ap. Sid. carm. 11, 19 (vom parischen Marmor) vor. Plum-
bum album bei Lucr. VI 1077 ist der stehende Name für
Zinn, im Gegensatz zu plumbum nigrum, Blei (vgl. meine Techno-
logie IV 81); alba cerussa, Bleiweiß (als Schminke), hat
Mart. X 22, 2. Bei Verg. A. XII 87 wird album orichalcum
genannt. Da man unter orichalcum später in der Regel Messing
verstand (s. Technologie IV 194 ff), so fiel das Attribut album
bereits dem Servius auf, welcher z. d. St. bemerkt: alboque ori-
chalco: auri scilicet. comparatione; nam album non est; also nur im
Vergleich zu dem gelben Golde werde das orichalcum weiß ge-
nannt. Falls nicht Vergil eine in der That weiße Erzmischung
(die als yeAxóg Aeuxoç in griech. Quellen vorkommt, vgl. Technol.
S. 198 fg.) gemeint hat, sondern Messing, so müßten wir hier die-
jenige Bedeutung von albus annehmen, der wir bisher noch nicht
begegnet sind, die wir aber in andern Beispielen noch wieder-
finden werden, nämlich hell, wobei der Begriff der weißen Farbe
in den Hintergrund tritt und der der Helligkeit, wenn auch
nicht gerade im Sinn des Strahlenden, vorwaltet. — Sodann
spricht Catull. 63, 87 von umida albicantis loca litoris. Die
Erklärer deuten das verschieden: die älteren denken an den
weißen Sand des Strandes (man könnte auch an weiße Uferfelsen
denken); Riese erklärt: „glänzend von der Sonne beschienen",
was nicht gut angeht, da der Begriff des Glanzes dem albus
fern liegt; Ellis und Baehrens fassen es als weiß vom Schaume
der den Strand bespülenden Wogen, was am meisten für sich
hat, da, wie wir unten sehen werden, gerade der Schaum des
Meeres häufig durch albere bezeichnet wird. — Bei Iuv. 1, 111
gehen die albi pedes des Emporkimmlings, der früher Sklave ge-
wesen war, auf die Kreide, mit der man die Füße des zum
Verkauf auf dem Gerüst aufgestellten Sklaven bestrich.
Wenden wir uns zu den Naturprodukten, so haben
wir da zunächst der Wolle zu gedenken, an der die Dichter
gern die weiße Farbe hervorheben, namentlich wenn es sich um
den Gegensatz zur gefärbten handelt, so alba lana, V erg. Geo.
II 465, oder albens, Sil. It. XVI 569; album vellus, Ov. her.
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rómischen Dichtern. 151
7, 100. Stat. Silv. I 2, 21, oder stamen, Iuv. 12,65. Wei-
terhin ist zu nennen die Milch, O v. am. III 5, 13: (lac) quod
spumis stridentibus albet (vgl. damit Priscian. carm. 2, 452
vom Steine Galaktit: albescit lacta liquescens), auch der Käse
(Dracont. 8, 415: caseus albens); ferner Eiweiß (Hor. S.
It 4, 13) und Talg (Auson. XVIII 14,19). Beim Wachs
(O v. am. I 12, 30. P. L. M. 42, VI 8) hat man natürlich nur
an gebleichtes, nicht an Wachs im ursprünglichen Zustande zu
denken, da letzteres gelblich ist, s. unter flavus. Von weißem
Pfeffer spricht Hor. S. II 4, 74 u. 8, 48; weiße Graupe
nennt Stat. Silv. IV 9, 35. Albere kommt vereinzelt von Per-
len vor (Auson. X 70 ; albus lapillus bei A p. Sid. carm. 14, 3);
bei Martial heißt es vom Elfenbein VII 13, 1 albescit, und
VIII 28, 12 albet, es bezieht sich dies aber nicht auf die natür-
liche Weiße desselben (hierfür ziehen die Dichter candidum ebur
vor), sondern auf das Bleichen des gelbgewordenen (vgl Mart.
IV 61 mit der Anm. Friedlaenders). — Wenn in allen diesen
Fällen der Begriff der Weiße mehr oder weniger festgehalten
ist, so ist das dagegen nicht der Fall, wenn der Römer den
hellen Wein, wie wir, weiß nennt, vinum album, Plaut.
Menaech. 915; Coum album, H or. S. II 4, 29; Mareotides albae,
Verg. Geo. H 91 (wenn Cor. Iustin. III 99 die dona Lyaei
alba colore nivis nennt, so ist das eine arge poetische Uebertrei-
bung) Hierbei ist wiederum der Begriff des Hellen maßgebend
gewesen, namentlich im Gegensatz zum dunkeln Wein, den die
Römer (wie heut noch die Italiener) schwarz (vinum atrum oder
nigrum) nennen.
Auch im übrigen Gebiet der Natur und Naturerschei-
nungen findet albus bei den Dichtern häufige Anwendung.
Vor allem haben wir da des Meeres zu gedenken. Dasselbe
ist allerdings an und für sich, wenn es in Ruhe ist, kein mare
album, sondern, wie wir an anderen Stellen sehen werden, caeru-
leum, bläulich; aber wenn Sturm es aufregt und die Wellen
schäumenden Gischt aufwerfen, dann nimmt es jene Färbung an,
welche zwar in der Regel bei den Dichtern mit canus, da sie
sich mehr dem Grau nähert, aber auch häufig mit albus bezeich-
net wird. Das Adj. albus selbst wird allerdings nirgends für
diesen Zustand des aufgeregten Meeres gebraucht; die gewöhn-
liche Bezeichnung ist vielmehr das albescere, das weißlich - grau-
werden durch den Schaum (V erg. Geo. III 237: fluctus uti me-
dio coepit cum albescere ponto, und fast wörtlich ebenso Aen. VII
528; ähnlich O v. met. XI 480: cum mare sub noctem tumidis
albescere coepit fluctibus; ferner Lucr. II 773. Sil It. VIII
429 u. XIV 360), oder albere, namentlich wenn dabei der Schaum,
welcher dem Meere das geschilderte Aussehen verleiht, genannt
wird (O v. met. VII 263: spumis tumentibus albet; ib. XI 501:
spumis sonantibus albet ; vgl. Ap. Sid. carm. V 241: albet aquosa
152 Hugo Blümner,
acies, nämlich von Seeungeheuern) Etwas anderes ist es, wenn
Stat. Silv. I 3, 65 von albentes lacus in der Villa des Manlius
Vopiscus spricht, womit wohl nur „helle Teiche‘ gemeint sind,
obgleich ich sonst keine Parallele hierzu anführen kann. Da-
gegen ist es wiederum gewöhnlich, daß die sch wefelhalti-
gen Gewässer oder Quellen, die ein milchig-weißes Aussehen
haben, durch albus näher charakterisirt werden, wie der Nar,
Verg. A. VII 517: sulfurea Nar albus aqua. Sil. It. VIII 458:
Nar . . . albescentibus undis. Claud. de VI cons. Hon. 519:
amnis . . . albet, — Weiterhin finden wir dann albus wieder in
der Bedeutung des reinen Weiß, wenn es, was allerdings nur
sehr selten der Fall ist, vom Schnee gesagt wird (Lucr. VI
736. Manil Astr. IL 419. Mart. IV 2,6) oder vom Hagel
(Varr. Sat. Menipp. p. 234, 5 Riese) oder vom Reif (Hor.
C. I 4, 4: nec prata canis albicant pruinis. A. L. 188, 20: Au-
mus hibernis albescit operta pruinis; cf. Coripp. Ioh. II 19), in
welchen Fällen sonst häufiger canus vorkommt. Auch hier be-
merken wir, daß albere, albescere, albicare gesagt ist, sobald das
Weißsein nicht vom Schnee oder Reif selbst, sondern von der
damit bedeckten Erde ausgesagt ist (vgl oben S. 146). Ebenso
sagt Claud. rapt. Pros. III 232: rore albet ager, vom Thau,
in nicht gerade sehr passender Anwendung, da für blitzende
Thautropfen der color albus nicht sehr angebracht scheint.
Zwischen den Bedeutungen grau und hell, die wir beide
bereits mehrfach für albus gefunden haben, steht es gewisser-
maßen in der Mitte, wenn albus oder albescere, wie bekanntlich
auch in Prosa sehr gewöhnlich, zur Bezeichnung der M orgen-
dämmerung gebraucht wird (heut noch ital. alba, franz. aube).
Auch wir sagen von dieser Morgenstunde sowohl „der Tag graut“,
als „es wird hell“. So sprechen denn auch die Dichter von
alba lux (Lucan. II 720) oder daldens lux Coripp. Ioh. VII
84) luz albescit (Verg. A. IV 586 (vgl. Matius ap. Gell.
XV 25: cum albicascit Phoebus) oder auch von den im Mor-
gengrauen heller werdenden Gegenstünden: von der Erde (Val.
Fl. U 72: albet ager) oder von Bauwerken (id. III 258: orta
dies notaeque albescere turres) Damit hängt es zusammen, daß
auch der Morgenstern dies Attribut erhält; Ovid spricht
mehrfach von dem Albus equus des Lucifer (met. XV 189
u. trist. III 5, 56). Auffallender ist Verg. Geo. 1365 ff.: saepe
etiam stellas, vento inpendente, videbis Praecipitis caelo labi , noctis-
que per umbram Flammarum longos a tergo albescere tractus; der
feurige Streif der Sternschnuppe scheint durch albescere nicht
sehr treffend bezeichnet, doch deutet uns das noctis per umbram
an, daß nicht so wohl an starken Glanz, als an den Gegensatz
des hellen Streifens zu dem schwarzen Nachthimmel zu denken
ist. Horat. C. I 12, 27 nennt auch das Sternbild der
Zwillinge alba stella: vielleicht weniger im Sinne von hell, oder
2G
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rómischen Dichtern. 158
wie manche zu erklären meinen, in der unten noch zu erwäh-
nenden Bedeutung günstig, glückbringend, als im Sinne von hell-
machend, weil ihr Aufgang klaren Himmel und Ende der Sturm-
zeit bedeutet: also im gleichen Sinn, wie er auch diejenigen
Winde, welche wolkenlosen Himmel bringen, aldi nennt, den
Iapyx, C. III 27, 19, und den Notus, der sonst als regenbrin-
gender Wind eher ater heißt, aber doch bisweilen, wie in den
Bergen der Fóhn, die Wolken vertreibt und klares Wetter bringt,
C. I 7, 15: Albus ut obscuro deterget nubila coelo Saepe Notus ne-
que parturit imbres Perpetuo 9). — Geradezu hell, klar, bedeutet
albus, wenn es von der Sonne gesagt ist, zumal im Gegensatz
zur dunkeln Nacht; so Ennius wiederholt, Ann. frg. 92: sol
albus recessit in infera noctis; fr. 547: fugit albus iubar Hyperionis.
Im gleichen Sinne wird der A ether, d. h. der klare Himmel,
albus genannt, Catull. 63, 40. Sil. It. V 283; und ebenso
die hellen, wolkenlosen Tage, wie sie der Hochsommer zu
bringen pflegt, Mart. X 62, 6. |
Unter den Produkten des Gewerbfleißes ist es vor
allem die Kleidung, zu welcher sehr häufig die Bezeichnung
albus hinzutritt, und zwar meist im Adjectiv (alba, Neutr. plur.,
bedeutet direkt weiße Kleider, Ov. a. a. III 191 u. Fast. IV
619), welches auch an sich in poetischer Redeweise einen weiß-
gekleideten bedeuten kann (Pers. 1, 16); letzteres wird bis-
weilen auch durch albatus wiedergegeben (Hor. S. II 2, 60.
Pers. 2, 40). Seltner ist albens (Stat. Silv. V 2, 67. Co-
rip p. Iust. II 316; von Binden Ov. met. II 410 u. XV 676);
spät albicolor (Coripp. Iust. I 329) In den weitaus meisten
Fällen der Erwähnung bezieht sich die Beifügung der weißen
Farbe darauf, daß das festliche Tracht ist (vgl. die angef.
Stellen und O v. am. III 13, 27; trist. III 18, 14; ib. V 5, 8.
Fast. V 355), namentlich zu gottesdienstlichen Zwecken, weshalb
es auch Priestertracht ist (Verg. À. X 589. Prop. V (IV)
11, 54 von einer Vestalin; Mopsus bei Val. Fl. I 385), und
Hor. C. 138, 21 die Göttin Fides selbst albo velata panno nennt,
Bei Schilderung römischer Verhältnisse ist in der Männertracht
meist die weiße Toga (toga candida) damit gemeint, vgl. Stat.
Silv. V 2, 67; daher es auch die passende Tracht für den Thea-
terbesuch ist, Mart. XIV 137. Iuv. 3, 179; vgl. außerdem
noch Ov. am. III 2, 41. Mart. XIV 139. Coripp. lust.
6) Ich glaube, daß auf diese Weise das Epitheton albus sich ge-
nügend erklären läßt Lucas, Quaest. lezilogicae p. 181 meint, Horaz
habe das homerische Epitheton des Notus epyzoms (z. B. Il. XI 306)
falsch übersetzt: es gehe nicht auf die Farbe, sondern auf die Schnel-
ligkeit und Gewalt des Windes. Andere beziehen «eysoms auf den
weißen Schaum, den der Südwind im Meere hervorbringt; das Irrige
der Ansicht von Lucas beweist aber die Bemerkung des Poseidonius bei
Strab. I p. 29, daß der apysorys vorog auch Aevxorvorog heiße; vgl.
auch ebd. XVII p. 837.
154 Hugo Blümner,
II 316 und A p. Sid. carm. 23, 324 von Wagenlenkern. Auch
die weißen Kopfbinden (vittae) gehören zur festlichen Tracht
(Ov. ann. III 6, 56; met. II 413; Sil. Tt. XVI 243), werden
aber noch öfter als Abzeichen priesterlicher Würde (O v. met.
II 410 u. XV 676) oder der Seher (Stat. Ach. I 11; "Theb.
IV 218 u. VI 331) erwähnt. In allen diesen Fällen ist es
lediglich die weiße Farbe selbst, auf die es ankommt, ohne daß
der Begriff des Glanzes, den weiße Stoffe oft haben, dabei in
Betracht käme; und daher kommt denn albus im übrigen als
Attribut der Leinwand für gewöhnlich nicht vor, und wenn ein-
mal bei Ov. her. 2, 12 die Segel alba vela heißen, so ist das
vereinzelt, da sonst in der dichterischen Sprache auch hierfür
candidus stehend ist. — Bei der Bewaffnung wird ein paar
mal weiße Farbe des Helmbusches erwähnt, Stat "Theb.
VI 331. Sil It. II 399. Bei Vergil A. IX 548 heißt der
Schild parma alba; die neueren Erklürer (Servius bietet nichts
darüber) fassen das als einen ganz einfachen, nicht mit kunst-
reichen Arbeiten verzierten Schild, legen aber damit in albus
eine Bedeutung, die sich sonst nirgends nachweisen lüsst. Das
inglorius bei Verg. ist wohl nur durch parma selbst begründet,
weil'diese der Schild der geringer geachteten Velites ist; albus
aber dürfte hier, wie bei Val. Fl. VI 99, wo albenies parmae
genannt sind, sich nur auf die helle Farbe des Leders bezieht,
da die parma in der Regel von Leder war. Unverständlich je-
doch ist mir, worauf bei Ap. Sid carm. 5, 91: albis os nigrum
telis gravidum die Farbenbezeichnung sich bezieht.
Sonst ist albus als Epitheton ornans bei gewerblichen Objek-
ten anderer Árt ungemein selten; ich kann nur anführen Pers.
5, 183: fidelia alba, ein weißer Thontopf; Nemes. Cyneg.
153: mulctra, der Melkeimer aus weißem Holz; Auson.
XVIII 14, 75, alba pagina, von Papier. Ein paarmal kommt
der weiße Brettstein vor, P. L. M 15, 194. A. L. 374, 3;
bedeutungsvoller ist der weiße Stimmstein, der bekannte
freisprechende calculus Minervae, vgl. Ov. met. XV 46. Orest.
trag. 944, der sprichwörtlich geworden war, Mart. XI 86, 1:
gemma alba. Sprichwörtlich ist auch alba linea signare, Lucil.
frg. 769 (Lachm.), wobei eine weiße Linie deswegen gewählt ist,
weil dieselbe auf weißem Papier eben nicht sichtbar ist (also
wie wir umgekehrt: „etwas in den Schornstein schreiben", weil
man die schwarze Schrift in dem Ruß der Esse nicht sieht); und
ferner Plaut. Pers. I 2, 22: albo rete aliena bona oppugnare,
weil ein weißes Netz nicht in die Augen fällt, man also damit
jemanden leichter umgarnen kann.
Schließlich haben wir noch die übertragene, auch in
Prosa nicht ungewöhnliche Bedeutung von albus anzuführen, wo-
nach dasselbe für etwas günstiges, glückliches steht, wie umge-
kehrt ater für unheilvolles, schlechtes; sei es nun, daß diese Be-
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern. 155
deutung vom glückbringenden weißen Stimmstein herkomme, sei
es, was wohl wahrscheinlicher, daß man überhaupt das Helle,
Weiße im Gegensatz zum Dunkeln, Schwarzen, als freundlich
und segenbringend auffalite. So spricht Hor. Ep. II 2, 189
vom genius àlbus et ater; Stat. Silv. IV 8, 18 von der alba
Atropos. Vgl. ferner Pers. 1, 110: per me sint omnia alba.
Mart. X 3, 10: quos rumor alba vehit penna. Sil It. XV
53: albus dies; dazu auch die schon oben S. 144 angeführten
Beispiele.
2) Candidus.
Es ist schon oben davon die Rede gewesen, welches die
eigentliche Bedeutung von candere, candidus ist, und in welcher
Weise sich dasselbe von albere, albus, unterscheidet. Bevor wir
aber nüher darauf eintreten, dies durch Beispiele aus der poeti-
schen Litteratur zu belegen, müssen wir darauf hinweisen, daß
die nach verschiedenen Richtungen hin erweiterte Bedeutung
dieser Worte von vorn herein den Ausschluß einer ganzen An-
zahl von Fällen nothwendig macht. Candere (candor nur äußerst
selten) geht bekanntlich aus der Bedeutung von „weiß glänzen“
in die von „aus Hitze erglühen, glühend heiß sein“ über: sei
es nun, daß die schon frühzeitig gemachte Beobachtung, daß
glühend gemachtes Eisen weiße Farbe annimmt, zu dieser erwei-
terten Bedeutung führte, sei es dali überhaupt der lebhafte Glanz,
welcher bei glühenden Körpern beobachtet wird, auch ohne Rück-
sicht auf die weiße Farbe jene Veränderung des Sinnes veranlaßt
hat. Da bei derselben aber vielfach der Begriff des Glanzes
völlig aufgegeben ist, wie z. B. wenn candere von sommerlicher
Hitze, vom Wasser u.a. m. gebraucht wird, so haben wir derartige
Fälle hier nicht weiter in Betracht zu ziehen; im einzelnen wird
freilich die Unterscheidung oft nicht móglich sein, d. h. wir
werden Beispiele anzuführen haben, bei denen eben so gut der
Begriff der weißen Farbe oder des strahlenden Glanzes, wie der
der Hitze oder Gluth allein angenommen werden kann. Das
Adject. candidus hat diesen Wandel der Bedeutung nicht durch-
gemacht, es wird nie im Sinne von „glühend heiß“ gebraucht;
dafür ist es sehr häufig in übertragenem Sinne gebraucht wor-
den, indem der Begriff des Hellen, Heitern auf abstrakte Dinge
oder auf menschliche Verhältnisse übertragen wurde und in die
Bedeutung einerseits von „glücklich, froh“, andererseits von „klar,
offen, wohlgeneigt" u. dgl. tiberging. Auch diese Fülle haben
wir demnach auszuscheiden und ebenso, wo candor im entspre-
chenden Sinne vorkommt, was gleichfalls sehr gewöhnlich ist,
während hier wiederum candere diese übertragenen Bedeutungen
nicht erhalten hat.
Was die zum Stamme candere gehörigen, hier in Betracht
kommenden Wörter zunächst rein äußerlich, nach der Häufigkeit
der Anwendung betrachtet, anlangt, so überwiegt in den von
156 Hugo Blümner,
uns anzuführenden Füllen, d. h. also denjenigen, bei denen es
sich um die Bedeutung von Farbe oder Glanz handelt, weitaus
das Adj. candidus. Unter den in runder Zahl 400 Belegstellen,
die ich zusammengestellt habe, entfallen etwa 68 Proc. auf candi-
dus, nur 15 Proc. auf das Partic. candens, 10 Proc. auf Um-
schreibungen mit candor, wührend andere Formen des Verbums
candere nur ganz vereinzelt (etwa 3 Proc.) vorkommen. Von
andern Wörtern finden wir candefacere (Plaut. Most. 259),
candescere (in nicht übertragenem Sinne) fünfmal (incandescere
einmal, Cat. 64, 137); candicare, candidare u. a. gar nicht, aus-
genommen das Partic. candidatus, Plaut. Rud. 270. Auf ge-
wisse Unterschiede im Gebrauch von candidus und candens wer-
den wir nech hinzuweisen haben.
Candidus bezeichnet im allgemeinen, wie schon gesagt, ein
schönes, glänzendes Weiß®) und ist als solches eben so dem
niger entgegengesetzt, wie albus dem ater; vgl. Lucr. II, 765:
curea, quae nigra fuerint paulo ante colore, Marmoreo fieri pos-
sint candore repentes. Verg. Ecl. 2, 16: quamvis ille niger,
quamvis tu can didus esses. Ps. Verg. Dirae 99: candida ni-
gra oculi cernunt. luv. 3, 30: qui nigrum in candida
vertunt?) Bisweilen wird es allerdings fast identisch mit albus
gebraucht, so z. B. Lucr. II 731: ne forte haec albis ex alba
rearis Principiis esse, ante oculos quae can dida cernis, wie denn
auch der Gebrauch beider Worte in vielen Füllen ganz der
gleiche ist; indessen ist es noch eher candens, welches dem albus
nahe.steht, und daher auch den Gegensatz zu ater bildet, so
Lucr. If 771: continuo id fieri candens videatur et album;
Ov. met. XI 314: candida de nigris, et de candentibus
atra Qui facere adsuerat. Indessen ist die ursprüngliche Be-
deutung von candere doch wohl nicht die der weißen Farbe,
sondern des Leuchtens, resp. des in mehr weißem als rótlichem
Lichte Strahlens !9).
Wir beginnen die Aufzählung der Anwendungen von can-
dere, candidus, wiederum mit dem menschlichen Körper.
Wenn wir oben sahen, daB das albere bei demselben eine wirk-
liche Weiße, d. h. eine kranke, ungesunde Hautfarbe bedeutet,
so ist dagegen der candor der Haut resp. des Fleisches ein
hervorragendes, bei den Dichtern so ungemein häufig angebrach-
tes Lob von schönen Mädchen, Frauen und J ünglingen,
7) O v. met. II 728 gehórt nicht hierher.
8) Dóderlein a. a. O. 194 fg.
9) Daß dieser Gegensatz nicht immer festgehalten, sondern bis-
weilen auch dem albus niger, dem candidus ater entgegengesetzt wird,
zeigen u. a. die oben S. 144 angeführten Beispiele.
10) Benfey in Kuhns Zeitschr. VII 59 bringt candere zusammen
mit der Wurzel A’and, leuchten; vgl. Curtius a. a. O. S. 522. Ein
Zusammenhang mit canus, canerr, der bisweilen angenommen wird
(auch mit yavoër), erscheint mir zweifelhaft.
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rómischen Dichtern. 157
daB mehr als ein Viertel aller in Betracht gezogenen Fülle eben
hierauf fallen. Die Candida puella kommt fast bei allen Dichtern
vor, vgl. Catull 13, 4; 35, 8; 68, 70; 86, 1; Verg. Ecl
7, 88. Hor. ep. 11, 27; Sat. I 2, 123. Ps. Tib. IV 2, 12.
Prop. III 15 (II 22), 8; V (1V) 8, 32; Ov. am. I 7, 7; ib.
7, 40; II 7, 5; met. XIII 789. Pers. 3, 110. Priap. 46,1.
Mart. I 115, 2; IV 62, 2. Coripp. Iust. II 50. Orest.
trag. 57; auch Frauen aus der Heroensage oder Göttinnen wer-
den nicht selten durch dies Beiwort ausgezeichnet, V erg. Ecl.
2, 46; Aen. V 571; VIII 138; ib 608; Cir. 392; Catal. 11, 27.
Prop. If 9, 10; III 21 (II 26) 16; III 26, 5 (IV 28, 51).
Ov. am. II 18, 29. Petron. frg. 51, 16. Stat. Silv. IV
8, 29. Luv. 6, 526. Claud. rapt. Pros. I 216; II 18.
Dracont. 8, 440. Ap. Sid. ep IV 8, 5 v. 12. P. L. M.
53, 231; und die Dichter lieben es, die strahlende Weiße des
schönen Frauenkórpers durch allerlei Vergleich mit andern, durch
besondere Weile sich auszeichnende Dinge, wie Schnee, Lilien
u. dgl, noch mehr hervorzuheben. Einen Gegensatz zur puella
candida bildet sowohl die flava, die Blondine, da diese gewöhn-
lich lebhaftere Farben hat, wie die fusca, die Brünette, deren
Teint gebräunt ist, vgl. Ov. am. II 4, 39: candida me ca-
piet, capiet me flava puella, Est etiam in fusca grata colore venus;
ib. III 7, 23: flava Chlide, candida Pitho. Fast. III 493:
ut puto praeposita est fuscae mihi candida pelex. Ps. Ov.
her. 15, 85: candida si non sum, placuit Cepheia Perseo Andro-
mede, patriae fusca colore suae. In andern Wendungen wird
im allgemeinen der candor corporis gepriesen (Plaut. Menaech.
181. Prop. I 2, 19; III 20 (II 25), 41. Claud. epithal.
Pall. et Cel. 126. Anth. Lat. 213, 1), die candida membra
(Ov. met. II 607. Ps. Tib. IV 4, 6), die candida forma (Prop.
III 27 (II 29), 30; IV 10 (III 11), 16); bisweilen wird auch
in malerischer Weise hervorgehoben, daß die wahre Schönheit
dieses candor eben darin besteht, daß auch das Blut durch die
Haut schimmert, und erst die Verbindung von zartem Weiß und
sanfter Röthe den wirklich schönen Teint ergiebt: O v. am. III
3, 5: candida candorem roseo suffusa rubore; met. X 594:
inque puellari corpus candore ruborem trazerat. Dracont.
8, 519: candida sis roseo perfundens membra rubore, (aber
in richtiger Mischung, Claud. nupt. Hon. et Mar. 269: mimio
nec sanguine candor abundat); doch kann auch das Blut einer
Wunde einen effektvollen Farbengegensatz bewirken, O v. met.
II 607: candida puniceo perfudit membra cruore, und in Nach-
ahmung Orest. trag. 792: candida puniceo rutilantur membra
cruore. — Seltner wird die Schönheit des candor am männ-
lichen Geschlecht gepriesen; am erwachsenen Mann über-
haupt nicht, denn für den ziemt sich diese mehr weibische Haut-
farbe nicht (vgl. O v. a. a. I 728: candidus in nauta turpis co-
158 Hugo Blümner,
lor), aber an Knaben und Jünglingen: Verg. Ecl. -2, 16. Hor.
ep. 3, 9; Ep. II 2, 4 Prop. I20, 45. Calpurn.ecl. 6,14.
Mart. IV 42, 5. P.L M. 53, 33; auch hier wird daneben
das Roth der Gesundheit nicht vergessen: Ps. Tib. III, 4, 21:
candor erat, qualem praefert Latonia Luna, Et color în niveo
corpore purpureus. Ov. met. III 423: in niveo mixtum candore
ruborem. Dracont. 2, 66: quem rubor ut roseus sic candor
lacteus ornat; hingegen von blutiger Wunde Sil. It. IV 204:
per candida membra it fumans cruor. — Selbstverständlich ist
es vor allem das Gesicht, in welchem sich diese gepriesene
Hautfarbe zeigt, daher dieses ganz besonders gern genannt wird,
als candida ora (O v. med. fac, 52; met. II 861. Dracont.
7, 20. A. L. 218, 2) oder candor in ore (Ov. a. a. III 227;
met. IX 787. Prop. IV (III) 24, 8); facies candida (Prop.
II 3, 9. Maximian. 4, 7), vultus candidus (Mart. VI 39, 12.
A. L. 131, 1). Hier vornehmlich sucht die Kokette die von
der Natur versagte Farbe durch Schminke zu ersetzen, Ov. a. a.
III 199: inducta candorem quaerere creta; uud hier ist es auch,
wo der Wechsel von Weiß und Roth, nicht bloß von Natur, son-
dern auch durch vorübergehende Affekte, durch das Erblassen
der Furcht oder das Erróthen der Scham hervorgerufen, von be-
sonderem Reize ist, vgl. Stat. Silv. II 1, 41: purpureo sufu-
sus sanguine candor; id. Theb. II 281: candida purpureum
fusae super ora ruborem. P. L. M. 42, I 35: rubor et can-
dor pingunt tibi vultus. Dracont. 6, 8: candor pallorque
ruborque . . qui vernat in ore puellis. Maximian. 1, 89:
candida contempsi , nisi quae suffusa rubore Vernarent, propriis
ora serena rosis. Orest. trag. 127: permiztus candore rubor
pallore fugato ‘!). Daß aber das Erblassen der Wangen, wo-
für sonst pallere die gewóhnliche Bezeichnung ist, durch candere
11) Ich füge hier noch einige andere Beispiele dieses dichterischen
Brauches an, bei denen candere nicht vorkommt, sondern andere Be-
zeichnungen. Enn. Ann. frg. 355: et simul erubuit ceu lacte et pur-
pura mixta. Ps. Tib. III 4, 30: color in niveo corpore purpureus; ib.
92: inficitur teneras ore rubente genas. Ov. am. I 8, 35: decet alba
quidem pudor ora; ib. III 8, 6: niveo lucet in ore rubor. Pa. Ov. her.
19 (20), 120: quique subest niveo lenis in ore rubor. Sen. Phaedr. 384:
ora tingens nitida (Markland: nivea) purpureus rubor. Stat. Theb.
I 537: pariter pallorque ruborque Purpureas hausere genas. Ib. XI 336:
alternos vultus pallorque ruborque mutat. 1d. Ach. I 161: niveo natat
ignis in ore purpureus. Claud. epith. Pall. et Cel. 41: niveas infece-
rat igni Solque pudorque genas. Id. rapt. Pros. 1 271: niveos infecit
purpura vultus. Dracont. 2, 67: tl: purpureo niveo natat ignis in
ore ; ib. 8, 499: venit pallente rubore, Num flammis perfusa genas al-
bentibus ibat; ib. 10, 229: permizto pallore rubens: ib. 13, 9: pallens
herba rubet: color est hic semper amantum 1133 Maximia n. pro niveo
rutilogue prius nunc inficit ora Pallor; id. 4, 29: subito inficiens rultum
pallorque ruborque. Orest. trag. 524: pallida puniceo perfundens ora
cruore. Dazu vgl. mau das ausführliche, an Ho m. Il. IV 141 sich
anlehnende Gleichniß bei Verg. Aen. XII 66 ff.
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rómischen Dichtern. 159
wiedergegeben wird, ist selten; s. Senec. Phaedr. 870: ne
languido pallore canderent genae. — Weiterhin werden dann bei
Mädchen wie bei Jünglingen, wenn auch vornehmlich bei erste-
ren, gerühmt der glänzend weiße Hals, candida colla (V erg.
Geo. IV 337. Prop. IV 16 (III 17), 29. Ov. a. a. II 457;
met. IX 388. Claud. carm. 30 (48), 11. Dracont. 2, 85),
die Brust (Verg. A. IX 432. Ov. her. 15 (16), 250; ex
Pont. II 5, 37. Lucan. X 141), die Schultern (Hor. C.
I 2, 31; ib. 13, 9), die Arme, candida brachia (Prop. III 8
(II 16) 24; III 15 (II 22), 5. Ov. am. III 7, 8. Eleg.
in Maec. (P. L. M. 6), 61. Stat. Silv. II 5, 66. Sil. It.
III 414) oder candentes lacerti (Tib. I 8, 33), die Hände
(Plaut. Pseud. 1262. Stat. Silv. III 4, 59), der Nacken
(Hor. C. III 9, 2. Iuv. 10, 345); auch die Weichen, in-
guina, diese aber nur in Beziehung auf die Skylla, um den Ge-
gensatz zwischen dem zarten Frauenkórper und den häßlichen
daran gefügten Hundeleibern recht anschaulich hervortreten zu
lassen (Verg. ecl. 6, 75 und Ciris 59: candida succinctam la-
trantibus inguina. monstris. Prop. V (IV) 4, 40: candidaque in
saevos inguina versa canes); ferner die Schenkel (Ps. Tib. IV
3, 10. Nemesian. Cyn. 90) und Füße (Hor. C. IV 1, 27).
Zur schürferen Beleuchtung des Weiß dient auch hier bisweilen
noch die Hervorhebung bunter, zumal rother T'racht; so Eleg. in
Maec. 61: subducere vestem Brachia purpuream candidiora nive.
Nemes. Cyneg 90: candida puniceis aptantur crura cothurnis;
auch blutiger Wunden, wie Ps. Tib. IV 3, 10: candidaque
hamatis crura notare rubis. — Durchmustern wir die zahlreichen
von uns angeführten Stellen, so muß eines auffallen: während
im allgemeinen, wie wir oben sagten, der Gebrauch von candens
gegenüber dem von candidus sich etwa wie 1 : 7 verhält, kom-
men hier unter 114 Stellen, die sich auf den candor des mensch-
lichen Körpers beziehen, nur zwei Stellen vor, wo anstatt can-
didus resp. candor das Partic. candens gebraucht ist, nämlich
H or. C. I 2, 31: candentes humeri, und Tib. I 8, 33: candentes
lacerti. Das stimmt zu dem oben von uns Gesagten, daß cun-
dens sich mehr dem albus, dem gewöhnlichen Weiß, nähert, als
candidus, wofür wir auch weiterhin noch andere Belege finden
werden.
Für die weißen Haare ist candidus beträchtlich seltner
als canus, und auch seltner als albus. Wir finden sie sowohl
durch candidus bezeichnet (Ps. Verg. Cir. 121: candida caesarie tem-
pora. Val. Fl VI 61: candidus crinis. Mart. VII 89, 3 can-
didas . . comas. Auson. XIX 38, 4: caput . . . candidum.
P. L. M. 19, I 46: candida tempora), als durch candere (Prop.
III 10 (II 18), 5: si iam canis aetas mea candeat annis. Ps. Verg.
Cir. 320: candentes canos) und. candescere (Tib. I 10, 43: caput
candescere canis) Im allgemeinen hat man dabei wohl an silber-
160 Hugo Blümner,
weiBes Haar zu denken; doch ist das nicht in allen Füllen so
genau zu nehmen, da wir an verschiedenen Stellen die canities
der Haare mit dem candor zusammen verbunden finden. Wenn
Verg.ecl. 1, 27 fg. den Tityrus sagen läßt: Libertas; quae sera,
tamen respexit inertem , Candidior postquam tondenti barba cadebat,
so geht das auf einen „etwas weißen“, also graumelirten Bart
eines alternden Mannes!?. — Die Zähne heißen bei Ca t. 39, 1
candidi dentes, hier mit sehr bestimmter Hindeutung, wie der
Zusammenhang ergiebt, daß sie glänzend weiß sind, wogegen
A. L. 114, 8 bei candentes dentes nur an den Gegensatz der
weißen Zähne zu den rosea labia gedacht ist, — Daß Gebeine
candida genannt werden, ist auch nur vereinzelt, gegenüber der
häufigen Anwendung, die wir hierfür bei albus gefunden haben;
ich kann nur Ps. Tib. III 2, 10: candidaque ossa super
nigra favilla teget, und ebd. 17: ossa Incinctae nigra can-
dida veste legent, dafür anführen, wo beide Male der Gegensatz
der weißen Knochen gegen die schwarze Asche resp. die schwar-
zen Trauerkleider den Dichter veranlalit hat, die stärkere Farben-
bezeichnung zu wählen.
Sehr häufig ist dagegen, wenn wir nunmehr zur Thier-
welt übergehen, der Gebrauch von candidus für Pferde, zu-
mal (wie bei albus) für Triumphalgespanne; V erg. A. III 358:
candore nivali; XII 84: qui candore nives anteirent. Ov. met.
VIII 373: nive candidioribus equis; ib. XII 77. Sil It. IV
219. Claud. cons. Stilich. II 369; id. VI cons. Honor. 370;
ib. 476 u. 507. Il Latina 733. Mart. Capell II 126.
Wie wir gern von schneeweillen Rosen sprechen, so finden wir
auch hier mehrfach den Vergleich mit dem Schnee gewühlt; ein
Unterschied im Gebrauch von candidus und candens liegt je-
doch nicht vor, wie ja denn überhaupt der dichterische Sprach-
gebrauch im allgemeinen der war, daf zwar candidus fast durch-
weg für schimmerndes Weiß und nur ausnahmsweise für Weiß
schlechthin oder gar für mattes Weiß verwendet wurde, candens
dagegen zwar sehr häufig in der letzteren Bedeutung aber nicht
minder oft auch ganz mit candidus identisch gebraucht wird. —
Es folgen die glünzendweiften Rinder, sowohl in Beziehung
auf Opfer (Verg. A. IV 61; V 236; IX 628. Ov. met. XII
248; trist. IV 2,5. Senec. Agam. 364; Oed. 303; Med.
60. Stat. Ach. I 315; Theb. VI 865. Inc. Nux 173), als
ohne dieselbe (Varr. Sat. Men. p. 146, 4. O v. am. III 5, 10.
Stat. Theb. IX 334. Sil It. IV 548. Dracont. 8, 418).
12) Servius z. d. St. will allerdings, weil unter der Person des
Tityrus hier Vergil selbst spreche, candidior nicht auf barba beziehen,
da Vergil damals erst 28 Jahre alt gewesen sei (nam XXVIII annorum
barbam quivis potest metere, sed non canam), sondern auf die libertas.
Allein die Allegorie geht nicht so weit, daß überall in der Rolle
des Tityrus Vergil zu suchen sei; gerade die candidior barba ent-
spricht dem Gedanken, daß die Zibertas sera kam.
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern. 161
Wenn auch hier der Gebrauch von candidus und candens wech-
selt, so kann man sich erinnern, daß unter den Rinderheerden
Italiens neben blendend weißen auch silbergraue sehr häufig an-
zutreffen sind. — Nur spärlich sind Schafe oder Widder
mit candidus verbunden (Lucr. II 322. Verg. Geo. III 387);
ferner haben wir auch hier die albanische Sau anzuführen,
obgleich für diese, der etymologischen Spielerei wegen, albus häu-
figer ist, vgl. Verg. Aen. VIII 82. Iuv. 12, 72; und wenn
Iuv. 10, 355 von einem candidulus porcus spricht, so liegt
darin für den, der nicht an unsere Schweinerace, sondern an
die glatten Thierchen im Süden denkt (wie nach einer bekannten
Anekdote das Kind ausruft; Ho veduto un piccolo animale nero
tutto bianco!), nichts Verwunderliches '?).
Unter den Vögeln steht in erster Linie wiederum der
schneeige Schwan, für dessen Gefieder der candor so recht die
passende Bezeichnung ist; vgl. Verg. ecl. 7, 38; Aen. IX 563.
Ov. her. 15 (16), 250. Lucil. Aetn. 89. Sil It. XIII
116. Mart. I 115, 2. Mart. Capell IX 918. Wenn
bei Germanic. Arat. 465 auch das Sternbild des Schwans
candidus cycnus heifit, so kann dabei ebensogut die Farbe des
Schwanes selbst, als der Glanz des Gestirnes (vgl. unten) maß-
gebend gewesen sein. Seltner dagegen ist die Benennung für
Tauben (Stat. Theb. XII 20. Dracont. 10, 158) !5;
Gänse (Lucr. IV 681. Nemes, Cyneg. 314. A.L. 406,
2) und Stórche (Verg. Geo. II 320. Ov. met. VI 26)!°);
Claud. in Eutr. I 318 gebraucht candor auch vom sprich-
wörtlichen weißen Raben, für den albus sicher mehr ange-
bracht ist. Ebenfalls aus später Quelle ist die candens sepia
A. L. 295, 2; es handelt sich dabei um den Gegensatz des
Aeubern gegen den schwarzen Saft des Thieres.
In der Pflanzenwelt behaupten ebenfalls die Li-
lien den Vorrang, meist candida lilia genannt (Verg. A. VI
708. Prop. I 20, 88. O v. met. IV 355; ib. V 392. Cal-
purn. ecl 3, 53 u. 6, 33. Nemes. ecl. 2, 47. A. L. 420,
111. Dracont. 10, 116; vgl. Mart. I 115, 8 und die Stel-
len mit candor, Claud. epith. Pall. et Cer. 126. A. L. 214, 4.
Dracont. 6, 8), viel seltner candentia (Claud. laus Seren.
90. A. L. 420, 38; vgl. Nemes. ecl. 4, 22: nec semper lilia
13) Die weiße Hirschkuh bei Sil. It. XIII 116 ist poetische Er-
findung.
14) Wenn bei Stat. Theb. IX 768 die boeotische Stadt Thisbe
candida heißt, so ist dabei vielleicht die Taubenzucht, um deren willen
der Ort berühmt war (vgl. Ov. met. XI 300. Stat. Theb. VII 261),
die Veranlassung gewesen.
15) Vgl. ferner noch Ps. Verg. Cir. 205: candida ciris. Wenn A. L.
320, 1 vom capo phasianicus es heißt: Candida Phoebeo praefulgunt
ora rubore, 80 scheint hier candidus ausnahmsweise von glünzend
rother Farbe gebraucht zu sein.
Philologus. N.F. Bd. II, 1. 11
162 Hugo Blümner,
candent. Bei Ov. met. XII 441 lesen die neueren
canentia lilia), was das oben über den Gebrauch vi
sagte bestätigt. Neben den Lilien kommen andere
in Frage; die Blithe des Ligusterstrauchs n
XIII 789. Mart. 1115, 3. Claud. in Eutrop. I 8
lich für Vergleiche; eine ganze Reihe von Sträu
im zehnten Buch des Columella als candida b
leucoia, 186 lactuca, 254 beta, 896 cucumis, 402
Balsamstrauch bei Stat. Silv. III 2, 141:
balsama ; die Weißpappel heißt bei Verg. E
dida populus, was neben dem sonst üblichen pop:
so gerechtfertigt ist, wie unsere botanische Bezeich
pappel — Unter den Früchten sind es die A e p.
nen einige Male die Weiße gerühmt wird, freilich
bindung mit der die Reife andeutenden Röthe; so O
488: poma ... candida parte, parte rubent.
III 4, 34: candida mala rubent. A. L. 408, À
. sanguine poma rubent.
Im Mineralreich ist zu nennen der Mar
sonst weißer Stein (Kalkstein); so Mart. VI 13, 3
lygdos, und daher auch candens Paros bei A p. Sid
140, namentlich aber die daraus gefertigten Gegen:
Bauwerke, wie Bildsäulen, A. L. 210, 1;
Stimmsteine (s. den Abschn. am Ende), Altüre,
VI 894. Mart. IX 90, 17; bei Ov. ex P. III
malerischem Hinweis auf den Kontrast des darauf
rothen Blutes: araque quae fuerat natura candida sa
adfuso tincta cruore rubet; feiner Häuser und
vgl. candida tecta, Ov. tr. 1 9, 7. Claud. cons. B
227; area, Stat, Silv. II 2, 89; villa, Hor.
moenia, Rutil Namat. II 68; und bei Ov.
wieder malerisch: cum super atria velum Candida
reum simulatas inficit umbras; oder auch Ortsch
welche auf weißen Kalkfelsen liegen und daher weit i
hinein schimmern, wie Anzur, Hor. Sat. 1, 5, 26
candentibus Anzur, bei Mart. V 1, 6 direkt candidus
nannt, oder bei Prop. IV 15 (III 16), 3 die candida cu
Tibur. — Wenn es bei Ps. Verg. Cir. 102 heißt: cand
Purpureis late ridentia littora conchis, eo hat man da
wie oben S. 150 bei albicaus litus an die weiße Meeresh
sondern, worauf der Gegensatz zu den purpurnen Mus
deutet, an weißen Ufersand zu denken, wie auch B
X 205 von candentes arenae spricht; denn es liegt am lg
Stelle durchaus kein Grund vor, hier candens mit glüheı
zu übersetzen. — Weiterhin haben wir noch einiges
zelte aus diesem Gebiete anzuführen: so das Silber
mal im Vergleich, Mart. 1115, 3; wenn Auson, M
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern. 168
den Spiegel candens honor nennt, kann man wohl überhaupt an
Metallspiegel denken); häufiger das weißglühende Eisen,
Lucr. VI 148: candens ferrum, ebenso Ov. Fast. IV 287; can-
dens ensis, Verg. A. XII 90; chalybs , Sil. It. I 171, wobei
man allerdings, zumal überall candens steht (das Partic., weil
es sich um eine vorübergehende, nicht um eine dauernde Eigen-
schaft des Eisens handelt), auch bloß die Bedeutung des Glühens
oder Erhitztseins annehmen kann. — Endlich kämen auch die
beiden weißen Schminken, die Kreide (Ov. a. a. III 199)
und das Bleiweiß (Mart. IV 25, 2) in Betracht !).
Unter den Naturprodukten nennen wir wiederum
zunächst die Wolle („die schimmernde Wolle“, bei Schiller),
wobei es sich zunächst um das Rohprodukt, nicht um Gewebe
handelt (Catull. 64, 318. Calpurn. ecl 5, 71, wo fusca
lana den Gegensatz bildet; Sen. lud. Claud. 4 v. 5. Stat.
Silv. I 4, 123); ferner die Milch (Lucr. I 258. Varr. Sat.
Menipp. p. 102, 1; ib. 145, 4. Ov. her. 15 (16), 249; ex
Pont. II 5, 37), in der Regel zu Vergleichen benutzt, wobei
wohl auch hervorgehoben wird, daß es sich um frischgemolkene
Milch handelt, die ja in der That weißer ist, als abgestandene
(Ov. am. III 5, 18: candidior, quod adhuc spumis stridentibus
albet, Et modo siccatam, lacte, relinquit ovem); auch Käse (Ov.
Fast. IV 371) und das Weiße des Eies (Mart. XIII 40, 1.
Seren. Samm. 764; 1043; 1047). Wenn Ov. met. VIII,
677 die Wabe candidus favus nennt, so ist dabei wohl nicht
das weibliche Wachs gemeint, sondern der darin enthaltende,
weiß schimmernde Honig selbst, der bei O v. Fast. III 762
candida mella heißt (O v. ebd. I 186 liest Peter mit einigen
Hss.: et data sub miveo candida mella cado, dagegen Merkel
mit anderen condita. Vielleicht ist hier auch anst. sub cado,
was mir wenig passend erscheinen will, sub favo zu lesen) Da
es in der That Honig giebt, welcher weißliche Farbe hat, so
kann man auch hier neben der Bedeutung des Schimmerns noch
die der weißen Farbe beibehalten; sonst ist allerdings flavus
das gewöhnlichere Attribut für den goldgelben Honig, — Das
Weißbrot heißt in Prosa häufig panis candidus; in der Poe-
sie habe ich nur das späte candens quadra gefunden, A. L. 291, 6.
Für den weißen Wein wird candidus nicht gebraucht, doch hat
Tib. I 5, 24 candida musta, was auf Most von weißem Weine
geht, vgl. Plin. XXIII 29: musta differentias habent naturalis
has, quod sunt candida aut nigra aut inter utrumque. — Sehr be-
zeichnend ist candidus für das Elfenbein oder für daraus ge-
fertigte Gegenstände (Catull 64, 45. Verg. A. VI 895. Ov.
ex P. III 3, 98); und da, wo das Material nicht angegeben ist
16) Welchen Edelstein Prisc. carm. 2, 855 mit den Worten:
gemmaque, quae radios emittit candida solis, meint, weiß ich nicht zu
sagen; vielleicht den Diamant, event. den Opal.
11*
164 — Hugo Blümner,
und der Gegenstand nur candidus genannt wird, wie Bett-
füße (Cat. 61, 111), die Griffe (cornua) einer Bücherrolle
(O v. tr. I, 1, 8), ein Plectrum (Mart. XIV 167, wo aller-
dings manche Handschr. garrula lesen), hat man sicherlich an
Elfenbein zu denken. — Endlich sind noch die Perlen hier
anzuführen (Sil It. XII 66. Claud. VI cons. Honor. 528).
Vom Wasser wird albus, wie wir gesehen haben, nur
gebraucht, wenn dasselbe im Zustande des Schaumes oder
durch Sch wefelbestandtheile weißlich ist. Beide Fälle
kommen auch hier in Betracht; für Schaum der Wellen, wenn
auch nicht candidus, so doch candere (Lucr. II 767: vertitur
in canos candenti marmore fluctus) und incandescere (C a t. 64,13:
spumis incanduit unda); und der schwefelhaltige Nar heißt bei
Mart. VII 93, 1 candidus amnis. Indessen wird candidus doch
noch in weiterem Sinne gebraucht, als albus, indem es von ganz
klarem , farblosem und durchsichtigem Wasser gesagt
wird. Diese Bedeutung hat es offenbar bei Mart. VI 42, 19:
quae tam candida, tam serena lucet ,| Ut nullas ibi suspiceris undas
Et credas vacuam nitere lygdon. Bei Val. Fl. IV 97: (Sol)
traxit diem candentibus undis, kann man freilich eher daran den-
ken, daf der Augenblick gemeint ist, wo die Sonne zuerst voll
das Meer bescheint, da hierfür der Ausdruck candere auch sonst
gebrüuchlich ist; vgl. die Beispiele unten und Enn. trag. frg.
332 (Vahl): lumine . . . terra et cava caerula candent.
Ungemein häufig ist candidus als Attribut für Schnee
und Eis. In den meisten Füllen handelt es sich da wieder
um Vergleiche, indem Kleider, Pferde, Frauenkörper u. dgl. als
weißer denn Schnee gepriesen werden; so Cat. 80, 2. Verg.
A. XII 84. Eleg. in Maecen. 62. Ov. am. III 5, 11;
ib. 7,8; her. 15 (16), 249 ; met. VIII, 373; ex Pont. II 5, 38.
Sil It. XIII 116. Mart. I 115, 3; IV 42, 5; VII 33, 2;
XII 82, 7. Auson. IV 5, 6. Claud. epith. Pall. et Cel.
126. Coripp. Iust. I 828; doch kommt in einzelnen Fällen
auch der Schnee als solcher in Betracht (Ov. a. a. II 232;
trist. III 10, 10 u. 22. A. L. 107, 1. Claud. bell. Poll.
845) oder die damit bedeckten Berge und Länder (H or. C. I
9, 1; III 25, 10. Senec. Herc. Oet. 1052. German. Arat.
584. Stat. Theb. IV 290). Ausdrücklich wird bisweilen her-
vorgehoben, daß der Dichter ganz frisch gefallenen Schnee meint,
der sich seine jungfräuliche Weiße noch bewahrt hat, O v. am.
III 5, 11: candidior nivibus, tunc cum cecidere recentes; ex P.
II 5, 38: non calcata candidiore nive. Wenn hierbei unter den
26 Füllen, die wir aufgezühlt, sich nnr dreimal candens findet
(Stat. Theb. IV 290. A. L. 107, 1 und Claud. bell. Poll.
345), sonst immer candidus resp. candor, so entspricht das zwar
ungefähr dem Verhältniß von 1 : 7, das wir oben im allgemei-
nen für candidus und candens constatirt haben, verdient aber
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rümischen Dichtern. 165
immerhin, da es sich um einen so ausgesprochen weißen und
schimmernden Gegenstand, wie Schnee, handelt, Beachtung. Für
den Reif (sonst meist cana pruina) findet sich candere nur in
späten Stellen (Avian. fab. 34, 7. Claud. VI cons. Hon.
476; epist. 2, 15. Mart. Cap. II 116).
Sodann ist ebenfalls sehr oft angewandt, und zwar schon
in unsern frühesten Quellen, candere und candidus für die Sonne
und deren Glanz. Es ist bald der Himmelskórper selbst oder
das von ihm ausgehende Licht, welches so bezeichnet wird (Enn.
trag. frg. 318 Vahl.: candentem in coelo facem; ib. 367: hoc
lumen candidum; ib. 402: hoc sublimen candens; Ann. frg. 98:
candida lux. Naev. frg. 51 Ribb.: solis candor. Lucr. V
282; ib. 1195. Ps. Verg. Culex 43. Ov. met. VI 49. Ps. Tib.
IV 1, 65. A. L. 189, 3), bald der personificirte Sonnengott,
Sol oder Phoebus selbst oder sein Wagen (Enn. Ann. frg. 548:
radiis rota candida. Attius frg. 518 Ribb.: Sol... candido
curru, Incert. trag. 183 Ribb.: qui per caelum candidus equi-
tas. Verg. A. VIII 728: candentis Phoebi. Ov. met. XV 80.
Val. FL III 559. A. L. 139, 48. Coripp. Ioh. II 158 u,
III 26), bald die vom Sonnenlicht beleuchteten Gegenstände
(Pacuv. frg. 88 Ribb.: terra . . solis exortu capessit candorem;
Enn. trag. frg. 332, s. oben S. 163). Wie wir diesen candor
solis zu verstehen haben, das zeigt am deutlichsten O v. met. XV
193: mane rubet, terraque rubet cum conditur ima : candidus in
summo est. Es ist also nicht der rothe Schein der auf- oder
untergehenden Sonne, sondern der blendende, eigentlich farblose
Schimmer des Tagesgestirns, welcher durch candor gekennzeich-
net wird. Ebenso bekommt das Licht überhaupt oder helle,
klare Luft diese Bezeichnung (Plaut. Amphitr. 547. Lucr.
IV 338; V 776. Stat. Silv. III 1, 71. Rut. Nam. I 197)
und schóne, sonnenhelle Tage (Ov. her. 15 (16), 318; trist.
II 142; Fast. 1637; V 548. Petron. frg. 41, 2), diese dann
auch im übertragenen Sinne von glücklichen, ungetrübten Tagen
(candidi soles, Catull. 8, 3). Wenn bei Hor. C.III 7,1 auch
der Favonius candidus genannt wird, so ist (wie oben beim Iapyx
und Notus, s. S. 152 fg.) die aufheiternde Wirkung des Windes da-
bei der Grundgedanke. — Aber auch die andern Himmelskörper,
die nicht den überwältigenden Glanz der Sonne, sondern milde-
ren Schimmer haben, werden candida genannt; so der Mond
(Verg. Aen. VII 8; Ciris 37. Ov. met. IV 332. Petron.
sat. 89 v. 54) und sehr häufig die Sterne (Plaut. Rud. 3.
Lucr. V 1208. Cic. Arat. 174; 248; 249; 410. Cic. ap.
Prisc. II p. 105, 9. Hor. C. III 15, 6, Verg. Geo. I 217.
Manil. Astr. I 322; ib. 708; 711; 715; 756; 802; V 217.
German. Arat. 41; 208; 233; 480. Senec. Phaedr. 840.
Val Fl. VIT 22; von der Milchstraße Ov. met. I 169). Der
Begriff des Weißschimmerns bleibt auch hierbei sicherlich be-
166 Hugo Blümner,
stehen ; wir, die wir kein dem candor entsprechendes Wort haben,
sprechen daher gern vom silbernen Mond und Sternen und ge-
ben damit denselben Eindruck wieder, den der Rómer durch
candidus bezeichnen will. — Hingegen erscheint candidus für den
mehr róthlichen Schimmer einer Flamme sehr wenig passend.
Wenn bei Enn. Ann. frg. 157 es heißt: prodinunt famuli : tum
candida lumina lucent, so kann man allerdings wohl nur an
Fackeln denken; es heißt also da ,,schimmernd“ schlechtweg,
eine Bedeutung, die für candere gerade in der ältern Poesie ge-
wöhnlich gewesen zu sein scheint, wenigstens darnach zu urthei-
len, daß wir es bei Ennius nur in diesem Sinne, und nicht we-
niger als siebenmal, dazu in den Fragmenten anderer älterer
Tragiker viermal, ebenfalls im Sinne des Schimmerns, finden:
eine Thatsache, die man wohl darauf hindeuten darf, daß diese,
wie wir oben angenommen haben ursprüngliche Bedeutung des
Wortes gegenüber der abgeleiteten Bedeutung „weiß sein“ in der
ültern Poesie noch überwog. Wenn es aber bei Val. Fl. VIII
247 heißt: sed neque se pingues tum candida flamma per auras
Explicuit nec tura videt concordia Mopsus, vom Vermühlungsopfer
des Jason und der Medea, so móchte ich hier, mit Rücksicht
auf den Zusammenhang, cundidus nicht als Bezeichnung des far-
bigen Glanzes fassen, sondern eher im Sinne von „rein“ oder
,ungetrübt", wie man ja auch von einer voz candida spricht,
Plin. XXVIII 58, oder von omina candida, glückverheißenden,
Prop. V (IV) 1, 67 u. dgl. Die Flamme kann sich in der
dicken Luft (pingues aurae) nicht hell und klar entwickeln, und
dies giebt ein ungünstiges Vorzeichen für die Ehe ab.
Unter den gewerblichen Produkten ist es selbstver-
ständlich abermals die Tracht, und zwar wesentlich die fest-
liche und die priesterliche weiße Kleidung, auf welche
die Mehrzahl der Belegstellen entfállt; vgl. candida vestis, toga,
relamina u. ä., Plaut. Casin. IV 1,9. "itin. frg. 167 Ribb.
Cat. 64, 308. Ps. Verg. Cul.130. Ov. her. 4, 71; 10, 41.
Val. Fl III 432. Stat. Silv. II 7, 10; Theb. VII 654.
Dracont. 8, 617. Coripp. Ioh. I 260; Iust. IT 117; auch
eandida (Neutr. plur.) bedeutet weiße Gewünder, Mart. II 46,5;
VIII 28, 16, Wie albus, so wird auch candidus oft im Sinne
von weißgekleidet (das prosaische candidatus nur bei Plaut. Rud.
270) gebraucht, Mart. IV 2, 4. Coripp. Iust. II 101; can-
dida Roma, Mart. VIII 65, 6; exercitus, Claud. nupt. Hon.
et Mar. 295; curia, id. in Eutr. I 308 ; namentlich candida turba,
Tib. II 1, 16. Ov. Fast. II 654; ib. IV 906. Coripp.
Iust. IIT 161. — Auch weiße Binden, infulae (Lucan. II 355;
V 144) und Decken (Hor. 8.116, 103) gehören hierher. Im
allgemeinen hat man bei der Tracht u. dgl. sowohl an wollene,
wie an linnene Stoffe zu denken, obgleich, wo es sich um rö-
mische Tracht oder um Binden handelt, durchschnittlich Wolle
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern. 167
als Stoff anzunehmen ist; aber auch der „schneeige Lein“,
für den albus, wie wir erwähnten, eine ungewöhnliche Bezeich-
nung ist, wird gern in seiner schimmernden Weiße durch can-
dere bezeichnet, sei es nun, daß es sich um leinene Tücher
oder Kleider (Mart. XII 82, 7. Stat.Silv. I 6, 31. Val.
Fl. VI 225; vgl. Grat. Cyneg. 44), um Zelte (O v. met. VIII
43. Val Fl. II 447. Cor. Ioh. II 273) oder um Segel
handelt (Cat. 64, 235. Prop. I 17, 26. Ov.a.a.II6; Fast.
V 162. Lucil. Aetn. 585. Val.F1.1381. Orest. trag. 43 —
Für Schuhwerk, das ja nur selten aus weißem Leder gefer-
tigt wurde, kommt candidus nur einmal vor, Mart. VII 33, 2.
Von sonstigen Dingen haben wir endlich noch anzuführen
Krystall oder Glas, welches um des Gegensatzes zu dem
darin enthalteneu rothen Weine willen candidus heißt bei Mart.
VIII 77, 5: candida nigrescant vetulo crystalla Falerno, und, wie
bei albus, den weißen S pielstein (A. L. 372, 2) und Stimm-
stein (Varr. Sat. Men. p. 165, 9. Pers. 2, 2. Mart. XH
34, 7); hier kommt denn der glückverheißende Sinn der weißen
Farbe hinzu, sodaß halb in eigentlicher Bedeutung, halb in
übertragenem Sinne O v. met. XV 47 von einer candida sententia
sprechen kann und Catull. 68, 148 von einem lapis candidior.
Zürich. (F. £) H. Blümner.
Ad Orionem Thebanum.
’Eyolınoe dì xoi els youuuunuxod '"OQoíwvog, 06 nv Ex rov
nag Alyuniloss tegautxov yévoug xurayousvog xoi werglwg ta NG
1éyvng Eneoxsumkvog, OÙTWG wore xai cvyygaupata Eavrov Tdia
éxnovjGas x«i roig ue? éavióv yonciua xuralıreiv. Verba sunt
Marini (de vita Procli, cap. 8) aperte mendosa. Istud enim
oviws wor, quod sane magnum aliquod et insolitum infert, qui
potest stare antecedente vocabulo usrgiws? Quod bene sentiens
Mützellius (de emend. "Theog. Hesiod. p. 321**) verba inde ab ög
jy usque ad êxeoxeuuéroc uncis inclusit, ita ut Marinus, qui to-
tus versatur in Procli sui laudibus, putide sane et simul brevi-
tate usus ab ipso alienissima dicat: Audivit Proclus Orionem tam
studiose, ut vel ipse proprios commentarios scriberet utilesque eos po-
steris relinqueret. lure hoc repudiavit Ritschelius (op. I 590),
ipse tamen, quod miror, ab offensione nimis tutus. Nam scri-
bendum est procul dubio: xai «ov» perolws ta tg ıkyung éne-
oxeppéros, oviws wore xai Ovyypummura Eavrov Tdi Éxnovijoos
x.1.À. Et statim apparet, qualia fuerint ista cuyyguumata. Scrip-
sit Orio nimirum libros, quales novimus Galeni zegi ing ra&swg
twv idlwy BiBilwy nooo Evyenavov et megi zv lÓ(wv Pifàilwy,
de quibus audi docte disputantem Ilbergium in mus. Rhen. vol.
XLIV 205 sq. Iam Oro tribuit nzívaxa rdv éavtov Suidas. Cu-
ius tameh schedas cum manifestis turbis laborare satis constet,
nullus ego dubito, quin opus illud sit Oro demendum, attribuendum
Orioni. Quod potest fieri sine ullo quaestionis Ritschelianae damno.
Lipsiae. O. Immisch.
X.
Die Sacra Argeorum.
An Herrn Prof. Dr. Otto Richter in Berlin.
Nachdem W. A. Becker im ersten Bande seines Handbuches
der römischen Alterthümer die für die Topographie Roms in
Frage kommende litterarische Ueberlieferung des Alterthums me-
thodisch verwerthet, hat H. Jordan in seinem großartig ange-
legten, aber leider durch des Verfassers frühzeitigen Tod unvoll-
endet. gebliebenen Werke „Topographie der Stadt Rom im Al-
terthum* den Werth dieser durch umfassendes Studium der mit-
telalterlichen Quellen vermehrten Ueberlieferung an der Hand der
Ergebnisse der Ausgrabungen unermüdlich geprüft. Das breit
geplante Werk O. Gilberts „Geschichte und Topographie der
Stadt Rom im Alterthum* ist bisher noch nicht über die Kö-
nigszeit hinausgekommen. Ihrer Arbeitskraft, Hochgeehrter Herr
College, ist es gelungen, in Ihrer soeben erschienenen „Topogra-
. phie der Stadt Rom“ in die knappe Form eines übersichtlichen
Handbuches die Summe dessen, was auf diesem Forschungsgebiete
als sicher oder wahrscheinlich gelten kann, zu kleiden. Bei dem
Durchlesen der Abschnitte, welche auf der Verwerthung der bei
Varro de lingua latina V 45—54 erhaltenen Reste der Argeer-
Urkunde beruhen, wurde ich an einen vor zwanzig. Jahren von
mir unternommenen und gelegentlich erneuerten Versuch erinnert,
die in diesen wichtigen Resten erkennbaren Stationen der alten
Processionsordnung des 16. und 17. März auf das Schema eines
Augural-Templum zurückzuführen. So wenig auch das durch die
vier Regionen dargestellte römische Gebiet den viereckigen Formen
eines regelrecht eingetheilten Augural-Templum ähnelt, so darf
doch, namentlich angesichts des ungemein zerklüfteten Terrains
der Stadt Rom, das Experiment gemacht werden, ob und wie weit
es möglich ist, die wirkliche Lage der sacräria Argeorum mit
der durch das Templum-Schema bedingten in Einklang zu setzen.
Die Sacra Argeorum. 169
Ich gehe von der Annahme aus, daß die innerhalb des Po-
merium liegenden vier Regionen, wie sie für die Argeer-Urkunde
in Betracht kommen, den vier Quadraten entsprechen, in welche
ein durch den Cardo und den Decumanus getheiltes Augural-
Templum zerfällt. Wird die Theilung in der Weise, wie dies
z. B. aus der Erzählung über die vinea des Attus Navius (Cic.
de div. I 17, 31) bekannt ist, weiter fortgesetzt, so zerfällt je-
des dieser vier Quadrate wieder in je vier Quadrate!) und es
entsteht folgendes Schema, welches nach meiner Vermuthung der
Lage der Argeer-Sacraria im Wesentlichen zu Grunde liegt:
E
In diesem Schema entspricht dem Umfange der ersten Re-
gion das Quadrat XZPN, dem der zweiten das Quadrat PECN,
dem der dritten das Quadrat CALN, dem der vierten das Qua-
drat LVXN. Varro V 45—54 folgt nämlich in Bezug auf die
Zühlung der vier Regionen nicht der gewóhnlichen Anordnung
(1. Suburana, 2. Palatina, 3. Esquilina, 4. Collina) welche er V
56 bringt, sondern im Anschlusse an die Urkunde der Sacra
Argeorum (vgl. V 45) folgt er der durch den Lustrationsumgang
geforderten Anordnung (1. Suburana, 2. Esquilina, 3. Collina,
4. Palatina). In dieser Aufeinanderfolge werden die vier Re-
gionen am 16. und 17. März gesühnt. Die Sühnung erfolgt so,
1) Vgl. auch H. Nissen „das Templum" S. 16 fgg. — Ueber das
den Attus Navius Betreffende vgl. O. Müller ,,die Etrusker* II S.
157 fg.; die Behandlung dieses Gegenstandes durch P. Regell in den
Jahrb. f. Philol. 1881 S. 615 fg. ist leider mißglückt.
170 Wilhelm Studemund,
daß die Procession innerhalb jeder dieser Regionen die Sacraria
(loca sacris faciendis nennt sie Livius I 21, 5) in der von Varro
angegebenen Reihenfolge (je vom sacrarium princeps anfangend)
besucht. Dem Wesen eines in sechszehn Quadrate getheilten
Templum entspricht es, wenn die Sühn - Stationen der Proces-
sion möglichst genau in die 25 bei dem Projiciren des Tem-
plum festgestellten Schnittpunkte der Theilungslinien gelegt wer-
den, d. h. in die im obigen Schema durch die Buchstaben
von A bis Z bezeichneten Punkte. Je 6 dieser Schnittpunkte
wird man dabei zunächst auf jede Region rechnen; der 25ste,
in der Mitte des Templum gelegene Hauptschnittpunkt N bleibt,
als allen vier Regionen angehórig, bis zum Schluß reservirt.
Bei der Ansetzung des Weges, den die Sühn-Procession durch-
schreitet, ist als selbstverständlich zu betrachten, daß sie einen
Weg, den sie schon einmal gegangen ist, nicht wiederholt, daß
also kein Schnittpunkt und dem entsprechend kein Sacrarium
von ihr mehr als ein Mal berührt wird.
Die Gesammtzahl 27 (nicht 25) aber für die sacraria der Argeer
steht fest: vgl. Varro de ling. lat. V 45: reliqua (d.h. die nach
Abzug des Capitols und Aventins übrigbleibenden) urbis loca olim
discreta, cum Argeorum sacraria septem et viginti in <quattuor> *)
partis urbi<s> sunt disposita . . . . e quis prima scripta est regio
Suburana, secunda Esquilina, tertia Collina, quarta Palatina. Dazu
stimmt die Ueberlieferung bei Varro ebds. VII 44, wo von der
jährlich am 15. Mai zu vollbringenden Ceremonie die Rede ist:
Argei fiunt e scirpeis, simulacra hominum XXVII; ea quotannis de
ponte sublicio a sacerdotibus publice deici *) solent in Tiberim *).
Die Zahl von 27 Sacraria erkläre ich durch die Vermuthung,
daß die alte urbs quadrata auf dem Palatin ursprünglich durch
ihren Cardo und Decumanus in 4 Quadrate getheilt war, also
9 Sehnittpunkte (und dem entsprechend 9 Sacraria) hatte. Diese
blieben auch gewahrt, als das Templum der urbs quadrata zu
dem Templum der „Vierregionenstadt“ erweitert wurde, wobei
aus jeder der 3 zur Palatinischen hinzukommenden Regionen je
6 Sacraria hinzutraten. —
Um den Weg, welchen die Procession am 16. und 17.
Mürz genommen hat, im Einzelnen festzustellen , ist, unter Be-
rücksichtigung der oben aufgestellten Prinzipien, die Varronische
Ueberlieferung für jede einzelne Region gesondert zu betrachten.
Und zwar ist auszugehen von der zweiten Region.
Die zweite Region (regio Esquilina).
Ueber diese berichtet Varro V 50 Folgendes: In sacris
2) Der Codex F(lorentinus) des Varro giebt in septem et uiginti
statt septem et viginti in «quattuor». 3) duci F. 4) Vgl. Th.
Mommsen Römisches Staatsrecht III 1, S. 125.
Die Sacra Argeorum. 171
Argeorum scriplum sic est: ,Oppius mons. princeps: ouls *)
lucum Fagutalem®), sinistra via"); secundum merum est. | Op-
pius mons. terticeps: cis lucum®) Esquilinum, dexteriorce> via;
in tabernola est. | Oppius mons. quarticeps: cis lucum?) Esqui-
linum, via[m] dezteriore[ m] ; in figlinis est. | Cespius mons. quin-
ticepe: cis lucum !”) Poetelium; -Hesquilinis !') est. | Cespius mons.
sezticeps: apud aedem Iunonis Lucinae, ubi aeditumus habere
solet“.
Aus dem Umstande, daß der Name Oppius mons dem sa-
crarium princeps, dem terticeps und dem quarticeps vorangeht,
wührend vor dem quinticeps und vor dem sexticeps der Name
Cespius mons steht, folgt, daß das quinticeps und das sexticeps zu-
nüchst der folgenden (dritten) Region (der regio Collina) gelegen
haben, daß also weder das quinticeps noch das sexticeps an dem
Schnittpunkte P gelegen haben, und daß wenigstens das sexti-
ceps auch nicht in K oder E gelegen hat.
Die Lage des sexticeps ist in der Urkunde noch genauer be-
stimmt durch die Nachbarschaft des Tempels der Iuno Lucina.
Nach der bekannten Inschrift (CIL VI 1, 358), welche am Fuße
des südwestlichen Abhanges des Cispius gefunden ist, lag dieser
Tempel sicher nieht in unmittelbarer Nühe eines der an der Pe-
ripherie befindlichen Schnittpunkte PKEDO, also entweder in O
oder in J oder in H, und zwar ist topographisch die Lage in
H wahrscheinlicher als die in O oder J.
Weniger zuversichtlich bestimmbar scheint die Lage des
quinticeps. Die Urkunde setzt es cis lucum Poetelium an. Dieser
Hain ist vielleicht identisch mit dem Petelinus lucus bei Livius
VI 20, 11 = rò Heimlivov &Àcog bei Plutarch Camill. 36, 7.
Der Text der Livius-Stelle scheint zwar durch Verderbniß entstellt
(vgl. Mommsen Röm. Forschungen II S. 192 Anm. 80), aber aus
den Worten extra portam (zu welchen die Handschriften des Li-
vius das unmögliche flumentanam hinzufügen) ließe sich schließen,
daß der bei Varro genannte lucus Poetelius außen dicht an ein
Thor anstoßend, also wohl außerhalb der Peripherie unseres Tem-
plum lag. Falls dieser Schluß berechtigt, so kämen für das quin-
ticeps nur die Punkte PKEDC in Betracht, nicht aber die Punkte
OJH. Da aber das quinticeps nach dem oben Gesagten keinesfalls
in P liegen kann, so bliebe für dieses Sacrarium nur übrig einer
der Punkte KEDC.
Da nun die Lage des sexticeps am wahrscheinlichsten durch
den Punkt H bezeichnet wird, so kann das quinticeps nur im
5) ouls schrieb ich ] quilisouis F, was ich für aus Dittographie
entstanden halte; Zsquilis ouls (oder cis) vulgo. 6) lacum facul-
talem F. 7) via] quae F. 8) ois lacum FE.
9) quatricepsos lacum F. 10) sceptius mons quinticepsois lacum F.
11) Statt des verderbten esquilinis erwartet man eine Angabe, wie
die bei dem nächstvorhergehenden Sacrarium in figlinis lautende
172 /— Wilhelm Studemund,
Punkte C gelegen haben. Falls dagegen, was unwahrscheinlicher
ist, das sexticeps im Punkte J lag, so könnte das quinticeps ent-
weder in D oder in K gelegen haben. Der Fall aber, daß
das sexticeps in dem Punkte O gelegen hätte, scheidet aus, da
weder K noch E noch D noch C die dem O nächst benachbarte
Station bilden können. Da ferner auch der Punkt E weder zu
H noch zu J die nächste Station bilden kann, so bleiben nur
übrig: für das sexticeps die Punkte H und (weniger wahrschein-
lich) J, für das quinticeps die Punkte C und (weniger wahr-
scheinlich) einer der Punkte K und D.
Wenn nun das sexticeps in H und das quinticeps in C lagen,
so müssen das quarticeps in D, das terticeps in E, das in den
Varronischen Resten der Urkunde nicht erwühnte secundiceps in
K, das princeps in J gelegen haben. Dazu stimmt, daß bei dem
terticepe und, zur Deutlichkeit wiederholt, bei dem quarticeps in
der Urkunde steht: cis lucum Esquilinum, dexteriore via (bezw. via
dexteriore) d. h. „diesseits (von den zunächst vorhergehenden Sa-
crarien aus gerechnet) des Esquilinischen Haines und zwar so,
daß die Procession sich diesseits des Haines hält und nach rechts
(im Sinne des etruskischen Templum: vgl. O. Müller „die Etrus-
ker“ II? S. 181; Attus Navius stellt sich ad meridiem spectana
bei Cicero de div. I 17, 31), also in der Richtung EDC geht.
Der Esquilinische Hain scheint mithin außerhalb der Peripherie
unseres Templum bei ED gelegen zu haben. Ebenso stimmt zu
jener Annahme, daB bei dem princeps in der Urkunde steht: ouls
lucum Fagutalem, sinistra" via d. h. jenseits (von dem zunächst
vorhergehenden Sacrarium, dem sexticeps der ersten Region, aus
gerechnet) des /ucus Fagutalis und zwar so, daß die Procession
sich jenseits des Haines nach links (im Sinne des etruskischen
Templum) hin wandte, um zu dem nächsten Sacrarium zu ge-
langen.
Die erste Region (regio Suburana).
Ueber diese berichtet Varro V 46—48 Folgendes: In Su-
buranae!?) regionis parte princeps est C<a>elius mons... .
Cum C<a>elio 1?) coniunctum Carinae et inter eas quem locum Ce-
roniensem appellatum apparet, quod primae regionis quartum sacra-
rium scriptum sic est: ,,Ceroliense[s]. quarticepa!*): circa Mi-
nervium, qua in C<a>eliomontecm> itur ; in tabernola est“. Cero-
liensis 5) a carinarum !9) iunctu dictus. Carinae postea Cerionia,
quod hinc oritur caput sacrae viae ab Streniae sacello, quae pertinet
in arcecm> ... Eidem regioni adtributa Subura, quod sub muro
terreo Carinarum; in eo!) est Argeorum sacellum sextum.
Diese Stelle halte ich für schwer verdorben und die bisherigen
Verbesserungsversuche noch nicht für ausreichend.
12) suburbanae F. 13) celion F. 14) quae triceps F.
15) cerulensis F. 16) carinerum F. 17) eo F] ea vulgo.
Die Sacra Argeorum. 173
Das sacrarium princeps kann, weil bei Varro steht princeps est
Caelius mons, an einem der sechs Punkte STUXYZ gelegen haben,
Das quarticeps hat, sofern es durch die Worte circa Miner-
vium bezeichnet ist, nahe bei einem beliebigen Punkte jener
Straße gelegen, auf welcher sich das auf dem Grabmale der
Haterier dargestellte Leichenbegängniß (vgl. Annal. d. Inst. 1849
S. 372 fgg.; Hermes XX S. 418 fgg.) zwischen dem Colos-
seum und dem Pomerium bewegte. Es scheint also das quar-
ticeps in 'T eder U, weniger wahrscheinlich in Y oderZ gelegen
zu haben; dagegen sind nicht nur die Punkte SX, sondern
auch die Punkte O und P aus dem Bereiche der Möglichkeiten
auszuschließen. Andererseits aber scheinen die Worte, mit wel-
chen Varro den auf das quarticeps bezüglichen Wortlaut der
Argeer-Urkunde einleitet und begleitet, das quarticeps vielmehr
an die Grenze zwischen der ersten und der zweiten Region zu
verweisen, also an einen der beiden Punkte OP. Wenn aber
das quarticeps an einen dieser beiden Punkte gesetzt wird, so läßt
sich keine Abfolge der in der ersten Region zu berührenden
sechs Schnittpunkte finden, welche den Anforderungen des oben
dargestellten Prozessionsschema’s entspräche. Ebenso wenig weiß
ich, angesichts der Unsicherheit über den mit dem Worte Su-
bura zu verbindenden topographischen Begriff, über die wahr-
scheinliche Lage des sexticeps eine Ansicht auszusprechen.
Wenn das princeps der zweiten Region oben (S. 172) richtig in J
angesetzt ist, so ergeben sich folgende zwei Möglichkeiten, die
sechs Sacrarien der ersten Region auf Schnittpunkte zu verthei-
len: entweder sexticeps bei O, quinticeps bei P, quarticeps bei U,
terticeps bei T, secundiceps bei Y, princeps bei Z; oder sexticeps
bei O, quinticeps bei P, quarticeps bei U, terticeps bei Z, secundi-
cepa bei Y, princeps bei 'T. —
An sich würde man geneigt sein, entsprechend dem obigen
Schema die Procession sich durch die 25 Schnittpunkte etwa in
folgender Ordnung bewegen zu lassen: ZYTUPO,. JKEDCH,
GBAFLM, RQVWXS, N. Aber dann wäre unerklürbar, wie
statt 25 vielmehr 27 sacraria vorhanden gewesen sind. Auch
würde die Lage der für die Sacraria der dritten und der vierten
Region in Betracht kommenden Schnittpunkte gegen topographisch
feststehende Thatsachen streiten, wie sich aus der Besprechung
dieser Regionen ergeben wird. Beide Bedenken schwinden, so-
bald man berücksichtigt, daß die Argeer-Procession nicht innerhalb
eines Tages vollendet wurde, sondern zwei Tage, und zwar den
16. und 17. März in Anspruch nahm, vgl. Ovid. Fast. III 791 fg.:
Itur ad Argeos . . . hac, si commemini, praeteritaque die. Aller
Wahrscheinlichkeit nach wurden durch die Procession am 16.
März die erste und zweite Region, also der durch die regiones Su-
burana und Esquilina gebildete Osten gesühnt; darauf am 17.
März die dritte und vierte Region, also der durch die regiones Col-
192 Miscellen.
8. Das Porson'sche Gesetz bei den Komikern.
In der neusten Ausgabe der fragmenta comicorum Atticorum
werden wiederholt nicht nur erschlossene, sondern auch überlie-
ferte Lesarten beanstandet, weil der Rhythmus .der betreffenden
Verse gegen die bekannte von Porson (praef. Hec. XXX sqq.) nach-
gewiesene regula verstößt, daß bei den Tragikern s? voce quae Creti-
cum pedem efficeret. terminaretur versus eamque vocem hypermonosyl-
labon praecederet, quintus pes iambus vel tribrachys esse deberet !).
Was sagt doch aber Porson von den Komikern? Sed haec
omnia (nämlich spondeum in quinto loco gegen jene Bedingungen
und Aehnliches) libentissime sibi in senariis permisere: worauf er
vier Beispiele einer kräftigen ohrenfälligen Verletzung jener le-
diglich durch die getragene Declamation der Tragödie hervor-
gerufenen Observanz anführt. Aber vielleicht hat Porson, der
große Kenner der tragischen Verskunst, auf dem Gebiete der
Komödie mangelhaft beobachtet. Wir schlagen unsern Aristo-
phanes auf: was starrt uns als erster Vers des ersten Stückes
entgegen? “Oou dn dednyuu ijv Euavrov | xuodiar. || Ebenso
Ach. 17 2 örov "yo | Qurrouu || ; [20 n nro5 | uvrnt || ;] 24
worcovriat | nog doxeic ||; 30 oxogdıramm | aégdouae ||; 45 tic
&yogtvew | Bovdsrus ||; 48 Kedsög | ylyverus || u. s. w. Aber hie
und da wird Kock vielleicht.über die Schreibung rechten kön-
nen. Greifen wir also hinein in seine eigne Fragmentsammlung,
und zwar in die zuletzt veröffentlichten Abtheilungen, in welchen
die oben citierten Stellen zu lesen sind. Antiph. Agr. 4 ‘Ao-
modos énexaAsito, wuiuv | ndeto |, Acestr. 20 unt £ov« wire 1v906,
&ovóc, | plhrare, || Hal. 16 xai tov Nerei nig yoyyoor ndı | nagvrégac. ||
Also fort mit den halben Gründen, die keine Gründe sind! Das
Porson'sche Gesetz hat in der griechischen Komódie nichts zu suchen.
1) Z. B. in den Noten zu Antiph. 1 vol. II p. 13 und zu Antiph.
68 vol. Ill p. 733, wo diese Caesur viz tolerabilis heißt; anders zu
ine. fr 526 vol. III p. 504. Vgl. Gölting. gel. Anz. 1889, 5, S. 183.
T. Cr.
nn nn
9. Nachträgliches zu den Excerpta Palatina.
Bd. I (XLVII) S. 622 hat M. Treu zwei Stellen aus einer
Heidelberger Handschrift mitgetheilt, für die ihm keine Parallele
zu Gebote stand. Für die erste derselben hat eine Anmerkung
der Redaction einen Hinweis erbracht, für die zweite ist der
vierte pseudoheraklitische Brief herbeizuziehen. Hier beschwert
sich Heraklit darüber, daß gegen ihn eine Anklage auf «offesa
erhoben sei, weil er sich durch eine von ihm auf einem Altar
angebrachte Inschrift für einen Gott ausgegeben habe. Er habe
dort geschrieben HPAKAEITWIEDECIWI: das bedeute aber
nicht ‘//vaxd:fim "Eyssio, sondern ‘Hyuxisi 16 " Egeofo (vgl. Ber-
nays die Heraklit. Briefe S. 43 fg.).
Breslau. M. Hertz.
XI.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende
von der Verwandlung der Tyrsener.
I.
A. Ludwich bringt uns von semen Sireifeügen in entlegous
Gebiete der griechischen Litteratur (in den Königsberger Studion 1
63 ff) neben höchst bemerkenswerthen Beobachtungen über die
sprachliche und metrische Kunst des Gregor von Nazisuz ud
des jüngern Apollinarios auch die überrascheude Mutdyshuny
heim, daß der im homerischen Hymnen- Corpus überlisforis 14
nysoshymnus (VI/VII Aovvoos n Anota) ale au Wrplipelgo bs.
werk’ zu betrachten sei. Ludwich plädiert für seius Manu 1,4:
nur auf Grund von reichem sprachlich-metrisclex Materia. us
sich das bei dem bewährten Kenner des griechischen Ker vou agire
versteht — , sondern auch mit großer Wärme und wit ebenso dis
zeugter wie überzeugender Bestimmtheit. Kein Wunder, det ~
den kurzen Referaten der kritischen Zeitschriften kein An cats:
laut geworden ist!) Gerade deswegen möchte ich zu gi» -~
urtheilslosen Nachprüfung des Fundamentes anregeu, sw’ o>
chem Ludwich seine Vermuthungen aufgebaut hat.
Wir fassen die Beweisführung des Königsberger Ya...
allen Beiwerkes entledigt, in einige kurze Sätze u, ~~
lassen 2E twodnwews die Gegeninstanz zu Worte koi,
1) [Richtiger urtheilte inzwischen O. Kern in de so.
f. kl. Philol. 1889, 11, 282; doch scheinen mir dureh aus psu
gen auch die polemischen Bemerkungen der
noch keineswegs überflüssig geworden zu sein.]
Philologus. N.F. Bd. II, 2. it
I pr am
——— _ —
176 Wilhelm Studemund,
Wenn aber in diesem Falle wirklich jemand auf den Einfall
kommen sollte, das quinticeps der vierten Region in den Punkt
R (unter Benutzung von N als einer Station) legen zu wollen,
so könnte nicht zugleich S die Stelle des sezticeps der vierten
Region sein. Folglich bleibt für die vier Stationen vom terticeps
bis zum sezticeps der dritten Region nur folgende Reihe von
Punkten übrig: GBAF und mithin für die sechs Stationen der
vierten Region nur folgende Reihenfolge der Punkte: LQVWRM.
Also müssen das princeps und dae secundiceps der dritten
Region, von denen sicher jenes, wahrscheinlich aber auch dieses
dem der zweiten Region benachbarten Collis Viminalis ange-
hürten, in den Punkten C und H gelegen haben. Diese beiden
Punkte waren aber schon am Schlusse des ersten Processions-
tages gesühnt als Stellen des quinticeps und des sexticeps der
zweiten Region. Folglich muß, entsprechend der Zerschneidung
der Procession in zwei Tage das oben (S. 169) stehende Schema
in eine östliche und eine westliche Hälfte zerschnitten gedacht
werden und in großer Nähe des quinticeps und des sezticeps der
zweiten Region müssen das princeps und das secundiceps der
dritten Region, mit deren Sühnung die Procession des zweiten
Tages begann, angesetzt werden.
Es ergiebt sich mithin folgendes Schema, in welchem ich,
an Stelle der Buchstaben, in fortlaufender Zühlung durch die
vier Regionen hindurch die Argeer-Stationen beziffert habe:
io 9
1|
Abgesehen von der ersten Region, stimmen die von mir an-
gesetzten Zahlen bis zur Zahl 24 zu den topographischen That
Die Sacra Argeorum. 177
, sachen. Die Argeer-Urkunde zählte diese vierundzwanzig Sacra-
ria aber nicht fortlaufend von 1 bis 24, sondern in jeder der
vier Regionen von 1 bis 6. Die übrigen drei Sacrarien blie-
ben entweder der vierten Region beigezühlt (vgl. S. 170), oder
sie wurden mit den Nummern 25. 26. 27 bezeichnet. Ich habe
die Zahlen 25. 26. 27 in dem Schema hinzugefügt; da die Stelle
für die Zahl 24 (— Punkt M) nach dem oben Erórterten fest-
steht, so ergiebt sich die Lage des 25. 26. und 27. Sacrarium von
selbst als in den Punkten NSX gelegen, deren Verbindungslinie
zum Theil zusammenfállt mit dem tiefen Einschnitte zwischen
dem Palatin und dem Caelius. Ueber das im Hauptschnittpunkte
(N) des Gesammt-Templum liegende 25. Sacrarium ist ebenso-
wenig wie über das 27. eine Ueberlieferung vorhanden. Eine
solche brachte für das 26. Sacrarium durch kühne, aber haltlose
Ergänzung O. Müller in die stark verstümmelte Glosse des Fe-
stus (S. 154) „Mutini Titini sacellum", wonach dieses Sacellum
nicht nur i» Velis lag, sondern auch nahe dem ,,[sacrarium s |ex-
tum et vicensimum" ??), womit, falls das Wort sacrarium richtig
ergänzt wäre, das 26. Argeer-Sacrarium gemeint wäre. Der in
meinen Schemata diesem Sacrarium angewiesene Punkt S kónnte
übrigens allenfalls „auf der Velia“ liegen.
Für die Lage des Punktes N darf man kein indirektes Zeug-
nif bei Plutarch (Rom. 11) erkennen wollen. Dieser will die
Lage desjenigen Mittelpunktes angeben, um welchen herum kun-
dige Etrusker den Umfang der Stadt des Romulus construirten
(wong xuxdov xévtom negeéyoupauy inv now), giebt aber irrthüm-
lich nicht den Mittelpunkt dieser Palatinischen wrbs quadrata an,
deren Pomerium Tacitus Ann. XII 24 in der Richtung VWXSN
etc. beschreibt und deren Cardo und Decumanus sich oben auf
dem Palatin in dem im Punkte R nahe dem „Hause des Romulus“
gelegenen Palatinischen mundus (vgl. Detlefsen, Hermes XXI
S. 508) schnitten, sondern nennt statt dessen den bei dem Co-
mitium liegenden mundus, welcher ein Hauptschnittpunkt in einem
später (nicht vor dem 1. Jh. vor Chr.) erweiterten Pomerium
gewesen sein mag. —
Ueber schwache Anfänge in der Erklärung der Argeer-
Urkunde und in den Andeutungen, wie dieselbe für die Topo-
graphie zu verwerthen ist, bin ich nicht hinausgekommen. Ihnen,
Hochgeehrter Herr College, und den übrigen Mitforschenden
wird es leicht sein, meine Irrthümer zu berichtigen und die
etwa brauchbar befundenen Keime zur Entwicklung zu bringen.
29) Die nächstfolgenden Worte, wie gewöhnlich geschieht, durch
dextra ulia, tuxta diuer]ticulum zu ergänzen, ist nicht ohne Beden-
ken; vgl. auch Jordan, Topographie Il S. 251 und S. 241 fg.
Breslau. Wilhelm Studemund.
Philologus. N. F. Bd. II, 1. 12
Miscellen.
1. Ein Epigramm auf Hyllos den Herakliden.
(Zu Polyb. XV 16 und Suid. s. &mißoAn).
Suidas s. v. àmifloÀg: . . . xai L èyzelonoss, 1 Fox tabs.
IIoavßıoc (XV 16). "Eon uiv yag ore xoi rastóua toy üvré-
noufe zaic énsBoduic 13» dyadwy avdgur: Fori d° 016 nal, xara
tjv nagowmlay,
"Ec9A0g tav &Alov xQsfrrovog avrétvye.
Tovro dé paci neo "Y AA ov tov ‘Houxietdov xoi Evy éwov (schr.
"Eyí£uov) 109 Alyeatov (schr. Teyeurov).
T h. Bergk stellte den Spruch, den er nur aus Polybios kennt,
unter die Adespota der Lyriker (III* p. 690) und spricht ihn dem
Theognis zu K. Sittl (Gesch. d. gr. Litteratur I 2164) meint,
Suidas führe hier einen Spruch des Hyllos oder Echemos an, und
sieht darin ein Beispiel, daß man die Könige der Heroenzeit wegen
ihrer Weisheit gerühmt habe. Er vergibt die Priposition meoi
und erwügt weder den Zusammenhang der Stelle noch den der
Sage. Richtiger ist der Suidas-Artikel schon von Erasmus be-
handelt, an einer auch von den gelehrten Herausgebern des Sui-
das und Polybius (vol. VII p. 205 Schw.) übersehenen Stelle
der Chiliaden III 10, 94 (p. 671 Bas. 1574):
Fortis in alium fortiorem incidit. | 809405 luv &Adow xeelr10-
voc üviéruyev, id est: Forti alius potior contigit ac melior. Dici so-
litum, ubi quis nimium fretus suis viribus aliquando nanciscitur a
quo vincatur. Sumptum putant ab Hyllo Herculis filio et Euchemo
Aegeate. Ita Zenodotus. Suidas huiusmodi verba recensel
tacito autoris nomine (2): gore uiv yog — dvifivge . ... Ben
tentia potest videri ducta ex Iliados X, ubi Hector incidit in Achillem.
200098 uiv 20IAög Eqevye, diwrs dé uw phy apelvov...
Bei Erasmus wird wohl mit Recht der Zusatz zu der Po-
lybios- Stelle dem Paroemiographen ‘Zen odotus’, d. h. Zenobios,
zugeschrieben, obgleich wir in den uns erhaltenen Handschriften
den Spruch nicht nachweisen können; Suidas hat danach die
Miscellen. 179
von Polybios erwähnte xagosutu in einer Sprichwörtersammlung
nachgeschlagen und die Erklärung auszugsweise herübergeschrie-
ben. Ob Erasmus hier einer Vermuthung folgt, oder ob er
(was mir einleuchtender ist) eine vollständigere Handschrift be-
nutzt hat, muß vorläufig unentschieden bleiben ') Wohl aber
läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit in dem Sprichwörter-
werke des Zenobios die Stelle bestimmen, an welcher der von
Suidas benutzte Artikel gestanden hat. Im zweiten Buche der
athoischen Excerpte stehen unter sd und ne zwei Artikel neben-
einander, die sich mit Herakles-Sagen beschäftigen: Oorv& £owot
“Houxin 10» xagisgov, und: ueluuruy@ ouvétvyes, maga Agyi-
Àoyo xeira (fr. 110 p. 416 Bgk.) <un ov ye usiauunvyov
Tuyouc ui 1wog &vO gelov xui loyvgov ıvyug> ?), worauf die
bekannte skurrile Erzählung von Herakles und den Kerkopen
folgt. Wer die Composition des Buches kennt, weiß, daß sehr
häufig form- oder sinnverwandte Sprüche nebeneinander stehen.
Und in beiden Beziehungen gehört der Spruch des Suidas hier-
her. Die räuberischen Kerkopen finden, wie Lityerses?), in
Herakles ihren Meister (usluunvyov ru ovzeç dixnv ÉOwxar),
umgekehrt der gewaltige Heraklide in dem arkadischen Kó-
nige, der ihn erlegt (xvsiziorog «vaéivgsev). Vgl. Herod. IX
26: mnuoexgidn ... &@ehoving "Eyeuoc è Hegonov . . . xai
Euovronuyno& 18 xal dréxreuwve "YAAov!) — Paus. I 41, 2: .xoi
"Yihov nàgoíov 100 ‘Hoaxdfovs priua torr, avdgi “Apuadi "Ey£uc
Tu) Asgonov uorounyrourrog ..., I 44, 10: Meyagevow ögos
nuog inv Nogwdiuy, Evdu “Yalow 10» HouxAéowc uovouayioai
nudg 10» Agruda "Egsuor Aéyovow. Eine Darstellung dieses
rühmlichen Zweikampfes sah man auf dem Grabmale des Eche-
mos zu Tegea, vgl. Paus. VIII 53, 10: Edeucuunr . . . Ext
pov uriua xai enesoyucuéyny 8 oıninv inv "Ey£uov ngóg "YAAov
pagnr.
Nun kann es nicht mehr zweifelhaft sein, woher die ‘zu-
goıula’ entnommen ist: aus einer Verherrlichung des Hyl-
los im elegischen Versmaße, welche dem Verfasser der Erklä-
rung wohl noch in vollständigerer Form vorgelegen hat. Die
pointierte Fassung des Bruchstückes weist auf ein Epigramm.
’Enuvußia auf Helden der Sage und Dichtung sind schon von
Theokrit, Kallimachos (Zpigr. 6. 22. 29) und ihren Freunden
1) Eine gründliche Untersuchung der Chiliaden würde vermuth-
lich Aufklärung bringen. Ueber die von Erasmus benutzten Hdss.
vgl. u. A. meine Anall. p. 8.
2) Die in Klammern eingeschlossenen Worte sind aus der voll-
ständigeren Fassung des Parisinus ergänzt.
3) Pollux 1V 54 (Lityerses) Brasoté0w . +. Megeneodvte xtÀ., zur
Sache Mannhardt, Mythol. Forsch. S. 5 ff.
4) Auf die scheinbaren Anklänge an daktylisch-elegischen Rhyth-
mus in der Rede des Tegeaten (Herod. a. O. z. B. Uri oos xatodov | és
Helonovyyoov) wird man kein Gewicht legen dürfen.
12 *
dm
180 Miscellen.
Asklepiades (Aias Anth. Pal. VII 143, vgl. Bergk, PLGr. II 345)
und Poseidippos (Steph. Byz. s. Zédesa, Schol. Il. 4101, Bergk
a. O. p. 342) verfaßt worden; für uns sind die Excerpte aus
dem ps.-aristotelischen Peplos (Bergk a. O. p. 338 ff.) die Haupt-
vertreter der Gattung. Vgl. z. B. No. 6: [Ja:g0xàov tagoc ov-
TOG . . ., Ov xtavev wc” Aons Ex1ogoc iv nudawasc, 43 Ain-
tp»... &vIdde nardanatwo poigu Fewv xıdoıoev. Epigramme
von Dichtern der Ptolemäerzeit sind gerade im zweiten Buche
des Zenobios-Didymos berücksichtigt, z. Th. durch Vermittlung
des Aristophanes von Byzanz: Vgl. II vy’ tdwo dé ntvuw x1,
wozu bei Photios?) notiert wird: zovro 3E émyouuuarog cha,
uéoos ob wer “Aoxdnniudov, oi dì Oenusriiou (des Halikarnassiers
Kallim. Epigr. 7, wie sich aus Zenob. ergiebt: Anall. ad paroem.
p. 154); II of donuya ra Kovrlda (KuAlluuyos dv! Iauflos;);
auch der oben citierte Vers ogıv& fowos ‘HouxÂÿ tov xagregós,
der wag’ ovdevi wv ugyulwr (scil. nowwv) &ariv®), mag aus
hellenistischer Quelle geflossen sein. Wir dürfen die nugosuia
des Polybios demnach als Fragment eines hellenisti-
schen Epigramms betrachten.
Ob Polybios den Vers aus lebendigem Gebrauche, oder aus
einer litterarischen Quelle geschöpft hat, kann nur eine zusam-
menfassende Untersuchung der paroemiologischen Elemente seiner
Darstellung lehren: ein u«xgög àoyoc, welcher den Kennern des
Geschichtschreibers empfohlen sein möge’).
5) Der Text des Athous ist hier lückenhaft.
6) Mit dieser Erklärung fallen die Fehlschlüsse, welche Naber
Phot. praef. p. 42 aus der Zenobios- Stelle gezogen hat. Auf einem
thatsächlichen Irrthume beruht es, wenn derselbe Gelehrte sagt: ha-
bet tamen Athenaeus IX 392 D — Athenaeus hat nur das Eudoxos-
Excerpt des Zenobios-Didymos, nicht den Spruchvers. Vgl. Anall. 93.
7) Die meisten nachklassischen Historiker verweben, nach dem
Vorgange des Aristoteles und seiner Schüler (Anall. ad paroemiogr.
p.81 sqq.) paroewiographische Exkurse in ihre Erzählung. Sehr auffällig
ist das in manchen Partien des Diodor; aber auch bei Polybios (vgl.
z. B. noch IV 52, XV 20) würde sich eine Untersuchung über diese
Dinge lohnen. Die Epistolographen und andere Spätlinge arbeiten in
vielen Fällen nachweislich mit unsern Sprichwörtersammlungen, vgl.
Verhandl. d. 37. Philologenvers. zu Dessau S. 228, Gött. gel. Anz. 1889
S. 175. 179.
Tübingen. O. Crusius.
2. Zu Aristophanes *).
9. Dem Peithetairos ist es gelungen die Vögel für seinen
Plan zu gewinnen, und der Epops ladet ihn und seinen Genos-
sen Euelpides ein in seine Behausung einzutreten: da kommt
*) Vgl. den vorigen Jahrgang S. 755.
Miscellen. , 181
dem Peithetairos das Bedenken, wie sie beide als ungeflügelte
Wesen wohl im Stande sein würden unter den Vögeln zu leben.
Die Worte lauten 648—657: IT. rag to deiva devo' énava-
xgousas nul. | péo’ idw, .odcov vQv, WG éyw TE Xo) 100i | Evr-
egó ue" vuir meropévois ov netouévo; | EN. uw. II. ‘ga voy
ws dv Alou nov hoyous | Eoziv Zeyopevov On u, Thy au) ney’ Ws |
plavows Èxouru vqoev ue1® note. | Ell. undev gçofnÿs" Fors rag
ts dior, | 9 diargayóvi E0s0Fov énregwuévw: | II. obra) uèv
elofwuev. üye di Zara | xui Mavodwee, Aanßavere tà 010W-
puru. Schnee (p. 11) findet, daß die Worte dga vvv xrÀ. mehr
dem Charakter und der Rolle des Euelpides entsprechen, und
giebt sie diesem statt dem Peithetairos. Dem wird man gern
beistimmen, im übrigen aber wird man Schnees Ansichten nicht
billigen können. Er meint nämlich, Euelpides könne sich mit
dem Aesopischen Fuchse nicht vergleichen, bevor er die ganze
Rede des Epops gehört habe: daher müsse diese vorhergehen,
indem 654 und 655 vor 651 zu stellen seien, und x«Agg 651,
das im Munde des Epops keineswegs genüge, um die Bedenken
des Peithetairos zu beseitigen, könne nun nur vom Peithetairos
gesprochen sein. Außerdem giebt er ohne weitere Begründung
die Worte otiw uiv elofwuev 656 dem Epops (?!), so daß erst
mit «yc dn Peithetairos wieder zu Worte kommt. Das ist eine
wunderbare Anordnnng. Wenn der Epops oben schon ausein-
andergesetzt hat, daß die beiden Menschen durch Genuß einer
Wurzel in den Besitz von Beflügelung gelangen würden, so be-
greift man nicht, was jetzt noch der Hinweis auf die verhäng-
nißvolle Gemeinschaft des Fuchses mit dem Adler bedeuten soll,
denn dem Fuchs ging es ja nur eben deswegen so schlimm,
weil er nicht geflügelt war. Die worte oùrw piv sloïwuer fer-
ner enthalten offenbar die Einwilligung eines durch Zugeständ-
nisse Ueberredeten: „wenn die Sache so ist, so wollen wir ein-
treten“, gehören also sicher dem Peithetairos. Wenn Schnee
den Peithetairos 651 auf die Auseinandersetzung des Epops xa-
Aw: als Ausdruck der Befriedigung und Zustimmung erwidern
läßt, so hat er wohl nicht bedacht, daß es nach dem Sprach-
gebrauch der Komödie bei dem Mangel eines Beziehungswortes
im Vorhergehenden eher im entgegengesetzten Sinne als hófliche
Ablehnung aufgefaßt werden könnte: so sind xaiws R 888, navy
xulwg R 512, x«Acr, nur R 508 blande recusandi formulae
quibus oblato beneficio non utentes gratias agunt (Casaub.); vgl.
auch R 532. Man erwartete dann eher xadwe Afyas, was un-
zweideutig die Zustimmung bezeichnet Anders in der Ueber-
lieferung, wo x«Àuc dem "wc in der Frage des Peithetairos ent-
spricht, wie E 1092: awe ovv dixwneiv duqorégac Ivvnoonas; |
B. xeAgg, Eneıdav x13... V. 1222: rovross Evywy ta oxoka "HG
déEes; D. xulwg (vgl. Meineke Vind. Ar. p. 33). N 488: nws
ovr device uavJavav; 3. apéder, "ms P 725: mag div
lac————— —BMX—- S o o0 0 0 0 0 _
182 Miscellen.
tra xataBrooua; E. Fagosı, xadwc. Av. 201: ws dir av
avtovs Evyxudéosac; E. dadfwc. R 642: nox ovv Baourisic vt)
dixetwe ; A. bgdlwo. [E. 761: rws; B. "oc; QeOíwc] Daß
der Epops nur ganz kurz x«Awc sagt, erklärt sich sehr leicht:
er wird eben von dem ängstlichen Euelpides unterbrochen, der es
für nóthig hält schnell noch auf das traurige Geschick des Fuch-
ses, der mit dem Adler in Verbindung trat, hinzuweisen, um
dadurch das von Peithetairos vorgebrachte Bedenken zu ver-
stärken, wie er denn überall die 2. Rolle spielt Nachdem er
gesprochen, beruhigt ihn der Epops zunächst mit den Worten:
under gafndic, die wohl zu dem besorgten yAuvows des Euel-
pides 653 passen, nicht aber zu der ruhigen Frage des Peithe-
tairos, und begründet dann seine Worte. Den Abschluß end-
lich macht Peithetairos mit den Worten: ovıw pév elolwuer —
seiner Rolle als Wortführer entsprechend. So entwickelt sich
alles folgerichtig, während die Umstellung Schnees nur Schwie-
rigkeiten schafft.
10. Zum Schluß eine Stelle aus den Acharnern, an
der Schnee ebenfalls durch Umstellung eine vermeintliche Schwie-
rigkeit hat beseitigen wollen. Der Chor der Acharner ist ent-
rüstet darüber, daß Dikaiopolis zu Gunsten der Lakedaimonier
sprechen will, und dieser sucht ihn vergebens zu beruhigen.
317 sq. sagt er: xav ys un déyw (Attm R) dixaua und 10
nantes doxw, | vnig émErrov ’FeAnom rir. xepalÿr Eyum Myew.
Schnee S. 12 sq. meint, Dikaiopolis müsse, um die erhitzten
Gemüther der Acharner zu beruhigen, sofort erklären, er wolle
den Kopf auf den Block legen; daher sei V. 318 vor 317 zu
stellen, dann sei auch das Futurum (?!) A££w des Rav. an sei-
nem Platze. Dikaiopolis werde dann 319 von dem Chor unter-
brochen: er würde sonst seine Rede etwa so fortgesetzt haben:
er agaigsiotar Dew "yo ımıd tuuviòr vn día. Aristophanes
würde, glaube ich, das wohl etwas anders gesagt haben, im
übrigen aber halte ich die Auffassung Schnees für recht pro-
saisch. Muß denn durchaus alles gesagt werden, was sich von
selbst ergiebt ? genügt es nicht vollständig, wenn Dikaiopolis
erklärt, er wolle sein Haupt auf den Block legen? ist es noth-
wendig den Zweck dieser Handlung noch irgendwie anzugeben
oder auch nur anzudeuten? Dikaiopolis hat zuerst V. 305 ge-
sagt, der Chor möge die Lakedaimonier aus dem Spiel lassen,
da derselbe aber darauf nicht eingeht, erklärt er 309 sq., die
Lakedaimonier seien nicht an allem Unheil schuld, und schließ-
lich 313 sq., er könne nachweisen, daß jenen in manchen Punk-
ten sogar Unrecht geschehe. Da ruft der Chor in hellem Zorn:
10010 toUmog Otwóv dn xai tagakixaedior, | el où ToAunosıg vio
rüv nolewiwy fui» A€yesy und kennzeichnet damit die Absicht
des Dikaiopolis mit kurzem Wort als Fürsprache ftir die Feinde.
Darauf entgegnet jener steigernd (xaf — ye): „und für den
Miscellen, 183
Fall, daß ich nicht Billiges sage und es dem Volke nicht so
scheint, will ich reden, das Haupt über dem Block“. Das ist
klar und deutlich genug: der Satz vsig émEjvov '9eÀjow thy
xepuinr Eywy Léyew (etwaige Schwierigkeiten seiner metrischen Her-
stellung haben mit dieser Frage nichts zu thun) bildet nur
scheinbar den Nachsatz zu dem Vordersatze: x&v» ye un AtEw
Olxuse unde 10 nd tee doxw — denn es handelt sich nicht um
zwei, sondern um eine Rede — in Wirklichkeit bezeichnet
er, worüber kein verständiger Hörer oder Leser in Zweifel ge-.
rathen kann, euphemistisch das, was der etwaigen Folgerung :
„dann könnt ihr mir den Kopf abschlagen“ zeitlich vorausgeht
und ihre Grundlage bildet. Ist eine solche Anakoluthie, zumal
‘ in lebhafter, ja erregter Rede, unzulässig? im Gegentheil, durch
die Umstellung der Verse entsteht ein unleidliches Asyndeton :
vrèo EnıEnvov ‘Jelnow — Aéyeww — und man begreift nicht, was
dann im folgenden Verse das steigernde xaf — ye bedeuten soll:
seinen Kopf giebt Dikaiopolis ja eben dadurch schon preis, daß
er erklärt, ihn auf den Block legen zu wollen. Auf das, was
Müller zu der Stelle bemerkt, brauche ich nach dem Gesagten
wohl nicht weiter einzugehen.
Frankfurt a. O. O. Bachmann,
3. Zu Iuvenal Sat. VIII.
V. 90: Ossa vides regum vacuis exhausta medullis.
Diese Worte spricht der Dichter zu dem jungen und vor-
nehmen Rubellius Blandus, welcher sich soeben anschickt als
rector provinciae von Rom abzugehen, um sein hohes und ver-
antwortliches Amt anzutreten, und mahnt ihn, von Habsucht fern,
sich der unglücklichen und verarmten Provinzialen großmüthig
anzunehmen. Die traurigen Zustände daselbst, wie sie durch
die unersättliche Habgier der römischen Provinzialverwalter ge-
schaffen worden, welche Glanz und Fülle materiellen Wohlstan-
des vorfanden, um Armuth und Elend herbeizuführen, veran-
schaulicht der Dichter durch den oben stehenden Vers; und
ließe sich ein treffenderes Symbol vormaligen Glanzes und Reich-
thums im Gegensatz zu nunmehriger Dürftigkeit denken, als
»Gebeine von Königen bis aufs Mark leer“? Bis in die neuste
Zeit hat sich demgemäß die Vulgatlesart regum erhalten, wenn
sie auch übel erklärt ward; sowohl Ruperti Tom. II pag. 474
als Schmidt. Iuv. sat. delect. p. 226 haben abwegig an die ein-
heimischen Könige von ehedem gedacht bevor ihr Land römische
Provinz ward; aber die Textesworte sind ganz allgemein als
Veranschaulichung ehemaligen Glanzes und nunmehriger Armuth
zu verstehen. Und so scheint schon Achaintre tom. I pag. 315
184 Miscellen.
dieselben gefaßt zu haben, wenn er von einer translatio spricht
und auf Horat. epist. I 10 verweist, woselbst rez als Träger
irdischen Glückes und Glanzes angeführt wird. Neuerdings ha-
ben die Coryphäen der Iuvenalkritik Iahn pag. 90 und Her-
mann pag. 55 das Pithoeanische rerum aufgenommen und ihnen
ist Ándreas Weidner pag. 197 gefolgt, wührend Ribbeck an
regum festhielt. Offenbar giebt nur letzteres den für den Zusam-
menhang passenden Sinn; rerum ist viel zu abstrakt, matt und
farblos, um dergestalt mit dem Begriffe ossa verknüpft zu wer-
den, der sich nur einer concreten Anschauung anschließt. In
reiflicher Erwägung dessen behielt Pithoeus selbst in seiner Hei-
delberger Ausgabe von 1590 die Vulgatlesart bei, desgleichen
die neueren, englischen Ausgaben trotz ihrer Hinneigung zur
Pithôanischen Recension (Macleane p. I 99. Simcox. p. 73;
Wheeler p. 144. Mayor. 35. William Carr Boyd. p. 8?)
V. 199 ff: Haec ultra, quid erit nisi ludus? Et illic
Dedecus urbis habes: nec mirmillonis in armis,
Nec clypeo Gracchum pugnantem aut falce supina.
Unzweifelhaft führt Haec ultra einen neuen Satz ein; das
Demonstrativ weist zusammenfassend auf die scenische Action
des rómischen Patriciats zurück, von welcher seit V. 185 die
Rede war. Völlig mißverstand Ruperti II pag. 493 die Stelle,
wenn er bemerkte : post haec quid videbimus in Urbe praeter ludos
und gegen Achaintres u. A. richtige Beziehung auf den Gla-
diatorenkampf den Einwand erhob: Sic poeta saltem munus
dixisset, non ludus: nam ludus semper ad scenam spectat et mu-
nus ad gladiatores. Treffend wies dagegen Madvig Op. acad.
II pag. 181 ff. nach, daß mit dem singularischen Zudus, der
unabweislichen Forderung des Zusammenhanges gemäß, nicht
scenicus sondern circensis oder gladiatorius gemeint sei. Die
Schmach des Bühnenspiels wird noch von der Schmach des
öffentlichen Fechterspiels überholt. Mit Et iic, welches ei-
nige Herausgeber der handschriftlichen Ueberlieferung entge-
gen in das mattere Et illud umgeschrieben haben, weist der
Dichter zu thatsächlicher Erhärtung des eben Gesagten auf ei-
nen derartigen Act im Circus hin: „Und dort hast Du die (wir
sagen zur) Schande der Stadt, einen weder in.den Waffen des
mirmillo, noch mit Schild und gekrümmter Sichel kämpfenden
Gracchus“. Der Gipfel der Entehrung liegt eben darin, daß
der hochadelige Gladiator, wie sich aus dem Weiteren ergiebt,
sogar eine Person wie Stand verhüllende Armatur verschmäht
und mit offenem Visir allem Volke kenntlich auftritt. Von dem
Gladiatorenkampf eines solchen Abkömmlings des edelsten und
ältesten Patriciats als schmachvollster Selbstprostitution war
schon sat. II 143 ff. die Rede: Vicit et hoc monstrum tunicati
fuscina Gracchi, Lustravitque fuga mediam gladiator arenam , Ei
Capitolinis generosior et Marcellis.
Greifswald. A. Hackermann.
——— mn — — — — — — 9
Miscellen. 185
4. De codice Varronis Mutinensi.
Codex Mutinensis, qui praeter libros De Re Rustica Var-
ronis et Catonis continet Varronis libros De Lingua Latina, est
membranaceus, optimae notae et propter lectiones optimus. Vide
quae de hoc codice Muellerus (in praefat.) Keilius (in Mus. Rhen.
a. 1848 ad p. 142— 5) P. Canalius (in edit. Antonelli, Ven. a.
1846 seu 1847 — 54, in praef. p. XXVII — XXX) et Leon.
Spengelius (Berolini, a. 1885: in praef. p. X) scripserunt. Ma-
nuscriptus liber numero 212 est insignitus. Interpolationes nul-
lae: vocum compendia semper eadem, nec non facillima, Verba
graeca vel omissa vel litteris generaliter latinis reddita: praeter
milia, Delphoi, quur partis. vulgaris est orthographia. Praesertim
in primis libris codex instructus est glossis et nota interlineari
seu marginali: nonnullas habet lacunas: sed altera manus et
non multo posterior lacunas explevit. Lectiones memorabiliores,
quae solum in tribus codd. reperiuntur, haec : vimineta fuerant (V 51);
prius de indutui aut amictu (V 131); et quae vendere vellent (V
145). Voluptate haud exigua Muellerus affectus esset si vi-
disset (veluti erat suspicatus): propter eorum qui dicunt sunt de-
clinati casus (VIII 16) et lacunam post inficientem (VI 78). Com-
mendandae, ut egregiae, lectiones: patriis (IX 20); ut et culmi
(V 37); proiiciunt ante eos (V 142); quod ibi mysteria fiunt aut
tuentur ( VIII 11); memius memia (IX 55); ab solui (VI 2);
Nidsxe (VI 61) et cet. — Haec perpauca possunt esse satis
ut frustrentur Keili verba (in Mus. Rhen. a. 1848 p. 142—935):
„Auch die Modeneser Handschrift, auf die Müller großen Werth
legt, ist nichts als eine gewöhnliche Copie des XV.
Jahrhunderts“.
Patavii. I. Antonibon.
9. Pron und Haliaia in Argos.
Euripides schildert im Orestes 872 ff., wie das Volk von
Argos, um über Orestes zu Gericht zu sitzen, zur Burg hinan-
steigt an die Stätte, wo zuerst Danaos im Proceß mit Aigyptos
das Volk versammelt haben soll (099 d° oylor orelyorte xai
Iu00ovı’ axgav, ov puo nowrov Auvady Alyunım Olxuç didóvr!
adçoïous Auov slg xowág Édouc). Zu V.872 bemerken die Scho-
lien unter anderem (a) Afysımı dé ris dà» "Moyes Mowry, onov di-
xulovosy 'Aoysio!). Es wird dann eine Stelle des Deinias citirt,
1) Ob die darauf folgenden corrupten Worte von Cobet, dem
Schwartz in seiner Ausgabe folgt, oder von Wilamowitz Kydathen 93
richtig emendirt sind, ist für uns gleichgültig.
186 Miscellen.
der erzühlt, die Grüber des Melacharis (?) und der Kleometra (?)
liegen Umeourw 100 xadovutrov Mowroc* ywuu nuvzelwc, ov cvu-
Baives 1005 "Aoyslovc diıxalsır. Die Lage dieser Gerichtsstätte
Pron *) bestimmt Pausanias genau: sie liegt hinter dem Heilig-
thum der Quelle Kephisos in nächster Nähe des Theaters ?).
Pausanias verlegt den bekannten Proceß des Hypermnestra hier-
her; zugleich zeigen seine Worte, daß die Gerichtsstütte zu sei-
ner Zeit nicht mehr benutzt wurde. Das Theater ist am Ab-
hang des langgestreckten Rückens der Larisa in den Felsen ein-
geschnitten, wenig nórdlich davon (der Rücken des Larisa lüuft
von N. nach S.) befindet sich eine polygonale Stützmauer einer
Terrasse und ein Brunnenhaus aus späterer Zeit *) .— offen-
bar das Kephisosheiligthum. Danach läßt sich die Lage der
Richtstätte genau bestimmen, nnd zugleich zeigt sich deutlich,
daß Euripides dieselbe Localität im Auge hat.
Nun sagen die Scholien zu V. 871(5) r0v Mowra A€yes Ó-
aus quor 100g "Aoyeíovc éxxAnoraCerr, bezeichnen also den Pron
als Stätte der Volksversammlung. Das könnte eine einfache
Flüchtigkeit sein. Aber eine weitre Bemerkung zu V. 872 lau-
tet (c) 7 Olen (zwischen Danaos und Aegyptos) ovyyyIn noi
tjv uéyioinpr axgur, évda xai "Iveyoc alloug tov Zeuv ovvefov-
Asvoev olxiLeıw 16 nedlov 6 dì 10706 EE Exs(vov Adsala xaAgira?)
Hier wird also Euripides’ Angabe auf die Volksversammlung
bezogen; aber daß die gemeinte Localität dieselbe ist, wie die
Richtstätte Pron, ist evident®): der Name der Haliaia wird da-
von abgeleitet, daß Inachos hier an der grössten Burg (im Ge-
gensatz zu der zweiten kleineren Akropolis) d. h. am Abhang
der Larisa das Volk versammelte. Das ist aber eben auf der
Pron; zwei derartige ganz gleichgelegene Versammlungsstätten
anzunehmen wäre baare Willkühr.
Nun weist die Angabe über Inachos auf gute argivische
Tradition hin; und sie setzt die Volksversammlung am
Abhang der Burg, im Gegensatz zu der Besiedlung der Ebene,
voraus: denn sie will ja grade den Namen «Aiutu erklären. Es
2) Pausanias kennt diesen Namen nicht, wohl aber einen Berg
Pron bei Hermione II 34, 11. 36, 1. 2.
3) II 20, 7 naoû dì 10 ispov toD Kyquood Medovans lidov nenom-
uévn xegaln . . . 10 de ywoiov to onsodev xai. ic 1006 xpsmgsov ovo-
douar . . . tovtov dé icu» où nopew Féargov.
4) Nach Lollings Angaben bei Bädeker. Die Localität des Pron
hat bereits Curtius im Peloponnesus erkannt, den Bursian Geogr. v.
Griechenland II 51 mit Unrecht bekämpft. Ich bedaure bei meiner
Anwesenheit in Argos mich um diese Dinge garnicht gekümmert
zu haben.
5) Daß die Interlinearglosse 79» “Hisaiay qnoi und die Bemerkung
in B zu unserer Stelle 7 viv mlsaia leyouévn daraus enfstellt und
werthlos sind, bemerkt Wilamowitz |. c. mit Recht.
6) Das hat Wilamowitz erkannt.
Miscellen. 187
bleibt also nichts übrig, als gegen Wilamowitz Kydathen 93 f.
zu der alten Ansicht zurückzukehren, daß Volksgericht’) und
Volksversammlung an derselben Stätte, auf der Pron, zusam-
mentraten oder wenigstens ursprünglich zusammengetreten sind.
Das scholion b ist also völlig correct. Eine spätere Verlegung
der Volksversammlung in die ebenen Theile der Stadt wäre
allerdings denkbar, ist aber wenig wahrscheinlich, da ja gerade
der Bergabhang diesem Zweck vortrefflich dient, weil er unbe-
baut ist und die Vorrichtungen für die Versammlung hier viel
leichter getroffen werden kónnen als in der Ebene, vgl. die Pnyx.
Wenn nun auch Pron und Haliaia identisch sind, so folgt
daraus freilich noch nicht, daß das Volksgericht den letztren Namen |
gehabt hätte. Haliaia mag trotz der Angabe des Schol. c nur
der Name der auf dem Pron tagenden Versammlung, nicht der Loca-
lität gewesen sein. Wilamowitz hat aber im Anschluß an Cobet weiter
vermuthet, daß Haliaia nur ein Irrthum und durch den sonst bei
den Dorern überlieferten Namen der Volksversammlung a)fazu erse-
tzen sei. Das schien recht probabel. Aber eine der beiden vor
kurzem von Tsuntas entdeckten mykenäische Inschriften *) zeigt,
daß auch hier die Angabe des Scholion vollkommen correct ist.
Bekanntlich ist Mykenae zur Zeit des dritten messenischen
Kriegs, um 460 v. Chr.?), von den Argivern zerstórt worden;
aber in hellenistischer Zeit ist auf den Trümmern der alten
Stadt eine Dorfgemeinde !°) entstanden, von der uns zwei Be-
schlüsse ziemlich vollstindig erhalten sind. Der eine derselben,
der aus der Zeit des Nabis stammt, beginnt mit den Worten
Seow aya dos tugui ulımıne edof: Telus Tov. Muxarewr.
Demnach werden wir nicht zweifeln dürfen, daß auch die Ar-
givische Volksversammlung «#Aıufa hieß. Das Wort ist jedenfalls eine
Weiterbildung von «Alu. Die Frage ob der Name auch das
Volksgericht bezeichnen konnte und ob weiter die Athenische 744«(«
10v Iscuoderwr irgend etwas damit zu thun hat, bleibt davon
unberührt. Wilamowitz bestreitet es mit beachtenswerthen Grün-
den; doch bleibt die nahe Berührung der beiden Worte immer-
hin auffallend. Wäre die Vermuthung zu gewagt, daß die Athe-
ner mit der Institution das Wort aus Argos entlehnt und falsch
ionisirt haben?
7) Wie Aeschylos suppl. und Euripides lehren, war dieses in Ar-
gos mindestens ebenso ausgebildet wie in Athen und vielleicht álter.
8) Kanu. doyaol. 1888, 155 ff.
0) Diod. XI 65 die Argiver dowwrss rove Aaxsdasuovious TeIensıyw-
uérovs xai ur duvauivovs tow; Muxnvaiovis Bondtiv greifen Mykenae an.
Das vorangehende Capitel erzählt die Geschichte des messenischen
Kriegs. Daß Diodor die Zerstörung von Mykene unter dem Jahre 468/7
erzählt, beweist nichts.
10) Beide Inschriften bezeichnen Mykenae als Kome. An der Spitze
der Verwaltung steht ein Damiorgos; die Bezeichnung ÆAaswpoyrevs,
welche dieselben trugen, lehrt uns, wie Tsuntas bemerkt, eine daiphon-
tische Phyle kennen, die in der hyrnethischen ihr» Gegenstück hat.
Breslau. Eduard Meyer.
188 Miscellen.
6. Die polybianische Beschreibung der Schlacht
bei Zama.
H. Delbrück hat vor einiger Zeit im Anhange seines Buches:
„Die Perserkriege und die Burgunderkriege“ anläßlich einer
Untersuchung über die römische Manipularordnung die Darstel-
lung des Polybios über die Schlacht bei Zama einer Kritik
unterzogen, in der er zu dem Schlusse kommt, daß der Bericht
voll von Abenteuerlichkeiteu ist und auf sehr trüben Quellen
beruht. Wenn es mit diesem Urtheile seine Richtigkeit hätte,
so wären wir in der Lage, über dies geschichtliche Ereigniß
ersten Ranges so gut, wie gar keine sichere Kunde zu besitzen,
da Livius' Schilderung in der Hauptsache mit Polybios überein-
stimmt, die sonstigen Darstellungen aber allesammt werthlos sind.
Verwunderlich wäre es nun jedenfalls, daß Polybios grade
bei dieser Gelegenheit so unzuverlässigen Nachrichten gefolgt
sein sollte, da seine Angaben über den afrikanischen Feldzug
im Uebrigen durchaus den Vorzug vor allen anderweitigen Quellen
verdienen. Mir scheinen denn auch die Einwände, die Del-
brück gegen den Bericht des Polybios ins Feld führt, völlig
unzutreffend und verfehlt zu sein.
„Polybius erzählt uns“, sagt Delbrück, „Hannibal habe ins
erste Treffen seine Söldner, ins zweite die karthagischen Bürger
gestellt. Diese hätten aus Feigheit jene nicht unterstützt, darauf
kehren die Söldner um und wenden sich gegen die Karthager
selbst. Das veranlalt wieder die Karthager — auszureißen? —
o nein, sie wehren sich gegen die Söldner und bekämpfen, ein-
mal im Zuge, nicht nur diese, sondern auch die Rómer mit sol-
cher Tapferkeit , dal sie die Hastaten in Verwirrung bringen.
Endlich aber werden sie doch überwültigt und zusammengehauen.
Es ist nicht nóthig, ein Wort über solche offenbaren Fabeln zu
verlieren“. — So obenhin, wie hier, dargestellt, mag die Sache
einigermaßen unwahrscheinlich aussehen. Bei genauerer Betrach-
tung der Worte des Polybios braucht man die Vorgünge durch-
aus nicht so unbegreiflich zu finden. Die Söldner weichen nach
tapferem Kampfe vor der festeren Ordnung und der besseren
Bewaffnung der Hastaten zurück, doch suchen diese zum letzten
Stoße die Hülfe des zweiten 'Treffens. In gleicher Weise ver-
langen die Söldner, daß die Karthager zu ihrer Unterstützung
vorrücken. Da diese sie versagen, können jene nicht länger
Stand halten, ziehen sich zurück und fallen nun, weil sie sich
verrathen glauben, vielleicht auch, um sich Bahn für die Flucht
zu machen, die karthagische Bürgerwehr an. Das Mißtrauen
von Soldtruppen war bald erregt, und wenn sie befürchteten, als
Schlachtopfer verwendet zu werden, so war das in karthagischen
1) Vgl. Zielinski, Die letzten Jahre des zweiten punischen Krieges.
Miscellen. | 189
und andern Diensten wohl schon vorgekommen (vgl. Polyb. I 9).
Daß aber die Karthager sich gegen den Angriff der Söldner
wehren, finde ich durchaus nicht merkwürdig. Eine verzweifelte
Nothlage treibt meist selbst kampfesscheue Menschen zu verzwei-
feltem Muthe, und wenn die Karthager sich nicht widerstandslos
abschlachten lassen wollten, so blieb ihnen nur übrig, für ihr
Leben zu fechten. Denn das Ausreilìen hatte hier seine Schwie-
rigkeiten, da es, nach rückwärts wenigstens, durch die eherne
Mauer von Hannibals Veteranen gehemmt war. An diesen An-
gaben wird man also schwerlich gegründeten Anstoß nehmen
kónnen.
„Ferner“, fährt Delbrück fort, „ein zweites. In dem Ge-
fecht zwischen den Hastaten und den beiden ersten Treffen der
Karthager sind so viele gefallen, daß Scipio mit seinen beiden
andern Treffen gar nicht in Ordnung durch den Haufen der
Leichen, Verwundeten und Waffen hindurch kann. Er zieht
deshalb die beiden Treffen heraus auf die beiden Flügel und
verlängert mit ihnen die Schlachtlinie. Mittlerweile sind wohl-
gemerkt die beiden ersten Treffen der Karthager auf der Flucht,
und nur noch Hannibal mit dem dritten Treffen, den italischen
Truppen, auf dem Schlachtfelde“.
Von dem Letzteren steht nun eigentlich im Polybios nichts.
Dieser sagt (XV 18): Tous Yevyurıug oùx stave xaTa patat Taig
duruusor > AvviBas, adda ngoffaMG3 as rruguyysikug roig Ènuoia—
Tu éxu Aude ui nagudébucdus TOÙG Eyylkovras . der jvayxacdn-
Guy OVIO! p nowicda: ijv ad TOY w Q9 Ov v Eni tu xéguia xai
tag ix tovtwy svovyweolus. Hier tritt also das vorher erwähnte
Hemmniß thatsächlich ein: Eine direkte Flucht ist den geschla-
genen beiden Treffen abgeschnitten, sie findet an den Speeren
der Veteranen eine undurchbrechliche Schranke, und der weitere
Rückzug vollzieht sich in ruhigerer Weise (das besagt doch der
Ausdruck “unoywonoıs) nach den Flügeln hin. Dort wird man
die noch Kampffähigen doch wohl nicht ruhig haben ins Weite
laufen lassen, zumal eine Verfolgung seitens der Römer nicht
stattfand (roveg Emsdiwxorrug TW “oTaIwy Mraxalsouusvog sagt
Polybios XV 14, 3), sondern Hannibal wird dafür gesorgt haben,
dal sie wieder geordnet und an das dritte Treffen rechts und
links angeschlossen wurden. Damit ist zugleich das weitere Be-
denken Delbrücks erledigt, was denn der karthagische Feldherr
während der doch wenigstens eine Stunde in Anspruch nehmen-
den Neubildung der römischen Schlachtlinie gethan habe.
„Absurd“ nennt es Delbrück sodann, daß Polybios die Schwie-
rigkeit des Vorrückens für die principes nnd tríar mit den auf-
gethürmten Haufen von Leichen, Verwundeten und Waffen be-
gründet, da dies zuletzt auf jedes blutigere Gefecht passen würde.
Der vorangegangene Kampf war aber nicht nur ein ,,blutigerer“,
sondern er hatte ganz ungewöhnliche Opfer gefordert, ungewöhn-
190 Miscellen.
lich zumal für die antiken Kriegsverhältnisse, wo die Verluste
während des Gefechtes selbst nicht entfernt in der Regel dieje-
nigen erreichten, welche Flucht und Verfolgung verursachten.
Denn von den beiden ersten 'l'reffen Hannibals wurde nach Po-
lybios (XV 13, 8) 10 rAsioıor ufgo; niedergehauen; wenn also
auf dem verhältnifßmäßig engen Raume an Römern und Kartha-
gern zusammen vielleicht 12 — 15000 Todte und Verwundete
lagen *), so müssen doch die weiteren Bewegungen der Römer an
dieser Stelle außerordentlich behindert gewesen sein.
Endlich wendet Delbrück noch ein: „Gegen wen richtet nun
eigentlich Scipio seine ums Dreifache verlüngerte Schlachtlinie?
Nur der geringste Theil kann sich einen Feind gegenüber haben".
Ums Dreifache wird die rómische Linie grade nicht verlüngert
gewesen sein, denn die Hastaten waren durch den vorangegan-
genen Kampf gewiß erheblich mitgenommen, die Triarier aber
machten doch nicht ein Drittel des schweren Fußvolkes aus.
Auch sagt Polybios (XV 14) von den Hastaten ausdrücklich:
10vi0vQ pèr xura uíéGovg rovc noleu(ovg éxéornoe, woraus sich
ergiebt, daß jeder Theil der römischen Schlachtreihe einen Feind
sich gegenüber hatte. Das war auch sehr natürlich, da beide
Gegner noch jetzt an Truppenzahl einander ziemlich gewachsen
waren (Polyb. a. a. O. orıwr dé ı@ rAndes — Tuguninalwr
augoréowr). Also auch dieser Einwand Delbrücks ist hinfällig.
Somit ist wohl der Schlachtbericht des Polybios in keiner
Weise anstößig und unwahrscheinlich und beruht gewiß auf
nicht schlechteren Quellen, als seine sonstigen Nachrichten über
diesen Zeitraum. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß er in
jeder Beziehung vollkommen und unangreifbar sei. Es lag in
der Natur der Sache, daß Polybios für diesen Theil des hanni-
balischen Krieges sich auf Ueberlieferungen aus dem scipionischen
Kreise stützte, und dabei mag die Wahrheit immerhin in einigen
Punkten zu kurz gekommen sein. Das scheint mir besonders
für den Schlußakt zuzutreffen. Hier ist nur flüchtig mit den
Worten dacuoriws sic déoriu xasoor (XV 14, 7) angedeutet, daß
der Sieg lediglich durch die endlich zurückkehrende Reiterei,
die Scipio völlig aus der Hand gegeben, und deren stundenlauge
Verfolgung eine unbegreifliche Leichtfertigkeit war, entschieden
worden ist, und daß die Römer vermuthlich im Augenblicke
ihres Eintreffens nahe am Unterliegen waren. Auch scheinen
mir die Verlustzahlen bei Appian (Pun. 48) den Vorzug vor de-
nen des Polybios zu verdienen. Aber dessen Gesammtdarstellung
bleibt gleichwohl die einzige annehmbare und zuverlässige.
2) Vgl. über die Stärkeverhältnisse des karthagischen Heeres
Berliner Studien VI 2 8.7.
Berlin. . W. Strat.
, | Miscellen. 191
7. Zur Topographie des alten Alexandria.
C. Wachsmuth hat neuerdings im Rhein. Museum (N. F.
XLII S. 462 ff. u. XLIII S. 306 ff.) die Ansicht ausgesprochen,
daß die bislang noch nicht hinreichend gedeuteten Namen „Nea-
polis“ und „Diabathra“, womit auf Inschriften und bei
einigen Schriftstellern Theile des alten Alexandria bezeich-
net werden, auf die in der Kaiserzeit erfolgte neue Besiedelung
der Insel Pharos und aufdas Heptastadion zu beziehen seien.
Bei dieser Gelegenheit sagt er auch folgendes (S. 463): „Bei-
läufig erwähne ich, daß schon zur Zeit Senecas der ursprünglich
künstlich aufgeschüttete Damm, der die Insel mit dem Fest-
land verband, das sog. Heptastadion, durch allmähliche sandige
Anschwemmungen, wie sie im Laufe des Mittelalters und der
neueren Zeit hier das Terrain ganz umgestalteten, sich verbrei-
tert haben muß; wenn anders nämlich die Bemerkungen Senecas
in den Nat. Quaest. VI 26 irgend auf thatsächlichen Beobach-
tungen beruhen und nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sind:
(Pharos) continenti admota est: turbidus enim defluens Nilus mul-
tumque secum coeni trahens et id subinde adponens prioribus terria
Aegyptum annuo incremento semper ultra tulit."
Wachsmuth übersieht, daß der Nil gar nicht in der Lage
war, seinen Schlamm am Heptastadion abzulagern; ferner, daß
vom Heptastadion nicht die rede ist; endlich, daß es nicht heißt
coniuncta, sondern nur admota.
Die Deutung der Senecastelle scheint uns sehr einfach zu
sein. Oder sagt nicht Pomp. Mela (Chor. II 7, 104): Pharos
nunc Alexandriae ponte comiungitur, olim, ut Homcrico carmine pro-
ditum est, ab eisdem oris cursu die totius abducta, et, si ita res
fuit, videri potest . . causas Nilus praebuisse limum | subinde et
praecipue cum exundaret litori adnectens ?
Die hier erwähnte Legende, auf die sich auch Senecas Worte
beziehen, ist übrigens bekannt genug. S. Forbiger, Hdbch. d.
a. Geogr. 1844. 2 8. 778 A. —
Ebenda (S. 463 A. 2) hat Wachsmuth die Worte aus b.
civ. III 112, welche sich auf das Heptastadion beziehen: a
superioribus regionibus (regibus?) in longitudinem passuum DCCCC in
mare iactis molibus angusto itinere et ponte eum oppido coniungitur
citiert, mit dem Hinweis, daß Schambach (Jahrb. f. Phil. 82
S. 220) angusto itinere et ponte als Glossem tilgen will. Dgm
gegenüber verweise ich auf meine Ausführungen gegen Scham-
bach im Philologus Bd. XLII 4 S. 773 ff, wo die betr. Worte
gehalten werden mit Aenderung von et in ut. Daß der gleiche
Vorschlag auch von Kraffert gemacht wird, (s. dessen Beitrüge
zur Kr. u. Erkl. lat. Autoren. Aurich 1882. S. 75) dürfte zur
Bestätigung unserer Auffassung dienen.
Memmingen. Heinrich Schüler.
192 Miscellen.
8. Das Porson'sche Gesetz bei den Komikern.
In der neusten Ausgabe der fragmenta comicorum Atticorum
werden wiederholt nicht nur erschlossene, sondern auch überlie-
ferte Lesarten beanstandet, weil der Rhythmus der betreffenden
Verse gegen die bekannte von Porson (praef. Hec. XXX sqq.) nach-
gewiesene regula verstößt, daß bei den Tragikern si voce quae Creti-
cum pedem efficeret terminaretur versus eamque vocem hypermonosyl-
labon praecederet, quintus pes iambus vel tribrachys esse deberet ! ).
Was sagt doch aber Porson von den Komikern? Sed haec
omnia (nämlich spondeum in quinto loco gegen jene Bedingungen
und Aehnliches) libentissime sibi in senariis permisere: worauf er
vier Beispiele einer kräftigen ohrenfälligen Verletzung jener le-
diglich durch die getragene Declamation der Tragödie hervor-
gerufenen Observanz anführt. Aber vielleicht hat Porson, der
große Kenner der tragischen Verskunst, auf dem Gebiete der
Komödie mangelhaft beobachtet. Wir schlagen unsern Aristo-
phanes auf: was starrt uns als erster Vers des ersten Stückes :
entgegen? “Osu di dédnyuur inv Euavıov | xxodiur. || Ebenso
Ach. 17 & órov "yw | óvnmioue || ; [20 7 avd | uvrni || ;] 24
wottoviius | nwg doxeis ||; 30 oxogdırammaı | 2éodouos || ; 45 tis
ayogevew | PovAsroc || ; 48 Kedeòg | ylyveras || u. s. w. Aber hie
und da wird Kock vielleicht. über die Schreibung rechten kön-
nen. Greifen wir also hinein in seine eigne Fragmentsammlung,
und zwar in die zuletzt veröffentlichten Abtheilungen, in welchen
die oben citierten Stellen zu lesen sind. Antiph. Agr. 4 '4o-
uodios énexa cito, wuuv | ndero ji, Acestr. 20 unt que unte 10906,
ayvoc, plarute, | Hal. 16 xaètòr Sirwxnç yoyyoov ndn | magvr£gac.]
Also fort mit den halben Gründen, die keine Gründe sind! Das
Porson'sche Gesetz hat in der griechischen Komödie nichts zu suchen.
1) Z. B. in den Noten zu Antiph. I vol. II p. 13 und zu Antiph.
63 vol. Ill p. 733, wo diese Caesur cix tolerabilis heißt; anders zu
inc. fr 526 vol. Ill p. 504. Vgl. Gólting. gel. Anz. 1889, 5, S. 183.
T. Cr.
—— nn — — mn —
9. Nachträgiiches zu den Excerpta Palatina.
Bd. I (XLVII) S. 622 hat M. Treu zwei Stellen aus einer
Heidelberger Handschrift mitgetheilt, für die ihm keine Parallele
zu Gebote stand. Für die erste derselben hat eine Anmerkung
der Redaction einen Hinweis erbracht, für die zweite ist der
vierte pseudoheraklitische Brief herbeizuziehen. Hier beschwert
sich Heraklit darüber, daß gegen ihn eine Anklage auf coffee
erhoben sei, weil er sich durch eine von ihm auf einem Altar
angebrachte Inschrift für einen Gott ausgegeben habe. Er habe
dort geschrieben HPAKAEITWIEDECIWI: das bedeute aber
nicht 'JgoxAiíim "Eyssio, sondern Houxiet 16 " Egeoto (vgl. Ber-
nays die Heraklit. Briefe S. 43 fg.)
Breslau. M. Herts.
XI.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende
von der Verwandlung der Tyrsener.
I.
A. Ludwich bringt uns von seinen Streifzügen in entlegene
Gebiete der griechischen Litteratur (in den Königsberger Studien I
63 ff) neben höchst bemerkenswerthen Beobachtungen über die
sprachliche und metrische Kunst des Gregor von Nazianz und
des jüngern Apollinarios auch die überraschende Entdeckung
heim, daß der im .homerischen Hymnen -Corpus überlieferte Dio-
nysoshymnus (VI/VII Aovvoos 7 Agot«() als ein ‘orphisches, Mach-
werk’ zu betrachten sei. Ludwich plädiert für seine Meinung nicht
nur auf Grund von reichem sprachlich-metrischen Material — wie
sich das bei dem bewährten Kenner des griechischen Epos von selbst
versteht — , sondern auch mit großer. Wärme und mit ebenso über-
zeugter wie überzeugender Bestimmtheit. Kein Wunder, daß in
den kurzen Referaten der kritischen Zeitschriften kein Zweifel
laut geworden ist!) Gerade deswegen möchte ich zu einer vor-
urtheilslosen Nachprüfung des Fundamentes anregen, auf wel-
chem Ludwich seine- Vermuthungen aufgebaut hat.
Wir fassen die Beweisführung des Königsberger Kritikers,
allen Beiwerkes entledigt, in einige kurze Sätze zusammen und
lassen 2& üUnoAnwews die Gegeninstanz zu Worte kommen.
1) [Richtiger urtheilte inzwischen O. Kern in der Wochenschr.
f. kl. Philol. 1889, 11, 282; doch scheinen mir durch seine Andeutun-
gen auch die polemischen Bemerkungen der nachfolgenden Blätter
noch keineswegs überflüssig geworden zu sein.]
Philologus. N.F. Bd.II, 2. 18
194 O. Crusius,
1. „Es ist eine auffallende Stileigenthümlichkeit der orphi-
schen Argonautica, daß Alles in erstaunlicher Schnelligkeit ge-
schieht; mit rapider Plötzlichkeit treten die Ereignisse ein und in
wirbelnder Eile huschen sie vorüber; aus der Verwendung von
Ausdrücken, wie agag 63, éooupévws 241, alya Poor 244, macht
der Poet, der, sobald er seinen Gaul einmal in Trab gebracht hat,
unaufhaltsam vorwärts jagt, einen wahren Sport. Dieselbe Stil-
eigenthümlichkeit fällt bei dem Dionysos-Hymnus auf". (S. 63. 66).
— Freilich, die Räuber springen ‘alsbald’ (raya) aus ihrem Schiffe
und ergreifen ‘rasch’ (afwa) den einsamen Gott; der brave
Steuermann, wie er der ersten Wunderzeichen inne wird, räth
seinen Gesellen ‘sofort’ (uurfx« V. 16), den Gefangenen ‘sofort’
(avrix« V. 23) zu entlassen; und wie der Gott ‘alsbald’ (zuy«
34) seine Zauberkraft spielen läßt, da hängen ‘sofort’ (avzíx« 38)
Rebzweige an Raaen und Segeln?) und der Dionysos - Löwe
fährt ‘plötzlich’ (é£antrns 50) auf den Kapitän los. Aber in
den Argonautica jagen die verschiedensten Bilder, wie in Ge-
dankenflucht, an uns vorüber, ohne daß auch nur eins einen
bleibenden Eindruck zurücklassen könnte; die Schuld daran
trägt lediglich das Unvermögen des Dichters, die von seinen
(mythographischen ?) Quellen gebotenen Situationen und Charak-
tere lebendig und individuell auszugestalten. Der homerische
Hymnus dagegen schildert uns éin Ereigniß, welches ohne jene
fünke Behendigkeit überhaupt nicht vorzustellen ist. Auch die
Dioskuren im X XXI. (XXXIII.) Hymnus erscheinen *) ‘plötzlich’
(é£antyns V. 12) und beruhigen ‘sofort’ (avz(xa 114)*) die sturm-
gepeitschte See, auch die homerischen Räuber beeilen sich bei
der Ausübung ihres Handwerkes, und die dionysischen Wunder
des Goethe’schen Mephisto gehen noch heutzutage ebenso ‘plötz-
lich’ vor sich, wie der Zauberspuk seiner antiken Vorfahren.
Also sachlich sind diese Erscheinungen in den beiden von Lud-
wich verglichenen Gedichten ganz verschieden zu beurtheilen.
Auffällig bleibt auf den ersten Blick die Häufung von sinnver-
wandten, die Eile bezeichnenden Ausdrücken, z. B. in der Argo-
2) Epische Formeln, wie Jon» dvà vja uélewa» durften auf kei-
nen Fall in Anschlag gebracht werden.
3) Es heißt V. 12 of d' é£anivgc égéynour. Das müßte Ludwich
(vgl. S. 70?) an den orphischen Phanes (Argon. 16 newros yao igav91)
erinnern, wie ws igdvy im Dionysosbymnus V. 2.
4) alya bei Theokrit XXII 19.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u. s.w: 195
nautika V. 268 ff. 551 ff. 560 ff, im Hymnus V. 6 ff, und
dureh diese Wahrnehmung ist Ludwich offenbar zu seinen Ver-
muthungen angeregt. Aber als Beweis können solche zufällige
und äußerliche Aehnlichkeiten um so weniger gelten, als wir
Dergleichen ohne langes Suchen auch in andern Dichtungen be-
obachten können, bei Homer z. B. in der Schildbeschreibung
Z 525 bei der Darstellung des Ueberfalls:
525 of dì ray « ngoyérorro (die Bovc), duw d’ au Enovro voue
527 of uiv re noosdoviss Enédoapuov (die Belagerten im Hin-
terhalt), wxu d’ Enura
tupvorr augi Pour &yfÀag xal musa xaÀà . .
580 of d we ovv env Jovro (die Belagerer) z0Av» x£A«dov maga flovaiv
elocwy ngonagovO9s xadnusvos, avi x dp Innwv
Bavıss deocimodwv uerex(a90v, alıya d' Txovro?).
2. „Zahlreiche Wendungen und Phrasen des Hymnus fin-
den sich auch in der Argonautica; zwar lassen sie sich durch-
weg aus altepischer Quelle ableiten ; aber nicht in der Originalität
des Ausdruckes, sondern in dem direkten Gegenthetl davon, in der gleichen
Unfreiheit und in den gleichen Nachahmerneigungen liegt für mich das
gravierendste Moment“. (8. 69 £f). — Für Andre schwerlich.
Denn daß eine ganz ähnliche Unfreiheit auch in den übrigen
Hymnen sich bemerkbar macht, ist eine bekannte Sache; man
prüfe beispielsweise nur Büchelers Parallelen zum Demeter-Hym-
nus oder die Sammlungen von Windisch und Sterret. Indivi-
duelle Nachahmerneigungen werden sich, bei so ausgiebiger Be-
nutzung der gleichen Quelle, schwer klar stellen lassen; der
Unterzeichnete vermag sie in den von L. beigebrachten Einzel-
heiten nicht zu erkennen. Ein viel gravierenderes Moment würde
es trotz L. sein, wenn sich von den späten oder vereinzelten
Formen und Wortbildungen der Argonautica Etliches in dem
Hymnus nachweisen liebe. Das ist aber nicht der Fall: und
schon darin liegt ein von L. kaum zu nehmendes HinderniB.
9. „Der Hymnus leidet wie die Orphica, an einer mystiseh
verschwommenen Manier. Dionysos ‘erscheint’ am Gestade, an wel-
chem? warum? Beides wird nicht gesagt®). Das Objekt in V. 8
5) Diese in mehr als einer Beziehung verwandte Stelle haben
schon die Interpreten zu V. 6 verglichen.
6) Es beruht wohl auf einem Versehen, wenn Maaß Herm. XXIII
77 Ikaria und Naxos als Lokal des siebenten homerischen Hymnus
nennt; Anhaltspunkte im Hymnus giebt es nicht.
13 *
196 | | O. Crusius,
und 9 (idovreg — &ovus) muß errathen werden, und ebenso sind
die Subjekte in V. 44. 47 ff. mit à dè — of dé u.s. w. unge-
nügend gekennzeichnet. Warum endlich der verwandelte Gott
noch eine zotiige Bärin hervorzaubert, ist vollends ein Räthsel“.
(Ludwich S. 70 f., vgl. Gemoll S. 321.) — Diese Bemerkungen
beweisen theils Nichts, theils das Gegentheil von dem, was sie
beweisen sollen. Die Undeutlichkeit des Ausdrucks in V. 8 f
44 ff. geht nicht über die zulässigen Grenzen hinaus und ist
durchaus nicht anstößiger, als z. B. in der ausgeschriebenen
Homerstelle. Wer sich, wie Ludwich und Gemoll, wundert, was
die Bärin hier zu thun habe, dem müssen auch andre in allen Zeug-
nissen wiederkehrenden Züge, wie das Aufschießen des Weinstockes,
als anstößig erscheinen; Beides dient, wie der Dichter anzudeu-
ten nicht unterlassen hat, demselben Zwecke: épalvero Favunza
fora (34), cjuara qatvw» (46)°). Wenn endlich die Sage durch
keinerlei geographische oder mythologische Namen an einem be-
stimmten Orte festgehalten wird ®), so ist der Hymnendichter hierin
geradezu der Antipode des Verfassers der Argonau-
tica, welcher in vollklingenden Orts- und Personen-Namen sich
kaum Genüge thun kann, vgl. z. B. V. 25 ff. 77 ff. 127 f£:
xoi Mowo» Tiraon3er, ov Auzva vuupevdetca
Xuovinv uno qnyor “Aonyovig 2EsAoyevoe‘
Into © Aluxtdnv, Alylvns &yAaóv viov,
oc 4folónscow avaccev evi DFin dgiiuAq.
Ueberhaupt ist die schwache Seite der orphischen Darstellung
nicht sowohl eine *mystisch verschwommene Manier’, als die
trockene holzschnittartige Derbheit der Hauptlinien bei dem
gänzlichen Mangel feinerer Ausführung und Abschattierung.
Umgekehrt finden wir in unserer Hymnensammlung Mancherlei,
was sich in dieser Beziehung mit dem Dionysos- Hymnus ver-
7) Warum Ludwich S. 71 zu diesem ojuata gaivwy ein Aus-
rufungszeichen setzt, ist mir unerfindlich. Will Ludwich etwa auch
die tigres simulacr aque inania lyncum bei Ovid III 667 beanstanden ?
8) Gerade deshalb kann ich nicht glauben, daB in V. 55 die
Txaroo der Name des Zielpunktes Dia (= Naxos) oder des Angerede-
ten stike (Gemoll, Baumeister). Beiläufig: warum soll d?e nur unpas-
send sein, wie man mit seltner Einstimmigkeit behauptet hat? Wenn
Sauhirten und Pferde so bezeichnet werden konnten, wird der Aus-
druck für den wackern Tyrsener (nach verbreiteter Ansicht aus dem
Stamme der dios HsÀacyoi) nicht zu gut sein. Ludwich's Vorschlag —
(9. ödny’ axdrov) wäre übrigens der unwahrscheinlichste, auch wenn
man auf Parallelstellen aus den Orphica Gewicht legen könnte.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u. s.w. 197
gleichen läßt. Wo Hekate der Demeter begegnet, wird uns IV
(V) 52 nicht erzählt, und auf welchen Bergen der Leser sich
Pan und die Nymphen XVIII 1. 19 tanzend vorstellen will,
bleibt ihm anheimgegeben.
4. „Es ist schwerlich Zufall, daß der Dionysos- Hymnus
unmittelbar demjenigen vorangeht, dessen orphischer Charakter längst
erwiesen ist“. (S. 74). Dieser Umstand würde nur dann eine
willkommene Bestätigung der Ludwich’schen Hypothese an die
Hand geben, wenn in der That eine ausgesprochene Familien-
ühnlichkeit zwischen beiden Hymnen bestünde; sonst würe ja
des Verdüchtigens kein Ende. Gerade das Gegentheil ist
der Fall Der Ares-Hymnus enthält, wie die orphischen, aus
dem Kulte hervorgegangenen und für den Kult bestimmten Gebet-
Hymnen oder die römischen Indigitamenta, nur gehäufte Anru-
fungen des Gottes und die Bitten seines Verehrers:
"Ages Vmtgusvéza, Boscagmate, yovosonnAnt
ouforuodvpe, pioaori, noddscoce, yadxoxogvora,
XUQTEQOYEQ, duoynie, doovodevéc, Éoxoc "Oivpnov,
Ntxns evunodéuoso nureo, Guvapwyè Otuoros —
Der Dionysos-Hymnus dagegen ist ein Epyllion oder, wenn man
will, eine Ballade, mit den (üblichen epischen Eingangs- und
Schlufformeln. Ganz dieselbe Anlage zeigen die meisten übri-
gen Gedichte dieser Sammlung, kein einziges in dem
‘orphischen’ Gebetbuche?) Also: ausder orphischen
Hymnensammlung kann der 4t0vvoos nicht ein-
gedrungen sein. Ich wüßte überhaupt keine Gattung der
orphischen Sehriftstellerei, mit welcher diese naive Legende irgend
welche Gemeinschaft hätte; und ich bezweifle, daß Ludwich,
welcher die Frage von dieser Seite nicht fest ins Auge gefaßt
zu haben scheint, ein solches Gebiet wird nachweisen können ?°).
II.
Aber vielleicht kann aus den mannigfachen Ausstellungen
9) Es ist schwer verständlich, wie dieser Kenner der spütgrie-
chischen Litteratur die Beweiskraft seiner Beobachtungen hier so über-
schätzen konnte, daß er den orphischen Ursprung des 'Dionysus' nicht
minder wahrscheinlich gemacht zu haben glaubt, wie den des Ares-Hym-
nus (Ludwich S. 75).
10) Auf eine Besprechung der metrischen Ausführungen Lydwich’s,
denen ihr Urheber selbst keinerlei Ausschlag gebende Bedeutung bei-
mißt, glaube ich verzichten zu dürfen ; Erhebungen, die einer meiner
198 O. Crusius,
und Bedenken, welchen nicht nur Ludwich, sondern auch Gemoll
und Andre bei der Besprechung des Hymnus Ausdruck ge-
geben haben, wenigstens soviel geschlossen werden, daf das Ge-
dicht erheblich später, als die meisten andern — etwa in helle-
nistischer Zeit, wie Gemoll S. 317 vermuthet — entstanden sei.
Auch das wird man nicht bejahen können.
1. Die sprachlichen Einzelheiten, welche nach Gemoll S. 316
einen sehr jungen Eindruck machen, drüngen uns keinesfalls über
alt-attische Zeit hinaus. Wie wenig zuverlüssig diese Beobach-
tungen sind, zeigt z. B. die Thatsache, daß Gemoll u. A. den
Artikel in den Worten 1a duo xeyagiouére Juum als junge
Erscheinung registriert, während die ganze Formel einfach aus
Homer A 608 d 71 entlehnt ist (vgl. Ludwich S. 69%).
2. Die angebliche Armuth in Gedanken und Ausdruck (Lud-
wich 72) ist nicht empfindlicher, als in vielen andern Stücken
des Corpus. In Vers 4—10 werden sieben Sätze mit dé koordi-
niert (Gemoll, Ludwich S. 72): Im vorhergehenden Hymnus
V. 5—10 nicht weniger als fünf, im Demeterhymnus V. 38—44
— also gleichfalls in sieben Versen — just sieben
Sätze. Ferner: Unter den 59 Versen des Hymnus endigt etwa
der vierte Theil (d.h. 14) auf ein Participium (Ludwich S. 72).
Aber beispielsweise kommen ebenso in dem Eingange des Apollo-
Hymnus, wo das Erscheinen des Gottes im Olymp geschildert
wird, auf 13 Verse vier mit schließendem Participium !), in
einer Schlachtschilderung der Ilias M 34—60 auf 27 sechs, in
den stoff- und stilverwandten theokriteischen 747»«4 auf die 26
Verse der Erzählung gleichfalls sechs. In diesen drei Fällen ist
der reichliche Gebrauch der Participien ebensowenig ein Zeichen
von Ungeschick, wie im Dionysos-Hymnus: er ist hier, wie dort,
nur eine Folge des Strebens nach Pracht und Energie und
der Darstellung !?). Wenn man aber schließlich dem Dichter
Schüler angestellt hat, scheinen auf manchen Punkten ein noch ungün-
stigeres Resultat zu liefern, als Ludwich S. 73 annimmt.
11) Ebenso häufen sich die Participien bei der Schilderung des
zürnenden Apoll A 43—52.
. 12) [Nach Abschluß dieser Abhandlung ging mir durch die Güte
des Herausgebers das Americ. Journal of Philol. IX 2 zu, mit einem
interessanten Aufsatze on the stilistic effect of the Greek Participle.
S. 145 bemerkt Gildersleeve sehr fein und ganz im Einklang mit mei-
nen obig@n Ausführungen: it is the present participle that gives the pe-
culiur roll to the Dionysiac songs in the Bacchae of Eurtpides and
De homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 199
gar noch dee Wiederholung roùç d° nye xaxog uogos 8 und xaxov
uogov EEuAvorızg 51, und ähnliches (Ludwich S. 72) zum Vor-
wuf machen will, dann wird, fürchte ich, unter allen griechi-
schen Poeten kein Gerechter erfunden werden.
3. An andern Stellen lautet die Anklage auf Mangel an
Logik und Anschaulichkeit, auf Ungeschick und Inkonsequenz.
Zu V. 19 ff:
n yÀo Zeug ode y! loriv N agyvgOroEog "nolla,
nè TToosıduwv P ov Ivnroîcs flgozoicw
stxsd0g, alia Feoic, of Oldunsa dwpar Èyovos
bemerkte Gemoll S. 319: ,,Uebrigens ist es eine wunderlich serfah-
rene Art der Vermuthung: entweder ist es Zeus oder Apollon oder
Poseidon, denn er gleicht nicht den sterblichen Menschen u. 8. w.
Ebenso gut hätten alle übrigen Götter aufgezählt werden können“.
Ludwich verschmäht es nicht, diese Worte S. 71 unter den
übrigen Verdächtigungen abdrucken zu lassen, fügt aber sehr
richtig hinzu: dafür ließe sich unschwer manche Parallele anfüh-
ren, z. B. aus dem Hymnus an Aphrodite (92 ff):
xuige avaco”, Nr poxnowy rade dulua9” ixavess,
"Aoteuis n Ant nè yovotn "Ayoodtiın
n Deus Nüyeyns nè ylauxwarg * A3nvn
n mov ug Xagltwy devo’ nAVIES «rd.
Thatsüchlich ist diese Parallele, in welcher die verschiedensten
Gótterwesen in einem Athem nebeneinander genannt werden, oder
die verwandte, von Düntzer in ähnlicher Weise beanstandete Stelle
der Odyssee A 459 ff:
si mou Er Lwovrog axoveıe naidóc moto
7 nov Èv 'Ogyoutvà 5 èv Tudo quadoevu,
n mov nag Mevehaw Evi Inapın evoein
où yag mw éFvyxev éni. yFovi dios "Ogéorng —
viel wunderlicher, als die von Gemoll so scharf getadelte. Hier
ist alles in Ordnung. Wie Odysseus ¢ 150 in der jugendlich-
behenden Nausikaa ein Ebenbild der Artemis zu erkennen glaubi,
so ahnt der Steuermann in dem unbezwinglichen, majestátischen
tn the frogs of Aristophanes, und S. 148 vermuthet er sehr einleuch-
tend vom Dithyrambus, that its wine color was heightened by fre-
quent participles, unter Hinweis auf Plato Phaedr. p. 238 D und seine
Introd. Ess. to Pindar p. CIX. Der homerische Hymnus und die Theo-
kriteischen Ayvas sind die beste Bestätigung dieser Ansicht.]
200 O. Crusius,
Jünglinge einen der drei erhabensten Götter , welche noch auf
dem sogenannten Borghesischen Altare den Reigen der zwölf
Olympier anführen und im Religionsbewußtsein des Volkes zwei-
fellos auch in homerischer Zeit die erste Stelle einnahmen. Denn
Poseidon, der Meerherrscher, trittt als Bruder ebenbürtig neben
den Himmelskónig, und Apollon erscheint "neben seinem Vater
in oft gebrauchten Schwur- und Wunschformeln 8 371 (4 288
H 182 [H 97] d 841 n 311 o 132 w 376):
el yao, Zev 1e máreQ xai Adnvaln xai "AnoAkor,
wo nach Gemolls exegetisch - kritischen Grundsätzen gleichfalls
ebensogut alle übrigen Götter hätten aufgezählt werden hónnen. Diese
Formel hat móglicherweise dem Hymnendichter im Ohre geklun-
gen. Wenn mit besonderem Nachdrucke im Beginne eines neuen
Verses der Name des Poseidon nachfolgt, so kónnte man darin
sogar eine beabsichtigte Feinheit erkennen, da der Sprecher als
Steuermann in Poseidon den Patron seines Handwerkes verehrt
und seine Genossen nach ihrer Metamorphose in das engste Clien-
telverhältniß zu dem Meergotte treten. Aber man denke sich
nur Gemolls Forderung erfüllt und die übrigen Olympier —
denn von Hades dürfen wir doch wohl absehen — mit aufge-
zählt: den hinkenden Hephaest, den waffengerüsteten Barbaren
Ares, den hurtigen Götterboten Hermes: wäre das nicht die
ärgste Versündigung gegen die poetische Logik und den guten
Geschmack ?
Um kein Haar schlimmer sind die anderen Sonderbarkeiten,
von denen Ludwich zu erzählen weiß. „Der Capitän herrscht den
Steuermann verächtlich an: er möge sich doch lieber um seine Arbeit
bekümmern, öde à avr’ avdoecos weinosı: als dstimiere er die
feige Memme gar nicht für einen Mann“. (8. 71). Aber schon
Gemoll hat hervorgehoben, daß die Formel d’ urdgeoo usdzos
auch bei Homer keineswegs durchweg auf den Gegensatz zwi-
schen Männern und Weibern zielt; um das Verhältniß zwischen
Göttern und Menschen handelt es sich Y 137, um das zwischen
Fürst und Mannen A 352. So werden wohl auch hier mit den
avdosoo: die Mannen, die Leute bezeichnet, im Gegensatze zum
Kapitän (agyog 25) und Steuermann (xvfisgrírgg 14), die beide
eine Ausnahmestellung einnehmen: denn was dem Epiker recht
ist, das ist dem Hymnendichter billig. Ludwich's erklärenden
Zusatz wird nur der zwischen den Zeilen lesen, welcher den
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 201
Dichter um jeden Preis verurtheilen will: obgleich diese Sonder-
barkeit schließlich gar nicht so sonderbar wäre. Noch strenger
urtheilt Ludwich über die glänzendere Schilderung des Gottes
in den Eingangsversen. „Dionysos erscheint . . venvin avdoi
lowuxdg newIsnßn. . i pagog dé neo oreBagoig Eyev wworc.
Wie diese Epitheta zu einander passen, darüber hat dieser ‘Homeros'
sich keine Scrupel gemacht; hier könne man beobachten, ín wie
geistloser Weise die erborgten Floskeln manchmal zu-
sammengeflickt sind“. Ehe wir so schwere Anschuldigungen un-
terschreiben, wollen wir doch den Thatbestand noch einmal: sine
ira et studio nachprüfen. Daß unser Poet nicht blos. ‘erborgte
Floskeln zusammenflickt’, sondern künstlerisch klar mit der Vor-
stellung blühender Jugendschönheit und königlicher Pracht die
Anzeichen übermenschlicher Kraft und Größe sich vereinigt denkt,
zeigen unwiderleglich die Worte des Steuermann's V. 17 f.:
Aasuovos, ılva r6vde Feov decueve3 ÉAovisc
xaoteQor, oUdì péossr duvazat wey vnùc eveoyrc 1°).
Also: einen “jungen Mann (ich erlaube mir. ardeì zu betonen
wie Ludwich venvén betont hat) in der ersten Blüthe mit mäch-
tigen Schultern' sollen wir uns vorstellen. Warum nieht? Warum
macht sich Ludwich Scrupel, die dieser ‘Homeros’ nicht hatte?
Können etwa ‘Jiinglinge in der ersten Blüthe' keine breiten,
kraftvollen Schultern haben ? Dem köstlichen Dionysos des Ly-
sikratesdenkmals *), dem Bakchos- Antinous der Villa Albani
und zahllosen Epheben -Statuen haben die. Bildner jene Epi-
theta der Jugendblüthe und der Kraft unbesorgt in ihrer Spra-
che neben einander verliehen — wer kennt nicht. den Reiz,
den diese Vereinigung ausübt —: dem Dichter soll es ver-
wehrt sein ? Das wäre eine ganz neue. Forderung modern-
ster Aesthetik, der sich die Alten schwerlich fügen werden.
Am allerwenigsten die Hymnendichter, bei denen wir z. B.I
449 (II 270) lesen — es ist von Apollon in Delphi die Rede —:
Evder d° avi! ini vga, vonw wc, doro néreodu
avkgı sldauevog aiCnm 16 x Qa seo OD te,
13) Dies wird erläutert durch die verwandte samische Legende
Athen. XV 672 C, wo das geraubte Tempelbild so schwer wird, daf
die Tyrsener nicht im Stande sind, sipsoig nacy yoousvos ansigew.
14) Schon Overbeck (Plastik II 94) und Thrümer (in Roscher's my-
thol. Lexikon 1131) haben auf die duos enßagoi dieses Dionysos hin-
gewiesen.
202 O. Crusius,
rowdy Bn, yaltng elivutvos eU oéng wuouc.
Eine vollkommenere Parallele zu der Stelle des Dionysoshymnus
kónnen wir uns nicht wünschen; und damit würe auch dies Be-
denken besorgt und aufgehoben.
4. Mehr Beachtung verdient, was Gemoll S. 316 anführt:
„der von den übrigen Hymnentiteln abweichende Titel 4idvucos n
Anoral, wozu sich Analogien genug im Theokrit finden“. Gemoll
denkt hier an Theokrit’s Aıooxovgoı und Ajvas n Buxyaı. Aber
in ganz derselben Weise werden die hymnenartigen Dichtungen
des Stesichoros bezeichnet, oder die Dithyramben der klassischen
Zeit (III p. 398. 566 Bgk.): und gerade, wenn mehrere Hymnen
an dieselbe Gottheit in das Corpus aufgenommen waren !*)
lag es sehr nahe, durch eine solche nähere Bezeichnung des In-
halts den einen vom andern zu scheiden. Ich möchte also hier-
aus nicht einmal folgern, daß der Hymnus erst in alezandrini-
scher Zeit in die Sammlung gekommen sei (Gemoll 317). Freilich
scheint mir die Aehnlichkeit mit den Theokriteischen Anvuı weit
über den*Titel hinauszugehen. Nach meinem Empfinden wenig-
stens steht die sprunghafte und schwungvolle Darstellung der ver-
wandten Pentheus-Sage bei Theokrit in der That dem Stile unsres
Hymnus ziemlich nahe; auf eine Einzelheit, die freilich für sich
allein wenig besagt, ist schon oben S. 198 hingewiesen. Aber
es wäre vorschnell, hierin eine neue Stütze für Gemoll’s Datie-
rung erblicken zu wollen. Theokrit schreibt ja selbst archai-
sierend im alten Hymnen- und Nomen-Stil und hat z. B. in dem
Eingangsbilde der Æooxovgos höchst wahrscheinlich den homeri-
schen Dioskuren- Hymnus nachgeahmt !9); auf ähnliche Weise
werden sich hier die übereinstimmenden Züge erklüren.
9. Zum Sehlusse noch ein Wort über die Erscheinung des
Gottes, welche in anderem Zusammenhange schon oben S. 201
berücksichtigt wurde. Es zeugt doch von geringem Eingehen
auf die Absichten des Dichters, wenn Baumeister S. 338 von
der forma tenella und species delicatior spricht und den Hymnus
deswegen nach Praxiteles setzt, oder wenn Gemoll S. 318 uns
ausdrücklich versichert, daß Dionysos hier nicht nothwendig
15) Vgl. Hymnus XXXIII, der in die erste Abtheilung gehórt.
16) Ein Versehen ist es, wenn Gemoll S. 360 diesen Hymnus
‘jünger als Theocr. XXII' nennt im Widerspruch mit den Worten,
die folgen.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 203
als puer (!) delicatus gedacht sein muß — er kann ja gar
nicht so gedacht sein, dieser venving &v no mit den omfagoic
auos; (vgl. oben S. 20114) !)! Dem Dichter hat hier etwa das-
selbe, Jugendschóne und Kraft vereinigende Ideal vorgeschwebt,
wie so manchem attischen Künstler der besten Zeit und bei
der Gestaltung des Dionysostypus vielleicht dem Kalamis, als
er seine von Imhoof-Blumer und E. Curtius wiedergewonnene
Tempel-Statue schuf !5). Weichlicher ist schon die Erscheinung
des 9yivpuogqog Eévog in den Bakchen des Euripides, ohne daß
deshalb der Gott seine Würde und Großheit verlóre. Dieser
Auffassungsphase hat Praxiteles, welchem der Schöpfer des Ly-
sikratesdenkmals zeitlich und stilistisch nahe steht, lediglich den
typischen Ausdruck gegeben (Thrämer bei Roscher Sp. 1127).
Ein wirklich weibisches und knabenhaftes Ideal — ursprünglich
ausgehend von der mit Vorliebe behandelten Jugendgeschichte des
Gottes — scheint erst in hellenistischer Zeit das Feld gewonnen
zu haben (Thrämer 1135 ff.); ihm folgt bei diesem Mythus
Aglaosthenes (Hyg. Poet. Astr. I 7) und Ovid Metam. III 607:
virginea pueram ducit per litora forma. Vgl. unten S. 219 ff.
Diese Bemerkungen sollen nur dem Mißbrauche steuern, den
man mit jenem Argumente getrieben hat, keineswegs aber einen
Beweis für die Ansetzung des Hymnus in frühattischer Zeit lie-
fern. Die Geschichte der Götter-Typen ist zu lückenhaft, das
Zeugniß des Hymnus nicht ausgeprägt genug, um solche Schlüsse
zu gestatten. Auch spätere Künstler haben den würdevollern
ültern Typus wieder aufgenommen ; und vor allem ist die Poesie,
wie Voigt mit Recht gegen Baumeister eingewendet hat (in Ro-
scher’s Lexikon Sp. 1084 unter Verweisung auf die vorbildliche
Stelle x 278), vielfach ihren eignen Weg gegangen, der Ent-
wicklung der bildenden Kunst bald vorarbeitend, bald nachfolgend.
Auch die Form 74ó»vcog könnte bestenfalls einen terminus
post quem abgeben !?). Dagegen würde ein durchschlagendes ob-
17) Bergk hat zwar (gr. L.-G. I 753) geltend gemacht, man
könne auf diese Verse nichts geben, da eine Verwandlung geschildert
werde, und Gemoll hat ihm beigepflichtet. Es scheint mir aber doch
wahrscheinlich, daß dem Dichter ein ganz bestimmtes durch religiöse
Poesie entwickeltes Ideal des Gottes vor Augen stand. Vgl. hymn. I 449.
18) Vgl. Archaeol. Zig. 1883 S. 225, Thrämer in Roscher’s Lexi-
kon d. Mythol. Sp. 1126. Bedenken äußerte P. Wolters, archäol. Zei-
tung 1885, 263, vgl. Imhoof und Gardner, numism. comment. on Paus.
p. 114 des Sep.-Abdrucks.
19) Mehr wollte wohl auch Wilamowitz, für den die Entstehung
204 O. Crusius,
jektives Beweismittel gegen die Gemoll- Ludwich'schen Vermu-
thungen und für die alten Ansichten gewonnen sein, wenn Bergk
PLGr. I 465 bei Philodem wegi eucefelus p. 48 sqq. richtig er-
gänzt hätte: «C.fióvvcor dé 'Ouqgog iv roig üuvoss vad > Aporwv
Gi <a> yedge xui. M<twda>oos ?") dé de€oxerus megi ung
An<orel>as u.s.w. Glaublich ist jene Ergänzung besonders
deswegen, weil wir einen Zeugen für die Tyrsener-Legende aus
vorpindarischer Zeit nöthig haben und weil bei dem nächsten
Beispiele auch 'Ougoog 2v roig durosg citiert wird; daß dem Phi-
lodem, d. h. dem Apollodor, nicht nur die bekannten großen :
Hymnen vorlagen, sondern auch die kleineren, zeigt das neuer-
dings von Schmid mit Evidenz nachgewiesene Citat aus dem
Helios-Hymnus?!), Aber, so ansprechend Bergk’s Vermuthung
sein mag — eine Ergänzung ist kein Zeugniß.
III.
Wir müssen also zugestehen, daf wir bisher keine urkund-
lichen Beweise für das Alter des Hymnus beigebracht haben Aber
ist es nieht Beweis genug, wenn die eifrigsten Versuche, Sprache
und Kunststil des Gedichtes als nachklassisch zu erweisen, in
dem Grade fehlgeschlagen sind, wie wir erhürtet zu haben mei-
nen? Unter diesen Umstünden gewinnt das einzige positive
Kennzeichen der Entstehungszeit ausschlaggebende Bedeutung:
der émí(Aoyocg V. 58 f.:
des Hymnus in voralexandrinischer ZeitVoraussetzung war, mit seiner
Berufung auf die jüngere 'attische' Form 4sövvoos nicht behaupten.
Verkehrt ist es, wenn Ludwich S. 75!” vorgiebt, der Glaube an die
‘attische Provenienz’ babe keine andre Grundlage, als jene Form (vgl.
unten S. 205 ff.), noch verkehrter, wenn er die ‘unattische’ Form 4s4-
yvoos als Gegeninstanz anführt, welche uus darüber die Augen öffnen
soll, welcher Werth auf jene Behauptung zu legen ist. Wenn in der
alten Einleitungsformel dug? Æswvvooy die alte Form beibehalten ist,
so ist das von Wilamowitzens Standpunkt aus betrachtet völlig ohne
Belang. Ob freilich die von Wilamowitz beigebrachten Thatsachen
genügen, um die Form 4sövvoos als attische Neubildung endgültig zu
erweisen, lasse ich dahingestellt.
20) An dieser schon von Gomperz vorgeschlagenen Ergänzung
wird sich nicht zweifeln lassen.
21) Vgl. G. Schmid Philodemea (im Jahresberichte der St. Ka-
tharinenschule, Petersburg 1885), S. 37. Ich benutzte die Gelegenheit,
um die Fachgenossen auf diese scharfsinnige Arbeit aufmerksam zu
machen, in welcher u. A. hübsche mythograpbische Funde (S. 3, 7
(die Damaskos-Legende], 16, 21 [Mestra bei Hesiod], 41 [Aristoteles
über den delischen Glaukos]) mitgetheilt sind.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 205
yaioe, téxog ZeufAng sw mOog" oùd£ mm tors
otio ye AnFopuerov yAuxconv xooujanı aoıdnv.
Ganz ähnlich lautet der Schluß des andern, im Mosquensis erhal-
tenen Dionysos-Hymnus XXXIV / III V. 17 ff., ohne daß man
deshalb unmittelbare Abhängigkeit des einen vom andern an-
nehmen müßte. Der Hinweis auf die sich anschließende cody
zeigt, daß unser Hymnus aus denselben Verhältnissen hervorge-
gangen ist, wie die übrigen ‘homerischen’ : aus lebendiger rhapso-
discher Kunstübung. Für hellenistische Kunstpoeten hat das
keinen Sinn; und wenn sie auch den alten Hymnenstil noch so
peinlich nachgeahmt haben — diese Formeln haben sie nicht
wieder angewandt ??). -
Die nadavot — Welcker, Bernhardy, Bergk — waren also
auf dem besten Wege: die neueste Kritik ist lediglich über ihre
eignen Füße gestolpert. Der Hymnus gehört in die klassische
Periode und ist seinem künstlerischen Werthe nach nicht er-
heblich niedriger zu setzen, als etwa der Hymnus an Pan oder
an Demeter.
Mit diesen Diehtungen möchte ich ihn, nach dem Vorgange
von Welcker und U. v. Wilamowitz (aus Kydathen 225), auch
aus andern Gründen zusammenstellen.
1. Der Demeter- Hymnus gehört sicher in’s alte Attika,
der Panhymnus wahrscheinlich. Nun spielen die Tyrsener von
Lemnos in attischen Traditionen des fünften und sechsten Jahr-
hunderts als Sklavenjäger und Tempelräuber eine ganz ähnliche
Role, wie in dem Hymnus. Bemerkenswerth ist hierbei der
Nebenumstand, daß sie nach Hekataios bei Herodot VI 138 die
attischen Weiber gerade in Brauron rauben ??) und daß eben
daher auch das Bild der Artemis stammt, welches sie auf ihren
Zügen mit sich führen (vgl. Plut. mulier. virt. 8 p. 247): denn
in Brauron beging man — woran schon Welcker (Epischer Cy-
klus I 391 f.) erinnert hat — auch penteterische Dionyso s-
feste. Dazu kommt, daß ein attischer Dichter, Euripides,
der erste ist, welcher den Mythus beiläufig, wie etwas längst
Bekanntes, erwähnt im Prolog des Kyklops 11 ff:
22) Vgl. Kallimachos. Auch Theokr. XXII 215 ff. ist bei aller
Aehnlichkeit verschieden.
23) Wohl bei ähnlicher Gelegenheit, wie Thrasymedes die Tochter
des Peisistratos raubt ini 77 Saldoon Ivoiav telodcav (Polyaen. V 14
p. 251 W.-M.).
206 | O. Crusius,
SEIA. ixi yag “Hoa co ytvos Tuoonvixòv
Arorüv Enwgoev, ws Ödndelns puxgur,
ira nv9oputvog Evv réxvovsy vavorolw
Céder xuta Cnmow —,
und daf ein attisches Denkmal, der prüchtige Rundbau des
Lysikrates, die erste und einzige plastische Darstellung des Mythus
im großen Stile uns erhalten hat. Das Allein genügt schon,
um zu zeigen, daß die Sage besonders in Attika wur-
zelt und daß hier auch dichterische Bearbeitungen derselben be-
kannt gewesen sein müssen.
2. Diese Combinationen gewinnen festen Rückhalt durch
ein unabhängiges Stück attischer Ueberlieferung , was meines
Wissens hier bisher noch nicht verwerthet ist. Methodios im
Etymologicum Magnum s. v. 4477116 berichtet: revèç uj» Hoı-
younv m Ixaglov Fvyartoa (1). . of di Alylodov xi
Kiviuurnorgas qactvr (2) of dà ınv Tov Mahewrov rov
Tvoonvov tuyaréga (3) of dì rjv Miduur, br wera 10v
qórov rar naídw» ngóc Alyéa xa1í£quyey GAntevouce (4) xrÀ.;
ähnlich aus gemeinsamer Quelle Hesychios s. v. «iwQa door)
"A3 rvnow. nv of uiv ini «rj? MaAEov°t) Tvoonvob (rvg«v-
you cod.) Fuya tel qacw (3), of dà ini «ij? KaAvrawuvnoteag
xul Alylodou (2), of de ini Howovg adgrids 1% Txuglou (1) 35).
Denselben Tyrsenerfiirsten erwähnt Strabo V 225 E: iorvonrus
dì yevéoda roùro (Regisuilla) Baotlesov Ma Asc tov (Wilamo-
witz Maiswrov) TleAaoyov, dv pacs duvactevourta d» roig 10-
zo; peta tuv ovvolxwv Melacywv anedeir dy9évde clo ^49 4-
yaç?), Die beiden Lexikon - Artikel gehen vermuthlich, wie
24) Lobeck's Correctur à»; nu Madéov (Aglaoph. p. 585) ist un-
nóthig, da éné allein schon diesen Sinn hat; die richtige Schreibung
zuerst bei O. Müller Etrusker I! 34 Anm.
25) Vgl. Hes. s. v. dÀgyne' Eogrn 49xvgow, 5 viv ioa Àsyouérn.
x«i muéoas óvoua, os Miatwy 6 xwusxds (fr. 212 p. 659 K.). Athen.
XIV p. 618 E: Zr dé xai ini taîc topass nic (507) En’ 'Hosyóvp, qv xoi
Alijuv Aéyovam (qv. ’Agsororeins yovv (fr. 197 FAG, II p. 164 M,
Ar. Ps. p. 479 R. = fr. 515 p. 324) &v 15 Kologwviwv noditeia quoir ,,dnié-
Save di x«i avros 6 Gsodwpos Vorepor Biaiw Favart: éyatas dì yerécIas
TQvguy» tes, we Ex 175 nosjaews didov iguv En yag xai viv ai yvraixec
Gdovay astod uély negi tas Pdgac*. Was Pollux IV 55 (Zv dé n xai
dlins Goua raic aldpass noosedöusvor, Osodupou molyua Toü Kologo-
véov) falsch zusammenzieht: der Kolophonier hat mit dem attischen
Namen und Liede nichts zu thun.
26) Vgl. Paus. I 28, 8: Bruck, quae veteres de Pelasgis tradiderint 56.
Der homerische Dionysoshymnus und.die Legende u.s. w. 207
die meisten verwandten heortologischen Notizen, auf Atthido-
graphen-Ueberlieferung zurück (vgl. Philochoros weg? &oprwv FHG.
I411) Sie enthalten verschiedene attische Legenden, welche die
Erklürung der Aiora, eines dionysischen Festbrauches, zum
Zwecke haben; eine davon, bei Hesychius an bevorzugter Stelle
genannt, bringt diese Bräuche mit der Tochter eines Tyrseners
Multas (Maiews ?) Madsatns in Zusammenhang. Die Tochter
— über die ich freilich ebensowenig Urkundliches beizubringen
weiß, wie v. Wilamowitz Jsyll. 101 — wird eine ähnliche Rolle
gespielt haben, wie Erigone; ihr Vater aber wohl eine andre,
als Ikarios 2”. Der Name, dessen urkundlichste Form MuAsw-
ng lautet ?®), ist nämlich, wie schon O. Müller (Etrusker I! 88)
gesehen hat, ‘ein ganz regelmäßiges Ethnikon’ von Muadéu (in
Lakonien und Lesbos [Kreta]) und bezieht sich nach Müller’s
Darlegungen a. O. höchst wahrscheinlich auf das übel berüch-
tigte Vorgebirge Malea in Lakonien*?) Hierfür bietet
die überraschendste Bestätigung der oben angezogene Prolog
des Silen im Kyklops. Der Alte ist mit seiner Satyrschaar
ausgezogen: Ä
céder xara Cimino: dv novurn d’ axe@
15 avróg Außwv nvduror duypnoss dog.
27) Vielleicht wird E. Maaß, der den Stamm dieser Ueberliefe-
rungen iu seinen Eratosthenica scharfsinnig bebandelt hat, noch wei-
tere Aufschlüsse bringen kónnen. Bemerkenswerth scheint es mir,
daß Erigone bald in den Kreis des Dionysos (so bei Eratosthenes),
bald in den der Artemis (so bei dem Tragiker Hygin. fab. 122) hin-
eingezogen wird (vgl. Maaß p. 132 sqq.) Das entspricht ganz den
Kultverháltnissen in Brauron; nach Brauron weist auch die Tyrsener-
sage: sollte das alles Zufall sein?
28) Auch Mydas Schol. Z 219 gehört hierher: vgl. O. Müller
Etrusker 1 209. Nachträglich finde ich eine zu der obigen Annahme
passende Notiz bei Pollux IV 104: qv dé nva xai daxwrıza opynuara
did Maléiag. Leslyvoi d” joav, xai bn’ abtoig Zdtvgo. incre cua
oogovusvos. O. Müller (Dor. II 335) konnte den Zusammenhang noch
nicht übersehen, da er die erst von Bekker beseitigte falsche Lesart
desualéa zu Grunde legte; doch scheint diese in einer maßgebenden
Handschrift überlieferte Form auf dia Madée (Gen. von Madéas =
Mylas, *Malsws?) zu führen. Silen als Malsayovog und Brunnenspen-
der bei Malea kennt Paus. III 25 (Pind. fr. 57 Bckh., 156 Bgk.).
29) In der Sage bei Herodot IV 95 fliehen die Minyer vor den
eindringenden Tyrsener-Pelasgern von Lemnos nach Lakonien. Den
Tyrsenerfürsten hat übrigens schon Lutatius zu Theb. IV 224 auf das
peloponnesische Vorgebirge bezogen: Maleus Tusculorum rex Apolli-
nem Maleoticum de suo nomine (die Stelle sei Wilamowitz [Isyll. 99]
empfohlen), de suo vocabulo et montem ipsum Maleam nominavit. Vgl.
Lobeck, Aglaoph. 585m,
208 0. Crusius, | Hc
18 ndn dà MaA£ag nàgofov nenkeuxo vac
annisding &veuoc Eunvevoag dagi
èEtBadev nuas ınvd’ 25 Alzvalav nétoay.
Es ist schwerlich Zufall, daß in diesem Zusammenhange gerade
Malea genannt wird, beinahe wie der Zielpunkt; und daf in
dionysischen Legenden aus Attika der ‘Maleot’ als Tyrsener-
fürst auftritt. Hier also scheinen sich beide Legenden — vom
geraubten Dionysos und von der Tochter seines Räubers — zu
berühren. Eine engere Verbindung vermuthungsweise herzustel-
len, ist nicht schwer. Wenn z. B. Maleas vom Gotte entrückt
oder verwandelt wurde, konnte seine Tochter *Aletis' ein ganz &hn-
liches Ende nehmen, wie die Erigone des Eratosthenes °°). Doch
reicht die Ueberlieferung nicht aus solehen Vermuthungen feste
Grundlage zu schaffen. | | |
9. Freilich, die Verbindungsfüden, die wir von unserer
Sage aus nach der Aletis-Legende hinüber gezogen haben, sind
bisher nicht die stärksten: der dionysische Charakter, das Auf-
treten der Tyrsener, die Namen Maleotes und Malea. Um so
wichtiger ist es, daß beide Stücke ihrer Gesammttendenz nach
aufs beste zu einander passen.
S. Wide (de Sacris Troezeniorum Hermionensium Epidauriorum
p. 44) hat sehr.mit Recht darauf hingewiesen, wie singulär die
Festbräuche des Dionysos Mslavuiyis zu Hermione sind, welchem
seine Verehrer neben musischen Agonen culddng xoÀvufov
xai nÀol(uv — also eine Art ‘Fischerstechen’ — 1:9£acw cia
(Paus. II 35, 1) *). Nun giebt es, aufer in Hermione, nur noch
in Athen einen Dionysos Medareiyis (Schol Arist. Ach. 146
[= Suid. s. &murovera], Con. narr. 39, Nonn. XXVII 302, Suid.
8. v. Meduvasylc). Da hier ferner der ‘homerische’ Mythus, in
welchem die Schiffsleute, ganz wie beim Fischerstechen, vom
Bord aus in’s Meer springen, nachweislich sehr früh bekannt
gewesen ist, so hat Wide’s Vermuthung von vornherein viel für
30) Bei Apoll. III 5, 3 lesen wir: Povlousvos dé ano tig "Ixapias
eis Nátov diaxousa9 vas Togonvwv Anorgızyv iusoduoaro 101509. Wahr-
scheinlich war hier der attische Ort gemeint, der nach Maaß (Anal. Era.
tosth.105) am Hymettos lag, in unmittelbarer Nachbarschaft von Brau.
ron. Dann wären beide Legenden örtlich verbunden. Vgl. unten S. 220,
*) [Ueber die fleißige Arbeit von Wide, der ich Nachfolge in Deutsch-
land wünsche, vgl. mein Referat im dit. Centralbl. 1889, 1, Sp. 27.]
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 209
sich, daß dieser Mythus die Legende des attischen Melanaigis-
Kultes sei und daß man die entsprechenden Bräuche auch für
Altathen voraussetzen müsse?!) Zu weiterer Bestätigung mache
ich auf Spuren ähnlicher Bräuche und Anschauungen in Attika
aufmerksam. Der Karren der dionysischen Umzüge hatte, wie
der Isis- Wagen der siovapéora und der carrus navalis des Mittel-
alters 5), in den frühsten Zeiten Schiffsgestalt **), und in einem merk-
würdigen Fragmente des Hermippos (63, CAF. I p. 243 K.)
zühlt ein Hymnensünger in parodisehen Hexametern die über-
seeischen Gaben auf, welche der Gott — der Vertreter des atti-
schen Demos — aus aller Herren Länder importiert:
Écnere vuv wos Movous 'O)vumo dopo Eyovom,
2 ov vauxAnosi Aıovvoog Em olvonu nóvrov,
000° aya? avdouros deve’ nyuye vnl wedatyn.
Viel weniger wahrscheinlich ist es, daß in Hermione eine
ähnliche Legende existiert habe, wie in Attika. Zwar meint
Wide ‘certamina urinatorum naviumque . . ideo instituta esse, ut
fabula, quae de Baccho et praedonibus in delphinos mutatis erat,
ezponeretur — aber er dreht das Verhältniß der Legende zum
Brauche wohl um. Wenn die benachbarten Argeier ihren 40-
yucos Bovyevng alljährlich dvuxudovytas uno cairiyywr 85 $darog
(aus dem See von Lerna, vgl. Paus. II 37, 3; scholl. Pind. Ol.
VII 60) ZußaAAovıeg elg inv afvocor (die im Scholl. Pind.
a. O. genannte Quelle) cova 19 Mviuoyw (vgl Voigt bei Ro-
scher Sp. 1057), so deutet dieser verwandte und doch selbstän-
dige Brauch auf tiefere mythische Grundlage, analog der schon
31) Wenn der Steuermann zurückbleibt, so wird auch das ein
Reflex des Festbrauches sein.
32) Vgl.u.a. Grimm Mythol.* S. 214 ff.und die Jahrbb. des Vereins
v. Alterthumsfreunden im Rheinlande IX 115. LXXVI (1883) 50.
33) Die klassischen Zeugen dafür sind altattische Vasenbilder, (s.
Gerhard ausgew. Vas. I 177) abgebildet bei Panofka Vast di premio
IV 2 (Baumeister, Denkm. d. A. III 2321) und im Museo italiano di
antichità classica II 1, 4: vgl. Dümmler im Rhein. Mus. XLIII 353,
Derselbe Festbrauch wird, was Dümmler entgangen ist, in späterer Zeit
aus Smyrna überliefert bei Philostr. vitae sophist. | 25 néunetas ydo
ng unvi Avdcotnguivs uevaoGéa Toınons Es Gyogav, Hy 0 Tod Jıovucov
lepevs olov xußepvnins sudives neiouare tx Faldrıns Avovaa» (vgl. die vaös
Seweic des Dionysos Imagg. I 18) und (mit historischer Legende) bei
Aristid. Or. XV Smyrn. I p. 373 Ddf. Parallelen bei Mannhardt WFK.
I 559. 598, der auch die richtige Deutung giebt. Auch die Grün-
dung des Heiligthums év 4iuvass gehört wohl hierher. Ueber ähn-
liche Ceremonien an den Panathenaeen Mommsen Heortoi. 187. 197.
Das Hermippos- Fragment fand Kaibel (bei Maa8 a. O.); vgl. Zie-
linski Qu. com. 197.
Philologus. N. F. Bd. II, 2. 14
210 O. Crusius,
von Voigt a. O. richtig herangezogenen Lykurgos-Sage *). Aehn-
liche Kulthandlungen und Gepflogenheiten kennen wir zudem
aus ganz andern Religionskreisen, z. B. aus dem thrakischen
Kotytto-Kult oder bei dem Fischerstechen des spätern Maifestes
(Suid. s. v. Meiovpàc) 9). In all diesen Fällen hatte die Wasser-
tauche, wie Mannhardt (WFK. 1 215 ff. 855 ff. II 258 ff, MF.
50 ff) wahrscheinlich gemacht hat, ursprünglich die Bedeutung
des Regenzaubers; den längst vorhandenen, aber nicht mehr
verstandenen Brauch hat die Legende wohl oder übel zu erklá-
ren versucht, konnte dann aber auf die Weiterentwicklung des
Brauches maßgebenden Einfluß ausüben. Aber wie dem auch
sein möge: als höchst wahrscheinlich darf es bezeichnet werden,
da der Dionysos- Hymnus eine attische Legende enthält,
welche einen dionysischen Festbrauch erklüren soll, ganz
wie die in verwandten Kreisen spielende Maleotes-Aletis-Sage.
4. Aber wir können noch einen Schritt weiter thun. Wo
ging jene eigenartige Festfeier des Dionysos Maluvasyis vor sich?
Wenn wir die Legende beim Worte nehmen dürfen, in einer
Dionysoskultstätte, welche, wie Hermione, in unmittelbarster Nähe
des Meeres gelegen war. Da wird sich kaum ein geeigneterer
Punkt in Attika ausfindig machen lassen, als Brauron (Bur-
sian, Geogr. I 350). Daß die Dionysien hier mit besonderer Aus-
gelassenheit gefeiert wurden (Bursian a. O.), lassen schon die
34) In der kanonischen Form der Lykurgos-Sage (Z 132) flieht
Dionysos in's Meer, wo ihn Thetis aufnimmt (Maaß, Hermes XXIII 71).
Eine andre Parallele Paus. XI 9, s. Lobeck Ag/. 1087. Ferner: Etym.
M. (Steph.) 8. v. dauaoxôç: om ‘Aoxos slg TU» yıydvrav‘ os meta Av-
xovoyov tov dsovvoov Ednos xai sig norauov ivéfalsv:
égorev In dé uno ‘Eouov xai aoxog ida oy xai éxsi ixagy. Das ist, soweit
Damaskus in Frage kommt, eine etymologische Legende, auf die man
mit Recht wenig Gewicht gelegt hat (s. Mayer, d. Gigunten u. Tita-
nen 244). Im übrigen aber konnte ältere Mythenüberlieferung zu
Grunde liegen: und das wird wahrscheinlich durch Philodem mei av-
oeßeias LXXXVIII p.39 Gomp., wo Schmid a. O. p. 6 scharfsinnig her-
gestellt hat: xasansp tcov yıyarın>y uva n<ootaw avtov ì<uf>a-
<Asiv dg morau>ov. Jedesfalls sind die Beziehungen des Dionysos zu
Flüssen, Quellen und Seen älter, als die zum Meere, welchen erst
bandeltreibende Völker an den Küsten des aegeischen Meeres (vgl.
Maaß über den JIONYZOZ IIEAATIOZ a. O.) Raum geschafft haben,
darunter wohl die thebisch-samothrakischen Trüger der Kadmos- und
Ino-Leukothea-Sage.
35) Auch an den 'leukadischen Sprung? (Tümpel, Bem. z. Religions-
gesch. S.5 ff.), an Arion und den Anlsog xolvuBnrns (unten S. 215) könnte
man erinnern, sowie an die Legende bei Pausanias IX 20, 4, daß Wei-
bern von Tanagra, die vor den Dionysos-Orgien zum Meere gegangen
seien, »nyoutvass Enıysıonoa, toy Toérova (unten S. 215 f.).
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u. s.w. 211
schlechten Witze des Aristophanes über die dortige mewxtonevre-
mofs (Pac. v. 874 ff. mit Scholien) voraussetzen: ein Ausdruck,
durch welchen doch wohl absichtlich an V. 868 7 oig Aé-
dovrai xai 10 1ÿç mvyücg xaÀà erinnert wird 36). Wie leicht
jene alte Bräuche der Wasserweihe zu derartigen Ausschreitun-
gen Anlaß geben konnten, hat schon Lobeck Aglaoph. 1021 sqq.
auseinandergesetzt, indem er damit auch die «win xoAvußov von
Hermione p. 1023?? gut in Zusammenhang bringt?") Brauron
aber haben wir schon als die Stelle in Attika kennen ge-
lernt, wo die Tyrsenerlegenden die tiefsten Wurzeln geschla-
gen hatten. So vereinigen sich hier die verschiedensten An-
haltspunkte, um der alten Welkerschen Vermuthung, in leichter
Modificierung, neuen Halt zu geben. Wie der Demeter-Hym-
nus die Einrichtungen des eleusinischen Kultes und Festher-
kommens, bis in Einzelheiten hinunter, erklären soll, so enthält
unser Hymnus eine aetiologische Legende zur Begründung der
auffallendsten Bräuche im Dionysosdienst von Brauron.
5. Nachträglich führe ich zur Bestätigung dieser Hypo-
thesen die beiden ältesten direkten Angaben über den Schauplatz
des Raubes an, wie ich auf sie erst nachträglich aufmerksam
geworden bin. Bei Apollodor- Aglasothenes (Hygin) läßt sich
Dionysos nach dem Theseus-Eilande Naxos übersetzen, und zwar
nach einer sehr wahrscheinlichen Vermuthung (s. unten S. 220)
von dem Brauron benachbarten Hymettosgau Ikaria aus. Auch
bei Ovid, d. h. nach einem gelehrten hellenistischen Gewährs-
manne, will Dionysos nach jener sagenberühmten, an den glanz-
vollsten attischen Ueberlieferungen betheiligten Insel ziehen: aber
der Schauplatz des Raubes ist Keos. Damit ist jedoch Wenig
geündert: denn Keos liegt Brauron gegenüber, kaum weiter ent-
fernt, als Salamis oder der Parnes, und ist bei hellem Wetter
vom Ufer aus wohl sichtbar.
6. Gewissermaßen eine Gegenprobe zu unserer Rechnung
liefert die Thatsache, das von dem gewonnenen Standpunkte
36) Auch die oxyvn V. 880 (vgl. unten S. 214), sowie die evdgou-
e V. 890 (unten S. 213) scheinen parodisch verwandte Termini tech-
nici der Brauronien zu sein. °
37) Vgl. besonders Suid. s. v. Masovuas: où Ta nodta njs nólsog
telobvies nduna9eiv jveiyovto iv soi; Jo Aattíosc vdaow dii ovg
iuBaloóvrec und die übrigen von Lobeck p. 1023 für die nauticorum
lascivia gaudiorum gesammelten Stellen.
14*
212 O. Crusius,
aus betrachtet gewisse Einzelheiten der Dichtung, die bisher be-
deutungslos oder gar anstößig erschienen, sinnvolle Beziehungen
gewinnen. Dionysos erscheint in Lówengestalt. Das kommt,
gerade in attischen Dichtwerken, auch sonst vor, ist aber immer-
hin ungewöhnlich. Als heiliges Thier und Hülle des Gottes
gilt in alterthümlichen Kulten der Regel nach Stier (Elis) und
Bock (Lakonien, vgl. Hesych. s. v. épspoç), in jüngeren, orien-
talisierenden Ueberlieferungen Panther, Tiger und Luchs, wäh-
rend der Löwe in engeren Beziehungen zur Kybele steht. Jedes-
falls sind wir berechtigt zu fragen, weshalb der Dichter gerade
diese Incarnation gewählt hat. Nach Brauron hinüber sieht das
‘Liwenvorgebirge’ an der Nord-Spitze von Keos; hier knüpfte
sich an ein riesiges, aus gewachsenem Felsen geformtes Stein-
bild die Sage, daß ein dämonischer Lówe??) die Nymphen ver-
jagt habe??) wie Lykurg, oder wie der löwengestaltige Gott die
Tyrsener - Delphine??) Die Annahme, daß die Phantasie des
Dichters hindurch angeregt sei, liegt nahe genug. Als Gegen-
spielerin des Dionysos- Löwen erscheint eine Bärin V. 46.
Ludwich’s Bedenken konnten wir zwar auch in diesem Falle
nicht als berechtigt anerkennen; immerhin aber müssen wir ge-
stehen, daß eine Bärin in der Begleitung des Dionysos ein my-
thologisches äna& Aeyonerov ist. Nun war aber gerade die Bärin
der Artemis von Brauron heilig: @yxıo, hießen die Priesterinnen,
welche ihr nach Pollux (VIII 107) &9vo» Juolas tag mevretnol-
dog, sowie die attischen Mädchen, welche bei diesem Feste ihre
Weihe («gxısvoıg) erhielten ; als Opfertbier wurde — nach der
Legende in Stellvertretung alter Menschenopfer — die Ziege ver-
wandt, wie vermuthlich im Dienste des Ziovvco; MeAav asy «6 *9).
Erst nach jener @gxtevoss wurden die Mädchen heirathsfähig ;
38) Eine verwandte Sage in Kreta wird, vielleicht ursprünglicher,
auf den Löwen der Rhea bezogen: Philostr. Vit. Apoll. IV 84, Ep.
add. II 2 (p. 338 D.); vgl. Lobeck. Agl. 1120. In andern selbständi-
gen Zeugnissen unserer Sage, dem Lysikratesdenkmal und der von
de Witte Gaz. arch.111.13 besprochenen Gemme, finden wir den Panther.
39) Ps.-Heracl. IX FHG. Il p. 214. Vgl. O. Müller, kl. Schr. 1 56,
v. Wilamowitz, de Eurip. Heraci. p. VIII not.
40) C.F. Hermann, Antiqu. II $ 62, 8 f, Kóchly-Schoene z. Eurip.
Iphig. S. 11, A. Mommsen, Heortologie S. 405—410. Beiläufig: ob die
Erzühlung von dem Raube attischer Weiber durch Tyrsener (oben
S. 205) gleichfalls eine aetiologische Legende ist zur Erklürung eines
brauronischen Festbrauches? Vgl. das xopas Genalsy Schol. Pac.
874 und bei Zenob. s. v. «enaya. Bei der verwandten samischen
Legende liegt diese Tendenz am Tage, s. oben S. 201.
1
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 213
das Fest hat für das weibliche Geschlecht also dieselbe Bedeu-
tung, wie die Apaturienfeier für das männliche. Die Apaturien-
Legende aber knüpft wiederum an den Dionysos Meiluvasyıs an
(Schol. Arist. Ach. 146 [Suid. s. v. umarovoia], Suid. s. v. Me-
Anvasyıc): so daß der Gott abermals mit der Göttin von Brau-
ron zusammentrifft*!). So drängt alles darauf hin aus diesen be-
sondern Verhältnissen den auffälligen Zug abzuleiten, daß die
Bärin, das heilige Thier der Göttin von Brauron, welches 29079
noté paynvar év ITeıgusi xai moddods adızeir (Bekk. Anecd. 444),
auch im Dienste des Gottes erscheint.
Andre Einzelheiten lassen ähnliche Beziehungen wenigstens
zu. Im Hymnus heißt es: eine Rebe dehnte sich am Segel zu bei-
den Seiten und viele Trauben hingen herab; um den Mastbaum wand
sich der dunkle Eppich und alle Ruderpflöcke an Bord trugen
Kránze. Das ist mutatis mutandis die Beschreibung der diony-
sischen vavs Fewols **), des carrus navalis, wie ihn die Einwohner
von Brauron bei ihrer sevrsrno/g sehen mochten. Auf der atti-
schen Vase in Bologna streckt eine gewaltige Rebe (von dem
Stellvertreter des Gottes gehalten?) ihre traubenbelasteten Zweige
in der 'That über den von Festtheilnehmern gezogenen Karren
hin und über dem Dionysosbilde in der Pompe des Ptolemaios
Philadelphos (Kallix. b. Athen. V 198 D), welches ebenso nach
attischer Sitte*?) auf einem zero«xuxAog durch Menschenhände
41) Näheres über das Verhältniß zwischen Apaturien und Brau-
ronien weif ich leider nicht beizubringen; Zufall wird es aber schwer-
lich sein, daß der Name des Haupttages der Apaturien, dvagopvasg,
bei Aristoph. Pac. 890 nach der Erwähnung der Brauronien erscheint,
und daß sich die Brauronien an denselben Melavasyıs anschließen,
wie die Apaturien. Welcker (Nachtr. zur Tril. 186 ff. 194 = GUtterl.
II 604) bezog den Gott auf die Alyıxoopsis als Hirten, Mommsen (He-
ortol. 317*) auf die Seeleute: vielleicht haben beide Recht.
42) Philostratus /magg. 1 18, welcher diesen Ausdruck vom Schiffe
des Dionysos gebraucht, fügt hinzu: polidury d? cotes (/ Tod Asovu-
Gov vavs) ta de novuvav xvuBalwv av magallag ivnguocusvov, iv’
el xa adtzvgos nod in’ oivov xadsidorev 0 dıovvaos un apopyti nÀéoi *
wy di nmowoav dc yovojv naodaliv stxnotai te xai 2&yxtar; Nonnos (resp.
sein Gewährsmann) läßt dionysische Musik von Flöten (XLV 163)
ertönen, wie auf dem Bologneser Vasenbilde.
43) Daß die Ptolemaeer den Dionysos- und Demeterkult nach
attischer Sitte formten, ist eine wohl bezeugte Thatsache. Am be-
zeichnendsten sind :à ag’ auatwuv axwuuare (vgl. m. Ausg. der prov.
Alexandr. des Plutarch p. 26) und der Name Eleusis. Altattisch ist
es auch, wenn jenes den Anthesterien entsprechende Dionysosfest als
xa9apuoc V vy w» gilt. Denn die attischen Anthesterien stehen zum
Seelen- und Heroenkulte in den engsten Beziehungen (vgl. allg. En-
214 O. Crusius,
gezogen wurde, megséxesto oxıag Ex x10000 xal au n£Aov xai
ang Aounns onwous xtxocunutvg *), mpogngrqvio dé xai ot €é-
puvor xai rurlas xai Fvycos xai rvumava xai uítQus TTQOGUTtÓ
te x14. Das alte sicilische Vasenbild von Akrai unterscheidet
sich von dem attischen besonders durch die rohere Form des
Fahrzeuges: der Karren ist, wie Dümmler S. 357 bemerkt,
ein gewöhnlicher viereckiger Kasten . . . als Schiffskarren . . nur
durch den £ußoAog charakterisiert. Vielleicht ist diese plumpere
Form absichtlich gewählt in Erinnerung an den Anvo;, wie er,
gewiß altem Herkommen entsprechend, auch in Alexandrien um-
geführt wurde nach Athenaeus (Kallix.) p. 199 A: ép’ #6 (rerga-
xuxhov) xatecxevacio À jvog mnywr elxoos recougwy .. éxdtovy de
EEjxovra Zürugos moog avAov adovreg peroc È ni vov, epesory-
ne d° avtoig ZiAqvog, xai dv 0Ang rcg 0dov tò yAsuxoc
Egger. So rieselt im Hymnus durch das verzauberte Schiff
(2ojv ava via) süßer Wein mit ambrosischem Dufte (V. 35) 45),
Endlich erinnert auch das Erscheinen von Thiergestalten an die
Thiermasken dionysischer Umziige, vgl. v. Leutsch Metrik 392,
Voigt a. O. 1081.
7. Daß man die Tyrsener in die Legende einsetzte, erklärt
sich aus der Lage und den Erinnerungen des Ortes zur Genüge;
immerhin ist es denkbar, daß der Anklang an 9vocog bei der
Bildung der Legende mitgewirkt hat *9), wie Völcker in einem in-
cykl. s. v. ‘Keren’): wodurch vermuthlich der Charakter der Tragödie
mit bestimmt wurde. |
44) Eine solche oxs&s erkenne ich wieder an der Dionysosherme
eines Vasenbildes freien Stils bei Gerhard, Trinkschalen IV 5 (jetzt
auch bei Baumeister, D. d. A. Abb. 479). Mit den dionysischen ‘Laub-
hütten' (vgl. Hes. s. v. oxyvz,, Plut. quaest. Gr. 14) vergleicht Plu-
tarch quaest. Symp. IV 6, 2 nicht übel das jüdische Laubhüttenfest:
Mannhardt WFK. II 215. 255. I 283. Für Lakonien werden oxsadeg
an den Oschophorien bezeugt (Mannhardt II 255, O. Müller Dorier I
359), für Athen an den Dionysien durch Eupolis bei Phot. s. v. exiac
= fr.445 p. 267 K.) iv w 6 4dióvvaoc xadyras. Als ‘Laubhiitten’, von
Fruchtzweigen und Guirlanden umrahmt, erscheinen auch die primi-
tiven Dionysischen Bühnen bei Wieseler, Denkm. d. Bühnenw. Taf. IV,
4. 5. 11 (vgl. Allg. Encykl. LXXXIII 207 f.). Ob die Laubhütten bei
Tibull II 1, 25 (vgl. 39 £) echt italisch sind, bleibt zweifelhaft Ange-
sichts der Thatsache, daß die Schilderung des Weinlesefestes V. 55
auf griechische Quellen zurückgeht. (Fleck. Jahrbb. 115, 255). An-
deres bei Lobeck 1086.
45) Beiläufig sei in voraus auf die unten S. 215 f. anzuziehende
tanagrüische Legende hingewiesen, nach welcher ein räuberischer Meer-
dimon durch einen xgame olvov gefangen wird.
46) Ueber die Beziehungen der ‘Tyrsener’ zumDionysos-Kult s. Anm. 34.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s.w. 215
zwischen vergessenen Aufsatze (Allg. Litt.-Ztg. 1827, No. 139)
vermuthete. Die Verwandlung der Tyrsener in Delphine hat
schon F. A. Voigt, welcher den Mythus zuerst als ‘aetiologische
Legende’ angesprochen hat, richtig aus den Beziehungen des
Delphin zu diesem ‘4ıovuoog IleAuyıog’ erklärt. In der That
zeigt nicht nur auf der Schaale des Exekias das Schiff Delphin-
abzeichen, sondern auch das dionysische Schiff auf der genannten
attischen Vase; vor Allem aber trägt die alterthümliche Diony-
sos-Herme auf der oben erwähnten Schaale ein Gewand, auf
welches ein Saum von Wasserwellen, Sterne, Delphine und andre
Bestien eingestickt sind. Daß der meerfahrende Dionysos der
Exekias-Schaale, den Delphine begleiten, durchaus nicht auf die
Legende des Hymnus bezogen werden muß, wie neuerdings noch
Baumeister (D.d. A. I S. 446) annahm, sondern daß hier eine
ältere und reinere Vorstellung verkörpert ist, hat Dümmler a. O.
S. 357 hervorgehoben und längst vor ihm Preuner (Burs. Jah-
resb. 1876 III 121) und F. A. Voigt (in Roscher's Lexikon Sp.
1083 f.); ebenso scheinen mir die Attribute auf dem jüngeren
Schaalen-Bilde viel eher auf älteres Kult-Herkommen, als unmit-
telbar auf die Legende des Hymnus zurückzugehn. Völlig ge-
sichert scheint .das bei einer Münze von Eurymenai (Magnesia),
welche das Haupt des jungen Dionysos zeigt und auf dem Revers
Weinstock, Krater und Delphin*'). Ob der Apollo Delphinios
hineinspielt, muß ich unentschieden lassen *5).
8. Erwähnung verdienen schließlich noch ein Paar, zuerst
von de Witte (a. O. p. 7) in das rechte Licht gerückte Legen-
den, in welchen fischgestaltige Meerdämonen — Triton, Glau-
kos — von Dionysos bezwungen und gefesselt werden,
Paus. IX 20, 3: Im Dionysostempel zu Tanagra stand
außer der schönen Bildsäule des Gottes von Kalamis ein Triton,
von dem man erzählte, sag yuvuixas tag Tuvaygalwv 0d tov
Avovucov tw doylwy éni Falaocgav xaraffiva xuFag-
47) Head, hist. numm. S. 259, nachgewiesen von Maaß a. O. 73 in
dem mehrfach angezogenen Aufsatze über den JIONYZOZ NIEAATIOZ.
48) Auf eine due xodvufov xai nloiwr, ein üchtes ‘Fischer-
stechen’, weist vielleicht der 47'4:05 xoAuußnms und was uns von den
elg Anlow nAéovtes erzählt wird. Die delische Legende, ist, zur Ver-
theidigung des mit Unrecht angegriffenen sprichwórtlichen Ausdrucks,
nachgewiesen in dieser Ztschr. I S. 383 f. Sie knüpft an Glaukos
an, welchen der ‘Meer- Dionysos’ bekämpft, vgl. S. 216. Brauronien
und Delien nebeneinander bei Pollux VIII 107, vgl. PLGr. I* 483.
216 O. Crusius,
olwv elvexn, vnyom£vass Où eniysconoa: rov Tolrwva xai rag
yvvaixag svEacta: diovuoov oquow ayızEodaı BonS9ov: Vrarovoal
te di) rov Fsov xai rov Tolrwvos xg«rjoas 17 mayn **).
Theolytos von Methymna bei Athen. VII 296: Glaukos, der
Meerdämon, verliebte sich in Ariadne, ör’ à» Ala 17 vnow (Naxos,
dem Zielpunkt der Fahrt nach Aglaosthenes und Ovid) uno #o-
vicov jowacdn, x«l fholóutvov vio Arovvoov Auneklvo deoud
(vgl. Ovid und Nonnus) èrde37vas xai denFévta dpedivas el-
novia' | "Avdndwv vu tls Zorıv . . . | Ev9ev dyW yévoc slui, na-
tno dé ue yelvaro Kwnevc.
de Witte hat diese Sagen bereits mit dem Tyrsener - Aben-
teuer zusammengestellt (a. O. S. 6). Ich halte es für recht wohl
denkbar, daß solche räuberische, von Dionysos bezwungene und be-
strafte Seedämonen in einer älteren und reineren Form dieses Theils
der Legende die Stelle der menschlichen 'Tyrsener, der verrufe-
nen Frauenrüuber attischer Sage, eingenommen haben. Die
Verwandlung der Tyrsener in Delphine erschiene dann als ein
Compromiß zwischen der alten und neuen Auffassung. Freilich
der *menschen- und musenfreundliche' Delphin gilt den Alten
wie den Neuen gemeiniglich als Symbol von 'Meeresstille und
glücklicher Fahrt’, und F. A. Voigt hat sich daher entschlossen,
unsre Legende, an welcher er den Widerspruch zwischen der
Metamorphose und dem menschlichen Vorleben der Verwandelten
hervorhebt, für eine mißverständliche und sekundäre Bildung
nach dem Typus der Mythen von Lykurgos und Pentheus zu erklüren.
Aber damit ist der Widerspruch keineswegs verständlicher ge-
worden, da jene Beziehungen des Delphins nie verloren gegangen
sind (V. Sp. 1083), sondern gerade in den poetischen Quellen
immer wieder ausgenutzt werden. Es giebt nur eine Lösung:
der Widerspruch, den schon Philostratos hervorgehoben hat, exi-
stierte ursprünglich nicht. Und in der That erscheint gerade
49) Nach der bei Pausanias angeschlossenen Fassung der Legende
wird der ‘Triton’ durch einen am Ufer ausgestellten Misch-Krug süßen
Weines herangelockt und in der Trunkenheit überwältigt (antike und
moderne Parallelen bei Voigt a. O. Sp. 1067). So sehen wir in
der That auf einem altkorinthischen Vasenbilde (bei Dumont-Cha-
plain p. 239, 50, jetzt in Baumeisters Denkm. III 2099) einen gewal-
tigen Fisch auf die am Mischkruge beschäftigten Dionysos-Thiasoten
losschwimmen. Wichtig ist der Schluß, aus dem wir lernen, daß
Fisch-Exuvien als Zeichen des Sieges im Tempel aufbewahrt wurden.
Vgl. Maa8 a. O. S. 76, Wolters, archänl. Zeitung 1885 S. 265 f., Tüm-
pel, die Aithiopenländer S. 207 f.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 217
in volksthümlichen Ueberlieferungen, wie K. Tümpel (Bemerkun-
gen zu einigen Fragen der gr. Religionsgeschichte, Neu-Stettin 1887,
S. 6 ff) schlagend erwiesen hat, der Delphin nicht als Retter,
sondern als Incarnation des raubenden Dämons der Tiefe.
So giebt sich auch hier das Naturdasein nach der Verwandlung
als Fortsetzung des menschlichen Lebens (Voigt a. O.).
Versuchen wir uns nach dem Vorhergehenden die Entste-
hung der Legende zu vergegenwürtigen. Es gab einen Mythus
vom siegreichen Kampfe des Dionysos mit fischgestaltigen, räu-
berischen Seewesen. Mit diesem Mythus verbanden sich in
Brauron historische und aetiologische Elemente. Man wollte
das ‘Fischerstechen’ an den Brauronien erklären: aus der Rolle
des Seedümons wurden die Tyrsener, ihr Sprung vom Schiffe in
die Tiefe und ihre Verwandlung. Das verzauberte Schiff ist
eine mürchenhafte Spiegelung des mit Rebzweigen und Eppich, mit
Trauben und Krünzen geschmückten, weinbeladenen Schiffskar-
rens des dionysischen roux. Dem Gotte, der (wie in Keos?)
als Löwe erscheint, tritt das geweihte Thier der Göttin von
Brauron, die Bärin, hilfreich zur Seite.
In den grófern Hymnen wird die Wahl des Mythos nach-
weislich durch den Ort bestimmt, wo der Rhapsode auftritt; der
delische Sänger behandelt die Geburtslegende, der delphische
den Drachenkampf des Apoll, und noch Kallimachos befolgt die-
selbe Praxis. Sind die obenstehenden Bemerkungen oder auch
nur ihrer Gesammt-Tendenz als berechtigt anzuerkennen ; über-
liefert der Hymnus eine attische, in Brauron heimische Sage und
hat er allein unter den erhaltenen Bearbeitungen gewisse bedeu-
tungsvolle Züge — wie die felsige Meeresküste der Scenerie °°), das
Auftreten der Bärin, die festliche Bekränzung 5') — treu be-
wahrt: dann muß er auch in Attika entstanden?) und
für ein attisches Rhapsoden-Fest bestimmt ge-
50) Ganz entsprechend dem Lysikrates-Denkmal. Anders Ovid
(Met. III 606 praedam deserto nactus in agro); bei Philostratos Imagg.
I 18 begegnet Dionysos den Räubern zu Schiffe; Nonnos (Ovid ?) verlegt
den Schauplatz nach Sicilien, da er nur noch von West - Tyrsenern
(Etraskern) Kunde hat.
51) Diese Einzelheiten finden sich sonst nirgends.
52) Für attischen Ursprung ist nach Welcker besonders v. Wi-
lamowitz (aus Kydathen S. 224 ff.) eingetreten, dessen Andeutungen
über Hymn. V. VII. XIX mir durchaus zutreffend erscheinen.
218 O. Crusius,
wesen sein. Nun wissen wir aus Hesych. s. v. Bouvewrloe,
daB zjv "Auid« ndov buywdoi à» Boavod vs tig “Atnxng und
Klearch bei Athenaeus VII 275 B (= FAG. II p.821) erzählt
von einer alten, zu seiner Zeit schon abgekommenen Rhapsoden-
Éogi twv Movuciwy, iv n maguovres Exucın tuv Fewv (wel-
che die Feier anging) olov ruv énetélovy tiv dayprodiar °?).
Welcker, der diese beiden Zeugnisse wohl mit Recht kombiniert
hat (Ep. Cycl. I 371. 391), vermuthete bereits, daß etliche
Hymnen für das brauronische Fest bestimmt gewesen sein möch-
ten. Seine ohne weitere Begründung vorgetragene Hypothese
hat bisher wenig Anklang gefunden: bei den Agora wird man
ihr einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit nicht mehr ab-
sprechen können **).
IV.
Eine Instanz hat unsre Sache noch nicht durchlaufen: das
Verhör der übrigen litterarischen Zeugnisse auf mythographi-
schem Standpunkte Auch hier wird unser früheres Urtheil
durchaus bestätigt. Die Legende, im Hymnus selbständig und
durchsichtig, verwickelt und verschiebt sich vor unsern Augen.
1. Pindars Zeugniß (oben S. 204) ist verloren.
Bei Euripides (Cycl. 10, ebenda) hat das Abenteuer be-
reits eine künstliche Motivierung und festen Platz im Zusam-
menhange der Dionysos - Mythologie erhalten: die eifersüchtige
Hera hetzt die Tyrsener wider den verhaßten Gott und zwar
nach der Gigantenschlacht (V. 5). Dionysos ist allein in die
Hände der Räuber gefallen (wie im Hymnus); seine Genossen
suchen ihn und werden über Malea nach Sicilien verschlagen,
wo sie vermuthlich wieder mit ihm zusammentreffen.
Der Stoff zu einem ergänzenden Satyrdrama steckt in der
Darstellung des Lysikrates-Denkmals (335): für den bedrohten
Gott, der in erhabner Ruhe, seinen Panther tränkend, neben dem
Mischbecher auf einem Felsen sitzt, kämpfen die zur Hülfe her-
beigeeilten Satyrn, und jagen die Räuber vom Ufer in die See.
53) Die Stelle ist leider lückenhaft, über den Sinn kann aber
kein Zweifel sein. Daß die Vorträge agonistisch geordnet waren, ist
nicht überliefert (Reisch de music. certam. 10), und wird auch durch
den ëniloyos unsres Hymnus (S. 205) keineswegs nahe gelegt. Proklos
zu Plat. Tim. p. 27 (Homer bei den Apaturien) lasse ich aus dem Spiele.
54) Vielleicht hängt es damit zusammen, dnß das Lokal im Hym-
nus nicht ausdrücklich genannt wird: die Hórer sahen es vor sich.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 219
Den Anlaß zu dieser Darstellung mag das Lied des in der In-
schrift genannten Chormeisters Lysiades gegeben haben, welcher
nach dem Vorgange Pindars den Stoff vermuthlich melisch (in
einem Dithyrambus ?) behandelte. Doch mochte ihm immerhin
ein attisches Drama mit vorschweben ; wenigstens erklürt sich der
Wechsel des Schauplatzes am besten durch Bühnenrücksichten.
2. Neue Motive bringt die von Aglaosthenes in den
Naxica berichtete Fassung die wir aus den Excerpten bei H y-
gin poet. astron. II 17, Servius Aen. I 67 (Myth. Vat. II
171, I 122) reconstruieren können — denn daß diese Zeugnisse
auf eine Quelle zurückgehn, ist unverkennbar °°); sehr nahe steht
ihr der Bericht des Ps.- A pollodor III 5, 1:
Hyg. poet. astr. II 17: ‘Aglaosthe-
nes autem qui Naxica conscripsit
I. Tyrrhenos ait fuisse quosdam
navicularios, qui puerum etiam Li-
berum patrem receptum, ut Naxum
cum suis comitibus transvectum
redderent nutricibus nymphis: . .
sed .. navicularii spe praedae in-
ducts navem avertere voluerunt:
II. quod Liber suspicatus comites
suos iuberet symphoniam canere:
quo sonitu inaudito Tyrrheni cum
usque adeo delectarentur, ut etiam
saltationibus essent occupati, cu
piditate saltandi in mare se proie-
cerunt inscii et ibi delphini sunt
facti: quorum cogitationem cum
Liber memoriae hominum tradere
voluisset, unius effigiem inter si-
dera collocavit.
Apollod. bibi, III 5, 1:
or. 950g omy, mQxsv sis "4oyog" xaxei
Serv. Verg. den. 167: ‘Tyrrhenum
mare dictum est ... a Tyrrhe-
nis nautis . . I. namque hoc ha-
bet fabula, dormientem in litore
Liberum patrem puerum nautas
abstulisse Tyrrhenos . qui cum es-
set experrectus in navi quo du-
ceretur rogavit; responderunt illi
quo vellet. Liber ait ad Narum
insulam sibi sacratam . at coepe-
runt alio vela deflectere.
II. quam ob rem iratum numen
tigres sibi sacratas iussit videri,
quo terrore se illi in fluctus de-
dere praecipites '
[Zusatz der schol. Daniel. : ‘alii di-
cunt quod stuprum Libero patri
inferre temptarint ac propterea hoc
pertulerint', vgl. unten S. 222].
Die einleitenden Worte ausgeschrie-
ben von Isidor Orig. XIII 16, 7,
der ganze Artikel von Myth. Vat.
I 122 II 171 (1: ‘Liber rogavit, ut
Naxum se transvectum nutricibus
redderent Nymphis. Illi spe praedae
adducti etc. (cf. Hygin I extr.]).
diovvaog dé ebost)ic Aumelov yevouevos,
Hoas uaviav éuBalou ons negınlavdım . . .
2... . 4deétagc dì OnBaioss
0. éunve tag yvvasxac. 3. I. Bov-
Aóusvoc dé amò vis ‘Ixagias elc Nátov dtaxouscdnvas, Tuoonvav Àg-
oroıenv Euscduicato Tonon. oi dì abvtòv ivFéusvos Nakov uiv nagénlsov,
nasiyovio dé sic Aclav ansunolggovreg. II. 6 dà tov uiv ioroy xai ràç
xdnegc énoipcev oes, to dé oxapos Énigos xsocoò xai Boys «œ d À où v°
ob dè iuuavéic ysvóusvos xatà ric Ialdrıns Epuyov xai iyévorro delgirec.
55) Verkannt hat es de Witte a. O., welcher die Zeugnisse in
völlig willkürlicher Ordnung mittheilt. Daß die vereinzelt dastehende
narratio des ‘Hygin’ aus derselben Quelle geflossen ist, wie die an-
220 O. Crusius,
Das Abenteuer wird in die Jugendzeit verlegt, yvtx’ éu-
avis "Houc uno | Nuupus 0gstac Exhimwv yer roopoic (Eurip.
Cycl. 4, vgl. Hyg. Myth. Vat. II); der Zorn der Hera ist auch
hier als Agens vorauszusetzen; an die Stelle (oder an die Seite)
der alten p«ouara und defuuru ist, als Zauberkraft, die diony-
sische Musik und Orchestik getreten, vielleicht mit Rücksicht
auf die in späterer Zeit vielgefeierte Musikliebe des Delphins.
Auch Lucian kennt diese Katastrophe, wenn er (de saltat. 22)
den Dionysos die Tyrrhener, Indier und Lydier durch den Tanz
(ravig 15 1éyvn gowpevov 6 Meérvoos eye:qwouro) bändigen läßt
(de Witte a. O. S. 9) 55. Der Zielpunkt ist das sagenberühmte,
in die theseisch-dionysischen Mythen Attika's vielfach verflochtene
Naxos; von Theben und Argos kommt der Gott bei Apollodor,
und die Schiffer fahren an Naxos vorbei, um nach '4feí« zu ge-
langen °?), es kann also kaum ein Zweifel sein, daß nicht die an der
kleinasiatischen Küste gelegene Insel Ikaria, sondern vielmehr der
Brauron benachbarte attische Ort gemeint war (vgl. 3. 211). Daß
die Verstirnung dem Berichte des Aglaosthenes angehört, ist durch
das Zeugniß des Arat-Scholiasten nicht ganz gesichert. Die Er-
zählung Apollodors scheint über Aglaosthenes hinauszuweisen.
9. Ausgeführter und figurenreicher war das hellenistische
Gedicht, auf welches Ovid Metam. III 582—700 und Hygin
fabb. 134 zurückgehen:
Hyg. fabb. 134: I Tyrrheni, qui
postea Tusci sunt dieti, cum pira-
ticam facerent, liber pater impubis
in navem eorum conscendit, et ro-
Ovid. Metam. III 597 I: Petens De-
lon Ciae teluris ad oras | adplicor
(Acoetes) . . . 605 Opheltes. 607
virginea puerum ducit per litora
gat eos, ut se Naxum deferrent. forma. | ille mero somnoque gra-
vis titubare videtur (cf. 632
Acoetes sucht vergebens ihr Begin-
nen zu verhindern) | 636 ‘Naxon’
ait Liber ‘cursus advertite vestros ..
dern, in der ‘Epitome’ und den Arat-Scholien erhaltenen Artikel, hat
C. Robert erwiesen durch den Hinweis auf den gemeinschaftlich be-
nutzten seltenen Gewährsmann (ÆEratosth. Catast. p. 8. 161). Nach
Maaß (Eratosthenica 33), dem Robert sich jetzt anschließt (vgl. jedoch
Böhme Rh. M. XLII 307), war diese Quelle ein Arat - Commentar.
Derselbe Commentar könnte auch bei Servius benutzt sein, s. v. Wi-
lamowitz, Antigonos 173, Maaß, Anal. Eratosth. p. 51.
56) Der gleiche Zug in deutschen Nixen-Sagen: Grimm D M.* 407 f.
57) [Dürfte man Madée und Melswrns (oben S. 207) in dieser Ver-
sion voraussetzen, so würden die Namen, einer Vermuthung Tümpel's
entsprechend, auf das Leshische Vorgebirge bezogen werden können.}
Der homerische Dionysoshymnus
II Qui cum eum sustulissent at-
que vellent ob formam construprare,
Acoetes gubernator eos inhibuit;
qui iniuriam ab eis passus est.
III Liber ut vidit in proposito eos
permanere, remos in thyrsos com-
mutavit, vela in pampinos, ruden-
tes in hederam, deinde leones at-
que pantherae prosiluerunt.
IV Qui ut viderunt timentes in
mare se praecipitaverunt. Quos et
in mari in aliud monstrum trans-
figuravit; nam quisquis se praeci-
pitaverat, in delphini effigiem trans-
figuratus est, unde delphini Tyr- .
rhent sunt appellat? et mare Tyr-
rhenum est dictum.
V Numero autem fuerunt duodecim
his nominibus: Aethalzdes, Medon,
Lycabas, Libys, Opheltes, Me/as,
Alcimedon, Epopeus, «Proreus259),
Dictys, Simon, Acoetes. Hic iu-
bernator fuit: quem ob clemen-
und die Legende u.s. w. 221
II (Acoetes weigert sich, falsch zu
steuern): 646 increpor a cunctis
etc. 626: (Schließlich überläßt er
seinen Platz einem anderen.)
1II 664 impediunt hederae remos
et gravidis distinguunt vela
corymbis . | ipse .. pampineis agi-
tat velatam frondibus hastam | quem
circa tigres simulacraque inania
lyncum | pictarumque iacent ..
pantherarum.
IV. 670 exsiluere viri sive hoc
insama fecit, sive timor, (und wer-
den in Fische verwandelt.)
V 687 de modo viginti . . | resta-
bam (Acoetes) solus . . .
Aetha/ton 647, Medon 671, Lyca-
bas 624. 673, Libys 617. 676.
Opheltes 605 ; Melanthus 617, Al-
cimedon 618, Epopeus 619, Pro-
reus 634; Dictys 615, Acoetes
582. 696.
688 pavidum .
tiam Liber servavit.
. . firmat deus.
Der Hygin-Artikel, den man aus Ovid hat ableiten wollen,
ist aus engverwandter, aber selbständiger Quelle geflossen ; das
beweisen neben der Uebereinstimmung im Ganzen die (cursiv
gedruckten) Abweichungen, insbesondre das bei Ovid unter-
drückte Motiv verbrecherischer Gelüste (cf. Schol. Daniel. a. O.)
sowie der falsch beanstandete sehr charakteristische Name Simon 5°).
Alle wesentlichen Züge der Erzählung, sowie die sinnvollen Na-
men 9") sind der gemeinsamen hellenistischen Urquelle zuzuspre-
58) Mir scheint die Ergünzung 'des fehlenden Namens hinter
dem ähnlichen Ep. wahrscheinlicher, als die übrigen Vorschläge.
59) Tümpel (die Aithiopenländer S. 170 Anm., vgl. 206) hat gut
darauf hingewiesen, daß die Delphine bei Plinius nat. hist. IX 8. 9
auf den Zuruf ‘Simon’ hören. Das ist aber lediglich ein ‘Spitzname’
für das repandirostrum incurvicervicum pecus.
60) Wenn der redende Name des Avxaßas qui . . exilium . . pro
caede luebat den flüchtigen Mörder (den Avuxos des lykäischen Kultes:
H. D. Müller Myth. II 102) bezeichnet, so setzt das Kenntnisse voraus,
die wir nur einem gelehrten Hellenisten zutraun können. Aehnliches
gilt von Aethalides -lion (vgl. Lemnos - 4i9dAee, Steph. Byz., Rohde
res Lemn. 23), Melanthus -las (vgl. Dionysos MelavSidys - Melévasyss,
oben S. 208), Acoetes (vgl. Hyg. fab. 135: 4xoimms V. des Laokoon,
Repräsentant der troischen ‘Pelasger’ ?).
222 O. Crusius,
eben. Diese steht dem homerischen Hymnus in manchen Punkten
näher, als die eben besprochene Version, insbesondre wird die
Katastropbe durch ganz ähnliche Mittel herbeigeführt. Im ein-
zelnen sucht der Poet den alten Hymnus, den er wohl vor Au-
gen hatte, unverkennbar zu überbieten. Der Konflikt zwischen
dem braven Steuermann und seinen bösen Genossen, im Hym-
nus auf einen kurzen Moment beschränkt, durchläuft bei Ovid
drei Stadien. Die Heb- und Epheuzweige, im Hymnus nur
Wunderzeichen, hindern bei Ovid die Bewegung der Ruder.
Der Gott, der im Hymnus schließlich die alterthümliche Thier-
gestalt annimmt, offenbart sich, wie auf dem Lysikratesdenkmal,
in seiner ganzen Herrlichkeit, von seinen Lieblingsthieren um-
geben. Vorher erscheint er, wie bei Aglaosthenes, als puer.
Ungemein bezeichnend ist dabei der auch in den Scholl. Daniel.
erhaltene und gewiß dem Urbilde eignende Zug, daß die Tyr-
sener stuprum Libero inferre temptarint: vor der 'galanten Periode’
der griechischen Poesie, wo die Erotik die Führung übernom-
men hatte, ist die harmlose alte Legende sehwerlich mit sol-
chen lüsternen Elementen versetzt worden. Welcher Dichter
auf der früheren Stufe steht, der Hellenist oder der Hymno-
graph, ist doch wohl xui rupd@ dilor. Einen echten Zug be-
wahrt uns Ovid, wenn Kios der Schauplatz des Raubes ist
und die Fahrt ostwürts nach Delos oder Naxos weitergeht.
Vgl. oben S. 220.
4. In gründlich umgestalteter Form erscheint die Legende
bei Philostratos Imagg. I 18:
I. Nave Sewpic xai vaës Anorosen . tv uiv diórvgoc svdives, Uv
de iufsBrxeay Tupunvoi Agora? ris nevi avrods Sakarıns (also im Westen).
n pòv di) leg& vaëç, Baxyedes dv. aùrn diovuaos xai inipuotobar ai Bax-
4o», aouovia d? ónóog ogyiaQes xarnyes 156 Salat, | dì bniyu ro
Asoviow te écurie vota xadanso 7 Avdav yi 5 di étépa vais, uaivov-
tas xe ins sloscing bxlavSdvorvras, nolloig d' aviv xai eknolwiacw ai
xsipss. Die Tyrsener meinen den Sylvç «ayvors mit seinen Reich-
thümern und seinem #iegos — den schwachen yurasa, "den adıvoos
x«i avintai, dem vegdyxogiégos yéguv, dem Mapw»r und den Haves —
leicht aufheben zu können. Il. Ihr Schiff fährt furchtbar gerüstet
xata Tov udysuorv 1Qónov. Das Schiff des Dionysos gleicht zà ue» alle
néro( . ., golidum d' dote: 1a is noduvoy xvufalwy avtÿ nagal-
dat dvnpuoouivar, fv’ & xci adıvooi no9' vn’ olvov xa9svdossv 6 Asovudos
" awpogntt nÀéo, rj» di numpav dc yovoqy nd og deor sixcotes . .
Il. Der Gott liebt das feurige, wie eine Maenade springende Thier
boas yoUr xai .. Cvunieoécac TQ Asovicov (napdalsıs) xai 15dusec ènì
Tove Tuognvods unnw xsdevovtos. Ein Thyrsos wächst als Mastbaum im
Schiffe, mit purpurnen bunt gestickten Segeln. Epheu und trauben-
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s.w. 228
reiche Reben überschatten das Fahrzeug, und ein Weinquell sprudelt
empor. IV. Aber die Tyrrhener versetzt der Gott in Raserei und ver-
wandelt sie in Delphine, x«i xedeves Toig Tuponvois ta uiv «dy ly9Vaw
i£ avdounwr, 1& d' Edy yonotois ix gavAov. **
Für diese Umformung der Sage macht de Witte (S. 10)
den angeblichen Verfertiger des ‘neapolitanischen Gemäldes’ ver-
antwortlich: le peintre . . avait iugé à propos d'introduire deux
vaisseauz, sans doute (!) parce que cette combinaison se prétait mieux
au cadre qu'il voulait remplir. Dieser ‘zweifellosen’ Hypothese
fehlt leider nichts Geringeres als die Unterlage. Viel wahr-
scheinlicher ist es, daß der Sophist von litterarischen Anregun-
gen ausging. In der That finden wir in Lucians Prolalie
4diorvco; (III p. 125 Jacob.) eine ganz ähnliche Schilderung
des Thiasos, sowie der übermüthigen Stimmung der feindlichen
Indier; und in den dialogi mar. 8 (I p. 126 Jacob.) sagt Po-
seidon den Delphinen, die er wegen der Rettung des Palaimon
und Arion belobt: x«i uéupouui je 10 4iiovvogo, Ou vuag vav-
uagnous ueréBuls,, déov yerquouncIur uovov, woneg 100g 'ad-
Aovc vürnyayero. Dieselben beiden Beispiele für die Menschen-
freundlichkeit des Delphin — Palaimon-Melikertes und Arion —
werden zum Schlusse von Philostratos angeführt: es wäre also
wohl denkbar, daf ihm neben andern Reminiscenzen jene Lu-
cian-Stelle vor Augen schwebte.
Mit Sicherheit ergiebt sich aus der Combination beider Zeug-
nisse, wie schon Voigt S. 1084 andeutet, daß auch dieser My-
thus in die Reihe der Kriegsthaten des Gottes hinein gezogen und
zur Seeschlacht ausgesponnen worden war 9'), was erst in spät-
hellenistischer Zeit, als die Schilderung dionysischer Feldzüge
und Schlachten in Mode kam (Voigt 1087), geschehen konnte.
Die wichtige Rolle des wackern Steuermanns mußte bei dieser
Neufassung des Mythus natürlich in Wegfall kommen. Merkwür-
dig ist es, wie hier der alte Typus des ‘meerfahrenden Dionysos’
(Hermipp. oben S. 209) wieder auflebt. Im Uebrigen wird bei
Philostrat der gebräuchliche Apparat dionysischer Schildereien
angewandt. Aber weshalb gleicht des Dionysos Schiff einem
61) Von einer Schlacht des Dionysos gegen das Volk der Tyr-
rhener, die mit Indiern und Lydern gleichgestellt werden, weiß auch
Aristides Dion. 1 p. 50 Ddf.: 'Irdo?g dé xai Tuponvods Àéyovow ds xat-
soTgéwato, elyittoueros . . dia uiv TOv. Tuoonvwv rd noos Éonépar, dea
di tu Eripwv 109 neds Ew róno» wj; yng oc Andons autor doygovta.
224 O. Crusius,
Felsen $*)? Sollte der Gott es zum Denkmal seiner That ver-
steinert haben, wie Poseidon das Schiff des Phaeaken » 163?
5. Nonnos hat diese Fassung des Tyrsener - Abenteuers
in seiner dionysischen [lias merkwürdiger Weise nicht ausgiebig
verwerthet. XLV 103—168 erzählt Tiresias dem Pentheus zur
Warnung Zixslor teva pidor 95):
105 Togoyyar note nasdes tvaviilerto Salacoy
Essvogores, nlenposc alquores. Gonaysc olßow ....
116 xaé 745 éor vinosvor ansipora gopror oléccac
sic Zıxelnv Meidovcar arzo nog9ussero Posrst
deopsos, Ggnausvoso lanonrolac Gu uepec clpow.
alle dolo diovvaos énixlonor sldos ausipas
120 Tooonrovs anag nos" vosnr d' unsducaro yopgn»
- buegoess ate xodpos (in reich geschmücktem Purpurgewand).
128 forato d' aiysaloio nag’ ogovosr, ola xai autos
ölzados iusigor énsByusvas of de Sogortes (Elniccarro)
131 xei xzsdvo» yourwoar instpoyowoan dé ctio)
xeooiv onsodotoroso Eustowy 4iorv Gov.
x«i wéoc Eienivgs ueyas Enlero Déionsds 1003 3
avd opens x&Qotsc dou uevos eyes Olvunov ...
136 ws argatos Evvsayılos Eu) uvxnoaro leu,
unxedavoi di xalwes éysdvaios nélov ölxos
139 xai noorovos cUostor . . .,
der Mast des Schiffes wird eine epheuumschlungene Kypresse, die
Segelstangen werden Schlangen, eine Weinquelle bricht hervor, Ge-
brüll von Lówen und Stieren erschallt, bunte Blumen erscheinen auf
der See. Die verblendeten Räuber sehen das Mecr für eine | Berg-
weide mit Heerden an,
161 xai xrınov wicario Àsyvg6yyoso vouzac
nosuerép CUOLYYs pue/rssoutvoso voncas,
xci Asyvowv aiovıss Zvronrw» uélos avlwr
165 yasav ideir idbxnoar ausgosvow d' inc Avcon
tic Budor aiccovres Énweyicarto yalnıı
novtonopos delyives . .
Köhler (über die Dion. d. Nonn. 95) hebt als Eigenthüm-
keiten der nonnischen Erzühlung hervor die bestimmte Absicht des
Gottes, die Räuber für ihre Räubereien zu strafen, dann die Ver-
grüflerung des [hórnertragenden] Gottes und endlich die Motivie-
rung des Sprunges der Räuber in's Meer; wir fügen hinzu: das
Fehlen des wackern Steuermanns und die ausgesprochene Lo-
62) Welcker und Jakobs S. 327 ff. lösen das andgnue nicht;
Jakobs will nezga gar wegkorrigieren. |
63) Aehnlich heißt es XLVII 629 f.: Zıxelös de uslileras eis-
ét& waving | Tuoonvaiv vodov eldos &lidoouor, QV trote Moog» | &vdoouéyr
fusa pstatgonoy , «vri. dé guwiwy | iydves opynampes émioxeégovas
daldoon.
En .
e
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 225
calisierung an der Arethusa und in dem sicilisch-
tyrsenischen Meer %). Die Schilderung und Begründung der
Katastrophe ist dagegen nicht so absonderlich. Die 'sinnverwir-
renden, herzbethórenden' Klünge der bakchischen Musik (162.
164) dienen demselben Zwecke bei Apollodor- Aglaosthenes, wo
sich auch der Zug findet, daB die Taue in Schlangen verwan-
delt werden. Die verlockenden ‘Meereswiesen’ aber schildert
Seneca ganz ähnlich in dem merkwürdigen ‘Dithyrambus’
im Oedipus 441 ff., aus dem ich die einschlagenden Stellen
hierhersetze (S. 187 L.):
iam post laceros Pentheos artus
Thyades oestro membra remissae,
velut ignotum videre nefas.
Ponti regna tenet nitidi matertera Bacchi
445 Nereidumque choris Cadmeia cingitur Ino;
ius habet in fluctus magni puer advena ponti
Cognatus Bacchi, numen non vile, Palaemon.
Te Tyrrhena puer rapuit manus
Et tumidum Nereus posuit mare;
Caerula cum pratis mutat freta:
452 Hine verno platanus folia viret . . .,
455 vivaces hederas nemus tenet;
summa ligat vitis carchesia,
Idaeus prora fremit leo,
tigris puppe sedet Gangetica.
Tum pirata freto pavidus natat.
&t nova demersos facies habet:
bracchia prima cadunt praedonibus,
ilisumque utero pectus coit;
parvula dependet lateri manus,
Et dorso fluctum cavo subit,
465 lunata scindit cauda mare:
et sequitur curvus fugientia carbasa delphin.
Merkwürdig ist es, daß bei Nonnos (von dem verwandelten
Gotte), wie bei Ovid (von Tiresias) das Schicksal der Tyrsener
dem Pentheus zur Warnung erzählt wird. Das kann Zufall,
kann aber auch Folge der Benutzung verwandter Quellen
sein. Bei Seneca geht gleichfalls das Pentheusabenteuer vorher.
Daß der Tragiker hierin nicht abhängig sein muß von Ovid 99,
64) Vgl. auch VI 380 f. XXXI 91 àgnaysc &Alotoóéov Tixelfj nÀd-
ovos Faldacy (Tvgonvoi). Dieser Stelle zufolge scheint das Tyrsener-
abenteuer von Nonnos nach dem indischen Feldzuge angesetzt zu
werden.
65) Möglich, aber auch nur möglich, ist es, daß Seneca bei
der Beschreibung der Verwandlung Ovid (Metam. III 674 sqq.) vor
Augen hatte ; ebenso gut kann aber auch hier hinter beiden eine
dritte Größe stehn.
Philologus. N. F. Bd. II, 2. 15
226 O. Crusius.
ergiebt sich aus Longos IV 3: eöys dè xaè (der Dionysos- Tempel) . .
Ilev39£u diasgovyevor’ exjoav xai "Ivdoi vixwueros xai Tv ÿ-
ónvoi uerauoggpovuevos; .bei Apollodor treten die argivischen
Abenteuer dazwischen. Das Alles scheint einen näheren im Ein-
zelnen nicht mehr nachweisbaren Zusammenhang zwischen Ovid
Nonnos Seneca zu indicieren. ]
Auch in anderer Beziehung berührt sich Nonnos mit Ovid.
Jedem Leser des rómischen Dichters ist die schóne Einleitung
gegenwärtig, in welcher der brave Acoetes seine Jugendge-
schichte erzühlt, wie er, ein armer, früh verwaister Fischerknabe,
zum kundigen Steuermann geworden ist: das ist der echt idyl-
lische, aber wenig ovidianische Ton, der auch in der Episode
von Philemon und Baucis angeschlagen wird. Ein ähnlicher
Klang mischt sich gegen Ende, bei der Beschreibung der ‘Mee-
reswiesen in das lärmende Charivari der Nonnischen Verse.
Dem Nonnos habe ich den Einfall (trotz seiner notorischen Ver-
trautheit mit den Bukolikern und der verwandten Stelle I 110)
nie zugetraut: spüter fand ich die wesentlichen Züge bei Se-
neca 99). Auch Ovid wird hier schwerlich aus eignen Mitteln
schópfen. Alle diese Momente zusammen genommen führen auf
die Vermuthung, daß Ovid, Seneca und Nonnos den Mythus
direkt oder inderekt aus den Händen eines idyllisch gerichteten
hellenistischen Poeten, wie Theokrit oder Moschos, tiberkommen
haben. Das deutet vielleicht Nonnos selbst an, wenn er den
uvdos einen sicilischen nennt: was das in dieser Spätzeit be-
deuten kann, zeigt Aelian, der var. hist. X 5 von einem Dovysos
Aóyog redet, #07, yàg Alownov rov Devyos 9^) Dazu stimmt es,
daß die Pentheussage bei Ovid in der That an Theokrits Anvas
sich anschließt 98). Und da Theokrit der Zeitstrómung folgend
auch andre bakchische Stoffe behandelt hat, z. B. die verwandte
Proetiden-Legende, so wäre ihm ein Hymnus oder Epyllion auf
das Tyrsener- Abenteuer wohl zuzutrauen. Uebrigens berührt
66) Noch stärker tritt das idyllisch - bukolische Element in der
angeschlossenen Alpos- Legende hervor, V. 180 ff, die gleichfalls in
Sicilien localisirt wird, aber leider sonst nicht nachweisbar ist.
67) Denkbar ist es aber auch, daß Nonnos mit jenem Ausdruck
einfach auf das westliche Lokal der Sage hindeuten wollte.
68) Vgl. zuletzt Knaack Anall. Alex. - Romana p. 58 sqq. Die
Frage, ob das Gedicht dem Theokrit selbst gehört, ist für meine
Zwecke weniger wichtig, als die Thatsache, dass es unter seinem Na-
men ging.
Der homerische Dionysoshymnus und die Legende u.s. w. 227
sich Nonnos mit Seneca nicht nur wegen des ühnlichen Schlus-
ses, sondern vor Allem auch darin, daß die Rolle des Steuer-
manns gänzlich unterdrückt und die Individualisirung der Personen
aufgegeben ist. Beide ‚gehören also wohl näher zu einander,
als zu Ovid- Hygin. Auf die vermuthungsweise anzusetzende
Mittelquelle scheint der von Philostratos- Lucian vertretene Ty-
pus eingewirkt zu haben.
Doch das alles bleibt noch unsicher und unklar. Die Haupt-
sache ist, daß der Zusammenhang zwischen den drei Zeugen
dieser Gruppe als Problem hingestellt ist: eine endgültige Ló-
sung wird vielleicht gelingen, wenn diese Fragen in weiterem
Zusammenhange behandelt werden. ~
6. Ein anderer Anklang an Philostratus findet sich an
einer bisher unbeachtet gebliebenen Stelle des Nonnos XLVII
507 ff: (Aovvoos) mag’ Ecrégor xhiuu novrov
oAxada Aaivenv Tugonrida nits JoÀacog
510 . . égguovouo nagà noviQ
vnvalénv dcawotr En jlovwy "Agıadvnv.
Wir haben schon vermuthet (oben S. 224), daB der Felsgestalt
des Dionysos-Schiffes bei Philostratus eine Reminiscenz an eine
Verwandlungs-Sage zu Grunde liege: diese Nonnus-Stelle bringt
die erwünschte Bestätigung. Denn daß die olxxç hier keine
andre ist, als die XLV 129 erwühnte, versteht sich doch wohl
von selbst. Uebrigens scheint die angedeutete Metamorphose
bei Philostratus weniger gut angebracht, als hier, wo Dionysos
das Schiff seiner Feinde versteinert, wie Poseidon » 168.
Bezeichnend ist es für die Arbeitsweise des Nonnos, daß
er dieses bedeutsame Sagenfragment hier, aus einer zweiten Quelle,
nachträgt, ohne zu merken, daß es zu dem früher erzählten
Abenteuer gehórt, oder doch wenigstens ohne es nachtrüglich
einzufügen. Aehnliche Doubletten und Unebenheiten finden sich
bekanntlich öfter, z.B. in den auf Kadmos bezüglichen Stellen.
7. Man hat gemeint, auch in den Halieutica des Oppian
1648 ff. (deAplvwv d’ ounw n Iewregov GAÂo rétuxtas | we Ereov
xui pores Foav ndgos n0è noÀqag | 650 raîov duov pegoneces,
diwricoso dè Bovdy | noviov vanustpavto xoi liy9vac dupeSaidorto|
yuloss® add’? aga Ivuds èvalciuos slcéu qurür | dueras xz.)
werde auf die Tyrsenerlegende Bezug genommen; aber V. 650
spricht eher dagegen. Das Scholion zu 383 berichtet: oi deA-
15*
228 O. Crusius,
gives four» 10a» av9guno, xoi EBovAndnoav tva 9605s où nd wos,
xai utiffaAt» avrov; 0 Zeug dia 1ovro tlg ly9vag: eine bekannte
Märchenformel 59). Das eine Scholion zu 649 schließt sich an
unsre Legende an (uv9sveru, negl deiplywv or avdowroi noav
meagurob Fadcdito: n Agora? xri., zum Theil verderbt) In einem
andern Berichte tritt Ikarios selbst auf ofvor xoufbwv '") regi
play tav Kuxdadwy, und die Leute, die ihn aufnehmen, werden
nachher als die ersten Weintüufer (rov olvov r0v arodesp9érra
vdarı xexegaxaoı) zur Strafe in Delphine verwandelt. In dem
vorhergehenden kürzeren Scholion sind es gar ürdges olvongoa-
tas, welche diór. Eulyvvov róv olvov vdun BovAn Aiovvoov were
f^1916av sig ly3v«c. Eine Thorheit ist es, diese Erzählung als
Contamination der Tyrsener- und Ikarios-Legende dem Scholia-
sten selbst zuzuschreiben (Bussemaker p. 439). Viel eher wäre
es denkbar, daß dieKomödie dafür verantwortlich zu machen
wäre (vgl Timokles '/x4osow 7 Satvgos fr. 14 sqq. p. 458 K,
wo allem Anscheine nach Silen oder Dionys dem abziehenden
Ikarios seine Reiseabenteuer vorhersagt) Doch können wir
die Sache, welche uns auf die S. 206 ff. berührten Fragen zu-
rückführen würde, hier nicht weiter verfolgen.
Wir stehen am Ende unserer Wanderung, die uns von den
Quellen der griechischen Sagenpoesie bis zu ihren letzten Aus-
läufern hinunter geführt hat. Blicken wir jetzt auf den Aus-
gangspunkt zurück. Der homerische Hymnus zeichnet sich aus
durch engsten Anschluß an die örtlichen Bedingungen der Le-
gende; durch die Selbständigkeit und Einfachheit und den echt
epischen Ton der Erzählung; durch den gänzlichen Mangel aller
secundären Züge, welche spätere Kunstformen — wie das Satyr-
drama, die idyllisch - erotische und didaktische Dichtung der
Hellenisten, das jüngere Götterepos — mittelbar oder unmittelbar
allen übrigen erhaltenen Typen mitgetheilt haben. Est etiam
credendi quaedam ars: und wer sich auf diese Kunst versteht,
der wird nach einer voraussetzungslosen Prüfung des besproche-
nen Materials das Alter des homerischen Hymnus schwerlich
länger bezweifeln.
69) Vgl. Grimm No. 20, Bd. III S. 29. Fisch und Fischer spie-
len auch in den modernen Märchen dieser Gruppe die erste Rolle.
70) So ist wohl zu schreiben für das überlieferte xo990ibwv.
[Berichtigung. S. 207?9 Z. 9 schr. Madeos f. Mylag.]
Tübingen. O. Crusius.
XII.
Zu den Simonideischen Epigrammen’).
Von den Epigrammen, die in den Sammlungen der Ueber-
reste des Simonides diesem Dichter beigelegt werden, stehen
sechs, nämlich 90, 97, 100, 101, 129, 142 der Bergkschen
Ausgabe, in den Scholien zu Aristides MuvaPnvaixog und nig
ru» ıstıaowv, ohne daß indessen diese Scholien für eines der
Epigramme unsere einzige Quelle wären. Die nahe liegende
Annahme, dem Scholiasten habe eine Sammlung von Epigram-
men vorgelegen, hat Kaibel ausgesprochen (Rhein. Mus. 28 S. 441).
Specieller läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthen,
daß der Scholiast eine Sammlung benutzte, die mit dem 7. Buche
unserer Anthologie in einem nahen Verwandtschaftsverhältnisse
gestanden hat. Denn von jenen sechs Epigrammen finden sich
fünf im 7. Buche der Anthologie vor; von dem sechsten aber
(Nr. 90) dürfen wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß es
gleichfalls einmal der Sammlung des Konstantinos Kephalas an-
gehört hat, da bei Suidas, einem eifrigen Benutzer dieser Samm-
lung ?), das Epigramm der Glosse /Jox{An hinzugefügt wird.
Von besonderer Wichtigkeit für die Quelle der Aristides-Scholien
ist hierbei der Umstand, daß die entstellte Lesart sixoo, statt
des bei Aristides selbst in der Schrift wegi rov magupdéyuaros
1) [Erst nach dem vollständigen Abschluß dieses Aufsatzes ist
mir durch die Freundlichkeit des Verfassers die verdienstliche Ab-
handlung von Th. Preger ‘de epigrammatis Graecis meletemata se-
lecta! (München 1889) zugekommen.]
2) Vgl. Sternbach Melet. Gr. S. 18,
280 E. Hiller,
stehenden évvéa*) dem Scholiasten und Suidas gemeinsam ist.
Zu beachten ist für das Verwandtschaftsverhältniß auch dies,
daß der Scholiast Nr. 101 an einer Stelle (S. 136 Dind., 52 Fr.)
hinter Nr. 97, 1 f. anführt, ein anderes Mal (S. 155 Dind., 58 Fr.)
hinter 100 5): denn im 7. Buche der Anthologie steht Nr. 101
(Anth. VII 257) ziemlich nahe hinter den beiden anderen Stücken
(97, 1 f. = Anth. VII 250. 100 == VII 253) Das Epi-
gramm 129 ist im cod. Palatinus mit derselben (wenn auch in
andere Worte gekleideten) Geschichte versehen wie im Aristi-
des-Scholion. Etwas genaueres über jene Epigrammen-Sammlung,
über ihr VerhültniB zu Anth. VII und über die Zeit, in der
sie für die Aristides-Scholien benutzt wurde, läßt sich, zunächst
wenigstens, da wir über diese Scholien noch sehr ungentigend
unterrichtet sind, nicht sagen 9) Soviel aber ist klar, daß in.
allen den Punkten, wo der Aristides-Scholiast und der cod. Pal.
übereinstimmen, wir nicht zwei verschiedene Zeugnisse, sondern
bloß eines zu erkennen haben 9). — Von den Abweichungen
zwischen den Scholien und dem cod. Pal. sind nur zwei erwüh-
nenswerth. Bei Nr. 101 bieten die Scholien (S. 154 D., 58 Fr.)
den Autornamen Simonides, wührend im cod. Pal. das Epigramm
als «dniov bezeichnet wird. Ob die Hinzufügung des Namens
(der hier um so näher lag, da das auch in der Anthologie dem
Simonides beigelegte Epigramm Nr. 1007) vorhergeht) auf spä-
8) Daß umgekehrt sixoos in #vvéa geändert worden sei, wird schwer-
lich jemand annehmen wollen. Die Zahl eixos stimmt mit Justin.
II 9, 20. Entweder der Urheber dieser Aenderung hatte eine mit
Trogus übereinstimmende Geschichtsdarstellung vor Augen, oder in
der Quelle des Trogus beruhte die Zahl 200000 mittelbar oder unmit-
telbar auf dem Epigramm mit der Lesart sixoss: denn daß diese be-
reits in vorchristlicher Zeit in das Epigramm eingedrungen ist, er-
scheint nicht unmöglich. Aus den 20 Myriaden sind 30 geworden
bei Paus. IV 25, 5: vd. te APyvaiwy iv Mapadovı Loyoy dveusuvijoxovto,
dec uvosddes 1gsaxovıa igddencay wv Midwy óno avdoav oùdè dc
. puoiove àgid uv.
4) S. unten S. 245 f.
5) Der Umstand, daß in den Scholien (S. 439 Dind., 289 Fr.) die
Verse 117—120 der Ekphrasis des Christodoros mit dem Lemma émi-
yoauua sic ominv Tlegıxläovs (der cod. Pal. hat das Lemma sis dyadua
Hsgixléovg) angeführt werden (vor dem Epigramm Nr. 90, welches je-
doch in den bei Dindorf benutzten Hdss. zu fehlen scheint), soll
nicht unerwühnt bleiben, wenn er auch für obige Fragen kaum in
Betracht kommen dürfte. Vgl. Wolters Rhein. Mus. 38 S. 104 f.
6) Dies gilt, wie Bergk richtig bemerkt hat, auch von der Be-
hauptung, daß sich Nr. 100 auf die Kämpfer von Thermopylä beziehe.
7) Dindorf durfte hier den Namen des Simonides im Texte des
Arirtides-Scholions nicht weglassen.
Zu den Simonideischen Epigrammen. 281
terer Willkür beruht, oder ob in der uns erhaltenen Gestalt der
Anthologie der vorher beigeschriebene Autorname verloren ge-
gangen ist, wie z.B. XI 109 der des Iulianus ®), wage ich nicht
zu entscheiden. Nimmt man das Distichon als vollständiges
Epigramm, so kann es nicht alt sein; ein Denkmal, für welches
es passender Weise hätte bestimmt sein können, läßt sich unter
dieser Voraussetzung nicht ausfindig machen. Dies erkennt auch
Bergk an; um die Autorschaft des Simonides zu retten, erklärt
er es für ein unvollständig erhaltenes Epigramm, mit der
weiteren Vermuthung, in seiner vollständigen Gestalt sei es für
das Grabdenkmal der bei Platää gefallenen Athener auf dem
Keramikos bestimmt gewesen. Eine derartige Verstümmelung
hat indessen keine sehr große Wahrscheinlichkeit; lieber wird
man die ohnehin sehr schwach bezeugte Autorschaft des Simo-
nides preisgeben und in dem Epigramm ein Produkt späterer
Zeit erkennen, welches den Ruhm der Athener in knapper und
gefälliger epigrammatischer Form hervorheben sollte, ohne als
Inschrift zu dienen. Die Worte passen am besten für die Schlacht
bei Marathon. Auf diese hat das Distichon, wie es scheint, auch
der Aristides-Scholiast, wohl auf Grund seiner Vorlage *), bezo-
gen; denn an der Aristides-Stelle, zu der er Nr. 100 (wirklich
oder angeblich auf die Kämpfer von Thermopylä) und 101 an-
führt, werden die Schlachten bei Thermopylä und die bei Ma-
rathon mit einander verglichen. Der starken Hyperbel éodé-
cavres fehlt es nicht an Analogieen. Bergk hat statt dieses
Wortes 2&sAuouvıss geschrieben. So steht allerdings, so viel bis
jetzt bekannt, in einer Handschrift der Aristides-Scholien; diese
Lesart kann indessen gegenüber der Uebereinstimmung zwischen
den anderen Scholien-Handschriften und dem cod. Pal. nicht als
Ueberlieferung gelten; es ist eine (vielleicht unabsichtliche) Aen-
derung, zu deren Aufnahme ein zwingender Grund nicht vor-
liegt. — Das zweite, was in diesem Zusammenhange eine Her-
vorhebung verdient, ist der Umstand, daß bei Nr. 142 der Ari-
stides - Scholiast zwar (aus der von ihm benutzten Sylloge) den
Simonides als Verfasser angibt, ebenso wie dies Anth. VII 296
der Fall ist, in den Lesarten aber mit Aristides unig ray
8) Schneidewin Progymn. ad Anthol. Gr. S. 22.
9) Vgl. das Lemma im codex Pal. sig toU; Adyvaioue #00 u d-
yeve (90, 1 'HiAyvov nQouayobrsec).
232 E. Hiller,
teztugwy S. 209 übereinstimmt !?) Er erinnerte sich wohl, daß
das Epigramm an dieser Stelle von Aristides angeführt war,
und wollte seinen Text mit dem Texte des von ihm interpre-
tirten Autors übereinstimmen lassen !!), —
Von den Scholien zu Aristides wende ich mich zu diesem
selbst. In seiner Schrift negi rov magaq3Éyuarog stehen gleich-
falls sechs Epigramme, die in den neueren Sammlungen als Si-
monideisch aufgeführt werden: Nr. 90, 91, 97, 104, 182, 142.
Von diesen sind drei, nümlich 90, 104 und 132 dem Simonides
bloß auf die Erwähnung bei Aristides hin von Schneidewin zu-
geschrieben worden. Die Berechtigung hierzu hat Kirchhoff
(Monatsber. der Berl. Ak. 1869 S. 411) in Abrede gestellt, als-
dann aber Bergk (Poetae lyr. Gr. 8 8. 443 ff) wieder aufrecht
zu halten gesucht. Da seine Beweisführung auf den ersten
Blick für manchen etwas bestechendes bieten mag und da sie
bisher, so viel mir bekannt, noch keinen Widerspruch hervorge-
rufen hat, so halte ich es für geboten, die Nichtigkeit seiner
Gründe in Kürze darzuthun. Es ist unumgänglich nothwendig,
zunüchst Bergks eigene Worte herzusetzen.
‘Aristides ut se a vanitatis crimine defenderet, aliorum
exemplo se tuetur, docens ab antiquissimis temporibus Graeco-
rum esse ingeniorum goveiv émi roig éavrov. Hoc epicorum
carmina satis superque testari asserit; tum ad melicos poetas
accedit, Sapphonis, Alemanis, Pindari versibus usus: iam Pin-
daro adiungit Simonidem (p. 510), cui plurimum se tribuere di-
cit propter egregiam viri modestiam (owgpgoovvnv), sed hune quo-
que magnifice de se sensisse; exempli gratia rhetor subicit ep.
146, in quo Simonides memoriae vim, qua praeter ceteros ex-
celluit, praedicat: sed exspectationem nostram, fore ut
rhetor ex Simonidis carminibus alia iactationis documenta pro-
ferat, frustratur: nam docet etiam victores in ludicris cer-
taminibus, quorum encomia Simonides.et Pindarus scripserint,
laudis studio ductos esse, ac postquam haec paucis perstrinxit,
ostendit civitates quoque rerum a civibus suis gestarum monu-
10) Br. Keil Herm. 20 8. 341 ff. Jahresber. f. Alt.-Wiss. 1886, 1
En Hinzugefügt kann noch werden, daß Nr. 97, 1 f. nach der
falschen Bemerkung des Lemmatisten im cod. Pal. sis rovg asrovg,
d. h. auf die bei Thermopylü gefallenen gedichtet sein soll, wührend
das Exemplar des Scholiasten eine Angabe dieser Art nicht gehabt
zu haben scheint.
Zu den Simonideischen Epigrammen. 238
mentis gloriosos addere titulos: r/ dé cov f'ovAszas to napayouıa
"39qnaio, and OnBulwy n [legodv, 7 Aaxedaysdnor and Tv
delvuv, n dt dnnor av; 7 roùnlyguuua eulentkov; Xod Gov
xa) ta toads dote. ahalovela tic elvare ‘ElAjvwv noopayosvies
xrA. (Nr. 90). ac deinceps sex epigrammata singillatim percen-
set, ut id quod posuerat confirmaret. Novissimum locum obtinet
elogium Corinthiorum (Nr. 97), cui rhetor haec subiecit: wore
woa Go. Ox( mit avsovug wc Adoleoyas TWAS vexgovg xoi oùx
eldorag jovylay ayew* xata 08 vie ng Xiuwwldesos amelyperas
‘ovFowrne, xeioas Cwv Ere waddov rov ond ynç Exelrwv (Sim.
fr. 60). gége di xai tavra PEÉracov: ‘a Motion ydg . . . e-
ouopétva” (Sim. fr. 46). ravr où doxei co! cagdg 6 mounting
favróv Znawwv Ayer wo yoviuov xol nogımov elg 1a mein; tl d?
insıdavy AMyg* ‘un wos xatanavere . . . avdog (Sim. fr. 46).
Itaque adversarium facete redarguens adhibet versum Simoni-
deum ex melico carmine fr. 60, et tandem reversus ad
propositum, a quo declinaverat, docet ipsum quoque
poetam ingenue laudes suas testificatum esse. Iam Simonide
et melicis poetis absolutis transit rhetor ad historiarum scripto-
res. In aperto igitur est, disputationem de titulis, in quibus
Graecae civitates sempiternam rerum gestarum gloriam magnifice
extulerunt, parecbasin esse, sed ut par est non alienam a
proposito. Simonidi sui fiduciam non defuisse in principio et
in fine capitis rhetor comprobavit: iam quemadmodum supra,
ubi de epicis poetis verba fecit, ostendit heroes in carmi-
nibus Homericis multa gloriatos esse, ita hic docet Athe-
nienses, Laconas, Corinthios in carminibus Simonideis .
suas virtutes eximie praedicavisse: Simonideis per omnia
elogiis utitur rhetor: quid enim perversius, quam alio-
rum poetarum carmina adhibere, aut aliena Simonideis
interserere ? [taque omnia haec epigrammata res bellis Medicis
vel paulo ante gestas illustrant ; nam si Aristides dedita opera
de laudis studio, quo omnes omnino civitates ducuntur, disputa-
turus erat, exempla diversarum aetatium proposuisset; nunc quo-
niam de Simonide tam suarum quam alienarum laudum praecone
dieit, ex huius poetae carminibus documenta erant petenda.
Rhetor dum librum, qui Simonidis epigrammata con-
tinebat, evolvit, statim in poematium, quod poeta octoginta
annos natus scripserat, incidit; iam cum pergit explicare volu-
284 E. Hiller,
men, animum advertit ad elogia publicis monumentis destinata,
eaque res eum permovit, ut paulisper a proposito digrederetur.'
Die Gründe, aus denen diese Beweisführung für verfehlt
zu halten ist, sind folgende.
1. Nach der Erwähnung von Nr. 146 (ur7unv d’ ovuva .
pus xià. muß keineswegs, wie Bergk behauptet, in uns die
Erwartung entstehen, der Rhetor müsse noch weitere Beispiele
von Selbstlob aus Simonides beibringen. Er konnte sich bei
diesem ebenso mit einem Beispiele begnügen , wie bei Sappho
oder später bei Herodot.
2. Zugegeben, daß die Erwartung, von Simonides mehr
zu hören, berechtigt sei, so würde diese Erwartung nicht ge-
täuscht werden. Denn nachdem Aristides die rühmende Aeuße-
rung des Simonides über seine Gedächtnißstärke besprochen hat,
fährt er fort: ró dé nuvtwy péysorov: xoi yàp Ziuwrldns xai
Il(vóagog aupotego: pavovriar splow avioîg envlxoug rmermomo-
weg Èx Tov svFéog woneo Giors riolv. ov ydQ mu Ge Qweyxev jj
yl, GAN En totic &evFEgoıg nv dua rv totoviwr. Damit sind
offenbar, was Simonides anlangt, Epigramme über Siege in mu-
sischen Wettkämpfen gemeint; zwei solcher Gedichte, die sich
auf Siege des Simonides beziehen und in denen dessen Name
vorkommt, sind uns noch erhalten, (Nr. 145 und 147), und viel-
leicht hat Aristides, wie diese beiden, so auch Nr. 148 dem
Simonides beigelegt gefunden. Ob er von der Abfassung sol-
cher Epigramme auch durch Pindar etwas gelesen hatte oder in
Betreff Pindars an Stellen anderer Art dachte, oder ob er hier
etwas geflunkert hat, bleibe dahingestellt; jedenfalls enthalten
die angeführten Worte, die Bergk auffallender Weise völlig
unberücksichtigt gelassen hat, ein zweites mit größtem Nach-
druck hervorgehobenes Beispiel dafür, daß Simonides kein Be-
denken getragen habe sich selbst zu rühmen. Ja es wird die
„Erwartung“ noch weiterer Simonideischer Beispiele durch die
Worte 16 dé navtwy u£yıcıov eher ausgeschlossen als rege ge-
macht.
3. Die Hauptsache bei Bergk ist aber seine Argumentation,
aus der hevorgehen soll, daß Aristides vernünftiger Weise hier
nur Simonideische Epigramme anführen könne. Dieselbe
beruht auf der Meinung, der ganze Abschnitt über die Epi-
gramme beziehe sich noch auf Simonides ; Aristides wolle damit
Zu den Simonideischen Epigrammen. 285
nachweisen, daß Simonides, wie er für sich selbst berechtigtes
Eigenlob nicht verschmäht habe, in seinen Epigrammen andere
das gleiche habe thun lassen. Allein diese Meinung ist falsch
und Bergks Vergleichung jenes Abschnitts mit dem über das
Selbstlob der homerischen Helden vóllig verunglückt. Das letz-
tere Stück beginnt, im Anschluß an die Bemerkungen über das
Selbstlob Homers und Hesiods, mit den Worten (S. 498): «epe
dn naAw exurEAFwpev ini rovg avdgac megi wy dua AÉyovras
(Homer und Hesiod). obxovv doxst coe cugpéoruru xrFounwr
Dunoos wenotnxévas tov Aydiéu déyovra xt. Man ver-
gleiche auch die folgenden Stellen S. 506: oùrw iv uvrol te
où nomiaì ggovovcw Ey’ avtoig xai ob avdges, megi we dv a À é-
yovras xai ove uadicta mag aUrüv Ermaıvyovcıy OF n00n-
ratl.... noc ovv Ournow menolnıas tocasta xui ror
avra Mywv 6 Zeug megì adıov «rà. Auch S. 507 wird noch-
mals ausdrücklich hervorgehoben, daß es sich im Vorhergehen-
den nur um dasjenige Selbstlob gehandelt habe, welches Homer
den Heroen und den Göttern in den Mund lege. Wie steht es
dagegen in dieser Hinsicht mit dem Abschnitt über die Epi-
gramme? Auch nicht mit einem einzigen Worte deutet Ari-
stides darauf hin, daß die von ihm mitgetheilten Aufschriften
. Simonideisch seien. Nach dem Hinweis auf die *émí»xos, die
Simonides und Pindar für sich selbst gedichtet hütten,
wird zunächst geltend gemacht, daß Aristides’ Gegner conse-
quenter Weise auch den Siegern in den Wettkümpfen, denen
die Gesänge „der Dichter“ gegolten hätten, ihr Benehmen zum
Vorwurf machen müsse: zoig a&PAntaic abtoîg roig rovg émwt-
xovg naod THY noengzav dauBavovos xi. , d. h. von den
Epinikiendichtern überhaupt, oder allenfalls von Simonides
und Pindar, aber ganz gewil® nicht bloß von Simonides.
Alsdann führt Aristides, offenbar die Ausführung eines neuen
Gedankens beginnend, fort: xuınyopnonss d’ av aialortur xal
ıwv 14 roonusa boruvıwv, wg Fosxer. EEsom yovv xai mods rov-
rovg Meyer ‘avFowmos, 10 Unisite; èEaguei vevexnxévasr. tl dé 00
Bovderus 10 naguygamuc xr. (s. oben S. 238). Dies ist so
allgemein gesagt wie nur möglich, und speciell an Simonides
zu denken ist um so unstatthafter, da vorher nicht von diesem
allein, sondern von Simonides und Pindar die Rede war. Hätte
es, wie Bergk meint, in der Absicht des Aristides gelegen, daß
236 E. Hiller,
der Leser die nun folgenden Disticha für Simonideisch halten
sole, so hätte er dies jedenfalls in ähnlicher Weise hervorge-
hoben, wie er es vorher bei den Homerstellen gethan hat. Am
entscheidendsten sprechen aber gegen Bergk die einfachen Tro-
páen-Aufschriften, mit denen Aristides die Aufzühlung beginnt,
°A3nvaîor ano OnBalwr n Ilsoowv, Aasedasuovior and wv del-
»w». Bergk hat doch wohl nicht behaupten wollen, daß Ari-
stides auch diese Aufschriften dem Simonides habe beilegen
wollen; handelt es sich aber, wie es augenscheinlich der Fall
ist, hier nicht um Simonideische Worte, wo in aller Welt liegt
die Berechtigung, bei den nun folgenden metrischen Aufschriften
an Simonides zu denken? Aber noch mehr: die Ausdrücke bei
Aristides sind derartig, daß sie bei seinem Publicum die An-
nahme des Simonideischen Ursprungs vielmehr auszuschließen
als zu erwecken geeignet waren. Auf die vier athenischen Epi-
gramme (Nr. 90, 104, 142, 132) folgen die Worte: »} A
alla ravın "Marre xà xai Dtouorega, aA we wiv xai Yusig oUx
eig Eregov 1edovuer ÈIrog 17 noougéoe Tür Adywv anus noó-
dgÀoy. où Ó' ovv titrale 1a Awoia, tl Boule, xai ra Au-
xwvsxa" “uvosacıw nore xi... Liegt hierin nicht entschieden
die Anschauung, daß die ersten Epigramme Ausflüsse attischen,
die letzten (91 und 97) lakonischen Selbstgefühls seien, daß
folglich ihre Herkunft verschieden ist? Sicherlich hätte Ari-
stides sich nicht so ausgedrückt, wenn er sie alle als Produkte
eines und desselben Dichters hätte hinstellen wollen.
4. Als eine dem Kapitel über Simonides eingefügte „Par-
ecbasis" ist der Abschnitt über die Epigramme durch nichts
gekennzeichnet. Aristides will zur Widerlegung des Gegners
keineswegs bloß aus Vertretern der Litteratur Beispiele von
Selbstlob anführen. Zwischen den homerischen Beispielen und
denen aus den Lyrikern steht eines aus einem Orakel (S. 507);
spüter (S. 518) beruft sich Aristides auf Sokrates und wei-
terhin (S. 520 f.) auf die Aufschriften, die berühmten Malern
beigelegt werden; die dritte derselben besteht aus einem ho-
merischen Citate. So hat denn auch der Abschnitt über die
Epigramme, die sich auf die von ganzen Vólkerschaften im
Kampfe erwiesene Tapferkeit beziehen, für sich seine selbstän-
dige Bedeutung, und Aristides hatte nicht die geringste Veran-
lassung, sich auf Epigramme des Simonides zu beschränken.
Zu den Simonideischen Epigrammen. 287
Der Umstand, daß er sich am Schlusse dieses Abschnitts zur
nachdrücklichsten Zurückweisung des Gegners einer Wendung
aus Simonides bedient (xd14 ce Arie ng Zıuwrldssog Auslyeras
xrA.), läßt sich hiergegen natürlich nicht geltend machen (vgl.
Kaibel S. 438); nur soviel wird richtig sein, daß er hier den
Simonides darum citirt, weil er diesen Dichter kurz vorher an-
geführt hat und seine Poesieen ihm daher gewissermaßen am
nächsten liegen. Daß er mit den zwei nun noch folgenden me-
lischen Citaten zum ‘propositum a quo declinaverat’ zurückkehren
wolle, davon sagt Aristides kein Wort, hebt im Gegentheil mit
der Wendung gége dn xai tavia ê£éracor neu an. Der Zweck
dieser beiden folgenden Citate ist offenbar nur der, einen pas-
senden Uebergang zu einem anderen Zweige der Litteratur zu
ermöglichen: vn A’ «42° oi nomai poro !?) otiwe Epedvnoar.
oxones Antu xai Tobe Ó nro o6 ovg uóvovg Gv gc Suvuatuv
x14. Daß sie aus Simonides entnommen sind !?), ist zwar nicht
absolut sicher; denn Aristides nennt keinen Autornamen und
konnte denselben hier ebenso gut ganz weglassen, wie er es S.
520 beim Epigramm des Parrhasios und S. 521 f. bei zwei
Stellen aus Kratinos thut; indessen ist der Simonideische Ur-
sprung der Verse allerdings sehr wahrscheinlich ; nur folgt hier-
aus, zumal bei der freien Disposition der ganzen Auseinander-
setzung '*), für die Epigramme nicht das mindeste. Und wenn
sich schließlich Bergk darauf beruft, daß von den sechs Epi-
grammen sich fünf auf die Zeit der Perserkriege und eines auf
die kurz vorher fallenden Kämpfe Athens beziehen, so ist auch
dieses Argument ohne jede Beweiskraft. Aus der älteren Zeit
stand dem Aristides ein derartiges Epigramm wohl gar nicht
zur Verfügung, und weshalb er, wenn er sich nicht auf Poesieen
des Simonides beschränken wollte, die Verpflichtung hätte fühlen
sollen, den Epigrammen aus jener Heldenzeit noch einige aus
späteren Perioden hinzuzufügen, ist in keiner Weise einzusehen.
Einseitige Berücksichtigung jener älteren Periode gehört ja zum
eigentlichsten Wesen der Richtung, die Aristides vertritt !°): und
12) Mövos, nämlich unter den Vertretern der Litteratur, eine Er-
pünzung, die in diesem Zusammenhange selbstverstündlich ist.
13) Unter den Fragmenten desselben stehen sie seit Gaisford.
14) Auf die Historiker und Redner folgen die Maler, auf diese
die Komödiendichter.
15) Vgl. Baumgart, Aristides S. 18.
238 E. Hiller,
wo konnte er das, worauf es ihm ankommt, besser exemplifi-
ciren als an den Kümpfern von Marathon und den Ther-
mopylen ? — |
Bergks Meinung, Aristides habe die sechs Epigramme aus
einer ihm vorliegenden Sammlung von Epigrammen des
Simonides entnommen, muß hiernach als unstatthaft bezeich-
net werden. Der Beweis ist mißlungen, und direkt gegen jene
Meinung spricht der Umstand, daß Aristides bei Anführung der
Epigramme den Gedanken an eine dichterische Individualität
geflissentlich ferne hält und sie mit allgemein gehaltenem Aus-
drucke den Athenern und Spartanern zuschreibt !%). Auf der
anderen Seite ist hiermit noch keineswegs für alle sechs Epi-
gramme der Simonideische Ursprung als undenkbar erwiesen.
An sich denkbar würe er bei Nr. 104 und 182, von welchen
Epigrammen das letztere (wenn auch ursprünglich mit anderer
Versfolge) sicher '’), das erstere von Aristides nicht vollständig
angeführte vielleicht eine echte alte Aufschrift war; allein die
Annahme von Simonides' Autorschaft wäre hier, da es für die-
selbe nunmehr an jeder Beglaubigung fehlt, ein ebenso müssiger
Einfall wie bei irgend einem anderen anonymen óffentlichen Epi-
gramm, das innerhalb der langen Zeit von Simonides' dichteri-
scher Wirksamkeit verfaßt ist. Von Nr. 142 kann es als sicher
gelten, daß es weder simonideisch noch überhaupt gleichzeitig
ist; vgl. Kaibel Jahrb. f. Philol. 1872 S. 798. Br. Keil Herm.
20 S. 341 ff. Busolt Griech. Gesch. 2 S. 404 f£. Jahresber.
f. Alt.- Wiss. 1886 1 S. 74 f. Die übrigen Epigramme erfor-
dern noch eine kurze Betrachtung.
16) Anders drückt er sich mit Bezug auf Nr. 142 an einer an-
deren Stelle aus, née tw» rerraowr S. 209: ware toig nootfoois Epyoss
éxnendnyuévwr Tu» nom» toic 01° injec«r où BágBapos NoayFeiasy, uw
Tas Burynoey avınv xrÀ.
17) Vgl. Kirchhoff Corp. inscr Att. 4 p. 78. — In einem Scho-
lion zu Aristides’ Panathenaikos (S. 118 f. Dind., 351 Fr.) wird die
Erzühlung bei Herodot V 77, mit Nennung Herodots, excerpirt. Hier
heißt es zuletzt: dwé9:ca» dé tas nédas iv dxponóle, alg TVs alyua-
Adtovs Zdncav, xai yalxovy té9yimno» anonew tav Avtgwy: in einer von
Frommel benutzten Pariser Handschrift folgen noch die Worte o#-
tas dyowwy lv inıyoauuan ni 10 1590ínno. Bergk (S. 478) hat zu-
letzt ovtws acvéyywy oder ws avéyywusy vermuthet, eine Wendung, die
zu der vorhergehenden Nennung Herodots nicht passen würde. Ich
denke, dygw» ist nichts als die Wiedergabe eines schlecht lesbaren
œvayopagovres: bei Herodot heißt es Znuyeypanımı dé ob (ra re-
Soinnw) trade. Das Epigramm kann in dem Scholion weggefallen sein,
oder obrog bezieht sich auf das vorhergehende.
Zu den Simonideischen Epigrammen. 239
Mit dem Distichon Nr. 90 ‘E247rwv ‘ngouayoüvres * AIıpaioı
Magadan Extecvay Midwv évvéa wveradag hat es
eine eigenthümliche Bewandtniß. Die gleiche Fassung, nur mit
der Entstellung :!xooı statt évéu (8. oben S. 229 f.) lesen wir bei
Suidas s. v. szowxíAg und in den Scholien zu Aristides S. 289
Fr. In Wahrheit aber lautete die Grabschrift der Marathon-
kümpfer, wie wir durch Lykurgos wissen. "ElAnrwr nooun-
yowvres *AŸnvaios Maga9í»s yovoopoow»y Midwv èord-
gecuv duvausv. Es entsteht die Frage, wie diese Verbin-
dung desselben Hexameters mit zwei verschiedenen Pentametern
zu erklären ist. Auf einen höchst wunderlichen Gedanken war
Göttling gerathen (ges. Abh. 2 S. 151 ff) Er nahm an, wir
hätten in der bei Aristides gebotenen Fassung dasjenige Epi-
gramm des Simonides zu erkennen, welches nach der Aeschylos-
vita !$) dem des Aeschylos vorgezogen worden sei; dagegen der
Pentameter zQvcogógu» Mijdwv Eorogsouv dvrvauiv habe im Epi-
gramm des Aeschylos gestanden, und Lykurgos habe die
beiden Epigramme mit einander vermengt. Bergk erkannte
zwar sowohl, daß die letztere Annahme unstatthaft ist, wie auch
daB die fabelhafte Behauptung, es seien bei Marathon 90000
Perser gefallen — „etwas überschwenglich“ nannte sie mit sehr
milder Beurtheilung Göttling — unmöglich von einem Zeitge-
nossen herrühren oder gar der ursprünglichen Grabschrift ange-
hören kann; aber seine eigene Hypothese ist kaum minder aben-
teuerlich als die Góttlingsche. Um die Autorität des Aristides
zu retten, der seiner Meinung nach eine Sammlung von Epi-
grammen des Simonides in Händen gehabt und für die Schrift
mgl 100 nuoupdéyuaros benutzt haben soll, stellte er die An-
sicht auf, Simonides habe denselben Hexameter ‘EdAnvwy xıA. in
zwei Epigrammen angewendet; das von Lykurgos angeführte
Distichon sei für die Grabstätte bestimmt gewesen und sei für
ein vollständiges Epigramm zu halten; das bei Aristides ste-
hende Distichon dagegen sei nur ein Theil eines Epigramms,
und zwar eines anathematischen Epigramms ; éxzesvuv im Pen-
18) S. 468 Weckl. &nzosv di ws '"lépova, xara uva (nvàc mit Recht
die jüngeren Handschriften) uév ino tà» ’A9nvaivv xatnonovdacdeis
xai noandsis viv ovn Zoyoxlsi, xara di lviovc iv v eis rois iv Mapa-
Sains rePvyxotas làtytiq noondeis Ziumvidy: 10 ydg esysiov moÀ) tis
mig) 10 cvuraSès Aentorntos meriyew Féles, 0 100 Alogvlov, cis paper,
lotir adlotysoy.
240 E. Hiller,
tameter sei in &£xA.»oa» zu ändern. Gegen die Unvollstän-
digkeit spricht schon der Umstand, daß auch in den Anfüh-
rungen beim Scholiasten und bei Suidas, die auf eine von Ari-
stides verschiedene gemeinsame Quelle zurückgehen, nur ein
Distichon steht. Doch es ist unnóthig, die Seltsamkeiten der
Bergkschen Combination noch weiter im einzelnen zu prüfen, da
sich ihre einzige Grundlage, das vermeintliche Zeugniß des Ari-
stides, als hinfällig erwiesen hat. Man wird demnach in der
Fassung des Epigramms bei Aristides mit Schneidewin nichts
zu erkennen haben, als eine spütere leichtfertige Entstellung der
alten bei Lykurgos erhaltenen Form?) Daß Bergk auch die
letztere dem Simonides beilegte, glaubte er mit ‘den Worten
ipsi tantum licuit Simonidi versum iterare in publico monu-
mento’, begründen zu können, ein Argument, welches nach obi-
gem gleichfalls keine Gültigkeit mehr hat. Daß, wie jene unbe-
kannten in der Aesch.-Vita citirten &vsos behaupteten, Aeschylos
sich zu Hieron begeben habe, weil das Simonideische &Asyeio» auf
die Marathonkümpfer dem seinigen vorgezogen worden sei, ist
eine augenscheinliche Verkehrtheit. Die Ueberlieferung von der
Coneurrenz der beiden Dichter und dem Siege des Simonides
kónnte allenfalls alt und richtig sein, und unter dieser freilich
äußerst unsicheren Voraussetzung würde für den Glauben an
den Simonideischen Ursprung des bei Lykurgos stehenden Epi-
gramms in der That ein Grund vorliegen *°).
In anderer Weise als Góttling hatte Schneidewin die Stelle
der Aeschylos-Vita verwerthet (Simon. carm. rel. S. 80 f. Del.
poesis Gr. S. 401). Er bezog sie nicht auf die Abfassung einer
metrischen Grabschrift, sondern auf die Abfassung einer Elegie
‚und wollte ein Simonides- Citat dieser Elegie zuweisen; diesem
Citate hat Bergk, der Schneidewin folgte, noch ein zweites hin-
zugefügt (S. 422). Gegen diese Ansicht ist einzuwenden, daß
eine von Staatswegen angeordnete Concurrenz für die Abfassung
eines Grabepigramms immer noch leichter denkbar ist als
für die einer Elegie, die einer öffentlichen Bestimmung ent-
19) Vgl. Spengel Sitzungsber. der Ak. zu München 1875, 1 S8.
297 Anm. 10.
20) Die Worte in der Aeschylos- Vita S. 468, 9 Weckl. passen
freilich zu diesem Epigramm wenig. — Verworfen hat die Nachricht
von der Concurrenz Welcker Aesch. Tril. S. 518 f.
Zu den Simonideischen Epigrammen. 241
behrte, und daß der Ausdruck è 7@ elg Magadan teFvnxoT as
éAeyelo gleichfalls auf eine Grabschrift, die aus einem oder
wenigen Distichen bestand, und nicht auf eine Elegie hinweist ?!),
Was aber die bei Bergk zu lesenden Fragmente der vermeint-
lichen Simonideischen Elegie auf die Marathonkümpfer anlangt
(Nr. 81 und 82), so steht es mit ihnen sehr bedenklich. Nr. 81,
in den Aristophanes- Scholien des cod. Venetus aus Simonides
'éAeyeia! angeführt, lautet ed d’ aga zıunoas, Juyareg (so Schnei-
dewin statt Puyaréga) dios, Bonus agıorog, duos ° Adnralwr BEs-
téleoou jsovoc. Dazu bemerkte Schneidewin (Exercit. crit. in
poetas Gr. min. p. 19): 'Ipsa conformatio orationis manifesto.
docet, antecessisse sententiam fere hanc: Si negligere et con-
temnere soles eos, qui molles et imbelles sunt, hostes nostri digni sunt,
qui proculces: sin contra honorare, o filia lovis, si quis optimus, po-
pulus Atheniensium effeci (seu merui) solus. Hostes illi Medi in-
telligendi videntur. Diese Interpretation scheint mir günzlich
verfehlt: effect ist nicht dasselbe wie merui, und uovos wäre, .
wenn die Perser den Gegensatz bildeten, unpassend. Absurd ist
ferner die ebenso unwürdige wie unverdiente Schmühung der
Gegner, wie sie sich Schneidewin vorstellte, und die Ergünzung
des verbum finitum aus dem Vorhergehenden wäre sehr hart.
Der letztere Umstand und namentlich der mangelhafte Zusam-
menhang zwischen Vordersatz und Nachsatz führen zur An-
nahme, daB das Distichon in der Form, die es bei Schneidewin
und Bergk hat, nicht richtig überliefert ist. Mit Dindorfs Aen-
derung d7u© ist nichts gewonnen. Vermuthlich hat der Schrei-
ber des Venetus zwischen Hexameter und Pentameter zwei Verse
(resp. ein in seiner Vorlage stehendes &wg rov) weggelassen,
Nach dem Hexameter mochte zuerst der Relativsatz beendet
worden sein (man vergleiche die Worte des Aristophanes); es
folgte alsdann das zum Condicionalsatz gehörende verbum finitum
und hierauf eine Begründung, deren Schluß der Pentameter bil-
dete. Ist die im letzteren überlieferte erste Person richtig, so
ließ Simonides in diesem Gedichte den Demos der Athener in
21) Der in der Vita gebrauchte Ausdruck 7 7605 70 ovunaSès
lentoms paßt meiner Meinung nach für ein Grabepigramm besser als
für eine Elegie (vgl. Göttling S. 151), zum mindesten nicht schlech-
ter. — Ueber die Anwendung von !isysiov bei Paus. VII 18, 1 hat
Nik. Bach richtig geurtheilt, Philetae rel. S. 102.
Philologus. N.F. Bd. II, 2. 16
242 E. Hiller,
erster Person reden; indessen hat die überlieferte Ausdrucks-
weise im Pentameter für mich etwas auffallendes, und Hartungs
Conjectur éEezéAeoos halte ich daher für nicht unwahrscheinlich.
Daß Simonides die Leistungen der Athener mit denen anderer
Griechen verglichen hat, kann man vermuthen; was es aber
speciell gewesen ist, was nach ihm ‘allein das Volk der Athener
vollbracht hat’, muß ganz dahingestellt bleiben. — Das zweite
Fragment, welches nach Bergk aus der Elegie auf die Schlacht
bei Marathon entnommen sein soll (Nr. 82), ist der Vers wunder
dauagretv gor Feov xal navta xaroodouv. Dies beruht auf
einem Scholion zu Gregor von Nazianz in Piccolomini’s Estratti
inediti dai codici greci della biblioteca mediceo-laurenziana p. 6
Nr. 33: A£y& dì xai Ziuwvlôns — sig d' ovrog tov F Aveuxdy
— iv imygduuoty bnFivw avid ini toi Muoa9dv necovosw
Tv AInvalwy roy orlyov 1ovrov ‘undèv «ri. Daß hier aus-
drücklich von einem Epigramm, nicht von einer Elegie die
Rede ist, erklürte Bergk (offenbar wegen Nr. 90, dessen zwei
Fassungen nach Bergk beide simonideisch sein sollen) für einen
Irrthum , hielt aber im Uebrigen die Angabe für glaubwürdig.
Ich bin eher geneigt??) bei diesem Scholiasten einen Irrthum
als die Benutzung einer uns verlorenen guten Quelle anzuneh-
men, hauptsüchlich darum, weil der Vers für diejenigen, die in
einem glünzenden Siege gefallen sind, wenig passend erscheint.
Er war, denke ich, dem Scholiasten aus Demosth. de cor, 289 f.
als Vers eines Grabepigramms im Gedächtnisse geblieben, ohne
daß er sich seiner Quelle erinnerte; daB er in Folge hiervon
irrthümlich die Schlacht bei Marathon nannte, ist sehr begreiflich,
wobei dann der Name des Simonides gewissermaßen selbstver-
ständlich war. Andere ungenaue Reminiscenzen an die Kranz-
rede finden sich, wie Piccolomini bemerkt hat, auch in den Scho-
lien Nr. 83 und 86 *?) In unserem Scholion wird bei Gele-
genheit der Schlacht bei Marathon hinzugefügt: Aéyeza, dè unig
ÉEnxiGyiMovg uèv 1edvavuı 10v. Ilegowv év a Maçadwvs, *495-
valwy dé éxatov xai elxoos ngog roig Évvéa xai cipatnyòv Eva
tov Srnowxdéa. Dies stammt aus dem auch in Nr. 194 flüchtig
benutzten Herodot (VI 114. 117), mit den beiden Fehlern 129
statt 192 und Stesikles statt Stesileos, kann uns also wahrlich
22) Nach dem Vorgange Spengels S. 298.
23) Vgl. auch die Scholien Nr. 29. 42. 119. 224.
Zu den Simonideischen Epigrammen. 248
nicht dazu veranlassen, dem Scholion einen hóheren Werth zu-
zuerkennen ?*4. Meiner Meinung nach hat der fragliche Vers
seine ursprüngliche Stelle in dem Epigramm auf die Gefallenen
von Chüronea gehabt und wird aus diesem von Demosthenes
§ 290 angeführt *5). Das in den geringeren Handschriften § 289
stehende Epigramm halte ich mit Karsten u. A. für ein späteres
Machwerk?9); dies ist meines Erachtens weit wahrscheinlicher
sowohl als Weils Annahme von massenhaften starken Corrup-
telen der Handschriften, wie auch als Bergks Hypothese (2 S.
334), es sei die mehrfach unleserlich gewordene Inschrift mit
falschen Ergänzungen copiert worden. Bergks Bemerkung, man
müßte die Unechtheit des Epigramms in Athen alsbald erkannt
haben, ist richtig, beweist aber gar nichts für die Echtheit ;
demjenigen, der an irgend einem Orte der hellenistischen Welt,
wohl in buchhändlerischem Interesse, das Epigramm fabricirte
und dem Demosthenes-Texte einfügte, mochte es ziemlich gleich-
gültig sein, welchen Erfolg sein Verfahren in Athen haben werde,
und wer etwa in Athen die Unechtheit entdeckte, hatte nicht
die Macht, das Epigramm aus sämmtlichen Exemplaren, in de-
nen es bereits stand, zu entfernen. Zur Tilgung des Verses in
8 290 aber scheint mir ein genügender Grund nicht vorzuliegen ?").
Soviel über die vermeintliche Marathon- Elegie des Simo-
nides. Auf die Elegie des Aeschylos, der man die des Si-
monides vorgezogen habe, wollte Schneidewin S. 81 die Worte
in Plutarchs Qu. symp. I 10, 3 S. 628 beziehen: J'Aavx(ag dè
0 dntwg xai 10 dektov xéqus Aluvildars 175 Ev Maga», naga-
takews anodosnvus tuts Aioyvdov (slg add. Steph.) zv ue9o-
oluv Üeyeluıg nioiovjuevog, Nywopévow ziv wayyy Exelvnv dm-
purdç 29). Daß die Worte (slg) 1)» uedoglur nicht richtig sein
können, unterliegt keinem Zweifel. Schneidewin vermuthete eig
m oder 10v Mugu3wra, was eine unpassende Bezeichnung
ergeben würde. Bergk (bereits in der Ztschr. f. d. Alterthums-
24) Andere Beispiele von Liederlichkeiten finden sich in Picco-
lominis Anmerkungen angegeben. _
25) Die vorhergehenden Worte xai &v abtw tovrp sind, wie jetzt
wohl von allen Herausgebern anerkannt wird, mit Reiske zu streichen.
26) [Vgl jetzt Preger S. 22 ff.]
27) Ueber das Epigramm Anth. Pal. VII 245 — C. inscr. Att. 2,
1680 vgl. Bergk 2 S. 332 f. [Preger S. 29 f.)
28) Vgl. Ad. Bauer, Themistokles S. 1 f. und 167.
16*
244 E. Hiller,
wiss. 1835 S. 952) eig rjv Ma«gaSwvíav (scil. pdynv). Daß aus
einer dieser Lesarten wéFogfa» entstanden sein sollte, entbehrt
jeder Wahrscheinlichkeit. Gegen Bergk vgl. auch Güttling 8.
153 Anm. 2. Etwas weiter unten heißt es bei Plutarch: dió
zus raig Zggayuto: Nuupars wv Enwixov xal nvdoyonorov ani-
yov avidos Fuoluv elg KiFosqwva, tig móÀemg 10 iegeior xai
rà Gila mageyovons avioig. Der Kithäron ist das Grenzgebirge
zwischen Attika und Böotien. Ich vermuthe, daß zw pe-
Foglav ursprünglich eine von einem Leser zu KsPasgwva bei-
geschriebene Randbemerkung war, die an anderer Stelle 29) in
den Text gedrungen ist. Jedenfalls ist, wenn man die Un-
wahrscheinlichkeit der Schneidewin - Bergkschen Conjecturen zu-
gibt, die Existenz eines besonderen Aeschyleischen Gedichts auf
die Schlacht bei Marathon aus der Plutarchstelle nicht zu ent-
nehmen; von dem Antheile der Aeantis an der Schlacht konnte
in Aeschylos’ Elegieen auch in anderem Zusammenhange die
Rede sein.
Ich wende mich nach dieser Abschweifung wieder zu den
bei Aristides stehenden Epigrammen. Nr. 91 wird, zusammen
mit 92 und 94 von Herodot VII 228 in folgender Weise er-
wühnt: Japdeicr dé ops aùtov ravın ınneQ Eneoov, xai totes
0078009 tedevijoaci 7 vnó Aewvidew unoneupdérracg olyeoFas,
énvyyoantar yeappata Akyovın 1406 ‘wugscos note tide 1017x0-
class 3°) dudyovro èx ITerormovragov quads sétoges? (91). Tavıa
uèv di ros nücs Emy£yganımı, roicı dì Znagummo idótg ‘à
Ee» ayyéhhesw Aaxedasmovloss Oty tide xelueda Toig xelvov Órj-
pacs nes9opevoy (92). Aaxedasuoviosoi wiv dq tovto , 1H dè
paves 1óde& ‘puviua rode xr. ensygnumacs pév vuv xai GrjAnos,
Hw 7 16 tov pavuos iníygnuua, “Aupextvoves slot opeac ol
Inıxoounoavıss‘ 10 dé tov uavnos Meyioitew Ssuwvidns 6 Aew-
moéneog dors xata Sein 0 émygayas. So konnte Herodot —
29) Vielleicht darum, weil der Archetypus in zwei Columnen ge-
schrieben war und die Bemerkung zwischen den Columnen stand.
30) Verfehlt ist Bergks Aenderung tgsaxovtass. Eine derartige
Dativform nachzuweisen ist ihm nicht gelungen. Man darf die Worte
nicht so genau nehmen wie es Bergk thut ('quis animum inducat,
triginta myriadas Persarum in angustis convallibus Thermopylarum
cum Graecorum paucitate conflixisse ?’); es wird nur die (angebliche)
Gesammtsahl der feindlichen Heeresmassen (vgl. Herodot VII 185 und
186) in runder Summe der Zahl der Griechen gegenübergestellt.
Zu den Simonideischen Epigrammen. 245
hierin muß ich Bergk S. 438 recht geben ?') — auch berichten,
wenn er die Abfassung auch der zwei ersten Epigramme dem
Simonides beilegte; aber die Thatsache, daß er hiervon nichts
sagt, bleibt bestehn **). Beide Epigramme werden dem Simo-
nides in der Anthologie beigelegt, Nr. 92 bei Cicero, für dessen
Zeit wir den Glauben an Simonides! Autorschaft wohl auch für
Nr. 91 annehmen dürfen. Ob aber dieser Glaube in letzter In-
stanz auf etwas anderem beruhte, als auf der Vorstellung von
Simonides als dem Epigrammatiker der Perserkriege *5), muß
dahingestellt bleiben.
Nr. 97 endlich lautet folgendermaßen:
*Anwos Eoraxviay àni Evgov ‘EMdda nücav
taig aurdr yuyuis xelue9a Óvod evo,
dovAoovvas‘ llfgcoig dé meoì qptol nuara moavia
fwapev, agyalégg priuara vavpaylns
dorks, d° nuw Eyes Surapls wargic dì Kogu Fog
avr’ eveoyeoing uviu énéFnxe Tode.
Alle drei Disticha werden blof bei Aristides angeführt, das
erste Distichon allein dreimal: bei Plutarch de Herodoti malign.
39 S. 870, in der Anthologie VII 250, hier unter dem Namen
des Simonides, in Verbindung mit dem Distichon Nr, 101 beim
91) Nur durfte Bergk weder, in Widerspruch mit dem Wortlaut
der Stelle, sagen 'Herodotus monumenti auctorem, non elogii
scriptorem dicit' [vgl. Preger S. 6 f.] noch Zniyeauu« streichen, wel-
ches Wort gar nicht entbehrt werden kann; denn die Ergänzung von
ojua zu 10 100 uarnos ist unstatthaft.
32) [Wenn Preger 8.7 zu Gunsten des Simonideischen Ursprungs
von Nr. 92 den ionischen Dialekt geltend macht, so scheint mir dies
ohne Gewicht. Æ (d.h. ¢ und unechtes &) und 9 können auf der In-
schrift nicht unterschieden gewesen sein; es handelt sich also nur
um tds: aber, abgesehen von der Möglichkeit, daß man für eine der-
artige durch ihren Ort und ihre Bedeutsamkeit über den epichorischen
Charakter hinausgehende Inschrift homerische Formen für angemessen
gehalten habe, wer könnte die Ursprünglichkeit von s7de verbürgen ?
Bei einer Inschrift von solcher Art konnte der heimathliche Dialekt
des Verfassers gewiß nicht in Betracht kommen.]
33) Wann und von wem zuerst eine Sammlung Simonideischer
Epigramme veranstaltet wurde, ist unsicher. Vielleicht existirte im
5ten Jahrhundert eine Sammlung von Simonides’ #4gyeîa, in der sich
eine Anzahl von Epigrammen befand, deren Zusammenstellung von
Simonides selbst herrührte. [Anders Preger S. 5.] Das Citat bei
Aristoteles Rh. I 9 S. 1367 b, ist übrigens ohne Belang; denn Aristo-
teles kann den Namen des Simonides aus einer Prosaschrift entnom-
men resp. im Gedüchtnisse behalten haben. In der von Gramma-
tikern benutzten Sammlung, worüber Kaibel S. 451 zu vgl., befand
sich gewiß schon mehreres unechte.
246 E. Hiller,
Aristides - Scholiasten S. 136 Dind., 52 Fr. Daß der Scholiast
in der von ihm benutzten Epigrammensammlung “*) die beiden
Disticha, ebenso wie es in unserer Anthologie der Fall ist, als
zwei selbständige Epigramme vorfand, ist aus einem späteren
Scholion zu derselben Rede, S. 154 f. Dind., 58 Fr., zu entneh-
men; denn hier wird Nr. 101 als selbständiges Epigramm an-
geführt. Es erscheint auch nicht wohl denkbar, daß jemand mit
Ueberlegung und bewußter Absicht die zwei Disticha, trotz
xe(ut9a und noxeour, zu einem einheitlichen Epigramm habe
vereinigen wollen 35). Die unmittelbare Verbindung der Disticha
in.dem früheren Scholion ist hiernach sicherlich nur auf eine
Nachlüssigkeit zurückzuführen: ob auf die des Scholiasten oder,
nach der Annahme Frommels S. 52 und Bergks, auf die eines
Abschreibers, ist ziemlich gleichgültig ; für die letztere Ansicht
spricht das spätere Scholion ?9) Somit dürfen wir also auch
den Aristides- Scholiasten, neben Plutarch und der Anthologie
als einen Gewührsmann für die selbstündige Existenz des ersten
Distichons von Nr. 97 ansehen. Bergk hielt diese Isolirtheit
des Distichons nicht für ursprünglich, schrieb vielmehr das ganze
Epigramm wie es Aristides anführt dem Simonides zu. Diese
Meinung ist entschieden zu verwerfen. Zunächst ist es schon
an sich wahrscheinlicher, daß ein aus einem Distichon beste-
hendes Epigramm durch Hinzufügung erweitert wurde, als daß
ein längeres Epigramm verkürzt worden wäre und diese Ver-
kürzung sich in verschiedenen Quellen, die nicht in direktem
Zusammenhang unter sich stehen, vorfinden: sollte. Dazu kom-
men mehrere Anstöße, die in den Versen 3—6- vorhanden sind
und es unstatthaft erscheinen lassen, dieselben einem im fünften
Jahrhundert von Staatswegen gesetzten Epigramm mit derar-
34) S. oben S. 229 ff.
35) Bergk zu 101.
36) Insofern allerdings hat der Scholiast geirrt, als er (was
aus der Stelle des Aristides, für welche das frühere Scholion bestimmt
ist, mit Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann) das Distichon
97, 1 f. auf die Athener oder auf die Hellenen einschließlich der
Athener bezogen hat; aber diese Vermuthung lag, wenn die Ueber-
schrift des ihm vorliegenden Exemplares eine bestimmtere Angabe
nicht enthielt, äußerst nahe. — Uebrigens kam dem Aristides-Scho-
liasten nicht allzu viel darauf an, ob die Epigramme, die er der ihm
vorliegenden Sammlung entnahm, zu den Worten des Aristides in un-
mitterbarom Bezug standen: man vergleiche S. 289 Fr. das Citat
von Nr. 90.
Zu den Simonideischen Epigrammen. 247
tiger Bestimmung zuzuschreiben. Das von Kaibel (Rhein. Mus.
28 S. 443) bei einem Kenotaph mit Recht für unpassend er-
klärte à x éFnxe in V. 6 vertheidigt Bergk mit den Ausdrücken
xeröv urua und xevog zuußos, sowie mit dem homerischen yeu’
° Ayapturovi ıUußov, eine Vertheidigung, die anderen wohl ebenso
rüthselhaft erscheinen wird wie mir. In den Worten /T£eoasg
dì negi poeoi mjuara navıa Hwawev nimmt Bergk Tmesis und
Gyqjuu xa9' 0Àov xoi uéoos an, gewiß mit Unrecht, da egi
geesi eine bekannte Verbindung ist und es niemandem einfallen
konnte, regi zum Verbum zu ziehen; übrigens conjiciert er dann
selbst xepépoom , eine Conjectur, von welcher diejenigen keinen
Gebrauch machen werden, die die Verse dem Simonides ab-
sprechen. Ebenso wie an dem ungeschickten reg qgoeoi mü-
para myauey hat Hartung mit Recht auch an mavra Anstoß ge-
nommen. Nach alledem werden wir nicht anstehen, die Verse
3—6 mit Schneidewin für eine spätere Erweiterung zu halten.
Was das erste Distichon anlangt, so beruht die Zurückführung
auf Simonides, da Aristides hierfür in Wegfall kommt, lediglich
auf der Anthologie. Dieses Zeugni ist bekanntlich bei Simo-
nides von ganz besonders geringem Gewicht. Daß das Epi-
gramm nichts enthält, was mit Evidenz gegen Simonides sprüche,
ist zuzugeben. Auffallend erscheint, wie Kaibel (S. 443 f)
richtig hervorhebt, das Fehlen einer Bezeichnung der Todten
sowohl als der Feinde, sowie der Umstand, daß die Worte zu-
nächst den Eindruck machen, es handele sich um Bestattung
àn Ort und Stelle. Indessen trage ich Bedenken, gegenüber
der bestimmten «Angabe in der Plutarchischen Schrift 2d d’ èy
le9ug xevoragyıov entygagny Eyes zavınv in Abrede zu stellen,
daß das Distichon eine wirkliche Inschrift gewesen sei 2”), Die
Möglichkeit ist nicht abzuweisen, daß es, ebenso wie das Epi-
gramm OC. inser. Att. 4 p. 108, als Abschluß einer Inschrift
von ungebundener Form gedient hat°®), so daß man durch
diese erfuhr, wem das Kenotaphion galt u. s. w. Auch in den
eben citierten Versen der attischen Inschrift wird ja nicht an-
gegeben, wer die Todten sind. Zu einer sicheren Entscheidung
der Ursprungsfrage wird man indessen auch bei dem Epigramm
97, 1 f. kaum gelangen können.
37) Vgl. Junghahn de Simon. epigr. p. 25. Ueber die Plutar-
chische Schrift Bergk S. 436 f. Holzapfel "Philol, 42 S. 23 ff. [Pre-
ger S. 9.] 38) Vgl. auch Bergk S. 440,
Halle. E. Hiller.
XIII.
Vorbilder und Nachahmer des Valerius Flaccus.
Valerius Flaccus ist im Alterthume fast verschollen, im
Mittelalter ganz vergessen und auch in der Neuzeit nur wenig
berücksichtigt worden. Erst K. Schenkl hat die Argonautica
fast der Vergessenheit entrissen. Abgesehen von den gründ-
lichen textkritischen Untersuchungen besteht das Verdienst Schenkls
besonders darin, daß er gezeigt hat, wie Valerius Flaccus in
seiner dichterischen Sprache von früheren Vorbildern abhüngig
ist (Studien zu den Argonautica des Val. Flaccus, Wiener S. B.
LXVIII 271—382). Gegen diesen letzteren Punct besonders
ist Baehrens (Val. Flacci Argonauticon libri VIII recogn. Aemil.
Baehrens p. V —IX) allzu absprechend aufgetreten, indem er die
Nachweisungen Schenkls mit Ausnahme der Vergilstellen als
nicht stichhaltig verwarf. Denn wenn man auch zugiebt, daß
manche von Schenkls Stellen die Probe nicht bestehen, so bleibt
doch ein fester und unumstößlicher Kern zurück. Ich will im
folgenden versuchen, auf Schenkls Grundlage weiter zu bauen,
indem ich auf die Abhüngigkeit des Valerius von früheren Dich-
tern näher eingehe.
I.
1. Vergilius. Daß Valerius sein Gedicht unter steter
wörtlicher Benutzung Vergils geschrieben hat, ist durch Schenkl
eingehend erwiesen und durch Baehrens bestätigt worden (Schenkl
NENNEN
Vorbilder und Nachahmer des Valerius Flaccus. 249
L 1 S. 371 f£, Baehrens 1. 1. S. 174 ff) Letzterer hat viele
von Schenkls Stellen entfernt und. nicht eben viel wichtige und
neue hinzugebracht. Zu beiden Verzeichnissen gebe ich einen
Nachtrag von unbedingt heranzuziehenden Stellen:
Argon. I, 46: Aen. III 511. Argon. III 548: Aen. V 291.
74: I 77. IV 4: I 502.
80: V 256. 98: IV 219.
101: VIII 160. 94: VII 640.
210: I 730. 189: VIII 116.
278: III 81. X 538. 249: V 881.
917: I 501. VI 856. 296: IV 300.
826: XII 48. | 571: XI 765
984: Ecl. VII 32. 589: II 95.
602: Aen. I 54. 760: I 638.
712 £: II 560. V 243: VIII 25.
798: I 627. 278: I 597.
821: X417. XI818f. 551: II 137.
840: XII 169. 598: VIII 94.
II 2: I 648. VI 115: I 265.
17: III 583. 367: XII 925?)
25: V 182. 462: Ge. III 225.
117: IX 595. 489: Aen. VII 156 f.
131: IV 194. 496: V 409.
313: X 2. 577: XII 466
341 f.: I 688 f. 679: IV 277.
852: V 709. 711: Ge. II 185.
986: XI 89. VII 37 £: Aen. IV 169 £.
412 f.: IX 381 f. 112: XII 866.
444: VIII 97. 150: IX 693.
458: X 291. 192: I 218. IV 508.
455: VII 534. 344: I 514.
568: VI 520. 452: II 676.
III 63: VI 165. 472: V 14.
286: II 277. 546: VIII 224.
453 £: III 138 f£. '). 618: IX 34,
1) Vielleicht ist hiernach auch bei Valerius 'letifer für 'luctifer'
zu schreiben.
2) Daß Valerius hier den Vergil und nicht wie Schenkl 1. 1. 8.
A
. 250 M. Manitius,
Argon. VIII 284: Aen. III 483. Argon. VIII 424: Aen. IX 97.
322 f.: 153
Bemerken möchte ich noch, daß die Corruptel Aen. VII 26
roseis für varüs (Ribbeck yb) wahrscheinlich schon zu des Va-
lerius Zeit existiert hat, wie sich aus Argon. II 261 ergiebt.
2. Ovidius. Schenkl hat (1.1. S. 371 sq. n.) eine
größere Anzahl Stellen beigebracht, welche Valerius dem Ovid
entnommen. Baehrens (l l. p. VII) läßt von diesen Imitationen
keine einzige als sicher gelten. Indeß seltene Wendungen wie
IV 517 imaque summis | Miscuit (mir nur noch erinnerlich bei
Rutil. Namat. IT 44) u. a. sind bezeichnend genug. Ich habe
folgende Stellen hinzuzufügen und glaube dadurch die Benutzung
Ovids völlig sicherzustellen:
Argon. I 91 f. Met. VI 216 celerique per aera lapsu | Contige-
rani . . arcem.
286. Met. V 227 mansura dabo monumenta per aevum,
302 f. Met. XIII 716 Vocalemque sua terram Dodonida
quercu | Chaoniosque sinus.
316. Met. VII 143 avidisque amplexibus haerent.
339 f, Met. VIII 103 aeratas compleri remige puppes.
399. Met. I 106 deciderant patula Iovis arbore.
484. Met. III 234 per compendia montis.
660. Amat. III 655 quum munere gaudet.
750. Trist. V 3, 47. Fast. H 507 pia turba Quirinum.
772. Met. I 166 Ingentes animo et.
II 113. Met. IX 275 at longis ànzia curis; cf. IV 6.
242. Met. VII 178 ingentibus annuat ausis.
373. Met. VH. 410 T'irynthius heros.
470. Amor. III 6, 67 Illa oculos in humum deiecta modestos.
482. Met. V 17 sed corniger Ammon.
502. Met. VIII 284 riget ardua cerivix.
623 f. Met. VI 587 sacra solent trietericd Bacchi.
III 338. Amor. III 9, 12 Oraque singultu concutiente sonant.
IV 531. Met. XIII 216 deceptus imagine somni ; cf. VII 213.
549. Met. IX 229 Iovis inclita proles.
971 adn. meint, den Ovid benutzt, ergiebt sich aus dem Wortlaute
Aen. XII 925 clipei extremos septemplicis orbes, Valer. Fl. VI 967
clipei septemplicis improbus orbem.
Vorbilder und Nachahmer des Valerius Flaccus. 251
Argon. IV 574. Met. XIV 7 tenet confinia terrae.
745. Epist. XVII 175 toto procul orbe remotus.
VI 664 f. Fast. III 329 tremuisse cacumina silvae.
VII 604. Epist. III 63 subito telluris hiatu.
VIII 75. Fast. V 45 Iovis et fidissima custos.
121. Met. XV 54 Invenit . . fluminis ora.
222. Fast. V 549 Annuerat promissa fides; cf. 249.
9. Lucan. Gleichheit einiger Stellen bei Valerius mit
Lucan wies schon Schenkl 1. 1. S. 371 adn. nach. Ich gebe
hier unten als Nachtrag die von mir ermittelten Imitationen :
Argon. II 56. Lucan. I 218 Tertia iam gravido pluvialis Cyn-
thia cornu.
114. I 341 His saltem longi . . praemia belli | Reddentur.
560. II 34 summi templo iacuere Tonantis.
III 46. I 239 Rupta quies populi.
618. VI 424 Impatiensque morae; cf. VIII 303.
120. III 37 Maior in arma ruit.
IV 13. V 158 dabis impia poenas.
519. I 190 quo tenditis ultra.
589. II 553 Scythicis Crassus victor remeasset ab oris.
664. I 246 Diriguere metu . . pavor. occupat artus.
V 86. I 120 stimulos dedit aemula virtus.
120. I 605 longis amfractibus urbem.
442. IV 407 Hadriaco tellus circumflua ponto.
674. I 191 mea signa viri? si iure venitis.
VI 608. I 529 terris nutantem regna cometen.
Es dürfte nach Vorstehendem nicht mehr zweifelhaft sein,
daB Valerius Flaccus seine poetische Sprache ebenso nach Vor-
bildern gerichtet hat, wie dies schon von den meisten rómischen
Dichtern feststeht.
II.
Schenkl hat 1. l. 803 f. adn. eine ganze Anzahl Stellen ©
nachgewiesen, aus welchen die Anlehnung des Statius an Vale-
rius Flaccus hervorgeht. Freilich tritt die Abhängigkeit des
Statius noch viel stärker hervor, wie ich im folgenden beson-
ders für Theb. I—VI nachweisen werde.
252
Stati Theb.
659.
M. Manitius,
I 438. Val Flacc. VI 186 thorax egerit imbres
Sanguineos; cf. V 598.
VII 314 ipsumque simul demittere leto.
II 675—80 hat zum Vorbild Val. Fl. VI 613—617.
III 26.
III 578 hiberni vultus Iovis.
63. VI 584 sparsit vaga lumina vultu.
68 f.
V 146.
262 f.
368 f.
449.
594.
626.
686,
691.
693.
VI 41.
III 386 Zdocuere necem patet ollis ianua leti.
V 308 sanguine magna ostia belli.
V 590 idle profundo | Incumbens Odrussa mero.
IV 270 rabidum ventis certantibus aequor | Inten
rata secat.
VII, 328 Et saevae patuere fores.
II 168 oscula postibus ipsis | Ingeminant lacrimisg
clerum . . morantur.
II 2 patrios cognoscere casus.
III 719 ingenti repetuntur pectora luctu.
VII 398 volucri Thaumantias ala.
I 633 segni flentes occumbere leto.
IV 71 congeminant amnes rupesque fragorem.
46. II 273 Conticuisse domos.
95. V 603 equi potantem cerne cruores.
113.
134.
208.
611.
711.
747.
774.
868.
903.
VII 46.
IX 044.
666.
705.
VII 591 gravius mugire . . | Incipit.
VII 361 longi languescit finibus aevi.
VIII 449 infestos vibrantibus hastis.
III 48 Pan nemorum bellique potens.
VII 314 ipsumque simul demittere leto.
II 313 non illis obvia tela.
III 661 vacuos cur lassant aequora visus.
I 435 Herculeis aequum Meleagre lacertis.
I 467 solus transibit nubila Lynceus.
VI 622 maesto contristat aidera vultu.
III 129 fumanti nube coruscus.
III 391 maduerunt sanguine dextrae.
IV 29 iungitque . . et frontis honores (VI 296); ı
Silv. I 2, 118. II 1, 26.
802 f. III 100 seseque a lumine ferri | Sustinutt praeceps.
X 144.
984.
544.
VI 664 summa cacumina silvae.
II 242 digna tuis ingentibus ausis.
VI 104 ferentem | Undique falcatos currus.
Vorbilder und Nachahmer des Valerius Flaccus. 253
Stati Theb. XI 357. Val. Flacc. VIII 55 ie haeret comes et
miseratur euntem ; cf. Achill. I 845. "Theb. V 98 f.
495. I 132 ipsa sedet deiecta in lumina palla; cf. XII 469.
XII 54. I 660 quam munere gaudens.
In seiner Ausgabe des Sedulius verwies Huemer (S. 87)
zu II 297 auf Val. Fl. IV 648. Die Aehnlichkeit beider Stel-
len ist allerdings frappant. Weiter sind zu vergleichen:
Val Flacc. II 288 per opaca Sedul. C. P. IV 219 per opaca
silentia noctis, cf. VIII 389. silentia noctis.
II 388 crebris quatiens singul- III 108 Singultu quatiente valens.
bus ora.
VI 517 curruque coruscus. I 181 curruque corusco.
I 671 tollique necessum | Pontus Iuvenci hist. ev. II 27 consur-
habet . . | . . consurgere in iras. gere in iras | Pontus . . | Instat
. sustollere montes ; cf. I 499.
IL 113 variis coniunz nunc anzia IV 907 iustis soror anxia curis.
curis,
Il 488 nostrae stata dona salutis, II 66 suae veneratur dona sa-
lutis; cf. 334.
Il 560 summique tibi genus esse IV 553 summi per regna To-
Tonantis. nantis,
V75 his Bacchus in undis | Ab- Prudent. Psych. 99 gladium
luit eoo rorantes sanguine thyrsos. — Iordanis in undis | Abluit infectum
sanies cui rore rubent.
III 20 Dindyma sanguineis fa. Claudian. rapt. Pros. II 269
mulum bacchata lacertis; 232 mo- Seu tu sanguineis ululantia Din-
tis ululantia Dindyma sacris | dyma Gallis | Incolis et . . re-
Tunc ensis placet atque furor. 8pécis enaes,
I89 dabit auratis et cornibus ictu. Moduinus Naso ecl. II 20
adductis lateri dat cornibus ictum.
III 120 Talis in arma ruit. Ermoldi Nigelli ad Pip-
pin. II 153 Qualis in arma ruit.
Außerdem geht wahrscheinlich Terentian. Maurus carm.
heroic. 1286 (ed. Lachmann) Pro captu lectoris habent sua fata
libelli theilweise auf Val. Fl. VI 676 zurück: Quae coepistis ha-
bent quoniam sua fata furores.
254 M. Manitius, Vorbilder u. Nachahmer d, Valerius Flaccus.
Sehr unwahrscheinlich ist jedoch die von Amann (de Co-
rippo priorum poetarum lat. imitatore p. 29 f.) behauptete Be-
nutzung des Valerius durch Corippus, denn die meisten der dort
vorgebrachten Beweisstellen sind dem Vergil oder Ovid entlehnt
oder sind überhaupt nicht beweiskräftig (reserata dies Stat. Theb.
V 479; Iovis armiger Aen. V 255, IX 564 (letztere Stelle ist
Vorbild zu Joh. IV 388 f.) per opaca Aen. II 725; VI 633;
opacae moctis Aen. VIII 658; moenibus urbis e. gr. Aen. XII
116; crudescit pugna. Aen. XI 833; VII 788; ardua cerviz Ov.
Met. VIII 284; detruncat . . . transcurrens demetit ense cf. Stat.
Theb. IX 222 f.; festae mensae Ov. Pont. I 2 181 f.; cristas-
que rubentes Aen. IX 270; singultibus ore Amor. III 9, 12; ar-
denti murice Aen. IV 262; currere contra cf. Aen. XII 279 £f.)
Durch obiges wird das frühere Urtheil über die Verbrei-
tung des Val. Flaccus nicht umgestoßen sondern nur modificiert.
Wenn man von Moduin und Ermold absieht — die hier ange-
führten Stellen können ihren Gleichklang zufällig erhalten haben
— so ist Sedulius einer der letzten Dichter, der den Valerius
kennt. Baehrens behauptet (l.l. p. IX) Benutzung des Valerius
durch Dracontius in dessen Gedichte *Hylas. Aus saec. X wird
eine Handschrift des Valerius in Bobbio erwühnt (Becker cata-
logi biblioth. antiqui 32, 477) ‘Valerii Flacci lib. I. K. Bartsch
(Albrecht von Halberstadt und Ovid im Mittelalter p. XXI) be-
hauptet, Valerius sei von Chaucer in dessen legenda Ypsiphile
et Medee martiris benutzt worden. Und nach Dunger (Die Sage
vom trojan. Kriege in den Bearbeitungen des M. A. S. 15)
würe Valerius von Dares Phrygius ausgebeutet worden.
Von Florilegien : scheint nur der (cod. Berol. ms. Diez. B.
Santen. 60 Stücke) aus Valerius zu bieten: Fol. 29* Flaccus in
primo Argonauticon.
Oberlófinitz bei Dresden. M. Manitius.
Zu Aischylos.
Eumenid. 263 droht der Chor dem Orestes xai (arta ©
Iyvuvao’ anaEopay xaiw, avrsmolvoug r(vmg untoogporas duas. Der
total zerstórte logische Zusammenhang wird durch folgende Aen-
derung hergestellt: xai Lwvsu 0° Iyvevcao’ undkones xatw av-
timo wg 1Ívmc purgogovov duas.
Halle a. S. C. Haeberlin.
XIV.
Zur Ouellenanalyse des Charisius.
Die Quellenanalyse von Charis. I C. 15 und 17 wird im-
mer wohl eins der schwierigsten, vielleicht unauflósbaren Probleme
bleiben. Neuerdings haben sich C. Marschall, de Q. Remmii Pa- -
laemonis libris grammaticis (Leipzig, 1887) und F. Bólte, die
Quellen von Charisius I 15 und 17 (Neue Jahrb. f. Phil. 1888
$.401 — 440), unabhängig von einander, mit dieser Frage
beschäftigt.
Marschall hat dem Remmius Palaemon einen Ehrenplatz
unter den römischen Grammatikern zugewiesen: der artis scriptor
sei so ziemlich die Hauptquelle für die Fragmente des Plinius
und Romanus bei Charisius, denn in XV... . caput primum
Palaemonis transtulit doctrinam uberiorem Charisius, deinde in ca-
pie XVII a Romano, qui eundem Palaemonianum librum iam com-
Plaverat, praecepta mutuatus est (p. 45). Es steht aber gar nicht
fet, daß Plinius von Palaemon benutzt worden ist. So lange
die Fragmente der libri VIII dubü Sermonis in diesem elenden
Zustande vorliegen (bei Lersch), ist man nicht berechtigt in die-
. ser Sache ein endgültiges Urtheil auszusprechen !) Doch ist es
bei der großen Verschiedenheit von Inhalt und Zweck einer
Ars grammatica und einer umfangreichen Arbeit in acht Büchern
über zweifelbafte Formen der Lateinischen Sprache, mit einer
zahllosen Menge Stellen aus älteren und jüngeren Schriftstellern,
1) H. Nettleship, Journal of Philol. Vol. XV p. 200.
256 J. W. Beck,
nicht sehr schwierig, zumal wenn man noch in den charakteri-
stischen Merkmalen, in den Auctores und in dem Sprachgebrauch
eines der beiden Grammatiker einen festen Anhaltspunkt hat,
um einen Schritt weiter zu kommen.
Bölte (S. 409) hat einen Theil von Char. Cap. 15 einem
gewissen Anonymus de Latinitate, einen anderen Palaemon vindi-
ciert. Diese Bestandtheile seien aber nur als Hülfsquellen zur
Ergänzung benutzt. Die dritte Quelle (gemeinsame Quelle von
C. 15 und 17) ist der Anonymus de Analogia, der aus Plinius
geschópft hat (S. 417). Zu dem 17. Capitel hat bekanntlich
Romanus das meiste Material geliefert. Dieser hat Plinius
stark benutzt. Bölte hat (S. 426) die 246 lemmata des Capitels
in folgender Weise vertheilt: aus Plinius 135, aus dem Ano-
nym. de Ánalogia 41, aus Palaemon etwa 10; andern
Grammatikern werden zusammen 16 zugeschrieben; unbe-
stimmt bleiben 45.
Es liegt nicht in meinem Plan über die größere oder
geringere Wahrscheinlichkeit der von Marschall und Bölte auf-
gestellten Bebauptungen zu richten. Dieselben sind jedenfalls
der Beachtung werth. Bölte insbesondre hat sehr feine Bemer-
kungen gemacht und die Quellenanalyse der betreffenden Capitel
wesentlich gefördert.
Bei der kritischen Zergliederung dieser Capitel empfiehlt es
sich die Pliniana herauszuheben. Neumann, Schlitte und
Nettleship haben verschiedene ins Auge fallende Merkmale un-
seres Grammatikers zusammengestellt. Andere aber, die nicht
weniger wichtig sind, haben sie entweder gar nicht oder we-
nigstens nicht genügend hervorgehoben z. B. die Bemerkungen
des Plinius über Synonymik, die seltsamen und oft nur in
der Naturalis Historia vorkommenden Wörter, und den Sprach-
gebrauch der bri dubii Sermonis.
Wir wollen die beiden ersteren Punkte bei einer anderen
Gelegenheit behandeln, jetzt aber untersuchen, was sich ergiebt
aus einer Vergleichung der Wörter und Ausdrücke, die unzwei-
felhaft aus den Büchern des Plinius hervorgegangen sind *), Es
ist nieht rathsam aus allgemein üblichen Grammatiker - Formeln
2) Wir haben die Pliniana mit Hülfe aller bisher gemachten Un-
tersuchungen gesammelt, sind jedoch überzeugt, daß bei Gellius, No-
nius, Servius u. a, noch reiches Material vorliegt.
Zur Quellenanalyse des Charisius. 257
ohne Weiteres: einen Schluß zu ziehen. Wenn Bölte (S. 402)
als Characteristicum für seinen Anonymus de Latinitate auch den
Ausdruck in — litteram venire nennt, ist es ihm wahrscheinlich
verborgen geblieben, daß Char. 145, 6 an einer Pliniusstelle das
in -as venit gebraucht hat, und daß Char. 25, 31, wo Plinius
nicht genannt wird, dieselbe Sache mit ungefáhr ühnlichen Wor-
ten auftischt. Das fatale in .... venire steht aber zweimal an einer
anderen Pliniusstelle Char. 142, 30. Was ist nun die Quelle
dieses Ausdrucks? Palaemon (Char. 25, 31, vgl. Schottmül-
ler, de C. PI. libr. gr. p. 18) oder Romanus (Char. 145, 6),
oder Plinius selbst oder der Anonymus de Latini-
tate oder Charisius? Man sieht wie wenig Ersprießliches
herauskommt.
Doch ist es sehr wahrscheinlich, daß dieser Terminus, wenn
uns die Pliniusstellen unversehrt überliefert wären, nicht so un-
erwartet, nach einem großen Zwischenraum, bei Charisius wie-
der auftauchen würde. Den Ausdruck in — (extremitatem, lit-
teram) venire (Char. 25, 29, 32, 33; 26, 3; 51, 26; 53, 19;
39, 16) sucht man ja vergebens, wo die Pliniusstellen in großer
Menge zusammengehäuft sind. Sehr oft finden wir an diesen
Stellen — littera finiri, (in) — littera terminari, (per, in) — exire.
Char. 118, 15 —21 ist eine von den Händen der Gram-
matiker nicht berührte Pliniusstelle?). Das Verbum finiri (Z. 18)
fnden wir auch 55, 2, 9, 17; 56, 1?; 61, 2; 62, 20; 63, 17.
Die erste (55, 2 u. s. w.) Stelle ist von Neumann S. 28 dem
Plinius vindiciert worden, in den zwei folgenden hat Romanus
lin excerpiert (Addenda, S. 608).
AuBerdem finden wir diese Worte Ch. 52, 6, 17, 19, 20,
vo auch Pliniana vorliegen (vgl. Ch. 131, 12; 141, 29; 148,
19, 146, 31); die Meinung, daß Plinius an den betreffenden
Stellen, auch da, wo er nicht genannt wird, stark benutzt wor-
den ist, erhält jedenfalls eine neue Stütze.
Prüfen wir jetzt die beiden übrigen Ausdrucksweisen :
terminari finden wir 133, 16 (Plin.), exire 137, 2 (Plin.). Es
gehen jedoch diese Formen an den schon erwähnten Stellen oft
Hand in Hand: 52, 21, 28; 54, 3, 5, 7; 60, 7, 12, 13; 89,
3) Die Stelle trägt überall die Spuren des Plinianischen Sprach-
gebrauchs, wie sich aus dieser Abhandlung öfters ergiebt.
Philologus. N.F. Bd.II, 2. 17
258 J. W. Beck,
17, 18 (terminari); 53, 8, 30; 59, 11; 56, 2; 60, 2; 65,1;
129, 26 (exire).
Es ist kein reiner Zufall, daß 74, 5 und 6 per us syllabam
— terminantur und per à exeunt in Z. 10 plötzlich abwechseln
mit dem Palaemonischen proferre, ja, was überraschend ist, 44,
21 ff. finden wir Z, 21 terminantur, Z. 22 per i exeunt, Z. 27
per us efferuntur, Z. 28 per i.... proferetur, Z. 30 in o terminari,
Z. 33 per is . . . . proferentur. Wenn nun 82, 13 ff. (vgl. 46,
1—11) das oft von Palaemon benutzte efferri per — (Marschall
S. 21) neben terminari (82, 13) und exire (82, 15) steht *), dür-
fen wir wohl feststellen, daß terminari, exíre ein commune bonum
aller Grammatiker gewesen sind 9), daß für die Stellen mit finiri
Palaemon ausgeschlossen werden muß, der fast immer efferri
per ©) anwendet und daß in — venire an den genannten Plinius-
stellen von derselben Hand herrührt, die auch 25, 29, 82, 33;
26, 3; 51, 26; 53, 19; 59, 16, Spuren hinterlassen hat.
Man kann also fragen, ob die Pliniusstelle 145, 5 ff, wohl
ohne Zusätze von Romanus oder Charisius überliefert worden ist ").
Bölte S. 409°? giebt einige Ausdrücke, welche dem Ro-
manus geläufig sind. Das Beispiel cl(a)udo verdient genauer be-
trachtet zu werden. Romanus hat das Wort (193, 17; 194, 5)
zweimal hinter einander; Charisius citiert selbst 190, 8: C. Iu-
lius Romanus ita refert de adverbio sub titulo apoguwy.
Wie steht es nun mit 142, 10 (22 143, 1) Rude, ab hac rude.
‘Si de t qua ludimus’ ait Plinius ‘merito e littera claudi debet. — Itaque
et ab hac’ inquit ‘summa rude dici debet. Hier, und 125, 11; 133,
16—19, wird wohl niemand es wagen dem Plinius die Worte
abzusprechen. Vergleichen wir aber die übrigen Stellen (127,
14; 121, 18; 143, 22; 132, 13), so tritt die Frage heran, ist
das ait oder inquit Plinius nicht von Charisius eingetragen, der
dasjenige was Romanus mit seinen Worten dem Plinius zutheilt,
hier, als würen es Citate aus Plinius selbst, der Kürze wegen,
anführt? Die Zuverlässigkeit derartiger Stellen darf man also
nicht zu hoch anschlagen.
4) Bólte S. 408 hat diese Stelle dem Palaemon abgesprochen.
5) Quint. I 5, 61, 62 = Pliniana (Nettleship, p. 203).
6) Hermes XI Morawski Quaest. Charis. spec. p. 848 ff.
7) Suet. rel. (ed. Roth) p. 310 in c littera desinit, ta finiri, e ht-
tera terminantur, p. 311 n à et s veniunt. (Char. S. 125, 3 f£).
Zur Quellenanalyse des Charisius. 259
Cicero hat sich um die Streitfrage der Analogetiker
und Anomalisten weniger gekümmert als um den Wohl-
klang (Lersch, Sprachphilosophie 1 S. 142), und ganz in Ueber-
einstimmung mit diesem Grundsatz, da voluptati . . . aurium
morigerari debet oratio ist auch was Gellius N. A. XIII 21 er-
zählt (Steinthal, Sprachwiss. S. 517 u. d. No). Die in dem
Gellianischen Capitel behandelten Grundsätze werden aber fälsch-
lich dem Valerius Probus in die Schuhe geschoben?) Plinius
hat die Varronischen Principien erweitert und läßt ‘neben gram-
matischer Regelrechtigkeit auch den Sprachgebrauch und den Cice-
ronischen Grundsatz des Wohlklangs gelten’ (Lersch S. 151; Schlitte
de Plinii Secundi stud. gramm. Nordhausen 1883, S. 10). Die-
sen Grundsatz hat er ausgesprochen Char. 123, 3 ff.: quamquam
ab hoc poemate his poematibus facere debeat, tamen consuetudini el
suavitats aurium censet. summam esse tribuendam.
Aber auch an anderen Stellen tritt das Princip des Wohl-
klanges deutlich hervor. So Char. 107, 16: quod (sc. matres
familiarum) quoniam erat durum et longe iucundius patrum familias
sonabat, etiam pater familias ut diceretur consuetudo comprobavit ;
(103, 21; 55, 22; 61, 28; 58, 8; 82, 24; 88, 12; 67,
21; 89, 29; 57, 5; 79, 8). Etwas Aehnliches bieten 57, 16;
108, 8; 102, 9, 12, 19. Wer sich etwas eingehend mit den
Pliniusfragmenten beschäftigt hat, wird sofort einsehen, daß die
Wahrscheinlichkeit des Plinianischen Ursprungs mehrerer Stellen
größer wird, wenn man seinen Grundsatz mit in Betracht zieht.
Schlitie S. 10 sagt: auctoritatem raro in medio ponit. Er
düert Char. 105, 20 und Pomp. 144 K. Die auctoritas herrscht
aber an vielen Stellen, wo Plinius nicht erwähnt wird, aber aus
andern Gründen offenbar Pliniana vorliegen :
Char. 88, 10 ff.: supellex magis auctoritate dicitur quam ra-
lion. Diese Stelle ist schon oben behandelt worden. Man ver-
gleiche noch Char. 142, 18.
Char. 61, 23 stehen die suavitas enuntiandi und die aucto-
"las neben einander. Beachte auch noch den Gen. qual. o5-
tinatae impudentiae (Grasberger de usu Pliniano S. 29) Viel-
licht gehórt auch der Gen. rectae rationis 118, 3 dem Plinius.
8) In Hauptzüge habe ich meine Meinung ausgesprochen in ei-
tom Progr. des Gymn. in Groningen, 1886: de M. Valerio Probo,
quaestiones novae. (Rec. Acad. 1886 Nr. 755 von H. Nettleship; Berl.
Ph. W. 1887 Nr. 44 von Dr. B. Kübler).
17*
260 J. W. Beck,
Auf diesem Wege vorwärts gehend ist es klar, daß es
Char. 54, 9 heißt: non numquam ratio ista auctoritate vel neces-
sitate corrumpitur. Die Stelle ist ja auch von Neumann S. 28
dem Plinius vindiciert worden.
Die auctoritas tritt noch hervor 89, 27; 93, 9. An letz-
terer Stelle tritt die Zicentia vetustatis zum Vorschein, welche
auch 118, 19 (Pliniana) genannt wird. Der Ausdruck manus
dare, porrigere ist Plinianisch. So manus dat praemissae regulae
(129, 24).
Interessant ist der Gebrauch von quamquam:
C. Coni. C. Ind.
Char. 35, 21 ' Char. 21, 16
55, 18 (Plin. ?) 29. ut ig oia ont.
61, 28 (Plin. ?) 24, 7 a'aemon
69, 2 (Plin. ?) 74, 20 Rem. Palaemon.
121, 17 Romanus 9) 88, 27 Rem. Palaemon.
128, 3 Pliniana 124, 27 (Plin. ?).
128, 13 Romanus !?) 194, 30 Pliniana.
142, 29 (Plin. ?) 1).
Die große Verschiedenheit in der Construction von quam-
quam entspricht dem von verschiedenen Seiten zusammengetra-
genen Material. Bekanntlich hat Plinius maior quamquam c.
Coni. noch wenig gebraucht (Reisig's Vorlesungen S. 394 N. 466).
Es würe nun wohl ein ganz seltenes Spiel des Zufalls, wenn
wir aus den Plinianischen libris dubii sermonis bei Charisius ein
Beispiel mit dem Conj. !?) und eins mit dem Ind. !5) übrig hätten.
Wenn wir nebenbei bemerkten, dab Plinii Romanus den
Conj. vorzieht, ist es nicht ohne Grund, wenn wir in solchen
Fällen an der Richtigkeit der uns bei Charisius überlieferten
directen Citaten zweifeln. Wir dürfen denselben keinen
größeren Werth beilegen als denjenigen, welche als indirecte
angeführt werden, da solche Endungen oft leicht verwechselt
werden (Draeger, A. Synt. II? S. 767).
Eine gerade an Pliniusstellen oft zurückkehrende Erschei-
nung ist das Adverb. frequenter: Char. 65, 1514); 139, 19;
9) cludo ! 10) Maro! (Pliniana = Ch. 69, 1).
11) An dieser Stelle auch in venire.
12) 128, 3: Ait enim Plinius ‘quamquam . . . . . facere debeat".
13) 124, 30 . . . .. ubi Plinius ...... quamquam .... recipiunt,
14) Aemilius Macer, also von Plinius (Neumann §. 31).
Zur Quellenanalyse des Charisius 261 .
100, 2814); 82, 34;-81, 2; 99, 5; 98, 16 u. 17; 87, 2. Das
Wort findet sich aber gerade in denjenigen Citaten, die größten-
theils nicht von Romanus stammen !5), also im 15ten Capitel,
öfters. Im 17ten Cap. steht das Wort nur 139, 19: et fre-
quenter antiquos ita locutos Plinius eodem libro VI notat.
Tragen die zuerst genannten Stellen noch andere Kenn-
zeichen als das Adv. frequenter* Wir meinen wirklich auf ei-
nige Erscheinungen hinweisen zu können: 100, 28 multi erudi-
torum (Grasberger S. 22)!9) an einer Stelle wo auch Aemi-
lius Macer genannt wird, 81, 2 frequenter + usus celebravit
(vgl 83, 15; 107, 14), 82, 34 frequenter + repudiaverit (vgl.
99, 2 frequenter + repudiavit, 67, 21 duram declinationem repu-
diasse 7). Auch der Umstand, daß frequenter 98, 16 und 99, 5
in den hier häufig vorkommenden synony mischen Bemer-
kungen steht, soll nieht unbeachtet gelassen werden. Denn
das Differenzieren ist ein Charakteristicum des Plinius (Schlitte
S. 10; Nettleship Journ. of Phil. XV S. 205). Das Wort fre-
quenter scheint in die Stelle von Plinii Romanus (Char.
139, 19) nicht zufällig hineingerathen zu sein, und auf Grund
der von Romanus unabhängigen Stellen, die ihre Plinianische
Natur offen zur Schau tragen, ist es sehr wahrscheinlich, daß
frequenter so wie die übrigen von uns genannten Wörter aus
den gramm. Büchern des Plinius abstammen.
Die consuetudo und ratio werden am häufigsten an Pliniani-
schen Stellen gefunden.
Char. 79, 2: et Plinius quoque dubii sermonis V adicit esse
quidem rationem per duo i scribendi, sed multa iam consuetudine
superari. Quint. I 5, 63 giebt an einer Stelle, wo Plinius stark
benutzt zu sein scheint !9): sed àuctoritatem consuetudo superavit und
I 6, 2: auctoritas ab oratoribus vel historicis peti solet. Diese
Stelle führt uns zu Char. 56, 8 — 57,4. Das Wort cyma wird
behandelt (Plin. N. H. 19, 137) und Z. 16 ff: et cum humili-
15) 81, 2 (Vergil.); 82, 34 (Vergil.); 87, 2 (Vergil.); 98, 17 (Ver-
gil.; 100, 28 (Vergil.. Bekanntlich nennt Romanus den Dichter im-
mer Maro.
16) Plin. N. H. XV 13, 46 eruditiores = Char. 102, 5 (Pliniana) ;
Char. 57, 25 ab eruditis; 60, 6; 57, 27 peritiores.
17) Char. 67, 16 finden wir e contrario (Grasberger S. 23), Char.
122, 26 und 132, 23 (Pliniana) in totum (N. H. XI 20, 70. 25, 86, 90).
18) Nettleship Journ. of Phil. XV S. 201 sqq.
262 J. W. Beck,
tate sua numquam aut in orationum aut in historiarum dignitatem
inciderit, ne auctorem saltem. aliquem quo constituatur invenit. | Quare
cum utroque genere nominis huius sine formidine barbarismi loqui
liceat, utrum cumque dixeris, inobiurgatum est.
Daß Plinius barbarismus nennt quod non dicitur per naturam
ist bekannt (Pomp. S. 283, 19; K. G. L. IV S. 444, 3). Ob
man nun cyma weiblich oder sächlich gebraucht ist ganz gleich-
gültig und nicht contra naturam. Das Wort inobiurgatum ist eines
Plinius nicht unwürdig !?).
Wir gehen wieder zu der consuetudo und ratio zurück. Die-
selben finden sich an den folgenden Stellen, die entweder ganz
Plinianisch sind oder wo Plinius augenscheinlich benutzt wor-
den ist :
Consuetudo.
* Char. 61, 11 = 137, 17 consuetudo . . . locuta est.
*
193, 4 consuetudini . . . . summam esse tribuendam.
** 72, 17 consuet. neutraliter dicit.
* 73, 14 c. plurium . . . . dicit = (125, 7).
* 85, 9 Plin. .... maluisse c. tradit.
* 107, 17 c. comprobavit — (120, 8).
* 62, 11 quod... . consuetudini extorqueri non potest =
(118, 25; 119, 3).
84, 4 (128, 3) c. sequenda est (Neumann S. 22, 45, 49).
128, 3 quaedam quorum n. consuetudini copulatur.
* 79, 3 consuetudine superari. (Quint. I 5, 63).
89, 27 c. ratione reformare.
+ 102, 11c..... aliud sequitur.
** 111, 2 c. hoc non servat.
* 138, 19 c. in eo esse retinendam.
* 139, 20 quamquam c. melior.
* 117, 22 consuetudinis elegantiam relegabis = (119, 8).
* 114, 1 cet c., ut ait Plinius . . . .. dicat.
*
120, 12 cum consuetudinis taedium respuerit.
An einigen Stellen ist die Auctorität des Plinius noch nicht ge-
sichert (76, 15 c. usurpavit ; derselbe Ausdruck 82, 10; 90,29; 106, 30).
Ratio.
* Char. f 62, 9 ratio poscit.
12 contempta ratione.
* Md 3 st r. placet (Neumann S. 22, 45, 49).
4 r. vir videtur adhibenda.
19) Wannowski Phniana (Progr. Posen 1847) S. 14 f. Vgl. noch
Char. 102, 3 lubra und Nonius S. 195 M. cyma: Corn. Celsus ist eine
Hauptquelle des Plinius.
* bedeutet, da$ Plinius an der betreffenden oder congruenten
Stelle als auctor ausdrücklich genannt wird.
** bedeutet, daß die erwähnten Schriftsteller für Pl. sprechen.
Zur Quellenanalyse des Charisius. 268
*
Char. 122, 30 r. recepta est.
/ 88, 11 rationem ut custodirent veteres.
* 139, 20 non sine ratione.
84, 1 secundum llam ....rationem (Neum. S. 22, 45, 49).
[ro 1 secundum rationem.
70, 3 non ratione sed distantiae causa.
144, 16 quod vetustas cum ratione rancidum protulit.
* 118, 16 rationis via debet . . dici.
117, 20 cum ratione dictum
120, 14 cum ratione dixerunt?) \x B. cum ratione dicere.
* 19 cum ratione dictum esse
“+ 142, 16 magis cum r. dici (Neum.
S. 24).
Wenn es nun eine Thatsache ist, daß die meisten und
wichtigsten Stellen, wo das Plinianische Princip
durchgeführt wird, entweder direct oder indirect aus sei-
nen Büchern abstammen, darf man wohl annehmen, daß an je-
nen Stellen (wenn das Gegentheil nicht scharf bezeichnet wird),
wo consuetudo oder ratio als Schiedsrichter auftreten, auch wie-
der Plinius benutzt worden ist. Der Sammler der Plinianischen
Fragmente soll auch in dieser Beziehung mit den Grundsätzen
des Plinius Rechnung tragen und so wie Schottmüller S. 385—938,
sich stützend auf das Plinianische Prineip bei der Ablativ-
Endung i oder e, alle derartige Beobachtungen dem Plinius zu-
geschrieben hat, so läßt sich in ähnlicher Weise mittelst oben
genannten Stellen noch manches Fragment bestütigen oder ein
neues zum Vorschein bringen. Bei der Quellenanalyse des Cha-
risius soll man von Plinius ausgehen, der ältesten und durch
viele charakteristische Merkmale hervortretenden Quelle ?!),
Plinius citiert antique und veteres. Wir wollen zuerst die
unzweifelhaft von Plinius herrührenden Stellen behandeln. In
dem 17ten Cap. (Romanus): 122, 25 ab antiquis . . . . quos
Varro reprehendit, 133, 15 antiquorum regula, 138, 15 und 139,
19 (die Stellen sind aber im Neapolitanus etwas lückenhaft über-
liefert worden) auch antiqui. Es ist aber bei Romanus 120, 9
und 118, 16 und 19 auch wieder die Rede von veteres (vgl. 120,
14). Außerdem finden wir Cap. 15 (107, 9) an einer Pliniusstelle
wieder antiqui. Die mit jener correspondierenden Partie bei
Romanus 120, 9 hat veteres (hier wird Plin. selbst citiert). Was
20) Diese Stelle ist auch von Bólte S. 422, aber aus ganz andern
Gründen, dem Plinius zugewiesen.
21) Interessant in dieser Hinsicht ist noch das Schriftchen de
nomine excerpta K. IV S. 207 wo Pliniana vorliegen.
264 J. W. Beck,
ergiebt sich also aus diesem Gebrauch? Für den Sprachge-
brauch von Plinius gar nichts.
Pomp. S. 144, 14: idcirco in derivationibus sequere praecepta
Plinii Secundi. Ait enim. ‘debes quidem acquiescere regulis, sed in
derivativis sequere auctoritatem! ; S. 164, 13: Ast Plinius Secundus
secutus Varronem, ‘quando dubitamus principale genus, redeamus ad
diminutionem , et ex diminutivo cognoscimus principale genus. Die-
sen Regeln gemäß finden wir Char. 90, 5 ff. (diese Stelle ist
augenscheinlich contaminiert (vgl. 141, 20) aus einer über das
Genus und über den Gen, Plur): panis . . . . deminutione autem
panis pastillus dicitur, ut hodieque in Italia rusticos dicere animad-
vertimus. Die wenigen Stellen, wo diese Regeln erwähnt werden
und wo wenigstens das Princip vorliegt, kónnen wir wohl dem
Plinius vindicieren: Char. 72, 30—73, 3; 108, 20—26; 110,
8— 19; 92, 28 —28 ; 108, 4—12 2°).
Die nur aus der Plinianischen Methode zu erklürende Lust
zu differenzieren läßt sich in den Fragmenten bei Charisius
nachweisen. Es würde aber zu weit abführen die synonymischen
Studien des Plinius hier weiter zu untersuchen. Nur mit eini-
gen Worten müssen wir der Sache gedenken.
Char. 106, 1—9 und Pomp. 144, 16 geben ein schónes
Beispiel. Charakteristisch ist bei Pomp. 144, 24 ff.: Plinius Se-
cundus negat et ait sic, "indifferenter haec inveniuntur; vgl. Char. 71,
16: servitium — servitus .... indifferenter . . . . posuerunt, 119,
14 (die Stelle ist stark contaminiert) *)): indifferenter . . . . lo-
culos veteres; diese Stellen weisen vielleicht auf Pliniana hin.
Char. 135, 17 ff. Plinius ist schon von Schottmüller und
Bólte (S. 422) als Quelle anerkannt. Wir wollen noch einen
neuen Beweis beibringen. Z. 18 si e litterari deponat giebt den
Schlüssel. Char. 118, 18 (Pliniana) und 143, 26 (Pliniana)
kehrt der Ausdruck deponere zurück, an letzterer Stelle steht es
dem adsumere gegenüber (vgl. Ch. 136, 23 detracta postrema vo-
cali; 148, 7 detracta & littera et adposita a).
Die Formel in .... dirigere steht wohl nicht ganz zufällig
an zwei Plinianischen Stellen (126, 10; 131, 12). Man wird aber
22) Ch. 90, 11 Aodieque sehr oft bei Plin. (Antibarb. S. 597). 67,
10 ff. nicht Palaemonisch (Bólte S. 408).
23) Bölte S. 413 f.
Zur Quellenanalyse des Charisius. 265
zur Vorsicht gemahnt, wenn man Char. 192, 22 (Romanus) ver-
gleicht und erwägt, daß etwas Aehnliches schon mit dem Aus-
druck claudi in — geschah. Denn an letztgenannter Stelle, wo
wir lesen cum in e litteram dirigatur wird Plinius nicht genannt.
Char. 120, 30: Agreste Sallustius historiarum I; quod idem
Plinius eodem libro ‘in animal’ inquit ‘significatione’**). Diesen
Ausdruck (sc. animalis) hat 58, 7 ein inanimalis, 92, 24 ein
inanimalia als Gegenstück. Wenn nun diese Stellen noch meh-
rere Spuren zeigen des Plinianischen Sprachgebrauchs (92, 23
per deminutionem , 57, 27 peritiores , 25 eruditi; 57, 27 ff. =
108, 4 ff. von Plinius) und das Wort sowie das 37, 28 vor-
hergehende ostrea auch in der N. H. angewandt wird, ist es
sehr wahrscheinlich, daß die grammatischen Ausdrücke animalis
und inanimalis aus den Plinianischen Büchern abstammen. (K.
IV S. 209, 31 ff. und lychnis! bei Plinius).
Eine andere auch von Plinius herrührende Bezeichnung ist
facientia (— principalia Char. 118, 27) und patiendi (= posses-
siva Char. 118, 29; 119, 4), ganz in Uebereinstimmung mit der
Begriffsbestimmung bei Verba (Pomp. 227, 23, Neumann 8. 52).
Dieselbe ist aber Char. 59, 1 ff. appellativa und facticia *5)
(Ch. 61, 2) und aus diesem Grund ist die Stelle auch von
Bölte S. 403 ausgeschieden.
Dem Plinius geläufig ist auch finitio (137, 17; 141, 17;
142, 29). Man darf wohl annehmen, daß 61, 11 (= 137, 17)
das Wort in definitio umgeändert ist und daß in dem Excerpt
von Romanus die ursprüngliche Lesart sich erhalten hat. Ich
vermuthe daß in Char. 119, 6 (eandem definitionem capere) ein
Schreibfehler vorliegt und das de aus der Endung von eandé
entstanden ist ?6).
Daß Wörter wie circumactio °°) (Ch. 88, 19), pastillus (90,
11), grossi (96, 4), Psylli (110, 6) und Ausdrücke wie aqua re-
ligiosa purificandi causa (95, 4) auf Plinius hinweisen liegt, wenn
man seine Nat. Hist. vergleicht, auf der Hand.
24) Brambach Neugest. S. 158 ff.
25) Facücia in dieser Bedeutung giebt Cassiod. S. 179, 10 tra-
ducticia sive facticia 1. e. quae ex aliis facta sunt.
26) Char. 142, 29 finitio geht hier zusammen mit in -is venerunt
das sich bei Romanus, wie gesagt, nur vereinzelt findet, aber 195, 6
noch an einer Stelle des Plinius. Die Sache ist der Beachtung werth.
27) Wannowski Pliniana S. 1—3.
266 J. W. Beck,
Ganz eigenthümlich ist der Ausdruck in — sonare. Wir
fipden denselben an einer direct aus Plinius citierten Stelle
Char. 145, 7 und an einer von Bólte S. 422 dem Plinius bei-
gelegten Stelle Char. 130, 3.
Was ergiebt sich nun aus unseren Bemerkungen für die
Quellenanalyse des Charisius und für die bei diesem Gramma-
tiker überlieferten Pliniana?
Eine genaue Zergliederung von Charisius ist selbstverstünd-
lich eine reine Unmöglichkeit. Das haben die Arbeiten von
Schottmüller, Neumann, Marschall und Bölte klar bewiesen.
Marschall geht in seinen Behauptungen zu weit und da er sich
großentheils stützt auf die irrige Meinung, daß Plinius von Pa-
laemon benutzt worden sei, stürzt er sich in einen inextricabilem
errorem ?&), Ein grammatisches Lehrbuch und eine philosophische
Abhandlung vertragen sich nicht leicht. Und wenn der Ver-
fasser der letzteren in dem Auswahl seiner Auctores, in seinen
grammatischen Grundsätzen, in dem Gebrauch fremdartiger
Wörter, in der Lust zur Differenzierung, in sprachlichen Eigen-
thümlichkeiten soviele charakteristische Merkmale hat, läßt man
sich nicht so bald irreleiten durch einen pedanten Schulmeister
als Palaemon. Die libri dubii sermonis haben immer großen
Werth gehabt für spätere Grammatiker und wer citiert Pa-
laemon ?
Die Methode, welche Bölte befolgt hat, ist wesentlich nicht
ohne Frucht gewesen. Seine Abhandlung enthält viele feine
Bemerkungen. Im großen und ganzen stimme ich Herrn Bölte
auch bei, nur wo er die von Nettleship aufgestellte Theorie (8.
436 Nr. 87) bekämpft, gehen wir nicht mit. Der Gebrauch
von Plinius’ grammatischen Büchern reicht weiter als Herr B.
meint und meine Untersuchungen haben auch schon Pliniana
bei A. Gellius zum Vorschein gebracht?9) Man braucht ja
auch gerade nicht ein stumpfsinniger Compilator zu sein, wenn
man aus einem Buche einige gute Bemerkungen übernimmt und
das Verdienst des Quintilian wird dadurch um kein Haar ge-
schmälert.
Wenn aber erst die Fragmente des Plinius methodisch ge-
288) Diomedes S. 415, 15 — 416, 31 ist irrelevant.
28) Den ersten Versuch die Pliniana bei Gellius nachzuweisen,
werde ich machen in Fleckeis. Jahrb. in einer Abhandlung: A. Gel
lius und die libri dubii sermonis des Plinius Secundus.
Zur Quellenanalyse des Charisius. 267
sammelt sind, den Einfluß dieses Grammatikers genau abge-
wogen, das Plinianische System also reconstruirt ist, wird
man auch für die Quellenanalyse des Charisius einen Schritt
weiter kommen. Aber da müssen erst die betreffenden Stellen
bei den übrigen Grammatikern und bei Gellius, Quintilianus, No-
nius Marcellus, Servius u. a. gesammelt und verglichen werden.
Man hat gar keine Uebersicht über die Plinianischen Bücher.
Das Werk war breit angelegt. Man staunt ja schon wenn man
nur die bei Charisius von Plinius citierten Auctores zusammen-
stellt. Hat doch dieser Schriftsteller seine Zihri studiosi tres so
ausgedehnt, daß sie in ser volumina propter amplitudinem getheilt
werden müßten (Plin. Ep. III 5, 5). Ein Mann der nichts las
quod non excerperet (Plin. Ep. III 5, 10), der bei seinen ausge-
dehnten Studien eine unzählige Menge Schriftsteller benutzt hat,
der eine nicht weniger geringe Zahl fremdartiger Wörter heran-
ziehen mußte und neue zu schaffen genöthigt war, ist wohl durch
seine Studienrichtung als Verfasser eines so reichhaltigen The-
saurus wie die Dubii sermonis libri angewiesen und die Nach-
folger (oder Zeitgenossen) wie Quintilianus, Asper, Velius Lon-
gus, Caper, Sulpicius Apollinaris, Caesellius Vindex, Suetonius,
Terentius Seaurus, Gellius, Romanus, Nonius Marcellus, Chari-
sius, Diomedes, Servius, Priscianus haben alle direct oder indi-
rect aus dieser Quelle geschópft Wenn also die Plinianischen
Fragmente ausgehoben sind, wird es klar, daß z. B. dem Va-
lerius Probus fälschlich beigelegt ist, was dem Plinius zugehört,
und daB die Hypothese, Nonius Marcellus habe Gellius ausge-
schrieben, füllt. Es leuchtet ein, daf es wohl niemals gelingen
wird ein ganz treues Bild der libri dubi sermonis zu schaffen.
Wenn schon in den directen Citaten aus Romanus fremdartiges
Material unterlüuft, wie wird es da wohl mit den bei Spüteren
eitierten Stellen stehen? Für eine Geschichte der Lateinischen
Grammatik ist also eine Ausgabe der grammatischen Bücher
des Plinius eine Vorarbeit von großer Bedeutung, deren Ver-
nachlässigung schon zu vielen grundlosen Hypothesen und irri-
gen Meinungen geführt hat und immer zu noch größeren füh-
ren wird.
Groningen. J. W. Beck.
XV.
Herodot über die lonier.
Es gibt wohl wenige Schriftsteller, deren Erklärung so vie-
len Mißverständnissen ausgesetzt ist, wie Herodot. Nicht daß
seine Darstellung formell oder inhaltlich größere Schwierigkeiten
bóte; aber es wird dem modernen Leser schwer, sich in eine
Auffassungsweise und in einen sprachlichen Ausdruck hineinzu-
leben, die noch nicht unter dem Einfluß der modernen Denk-
weise und der ausgebildeten Kunstsprache stehn, welche die
Sophisten geschaffen haben. Eine Fülle von seltsamen Irrthü-
mern pflanzt sich aus einem Werk ins andere fort, ohne daß
die gelegentlichen Widerlegungen sie zu beseitigen vermögen.
Daß Herodot den Pythagoras 'Eiiyvwv où tov aodevéoratoy Go-
q.01)v nennt (IV 95), soll seine Geringschätzung des Pytha-
goras ausdrücken, wührend man schon aus I 29, wo Herodot
die sieben Weisen und unter ihnen den Solon als cogiorat be-
zeichnet, hätte lernen können, daß ihm ooysaıng nichts anderes
ist als cogos. Nannten sich doch die Vertreter der „Erkennt-
ni8“ im fünften Jahrhundert selbst 30 !). Erst die Sokratiker ha-
1) Sehr bezeichnend ist der Wandel, den der Begriff der copie
vom sechsten Jahrhundert zum fünften durchgemacht hat. Im sechsten
Jahrhundert faßte der Volksmund diejenigen Staatsmünner (ein ein-
sichtevoller Staatsmann war nach Herod.I 170 auch Thales, trotz der
Anekdoten bei Plato und Aristoteles), welche sich durch Einsicht vor
allen andern auszeichneten, unter dem Namen der sieben cogo zu-
sammen; im fünften, dem Zeitalter der Sophistik, wurde der Begriff
der cogia auf die theoretische ErkenntniB beschränkt und so ist es
Herodot über die Ionier. 269
ben den Ausdruck in Mißcredit gebracht: sie rühmten sich eben
nicht mehr, im Besitze der Erkenntniß zu sein, sondern nur,
nach ihr zu streben. Ebenso hat man darin eine Geringschä-
tzung gesehn, daß Herodot den Hekataios ständig Aoyonosog
nennt, weil dies Wort oder das damit identische Aoyoygaqog in
späterer Zeit im Gegensatz zum eigentlichen Historiker gebraucht
worden ist. Aber zu Herodots Zeit ist es der ganz correcte,
allgemein übliche Ausdruck für jeden, der Adyouc mossî, auch
für Aesop (II 134). Herodot hat sich zweifellos selbst so ge-
nannt, wie denn Thukydides (II 21 Aoyoyoayoı) und Ktesias
(Phot. cod. 72 init. Aeyomo:og) ^) ihn so nennen. Und welchen
Mißbrauch hat man mit dem Worte Aoyog bei Herodot getrieben.
Namentlich von quellenkritischer Seite aus hat man ihm will-
kührlich eine engbegrenzte Bedeutung aufzuzwingen gesucht,
während es nie etwas anderes heißt als „Erzählung“ ®), wobei ge-
nau wie bei dem deutschen Wort je nach Umständen der Ge-
danke an den Inhalt der Erzählung, die Ueberlieferung, oder
an die Form, die Darstellung, mehr in den Vordergrund tritt.
Ein anderes Mißverständniß ist, daß Herodot durch die Bemer-
kung, Thales sei seiner Abstammung nach ein Phöniker («»é-
xadev yévos tv oiv I 170), diesen habe herabsetzen wollen.
Dann müßte er auch mit der Behauptung, daß die dorischen Kó-
nige ägyptischen Ursprungs seien (VI 53 ff), den Herakliden
einen Hieb versetzen. In Wirklichkeit haben wir es nur mit
Folgerungen zu thun, die jedermann aus den Stammbäumen ziehn
mußte und gezogen hat. Die Herakliden sind Aegypter, weil
Danaos aus Aegypten kam, Thales ist phönikischen Ursprungs,
weil er einem der kadmeischen Adelsgeschlechter entstammte,
die bei der ‘Besiedelung Ioniens nach Kleinasien ausgewandert
waren (Her. I 146; Thales war ein Thelide, deren kadmeischen
Ursprung auch Diog. Laert. I 22 bezeugt‘), Die Angabe ist
gekommen, daß die alten Staatsmänner, wie Pittakos, Bias, Thales,
in wei tidchtige Forscher umgewandelt wurden (Plato, Hippias ma-
ior 281).
2) Photius meint allerdings, der Ausdruck enthalte einen Tadel;
das ist aber offenbar nur ein Mißverständniß.
3) An die Ungeheuerlickkeit, daß Sayce bei Herodot I 1, II 3
und sonst Aöysos durch Prosaiker übersetzt, sei hier nur kurz erinnert.
4) Neuerdings hat Diels Archiv f. Gesch. der Philosophie II
165 ff. den Thatbestand richtig klar gelegt. Auch darin hat er Recht,
daß der Name von Thales Vater, Examyes, karisch ist. Dagegen
270 E. Meyer,
mithin grade umgekehrt eine Anerkennung der adligen Abstam-
mung des 'Thales 5).
Ein analoges Mifverstündnif ist es, wenn man aus Herod.
I 148 ganz allgemein gefolgert hat, es habe im fünften Jahr-
hundert für eine Schande gegolten, ein lonier zu sein. Ja,
Bechtel meint, Herodot nenne HalikarnaB eine dorische Stadt,
wührend man in ihr doch nach Ausweis der Inschriften ionisch
sprach €), weil er nicht Gefahr laufen wollte, als Ionier zu gelten,
da er l 143 schreibt: xai viv qaívovra( wos oi moddoè avidiv
sncht auch er noch in Herodots Angabe viel zu viel, wenn er meint,
die Zeitgenossen und Herodot hätten in Thales Lehren einen Einfluß
der orientalischen Cultur erkannt, und deshalb um so eher an seine
phónikische Abstammung geglaubt. — Die weitere Angabe des Diog.
Laert. inolsroygaqudg dì iv Mito ote nie ody Nesléw éxnsodves Per
vixns, die Diels nicht erklären kann, muß in der Quelle folgender-
maßen gelautet haben: „Thales’ Geschlecht stammte von einem Ahn-
herrn, der mit Kadmos Phoenikien verlassen hatte; ein Nachkomme
desselben nahm mit Neileus, dem Oekisten Milets, an der ionischen
Wanderung Theil und gewann so das milesische Bürgerrecht“. Die
weitere Angabe wc d’ où nisious qaciv, iSayerys Medyjosos 3v xai yt
vous ÀeungoU ist völlig correct, steht aber nicht etwa mit der kadmei-
schen Abstammung in Widerspruch, wie Diogenes meint.
5) Ich bemerke, daß auch Herodot selbst, eben so gut wie Heka-
taeos, ddliger Abstammung war. II 143 erzählt er „die thebanischen
Priester thaten dem Hekataeos, als er seinen Stammbaum aufzählte,
und im sechszehnten Gliede auf einen Gott zurückführte,, dasselbe
wie mir, obwohl ich meinen Stammbaum nicht aufzählte (olóv ss xei
iuoi ov yersnloyroavu duswvrov)‘“. So kann er nur reden, wenn er eine
yevenloyin hat, d.h. wenn er aus einem Adelsgeschlecht stammt. Die
Stelle ist auch sonst für die Beurtheilung Herodots sehr wichtig. Er
sagt, die Priester hütten dem Hekataeos (und ebenso ihm selbst) 845
Priesterstatuen gezeigt und gesagt, dieselben seien Sohn auf Vater
auf einander gefolgt, kein Gott sei sei dazwischen gekommen: #xacroy
tu» x0l000wy nigwuw Ex nepwusos yeyovévas. piromis erklärt er, und
so wohl schon Hekataeos, als xalös xaya9ös. Das gibt keinen Sinn;
denn ob die Priester adlig waren oder nicht, ist gleichgültig. pi-
römi bedeutet aber auch nicht was Herodot sagt; es ist ein gut
ägyptisches Wort, heißt aber einfach „der Mensch“. So erst erhält
die Aussage der Aegypter Sinn; sie behaupten, daß diese 345 Prie-
ster „Mensch von Mensch gezeugt“ waren. Man sieht sehr deutlich
— was sich auch sonst beweisen läßt — daß Herodot kein Wort
ügyptisch verstand. Von Hekataeos wird das gleiche gelten. Daß
sich den auf ihre Abstammung von den Góttern stolzen Münnern der
Begriff des Adligen unterschob, ist begreiflich genug ; es spricht sich
darin noch deutlicher als in den directen Angaben Herodots der Ein-
druck aus, welchen das Bekanntwerden mit dem Alter der agy pu.
schen Geschichte auf die adelsstolzen Griechen gemacht hat. hat
das ihren Rationalismus nicht erzeugt, aber wesentlich bestürkt.
6) In Wirklichkeit ist der Grund einfach der, daß Halikarnaß
trotz seiner ionischen Sprache doch keine Ionierstadt war.
Herodot über die Ionier. 271
[rü» "Imvwv] inoiwyvveto9a, tH ovopari ^). Aber ist es nicht
ein geradezu ungeheuerlicher Gedanke, daß im fünften Jahr-
hundert die lonier sich ihres Namens geschämt hätten, in einer
Zeit, wo das Ionierthum auf allen Gebieten die Führerschaft in
der Griechischen Welt behauptete und sich zum entscheidenden
Kampf gegen die Dorer anschickte? Haben denn die Athener
sich der Abstammung von Ion geschämt? Haben sie nicht
vielmehr bei jeder Gelegenheit ihr Ionierthum betont? Es ist
wirklich unnóthig, weitere Worte darüber zu verlieren. Im
vierten Jahrhundert, nach dem Siege Spartas, könnte man ein
derartiges Urtheil allenfalls begreifen, doch in der Zeit findet
sich davon keine Spur. Aber bei Herodot, dem Parteigänger
Athens, müßte man gradezu einen Anfall von Geistesabwesenheit
annehmen, wenn die Stelle wirklich das enthielte, was man sie
besagen läßt.
Das besagt die Stelle denn auch in keiner Weise. Herodot
berichtet „die übrigen Iouier und [besonders] die Athener haben
den Namen vermieden (&yvyov) und wollen nicht Ionier genannt
sein, sondern auch jetzt noch scheinen mir die meisten von ih-
nen sich des Namens zu schämen 5); die zwölf Städte aber, von
denen ich rede, waren stolz auf den Namen und gründeten sich
ein eigenes Heiligthum, das sie Panionion nannten, und beschlos-
sen an ihm Niemandem von den andern Ioniern Theilnahme zu
gewähren (auch hat außer den Smyrnaeern Niemand darum ge-
beten); ähnlich wie die [asiatischen] Dorer u.s. w. ... Zwölf
Städte aber haben die Ionier meiner Meinung nach angelegt und
mehr nicht aufnehmen wollen, weil sie auch als sie im Pelo-
ponnes wohnten, in zwölf Theile zerfielen .... Deshalb haben
die Ionier zwölf Städte angelegt. Denn zu behaupten, daß sie
mehr Ionier seien als die übrigen Ionier oder etwas besseres
seien, wäre große Thorheit. Denn unter ihnen bilden Abanten
aus Euboea nicht den geringsten Bestandtheil, die mit Ionien
nicht einmal dem Namen nach etwas zu thun haben, und Minyer
aus Orchomenos sind unter sie gemischt und Kadmeer und
Dryoper und versprengte Phoker und Molosser und arkadische -
7) Die Inschriften des ionischen Dialekts (Abh. Gótt. Ges. d. W.
XXXIV 1887) S. 140.
8) Besser noch würde der Sinn von gaivoytai uos énasoydvecdas
wiedergegeben durch die Uebersetzung ,,benehmen sich die meisten als
ob sie sich des Namens schämten“.
272 E. Meyer,
Pelasger und Dorer von Epidauros und viele andere Stämme
sind unter sie gemischt; und die unter ihnen, die vom Pryta-
neion in Athen gekommen sind und sich für die üchtesten (yev-
vasoraros) der Ionier halten, diese haben ihre Frauen in die
Ansiedlung nicht mitgenommen sondern sich karische Weiber
genommen ... Und sie haben sich Könige gesetzt die einen
Lykier die von Glaukos dem Sohne des Hippolochos abstammen,
die andern Kaukonen aus Pylos von Kodros, Melanthos' Sohn,
einige auch beide zusammen. Aber da sie nun einmal an dem
Namen mehr festhalten als die andern Jonier, so mögen sie
meinetwegen auch die reinen Ionier (oí xaJaQüg yeyovures lwwsc)
sein. Es sind aber alle die Ionier, welche aus Athen stam-
men und das Apaturienfest feiern, und das thun alle außer den
Ephesiern und Kolophoniern, die allein von den Ioniern die
Apaturien nicht feiern, und zwar um eines Mordes willen“.
Das Problem, welches Herodot zu lósen sucht, ist folgen-
des. ,,Ionier sind die Nachkommen Ions“ (Arist. metaph. IV
28). In erster Linie müßten mithin die Athener sich Ionier
nennen, bei denen Ion lebte (und die denn auch nach der
theoretischen Geschichtsconstruction in der Urzeit einmal diesen
Namen geführt haben Her. VIII 44 u.s. w.) und von denen die
übrigen Ionier ausgegangen sind. In Wirklichkeit aber erken-
nen sie und ebenso die Inselbewohner wohl an, daß sie zu den
Ioniern gehóren, aber als Ethnika führen sie ganz andere Na-
men: Niemand bezeichnet im gewöhnlichen Leben einen Mann
aus Athen als Ionier. Dagegen bei den Colonisten in Klein-
asien ist dieser Name lebendig, ihr Land heißt Ionien; und doch
sind gerade unter ihnen zahlreiche Geschlechter (wie z. B. das
des Thales) die ihren Stammbaum nicht auf Ion und Athen zu-
rückführen, sondern auf ganz andere, nicht ionische Stämme.
Und nieht einmal die, welche von Vatersseite her wirkliche Io-
nier sind, haben reines Blut. Wie kommt es also, daß gerade
hier der Ioniername so fest haftet, wührend die anderen, die so
viel bessern Anspruch darauf haben, ihn nicht führen?
Herodot weiß keine andere Antwort darauf zu geben, als
daß die Athener und die Uebrigen den Namen aus irgend einer
Idiosynkrasie verschmühen ?), daf sie sich seiner schümen, wüh-
9) Daher meint Herodot auch V 69, Kleisthenes habe in Athen
die vier nach Ion's Söhnen benannten Phylen abgeschafft und die
Herodot über die Ionier. 278
rend die Ionier der zwölf Städte ihn fast widerrechtlich usur-
pirt haben. Selbst in der Gegenwart, wo durch den Auf-
schwung Athens der ionische Stamm zu so großem Ansehn ge-
langt ist und der Ioniername weit ófier genannt wird als früher
(wo z. B. die kleinasiatischen Aeoler im officiellen Sprachge-
brauch Athens von ihm vóllig mitverschlungen werden), will er
doch außerhalb Ioniens nicht recht Wurzel schlagen: «Aa xai.
vv!) gulvovral uos of woàÀoi aviwy Ernusagiveoda: t@ ovvo-
pars — natürlich, denn die Athener heißen nach wie vor Athe-
ner, nicht Ionier. Man sieht, der Satz besagt genau das Ge-
gentheil von dem, was man allgemein aus ihm herausliest.
Herodot konnte eine andere Lósung nicht geben; er steht
im Banne der genealogischen Ueberlieferung, die für ihn, wenn
man die Wundergeschichten herausstreicht oder vielmehr rich-
tig, d. h. rationalistisch, deutet, unverbrüchliche Wahrheit ist.
Wir werden uns seiner Erklärung nicht anschließen. Aber das
Problem existirt in der That: es ist die Frage nach dem Ur-
sprung des [oniernamens und des Ionierthums. Es zeugt für
den historischen Sinn Herodots, daß er es aufgeworfen hat.
Unsere Antwort wird genau umgekehrt ausfallen müssen, wie
die Herodots. Der Ioniername ist da aufgekommen, wo er zu allen
Zeiten allein lebendig gewesen ist, in [onien !!). Vor der Besie-
delung der lydischen und karischen Küsten durch die Griechen
hat es auch keine Ionier gegeben. Die ,ionische Wanderung“
beruht auf dem Vordringen der mittelgriechischen Bevölkerung
über das ägäische Meer. Einzelne große Bewegungen mögen
dazu den Anstoß gegeben, mögen die ersten und wichtigsten
Ansiedelungen veranlaßt haben; aber in der Hauptsache hat
sich die Bewegung gewiß ebenso allmählich und gleichmäßig
zehn neuen Phylen eingeführt „aus Abneigung gegen die Ionier, da-
mit Atbener und lonier nicht dieselben Phylen hätten‘ (doxés» uoi
xai obroc [mit Rücksicht auf I 148] énegidu “Iwas, ive py oypio ai
actui Ewos quai xai "Iwo.
10) Im Gegensatz zu der Zeit des Kyros, von der eben vorher
die Rede war, und von der Herodot sagt, daß „damals, in einer Zeit
allgemeiner Schwäche des Hellenenthums, die Ionier unter allen Hel-
lenen die schwächsten gewesen seien, da es außer Athen keine io-
nische Stadt von (politischer) Bedeutung gab“.
11) Dieselbe Ansicht hat auch v. Wilamowitz Hermes XXI 108 aus-
gesprochen: „lonisch nnd Aeolisch sind erst Producte der Völker-
wanderung“.
Philologus. N. F. Bd. Il, 2. 18
274 E. Meyer,
fortschreitend vollzogen, wie etwa die Besetzung Unteritaliens durch
die Achaeer!?*) oder Neuenglands durch die Engländer. Die
überschüssige Bevólkerung, für welche die enge Heimath nicht
ausreichte, suchte sich einen Abfluß und eine neue Heimath.
Daher ist es gewiß richtig, wenn Attika als der Ausgangspunct
der ionischen Colonien gilt !?) (wie Boeotien und Thessalien als
der der äolischen), aber nicht in dem Sinne als seien nun alle
oder auch nur die Mehrzahl der Auswanderer hier heimisch ge-
wesen. Von den Angaben Herodots über die nicht attischen
Elemente unter den loniern oder vielmehr von den ihnen zu
Grunde liegenden Stammbäumen der ionischen Adelsfamilien
mag man so wenig halten wie man will: daß an der Bildung der
Ionier die verschiedenartigsten Elemente Theil genommen haben,
ist nicht zu bezweifeln. In der neuen Heimath sind sie zu ei-
ner Einheit verschmolzen, und dem neuerstandenen Volksstamm
entspricht der neue Name. Die Frage nach dem Wohnsitz der
Ionier vor der Wanderung ist gegenstandslos !*): vorher hat es
eben in dem Sinne, in welchem wir den Namen allein ken-
nen, keine Ionier gegeben !°).
12) Ich weiß nicht, ob man schon bemerkt hat, daß dies von
den Achäern besetzte Gebiet in Unteritalien seinen Namen „das
große Hellas“ [die Uebersetzung ‘Gro8yriechenland’ ist sehr unglück-
lich] nicht führt im Gegensatz zu dem eigentlichen Griechenland auf
der Balkanhalbinsel — das wäre sachlich absurd und sprachlich un-
möglich, da der Name Hellas in der classischen Zeit niemals diesen
beschränkten Sinn hat, sondern alles Hellenenland von Massalia bis
zum Phasis bezeichnet — sondern im Gegensatz zu der Urheimath
der Achäer, dem thessalischen Hellas. Damit verglichen ist Unter-
italien allerdings „das große Hellas“. Zugleich lernen wir dadurch,
daß in der That die Namen Achaeer und Hellas untrennbar zusam-
mengehüren; wie jener in Ilias und Odyssee auf alle griechischen
Stämme ausgedehnt wird, ist offenbar auch Hellas und Hellenes
durch das Epos zur Gesammtbezeichnung der Nation geworden.
Dazu eignete es sich weit besser als der Achäername, da dieser ja
nicht abgestorben sondern noch als Stammname in Thessalien, im Pe-
loponnes, in Italien völlig lebendig war.
13) Daher sind die Namen der Phylen die gleichen in Attika,
Milet, Teos und vermuthlich auch in anderen ionischen Städten, da-
her ist das Apaturienfest fast allen gemeinsam u. s. w.
14) Damit soll natürlich nicht bestritten werden, daß schon
vorher irgendwo ein Stamm existirt haben mag, der sich Tonier
nannte und nun dem neuen Volk den Namen gab; nur wissen wir
davon nichts.
15) Warum die Ueberlieferung die Ionier vor der Wanderung
an der Nordküste des Peloponnes im späteren Achaia wohnen läßt,
ist mir völlig dunkel.
Herodot über die Ionier. 275
Auch der ionische Dialekt ist erst in Ionien entstanden; denn
die Heimath eines Lautwandels (in diesem Fall die Umwandlung
des & in offenes & und der Verlust des vau) ist da zu suchen,
wo derselbe am stärksten und consequentesten auftritt. Von
Ionien hat sich die Spracherscheinung auf die Inseln und schwä-
cher und durch Gegenströmungen gehemmt nach Attika verbreitet.
Dies ganze Gebiet, das Mittelstück des ägäischen Meeres, bil-
dete sprachlich, commerciell, culturell eine eng zusammengehörige
Gruppe, deren Einheit in der großen Messe von Delos ihren
deutlichsten Ausdruck fand. Das leitende Element waren die
Ionier. So ist es begreiflich genug, daß ihr Name auf den gan-
zen Kreis ausgedehnt wird; ist er doch bei den Asiaten der
Name für alle Hellenen geworden. Die genealogische Poesie
ordnet daher alle Gemeinden dieses Kreises dem Ion dem Sohne
des Hellen unter, betrachtet sie alle als seine Nachkommen.
Wenn, was ja recht wahrscheinlich ist, der Hellenenstammbaum
in Ionien entstanden ist, so war eine derartige Auffassung gar
nicht zu vermeiden. Auf dem Stammbaum aber beruht es in
erster Linie, daß die Athener und die übrigen Ionier der popu-
lären Anschauung als Ionier gelten. Aber die „reinen“ oder
„achten“ Ionier sind darum doch immer die kleinasiatischen ge-
blieben, wenn auch, wer wie Herodot an die Genealogie glaubte,
ihren Anspruch folgerecht bestreiten mußte.
Breslau. Eduard Meyer.
Liv. VIII 1, 10:
(legati: Samnitium) pacem sibi ab Romanis bellique ius Adversus Si-
dicinos petierunt, quae se eo iustius petere, quod et in amicitiam po-
pui Romani secundis suis rebus, non adversis, ut Campani, venissent
& adversus Sidicinos sumerent arma, suos semper hostes, populi Ro-
mani numquam amicos, qui nec, ut. Samnites, in pace amicitiam nec,
u Campani, auxilium in bello petissent etc. Das Sätzchen mec
auxilium . . . petissent variiert das vorangegangene non adversis (suis
rebus) venissent; es ist daher unwahrscheinlich, daß das an der
früheren Stelle nothwendige, an der nachfolgenden unnóthige wt
Campani so einförmig von Livius wiederholt worden sei. Noch
müliger ist ut Samnites zu den Worten mec in pace amicitiam
(petissent) gesetzt, deren Beziehung ohnehin unzweifelhaft ist nach-
dem in amicit/am p. R. secundis suis rebus (venissent) vorhergegangen.
Daß die beiden Erläuterungen nicht von Livius herrühren, darf
um so zuversichtlicher vermuthet werden, weil durch Streichung
von ut Samnites und ut Campani die Concinnität gewinnt,
Würzburg. A. Eulfner.
18 *
XVL
Die rómisch -karthagischen Vertrage.
3. Der erste poly bianische Vertrag.
Die Resultate der beiden 3. 131 f. mitgetheilten Untersuchun-
gen sind ausschlaggebend auch für die schlieBliche Entscheidung
über die Datirung des ersten Vertrages.
Keine der spáteren Urkunden war mit Eponymen versehen,
und somit hat eine solche Angabe auch schwerlich in dem er-
sten Vertrage selbst géstanden.
| Polybius zählte die 3 ersten Verträge nicht abweichend
von der annalistischen Tradition. Der dem Pyrrhusvertrag vor-
aufgehende, mit einer Clausel in Pyrrhus' Zeit versehene Vertrag
war auch nach ihm der dritte. Sein zweiter Vertrag muB schon
seinem Inhalt nach in der Zeit des Latinerkrieges, also um V.
411 abgeschlossen sein, derjenige der annalistischen Tradition
liegt zwischen V. 406 und 443, und sie gerade berichtet, daB
V. 411 eine karthagische Gesandschaft nach Rom gekommen sei,
Somit wäre jetzt allein noch zu entscheiden, was den Vor-
zug verdiene: die annalistische Angabe, daß V. 406 der erste
karthagische Vertrag abgeschlossen sei, oder die polybianische,
welche, ohne auf die Urkunde gestützt zu sein, nicht nur den
Vertrag unter V. 406 ignoriert, sondern allein einen Vertrag
unter V. 245 kennt.
Alles kommt darauf an nachzuweisen, wem Polybius,
wenn er die Consuln nicht in der Urkunde selbst fand, diesel-
ben verdankt. Benutzte er nicht außerdem noch römische Quel-
Die römisch -karthagischen Verträge. 277
len? Kann er, mit Scipio, Cato und andern Geschichtskundigen
bekannt, ohne hinreichende Gewähr die ersten Consuln einge-
setzt haben ?
Glücklicher Weise läßt sich auch hierüber die gewünschte
Klarheit gewinnen.
| Allerdings wird Polybius selbst die Urkunden nicht nur
überhaupt gesehen, sondern auch an Ort und Stelle genauer ein-
gesehen haben.
Dagegen bewahrt er ein beredtes Schweigen darüber, ob
er dieselben an Ort und Stelle nach dem Original copiert
oder übersetzt hat. Er sagt nur: &g xaSwGov nv dvvazóv áxgi-
Btorara disounvevoavies nweig vrroyeyou pauev. Ja indem er hin-
zufügt rgAwxavig yao 5j dsapoga yéyove ıng diadéxtov xai magà
‘Pupalor ıng »vv mods inv Goyuluv, wore roug Cuvetwrtarous
bia uolg 2E ensoracews disvegiveîv, deutet er an, daß er nur
mit fremder Hiilfe im Stande gewesen sei, den Wortlaut zu
verstehen.
Nun könnten sich allerdings kundige Römer des Griechen
angenommen haben, ihm an Ort und Stelle den Wortlaut ge-
deutet und dieser sich allerlei Bemerkenswerthes aufgezeichnet
haben. Mehrere gewichtige Anzeichen sprechen aber dafür, daß
Polybius eine ausführliche schriftstellerische Darstellung über |
diese Materie, eine Uebertragung der Verträge mit erklärendem
Commentar, vor Augen hatte.
Zunächst muß bemerkt werden, daß. Polybius nicht er-
klärt, er habe die Originale an Ort und Stelle selbst geschrie-
ben bez. übertragen. Vielmehr schließt die feierliche Erklärung
3, 26, 1, die Originale würden noch im Archiv der Aedilen
verwahrt, jene weitergehende Behauptung m. E. eigentlich aus.
Denn wer wird wohl beim Erweis der Existenz eines Docu-
mentes nur hervorheben, es sei noch im Archiv zu sehen, wenn
er im Stande ist, die weitergehende Behauptung zu vertreten,
daß er selbst dasselbe im Archiv copiert oder übersetzt habe ?
Sodann werden doch zu der Zeit des Fundes jener wich-
tigen Urkunden mehrfach Abschriften und. ‘Commentare Zu den” .
schwer verständlichen Verträgen angefertigt worden sein. Grad"
jene Zeit, kurz vor dem 3. punischen Kriege hatte ein hervor-
ragendes Interesse daran, die früheren Vertrags- Urkunden mit
Karthago kennen zu lernen und zu commentiren.
278 W. Soltau,
Endlich zeigt die Art der polybianischen Zusätze, wie er
nicht etwa nur mündlich einzelne erklärende Bemerkungen er-
halten, sondern seine Notizen mehrfach offenbar einem Berichte
entnommen hat, welcher das neu gefundene Urkundenmaterial
auf das tendenzióseste behandelt hatte.
Der Wortlaut des ersten Vertrages bestimmte (3, 22, 5)
un ety ‘Pwpatove unie 109; Pwpalwr ovuuuyous Ènéxtva 100
xadov axgwrnolov, d. h. offenbar, die Römer sollten nicht weiter
westlich fahren’). In den Bemerkungen dazu 3, 23, 2 wird
dagegen den Karthagern der Grund untergeschoben du ro un
Bovisotur ywuloxtw avrovg, wo Êmoi doxei, punte 100g xuid
thy Bvoo«tv unte tovg xara iv pixour Nugrww ronovç, & dh xa-
2000 "Eunogtia, did rjv gern» ıng ywguc. — Noch tenden-
ziöser ist der zweite Vertrag interpretirt. Derselbe schloß in den
Bund auch die Bundesgenossen der Rómer im allgemeinen mit
ein, forderte aber nicht wie der erste Vertrag im speciellen:
Kaoyndovior dé un adızelıwoav djpov ’Andearwr, 'Aruurwv, Auv-
gevtivwy, Kipxaurwdv, Tußbaxırırwv, und’ allow pndéva Aarivür,
000 av unyjxoos. Diese im 2. Vertrag fehlenden Städte schiebt
des Polybius’ Interpretation 3, 24, 16 dem Vertrage unter: uÿras
0” eloiv ab nodess ab neqi£yovoas negi Ialaırav zi» Aurvenv yw-
qo», unig 76 mosovvras 146 Gun.
Der Wortlaut des dritten Vertrages wird von Polybius
ganz übergangen, trotzdem dieser in erster Linie anzuführen
war und hernach wird im Commentar dazu 3, 26 das Verbot,
daf Rómer Sicilien überhaupt betreten durften, mit dem Verbot
einer kriegerischen Invasion in Sicilien confundirt (so 26, 3—4).
Offenbar kann Philinus nur an das letztere gedacht haben (vgl.
8. 136 A. 10) Das ist ein logisches Kunststück, das (vgl. das
Ende des Kapitels) denn doch dem Polybius selbst etwas zu
stark erschienen ist.
Kurz, der ganze Excurs 3, 20, 1 bis 3, 33, 1 ist ein zu-
sammenhängendes Ganze, welches nur der parteiischen Recht-
fertigungsschrift eines Rómers, welcher mitten in den rómisoh-
karthagischen diplomatischen Streitigkeiten stand, selbst mit-
1) Meltzer Geschichte der Karthager 1, 488 bemerkt treffend, „daß
es sich nicht um Fahrten östlich oder südlich desselben han-
deln könne“. „Daß Polybius an der betreffenden Stelle (3, 28, 2)
nicht als Quelle spricht, ist doch klar.
Die römisch-karthagischen Verträge. 279
agirte, entnommen ist. Eine solche Kunst des Verschweigens
und Verdrehens, wie sie sich hier auf Schritt und Tritt aller-
dings neben manchen sachlich werthvollen Bemerkungen findet,
ist dem Polybius selbst fremd, gehört seiner Quelle an.
Wer war diese Quelle ?
Nach Polybius 3, 22, 3 und namentlich 3, 26, 2 kann
dieses nur ein Autor gewesen sein, welcher unmittelbar vor Po-
lybius geschrieben hat. Es war kein andrer als Cato. Folgende
Gründe werden dieses, soweit dieses noch nóthig ist, erweisen:
1) der Stoff Polyb. 3, 22 —32 ist, ebenso wie bei dem Be-
richt über die Gallierkriege 2, 18 £, nach sachlichen Rücksichten
geordnet, nicht historisch-annalistisch. Soweit wir wissen, waren
nur Catos origines nach dieser Disposition geordnet.
2) Cato gab, wie Fr. 84 Non. s. v. duodevicesimo p. 100
zeigt (deinde duo et vicesimo anno post dimissum bellum, quod
quattuor et viginti annos fuit, Carthaginienses sextum de foe-
dere decessere) eine gedrüngte Uebersicht über die rómisch-kar-
thagischen Verträge und Streitpunkte. Bei ihm also konnte
Polybius das Material so geordnet finden, wie er es 3, 22 ff.
gegeben hat.
3) Cato hat in dem ebengenannten Fragmente, abweichend
von der Mehrzahl alter rómischen Autoren ?), den Beginn des
2. punischen Krieges in das Jahr 219 v. C. gesetzt. Grade
darin folgt ihm Polybius 3, 15, 11, wo es heißt, daß Hannibal
indem er Sagunt angegriffen habe, ov uovor QAoywc, Erı dé wad-
lo adlawg zuraoyeıv edoxes tov 20ÀéÉuov (vgl. auch die fol-
genden Worte of dì zwr ‘Pwurlwr mofofsg, ot iv ein mo-
kugi£ov, oupws eldorss), Und dasselbe sagt 3, 20, 2 nag ydo
Wo» 7’ nv ‘Pwualovs 100; Eviavid nooregov Ennyyei-
10:106 noAsmov Kuoyndoviors, éàv èmfaivwor ins Zaxuvdalwv
Wong . . . . 1018 flovAeveo9 os OweÄdortug . . . è
4) Selbst die Zählung Cato's sextum de foedere decessere
stimmt mit derjenigen des Polybius überein. Dieser hat, wie
oben gezeigt worden ist?), den Vertrag von 448 mit dem Zu-
satzvertrag 474/35 als einen einzigen Vertrag angesehen, jedenfalls
den Pyrrhusvertrag dem dritten zugezählt. Dann war ihm der
, 2) Vgl. Sieglin die Chronol. der Belagerung von Sagunt (diss.
ips. 1878).
3) Vgl. auch Wochenschrift f. klass. Philol. 1888, 378 f.
280 W. Soltau,
Vertrag des Catulus der 4. (Polyb. 3, 27, 1 £), der Vertrag
nach dem Sóldnerkrieg der 5., der Vertrag des Hasdrubal der
6., der Beginn des zweiten punischen Krieges war der „sechste“
Vertragsbruch.
5) Endlich ist der Parteistandpunkt im polybianischen
Bericht durchaus derselbe, wie derjenige Cato's. Fast aus je-
dem Wort des polybianischen Commentars spricht jener partei-
ische Feind der Punier, der leidenschaftliche Autor des ceterum
censeo Karthaginem esse delendam.
Was folgt nun aber daraus für die Datirung der Verträge ?
Cato datirte bekanntlich nicht nach Consuln, sondern für
die ältere Zeit gab er, soweit er einen bestimmten Zeitpunkt
definieren wollte, Intervallangaben in natürlichen Jahren oder
synchronistische Notizen. Mithin hat auch Polybius hier nicht
die Consuln L. Iunius Brutus und M. Horatius antreffen kön-
nen, sondern im günstigsten Falle eine andere Angabe, welche
Polybius dann durch Beifügung dieses Consulpaares interpretirte.
Es liegt auf der Hand, daß bei dieser Sachlage der Werth
jener Datirung nur gering angeschlagen werden kann. Viel-
leicht gab Cato an, der erste Vertrag sei der älteste Vertrag,
welcher im Archiv des capitolinischen Tempels aufbewahrt wor-
den sei, wobei dann das Alter des aedilicischen Archivs in
cella Iovis und dasjenige des capitolinischen Tempels Anlaß zu
Verwechslungen gab; — vielleicht auch hatte Cato aus-
geführt, daß jener erste, bisher noch nicht näher datirte Ver-
trag kurz vor dem Kriege mit den Latinern abgeschlossen sein
müsse, da Rom noch Herrin von Latium gewesen sei: in beiden
Fällen wäre sogar die Möglichkeit eines Irrthums dargethan und
ein solcher somit wohl erklärlich. Doch gibt es noch verschie-
dene andere Möglichkeiten.
. Vor allem kommt nämlich noch die Eventualität in Betracht,
daß Cato oder — wenn Cato überhaupt keine Anhaltspunkte
zur Datirung bot — andere angesehene Rómer ein Interesse daran
haben konnten, hier, wo es galt, unmittelbar auf die diplomati-
schen Verhandlungen Einfluf zu üben, die Geschichte zu ver-
drehen und Roms Ansprüche und Rechte in eine möglichst frühe
Zeit heraufzuführen.
Der Wunsch Cato's und seiner Parteigenossen mußte es
sein, zu zeigen, daß Rom schon möglichst früh eine ausgedehnte
Die römisch - karthagischen Verträge. 281
Macht im Mittelmeer gehabt, viele Jahrhunderte ein unbestrit-
tenes Recht ausgeübt habe, Sieilien ungehindert zu betreten und
zwar zu einer Zeit, da die karthagische Macht auf Sicilien nur
eine geringe Ausdehnung hatte. Wenn Cato in den ersten
und zweiten Vertrag tendenziós Dinge hineininterpretirte, welche
nicht darin standen, wenn er den Wortlaut des dritten aus po-
litischen Rücksichten überging, so ist ihm auch zuzutrauen, daß
er versucht habe, den eben erst gefundenen, bisher undatirten
ersten Vertrag in eine frühere Zeit zu verlegen. Vielleicht auch
begnügte er sich damit, mündlich Ansichten hinzuzufügen
und zu verbreiten, welche vor der Geschichtskunde *) nicht Stand
halten und besser in seinem Geschichtswerke übergangen wurden.
Die Untersuchung über die Frage, ob Polybius genaue
Datierungen der römisch-karthagischen Verträge vorfand, hat in
jeder Beziehung ein negatives Resultat ergeben. Kein einziger
der übrigen Verträge kann im Original eine genaue Datirung
gehabt haben, und eine solche bot ebensowenig Cato, die Quelle
des Polybius. Ja, dieser mitten in den diplomatischen Kämpfen
vor dem 3. punischen Krieg schreibend, hat die Verträge nach-
weislich einseitig im römischen Sinne zu interpretiren versucht
und jedenfalls ein Interesse daran gehabt, den ersten Vertrag
möglichst früh anzusetzen oder — wofern bei ihm selbst der
Politiker den Historiker nicht überwog — es wenigstens nicht
ungern gesehen, daß in der hellenistischen Welt durch andre
die Annahme einer möglichst frühen Machtstellung Roms ver-
breitet wurde. —
Bei dieser Sachlage wäre es unkritisch, wollte man die in
der Zählung auch mit Polybius übereinstimmende annalistische
Tradition, welche vor V. 448 nur zwei Verträge kennt, den
ersten aber schon V. 406 setzt, den zweiten zwar nicht in der
Zählung, wohl aber in der officiellen Erzählung
übergeht, durch Polybius’ Datirung der 1. Urkunde beseitigen.
4. Accessorische Argumente.
Nicht selten ist die Entscheidung der Frage, wie die er-
sten karthagischen Verträge zu datieren seien, davon abhängig
4) Ueber den persönlichen Verkehr des Polybius mit Cato vgl.
Polyb. 35, 6 (Plutarch Cato maior 9) und Soltau, ‘Cato und Polybius’
Wochenschrift f. kl. Phil. 1888, 375 f
282 : W. Soltau,
gemacht worden, wie die Bestimmungen des ersten Vertrages zu
den anderweitig bekannten Zustünden von Mittelitalien und Si-
cilien zu passen schienen.
Auch hier ist daher noch in Kürze zunächst soviel zu zei-
gen, daß die Verhältnisse Mittelitaliens, speziell von Latium V
245, nicht zu den Vertragsbestimmungen bei Polybius passen.
Gegen die in der I. Urkunde bei Polybius 3, 22 enthal-
tenen Angaben über Rom und Latium streiten folgende, größten-
theils von Unger gut zusammengestellte Angaben :
1. Bei Polybius erscheinen Antium und Terracina als
latinische Seestüdte: 3, 22, 11 f. 3, 23, 6 (vgl. auch Polybius
Commentar zur 1. Urkunde av:« d’ sloiv at noÀug ab nmegié-
yovGas naga Dularrav my Aarleny XWoar, Lnîo rg Kosovrtas Tug
Gvrdrxu;). Das alte Latium umfaBte >) nach frühen griechischen
Berichten beide nicht; der Periplus $) des sogen. Skylax $ 8 giebt
au: Toponrfus Eyorsu Lerivos udyos 100 Kigxulov xai 10 roù
"FAwivopo; puriaa (nach Theophr. hist. pl. 5, 8, 3. unweit Cir-
edi) Pn farirwr . Aarivwr dé Eyorras 'Olooí, was Angaben des
Plinius ) und Strabo's §) bestätigen.
2. Die annalistische Tradition bei Livius und Dionys?)
soit, daB beide Städte erst im zweiten Jahrhundert der Repu-
blik von den Rimern erobert und in Colonien umgewandelt wor-
den sind, ‘Terracina, welches bevor es in eine römische Colonie
umgewandelt wurde (Liv. 3, 21, Anxur hieß, wurde nach Liv.
4, A9 erst MS orobert, erscheint 337 Liv. à. 16 mit einer rö-
wüsehen Resataung versehen " — Antium war von jeher (Dionys.
4 43; & 3; & T omn Jahre 257; Liv. 3. 33 zum Jahre 261)
dine Valskerstadt, sall nach Liv. K 1 frühestens 287 eine lati-
Wiache Rundesndlante erhalten haben, ist aber hald wieder abge-
tallen Dean nach Lit & 33 wand es 377 noch einmal wieder
wuferwwn ea Wenn as asd eS nach Liv. 7. 27 auch noch
AUT A man emen. indem es nämlich gerade damals
M Nayderw any wer Vc Ver Names ÀT DS
dee Matane x vas? CU sagas IR DD f. am das Jahr
SAP «S aa
SS WN RR MP Tata eye a owes (ee. ultra Cer-
wa Va int es SS
SYN DOS «oeque a WAT Anus are
YU Sed ted ge A Toe Sage è è À
RER A-- soy No PI o afb gum riunite Bärgerco-
MS JAN AU vea
Die rómisch-karthagischen Verträge. — 288
eine Colonie nach Satricum , welches von den Latinern zerstört
worden sein soll (Liv. 7, 27) sendet, so ist das wohl vereinbar mit
seiner früheren Abhängigkeit. Schon damals mögen sich in An-
tium, welches nach Liv. 7, 27, 5 erst zwei Jahre später
am Aufstand theilnimmt, bedenkliche Zeichen revolutionärer
Gesinnung gezeigt haben. Entweder hat schon damals ein Theil
der Antiaten einen Erhebungsversuch gemacht und Satricum
gegen Rom befestigt, oder aber es könnte auf Roms Geheiß
ein Theil der Antiaten, in eine kleine Landstadt abgeführt wor-
den sein. So mußte geschlossen werden, falls wirklich
377 schon Antium förmlich unterworfen worden wäre und seine
Thore den Römern geöffnet hätte Sehr wohl möglich ist es
aber, daß 377 Antium nur einen ungünstigen Friedensvertrag
mit Rom eingegangen hat, keine deditio erfolgt ist. In die-
sem Falle wäre die Entsendung einer Colonie ein Zeichen des
Wiedererstarkens der volskischen Macht und ihrer Verbindung
mit Latium.
3. Ein wichtiges Zeugniß !!) gegen die Zugehörigkeit der
beiden Volskerstädte zu Latium im 5. Jahrhundert bietet das
Verzeichniß der Latinerstädte bei Dionys 5, 61. Antium und
Terracina fehlen in demselben.
4. Daß Rom schon in der Königszeit eine Art Oberherr-
schaft über ganz Latium gehabt hat, widerstreitet aller histori-
schen Wahrscheinlichkeit. Selbst wenn aber Rom eine so aus-
gedehnte Machtstellung an der Spitze des Latinerbundes ge-
habt hätte, so müßte es dieselbe doch, bei der Demüthigung
durch Porsena nach Vertreibung der Könige verloren haben !?)
5. Folgerungen für die literarischen Verhält-
nisse Roms 150 v. C.
Nebenbei móge noch einer Folgerung aus dem hier gewon-
nenen Resultate für die literarischen Verhültnisse Roms um 150
v. C. gezogen werden.
11) Unger Rhein. Mus. 37, 188 A. 1. Seeck Urkundenstudien.
12) Noch möge hier betont werden, daß die Versuche Ungers
nachzuweisen, daß der erste Vertrag des Polybius auch im Wider-
streit stehe zu dem, was über den Besitzstand Karthagos V. 245 in
Sardinien und Sicilien bekannt sei, mißglückt sind. Meltzer Ge-
schichte der Karthager 1, 516 f., Matzat Róm. Chron. 1, 309, Holz-
apfel Röm. Chron. 353 haben dargethan, daß die Karthager sehr wohl
284 W. Soltau, Die rómisch - karthagischen Vertrüge.
Wenn der 1. Vertrag mit Karthago in Wirklichkeit erst
V. 406 gehórt und trotzdem Polybius diesen Vertrag in das
erste Consulat !?) versetzen konnte, so hat dies zur Voraussetzung,
daß damals, als Polybius schrieb, d. h. um 150 v. C. eine de-
taillirte Geschichte über die ersten Zeiten der Republik noch
nicht bestand. Mochten immerhin schon damals die pontifices
in ihrem Archiv mancherlei Aufzeichnungen über jene Zeiten
gehabt haben. In weiteren Kreisen kann eine speziellere Kunde
dariiber nicht bestanden haben. Dort war die Forschung noch
durchaus in Fluß und bei einem neuen archivalischen Fund war
dem Conjecturiren noch ein weiter Spielraum gestattet.
Nur wenn weitere Kreise selbst römischer Gelehrter darüber
im Unklaren waren, ob der erste karthagische Vertrag V. 406
oder lange vor V.406 anzusetzen sei, mit andern Worten wenn
für den ersten Vertrag noch nicht offiziell und unzweideutig
cine Daticrung überliefert war, konnten ein Cato, ein Polybius
mit diesem aller historischen Wahrscheinlichkeit widersprechen-
don Ansatz !*) hervortreten.
Auch hierdurch wird die in meiner rómischen Chronologie
Abschnitt XXIII gegebene Entwickelungsgeschichte der römi-
schen. Annalistik vollauf bestätigt.
schon damals eine begränzte Herrschaft auf diesen Inseln gehabt ha-
ben können. Ohne hin wäre, selbst „wenn dieee Gebiete um 245
nicht im faktischen, völligen und unbestrittenen Besitz der Karthager
gewesen. wären“, noch lange nicht bewiesen, daß die Karthager sie
nicht damals den Römern gegenüber alsa ihr Eigenthum
in Anapruch nehmen konnten.
13) Die Abweichungen des Polybius über die Namen der ersten
Consuln sind in meiner Rim, Chronol. XXIV 7 besprochen worden.
14) Vielleicht liegt eine Erklärung und Botschuldigung hierfür
darin, daß awar nicht jener von Polybius im Wortlaut gegebene Han-
dela- und Rundesvertrag, aber dach sonst irgend welche Vertragsbe-
atimmungen bie in den Anfang der Republik zurück gereicht haben.
Ofentar bestanden nämlich schon lange vor V 406 Abmachungen
über den Handels und Gastverkehr zwischen Puniern und
Rome (vgl dasa Jhering die Gastfreandachaft im Alterthum, Deut-
mihe Nundehan ISS S 3284 fV An diese Restehangea mag man im
eiten Augenblick hei dem Pande dor Eratafela cedacht haben. Das
wüehtevee Stadium der Kirse'heiten dieses Vertrags mußte allerdings
bald eren besseren. helekren und die Notus im Archiv der pontifices
Wak dev erate ipolttische) Vertrag ra V. 406 geböre, machte sehr
Wald die nonmatinreite Vermutung des Polehins cad seiner Gewährs-
männer verpamen.
24er W. Seiten.
XVII.
Altersklassen und reguláre Dienstzeit des
Legionars.
Sobald der Census aufgehórt hatte, für die Organisation
des römischen Kriegsheeres maßgebend zu sein, erfolgte die Ver-
theilung der Mannschaften in demselben bekanntlieh nach ihrem
Dienstalter. Seitdem vereinigte jede Legion mit Ausnahme der
urbana, wenn sie vorwiegend aus Rekruten gebildet war !), Leute
mehrerer Jahrgünge; die ältesten standen als triari in dem
dritten Treffen, die nächst jüngeren als principes im zweiten, noch
jüngere als hastati im ersten, die jüngsten als velites außer Reih
und Glied. Wir sehen mithin, und darüber herrscht wohl kein
Zweifel, mindestens vier Altersklassen im Heere vertreten; da
aber die Veliten nicht sogleich in ihrem ersten Dienstjahre- vor
den Feind kamen, vielmehr aus dem Beispiel der legiones ur-
banae während des hannibalischen Krieges hervorgeht, daß eine
zweijährige Lehrzeit für die römischen Soldaten jener Zeit als
unumgänglich erachtet wurde ?), so ergeben sich deren sechs,
das heißt wir gelangen auf diesem Wege zu der nehmlichen
Anzahl, welche die älteste Beschreibung des Manipularwesens °)
uns bereits kennen lehrt. Schon hier ist für die taktische Glie-
derung lediglich das Dienstalter entscheidend ; denn es werden
folgende Gruppen getrennt und charakterisiert :
1) Die legiones urbanae in dieser Zeitschr. XXXIX 3 S. 527 ff.
2) A. a. O. S. 531 ff.
3) Livius VIII 8.
286 T h. Steinwender,
1. accensi — minimae fiduciae manus,
2. rorarii — minus roboris aetate factisque,
9. hastati — flos iuvenum pubescentium,
4. principes — robustior aetas,
5. triarii — veterauus miles spectatae virtutis,
6. leves milites — ?
Also nur von den accensi und leves milites wird nicht aus-
drücklich bemerkt, daß sie Altersklassen gewesen seien; wenn
aber die übrigen, darunter die wichtigsten Gruppen solche wa-
ren, darf man doch in jenen umso weniger etwas anderes er-
blicken, als seit Einführung des Soldes und der neuen Taktik
die Aufstellung nach dem Vermögen zwecklos gewesen wäre.
Deshalb ist hier auch gewiß keineswegs an die alten centuriae
accensorum zu denken, welche schon der Zahl nach nicht stim-
men würden. Vielmehr bezeichnet Livius die rorarit ausdrück-
lich als minus roboris aetate factisque, was eine andere noch jün-
gere Kategorie voraussetzt, die bisher noch garnicht ins Feuer
gekommen war, das heißt die Rekruten im eigentlichen Sinne,
und diese können danach nur in den accensi gesucht werden.
An dem Namen, welcher uns lediglich als ein Ueberrest aus
alter Zeit gilt, wird man sich kaum stoßen, da auch principes
und hastati in das neue System nicht mehr paßten; denn weder
führten letztere die hasta, noch standen jene in dem ersten Tref-
fen *) Man würde die accensi aber einfacher deuten, sobald
man sich erinnerte, daß sie auch der soeben in das militair-
pflichtige Alter getretene Zuwachs der Bürgerschaft sein konnten,
welcher zum ersten Male dem Census unterlag. Auch auf die-
sem Wege gelangen wir also zu der Annahme, jene Gruppe
Dienstpfliehtiger sei mit den späteren tirones identisch gewesen,
was umso wahrscheinlicher klingt, als letzterer Ausdruck be-
kanntlich ganz allgemein auch jeden Neuling und besonders die-
jenigen jungen Leute bezeichnete, welche nach Anlegung der
toga virilia zuerst den öffentlichen Geschäften sich widmeten.
Ebenso aber halten wir in Uebereinstimmung mit unserer frü-
heren Definition die von Livius nicht weiter charakterisierten
loves milites für eine dritte Kategorie der jüngeren am stehenden
4) „Die Entwiekelung des Manipularwesens etc.“ in der Zeitschrift
für dus Gymuasiulwesen XXXIII 11 3. 708.
Altersklassen und regulüre Dienstzeit des Legionars. 287
Gefecht in Reih und Glied noch nicht theilnehmenden Mann-
schaften, der späteren Veliten °).
Wurde die solchergestalt zusammengesetzte Legion am
Schlusse des Jahres aufgelóst, so konnten ihre Mannschaften doch
bei nüchster Gelegenheit zur Bildung einer neuen verwendet
werden, und da mittlerweile andere in das dienstpflichtige Alter
getreten, um eine Stufe aufrücken, außer den 'lriariern, welche
entweder garnicht mehr eingezogen wurden oder, mochte es
gleichwohl geschehen, in der nehmlichen Gruppe stehen blieben.
Ging dies so fort, was freilich keineswegs nothwendig war, da
die Legionare ebensowohl ihre Stipendien mit Unterbrechung
leisten konnten, auch gar nicht feststeht, daß sie in jeder Gruppe
immer nur ein Jahr verblieben, so gehórte offenbar ein Zeit-
raum von fünf Jahren dazu, um aus dem tirocinium bis in die
bevorzugte Klasse der Triarier aufzusteigen, und in sechs konnte
man den ganzen Kreislauf des Dienstes einmal durchmessen.
Es fragt sich daher, ob und unter welchen Umständen dies
wirklich die Praxis in der römischen Armee gewesen sei, das
heißt, ob sich Spuren einer solchen sechsjührigen Dienstperiode
thatsächlich vorfinden. Zur Beantwortung dieser Frage stellen
wir demnach die zutreffenden Nachrichten in chronologischer
Folge zusammen:
1. Im Jahre 210 findet zum ersten Male während des
zweiten punischen Krieges eine Entlassung von Truppen statt,
nachdem dieselben seit 217 und 216 unausgesetzt im Dienst
gewesen; auch werden sie durch die ausdrückliche Bestimmung,
ne quem militem facerent, qui in exercitu M. Claudü, M. Valeri,
Qu. Fulvii fuissent, vor weiteren Stipendien zunüchst geschützt 9).
2. Der Centurio Sp. Ligustinus, welcher den ganzen Krieg
gegen Philipp von Macedonien mitmachte, das heifüt von 200 bis
195, also genau sechs Jahre, diente, scheint damit seiner Mili-
tairpflicht genügt zu haben; denn die spüteren Stipendien, de-
ren er allerdings noch eine größere Zahl leistete, werden meist
ausdrücklich als freiwillige bezeichnet ?).
3. Im Jahre 184 verlangen die Prütoren von Spauien die
Entlassung ihrer Truppen, welche in den letzten sechs Jahren
5) A. a. O. S. 709 ff.
6) Liv. XXVI 28; vgl. die legiones urbanae a. a. O. S. 530 ff,
7) Liv. XLII 33, 34; vgl. XXXIV 49.
288 Th. Steinwender,
nur zweimal Supplemente erhalten, im ganzen 2500 Fufsol-
daten und 75 Reiter auf die Legion, reichlich die Hilfte also
und zwar ihre maßgebenden Bestandtheile sind demnach minde-
stens sechs Jahre im Dienst *).
4. Die nehmliche Forderung wird sodann auch 180 von
dem Prütor der diesseitigen Provinz mit dem Bemerken gestellt,
daß im Falle abschlügigen Bescheides die Soldaten desertieren
dürften, In Folge dessen erlangen wenigstens diejenigen, welche
vor dem Consulate des Sp. Postumius und des Qu. Marcius,
also vor 186 nach Spanien gesandt worden, ihren Abschied ;
es kann sich also nur um die Deportation der im Sommer 186
mobilisierten Mannschaften handeln, zumal die nunmehr an
Stelle der entlassenen nach Hispania citerior dirigierten Truppen
ihrer Stärke genau entsprechen, d. h. eine vollzählige Legion zu
5200 —400 Köpfen betrugen und überdies 1000— 100 Mann
Ersatz für eine andere. Seitdem waren aber gerade sechs Jahre
verflossen, die Deportierten also sechsjährig ?).
5. Noch später, 133 v. Chr. wird endlich ein Truppen-
transport nach Spanien damit begründet, daß die Mannschaften
daselbst schon sechs Jahre dienten: $E yàg dan dueAgAv3 er crou-
tevomévoss 19).
So spürlich diese Nachrichten auch sind, wir ersehen aus
ihnen doch wenigstens, daß eine sechsjührige Dienstperiode in
der That existierte; aber es handelt sich dabei nicht um die
einfachen, sondern durchweg um die jährigen Stipendien, deren
sechs immer zwölf andern entsprachen, und alle Beispiele be-
kunden. daß man davon nur Gebrauch machte, sobald ein
Wechsel der Truppen entweder schwierig oder geradezu unmög-
lich war''); denn sie beziehen sich sämmtlich auf fern von Ita-
lien stationierte Truppentheile oder auf die Zeit des hannibali-
schen Krieges, wo man bei dem äußersten Mangel an taug-
lichem Ersatz eben nicht anders konnte. "Wir werden mithin
an der polybianischen Notiz, wonach der Legionssoldat seiner
Dienstpflicht zwar .prinzipiell auch später noch mit Unterbre-
chungen — xe? uvuyanv Ev :0ig rettagaxovta xai FE Éreow ano
8) Liv. XXXIX 39.
9) Liv. XL 36; vgl. XXXIX 20, 30, 33.
10) App. Bell. iber. 78.
11) Vgl. Liv. XL 35.
Altersklassen und regulüre Dienstzeit des Legionars. 289
yeveüs — 1?) genügte, festhalten, da es aus wirthschaftlichen
Gründen das Natürlichste war und, wie an einer andern Stelle
nachgewiesen, der ursprünglichen Einrichtung des Lustrum ent-
sprach !?), und wir werden annehmen, daß jener geschlossene
Zeitraum im allgemeinen nur Ausnahme gewesen, bei den Trup-
pen aber, welche eine Reihe von Jahren oder dauernd beisam-
men blieben, allmählich zur Regel wurde. Es dürfte daher nicht
überflüssig erscheinen, wenn wir im folgenden diese Praxis einer
genaueren Prüfung unterziehen.
Offenbar hatte man dabei zwei Wege; entweder blieb die
Legion in ihrer Zusammenstellung unverändert und wurde am
Schlusse jenes Zeitraums durch eine neue ersetzt, oder man be-
hielt sie darüber hinaus unter Waffen und sandte ihr je nach
Bedarf Ersatz, den die römische Militairsprache als supplemen-
tum bezeichnete. Davon aber empfahl sich das letztere schon
der Einfachheit wegen, insofern nehmlich die Ergänzung ohne-
hin nothwendig war, um den Abgang an Verstorbenen und
Kranken zu decken, überdies jeder Truppentheil aus verschie-
denen Altersklassen bestand, von welchen immer die höchste,
weil am Ende ihrer gesetzlichen Dienstzeit, unter gewöhn-
lichen Verhältnissen auf Entlassung Anspruch hatte. Supple-
mente werden demgemäß bei allen hier in Betracht kommen-
den Truppen thatsächlich genannt, so bei denjenigen, welche
von 200 ab gegen Philipp kämpften und nach dessen Besiegung
bis 194 als Okkupationsarmee in Makedonien und Griechenland
stehen blieben, für die Jahre 199, 198, 197, 195 und mittelbar
selbst für 196, da nehmlich feststeht, daß wenigstens ein Theil
der Mannschaften damals zur Entlassung kam !9. In ähnlicher
Weise wurden die gegen Antiochus aufgestellten Legionen so-
wohl 190 als auch 189 ergänzt und fortlaufend entweder jähr-
lich oder in gewissen Zeiträumen die hispanischen, welche stets
geraume Zeit in ihren Provinzen verblieben und schon seit dem
hannibalischen Kriege den für jene Zeit immerhin merkwürdigen
Charakter des stehenden Heeres trugen.
Da nun stets eine gewisse Stärke der römischen Legion
12) Polyb. VI 19.
13) „Die röm. Bürgerschaft in ihrem Verhältniß zum Heere“, Pro-
grammabhandlung des Kgl. Gymnasiums zu Danzig 1888 S. 22 ff.
14) Liv. XLII 34.
Philologus. N.F. Bd. II, 2. 19
290 Th. Stein wender,
regulär war, beziehungsweise für den einzelnen Fall vom Senat
bestimmt wurde, andrerseits aber nicht denkbar ist, daß alle
diejenigen, welche mit Nachschub aus der Heimath ersetzt wur-
den, inzwischen durch Krankheit oder die Gefechte jedes Mal
konsumiert worden, so kam offenbar in der Regel, wie alle Jahre
ein gewisser Bruchtheil hinzu, ein anderer zur Entlassung.
Dieser Abgang, nicht die Verluste an Todten oder Invaliden
lag der Einrichtung des Supplements in erster Linie zu Grunde,
wie namentlich aus der Antwort des Konsuls auf das von dem
Statthalter im diesseitigen Spanien Qu. Fulvius eingegangene
Gesuch um Deportation seines Heeres bei Livius !5) hervorgeht:
auctor senatui sis, supplementum in Hispaniam mittendi, ut i$ modo,
quibus emerita stipendia sint, milites dimittantur, veteribus militibus
tirones immisceäntur und aus jener Stelle bei Appian, wo der-
selbe von dem Eintreffen des im Jahre 139 eben dahin diri-
gierten Ersatzes spricht: nagyjoav èx Pwunç xai roig oroauw-
TRG sw we dsadoyos veoxutayougol te xai Ete ayvuvactos xal
án&gonoAeuos !9). Damit aber sind zugleich die Ersatzmann-
schaften als Rekruten charakterisiert, die zur Entlassung ge-
langenden Legionare als die Ausgedienten; auch sonst ist viel-
fach bezeugt, daß mit dem Eintreffen des neuen Ersatzes die
alten Soldaten entlassen wurden. Es fragt sich jedoch, ob über
das Verhältniß beider Kategorien sich etwas Genaueres ermitteln
läßt. In Beantwortung dieser Frage stellen wir die zutreffenden
Nachrichten über die hispanischen Heere, wie folgt, zusammen:
Im Jahre 196 werden nach beiden Provinzen je eine Le-
gion entsandt, nachdem das alte Heer in der diesseitigen 197
vernichtet und sowohl hier als auch in der jenseitigen lediglich
aus bundesgenössischen Kontingenten bestanden hatte !") Es
gab also damals auf der ganzen Halbinsel nicht mehr als zwei
römische Legionen!9) Seitdem wurden, abgesehen von einem
nur vorübergehend daselbst operierenden konsularischen Heere
des M. Porcius Cato in der Zeit von 195 auf 194 nach Livius
bis zum Jahre 169 überhaupt folgende Truppensendungen da-
hin dirigiert:
15) Liv. XL 35.
16) App. Bell. iber. 78.
17) Liv. XXXII 27; XXXIII 21, 25, 27, 28; XXX 40.
18) Liv. XXXIII] 43; XXXVII 50; XXXVIII 36.
Altersklassen und reguläre Dienstzeit des Legionars. 291
196 . . . 2 neue Legionen (XXXIII 21),
195 . . . an Supplementen 4000—400 (XXXIII 43),
194 t
193 . . . an Supplementen 6000—200 (XXXIV 56),
192 t
191 . . . an Supblementen 2000—200 (XXXVI 2),
190 +
189 . . . an Supplementen 2000—50 (XXXVII 50),
188 t
187 t
186 .. . 2 neue Legionen und 3000 —200 (XXXIX 20, 30,
88; XL 36),
185 +
184... an Supplementen 4000—300 (XXXIX 38),
183 +
182 . . . an Supplementen 4000—200 (XL 1),
181... an Supplementen 3000—200 (XL 18),
180 . . . 1 neue Legion in Ersatz und 1000—50 (XL 35, 36),
179... an Supplementen 3000 —300 (XL 44),
178 +
177... 1 neue Legion in Ersatz (XLI 9),
176 .. . an Supplementen 3000—200 (XLI 15),
175 + |
174... an Supplementen 3000—150 (XLI 21),
173 . . . an Supplementen 3000 —200 (XLII 1),
172... an Supplementen 3000—150 (XLII 10, 18),
171 +
170 +
169 . . . an Supplementen 3000—300 (XLIII 12 !9).
Im Durchschnitt ist danach, solange in Spanien nur zwei
Legionen stehen, das heißt bis 186 der Ersatz für die einzelne
19) Hier mag die Bemerkung ihre Stelle finden, daß wir keine
Veranlassung sehen, obige Zahlen zu beanstanden ; denn selbst zuge-
geben, daB einige darunter falsch seien, so würde doch die Menge
der richtigen immer zweifellos derart überwiegen, da$ man wohl be-
fugt wäre, sein Urtheil darauf zu gründen. Auch in unsern andern
Abhandlungen über die rómische Heeresorganisation sind Zahlangaben
in großer Menge vertreten ; etwa vorhandene Irrthümer dabei können
also weder ins Gewicht fallen, noch gegen das Resultat derselben mit
Recht geltend gemacht werden.
19*
292 Th. Steinwender,
jährlich auf 850 Fußsoldaten und 52 Reiter zu veranschlagen,
wie folgendes Schema zeigt:
4000 + 6000 + 2000 + 2000 + 3000 _
— 850
2. 10 850,
400 + 200 + 200 + 50 + 200, - soi)
2, 10 »
Seitdem gab es in der Halbinsel stets vier Legionen ??);
wir würden also bei weiterer Berechnung des Durchschnitts nur
die gefundene Summe mit vier statt mit zwei zu theilen haben;
indessen da wenigstens von 182 an die Supplemente ihrer über-
wiegenden Mehrzahl nach in geschlossenen Gruppen alljährlich
erfolgen, nehmlich 1) von 182 bis 179, 2) von 177 bis 176
und 3) von 174 bis 172, ohne daß besondere Anzeichen eines
außergewöhnlichen Bedarfs vorhanden wären, so drängt sich die
Vermuthung auf, daß damals überhaupt alle Jahre Ersatz ge-
schickt wurde, und daß derselbe, wo eiue Nachricht darüber
fehlt, nur vernachlässigt worden. Hiemit würde übereinstimmen,
daß von den vier Jahren, welche in Betracht kommen, zwei,
175 und 170 den Aushebungsnachweis nicht bringen und ein
drittes, nehmlich 178 darin wenigstens äußerst lückenhaft ist;
nur das Jahr 171 bliebe von diesem Mangel frei, dürfte aber
gegen die Summe aller übrigen ohnehin kaum ins Gewicht fal-
len. Berechnen wir danach jetzt den jährlichen Durchschnitt
seit 182 derart, daß dabei auch die beiden einzelnen Legionen
von 180 und 177, welche gleichfalls lediglich Ersatzmannschaften
waren, berücksichtigt werden, so ergiebt sich uns zuerst für die
Fußsoldaten, darauf für die Reiter folgende Rechnung:
7. 3000 + 4000 + 5000 + 6000
D LAS a = 900,
2. 150 + 4. 200 + 8. 300 + 850?!)
2) — nn Os = 61
20) Wir haben sie in dem Schema abgerundet mit 5000 im Fuß-
volk angesetzt, weil diejenigen des Jahres 180 ausdrücklich auf 5200
berechnet werden, und diese Ziffer in der Zeit, um welche es sich
handelt, ohnehin die normale gewesen ist; was aber die Reiter anbe-
trifft, so konnte kein Zweifel obwalten, da ihr Bestand in beiden
Fällen angegeben wird, und zwar zuerst auf 400, dann auf 800 Köpfe
Liv. XL 35, 36; XL 9.
21) Es sind hier die bei Livius XL 35 und 86 angegebenen 400
Altersklassen und reguläre Dienstzeit des Legionars. 298
In anderen Füllen sind die Supplemente freilich auch stär-
ker; so betragen die in den Jahren 190 und 189 nach Grie-
chenland dirigierten mehr als das doppelte. Darüber darf man
sich aber nicht wundern, insofern allerdings aufer den zur Ent-
lassung gelangenden Mannschaften auch der Abgang durch
Krankheit und die Gefechte zu berücksichtigen war, und der
Ersatz für jedes Heer nach dem Berichte des Feldherrn **), also
durchaus den Umständen und dem thatsächlichen Bedürfniß
entsprechend, bestimmt wurde. Wenn wir daher gleichwohl
unter gewóhnlichen Verhültnissen nach einer Normalzahl suchen,
80 werden wir dieselbe nicht in dem Maximal- oder Mittelsatz,
sondern vielmehr in dem minimalen finden. Nun geben sämmt-
liche Ziffern, welche in der vierten und fünften livianischen De-
kade für das Supplement einer Legion vorkommen, im Fußvolk
die Sätze 750, 1000, 1500, 2000, 3000 und 3500 an, von de-
nen die beiden letzten als ausnahmsweise hohe zu betrachten
sind, da sie einerseits die Legion zu 6000 Mann voraussetzen *°),
andrerseits besonders starken Abgang durch verlustreiche Kämpfe
decken sollen oder endlich auch die Ersatzmannschaften mehrerer
Jahre umfassen. Die beiden ersten dagegen finden sich nicht
allein annähernd gleich oft und bei weitem häufiger als alle
übrigen, sondern sie sind auch für das hier besonders wichtige
hispanische Heer seit 186 die allein bezeugten. Wie aus ihnen
der Jahresdurchschnitt zu berechnen wäre, ist oben gezeigt wor-
den. Wenn es sich nunmehr jedoch darum handelt, festzustellen,
wie viele Veteranen etwa jedesmal bei stehenden Legionen zur
Entlassung kamen, so legen wir einstweilen wenigstens für
das Fußvolk nicht die durch Rechnung gefundenen, sondern
jene thatsächlich überlieferten und darum zweifellos richtigen
Supplemente 1000 und 750 zu Grunde, zu welchen sich noch
ein Kontingent von 55 Reitern gesellen würde.
Nach dem Eintreffen des Rekrutentransports nahm der Feld-
herr die descriptio vor, das heißt er rangierte die neuen Mann-
schaften ein, die alten, sofern sie den herkömmlichen oder vom
Reiter einer neuen Legion mit dem 50 Köpfe betragenden Ersatz für
die stehen bleibenden zusammengerechnet.
22) Liv. XXI 5; XXIII 24; XXIV 11; XLIV 18.
28) Liv. XL 85. 30; XLI 9.
QUE
va
294 Th. Steinwender,
Senat angeordneten Bestand überstiegen, aus. Ging das so fort,
dann mußte die Legion bei einer Stärke von 5000 Köpfen In-
fanterie sowie 300 Reitern und bei einem jedesmaligen Zugang
von gegen 1000 Fußsoldaten nebst 55 Pferden nach etwa sechs
Jahren aus lauter Ersatzmannschaften bestehen, das heiBt, diese
gingen in dem nehmlichen Zeitraum einmal durch alle Stadien
des Felddienstes; denn nur den jüngsten und vorletzten Jahr-
gang darf man sich noch vollzühlig denken, da sie das Kriegs-
handwerk erst lernten, die Reihen der andern dagegen mußten
im Verhältniß zur Dauer ihres Dienstes mehr oder weniger ge-
lichtet sein, wie folgendes Schema veranschaulichen würde:
I. Fußvolk II. Reiter
1. 1000 55
2. 1000 55
9. 900 90
4 800 | = 5000 50 / = 300
5. 700 45
6. 600 45
oder wenn die Rekruten erst alle zwei Jahre in entsprechender
Anzahl eintrafen :
I. FuBvolk IL Reiter
112000 110
"11700 | = 5000 100 } = 300
>]
„11500 | 90
In ähnlicher Weise würden sich auch die Zahlen, welche
wir durch Rechnung gerumien haben, abstuten lassen, nehmlich
die 900 und SM sowie jene 750. nur dag die letztere nicht
wehr aut eine Legion von 5000 Mann. sondern nur auf die zu
ACCO eaegen wenden konnte, was allentiags auffallen muß, da
die Truppertstarke we xe augegeden wird. arch im spanischen
Leere renter Bestand aufuetst, es ware ‘doc immerhin möglich,
dab man bei den SVréelauered fried’iche@e Zustinden welche da-
wal va der Trevnta herewdew, aut denm alten, Dm übrigen längst
anthquert meurt tunickuluuuee win, auch ist nicht un-
Altersklassen und regulüre Dienstzeit des Legionars. 295
möglich, daß ein betrüchtlicher Theil der Ausgedienten schon
damals den Kriegsdienst dem bürgerlichen Gewerbe vorzog und
rubig unter Waffen blieb; sicher thaten das wohl die Avan-
cierten, deren es in jeder Legion allein gegen 200 gab und die-
jenigen, welche solche Stellen beanspruchten, ohne doch im Ver-.
lauf ihrer gesetzlichen Dienstzeit das Ziel erreicht zu haben.
Wir fanden bisher, daß es in der römischen Legion sechs
verschiedene Altersklassen gab, und im Zusammenhange damit
wenigstens theilweise auch ein sechsjähriger Dienst ohne Unter-
brechuug üblich wurde. Indessen folgt der letztere doch nicht
ohne weiteres daraus; denn selbst wenn in jener Frist von dem
tirocinium bis zu den Triariern alle Stufen durchmessen waren,
so hinderte ja nichts, die Mannschaften in der letzten Kategorie
länger als ein Jahr zu belassen; es wird also noch ein beson-
derer Grund vorhanden gewesen sein, der jene Praxis veran-
laßte, und so gelangen wir zu der Vermuthung, daß es über-
haupt nicht anging, römische Bürger länger als sechs Jahre bei
den Fahnen zu halten, und verweisen dabei zunächst wieder auf
die nehmlichen Stellen, welche bereits oben für das Vorhanden-
sein jener Frist überhaupt herbeigezogen wurden. Wenn nehm-
lich trotz schwieriger Verhältnisse die seit 216 dienenden Mann-
schaften 210 verabschiedet werden, wenn ferner im Jahre 180
diejenigen von Spanien ihre Entlassung verlangen und mit De-
sertion drohen, wofern man ihnen dieselbe vorenthielte, worauf
die sechsjährigen wirklich heimgesandt werden, und wenn schließ-
lich ein Truppentransport ebendahin abgeht, weil die alten
Mannschaften daselbst schon sechs Jahre ständen, so wird jene
Annahme zur Gewißheit. Es ist aber schon bemerkt worden,
daß diese Praxis eine unmittelbare Folge der sechs Alters-
klassen nicht gewesen sein kann.
Erinnern wir uns, daß die Lustren während der Zeit des
Manipularwesens im Prinzip fünfjährig waren, und von den zum
Dienst Verpflichteten also grundsätzlich immer in fünf Jahren
jeder zweimal zur Aushebung gelangte Das würde bei einer
Dauer des dienstpflichtigen Alters von dreißig Jahren im gan-
zen nur zwölf gewöhnliche oder halbjährige Stipendien ergeben,
die aber in sechs annua zusammenzuziehen nichts hindern mochte,
wührend freilich nach der allgemeinen Annahme deren sechzehn
oder gar zwanzig gefordert wurden. Ist unsere Auffassung des
296 Th. Steinwender,
Lustrum und seiner Bedeutung für das Heer also richtig **)
so kann es auch nur eine zwölf-, beziehungsweise sechsjährige,
und nicht eine sechzehn- oder gar zwanzigjährige Dienstzeit ge-
geben haben. Es wird daher im folgenden zunächst unsere
Aufgabe sein, die Unhaltbarkeit dieser letzteren nachzuweisen. :
Schon von vornherein ist es ganz unwahrscheinlich, daß die
Legionare in dreißig Jahren soviele Feldzüge mitgemacht haben
sollten, weil die unausbleibliche Folge für die große Mehrzahl
der wirthschaftliche Ruin gewesen wäre. Ferner möchte, was
noch mehr und, wie wir glauben, entscheidend ins Gewicht fällt,
der sechzehn- oder zwanzigjährigen Dienstzeit ein Aufgebot ent-
sprechen, wie Rom es regulär selbst annähernd niemals erlassen
hat und auch niemals verwenden konnte. Wir sahen nehmlich
an einer anderen Stelle schon, daß die jährliche Truppenauf-
stellung, welche den Bedarf im allgemeinen vollkommen deckte,
grundsätzlich gleich 10 Proc. der in den Censusziffern enthal-
tonon männlichen Bevölkerung war *); bei sechzehn- oder zwan-
wigjähriger Dienstzeit jedoch kämen wir auf einen ungleich hö-
horon Sats. Einige Beispiele mögen das klar machen ; natürlich
wind es sich dabei nur um annähernde Werthe handeln, was
aber für unsern Zweck gleichgiiltig ist, da die zu Tage treten-
den Unterschiede so bedeutend sind, daB es auf einige Tausende
mehr oder weniger gar nicht ankommt.
Zunächst dürfte es doch ein offenbarer Widerspruch sein,
wenn man den lLlegionaren sechzehn oder gar zwanzig volle
Mienstiahre auschreibt, während sie nur im Zeitraum von drei-
Rig Lebongjahren aur Verfügung stehen und zwar, da Winter-
teldetge orst an Autang des vierten Jahrhunderts aufkommen
wit noch viel später eine seltene Ausnahme sind, lediglich für
dan Numer; es wünie dann nehmlich die vorhandene aetas
weitere car nicht cinmal ausgereicht haben. um jene Anzahl
van Stipeudien damus su Men Nehmen wir aber an, daß
SAewellvea halle gewveea scien. so erhalten wir bei zwanzig
moche Diction um nttätgirieer Pick: das normale, feld-
wade Arms dar caves wir die Anzahl der vorhandenen
Wett WIN TCR malfvriceren Führen wir diese
Rettung met AW dor Alfetta ans swar nicht überlieferten,
Pa’ Wograww USS SA
WA a WL WE
Altersklassen und regulüre Dienstzeit des Legionars. 297
aber durch Kombination aus der servianischen Verfassung er-
schließbaren Censusziffer aus ?°), so müssen von den etwa 40,000
erwachsenen Bürgern derselben die Senioren, welche, ergänzt
durch die immerhin zahlreichen causari und in Uebereinstim-
mung mit dem Nennwerth ihrer Centurien, auf die Hälfte des
ganzen Bestandes zu veranschlagen waren, in Abzug gebracht
werden, und es ergäbe sich somit ein Jahresaufgebot von 13,333,
wührend thatsüchlich das alte servianische Feldheer nur 8000
Köpfe im Fußvolk zählte. Auf das nämliche Resultat kämen
wir, sobald wir an Stelle der durch Kombination ermittelten
Censuszahl die von der Ueberlieferung thatsächlich angegebenen
etwa 80,000 Köpfe einsetzten *" und davon nach der Auffas-
sung des Dionys die Hälfte als den Proletariern zugehörig und
dem regulären Dienst nicht unterworfen abrechneten. Indes
beide Ziffern mögen ein zutreffendes Ergebniß überhaupt nicht
gestatten, da die eine von der römischen Tradition, die andere
von uns selbst erst konstruiert worden. Wählen wir also ein
anderes Beispiel Für die Zeit des Latinerkriegs ermitteln die
Volkszählungen 160,000 erwachsene Bürger ?5); ziehen wir auch
jetzt die Proletarier mit etwa 50 Proc. ab, so erhalten wir unter
den nehmlichen Voraussetzungen wie oben für das reguläre Jah-
resaufgebot zu Fuß 26,666 Mann, obwohl dasselbe in Wahrheit
nur 16,000 und selbst bei einem Bestande von 5000 Köpfen
auf die Legion nicht mehr als 20,000 betragen durfte, die zehn
Legionen aber, von welchen Livius berichtet ?*?), und deren Summe
allerdings über die gefundene Ziffer noch hinansgehen würde,
als außerordentliche Rüstung oder Inbegriff der Streitkräfte Roms
nicht in Betracht kommen. Dagegen sind die 50 Proc. auf
die Proletarier für diese Zeit offenbar viel zu hoch; denn Rom
war gerade damals in der Lage, durch Eröffnung neuer Tribus
und Kolonendeduktion seine unbemittelten Bürger zu versorgen
und es würde demnach die unter Voraussetzung der zwanzig-
jährigen Dienstzeit gefundene Ziffer für das feldmäßige Aufgebot
noch wesentlich steigen. Vor dem Beginn des zweiten punischen
26) A. a. O. S. 4 ff.
27) Liv. I 24; Eutrop. I 7; Dion. IV 22.
28) Prosper I 539; Hieronym. Ol. 110, 1; Euseb. Ol. 110, 1;
Oros. V 22; Eutrop. V 9; dagegen Liv. IX 19.
29) Liv. IX 19.
298 T h. Steinwender,
Krieges endlich schützte man 270,213 erwachsene Bürger, also,
in runder Summe 270,000. Bringen wir auch jetzt den immer
noch zahlreichen militairfreien Proletariat nach dem Satze des
Dionys und die Senioren in der bisherigen Weise in Rechnung,
so ergübe sich uns sogar ein jührliches Aufgehot von 45,000
Köpfen, während thatsüchlich nur etwa 25,000 Mann im Fuf-
volk, 27,000 einschließlich der Reiterei damals ausgehoben wur-
den, und das gewóhnliche Jahresaufgebot ohnehin diese Ziffer
nicht übersteigen durfte. Im weiteren Verlauf des Krieges wurde
dieselbe freilich weit stärker, da auch die Proletarier sowie an-
dere von dem regulüren Dienst befreiten Elemente unter Waffen
traten; das ist aber kein Widerspruch, denn es handelt sich
hier um die Feststellung der Regel, nicht um Ausnahmen. Was
für die zwanzigjührige Dienstzeit, das gilt auch für die sech-
zehnjährige, wobei die für jene gefundenen Bestände sich eben
nur auf 10,666, 21,333 und 36,000 ermäßigen würden. Da
sich mithin gezeigt hat, daß beide als die normalen aufgefaBt,
nicht existiert haben kónnen, sondern lediglich Erfindung sind,
so ergiebt sich die weitere Frage, ob die zwölf- beziehungsweise
sechsjührige ihre Probe besser bestehen mag. Wir werden die-
selbe an den nehmlichen Ziffern unter den gleichen Vorausse-
tzungen anstellen und die Multiplikation jetzt mit ?/s vollziehen.
Die Rechnung ermittelt demnach im ersten Falle ein feldmä-
Biges Aufgebot von 8000 Köpfen, also genau so viel, wie nach
früheren Untersuchungen das servianische Heer ohne die Se-
nioren wirklich zählte; in dem zweiten erhalten wir 25,000
Mann, im dritten 27,000. Man gelangt also auf diesem Wege
immer zu jenen 10 Proc. der Censusziffer, welche wir an einer
andern Stelle als die Normalstärke des jährlichen Aufgebots ge-
funden haben °P), und dies in Verbindung mit den oben bespro-
chenen Zeugnissen, dürfte uns wohl berechtigen, die zwölfjährige
Dienstzeit für die allein gesetz- und verfassungsmäßige zu halten,
welche aber in den Fällen, wo die Legionen stehen blieben, sich
naturgemäß in eine sechsjährige verwandeln mußte.
Wie wäre es also möglich, daß die Ueberlieferung von 20
oder 16 Militairjahren sprach? Unterwerfen wir demnach die-
30) Programm 1888 S. 25 ff.
31) Dio Cass. LIV 25.
Altersklassen und reguläre Dienstzeit des Legionars. 299
jenigen Stellen, welche hier in Betracht kommen, einer genaueren
Prüfung, so scheint uns vor allem wichtig, daß
1. Augustus allerdings die Dienstzeit der Prätorianer auf
12, diejenige des Legionars auf 16 Jahre bestimmte 3!), worauf
später beide Sätze um je 4 erhöht wurden, so daß also fortan
die Prätorianer 16, die andern 20 Jahre unter Waffen stan-
den??). denn damit haben wir wohl die Hauptquelle der ver-
meintlichen sechzehn- oder zwanzigjährigen Dienstzeit des rómi-
schen Kriegers gefunden. Indessen man bedenke doch, um
welche Zeit und um welche Verhältnisse es sich dabei handelt.
Die Truppen, denen diese lange Frist zugemuthet wurde, sind
Soldaten von Beruf und haben sonst auf der Welt nichts zu
thun, wührend das republikanische Heer bis auf Marius ein
Volk in Waffen war, dem noch ganz andere Pflichten als der
Militairdienst oblagen. "Wenn gleichwohl von jenen Zahlen eine
gewühlt werden soll, kónnte das nur die 12 sein, als die nie-
drigste; aber auch sie dürfte, als die reguläre aufgefaßt, über-
trieben erscheinen und zu den begründetsten Zweifeln veranlassen.
2. Im Jahre 446 ferner macht bei Livius III 71 ein ge-
wisser Scaptius vor dem Volke geltend: annum se tertium et oc-
togesimum agere, et . . . . militasse non tuvenum, vicesima iam sti-
pendia merentem, cum ad Coriolos sit bellatum. Das hat man auf
die zwanzigjährige Dienstzeit bezogen, indeß mit Unrecht; denn
einerseits kämen, da hier zweifellos von halbjährigen Stipendien
die Rede ist, nur zehn Jahre heraus, und überdies folgt doch,
wofern jemand bereits den zwanzigsten Sommer unter Waffen
steht, noch lange nicht, daß seiner Militairpflicht damit genügt
worden. Vielmehr glauben wir an einer andern Stelle nachge-
wiesen zu haben, daf dieselbe in jener Zeit für die erste Klasse
30 und für die zweite immer noch 22 bis 23 halbjährige Dienste
verlangte °°), während die andern freilich minder belastet er-
scheinen. Wir gelangen also zu dem Resultat, daß aus obiger
Stelle auf die reguläre Dienstzeit des Legionars keinesfalls ge-
schlossen werden darf; höchstens könnte man daraus folgern,
daß um die Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. der Kriegs-
dienst wenigstens 20 Sommer oder 10 volle Jahre, wahrschein-
32) Dio Cass. LV 23 = vgl. mit LVII 4; Tac. Ann. I 17 vgl.
mit I 36, 78.
33) Programm 1888 S. 24 ff.
300 . | Th. Steinwender,
lich aber noch lünger dauerte, und dieses würde übrigens mit
unserer Auffassung, wie dieselbe schon früher geltend gemacht
worden, auf das beste übereinstimmen °%),
3. Auch aus der bekannten Rede des Centurio Sp. Ligu-
stinus bei Livius XLII 33, 34 wird man die angebliche Dienst-
zeit weder nachweisen noch bestätigen; denn derselbe hat zwar
22 volle Stipendien gedient und damit seiner Pflicht, wie aus
den Worten quodsi mihi nec stipendia omnia emerita essent, ncc-
dum aetas vacationem daret, tamen . . . . aequum erat me dimitti
hervorgeht, genügt. Vorher heißt es jedoch, nachdem er unter
dem Konsulat des Sulpicius, also im Jahre 200 eingetreten, die
ganze Kampagne gegen Philipp mitgemacht , sodann deportiert
und entlassen worden, was nachweislich 194, also sechs Jahre
später geschah, habe er sich continuo miles voluntarius cum M.
Porcio consule in Hispaniam begeben; darauf sei er tertio iterum
voluntarius miles factus in den Krieg gegen Antiochus gezogen
und endlich a Ti. Graccho rogatus nochmals nach Spanien ge-
gangen. Das sind also freiwillige Dienste, welche er damit
übernahm, und die Vermuthung liegt nahe, daß die noch feh-
lenden der nehmlichen Kategorie angehörten. Jedenfalls 148t
sich die vermeintliche Dienstzeit daraus um so weniger folgern,
als Ligustinus nicht etwa 16 oder 20, sondern 22 absolvierte
Stipendien aufzählt.
4. Endlich gelangen wir zu der wichtigsten Stelle bei Po-
lybius VI 19, welche handschriftlich folgendermaßen lautet:
porc uiv iunii; déxa, rods dé mebous ES ov dei cipureiag redeiy
xar adrdyxqr dr goi; rerragiixoria xuì 8E Ereow dnò yeveag, wAny
Wr ONO 105 répQaxOGíu; douywäs rtüuguírur* Tovioug dì ma-
quisi maviag él; ary ruvrizie yotíur*. dar di wow xutenelyy tà
Wis NERO us, dpellovar où nesoi OryarevEsy £2001 Crputelug
fveevatovs, Wir sehen also, gerade wo man die Dienstzeit des
Legionars au Fuß erwartet haben sollte, ist der Text verstüm-
welt; denn die Worte „IT où dei geben doch keinen Sinn.
Daher haben awei nambatto Gelehrte sich an das Werk gemacht
und nach Maßgabe der für die Kaiserzeit überlieferten Zahlen
kenjieiert— Lipsius (t. 1606) veränderte in efron und glaubte
damit gewiß um xe sicherer das Rechte gefunden zu haben, als
SUO A a OOS 99
Altersklassen und reguläre Dienstzeit des Legionars. 301
vorher die Dienstzeit der Kavallerie zutreffend mit 10 Jahren
angegeben, und die Worte „opsllovos oi neCoi GrQarevtuw slxooı
orgatetacg évsuvotovs von ihm als eine Wiederholung der oben
verstümmelten Notiz aufgefaßt wurden. Casaubonus ( 1614)
Dagegen schrieb dexa£E, weil er in jenen zwanzig Jahren obiger
Stelle mit Recht eine Steigerung der normalen Zeit erblickte,
und diese Lesart, indem sie das Wörtchen #È rettete, sich besser
dem Texte anzuschließen schien. Uebrigens wäre bei der vori-
gen noch eine weitere Aenderung nothwendig gewesen, nehmlich
aus of neloi in xoi nij; oder in xoà meCof, weshalb auch Mar-
quardt die zweite Konjektur für die zweckmäßigere hält 35).
Mag dem nun sein, wie ihm wolle, fortan haben sich beide Ver-
sionen behauptet.
Prüfen wir sie genauer, so sind jedoch beide unhaltbar.
Was zunüchst die von Lipsius anbetrifft, so dürfte ein zehnjüh-
rger Dienst der Reiterei dem zwanzigjährigen zu Fuß nicht
ohne weiteres entsprechen. Es ist ja wohl immer gewagt, Ano-
logieen aus viel späterer Zeit auf längst verklungene Zustände
zu übertragen, indeß warum sollte hier an die Praxis in der
preußischen Armee nicht wenigstens erinnert werden, wo die
Kavalleristen häufig nach drei Dienstjahren noch nicht zur Ent-
lassung gelangen, die Infanterie dagegen zum Theil schon nach
deren zwei ausscheidet. Gerade im alten Rom würde die stär-
kere Heranziehung der Reiter dem allgemeinen Charakter der
Dienstpflicht entschieden besser entsprochen haben; denn sowie
ursprünglich die Angehörigen der ersten Klasse prinzipiell fort-
währendem Kriegsdienst oblagen, wurden doch offenbar auch die
Reiter stärker in Anspruch genommen als die große Masse des
irmeren Volks, und es ist schwerlich anzunehmen , daß dieses
Verhältniß, so lange die römische Armee ein Volksheer war,
das heißt also bis gegen Ausgang des zweiten Jahrhunderts
v. Chr. sich geändert habe.
Muß somit die Konjektur von Lipsius eine durchaus ver-
fehlte genannt werden, so können wir auch die andere, obwohl
sie sich vor jenen Irrthümern bewahrt, schon aus dem einfachen
Grunde nicht für richtig halten, weil sie den höchst unwahr-
scheinlichen Fall voraussetzt, daß zwei Silben des Textes zuerst
35) Marquardt „Römische Staatsverwaltung® II S. 369 A. 2.
302 Th. Steinwender,
ausgefallen und dann etwas später einsilbig und auch sonst in
ganz unkenntlieher Form wieder eingeschaltet seien. Abgesehn
davon aber ist sie aus innern Gründen ebenso unmöglich wie
die andere.
Wir würden mithin, auch selbst wenn keine besondere Ver-
anlassung uns dazu nóthigte, die Stelle $5 ov nicht in eixoos
oder dexa€& verändern, sondern uns darauf beschränken, durch
Streichung des wahrscheinlich aus doppelt geschriebenem ov ver-
stümmelten dei den ursprünglichen Text wiederherzustellen. Der
Sinn: desselben würe dann, soweit uns hier angeht, folgender:
Der Dienst zu Fuß umfaßt gesetzlich sechs volle Stipendien und
wird nach Bedürfniß auf die Zeit vom siebzehnten bis zum voll-
endeten sechsundvierzigsten Lebensjahre vertheilt; wenn jedoch
die Lage der Dinge es erfordert, so ist jeder Legionar auch bis
zu zwanzigjührigem Waffendienst verpflichtet". Daß letzteres
aber nur eine Ausnahme war, zeigt ferner die Berechnung der
23 Legionen, welche Livius für die ganz exceptionell starke
Truppenaufstellung der Jahre 212, 211 und 207 angiebt; die-
selben entsprechen nehmlich in der von Polybius angenommenen
Stürke zu rund 4000 Mann im Fufvolk beinahe genau demje-
nigen Aufgebot, welches wir, von dem letzten Census vor Be-
ginn des hannibalischen Krieges ausgehend, unter den bekannten
Voraussetzungen bei zwanzigjühriger Dienstzeit erhalten, sofern
nur die Proletarier, welche damals unter Waffen standen, nicht
in Abzug gebracht werden. Es ist dies aber zugleich ein Be-
weis mehr, daß die Darstellung des römischen Heerwesens bei
"Polybius in erster Linie eben von der Zeit jenes Krieges sowie
der Jahre kurz vor demselben ausgeht, und daß mithin auch
die bisweilen angegebenen Abweichungen von der gewöhnlichen
Praxis sich vorzugsweise auf die außerordentlichen Verhältnisse
und Maßnahmen der nehmlichen Periode beziehen 6).
Berücksichtigen wir nun auch die Reiter, so giebt Polybius
an der oben besprochenen Stelle ihre Dienstzeit regulär auf zehn
volle Jahre an, und gegen diese Notiz können Zweifel nicht auf-
kommen, da sie durch anderweitige Nachrichten, wie wir so-
gleich sehen werden, gesichert ist.
86) „ Ueber das Verhältmß der cires und soci im römischen
Heere ete," Programm dea Gymnasiums au Marienburg 1879 S. 20.
Altersklassen und reguläre Dienstzeit des Legionars. 308
1. Livius XXVII 11 erzählt, daß den kannensischen Rei-
tern ihre bis zum Jahre 209 equo publico absolvierten Feldzüge
nicht in Anrechnung kommen, und daß sie denselben dena sti-
pendia equis privatis hinzufügen sollten. Mit andern Worten, sie
muBten noch einmal dienen, und zwar auf eigne Kosten, und
wenn dabei ausdrücklich die Anzahl von zehn Jahren genannt
wird, so kann das eben nur die gewóhnliche Dauer des Reiter-
dienstes gewesen sein.
2. Dafür spricht ferner jene Stelle bei Plutarch in der
Lebensbeschreibung des G. Gracchus 2: "EorpazevoIas piv yag
ign duidexa Er, 1wr aÀAÀlwv Ófxa Orourevouérur Ev dva yxaac.
Hier ist nehmlich nur an den Reiterdienst zu denken, da die
Gracchen jedenfalls zu den wohlsituierten Familien Roms ge-
hörten, also ihre Stipendien zu Pferde leisteten.
3. Endlich lassen sich die zehn Jahre der Kavallerie,
welche 20 Sommern entsprechen würden, aus der servianischen
Verfassung erschließen. Wir finden nehmlich die normale Dienst-
zeit offenbar, wenn wir von den 18 Rittercenturien gleich 1800
Köpfen die Senioren mit !/s abrechnen und den jährlichen Er-
satz von 800 Pferden darauf sowie auf die dreißigjährige Dauer
der allgemeinen Dienstpflicht beziehen, wie folgendes Schema
lehrt :
30.800
x = -iggg = 20, beziehungsweise 10.
Später freilich muß der Reiterdienst eine wesentliche Ab-
kürzung erfahren haben; denn sonst bliebe die Notiz der lez
Iulia municipalis aus dem Jahre 709 der Stadt unerklärlich ?"),
wonach die Berechtigung zu Öffentlichen Aemtern zwar erst von
vollem sechsjährigen Dienst zu Fuß, aber schon von dreijährigem
zu Pferde abhing. Sollte das so viel heißen, daß diejenigen,
welche daheim Ehrenstellen zu bekleiden wünschten, zunächst
ihrer wichtigsten und schwersten Pflicht gegen den Staat ge-
nügt haben müßten, so würden sich daraus für die Reiterei al-
lerdings nur drei Jahre überhaupt ergeben; indeß jene Voraus-
setzung hat auf absolute Sicherheit keinen Anspruch, nur möchten
wir jene auch bei dieser Gelegenheit ermittelten sechs Jahre des
37) Corp. inscr. lat. I p. 119,
304 Th. Steinwender,
Fußvolks für eine weitere Bestätigung unserer oben ausgeführten
Ansicht halten.
Weitere Belege aus noch späterer Zeit ließen sich dafür
gewiß manche beibringen. So erlangte durch sechsjährigen Dienst
nachmals ein Latiner die Civitit 9%), desgleichen wenn er ein
Schiff baute und sechs Jahre hindurch Getreide nach Rom
führte 5°). Endlich liegt es sehr nahe, in den Summen von
20,000 und 12,000 Sesterz, welche im kaiserlichen Rom für ge-
leisteten vollen Dienst der Garde und Linie gespendet wur-
den ?°), eine Reminescenz sowohl an die 20 = 10 Dienste zu
Pferde als auch an die 12 = 6 Stipendien der Fußsoldaten
ülterer Zeit zu erblicken.
Es ist also nachgewiesen worden, daß der reguläre Dienst
für die Infanterie sechs Jahre dauerte, und daraus erklürt sich
nicht nur die Einrichtung der livianischen Altersklassen, son-
dern auch der sechsjührige Cyklus, wie er uns bei stehenden
Truppen thatsüchlich begegnet. Daß diese Praxis freilich ex-
ceptionell war, ist schon angedeutet; wir werden aber gleich-
wohl unter Voraussetzung der sechsjührigen Dienstzeit auch für
die gewöhnlichen Legionen wenigstens etwas Aehnliches anneh-
men dürfen, nur daß die Jahrgänge hier nicht im ganzen, das
heißt als besondere Dienstklassen auf einander folgten, sondern
lediglich als die Dienstjahre der einzelnen Leute, deren Verthei-
lung in die Treffen danach geschah. So mochte ein Aelterer,
wenn er aus irgend einem Grnnde die militärische Laufbahn
erst spät begann, sich zum Dienst unter den Veliten bequemen
müssen, wie umgekehrt derjenige, welcher seit Beginn seiner
Qualifikation ununterbrochen mobil gewesen, in noch jugend-
lichem Alter den Triariern angehören konnte. Wir werden aber
auch annehmen dürfen, daß es Grundsatz war, solche Unzuträg-
lichkeiten möglichst zu vermeiden, und bei der ursprünglichen
Ordnung des Heerwesens, wie es sich in der servianischen Ver-
fassung darstellt, waren sie von vornherein ausgeschlossen. Da-
nach kehrte nehmlich bei den einzelnen Klassen der Dienst in
strenggeregelter Zeitfolge wieder, und zwar so, daß die Mann-
schaften der fünften bis zweiten durchschnittlich immer in vier
38) Ulp. III 1 und lex Visellia.
39) Sueton Claud. 18; Ulp. IIT 6; Gai. I 34.
40) H. Schiller Gesch. der róm. Kaiserzeit I S. 159.
pa
Altersklassen und reguläre Dienstzeit des Legionars. 305
Jahren einmal dazu gelangten, später alle in je fünf Jahren
zweimal 2!). Von dieser Praxis ist man freilich nachher aus
naheliegenden Gründen wieder zurückgekommen; denn weder
mochte es sich in militairischer Hinsicht empfehlen, zwischen die
einzelnen Dienstleistungen längere Zwischenräume zu legen, noch
war im allgemeinen der Sechsundvierzigjährige, sofern er nicht
beritten gemacht wurde, den gesteigerten Anforderungen des
Felddienstes gewachsen. Es können mithin — obwohl besondere
Zeugnisse darüber nicht vorliegen, die oben herbeigezogene Notiz
des Polybius sogar, wenn auch irrthümlich, im entgegengesetzten
Sinne gedeutet zu werden pflegt — bei den gewöhnlichen Legionen
die Altersunterschiede keinesfalls bedeutend gewesen sein, indem
es zwar nicht Forderung, aber doch mehr und mehr üblich
wurde, die vorgeschriebenen Feldzüge möglichst schnell abzu-
machen. Daher geht noch die oben erwähnte lex Iulia von der
Voraussetzung aus, daß die sechs vollen Stipendien der Infan-
terie in den zwanziger Jahren schon geleistet wären, und auch
sonst mulite man vor seiner Bewerbung um öffentliche Aemter
entweder alle oder doch eine gewisse Anzahl von Feldzügen be-
reits absolviert haben. Die Bestimmung beispielsweise, daß zur
Qualifikation für das Kriegstribunat wenigstens fünf Stipendien
nothwendig wären, verlegt die Uebernahme desselben, sofern es
sich hier um volle Jahre handelt, frühestens in die zweite Hälfte
des Dienstes zu Pferde oder eventuell in das letzte Jahr derje-
nigen zu Fuß.
41) Programm 1888 8. 22 ff.
Danzig. Th. Steinwender.
Zu Palaiphatos
S. 271, 10 (ed. Westermann): [uudeverus] 17v dà xvjous zaida.]
Das Inf. xvjoas ist mir höchst verdächtig. Sollte nicht Palai-
phatos dafür yer»zous geschrieben haben? cf. S. 272, 5: (Iaos-
gun) yen naida. — 8.276, 17: 10vrov dn roioviov ovuflavioc.]
Der Sprachgebrauch des Pal. fordert: rovrov dn 6. Cf. S. 278, 6:
roviuv ovit) Ovußarıwr; S. 282, 20: rovrov dé yevouérou; S. 292,
6: zourov dé yeyovotog ; S. 904, 23; roviwy yevouérwv.
H. Martini.
Philologus. N. F. Bd. II, 2. 20
XVIII.
Die rümischen Nachrichten Diodors und die consu-
larische Provinzenvertheilung in der älteren Zeit der
römischen Republik.
In meinen „kritischen Untersuchungen zur Geschichte des
zweiten Samniterkrieges“ !) habe ich von einer genauen Prüfung
der Berichte Diodors ausgehend , den Nachweis zu führen ver-
sucht, daß die Zutheilung verschiedner Provinzen der Kriegfüh-
rung an die Consuln zur Zeit der Samniterkriege noch nicht die
herrschende Regel, sondern vielmehr die Kollegialität auch in
der Kriegführung gebräuchlich gewesen sei; ich habe dann weiter
die Vermuthung ausgesprochen, daß, was für die Zeit der Samniter-
kriege Geltung habe, auch für die frühere Geschichte der Re-
publik anzunehmen, und daß erst in einer späteren Periode,
etwa derjenigen der Kriege mit Pyrrhus und den Karthagern,
die Trennung der consularischen Provinzen das Regelmäßige
geworden sei.
Den Anlaß nun zu der vorliegenden Untersuchung gab die
Ueberzeugung, die sich mir bei weiterer Forschung ergeben hat,
daß jenes aus der Geschichte der Samniterkriege gewonnene Re-
sultat sich in größerem Umfange auch für die frühere Geschichte
durch eine genaue Betrachtung der Tradition wahrscheinlich
machen lasse.
Zu diesem Zwecke muß eine Prüfung der Nachrichten Dio-
dors auch tiber die früheren Kriege der Römer eintreten und
ihre Superiorität der vulgüren Ueberlieferung gegenüber nach-
gewiesen werden. Eine solche zusammenfassende Beträchtung
1) Leipzig 1884; Separatabdruck aus den Jahrbüchern für clas-
sische Philologie, XIII Supplementband.
Die römischen Nachrichten Diodors u. s. w. 807
der Diodorischen Notizen wird überhaupt von Interesse sein,
denn es dürfte sich dabei zeigen, daß dieselbe so im Zusam-
menhange und als die hauptsächliche Grundlage für unsere ge-
schichtliche Erkenntniß, soweit sie auf den Annalen beruht, be-
trachtet, noch ein anderes Aussehen bekommen und größere
Bedeutung gewinnen, als wenn man sie bloß in einzelnen Fäl-
len als Ergänzung oder Rektifikation der gewöhnlichen Tradition
benutzt. Was die speciell uns beschäftigende Frage anlangt, so
kann allerdings bei der Spärlichkeit und Kürze der Diodorischen
Nachrichten für die frühere Periode in den meisten Fällen nicht
bewiesen werden, daß in jenen Notizen die gemeinsame Krieg-
führung der Consuln geradezu ausgesprochen liege; es dürfte
genügen, wenn der Nachweis geführt wird, daß die vulgäre
Ueberlieferung, welcher die Anschauung von der regelmäßigen
Trennung der consularischen Kriegführung durchgehends zu
Grunde liegt, unhaltbar und daß jene in ihr durchgeführte Auf-
fassung ein allgemeines Schema ist, welches die spätere anna-
listische Tradition, oder, besser gesagt, die annalistische Fiction
durchaus beherrscht.
Allerdings ist nun die vorliegende Frage noch mit einer
anderen verknüpft; die vulgäre Ueberlieferung findet, worauf
ich ebenfalls schon in meinen „Krit. Untersuchungen z. Gesch.
d. 2. Samniterkr.“ S. 751 hingewiesen habe, verschiedentlich eine
Bestätigung durch die Reste der Triumphaltafel, und es ist so
mit unserer Untersuchung zugleich die Frage nach der Glaub-
würdigkeit jener verbunden. Die Triumphalfasten haben im
Allgemeinen als sichere und unbestrittene Grundlage der For-
schung gedient; Niebuhr allerdings scheint keine allzuhohe Mei-
nung von ihrer Bedeutung zu hegen, wenn er sagt: Die Tri-
umphalfasten können freilich nicht als Urkunde gelten; und es
bleibt immer nur Angabe gegen Angabe, wenn sie von einem
Triumphe des Dictators A. Cornelius Arvina schweigen und die
der beiden Consuln verzeichnen“ *). Die neuere Forschung dagegen
hat zum großen Theile die Triumphaldaten als wichtige Zeug-
nisse verwandt. Mommsen?) sagt: „Wie arg auch sonst die Spä-
teren mit den älteren Berichten gewirthschaftet haben, die haupt-
sächlichen Triumphaldaten, geschützt durch das Gedächtniß der
Adelsgeschlechter, sind nicht verschoben worden, und nach mei-
ner Meinung ist es ein sicheres Kennzeichen der Verfehlung,
wenn eine Untersuchung diese Probe nicht besteht". Seeck *)
2) R. G. II S. 231; vgl. auch HI S. 303. II 288 Anm. 579.
3) R. F. II 377.
4) Die Kalendertafel der Pontifices S. 94 ff. Der Nachweis be-
ruht auf chronologischen Erwägungen, die doch unsicherer Natur sind;
man móchte wohl vielmehr mit Grund ein Zeichen für das Trüge-
rische von derartigen chronologischen Combinationen darin erblicken,
wenn sie, wie wir sehen werden, zu einem nicht zu beseitigenden
20 *
308 J. Kaerst,
meint sogar den Nachweis für die Richtigkeit ihrer Angaben
führen zu können °).
Läßt sich nun der Beweis führen, daß bei Discrepanzen
zwischen den Notizen Diodors und den Triumphalakten den er-
steren durchgehends der Vorzug zuzuerkennen sei, und daß die-
selben namentlich in Bezug auf die besonders vorliegende Frage,
die collegiale Kriegführung der Consuln, größere Glaubwürdig-
keit beanspruchen, so kann natürlich jene hohe Meinung von
dem Werthe der Triumphalfasten nicht aufrecht erhalten werden.
Um einen möglichst festen Grund für die nachfolgende Un-
tersuchung zu legen, wird es angemessen sein, den Ausgangs-
punkt derselben, das Resultat, welches sich aus einer Betrach-
tung der Diodorischen Nachrichten über den zweiten Samniter-
krieg ergeben hat, noch einmal klar festzustellen. Ich glaube
früher 5) nachgewiesen zu haben, daß die bei Livius enthaltene
Geschichte des etruskischen Krieges") vom Jahre 312, in wel-
chem die fama belli etrusci exorta est, und die Rómer bedeutende
Rüstungen dafür machen, bis zum Jahre 810 zu verwerfen ist,
theils wegen der inneren Unhaltbarkeit der Livianischen Erzäh-
lung selbst, theils namentlich, weil Diodor eine ganz andere
Tradition giebt. Dieser erzählt, wie a. a. O. ausgeführt worden
ist, in seinem Berichte vom J. 311 (XX 26, 8 ff), von einem
großen Siege, den beide römische Consuln über die Samniter
in Apulien davongetragen ; von Kriegsereignissen in Etrurien
erwühnt er aber gar nichts, schreibt vielmehr in deutlicher Weise
den Anfang des etruskischen Krieges erst dem folgenden Jahre
zu 5). Ausdrücklich hebt, was besonders wichtig ist, Diodor
M iderspruch zu den glaubwiirdigsten schriftstellerischen Zeugnissen
ühren.
5) Allgemein wird allerdings diese Autorität der Triumphalfasten
nicht anerkannt. Namentlich Matzat in seiner Róm. Chronologie be-
rührt sich mehrfach in seinen Urtheilen über die Angaben von Tri-
umphen mit dem Resultat vorliegenden Untersuchungen; doch wer-
den solche Urtheile, glaube ich, in einer zusammenfassenden, die ein-
zelnen geschichtlichen Nachrichten im Zusammenhang betrachtenden
Darlegung ihre bessere Begründung finden.
6) Krit. Untersuch. z. Gesch. d. 2. Samniterkr. S. 738 ff.
7) Liv. 1X 29, 1 ff.
8) Kara dé Tiv Iraliav oi vOv ‘Pwuaiwv vneios usta duvapuews èu-
Palcvres elc my ‘Anovliay évixnoay .. Zauvitas. Der Bericht ist ziemlich
eingehend, (vgl. namentlich die Worte: wv d' y1m9évro» xaralaßo-
hévwy tov “Ieoov Àóqov Óvouctóutvov) und die Thätigkeit beider
Consuln wird sogleich noch einmal hervorgehoben 8 4: adsws $0»
T)» inaltowy ovvéfaiwe xvprevesrr tovs bndrovc u. 8. w. Daß wir in der
Diodorischen Erzählung ein Zusammenwirken der Consnln anzuer-
kennen haben, wird noch bestärkt durch den Anfang des Berichts
vom folgenden Jahre (XX 35, 1 f): oi uiv vnaros duvdussw adgais
ixBon9noavtes èvixnoav uayn 1006 Tudbnvovs. 82: dioneo „rayxacıy
car ol Unato: diaspeiv 1ac Suva merc.
Die römischen Nachrichten Diodors u. s. w. 309
hervor, daß die Consuln genóthigt wurden, ihre Streitkräfte, die
sie vor Sutrium vereinigt hatten, zu trennen, wührend sie nach
Livius von Anfang an auf getrennten Kriegsschauplätzen operiren.
Ein gleiches Resultat gewinnen wir aus einer Betrachtung
der Berichte von den Jahren 308 und 306?) Im nicht mißzu-
verstehenden Worten spricht Diodor wieder in beiden Jahren
von den gemeinsamen Operationen der Consuln !?) Besonders
charakteristisch und beweisend ist es, daß bei Livius das Bild
der Ereignisse, wie es sich aus Diodor ergiebt, völlig verschoben
und entstellt ist durch die Darstellung, daß die Consuln von
Anfang an verschiedene Provinzen gehabt haben; im Jahre 308
ist die Beendigung des Krieges in Etrurien das eigentliche Ziel
der römischen Feldherrn und bildet den Abschluß des Krieges,
während nach der Livianischen Tradition die umbrische Erhe-
bung den eigentlichen Mittelpunkt abgiebt und den Gang der
Ereignisse bestimmt; ebenso ist in Diodors Darstellung vom
Jahre 306 enthalten, daß der Zug gegen die Herniker erst nach
der Expedition wider Samnium erfolgt, während nach Livius die
Bekämpfung der Herniker parallel geht mit derjenigen der
Samniter, ja noch eher zu Ende geführt wird, als diese.
Der enge Zusammenhang, in welchem jene Trübung des
geschichtlichen Herganges in der Livianischen Ueberlieferung
mit der Durchführung der Auffassung von einer regelmäßigen
Trennung der consularischen Provinzen steht, zeigt schlagend
die Ungeschichtlichkeit eben dieser systematisch durchgeführten
Auffassung.
Ich gehe jetzt zunächst dazu über, in möglichster Kürze
die Notizen Diodors über die frühere römische Geschichte einer
Betrachtung zu unterziehen, wobei ich die ersten über die Ge-
schichte der republikanischen Zeit uns erhaltenen Nachrichten
zum Ausgangspunkt nehme.
Es ist bezeichnend für die vulgäre Ueberlieferung über die
in dieser Zeit (von 486 a. C. an) geführten Kriege der Römer,
daß sie auf das engste verflochten ist mit der Darstellung der
inneren ständischen Kämpfe, ein Moment, welches schon an sich
die Unglaubwürdigkeit der gewöhnlichen Tradition zur Genüge
anzeigt !). Dem gegenüber erscheinen die kurzen Notizen Dio-
dors als die wenigen festen Punkte der Geschichte dieser Periode.
Diodor berichtet (XI 37, 7) im Jahre 485 einen Sieg der
Römer über die Volsker. Dieses Ereigniß wird auch von Li-
9) Vgl. meine Krit. Untersuch. S. 745 f. u. 755 f.
10) Diod. XX 44, 8: oi 19» ‘Pwuaiwv Ünaros Magooic . . . Bondy-
vavıss Tjj TE ud yp éenootégnoay . . . . sita dia Tc OuBouwy ywoas diel-
Sovtes Eveßalov sis mv Tuoonviav und XX 80, 1: oi 0° tnaror duvdusciw
adoeis sic tv loanvyiav ÉuBalôvres ninolov Zılßiov ndlews xateotoaro-
nédevoav.
11) Vgl. Mommsen R. F. II S. 252 Anm. 35.
310 J. Kaerst,
vius erwähnt, aber nur kurz; (II 42, 1); auch ist es ein Sieg
über die Volsker und Aequer. Dionys (VIII 82) giebt dieselbe
Ueberlieferung wieder, wie Livius, nur in noch ausgebildeterer
Gestalt, indem er dem einen Consul Unternehmungen gegen die
Vejenter zuschreibt, eine weitere Ausbildung, die dem allge-
meinen System der Provinzenvertheilung entspricht.
Im folgenden Jahre erzühlt Diodor, (XI 40, 5) von einem
Siege über die Aequer und der Einnahme von Tusculum; die
vulgüre Tradition spricht wieder von einem Siege über Aequer
und Volsker, indem sie den Krieg durch eine rebellatio dersel-
ben motivirt 1%). Die Eroberung von Tusculum fehlt in der-
selben, bei Dionys (VIII 86) ist wiederum die systematisie-
rende Verfälschung weiter fortgeschritten; ihm zufolge erhält der
eine Consul Aemilius in seiner Bedrängniß von dem Heere des
andern, K. Fabius, Hiilfe 19).
Charakteristisch ist die Vermengung der inneren Gegen-
sätze mit den auswärtigen Kämpfen wieder im Jahre 481 14).
Dem Consul Fabius wird der seiner persönlichen Tüchtigkeit zu-
kommende Erfolg durch die wiederstrebende Haltung seines
Heeres beeinträchtigt; ihm gegenüber steht der andere Consul
Furius, den Dionys gsAddnwos nennt, und dem infolge der Ein-
tracht zwischen dem Feldherrn und dem Heere alles nach Wunsch
geht. Diese Gegenüberstelluug würde natürlich nicht möglich
sein ohne eine Scheidung der Kriegsbezirke; bezeichnend sagt
Livius: et in Aequis quidem nihil dignum memoria actum. (II 48, 5).
Die Erzühlung vom Jahre 479, wie sie bei Livius (II 48)
und Dionys (IX 14) sich findet, ist wieder dadurch bezeichnet,
daf der eine Consul, K. Fabius, dem die Vertheidigung des la-
tinischen Gebietes gegen die Aequer zugewiesen wird, dem an-
deru, welcher in große Bedrängniß gerathen ist, zu Hülfe
kommt 15).
In das Jahr 477 fällt die Niederlage an der Cremera.
Nach Diodor (XI 54, 6) war es eine allgemeine Niederlage,
welche die Römer durch die Vejenter erlitten, bei welcher die
300 Fabier fielen !9) Auch in der vulgären Ueberlieferung hat
sich noch eine Spur dieser Niederlage erhalten in der Notiz von
12) Liv. II 42, 3.
13) Das Gleiche gilt von seiner Erzählung der Ereignisse des fol-
genden Jahres, wo Livius nur von innerem Streite zu melden weiß
(II 42, 9), während Dionys wieder von Kämpfen gegen auswärtige
Feinde berichtet und in dieselbe den inneren Streit, den Haß des
Volkes gegen die Fabier hineinträgt. (VIII 89).
14) Liv. II 43. Dionys. IX 2 f.
15) Es erinnert sehr an diese Erzühlung der Bericht, den Dionys
vom Jahre 484 giebt (VIII 86).
16) Diodor a. O.: ds pact mrss TWv ovyypagéwr, xai tods Pafiove
rove TQiaxociove. Ich werde in einem anderen Zusammenhange noch
einmal auf diese Stelle zurückkommen.
Die römischen Nachrichten Diodors u. s. w. 311
dem Siege der Vejenter über den Consul Menenius !") doch wer-
den die Römer wieder aus der dadurch bewirkten großen Be-
dräugniß befreit durch die Ankunft des andern Consuls Hora-
tius, der im Gebiet der Volsker stehend, zum Schutze Roms
herbeieilt. Offenbar wird diese Erzühlung, deren Grundlage wie-
der die Durchführung einer stündigen Provinzenvertheilung an
die Consuln bildet, durch den Diodorischen Bericht ausgeschlos-
sen; übrigens erscheint auch in der vulgären Ueberlieferung
selbst der Krieg gegen die Volsker sehr unvermittelt, bloß als
Hülfsmittel, um den andern Consul als Retter herbeikommen
lassen zu kónnen.
Vollständig gut gemacht wird aber die Niederlage an der
Cremera erst im folgenden Jahre 476. Durch die Unbesonnenheit
des einen Consuls Servilius gerathen die Römer in große Be-
drängniß; sie werden aber durch die Dazwischenkunft des an-
dern Consuls nicht allein aus der schwierigen Lage befreit, son-
dern die Vejenter erhalten auch eine schwere Niederlage 15).
Die Theilung der Provinzen unter die verschiedenen Con-
suln, welche wir als Grundlage der gewöhnlichen Tradition in
den soeben besprochenen Kriegsjahren kennen gelernt haben,
geht nun auch durch die Berichte der folgenden Jahre hindurch.
Die Kriegsberichte sind zum Theil sehr allgemein und unbe-
stimmt gehalten '/), außerdem werden sie aber namentlich ver-
dächtig durch den Umstand, daß fast immer die Volsker und
Aequer zusammen als Feinde Roms auftreten, während in den
kurzen Notizen Diodors meistens nur das eine oder das andere
Volk als Gegner Roms erwähnt wird. Bezeichnend ist wieder,
wie im Jahre 475 der eine Consul, der gegen die Volsker ge-
schickt wird, in dem eigentlichen Kriegsberichte keine Rolle
spielt, sondern nur erscheint, um die Latiner nicht allein den
Krieg führen zu lassen ?°).
Sehr charakteristisch ist ferner die Erzählung vom Jahre
471, die Gegenüberstellung des bei dem Heere verhaßten Sp.
Claudius und des volksfreundlichen T. Quinctius *). Die Ver-
dienste des T. Quinctius in den Aequerkriegen, die in dieser
Zeit ganz besonders eine Domäne des Quinctischen Geschlechtes
bilden, erscheinen in den verschiedensten Varianten ; so im Jahre
17) Liv. HI 51, 1 £.; Dionys IX 23. Vgl. auch Matzat, Róm.
Chron. I S. 215.
18) Liv. II 51, 6 f. Dionys IX 26.
19) Vgl. z. B. Liv, II 62; Dionys IX 55.
20) Mos, credo, non placebat, sine Romano duce exercttuque soctos
proprüs viribus consiliisque bella gerere, sagt Liv. II 53, 5. vgl. auch
Dionys IX 35. Die Triumphalakten scheinen wieder dieselbe Grund-
lage der Erzählung vorauszusetzen, wie Livius und Dionys.
21) Vgl. meine Krit. Unters. z. G. d. 2. Samniterkr. S. 749.
912 J. Kaerst,
465 und 464*?); im letzteren Jahre tritt Quinctius sogar als
Proconsul auf.
Im Jahre 459 wird nach einer Ueberlieferung, die Livius
ausdrücklich als jüngste Tradition bezeichnet **), dem Consul
Cornelius die Kriegführung gegen die abgefallenen Antiaten .zu-
geschrieben. Nicht blof Dionys folgt dieser Ueberlieferung, son-
dern auch die Triumphalakten geben sie wieder, zeigen sich also
auch hier von der jüngsten Form der Tradition abhüngig. Der
Krieg gegen Antium, der öfters wiederkehrende Abfall dieser
Stadt ist ja ein Hauptthema der rómischen Annalistik in die-
ser Zeit 24).
Indem wir die Geschichte des Decemvirats hier übergehen,
wenden wir uns zu der Geschichte der folgenden äußeren Ver-
wickelungen bis zu der gallischen Katastrophe. Die Kriege ge-
gen die Aequer und Volsker stehen im Vordergrunde; die hier-
auf bezüglichen Notizen Diodors ermóglichen es, die Haupter-
eignisse derselben wenigstens in den Grundzügen festzustellen.
Diodor erwühnt unter dem Jahre 446 einen Sieg der Rómer
über die Volsker (XII 30, 6); derselbe ist auch bei Livius *)
erhalten, nur daß bei diesem wieder mit den Volskern die Ae-
quer verbunden erscheinen.
Wie wenig die gewóhnliche Ueberlieferung über diese Kriege
eine echte und unverfälschte ist, zeigt sich in sehr charakteri-
stischer Weise in der Geschichte des Jahres 444, in welchem
zuerst Consulartribunen gewählt werden. Livius erwähnt hier
eine von seiner Haupttradition abweichende Ueberlieferung: IV
7,2: sunt qui propler adiectum Aequorum Volscorumque bello et Ar-
deatium defectioni Veiens bellum quia duo consules obire tot simul
bella nequirent , tribunos militum tres creatos dicant sina mentione
promulgatae legis de consulibus creandis ex plebe. Aus dem noch
zu besprechenden Bericht Diodors von einer Uebereinkunft be-
treffs Theilung des höchsten Amtes zwischen den beiden Stän-
den geht hervor, daß der vulgären Erzählung von einer promul-
gata lex de consulibus creandis ex plebe eine ältere Ueberlieferung
zu Grunde liegt; aus der Notiz jener von Liv. erwähnten An-
nalen sehen wir wiederum, wie die auswärtigen Verwickelungen
erfunden wurden, wenn die inneren Verhältnisse Roms es nöthig
machten. Sehr bezeichnend ist aber jedenfalls für den Stand
22) Vgl. Liv. III 2. Dionys. IX 61. Liv. III 4. Dionys IX 63,
Krit. Untersuch. z. Gesch. d. 2. Samniterkr. S. 750.
23) Nulla apud vetustiores eius rei mentio est, sagt Liv. III 28, 7.
24) Schon kurz vorher im Jahre 461 war von einem bevorste-
henden Abfall die Rede, ohne daß eine daraus entstandene kriege-
rische Verwickelung misgetheilt würde; Liv. III 10, 8. Die Erzäh-
lung vom Aequerkriege von 459 bat in verschiedenen Punkten Aehn-
lichkeit mit der vom folgenden Jahre 458, vgl. Liv. III 23, 1 mit
25, 6. 23, 5 mit 28, 11; vgl. auch Matzat Róm. Chron. II 32 Anm. 8.
25) Liv. III 70.
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 813
unserer gewóhnlichen Ueberlieferung die Gegenüberstellung, wel-
che wir bei Livius finden: IV 7, 1: quorum in magistratu con-
cordia domi pacem etiam foris praebuit und IV 7, 2: propter ad-
tectum Aequorum Volscorumque bello et Ardeatium defectioni Veiens
bellum ; erzählt wird von allen diesen Kriegen nichts!
Für den Bericht vom folgenden Jahre 443 ist charakteri-
stisch die Gegenüberstellung des siegreichen Consuls Geganius,
der die Volsker unter der Anführung des Aequers Cluilius be-
siegt hat, und des andern Consuls T. Quinctius, der durch seine
Amtsführung in der Stadt dem Ruhme seines Kollegen gleich-
kommt ?9); diese Gegenüberstellung würde wieder ohne die
Durchführung der Theilung der Amtsbezirke unter die Consuln
nicht möglich sein ?").
Unter dem Jahre 442 berichtet Diodor (XII 34, 5) von
der Gründung einer Colonie zu Ardea; derselben geschieht auch
bei Liv. IV 11, 5 Erwühnung; es steht diese Coloniegründung
gewiß mit den Kriegen gegen die Volsker im Zusammenhang ;
Ardea bildete einen wichtigen gegen das Gebiet der Volsker
vorgeschobenen Posten.
Im Jahre 437 (317 a.u.) heißt es in den Triumphalakten:
M. Aimilius Mamercinus dietator de Veientibus et Fidenatibus.
Es stimmt diese Notiz mit der bei Livius IV 17 ff. vorliegen-
den annalistischen Tradition; es ist damit der Sieg gemeint, bei
welchem der Militärtribun Cornelius Cossus die spolia opima von
Tolumnius, dem Könige der Vejenter, erbeutet haben soll. Dio-
dor erzählt unter dem Jahre 426 (XII 80, 6) von einer großen,
aber unentschiedenen Schlacht, in welcher der Dictator Aemilius
und ihm zur Seite als magister equitum Cornelius Cossus käm-
pfen; Livius berichtet in diesem nämlichen Jahre abermals von
einem großen Siege des Dictators Aemilius, dem Cossus als ma-
gister equitum zur Seite steht, über die Vejenter und Fidenaten.
Ich kann mich hierüber kurz fassen und auf die Ausführungen
Nieses und Mommsens verweisen 9); danach kann es als sicher
26) Liv. IV 10, 8: aeguavit Quinctius. consul togatus armati glo-
riam collegae , qua concordiae paucisque domesticam curam tura infimis
summisque moderando tenuit.
27) Damit soll nicht behauptet werden, daf nicht eine derartige
Theilung in einzelnen Fällen vorgekommen sein móge; es kommt
hier nur darauf an, das die Tradition beherrschende System nach-
zuweisen.
28) Niese Hermes XIII 412, Anm. 2 und Mommsen R F. II S.
236 ff. Ich sehe übrigens keiuen Grund, mit Mommsen a. O. S. 240 f.
die Erbeutung der spolia opima vom Vejenterkónig, welche nach dem
urkundlichen Zeugaisse bei Livius IV 20, 7 ff. dem Consul Cossus zu-
zuschreiben ist, in Verbindung mit der von Diodor berichteten Schlacht
gegen die Fidenaten zu bringen und so auch die Diodorische Ueber-
lieferung als eine gefälschte anzuselen; meines Erachtens sind die
Traditionen von dem Kampfe mit den Fidenaten und die von der
314 J. Kaerst,
gelten, daß der Bericht Diodors der ältere und glaubwürdigere
ist, und daß wir in der Erzählung des Livius eine Dublette an-
zuerkennen haben; in charakteristischer Weise wird in seiner
Darstellung der neue Krieg durch einen Abfall Fidenaes, wel-
cher nach vorher geschehener Einnahme der Stadt erfolgt, ein-
geleitet.
Wenn so die Livianische Erzählung vom Jahre 437 füllt,
ist natürlich auch die denselben annalistischen Bericht voraus-
setzende Notiz der Triumphalfasten zu verwerfen.
Für die Geschichte der folgenden Aequer- und Volsker-
kriege haben wir einige kurze, aber werthvolle Notizen Diodors.
Zunächst erwähnt er im Jahre 431 den großen Sieg des Dicta-
tors A. Postumius über die Aequer. Diese scheinen nach län-
gerer Unterbrechung den Kampf gegen die Römer wieder auf-
genommen zu haben, wie man aus den Worten Diodors: Aî-
xAwv anoorurıwv ano ‘Pwuatwr schließen möchte. Von Livius
ist dieser Sieg ausführlich erwähnt, aber wiederum findet sich
bei ihm die regelmäßige Verbindung der Aequer und Volsker
(IV 26 f£). Nach der einen Ueberlieferung wurde die Wahl
eines Dictators durch eine Niederlage, welche vorher die Con-
suln erlitten, veranlaßt, jedenfalls war die vulgäre Tradition
darin einig, daß die Consuln untereinander uneinig waren, ein
häufig wiederkehrendes Motiv, um die Wahl eines Dictators als
nothwendig erscheinen zu lassen 3%). Aehnliches gilt von dem
Erbeutung der spolia opima vom Vejenterkönig als unabhängig von
einander zu betrachten; die Gründe, welche Mommsen S. 241 Anm.
19 gegen Niese anführt, scheinen mir nicht schlagend ; namentlich
muB hervorgehoben werden, daß eben Diodor nur vom Kampfe mit
den Fidenaten berichtet; und derartige Zeugnisse lassen sich doch
nicht einfach durch den Hinweis auf die zusammenziehende Manier
Diodors beseitigen.
29) Liv. IV 26, 6.
30) An diesen Sieg über die Aequer ist bei Diodor sowohl, wie
nach einer von Livius wiedergegebenen Ueberlieferung — vgl. auch
Val. Max. H 7, 6 — die Sage von dem harten Verfahren des Dicta-
tors gegen seinen Sohn wegen eigenmächtigen Verhaltens desselben
angeschlossen, dieselbe Sage, die gewöhnlich von T. Manlius Tor-
quatus erzählt wird. Die größere Ursprünglichkeit "der Sage in der
Anknüpfung an die Person des Postumius geht — abgesehen von der
größeren Autorität Diodors, vgl. auch Lübbert, de gentium Romana-
rum commentariis domesticis, Gießen 1878 — schon daraus hervor,
daß nach einer andern von Liv. VII 4 f. mitgetheilten Tradition die
Erzählung von einem harten Verfahren eines Manlius gegen seinen
Sohn mit der Person des Vaters des Manlius Torquatus verknüpft er-
scheint, durch den Beinamen Imperiosus veranlaßt. Wir sehen dar-
aus, wie diese Sage von dem harten Verfahren eines römischen Ober-
befehlshabers gegen seinen Sohn ursprünglich als freie Volkssage er-
scheint, nicht aus dem Beinamen Imperiosus entstanden, und wie sie
erst später mit dem berühmtesten Vertreter des Manlischen Ge-
schlechtes durch das cognomen Imperiosus in Verbindung gebracht ist.
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 315
nächsten Kriege gegen die Aequer, welcher von Diodor erwähnt
wird (XIII 6, 7); Livius überliefert dieselben Ereignisse, doch
wird bei ihm wieder durch die Streitigkeiten unter den Consu-
lartribunen die Wahl eines Dictators hervorgerufen. Das nächste
von Diodor überlieferte Ereigniß gehört dem Jahre 414 an, ein
neuer Sieg über die Aequer und Einnahme der Stadt Bolae 51).
Im Jahre 408 berichtet er von dem Verluste des festen Ortes
. Verrugo ("Edöovxu) an die Volsker; Livius erwähnt dieses Er-
eigniB erst im folgenden Jahre, und zwar ganz kurz, mehr bei-
läufig, weiß aber dafür 408 von einem Siege des römischen
Dietators Cornelius über die Volsker und Aequer zu erzählen,
welchem wiederum lange Streitigkeiten zwischen den Consular-
tribunen: vorangehen °2).
Es folgen bei Diodor zwei bedeutende Erfolge über die
Volsker, die Eroberung von Anxur (Terracina) im Jahre 406,
dem Anfangsjahre des Krieges gegen Veji, Diod. XIV 16, 5
(entsprechend Liv. IV 59, 4), und die Verstärkung der römi-
schen Kolonie zu Velitrae, Diod. XIV 34, 7, von Livius nicht
erwähnt. Die Römer gewinnen so verschiedene wichtige Posi-
tionen, mit denen sie das Gebiet der Volsker umfassen ; Velitrae
versucht allerdings, wie uns Diodor berichtet XIV 102, 4, bald
wieder eine Erhebung, ebenso fällt Satricum ab, aber in dem-
selben Jahre senden die Römer noch eine Colonie nach Circei.
Was die weiteren Kämpfe bis zur Niederlage an der Allia
anlangt, so finden wir für Livius als besonders charakteristisch
die Vertheilung der verschiedenen Provinzen an die Consular-
tribunen; die Zahl der Kriege und Gegner Roms steht in ei-
nem bestimmten Verhältniß zu der Anzahl der Consulartribunen.
Die Notizen Diodors haben um so mehr mafigebende Geltung,
als sie gerade über diese Zeit verhältnißmäßig zahlreich und
ausführlich sind; vgl. namentlich Diod. XIV 102, 4.
31) Wie auch in diesen Krieg die inneren Streitigkeiten herein-
gezogen sind, ist anderwärts behandelt worden; Krit. Untersuch. z.
Gesch. d. 2. Samniterkr. S. 750, wo auch darauf hingewiesen ist, daß
diese Erzáhlung wiederum die Zuweisung besonderer Provinzen an
die einzelnen Consulartribunen zur Grundlage hat. In engem Zu-
sammenhange mit den im Innern stattfindenden Kümpfen stehen die
Berichte des Livius über die Volsker- und Aequerkriege von 410
und 409.
32) Bemerkenswerth ist es, welche Stellung die Servilier in die-
sen Streitigkeiten nehmen ; zweimal, im Jahr 431 und 418, ist es Q.
Servilius Priscus, welchem eine entscheidende Rolle zufällt (IV 26 f.
und IV 45 f); hier ist es Servilius Ahala, der vermittelnd auftritt.
Dieselbe Stellung fállt dann dem Servilius Ahala noch einmal zu im
Jahre 402 (Liv. V 9). Wenig wahrscheinlich ist die Ansicht von E.
Zarncke (Der Einfluß der griechischen Litteratur auf die Entwicke-
lung der rómischen Prosa Comment. Ribbeck. 8. 279), welcher in der
Feindschaft der Consulartribunen vor Veji einen Anklang an die ha-
dernden Fürsten Agamemnon und Achilleus erkennen móchte.
816 | J. Kaerst,
Auf das vielfach behandelte Verhältniß der Berichte über
die gallische Katastrophe brauchen wir hier nicht nüher einzu-
gehen; für die Kritik der Volskerkriege ist besonders wichtig
eine Bemerkung, die Diodor unter dem Jahre 384 macht: dio-
neo tov Éunoooder yoôvor loyugoi doxovvres sivas (sc. où Quo-
Aovoxor) did tiv Cvupogur Tuvınv GotEvéstutor TWV — TEEQUOL-
xovvıwv èIvév éyerndnour XIV 117, 3. Dadurch werden die
von Livius nach 389 erzählten Kriege im Wesentlichen als Er-
dichtung erwiesen ??) ein Resultat, das auch durch die innere
Kritik der Livianischen Ueberlieferung im allgemeinen bestä-
tigt wird 54).
Der Volskerkrieg vom Jahre 882 ist mit dem Kriege ge-
gen Praeneste verflochten. Darüber berichtet Diodor *°), daß die
Praenestiner eine entscheidende Niederlage von den Rómern er-
hielten. Sehr charakteristisch ist nun hier wieder die Erzählung
des Livius; er erwähnt allerdings auch in diesem Jahre 59) den
Kampf gegen die Praenestiner, doch erscheinen diese mehr nur
als Hülfstruppen der abtrünnigon Velitriner. Der Krieg gegen
Praeneste wird weitergeführt und zunächst zur Entscheidung ge-
bracht im folgenden Jahre, in welchem Camillus Consulartribun
war 5"). Auch hier wieder sind die Volsker die Hauptfeinde ;
bezeichnend ist besonders die Gegenüberstellung des M. Furius
und L. Furius?5) Camillus erscheint als anticipirter Fabius
Cunctator, L. Furius als Minucius 9%). L. Furius wird in ähn-
licher Weise, wie Minucius, von Camillus gerettet und durch
dessen Großmuth beschämt. Die Betrachtung der Livianischen
Tradition selbst bestätigt also nur das Resultat, welches wir aus
Diodor gewinnen: die Verwerfung des Kriegsberichtes vom
Jahre 381 4°).
33) Vgl. auch Clason R. G. I 70.
34) Die Erzählung des Jahres 386 enthält eine Wiederholung der
Ereignisse von 889, wie schon Niebuhr erkannt hat, R. G. II 654.
35) Diod. XV 47, 8.
96) Liv. VI 22.
37) Mit dem Berichte des Livius vgl. Plut. vit. Camill. 37.
38) Liv. VI 22, 6: Volscum bellum M. Furio extra ordinem de-
cretum ; adiutor ex tribunis sorte L. Furius datur.
39) Liv. VI 23, 5: cunctatorem ex acerrimo bellatore factum.
40) Ueber die bei Livius VI 25 f. unter diesem Jahre sich fin-
dende Erzählung von der Unterwerfung Tusculums vgl. Lübbert de
gentis Furiae commentariis domesticis, Kiel 1877 S. 3. Seeck Ur-
kundenstudien z. alt. röm. Geschichte, N. Rh. Mus, XXXVII S. 21 ff.
hat nachzuweisen versucht, daß damals die Erhebung eines großen
Latinischen Bundes unter Führung von Tusculum geyen Rom statt-
gefunden habe und daß die Unterwerfung der führenden Gemeinde
den Zerfall des Bundes bewirkt habe; er bezieht auf diese Vereini-
gung die bei Dionys V 61 erhaltene Urkunde des Latinischen Stüdte-
bundes. Doch abgesehen davon, daß das Fundament dieses Nach-
weises, soweit es die Beziehung der Dionysischen Urkunde auf jene
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 317
Wir gehen jetzt über zu einer kurzen Betrachtung der
Gallierkriege, welche ja in der vulgüren Ueberlieferung eine so
große Rolle spielen. Zur Beurtheilung der Nachrichten des Li-
vius über dieselben bieten die Notizen, welche von Polybios II
18 ff. enthalten sind, eine werthvolle, ja, die einzig sichere
Grundlage, weil sie älteren römischen Annalen, die noch nicht
durch die Trübungen der späteren Tradition hindurchgegangen
sind, entstammen. Es ist nun allerdings auch der Werth die-
ser Notizen allgemein anerkannt. Dagegen herrscht weniger
Uebereinstimmung darüber, inwiefern dadurch alle nicht in den
Rahmen der Polybianischen Aufzählung hineinfallenden Ereig-
nisse, die in der jüngeren Tradition Erwähnung finden, ausge-
schlossen werden.
Es ist die Meinung ausgesprochen worden, daß es „ver-
kehrt sei, die in der andern Tradition erwähnten Siege über
die Gallier deswegen zu streichen, weil sie sich bei Polybius
nicht finden, da Polybius nicht nothwendig aller in den Anna-
len enthaltenen Kämpfe habe gedenken müssen“ *'). Indessen
ist diese Ansicht der Darstellung des Polybius gegenüber nicht
haltbar; derselbe gibt uns eine, wenn auch kurze, doch in sich
zusammenhängende Geschichte der gallischen Kriege; er schließt
mit ausdrücklichen Worten andere Züge als die von ihm mit-
getheilten aus, vgl. z. B. c. 18, 8: tosuxaldexu uiv Em Tv
nouyla» Eogov c. 19, 1: Er aig Ern rom xorın welrarısg dBunedog
xt. $?j. Man beraubt diese Notizen des Polybius ihres eigent-
lichen Werthes wenn man sie nicht als einzige, sichere Grund- .
lage dieser Geschichte betrachtet, sondern daneben noch der an-
deren Tradition eine Thür offen läßt, auch diejenigen in der-
selben mitgetheilten Ereignisse als historisch annimmt, welche
nieht in den Rahmen der Polybianischen Ueberlieferung passen.
Wenn nun auch die letzte Grundlage der Livianischen Ueber-
lieferung dieselbe sein mag, wie die der Polybianischen Notizen,
Zeit betrifft, ein unsicheres ist, gründet sich die Erórterung durch-
aus auf die vulgäre von Livius erhaltene Tradition über diese Jahre,
welche oben kurz geprüft worden ist. Die wichtigste Grundlage für
unsere Kenntni8 vom Verhältniß Roms zu Latium in dieser Zeit bie-
tet die zwar sehr allgemein gehaltene , aber doch werthvolle Notiz
des Polybius II 18 5: à» @ xcii (in den ersten 30 Jahren nach der
Eroberung Roms). ‘Po pato» "jv te opstigny dévauw | &vélafov x«i ta
xarà 1005 Aativovs nodyuate abs ovvsomonvıo, woraus hervorgeht,
daß die Haupttbätigkeit der Römer nach außen damals auf die Wie-
dergewinnung der Hegemonie in Latium gerichtet war. Auch bei
Diodor ist ja noch die Andeutung von Kämpfen mit den Latinern
erhalten; bei diesen hat aber allem Anschein nach Praeneste die
Hauptrolle gespielt und nicht Tusculum.
41) Holzapfel Röm. Chron. S. 80 Anm. 2; vgl. Unger Röm.
Stadtära (Abh. d. K. Bayr. Akad. XV 1 S. 142).
42) Vgl. auch Fraenkel Studien zur róm. Geschichte I S. 55;
vor allem Nitzsch R. Annal. S. 275 ff.
318 J. Kaerst,
weil auch diese ohne Zweifel auf römische annalistische Auf-
zeichnungen zurückgehen, und mögen sich einige der tumultus
gallici, die bei Livius verzeichnet sind, mit den von Polybius
erwähnten identificiren lassen !?), so ist doch eben jene Grundlage
in der jüngern Tradition ganz getrübt und entstellt durch die
späteren Fälschungen, und alle jene Siege und Triumphe, wel-
che sich in dem Rahmen der Polybianischen Zusammenstellung
nicht einfügen lassen, sind zu verwerfen ‘4).
Und wenn weiter der Versuch gemacht worden ist, die
Triumphe über die Gallier zu retten, aber die Berichte von den
großen Siegen über dieselben als spätere Ausschmückungen zu
verwerfen *°), so ist dem entgegenzuhalten, daß doch eben bei
unbefangener Kritik sich diese Triumphe nicht trennen lassen
von den Siegen, wegen deren sie gefeiert werden, mag auch zu-
gegeben werden, daß die Erzählungen hiervon im Einzelnen im-
mer übertrieben und ausgeschmückt sein könnten ; der Versuch,
der bei jener Ansicht gemacht werden muß, diesen Triumphen
gar keine Wichtigkeit zuzuerkennen, ihnen bloß eine minimale
Bedeutung beizulegen, erweist sich doch als ein bloßes Aus-
kunftsmittel, um einigermaßen den Widerspruch, in welchen eine
solche Meinung mit Polybius gerathen muß, auszugleichen oder
abzuschwächen !$).
Auch die innere Kritik der jüngeren Ueberlieferung über
die Kämpfe mit den Galliern bestätigt im Wesentlichen das Re-
sultat, welches auf der Grundlage der Polybianischen Notizen
gewonnen worden ist!'); der Prozeß der Umbildung und Er-
43) Auf die Versuche, die in neuerer Zeit gemacht worden sind,
namentlich von Niese, Mommsen, Matzat, Holzapfel, die Polybianische
Datirung der einzelnen Gallierzüge zu der vulgären Ueberlieferuug in
Beziehung zu setzen und das chronologische System des Polybius
selbst aufzuzeigen, gehe ich hier nicht näher ein.
44) Man möchte vielleicht versucht sein, in dem Umstande, daß
Diodor von den gallischen Zügen nichts berichtet, einen Beweis da-
für zu sehen, daß Diodors Auszug aus den älteren Annalen eben ein
sehr unvollständiger sei; es zeigt sich aber hierbei recht deutlich der
Unterschied zwischen einem Historiker, wie Diodor, und Polybius, der
als historischer Forscher die Notizen über gallische Züge zu einem
Gesammtbilde derselben zusammenstellt.
45) Seeck Die Kalendertafel der Pontifices S. 94.
46) Erwähnt mag doch auch noch werden, daß, wie aus den
Worten des Polybius II 18, 6 hervorzugehen scheint, die erste Wie-
derholung des gallischen Einfalls den Römern wohl eine völlige Ue-
berraschung war, und daß es nicht recht dazu passen will, wenn die
Römer damals durch verschiedene, wenn'auch noch so geringfügige Be-
gegnungen mit gallischen Schaaren an die von den Galliern drohen-
den Gefahren gewöhnt gewesen sein sollten.
47) Abgesehen von den Erzählangen von Manlius Torquatus und
Valerius Corvus, die, ursprünglich zeitlos, in die Zusammenhünge der
chronologisch geordneten Ueberlieferung eingegliedert worden sind,
doch, wie Liv. VI 42, 5 £.; Zonar. VII 24 beweisen, von den ver-
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w: 319
dichtung, von welchem die gallische Katastrophe des Jahres
364 a. u. betroffen worden ist, hat sich auf die ganze folgende
Geschichte der Gallierkriege ausgedehnt, und es ist nicht mit
der historischen Kritik vereinbar, die vulgäre Tradition von je-
ner Katastrophe durch Polybius zu verificiren, diese Verification
aber nicht für die weitere Geschichte der gallischen Kriege
durchzuführen.
Mit der Erzählung von den gallischen Kämpfen steht nun
aber die Ueberlieferung über andere Kriege in jener Zeit in so
enger Verbindung, daß sie von einem gleichen verwerfenden Ur-
theil getroffen werden muß.
Zunächst wird im Jahr 362 ein Krieg gegen die Herniker
von Livius 45) erwähnt. Was hiervon zu halten sei, geht aus
den Worten des Livius selbst hervor: in exspectatione civitas erat
quod primus ille de plebe consul suis bellum auspiciis gesturus esset.
Der Versuch mit dem plebejischen Consul mißlingt; er erleidet
eine Niederlage; an seine Stelle wird ein Dictator Ap. Claudius
gewühlt. Bevor derselbe den Oberbefehl übernimmt, wird durch
den Legaten C. Sulpicius wieder eine günstige Wendung des
Kampfes gegen die Herniker herbeigeführt ^ Dief ist derselbe,
der im nüchsten Jahre Consul ist, und nach der Ueberlieferung
der Triumphalfasten über die Herniker triumphirt ; seine Ver-
dienste werden also hier schon anticipirt. Natürlich ist durch
diese Erzählung die Theilnahme des andern Consuls von vorn-
herein ausgeschlessen ; verflechten ließ sich der Kriegsbericht
mit den inneren Angelegenheiten nur so, daß der plebejische
Consul allein den Krieg gegen die Herniker als seine Provinz
erhielt.
Es folgt dann bei Livius im Jahre 361 ein kurzer Bericht
über einen Verwüstungszug im Gebiete der Herniker; in den
Triumphalakten wird ein Triumph des Consuls Sulpicius über
die Herniker aufgeführt. Wenn wir diesen Triumph zusammen-
stellen mit dem angeblichen von 358, den Sulpicius als Dictator
über die Gallier gewonnen haben soll und mit der Erzählung
von seiner Thätigkeit als Legat im Hernikerkriege des vorher-
gehenden Jahres, so gewinnen wir einen Anhalt für den Grund
der Entstehung aller dieser Erzählungen. Die Hernikerkriege
schiedenen Annalisten in verschiedener Weise, will ich hier nur dar-
auf hinweisen, wie die Person des Camillus in diese Gallierkriege ver-
flochten ist, indem ihm außer dem angeblichen Triumph von 390 a.
C. noch ein zweiter im J. 367 zu Theil wird; wie ferner ein anderer
Sieg dem Sohne des Camillus i. J. 349 (405) zugeschrieben wird;
(das Consulat desselben hat Diodor gar nicht; vgl. Lübbert de gentis
Furiae commentariis domesticis S. 17). Bezeichnend ist es, daß unter
diesem Valerius Corvus seine berühmte That vollführte, wie unter
dem Vater nach den Annalen des Claudius Manlius Torquatus (vgl.
auch Zon. a. a. O.).
48) Liv. VII 6, 7 ff.
320 J. Kaerst,
gehen in den nüchstfolgenden Jahren fort; und es ist so dafür
gesorgt, daß immer jedem der beiden Consuln eine besondere
Provinz zugewiesen werden kann.
In engerer Verbindung als die Kämpfe gegen die Herniker
steht mit den Gallierkriegen der Tiburterkrieg vom J. 360.
Dem Consul Poetelius wird von den Triumphalfasten überein-
stimmend mit der Livianischen Ueberlieferung 4°) ein Triumph
über die Gallier und Tiburter zugeschrieben. Mit der Tradition
von einem Siege über die Gallier in diesem Jahre 360 ist wohl
auch die von der Besiegung der Tiburter zu verwerfen, welche
so eng mit jener verknüpft ist.
Im folgenden Jahre spielt dieser Krieg gegen Tibur weiter,
bezeichnender Weise, wührend Popilius Laenas Consul ist, die-
ser gewinnt auch im Jahre 356 einen Erfolg über die Tiburter 5");
und auch für das Jahr 354, in welches die Unterwerfung von
Tibur gesetzt wird, hatten einige Annalen den Namen des
Popilius ?!).
Es scheinen nun auch die von Livius und den Triumphal-
akten in dieser Zeit überlieferten Kriege gegen die Tiburter
und Herniker, namentlich die ersteren, nicht recht zu den Worten
des Polybius zu passen, lI 18, 5: #r & xui (nämlich in den
ersten 30 Jahren nach der gallischen Katastrophe) ‘Pwpaîos viv
1e Operigar duvapir üréAufov xxi u sat todo Autlvoug mga-
yuata uvdic Ovrsoınoarıo, da es nach diesen scheint, daß da-
mals die Römer ihre Hegemonie in Latium im Wesentlichen
wiedergewonnen hatten.
Im Jahre 357 berichtet Diodor von einem Kriege gegen
die Falisker, hebt aber ausdrücklich hervor: uéya piv oùdèr
ovdé wrnung a&ıor éneredéodn. Livius erwähnt denselben kurz,
indem er dem einen Consul die Führung desselben zuertheilt 52);
den Hauptgegenstand der Erzählung bildet aber bei ihm die
Besiegung der Privernaten durch den Consul C. Marcius Ru-
tilus. Dieselbe Ueberlieferung haben die Triumphalfasten; durch
die ausdrücklichen Worte Diodors a. o. wird dieselbe widerlegt,
der Krieg gegen die Privernaten ist also zu streichen 53). Be- |
zeichnend ist im Vergleiche mit den angeführtei Worten Dio-
dors: uéya wév ovdèv ovdì urnuns aksov Ey&rsıo, die Bemer-
kung des Livius c. 16, 6: ab altero consule nihil memorabile ge-
stum 9): durch Beschränkung jener von Diodor in ihrer ur-
49) Liv. VII 11, 3. Schon über die Entstehung dieses Tiburter-
krieges bestehen 2 Ueberliefcrungen ; Liv. c. 9, 1 und 12, 1 f.
50) Liv. VII 17, 1.
51) Liv. VII 18, 10.
52) Liv. VII 16, 3: ea provincia Cn. Manlio obvenit.
93) Arnold Schaefer, Comment. Mommsen. 8. 2 hält allerdings
denselben auf Grund der Notiz der Triumphalakten für historisch.
54) Auf die gemeinsame Grundlage des Diodorischen und Livia-
nischen Berichtes weist auch Nitzsch hin, R. Annal. S. 202; doch
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 321
sprünglichen Fassung wiedergegebenen Bemerkung auf den einen
Kriegsschauplatz, wofür die beständig durchgeführte Rollenver-
theilung an beide Consuln die Grundlage bietet, wird die Mög-
lichkeit gewonnen für den andern Consul, in seiner Provinz um
so mehr Lorbeeren zu ernten.
Im folgenden Jahre ist von Diodor °°) die Notiz erhalten
von einem Verwüstungszuge der Etrusker, er fügt aber hinzu
in ausdrücklichen Worten: xai wéyor rov Tiféoews xaradgu-
worısc éravnidov elo inv olxstav. Bei Livius ist daraus die Nie-
derlage des einen römischen Consuls gemacht, während der an-
dere, Popilius Laenas, gegen Tibur Krieg führt. Die Nieder-
lage wird aber durch den Dictator C. Marcius Rutilus, welcher
der erste plebejische Dictator sein soll, Liv. VII 17, 6, wieder
gut gemacht, der einen Triumph über die Tusker feiert; ebenso
berichten die Triumphalakten; auch diese Tradition steht also
wiederum im Widerspruche mit dem Berichte Diodors.
Es sind, wie wir bisher gesehen haben, nur verhältniß-
mäßig spärliche und kurze Nachrichten Diodors, welche uns über
die äußere Geschichte Roms in dieser Zeit erhalten sind, indes-
sen, wenn wir uns zunächst nur einmal von der gewöhnlichen
Tradition losmachen, vermögen wir uns doch, namentlich, wenn
wir die wenigen Notizen des Polybius hinzunehmen, aus ihnen
ein besseres Bild von dem allmählichen Anwachsen der römi-
schen Machtverhältnisse zu gestalten, als aus der vulgären, sich
immer in Wiederholungen ergehenden, in wahrem Sinne unhi-
storischen Ueberlieferung ; es ist nicht Aufgabe dieser Unter-
suchung, den Versuch einer Darstellung der wirklichen histori-
schen Entwickelung zu machen; nur wenige Bemerkungen mó-
gen hier folgen. Es sind im Wesentlichen die Kämpfe gegen
die Aequer und Volsker, namentlich die letzteren, welche Rom
im 5. Jahrhundert v. Chr. beschäftigen, Rom führt in diesen
Kämpfen zugleich die Sache von Latium als Vorkümpferin die-
ser Landschaft. Daneben her gehen Kriege mit den Staaten im
südlichen Etrurien, besonders den Vejentern. Um das Jahr 400
v. Chr. ist Rom in energischem Vorwärtsschreiten begriffen;
Veji wird erobert, sein Gebiet fällt den Römern anheim, mit
Falerii wird schon vorher Friede geschlossen, durch Anlegung
der Colonie Sutrium, welche wohl einen Hauptstreitpunkt in
den Kämpfen mit den Etruskern, besonders mit Falerii bilden
mochte, befestigen die Römer ihre Stellung im südlichen Etru-
ren; gleichzeitig werden den Volskern große Erfolge abgewon-
giebt die Bemerkung desselben, S. 203: man erkennt, daß Diodor
aus der bei Livius so behandelten Ueberlieferung nur immer einzelne
Notizen gleichsam herauspflückte, um überhaupt nur eine römische
Notiz hier und da einzustreuen‘ ein nicht richtiges Bild der Dio-
dorischen Annalen.
55) Diod. XVI 36, 4.
Philologus. N.F. Bd. II, 2. 21
922 J. Kaerst,
nen, durch Colonien auf verschiedenen Seiten ihres Gebietes
werden dieselben immer mehr umfaßt; da bricht die gallische
Niederlage herein. Daß dieselbe nicht schwerere, empfindlichere
Folgen für Rom hatte, ist wohl daraus zu erklären, daß, wie
Polybius berichtet, die Gallier durch Bewegungen in ihrem ei-
genen Gebiet sogleich zum Rückzug bewogen wurden. Die nun
folgende 30jährige Pause der Gallierzüge benutzen die Römer in
energischer Weise. Die Volsker erleiden eine Niederlage, wel-
che, — nach den vorausgehenden Schlägen — ihrer selbstän-
digen Bedeutung ein Ende macht. Indessen die Erfolge der
Römer sowohl im südlichen Etrurien, als namentlich den Vols-
kern gegenüber, die bisher zugleich Feinde der Latiner gewesen
waren, deren Besiegung aber besonders der römischen Macht
einen erheblichen Zuwachs brachte, bewirken eine Erhebung
der Latiner gegen Rom, unter der Führung, wie es scheint,
von Praeneste; und mit der Durchführung dieses Kampfes sind
die Römer in der Zeit nach der gallischen Katastrophe beson-
ders beschäftigt. Sie gewinnen aber ihre Hegemonie in Latium
wieder und können so jetzt, nachdem sie zunächst ein neuer
Einfall der Gallier unvorbereitet getroffen hat, auch diesen ge-
genüber eine imponirende Macht entfalten °*), was einen flucht-
artigen Rückzug der Gallier und den Abschluß eines Friedens
mit den Römern zur Folge hat (Polyb. II 18, 7 f.).
Wir kommen jetzt zu dem ersten Samniter- und dem großersm
Latinerkriege. Gegen den ersteren, so wie er in unserer vul—
güren Ueberlieferung erscheint, hat schon Mommsen 55) gewich—
tige Bedenken erhoben; es sollen demzufolge dieselben hier nich —
wiederholt, sondern nur hingewiesen werden auf den Vertrages
den nach Livius °”) die Römer mit den Samnitern geschlossemmm
haben. Man wird jedenfalls zugestehen müssen, daB die Bes
stimmungen desselben nicht im Einklange stehen mit den große==
kriegerischen Erfolgen, welche die Römer errungen haben sollensss
wenn also wirklich kriegerische Verwickelungen stattgefunde—
haben, dürften dieselben nicht die Ausdehnung erreicht haberem
welche in der vulgären Ueberlieferung — in dieselbe sind di
Triumphalfasten durchaus wieder eingeschlossen — ihnen zuge==
schrieben werden. Diesen Erwägungen gegenüber ist es gewistl
von besonderem Gewicht, daß Diodor, der das wichtigste Er
565) Röm. Gesch. IS S 354 Anm., vgl. auch Matzat R. Chr. Mii
S. 130 Anm. 4, dessen Versuch, das Auftreten dieses Krieges in de
Tradition zu erklüren S. 147 Anm. 9 ich allerdings nicht beistime—
men kann.
56) Eine Spur dieser guten älteren Ueberlieferung scheint sic
auch bei Livius in den Worten, VII 12, 7: sed . . solktio fuit pass
petentibus data et magna vis malitum ab his ex foedere Kvetusto, ques
multis inlermiserant annis, accepta, noch zu finden.
57) Liv. VIII 2, 1 ff.
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 323
eigniß des großeu Latinerkrieges erwähnt, von diesem Kriege
gänzlich schweigt.
Für die Tradition vom großen Latinerkriege ist es nun
wieder sehr bezeichnend, daß das einzige Ereigniß, welches von
Diodor erwähnt wird 55), die Schlacht bei Sinuessa oder Trifa-
num von Livius nur ganz kurz erwühnt wird und hinter der
Erzählung von der Schlacht am Vesuv ganz zurücktritt. Die
gesammte vulgüre Ueberlieferung über den ersten Samniter- und
Latinerkrieg scheint wesentlich zur Verherrlichung des Valerius
Corvus, P. Decius und Manlius Torquatus, namentlich der bei-
den erstern, vorhanden zu sein. Daß dieser Sieg bei Sinuessa
das eigentlich entscheidende Ereigniß des Krieges ist, scheint
auch in der Livianischen Tradition noch insofern hindurch, als
unmittelbar daran die Erwähnung wichtiger Maßregeln betreffs
der Landschaft Latium geknüpft wird 59).
Ich füge über die Geschichte des dritten samnitischen Krie-
ges noch einige Bemerküngen hinzu, Im Jahre 298 (456 a. u.)
führt nach des Livius Darstellung in Etrurien den Krieg L.
Cornelius Scipio, in Samnium, das jetzt wieder in den Kampf
eingetreten ist, Cn. Fulvius 6). Aus der Grabschrift des Scipio
Barbatus wissen wir, daB derselbe gar keinen Krieg in Etru-
rien geführt hat; es beruht die Livianische Erzählung wieder
auf der regelmäßigen Durchführung der consularischen Provin-
zenvertheilung 9).
Wie diese Vorstellung von einer durchgehenden Trennung
der consularischen Commandos auch auf die Livianische Dar-
stellung der folgenden Jahre ihren Einfluß geäußert hat, wie
aber andrerseits noch bei Livius selbst sich Spuren der ur-
58) Diod. XVI 90, 2. Die Wichtigkeit des Ereignisses wird schon
durch die Erwähnung des Namens des triumphierenden Consuls, Man-
lius Torquatus, angedeutet.
59) Liv. VIII 11, 13 ff. Die beiden Nachrichten des Livius über
die Behandlung von Capua VIII 11, 15 f. (vom J. 340) extra poenam
Fuere — | Campanorum equites, quia non desciverant . . .. equitibus
Cumpanis civitas Romana data monumentoque ut esset aeneam tabulam
un aede Castoris Romae fixerunt. vectigal quoque eis Campanus populus
zussus pendere e. q. s. und VIII 14, 10 (v. J. 338): Campants equitum
honoris causa, quia cum Latinis rebellare noluissent. . . .. civitas sine
suffragio data, weisen doch wohl auf verschiedene Quellen hin, von
welchen die eine den Frieden früher setzte, als die andere. Das ver-
werfende Urtheil, welches Mommsen, G. d. röm. Münzw. S. 334 Anm.
122 über die erste Version im allgemeinen ausspricht, scheint mir
nicht genügend begründet zu sein. Vgl. hierüber auch Clason R. G.
II 8. 8. 280 (und über Capua insbesondere) S. 291 f. Anders scheint
Mommsen jetzt zu urtheilen, vgl. R. Staater. III S. 574 Anm. 8.
60) Scipioni Etruria, Fulvio Samnites obvenerunt Liv. X 12, 8.
61) Eine etwas andere Erklärung giebt Niese de annalibus Ro-
manis observationes. Marburg 1886 S. 4.
21*
324 J. Kaerst,
sprünglichen Tradition finden, habe ich anderswo schon an-
gedeutet 92),
Die in dem Vorstehenden durchgeführte Vergleichung der
Diodorischen Nachrichten mit der vulgären Ueberlieferung, welche
auch die Grundlage der capitolinischen Triumphalfasten bildet,
hat uns also den Beweis ergeben, daß die ersteren auch für
diejenigen Theile der älteren römischen Geschichte, für welche
sie nur als sehr fragmentarisch erscheinen, doch als Grundlage
für die Reconstruction der geschichtlichen Ereignisse gelten muß.
Die gewöhnliche Tradition zeigt sich dem gegenüber als eine
durchaus schematische von bestimmten Kategorien der annalisti-
schen Erfindung beherrschte; und es dürfte sich wohl kaum in
der allgemeinen Geschichte der Historiographie eine große Ue-
berlieferung finden, die so wenig wirkliche Ueberlieferung wäre,
die so nach allgemeinen Kategorien und bestimmten, immer wieder-
kehrenden Motiven bearbeitet, so sehr das Gepräge des Absichtli-
chen, spät Erfundenen trüge, als eben jene vulgäre annalistische
Tradition der Römer. Von diesen Kategorien ist besonders wichtig
die auch in der älteren Geschichte der Republik für jedes Jahr
durchgeführte Vertheilung verschiedener Provinzen an die bei-
den Consuln. Nun ist neuerdings schon von anderer Seite unter
Hinweis auf Cato frg. 88 Peter, bemerkt worden, daß in
älterer Zeit die Namen der kriegführenden Consuln bei den
kriegerischen Unternehmungen der Römer nicht aufgeführt wor-
den seien?) Diese Beobachtung bringt doch das wirkliche
Sachverhältniß nicht genügend zum Ausdruck; denn das Wich-
tige und Charakteristische ist, daß in der älteren Ueberlieferung
die gemeinsamen Operationen der Consuln als das Regelmäßige
ausdrücklich hervorgehoben werden oder doch die sicher er-
kennbare Grundlage der annalistischen Berichte bilden, während
in der späteren Tradition dieser Thatbestand gerade in sein
Gegentheil verkehrt erscheint. Diese Erkenntniß ist von Bedeu-
tung, weil wir dadurch beurtheilen können, wie diese falsche
Auffassung von der regelmäßigen Vertheilung der consularischen |
Provinzen, selbst hervorgegangen aus einer durchaus unrichtigen
und unhistorischen Anschauung der thatsächlichen Verhältnisse
Roms in jener älteren Periode, ganz besonders beigetragen hat
zur Trübung und Entstellung der annalistischen Ueberlieferung
über die Geschichte der älteren Republik.
62) Besonders charakteristisch ist die Stelle Liv. X 37. 14 f. Fa-
bius ambo consules in Samnio et ad Luceriam res gessisse scribit,
traductumque in Etruriam exercitum — sed ab utro consule, non
adiecit — u. s. w. Vgl. meine Krit. Untersuch. z. Gesch. d. 2.
Samniterkr. S. 747 f.
63) Ed. Meyer N. Rh. Mus. XXXVII S. 613. Niese de annalibus
Romanis observationes S. 3 f.
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 325
Ich glaube, nicht nur für die Geschichte des zweiten Sam-
niterkrieges , für welche wir verhältnißmäßig ausführliche Be-
richte Diodors haben, sondern auch für die frühere Periode nach-
gewiesen zu haben, wie die ganze Gestaltung der vulgüren Tra-
dition durch jene Vorstellung von einer regelmäßigen Theilung
des consularischen Commandos bedingt ist. Hiermit hängt zu-
sammen die Erfindung von Kriegen, um den verschiedenen Con-
suln oder Consulartribunen genügende Beschäftigung zu theil
werden zu lassen, oder es wird anch wohl ein anderer beson-
derer Auftrag für einen der Consuln erfunden. Das Hinein-
ziehen der inneren Gegensätze und Streitigkeiten zeigt sich be-
sonders von der Durchführung der Vorstellung von einer be-
ständigen Trennung consularischer Provinzen abhängig; so nur
wird es möglich, um ein Beispiel anzuführen, die volksthiim-
lichen und volksfreundlichen Quinctier und die Claudier, die
hartgesottenen Gegner der römischen Plebs, wirksam einander
gegeniiberzustellen; die Streitigkeiten zwischen den einzelnen
Beamten , Consuln und namentlich Consulartribunen, ein häufig
wiederkehrendes Motiv, welches gewöhnlich mit der Einsetzung
einer Dictatur endigt, haben zum Theil auch die Verschiedenheit
der Provinzen als Grundlage und Voraussetzung.
Von besonderer Wichtigkeit ist nun aber weiter das Re-
sultat unserer Untersuchung über die consularischen Provinzen
für die Auffassung des Consulates selbst und der damit nahe
verwandten Aemter, des Consulartribunats einerseits, der Dictatur
andererseits. Mommsen hat, wenn er auch im allgemeinen die
Collegialität auch im militärischen Commando als das ursprüng-
. liche Princip anerkannt hat 9*), doch an verschiedenen Stellen
| seines Staatsrechts nicht bloß auf die Thatsache der regelmäßigen
Vertheilung der Provinzen, welche ja früher allgemein galt 55),
hingewiesen, sondern geradezu diese Thatsache, welche die vul-
gäre Ueberlieferung beherrscht, zur Beurtheilung des Wesens
des consularischen Amtes, wie des Consulartribunats und der
Dietatur verwerthet. Auf Grund der Erscheinung, daß „der
Vergleich der cooperirenden Collegen über Theilung der Amts-
geschäfte das ganze römische Militärwesen beherrsche “ 99), spricht
er es als nicht unwahrscheinlich aus, daß die Rücksicht auf die
mehreren und militärisch bis zu einem gewissen Grade unab-
hängig von einander zu führenden Kriege bei der Einführung
64) Róm. Staatsr. I? S. 47.
65) In Bezug auf das Consulartribunat führe ich die Worte Nie-
buhrs an, R. G. II 442: „gewöhnlich wurden 2 Heere aufgestellt, je-
des unter 2 Militärtribunen“; vgl. auch die Untersuchungen von Lo-
ren; und Lange über das Consulartribunat (Zeitschr. f. österr. Gymn.
VI 273 ff.; 873 ff. Lange Kl. Schr. I 1887 S. 235 ff.). )
66) Róm. Staatsr. I? S. 49.
326 J. Kaerst,
der Consularverfassung mit bestimmend gewesen sei9". Be-
treffs des Consulartribunats heißt es 58): „Die Anknüpfung der
consularischen Gewalt an den Militärtribunat ist eine Aushülfs-
maßregel für solche Fälle, wo die Kriegsverhültnisse es wün-
schenswerth machten, mehr als zwei Oberamte aufzustellen, wie
umgekehrt die Dictatur eine Aushülfsmaßregel ist für den Fall,
wo ein einheitliches Obercommando zweckmäßig erscheint. Ob
das Bedürfniß, mehr als zwei Hôchstcommandirende in das Feld
zu senden, gleich bei Einführung der Republik empfunden wor-
den ist oder erst später sich aufgedrüngt hat, vermögen wir
nicht zu entscheiden ; es kann wohl sein, daß der Militürtribunat
mit consularischer Gewalt, wie die Dictatur, von Haus aus in-
tegrirender Bestandtheil der consularischen Verfassung gewesen
ist“. Ferner heißt es in Beziehung auf die Einführung der
dritten consularischen Stelle oder der Prätur 6°): „es wurde da-
mit der ursprüngliche Zweck des Militärtribunats, das in plures
distributum militare imperium auf einem andern Wege und durch
eine ständige Einrichtung erreicht". Ueber die Dictatur füge
ich außer der oben erwähnten noch eine andere Stelle hinzu 7°):
„es erklärt sich ferner daraus der Zweck der Institution; eine
concurrirende höchste Doppelgewalt ist im Frieden und insbe-
sondere für die Rechtspflege möglich ; aber der Krieg erheischt
den einheitlichen Oberbefehl. Daß bei dem ursprünglichen Ver-
fassungsschema den Consuln das militärische höchste Imperium
gemangelt habe und für jeden Krieg ein Dictator habe bestellt
werden müssen, braucht darum noch nicht, der Ueberlieferung
zuwider, angenommen zu werden; es genügt, daß, wie die alte
tralaticische Definition sagt, bei schwerer Kriegsgefahr der Her-
zog eintrat und das Consulat paralysirte“.
Es tritt uns an diesen Stellen der Gegensatz zwischen der
Mommsenschen und Niebuhrschen Auffassung recht deutlich ent-
gegen. Während Niebuhr durch die Kritik der Ueberlieferung
die einzelnen Momente der Verfassung in ihrer geschichtlichen
Entwickelung aufzudecken sucht, die wichtigsten römischen Aemter
nach ihrer Entstehung und Weiterbildung in engen Zusammen-
hang mit der ganzen geschichtlichen Entwicklung, der innern
wie äußeren, bringt?!), erscheinen dieselben nach Mommsen von
vornherein als Bestandtheile oder Ausflüsse eines großen in sich
zusammenhüngenden Systemes, das sich mit zwingender Folge-
richtigkeit in den einzelnen, uns geschichtlich bekannten Insti-
67) Staatsr. I? S. 50.
68) Staatsr. II? S. 173.
69) Staatsr. II? S. 183.
70) Staatsr. II? S. 150.
71) Vgl. auch die allgemeinen, durchaus beachtenswerthen Be-
merkungen von Nitzsch in seiner Recension von Mommsens Röm. Ge-
schichte (N. Jahrbb. f, Phil. Bd. 73 S. 729).
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 327
tutionen ausspricht. So ist die Dictatur nach ihm ein ursprüng-
licher Bestandtheil der militärischen Verfassung der Republik,
und wenn er bezüglich des Consulartribunats auch zugiebt, daß
dasselbe vielleicht erst später entstanden, so war doch auch die-
ses Amt gewissermaßen der Anlage nach in jener ursprünglichen
Verfassung enthalten und trat infolge besonderer Anlässe in die
äußere geschichtliche Erscheinung.
Wir haben nun gesehen, wie jene Auffassung Mommsens,
daß die Rücksicht auf eine militärisch nothwendige 'T'heilung des
Imperium ein .mitbestimmendes und wesentliches Moment in der
consularen Verfassung gewesen sei, in der wirklich alten Ueber-
lieferung, wie wir sie bei Diodor finden, keine Stütze findet, so
sehr die vulgäre Tradition unter dem Einflusse der Anschauung
von einer regelmäßigen Theilung des Imperium steht. Weder
das Bedürfniß des einheitlichen Oberbefehls, noch namentlich die
Nothwendigkeit, mehrere Kriege gleichzeitig neben einander zu
führen, ist danach in der älteren Zeit für die Römer so bestim-
mend gewesen, wie Mommsen es ausspricht, und wie es aller-
dings aus der gewöhnlichen Ueberlieferung hervorgeht; erst in
späterer Zeit, als die römischen Machtverhältnisse durchaus an-
dere geworden waren und die kriegerischen Operationen dieses
Staates eine ganz andere Ausdehnung gewonnen hatten, ist die
Theilung des consularischen Imperium, die gewiß in einzelnen
Fällen auch früher vorgekommen sein wird, zur Regel gewor-
den *?) Ja, selbst in einer Periode, wie die der Samniterkriege
war, wo die Kriege der Römer schon größere Bedeutung und
beträchtlicheren Umfang erlangt hatten, war, wie ich schon frü-
her nachgewiesen habe, die Eintheilung in verschiedene consu-
larische Provinzen noch nicht das Regelmäßige, sondern es waren
die betreffenden .Fälle noch Ausnahmen, durch bestimmte Veran-
lassungen hervorgerufen ; es war damals erst die Zeit des Ueber-
ganges zu dem später ausgebildeten System *?).
Wir fügen nun im Anschluf an die soeben gegebenen Áus-
führungen noch einige Bemerkungen über die hier besonders in
Betracht kommenden Aemter hinzu.
Für das Consulartribunat existirt eine Ueberlieferung, welche
im Wesentlichen als Grundlage der allgemeinen Auffassung bis
72) Vgl. auch die darüber in meinen Krit. Untersuch. z. Gesch.
d. 2. Samniterkr. S. 750 f. enthaltene Ausführung.
73) Es ergiebt sich aus dem oben Bemerkten, wie wichtig auch
für die Beurtheilung der einzelnen Institutionen des rómischen Staate-
wesens eine umfassende Kritik der Ueberlieferung ist. Vgl. auch die
Bemerkung von Nitzsch in der Vorr. z. röm. Annal. S. VII: „umso-
mehr tritt nun aber doch auch zu Tage, daß eben diese innere Me-
thode an vielen und den wichtigsten Punkten mit Thatsachen operirt,
die nur und allein aus den Erzählungen entnommen sind, für deren
Zuverlässigkeit oder Unzuverlüssigkeit wir keine andern Kriterien,
als die der äußeren Kritik haben“.
928 J. Kaerst,
auf Mommsen °) gedient hat, daß durch die Einrichtung dieses
Amtes sich die Plebejer einen Antheil an der hóchsten Gewalt
hütten sichern wollen.
Zwar erscheint die im Allgemeinen von Schwegler und
Nitzsch adoptirte Auffassung Niebuhrs, nach welcher das zweite
Decemvirat, von dem ersten durchaus verschieden, eine Neure-
gelung der höheren Aemter, mit der Tendenz, dieselbe den Ple-
bejern zugänglich zu machen, gewesen sei, so daß dasselbe das
spätere Consulartribunat schon enthalten habe, kaum haltbar,
theils aus allgemeinen Gründen'?), theils, weil dieselbe in der
Ueberlieferung keine genügende Stütze findet, vor allem nicht in
der ültesten und besten Quelle, dem Berichte Diodors über das
Decemvirat. Aber das kann doch nicht bezweifelt werden, daß
die Einrichtung des Consulartribunats mit jener Tendenz, den
Plebejern den Zutritt zu dem höchsten Amte zu verschaffen, in
Zusammenhang steht; es liegt diese Tendenz zu sehr im Cha-
rakter der damaligen inneren römischen Entwickelung; nur so
wird die Einsetzung der Censur als eines besonderen vom Con-
sulate abgezweigten Amtes gerade in jener Zeit verständlich 7®) ;
und vor allem findet diese Auffassung eine wichtige Begründung
in der schon früher angeführten Stelle Diodors: „ww dé xar
&riavzov yivouevwv bmatwy tov uiv Eva ix zv natouxtwv al-
gsiotas xai 10v Eva muviwe &x 100 ninFovs xuFloracIas, 2Eovolag
ovens tQ nue xci Guqorfgovg tove vmürovc 8x tov nÀn dou al-
getsFa:“. Es ist allerdings wohl diese Nachricht, auf die wir
noch zurückkommen werden, von Diodor nicht ganz korrekt wie-
dergegeben, insofern als er von einem wirklich durchgeführten
Beschlusse, die höchste Amtsgewalt zwischen den beiden. Stän-
74) Weniger entschieden als im Staatsrecht spricht sich Mommsen
aus R. pA 4 S. 288; im Sinne der gewóhnlichen Auffassung sogar R.
75) Vgl. Mommsen R. F. I 296.
76) Mommsens im Staatsrechte enthaltene Erörterung stellt al-
lerdings die Einrichtung der Censur nicht in diesen Zusammenhang
hinein, ebensowenig, wie die des Consulartribunats, und läßt keinen
anderen Zusammenhang zwischen der Einführung der Censur und des
Consulartribunats gelten, als den „daß die Unzulänglichkeit von nur
zwei Oberbeamten wahrscheinlich das Motiv gewesen sei, wie für die
Einführung des Consulartribunats, so auch für die der Censur“ Staater.
II? S. 324 Anm. 2. Es kommt hiezu, daß nach seiner, zuerst Röm.
Chron. S.95 f. ausgesprochenen Ansicht die Einsetzung der Censur
erst in das Jahr 435 gehört, eine Ansicht, die mit Recht von de
Boor fasti Censor S. 36 ff. zurückgewiesen ist. Allerdings ist mit der
oben vertretenen Auffassung, daß die Einführung der Censur als eines
besonderen, den Patriciern vorbehaltenen Amtes in Zusammenhang
stehe mit dem Bestreben, den Plebejern Zugang zu der hóchsten
Amtsgewalt zu gewinnen, die Ansicht von der ursprünglich ganz un-
lergeordneten Bedeutung der Censur (res a parva origine orta, Liv.
IV 8, 2) kaum vereinbar.
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 329
den zu theilen, spricht, aber es heißt doch der Flüchtigkeit Dio-
dors zu viel zuschreiben, wenn man in diesen Worten eine Ver-
wechselung mit dem Licinisch-Sextischen Gesetze sieht; es geht
meines Erachtens aus der Stelle hervor, daß unmittelbar nach
dem Sturze der Decemvirn die Tendenz, den Plebejern Antheil
an der höchsten Gewalt zu verschaffen, hervorgetreten ist, eine
Tendenz, welche, wenn auch nur in beschränkter Weise, in der
Einrichtung des Consulartribunats zur Verwirklichung gekom-
men ist.
Schwieriger, als über das Consulartribunat, gestaltet sich
das Urtheil über ein anderes Amt, auf dessen genauere Betrach-
tung wir hier nicht eingehen können, die Dictatur. Doch wer-
den wir wohl die Bedeutung derselben am besten erkennen, wenn
wir sie in Zusammenhang bringen mit der inneren Entwickelung,
mit dem Kampfe der Stände, und in ihr eine Institution sehen,
welche hevorgegangen war aus dem Bedürfniß, in besonderen
Momenten durch Vereinigung der obersten Machtfülle des Staates
in einem Träger des Amtes den Gegensatz im Innern zum
zeitweiligen Ausgleich zu bringen und die gesammten Kräfte des
Staates zur Lösung schwieriger und dringender Aufgaben, na-
mentlich auch bei äußeren Verwickelungen, zusammenzufassen 77).
Es mochte so die Dictatur mehr als ein Amt der Gesammtge-
meinde, und in minderem Grade als Vertretung der ständischen
patricischen Interessen erscheinen, als das Amt der patricischen
Consuln *5). Vor allem würde sich so erklären, warum die Dic-
tatur seit der Zeit der samnitischen Kriege immer mehr ihre
Bedeutung verloren hat. Daß damals das Bedürfniß nach einer
zeitweiligen strengeren Concentration des militärischen Imperium
in geringerem Umfange bestanden habe, kann man wohl nicht
behaupten ; aber die inneren Verhältnisse hatten sich geändert;
der Gegensatz zwischen den beiden Ständen war ausgeglichen;
für das Regiment der neuen patricisch-plebejischen Nobilitüt er-
schien eine solche außerordentliche Zusammenfassung der Amts-
gewalt, wie sie in der Dictatur gegeben war, weder als noth-
wendig noch als zweckmäßig.
Kommen wir nun noch einmal auf den eigentlichen Aus-
gangspunkt unserer Erörterung, die Collegialität in der Krieg-
führung, zurück, so ist dieselbe, wie schon früher hervorgehoben,
77) Damit ist natürlich nicht gesagt, daß die Dictatur in allen
einzelnen Fällen in diesem Sinne zur Anwendung gekommen sein werde.
78) Geistvoll ist die Auffassung von Nitzsch Vorles. üb. róm.
Gesch. herausg. v. Thouret, I S. 55: „Die Geschlechter vertrauten in
bestimmten Zeiten einem einzigen Magistrate die Führung der unte-
ren Stände an zur Aufrechterhaltung des inneren Friedens“. Doch
steht allerdings diese Auffassung im Zusammenhang mit der von
Nitzsch getheilten Ansicht Niebuhrs, daß die Centurien der 5 Classen
eine ausschließliche Vertretung der Plebs gewesen seien.
930 J. Kaerst,
nur sehr allmühlich den gesteigerten Anforderungen der rómi-
schen Kriegführung gewichen; es hat verhältnißmäßig lange ge-
dauert, bis die sich immer weiter ausdehnenden Machtverhältnisse
Roms neue Formen der Kriegführung geschaffen haben. Ihren
ursprünglichen Grund hat die Collegialität in dem militärischen
Imperium gewiß in nichts anderem gehabt, als die Collegialität
in der rómischen Amtsführung überhaupt: in dem Streben, die
republikanische Gleichheit, d. h. für die ültere Zeit den glei-
chen Antheil der altbürgerlichen Geschlechter an der höchsten
Gewalt im Staate zu sichern gegen Versuche, eine dem König-
thum analoge Gewalt wiederherzustellen ""), Daß solche Ten-
denzen in der älteren Geschichte der Republik wiederholt her-
vorgetreten sind oder wenigstens bestimmte Auftritte den Römern
eine derartige Besorgniß nahe gelegt haben, geht gerade wieder
aus den Notizen Diodors hervor; es heiBt da dreimal in we-
sentlich gleichlautender Weise von Sp. Cassius, Sp. Maelius und
M. Manlius: Inogiog dì Kuocios 6 xarà tov noonyouueror êvs-
‚avıov bnarsvoag dosus EnsIEoIu rvgavelds xui xatayywoteic
dvpoé9 n (XI 37, 7) ferner: ini dé rovrwv èv ri) ‘Pwun Znogoc
Matàios àmO£usvog wooreids avnoé9n (XII 37, 1); endlich:
Muoxos Muvisog ÉmBuloueros tregavvtds avngédn. (XV 35, 3).
Schon Mommsen hat nachgewiesen 5), da in diesen kurzen
Diodorischen Notizen wieder die älteste Ueberlieferung enthalten
ist; er hat den Entwickelungsprozeß der Tradition in diesen 3
Fällen genauer dargelegt und gezeigt, wie die den agrarischen
und Schuldverhältnissen einer späteren Zeit entnommenen An-
schauungen sich darin spiegeln. Jene kurzen Berichte Diodors
lassen sich in ihrer wesentlich gleichartigen, von der sonstigen
Tradition so abweichenden Form nicht etwa als Niederschlag
einer späteren entwickelteren Ueberlieferung, als kurzgefaßte
Summa derselben, — wobei man noch an die zusammendrän-
79) Herzog (Römische Staatsverfassung I S. 127) sagt: „es wider-
streitet... . dem in der Intercession klar ausgesprochenen Wesen
der römischen Kollegialität, wenn man geschichtliche Motivirung die- |
ser Einrichtung sucht und nicht vielmehr anerkennt, daß das darin
aufgestellte Prinzip . . . . . ein neuer eigenthümlicher politischer Ge-
danke war“ u.s. w. Aber dadurch ist doch nicht ausgeschlossen, daß
wir für diesen eigenthümlichen politischen Gedanken eine historische
Begründung suchen und ihn in Zusammenhang mit der geschichtlichen
Entwickelung oder besondern geschichtlichen Verhältnissen bringen, um
so ein historisch besseres Verständniß für denselben zu gewinnen.
Namentlich durch die Wandlung, welehe gegenüber dem Königthum,
dem doch jedes Moment der Dyarchie fremd ist, in der Einrichtung
des Consulats liegt, wird eine solche geschichtliche Motivirung nahe
gelegt. Die Analogie, welche v. Wilamowitz Phil. Unters. VII S.
279 Anm. 15 zwischen dem spartanischen Doppelkónigthum und dem
Consulat aufstellt, ist wohl kaum zutreffend.
80) R. F. II S. 153 ff.
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 331
gende Thätigkeit des Epitomators denken móchte9') —, auffas-
sen; man wird gewiß in der Schlußfolgerung nicht zu weit ge-
hen, wenn man hierin den „historischen Kern“ sucht, an den
sich die spätere Ueberlieferung angesetzt hat; dasjenige, worin
wir bei der gewöhnlichen Tradition die Fiction und tendenziöse
Fälschung erkennen, fehlt diesen Notizen durchaus. Wenn Momm-
sen die Erzählung über Sp. Maelius von den beiden anderen
sondert, insofern als sie „allem Anschein nach nicht bloß von
quasihistorischer Fabulirung überwuchert, sondern selbst eine
relativ späte Fabel sei“ 5"), so spricht gegen eine solche Sonde-
rung, wie mir scheint, die Thatsache, daß die Diodorische Notiz
von Sp. Maelius den Berichten über Cassius und Manlius ganz
gleichartig ist 5?) und Mommsens verwerfendes Urtheil ist doch,
so sehr er den Bericht Diodors als ältere Ueberlieferung aner-
kennt, hauptsächlich auf die spätere Tradition gegründet 84).
Zu ähnlichen Erwägungen, wie die Notizen über Cassius,
Manlius und Maelius, giebt die allerdings viel ausgeführtere Er-
zihlung Diodors über das Decemvirat °°) Anlaß. Gemeinsam
ist dieser Erzählung mit der vulgüren Ueberlieferung, daß der
Sturz des Decemvirats dargestellt wird als Folge der auf die
Alleinherrschaft gerichteten Bestrebungen der Decemvirn. Und
es ist auch an sich gar nicht unwahrscheinlich, daß in einer
Gewalt, wie dem Decemvirat, welche, in ähnlicher Weise wie
die griechische Aesymnetie, zunächst gewiß nicht im Interesse des
herrschenden Standes eingesetzt war, aber doch über der Ver-
fassung stand, Tendenz und Anlaß sich ausgebildet haben, dau-
81) Ueberhaupt gebt man ja meistentheils in dieser Annahme
von der Thätigkeit des Epitomators zu weit, indem man zu wenig
die Berichte Diodors für sich ansieht, sondern sie immer im Hinblick
auf die andere Ueberlieferung betrachtet.
82) R. F. II 215.
83) Auch scheinen die topographischen Momente, welche Momm-
sen R. F. II 217 als einzige reale Anlehnungen der Erzáhlung ver-
muthet, die Sáule mit der Statue eines Minucius vor der Porta Tri-
gemina, andererseits der freie Platz Aequimelium unterhalb des Ca-
pitols, doch kaum genügende Anhaltspunkte zu sein, um aus ihnen,
ohne daß schon irgend eine Grundlage dafür vorhanden war, die
ganze Erzählung von Maelius herausgesponnen sein zu lassen.
84) Allerdings kann man zugestehn, daB gegen den Bericht über
Sp. Maelius sich größere Bedenken geltend machen lassen, als gegen
den über Cassius; indessen, wenn Mommsen R. F. II 215 sagt: „ein
nach der Königskrone greifender plebejischer Mann ist für diese
Epoche eine Anomalie, die selbst als Fiction ni:ht in sehr frühe Zeit
hinaufreichen kann", so ist doch dem entgegenzuhalten, daß wir zu
wenig Genaueres über die inneren Verhältnisse Roms zu jener Zeit,
über die Person des Maelius u. s. w. wissen, um ein solches Urtheil
mit solcher Bestimmtheit abgeben zu können; wir werden uns eben
noch mehr mit unserer Auffassung derartigen Ueberlieferungen anbe-
quemen müssen.
85) Diod. XII 24 f.
332 J. Kaerst,
ernd eine ungesetzliche, der Tyrannis ähnliche Gewalt festzu-
halten 85). Die folgenden Maßregeln, namentlich die unter schar-
fen Bestimmungen erfolgende Herstellung des Tribunats, und
die Bestrebungen der Plebejer, Antheil an der höchsten Gewalt
zu bekommen, lassen sich sehr wohl mit einer derartigen Ent-
wickelung in Zusammenhang bringen. Wie die Tyrannis der
Peisistratiden in gewissem Sinne die Grundlage für die auf der
Basis der Kleisthenischen Verfassung erwachsene attische Demo-
kratie bildet, so dürfen wir wohl auch das Decemvirat und die
mit seiner Beseitigung verknüpften Maßregeln als ein bedeut-
sames Entwickelungsmoment für die innere römische Geschichte,
namentlich für die sich immer mehr anbahnende allmähliche
Verschmelzung der beiden Stände ansehen. Das verwerfende
Urtheil neuerer Forscher über die gesammte Ueberlieferung vom
Ende des Decemvirats, welches sich besonders auch auf Wider-
sprüche in der Erzählung selbst stützt"), ist doch wiederum
namentlich der späteren übertreibenden und ausmalenden Tra-
dition entnommen 88).
Man wird den Worten Diodors (XII 25, 2): wore déxa
atostotar Inunroyovs usy(Grac Eyovrag EEovolus 1wv xarà mods
aogoviwv entnehmen können, daß die damalige Erneuerung des
Tribunats einen wichtigen Schritt zur Entfaltung größerer Be-
deutung und Machtvollkommenheit desselben darstellte. Wäh-
rend die Einsetzung des Volkstribunats vorher, wenn auch in
gewissem Grade von den Patriciern anerkannt, doch im We-
sentlichen ein einseitiger unter den feierlichsten religiösen For-
men erfolgter Act der corporativen Selbsthülfe der Plebs war,
so gewannen die Volkstribunen als Vertreter der Plebs jetzt
wohl zugleich eine allgemeinere Anerkennung für die Gesammt-
gemeinde 5) Die Entwickelung, welche das Volkstribunat nun
86) Ich bemerke dies namentlich mit Bezug auf die Kritik von
Mommsen R. G. IS 8. 284; Ihne R. G. I 264 ff.
87) Vgl. Mommsen R. F. I 298; Ihne R. G. a. a. O.
88) Uebrigens ist der Zug, daß Appius Claudius sich zuletzt be-
sonders auf die juniores gestützt habe, schon in der älteren Ueber-
lieferung vorhanden (vgl. Diod. XII 25, 1: evvZyo»v noÀio)g tu» véwr)
ist also nicht erst, wie Mommsen meint, später, um das bekannte
volksfeindliche Claudierbild herzustellen, in die Erzählung der älteren
Chroniken (vgl. R. F. I S. 299) hineingetragen. Andererseits dient
diese Stelle Diodors dazu die Ansicht von Nitzsch zu widerlegen (R.
Annal. S. 176 ff.), daß die Gegenüberstellung der jüngeren und äl-
teren Nobilitát erst in der Sullanischen Zeit entstanden sei, wenn
gleich natürlich zugestanden werden soll, daß die Ausmalung dieses
Gegensatzes im Einzelnen erst dieser Periode der römischen Anna-
listik verdankt werden mag.
89) Es stimmt hierzu ganz wohl, wenn infolge der Bestimmung
im Zwülftafelgesetz, da$ die Verhandlungen des Capitalprozesses nur
vor dem comitiatus maximus geführt werden sollten, die Volkstri-
bunen jetzt auch die Befugniß der Anklage vor den Centuriatcomitien
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 333
auf Grund des von Diodor erwähnten Uabereinkommens genom-
men, die bedeutende Stellung, die es namentlich infolge der
groBen Ausdehnung der Intercession immer mehr gewonnen,
konnten wohl in einer zusammenfassenden Bemerkung den Aus-
druck rechtfertigen, welchen Diodor hier gebraucht: weyiozag
Eyovtac EEovolag rv xara nov doyoviwy 9°).
Auf die eigenthümliche Nachricht Diodors von einer über
die Consulwahl getroffenen Vereinbarung zwischen den beiden
Stánden ist schon in anderem Zusammenhange hingewiesen wor-
den. Diese Nachricht, wenn auch wohl nicht ganz genau von
Diodor wiedergegeben, ist von Werth insofern, als sie die Auf-
fassung der für uns ältesten Quelle wiedergiebt, welche die Be-
strebungen der Plebs, Zugang zum höchsten Amte zu gewinnen,
in Zusammenhang brachte mit dem Abschluf des Decemyirats 91),
bekamen. Wenn wir die Diodorische Notiz: wore déxa aipsioSa: dy
pMéoyovc an und für sich betrachten, unabhängig von der sonstigen
Ueberlieferung, so liegt der Schluß nahe, daß damals zuerst die Zehn-
zahl der Tribunen anstatt der vorher nach Diodors Erwühnung be-
stehenden Vierzahl eingeführt worden sei.
90) Mommsen R. Staatsr. I° S. 26 Anm. 2 hält diesen Ausdruck
für eine staatsrechtlich gültige Bezeichnung für die maior potestas
der Volkstribunen. Vgl. Staatsr. II? S. 289: „indem also die tribu-
nicische Gewalt zu legaler Anerkennung gelangte, ward sie sofort die
höchste im Staate, indem sie keiner andern, und jede andere ihr
weicht‘ ; vgl. ebenda, Anm. 4. Man wird doch, eingedenk des eigen-
artigen Wesens der tribunicischen Gewalt, die außerordentliche Stel-
lung, die sie im römischen Staatswesen einnahm, nicht aus einer
höchsten Steigerung des Begriffes der (magistratischen) potestas ab-
leiten dürfen, sondern aus dem geschichtlichen Ursprung und der
exceptionellen Bedeutung des Tribunats als Vertreter der Plebs; mit
diesem Charakter ist es m. E. nicht vereinbar, die spätere Prohibitiv-
gewalt der Tribunen in vollem Umfange schon in der ursprünglichen
Intercessionsbefugni8 derselben vorauszusetzen (Mommsen Staatsr. II?
S. 280), und man wird nicht einzelne geschichtliche Fälle einer au-
Berordentlichen Geltendmachung und Ausnutzung der Stellung der
Volkstribunen zu einer staatsrechtlichen Regel und Lehre verdichten
dürfen. — Wenn E. Meyer a. a. O. S. 625 meint, der Ausdruck Dio-
dors, déxa aipeia9es dyutoyous usyiotas Èyovtas èEovoias tV xata nólw
coyovtwy, besage nichts anderes, als das angebliche Valerisch-Hora-
tische Gesetz, ut quod tributim plebis tusstseet, populum teneret, indem
hierdurch das Tribunat „das mächtigste der städtischen Aemter werde“,
so scheint mir diese Auslegung zu eng und bestimmt zu sein, und
jedenfalls, wie in der obigen Erörterung darzulegen versucht worden
ist, nicht durch die Worte Diodors gefordert. E. Meyer zieht aus
seiner Auslegung der Diodorischen Stelle den Schluß, daß dadurch
die Stellung bezeichnet werde, welche die Volkstribunen zur Zeit der
punischen Kriege gehabt haben.
91) Man könnte dabei immerhin annehmen, daß mit den Worten:
EEovaias ovons tw djuw xai augotéoovs rotg vnatovs ix 100 nÀg9ovg ai-
0s09as die später bestehenden Verhältnisse in das zwischen den bei-
den Ständen abgeschlossene Uebereinkommen hineingetragen wor-
den seien.
934 J. Kaerst,
Eine solche Auffassung hat auch aus allgemeinen Grtinden Wahr-
scheinlichkeit für sich; denn die Annahme liegt nahe, daß die
Einsetzung des Consulartribunats als Resultat eines Ausgleichs
anzusehen sei, welcher auf Grund weitergehender Anträge und
Forderungen der Plebs erfolgte *?).
Mommsen hat in seinem Staatsrecht die Ansicht aufgestellt,
„die oft erwogene und nie verstandene Erzählung vom Sturze
der Decemvirn habe keinen andern Zweck, als paradigmatisch
zu zeigen, daf) das für einen bestimmten Zweck in's Leben ge-
rufene Amt seine natürliche Grenze nicht an einem bestimmten
Kalendertag finde, sondern an der Erfüllung des Zweckes, vor
allem aber, daß das über der Verfassung stehende Oberamt sei-
nem Wesen nach überhaupt nicht, also auch nicht durch die
ihm gesteckte Zeitgrenze gebunden werden kónne, und daf es
gegen den legalisirten Absolutismus schließlich keine andere
Hülfe gebe, als die illegale Selbsthülfe der Einzelnen“.
Ich glaube, daß hier, wie anderwärts, das geschichtliche
Material, wie es sich gerade bei Diodor findet, zu spröde ist,
um sich in die juristischen Constructionen des römischen staats-
rechtlichen Katechismus auflösen zu lassen; wenn in den ausge-
führteren Debatten der späteren Tradition eine derartige Ten-
denz hervortritt, so beweist dies nichts für den älteren Theil
der Ueberlieferung. Neben der unserer gesammten Tradition ge-
92) Ed. Meyer, der mit vollem Rechte die oben besprochenen
Nachrichten Diodors nicht nach der sonstigen Ueberlieferung beur-
theilt, sondern sie in ibrer Bedeutung für sich nimmt, meint, die von
diesem Autor erwähnte Bestimmung über die Consulwahl sei eine
verfassungsgeschichtliche Fiction mit dem Zwecke, die Grundsätze des
zur Zeit des Verfassers der Diodorischen Notizen (ungefähr 150 v.C.)
bestehenden Staatsrechts auf ein nach dem Sturze der Decemvirn ge-
schlossenes Compromiß zurückzuführen. Indessen, wenn man auch
die Zuverlässigkeit gerade der verfassungsgeschichtlichen römischen
Ueberlieferung nicht hoch anschlagen darf, so dürfte doch die An-
nahme zu weit gehen, daß man in der Zeit, in welcher der Autor der
Diodorischen Nachrichten seine Annalen verfaßt, keine Kenntniß ge-
babt haben sollte von dem wichtigen Abschnitte, der durch das Sex-
tische Consulat i. J. 366 bezeichnet ist, und daß erst spätere Bear-
beiter der Tradition auf Grund jenes ersten in den Fasten sich fin-
denden plebejischen Consulats jene Bestimmung vom J. 449 über die
Consulwahl gestrichen und so gewissermaßen erst der Epoche des
Sextischen Consulats zu ihrer Bedeutung in der Ueberlieferung der
römischen Verfassungsentwickelung verholfen hätten. Sollte die That-
sache, daß bis zum J. 366 entweder nur Consulartribunen oder pa-
tricische Consuln gewesen seien, unbekannt gewesen oder mit dieser
Tbatsache die Annabme, daß die Beseitigung des Ständekampfes im
Wesentlichen schon nach dem Sturze der Decemvirn herbeigeführt
worden sei, als vereinbar erschienen sein? Die Ansicht A. Schaefers
N. Jahrbb. f. Phil. 1876. 118, S. 574 f£, daß schon in der Zeit von
502— 486 a. C. und 458—445 a. C. plebejische Consuln vorgekommen
seien, scheint mir nicht genügend begründet und auch innerlich nicht
wahrscheinlich zu sein.
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 335
meinsamen Sage von der Verginia, die aber bei Diodor noch
nicht genannt ist, finden sich bei Diodor durchaus eigenthüm-
liche Notizen, die wir in ihrer Bedeutung hervorzuheben ver-
sucht haben **),
Zu den im Vorhergehenden besprochenen Stellen Diodors
füge ich noch eine andere hinzu, welche auch einige Wichtigkeit
hat wegen der Folgerungen, welche sich aus ihr machen lassen
gegenüber neueren Ansichten von dem Wesen und der Bedeu-
tung der ülteren rómischen Tradition. Diodor giebt über die Ka-
tastrophe an der Cremera eine durchaus eigenthümliche Ueberlie-
ferung wieder, welche schon oben kurz erwühnt worden ist. Die
Stelle lautet (XI 53, 6) xara de rv “Iradluv "Pwuuloss mpoc
Oineriavovg èrotuvios noléuov utyoÀg mayn OGurforn megi Tiv
ovonutoptro» Korut£gav: wv dé "Pwuulwv nrinféviwr ovvífn noà-
Mods abr» neoeiv, GG (wv liest Dindorf) quot nvtc 10v ovy-
reugéwr xoi ro); Daßlovg rovc tguuxoc(ov; Guyyereig alAgiwy
Ovtuç. Daraus geht jedenfalls hervor, daß bei dem von Diodor
ausgeschriebenen Annalisten diese Katastrophe der Fabier einen
Theil einer allgemeinen römischen Niederlage gebildet habe %).
Wenn nun Mommsen ?**) die Meinung aufstellt, daß die Fabiersage
den Zweck und den Werth gehabt habe, die Unzweckmäßigkeit .
des bellum privatum exemplifikatorisch darzustellen, so wird die-
ser Ansicht der Boden dadurch entzogen, daß es, wie Diodors
Notiz beweist, eine alte Ueberlieferung ®) gab, in welcher die-
93) Wenn E. Meyer a. a. O. S. 618 meint, daß die zweite Se-
cession nur eine Copie der ersten sei, so vermag ich, wie aus der
oben gegebenen Erórterung hervorgehen wird, dieser Ansicht nicht
beizustimmen. Mindestens würde man mit demselben Rechte umge-
kehrt schließen und die Vermuthung äufstellen können, daß, wenn die
Herstellung des Tribunats nach dem Decemvirat auf Grund einer Se-
cession erfolgt war, man auch die erste Einsetzung desselben mit ei-
ner derartigen Auswanderung der Plebs in Verbindung gebracht habe.
Ich möchte deßhalb nicht die Ueberlieferuug von der ersten secessio
plebis ganz auf Erfindung zurückführen; als Grundlage für die eigent-
liche selbstándige Constituirung der Plebs hat eine Secession an sich
etwas Wahrscheinliches. Vgl. auch Mommsen R. Staatsr. III 1 S. 144
Anm. 1: ,DaB die Plebs vor dem Zwölftafelrecht bestanden hat, ist
sicher genug, und ihre und ihrer Tribunen-Constituirung auf dem heili-
gen Berg, schwach historisirt und energisch localisirt, wie sie auftritt,
gehört, wie die ursprüngliche Königsherrschaft, zu den Ereignissen,
welche weniger durch Erzühlungen, als durch die Institution selbst
sich im Gedächtniß der folgenden Geschlechter behaupteten'*.
94) Wenn wir die Stelle Diodors für sich, ohne Rücksicht auf
die andere Ueberlieferung , betrachten , so dürfen wir wohl nicht be-
zweifeln, daß die Worte: ws qaoi nvsg t)» cvyyoagiwr, zur Einfüh-
rung der Notiz über die Katastrophe der 300 Fabier dienen sollen.
Dies ist offenbar das Besondere, was hervorgehoben werden soll, wo-
für Diodor, ganz seinem sonstigen Gebrauche entsprechend, ausdrück-
lich auf die von ihm vorgefundene Ueberlieferung hinweist.
94a) R. F. II 255.
95) Auch in der vulgáren Ueberlieferung ist, wie wir gesehen ha-
336 Ä J. Kaerst,
ses bellum privatum oder die conjuratio gar keine Rolle spielt;
wir können also dieses Motiv, welches in der von Diodor über-
lieferten Fassung der Erzählung gar nicht vorhanden ist, nicht
für ein ursprüngliches und bestimmendes für die Fabiersage hal-
ten °°). Es ergiebt sich also auch hieraus wieder, daß gerade
manche ältere Stücke unserer Ueberlieferung keine rechte Grund-
lage geben für die Ableitung der Tradition aus der Tendenz,
gewisse staatsrechtliche Regeln und Anschauungen durch ein-
zelne ,quasihistorische* Beispiele zu veranschaulichen ?").
Fassen wir jetzt am Schlusse unserer Untersuchung das
Resultat derselben noch einmal kurz zusammen. Wir haben in
Bezug auf eine besonders wichtige und weitgreifende Frage, die-
jenige nach der Vertheilung der consularischen Provinzen in der
älteren Zeit, gesehen, daß das Bild, welches uns hiervon die
Diodorischen Annalen gewähren, ein gänzlich verschiedenes ist
von demjenigen, welches sich aus der herrschenden Tradition
ergiebt, und es haben sich uns bei einer zunächst durch jene
Frage veranlaßten zusammenfassenden Betrachtung eben diese
Nachrichten Diodors, nächst den wenigen Notizen des Polybius,
als die sicherste wissenschaftliche Grundlage für die Reconstruc-
tion der wichtigsten Ereignisse der älteren römischen Geschichte
überhaupt herausgestellt. Gewiß wird der Grund, auf den wir
für unsere Kenntuiß der älteren Periode des römischen Staates
gestellt sind, so ein sehr beschränkter, aber er gewinnt an Fe-
ben, noch die Spur einer älteren Tradition von einer Niederlage vor-
handen.
96) Auch Mommsen erkennt dies allerdings in gewissem Grade
an; aber die Art, wie er, S. 256 f. die Diodorische Notiz zu erklären
versucht , hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich und erweist sich m.
E. als ein Versuch, mit dieser Nachricht, welche zu dem eigentlichen
Gange seiner Deduction nicht recht paßt, sich einigermaßen abzu-
finden.
97) O. Richter Hermes XVII S. 437 sieht in dem Fabierzuge den
heldenmüthig unternommenen Versuch, durch die Anlage eines festen
Kastells am unteren Kremera die für Rom verhängnißvolle Verbindung
zwischen Veji und Fidenae zu sprengen‘‘. Indessen gewinnt er dies
Resultat seiner Untersuchung, indem er bei nicht genügender Würdi-
gung der Nachrichten Diodors überhaupt die hier vorliegende Dio-
dorische Notiz als eine durchaus vereinzelte und durch den Zusatz:
WS qaci tives Twy ovyypagéwy schlecht empfohlene Angabe beiseite
schiebt. ,,Die Nachricht gehört schwerlich einer verschiedenen Ueber-
lieferung an, sondern läßt bei der bekannten Art Diodors......
auf flüchtige und ungeschickte Zusammenstreichung seiner Vorlage
schließen. Ausgeschlossen ist freilich nicht, daß Diodor hier eine be-
sondere Quelle benutzt hat, die dann aber nach seinem eigenen Zeug-
nisse nicht Fabius sein kann, also bei dem zweifellos Fabischen Cha-
rakter der gewóhnlichen Fassung dieser gegenüber nicht in Betracht
kommt (!)'". Es ist diese Beurtheilung unserer Stelle wieder ein Zei-
chen für das noch immer vielfach den Diodorischen Nachrichten ge-
genüber zur Anwendung gebrachte eklektische Verfahren.
Die römischen Nachrichten, Diodors u. s. w. 337
stigkeit und Sicherheit, und es liegt dies gerade im Interesse
einer wahrhaft erhaltenden und aufbauenden Kritik. Damit soll
nicht etwa die gewöhnliche Ueberlieferung in Bausch und Bo-
gen verworfen werden; es würde dies eine sehr einseitige und
mechanische Anwendung eines an sich berechtigten kritischen
Princips sein; es soll auch nicht geleugnet werden, daß die
Nachrichten Diodors die von ihm benutzten Annalen mehrfach
in verkürzter Gestalt wiedergeben mögen; aber andererseits ist
doch hervorzuheben, daß öfters die angebliche Lückenhaftigkeit
und Ungleichmäßigkeit der Diodorischen Annalen, der Mangel
an Zusammenhang in denselben nur so erscheinen, weil zu sehr
der Maßstab der anderen Ueberlieferung angelegt, das aus ihr
gewonnene Bild an dieselben herangebracht wird, und daß jener
Vorwurf eigentlich überhaupt auf die älteren Annalen selbst zu-
rückfallen müßte. Von dem Fundamente jener mit Sicherheit
so zu bezeichnenden älteren Ueberlieferung aus werden wir auch
eine festere Stellung gegenüber der vulgären, namentlich Li-
vianischen, Tradition, in der ja auch ältere Bestandtheile sich
finden 9), gewinnen, einen sichereren Maßstab zur Beurtheilung
derselben erhalten.
Mommsen hat mit genialem Scharfsinn aus den späteren
genauer bekannten römischen Institutionen die frühere Gestalt
derselben gedeutet, auf einem Wege, auf dem ihm in gewissem
Sinne schon Rubino vorangegangen war; die großartigen Re-
sultate dieser Mommsenschen Forschung liegen klar vor Augen.
Aber es gilt doch auch — vielleicht mehr, als dies im allge-
meinen durch die Forschung auf dem Gebiete der römischen
Geschichte geschehen — wieder an Niebuhr anzuknüpfen, auf die
von diesem gestellten Aufgaben zurückzugreifen und vor allem
aus einer möglichst klaren Anschauung der Entwickelung der
römischen Ueberlieferung den ältesten Bestand derselben zu er-
schließen °°) und auf diesem Grunde die ältere römische Ge-
schichte in ihrer äußeren, wie inneren Entwickelung aufzubauen,
wenn auch die Untersuchung sich jetzt mehr bescheiden und
mit einem seit Niebuhr wesentlich beschränkten Material, — so-
weit dies durch die geschichtliche Tradition gegeben ist —,
wird begnügen müssen. Nitzsch hat es an richtigem Blicke für
die Aufgaben der Forschung nicht gefehlt, nur hat er insofern
einen falschen Weg eingeschlagen, als er die vulgäre Ueberlie-
98) Vgl. die von Nissen schon in der Abhandlung über die róm.-
karth. Bündnisse (Jahrbb. f. Phil. 95 S. 322) gemachten Bemerkungen.
99) Hierzu gehören ja auch die ursprünglichen sagenhaften Ueber-
lieferungen, sofern sie auch einen wesentlichen und werthvollen Be-
standtheil des geschichtlichen Lebens des Volkes bilden, uns ein Bild
von seinen Anschauungen in einer sonst geschichtlich noch weniger
feststehenden Zeit gewähren; vgl. u. a. die treffenden Bemerkungen
Ranke's, Weltgeschichte II 1, 78 ff.
Philologus. N. F. Bd. II, 2. 29
e
338 J. Kaerst,
ferung zum Theil überschätzt und unmittelbar aus ihr heraus
die älteste Ueberlieferung, insonderheit die Fabische, in großem
Umfange meinte herausschälen zu können. Auch die von Nie-
buhr gestellte Aufgabe, die äußere und innere Geschichte in ih-
rer Wechselwirkung zu begreifen, beide in Beziehung zu ein-
ander zu bringen, namentlich auch die Institutionen in ihrer
lebendigen Entfaltung im Zusammenhange mit der gesammten
geschichtlichen Entwicklung zu erfassen, bleibt der heutigen
Forschung; wenn dies heutzutage nicht mehr in dem umfassen-
den Sinne möglich ist, in dem noch der große Begründer un-
serer neueren historischen Wissenschaft die Rekonstruktion der
älteren römischen Geschichte glaubte durchführen zu können, so
müssen wir uns eben der Lücke, die dadurch in unserem Ver-
ständniß auch der Institutionen selbst entsteht, bewußt werden,
und je mehr vor den historischen Gesichtspunkten die rein an-
tiquarisch-philologischen zurücktreten, um so klarer werden wir
in dieser Hinsicht sowohl die Aufgaben der Untersuchung als
die Lücken unserer Erkenntniß erfassen.
Nachtrag.
Durch die ebenso sorgfältige, wie scharfsinnige Untersuchung
von Cichorius de fastis consularibus antiquissimis (Leipziger Stu-
dien IX S. 173 ff) ist es wahrscheinlich gemacht worden, daß
die Capitolinischen Magistratstafeln auf ein durch Contamination
zweier Fastenrecensionen entstandenes schriftstellerisches Werk
zurückgehen (wie Cichorius — in Bezug auf den Autor dieses
Werkes in Uebereinstimmung mit Matzat R. Chron. I S. 359
Anm. 2 — vermuthet, den liber annalis des Atticus), und daß
somit der Werth der Capitolinischen Fasten ein weit geringerer
sei, als bisher meistens angenommen worden ist. Es zeigt sich
hierbei, wie gering auch die äußere Autorität der Triumphal-
fasten ist, welche uns aus inneren Gründen zu vielen Zweifeln
Anlaß gegeben, und deren Uebereinstimmung mit der späteren,
geringwerthigen Ueberlieferung wir öfters betont haben. Cicho-
rius hat auch auf die merkwürdige Erscheinung hingewiesen,
daß in den Fasten Diodors bis zum Jahre 327 a. u. (427 a, C.)
sich Cognomina finden, während dieselben in der eigentlichen
Geschichtserzihlung und in den Fasten vom J. 327 a. u. bis
452 (302 a. C.) mit wenigen Ansnahmen fehlen. Er nimmt an,
daß Diodor zuerst ein besonderes Fastenwerk benutzt, dann aber
die Namen der eponymen Consuln den von ihm benutzten An-
nalen entnommen habe. Jedenfalls geht aus dem Angeführten,
wie mir scheint, hervor, daß es sehr schwierig und mißlich ist,
gerade aus den Fasten Diodors Schlüsse auf die von ihm be-
nutzte Quelle zu ziehen, wie ich auch die von Ed. Meyer aus
den in den Fasten vorkommenden Namensformen gemachten
Schlußfolgerungen nicht für beweiskräftig anzusehen vermag.
Die rómischen Nachrichten Diodors u. s. w. 339
Nach Vollendung vorliegender Arbeit erst sind die Abhand-
lungen von Klimke, über den zweiten Samniterkrieg, Königs-
hütte 1882, und von Burger de bello cum Samnitibus secundo,
Harlem 1884, mir zu Gesicht gekommen. Es würde zu weit
führen, auf die namentlich in der zweiten Abhandlung einge-
hend behandelten Fragen, welche die Geschichte des zweiten
Samniterkrieges betreffen, hier noch genauer einzugehen, zumal
da die für die vorliegende Untersuchung aus einer kritischen
Erörterung der Tradition über jenen Krieg gewonnene Grund-
lage dadurch durchaus nicht verändert werden würde *).
*) Diese Arbeit war längst in den Händen der Redaktion, als
B. Niese’s Abriß der römischen Geschichte in dem von [wan Müller
herausgegebenen Handbuch der klassischen Alterthumswissenschaft in
meine Hände kam; bei aller Kürze der Ausführung ist als besonders
verdienstlich an demselben hervorzuheben, daß Niese für den hier in
Betracht kommenden Abschnitt der römischen Geschichte seine Dar-
stellung in methodischer Weise ganz wesentlich auf die Nachrichten
Diodors stützt, in Bezug hierauf, wie es scheint, in principieller Ue-
bereinstimmung mit der in vorliegender Abhandlung enthaltenen Dar-
legung. Ich hoffe aber doch, daß dadurch meine Untersuchung nicht
überflüssig gemacht worden ist.
Gotha. J. Kaerst.
Zu Livius.
VII 33, 16 Samnites, cum quaereretur, quaenam prima causa
tam obstinatos movisset in fugam, oculos sibi Romanorum ardere visos
aiebant. Scharfe Betrachtung der Stelle bestätigt den nahe lie-
genden Verdacht, daß in fugam späterer Zusatz sei, der entweder
aus $ 15 entlehnt wurde oder als Rest einer zu movisset gehö-
rigen Glosse vertisset in fugam blieb, welche z. B. im Texte von
Th. Hearne’s Oxon. C das Echte verdrängt hat. Gefragt war
nach der ersten Ursache, die den hartnäckigen Widerstand ins
Wanken brachte. Die Antwort: oculos sibi Romanorum ardere
visos entspricht der Erzählung $ 14: Romani . . accensi ira con-
citant se in hostem. Die erste Wirkung war hier noch nicht fuga
(tergà vertere), sondern zunächst nur terror ($ 17), Zurückweichen,
Hinneigenzur Flucht: referri pedem atque inclinari rem
in fugam apparuit. Erst im zweiten Moment erfolgte die
Flucht, auf welcher die Samniter ohne Gegenwehr gefangen und
getödtet werden konnten: tum capi, occidi Samnis. Aehnlichen
Verlauf schildert Livius VI 13, 3: rupti inde multis locis ordines
motaque omnia et fluctuanti similis acies erat. dein, postquam caden-
libus primis iam ad se quisque perventuram caedem cernebat, terga
vertunt. Wie hier motaque omnia, so wird an der fraglichen Stelle
movisset richtiger ohne den Zusatz in fugam stehen. Vgl. auch
IV 28, 6 moverunt victorem.
Würzburg. A. Eufiner.
22 *
XIX.
Die Arbeiten über die Tragüdien des L. Annaeus Se-
neca in den letzten Jahrzehnten.
Mit goldenen Buchstaben ist in der Geschichte der Seneca-
Forschung der Name J ohann Friedrich Gronov verzeich-
net. Er war es, der mit scharfem Blicke einer von ihm 1640
in Florenz gefundenen Handschrift der Tragödien, — cod. Flo-
rentinus oder Etruscus, nach ihm gewöhnlich E genannt — bei
weitem den Vorzug über die vor ihm veröffentlichte Textrecension
geben zu müssen glaubte. Seine auf E beruhende Ausgabe der
Tragödien (1661; eine zweite 1682), die einen ganz bedeutenden
Fortschritt gegenüber den auf dem Texte der Aldina (1517) be-
ruhenden Ausgaben von Delrio (1576 und 1594), Lipsius
(1588) u. a. bezeichnet, ist epochemachend gewesen. — Ueber
dies von allen Seiten in vollstem Maße gewürdigte Verdienst
Gronovs, — das übrigens durch Leos erneute Forschungen eine
gewisse Einschrünkung erfahren hat, da sich ergab, daß an einer
stattlichen Reihe von Stellen Gronov seine eigenen Konjekturen
für LA von E ausgegeben hat (vgl. darüber unten 8.844), — ist
lange Zeit den scharfsinnigen Konjekturen und Bemerkungen
des Nicolaus Heinsius die gebührende Anerkennung in
ihrem vollen Umfange versagt worden. Erst Leo hat sie ge-
wissenhaft benutzt, und ein Blick in dessen Ausgabe belehrt
uns über die große Zahl der Stellen, an denen Heinsius’ bes-
sernde Hand schon das Richtige getroffen hat, — Wer in Se-
necas Tragödien arbeiten will, wird also auch heute noch nicht
die Bemerkungen Gronovs und Heinsius! entbehren können. An
sich bedeutungslos wird die Ausgabe von J. C. Schröder
(cum notis variorum , Delphis 1728) doch nützlich sein können
| ss nt
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 341
durch ihren index novus verborum et locutionum, der natürlich auf
Vollstándigkeit keinen Anspruch erheben kann. —
Habrucker hat schon in seinen quaestiones Annaeanae
(Nr. 2), S. 1 f. eine Uebersicht über die Geschichte der Seneca-
Forschung in ihren Hauptmomenten gegeben. Er nimmt drei
Abschnitte an, die durch die Namen Gronov und B. Sehmidt
bezeichnet werden; wir haben einen 4ten Abschnitt, mit Leo
beginnend, hinzuzufügen. Aus dem bei Habrucker Ausgeführten
ergiebt sich, daß ein Bericht über die Forschungen derletzten
Jahrzehnte in Sen. Tragödien naturgemäß mit dem Jahre
1860, in welchem B. Schmidts Dissertation (Nr. 7)
erschien, zu beginnen hat. —
Die folgende Arbeit gliedert sich in zwei Haupttheile, einen
besonderen (über die Handschriften; die Textgestaltung;
Sprachliches und Metrisches), und einen allgemeinen
(über den Verfasser und die Echtheit der Tragó-
dien, ihren Werth und ihr Verhältniß zu den grie-
chischen Originalen). Daran werden sich kurze Bemer-
kungen über ihre Zeitbestimmung und ihre Verbrei-
tung bezw. Nachahmung schließen.
Die nicht von Seneca herrührende Octavia soll beson-
ders behandelt werden.
A. Besonderer Theil.
I. Handschriften.
1) L. Annaei Senecae tragoediae, accedunt incertae originis tra-
goediae tres. Recensuerunt Rudolfus Peiper et Gustavus Richter.
Lipsiae Teubner 1867. — (Rec. Literar. Centralblatt 1868, S. 1003 f.,
und sehr eingehend von B. Schmidt Jahrb.97, 781—800. 855 —880).
2) Paul Habrucker, quaestionum Annaeanarum Capita IV. Diss.
inaug. Königsberg 1872. (Rec. wissenschaftl. Moratsblätter II (1874),
S. 49— 53).
3) Friodrich Leo, de recensendis Senecae tragoediis. Hermes X,
493—446 (vgl. Ausgabe (Nr. 4) I, 1—15).
4) Derselbe, L. Annaei tragoediae. Vol. I observationes cri-
ticae. Berlin Weidmann 1878 (Rec. Literar. Centralbl. 1879, S. 966).
5)Wollenberg in Zeitschr. für Gymn. 1861, S. 190—194.
6) Anton Zingerle, über einen Innsbrucker Codex des Seneca
tragicus in Zeitschr. f. östr. Gymn. 29 (1878), S. 81 ff. = zu späteren
latein. Dichtern, Heft 2, S. 1—12.
Pauly, de L. A. Senecae trag. codice Lobkoviciano. Progr. des
Gymn. an der Kleinseite Prag 1869 ist mir nicht zugünglich gewesen.
Es giebt eine sehr große Zahl von Handschriften, welche
die Tragödien Senecas enthalten. Allein 12 finden sich bei
Peiper und Richter (Nr. 1) praef, p. XXIII—XXXVII
genauer beschrieben, eine stattliche Reihe weiterer werden er-
wühnt p. XIV A. 2. Daß von allen der cod, Etruscus (Floren-
tinus) der beste sei, wußte man, seitdem ihn Gronov im Jahre
342 Dr. Tachau,
1640 entdeckt und für die Kritik zuerst verwerthet hatte, doch
hat es sehr lange gedauert, nicht nur bis man eine ganz genaue
und zuverlüssige Kenntnifi dieser vorzüglichsten Handschrift
erlangte, sondern auch bis man consequent ihrer Autoritüt folgte
und über den Werth der übrigen Handschriften zu sicheren Re-
sultaten gelangte.
B. Schmidt, der in seiner Dissertation (Nr. 7) 8. 2—4
ganz kurz die Handschriftenfrage behandelt, — zwar ohne zu
neuen Ergebnissen zu gelangen, da er die Handschriften nicht neu
vergleichen konnte, — gebührt das Verdienst, zuerst mit Nach-
druck die Forderung erhoben zu haben, ut ne a cod. Florentino
sine summa necessitate discedamus, während man bis dahin ohne
sicheres Princip bei Festsetzung des Textes verfahren war. —
Ausführlicher sprechen über die Handschriften Peiper und
Richter (Nr. 1) in der Praefatio; sie haben eine Zahl von
Handschriften theils vergleichen lassen, theils selbst verglichen.
Es sind 2 Recensionen des Textes zu unterscheiden: eine bes-
sere (E) und eine schlechtere, stark interpolierte (4). Zu er-
sterer sind zu rechnen: 1) der im XIten oder XIIten Jahr-
hundert geschriebene cod. Etruscus (Tuscus, Florentinus, Medi-
ceus), beschrieben p. XXVII—XXIX, wozu zu vergleichen ist
Leo I S. 16 f. — |
2) Die von Ritschl in dem Ambrosianischen Palimpseste
des Plautus aufgefundenen wenigen Blätter einer Handschrift
von Sen. Trag., die freilich Peiper und Richter auf eine
Stufe mit den interpolierten Hdschr. stellen (vgl. praef. p. XXIX
— XXXIII), die aber, wie sich aus einer neuen sorgfältigen Ab-
schrift Studemunds bei Leo (Nr. 14) p. XV—XXVIII er-
giebt, hóchstwahrscheinlich demselben Archetypus entstammen,
wie der Cod. Etrusc., also die bessere Recension reprüsentieren.
Sie enthalten nur wenige Verse: Med. 196—274); 694—708;
722—744. "Oed. 395—432. 508—495. —
3) Die in dem bekannten aus dem 10ten Jahrhundert stam-
menden Miscellancodex des Thuanus (Parisinus 8071)
enthaltenen Excerpte aus S.'s Trag., nach D ü bners Abschrift ab-
gedruckt p. XXIV—XXVI; von Leo neu verglichen und abge-
druckt p. IX — XII. Sie enthalten nur Tr.64— 164. Med. 579— 94;
Oed. 110—186 und einige Stellen aus dem Chorliede Oed. 408 ff.
Zu der zweiten schlechteren Recension (A) ist die große
Zahl aller übrigen Hdschr. zu rechnen, deren keine über das
14te Jahrh. hinausgeht. — Daß diese thatsächlich auf eine
eigene Recension zurückgehen und nicht etwa aus dem cod.
Etrusc. stammen können, ergiebt sich auf das bestimmteste aus
folgendem : 1) In E fehlt die bekanntlich nicht von Sen. stam-
mende Octavia, in allen Hdschr. der Recension A ist sie ent-
halten; 2) E hat einige Lücken (besonders im Herc. O.), welche
1) Ich führe die Verse nach Leo's Ausgabe an.
es
Die Arbeiten über die Tragódien des L. Annaeus Seneca. 343
die schlechteren Hdschr. nicht kennen; 3) Die Reihenfolge und
die Ueberschriften der einzelnen Trag. sind in E und 4 ver-
schieden; 4) Die LA gehen in E und 4 an zahlreichen Stellen
derart auseinander, daß unmöglich die eine aus der anderen
durch Flüchtigkeit der Abschreiber entstanden sein kann. —
Daß auch die schlechtere Recension (4) schon in sehr früher
Zeit entstanden ist, beweist eine Stelle des"Lactantius, des
Commentators von Statius Thebais, der in einem Citate aus Sen.
Thyestes (zu Stat. Theb. IV 530) zeigt, daß ihm schon die Rec.
A vorgelegen hat. Vgl. Peiper und Richter praef. p. IV. Vgl.
ferner Boét. de cons. III 12, 26, der HO. 1066 movit liest
(E vidit. Vgl. Richter Jahrb. 1869, S. 779. — Einen
weiteren Beleg für das hohe Alter dieser Recension giebt eine
von Usener im Rh. M. 28, 391 Anm. angeführte Stelle aus
Ennodius apolog. pro synodo (Migne LXIII S. 190): adoles-
centiae meae memini me legisse temporibus de quodam dictum: ex-
uli exilium imperas nec das. (Med. 459). exuli ist die LA der
interpolierten Handschriftenklasse, E hat das sinnlose exul !),
Die vielfacheu Uebereinstimmungen beider Recensionen, be-
sonders in Verderbnissen, erklären sich natürlich nur so, daß 4
und E in letzter Linie auf einen Archetypus zurückgehen.
Als solchen wollen Peiper und Richter nun das Manuscript Se-
necas selbst, das Handexemplar des Dichters, angesehen wissen.
Die gänzliche Verkehrtheit dieser Ansicht ist von B. Schmidt
(in Jahrb. 1868 S. 783 ff.) nachgewiesen worden, auf den ich
hier also verweisen kann. Richter (in Jahrb. 1869 S. 778 f£)
faßt noch einmal alle für Aufstellung seiner Meinung gelten
kónnenden Gründe zusammen und sucht die Ansicht zu ver-
theidigen, ohne indeß auf eine eigentliche Widerlegung der von
Schmidt erhobenen Einwendungen einzugehen. — Für die
Kritik des Textes stellen Peiper und Richter folgende Regel auf
(praef. p. XVII): in erster Linie ist der cod. Etr. maßgebend,
doch sind die Hdschr. der schlecht. Rec. (4) nicht zu entbehren,
nicht nur wegen der oben berührten Lücken des Etr., sondern
auch weil sie an vielen Stellen das einzig Richtige bieten (vgl.
praef. p. XVIID); daher sind neben dem cod. Etr. stets einige
Hdschr. der Rec. A, die häufig mit E in der richtigen LA ge-
gen die anderen Hdschr. übereinstimmen, zu berücksichtigen
(praef. p. XIX). Diesem Grundsatze stimmt auch B. Schmidt
(in Jahrb. 1868 S. 793) ausdrücklich bei. Daß er falsch ist,
hat Leo gezeigt, dessen Verdiensteum die Handschriftenfrage un-
1) Wenn Usener meint, daß statt des in 4 stehenden eruit mit
veränderter Interp. zu schreiben sei: quo me remittis exulem? ext-
lium imp. cet., so irrt er. Die Frage ist aus 451 wiederholt und ver-
trágt daher nicht den Zusatz exulem, der matt und überflüssig sein
würde, während es Sen. auf die wirksame Paronomasie ezuli exilium
ankommt.
344 Dr. Tachau,
serer Tragödien ganz bedeutende sind: erst durch ihn ist eine
sichere Grundlage für alle kritischen Operationen geschaffen.
Leo handelt über die Hdschr. in der unter Nr. 3 ge-
nannten Schrift, deren Ausführungen berichtigt wiederholt sind im
Cap. 1 seiner Obs. Crit. (Nr.4). Zunächst ist zu erwähnen, daß
Leo von neuem den cod. E verglichen hat. Daß die von Gro-
nov, der zuerst diesen Cod. benutzt hat, gegebene Collation nicht
überall zuverlässig war, bewiesen schon die Nachträge von
Heinsius und Jacob Gronov. Für die Ausgabe von
Peiper und Richter hat zwar Herm. Peter die Hdschr. von
neuem eingesehen, da aber die Herausgeber Peters Notizen an
jeder Stelle mit Gronovs Angaben verglichen, so kamen sie dazu,
an manchen Stellen Peters und Gronovs Lesarten zu notieren,
so daß man dann gar nicht recht weiß, was im Flor. steht.
Schon dieser Umstand erforderte, daß die Hdschr. von frischem
einer ganz sorgfältigen Vergleichung unterzogen würde Als
sich nun Leo daran machte, — und dieses ist von ihm so
gründlich geschehen, daß er sagen kann: totum ita excussi, ut si
quis eundem rursus adire volet, non multa quae neglexerim inven-
turus sit (p. 16) — hatte er wohl nicht im entferntesten eine
Ahnung davon, in welch ganz erstaunlichem Maße diese seine
Mühewaltung belohnt werden sollte! Die Ergebnisse seiner Ver-
gleichung hat er dargelegt auf S. 16—41. Abgesehen davon,
daß die bis dahin bekannten Angaben über die von verschiede-
nen Händen in E angebrachten Korrekturen vielfach berichtigt
werden, finden wir hier nicht weniger als 90 Stellen aus den
Tragódien zusammengestellt, an denen Gronov oder Peter
ein Abweichen des cod. E von der Vulgata durchaus fülsch-
licherweise angegeben hatten. Welch Unheil dadurch ange-
richtet worden ist, da man ja mit Recht die LA von E so lange
als möglich zu halten suchen muß, zeigen z. B. Stellen wie
Med. 653, Hf. 11987), 1298, Th. 116, man vgl. Leo S. 24 ff. —
Ihre Erklärung finden diese Irrthümer wohl darin, daß Gron.
bei der Vergleichung der Hdschr. an Ort und Stelle auch Kon-
jekturen, die ihm gerade einfielen, am Rande vermerkte, die er
dann bei Verwerthung seiner Notizen für die Kritik als LA des
Etr. ansah und für solche ausgab. Peiper und Richter :
waren außer Stande, diesem Versehen auf die Spur zu kommen,
da sie Peters Collation stets mit der Gronovs verglichen, und
überall wo Peter nichts angemerkt hatte, dies seiner Flüchtig-
keit zuschrieben und Gronovs Notizen für maßgebend hielten. —
Auf S. 31—33 wird dann für die Stellen, an denen Peiper und
2) Leo will hier mit Wahrung des nervos, was E bietet (4 hat
nervum) recedentes schreiben; doch hat er in der Ausgabe nervum rece-
dentem gesetzt. Mit Recht, da Sen. immer nervus in dem Sinne von
Bogensehne im Sing. gebraucht. Cf.Hf.119. 900. Th. 860. HO. 1659.
men
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 845
Richter Peters und Gronovs Lesarten gegeben hatten (vgl. oben),
die eigentliche LA des E mitgetheilt — Dem reihen sich eine
beträchtliche Zahl von Stellen an, deren richtiges Verständniß
erst durch die Eruierung der bis dahin unbekannten LA von E
eigentlich erschlossen worden ist.
Von großer Bedeutung ist ferner, daß Leo 2 Hdschr., beide
aus dem XIV. Jahrh, neu aufgefunden und verglichen hat, ei-
nen Ámbrosianus D 276 inf. (M) und einen Vaticanus Cat. 1769
(N), der außer den Trag. Senecas auch seine philosoph. Werke,
Quintilians Declamat. u. a. enthält. Beschrieben bei Leo Herm.
X 428 ff. = obs. er. I 6 f. — Beide Hdschr. geben die 9
Trag. in der Reihenfolge und mit den Ueberschriften des Cod.
Flor. ?), die Octavia ist ihnen am Schlusse zugefügt. Bis auf
die Phoen. und den ersten Theil der Medea, die mit den inter-
polierten Hdschr. übereinstimmen, geben beide Hdschr. den
Text der besseren Recension. Es steht fest, daß beide auf ei-
nen gemeinsamen Archetypus zurückgehen (von Leo J genannt),
und dieser muf ein nach einem interpolierten Codex durchcor-
rigiertes Exemplar der besseren Recension gewesen sein. An-
fangs meinte Leo, daß Y aus demselben Archetyp. stamme, wie
der cod. Flor. Doch hat er seine Meinung geändert. Da nüm-
lich 3 mit E sehr viele Fehler gemein hat, die sich nur so er-
klären, daß der Schreiber entweder die Majuskeln in der Hdschr.,
aus der er abschrieb, nicht recht gelesen, oder zusammengehó-
rige Buchstaben auseinandergerissen und nicht zusammengehörige
zusammengeschrieben hat, und da ferner solche in E befindlichen
Fehler in 3 manchmal in einer noch mehr verderbten Form
sich finden (S. 9), so können Æ und E nicht aus einer gemein-
samen Quelle stammen, sondern es nóthigt das zu der Folgerung,
daß S aus E stammt. Treffend wird das durch Tr. 635 be-
wiesen, man vgl. Leo S. 12. Dagegen spricht zwar auf den er-
sten Blick, daß in X die Lücken, die E im Herc. O. hat, nicht
vorhanden sind. Indessen da diese Ergänzungen durchaus, ganz
wie die Phoen. und der erste Theil der Medea: mit dem Texte
der interpolierten Hdschr. übereinstimmen , so können sie nur
von einem Corrector aus einer interpolierten Hdschr. nachge-
tragen sein, aber unmöglich aus derselben guten Quelle stam-
men, wie E, denn dann würden wir, nach Leos richtiger Be-
merkung, einen wesentlich besseren 'lext erwarten dürfen, als
der uns vorliegende der interpolierten Hdschr. ist. — Wel-
chen Werth hat nun dieser cod. 3, d.h. die unter
einander verglichene LÀ von M u. N? In dem cod.
E sind an vielen Stellen Correcturen eingefügt, zu einer Zeit,
als 2 schon abgeschrieben war. Ueberall da also, wo die
3) Nur stehen in N die Phoen. hinter dem Oed. und sind eben-
falls Oed. überschrieben.
346 Dr. Tachau,
erste Hand von E ausradiert oder durch Kor-
rekturen unleserlich geworden ist, haben wir in
M und N sichere Zeugen der ursprüngl LA. Von
welchem Belang für die Kritik des 'lTextes diese Entdeckung
Leos ist, erhellt schon aus den ersten 100 Versen des Herc. f.,
wo an nicht weniger als 11 Stellen S die ursprüngliche und
allein richtige LA des cod. E bewahrt hat!
Diese beiden neu aufgefundenen Hdschr. treten also zu den
schon oben genannten 3 Reprüsentanten der besseren Recension:
Flor. Thuan. und Ambros. Palimps.
Damit ist übrigens Leos Verdienst in der Handschriftenfrage
noch nicht abgethan. Durch ihn hat auch zuerst in richtiger
Weise die Frage ihre Lösung gefunden, welcher Werth der
schlechteren Recension (4) beizumessen sei. Daß
man diese nicht ganz und gar entbehren kann, liegt auf der
Hand ‘), denn wie viele Stellen in £ eine vollkommen sinnlose
LA bieten, dagegen in 4 richtig überliefert sind, ersieht man,
wenn man nur wenige hundert Verse genau unter Vergleichung
der Adnot. crit. unter dem Texte liest. In den Tr. 700—900
z. B. finden wir nicht weniger als 20 Stellen, an denen A vor-
zuziehen ist. Bei Beantwortung jener Frage geht Leo (I 2 f.)
nun von solchen Stellen aus, in denen E offenbar Ver-
derbtes enthült. Man hatte in solchen Füllen die Praxis
befolgt, entweder sich mit der LA von E, so gut es gehen
wollte, zurechtzufinden, oder die LA von A dafür aufzunehmen.
Leo zeigt an einer Reihe trefflicher Beispiele, daß an solchen
Stellen schon im Archetypus der Rec. 4 — wohl also einem
ähnlichen Exemplar, wie E ist — in der Regel eine verderbte
LA enthalten gewesen sein müsse, die der Abschreiber der Rec.
A, so gut er konnte, durch Konjektur zu beseitigen gesucht habe.
Das ersieht man z. B. aus Hf. 161: E spes iam magnis ; A spes
in agris von Schmidt richtig hergestellt (in seiner Dissertation
(Nr. 7) p. 62; vgl. obs. crit. p. 8) spes immanes; Hf. 1208
E vagetur vollkommen sinnlos; A paretur ebenfalls schlecht, das
aber die Ausgaben ruhig hingenommen haben; von Leo berich-
tigt: vacat cur? HO. 460 E sinnlos novit; A sonuit, von Leo
hergestellt tacuit. Andere treffende Beispiele bei Leo S. 2 f.;
vgl auch Peiper und Richter praef. p. XVI. Schmidt Jahrb.
1868 S. 785 f. — Folglich kann die LA. von A auch an
solchen Stellen, wo Eunzweifelhaft Verderbtes bie-
tet, nicht ohne weiteres den Ánspruch auf Rich-
tigkeit erheben. Vielmehr ist da, wo wir nicht umhin
können wegen des schlechten Zustandes der LA von E die
Hdschr. der schlechteren Recension mit zu Rathe zu ziehen, die
LA von A mit der von E in jedem einzelnen Falle
4) Vgl. auch Birt Rh. M. 34 S. 557 oben.
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 347
zu vergleicchen und nur dann aufzunehmen, wenn
sie ganz unzweifelhaft das Richtige bietet (man
vgl. solehe Stellen bei Leo S. 29, und auf fast jeder Seite der
Ausgabe in der adnot. crit. unter dem Texte). Sonst hat
man, ohne die LÀ von A weiter zu berücksichtigen,
die Stelle durch Emendation herzustellen zu
suchen! Beispiele bei Leo I 2 f. — Diesem Grundsatze ge-
mäß hat Leo z. B. Med. 1026 sublimi aethere geschrieben (E hat
aetheri) wührend man bis dahin sublimi aetheris nach A las trotz
Gronovs Einwand, daß sich sublimus bei Sen. nicht findet. Hen-
neberger (Nr. 17) bemerkt zwar mit Recht (S. 16), daB alle
Hdschr. übereinstimmend die Form sublimi bieten, wenn er dies
aber als Beweis dafür brauchen will, daß Sen. thatsüchlich sub-
limus hier gebraucht habe, so übersieht er, daß die Hdschr.
eben in der Form des Substantivs (aetheris, i) abweichen!
Als Regel für die Konstituierung des Textes stellt Leo demge-
mäß auf (S. 15): unicum recensionis fundamentum Etruscus habebitur,
cui ubique interpolatae editionis lectio adhibenda est et, si quando
prima Etrusci manus perat, eius apographum Ambrosiano codice et
Vaticano inter se comparatis restitutum. reliqua emendatoris sunt.
Handschriftliches betrifft auch das 3te Kap. von Leos obs.
crit., von denen uns S. 42 —44 angeht (S. 45—47 handeln
über die Octavia) Wir erfahren, dal der älteste Codex der
Rec. A, der Laurent. 37, 6, aus dem Jahre [368 stammt. Mit-
theilungen über die große Zahl der Hdschr. dieser Recension
zu machen, hält Leo für überflüssig; nur erwähnt er besonders
den cod. Laurent. 37, 11 aus dem XVten Jahrh., welchen Pog-
gius besessen hat. Dessen Korrekturen werden für Hf. und
Ag. mitgetheilt.
Wir haben noch kurz die übrigen Schriften, die auf die
Handschriften Bezügliches enthalten, zu erwühnen. Hierher ist
zu rechnen das erste Capitel von Habruckers Dissertation
(Nr. 2), überschrieben: de L. Annaei Senecae fabularum codi-
cibus (p. 1 — 22). Zwar finden wir hier nicht viel eigentlich
Neues, da H. nur die Hauptpunkte der Ausführungen von Pei-
per und Richter — denn mit ihnen hat H. zu thun, Leos For-
schungen fallen erst später — entweder, so weit sie richtig sind,
noch einmal darlegt und erweitert, oder so weit sie falsch sind,
widerlegt, und zwar in Anschluß an B. Schmidts Darlegungen
(Jahrb. 97, 981 ff.)°). Doch liest sich, wenn man von den
5) Diesem folgt H. auch in der Annahme, daß Th. 610 mit 4
ertimescit zu lesen sei, statt expavescit, was E bietet. Dies ist un-
richtig, denn wenn S. auch gewöhnlich nur sagt: expavescere quid und
348 Dr. Tachau,
oft recht störenden Druckfehlern 9?) absieht, die sorgfältige und
fleißige Zusammenstellung recht angenehm. Das Hauptgewicht
legt H. auf die Widerlegung der wunderbaren Ansicht Peipers
und Richters über den gemeinsamen Archetypus der Recensionen
E und A (Manuscript des Dichters selbst) S. 8—15, und auf
den ausführlich und mit Sorgfalt erbrachten Nachweis, daB der
Cod. Vindobon. von Peiper und Richter überschützt worden sei
(S. 15—22). Auf die Ansicht H.s über den Werth dieses Cod.
nüher einzugehen, ist nach den oben mitgetheilten Untersuchun-
gen Leo's überflüssig. Vgl. darüber die Notiz Leos in Hermes
X S. 488, Anm. 1.
Wollenberg (Nr. 5) giebt eine Collation des Herc. f.
aus 2 Codd. der Bibliothek zu Tours (der eine stammt aus dem
Jahre 1409, der andere aus der Mitte des 18. Jahrh.) aus wel-
chen er schon in der Zeitschr. f. Gymn. 1860 S. 716—8 das
Argumentum des Herc. f. mitgetheilt hatte.
Zingerle (Nr. 6) berichtet über einen Innsbrucker
Codex, Nr. 87, der aus dem Anfang oder wenigstens der ersten
Hälfte des 15ten Jahrh. stammt und giebt eine sorgfältige und
gewissenhafte Collation des Herc. f. Die Hdschr. gehórt zwar
im ganzen natürlich zu der schlechteren Recension A, hat aber
eine oft überraschend hervortretende Neigung zum Besseren.
IL Die Textgestaltung.
Ehe wir uns zu den Ausgaben und den textkritischen Ar-
beiten wenden, haben wir die epochemachende und grundlegende
Dissertation von
7) Bernhard Schmidt, de emendandarum Senecae tragoediarum
rationibus prosodiacis et metricis. Berlin 1860 (Rec. von L. Müller,
Jahrb. 1864 p. 422 ff.),
zu erwühnen, dessen Verdienst es ist, zuerst in gründlichster
und sorgfältigster Weise die Prosodie und Metrik Sene-
cas untersucht zu haben. Wer in Senecas Tragödien arbeiten
will, wird also dieses Schriftehen zunächst genau durchzuarbeiten
haben, denn Schmidt sagt sehr richtig (S. 5): omnem artem cri-
nicht exp. quid ab aliquo, so folgt daraus noch nicht, daß erpavescere
hier überhaupt nicht gestanden habe; vielmehr wird der Abschreiber
der Rec. 4 statt des ihm ungelüufigen ezpavesc. ab aliquo ‘das Ge-
bräuchlichere extimescere gesetzt haben, wie es z. B. Hf. das unge-
wöhnliche latebram in latebra s änderte; oder HO. 80 hau d dum in
nondum. So weicht 4 häufig von E ab, weil der Abschreiber die
LA des Archetyp. nicht verstand; vgl. HO. 22 K sWentum fata; 4 re-
gentem fata. Vgl. noch Gronov zu Phoen. 516.
6) An verdruckten Citaten sind mir aufgefallen: S. 6, 2 v. o.
Th. 101 lies 1011; S. 6, 16 v. o. Hf. 918, 1. 912; 8.9, not. 1 statt
IX lies 81. Auf S. 9 finden sich nicht weniger als 6 Druckfehler.
Die Arbeiten über die Tragidien des L. Annaeus Seneca. 349
ticam in S. trag. factitandam ab accurata rerum prosodiacarum et
metricarum observatione proficisci eaque tanquam fundamento niti de-
bere "). Bei dem überaus reichen Inhalte der gen. Dissertation
beschränke ich mich hier darauf, ganz kurz den Inhalt der ein-
zelnen Kapitel anzugeben und die wichtigsten der oft in sehr
scharfsinniger Weise von Schmidt gefundenen Gesetze aufzu-
zählen. Cap. 1 (S. 1—6), das Bemerkungen über die Hdschr.
enthält, ist schon oben berührt worden. Cap. II (S. 6—17)
handelt zunächst über den Gen. Sg. und Dat. Plur. der Wörter
auf ius und zum, die sich zuweilen in den kontrahierten Formen
(é, is statt &, iis) finden, dann über die kontrahierten Perfekt-
formen von ire, petere und deren Composita, ferner über die
Kontraktion von deesse und deerrare. Dann folgen die Beispiele
der Synizesis. Cap. III (S. 17—29) handelt von dem Hiatus
und der Synaloephe; Cap. IV (S. 29—32) über die Quantität
gewisser Endsilben ; Cap. V (S. 32—36) von der Positionslänge;
Cap. VI (S. 36—46) über Wort- und Versaccent; Cap. VII (S.
46—57) über die Gesetze des iambischen Senars; Cap. VIII
(S. 57—75) über die lyrischen Versmafle. — An wichtigen
Gesetzen, die Sen. befolgt, hebe ich hervor: Der Hiatus wird
im iamb. Senar gänzlich vermieden (HO. 1201 und
Oct. 516, die ihn bieten, sind in den Hdschr. verderbt) Man
hat also auch Hf. 1284 aus diesem Grunde die LA von E pa-
vidamque matrem, durch die ein Hiatus entstehen würde, gegen
die von A pavidasque maires zu verwerfen, wie Schmidt
Jahrb. 97 S. 871 und nach ihm Habrucker Wissenschaftl.
Monatsblütter IV (1876) S. 117 bemerkt haben. Ebenso ist in
Th. 302 commovebunt, (was übrigens auch der Sinn verlangt),
zu Schreiben; vgl. L. Müller de re metr. 8. 167. — DieSy-
naloephe hat im iamb. Senar bei Personenwechsel
nie statt. Th. 1021 ist deshalb mit Schmidt zu schreiben:
iam accipe; Phoen. 651 ist die Interpunktion zu ündern, ebenso
HO. 892 (wo es schon von Gronov geschehen ist) ; Oct. 457
ist unecht, vgl. Leo I S. 59. Noch findet sich die Synaloephe
beim Personenwechsel Ag. 794, welchen Vers Leo anfänglich
ebenfalls streichen wollte, später aber seine Meinung zurücknahm
(I S. 59 A. 8), er findet eine Entschuldigung in dem griech.
Namen (Priamus) — Im iamb. Senar hat Sen. sede
pari nicht nur den Spondeus, sondern auch alle
anderen Versfüße außer dem Iambus verschmäht.
Der 'fribrachys findet sich zwar im 2. und 4. Fufe, jedoch
meist nur so, daß die Auflösung der Arsis in ein em Worte,
7) Wie verhängnißvoll eine Nichtbeachtung dieser Mahnung selbst
einem Manne von der ausgezeichneten Berühmtheit Madvigs ge-
worden ist, zeigen 4 von ihm vorgeschlagene metrisch falsche Kon-
jekturen. Vgl. Habrucker Wissenschaft]. Monatsbl. IV (1876) S. 117 f,
950 Dr. Tachau,
sehr selten (im 4. Fuße) in 2 eng zusammenhängenden Wörtern
zu stehen kómmt. — Besonders zu beachten ist, daß im 5.
Fuße der Iambus nie gebraucht wird! (Es finden
sich in ihm gewöhnlich der Spondeus oder Anapaest, letzterer
mit Einschränkungen). Die 6 Fälle, in denen sich der Iambus
im 5. Fuße findet, haben ihre besondere Bewandtniß (S. 53.
Richter de S. trag. auct. (Diss. Bonn. 1862) S. 16 A. 1). —
Für die Auflösung der Längen im Senar gilt das Gesetz, daß
auf einen Tribr. oder Daktylus nie ein Anap.
folgt — —
Am Zweckmäßigsten lassen wir hier die Schriften folgen,
welche die Vorläufer der Ausgabe von Peiper und Richter
(Nr. 1) waren. Es ist das zunächst:
8) Rudolf Peiper, observatorum in Senecae tragoediis libellus.
Progr. des Magdal.-Gymn. Breslau 1863. (Rec. L. Müller in Jahrb.
1864, S. 492—499),
das sich der Hauptsache nach mit den Chorliedern Se-
necas beschäftigt. In Cap. 1 wird der Versuch gemacht, ge-
wisse schon von B. Schmidt (Nr. 7), S. 71 berührte Unregel-
mäßigkeiten, die sich in einigen sapphischen Versen finden (daß
z. B. im 2. Fuße sich ein Dactylus für den Spondeus, oder im
3. statt des Dactylus sich ein Spondeus findet) durch Annahme
von Synizesis zu beseitigen. Dies hat Anfangs Richters
Biligung gefunden (Rh. M. 19, S. 260), ist aber spüter sowohl
von Peiper (Zeitschr. f. G. 1865, S. 331), als auch von
Richter (symbola phil. Bonn. (Nr. 13) p. 564, A. 10) aus-
drücklich als ganz anhaltlos zurückgenommen worden. — Von
dem übrigen Inhalt der Schrift (C. 3 behandelt die Glyconeen,
C. 4 die Asklepiadeen, C. 5 die iamb. Verse, soweit sie sich in
Chören finden; C. 6 'l'rochüen und Dactylen; C. 8 giebt all-
gemeine Bemerkungen, C. 9 spricht über die Octavia) nimmt
unsere Beachtung am meisten in Anspruch die in C. 2 und 7
berührte Frage der strophischen Gliederung der
Chorlieder Senecas. Diese gedenken wir im folgenden
im Zusammenhang abzuhandeln. Dabei kommen außer der oben-
genannten Peiperschen Schrift und dem Cap. VII von Leos
observationes criticae (Nr. 4) in Betracht:
9) A. Goebel, quaestiones Horatianae in Zeitschr. f. Gymn.
1862 S. 737 ff.
10) Rudolf Peiper, Strophen in S.s Chorliedern in Zeitschr.
f. G. 1864 S. 247 ff. 328 ff. 694 ff.
11) Gustav Richter, die Composition der Chorlieder in den
Tragódien des S. in Rhein. Mus. XIX S. 360—379. 521 —527.
l2) Gustav Richter, Eurythmie beiS. Zur Vertheidigung u.
Abwehr. In Jahrb. 1869, S. 769 — 791.
Ohne Zweifel hat man eine durch die regelmäßige Wieder-
kehr des Adonius bedingte stroph. Gleichmäßigkeit anzuerkennen
Die Arbeiten über die Tragôdien des L. Annaeus Seneca. 351
in dem Canticum Med. 579—669. Schon L. Müller (de
re meir. p. 119) hat gesehen, daß die in den älteren Ausgaben
mit 17 Vss. figurierende letzte Strophe (Vs. 652—669) in zwei
zu zerlegen sei, da offenbar V. 660 verderbt sei. Nur die A rt
der Verbesserung dieses Verses und die dadurch bedingte Sta-
tuierung der beiden letzten Strophen kann streitig sein. Unbe-
dingt verfehlt ist der Versuch der Aelteren, den Vs. zu einem
vollstindigen Sapphicus zu ergünzen, vgl. die Ausgaben von
Bothe und Baden. — L. Müller schlägt vor (der. m. p. 119),
für patrioque pendet crimine poenas, welche Worte er für eine
Glosse erklärt, zu schreiben: crimine amoris, auf das Vorherg.
bezüglich, hat aber seinen Vorschlag selbst in den Jahrb. 1864,
498 zurückgenommen. Seine an dieser Stelle vorgebrachte Kon-
jektur, für 661 zn schreiben crimine patris, das dann mit dem
Folgenden zu verbinden wäre, wo statt moriens — moriere ge-
lesen werden soll, richtet sich von selbst, da dann der Gedanke
der einen Strophe in die andere übergreifen würde, was unstatt-
haft ist; vgl. darüber unten. Peiper, obs. ib. (Nr 8) 8.9 f,
erkennt, daB patrioque pendet der SchluBtheil
eines sapph. Verses, crimine poenas aber ein Ado-
nius sei. Dies ist an sich eine sehr glückliche Bemerkung;
wenn wir uns nur mit ihr so helfen könnten, daß zwei regel-
rechte Strophen herauskümen! Behalten wir die vorhergehenden
Verse alle in der hdschr. überlieferten Reihenfolge bei, so be-
kommen wir 9 Verse + Adonius, während alle sonstigen Stro-
phen nur 8 + Adonius haben. Stellen wir mit Peiper a. a. O.
80: 657. 661. 660. 658. 659. 662, so hat abgesehen von son-
stigen Bedenken die folgende Strophe gar keinen Adonius. Daß
wir diesen aber nicht entbehren kónnen, weil an die Stelle des
schlieBenden Adonius ,die bedeutungsvolle auf das ganze Ge-
dicht bezügliche Clausula von einem Sapph. und einem Adon,
(V. 668. 669) getreten sei“, wie Peiper anfangs meinte, hat
dieser später selbst erkannt (Z. f. G. 1864, 329). Geholfen
würe zwar durch Ausscheidung eines Verses, sei es
der vorletzten oder der letzten Strophe. Der von Peiper an
letztgenanntem Orte gemachte Vorschlag, nach Vornahme seiner
oben angegebenen Versumstellung den Vs. 666 auszuscheiden,
da er aus Glossemen entstanden sei, ist vollkommen willkür-
lich; noch unannehmbarer der Vorschlag Richters, gegen den
schon Peiper protestiert, Vs. 667 auszuwerfen, in dem er
„baren Unsinn“ finden will, während doch thatsächlich der Ge-
gensatz zwischen dem vagus und den angustas undas des
Kessels sehr schön ist®). Ueberhaupt liegt zu der von P ei-
8) Richter ist wohl durch Daniel Heipsius' Bemerkung
(bei Scriver S. 329) dazu veranlaßt: vagus vero et angustus
quomodo cohaerent? An qui in angustias redigitur , tum demum inci-
pit vagari?
352 Dr. Tachau,
per beliebten Versumstellung gar kein Grund vor: behalten
wir die hdschr. überlieferte Reihenfolge der Verse, so daB mit
fulmine et ponto die letzte Strophe anfangen würde, so hätte
diese die erforderliche Zahl von 8 Versen + Adonius, und diese
sind, was den Sinn anlangt, untadelhaft. Dann würde aber die
vorhergehende Strophe, wenn wir an Peipers an und für sich
sehr probablem Vorschlage, vor patrioque pendet den Ausfall
des ersten 'Theiles eines sapph. Verses anzunehmen, festhalten,
9 Verse + Adon. haben, und auch unter diesen finden wir kei-
nen, der ein untrügliches Zeichen der Unechtheit an sich trüge.
Leo verwirft zwar 657, aber ich ersehe keinen zwingenden Grund
dafür; der Vers ist so gut zu ertragen, wie alle anderen. Und
durch das Auswerfen dieses Verses ist bei weitem noch nicht
allen Mißverständnissen abgeholfen. Denn wenn wir Leo auch
folgten und in der Lücke des Vs. 660 den Ausfall eines Ge-
dankens wie occidet proles annehmen, so würde nicht nur diese
kurze Zusammenfassung des Gedankens vor der Aufzühlung (Vs.
660), sondern auch die in Vs. 661—3 folgende Aufzählung de-
rer, die für das Verbrechen der Väter büßen sollen, höchst un-
beholfen und unglücklich sich ausnehmen. — Mir will es schei-
nen, als ob die ganze Stelle weit schwerer verderbt ist, als daß
sie durch einfaches Ausscheiden eines Verses — wodurch zwar
die richtige Verszahl zweier Strophen erzielt würde — geheilt
wäre. Sehr empfehlenswerth erscheint mir daher der Vorschlag
von Wilamowitz-Möllendorff, der, ohne einen Vers aus-
zuscheiden, nach 659 den Ausfalleines Adonius und
einer ganzen Strophe (über ihren Inhalt vgl. Leo zu die-
ser Stelle), deren Ueberbleibsel 660 und 661 seien, annimmt.
An dieses unstreitig echte Beispiel eines streng strophisch
durchgeführten Chorgesangs knüpft nun P ei p er (obs. lib. p. 9 ff.)
an und meint zunüchst, für noch 2 andere sapph. Chorlieder
stroph. Gleichmäßigkeit nachweisen zu können. Zuvörderst für
Tr. 814—860. Die Aufzählung der Städte und Landschaften
giebt Seneca hier nach Homers Schiffskatalog, durch dessen ge-
naue Vergleichung P. manche Irrthümer in der Erklürung die-
ser Verse richtig gestellt hat (S. 10—12). In dieser Beziehung
sind also die Bemerkungen Ps. recht werthvoll. Auffällig scheint
ihm die günzliche Ordnungslosigkeit, in der Stüdte und Land-
schaften hier aufgezühlt werden, wührend doch der Anfang des
Chorgesanges, in dem die von Troia entferntesten Länder Thes-
saliens genannt werden, und der Schluß, die Aufzählung der
Länder der griech. Fürsten, die Vermuthung nahe legen sollten,
daß auch die übrigen Städte und Länder in gehöriger Ordnung
aufgeführt würden. Daher ordnet P. 814—819. 821—265. 846.
847. 829—35. 836—44. 828. 820. 826 —7. 845. 848—50 u.
ff. bis zum Schluß. Indessen abgesehen davon, daß auch so
noch keine ganz strenge Ordnung herauskommt (vgl. Gonoessa
Die Arbeiten über die Tragódien des L. Annaeus Seneca. 358
und Enispe 840 f), so macht ja P. selbst mit Bezug auf Tr. 9
und nat. quaest. VI 7, 1 auf S.s mangelhafte geogr. Kenntnisse
aufmerksam. Vgl. darüber auch noch Leo I 202 f. Wozu „ord-
net“ er also? Wollten wir aber trotzdem sogar die Nothwen-
digkeit einer solchen Anordnung zugeben, so bekommen wir
dadurch noch lüngst keine Strophen! P. zwar betrachtet es
als unzweifelhaft, daß vor den für sich unverstündlichen Vss.
844 —50 das Ende einer und der Anfang einer anderen Strophe
ausgefallen sein müsse. Dieses ist ganz willkürlich; er hütte
wissen sollen, daß schon Scaliger diese Stelle durch An-
nahme einer Lücke von einem Vs. vor 844 zu heilen versucht
hat. Noch viel willkürlicher ist, daß am Schluß (hinter 860)
ein Adonius fehle: desideramus adiectivum, quo Hecubes quae fu-
tura sit ibi condicio apte describatur, — die Schluf verse sind sehr
wohl verständlich, es fehlt nichts. Die auf S. 16 ff. gegebene
Neugestaltung des Chorgesangs mit einer Menge von gewalt-
samen Umstellungen, Annahmen von Lücken und Ergänzungen,
hat denn auch nicht das geringste Ueberzeugende an sich.
Das zweite stroph. Gedicht, für das P. Strophengleichheit
konstruiert, ist Oed. 110— 153 (13 Vss. + Adonius; 8 Vss,
+ Adon.; 11 Vss. + Adon.; 9 Vss.). Der Zusatz igne vicino
oder igne furtivo, den einige Hdschr. hinter V. 123 haben —
ob auch E wußte P. damals noch nicht — soll der Anfang ei-
nes verloren gegangenen Verses der 2. Strophe sein, die dann
also 9 Verse hätte, genau wie die 4te, zu der aber ganz will-
kürlich ein Adon. zugefügt werden muß. Und damit nun Str.
3 auch 18 Vss. außer dem Adon. bekomme wie die erste, wird
ganz einfach ohne jeden Grund eine Lücke von 2 Vss. nach
labitur segnis (138) angenommen. Das Schlimmste aber ist, daß
selbst, nachdem sich P. überzeugt hatte, daß in den besten
Hdschr. jener Zusatz igne furt. fehlt, er doch, anstatt der Auto-
rität des cod. E folgend von seiner falschen Ansicht zurückzu-
kommen, in seiner Ausgabe mit Richter zusammen diese Worte
zu einem Anfangsverse der 2. Strophe verwendet, lediglich um
Strophengleichheit auf jeden Fall zu erzielen. |
In Cap. VII seines obs. lib. (S. 31— 38) behandelt P. dann
noch den Wechselgesang zwischen Hecuba und dem Chor Tr.
67—164. Unter Billigung von Haases ausgezeichnetem Vor-
schlage (misc. phil. III c. 5), Vs. 102^ und 103 hinter 86 zu
setzen, weist er nach, daß Vss. 117—129 entgegen den älteren
Ausgaben der Hecuba und nicht dem Chor zuzuweisen seien,
so daB wir in den Vss. 67— 131 eine vollkommene Gleich-
mäßigkeit erhalten würden: Vs. 67—82 = 117—181 = 30
Monometer; 83—98 = 99—116 = 32 Monometer. In dem
Reste des Wechselgesangs dagegen suchen wir vergeblich nach
einer Responsion in der Zahl der Verse. Auf 20 Monometer
des Chors (132 — 141) folgen 29 der Hecuba und wieder 15
Philologus. N.F. By. Il (XLVIIL), 2. 23
354 L. Tachau,
des Chors. Peiper will Vs. 145*—147 hinter 157 setzen (weil
146—7 dasselbe besagten wie 150 f.) und hinter 156 einen
Monometer felix Priamus hinzufügen, um so für Hecuba 5 + 20
und für den Chor 20 Monom. zu erhalten. Dieses ist natürlich
ganz willkürlich und daher abzulehnen: nach dem uns vorlie-
genden Texte des Flor. von dem bekanntlich ohne zwingenden
Grund nicht abzuweichen ist, müssen wir vielmehr erklären,
daß stroph. Gleichmäßigkeit nurin einem Theile
dieses Wechselgesangs durchgeführtist.
In größerem Maßstabe wird die Strophenfrage von Peiper
und Richter in den unter Nr. 10 und 11 genannten Schriften
behandelt. Beide wenden sich mit Entschiedenheit gegen den
Versuch Göbels (Nr. 9), der für die in Asclepiadeen und
Glyconeen monostichisch geschriebenen Chorlieder Senecas das
Horatianische Strophengesetz (je 4 Vss. — 1 Str) vindicieren
will Ich kann mich darüber kurz fassen, da schon Peiper
Goebels Vorgehen mit ausreichenden Gründen verurtheilt hat
(Z. f£. G. 1864, S. 247). G. macht es einfach so, daß er die
Zahl der Gesammtverse eines Chorliedes durch 4 theilt. Geht
die Rechnung gerade auf, so haben wir die Strophen mühelos ;
ergiebt sich ein Rest von einigen Versen, so müssen wir alle-
mal nach gerade so viel Versen in dem Canticum suchen, die
einfach als interpoliert auszustoßen sind. Dieser Versuch ist
ganz und gar verfehlt: ein solches Zusammenfassen von 4 be-
liebigen Versen ohne jede Rücksicht auf Satzbau und Gedanken-
abschluß kann man doch gewiß keine stroph. Gliederung nennen.
Das Uebermaß alles Leichtfertigen und Willkürlichen aber wuß
es genannt werden, wenn G. schließlich sagt: tantum abest, ut si
quae (cantica) alium versuum numerum (sicuti in libris quidem le-
gitur) [also nicht durch 4 theilbar] praebent, ea res conira nos
faciat, ut vir gravius rei argumentum inveniri posse videatur, quam
quod, lege illa adhibita, facillimum in modum amoveri atque deleri
possunt turpissimae labes ac maculae, quibus choros potissimum Se-
necae misere aspersos esse omnes viri critici . . . àgnoscunt. Mit
Recht protestieren also Peiper und Richter gegen ein solches .
Vorgehen. S. befolgt, wie alle Dichter jener Zeit, noch stren-
gere metr. Gesetze als Horaz, und ohne Frage hat, wenn man
an eine Stropheneintheilung denken will, als oberstes Gesetz
das zu gelten, was aus dem unzweifelhaft stroph. angelegten
Canticum Med. 579 ff. hervorgeht, daß nämlich S. „Strophen-
ende und Satzende in genaue Uebereinstim-
mung gebracht hat". (Richter a. a. O. S. 864; vgl.
auch Peiper Z. f. G. 1864, S. 248).
Wenden wir uns nun zu den weiteren Versuchen Peipers
und Richters (Nr. 10 und 11), eine stroph. Form für die Chor-
gesänge S.s aufzufinden. Zunächst ist zu bemerken, daß wir
eineu strengen Beweis, daß S. seine Chorgesünge wirklich in
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 355
Strophen gegliedert habe, ganz und gar vermissen: beide Ge-
lehrten scheinen sich darüber nicht ganz klar geworden zu sein,
daß diese Frage eine offene, noch nicht erwiesene war ; sie neh-
men von vornherein an, daß Strophenform zu konstruieren sei,
und suchen diese in den einzelnen Canticis — sie behandeln
sie nach dem Metrum getrennt — herzustellen. Bei der Be-
sprechung ihrer Ausführungen trennen wir am zweckmäßigsten
die Frage, durch welche Mittel die Strophen kon-
struiert werden, von der anderen, welcher Art diese
so konstruierten Strophen sind. — Was zunächst die
mancherlei Annahmen von Lücken, Versausscheidungen und
Versumstellungen anlangt, die zur Erzielung stroph. Gliederung
vorgenommen werden, so haben sich beide Gelehrte großer Will-
kür schuldig gemacht. Damit soll das Gute, das ihre Unter-
suchungen hier und da für die Erklärung und auch Gestaltung
des Textes gebracht haben mögen, nicht verkannt werden, —
hier kommt es mir nur auf den Nachweis an, daß in den mei-
sten Fällen die strophische Form auf ganz unmethodische und
rein willkürliche Art hergestellt worden ist.
Dies zeigt sich gleich in dem ersten Chorgesange, den P. behan-
delt (S. 250 f), HO. 1031 ff. — Goebel (Nr. 9) S. 787 hatte in
diesen Versen eine Reihe von Absurditüten aufgedeckt, die übrigens
nur weniges von dem vielen Absurden sind, das der HO. überhaupt
bietet, und die eben beweisen, daß das Stück in dieser Gestalt nicht
von S. sein kann. So wenig Grund nun aber Goebel hatte, die
Vss. 1037 ff. als interpoliert auszuscheiden, so war Peiper noch
weniger berechtigt, sich aus den mancherlei Ausstellungen, die G. ge-
macht hatte, einige herauszusuchen, um auf sie fussend 1040 —42 und
1060 zu streichen. Warum ,,opfert‘“ er denn Goebel nur diese Verse?
Warum nicht auch 1055, dessen Sinn G. doch mit gleichem Recht,
wie bei jenen 3, beanstandete? Warum nicht auch 1085, der ge-
rade so gut wie jene den Nacharbeiter verrüth (immemor !) ? — Dabei
ist aber die Streichung der genannten Verse an sich noch kein gros-
ser Gewinn; um ein einigermaßen erträgliches stroph. Gebilde zu er-
halten, schlägt P. noch vor, die 3. und 4. Strophe (1043—7 mit 1048
bis 51) ihre Stellen tauschen zu lassen. —
Willkürlich ist auch die Ausscheidung von Hf. 850 tristis et
longa satiata vita als Interpolation, „die Glossemen zu tarda sen.
(849) ihre Entstehung verdankt; tristis wurde zur Erklärung aus V.
857 . . herbeigeholt“! Ja, es kommt aber doch nicht in Frage, was
etwa gestrichen werden kann, — wir könnten sonst bequem eine
jede Tragödie auf ihre Hälfte oder mehr kürzen — sondern was mit
Nothwendigkeit sich als solches erweist, das des Sinnes halber ge-
strichen werden muß, und dazu gehört Hf. 850 gewiß nicht. —
Man vgl. ferner die Behandlung des Anfangs von Ph. 274 ff., um
von dem übrigen Theile des Gedichtes ganz zu schweigen. P. bil-
ligt mit Recht die von Richter vorgeschlagene Auswerfung von 279
und 80 und erkennt in 277. 78. 81. 82 und 283—806 zwei respondie-
rende Strophen. „Die ersten 3 Zeilen (274—76) werden als Prooe-
mium frei (?), erweisen sich aber, da sie als selbständige Strophe
auftreten sollen (?!) dazu nicht befähigt: der 4. Vs. ist verloren“.
Das ist eine sehr einfache Logik !
28*
356 L. Tachau,
Charakteristisch für P. ist auch die Behandlung von Med. 56 ff.
Ausführlich legt er (7. f. G. 1864, 694) dar, daß Goebels Vorgehen,
der die Vss. 59. 60 und 65 qui explicari nequeunt (Z. f G. 1862 S.
742) .auswerfen wollte, verkehrt sei, giebt eine gute Erklärung der
Verse und bemerkt, daß „von einer Interpolation keine Rede sei".
Dann führt er aber fort: ‚Wohl aber werden wir, da wir 4 vierzei-
lige Strophen finden, zur Ergänzung der 1. Strophe (die jetzt nur 3
Vss. bat) eine Lücke von einem Vs. annehmen müssen“,
— eben war doch gesagt, es sei alles in Ordnung?! — „wenn wir
nicht ein Prooemium von 3 Vssn. den 4 Strophen voranschicken wol-
len“. — Aber auch mit diesen Aushülfemitteln ist es nochnicht ge-
than, denn der Gedanke der einen Str. (mit V. 63 anfangend) be-
ginnt am Schluß der vorhergehenden Strophe (et asperi 62). P. meint
sehr einfach: „diese Licenz . . . wird durch das antistroph. Verhält-
ni8 der beiden Strophen entschuldigt"! Dieser Grund muß ihm selbst
wohl später ein bischen wunderlich vorgekommen sein; man sollte
nun erwarten, daß, da mit den 3 Anfangsversen (56 — 58) für die
Strophenform nichts Rechtes anzufangen ist, und die in Gedanken
zusammenhängenden beiden Tbeile (59—62 und 63—66) auch nicht
die Statuierung einer Strophe ermöglichen, P. eingesehen hätte, daß
die von ihm angenommene stroph. Gestalt nur Täuschung war. Nicht
doch! Im Gegentheil, die Strophe muß auf alle Fälle herauskommen,
trotz aller Unwahrscheinlichkeiten! Also schreibt er, wie die Aus-
gabe (Nr. 5) zeigt, gegen die Autorität aller Handschr.
statt e£ asper 1 (62) et asper a mit Bezug auf Virg. Georg. III 56 und
setzt einen Punkt hinter diese Worte!
Dazu nehme man z. B. noch P.s Verfahren in dem Chorgesang
Hf. 524-591. Er erkennt hier selbst an, daß trotzdem sich eine ge-
wisse Uebereinstimmung sogar bis auf den Wortlaut in mehreren
Versen nachweisen lasse, diese Uebereinstimmung sich doch
nicht auf die Verszahl der betr. Strophen erstrecke,
auch nicht nach Beseitigung von 2 Versen (558 und 559), die P. für
ganz unpassend und störend hält. Was geschieht aber nun? Um
wenigstens die einleitenden Vss. dieser beiden Strophen gleich
zu bekommen, streicht P. noch den doch gewiß ganz untadelhaften
Vs. 548 und zerlegt nun die Vss. 533—565 in 4.5.5. 4.6.6.
ut St
Dieses Vorgehen Peipers leidet an dem Hauptfehler, daß er
nicht durch eine genaue und scharfe Darlegung des Gedan-
kenzusammenhangs den Text zunächst, falls er sich
nicht als untadelhaft erweist, auf seine echte und ursprtingl.
Gestalt zurückzuführen sucht und erst dann fragt, ob
sich so stroph. Gliederung zwangslos ergiebt, sondern daß
er es sich von vornherein zur Aufgabe setzt, irgend welche
stroph. Form auf alle Fälle herauszukonstruieren. Ja, in der
Ausgabe (Nr. 5) finden wir sogar zu Hf. 1142 die Notiz: ex-
cidisse unum versiculum stropha docet. Dem gegenüber muß
wan doch fragen, wo denn eigentlich der unanfechtbare Beweis
erbracht ist, daß wir unbedingt Strophen anzunehmen haben ?
Bis dalıın muß man also auch bezweifeln, daß am Schlusse von
Tr. 1008, „einem Liede mit solcher Regelmäßigkeit in Theile
von je 8 Versen zerfallend, daß die 6 Schlußzeilen den Ein-
druck des Lückenhaften machen müssen“, 2 Sapph. und ein
Die Arbeiten über die Tragödien des T, Annaeus Seneca. 357
Adonius „zur Ausgleichung“ hinzuzufügen seien, (Z. f. G.
1864, 329).
Etwas methodischer scheint Richter (Nr. 11) vorgehen
zu wollen. Er behandelt zuerst den Chorgesang Tr. 371—408
(S. 365— 8). Eine Betrachtung des Gedichtes nach Inhalt und
Gedankengang ergiebt ihm, daß nur Vss. 382 bis 396 einen
guten Sinn geben: in den übrigen Theilen findet er bedeutende
Schwierigkeiten, die ihn veranlassen, mehrfache Ausscheidungen
und Umstellungen vorzunehmen: während diese Schwierigkeiten
thatsächlich gar nicht vorhanden sind.
375 und 381 geben einen durchaus guten Sinn und passen gut
in den Zusammenhang, wenn man nämlich 375 zum Vorhergehenden
zieht und als Ausführung von corporibus conditis (372) betrachtet —
was, so viel ich weiß, durch Herstellung der richtigen Interpunkt.
zuerst Peiper Z. f. G. 1864, 696 gesehen hat — und 381 nudum
latus in gewöhnlichem ?) Sinne übersetzt. Ferner ist der Gedanke
dsr Vas. 400—2 sehr wohl im Zusammenhang erträglich, wenn wir
nämlich 401 interpungieren; mors ind. est, noxia corpori . . . (nozia
adjektivisch, gegen Gronov!, so zuerst von Henneberger
(Nr. 17) vorgeschlagen) und, die Vss. quaeris, quo iaceas ....
(407 £) mit cod. K an das Ende des ganzen Chorgesangs stellen, —
was R. damals freilich noch nicht wußte, was aber in der Ausgabe
(Nr. 1) hätte stehen müssen, statt der ganz unmotivierten Ausschei-
dung von 397. 98, die Peiper vorgenommen hatte (Z. f. G. 1864, 696)
weil die Verse aus Plaut. Capt. 741 —3 stammen sollen.
Auch die von R. sonst vorgebrachten Gründe sind nicht
immer zwingend und stichhaltig. Wenn z. B. Th. 130 f. aus-
geworfen werden sollen, weil sie „eine Wiederholung von 123
seien, da die domus cursibus inclitae dasselbe sagen wie stadio
notus ol." — auf diese Weise bekämen wir nämlich für den An-
fang dieses Canticums 3 Strophen zu je 4 Vss. —, so ist doch
zu bemerken, daß bei einem Dichter, der so schwülstig und um-
stindlich in Sprache und Gedanken ist, und der die einzelnen
Gedanken so viel spaltet und zergliedert, wie bekanntlich Se-
neca thut, es überhaupt eine außerordentlich schwierige und
mißliche Sache ist, aus der Aehnlichkeit zweier in nicht weitem
Abstande auf einander folgenden Gedanken auf Interpolation
schlieBen zu wollen.
Bezeichnend ist auch die Behandlung von Ph. 764 ff, auf
ihre stroph. Form hin (S. 523). Hier erkennt R. in dem er-
sten Theile (764—776) 3 Strophen, die erste 5, die anderen
beiden 4zeilig. ,Entschliefien wir uns, den müssig nach-
klappenden V. 768, der, wenn er gehalten werden muß,
doch immer korrigiert werden muß, ganz zu streichen,
so erhalten alle 3 Glieder gleichen Umfang (je 4 Vss.)* u.s. w.
So sehen wir, daß die Mittel, die beide Gelehrte zur Er-
9) R. will nudus mit „allein = solus übersetzen, aber auch die
angeführten Belegstellen erfordern dies nicht cinmal.
358 L. Tachau,
zielung von Strophen anwenden, durchaus verwerflich sind. Wel-
cher Art sind nun die Strophen, die wir auf diese Weise er-
halten ? Nehmen wir z. B. Med. 56 ff. Ich will nicht so sehr
betonen, daß wir bei Annahme von 4 Str. von je 4 Vss. (59
bis 74) doch mit den 3 Anfangsversen nichts anzufangen wis-
sen, — was sollen wir aber mit den 3 Vss. 90—92 machen,
die wir von den Glyconeen übrig behalten, wenn wir mit P.
nach Ausscheidung von 83 die Vss. 75—89 als 2 Str. von je
7 Vss. wirklich statuieren wollten? Sie sind nach P. „ein kur-
zer, aber wirksamer Schluß von 8.Zeilen^!! (S. 252). — Daß
die stroph. Gestalt, die wir Ph. 1123—1155 selbst bei der An-
nahme von P.s an und für sich probablem Vorschlage (obs. lib.
S. 26) erhalten würden, ganz undenkbar sein würde, hat schon
Leo bemerkt (I S. 139). Man vgl. auch noch Med. 849 bis
878 u. a.
Es ist klar, daß dieß nicht der richtige Weg sein konnte,
zu einem Resultate in dieser Frage zu gelangen. Daher hat
denn auch das Vorgehen der beiden Gelehrten alsbald den leb-
haftesten Widerspruch hervorgerufen. Vgl. schon L. Müller
in Jahrb. 1864, 497. B. Sehmidt obs. crit. (Nr. 19) S. 5
und Jahrb. 1868, S. 797 f. Was aber Richter (Nr. 12) spüter
zur Vertheidigung des Strophenprincips ausführt, ist durchaus un-
genügend; vgl. darüber unten S. 861. — Der überzeugungsselige
Ton von P. und KR. muß aber noch unangenehmer berühren,
da sie selbst bekennen, über die LA. der besten Hdschr. nicht
immer genau unterrichtet zu sein, ohne indessen spüter, als sie
darüber belehrt waren, ihre einmal gefaßte Meinung zu ändern.
Das ist aber doch unzweifelhaft als oberster Grundsatz bei al-
len krit. Operationen festzuhalten, daß man die LA des E zu
Grunde legt und so lange als móglich zu halten sucht.
Es läßt sich zwar nicht leugnen, daß auf den ersten Blick
eine Reihe von Chorliedern den Anschein bieten, als seien sie
stroph. gegliedert; diese also wären bei einer method. Untersu-
chung in erster Linie genau ins Auge zu fassen und zu unter-
suchen gewesen, Ergiebt sich schon bei ihnen, daß die stroph.
Form doch nicht streng vorhanden, sondern nur ein täuschender
Schein ist, so brauchen wir die übrigen Lieder gar nicht auf
diese Frage hin zu prüfen. Eine unzweifelhaft stroph.
Form aber treffen wir nur in dem Chorliede Med.
579 ff, sonst nie. Bei dem oben berührten Chorgesang Hf.
524 ff. ist gewiß eine Responsion vorhanden, aber — „sie er-
streckt sich auf die Verszahl nicht", das räumt ja
Peiper selbst ein; in Med. 56 ff. sind wir auf den ersten Blick
gar zu geneigt, stroph. Gliederung anzunehmen, aber wir er-
zielen sie auf naturgemäßem Wege nicht, und so bei vielen
Chorgesängen, die nur den Schein der stroph. Responsion er-
wecken, Dieses hat Leo (Nr. 4) 8. 135 —146 in besonnener
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 359
und umsichtiger Untersuchung näher dargelegt: im besten
Falle haben wir zu konstatieren, daß S. sich be-
müht hat, den Umfang der Theile seiner Chorge-
sänge annähernd gleich herzustellen, eineeigent-
liche stroph. Gleichmäßigkeit kennt er (außer
Med. 579) nicht. —
Wir lassen hier eine im engsten Zusammenhange mit die-
sen Untersuchungen über die Strophenform stehende Schrift folgen:
13) Gustav Richter, de cantico quodam Oedipi Senecae ad
genuinam formam revocando in ,,symbola philologorum Bonnens. in
hon. Frid. Ritschelii collecta‘‘ II 557 —580.
Hier wird das Chorlied Oed. 403—508 behandelt. Schon
L. Müller hatte (de re m. S. 120—130) über diese Verse zu-
sammmen mit Oed. 709 —735. Ag. 589—636. 808 —866 ge-
sprochen und — er kannte die Versabtheilung von E noch
nicht — sie in lauter kleine Vss., bezw. Verstheile zerlegt ; dieses
ist natürlich verkehrt. R. giebt zunächst den Text nach dem
cod. E (verglichen von Peter), unter demselben die Varianten
von 5 Breslauer und 2 Gothaer Hdschr. — Die Eintheilung
des Gedichtes in 4 Theile liegt auf der Hand, sie ist markiert
durch die Einschiebung von Hexametern, deren sich erst 2,
dann 3, dann 4, dann 6 und am Schluß nochmals 6 finden,
Um an vorletzter Stelle 5 zu erhalten, schlägt R. vor, den in
E befindlichen Hexameter et sequitnr curvus . . . (466) in einen
Tetrameter + Adonius zu zerlegen !?) (et sequitur curvus fu-
gientia | carbasa delphin), so daß wir 449—66 18 dactyl. Te-
trameter + Adon. erhalten würden. Kann man dies noch gut-
heißen, so verlieren wir, wenn wir R. in der Konstituierung des
1. Theiles folgen wollen (405 —28) allen Boden unter den Füßen.
Abgesehen von 412, wo R. mit Swoboda die Worte aridumque
fatum beanstandet, da man discuti fatum nicht sagen könne, — vgl.
aber Leo I S. 111 — und von Zyria (413), wofür, da man hier keine
Synizesis anwenden könne, pieta vorgeschlagen wird, meint R. die
Worte £e caput T'yriu cet. störten den Zusammenhang der beiden Verse,
zwischen die sie geschoben seien und setzt sie deßhalb nach Vs. 414,
um so aus floribus vernis hederave mollem einen Sapph. zu bilden.
Im vorhergehenden Vs. te decet cingi comam soll comam ,,interceptae
clausulae loco‘‘ untergeschoben sein statt nilidos oder madidos capillos;
in Vs. 415 wird statt bacifera Peipers Konj. baccare et festo religare
frontem angenommen. So erhalten wir allerdings 16 sapph. Verse
hinter einander (412—428), aber wir müssen gegen die ganze Art und
Weise des Verfahrens R.s protestieren, weil schon seine Voraussetzung,
daß nämlich 413 hinter 414 gehöre, falsch ist. Die Worte (413):
„Dir ziemt es, das Haar mit Frühlingsblumen zu kránzen, Dir das
Haupt mit tyrischer Mitra zu umschließen und die zarte Stirn mit des
Epheu Beere zu schmücken ‘‘, sind ganz untadelhaft. Billigen wir
aber diese von R. verlangte Versversetzung nicht, so fällt damit al-
les. — Die in Vs. 405—6 angenommenen Lücken endlich sind nicht
10) Trotz Peipers Einwendungen obs. lib. S. 30; zurückgenom-
men Z. f, G. 1864, 701.
360 L. Tachau,
durch den Gedankenzusammenhang gefordert, sondern nur, weil R.
überzeugt ist, daß auch die Vss. 405—8 eine Strophe gebildet haben.
Die Hauptschwierigkeiten findet R. aber in dem 4. Theile des
Gedichtes (472 - 503). Er zählt 9 vollständige sapph. Vss., 3 die sich
durch Umstellung der Worte zu solchen machen lassen, (ist das nö-
thig?), ferner einige, in denen ein Fuß an dem vollständigen Sapph.
fehlt, andere, die die Hälften von Sapph. bieten, endlich auch einen
Adonius. Dann bleiben sehr wenige, die ganz andersartig sind als
Sapph., von ihnen sagt R.: quos cum sine ulla ratione meris sapph.
sint immizti, e talibus esse corruptos omnem habet probabilitatem. Es
leuchtet ein, daß dieser Schluß unberechtigt ist; noch mehr unberech-
tigt aber ist es, wenn R., um den Bau des so gestalteten sapph. Ge-
dichtes zu erklüren, zum Vergleich auf die anderen sapph. Chorlieder
S.s hinweist und als erwiesene und festbegründete Thatsache hinstellt :
haec omnia (carmina) et strophicam ostendunt formam et nullos versus
continent nisi integros et ad severissimam normam expolitos. Folglich
sind nach ihm auch in unserem Chorliede reliquiae agnoscendae stro-
pharum sapph. Mit der falschen Voraussetzung fällt natürlich auch
dieser falsche Schluß. — Auch die Gründe, die R. ins Feld führt,
um die ihm unvollständig scheinenden sapph. Ves. durch Annahme
von Lücken zu vervollständigen, sind nicht derart, daß man sie billi-
gen kann. So, wenn R. meint, in 488 hätte der, dem die Jungfrau
übergeben wäre, erwähnt werden müssen, — da nur von Baochus die
Rede ist, ist dieß gewiß unnöthig, vgl. Leo I 113; das Gleiche gilt
von der 489 statuierten Lücke, von dem Zusatze feriente thyrso 491
und öfter. Vgl. Leo a. a. O. R. aber zieht daraus den Schluß: wbi-
cunque aut vitsats aut decurtati exhibentur versus in codd., ibi aut cor-
ruptelas aut lacunas statuamus necesse est, und will nach 503 einen
Adonius fronte sereno hinzufügen, ‚nam cum primae strophae adunius
sit, ultima eo carere nequit‘‘. — Aus diesen gedrängten Anführungen
ersieht man zur Genüge, daß der Protest, den Christ, Metrik der
Griechen und Römer S. 562? und Leo I 110 gegen diese ,,Interpola-
tionen'* erheben, sehr wohl berechtigt ist. —
Endlich erübrigt noch Richter, 'Beispiele von Versver-
setzung’ u.s. w. Ich verspare mir die Besprechung dieser Schrift
bis später, wo ich die textkritischen Beiträge verschiedener Ge-
lehrten im Zusammenhange behandele.
Diese Schriften der beiden Gelehrten also sind die Vorläu-
fer ihrer Ausgabe der Tragódien gewesen (Nr. 1). So
sehr wünschenswerth damals eine neue Ausgabe sein mußte, so
sehr auch ein neu collationierter Text auf Dank rechnen konnte,
diesem von den Herausgebern bearbeiteten Texte ward er in
keiner Weise zu Theil.
Abgesehen davon, daß dem ersten, schon von B. Schmidt
in seiner Dissertation (Nr. 7) ausgesprochenen Grundsatze der
Kritik: von E nur im äußersten Nothfalle abzuweichen , nicht
immer von ihnen entsprochen worden ist, abgesehen auch da-
von, daß die Herausgeber oft unmotiviert selbst gewagte Kon-
jekturen in den Text gesetzt, sowie Versversetzungen und Sta-
tuierung von Lücken viel zu weit getrieben haben, so haben sie
sich die Ansicht gebildet, daß außer dem Texte der Chöre
(vgl. darüber oben) auch der ganze Dialog euryth-
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 361
misch gegliedert sei, und lassen dadurch mancherlei Will-
kürlichkeiten freien Spielraum. Ich muß dem verdammenden
Urtheile, das B. Schmidt in seiner Recension (Jahrb. 1868
S. 797) über diesen Punkt fällt, vollkommen zustimmen, wie
ich unter Verweisung auf diese sehr ausführliche Recension auch
von einer eingehenden Besprechung der Ausgabe Abstand neh-
men kann. Erwähnt muß werden, daß G. Richter an dem unter
Nr. 12 genannten Platze die von Peiper und ihm beliebte Dia-
logresponsion zu vertheidigen gesucht hat, aber mit
recht wenig Glück. Er weist zunächst auf eine Anzahl Dialog-
stellen aus verschiedenen Tragödien hin, die sich „ohne jede
Aenderung in eine Reihe symmetrisch geordneter Perioden glie-
dern“. Es sind das nur 7 Stellen; in den anderen geht es
schon ohne Aenderung nicht mehr ab. Für eins der glänzend-
sten Beispiele für die Existenz des stroph. Gesetzes hält R. die
Botenrede Ph. 1000 ff. ‘Jedoch wird hier eine von Swoboda
vorgeschlagene, aber durchaus nicht zwingend nothwendige Um-
stellung der Verse 1042 und 43 als unbedingt erforderlich hin-
gestellt und der an sich tadellose Vs. 1014 als „entbehrlich“
bezeichnet. “‘Wefhalb soll ferner Oed. 959 „einen an dieser
Stelle ungehörigen Gedanken enthalten und nur aus 962-—64
zusammengeschweißt sein“? u. dgl. — Ein recht schlechtes
Argument muß es genannt werden, wenn R. dann einige Fälle
aufzühlt, „wo durch Annahme von Verderbnissen, die bereits
von früheren Gelehrten nachgewiesen sind, die gleichmäßige
Gliederung der Rede sofort klar wird“. Man hat doch zuvor
zu prüfen, ob die Meinung früherer Gelehrter unbedingt richtig
ist, was z. B. nicht zutrifft bei Ph. 140—1, die zwar Delrio
versetzen wollte, ohne daß ihm aber Bothe beigestimmt hätte.
Sonderbar im hóchsten Grade ist auch die Vertheidigung der
Behandlung des Oed. fr. auf seine stroph. Gestalt hin: es ge-
nügt doch wahrlich nicht für einen Herausgeber, weil Gruter,
Heinsius, Scaliger, Swoboda Verse ausgeworfen oder um-
gestellt haben, dieß einfach ohne Prüfung für seinen Zweck zu adop-
tieren und zu sagen: „von all diesen Sachen haben die Herausgeber
das Wenigste also gethan!^ — Wenn nun aber R. selbst an-
erkennt, „daß sich Stellen genug finden, wo auf den ersten
Blick eine eurythm. Anordnung nicht zu erkennen ist", wenn er
ferner ,in Hinblick auf die angeführten Thatsachen", 3 Fülle
für möglich hält: „entweder hat der Dichter von dem stroph.
Gesetz im Dialog keine durchgehende Anwendung machen wol-
len, sondern einzelne Partieen stroph. gegliedert, andere nicht",
welcher Annahme R. mit Recht wenig innere Wahrscheinlichkeit
zuspricht; — „oder er hat dieses Princip durchgeführt, der ver-
derbte Zustand des Textes hindert uns aber, es überall mit
gleicher Klarheit zu erkennen; oder endlich, der Dichter hat
sein symmetrisches Gesetz zwar «durchführen wollen, hat es aber
362 NL. Tachau, Die Arbeiten über die Tragödien u. s. w.
nicht durchführen kónnen, sei es, weil er überhaupt zu einer
letzten Diorthose seiner Stücke nicht mehr gekommen, oder weil
er stellenweise an den entgegenstehenden Schwierigkeiten ge-
scheitert ist^, — besonders aber wenn R. ófter wiederholt, daB
es „eine Reihe von ganz sicheren Anzeichen giebt, welche darauf
hinweisen, daß der Dichter seine dramat. Erzeugnisse wenigstens
theilweise in einem unfertigen Zustande hinterlassen hat", und
daß „man Grund hat anzunehmen, daß die Tragódien die letzte
feilende und überarbeitende Hand des Dichters nicht erfahren
haben“ (vgl auch Ausgabe praef. p. VID, so hätte gerade
dies die Herausgeber abhalten sollen, außer an den Stellen,
wo die auf uns überkommene hdschr. Ueberlieferung es ohne
weiteren Zwang gestattet — und das sind äußerst wenige Stel-
len, an denen also der Zufall seine Hand im Spiele gehabt ha-
ben mag — Strophen nachzuspüren. Vergessen wir einen Au-
genblick die principielle Frage, ob S. überhaupt dialogische
Responsion gehabt hat, so ist in jedem Falle zu sagen, daß
es nicht Sache der Herausgeber sein konnte, „sich anzumaßen“,
— wie Schmidt mit Recht ihnen vorwirft — „Sen. selbst zu
verbessern, und gewissermaßen in des Verfassers Namen seinen
nachgelassenen Werken die letzte Feile zu geben“ 11).
Dies eine von den Herausgebern befolgte sehr durchgrei-
fende Princip hat so viel Unheil angerichtet, daß B. Schmidt
auch darin Recht zu geben ist, wenn er behauptet (S. 877)
„daß der großen Menge der [von den Herausgg. begangenen]
Interpolationen gegenüber die Zahl der annehmbaren Vermu-
thungen eine sehr geringe sei". Nehmen wir z. B. die Tro a-
des. Abgesehen von den vielen Versumstellungen werden hier
22 Verse ausgeschieden — eine Berechtigung dazu kann ich nur
anerkennen bei Vs. 92 und 986 und 25 eigene und fremde
Konjekturen (nebst einigen kleineren Aenderungen, die ich nicht
mitgezühlt habe) in den Text gesetzt, von denen nur 8 An-
spruch auf Billigung machen kónnen (210 virtutis nach Peiper;
505 fuga nach Rutgers; 616 sed et huc nach Bothe; 686 pa-
riter n. J. Gronov; 783 Marte n. Peiper; 932 simu n. Gronov;
999 sed en citato n. Peiper; 1109 Zeget n. Heusinger)!
So bestand also trotz dieser Ausgabe das BedürfniB einer
neuen Bearbeitung der Tragödien fort. Diese haben wir F'rie-
drich Leo zu verdanken. (Die Tauchnitz' sehe Ausgabe
der Tragödien [nova impressio, Lipsiae, sumptibus Ottonis Klotze.
1872] darf ich übergehen, da sie Anspruch auf eigenen Werth
nicht machen kann).
11) Aus diesem ,, Nachweise‘‘ dialogischer Responsion glaubt R.
den Schluß ziehen zu dürfen, daß die Chöre doch dann ganz gewiß
stroph. gegliedert waren!
Wolfenbüttel. L. Tachau.
10. Adnotationes ad poetas elegiacos Graecos.
I. Tyrtaeus 5 Bergk. Hoc carmen ex tribus frag-
mentis conflatum est: nam vv. 1, 2 Pausanias servavit IV 6. 2:
v. 3 Schol Plat. et Olympiodorus. vv. 4—8 Strabo VI 279.
Cf. Paus. IV 15, 2: 18, 4. Versum 3 talem exhibet Schol. Plat,
Meoonvnv ayudòv uiv doovv ayaddv dà putevay
(pvtevous Olymp.) Buttmannus óya9:3v utrobique scripsit, ver-
sumque cum iis quos habet Pausanias IV 6.2 coniunxit. Illum
omnes fere secuti sunt; vide ne perperam.
Paus. IV 18. 1: ,,Decreverunt Lacedaemonii fines Messeni-
orum dum depugnassent, incultas relinquere. Hinc fames orta,
et inde seditio antiquandam esse illam legem clamitantium: quam
seditionem Tyrtaeus carmine, cui Evvoufa nomen est compescuit".
Hic versus igitur sententiam seditiosorum pulehre exprimit,
si codicum auctoritatem Buttmannianae anteponimus. Nam con-
iectura «dyasıv prorsus prava est: nec potuit Tyrtaeus, nisi in-
epte, „Messeniam arabilem, Messeniam vitibus oleisque fertilem"
inter furibundos et hoc ipsum flagitantes, ut Messeniam colerent,
sie temere et quasi fortuito nominare. Disiungenda itaque vi-
dentur, quae Buttmannus Bergkiusque copulaverunt, lectio autem
servanda codicum.
II. Mimnermus 12 B. De ultimis huius carminis
versiculis non nihil hariolantur interpretes. Nam evdov?’ ág-
nadéws, nisi omnia me fallunt, omnino iungenda sunt; item éré-
gw» oyéwy, quod Mss habent, non operéqur oLsgonwv Îsquiv nu-
eor, unice vera lectio. Quippe haec ipsa vis poematis est:
solem semper labore affici, quem, cum exacto die totum caeli
orbem percurrerit, statim poculo aureo trans oceanum vectum,
it& ut interiungere tantum non bene dormire possit, iam primo
0604 Miscellen.
mane iterum excipiat idem labor. Nam érégur oyéwr idem est
quod érégou dgouov.
III. Solo 9 Bgk.: fw; d’ Bdgarr’ où $ddiov dan.
xuraoyeiv | voregov. (Sic Bergkius: codd. Ans d° "Huvra)
„Quem tyrannum, cum sine ullo labore super omnium cervices
honoribus extuleris, non facile erit postea cohibere. ^ Miror
hanc verborum tam manifestam vim non vidisse viros doctis-
simos Bergkium Ahrensium Kayserum Cobetum.
IV. Solo 13. 84. B.: , Omnes mortales idem patimur:
unus quisque se.......... credit, priusquam vera cala-
mitate afflictus sit. Tum certe ingemit! Sed prius, spe vana
se quisque oblectat; aegrotus, quomodo revalescat, excogitat:
pauper se aliquando ditem fore sperat“ eqs. V.34 ubi ego la-
cunam reliqui, libri habent multigenera monstra: dern» eig av-
tov, erdnv tig avrov, ex dnv nv avioc, &vdnnv avrog Vind. sed corr.:
év div qv. Varie versum emendare conati sunt viri docti. Sed
postulat sensus et argumenti ratio, huiusmodi nescio quid: ,,Omnes
idem patimur. Suam quisque sortem contemnit, speratque me-
liorem mox fere; sed prius venit dira dies et minorum malorum
recordationem penitus exturbat“. Lege &rdsvsıy aurog —
‘indigere sibi videtur’.
. V. Solo 36. 21 B. Hic quoque Bergkius, ordinis ver-
borum contemptor, sententiam versiculi pessum dedit. Negan-
dum enim omnino, hominem improbum, cum lac turbaverit,
tum spumam ex inferiore patina extrahere solere: idque ob
tres causas: primo (1) adversatur repugnatque huic interpre-
tationi ordo verborum: deinde (2) quis unquam, si spumam
ab lacte segregare voluit, id turbando (rugu£aç) efficere conatus
est? Postremo (3) Graecis magis in honore fuit lac quam spuma.
Cf. Hdt. IV 2. Dixit igitur Solon7 hominem improbum, cum
spumam disturbaverit, lac sibi ex inferiore mulctro exhaurire.
(Anglice: „brushes off the cream and takes the milk“).
VI. Cleobulina 8. ,Dixit Aesopus suae aetatis fistu-
larum fabros ossa cervina abiecisse, asinina ‚adsumpsisse, utpote
melius sonantia. Unde etiam Cleobulina 7906 rov Douyior ai-
w !
Àov nesuro nun vexgoydrog alua xsquopdée@ Ovag Ex te sQov-
Gews wore Juvuubei Tor ovow ei xri.“. Sic Plutarchus Sept.
Sap. Conviv. 5. Ea quae Graece scripsi valde corrupta sunt,
nec omnino, vereor, sanabilia. Sed interlucet hic illic nescioquid
certi vel veri similis. Primo ZoE«r0 ; correctum iam dudum frtEaro
auctore Wittenbachio ; Cleobulina enim scirporum inventrix fuit.
Tum in voce vErgoydvoc, cervi quidem vestigia videre viri
docti, qui reßgoyovog scribunt: sed cur asellum neglegamus ?
Scribendum Ȓfigov dvoc.
Iam quid de xegaoyogw ovuo Ex 1e xgovosws? Illud certe:
Miscellen. ì 365
aures asini cervi cornua inter se opponi, ut sententia totius ver-
siculi sit, „asinos iam cervis, cornigeris auratos, anteferri". Quod
cum per ambages dicere poetria vellet, potuit sic scribere:
xai unv véBoor Üvoc xe xtQaOqoQov ovars xgovGa:.
Nam «iua puto alsıyaa esse, noto compendio scriptum, tum in
textum illapsum : in xgovosws wore autem, litteras ws bis per
errorem scriptas: ovog ex re, si licet hariolari, ex ovamumı te
natum. Sed illa omnino incerta relinquere necesse est.
Oxonii. G. G. A. Murray.
1L Zu Polybius I 2, 7.
Kein Leser Polybs wird über die großen Lücken im An-
fang des ersten Buches hinweggehen kónnen, ohne immer aufs
neue sich an der Ausfüllung zu versuchen. Hultsch gibt in
der 1888 erschienenen 2. Ausgabe an der ersteren Lücke (1,
2, 7) wieder die Ergänzung, welche zum größeren Theil auf
Ursinus zurückgeht; hinzugefügt hat H. II nur das schon
früher von ihm vermuthete x«i vor :oig émywontowg. Bütt-
ner Wobst in seiner 1882 erschienenen Erneuerung der Din-
dorfschen Ausgabe weicht mehrfach von der herkömmlichen
Lesart ab. Wir setzen der Bequemlichkeit wegen die beiden
Lesarten neben einander, wobei die Zeilen von Vat. A (nach
Hultsch in der Regel ca 20 Buchstaben) beibehalten werden
sollen. Voraus geht ‘Pwpuîot ys uür ov tua won, ayedor dì
máGar ntnowutvo, thy olxovué£rgv vnixoov av-
H. II -roig | àxapaptAX rov uir BW. -10ig | àvurésta Tor u£v
roig | «pótepov odjowr, ar- toig | Orapyovar mà, oiv, dv-
vnt|pBAntov dì xai | roic une\pßAntov dî xai | roig
émyi vousvots OTS or émsyt vouévots Onep|oy?)»
xa TÉAUTOY tz; AUTEV | dv- xu|téhinov TZ; abroiv | du-
vagi|s(az ..... uiv Tu vuot stag. Tepi dî tod | puerto
Audit TTS ....... {Ou | Audtar ...... | àx tie ypa- |
Qc e&éorar cupéoregor xa- ging dor Cupéoregor xa-
Tuvosiv xié. Tuvoëir xié.
Von dem, was beide Ergiinzungen gemeinsam haben, hebe
ich als kaum zulässig zunächst xaıflınor hervor, das nach den
fast formelhaften Sätzen wie 3, 12, 3 wore un xurulsneir vrto-
Boany dvousrelag ergänzt zu sein scheint. Daß hier der Ge-
danke ein anderer ist, leuchtet ein ; insbesondere wäre xazéAumoy
toig modisgor oùouy anugaulddnioy dregoyn» nur als ein starkes
Zeugma zu rechtfertigen. Dafür ist wohl x«récigsoav oder xa-
966 Miscellen.
zeoınoayıo zu lesen, Es handelt sich nun weiter darum, ob
eine Vergleichung der Rómerherrschaft mit den früheren Herr-
schaften (wie bei Hultsch) oder ein Hinweis auf die Zeitgenossen
(wie bei Büttner Wobst) passender erscheint. Denkbar ist Beides;
nach dem vorausgehenden Theil des 2. Kap. erwartet man eine
Vergleichung mit den früheren Zuständen; aber dann wäre do-
gator oder ayrworor (vgl. 3, 36, 7) mit oder ohne 3£«ua am
Platze für «raguufAinzov, das besser von lebenden Konkurrenten
gesagt wird. Nach 3, 4, 7 und ähnlichen Stellen möchte man
jedoch mit B.W. überhaupt den Hinweis auf die Mitwelt für
geeigneter halten. Ob dann amuguuflinrov „unübertrefflich“,
was Pol. sonst nicht hat, gelesen wird oder avunooraıor, was
3, 63, 10 „unwiderstehlich“ heißt, sonst „ohne Grundlage“, oder
endlich, was mir wahrscheinlicher ist, drauysoßnznror (vgl. 11,
18,8; 18, 35, 12), macht für den Sinn im ganzen wenig aus
Was die Ergänzung des Schlusses anlangt, so haben alle
bisherigen Herausgeber darauf verzichtet, eine Lösung zu finden.
Ich habe früher (Philol. Anzeiger XIII S. 828) vorgeschlagen :
a 0° elonxaner (oder negi wy d' elorxaper), Gla dià tig Eno-
uerns young (oder di «vij 176 Guyyoupñc); auch an ravra ner
Sia könnte man denken. Die Schwierigkeit liegt aber in dia,
welches Polybius überaus häufig, aber in der Regel mit dem Ar-
tikel (= gesammt, Gesammtlage, Gesammtherrschaft) gebraucht.
Indem ich nun zugleich einige andere Aenderungen vornehme,
welche sich aus der Vergleichung mit obigen Texten ersehen
lassen, schlage ich folgende Gestaltung der fraglichen 8 Zeilen
vor: ‘Pwpuatol ye uv où tva uéon, Oyedov dé nácuv nenom-
ueroı rj» olxovuérgy vmjxoor . . . .
av)zoig, | Avappıoßnrnizov uiv
roig | vöv drapyoulor, a»
une pBArtov Ó' tows (xoi) | toic
émyslvouévorc thy | «oy»
xaitéornoav. Qc (oder IIàc) à bre | dv-
vaor!eiav Émcos|u(av ta 0- (f. uevro)
da, dia 1.75 Eropévrs Ypa|-
pus e&éora: capéoregor xaravosiv xré.
Wiederholt bezeichnet es Pol. als Ziel seiner Geschichtschreibung :
nachzuweisen, wie die Rómer in so kurzer Zeit zur Universal-
herrschaft gelangten; vgl. 1, 1, 5; daß ihm aber, wie in $ 8
folgt, der Nutzen der Leser als Hauptzweck der Geschichte er-
scheint, sagt er bei jeder Gelegenheit; vgl. 12, 25 g, 2.
Zweibrücken. H. Stich.
Miscellen. 367
12. Die Personenzeichen in den Handschriften von
Cicero's Tusculanae disputationes.
In den Tuskulanen werden die zwei sprechenden Personen,
einer der jüngeren Freunde des Cicero und dieser selbst, in den
Handschriften von Anfang an durch die Buchstaben A und M
bezeichnet. Ich übergehe die bereits widerlegten oder wieder
aufgegebenen Ansichten, daß A den Freund des Cicero Atti-
cus oder auch Adulescens bedeute, und daß mit M der
Vorname des Cicero Marcus gemeint sei. Ich bespreche nur
den, wie es scheint, jetzt allgemein gebilligten Vorschlag (s.
Heine's Ausgabe? Einleit. S. IV, Tischer-Sorof® Anmerk.
zu I 5 $ 9) A als Auditor und M als Magister zu deu-
ten. Diese Erklärung hat viel äußeren Schein. Cicero sagt in
der Einleitung seiner Schrift I 4, 7: ponere iubebam de quo quis
audire vellet, ad id aut sedens aut ambulans disputabam . .
fiebat autem ita ut cum is qui audire vellet dixisset quid sibi
videretur, tum ego contra dicerem. An einer anderen Stelle V 4,
10 ist audire in demselben Sinne gebraucht: ad Socratem qui
Archelaum , Anazagorae discipulum , audierat und auditor
selbst steht V 3, 8: auditor Platonis, Ponticus Heraclides
sowie V 11, 33: eius auditori Aristoni. Anderseits findet
sich magister vom unterrichtenden Philosophen, nicht nur mit
einem Genetiv, der den Inhalt der Lehre bezeichnet, IV 33, 70:
ad magisiros virtutis philosophos veniamus, sondern auch ohne sol-
chen Zusatz V 10, 30: meque Bruto meo neque communibus ma-
gistris (die Akademiker und Peripatetiker) Man könnte auch
noch hervorheben , daß Cicero in der Einleitung das Wort
schola gebraucht I 4, 7: in quam exercitationem ita nos studiose
operam impendimus, ut iam etiam scholas Graecorum more ha-
bere auderemus , ut nuper tuum post discessum in Tusculano
cum essent complures mecum familiares temptavi, quid in eo ge-
nere possim.
Dennoch halte ich es für sehr unwahrscheinlich, daß Cicero
sich als den magister seiner zufällig anwesenden guten Freunde
bezeichne. Von der gelegentlichen Bemerkung, er habe philo-
sophische Erörterungen mit ihnen gepflogen wie die griechischen
Philosophen, ist noch ein großer Schritt zu der Anmaßung sich
selbst den Namen des Lehrers, seinen Freunden den der Schüler
beizulegen. Auch kennen wir kein griechisches Vorbild, daß in
einem philosophischen Dialoge die geschmacklose Benennung
„Lehrer“ und „Schüler“ angewendet worden wäre.
Aber wenn wir auch wirklich annehmen wollen, Cicero
habe im Widerspruch mit seiner sonstigen Höflichkeit diese Be-
zeichnungen gebraucht, so bleibt doch die Kürzung dieser Worte
in der Form des bloßen Anfangsbuchstabens ganz ungewöhnlich.
968 Miscellen.
Diese Kürzung müßte entweder vom Schriftsteller selbst ausge-
gangen sein oder auf spütere Abschreiber zurückgeführt werden.
Hat sie Cicero selbst gebraucht, so hat er unbegreiflicherweise
seinen Landsleuten und Zeitgenossen ebenso ein Räthsel vorge-
legt wie uns. Nur wenn Áuditor und Magister die all-
gemein übliche Bezeichnung der sprechenden Personen in der-
artigen Dialogen war, konnte Cicero die bloßen Anfangsbuch-
staben gebrauchen, und selbst dann hätte er wohl das erstemal
die Worte ausgeschrieben. Da aber, wie wir wissen, dieB keine
stehende Bezeichnung war, konnte auch kein Römer beim ersten
Lesen die Bedeutung errathen. Setzen wir dagegen den Fall,
Cicero selbst habe zwar im Originale Auditor und Magister
mit allen Lettern geschrieben, aber spätere Abschreiber erlaubten
sich schon beim ersten Vorkommen dieser Worte die Kürzung,
so steht wieder die Praxis, welche die Abschreiber bei solchen
Personenbezeichnungen einzuhalten pflegen, damit im Wider-
spruch. Selbst in denjenigen Dialogen des Cicero, in welchen
eine sprechende Person die andere mit Namen nennt, schreiben
sie beim Personenwechsel den Namen vollständig oder in un-
zweifelhafter Kürzung, z.B. Laelius, wenn gleich ein paar Worte
vorher der Vokativ Laeli stand. Ebenso tritt in der lateinischen
Komödie überall das Bestreben der Abschreiber sichtlich zu Tage
jede denkbare Unsicherheit in den Personenbezeichnungen zu
meiden, ja sie thun nach unseren Begriffen in dieser Beziehung
mehr als nöthig ist.
Man braucht sich keine Mühe zu geben eine bestimmte
Deutung der Buchstaben A und M ausfindig zu machen. Sie
haben keine. Der zuerst Sprechende ist mit A bezeichnet, der
andere mit einem willkürlich gewählten anderen Buchstaben, hier
M. Dieß hat nicht mehr zu bedeuten als wenn wir im Deut-
schen die Rede des einen durch einfache Anführungszeichen, die
des anderen durch doppelte bezeichnen, oder wenn wir die zu-
erst sprechende Person I, die andere II, oder auch die erstere
A, die zweite B heißen würden. Daß hier die zweite Person
M statt B genannt ist, thut nichts zur Sache. An die Reihen-
folge der Buchstaben band man sich nicht so üngstlich wie bei
uns, was am besten die Personenbezeichnungen im codex Bem-
binus der Komödien des Terentius zeigen. Um das zeitraubende
Ausschreiben der lateinischen Worte zu meiden, sind nämlich
hier innerhalb der Scene griechische Buchstaben gewählt,
nachdem dieselben bei der Scenenüberschrift den lateini-
schen Personenbezeichnungen beigefügt sind, woraus ihre Bedeu-
tung zu entnehmen ist, z. B. Eunuchus I 1:
4 ADVLESCENS B SERVVS
und im Verlauf der Scene nur noch 4 und B. Die zuerst auf-
tretende Person ist also hier 4, die zweite B, als dritte sollte
man I erwarten, aber es folgt E, nämlich:
Miscellen. 869
_E MERETRIX 4 ADVLESCENS B SERVVS ©.
Erst III 1 kommt IF”, II 2 Z, IV 1 ©, IV 4 4, IV 7 0.
Wir haben somit die Ordnung: 4B EI'ZO 40. Im Phormio
ist die Reihenfolge: B I° A (B ein zweiter Adulescens) Z4 ET
(senex alter) Y © © B (mulier) Y (parasitus) In der Hecyra:
BTA®O. In den Adelphi: ABT4A4 ©. In der Andria
sind in den im Bembinus erhalienen Scenen (der Anfang fehlt)
die Buchstaben K E l'E 4Z O gewählt.
Wie also hier die Reihenfolge der Buchstaben unseren Er-
wartungen durchaus nicht entspricht, sondern nur die verschie-
denen Zeichen den Zweck haben die verschiedenen Personen
von einander zu unterscheiden, so ist in den Tusku-
lanen die eine Person mit 4, die andere mit M bezeichnet.
Vielleicht liegt auch noch eine nähere Aehnlichkeit dieser Buch-
staben mit unseren einfachen und doppelten Anführungs-
zeichen oder mit den Zahlen I und H vor, weil M gewisser-
maßen nur das doppelte Zeichen 4 ist. Denn da der Buch-
stabe A oft (z. B. immer in den oben angeführten. Buchstaben-
zeichen dés Bembinus) ohne den mittleren Bindestrich geschrie-
ben wird und die zwei mittleren Linien des M in der klassi-
schen Zeit immer bis zur Zeile herabreichen, geben zwei anein-
ander gerückte A den Buchstaben M. Mag dies Zufall sein,
jedenfalls werden wir unter 4 und M nicht die Anfangsbuch-
staben lateinischer Wörter, sondern bedeutungslose Buchstaben-
zeichen zur Unterscheidung der zwei sprechenden Personen zu
finden haben.
Wie die plumpen Namen „Lehrer“ und „Schüler“ dem
feinfühlenden Cicero widerstreben mußten, so ist anderseits in
dieser ganz allgemein gehaltenen Bezeichnung, welche die Per-
sonen nicht nach ihrer Stellung, nach ihrem größeren oder ge |
ringeren Wissen unterscheidet, sondern sie nur numeriert, ein
bewußter Akt der Höflichkeit zu erkennen, übereinstimmend mit
dem Gesprächston der Tuskulanen, welcher äußerlich ganz den
Charakter einer Unterhaltung geistig gleichstehender Freunde
festhält.
Passau. A. Spengel.
13. Ueber die Zeit der ludi Romani.
Nach Mommsens schöner Abhandlung (Röm. Forsch. II
42 ff) kann es als feststehend betrachtet werden, daß die ludi
Romani, welche im letzten Jahrhundert der Republik vom 4.
bis 18. September gefeiert wurden, von Haus aus einen inte-
grirenden Bestandtheil der Siegesfeier nach glücklich beendigtem
Feldzug bildeten und auf Grund eines von dem Feldherrn dem
Philologus. N. F. Bd. Il (XLVIII), 2. 24
370 Miscellen.
Juppiter zuvor dargebrachten Gelübdes begangen wurden. ‚Ur-
sprünglich war das Fest cintägig. Ein zweiter Tag soll nach
Vertreibung der Könige und ein dritter in den ersten Decennien
der Republik hinzugefügt worden sein (s. die Belege bei Momm-
sen S. 48 f) Auf vier Tage wurde die Dauer des Festes im
Jahre 388 der Stadt erhöht, was den Anlaß zur Einsetzung der
curulischen Aedilen gab (Liv. VI 42).
Die Errichtung einer besonderen Behórde führt, wie Momm-
sen richtig bemerkt, mit Nothwendigkeit zu dem Schluß, daß
von nun an die Spiele alljährlich stattfanden. Irrig ist indessen
die weitere von Mommsen gezogene Folgerung, daß dieselben
bereits damals auf den September fixirt worden seien, in wel-
cher Annahme ihm die Neueren gefolgt sind. Wenn man an
dem Grundgedanken Mommsens festhält, daß die ludi Romani
von Haus aus ein Siegesfest waren, so liegt die Vermuthung
sehr nahe, daß man sie, nachdem sie einmal zu einem jährlichen
Fest geworden, um ihnen ihren ursprünglichen Charakter zu
wahren, am Ende des consularischen Amtsjahres beging.
Dafür, daß es so gehalten wurde, fehlt es insder That
nicht an Belegen. Die Nachricht von der im Jahre 557 gelie-
ferten Schlacht bei Kynoskephalä kam nach Rom exu ferme
anni (Liv. XXXIII 24, 3). Das neue Jahr begann an den Iden
des März. Von den ludi Romani des genannten Jahres heißt
es c. 25, 1: magnificentius quam alias facti et laetius propter res
bello bene gestas spectati. Diese Angabe hat Unger (der Gang
des altrömischen Kalenders, München 1888, S. 84) zu der Fol-
gerung veranlaßt, daß die Schlacht bei Kynoskephalä spätestens
Ende Sextilis geschlagen worden und demnach die obige Notiz
des Livius zu verwerfen sei. Umgekehrt hält Matzat (Röm.
Zeitrechnung, Berlin 1889, S. 184) an der letzteren fest und
führt die Nachricht über die ludi Romani auf die irrige Com-
bination eines Annalisten zurück, welcher wohl gewußt habe,
daß die Schlacht im Sommer geschlagen worden sei, den Sep-
tember aber für einen Herbstmonat gehalten habe, während der-
selbe damals dem julianischen Mai entsprach. Keine von diesen
beiden Annahmen ist jedoch nothwendig, sobald man die Vor-
aussetzung aufgibt, daß die ludi Romani bereits in jener Zeit
auf den September fixirt gewesen seien Einen unzweifelhaften
Beweis für das Gegentheil bietet Liv. XXIII 30, 16, wonach
zu Ende des mit prid. Id. Mart. ablaufenden Jahres 588 der
curulische Aedil Ti. Sempronius Gracchus, nachdem er bereits
für das nächste Jahr zum Consul designirt worden war, in Ge-
meinsehaft mit seinem Collegen C. Laetorius die rómischen Spiele
ausrichtete. Wie ein Annalist darauf hätte verfallen sollen,
diese mit der spüteren Zeit der Spiele unvereinbare Angabe zu
erfinden, ist schwer einzusehen.
Im Jahre 536, in welchem die Schlacht bei Pydna gelie-
Miscellen. 371
fert wurde, fiel das Fest bereits in den September (Liv. XLV 1).
Man darf wohl vermuthen, daß M. Fulvius Nobilior (Consul 565),
welcher im Tempel des Hercules und der Musen Fasten auf-
stellen ließ, die einen die Festordnung vielfältig abändernden
und umdeutenden Commentar enthielten (vgl. Soltau, Prole-
gomena zu einer römischen Chronologie S. 139 f.) und nach
Macrob. Sat. I 13, 21 nach dem Jahre 563 abgefaßt sind, der
Urheber dieser Aenderung gewesen ist.
Gießen. L. Holzapfel.
14. Zu den Kyraniden des Hermes Trismegistos.
An einer für den Philologen ziemlich entlegenenen Stelle,
unter venetianischen Urkunden des 15. und 16. Jahrhunderts,
hat vor Kurzem C. N. Sathas!) ein zur Zauberlitteratur der
einst vielbesprochenen sogenannten „Kyraniden “ ?) gehöriges
Anekdoton veröffentlicht, auf welches ich, trotz des wenig er-
heblichen Werthes des Stückes und trotz der außerordentlichen
Mängel der Edition die Aufmerksamkeit der Forschung lenken
möchte. Sathas hat den lateinischen Tractatus de septem herbis
septem planetis attributis aus einer Hs. der Marcus-Bibliothek zu
Venedig (Ms. Gr. Cl. IV Nr. 57 App.) abgedruckt, allerdings
in so nachlässiger Weise, daß der Druck für eine abschließende
Beurtheilung des Inhaltes und der litterargeschichtlichen Stel-
lung des Traktates in keiner Weise als Grundlage dienen kann.
Kaum ein paar Sätze des ganzen Druckes sind frei von den
störendsten Druck- und Abschreibefehlern, die auf weite Stre-
cken das Verständniß des Textes unmöglich machen. Auch der
Titel des Traktates wurde von Sathas vollständig mißver-
standen: daß in der Sathas’schen Lesart de septem herbis septem
praelibatis attributis die oben gegebene Form des Titels
steckte, mußte erst durch Conjektur erschlossen werden, deren
Richtigkeit in erwünschter Weise Schum’s Katalog der Am-
ploniana *) bestätigte, deren Handschrift Q. 217 unter Anderem
den tractatus de septem herbis septem planetis attributis . eines
Flaccius Africanus enthält. Zur Orientirung über das Verhält-
1) Mvzutie “Ellnvixijs iotogias. Documents inédits relatifs à l’hi-
stoire de la Grèce au moyen äge. Tome VII (1888) S. LII f. LXIII f.
Vgl. meine Besprechung im Lit. Centralbl. 1889 Nr. 22.
2) Vgl. über dieselben namentlich Th. Reinesius, Variae lectiones
S. 6, Fabricius- Harles, Bibliotheca Graeca 1* S. 69 ff. und E. H. F.
Meyer, Geschichte der Botanik II S. 348—366. Von den beiden la-
teinischen Ausgaben der Kyraniden stand mir die von 1681 (Mysteria
physico-medica) zu Gebote.
3) Beschreibendes Verzeichniß der Amplonianischen Handschriften-
Sammlung zu Erfurt (1887) S. 473.
24 *
372 Miscellen.
niß des Traktates zu den früher bekannt gewesenen Kyraniden-
Büchern und zugleich behufs Kennzeichnung von Sathas’ Edi-
tionsweise lasse ich die Einleitung des Traktates nach dem Sa-
thas’schen Drucke folgen:
Flaccus Africus discipulus Belbenus Claudeo Atheniensi Epi-
logico *) studium continuare et finem cum laude. Post antiquorum
Kiranidarum voluminà tibi nota et a Patricio consodali tuo relacio-
nem, inveni in civitate Troiana in monumento reclusum presentem
libellum cum ossibus primi regis Kirunidis, qui Compendium intitu-
latum eo quod per distinctionem perficiam a maiore Kiranidis volu-
mine cum diligentia compilatum est studio vehementi, Tractat enim
de septem herbis septem prelibatis attributis, sed illas impressiones
quae sunt a divino aspectu maxime in regionibus calidis de . . .
(sic) et de aliis contratis et uti qui hunc modum servaverit in ope-
racione curandi et conservandi corpus mortale divinum habeatur pro-
phetam . . .
Ueber Satlıas’ Vermuthung, daß der im Eingang genannte
Claudius Atheniensis Epilogicus mit dem ,,chef des sophistes“
(0 ®ni 100v Aóywr) Claudius Herodes Atticus, Patricius mit dem
Kaiser Mare Aurel als identisch anzusehen sei, und über seine
Versuche, die Zeit der Abfassung des Traktates zu fixiren, ver-
liere ich kein Wort. Vielleicht gelingt es noch, über den Ver-
fasser des Traktates, Flaccus Africus oder Africanus 9), woferne
der Name nicht erfunden ist, aus den massenhaft vorhande-
nen Handschriften medicinischer und alchemistischer 'Traktaten-
sammlungen der spätgriechischen und byzantinischen Zeit be-
stimmtere Angaben zu gewinnen. Vorerst muß die Feststellung
genügen, daß der Traktat die Bekanntschaft mit den älteren
Kyraniden (d. h. wohl mit den auf uns gekommenen Medicin-
und Zauber-Büchern dieses Namens) voraussetzt. Daß im Ue-
brigen ein näherer Zusammenhang zwischen den bisher unter
dem Namen der ,Kyraniden^ gehenden Büchern und unserem
Traktate nicht besteht, zeigt eine Vergleichung der Abschnitte
des letzteren über die Heilwirkungen der Pflanzen Paeonia und
Satyrion mit den einschlägigen Capiteln des ersten Buches der
Kyraniden, aus welcher sich so gut wie keine Uebereinstimmung
der beiderseitigen Zauberrecepte ergiebt 9). Daß die mittelalter-
4) Schum a. a. O.: Flactius Africanus Belbenis discipulus Glan-
degrio Atthoniensi (!) epylogitico.
5) An eine, wenn auch nur mißbräuchliche, Verwendung des Na-
mens des Sextus Iulius Africanus, den man in spätgriechische Zeit
den Alchemisten zurechnete (Kopp Beitráge zur Geschichte der Che-
mie S. 40 ff.) ist wohl nicht zu denken. Ueber andere alchemistische
Schriftsteller Namus Africanus vgl. Kopp a. a. O. Die Schrift des
Arztes Africanus 7gi oraSuwy hat P. de Lagarde im ersten Bande
seiner Symmicta (1877) S. 166 ff. herausgegeben.
6) Vgl. die Ausgabe der Kyraniden von 1681 S. 23 s. v. yàexv-
cid) und S. 63 s. v. garugior.
Miscellen. 373
lich-lateinische Fassung des Traktates, wie sie in den Hand-
schriften der Marciana und Amploniana vorliegt, auf ein grie-
chisches Original zurückgeht, ist in hohem Grade wahrscheinlich.
Wie die griechischen Handschriften’) der älteren Ky-
raniden den Hermes Trismegistos als deren Verfasser nennen —
auch Olympiodor, der Alchemist, und Georgius Syncellus legen
dem Hermes ein Werk Kvonvides bei — so begegnen in Ka-
talogen griechischer Handschriften mehrfach ein Traktat des
Hermes Trismegistos de plantis septem planetarum und eine dem-
selben Verfasser beigelegte Schrift ähnlichen Inhalts de plantis
duodecim zodiaci signorum, welche beiden Abhandlungen wieder-
holt mit den älteren Kyraniden sich in derselben Sammelhand-
schrift vereinigt finden ?). In der Vorrede des mittelalterlichen
Uebersetzers der älteren Kyraniden (Raimundus Lull?)?) findet
sich die Notiz: Est apud Graecos quidam liber Alexandri
Magni de VII herbis VII planetarum , et alter, qui dicitur Thes-
sali mysterium ad Hermem i. e. Mercurium de XII herbis XII
signis attributis et de VII aliis herbis per VII alias stellas. Und
schon in der Schrift Galen's de simpl. medic. facultatibus (VI 1)
ist eine abfällige Bemerkung über eine dem Hermes zugeschrie-
bene Schrift über die 36 foravus 1d» Weooxdnwy enthalten 19).
Nach Alledem scheint der Schluß gerechtfertigt, daß die grie-
chischen Originale der älteren Kyraniden sowohl als der Schrift
über die Pflanzen der Planeten als angebliche Schriften des Hermes
schon in den ersten christlichen Jahrhunderten existirt haben.
Wie dann die älteren sog. Kyraniden eine doppelte Redaktion,
erstlich unter dem Namen des Alexandriners Harpokration, dann
unter dem zu diesem Behufe gewiß erst erfundenen Namen
des Perserkónigs Kyranos über sich ergehen lassen mußten !!),
7) Außer den von Fabricius - Harles a. a. O. erwähnten Hand-
schriften sind noch ferner zu verzeichnen die Handschriften der Pa-
riser Nationalbibliothek Nr. 2256, 2419, 2537. Vgl. auch Miller, Ca-
talogue des mss. Grecs de la bibliothèque de l'Escurial S. 355.
8) Ohne eine auch nur annähernd erschöpfende Aufzählung der
zahlreichen einschlágigen Handschriften zu beabsichtigen, verweisen
wir auf die griechischen Handschriften der Pariser Nationalbibliothek
Nr. 2180. 2256. 2243. 2419 (nach der Beschreibung von H. Omont's
Inventaire sommaire partie II), auf die Beschreibung des CMGr. 542
in Hardt's Catalogus V S. 357, auf die Notizen über den Inhalt der
Madrider Handschrift der Kyraniden und einer Pariser Hs. bei Fa-
bricius - Harles, Bibl. Gr. I* S. 70 f., endlich auf.die Angaben von
Kühn (Additamenta ad elenchum medicorum veterum. Fasc. XVII
1828) über eine Handschrift zu Venedig, welche die beiden Schriften
des Hermes nepi Botavuy to» dotéowr und negi Botavav twv dwdexa
Cwdswy enthält.
9) Vgl. Meyer a. a. O. S. 349 f.
10) Vgl. Fabricius-Harles a. a. O. S. 84.
11) Vgl. die in der Hauptsache wohl zutreffende Hypothese
Meyer's a.a. O. Zur Erfindung des Namens ,,Kyranos gab der Buch-
974 Miscellen.
so ist wohl dann die Schrift über die Pflanzen der sieben Pla-
neten, den Bedürfnissen der wundersüchtigen frühbyzantinischen
Zeit entsprechend, aus dem troianischen Grabmal des apokry-
phen Perserkónigs neu ausgegraben und von ihrem Bearbeiter,
mag derselbe nun Africanus oder ein Anderer gewesen sein, als
Novitit in die Welt gesandt worden!?) In den unter dem
Namen Alexanders des Großen und des Thessalus gehenden
Schriften gleichen Inhalts haben wir vermuthlich nur weitere
neue Recensionen des nämlichen ursprünglich hermetischen Trak-
tates zu erkennen. .
Eine genauere Behandlung des Inhalts und der Quelle un-
seres Traktates wird voraussichtlich neben sehr vieler Spreu
nur wenige kulturhistorisch werthvolle Angaben auszusondern
vermögen; die spätere Ueberarbeitung scheint in der Beziehung
gründlich aufgeräumt zu haben. Eher könnte man hoffen, durch
eine Untersuchung des ersten Buches der Kyranideu, natürlich
unter Beiziehung des griechischen Originals, unsere in den letzten
Decennien namentlich durch die Behandlung der Zauber-Papyri
von Berlin, Paris, Leyden und London vertiefte Kenntniß der
antiken Magie und Dämonologie und ihrer Beziehungen zur Re-
ligionsgeschichte einigermaßen erweitert zu sehen.
titel der „Kyraniden“, der vielleicht auf ägyptische Traditionen zu-
rückgeht, Veranlassung. Kyranos zum König der Perser zu machen,
lag nahe, da Persien als die eigentliche Heimath der Magier galt und
Zoroaster und der „König“ Ostanes in der magischen Litteratur eine
bedeutende Rolle spielten. Die Verlegung des Grabes des Perser-
königs nach Troja geschah vielleicht im Hinblick auf den Magier
Dardanus (vgl. Dilthey Ueber die von E. Miller herausgegeb. griechi-
schen Hymnen. Rhein. Mus. N. F. 27. 1872 S. 386 f. Dieterich Pa-
pyrus magica musei Lugdunensis Batavi. Jahrbb. f. cl. Phil. Suppl.
XVI Heft 3 S. 751 ff.).
12) Derselben Kategorie von apokryphen Schriften gehört die
„Smaragdene Tafel“ des Hermes Trismegistos an, die angeblich zu-
sammen mit dem Leichnam des Verfassers in dessen Grab im Thal
Hebron gefunden wurde (Fabricius-Harles a. a. O. I 76), ferner der
unter dem Kopf der Leiche der Kleopatra entdeckte litterarische
Nachlaß der Königin (Kopp a. a. O. S. 360). Vgl. auch die Erzäh-
lung über die angebliche Entdeckung des Schwindelbuches des Dictys-
Septimius über den troianischen Krieg.
Gießen. Herm. Haupt.
—— — À——— M € MAMMA ee
15. TeAavoıvos - Aud6g6wos.
Daß die Akten der etymologischen Forschung noch lange
nicht geschlossen sind, weiß jeder, der bei dieser oder jener Be-
deutung, welche ihm das Wörterbuch suppeditieren möchte,
einfach den Kopf schüttelt und zu stutzen anfängt. Daß es aber
Miscellen. 375
bei Wörtern, deren Bedeutung auf der Hand liegt, des Hin- und
Herschwankens genug sein sollte, ist doch wohl kein unbilliges
Verlangen.
Ein solches Wort ist das homerische tadavesvog. Wenn
auch die Bedeutung „der tragende“, „der duldende“ damit über-
einkime, so ist doch an eine bloß formelle Weiterbildung von
einem nur vorauszusetzenden und zuzugebenden zaAavgo; statt
ı«Augog, das überdies schon in der Bedeutung „Korb“ Verwen-
dung gefunden hat, kaum zu denken. Dergl. Bildungen mit-
telst des Suffixes -ıwog sind ja allerdings Zugsvos und elugsrog,
xd gsvoc , Jig ÉQivoc , xesegivög, Enegev0c , yUXIEQUPOG , Gelgevog,
mvQérog, OnWgsrög U. a. von EZug, xédeos u. s. w., aber zalavgog
existiert eben nicht.
Man denkt sich nun zeAa-rowroc als „schildtragend“ —
eine Erklärung, die zuerst IL of fmann in seinen homerischen
Untersuchungen I S. 137 gegeben hat und der dann Savels-
berg in seiner Schrift über das Digamma S. 16, Clemm
de compositis Graecis , quae a verbo incipiunt p. 7 note 11, ja
auch Curtius in seinen Grundzügen der griechischen Etymo-
logie 1879 8. 567 u. a. gefolgt sind. So heißt tudaseyds „ar-
beittragend“, zuAurevIng „Leidtragend“, zuAureigsog „Prüfungen
tragend", „vielgeprüft“.
Aber zuAuvgwog erhält volles Licht durch ein ‚anderes mit
Óvvóg zusammengesetztes Wort, nämlich Mu dogdros, das in dem.
homerischen Hermes-Hymnus V. 48 gebraucht wird: napi vag dea
viu ÀsJogülroso yedwryc. Wenn dieses „mit einem Felle
wie Stein“ bedeutet, so kann jenes nur „mit einem Felle, das
aushält“ heißen. Wie öfters hat Döderlein in seinem ho-
merischen Glossar 2380 auch hier das richtige getroffen. Er
übersetzt freilich „aus dauerhaftem Rindsleder“, „starkledern“,
dann überhaupt „ausdauernd“ und Curtius a. a. O. be-
merkt dazu „der starklederne Kämpfer E, 289 will nicht pas-
send erscheinend“, aber ein Possessivcompositum ist und bleibt
das Wort ebenso wie raluoigowr „mit ausharrender Seele “,
wofür N 300 ralugowr gesagt ist. Schon Aristarch er-
klürte es mit svrodpos.
Wenn Pandarus von Aeneas’ Wagen herab einen Speer
auf Diomedes entsendet und dieser seiner Freude darüber, daß
er zwar getroffen, aber nicht verwundet ist, in den Worten
Ausdruck giebt E287: nußooıss ovd Érvysg" drug ov uiv opal
Y' ölw noi y! unonavososus, nolv y! n Érsgov ye mecovia al-
patos dou "Mona, rau gıvov» nodgusoryy. so denkt Diomedes,
weil er unverwundet geblieben ist, auch an die Unverwundbar-
keit des Gottes, an die jeder in gleicher Lage wohl eher erin-
nert werden dürfte, als an den Umstand, daB der Gott einen
Schild trägt. Denn daß ówoc für die Haut am Leibe des Men-
schen, also auch des Gottes gebraucht werden kann, ist doch
876 Miscellen.
wohl allbekanut. In derselben Verbindung findet sich das Wort
Y 78 und X 267.
Aehnlich verhält es sich mit dem sog. Adverbium zuluv-
gwov. H 239 rühmt sich Hektor gegen Ajax:
oid’ ini deEsa, old’ En’ aguotega vwujou Bwv
aladény, To wol talavosvor noAsuller.
Ganz abgesehen davon, ob wir hier überhaupt das Adver-
bium oder Neutrum vor uns haben — das nenne ich ,mit hei-
ler Haut“ kämpfen — so ist das von seiner Widerstandsfähig-
keit sehr bezeichnend so zu verstehen, daß wir uns seine „Haut“
oder, was ja immerhin auch auf seine ,Stierhaut", also auf
seinen Schild gedeutet werden kann, sein „Fell“ als ein solches
zu denken haben, das einen Puff vertragen kann, während
Hentze tautologisch erklärt: „das ist (heißt) mir, darin be-
steht mir als Schildträger zu kämpfen“.
Unterzeichneter hofft dargethan zu haben, daß man kein
Recht hat die Bedeutung ,,schildtragend“ als besser hinzustellen,
wie bei Seiler-Capelle, Wörterbuch zu Homer s. v. ru-
Aavgıvos noch in der 8. Auflage wiederholt geschieht, sowie in
Autenrieths Wörterbuch. Für den Gott Ares wenigstens
wäre das Wort dann ein sehr müßiges Epitheton.
Luckau. J. J. A. Sanneg.
16. Zum Gebrauch der tempora im abhängigen
Irrealis.
In den Fleckeisenschen Jahrbüchern Jahrg. 1888 Heft 11
hat Dr. Stamm von S. 767—777 schätzbare Beiträge zur la-
teinischen Grammatik und Stilistik geliefert. Ich erkläre mich
nun im Großen und Ganzen einverstanden mit den Ergebnissen
dieser Untersuchungen; nur in Bezug auf Punkt 14, der „zum
Gebrauch der tempora im abhängigen irrealis“ betitelt ist, kann
ich nicht umhin hier meine abweichende Ansicht zum Ausdruck
zu bringen. Er behauptet dort nämlich: „Es muß in der Con-
struktion des acc. c. inf. auch für den conj. imperf. des Nach-
satzes zu einem irrealen Bedingungssatze die Form - trum,
fuisse eintreten, um auszudrücken, daß das Gegentheil von dem
Inhalte desselben faktisch stattfindet“. So müsse z. B. ein Satz:
„Wenn du früher meinem Rathe gefolgt wärest, würdest du,
wie ich glaube, jetzt glücklich sein“ lateinisch in seinem zweiten
Theile so lauten: Te nunc beatum futurum fuisse puto. Denn hier
werde die angeredete Person als faktisch unglücklich bezeichnet.
Nun lassen die Stellen mit -urum fuisse, welche St. zum
Miscellen. 377
Beweise für seine Ansicht herbeizieht, allerdings eine Leber-
setzung durch das Imperf. Konj. zu, sträuben sich aber auch
keineswegs gegen eine solche durch das Plusquamperf. Kon). ;
ist aber letzteres möglich, so wird denselben m. E. dadurch alle
Beweiskraft für St's Ansicht entzogen. Cic. de fin. V 31 giebt
es einen ganz guten Sinn, wenn man: idque quo magis quidam
ita faciunt, ut ture etiam reprehendantur, hoc magis intellegendum
est haec ipsa nimia in quibusdam futura non fuisse, nist quaedam
essent. modica natura übersetzt: „Und je mehr dies manche in
der Weise thun, daß sie mit Recht sogar deswegen getadelt
worden, — Cicero spricht hier von Fällen, die ihm vor Augen
gestanden, die er früher beobachtet hat — um so mehr muß
man einsehen, daß auch diese Uebertreibungen (in Bezug auf
Todesfurcht) bei manchen nicht vorgekommen würen, wenn
nicht eine maßvolle (Todesfurcht) naturgemäß wäre Und de
nat. deor. I 122: Ne homines quidem censetis, nist imbecilli essent,
futuros beneficos et benignos fuisse?" kann man, ohne dem Sinne
Gewalt anzuthun, ebenfalls übersetzen : „Und glaubt ihr, daß
die Menschen, wenn sie nicht schwach gewesen würen, auch
nicht wohlthátig und gütig gewesen wären ?“ Nicht minder
unbedenklich mit dem Plusquamperf. zu übersetzen ist endlich
auch die Stelle aus Liv. II 28, 3: Profecto si essent in republica
magistratus , nullum futurum fuisse Romae nist publicum concilium,
nämlich so: „Wenn der Staat wirklich noch Beamte hätte, dann
hütten stets nur Versammlungen des ganzen Staates — und
nicht solche der plebs allein, wie solche kurz vorher angezeigt wor-
den waren cf. eam rem consules ad patres deferunt, stattgefunden".
Daraus daB in dem bedingenden Satze das imperf. steht, darf
man noch nicht schließen, daß nun auch der Hauptsatz einen
Sinn der Gegenwart enthält. Findet sich doch umgekehrt häu-
fig in einem der beiden Satztheile, zuweilen auch in beiden der
conj. imperf. statt des plusquamp. conj., und man kann also,
wenn der Sinn es erlaubt, diese Imperfekte auch durch das
Plusquamp. übersetzen, wie ich z. B. oben bei de n. d. I 122
gethan. Die angezogenen Beispiele sprechen also m. E. weder
für noch gegen die Ansicht von St. Hinfällig wird dieselbe
aber dadurch, dafh wir der Form auf -urum esse auch da be-
gegnen, wo offenbar das Gegentheil von dem Inhalte des Nach-
satzes auch faktisch stattfindet !). Aus der verdienstlichen, vom
1) Ein Gegentheil von dem Inhalt des Nachsatzes wird nur selten
faktisch in irrealen Bedingungssätzen nicht stattfinden. Ein solcher
Satz wäre z. B.: ‚Selbst, wenn ich Geld hätte, würde ich Dir keins
geben. Ich gebe also keins, weil ich keins habe, und würde auch
keins geben, wenn ich es hätte. In dem vom Verf. als Beispiel an-
geführten Satze scheint mir dagegen auch, daß ein Gegentheil von
dem Inhalte desselben faktisch stattfindet. Er lautet: Wenn Marcus
dies sähe, wie glaubst Du, daß er dabei gestimmt sein würde? Ich
antworte: ,,Doch offenbar anders als jetzt, wo er dies nicht sieht.
378 Miscellen
Verf. nicht berücksichtigten Arbeit von Priem: „die irrealen
Bedingungssätze bei Cicero und Caesar (Philologus Suppl. Bd. V
H. 2) erfahren wir nämlich, daß die Form -urum esse im Akk.
c. Iuf. bei einem Irrealis nur 4mal sich vorfindet und zwar
Cic. pro Quinet. 92, de fin. I 39, Tusc. I 50 und Caesar b. g.
V 29, 2.
Hier ist besonders die Stelle bei Caesar lehrreich ; denn sie
zeigt recht deutlich 1) daB -urum fuisse das Plusquamp. Conj.
vertritt, wührend -urum esse das Impf. Conj. und 2) daB bei
-urum esse auch das Gegentheil von dem Inhalt des Nachsatzes
faktisch stattfindet. Die Stelle lautet: Neque aliter Carnutes in-
terficiundi T'asgetii | consilium fuisse capturos (direkt cepissent) neque
Eburones, si ille adesset , tanta contemptione nostri ad castra ven-
turos esse ^). Ebenso findet das Gegentheil von dem Inhalt des
Nachsatzes auch faktisch statt pro Quinct. 92: Si causa cum
causa contenderet, nostram perfacile cuivis probaturos esse
statuebamus. Quod vitae ratio cum ralione decerneret, idcirco nobis
etiam magis te iudice opus esse arbitrati sumus. „Wir würden je-
dem unsere Sache leicht plausibel machen, wenn etc. Da
aber vitae ratio cum vitae ratione decernit, so ist es für uns
nicht so leicht zu überzeugen und darum bedürfen wir eines
wohlwollenden Richters“. In de fin. I 39 haben wir nun aller-
dings einen solchen Fall, wie ihn der Verf. zu meinen scheint.
Es heißt da: Hoc ne statuam quidem dicturam pater aiebat, si
loqui posset d. h. Nicht einmal die Statue würde das sagen,
wenn sie reden könnte‘. Sie kann nicht reden, und könnte sie
es, so würde sie auch nicht reden, wenigstens nicht dies.
Tusc. I 40 endlich ist in Form einer Doppelfrage gehalten und
2) Stamm sucht sich hier aus der Verlegenheit zu helfen, indem
er eine Verderbniß des Textes annimmt. .Esse wäre aus sese ver-
schrieben und dieß sese zum folgenden Satze zu ziehen, so daß nun
fuisse sowohl zu capturos als zu venturos zu ziehen. Titurius Rede
hat auch in dem andern Falle, wo se (sese) der Regel nach erwartet
wird, dasselbe nicht: Caesarem arbitrari (se) profectum in Italiam;
folglich viel wahrscheinlicher mit den codicibus das sese hier fehlen zu
lassen als es gegen dieselben anzunehmen. Die Eburonen haben kaum
einen Tag vor Titurius Rede den Sturm auf das Lager versucht, also
es geschah das zu einer Zeit, die der Redende in lebendiger Aus-
drucksweise wohl noch mit dem Ausdruck ,,jetzt, heute‘‘ bezeichnen
konnte, Dagegen hat der Plan zur Ermordung des Tasgetius viel
früher schon bestanden, schon vor der Beziehung der Winterquartiere.
Erst 15 Tage nach der Beziehung der Winterquartiere begann dann
der Sturm auf das Lager der Hómer von seiten der Gallier. Vgl.
Caes. b. g. V cap. 25 und 26. Lag also ein so grofer zeitlicher Zwi-
schenraum zwischen beiden Handlungen, so war es auch ganz natür-
lich, daB dem durch die Form Rechnung getragen wurde, indem im
erstern Falle -»r"n fuisse, im zweiten -urum esse gebraucht wurde.
Die Eburonen sind ferner nicht nur schon einmal bis an das Lager
vorgedrungen , sondern versuchen es bei passender Gelegenheit
wieder heran zukommen.
Miscellen. 379
somit das Gegentheil vom Inhalt des Nachsatzes wenigstens nicht
als sicher angenommen. Si iam possent in homine vivo cerni
omnia, quae munc tecta sunt, casurusne in conspectum videatur ani-
mus an tanta sit eius tenuitas, ut fugiat aciem ?
Von den 4 Fällen mit -urum esse geben also 2 ausdrück-
lich an, daß das Gegentheil von dem Inhalt des Nachsatzes
faktisch stattfindet. Die beiden andern beweisen überhaupt nichts,
da auch St. hier wie die übrigen Grammatiker des -urum esse
erhalten wissen will. Da ferner die Fälle auf -urum fuisse, die
St. beigebracht, nicht für beweisend uns galten, weil sie auch
die Uebersetzung mit dem Plusquamp. Conj. zulassen, so sind
wir, bis nicht Beispiele von größerer Beweiskraft uns geboten
werden, glaube ich berechtigt an unserer alten Regel festzu-
halten, wonach der Irrealis der Gegenwart im Akk. c. Inf. nur
im Präsens der conj. periphr. und der der Vergangenheit nur im
Perf. der conj. periphr. steht. Vgl. Priem a. a. O. S. 334.
Posen. A. Zimmermann.
17. Die Wiener Handschrift der orphischen
Argonautica.
Die Kritik der orphischen Argonautica und die Mehrung
ihrer Hülfsmittel hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht;
wir erinnern, was die Handschriftenkunde betrifft, an die Ar-
beiten F. Schubert’s, ‘eine neue Handschrift der orphischen Ar-
gonautica’, F. Hillmann’s de arte critica in Orphei Argonauticis
factitanda und Dr. A. Guttmann’s ‘zur Hdskunde der orphischen
Argonautica’ I Programm von Königshütte 1887, welcher zum
Ausgangspunkte die übereinstimmende Ansicht R. Foersters und
E. Abels nahm, „daß aus keiner der zahlreichen Handschriften
unseres Gedichtes für unsern Text viel mehr Gewinn sich er-
geben würde, als aus einer gewissenhaften Collation des Ruhn-
kenianus, Vossianus und Vindobonensis"; er selbst gab eine
solche dann von dem codex Lugdunensis L, dem Vratislaviensis
Rhedigeranus W, dem Ruhnkenianus R und Vossianus Uo.
Ich theile die noch fehlende Collation der Wiener Hand-
schrift mit. Sie trägt die Nummer cod. phil. CLIII stammt ex
bibliotheca Sambuci (Fol. 1) ist in groß 8" auf feinem Pergamen
etwa im XIV. Jahrh. geschrieben. Fol. I Recto bietet die Verse
Pindar Ol. 27 —32 in folgender Abtheilung: «pov xexuduévor |
n Qavuu 14 mollu | xui nov w xai flgowbv qQgtvac | Unze tov
aAndn Aoyov | dedeudeAuéro, wevdeo, nowAosg | èE anurüvts
pvJo, | X (roth) doug Ó' (meg (&mavra rev! yer 1a peldiga
380 Miscellen.
di , w
#reroîs (q roth, über der Zeile) | &rıp&gossu rina» | xoi &m-
Giov éurouro mov | Éuuevus d' ini 10 mollaxig Am Rande
roth: orgopn Bu (devtégu) xwiwy +. Also nach dem Texte der
codd. diorth. Fol. 1 verso ist unbeschrieben. Fol. 2 R. bietet
in Rothschrift QwxvA(dov motnuu | Tuvıu dixns ooinos Jtov Bov-
Aevuuiu gulver | Pwxvddidng avdowv à 00pwrurog oÀfva dwou.
Auch Fol. 2 Verso ist frei.
Fol. 3 — Fol. 1 nach der handsehriftlichen Paginierung.
Der Titel 'Opgéwc "Apyovavuxa fehlt.
Die Collation ist angefertigt nach dem Texte der Orphica,
recensuit Eugenius Abel, Prag und Leipzig, Tempsky 1885.
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nad | Töow ; 150 ‘Igedduaos am Rande roth Igiddpuco | 152 74502 |
Miscellen. 381
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Rande roth negsxluuevoc | 157 ayyo9ss e corr. zu $ | Msllnvne | 158
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Boc | am Rande roth rasagisdo Egnßoo | ualeandoc | 207 dyxaioy , y
corrig. zu c | am Rande roth «yxa$oc | 209 té corrigiert aus re | dvosos. |
210 am Rande roth nalasuovsoo, so corr. aus oo | 218 mocdandas | 214
nvoiqÀeyéoc am Rande roth avysíac | 215 opnnxeo | 216 dorepssoc | am
Qv 00
Rande roth dugi. d&orép | 217,70" | 219 épey9zvoa | Ieiov xÀvi
n :
woeidesa* | 220 sidiccod | 221 vr’ ovatioso | mendvigvio. in ov wurde »
ausgestrichen | 222 ixslos am Rande roth 6770 xadeio | 224 &oyoiag ye-
yévnro. | 225 gaow | 226 étapoc | 227 am Rande roth vice | 229 «p-
ysvno | naggídoc | 230 O (roth, in den Rand vorspringend) dros | 234.
c
233. ! 233 Juudo. | 235 d’ qua | Bades, | 237 norssoogowvrse | 238 Zpr-
é
uoovynoi | 239 dovoatéscos | avorgéntosos | 240 aprucas | 241 xvdalvor |
g
tndxovoav | 244 dé Exaoroo, | 245 nde | 246 quxéeooi | yéoow | 248 ia-
‘ ns
| 253 éxépac' | dosd | 254 "E roth in
—0v
den Rand vorspringend ) £oyo» | msvénoy | am Rande roth dope «
~ 0
covoo | 250 «itv | 251 nrmvaus
wes |
(odor) de | gé | 255 oreggoiow | 257 Tapooios | 259 ‘A0y® mit un-
cialem A | nsöxnen das zweite 7 zu % corrigiert | dovoi] rgvoi dann
ov
Hovoi | 260 altv | 261 d' &vdos | 262 #Baw. | 263 oùpea | ènéonsro | -
264 onépyov | n&cw | 267 Ev vni | 268 avynyégdy | 270 Fauewàs | ixídaccs
sic
novıo palayyao | 271 rooms | xeivto | us&c | 272 duévoo | 274 goévac|
274 ayyod: | lqvo* ev corrigiert aus v*) | 275 énapna | 278 agri-
*) Es sind, wenn nicht Anderes angegeben wird, immer die Cor-
recturen von erster Hand gemeint.
382 Miscellen.
cartes | Eneoyiykaro | iuaa | 279 Enea | tosuovo | 280 T (roth in den
Rand vorspringend) oso» | am Raude roth Id onun | yopie* | 281
xéxAnte corrigiert zu xéxÀvre | 284 erícaco | pesci] neo? | 285 ewuarvénr |
dei] xe» | 286 eninlis ovo | yan. | 287 ire | 7] xe? | 288 uoëvos | 289
Sysrdacs | 291 perio? | 299 w roth in den Rand vorspringend | aga
294 dado | 295 nac, das End-7 zu » corrigiert | irioosa | 299 3) ác
300 gperuaiow | öye ‘1 301 ws ixélevow' | 305 moanidecos | 307 m |
10
navta om. | polacséus neniOow | 308 K roth in den Rand yorsprin-
gend, dann noch: xai | am Rande roth 07 önwg disdéo9y | 5 0pxoc vov
&
nesuv | 309 éxeve | Wagapaioir | Ivsixa | 313 ende nagazxariögza | fod |
ratgoy | 315 Cworduov | megs d” | nvoi giov | 316 Seadcac| 319 inau-
mjacd | nd’ | xwonzevta | 320 féoon | ondayyvosciv tosidoutvaso | 323
| 0
dxtj, n corr. aus & | 824 7 diuvgór | 325 orépacd | 326 suaicw | 327
a
iniveuov | 329 6800 | 333 © roth in den Rand vorspringend | am
ws <
Rande roth àmi95ac | woo dogé | 334 det. | 335 vaier’ | 336 psèr |
337 nacassv | 338 iy9voscav | 340 yovoorapooıc. | 341 miscigarıa |
ar
342 nodwv | 344 usyatouévove 2900 | 345 cesyiyFova | 346 Sox | 847
togoa | îecovoo | 350 asvvSecino | 350 alsiior ; y corrigiert
wy
aus o | 351 vasofagsov, | for | 354 w roth in den Rand vor-
ar
springend | ebnc ] xarévevo | 355 am Rande roth om éivretSev do
xovtas 109 nhovy | où apyovadını | 356 xwlov xùroo | 358 tégéc | 359 sage
nv as as Jn
uaxo | 360 nvcuata 0:09 . | 361 immooéyxe veic9 | 364 ad | 367
énéoneto | 370 nyÀvov élievtoo | 371 sigue | dia yzo oixía yeigóo . | 373
av
axtiow | yadao . | 378 èv inpnum | 379 dv iongivyye corrigiert zu ‘
380 qolog | 381 uéletas | 382 goißov ~ in / corrigiert | 888 éoudoroa
nepsxtvovegos | 335 vóqoa | 387 eivocı pulov | 388 @yanad € suer; C cor-
rigiert aus O | 389 9micus$ | 390 idœuas i 391 vivace | 392 @ roth,
in den Rand vorspringend | èÉ7xsy | inbusod | 394 én' do | 395 erg |
396 innsinosw onleaios | ravvocdus "| 397 Eoıdusvoo | 398 Augar | érépnero |
yeiowv | 399 à6po:cev | dyaxAvtov | 400 xücer | 401 7’ inopgevrsv | 402
1 Eoıowosv | 403 vno der | 406 9vuóc . | 409 u’ EnnAvden | 412 Eder |
412 égsdasvéuey das Mittel-» aus « corrigiert | 414 oi] sot’ | 416 ego . f
417 ucipooreo | 418 zpsoav | olvov Eysıge | 421 &oyéov | uslarigaror
Miscellen. 383
vuvov | 422 £eaégac | nvIutve | 425 000a v' Equasv | d^ allov an’ allov
431 orsvov | 432 Eoraro | 435 z000pi£os. «+ in der Mitte aus o corrigiert
oy
t00uoxovto | 436 àoidZa Eusuvov durchstrichen | &usuvor | 437 Eusuy
438 xsxunoosv | 439 xadizo | 440 yeïoc | yaonw.| 441 èrmosiwv | 441 6
ninow | 442 tipuo d° sicev Eus &no von derselben Hand dann noch |
oa’
am Rande yo vedo dno | 443 napa uva | «oic | 444 £rvrvve |
sv
447 qoëvao | 448 veBonv | Esvinov | 450 èByu | 451 axoao | 452 qui-
«c c
lidns 5odro | navr | 458 pevvarciv | apéo® | 454 Baoslevos | xai 20o-
av
uivoso | uspones; | 455 inei v | ZBno | 467 vnsio &Aa | 458 nylesor | 459
Aaliue | 460 nesocin | délonis | 461 ouadn | 462 ? auvpov &Aiuvoéc] &hi-
| ovs
uupio évaddov | 463 tes | 464 èouyv | 465 sicédpauoy | xduvov | 366
sic
nélinvyy | 70? | Ca9éav | CauoIoaxnr | 467 o9xi« | Toonta dè | 468 gufo
$no95uocsvgos | 470 &uotov | Exaotoo* | 471 C roth in den Rand vor-
springend | ogovow | 471 !xeloauev. À aus x corrigiert | 7yaS%éms | 475
oi)xsv | 477 diorucavrto, corrigiert aus «ica»; der Schreiber hatte die
Silbe ozw vergessen, die er in das cay hineincorrigierte | 474 &tac9«-
~ wy
din | am Rande in Rothschrift onwo öyınuin iv | Muro 19v. add
wy
êBa | cideve yuvaux. | 477 éqipeepor | Asurıcadens | 480 addy | 481 dnorgo-
ning | OelEipoovos | 484 au’ ywova | 486 Dor | énidetiov Éyovtes. tes zu
nd doc
zac corrigiert | 487 anopvıadao am Rande ye @feovia von derselben
Hand | 488 émxàivie, & corrigiert aus ¢ | ngoyojas‘ | 489 nolunydooo |
ae
tg vodas erste vcorrigiert aust | 494: vuup | 494 niguusoovos | 496 uv-
yovo | 497 deevopevos | yeıuspioscıv | dytasc | 498 ngoxaloic | 501xexAiué-
vos, am Rande roth 01:06 xvlixoo Pace | Aevwv dolonwy è | Eévioe 100050040 |
wy
502 dodonwy | 7] oi | yuvex | 504 svduoov Ovyemo aîvinn | 505 £yz-
«6
onoev | anavies | 506 ogeloy | 507 oùas | 507 dwxe | 508 anonlwova, c
as
aus ov corrigiert | geoéc9 | 509 àbrvvjrovo | 510 quieto | sfvexa | 511
1
navnusoéíoww | eilanivaroıy | 512 016 y’ wxsavoio | 513 darooy/tov | Eneye|
515 «gxtwoic | teOgnotec | txehe | 516 éraduyxios | yéyeou | 517 dicovro
über « ein dicker Punkt | 520 neuxnow | yd” 240770: | am Rande roth:
uayg tà» nowWwv | dv n xai xviuxoc | Eneosv | 521 uwvioios | 522 &lxiuoc
aus Glosuoo corrigiert | 523 «bvéov | 524 dqoadigos | 525 uöpasiuor |
527 or | 523 iquo | novuvz9sv | 529 neicuatelvoae. | 530 xGÀos | 536
doyivns | 535 Aeod | 536 u£écatov ; unterhalb 4 ein o, wohl in Folge des
ev o
Abirrens auf ore | moodfaw | dragon | 537 60001 xvBsovity noocsntonge |
W &v
538 xvavoovt | 540 | &yyic | maperzivua | pow | 541 Osnyopor | Am
06
Rande roth ovssooo t(pv von derselben Hand | 543 Balwy | vig | 544
vrvouor | 546 x&r daraus xeiret | 547 305 | 7d° £u Aoigác: | 548 $noy6o-
384 Miscellen.
a
"0
voics | 549 dyvotepz | 550 daéxwy | 551 am Rande yo óec von dersel-
€ €
ben Hand | 552 ónórav | cefdoyo9 | 554 doëcao | 555 nido | 556 è
groß am Rande roth | 556 cov | 557 xa’ ixesdda | 558 doy dviuz |
wy
560 &qapo d° | 561 dyoge? | én’ Zova | 562 7 dé; de corrigiert, aus
einer ursprünglich anderen Form | 566 yeg | 567, «gie i 569 nlatéoosr |
570 av | &dounoavro | 571 quovo | 572 nauuslaıw' | 573 ilaoxoumr | 574
wy as n 6
d" nde | i! vor «nó fehlt | 575 ysomıo | 578 péoso9 | darunter «
in Rothschrift | Am Rande roth; 07 où 6 idco» aywva | cvvécrgosv. ini
06
13 te | gw (w aus « corrigiert) xvbixou * ig? d| Zywrvicavto dyxc |
580 noivyavec | 580 idwxe | 581 &ocovn] 9docovr, otadiose: | am Rande
roth nydevo | 583 nayxpatios | am Rande roth yeaxdgo | 585 xéorogs
a
om | 586 Assavdea | gioec9 | 588 vixoo am Rande roth nodvdedxye |
588 of om. | sor nd’ ag’ dicrodo am Rande roth idcw» | 590 sevszo |
591 zavugvllor sÀá'igo | 592 uolneic as zu n corrig. | 593 yovoeiny ys
zıawvousvgv | 596 desezo am Rande von einer jungen 2. Hand dyon
dabei das erste 7 in s corrigiert. | 597 uvowse | 599 Blólovo', 0’ ans
y corrigiert (y) do . .) | xorvgo ano juéoons | 600 xAevz» | nsgsxrvóvsc |
602 xvqguov ini Qd9sov xai divdusoy axewoadn. | 603 usslikasıo | Züvos-
eros | 604 avaoon | 605 énwunv | 607 ws xe | zavvqoiov eames | 608
óc, d zu ss corrigiert | oxdzow das erste 7 zu + corrigiert | 609 £éce
c
iduocívgo das erste o zu + corrigiert | 611 Adacos | 611 dwugoato | 612
de’ corrigiert aus dy! | 614 ini | 615 onovdeo ai, eo ausgestrichen |
@
d’ érépnero | 618 9véco: | Liraios | 619 dotéquo | 622 Huxoso | angopartwe |
as
Aentoilvovro | 625 dnapoxondeuvos | 627 insoovusvomws nv9éc9 | 628
ovs
nessuatins | neiouad’ Eepyousvno | liner | aoy | 630 Seive | 681 uses |
632 durdaxiovo | npoyaao das erste « aus o corrigiert | œussye | 633 des
180
Havas | yauuwdeno | 634 xcAo id" in’ aiysadw | Balov | 635 sudo |
a
ndncav, | 636 dvroi | 637 xvGuoo | 638 opyardov | 638 xoluy | 639 5
neiy’ i? | Am Rande onwo joaxdyo | #E749ev ini 97 | cav ./ | 640 am
| ov
Rande roth dpansouoo èviav | Fa tot via énoug | ww noaxdsi Or dà |
as —
Awo yeviod Fed | xoitoa icrogei | 643 lac | 644 Addon fond uevoo
645 àv nÀayy9sim der Accent auf è durchstrichen. | 646 Lurexidov |
’ ove
648 dviideov | avr | 649 gw pégey | inn | 650 iE od geoa | 651 rece |
tipvo d’ tysyuives | 053 où dè, Egnuoovynos | 654 EBasve | 655 xaAécos | uo-
deiv yaó | 656 qoc | 657 En’ nos | am Rande roth om duvxoc è fe-
Bosxo» | facrdedo tno nolvdev | xovo nAnveio énida | vet | ensgdcopen |
ey
658 &vaco. | 660 alenlwv d. i. AAETIZWN verlesen | 661 negexrvdver,
Wien. F. f. Carl Wessely.
XX.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland.
1. Eine in Delphi gefundene korinthische
Weihinschrift.
Zu der alten, von Kirchhoff nach den Schriftcharakteren
mit Recht dem korinthischen Sprachgebiete zugewiesenen In-
schrift, die ihm Lolling aus Delphi mittheilte (Ber. der Aka-
demie der W. zu Berlin vom 3. Mai 1888, S. 581), habe ich
zu bemerken, daß der Name des Weihenden anders zu lesen ist.
Die obere Querkante des Steines ist abgestumpft, z. T. aus-
gebrochen, daher sind alle oberen Theile der Zeichen verletzt,
doch ist keins unklar. Die der Weihinschrift haben kleinere
Maße: H 0,022 — 0,025 und sind enger an einander gerückt,
die der Künstlerinschrift stehen weiter und messen 0,036.
Lolling und Kirchhoff schreiben: ©so£nes. Aber schon aus
der Spatienweite zwischen @s und ezec läßt sich berechnen, daß
dort nicht bloß ein Zeichen gestanden haben kann. Mißt man
z. B. den Raum, in dem x von -%exe in Z. 2, oder den, in
welchem x von :0n:À9 steht, so erhält man 0,022 und 0,021,
und vergleicht man damit den Raum, wo nur g gestanden haben
soll, so erhält man 0,041, also nahezu das Doppelte. Aus der
Buchstabenbreite erhellt das Nämliche: das o der größeren
Schrift in Z. 3 ist nur 0,033 breit, die notorisch breitesten
Zeichen 3 und Omikron in Z. 1 und 2 nur 0,023 und 0,022,
Philologus. N.F. Bd. IT, 3. 25
986 Johannes Baunack,
wie würde, selbst diese Größe für 0 angenommen, zu erklären
sein, daß an dieser Stelle des Steines etwa 0,02 unbenutzt blieb?
Ein Blick auf den Stein lehrt vollends, daß das, was Lol-
ling als drittes Zeichen giebt, sicher zwei ‚sind, nämlich vy.
Sein fünftes Zeichen nennt er x:- erhalten ist nur das untere
Stück einer rechts nach oben schräg liegenden Hasta, wäh-
rend an den andern 2 Stellen, an denen die Inschrift das Zei-
chen z zeigt, eine senkrechte Hasta das Zeichen beginnt,
und rechts davon in mittlerer Zeichenhöhe das Ende einer von
oben herabreichenden Hasta. Beide Restchen stimmen aber zu
dem », welches die Namensform fordert, ganz vortrefflich , und
so ist mir die Lesung Oevyéryt außer allem Zweifel.
Wir erhalten also nunmehr :
Oevyéves IHiv9[ — avé-]
Hexe 10ntAXon..
dooyl nos 08].
Die Namensform © &v- yévgg aber ist für die Grammatik von
höchstem Interesse; denn „die Entstehungszeit des Denkmales
darf nicht unter den Ausgang des sechsten Jahrhunderts herab-
gesetzt werden“.
9. Aus Megara.
1. Im Hause des vormaligen dywagyog Anuntgios Pxlyag
sah ich am 30. Dec. 1888 3 kleine Steine:
a) H 0,10; Br 0,15; T 0,06. Schrift: ANZ; H 0,02. Zros-
ındov. „In einem Grabe vor 4—5 Monaten gefunden“.
Avia AM.
Vgl. "Avr-ardog Curt. Anecd, 10, 11.
b) H 0,09; Br 0,195; T 0,07. Schrift: A und AOMTICO,
Das Omega ist um die Hälfte kleiner als die anderen
Zeichen und berührt die obere Randlinie. H der Zei-
chen: 0,02. .
Xaogldauog | Mvtwroc.
c) H 0,065; |T 0,04; Br 0,13, rechts gebrochen. Schrift:
AOKT; H 0,016. Zrosyndov. „Vor einem Jahre in
einem Grabe gefunden".
"HoaxA( oder 9xA«
Ilv3o0[|
Etwa: ‘HouxAe[s10g] | TY v9od[woov]. Vgl. unten Nr. 7,
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 987
2. Die Inschrift des Rh. Mus. 1859 S. 505, F 62a, GDI
9040 besprochenen Steines (H 0,76; Br 0,55; 'T 0,48) ist bis-
her nicht genau wiedergegeben worden. Schrift: AEO MI.
Twuo93so[c] | " Aynotan[0v].
9. „Im Straßengraben am Wege nach Nisaea gefunden"
ein marmorner Stein (H 0,10; Br 0,22; T 0,03—0,04). Schrift:
AIIZQ-;. H 0,02.
Zwunvgog | dapogldov.
4. Auf dem Hofe eines Privathauses ein Muschelstein :
H 0,40; Br 0,36; T 0,11. Schrift: AEO; die 2 letzteren
Zeichen oben ein wenig verletzt.
* A[.]doay[. . . .] | &vé9n[xe].
Ob ' A[v]deaylaswv] ?
5. Zur Inschrift CI 1095 = F 62. An beiden Publi-
kationsstellen fehlt die 3. Zeile. Stein: H 0,85; Br 0,57; T
0,25, jetzt im Museum befindlich. Schrift: AEM; H 0,035.
Sw[xo]arns | Zwnvgov | yaige.
6. Westlich von der Straße nach Nisaea mitten im Felde.
„Vor einem Monat“ aus der Erde gehoben. Stein: H 0,85;
Br 0,635; T 0,54. Schrift: AEX; H 0,08 — 0,04. Oben
Einsatzloch.
Aipide | Mvuolidov | yaïos.
Während Z. 2 und 3 und ebenso die Zeichen %s von Z. 1
tief und scharf eingeschlagen sind, ist das Jota nach 4 undeut-
lich. Das folgende g ist unverhältnißmäßig klein. Es scheint,
daß statt der 3 ersten Zeichen erst 8 andere — und zwar we-
niger tief — eingemeißelt waren und dann die Aenderung —
vielleicht von /7o in 44 — vorgenommen wurde.
7. Museum. Stein: 0,98; Br 0,66; T 0,49. In der er-
sten Zeile nach 9 ein tiefes Loch. Schrift: AEOTIQ.
[lv9[od]wow | 'HgaxAstzo[v] | votos.
Vielleicht ist der unter 1c vermuthete ‘Hoaxiestog derselbe,
IlvIodwgu die Enkelin eines /[Jv90dwgoc. Schrift nur im x
verschieden.
8. Von der Nr. F 50b fand ich in Z. 1 Abden[A6]ov; Z. 2
[Kaloagos Tízov Ai]Mov; Z. 5 orgarnyolt E]uvouov; Z. 6 éexh-
ptAn9éviog. Alles Uebrige ist noch gut lesbar.
9. Für die Inschrift GDI 3027 notierte ich mir Folgendes.
Schrift: AEOMP 22; H 0,015.
25 *
888 Johannes Baunack,
Z. 1 fehlen jetzt die 2 ersten Zeichen, also [’ A#]oAAwr..
Z. 2 ist das Schluß-a fast ganz sichtbar, also EvxAe(da.
Z. 5 lies: avi[gr]ec " AyAujvixos "Ovvpa.
Der nach uvAnz«c folgende Name kehrt zufällig in Nr. 3028
wieder; auch dort hat der Mann die Funktion des avdnras. Die
Abschriften Korolkow's (Mitth. VIII 189 und 190) geben beide
Male: ’AyAorıxog ’Ovuua, wozu Korolkow ,,Ovopa[xAfog]* fra-
gend setzt. Leider konnte ich die Kellermauer nicht erfragen,
in welche Nr. 3028 eingebaut ist, aber für 3027,5 überzeugte
ich mich, daß ’ AyAwvıxog dasteht. Ebenfalls unrichtig ist die
Wiedergabe 'O»vu« --. Nach °Ovvuo ist freier, unverletzter und
unbeschriebener Raum für etwa 9 Zeichen, wie denn die 9 Zei-
chen von KAssundov in Z. 4 auf der entsprechenden Stelle ste-
hen. Daraus folgt, daB wir ’Orvua oder ’Ovvuà als fertige Ge-
nitivform anzuerkennen und den Nominativ Ovuu-ug oder Orvp-àác
als Kurzform zu ’Ovvpax4îg (z. B. F 65d ['O]reuaxigg) zu be-
trachten haben. Sind aber die Inschriften Nr. 8027 und 3028
aus gleicher Zeit, bezeichnen die Namen '4yÀw»ixog dieselbe
Person, so wird über die Correktur in der Abschrift von Nr.
9028 kein Zweifel sein kónnen, also 3028,5 avintag ° dyluivexog
[ O][vpa].
10. Das Privathaus des Papakonstantios, das vorletzte
links an der nach Korinth führenden Straße, hat auf der Süd-
seite die Marmorplatte, welche die wichtige Nr. GDI 3029 ent-
hält: H 0,52; Br 0,30; T unmeßbar. Schrift: H 0,004—0,005 ;
A und A (z. B. in /Iuyxaens Z. 35) EL MED u. TIZYQ.
Z. 3. Vor ]iw» ist nichts Sicheres zu erkennen. Die klei-
nen Reste vor Jota können zu y, aber auch zu einem andern
Zeichen gehört haben. Das anlautende T fehlt jetzt jedenfalls.
Z. 4 erkenne ich nur T[;u]o&evoc, Z. 6 nur” 4oxAa| x jwr oc].
Z. 8 Zuu[. .}rdu, es' ist w vor ]rda bestimmt nicht zu se-
hen, also Sau[sw ]rda zu schreiben.
Z. 9 [...]«xAge, z.B. [Msy]a ? oder & Z. 10 [ M Jevexgurnc.
Z. 14. Die Zeichen o sind etwas beschädigt, aber doch
sichtbar und sicher, also Z/aotwr. Darauf erkenne ich Meiso-
o[iw]ros. Z. 15. Our ' Anodi[wr]da.
Z. 16 4sodwe[ov] zu schreiben, Z. 17 Ma[19]odwgov,
Z. 18 Nou[s]adae. Z. 21 MAga&twrog, nicht ITouolwrog.
Z. 24 erhalten ’Aya9[wr juuos, Z. 27 * Mo[(c]tw».
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 389
Z. 28 erkenne ich TL[..]fag, was gewiß Te[so]jéas ist,
(— und nicht 'Yfo£ag !).
Z. 29. Die Zahl der im Anfange fehlenden Zeichen ist
nicht genau anzugeben, dann folgt ]|B(.(.)]»c. Die Hasta vor
Q braucht nicht Jota zu sein.
Z. 30 fehlt nur das erste Zeichen: [’A]modAodweoc. Das
rs ist erkennbar, wenn es auch beschädigt ist.
Z. 31 lese ich: je[.]dooc, also ]a[v]dgos.
Z. 32 vermuthet Bechtel nach 3025,64 Muvéuc vor NI-
xwvog. Möglich, aber nicht die Spur von einem Zeichenrestchen
blieb erhalten.
Obwohl ganz deutlich, fehlen in den zwei bisher bekannten
Abschriften |
Z. 33 Nixlag vor Aiovvoodotov,
Z. 36 GOtvrwv vor * Acreglwvoc.
Z. 37 lese ich ohne jede Schwierigkeit und Unklarheit :
Stiaviwy Oewvlyov,
während die Abschriften nur ]w»íyov boten.
11. In der Hofmauer des unter 10 erwähnten Grund-
stückes sah ich einen Stein (H 0,19, soweit meßbar; Br 0,73)
mit der Inschrift: |
Js Qeordstda avéFnxe.
Die Zeichen haben die H 0,02 und sind sehr sorgfältig; AEOKZ.
Die Längslinien des « und A, die Querlinien des Sigma, ebenso
die 3 Linien des x sind ein klein wenig von ihrem Mittelpunkte
aus nach außen gebogen.
12. Ein Grabstein (H 0,65; Br 0,85; T 0,12), in einem
Stalle als Tritt gebraucht, hat folgende 3 Zeilen:
"Inmov | -oxgatovc | [. .]? TAiEYZ.
In Z. 3 glaube ich mit a vor r das Richtige zu errathen, dann
aber liegt [ [A luraweus nahe. Ob in Z. 2 [’A oder '4]woxga-
rov; steckt? Die linke Hälfte des Steines ist abgescheuert, die
rechte trägt noch jetzt tiefe, schöne Zeichen. Ihre Gestalt: AEM.
19. Große Basis (H 0,77; Br 1,14; T 0,75), zu der der-
jenige Stein fehlt, der rechts die Inschrift der Vorderwand fort-
setzte. „Vor 5 Monaten gefunden“, also Sommer 1888. Steht
jetzt auf der Agora.
390 Johannes Baunack,
a) Vorder wand.
1 Tov dis Avroxguiogu Kulsugu, [9eov Toaiuvoù vior,]
Feov NeoPu viwvor, Touinvôr * Adgılavov Zsflacrov, "OAsp-]
mov, Havelinveov, Néov, [Ivdsov, ["Yratov i Bouin xoi]
0 diuos tòv avv edegyérny [xai xıloım xoà vouo-]
9 Jém» nosnoopfvov 10 avalwu [a ]
nv tov üyaluuros dx av Idlw [v eni]
Aapoxgurovg, tov orgurnyoù 1[%o noAexg tic Meyagéwv. |
Die Ergänzung von Z. 1 — 4 erhellt aus dem Vergleiche der
Formulare Fouc. 47a — 50b. Durch Z. 2 wird sicher, daß
etwa 16 Zeichen in jeder Zeile fehlen; vgl. F 48, !/s und 49,
‘fe. Die erste Zeile ergänzt sich nach 47a, 1 —3, und läßt man
das dort stehende Muo9sxov weg, so wird die Zeichenzahl in Z.
1 und 2 gerade gleich. Wegen des Néov in Z.3 vgl. F 50, 1;
50a, 1 Seßaoınv, Néav, Anunroa. Für den Rest der Zeile
nahm ich F 350b, 4 in Anspruch, trotzdem daß ein Zeichen zu
wenig herauskommt, aber die Zeilenanfänge haben ja auch nicht
gleiche Zeichenzahl. Ein Zeichen zuviel den ersten 2 Zeilen
gegenüber hat die nach F 49, */4 vorgeschlagene Ergänzung in
unserer vierten Zeile. Die oben erwähnten Formulare fahren mit
$nó rjv ÉmwuuéAuav tevoc fort; damit variiert imuusAnOérrog mvóg
in F 46e, 3; 46d, 7; 50b, 6; 58, 3. Was in unserer Stelle
erhalten ist, klingt an an ,,7goodsGauévov (vnc, rw») zo ava-
Awuc nrog — vgl F 162d, 6; 175a, 5; 224, 4; 245a, 9.
Wir kónnen nicht errathen, wer hier die Kosten für das Ehren-
mal, wer die ganze Besorgung übernahm; zu ergünzen ist viel-
leicht [slg rn» xaraoxev|}v „indem für die Verfertigung der Statue
— den Aufwand aus eignen Mitteln bestritt“. In Z. 7 scheint mir
Auuoxgutovs besser zur Zeitbestimmung gezogen zu werden (vgl.
F 48, 5; 49, 6; 50, 3; 50a, 4), als daß es mit xosoauévou
verbunden würde. Wegen der Ergänzung der letzten Worte s.
F 58, 4.
b) Linke Seitenwand, archaisierend wie z. B.
GDI Nr. 3019.
o dauos | Kowrov Kuuxélsov | Kotrrov Méteddov | tov
aviov evegyérar | avéFnxe.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland, 891
Im Anschluß an die oben stehenden Megarica gebe ich
unter Nr. 14 diejénigen Bemerkungen, welche ich mir in Epi-
dauros zu GDI 3025 = Verf. Studien I 219 ff. machte, zu dem
von Stang “Ey. àoy. 87, 9 publicierten
Grenssireite zwischen Epidauros und Korinth,
den Megarenser schlichteten.
Der Stein liegt jetzt noch auf dem Ausgrabungsfelde im
Hieron zu Epidauros. Leider ist seine Inschriftfläche ungeschützt.
Z. 2° Aoxiamoly 4fi]ovvot[o]v. Z. 8 Ende xa[i].
Z. 4 [7s]oi. Im Folgenden scheint mir eher Zsllarvog
dazustehen. Z. 5 '4[ye]e[»v d]x«?, am Ende mevrjxovia].
. 8/9 requo|[vib]ov[v]ras. Z. 10 [ra zo] [u]lvor. _
. 11 èreou[o]vigar, dann Kol g |dvietov.
. 12 zu Anfang [7]av x[oov pur.
. 18 zu Anfang [K]ega[v]vlow.
. 16° Avel[as]s. Z. 17 [ur]o rac.
. 18 dwalEsto[d ra]s [xa]rayovoas. Z. 20 x[ogvg ]ov.
. 22 1[o$" Ag]atas. Z. 23 à[ 70] ro[ù], am EndeZyowo[ Vv ]roc.
24 [am]o [ro]ù xogupov, am Ende xogvgo[»v].
25 Ende ni]. Z. 26 tov dalyıw). Z. 27 2vxow[ofa]c.
. 28 [xloouplov], am Ende Ha»[(ov].
. 29 ‘Odxov ist vollständig sichtbar.
. 90 ’Anollwviov vollständig erhalten.
. 87 und 38 Anfang. Ungenau ist, was rang betreffs
der genannten Zeilenanfánge gab. Von Z. 28—44 fehlen sie;
die Schreibfläche des Steines ist abgeschlagen. Man kann aber,
da die Inschrift ozosyndo»v geschrieben ist, mit Hülfe der darüber
und darunter stehenden Zeilen genau die Zahl der fehlenden
Zeichen bestimmen. Von 33 ab bis Z. 36 fehlen z. B. je 4
Zeichen. Von Z. 36/37 schreibt Zz«gc Æo[vuoodw ]oov. Da ist
zunächst zu constatieren, daß 4. POY noch auf dem Steine
steht. Dann fehlen außerdem 4 Zeichen, und der Ergänzung
°[yuco]° werden wir beipflichten : also Ao|[vvoo]d|w]eov. In
Z. 38 vermuthete Bechtel Ev«gl[(yog Mv]acíwvog, ich dachte an
Evao|[eros I7]acímvoc. Was aber lehrt der Stein? Es fehlen
zuerst 4 Zeichen, dann folgt 377 40. Also errieth ich das Rich-
tige betreffs des zweiten Namens. Für den ersten muß ein an-
derer, ein Nominativ gefunden werden von der Form:
NNNNNNNNNNNNN
392 Johannes Baunack,
Evael[. . . .X
Ob Evagl[yida]s oder Evag [«oroKk? 8. S. 894.
Z. 40 Stein: Mugfdas, nicht Mugsadas.
Z. 41 Anfang: [...]e[o]c. — “Foy®. Also entweder ?[y«o]«o]c,
wie ich vermuthete, oder ? [uzd]e[o]; u. dergl. Falsch ° [xo«-
zev|c, was Stung gab.
Z. 42 Anfang: [...]e[o]rvAov, also Pils ' Axe o]evdov.
Z. 47 Zaulwv (nicht Saviwy!), ebenso Z. 88, wo der Name
wiederkehrt.
Z. 48 K[«A1]i(a, dann Kulllıwv sicher, vgl. Bechtel GDI
III S. 19.
Z. 48/49 ? Ava Elwvos, wie ich vermuthete, nicht * 4vakfovoc,
Z. 51. Der fragliche Name ’Evacfpgwy, der besonders der
Nachprüfung bedurfte, verschwindet wieder. Ueber das anlat
tende E — Bechtel corrigierte "Ovactpgw» — kann kein Zwei-
fel sein. Das 2. Zeichen ist unkenntlich geworden; das kleine ©
Rund oben beziehe ich zu einem o, also ’Epacigowr.
Z. 53 Ende Æovvoos. Die 2 letzten Zeichen sind be-
schädigt, aber unzweifelhaft.
Z. 54 Ende erkenne ich noch deutlich Ae[.]|, am Anfange
von Z. 55 xınnodwgog (nicht Ixınnldwgos), also Ae|v]|xınnodweos.
Z. 56 ’A'va[&]lwvog. Das È ist durch einen Riß fast bis
zur Unkenntlichkeit zerstört.
Z. 57. Sino gab Evdfiac, und ich folgte ihm. Das erste
Zeichen ist aber fraglich. Da ich die obere Querhasta, die zu
E gehören würde, bestimmt nicht finden kann, entscheide ich
mich vor dem Steine für Bechtels Vermuthung KudiAa;.
Z. 58 K[A]eovixos.
Z. 63 @oyvnıoc, nicht %yvestos, wie Strang angab.
Z. 64 lies [‘Ho0d]woo[v] oder 4.
Z. 65 lies * Avatlwv statt ’Avdelwr.
Z. 66 ist Evabog vollständig sichtbar, darauf Evulo ]ytôu.
Z. 69 Stang: [Mejoıuivov. Die eingeklammerten Zeichen
sind zwar verletzt, aber noch erkennbar und sicher, also /TA sı-
oralvov. Z. 70 steht wirklich Telwr.
Z. 70/71 Au[u]oguosos. Z. 71 ' 4no[4A20 Jdwgos.
Z. 72 [vu vos], KAéov OD[wv]os. Z. 73 Zi[ wo Ji[o]c.
Z. 73/74 ' Anod [A Jodweog ITv[3]odweov.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 898
Z. 74 Ende schreibe: Evziyns ’A<g>yelovo[d]woov; das e.
nach ° A sehr undeutlich. |
Z. 75 Ende Æioyoiwv sicher. oy sind ein wenig unkenntlich
geworden, stehen aber außer Zweifel. Also Bechtels ^fi[y«]oíwv
zu verwerfen.
Z. 716° AroMo[d]wgov und /7v30[90 ]wooc.
Z. 78 Stang: KAcodstuov. Sicher unrichtig. Ich erkenne:
Kiesoda -wov; zwischen a u. » Rift, deßhalb unbeschrieben.
Am Ende der Zeile flaupto[v].
Z. 79 Ih[9ox]oírov.
Z. 81 Oü[w]roc, am Ende ' AnoAAodweo|v).
Z. 83 steht, was ich errieth, klar: '4yAwr£Aco;. Vgl. oben
S. 888 unter 9) ' AyAuvixoc.
.r 2. 84 lies Maroéu st. Margta. Z. 84/85 [a ]|oı[« de.
Z. 86 [D]Aoundoc.
Z. 87 Stein: Moditdas, wegen Z. 36 aber Modii(a)das
zu schreiben.
Z. 87/88 llactul[v]oc; oc ein wenig verletzt, aber gesichert.
Z. 88. Nach Z. 45 wird Æfvwr "Aluuvdoov erwartet, was
dort klar geschrieben steht. Hier hat der Stein: ..guwr, also
versah sich der Steinmetz. |
Z. 88 Ende Saulwy wie oben Z. 47.
Z. 89 Ende Avroyageus, während Z. 60 Auroyagsos ein-
gemeißelt ist. S. Z. 44 [77]ooxAsc und zu Z. 98.
Z. 90 [K]aattwroc, Ev«oovto[v]. 7
Wie Z. 68, auch hier 7 in O:óyvqgroc. Z. 63 jedoch Ooyvntos.
Z. 91 Stein: E)9vu(yov, Versehen des Steinmetzen ; denn
Z. 62 steht Ev9vuayov. Also Z. 91 ?u[(«)]rov zu schreiben.
Z. 92 [Ka]AXMxAetda. | .
Z. 93 Stein: ’Aprautdwoos mit a, aber oben Z. 73 ' More-
uidwgos, beachtenswerthes Versehen. S. die Belege über den
Namen " Agzauıg und ” Æoreusç aus Argolis Stud. I 83.
Hinter ’Aorautdwgos steht ' 4uquxAsvg, dagegen oben Z. 73
> Augixiéioc. Siehe oben zu Z. 89. |
Ferner 4fiovéciog Kadicré[a ]eog.
Z. 94 Ende Oeodwoo[v].
Z. 95 Ende * Æyruyogou, deutlich selbst im letzten Zeichen.
Am Schlusse finde noch eine Notiz über etwas Aeußerliches
Platz. Der Steinmetz ritzte sich, wie man am Anfange der Zei-
394 Johaunes Baunack,
len 15—27 recht deutlich sehen kann, durch Längs- und Quer-
linien die Abstände der Zeichen vor, und zwar setzte er diesel-
ben in die Mitte der so entstehenden Quadrate.
Im Ganzen befolgt der Steinmetz das Princip der Silben-
Abtheilung, und sein Bestreben sieht man deutlich an Z. 4
°A-|xalwv *), Z. 7 Kogwt-iwv, Z. 9 xa-|rà ete. Er weicht da-
von aber ab Z. 18 wrèo, Z. 22 Métolas, Z. 44 ' Aupıxinic.
Da der Artikel mit der folgenden Casusform zusammengesprochen
und -gefühlt wird, könnte man Z. 15 rat; "Aves als re-
gelrecht ansehen. Wegen der Neigung zur S ilb en-Abtheilung
ist Z. 37/38 wohl E$eg|[z(ó«]c wahrscheinlicher als Evag|[sozo Jc.
9. Aus Argos.
1. Nr. 500 des Museums zu Argos. Grabrelief: H 0,38;
Br 0,34; T 0,13. Zweizeilige Ueberschrift, von der ich erkenne:
[. . (Jos xoi |" Ayninna avéder.
Vor dem ersten « der 2. Zeile würe noch Platz für die An-
nahme eines Zeichens in der Bruchstelle. Aber der Name be-
weist ja, daß spir. asp. nicht geschrieben wurde, wenigstens im
Inlaute, Vgl. übrigens IGA 40, 10 Ba[(y)]e ixo[ rec].
Den ersten Namen ergänze ich mir zu ['Ov]eig d. i.
Ova0-10-5 oder "Ovac-i-;.
Schrift: AEHONI's.
2. Nr. 504 des Museums zu Argos. Grabrelief: H 0,79;
Br 0,42; T 0,17. Die obere Randzeile ist bis auf ein verein-
zeltes A ganz ausgeschlagen, enthielt offenbar die Widmung.
Die Gefeierte ist in der zweiten Zeile genannt:
Xagi-x-0. Alagı . . . .].
Wegen der Namensform vgl. arkad. Kadds-x-w Fouc. 846. Der-
selbe Name ist epidaurisch zweimal erhalten 89, 2 und 90, 2. S. dazu
Vf. Stud. I 59 und 231. Schrift: An die Enden der Zeichenhasten
sind kleine Häkchen angesetzt, so z. B. an AQ (s. Stud. I 12).
9. Nr. 505 des Museums zu Argos. Grabrelief: H 0,88;
Br 0,28; T 0,10. Schrift: AETTRQ; H 0,08.
Tlwdia' yaigs.
4. Im Museum befindliche Basis: H 0,69; Br 0,52; T
0,47. Zeichen: H 0,08; mit Häkchen, wie unter 2.
o bedeutet freien Raum von der Größe eines Buchstabens, wo
kein Buohstabe vermißt wird.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 395
diiovoav Edxgu|rous “Pov—og | avig avéornos.
In Z. 2 und 3 stehen zwischen den Wortern kleine Tren-
nungshákchen. Vgl. S. 421 zu GDI 817.
9. Museum zu Argos. Stein: H 0,65; Br 0,28; T 0,17.
Schrift: A€Q.
Aswvo\yaige.
6. Museum zu Argos. Stein: H 0,87; Br 0,32; T 0,135.
Oben quer gebrochen, linke und rechte Seite unvollständig.
Schrift: H 0,02—0,025; Charaktere wie unter 2. und 4.
Jertu- Zn | Jéoyayérs.
7. Vor der Thür der dquagytu: CI 1129 == F125. Jetzt
in 2 Stücke zerspalten, erstes Stück Z. 1—4, bis Aduvdıov,
zweites Stück das Uebrige.
Der Nachprüfung bedurfte Z. 5. Im CI steht DAAOY-
LA NON, bei Lebas MPadegia vor. Letzteres ist falsch ; denn &
hat die Gestalt E, nicht €. Das unvollständige Zeichen, wel-
ches die verschiedene Lesung veranlafüte, kann man nur zu o
vervollstándigen. Ferner ist zweifellos, daf nach diesem o nicht
o stand, wie die Vergleichung dieses Zeichens mit dem in ’Ao-
yeiwv (Z. 3) lehrt. Dann bleibt aber nur übrig, verletztes v
darin zu erkennen. Die Mitte des folgenden Zeichens ist völlig
ausgeschlagen; man sieht aber noch den kräftigen Einsatz oben
und auch das Ende der einen Hasta, die nur Jota darstellen
konnte. Das folgende « war bisher unbestritten. Was wir also
vom Steine abzulesen haben, ist
DAAOYFA
NON
Dies ist auch von Foucart in der ,, Explication‘ angenom-
men worden.
8. F 114, publiciert d'après la copie défectueuse de Quinet
in der Form
Kiavdi[a] "Ar3a
gE vnocyéoewg TO
Toyıxov Badaveio[y]
™ Eavrig natolds Wlnplouau Bovañc]
fand ich wieder in der Gestalt:
Kiavdta K[.(.)]a[. ..](av
gE vnooyéoews tov nargds
396 Johannes Baunack,
Kiavdlov Tuyixov 10 Ba-
Auveiov xaraoxevuo| a ]-
5 cav 17 éov[r]jg marelds.
. YUnplouun ßoving.
Der Stein bildet noch jetzt ein Ganzes; nur einzelne Risse ge-
hen durch die Zeichen. Der 2. Name von Z. 1 ist z. T. aus-
geschlagen, so daß die wahre Gestalt nicht errathen werden
kann. Ob die Person, deren Andenken Kiuvdfu feierte, die
Mutter oder die Schwester war? Im ersteren Falle wäre trotz
der etwas weiteren Zeichenabstände K[A]«[vd](av das nächstlie-
gende, im letzteren Falle ein Name wie A[ar]e[yer]la» (vgl.
Ka-yérns) oder drgl. Am Ende von Z. 4 sieht man noch die
linke Schräghasta vom «. Z. 6 ist auf dem Steine ausgeschrieben.
Stein: H 0,29; Br 0,62; T 0,62. Zeichen: H 0,03 —0,04.
AEMCO; im « ist der Querstrich von l. nach r. geneigt.
9. F 128b (= Bursian, Arch. Anz. 1855 8. 57) ist die
Schreibung Keysoodoros falsch. Auf dem Rande über dem Re-
lief steht KHPIZOAOTOZ. Im Museum zu Argos Nr. 503,
ausgezeichnet mit ,, 4éovnc 503 dwoov dijuov Navadlov“.
10. Zu F 142 (= Bursian, Arch. Anz. 1855 8.57). Im
Museum mit „A£ovns 496“ bezeichnet. Den Grammatiker inte-
ressiert die Kleinigkeit, daß die Verbalform mit » è pedx. ein-
geschlagen wurde. Seine Spuren sieht man noch deutlich, spä-
ter wurde es getilgt. Also auf dem oberen Rande des Reliefs
stand einst sicher : |
"Agıcroduuos avéFnxev (Foucart a. a. O. xs).
11. An der NO-Ecke der aus polygonen Blöcken gebauten
Terrassenstützmauer, welche sich am Fuße der Larisa befindet:
ein fast verblichen Relief, darunter eine schon vielfach edierte,
zuletzt von Foucart unter Nr. 127 besprochene 3zeilige In-
schrift; er giebt:
"Eniteildes
da. x . olocato
[ Mv« jouxeutesc[y].
Die rechte Seitenkante ist abgeschlagen. An der Form des Re-
liefs aber erkennt man, wie weit sie reichte, und kann ausrech-
nen, daß in der 2. und 3. Zeile hinter den sichtbaren höchstens
noch 1— 2 Zeichen Platz hätten. In der ersten Zeile ist nun
\
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 397
aber der Raum nicht so benutzt, daß das SchluB-ç (sichtbar
nur X) auf die letzte Raumstelle gesetzt wäre, deßhalb ist's auch
möglich, daß in Z. 2 der Raum nicht bis zum Rand ausgenutzt
wurde, und das erhaltene o ist vielleicht das letzte Zeichen
gewesen. |
Für Z. 2 schrieb ich ab:
AA .. K . €I£2ATO[..(.)].
Es ist also sicher, daß nach #4 zwei Zeichen fehlen, dann x
(etwas verletzt) folgt, hierauf wieder ein Zeichen fehlt und
endlich o(60«10 schließt. Wenn Foucart wegen des 4. Zeichens
bemerkt: je crois voir N pour la quatrième lettre, so ist dies
unrichtig.
Für Z. 3 notierte ich mir:
[?|MAIZIKPATEIA [.]
Daraus erhellt, daß Keil’s Lesung Avosxgirso[»] — nach
Welcker’s Kopie, Rh. Mus. 1859 S. 514 — und ebenso Fo u-
carts Lesung [M»e]owourevo[v]| falsch sind. Vor oxgéresa
steht ein jetzt im oberen Theile zerstörtes Zeichen; sichtbar ist
das untere Stück einer Lüngshasta. Es läßt nur auf die Vo-
kale « oder v schließen. Zu Anfang der Zeile, vor dem der
linken Seitenhasta beraubten u kann ein Zeichen fehlen. Aus
dieser Ueberlieferung kann ich mir nur den Accusativ
[A ]uacorxgutera[y |
reconstruieren. Wegen der Bildung des Namens vgl. lak. 4a-
uastdes und was ich Stud. I S. 247 darüber sagte.
duci-: dapai-° = Auac-[uyogus]: FSapnac-[dvdgu u. a.].
4. Auf Nisi bei Palaeo- Epidauros,
der Halbinsel, welche einst die Burg von Epidauros trug, sah
ieh an der Südbucht einen Stein zwischen 4 andern unbeschrie-
benen eingemauert, der zu einer längeren Inschrift gehört haben
wird. Die Zeichen sind aus leidlich guter Zeit. Z. 1 ließ sich
aus den wenigen Resten nichts errathen. Z. 2 hat [du |uooPérne,
Z 3 [T ]ndepuvnc. Wenn doch dort gegraben werden könnte!
Ueberall findet man Reste von Alterthiimern am Boden liegend
oder aus dem Erdreich hervorstehend, so daß man sich, scheint
es, eine reiche Ausbeute versprechen darf.
398 Johannes Baunack,
D. Aus Mykonos.
1. Von einem Hermenschafte im Museum zu Mykonos
(Nr. 10; Kopf fehlt; Fund vom J. 1882) notierte ich mir einen
neuen Beleg zu dem Stud. I 268 besprochenen seltenen Verbum
da uevoas. Dort steht auf der linken Seite:
AME f” ONIOC
d. i. *Auevoovios, Weiterbildung von einem *’Ausvowr.
Für die Namenbildung interessant ist auch
TAAYKYPIOC d. i. l'uv[xo]-xüg:oç und
M HCIEPÜI'OC d. i. Mnot-eoyos (an duncaunm, undouai
angelehnt); jenes steht auf der linken, dieses auf der Rückseite.
2. Für den Mythologen ist von Wichtigkeit die Nr. 825
im Museum (Zeichen: AEMY).
Stépavog Kisoyévovs | ' Apoodlim Havdjuwe.
9. Auf Stein Nr. 304 (H 0,45; Br 0,88; Zeichen: Z.
1—6 H 0,025— 0,086; Z. 7 —15 H 0,015 — 0,021), dessen
Nachbildung IGA 91 Nachtr. steht, ist der Ephorenname J o-
Aoyag erklärungsbedürftig. Sein erster Bestandtheil ist der-
selbe wie in Zo-uérns, Zo-03évnc, So-xournc (Rh. Mus. 37, 478),
Z6-dnuos (lesb. Mitth. XI 278 Nr. 31), Zo-xAfdu (CI 1262),
Zo-xAjduav CI 1450. Daß das zweite Compositionsglied zu-
weilen auffällige Umbildung im Suffix erhält, zeigt St. uarn-
in @eo-pavt-o¢ Fouc. 33a, 10, St. vixu-, vixo- in KAto-víx-&og
ark. GDI 1231 B 8, St. gyogu- in Auyoo-o¢ GDI 1359, 9 und
St. doouo- in Nixo-doou-ag GDI 1241, 3. Aus diesen Analo-
gieen ergiebt sich, daß 20-40 y-«g mit * loo -Aoy-oc gleich-
werthig ist.
6. Aus Ho«xAttovy auf Kreta.
1. Im Museum des SvAloyog. Oberes Stück einer mar-
mornen Tafel: H 0,215; Br 0,245 — 0,285; T 0,07 — 0,09,
Zeichen: AEOMNz['s9; H 0,01.
Fedo. | x6cuov yrwua. uyatae | tugav EdoSe Mguscilov ras
Bovias xai 16 || xosrwe ExxAnotas | [x]volas ye[r]owé rag] |
Die 4 Zeichen von Z. 1 haben von einander den Abstand eines
Raumes wie für 3 Zeichen der anderen Zeilen.
Z. 6. Nach [x]vgíac sind nur noch einige obere Zeichen-
reste des folgenden Wortes zu sehen. Zweifellos ist davon Zei-
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 399
chen 4 und 5, nämlich ou. Was davor stand, lehrt die Ver-
gleichung von Nr. 2, Dort steht Z. 4 xvgíag yer). Also ist
wie oben zu lesen. Zu ye stimmen auch die Restchen auf
dem Steine.
2. Ebenda. Kalkstein: H 0,405; Br 0,40; T 0,11. Zei-
chen: AEOEMEQ; H 0,02— 0,025.
Seog . &ya9[7s zuyne).
dote MHousctwly tots ag]-
yours xal twe xolıvas exxdy}
slag xvoíag yev[ouévgc]
5 Atovia llavo|........... ]
ov xai Qoagw[va.......... ]
°A9nvaîov yılllas Evexa xoi]
euvolas ing [sig v?» [gaol }-
wy noAw dee acFas ]
10 [.]lovo[.] " " "[ }.
Zwischen Z. 1 und 2 ist Raum wie fiir eine volle Zeile freige-
lassen, damit die Ueberschrift hervortrete. Dann beginnt ein
Dekret für 2 Männer, von denen der 2, aus Athen stammte.
Es beweist der Zusammenhang in Z. 3—6, daß auf der rechten
Seite nicht viel von der Inschrift verloren ging.
Für Z. 3 beweist Nr. 1, daß nur [?xxAn] außer [sw] zu
ergänzen ist, also nur 9 Zeichen noch dastanden. Was in Nr.1
as Bou heißt, wurde hier aller Wahrscheinlichkeit nach durch
rof; &gyovow ausgedrückt. Aus diesen Ergänzungen erhellt, daß
die Zeilen nicht gleiche Zeichenzahl hatten. Nicht zu errathen
sind die Vatersnamen beider, ebensowenig das Ethnikon des er-
steren. Für Z. 7/8 verlangt die Formel die Einsetzung von
&vexa; dies ist in Z. 8 unmöglich, weil der Anfang von Z. 9
mit ]wr die oben vorgeschlagene Ergänzung zu fordern scheint.
Also wird Z. 7 mit qu[í«g Évex« x«i] geschlossen haben. In
Z. 9 ist nach de das Zeichen bis zur Hälfte weggebrochen, aber
daß es & war, ist mir unzweifelhaft. Vor ov in Z. 10 ist viel-
leicht ein » anzunehmen, sichtbar davon nur die rechte Längshasta,
3. Ebenda. Kleiner Altar aus porósem Steine: H 0,81;
Br und T 0,22—0,26. Zeichen: AEMFIC®; H 0,02.
Zyvi Mnı-
giw xa(i) “Hou
400 Johannes Baunack,
Mta
Zutaçc vni-
5 o MHaodada
ey nv. .
Vgl. boot. Ai Midtyw xn Mutyn, Fouc. Bull. IX 404.
4. Aufmerksam will ich noch machen auf die Aufschrift
einiger Schleudersteine, die im Museum des ZvAAoyoc aufbewahrt
werden: divn (d. i. der imperativ) „dreh dich und triff“.
7. Aus Hagioi Deka auf Kreta. -
Der Stein, der die Bull. IX S. 6—9 von Haussoullier pu-
blieierten Inschriften Nr. 8 und 9 trug, ist jetzt zerschlagen,
und zwar.so, daß von der 19zeiligen Inschrift Nr. 8 nur noch
die 3 Anfangszeilen (die dritte nur halb) sichtbar sind. Statt
„H 0,63“ maß ich H 0,215. Der Stein befindet sich jetzt im
Hause des '"[wuvvgc IMnoovvnc.
Für die Beurtheilung des Alters sind die nachtrüglichen
Notizen nicht unwichtig, daß « nicht bloß in der Gestalt des
A, sondern auch in der des A erscheint £ und 3, M und M
wechseln, 9 ist ©. |
Zur Nr. 9 trage ich nach,
1) daß ich im Anfange [bu]yos xai govyava erkenne, also :
dieselbe Verbindung wie Z. 2 Ende;
2) daß ich Z. 2 zu Anfang [u]n und’ ès wxuürsov sehe und
dies deute: es soll nicht verstattet sein, Nutzholz, wie zum Baue
von Kähnen, zu schlagen, sondern nur als Brennholz Gestrüpp
und Reisig;
3) daß » zu Anfang von Z. 3 klar erkennbar ist, also
apehouelvoc.
Zur Nr. 8.
Z. 1 und 2 sind in der Mitte ausgeschlagen, also Z. 1
xoouióri[ov év Login; Z. 2 Mevolritdu, Ad]u noi.
Von Z. 3 ist nur erhalten: 10 ’Arriogw- ta[delof. Zu be-
achten der Interpunktionsraum.
Der Dativ Evgv-row ist gesichert. Wegen Beurtheilung
des -ı7- vgl. Verf. Stud. I S. 60 und 232. Aus Kreta notierte
ich mir für derartige Verdoppelung das Beispiel ‘0990 -rv- as,
Bull. III S. 433 Nr. 7, Z. 11.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 401
8. Aus Miamu (einige Stunden südlich von Hagioi Deka).
Im Besitze des //froog Snavog ein Marmorstein. Rechts
oben verletzt, ebenso unten. Zerbrochen in 2 'Theile: a) linkes
Seitenstück : H 0,426 (Schreibfläche; 0,465 Rückwand); Br
0,877; 'T cir. 0,11 (nicht überall gleich); b) rechtes Seitensttick :
H 0,53; Br 0,19 (Mitte; 0,31 unten); T 0,11. Schiebt man
beide an einander, so erscheinen in ganzer Zeilenlänge Z. 9—15,
Theil 2 und 3 sind dadurch gekennzeichnet, daß mit einem Zei-
chen über den gewóhnlichen Zeilenrand ausgerückt und in Z. 8
und 20 die Zeile nicht ausgenutzt wurde.
Die Zeichen in Z. 1 —3: H 0,025 — 0,028; in Z. 4 f£:
H 0,015 —0,018. Eine ungefähre Zeitbestimmung der Inschrift
liegt im Namen der 2. Zeile. Aus den Zeichen ist nichts be-
sonderes nach dieser Seite zu gewinnen. Sie sind mit großer
Sorgfalt und Regelmäßigkeit eingeschlagen ; die Enden ihrer
Hasten zieren kleine Häkchen.
Wie Asklepios in Epidauros dem geheilten Apellas auftrug,
die Beschreibung seiner ärztlichen Behandlung in Stein eingra-
ben zu lassen (Vf. Stud. I S. 116 Nr. 60, 81 ff), so hat ein
Granier vom Priester eines kretischen Asklepieions den Auftrag
erhalten, als Dankgeschenk dem Gotte eine marmorne Tafel zu
weihen, die von der wunderbaren therapeutischen Cur und ih-
rem Erfolge erzühle. Inhalt:
1, Z. 1-3 Ueberschrift.
2. Z. 4—8 Angabe der Krankheit: Bluthusten.
3. Z. 9—20 Angabe der Behandlung.
4. Fortsetzung weggebrochen. Gewiß die Angabe über
den Erfolg und die Dauer der Cur.
Wo das Asklepieion lag, läßt sich leider, selbst mit der
Spratt'schen Specialkarte, nicht bestimmt angeben. An der Süd-
küste Kretas, ungefähr südlich von Gortyn, besuchte ich eine
von den Einwohnern 4édu genannte, jetzt unbewohnte Gegend.
Dort sind architektonische Reste, eine Statue und Inschriftsteine
gefunden worden. Strömender Regen verhinderte mich an der
Niederschrift aller Einzelheiten der Steine. Ich merkte mir aber
die Aufschrift einer römischen Steinurkunde an: ‘Yysela Swrelon
(Dative). Eine Seitenwand trug die aus dem epidaurischen Hie-
Philologus. N.F. Bd. II (XLVIII), 8. 26
402 Johannes Baunack,
ron bekannten Worte: xar' ovag (vgl. Stud. I 85 Nr. 12 u.
oft. S. Index unter ovag). Und beide Notizen zusammen ge-
nommen ließen ja über die Bestimmung der Anlage keinen
Zweifel. Die nächste Niederlassung ist etwa 2 Stunden ent-
fernt : es ist das elende Dérfchen Miamü, wo mir eben des Gra-
niers Heilurkunde gezeigt wurde. Sie heißt:
"Aoxinrieo
Moni sog l'oavioc[ ]
xar inıraynv
"Ex dietiug Pnocovra ue dad[ sa del]-
5 = mroc, wore 00oxag Evmvow[g . . (.)]
nuayuévag di bans imégac d[no]-
Barksıy-- - 0 F806 éntO£Eato Feo[a]-
"HtvoaL*
"Edwxev evlwuor vn0In towy sey,
10 tira, nénega rà» Iradsxov nelvesw,
zrulıv auviov dia FeQuov Udaros,-
elta xovlav und tic legaç omodod
xui tov begov vdarog, elta wov xai
Önrelvnv,- nalw niocav vyoav, --
15 efra elgur wera pélitos, sitawndoy
xv[ 0 Ju[ wo... .......]dacvr .éyn-
10» rely ]ew, TO dé unAov
towy ev |v ouxa wera| . | 0 -
] 8 wuov, onovov- -
12 z 0 [7 ]c à» tw de -
]s noà$ aipa..(.)]
[ Juvrauxel ]
Z. 1. Das w ist nur halb erhalten. Ein Jota adscr. habe
ich wegen & tw Z. 21 und wegen ‘Yyrele Zuwrefgu (8. oben
S. 401) nicht setzen wollen.
Z. 2. Vom g in l'o«»iog ist nur das untere Stück erhalten.
Danach ist der Raum, 0,12 in der Breite, weggebrochen; auf
gleicher Breite stehen in dieser Zeile 5 Zeichen. Also war es
ein kurzes Cognomen.
Z. 4. Vom Adjektivstamme di-erfo- muß eigentlich das
Substantivum di-ér&a heißen; vgl. rqi-ért-1«.— Auf suffixaler
[
L
20 [
[
[
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 408
Umbildung dieser Nomina beruhen zgrez-fa und disr-fa. Aehn-
lich die 3. 398 angeführten Beispiele von Eigennamen: St. uav-n-
in O«0-uav1-0-g.
Am Ende der Zeile sieht man nach d unten den Ansatz
zu einer Lüngshasta, der zu dem Jota des von mir ergünzten
Adverbs gut stimmt. Für die Lücke sind 4/5 Zeichen . nöthig:
dies veranlaßte mich zu der vorgeschlagenen Ergänzung. |
Z. 5 Ende fehlt ein Zeichen weniger als in Z 4, also
3/4. Der Sinn drängt [un ]mAAayuérac auf: wenn in der Lunge
Blutgefäße gesprungen sind, sammelt sich das Blut und ver-
dichtet sich, Von dieser oft mit Eiter durchsetzten Masse reis-
sen sich beim Husten Theilchen los und bilden die Aus-
würfe. In Z. 6 ist das 2. Zeichen verletzt: die Reste lassen
auf uw (oder n) schließen. Da ich damit nichts anfangen konnte,
nahm ich vorläufig zu der mißlichen Annahme eines Versehens
meine Zuflucht: also [uz] | 7<u>(M)ayuevec.
Z. 7. Nach «e[nmo]|f«Aàsw Raum wie für 2/3 Zeichen.
Darin eine Verletzung des Steines, der der Steinmetz auswich.
Z. 8. Hier ist die Freilassung des Raumes gewiß Absicht.
Z. 9. „Nüchtern, fastend“ h. sonst vnous oder wjorns oder
vnoreving, hier entweder *vnozevs (vgl. vnorevw) oder *rnoris
(*£og), wozu vnoın der acc. sg. ist. |
Evlwuov „eruca, eine Gemüspflanze, deren Samen wie Senf
zum Würzen gebraucht ward". |
Z. 10. Sonst ist der acc. ró méme oder róv mémegur be-
legt, hier ist die lateinische Neutralform als griechisches Mascu-
linum flektiert.
Z. 11. dia Iequoù vdarog werden wir in Z. 10 zu sup-
plieren haben. Für &uvàov geben die Lexikographen die Be-
deutung: Kraftmehl, Stärke. Am Ende der Zeile -.
Z. 12. Im ; von ing ist der Stein ausgebrochen.
Z. 13. Ein Rif geht der Länge nach durch das Jota
von ééra.
Z. 14. Nach Önrelvnv (sonst Önzvn „Harz, Gummi“) ein
kleiner unbenutzter Raum; am Ende der Zeile --.
Z. 15. Das aus der Irispflanze gewonnene Oel (igsvor uv-
gov oder &Auıov) diente sonst hauptsächlich als Parfüm.
Z. 16. Nach der mir zweifellosen Ergänzung xu[d]|w[»:or]
ist eine Lücke für 10 Zeichen. Nach «v ist ein Restchen sicht-
26 *
404 Johannes Baunack,
bar, das zu d paßt, hierauf das obere Stück des w bildenden
Halbkreises. Von den übrigen Zeichen sind nur Querhasten am
Rande der Bruchlinie erhalten, die zur Bestimmung der Zeichen
nicht verhelfen. Vor dacèr könnte vielleicht ein » gestanden haben.
Z. 17 und 18 zu Anfang sind Restchen erkennbar, die zu
dem ergänzten » passen.
Z. 19 oö--. Der Raum für 2 Zeichen ist nach ov nicht
ausgenutzt, vgl. Z. 14.
Z. 20. Die rechte Hälfte der Zeile blieb unbeschrieben,
also schloß auf der linken Hälfte der 3. Haupttheil.
Z. 21. Nach rà möglich de- oder Ae-.
Im Anschluß an diese Heilurkunde erwähne ich noch einen
jetzt in der 2xxAnof« rov ayfov "Iwarvov zu Miamu liegenden
Tuffstein (H 0,32; Br 0,23. Zeichen: H 0,015; AEOMMIZNQ),
der zwar an allen vier Seiten zerstört, dazu im ganzen schwer
lesbar und in den unteren Linien (12 — 15) fast völlig abge-
scheuert ist, seiner Phraseologie nach aber eine Heilkunde ver-
räth. Aus einigen ganz erhaltenen Wörtern kann man ungefähr
den Inhalt errathen: xeyaAnv (Z. 2) — [rlis açsoreluc xoi
ono[vdns] (Z. 3) — Segonev3eio[a] (Z. 5) — [ma ]Eavrog
émdeivas (Z. 6) — rxaraxuvoacavr (Z. 7) — dodivov (ob EAatov
tou §.?) x«i moAoyn (Z. 8) — xai ovrog EFegan|evoe] (Z. 9) —
[av]uyoapey 6 Feò[c éxédevoe] (Z. 11).
9. Aus Böotien.
1. Chaîroneia- Kapruna.
GDI 378. Unter dieser Nummer Reste einer nichtdia-
lektischen Inschrift (Z. 2 ijv !d(uv, Z. 3 zyv àw(9e]ov), für
deren Anfang ich
°Evn[é]dw[rog] &oyovioc
vermuthe. Dieselbe Namensform 485, 19; 586, 9 (s. Meister I 267).
3827?) 1. Die Anfangszeichen "Ex® sind in ihren oberen
Theilen verletzt, aber sicher: "Enızfuw.
982, 7 wey st. tyr. 10 Stein &vd9towro(? , und » ist
darüber nachgetragen.
2) Bei Nr. 381 ist Alles in Ordnung. Das Schluß-o in Ssoxdidao
ist ein wenig lädiert.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 405
383, 1 finde ich [sog tovyay ayadav. MjeveBuidw doyo.
8 sicher are, nicht àv499. S. oben zu 378 und
unten zu 394, 4.
Q
384, 1. MEAITNO2, also M:[(4) J(swvog.
2. Zu Anfang muß [uw] ergänzt werden. Von dem
darauf von Stamatakis gegebenen [eve |xndex«iın erscheint jetzt
nichts Sicheres.
384, 3 [wider] tar x35.
385, 1. [K]uddtxwvog zu Anfange.
4. Die Formel verlangt nach rsmagauetvacar doaviv
x) ın yov |[vn]xi avrò das Adverbium dverxAe(zug; vgl. 391, 5;
395, 6. Dazu stimmen die Reste nicht. Stamatakis erklärte
sie für cuyayr, wogegen die Sprachgesetze opponieren. Viel-
leicht war der Name der Frau genannt. Doch kann ich ihn
nicht errathen. Ich notierte: ?TOR AR AIOEI.AZKAS.
385, 6 steht raougosiua (nicht yg£9), wie wir erwarten.
386, 1 ["4Ae]Euxga riog agg. 1/2 nevis|[and]exam. 3 [1]a».
387, 3 xi statt xul. In derselben Zeile: roy &r<adbia-
Quoi statt avateow, wie in 402 N rdv &wa[o]wow [o jioueres.
Vgl. dazu das Compositum iugardeotu GDI 1555d, 31 (Verf.
Stud. I 252).
390, 1. Vor dew stand sicher x. Der Rest der untern
Schräghasta ist noch zu sehen; also .]xAeig.
391, 1 [Ka]AAlxwwros &grorroc; am Schlusse öyd|[on], höch-
stens oyd[o|7]. 5 [@]veyxAelrws.
392, 1/2 mevre|[xlndexurn. 3 [Elfdior. 3/4 Sage |
[z]e[v &]vk9ecw. 5 [xar] tov vouov, dann nodetxori[(a)], Stein
Or, (nicht z9o3?).
393, 2 [nevrexn]dexum. 3 d[odllor 4 [Sagam, wei] mo-
Fxortla uerFev]i (nicht 79039). 8. zu 430, 3.
393, 4/5 avude'[ow]. 5/6 xar ro[v] | [v]ou[o]r-
394, 1 [Oo novyav aya3av. wevdg Ilgoor| [are |ıgiw.
8 [aprem 4 ra» avteow. S. zu 383, 8.
395, 4 iag&y, nur das letzte Zeichen ein wenig verletzt.
7 nmoiovueve, auffallend, aber sicher.
396, 1 A[yos][[wr]jiw n[ercexndexx]en Didw tuga ist 2.]
Neben der Kirche des heiligen Spiridion in Kapruna fand ich
406 Johannes Baunack,
die einzige Inschrift in älteren Zeichen, nämlich die Namens-
aufschrift einer Grabstele (H 0,85 ; Br 0,55 ; T 0,84; Zeichen 0,03).
LAKRITINOS d. i. 4/«-xgit- frog.
Sitzungsber. der Berl. Ak. 1885 S. 1032 Nr. 10 veröffentlicht
Lolling: „Chäroneia. Im Museum. Großer Block aus grauem
Stein: LARRITINOS Auvestivos “. Ob derselbe Block ge-
meint ist?
Den Altarstein in derselben Kirche bildet eine Platte (H
1,07; Br 0,725; T 0,10; Zeichen: bis zu 0,04) mit der Aufschrift:
TEFIAAOZ d. i. [legtiaos.
Man hat angefangen, die Inschrift auszuschlagen, doch scheinen
die Zeichen //eg noch deutlich hindurch.
2. Lebadeia?).
GDI 429, 1. Nach smegwvrog eine Lücke für 7 Zeichen,
so daß die Ergänzung von Stamatakis richtig erscheint.
"A[ofor]wvo[c &]rrt93[eun ].
429, 2 rv Tee plwvt iagav etu[ev].
4 erst uesderè mit 9, dann utid£ra mit J.
5 önsodixıovdw ist sicher. Nachkorrektur nicht be-
merkbar. Am Schlusse der Zeile: wmooio | 14v9w.
429, 7 lies Aageivos E[v]: view st. Kagnivog E .|. . xo.
Der Stein befindet sich jetzt im dnwozıxöv cyodetor.
430. Zeile 1 ist ganz abgestoßen. Zu Anfang von Z. 2
erkenne ich [. . .]Z[.]ovovr, so daB mir Stamatakis’ Ergänzung
[an]dagiov probabel erscheint.
2 lies zei Booty (vgl. GDI 422, 6) xy ret Toeg[w»tes]
Lao jov eluer zov navi[o] |
9 mei modixovia (nicht mgo99); s. zu Nr. 392, 5; 898, 4.
5 nooioı| a ly Fw.
6. Zu Anfang sehe ich noch oben den Ring des ersten 9g.
Davor Raum für 2 Zeichen, also sicher [ia ]gæoyn.
7. Zu Anfang erkenne ich sicher xga[t less. Davor Raum
0,035 d.i. für etwa 2 Zeichen. Also vielleicht [Ev ]xou 7 Jess oder i.
Am Schlusse ist nur Platz für °d[«], oder der Steinmetz
3) In Ordnung: GDI 423; 416 (jetzt im duuonxóv oyolsior); 438
(außer 49avddweos noch: APIZTEA|XAIPE.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 407
müßte kleinere Zeichen angewendet haben, um o noch mit auf
diese Zeile zu bringen. S. jedoch °AMeva 480, 6.
Neu waren mir folgende kleine Nummern:
a) Im dnpouxdy oyoAsiov. Grabstele: H 0,84; Br 0,48; T bis
zu 0,15. Zeichen : 0,035.
POAAXPHETH | XAIPE d. i. ‘Poda yonorn | zaiee.
Eine ältere Inschrift stand darüber, sie ist aber völlig getilgt,
nur das den Namen beginnende K scheint durch.
b) Ebenda. H 0,695; Br der Schreibfläche 0,245; T 0,09.
Zeichen: 0,03— 0,035.
A »-0« | AoE|AAMHNET ox d. i. 4wíAog, Aaunverog.
c) Ebenda. H 9,65; Br der Schreibfläche 0,24; T 0,095. Zei-
chen: 0,02—0,025.
TIMQN d. i. Tiuwy.
d) Ebenda. Bwuloxos (H 0,27; Br 0,11 —0,14; T = Br. Zei-
chen: 0,015; AESMOZ).
Oberer Rand: (1) ’Aya9n zuyn.
Vorderseite: AYPKACOA
AQZ’Agık-
pds ° Ayoo-
5 tide yaou-
GT Qsoy.
Aufmerksam will ich noch darauf machen, daß in der verfal-
lenen Kirche des heil, Demetrios 2 Inschriftfragmente sind. Auf
der Außenseite der Ostwand ist ein Stein mit der Inschriftfläche
nach unten eingemauert, so daß am Rande einige Zeichen her-
vorschauen. In der Innenseite derselben Wand sah ich ziemlich
hoch ein Fragment von weißem Marmor. Abschrift zu nehmen
machten mir die Verhältnisse unmöglich.
9. Skripu- Orchomenos.
GDI 465*) (H 0,97; Br 0,675; T 0,815; Zeichen: 0,084).
In Z. 2 kann nur éin Zeichen fehlen. "Wahrscheinlich ist nach
Nr. 462 und 471, daB 2 Nominative unter einander standen,
also wohl -
4) In Ordnung: Nr. 466 (H 0,76; Br 0,66; T 0,59; Zeichen : 0,03);
477 (jetzt rechte Ecke der westlichen Außenwand des Klosters); 514
(H 0,88; Br 0,65; T unmefbar; Zeichen : 0,08).
408 Johannes Baunack,
Au paccig
Aapog lia}.
467 (H 0,865; Br 0,625; T 0,50 soweit meßbar; Zeichen:
0,04. Schon Lolling Sitzungsber. der Berl Ak. 1885 S. 1033
Nr. 18 hat bemerkt, daß £ durch C ausgedrückt ist; so auch
in Nr. 876 EHE ?. In seiner Wiedergabe des Namens ist das
senkrechte » ungenau; es liegt nach r. geneigt.
470. Die Zeilen beginnen und schließen in einer senk-
rechten Linie; daher ist es möglich, ziemlich genau die Zahl
der fehlenden Zeichen zu bestimmen.
1 [R. für 9 Z. u. ro]i à» sav * Aola[y] of R. f. 12 Z. weggebr.]
2 [R. für 5 Z. ]c '4AsEavdgw oroutuylorioc, wl R. 8/9 2.)
3 [.Jodwelw.
In FiAupylovıog und Tereoapyıog Z. 10 ließ der Steinmetz
nach y erst das Jota weg und verbesserte dann seinen Fehler
dadurch, dafi er es in den Zeilenzwischenraum darübersetzte und
die Hasta nur wenig zwischen y und o hineinreichen lief.
9 am Schlusse ist noch von e ein Restchen zu sehen, also
Swttg. (sic!) dré[3iav]. Außer den ergünzten Zeichen bleibt
noch Raum für drei: so paßt die Ergänzung von Blaß [7700] |
genau an den Schluß der Zeile.
4 zu Anfang | anes. Am Ende A49avod[R. für 6 2.)
5 Ilo[ R. für 6/7 Z.].
6 Meruußı[R. für 5/6 Z.], also Bros E]|. Die Er-
gänzung [/1oA]- oder [/7oAo]- geht nicht an.
7 ZwuovP [R. für 4 Z.] Der letzte sichtbare, aber oben
verletzte Buchstabe kann nur o gewesen sein. Das führt auf
den GDI 486, 59 verzeichneten Namen Zsuvernoç, hier patro-
nymikal von *Sfuvotoc. Nach Diu -dgioros und Ziuo - xattog
denke ich mir ein *2su0-pvgz0¢ gebildet ; dies erfuhr syllabische
Hyphäresis, wie z. B. GO.Avo(dug aus Q[Ao]-Avg-(dag u. v. a.
Also Z. 7 Ende Zuovgl[ roc] zu schreiben.
8 "Hyuwv "Hyucivioc st. "uorsog. Am Schlusse ZT R. für
2 Z.] sodaß die vorgeschlagene Ergänzung 2[+u]|pla¢ paßt.
9/10 4odo[.]!c. Eine andre Ergänzung als #oôdo[ro]|ç
wird es nicht geben. Hier ging der Steinmetz um éin Zeichen
über die übliche Zeilenlünge hinaus.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 409
480. Anfänge und Enden der Zeilen ungenau, die letzten
schwer lesbaren Zeilen von Schliemann gar nicht gelesen. Ich
gebe deshalb eine volle Wiedergabe hier:
1 [R. für 7 Zeichen] »roç Ihotd-
[ag Nijxodwew Siwy Di-
Àevoc* ° Adavius Kovyt-
du MuixovAoc “Eouatw-
5 Nwogdvec Evagyt- ——
duo’ Níxwv * dAwa: 'Hgaxo-
v Jhwíwvog* "Agytlas
ZMos‘ HavxAeig Æévwvoc"
Evvouper Methexdtda oder °dao* [R. für 2 Zeichen]
10 ’Ovaow» Níxwvog* [R. für 6 Zeichen]
"Iautiv(ag Ororélios.
Von Z. 9 ab scheint der Steinmetz nicht allen Raum der Schreib-
fläche ausgenutzt zu haben. Unklar bleibt, ob nach dem Rande
zu °da oder °duo eingeschlagen war. Beim Uebergange von
Z. 9 zu 10 also möglich [..] | ov«owv oder -- |.Ovéowr. In
Z. 10 ist nach Nixwrog nur Raum für 6 Zeichen, also nicht
Raum für Name und Vatersname. Die letzten 4 Zeilen sind
deshalb so schwer lesbar, weil sie in unbearbeiteten Stein ge-
schlagen sind.
Im Anfange von Z. 4 ist nach da eine Verletzung des
Steines, in der jemand den Versuch des Steinmetzen suchen
könnte, die Genitivendung o nachzutragen. Da aber Z. 6 der
Genitiv in der Form ° Aevu gegeben ist, können wir auch Z. 4
Kovytda und Z. 9 HuàAixAfda annehmen. Die Maße des Steines
sind: H 0,47—51; Br 0,27; T 0,235. Zeichen: 0,01—0,014
(AEM[ 29).
484. Z. 1 steht Z/7owrouayw, dagegen Z. 9 ngatov.
Z. 6 youu pattdovros ohne irgendwelchen Zweifel.
Z. 10 [?]o1gorsva9n: ° AFuvtas. Das von Andern dahinter
angemerkte 4 kann ich nicht wiederfinden.
Z. 11 [1/2 Z.]wros Horauw» [5/6 Z.].
Z. 12 [2/3 Z.]osro; Ev[9 Zeichen]; viell. [Evy].
Z. 18 [2/3 Z.] ATI^ [13/14 Zeichen].
485 Z. 2 IoRiovxguitos. 6 eoorgotevadn. 9 Kosvinnw st.
Ze. 10 Didouellw. 11 Tiuoy(rovog; am Ende Movgewido[o]].
410 Johannes Baunack,
12° Avrlywv; am Ende Ki:uvac|rw, also höchstens KA(o)^;
vgl. jedoch Kiwwaylduc Z. 14.
15 ’Ogyeiel'uw. Das Jota ist noch sichtbar.
16 /Jo«rw» ausgeschlagen, aber noch lesbar.
18 dazwischen gemeißelt.
22 [ M]sAoa07e070¢.
29 ' AvugaNIEOS, also beide Endungen °rios und Preog
vermischt. Vgl. unter Nr. 506 die Bemerkung über ’ doysl<n>ı0g
und inni<n>5. — 31 Aaul[m]tw.
33 9|»ovoím Avri®, ohne das v nach w, was Foucart giebt.
39 Ev in Evxisfwv ist noch sichtbar. Nach ’ Auwodwow
ist ein Name ausgeschlagen, und nichts blieb sichtbar.
486 Z. 4 ’Fgyopuévois st. uevloss Versehen des Steinmetzen.
8 Teheo[a]| nfo. 9 Vel 'ynw, also besser Meylyjw. 11 xo-
Aeucoyv[c]. 19 Awvovoodw)|ow. 24 AwooFiw st. 9*3£w.
28 Muopueviw|vos. 36° Ayscardo[w].
44 war erst vergessen worden und wurde dann zwischen
die Zeilen gedrüngt.
55 "Agıoor| (0A) Jac, st. 92.40.
Aiwvov!; das dazu gehörige ofw wurde darüber ge-
meißelt, ist jetzt aber sehr undeutlich.
57 llegue [t] | wroc.
61 Oouowy Nixou«yw steht in einer Stelle, die erst aus-
geschlagen war; vom alten Namen blieb am Anfang der nüch-
sten Zeile stehen ,
62 rvoiw (sic!, nicht rovofw). Dann Kugsot|, hierauf ist
Raum für 4 Zeichen ausgeschlagen und unbenutzt; denn Z. 63
bringt zu Anfang die Vervollständigung des Namens durch |wr.
Also war schon beim Einmeißeln die Stelle beschädigt.
63 Meisters Vermuthung bestätigt der Stein: Zaydp{dao,
Danach [. . .] unbenutzt; s. Z. 62.
64 ‘ dyeov', danach [..... ] unbenutzt; s. Z. 62.
70 °Oruciuw; das w ein wenig beschädigt.
75 ’ Agusroxkstol c].
487 Z. 1 ’Anovw[...... ]. Da, wie längst gesehen
wurde, Nr. 487 die Fortsetzung von Nr. 486 ist, h. asoAunv
d. i. «n0)0ın0ı gewiß: „fernere, übrige ; außerdem“.
2 ’Ayaocıda ww, alles deutlich und mit oo.
4 Anfang ausgeschlagen bis KAswr | das.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 411
488. Zu dem von Meister GDI S. 182—185 gegebenen
Texte, der als Grundlage dient, notierte ich folgende Abwei-
chungen, resp. Bemerkungen:
Z. 1 éd? ist ganz deutlich. Am Ende @éwvo|[¢]; o verletzt.
2 xvigíov; xv ein wenig beschädigt.
4/5 A[o]|rvotov; o wegen 4fiovvco| dwoun Z. 12/13.
14 'Ov«ctuo[v]. 15 Kugsoodwofur]. 17 doy[v]|elov.
19 1o[1]| axorıa.
21 MupBowwa. Das w ist sicher; vgl. Z. 25.
25 Mluvßoı|wrioıg. Das v ist sicher; vgl. Z. 21.
29 ['H]dè. 31évo[c]; overletzt. 35 avyyola]pn ; q7 verletzt
47 'Ouoloya hat der Stein, also °y(f)a.
55 "Inn(w]ivoc. 56 ’E[o]iyoweriwv. 62 ro[uu] | xovaa.
65 am Ende dé ganz klar. 66 zwg vollständig.
68 doxuadde[e]; e verletzt.
69 Ende, wie Latischew sagt, Raum für 2 Zeichen, also
p&o£y y[ ov || ov.
71 [O}uomeia; am Ende xoutrre|[r}n.
73 ovneg|umegac, zwischen g und « ist Jota nachgetragen.
75 «no | Der Steinmetz setzte, weil er [1 ganz dicht an
den Rand eingeschlagen hatte, o unter 2. Dies bezog Fou-
cart auf das Z. 76 schließende zus, das er mit jenem o als
roig wiedergab.
79 [O]xraxarfag tevaxovtu. 81 [oluoi[o]yu 82 yey[ouwl]-
werv; am Ende xou[ £99 | [« 52 n. 83 Nixagé[t]a.
85 noranonıonıw (sic!), vgl kypr. nelosı, Meister IL 257.
86 n[oZ]euugygois. 88 4xovgv vv Ev9w ganz klar.
90 Qropecoros. 91 Oeesaetes ; nieht Veste, wie Foucart giebt.
93 hier und Z. 96 rountddus, vgl. Z. 139.
96 @ago| nog (die ersten 4 Zeichen beschädigt, aber sicher)
’Eoyousviw, also °viw !
99 "Inn[w]voc "Eoyousv(f)w. Das Jota ist nachgetragen.
102 n{olljéuuoyo 108 dum IXA, so der Stein. Wohl
ohne Bedeutung; vgl. Z. 141.
114 |O]iwvog.
115 «n[o Tja» vmeg |auegsuwr. Das v trug der Steinmetz
später nach, weil er es zuerst vergaß.
116 noA[o]c, o é|nt9w[o)e. 117 &gyovo[tw dg jaxuuc.
412 Johannes Baunack,
118 oxtaxur[lu]s rosa | xovra. 120 ovryoagor, [av] {dw]-
xuv ovnig. Vgl. zu Z. 135.
121 xuı’ [e«v][o]; uvr@v. Foucart’s Ergänzung ?z[oo]a«v-
zw| v] ist deshalb falsch, weil das Jota sicher gesehen wird.
124 [?]zi. 129 duuov; keine Correctur, die Meister ver-
muthete. 132 [d]é x7.
133 [v]megaueglag ra(s) xur rag. Stein TAKAT®, aber
tiber x ist jetzt eine Verletzung des Steines sichtbar, in der ge-
wif c, vom Steinmetz nachgetragen, gestanden haben wird.
134 76 [6r]ovua.
135 hier ovyyougor geschrieben, aber Z. 120 ovryg®, Z.
159 covvyg?.
136 [7]edelour. 137 mao Oslo] | geczo».
139 [F]yoayur «vs; dia rgenéO dag (sic!).
Den Vokalismus :gsn? soll man, wie ich in Athen höre, auch
in Inschriften des Kabirions gefunden haben. Vgl.Z.98 u. 96°).
140 x[uro]mreg, nôvor d’ eluer.
141 Nach zo2(uxov noch ein w sichtbar, wohl der Anfang
zu einer neuen (vgl. Z. 136) Dittographie: Oxwr<wr> ; vgl. Z. 108.
141 Um den neuen Abschnitt zu kennzeichnen, rückte der
Steinmetz ein wenig tiefer den Anfang der Zeile 4apuuzgiw.
viovpesri[ n].
142 [me]roamm. In Znewayıdde Kapioodwpos sind die Zei-
chen %dde Kay? verletzt, aber sicher.
148 "Innwvog; die ersten 3 Zeichen beschädigt.
144 ngoßs [fj]wXevuévor; uvrd, letztes Zeichen beschädigt.
145 Niwapti[oc O]twros On cnixac, letztes Zeichen beschädigt.
146 [xi] mourrwous rodo[. .. ... ] M[....] «dr tag (0)vae[g] |
Entweder ließ der Steinmetz das o von ovnsg- ganz weg, oder
trug es über der Zeile nach, wo jetzt der Stein verletzt ist,
147 |uus[o]lus rag lwoug «vrz . . . yxuo .(.)v w noAEp[a]|
Larfeld’s Vermuthung [ar«]yx«o[ $s]v hat, nach den Ueberresten
der Zeichen zu schließen, große Wahrscheinliehkeit. Vor v
könnte man in der zerstörten Stelle __ auf ein e beziehen.
148 | [o]yv x5 [6 rlœuiuc cov[ry wo[s(o ]arroe 10 duuw Jd pev
149 | . uia -. A. iv couvygugor nde v ovnug[ y wor ove] |
5) Ob das böot. zus-n® infolge von Vokalassimilation Umbildung
von zoa-n® -- das doch auf zero«-, nerva- basiert — oder des hesychi-
schen tos-n° (roinsQev: tjv roansluv. Boswros) ist, oder ob :06- uralt und
gleich tré- (in (re-cent; u. a.), läßt sich nicht entscheiden.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 418
Z. 150 |aueoln En[ıde]l xa. Erevıy$els ist ganz sicher.
Am Schlusse x[}] st. [x]7, wie Foucart schreibt.
151 [2]oxowm[R. f. 4 Z.] ra couvywosstéivra yostuura, wohl
Orr[sern].
152 [n]eoaoyovra. 153 [rlar; [e] modo er ned“ 10].
154 [molle oye Nixuoeın aoy[.(.) ot [Foug]uas uuotus |
155 óxraxar([mg r]gexxovra. 156 [4da]u[a]rgfv uewt.
157 Nex|aoé|rn.
159 covvyouqoy», also mit v vor y. Vgl. Z. 120, 135.
160 lei] | uev.
163 'Eoyouev|(]wv x) [ro &y]y[o]vw.
Am Ende ist YYN so dicht an einander gemeißelt, daß [o]
schwer ergünzt werden kann. Versehen des Steinmetzen.
rt | [»]«uera.
164 divo 0f? ; beide o sind überliefert.
166 [A]ovuxtoxw ©. Nach courallayuu ein kleiner freier
Raum. 168 [Zlourrouw rt3zc6 puo ro].
170 [ro] covraAA«y[u]a. Dann [Olw]ros tag móA[oc].
171 D’Eloxouertwr.
172 mergexioy[c(]Avy. Auffällig, daB weder Latischew noch
Foucart das Richtige notierten.
Dann ::23[u/]o.
173 O[r]wvog rae moA[wc] 174 Eyyolvw]; S[ovr]vouw.
175 [ri]orwo. 176 [@e]sdovFiw. — 178 [nJodos; dann
reFuopova®, nicht %pvd°, wie Foucart giebt.
496. Letzte Platte des linken Thorpfeilers im Hofe des
Klosters. H 0,17; Br 1,025; T 0,32. Die Form IA|PEI-
TEYZAZ d.i. iwgeırevoag steht auf dem Steine; ihre Lesung
ist nicht im geringsten zu beanstanden.
Am untersten Rande ist die 1. Zeile einer neuen Inschrift
zu sehen. Die obere Randlinie ist vorgezogen.
Ich erkenne: [Raum für 12/13 Z.] APF[..] 4ON. ..c 4«-
acroc[.]go [R. für 6/7 Z.]o[R. für 7/8 Z.] TONKalyl:co0wgw
Arxeoyw [.] |
Die Zeichen v. Z. 1/2: bis zu 0,05; von Z.3: 0,013—0,015.
497 vgl. GDI I, Nachträge S. 394. Für den Anfang be-
komme ich folgende Lesung heraus. [ 4|moAAwvwídeo yov |rog,
(aotutddorrog “Avi | yerıog Twxgatios, Vagaoyióv | rwv “ Ayevourtew
Zovfgayog | , Zwoww MovFtia{ijog x14. Im Folgenden schreibe;
414 Johannes Baunack,
Z. 6 Aumargiy|[w] ior, Z. 10 èpuaresm, Z. 12 xovgsog Forw.
498 vgl. GDI I, Nachträge S. 894 f. [... agrovroc, ta-
osıaddovroc] | Evustiw Bool |, | tapagysovrw[y] Swxgu-
5 [noz] | Kugicodwyw,° Agsotluvog ||’ Auoriwvog, &vi[t]9 [enn] |
Ayuda "Engag|tó]uo, rwug[ior] [cols «vip vo [o]v[t2] Ei-
10 [oo] ix4etoc 'Alylaswvos, 1a» | pidlav 9ega|| anvav Niov[u]w» |
tagay eluer tw Sag[u)m|s|os | x) rag "fovog x) mei 2Eeiue[y] |
perderò Niovuws ép[«]wzes[rg] | puesdì xazadov(Ar]izo[oc]g
15 n dè x[«]]| ve [eylanfr]eıın, [x]ovguog [£o]te o iuele]olsl |
xi a[d] ie[e]«oy[n x2 1] cov|vedov] | [cojudwvies x4 du-
pau | ovisc.
Alles sehr zerstört, daher äußerst schwer lesbar.
Auf demselben Altare standen etwa noch 5 derartige Weih-
ungen, die jetzt fast ganz verloschen sind.
499, vgl. GDI I, Nachträge S. 395.
1 [R. für 10/11 Zeichen] «gyovrog, iagsıad- |
[dovroc Ev]yagedos [t] zw[g] et(dao, ingue- |
yovtwy Avovoltuo “Emyuosog, Evg£ao |
dauwvoc, avildsu° AFuvodwgos Aog- |
5 [..]Aduog tav Fidiar Fegarnnvav Kag- |
dcuur taguy eluer tw Zogamog xi |
xTÀ.
Zu Anfang v. Z.5 sind 2 Zeichen ausgeschlagen; das Feld
für das zweite läßt nicht auf Jota schließen.
Z. 10 am Schlusse ia] Z. 11 Anfang 'geus.
GDI 503. Die ganze Inschrift ist mit solcher Sorgfalt ge-
meißelt, daß die Annahme eines Versehens nur Nothbehelf des
Erklürers ist, so Z. 3. Ganz deutlich steht Fuugsog ıw Mar-
ıwrog da, wie es aueh Bóckh schon auffaßte, während Larfeld
Evuvt<o>01w glaubte lesen zu müssen. Der Zusatz des Arti-
kels kommt vor; vgl. das kleine unedirte Fragment S. 415 c, 4.
Z. 8 giebt der Stein klar Z/PQ4A2, was höchstens Fi-
ow(,)d«c gelesen werden kann (so schon Keil Fiewdac),
Z. 10 Das -¢ von Duwxaieus ist jetzt weggebrochen,
Z. 26 ist das Jota klar in Figodotw.
505. Jetzt im Klosterhofe, vor der Südseite der Kirche.
Br 2,265 st. 2,45; H 0,53; T 0,45. Zeichen: 0,04; 22 (die
Hasten verbunden) 0,05. Das letzte Sigma ist verletzt.
506. In der ersten Zeile 8 Namen. Der dritte Mia —
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 415
sein r ist ganz deutlich — scheint mir eine Koseform für *° 4g-
i&uíi-« zu sein. Meister’s Vermuthung betreffs des zweiten Na-
mens trifft nicht das Richtige. Was überliefert ist, sieht wie
"Agysımos aus. Aber was ist dies? Jedenfalls ist Meister’s
’Aoysi[v]og oder '4Moyst[v|yoc ausgeschlossen. Ob aus Versehen
yel<n>ı0g, so daß vor ıo der Laut sowohl in der böot. als
ger. Art ausgedrückt wurde? Mit *’ Agynıoc vgl. delph. uav-
may, wie von St. *aoynv. Meister I 233, 10. — Ein Bei-
spiel für solche Versehen ist inn®<n>s;, Wackernagel KZ. 27,
268. Vgl. noch oben zu 485, 29.
512. Foucart meint mit seiner Umschreibung den auf der
Südseite der Klosterkirche eingemauerten Stein. H 0,98 soweit
meBbar; Br 0,56; T unmeßbar. Zeichen: 0,04.
Vom anlautenden x ist im Bruche noch das äußerste Stück
der unteren Schräghasta zu sehen. Das schließende Sigma ist
‘ jn der ausgeschlagenen Stelle noch zu errathen, also Kiso&evts.
513. H 1,025; Br 0,78; T 0,31. Zeichen: 0,04.
[. JAMoXOENEIZ d. i. [4]«uoc9évac.
Neu waren mir die 3 kleinen Fragmente:
a) Südliche Mauer des Klostergebüudes, im Garten. Jetzt H ~
0,59; Br 0,23; T unmeßbar. Oberer Rand über der In-
schriftzeile ziemlich wagerecht abgeschlagen. Alle andern
3 Seiten verstümmelt, die rechte so, daß unten mehr vor-
ragt als oben, daß also an der Stelle der Inschrift noch Raum
für 3/4 Zeichen hinzuzudenken ist. Zeichen: 0,04; sehr alt.
Hinna[oyos| od. à.
b) Nordwand der Klosterkirche. H 1,20 soweit sichtbar; Br
0,74; T unmeBbar. Zeichen: 0,035.
MATPoKA/[R. für 3/4 Z.] d. i. FMargoxAa[cog] od. ä.
c) Linke Seitenwand der südlichen Treppe, die aus dem Klo-
sterhofe hinab zur Kirche führt. H 0,295; Br 0,18; T un-
meßbar. Zeichen: 0,01.
AZI etwa [Farlaë t [ w v
KEIZK/ [Nom. auf -]xec Ke[
JEAAMQM [ leg dauwr(oç]
DANHZOAY [ Jecvns 6 Av] oder Of
ANOIoXFAMN JavBios pav[aE. .]
416 Johannes Baunack,
4. Theben 9).
GDI 665. Vor Aysuövdas ist eine kleine Bruchstelle, in
welcher der spir. asp. gestanden haben könnte. Freilich fehlt
er in OMoLolol. Von dem durch Röhl ergänzten dexarac ist
jetzt nur dex[ sichtbar.
673. In Foucart’s Abschrift fehlt c, doch ist es ganz er-
halten. Der Stein wird in der Ausgabe als „klein“ bezeichnet.
Seine Maße sind jedoch: H 0,79; Br 0,62; T 0,175. Zeichen-
höhe: 0,05. Nr. 184 im Museum. IGA hat v beide Male
steile Schrüghasten; auf dem Steine sind sie etwas nach außen
geschweift.
674. Maße: H 815; Br 0,68; T 0,19. IGA ist 9 un-
genau; es hat dasselbe Zeichen, wie’s in Nr. 192 derselben
Sammlung angegeben ist.
686. Der Name ist mit Y geschrieben, nicht mit X.
689. Die Vermuthungen Z«uo3ow[o]; und vs sind nach
dem Steine ausgeschlossen. In die Längshasta des Jota greift
rechts eine Verletzung des Steines ein, die, weil sie breiter als
die Zeichenhasten und gewunden ist, nicht zum Zeichen hätte
gerechnet werden sollen. Also Suuotosris.
690. Der Name steht auf dem Rande über dem Relief.
Dieser hat die untere Kante eingebüßt, und dadurch sind die
3 letzten Zeichen unten beschädigt, also Evuede[s] d = D.
700. Z. 6 Jodoruoc, vgl. Z. 3. Das erste o ist ein wenig
beschädigt.
20 sind [4 ]oopoxdsic und [B]oouoxAsig falsche Vermuthun-
gen; denn YPOMO? ist deutlich. Da Róhl's Vorschlag [/7]v-
pouoxAñc „pro /Jvvauoxins“ aus sprachlichem Grunde zu ver-
werfen ist, muß nach Probabelerem gesucht werden.
705. Z. 2. Nach ME ist die untere Hälfte einer senk-
rechten Hasta sichtbar, so daß also die Ergänzung zu ze[óc]
ausgeschlossen ist.
4 nur [/o]r9iw. 5 [Aolorwros. 6 [x]oioy£sc.
7 [A]vaxrogiec. Nach uras 2 Punkte, also MNA£:
6) In Ordnung: GDI 671 (nicht weißer, sondern bläulicher Stein!);
675 (mit dem Sigma, das IGA 161 gezeichnet ist); 676; 684 (9 so lá-
diert, wie es IGA 269 gezeichnet ist); 685; 688.
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 417
2. 8 Doouw : "Aoxos: TEPEOZ.
13 ist [.]gÀo? nicht zu bezweifeln.
14 lies * A9arodwoos : 4wuvvoto 3.
15 noó£evog +, dann yel(A)las :. Der Stein hat wirk-
lich XEIAIAz. |
16 nur ’AAv vor dem Rande sichtbar.
18 n[o]oysisc; nach ’ Alvlalwr nur GEO zu erkennen.
19 am Schlusse nur /JoAv[. 21 oruzeigas; c verletzt.
22 Anfang: | [. |, weder w noch Jota sichtbar, also min-
destens [yovof | o Jo.
23 [t]agw; am Schlusse Bowro[t]; o nach z beschädigt.
24 [ojuvedgo,, ganz deutlich eivıfav, dann Zgo([c] Für
den folgenden Genitiv Kugu[s]fyw — so Meister nach Fick —
lese ich Außuriyov, also mit 9r. y ov, was sicher ist. Zweifel-
haft bleibt nur das 3. Zeichen, welches 8 oder 0 gewesen sein
kann. Leichter läßt sich KuBut-syo-¢ begreifen: so mag der
Böoter zu Ehren des ‘Egung oder Zsvg xura-, xaras-Butng ge-
heißen haben. Die Genitivendung ist hier ov wie in der letzten
Zeile Zlvouuov.
Dieser Stein führt im Museum jetzt die Nr. 169.
723 links . IQ st. LA; rechts 10v «d[eA]pov. Nr.75im Museum.
726 Die Zeichen des ersten Namens sind durchgängig deutlich.
729 Vor AAKIAAMoZ ist noch eine Hasta sichtbar, die
nach oben zu zu g ergänzt werden kann.
Ich lasse nun folgen meine Abschrift der so wichtigen
Kabiriarchen-Inschrift: H 0,975; Br 0,715; T 0,555.
Zeichenhöhe: 0,015. Ueberschrift: Kufigsagyn.
Links (4): Rechts (B):
ITvooldas “AF arınog Nixagyog Oiwvos
° Aovoroytiwy Nixoduuw ° Apuorlus Nixinnog
Orouuos Iolvoigoiw .dıwvvoyog Zevoxgliw
Kadivotovixog Mellocw Qioxestoc Koviwvog
5 Ilagay wysisg: 9 Pliwv ' Ausviysos
’Eoov&liuog diodwew Aauactag IHtwlwvog
‘lowevlag Diropedtduo Bovxwy pacuiog
Avtovoos Ev9vulyo Nvpetvios ' Acwrnodwow.
IHveeos Myactiyldao.
Aus den letzten Dezennien des 4. Jahrh.: die adjektivische Bil-
Philologus. N. F. Bd. II (XLVIII), 3. 27
418 Johannes Baunack,
dung der Patronymika ist noch 4mal beibehalten (44 1; B 2;
5; 7), und in einem Falle (4 7) steht noch E für den ge-
dehnten e- Laut. Zeichen: AEOAMNEQ.
Einen fehlerhaften Abdruck findet man Berl. Philol.
Wochenschrift 1888, 12. Mai Nr. 19 S. 579. Aus den dort
beigegebenen Notizen von Meister wiederhole ich, daß ,,Bouxw»
neuer Kurzname“ ist, „gehörig zu dem bekannten böotischen
Vollnamen Bovxarısıs“. Zur Schreibung Nupelvsog bemerkt
ebenda Meister: „Nur graphisch verschieden von Nowvpetvios oder
Niovuslvıos, wie böotisch gewöhnlich geschrieben wird".
Erhaltung tadellos. Die Zeichen 9?,9,9 in der Ueberschrift
sind oben ein wenig verletzt. 2 2 steht « vor og in einer
Bruchstelle.
Ferner notierte ich mir im Museum zu Theben:
a) Nr. 244. H 0,505 ; Br der Schreibfläche 0,205, unten 0,245;
T 0,75, unbearbeitete Rückwand. Zeichenhöhe: 0,015.
IxoYXlox d. i. /oouysos.
b) Ebenda. H 1,22; Br 0,45; T 0,165. Zeichenhóhe:
0,035. 0,045.
=ENNQ Zero.
ZA-(Y-N Zuwr.
Wegen des w vgl. die Aufschrift aus Tanagra: ’ Aoscorlwv S. 426.
c) Ebenda. H 0,625: Br 0,51; T 0,175. Zeichenhöhe: 0,04.
MYLAKKO Mvuxxi.
d) Ebenda. H 1,31; Br 0,235; T 0,23. Zeichenhöhe : 0,08— 0,04.
[.]RTAMIDC d. i. (^ AJorauıdo[s]; auido’ wie IGA 170 geschrieben.
Mit der Steinbreite verrechnete sich der Steinmetz. Nach d
bog er, um etwas mehr Raum zu gewinnen, mit o etwas nach
oben aus und setzte gewiß c ganz auf den Rand.
e) Nr. 41 OMoAQEIX . ‘Vuodwets
f) Nr. 61 QIAQTI= Duwiic; im Rund des q noch ein
Querstrich.
g) Nr. 163 KAAAIZTPoTo& KaAA(GrQoroc.
Zu den von Lolling, Sitzungsber. 1885 S. 1084 mitge-
theilten Namensaufschriften merkte ich mir an:
a) Lolling Nr. 36. Im Museum Nr. 222. H 0,67; Br 0,545;
T 0,18. Zeichenhöhe: 0,08. Das x hat die Gestalt: K; also
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 419
mit Querstrich durch den Berührungspunkt der 3 Hasten.
Jota und Delta sind näher an einander gerückt als die an-
dern Zeichen.
b) Lolling Nr. 37. Im Museum Nr. 240. An allen Seiten
gebrochen. Vor @ ist der Stein nach der l. Seite so ge-
rundet (oder spüter bearbeitet ?) daB es scheint, als ob man
hier keinen Bruch annehmen und also kein Zeichen ergünzen
dürfe. y ist V. Das letzte Zeichen war verkehrt einge-
meißelt; vgl. zu GDI 823 unten S. 421. Also: ‘Purgor.
c) Lolling 33. Im Museum Nr. 80. Seine Ergänzung .4[i]-
avıldac ist wohl zweifellos. —
Weil die Ehrendekrete in 'Theben nicht so häufig sind,
schrieb ich mir folgendes Fragment ab:
H 0,29; Br0,29; T 0,10. Zeichen: 0,01. Gestalt: AEOMDE.
[eveoyéru]y zug nóMog Os[sfiimv]
xj] avrov x) Eyyolvwg
] user avioîs [
xn] zoıxlag Exrna[ oi
x]) prootéhecay x[7)
dlopadsay xn [a]ov[Atav
Padart ar.
5. Erimokastro - Thespiä *).
GDI 765. Vgl. Lolling a. a. O. S. 1087. Nach prep’
àv Olyëdu bedeutet die senkrechte Hasta gewiß die Inter-
punktion, die ja zum Sinne gut paßt. Zum folgenden kleinen
Sützchen: M’ 6 mute Q [2] |] mEIExe 3avo[v]| v» (sc. àni Tor wWy-
for) gehörte noch der Vatersname, den man zu Anfang des
Pentameter vermuthet. Für diesen finde ich (C$ .. ILOS,
woraus sich die Unhaltbarkeit des Vorschlages 'Oo[c]Ae; — und
vor allem von oc [p]fioc wr — ergiebt. Der Name muß mit
Oc? 20° beginnen und auf -íAog endigen; dazwischen ist si-
cher Raum für 2 Zeichen. Lolling meint: 'Oc[3](Aoc. Dies
scheint mir noch nicht das Richtige zu treffen. Wenn doch je-
mand einmal den Stein photographieren könnte.
7) In Ordnung: GDI 772; 833 (vor 10° Bruch); 835.
27*
420 Johannes Baunack,
Das doppelte (“SCS am Ende von Z. 4, von Roß, Schill-
bach und Lolling gegeben, ist so sicher, daß die Conjektur o[i]
entschieden zu verwerfen ist.
768. Jetzt in die Apsis der Kirche des heil. XaoaAcuTQc
vermauert. Man hat in den Stein ein Kreuz eingeschlagen, wo-
durch der alte Name ein Zeichen einbüßte. Maße nicht meßbar.
MENE . OINOZ d.i Mev& 3 Jouvoc.
770. Jetzt ins Museum geschafft Vom x des ersten
Wortes ist nur die obere Schrighasta zu sehen, also Kongı-
vada[s] In Z. 2 schreibt Kaibel: dvéFesxely]. Nach e ist im
Steine ein Riß, von unten nach oben schräg gewunden, der nicht
auf ein Zeichen hätte bezogen werden dürfen. Meister hatte
also Recht, wenn er von sprachlicher Seite am v épslxuonixor
Anstoß nahm.
778. Wenige Schritte von der Kirche des &yıos Blacoç
(s. unter Nr. 828) entfernt, vor dem Eingange ins Musenthal
liegen geringe Trümmer der einstigen Kirche des heil. Johannes,
Der große Block ist stark verwittert, trotzdem sieht man noch
auf dem Steine die 2 Zeichen, die Ulrichs in dieser Nummer
GDI 778 zu notieren vergaß. Also 4auogrdoc.
780. Jetzt im Museum.
781. Röhls ®e[g]icra ist unmöglich. Die Vermuthung
®[ıAtor« hat Meister im böot. Index durch die richtige Erklä-
rung ,,elloru mit Aphäresis für ’OgeAlfora“ ersetzt. Das Sigma
ist durch Risse ein wenig undeutlich. Der Stein liegt jetzt im
Museum zu Erimokastro.
798, 3 ö[laPfıas - - - .
6 Die Schreibung Iwrreuog finde ich auf dem Steine bestätigt.
7 Nach '4frnuyérüog sind die Reste jetzt verloren.
8 Avowal , vorher . d . . das.
9 lies [ . ]rexAËc.
801. Jetzt im Museum.
Z. 2 [£y][vo].. 3 Ende Nix[. 4 Evdotvw, also ist Keils
Vermuthung bestätigt.
5 steht klar "Peyx(eg da. Das ist ,Schnarcher", vgl. “Plyxw
486, 73. Am Schlusse der Zeile r zu ergänzen, geht nicht
an. Es ist ja aber noch sichtbar zu Anfang der folgenden
Zeile, also || rg?.
=~ là dam. du
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 421
6 Die Abkürzungen &po - &nopeo- sind sicher.
8 Am Schlusse Nixes sichtbar. Das ist Nwéso[c].
10 steht nur din Mal $ bei der Zahl. Am Schlusse Ne-
xé[us]} nicht Nex£[aog].
11 [Oet]o[a]oyos.
12 uwapav vor Didwvidac | sichtbar.
13 Gewiß [éy]yu- 4[«]uoc9[.
802. Im Museum. S. Foucart Bull. IX p. 411. Z. 10
og àgyüg sic! 11 à» ró Asvxwua Eoypayı
808 4 Z. 15 nur Xagi[, nicht Xugsx sichtbar.
' 805 a) lies HPEYNHSA. b) Hokvu[vio]. Am Schlusse:
Üv£ciov; r und v beschädigt. d) &v3eog 7, also 7 ohne Jota.
Am Schlusse: 'Ov&orov; ve beschädigt. e) Auf dem rechten Ende
des Steines noch ein großes H, dann Bruch.
816. Die beiden Formen, an denen der Grammatiker An-
stoB nimmt, Osonelwv und «ré9nxe sind sicher. °
817. Jetzt im Museum. Meister verlangt für den bioti-
schen Dialekt nur uey«An, und auch dies nur steht auf dem
Steine. Nach den 2 Wörtern der 2. Zeile ist je ein Häkchen
(zur Abhebung der Wörter von einander?) angefügt, wie's auch
auf Epidaurischen Inschriften gefunden wird. Also
MATEPI> METAAH<
Wegen der Weihung an die Göttermutter vgl. die Sitte in Chä-
roneia, z. B. GDI 402 N.
823. In der Kirche des heil Xagaddunng auf der Ost-
seite eingemauert. H 0,80; Br 0,57; T unmefbar. Zeichen:
Z. 1 0,04 tiefer und in breiteren Spatien als in Z. 2; Z. 2
0,08 (zierlicher).
MEPMAZIXoZ Tlsgu«soıyog oder Ieouacty(.)og
KOPIM OOCHPQC Koouw3os nows.
Zu bemerken ist, daß sicher ?o;yog dasteht und daß das » in
Koow3os so steht, wie's gegeben ist.
828. In der Kirche des ayıog Bidasos, welche außerhalb
des Ortes liegt, und zwar im Pfeiler der kleineren Thür auf
der Südseite (H 0,47; Br 0,34; T 0,19). Zeichen: 0,08.
EYKPATEZ d.i Evxourtec.
Wie Schillbach etwas anderes als diese Lesung geben konnte,
422 Johannes Baunack,
ist unbegreiflich. °EZ sind ganz klar, also gehört die Inschrift
„zu denen, die E in der Weise des älteren Alphabets auch für
den gedehnten e-Laut verwenden“.
830 jetzt im Museum zu Erimokastro.
845 jetzt ebenda. H 0,39; Br 1,86; T 0,56. Zeichen:
0,075. In großen, tiefen Zeichen sichtbar:
[AAYKIAZAANC d. i. l'àavxíag Aavo[Blw od. à.].
Zu den von Lolling a. a. O. S. 1084 ff. mitgetheilten
Nummern ®) notierte ich mir:
a) Lolling 43. Zu Anfang fehlt ein Zeichen. Von den üb-
lichen Compositionsgliedern bleibt kaum ein andres als «ßeo-
zur Auswahl Wegen °y-vido-¢ vgl. die Beispiele Stud. I
S. 59 und 281. Also ['4]896-y-vAAo[c].
b) Lolling 57 „Ajexgeoldas statt Ajaxgartdas“? Vielleicht ist
mit dieser Nummer folgender Stein gemeint: H 0,285; Br
0,22; T 0,17. Zeichen: 0,02. Die Zeichen sind sehr dünn
und schwer lesbar. Ich notierte:
. VKLARIDAS
Vor V können 1—2 Zeichen gestanden haben. Mir ist [E]s-
xÀao(dac wahrscheinlich.
Zu den von Foucart Bull. IX p. 403 ff. mitgetheilten Num-
mern °) notierte ich mir:
a) Foucart 14. Ins Nebengebäude des Nexodaoc Xaılıjc ver-
baut. Bläulicher Stein: H 0,31; Br. 0,47; T 0,19. Zei-
chen: 0,03.
b) Foucart 34. Der Querstrich im Alpha liegt das erste Mal
schmüg, an 2. Stelle wagerecht. |
c) Foucart 24. Z. 9 -£yyvog-. 10 und 11 [’Enyve ]ros -“Hod-
xwvog. 15 "Avrale]eıc.
d) Foucart 30. Moopudttdul¢] ist gewiß = Lolling 62. Das
¢ steht noch klar auf dem Steine, wie es Lolling gab.
Neu war mir:
8) In Ordnung: Nr. 39; 47; 54; 55; 59 (Sigma ein wenig un-
klar); 62; 68 (letztes Zeichen nicht so deutlich wie in der Zeich-
nung); 66 (wie ist aber snvnzos zu erklären ?); 67.
9) In Ordnung: Nr. 15; 29 (vgl. Lolling Nr. 55).
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 428
1) Ins Haus des Anwnzosog Xarknc verbaut. H 0,28; Br |
0,36; T unmeBbar. Zeichen: 0,045.
OEOY Feoù
TAYPoY Tavoov.
Die gleiche Aufschrift trägt ein Stein des Museums (H 0,17;
Br 0,165; T 0,115. Zeichen: 0,03): OEOY | TAYPOY.
2) Am Hause des 'EA£vgg Xarbnc. H 0,36; Br 0,415; T
0,21. Zeichen: 0,04.
lAMOAEI(.] d.i Zaugus[s].
Vgl. die Bildung ’ Avis-pu-ng, GDI 12810, 7 '"vuqgatog. In
Epidauros notierte ich mir das ineditum K«AAigar|[c].
3) Museum. Stein: H 0,83; Br 0,46; T 0,37. Zeichen: 0,08.
AANIZ Aalls.
Vgl. 1007 dad-iwr u. a.
4) Ebenda. Stein: H 0,25; Br 0,183; T 0,14. Zeichen:0,015.
ONAZIXA 'Ovactya.
5) Am Hause des Papas Nicolaos. Stein: H 0,275; Br
0,41; T 0,27. Zeichen: 0,025 — 0,08.
EYETHPIZ (sic!) Evernols.
6) Museum. Stein: H 0,45; Br 0,29; T 0,16. Zeichen: 0,045.
MIMON Mipwv.
7) Kirche des h. Xuguddunns. Stein: H 0,80; Br 0,52;
T 0,305. Zeichen: 0,015.
ZIMA _ .IAKXIO Sue "lIaxyto.
8) Ebenda. Stein: H 0,53; Br 0,365 ; T 0,23. Zeichen: 0,03.
.. ANZTAPETIZ [Ka ]Adsoragerts.
9) Ebenda. Stein: H0,43; Br 0,29; T 0,21. Zeichen: 0,02.
AlofEIToZ Avoyesıog.
10) Ebenda, Stein: H 0,585; Br 0,315 ; T 0,13. Zeichen : 0,08.
APIZToFITIZ ’ Aovoroystls.
Die Hasten von y mit Häkchen.
11) Ebenda. Stein: H 0,305 ; Br 0,85; T 0,10. Zeichen : 0,01.
AEMQKHIPAN AZE. ZAINI A
TATANKHKATAOAAATTAN
KHTAAAAl'ANTAKAOAT'EPTOIX.
AANOIEMPO=ZENOIZKHEYEPTETHE.
noliguw x) loxvag éw]ous «x xjo|sà yar x) xara Fa-
424 Johannes Baunack,
Aattav | xn T° alla navta xadameo roig | “os mook£voic
xij eveoyétne.
Die Zeichen EPFE in der letzten Zeile sind tiefer eingeschlagen.
6. Leuctra- Platää.
GDI!^) 851. S. Lolling a. a. O. S. 1032 Nr. 15. Auch
ich habe mich von der Schreibung ASICASSTo° überzeugt.
Dies setzt ein "*4-ox«c-ro-; voraus, entweder „sehr hinkend“
(wegen à für av vor 0° s. Stud. I 66 und 258) oder „nicht
hinkend“ (ob mit dem Nebensinne Selev ruyus 7506 waynric
d 202?) — Das « sieht wie das z. B. IGA 161 gezeichnete aus,
. 852. Der Vorschlag von Fick ‘Eyerro4eu[o]s zu lesen ist
nach dem Steine unannehmbar; denn das A vor er" darf nicht
bezweifelt werden. Das Zeichen steht auf unbeschädigtem
Raume, dazu ist die Lüngshasta oben nach links schräg ge-
neigt, wies eben nur bei A (nie bei y) geschieht. Vor A ist
0,065 beschädigter Raum, das würde für 2 Zeichen ausreichen.
In die Bruchlinie reicht oben die rechte Hälfte einer Querhasta ;
von einer Lüngshasta ist nichts zu sehen (danach IGA 249 zu
corrigieren!). Röhl schreibt TAn®. Aber der bóot. Dialekt ver-
langt ja dafür T4«z?. Ich schreibe lieber 'EAezroAeu[oc].
855. Lies Z. 1 Aoylals)] Ooocvu[«]yeocg. Meister’s Ver-
muthung wegen puvu£ugéra bestätigt mir der Stein: es ist
nicht bloß [, sondern F sichtbar, also mit dem Ansatz zur
zweiten Querhasta, die ja oft nicht gleichlang gemacht wird
wie die obere.
An der Kirche des heil Petrus zu /7aoazovyyia, wo Nr.
851 eingemauert ist, las ich noch:
a) .IOOINA_ auf Marmor (H 0,28; Br 0,84. Zeichen: 0,025)
d. i. ||-3ofvo.
b) .PITA auf Marmor (H 0,59; Br 0,59; T 0,48 soweit sicht-
bar. Zeichen: 0,045) d. i. [K]oí1o.
Das erste Zeichen ging verloren durch einen Rib, in dem man
nur noch eine kleine Spur von seiner Lüngshasta erkennt.
10) In Ordnung: 850 (s. Lolling a. a. O. S. 1032); 860 (Museum
zu Theben: 2 Stücke H 0,28; Br etwa 0,45; T 0,245); 861 (Mus. zu
Theben: H 0,255; Br 1,06; T 0,245. Zeichen: 0,02— 0, 025. Jetzt in
3 Stücke zerbrochen).
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 425
ce) H 0,55; Br 0,35. Zeichen: 0,015 (AEOMMEQ).
[Ovóc, zuya* . . . . &gyovrog èdote 103 duuos noo£evor elpen
Bouwwrwy xoi evegyérav . . . . .
1 Aapovizw- Maxed | [5 ]va xai duo avıol ras | xad posxlas
5 Ennacıw xn | dvwvar xi] aovAlu xin noAsuw xij toavac bw |cas
x) xarà yar x) xat Jlalar[ralr xn avro? x) yélrs, Bo[ww-
10 rag]ysoviwv [....]|rfduf o . . . .]093A . daulw.. || .]
row. ..] O. S... O. E... € | Fogého, anraxlstos.
Z. 8/9 oder ob [Koa]nde[uw]u. &.? 9 [ 4n]oAMo]9p[v]?
7. Museum zu Skimatari, das die Funde von Tanagra enthält !!). -
GDI 884. Mit bestimmten , sorgfältigen, aber nicht sehr
tiefen und nicht sehr breiten Schlägen ist der Name ’Aßaso-
dögos eingemeiBelt. Darunter las man bis jetzt 4B nochmals,
und Robert meinte: „Der Steinmetz hatte offenbar zuerst den
Namen etwas weiter unten eingraben wollen“. Aber es steht
*Afue da, und dies erscheint auf den ersten Blick als spätere
Nachkritzelung mit einem spitzen Stifte. Das beweisen die dün-
nen, uubestimmten Linien. Uebrigens ist unter dem ersten Alpha
der nachgekritzelten Zeichen noch ein « eingeritzt.
898. Das vierte Zeichen, das Lolling x lesen will, ist
sicher o. Hinter diesem Zeichen ist der Stein gebrochen, so
daf über die Zahl der zu ergünzenden Zeichen nichts gesagt
werden kann: vielleicht Xojo[f4oc] — vgl. 914, IV 11 — od.à.
917. Die Ergänzung von Röhl traf das Richtige, da
man w am Rande des zweiten Bruchstückes noch erkennen kann,
also He|o]ufas. Weil der Steinmetz das ¢ nicht gut auf das
schmale Stück bis zur Kante bringen konnte, meißelte er es um
eine Zeile tiefer unmittelbar am Fuße von « ein.
959, 2 ’Alolranıdı.
961. Die für Zeile 4 vorgeschlagene Ergünzung entspricht
11) In Ordnung fand ich die Publikation der Nummern: GD1874;
876; 878; 889; 895; 897 (wo anlautendes z und -¢ ein wenig lädiert
sind); 933; 963; 964; 965; 966 (der 2. Stein hat nur Aali]s); 967;
973; 978; 981; 982; 988; 996; 999; 1001; 1003; 1004; 1007; 1016;
1027 (von weillem Marmor); 1028; 1033; 1036; 1051; 1057 (noch
sichtbar die vorgezogenen Linien); 1072; 1088, worin das erste und
letzte Zeichen ein wenig lüdiert ist); 1086 (4 lüdiert); 1101; 1108;
1110; 1111; 1112 (c ein wenig zerstórt); 1128 ; 1129.
426 Johannes Baunack,
weder der Zahl noch der Gestalt der Zeichenreste. Es standen
daselbst 15.
° 1124 steht in einer Zeile auf dem Rande über dem
Relief.
Unbekannt war mir das Distichon (Stein: H 0,66; Br 0,395;
T 0,065. Zeichen: 0,08; AE mit Häkchen)
Tovvoua uiv Xalolas, OnBn narolc, Gila Juvovra
5 -Iopar|do0v yvdavr, yaia xc || teox(act.
Wegen sprachlichen Interesses notierte ich mir die Stelen-
aufschriften OMOAQIZ (vgl. GDI 577), ETHJ|ETIIXAPIAI
(vgl. Meister I 268 Nr. 4) XPElgIMog, BAKXIz AGAAO-
AITIS, APISETI-(Q\-N (vgl. das w in Sáw» S. 418) und NIKo-
KPATEI£, EMI EYMAPEIAH, wegen sachlicher Wichtig-
keit Stein Nr. 294 (H 0,325; Br 0,32; T 0,085): KABIPI|
QPHA (Zeichenhöhe 0,06—0,085), wegen des Alphabets VARI-
+ENA (auf einer Stele — H 0,325; Br 0,285; T 0,10 —
im Hofe des Antiken-Wächters, wo noch viel, viel liegt).
10. Aus Chalcis.
1) Vor der Demarchie das untere Stück einer steinernen
Pyramide (H 0,88; Br an der Schreibfläche 0,44, unten 0,55);
das obere Stück wird in der Demarchie aufbewahrt.
EVOAMoSANWEQL
M3
Evgnuos av£9 [t]xev.
2) Steinerne Stufe der Thurmtreppe an der Kirche der
Hag. Paraskevi (H 0,245; Br 0,84, etwa um 0,04 noch in die
Quermauer eingerückt; 'T 0,29 soweit sichtbar). Linke obere
Ecke abgeschlagen. Zeichen: AEMIIPXYQ
[. . 6 djuos 6 Egetguéwv Tiyinnov QiA Ov
[ | gering Evexev xai svvolag tic sig Éavrolvç.]
"Agtéwids ----- Anoliwu ---- - Amoli).
Wieviel r. u. l. vom Steine abgeschlagen ist, kann man nicht
sagen. Nach der Vertheilung der drei Götternamen auf dem
Steine scheint nicht viel zu fehlen, ebenso nach dem Schlusse
der 2. Zeile. Beim Uebergange von Z. 1 zu 2 vermißt man
Epigraphische Kleinigkeiten aus Griechenland. 427
ungern 776 vor «geris. Für die Geschichte der Kulte in Chal-
kis hat die kleine Inschrift immerhin Bedeutung. Die dritte
Zeile liest man oft in gleicher Formulation auf dem delischen
Ausgrabungsfelde. | |
9) Grabstele — wie man sagt, „vor 5 Monaten‘, etwa Sept.
1888 — beim Umbaue der unter 2) genannten Kirche gefunden
und in dem diuxorıxov aufbewahrt. H 0,65; Br bis 0,435, r.
scharfe Kante, links fehlt je ein Zeichen; unregelmäßige Bruch-
linie; T 0,14. Zeichenhöhe: 0,085 — 0,04. Die 3.— 6. Zeile
erscheint etwas dünner und nicht so tief: AMEYO
['A]otorwr | [A]usuayou | [.] o. | [K]aA2ezvyn || [E]uruywvos |
Mianota.
Das Ethnikon der 3. Zeile ist dadurch verloren gegangen,
daß man, wie es scheint, die Platte als Schwelle benutzte, Der
Dialekt fordert die Auffassung 4«[uo]-udyov, nicht 4faipayov
(vgl. Suiuuya aus dem Nachbarlande, GDI 688). Oder ist die
dorische Form entlehnt? |
4) In der Demarchie. ,,Vor 2 Jahren beim Straßenbau in
der Stadt gefunden". H 0,34; Br 0,42; T 0,8. — Zeichen:
Z. 1—4: 0,01; 5—6: 0,025; AEMDZQ Unter der Namens-
inschrift 2 Rosen, als Schmuck der Grabstele.
1 Imoai dn, KAsóvixe, Aınav Blov alveros &oroic
xelous tovde utyav tvufov epecoaduevoc,
[(D) lewdta’ &xyeyaws: Vurapog dé ros oMBoc Ontcoc
naldwv te axuala Asíntros adexlu.
5 KXsovu xo 6
Ded (ov.
Zu Z. 3 ist zu bemerken, daß statt ® auf dem Steine nur
die Längshasta (wie von Jota) zu sehen ist. Wie das zu er-
klären ist, weiß ich nicht; jedenfalls führte mich der Zusam-
menhang auf obige Lesung.
Leipzig. Johannes Baunack.
XXI.
Platons Phädros.
I. Grundabsicht.
Unsere Nachforschung zielt eigentlich auf die Datirung
des Phädros; eine solche fordert aber als Erstes die genaue Be-
stimmung der leitenden Absicht der Schrift, da nur im
Verhältniß zu dieser auch jedes Einzelne, worauf ein chronolo-
gischer Schluß sich stützen mag, recht verstanden werden kann.
Für die Feststellung der Grundabsicht des Phädros nun
wünschte ich mich auf Schleiermachers unschätzbare Einleitung
zu seiner Uebersetzung des Dialogs‘) einfach berufen zu dür-
fen; platonischer wenigstens hat noch keiner den Platon ge-
deutet, als es ihm gerade beim Phädros gelungen ist. Da je-
doch selbst ein Bonitz, ein Usener von seiner Auffassung abge-
wichen sind, da sie gerade das wesentlichste Stück derselben,
den behaupteten Zusammenhang der dritten Liebesrede mit dem
Schlußtheil preisgegeben, damit aber, wie ich fürchte, die glück-
lich erkannte Einheit der Gesammtcomposition wieder aufge-
opfert haben, so muß man schon sich daran wagen, so gut oder
schlecht es sei, die Sache Schleiermachers zu führen ?).
1) Platons Werke, 3. Aufl. I, 1, S. 39—47.
2) Von den Nachfolgenden ist keiner seiner Auffassung so nahe
gekommen wie Stallbaum (De artis dialecticae in Phaedro Platonis
doctrina et usu, Lips. 1858, p.9 sq., vgl. der Prolegomena zur zweiten
Ausgabe des Dialogs, p. XXXII sqq.), der in der That mehr in den
Worten als in der Sache von ihm abweicht.
Platons Phüdros. 429
Zu beginnen ist selbstverständlich von dem, was das no-
minelle Thema der Schrift freilich ist: den Festsetzungen über
die Erfordernisse .einer wahren d. h. philosophischen Redekunst,
welche den eigentlichen Vorwurf des zweiten Haupttheils aus-
machen und zu denen die drei Reden des ersten als Paradigmen
gebraucht werden *) Daß aber dies bloß das nominelle Thema
sei, mit welchem Muthe wage ich das auszusprechen , da seit
Bonitz es als oberster Grundsatz der Auslegung Platons gilt,
die Absicht einer jeden Schrift ausschließlich aus des Autors
eigenen Erklärungen festzustellen, wobei natürlich jeder Unter-
schied nomineller und wirklicher Absicht wegfiele. Doch ge-
wif war die Vorschrift so streng nicht gemeint; oder wenn, so
muß man sie doch freier wenden, denn aufrechthalten läßt es
sich schwerlich, daß Platon uns seine Absicht in jedem einzel-
nen Fall sollte verrathen und unserem Selbstdenken gar nichts
überlassen haben. Wenigstens muß ich bekennen, daß bei sol-
cher Voraussetzung nicht eine und die andere, sondern sozu-
sagen sümmtliche Schriften Platons mir als Compositionen un-
verständlich blieben. Daher pflege ich vielmehr so zu verfahren,
daß ich, Allem voraus, das innere, sachliche Verhältniß der
einzelnen Motive, auf die eine Schrift aufgebaut ist, zu durch-
dringen suche, wobei das Aeußere der Composition zunächst auf-
gelöst werden muß, und erst von da aus auch die Absicht der
äußeren Anlage zu verstehen mich bemühe.
So handelt, um das in jedem Betracht nächstliegende Bei-
spiel zu wählen, der Gorgias nach den eigenen Erklärungen
des Autors unzweifelhaft, wie der Phädros, von der Redekunst.
Auch ergibt die Kritik derselben in beiden Schriften als posi-
tiven Gewinn die Einsicht in den weit überlegenen Werth der
Philosophie. Mehr verräth Platon, hier wie dort, von seinen
Absichten wenigstens direct nicht; das Weitere überläßt er uns
selber zu finden: daß nämlich im Gorgias die Rhetorik gar
nicht an sich, sondern ausschließlich nach dem, was damals als
ihr hauptsächlicher Inhalt und Werth galt, nach ihrer ethisch-
politischen, nach Platons Urtheil vielmehr unethischen und staats-
3) Wo immer es bei Platon heißt, „von ungefähr“ (262 C, 265 C)
habe sich im Vorhergehenden etwas ergeben, das jetzt zu benutzen
sei, haben wir mit Sicherheit planvollste Berechnung vorauszusetzen.
Das ist z. B. beim Staat mitunter übersehen worden.
490 P. Natorp,
verderbenden Tendenz erwogen, desgleichen die Philosophie nicht
an sich, sondern ebenfalls nach ihrer sittlichen Bedeutung, als
Princip des Lebens, und dem darauf gegründeten unveräußer-
lichen Anspruch einer durch sie zu übenden politisch - reforma-
torischen Wirkung der Rhetorik gegenübergestellt wird. Nur
darum muß Sokrates von Anfang an so unerbittlich darauf
dringen, daß Gorgias, was er gar nicht gern mag, den Gegen-
stand nenne, von dem er reden lehre; nur darum muß, nach-
dem er bei aller Gewandtheit an dieser verwundbarsten Stelle
getroffen und kampfunfähig gemacht ist, der keckere Polos zu
der Auffassung der Redekunst als gewaltigster Waffe im Wett-
bewerb um die Staatsmacht sich entschlossener bekennen, end-
lich, nachdem auch er abgefertigt ist, der praktische Rhetor Kal-
likles die sittlich-politische Tendenz, um die es sich von Anfang
an eigentlich handelte, geradezu, in fast vollständiger Ablenkung
von der anfänglichen Frage nach der Bedeutung der gorgiani-
schen Kunst, vertreten und dadurch dem Sokrates Gelegenheit
geben, erstens die sittlichen Grundsätze selbst gegen die allge-
meine, von Kallikles nur offenherziger ausgesprochene Skepsis
endgültig zu sichern, dann aber, auf der so gewonnenen Basis,
geradezu Philosophie als die wahre Staatskunst zu proclamiren.
Dabei bleibt übrigens das anfängliche Thema fortwährend in
Sicht, bis in die Schilderung des Todtengerichts hinein ‘): vor
dem jüngsten Gericht, vor dem ewigen Gericht des Sittengesetzes
ist keine Rettung mehr in den Schein- und Schmeichelkünsten
der Rhetorik ; dort aber „sich nicht zu helfen wissen“, das erst
ist die schlimmste Hülflosigkeit. Ist also die Kritik der Rhe-
torik das wirkliche Thema, und der ethische Inhalt der Schrift
bloß eine Abschweifung, die sich Platon nicht versagen konnte,
weil, wes sein Iferz voll war, sein Mund überzugehn pflegte ?
Oder haben wir vielmehr nur eines der deutlichsten Beispiele
jener platonischen Art, von der Schale zum Kern zu dringen,
von einem Aeußeren, das Jedem greifbar ist, auf ein Innerstes,
das Niemand darin geahnt, erst hinzuführen ? |
4) Die demnach schwerlich als „durch das Gespräch selbst nicht
gefordert‘, als bloß äußerlich veranlaßte Zuthat anzusehen ist (v. Wi-
lamowitz-Möllendorff, Philol. Unters. I 219). Was der Hades zu be-
deuten hat, ist 493 B gesagt (Schleierm. in der Anm. 2. d. St.: Schat-
tenwelt — Sittenwelt).
Platons Phädros. . 481
Vielleicht aber haben wir an dem wie von ungeführ sich
darbietenden Beispiel zugleich den Leitfaden gewonnen, um auch
im Phädros die wirkliche von der nominellen Absicht sicher zu
unterscheiden. Ich habe als Hypothese hinzuwerfen gewagt 5),
daß Gorgias und Phädros Gegenstücke seien; daß nicht der
Phädros allein, sondern beide Schriften zusammen in wohlbe-
rechneter Ergänzung das Programm zu Platons philosophischem
Wirken enthielten. Doch ich merke, daß ich schon wieder ge-
gen eine der Bonitz’schen Regeln zu verstoßen im Begriff bin,
indem ich mich anschicke diesen Leitfaden zu benutzen. Um
also nicht den Schein eines (gar nicht obwaltenden) prineipiellen
Gegensatzes gegen den verdienten Forscher aufkommen zu las-
sen, versuche ich lieber, ausschließlich aus dem Phädros selbst
jene tieferliegende Absicht zu entwickeln.
Und doch will es so ganz nicht gelingen, sich jeder Erin-
nerung an den Gorgias zu entschlagen, wenn man die Rhetoren-
kritik im Phädros (von 259 E ab) zu lesen beginnt, und findet,
daß gleich als Erstes aufgestellt und durch eine kurze, launige
deductio ad absurdum erhärtet wird: der Rhetor müsse ein Wis-
sen um die Wahrheit dessen, wovon er reden will, insbeson-
dere um die wahren Begriffe des Gerechten, Guten, Schó-
nen voraus besitzen; d. h, genau das, was in fast allzu gedul-
digem Examen Sokrates dem vergebens sich sperrenden. Gorgias
endlich entlockte 9). Aber, heißt es 260 D, unhóflicher als sich
ziemt haben wir die Redekunst gescholten; vielleicht móchte sie
sagen: was schwatet doch ihr Wunderlichen da? Ich zwinge
ja Keinen ohne Kenntniß der Wahrheit reden zu lernen, son-
dern, gilt mein Rath, so nehme, wer diese schon besitzt, dann
mich hinzu; nur das behaupte ich nachdrücklich: daß ohne mich
auch, wer die Sache versteht, noch nicht verstehn wird kunst-
mäßig zu überreden. Genau so wurde es zwischen Gorgias und
Sokrates ausgemacht: daß eben die Kenntniß, die hier verlangt
wird, vom Gerechten, Guten, Schönen, vorher gewonnen haben
müsse, wer zum Rhetor kommt, um noch dessen Kunst hinzuzu-
5) Archiv f. Gesch. d. Philos. II 397.
6) Gorg. 459 D — 460A. Phaedr. 259 E 260 AC; beachte bes. doa
SdEss — ix yay tovwy slvay 10 neidesv, aha’ ovx ix vg & nO. eia c,
und ayvowy dyador xai xaxoy x1., dotas dé nàj9ovg ususiemxog
nedon ..., Wie Gorg. avrà uiv o9 x eidg ti ayadix 7 Ti xaxóv ...
n6590 dé negi avtwv usunyavnuévovg xt,
132 P. Natorp,
lernen °); das hatte Gorgias endlich kleinlaut zugeben müssen,
daß er demjenigen, der das zufällig noch nicht wisse, es wohl
erst werde beibringen müssen.
Doch, mag man die Beziehung auf den Gorgias einräumen
oder nicht, sachlich jedenfalls besagt jene präliminare Feststel-
lung: nach dem Gegenstande, insbesondere nach dem ethi-
schen Gehalt der Rede soll für jetzt nicht weiter die Frage sein,
sie soll vielmehr an und für sich erwogen werden; oder
nicht dem Inhalt, sondern der Form nach.
Und da ist es das nächste Resultat, daß auch die Rede
an und für sich, auch die dem Scheine dienende, soll sie an-
ders eine Kunst und nicht kunstlose Routine sein, die Erkennt-
niß der Wahrheit voraussetzt; auch den Schein kann kunstge-
recht nur hervorbringen, wer die Wahrheit kennt.
Das wird an dem Beispiel der beiden ersten Liebesreden,
und vollends der dritten, erläutert, und das Postulat, daß die
Erkenntniß der Wahrheit der Sache die Rede leite, bestimmter
herausgearbeitet zu der Forderung der Definition des Objeetes
der Rede, welche die Kenntniß der Begriffsverhältnisse (Syn-
thesis und Analysis der Begriffe, ovvaywyn und diulgeoss), kurz
die Dialektik voraussetzt (266 BC).
Wie aber eben damit schon auf die wahre Absicht
der ganzen Erörterung hingedeutet ist, muß Jedem klar sein,
der die Sätze 266 C — E achtsam liest. Die Dialektik wurde
abgeleitet als Erforderniß der Redekunst; wie wird sie denn
nun doch als ein Anderes ihr gegenübergestellt? Wie kann
Phädros sagen: dieses «dog nennst du richtig das dialektische,
das rhetorische dagegen scheint uns immer noch zu entschlüpfen ?
Stehen also jetzt Rhetorik und Dialektik wie Arten einer Gat-
tung nebeneinander, während soeben noch die Dialektik in die
Rhetorik als ein Bestandtheil, eine Bedingung eingeschlossen
wurde? Sogar die Ueberordnung der Dialektik ist schon an-
gedeutet, wenn es (266 B) heißt, sie sei es, welche befühige zum
Reden und Denken 8),
Indessen beharrt Sokrates einstweilen auf der Fiction, als
7) Gorg. 459 E xai dei noosnsorauevov agixicdas nage cè vov
uillovıe uadjosodas 17» Öntopgixyv. Phaedr. 260 D xtnoduevos dxsivo
ovtws Zus laupaves.
8) Aéytiw. 16 xai qooveir. Vgl. auch hierzu Gorg. 449E 4504.
Platons Phüdros. 433
sei in der Dialektik nur erst eine Bedingung der Redekunst
(neben andern) aufgewiesen, und forscht weiter, was denn von
ihr übrigbleibt, wenn man dies abzieht ? Es bleiben die Hand-
griffe der Redetechniker, welche, wie sich bald herausstellt, nicht
eigentlich die Techne selbst, sondern bloß die Vorkenntnisse
ausmachen, die man zu ihr schon mitbringen muB. Worin aber
besteht endlich die eigentliche Kunst der Rede (269 D)? Darin,
daß man, vermóge der Dialektik, erstens die Natur und
die Arten der Seele und zweitens die entsprechenden Arten der
Rede kennt und die Rede je auf die Natur der Seele, auf die
sie wirken soll, zu berechnen versteht (271 D ff.; vgl die Re-
capitulationen 273 DE, 277 BC). Damit ist — eine nichts Neues
hinzufügende nachtrügliche Auseinandersetzung mit gewissen un-
genannten Rhetoren von der Richtung des Tisias ?) abgerechnet
— die Untersuchung über Kunst und Kunstlosigkeit im Reden
abgeschlossen (274 B) ^ Gerade der Abschluß aber zeigt von
neuem, daß die Rhetorik nicht bloß, ihren Haupterfordernissen
nach, auf die Dialektik zurückgeführt, sondern zugleich im
Range ihr völlig untergeordnet sein soll: nicht um mit Men-
schen reden und verhandeln zu können, sondern den Göttern
wohlgefällig zu sein in Worten und Werken, wird ein Vernünf-
tiger dem langwierigen Studium sich unterziehen, welches zur
wissenschaftlichen Grundlegung der Rhetorik gefordert wurde;
wer jedoch in jener höheren Absicht der Dialektik sich be-
fleißigt, dem wird eben damit, „wenn er will“, das Geringere,
die Kunst der Rede, von selber zufallen (foras Zu» rig EHE
xui tavta xahlıcıa PE Exelrwv yıyvousva 274 A, und vorher 6 u
pi magegyor). Somit bestätigt sich der Verdacht, daß die Rede-
kunst von Anfang an nicht um ihrer selbst sondern um der
Dialektik willen ist behandelt worden.
Ebendarauf führt noch ein fernerer gewichtiger Umstand,
den ich erst an dieser Stelle erwähne, weil er in dem eben auf-
gezeigten Zusammenhange erst bedeutend wird: die Erweiterung
des Gebietes der Redekunst.
Lysias war von einem der öffentlichen Redner ein ,,Reden-
‚9 272C — 278 D. Eine besondere innere Motivirung dieser
Wiederholung zu entdecken, will mir (trotz Susemihl De Platonis
Aaedro etc. Gryphisw. 1887, p. XI) nicht gelingen. Vgl. unten
nm. 24.
Philologus. N. F. Bd. II (XLVIII), 3. 28
484 P. Natorp,
schreiber* gescholten worden; doch wird der Politiker selbst
darauf betroffen, daß er auf die Verewigung seiner Weisheit —
nümlich die Durchbringung von ihm vorgeschlagener Gesetze —
Werth legt wie nur je ein Theaterdichter auf sein Stück (257 C
bis 258 B). Daß diesem Spaß ein tiefer Ernst zu Grunde liegt,
würde schon unmittelbar der Hinweis auf Lykurg und Solon
verrathen !°) und bestätigt das vollkommen ernste Zurückkom-
men auf die Sache 278 C. Wie aber bereits an jener Stelle
der Dichter zum Vergleich dienen mußte, so steht hier ?!) neben
dem Gesetzgeber Solon der Vertreter der Dichtung Homer. So
wird auch 258 D das Thema im weitesten Sinne genommen:
wer nur je geschrieben hat oder schreiben wird, sei es eine
Staats- oder Privatschrift, in gebundener oder ungebundener Rede,
soll auf die Technik des Schreibens geprüft werden; und noch-
mals 261B wird die übliche, auch im Gorgias (452 E) zu
Grunde gelegte Einschränkung der Rhetorik auf den Gebrauch
vor Gerieht und in politischer Versammlung ausdrücklich auf-
gehoben und z. B. die zenonische Antithetik als ein höheres
Beispiel der avrsloyuxn téyvn dargestellt. Vollends bezieht sich
die Schlußverhandlung über den Werth des Schreibens jedenfalls
auch, wenn nicht hauptsächlich, auf philosophische Darstellung,
auf Platons eigenes Schriftstellerideal !?). Wie aber diese Aus-
dehnung des Gebietes der Redekunst zu ihrer Reduction auf
Dialektik in genauem Verhältniß steht, zeigt klärlich die Ein-
führung des Begriffs des prAocogoc im unmittelbaren Zusam-
menhang mit den eben angeführten Stellen (278D). Auf Phi-
losophie — nämlich ihrer Form nach, d. h. auf Dialektik
— war es also von Anfang an abgesehen. Als Voraussetzung
der Redekunst wurde sie anfangs eingeführt, um aber dann
schrittweis von ihr losgelöst und schließlich unbedingt über sie
gestellt zu werden.
Vollends bestätigt das die ganze Schlußerörterung (von
274 B an). Der geschriebenen Rede überhaupt wird als „echter“
Bruder diejenige gegenübergestellt, welche recht eigentlich in
10) Vgl. Symp. 209 D.
11) Vgl. wiederum Symp. |. c.
12) 276 C (tov dé dixaiwy te xai xaluv xci ayawr Pmwnjuec
éyovia . . .) DE 277 AE 278 AB, mit dem Schluß: obroç dé à tosoùros
«vig xwOvvtvts &lva. olov tyw 16 xai où svéaiued’ Gv of te xai ime
ytrvéa9 as.
Platons Phädros. 485
des Lernenden Seele hineingeschrieben wird: die lebende be-
seelte Rede, von der die geschriebene nur das Abbild ist (276 A).
Nur diese wird der Vernünftige für Ernst nehmen, die geschrie-
bene nur als Spiel behandeln, bestenfalls als Erinnerung der
schon Wissenden (276 D, 278 À) gelten lassen. In jener allein
ist etwas Gewisses, Vollkommenes, ernster Bemühung Würdiges;
sie allein ist belehrend (278 A). Es ist die so viel verhan-
delte Erklärung über den Unwerth des Schreibens, die ja die
allerverschiedensten Auslegungen sich hat gefallen lassen müssen;
mir scheint einleuchtend, daß Platon nicht bloß unbestimmt sein
Ideal der philosophischen Lehre aussprechen will, sondern von
und zu seiner Schule redet, auf die Erfahrungen seines Wir-
kens in derselben, wie andrerseits seiner Schriftstellerthätigkeit,
bewußt hinblickt. Wie dem sei, jedenfalls muß, was mit sol-
chem Nachdruck am Schluß der ganzen Verhandlung, so daß
alles Vorausgehende auf diese Conclusion offenbar hinstrebt, aus-
gesprochen wird, von Anfang an als Ziel vor Augen gestanden
haben und zu der Grundabsicht der Schrift wesentlich gehören,
nicht bloß zufällig und gelegentlich daran angeknüpft sein.
Demnach sollte nicht bloß der kunstlosen, kunstwidrigen die auf
Wissenschaft — Dialektik und Psychologie — gegründete Dar-
stellung , sondern schließlich aller sonstigen sei es schriftlichen
oder mündlichen Darstellungsart als die allein der Sache, näm-
lich der philosophischen Wahrheit angemessene Form
der Mittheilung die lebendige Gedankenentwicklung, Gedanken-
zeugung im wechselseitigen Sichverständigen, im Aoyov dovrai
xui dEEacduı, kurz die Dialektik entgegengesetzt werden,
welche die Seele des sokratischen Gesprächs bildet und welche
als die Lehrmethode Platons eben hier proclamirt wird.
Doch dürfen wir nicht eher glauben, die Grundabsicht der
Schrift erschöpfend bestimmt zu haben, als auch der Inhalt des
ersten Theils, namentlich die dritte Rede ihre befriedigende
Erklärung gefunden hat. Von den beiden ersten nämlich wollen
wir es den eigenen Erklärungen Platons (262 C, 265 C) gerne
glauben, daB sie nur als Paradigmen gemeint sind; für beider
Existenz in einer platonischen Schrift dürfte es in der That
schwer sein eine andere Entschuldigung zu ersinnen. Allein
von der dritten kann das, wie ich mit Schleiermacher und der
großen Mehrzahl der Nachfolgenden überzeugt bin, höchstens
28 *
436 P. Natorp,
nebenbei gelten; denn daß Platon diese ganze überschwängliche,
auf Psychologie und Ideenlehre gegründete Erotik sollte ent-
wickelt haben, nur um noch ein drittes Musterbeispiel zu geben,
an welchem die Erfordernisse einer wahren rednerischen Kunst
sich aufzeigen ließen, ist doch nicht glaublich. Gerade die Er-
klärung (265 C), daß alles Uebrige darin nur gescherzt sei, läßt,
nach der längst durchschauten Kunst Platons, mit Sicherheit auf
das Gegentheil schließen: daß vielmehr diese Erklärung Scherz,
der richtige Wink für den Interpreten dagegen vorher (B) in
den Worten tows uiv aAnFoug zıvög Epantopervos (wie-
derum nicht in den folgenden, raga d’ av xa? TRAXOCE naga-
pegoweros,) gegeben ist!) Daß aber jenem „mythischen
Hymnos“ !") eine ernste wissenschaftliche Absicht in der That
zu Grunde liegt, wird ja allgemein zugestanden ; Bonitz selbst
verkannte es nicht. Wirklich sind hier die ersten Grundzüge
der Dialektik sowie die Elemente einer Wissenschaft von der
Natur der Seele — welches hernach die beiden Erfordernisse
der wahren Redekunst sind — bereits gegeben, sodaß die Phi-
losophie über die Rhetorik, zu deren Grundgesetzen die Rede
angeblich nur erläuterndes Beispiel sein soll, thatsächlich schon
hier weit hinauswächst und, statt ihr dienstbar zu sein, viel-
mehr sie ganz in ihren Dienst nimmt. Gewiß wird auch von
der Redekunst gelten, was von der Dichtkunst (245 A) gesagt
ist: daß keiner durch bloße abgelernte Regeln sich ihrer be-
mächtigen wird, ohne jenen göttlichen Wahnsinn, der ja für
Platon nicht einen blinden Rausch, sondern die Erhebung über
irdische Schranken auf den Flügeln des philosophischen Gedan-
kens bedeutet !°). Darin liegt schon ein wesentlicher Zusam-
menhang zwischen der dritten Rede und dem Schlußtheil: in
dieser Hinaushebung der Philosophie über jeden begrenzten, ir-
dischen Zweck.
Doch bleiben selbst Psychologie und Dialektik in jener
Rede dem eigentlichen Thema, der Erotik, untergeordnet. Für
dies Thema selbst muß, wenn nicht die Einheit der Composition
Schiffbruch leiden soll, ein klarer Zusammenhang mit den Ge-
13) Zur Bestätigung wiesen schon Andre auf 247 C rolunSéor ydp
obv 10 ye c Àn 8 £g sineiv, &liws te x«i Negi dAnSeiag déyovta.
14) Es ist von Interesse zu uvSaxóv teva Vurov (265 C) und uvSo-.
doyovvia (276 E) Theaet. 176 in. zu vergleichen. |
15) dió di dixaiws uoyn nrepodras 5 Tod quiogigov diavosa (249 C).
Platons Phädros. | 437
sichtspunkten, die für die Anlage des Ganzen bestimmend waren,
nachgewiesen werden. Denn nicht leicht wird wohl Einer sich
dabei beruhigen, daß die Wahl dieses Themas für die dritte
Rede natürlich veranlaßt sei durch den épwuxoç des Lysias;
vielmehr nur umgekehrt kann die Anknüpfung der ganzen tief
angelegten Untersuchung an dieses sonst nicht eben löbliche
Machwerk aus der vorhandenen Litteratur erklärt werden aus
der ernsteren Absicht, die hinter dem Thema der Erotik sich birgt.
Um diese Absicht zu entdecken, bedarf es nicht einmal der
so naheliegenden, ja gar nicht zu umgehenden Vergleichung des
Symposion; es genügt an die Bedeutung zu erinnern, welche
dem sokratischen Eros bereits in den frühsten Schriften Platons,
den muthmaßlichen Vorgängern des Phädros, zufällt. Gleich
der Protagoras führt den Sokrates ein, begriffen in der Jagd
auf des Alkibiades Schönheit; aber er traf einen Schóneren:
Protagoras den weisen; denn das Weisere ist das Schönere, z0
Copwregov xuddsov. Und im Charmides ist es die erste Frage
des vom Feldzug zum gewohnten Lebenslauf zurückkehrenden :
wer ragt hervor unter den jungen Leuten durch Weisheit oder
Schónheit oder beides? Und wie er ganz hingenommen ist von
des Charmides jugendlicher Schónheit, verlangt ihn zu erfahren,
ob er wohl auch an Seele wohlgebildet sei? Kritias antwortet
mit dem Preise seiner qelocogla. So bekennt sich Sokrates
auch im Gorgias als Liebhaber des Alkibiades und der Philo-
sophie (481 D; 482 A rrj» yılocoylav ra gud modia) Diese
wenigen Beispiele dürften hinreichen, um jede Verwunderung
darüber zu beseitigen, daß in unserer dritten Rede Philosophie
und Knabenliebe immerfort, als ob sich das von selbst ver-
stünde, eng verbunden auftreten. Auch versteht es sich von
selbst, wenn doch die ganze Darlegung darauf hinauslüuft, daf
die Liebe des Schónen hienieden nur Wiedererinnerung ist an
die übersinnliehe Schau des ewig Schónen in der Idee, oder
Liebe nichts ist als die Beflügelung der Seele, kraft deren sie
vom Irdischen empor zur Höhe des Ewigen, Göttlichen sich
wieder erhebt: „daher denn richtig nur des Philosophen Geist
befiedert wird“; oder wenn weiterhin geradezu die höchste Lie-
besgemeinschaft erklärt wird als die Gemeinschaft in solchem
Enthusiasmus, solcher Vergottung der Seele durch die Anamnesis
des Ewigen; wodurch die Verknüpfung von Knabenliebe und
438 P. Natorp,
Philosophie der Gleichsetzung so nahe kommt wie nur möglich.
Liebe ist in höchster Form nichts Anderes mehr als die Ge-
meinschaft in der Philosophie.
Aber eben die Gemeinschaft: darauf kommt es an; darin
liegt vielleicht schon der gesuchte letzte Einigungspunkt zwi-
schen dem Thema der Erotik und dem Ergebniß der Schluß-
erórterung. Nicht auf Philosophie schlechtweg, als Besitz der
wahren Erkenntnif oder auch als das Streben nach ihr, son-
dern als Weg, als Methode: auf das Sichverständigen in
lebendiger Wechselrede als F orm des Philosophirens führte der
SchluBtheil uns hin; das war es, was der monologischen, ins-
besondere der geschriebenen Rede gegenübergehalten wurde.
Dialektik aber als Form, als Methode beruht genau auf dem
Motiv der Gemeinschaft, welches als Grundgedanke der Erotik
der dritten Rede erkannt wurde. Der Eros ist für Platon nicht
schwärmende Verehrung allein, sondern unbedingt verlangender
Trieb der Gemeinschaft und Mitentzündung des Geliebten ; das
aufs Geistige übertragen ergibt den Trieb der geistigen Ge-
meinschaft, der Erweckung des Andern zur geistigen Schau, der
Gedankenzeugung im Unterreden. Somit ist es kein Zufall, daß
das Motiv der geistigen Zeugung und der darin erreichten Un-
sterblichkeit und Seligkeit, welches Diotima im Gastmahl so groß
durchführt, im Phädros genau vorgebildet ist !9), in engster
Verbindung mit dem Begriff der Dialektik.
Philosophie als Trieb, der seine Form findet in der Dia-
lektik; so hat vorlängst Schleiermacher das wahre Thema des
Phädros formulirt. Der verknüpfende Gedanke aber ist der der
Gemeinschaft, nämlich in der Anamnesis der Idee. Sie begrün-
det die Metapher der Erotik, und sie ist das treibende Motiv
der Dialektik als allein gültiger Methode des Philosophirens.
Mit Unrecht unterliegt diese Deutung dem Vorwurf eines
einseitigen Formalismus. Die Erotik, meint man, sei nicht so
ausschließlich als Metapher gemeint; die Philosophie werde der
Liebe, wiewohl als deren höchste Form, vielmehr untergeordnet;
so wenig stehe diese hier nur als Gleichnif für jene. Bei ge-
nauerer Prüfung hebt sich dies Bedenken aufs vollständigste.
Zwar genügt nicht ganz die Antwort, daß die Liebe des Ewi-
16) 276 E 277 A (vgl. 278 A vieig yvnoiovs, B Exyovos).
Platons Phädros. 439
gen, als Trieb verstanden, nichts so bloß Formales (im geta-
delten Sinne), sondern etwas sehr Lebensvolles sei. Es muß auf
den Begriff zurückgegangen werden, der das Object der Liebe,
im Unterschied von ihr selber als subjectivem Trieb, bezeichnet:
auf den Begriff des Schönen. Wie kann das Schöne — hier
und im Gastmahl — zur Metapher werden für das Ewige
schlechthin, als das allein wahre Object der Philosophie? Ge-
wif nicht bloB, weil es ein Beispiel des Ewigen (neben andern)
ist, sondern weil es das Ewige selbst und überhaupt, wiewohl
nach einer bestimmten Richtung, zu bezeichnen seinem wesent-
lichen Begriffe nach geeignet ist. Das Schöne vertritt nämlich
die Form, die Gestalt, es bedeutet die „Einheit des Man-
nigfaltigen“ in der geistigen Anschauung wie andrerseits in der
sinnlichen. Zu dieser Auffassung des Begriffs des Schönen, die
namentlich das Symposion bestätigt, ist schon in den tiefen An-
deutungen des Gorgias über die Verwandtschaft des xaAAog mit
vopoc, ta&ıc, x00u0g, eld oc und folglich mit dem &ya90» der
Grund gelegt. Platon war Hellene; er wußte, wo seine helle-
nischen Leser am sichersten zu fassen waren; mit Naturnoth-
wendigkeit, móchte man sagen, wurde ihm das Schóne der sinn-
lichen Gestalt (250 D, cf. B) zum Gleichniß der ewigen Gestalt
— der „Idee“; die Gleichsetzung ist (250 BC) so direct als
möglich ausgesprochen. Mit dem allen aber haben wir uns von
der Dialektik keinen Schritt entfernt. Sie verhält sich zur Idee
eigentlich wie, kantisch gesprochen, die „Synthesis des Mannig-
faltigen“ zur „Einheit dieser Synthesis". Genau so hängt
die Liebe als Metapher des philosophischen 'Triebes zusammen
mit dem Schönen (der Gestalt) als Metapher der Idee. So be-
rechtigt es also ist, die Idee selbst mit dem Ausdruck der
„Form“ zu bezeichnen, so berechtigt bleibt die Behauptung, daß
die Form und nicht der Stoff der Philosophie es sei, was auch
in den Lehren der zweiten Sokratesrede von der Liebe und dem
Schönen dargestellt sei; und so bleibt Schleiermacher durchaus
im Rechte.
Hingegen wage ich über ihn hinauszugehn in der dop-
pelten Beziehung, die ich für den Phädros annehme, einmal auf
eine schon bestehende Schule Platons, und sodann auf den Gor-
gias, zu dem er, wie ich annehme, ein nicht bloß zufälliges,
140 P. Natorp,
aundern beabsichtigtes Gegenstück bildet. Diese beiden Punkte
bedürfen noch genauerer Begründung.
So wie den Gorgias nur halb versteht, wer nicht zu dem,
was über dessen Absicht oben bemerkt wurde, hinzunimmt das
höchst persönliche Verhältniß des Autors zu Athens politischem
Zustand, durch welches allein die Ermahnung des Kallikles an
Sokrates sich verstehen läßt, aber auch die ganze folgende Ver-
handlung erst in das rechte Licht gerückt wird, so, meine ich,
fehle zum Verständniß des Phädros demjenigen noch ein wesent-
liches Stück, welcher die Fülle der persönlichen Bezüge, welcher
das so deutlich wie fast nur noch im Symposion ausgesprochene
Verhältniß des Lehrers Platon zu dem Kreise der Seinen, der
bereits als fester Verband, als Stand, als eine Art Körperschaft
Philosophirender vorgestellt wird, übersieht.
Um zu erkennen, ob damit nicht etwa zu viel behauptet
ist, prüfe man zuerst, was die dritte Rede über den Beruf des
Philosophen zu sagen weiß. Des Philosophen Geist, vernahmen
wir, wird allein recht befiedert (249 C); der Erinnerung des
Göttlichen obliegend, mit vollkommenen Weihungen immer ge-
weiht, wird er allein ein wahrhaft Vollkommener. Dem irdi-
schen Trachten der Menschen entrückt!") und mit dem Gött-
lichen umgehend, muß er von den Leuten sich wohl zurecht-
weisen lassen wie ein Verrückter; daf er vielmehr begeistert ist,
merken die Leute nicht... Wie ein Vogel nach droben
schauend und was drunten ist nicht achtend , steht er im Ver-
dachte des Wahnsinns, in der 'That aber ist dies aller Begei-
sterungen edelste und des edelsten Ursprungs für den so-
wohl der sie hat als auch dem sie sich mittheilt, und wer daran
Theil hat, wird ein Liebhaber genannt. — Solche Liebe be-
ruht auf der Wiedererinnerung an die Schönheit, die „damals“
leuchtend zu schauen war (250 B), „als mit dem seligen Chore
wir dem Zeus, Andre einem andern Gotte folgend, des seligsten
Anblicks und Schauspiels genossen und geweiht wurden mit der
Weihe, die man wohl die allerseligste nennen mag, die wir fest-
lich begingen, selber unversehrt und unangefochten von den Ue-
beln, die unser für die künftige Zeit warteten, und so auch zu-
17) 'Ebord uevoc wiv avIewnivwy onovdacuator. Verwandt ist
Gorg. 526 C quAocóqov ta aitod nodtavtog xai où nolvngayuorscavtog
iv 1ò Bio. Zur ganzen Stelle vgl. Krische Gôtt. Stud. 1847, 2, S. 998 f.
Platons Phädros. 441
gelassen zur vollen Anschauung der unversehrten, schlichten, wan-
dellosen, seligen Gesichte in reinem Glanz, rein und uneingekerkert
in diesen Kerker oder Körper, wie wir ihn heißen !#), den wir jetzt
als Gefangene Schaalthieren gleich mit uns herumschleppen.“
Auffällig sind hier, außer der Liebesgemeinschaft, die schon
zur Genüge erklärt ist, nicht bloß die gehäuften Vergleiche aus
dem Mysterienwesen, sondern ganz besonders der im nächsten
Zusammenhang der Stelle nicht motivirte Gebrauch der ersten
Person Pluralis: wir dem Zeus, Andre einem andern Gotte
folgend. Wer ist die Gefolgschaft des Zeus? Aus allem Vor-
hergegangenen ließe es sich höchstens errathen; die directe Er-
klärung steht erst einige Seiten später (252 C ff) wo dargelegt
wird, wie ein Jeder, nach des Gottes Art, dessen Zuge er an-
gehörte, in Verehrung und Nachfolge desselben lebt und auch
demgemäß den Geliebten sich wählt, ihn in seiner Seele seinem
Gotte gleich bildet und schmückt wie ein heiliges Standbild und
orgiastisch feiert. So wählen sich, die dem Zeus angehört haben,
eine zeusähnliche Seele und prüfen also, ob Einer die Natur des
Philosophen und Anführers hat (d gelocogos Te xai
Nysworıxög tiv quoi); wo die unmittelbare Verknüpfung der
Anlage zu Philosophie und Regierung sich begreift aus der pla-
tonischen Auffassung des Philosophenberufs, die wir, nicht erst
aus dem Staat, sondern aus dem Gorgias kennen lernen. So
steht auch 248D in der Rangordnung der Lebensweisen obenan
das Leben des Weisheits- und Schönheitsfreundes, des
den Musen und dem Eros Angehörigen ; es folgt das des recht-
lichen Herrschers u. s. f., an vorletzter Stelle erscheint der So-
phist und Volksredner, an letzter der Tyrann — wozu die Er-
klärung wieder einmal im Gorgias zu finden ist. Merkwürdig
genug ist schon hier, daß die Philosophen, die Verehrer der
Musen !9) und des Eros, geradezu als Stand oder Beruf neben
die übrigen Berufsklassen treten; merkwürdiger, daß für diese
Klasse hernach, ohne ein Wort der Erklärung, einfach „wir“
gesetzt wird 7°), Man kann kaum umhin, hier nicht mehr bloß
18) Das etwas kühne Wortspiel (doyuarroı tovtoy 0 viv cua
négiqéportsc Övoualousv) versteht sich nach Gorg. 493 A, Krat. 400 B
(ojua — owur). Philol. ap. Clem. Strom. III 518 P.
19) Zu diesen Musen vgl. 259 D, Symp. 187 D; Krische S. 1024.
20) Vgl. Gorg. 484 E ras óuérépac diarosßas. 500 C ini ro vds
tov Biov toy lv gulooogie. Theaet. 172 D a rosé de diarciff. 173 B
to mustépou goqoù, C ussc où ly te Tosdde yopevortes
442 P. Natorp,
an eine innere, rein geistige „Gemeinschaft‘‘ der Philosophirenden
(249 E), sondern an einen äußeren Verband, eine Körperschaft
zu denken; so bedeuten auch die mystischen Weihen vielleicht
nicht bloß das weltentrückte Geheimniß der philosophischen
Wahrheit, sondern zugleich das umschließende Band einer sa-
cralen Vereinigung. Doch sollte das zu viel gefolgert sein, so
bleibt soviel bestehen: Platon spricht als Haupt einer aner-
kannten Partei der Philosophirenden, die um ihn geschaart ist;
von der er reden darf einfach mit „wir“, so daß Jeder in Athen
verstand, wer gemeint sei; die er den sonstigen etwa vergleich-
baren Parteien (z. B. den Rhetorenschulen) als das schlechthin
Höhere gegenüberstellt und deren Bestrebungen von dieser er-
reichten Höhe herab beurtheilt. Ein solches Auftreten sticht
merklich ab gegen die Art, wie im Gorgias von den drei oder
vier Jünglingen gesprochen wird, mit denen Sokrates (Platon)
in einem Winkel flüsternd ein verborgenes Leben führe. Konnte
schon dort von Sokrates offenbar nicht, sondern nur von Platon
die Rede sein, so will vollends im Phädros nichts mehr auf
Sokrates passen, als ob etwa Platon im Namen des sokratischen
Kreises sprüche. Paßte es überhaupt auf diesen, so möchte es
wohl etwas anmaßend gewesen sein, in des noch lebenden Mei-
sters Namen also aufzutreten ; doch es hat keine Noth, daß wir
den Platon wegen eines so befremdenden Verdachtes erst zu
rechtfertigen hütten, denn jedes Einzelne kann doch hier allein
auf Platon und die Verhältnisse der nachsokratischen Zeit ge-
deutet werden; ebenso wie bei den vielen ühnlichen Wendungen
im Phädon und Symposion Niemand zweifelt, daß von Platon,
nicht von Sokrates die Rede sei.
Ist man dessen eingedenk, so wird man auch verstecktere
Anspielungen wie 259D (vgl. Anm. 19) sich leicht deuten;
man wird 273 E 274 A nicht bloß den Hinweis auf die guten
Gebieter verstehen, sondern bei nodding noayuarelus und uaxoà
n ntgíodog an eine planmäßige dialektische Schulung denken,
die doch wohl auch eine Schule voraussetzt; zumal den Gegen-
satz die Rhetorenschulen bilden. Namentlich aber die ganze
letzte Erörterung läßt die persönliche Beziehung, wie überhaupt
und unbestritten auf Platons eigenes Ideal des philosophischen
(wie Phaedr. 250 B örs ci» sudaiuovi yog... énóumor perà uiv
dig 7uess...)
Platons Phädros. | 448
Wirkens, so bestimmter auf eine Schule Platons, nicht eine bloß
geplante sondern bestehende, auf die Erfahrungen seiner Schul-
führung nicht verkennen. Die Schrift dient bestenfalls zur Er-
innerung der schon Wissenden, wird mit Nachdruck zwei-
mal (275 D, 278 A, auch 276 D éaur® re vnouviuura . . . xai
navi? 1) tavtdv Tyvos werovu) erklärt; woher schon wissend?
haben mit Recht schon Andere sich gefragt. Die Berufung auf
die in uns Allen schlummernde urnun des Góttlichen reicht zur
Erklärung offenbar nicht aus. Aber auch, was von den unver-
meidlichen Müngeln aller schriftlichen Darlegung 275 DE gesagt
wird, hat zum Theil ersichtlich vertheidigende Absicht. Schriften
fallen ohne Wahl nicht bloß Verstehenden, sondern auch sol-
chen, die sie nichts angehen, in die Hände; wo ihnen Un-
recht geschieht oder sie mit Ungrund gescholten werden, sind
sie, wie Unmündige, auf die Fürsprache ihres Vaters ange-
wiesen, sie wissen sich nicht zu vertheidigen noch sich selber zu
helfen. Von was für Schriften mochte wohl Platon mehr Ver-
anlassung haben so zu sprechen als von den eigenen? Aber
auch der ganze Zusammenhang beweist, daß’ von seiner Schrift-
stellerthütigkeit, wie andrerseits von seiner Lehrthütigkeit die
Rede ist; der Gedanke an die wenig ermuthigenden Erfahrungen
auf jenem und die weit erfreulicheren auf diesem Felde er-
klärt auch allein, auf völlig befriedigende Weise diese starke
Hintansetzung der Schrift im Munde eines Schriftstellers ohne
Gleichen. Am beweisendsten ist der ganze zusammenhüngende
Passus 276 B — 277A. Die Lehrthätigkeit wird hier verglichen
der Thätigkeit des Landmanns, der mit Kunst in den geeigneten
Boden den Samen streut und geduldig die Zeit der Ernte ab-
wartet: so wird der Philosoph vermöge der dialektischen Kunst
in die geeignete Seele den Samen der Erkenntniß streuen, der
darin aufgeht und in andern und andern Seelen sich fort und
fort erneuernd unsterbliche selige Früchte trügt; den Gegensatz
bilden, dort jene Ziergärtchen (in Körben) wie man sie zum
Adonisfest in acht Tagen zur Blüthe trieb, hier die Schrift-
gürtchen, die man auch nur zu festlichem Spiele pflanzt, statt
etwa bei Gastmühlern sich zu benetzen. Welchen Sinn hat das
alles, wenn nicht Platon bei beidem, Ernst und Spiel, von sich
selber spricht? Setzt aber dann nicht, was von der dialektischen
Unterweisung gesagt ist, auch eine Einrichtung voraus, die Be-
444 P. Natorp,
stand hat und von der er eine nachhaltigere Wirkung als von
seinen Schriften sich versprechen darf? Welchen Sinn hat be-
sonders das addos év aAloıs dec qvoutvos (277 A) und das
ganz entsprechende à» GAdusow adlwy wvyaîs évépuour (278 B),
ferner die Erklärung, welche „Reden“ er allein als seine
echten Kinder anerkenne ?!), da doch eben hier die Worte „ein
solcher wie ich und du wünschten, daß ich und du sein möchten“
wie mit Fingern auf den Schreiber selbst hindeuten ?)? Man
wird mindestens zugeben müssen, daß dies alles ungleich ver-
ständlicher und eindrucksvoller wird, wenn man voraussetzt, daß
es nicht um ein fernes Ideal, sondern um bestehende Verhält-
nisse in dieser ganzen Erörterung sich handelt 2°). Gerade die
Entgegensetzung von Philosophie und Rhetorik versteht
sich besser, wenn beide nicht in abstracto, sondern — wie schon
im Gorgias — persönlich und corporativ sich gegenüberstehen **),
Schließlich fordert noch das mehrfach angedeutete Verhält-
niß des Phädros zum Gorgias eine endgültige Erörterung.
Wie die Kritik der Rhetorik im Phädros den Faden genau
da aufnimmt, wo der Gorgias ihn fallen ließ, wurde schon be-
merkt. Aber nicht bloß die Anknüpfung, sondern die ganze
weitere Durchführung weist auf den Gorgias Punkt für Punkt
zurück. An das oben (S. 431) schon Erwähnte schließt sich
21) Yisis yynoiovs 278 A; vgl. adelgov yvnoior 276 A und zov na-
toog 275 E. .
22) Gleich darauf 278 B o/xov» $05 nsnaíc9o pustoiws quir, in ge-
nauer Rückbeziehung auf 276 DE 277 E; vgl. auch ueSoloyoërra 276 E
mit uvSixóv Uurov 265 C, und mpocenaicauer, nasdsé nenaio9as ebenda.
23) Dazu stimmt selbst der Gebrauch der Tempora, bes. 278 A
didaoxouévoic. . Àeyouévosc .. ., und deiv dé 1005 tosoutove
Àóyovc «$100 (so Schanz statt des überlieferten avrod) Aéysa9as olor
visis yrnotous elvas, nyatoy uiv tov iv abtg, dav sbosdeic ivi, Enea
eb nec... dviguoav. — Zu éyw mv xai où (B) vgl. 269 B, wo
gleichfalls Platon selber zu verstehen ist (s. u. S. 446 f.).
24) So ist auch die Erörterung 272 C ff. (Adyor è» nsoi va zd
T^y 0v» axnzoan 272 U, Ticiac 7 d los vores di nor dr tvyyaves
xai ónó9éy. yaipaı óvouaseueroc 273 C, nalas uti, noiv xai ci
napsl9siv... wor di uiv allo n negi téyvnc loywr léyess, dxoves-
per av ei dè un . . .) ohne Zweifel auf einen bestimmten jüngsten
Vertreter einer dem Tisias verwandten Richtung in der Rhetorik ge-
münzt. Aus den Worten nales noir xci cè napsldeir folgt klärlich,
daB es um Tixius und Gorgias sich nicht handeln kann, denn diese
waren ja lüngst genannt (207 A of npò tay alydar 1a eixöra eldor wc
nuyren aller, wonach auch das Frühere, 260 in. auf dieselben zu
beziehen ist); vielmehr kann nur an gewisse kürzlich neu auf-
etretene Gesinnungsgenossen derselben gedacht werden, für
welche 273 A ‘Tisias (als dem Phädros wohlbekannter Autor) einge-
Platons Phädros. 445
unmittelbar die Unterscheidung zwischen réyyn und ateyvocg 104f7
(260 E, àumugía 270 B) Zeller nahm früher an, die Unter-
scheidung werde hier im Phädros zuerst aufgestellt, im Gorgias
vielmehr als schon bekannt in Erinnerung gebracht. Wie we-
nig das haltbar ist — Zeller selbst hat es inzwischen (Philos.
d. Gr. ILa* 541!) berichtigt — scheint mir daraus am klar-
sten hervorzugehen, daß im Gorgias schlechthin behauptet
wird, die Rhetorik sei nicht eine Kunst, sondern eine kunstlose
Routine, wogegen hier dieser allgemeine Zweifel erst?5) in Er-
innerung gebracht, dann aber wesentlich eingeschränkt und nur
bedingterweise als zu Recht bestehend anerkannt wird: Rhetorik
ist keine Techne, wofern sie nicht die eben hier erst aufge-
stellten Forderungen (dialektischer und psychologischer Begrün-
dung) erfüllt; andernfalls ist sie eine Techne (obwohl freilich
weiterhin sich ergibt, daß sie alsdann mit der Dialektik unge-
fähr zusammenfällt, keine selbständige Bedeutung mehr neben ihr
zu behaupten vermag). Der Unterschied ist darin sehr greifbar,
daß im Gorgias der Rhetorik, als kunstloser Routine, als Techne
die Rechtswissenschaft, wie der Sophistik die Gesetzgebung, im
Phädros vielmehr der falschen, unwissenschaftlichen die wahre,
wissenschaftliche Redekunst gegenübergestellt, das Sachliche da-
gegen (insbesondre Ethische) vorausgesetzt wird. Ich meine, es
sei klar, daß nur die generellere These des Gorgias die frühere,
die eingeschränktere des Phädros die spätere sein könne. Wie
übrigens diese Einschränkung in genauer Verbindung steht mit
dem unmittelbar vorher ausgesprochenen Verzicht auf die An-
nahme einer unsittlichen Absicht der Rhetorik und wie sie dem
allgemeinen Verhältniß des Phädros zum Gorgias entspricht,
wird einleuchten.
Fernerhin wird die (wahre) Redekunst bestimmt als Seelen-
lenkung durch Reden (yuyuywyla rig dia Aoyww 261 A). Rich-
tig hat Siebeck gesehen, daß auch dies auf den Gorgias sich
zurückbezieht ; nur finde ich gerade die beweisendste Belegstelle
setzt wird, wohl um anzudeuten, daß diese Weisheit nicht eben neu
ist. Aber warum wird der Gegner nicht genannt, da doch Platon
sonst gerade im Phädros sich gar nicht scheut, Lebende unter ihrem
Namen zu bekämpfen ? Ich finde keinen andern Grund, als daß es
wohl um einen solchen sich handelt, den er nicht ohne zu auffülligen
Anachronismus in die Zeit desSok rates setzen konnte. An wen etwa
sich denken ließe (ob an Alkidamas ?), mögen Kundigere entscheiden.
25) Zweifellos als schon bekannt; Siebeck, Philol. XL 175 ff.
Jahrb. f. klass. Philol. 1888, 225 ff. Unters. z. Philos. d. Gr.? S. 115 ff,
446 P. Natorp,
bei ihm nicht angeführt: nicht bloß 271 D wird jene Bestim-
mung wiederholt und zu der wichtigen, über den Gorgias hin-
ausgehenden Folgerung *9) benutzt, daß die Rhetorik der psy-
chologischen Begründung bedürfe, sondern schon 271 in. heißt
es neıIw yàg i» rovro (Sc. 17 weyg) nowiv ensyesget, was bis
zum Wortlaut dem Gorgias (458 A nerd roig dxovovam d» ım
yuyn mowiv) entspricht. Die gleich folgende Erweiterung des
Gebietes der Redekunst findet ebenfalls im Gorgias ihre Anknü-
pfung, geht aber ersichtlich weit über denselben hinaus; na-
mentlich wird die Belehrung, die dort (454 C ff.) von der
Redekunst vielmehr ausgeschlossen wurde, hier (276 A ff.) aus-
drücklich in sie mit einbegriffen, eben dadurch freilich ihr Be-
griff in den der Dialektik fast unmerklich hinübergespielt.
Durchweg bestätigt sich, daß die Festsetzungen des Gorgias im
Phüdros zwar vorausgesetzt, dann aber, als für den gegenwür-
tigen Standpunkt zu eng, überschritten und berichtigt werden.
Noch fernere Indicien scheimen mir ebendarauf hinzuweisen.
Es wird nümlich an zwei weiteren Stellen, 268 D und 269 B, ühnlich
wie 260 D (oben S. 431) das gröbliche Schelten im
Gorgias ironisch getadelt. Es handelt sich, wie an der letzteren
Stelle um die allgemeine Annahme, daß die Redekunst, nament-
lich in sittlicher Beziehung, dem Scheine, nicht der Wahrheit
dienen wolle, so an den beiden andern erstens um die Tragiker,
zweitens um Perikles. Besonders im letzten Falle ist die Be-
ziehung auf Platon selbst sehr deutlich: ein Perikles (heißt es
da) würde die heutigen Rhetoren mit ihren kleinlichen Künsten
nieht, „wie ich und du“, unfeiner Weise mit unhöflichen Worten
anfahren , sondern als ein so viel Weiserer auch uns das vor-
halten u. s. w. Diese ironische Vergleichung der Höflichkeit, in
der ein Perikles — und so gleich vorher die Tragiker — den-
jenigen, der die Gesetze seiner Kunst nicht begriffen hätte, zu-
reehtweisen würde, mit der Grobheit, womit „ich und du“ d.h.
Platon denjenigen, der von seiner Kunst, der Dialektik, nichts
versteht, es vorzurücken pflege, verlangt eine bestimmtere Deu-
tung. Es kann doch kein Zufall sein, wenn dreimal ungefähr
in denselben Ausdrücken vom groben Schelten gesprochen wird ?7),
26) Im Gorgias wird zwar Erkenntni8 von der Natur des Ob-
jeets, von dem man redet, aber noch nicht von der des Subjects,
auf welcher die Rede wirken soll, gefordert. Wie auch dies dem
allgemeinen Verhültuil beider Sebritteu entspricht, ersieht man leicht.
Platons Phädros. 447
in Bezug auf drei Gegenstünde, welche im Gorgias in der That
hart genug von Platon selbst mitgenommen worden waren. Man
muß vermuthen, daB jene Haltung des Gorgias dem Platon von
unberufener Seite als nicht urban vorgeworfen worden war; wel-
chen Tadel er — gewiß nicht im Grunde der Sache als berech-
tigt hinnimmt ?*?), denn wo es ums Sittliche sich handelt, ist ge-
wiß jede sachlich begründete Schärfe am Platze, sondern scherz-
haft wendet, ironisch sich gefallen läßt und Besserung verheiBt.
Damit steht ganz im Einklang die geflissentliche Hervorhebung
des Perikles (270 A ff), in der man sonst wohl eine Schwierig-
keit gefunden hat, welche bei aller auch hier nicht gesparten
Ironie doch einen Grad von unverstellter Hochachtung ein-
schließt. Mit weit mehr Recht als beim Menon könnte man hier
beim Phädros, zwar nicht von Palinodie (denn die sittliche
Frage wird nicht berührt), aber doch von einer gewissen formellen
Mäßigung der im Gorgias gefällten harten Urtheile sprechen.
Aehnliche Ergebnisse liefert die Vergleichung dessen, was
beide Schriften der Rhetorik Positives gegenüberzustellen haben.
Es ist, wie schon gesagt, beide Male die Philosophie, dort nach
ihrer inhaltlichen und praktischen, hier nach ihrer formalen,
theoretischen Bedeutung. Uebrigens versteht sich von selbst,
daß weder die formale Seite im Gorgias, noch die inhaltliche im
Phädros etwa vernachlässigt ist; gerade darin bewährt sich von
neuem die genaue Entsprechung zwischen beiden. So ist die
Forderung wissenschaftlich (dialektisch) begründeter Erkenntniß
vom Gegenstande beiden Schriften gemein, obwohl im Phädros
ungleich tiefer durchgeführt; die Uebereinstimmung tritt zu Tage
in der Unterscheidung von réyyn und éuneola und der ver-
wandten von dıdaoxeıw und reise, in der Forderung einer Er-
kenntniß des Grundes, der Ursache oder der Natur der Sache
(Aoyoc, aitla, qvoic) , wobei die „Idee“ bereits im Gorgias we-
nigstens im Hintergrunde stand. Umgekehrt wird das Sittliche
27) 260 D aypoıxozegov tov d'éovros Aslosdopyxauer. 268 D ovx &r
aypoixws Aosdopyosiav. 269 B in’ dyposxias djud n sinsiv anaidevror.
Vgl im Gorgias selbst 461 C 70447 dygosxia (Polos); ähnlich
482 E, 494 E (Kallikles), auch 522 B (zaxnyopeiv léyovta nuxgoüs Ào-
yous); und schon Apol. 32 D «yposxörepor.
28) Offenbar ist 275 E von ungerechten Vorwürfen die Rede (ovx
iv dixn Aosdogn9eis), welche Platon selbst, vielleicht gerade des Gor-
gias wegen, erfahren hatte; die Hülfe, die sein Aöyos sich selber nicht
leisten konnte, leistet ihm eben hier sein „Vater“.
448 P. Natorp,
als Inhalt der philosophischen Erkenntniß im Phädros durchweg
vorausgesetzt; so erinnert ganz besonders die regelmäßig wie-
derkehrende Trias des Gerechten, Guten, Schönen (260 A, 276 C,
278 E),an den Gorgias; anderes dahin Gehörige wird noch
weiter unten anzuführen sein und ist zum Theil schon ange-
deutet worden. So bestätigen auch die schon behandelten Stel-
len 259 E ff, 272 D f., daß die scharfe sittliche Antithese der
Philosophie gegen das damalige öffentliche Treiben im Phädros
keineswegs vergessen ist. Daß die hohe Auffassung vom Be-
rufe der Philosophie zur sittlichen Reform des Staatswesens
ebenfalls im Phädros vorschwebt, lehrt der wiederholte Hinweis
auf die Gesetzgebung, der Seitenblick auf den Volksredner und
Tyrannen, die Gleichsetzung der Naturanlage zu Philosophie
und Regierung. Daß aber Platon diese Einwirkung sich zutraut,
nämlich auf dem Wege der philosophischen Erziehung derer, die
durch den Vorzug der Anlage zum Herrschen berufen sind,
darauf deutete im Gorgias, neben der unverkennbaren Anspie-
lung auf die Schule (485 D) und dem stolzen Bekenntniß 521 D,
namentlich die Vergleichung des privaten und öffentlichen Wir-
kens für das seelische Heil mit dem des Arztes für das leib-
liche, 518 D — 515 B (vgl. wiederum 521 D ff.); worauf im
Phädros (270 B) eine gelegentliche Anspielung sich findet, die
man, ohne jene Stelle vor Augen zu haben, kaum ganz würde
verstehen kinnen **). Hier wie dort muß man das fast voll-
ständige Zusammentallen des Ethischen und Politischen und
das gleichmäßige Verhältniß des Begriffs der Erziehung zu beidem,
dessen Auffassung überhaupt eine der ersten Vorbedingungen
für das Verständniß Platons bildet, sich gegenwärtig halten.
Schließlich soll jedoch die philosophische Erziehung weder
allein noch auch nur hauptsächlich auf Zwecke des irdischen
Lebens Bezug haben, sondern ihren Gesichtspunkt höher neh-
men, Nicht um den Mitknechten sondern den wahren Herren
wohlgefüllig zu sein im Reden und Thun, wird der Vernünftige
dem langwierigen Studium der Dialektik sich unterziehen (274
in) Auch diese Erhebung der Philosophie über die ardewmr«
cnowdcouata (249 D) verbindet den Phädros eng mit dem Gor-
gias, wo der überweltliche Standpunkt des Philosophen zum er-
29) Zu Aeyovc te xci énerpdedossg vouiuovs vgl. Gorg. 504 D.
Platons Phädros. 449
sten Male scharf ausgesprochen war; es genügt, Stellen wie
511 B fL, 522 DE, 525 D, 526 C (oben Anm. 4 und 17) in
Erinnerung zu bringen.
Wahr bleibt, daß beide Schriften in der Stimmung sehr
merklich von einander abweichen ; aber im Gedankengehalt zei-
gen sie sich, je genauer man sie confrontirt, desto näher ver-
wandt. Und der Stimmungsunterschied begreift sich — wie wir
es erwarten mußten — aus .einem objectiven Grunde: dort
wandte sich Platon mit schneidender sittlicher Kritik nach außen,
an die Mächte des Tages, hier erhebt er sich im liebenden Ver-
ein mit den Seinen zu jener verklärten Höhe der Gottbegeiste-
rung, von der er auf das menschliche Treiben und auf die
Leiden dieser Zeit (250 C) herabblicken darf wie auf ein kindi-
sches Spiel, dem er weit entwachsen. Verhieß denn nicht solche
selige Erhebung der Gorgias dem Philosophen, der „bei seiner
Sache bleibt“ und nicht in allerlei weltliches Geschäft sich
mischt? Und zittert nicht doch auch im Phädros die Erinne-
rung nach an die tiefe Erregung, in der der Gorgias geschrieben
wurde? Hier ist nichts von Palinodie, nichts von schwächlichen
Compromissen: der Gegensatz der Weltansichten bleibt in sei-
ner ganzen Schroffheit bestehen, nur daß jetzt die andere Seite
der Sache, und die positivere, freundlichere, zu ihrem Rechte
kommen durfte. Der Gorgias ist überwunden, der Stimmung
nach; aber kein einziger Gedanke, keine seiner bitteren Wahr-
heiten ist etwa zurückgenommen. Sogar könnte ich mir den
Phädros jetzt gar nicht mehr vor dem Gorgias denken, nicht
trotz, sondern wegen der Stimmung, die darin herrscht. Solche
Stimmung konnte ein Platon um keinen billigeren Preis sich
erringen, als den er im Gorgias bezahlt. Auch die Stimmung
zum Symposion gab ihm, wenn ich nicht sehr irre, — der Phüdon.
Damit nähern wir uns der verwickelten Frage der A b-
fassungszeit des Pháüdros, die wir nunmehr, wesentlich auf
Grund der inneren, sachlichen Beziehungen zwischen dieser und
anderen platonischen Schriften, doch selbstverstündlich unter Mit-
berücksichtigung der äußeren, zeitgeschichtlichen Gründe, zu
entscheiden haben.
Marburg. P, Natorp,
Philologus. N.F. Bd. II (XLVIII), 3. 29
XXII.
Zu den Quellen des sogenannten Etymologicum
Magnum.
1) Das echte ézvpuoAoyexóv péya und das érupo-
Aoysxov &ÀAÀO.
Es ist bekannt, daß das jetzt unter dem Namen Etymolo-
sieum Magnum gehende Werk diesen Titel zu Unrecht trägt;
derselbe ist ihm willkürlich von dem ersten Herausgeber, Cal-
liergus, beigelegt worden, welcher, um dies zu verbergen, sogar
einige Quellenangaben in dem Werk änderte, In Wahrheit
werden in demselben nämlich als Hauptquellen ein ésupodoysxor
péye und ein ervuodoyixor «420, neben diesen das Aipwdeiv-
Etymologieum und eine Sammlung émmegsouol genannt (vgl.
unten‘.
Unbekannt dagegen ist, daß die beiden zuerst genannten
Etvmologica, sowohl das péye als das «420, uns auch gesondert
erhalten sind. und zwar das ruwoloysxov péya in zwei
Handschriften, deren weitaus bessere und vollständigere der von
mir vor zwei ‚Jahren gefundene Vatie. graec. 1818 (saec. X)
int, während der etwas. kürzere Florent. 3S. Marci 304 (saec. X)
schon vor mehr als zwanzig Jahren von seinem Finder E. Mil-
ler (Mélanges de littérature greeque) veröffentlicht worden ist,
allerdings in einer Weise, daB man seine Bedeutung für die Ge-
schichte der Etymologiea. kaum ahnen konnte 1).
I Indem nämlich Milier in der Regel nur die in Gaisfords Aus-
Zu den Quellen des sogenannten Etymologicum Magnum. 451
Von dem ézvjuoAoysxóv &ÀAÀo ist bisher nur ein Aus-
zug gedruckt, das sogenannte Etymologicum Gudianum. Das
gabe nicht enthaltenen Citate heraushob und bisweilen noch einzelne
Abweichungen des Textes angab, erweckte er in dem Leser den Ein-
druck, daf im Uebrigen die einzelnen Glossen des Florentinus im
Wesentlichen mit unsern Drucken übereinstimmen. Dies ist aber
keineswegs der Fall. Auch hat Miller oft bei der Lesung und noch
öfter bei der Drucklegung des Manuscriptes Versehen begangen. Da
Dübner p. XII der Vorrede Millers die Genauigkeit desselben rühmt,
gebe ich, um nicht in den (jetzt besonders nahe liegenden) Verdacht
‘ zu kommen, gegen einen hochverdienten Mann unbegründete Vor-
. würfe zu erheben, im Folgenden die Hauptabweichungen meiner Colla-
tion für das Anfangsstiick. Die 3 ersten Blätter sind verloren; der Codex
beginnt jetzt mit der Glosse dyavoios (nicht ¢yavois); es folgt weder
éyev noch aynvowg; sondern deutlich «yanyrwo. Auf die Glosse dy«v-
giaua folgt am Ende von fol, Ir. ayauyn. Nach der Glosse dyyeiov
steht nicht ayyapos sondern deutlich im Text wie am Rande ayya-
popogleëilr. Zwischen @ynoideos und «yegaoros ist eine sehr kurze
Glosse unleserlich geworden. Nach «ynoao» (nicht ayroasov) folgt
cynow &yvo[s] &yÀavoor; ferner im Text wie am Rande deutlich er-
halten «ynvwp, dann &yosvua u. s. f. Zwischen &yyzstivg (so!) und
dyyev[oóv] ist eine Glosse ganz unleserlich geworden. Nach ayyavooy
lese ich am Rande die Lemmata dywrv, dyyw, dyw und in dem Text
sowohl wie am Rande Reste der Glosse ayysllovrzwv, auf welche un-
mittelbar adexaoros, ddelpos, adelpibw, adatjoas folgen. Zwischen
adevxéws (nicht adevxéos) und adéyytoy ist keine Lücke. Nach adev
hat Miller die ziemlich umfangreiche Glosse ady» übersehen.
Statt «dive ist als Lemma leicht erkennbar ddjyawr, statt adi-
vutegov vielmehr adırwzegos.
Nach «dio schließt das zweite Blatt. Das dritte Blatt, dessen
nicht streng alphabetisch geordnete Glossen (von av’ i95» bis andyen)
Miller hier ohne Bedenken einordnet, gehört in den Nachtrag ans
Ende des Buchstaben A. Das letzte Viertel der Rückseite ist frei
gelassen; durch eine Reihe von Kreuzen hat der Schreiber in der
ihm gewöhnlichen Weise den Schluß des Buchstaben angedeutet. Zu
den Glossen selbst bemerke ich, daß das Lemma der siebenten nicht
anovacow sondern anovdcowos ist, daß in der Glosse alodonwiog in
dem Citat ws und nicht önws steht und daß zwischen dggevonoc und
an’ alylievros die Glosse énorvunaviéw] übersehen ist. — Das fol-
gende vierte Blatt, die Glossen d$audvuov bis aiyıva enthaltend, ist
ebenfalls falsch eingeheftet; die letztere Glosse setzt sich auf Blatt 7
fort. Dagegen schließt an Blatt 2 («d»9) unmittelbar auf Blatt 5
die Glosse &duolí; (nicht aduodia). Nach adolecyia ist als eigene
Glosse abgesetzt adodésyns «dolécyov (vgl. EM S. 18, 19). Nach
ds94ov folgt vor &esda die Glosse «ídrAoc, oder wie hier offenbar ge-
schrieben war, «sidnlos (das Lemma ist jetzt unleserlich). Zwischen
alnyés und a@baléyr steht fast unleserlich die Glosse &n. Zwischen
andıbov und are steht die sehr lange Glosse adn9eooov. Mit &»rov
schließt Blatt 6; Blatt 4, welches danach einzuordnen ist, beginnt,
wie schon erwähnt, mit a'Saudynor (Miller S. 12). Für aSéoparos
ist zu schreiben à9écgeror, für «1700 entweder «940, was am Rand,
oder &94oc, was im Text steht. Nach «945jceg hat Miller eine gut
leserliche, längere Glosse d90:«85c (so! vgl. EM S. 25, 46) übersehen.
“xpwnjosr ist nicht Lemma einer eigenen Glosse, sondern ein Wort
aus der Erläuterung zu ’49ws. Das Blatt schließt gegen Ende der
29 *
452 R. Reitzenstein,
Werk ist uns in einer großen Anzahl von Handschriften, deren
beste der Sorbonicus (Paris. supplem. graec, 172 saec. XIII)
ist, erhalten.
Zum Beweis für beide Behauptungen führe ich an dieser
Stelle nur wenige Glossen an; zu einigen derselben, nämlich
Olxıua, vin, paoxwisov und guddov danke ich die Lesungen
des Güte des Herrn Profes-
sor Mau, die Lesungen des Florentinus der des Herrn Dr.
Nebe. Für die (rlossen Xo£og und XwAog habe ich Millers An-
gaben benutzt.
Vaticanus der außerordentlichen
1) Etym. magnum p. 142, 19
ed. Gaisf.
Moitylog nsgi Awosxws "API rà ns-
Qic0Oc xci To dios, è Pavspüs, «gí-
Jydos.
dx tod Jelóc, 0 anucives Tov nenv-
paxtTouévoy aidypov, avadoası tov
Tóvov x«i toon] tov A sis H dylog
Ondac, xai Ensıdn ta Z ix tov E xai
4 cuyrestai, 10EET TO Z xai A elc
to Z xaì yivetes c ostnAoc.
Et. Gud. 76, 27
"Apidnlos 6 navy pavegds,
nega tod Sedds, 0 onualvss Tüv ne-
nvoaxiwuivor Gidnpov, xai, avadoosı
ToU Tovov xci Toony ToU A sic H
Jos, x«i usta 100 API agidnlos .
. inudn 10 Z ix 100 Z
xai d avyxestas, Toénetas TO E x«i
4 sig Z xai yivsımı dostnloc.
6 ayav Exdnlos.
ovtws elgev eis To dAdo, sig de
TO MEY ovtws AB)
AMoítyloc* à ayav Exdmloc.
mage 10 dÀoc dnhocs, werd neouo- nage 10 UOZÀoc &dmlos xai usta me-
Glosse azyiva, deren letzte Worte schon auf Blatt 7 stehen. Unmit-
telbar auf afyiv« folgt ai (Miller S. 13). In der Glosse «ies» (Mil-
ler S. 14) ist 09 ev xai 10 óvoue, in der Glosse aldesadas iepza nicht
oixeias sondern oixérec geschrieben. In der Glosse wisi véov épyous-
vawy, welche ohne jede Schwierigkeit zu lesen ist, steht nicht, wie
Miller angiebt, am’ coyjs ov x anolnyovoass xar dliyoy, sondern
an’ doygc Ews néoatos 7 xav oliyov, ferner nicht navza ob» tòv
xcipóv To n t5 G £06, sondern névtwe o[Uv] zur xeigóv 12€ PUoEws,
endlich nicht y «voguév v» sondern nn os»ovuév ov. Miller hat wohl
nur durch Versehen die Lesungen des Scholions des Venetus A zu
Ilias 2, 88 eingesetzt. Im Folgenden ist für atlovgog zu schreiben
eiélovgog ; «ttwvi ist nicht selbständige Glosee; in der Glosse aiSégos
ist das Lemma zu streichen und für éyeéges zu schreiben dusysiges; in
der Glosse eiuvAoc ist für x«réí cnofodnv einzusetzen x«i «mofolyg.
Nach aîveros hat Miller die Glosse atviyue, nach ef»vues die Glosse
eivd ausgelassen, wiewohl beide leicht leserlich sind.
1) Mit 4B bezeichne ich das im Vaticanus (A) und Florentinus
(B) überlieferte echte #rvuoloyixor uéye, mit [4]2 die nur im Flo-
rentinus erhaltenen Glossen desselben.
Zu den Quellen des sogenannten Etymologicum Magnum.
e
cov tov I aldnklos xai xav inév9sow
100 £ alodnlog
x«i coibndos Insscodw tov P.
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Baoıksidov megs Oungixijs Aden.
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LET aoibnloc.
n ano To) Clog agilnkos.
agıos Cylov ayav Exdndos.
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2) Etym. magnum p. 713, 1.
Zixsua' Zixıua don To éSaigeror
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Eyxsızaı xa aUrg 7 Agoyynxy 0701
yeyoauuévo.
3) Etym. magnum p. 780, 29.
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YES; ano ToU unsivar xai unoxelodaı
10 perito. 5 «nó Tod luv now ivy
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155, 1).
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Tavta sig TO Bey « éruuolhoyr-
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bn5zvg yao ‚Ayers 7 Tod ave xeihous
TOLY WOES » óndvg Us oÙca, nage 10
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and 1)» MUXTINOWY TOLYWOLS.
Ines eis TO tovios.
1) Das Folgende fehlt in B.
458 :
QiocoD 100 I atdnlos xa) xev inér-
9ecw 100 Z alodnlos, tod Z xai 4
eis Z toanévtos ailnlos, xai Ènsis-
ody tov P agitnlhos.
ovtws Koativos ") i» rj nop Ty
Bacieidov negò Oungsxie hébews.
iyà dé nagá 16 dÀog xai thy API
énitaow, elta nlcovaoud toò =
deiodnkos x«i &pitylos.
n ano tov Cydog doitglog* ob yàp
Gbios Cydov dyav Exdnlos.
AB.
Zixvua' Zip 3) dé ion 7 Baige-
Tov ywotov TOU Toig nage tod 'le-
xà dedöuevor. wwnos vie dea9rnxns
ms uovo doxovans TQ ‘Icoarnài de-
dwozodtas.
Et. Gud. p. 500, 32
Zixnua' ovoua to ov. youpstas dé
ano napadocsws te dio II.
[A]B.
Yn» ai ünoxdıw (176) ToU yevtiov
TOÏYES and To) Unsivas xci bmo-
xeioFas T vecio oi dè naga. TÓ
d MINI où 0 péllwy yow vg
xai mijn Napa mj» Eow THY tQ Gv.
-
iv dì TQ rog sboov om onuaives
uuotaxa, yEvsıov, nuyova' Jj Tob
av yeilovs' toéywors,
Fehlt in dem uns erhaltenen Aus-
zuge des Aluwdeiv-Etymologicun,
Sturz S. 617 u. ff.
2) B beginnt Zixsue tou dè, im Folgenden hat A dedouciy für
dedousvor und iaxoB für icpa74.
3) Vgl. Choerob. in Psalm, S. 151, 10 Zixsua övoue Tönov.
dio I ano napaducews.
Ta
454
4) Etym. magnum p. 789, 5.
Paoxa lov: induor, qogtiov. pücxw-
Àov dé uagoinsov , "joa US OÙTW
èxalesto, | we ‘Ioaios xai Avoias elor-
xa 06, ovtws Eyes elc Tu uéya.
5) Etym. magnum p. 802, 35—38.
41—43.
dllov napa to pow, 10 avafla-
eri vo, quaddov xai gullov, wo nuw
nvalov xai nvlov. dia dio 44 "óc
dyndiacroliy ToU gviov tov onuci-
vovtog Tv polir. — —
$illov' nage To guo pualoy wg
nvw nichov. ovyxonn x«i nieova-
ony tov A gwÀlov.
obtws eig to Heya êtuuoloys-
x 0y, tà dé nap &vo sis Tov c inı-
ueoscuovs Evgov.
6) Etym. magnum p. 814, 20.
XQéoc ano 10b x, ö onuaives To
‘ Evdeobuai, yivaraı yéoc* 8E. ob yiveras
yotos xata nieovaguòv 100 P.
oviws eis To Aluwdeiv.
eis 10 uéya dt ygdgera, on
ovx «no Tod you, all’ «nó rob
XY0éo Yoétoua:.
6 dé Xoigofoaxóg &ig TOUS QUTOÙ x«-
vóveg tuv ouderéguy (p. 394, 5)
Aéyer negi ToU yoéous O1 dia uiv
ToU O yougetas xdiveras dè
iv roig Evixoic
xai nÀg9uvnxoig x«i dvixoîs.
iv de 7 evdeia wiv nindvvuxwy
eis A Anyes olov. yoésa xai Gvyxo-
nj ypéa.
01a» dé yévytas die tot E x«i
QR '4Arnxog yoéoc, my avmv yn
009v, yarızıv,, alnatıznv xci
xp, uovny de mv douxmv
dialÀdrtovsav. xai Fer dintw-
Tov? essay yee xai dotixny Eyer
uôvoy, olov t6 yoéws, tov yoémc,
R. Reitzenstein,
AB.
baoxwlsov' iudnov, gogsiov. qa OX -
hoy dé uagoinsor, noa !).
DPillov’ we nrvo nivalov, oùtwç
quo qualov xara cvyxonny xai nÂso-
vacui tov A).
Fehlt in dem uns erhaltenen Auszug.
[A] B.
Xo£oc* ovx ano tov you, all’ ano
ToU ypéo xai Xoéouas. Zdpobr „ww
450 xetouas. “ obto Pilòtsvos 5),
ö dè Teweysog
Aéyei om dia
ro) O puxgod yedqeras xaò xliveras
Wo 10 zeiyos xai Ev toig Evaxoic
xai iy toig nÀ4g9vvnxoig.
x«i dv ty evSeig Tiv nÀy9vrvnxdw
eis A yiveras olov Koes X0fa, ovy-
xony ToU vos E, we vo xÀita
xdéa. orav dé yévytau ha tod K xai
NR ’Aruxws, olov To Xoéws, mv av-
TV Eye sed» xai yevexny xai al-
mana) v xai xÀgnxsv, Móvoy di my
donxj» dalidcoovcay tà xoét ö
ion, dinrorov* evdsias ydp xai do-
nx&c Eyes uóvov 4),
1) Sowohl A als 2 sind bisweilen kürzer als die ihnen ver-
wandte Handschrift ,
magnum benutzte.
welche der Verfasser des sogenannten Etym.
"A hat baoxwisov, B dé ion.
2) A lässt ovrws guw qÜelor aus und hat xai cvyxonj.
3) B gilwr,
4) B wiederholt xe; vor uóvov.
Zu den Quellen des sogenannten Etymologieum Magnum. 455
") Yokes, TO yoéug. à ypéwc.
dvix& dé xai nAnduvuzxa ovx Eyes.
7) Etym. magnum p. 816, 20
Xwlos' ix rob
xujlov, To 0GtoUv, 6 10 óctobv Beßlau-
uévog* Toon% toU yalob sis dec)
xai usta Body tov Tovov ywdds,
Xwhos: dé dvoua Gitogos xípsov vis
Nwlos xvosov.
eis 16 @hdo. eig dé v0 utya
ètvmoloysxov!)
toomn tov K sic X xai tov O
eis $2. xólog yao tar ò un téle-
os. “Oungos ,,xólov dogu“ (Il. 16, 117)
xai xólove xpsods Toùs dnoßeßln-
xótac Te xéigata. ywhos obv 6 uj
TEAENOS,
trovro dé "Aitexwe ov xdivetas ovte
ele duixà oùr sic nin9vrvrsza. xai
Aéyss “Q005, è ygauuanxóc, om,
inadn ox nv 5 Erracıs 109 O sig
N dxolov9ovax (obrs yao ini Tob
xÀéog ott ini tov ontog Encinoav oi
Artıxoi), tovtev yaQ ovx tyéveto
ws Ew 5$ xdicrs.
Et. Gud. p. 572, 12
XwÀóg" ro XN uéya, dia ví; Ex ToU
xeàov, 0 dyuaives 10 dorody, 6 ta
core Beplauuéra Eywy' xai 10077
tod yulod sis dacù xai perafa os
Tov Tóvov yivetas yoÀóg. xai t da-
gioss ywhog xai yoÀóg; Xwlos fa-
evrovws 59 nodig xai óvoua xvgsov
Bacséws xtà.
[4]2.
Xwäös' ıgony rov K sig X xai ToU O
sig 2. xólog yág ion» 6 un télss-
os. “Ounoos ,,xólor Îéov”.
xal xbdovs xosoùdgs toùc dmofsBlg-
xdtas ta xépata’ yolog oU» Ó ur
vélesoc, |
Ich habe die erste Hälfte der Vaticanischen Handschrift
genau mit dem sogenannten Etymologicum Magnum durchver-
glichen und kann versichern, daß in der That eine dem A sehr
ähnliche Handschrift die Hauptquelle desselben gewesen ist,
daß aber durchgängig in die dieser Handschrift entlehnten Glos-
sen von dem Verfasser des sogenannten Etymologieum Magnum
Zusütze hineingearbeitet sind, welche sich sonst nur in der dem
Etymologicum Gudianum ähnlichen Handschriftenclasse, also dem
érvuoloyixóv ado, finden. Daher glaube ich, wiewohl uns in B
die ersten drei, in A die ersten fünfundzwanzig Blätter verloren
sind und wir daher in keiner Handschrift den Titel des noch
unbekannten, hoch bedeutsamen Werkes haben, dies in AB
erhaltene Etymologieum mit Recht als das echte
è1vuodoysx0òv wéya bezeichnet zu haben.
1) Calliergus hat die Angaben eis 70 uéya &rvuoloysxor überall
(außer in der Glosse 4gilndos, welche er übersah) entweder zu sig zo
&ÀÀo Erumoloyıxov umgeündert, oder ausgelassen.
Breslau. R. Reitzenstein.
XXIII.
Quaestiuncula Plautina.
I.
Volventi mihi nuper quattuor illos Plauti codices, qui in
bibliotheca Barberiniana servantur !), contigit ut notationem quan-
dam reperirem qua facultas mihi datur obscurae illius quae-
stionis tandem solvendae quae est de Jtalica Plauti fabularum
recensione.
Iam satis constat Ritsehelium, Plauti illum studiosissimum,
in codicum historia seribenda?) ex Ursiniano (D) quo XII po-
steriores Plauti fabulae ab Italis primum cognitae sunt, duo
quidem atque multum diversa codicum genera saeculo XV esse
descripta comprobasse; unum summa cum diligentia atque re-
ligione?), alterum magna cum negligentia atque temeritate ‘).
1) Hi sunt: Codex IX 1, saec. XIV, priores VIII fabulas com-
plectens; codex VIII 97, saec. XV, non XIV, sicuti ex hac, quam
certe fictam habet notationem, apparet: , Angeli Colae de Cittadinis
1360" posteriores XI fabulas complectens; codex IX 22, saec. XV, qui
XX omnes fabulas complectitur.
2) V. Fr. Ritschelii: Opuscula Philologica. Vol. II pp. 21—81.
3) Cuius generis, praeter alios, hi duo sunt: Codex Vaticanus
1629 (G) atque is codex ,quem Nicolai Niccoli manu scriptum in
bibliotheca Marciana Laurentius Mehusius vidit et in praefatione ad
Ambrosii Traversarii Epist. et Orat. p. XLIII diligenter descripsit"
(Ritsch.).
4) Cuius generis, praeter plurimos alios, hi: Codex Vaticanus
1632 (.H), codex Vat. 1638 (K), codex Vindobonensis CXI (Salisbur.
4) an. 1448 scriptus, codex Findob. La (N), codex Mediceus Plutei
Quaestiuncula. Plautine. 457
Quod genus cum ipse Georgius Merula in Editionis Principis (2)
praefatione acriter vituperasset neque affirmare potuisset utrum
mandante Nicolao Quinto Romano Pont. (1447 — 1455) an Al-
fonso rege Apuliae (1435—1458) haec exstiterit recensio, Ritsche-
lius sibi quaerendum proposuit ubi, per quem atque a quonam
viro docto esset confecta.
Non Romae — inquit — cum codex Vindobonensis, fidelis-
simum eius recensionis exemplum, iam anno MCCCCXLIII des-
criptum, quattuor ante annis exstiterit quam ille Pontifex electus
sit. Si non igitur Romae, cur non Neapoli atque mandante ipso
Alfonso Rege? Dein si non a Laurentio Valla, quem scimus
nunquam Plauti fabulis emendandis operam navasse, si non ab
loviano Pontano, qui tunc admodum iuvenis fuisset, cur non ab
ipso Antonio Panormita qui, corrector emendatorque iam notis-
simus Plauti, atque cum Alfonso Rege summa familiaritate con-
iunctus, multum aetatis suae in illa consumpserit urbe?
Quae cum Ritschelius secum ipse reputasset, in hanc tamen
venit conclusionem : „Ich habe diese Muthmaßungen nicht unter-
drücken wollen, weil sie leicht einen Gliicklichern auf diese
Entdeckung der Wahrheit selbst führen können 5).
Iam vero cum anno MDCCCXLVIII in hac ipsa quaestione
retractanda putasset Merulae uno tantum atque incerto illo te-
stimonio haud satis priorem suam coniecturam esse commen-
datam, in hane novam venit opinionem: „Atque adeo magis eo
animus inclinat ut ipsum fuisse Poggium credam, cum et Romae
potissimum atque Florentiae, non Neapoli correctorum multitudo
exemplarium exstet, et consilium certe rei perficiendae ille ipse
in ea parte epistularum professus sit, quae solae adhuc lucem
viderunt 6)“. Quam quidem opinionem, cum priorem illam con-
iecturam, anno MDCCCXXXV captam, emendaret °), tum etiam
his verbis confirmavit: „Das gelegentlich von Verschiedenen und
in verschiedener Weise an dem überlieferten Texte herumge-
bessert worden, ist so natürlich, daB das Gegentheil zu verwun-
XXXVI 46 (P), codex Leidensis 8 (X), codex Leid. „17. Gron." (Y),
Xl codices Parisienses atque ille, horum omnium optimus, codex
Lipsiensis (F, L) quo in sua quidem Plauti omnium fabularum edi-
tione cum adparatu critico Ritschelius accuratissime est usus.
9) V. Opusc. cit. Vol. II p. 31.
6) V. Opusc. cit. Vol. V p. 807.
7) V. Opusc. cit. Vol. II p. 30.
458 G. Suster,
dern würe. Aber die eigentliche Bahn gebrochen und die durch-
greifende Hauptarbeit vollführt muf doch einer haben, und das
war schwerlich ein anderer als Poggio selbst, wie denn dies
auch einfach angenommen worden Proleg. p. XLVII. Nähern Auf-
schluß würde gewiß die Fortsetzung seiner Correspondenz geben,
die jetzt leider mit dem allein erschienenen ersten Bande der
Tonelli'sehen Publication abbricht. Ausdrücklich als emendator
Plauti nennt ihn Vespasiano (in Mai's Spicilegium Romanum I
p. 548, wiederholt praef. Mil. glor. p. XVII).
At eum Georgius Schepssius Panormitae in epistulis, quae
Ritschelium praeterierunt, perlegendis cognovisset re vera illum
ad Plautinas fabulas emendandas se applicavisse, huic pravam
illam neapolitanam recensionem tribuere minime dubitavit ?). In
qua cum ipse Voigtius esset sententia, illud etiam adiunxit Pa-
normitam in ea conficienda illo ipso a Guarino ei misso exemplo
esse usum ?).
Cum igitur Ritschelii prior illa coniectura ita esset confir-
mata, nemo unquam fuit quin de hac re amplius dubitandum
putavenit.
At cum Ramorinus noster in quibusdam de Panormitae vita
studiisque rebus scribendis '!?) in hane ipsam quaestionem inci-
disset atque eam diligenter penitusque retractasset, posteriorem
Ritschelii illam coniecturam confirmavit, Panormitae etiam no-
mine excepto. Primum quod, cum epistulae illae, in quibus Pa-
normitae in Plautum emendationum interpretationumque fit mentio
atque Schepssii nititur coniectura, tum Papiae anno circiter :
MCCCCXXX-— XXXI ab eo scriptae essent cum codex Ursi-
nianus nondum divulgatus erat, in VIII prioribus tantum fabulis
valent; deinde quod Panormita pravae huius recensionis nullam
prorsus, ut debuit si eam re vera confecisset, in illis epistulis
mentionem facit, quas ex Campania Regique Alfonso plurimas
scripsit.
Qua de re quis est igitur quin intellegat tot tamque doctis
diserepantibus viris, quaestionem sine novis ae firmioribus argu-
mentis nullo unquam modo solvi potuisse ?
8) V. Antonius Panormita der Verfasser von Plautus. Kommen-
tarien in „Blätter für das Bayrische Gymnasialwesen 16 B. 8.17 u. f.
9) V. Die Wiederbelebung des klass. Alterth. II B. S. 391.
10) V. Contributi alla storia biografica e critica di Antonio Becca-
delli detto il Panormita, Palermo 1882. pp. 29—32.
Quaestiuncula Plautina. 459
II.
Quibus expositis, ad codicem illum, quo notatio mea con-
tinetur, inlustrandum venio.
Is codex (B!), numero signatus IX 15, in membranis for-
mae maximae, parum nitide scriptus, constat ex XCI chartis (illis
prioribus quattuor comprehensis, quae, ab eadem fere manu
descriptae, ad priores illos CCLXXXIII Poenuli versus, prio-
ribus eum fabulis olim deperditos, supplendos postea praemissae
sunt) secundum numerationem posteriorem atramento scriptam,
olim contra ex CXCV ch. secundum priorem numerationem, co-
lore rubro scriptam, atque VI tantum posteriores, ut mutilatus,
fabulas complectitur, id est, a Poenulo usque ad Truculentum.
In superiore margine paginarum, quibus initia continentur, prope
fabulae nomen numerus legitur progrediens, colore rubro scriptus,
illius ordinis quo XX fabulae vulgo subsequuntur. Ita ut, cum
So . e A . .
prior ex his fabulis — Poenulus — numero — 77 sit signata,
| A .
posterior — Truculentus — numero — 55; crederes hoc codice,
cum integer esset, omnes XX fabulas esse contentas. At si
cogitare vis, has VI fabulas, cum codex integer esset, dimidia
fere parte esse contentas (id est inter ch. CXI—CXVI, immo
etiam inter ch. CIII—CV, si eas VI, quas supra adiectas esse
dixi, comprehendas) facile tibi erit intellectu priore illa parte,
quae olim abrepta est, non reliquas XIV fabulas, at VI alias
tantum hoc codice, cum integer esset, esse contentas. Quam ob
rem veri simillimum mihi videtur hune codicem XII tantum po-
steriores fabulas olim esse complexum atque librarium, hoc nu-
mero neglecto, has ita numerasse ut ceteris in codicibus, quibus
XX omnes continentur, eae vulgo subsequuntur.
Quoquo autem modo se haec res habet, hoc pro certo ha-
beri debet, hunc codicem non saeculo XII, ut in Catalogo Biblio-
thecae Barberinianae errore quidam ductus scripsit, sed, ut ple-
rique Plauti codices, quos habemus, saeculo XV esse descriptum.
Plurimas alias alio tempore scriptas habet emendationes inter-
pretationesque ad priores IV praesertim fabulas atque, quod
nostra magis refert, post Truculenti finem in ch. CXCVI (XCI)
hane notationem, nitidissime a diversa manu scriptam: „Nicolaus
Maria Duzutus insignis eques neapolitanus hoc volumen dono dedit
460 G. Suster,
/
loviano pontano umbro cum ad eum divertisset evitandae pestis gra-
tia anno dn. MCCCCLVIII III die Iunij“. Hue accedit quod is
quoque, sicuti duo codices Vindobonenses, versuum est compo-
sitione solutus. _
Quem codicem ita diligenter inlustravi quod, cum omnes
fere ceteri, saeculo XV descripti, iam satis cogniti sint, de hoc
uno, sive neglecto sive incognito, nulla adhue mentio a viris
doctis est facta. Non enim a Gustavo Loewio vel a Georgio
. e qr o: . . . 15 .
Goc:zio etsi hi, invento codice Britschensi XT (I) iam anno
MDCCCLXXVIII in Bibliothecam Barderinianam ingressi sunt,
ut, si possent, alios quoque codices eodem genere quo Brit-
schensis reperirent !!), non ab ipso Rétschelio qui, quamquam scie-
bat Plauti quattuor codices in hac Bibliotheca servari, illum tan-
tum, tunc numero 2161 signatum, id est nune IX 22, cognovit
atque curavit. Cuius vero facti, ne cui mirum videatur, hanc
mihi est visum suis ipsius verbis rationem reddi posse: „Ext
cerpsit — id est codex quem supra dixi — in meum usum
(quoniam, dum Romae moror, aditus ad Barberinam bibliothecam
nullus patuit) Aemilii Braunii amicitia !*)*. Quid plura ? Nonne
optima illa est ratio quae in ipsis illis tam amplis operosisque
coniecturis inest quas, si ille hune quoque codicem cognovisset,
video ab co nunquam certe esse factas?
III. ^
Quae cum ita sint, age nune quae ista sit notatio quidque
nobis significet videamus. Quae, ab eadem librarii manu in
margine ch. LXXVIII (CLXXXIIT) prope Truculenti versum
CV scripta, haec est: .Auc usque ad sequentem senam longe di-
versus ab altero codice sive regio’. ‘Quibus de verbis, simul ac
probavero ea, non modo ex librarii capite temere non prosiluisse,
sed ipsa quoque scripturae differentia, cuius nos commonefa-
ciunt, plane confirmari, haec quidem quaestio iam erit soluta.
Instituta enim cum editis collatione, tantum inter non modo se-
quentia scenae, sicuti in notatione quidem est, sed totius quoque
Truculenti ac Poenuli scripturas discrimen esse animadverti ut
11) Cuius vero generis illum repererunt qui num. IX 1 signatus
est. V. Rheinisches Museum. Vol. 84 p. 53.
12) V. Praef. Mil. glor. p. XII (Bonn. H. B. Koenig 1849).
Quaestiuncula Plautina. 461
minime mihi dubitandum sit quin librarius, in meo quidem
describendo, duobus et iis diversis usus sit archetypis, nempe
in hae fabula describenda eodem archetypo ex quo ipse codex
Lipsiensis (L) est ductus, in illa Ursiniano, sicuti ex iis col-
lationis partieulis plane demonstratur quas ego in argumentum
hic ducendas esse puto.
I. Truculenti collatio (vv. 1—11; 1—60; 105—150) 13),
B'D cum L
ARGVMENTVM.
9. compressae côpresse
10. deta natam
PROLOGVS.
1. artem partem
— plaudi locu Plautus loqui
2. deu heri de vestris
1(D3)
3. arcus pletis (petis D) arcu peltis
6. ore orem
— abduunt abducunt
7. eum me
9. quia (q? B') qua
— ventumst (cum spatio B!) ventum est
15. reliquü - reliquum
ACTVS I.
28. nó anti dum Nam antedum
— Ad qd quot
dis (ip. manu)
— motus (motus B! ) modis
27 exoritur ezoretur
28. blandit (blanditur D) blanditiae
90. pietadum (perierandum D) perferundum
— miror meret
9l. ebolust obolus est
92. tutor ducunt
94. Temptat tentant
— ne an anne
40. Ibidem Itidem
48. alter alteri potius. est alter potior. est
49. raras ratas
9l, peritt perit
— conscissa quod conscissa
99, aliquod aliquid
94. aenum aeneum
96. petra debeatque pereat debeut
97, vos clam mina (elimina D) nos Dama
60, tempestivo tempestive
13) V. Ristschelius: 7. Macci Plauti Comoediae etc. Tomi I, Fasci-
eulus V. Lipsiae in aed. B. G. Teubneri MDCCCLXXXI pp. 3—24.
462 G. Suster, |
105. Sir cum
106. obludeant : obluunt
109. scistis sctlss
— pol om.
— haec vos vos
110. ibi usib, (used; D) pugnae ubi usus pugnae
(pugne D
112. loqui om.
113. Auc dona concessi huic dona congessi
114. in sum (um? D) vi sum (in rasur.) visam
— erat erit
117. vult volt
enicas (ip. manu)
119. io temeas (B’) vo tenicas me (D) to enicas me
120. pessimam (cum spatio init. B!) pessimamane
anes (anel D)
122, dinarchus es Dinarchusne
— Is st is (is estis D) Is est is
124. fert ferunt
125. Atque audies sum Atque audiens sum
valens (ip. manu)
196. Vale (Vale B! ) Valens
197. cétià. (centur D) letor
128. astate amabo asta te amabo
129. quies quisest
180. arcessis “accersis
o (ip. manu) meac (ip. manu B!)
181. soles (soles DB!) vives (unies D) soleo una est
184. mala e Praestigiator mala prestigatxix
135. Q si sis (B!) qui sis quis
— astaphi unus aschaphium
d (ip. manu B!)
136. quia nam Quid
148. posses posse
144. advorsum adversum
145. tu facis rem
— malegerentis malagerentes
146. incusant incussant
147. nunc vicissim . . . . apud vos om.
150. habituris habiturus
Quod si B!L cum D comparamus:
115. abis om. ovis
181. mala mala (cum spatio ant.)
182. manifestam manifesta (cum spatio)
— mendaci mendatii
136 arbitrare arbitrare (cum spatio)
138. quidnam amabo quid iam amabo
II. Poenuli collatio (vv. 1—8; 1—361) 1%).
B'L cum D
ARGVMENTVM
5. villicum vilicum
8. agnoscit adgnoscit
14) V. Ritschelius — Op. cit. Tomi II, Fasciculus V pp. 3—44
Quaestiuncula Plautina.
PROHEMIVM
9. paratum est quod edat
27. tum reveniant domum
29. neuque
41. pedissequi
45. ut om.
47. signatores
50. commendare
65. abductus
67. sex annos prius
68. qui
73. demum
80. demandare
87. qui subripuit
88. venditque has omis
paratum si quo dedit(D') paratum st.
quod edit (D*)
cum heri ventant E
neu que
pedissequi
ut
siti signa rures (D!) sitis ignari
ires (D*)
nomen dare
abdivittis
Sexenniprius(D!) Saezaenio prius (D*)
Quoniam
domino
amandare
quisur ripuit
vendite has omnis (D!) Vendit ea
somnis (D*)
92. lyco lico
94—5. haud nisi hauddiu sui
97. sit quae sit sit que sit
99. cum ea quomea
101. vult leno voliblo
104. postquam pesquam
105. minute marite (cum spatio)
109. quo lata sit quolatis
ACTVS I
135. scio hoc ium est si obviam si
136. solent solet
137. edepol hrae lire hedepol lire lire
140. adumans amans
144. loquar locarum
145. voluptas sino voluptati sino
197. cupiditate cupidine
166. philippe: hilippts
170. Pollibiscus Polubiscus (D!) coliubiscus (D*)
188. ezpolivero expoliavero
196. versatur vorsatur
200. Ita Itaque
201. f fortunii infortunti
205. exi foras heusi foras
206. socundissimos tucundissimos
209. mihi hoc hoc mihi (in rasur.)
223. cam Ea (D!) Ee (D*)
232. quae lavata est (cum D‘)
qua lavata est (D!)
244.—5. Item nos sumus eiusce modi Eius seminis nos sumus
247. ego om.
206, sint
261. adstans obticuisti (cum D‘)
— ac om.
262. natum
265, turba est
266, inter foedas
— relinqui sallicarias
268. olgant
ego
sunt in
astans obstipuisti (obstituisti D*)
ac
gnatum
Turbast
Prosedas
relliqui sallicarias
olant
463
207.
mene veritate dubitare possit.
G. Suster,
eam ipsi
discutiant
en monstrum
tanta om.
cutus ego p nebule
ut amet hec post hac
. eri licet om.
1a
consistere
eho (Eho L)
. dii
. pol te Qd (cum D‘)
. mala soror
. in fortuna
. magis qd (quidem L)
+ ceno
. tu om.
+ minis VOS ...
. aha om.
. expergiscatur Venus (D*)
. secordia
. he
. fugere
. allic
. abacheronte
emiserit
. hunc
. atractare
. nunc
te om.
agam
, pugnis plectas
. eamus nunc etiam
. sed dectes 19)
Quod si B!D
. virge
. sictant
. diviciis
. sepe
. mundictis
obtulisti
eam ipse
discutsent
Et monstrum
tanta
Pro cuius ego nebulae
ut amet at pos hac
eri licet
non
consistet
Eo
di
pol. it (D!) quidem
mea soror
infortuna
magis quid (D!) Magis q3 (D*
ceno
tu
Nimia vos socordia
aha
esperiscatur venus (D!) expergiscatur
Venus (D*)
ae ae
Fugent
tls
ab acheronte
amiseris
hoc
attrectare
nunc te
te
agas
pugni spectas
non ae cuius in me esset
sed dectens
L comparamus
virgae
sitiant
divitits
Saepe
munditits
optulisti
IV.
Restat ut breviter concludam.
Si igitur codex Barberinianus (B!) et Lipsiensis (L) Poenuli
seriptura tam inter se conveniunt ut non alius ab alio sed uter-
que ab uno eodemque archetypo descriptus esse videatur, si
15) Quae contuli satis esse existimavi quibus caveatur, ne quis
propter priores illos CCIX versus, qui a diversa, ut supra diximus
manu in adiectis quattuor chartis postea descripti sunt, de sententiae
Quaestiuncula Plautina. 465
praeterea codex Lipsiensis, auctore Ritschelio, turpis illius recensio-
nis italieae fidelissimum ac praestantissimum exemplum est, nulla
iam nobis restat dubitatio, quin et Barberinianus ipse codex
ab illa, sicuti a communi archetypo, descriptus sit et haec qui-
dem recensio in illum ipsum codicem regium cadat cuius notatio
mea mentionem facit.
Qui cum ita sit vocatus, quid nobis aliud significat nisi
ipsum Alfonsum Regem eam recensionem conficiendam mandasse ?
Quod si certum est, priorem illam ARitschelöi coniecturam eo lu-
bentius amplexi illud etiam credemus eam Neapoli ipsa in urbe
a Panormita potius quam vel Florentiae vel Romae a Poggio
esse confectam.
Romae. Guido Suster.
Ad Orientium.
Novissimi carminis, iambis conscripti, versus 51, 52 sic ex-
tant in A:
Ad illos homines interdictum pertinet,
Qui voce vera nominantur + physici
Hoc verum non esse demonstrant versus 41—43
Quod si quem laedit spiritalis lectio,
Ei licebit lectionem spernere,
Non conmutare lectionis normulam.
Iam quis nescit spiritali sive zvevparixi opponi non phy-
sicum, sed wuysxoy? Paulus ad Corinthios I. 2. 14 woysxds
dà avFewrnos où deyeraı ta TOU nvevuatos tov Oro.
uwola yàg avi gor, xal où dvvatas yydvar du my ev jars
xac avaxolvetas *).
Itaque legendum erat:
Qui voce vera nominantur psychic.
Oxonii. Robinson Ellis.
*) [Hippol. ref. haer. V 8 p. 164 D.-S.: è olxos Seed . . ., sig óv
oUx eicedevostas, quoiv, dxd9agrog oùdeis, où V vx sxóc, oU cagxixóc,
dYlà mors nysvuarızoss udvoig x. Cr.
Philologus, N. F. Bd. II (XLVIII), 3. 80
XXIV.
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos.
Aus einer umfassenden Untersuchung über die Pelasger, welche
aus den Vorarbeiten für die Fortsetzung meiner Geschichte des Al-
terthums erwachsen ist und welche ich vollständig erst später im
Zusammenhang mit einer Reihe ühnlicher Arbeiten zu publiciren
gedenke, erlaube ich mir hier den ersten Abschnitt vorzulegen, da
ich glaube, daß derselbe besonderes Interesse in Anspruch nehmen
darf, und da mir eine Discussion der einschlügigen Fragen sehr er-
wünscht wäre.
—Ó M —— —————————-—- «144
Die Angabe, in Attika seien vor Alters Pelasger ansässig
gewesen, welche die Burgmauer Athens erbaut hätten, ist scharf
zu sondern von der von Herodot vertretenen Meinung, die
Vorfahren der späteren ionischen Athener seien Pelasger ge-
wesen. Diese Annahme ist lediglich eine Folgerung , die He-
rodot daraus gezogen hat, daß es Ionier erst gab, seitdem Ion
der Sohn des Xuthos nach Athen gekommen war (VII 94.
VIII 44); vorher, unter Kranaos, Kekrops und Erechtheus, konnten
die Bewohner weder Ionier noch Hellenen sein, sie mußten also
nach Herodots Anschauung Pelasger und Barbaren gewesen sein
(I 56 f£) 5.
In weit spüterer Zeit, .als die Athener schon zu den Hel-
lenen zählten“ ?), haben sich, so berichtet Herodot, bei ihnen
1) Aus Herodot schöpft Scymnus 560.
2) Vgl. VI 53 ‚die Vorfahren der dorischen Könige bis auf Per-
seus waren Hellenen — #07 y&p rqvixuvta bs "Ellnvas obtos trilsov —
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos. 467
Pelasger angesiedelt (II 51 ’A9nraloıos yuo 70g tvieavre dg
‘EMnvas teltovor Ieluoyoi ovvowxo, éyévovio èv rh won — 89ev-
neg xai "EXAnves noEavro vopaoO vas fügt er noch hinzu, da er
weiß, daB seine Theorie von dem Barbarenthum der Pelasger
mit den gangbaren Ausichten im Widerspruch steht) Sie sind
nach Attika gekommen um den Athenern die Mauer um die
Akropolis zu bauen, und haben zum Lohn dafür das Land am
FuB des Hymettos zum Wohnsitz erhalten. Dann werden. sie
von den Áthenern verjagt, nach Hekataeos, weil diese sahen, daf
die Pelasger das früher werthlose Land gut bebaut hatten und
es jetzt wieder haben wollten — wie dagegen die Athener
erzühlen, weil die Pelasger ihren Töchtern nachstellten, wenn
sie zur Enneakrunos Wasser schöpfen gingen. Die Pelasger
suchen sich neue Wohnsitze und besetzen vor allem Lemnos
[aldi te oyeiv ywola xai di xai Ajuvow — die „anderen
Orte“ sind vor allem Samothrake, dessen Bewohner nach Her.
II 51 eben dieselben Pelasger aus Attika sind 5), und Imbros *].
Von hier aus überfallen sie die attischen Jungfrauen bei einem
Fest der brauronischen Artemis. Was weiter erzählt wird, wie
die Pelasger diese Frauen und die von ihnen erzeugten Kinder
tödten und das Orakel ihnen befiehlt den Athenern dafür Genug-
thuung zu geben, und wie in Folge dieses uralten Orakelspruchs
sehr lange Zeit nachher (Ërec xugra molloïîos voregor
roviwr) Lemnos von Miltiades genommen wird, braucht nicht
weiter ausgeführt zu werden). An einer anderen Stelle erfah-
ren wir, daß die Auswanderung der Pelasger nach Lemnos in
die Zeit der Eroberung Lakoniens durch die Dorer fällt, und
daß sie von hier die Minyer, Enkelkinder der Argonauten, ver-
treiben. Diese wenden sich dann nach Sparta und besetzen von
hier aus Thera (IV 1459).
Schon diese Zeitbestimmung zeigt, daß’ wir uns hier nicht
auf historischem sondern auf mythischem Boden befinden. Die
wührend die Ahnen der Danae der Mutter des Perseus echte Ae-
gypter gewesen sind“. |
3) Herodot benutzt diese Annahme um den Cultus des ithyphallen
Hermes in Attika und Samothrake zu erklären.
4) Her. V 26.
5) Her. VI 137 ff. vgl. I 57: „die Pelasger welche Plakia und
Skylake am Hellespont besiedelt haben, of auvosxos lyévovro ‘Adyvatosos™
6) Daraus entlehnt Pausan. VII 2, 2.
80 *
468 Eduard Meyer,
Kluft zwischen Sage und geschichtlicher Erinnerung tritt denn
auch in der Erzählung Herodots noch völlig unverschleiert her-
vor. Im Uebrigen sind in ihr deutlich zwei verschiedene Ele-
mente verbunden. Der zweite Theil soll den Ursprung der Be-
völkerung von Lemnos erklären und die Eroberung der Insel
durch die Athener rechtfertigen; der erste Theil erzählt von
Pelasgern in Attika und steht in untrennbarem Zusammenhang
mit der Mauer der Akropolis. Wir haben es fürs Erste nur
mit diesem ersten 'l'heile zu thun.
Die Erzählung von den Pelasgern in Attika gehört weder
dem einheimischen Sagenbestande an, noch dem was die ülteren
Dichter als attische Urgeschichte erzählten. Weder in der ge-
nealogischen Poesie ist von ihnen die Rede noch im attischen
Drama noch in der traditionellen Stadtgeschichte, auf der Thuk.
II 15 fußt, noch z. B. bei Aristophanes oder Plato oder wo
man sonst Spuren alter und ächter einheimischer Tradition su-
chen könnte. Und doch fließt grade hier die Ueberlieferung sonst
reichlich und zusammenhängend genug, so daß wir diese Er-
scheinung nicht durch unser lückenhaftes Material erklären dür-
fen. Vielmehr steht der Charakter der Pelasgererzählung mit
dieser Thatsache in Uebereinstimmung. Zum Wesen einer äch-
ten Sage gehören durchaus und in erster Linie Persönlichkeiten:
in der Pelasgererzühlung begegnet uns kein einziger Name. Der
Ursprung der Burgmauer gehört nothwendig in die Geschichte
von der Gründung und Entwickelung der Stadt. Wäre die Er-
zählung von dem Mauerbau der Pelasger ächt, so müßte sie
unter einen der stadtgründenden Könige gesetzt werden, wie
die von dem Mauerbau der Kyklopen in Tiryns unter Proitos.
Statt dessen hinkt sie kläglich nach, nachdem alles vorbei ist;
nach den Thaten des Kekrops Erechtheus Theseus kommen die
Pelasger, unter welchem Herrscher wissen wir nicht. Ihre Ver-
treibung ist ebenso zeitlos, aber jedenfalls fällt sie nach dem
Tode des Kodros, wo doch die Sage zu Ende ist und die völlige
Leere beginnt. Sehr deutlich sieht man, daB wir es mit einer
spüteren Einlage zu thun haben. Wegen des Alters der Burg-
mauer mußte man sie möglichst hoch hinaufsetzen, aber in der
eigentlichen Sagengeschichte war nirgend ‘mehr Platz für sie;
so hat man sie ans Ende derselben angeflickt.
Und nun geht ja aus Herodot deutlich hervor, daß die
Die Pelasger in Áttika und auf Lemnos. 469
ganze Erzählung den Athenern erst durch Hekataeos bekannt
geworden ist. Was Herodot als attische Version giebt, ist nicht
etwa ächte einheimische Tradition, sondern deutlich Correctur
des hekataeischen Berichtes. Daß Pelasger in Attika gesessen
und die Burgmauer gebaut hätten, glaubte man dem Schrift- :
steller; aber daß die Athener gegen alles Recht über die Frem-
den hergefallen seien und ihnen ihr Land abgenommen hätten,
das konnte man unmöglich auf sich sitzen lassen. Ein ge-
rechter Grund ließ sich leicht finden; das gewählte Motiv ist
offenbar aus der Sage von Boreas und Oreithyia entnommen °).
Die Sache liegt hier genau wie bei den Erzählungen über den
Ursprung des spartanischen Doppelkönigthums ( Rhein. Mus.
XLII 99 ff), und wie dort haben auch hier die modernen In-
terpreten die secundäre Correctur für das Ursprüngliche gebalten.
Ob Hekataeos der erste gewesen ist, welcher die Pelasger
nach Attika brachte, oder ob er darin Vorgänger in der Poesie
gehabt hat, wissen wir nicht. Das ist auch irrelevant; evident
ist dagegen, wie man zu der Ansicht gekommen ist. Sie soll
den Namen der Burgmauer erklüren, die bekanntlich gewóhn-
lich (so bei Herodot V 64) ro IleAnoyıxöv zeiyog genannt wird.
Was unter demselben zu verstehen ist, kann gegenwärtig nicht
mehr zweifelhaft sein. Es ist die alte, aus unbehauenen (sog.
kyklopischen) Blöcken aufgeführte Ringmauer der Akropolis,
die auf der West- und Südwestseite auf halber Höhe des Fel-
sens lief und daher hier ein unterhalb des Gipfels und der spä-
teren Propylaeen liegende Terrasse mit umfaßte 5).
Aber diese Mauer, welche den Pisistratiden noch als Boll-
werk diente und von den Persern genommen wurde, dann aber
bei der gänzlichen Umgestaltung der Akropolis durch Kimon
und Perikles bis auf wenige Reste verschwand (lüngere Zeit
hindurch diente sie als Steinbruch, bis auf Grund des Pse-
7) Wilamowitz, Kydathen 136 gibt die Deutung: „die Pelasger,
welche die Madchen von der Kallirrhoe rauben, sind ..... die Rie-
sen des Berglandes im Kampfe mit der Stadt Athen“. Das wäre mög-
lich, wenn hier wirklich eine Sage vorläge. Aber auch hier wieder geht
die physische Deutung des angeblichen Mythos viel zu tief; in Wirk-
lichkeit haben wir es nur mit einem geläufigen Mährchenzug zu thun,
der um einer bestimmten Tendenz willen zur Ausmalung einer auf
literarischem Wege entstandenen Erzühlung verwerthet ist.
8) 8. jetzt vor allem Lolling in seiner Topographie von Athen
(Handbuch der classischen Alterthumswissenschaft III S. 337).
470 Eduard Meyer,
phisma's des Lampon CIA I 27b die Reste geschützt wurden),
hat in Athen selbst niemals Pelasgikon geheifen, sondern im-
mer nur Pelargikon. Seitdem in der großen 1880 gefundenen
eleusinischen Inschrift (jetzt CIA I 27b) die Schreibung /Ze-
Augyıxov zu Tage getreten ist, ist diese Thatsache allgemein
bekannt und anerkannt. Bei Thukydides II 17 schreibt die
beste Handschrift (Laurentianus C) beidemale /7edagyixor; die- .
selbe Form bieten Kleidemosfr. 22?), Aristophanes Aves 882
(vgl. 869) und der in den Scholien dazu citierte Vers des Kal-
limachos, ferner Dion. Hal. I 28 u. a. Diesen Zeugnissen ge-
genüber hat es gar keinen Werth, wenn spätere Schriftsteller
und schlechtere Handschriften die ihnen aus der nichtattischen
Literatur gelüufigere Form 77eAacyixov geben.
DaB der Name Pelargikon mit den Pelasgern gar nichts zu
thun hat, braucht nun, sollte ich denken, nur einmal ausge-
sprochen zu werden, um allgemeine Anerkennung zu finden.
Bedeutete der Name wirklich .,die Pelasgerburg“, so müßten
wir eben auch alte und ächte Spuren der Pelasger in Athen
finden, sie müßten unter Kekrops oder Erechtheus, den Grün-
dern der ältesten Stadt, ihren Mauerbau ausführen — ganz ab-
gesehen davon, daß dann der völlig isolirte Lautwandel zu er-
klären wiire!?. Rhotacismus (noch dazu vor folgendem Con-
sonanten) ist im Attischen unerhórt, und es widerspricht aller
gesunden Methode, um einer problematischen Erklärung eines
Eigennamens willen ein neues Lautgesetz zu statuiren.
Warum die Athener ihre Burgmauer Pelargikon, d.h. ver-
muthlich das „Storchnest“, genannt haben, wissen wir nicht;
9) Bei Bekker anecd. S. 419, 27; Suidas gibt dafür Medaoy. (s.
v. ansda). Die richtige Lesung findet sich auch z. B. bei Photios
lex. p. 407.
10) Bechtel, Inschriften des ionischen Dialekts (Abh. Gött. Ges.
d. W. 1887) S. 13 sucht nachzuweisen, daß der Rhotacismus des ere-
trischen Dialects von Pelasgern stamme, die von Thessalien nach
Euboea gekommen seien. Als Beleg dafür wird der angebliche Rho-
tacismus im attischen Pelargikon angeführt. Also in diesem einzi-
gen Wort, das noch dazu von ihren eigenen Volksnamen abgeleitet
wäre, hätte sich der Einfluß des Pelasgischen auf den attischen Dia-
lekt bewahrt. Aber warum heißen denn die Pelasger sonst nirgends
Pelarger, wenn sie doch, wie Bechtel annehmen muß, sich selbst eo
sprachen ? Wenn an der ganzen Sache etwas wäre, so müßte man
ja gerade umgekehrt folgern, daß die Athener den Namen des frem-
den Volks rhotacistisch umgewandelt hätten, während der Rhotacie-
mus dem „Pelasgischen‘ fremd wäre.
ES ee mr -
Die Pelasger in Áttika und auf Lemnos. 471
wahrscheinlich wird es einen rein äußerlichen Grund gehabt
haben. Als aber die gelehrte Forschung begann — auf diese
Bezeichnung erhebt ja Hekataeos sehr ernstlich Anspruch —
suchte sie auch diesen Namen historisch zu erklären. Daß man
da aus dem Pelargikon einen Pelasgerbau machte, ist sehr be-
ereiflich. Daraus ergab sich das Uebrige von selbst; wenn man
die Pelasger ins Land gebracht hatte, mußte man sie auch wie-
der hinausschaffen. Von der Verbindung mit Lemnos wird später
zu reden sein. Im Uebrigen ging Hekataeos — oder wer etwa
sein Vorgünger gewesen sein mag —- sehr ehrlich zu Werke.
Die Thatsache stand ihm durch den Namen unzweifelhaft fest,
aber er hat weder einen König genannt, noch sonst die Bege-
benheit weiter ausgemalt !!). Das Einzige, was er hinzugefügt
hat, ist eigentlich, daß die Athener den Pelasgern das Land am
Hymettos zuweisen — ob für diese Combination irgend ein Anlaf
vorlag, wissen wir nicht. Woher die Pelasger gekommen sind, gibt
Herodot nicht an; soweit wir sehen können hat das erst Epho-
ros ermittelt: sie waren von den Boeotern um die Zeit der äo-
lischen Wanderung verjagt worden, nachdem vorher umgekehrt
die Pelasger und Thraker die Boeoter verjagt hatten !?) Zu
Pausanias! Zeit wußte man natürlich noch besser Bescheid :
nui Favouerog dè oîrives Hour ovdev ao ddwvaug» padeîv i
Nuehov; to 2E dogs ovtug dg "Axugvavluv pstouxnoas. Nach
einer Angabe bei Strabo V 2, 8 waren sie dagegen unter Füh-
rung des Maleas des Sohnes des Pelasgos aus Regisvilla bei
Gravisci in Etrurien gekommen.
Die Athener haben die von Hekataeos gegebene Erzühlung
in der Weise modificirt, wie Herodot angibt, sonst aber einfach
recipirt !?) bis auf zwei wichtige Modificationen. Einmal konnten
11) Das ist erst in der spátesten Ueberlieferung geschehen, bei
Pausan. I 28, 3 neosßelsiv 10 Aosnov léyeras tod Téiyove (der Akropolis-
mauer, außer der kimonischen) Melaoyods oixwcavrág now ino mv
«xgónolw qacì yao Ayoolav xmi YnéoBiov . . . das Weitere ist aus-
gefallen. Vgl. Plin. VII 194 laterarias ac domos constituerunt. primi
Euryalus et Hyperbios fratres Athents.
12) Bei Strabo IX 2, 3 (daß Ephoros hier wie im Vorhergehenden
und folgenden die Quelle ist, ist evident). Das Datum [die gleiche
Zeitangabe bei Velleius I 3] stimmt genau' zu Herodot, denn Pen-
thilos Auszug fällt nach Strabo XIII 1, 3 sechzig Jahre nach den
Towixc. — Nach Diod. XIX 58 werden die Boeoter zur Zeit des troi-
schen Krieges von den Pelasgern verjagt.
.13) Philochoros fr. 5. 6 erzählt die Vertreibung der Pelasger,
"i
472 Eduard Meyer,
sie den Namen Pelasgikon nicht annehmen, da er eben falsch
war, und erklärten nun das Pelargikon daraus, die Pelasger
seien wegen ihres vielen Wanderns von den Athenern „Störche“
Heiagyot genannt worden, daraus sei dann der Name Pelasger
entstanden: Strabo V 2, 4 (ebenso IX 1, 18): xai of thy ':9(da
GvyyQowavreg lorogovos megi TH Meruoyiv wc xai ^95vqos ye-
voutvwy, dia dì To nAcvntas sivas xai dlenv Covéwv Ermposrav
dp’ ovs Fruye 1ónovc Melagyoùs tno rv "Aruxwv xAndivas. Ge-
wiß erzählte so Philochoros, den wohl Strabo auch zunächst im
Auge hat (wie IX 1, 6): fr. 7 bei Servius ad Aen. VIII 600
Philochorus ait ideo nominatos Pelasgos, quod velis et verno tem-
pore advenire visi sunt ut aves. Zweitens aber hat man durch-
weg die attischen Pelasger als Tyrsener bezeichnet. So gleich
Thukydides IV 109: „auf der Athoshalbinsel wohnt eine zahl- |
reiche pelasgische Bevölkerung, von denen welche einst als
Tyrsener Lemnos und Athen bewohnt hatten“ 14). „Der Tyr-
sener Mauer, das Pelargikon“ (Tugonvwv reiyicua IMelagysnòr)
lautet ein Fragment des Kallimachos !°). Kleidemos Erzählung
„sie ebneten die Akropolis und umwallten sie mit einer neun-
thorigen Mauer, dem Pelargikon“ (fr. 22, s. o.) wird auch die
Tyrsener genannt haben. Wenn der Pelasgername erst in At-
tika entstanden war, so war 'lyrsener eben der Name, den sie
bis dahin führten. So hat Philochoros die Sache aufgefaßt, der
fr. 5. von den Tyrrhenern in Attika erzühlt, was Herodot
von den Pelasgern, und daran offenbar die eben angeführte Aus-
einandersetzung über den Namen Pelarger geknüpft hat !6)
Ebenso Myrsilos von Lesbos !?) bei Dion. Hal. I 28: roùç Tve-
onvovs quow, ànadi) thy Éaurwv L&klınov, Ev tp nAayn perovo-
ihre Ansiedelung auf Lemnos und Imbros, den Ueberfall der Jungfrauen
bei Brauron fast genau ebenso wie Herodot. — Die Fragmente sind
selbstverstündlich bei Müller viel zu früh gesetzt; sie gehören ans
Ende des zweiten Buchs.
14) Von dieser Thukydidesstelle ist Strabo VII fr. 85 abhüngig,
der die fünf Städte, welche nach Thuk. gemischte Bevölkerung
ben, von lemnischen Pelasgern bewohnt sein lässt.
15) Fr. 283 Schneider, bei schol. Arist. aves 832.
16) Von der Gewaltthätigkeit dieser Tyrrhener leitete er das
Wort rigavvos ab, das ja sonst gewöhnlich für lydisch erklärt wird.
(Ebenso Suidas s. v. rvgarvos; argum. Sophocl. Oedipus Tyr.).
17) Um 250 v. Chr, s. Müllenhof, Deutsche Alterthumskunde I
456; Wilamowitz Antig. v. Karystos 24.
*
Die Pelasger in Áttika und auf Lemnos. 473
pacdnves Ielaoyovs, rwv dgvéwy roig xadovputross neÀagyotg e-
xaoTérras, ds xar ayélag Epoltwv el; te thy “EMdda xai tiv
BdéoBugov. Kai zoig “ASnvaloug 10 reïyog Tod nmegè ijv axgo-
mov tò [leAagysxdy xalovuevov tovtove megsfadeiy !9). Um dies
Auftreten des Tyrsenernamens zu erklären, müssen wir die
Nachrichten über die lemnischen Pelasger genauer untersuchen.
Wir gehen aus von der Eroberung von Lemnos — und
Imbros, das gleichzeitig attisch geworden ist, aber in unserer
Ueberlieferung an dieser Stelle nie genannt wird — durch Mil-
tiades. Was uns über den Hergang erzählt wird, bietet dem
historischen Verständniß mancherlei Schwierigkeiten. ^ Herodot
gibt den Bericht darüber nicht im Zusammenhang mit der äl-
teren Geschichte des Miltiades, die er in zwei Partien (VI 34 ff.
108 f.) ziemlich ausführlich erzählt hat, sondern als Nachtrag
zur Geschichte seines Processes im J. 489: daß Miltiades den
Athenern Lemnos gewonnen hat, fällt zu seinem Gunsten in die
Wagschale Die Erzählung gehört mithin offenbar einer andern
Traditionsschicht an, als jene Geschichten über Miltiades Herr-
schaft auf der Chersones und seine Flucht vor den Persern.
Nun ist unbestreitbar, wenn auch lange nicht immer genügend
beachtet, daß wir in dieser Zeit noch keineswegs auf einem
Boden stelın, wo sich die einzelnen Berichte einfach in einander
schieben und zu einem ganzen verbinden lassen. Dieselben
stehn vielmehr isoliert neben einander und kein einziger von
ihnen kann als völlig authentisch betrachtet werden, am wenig-
sten natürlich in chronologischer Beziehung. - Wenn daher He-
rodot an einer andern Stelle berichtet, nach Darios’ Skythenzug
habe Otanes die damals noch von Pelasgern bewohnten Inseln
Lemnos und Imbros genommen (um 510), Lemnos habe sich
tapfer aber vergeblich vertheidigt, und die Perser hätten hier
als Statthalter Lykaretos, den Bruder des Maiandrios von Samos
eingesetzt, der auch auf Lemnos als Herrscher gestorben sei
(Her. V 27) — so haben wir noch keineswegs das Recht, diese
18) Vgl. auch Photios lex. Hslagyexór zö $nó ry 1vodvvwv (leg.
Tvoonv.wv) xataoxEvacdéiv rjc Axoondlsws zeiyog‘ Todrovs yao xin9rvas
nelapyove olov Ilslacyovs (die Vorlage ist offenbar sehr zusammenge-
zogen) ws nÀévgrág nec 7 du idóvrg adrods ngoror ob Adnraios e1v-
divas launoads ntosBeBlnuévove, nelapyois etxacay. Hesych. Helacymór:
tesgiov ovtw iv ‘A9nva:s xalodusyvoy Tuoonv Sy xuodvıwy. Ebenso
Eustath. ad Dion. 347.
474 Eduard Meyer,
Erzählung mit der über Miltiades zu verbinden und zu fol-
gern, Miltiades habe die Inseln erst nach dem Bruch mit Per-
sien, während des ionischen Aufstandes, erobern können 1°). Daß
diese Annahme falsch ist, läßt sich sicher nachweisen. Denn
Miltiades hat die Einwohner der Inseln verjagt 7°) und Athener
auf ihnen angesiedelt. Seitdem sind die Inseln griechisch *') und
von attischen Colonisten besetzt, die in den Todtenlisten auf dem
Kerameikos nach den attischen Phylen aufgezählt werden **). Weil
die Vertriebenen Barbaren waren, wie die später von Kimon
vertriebenen Doloper von Skyros, sind Lemnos, Imbros und Sky-
ros zu allen Zeiten als rechtmäßiger attischer Besitz anerkannt
worden, der selbst durch die vom Königsfrieden proclamirte
„Autonomie aller Hellenen" nicht angetastet und nach dem Per-
seuskriege noch einmal von den Rómern restaurirt wird. Sehr
mit Unrecht hat Kirchhoff diese Thatsache zu verschleiern ge-
sucht und cine spätere Colonisation von Lemnos und Imbros
in der perikleischen Zeit fingirt, von der die Quellen nichts
wissen ?3),
19) So folgern die Neueren durchweg. Nepos Milt. 2 setzt dage-
gen die Einnahme von Lemnos vor Darius’ Skythenzug, gewiß nicht
auf Grund einer abweichenden Tradition, aber historisch wahrschein-
lich correcter. Wenn es bei Nepos noch heißt pars felicitate ceteras
insulas, quae Cyclades nominantur, in Atheniensium redegit. potestatem,
so mag die Quelle dabei an Imbros gedacht haben.
20) Das sagen alle Quellen übereinstimmend; die Zweifel von
Duncker G. d. Alt. VII 65 entbehren jeder Grundlage.
21) Her. VIII 11. Artemidoros von Lemnos, der bei Artemision
zu den Griechen übergeht, muß also attischen Ursprungs gewesen
sein. Daher weisen ihm die Athener Land auf Salamis an.
22) Thuk. VII 57. Vgl. II 5 IV 28 V 8 CIA I 443. 444.
23) Kirchhoff hat in seinem Aufsatze „Die Tributpflichtigkeit der
attischen Kleruchen “ Abh. Berl. Ak. 1873 S. 30 ff. dieso Dinge
ganz anders dargestellt. Er nimmt an, die Entsendung der attischen
Kleruchie falle erst um Ol. 84, 2 (443/2 v. Chr.) und auch damals
sei noch eine selbständige einheimische Bevölkerung auf der Insel
geblieben. Die Neueren sind ihm darin durchweg gefolgt (z. B. Dun-
cker und Busolt, letzterer allerdings nur mit Reserve); ja Köhler hält es
für denkbar, daß Philipp V im J. 200 die attischen Kleruchen ver-
trieben und die Regierung der alteinheimischen Bevölkerung über-
lassen habe, welcher dann auch von den Römern die Autonomie ge-
schenkt worden sei. (Mitth. Arch. Inst. Athen I 268 f.). Damals be-
fanden sich aber die attischen Kleruchen bereits seit mehr als 800
Jahren im ungestörten Besitz der Insel, und trotz aller Schwankun-
gen der politischen Verhüftnisse hatte Niemand daran gedacht, sie
zu vertreiben (auch Lysimachos nicht, Phylarch fr. 28), so oft auch die
‚politische Abhängigkeit der Kleruchengemeinde von Athen aufgeho-
ben war. Das ist nicht nus zarter Rücksicht auf die Kleruchen ge-
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos. 475
Es ist nun evident, daß eine derartige Besitzergreifung der .
beiden Inseln nicht in den wirren Jahren des ionischen Auf-
standes stattgefunden haben kann. Damals hitte die Zeit kaum
gereicht um die Inseln zu erobern und die Colonie einzurichten.
Vor Allem aber hiitten die Perser, als sie im J. 493 die Cher-
sones unterwarfen und Miltiades beinahe bei Imbros abfingen,
zweifellos die Colonisierung rückgüngig gemacht und die alten
Bewohner zurückgeführt, wenn dieselben eben erst verjagt waren.
Lag doch damals Athen mit dem Perserreich in offenem Kriege.
Offenbar muß damals die Occupation der Inseln schon seit ge-
raumer Zeit vollzogen gewesen sein. Will man an Herodot's
Angabe V 27 festhalten, so muß man annehmen, daß Lykaretos
nur sehr kurze Zeit auf Lemnos geboten und Miltiades bald
nach 510 die Insel oceupirt hat. Viel wahrscheinlicher aber ist
mir, daß Herodot sich geirrt hat und daß Otanes die damals
schon von den Athenern besetzten Inseln an Persien brachte
und einem den Persern ergebenen Herrscher unterstellte *).
schehen, sondern ganz einfach deshalb, weil Niemand anders da war,
der ein Recht auf die Inseln hatte. Hätte Philipp V die Kleruchen
verjagen wollen, so mußte er die Nachkommen der alten Tyrsener
aus Plakia und Skylake und der Athoshalbinsel zusammensuchen um
der Insel eine Bevölkerung zu geben. Köhler meint freilich im An-
schluß an Kirchhoff, aber im Widerspruch mit aller Ueberlieferung,
es habe in Hephaestias und Myrina unterthänige Gemeinden einheimi-
scher Bevölkerung mit beschränktem Münzrechte gegeben (Mitth. Arch.
Inst. IV 263). Die ganze Hypothese beruht auf Kirchhoffs Annahme,
die attischen Kleruchen hätten keinen Phoros gezahlt — eine An-
nahme, der ich so wenig beistimmen kann, wie den zahlreichen an-
deren Hypothesen, durch die Kirchhoff die Ueberlieferung über die
Geschichte des fünften Jahrhunderts umzugestalten gesucht hat. Mit
Recht hat Beloch Rhein. Mus. XXXIX 46 und Bevölkerung der griech.
róm. Welt 81 gegen Kirchhoffs Kleruchenhypothese protestirt und die
Ueberlieferung wieder in ihr Recht eingesetzt. Während dessen hat
freilich die Kirehhoffsche Hypothese noch abenteuerlichere Früchte ge-
trieben: Wilamowitz Hermes XXII 243 meint, die alten Einwohner von
Lemnos und Imbros seien 388 v. Chr. vertrieben worden! Dann sind also
Herodot, der ihre Vertreibung erzühlt, und Thukydides, der ihre neuen
Wohnsitze am Athos kennt, Propheten gewesen. Hoffentlich weist
man demnächst nach, daß die betreffenden Stellen interpolirt sind,
und rettet dadurch auch hier die von Kirchhoff erkannte Wahrheit ge-
genüber den Irrthümern der Alten. Es ist leider nicht das erste Mal,
daB Wilamowitz sich durch blendende Hypothesen hat verleiten las-
sen, aller Ueberlieferung ins Gesicht zu schlagen.
24) Es kommt hinzu, daß Miltiades nach seinem Auftreten bei
Darius’ Skythenfeldzug und nach dem Sturz der Pisistratiden schwer-
lich in der Lage war, noch Eroberungen zu machen. Vgl. auch He-
rodot VI 40, Miltiades’ Flucht vor den Skythen, die von Herodot ins
Jahr 495 gesetzt sind.
416 Eduard Meyer,
Dann gehört die Eroberung der Inseln in beträchtlich frühere.
Zeit, vielleicht schon unter den älteren Miltiades — wie leicht
kann die Ueberlieferung hier eine Verwechslung begangen haben ?5);
hat doch Nepos die beiden Miltiades zu einer Person verschmol-
zen —, und jedenfalls in die Zeit der Pisistratidenherrschaft.
Eine allgemeine Erwägung der politischen Verhältnisse
dürfte das letztere noch besser begründen als eine Argumentation
mit Detailangaben, die alle ihrem Wesen nach unzuverlässig
sind. Man hat durchweg die Festsetzung der Philaiden auf der
Chersones nach sehr einseitigen Gesichtspunkten beurtheilt und
im Anschlu an Herodot fast ausschließlich die persönlichen
Verhältnisse berücksichtigt. Die neueren Untersuchungen haben
immer deutlicher gezeigt, wie die Pisistratiden überall die Grund-
lage der späteren Stellung Athens geschaffen haben, und so ist
es auch hier gewesen. Mag die erste Besetzung von Sigeon
schon früher fallen, definitiv athenisch ist es erst durch Pi-
sistratos geworden. Damit steht die Aussendung einer Colonie
nach der Chersones und die Besetzung der Inseln im engsten
Zusammenhang: es galt die große hellespontische Handelsstraße
in die Hände Athens zu bringen *9). Und dies Ziel hat Pisi-
stratos wirklich erreicht. Wenn man dadurch, daß man das
Haupt der Philaiden an die Spitze der Auswanderer stellte 27),
einen politischen Rivalen los wurde, um so besser. Daran daß
derselbe sich der Oberhoheit der Pisistratiden entziehen köunte,
war ja nicht zu denken; im Gegentheil, die Stellung Kimons
und die Aussendung des jüngeren Miltiades zeigen deutlich, wie
völlig sich das Geschlecht der Philaiden in die Abhängigkeit von
25) Es ist hier zu beachten, daß die Einnahme von Lemnos bei
Herodot nur als Nachtrag und zur Motivirung der günstigen Stim-
mung, die in Athen für Miltiades herrschte, berichtet wird.
26) Ebenso hat Pisistratos einen Theil der thrakischen Goldberg-
werke besessen (Herod. I 64; daher nennt das Berliner Aristoteles-
fragment in dem Bericht tiber Themistokles’ Flottengesetz die Be
werke von Maronea) und mit Makedonien Beziehungen angeknüpft
(Her. V 94).
27) Gewöhnlich setzt man die Auswanderung des Miltiades I
gleich ins Jahr 560, ob mit Recht, ist fraglich. Sicher ist nur, daß
Miltiades vor Kroesos’ Sturz bereits auf der Chersones herrschte und
mit Lampsakos Krieg führte (Her. VI 37); offenbar strebten die
Lampsakener nach der Suprematie über den gegenüberliegenden Theil
der Chersones. Dadurch rückt die spätere Verschwägerung der Pisi-
stratiden mit den Tyrannen von Lampsakos (Thuk. VI 59), die dem
Thukydides als eine Erniedrigung erscheint, erst ins rechte Licht.
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos. 477
den Tyrannen fügen mußte. Man hat gemeint, es sei eine be-
sondere Conivenz des Miltiades gegen Athen gewesen, daß er
die von ihm eroberten Inseln seiner Mutterstadt übergab und von
ihr besetzen ließ. Die Sache liegt gerade umgekehrt: die Phi-
laiden konnten sich anf der Chersones nur behaupten, geschweige
denn Eroberungen unternehmen, so lange sie an Athen einen
Rückhalt hatten. Und woher in aller Welt hätten sie denn die
Colonisten für Lemnos und Imbros sonst nehmen sollen, wenn
nicht von Athen? Die Griechen auf der Chersones, die wäh-
rend des ganzen Verlaufs der griechischen Geschichte bis auf
die Römerzeiten hinab nicht einmal ihr eigenes Land gegen die
Thraker schützen konnten, waren doch wahrlich nicht im Stande,
Colonisten auszuschicken. Ist diese Auffassung aber richtig, so
dürfte es nicht zweifelhaft sein, daß die Besetzung der Inseln
geraume Zeit vor dem Sturze der Pisistratiden erfolgt ist.
Die Colonisation von Lemnos — welches das weniger wich-
tige Imbros mit zu vertreten hat — hat nun zu der Sage Ver-
anlassung gegeben, die Herodot und im Wesentlichen ebenso
wohl schon Hekataeos aufgezeichnet haben. Die Vertreibung der
Bewohner erscheint als die von der Gottheit befohlene* Sühne
für den Frauenraub in Brauron und die frevelhafte Ermordung
der Geraubten und ihrer Kinder. Die Lemnier selbst haben
die Berechtigung des attischen Anspruchs anerkannt und nur
hinzugefügt, sie wollten die Insel erst dann übergeben, wenn ein
attisches Schiff bei Nordwind an einem Tage vom eigenen Lande
nach Lemnos komme. So haben sie sich selbst eine Falle gegra-
ben ; Miltiades erfüllt die Bedingung, und so vollzieht sich nach
langer Frist das Geschick. Die Bewohner von Hephaestias fü-
gen sich freiwillig, Myrina wird mit Gewalt bezwungen?9) Die
Pelasger müssen die Insel räumen.
Entstehungsart und Tendenz dieser Erzählung ist klar. Sie
genügt allein schon, um die Unhaltbarkeit der Ansicht von
Kirchhoff und Duncker zu erweisen, daß die Einwohner nicht
vertrieben seien. Das Orakel kann erst entstanden sein, als es
erfüllt war. Es mußte durch eine Verschuldung der Lemnier
gegen Athen motivirt werden. Weshalb man dafür grade den
Raub der Frauen beim Artemisfest in Brauron wählte, ob das
freie Combination ist, oder ob vielleicht eine ältere ursprünglich
28) Herod, VI 140. Diese Angaben werden wohl richtig sein.
478 Eduard Meyer,
selbständige Sage zu Grunde liegt, die an den brauronischen
Cult anknüpft und jetzt in diesen Zusammenhang eingefügt
wurde, wird sich schwer entscheiden lassen, ist auch für unseren
Zweck gleichgültig *). |
IIerodot erzählt die Sage, wie sie ihm überliefert war, ohne
weitere Zusätze. So konnten sie die Spätern nicht brauchen,
und wie gewöhnlich haben sie Ephoros und sein moderner Nach-
folger Max Duncker in pragmatische Geschichte umgesetzt. In
wie naiver Weise der letztere aus der Sage Geschichte gemacht
hat, mag man bei ihm selbst nachlesen ?*?) Ephoros hat erzählt,
das Orakel sei nur Vorwand gewesen, in Wirklichkeit hätten
die Lemnier sich aus Furcht vor den Persern (deren Vasall ja
Miltiades war) ergeben. Zur weiteren Illustration verwerthet er
hier wie an anderen Stellen ein Sprichwort, welches erzwungene
Geschenke “Eguw»évor yügureg nannte: Hermon sei der Herrscher
der Lemnier gewesen, welcher die Insel dem Miltiades übergab 99).
Ephoros (Diodor) nennt nun die Bewohner von Lemnos
Tyrrhener, uud diese Bezeichnung ist auch sonst die gebrüuchliche.
Apollonius Rhod. IV 1760 läßt die Minyer von Lemnos, welche
nach Sparta gehn und Thera gründen, durch Tyrsener vertrieben
werden. Plut. de virt. mul. 8 (— Polyaen. VII 49) und quaest.
gr. 12 nennt die Bewohner von Lemnos und Imbros, die er im
übrigen mit den Minyern zusammenwirft, ebenfalls Tyrrhener.
Nach Aristoxenos fr. 1 bei Diog. Laert. VIII, (vgl. Clem. Alex.
Strom. I 14, 62, der auch Theopomp nennt) war Pythagoras
*) [Vgl. oben S. 206 f. 212401.
29) Bd. VII S. 64— 66.
30) Diodor X 19. Daß nicht Demon, wie Crusius, Beiträge zur
griech. Mythol. (Progr. Leipzig 1886) S. 4 meint, sondern Ephoros
hier wie überall die Quelle Diodors ist, kann nicht zweifelhaft sein.
Demon hat vielmehr die Erläuterung des Sprichworts aus Ephoros
entlehnt. Ebenso verwendet Ephoros die sprichwörtliche Gestalt des
Korinthers Eurybates in der Geschichte des Kroesos (Diod. IX 82);
hier ist der Ursprung aus Ephoros durch dessen Fragment 100 (bei
Harpokration) bewiesen, und auch hier folgen die Paroemiographen
u. s. W. seiner Erzählung. Vgl. auch Diod. X 25, 1 mit Demon fr. 10.
[Auch Herodot bezieht sich in der lemnischen Geschichte auf das
Sprichwort vom Anuvıov xexóv VI 138]. Zu Diodor stimmt im we-
sentlichen Suidas s. v. ‘“Aouwwvssos yaoss, Zenobios 8, 85. Bei Hesych.
8. v. tritt die Furcht vor den Athenern an die Stelle der vor den Persern ;'
ähnlich Nepos Milt. 2, der nicht aus Ephoros geschöpft hat. Charax
bei Steph. Byz. s. v. ‘Hyasorıds hat Ephoros und Herodot mit einan-
der verschmolzen und macht daher Hermon speciell zum Tyrannen
von Hephaestias; ferner entlehnt er aus Herodot die Pelasger.
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos. 179
Tuperso; ano müs wv vrowr, ag xuréoyor ° A9nvaios Tvognreds
izjezerz;. Kleanthes bei Porphyrios vita Pyth. 2 sagt: @Adovg
tiras, el tor aatéga udrov (des P.) Tuoonror unogaírorras tu
mr Atpror anoıxnoarıw !). Pelasger heißen die Bewohner
von Lemno: außer bei Herodot nur bei dem von ihm abhängi-
gen Charax (s. Anm. 30) uud bei Suidas und Zenobios s. v.
"Eouw»iec quo ib...
Wir sehen nun deutlich, wie die attischen Schriftsteller
dazu gekommen sind. von Tyrsenern in Attika und tyrsenischen
Pelasgern zu reden. Die Bezeichnung ist ein versteckter Protest
gegen die Pelasger. Namentlich in dem Ausdruck des Thukrdi-
des IV 109 16 dé nsïoror (der Bewohner der Athoshalbinsel)
Heaoyızov idv xai Anurov mom xai Adrrus Tuoonrwv elan-
curiwy tritt derselbe sehr deutlich hervor. Daß Pelasger in
Attika gewesen und nach Lemnos ausgewandert waren, mußte
man den angesehenen Literaturwerken , die es bezeugten, schon
glauben — schien es doch überdies durch den Namen Pelargi-
kon bestätigt zu werden. Aber man wußte, daß die von den
Athenern vertriebenen Bewohner von Lemnos nicht Pelasger
sondern Tyrsener gewesen waren. Man setzte also beide
Namen gleich und redete von tyrsenischen Pelasgern, eine Be-
zeichnung, die Sophokles einmal auf die argivischen Pelasger
des Inachos angewendet hat??), die aber sonst von den Pelas-
gern im übrigen Griechenland nicht gebraucht wird, sondern
auf die Pelasger in Athen und Lemnos beschränkt blieb.
Das Verfahren des Hekataeos oder eventuell seines poeti-
schen Gewährsmannes ist jetzt klar. Die attischen Pelasger
mußten irgendwo untergebracht werden, da sie im Lande nun
einmal nicht ansässig waren. Ebenso war zu ermitteln, woher
die Bewohner von Lemnos gekommen waren; denn nach allge-
meiner Tradition hatten seit der Argonautenzeit Minyer auf der
Insel gewohnt, die dann nach Sparta und Thera gewandert
waren 33); die späteren Bewohner konnten also erst nach dieser
31) Ebenso der späte Diogenes £v tots €nép Bovinv ansoross ib. 10:
goi dz Mynocpyor Tupenviv Orta xuıa yivos tà» Aîurov xai Tufgor
xai Zxdpor oixnocvtwy Tupenvw» etc. Pythagoras erhält auch einen
Bruder Tyrrhenos (ib. 2. 10. Diog. Laert. VIII 1, 2).
32) “Ivaye yervatoo . . . uéya nosoßevwr "Aoyovc ts yvass “Hoa te
nayoss xai Tvyonvoics Ilélacyos, bei Dion. Hal. I 28.
33) Pindar Pyth. 4 setzt in allem wesentlichen dieselbe Erzäh-
480 Eduard Meyer,
Zeit hingekommen sein. So löste man zwei Schwierigkeiten auf
einmal, wenn man die attischen Pelasger nach Lemnos wandern
ließ. Daß die Lemnier dann wieder von den Athenern vertrie-
ben wurden, hat offenbar bei der Bildung dieser Ansicht noch
wesentlich mitgewirkt.
Auf diesem Wege sind die barbarischen Bewohner der In-
seln im Norden des ägäischen Meeres — Lemnos Imbros Samo-
thrake nennt Herodot — zu Pelasgern geworden. Von hier hat
sich der Name noch weiter ausgebreitet: Ephoros (Diodor XI
60) nennt die Bewohner von Skyros, welche Kimon vertrieb,
Pelasger und Doloper °*), während sie sonst nur Doloper heißen.
Im gewöhnlichen Sprachgebrauch aber hielt sich der Ausdruck
Tyrsener 5) und wurde nun auch auf die attischen Pelasger
angewandt.
Herodot kennt Tyrsener im Bereiche des ägäischen Meeres
nicht, Tvoonvof sind bei ihm ausschließlich die italischen Etrus-
ker. Es hat das seinen guten Grund; er leitet die letzteren
ja aus Lydien ab, und konnte sie daher unmöglich mit
den Pelasgern in Verbindung bringen. Ueberhaupt geht Hero-
dot in diesen Dingen sehr radical vor, zweifellos im Anschluß
an ältere Schriftsteller, vielleicht an Hekataeos. Die Leleger,
über deren Bedeutung kaum weniger Zweifel herrschten wie über
die Pelasger, erklärt er schlechtweg und ohne weitere Begrün-
dung für einen älteren Namen der Karer (I 171), die Stadt
Antandros, welche Alkaeos (Strabo XIII 1, 51) in Ueberein-
stimmung mit den Andeutungen der Ilias lelegisch nannte, ist
ihm eine Pelasgerstadt (VII 42 56).
Spätere freilich haben zu verbinden gesucht, was Herodot
schied. Der Mythograph Antikleides läßt die Pelasger Lemnos
und Imbros besiedeln, und dann einen Theil von ihnen sich
lung voraus, welche Herodot gibt, und die jedenfalls schon in den
Eoeen erzählt war (vgl. Kirchhoff Odyssee S. 321 ff.).
34) Nach Skymnos v. 584, der ja von Ephoros abhängig ist, woh-
nen auf Skyros und Skiathos Pelasger éx Oogxns diaßdvres we Adyos.
Von Ephoros ist auch Nikolaos von Damaskos (bei Steph. Byz. s. v.
Zxöpos) beeinflußt, der die Einwohner von Skyros Pelasger und Karer
nennt, vgl. u. Anm. 38. Aehnlich läßt Diogenes (oben Anm. 31) die
Tyrrhener Lemnos Imbros und Skyros besiedeln.
35) Wenn Ephoros die Bewohner von Lemnos in seinem histori-
schen Bericht Tyrrhener genannt hat, so hat er damit ihre Identität
mit den attischen Pelasgern natürlich nicht bestreiten wollen.
36) Ebenso Konon 41.
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos. 481
dem Tyrrhenos dem Sohn des Atys auf dem Zug nach Italien
anschließen ?^. Umgekehrt ist der Schriftsteller, aus dem Ne-
pos Milt. 2 schöpfte — leider wissen wir nicht, wer es ist —
ebenso radical vorgegangen wie Herodot und hat die Bewohner
von Lemnos zu Karern gemacht, wie die der Kykladen??).
AuBerdem aber konnte noch ein anderes Volk Anspruch auf
Lemnos erheben, die Sintier. In der Erzählung von Hephae-
stos' Fall Il. A 594 heifüen die Bewohner von Lemnos Sintier,
ebenso Od. 9 294 im Liede von Ares und Aphrodite J2ívrzeg
&ygioquvo, 3°). Nach Strabo sind diese Sintier oder Zivro( iden-
tisch mit den Saiern des Archilochus und den Sapaeern der spä-
teren Zeit, die bei Abdera sitzen (X 2, 17. XIII 3, 20); Phi-
lochoros dagegen identificirte sie mit den Pelasgern und Tyr-
rhenern, und wie er von diesen das Wort zvgavvog ableitete,
so erklürte er Sinties für einen denselben wegen ihres Raubzu-
ges nach Brauron gegebenen Beinamen, von olveodaı (fr. 6
Schol. Il. A 594. Ebenso Schol. Ap. Rhod. I 608). Aehnlich
hatte schon Hellanikos den Namen erklärt: die Lemnier seien
die ersten Waffenschmiede gewesen. Er hielt sie aber für Thra-
ker, die j4E£A)mveg geworden seien (fr. 112. 113). Geschicht-
lich ist es wohl das wahrscheinlichste, daß die Sintier ein thra-
kischer Stamm sind, welcher mit den Tyrsenern nichts zu thun
hat, sondern vor ihnen die Insel bewohnte.
Es ist nie bezweifelt worden, daß die Tyrsener von Lem-
nos identisch sind mit den tyrsenischen Seerüubern, welche aus
der Geschichte von dem Raub des Dionysos und ihrer Bestra-
fung (hymn. hom. 5 u.s. w.) am bekanntesten sind *") Epho-
ros läßt sie als Seerüuber von den Kretern (die nach ihm erst
37) Strabo V 2, 4. Woher hat Strabo diese Notiz, die zwischen
Ephoros und den Atthidographen (Philochoros) in der Mitte steht?
38) Die Einwirkung dieser Darstellung zeigt sich auch bei Nic.
Dam., oben Anm. 34.
39) Il. H 468. A 230. d» 46. «^ 745 setzen dagegen die aus der
Argonautensage bekannten Verhältnisse voraus.
40) Eine andere Erzählung, die an den Cult der Hera von Samos
anknüpft, bewahrt Menodotos bei Athen XV, 12. — Auch in der zu
dem Sprichwort lHitévy siui bewahrten Erzählung des Hellanikos (fr.
115 bei Suidas s. v. Zenobios 5, 61), die Stadt Pitane sei von Pelas-
gern geknechtet, von Erythraeern befreit worden, dürften die Pelasger
wohl tyrsenische Seeräuber sein. Wenn nicht erst die Paroemiogra-
phen den Pelasgernamen eingesetzt haben, so hat Hellanikos den
Sprachgebrauch Herodots befolgt und den Tyrsenernamen auf Italien
beschränkt (was zu seiner Darstellung bei Dion. Hal. I 28 sehr gut
stimmen würde).
Philologus. N.F. Bd. II (XLVIII), 3. 31
482 Eduard Meyer,
lange nach Minos verwildern und Piraten werden) abgelóst wer-
den (Strabo X 4, 9: wera yag rovc Tuoonvove, of padcra edn
woav mv xaJ' juas 9uAaccav») ; Kastor nahm sie unter dem Namen
Pelasger in seine Liste der Seeherrscher auf und ließ ihre Tha-
lassokratie auf Grund der S. 472 Anm. 12 besprochenen Ansätze
98 Jahre nach dem troischen Kriege beginnen und 85 Jahre
dauern, worauf ihnen die Thraker folgen (Diodor bei Euseb. ed.
Schoene I 225). Bei Homer erscheinen diese Tyrsener nicht,
ebenso wenig in den Ueberresten der hesiodeischen Poesie. Wir
dürfen daher vielleicht annehmen, daß sie ihre Seeräubereien
in den griechischen Gewässern erst in späterer Zeit, im sie-
benten und sechsten Jahrhundert, getrieben haben, bis ihnen
Miltiades ein Ende machte,
Die von Lemnos und Imbros vertriebenen Tyrsener — von
der ärmeren Bevölkerung mögen ja manche als Tagelöhner und
Pächter der attischen Colonisten zurückgeblieben sein, die
dann ihre Nationalität verloren — wohnten nach Thukydides
später auf der Athoshalbinsel. Herodots Angabe I 57: „die Pe-
lasger, welche Plakia und Skylake am Hellespont [östlich von
Kyzikos] besiedelt haben und ehemals mit den Athenern zu-
sammenwohnten, und was es sonst noch für Pelasgerstädte gibt,
die ihren Namen geändert haben [d.h. die sich nicht mehr Pe-
lasger nennen |“ steht damit nicht im Widerspruch. Unter den
letzteren mögen die Athosstädte gemeint sein, die Angabe über
Plakia und Skylake erklärt sich am einfachsten doch so, daß
ein Theil der vertriebenen Lemnier dorthin gewandert sei *!)
— dann hätten die Perser ihnen Aufnahme gewährt.
Von diesen Pelasgern, d. h. den Tyrsenern, sagt nun Hero-
dot, sie sprächen dieselbe Sprache, wie „diejenigen Pelasger,
welche oberhalb der Etrusker die Stadt Cortona bewohnen, die
ehemals Nachbarn der Dorer waren; sie wohnten aber damals
41) Bei den Späteren erscheinen Pelasger in der Náhe von Ky-
zikos als Feinde der Dolionen (Ap. Rhod. I 1024 mit den Scholien,
vgl. ib. 987 schol., Apollod. I 9, 18. Steph. Byz. Béofsxog). Sie sollen
zwar von Euboea (oder nach Deilochos aus Thessalien) gekommen
sein, werden aber doch wohl nichts anderes sein als die Pelasger oder
vielmehr Tyrsener von Plakia und Skylake. Konon narr. 41 macht
sogar den Kyzikos selbst zu einem von den Aeolern aus Thessalien
vertriebenen Pelasger, läßt dann die Tyrsener nach Kyzikos hinkom-
men und diese von den Milesiern besiegt werden. Die Elemente,
aus denen diese Geschichte componirt ist, sind leicht zu erkennen.
Werth hat sie so wenig wie das meiste was Konon erzählt.
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos. 488
in dem jetzt Thessaliotis genannten Lande“ I 57: [wenn man
über die Sprache der Pelasger urtheilen darf nach] roïos »vv
Kr ovo: IHelacywv Twv unig Tugonvov Kootwva node olxsov-
t0», of ópovoos xors N00v 10403 vey Aworevos xadeoutvosci (olxcov
dì ryvixatia yp» uv »vv Oscoulswuy xaltouévq). . . und nach-
her xai yao dn ove of Koozwmru ovdapoîo rüv» vor opéac
megsorxeövumv elo ouoyAwooo ovrt of IlÀaxwof, opto. dì opó-
yAwocoı. So hat Dionys von Halikarnaß (I 29) die Stelle ge-
lesen, während unsere Handschriften Konorwva und Konszwrintas
bieten. Daß Dionys’ Lesung die einzig mögliche ist, haben Nie-
buhr, Kiepert, Stein und neuerdings nochmals Hildebrandt *?) er-
wiesen. Da indessen die Lesung Kreston noch immer wieder Ver-
theidiger findet, muß ich die Argumente noch einmal wiederholen.
Wer Kreston und Krestoniaten liest, hält dieselben für den
thrakischen Volksstamm der Krestonen oder Krestonaeer, und
erklärt Herodots Angabe durch die wiederholt angeführte Thu-.
kydidesstelle IV 109, nach der auf der Athoshalbinsel tyrsenische
Pelasger mit Bisalten, Krestonen und Hedonen zusammen woh-
nen. Offenbar haben aber beide Stellen gar nichts mit einander
zu thun. Nach Thukydides wohnen Tyrsenische Pelasger und
Krestonen durch einander; nach Herodot würen die Krestoniaten
Pelasger (wovon sonst niemand etwas weiß) und wohnten ober-
halb der Tyrsener, die sonst nach allgemeiner Annahme gerade
selbst die Pelasger sind. Sodann aber existirt eine Stadt Kre-
ston überhaupt nicht‘). Drittens heißt der thrakische Volks-
stamm niemals Krestoniaten, wird aber bei Herodot wiederholt
Konotwvuio, (das Land Kogo:w»uxi) genannt. Endlich, welcher
Leser wird bei dem Namen Tyrsener an die Athoshalbinsel
denken ? Wie kann also Herodot durch die Bezeichnung „ober-
halb der Tyrsener“ die Lage von Kreston näher zu bestimmen
suchen, wenn er einen Ort der Athoshalbinsel meint?
Nun sind bei Herodot, wie schon erwähnt, Tugonvot immer
die Etrusker Italiens ; andere Tyrsener kennt er überhaupt nicht.
„Oberhalb der Tyrsener“ liegt aber die Stadt Cortona, welche
bei den Griechen vielfach, so gleich bei Hellanikos, Kroton ge-
42) Niebuhr Róm. Gsch. I* S. 37 Anm. 89. Kiepert Lehrbuch
der alten Geogr. S 348, 6. Stein zu der Stelle. Hildebrandt, de sts-
neribus Herodoti, diss. Leipz. 1888. S. 41 ff. Stein hätte Koorwve
in seinen Text aufnehmen müssen.
49) Steph. Byz. s. v. ist nur Folgerung aus Herodot, s. u.
31*
484 Eduard Meyer,
nannt wird (vgl. Dion. Hal I 26 Steph. Byz. s. v.) Wollte
Herodot von dieser Stadt reden, so mußte er einen erklärenden
Zusatz beifügen, um sie von dem seinen Lesern weit bekannteren
Kroton in Großgriechenland — das bei ihm nie einen Zusatz
erhält — zu unterscheiden, und dieser Zusatz konnte wieder
nur von den Etruskern hergenommen werden. Endlich ist das
regelrechte und ausnahmslos gebrauchte #9vsxov von Kgorwy
eben Agorwwans (-nıns).
So steht die Lesung Koórw» bei Herodot absolut fest **).
Es kommt noch hinzu, daß Hellanikos genau mit ihm überein-
stimmt. „Unter König Nanas, erzählte er in der Phoronis
(Dion. Hal. I 28), wurden die Pelasger von den Hellenen (das
sind die Dorer Herodots) verjagt [aus Thessalien], und nachdem
sie ihre Schiffe am Flusse Spines am ionischen Meerbusen ge-
lassen hatten, nahmen sie die Stadt Kroton im Binnenlande,
und von hier aus besiedelten sie das jetzt Tyrsenien genannte
Land [Hellanikos läßt sie in Italien den Pelasgernamen in Tyr-
sener umwandeln]“. Hellanikos, der auch hier offenbar später
schreibt als Herodot, unterscheidet sich von ihm nur dadurch,
daß ihm Pelasger und Etrusker identisch sind; in diesem Puncte
hat er Herodot berichtigt, sonst gehen beide offenbar auf die-
selbe Grundlage zurück.
Die Angabe Herodots, daß die Bewohner von Cortona eine
ganz andere Sprache redeten als die Etrusker, steht völlig iso-
lirt; sonst gilt Cortona immer als eine Etruskerstadt, und Hel-
lanikos hat denn auch Herodots Angabe corrigirt. Uns fehlt
jedes Mittel, um Herodots Glaubwürdigkeit zu prüfen. Daß eine
dialektische Verschiedenheit zwischen Cortona und dem übrigen
Etrurien vorhanden war, ist ja denkbar; weiter zu gehn wird
man sich schwerlich entschließen können 448), Wie dem aber auch
44) Kreston ist bei Herodot, wie auch Kiepert und Hildebrandt
hervorheben, nicht Verschreibung, sondern gelehrte Correctur auf Grund
der Thukydidesstelle, die ein Erklärer offenbar zur Auslegung des
Herodottextes herangezogen hat. Aus der Discussion über diese Frage
erklärt sich Steph. Byz: Kojotwwy, nolıs Godxyc: Eouxe dì shvas i
Konotwy neg ‘Hoodétw. — Wir haben es hier mit derselben gelehrten
Redaction unseres Herodottextes zu thun, welche im Prooemium “426
xaprnocéos für Govoéov eingesetzt hat, und von der sich wohl auch
sonst noch Spuren finden werden.
44a) Vgl. Herodots Aeußerung über die vier ze0nos des ionischen
Dialekts I 142, besonders die Worte: abras dé al noleg 1701 nodrepoy
AeySeionos ouoloyéovos xa1& ylwocar ovdiv, ogéos dé wuoloyéovos.
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos. 485
sei, immer bleibt noch die sehr positive Angabe Herodots be-
stehen, daß die Plakiener und die Krotoniaten, d.h. die Be-
wohner Cortonas, dieselbe Sprache sprachen. Wie die meisten
habe auch ich diese Angabe bisher für falsch gehalten. Aber
irgend welehen Grund haben wir dafür nicht. Und wenn wir He-
rodot glauben, müssen wir oben folgern, daß die Tyrsener von
Lemnos, Plakia u.s. w. etruskisch redeten, wie ihr Name sagt.
Seitdem im Jahre 1886 auf Lemnos eine Inschrift zu Tage
gekommen ist, die jedenfalls spätestens der ersten Hälfte des
sechsten Jahrhunderts angehórt und in einer nicht griechischen
Sprache abgefaßt ist, welche die stärksten Anklünge an das
Etruskische aufweist und wohl jedenfalls als ein etruskischer
Dialekt betrachtet werden kann‘), scheint nun diese Annahme
als sicher erwiesen zu sein. Daß die Bewohner von Lemnos
Tyrsener heißen wie die Etrusker Italiens — die beiden Namens-
formen sind bekanntlich echt italische Gentilicia von dem
Stamme Turs, Trus (E-trur-ia), die eine mit dem Suffix -anus
(Turs-anus), die andere mit dem Suffix -cus (Turs-cus = Tus-
cus, E-trus-cus) — darf nicht mehr durch eine zufällige Homo-
nymie erklärt werden; beide gehören demselben Volk an. Die
álteste Form ihres Namens findet sich wahrscheinlich in den
Turscha (oder Turuscha) der Aegypter, einem Piratenvolk, das
unter Merneptah und Ramses III mit anderen Seevölkern ver-
bunden das Nilland heimsuchte.
Auf die Frage nach der Herkunft der Etrusker wirft frei-
lich dies Resultat gar kein Licht; vor allem ist es methodisch
unzulässig, die herodotische Erzählung von ihrem lydischen Ur-
sprung 4) mit der etruskischen Ansiedlung auf Lemnos und
den Nachbarinseln in Verbindung zu setzen. An sich ist es
ebenso zulässig, in ihnen Ueberreste einer etruskischen Wande-
rung von Osten nach Westen zu sehen, wie etruskische Ansied-
45) Gefunden von Cousin und Durrbach, Bull. corr. hell. X 1 ff.
Vgl. Pauli, eine vorgriechische Inschrift von Lemnos 1886. Die In-
schrift ist bekanntlich auch sonst vielfach besprochen.
46) Dieselbe ist überall, wo sie erwühnt wird, direct oder indi-
rect aus Herodot entlehnt. Xanthos wußte bekanntlich nichts davon,
und Dionys von Halikarnaß hat Herodots Angabe wohl mit Recht
dadurch erklärt, daß derselbe aus dem lydischen Volksstamme der
Torrheber die Tyrsener gemacht habe. — Daß ich Pauli's Combinatio-
nen nicht. beistimmen kann, ergibt sich schon daraus. Ueberdies
fußt derselbe zum Theil auf Angaben, deren Werthlosigkeit ich im
vorstehenden nachgewiesen zu haben glaube.
486 Eduard Meyer, Die Pelasger in Attika und auf Lemnos.
ler, welche auf Raubfahrten ins ügüische Meer gekommen sind und
hier die von der griechischen Colonisation nicht besetzten Inseln
occupirt haben. Bis jetzt erscheint mir die letztere Annahme
als die bei weitem wahrscheinlichere; und sie scheint eine Be-
stätigung dadurch zu gewinnen, daß die älteste griechische Lite-
ratur Tyrsener im ägäischen Meere noch nicht kennt. —
Wie man dazu gekommen ist, die Etrusker zu Pelasgern
zu machen und somit die Pelasger auch nach Italien zu brin-
gen, dürfte jetzt ohne weiteres klar sein. Systematisch ausge-
führt und in pragmatische Geschichte umgesetzt ist diese An-
sicht bekanntlich zuerst von Hellanikos. Ebenso hinfällig sind
die phantastischen Vorstellungen von pelasgischen Mauerbauten,
welche in den Kunstgeschichten eine so große Rolle spielen: sie
sind lediglich aus dem Pelargikon abstrahirt. Die eigentliche Pe-
lasgerfrage dagegen, die Frage, was die Pelasger gewesen sind
und was von den Erzählungen über ihre Schicksale zu halten ist *"),
bleibt von unserer Untersuchung völlig unberührt. Wir haben
nur eine durch falsche Combination in dieselbe hineingerathene
Traditionsmasse , welche so viele Forscher irre geführt hat, aus
derselben wieder ausgeschieden. Und so dürfen wir wohl auch
hoffen, daß das Volk der Pelarger, welches sich bei den Alten
verschämt verborgen hielt, in neuester Zeit aber in mehr als
einem Werk kühn ans Tageslicht hervorgewagt hat, recht bald
wieder völlig im Schoße der Nacht versinkt — bis es vielleicht
nach Jahrtausenden, wenn auch von unseren Arbeiten nur in
Lexiconartikeln und Scholiennotizen dürftige Reste zu finden sein
werden, von einem grundgelehrten Forscher aufs neue hervor-
gezogen wird.
47) Hierüber läßt sich nur durch eine eingehende Untersuchung
umfangreicher Abschnitte der griechischen Sagengeschichte, besonders
der arkadischen und argivischen Genealogien, zur Klarheit gelangen.
Ich denke diese Untersuchungen später vorzulegen, darf aber wohl
schon hier das Resultat vorwegnehmen, daf Pelasgos nach Arkadien
und Argos nur durch Combinationen der genealogischen Poesie ge-
kommen ist, und daf es Pelasger (wenn wir von den P. auf Kreta und
dem pelasgischen Zeus von Dodona absehen) nie irgendwo anders ge-
geben hat, als da wo ihr Name alle Zeit lebendig geblieben ist, im
Pelasgikon Argos oder der thessalischen Pelasgiotis.
Breslau. Eduard Meyer.
— ——— — — —
XXV.
Typhon - Zephon.
J. Wellhausen hat in der Besprechung des ersten Bandes
meiner ‘Culte und Mythen’ in der deutsch. Litteraturzeitung 1888
S. 508 die alte Gleichung Typhon 719% (Zéphón) angezweifelt,
welche ich mit der (meines Wissens zuerst von Mo vers Phoen.
I 523 aufgestellten) weiteren Vermuthung aufgenommen hatte,
daß dieser Name in der phoinikischen Litteratur durch eine Art
Wortspiel, wie sich deren in den religiösen Schriften des alten
Orients so viele finden, mit dem ähnlich klingenden Zepha spx
und *pypx Ziph'0n (vgl. 199% Ziph‘öni) vermengt worden sei.
Die Gleichung Typhon- 719% ZéphOn ist von so fundamentaler
Bedeutung für die Entsprechung der älteren sacralen Litteratur
der Griechen und der Kanaaniter, daß es förderlich erscheint,
das gesammte Material zur Entscheidung der bisher immer nur
von einzelnen Seiten her beantworteten Frage übersichtlich zu-
sammenzustellen.
Was zunächst die lautliche Entsprechung anbetrifft, so ist
es bekannt, daß die Griechen neben anderen Versuchen, den
eigenthümlichen semitischen Laut Y Z (= äg. t) wiederzuge-
ben, auch 7 benutzten (z. B. x Zor Tyros; anderes bei Schró-
der phón. Sprache S. 111). Ebenso steht es fest, daß der
neutrale Halbvocal der Küstensemiten häufig durch griechisches
v vertreten wird. Es wird daher meines Wissens von keiner
Seite in Abrede gestellt, daß während alle Versuche den N.
488 O. Gruppe,
Typhon aus dem griechischen oder ägyptischen zu erklären, an
unüberwindbaren Hindernissen .scheitern!), die Gleichung Tv-
quv — Zèphon sprachlich sich sehr empfiehlt. Für sie spricht
aber zweitens auch der Sinn. Aus dem Ortsnamen j19%—%53
Ba‘ al-Zephön (Exod. 14. 2; Num. 33. 7) ergiebt sich, so große
Schwierigkeit diese Stellen auch im übrigen bieten, doch jeden-
falls dies sofort, daß es einen Gott 335€ Zöphön gegeben haben
müsse. Denn wenn sich die Beziehung auf einen bestimmten
Gott auch nicht bei allen mit 593 Baal zusammengesetzten
biblischen Städten nachweisen läßt, so ist dies bei der Dürftig-
keit unserer Nachrichten über die heidnischen Localgötter nicht
wunderbar, zumal anscheinend bei einigen israelitischen Orts-
namen der verhaßte heidnische Gottesnamen nachträglich mit
Absicht unkenntlich gemacht ist. Die Analogie der übrigen
heidnischen Ortsnamen fordert entschieden dazu auf 319% 592
als Localgott zu fassen, wie es auch z.B. im Targum Jonathan
offenbar wirklich geschieht. Dieser Gott könnte nun entweder
einen ägyptischen oder einen kanaanitischen Namen führen. Die
geographische Lage giebt keine Entscheidung, denn, ganz abge-
sehen von der Lage an der Grenze, steht es fest, daß in der
späten Zeit, welcher der Bericht angehört, zahlreiche semitische
Worte in die Sprache und zahlreiche semitische Götter in den
Cultus des Nillandes eingedrungen waren. Für kanaanitischen
Ursprung spricht die Bezeichnung des Z&phön als Baal; denn
1) Insbesondere scheint mir dies von der verbreiteten und schon
von den antiken Dichtern in spielender Etymologie aufgestellten Ab-
leitung von wgw (vgl. Curtius Grundz.5 228) zu gelten, welche
noch von Preller-Robert I 63 unbedenklich abgedruckt wird.
Von Tvgo aus gelangt man weder zu Tuvgwsös noch zu Tvgaov. —
Die neuerdings wieder von Le Page Renouf Hibb. lect. 1879 S. 115
versuchte ägyptische Etymologie des Wortes von /ebha scheint mir
aus dem schon früher von G. Ebers ‘durch Gosen zum Sinai’ 1872
S. 510 dagegen eingewendeten Grunde unmöglich (vgl. auch Ba u-
dissin bei Herz.-Plitt. II 33); die Dümichen’sche Vermu-
thung, daß Typhon ägyptischem fep ‘Nilpferd’ entspreche, welche nach
Ebers Berücksichtigung verdient, läßt die ganze Endsilbe der bei-
den griechischen Formen unerklärt, und würde überhaupt nur dann
in Frage kommen können, wenn man, wie es Ebers wirklich thut,
Tep zunächst als Lehnwort in das kanaanitische zur Bezeichnung des
Nordwindes, des Herrschers über das ‘Ty ph onische' Meer eindrin-
gen und erst von dort zu den Griechen gelangen lá$t; bei dieser
Combination aber (die übrigens schon wegen ihrer Complicirtheit
unwabrscheinlich ist) würde ja Tugwy in der That ebenfalls grade
zu den p hoinikischen Worten gestellt werden, zu denen,er nach
unserer Vermuthung gehórt.
Typhon - Zephön. 489
wenn auch ein hebrüischer Priester schwerlich Bedenken getra-
gen haben würde auch einem fremden Götzen diesen Namen
beizulegen, so ist bei einem auslündischen Ortsnamen die
willkürliche Veränderung doch sehr unwahrscheinlich. Entschei-
. dend aber ist dieser Grund noch nicht, weil grade derjenige
ägyptische Gott, welcher mit Zephon muthmaßlich identisch
sein würde, Set, bisweilen schon auf späteren ägyptischen Denk-
mälern, wenn auch nicht in Ortsnamen, Bär d. i. Baal genannt
wird. Mehr für den kanaanitischen Ursprung des Zöphön fällt
ins Gewicht, daß ein einigermaaßen entsprechender ägyptischer
Name bisher nicht nachgewiesen ist (s. Anm. 1). Nun hat
aber das Wort Zphón wirklich eine plausibele kanaanitische
Etymologie, es berührt sich nämlich nahe, ist sogar in der Aus-
sprache der Küstenbevölkerung vielleicht identisch mit hebräisch
y'ex Züphón; dies Wort bedeutet 'Finsternif, ist also zur Be-
zeichnung grade eines solchen Dämons, wie es der Feind der
Lichtgótter Typhon ist, vorzüglich geeignet. Die nicht stamm-
verwandten Worte, »bYx Zepha, "i*»ox Ziph‘ön, welche nach
Movers Vermuthung in der phoinikischen Litteratur spielend
hineingezogen wurden, bedeuten ‘Schlange’, wären also an sich
ebenfalls zur Bezeichnung eines solchen Dämons vorzüglich ge-
eignet; natürlich aber kann ein derartiges Wortspiel mit Hülfe
blos sprachlicher oder begrifflicher Uebereinstimmung nicht ge-
folgert werden, bedarf vielmehr, um glaubhaft zu erscheinen, noch
besonderer Ueberlieferung. Dagegen scheint mir die Verglei-
chung des überlieferten Zèphon mit Typhon schon jetzt
bei der vollkommenen sprachlichen und sachlichen Ueberein-
stimmung als gesichert: es stände wahrlich gut um die Sprach-
vergleichung, wenn wir immer mit so genauen Entsprechungen
der Laute und der Begriffe operiren könnten:
Aber wir brauchen uns bei dieser linguistischen und reli-
giösen Entsprechung nicht zu beruhigen, vielmehr sprechen für
die Gleichung Typhon- Zéphón eine Reihe anderer Gründe —
Gründe, welche in ihrer Gesammtheit mir so entscheidend zu
sein scheinen, daß jene Gleichung selbst dann sicher stände,
wenn die Namen verschieden und die sachliche Uebereinstimmung
nicht nachweisbar wäre.
Ich beginne mit dem Punkte, der gewöhnlich besonders
oder allein betont wird, der aber in Wahrheit der am wenigsten
490 O. Gruppe,
entscheidende ist und dessen Bedenklichkeit die gegenwürtig
herrschenden Zweifel veranlaßt zu haben scheint, mit dem bibli-
schen Baal-Zephon. Die Versuche diese Stadt mit einer der be-
kannten Typhoncultstätten zu identificiren — auch der von
Brugsch /Ezode et les monuments Égyptiens Leipz. 1875 —
müssen, wie meiner Ueberzeugung nach alle anderen Combina-
tionen hinsichtlich des Namens, als gescheitert. betrachtet werden.
Aus der Zeit, in welcher die geographischen Einzelheiten des
Auszugs der Kinder Israels muthmaßlich erfunden wurden,
fehlen uns geographische Notizen über diesen Theil Aegyptens
völlig: wären sie vorhanden, so würden sie uns wahrscheinlich
in dem betreffenden Abschnitt der Exodussage dieselbe Freiheit
in der Combination geographischer Namen lehren, der wir sonst
so oft im alten Testament begegnen. In der ptolemüischen Zeit
scheint die Besiedelung des Grenzlandes ein wesentlich anderes
Bild dargeboten zu haben, als das, welches wir nach den Andeu-
tungen der Exodus annehmen müssen. Eine Tradition über die
Lage von Baal Zéphon existirte nicht; schon die LXX. begnügen
sich die Buchstaben wiederzugeben. Aber die ägyptischen und
die griechischen Quellen bieten doch etwas, was in unsern Kreis
fällt. Während im ganzen übrigen Aegypten Spuren des Set-
cultus verhältnismäßig selten sind (in Unterügypten z.B. findet
sich meines Wissens nur eine Spur seiner Verehrung in M em-
phis) und insbesondere in der Zeit, der ohne Frage der Be-
richt der Exodus angehört, fast ganz aufhören (E. Meyer Set-
Typhon Leipz. 1875 S. 62), sind grade in dem ügyptisch-
philistäischen Grenzgebiet, welches die Juden durch-
ziehen mußten, eine ganze Reihe von Set- oder Typhoncultstätten
bezeugt. Gemäß der bei den antiken Völkern so häufig auftre-
tenden Sitte, den guten Gott befeindeter und verhaßter Nach-
barvólker mit dem bósen Gott der eigenen Mythologie zu iden-
tificiren, hatte sich die Gleichung des semitischen Baal mit sei-
nem ügyptischen Gegentheil Set vollzogen, und so wurde denn
in dem Grenzgebiet dieser Baal-Set in zahlreichen Culten ver-
ehrt. Setdienst ist bezeugt für T anis (Meyer Set-Typhon 8. 47),
Hat udrt (A varis, Pelusium vgl Jos. contr. Ap. I. 26).
Weitere Spuren des Set-Typhoncultus finden sich am sirboni-
. schen See und dem Kasischen Berg, von dem Herod. 3, 5
bemerkt ano de ’Invvoov „ung Nvowr uéyos Ztofwvídoc Alyrns,
Typhon - Zephön. 491
mag 7v d? 10 Kaovov ovgoc tstves d; Fadacoay, ano dé Zeoßw-
vidog Aluvne, àv ın dn Aoyog 109 Tuyw xexovpdas,
uno zavıns ndn Aiyvnros, vgl. Apoll. Rhod. II 1210 . . . .
Kovxdoov iv xvnuoici, Tupaorin 09 néton,
da Tv dova pact Avs Koovidao xepavvQ
Pinusvov, onnote oi cufapas inopttato yeipac
9epuür ano xoaròs ardkaı qóvov: Vixero d° avtuc
ovoea xai nediov Nuonsor, Er’ Eu vvv neg
xeitas dnoBodyios SevBwvidos vdaos liuvns.
Von einer Cultstätte des Typhon ist hier freilich nicht die Rede;
die Notiz des Herodot sagt zunächst wohl nichts weiter, als daß
man die Asphaltdünste des sirbonischen Sees (Strab. 763)
auf Ausdünstungen des Typhon zurückführte. Aber wo konnte
man dem Unhold eher eine Cultstitte gründen, als da, wo er
persönlich wohnend gedacht wurde? Es läßt sich aber auch
durch Combination höchst wahrscheinlich machen, daß eben hier
im Norden der Enge von Suez ein bedeutender Cultus des
Typhon bestanden haben müsse. Die Namen weisen bestimmt
darauf hin. Der Berg Kasios, der hier neben dem typhoni-
schen See genannt und, wie es scheint, unter dem N. Kau-
kasos von Apollonios direct in die Typhonlegende ver-
flochten wird, erscheint bekanntlich in Syrien neben einem Flusse
Typhon. Auch der N. Serbonis selbst gehört meiner
Ueberzeugung nach dem Typhonmythos an. Von dem lyki-
schen Fluß Xanthos bezeugt Strab. 665, er habe Sirbin
geheißen. Eben dort war die Sage von der Geburt des Apollo
localisirt, an diese aber schloß die ältere griechische Dichtung
die Besiegung des Typhon (Griech. Culte u. Mythen I 530).
— Wenn demnach der sirbonische See und der an ihn
grenzende Berg die Namen aus dem Typhonmythos erhielten,
wenn wir daneben mehrere andere Setcultstütten in diesem Grenz-
lande finden, so läßt sich mit höchster Wahrscheinlichkeit fol-
gern, daß das eben hier gelegene Baal Zéphon eine Set-Typhon-
cultstätte gewesen sein müsse. Hierfür spricht auch noch sehr
entschieden weiter der Umstand, daß die Zusammenstellung mit
Bür, Büru d. i. Baal cine specifische Eigenthümlichkeit des
Set-Typhon im spüteren ügyptischen Cultus ist. Dies ist freilich
nicht alles, was man zum definitiven Erweis der Gleichung Baal-
Zephon mit dem Baal Set wünschen kónnte, aber es ist doch
schon recht viel. Sicher wäre es sehr schön, wenn es gelünge,
Baal Zephon nun auch mit einer bestimmten Typhoncultstätte zu
492 O. Gruppe,
identificiren, etwa auf dem Atäkahberge, wo Ebers Baal
Zephon sucht, inschriftlich Typhoncultus nachzuweisen; aber was
uns daran verhindert, ist doch nur die Lückenhaftigkeit der
Ueberlieferung. Est ridiculum, ad ea, quae habemus, nihil dicere,
requirere quae habere non possumus.
Viel weiter als die muthmaßliche Coincidenz von Baal-
Zéphon und der typhonischen Cultstütte in dem &gyptisch - phili-
stäischen Grenzland führt die Betrachtung der zweiten typhoni-
schen Hauptcultusstätte, der von Antiochia am Flusse Orontes,
welcher auch Ty phon, Drakon oder Ophites hieß (Malala
chr. VIII. p. 197 ed. Bonn. 1831; andere Stellen bei Mayer
Gig. und Titanen S. 243). Die letzteren beiden Namen sind
die Uebersetzung von vpx Zephd ; wir haben also hier, falls
es gelingt, für den Namen Typhon auch hier die Entsprechung
Zéphón nachzuweisen, einen directen Beweis für das von uns
angenommene Wortspiel 92% zepha resp. ziph'öni ‘nypx mit
19% zéphdn. Nun ist aber durch eine einfache Combination der
Nachweis zu führen, daß die syrische Entsprechung des antio-
chenischen Typhon in der That 719% z/phón gewesen sein müsse.
Ganz wie am sirbonischen See war bei Antiochia die Sage
von dem Kampf der Himmlischen gegen den Götterfeind loca-
lisirt; dieser Götterfeind ist dem Flusse Ty phon (Apollod.
bibl. I. 6. 3 8 7) oder Orontes homonym, offenbar weil von
ihm, grade wie von Typhon am sirbonischen See, erzählt wurde,
daß er in das Wasser gestürzt sei. Uebrigens ist dies von
Orontes ausdrücklich bezeugt (Nonn. Dion. 17. 289; Paus. 8.
29.3 vgl. Koep p de gigantom. 42 ff.). Ein anderer Name dieses
Giganten war Pagras, vgl. Malalas p. 128 ed. Bonn. FHG IV
469 ff: ano yuo duo pidlwv ing modews "Avuoyeluc ori Tomoc
Eywv Owuaza avFounwy anoudwdtrrwv xarà uyavaxındıy Feov,
ouctivas Ews tic vuv xaÀovow ylyavrus woavrws dé xai Ma-
yecv THA oUro xadovpevov ylyuvru Èv 17 avi] olzovvia y 7
xeouvrvw3 var ind nvoos. Die Entsprechung mit der
griechischen Typhoeuslegende und mit der sirbonischen Erzählung
ist augenfällig; Pagras, der auch als Eponym der antiocheni-
schen Ortschaft Pagrai (Strab. 751) erscheint, ist demnach
derselbe T yphon oder Orontes, welcher dem Flusse den
Namen gab. Nun kommt dieser Name Pagras auch in dem
typhoischen Land Kilikien vor, wo er den personificirten
Typhon - Zéphón. 493
Nordwind bezeichnete (Aristot. 273 a 1: Boddas: o$rog mer i»
Mad Mayoevs). Dies entspricht aber genau dem hebräi-
schen 719% zZphön, phoinik. *zephön welches nicht bloß Finsterniß
und Norden, sondern auch (Cant. 4. 16) den Nordwind bezeich-
net. Wie trifft hier Alles zusammen! Von dem syrischen Fluß
siud uns die griechischen Namen Drakontios und Ophites
und der muthmaßlich persische Orontes (d. h. aurvant ‘der
schnelle?) überliefert: wäre nun T y phon ebenfalls griechisch,
so würde grade der einheimische Name des soviel genannten
Flusses völlig verschollen sein und zwar dies obwohl er einer
keineswegs unbekannten oder den Griechen fern liegenden Spra-
che angehört. Dieser rüthselhaft verschollene Name würde aber,
wie die Legenden von Pagras und Orontes mehr als wahr-
scheinlich machen, ebenfalls einen Götterfeind bezeichnet haben;
der Name auch dieses also würde spurlos untergegangen sein.
Drittens müßte der untergegangene Name, wie die Uebersetzung
dureh /luyods beweist, wunderlicher Weise grade wie Zephon
auch die Bedeutung Nordwind gehabt haben, viertens endlich
müßte ein gleich oder ähnlich klingendes Wort, das ‘Schlange’
bedeutete und aus welchem Drakontios oder Ophites übersetzt
wäre, daneben angenommen werden. Das vorauszusetzende Wort
müßte also in vier weit von einander abliegenden und in kei-
ner mir bekannten Sprache sonst wieder zusammen vorkommen-
den Bedeutungen sich mit yoy zepha, y1bX zdphön resp. séphón
decken; es müßte alle Eigenschaften dieser beiden Worte ge-
habt haben, und doch von ihnen verschieden gewesen sein, und
dieses wunderliche Wort müßte zum Schluß noch aus aller Ue-
berlieferung völlig verschwunden und jedesmal durch das ihm
ganz gleichartige Tuyw» ersetzt worden sein!
Doch damit nicht genug! 779% süphün resp. z&phön ist in
der letzterwähnten Bedeutung ‘Nordwind’ in das griechische
übergegangen und lautet dort zupwv oder wwe. Freilich scheint
hiergegen zu sprechen, daß später dies Wort nicht den Nord-
wind, sondern jeden Wirbelwind, und zwar sogar in der wissen-
schaftlichen Terminologie (Aristot. meteor. 371a 3) eine be-
stimmte Form des Wirbelwindes , der beim Nordwind in Grie-
chenland nicht vorkommt, bezeichnet. Hierzu scheint auch das
zu stimmen, daß die Theogonie (871 ff) zwar im Allgemeinen
die Winde als Kinder des Typhoeus bezeichnet, einige Winde
494 O. Gruppe,
aber als gute ausdrücklich ausnimmt, und zwar darunter eben
den Boreas, endlich, daß in der ältesten griechischen Typhaon-
sage der Boreas grade das von dem Unhold verfolgte Götter-
kind rettet (Hygin. fab. 140; Griech. Culte und Mythen I. 527;
Robert Herm. 1888 S. 319). Trotz dieser: Einwände scheint
mir die Gleichung züphón (z&phön) = tvpus gesichert. Was
zunächst den letzteren Einwand betrifft, so erledigt sich derselbe
dadurch, daß in dieser Sage Typhaon überhaupt nicht als Wind-
gott characterisirt ist; ein Zwang von der Doppelbedeutung des
Wortes Gebrauch zu machen lag nicht vor, und wer auf die-
sen Doppelsinn verzichtete, hatte alles Recht, sofern es ihm im
Interesse seiner Erzählung nützlich schien, neben Typhaon oder
selbst ihm gegenüber den Nordwind auftreten zu lassen. Ei-
genthümlich steht es mit der Theogonie. Die VV. 869 ff.
ix dì Tugwéios ior avéuwv uévoc oygóy aéviwv
voogs Norov Booéw te xai Moyéoréo Zéq gov ts
of ys uty ix Seóquv yeven, Ivyrois uey' Ovesao.
weisen zuriick auf V. 378
"Aotoaip d’ 'Hóc dvéuove téxe xagregodupous
Moyéorgv, Ziguoov Bogénv 1! aipnooxéleudov
xaè Norov, iy gıloımn ded Iso eUvndeica.
Nun haben diese letzteren Verse an sich betrachtet einen we-
sentlich anderen Sinn, als ihnen VV. 869 beigelegt wird. Es
kann nämlich meines Erachtens gar keinem Zweifel unterliegen,
daß die Kinder des Astraios und der Eos die Winde der vier
Cardinalpunkte und durch diese die Gesammtheit aller
Winde darstellen sollen. Wenn nun an der späteren Stelle
diese vier Winde als die ‘guten’ den ‘typhonischen’ gegenüber-
gestellt werden, so erklärt sich diese wunderliche Umdeutung
einfach, aber auch nur dann, wenn der Redaction der Theo-
gonie eine doppelte Genealogie der Winde vorlag, von denen
die eine alle Winde auf Eos und Astraios, die andere
alle Winde auf Typhoeus zurückführte. Nun ist es aber
eine vielfach in der Mythologie, gelegentlich auch in der grie-
chischen, vorkommende Vorstellung, daß der Nordwind der Vater
der übrigen Winde sei, und insofern würde gradezu die 'Theo-
gonie schon für die Bedeutung ‘Nordwind’ des Wortes regwe
sprechen, stände nur überhaupt fest, daß der Theogonie dies
Wort bereits bekannt gewesen sei. Dies ist aber nicht nur
nicht erweislich — das Wort kommt, da bei Alkaios fr. 68
. BE."
Typhon - Zöphön. 495
Bergk poet. lyr. III* S. 174 der Text jetzt richtig verbessert
ist, zuerst bei Aischylos vor —, sondern sogar höchst un-
wahrscheinlich. Ist es denkbar, daß die Theogonie, die Gleich-
heit des Namens rvgwç — Togywevg nicht hervorgehoben hätte,
wenn sie das erstere Wort bereits kannte? Bei dieser späten
Einführung des Wortes ist nun aber die Wahrscheinlichkeit,
daß es ein Lehnwort sei, von vornherein sehr groß. In diesem
Falle aber bietet sich zäphön (z&phön) doch geradezu von selbst dar:
von wem eher als von den schiffskundigen Phoinikern hätten
die Griechen den nautischen Ausdruck entlehnen können? Wenn
drittens der spätere wissenschaftliche Sprachgebrauch den Worten
Tupwr, tvpwc eine specielle, dem 22phòn nicht entsprechende Be-
deutung beilegte, so beweist dies gegen die Etymologie deshalb
nichts, weil ein Wort, das den gefährlichen Nordwind bezeich-
nete, sehr leicht dazu kommen konnte, für jeden gefährlichen
Wind gesagt zu werden, zumal wir sogar mit großer Wahr-
scheinlichkeit innerhalb der griechischen Litteratur selbst diesen
Bedeutungsübergang nachweisen können. Aischylos gebraucht,
soweit die Stellen einen Schluß auf die Windrichtung gestatten,
ivpws nur von dem aus Thracien blasenden, schneereichen Wind,
vgl Suppl. 559 Auwru yrovoBooxor, ovr’ ênétoystus Tuga u£-
voc.; Agam. 654 rave yao ngoc aAlrımıcı Oonxıms nvoul | poss
xov at dì xegorunovusa Bla | yeuutóv tupòw ovv. Cain 1° ôu-
Booxtun@ | wyovr «parto u. s. w. Die ursprüngliche Bedeu-
tung von rupwg stimmt also mit zdphön, z&phön durchaus über-
ein, und da es ohnehin sich als wahrscheinlich herausstellte, daf$
dem griechischen Wort ein phoinikisches zu Grunde liegt, so
scheint mir die Gleichung rvpws süphün (2éphon) gesichert. Daß
dadurch auch die Gleichung Tuyawr, Tugwevs süphón eine neue
Stütze erhält, liegt auf der Hand.
Betrachten wir nun schließlich noch den Typhon in den
Auszügen der Griechen aus orientalischen Mythen. Von vorn-
herein ist Typhon nicht in Griechenland localisirt. Bei Homer
ist seine Stätte im Lande der bis in die allerneuste Zeit viel
umstrittenen Arimer B 784, bei denen man doch zunächst
mit Poseidonios (Strab. 784) an die Aramaier, vielleicht
mit Kallisthenes (Strab. 627) an die Gebirge Kilikiens
denken wird. Jedenfalls sind die Arimer in Griechenland nicht
zu suchen. Ebenso erscheint aber auch nach der späteren grie-
496 O. Gruppe,
chischen Literatur Typhon wesentlich in phoinikischen
(so besonders bei Eudoxos und Philo von Byblos) und aegyp-
tischen (z. B. Herodot, Plutarch) Mythen. Nun wäre es zwar
an sich nicht undenkbar, daß in diese orientalischen Mythen
nachträglich ein griechischer Name eindrang; bei genauerer
Erwägung aber wird man diese Möglichkeit doch durch die nä-
heren Umstände als ausgeschlossen erachten. In den ägyptischen
Mythen erscheint Typhon in der Rolle des altägyptischen Set
als Gegner des Horos, welchen die Griechen gewöhnlich durch
Apollo wiedergeben. Nun war zwar auch in dem ältesten
griechischen Mythos Typhon der Gegner des Apollo; dies
scheint sich mir durch die Analyse des Apollohymnos mit
Nothwendigkeit zu ergeben (Griech. Culte und Mythen I. S. 530 ff.)
und wird auch durch andere Umstünde sehr nahe gelegt. Plut.
de fac. in orbe lunae 30 erzählt, daß Typhon Delphoi verwü-
stete: eine Notiz, die doch bestimmt auf eine Sage von dem
Kampf zwischen Apollon und Typhon hinweist. Eben
auf diese Sagen werden wir durch die korykische Höhle
am Parnaß hingeführt (Herod. VIII 36), denn die korykische
Höhle in Kilikien ist ja die sagenberühmte Stätte des Typhon.
Aber diese Version ist früh und — wenn wir von dem späten
Sidonius absehen, dessen Angabe gewiß von der ältesten
Ueberlieferung unabhängig und wahrscheinlich aus der Con-
tamination der Typhoeussage mit der Gigantomachie zu erklä-
ren ist (Mayer Gigant. u. Titan. S. 218) — vollständig
verschollen. Die spätere Zeit weiß von der korykischen Höhle
am Parnaß nichts weiter, als daß sie dem Pan und den Mu-
sen (z. B. Str. 417) geweiht war. Ein Grieche der classischen
Zeit fand gewiß in den national-griechischen Mythen keine Ver-
anlassung den Gegner des ägyptischen ‘Apollo’ grade Typhon
zu nennen. Ebenso muß meiner Ueberzeugung nach von den
phoinikischen Mythen geurtheilt werden, in denen Typhon
Gegner des Melgart-Herakles war. Daß von den mannich-
fachen Ungeheuern, die der griechische Herakles bekämpft,
kein einziger Gegner dem tyrischen Herakles gegenüberge-
stellt, daß vielmehr von diesem nur Typhon überwunden wird,
den der griechische Mythos gar nicht mit Herakles in Verbin-
dung bringt, dies scheint mir ein unumstößlicher Beweis dafür,
Typhon - Zöphön. 497
daß nicht erst die Griechen den Typhon in die phoinikische My-
thologie eingeführt haben.
Fassen wir alle Argumente, die sich uns ergeben haben,
zusammen, so scheint mir für die Richtigkeit der Gleichung
Typhon- Zephon eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit zu
sprechen. Es entsprechen sich die Worte und die Begriffe, und
diese Entsprechung gewinnt durch die Nebeneinanderstellung
der Appellative zäphôn (zéphin) rvpws eine besondere Bedeutung;
ein phoinikischer Gott Baal Zephon kann als so gut wie über-
liefert gelten und die nach demselben genannte Stadt befand
sich mindestens in nächster Nähe mehrerer späterer T'yphoncult-
stätten. In dem syrischen Typhonheiligthum bei Antiochia
ist für Typhon eine andere, für z2phön wirklich nachweisbare
Bedeutung sowie das Wortspiel mit 30% sepha durch die Ueber-
setzungen Pagras, Drakontios, Ophites erwiesen. End-
lich erscheint Typhon wirklich in der phoinikischen und ägypti-
schen Theogonie, ohne daß die nachträgliche Einführung aus
der griechischen anzunehmen wäre. Dagegen ist Typhon we-
der aus der griechischen Sprache zu erklüren noch sein Mythos
als an einer Cultusstütte des älteren Griechenlands localisirt
nachzuweisen. Unter diesen Umständen scheint mir die Glei-
chung T'yphon-Zephon der gesicherte Ausgangspunkt für die Ver-
gleichung der phoinikisch-griechischen Theogonien.
Berlin. O. Gruppe.
Zu (Hes.) Aspis 213.
Es ist auffällig, daß V. 218 der Hesiodeischen Aspis: aÿ-
tag m axtaicg | Horo avno aAse)g dedoxnutvoc: elye dé yegoi» |
iy F vow augylßAnoıgov der greifbare Fehler én’ uxtaig — in
ripis, wie die lat. Uebersetzung sagt — bisher nicht bemerkt
noch verbessert worden ist. Es muß natürlich avrag En’
axıng | poro avig adisvg xr. geschrieben werden, wie es von
Odysseus « 82 = 151 heißt: “422° óy im axıng xdaie xa9q-
pevos. "Em axraîg scheint aus fälschlich gelesenem oder ange-
nommenem éz' axınc entstanden zu sein. Uebrigens vergleiche
man zu unserer Stelle u 251 ff: àzi noof6lw GÀLEUG ne-
ouunxei dußdow, | iy93vor roic Ody ovat dóÀov xara eldata Baidiwy, |
dg novıov ngolncı Boos xéoas aygavioo.
Stralsund. | R. Peppmüller.
Philologus. N.F. Bd. II (XLVIII), 3. . 82
XXVI.
Korobios von Itanos.
In der theräischen Ueberlieferung über die Gründung Ky-
rene's (Herod. IV 150—153) wird Folgendes erzühlt. Auf die
wiederholte Aufforderung des delphischen Orakels, eine Stadt in
Libyen zu gründen, schicken die Theräer Boten nach Kreta,
um hier Erkundigungen einzuziehen, ob einer von den Kretern
oder ihren Beisassen nach Libyen gekommen sei. In Itanos
treffen die Abgesandten mit einem Purpurfischer Korobios (Ko-
ewfos) zusammen, der behauptet, daß er durch Sturm nach
Libyen und zwar nach der Insel Platea verschlagen worden sei.
Korobios wird nun von den Theräern als Führer gewonnen; er
bringt einige von ihnen nach Platea, wo er mit Lebensmitteln
für einige Monate zurückgelassen wird. Da aber die Therier
über die ausgemachte Zeit ausbleiben, gehen dem Korobios die
Vorrüthe aus. Durch ein samisches, von Koläos geführtes Schiff,
das auf der Fahrt nach Aegypten nach Platea verschlagen wor-
den ist, wird er aus seiner Nothlage errettet, indem ihm die
Samier Proviant auf ein Jahr zurücklassen. Daß der letztere
Zug seine Entstehung lediglich der Absicht verdankt, die (bei
Herodot ausdrücklich von der Rettung des Korobios abgeleiteten)
späteren freundschaftlichen Beziehungen der Samier zu den Kyr-
müern und Therüern zu motiviren, ist allgemein anerkannt (vgl.
unten); was die übrige Erzählung betrifft, so macht sie aller-
dings einen wesentlich anderen Eindruck, als die durchaus mür-
chenhafte kyrenäische Ueberlieferung über die Vorgeschichte des
Korobios von Itanos. 499
Battos (Herod. IV 154 f); nichts desto weniger ist auch sie
für ungeschichtlich zu halten. Die Voraussetzung der ganzen
Erzählung ist ja die, daß das delphische Orakel die Theräer
auf das ihnen gänzlich unbekannte Libyen hinweist und diese
sich nun überhaupt erst über die Lage des Landes orientiren
müssen. Wer nun der Ueberzeugung ist, wie sie neuerdings
namentlich von A. Holm, Griech. Gesch. I 278 ff. begründet
worden ist, daß die Angaben über Wahl von Colonisations-
stätten durch das Orakel selbst demselben eine Rolle zuschreiben,
die es nicht gehabt hat und daß es in Wirklichkeit stets nur
einer bereits getroffenen Wahl seine Sanktion zu ertheilen hatte,
für den ist schon damit die geschichtliche Unhaltbarkeit der
Korobioserzählung gegeben. Und dazu kommt das Moment, das
von Duncker Gesch. des Altert. VI° 264 hervorgehoben wird:
„Die Unbekanntschaft mit Libyen, welche das retardirende Mo-
ment in der Dichtung der Theräer bildet, konnte zwanzig Jahre
nach der Oeffnung Aegypten’s, nachdem griechische Trieren auf
dem Nil gefochten hatten, schwerlich noch so groß sein, daß
erst ein Führer altphönikischen Stamms, ein Purpurfischer auf
Kreta, gesucht werden mußte“, Die scheinbare Genauigkeit, die
in der Nennung des Namens des Purpurfischers von Itanos liegt,
kann offenbar nicht als Argument für die Geschichtlichkeit der
Erzählung verwendet werden (wie bei Thrige res Cyrenens. 2.
ed. p. 40 geschieht), so wenig als beispielsweise der Umstand,
daß in der Tempellegende von Erythrä, die Pausanias VII 5
wiedergibt, der Name des -blinden Fischers genannt ist, der
Dank einem Traumgesicht das Augenlicht wieder erhält.
Was ist nun aber der Grund, daB Itanos (als Heimath oder
Aufenthaltsort des Korobios) in die Gründungssage von Kyrene
verflochten ist? Etwa nur der, daß die Theräer auf ihrer Fahrt
nach Libyen an Itanos vorbeifahren mußten (wie Schubring de
Cypselo p. 48 meint)? Es läßt sich, namentlich in Erwägung
bestimmter Züge in dem mit der Gründung Kyrene's zusammen-
hüngenden Sagenkreis, wie mir scheint, ein weniger üuBerlicher
Grund ausfindig machen, der eine Verknüpfung der kretischen
Stadt mit jener Gründung nahe legen konnte. Itanos ist be-
merkenswerth durch den Kult eines fischschwünzigen Meergotts.
Auf Münzen der Stadt, und zwar schon auf archaischen, ist der
Gott häufig abgebildet, z. B. mit Dreizack nach einem Fisch
32 *
500 |. P. Knapp,
stechend !) Er gehört in die Reihe jener Meerwesen, die man
mit dem Gattungsnamen Aoc yfowv zusammenzufassen pflegt
und die an den verschiedensten Orten localisirt und specialisirt
waren als Nereus, Proteus, Glaukos, Phorkys, Triton u. a. oder
auch, wie es scheint, einfach mit jenem allgemeinen Namen ados
y£ow» bezeichnet wurden”). Da Itanos sehr wahrscheinlich phö-
nicischer Gründung ist?), so wird wohl seine fischschwänzige
Gottheit auf semitischen Ursprung zurückzuführen sein) Nun
erinnere man sich, welche besondere Eigenschaft und Thätigkeit
jenen Meergreisen, die von der Kunst regelmäßig mit menseh-
lichem Oberkörper, der unterwürts in einen Fischleib tübergeht,
dargestellt werden, von Volksglauben und Dichtung zugeschrie-
ben wird. Es sind kundige, mit der Gabe der Weissagung
ausgestattete Wesen, die vor allem ihr Element, das Meer und
seine Tiefen kennen und die „dem einsamen Schiffer in unbe-
kannten, besonders gefährlichen Meeren oder beim Eintritt in
1) Ueber diese Münzen von Itanos kann nun verwiesen werden
auf das Werk von N. J. Svoronos, Numismatique de la Créte, T.
XVIII u. XIX, welche beiden Tafeln noch vor der Herausgabe mir
durch die Güte Imhoof-Blumer's zugänglich geworden sind, ebenso
wie T. XIII der »Thier- und Pflanzenbilder auf antiken Münzen und
Gemmen« von F. Imhoof- Blumer und O. Keller, auf welcher
neben verwandten Darstellungen anderer Städte (vgl. auch T. XI)
N. 30 das schöne Bild einer Didrachme von Itanos (in Gotha) gibt:
‘ » Triton oder Glaukos r., mit dem Dreizack in der erhobenen ER. nach
einem Fisch stechend« (vgl. Friedländer u. v. Sallet kónigl. Münz-
kabinet in Berlin 2. A. Nr. 159). Nach freundlicher Mittheilung Im-
hoof-Blumer's stammen Svoronos T. XVIII 22 und folgende und XIX
1—4 aus dem 5. Jahrh., Nr. 6 ff um 400 v. Chr.
2) Vgl. hierüber namentlich Furtwängler Bronzefunde von
Olympia S. 96 ff. (s. auch Roscher’s myth. Lex. Sp. 2192); Goldfund
von Vettersfelde S. 25 ff. (die Angabe, daß ein ähnlicher Typus, wie
in Itanos auf Münzen von Hierapolis in Syrien vorkomme, mit Ver-
weisung auf Num. Chron. 1878 pl. VI 5 [= Imhoof-Blumer u. Keller
T. XIII 32] ist nach Imhoof-Blumer S. 78 zu berichtigen [»unbe-
stimmter syro-phönicischer Silberstater, vielleicht aus Azotos«]; Milch-
hófer Anfünge der Kunst S. 84 f.
3) Stephan. Byz. s. v. Itanos; vgl. Heisterbergk über den Namen
Italien S. 151 ff. Baudissin Studien zur semit. Religionsgesch. II 180.
4) Und wäre demnach von Haus aus mit Dagon identisch, der
nicht bloß philistäischem, sondern auch phónicischem Kult angehört
(Baudissin a. O. II 170 A. 83 177; Realencycl. v. Herzog u. Plitt
»Dagon«; vgl. auch v. Gutschmid Jahrbücher f. Philol. 1880, 187). —
Was den Triton in dem Schwur des Hannibal bei Polybius VI 9, 2
betrifft, so haben schon Münter Relig. der Karthager 2. A. 8. 107 f.
und Stark Gaza S. 287 f. darauf hingewiesen, daß bei ihm, wie bei
Poseidon nicht nothwendig karthagische Gottheiten gemeint sind,
vielmehr an libysche Götter gedacht werden kann,
Korobios von Itanos. 501
das Reich des Unbekannten ihre Hülfe spenden müssen, damit
er weiter kommt“ (v. Duhn Bemerkungen zur Würzburger Phi-
neusschale 8. 121). So verkündet Proteus in der Odyssee dem
Menelaos, wie er seine Rückfahrt zu machen habe, so zeigt der
Meergreis den Argonauten den Weg nach der Sage der Byzan-
tier (Dionys. Byz. peripl pont. Eux. ed. Wescher p. 19 s);
ähnlich ertheilt Phineus, gleichfalls ursprünglich einer jener
Meerdämonen , den Argonauten seinen Rath (Asclepiades schol.
p 69); so zeigt Triton dem Jason den Ausweg aus den Un-
tiefen des tritonischen Sees (Her. IV 179), so weist er bei
Apollon. Rhod. IV 1562 ff. den Argonauten die Fahrt nach
dem Peloponnes. Es kónnte nun nach diesen Analogien nicht
befremden, wenn in einer sagenhaften Gestaltung der Grtin-
dungsgeschichte von Kyrene dem Meergott von Itanos, des’ Ha-
fenorts, der den von Thera herkommenden Seefahrern den ersten
Landungsplatz darbot, eine wesentliche Rolle zugetheilt gewesen
wäre, natürlich keine andere, als die des xa3gyetodas, die in
der erhaltenen Ueberlieferung der Fischer Korobios spielt. Das
müßte nun freilich eine nicht näher zu begründende Vermuthung
bleiben, wenn nicht ein weiteres bestätigendes Moment hinzuk&me.
Ein solches glaube ich aber darin erkennen zu dürfen, daB in der my-
thischen Vorgeschichte der Gründung Kyrenes ein dem fischschwün-
zigen Dämon von Itanos ganz entsprechendes Wesen entscheidend
betheiligt ist. Bekanntlich wird im vierten pythischen Siegeslied
des Pindar das Anrecht der Theräer auf den Besitz des liby-
schen Landes an das Geschenk der Erdscholle geknüpft, das
dem Euphemos, dem Vorfahren der Battiaden auf der Rückfahrt
der Argonauten, bei der sie in den tritonischen See gelangten,
der als Eurypylos, Sohn des Poseidon, erscheinende Gott gege-
ben hatte?) Dieser wird zwar bei Pindar nicht ausdrücklich -
als Triton bezeichnet, kann aber nach dem Zusammenhang nicht
anders gedacht werden, denn eben als der Gott des tritonischen
5) Vgl. K. O. Müller Orchomenos 8. 849 ff. Was die Bedeutung
der Erdscholle betrifft, so wäre außer der von Müller angeführten
Geschichte des Aletes und dem bekannten Symbol der Unterwerfung
noch zu erinnern an die Analogie der Erzühlungen bei Plutarch quaest.
Graec. XIII 1 und XXII. Vgl. auch M. Mayer Giganten und Titanen
S. 26. — In wundersamen Phantasien bewegt sich die Schrift von
F. Vater Triton und Euphemos oder die Argonauten in Libyen
(Kasan 1849). Triton und Euphemos sind identisch und „Mondgötzen“,
die Scholle bezeichnet die ,gespaltene Mondkugel“ u. s. w.
502 P. Knapp,
Sees. Bei Apollon. Rhod. IV, 1552 wird er denn auch in der
That Triton genannt und bei dieser Gelegenheit (1610 ff) seine
Gestalt dem bekannten Tritontypus entsprechend beschrieben ).
Wie nun die Gründung Kyrenes schon in ihrem ersten mythischen
Vorstadium durch den Seegott ihre Sanktion empfing, so mochte
man wohl auch die Ausführung selbst nicht ohne die Weihe und
die Leitung einer wesensgleichen Gottheit erfolgen lassen. Und
dazu bot sich von selbst der in Itanos, diesem für die Therier
und Kyrenäer wichtigen Hafenort, seit alter Zeit verehrte Meer
gott, zu dem ohnehin Thera mit seiner alten phönicischen Nie-
derlassung ^) um so eher Kultbeziehungen haben mochte, wenn
er selbst, wie als sehr wahrscheinlich angenommen werden darf
phönicischen Ursprungs war*) Eben dieser Gott scheint
mir nun, kurz gesagt, hinter dem Fischer Korobios,
vermenschlicht und rationalistisch umgestaltet, sich zu ver-
stecken. Wenn der Name des Fischers genannt wird, so muß
das eben die Probe geben für die Richtigkeit dieser Auffas-
sung; als Argument für die Geschichtlichkeit der Erzählung
kann er, wie schon bemerkt, keinesfalls verwendet werden.
In der That scheint mir der Name von jener Auffassung
aus befriedigend erklärt werden zu können. Kogwfsog ist
6) Unrichtig ist es, wenn K. O. Müller a. O. S. 351 bemerkt, daß
auch nach den Libyka des Menekles der in der Gestalt des Eurypylos
erscheinende Gott Triton gewesen sei; vgl. die Bemerkung von K.
Müller fragm. hist. gr. IV 449.
7) Busolt Gr. Gesch 1176; v. Gutschmid , Phoenicia" Encycl. Brit.805.
8) In einer bei Vergil Georg. IV 387 ff. erhaltenen Tradition
(vgl. K. Tümpel, XVI. Supplementband der Jahrbb. f. Philol. S. 162)
haust Proteus ‘in Carpathio gurgite. Wenn das nicht etwa bloß
eine poetische Individualisirung des südlichen ägäischen Meers über-
haupt sein sollte, so wird man die Vermuthung wagen dürfen, daß
zu dieser Lokalisirung des Proteus in dem Meer zwischen Kreta nnd
Rhodos eben der in Itanos verehrte Gott Anlaß gegeben hat. Da in
der Vergilstelle (und bei Ovid fast. I 363 ff.) Aristaeos, der Sohn der
Kyrene, der selbst auch als Gründer von Kyrene galt (vgl. Rühl
Jahrbb. f. Philol. 1888, 346), sich von Proteus berathen läßt, aller-
dings in einer landwirthschaftlichen Frage, so kónnte man sogar ver-
sucht sein, die Frage aufzuwerfen, ob nicht die oben angenommene
Verbindung des Meergotts von Itanos mit der Gründung von Kyrene
jener Ueberlieferung ursprünglich zu Grund liegt. — Auf einer Silber-
münze von Itanos mit dem Bild des fiischschwänzigen Gotts (Svoronos
a. O. T. XIX, 9, vgl Berliner Münzkab. Nr. 159 ) zeigt der Revers
zwischen zwei aufgerichteten Seeschlangen den Beamtennamen EY-
®AMO. Der Name ist ja nicht selten, doch aber läßt sich fragen,
ob er hier nicht im Zusammenhang mit der oben angedeuteten my-
thischen Beziehung zwischen Itanos und Kyrene stehen könnte.
+ Korobios von Itanos. . . 508
offenbar in die beiden Bestandtheile xóQog und Blog zu zer-
legen und zu Kogos8oc und verwandten Namen zu stellen (vgl.
Fick Griech. Personennamen 8. 46). Die Dehnung des o zu w
würde sich aus metrisehen Gründen (in einem vorauszusetzen-
den Gedicht) erklären (vgl. Wilamowitz homer. Unters. 8. 824).
Nun erinnere man sich der von dem Meergott Glaukos be-
zeugten Eigenthümlichkeit, die in den folgenden Worten von
Gädechens Glaukos S. 137 f£, welche vollständig herzusetzen
erlaubt sein mag, treffend ausgeführt ist: „Glaukos war selbst
in seiner wilden Gestalt eigentlich ein tröstlicher Anblick für
den schwachen, dem Tod verfallenen Sterblichen; denn ihm,
der auch einst ein Mensch gewesen war, hatte seine später
erlangte Unsterblichkeit, in der er fort und fort auf der Welt
lebte, keinen Segen und keine Freude gebracht; er fühlt sich
verlassen, er kann seine Unsterblichkeit vor den Menschen nicht
geltend machen, oder er wird so gequält von dem immer zu-
nehmenden, drückenden Alter, daß er sich verzweiflungsvoll in
das Meer stürzt; aber auch da verfolgt ihn sein Unglück, stete
Klagen ertönen aus seinem Munde, daß er nicht
sterben könne. Er sehnt sich nach dem Tode, nach
endlicher Ruhe. In ihm personificiren sich die Eindrücke,
welche wir in nächtlicher Stille am Meeresgestade empfangen,
wenn in der anbrausenden und ächzend wieder zurückweichen-
den Woge das Bild des ewigen Abmühens, des erfolglosen Rin-
gens uns vor die Seele tritt, welches ‘mühevolle Ausdauern’
selbst dem Poseidon seine Götterwürde schmilert. Da ist Glau-
kos der Urtypus des fliegenden Hollünders, der auch nicht ster-
ben kann und durch alle Meere rastlos auf einsamem Schiffe
dahinführt". Dieser trübe, unbefriedigte Gemüthszustand ist
aber nicht bloß Eigenthümlichkeit des Glaukos, er wird mehr
oder weniger auch von den andern Seewesen getheilt, vor allem,
wie begreiflich, von den yégovtes «dios. (Diese trübe Stimmung
kommt z.B. in der bei Güdechens a. O. 8. 212 angeführten
phönicischen Münze zum Ausdruck: „ein alter bürtiger Meergott
mit Menschenoberleib in einen Fischschwanz ausgehend. Seine
Linke hater ernst und nachdenklich andas Haupt
gelegt“, vgl. auch Güdechens S. 188). Wie für den lebens-
satten Glaukos, könnte also auch für verwandte Gestalten, wie
den Meergott von Itanos (den Güdechens S. 189 u. Andere ge-
504 P. Knapp, Korobios von Itanos.
radezu als Glaukos bezeichnen, allerdings ohne genügende Be-
rechtigung) der Beiname Kogoßios (Koewfoc) als treffende,
Bezeichnung erscheinen. Wir nehmen also an, daß der bei He-
rodot erhaltenen therüischen Ueberlieferung über die Gründung
Kyrene's eine dichterische Bearbeitung zu Grund liegt
die ein mit dieser Gründung verknüpftes sagenhaftes, bez. auf
Kultbeziehungen beruhendes Element, die Beihülfe des in Itanos
verehrten Meergotts in freier Weise und in rationalistischem
Sinn umgestaltet, mit diesem Meergott gewissermaßen die umge-
kehrte Metamorphose vorgenommen hat, die sich bei Glaukos,
dem ursprünglichen Fischer, vollzogen hat. Diese Umgestaltung
bot noch den besonderen Vortheil, daß mit ihrer Hülfe die spä-
teren Beziehungen der Samier zu den Kyrenäern (und Therüern)
motivirt werden konnten ?).
Die Möglichkeit einer solchen Behandlung eines geschicht-
lichen Vorgangs, wie wir sie annehmen, wird sich nicht bestrei-
ten lassen (vgl. auch die oben angeführte Bemerkung Duncker’s).
Es darf in diesem Zusammenhang immerhin daran erinnert wer-
den, daß die bei Herodot und Andern vorliegende Ueberlieferung
über geschichtliche Vorgänge ungefähr derselben Zeit, über die
Tyrannis des Periander, nach der überzeugenden Vermuthung
Duncker’s VI? 68 (vgl. die Bemerkungen des Verf. Württemb.
Correspondenzbl. 1888, 104. 109) ihre eigenthümliche Gestalt
durch eine poetische Quelle erhalten hat *).
9) Ein ähnliches Verdienst um Kyrene erwarben sich die Kni-
dier, indem sie die von Arkesilaos III nach Kypern zur Hinrichtung
gesandten Kyrenäer retten (Herod. IV 164). Wenn nach Plutarch
de Herod. malign. c.22 (Dionysios von Chalkis und Antenor) die Kni-
dier sich genau in derselben Weise um die Korkyräer verdient machen,
durch die Rettung der von Periander an Alyattes zur Verschneidu
geschickten korkyrüischen Knaben (bei Herodot sind es bekanntlich
die Samier), so ist doch wohl dieser Geschichte die Priorität zuzuer-
kennen und nicht der ersteren. Daß der Sieg des Arkesilaos und
seine Ermordung absichtlich in falsche Beleuchtung gerückt zu sein
scheinen, um seinen Tod als góttliches Gericht erscheinen zu lassen,
hat Grote (deutsche Uebers. II 364) hervorgehoben. Um so näher
konnte es liegen, die Opfer seiner Rachsucht in ühnlicher Weise be-
freien zu lassen, wie es bei den Opfern Periander's, des Prototyps
der Tyrannen, der Fall gewesen war.
*) Nachträglich kommt mir die neuste Behandlung der herodoti-
schen Ueberlieferung über die Gründung von Kyrene von E. Moll-
mann ,Herodots Darstellung der Geschichte von Kyrene“ ( Königs-
berger Gymn.-Progr. 1889) zu Gesicht; indeß gibt mir dieselbe keinen
Anlaß zu einer Aenderung der oben dargelegten Auffassung. Moll-
mann hält mit Thrige die Figur des Korobios für historisch.
Tübingen. P. Knapp.
XXVII.
Noch einmal die Bühne des Aeschylos.
Mit Bezug auf die Abhandlung von v. Wilamowitz - Móllendorf im
Hermes Bd. XXI S. 597 ff.
Der Brief Dórpfeld's an A. Müller (in dessen werth-
vollem Buche „Griechische Bühnenalterthümer“ S. 416) über die
baulichen Zustände der ausgegrabenen Grundmauern des atheni-
schen Dionysos- Theaters ist wohl geeignet, die Fortsetzung der
Mittheilungen mit Spannung erwarten zu lassen. Aber auch
das bereits Gegebene hat genügt, um eine Reihe von Fragen zu
lósen und andere aufzuwerfen. Wenn, wie wir darnach anneh-
. men müssen, ein steinernes Theater im 5. Jahrh. v. Chr. in
Athen überhaupt nicht vorhanden war, so werden wir unsere
bisherigen Vorstellungen von der Entstehung der antiken Bühne
und den Aufführungen der ältesten Tragödien hiernach zu revi-
dieren haben. Andererseits wird man nicht verkennen dürfen,
daß das von Lykurgos aus Stein aufgeführte Skenengebüude in
Athen, ebenso wie das schon früher im Peirüeus vorhandene
nebst allen später entstandenen doch nur solid und elegant aus-
geführte Ab- und Nachbildungen jenes ersten im 5. Jahrh. er-
fundenen und mit der Tragódie parallel entwickelten provisori-
schen Bühnengebäudes waren. Zu konstruktiven Neuschöpfungen
hatte die Zeit des Lykurg weder Gedanken noch Veranlassung,
da keine neu eintretenden poétischen Bedürfnisse zu befriedigen
waren. Die griechischen Bühnen des 4. Jahrh. werden also die
Elemente der athenischen Bühnen des 5. Jahrh. noch viel treuer
wiederholt haben , als unsere Schauspielhäuser den Typus ihrer
Entstehung im 17. Jahrhundert immer noch zeigen, natürlich
von einzelnen technischen Verbesserungen und Erfindungen ab-
gesehen.
Eine revidierende Kritik der bisherigen Ansichten über die
506 B. Todt,
älteste athenische Bühne ist im Zusammenhange mit der Ent-
deckung der Architekten bereits durch v. Wilamowitz-Möl-
lendorf im Hermes Bd. XXI S. 597 ff. vollzogen worden,
welche ihm geradezu verblüffende Resultate ergeben hat, so sehr
verblüffend, daß, soviel ich weiß, noch Niemand Zweifel daran
ausgesprochen hat. Entweder schlichte Annahme, wie bei K i e 8-
ling zu Horaz de arte poet. V. 227, oder bescheiden bedingte
vorläufige Zustimmung, wie sie sich bei Niejahr im Programme
des Halle’schen städtischen Gymnasiums von 1888 findet, in Er-
wartung weiterer Resultate der Ausgrabungen, dies dürfte ohn-
geführ die Signatur der Stimmung in der philologischen Welt
gegenüber den von v. W.-M. aufgestellten Ansichten sein. Die
Resultate der Ausgrabungen werden uns aber in Betreff der
Kritik der durch v. W.-M. aufgestellten Ansichten schwerlich
etwas nützen, sondern wir werden hierfür wohl stets auf die
uns vorliegenden philologischen Hülfsmittel angewiesen bleiben,
von denen ja auch die Hypothese ausgegangen ist).
Wenn wir von der sehr dankenswerthen Kritik einzelner
bisher festgehaltener Daten, welche auf der unsicheren Auktori-
tüt spüterer Grammatiker und Lexikographen beruhen, absehen
und die topographische Frage bei Seite lassen, so hat v. W.-M.
S. 621 die Resultate seiner Forschung in folgenden Worten zu-
sammengefafbt: „Peisistratos stiftet oder erweitert wenigstens
Heiligthum und Tempel (im stüdtischen Dionysion), führt die
korinthischen Bockstünze ein, 534 führt Thespis die erste rga—
yodia auf. Sie entwickelte sich langsam. 508 tritt der attische
Bürgerchor hinzu, siegt Hypodikos von Chalkis. 497 etwa be-
ginnt Aeschylos, durch den das wirkliche Drama erst entsteht.
Bis 465 —460 tanzen die tragischen und kyklischen Chóre auf
demselben gemauerten Tanzplatze àv Æovvoov, für die Zuschauer
sind rings herum Íxgia errichtet, für die Schauspieler ein
Aoysiov mitten in der Orchestra. Dann wird eine Hinterwand
aufgeschlagen, die íxg4& nur an dem aufsteigenden Burgabhang
bis zur Schwarzpappel“ u. s. w.
Also bis 465, vielleicht noch länger, dieser Zustand: kreis-
runde Orchestra mit ringsherum sitzendem Publikum, in der
Mitte eine „Estrade“ (S. 605), ein „nothwendig etwas erhöhter
Platz der Sprecher“ (S. 604), keine Hinterwand, keine Dekora-
1) Ueber die inzwischen nach Vollendung dieses Aufsatzes erschie-
nene vorläufige Mittheilung über weitere Resultate der Ausgrabun-
gen, welche Kawerau in dem Artikel „Theatergebäude“ in Bau-
meisters „Denkmälern“ S. 1734 ff. bietet, werde ich in einem Nach
zu reden haben. Hier sei nur die Bemerkung vorangeschickt, daß K.
sich zwar auf den Aufsatz von v. W.-M. bezieht, ihm aber in den
beiden wesentlichsten Punkten stracks widerspricht, indem er einer-
seits die Existenz jedes Logeions in den griechischen Theatern be-
streitet, andererseits die Aufstellung einer abschließenden Hinterwand
recht früh zu setzen scheint. '
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. $07
tionen, und dann 458 bei der Aufführung der Orestie alles vor-
handen: das Publikum auf einer Seite, eine mindestens zwei-
stóckige Hinterwand mit drei Thiiren, Palast- und Tempelfront
und Ekkyklem, das lünglich- rechteckige Proskenion mit zwei
Seiteneingängen, Parodoi und Thymele des Chores über dem
Fußboden, das Skenengebüude mit einem Dach versehen (wegen
der Flugmaschinen) — kurz, die ganze Bühne des Sophokles
und Euripides fertig! In der That eine treibhausartige Ent-
wickelung in höchstens 7 Jahren! Während die tragische
Bühne sich länger als zwei volle Menschenalter hindurch in
knospenhaftem Zustande schier unverändert erhalten hatte, nun
diese plötzliche Entfaltung zur höchsten Blüthe, ja, in mancher
Beziehung über ihren Höhepunkt hinaus. Denn es ist unver-
kennbar, daß Sophokles von der nachweisbaren Maschinerie der
Aeschyleischen Tragödie sehr wenig Gebrauch macht. Einmal,
im Philoklet, kommt ein deus ex machina in der Höhe erschei-
nend vor, eine Flugmaschine in den erhaltenen Tragüdien gar
nicht. Bei Euripides dürfte die Flugmaschine nur im Rhesos
(der nicht von Euripides ist, sondern aus der Schule des Aeschy-
los stammt, wie Lachmann zuerst bemerkt hat), nachweisbar
sein, die andern Góttererscheinungen lassen sich durch Hervor-
treten aus der Hinterwand in der Höhe erklären. Man überließ
eben den Gebrauch dieser Kunstmittel in ganz natürlicher Ge-
schmacksentwickelung später mehr den Komikern; Aeschylos
dagegen hat mit einer gewissen Vorliebe von diesen mechani-
schen Erfindungen Gebrauch gemacht, und man müßte außer
der Achilleis, welche v. W.-M. in die Zeit von 465—458 ver-
legt, noch manches andere Stück, z. B. die "Trilogie, zu welcher
der Fvyoorucia gehörte (Poll. IV 180), worin Zeus mit der
Schicksalswage nebst Eos und Thetis auf dem obersten Balkon
des Jeoloyeior saß, und die Leiche des Memnon mit dem yégavog
in die Hóhe gehoben wurde, in diese wenigen Jahre zusammen-
pressen. Wenn Aeschylos wirklich nicht, wie man bisher nach
seiner Vita und andern Zeugnissen glaubte, im Wesentlichen
der Erfinder der Einrichtungen der Bühne ist, die wir in
der Orestie finden, dann muB man in der That ,den alternden
Schöpfer der Tragödie bewundern, daß er sich so schön in die
neue Weise gefunden hat“ (v. W.-M.), ja, man muß sich sogar
verwundern, daß er, welcher an diesen Neuerungen mehr als
sein jüngerer KunstgenoB Geschmack fand, dieselben nicht frü-
her selbst erfunden habe!
Es giebt noch andere verwunderliche Punkte in dieser An-
sicht von der ältesten tragischen Bühne, z. B. den Umstand,
daß in der oben herausgehobenen Stelle und auch S. 608 ff.,
wo die Entwickelung des Dionysos-Chores zum Drama etwas
genauer angegeben wird, die Namen Phrynichos und Chörilos
mit ihrer reichen Produktion gar nicht erwühnt werden. Aber
508 . B. Todt,
alles Verwundern wird uns nicht fórdern, wenn wir nicht aus
den vier Stücken des Aeschylos, welche älter sind als die Ore-
stie, einige Modificationen dieser Behauptungen ermitteln. Denn,
wie v. W.-M. S. 606 ganz richtig sagt: „Wenn man das glau-
ben soll, so müssen ja die vier ülteren Dramen des Aeschylos
die durch Vermuthung konstruierte Form des Schauplatzes zei-
gen. Das thun sie auch, setzt er ausdrücklich hinzu, „und
das ist die Hauptsache“.
Ja, die Hauptsache wäre das. Ob die Stücke es aber wohl
wirklich thun? Mich will bedünken, als ob diese vier Haupt-
zeugen bisher nur sehr einseitig befragt worden wären. Nehmen
wir sie noch einmal in ein eingehendes Verhör; ich vermuthe,
das Verdikt der Leser wird am Schlusse der Verhandlung nicht
zu Gunsten der kreisrunden Orchestra mit einer Mittelestrade
und ringsherum sitzendem Publikum ausfallen. „Denn von dem,
was in den Tragödien selbst steht, läßt sich nichts abdingen“
(v. W.-M. S. 603).
Wir móchten aber bei der folgenden Untersuchung auch
möglichst nichts von unseren bisherigen Anschauungen in die
Dramen hineintragen, was nicht darin steht, und wollen darum
die Fragestellung noch einmal fixieren.
„Der entscheidende Schritt", sagt v. W.-M., „war das Auf-
schlagen der Hinterwand, gleichviel ob sie fest oder zerstörbar,
hölzern oder von Stein war“. Die Existenz dieser den Blick
des Zuschauers ab- und ausschließenden Hinterwand wird für
unsere vier Tragödien bestritten. Behauptet wird eine kreis-
runde, allseitig vom Publikum umsessene Orchestra, und in ihrer
Mitte eine von den tanzenden Chören umkreiste Estrade für die
Schauspieler, zu welcher Stufen emporführen. Zugegeben wird
der Schmuck dieser Estrade mit Altüren und Götterbildern.
Auch eine „Bude zum Umkleiden“ wird als unentbehrlich be-
zeichnet (S. 605). Wo dieselbe sei, ist nicht gesagt. Es fragt
sich, ob man es für möglich erachtet, daß die uns vorliegenden
vier Tragödien, nach ihrem Wortlaut, für eine solche Schau-
bühne gedichtet seien.
Beginnen wir mit den Schutzflehenden, nach v. W.-M.’s
richtiger Bemerkung S. 608 unzweifelhaft dem ältesten der erhal-
tenen Dramen. Es beginnt mit „Anapästen des Chores, unter
welchen derselbe einzieht ?)". v. W.-M. sagt ganz recht: „die
2) Wenn A. Müller S.211—12 die Schutzflehenden zu denjenigen
Stücken zählt, in welchen der Chor von Anfang an bereits da sei, so
kann er damit nur meinen, daß der Chor das erste Wort hat. Ich
kann nicht glauben, daß Müller, welcher S. 373 ganz recht sagt, der
tragische Chor sei nach dem Spendeopfer mit dem Dichter abgetre-
ien, um hernach je nach der Oekonomie des Stückes wieder zu er-
scheinen, annehmen könne, die vorhanglose Bühne der Alten sei am
Anfang irgend eines Stückes zu irgend einer Zeit anders als völlig
leer gewesen.
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 509
Danaiden sind eben gelandet, sie ziehen mit ihrem Vater und
dem Gefolge auf der Landstraße, da kommen sie an eine heilige
Stätte”. Eine Straße des Einzuges wird also auch bei der kreis-
runden Orchestra mit der Mittelestrade angenommen, ebenso eine
Straße des Ausganges, wo sie „den Zug nach Argos fortsetzen“.
Das ist ja freilich ganz selbstverstündlich. Wenn man Tetralo-
gieen aufführt, in denen sich Chöre und Nebenchöre und ganze
Scharen von Statisten ablösen, so müssen Einzugs- und Aus-
gangs-Orte da sein, auch Locale (Buden) zum Kosttimieren und
für die Requisiten außerhalb der Orchestra, außerhalb des Seh-
feldes der Zuschauer, angenommen werden. Die Verlegung
dieser letzteren Lokale fern von der Estrade macht, wie
sich noch zeigen wird, zwar manche Dinge recht schwierig;
aber sei es, in den Tragödien steht nichts davon, „und der
Philologe kann sich das nicht reconstruiren"?) Doch ein
Eingangs- und Abzugsthor muß ja auch für die lyrisch - meli-
schen Chóre vorhanden gewesen sein, und war ja selbst bei dem
römischen Amphitheater vorhanden, welches dem Schema der
angenommenen kreisrunden Orchestra am besten entspricht. Also
Einzug und Abzug des Chores wird durch diese Form des
Schauplatzes nicht unmöglich gemacht, wohl aber wird die so
wichtige und dem Verständniß so förderliche Symbolik von
rechts und links, Heimath und Fremde, dadurch aufgehoben ;
denn dem einen Theil des Publikums war links, was dem an-
dern rechts war. Hiergegen wird v. W.-M. einwenden: „Man
hat sich eben ohne diese Symbolik, wie ohne so manches an-
dere, beholfen. Die Danaiden sagen ja, daß sie aus der Fremde
kommen, und der König, daB er aus der Stadt kommt". Zx-
gegeben, namentlich für dieses Stück; aber es ist neben der
fernen Lage der Ankleide- und Requisiten-Lokalien ein zweiter
sehr empfindlicher Mangel dieser Form der Schaubtihne, wel-
cher bald zur Abhülfe durch die Erfindung der Hinterwand
treiben mußte. Aber weiter. „Sie kommen an eine heilige
3) Gegen diese letzten S. 608 bei Gelegenheit der Besprechung
der Perser (wo der Darsteller des Boten „ungesehen“ unter die Estrade
schlüpfen soll um den Geist des Darius zu spielen), gemachte Bemer-
kung von v. W.-M. muß ich doch gleich bier einen bescheidenen Pro-
test einlegen. Erstens handelt es sich nicht um die Reconstruk-
tion eines gegebenen zertrümmerten Dinges, sondern um die Kon-
struktion einer „durch Vermuthung gefundenen“ Oertlichkeit durch
die gegebenen Zeugnisse. Da könnte man weit eher die Forde-
rung aussprechen: „Der Philologe soll durch Vermuthung nichts
finden, was sich nach den gegebenen Zeugnissen nicht auch konstruie-
ren läßt“. Zweitens aber muß der Philologe sich so gut wie jeder
andere verständige Mensch alles reconstruieren können, was nach
unabünderlichen Gesetzen verläuft, z. B. nach denen der Mechanik,
Optik, Akustik s auch der Psychologie und Aesthetik, und er kann
es auch.
510 B. Todt, -
Stätte, welche zwar nicht durch Götterbilder, aber doch durch
die Symbole der verschiedensten Götter ausgezeichnet ist. Auf
die Stufen dieser Altäre setzen sie sich, als der König aus
der Stadt herangefahren kommt, und dann wieder in der vor-
letzten Scene, als der Aegypter mit seinen Schergen sie von
den Altären zu reißen versucht“. Hier ist zunächst die S. 609
im Text und in Anm. 1 zweimal stehende Behauptung, daß
keine Götterbilder sondern nur Symbole der Götter vorhanden
gewesen, dem ausdrücklichen Wortlaut des Gedichtes nicht ent-
sprechend. Denn V. 472 (Wecklein) sagt der Chor fo£rea rede,
V. 465 nennt er die angeblichen Symbole schlechthin „Götter“
(rdvds Fewv), und V. 214 fL, wo die Namen der Götter, zu
denen die Danaiden flehen sollen, von Danaos einzeln aufgeführt
werden, wird Zeus, Apollon, Hermes ohne Symbol einfach ge-
nannt, und von Symbolen nur der Dreizack des Poseidon, und
der ,Vogel*) des Zeus“ als Attribut des Sonnengottes ange-
führt, so daß man sieht, der Dichter lasse den fremd ankom-
menden Chor die Bilder gewisser Götter an ihren Attributen
erkennen, wolle aber nicht die Götterbilder durch die Sym-
bole ersetzen. Sodann waren es nicht Altäre, sondern ein
Gesammtaltar, ein ndyog dywriwy Fewv (V. 195), eine xos-
voßwula (V. 239), ein großes, hocherrichtetes Bauwerk, welches
V. 947 novurn molsews und V. 721 oxonn ixeradoxoc heißt,
eine hohe Warte, von der man weiter sehen kann, wie von der
Ebene. Ferner wird V. 125 und 784 von der ya fov», dem
Hügellande, gesprochen, und durch die ganze Tragödie zieht
sich die Vorstellung, daß diese xowoflwuía an einen Hügel an-
gelehnt sei, der aus einem Wiesenplan aufsteigt. Ohne die ab-
schließende Hinterwand hat aber die Phantasie dazu nicht den
mindesten Anhalt. — Wenn ferner der Chor „sich auf die
Stufen dieser Altäre setzt“ so muß man nach den Worten v.
W.-M.s annehmen, er meine damit die Stufen, welche von der
Orchestra auf die Estrade, das Logeion, führen, und dieses stelle
eben das Gesammtheiligthum der Götter von Argos vor. Damit
kommen wir aber in die allerpeinlichsten Verlegenheiten und
Widersprüche. Nämlich v. W.-M. sagt selbst S. 621: „für
die Schauspieler ein Aoysiov inmitten der ogynorga“*. Wenn
nun aber hier das Logeion selbst zu dem Heiligthum geworden
ist, an dessen Stufen die schutzflehenden Danaiden sitzen, so
darf es vom Könige und vom Aegypter gar nicht, und von
Danaos nur in einer Scene betreten werden. Denn es wäre
doch einfach absurd vom Dichter gewesen, den Kónig und den
Aegypter die Höhe des Gesammtaltars ersteigen, den dann die
auf den Stufen tiefer sitzenden Danaiden anreden oder von dem
4) Der Scholiast erklärt durch alsxzevaiv, was in Betreff seiner
Richtigkeit dahin gestellt bleiben muß. Es ist dort ein Vers aus-
gefallen.
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 511
Altar wegreißen zu lassen. Nein, war das Logeion der Altar,
und nicht dieser letztere noch ein besonderer Aufbau auf dem
ersteren, so mußte der König mit seinem Wagen und seinem
Gefolge, und der Aegypter mit seinen Schergen in der Orchestra
zu ebener Erde bleiben und von dort aus agieren. Das wäre
freilich gegen die Anschauung der bisherigen Tradition, welche
lehrt, daß die Schauspieler in der Regel auf dem Logeion agie-
ren, und nur höchst selten in der Orchestra erscheinen, — aus-
genommen in der Komödie, welche über alle Räume des Theaters
mit souveräner Willkür verfügt, — es würde aber mit den ra-
dikalen Anschauungen Kaweraus stimmen, daß ein Logeion über-
haupt nicht vorhanden war. Unter der Voraussetzung freilich,
daß die Hinterwand fehlte, war es ganz unpraktisch; die
eine Hälfte der im Kreise herum sitzenden Zuschauer konnte
schlecht hören und noch schlechter sehen. Denn so gar niedrig
und klein darf man sich diese „Estrade“ nach v. W.-M. nicht
denken, wenn, wie wir später sehen werden, im Prometheus der
Titan mit dem Felsen und dem gesammten Chor in ihre Tiefe ver-
sinken sollte, sondern ziemlich bedeutend über Menschenhöhe
hoch und an den untersten Stufen ziemlich breit im Quadrat.
Die Stufen müssen wir mindestens von 8 Seiten hinauf führend
denken ; von zwei Seiten bestiegen die Schauspieler das Logeion,
wenn sie es bestiegen, an der dritten saß der Chor auf den
Stufen. Er konnte nur an einer Seite sitzen: die 12 Cho-
reuten, — an dieser Zahl wird doch für die Schutzflehenden
nicht gezweifelt? — auf alle vier Seiten vertheilen zu wollen
würde den Eindruck eines Chores ganz zerstört haben, auch
konnte ja die Unterredung des Danaos und des Königs mit dem
Chorführer, (sehr wichtige Scenen !), welche zudem noch durch
Zwischengesänge des ganzen Chores begleitet werden, selbstver-
ständlich stets nur an einer Seite stattfinden. Auch die Chor-
gesänge mußten an einer Seite vor sich gehen; 12 Personen,
mochten sie mit dem Gesichte oder mit dem Rücken nach dem
Logeion (oder dem Gesammtaltar) stehen, konnten sich sonst
nicht sehen und keinen Reigen bilden. Wenn also die Hand-
lung auf der einen Seite stattfand, so sah und verstand die eine
Hälfte des Publikums so gut wie nichts; wenn man aber etwa
scenenweise hüben und drüben abwechselte, dann verstand erst
recht Niemand etwas Ordentliches.
Also, daß das Logeion selbst das Heiligthum gewesen sei,
an dessen Stufen die Danaiden sich setzen, muß als den Ab-
sichten des Dichters nicht entsprechend aufgegeben werden.
Denken wir uns einmal in die andere Vorstellung hinein, welche
durch v. W.-M.’s Worte nicht geradezu ausgeschlossen wird,
nämlich, daß auf dem. Logeion, der Estrade, aber von dem ei-
gentlichen „Sprechplatz“ deutlich unterscheidbar sich der Ge-
sammtaltar der Landesgötter befinde. Der Chor steigt dann
512 B. Todt,
zweimal auf den Rath des Danaos V. 197 ff. und 739 ff. aus
der Orchestra zum Altar empor, und zweimal, erst auf das Ge-
heiß des Königs V. 517 und dann zum Abzuge nach Argos
freiwillig in die Orchestra herab, jedesmal den Weg über das
Logeion nehmend. Wir dürfen uns diesen Aufbau auf dem Lo-
geion aber nicht gering an Größe denken. Der Gesammtaltar
machte, wie schon bemerkt, den Eindruck einer Warte, das
Ding mußte mit seinen Stufen groß genug sein, um alle 12
Choreuten in malerischer Gruppierung aufzunehmen, und die
darauf befindlichen Götterbilder mußten zahlreich und hoch ge-
nug sein, um die Drohung des Chores (V. 465 ff) sich vermit-
telst ihrer Gürtel „an diesen Göttern aufzuhängen“ und so
„diese Bilder mit neuen Weihgeschenken zu schmücken“ nicht
lächerlich erscheinen zu lassen. Denn der König nimmt diese
Erklärung sehr ernsthaft, sie stimmt ihn völlig um, sie bewirkt
die Peripetie des Stückes. Der Dichter mußte also wünschen.
denselben Eindruck einer ernst gemeinten, ausführbaren Dro-
hung auch auf die Zuschauer zu machen. Dann durfte aber
der Anblick mit den Worten in nicht zu grellem Widerspruche
stehen, und so erhalten wir einen großen, breiten Aufsatz von
mindestens 3 Meter Höhe auf dem mindestens ebenso hohen aber
noch viel breiteren Logeion.
Sehen wir nun zu, ob wir unter der Voraussetzung eines
solchen Mittelstückes in der kreisrunden Orchestra ohne Hinter-
wand mit rings herum sitzendem Publikum den Worten und
Absichten des Poéten gerecht werden.
Einige der oben entwickelten Schwierigkeiten der Darstel-
lung verschwinden, einige bleiben, andere treten neu hinzu.
Die Schauspieler, Danaos, der König, der Aegypter können nun
von dem ihnen gebührenden Platze auf dem Logeion reden.
Aber was sie mit dem Chor verhandeln, mag derselbe in der
Orchestra oder auf dem Altare sich befinden, könnte doch voll-
ständig nur von der einen Hälfte der Zuschauer gesehen und
verstanden worden sein. Die bewegte Scene mit dem Aegypter
und seinen Schergen möchte, wenn sich die 12 Choreuten
ringsum auf den Stufen des Altares an die Götterbilder klam-
mern und bedroht werden, ein malerisches „Rundbild“ gegeben
haben. Aber das würe doch nur ein schwacher Ersatz für die
Mängel des Verständnisses bei dieser Stellung in anderen Scenen,
und auch selbst in dieser. Ueberhaupt scheint mir v. W.-M.
den ästhetischen Werth dieser lebenden Rundbilder hier und im
Prometheus zu überschätzen. Sie gehören in die plastische
Kunst, wo das Kunstwerk stille hält, der Beschauer dagegen
rings herum gehen kann (wie bei Müllers Prometheusgruppe in
Berlin). Aber im Drama, wo das Kunstwerk sich mit jedem
Moment verändert, der Zuschauer aber an seinen Platz gefesselt
ist, da ist, ganz abgesehen von dem überwiegenden Interesse am
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 513
Hóren und Verstehen, ein lebendes Front-Reliefbild, wie es vor
einer Hinterwand sich aufbaut, plastisch klarer und in seinen
Effekten berechenbarer und gleichmäßiger, als ein Rundbild.
Und so kann auch diese Scene nur gewinnen, wenn man sie
sich im Angesicht eines einseitig zuschauenden Publikums vor
einer Hinterwand abgespielt denkt °).
Es kommt aber für die in der Mitte der Orchestra isoliert
stehende Estrade noch eine neue Schwierigkeit hinzu. Danaos
und der Aegypter konnte ja durch dieselbe Pforte im Rund der
Zuschauer, durch welche der Chor eingezogen war, zu ebener
Erde kommen und unbefangen das Logeion besteigen, das mußte
man hinnehmen. Aber der König kommt vou Argos zu Wa-
gen! So sagt der Dichter und auch v. W.-M. Mit Wagen
und Pferden kann er die Stufen zur Estrade nicht hinanfahren ;
wäre es physisch möglich, so wäre es doch ästhetisch unzuläs-
sig. Er mußte dann in der Orchestra absteigen und zu Fuß
hinaufgehen. Wenn aber der Wagen den König nicht bis an
den Ort seiner Bestimmung führen konnte, dann hätte der Dichter
doch wohl besser auf diesen Pomp verzichtet. Der Wagen des
Königs ist nur unter der Annahme der Bühne die Orestie, des
länglichen Rechteckes mit eigenen Seiteneingängen, sichtbar
zu machen.
Diese Form der Bühne, ferner das Einzugsthor (die Pa-
rodos) für den Chor, der Aufbau der Altäre auf dem Logeion,
die Halbkreisform der Zuschauerplätze haben sich bis jetzt als
fast unerläßlich für das Verständniß erwiesen. Die „entschei-
dende“ Hinterwand wird sich aus folgenden Erwägungen als
nothwendig ergeben.
V. 198 spricht Danaos auf dem Logeion (oder dem Altar,
gleichviel) stehend, und nach der Seite wo Argos liegen soll,
blickend, zum Chor: „Ich sehe Staub, des Heeres stummen Bo-
ten; ich sehe eine Schaar beschildeter und speertragender Män-
ner mit Rossen und Wagen“. Er sieht, was der Chor von sei-
nem tieferen Standpunkte in der Orchestra nicht sehen kann,
und was dieser und das Publikum ihm als in Sicht befindlich
glauben soll. Dazu ist jedes Theaterpublikum gern bereit,
wenn es dort, wo etwas vorgehen soll, selber nichts anderes
sieht. Die Phantasie ist dann geschäftig, sich jeden beschriebe-
nen Vorgang (hinter den Kulissen) vorzustellen. Wenn man
aber den Ort der beschriebenen Handlung selbst übersehen kann
ist jede Illusion unmöglich. Und so in den Schutzflehenden.
Unter der Voraussetzung der v. W.-M.’schen Schaubühne sah
der Chor genau so viel wie Danaos, der Chor und das Publi-
kum übersah jeden Zoll des Weges nach Argos bis zur Aus-
5) Uebrigens sind selbst in der Plastik die größten Gruppen-
bilder, die Niobiden, der farnesische Stier, Laokoon, zu geschweigen
von den Pergamenern, entschieden Frontbilder, nicht Rundbilder.
Philologus. N. F. Bd. II (XLVIID, 3. 93
514 B. Todt,
gangspforte, das Publikum sah sich hüben und drüben ins Ge-
sicht, — und lachte über den Phantasten auf dem Logeion !
Doch mochten sie hier lachen. In dieser Scene wird noch
an keine starken Gefühle appelliert. Aber viel schlimmer ist
es in der folgenden Scene von V. 718 ab.
Der Chor steht in der Orchestra, Danaos auf dem Logeion,
und zwar diesesmal sicher auf dem Altar. „Von dieser Flücht-
linge schützenden Warte“, sagt er nach der Seite des Meeres
blickend, „sehe ich das Schiff. Es ist deutlich. Die Segel
und Taue entgehen mir nicht, noch der Bug, der nach vorn
schaut und dem Ruder gehorcht. Auch die Bemannung mit
ihren weißen Gewändern und dunkeln Gliedern ist erkennbar.
Da sind auch die andern Schiffe, der ganze Zug. Das führende
Schiff hat in der Nähe des Landes die Segel gerafft und wird
gerudert“. Und nun beruhigt er die geängstigten Töchter, heißt
sie an dem Altare sich fest halten, und nachdem er noch ge-
sagt, es werde mit der Landung der gesammten Macht gegen
Abend so schnell nicht gehen, begiebt er sich auf den Weg
nach Argos um Hülfe zu holen 9) Der Chor besteigt das Lo-
geion und sieht in größter Angst und Spannung nach den Schif-
fen. V. 832 sieht er den Häscher, „der eben noch auf dem
Schiffe war, landend, sieht die Landung mit eigenen Augen")
Dann eilen sie in den Schutz des Altares V. 845 und der Ae-
gypter tritt auf. Und während dieser ganzen, die höchste
Spannung und Aufregung bezweckenden und auch bewirkenden
Scene sollen die Zuschauer von hüben und drüben sich in die
Augen gesehen, sollen den Platz, wo die Phantasie sich so gern
Meer und Schiffe denken möchte, mit Menschen besetzt, endlich
den Aegypter mit seinen Schergen aus keinem Boote, sondern
durch die gewöhnliche Außenthür eintreten und das Logeion
besteigen gesehen haben? Wahrlich, wenn Aeschylos diese Scene
für die kreisrunde Orchestra mit Mittelestrade und ringsum-
sitzendem Publikum dichtete, dann verstand er entweder die
Kunst der Seelenerregung durch die Phantasie herzlich schlecht,
oder er war ein so übermenschliches Genie, daß er sein Drama
6) Eine recht erhebliche Schwierigkeit der rings umsessenen und
übersehbaren Estrade erwähne ich in der Anmerkung, weil im Text
des Stückes davon nichts steht. Der Schauspieler, welcher als Dauaos
V. 783 nach Argos abging, erscheint als ägyptischer Herold schon V.
849 von der Seite der See. Er muß also während des Chorliedes
aufen um das ganze Theater herum laufen und sich umkleiden. Und
dasselbe Kunststück der Schnelligkeit muß er umgekehrt während der
28 Verse von V. 963-990, Trimeter und Anapästen, leisten, wo er
als Aegypter zum Meere abgeht, und als Danaos von Argos zurück-
kommt. Das läßt sich allerdings recht schwer »reconstruierene ; bei
der Annahme einer Hinterwand ist die Aufgabe der Schaupieler
leicht zu lósen.
7) Die Textesworte sind hier stark verderbt, aber der Sinn wird
von den Scholien richtig angegeben.
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 515
für die Bühne der Zukunft schrieb. Wir werden uns aber
keine von beiden Anhahmen aneignen, da die dritte die ein-
fachste und nüchstliegende und schließlich auch die bestbezeugte
ist, nämlich, daß er bei der Abfassung der Schutzflehenden die
Hinterwand der Bühne, und damit im Wesentlichen die Bühne
der Orestie, bereits hatte.
Es haben sich also aus den Worten der ültesten der erhal-
tenen Tragódien als nothwendig für die Aufführung ergeben:
die Bühnenhinterwand, damit im Zusammenhang die einseitige
Lage der Orchestra und der Zuschauersitze, ferner Parodoi zur
Orchestra und Seiteneingünge zum Logeion auf demselben Ni-
veau, damit auch die lünglich rechteckige Form desselben. Ein
ansehflliches Setzstück auf dem Logeion, der Gesammtaltar, wird
im Drama gebraucht. Von allem diesem „läßt sich nichts ab-
dingen". Als selbstverstündliche Consequenzen der Hinterwand
wird man gern Thüren in derselben (obgleich sie in diesem
Drama nicht nothwendig gebraucht sein müssen), und dahinter
Räumlichkeiten für Garderobe, Hülfspersonal und Requisiten zu-
gestehen. Eine Andeutung von Dekoration der Hinterwand, er-
scheint uns wünschenswerth, läßt sich aber nicht mit Sicherheit
erschließen. Denn die Bühne im status nascens war darin stets
von einer großartig naiven Geniigsamkeit. Auch in diesem
Stücke wird die Orchestra als ein Wiesenplan gedacht, — der
König heißt die Danaiden V. 575 Asvgóv xar’ &Acoç herabstei-
gen, cf. auch V. 50, — ohne daß wir annehmen dürfen, sie
sei dazu irgend wie dekoriert gewesen. Freilich wurde ande-
rerseits auch später, als die Skene längst Dekorationen hatte,
dennoch die Orchestra nie dekoriert. Also müssen wir uns be-
scheiden, in diesem Punkte noch nichts zu wissen.
Doch der Rubikon ist überschritten, und wir könnten ei-
gentlich hier abbrechen. Denn die noch nicht ermittelten Ele-
mente der Orestie- Bühne: die Bedachung des Skenengebäudes,
die Paraskenien, die gesammte Maschinerie u. A., waren doch
alles nur technische Konsequenzen der Hinterwand. Gehen wir
indessen dennoch die übrigen drei Stücke durch, ob sie das
Zeugniß der Schutzflehenden bestätigen oder widerlegen.
Die Perser sind in so fern am günstigsten für die An-
schauung v. W.-M.’s, als das Stück mit dem denkbar geringsten
scenischen Apparate auskommt, und als am Anfange eine un-
umwundene Erklärung, daß der Chor sich am Grabe des Da-
reios befindet, nicht gegeben wird. Wenn aber v. W.-M. aus
den Worten V. 148 100° &rslousvos ortyog üoyaior schließt, daß
als Schauplatz am Anfange des Stückes das Innere eines Rath-
hauses gedacht sei, wo der Chor sich versammele, so daß die
Stufen der Estrade ihm als Sitze dienen sollen, und wo ihn so-
wohl die Königin als auch der Bote aufsuchen, daß aber von
V. 618 an mit einem „unbemerkten Scenenwechsel“ der Schau-
38 *
516 B. Todt,
platz an das Grabmal des Dareios verlegt werde, so beruht dies
doch auf einem Mißverständniß. Denn oréyos dgyaiov heißt nicht
„Rathhaus“, kann gar nicht etwa so viel sein sollen wie „Re-
gierungsgebäude“, sondern ozéyog zunächst bedeutet „ein Bede-
ckendes“, unter andern auch ein Grab. So braucht der vom
tragischen Sprachgebrauch abhängige Lykophron es geradezu
für r&qoc, und in Soph. El. V. 1195 bezeichnet Elektra damit
die Aschenurne des Orest. Warum sollte das Wort nicht auch
bei Aeschylos „Grabmal“ bedeuten? Das Epitheton 4graiov
aber tritt dazu in demselben Sinne, wie es V. 660 addy», «co-
quios BaXXgv steht, d.h. „vormaliger König“, „hochseliger Herr“
(feu roi). So scheint oréyoc agyutov mit einer, so zu sagen,
hofmäßigen Enallage soviel zu sein, als das „hochselige *Grab-
mal“. Mag uns dieser Ausdruck befremden, und können wir
auch nicht sagen, warum der Dichter sich gerade so ausdrückte,
wir müssen jedenfalls annehmen, daß er nichts anderes als
das Grabmal und etwa cine dazu gehörige Halle hat bezeichnen
wollen, denn der behauptete unbemerkte Scenenwechsel wird durch
die Dichtung nicht nur nicht bestätigt, sondern ausdrück-
lich ausgeschlossen. Atossa sagt V. 527, „sie wolle aus
dem Hause Opfer-Elemente holen und kommen, um zu opfern“
(nEw), nicht aber zu Dareios Grabe gehen; und V. 610 sagt
sie, „sie habe aus dem Palast denselben Weg wieder zu-
riickgelegt“ (xsàev3ov rd . . . êx douwr nude orata). Sie
geht also nach dem klaren Wortlaut nur zwischen Palast und
Grabmal hin und her. Wie nun der Poét dazu gekommen, den
etwas dunkeln Ausdruck zur Bezeichnung der Lokalität zu wäh-
len, darüber lassen sich nur Vermuthungen aufstellen. Wahr-
scheinlich zeigte sich die Dekoration des Logeions dem Auge
deutlich genug als ein Grabmal an, und Atossas Erscheinen,
sowie die Anspielungen V. 214. 232, welche v. W.-M. merk-
würdigerweise befremden, wo von den „Lieben unter der Erde“
die Rede ist, genügten, um die Athener darüber zu unterrichten,
wessen Grabmal gemeint sei. Haben sie doch von den Scho-
liasten bis auf unsere Tage sonst allen Aeschylos - Lesern und
Erklärern dazu genügt. Weit befremdlicher dürfte es den Athe-
nern. vorgekommen sein, sich den Chor in einem Rathhause ver-
sammelt zu denken. Soviel wußten sie von Persien doch auch,
daß sie in Susa kein Prytaneum vermuthen, und sich unter den
yneadéa motwyata des Xerxes keine fou oder yegovolu den-
ken durften, die sich in ihrem Amtslokal versammelte. Der
Dichter brauchte eine Prophezeihung, da griff er zum Ahnen-
kult, und führte ganz naiv die Getreuen an das Königsgrab
und die Königin-Mutter an das Grab ihres Gatten. Dies Grab
lag vor den Thoren der Stadt und der meldende Bote: mußte
daran vorüber. So ohngefähr wird man sich die Sache ästhe-
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 517
tisch zu erklären haben; die Identität des Schauplatzes durch
das ganze Stück steht durch die citierten Worte der Königin fest.
Nehmen wir aber einmal den in der griechischen Tragödie
unerhörten Fall an, daß in der ersten Hälfte der Perser ein
Innenraum dargestellt werde, und zwar ein Sitzungssaal, wo die
Stufen des Logeion als Divan dienen; so kann dann doch weder
der Bote noch die Königin vom Logeion herab, gewissermaßen
von einem Balkon, reden, und vor allem kann die Königin nicht
mit Maulthieren und Wagen in dieses Haus hinein fahren!
Und zwar ist hier das Gespann de rigueur. Wenn Jemand in
Betreff der Schutzflehenden behaupten will, der König sei zu
Fuß mit wenigen Begleitern eingetreten, und man habe sich zu
denken, daß der ausführlich beschriebene militärische Zug „mit
Wagen und Reitern“ eben seiner Größe wegen unsichtbar blieb,
so muß man die Möglichkeit auch dieser Auffassung zugeben,
obgleich mir die andere wahrscheinlicher ist. Aber Atossa muß
bei ihrem ersten Auftreten mit königlichem Pomp und zu Wa-
gen erscheinen, weil sie bei ihrem zweiten Auftreten ausdrück-
lich angiebt, daß und warum sie diesesmal das Gespann nicht
benutze. Das hätte gar keinen Sinn, zumal der Wagen zuvor
mit keiner Sylbe erwühnt worden ist, wenn die Zuschauer ihn
nicht in der ersten Scene gesehen hütten und wieder erwarteten.
Und wenn ferner im zweiten Theil der Tragödie das Logeion
selbst das Grabmal des Dareios vorstellt, (wie v. W.-M. aus-
drücklich sagt: „aus ihr, der Estrade, kommt der Geist her-
vor^) dann kann die Kónigin wieder das Logeion nicht bestei-
gen, denn dann stünde sie auf gleichem Niveau mit dem Geist
des seligen Gatten und könnte ihn umarmen 5) Sieht man denn
nicht, daß man das Logeion hierdurch zu einem bloßen Dekora-
tionsstück der Orchestra, das eine Mal als Rathhaus, das andere
Mal als Grab, herabsetzt? Nein, selbst unter der Voraussetzung
der kreisrunden Orchestra mit einer Mittelestrade müßte wie-
derum ein Aufbau auf dem Logeion, aus welchem der Geist em-
porsteigen würde, angenommen werden. Es zeigen sich auch
hier alle bei den Schutzflehenden für diese Annahme nachge-
wiesenen Ungereimtheiten in der Stellung des Chores und der
Schauspiefer (insbesondere des Geistes) zu der einen Hälfte des
rings sitzenden Publikums, nur daß hier keine so bestimmte
8) Die schon oben berührte Schwierigkeit (S. 608), wie der Bote
ungesehen unter die Estrade gelangen könne, um den Geist zu spie-
len, war bei weitem nicht die größte. Mochte er doch auch vor
den Augen der Athener hineingehen! Wenn die Estrade ein Rath-
haus vorstellte, war dies gar nicht einmal so sehr gegen die Illusion.
Ein viel größeres technisches Kunststück wäre es gewesen, ihn, nach-
dem er als Geist versunken, ungesehen wieder heraus zu bringen und
sich umkleiden zu lassen, damit er von Außen auftrete und den
König Xerxes spiele!
518 B. Todt,
Beziehung, wie dort, auf die Existenz der Hinterwand hinweist.
In Wirklichkeit war dieselbe natürlich nebst der langen recht-
eckigen Skene mit den zwei Seiteneingüngen vorhanden, doch
wissen wir auch hier nicht, wie sie. hinter dem das Grabmal
vorstellenden Satzstücke etwa dekoriert war. Vielleicht gar nicht,
vielleicht genügte die auch bei einer Holzwand anzunehmende
architektonische Gliederung des unteren 'Theiles, um diesen als
eine Art Halle erscheinen zu lassen. Eine Palastfront war si-
cher nicht dargestellt, darin hat v. W.-M. Recht ?).
Das Bedürfniß der Hinterwand zeigt sich aber wieder deut-
lich in den Sieben gegen Theben (v. J. 467). v. W.-M.
thut dieses Stück mit wenig Zeilen ab. „Es ist ein freier
Platz", sagt er S. 608, ,der Marktplatz von Theben, wo der
König seine Proklamation erläßt, Meldungen empfängt, Befehle
ausgiebt. Dorthin laufen die Weiber in Angst zusammen, dort
stehen die Götterbilder, um welche die Frauen sich drängen,
welche sie umfassen, — dieselbe Estrade wie bei den Persern,
anders dekoriert, dieselbe centrale Anlage des alten Schauspiel-
platzes“. Davon verhält sich doch manches wesentlich anders.
Es ist nicht der Markt von Theben, sondern die Akro-
polis, so steht, wie auch A. Müller S. 113 Anm. 4 nicht
übersehen hat, in V. 276 ausdrücklich geschrieben: ragfoouve
yoßw zuvd’ & àxgónoÀw, ıluov Edoc, ixouav. Und der Chor
besteht, wie wiederholt bemerkt wird, aus Jungfrauen, nicht aus
Weibern im Allgemeinen, — doch das ist scenisch gleichgültig.
Die Jungfrauen haben sich um ihrer Sicherheit willen an den
festesten Ort, wo die heiligsten Götterbilder stehen, geflüchtet,
V. 195 ini douuovwv àgyoio Poërn. Das Hauptmotiv des Dich-
ters aber bei der Wahl dieses Schauplatzes war, daß er die
Vorstellung erwecken wollte, man kónne von der Hóhe der Burg
in die Ebene hinaussehen und den Feind und den Kampf be-
obachten. Das ist ja der Inhalt der schönen, mit Recht hoch-
berühmten Parodos. Der Chor eilt aufgelóst in die Orchestra, dann
auf das Logeion und den daselbst befindlichen Gesammtaltar, —
ganz ähnlich wie in den Sehutzflehenden, — und erspäht von
dem erhóhten Standpunkte das Ausrücken des feindlichen Hee-
res. Er sieht in der Luft den Staub, „den stummen sichern
Boten“, sieht den Vortrab der Reiter, sieht die weißen Schilde
des Argivervolkes, endlich die Absendung der sieben Helden
gegen die sieben Thore. Das alles könnte sich doch Niemand
vom Marktplatz aus wahrgenommen denken! Spüter warnt
9) A. Müller S. 115. Anm. 5 schließt aus Pers. 192 ravza dy À
novo’ ixévw yovasooroluovs douovs und Anm. 7 aus Cho. 22 ieAsóg ix
douwy EfBnr fülschlich, daß in beiden Füllen die douos auf dem Lo-
geion sichtbar sein müßten. Gerade umgekehrt: weil das Haus nicht
sichtbar ist, darum sagt die Königin in den Persern und in den Choe-
phoren der Chor ausdrücklich, woher beide kommen.
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. $19
Eteokles die Mädchen, den Anblick Verwundeter oder Sterbender
nicht mit Geschrei zu begleiten (V. 228) und will sie deshalb
vom Altar herunter haben. Er darf sie.aber nicht mit Ge-
walt entfernen oder entfernen lassen, und die Sicherheit, die
ihnen die Götterbilder geben, reizt die Mädchen sogar zu einer
anzüglichen Antwort (V. 148), welche ihnen Eteokles verweist
(V. 144 moAworousig at Jıyyavovo’ dyalpatwr;), worauf sie
sich entschuldigen. Endlich beruhigt steigen sie vom Altar
(2x10¢ ayadudrwy V. 151) und dem Logeion herab in die Or-
chestra, wo sie V. 274 das erste Standlied anstimmen und fortan
bleiben.
Alles dies ist als poötisch wirksam nur denkbar unter der
Voraussetzung, dab auf dem Logeion der hohe Gesammtaltar
der Gótter errichtet war, und nicht das Logeion selbst ihn dar-
stellt, denn dann durfte Eteokles es wieder nicht betreten, und
daB der Schauplatz nicht ringsum den Blicken der Zuschauer
ausgesetzt, sondern durch eine Hinterwand abgeschlossen war.
Der Gesammtaltar mag ohngeführ dasselbe Setzstück gewesen
sein, das auch in den Schutzflehenden Anwendung fand. Was
die etwaige Dekoration der Hinterwand betrifft, so ist festsu-
halten, daß der Schauplatz der Tragödie die Burg ist, nicht
ein Vorplatz vor einem Palast. Das Logeion repräsentiert eine
Bastion der Burg, und wenn auf der Hinterwand irgend etwas
dargestellt war, so waren es unten Mauern und Zinnen, und
darüber Luft und Himmel.
Stellen wir uns aber noch einmal auf den Marktplatz von
Theben mit dem Altar in der Mitte, das soll heißen auf die
kreisrunde rings übersehbare Orchestra mit einer Mittelestrade,
so müssen wir fragen: Stehen die Götterbilder auch rings um
den Altar? Klammern sich die Choreuten auch rings um an
die Bilder? Und wenn sie dieselben verlassen haben, wo steht
der Chor vom ersten Stasimon an? Und wo geht die Aktion
vor sich? Auf dem Logeion sicher nicht, denn weder der Kö-
nig noch der Bote darf den Altar betreten und am wenigsten
kónnen die Leichen der Brüder dorthin gesetzt werden. Doch
es ist unnöthig, dies weiter auszudenken : hätte der Dichter
wirklich für eine kreisrunde, rings umsessene Orchestra dichten
müssen, so blieb ihm nur ein Mittel übrig, um seine Dich-
tung allgemein allenfalls verständlich zu machen: er mußte das
Logeion beseitigen und von den Zuschauern verlangen,
sich den Chor vor imaginären Götterbildern liegend zu denken.
Das war nicht allzuviel verlangt; wurde ihnen doch angeblich
zugemuthet, zu glauben, man könne über die Häuser und Mauern
hinweg vom Marktplatz in das Blachfeld sehen. (Selbst mit
Kaweraus Ansicht von dem Schauplatz mit Hinterwand ohne
Logeion könnte man sich leichter abfinden, obwohl unerfindlich
520 B. Todt,
bleibt, wie denn die Mädchen ins Blachfeld hinaus sehend ge-
dacht werden konnten).
Es ist aber alles in Ordnung. Aeschylos dichtete für die
einseitig tiefer liegende Orchestra und für das erhóhte lünglich
rechteckige Logeion mit einer Hinterwand. Für diese Form des
Logeions noch einen Beweis: V. 336 ff. sieht der Chor von der
einen Seite den Boten und von der andern den König schnel-
len Ganges herbei kommen!?) Dies setzt voraus, daß die
Schauspieler ein Stück Weges zurück zu legen hatten, bevor
sie in der Mitte des Logeions zusammentrafen.
Im Uebrigen ist die Benutzung der Zugänge sehr einfach.
Der König (und sein Gefolge) kommt aus der Stadt, von rechts
auf dem Logeion; ebendaher der Chor in der Orchestra. Von
links kommt auf dem Logeion der Bote, ebenso die Leichen
der Brüder, denen die Schwestern von rechts kommend in der
Mitte begegnen. Die Exodos der Sieben vom Auftreten des
Heroldes an halte auch ich, wie v. W.-M. S. 606 Anm. 3, für
den Zusatz eines Nachdichters, welcher bereits die Antigone
kannte; das macht aber für die Bühnenfrage keinen Unter-
schied. In dem uns vorliegenden Stücke wird die Leiche des
Polyneikes, welche hingeworfen werden soll, nach links, dieje-
nige des Eteokles, welche bestattet werden soll, nach rechts ab-
getragen sein, und die Schwestern und die Halbchöre folgten
entsprechend.
Ueber den Prometheus endlich kónnte man streiten.
Denn da das Stück, wie wir es lesen, ausweislich der Verktir-
zung und metrischen Gestaltung der Chorlieder sicher überar-
beitet ist, so kónnte man behaupten, es sei auch scenisch der
späteren Bühne der Orestie durch Ueberarbeitung angepaßt wor-
den, wenn sich zeigen sollte, daß es nur auf dieser darstellbar
ist. Ich würde diese Behauptung nicht gelten lassen, sondern
einwenden, daß die Modernisierung (um so zusagen) sich eben
nur auf die Chóre und ihre Rhythmen nicht aber auch auf die
Scenerie und Maschinerie erstreckt habe, insbesondere darum,
weil der ,gefesselte Prometheus" ohne die Fesselung mit ihren
Konsequenzen als dasselbe Stück gar nicht denkbar war, und
aueh, weil dem Geschmacke des 4. Jahrh. eher eine Verminde-
rung als eine Vermehrung des scenischen Apparates entsprochen
hätte. Aber v. W.-M. reclamiert den Prometheus, wie wir ihn
haben, sehr energisch für Athen vor 467, für seine kreisrunde
Orchestra und die centrale Lage des Schauspielplatzes und ich
muß ihm in Betreff der planmäßigen Anlage und der Scene-
rie entschieden beitreten !!) Es heißt S. 610: „Man versteht
10) A. Müller hat S. 197 Anm. 2 mit Recht darauf aufmerksam
gemacht daß rascher Gang in der Tragödie stets motiviert zu werden
pflegt. Er hätte diese Stelle dabei mit anführen können.
11) Oberdick in der Wochenschrift f. klass. Phil. 1888 N. 48
= Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 521
nicht so sehr die alte Schaubühne durch den Prometheus als
umgekehrt. Von einer Hinterwand keine Rede. Hätte Aeschy-
(bei Gelegenheit der Recension eines Programms von Kußmähly) er-
klärt zwar den Prometheus für das älteste Stück des Aeschylos, auf-
geführt bald nach 479/78, schreibt aber die uns vorliegende Recen-
sion dem Euphorion zu und versetzt ihre Aufführung in das Jahr
425, wo nach Thuc. III 116 ein zweiter Ausbruch des Aetna statt-
fand. Es ist in der That nicht unwahrscheinlich, daß die Wieder-
aufnahme des Stückes in diese Zeit fällt, denn auch die Rhythmen
der Chorgesänge lassen ohngefähr darauf schließen. Genau fixieren
läßt sie sich aber weder. durch die Erwähnung des Aetna-Ausbruches,
welcher schwerlich auf die Athener einen gleich tiefen Eindruck ge-
macht hat, wie der erste auf den in Sizilien selbst anwesenden Dich-
ter machte, noch durch das Vorkommen des Ausdruckes cogsoms V. 62
(und 976). Oberdick meint, dies deute auf die Anfangsjahre des pe-
loponnesischen Krieges, „als der Ausdruek anfing, verüchtlich zu wer-
den". Aber das Wort kommt auch bei Pindar vor und ist V. 62
gar nicht im verüchtlichen Sinne gebraucht (cogsoms dog vwSéorsgos
„zwar ein kluger Kopf, aber für Zeus doch zu langsam") — Wenn
aber Oberdiek weiter annimmt, Euphorion habe „im Prolog einen
schüchternen Versuch gemacht, Sophokles durch Anwendung des
vierten Schauspielers zu überbieten“, und deshalb den Prometheus
durch einen lebendigen Schauspieler, welcher leibhaftig an den
Felsen gefesselt ward und blieb und mit dem Felsen stürzte, darstellen
und neben Kratos auch Bia zu Worte kommen läßt, so kann ich
ibm darin nicht beistimmen. Er bezieht sich dabei auf eine Schrift
von Passow, Index Univ. Vratisl. 1823, welcher bewiesen habe,
„daß Prometheus, obwohl er nicht spreche, dennoch als handelnde
Person aufzufassen sei“. Hierin ist aber das Aesthetische mit dem
Dramaturgischen vermischt. Aesthetisch freilich ist Prometheus auch
im Prolog als handelnde Person aufzufassen, obwohl er nur leidet,
aber es war für die üsthetische Würdigung vollkommen gleichgültig,
ob in der Maske, welche diese Person darstellte, ein lebendiger Mensch
steckte oder nicht. Die Annahme (Hermanns) einer Puppen - Maske
aber, welche O. als eine „windige Hypothese" verhóhnt, wird ein-
fach durch die physische Unmöglichkeit, einen lebendigen Menschen
in dieser Stellung den Prometheus sprechen zu lassen, als nothwendig
dargetban. Die vielbewunderte Leistung des Christusspielers in Ober-
ammergau wäre dagegen eine Kleinigkeit. Passow verfocht seine
Ansicht in der Absicht, durch die Annahme dreier Schauspieler den
Prometheus bis nach Ol. 77, 3 (469) hinab zu rücken. Die ganze
Oekonomie des Stückes aber in allen übrigen Scenen zeigt, daß der
Dichter mit zwei Personen auskommen mußte, von denen die eine
unbeweglich angenagelt ist. Deshalb mußte er auch im Prolog den
Prometheus schweigen lassen, weil er nur zwei redende Schauspieler
zur Verfügung hatte. Denn ein psychologischer Grund für das Schwei-
gen des Prometheus gegenüber dem Hohne des Kratos oder dem Mit-
leid des Hepbästos ist unerfindlich; Prometheus gebraucht seine Zunge
hernach gegen Hermes recht scharf. Was aber den Umstand betrifft,
daß der Dichter zwei Schergen des Zeus auftreten ließ, von denen
doch nur einer redet, so hat dies lediglich in dem dramaturgisch-
technischen Bedürfniß seinen Grund. Ein Mensch allein konnte die
große Prometheus- Puppe nicht regieren, während Hephästos sie an-
schmiedete deshalb nahm der Dichter einen Statisten zu Hülfe, und
entlehnte aus Hesiod die Namen K ratos und Bia.
522 B. Todt,
los eine solche gehabt, so würde er den Titan wohl an eine
Felswand haben schmieden lassen, wie wir ihn uns denken.
So geschieht es vielmehr an einem einzelnen Felsen der zer-
klüfteten Küste des nördlichen Weltmeeres“. Die Rede braucht
auch von der Hinterwand nicht zu sein, darum kann sie doch
vorhanden sein; vielmehr muß man sagen: Von der Hinterwand
als solcher kann und darf überhaupt die Rede nicht sein,
ebensowenig wie von der Orchestra, den Ein- und Ausgängen,
dem Logeion und Theologeion, dem Ekkyklem u. s. w. jemals
„die Rede“ ist. Alle diese Dinge existieren ja für die Dich-
tung gar nicht; „die Rede“ kann stets nur sein von dem, was
sie vorstellen, dem Berg, dem Palast, dem Wagen u. A., und
wir müssen zufrieden sein, wenn wir aus den Worten der Dich-
tung die Unentbehrlichkeit gewisser Theaterrequisite erschließen
kónnen'?) Was aber das Anschmieden des Titanen unmittelbar
an die Hinterwand betrifft, so ließ der Dichter das auf jeden
Fall wohl hübsch bleiben! denn er wollte ja seinen Helden mit-
sammt seinem Felsen in den 'Tartarus stürzen, und das
würde mit der Hinterwand doch zu bedeutenden technischen
Schwierigkeiten begegnet sein. Sondern er 'bedurfte wiederum
eines ansehnlichen, fest von Holz gearbeiteten Setzstückes auf
dem Logeion, wie schon in allen drei behandelten Stücken, wel-
ches diesesmal den, sei es einzeln vorspringenden sei es ganz
vereinzelt stehenden, Fels reprüsentierte, an welchem Prometheus
befestigt wurde. Ein solches Setzstück auf dem Logeion nimmt
je v. W.-M. auch an. Und zwar sind wir in der glücklichen
Lage, die Größe dieses Apparates annähernd taxieren zu können.
Er sollte die titanenhafte Gestalt des Prometheus tragen, und
zwar nicht ganz zu ebener Erde, d. h. auf dem obersten Podium
der Logeion - Estrade, denn er steht nicht, sondern er schwebt
in seinen Fesseln als ein uiSégsor x(»wvyua (V. 167) 2006 nt-
tous ned«g0s0s, und Hephästos muß, nachdem er die Arme an-
geschmiedet und den Keil durch die Brust getrieben, herabstei-
gen (quos xuütw V. 74) um auch die Beine festzumachen. Auch
mußte der Fels natürlich ein Stück über das Haupt des Prome-
theus emporragen. Nehmen wir nun die Höhe der Prometheus-
Puppe auf 6—7 Fuß an, welche von den tragischen Helden
mit Kothornos und Onkos ja stets annähernd erreicht wurde,
schätzen wir den Raum unter seinen Füßen und über seinem
Haupte auf je gegen 3 Fuß, so kommen wir auf eine annähernde
Höhe des Prometheusfelsens von 12 Fuß. Was die Breite be-
trifft, so mußten Stufen und Tritte daran sein, damit Gewalt
und Kraft die Figur halten und Hephästos sie befestigen konnte,
es mußten drei lebendige Menschen sich daran bewegen und
12) D. h. in der Tragödie! In der Komödie ist es anders, der
komische Dichter kann alles nennen, er darf sogar den Maschinisten
anreden (Ar. Pax. V. 174).
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 523
hantieren können. War nun eine Hinterwand vorhanden, so war
die Sache ziemlich einfach. Dann genügte ein hölzernes Gestell
mit einem etwas vorspringenden Mittelbau, welches ziemlich
dicht vor der Hinterwand auf dem Logeion stand. Der Prota-
gonist, welcher hernach durch die Maske der Prometheus - Figur
zu sprechen hatte, und welcher mit dem Darsteller des Hephästos
identisch war, ging mit V. 81 ab, und hatte während der 6
Verse, welche Kraft noch spricht, Zeit sich durch die Mittelthür
der Hinterwand ungesehen auf seinen Posten hinter dem 'T'heater-
felsen zu begeben, so daß die nothwendige Kunstpause eben nur
groß genug wurde, um künstlerisch zu wirken. Wenn das
Felsengerüst aber auf der überall übersehbaren Estrade in der
kreisrunden Orchestra stand, dann wurde es schwieriger. Dann
mußte der Felsen zunächst ein vollständig rings geschlossener,
der Pyramiden- oder Kegelform sich nühernder Hohlraum sein.
Denn wenn auch die Prometheus-Figur selbstverstündlich nur
an einer Seite angeheftet sein und der Schauspieler durch ihr
Mundstück nur nach einer Seite hin sprechen konnte, so daB
die auf der andern Seite Sitzenden von Prometheus gar nichts
sahen, und so gut wie nichts hörten, den Tort konnte man ihnen
doch nicht obendrein noch anthun, daß man ihnen die Schatten-
seite des nicht kostümierten Protagonisten zu bewundern gege-
ben hätte! In diesem Hohlraum also mußte sich der Protagonist
verbergen. Wie freilich der Darsteller des Hephistos unge-
sehn von V. 81 bis 87 hineingelangen sollte, das allerdings
kann sich der Philologe wieder nicht reconstruieren, denn eine
Thür im Felsen anzunehmen wäre doch zu komisch, und man
wäre eher geneigt, in diesem Falle auf einen dritten Schauspie-
ler zu schließen. Zum Schlusse des Stückes versinkt dieser
Felsen mit der Prometheus - Figur. Wenn aber v. W.-M. sagt,
das sei ein Vorgang, welcher dem Versinken des Dareios in sein
Grab in den Persern entspreche, so ist dabei doch ein sehr we-
sentlicher Unterschied für die technische Ausführung übersehen
worden. Dareios versinkt in das Grab zurück, aus welchem
er erschienen; Prometheus stürzt in die Tiefe mit dem Felsen,
an welchen er äußerlich angeschmiedet ist. Das macht in den
Persern nicht die geringsten Ansprüche an die Mechanik. Mag
man eine rings übersehbare Estrade als Grab oder einen Auf-
satz auf dem Logeion mit oder ohne Hinterwand annehmen, in
allen Fällen konnte der Schauspieler mit Benutzung einer Treppe
aus der Tiefe auf das Grab steigen, seine königliche Tiara und
seinen safranfarbigen Schuh zeigen, und nach Beendigung seiner
Rolle langsam und würdevoll versinken d. h. hinabsteigen. Dazu
brauchte es nicht einmal eines Aufzuges, ebensowenig wie für
den Geist der Klytämnestra in den Eumeniden. Anders im
Prometheus, zumal wenn, wie von W.-M. sagt, der gesammte
Chor mit Prometheus und seinem Felsen in die Tiefe geht, was
524 B. Todt,
denn „ein gar schönes SchluBbild- abgeben soll. Ich bezweifele
dieses SchluBbild der Tragódie. In den Worten der Dichtung
liegt keine Nothwendigkeit, das Versinken des Chores anzuneh-
men. Der Chor weigert sich zwar von V. 1096—1103 den
Prometheus zu verlassen, was Hermes ihm angerathen. Der
Chor will nicht Verrath üben, sondern leiden, was da kommt.
Darauf droht ihm Hermes keinesweges, wie v. W.- M. sagt,
mit dem Sturz in den Tartaros, sondern warnt ihn nur und
sagt, er habe nicht Zeus, sondern seine eigene Thorheit anzu-
klagen, wenn ihm ein Unglück begegne (V.1104— 1113). Dann
kommt die Katastrophe: das Erdbeben beginnt (d.h. der Pro-
metheusfels schwankt), Donner, zackige Blitze, Staubwirbel,
Sturm — zum Schluß stürzt der Felsen. Wo der Chor bleibt
ist nirgends angedeutet, Prometheus spricht nur von seinem
eigenen Leiden, das Schicksal des Chores müssen wir errathen.
Und da ist v. W.-M. bei der Annahme seines centralen Schau-
spielplatzes allerdings wohl genöthigt, das Versinken des Chores
anzunehmen, da ihn der Dichter doch nicht „wegfahren oder
abmarschieren lassen“ konnte, wenigstens nicht, ohne ein Wort
davon zu sagen. Er legt damit aber eine kolossale Aufgabe,
von welcher nichts in den Worten der Dichtung steht, auf die
Schultern des antiken Maschinisten. Schon das, was wirklich
in der Tragödie steht, „und wovon sich nichts abdingen läßt“,
war unter der Voraussetzung der ganz übersehbaren Mittelestrade
sehr schwierig auszuführen: das Schwanken des Felsens, der
Donner, der Staub, der Sturm, die Blitze. Doch nehmen wir
an, Donner und Sturmgebraus sei unter der Estrade bewirkt
worden, lassen wir uns Erdbeben, Staub und Blitze dennoch
abdingen mit Rücksicht auf die Koncession, welche man mehr-
fach, z.B. im Anfang des Agamemnon, der Nacht machen muß,
welche auch wohl erwähnt wird, aber doch nicht da ist. Wenn
aber mit dem Felsen des Prometheus auch der Chor in die Tiefe
sinken sollte, so waren das außer dem Setzstücke, der Prome-
theus-Puppe und einem entsprechend großen Stücke des oberen
Podiums zwólf lebendige, erwachsene Menschen — nein, drei-
zehn, denn der Protagonist konnte nicht heraus! Dies reprä-
sontierte cine Last von mindestens 25 Centnern, welche minde-
stens 12 Fuß in horizontaler Schwebe herabzulassen war, denn
der Innenraum der Estrade mnfite doch höher sein als der darauf
stehende Theaterfelsen, um ihn ganz aufnehmen zu können. Dazu
war aber eine bedeutende Anzahl von Menschenkräften unter
der Estrade nóthig, und es war für eine Zeit, die noch nicht
einmal den Flaschenzug kannte, eine so schwere Aufgabe, daB
ich ihre Ausführbarkeit bezweifle. Jedenfalls aber bestreite ich,
daß dieses Versinken, wenn es ausgeführt worden wäre, den
Worten des Dichters und seinen poétischen Absichten entsprochen
habeu würde. Denn da es sich um das Leben und die gesun-
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 525
den Glieder von 13 athenischen Bürgern handelte 5), durfte das
Ganze nicht stürzen, sondern mußte langsam und vorsichtig,
fein säuberlich horizontal hinab schweben, wie der Geist in den
Persern. Und das möchte vielleicht ein ganz hübsches lebendes
Bild abgegeben haben, aber erschütternd wirkte es sicher nicht.
Unter der Voraussetzung der Hinterwamd ist alles leicht und
einfach. Da konnte man das Schwanken des Felsens, die Blitze,
sogar den Staub — da doch der Dichter einmal von allen die-
sem redet — bequem machen, und zum Schluß, nachdem der
Protagonist sich durch die Mittelthür in der Hinterwand un-
gesehen zurückgezogen, stürzte der Felsen mit dem Prometheus
durch ein Loch im Logeion in die Tiefe, indem man ihm ein-
fach seine Stützen entzog. Ging dabei an diesem Stücke Tisch-
ler- und Sattler-Arbeit etwas entzwei, so war der Schaden nicht
grob. Der Chor aber hat sich mit dem Beginne der Anapästen
V. 1072 aus der Orchestra auf das Logeion begeben, weshalb
Hermes die Okeaniden V. 1094 warnt und sich zu entfernen
auffordert. Doch sie bleiben; und als der Aufruhr in der Natur
beginnt, der Felsen schwankt, und schließlich stürzt, da ver-
schwinden sie, ohne weder abfahren noch abmarschieren zu
müssen, durch die Oeffnungen der Hinterwand. Wohin? gleich-
viel — in die Schluchten der Felsen! Den Hermes und den
Zeus kümmerte das nicht und die Athener wohl auch nicht. Im
Tartaros dachte man sie sicher nicht; was hütten die harmlosen
Wesen dort gesollt ?
Doch ich habe so eben von ,Schluchten und Felsen^ ge-
sprochen. v. W.-M. legt Nachdruck auf den „einzelnen“ Fels
an der „öden geklüfteten‘‘ Meeresküste, und mul dies bei seiner
Anschauung von der ältesten Schaubühne thun. (Was freilich
„zerklüftet“ sein soll. wenn nicht ein Gebirge, bleibt wohl uner-
findlich). Natürlich mußte Prometheus poétisch und bühnentech-
nisch an eine einzeln hervorragende Klippe gefesselt vorgestellt
werden, aber im ganzen Stücke kommt keine Andeutung vor,
daß dieser Fels einzeln aus dem Meere rage und nicht im Zu-
sammenhange mit andern Schluchten, Abhängen, Felsen zu den-
ken sei. Den von v. W.-M. V. 610 Anm. citierten Stellen für
„den Fels“ stehen soviele andere Stellen für „die Felsen“ (z. B.
gleich V. 5) gegenüber, da es nicht die Mühe lohnt, sie einzeln
auszuschreiben '*). Die Hauptsache aber ist, daß der Schauplatz
13) Die Athener hatten ganz mit Recht nicht viel Lust, ihr Leben
auf der Bühne zu riskieren. Wir wissen aus Schol. zu Eur. Or. V.1306,
daß in diesem Stücke die Schauspieler, um nicht in der Rolle des
,Phrygiers" vom Dach des Palastes herabspringen zu müssen, drei
Verse einschoben und dann durch die Thür auftraten.
14) v. W.-M. citiert für seinen „Fels auch V. 1 y9ovös rglovoór
nayov. Wenn das nicht ein /apsus calami ist, wie ich glaube, so ist
es eine bloße Konjectur. Alle Handschriften haben dort nedor.
526 B. Todt,
des Stückes gar nicht in so unmittelbare Nähe des Meeres ge-
dacht ist, wie v. W.-M. annimmt. Das Wort axın kommt im
ganzen Stück nicht vor; Kratos, Bia und Hephüstos führen den
Titanen „in das fernste Gefilde der Erde“, in die menschen-
leere Gegend (ofuor) Skythiens“; Jo kommt und geht , zu
Lande, sie hat auf ihrem weiteren Wege das dei9go» Nmelpar
000v zu überschreiten, kommt aber nicht an die Küste des Welt-
meers. Und Zeus wird, wie Hermes erklärt (V. 1049) den
spitzen Fels mit dem Blitz „abreißen“ — also doch wohl vom
Gebirge — und ihn nicht etwa ins Meer, sondern in den Tar-
taros stürzen. Alles führt darauf, daß der Schauplatz nicht als
Küste gedacht ist, sondern als die Gegend, wo das Felsenge-
birge aus der Skythischen Ebene (n£dov) aufsteigt, und daß
der Ocean erst jenseits der Berge beginnt. Darum kommt Okea-
nos einen „weiten Weg" her, 7/xw dodsyng 160u« xelevFov
(V. 300), und darum kommen die Okeaniden und Okeanos auf
so eigenthümliche Weise angereist.
Ja, wie kommen diese? Das ist ein interessanter und in
mancher Beziehung entscheidender Punkt. v. W.-M. sagt S. 610:
„Nicht die Dämonen des Hochgebirges ruft Prometheus an, es
sind vielmehr die Geister der ewigen See, die zu ihm empor-
tauchen. Hätte es ihm die Darstellung gestattet, so würde er
den Chor und Okeanos schwimmend in seinem Elemente darge-
stellt haben, und so miilite es die bildende Kunst machen, wenn
sie dem Dichter und ihrem eigenen Können genug thun wollte !).
So macht der Dichter der Darstellbarkeit das Zugeständniß, daß
der Chor auf einem Wagen erscheint, den irgend welche Flügel-
wesen ziehen, und auf einem ähnlichen reitet Okeanos. Aber
weder, was das eigentlich für Thiere sind, noch wie sie sich
dem Auge des Zuschauers darstellen, ist mit Sicherheit zu sagen.“
Hier ist mancherlei richtig zu stellen. Erstens ruft Prometheus
überhaupt keine „Dämonen‘ an, sondern den Aether, die Winde,
die Quellen, die Wogen, die Allmutter Erde und den allessehen-
den Sonnenball, und zwar als Zeugen, nicht zu Hülfe; besucht
zu werden wünscht er nicht, erschrickt vielmehr vor dem uner-
warteten Besuche der Okeaniden (V. 129 nav uos pofegdy 16
mpocíonov). Es läßt sich also aus der Nichterwühnung der Ge-
birgsgeister oder der Wahl der Okeaniden anstatt etwaiger Ore-
aden zum Chor kein Schluß auf die Hinterwand ziehen !9).
15) Dies scheint ein Seitenblick auf die Müllersche Prometheus-
gruppe zu sein. Aber Müller hat ja unsern Prometheus nicht dar-
estellt, sondern den zu lósenden mit dem Adler, wohin wieder die
Okeaniden nicht gehören. Doch er konnte frei schaffen: was gehen
den deutschen Bildhauer des 19. Jahrh. die Aeschyleischen Theater-
gestalten an, außer daß sie seine Phantasie anregen!
16) Die ‘Wahl der Okeaniden zu motivieren ist leicht. Im Plane
der Tragódie lag der Vermittelungsversuch des neutralen Titanen
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 527.
Zweitens. Hätte der Dichter die Okeaniden zu dem Titanen
„auftauchen“ oder „heranschwimmen‘“ lassen wollen, so konnte
er dies sehr wohl zur Darstellung bringen, selbst unter der
Voraussetzung der kreisrunden Orchestra mit einer Mittelestrade.
Wenn der Chor am Schluß der Tragödie in die Estrade mit
versank, so konnte er sich auch vor dem Beginne derselben
unter ihr versammeln, durch eine Seitenóffnung in die Orchestra
treten und so zum Prometheus „auftauchen“. Wenn die Orche-
stra das Meer vorstellen sollte, so brauchte der Dichter dies nur
zu sagen, dann war sie das Meer. In den Schutzflehenden
ist sie eine Wiese, weil der Chor und der Kónig es sagt, warum
hier nicht das Meer? Wenn der Chor sagte; „die Wogen
Amphitrites haben mich hergetragen“, so ließ sich der Athener
die Illusion ebenso willig gefallen wie der Deutsche in Wagners
Rheingold. Oder wenn dies zu dreist erscheint, so war es völlig
ungefährlich, die Orchestra zur Meeresküste zu machen, wie ja
v. W.-M. auch thut. Dann konnten die Okeaniden ganz schlicht
zu Fuß ankommen, wie die Danaiden, und sagen, sie kämen
aus dem Meer, wie jene aus dem Schiff Die Nereiden in der
gleichnamigen Tragödie hat sich Aeschylos sicher nicht geniert
zu Thetis aus dem Meere kommen zu lassen Nur gesagt
werden muß es, in der „Tragödie selbst muß es stehen“. Der
Dichter läßt aber die Okeaniden durchaus nicht dies, sondern
ausdrücklich das gerade Gegentheil sagen: sie tau-
chen nicht zum Prometheus auf, sondern sie steigen zu
ihm herab. Denn etwas besser, als v. W.-M. meint, sind wir
über die „Flügelwesen“, welche ihnen und Okeanos als Vehikel
dienen, aus den Worten des Dichters doch unterrichtet. Nach
v. W.-M. wird der Wagen, welcher die Okeaniden bringt, zu
ebener Erde von Flügelwesen gezogen. Aber nicht von geflü-
gelten Zugthieren ist die Rede, sondern von einem „geflü-
gelten Wagen“, oyoc nregwzoc V. 140, auf welchem die Okea-
niden ,unbeschuht" hergeeilt sind. Prometheus hört „Bewegung
von Vögeln“, der Aether erklingt von leichtem Flügelschlage“
(V. 125—128). Die Okeaniden haben in ihrer Grotte den
Klang des stählernen Hammers gehört, sie kommen mit dem
„schnellen Wettstreit der Fittige", und „kräftigbewegte Lüfte
haben sie getragen“ (V.135). Und als Prometheus sie einladet,
„zur Erde“ (médo:) zu steigen, da thun sie dies, indem sie sagen,
„sie wollten mit leichtem Fuß diesen kräftig bewegten
Sitz und den reinen Aether, das Reich der Vögel
verlassen und sich diesem felsigen Lande nähern“ (Auyea modi
xuuınvoovıov Oüxov ngoAınovo aldéga I ayvov nogov olwvüw,
oxgsotoon yJovi 1};de neAw V. 295 f). Diese Worte kann doch
Okeanos, und um der Jo willen brauchte der Dichter einen sympathi-
sierenden weiblichen Chor. Da lagen die Okeaniden nahe.
528 B. Todt,
niemand brauchen dessen Wagen zu. ebener Erde ruhig steht?
Und während sie noch absteigen, kommt Okeanos — zu ebener
Erde? auf einem Flügelthiere reitend? Das könnte man allen-
falls annehmen, wenn er sein Thier ein „geflügeltes Ro‘ nennen
würde; da er aber ausdrücklich von seinem „flügelschnellen
Vogel“ (V. 301) redet, und bei seinem Abgange sagt, daß
„sein vierbeiniger Vogel die freie Straße des Aethers
mit den Flügeln durchstreife“, (V. 410, Asvoöv yao oluo» al9£-
005 alge nrepoic 1eroaoxeAng olwvóc), so ist es nicht mehr zu-
lässig, anzunehmen, Okeanos sei auf einem Flügelthier zu ebener
Erde mit Stricken herein und hinaus gezogen worden, wie etwa
das wilde Schwein im Freischützen, sondern unverkennbar für
jeden, welcher den Prometheus aus den Worten des Dichters
und nicht aus der Hypothese von der ältesten Schaubühne ver-
stehen will, mit der wünschenswertliesten Deutlichkeit, um nicht
zu sagen mit dürren Worten beschrieben, sehen wir hier in zwei
Species und mindestens in zwei Exemplaren die Flugma-
schiene in Thätigkeit, und davon läßt sich diesmal wirklich
nichts abdingen! Die Blitze konnte sich ein Athener allenfalls
zu dem Donner hinzudenken, das bewegte sich im natürlichen
Verlaufe der Dinge; aber was der Poét ihm von Wunderthieren
mit solchem Aufwand von Worten andeutete, das mußte ihm
auch gezeigt werden.
Die Flugmaschiene im Prometheus! Das ist ja leider gar
keine neue Entdeckung, sondern der Scholiast zu V. 130, 288
und 300 hat alles richtig verstanden, er nennt sogar den Namen
des Reitthieres, „ein vierbeiniger Greif“. Das lassen wir dahin
gestellt, diese Maschinen brauchen wir Philologen uns wirklich
nicht zu reconstruieren, wir sind zufrieden, zu wissen, daß Ae-
schylos einen geflügelten Wagen und einen vierbeinigen Vo-
gel durch die Luft kommen ließ. Wollten wir den Prometheus
wieder auf die Bühne bringen, dann wäre es Sache der Maschi-
nisten, nach diesen Angaben die Vehikel konkret zu gestalten.
Sie mögen auch bei den Alten bei verschiedenen Bühnen ver-
schieden gewesen sein. Für die Gestalt der Skene aber ist dies
entscheidend. Denn mit der Flugmaschiene ist nicht allein die
Hinterwand, sondern auch die Balkenbedachung und die Seiten-
gebäude, die Paraskenien, gegeben, denn ohne Schnürboden läßt
sich eine Flugmaschine nicht regieren.
Wir haben also das fertige Skenengebäude im Prometheus.
Die Zeit der Entstehung dieses Stückes läßt sich nicht genau
bestimmen. Auch die Stelle V. 579—588, wo der Ausbruch
des Aetna erwähnt wird, giebt keinen sichern Anhalt. Denn
wollte man hieraus schließen, das Stück müsse nach der sicili-
schen Reise, also nach 476 gedichtet sein, so wäre das voreilig.
Denn es könnte ehenso gut schon früher verfaßt, aber in Sizi-
lien wieder aufgeführt worden sein, wo dann jene Aetna-Stelle,
mm
Nocb einmal die Bühne des Aeschylos. 529
welche in unserm Texte sogamr einigeraßen überhängt, einge-
legt wäre. Der mythische, tief religiöse Stoff, insbesondere die
Hinweisung auf Herakles den Erlöser in der Io-Episode deutet
auf eine Verbindung mit der Danaiden-Trilogie. Und wenn wir
glauben, daß dem Dichter seine Poesie nicht bloß Geschäft, son-
dern göttlicher Beruf war, (Paus. I 21, 3), daß er die Stellung,
„ein Lehrer der Erwachsenen“ zu sein, welche ihn Aristophanes
in den Fróschen für die Dichter in Anspruch nehmen läfßt,
wirklich selbst auszufüllen bemüht war, — und das müssen wir
glauben nach allem, was wir sonst von seinem Charakter wissen
und aus seinen Dichtungen erschließen, — dann dürfte er auch
in der Wahl und Reihenfolge seiner Stoffe nicht planlos ver-
fahren sein, und man könnte vermuthen, daß die ursprüngliche
Prometheus-Trilogie bald auf die Danaiden-Trilogie gefolgt sei,
also etwa auf die Mittagshöhe seines Lebens falle. Doch das
sind Meinungen, welchen jedermann widersprechen kann. Siche-
rer ist folgender Schlufi aus der Erwühnung des Aetna und
einiger sicilischer Glossen (wie «ouoi V. 621): wenn das Stück
nicht vor der Reise nach Sizilien geschrieben und dort neu
einstudiert ist, so muB es bald nach der Rückkehr von dort
unter dem frischen Eindrucke des großen Naturereignisses und
des Volksdialektes verfaßt sein. Wir dürfen es also mindestens
in die Nähe von 476 rücken, und dürfen die Folgerung ableh-
nen, daß es wegen der nunmehr darin nachgewiesenen Hinter-
wand und Flugmaschiene ebenfalls in die letzten Lebensjahre
des Dichters fallen müsse.
Also : ein erhöhtes, länglich-rechteckiges Logeion mit Hin-
terwand, Seiten-Wänden und -Eingängen, sowie mit Bedachung,
eine nicht mehr rings übersehbare Orchestra mit zwei Zugängen,
einseitige Sitze des Publikums, ferner Satzstücke und Versen-
kungen auf dem Logeion, endlich die Flugmaschiene, das ist
aus den vier Tragödien nachgewiesen. Thüren in der Hinter-
wand und nützliche Räume hinter derselben verstehen sich von
selbst. Noch nicht nachgewiesen ist ein erhöhtes Gerüst für den
Chor, das Ekkyklem, die Periakten und die Dekorationsmalerei.
Mit der Dauer der kreisrunden Orchestra und der tragi-
schen Rundtänze bis ca. 465 ist es also nichts. Mögen die
Athener nach 464 eingeführt haben, was immer den Gelehrten
gelingen wird aus dem Marmor Parium zu beweisen, aus wel-
chem ich nur die Einführung komischer Chöre herauszu-
lesen vermag, — eine wesentliche Umgestaltung der tragischen
Bühne zu derjenigen der Orestie war es nicht. Diese bestand
vielmehr in allen Hauptstücken schon fast seit einem Menschen-
alter vor 458. Wie haben wir uns nun den Uebergang von
der kreisrunden Orchestra und dem kyklischen Chor zur tragi-
schen Bühne und Orchestra zu denken?
In der sonst so plausiblen Skizze, welche v. W.-M. S. 608
Philologus, N.F. Bd.II (XLVIII), 3. 94
580 B. Todt,
bis 605 von der Entwickelung des kyklischen Dionysos - Chores
zur Tragödie giebt, steckt ein Irrthum, nämlich die Behauptung,
daß erst mit der Einführung des zweiten Schauspielers nach
dem Auftreten des Aeschylos ca. 497 die eigentliche Handlung
begonnen habe, das wirkliche Dra ma entstehe (vergl. auch 8.621).
Das ist zu viel gesagt. Die Tragödie, als kunstvolle, in der
uns bekannten Weise ethisch-üsthetisch wirksame Dichtungsform
wurde erst durch die Hinzufügung des zweiten Schauspielers
geschaffen, welche wiederholtes Auf- und Abtreten in derselben
Rolle, also Handlung, Verwickelung und Plan ermöglichte. Aber
das Drama wurde schon früher geboren. Es war vorhanden,
sobald der erste Schauspieler von einem erhöhten Platze herab
in verschiedenen Masken nach einander auftretend mit dem Chor-
führer Dialoge hatte. Rollenwechsel im Kostüm und Dialog,
das sind die Momente, durch welche die neue Dichtungsart sich
von der Lyrik der Chöre und der Epik der mythologischen
Einzelvorträge unterschied und sich über ihren Ursprung hin-
aushob. Und damit war auch die Aenderung des bisherigen
Tanzplatzes allerdings schon gegeben, soweit dieselbe nothwendig
war, was v. W.-M. bestreitet. Der Koryphäos, welcher von ei-
nem erhöhten Platz aus, dem éA#06 oder der Jvu£Ag, mythologische
Erzühlungen vortrug, mochte mit dem Flótenspieler seinen Platz
in dem Centrum der Orchestra haben und von dem tanzenden
Chor umstanden und umkreist werden: das ist móglich, obgleich
mir nicht eben wahrscheinlich, denn auch dieser Platz kann
schon am Rande der Orchestra gewesen sein, wir wissen das
nicht 17). Als aber vollends ein besonderer Sprechplatz (Ao-
ytior) für einen Schauspieler aufgeschlagen wurde, welcher in
verschiedenen Rollen und Kostümen sich mit dem Koryphäos in
Tetrametern oder Trimetern unterredete, als es neben oder hinter
dem Logeion einer Hütte oder „Bude“, (oxyın) als eines ver-
hüllenden Abschlusses bedurfte, aus welchen dieser Schauspieler
: 17) Man nimmt die centrale Lage des Altares bei den kykli-
schen Chören meist als selbstverständlich an, so v. W.-M. S. 604, so
Hoepken (de theatro attico saec. V p. 2: actor quem Thespis invenit,
medio in choro stare debuit, aus welchem Axiom, verbunden mit der
Vermischung späterer Zeugnisse und der Tragödie mit der Komödie,
(er manches Urglaubliche folgert). Mir ist aber kein einziges Zeug-
niß bekannt, welches uns zwänge, das Umkreisen des Altares durch
die kyklischen Chöre als nothwendig anznsehen. In dem Namen »ky-
klisch« liegt dies nicht, denn diese Bezeichnung bezieht sich, wie
Bernhardy Gr. L. G.*11 1 S. 650 längst richtig geurtheilt hat, auf den
Chorgesang und die Stellung der Gruppen des gegliederten Chores zu
einander. Wohl aber macht die Ausbildung der orchestischen Kunst
es sehr wahrscheinlich, daß auch die dreitheiligen, melischen und
dithyrambischen Chöre des Arion, Lasos, Pindar u. A. den Mittel-
punkt ihres Tanzplatzes frei hatten. Daß dieser Mittelpunkt in eini-
gen der ausgegrabenen Orchestren „architektonisch betont“ ist, ist
noch lange kein Beweis für den Tanz um einen Altar.
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 581
fertig und überraschend vor die Augen der Zuschauer treten
konnte, da war es mit dem Umkreisen dieses Gebäudes durch
den Chor vorbei. Denn der Mensch ist seit dem verhängniß-
vollen Schnitte des Zeus, von welchem Plato den Aristophanes
erzählen läßt, doch nun einmal so eingerichtet, daß er ein Ge-
sicht und einen Rücken hat, und sich, wenn er mit Jemand
redet, diesem mit dem Gesichte zuzuwenden pflegt. Der Rede-
platz und die Hütte, sagen wir lieber das Logeion und die
Skene, konnte gleich Anfangs nur an der Peripherie der Or-
chestra, aber recht wohl auf derselben, Platz finden, und der
Chor stand, sang und tanzte vor der Schaubühne, nicht um
dieselbe. Im Uebrigen blieb zunächst alles beim Alten, denn
das kleine, leicht aufgeschlagene Ding brauchte den Tanzplatz
nicht erheblich zu verengen. Bis in die spüteste Zeit war der
Abbruch, welchen das eigentliche Skenengebüude dem ursprüng-
lichen Kreise der Orchestra that, ein relativ recht kleiner. Nach
Vitruv schneidet bei einem griechischen Normal - Theater dieje-
nige Sehne, welche den Vorderrand des Logeions bildet, ca 1/7
des Durchmessers des angenommenen Orchestra-Kreises, also ein
recht kleines Segment der Kreisfläche, ab, und die Ausgrabungen
des Lykurgischen Dionysostheaters in Athen haben gezeigt, daß
in diesem Bau die Orchestra die Gestalt eines Halbkreises hatte,
an welchen ein durch Tangenten, an die Endpunkte des Durch-
messers gezogen, gebildetes Rechteck angeschoben war; die Hin-
terwand der oxyr7 fiel, wie Kawerau a. a. O. richtig bemerkt,
schon außerhalb des Grundkreises der Orchestra. Die mit dem
alten Tanzplatze vorgenommene Veränderung war daher zwar
materiell klein, aber principiell sehr wichtig. Denn er erhielt
mit der Existenz des Logeions ein Kopfende. Die Zuschauer,
welche bisher ringsumher stehend dem Tanz zusehen und dem
Gesange zuhören konnten, drängten sich, seit hinter der oxnvn
nichts mehr zu sehen und wenig zu hören war, naturgemäß auf
die „Stirnseite dieser Gruppe“, und sobald man anfing, für (höl-
zerne) Sitzplätze zu sorgen, hat man sie sicher nur vor der
Skene, aber nicht hinter ihr, aufgeschlagen. Das antike Theater
hatte durch die Stellung des Chores vor dem Logeion den gro-
ßen Vorzug vor dem modernen, daß sowohl das ideelle Publi-
kum, zu dem die Schauspieler sprechen, der Chor nämlich, als
auch das reelle, für welches sie agierten , auf derselben Seite
sich befand, und die Schauspieler beiden zugleich ins Gesicht
sehen konnten, während wir es in unsern klassischen Dramen,
von der Oper ganz abgesehen, oft genug beklagen müssen, daß
unsere Schauspieler in Folge der Entstehnng unserer Schau-
spielhäuser gezwungen sind, ihren Unterrednern Rücken oder
Schultern zuzuwenden, um zum Publikum zu sprechen. Diesen
Vortheil werden sich die Athener von Anfang an nicht haben
entgehen lassen.
94 *
532 B. Todt,
Ist somit die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, daß
die kyklischen Chöre, tragische wie andere, vor dem Logeion
tanzten, nicht um dasselbe, dargethan, so läßt sich die tech-
nisch-physische Unmöglichkeit, daß dies bis zum J. 465 um die
v. W.-M.sche Mittelestrade geschehen sei, handgreiflich nach-
weisen. Das Ding war einfach zu kolossal, um einen Reigen
rund herum zu gestatten. Oben bei dem Prometheus ist die
Höhe der Estrade auf ca. 12 Fuß berechnet (was ja vollständig
mit den Angaben Vitruvs für die späteren Bühnenbauten stimmt),
der Durchmesser des oberen Podiums konnte nicht geringer sein,
der untere mußte sich wegen der hinaufführenden Stufen min-
destens verdoppeln, und so würde diese Mittelestrade in der ge-
mauerten Orchestra einen Kreis oder ein Quadrat von gegen 80
Fuf Umfang bedeckt haben! Nun frage man jeden Turnlehrer,
ob ein geordneter Reigen selbst mit 50 Choreuten um solch ein
Ungethüm von Gebäude noch möglich ist, wenn die eine Hälfte
der Tanzenden die andere nicht sehen kann! Einem tragischen
Chor von 12 oder 15 Personen dies zuzumuthen, würe die reine
Ironie gewesen, und selbst wenn wir vom chorus quadratus nichts
überliefert erhalten hätten, müßten wir durch Conjectur auf ihn
kommen. Doch gehen wir zur Entwickelung der Tragödie zurück.
Ob der erste, von dem erzühlenden Koryphäus gesonderte
Schauspieler die Erfindung des Thespis ist, (d. h. so, daB er
selbst den Schauspieler machte und dem Chor einen neuen Ko-
rypháos gab), oder ob seine Verdienste sich auf die Erfindung
von ngcioyog xai Önoıg, also auf kostümierte Epik, beschränken
und vielmehr Phrynichos den entscheidenden Schritt zum Drama
gethan habe, das muf bei der Unsicherheit der betreffenden
Nachrichten dahin gestellt bleiben (vergl. Bernhardy GLG? II
2 S. 17 und Hiller Rhein. Mus. XXXIX 8. 321 ff). That-
sache aber ist, daß des Phrynichos Poésie auf dem Ge-
brauche des vom Koryphäos unterschiedenen und die Rollen
wechselnden Schauspielers beruhte, mag er von ihm oder schon
vor ihm erfunden sein.
Um 534 also führte Peisistratos die Tragödie des 'l'hespis
in Athen ein, stiftete, wie v. W.-M. sagt, die großen Dionysien.
Das mag wohl so gewesen sein. Ich kann aber nicht einsehen,
wie so eine ungeheure Absurdität darin liegen soll, anzunehmen,
es sei dadurch ein in den ländlichen Dionysos - Festen bereits
geübtes Festspiel für die Stadt sanktioniert worden. Erfinden
konnte doch selbst der mächtige Tyrann in diesen religiösen
Dingen nichts, sondern er konnte nur aufnehmen, einordnen und
ausstatten, was vorher in ländlicher Freiheit entstanden und po-
pulär geworden war. Ebenso scheint mir die von A. Müller
S. 319 bestrittene Nachricht des Plutarch Sol. C. 19, daß zur
Zeit des Thespis, (d. h. seiner Anfänge in Athen) tragische
Wettkämpfe noch nicht stattfanden, vollkommen richtig, ja noth-
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 533
wendig zu sein. Wenn bei Aristophanes Vesp. V. 1470 steht z'àg-
qui Exsiv oig Ofonis nywvilero so ist das ein aus der Zeit des
Komikers die Wettkämpfe repristinierendes Urtheil. Wer sollte
denn mit dem Erfinder des neuen Spieles gleich von Anfang an
certieren? Die neue Kunstgattung mußte doch eine Zeit haben
Interesse und Wettbewerb hervorzurufen. Das wird bald genug
gekommen sein. Die Choragen der einzelnen Phylen werden
faktisch bald gewetteifert haben, wer das beliebte, frequente
Fest am glänzendsten schmücke, und da wiederholte sich 509
oder 508 der Vorgang von 534: der Wettkampf der Männer-
chöre wurde staatlich vom Archonten Isagoros eingeführt.
Die Worte des Marmor Parium yogoi ardewv nowror jywvlCovto
besagen doch nicht, daß bürgerliche Männerchöre früher nicht
vorhanden waren, daß sie damals erst erfunden wurden, sondern
nur, daß ihr Wettkampf zum erstenmal unter staatlicher Auf-
sicht stattfand, daß fortan Siege errungen und öffentlich ver-
zeichnet wurden. Wenn man, wie billig, das zewrov zum Prä-
dikat 7ywrlZovio, nnd nicht einseitig zum Subjekt bezieht, so
wird die Plutarchische Nachricht durch das M. P. lediglich be-
stütigt!9). Seitdem werden tragische Siege des Chórilos, Phry-
nichos, Pratinas berichtet. Phrynichos beginnt um diese Zeit,
5ll. Daß er Frauenrollen eingeführt und Dialog in Tetra-
metern und Trimetern gebraucht habe, ist unbestreitbar, seine
Verdienste um die Tetralogie oder um die Schaubühne werden
nicht klar zu stellen sein. Doch muß er wenigstens in seinen
späteren Jahren, als er Ol. 75, 4 (477/6) mit den Phönissen
siegte, ein Logeion ähnlich wie Aeschylos in den Persern und
den Septem gehabt haben. Denn wenn Glaukos in der Hypo-
thesis zu den Persern erzählt, ein Eunuch habe für den Rath
des Königs Sitze gelegt, so kann das nur auf dem Logeion
selbst geschehen sein, und zwar für Statisten, nicht für den
Chor, denn dieser bestand eben aus Phönizierinnen. Etwa 12
Jahre nach der Einrichtung der Wettkämpfe tragischer Chöre
begann Aeschylos. Seine Verdienste um die Tragödie, daß er
das gesprochene Wort zur Hauptsache gemacht (10v Àóyov now-
Tuywrıornv xateoxevacev), daß er den tetralogischen Zusammen-
hang, wo nicht erfunden, doch ausgebildet habe, daß unter sei-
nem Einfluß der zweite Schauspieler bewilligt worden sei, wer-
den nicht bestritten. Was sonst seine vita und andere Nach-
richten von seinen scenischen Erfindungen in Betreff der Masken
und Kleider der Schauspieler, des Gebrauches von Grabmälern,
18) Es scheint diese Neuerung mit den damaligen politischen
Umwälzungen zusammen zu hängen. Isagoras, der Reaktionär, das
Haupt der Pediäer, scheint durch die Einordnung der beliebten
Wettkämpfe in den staatlichen Organismus die Volksgunst haben ge-
winnen zu wollen, und seine Gegner hüteten sich nach seinem Sturze
wohl, diese populäre Maßregel anzutasten.
534 B. Todt,
Trompeten , Schattenerscheinungen , Flugmaschinen u. A. be-
richten, das wird durch die erhaltenen Tragödien so ziemlich
alles bestätigt. Nur an der Weiterbildung des Bühnengebäudes
soll er keinen Artheil haben! Nachdem aber in seinem ältesten
Stücke die Hinterwand und in einem andern der älteren die
Bedachung der Bühne sich als unerläßlich erwiesen hat, werden
wir nicht mehr glauben, daß dem Schöpfer der Tragödie die
tragische Bühne erst für die letzten 5—7 Jahre seines langen
Kunstlebens octroyiert worden sei. Die Geschichte des Suidas
von dem Zusammenbruch der Sitzgerüste um Ol. 70 mag ja
nach Datierung, Inhalt und Folgerungen ungenau sein, für ganz
aus der Luft gegriffen wird man sie nicht halten dürfen. Son-
dern es wird einmal in den ersten Jahren der Thätigkeit des
Aeschylos irgend ein Unfall bei einer tragischen Aufführung vor-
gekommen sein und Veranlassung gegeben haben, das Bühnen-
gebäude weiter zu entwickeln. Jedoch lege ich auf solche Zu-
fälligkeiten viel weniger Nachdruck, als auf die inneren Gründe,
welche in den künstlerischen Bedürfnissen der Tra-
gödie liegen. Von diesen ist noch eines gar nicht erwähnt wor-
den, nämlich das akustische.
Wenn das Bedürfniß des Sehens zur Errichtung des Lo-
geion, die Nothwendigkeit eines Garderobe- und Requisiten-
Platzes zur Erbauung und Entwickelung der Skene nebst Hin-
terwand trieb, wenn dies alles in Verbindung mit dem Interesse
des Publikums die centrale Lage des Logeions von Anfang an
ausschloß und die Sitze der Zuschauer auf eine Seite legen
hieß, so trieb das Interesse der Dichter, gehört und ver-
standen zu werden gewiß sehr früh zur Erfindung des Büh-
nendaches und der Seitenwände, als Schalldeckel und Schall-
Leiter. Welchen Unterschied es macht, ob Rede oder Musik
ganz im Freien ertönt, oder ob beides aus einer bedeckten und
flankierten Halle hervorkommt, das kann man in jedem Garten-
konzerte erleben. Haben wir doch selbst in den bedeckten Räu-
men unserer Kirchen über die „Sprechplätze“, die Kanzeln näm-
lich, Schalldeckel anbringen müssen, damit die Redner verstan-
den werden. Bis auf Aeschylos war noch Tanz und Gesang
die Hauptsache, er aber machte „das gesprochene Wort zur
Hauptperson“, d. h. die Tragödie wurde aus einem mehr sinn-
lich-musikalischen ein in höherem Grade poetisch-geistiger Genuß.
Und nun denke man sich die nach Tausenden zählende Zu-
hörerschaft der so empfindlichen Athener, in deren geistigem
Volks-Leben die Tragödie doch wirklich den Höhepunkt bildet,
und von deren scharfer Kritik das Glück der Dichter, jedenfalls
der Erfolg der Stücke abhing, vor dem Logeion sitzend, und
das Gesprochene nicht verstehend, — die Perioden und Con-
struktionen der Tragiker sind doch bekanntlich nicht leichter
als die der Redner! — weil jeder Lufthauch des Schauspielers
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 535
Worte verweht! Wenn die Tragiker, Dichter und Schauspieler,
später mit den Mundstücken der Masken und den Schallgefäßen
raffinierte Kunststücke machen konnten, sollten sie nicht bald
von Anfang an durch Skenendach und Paraskenien die Bühne
zu einem Schallfang im Großen hergerichtet haben? Man beur-
theilt diese Leute wirklich zu gering, wenn man glaubt, sie hätten
sich bis zum Jahre 465 mit der centralen Mittelestrade begnügt.
Daß auch Sophokles an der Vervollkommnung des Büh-
nengebäudes Antheil habe ist sehr wahrscheinlich. Der Ano-
nymus in Cramer anecd. Par. I 19 hat ganz recht, daß man
gewiß bei vielen Einzelheiten streiten könne, wem die Ehre der
Erfindung gebühre. So wird die Erfindung der oxyroygagla
dem Sophokles von Aristoteles zugeschrieben, während anderer-
seits nach Vitruv Agatharchos schon dem Aeschylos den Hin-
tergrund gemalt haben soll (scaenam fecit). Dies läßt sich viel-
leicht vereinigen. Aeschylos bedurfte, wie wir gesehen haben,
in allen vier vor dem Auftreten des Sophokles geschriebenen
Tragödien eines mächtigen Satzstückes, welches vielleicht in Ver-
bindung mit kleineren schirmartigen Satzstücken wohl eine ei-
gentliche Dekoration vertreten konnte, so daß es genügte, wenn
auf dem oberen Theile der hölzernen Hinterwand Himmel und
Luft, für alle Stücke gleichmäßig, angedeutet war. Diese scaena
könnte Agatharchos für Aeschylos „gemacht“ haben !®). So-
phokles, der erste geniale Vertreter der srezAsyuévg und nadn-
zn toay@dla 2), wandte sich von den mythologisch - theologi-
schen Stoffen des Aeschylos ab und mehr der Darstellung der
19) Wir werden annehmen dürfen, daß dasselbe Requisit in allen
4 besprochenen Stücken, einmal als Grabmal, zweimal als Altar, ein-
mal als Fels seinen Dienst that, und daß es bei der Zurüstung der
Bühne von unten auf das Logeion gehoben wurde und nach dem
Schluf jedes Stückes, nur nicht so schnell wie im Prometheus, ver-
sank. Dieselbe Dekoration der Bühne kommt sogar noch einmal in
der Orestie, im Anfange der Choephoren vor. A. Müller S. 161 Anm.
4 irrt sich in den Absichten Niejahrs (Prog. Greifsw. 1885 S. XIII),
wenn er sagt, derselbe habe den Scenenwechsel in den Choephoren
bestritten. Er hat dies dahin gestellt sein lassen, und nur zu beweisen
versucht, daß die Grabmäler in der Mitte des Prosceniums zu liegen
pflegten. Das ist ganz richtig, und wenn es sonst die Worte der
Dichtung zulassen, wie in Eur. Helena, kann auch ein Palast dahinter
liegen. In den Choephoren konnte dies nicht der Fall sein. Denn
Orestes konnte V. 10 ff. nicht sagen: ,,Welche Schar Weiber mit
schwarzen Gewündern sehe ich dort kommen?“ u. s. w. und sich V.
20 ungesehen zurückziehen, wenn Elektra und der Chor dicht
hinterihm aus dem Palaste hervortraten.
20) Vergl. Bernhardy Gr. L. G.? II 2 S. 188 ff. Die von B. an-
gewendete Bezeichnung der Tragódien des Aeschylos als der ethi-
schen, der des Sophokles als der pathetischen (insofern er seine
Personen aus dem Affekt, dem «Sog, handeln läßt), der des Euri-
pides als der pathologischen (insofern er die Gemüthszustände
rásonnierend analysiert), scheint mir eine besonders glückliche Fort-
hildung der oben citierten Aristotelischen termini zu enthalten.
536 B. Todt,
Bewegungen des menschlichen Herzens zu. Er verlegte darum
den Schauplatz näher an die Wohnungen der Menschen, am
Häufigsten auf die Vorplätze der Paläste der tragischen Ge-
schlechter. So kann es wohl sein, daß die Erfindung der Ske-
nographie von Palast- und Tempel-Front und dergl, die deoreyta
und jede Dekorationswand, die nicht in derselben vertikalen
Ebene lag wie die Hinterwand (cf. À. Müller p. 142), Erfin-
dung des Sophokles war. Ebenso vielleicht das Ekkyklema,
dieses Kompromif der antiken Bühne zwischen dem durch die
Verbindung von Orchestra und Logeion unabünderlich gege-
benen hypäthralen Schauplatz und dem Bedürfnisse, Vorgänge
im Innern der Häuser zu zeigen. Aeschylos braucht Palast, Tem-
pelfront und Ekkyklem in der That erst in der letzten Trilogie.
Doch wann und von wem Ekkyklem (und Periakten und
dergl.) erfunden sind, thut zu unserm Verständniß der alten
Tragödien recht wenig. Nur über eine Frage hätte man wohl
noch gern bestimmteren Nachweis, nämlich über die Zeit der
Umgestaltung der tragischen Orchestra, Es ist bekannt, daß
in späterer Zeit die tragischen und komischen Chöre nicht mehr
zu ebener Erde auf der gemauerten Orchestra, sondern auf ei-
nem Holzgerüst in Gestalt eines Kreisausschnittes zwischen zwei
parallelen Sehnen, fast eines Paralleltrapezes oder auch Recht-
eckes, sich bewegten. Dies lag in solcher Höhe unter dem
Logeion, daß die Köpfe der Choreuten ohngefähr in gleiches
Niveau mit diesem kamen, Stufen führten zum Logeion hinauf,
und als Eingänge dienten parallel mit dem Proskenion und auf
gleichem Niveau mit dem Orchestra - Gerüste selbst die soge-
nannten x«rw rzaoodoı. Ein Theil der kreisrunden gemauerten
par-terre Orchestra, in der Regel wohl mindestens ein Halb-
kreis, blieb für die dramatischen Aufführungen zunächst un-
benutzt. Ob er nicht bisweilen, namentlich in der Komödie,
dennoch benutzt worden ist, ob er nicht dasjenige ist, was bis-
weilen mit vnooxnrıor und xovforgs bezeichnet wird, liegt zu
untersuchen jetzt zu fern. Dieses Gerüst war an die Stelle der
Jvuutim getreten, von welcher herab der Koryphäos zuerst seine
epischen Erzählungen vorgetragen und auch wohl mit dem er-
sten Schauspieler den Dialog gehalten hatte, und der Name
9vutÀg ging nun auch auf das ganze Gerüst über. Daher sagt
Pollux IV 129, Ivußin, stre Buc re ovoa etre Bwuoc. Ob auf
diesem Gerüste wieder ein Altar errichtet war, welcher etwa
auch den Namen 9vuf£Àg trug, und für die Spendeopfer vor dem
Anfang der Vorstellung benutzt wurde, wo auch die Flöten-
spieler ihren Platz hatten, oder ob dieser Altar etwa in dem
par-terre- Theil der gemauerten Orchestra sich befand, das muß
dahin gestellt bleiben. Möglich könnte beides sein. Aber je-
denfalls war dieser Altar nun eine wirkliche Kultstütte und
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 587
hatte zum Spiele keine Beziehung ?'). Es fragt sich nun, wann
ohngefähr kann die Neuerung, ein solches Gerüst dicht vor dem
Logeion, parallel mit dem Proskenion aber etwas tiefer aufzu-
schlagen, eingetreten sein?
Die nächstliegende Antwort ist, daß es gleichzeitig mit der
Erhöhung des Logeions auf ca. 12 Fuß geschehen sein muß,
weil es ungeschickt gewesen würe, den Chor wie aus einem
Keller mit den Schauspielern sprechen zu lassen (wie A. Müller
S. 128 f. richtig entwickelt). Und da die Höhe des Logeion
von ca. 12 Fuß für den Prometheus ermittelt ist, so ergiebt sich
ferner, daß beides bereits einige Zeit vor dem Prometheus ein-
getreten sein muß. Denn Aeschylos konnte den Sturz seines
Titanen theatertechnisch gar nicht koncipieren, bevor ihm das
erhöhte Logeion geläufig war. Weiter können wir nur vermu-
then, aber plausibel, wie ich glaube, daß beide bauliche Neue-
rungen mit der Einführung des viereckigen Chores, d.h.
also mit der Theilung des alten dionysischen Chores von 50
Choreuten in 3 oder 4 'Theilehóre von zunächst 12 Choreuten,
oder mit der Organisation der Tetralogieen, zusammenfallen.
Dem viereckigen Chore entsprach dann auch die neue Form
seines 'l'anzplatzes. Somit scheint diese Entwickelungsstufe in
die Zeit des Aufstrebens des Aeschylos zu fallen, also wohl
etwa um 490. Die Bedachung der Bühne und die Paraskenien
werden gleichzeitig oder nicht viel später eingetreten sein.
Es ist ferner nur eine Vermuthung, aber, wie ich glaube,
ebenfalls eine plausible, daß dieses Gerüst für die dramatischen
Chöre jährlich zu den Festen aufgeschlagen und nach den Festen
weggenommen wurde, während man nach einiger Zeit das Ske-
nengebäude, welches nach und nach aus festen Balken, wohl-
verankert und verschalt, hergerichtet werden mußte, wenn es
die nöthige Sicherheit für die Maschinerie bieten sollte, stehen
ließ. Dieser jährliche Wechsel in dem Aeußeren der Oertlich-
keit würde auch das Schwanken im Gebrauche der Wörter
öoyjorg« und Svuéin noch besser erklären. Denn die Geriist-
Orchestra war nur für dramatische Chöre brauchbar, für alle
übrigen dagegen verdarb sie den alten Tanzplatz, die Orchestra
zu ebener Erde. Und doch kennen wir im 5. Jahrh. bis zum
21) A. Müller S. 119 findet es auffallend, daß das Wort 9Svuélg
welches bei Dichtern der klassischen Zeit auch Tempelhalle und Altar
bedeutet, zu der Bedeutung ,,eines Gerüstes‘‘ gekommen sei. Aber
nicht jedes Gerüst heißt Svuélgy, sondern nur dies eine bestimmte,
welches an die Stelle der Svuéln in der runden Orchestra zeitweilig
trat, bekam diesen Namen als terminus technicus. Warum sollten sich
daneben die Dichter nicht dieses Wortes in seiner Urbedeutung ,,Opfer-
stätte‘‘ zur Bezeichnung von Altären und "Tempelhallen bedienen ?
Ebenso wenig auffallend ist es, daß in Scholien und Wörterbüchern
zur Bezeichnung dieses Gerüstes die Worte opyyorva und 3vu£lg durch-
einander laufen.
538 B. Todt,
Perikleischen Odeion keinen Platz für die übrigen musischen
und chorischen Agone, als diese Orchestra. Durch das Skenen-
gebäude, welches, wie schon oben bemerkt, höchstens ein kleines
Segment ja nach den Zeichnungen bei Müller und bei Kawerau
gar nichts davon abschnitt, wurde aber die alte Orchestra für
andere als dramatische Aufführungen keineswegs unbrauchbar.
Im Gegentheil, das Skenengebäude nebst dem Séurgor bewährte
sich optisch und akustisch als eine treffliche Erfindung für
Vorführungen aller Art, wie denn beides auch schon im 5. Jahr-
hundert (J. 411) als Ort der Volksversammlung benutzt worden ist.
A. Müller hält S. 311 mit Ribbeck und Mommsen die Ein-
führung der grofien Dionysien um die Zeit des Ueberganges der
Seehegemonie an Athen, also 478 — 476 für wahrscheinlich.
Das muf) ich dahin gestellt sein lassen; ich neige mich in diesem
Punkte mehr der Ansicht von v. W.-M. zu. Möglich aber wäre
es schon, daß die Athener bei dem Wiederaufbau der 480
verbrannten Stadt sich auch ein stabiles Skenengebäude und
bequemere Sitzplätze bis zur Schwarzpappel gegönnt hätten.
Die Untersuchungen der Architekten und die Ausgrabungen
in Athen haben mit diesen Fragen, wie man sieht, nichts zu
thun, und wir haben weder von dort noch von Epidaurus oder
anderswoher neues Licht über diese Incunabeln der ältesten athe-
nischen Bühne zu erwarten. Denn ein hölzernes Skenengebäude
von Balken und Brettern, vielleicht sogar in seinen unteren
Partieen mit Steinen ausgesetzt, genügte zwar allen künstleri-
schen Zwecken der entstehenden und blühenden dramatischen
Kunst, bedurfte jedoch schwerlich irgend welcher Grundmauern
und verschwand jedenfalls vollständig bei dem großartigen stei-
nernen Neubau der Lykurgischen Periode.
Nachtrag. Vorstehende Blätter waren bereits druckfertig, als
Kawerau's Aufsatz über die antiken Theatergebäude in Bau-
meisters „Denkmälern des kl. Alterthums“ S. 1750 ff. erschien.
Dieser Gelehrte stellt, wie oben bereits angedeutet, mit Ermüch-
tigung Dórpfelds und mit Verweisung auf weitere Mitthei-
lungen in den Schriften des Kaiserlich deutschen archüologischen
Institutes folgenden Satz als vorläufiges Resultat der Ausgra-
bungen am Dionysos- Theater in Athen und überhaupt in Grie-
chenland an der Spitze seiner Darlegung: „Diese einschneiden-
den Untersuchungen haben zu dem Hauptergebniß geführt, daß
im griechischen Theater bis in die römische Zeit hinein kein
Logeion, keine erhóhte Bühne vorhanden war, mithin auch keine
räumliche Trennung von Chor und Schauspielern, daß vielmehr
erst die römische Zeit Logeien kennt“.
Mag es dreist erscheinen, wenn Jemand von seiner Studier-
stube in Deutschland aus den so überaus verdienstlichen Archi-
tekten, welche uns die ältesten Baudenkmäler ans Licht ziehen,
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 539
gegenüber seine Zweifel auszusprechen wagt, aber ich habe mit
Bewußtsein die Worte im Schlußabsatz des vorstehenden Auf-
satzes, „daß die Ausgrabungen mit den Untersuchungen über
die älteste athenische Bühne nichts zu thun haben“ auch nach
dem ich Kaweraus Aufsatz gelesen, stehen lassen. Bis jetzt
wenigstens kann ich den Schluß, daß überhaupt ein Logeion
nicht vorhanden gewesen, aus dem sehr selbstverständlichen
Umstande, „daß in dem Dionysos -Theater von einem Bühnen-
gerüst keine Spur vorhanden ist“ (S. 1736) nicht anders als
einen übereilten und zu weit gehenden ansehen. Man darf doch
die ganze dramatische Litteratur über die Ausgrabungen nicht
ignorieren, man muß vielmehr auch hier die Worte v. W.-M.’s
anwenden: „Von dem, was in den Stücken selbst steht, läßt
sich nichts abdingen“. Auch sind Kaweraüs weitere Ausfüh-
rungen keinesweges überzeugend. ,,Mit der Einführung des
zweiten Schauspielers, welchem bald ein dritter folgte, über-
haupt mit der Darstellung einer Handlung, welche ein häufiges
Auf- und Abtreten der Agierenden erforderlich machte, mußte
der erhöhte Standplatz für den Darsteller schwin-
den, höchstens, wenn der Schauspieler eine längere Rede zu
halten hatte, konnte er noch einmal eine Stufe oder ein Podium
betreten“. Warum mußte der erhöhte Standplatz, der also
in den Urzeiten vorhanden war (und zwar mit einer Hinter-
wand versehen, wovon hernach) schwinden? Welche architek-
tonischen Bedürfnisse nöthigten dazu? Warum konnte der vor-
handene und doch auch als „Podium für längere Reden‘ beizu-
behaltende erhöhte Redeplatz nicht vielmehr zweckmäßig erweitert
werden? Sollten die Griechen mit dieser dem Bedürfniß abhel-
fenden Erfindung auf die Römer gewartet haben? „Als Ersatz“
fährt Kawerau fort, „tritt dann der Kothurn ein. Den Schau-
spielern wird durch den Kothurn ein bewegliches Gerüst unter
die Füße gegeben, das ihnen Bewegungsfreiheit gestattet, sie
aber noch über den Chor hinaushebt". Aber die Komödie? Sie
bediente sich des Kothurns nicht, und doch desselben Schau-
platzes wie die Tragödie. Der Kothurn aber (beiläufig gesagt
wohl die schlechteste Erfindung der griechischen Tragödie, weil
er die Bewegungsfreiheit weit mehr verhinderte als gestattete,
weshalb ihn eben die Komödie auch nicht annahm), der Kothurn
diente nicht dem Zweck, den Schauspieler über den Chor, son-
dern ihn über das Menschenmaß, ins Heroenhafte zu erheben,
ebenso wie der Onkos, die Handschuhe etc. — Daß aber zur
Zeit der entstehenden und blühenden dramatischen Kunst in
Athen ein erhóhter Sprechplatz, eine Estrade, eine Bühne, (mag
sie Aoyelov, OxolBus, fue, m0o0xnvıov genannt worden sein, —
das lasse ich jetzt dahingestellt), vorhanden war, das beweisen
erstens alle diejenigen Stellen, wo Jemand in die Tiefe versinkt
oder aus der Tiefe aufsteigt. So vor allen der Prometheus.
540 B. Todt,
Mag die Katastrophe von wem immer gedichtet sein, jedenfalls
ist Prometheus mit seinem Felsen schon im 5. Jahrhundert v.
Chr. vor den Augen der Athener in die Tiefe gestürzt, und be-
stätigt damit die Angabe Vitruv's von dem ca. 12 Fuß hohen
Logeion. Oder hätte man etwa zum Behuf dieser Aufführung
den Schauplatz so tief ausgekellert?? Davon könnten sich dann
eher als von einem Holzgerüst Ueberreste erhalten haben! Fer-
ner der Schatten der Klytämnestra in den Eumeniden. Die
yeowrssos xAbuuxes und aramécuara der alten Bühne waren
keine Fabel Klytümnestras Schatten konnte in dem Tempel
des Apollo, dessen Gebot ihren Tod herbeigeführt hatte, nicht
erscheinen, (wenngleich der sonst so besonnene Schönborn, die
Skene d. Hellenen S. 211, dieser Meinung ist,) sondern mußte
direkt aus der Unterwelt kommen: Aeschylos hätte weder Er-
scheinungen im Himmel noch aus der Unterwelt überhaupt con-
eipiert, wenn er nicht beides hätte plastisch darstellen können.
Auf die Perser gehe ich hier nicht ein, weil das Grabmal des
Dareios allerdings auch zu ebener Erde stehend den Geist des
Dareios bergen konnte. Die höhere Lage des Logeions ferner
im Verhältniß zur Orchestra beweisen diejenigen Stellen, wo je-
mand aus der Orchestra auf die Bühne emporsteigt. Wenn
man den Agamemnon, wo dieser über die Purpurdecken geht,
und den Anfang des Euripideischen Orestes, wo der Chor leise
zum Lager des Orestes herantritt, nicht gelten lassen will, so
wird man doch über die Stelle in der Lysistrata des Aristp-
phanes nicht hinwegkommen, wo der Chor der Weiber auf der
die Burg von Athen darstellenden Bühne steht und von dem
Chor der Greise belagert und bestürmt wird. Diese stehen na-
türlich in der Orchestra, die Weiber aber gießen von oben
herab Wasser, und die eine will einen Alten mit dem Bein von
oben herab stoßen. Die Situation ist so klar und handgreiflich,
daß an der Erhöhung der Bühne über der Orchestra um etwa
das Vitruvische Maß nicht gezweifelt werden kann. Genauer
ins Einzelne kann ich jetzt nicht gehen, doch sei endlich noch
auf den in Baumeisters Denkmälern unmittelbar auf Kaweraus
Aufsatz folgende Artikel „Theatervorstellungen“ S. 1750 Col.
2 ff. hin gewiesen, welcher vier Abbildungen von Vasenbildern
mit Darstellungen aus der Komödie bringt, auf denen das Lo-
geion mit abgebildet ist. Selbst wenn diese Gegenstände nicht
der alten attischen Komödie, sondern der Phlyakenkomödie Groß-
griechenlands angehören sollten, so sind sie doch jedenfalls älter
als die römische Bauzeit.
Kawerau spricht S. 1741 die Vermuthung aus (nach Dörp-
feld) der Uebergang zum römischen Theater, d. h. zum Theater
mit Logeion, sei so vor sich gegangen, daß man den Theil des
alten Tanz- und Spielplatzes, der dem Publikum zugekehrt war,
vertieft habe, nicht aber, daß man eine erhöhte Bühne vor der
Noch einmal die Bühne des Aeschylos. 541
Skenenwand aufgeschlagen. Aber sollten die Griechen so über-
aus unpraktiseh gewesen sein, die Orchestra für alle andern
Agone außer den Dionysischen unbrauchbar zu machen ?
Wie Kawerau hier einerseits das Logeion und v. W.-M.’s
Estrade aus dem griechischen Theater streicht, so scheint er an-
dererseits der Hinterwand einen sehr frühen Ursprung zuzu-
schreiben. Nachdem er aus dem Aufsatz von v. W.-M. den
Passus citiert hat, daß erst mit dem Auftreten des zweiten
Schauspielers, also zur Zeit der Marathonsschlacht, Veranlassung
gegeben gewesen sei, den kreisrunden Tanzplatz von Grund aus
zu ändern, fährt er S. 1734 fort: „Sobald das Spiel eine
Handlung zur Anschauung brachte, ergab es sich von selbst,
daß die Sprechenden und Handelnden sich mehr nach einer
Richtung wendeten, dal die Zuschauer demgemäß sich nach die-
ser Seite zusammendrängten und nicht mehr den vollen Kreis
einnahmen. Gleichzeitig mußte das Bedürfniß auftreten,
der Handlung einen, wenn auch zuerst nur angedeuteten, Hin-
tergrund zu geben. Das Zelt oder die Bude der Schauspieler
bezeichnet die Lage und den ersten Bestand des Spielhinter-
grundes. In raschem Fortschritt kommt man bald dahin,
die gewil} kunstlos genug aufgeschlagene Schauspielerbude durch
eine Bretterwand zu verdecken, welche mit einer Thür für das
Auf- und Abtreten des Schauspielers versehen ist und die Wand
eines Hauses vorstellt. Damit hat das Zelt, die oxn»7, sein
7000xn7rior, das, was vor dem Zelte liegt, die Dekoration, erhal-
ten“. Abgesehn von der disputablen Deutung des Ausdruckes
noocknrıor, — denn auch das Logeion lag „vor dem Zelte“, —
und der unrichtigen Behauptung, daß die erste Hinterwand
gleich die Wand eines Hauses darstellte und daß sie die „De-
koration“ sei, sind das richtige Erwägungen, welche ich mir
gern aneigne. Kawerau hat dem Plane seiner Arbeit gemäß
nähere Zeitbestimmungen nicht angegeben, aber die von mirun-
terstrichenen Ausdrücke sobald, gleichzeitig, in rascher
Folge lassen darauf schließen, er nehme nicht an, daß man
mit dem Aufschlagen der Hinterwand fast noch ein Menschen-
alter nach 490 gewartet habe Ich freilich setze, wie gesagt,
auch den Anfang der oxnrn früher, nämlich dahin, als der erste
Schauspieler Rollenwechsel und Umkleidung nöthig und den
Dialog möglich machte. In Summa: weder eine kreisrunde Or-
chestra mit einer Mittelestrade, noch eine Skenenwand hinter der
Orchestra ohne erhöhten Sprechplatz läßt sich als Schaubühne
der ältesten Tragödie halten, sondern die Texte der uns erhal-
tenen Stücke fordern beides zusammen, die abschließende Hin-
terwand und das Logeion, und diese beiden Elemente der an-
tiken Schaubühne waren embryonisch mit dem ersten Hervor-
treten der dramatischen Tragödie gesetzt und wurden gleich-
mäßig weiter entwickelt.
Magdeburg. B. Todt.
XXVIII.
Studien zu Theognis.
A. Zur Textkritik.
In einem ähnlichen Entwickelungsstadium wie die römische
Republik haben auch die meisten griechischen Staaten innere
Kämpfe durchgemacht, welche politische Berechtigungen zum
Gegenstande, soziale Gegensätze zur Ursache hatten. Aber wäh-
rend die Reihenfolge, in welcher sich die Begebenheiten in Rom
abspielten, in zusammenhängenden Darstellungen überliefert ist,
von deren Inhalt wenigstens ein kleiner, an äußeren Merkmalen
kenntlicher Theil auf gleichzeitige Ueberlieferung zurückgeht,
sind wir für die Kenntniß der verwandten Ereignisse in Grie-
chenland auf zerstreute Notizen angewiesen, welche sich nur
zum kleinsten Theil chronologisch fixieren lassen Aber der
Vortheil, welchen die Erforschung der römischen Geschichte in
einer festen chronologischen Reihenfolge besitzt, wird auf der
anderen Seite ausgeglichen durch die größere Anschaulichkeit,
mit welcher die griechischen Vorgänge in zeitgenössischen Kund-
gebungen vor unsere Augen treten.
Solche Kundgebungen sind in den Ueberresten der lyri-
schen Poesie erhalten; An Umfang und Inhalt den ersten
Platz nimmt unter denselben der Verscomplex ein, welcher unter
dem Namen des megarischen Elegikers Theognis überliefert: ist.
Aber aus diesem reichbaltigen Material sind bisher keine Er-
gebnisse von solcher Bedeutung gewonnen worden, wie es auf
den ersten Blick verspricht, und es fragt sich, ob dasselbe über-
haupt geeignet ist, alle die Auskunft zu geben, die man von
einem politischen Dichter über Begebenheiten seiner Zeit er-
warten kann.
Studien zu 'l'heognis. 543
Denn wer es versucht, von dem Leben und der Denkart
des Theognis aus seinen Gedichten eine Anschauung zu gewin-
nen, dem stellt sich schon auf dem Gebiete der Textkritik ein
vielleicht unüberwindliches Hinderniß entgegen. Nicht nur wer-
den große Partieen der unter seinem Namen überlieferten Masse
von Elegieen mit Recht oder Unrecht anderen Dichtern zuge-
schrieben; auch die Herstellung der ursprünglichen oder relativ
ursprünglichen Lesarten bei -Widerspriichen der Handschriften
und der übrigen Textesquellen unterliegt Zweifeln, zu deren
Lösung eine feste Norm noch nicht gefunden ist.
Dabei ist das textkritische Material, vornehmlich durch
Bekker?), Welcker *) und Bergk?) in einer seltenen. Vollstün-
digkeit zusammengetragen. Das Verdienst eines neueren Her-
ausgebers, Ziegler 4), besteht wesentlich darin, daß er den Ap-
parat von vielem gelehrten Ballast befreit und auf das noth-
wendige beschränkt hat. Das Verhältniß der Handschriften ist
durch die Untersuchungen von Bergk?) und Nietzsche 9), wie
durch die Berichtigungen von Hinck’) und Ziegler?) klarge-
stellt. Es kommen überhaupt nur zwei Handschriften, der in
Paris befindliche Mutinensis und ein Vaticanus für die Recon-
struction des Textes in Betracht, in erster Linie der Mutinensis.
Eine neue Prüfung dieser Handschrift durch Jordan?) hat er-
geben, daß die älteste Collation, von Immanuel Bekker fast
durchweg zuverlässig ist und daß die abweichenden Angaben
von Pressel!°) und v. d. Mey!!) keinen Glauben verdienen.
Auch die Differenzen, die beim Vaticanus zwischen den Colla-
tionen von Ziegler und Jordan l?) bestehen, fallen nicht stark
in's Gewicht.
So ist der handschriftliche Apparat auf ein erwünschtes
Minimum reduciert, mit dem es allem Anscheine nach ein leichtes
sein müßte, einen gründlich revidierten oder wenigstens den be-
sten möglichen Text herzustellen. Aber durch Vergleichung der
Handschriften ist die Aufgabe, den Werth der handschriftlichen
Ueberlieferung zu prüfen, noch keineswegs gelóst. Es stehen
1) Theognidis Elegi. Secundis curis rec. Immanuel Bekker. Berol. 1827.
2) Theognidis Rel. Novo ordine disp. Theophilus Welcker. Fran-
cofurti ad Moenum 1826. 9) Poetae lyrici graeci II* Lipsiae 1882.
4) Theognidis Elegiae. Secundis curis recogn. Chrph. Ziegler.
Tübingen 1880. 5) Rhein. Mus. III 1845 S. 206—233.
6) Rh. Mus XX11 1867 8. 161 200. Vgl. Jordan Qu. Theogn. p. 8.
7) Neue Jahrbb. 97 8, 336 —839 vgl. Hart. a. a. O. S. 381 - 336.
8) Neue Jahrbb. 97 S. 329. 330. 125 .. 447. 8; 127 S. 253—255.
9) Hermes XV 8S. 524—529. 10) Philol. 29 S. 547 ff.
11) Studia Theognidea p. 48 fg. 12) Hermes XVI S. 506—510
vgl. Quaestiones Theognideae Regimontii 1884. 4. [Der vollständige
Abdruck dieser Handschrift durch Studemund im letzten Breslauer
Index erschien erst, nachdem der Druck der obigen Abhandlung be-
reits begonnen hatte. ]
544 Fr. Cauer,
noch Untersuchungen aus, die, wenn erledigt, es vielleicht mög-
lich machen, über das Ergebniß der Handschriftenvergleichung
hinauszukommen, die aber zunächst die Schwierigkeiten der kri-
tischen Arbeit vermehren. Es ist erstens nóthig, an den zahl-
reichen Stellen des Dichters, welche von älteren und jüngeren
Autoren angeführt werden, die Lesarten der Handschriften mit
denen der Citate zu vergleichen. Zweitens müssen die Verse
anderer Elegiker, welche sich in den Theognistext eingeschlichen
haben, darauf hin geprüft werden, ob sie in diesem Zusammen-
hange besser erhalten sind oder da, wo sie unter dem Namen
ihrer wirklichen Verfasser überliefert sind. Drittens verlangen
alle diejenigen Distichen, die innerhalb derselben Handschrift
mehrmals erhalten sind, aber mit Abweichungen der Lesart, eine
Untersuchung darüber, auf was für Ursachen die Verderbniß
an der einen oder anderen Stelle beruht. Die genannten drei
Fragen sind zwar schon mehrfach behandelt, aber noch nicht
erschöpft worden. Die folgenden Bemerkungen sollen zusam-
menstellen, was die bisherigen Untersuchungen ergeben haben
und, wo eine wesentliche Lücke bleibt, es versuchen, dieselbe
auszufülen oder wenigstens zu bezeichnen.
1. Citate
Die Aufgabe, die Theognisstellen , welche bei klassischen
Autoren citiert werden, für die Textkritik zu verwerthen, hat
zuerst Welcker in Angriff genommen. Er ging dabei von der
Voraussetzung aus, daß nicht nur den. älteren Schriftstellern,
sondern auch den spätesten Verfassern von Sammelwerken die
Gedichte des Theognis in einer wesentlich reineren Gestalt und
richtigeren Anordnung vorgelegen haben als uns. Diese An-
sicht ist für den Compilator, welcher bei weitem die meisten
Citate erhalten hat, für Stobaeus, durch die Untersuchungen von
Bergk (Rhein. Mus. III 1845 S. 396 fg.) widerlegt worden.
Bergk weist erstens darauf hin, daß Stobaeus solche Stellen an-
derer Dichter, die in unsere Handschriften des Theognis einge-
drungen sind, ebenfalls unter dem Lemma des Theognis an-
führt, also schon in dem von ihm benutzten Texte als theogni-
deisch fand. Er macht es zweitens wahrscheinlich, daß dem
Stobaeus die Gedichte bereits in derselben Anordnung oder
richtiger Unordnung vorlagen wie uns.
Das negative ErgebniB, welehes er in dieser Richtung ge-
wonnen hatte, machte Bergk geneigt, &uch über den Werth
der bei Stobaeus erhaltenen Lesarteu ein schlechthin wegwer-
fendes Urtheil zu fällen. Diesem Urtheil ist mehrfach wider-
sprochen worden, mit Zurückhaltung von Nietzsche (Rhein. Mus.
XXII 1867 S. 186. 7), sehr eutschieden von Moritz Schmidt
(Rhein. Mus. XXVI 1871 S. 191). Erst die neuesten, einge-
henden Untersuchungen, welche die Stobaeusfrage von Hermann
Studien zu Theognis. 545
Schneidewin (De Theognide eiusque fragmentis in Stobaei flo-
rilegio servatis. Stettin 1882. Programm der städtischen Re-
alschule) und Oscar Crüger (De locorum Theognideorum apud
veteres scriptores exstantium ad textum poetae emendandum
pretio. Diss. inaug. Regimontii 1882) erhalten hat, machen
es möglich, ein abschließendes Urtheil zu gewinnen. Crüger
praecisiert das Resultat seiner Untersuchung sehr scharf dahin,
daß die Stobaeushandschriften in einem weit höheren Maße ver-
derbt seien als die Theognishandschriften, daß die wenigen
Lesarten des Stobaeus, welche den Vorzug verdienen, nicht auf
Ueberlieferung, sondern auf Coujectur beruhen, daß somit Sto-
baeus als Zeuge für die ursprüngliche Textesform überhaupt
nicht in Betracht komme (a. a. O. S. 52, S. 55).
Bei diesem Urtheil, das ja durch eine sehr sorgfältige Un-
tersuchung der stobensischen Lesarten begründet wird, ist doch
ein Umstand außer Acht gelassen, der immerhin in's Gewicht
fällt. Das Distichon 1157. 58, welches zum Verständniß von
1159. 60 durchaus unentbehrlich ist, steht in keiner unserer
Handschriften und ist ausschließlich von Stobaeus 91, 26 er-
halten. Auch die drei Distichen 1221—1226, die sich durch
die in jedem wiederkehrende Anrede Ävovs als echt erweisen,
kennen wir nur aus Stobaeus VIII 9; XX 1; LXVII 4. Hier-
aus geht mit unbedingter Gewißheit hervor, daß Stobaeus eine
Handschrift benutzt hat, die von dem Archetypus aller uns vor-
liegenden Handschriften verschieden war. Danach ist a priori
die Möglichkeit zuzugeben, daß sich an einzelnen Stellen, an
welchen der Text in allen unseren Handschriften verderbt ist,
bei Stobaeus die richtige Lesart oder wenigstens eine Spur der-
selben erhalten hat. Ob die vier stobensischen Lesarten, welche
auch Crüger billigt (157 &AÀwc 457 cvugogor tore 636 of vvv
1135 wovvn) auf guter Ueberlieferung beruhen oder auf guter
Conjectur, ist ja freilich eine sehr nebensüchliche Frage, und
im allgemeinen ist sicherlich die Nachlüssigkeit der Stobaeus-
abschreiber so groß gewesen, daß sie nur selten eine ursprüng-
liche Lesart im Gegensatz zu den Theognishandschriften erhalten
haben werden. Doch möchte ich für einige Lesarten des Sto-
baeus eintreten, die nicht durch Conjectur entstanden sein kón-
nen und die Crüger mit derselben Entschiedenheit verwirft wie
die übrigen.
Die Verse 627. 628 lauten im Mutinensis :
Aloyoov tov uedvovta nag’ avdydos vijpocw sivas,
aloyoov d', sì vyqwv neo ustioves wärst.
Bei Stobaeus, der diese Verse XVIII 11 citiert, steht in den
relativ besten Handschriften am Anfange beider Verse iy99ó»
für aloyoov. Crüger (a. a. O. S. 45) führt diese Lesart einfach
auf Nachlüssigkeit der Abschreiber zurück, ist also durch die
Lesart des Mutinensis offenbar befriedigt. „Es ist schimpflich,
Philologus. N. F. Bd. II (XLVIID, 8. 35
546 Fr. Cauer,
als Betrunkener unter nüchternen Männern zu weilen; es ist
auch schimpflich, wenn ein Nüchterner bei Betrunkenen bleibt“.
Für wen ist das schimpflich? Für die Betrunkenen? Wenn
sie die Trunkenheit an sich nicht für schimpflich halten, wer-
den sie es auch darum nicht, weil ein Temperenzler sich den
Aenßerungen ihrer Weinlaune aussetzt. Für den Ntichternen?
Seine Tugend ist ja so unanfechtbar, daß sie durch den Con-
trast gegen die Unmäßigkeit der Trinker nur in hellerem Lichte
dastehen kann. Aber lästig füllt der Ntichterne, der an der
ausgelassenen Fröhlichkeit der Zechgenossen nicht theilzunehmen
weiß; lästig fällt auch der Betrunkene, der eine zu ruhiger Un-
terhaltung aufgelegte Gesellschaft durch seine mehr derben als
geistreichen Späße und Zärtlichkeiten langweilt. Diesen Sinn
bringen die Stobaeushandschriften zum Ausdruck :
‘Ey900v tor uedvovta nag’ dvdodas vyqoaw slve,
ty906v J’, el vnguy nao puedvovos uévg.
Daß in den Handschriften, denen wir die vorstehende Lesart
verdanken, gerade an dieser Stelle keine Nachlässigkeit obge-
. waltet hat, geht daraus hervor, daß dieselben Handschriften auch
das vortreffliche »jgocw bewahrt haben, während in den mei.
sten Theognishandschriften »5qovo' steht. Fände sich die Les-
art vjqoow nicht zugleich im Mutinensis, so würde man sie
vielleicht mit derselben Geringschätzung verwerfen wie die Va-
rianten, die Stobaeus allein gehóren.
Auch das Distichon 651. 2 will Crüger in der Fassung der
Theognishandschriften beibehalten :
Aloyoa dé u! ovx iDélorra Bin xoi nolha diddoxes,
ic91à per avdounwy xoi xad’ insotduevoy.
„Du lehrst mich aber Schimpfliches wider meinen Willen, mit
Gewalt und in Menge, wührend ich doch Gutes und Rühmliches
unter den Menschen verstehe“. Hexameter und Pentameter
stehen in einem so scharfen Contraste zu einander, daß man
gern ein Wort, welches das Gegentheil von #094d bedeutet,
durch Conjectur herstellen möchte, auch wenn die Ueberlieferung
keinen Anhalt bóte. Daher schlägt Ahrens (Zeitschr. für die
Alterthumswissenschaft VIII S. 1221/2 vor, den Schluß des
Hexameters zu lesen: xai desd@ didaoxsıs, wodurch der Paral-
lelismus (oloyoa xoi deıA« — éoPAd xoi xala) hergestellt wird.
Aber wenn man einmal von der Lesart der Handschriften ab-
geht, ist es unerläßlich, Stobaeus zu beachten, der (96, 14) die
fraglichen Verse in folgender Fassung anführt:
aloypa dé u’ ox i9élovza Pin xaxd nolla diddoxe,
ie91d uet! avSeuinwy xai xal’ Ensorausvoy.
Diese Version wird von Ahrens a. a.Q. nur deshalb verworfen,
weil zwischen den 3 Adjectiven «aloyo«, xaxa, zoAl« die Ver-
bindungspartikel fehlt. Bergk ändert daher xuxad nodded in
xaox& T° Foya, und gegen diese Conjectur läßt sich nichts ein-
Studien zu Theognis. 547
wenden, da sie den Stobaeusabschreibern nicht mehr Unge-
nauigkeit zur Last legt, als in zahlreichen Fällen nachgewiesen
ist. Immerhin bliebe ihnen hier das Verdienst, das richtige
xaxa bewahrt zu haben. Aber vielleicht läßt sich die Lesart
des Stobaeus auch unverändert halten, denn auch 1213 steht
xaxa moda mit einem vorhergehenden Attribut (444a) ohne Ver-
bindungspartikel , und wenn auch der theognideische Ursprung
dieser Stelle mehr als zweifelhaft ist, so beweist sie jedenfalls
für den Sprachgebrauch eines Elegikers.
Am krüftigsten pflegen die Textkritiker ihre Verachtung
gegen Stobaeus auszudrücken, wenn auf die Verse 1129—1132
die Rede kommt. Diese Verse lauten im Mutinensis:
Eunioucı, neving JvuogIFopov où usledaivuv
oùd” aydowv iySodv, of us léyovos xaxwc,
GAM’ 5nügv igarv öloyvooum, n u’ Enuksine,
xlasw d' aoyaléov yzpac inepyousvov.
Bei Stobaeus 116, 10 heißt der erste Vers:
Ovté ys ujv neving 9vuoq9ógov ueledasvw.
Diese Lesart findet Nietzsche abscheulich, und Criiger a. a. O.
S. 51 erklärt ausdrücklich, daß damit nicht zu viel gesagt sei.
Dagegen hatte Welcker oùre ye un» in den Text aufgenommen,
Moritz Schmidt es wenigstens als Ausgangspunkt einer Con-
jectur benutzt. In der That ist ja der Vers, wie er in den
Stobaeushandschriften steht, nicht zu brauchen. Erstens muß
wegen des Metrums vor wededufyw ein ov eingeschoben werden,
wie Grotins gethan, ein solches ov konute aber wegen des vor-
hergehenden Svuogdogov durch bloßen Abschreibefehler sehr
leicht ausfallen. Zweitens muB wegen des ovd am Anfang des
Pentameters auch im Hexameter otre in ovdé verwandelt wer-
den, wie verschiedene Herausgeber beim Citieren dieser Lerart
stillschweigend gethau haben. Was nach diesen unbedeutenden
Verbesserungeu an den Versen noch auszusetzen sei, hat von
allen Verfolgern des Stobaeus allein Bergk gesagt. Er hält es
für nóthig, daß der Dichter den Grund angiebt, weshalb er die
Armuth ertrügt, das Greisenalter aber nicht. Dieser Grund wird
durch die Lesart des Mutinensis allerdings bezeichnet. „Ich
zeche, ohne mich um die herzzerfressende Armuth zu kümmern
oder um die feindlichen Männer, die schlecht von mir reden;
aber ich klage um die liebliche Jugend, die mich verläßt, und
jammere über das grämliche Alter, das mir nahe rückt“. Der
erste Theil dieses Gedankens ist uns sehr verständlich und ge-
läufig. „Wenn einer vor Schulden nicht kann bleiben zu Hause,
dann geht er in's Wirthshaus und setzt sich zum Schmause“,
Aber weshalb der Dichter gerade beim Trinken über das her-
annahende Alter klagt, ist schwer abzusehen. Vielleicht, weil
er nicht mehr so viel vertragen kann wie früher? Das würde
mehr germanisch als hellenisch gedacht sein. Ueh-'sens giebt
35 *
548 Fr. Cauer,
es ja viele, die sich diesen Genuß der Jugend bis in’s späteste
Alter zu bewahren wissen. Schreibt man doch sogar dem Weine
eine verjüngende Kraft zu, die auch Theognis nicht unterschätzt
haben wird. Aehnliche Bedenken scheinen auch Bergk vorge-
schwebt zu haben. Denn er nimmt die Lesart des Mutinensis
nicht unverändert an, sondern schlägt für den ersten Vers die
Fassung vor: ei nréouas, meving IvuopIdgov ov uededalrw.
„Wenn ich verliebt bin, kümmere ich mich nicht u. s. w.'*.
Durch diese Uebersetzung erhalten wir freilich einen treffenden
Gedanken, der auch im Munde eines griechischen Dichters sehr
an seinem Platze ist. Denn wenn er verliebt war, hatte er in
der That Grund, sein sonstiges Unglück zu vergessen und nur
den Verlust der jugendlichen Kraft zu bedauern. Aber es fin-
det sich keine Stelle, an der rnr£ouss den Sinn hätte: ich bin
verliebt, und so schwebt Bergks Interpretation in der Luft,
Wenn mit der Lesart des Musinensis nicht weiter zu kom-
men ist, nach welcher der Dichter die Ursache seiner Stimmung
angiebt, wird es vielleicht erlaubt sein, es einmal mit Sto-
baeus zu versuchen, der diese Stimmung bezeichnet, ohne sie
zu begründen. ,,Auch kümmere ich mich durchaus nicht um
die herzzerfressende Armuth, noch auch um die feindlichen
Männer, die schlecht von mir reden. Aber ich klage um die
liebliche Jugend, die mich verläßt, und jammere über das gräm-
liche Alter, das herannaht". Diese Sätze haben, für sich ste-
hend, allerdings keinen Sinn. Anders, wenn sie den Abschluß
eines längeren Gedichtes bilden, in welchem Theognis mit mehr
oder weniger Ausführlichkeit sein Unglück schildert. In alles,
worüber er sonst klagte, hat er sich gefunden, er dürstet nicht
mehr nach Rache an seinen Feinden; das einzige, was er nicht
verschmerzen kann, ist der Verlust der jugendlichen Körper-
kraft, mit der er sich sonst ritterlichen Uebungen und noblen
Vergnügungen hingab. So verstanden, bilden die Verse die
Vermittelung zwischen den Stellen, an denen Theognis der Bit-
terkeit über sein schweres Schicksal und der Rachelust gegen-
über seinen Feinden Ausdruck giebt, und den anderen, wo es
scheint, als suche er seine ganze Befriedigung in einem hei-
teren Lebensgenuß und klage nur, wenn ihm dieser nicht zu
Theil wird.
Eine solche Interpretation ließ sich aus Stobaeus nicht un-
mittelbar entnehmen; aber er hat doch eine Spur des Zusam-
menhanges erhalten, in dem jene Verse ursprünglich standen.
Indessen liegt mir die Behauptung fern, daß durch solche ver-
einzelte Fälle an dem von Crueger für die Beurtheilung der
stobensischen Varianten gewonnenen Resultat etwas wesentliches
geändert werde. Dies Resultat ist jedoch für die Theogniskritik
nicht so werthlos, wie Crueger selbst annimmt. Wenn ein
Schriftsteller, der einen spätestens im 5ten Jahrhundert geschrie-
Studien zu Theognis. 949
benen Text des Dichters benutzte, in so seltenen F'üllen eine
ültere Lesart erhalten hat als unsere Handschriften, dann ist
der Schluf gerechtfertigt, daB der Text die Gestalt in der er
uns vorliegt, im wesentlichen schon vor dem fünften Jahrhun-
dert erbalten hat.
Dies Ergebniß wird durch eine Prüfung der sonstigen Ci-
tate aus Theognis bestätigt. Dem Florilegium des Stobaeus
nach Árt und Zeit am nüchsten stehen die übrigen Sammel-
werke. In diesen, wie überhaupt in den Schriften aus byzan-
tinischer Periode finden sich sehr wenige alleinstehende, noch
weniger gute Lesarten. Nur zwei Schriftsteller der späten Jahr-
hunderte, Orion und Johannes Damascenus, lassen sich vielleicht
von der allgemeinen Verurtheilung ausnehmen, die auch ihre
Lesarten von Crueger erfahren.
Im Anthologium des Orion (V 15) stehen die Verse 141. 2
in folgender Fassung:
&v99uno, dé uatara vouilousv, sidorec oùdér *
oi dé xatà oy&ıspov ndvra Tsloücı voor.
„Der Mensch denkt, Gott lenkt“. Daß mit den of die Götter
gemeint sind, würde jeder sehen, auch wenn die Verse von
Orion nicht im Titel zegi Iewv angeführt, und wenn in den
Theognishandschriften nicht Jeoi statt of überliefert wire. Daß
aber Theognis J«oi geschrieben hat, möchte ich nicht so be-
stimmt behaupten wie Crueger (a. a. O. S. 74). Denn es ist
nicht nur möglich, daß die Verse 141. 2, wie Schneidewin an-
nahm, ursprünglich in einem anderem Zusammenhang standen,
in dem die Beziehung von oî leicht verständlich war, sondern
auch, daß mit of auf die 134 genannten Ssoè «Iavazos zurück-
verwiesen wird.
Indessen ist diese Frage für die Bedeutung der Verse-rath-
los und obenein nicht zu entscheiden. Dagegen möchte ich in
Vers 1180 ganz entschieden für die von Crueger a. a. O. ver-
worfene Lesart des Orion eintreten. Die Verse 1179. 80 lauten
in den Handschriften :
Kópve, 9&o0c aldod xai deidi9w toùto Yo dvdoa
sloyss und Eodew urnte léyesv aoepy.
„Kyrnos, ehre und fürchte die Götter, denn das hält einen zu-
rück , etwas gottloses zu thun oder zu sagen“. Das ist eine
Wahrheit, die niemand leugnen kann, die aber auch niemand
besonders zu behaupten braucht. Wer die Götter fürchtet, wird
nichts gottloses thun; wer sie aber nicht fürchtet, macht sich
nichts daraus etwas gottloses zu thun. Bei Orion, der die obi-
gen Verse in seinem Anthologium III 5 anführt, steht une za-
Jeir statt und’ Eodesv. Die Unsterblichen bewahren ihre Ver-
ehrer nicht nur davor, daß sie selbst etwas Gottloses thun, son-
dern auch davor, daß sie von anderen gottlose Behandlung er-
fahren. Diese Wahrheit wird freilich von vielen geleugnet,
550 Fr. Cauer,
vielleicht auch von dem Urheber der in den Handschriften
überlieferten Lesart; aber eben, weil sie geleugnet wird, lohnte
es, sie zu behaupten.
Johannes Damascenus führt in den Sega mwaegaddnia
das Distichon 955. 6 an, welches in den Handschriften über-
liefert ist :
desdods ev Éodovr. diw xaxd. 13» te yàg avroü
quowoss nollóv xai ydoıs ovdepia.
Daß diese Stelle verderbt sei, ist die allgemeine Ueberzeugung,
der sich auch Crueger, a. a. O. S. 75, anschließt. Beide Verse
erfreuen sich daher eines reichen Segens von Conjecturen. Nur
Heimsoeth vertritt die Ansicht, daB das Distichon in der bei
Johannes Damascenus überlieferten Fassung vollkommen ver-
ständlich sei. Also Heimsoeth hält eine Conjectur für über-
flüssig, ein Gelehrter, der sonst zu meinen scheint, daß die Ab-
schreiber nur deshalb den. Text der Schriftsteller so arg ver-
dorben haben, um ihm Gelegenheit zur Entfaltung seines kriti-
schen Talentes zu geben; Grund genug, es mit der Ueberliefe-
rung wenigstens zu versuchen.
Bei Johannes Damascenus lauten die Verse:
Aschois ed Eodovn diw xoxd: rv 18 yao aUtob
ynoocie xtedvwv xai yapss ovdsuia.
»Wer den Gemeinen gutes thut, der hat doppelten Schaden,
nemlich den Verlust der eigenen Habe und Undank“. Die
einzige Schwierigkeit liegt bei dieser Uebersetzung in dem Ge-
brauch der Partikel y«g. Denn die Seltenheit des durchaus
normal gebildeten Verbalsubstantivums y7ewoss ist kein Grund,
es für ungriechisch zu halten. Doch vergebens sucht man das
Verbum in dem durch yue eingeleiteten Satz. Aber wird durch
yao überhaupt ein Satz eingeleitet? oder vielleicht ein A eben-
sowenig wie Andokides S. 4. 2 Stephanus: é» © doi» roi»
meyiotow xuxoïr ovx Tv avi dGuagreîr 7 yàg ... $m duob
Juveiv iv... èuè anoxıeivaı. Vgl. Herodot I 82 Auxedutpo-
reo dì 1a èvuvila Tovıwv É9evio vduor. où yàg xopQvitg, 7100
toviov ano rOviOv xouäv !)) Von diesen und manchen andern
Beispielen eines explicativen Gebrauches von yag gehört freilich
keines einem Elegiker an. Aber wic leicht eine causale Con-
junction, die einen Satz durch einen Satz erklürt, in eine ex-
plicative übergeht, die ein Wort durch ein Wort erklärt, zeigt
ja auch die deutsche Partikel ,,nemlich“, die ebenfalls causale
13) Mein Bruder, Paul Cauer, macht mich auf einen Vers bei
Homer aufmerksam (4 295), in dem sich eine áhnliche Anwendung
von ydg findet: &4loscsy dij Tad? Ensréllso* un ydo tuosys. Da man
solche Anwendung der Partikel ydo nicht verstand, hat man zur Ver-
vollständigung des mit yj beginnenden Satzes den Vers 296 einge-
schoben, der schon von Aristarch als unecht erkannt ist, auch von
den meisten Herausgebern eingeklammert wird.
Studien zu 'Theognis. . .- 551
und explicative Bedeutung vereinigt. Diese Partikel entspricht
y&Q durch seine Bedeutung nicht minder wie durch seine Stel-
lung im Satze. Es leitet nicht nothwendig einen neuen Satz
ein, sondern es dient hier bei Theognis wie an den citierten
Prosastellen, um eine erklürende Apposition anzukntipfen.
Unter den Sehriftstellern der Kaiserzeit haben Athenaeus
und Clemens Alexandrinus eine größere Anzahl theognideischer
Stellen überliefert.
Für Athenaeus weist Crueger a. a. O. überzeugend nach,
dal seine Varianten sich mehrfach erklären als Aenderungen, die
nöthig wurden, damit die citierten Verse außerhalb ihres ei-
gentlichen Zusammenhanges verständlich schienen. Indessen er-
kennt er andere Fälle an, in denen Athenaeus, abweichend von
den besten Theognishandschriften, die richtige Lesart oder eine
Spur derselben erhalten hat (993 2g5usgov, 997 quoc, 999 Ag-
yoıuev, 000v). In solchen Fällen ist es eine untergeordnete
Frage, ob es möglich sein würde, das richtige anch ohne
Athenaeus zu finden. Ich möchte die von Crueger anerkannten
Fälle um einen weiteren vermehren. 478 lautet im Mutinensis
ovit TL yÒQ vipw ovre Alyy us9vw mit anstößigem Hiatus. Vgl.
Ahrens Philol. III 230). Athenaeus X 428 D citiert denselben
Vers in der Fassung: ovre w vnywr elu’ ovie Alny pedvwr, me-
trisch correct, aber ohne grammatischen Zusammenhang mit dem
vorhergehenden Hexameter. Indessen sind die von Athenaeus
überlieferten Participia ı7ywr, us9vwv dem Sinne so angemessen,
daß sowohl Ahrens a. a. O. als Hartung dieselben bei ihren
Verbesserungsversuchen beibehalten haben. Wenn aber der
soeben in Vers 955 angenommene Gebrauch von yuo auch
hier zulässig ist, so läßt sich ein befriedigender Sinn durch eine
ganz gelinde Aenderung herstellen, bei welcher der Mutinensis
und Athenaeus beide zu ihrem Recht kommen: ovre u yaQ
vnpwv, ovre Alp» uedvwy. Das ganze Distichon 477. 8 ist dann
zu verstehen: „Ich werde aber nach Hause kommen in der Ver-
fassung, die nach dem Trinken am angenehmsten ist; nemlich
weder nüchtern noch allzu betrunken“. Athenaeus stieß yao
aus, das er neben den Participien nicht verstand; im Mutinensis
wurden die Participia geändert, die neben yag unverständlich
schienen.
Bei Clemens Alexandrinus und den übrigen Schriftstellern
der Kaiserzeit, die Stellen aus Theognis citieren, ist es mir nicht
gelungen, irgend welche Spuren einer besseren als der hand-
schriftlichen Ueberlieferung zu entdecken. Ihre Lesarten sind,
wie Crueger im einzelnen nachweist, entstellt, theils durch das
Streben, für wenige Verse einen abgerundeten Sinn zu gewin-
nen, theils durch die Vertauschung ungewöhnlicher Ausdrücke
mit gelüufigen theils auch durch bloße Nachlässigkeit beim
Abschreiben.
552 Fr. Cauer, Studien zu Theognis.
Es bleiben also nur die drei ältesten Zeugen, Plato, Xe-
nophon und Aristoteles. Selbstverständlich hat man die-
sen besondere Bedeutung beigelegt und ihre Citate mehrfach
für die Herstellung eines reinereu Textes zu benutzen gesucht.
Da ist es nun ein unstreitiges Verdienst von Crueger, daB er
an zwei schlagenden Beispielen den geringen Gehalt dieser
Scheingrößen gezeigt hat. Bergk hatte aus der Anführung
im Menon 95 E geschlossen, daß Plato Vers 482 in einem an-
deren als dem jetzigen Zusammenhang kannte und in der Fas-
sung ovd "Aoxinniadais 10010 y? Eduxe Fedc. Crueger weist nach,
daB Plato selbst an der erwühnten Stelle durchaus nicht auf
wörtliche Genauigkeit Anspruch macht und durch den Gang
des Gespräches veranlaßt war, Anordnung und Wortlaut zu
ändern.
Die Verse 255. 256 werden von Aristoteles an zwei ver-
schiedenen Stellen citiert, allerdings nicht als theognideisch, son-
dern als delisches Epigramm. Die Abweichungen, welche sich
innerhalb des Aristotelestextes finden, sind aber weit größer,
als die zwischen den verschiedenen Theognishandschriften , so
daß die letzteren den größeren Anspruch auf Zuverlässigkeit
für sich haben, selbst wenn das Distichon mit Unrecht in sie
aufgenommen sein sollte. Die übrigen Citate bei den drei ge-
nannten Autoren lassen sich für die Beurtheilung der hand-
schriftlichen Ueberlieferung noch weniger verwerthen.
Jedenfalls ist der Text des Dichters bei den ältesten
ebenso wie bei den späteren Schriftstellern, die ihn citieren,
durch bewußte und unbewufte Aenderungen mehr entsellt, als
in unseren besten Handschriften. Völlig oder auch nur annä-
hernd frei von Verderbnissen sind die letzteren darum nicht.
Denn die Grammatiker, auf welche der handschriftliche Text
zurückgeht, sind wiederholt mit und ohne Absicht von dem Ur-
sprünglichen abgewichen, und zwar aus ühnlichen Ursachen,
wie die citirenden Schriftsteller, nnr an weniger Stellen und
mit geringerer Willkür. Das wird zunächst eine Untersuchung
der Verse zeigen, die einerseits in den Theognishandschriften,
andererseits unter dem Namen anderer Elegiker überliefert sind.
Allerdings erklärt Jordan (Quaestiones Theognideae P. 14) alle
Varianten der Theognishandschriften für grobe Interpolationen ;
da er jedoch nicht mehr dazu gekommen ist, das wegwerfende
Urtheil durch Exegese der einzelnen Stellen zu motivieren, so
bleibt nichts übrig, als die Frage ohne Rücksicht auf dasselbe
zu untersuchen.
Berlin. (F. £) Fr. Cauer.
Miscellen.
18. Das Alter der Epitome aus den Werken der
vier Aristareheer.
Lehrs hat (de Aristarchi studiis Hom.* p. 81) die Vermu-
thung ausgesprochen, daf die Epitome, aus welcher die Scho-
lien des Venetus 4 geflossen sind, nicht lange nach Herodian
verfaßt worden sei. Daß ihre Abfassung vor Porphyrius falle,
ist keineswegs sicher; denn auch wenn sie nach Porphyrius ver-
fertigt war, brauchte sie auf ihn doch keine Rücksicht zu neh-
men: wer den Homertext nach aristarchischen Grundsätzen ver-
stehen wollte, mochte die Extravaganzen des Neuplatonikers
kaum beachtenswerth finden. Die von Ludwich (Aristarehs ho-
merische Textkritik I S. 79) nüher begründete Zeitbestimmung
vermag ich darum nicht für bindend zu halten. Ein äußeres
Anzeichen für einen terminus post quem non der Abfassungszeit
des Werkes scheint mir aber noch nicht beachtet zu sein.
Die Unterschrift zugazxeıras 1a "Agıcrovixov onuetu xrÀ. steht
unter jedem Gesang (außer dem 24) der Ilias im Cod. Ven. A.
Sie stimmt nicht zu dem Inhalt unserer auch von porphyriani-
schen Bemerkungen durchsetzten Scholia Marciana, ist also ebenso
mechanisch wie sonst wohl stichometrische Angaben aus dem
Original, in welchem sie berechtigt war, d. h. eben aus der
Epitome übernommen. Die Setzung der Unterschrift unter je-
den einzelnen Gesang hat für eine Ausgabe der Ilias in einem
Codex keinen Sinn (Birt Das antike Buchwesen S. 124) — es
genügte, sie unter den letzten Gesang mit Beziehung auf die
sämmtlichen 24 zu setzen — und gerade hier fehlt sie im Ven.
A. Dagegen mußte die Unterschrift unter jedem Gesang an-
gebracht werden, wenn jeder Gesang eine besondere Rolle füllte.
Demnach hat es alle Wahrscheinlichkeit, daB die Epitome in
einer Zeit entstanden ist, wo man noch größere Werke in Ein-
zelrollen herausgab, d. h. vor dem 6. Jahrhundert (Birt S. 121).
Tübingen. W. Schmid.
554 Miscellen.
19. Ad Sophoclis Epigonos.
Legitur in Philodemi de musica libro I 30 Kemk. hoc: xai
Teonuvd[g0os xara uy retov [öv 1oi])c pshsreloss aldo» 176 zu-
eluxüs Exavoe rovg „[Auxedasnovto Jvc. xai negì Zupow0g]low d°
torogertas ; don twwv... v dv[ri]ragareraypévewy [130] zu-
raorag &v péoos [ot LL naga }xAqrixoy xab dia(AAaE]a[c] dia 100
p€& ov[c elc jovy]|fav aviode peréo[1y0er]. oùdè ılvog Evelxa Ilev]}-
da gw x” lygaqe[ ro: ") 10 xowovl rig aorwv tr e[ddig 1delg], xai
10 Zogo[xAfovg àv ro]ic " Emyóvosc en Aperte exempla
recenset, quibus sedamina quaedam inesse in arte musica ad-
versarius demonstrabat. obloquitur autem Epicuri assecla alio
huius operis loco accuratius (IV 20), dicens haec: si vera sunt
illa exempla, dic loyer XUTEOXEVUOUÉVUWV ROLNTIXWG re y[o Ju»,
o[v] dia peor. E d° àv xadixovio padloy, d did melv ant-
TQé"Ov. OÙ yùo UUTOÙG aneto[y]e gofos nmagavou|(]ac , xadanso
Solwva négi Saiapivoc ws puwòperov [s]vul 6 Jovi[e Jésus [w]e[ 06]
dv ti[e]yelas. Pergit: 1 d° ix. ror ’Enyorwr pélos pudsxcy
gor. Unde hoc vides eum in Sophoclis Epigonis canticum ali-
quod agnovisse, eo consilio conscriptum, ut hoc ipso cantu liti-
gantium quorundam iurgia sedarentur. lam talis carminis oc-
casio nulla alia potuit esse, quam post matricidium quae exorta
est litigatio inter Alemeonem et Adrastum ^. Locus igitur Phi-
lodemi minime subobscurus est, ut videtur Nauckio in altera
tragicorum editione p. 173, sed potius optatissimo simul et fir-
missimo documento est, recte iudicasse Welckerum (frag. graec.
p. 269) et Ribbeckium (trag. rom. p. 489), cum Epigonos fabu-
lam ab Eriphyla Sophoclis haud diversam fuisse opinarentur.
Unum addam. Philodemo videntur de toto illo Sophoclis
carmine scrupuli fuisse, quos tamen exemerat adversarius men-
tione facta comoediae alicuius, in qua locus Sophocleus signifi-
catus erat. ultimis enim verbis, quae supra apposui, parenthesis
inserta est haec: io [y Jodgoper odx [d ]mdar[w]rfeay aday
Fdjaroiiar], «AR (6 Jouer, Ws 00105 Let Ju pera 176 èn[o]pu[a-
oles Tot xwuedoyo«g[ov]} Hunc comicum crede nullum alium
quam Antiphanem fuisse, qui in notissimo Poeseos fragmento
(191 K.) de Alemeone agens infert haec: ayarası@wr d’ "Adeaszog
evdéws nes. mad r 36061, nimirum cantico illo incredibilem
in modum et nimis celeriter conciliatus.
1) ye yoagir ro: Usener. Est fragm. 109 Be.
2) Cf Plut. de aud. poet. 13 (de Cap. ex inim. util. 5) et quae
dixi in Jahrbb. suppi. XVII 195. Ceterum spectat fortasse ad idem
carmen Accius ;fr. XVI): mdneas ad Glisdntem ,. exsilio mdcte ex ter-
ris Pelopüs (ib. p. 180).
Lipsiae. O. Immisch.
Miscellen. 555
20. Zur vita Sophoclis.
(S. Soph. Electra von Jahn-Michaelis? S. 1 sqq.).
§ 1 où yag elxòs tov Ex rouourou ytvoutvov orgautnylas
aEwwFihvar odv Megsxdet xai Oouxud(dn . . . . add’ oid dv vnó
Tuy xwuswv adnxtoc «pet9n. Wahrscheinlich doch orgarnylus
ay abiwd fra (denn im Tempus finitum würde es heißen eixo-
ttg OUx av dEsw Fel),
§ 3 Kai peta rjv v ZSuluuir vavuuylur Adnvalwvr megi
190nai0v Ovrwv, meta ÀAvQag yvuvoc wAnlsmuéros roig navavlCoves
zwv èrevixlwv oye. Man könnte sich ein regi vixyrnouu Oviwv
(= mit dem Siegesfest beschäftigt waren) gefallen lassen, nicht
aber negì toonmiov .. sondern negi toonœov naınvılovıwr.
Wie leicht hier eine Verschreibung sich einschleichen konnte
liegt auf der Hand.
Unter den begleitenden Stellen, welche O. Jahn der vita
als Commentar beigegeben habe, lautet die des Plutarch de
prof. in virt. 7: woneg yao 6 ZopoxAñc Fheyev, tov AlayvAov
diureniarws (so Bergk für duenemusyws) Oyxor, elta 10. mix gov
xai xatategvov rijg uUIOU xuruoreviig, rolrov ndn 10 176 AESews
pézafalAav tidog, onsg èorìv NIızwıavor xol fBfAnucrov, ovt
ol gsdocogouvres x74. Hier ist zixgóv nicht zu beanstanden,
deun auch Phrynichus (vgl. Diog. Laert. IV 20) entdeckte
an vielen Stellen des Sophocles weder Most noch süßen Wein,
sondern Pramnier; dagegen hat Bergk richtig gefühlt, daß
to tno AéEswo eldos (es müßte zum mindesten rovro 10 176
— héSews eidos heißen) unvollständig ist und dann zwischen
ınc und Aéfewc eingeschaltet nosxfAnc. Ich möchte wıxıng
vorschlagen, dessen Ausfall paläographisch leicht erklärbar ist;
was die Bedeutung betrifft, so meldet auch die vita 8 20: nreyxe
dì za pex tà, svxatolav x14., WO uixra, wie mir scheint, mit Un-
recht beanstandet wird. Warum soll es nicht ein Mittleres (u£rgsor)
zwischen dem öyxog und dem xuıureyıov bezeichnen können ?
Die einfach schönen Verse des Lustspieldichters Phrynichus
auf den gestorbenen Sophocles lauten in der Ueberlieferung (s.
argument. ad Soph. Oed. Col) also:
muxug Sopoxrénc, 0g noÀóv ygovov Biovs
aní£S9uvev, svdaluwy ave xoi dekuog,
molÀàg nmoujGug xai x«Àag teuy@dlac’
xudwe d èredevino”, ovdèv vnous(vag xuxòv.
Wie viel schöner wird die Symmetrie, wenn wir hinter
deKıös ein Colon setzen, dagegen hinter rouywdias nicht in-
terpungiere, und das d vor éreAevrgo' fallen lassen *).
Weniger schón sind die dem Sophocles zugeschriebenen
*) [Die hier vertretene, zweifellos richtige Schreibung ist die ur-
kundliche; d’ hat erst G. Hermann (vgl. Meineke FCGr. II 593) ein-
geschmuggelt. O. Cr.].
526 Miscellen.
zwei Disticha (Athenaeus XIII S. 604 D, die er in einer schmu-
tzigen Angelegenheit gegen den Euripides gerichtet haben soll.
Ob sie ücht, kann fraglich sein, doch ist wenigstens der gram-
matische Anstoß (coi de pslov»d’ Éifgav für quAovrn) hier kei-
ner, insofern der epische Vorgang auch noch für Elegie und
Epigramm maaßgebend ist, oder wenigstens sein kann. Ver-
ständlich ist das Epigramm durchaus, sobald man sich erinnert,
daß &zaytsg der Gerichtssprache entnommen ist, und so viel
bedeutet als xarnyogeic.
Den Apulejus läßt man, wo er die bekannte Geschichte
von dem Prozeß zwischen Sophocles und dessen Söhnen erzählt
(sS. Apol. 37) sagen: protulisse . . . . Coloneum suam, peregre-
giam tragoediarum , quam forte tum in eo tempore conscribebat,
eam iudicibus legisse .. . Ibi ego comperior omn $a iudices tanto
poetae adsurrexisse . . . nec ita multum omnis abfuisse quin ac-
cusatorem potius dementiae condemnarent. — Entweder tum oder eo
tempore; aber beides zusammen, vollends mit in (eo temp.) ist
ja ein wahrer Barbarismus, den man auch einem Apulejus
nicht zumuthen darf. Ich meine quam forte ultimo tempore
conscribebat Dadurch erklärt sich die Ueberlieferung — Im
Folgenden ist das zweite omnis störend, überdies durch seine Stel-
lung verdächtig, es ist nichts als ein Abklatsch des ersten, der
sich durch irgend cinen Zufall hierher verirrt hat. — Was be-
wunderten denn nun jene Richter so sehr an Sophocles? Apu-
lejus läßt sie miris laudibus eum tulisse (extulisse?) ob argumenti
sollertiam et cothurnum facundiae. Nicht vielmehr cothurni
facundiam? Auch den Valer. Max. darf man VIIII 12 extr.
nicht sagen lassen: Sophocles ultimae iam senectutis cum in cer-
tamine tragoediam demisisset — sondern in certamen trag. dem.
(wenn anders das demisisset nicht in der Luft liegen soll !),
Was die vita über das Begräbniß des Dichters (den Traum
des Lysander, dessen Connivenz u. s. w.) berichtet, stimmt zu
der Nachrieht des Plinius, des Pausanias und des Plutarch.
Wenn aber ersterer (nat. hist. VII 109) sich also vernehmen
läßt: Requisivit rex (sc. Lysander), qui supremum diem Athenis
obiisset nec difficulter ex eis quem deus significasset intellexit pa-
cemque funeri dedit — so frügt man mit Recht: was heißt ez
eis? und wer sind die ei oder die ea? Die vita berichtet:
0 dì Acaardyo: nurdaroueros Tag rar puyadwv, ie «ln
© relevtfouc. Wird man nun bei Plinius vermuthen : nec diff-
culter ex tranafugie quem dens significasset intellexit —? Ge-
wif nicht. sondern Lysander schloß (sintellerit) aus dem Ge-
hörten .er eis quae regniresdo compererat, also eis Neutr.,
nicht Mascul^ auf den Mann, deu der Gott meinte; also schrieb
Plinius ;wenn er wenigstens nicht gar bequem und nachlässig
war, was ihm allerdings auch passiert, à. h. also, wenn er den
Relativsatz quae compervrat oder aneireras nicht von seinen Le-
Miscellen. 557
sern sich hinzudenken ließ) etwa: nec difficulter ex auditis
oder ez relatis . . . . intellexit.
Von dem Redner Lykurg heißt es (Pseudo-Plut. vit. X
orat. p. 841 E) sigyreyxe dì xoi rouovs . . . . tov dì, we
xuhxag elxovag uvudelra 10v nounrür Aloyvdov Sopoxdéovg Ev-
Qun(dov xià. Mir scheint, vouor elçcpéour wç . . . . avadetvus
sei eine unmögliche Construction: entweder der bloße Infinitiv,
wie gerade vorher ı0» wer nepi xwuoddv aywva éenuredeiy,
oder ws mit einem verb. finitum. Ich meine zöv di, wc dei
elxovag avadsivas. So erklärt sich der Wegfall vor ei(xovag).
Von diesen Standbildern spricht auch Pausanias I 21. 1
und meint: zi» de elxove ryv Aloyvkov nolÂ@ te vortgov TIS
tehevtiig doxw moindres x«i rc youpng 6 10 Évyov Eye 10 dv
Magadwvı. Statt re hat Schubart zi, statt x«i aber éx ge-
schrieben. Aber was soll &&? Heißt es, Pausan. habe aus
dem Gemälde geschlossen (doxw), das Standbild sei erst spät
gesetzt worden, oder, es sei nach Anleitung des Gemäldes (se-
cundum) gefertigt worden, es habe den Aeschylus in der Positur
eines Marathonkümpfers dargestellt? Keines von beiden, denn
in beiden Fällen hätte sich der Perieget gewiß anders und un-
zweideutiger ausgedrückt, sondern das überlieferte re — xui ist
richtig, und es kommt dem Periegeten blof auf die Zeitbestim-
mung an: das Gemälde, worauf Aeschylus als Marathonkümpfer
erscheint, ist viel älter, die Statue ist viel jünger.
8 20: ndorousi 0à.....'Oungouxv Éxuurrôuevos yag.
oder sinsiv "Imvixov tiva, uorov Sogoxiéa wyyavew 'Ouíj-
gov pudIntnv. Der Dichter Ion wird hier kaum zu umgehen
sein, da ja von ihm notorisch eine Anzahl Notizen über So-
phocl. stammen; sonst wäre von den zahlreichen Conjecturen
zu dieser Stelle, die von A. Schöne: xwpixov riva die annehm-
barste. Vielleicht also: 69er elneiv "Le v a,ourı va, uóvov Zopoxi.
Basel. J. Mähly.
31. Licinii Calvi fragmenta duo et Aemilii Macri unum.
1. Schol. Bern. Virg. Georg. I 125 p. 856: ‘Dicunt Iovem
commutasse omnia, cum bonus a malo non discerneretur terr&
omnia liberius ferente, quod Calvus canit. Iunilius dicit".
Commemoravit hunc locum Mommsenus Mus. Rhen. XVI
p. 450 nec attulit id quod promptum et propositum est: videri
mentionem rerum Iove, cui prima nupsisse Ceres feratur, regnante
commutatarum in ipso eo loco factam fuisse, qui haberet laudes
Cereris legiferae (Serv. Virg. Aen. IV 58) Nee quid verum
esset, vidit Muellerus fr. 15 p. 85, qui ,fortasse'" inquit etiam
ex Io petita sunt illa Scholiastae Bernensis‘‘. Iunilio autem
$58 Miscellen.
auctore succurrit nobis Senecam Octav. v. 408: ‘Communts usus
omnium rerum fuit Et ipsa tellus laeta fecundos sinus Pandebat
ultro' secutis ad Calvi mentem accommodate comminisci hos
versus;
Omnia liberius laeta tellure ferente
Rerum usus communis erat securaque vita,
Mortalisque malo bonus indiscretus agebat.
Verum ubi Saturnus pulsus, sunt omnia regno
Commutata Iovis.
Quos versus si probabiliter coniectatos esse iudicaveris, iam il-
lud addiseitur Virgilium a Calvo nonnulla nou solum in Eclogis
(Serv. VI 47) et illis xurx Aentov carminibus (Porphyr. Hor.
Sat. I 3, 1), verum etiam in Georgicis praeter eum locum, qui
est apud Scholiastam Bernensem Il 94, mutuatum esse: haec
enim v. [27 extant: 'ipsaque tellus Omnia liberius nullo poscente
ferebat,
2. Charis. IV p. 287, 4: ‘Per aporian: Luna deum quae
sola vides periuria vulgi, Seu Cretea magis seu tu dictynna vo-
caris. Hic certae rei dubitatio est’.
Et iustam et magnam dubitandi causam vox Cretea attulit
Naekio, qui quod in Loensis Miscellaneis legitur: Cretaea mavis,
id ad huiusmodi emendationem deduxit: ‘Sive Hecate mavis —
vocari. Quam emendationem confutavimus Valg. p. 501 sq. ipsi
multa et magna nequidquam moliti Nunc succucurrit, quod
et sententiae et arti aeque satisfaceret :
Sive Crataei magis seu tu Dictynna vocaris.
Quod et insignem habet a literarum similitudine, quam unam in
his rebus nos sequi oportet, probabilitatem, et confirmatur testi-
monio Apollonii Rhod. IV 829: Nuxrenoloc Exurn, wy 18 xdel-
ovo, Kourusiv. Micyll. Ovid. Met. XIII 749 p. 916. Voces
sive et seu autem facile commutari posse apparet locis Catulli
44, 5: sive Laur, seu Dat. Martialis VI 94, 2 seu cum. Wol-
fenb. sive (cf. IV 19, 8 Sive levem. Put. Voss. si. Catull. 89,2
sei. Dat. Laur. seu). Seren. Sammon. 128: Sive fel ursinum.
Reg. seu. Fulgent. Myth. II 19 p. 700: sive quod humilior.
Leid. sew.
9. Reddenda Macro ea, quae extant apud Grammaticum
de Dub. Nom. p. 575, 16: 'Cancer bubo generis neutri, ut Li-
vius malum latere solet immedicabile cancer; pluraliter autem
cancromata dicenda’.
De quibus rectius quam Hertzius de fragm Liv. comm.
p. 1: ‘latere malum solet immedicabile cancer’ existimavit Kei-
lius, qui fortasse, iuquit, ut Macer Aemilius latet i. c. Quam-
quam nostrum iudicium ita discrepat, ut et exemplis fretus [si-
dori et eiusdem illius Grammatici p. 592, 20: quamvis Aemilius
masculine dieat cf. Quaest. de Macro p. 9 addito Macri nomine
Miscellen. 559
opus esse negem et in iis, quae praebet codex Monacensis :
malum latet solet, hoc veri subesse arbitrer:
malum Zatitans olet immedicabile cancer
cf. Charis. I p. 82, 16: utique neutralia iter — cancer. Seren.
Samm. 105: morbo latitante. Lactant. Mort. Persec. 33, 7:
malum — interna — comprehendit —, odor autem totam civi-
tatem peredit.
Halis Saxonum. R. Unger.
99. Kaxxaßn-"Axxaßn und Aehnliches.
Den Namen Kaxxaßn, welchen Karthago nach Steph. Byz.
s. v., Eustath. ad Dion. Per. 195 führte, zu deuten ist trotz
mannigfachen Bemühungen noch nicht gelungen; siehe Schroe-
der die phoenik. Sprache 105 Anm.; Aug. Müller Bezzenb.
Beitr. I 238; Meltzer Gesch. d. Karth. I 140. 473. Daß der
Name nicht etwa, wie Movers wollte (vgl. Meltzer a. a. O. 470),
vorkarthagisch, der Sprache der libyschen Urbevölkerung ange-
hórig sein kann, sondern semitisch ist, zeigt der vicus Caccaba
in Syrien (Marius Mercat. bei Migne Patrol. 48 p. 884)!) und
das bereits von Müllenhoff (Deutsche Alterthumsk I 152*) mit
KuxxcBn zusammengestellte 24xxafixov retyog (nodi megi tas
Houxislovs oındlas, tjv gxucar Kuoyndovıoı Steph. B. s. v.). Im
Anschluß an letzteres läßt sich ferner noch vergleichen die ky-
renäische Stadt 'z4x«f (Ptolem. IV 4, 12), der gleichnamige
Berg im östlichen Aegypten (id. IV 5, 15) und die ebenfalls
’Ax«ßn genannte Quelle in der Syrtengegend (id. IV 3, 20).
Die doppelte Form des Namens aber giebt einen Fingerzeig
für die Etymologie. Bekanntlich macht die Aussprache der
eigenthümlichen semitischen Kehllaute (litterae cum rasura gulae
proferendae nennt sie der hl. Hieronymus, Migne 26, 734) dem
arischen Organ Schwierigkeiten, und in Folge dessen schwankt
auch ihre graphische Wiedergabe im Griechischen. In erster
Linie betrifft dieses den Buchstaben Ain (»), der von den LXX
bald durch den spiritus lenis, bald durch den asper, bald durch
y, bald durch x, bald endlich durch g transeribiert wird. Selbst
in einem und demselben Wort schwankte die Wiedergabe; vgl.
Steph. Byz. Tale. nóAÀw, éxÀg99 xai "Alu. (= 1119).
Die Form *‘Axx4fn neben Kaxxaßn läßt also darauf schlie-
fen, daß das entsprechende phoenikische Wort mit einem Ain
begann, und da bietet sich denn von selbst der Stamm dgab
1) Vielleicht gehört hierher auch das Städtchen Heraclea Cacca-
baria an der ligurischen Küste, vgl. Olshausen N. Rh. Mus. VIII 321.
Sollte übrigens das sicilische modéy»soy KAKKAPIKON (CIG. IV 1022)
auf dem Steine nicht vielmehr K 4KKABIKON heißen?
560 Miscellen.
(5p») dar, = hoch, hügelig sein, ein Begriff, der zahlreichen se-
mitischen Ortsnamen zu Grunde liegt. Kuxxaßn wäre demnach
— Höhe, Hügel, was zur Bezeichnung der hochgelegenen Alt-
stadt ?) Karthago's trefflich paßt.
Dieselbe Unbestimmtheit der Transscription, wie bei Ain,
findet sich auch bei anderen semitischen Gutturalen. So ent-
spricht z. B. das Chet bald einem spiritus lenis oder asper, bald
einem y, bald einem x; das Gimmel bald einem y, bald einem
x (vgl. A. Müller a. a. O. S. 283).
Diese Inconsequenz der griechischen Wiedergabe semitischer
Gutturale, die natürlich im Anlaut am Deutlichsten hervortritt,
ist von weiterem Interesse: wo sich ein derartiges Sehwanken
zeigt, wird man berechtigt sein, semitischen Ursprung des be-
treffenden Wortes zu vermuthen und die entsprechenden histori-
schen und culturgeschichtlichen Folgerungen zu ziehen. — In
reingriechischen Wörtern ist das facultative Schwinden und Auf-
treten eines gutturalischen Anlautes, soviel ich sehe, nur in
zwei Fällen denkbar. Erstens nämlich kann ein Digamma in
einem und demselben Worte entweder spurlos abgefallen oder
in y übergegangen sein (vgl. fov-yfov für F(ov); zweitens könnte
vielleicht in einigen Fällen ein nachfolgendes Guttural von Ein-
fluß auf den Anlaut gewesen sein vgl. xiydAu-IyAu, xuyAns-wayAnE,
xoyyn-Oyyn, yehylç-uyhuc. In allen übrigen Fällen läßt sich das
Schwanken aus griechischen Lautgesetzen nickt erklären Fol-
gendes dürften die hauptsächlichsten Beispiele sein (vgl. auch
Lobeck Pathol. I 105 ff): "Aßugroc-Kußugroc (vgl. Crusius Beitr.
z. griech. Mythol. S. 13 Anm.); "Aßıos- Tufıoı (Steph. Byz);
"AkoAln, Aleria — Kulagıc?); > AX3ata (Polyb. III 13) — Car-
tala (Liv. XXI 5,4 vgl. Weißenborn z. d. St.) ;.' AAußn, ' dadnn-
KuivBn, XadvBn, XaXvBis; '"Moyagtg-lagyaqíg (Etym. M.); Av-
Awvla-Kaviwrla (Steph. Byz.; vgl die Stadt 3533 in Palästina
= Tuvawy bei Euseb. und die Insel l'uvAo;) ; 'Ogónr - Kogdan
2) Daß KaxxaBn die Altstadt mit der Byrsa (= Burg) bezeichnete,
hat Movers aus der Verknüpfung des Namens mit der Gründungssage
(die sich u. a. in der falschen Etymologie bei Steph. Bys. äußert) mit
Fug geschlossen.
3) Die von den Phokáern um das Jahr 562 v. Chr. besetzte (Hdt.
I 165 und Stein z. d St.) Stadt auf Korsika wird von Herodot *41edís,
sonst Aleria, von Diodor (= Timaeus) Kalagıs genannt. Aehnliche
Namen finden sich mehrfach auf semitischem Sprachgebiet: '4Aelíc in
Syrien (Ptol. V 15, 25); Pal«gía Talegia (Talaoıya) in Sicilien (Diod.
XVI 67; XIX 104; Steph. B. s. v.); Fadada* nolss #9v0v (scr. #9yoip)
Hesych. Da nun auch das benachbarte Sardinien nach Ausweis der
Grüberfunde in uralter Zeit intensive semitische Cultureinflüsse erfah-
ren hat (Helbig das hom. Epos! S. 19), so dürfte die Vermuthung
wohl nicht zu kühn sein, daB Alalia-Kalaris zu den zahlreichen von
den Griechen im 7ten nnd 6ten Jahrh. ihren früheren Besitzern ent-
rissenen phoenikischen Colonien gehórte.
Miscellen. 561
(Steph. Byz. Etym. M.) K£oßeoos - Fosfloc 9; xam, xadnts -oAnn,
dini 5): xuuaou, Kaucouwa-duaga 6); xanavn-anıvn; vßoc- óvBóc-
xvgoc (vgl. lat gibbus); ógogog-xogvqn; avAdc, aviuv-yavdòc,
yavaog ?).
Bei vielen dieser Wörter wird semitischer Ursprung auch
durch anderweitige Erwägungen sich wahrscheinlich machen las-
sen, und Semitologen von Fach werden für manche derselben
auch wohl ein probabeles Etymon nachzuweisen vermögen. Da
jedoch gerade diejenigen semitischen Idiome, welche das Grie-
chische direct beeinflußt haben, nur unvollkommen bekannt sind,
so dürfte folgender Umstand besondere Beachtung verdienen.
Wenn schon innerhalb einer und derselben Sprache, wie
im Hebr., die stärkeren und schwächeren Kehllaute häufig un-
tereinander ausgetauscht werden, so mußte dieses in den ver-
schiedenen Zweigen des semitischen Sprachstammes, mit einander
verglichen, in noch viel höherem Grade der Fall sein. Man
vergleiche z. B. das hebräische gebel = Berg und xvfeda: 007
Movytas ®) (Hesych.) mit dem punischen abila (namque Abilam vo-
cant gens Punicorum mons quod altus barbaro [== Latino] est.
Avien or. mar. 345), uud im Anschluß daran folgende Ste-
phanusartikel: Fu Buda: nos Douvixns . . + . 0 dà Zrgaßwv
Svulag . . . Fou xoi quoa " AguBlus. Té&Buda* 190m moiga
mg Huduoriyvng. KuBéievas mol "[wvíag. ‘Exaraïos ° lola.
'Howóiavog dè KvféAne qnoi nolw Gowtxgc* Econ xal Kvpedda
Dovylus. "ABtAm: m éni 16 "logdovg notau@ Econ dé xoi
Gddn noA Dosvtxnc "da. — Ein anderes Beispiel hat bereits
Abr. Berkelius (Steph. Byz. 1678 p. 184) hervorgehoben, wel-
cher die von Stephan. überlieferten Städtenamen " Avva, Keva-Fa,
K«vvos mit Recht zusammenstellt und für identisch mit dem
biblischen ganah Tj» erklärt, wobei er bemerkt: diversa haec
scribendi ratio videtur manasse ex more populorum orientalium, qui
ad asperiorem sonum molliendum saepissime permutant litteras. Ajin,
Caph, Coph, Ain, Gain, Kaf, Kef.
4) KévBegos und è#pefos (hebr. 213 6 = Abend, Dunkelheit)
haben bereits Welcker Trilog 180 n. 171 ed “Preller griech. Mythol.
I? 634 zusammengestellt.
5) Gerade die Benennungen vieler Gefäße im Griech. sind aner-
kanntermaßen aus dem Phoenikischen entlehnt; so xw 2«wv, yadlos, xadog.
6) Schon Lobeck meinte (a. a. O. S. 107): Camarinae nomen pro-
babiliter ab ducyass ducitur. Ausdrücke der Bautechnik stammen be-
kanntlich ebenfalls vielfach aus den semitischen Sprachen.
7) Daß yaddog semitischen Ursprungs ist, hat bereits Wesseling
gesehen. Zu den oben angeführten Wörtern, deren gemeinsamer Be-
griff ,, Hóhlung'' ist, läßt sich wohl auch das latein. aula = olla stel-
len, das demnach ebenfalls semitisches Lehnwort wäre.
8) Davon der Name der Göttin Kufé47, wofür (Mñryo) Opein und
verkürzt ‘Pein (vgl. Crusius Beitr. 2. griech. Mythol. 26 Anm. 4) nur
die Uebersetzung ist.
Philologus. N. F. Bd. II (XLVIID, 3. 96
562 Miscellen.
Das Schwanken der Wiedergabe im Griechischen würde
demnach erklürlich sein, auch wenn das betreffende Wort im
Hebr. nicht gerade mit Ain oder Chet, sondern mit einem be-
liebigen anderen Guttural beginnt.
Kiew. Adolf Sonny.
23. Bemerkungen zu den poetae Latini minores.
Im IV. Bande seiner Ausgabe schrieb Bührens 5, 4 un-
nóthig alios gloria magna iuuet, indem das überlieferte gratia
im Grunde dasselbe bedeutet. V. 9— 10 bietet die Handschrift:
pauperis arua soli secura carmina curem,
nec me fratre mihi transeat una dies. .
Bährens schrieb securaque carmina und sine fratre. Ersteres ist
sicher falsch, letzteres nicht sehr wahrscheinlich. Nach 81, 1
paruula securo tegitur mihi culmine sedes vermuthe ich securo
culmine und denke mir mefre durch Verschreibung aus mae-
sto ore entstanden. V. 13 ist natürlich das überlieferte diu,
14 compositi richtig; vgl. 65, 2. — 21, 4 ist zu lesen regnaque
partitis haec fuit aula (una V) deis? regna partitidei sind Zeus
und Poseidon. — 22, 5— 6 lese ich:
utque furens tutas inmittit saza per urbes,
in populum sic tu uerba maligna tacts.
V hat totas, woraus Bührens motas machte; in populum gehürt
zu den folgenden Worten. — 27, 6 liest man nach Heinsius
externum für aeternum. Aber daß Kleopatras Gemal (Antonius)
kein Aegyptier war, ist hier vollkommen gleichgültig, während
aeternum einen hübschen Gegensatz zum Gedanken des folgenden
Verses bietet: das Grabmal, in dem Kleopatra ihren Mann nach
ihrer Meinung für alle Zeit barg, werde doch die Zeit vernichten.
aeternum „für immer“ ist nicht so selten, z.B. aeternum tibi Rhe-
nus aret Rutil. Namat. I 145. — 38, 3 ist putes schon wegen
des folgenden immo neges nothwendig. — Die Ueberschrift zu
68 lautet in der Handschrift interdum et meglectam formi luci,
was zu den verschiedensten Konjekturen Anlaf gab. Ich schreibe
interdum se neglecta forma duci. lm V. 8 lese ich: et puram
(coram V) faciem. — 69, 3—4 ist zu schreiben:
ut subito creuere, solent. ex tempore multo
constrictae melius cedere deliciae.
Die Handschrift hat multe quam scriptäe. — 80, 6 vermuthe ich
purpura contemnit proelia, pannus auet (barbara und habet V).
— 82, 3—4 lauten in V
an etiam famuli cognataque fece sepulti
intesta merassas luxantur opes.
lucuriantur stellten die ersten Herausgeber, en L. Müller her, die
Miscellen. 568
übrigen Verderbnisse sind noch nicht sicher verbessert. Ich
glaube daß zu schreiben ist:
en eliam famuli cognataque uiscera pulti
inter tam crassas luzuriantur opes.
uiscera cognata pulti sind Leute der niedrigsten Volksklasse. —
119, 37 lautet bei Riese und Bährens simataeque iacent pando
sinuamine nares. Da die Handschrift simanturque bietet, schreibe
ich mit Benutzung einer Vermuthung Rieses, der mit Recht an
patent dachte: simaturque patens pando sinuamine naris.
184, 11—12 wird zu lesen sein:
unda quieta refert alto de gurgite formas,
ac ueluti a speculi nitido splendore eoruscant.
V bietet uelutasspeculum, alle Handschriften coruscans, Man kónnte
zwar auch speculo vermuthen ; doch vgl. V. 8: speculi nitor ipse
remittit, — 445, 1 ist zu lesen uerna clausus (clausas S) inter
undas et lacunas regias. V. 4 schreiben die Herausgeber mit
Dübner nec manum fugit uocatus nec pauescit regiam, während das
überlieferte regia vielmehr auf retia führt. — 513, 4 schrieb
Bährens darum humanis tamquam nutibus exiliens für das über-
lieferte montibus, weil es in der Ueberschrift heißt: de catula ad
domini sui nutum currente. Er hat aber gar nicht gesehen, daß
schon V. 3 steht ad domini uocem currit, so daß tamquam nu-
tibus geradezu widersinnig ist. Es muß natürlich mentibus
heißen. — Das Epigramm 528 de Diogene picto, ubi Cupido
mingit in podice eius schließt ohne Witz ab. Bährens’ mingitur
inter opus ist eine ganz verunglückte Konjektur, die Vulgata
mingitur artis opus und Müllers pingitur a. o. können gleichfalls
nicht befriedigen. Klapp war mit mingitur arte sophus dem Rich-
tigen nahe, nur daß arte müssig und störend ist. Nach meiner
Ansicht steckt in dem handschriftlichen artisopus nichts weiter
als archisophus, welehes durch die Schreibung arcisofus
leicht zu artisopus werden konnte.
Band V. Dracont. praef. 6 ist nach dem handschriftlichen
pauor in mei territa zu schreiben pauor non territat, wozu natür-
lich auch feras Objekt ist; denn zu den ferae gehören auch
ceruus lepus caprea V. 7—9. — Praef. 19 muß nach der Hand-
schrift lauten non tuas qui rite; qui ist — quomodo. — II 2
lies sic Musa mones. II 507—958 sind nicht umzustellen, sondern
so zu schreiben: |
Uulcanique sonat captiuo Marte catenas
quas audire libet de nostra clade canentem.
Man konstruiere sonat <eis> quas libet. Subjekt zu sonut ist
Clymene, canentem hüngt von audire, quas von libet ab; vgl.
Victor Vit. II 84 wobiscum et nos libebat pergere. — II 64 er-
günze ich discant tua tela <uereri>. — II 101 schrieb Bäh-
rens e quibus una tamen mutas adfata sorores, obschon das
überlieferte cuntas nichts anderes als cunctas sein kann; vgl. 181
86*
664 Miscellen.
Deiopea tamen cunctas hortata sorores. V 91 schrieb Bährens
quando fugax praesumptor erit uel debilis audax, während prae-
sumptus richtig ist; vgl. Coripp. Joh. III 128, 188 u. a. —
V 100 schreibe ich sua uota patere: der Tyrann hofft durch
Hinriehtungen mehr Spielraum für seine Wünsche zu haben. —
V 240 ist zu lesen cicatrices obducta fronte recentes . . . mon-
straret, d. i. indem sich die Oberfläche der Wunden gerade ge-
schlossen hat. — V 326 schreibe ich aether qua stellat
circulus orbis ; die Handschrift hat sedat,
Graz. M. Petschenig.
——— ———— — —
24. Beitrüge zur Geschichte der rómischen Prosaiker
im Mittelalter.
[Vgl. Band I (XLVII) 8. 562].
V. Gellius.
Die überaus gründlichen Untersuchungen von Martin Hertz
über das Fortleben des Gellius im Mittelalter (A Gellii noct.
Att. ex recens. M. Hertz Lips. 1885 IT, XXII ff) zu ergänzen
hält ziemlich schwer, da Hertz beinahe das gesammte bis dahin
bekannte Material beherrscht hat. So kann ich fast nur die
Kenntniß des Gellius im 15. Jahrhundert erweitern, doch hat
sich auch einzelnes aus früheren Zeiten dargeboten !).
Bei Benzo von Alba ad Heinricum I 37 (M. G. 88.
XI 611) erinnert die Erzühlung in ihrem Kern an Gell. V 9,
5 f. (ef. Val. Max. I 8 ext. 4), worauf der Herausgeber Karl
Pertz aufmerksam gemacht hat. Doch kann die breite Schilde-
rung Benzos nicht auf Gellius zurückgehen, besonders was Benzo
am Schlusse berichtet. Seine Worte sind: Ægles Samius athleta
mutus multocies fortiter fecit et nichil retributionis accepit. Proinde
tamen non se abstinuit sed iteratis vicibus inter hostes victor emi-
cuit. Depositis armis quibus poterat. nutibus expetebat meritum tro-
phei. Senatus quasi dissimulans responsum non dedit ei. Ille trans-
ficus nimio dolore muciendo gruniendo prorupit in verba: O ingrati,
in multis preliis mea dextera confortati, in multis periculis mea ope
adiuti, cur invidetis laboribus militis muti? — Exagitatus denique in-
pacientia extremi doloris erupit in voces articulati sermonis. Senatus
itaque post plurimam beneficiorum largitionem iussit ex metallo fa-
bricari aequum et ascensorem et collocari secus Africanum Scipionem.
Dicta sunt autem hec de laborantium sudoribus ac de iustis remu-
neratoribus. Durch den Vergleich ergiebt sich, daß die drei
Fassungen bei Valerius, Gellius und Benzo von einander un-
abhüngig sind.
1) Der von Hertz (S. XXXVI f.) angeführte Brief aus c. Leid,
Voss. O. 88 fol. 24a gehört nach Dümmler (Neues Archiv d. Ges. f.
ältere deutsche Geschichtskunde XIII 855) ins 9, Jahrhundert.
oo. su —————— me .—
Miscellen. 565
In den Monumenta Corbeiensia(Jaffé bibl. rer. Germ.
I 285) läßt sich außer den von Hertz (p. XXXVI) angeführten
Stellen noch ein längeres Citat aus Gellius erwähnen. Wibald
eitirt dort in einem Briefe ad Manegoldum: Gell. I 6, 4 (aliter
censor loqui debet -— inpropugnatum relinquat) und 5 (sanctum vi-
rüm — omnibus videatur).
Im Chronicon Angliae monachi S. Albani (ed.
Thompson) p. 90 deutet vielleicht eine Stelle auf Gellius; re-
perissesque illud proverbium fuisse verum: quia malum consilium
pessimum consultori. Denn diese Worte finden sich Noct. Att.
IV 5, 5 mit der Einführung versus hic scite factus cantatusque
esse a pueris urbe tota fertur, was vielleicht zu proverbium Ver-
anlassung gab. Allerdings steht der Vers auch bei Varro r. r.
III 2, 1. o
Ein sicheres Zeugnif über Gellius bietet uns die Oratio
in laud. divi Ludovici (IX) bei Du Chesne hist. Franc.
SS.V 512. Die Stelle beschäftigt sich mit der Lobpreisung von
berühmten Männern, die aus Gallien stammen. Dort heißt es
nun: Sed unde ille maiestatis Vergilianae censor? Unde illud Auli
Gellii oraculum? Unde ille quo neque, doctiorem neque eloquentio-
rem Roma vidit Phavorinus? Das bezieht sich auf den bei Gel-
lius häufig erwähnten Favorinus aus Arelate und beweist, wie
gut der Verfasser jener Oratio im Gellius zu Hause gewesen
ist. Zu vergleichen ist besonders Gell. II 22, 20 (Nostri
namque Galli); 23 (Itaque Vergilius etc.); 27 (Haec nobis Favo-
rinus . . summa cum elegantia verborum totiusque sermonis comitate
atque gratia denarravit) und XVIII 1 (argumentum: arbitro
Favorino; 15 apud arbitrum Favorinum). Jedenfalls giebt der
Verfasser der Oratio arbiter mit oraculum wieder. Die Worte
maiestatis Vergilianae censor sind dem Inhalte von XVII 10 ent-
nommen, wo Favorin ausführlich über Vergil spricht à).
In der Vita S. Telesphori auct. Segero Paullo
wird II 2 (Acta SS. Ian. I 236) erzühlt Eo namque tempore
florebant Galenus medicorum Coryphaeus, Proclus philosophus, Aulus
Gellius, Balbinus ac plures ali. Wenn dies auch von einer Be-
nutzung des Gellius nicht zeugt, so deutet doch die Notiz auf
eine Quelle, welcher die Lebensumstände des Gellius nicht un-
bekannt gewesen sind.
In epist. 70 des gelehrten Johannes de Monaste-
riolo (Martene et Durand coll. ampliss. II 1438) finden sich
die Worte Agellius refert ex causatione solius sensus visus Plato-
nicos Stoicos et Epicureos sic differre ut quod una sectarum assumit
alia inficiat causas omnino contrarias praetendendo. Diese Stelle
bezieht sich auf V 16, 1 —4, cf. außerdeu XI 5, 6. 8.
Antonius Panormita erwühnt in seiner Oratio ad co-
2) Die hier in Betracht kommenden Stellen aus Gellius verdanke
ich der Güte des Herrn Dr. Fritz Weif.
566 Miscellen.
ronationem Friderici III eine Stelle aus Gellius über die Co-
ronae; (Freher-Struve rer. Germanic. SS. II 7) Postremo autem
loco auredm statuerunt (scil. coronam). Haec antiquitus, ut att Gel-
lius, ex lauro erat, postea ex auro fieri coepta. Das Citat stammt
aus V 6, 7.
Denselben Stoff, aber in ganz anderem Umfange, entnimmt
Jannotius Manettus aus Gellius in einer Rede, die zu der-
selben Gelegenheit, wie die des Antonius Panormita gehalten
wurde, Freher- Struve ib. III 14. Manettus nämlich schreibt,
ohne den Gellius zu nennen, fast dessen ganzen Bericht tiber
die coronae beinahe wörtlich und nur in etwas veränderter
Reihenfolge ab. Mißverstanden hat Jannotius die Bedeutung
des Stoffes, aus dem die Corona obsidialis bestand. Er schreibt
nämlich Hanc qui obsidione liberabantur idcirco liberatoribus duet-
bus donabant, quod ibi gramen plerumque generaretur, ubi illi prius
obsessi tenebantur. Eine willkürliche Erweiterung erlaubt er sich
bei der Corona civica ea e fronde quernea vel ilignea . . effe
ciebatur, quod victus antiquissimus ex quercubus atque ilicibus
capiebatur ; außerdem Ciceronem . . . . quod eius opera et in
tercessione .. detecta vindicataque fuisset. Bei der Corona ova-
lis heißt es statt V 6, 28 (ac — corronaretur), ac per hunc mo-
dum Octavianus Augustus post Philippense et rursus post Siculum
bellum bis ovans urbem ingressus est, was aus Suet. Aug. 22
stammt. Die Erweiterungen über die Triumphe Caesars und
Octavians stammen ebenfalls aus Suet. Caes. 37 und Aug. 22,
über Tiberius cf. Suet. Tib. 17, über Nero cf. Suet. Ner. 25. 18 f.
Aeneas Sylvius citiert in der Oratio ad Alphonsum
regem (Freher- Struve ib. II 27) Metelli quoque Numidici men-
tionem efficiunt qui ut est apud Gellium de noctibus Atticis : si sine,
inquit, uxoribus possemus Quirites esse omnes etc.: I 6, 2 (s —
consulendum).
VI. Columella.
Die Spuren, welche auf das Vorhandensein von Columella
im Mittelalter deuten, weisen fast alle nach Frankreich hin. So
wird Columella in alten Bibliothekskatalogen nur in Corbie er-
wühnt, cf. Becker catal. bibl. antiqui p. 309. Zwei Kataloge
des 12. Jahrhunderts führen ihn auf Juli Columelle liber und
Iunii Moderati rei rustice. Aber diese beiden Angaben mit Bek-
ker l. l. p. 189) als zu einer und derselben Handschrift ge-
hörig zu betrachten, kann ich mich nicht entschließen, da sich
so verschiedene Ueberschriften kaum vereinigen lassen.
Walahfrid Strabo scheint de cultura hortorum 106 f.
(Poet. lat. aevi Carol. II 339) den Columella zu benutzen Aus
arbustivum vitis genus, arbore cum se | Explicuit quavis: de arbor.
4, 1 Vites mazime gaudent arboribus . . Hoc genus vitium arbu-
stivum vocamus.
Ig e nent -— oe
Miscellen. 567
Hugo de S. Victore citiert in dem Werke de nuptiis
(Migne 176, 1206) den Columella Unde Columella cum de luxu
mulierum loqueretur ait: Luau et inertia defluunt, cf. Col. XII
praef. Inunc vero cum pleraeque sic luxu et inertia defluant.
VII. Julius Caesar.
Caesars Commentarii werden in alten Bibliothekskatalogeu
nicht eben häufig erwähnt, cf. Becker l. l. S. 307. Daß sie
bei den Angelsachsen in der vorkarolingischen Zeit gefehlt ha-
ben, ist nicht eben glaublich, obwohl sie von Alcuin in dem
Kataloge von York nicht genannt werden. Den ersten sichereu
Anhalt gewährt Lupi Ferrariensis ep. 37 Caius Iulius Caesar
historiographus Romanorum nullus est. Commentarü belli Gallici
quorum ad vos manavit opinio, tantum extant, nec quantum ad hi-
storiam quod compertum habeam quicquam aliud. Nam ceterarum
eius rerum gestarum postquam idem Iulius totius pene orbis cau-
sarum molibus est oppressus, Hirtius eius notarius in commentarios
seriem referendam | suscepit. — Eiusdem itaque Iulii commentarii ut
primum habere potuero, vobis dirigendos curabo. Denn ob die in
zwei Reichenauer Katalogen genannten 'notae Iulii' und ‘notae
Iulii Caesaris mit den Commentarien etwas zu thun haben,
bleibt ungewi8; höchstens könnte man sie als tachygraphische
Zeichen auffassen ; saec. X erbittet Gerbert vom Erzbischof
Adalbero von Reims historiam Iulii Caesaris a domino Azone ab-
bate Dervensi ad rescribendum nobis acquirite ; saec. XI sind die
Commentarien vorhanden in Toul (historia Iulii Cesaris), saec.
XII in Corbie (Gai Cesaris historia), in Angoumois (historiam
Iulii Caesaris), zweimal in Beccum (gesta Cesaris) und in Corbie
(historia Gaii Cesaris belli Gallici) Dagegen war die Cosmo-
graphia Iulii Caesaris (cf. Riese geogr. lat. min. 21) vorhanden
saec. IX in Reichenau (liber Iulii Caesaris de mensione universi
orbis) (cf. Riese C), und in S. Gallen (chronica Iulii Caesaris)
(cf. Riese SP), saec. XII in Corbie (cronica eiusdem) scil.
Caesaris).
Als Erwähnungen und Citate habe ich folgendes aufzuführen:
Symmachus sagt in epist. IV 18 (ed. Seeck) sume ephe-
meridem C. Caesaris decerptam bibliotheculae meae. Jedenfalls sind
hier die Commentarien zu verstehen,
Bei Sidonius Apollinaris ep. II, 2, 16 weist Geis-
ler (Sidonii opp. el. Luetjohann p. 358) Benutzung des Bell.
Hispaniense 29, 2 nach (solo palustri voraginosus).
Daß Einhart in seinen historischen Werken in der Dar-
stellung der Ereignisse den Caesar benutzt hat, ist von mir
(Neues Archiv d. Ges. f. ält. deutsche Geschichtskunde VII
521 f) und von R. Dorr (Neues Archiv etc. X 241 ff) nach-
gewiesen worden. Benutzt worden sind B. Gall. und Civ.
Ermoldus Nigellus hat an zwei Stellen seiner Ge-
568 . Miscellen.
dichte das B. Gall. benutzt; in hon. Hludowici III 49 f. Uzorem
fratris frater rapit alter et omnes | Incestu vivunt: B. G. V 14;
III 261 f. Alba Suevorum veniunt trans flumina Rheni | Milia cen-
tenis accumulata viris: B. G IV 1; cf. Poet. lat. aevi Carol. II
42 und 48.
Die Gesta abb. Fontanellensium c. 10 (M. G. SS.
II 284) nennen Caesar: Zuliobona .. haec namque civitas fertur
aedificata fuisse a Caio Iulio imperatore Romanorum . . dum Gal-
lias vastando circumiret. Ipsum namque castrum Caletus antea vo-
cabatur quod . . reparatum ex suo nomine luliobona vocare placuit.
Die Quelle dieser Notiz ist mir unbekannt.
Spuren von Benutzung Caesars zeigen sich auch in Nit-
hards historiae und in (Astronomi) Vita Hludowici Pii,
ef. Neues Archiv ete. X 69 f.
Der von mir herausgegebene Anonymus de situ or-
bis (Stuttg. 1884) schreibt II 3 p. 48 (item Gaius Caesar in
libris belli Gallici ita exorsus est) B. Gall. I 1 ab, und zwar nach
einer Handschrift der Classe A, cf. ib. p. XII und Fleckeisens
Jahrb. 1888 S. 79.
Flodoard hat in der hist. Remensis eccl. I 1 f. (M. G.
SS. XIII 418 f) bekanntlich gleichfalls große Stücke aus B.
Gall. abgeschrieben und zwar: VI 44. II 3. 5. 6. 7. 9. 10. III
11. V 54. VI 4. 12. VII 55. V 24. VII 90.
Richer von S. Remi benutzt in den Histor. I 2 (Istius
Galliae per partes distributio) B. G. I 1, cf. Rich. hist. recogn.
Waitz 1877 p. 2 et adn. 8.
Widukind scheint in den Res gestae Saxonicae den Cae-
sar benutzt zu haben. wie ich (Neues Archiv etc. XI 58 f.) dar-
legte. Genannt wird Caesar von Widukind II 1 Est autem locus
ille proximus .Iulo a conditore Iulio Caesare cognominato.
Aimoin hat bekanntlich grólhere Stücke aus Caesar ent-
lehnt; es heißt bei ihm Gesta Francorum praef. (Du Chesne
hist. Franc. SS. III 1) ea quae in auctoribus Iulio Plinio ac Orosio
invenire potui colligens huic opusculo inserendo ... His igitur ad-
tunxi quae Julius de Germanorum Gallorumque moribus ac institutis
in libro suo interserit historiae. Abgeschrieben wird von ihm B.
G. IV 10. VI 24—28. 21—23. I 1. VI 18—20. IV 5.
Alpert hat in dem libellus de episcopis Mettens. und be-
sonders in dem Werke de diversitate temporum (M. G. SS. IV
697. 700 ff) den Caesar für seine eigene Darstellung sehr stark
ausgeplündert, wie ich (Neues Archiv d. Ges. etc. XIII 208 ff.)
nachgewiesen habe.
Der Verfasser der Gesta epp. Cameracensium (M. G. SS.
VII 403) benutzt in I 2 den Caesar preter quod inter antiquiores
et nobiliores urbes Atrebatum nomen optinere si quis historias Iulii
Caesaris retexuerit non ignorabit, cf. B. G. II 4, 9. Eine eigen-
thümliche Notiz findet sich zu c. 3 p. 408, 48 in codd. 2 und
Miscellen. 569
2* nach memoratur Liber namque qui iubente Iulio Caesare ex
senatus consultova prudentissimis viris de cosmographia inscribitur
. . . Cameracum etiam intromittit et quanto a Bagaco castro distet
î. e. 18 milibus evidenter ostendit. Dies stammt aus der von
Riese geogr. lat. min. 71 ff. herausgegebenen Cosmographia und
zwar theilweise aus 1* p. 72. Die Angabe über Cameracum
mag auf eine locale Erweiterung jener Cosmographie zurückge-
hen, die in Cambrai hinzugefügt wurde.
Lambert von Hersfeld scheint den Caesar benutzt zu
haben, cf. Neues Archiv etc. XII 377 f.
In den Gesta Treverorum (M. G. SS. VIII 111 ff)
werden große Stücke aus Caesar abgeschrieben, worüber ich in
Fleckeisens Jahrb. 1888 S. 77 ff. ausführlicher gehandelt habe.
Die in c. 9—12 wörtlich abgeschriebenen Theile sind: B. G.
II 24, 4 f; V 2, 4 — 4, 4 (neque ad concilia — exarsit); V
24, 1 — 4 (frumentum — misit); V 47, 4 f. (Labienus — con-
sedisse); V 53, 2 (Hac fama — reduxit); V 55, 1 — 58, 7
(totus — Galliam quietiorem); VI 2, 1—3 (Interfecto — cognitis
Caesar); VI 3, 4 (Concilio — venissent); VI 5, 1 (totus —
Ambiorigis); 4 f. (Erant — lacesseret): VI 6, 1 — 9, 5 (Cae-
sar — reliquis copiis); VI 11, 2— 5 (Caesar — Galliae);
VI 18— 20.
In den Versus de praeconio urbis Laudunen-
sis (ca 1120) (Martene et Durand ampliss. coll. I 662) heißt
es Vs. 5 Caesaris ille liber qui narrat Gallica bella | Caesàris ip-
sius memorat quia viceris arma | Hac igitur causa coniurans Gallia
tota | Improvisa tuos circumdedit undique muros. Dem Autor lag
also das B. Gall. vor.
Wilhelm von Malmesbury erwühnt in den Gesta reg.
Angl. c. 289 (Il 413 ed. Hardy) Angli enim superius labrum
pilis incessanter fructicantibus intonsum dimittunt, quod etium genti-
litium antiquis Britonibus fuisse lulius Caesar asseverat in libro
Belli Gallici: B. G. V 18 Britanni . . omni parte corporis rasa
praeter . . labrum superius.
In den Historiae Tornacensis II 2 (M. G. SS. XIV
330) erzählt der Verfasser Post hec longo tempore ezacto Iulio
Caesare Gallias devastante . . Nerviam etiam civitatem modo mise-
rabili pessumdedit. Quod ex historie belli Gallici ab eodem Iulio
confecti libro secundo antmadvertere in promptu est. Sed quibus
illa historia incognita est de. libello memorato unde superiora ex-
cerpsimus . . . qualiter factum sit pandere curabimus. I 8 p 329
Cui si forte propter tantam rei novitatem aliquid auctoritas fidei at-
tribuitur minus, ad confirmandam illius incertitudinem extat historia
belli Gallici a Iulio Caesare confecti; auch p. 858, 41 wird das
Bellum Gallicum erwähnt.
Robert de Monte erwähut im Chronicon (M. G. SS.
VI 517, 24) cuius caput est civitas Venetensium . . cuius portum
570 Miscellen.
Julius Cesar mirifice extollendo collaudat in libro quem scripsit de
bello Gallico B. G. III 8; p. 499 obsesso tribus castellis lapideis
per tres annos quod inauditum est post I. Caesarem.
Daß Rahewin gesta Frid. IV 37 einen Satz aus B. G.
I 26 benutzt, wies ich nach Neues Archiv etc. XII 368.
Der Annalista Saxo erwühnt zu 1125 (M. G. SS. VI
762) Quocumque enim se verterat, speciali quodam fato quo Iulius
Caesar usua vincebat.
Im Draco Normannicus IH 1111 — 1129 ist B. Civ.
III 102, 104 und B. Afric. 94 — 96 benutzt, wie Howlett in
seiner Ausgabe des Draco S 747 f. nachgewiesen hat.
Johannes Saresberiensis wie auch Petrus Ble-
sensis scheinen den Cäsar nicht zu kennen, Conrad von
Mure führt ebenfalls nichts aus ihm an.
Sehr gut unterrichtet über Caesar zeigt sich Ricardus
Dunelmensis im Philobiblion (edit. Oxoniae 1599) p. 52
Julius Caesar primus omnium et tempore et virtute Commentarios
reliquit tam belli Gallici quam Civilis a semetipso conscriptos. Idem
de analogia duos libros et Anticatones totidem et poema quod in-
scribitur ‘Iter’ et opuscula alia infinita fecit. Das stammt freilich
alles aus Sueton. Caes. 56, wie auch die Notiz Iulius quartam
litteram praeposuit loco primae et sic deinceps alphabetum | expendit.
Johannes deMonasteriolo erwühnt den Caesar in
seinen Briefen ; ep. 22 (Martene et Durand ampliss. coll. II 1361)
In quod de bello Gallico Caesaris Iulii Celsi relatu est assertum,
AXX minus Gallos tria milia Maurorum loco expulisse coegisseque
in oppidum: B. Afric. 6; ep. 58 p. 1419 Nostri autem in com-
mentariis Belli Gallici non sine experientia a Caesare dictum esse,
apud Germanos nullam latrocinia habere infamiam, quae extra fines
cuiusque civitatis fiunt atque ea iuventutis exercendae et desidiae
minuendae causa fieri praedicant, cf. B. Gall. VI 23.
VIII. Livius.
Handschriften des Livius werden in alten Bibliothekskata-
loggen nur wenig erwähnt und auch Citate aus Livius finden
sich im Mittelalter nur selten. Von alten Hdschrr. (Becker 1. 1.
p. 316) sind folgende anzuführen: saec. IX. Lupus von Fer-
rieres erbittet sich die Hdschr. des Abtes Guenilo; saec. X. Un-
ter Ottos III Büchern wird aufgeführt Titi Livi non minimam
partem , saec. XI in Pompuse Libri 10 Livi ab Urbe condita,
sed capita XL adhuc desunt Pomposiano abbati quae reperire avide
anhelat; in einer bibl. incognita libros Titi Libii ab urbe condita
C decades (!); saec. XII in Corbie (Titus Livius; Titi Livii de-
cada tertia ; idem).
Jonas bringt in der Vita Columbani c. 7 (Mabillon acta
SS II 5) ein Citat ut Livius ait, nullum esse tam sanctum in re-
ligione tamque custodia clausum quem penetrare libido nequeat.
Miscellen. 571
Andoenus (saec. VII) erwähnt den Livius in der Vita
S. Eligii praef. (d'Achery spicileg. II 77) Quid inquam Salu-
stius Herodotus et Livius gentilium texendo historlas . . prosunt?
Da zugleich Herodot und darauf Varro, Democritus und Plautus
erwähnt werden, so ist es kaum glaublich, daß Audoenus selbst
den Livius gekannt hat. Allerdings gab es vielleicht den L.
im Frankenreiche sehr frühzeitig, wie der cod. Paris. 5730 be-
weisen könnte.
In Einharts historischen Schriften ist die Benutzung des
Livius eine ziemlich ausgedehnte, wie ich im einzelnen nachge-
wiesen habe Neues Archiv etc. VII 523 ff. und XI 67. Auch
in (Astronomi) Vita Ludowici Pii und in Nithards
Historien zeigen sich Spuren von Livius, cf. ib. XI 69 f.
Lupus von Ferriéres sagt in der Widmung vor der
Vita S. Wigberti (Mabillon Acta SS. Ord. S. Bened. III 1, 624)
cum profecto st vel leviter est eruditus, non ignoret Salustium Cris-
pum Titumque Livium non pauca . . partim auditu partim lectione
comperta narrasse.
Walahfrid Strabo schreibt ad Degan chorepiscopum
(Poet. lat. aevi Carol. II 351. IT) vs. 9 Livius aut Titus secum
ferat ipse Catonem. |
Ein lüngeres Citat bringt Flodoard in seiner hist. Re-
mensis eccl. (M. G. SS. XIII 405 ff) I 1 wo Liv. I 6. 7 (Nu-
mitori Albana permissa — mea moenia interfectum) wörtlich abge-
schrieben wird. Als Abweichungen sind zu notieren: his locis;
snperaret multitudo ; Palatinum Romulus; Vulgatior autem fama;
mea, moenia.
Fulbertus Carnotensis sagt in epist. 41 ad Rober-
tum regem (Du Chesne hist. Franc. SS. IV 187) (si qua historia
sanguinem pluisse referat et si factum fuit quod futurum portenderit).
Livium Valerium Orosium et plures alios huius rei relatores inveni,
de quibus ad praesens solum Gregor. Turon. . . . testem esse pro-
ductum sufficiat.
| Widukind scheint den Livius benutzt zu haben, wie ich
nachzuweisen versuchte Neues Archiv etc. XI 54. Eine große
Anzahl von Stellen hat Lambert von Hersfeld dem Livius
erwähnt, wie von Rockrohr Forsch. z. deutsch. Gesch XXV
572 f. und von mir Neues Archiv etc. XII 376 f. dargelegt ist.
Petrus Damiani weist auf Liv. XXI 1 hin, wenn er
epist. VII 3 (opp. ed. Cajetanus I 243) erzählt nam ut ad gen-
tilium quoque recurramus historiam, Annibal ille, qui Cartha-
giniensium dux factus est, cum adhuc novem esset annorum, Amil-
cari patri iuravit ad aras quia cum primitus posset, adversus Ro-
manos acerrime dimicare; cf. Val. Max. IX 3 ext. 3.
Richard von Poitiers erzählt (M. G. SS. XXVI 77),
daß er seine Chronik theilweise auch aus Livius geschöpft habe
hoc opusculum excerpsi de libris . . . . Titi Livi.
572 Miscellen.
Ueber die Kenntniß des Livius bei Johannes Sares-
beriensis (opp. ed. Giles III 190) hat Schaarschmidt Joh.
Sar. nach Leben etc. Leipz. 1862 S. 88 und Anm. 2 gehandelt.
Einige Cicate aus Livius bringen die Annales Jacobi
Aurie (M. G. SS. XVIII 289) in Tito Livio in secunda parte
ubi agitur de secundo bello Punico . . . in primo libro anno ab
urbe condita 534: Liv. XXI 32, 1. 2 P. Cornelius — occur-
gurus; item in eodem libro 8 circa finem: Liv. XXVIII 46 Eadem
aestate — Ligurum; item in libro 9 circa tertiam partem: Liv.
XXIX 5 Eisdem ferme — tenebat classem; item in eodem libro X
circa principium: Liv. XXX 1 Eristente consule Cornelio Servilio
anno 16 Punici belli — dirruptum rehedificaret.
Benutzt wird Livius in Martini Oppaviensis chron.
(M. G. SS. XXII 401 ff) Nam sicut dicit Titus Livius: cum fra-
tres gemelli essent et eiusdem aestatis — occiditur. Vulgarior tamen
opinio est, Remum qui novos muros contra statutum transilierat in-
terfectum : I 6. 7.
Conrad von Mure citiert den Livius im Repertorium
vocab. exquisit. (ed. Basileae, Berthold) p. 68 Constat primo tres
partes fuisse populi Romani — ut dicit Livius et causa in occulto
est. Dies Citat stammt aus Serv. Aen V 560; cf. Liv. I 18;
und p. 108 Livius vult a locis campestribus dictam (scil. Capuam) :
Liv. IV 31, 1.
Ricobaldus Ferrariensis zählt als Quellen seiner hist.
imperat. Rom. im Prologe (Muratori SS. rer. Ital. IX 105) auf:
Si .. quibus ex pomariis ista delegerim percontaris, aioex pomariis
virorum praestantium . . Eutropii . . Orosü et T. Livii Patavini.
Georgius Stella bringt in seinen Annal. Ianuenses ei-
nige Citate aus Livius; c. 1 (Muratori SS. XVII 962) ez verbis
principis historiarum Titi Livii lib. XXVIII de secundo bello Pu-
nico ostenditur sic dicentibus: XXVIII 46 (Eadem aestate — op-
pugnare); p. 968 libro XXIX de secundo bello Punico Titus Li-
vius ita disseruit ; XXIX 5 (Eisdem — acceperunt).
Jannotius Manettus citiert in seiner hist. Pistorien-
sis (Muratori SS. XIX) p. 994 Livius in sexto libro ab urbe con-
dita verba haec posuit: Tuscorum ante Romanum imperium late terra
marique opes patuere; p. 995 Livius ubi in eodem sexto . . prae-
dixit, in hunc modum statim subiecit: Mari supero inferoque —
Graeci eadem Tyrrhenum atque Adriaticum vocant.
Gregor Heimburch citiert in der Apologia (Freher-
Struve Rer. Germ. SS. II 241) eine Stelle aus Livius u Levius
ait in quarto: IV 54 quaesturam eam non — relinquantur.
IX. Pomponius Mela.
Trotzdem die Zahl der auf uns gekommenen Handschriften
des Mela groß ist, so findet sich in alten Bibliothekskatal
nur höchst selten eine Erwähnung dieser Schriftstellers; und auch
Miscellen, 573
seine Benutzung im Mittelalter ist keine besonders ausgedehnte
(cf. P. Melae chorogr. recogn. Frick p. VIT) Eine Hdschr.
wird nur aus Beccum erwähnt (saec. XII) und zwar mit der
Ueberschrift der libri deteriores Pomponius Mela de cosmographia.
Zu den von Mommsen bezeichneten Stellen bei Iordanes
res Get. kommt V 37 (pervagant effusas sedes prout armentorum
invitaverint pabula): Mela ITI 34 ne statis quidem sedibus ut in-
vitavere pabula . . castra habitant.
Große Stücke aus Mela werden in dem von mir heraus-
gegebenen Anonymus de situ orbis (ca. 870) abgeschrie-
ben, was insofern wichtig ist, als dieses Buch älter ist als un-
sere älteste Hdschr. des Mela. Die betreffenden Stücke sind
III 1 f (tanta vi — conperimus) II 97 (paucae — pro farre est);
II 98 (paucae -- proxuma); Il 99 (contra — Symplegades); II
102 (in sinu — regna ceperit); I1 103 (parva — dedit); II 104;
II 106 (plures — Thraciam) (Atho — prospicit); II 108 (verum
— Chalcis); II 109 (circa — proxima; inter — nobilis); II 110
partim; I 3—6. 8—13 (hoc — habitant); 15—24 (Europa —
partium); Il 84—87 (Galliae — occasum); II 74; Ueber das
hdschr. Verhältniß cf. meine Ausgabe p. XII.
Am Ende des 11. Jahrhunderts wird Mela im Chroni-
con Vedastinum (M. G. SS. XIII 679) benutzt. Es heißt
dort de qua (scil. Scanzia insula) et Pomponius Mela in maris situ
Codano posita refert; Mela III 54 In illo sinu quem Codanum
diximus eximia Scadinavia; cf. III 31.
Georgius Stella citirt in den Annal. Ianuenses (Mu-
ratori SS. rer. Ital. XVII 957) eine Stelle aus Mela Pomponius
Mela in mundigraphia Ianuam eiusque loca proxima nominat hoc
modo: Pisae Etrusca et loca et nomina. | Deinde Luna Ligurum et
Tigulia et Genua et Sabacia et Album Ingaunum tum Paulon et
Varum. Haec Pomponius: Chorogr. II 72.
Oberlößnitz b. Dresden. M. Manitius.
25. Die Wiener Handschrift der orphischen
Argonautica.
Wir lassen eine weitere Probe der Collation folgen (vgl. ob. IIS.379).
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692 ined’ code | 693 nike | Eusller | 694 évvecinasy | plored "| 695
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701 àx ngolemórtoc | dados | 708 eloecipos | 704 uolnzo | nagénagor |
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Rande steht ... | 911 am Rande roth zegi sd» dioe Bo | rav». + |
os
913 70° | nlaravıor | 914 nôx | yFauadÿos | 916 cgsotepoiy | dusrmrà |
917 0guoó», dann ögusior, oder aputor. | 917 xvxiauéc te Fsondha. 1
corrigiert aus ov | 918 nasovon, 0? zu è corrigiert | xategvés 1€ nolAuxry-
ov
uov | 919 re 2ni dé | dixrau | 920 We xaoduoy | opilak | uno» | 917
dÀxva xai | xdinecov | am Rande eine jüngere zweite Hand xa Nagov,
darin + zu @ umcorrigiert. | 925 àdoso | yniwıo | xladewosy Eguuvor |
yov
927 alıya doxeves | 929 yovoaia | noéu | 930 dnictows | 932 in Poov-
cu
gaits ist go eine Ligatur | adunroso imuaist &uogos | 933 &vardia xav-
. 90» | 935 dugi ye | 936 mero zu ná»O'óca corrigiert | 937 oi uiv |
ev
938 wo xev ivayootéon | nenidosu | 939 oi d' | nsiwosor | 940 dnovo-
amowuer | 941 youvecoy | 942 0 yàp te dass go auf so ein Gravis
von junger Hand, oder mit blüsserer Tinte. | uavroogrpa, | 943 yov-
as
vaowvias, o aus w corrigiert | émoresBwos dé Eoyor | 944 Tao? | 97 Eas |
oo
945 è roth, in den Rand vorspringend | uè», diccarzo; das erste oo
war durch einen Tintenfleck verunglückt | 946 dz qure | 947 aunö-
ov
xidny, für v ursprünglich «| uoy9 | 949 undee, für n ursprünglich s |
my
Evrénero, dann È zu c umcorrigiert | &A4 | 950 sig am Rande roth
Soa | tj» | lia | ory | ol ov | 9voi | av | vob | dp | yey o | s | 953 deu
«
youd | o£vrégoio | 954 enon | Eunooc9e | 955 ndunav | unde | 957 6nàó
nv
nenlovo énoved | 958 nvonv énéBalov | 959 oxvurous nauuélaivas.
Wien. F. f. Carl Wessely.
Nachtrag zu den ‘Epigraphischen Kleinigkeiten‘.
1) Zu S. 402, Heilurkunde Z. 6, schreibt mir Herr Prof. G. Meyer
den zweifellos richtigen Vorschlag: odoxas £vmvev[c xai] | Hucypivas
im Sinne von gu«yuérag »eitrige und blutige Fleischstiickee. Zu 2. 1
bemerkte ich, daß Iota adscr. auf diesem Steine nicht geschrieben wird:
so ist von formeller wie sachlicher Seite nichts einzuwenden, und bei
einer Revision der Abklatsche entscheide ich mich für Zueyuérac »blu-
tige«. — Gleichzeitig damit machte mir Herr Dr. Curt Steffen den
ähnlichen Vorschlag di-muayuévas, wobei er auf die Phrase déciuor
avantéesy uus Plut. Arat. 52 verwies.
2) Zu S. 416, GDI 700, 20. Das Probabelere, nach dem, wie ich
dort sagte, noch gesucht werden muß, hat R. Meister gefunden. Er
geht von Zvoua ' rr^ yóvgc, dem Namen eines Ortes bei Theben, aus
(Paus. 9, 25, 2), leitet davon Zvpuo-xisis ab und erklärt das überlie-
ferte [ZJjvoouo-xlsis durch »Vokalentfaltunge. An Ortsnamen wird
sehr oft angeknüpft, vgl. deoßo-xAjc u. a.
Leipzig. J. Bawnack.
XXIX.
Zur Batrachomyomachie.
Die Batrachomyomachie hat kürzlich im ersten 'Theil des
Corpusculum poesis epicae graecae ludibundae durch Paul Brandt
eine neue, dankenswerthe Bearbeitung gefunden, in welcher
eine nicht unbetrüchtliche Zahl von Fehlern, welche sich
auch in Draheims Ausgabe noch vorfinden, mit gróBerer oder
geringerer Wahrscheinlichkeit verbessert worden sind. Die Ver-
besserungen sind nicht alle neu; denn die Althaus'sche von
Draheim im Jahre 1874 freilich gar nicht beachtete Greifswal-
der Dissertation de Batr. Hom. genuina forma, welche mehrere
unzweifelhaft unechte Verse kenntlich gemacht hat, stammt schon
aus dem Jahre 1866; dennoch ist auch des Neuen, das uns der
Herausgeber oder sein scharfsinniger, in den griechischen Dichtern
so wohl bewanderter Mitarbeiter H. Stadtmüller bietet, nicht
wenig. Neidlos finde ich in der neuen Ausgabe so manchen
eigenen Gedanken verzeichnet, welcher mir bei eindringlicher
Beschäftigung mit dem kleinen Gedichte schon vor Jahren ge-
kommen ist; ich freue mich nun der Bestätigung durch andre.
Wo meine Aufzeichnungen mit dem Brandtschen Texte überein-
stimmen, will ich sie nicht erwähnen: nur einige Abweichungen
von Brandt möchte ich im Folgenden zur Sprache bringen.
1. V. 48 ff., an einer Stelle, welche Brandt als späteren
Zusatz ausgeschieden hat, rühmt sich Psicharpax seines Muthes,
der nur, wie er zugesteht, gewissen Fährlichkeiten gegenüber
Philologus XLVIII (N. F. II), 4. 37
578 R. Peppmüller,
‘die Probe nicht aushält: vor dem Menschen fürchtet er sich
nicht —
did duw pada nuvra rà deldia nacuv En’ aluv
xloxov xai yalénr, of uos uéya névOoc &yovoi,
50 xai naylda crovosoour, onov Óolotg néle notpos.
nAsiorovr In padénv negsdeldın, Hug aAuıon,
7 xai TewyAodvvorsa xata rgo yÀgv Egselvei.
Hier ist sofort klar, daß entweder àAà« duw falsch ist, unsofern
später außer Habicht und Katze als dritte Gefahr noch die Falle
erwähnt wird, oder daß der dritte Vers Zusatz ist. Ersterer An-
sicht sind Ludwich und Stadtmüller, von denen der eine «Ada
dé ào, der andre aber, was mir besser gefällt, “AA” avdw oder
GAN êgéw vorschlügt, während Brandt Vers 50 für Zusatz hält:
auch die beiden folgenden Verse hält er für Einschiebsel. Letzteres
mit Recht, wie mir scheint: ob auch V. 50 Zusatz ist, läßt sich
darum bezweifeln, weil der einleitende Vers, von duw abgesehen,
mit u«Àa narta ta deldia doch wohl auf mehr als zwei Gefahren
hindeutet: duw also muß auch darum verdorben sein. Auch sollte
man statt der Accusative xfoxo» xai yudény und rayfd«, die mit defdsa
nicht wohl verbunden werden können bei der überlieferten Fas-
sung der Stelle, vielmehr Nominative erwarten, und r« sollte
fehlen. An ns hat Ludwich Anstoß genommen und dafür
wvol» verlangt; ich glaube, daß órov dorlöss EA mótuog — mit
‘gnomischem’ Aorist: „wo ein listig Verhängniß so manch’ einen
der unsrigen schon gefangen hat“ — zu schreiben ist. Auch V. 52,
in dem Zusatz, kann die Ueberlieferung rowyAo dv rov rn ebenso-
wenig richtig sein, als Barnes Konjektur ıpwyAodvorr« , welche
das Metrum zwar herstellt, aber dem Verfasser eine unmögliche
Wortbildung aufbürdet. Die Analogien Awrrodwretv, Cevyndcreiy,
mudoroifsiv verlangen 10 (y 200 vrovvto, wie ich mir notiert
und, wenn ich nicht irre, Nauck bereits vorgeschlagen hat.
2. Nachdem Embasichytros dem Sohne des Froschkünigs Phy-
signathos den Tod des Psicharpax Schuld gegeben und den
Fróschen darum im Namen der Müuse den Krieg angesagt hat,
heißt es in der Erzählung (V. 144 ff) nach der Ueberlieferung
folgendermaßen weiter:
wg sinwv anépnre' Aoyog Ó ilg otara uvòr
elorAF wr Erugade poérus Batouzur dyspWrwr.
Zur Batrachomyomachie. 579
In diesem Zusammenhange befremdet nicht nur axépyve, sondern
mehr noch Stellung und Quantität von wuw», da das v dieses
Wortes, außer in einsilbigen Formen, stets kurz ist!). Stadt-
müller vermuthet daher A,y 6; d° «lg ovute wv Foc, und Brandt
hat diese beiden Aenderungen in den Text gesetzt. Aber ein
Acyuc uvio; wäre vereinzelt, und eine doppelte Veränderung
nicht wahrscheinlich, zumal wenn sich eine einfachere Emenda-
tion finden sollte. Den Anfang des Verses hat Stadtmüller durch
Verwandlung von &vw» in vom» verbessert, und Brandt ist
ihm gefolgt Aber wahrscheinlich ist diese Aenderung weder. in
paläographischer noch sprachlicher Hinsicht; denn wenn évon
auch jeden Lärm, also auch den des Krieges bezeichnet und sich
darum uayn éroxn 1e verbunden findet, so bezeichnet es doch
niemals den Krieg schlechthin und wäre darum hier, wo von
1) Im dativus pluralis der v-Stämme sollte der Vokal nach Ana-
loge des Sanskrit lang sein, ist aber thatsächlich auch hier fast
stets kurz, außer in Orph. Argon. 473 (469), wo Hermann ógecow
schreibt: dyvoc gluua Hes. Op. 436 genießt vom Recht der ersten Ar-
sis, uvodoxog Nic. Ther. 795 findet der drei auf einander folgenden
Kurzen wegen Entschuldigung. In der Batrachomyomachie begegnet
‚ıves 132 und 139, ubac 151, wowy 93, 117 (118 Draheim), 290 (286
Dr.), wvoi 173, 174, 173 Freilich hat ZL V. 182 fehlerhaft Obro
Hoes Yoav statt Ovto wév uves oar, V. 151 4das, wohl nur aus Ver-
miseoung mit Lg st. uóac, 170b in einem ganz fehlerhaften Verse
Avi c, wo uvec mit Synizese möglich wäre, V.289 éné rovcde te mias
in einem lückenhaften, falsch ergänzten Verse. Da alle diese Stel-
len nient in Betracht kommen, so bliebe für langes v zunächst
nur V. 144 es odara uva übrig, was von L, wahrscheinlich des
AnstoBes wegen, deu man an der Quantität nahm, durch die Kor-
rektur "«riw» verdrängt ist. Aber daß es Grammatiker gab, welche
in der Katrachomyomachie wenigstens für den Dativ pluralis die Kürze
und Länge anerkanuten, geht aus Bekk Anecd. III 1185 hervor (vgl.
Choerob p. 115), wo auf die Behauptung eines Grammatikers voir
finde sich me mit gedehntem v, entgegnet wird: sbpioxous» dé auıo,
qnui di To uvoiv, Eyov tò v éxrernuévor xai ovrectaluéror Èv 1j; uvofla-
ro«youayic. Bergk bemerkt hierzu Opusc. If 270: nunc quidem (in
Batrachumyomachia) productionis nullum exstat exemplum. Entwe-
der verwarf er also für V. 260 (257 Draheim): 9» dé us i» uvoiv
Mevidéynag die Textgestaltung der Baumeisterschen Ausgabe von
1852, welcher Draheim gefolgt ist, oder er richtete sich, was wahr-
scheinlicher ist, nach der kleineren Ausgabe Baumeisters von 18065,
welche 7» dé nc è uvegiv liest. L hat hier dv uveoos véos neis, V
iy uvoi d Megeddgnaz, und aus dem Schwanken der Handschriften
folgt die Unsicherheit der Ueberlieferung; aber, wie mir scheint,
läßt «ich unter den vorliegenden Umständen mit Sicherheit behaupten,
daß der Grammatiker, welcher für vci» zuerst auf unser Gedicht
verwies, eben grade aus dieser Stelle sein Wissen schöpfte. Freilich
Recht hatte für die gute Zeit gewiß der Gegner, und gar uve» ist
keinenfalls haltbar.
37*
580 R. Peppmüller,
einer förmlichen Kriegserklürung die Rede sein sollte, nicht pas-
send. Vielleicht hatte auch Brandt Bedenken, obwohl er sich
schließlich für Stadtmüllers Vermuthung entschied; denn er
fragt: an fuit dg sinwv anéBasve? Die Aendrung befriedigt für
den Sinn der Stelle durchaus, und für die Sprache vergleiche
man o 206 und y 85 wg pupuérn xaréBusve; nur in paläogra-
phischer Beziehung gefällt mir Brandts Vorschlag nicht ganz.
Ich schreibe:
ws sinwy anéXnye Aoyog Ó' el; ovar auu(u)wyr
sloeAIwrv êraguëe potrus Bargdywr ayeouywv.
Fiir den zweiten Theil des Verses glaube ich eine sichere Hei-
lung gefunden zu haben. Der Dichter hält die Rede des Krieg
anktindigenden Gesandten der Frésche des Grundes wegen, wel-
chen dieser vorbringt, für untadlig: ovx tyes wéyesv (Soph. EL
1423), — geradeso wie Eumäus die kluge Rede des Odysseus,
durch welche er sich warmhaltende Kleidung fiir die kalte Nacht
zu verschaffen sucht, 5 507 „untadlig“ nennt:
w yégov, aivog uév tos &G uu uv, ov xatédeEac.
9. V. 188, wo Athene zu Zeus von den Fróschen sagt,
sie wolle auch ihnen nicht helfen und als Grund angiebt:
loi yàg ovd’ avioi poévaç Funedos,
hat Brandt nach y 14: noi dé qoévog olotug nota gQsrac
atomo. geschrieben; aber auf eine leichtere Aendrung führt
Z 352 f.: Tovım d ovr ag viv moéres Zunedos; hienach scheint
es, daß man sloi yag ovd’ auzoig goíveg Zunsdos verbes-
sern muß.
4. Am Schluß des Gedichtes hat Brandt V. 260 ff. nach
der ültesten, dem 11. Jahrh. angehórigen Handschrift, dem
Laurentianus plut. 32, 3, in der Weise abdrucken lassen, daß
er, wie auch sonst, Ausfiillungen vermeintlicher Lücken in
Klammern dieser Árt [[ ]], einfache, ohne Stórung für das Ge-
dicht auszuscheidende Interpolationen aber in die gewöhnlichen
eckigen Klammern schloß. Die Stelle sieht also in Brandts
Texte folgendermaßen aus:
260 7» dé ng iv muoi [[vfoc zaic]] FFogos GAÀw»,
[[2yxfuayos]] YlAog vios auvuovos " Aoten:Bovdov
261a [Megsdagnak degapos uiuovuevos aviòv Agna,
261b og uóvog iv uuvecow aglorsvev xa9^ óuiov']
268 avrov Ó' écrpxes yavpovusvos ayyosı Aluyng.
Zur Batrachomyomachie. $81
Ein anderes Aussehen hat dieselbe. Stelle in dem unter dem
Texte gegebenen und nach dem für die geringere Handschriften-
klasse maßgebenden Kodex Vaticanus 1814, saec. XV herge-
stellten Fassung:
260 7v dé ric àv uvoi [[dn weoıdapma&]] EEoyos addwy,
[[xos(wvoc]] «(Aoc viog auüuovos * Agremifouiou
[ofxad id» noA&uoso weraoyeiv maid! éxédevoev. |
aviog d’ siotixes yavpovusvog «c xata Alurgv.
In der ersten Fassung ist nicht einmal der Versuch gemacht
worden den Namen des gewaltigen Müusehelden, welcher das
Froschgeschlecht auszutilgen droht, in den Text zu bringen, son-
dern der Interpolator hat sich mit ganz wohlfeilen Ergünzungen
begniigt; ja ȣog maig stellt nicht einmal das Metrum her. Die
zweite Fassung macht jenen Versuch, und zwar finden wir den
zur Ergänzung benutzten Namen Megidaepna& V. 273 auch im
Texte von L: Brandt bezeichnet ihn dort als *verdorben' In
der That kann die Lücke in V. 260, soweit der epische Stil ein
Urtheil gestattet, vor #£oyos aAAw» nichts anderes als eine fer-
nere Lobeserhebung enthalten haben, die zu eruieren ohne wei-
tere Hülfsmittel unmöglich sein würde: der Name muß im fol-
genden Verse gestanden haben, und wenn in ’Agrezifovdov der
Vatersname der gewaltigen Maus erhalten wäre, so müßte xget-
wvog den eigenen Namen derselben verdrängt haben. Nun sind
uns aber in den Scholien zu Eur. Phoen. 1760 in einem Mün-
chener Kodex zwei für unser Gedicht noch nicht beachtete Verse
erhalten, die so lauten:
GAN Fru xaAlıcrov te xoi iuegotorazor GAAWY
naido pliov Kogtlovzog apvuovoc, Atwova dior.
Hämon war hier unter anderen als ein Opfer der Sphinx be-
zeichnet, die den schönen und lieblichen Sohn des Kreon zu-
letzt verzehrte, bevor dieser demjenigen, welcher das Räthsel der
Sphinx löste, die Hand der Jokaste versprach*). Die Verse
werden mit den Worten eingeleitet ‘oi da zn» Oldimodía» yed-
govtes, und man findet sie daher bei Kinkel als zweites Frag-
ment dieses dem Kinäthon zugeschriebenen Gedichtes, welches
nach der Borgiaschen Tafel zu den kyklischen Gedichten ge-
hörte. Aber wenn das Fragment auch nicht aus dem Anfang
der Olympiadenrechnung stammen sollte, sondern erst um Ol. 88
2) Man vergl. u. a. Apollodor 3, 5, 8.
582 R. Peppmüller, Zur Batrachomyomachie.
von Pisander von Kameiros, wie Valckenaer für móglich hielt,
verfaßt sein und seiner berühmten Herakleia®) angehören sollte,
so würde es doch bei weitem, nämlich ungefähr 800 Jahre,
älter sein als der griechische Froschmäuseler. Die ‘versus sua-
vissimi' , welche uns durch die Euripidesscholien erhalten sind,
mögen sich zur Zeit des Pigres, wenn dieser der Verfasser der
Batrachomyomachie ist, einer gewissen Berühmtheit erfreut ha-
ben, und sind eben darum in unserem Gedicht parodiert wor-
den. Ist dem so, dann läßt sich annehmen, daß der Anfang
von V. 260 im Vaticanus, der auch sonst an mehreren Stellen,
wie Brandt nicht verkannt hat, das Bessere erhalten hat, rich-
tig überliefert ist und der Name des gewaltigen Kämpfers Ar-
tepibulos war. Kreion klingt an xgfus an: der Brotdieb ist
Fleischmanns Sohn. Vielleicht gelingt es aber, mit Hülfe des
Fragments auch die Lücke des voraufgehenden Verses auszu-
füllen; man lese:
260 nv dé ug dv puvoì <zahkıarog ts xui> ÉEEoyoc
ahior,
Koslovrog pliog vios &éáuvuovoc ' MorenífBovAoc*),
Danach wage ich nun auch den Versuch den Meridarpax aus
273 zu eliminieren und durch den Helden Artepibulos zu er-
setzen, indem ich anstatt
où psxodv ninooss Megsdagnuk xurx Alurny,
wie L hat, während V die Lücke auch V. 106 durch öc xura
Aluvnr ausfüllt,
274 ov uxoov nÂAnodes xara liuvnr < AotentBovlos>
zu schreiben empfehle. Die folgenden Verse lauten in L:
275 [[évetoeww. Bargayovc Preusalrwv]] al Taysote
Hadrhad ° AFyvalgy óroUvoutv 528 xal " Aonv.
Dem Sinne würde eine Ergünzung wie
«Qn 6° öAkasır> farocyovc Plewsatrwy
genügen: was aber ursprünglich dagestanden haben mag, läßt
sich nicht sagen.
3) Vergl. Bergk Gr. Lit. Il 73.
4) Zu vergl. ist N 499 ff.: dvo d’ &vdosc 07:04 Foyow alle» Al.
véiac Te xai "Idousvers, cit Lavtos 40%, “lev? allzlwr Tauéesr xvda valide
xelxo und B 432 f: Toior au’ "Arpsldnv Fixer Zeus quate xeivy, 'Kx-
myené’ Ev nodhoici x«i Étoyor nowscosr.
Stralsund. Rud. Peppmüller.
XXX.
Platons Phädros *).
II. Abfassungszeit.
Mit Rücksicht auf die These Schleiermachers, die ja von
einer ansehnlichen Reihe der berufensten Platoforscher, in un-
serer Zeit namentlich von Usener, vertheidigt worden ist, scheint
es zunächst nicht überflüssig, die Annahme der Abfassung des
Phädros noch zu Sokrates’ Lebzeiten, so weit es nicht
indirect schon geschehen ist, noch ausdrücklich zu widerlegen.
Ein Selbstzeugniß Platons darüber, daß er Schriften vor So-
krates’ Tod überhaupt nicht veröffentlicht hat (Apol. 39 CD), habe
ich früher geltend gemacht!); daf dasselbe auf den Phüdros so
gut wie auf jede bedeutendere Schrift Platons Anwendung lei-
det, wird nach dem noch zuletzt über seine Verwandtschaft zum
Gorgias Gesagten schwerlich bestritten werden. Gerade gegen
die Unsittlichkeit damaliger gerichtlicher Rhetorik fallen im Phä-
dros, wiewohl nur nebenher, so scharfe Worte wie nur irgend-
wo sonst.
Sodann ist schon von nicht wenigen Forschern die Art der
Behandlung des Sokrates als Gegengrund geltend ge-
macht worden ?), an der man mit vollem Recht, wenn Sokrates
*) Vgl. Heft III S. 428.
1) Arch. f. Gesch. d. Philos. II 895?; vgl. jetzt v. Sy bel De Pla-
tonis prooemiis academicis, Marp. 1889, p. VIII. Ueber die sprach-
lichen Kriterien habe ich (Philos. Monatsh. XXV 841 ff.) meine Meinung
abgegeben. Mehr als meinen läßt sich darüber wohl vorläufig nichts.
2) Man halte etwa gegen Krische (l.c. 941 ff.) die wesentlich zu-
treffenden Bemerkungen Susemihl’s, Jahrbb. 1881, 663.
584 P. Natorp,
als noch lebend gedacht werden müßte, Anstoß genommen hat.
Es ist und bleibt schwer erklärlich, daß Platon in solchem
Maaße seine eigensten Lehren und persönlichsten Beziehungen
auf Sokrates, während dieser noch lebte, sollte übertragen haben.
Was die Lehre betrifft, so werden nicht etwa bloß ein-
zelne unsokratische Sätze, sondern ganze Disciplinen, deren Be-
arbeitung dem sokratischen Philosophiren erweislich fern lag,
und nach einer Methode, die über die seinige weit hinausgeht,
unter seiner Maske behandelt. Das beweist der Unterschied,
nicht gegen Xenophon, den ich in dieser Frage nicht als stimm-
fähig anzuerkennen vermag, sondern gegen die sokratisch ge-
haltenen Schriften Platons selbst. Schon ganz äußerlich ange-
sehen wäre es seltsam gewesen, wenn Platon nach einem Werke
wie der Phädros noch Schriften verfaßt haben sollte, welche in
den Grenzen der Sokratik sich mit fast peinlicher Strenge halten
und den Zusammenhang mit der geschichtlichen Gestalt des So-
krates deutlich verrathen, wie es unbedingt von der Apologie
und dem Kriton, aber, der Stellung der Themata und den
leitenden Grundgedanken , wenngleich nicht auch der ganzen
Durchführung nach, auch vom Protagoras, Laches, Charmides,
in bestimmten Grenzen selbst vom Menon und Gorgias gilt. Wer
sich das Verhältniß dieser Schriften zur Sokratik — ich ver-
stehe immer: zu dem was Platon selbst für sokratisch ange-
sehen hat, d. h. in erster Linie zum Gedankenkreise der Apo-
logie — einmal deutlich gemacht hat, wird darüber nicht leicht
mehr schwanken können, |
Sollte es noch nöthig sein, auf Einzelnes besonders hinzu-
weisen, so wäre, als das Auffülligste, die ausdrückliche Aner-
kennung der naturwissenschaftlichen Methode her-
vorzuheben. Die Redekunst soll, wie wir hörten, auf eine Wis-
senschaft von der Natur der Seele gegründet werden; zum Vor-
bild dient dieser großen Forderung nichts Geringeres als die
naturwissenschaftliche Begründung der Medicin durch Hippo-
krates; bedarf schon die Kenntniß der Natur des Körpers der
Wissenschaft von der Natur des Alls, wie viel mehr die von
der Natur der Seele (270)! Wie weit damit Platon tiber
Sokrates thatsächlich hinaus ist, bedarf wohl keines Wortes;
daß er aber auch der Tragweite dieses Schrittes sich ganz be-
wußt ist, scheint er mir selber anzudeuten, wenn er (270 in.)
Platons Phädros. 585
erklärt, alle großen zéyva, könnten wohl etwas brauchen von
jener «doisoyla xai usrswoodoyla qvotug megs. Der Sinn dieser
Worte kann wohl nicht zweifelhaft sein. Die anaxagoreische
Naturwissenschaft (die auch hier citirt wird), welche unbeküm-
mert um religiöse Satzungen über „Natur und Geist“ zu specu-
liren wagte, stand deswegen unter dem Verdachte der religiösen
Neuerung. Derselbe Vorwurf der werswooisoyla war dem So-
krates gemacht worden; man weiß, mit welcher Entrüstung er
ihn in Platons Apologie von sich weist?) Platon mußte wissen
was er that, wenn er seinen Sokrates, mit sichtlich spottendem
Seitenblick auf die Verdächtigung, der dies „spitzfindige und
hochfliegende Geschwätz über die Natur“ (Schleierm.) ausgesetzt
war, so ausdrücklich die Partei der Naturwissenschaft nehmen
ließ. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte:
das war, wenige Jahre vor der Anklage des Sokrates, unmög-
lich, wenn man nicht dem 25jährigen Platon eine mehr als ju- |
gendliche Unbesonnenheit zutraut. Der Vorwurf bestand gegen
Sokrates seit den Wolken des Aristophanes; Platon hätte also
den Gegnern geradezu die Waffe in die Hand geliefert, noch
dazu mit vollem sachlichen Unrecht, denn, wenn nur ein wahres
Wort an dem Bekenntniß der Apologie ist, so hat sich Sokrates
für Naturwissenschaft in solchem Sinne, wie hier Platon, nie-
mals erklärt. Ganz anders liegt die Sache, wenn der Phädros
nach Sokrates’ Tode geschrieben ist; dann spricht Platon selbst-
verständlich in seinem, nicht in Sokrates’ Namen; für Sokrates
hatte er in der Apologie gesprochen ; auf ihn selber mochte der
Vorwurf fallen, der übrigens in seiner Zeit nicht mehr eine Ge-
fahr enthielt, wie sie für Sokrates, zumal in seinen letzten Le-
bensjahren, bestand.
Aehnliches wäre zu sagen über die gänzlich freie Behand-
lung alles Religiósen, wobei wohl Niemand den Contrast gegen
die Apologie übersehen wird: dort frömmste Anlehnung an den
Volksglauben, wiewohl in sittlicher Vertiefung *) und persön-
lich charakteristischer Auffassung *), übrigens mit dem ehr-
9) Man vergleiche Apol. 19 C, 26 D mit unserer Stelle sowie mit
Theaet. 178 E, Rep. VI 488 E, 489 C, Polit. 299 A sq. Den Tadel,
dem Sokrates ungerechter Weise unterlag, eignet sein Schüler sich
trotzig an.
4) „Ich glaube an Götter wie keiner meiner Ankliger! (Ap. 85 D.)
9) Fortsetzung des diadéyen9as im Hades (41 B).
586 P. Natorp,
lichen GestündniB des Nichtwissens; hier eine Demonstration
der Unsterblichkeit, auf naturphilosophische Postulate theils alt-
ionischer theils pythagoreischer Herkunft ®) gestützt, und eine
aus den tiefsten Gründen der Ideenlehre geschöpfte Auffassung
des Góttlichen und unseres Verhültnisses zu ihm. Dahin gehórt
auch die bei allem im Hintergrund stehenden Ernst doch in der
Fassung beinahe scherzhafte Behandlung und überdies psycho-
logische Auslegung des dasuumor ") und die gleichfalls psycho-
logische Umdeutung der sokratischen Selbsterkenntniß, die auf
die in der dritten Rede entwickelte Psychologie offenbar voraus-
deutet?). Dazu kommt das Auftreten des Sokrates als Redner,
der bald in dithyrambische bald in epische Maaße und Wen-
dungen fällt. Gerade hier ist sich Platon der Abweichung vom
geschichtlichen Charakter des Sokrates offenbar ganz bewußt,
wie die zahlreichen Entschuldigungen ?) beweisen, die offenbar
als Fingerzeig für den Leser dastehn, daß er vom historischen
Sokrates für jetzt einmal absehe.
Gibt somit Platon durch den Mund des Sokrates durchweg,
nach Form und Gehalt, sein Eigenstes, so kann es um so we-
niger Wunder nehmen, daß er auch dulere Beziehungen be-
rührt, die nur ihn selbst, nicht den Sokrates angehen. Dazu
gehört, um auch hier nur das Unbestreitbarste zu erwähnen, die
eingehende Erörterung der Schriftstellerei, die Aufstellung eines
für ihn selber gültigen schriftstellerischen Ideals, sowie dann
eines weit darüber hinausgehenden, aber doch damit in Zusam-
menhang gesetzten Ideals der philosophischen Lehre, beides durch
den Mund des Sokrates, der weder Schriftsteller war noch je
hat werden wollen, der auch nicht einen Kreis von Schülern
um sich sah, welche er, selbst im Besitz der Wissenschaft 0)
6) Altionisch, nämlich Anaximandros’ Eigeothum, ist der Begriff
der doyn (245 D d&oy7 dé &yévniov EE doyzc yoo dvdyxg nav vo ysyyó-
usvov yiyvsodas, avrnv dé und’ EE évos Vgl. Arist Phys. III 4, 208b 10;
Philos. Monatsh. XX 367). Von Alkmüon stammt dagegen der Be-
griff der Seele als des «dssxivnrov (Arist. de an. I 2, 405 a 29. Krische
. e. 977).
7) 242C. Die Worte uaruxov yé n xai 7 Wvyy erinnern wenig-
stens an 244 B ff. Vgl Susemihl Jahrbb. 1880, 714.
8) 229 E ff. Vgl. Ielas nivos uoioacs quoss ueriyov 280 A mit xe-
Ds arme toU 9síov 210 D, xa voor duvaròr dod dv99ono pusraggiiv
9) 288 C navy nage 10 slwIôç, 241 E 242 D 257 A 268 D 265 BC.
10) 276 C rà» dà dixainv te xai xaduiv xai ayadüv imenjuas tyorra
xtÀ., didates ebenda, ferner 277 C 278A etc.
Platons Phädros. 587
vom Guten, Schönen, Gerechten, nach dialektischer Methode plan-
mäßig ausbildete. Wie oft versichert Sokrates bei Platon selbst,
Niemandes Lehrer sein zu wollen oder zu kónnen!!) Dazu
kommen noch, mindestens sehr wahrscheinlich, apologetische Be-
ziehungen auf frühere Schriften Platons. Wie man sich das
alles denken soll, wenn Sokrates noch als Lebender neben Platon
stand, ist schwer einzusehen. Ich meine aber, eine solche Dar-
stellung des Sokrates sei auch nicht früher möglich gewesen, als
nachdem Platon von einer dem Historischen treu nachgeahmten
Charakteristik des Meisters mehr und mehr zu dieser freien Be-
handlung sich hindurchgearbeitet hatte, welche die Person des
Sokrates nicht sowohl idealisirt als vielmehr für die eigene ein-
setzt, natürlich mit geistreicher Benutzung solcher und so vieler
den historischen Sokrates kennzeichnender Züge, als mit der je-
desmaligen sachlichen Absicht sich vertrug. Es scheint mir
sehr viel schwieriger, anzunehmen, daß Platon zuerst, wohl gar
zu Sokrates’ Lebzeiten, in der Person des Sokrates sein eignes
Innerstes der Welt kundgethan, später hingegen sich gezwungen
hätte, wenn er Sokrates reden ließ, auch möglichst sokratisch
zu reden, — um dann doch bei dem ersteren Verfahren wieder
zu enden.
Zu ähnlichem Schluß führt die Vergleichung des philo-
sophischen Lehrgehalts des Phüdros mit dem der
Schriften sokratisirenden Charakters. Ich verstehe darunter, mit
absichtlicher Uebergehung solcher Gespräche, die mir entweder
gegen den Verdacht der Unechtheit nicht ausreichend geschützt
zu sein oder wenigstens für die Erkenntniß von Platons Ent-
wicklungsgang keinen genügend bestimmten Anhalt zu geben
scheinen: die Apologie nebst dem Kriton; den Protagoras, La-
ches, Charmides; nur theilweise noch, namentlich in den ethi-
schen Partieen, den Menon, und kaum mehr den Gorgias, der
gleichwohl von allen Schriften eigenthümlich platonischen Lehr-
gehalts den sokratisirenden am nächsten steht und am genausten
an sie anknüpft. Es wird sich zeigen, daß der Phädros über
sämmtliche im engern Sinn sokratischen Schriften (Apol. bis
Charm.) nicht bloß hier und da, sondern durchweg hinausgeht,
in gleicher Richtung wie der Gorgias und zum Theil der Me-
11) Apol. 20 BC 33 AB. Lach. 186 C ff, 200 E und sonst.
588 P. Natorp,
non; daß er eben deshalb mit diesen beiden Schriften, nament-
lich dem Gorgias, nicht bloß außerordentlich viel gemein hat,
sondern auch direct und absichtlich an sie anknüpft, daher auch
zeitlich wohl ihnen zunächst zu stellen ist.
Was das Verhältniß zu den erstgenannten fünf Schriften
betrifft, so wäre so ziemlich alles das zu wiederholen, was frü-
her hinsichtlich des Gorgias ausgeführt wurde; denn es trifft
auf den Phädros Punkt für Punkt zu.
Da war zuerst die durchweg positive Haltung zu be-
tonen. Es bedarf kaum eines Wortes für denjenigen, der den
Phädros gelesen hat, daß dies Argument auf ihn nur in noch
verstärktem Maaße Anwendung leidet. Das Nichtwissen des So-
krates hat hier fast nur noch den Sinn der übermüthigen Ironie;
thatsächlich ist wohl keine einzige Frage im Phädros aufge-
worfen, die nicht auch in bündigster Form beantwortet wäre;
wo immer Sokrates damit beginnt, daß Andre es wohl besser
wissen müßten, endet er sicherlich mit der vernichtendsten Kri-
tik der gegenüberstehenden, der entscheidendsten Feststellung
der eigenen Ansicht. Daß man, um überhaupt das Wort neh-
men oder den Griffel ansetzen zu dürfen, wissen muß, wie es
mit der Wahrheit der Sache sich verhält, steht von vornherein
fest !?); besonders wird der Besitz der Wissenschaft vom Guten
vorausgesetzt (oben Anm. 10) Auch der Ton des Suchens und
endlichen schweren Erringens einer gegen jeden Zweifel festen
Position ist im Phädros nicht zu spüren ; Sokrates scheint überall
von vornherein entschieden, die Untersuchung hat nur noch
den Sinn, die gegentheilige Ansicht, regelmäßig in kurzer, so-
fort siegreicher Attacke, niederzuwerfen. Ein Verfahren wie
dureh mehrere Instanzen, um dem Gegner erst alle Vortheile
einzuräumen, dann aber um so sicherer jeden möglichen Aus-
weg abzuschneiden, wie im Gorgias, wiederholt sich nicht. Der
innere Zweifel, das Ringen nach Gewißheit in der eignen Brust,
wie es die ersten Schriften so merkwürdig auszeichnet, ist ver-
stummt, auch eine Kampfstimmung wie im Gorgias herrscht
nicht mehr; die Ueberlegenheit ist dieselbe, aber die Bitterkeit
ist gewichen. Will man auf Stimmungsunterschiede etwas bauen:
hier ist einmal ein greifbarer, aus dem Innersten der Sache,
12) 259K 260 D 278 D 276 C 277 B 278 C.
Platons Phüdros. 589
nicht aus äußern Begegnissen zu erklärender Unterschied , auf
den sich wohl etwas bauen ließe. Gewiß daß ein genialer Kopf
die Ideen, die sich hier zum ersten Male frei aussprechen, schon
in jugendlichem Alter concipiren konnte; das ist nicht der
Streit: aber diese selbstgewisse Haltung, diese Sicherheit des
Wissens von Dingen, über die sich Sokrates nie getraut hat ein
Wissender zu sein, dieser zuversichtliche Glaube, die unerschüt-
terlich festen Begriffe des Sittlichen, die für immer gültigen
Grundsätze der Lehre und Erziehung, ja der Staatsleitung, ne-
benbei eine entwickelte Psychologie, einen fertigen Begriff vom
Verhältniß des Menschen zum Ewigen, Göttlichen zu besitzen,
vermag ich mir in einem jugendlichen Alter und zu Sokrates!
Lebzeiten gerade bei Platon nicht zu denken, der noch nach
Sokrates Tode sein Nichtwissen namentlich von den sittlichen
Begriffen mit gewiß ehrlicher Ueberzeugung bekennt und nicht
eher überwindet als dem ersten Princip nach im Menon, der
Durchführung nach (doch nur erst was die ethischen Grundbe-
griffe betrifft) im Gorgias.
Ist man aber einmal auf diesen Punkt aufmerksam gewor-
den, so muß es um so stärker auffallen, wie dem Phädros fast
jede positive Beziehung zu dem Sachinhalt der Schriften
Apologie bis Charmides fehlt, während sehr deutliche und tief-
gehende Beziehungen sofort sich zu erkennen geben zum Menon,
zum Gorgias, nämlich genau zu demjenigen was in diesen bei-
den Schriften, deren genaue Verknüpfung mit den fünf vorge-
nannten Niemand bestreiten kann, als neue Errungenschaft die-
sen gegenüber auftritt und wodurch deren Zweifel und Aporien
gelöst werden. Ich würde mich allzustark wiederholen müssen,
wollte ich das im Einzelnen, wie beim Gorgias, ausführen ; ich
fasse nur kurz das Ergebniß dahin zusammen, daß die Erkennt-
nißgrundlage des Sittlichen, die Lehrbarkeit und die genaue
Methode der Lehre im Phädros theils vorausgesetzt, theils aus-
führlich und in so positiver Form entwickelt wird, daß es kei-
nen Sinn mehr gehabt hätte, danach noch alle diese Dinge in
Frage zu stellen, ja auf den hier schon weit überwundenen
Standpunkt der Sophisten in diesen Fragen erst wieder zurück-
zugreifen. Die einzige Frage der Lehrbarkeit würde hier ent-
scheiden; es ist undenkbar, daß die Frage, ob überhaupt Tu-
gend lehrbar sei, in solcher Weise nicht einmal, sondern wieder
590 P. Natorp,
und wieder (Apol. Prot. Lach. Men.) von Platon sollte aufge-
worfen worden sein, nachdem im Phädros nicht bloß das Daß
als selbstverstündlich vorausgesetzt, sondern das Wie ausführ-
lichst untersucht und in abschließendster Form wie für immer
festgestellt und definirt worden war.
Nur ein Einzelpunkt, der auch sonst von Belang ist, sei
noch besonders bemerkt. Es werden 269 D drei Bedingungen
zum Erlernen der wahren Redekunst festgestellt: yuass, émoinun,
uedérn. Welchem Leser des Protagoras und der folgenden Ge-
sprüche fällt es nicht auf, wie friedlich hier Naturanlage und
Uebung neben der Wissenschaft stehen, wührend dort die letz-
tere zu den beiden ersteren in schroffen Gegensatz gestellt und
im Kampf wider die Sophisten über die Frage, was dazu ge-
hóre tüchtig zu werden und tüchtig zu machen (auch tüchtig
im Reden), die Begründung der «ger auf Anlage oder Uebung
scharf abgewiesen wurde! Selbst der Gorgias steht hier, we-
nigstens was die Uebung betrifft, noch ganz auf dem alten, un-
bestreitbar sokratischen, als sokratische Einseitigkeit von Aristo-
teles besonders gerügten Standpunkt. Ich meine im Menon eine
erste, nicht zweifelsfreie Andeutung von der Anerkennung der
œuois zu finden !”), die späterhin, namentlich im Staat, eine so
außerordentliche Tragweite erlangt. Es ist dies ein gewichtiges
Moment des ganz neuen, Platon auszeichnenden Bestrebens, nach-
dem erst die Hóhe des Ideals unangreifbar festgestellt ist, dann
auch mit den irdisch gegebenen Bedingungen vollauf zu rech-
nen. In gleichem Sinne konnte denn auch der wedérn, die we-
sentlich mit der &ursıplu sich deckt, ihr Recht zurückgegeben
werden, natürlich nicht ohne die Grundlage der Ensorzunm (so
Phaedr. 271 D sq.) So wird Erfahrung und Uebung gerade in
den mittleren Büchern der Republik, wo sich Platon, nach den
herrschenden Ansichten, am weitesten über jede irdische Bedin-
gung hinweggesetzt haben soll, ausdrücklichst anerkannt. Ue-
13) Was Men. 89 B abgelehnt wird, ist dem, was der Staat be-
hauptet, so auffällig älınlich, daß man auf den Verdacht kommt, die
Ablehnung móchte wohl nicht ganz ernsthaft sein, zumal sogleich der
Nachweis folgt, daß Tugend in der That nicht rein auf Erkenntniß,
sondern etwa auch auf „richtiger Vorstellung“ beruht; die ja, zufolge
der Anamnesis-Lehre, angeboren ist. Darf man die Stelle so ver-
stehen, so haben wir hier ein neues Zeugniß dafür, wie früh bereits
die im Staat niedergelegten Gedanken Platon beschäftigt haben.
Platons Phädros. 591
brigens braucht man hier gar nicht einen wirklichen Abfall von
den sokratischen Grundsätzen zu finden; die Erkenntnif bleibt
nach wie vor das Entscheidende; auch wird die quoi wesent-
lich vertieft durch die Zurückführung auf die Anamnesis '4).
Aber allerdings ist das alles neue Errungenschaft Pla-
tons, wie die Behauptung der Erkennbarkeit und Lehrbarkeit
der Tugend auf Grund der Anamnesis.
Doch ich brauche diesen Faden kaum weiter zu verfolgen;
es bestätigt sich eben durchgängig, daß zwischen dem Phädros
und jenen fünf Schriften fast lediglich negative Beziehungen,
kaum eine einzige evidente positive Verknüpfung besteht. Hat
man sich nun vollends durch genaue Vergleichung überzeugt,
wie bestimmt gerade von diesen ersten Schriften jede spätere auf
die vorausgehenden, besonders allemal auf die nächst vorhergehende
sich zurückbezieht, sodaß sich ein ganz berechnetes Verfahren
darin wohl nicht verkennen läßt, so wäre es doppelt auffällig,
daß der Phädros allen diesen Schriften vorausgegangen sein
sollte, während sie sämmtlich mit ihm gar keine nähere Berüh-
rung zeigen, sein Dasein vollständig zu ignoriren scheinen, und
erst die beiden nächstfolgenden, Menon und Gorgias, auffällig
starke Beziehungen erkennen lassen. Es dürfte schwer sein ein
solches Verfahren auf eine mögliche Art zu rechtfertigen.
Wir kommen zu dem dankbareren Theile unserer Aufgabe,
dem Nachweis der sehr positiven und bedeutsamen Beziehungen,
welche den Phädros mit dem Menon und Gorgias verknüpfen.
Was diesen drei Schriften im Unterschied von den fünf vorge-
nannten gemein ist, geht ja aus dem Gesagten schon hervor: es
ist das in allen dreien und zwar in zunehmender Stärke sich
aussprechende Vertrauen zu der Möglichkeit einer positiven
Reform nicht nur der theoretischen Philosophie, sondern auf
Grundlage derselben auch des sittlichen und staatlichen Lebens.
Die erste Voraussetzung, von deren Gewinnung an diese
positive Richtung des platonischen Denkens datirt, ist die Idee
der Anamnesis, d. h. der Erzeugung der Erkenntniß aus dem
Selbstbewußtsein, durch welche, als die positive Ergänzung oder
14) Sichtlich hängt die Naturanlage (nach 252 E gsldooqüç te xai
gysuovixóc tjv quoi, 253 D nequxéves) davon ab, in welches Gottes
Gefolge man das Ewige geschaut; vgl die Unterscheidung der Bios
248 D. Sogar an eine vorweltliche Wahl des Charakters könnte man
denken (nach 249 A #lwvre:, B aipovytas).
592 P. Natorp,
Vertiefung der zunächst bloß negativ gemeinten sokratischen
Selbsterkenntniß, nicht bloß der allgemeine Zweifel an der Er-
forschlichkeit der Wahrheit überwunden, sondern auch das Haupt-
problem der ersten Dialoge, das Problem der Lehrbarkeit, in be-
jahendem Sinne beantwortet wird. Das ist erreicht im Menon,
darauf fußen bereits mit sicherem Bewußtsein der Gorgias und
Phädros; die Lehrbarkeit und damit die Erkenntnißgrundlage
der Tugend hat seitdem für Platon aufgehört Problem zu sein.
Aber auch die Einschränkung verschwindet schon im Gor-
gias wieder, die im Menon noch zu Gunsten einer auf dem
Grunde bloßer „wahrer Vorstellung“ möglichen Tugend gemacht
wurde. Daß dieser Begriff, so wie er im Menon aufgestellt und
gehandhabt wurde, schwerlich haltbar ist, daß er einen kaum
verhüllten Widerspruch enthält, daß er im Phädon, an eben der
Stelle, die sich unstreitig auf den Menon zurückbezieht, aus-
drücklich berichtigt wird, indem für die von der &ssornun unter-
schiedene 6g9n dota ohne weiteres óg9óg Aóyog und Emsornun
eingesetzt ist, wurde schon früher !5) angedeutet. Aber das Un-
zureichende jener ersten Formulirung muf Platon sehr bald klar
geworden sein, denn schon der Gorgias, der sonst auch in der
Erkenntnißtheorie auf dem Menon fußt, macht von dem dort auf-
gestellten Begriff der 0937 oder «27375 dose keinen Gebrauch,
sondern kennt nur einen Gegensatz von «Anseıu und deE« (divus
und dox») Gleiches gilt aber vom Phädros, was um so
bemerkenswerther ist, da hier erstens die Anamnesis direct
und namentlich angeführt!9), und zweitens ein Gegensatz von
êmorqun (vovc) und dos&«a allerdings behauptet wird, doch so,
dass die letztere mit der dofa &An%nç des Menon nichts gemein
hat und viel näher mit der nous oder éureioiu des Gorgias
sich berührt. Während die «47975 dota im Megon mit der
a priori-Erkenntnif sich fast deckt und sie, obwohl nur als dv-
vauıc, bezeichnet, steht hier die do&« in entschiedenem Gegen-
satz zur wahren, a priori begründeten ErkenntniB. Wird z.B.
im Menon die staatsmünnische Praxis, welche statt auf Erkennt-
niB auf bloßer richtiger Vorstellung beruht, verglichen dem
glücklichen Finden des rechten Weges ohne vorherige Kenntniß,
15) Archiv f. Gesch. d. Philos. II 405, Anm. 7.
16) Vgl. 249 C mit Men. 98A, ferner 250 A, und schon vorher
248 C A595.
nn —————
Platons Phädros. 598
so gleicht nach dem Phädros jedes Vorgehen nach bloßer dota
ohne Erkenntniß dem Gang des Blinden (270 E, vgl. Rep. VI,
506 C).
So unzulänglich übrigens die Formulirung war, eine „rich-
tige Vorstellung^ war dennoch auch im Menon leitend, die wir
denn ebenfalls im Phüdros zu klarer ErkenntniB erhoben finden.
Die staatsmünnische Praxis, die nicht auf Erkenntniß beruht,
wurde statt dessen, wie Wahrsagung und Dichtung, auf gött-
liche Leitung, auf „Enthusiasmus“ zurückgeführt (Men 99 C ff).
Nun schreibt doch eben der Phüdros dem Enthusiasmus, der
genau wie dort mit der „Wiederbesinnung“ auf das Ewige in
Verbindung steht, alles Grosse des Menschenlebens zu; Mantik
und Dichtung, daneben Telestik, müssen zum Vergleich dienen,
aber auf dasselbe Princip werden schließlich alle edlen Berufs-
arten, insbesondere die Staatsregierung gestützt, die gleich nach
dem hóchsten Beruf, dem des Philosophen, aufgeführt oder un-
mittelbar mit ihm verknüpft wird (248 DE, 252 E ff). Hier
sehen wir den positiven Grundgedanken des Menon wiederauf-
genommen, aber die ,richtige Vorstellung" ist verschwunden,
die Leitung ganz in die Hand des ,,Wagenlenkers“ Vernunft
gelegt; allenfalls von dem besseren Ross des Seelen-Zweigespanns
(dem #vuos der Republik) wird gesagt, daß es durch dip
doEa sich lenken lasse (253 D); nicht als ob sie an des Wagen-
lenkers Stelle die Zügel führen sollte; sie bedeutet vielmehr bloß
den an den edleren, ehrliebenden 'Trieb sich wendenden Zu-
spruch der Vernunft. Namentlich ist der Enthusiasmus, die
Erhebung der Seele zum Ewigen, jetzt nur noch der Vernunft
möglich, die ja allein etwas davon erschaut hat, also auch allein
die Erinnerung daran zu erneuern vermag (247 C) Wie viel
consequenter diese Auffassung ist und wie genau sie jener Cor-
rectur der Aufstellungen des Menon im Phädros entspricht, wird
einleuchten.
Sonst sind bestimmtere Berührungen zwischen Phädros und
Menon (abgesehen von den mythischen Voraussetzungen der
Anamnesislehre) wohl nicht zu finden, auch ist mit dem Gesag-
ten der positive Gehalt des Menon ungefähr erschöpft, denn in
ethischer Hinsicht blieb er auf dem Standpunkt des Protagoras,
Laches, Charmides stehen und war schon weit überholt durch
den Gorgias. Daß aber in den angegebenen Beziehungen der
Philologus XLVIII (N. F. II), 4. 98
594 P. Natorp,
Menon dem Phüdros nicht erst folgen konnte, dürfte klar sein,
da er, ohne etwa die mythische Fassung zu überwinden und
durch wirkliche Beweisführung zu ersetzen, inhaltlich weit hin-
ter ihm zurückbleibt.
Was nun endlich den Gorgias betrifft, so ist von der Kri-
tik der Rhetorik schon die Rede gewesen; nur eine allge-
meine darauf bezügliche Bemerkung sei hier nachgetragen.
Schleiermacher fand es dem frühsten Stadium Platons besonders
angemessen, sich mit der Redekunst auseinanderzusetzen. Wie
kommt es denn, daß er so viel später, im Gorgias, auf dasselbe
Thema und zwar in viel einseitigerer Fassung zurtickgreift?
Und wie geht es zu, daß der im Phüdros vorausgesetzte Stand-
punkt der Rhetorik offenbar der modernere ist? Bei der von
uns angenommenen Folge der Schriften finden wir dagegen einen
ganz regelrechten Fortschritt: im Protagoras, Laches, Menon, wie
schon in der Apologie, steht, entsprechend der Lage der Dinge
in Sokrates’ Zeit, die Bekämpfung der Sophistik im Vorder-
grund, die Rhetorik wird damit theils zusammengefaßt theils
überhaupt nur beiläufig berührt. Im Menon wird der Rhetor
Gorgias von den Sophisten ausdrücklich dadurch unterschieden,
daß er den Anspruch der Tugenderziehung nicht erhebt, also
auch durch die bisherige, ebendarauf bezügliche platonische
Kritik eigentlich nicht getroffen wird (95 C). Dadurch (wie
ferner durch 71 CD) ist aber nur der Kampf voraus angekün-
digt, der dann im Gorgias gegen die Rhetoren, unter Anführung
des Gorgias, eröffnet wird !?, wobei nun umgekehrt die Sophi-
sten in den IIintergrund treten und nur nebenher, merkwürdi-
gerweise etwas günstiger als die Rhetoren und Staatsmänner, be-
handelt werden ^) Wie aber hier der Rhetor d.h. Staatsmann
auf den Sophisten verachtend herabblickt (ohne freilich nach
Platons Auffassung dazu ein Recht zu haben), so gleichfalls im
Phädros (257 CD, wo ebenfalls der Sophist (hier allgemeiner =
Schriftsteller) besser fortkommt als der Rhetor. Wie dann im
besondern beide Schriften zur Rhetorik sich stellen, wie eben
17) Man beachte wohl, wie genau die ‘oben S. 431 f. behandelte)
Argumentation gegen Gorgias auf die Voraussetzung sich bezieht, daß
der Rhetorals solcher sich mit Tugenderziebung nicht abzugeben brauche.
18) Gorg. 519 f. Vorbereitet ist auch dies durch die Inschutz-
nahme der Sophisten gegen Anytos im Menon.
Platons Phädros. | 595
hier der Phädros den Gorgias durchweg voraussetzt und so gut
wie citirt, zugleich aber über ihn hinausschreitet, ist oben ge-
zeigt worden.
Einiges Erkenntniftheoretische ist dabei auch
schon berührt worden. In dieser Richtung läßt sich der Unter-
schied und Fortschritt wieder am deutlichsten fassen an dem
Begriffe der do&«, insbesondere der Gegenüberstellung derselben
gegen den roùs in der mythischen Darstellung der dritten Rede:
diejenigen Seelen, welche der Anschauung des 6rrws ov nicht
theilhaft geworden sind — es ist aber allein erschaubar der
Vernunft (247 C) —, müssen vorlieb nehmen mit rgog) do&acnj.
(248 B) d. h. sich nähren von bloßen Meinungen. Schleier-
macher erinnerte hier an die ‚Eleaten ; gewiß ist, daß die dota
hier zuerst zum sinnlich wandelbaren, zum scheinbaren Sein
in Beziehung steht wie der vovg zum übersinnlichen, ewigen, al-
lein wahren Sein '’). Zwar auf ein unsichtbares, übersinnliches,
unkórperliches Reich deutete auch schon der Gorgias hin ??);
aber, abgesehen davon, daß es nur in dunklen Anspielungen
geschah, blieb mindestens unausgesprochen, daß dies das Gebiet
der Vernunfterkenntniß, des Intelligibeln sei. So fehlt denn
auch die gleichfalls an die Eleaten erinnernde Entgegensetzung
des orıwc 0» gegen das „was wir jetzt seiend nennen“ (247 E,
249 C), und die ganze durchgehende Parallele des Hier und
Dort, Hienieden und Droben, die Gleichsetzung des Ewigen mit
dem Göttlichen, die Auffassung der menschlichen Sittlichkeit als
Verühnlichung mit Gott und so manches damit Zusammenhän-
gende aus dem großen Mythos der dritten Rede; es fehlt auch.
die bestimmte, zumal psychologische Formulirung der Idee (249 BC,
265 D, 273 DE), wie denn überhaupt in der Definition des dia-
lektischen Verfahrens der Fortschritt sehr greifbar ist. Ein
eleatischer Einfluß läßt sich auch hier sehr wohl annehmen ?!),
19) 247 C; vgl. 250 C, wo Susemihl (Genet. Entw. I 280, vgl. auch
Krische l. c. 1002 f.) bei arweu7 nicht ohne Grund an Parmenides
erinnert.
20) Archiv f. Gesch. d. Philos. II 408.
21) Besonders nach 266 B (fav dé nva alloy $yraoues duvarov elc
£v xai àni noÀÀé nequxóg our, Todtov diuxw xaromiote ust Iyviov dors
95010), was zu dem Preise des Parmenides im Teät., Soph. und Parm.,
namentlich aber zu der Würdigung der zenonischen Dialektik im
Parmen. vortrefflich stimmt. Dadurch fällt zugleich das rechte Licht
auf 261 D. '
38 *
596 P. Natorp,
Uebrigens sind die Objecte der Ideenerkenntniß einstweilen keine
andern, als die Platon schon immer, in directer Anknüpfung an
Sokrates, beschüftigten. Erwühnt wurde schon die Zusammen-
stellung der drei Begriffe des Gerechten, Guten, Schónen, die bei
Platon öfter, namentlich aber im Gorgias begegnet. Wenn eben-
dort regelmäßig Gerechtigkeit und Besonnenheit als die eigent-
lichen Cardinaltugenden auftraten ??), so wird durch dieselben
beiden Begriffe das Gebiet des Sittlichen auch im Phädros re-
präsentirt $5); und wenn 250 B beiden als dritter Hauptbegriff
xaddog gegenübertritt und 254B 4 rov xaddouc qvo (250 E
avro r0 xaÀÀoc) in enger Verbindung mit swggoourn begegnet,
so erinnert auch das an die Verknüpfung des xoaàóv mit den
sittlichen Begriffen im Gorgias. Auch die nah verwandte
Gleichsetzung der owpooovrn mit xoouoç und ret; der Seele *)
klingt im Phädros wenigstens an*5); und wenn man das »o-
soy vermissen, ja in 265 A (uno Helug ÉEalluyns wr elw9ó-
ıwv vouluwr) degradirt finden könnte, so läßt doch schon das
elworwy schließen, daß dem Gesetze der niederen, menschlichen,
auf bloßer Gewohnheit beruhenden „Sitte“ ein höheres, wahres
Sittengesetz gegenübersteht, was denn auch durch 253 A (ra
ZF xoi ta Zmumdevuara) und 270 B (énsndevons von (wong)
bestätigt wird. Die Unterscheidung einer höheren und niederen
(göttlichen und menschlichen) Tugend bezeichnet übrigens wie-
der einen entschiedenen Fortschritt des Phädros über alle frü-
heren Schriften ; er nähert sich darin sehr dem Phädon. Ebenso
lag die Unterscheidung einer sinnlichen und geistigen Lust
(258 E) noch gänzlich außer dem Gedankenkreise des Gorgias,
kehrt dagegen wieder in späteren Schriften (Rep. Phileb.).
Wenden wir uns endlich zur Psychologie, so stoßen
wir hier auf eine Frage, die nicht allein für das Verhältniß des
Phädros zum Gorgias, sondern in noch weit höherem Grade für
seine Vergleichung mit solchen Schriften, die wir als spätere an-
sehen, von Bedeutung ist. Es ist das Verdienst von Fr.
Schulteß, die Aufmerksamkeit auf das Problem gelenkt zu
haben, wie sich hinsichtlich der Entwicklung der platonischen
22) Gorg. 504 D 507 A ff. 508 A 519 A etc.
23) Bes. 247 D, avr dsxasoovvy, awg.goouvn, daneben émis.
24) Gorg. 503 E ff. 504 D 506 DE 508 A.
25) 256 A terayutvny diastar, xóouios.
Platons Phüdros. | 597
Lehre die Behauptung der Einfachheit der Seele im Phädon zur
Dreitheilung derselben im Phädros und Staat verhält.
Ein dem Phädon verwandter Dualismus von Seele und
Leib bereitet sich unfraglich schon im Gorgias vor. Allein er
fehlt auch nicht im Phädros, das ist hier zuerst zu constatiren.
Nicht bloß kann nach 246 CD doch kein Zweifel sein, daß die
göttliche Seele überhaupt körperlos sein soll, daher auch an
Vernunft und unvermischter Erkenntniß der farb- und gestalt-
losen, unberührbaren (d. h. körperlosen ) Wesenheit Theil hat
(247 CD), sondern auch die menschliche Seele gehört nicht ur-
sprünglich und von Natur dem Körper an, ist vielmehr nur
zwangsweise, wider ihre ursprüngliche Bestimmung an ihn ge-
fesselt?9) strebt daher gleichfalls zur körperlosen Wesenheit, die
sie einstmals durch die Vernunft geschaut?"); sie findet allein
in der Anschauung des Ewigen volles Genüge **) und lebt darin
„nach Möglichkeit“ ein göttliches Leben #9). Beruht aber der
Dualismus des Phädon auf der Gleichsetzung des Körperlichen
mit dem Sinnlichen, grenzenlos Mannigfaltigen und Veränder-
lichen, des rein Seelischen mit dem Uebersinnlichen, Einfachen,
Unwandelbaren, so führt schon ziemlich nahe darauf hin, was
wir im Phädros von der Gewinnung der wahren Erkenntniß
hören ^) wonach das sinnlich Mannigfaltige, Getheilte, dem
Werden Unterworfene mit dem Körperlichen *) sich deckt, da-
gegen die Bewußtseinseinheit, in der dies wechselnde Mannigfal-
tige zur wandellosen Einheit der Idee zusammengeschaut wird,
dem Körperlichen als toto genere Verschiedenes gegenübersteht.
Offenbar ist aber dies die Seele in ihrer ursprünglichen Rein-
heit und Göttlichkeit. Allerdings hat sie ihr Gefieder nicht
unverletzt behalten: daher begreift es sich, daß der vernünftige
Theil (vorgestellt als Wagenlenker) das Triebartige (Jvuóc und
26) 246 C; auch das Wortspiel eue — onua ist (250 9 aus Gorg.
493 A wiederholt; man beachte 6 vò» edue negiqépovtag Ovoudlousv.
27) 217 C ff. 249 CD 250 C, woölöxinga xa d nÀG xai drQsusj, und
daneben ölöxingos œdroi OvtEs zu beachten ist.
28) 247 D Gon av uelln to noocixov dítac9a.. 248 B 5 ve ds
meoanxovce VALLE TO doéotqo vous.
29) 2
30) 219 BC ix nollür toy alc9noewy sis Er AoyscugEer-
GQ OU Mey OY. 241 DE ovy i y év6 O56 nooasamw, od’ i Lori nov
Eréoa àv Eriow oven wy music viv Ovınv xalodpev. 265 D sis usar
te id éav Gvvogdvre dyew 1$ noliayy d seonaouíva.
31) 250 D wr dec tov owuarog alodnjasov.
598 P. Natorp,
émudvulu im Staat, hier die beiden Rosse) zu regieren hat und
namentlich mit dem schlechteren, der Begierde, in stetem Kampte
liegt, nur durch Gewalt es zu zwingen vermag, während der
andere, ehrliebende Trieb (253 D, vgl. 256 C) vernünftigem Zu-
spruch willig gehorcht. Wie diese Ansicht von den Seelen-
theilen ?) zum Dualismus von Seele und Leib sich verhält, ist
daraus schon ziemlich klar, daß einerseits, wie gezeigt, die Ver-
nunft auf das Körperlose sich bezieht, andrerseits wenigstens
vom schlechteren Roß ausdrücklich gesagt wird, daß es uns
zur Erde d. h. zum Körperlichen niederziehe 33).
Diese Andeutungen böten vielleicht schon der Vermuthung
genügende Stütze, daß die Seele inihrem reinen, kör-
perlosen Zustand, der doch der ideal geforderte ist
(Anm. 26), an jenem Streite der drei Mächte in uns nicht
theilhaben würde. Die Verähnlichung mit Gott ?*) bedeutet dem-
nach schon hier die Befreiung von den Banden des
Körpers; sie ist verwandt dem „Sterbenwollen“ im Phädon.
Doch sollte etwa auch bezweifelt werden, daß diese Auf-
lösung des Conflicts bereits im Phädros vorschwebe, sicher
bleibt, daß neben der deutlich ausgesprochenen Dreitheilung
andrerseits die Einfachheit der Seele, ihrem letzten, reinsten
Wesen nach, beruhend auf dem Gegensatz des Unkörperlichen
zum Körperlichen, bereits im Phädros zu Grunde liegt. Auch
ist dabei nichts zu verwundern, da offenbar beides in der so-
kratischen Lehre schon angebahnt, daher in den frühsten,
sokratisirenden Schriften Platons wenigstens andeutungsweise zu
finden ist. Schulteß behauptet dies nur von der dualistischen
Auffassung, die dann im Phädon zur Einfachheit der unkörper-
lichen Seele geführt habe, es gilt aber, näher zugesehen, eben-
falls von der Entgegensetzung des Vernünftigen gegen das Trieb-
artige in uns. Im Protagoras (352 BC) treffen wir die nach
Arist. Eth. Nicom. VII 3 in. unzweifelhaft sokratische Lehre,
daß Erkenntniß über alle andern Kräfte in uns herrschen und
nicht von ihnen wie ein Sklave herumgezerrt werden müsse; und
zwar stehen der Erkenntniß als dem Herrschenden schon hier
gegenüber einmal der Jvuóc, sodann Lust und Unlust, Begehren
32) 246 A Evuguro dvvdua. 253 C rosy disilousr, D sid.
33) 247 DB, vgl. 246 C owua ynivov, und dazu etwa Phaedo81 C.
34) 253 A ff. vgl. Theaet. 176 R.
Platons Phüdros. 599
und Fliehen (fou; = mJvuí(a, und péfog). Entsprechend wird
im Laches (191 D) der Begriff der Tapferkeit dahin erklärt,
dali} sie bestehe in der Herrschaft nicht nur über dvaas und
poßo:, sondern auch über én:Puulas und 7dovat. Daß das Herr-
schende die Erkenntniß ist, versteht sich auf dem Standpunkte
des Dialogs von selbst. Im Charmides (167 E) steht der &n-
Juulu, die auf das ndv geht, die Sovdnass gegenüber, die auf
das Gute zielt; wiederum braucht nicht erst gesagt zu werden,
daß das Wollen auf der Herrschaft der Erkenntniß beruht.
Endlich im Gorgias finden wir diese, somit für Platon von An-
fang an feststehende Zusammenfassung von Lust, Unlust, Be-
gehren und Fliehen ausführlich begründet, und zwar steht die
Begierde deutlich in Beziehung zum Körperlichen und Wandel-
baren (493 A). Merkwürdig ist dabei, daß Platon (496 E)
schwankt, ob er Lust und Begierde der Seele oder dem Körper
zurechnen soll *#°). Nach der ja auch schon sokratischen Entge-
gensetzung des Leiblichen und Seelischen lag es offenbar nahe,
Lust und Begierde, als der Erkenntniß entgegengesetzte
Mächte, vielmehr dem Leibe als der Seele zuzuordnen, wie es
am entschiedensten im Phüdon geschieht. Andrerseits hat Platon
doch wohl nie vergessen, daß die Seele es ist, welche Lust und
Unlust, Begierde und Abneigung empfindet, wenngleich in
Beziehung auf Veründerungen des Kórpers, kraft der ihr nicht
natürlichen, sondern gewaltsamen Vereinigung mit demselben.
Vollständig klar wird dies durch das, was im Theätet über
Fliehen zugehóren) festgestellt und im Phädon offenbar zu Grunde
gelegt wird. Danach ist die Seele dasjenige, wodurch oder
kraft dessen, der Sinn nur das, vermittelst dessen wir wahr-
nehmen, oder das „Organ“ (184 D, 185 E, 186 C); durch die
duvanusıs des Körpers sind wir im Stande die körperlichen Ei-
genschaften aufzufassen (184 E) während die Seele „durch sich
selbst“ ohne Organ die allgemeinen Begriffe (zusammengefaßt
unter ovolu und wpellu 186 C) concipirt. Genau dies sind die
35) xarà roy adrov tonov xai yoovoy alte vy 5c site co uasogc
Bovles. 493 A mr wuyÿcs toùro lv © énsvuéas slc, B ähnlich. Da-
gegen 465 CD hat die Seele, vermöge «ler Erkenntniß, die Herrschaft
über den Körper, dem die Lust zugehdrt (oraduwusvor Tas; ydgıas,
vgl. Prot. 356 B).
T7 oca.a on
die alotnov: (der nach 156 B Lust und Unlust, Begehren und ^
600 P. Natorp,
Voraussetzungen des Phädon °®); ich hebe nur, als directestes
Zeugniß dafür, daß die Seele das ist, was Lust und Unlust etc.
empfindet, die Worte (83 C) hervor: om yvuyn uruyxuberus n6-
Ova, 5 Avng3Ogvo, xt, 9). Wird andrerseits die Einfachheit
der Seele behauptet, so darf man doch nicht übersehen, daß sie
erst aus der Zerstreuung im Sinnlichen sich sammeln und auf
sich selbst zurückziehn muf **), was man gleichfalls im Theätet
(éaarovou 186 B) schon vorgebildet finden kann, jedenfalls aber
zu erklären hat durch jene Zurückbeziehung des Man-
nigfaltigen der Sinne auf die Einheit des Selbst-
bewußtseins, die schon im Phüdros (s. Anm. 30), aufs be-
stimmteste aber im Theitet °°) als Ursprung der Ideenerkenntnif
beschrieben wurde. Diese Auffassung des Verhältnisses von
Sinnlichkeit und Vernunft gestattet nun offenbar,
den ganzen Gegensatz aufzulösen in den der auf den Körper
bezogenen und sich auf sich selbst zurück ziehen-
den Seele; zur Sinnlichkeit aber gehören Lust und Begierde
ebenso gut wie die Wahrnehmungen der fünf Sinne. Zugleich
ist damit die Handhabe gegeben, um die „Theile“ der Seele,
wie es im Theätet ausdrücklich geschieht, als bloß verschiedene
„Benennungen“ aufzufassen, die sie annimmt je nach ihrer ver-
schiedenen Bethätigungsweise, indem sie entweder „für sich“ ist
im reinen Denken oder auf den Körper applicirt in der sinn-
lichen Wahrnehmung ‘°). Ohnehin sollte klar sein, daß „Theile“
der Seele überhaupt nicht in gleichem Sinne wie dem Körper
zugeschrieben werden können; ihre „Theile“ sind vielmehr Ei-
genschaften, Kräfte, Bethätigungsrichtungen, deren Mehrheit die
im Gegensatz zur Getheiltheit des Körpers ungetheilte Einheit
36) 64 D Tác iJoves xalovutvac e... neo Tb cuua. 65 A tu
jdovàv al dia tou GU 40706 showy. Ü axon, one, ahyntuy, Jovy. D ally
zwi aladnose twv dia Tov ouisatos (Gegensatz. at} x«9* abriv, ef. Theaet.
186 C, !87 A); bes. uber 79 © cu 7 vvyr, otav uiv tg cu uarts
Ago0yojıaı ... 10070 ydg tou tò dia ToU cupatos, 10 ds aiady-
cews oxoneiv u. Dann 82 E ff., wo die enge Vereinigung von Seele
und Kórper sogar recht stark ausgesprochen ist.
37) Anders 99 E un "nc«yrü nao, LI y yuyıv tugäwdeinv Blénov
AOÛ Tu Nodyucta Tois bumacı xai ixdoty viv aloIjaswv.
38) Phaed. 67 C 80 C x3 A etc.
39) 184 D eis uiav riva ldfav site poyny etre 0 n dei xalsiv, ndvra
tavta Euvreives. 186 C dia Tod cwuatos eni rjv yvyr tive.
40) Theaet. 184 D As. vorige Anm.). 187 A & èxsivp 1§ óvóuenti
c n nor lye à wvyr , otav avr, xa9' abt» noayuatedntas negi re Orta.
Platons Phädros. 601
ihres letzten Wesens von vornherein nicht ausschließt. Ein Pla-
ton hat die Seele doch wohl nie als zerlegbares Ding, sondern
als Energie, als Bewußtsein gedacht; die sich sammelnde
und auf sich selbst zurückziehende „Seele“ bezeichnet nichts
Anderes als die Besinnung auf sich selbst, auf die ur-
sprüngliche „Einheit des Selbstbewußtseins“. Gerade dann be-
greift sich der Schluß des Phädon von der Einfachheit und
'Theillosigkeit des Objects der reinen Erkenntniß (der Idee)
auf die Einfachheit der Seele, nämlich als des Subjects der
Ideenerkenntniß, der gegenübersteht ihre Zerstreuung im Sinn-
lichen, aus welcher sie sich zu der ihr ursprünglichen Einheit
erst wieder „sammeln“ und gleichsam zurückfinden („zu sich
selber kommen“) muß.
An sich also streitet die im Phädon behauptete Einfachheit
der Seele nicht mit einer Theilung in dem Sinne, in welchem
sie von Platon vernünftigerweise nur kann verstanden worden
sein; sogar dürfte die letztere schließlich auch im Phädon selbst
zu Grunde liegen, Zwar scheint 94 B—D der Gegensatz der see-
lischen Kräfte mit dem Gegensatze der Seele gegen die Affec-
tionen des Körpers völlig vertauscht zu sein; dieselben Homer-
verse, welche im Staat (IV 439 CD) als Zeugniß für den Un-
terschied der Seelenkräfte dienen müssen, werden hier für den
Gegensatz der Seele gegen die aun des Leibes angeführt. Da
jedoch an sich klar ist und durch andere Stellen des Phädon
selbst belegt werden konnte, daß das, was Lust und Begierde
empfindet, jedenfalls die Seele ist, so löst sich doch auch hier
der Gegensatz des Seelischen und Leiblichen auf in den des
Vernünfügen in uns 4!) gegen die unvernünftigen Triebe 59)
Immerhin ist dieser in der Sache gegebene Ausgleich
in keiner der bisher berücksiehtigten Schriften so direct und
klar ausgesprochen, wie man es wünschen möchte. Bekanntlich
ist aber auch das geschehen im zehnten Buche der Republik
(611 #). Da wird im Zusammenhang der Beweise für die
Unsterblichkeit das Argument des Phädon aus der Einfachheit
wiederaufgenom=.. und ausdrücklich confrontirt mit der im
vierten Buche eingeführten, nirgend etwa wieder zurückgenom-
menen Dreitheilung der Functionen. Es wird ausgemacht, daß
41) podveuor 94 B. 42) veis tmdvpiars xoi dpyaig xal qu D.
602 P. Natorp,
die Einfachheit für die Seele im Zustand idealer Reinheit und
Gottlichkeit ‘*), die Dreitheilung dagegen in Rücksicht ihrer
run und é»;« im gegenwärtigen menschlichen Leben gilt. Da-
mit ist das Problem in bündigster Form gelöst. Ein Wider-
spruch bleibt hóchstens insofern zurück, als wenigstens der
Pháüdros die Dreitheilung schlechthin, als die ursprüngliche Na-
tur der Seele, anzunehmen scheint; das würe denn eben im
Staat berichtigt. Doch muli man hier den mythischen Charakter
der Darstellung im Phädros mitveranschlagen. Es heißt geradezu
(246 A), das Wesen oder die Gestalt (!dé«) der Seele solle hier
nicht dargelegt werden, wie sie an sich selbst ist (o!o» Far»),
das sei für jetzt eine zu hohe und weitläufige Aufgabe; (rich-
tig: es hätte eine vollständige Entwicklung der Ideenlehre in
wissenschaftlicher Form, wie im Phädon, vorausgesetzt!) sondern
nur, wem sie gleiche. Ist es nicht also vielleicht nur dem Bilde
zu Liebe so dargestellt, als sollten auch die beiden Rosse (selbst
das schlimme: die Fahrt zum überhimmlischen Ort mitmachen,
und als sollte auch die göttliche Seele getheilt sein, da doch
der Grund der Theilung, nämlich der sittliche Zwiespalt, bei
ihr wegfällt? Will man jedoch diese Entschuldigung des Restes
von Widerspruch, der zurückbleibt, durch das unvermeidliche
Hinken jedes Vergleichs, insbesondere jeder Darstellung des
Nichtsinnlichen im sinnlichen Gleichniß, nicht gelten lassen, nun,
so kann er um so mehr nur erklärt werden durch den
noch unfertigen Standpunkt des Phädros in der
Ideenlehre.
Wir hätten uns demnach die Entwicklung der platonischen
Psychologie etwa so vorzustellen. Die ursprüngliche Vorstellung
war die sokratische des im gegenwärtigen Leben gegebenen
Streites der seelischen Mächte, der im 'sittlichen Kampfe sich
beweist. Die im Protagoras deutlich ausgesprochene Ansicht
von der Herrschaft der Erkenntniß über Lust, Begierde, auch
9vuuoc, brauchte nur bestimmter herausgearbeitet, Jvuóg und
émiduulu deutlicher geschieden zu werden, so war die Dreithei-
43) Zu Eey ys» ze ta 9s vgl. Phaed. 79 D (öuososaro» 80 B,
vgl. 79 CE). Daß die Seele auch im Phädon nicht geradezu als ein-
fach, sondern nur als dem Einfachen verwandt oder gleichartig be-
hauptet wird, haben schon Andere bemerkt, doch möchte ich darauf
kein zu grofes Gewicht legen.
Platons Phädros. 608
lung erreicht, wie sie, nach unserer Ansicht, zuerst im Phädros .
vorliegt. Der Gedanke der Einfachheit hingegen konnte sich
aus dem gleichfalls sokratischen Gegensatz von Seele und Leib
erst gestalten auf Grund der eigenthümlich platonischen Aus-
prägung des Erkenntnißbegriffs, er tritt daher nicht früher als
im Phädon, im genausten Zusammenhange mit der eingehenden
Begründung der Ideenlehre , deutlich hervor, obwohl Hinweise
darauf schon im Phädros und Theiitet leicht zu erkennen sind.
Diesem Gange der Entwicklung entspricht es ganz, daß der
Staat in seinem ersten, ganz mit dem gegenwärtigen Leben be-
schäftigten, zugleich an die Sokratik sich enger anlehnenden
Theile die drei «$705 einführt, mit keinen anderen Beweisen
als die aus der Erfahrung des sittlichen Kampfes im Menschen-
leben geschöpft sind, die mittleren Bücher aus der Vertiefung
des Aoyıoıızo»r zur Ideenerkenntniß die Göttlichkeit (also doch
wohl auch Unsterblichkeit) des „besten“ Seelentheils folgern,
der letzte Theil, die Anschauungen beider vorhergehenden (hier
wie überhaupt) verknüpfend, jenen längst zu vermuthenden, in
der Sache gegebenen Ausgleich auch direct ausspricht.
Hat man es schwierig gefunden, daß Platon zuerst im Phi-
dros die Dreitheilung, darauf im Phädon die Einfachheit be-
hauptet, dann aber doch im Staat die Dreitheilung wiederein-
geführt und mit der Einfachheit erst nachträglich in Einklang
gesetzt haben sollte, so ist die Annahme weit schwieriger, daß
er nach den Schriften Prot. bis Gorg., welche eine Theilung der
Seelenkräfte deutlich voraussetzen, gleichwohl zuerst (im Phädon)
die Einfachheit, und zwar unbedingt, ausgesprochen, darauf im
Phädros, ebenso unbedingt, selbst für den Präexistenzzustand der
Seele, die Dreitheilung behauptet, endlich im Staat den Aus-
gleich gefunden hätte, da doch zu diesem Ausgleich die Vor-
aussetzung (nämlich in der Unterscheidung des reinen und des
durch die Gemeinschaft mit dem Körper getrübten Zustands der
Seele) gerade im Phädon gegeben war; wogegen jeder Anstoß,
den man an der ersteren Reihenfolge nehmen konnte, wegge-
fallen ist, indem 1) die Vorbereitung der Annahme von Seelen-
theilen schon in den frühsten Schriften Platons, 2) die Keime
der Lehre des Phädon im Phädros und ferner im Theätet, end-
lich 3) die Voraussetzungen zu dem im Staat erreichten Aus-
gleich in denselben drei Schriften nachgewiesen worden sind. Es
604 P. Natorp,
dürfte namentlich klar geworden sein, daß Einfachheit und Drei-
theilung nicht ‘4) xur& 14010 ngóc raviò behauptet werden;
beide Thesen bezogen sich zunächst auf verschiedene Probleme
und entstanden in anderem Zusammenhang, sodaß es gar nicht
auffällig ist, wenn die Platon eigenthümlichere, aus seiner Central-
lehre von den Ideen geschüpfte These der Einfachheit im Phi-
don zunächst ohne Rücksicht auf die früher erreichte, dem so-
kratischen Standpunkt näherstehende Dreitheilung entwickelt
und der von Anfang an mögliche und naheliegende Ausgleich
erst nachträglich im Staat ausgesprochen wurde. Sagt Schulteß,
der Phädon kenne nur einen Dualismus von Seele und Körper,
nicht einen Dualismus innerhalb der Seele selbst, so ist darauf
hinzuweisen, daß der Phädon doch wohl einen Gegensatz von
Sinnlichkeit und Vernunft in theoretischer und praktischer Be-
deutung kennt; das ist aber ein Gegensatz in der Seele selbst,
allerdings kein solcher, der ihrem ursprünglichen Wesen an-
haftete, also auch in ihrem vom Körper gelösten Zustande statt-
fände. Darin höchstens widerspricht der Phädon dem Phädros,
aber darin widersprechen ihm auch der Staat und der Timäos;
also gehört der Phädon mit diesen zusammen, der Phädros aber
geht allen diesen Schriften voran. Das Unmöglichste von allem
wäre natürlich, den Phädros gar auf den Staat erst folgen zu
lassen ; wogegen soweit nichts im Wege stände anzunehmen, daß
die ersten Bücher des Staats vor dem Phädon (obwohl nach
dem Phädros), das zehnte Buch aber nach dem Phädon abge-
faßt wäre; für nöthig übrigens würde ich auch diese Annahme
nicht halten, wie sie denn auch in allen andern Beziehungen
sich schwerlich dürfte festhalten lassen.
Zur Unterstützung seiner These *°) führte Schulteß an, daB
der Unsterblichkeitsbeweis des Phüdros den letzten der
im Phädon aufgestellten wiederhole. Dabei scheint mir über-
sehen zu sein, wie viel tiefer der Beweis im Phädon begründet
44) Wie Schulteß (Plat. Forsch. S. 54) annimmt.
45) Auf die Gestalt der Lelire von der Präexistenz und Metempsy-
chose in den verschiedenen Schriften ist bei der großen Freiheit, wel-
che sich Platon in diesen mythischen Darstellungen gestattet, schwer-
lich ein chronologischer Schluß zu bauen. Mir scheint die etwas
künstliche Verknüpfung des Todtengerichts mit der Metempsyehose
nur ein neuer Beweis der relativen Unfertigkeit des Phüdros. Die
Häufung der Bilder hat der Klarheit derselben fast durchweg Ein-
trag getban.
Platons Phädros. 605
und mit der Ideenlehre verknüpft ist. Im Phüdros beruht er
auf der Methode der altionischen Physik (s. Anm. 6), im Phä-
don auf der Vernichtung dieser Methode. Auch wird man die
Erzählung im Phüdon (96 ff. ra y ip à na9n) am natürlich-
sten doch auf Platons eignen Entwicklungsgang beziehen (vgl.
Soph. 243 B); nirgend aber haben wir deutlichere Spuren eines
früheren naturwissenschaftlichen Stadiums bei Platon als im
Phädros; es wird genügen die von Hirzel (Hermes XI) er-
kannten Beziehungen auf Alkmüon (Phaedr. 249 B, cf. Phaedo
96 B) in Erinnerung zu bringen. Ist aber dies Stadium im
Phädon weit überwunden, so ist von neuem bewiesen, daß der
Phädros dem Phädon beträchtlich vorausgeht 46).
Am wenigsten endlich könnte ich zugeben, daß die Ideen-
lehre selbst.im Phädros sich auf entwickelterer Stufe zeige als
im Phädon. Daß Schulte8 die Tiefe der wissenschaftlichen Be-
gründung der Lehre im Phädon nicht genug gewürdigt hat,
verrith schon seine Vergleichung des Unsterblichkeitsbeweises
des Phüdros mit dem entsprechenden im Phädon. Doch genügt
es zu widerlegen, daß im Phädon überhaupt die erste Darstel-
lung der Lehre vorlüge. Schon Gomperz *') hat das Gegentheil
unwidersprechlich bewiesen durch den einfachen Hinweis auf
die beiden Stellen 76 D und 100 B, von denen namentlich die
letztere den von SchulteB 59) vorgeschlagenen Ausweg abschnei-
det, die Ausdrücke x Doviovuev asl, Exeivu ta rodvIgvanta,
statt auf frühere Schriften, auf frühere, von der Ideenlehre han-
delnde Partien derselben Schrift zu beziehen; es heißt nämlich
an der letzteren Stelle ausdrücklich: ovdév zuvor», Gd? deo dei
xui &4Ao1e xai Ev 10 nagedqiudots AO y o ovdiv nénav-
pue Àéywr 4). Aber schon die erste Einführung der Lehre im
Phädon °°) läßt sich kaum verstehen, wenn nicht die Lehre als
längst bekannt vorausgesetzt wird. Dagegen deutet im Phädros
gerade die Einführung mit den Worten (247 CO) roAumréov
yay ovv TO ye &iqdèg elasiv die Neuheit der Sache an. Daß
46) Vgl. zu der Frage auch Zeller IIa* 8274.
47) Platonische Aufsätze I (1887), S. 11.
48) Deutsche Literatur-Zeitung 1888, S. 348.
49) Ganz ähnlich Rep. 507 A aveurnoas tuds ra 1° lv toîg Eu-
nooodev Ontéivria x«i dAlorsndn nollaxıs sionuéva.
50) Phaed. 65 D qouér u slvas dixasov a 040 7 ovdiv; bauiv
pévtos vn dia. ME
606 P. Natorp,
die so eingeleitete Darstellung nicht habe verstanden werden
kónnen, wenn keine andere Behandlung der Ideenlehre voraus-
ging, vermag ich nicht einzusehen. So ist der Ausdruck ously
schon dem Gorgias geläufig; ovol« orıws ovo. wird erklärt durch
den Gegensatz wr nueis rüv üvrwv xedovuev. Was avr] dixuso-
ovvn, avro 10 x&AÀo; heißt, war nach einer Reihe von Gesprä-
chen, welche die Einheit des Begriffs im Unterschied von der
wechselnden Mannigfaltigkeit des darunter Begriffenen erörterten,
am Ende doch verstündlich, namentlich in Verbindung mit den
ausdrücklichen Erklürungen über die Genesis dieser begrifflichen
Einheit (249 B, 265 D) und der sinnbildlichen Darstellung des
Verhältnisses der Erscheinungen zur Idee als Abbilder zum Ur-
bild °!). Es ist bemerkenswerth, daß gerade diese sinnfälligste
Bezeichnung hier durchweg bevorzugt, der im Phädon, Sympo-
sion und Staat feststehende abstractere Terminus weréyesr noch
gar nicht sicher ausgeprügt ist; wie denn selbst die Bedeutung
von eédoc und ?déa noch eine ziemlich schwankende ist 9". Ei-
gentlich für Laien ist übrigens weder diese noch irgendeine an-
dere Darstellung der Ideenlehre bestimmt. So gut wie in den
Mythos der dritten Rede noch sonst Manches hineingeheimniBt
ist, was für uns kaum mehr ganz zu enträthseln ist, könnte
auch die Grundlehre selbst absichtlich in einem gewissen
mystischen Dunkel gehalten sein, würe es auch aus keiner an-
dern als der künstlerischen Absicht, was in Platons Geist aus
den sokratischen Anfängen sich gestaltet hatte, als enthusiastische
Eingebung des Sokrates selbst zur Darstellung zu bringen. Und
wenn auch sonst?) die Ideenlehre von Platon als etwas keines-
wegs Jedermann Zugüngliches, nur Eingeweihten Verstündliches
behandelt wird, so war gewiß nirgend eine solche verhüllte
Darstellung besser motivirt als in der ganz in Mysterienan-
schauungen getauchten dritten Rede im Phädros. Uebrigens
51) Auch der Gegensatz von alnssı« und do£« ist bekannt genug,
um die 70097 doEean; (24% B) verständlich zu machen, ohne daß (wie
Teichmüller Lit. Fehden I 80 glaubte) der Staat vorherg gangen
sein müßte.
52) 265 D, 273 E, 249 BC (Begriffseinheit); andrerseit: idée für
Art 23% A (dio idée 237 D analog den sidy 253 C, etwa = qoe).
Schwierig ist besonders die êdéæ der Seele 246 A (verschieden von
ovG:« und doyos 2 5 E). abweichend auch 253 B
93) Z. B. Symp.210 A, Rep. 475 E,532 E f. Vgl. Philos. Monatsh.
XXV 351 f
Platons Phidros. - 607
steht in derselben Schrift zu lesen, daß die Schrift überhaupt
nur Erinnerung der „schon Wissenden“ sei.
Auch sonst spricht Alles dafür, daB wir gerade im Phüdros
die erste Darstellung der Ideenlehre besitzen. Die Hauptmo-
tive der Lehre sind darin fast alle, offen oder versteckt, zu fin-
den, aber zu einer eigentlichen Ableitung derselben fehlt beinahe
jeder Ansatz. Das ist überhaupt die Art dieser Schrift, daß
sie die größten Thesen bloß hinwirft, daß sie die strengste For-
derung der wissenschaftlichen Begründung für alle Gebiete der
Theorie und Praxis erhebt, selber aber kaum in irgendeinem
Punkte dieser Forderung ernstlich genügt. Mit sicherem Blick
erkannte Schleiermacher darin den Charakter eines Programms,
einer Vorankündigung wissenschaftlicher Darlegungen, die erst
folgen sollten und gefolgt sind. Zwar ging er in seinen Schlüs-
sen viel zu weit, wenn er den Phädros als Programm auch zu
den sckratisirenden Schriften, in die er zu viel specifisch Pla-
tonisches hineindeutete, überhaupt aber zu der ganzen Lehre
Platons bis in ihre letzten Entwicklungen hinab ansah, was sich
durchaus nicht durchführen läßt. Doch bleibt richtig, daß ge-
rade für die Centrallehre der eigentliche Beweis hier noch fehlt
und also erst folgen mußte. So ist nur erst angedeutet die er-
kenntnißtheoretische Ableitung der Idee aus dem Unterschied
und Wechselverhältniß der sinnlichen und intellectualen Function,
wie sie der Theätet unternimmt, der Phädon aber bis zur Idee
selbst fortführt und so den im Theätet bloß erst angesponne-
nen Beweisgang zum Abschluß bringt. Auf seinen Ergebnissen
fuht bereits das Symposion und der Staat, der sie mit dem
grofien g@olitischen Erziehungsplan , den Platon gewiß längst
mit sich herumtrug, in einen tiefen Zusammenhang bringt.
Beide Schriften zeigen die Ideenlehre genau auf derselben Stufe
wie der Phädon °*); über den in diesen drei centralen Schriften
erreichten Standpunkt gehen der Parmenides, Sophist, Philebos,
Timäos, ohne ihn etwa gänzlich aufzugeben, doch mehr oder
weniger hinaus, indem sie eine noch innigere Durchdringung von
Idee und Erscheinung, Sein und Werden fordern und anstreben.
Von diesen späteren Entwicklungen mag hier abgesehen werden;
aber der Fortschritt vom Phädros bis zum Staat läßt sich wohl
54) Vgl. Philos. Monatsh. XXV 850, und zum Folgenden ebenda 236,
608 P. Natorp,
auch ohne Rücksicht darauf überzeugend machen. Entscheidend
ist natürlich die Auffassung des Verhültnisses der Idee
zur Erscheinung. Dasselbe ist im Phüdros noch ein we-
sentlich negatives; die Erscheinung ist fast ausschließlich cha-
rakterisirt durch ihren Gegensatz zum wesenhaften Sein. Auch
die Bezeichnung als Gleichniß oder Abbild des Wahren gibt
ihr keine Positivität, denn der Nachdruck fällt durchaus darauf,
daß alles Vergüngliche nur ein Gleichnif, nicht das Wahre
ist. Die positive Würdigung der Sinnlichkeit im Theätet und
der Republik, die Hypothesis - Bedeutung der Idee im Phädon,
der Eros des Symposion, der Menschliches und Göttliches, Er-
scheinung und Idee in Eins zusammenknüpft, der Stufengang,
der vom sinnlich Schönen durch das Schöne der Seele, der Sitte,
der Erkenntniß zum an sich Schönen hinaufführt, das alles fehlt;
der „Weg nach oben“ bedeutet nicht wie im Phädon, Sympo-
sion und Staat den inductiven Stufengang vom Sinnlichen zur
Idee, sondern nur negativ das Hintersichlassen des Irdischen;
das okéwe évdévds Pesos pégsru (250 E) ist recht bezeichnend
für diesen unvermittelten Sprung ins Jenseits. Der Gegensatz
ist beinahe ebenso schroff wie bei den Eleaten; das berühmte
aristotelische Urtheil über diese (de gen. et corr. I 8 vweg-
Buvrec tir «la95ow xai naoıdorres wc T doym déor Eru-
xoAovFeir xi^.) trifft auf die Ideenlehre des Phädros fast buch-
stäblich zu (z.B. 249 C uneosdoica a vor shat paper), wie
denn auch der vweoovo«ı oc Tonog immer als der entschiedenste
Ausdruck für die Transscendenz der Idee gegolten hat. Man
mag der Ansicht sein, dab Platon diese Transscendenz niemals
ganz überwunden hat, doch bleibt bestehen, dali wenigstens da-
neben sehr bestimmte Hinweise auf eine Immanenz sich finden;
eben diese fehlen im Phädros, während in den späteren Schriften
die Richtung auf die Immanenz immer schärfer hervortritt. Of-
fenbar lag geschichtlich, nämlich von den Eleaten her, deren
Einfluß wir gerade im Phädros zu erkennen glaubten, die schroffe
Entgegensetzung von Sein und Erscheinung näher, wie sie denn
am gründlichsten überwunden wird in den tiefen Auseinander-
setzungen mit der eleatischen Lehre im Parmenides und Sophisten.
Nebenbei gewinnt man damit auch ein sicher begründetes
Urtheil über das Verhältniß der Liebeslehre des Phädros
zu der des Symposion. Daß die Erotik der Diotima tiefer und
Platons Phädros. 609
reifer ist als die des Sokrates im Phädros, haben schon Manche
empfunden und ausgesprochen; allein der Begriff des Eros steht
weder hier noch dort in bloß äußerlicher Verbindung mit den
Kerngedanken der platonischen Philosophie, sondern dient fast
zum unmittelbarsten Ausdruck für das Verhältniß des erken-
nenden Geistes zu seinem Object, der Idee; daher muB die Ver-
gleichung auf das zurückgehen, was der Eros im Zusammen-
hange mit der Ideenlehre hier und dort bedeutet. Und
da muß klar sein, daß der Eros im Phüdros die Einheit mit
dem Göttlichen in möglichster Abkehr vom Irdischen wie im
Fluge zu erhaschen sucht, im Gastmahl hingegen die Spur des
Ewigen im Irdischen selbst, in allen irdischen Verhältnissen,
z. B. auch in der leiblichen Fortpflanzung gefunden und so erst
im Durchgang durch alle niederen Stufen das Höchste schritt-
weis erreicht wird.
Doch ich fühle wohl, daß dies alles nur in einem weiteren
Zusammenhange recht begründet werden könnte, und beschließe
daher lieber diese Betrachtung, indem ich nur noch das Facit
ziehe: daß der Phädros, mit dem Gorgias, die Wende von einer
ersten, sokratisirenden Periode Platons zu derjenigen bezeichnet,
in welcher er, auf Grund der ihm eigenthümlichen Lehre von
den Ideen, überhaupt immer selbständiger auftritt und die
Schranken der Sokratik bald weit hinter sich läßt. An den
Anfang dieser Periode gehört der Phädros, weil er die neuen
Ideen noch in der Unmittelbarkeit der ersten Conception aus-
spricht, ohne die darin schlummernden Schwierigkeiten auch nur
nach ihrem ganzen Umfang zu ermessen, geschweige in streng
wissenschaftlicher Form zu überwinden. Das Aussprechen die-
ser Gedanken ist dem Verfasser noch als ein Wagniß bewußt:
er fühlt in sich das Zeugniß ihrer Gewißheit, daher nimmt er
den Muth sie als die endlich enthüllte „Wahrheit“ zu verkün-
den, aber gewagt bleibt die Verkündigung, weil er den vollgül-
tigen Beweis noch nicht zu geben im Stande ist. Die nächsten
Schriften, vom Theätet an, enthüllen das große Schauspiel eines
sich nie genugthuenden Ringens nach endgültig klarer und
zwingender Gestaltung dessen, was hier noch in Form des er-
sten glücklichen Fundes zu nicht ganz abgeklärtem Ausdruck
gelangte.
Daraus ergibt sich nun schon eine ungefähre Zeitbe-
Philologus XLVIII (N. F. II), 4. 39
610 P. Natorp,
stimmung. Der Phädros kann nicht, nach Schleiermacher,
Platons frühste Schrift, überhaupt nicht früher als mindestens
einige Jahre nach Sokrates’ Tode verfaßt sein; er kann andrer-
seits nicht in eine ganz späte Periode fallen, er muß dem Sym-
posion (für welches der Termin 385 doch wohl festzuhalten
ist) noch beträchtlich vorangehn, er kann ebendeswegen schwer-
lich mit der Gründung der Akademie in Zusammenhang ge-
bracht werden 5), da die Zeit von 387 bis 385 allzukurz ist
für die Reihe von Schriften, die wir nothwendig zwischen Phä-
dros und Symposion zu setzen haben; als solche betrachte ich
den Theätet, Euthydem, Kratylos und Phädon. Noch enger be-
grenzt sich der Spielraum, wenn der Phädros, nach Allem, was
bewiesen wurde, bestimmt zwischen Gorgias und Theätet
zu setzen ist. Der Gorgias folgte wohl unmittelbar dem Menon,
für welchen das Jahr 395 als frühster Zeitpunkt sicher ist; den
Theätet wird man mit Zeller noch gegen das Ende der 90er
Jahre zu setzen haben. Also werden wir nicht fehlgehn, wenn
wir für den Phädros ungefähr das Jahr 393, mit geringem
Spielraum vor- und rückwärts, ansetzen ?9). Vielleicht möchte
Jemand Anstoß daran nehmen, daB der Phädros dem Gorgias
so rasch gefolgt sein soll, wenn er doch inhaltlich bereits weit
über ihn hinausgeht, auf Angriffe, die Platon des Gorgias we-
gen erfahren, antwortet, auch ein schon sehr gewachsenes
Ansehen des platonischen Kreises voraussetzt, von dessen ersten
unscheinbaren Anfängen der Gorgias zu reden scheint. Doch
läßt sich vermuthen, daß eine Schrift von der Wucht und dem
55) Wenn man nämlich für diese das Jahr 387 festhált. Anders
Susemih] (De vitis Tisiae etc., Gryphisw. 1884, p. XVIII und De Pla-
tonis Ph:edro et Isocratis contra sophistas oratioue. Gryphisw. 1887,
p. VIIIMIX), der übrigens unserer Auffassung ziemlich uahekommt.
56) Etwas weiter müßte man hinabgehn, wenn Hirzel mit der
Annahme (Rhein. Mus. XLII 249 f.) Recht behalten sollte, daß die
Unterredung des Sokrates mit Anytos im Menon auf die (frühstens
393 verfaßte) Rede des Polykrates gegen Sokrates sich beziehe. Doch
kann ich mich (wie Zeller Ph. d. Gr. II at 540?) davon nicht über-
zeugen. Die Charakteristik des Anytos im Menon entspricht genau
den Andeutungen der Apologie (23 E, 25 B, 29 C, 36 A); &uch wird
auf seine persönlicher Umstände (90 AB), ja, wie es scheint, auf sein
späteres Schicksal (95 A) in einer Weise Bezug genommen, daß die
Vermuthung durchaus am nächsten liegt, daß Anytos eben Anytos
und nicht Polykrates ist. Endlich knüpft der ganze Gedankengang
der Erórterung an Apol. und Protag. so deutlich an, daB von vorn-
herein kein Grund vorlieyt nach einer besonderen, äußeren Veranlas-
sung zu derselben zn suchen.
Platons Phádros. 611
unmittelbaren Zeitinteresse des Gorgias sofort Beachtung fand
und auch wohl Widerspruch hervorrief ; daß andrerseits die |
Schaar derer, die um Platon sich versammelten, nachdem einmal
der erste Grund gelegt war, schnell anwuchs; endlich, daß
manche der Gedanken, die im Phädros zum ersten Mal ausge-
sprochen sind, immerhin schon seit einiger Zeit ihn beschäftigten,
wie denn dahin zeigende Spuren im Menon und Gorgias sich
leicht aufweisen ließen. Die Raschheit der Production in die-
sen Jahren kann, wenn man an ähnlich bevorzugte Individuen
sich erinnert, kaum verwundern, am wenigsten, wenn es sich,
wie hier, mehr um halbdichterische Antieipationen als um wis-
senschaftlich abgeschlossene Einsichten handelt, die freilich lang-
samer zu reifen pflegen und, wenn unsere Voraussetzungen rich-
tig sind, in der That auch bei Platon langsam genug gereift sind.
Unerläßlich aber ist es, zur Probe auf unser Ergebniß .
schließlich die so viel behandelten Beziehungen des Phädros zu
den Rhetoren, zu Lysias und namentlich zu Isokrates, zur
Schulgründung des letzteren und seinem „Antrittsprogramm“,
der Rede wider die Sophisten, ins Auge zu fassen. Der Stand
der Controverse darf als bekannt vorausgesetzt werden; ich
bringe nur in aller Kürze die Thatsachen in Erinnerung, auf
welche, nach dem Vorgang Andrer, namentlich Usener*") den
Schluß stützte, daß der Phädros noch zu Sokrates’ Lebzeiten,
etwa 1. J. 403, verfaßt sein müsse.
Lysias wird in unserem Dialog hart mitgenommen auf
Grund einer in der That mäliigen Rede aus der epideiktischen
Gattung, eines &uwrixog Aoyos. Es wird ferner Bezug genommen
auf einen Hieb, welchen demselben Rhetor kürzlich (&vayyog
257 C) einer der Staatsmänner ertheilt habe, indem er ihn einen
Redenschreiber (Aeyoyo«qor) schalt. Diesen Tadel meinte man
eben auf die Pflege des epideiktischen Genres beziehen zu müs-
sen, welche man dem Lysias, seitdem er der Proceßrede sich
zugewandt und auf diesem Gebiet große Erfolge errungen hatte,
ohne Unrecht nicht mehr habe zum Vorwurf machen können.
Die Wendung datirt ungefähr vom Jahre 403, in welches auch
jener von Sokrates als jüngst vergangen bezeichnete Vorfall mit
Wahrscheinlichkeit gesetzt wird; mithin könne die Schrift, so
57) Rhein. Mus. XXXV 131 ff., wo auch von der älteren Litte-
ratur über die Frage das Wichtigste angeführt ist.
39 *
612 P. Natorp,
schließt man, nur um eben diese Zeit, nicht viel später ver-
faßt sein. Auf denselben Termin führt aber die merkwürdige
Prophezeiung der künftigen Größe des, zur Zeit des Gesprächs
noch als jugendlich vorausgesetzten Isokrates (279 A). Isokrates
ist berühmt geworden, aber er hat keineswegs die hier von So-
krates ausgesprochene Erwartung erfüllt, daß er in reiferem Al-
ter nicht bloß in den Reden, in denen er sich jetzt versuche,
alle Vorgünger weit hinter sich lassen, sondern vielleicht gar
durch einen „göttlicheren“ Impuls der Philosophie, zu der er
eine gewisse Anlage verrathe, werde zugeführt werden. Er ist
im Gegentheil der Philosophie, wie Platon sie versteht, feindlich
gegenübergetreten und dafür denn auch von Platon spiiterhin
gebührend gezüchtigt worden. Dagegen hatte er in jüngeren
Jahren dem sokratischen Kreise angehórt und damals vielleicht
Hoffnung gegeben für sokratische (oder platonische) Ideen ein-
mal gewonnen zu werden. Als Zeitpunkt, seit welchem es nicht
mehr möglich war, eine so günstige Meinung von Isokrates, wie
der Phädros sie ausspricht, zu behaupten, betrachtet Usener die
Schulgründung des Isokrates in Athen, welche durch die Rede
gegen die Sophisten markirt wird. Mit dieser Rede habe Iso-
krates zwar direct nur den Antisthenes angegriffen, aber deutlich
genug zugleich aller Sokratik den Fehdehandschuh hingeworfen;
seit der Gründung der Schule habe eine Täuschung über seine
wahre Natur und seine Ziele nicht mehr obwalten können; so-
mit könne der Phädros keinesfalls später als die Sophistenrede
verfaßt sein. Die ziemlich genauen Berührungen zwischen der
Sophistenrede und dem Phädros erklärt Usener so, daß Isokrates
durch die Anerkennung einzelner platonischer Aufstellungen tiber
das im Phädros ihm gespendete Lob habe quittiren wollen. Die
Sophistenrede ist nach der geltenden, allerdings nicht strenger
beweisbaren Annahme nicht nach 390, wahrscheinlicher einige
Jahre früher verfaßt 5%). Uebrigens glaubt Usener für jenes
Lob des Isokrates einen noch beträchtlich früheren Termin an-
nehmen zu müssen. In einem Procel} des Jahres 403 waren
Lysias und Isokrates als Sachwalter der streitenden Parteien
sich gegentibergetreten. Isokrates war unterlegen. Diese Nie-
derlage konnte einerseits Platon den Anlaß zur Gegenüberstel-
58) Vgl. zu der Frage Susemihl De vitis Tisiae ete. p. XV—XVI,
Platons Phädros. 613
lung beider Rhetoren gegeben haben; andrerseits wird mit Grund
angenommen, daß Isokrates ungefähr seit dieser Zeit, vielleicht
mit in Folge jener Niederlage, die noch später seine Gegner gegen
ihn ausspielten, sich von der Proceßrede mehr und mehr abge-
wandt habe; die Stellung des Phädros zu beiden Rhetoren glaubt
man am besten erklären zu können, wenn er in die ungefähr
gleichzeitige Krise, welche beide in entgegengesetztem Sinne
durchzumachen hatten, gerade hineinfiel und sie vielleicht be-
schleunigen helfen sollte.
Mit Recht bewundert man die Feinheit der Combination;
auch darf soviel als bewiesen gelten, daß von der Schulgrtin-
dung des Isokrates an die günstige Meinung, die der Phädros
über ihn ausspricht, wenn sie überhaupt damals noch bestand,
sich schwerlich mehr lange behaupten konnte; ferner, daß das
unzweifelhaft auf Isokrates sich beziehende ungtinstige Urtheil
im Euthydem (304—306) nothwendig später zu setzen ist.
Das sind wichtige Daten, aber sie reichen doch zur Entschei-
dung der Frage nicht hin. Es bliebe soweit noch möglich, den
Phädros ungefähr um die Zeit der Schulgründung des
Isokrates zu setzen, sei es daß er der Sophistenrede um ein
Weniges voranging, oder daß die Rede etwa doch noch nicht
alle Hoffnung auf eine philosophischere Wendung der Entwick-
lung des Rhetors abschnitt. Für das Letztere 5) mich zu ent-
scheiden bestimmt mich eine Reihe zusammentreffender Er-
wägungen.
Zunächst, worauf stützt sich das jedenfalls merkwürdige
Lob des Isokrates? Er werde, heißt es, in eben der Gattung
von Reden, in der er sich jetzt versucht (eg? avrovg zoug Ad-
yous olg vor Znıysigei), den Lysias und alle Andern weit über-
treffen. Gewiß hat Teichmüller 9) auf die Worte olg vu» àm-
yetoet übertriebenes Gewicht gelegt; das vU» steht einfach im
Gegensatz zu dem folgenden si «v: poy Gnoyonou ravra , zu
der Erwartung, daß sein jetziges Bestreben ihm künftig einmal
nicht genügen werde. Aber doch scheint die Annahme schwie-
rig, daß die Redegattung, die jene Worte meinen, gerade die
59) Mit Schulteß Plat. Forsch. S. 72-77, Bergk Fünf Abhand-
lungen S. 31 ff, Siebeck Jahrbb. f. Philol. 1885, S. 225 ff, Untersu-
chungen 2. Aufl. S. 129 ff.
60) Literarische Fehden I 60.
614 P. Natorp,
Gerichtsrede sei. Theils taxirt Platon dieselbe überhaupt sehr
niedrig; theils läßt der Zusammenhang, insbesondere die Ver-
gleichung mit Lysias, weit eher an die epideiktische Gattung
(oder richtiger an eine allgemeinere, umfassendere Anwendung
der geschriebenen Rede überhaupt) denken; dazu kommt, daf
Isokrates sich gerade in der Proceßrede nie sonderlich hervor-
gethan hat, Platon also seine Begabung gerade dafür bei wei-
tem überschützt und sogar günstiger als Isokrates selbst beur-
theilt haben müßte, der doch gerade durch sein Mißgeschick auf
diesem Gebiet soll veranlaßt worden sein, sich auf einem an-
deren Felde zu versuchen. Nun ist die Sophistenrede nach all-
gemeiner Annahme der erste Versuch in einer neuen Gattung;
auf einen solchen ersten Versuch würden die Worte Platons an
sich recht gut passen, selbst wenn er noch nicht gerade glän-
zend ausgefallen war, wofern er nur Besseres, als bisher in die-
ser Richtung geleistet worden war, versprach.
Sodann s:heint mir solche Hervorhebung des Isokrates ge-
rade dem Zeitpunkt ganz angemessen, wo er, nach längerer Ab-
wesenheit in Athen wieder eingetroffen, seine Schule daselbst
entweder eben begründet hatte oder zu gründen im Begriff stand.
Platon hegte, wollen wir annehmen, von früher her den Glauben
an seine philosophischere Anlage; er konnte sich daher ein Zu-
sammenwirken in wenigstens nicht divergenter Richtung verspre-
chen, vielleicht selbst hoffen, daß er bei fortgesetztem freund-
lichem Verkehr für seine höheren Absichten noch ganz gewon-
nen werden und dann mit der That beweisen werde, welcher
Nutzen sich aus dem dialektischen Studium auch für die Rede-
kunst ziehen lasse. Diese Hoffnung muß dann freilich ziemlich
bald enttäuscht worden sein, das beweist der jedenfalls nur ei-
nige Jahre später geschriebene Euthydem ; aber das hindert doch
nicht, daß sie wenigstens um die Zeit der Eröffnung der Lehr-
thätigkeit des Isokrates noch bestand; sogar fragt sich, ob nicht
gerade die Eröffnungsrede wider die Sophisten dieser Hoffnung
noch einige Nahrung geben konnte. Um das zu entscheiden,
haben wir die Sophistenrede selbst einer, vielleicht auch in an-
derer Absicht nützlichen Analyse zu unterziehen.
Die Rede wendet sich im ersten Abschnitt (88 1—8) gegen
gewisse Weisheitslehrer, welche bezeichnet werden als of zn
coglur did axorrsc (7), of moi tas Éoidac diurgifoviss oder xa-
Platons Phädros. 615
Auvdouuevor (1. 20). Sie werden charakterisirt durch folgende
Züge: sie machen sich anheischig zu lehren, was man zu thun
habe und wie man durch solche Wissenschaft glückselig werde
(3); oder, sie verheißen um geringen Lohn (drei bis vier Minen,
3) die gesammte Tugend und Glückseligkeit (4; Weisheit und
Glückseligkeit, 7) beizubringen. Vom Gelde sprechen sie ver-
ächtlich (4), obgleich sie dann doch wieder auf die Honorar-
zahlung so bedacht sind, daß sie sich dieselbe verbürgen lassen,
bevor sie Jemand in ihren Unterricht nehmen. In denselben
Zusammenhang gehört noch eine Bemerkung gegen Schluß (21),
wo Isokrates sich dagegen verwahrt, behaupten zu wollen, daß
Gerechtigkeit lehrbar sei; nach seiner Ansicht gibt es keine
solche Techne, welche dem, der eine verkehrte Anlage mitbringt,
Besonnenheit und Gerechtigkeit einzuimpfen im Stande wäre
(Zunnounoesev).
Ich glaube, kein Leser der Apologie, des Protagoras, La-
ches, Menon, selbst des Gorgias wird bestreiten können, daß
Isokrates soweit gegen den sophistischen Anspruch der Tugend-
erziehung nicht in wesentlich anderem Sinne streitet, als es
Platon in jenen Schriften gethan. Ganz so spottet Sokrates in
der Apologie (20 B) über Euenos, der für fünf Minen ©!) die
gesammte „menschliche und bürgerliche Tiichtigkeit“ beizubrin-
gen sich berühmte. Insbesondere die Lehrbarkeit der Tugend
in dem hier verstandenen Sinne bestritten doch auch jene Schrif-
ten; Sokrates versichert nicht nur selber Niemandes Lehrer zu
sein, sondern hält entschieden Tugend überhaupt nicht für einen
Gegenstand der Lehre "^. Platon zwar überwindet diesen Stand-
punkt im Menon, aber er überwindet ihn auf Grund der ihm
eigenthümlichen Ansicht von der Anamnesis. Uebrigens hält er
auch jetzt fest, daß Tugend nicht lehrbar ist in dem von den
61) Es ließe sich wohl nicht viel dagegen einwenden, wenn Je-
mand annehmen wollte, daß Isokrates bei den drei oder vier Minen
an die Apologie, sowie bei dem Spotte über die Verbürgung der Ho-
norarzahlung ($ 6) an Gorg. 519 CD gedacht babe. Jedenfalls be-
weist die Aehulichkeit der Stellen die verwandte Stimmung gegen
diese Tugendkrämer.
62) Stellen wie Prot. 319 AB (éyo yg 10010 oùx quw dsdaxtoy
elvos . . . und’ tn’ avigdnwy negacxevactóy avdouros) und 328 E
(éAyó yao iv uiv nj Eungooder X00vw Ayovunv ovx sivas advIqwnivyy
inséhesav p dya9oi où dya9oi yiyvovtas), Lach. 186 C, Men. 89 E las-
ran darüber keinen Zweifel aufkommen. U
LI
616 P. Natorp,
Sophisten gemeinten Sinne des #uferlichen Beibringens; in die-
ser Meinung citirt noch der Menon das Wort des Theognis: si
O° nv noınıov 18 xai EvO tezov dvdgl vonua xıl., was dem
isokrateischen &uroseiv (Evegyulsc9aı 6) ziemlich ähnlich ist 6’).
Und wenn Isokrates der Lehre die Naturanlage gegenüberstellt,
so ist das zwar den frühsten Schriften Platons fremd, aber ge-
rade der Phädros erkennt es an — wohl gar im Hinblick auf
Isokrates (s. u.).
Man bezieht nun jene isokrateische Kritik auf Antisthe-
nes, der in der That hinreichend gekennzeichnet scheint durch
das Prahlen mit der Erforschung der „Wahrheit“ ($ 1), durch
die zur Schau getragene Verachtung des Reichthums 9*), durch
das Vorgeben der „Seelsorge“ (176 yuyng àmufAna» § 8) durch
den Anspruch, Wissenschaft, nicht bloße Meinungen beizubringen
(8 8 dots — énsoinunv, vgl $ 3). Das Letzte, meinte man,
habe Platon auch auf sich beziehen müssen, da er doch im Me-
non auf den Unterschied von émorqun und dot großes Gewicht
lege. Allein die Worte des Isokrates enthalten eigentlich keine
Verwerfung dieser Unterscheidung überhaupt; sie besagen di-
rect nur: der Laie werde, wenn er sieht, daf man in praxi mit
der dofa immer noch besser fortkommt als mit jener vorgeb-
lichen émornun, nämlich dem hier bekämpften Wissen darum,
was man zu thun hat und wie man glückselig wird, durch sol-
63) Vgl. auch Is. 7 zegad)dovrac, 10 iıamunv nagadocu» mit
Men. 93 B.
64) Daß er nichtsdestoweniger Honorar nahm, ist an sich nicht
unglaublich; auch Euthyd. 304 AC läßt darauf schließen. Es ist noch
zu wenig beachtet, wie genau die platonische Charakteristik des An-
tisthenes im Euthydem mit der isokrateischen (hier und Hel. 1—7)
übereinstimmt. Er ist erst als Greis mit dieser neuen Weisheit auf-
getreten (271 B, 272 B, 285 B, vgl. Is. X 1 xazayeynoaxacsy, 2 oys-
mais). Größe seiner Versprechungen (uéyetoc tot inayytluatos 274 A,
vgl. Is. XIII 9). Honorar 304 AC. Gerichtsrede als Parergon 272 A,
273 CD. Anspruch der Erziehung 306 E, Beibringen von Tugend und
Weisheit 273 D, 287 B, 285 B (éya9o0c nowiv dx novnowv), 275 A,
278 D (doen;c inıutisie, copias xai agerijs Eniusig95vo) und zwar aufs
beste und schnellste 272 B, 273 D, 303 CE, ohne Unterschied des
Alters und der Anlage (guas 304 C). Eristik 272 B; Wortgefecht,
Eeldyyew 272 A, 286 E, 293 E, 303 D, 304 D (cf. Is. X 4; XIII 7).
Blenden durch Paradoxie (dsonov 286 D, wie Is. X 1). Unmöglich-
keit des yevdz Aéyss» 233 E f£, des dvriéyew 285 D; von jedem Ge-
genstand nur ein d6yos 285 AB, 303 D (Is. X 1). Daß diese Weis-
heit schon von Protagoras herrührt 286 C (Is. X 2). Urtheil des
Isokrates 304 E, 305 A (Is. X 5—7, XIII 8 adoMayiar xai usxgoloyiay,
20 Aoyidia). Zweifel an der Lehrbarkeit der Tugend 274 E, 282 C.
Platons Phüdros. 617
ches ruhmredige Versprechen sich nicht hintergehen lassen; das
schlósse an sich nicht aus, daß es eine wahre émozjun geben
könne, die der do&« überlegen wäre. Was aber eigentlich jene
énsoijun zu bedeuten hatte, darauf wirft helles Licht das zwei-
mal erwähnte Vorgeben dieser Leute, daß sie verständen und
zu lehren vermöchten zu péliovta nooysyrwoxes (2) oder mgl
sw» uellorrwv eldéiva (7). Den Sinn dieser Anpreisung hat
Siebeck 95) richtig erkannt. Ich wagte früher nicht, die mir
wohlbekannten Stellen als Bestätigung meiner Annahme ff) einer
in Platons Zeit bestehenden Theorie des Erfahrungsschlusses,
beruhend auf der richtigen Berechnung des Zukünftigen nach
Analogie des in der Vergangenheit regelmäßig Beobachteten an-
zuführen. Nachdem jedoch die Beziehung der Sophistenrede auf
Gegner ganz verwandter Richtung wie die von Platon im Pro-
tagoras, Laches, Charmides bekämpften deutlich zu Tage ge-
treten ist, trage ich kein Bedenken, die Stelle mit den platoni-
schen 97) in Verbindung zu setzen. Ich halte die Lehre nach
wie vor für protagoreisch dem Ursprung nach, nehme jedoch,
wie früher, an, daß sie, eben durch den weitreichenden Einfluß
dieses Sophisten, sich dann sehr verbreitet hat; so wie z. B.
der Gorgias-Schüler Polos den Empiriebegriff vertrat, könnte
wohl auch Antisthenes ihn aufgenommen haben. Man hat ein-
gewendet, daß die Zukunftsberechnung bei den Sophisten nur
praktische Bedeutung gehabt habe. Das bestreite ich nicht:
eben die Praxis des Lebens, der die Sophistik allein dienen will,
stützte sie auf dies Princip; doch meinte sie in der Empirie,
als Princip der Praxis, doch eben eine Art Wissenschaft,
eine Techne der Tugend und Glückseligkeit zu besitzen. Wie
„praktisch“ diese Wissenschaft gemeint war, darüber geben jene
platonischen Stellen erwünschten Aufschluß : durchweg steht hier
die Zukunftsberechnung in genauer Beziehung zur cwrnçlu
tov Blow oder dem fog39siv Euvro. Zu dieser Kunst der
Lebenserhaltung , der Selbstbehauptung (ohne ethische
Rücksicht), gegen die wir Platon in der Apologie, dem Pro-
tagoras, Laches, Charmides, Gorgias, wie gegen die Alles be-
65) Philol. Anz. XIV 550 f., Unters. 2. Aufl. S. 1381,
66) Forschungen S. 146 ff.
67) Prot. 353 D ff. Lach. 195 E, 198 E. Cbarm. 178 6 174 in.;
vgl. auch Gorg. 501 A. Theaet. 178 E. Rep. 516 OD.
618 P. Natorp,
herrschende Grundrichtung damaligen öffentlichen Lebens den
wissenschaftlichen und sittlichen Kampf führen sehen, gehirte®’)
ganz besonders die Kunst der Gerichtsrede. Ein Haupt-
argument Platons gegen diese Wissenschaft der Lebensrettung
ist: daß man gar nicht wissen könne, wem es zum Heile dient
zu leben und wem nicht 9?) Nun spottet Isokrates ($ 4) unter
Anderm auch darüber, daß die fraglichen Sophisten ihre Schüler
,beinahe unsterblich zu machen* versprüchen. Diese im Zusam-
menhange der isokrateischen Rede kaum verständliche Anspie-
lung °°) erhält ihre zwingende Deutung durch jenes bei Platon
so oft wiederkehrende owlew 70v fíov"'). War das die von je-
nen Sophisten angepriesene „Wissenschaft“, so konnte Platon an
der Geringschätzung, mit der Isokrates sie behandelte, wahrlich
keinen Anstoß nehmen, am wenigsten, wenn Antisthenes gemeint
war, gegen den er selbst vom Theätet ab °°) zu Felde zieht,
Andrerseits ist zu betonen, daß Isokrates allgemein keine Ver-
achtung der Wissenschaft ausspricht. So heißt es ($ 11), nach-
dem vorher Anlage und Uebung neben der émorjug empfohlen
wurden: er móchte wohl viel darum geben, wenn Philosophie °*)
das vermóchte, was man von ihr rühmt, denn dann würde grade
er gewiß nicht der Letzte bleiben und nicht den
kleinsten Gewinn davon haben; nur den übertriebenen Verhei-
Bungen der Rhetoren, welche die Kunde der Rede wie die der
Buchstaben beizubringen sich anheischig machten, wolle er ent-
gegentreten. Auch nach $ 15 soll, Anlage und Uebung voraus-
gesetzt, methodische Schulung (zeídevc«c) den, der beides hat,
kunstverständiger machen, was ungefähr den Anschauungen Xe-
nophons (Mem. III 9, 1—3) entspricht. Das ist ja weit ent-
fernt von einer Schätzung der Wissenschaft, wie Platon sie be-
kennt, aber es beweist keinesfalls eine Mißachtung derselben, wie
sie Isokrates in späteren Schriften allerdings zur Schau trägt.
68) Wie am schönsten Gorg. 508 C, 511 B ff, 512 AD, 522 CD,
526 E beweist.
69) Lach. 195 C ff. Charm. 174 C (vgl 173 B). Gorg. 512 A.
70) Seltsam mißversteht Teichmüller Lit. Fehden II 30.
71) Charm.l.c. xo ióass ano9vigaxesv. Vgl.auch Euthyd.289B.
72) Wenn nicht schon — im Phädros selbst, 229 C ff. (wie Teich-
müller L. F. II 21 vermuthet hat). Wenigstens erinnert die Stelle
an den Kratylos.
73) Hier, wie in der ganzen Rede, für Theorie, theoretische Aus-
hildung (vgl. 14. 18).
Platons Phüdros. 619 |
Richtig ist, daß das Wissen implicite schon hier auf den Nutzen
im praktischen Leben ausschließlich bezogen wird; aber minde-
stens bleibt die Verachtung alles nicht auf den unmittelbaren
Nutzen berechneten Wissens (wie etwa Hel. $ 5) hier unausge-
sprochen. Somit verfällt zwar Isokrates wohl dem allgemeinen
Tadel jeder ausschließlich auf die Zwecke des menschlichen
Lebens gerichteten Bestrebung (Phaedr. 273 f.); er bleibt weit
unter der Höhe der Betrachtung, zu der Platon sich erhebt;. er
ist eben nicht Philosoph in Platons Sinne, die 3&oréoa bout
hat ihn zu diesem Hóheren noch nicht getrieben ; aber er schnei-
det wenigstens nicht alle Hoffnung ab, der Philosophie einmal
gewonnen zu werden. |
Noch einen Schritt weiter führt der mittlere Theil der Rede
($$ 9, 10 und besonders 14—18), der in kurzem Abriß eine
fórmliche Theorie der Beredsamkeit gibt und in der
That den einzig positiven Kern der sonst wesentlich polemischen
Schrift ausmacht. Was man sonst tastend durch gutes Glück
traf, soll planmäßig erreicht werden; insbesondere kommt es
nicht auf bloßes mechanisches Erlernen der Ausdrucksmittel an,
in welchem die ganze Redekunst bisher bestand ™); weit wich-
tiger ist vielmehr das Studium der richtigen Anwendung dieser
Mittel auf den jedesmaligen Gegenstand, der rechten. Mischung
und geeigneten Anordnung, der Berechnung auf die Gelegenheiten,
kurz des Gebrauchs der gegebenen Mittel; was zwar gar sehr
Sache der Uebung, in weitem Umfang aber auch der Lehre
und des Beispiels ist '?). Gerade an diese allgemeinen Grund-
74) Reinhardt (De Isocratis aemulis, p. 11 sq.) bezog die Polemik
auf Alkidamas; Blaß (Att. Bereds. H 321!) zweifelt daran, ebenso
Teichmüller (L. F. I 91).
75) 8 17 g. E. — Ich finde, daß man die Mißachtung der
Theorie in diesen Erklärungen weit übertrieben hat. Getadelt wird
zunächst nur jenes mechanische Beibringen der Redemittel nach dem
Vorbild des grammatischen Unterrichts, welches der Höhe der Auf-
gabe bei weitem nicht genüge. Auch würde, um Größeres zu errei-
chen, der vollkommnere, tiefer begriffene Unterricht nicht ausrei-
chen, sondern es gehört dazu unerläßlich 1) gute Anlage, 2) prakti-
sche Uebung. Insofern will Isokrates bescheidener sein als die bis-
herigen Lehrer der Redekunst, doch im Grunde nur, um desto selbst-
bewußter den vornehmeren Uharakter seiner Art der Unterweisung
hervorzukebren. Die Redemittel lehrt natürlich auch er, und zwar
besser als die Bisherigen; aber das ist erst das Geringere; den Ge-
brauch der Mittel methodisch einzuschulen, das ist sein Vorzug, auf
den er — wenn wirklich dies von den bisherigen Redelehrern so
620 | P. Natorp,
sätze, welche, wie gesagt, den ganzen positiven Gehalt der
Schrift ausmachen und welche Isokrates ausdrücklich als sein
Eigenthum in Anspruch nimmt “*), zeigt nun der platonische
Phädros so entschiedene Anklänge, daß man nur die Wahl hat,
anzunehmen, daß der Phädros auf die Sophistenrede,
oder dali diese auf jenen bewußt Rücksicht nehme. Gegen die
letztere Annahme spricht von vornherein 77), daß es doch schwer
denkbar ist, Isokrates habe gerade das, was das ganze Geheimnib
seiner Redekunst ausmacht, dem platonischen Phädros verdankt
oder vielmehr daraus entwendet 78), Aber auch die Art, wie
dieselben Grundsätze im Phädros angeführt werden , läßt auf
das Gleiche schließen. Nachdem nämlich die Hauptforderung
dialektisch begründeter Erkenntniß vom Objecte der Rede fest-
gestellt ist, wird untersucht, was denn, wenn man von diesem
Erforderniß absieht, von der Redekunst übrig bleibt. Es blei-
ben nur jene rhetorischen Mittel, welche in Wahrheit nicht die
Techne selbst, sondern bloß die Vorkenntnisse ausmachen, die
man zum Erlernen der Techne schon mitbringen muß, wie etwa
die Arzneimittelkunde zur Arzneiwissenschaft. Auf die gehörige
Zusammenstellung (ovoruoic nyenovau) kommt es an (auf das 10
0Àor ovrioınodu 269 C, vgl. Isocr. ra&us xara zQgónor); darin
erst liegt die eigentliche Schwierigkeit der Sache. Dazu sind
drei Stücke erforderlich (269 D): quois, émoiqun, meAkın ). Es
ganz übersehen worden wäre — mit Recht stolz sein dürfte. Gerade
in dieser Beziehung schlägt er das, was die Lehre vermag, keines-
wegs gering an. Man beachte § 15 oic ydg viv ivruyyavovas nia-
ve utvos, tadt LE Erosuotigov Amußavsıv adrods ididatev (sc. 7 na
devais), ferner 7 ng abrov nagadQ un toic badiws bniogvovpirvoss alle
Toig sidacı n nepi avv, dann: tera dì nollns Enımelsiag (Stu-
dium) deiodas und dors ugdiv trav dıdaxrüv nagalıneiv. .
76) $14 in & dè des un uóvor xamyogeiv 1üv allwy alla xai vàv
éuavros dnibcardedvosav, und 16 qui yàe È y o.
77) Wie Blaß (Att. Bereds. II 23), auch Bergk (Fünf Abhand-
lungen S. 32) bereits gesehen hat. .
78) Das empfand übrigens auch Reinhardt (S. 29), der deshalb die
Auskunft wählt, Platon habe die Grundsätze der isokrateischen Rede-
kunst aus dem Privatverkehr mit diesem gekannt. Daß mitei-
nem solchen Zugeständniß die Hypothese so gut wie preisgegeben
ist, dürfte einleuchten. alas
79) Phaedr. 269 D; vgl. öror d? aw Ellinns tovTwy, tasty amis
los und die ähnliche Wendung 272 B mit Isocr. 18. Eine fernere
Aehnlichkeit der Stelle mit Is. § 14 hat Zycha (Bemerkungen su den
Beziehungen und Anspielungen in der 18. und 10. Rede des Isokrates,
Wien 1880, S. 22, worüber Susemihl Phil. Anz. XI 295, vgl. De Pla-
tonis Phaedro etc. p. VIII, n. 14 berichtet) erkannt, dessen
mir übrigens nicht vorlag.
Platons Phädros. 621
folgt die freilich wieder weit über Isokrates hinausgehende For-
derung der psychologischen Begründung der Redekunst; doch
treffen beide Autoren wieder darin zusammen, daß es, auch wenn
man die Theorie innehat, noch gar sehr auf die richtige An-
wendung auf den gegebenen Fall in der Praxis ankomme 99),
daß insbesondere die Gelegenheiten wohl zu beachten seien!)
Ich meine, es sei auffällig, wie Isokrates genau von demjenigen
nichts hat, was Platon als Hauptsache ansieht und in zweima-
liger Recapitulation (273 D, 277 B) sogar allein anführt, wäh-
rend umgekehrt alle Hauptstücke der isokrateischen Kunst bei
Platon als zwar untergeordnete aber immerhin nothwendige Dinge
miterwähnt werden. Was ist denn wohl annehmbarer: hat Iso-
krates seine ganze Technik aus einigen nebensüchlichen
Forderungen des platonischen Phädros, mit Vernachlässigung des
Wesentlichsten, entlehnt und plump genug für sein Eigenthum
ausgegeben; oder will vielmehr Platon dem Isokrates zu ver-
stehen geben, daß seine, die dialektische Kunst Alles, was jener
mit seiner Rhetorik bezweckt, vollauf leiste, nur noch weit
Größeres überdies? daß, wer die große Hauptsache, die Dia-
lektik, doch nicht um menschlicher Absichten, sondern um eines
höheren, göttlichen Zieles willen, sich aneignet, dem das Klei-
nere, die menschliche und irdische Beredsamkeit eben damit
von selber zufällt (274 A, s. o. 8. 433)? Erklärt sich nicht
gerade dann doppelt die Eutgegensetzung des jetzigen Bestrebens
des Isokrates und des „Größeren“, wozu ein „göttlicherer“ Im-
puls ihn vielleicht dereinst einmal bringen werde?
Schließlich (8 19. 20) wendet sich die Rede des Isokrates
80) Vgl. Is. 16 24’ £xdatp rà» ngayuctov mit Phaedr. 271 D i».
Tai "9«femww, wo auch okéwe rj ela95on divacdas Enaxolovdeiv und
gleich nachher dsesoPevousevos an Isocr 17 yoyñs avdgsxi¢ xai dokao-
nxjc erinnern kann. (Zu alotnoss vgl. Gorg. 464 C alodouivn, où
yrobca Ayw alla croyacnuérn, 463 A wuyîs atoyacuxyc).
81) Phaedr. 272 A moocdafivis xaspods . . tjv euxaspiav te xai
axcisgiav diayvoóvn, Isocr. 16 tà» xew&y un diauaotsir, Ähnlich 13. —
Ob übrigens die idée; 8 16 mit den eidy 8 17 und die letzteren mit
den éldy tav Aoyw» bei Platon identisch sind, macht hier nicht viel
aus; doch dürfte Susemihl (De Pl. Phaedr. p. XVI sq.) darin gegen
Siebeck (Unters. 2. A. 133!) im Rechte sein. — Eine sachlich min-
der bedeutende, aber wegen der dem wörtlichen Citat nabekommen-
den Aehnlichkeit doch bemerkenswerthe Uebereinstimmung, auf wel-
che Bergk aufmerksam gemacht hat, findet sich zwischen Phaedr.
235 B cf. 287 in. und Isocr. 8 9 und 12. Auch hier ist eine leise
Correctur der isokrateischen Bestimmungen nicht zu verkennen.
622 P. Natorp,
noch gegen eine dritte Kategorie. Es handelt sich um ältere
Redelehrer ®*); ihr Gebiet ist die advocatorische Praxis, zu der
sie Andre tauglich zu machen verhießen und damit gewisser-
maßen dazu aufzufordern schienen. Sie verfallen deshalb, ab-
gesehen davon, daß die Kunst, soweit sie lehrbar ist, nicht auf
die Gerichtsrede zu beschränken, sondern auf alle Arten der
Rede auszudehnen wäre, dem sittlichen Tadel: während die zu
Anfang bekämpften Sophisten bei ihrer freilich praktisch sich
nicht bewährenden Kunst zum wenigsten Tugend und Beson-
nenheit hochhalten, so unterstanden sich jene geradezu, noAv-
Ryuymoovrng xal nAsoveklug sivas dsdaoxudos. Man wird auch
hier wieder an den Gorgias erinnert. So bekannte sich Kal-
likles, der allzu gelehrige Schüler der Rhetoren, unverblümt zu
dem Grundsatze der nAsovsäta (483 C f); so illustriren seine
Ermahnungen an Sokrates, sich an den Geschäften der Agora
zu betheiligen, wo allein Mannestüchtigkeit sich zeigen könne,
den anderen Vorwurf der Aufforderung zur nolvrguyuoourn,
und ebendarauf weist das Lob des Philosophen — zx é«vrov
Roakuvios xai ur moÀurgayuovicavio; (526 C) Damit erledigt
sich der sonst naheliegende Einwand #}, daß nach den scharfen
82) Thrasymachos und Theodoros. nach Reinhardt De Isocratis
aemulis p. 7.
83) BlaB Att. Bereds. II 33 t.; Reinhardt S. 37. -- Sehr zuver-
sichtlich haben Bake, Schröder sowie neuerdings Gotschlich (Ueber
die Veranlassung des piatonischen Dialoges Gorgias, Beuthen 1871)
und Sudnaus ‘Rhein. Mus. N. F. XLIV 52 ff.) vebauntet, daß der
Gorgias sogar gegen Isokrates geschrieben sei. Sudhaus läßt deshalb
die Schrift erst ca. 376 verfaßt sein (ännlien Teichmül!er Lit Fehden
H Is £3; sie soll in der Bekämpfung der masorstie und der auf das
Ángenehme, nieht das Nützliebe berechneten Bereds:nkeit auf Iso-
krates’ Rede »An N:koklese siev. bezieten, indem in der Figur des
Kallikles eben Isokrates dargestelit sei; dieser replicire darauf im
Proóm des »Nikukiese, und somit fate der Gorzias zwischen beide
Reden. Die Combination scoeitert schon darin. da Kalliklea der
tvpiscne Vertreter der praktisenen Rhetorik unu ein auszesprochener
Verüccter der l'heorie ist: von welcher Ricitane sica ]sokrates un-
ters-heiuen, daher auch (wie s con. R-inbardt erimnerte) nicht 67700
-be'ß-n will: ferner, daß Kallıkles den Standpunkt der Pleonexie in
ei.em radiealen Sinne vertritt, zu welchem sich [sokrates nirgeudwo,
auca nicht in der Rede »Ar Nikokiess, bekennt, den er vielmehr in
dev Sopatstenrede, tast im Sinne des Gorgias. bekämpft. Er richtet
sich dort. wie man annimmt. gegen Torasymaezos und Theodoros ;
in der That äußert sich ja Torasvmachos im ersten Bucce der Re-
put..:K gauz donien wie Kauikies im Gorgias. Die bequeme Verei-
niguny vou Treorie und Praxis, von Tioredse und aos, welche für
Isoirates spä'eruie cüarasteristiseu ist, findet im Gorgias noch keine
Berücksichtigung: man sollte also schließen. daB er au einer Zeit ver-
Platons Phüdros. | 628
Urtheilen über die Rhetorik im Gorgias ein freundliches Ver-
hältniß zwischen Platon und Isokrates, wie der Phädros es vor-
aussetzt, nicht mehr möglich gewesen sei. Die Kritik des Gor-
gias trifft in der That nur die sittliche Seite der Sache; darin
aber will Isokrates dem Platon nicht widersprechen; mit der Art
faBt wurde, wo Isokrates diese eigenthümliche Position noch nicht
vertrat. Er mag vor oder spütestens um die Zeit der Sophistenrede
geschrieben sein, der Platon im Phädros, wegen des darin zu bemer-
kenden An'aufes zu einer mehr theoretischen Begründung und zu-
gleich sittlich anständigeren Handhabung der Redekunst, seine An-
erkennung nicht versagt. Nachdem darauf Isokrates in der Helena
seinen Hochmuth an den Philosophen insgesammt ausgelassen, weist
der Euthydem ihn in seine Schranken zurück und subsumirt ihn —
jedoch nicht in jeder, namentlich nicht in ethisch-poli-
tischer Hinsicht — unter das frühere, ihn unmittelbar nicht
treffende Urtheil über die praktische Rhetorik; daher die von Sud-
haus richtig beobachteten Parallelen zwischen der Charakteristik des
Isokrates im Euthydem und der Zeichnung des Kallikles im Gorgias;
wobei man aber namentlich den tiefgreifenden Unterschied nicht
übersehen darf, daB Kallikles in der praktischen Politik die einzige
des Mannes würdige Beschäftigung sieht, Isokrates, wie nach der So-
phistenrede so nach der Zeichnung im Eutbydem, von derselben sich
wohlweislieh zurückhält (s. bes. Euth. 305 E usrpiws de nolınzav und
die folgende Begründung). Indem aber so der Conflict sich zusehends
verschärft, begreift es sich bei der bekannten Art des Isokrates voll-
kommen, daß er späterhin recht geflissentlich die von Platon be-
känpften Anschauungen, natürlich mit den gehörigen Modificationen,
sich aneignet; daß er z. B. den einst von ihm selbst bekämpften
Grundsatz der Pleonexie, in einer milderen Deutung, von der der
Gorgias und die Republik nichts wissen, desgl. die Berechnung der
Rede auf das Angenehme, nicht das Nützliche, mit dem Vergleich
der Tragödie, einfach übernimmt und unter heftigen Ausfällen gegen
Platon veitheidigt. Er stößt damit nur mit vollen Backen in das-
selbe Horn, welches bereits die älteren Rhetoren, mit denen Platon
im Gorgias Abrechnung hilt, zu blasen verstanden; nur daß er da-
bei eine Miene von Frömmigkeit und Tugend annimmt, welche jene,
immerhin ehrlicher, verschmäht hatten. So sind die viel späteren,
doch sehr directen Beziehungen auf den Gorgias in der Friedensrede,
der Antidosis, dem Panathenaicus, so auch die gauz gleichartigen im
Nikokles zu erklären, welcher schon deshalb nicht die »unmittelbare
Erwiederung« auf den Gorgias sein kann, weil in der Figur des Kal-
likles doch wohl nicht die »Erzieher und Philosophen« angegriffen
werden. Die Polemik des Gorgias trifft die Klasse insgemein; sie
trifft eben darum in der Sache, ohne es eigentlich aut ihn abge-
sehen zu haben, auch den Isokrates. Das empfindet er wohl, und.
wendet sich daher mit steigender Heftigkeit gegen diese Schrift wie
gegen eine ihm persönlich widerfahrene Kränkung. Seine bis ins hohe
Alter sich fortsetzende Polemik gegen den Gorgias ist ein sehr merk-
würdiges Zeugniß für den nachhaltigen Eindruck, weichen die Schrift
hinterließ, für die Meisterschaft, mit der der allgemeine Typus da-
maliger Beredsamkeit darin getroffen war; aber sie beweist nicht für
die Abfassung des Gorgias in einer Zeit, die fast um zwei Jahrzehnte
von derjenigen getrennt, ist, auf welche das Stadium der Lehre, wel-
ches sie aufweist, sicher schließen läßt. |
624 P. Natorp,
von Rhetorik, wie sie im Gorgias bekämpft wird, will auch er
sich nicht gemein machen, wogegen er selbst an dem so ver-
spotteten Antisthenes die sittliche Tendenz anerkennt.
Kein Zweifel: Isokrates will — bis dahin — etwas sittlich
Anstündigeres als die Gorgias, Tisias u. A., kurz die ganze bis
herige Rhetorensippe; er will auch etwas technisch Gediegeneres.
Beides konnte Platon nur aufrichtig anerkennen, in Beidem
konnte er Einwirkungen des sokratischen Geistes zu erkennen
glauben. Der Philosophie aber und insbesondere Platon war er
bis dahin wenigstens nicht feindselig gegenübergetreten ®!); die
Ansätze zu einer Theorie der Redekunst, welche seine Programm-
schrift enthielt, in Verbindung mit der Aeußerung $ 11, bei der
Platon gerade an das ehemalige Verhültnià des Rhetors zu So-
krates sich erinnert fühlen konnte, schienen eine gewisse Zu-
gänglichkeit für philosophische Einflüsse zu verrathen. Und so
sehe ich keine Schwierigkeit darin, das Lob des Isokrates im
Phädros geradezu als Antwort auf die Sophistenrede
aufzufassen. Die Gründung einer Redeschule von immerhin et-
was mehr philosophischem Anstrich als die bisherige, gorgianische
Redekunst gab Platon den natürlichen Anlaß, sich mit der Rede-
kunst auch einmal in positivem Sinne auseinanderzusetzen und
die Bedeutung, welche die Philosophie für dieselbe gewinnen
konnte, von seinem Standpunkt zu beleuchten, freilich in der
Tendenz, die Ueberlegenheit seines rein philosophischen Bestre-
bens auch über diese halbphilosophische Rhetorik darzuthun und
für seine Schule der Dialektik auch dieser neuen, wenngleich
einigermaßen verwandten Richtung gegenüber Propaganda zu
machen. Isokrates wird eine so väterliche Behandlung seitens
des acht Jahre jüngeren Mannes etwas weniger freundlich auf-
genommen haben als sie gemeint war, daher er denn in der
Helena auch ihn nicht schont, sondern mindestens zwischen den
Zeilen, auf einer Linie mit dem ja nicht ohne Grund von ihm
befehdeten Antisthenes, auch Platons Heiligthümer verletzt.
Darauf replicirt der Euthydem, in welchem das immer noch fest-
84) Das bezeuge uns Usener (Rh. Mus. 35, 138 f.): »Keine An-
deutung jener Rede läßt sich auf Platon beziehen und als Vorspiel
des späteren Kampts fassen . . . Isokrates muB sich damals noch Pla-
ton verwandt und näher stehend gefühlt haben. Er theilte mit ihm
die Begeisterung für Philosophiee. Mehr braucht man in der That nicht.
Platons Phidros. 625
-
gehaltene, wenngleich sehr eingeschränkte Lob (806 C) fast wie
eine Entschuldigung des früheren, viel zu günstigen Urtheils
aussieht.
Allerdings seit der Helena des Isokrates war ein Paktiren
nicht mehr möglich. Direct zwar kann auch hier unter denen,
welche auseinandersetzten, daß Tapferkeit, Weisheit und Ge-
rechtigkeit dasselbe sei und keine dieser Tugenden uns von
Natur zufalle, sondern eine einzige Erkenntniß von ihnen allen
existire, Platon nicht gemeint sein ®5); aber allerdings hatte auch
er solches behauptet. Ebenso traf ihn die stark ausgesprochene
Verachtung aller solcher Wissenschaft, die für das praktische
Leben werthlos ist #9), insbesondere des elenktischen Verfah-
rens ($ 4), und die ebenfalls hier weit entschiedenere Ver-
werfung des Unterschieds von dofa und éniornun ($ 5). Nicht
minder mußte die geringschätzige Behandlung der von ihm ver-
ehrten Eleaten 8°) ihn abstofien. Galt der Angriff des Isokrates
zunächst dem Antisthenes und Andern, so ging doch die Ten.
denz unverkennbar auf eine Discreditirung der Philo-
sophie überhaupt, welche Platon gerade an dem Manne,
von dessen philosophischem Trieb er sich ehedem etwas ver-
sprochen hatte, um so mehr befremden mußte. Die Helena,
nicht die Sophistenrede liefert demnach den völlig sicheren ter-
minus ante quem für die Abfassung des Phädros #). Sie muß
der Sophistenrede verhältnißmäßig rasch gefolgt sein; war der
Euthydem die Entgegnung darauf, so muß sie (nach Euth. 805
BC) zu einer Zeit geschrieben sein, wo Isokrates noch Proceßreden
(für Andre) verfafite??). Ohnehin wird wohl Niemand den Eu-
thydem über den Phädon und das Gastmahl hinabrücken wollen.
Endlich bleibt noch über die Behandlung des Lysias im
Phüdros etwas zu bemerken übrig. Die Entscheidung .beruht
hier, wie Susemihl gesehen hat, in erster Linie auf dem rich-
tigen Verständniß jenes Tadels des Politikers, der den Lysias
einen Redenschreiber (Aoyoygagoy) gescholten hatte (257 C).
85) Nach dem vorhergehenden xaraysynocxacy u. bes. nach 86 in.
86) 85,6 und 1; vgl. Antid. 8 269 f. 87) Vgl. wiederum Antid.
l. c. 88) Danach wäre Zeller,lI at, 531*, 536° zu berichtigen.
89) Christ Plat. Stud. (Abb. d. Münch. Akad. 1886, 504); Suse-
mibl De vitis Tisiae etc. S. XVI; De Plat. Phaedr. S. XII ; Sudhaus
1. e. S. 54. Es steht wohl nichts im Wege den Trapeziticus nach der
Rückkehr von Chios zu setzen; wenn überhaupt die Tradition über
die Begründung der Schule in Chios zuverlässig ist.
Philologus XLVIII (N.F. II), 4. 40
626 P. Natorp,
Das deutete Usener auf die Pflege der epideiktischen Gattung
im Unterschied von der Gerichtsrede, in der damals Lysias noch
ein Neuling gewesen sei. Allein nach dem Zusammenhang be-
zieht sich der Ausdruck vielmehr auf Schriftstellerei überhaupt,
vielleicht gerade auf die Niederschrift und Herausgabe von Pro-
ceßreden ??). Der praktische Rhetor blickt verachtend auf den
herab, der wie Lysias seine Reden kunstreich ausarbeitet und
veröffentlicht, um sich damit ein Denkmal bei der Nachwelt zu
setzen; ihm kommt es auf den augenblicklichen Erfolg, auf den
Machtbeweis nur an. Davon, daß der Ausdruck hier — gegen
den sonstigen Gebrauch — der epideiktischen im Unterschied von
der Proceßrede gälte, verräth die Stelle nichts.’ Es handelte sich
zwar vorher um eine epideiktische Rede; diese war durch So-
krates zweimal übertrumpft worden; dadurch könnte Lysias, wie
Phädros besorgt, am Ende gar veranlafit werden vom Schreiben
überhaupt abzustehn, zumal auch kürzlich ein Politiker auf
die angegebene Weise seine Schriftstellerehre gekränkt habe.
Das kann sehr wohl heißen: er sei, wie soeben von Sokrates
auf theoretischem, so schon früher von jenem auf dem Felde
der Praxis selbst todtgemacht worden; daß er sich übrigens so
rasch nicht werde umbringen lassen, verräth die Antwort des So-
krates: Phädros kenne den Lysias schlecht, wenn er glaube,
daß er sich so leicht bange machen lasse; d. h. Platon weiß
sehr wohl, daß Lysias sich seine philosophische Kritik ebenso-
wenig zu Herzen nehmen wird wie die jenes Politikers ®!). Ue-
ber den Gegensatz der praktischen Rhetoren gegen die ,,Reden-
schreiber" haben wir das klarste Zeugniß im Euthydem, wo auf
Isokrates als nos zwar Aoywr (305 B, vgl. Is. c. soph. 12)
90) Vgl. Krische S. 1019, und namentlich Stallbaum (Lysiaca ad
illustrandas Phaedri Platonici origines, Lips. 1851, S. 21), der den
Seholiasten z. d. St. und Pl. Euth. 305 (s. u. im Text) anführt.
91) Usener ]. c. 150: »aber durch diesen Einwand wird doch we-
der die Thatsache, die Phüdros anführt, noch dessen Ahnung bestrit-
ten, sondern allein der Causalnexuse. Offenbar nimmt Usener als
feststehend an, daß bloß vom Verlassen der epideiktischen Schrift-
stellerei in der Stelle die Rede sein könne. Allein die Worte rdya
obv dy bnó qilonuiac in(ayos uiv &v Tod yodgsw wie die folgenden
aloyuvoyras lóyove 18 yoagev xrÀ., 258 C avro Tovro du ovyyeages, D
AUTO Ye T0 ypageıw Aoyovs sprechen deutlich von Schriftstellerei über-
haupt, wie denn eben die Frage nach dem Werthe des Schreibens
überhaupt (258 D cf. 274 B, 277 B ro 4vaiov ivedos 16 Tüv Aé-
yov» yo«g5c négs) hier eingeleitet wird. Demnach richtig Susemihl
Jahrbb. 1880, 711 f.
Platons Phädros. — 627
ein verächtlicher Seitenblick deswegen fällt, weil er Reden für’
Processirende ausarbeitet, aber selbst nicht vor Gericht auftritt??). -
Wendet man ein, daß Platon mit seiner Kritik zu spät kam,
wenn er die epideiktischen Reden des Lysias angriff zu einer
Zeit, wo dieser auf einem andern Felde bereits weit Besseres
geleistet hatte, so scheint mir als Antwort immer noch zu ge-
nügen, was nicht erst Stallbaum *), Ueberweg °%), Zeller ®), son-
dern selbst Schleiermacher %) bemerkt hat: daß nämlich Platon
für seinen Zweck eine Gerichtsrede nicht brauchen konnte, son-
dern eine solche zu wählen genöthigt war, deren Gegenstand mit
Philosophie irgendwelchen Zusammenhang hatte und ihm Gele-
genheit bot, etwas Philosophisches dagegen zu stellen. Uebri-
gens haben wir keinen Beweis, daß diese epideiktischen Stück-
chen, die uns freilich ziemlich schwach erscheinen wollen, von
den Zeitgenossen irgend geringer geachtet worden seien, seitdem
Lysias zur Gerichtsrede übergegangen war ®). Ebensowenig
móchte sich aufrechthalten lassen, daf) die lysianischen Procefi-
reden, selbst die besten, vor den idealen Forderungen des pla-
tonischen Phädros bestehen könnten. Die Art psychologischer
Berechnung, wodurch sich Lysias anerkanntermaßen auszeichnet,
ist doch noch himmelweit verschieden von einer auf die Wissen-
schaft von der Natur der Seele (und ferner des Alls) gestützten
Redekunst, wie sie hier verlangt wird ?9) Uebrigens steht bei .
Platon nicht diese Forderung, sondern die der dialektischen Be-
gründung obenan; sofern das xur eldn dsasoetv die eine der
beiden dialektischen Hauptmethoden ist, fällt die ebendarauf ge-
gründete Forderung der psychologischen Basirung der Rede
92) Möglicherweise bezeichnet auch der Ausdruck zoLhmnxóg; im
Phädros den öffentlichen Redner (Gorg. 452 E, Phaedr. 261 AB),
also auch den Gerichtsredner (so wohl auch Isoor. XIII 9 und 20);
also dasselbe wie önzwe im Euthydem. Daß Isokrates nicht swe
heißen will, bemerkt Reinhardt 1. c. S. 20).
93) In dem Anm. 90 citirten Programm S. 20 und in der Ein-
leitung zu seiner zweiten Ausgabe des Phüdros p. CXXIV.
94) Untersuchungen 264. 95) Ph. d. Gr. lla* 5384 g. E.
96) Platons Werke, Ia 44. — 97) Vgl. Susemihl Jahrbb. 1880, 709.
98) 271 D ff, wo es übrigens um zo&tic gerade sich handelt, wie
auch 272 D ff. Demnach könnte das dazwischenstehende Urtheil über
Lysias (272 C) sich geradezu auch auf dessen Gerichtsreden beziehen.
Vgl. die Zusammenstellung des Lysias mit Thrasymachos 266 C und
269 D (wo die Lesung durch die Handschriften ebenso wie durch die
vorige Stelle gesichert ist) ; Thrasymachos ist (261 C) nebst Theodoros
Vertreter der Gerichtsrede (s. o. Anm. 82).
40 *
628 P. Natorp, Platons Phüdros.
selbst mit darunter. Daft aber Lysias von nichts weiter als
von Dialektik sich fernhält, gesteht wohl Jeder zu.
Es scheint somit, daß auch dieser letzte Anstoß der sonst
von allen Seiten sich bewährenden Annahme, daß der Phädros
um 393 abgefaßt sei, kein ernstes Hinderniß bereitet; wir dürfen
dieselbe damit wohl als hinreichend gesichert betrachten.
Marburg. | P. Natorp.
Exegetisches zu Plato's Symposion I.
Symp. p. 174 B. "Ezov rolvur, Eypn (Sokrates), fra xol mr
nagotular diupdelowpev uszafiíAlovreg, wo aden xal "Ara Ir
ini dutrag lacw avrouaroı ayadol. Die langathmige Polemik
zwischen Rettig und Hug wird dem Leser in nur zu lebhafter
Erinnerung sein. Wer die paroemiographische Tradition über-
sieht, dem kann kein Zweifel über die Urform des angezo-
genen Sprichwortes beikommen. Didymos bei Zenobios I 15
S. 850 Mill (— II 19 S. 36 Gott.) verzeichnet als ursprüng-
lich nur die einfache und ehrliche, vielleicht aus dem Kyuxoc
y«uog stammende (Anal. ad paroem. 53) Form adrouaros a y a-
Sot ayudwr Eni duiiaç tevras: alle andern Fassungen sind
Variationen (Bakchylides fr. 33 p. 581 Bgk.) oder Parodien
(Kratin fr. 169 p. 65 K.: xouwwr ... $errwv, Eupolis fr.
289 p. 337 deulwv '). In dem Plato-Scholion wurde der Vers
des Eupolis vom Schlusse an den Anfang versprengt: damit
war der Verwirrung Thür und Thor geöffnet. Lachmann's Schrei-
bung 'Jyá3w» (für «ya9wr) stellt eine neue Parodie her,
welche durch die vorliegende Situation gerade so individuell an-
geregt und bedingt wird, wie jene parodischen Umbildungen der
Komiker. — 8.117 A: Daïdgos yàe . . Où deror, qot», ...
àÀÀoic pfv tir 96v vurovs xoi mavdvac eas. ., v dè
Eowrs ... und Ea .. . menounxérus wndiv eyxw peor;
Noch A. Hug (S. 31) bemerkt im Anschluß an Wolf u. À, daB
Plato den Phaedros absichtlich ‘ziemlich leichtfertige Behaup-
tungen aufstellen lasse’, und daß man ‘diese Angabe nicht genau
nehmen dürfe' da die Lieder an Eros aus der Antigone und
dem Hippolyt 416 längst bekannt gewesen seien. Für diese
Weisheit fehlt mir das Verständniß. Gelegentliche Einlagen im
Umfange von zwei kurzen Strophen sind doch etwas Anderes,
als officielle vuros und zuwves. Ein solches selbständiges Lob-
lied auf Eros wird man sowohl unter den hexametrischen (‘ho-
merischen’) Hymnen, wie unter den Fragmenten der chorischen
Lyrik von Alkman bei Pindar vergebens suchen; Eros war eben
keine volksthümliche Gottheit?). Erst in dem orphischen Gebet-
buche finden wir eine xAnow "Eowros, zehn Zeilen lang.
1) Wenn Eupolis nach Zenob. étégwe quoir Eyes 13» naposuiar, 80
ist das doch wohl wörtlicher aufzufassen, als Hug (Ausg.? 215) meinte.
2) Auch in den Hymnen bei Paus. IX 27 wurde er beiläufig erwähnt.
Tübingen. O. Crusius.
XXXI.
Lucianea.
Legenti Maximiliani Rothstein sagacissimas quaestiones Lu-
cianeas, nonnullas quaestiunculas quas ab accuratis codicum no-
titiis destitutus in medio reliquit aut solvere aut provehere aliquan-
tulum haud mihi visum est inutile, praesertim cum critica Lu-
ciani editio inter breve temporis spatium exspectari non possit.
Ac primum quidem diiudicare mea interfuit, utrum iure
p. 42 suspicatus esset v. d., Courierum in libello inscripto: „La
Luciade de Lucien ou láne* (Paris 1818) permutasse codicis
Vaticani 90 ab eo B littera significati, et Marciani 72 lectiones
quem 4 notavit. Collato igitur in Vaticano 90 opusculo illo, rectis-
sime Maximilianum Rothstein coniecisse confirmare possum. Sed
cum ne id quidem Courierus praestiterit, ut semper sub 4
littera Vaticani 90 lectiones ederet, sed saepius etiam sub B
eiusdem codicis discrepantias notaverit, omnes singularis huius
historiunculae locos, quibus Vaticanus 90 I' a Caroli Iacobitz edi-
tionis minoris vol. II p. 303 — 337 dissentit, publici iuris fieri
haud ingratum sit hominibus doctis. Atque ut etiam de codici-
bus Vaticanis 87 et 89 et Urbinate 118 paulo certius iudicari
possit, ex uno quoque nonnullas paginas illius opusculi cum eadem
editione contuli et quae enotavi, codicis I lectionibus adiungam
suo quemque numero significans. Ac Vaticanus 89 quidem chart.
saec. XIV in 4?, de quo v. Rothstein p. 15, Lucium praebet
inde a folio 325" usque ad 340”, ubi desinit ‘verbis xai ddr
== Iacobitz ed. min. III 387. 4. Sequitur folio 341” libelli
630 E. Bethe,
mic dei ioroglar GvyyQéqtw pars inde a verbis ws duyazov pos
xvÀicu, = Jacob. FI 2. 26. Intereidit cum huius initio illiusque
fine Demosthenes. In marginibus multa scholia rubro atramento
adpicta sunt (cf. Rohde: Mus. Rhen. 1870. 548) et plura qui-
dem quam in IF et in Iacobitzii ed. mai. vol. IV leguntur: unde
Vaticanum 89 e /’ descriptum non esse apparet, id quod suspi-
catus erat Erwinus Rohde (Philolog. Anzeiger 1872. 489/90). Ur
binatem 118 diligenter descripsit A. M. Desrousseaux (Mélanges
d'archéologie et d'histoire VI (1886) 486 sqq.) In eo Luci ini-
tiun a manu secunda (1181), finis a manu prima (118!) ex-
arata sunt.
Aovxis T! 89, Aountog T? 87. 11811
§ 1 p. 808, 1. 9 ro dvoua 89 — 1. 11 Gros F 87. 89. 1180 — L 12
iyo, T 89. 118H dyes 87 — 1. 18 adroò T 87. 89. 118U — 1. 14/5
éysyévnusy 89 — 1. 15 x5nóc nc Évdov mw ai T 87. 89. 1180.
8 2 p. 303 1. 18 j om. F 118U — 1, 19 6 om. 11811 — 1. 20 sv
Saves T 89 — yoduuera einov xouitwy 87 — 1. 21 dexgiov T 89.
11811 — natagéws D 87. 89. 11811 — ]. 25 éasdidwxa 87 — p.
304 1. 4 avo. 87 — 1. 5 tow éreigoy T 89. 1188. — 1. 6 xed 9&
I 87. 89. 1181 — xouitsc 89 — 1. 7 yàp om. F 87. 89. 118ll.
p. 904 1. 8 einóvia T 87. 89 — sindvta xai to 89 — 1. 13 xor
9$idíev nvày sic 87 — 1. 14 ueré9yxey 87 — 1. 15/16 “Innagyos di
detiwoausvos 87 — 1. 16 ixélsvas 11811 — 1.22 ans 1181 — Ad-
Qoa» T Aapıooa 89 — 1. 23 évGede I 87. 89. 11811 — sgswy om. 87.
8 4 p. 304 1. 29 xà» rovro — 1. 32 ninoseorepov 87 — yivouas T
87. 89. 11811 — p. 805 1. 3 dxodoss 11811 — $udc 11811 — 1.4
xatalicsss 87 — 1.6 ovdéy om. 89 — 1.7 d om. T 87. 89. 1180. —
l. 8 xaréyes T 89 — 1. 9 £g om. 1184 — 1, 10/11 xei post den
om. 89. — 1. 12 noggwriow 87 — ]. 15 $naxovce T 87 — 1. 17
tous dì xai 87 — 1. 18 evdus om. 87 — yuvasti 89.
p. 305 1. 20/21 ngocsiyor abt} ovdi» En T 87. 89. 1181 — usque
ad 1, 22 contuli Vaticanum 87 — 1. 22/3 énsSvusivy om. 118 —
l 26 x&nei 89 — 1. 27 xudiwiuevos 89 — 1. 28/9 và decnérwr om.
T 89. 11811 — usque ad 1. 29 contuli Urbinatem 1180.
8 6p. 306 1.8 rapedpevess I 89 — 1.9 Ssoansdanus dé cov 89 — àd-
dos oùdè T 89 — 9/10 alla xaraxavoace os D 89 — |. ll novsiv
T 89 — 1. 12 avein T 89 — 1. 14 dv9oonov uayngor I — 1. 16
diow I° — 1. 26 dvaxaxydsaca duoi 89 — 1. 27 xaraxoıunog 189
— 1. 28 xaSevdyoe 89.
co
8
or
§
n
§ 7 p. 307 1. 1 napsucomra T! — 1. 5 xadavrà T xa atm 89.
§ 8 p. 307 1. 11 dy om. r 89 — 1. 19 yiyvov 89.
8 9 p. 307 1. 25 uvoër 89 — 1. 26 drrofadlwv T 89 — dacslas I —
l. 27 swoe T — |. 30 ndatovs T 89.
8 10 p. 308 I. 3 nalaiouara xai Àéyo T — 89 1.6 noBdllnc 89 —
l. 9 nÀsééo T 89 — all’ dxaíov T 89 — 1. 11 davrjv om. 89 —
l. 14 &yns 89 — 1. 15 éningoaoy 89 — 1. 16/7 Adyor 6 cauuaopiyys
T, 600 uiuaopiyys 89 — 1. 17 Zußals F 89 — 1.19 zodyor I° 89 —
l. 21 vede F 89 — 1, 22 nénoxs T 89 — 1. 25 odiya drra 89 —
Lucianea. 631
unaxov 89 — 25/6 énavdora xa F 89 — ]. 26 xaPyoov F — 1. 97
xai post Àomov om. 89.
811p. 308 1. 31 zgupy 89. | Usque ad i. 31 contuli. codicem Vaü-
canum 89. Sequuntur Vaticani 90 I lectiones:
§ 11 p. 809 1. 1 749«v eic 30. — 1. 4 d° om. — aëm — 1. 8 olde in
rasura a manu ].
8 12 p. 309 1. 22 néraodas — 1. 28 & viv — 1. 26 douanov — p.
910 1. 1 évavre.
8 13 p. 810 1. 17 zuynv pro wuyw — 1. 17/18 doudnov — 1. 18
énavoitace — 1. 20 onıdev — 1. 21 onov — 1. 24 tà om. — 1.28
ynóumv.
814p. 310 1. 82 yoiovoay pro qÜovoay — p. 811 I. 1 à om. —
égov yàg — 1. 2 anodvces — |. 6 xatayyoacd,
815p. 3111. 17 retra yao — 1. 20 diagS9aprvos om.
8 16 p. 311 1. 28 #xivov», sed superior litterae + pars ab alia manu
in rasura — 1. 30 xarelinero — iué 1 om. — p. 312 1. 1 #2avvoy
de eic — 1. 3 avunoderos — 1. 8 oyxwun» — 1. 9 inixolov 9s —
1. 11 œlo.
8 17 p. 812 1. 16 ro om. — 1. 20 oí om. — 1. 21 xesdidia — 1. 22
obnw noi — l. 25 avróv -- l. 26 negi tov — 1. 29 avddy — p.
313 l. 1 gvoueva boda dapun» — |. 2 oi om. .
8 18 p. 313 1. 9 uov om. — 1. 14 &pxoss — 1. 15 xai om. — 1. 16
jon so tov — |. 17 où» om. — sine — 1. 19 èpixa».
8 19 p. 313 1. 27/8 oin9séyy — p. 314 1. 6 nosovar.
8 20 p. 814 1. 17/18 ódoó xai on xatalócovas losnoy tv9a xatautvovaw.
wots navra Tara — 1. 23 xadébes. |
8 21 p. 314 1. 30 xouiboyres oxsun nÀsora — p. 315 1. 8 ro om.
8 22 p. 815 I. 21 avrjs — 1. 22 ovvéxdasoy — 1. 26 napsives — p.
316 1. 4 oùrw — ], 18 6 dé toV.
8 28 p. 316 |. 25 aum — 1. 28 roi; — 1. 30/1 inudg — p. 817 18
yoavy dioxw & — 1. 6 xasnoacd uos — |. 9 sUyero.
8 24 p. 817 1. 22 dnodwowuev caodavsov,
8 25 p. 318 1. 6 los — frgov — 1. 8 7uov — 1, 10 navres dé —
1.15 Feregoc — 1. 17 dr1oAécas — 1.22 Éyxatownowusy — 1. 90 x17-
vor — am» — |. 31 nyostas — | 32 «jj d' dduz
8 26 p. 319 1. 6 émde£auevoc — 1. 15 moocoyxnoaptvov.
8 27 p. 319 I. 19 xas uos toic xextmutvns — 1. 20 uediuvoss — 1. 21/2
Tj nalaictog — 1. 26 pn 5 deonowa — 1. 27 9élov name — 1.
32 zo» — p. 320 1. 2 uiv 6.
8 28 p. 320 1. 5 ueyanolÀg — 1. 6 us post &vdov om. — 1. 16 dmoà-
Àóuxv. «iti — posyòv in rasura ab alia manu — 1. 19 Inlwzuniiar
— 1, 21 veuwuevos.
8 29 p. 320 1. 24 xaxóv — p. 321 1. 3 deo» om. — 1. 4 npoafalsiv
— 1. 8 aevvaos.
8 30 p. 321 L 11 zoze xai ola — 1. 12 u dy vo — 1. 12 of — 1.
12/3 xatafàs tod ysiot — 1. 19/4 tò qogríov — 1. 14 xai dios us-
que ad xezjÀ9ev om. — 1. 15 uos om. -- GAA — 1. 16 dpkousvos
— 1. 19 enexosuva onder — À. 23 ales — 1. 26 60790.
8 31 p. 321 1. 30 orvnnior (sic semper) — 1. 32 70 ante zodò om.
p. 322 l. 18 zegvouéro — 1. 15 we om.
8 32 p. 322 I. 19 &unocoxt, — 1. 21 asróv — 1. 22 olda ou — 1. 25
nets — p. 323 1. 1 quvrar.
§ 33 p. 323 1.8 xaraysvcacdas — 6 post mais om. — 1. 11 dovoasd —
l. 12 anoopa£es — 1. 14 town — 1. 18 dgjfoues — 1. 21 Aéyos
— 1. 25 dxe«igsoc, litterae as et s rasac sed non correctae.
632 E. Bethe,
8 34 p. 323 1. 26 nv om. — 324 1. 5 fnao« xai ayes ovv. alloı.
&yo Verborum ays ovy litterae a, 5, v ab alia manu antiquis
superscriptae, quarum haec apparent iam reliquiae e y wow —
l. 7 tour.
8 35 p. 324 l. 17 inayew.
§ 37 p. 325 l. 7/8 aùyrims ipvon — anoppayarııs — 1. 16 leyddo;
xai olvov xai tugov — 1. 17 nvgov.
8 38 p. 325 1. 22 uri — 1. 28 dnolshoxong — p. 326 l. 8 wvxròs
&U9oc tvdey — |. 14/5 allwors.
8 39 p. 326 1. 21 uéya — 1. 22 yàg om. — 1. 26 aéró» — 1. 28/9
óa9vuiq num — 1. 32 oxsvacas — p. 327 1. 8 Fvoagxes — 1. 5
w v vas.
8 40 p. 327 1. 10 xovidos.
§ 41 p. 327 1. 24 di om. — |. 30 cuvosxicaries — p. 328 1. 2 dxo-
uitovro — 1. 5 nv om. — 1. 9 dvadepa,
$ 42 p. 328 l. 25 éunéréoavres pro oxendourrs — |. 32/p. 329 1. 1
100 deondtov Ty xsie pa.
8 43 p. 829 1. 5 6 dé deonéme wd — 1. 9 tonjray — 1. 12 ndo
pro mayor — 1. 13 tò gayeiv.
§ 44 p. 329 1. 14/5 eic rôv xjnov tyrvyyaves — 1. 29 n° om. — 1.80
gv om.
§ 45 p. 330 1. 4 eic oixgue ónsodoy — 1. 10/11 re» tnygerdy niu-
"ovcw — |. 16 yovomerns.
§ 46 p. 331 1. 2 x«i elyev xaì — 1. 16 guda — 1. 17 sug om. —
l. 22 xav wir.
§ 47 p. 332 1. 4 Yosro noir qu — 1. 5 nxovas xai — 1. 8 $y93» —
l. 18 à» om.
§ 48 p. 332 1. 21 êuè — p. 3331. 2 En — davivivov — 1. 3 xati-
vevuv — |. 8 ini 100 vostov.
8 19 p. 333 1. 17 nopia.
8 50 p. 833 1. 28 xai om. — 1. 31 doxov» om. — p. 334 1. 8/9
avanavoacda:.
851 p. 334 1. 11 gdn z» — 1. 16 noi — |. 23 gopßaias lafouévq —
l. 24 ordi» roitov — 1. 29 10% ovoss — 1. 32 dsacnacSsiqg — p.
335 1. 2 moocxalovutrzy. Inde a |. 7 usque ad finem contuli Ur-
binatem 118, cuius hane partem scripsit manus I (1181) — 1. 9
am IIS — 1. 10 uryoë T.
$ 52 p. 335 1.13 rj om. 1131 — fudge 1181 — 1. 13 xertyogrouos T
1 19 zv» pro d» Fils — 1. 22 uo 118 — 1. 23 dafs Tadıa
aosoërre llàr — | 26 xaj T — |. 27,22 Verba ab xeí nva usque
ad aTosursir om. 11Sr - 1 23 rara Pxrxgaro T
$53 p. 336 ] 1 geiciàgs ll31 — éogrrœuërs P 118 — 1.2 ras rye
T lu — l| 6 é&gddero P — 1.7 de 1131 — 1.9 sapienrgzacar T —
1 10 dass om. Liss — one r
$54 p. 336 1 134 Verba a nrog usque ad sagedsvertec om. T
lisi — . 16 eygécaevor D — l IS ertor FIN — 1.30 ageric
p aer; DiS: ‘res de 11. Inde a linea 27 usque ad p.
SAT : 4 ux desi conta Vaticanum S. — p. 836 1. 21
don pro ave FT: .- SATIRE, és uctimae syllabae ab alia
mama m rasura FP - " 24 garuarıe sy — 1 R ver om. 118 —
Lote nic my IM o p ST CO! ysevev- DIN N
hfs
SR RSS. 2 rogo tate N — \ d wed weder altima Vaticani 89
verba -- der len D — . 7 tes pro «ei 119 — LS eyes 118 —
erde Do — 1 14 à adigés 4 dass r.
Lucianea. 633
S 56 p. 337. Inde al. 17 usque ad finem contuli Vaticanum 87 —
l. 18 elves pro #49eîv 87 — 1. 19 xad//fiov r — 1. 20 u’ daudın ve
slceditaro 1181 — ]. 25 modò om. 1181 — |. 27 d’ 7» 1181 — fa-
9sia vot 87 — 1. 28 dà r 87 — 1. 29 dic om. T 87. 1181 — p.
338 1. 1 xai om. 87 — uaxpar xai nos anelday I uaxgar nos
ll8r — xosugos I — 1. 2 eluaprai 87 — 1osodro T 87 tosovtoy
118r — dia P — 1. 7 nidıxov I — 1. 7/8 Gdn só99c 11& — 1.9
xai om. 1181 — 1. 10 xadog xadws T xadòs 1181 — 1. 11 napala-
Bo» 1181 — 1. 16 i9»x« 1181 — 1.17 m»óg pro xvvóg 1181 — di
pro dj P — 1. 18 nepssoyacias 1181 — navv om. 87 — T, qui
neque ullum scholium neque variam lectionem in marginibus hu-
ius libelli praebet, hanc exhibet subscriptionem : Jovxsavod éns-
Tour wv Aovxiov uerauopquoswr. Qua optimo cum fructu Maxi-
milianus Rothstein p. 128—138 usus est.
Quid de Urbinate 118 iudicandum sit, affatim mihi patere
videtur: recentior pars a manu secunda ex Vaticano 90 I de-
scripta est, a quo paucis locis dissentit aut negligentia verbum omit-
tens aut de suo corrigens velut p. 304. l. 29 xa» ro/1w pro
xav tovro I’ et l 16 êxéleucs pro éxéAevev D. Neque ‘prima
manus alicuius momenti esse videtur, cum arte cohaerere ap-
pareat cum interpolatis codicibus imprimis Guelferbytano F et
Parisino 2954 M. Vaticanum autem 87 in hoc quidem libello
iure negligi posse ex lectionibus, quas enotavi concludatur, ut
qui non tam Vaticano 90 F quam deterioribus codicibus pro-
pinquus ne unam quidem variam lectionem exhibet, quam non
coniectura nactus sit. Denique Vaticanum 89 non ex I deri-
vatum esse, id quod iam supra monui, e discrepantiis si non
multis attamen satis gravibus facile coligitur.
II.
Luciani scripta in quattuor partes in codicibus distincta
esse Maximilianus Rothstein p. 25 conclusit comparato ordine
eorum qualem Vaticanus 90 T° secundae classis princeps praebet,
cum eo, qui in prioris familiae exemplaribus traditur. Qua-
rum tertia pars ea est, quae non nisi in secundae familiae co-
dicibus legitur; continet libellos inde ab Imaginibus (no. 43)
usque ad Cynicum (no. 76) a viro illo docto p. 7 sq. ex Va-
ticani P indice enumeratos. Tria vero commentariola : deorum
concilium (52), Tyrannicidam (58) Abdicatum (54), cum etiam
in prioris classis codicibus inveniantur, ordinis quo traduntur
ratione habita, „secundae classis archetypo ita inserta esse“ con-
iecit ,ut librarius e prioris classis codice ea eligeret quae non-
634 E. Bethe,
dum receperat". Contuli igitur tres illos Vaticani 90 I libellos
et ut in Deorum concilio comparandi facultatem haberem prioris
classis Vaticanum 76. Ac variam codicum lectionem quamquam
etiam ex ea haec quaestio pro certo diiudieari non potest, tamen
viris doctis usui esse credo. In Abdicati textu I’ cum prioris
classis principe Vindobonensi 123 B arte cohaeret. Neque enim
in $ 1 — § 5 editionis minoris Caroli Iacobita II p. 85—89. 7
ab illo discedit nisi quinquies in minutiis: p. 85. 7 zu om. I!
addidit alia manus, p. 85. 16 zosovro B, tosovzow T, p. 87. 17
uerausuntog B, petaneuntog I, p. 88. 3 ned B ngóg D, 1. 4
ungva B, unigvia D; consentit autem in hisce ab illa editione
diserepantibus locis: p. 85. 4/5 xei Aéywr pun duracda: om.
BT, p. 87. 1 s0s0vr0 uw B T, 1. 2 un à) B T).
In Tyrannicida (53) et Deorum concilio (52) Vaticani T
lectionibus adiungam praeter Vaticani 76 in hoc libello serip-
turas et ex Caroli Iacobitz editione maiore Vindobonensis 123 B
desumptas et Vaticani 89 discrepantias, quem ad nonnulla
horum opusculorum paginas contuli.
Tuoearvoxtovos.
C. lacobitz ed. min. II p. 741. 1 óc om. T 89 — 1. 5 dveda» pro
avsidwr 89 — 1. 6 «velo» om. 89 |
8 1 p. 74 1. 7 rupdvous 89 — 1. 17 avroò T B — 1. 19 (vn FB 89.
8 2 p. 74 1. 23 éxevoréunon T ixcivorounoa 89 B? — 1. 24 duvvecdas
T B 89.
§ 3 p. 75 1. 9 of/////ndéuevoc T*, ab alia manu in: où andöusos (=
B) correctum. ody mdousvos 89 — 1. 10 zö avrò I 89 pro rom,
quod B praebet (?).
Usque ad finem § 3 contuli Vaticanum 89
84 p. 75 I. 15 sdqeoveiodas T, eipooveiche B? — 1. 23/4 a ufléragos
— foaditegos T B, sed duBÀi[]|tepoc E — 1. 27 nooosy9as I B
8 5 p. 76 l. 8 ixxóntov — goßwv I B
8 6 p. 76 1. 20 novnoQ T, novyody B? — alla I Gloss B?. — 1. 26
yevvexwv D yevexwv B.
8 8 p.77 1.21/2 avponuivo TB — 1.23 alla uà TB — 1.260 dà FB.
89 p. 77 1. 31 dittographia a posteriore deleta — p. 78, 2 adria
taùta T, B?.
1) Vaticani 89 itidem usque ad p. 87, 7 Caroli Iacobits editionis
vol. Ia me collati has enotavi lectiones: p. 85, 3 delos — 4/52 xai
usque ad Jór«c9as om. — 7 rà om. — p.86, 2 dà om. — 15 érì om.
— 24 anoloynoouas, in margine ab eadem manu ye dénoljoomas - p.
87, l 1050010 n — 2 un dy — to» om.
Lucianes. 685
8 10 p. 78 1. 26 xwduveVov T, xai zwdursuur B — 1. 28 ti dì dgo-
osorov T, ti dai ayagsorov B.
$ 11 p. 79 1.1 ui» T pro uórov quod B?. — 1.11 HET, ti dai B.
l. 12 ro P B pro tore — 1.17 ei» Fr, n n B?. I. 19 yoo-
uévov T B.
8 12 p. 79 1. 23/4 ef ms avros anéxtever om. DP B — 1. 28 yiveo9as
BT — adeas T, B? pro aîrias.
S. 13 p. 80 1. 4 si dì T, ti dai B — 1. 9 negorsvuévou dyelnivdotos
I B — ]. 16 xai ovyi TB.
8 14 p . 801.23 v post àvdei om. P B — 1. 25 xaè post you om. 7,
B» — l.26 ngo ro? toy I ab alia manu ita correotum 700 tovtwy
N00 voU t)» B — ]. 28 nogoslöusvos I° B pro nposdoueros — p. 81
l. 5 uóroc TB.
5 p. 81. 8 énoigoa I° B.
7
8 !
8 17 p. 82 1. 18/9 ab obtos usque ad Tugdvvuv om. B, praebet I —
I. 21 d' s$99c dyozoas T, d’ svdÙs ayvojcas B.
§ 18 p. 83 1. 8 tanidag Xeórov om. P B — 1.4 roi; I B pro towross
— neoi TB pro 1006.
8 19 p. 83 1. 12 vis ante iyoy cato om. P B — |. 16 povoy I, pövov
B? — 1. 20 navti ro T pro navri rovro B? — vopicat r B.
§
§
20 p. 83 1. 82 yàp om. T, praebet B?
22 p. 85 1. 2 uagregotmevoy T, uaprvpousvor B.
95d» èxxAnoia Car. Iacobitz ed. min. III p. 385
§ 1 p. 885 1. 1 zor99o/tste T, tovSooulere 76. 89 — 1. 1/2 un de xa-
tayovias 89, unde xarà ywviac T 76 — 1. 2 ro om. I 76. 89 —
l. 2/3 in margine I: | vadwres nods ayynlovs xowoloytic9e sio! —
l. 14 deos, I 76, denoss in denen mutatum ab eadem manu pri-
ma 89.
§ 2 p. 385 1. 18 anogavovow T 76, anogarwoir 89 — 1. 26/7 inovo-
palouevos T, ovoualouevos 76. 89, sed in 76 a manu prima én
superscriptum.
§ 3 p. 386 1. 2 on 89 pro f» quod I° 76 — 1. 3 xai Ssacditac IT sed
in T ab alia manu tous superscriptum — ]. 5/6 xaraßallövtss 89,
xateBadovres T 76 — 1.7 un dì 89, un dà T 76 — 1. 11 ug óxveiv
89, undev T 16.
§ 4 p. 386 1. 12 xai om. 89, praebent 7’ 76 — 1. 18 giga» T pro
pitoav quod 76. 89 — 1. 20 yuyasx TH 76, in margine ab eadem
manu éiog — |. 21 parpiary 76, poatgiay T 89 — 1. 22 UM
T, ab altera manu in rasura 76 — 1. 23 aslnvör T 76. 89 — 1.2
tovs om. 89, praebent P 76 — xas post molloës addit I°, om. 16.
89 — 1. 24/5 oxigrgynxobe I 76, oxignxovc 89 — 1. 26 alyi om. 76,
quod praebent D.89 — 1. 27 xa95uévog T', xadsıuivos 76. 89 —
p. 387 l 1 Seodçs nowi 0 ysvvadag D, in margine ab alia manu
(XII saec.) yo sous noi? 0 yevvaiog.
8 5 p. 387 1. 5 &crgw 89, dctgo» T 76 — 1. 6 ywor T 76, x00%. 89
— 1. 8 i£; 89, Es r 76 — 1. 10 magowoic 89, nagosvia I 76.
Usque ad 1. 11 contuli Vaticanum 89.
8 6 p. 387 l. 18 géo//]] T gégg 76 — 1. 24 xoim T, xoim 76.
§ 7 p. 3871. 29 xai tj» alziav I, in margine ab eadem illa sec. XII
manu yo xai my droniay ToU voFsv9fvas — 1. 30 óuov 76, id
T — p. 3881. 1 dc T, fc 76 — 1. 2/8 wilkor 76, wilsov I° —
l. 10 axıswv 76, axtaiwy T.
8 8 p. 388 L 16 Zecova T, lac va 76.
686 E. Bethe,
89 p. 3881. 26 drm» ys à T, dıng uiv © 76 — 28 mdoav T, na-
pay 76 — 1. 80/1 oi oxddcs sadra öpwrısg of yéras adray T 76 —
p. 389 1. 1 Cdduogec T, Lauokfıs 76.
$. 10 p. 389 l. 6 aloyivouas yee T 76, sed in P yàg rasum — 1. 7
nollwr I, v radendo in + mutatum, nollw 76 — 1.9 oi 76 pro
d, quod I.
§ 11 p. 389 L 16 ndvv ye T, sed e rasum, yoùr 76 — L 19 vow
om. F 76.
§ 12 p. 389 L 24 uyrooloior T, untgoddow 76 — p. 890 L 1 uälleor
x
7 I, udddov ÿ 76 — |. 2 xai iegoovdia T, ab alia manu 4 super
scriptum.
8 18 p. 3901. 7 modv9gvAgros T, noAvdovllmos 76 — 1. 16 oldac T
76 — l. 17 tig don» ws T 16.
§ 14 p. 390 1. 21 8édess 76, i9éluc T — 1, 24 ini om. 76, quod
praebet 7 — 1. 26 Inseriptioni v4q4su« quasi novi opusculi ti-
tulo numerus NB a posteriore manu in I additus est — 1. 27/8
Inter éfdouy et icrauévov in T a posteriore manu superscriptum
ustayssımıovog deest in 76 — 1. 28 noondgsvus D, 764, sed 76!
ngooidgevs. — p. 391 1. 2 oid« önws T, olf onoc 76 — 1. 4 no-
luylwriwy I, noÀvylóccov 76 — 1. 6 xwrülmr D, xorvdgy 76 — |.
8 «brovg T, avtovs 76.
8 15 p. 3911. 17 £uvedosov T, cvvédgiov 76 — 1. 21 nosie T, noie 76.
8 16 p. 391 1. 27 7 ante uavn» om. I 76.
8 17 p. 391 1. 29 xawa T 76.
8 18 p. 392 1. 4 oui T 16.
§ 19 p. 312 1. 8 orav 76, ónore» TF — |. 13 uéya 176, uéyar D — sì
om. J, erat in 76, sed nunc erasum.
III.
Abundare Vaticanum 90 I et scholiis et variis lectionibus
marginibus adpictis notum. Neque has neque illa ab uno eodem-
que homine scripta esse constat. At vel plures quam duse, ut
Rothstein pronuntiavit, manus certissime distinguuntur: plures
paene aequales textus scribae, plures saeculorum decimi quarti et
quinti. Quamquam quot scripserint et quid cuique adtribuen-
dum sit, equidem nimium imperitus pro certo explorare non potui
neque cognosci potest nisi toto codice diligentissime iterum
iterumque lecto.
Ac scholia quidem magni pretii Vaticanum I continere Er-
winus Rohde, A. Desrousseaux, Maximilianus Rothstein exemplis
docuere. lam vero Vossiani scholia accurate ex I descripta non
esse sequitur. Neque omnino illius scriptorem hune ipsum ante
oculos habuisse mihi persuasi. Velut ad lmagines Vossianus 8
exhibet scholia, quorum ne vestigium quidem in I’ legitur, T
Lucianea. 687
vero 8 notas a Vossiano prorsus alienas; ad dialogum pro ima-
ginibus inscriptum 9 scholia in Vossiano, nullum in I inveni-
tur; ex 50 notis Vossianis ad Amores una tantum (ad II 224.
9 Iac. ed. min. — II 312, 5 ed. mai.) reperitur inter quin-
que Vaticani, duae eaedem sunt inter 28 ad Vitarum auctionem.
Variae lectiones codicis F tum sparsius tum uberius textui
a pluribus viris adnotatae partim tantum, id quod idem Rohde
observavit, cum primoris classis codicibus consentiunt, partim
aliunde prorsus sunt ignotae, coniecturis ceterum certe non natae.
Inter quas etiam recentissimas inveniri mirum est; velut illa ab
Guilelmo Studemund edita ad Nigrinum I 24. 4 Iacob. ed. min.
(cod. fol. 15Y) roëro uiv avunodnriv ol noAAol, quae quanti sit
Maximilianus Rothstein explicat, a manu saeculi XIV aut XV
adiecta est.
Multum vero interest cognoscere, etiam tertiae Luciani
scriptorum classi, quam statuit Maximilianus Rothstein, varias
lectiones in I adscriptas esse a quattuor vel forsitan quinque ma-
nibus. Manus I eadem est, quae textum exaravit; manus II
plurima et scholia et discrepantias totius codicis marginibus ad-
pinxit, manus III illis est magis tenuis, manus IV nigro atra-
mento distinguitur ab iis quae pallidiore ac quasi flavo usae sunt.
Ecce omnes, quas ad tertiae classis scripta I praebet adnota-
tiones. "Textum descripsi, sicut in I legitur.
Imagines 11 239 Iacobitz ed. min. cod. fol. 188 b sqq.
1) Ad p. 239 1. 5 onto xai 7 Ài9oc 4 ‘Hoaxàsia dog tov cidnpor. a manu
III: tov uayín» Àéys (legendum uayrznr).
2) Ad p. 239 1. 8 sq.: olt ydp us dnepBaléoSas (ünoß. man. I, so a
posteriore suprascriptum) zw doym. 05 dédia un co» idóvn dedavio
us inawioos dó£u, a manu III: yo xai oùrwç" wis yáp us Oneofa-
décdas 1H Aoyw; ws dédiaroduns' xci 10 eins dp Éréoas aeyys.
3) Ad p. 240. 6: nws toùto gis; 7 nus &v uquxosvto noo (dquxosro
nooo man. I, a posteriore N in dqíxosvro scriptum et Z praeposi-
tionis mgeo punctis deletum) rocoíro» iràüv @nofavortés a manu
Il: of moo tocovrwv.
4) Ad p. 241. 2 twv di dbudíov Épywr 1 udlicta Enpreons; a manu
III: + yo xatsvönoas.
5) Ad p. 241. 22: yuuvodvros, a manu 1? yvuro? dvros.
6) Ad p. 243. 30: ovy oi puèv nlariregos «dí» (ddovtes ac.) Ads (sed
7 in rasum) nooeyovres. a manu III: of dè yogoi. —
7) Ad p. 244. 26 sqq.: dv. xei yàp, ds oloda xai avtòs ro fipsgoy
xat giÀáv9Qwnov xai 1h ueyelöggov xal coqQocóvgy xai nasdsiay
638 E. Bethe,
"Qo ToU x&llovc incwdà, a manu III yo Lov yao wc oloda xai adtis
tore Gues'wv (o aut » post ex? o?) xai pıldvdownor xai v0 Eins dic Eyes.
8) Ad p. 247. 30 sq.: ónóca ydp 7 nosmtat uérposc Îaxocurcaris
^ tEevnybyacw, manus III: 7 éytopss dewumn xoativavtes.
Eunuchus vol. II p. 183 sqq.
1) Ad p. 185. 5: êx Keri» a manu I: yo dx nelacywr telwy.
2) Ad p. 185. 26: ei9' à ‘Agsorotélys a manu I: yo è Seusoroxdis.
3) Ad p. 185. 13: roùro #r0yyavev ‘: elvas a novissima manu in mar-
gine sinistra 6».
Amores vol. II p. 200 sqq.
1) Ad p. 224. 9: ovyi rb uelsyoov abynuc Asoßiov Zango (np in
rasura) a manu I (9): oU yi To welonoso».
2) Ad p. 231. 19: vdar Aug xai yırwrioxov ylauida a manu I (?):
yo D» isoay xhauvde
3) Ad p. 232. 4: nooç 5Àiov usonuBosvoy Sdlnog Eyxovistas to a manu
I (?): à» xove te.
4) Ad p. 235. 15 sq.: gayi xai nagnuelyuévws vpuiv Eraïcos Ta tav
(sic !)
Àóyov ansyediacda» . dinverode dé xai vi 40 ioowutrvns goortidos
èveoyn (super reo a manu I a additum), a manu I: RETSO KELL uerus,
5) Ad p. 235. 29: nasdepaoseiv dé iqsíc9u udvoss toic gogosg a manu
I: g4Àocog.osc.
Pseudologista vol. III p. 166 sqq.
1) Ad p. 166. 31: a manu I (?) oùrws Bléves.
2) Ad p. 170. 23: oxeöog doa tor a manu I (?) sadeos.
Hermotimus vol. I p. 834 sqq.
1) Ad p. 335. 5: où megè puxpor 7 &9)ioy a manu IV: où need ur
xowy 4 ad
2) Ad p. 340. 3/4 navv évradda écusv Inecuy dvourgo9sic a manu IV
uovo ydo eGutv.
Navigium sive Vota vol. III 213.
1) Ad p. 213. 17: evt1o6 duporipass xai fortasse a manu II yepaiv.
2) Ad p. 218. 13: drux& télavte a manu II: vavrxe.
Addiderim quas exscripsi ad Anacharsim et Vitarum auctio-
nem codicis I’ notas marginales.
Anacharsis III 52 sqq.
1) Ad p. 68. 26: éxéivo toivuv vo te dvapgımıovow als tov dica zei
és TO noppo quÀonuovusvos ‚sans ini unxıorov 8581906 a manu II
avaggintoUvies Glanndw (vel dva?) 6 nomme dc and nodtgc cvyias
Exlivev.
Vitarum auctio vol. I p. 229 sqq.
1) Ad p. 229. Bio» noaoss a manu II (?) i» éréow Bios nwlosbparos.
2) Ad p. 232. 9: xQvooovs eir a manu II (?) &dyszo yao 9 Iovda-
y9oac. inrerondcda: 10 delia aurod noo 70» doifov: —
3) Ad p. 332. 23 a manu II negi rov xuvsxoù Biov,
Lucianea. 639
4) Ad p. 238. 12: ody soa dis dinoxe 10 a manu quadam, quae ne-
que I neque II videtur esse: yo diyommmu.
5) Ad p. 284. 10: dmiodoypapav BBliwy a manu II (?): Touren
7Igoyéyoeuuévoay nenovnutvov.
6) Ad p. 246. 18: oëdèr dtagégwy a manu IV: yo osdt»i diagépor.
Esse in his adnotationibus lectiones dignas quae diligenter
perpensentur nemo negabit, nonnullae iam diu in textum sunt
receptae velut ad II 240. 6, II 231. 19, I 335. 5, I 340. 8.
Utrum xazevonoag pro éxmveouç II 241. 2 accipiendum sit necne
dubium esse potest. At Polystratum non quid de artificiis iu-
dicet Lyeinus interrogat, sed examinat, an viderit signa cele-
berrima (cf. p. 240. 14 sldes, 24 Eweaxac, 30 redéaca:); itaque
haud ineptum videtur: „quod Phidiae opus saepissime ac dili-
gentissime adspiciebas? “ — Atque II 224. 9 wsdonoroy av-
ynue pro uelyoôv grato animo recipiendum mihi videtur cf.
Imag. 18. —
In eodem libello II 248. 30 yvooi explicare velle id quod
in textu est verbum moo£yovres (0d6rres), nemo contenderit; cf.
quod de anguilarum dentibus dicit Aelianus N. H. XIV 8:
10vG Odoriug yuoouc te xoi ayusotowders xal dvos&eilzrouc. — Sine
ulla dubitatione in Amoribus II 232. 4 nova illa lectio é xó»,
te pro éyxovlerus recipienda est. Enumerantur enim pueri exer-
citationes, substantiva sine praedicatis: e9 ui Asınugul nadaiorons
. of te 10v évuywviwvy novwy anocrnAdborres idoüres, we? ove
Aovtgà ouvroux zul tearela th pera uixgòv Émynpouon noakes.
nahi yao avt@ didacxalos xal naÀoidv Eoywv alurrousvas xoi
Zmsiovasvuı uviuas. Sed delet ordinem particula illa secunda
xal ngog nAlov ueonuPosvor Iainog Èyxovletas 10 oda nv-
xvouptvov sanari autem vitium recepta illa codicis I lectione
luce clarius. — Ad II 233. 15 eiusdem opusculi digvexotg dè
xai vn Av Écowmévncs œoovridos Qvagy ravt’ don» Tyrn co-
dicis Guelferbytani F discrepantia xuzsecxeuuérns Vaticani I
auctoritate probatur neque diutius neglegenda est; neque enim
fortis animi vestigia colloquium detexit, sed animi, qui continuo
cogitabat ac diligenter eircumspiciebat.
Aliae lectiones non plane intelleguntur, aliae certe abiciendae
sunt. Hoc vero manifestum, non unam tantum codicum familiam
haee tertiae classis scripta tradidisse sed fuisse etiam aliam ab
illa codicis 7’ nobis nota satis alienam.
Romae. E. Bethe.
XXXII.
Kritische Beitráge zu lateinischen Schriftstellern.
I Ennius (Priscian 10. 26):
Infit: o cives quae me fortuna fero sic
contudit indigno bello confecit acerbo.
Die Verse scheinen an mehr als einer Stelle verdorben. Vah-
len und L. Müller haben Dousa's ferocem in den 'Text aufge-
nommen, ein anderer Kritiker (P. Thomas) hat feroz sic vorge
schlagen, nämlich hat L. Havet perosa zu empfehlen gesucht —
wenig wahrscheinlich! Für das offenbar corrupte indigno wird
allgemein indigne in den Text gesetzt. Ich meinerseits halte die
Ueberlieferung fero sic aufrecht, schrieb aber indignum (== imme-
rentem) und glaube eine ächt ennianische Construction zu er-
halten, wenn ich zwischen o und c ein ac einsetzend die Verse
also lauten lasse:
Infit: o cives, quae me fortuna fero sic
contudit indignum bello ac confecit acerbo.
IL Plaut. Casin. I 45:
Unde auscultare possis, quom ego illam osculer.
Lówe (Anal. Plaut. p. 203) meinte ausculer; aber aus für os
kommt nicht vor, wohl aber oricula (vulgür) für auricula, so daß
wohl mit intensiver, d. h. einen ,,lusus“ bezweckender Allite-
ration, zu schreiben ist:
Unde oscultare possis quom ego illam osculer.
Kritische Beiträge zu lateinischen Schriftstellern. 641
IU. Poenul I 2, 22:
nam quae lauta est, nisi perculta est, meo quidem
animo quasi lutosast —
Daß wir hier trotz den voraufgehenden Baccheen einen troch,
Tetrameter (als Schlußvers) haben, ist zweifellos. Was also
Lówe (Anal. S. 206) mit seiner Messung wollte:
nám quae laüta est nisi percülta est, méo quidem animo
inltta est
(mit Weglassung von. quasi!) begreife ich nicht! — Ritschl’s
lutosast liegt zu weit ab von der Ueberlieferung. Mir scheint
Sinn und Verstand in den Vers zu kommen, wenn wir inlita
est (was der Ueberlieferung am nächsten kommt) beibehalten und
die Pointe des Verses in dem Wortspiel lauta und inluta (viel-
leicht inlauta) erblicken, dort bildliche, hier eigentliche Bedeu-
tung („gleichsam ungewaschen“). Und quasi läßt sich bei-
behalten, wenn wir schreiben :
nám quae lauta est, nísi perculta est, méo quidem
animo quási ea inlauta est.
IV. Horat. carm. l. III 4. 9:
me fabulosae Volture in Appulo
nutricis extra limen Apuliae
. palumbes
Texere.
Daß diese Stelle verdorben sei, ist evident, Metrum und Sinn
beweisen es. Gesetzt nun, Horaz habe im zweiten Vers limina
Dauniae geschrieben — was ich für das ursprüngliche und echte
halte, Apuliae ist nichts als Randglosse dazu und als solche in
den Text gekommen — so liegt immer noch ein Widerspruch
in Volture in Appulo: könnte dieses Epitheton nicht ver-
schrieben sein aus AVIO (ZPVLO — AVIO)?
V. Propert. IV 1, 25. Bei der Eigenart des Properz
ist vieles móglich, was bei einem anderen Dichter unertrüglich
und durch das Mittel der Kritik zu beseitigen wäre. Ob jener
(anerkannte) Satz auch anwendbar sei auf die Stelle lib. IV 1.
25, die von den Herausgebern merkwürdiger Weise geduldet
1) Es müßte wenigstens inluta ea est geschrieben werden.
Philologus. XLVIII (N.F. IL), 4. 41
642 J. Mähly,
wird, muß ich aber doch bezweifeln. „Wer würde", sagt Properz
„etwas von Troja’s Fall wissen, wenn nicht die Dichter wiren“ :
Nam quis equo pulsas abiegno nosceret arces -
Fluminaque Haemonio cominus isse viro?
Es ist doch schlechterdings unglaublich, daß das hölzerne Pferd
— selbst beim kühnsten aller Dichter — die Burg von Troja
soll „in die Flucht geschlagen" haben! Fractas, ja das
wäre richtig, liegt aber zu weit ab von pulsas als daß es wahr-
scheinlich wäre; anders aber liegt der Fall bei RVP'TAS und
dieses wird Properz geschrieben haben.
VI. Bei Iuvenal, in der IV. Satire, die von der gewal-
tigen Meerbutte und dem um ihretwillen veranstalteten consilium
principis (Domitian) handelt, heißt es soviel ich sehe übereinstim-
mend in allen Handschriften V. 56 seqq. also:
iam letifero cedente pruinis
auctumno, iam quartanam sperantibus aegris
stridebat deformis hiems, praedamque recentem
servabat —
Hierdureh ist die Jahreszeit deutlich bezeichnet, undeutlich aber
ist der Ausdruck tam quartanam sperantibus aegris. Die Erkli-
rung von quartanam = nur ein viertägiges Fieber, befriedigt
nicht, ist sogar unmüglich, denn die Herabminderung auf ein
nur, bei dieser gefährlichen, im besten Fall höchst beschwer-
lichen und peinigenden Krankheit, ist gerade so unstatthaft, wie
wenn heut zu Tage Jemand von einem Kranken sagen wollte:
„Er hat nur den Unterleibstyphus. Man frage übrigens solche
die an der quartana gelitten haben. So zahllos häufig also auch
die Lateiner ihr tantum weglassen, wo wir, im Deutschen unser
nur nicht entbehren können, — hier ist es unter keinen Um‘
ständen zulässig, — Der zweite Erklärungsversuch, der uns
quartanam mit aegris verbinden heißt, läßt sich eher hören, wenn
nur nicht das dazwischenliegende sperantibus ein Veto einlegte,
nicht zwar gegen die Möglichkeit, aber gegen die Wahr-
scheinlichkeit. Die Zumuthung quartanam nicht von
sperantibus abhängig zu machen, wäre gegen die Natur. Wie
nun? Es wird hoffentlich nicht zu gewagt sein, durch eine
minime Aenderung das Dunkel aufzuhellen, nämlich durch
— jam quartanam superantibus aegris
Kritische Beiträge zu lateinischen Schriftstellern. 643
morbum superare ist ein gebräuchlicher Terminus für über-
stehen, und duch inhaltlich scheint die Aenderung zutreffend,
weil sie mit der Wahrheit stimmt. Die hitzigen Krankheiten
verlieren thatsächlich an Kraft, werden leichter „überstanden“
beim Eintritt der kälteren Witterung, und — stridebat deformis
hiems bezeichnet doch deutlich genug die eingetretene Kälte —
Ich weiß nun zwar, daß es nicht zur Empfehlung einer Con-
jectur dient, wenn man ihr eine andere zur Seite setzt und dem
Leser die Wahl läßt. Gleichwohl liegt eine zweite, inhaltlich
und formell gleich berechtigte, so nahe, daß ich sie nicht ver-
schweigen darf, nämlich iam quartanam spernentibus aegris,
das würde heißen: die Kranken machen sich (um diese Jahres-
zeit) gar nicht mehr viel aus der quartana. Ich habe mich für
den ersten Vorschlag nur darum entschieden, weil er paläo-
graphisch um eine Spur näher liegt.
| VII. In den Periochae des Livius (ed. O. Jahn)
lautet in lib. L die handschriftliche, wie ich sehe, übereinstim-
mende Ueberlieferung (Jahn p. 56 Zeile 4 sqq.) also: Masinissa
Numidiae rex maior XC annis decessit, vir insignis. Inter cetera
' éuvenalia opera, quae ad ultimum edidit adeo etiam T versus in
| genecta viguit ut post sextum et octogesimum annum filium genuerit.
‘ — Die Stelle ist, wie auch Jahn durch die vor versus ge-
setzte crux angedeutet hat, verdorben. Man könnte an einen
Ausfall vor versus denken: in Venerem versus — aber eine
palüographische Wahrscheinlichkeit für diesen Ausfall liegt nicht
vor. Es kann einfacher geholfen werden, durch Correctur des
versus, nämlich: adeo etiam viribus in senecta valuit etc.
VIII Tacit. Agric. c. XLV: Mor nostrae duxere Hel-
vidium in carcerem manus; mos Mauricii Rusticique visus, nos in-
nocenti sanguine Senecio perfudit. — Es liegt klar zu Tage, daß
hier etwas nieht in Ordnung ist. Von allen Verbesserungsver-
suchen empfiehlt sich, scheint mir, am meisten, die Einschaltung
von pudore vor visus, nur, daß der Ausfall nicht zu erklären
ist; ein solcher wird plausibler, wenn wir Tacitus schreiben
lassen: nos Maurici Rusticique visus confudit, nos innoc. sang.
Sen. perfudit — wo das rhetorische Homoeoteleuton an den bei-
den Satzenden als Ursache der entstandenen Lücke wohl denk-
bar ist.
IX. Seneca ad Lucil 88, 17. Ego quid futurum sit
41*
644 J. Mühly,
nescio, quid fieri possit scio. Ex hoc nihil desperabo, totum ex-
specto; si quid remittitur, boni consulo. — Desperabo läßt sich
nicht rechtfertigen, es handelt sich um schlimme Dinge, von
diesen kann man doch nicht sagen desperabo. Was ein fran-
zös. Kritiker vorschlägt (Rev. d. philol. 1888 p. 184) nihil d e-
traho, giebt keinen befriedigenden Sinn, allerdings aber wird
eher ein Präsens erwartet. Ich meine nihil deprecor.
X. Vell Paterc. II 105 init.: Intrata protinus Ger-
mania, subacti Canninefates , Attuarit, Bructeri, recepti Cherusci
(gentis eius Arminius moz nostra clade nobilis), transitus Vi-
surgis cett. — Die Stelle ist seit ihrer ersten Bekanntmachung
durch Rhenanus von zahlreichen Conjecturen heimgesucht wor-
den (s. d. Ausg. von Kritz der, mit und nach andern, gens
utinam minus moz n. cl, n. schreibt). Die oben angegebene,
von Halm in seinen Texte aufgenommene Fassung stammt von
Fr. Jacob (Lübecker Programm v. 1832) her; im Murbacher
Codex lautete sie gentis et inamninus; in der edit. princ.
gentes et inamminus. (Die neueste Behandlung der Stelle
durch Höfer in seiner Varusschlacht 1888 S. 182 ist nicht
glücklich). Mir scheint sich aus der corrupten Ueberlieferung
am einfachsten und passendsten zu ergeben
gens tunc etiam minus, mox nostra clade nobilis.
XI. Sueton. in der vit. Aug. c. 72: Ac per annos am-
plius quadraginta eodem cubiculo hieme et aestate mansit, quamvis
parum salubrem valitudini suae urbem experiretur assidueque in urbe
hiemaret. — Eine sonderbare Logik, die gewiß nicht auf Rech-
nung des Suetonius, sondern der Ueberlieferung zu setzen ist:
Augustus bewohnte Sommer und Winter dasselbe Gemach , o b-
schon er manchen Winter beharrlieh in der Stadt zubrachte!
Der letzte Satz ist entschieden verstellt und hat in Folge dessen
auch den Modus gewechselt, da man diesen von quamvis abhün-
gen ließ. Die Periode lautet: Ac per ànnos amplius quadraginta
eodem cubiculo hieme et aestate mänsit assidueque in urbe hie-
mavit, quamvis parum salubrem valetudini suae urbem hieme ez-
periretur.
XII. Flav. Vopiscus in der vita Probi I: Inde est quod
Alexander Magnus Macedo cum ad | Achillis sepulerum venisset, gra-
viter ingemiscens, felicem te, inquit, invento, qui talem praeconem
Kritische Beiträge zu lateinischen Schriftstellern. 645
tuarum virtutem repperisti. Vergleichen wir Cicero pro Arch. X
24 cum in Sigeo ad Achillis tumulum adstitisset: o fortunate, inquit,
adolescens qui tuae virtutis cett.; und Hieronym. Vit. Hilarionis
Prol. I p. 29 B: cum ad Achillis tumulum pervenisset, felicem te
ait, iuvenem cett. so werden wir kaum zweifeln, daB Vopiscus
gleichfalls felicem te, inquit, iuvenem geschrieben habe.
XIU. H. Jordan Krit. Beitr. z. Gesch. d. lat. Spr. S. 163
eitirt (in seiner Untersuchung über die Hirpini) Servius zur Ae-
neis 11. 785, nach welchem die Wölfe lingua Sabinorum hirpi
geheißen hätten und nach ihnen die populi welche dem Dis pater
auf dem Soracte opferten, Ilirpini Sorani. Davon sei nicht we-
sentlich verschieden, was Plin. H. N. 7. 19 erzählt: haud pro-
cul urbe Roma in Faliscornm agro familiae sunt paucàe quae
vocantur Ilirpi. Zu paucae macht J. ein Fragezeichen und
meint „etwa antiquae". Der Zweifel ist gerechtfertigt, aber
auf keinen Fall hat antiquae an die Stelle von paucae zu
treten, sondern wohl PRISCAE.
XIV. Bei G. Ló we: glossae nominum. Pag. 80 wird eine
Glosse aus cod. Amplonianus und Ang. Mai angeführt: anus:
multitudo senum und beigefügt: „Diese Glosse ist gewiß corrupt".
Vergleichen wir Placid. p. 10, 16 anate cura, sollicitudine, 80
scheint es, daß die Corruptel zu heben ist durch anas: solli-
citudo, senium.
Dagegen halte ich Placid. p. 21, 9 clavus: interdum acu-
tus, interdum gubernaculum. nicht für verdorben, wie Löwe
meinte, der sich die Sache so zurechtlegt:
[catus]: acutus. || clavus: gubernaculum
Diese Contamination wird schon durch die beiden interdum un-
wahrscheinlich gemacht. Clavus heißt bekanntlich auch N a-
g el und warum soll denn dieser nicht als acutus prüdizirt wer-
den kónnen ?
XV. Eine Anzahl von Glossen (vgl. Lówe ibid. p. 103)
enthalten das sonderbare Wort ar mentia, welches bedeuten
soll essentia extantia, oder eminentia. — Mir scheint essentia
eine Corruptel aus eminentia zu sein, letzteres aber, so wie auch
die Glossen selber, und extantia halte ich für Substant. femin.,
nicht für Participia praes., wie Löwe, der auch in dem jeden-
falls verdorbenen armentia ein solches, nämlich arnantia er-
blickt — ohne einleuchtende Begründung: Es dürfte in dem
646 J. Mühly, Kritische Beiträge zu latein. Sehriftstellern.
armenta ein archaisches Wort stecken und ich scheue mich
nicht an acrimentia (mens acris) zu denken; Pacuvius hat be-
kanntlich noch viel gewagtere Composita auf dem Gewissen.
XVI. „Sehr häufig überliefert ist foliatum = curvatum,
womit man bisher nichts anzufangen gewußt hat“ (ibid. p. 107)
und „auffallend ähnlich ist eine andere verzweifelte Glosse:
deculatae = decurvatae“. Da nun curvus = griech. oxoAsöc,
so wäre ein scoliatum = curvatum und descoliatae =
decurvatae. Das Beispiel des Plautus graecissans genügt, um
solche Bildungen zu rechtfertigen.
XVII. Die verderbte Glosse bei Placidus (Löwe S. 210)
connum: prorimum glaubt Löwe unbedenklich in citimum:
proximum verbessern zu sollen. Andere werden Bedenken haben.
Ich vermuthe cominum: proximum. Warum sollte das Ad-
verb comin ws nicht die Adjectivbildung cominus -a -um ver-
anlaßt haben? Omnigenus omnimodus multimodus sind nicht we-
niger kecke Formationen.
XVIII. Löwe führt (ibid. S. 222) folgende Glosse an:
coragium: pars est ludis, quando proverbia dicuntur und nennt
sie mit Recht sat mira. Seinen Besserungsversuch: choragium
pars est funeris quando deverbia dicuntur — nennt er selber
„perdubitabilis“. Ich meine, hier liegt eine irrthümliche Auffas-
sung des Begriffs choragium vor als des ,,Chorgesangs“ und
möchte darum Zu di (d. h. ludi scenici) beibehalten, als aus ludis
verderbt; das Ganze dürfte gelautet haben: Choragium pars est
ludi quando diverbia desierunt. (Die ,,Glossae Isidori"
bieten dicunt für dicuntur).
Basel. J. Mähly.
— -— — MM a t I —Á
Zur Schrift de dubiis nominibus.
Die oben S, 558 sq. behandelten Worte aue dem Schriftchen
de dubiis nominibus (Gramm. Lat. V S. 575, 16 K.) Cancer bubo
generis neutri, ut Livius ‘malum lutere solet inmedicabile cancer! sind
zu lesen: C. b. g. n., ut Ovidius (met. II 825) [utque?] malum
late solet. inmedicabile cancer [serpere?], wie ich bereits 1867 ge-
genüber meiner früheren Ausführung (de Fragm. Liv. I S. 12 f.)
in den Jahrbüchern für Philologie Bd. 95 S. 318 bemerkt habe;
schon Keil hat a. a. O. in den Addenda S. 685 darauf hingewiesen.
Breslau. M. Herts.
XXXIII.
Zur Erklárung und Kritik des Valerius Flaccus.
I 12—21. Ob die Argonautik des Valerius vollendet wor-
den ist, oder durch den frühen Tod des Dichters in dem ver-
stümmelten Zustande, in welchem wir sie besitzen, das Lieht der
Welt erblickt hat, darüber fehlt uns jegliche Kunde; es läßt
sich manches darüber sagen, aber gewiß nichts entscheiden: ich
glaube an zwölf Bücher, also an eine Vollendung des Gedichts,
da Valerius wenigstens fünfzehn, vielleicht gar achtzehn Jahre
an demselben gearbeitet hat. Das nlso sei. dahingestellt, aber
gefeilt hat er ohne Frage lange, lange Jahre an seinem Werke,
wenn auch die beiden Stellen, welche gewöhnlich als Beweise
einer nicht vollendeten zweiten Recension eitirt werden, nach
einfacher Besserung nicht für diese Meinung anzuführen sind.
V. 563 f:
incita cristas
aura qualis, variis floret via discolor armis,
qualis ab Oceano nitidum chorus aethera vestit,
qualibus adsurgens nox aurea cingitur astris.
Valerius soll sieh nieht für den einen oder den andern Vers
entschieden haben, da beide dasselbe sagen; er habe sie einer
späteren Durchsicht aufgespart, an der ihn der Tod gehindert.
Bährens versucht für nitidum chorus sehr hübsch: volucrum chorus;
aber emendirt heißt die Stelle: nivium chorus nach Homer. Il.
19, 357:
dg d' bre raggi vopddes dude tumoriovia»
wugoai, dub fune aitomyeréos Bogéuo.
dig Türe rapqeiai xögudes Auungor yarowoar,
naiv Exgogéovro x. t. À,
Ebenso wenig sagt die andere Stelle VII 201 £.:
quidve tuos virgo possim nisi flere labores
648 Heinrich Kóstlin,
202 hoc satis; ipse etiam spectare supreinos,
hei mihi ne casus etiam spectare supremos.
adque iterum durae cogar comes ire sorori —
wo Vers oder vielmehr Reihe 202 aus einer Interlinearerklürung
durch die Abschreiber und Herausgeber zu einem Etwas gewor-
den ist. Hoc satis ist Bemerkung zu flere labores; ipse d. h. ipsa
dasselbe zu etiam; casus (T) fehlt und ist erst später eingereiht,
und spectare supremos ist aus der folgenden Reihe heraufgerückt.
Ich móchte zu dem, was über diese zweite Recension schon
gesagt ist, weniges, wie ich glaube, Neue und Wichtige, hof-
fentlich auch Richtige hinzufügen.
Valerius spricht bekanntlich gern in Anschauungen seiner
eigenen Zeit und seines eigenen Volkes und läßt als ächter Dichter
Geschichte Geschichte sein, wenn er nur seine Mitlebenden durch
lebendige Bilder iu das Interesse für sein Werk hineinziehen
kann. Daher Römische Opfergebräuche ; daher Römische Lieb-
habereien, alte von Griechischen Künstlern der besten Zeit ge-
schmiickte Becher; daher die castella und vexilla; daher der alte
König Janus, Arsinoe und die Lageischen Saatfelder; daher das
genus Aeneadum et Troiae melioris honores; daher die Blitze auf
den Römischen Schilden ; daher der Almo und die Megalesien ;
daher endlich die ganz directen Beziehungen auf Rom’s Ge-
schichte, Rom's Herrschaft und vor allem auch die Dynastie der
Flavier, denen er sein Werk widmet. Im sechsten Buche er-
wühnt er mit wehmüthiger Klage der furchtbaren Bürgerschlachten
unter den Gegenkaisern , deren zweite vor den Mauern Rom’s
selbst und in den Strafen der Stadt er gewiB mit eigenen Au-
gen gesehen hat.
Im ersten Buche 563 ff. begegnen wir der eigenthümlichen
Aeußerung Jupiters den Dioskuren gegenüber über sich und
seine Sóhne, deren Sinn von mir schon früher einmal gedeutet
worden ist. Erst durch Mühe und Kampf, sagt Jupiter, wird
euch der Himmel eröffnet. Erst nach Besiegung der Titanen
und Giganten habe ich die Herrschaft auf der Oberwelt er-
langt; auch mein Bacchus hat erst Indien erobern und mein
Apollo die Schwere des Erdenlebens erfahren müssen, ehe sie
des Olymps dauernd theilhaftig wurden. Damit spielt der Dichter
auf seine eigenste Zeit an, und diese Stelle hat gewiß schon
in der ersten Ausgabe dieses ersteu Buches gestanden, also lange
ehe das Ganze zusammengefafit in zwólf Büchern erschienen ist.
So hat ja Vespasian erst nach Niederwerfung der Britannen,
gegen die er in dreißig Schlachten gefochten, und nach Besie-
gung der Juden, deren Aufstand den ganzen Orient erschütterte,
die Gewalt über den Erdkreis gewonnen, und seine Söhne sind
ihm erst zur Seite getreten, Titus, nachdem er Jerusalem er-
obert. Domitian der Sänger, nachdem er im Sclavenkleide sich
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 649
gerettet und wie Apoll gelernt, was es heißt in die menschlichen
Dinge verstrickt sein.
Die zweite Stelle, in welcher mir eine Hindeutung auf die
‘Flavier zu liegen scheint, steht ebenfalls im ersten Buche Vers
833 ff, obgleich sie wohl der späteren Hand des bessernden
Dichters angehört, da wo von den beiden Pforten des Todes
die Rede ist: die eine immer offen für Klein und Groß, für
Volk und Könige; die andere unnahbar, nur selten und von
selbst sich öffnend für die ductores, die Wohlthäter im Kriege,
welche ehrenvolle Narben auf der Brust ihr Leben für ihr Volk
gewagt haben, und die ductores, welche Wohlthäter im Frieden
sind, die Muster edelsten Lebens. Ich verstehe unter ihnen im
Gegensatze zu den reges die Kaiser, — denn duces und ductores
heißen sie bei Statius, bei Juvenal und den andern Hexame-
trikern — , voran Vespasian den grauen in Britannien bewührten
Kümpen, dessen Haus die Streitwagen der Britannen, die esseda,
zierten, der noch vor Jotapata verwundet wurde, und dann
unter denen in zweiter Reihe Titus, die Liebe und das Ent-
zücken des menschlichen Geschlechts, dem jeder ohne Furcht
vertrauend naht, dem Eigenthum, Ehe und Leben der seinigen
heilig ist; ihnen schlieBen sich als dritte keusche edle Priester
an. Wir würden sagen: nur die Friedriche, die Josephe und
die Ganganelli gehen durch diese Pforte ein. Wie Herakles in
der Unterwelt als Schattengebilde weilt, und als Gott im Olymp
die Hebe umarmt, so die Kaiser: als stdwàa gehen sie in die
Unterwelt ein, uvicì dé uter! GJuvaérous 980104 rfonoriar. Um
das Omen zu vermeiden, öffnet sich die Pforte nur selten; um
die Macht zu zeigen und die hohe Würde der Eintretenden, üff-
net sie sich von selbst.
Daß meine Annahme, hier sei von den beiden ersten Fla-
viern die Rede, kein bloßes Hirngespinnst ist, hoffe ich noch zu
zeigen ; daher, ehe ich auf die Widmung am Eingange des Ge-
dichts eingehe, eine dritte Stelle.
Wem sind nicht die merkwürdigen Verse (2, 300 ff) auf-
gefallen, welche von der Taurischen Diana reden und ihrer Be-
rufung nach Aricia durch den Latiarischen Jupiter?
Sie sind so auffallend, daß die älteren Ausleger vor Burmann
ale das auf die Diana bezügliche te auf den Thoas gedeutet
haben. Wo steht sonst diese Sage? Ihr Bild wird ja vom
Orest nach Brauron gebracht, wie die Griechen berichten. Nur
von Valerius wird Diana vom Jupiter Latiaris nach Latium ver-
setzt, und in wie seltsamer, in wie absichtlicher Weise ist diese
Wendung der Sage herangezogen! Sie scheint eine Erfindung
des Dichters zu sein, um die Leser und Hörer, deren ganzer
Gedankenkreis sich um den Hof drehte, aufmerksam zu machen,
um den, auf welchen alles ankam, den regierenden Kaiser auf
freundliche Weise zu berühren und für das Gedicht zu gewin-
Cd
650 ILeinrich Köstlin,
nen. Und dieser Kaiser ist nicht Vespasian, sondern Domitian.
Der 'magnus ab Alba Iupiter’ ist nach meinem Gefühl eine An-
spielung auf diesen letzteren, der in Alba seinen Lieblings-
sitz hatte, auf ihn, der ja bei Statius (Silv. 5, 2, 168 ff) und
gewiß auch sonst und officiell der Gott von Alba, unde suae
iuxta prospectat moenia Romae prozimus ille deus, genannt wird,
der schon bei seinen Lebzeiten mit dem Jupiter Latiaris als
dessen auf Erden wandelnde Metastase, als Mahadóh, der in
Numa's Gestalt in Egeria's Nähe zu den Menschen herabsteigt
um ihres Gleichen zu werden, in Eins verschmolzen wird.
Nun gehe ich auf den Eingang des ganzen Gedichtes über.
Statius hat zwölf Jahre an seiner Thebais, die uns in
zwölf Büchern vorliegt, gearbeitet, bis er sie als Ganzes mit der
man kann wohl sagen berüchtigten Widmung an Domitian her-
ausgab, und das kann nicht vor dem Jahre 91 geschehen sein,
wahrscheinlich noch einige Jahre später, da die beiden Kriege
am Rhein und die beiden Dacischen Feldzüge, also doch wohl
bis auf den Dacischen Triumph, die Jahre von 84 bis 91, in
diesen ersten Versen seines Gedichtes erwähnt werden. Wid-
mungen werden wie Vorreden meistens dann erst gedichtet oder
umgedichtet, wenn alles fertig ist; auch Cicero konnte, wie
er selbst erwähnt (de or. 2, 77) erst dann schwungvoll beginnen,
wenn er seine Reden durchdacht und äußerlich wie innerlich so
gut wie vollendet hatte. Statius hat also, so müssen wir an-
nehmen wir mögen wollen oder nicht, sein erstes Buch der The-
bais zuerst einzeln und mit der nothwendigen, aber doch immer
noch maBvollen Schmeichelei eröffnet und veröffentlicht, und erst
ganz zuletzt das Unglaubliche an widerlicher Geschmacklosigkeit
geleistet, als die immer düsterer werdende Zeit und der durch
sein Unglück halbwalnsinnige Fürst ein Maßhalten nicht mehr
zu gestatten schienen. Was hätte aus dem Eingange zur Achil-
leis werden missen, wenn das Gedicht vollendet worden wäre,
wenn Domitian noch gelebt und inzwischen etwa Trajan als
Feldherr unter dem Tyrannen die Dacier besiegt und niederge-
worfen hätte! Kaiser und Dichter sind beide vorher und wie
man glaubt in einem und demselben Jahre gestorben, und wir
sind glücklicher Weise um eine unerhórte Verirrung des Ge-
schmacks und eine noeh unerhörtere Erniedrigung der Menschen-
würde ärmer geblieben.
Bei Statius ist also in die Augen springend, daß er seiner
Thebais erst zuletzt diesen jetzigen Eingang gegeben hat. Wir
können aber und wie mir scheint müssen wir dasselbe vom Ge-
dichte des Valerius voraussetzen. Ich bin überzeugt, daß die
Widmung an den Vespasian in der überlieferten Form
erst nach Titus’ Tode vielleicht im vierten oder fünften Jahre
unter Domitian's Herrschaft so umgebildet ist wie sie jetzt in
groBartigem Schwunge das Werk einleitet. Der Dichter . hat
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 651
ja offenbar langsam gearbeitet und jedenfalls lange, sehr lange
gefeilt: schon das dritte und vierte Buch trügt uns dies unwi-
derleglich entgegen. Im ersten oder im zweiten Jahre der Re-
gierung Vespasians hat er angefangen zu dichten, um 70 oder
71, und dennoch finden wir im dritten Buche V. 209 den Aus-
bruch des Vesuvs erwühnt und ebenso im vierten V. 507, an
weleher Stelle nur an die berühmte Katastrophe von 79 unter
Titus gedacht werden kann. In welchem Jahre müßte er also
das achte Buch oder was wahrscheinlicher ist das zwölfte been-
det und gefeilt der Welt übergeben haben? Doch gewiß unter
Domitian. Die alte Widmung an den Vater zur ersten Ausgabe
deg ersten Buches blieb, aber sie ist durch eine neue Wendung;
we che aus dem Munde des ächten Sehers, des Sehers der Wirk-
lichkeit zu kommen scheint, zu einer Widmung an den jüngern
Sohn, den zur Zeit regierenden Kaiser geworden, und um so
mehr konnte die ursprüngliche Anrufung in ihrer Grundform
bestehen bleiben, da ja die Erfolge, welche dem Anfange der
Regierung Domitians Glanz verliehen, grade in Caledonien und
auf der Caledonischen See unter Agricola erreicht wurden von
81 bis 85 durch die Besiegung des Calgacus und die Entde-
ekung der bisher unbekannten Grenzen des wilden Landes auf
glücklicher Meerfahrt nach Norden und Westen. Was vom
Vater gesagt war in der ersten Widmung, konnte dem Scheine
nach noch mehr vom jüngeren Sohne gelten. Titus, der ältere
der Söhne, wird freilich erwähnt, aber beiläufig, wie dem Vater
gegenüber gewiß schon bei der ersten Ausgabe des ersten Buchs
als er noch Kronprinz war, jetzt aber auch nur beilüufig dem
regierenden Kaiser, seinem Nachfolger gegenüber, wie es seine
frühere Stellung zum Bruder und sein früher Tod verlangten,
und das Ganze ist eine feine Schmeichelei für den regierenden
Herrscher, den Domitian, welcher Sohn eines Gottes die Mit-
glieder seines ganzen Geschlechts den Göttern zuge-
sellt hat (cultus deum genti instituet), und dieses göttliche Ge-
schlecht, dessen Ahnherr den Himmel schmückt und beherrscht,
durch Tempel (delubra) zu ehren weiß.
Freilich muß man sich bei dieser Auffassung nur und al-
lein an das Ueberlieferte halten und keinen Buchstaben ändern,
was ja meistens das sicherste ist; selbst die schöne und beste-
chende Muthmaßung Haupt's centum für genti muß fallen; nur
tilge man das Punctum nach furentem und setze ein Komma
nach tibi. Dann ist das berüchtigte Asyndeton beseitigt durch
pandet, (pandet) instituetque, aber dem Ganzen wird durch das
Fehlen des zweiten Verbs eine Feierlichkeit gegeben, wie sie
dem großartigen Gebete zukommt, und das vielbestrittene ile,
welches vorher nur mit Zwang und Gewissensbissen auf Titus
gedeutet worden war, bezieht sich als Gegensatz gegen den Va-
lerius selbst und den Vespasian auf den Mann, welcher schein-
632 Heinrich Kóstlin,
bar im Hintergrunde steht, der in Wahrheit aber das eigentliche
Ziel der Worte des Sehers ist. Dem tbi steht das genti entge-
gen, da Vespasian schon als Gott gedacht wird; aber der Haupt-
accent liegt auf ille als auf dem Gegensatze, gerade wie I 202
ebenfalls in einem Gebete; ille mihi, allerdings erst nach meiner,
aber wie ich glaube sich diplomatisch und durch Sinn und Ein-
fachheit (Val. hat: ili mi. .) empfehlenden Wiederherstellung ;
wie da me, meum, mihi, so hier an unserer Stelle tibi, tu, tu, te
mit Nachdruck in der Anrufung, welche außerdem durch den
reichen Schmuck der Alliteration die Färbung der Erhabenheit
annimmt. Dabei ist der Uebergang zu dem Vater, der als Rie-
sengestirn dereinst den Schiffern die Kynosura und Helice er-
setzen wird, natürlicher hergestellt als es bisher war, und man
braucht nicht das Fehlen eines oder mehrerer Verse anzuneh-
men. Wenn endlich nach so langer Zeit der regierende Kaiser
noch immer als Sänger des jüdischen Krieges festgehalten wird,
so darf das nicht in Verwunderung setzen: weil was der Kaiser
that, so gar klein war oder so gehässig, weil was Großes ge-
schah nicht sein Werk war, um so mehr hielt der Schmeichler
an dem fest, was der Fürst hätte thun können, wenn er es nur
hätte thun wollen, an dem, worauf der Fürst selbst große Stücke
hielt, weil er darin Dilettant gewesen war oder aber den Dilet-
lanten gespielt hatte Tritt uns doch selbst in Statius’ Achilleis,
deren Anfang etwa in das Jahr 95 fällt, der Kaiser als Dichter
entgegen, wenn freilich auch, wie Statius sagt, seine Kriegsthaten
den Lorbeer der Kunst verdecken: cui geminae florent vatumque
ducumque certatim laurus, olim dolet altera vinci! Ich lese also
den ganzen Passus von 12—21 wie folgt:
— — — versam proles tua pandet Idumen
(namque potest), Solymo nigrantem pulvere fratrem
spargentemque faces et in omni turre furentem
15 ille tibi, cultusque deum delubraque genti
instituet, cum /u, genitor, lucebis ab omni
parte poli. neque enim Tyriis Cynosura carinis
certior aut Graiis Helice servanda magistris,
sed tu signa dabis, sed te duce Graecia mittet
20 et Sidon Nilusque rates e. q. s.
In dabis steckt das Prädicat zu Cynosura, zu Helice und zu tu.
So viel um meine Ansicht von der allmäligen Entstehung des
Gedichts und die auffallende Interpunction im 14ten und 15ten
Verse zu rechtfertigen.
Man erlaube mir noch eine kleine Reihe von Besserungen
und Erlüuterungen an diesen Versuch anzuknüpfen; denn bei
Valerius ist, wie Madvig mit Recht sagt, infinita coniecturae
necessitas.
I 180—148. Diese Stelle, welche von den Bildern auf der
Argo handelt, ist mißverstanden und demgemäß behandelt wor-
den. Es sind nicht drei, sondern vier einander gegentiber-
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 653
stehende Bilder, welche sich auf die Schicksale Iasons beziehen,
also omina enthalten, und es darf auf ihnen als Bildern nur vor-
kommen was man sehen kann: daher lese ich statt des spe
der Handschrift mit der Lücke dahinter nicht insperatos oder
sperata diu, sondern spectata diu oder procul; die Zuschauer
stehen auf den Uferfelsen. Von den vier Bildern enthält das
erste (hi) eine glückliche Werbung, aber nicht glückliche
Braut: Peleus und Thetis; Iason und Medea. Das zweite
(hier muß es hznc heißen für hanc) eine unglückliche Werbung:
unglücklichen Freier; Polyphem und Galatea, Styrus und Me-
dea. Das Komma nach antra hat Professor L. F. Herbst ge-
tilgt. Das dritte Bild (contra) ist Gegensatz zum vierten, so '
wie beide Gegenstücke für die beiden ersten: glückliche Hoch-
zeit; der Aeacide und Thetis. Das vierte (parte alia) unter-
brochenes Hochzeitsfest: Pirithous und Hippodamia , Iason und
Medea an der Donau. Statt victorem wil Löhbach, ich glaube
mit Recht, vectorem lesen, innor« Néorwe, daher gravis.
Zu der Bedeutung von in mediis, vacuo auro und acclinisque
tapetis s. Ovid's Verwandl. 12, 316 ff. als entscheidende, von
Valerius hier nachgeahmte Stelle, durch welche alle Conjec-
turen fallen:
in lanto fremitu cunctis sine fine iacebat
sopitus venis et inexperrectus Aphidas,
languentique manu carchesia mixta tenebat,
fusus in Ossaeae villosis pellibus ursae:
Ich lasse meine Version von 130—136 hier folgen:
hic spectatu procul Tyrrheni tergore piscis
Peleos in thalamos vehitur Thetis; aequora delphin
corripit, ipsa sedet deiecta in lumina palla
nec love maiorem nasci suspirat Achillen.
hinc Panope Dotoque soror laetataque fluctu
prosequitur nudis pariter Galatea lacertis;
antra petens Siculo revocat de litore Cyclops.
contra ignis etc. —
I 331: Scythiae metuens potumque cretamque.
So der Vaticanus. Bährens fragt gewiß mit Recht, wie das ab-
sonderliche cretamque, dem Mönche mag Paulus’ Meerfahrt bei
Kreta vorgeschwebt haben, in die Handschrift gekommen sei
und bessert defhalb nicht pontumque polumque wie 'Thilo, son-
dern petrasque. Da aber das nicht lateinische péira weder in
Vergil und Ovid noch bei Valerius selbst vorkommt, und weil
durch petrasque der Gleichklang , welchen 'Thilos portumque po-
lumque gewähren, aufgehoben wird, möchte ich schreiben: Co-
rumque fretumque, so daß e zu fretumque, f als p zu Co-
rumque hinübergewandert ist. S. Vergil, Landk. 3, 356 semper
hiemps, semper spirantes frigora Cauri. id. Aen. 5, 126 hiberni
condunt ubi sidera Cori.
654 Heinrich Köstlin,
I 399: vacua nam lapsus ab arbore parvum
ter quater ardenti tergo circumvenit anguis.
Für vacua, das keinen Sinn giebt, ist Heinsius! zu allgemeines
patula aufgenommen und Hirschwülders (7 ff) specifisches und
gutes, nur nicht bewiesenes vidu a zurückgewiesen worden. Hier
der Beweis: vidua arbor heißt die Platane, und auf und un-
ter Platanen hausen die mythischen Schlangen.
Die Lernüische Hyder lagert unter einer Platane (Pausanias 2,
33, 4), und nun besonders die berühmte homerische Schlange
Ilias 2, 368 f., die den wdururorog hinaufsteigt mà vüra
. daqoiroc, ardenti tergo.
I 432: Quamque suus sonipes niveo de stamine portat,
et volat amborum patrius de pectore cycnus.
Das RoB trügt die Dioskuren vom Rocken, und nun denke ich
doch der vüterliche Schwan fliegt beiden nicht von der Brust,
de pectore, also etwa de thorace, sondern vom Webstuhl, de pectine.
I 456: surgis ab ostrifero medius, Neptuue, Geraesto.
Statt ab ostrifero Geraesto möchte ich ab austrifero G. schreiben
vom Hauptwinde des Mittelmeers. Gerästos und Kaphareus, zwei
wegen ihrer Stürme beriichtigte Vorgebirge, sind ebendeßhalb
berühmte Sitze des Poseidoncultus. S. Odyss. 8, 177.
I 779 £.:
hune sibi praecipuum gentis de more nefandae
Thessalis in seros Ditis servaverat usus,
781 tergeminam cum placat erai Stygiasque supremo
obsecrat igne domos iam iam exorabile retro
carmen agens; neque enim ante leves niger avehit umbras
portitor et cunctae primis stant faucibus Orci.
Alcimede, welche wie alle Thessalierinnen, die freilich auch mit
ihrer Macht Mißbrauch treiben und deßhalb gens nefanda heißen,
der Todtenbeschwörung kundig ist, hat den Schatten des Cre-
theus heraufgerufen, und dieser kann nur durch das Opfer eines
schwarzen Stieres und durch die Palinodie der Zauberformel
wieder zurückgesandt werden; sonst muß er im Vorhofe der Un-
terwelt verweilen. Alcimede hat diesen Brauch schon öfter aus-
geübt, daher habe ich das handschriftliche cum wiederhergestellt
statt des sinnstörenden tum. Deßhalb würde ich auch die vier
von Bährens versetzten Verse 312 — 315 wieder an ihre alte
Stelle nach 780 setzen, wie es oben geschehen ist. Zxorabile
carmen agens: carmen agere, wie 4, 37 ; carmen oder carmina die
Zauberformel wie V. 738; retro agens ist Uebertragung von nadır-
@dovon, also Xivyóc Felxrnon xui éen@ducg nulivadovea, wie
Ovid in den Verwandlungen 14, 300 verbaque dicuntur dictis
contraria verbis, wo Circe die in Eber verwandelten Ge-
jährten des Odysseus wieder in Menschen umschafft. Die Thes-
salische Zauberin muß also das Gegentheil von dem Spruche
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 655
sagen, mit dem sie die Schatten gerufen hat, ein antikes
Abracadabra.
Für cunctae hat Jacobs vinctae emendirt: ich möchte cinctae
vorschlagen nach Verg. Aen. 6, 273 ff.
II 316: tune etiam vates Phoebo dilecta Polyxo . . .
saepimis se condit aquis etc.
Für saepimis liest man gewöhnlich saepe imis; Bührens haec imis;
und jeder Leser, der deny Dichter kennt, wird rufen: das ist un-
möglich! Ueberhaupt ist der ganze Passus von 316 —331 so
verdorben und in den Ausgaben so entstellt, daß man nicht um-
hin kann, sich der heiteren Wehklage des alten J. A. Wagners
anzuschließen, der da sagt: e quibus verbis si quis sensum elicuerit,
totam Polyxo, quanta quanta est, vel si mavult , Phyllida aliquam
solus habebit. Doch davon später; jetzt nur die Reihe saepimis
se condit aquis.
Weßhalb taucht die Polyxo unter? Sie muß vor der Be-
fragung des Gottes sich sühnen in heiligem Wasser und nach
heiligem Brauche, das müßte sie stets, aber hier um so mehr,
weil auch sie von der Schuld der Lemnierinnen nicht frei ist;
sie geht also auch ins Meer purgatura malum pelago lustrante ti-
morem. S. Stat. Theb. 9, 572:
ante diem gelidas ibit Ladonis ad undas
purgatura malum fluvio vivente soporem
crine dato passim plantisque ex more solutis.
Und wie oft muß sie nach heiligem Ritus tauchen? Saepe ist
viel zu allgemein, zu wenig specifisch, um von Valerius zu
stammen. Ich hatte deßhalb, um den Sinn der Stelle zu be-
zeichnen, terque an den Rand geschrieben, und fand meine Ver-
muthung denn auch später bestätigt durch die Hauptquelle des
Dichters, durch Ápollonius und dann durch den Vaticanus, der
nicht saepe imis, sondern saepimis als ein Wort überliefert hat.
Der Lateinische Vers ist eine Erinnerung an das Vorbild oder
wenn man will eine Uebersetzung aus dem Griechischen des
Apoll. 3, 859 f, wo es von der Medea heißt:
énta piv atvdown kosoonusvn bd TE cos y,
Entaxe dé Bpwud xovgoruog.ov ayxalécacæ xth,
Siebenmal also taucht die Polyxo ins Meer, und man muß da-
her setzen: septenis se condit aquis. Und nun erlaube man
mir, den ganzen Passus nach meiner Version herzusetzen und
mit kurzer Erläuterung zu versehen, damit der Dichter vielleicht
einmal zu seinem Rechte gelange. Die kleinen Lücken lasse ich
so ausgefüllt, wie sie nicht ohne Wahrscheinlichkeit von andern
ausgefüllt sind: also V. 318 fert rumor von Heinsius; V. 822
von Bährens deztera.
316 tunc etiam vates Phoebo dilecta Polyxo
(non patriam, non certa genus, sed, maxima, feque
Proteaque ambiguum Phariis fert rumor ab antris
656 Heinrich Kôstlin;
huc rexisse vias iunctis super aequora phocis)
920 septenis se condit aquis cunctataque paulum
surgit et auditas referens in gurgite voces
‘portum demus! ait, ‘haec dextera, credite, puppis
advenit et levior Lemno deus aequore flexit
huc Minyas; Venus ipsa volens dat tempora iungi,
325 dum vires utero maternaque sufficit aetas’.
dicta placent portatque preces ad litora Graiis
Iphinoe ; sed turba nocens scelerisque recentis
signa movent tollitque loci Cytberea timorem.
protinus ingentem procerum sub nomine taurum
330 deicit, insuetis et iam pia munera templis
reddit, et hac prima Veneris calet ara iuvenca.
Ventum erat ad rupem.
V. 317. Im Vat. steht sed maxima taetae Proteaque ; da-
für Burmann: te, maxima Tethys, Proteaque, dann referebat, um
die Lücke zwischen Pharis und ab antris auszufüllen; scheinbar
sinnvoll, in Wirklichkeit sinnlos; denn was soll Tethys hier?
und was geht es die Polyxo an, daß Tethys und Proteus nach
Lemnos fahren, wenn sie nicht mitgenommen wird? und davon
steht ja nichts da. Bährens hat deßhalb in den Text gesetzt
(Ceto nach Heinsius) sed te, anzia Ceto, Proteaque — fert rumor
— huc rexisee suam; aber, fragt man wieder, was soll die aus
Carrions caete entstandene Ceto hier? ist sie etwa die Mutter
der Polyxo? Damit also ist ebenso wenig anzufangen wie mit
Burmanns Version, welche ja schon von Thilo schlagend zurück-
gewiesen ist.
Nun ist aber doch sehr naheliegend, und darauf will der
Dichter offenbar hinaus, daß Polyxo die Wahrsagerin, die
aus dem Meere die Worte der Zukunft holt, von vielen für
die Tochter des Proteus gehalten wurde, wahrscheinlich von
manchen identifieirt mit der homerischen Eidothea. Wahrsager
sind alt, Polyxo ebenfalls, wie Apollonius sie uns schildert; da-
her heißt sie mazima, wie die älteste der Vestalinnen, und sie
ist nach Apollonius eine Art Vestalin, von vier Jungfrauen,
nagderixai nlovoes «duîjec, umgeben, also die älteste, hehr-
ste erhabenste. Deßhalb nehme ich maxima als Vocativ
und lese statt taetae des ersten Vat. oder statt tete des zweiten
Vat. teque; dieser Uebergang zur poetischen Anrede ist bei Va-
lerius nicht selten, manchmal verkannt, hier aber, so scheint
mir, eben so natürlich wie nothwendig. V. 318. Die Lücke im
Vaticanus nach Phariis ist mit Heinsius fert rumor sehr htibsch
und wahrscheinlich auszufüllen; denn Carrios Pharit patris ab
antris, welches den Zusammenhang zerreift, widerlegt sich durch
non certa genus.
V. 331 muß es nothwendig et statt ut heißen, schon des
Zusammenhanges wegen (denn die ohnedies ziemlich lange Par-
enthese schließt bei phocis) des Zusammenhanges zwischen surgit
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 657
und ait, aber auch namentlich weil kein Zweifel an der Wahr-
heit der Weissagung angedeutet werden soll und darf.
V. 322 levior und 324 tempora möchte ich nicht zu ändern
wagen in melior und corpora, das erstere also levior als Gegen-
satz zu gravior, so seltsam es sich auch anläßt, und tempora ‘die
geeignete Zeit’ wegen seines eigenthtimlichen Gebrauches bei
geschlechtlichen Vorgängen.
V. 827 steht im Vat. nec turba nocens, aber es muß doch
gewiß sed heißen. Iphinoe geht zum Empfang der Helden ans
Ufer, und was thun nun die andern ? sie thuen nichts? Nein,
sie begraben die Todten, und Venus selbst nimmt dem Orte sei-
nen Schauder. Wodurch? Die Göttin selbst wirft das erste
Opfer auf ihrem eigenen Altare nieder! Daher keine Lücke,
wie sie Thilo will; denn nur so erklärt sich das ausdrucksvolle
und durch den Gleichklang (4 lange, zwei kurze a) hervorge-
hobene: et hac prima Veneris calet ara iuvenca. Die Göttin greift
selbst ein und giebt dadurch das hellste Zeichen der Versöhnung.
Ein Gott kann alles: durare: yag anavta, heißt es bei Homer.
Daß nebenbei das nec mit den beiden que grammatisch mehr
als bedenklich ist, wenn es das heißen soll, was man will, daß
es an dieser Stelle heiße, brauche ich nicht hervorzuheben. Stat.
Theb. 5, 300, der Valerius' Nachahmer ist, bestätigt mein sed,
indem er sagt:
impia terrae — infodiunt scelera aut festinis ignibus urunt.
Wenn man eine Lücke annehmen darf, so müßte sie zwischen
die Verse 232 und 233 fallen, also vor ventum erat ad rupem;
denn diese Kürze scheint unerlaubt zu sein und wird uns neue-
ren Lesern ohne Ausnahme immer und in hohem Grade befremd-
lich vorkommen.
II 367: et luna quarto densam videt imbribus ortu
Thespiades, longus coeptis et fluctibus arcet
qui metus, usque novos divae melioris ad ignis
urbe sedent laeti Minyae viduisque vacantes
indulgent thalamis.
In diesen Versen ist keine Construction; die mancherlei Versuche
die Stelle zu bessern durch longe, durch incertis oder tnceptis,
durch quem metus oder dum metus, heben das newrov weidog
nicht auf. Es muß heißen:
ut lunam quarto densam videt imbribus ortu
Thespiades, longus coeptis £e fluctibus arcet
qui metus, usque novos u. 8. w.
ut heißt hier ‘während’. Das te ist nothwendig und bezieht
sich lebendig auf den Thespiaden zurück, wie ja Schenkl 3, 828
für quin et thalamis modo questa morari sehr glücklich bessert
quin te thalamis, was schon der Tonmalerei wegen nicht zu um-
gehen ist. Ellis sagt zu unserer Stelle mit Recht: 1 do mot
agree with Burmann in taking ‘coeptis’ as a substantive.
Philologus XLVIII (N. F. II), 4. 42
658 Heinrich Köstlin,
II 375 ff:
invidisse deos tantum maris aequor adortis
desertasque domos fraudataque tempore segni
vota patrum . quid et ipse viris cunctantibus adsit?
O miseri quicumque etc.
Eine ächt Valerianische Stelle. Die Lücke vor Vers 375 ist
unnöthig. Hercules, das ist der ipse, spricht zuerst in abhän-
giger Rede, dann in gerader, wodurch die Lebhaftigkeit erhöht
wird; erst die Motive, dann die lauten Worte. Ich glaube, man
kann sich mit gutem Gewissen dem scharfsichtigen Robinson
Ellis anschlieBen, der fraudata für das gemeinsame Prüdicat zu
desertas domos und zu vota patrum hält.
II 385 ff:
haud secus Aesonides monitis accensus amaris,
quam bellator equus, longa quem frigida pace
lerra iuvat, brevis in laevos piger angitur orbes.
Ich habe diese Stelle schon früher einmal ganz richtig erklärt
und emendirt; aber es fehlten mir die äußeren Beweise. Es
muß heißen : brevis in laevos viz frangitur orbes, sonst muß
alles bleiben, wie es der Codex hat. „Das kriegerische Rof,
welches der langen Friedens gewohnte, schlaffe Boden schwel-
gerisch nährt, wird kurzathmig und bald ermattend kaum zu
linkischen Wendungen gezwungen". Zu frigida longa pace s.
4, 214 f. tam pridem caestus resides et frigida raris der
tibus aret humus; als Gegensatz 4, 116 et quondam laetos
domini certamine campos. 3, 368 segnique iuvat frigescere lucts.
Stat. Theb. 5, 71 frigida iusti cura tori. Der 'schlaffe Friede
im Gegensatze zu dem ardor bell. Also kann longa quem fri-
gida pace terra iuvat nicht in Frage kommen; wohl aber muß
man mit dem unmóglichen piger angitur aufräumen; denn brevis
(wie bei Horaz Od. 1, 36, 16. 2, 3, 18 rosa brevis schnell ver-
blühend, oder eben da 2, 14, 24 dominus brevis, nur kurze Zeit
lebend) ist ‘kurzathmig, nicht lange aushaltend , bald ermattet’;
es ist überhaupt zu characteristisch um erfunden zu sein; und
daher muß der Fehler in piger stecken und in angitur. Nun ist
frangere, aber gewiß nicht angere, der Kunstausdruck für das
Brechen eines Pferdes, das Zureiten, wie im Englischen. 8. $i-
lius It. 1, 261 f. idem conreptis sternacem ad proelia frenis fran
gere equum: es ist also das fr zu dem vorhergehenden Worte
geschlagen als er; zieht man die beiden letzten Buchstaben ab,
so bleibt pig: ich lese daher: viz frangitur.
III 82:
nox erat et leni canebant aequora sulco,
99 et iam prona leves spargebant sidera somnos,
aura vehit; religant tonsas veloque Procnesson
et te iam medio flaventem, Rhundace, ponto
spumosumque legunt fracta Scylaceon ab unda.
ipse diem longe solisque cubilia Tiphys
ee EL
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaecus. 659
38 consulit, ipse ratem vento stellisque ministrat.
at qui illum non ante sopor luctamine tanto
lenit agens divum imperiis.
Störend wirkt V. 33 et iam prona leves spargebant sidera somnos.
Eben beginnt die Fahrt, und schon sind die Gestirne im Un-
tergehen; Bährens setzt daher prima für prona, aber er irrt,
denn grade der erste Schlaf ist der tiefste s. Verg. Aen. 1, 470.
2, 260. Ich möchte den Vers et iam prona u. s. w. hinter den
38sten setzen, wo er allein Sinn giebt. An seiner Stelle im
Codex unterbricht er auf unangenehme Weise die Schilderung
der sanft dahingleitenden Nachtfahrt, wührend er an der Stelle,
die ich ihm gegeben habe, den Schlaf des Tiphys, der allein
die Nacht bis an das erste Morgengrauen durchwacht hat, glück-
lich motivirt. Nun dauert das Dunkel noch lange, aber es ist
eine Zaubernacht s. V. 210 f neque enim ignea cedunt astra
loco, lentis haeret noz conscia bigis. S. namentlich auch V. 349 ff.
III 223: tales auditus, en gaudia fingit ira deum.
Für das fehlerhafte auditus lesen einige aditus, andere abitus,
habitus, animos, ausus, ich meinte visus, und doch hatte Vossius
schon längst das richtige gefunden: obitus. 6, 515 quis tales
obitus dederit, quis talia facta ; tales obitus, ea gaudia, heißt also:
talia ante obitum gaudia, wie ja das folgende Bild vom Cons
bestätigt.
III 224: fundo veluti eum Coeus in imo
vincla Iovis fractoque trahens ndamante catenas
Saturnum Tityumque vocat spemque aetheris amens
concipit, ast illum fluviis et noete remensa
Eumenidum canis et sparsae iuba reppulit hydrae.
Für'das unmögliche remensa will Madvig remersat trotz reppulit nicht
gradehin zu verwerfen, aber was heißt fluviis? Bührens setzt das
von ihm selbst geschaffene remersit, und es tritt uns dieselbe
Frage entgegen. Es ist eben eine Stelle, welche etwas zu sagen
scheint und nichts sagt, ein bloßes Getöne und Geläute von
Wörtern. Ich hielt mich an remensa, nahm das t aus nocte her-
aus, und es hieß nun noce tremensa, also voce tremenda, und jetzt
wurde aus jluviis ganz von selbst furiis: ungemein passend und
schlagend zu Eumenidum canis und zur iuba hydrae: Stat. "Theb.
I 115: fera sibila crine virenti congeminat. Daß diese Emendation
die wahre ist, zeigt 4, 34: hortator postquam furiis et voce
nefanda impulit Oenides.
Ich lese also:
ast illum furiis et voce tremenda
Eumenidum canis et sparsae iuba reppulit, hydrae.
III 412: tu socios adhibere sacris armentaque magnis
bina deis.
Slothauber adhibe. Pius: bima. Sollte dieses ima nicht das
ursprüngliche sein, und das dina die Verderbniß armentague her-
beigeführt haben? Es sind ja Schafe. Diese armenta bina halte
42*
660 Heinrich Kóstlin,
ich trotz Burmann, der keinen Beleg anführt zum Schutze sei-
ner Behauptung, daß armenta und greges (herds und flocks) ver-
wechselt werden, für unmöglich und setze aurataque bima,
welcher Ausdruck nachher Vers 431 durch aurata fronte bidentes
erläutert wird.
III 598 f.: At sociis immota fides austrisque secundis
certa moraes nec parvus Hylas.
Sollte es sich nicht empfehlen, ein Kolon nach secundis zu setzen,
und dann mit der Aldina causa morae est nec parvus Hylas? —
Dadurch würde der Satz Herculeo sub nomine pendent besser her-
vorgehoben. S. Verg. Aen. 4, 51: caususque innecte morandi.
Um die Besserung der Aldina wahrscheinlicher zu machen, sehe
man 1, 59 nach, wo der Codex certss hat, und wo es, ich
möchte sagen ohne Frage, cautes heißen muß,
IV 22 f.: Ecce puer summa se tollere visus ab unda
frondibus in croceis et iniquae munere Nymphae.
Hermann Gebbing geht in seinem trefflichen Buche 'de C. Va-
lerii Flacci tropis et figuris! an einer und der andern Stelle
mit der abundantia oder dem Pleonasmus wohl etwas zu weit,
wenn er z. B. 1, 759 ferrumne capessat imbelle atque aevi gesta-
mina primi nur auf das Schwert bezieht, das Aeson nicht mehr
führen kann; es steht da aber atque und gestamina, ein Plural,
der bei Ovid. Verwandl. 13, 116 und 15, 163 grade der Aus-
druck für Schild ist, also für die lastendste, besch wer-
lichste Waffe; Ovid. 1, 457 ist gestamen Bogen und Köcher;
bei Verg. Aen. 8, 286 steht; clipeum, magni gestamen Abantis.
Bei Val. 2, 18: ensem notumque ferent insigne Thoantis ist nicht
Schwert allein zu verstehen, sondern Sch wert und Wehr-
gehüng. S. Verg. 12, 944. — Val. 3, 422 f.: sale purpureo vi-
vaque mitentia lympha membra novat i. e. aqua marina, sagt
Gebbing, wo doch sal das Meerwasser, lympha das fließende
Wasser des Aesepus bedeutet, beides zu heiliger Weihe dien-
lich; viva lympha wie bei Verg. 2, 719: donec me flumine vivo
abluero; oder Ov. Met. 1, 371 (vom Cephisus) inde ubi libatos
irroravere liquores. lb. 3, 27: petere e vivis libandas fontibus un-
das, vergl. Val. 5, 61: vivus caespes “frischer Rasen’ und 894
vivi calles ‘Fußsteige. Dieser zu weit gehenden Ausdehnung
des Pleonasmus móchte ich auch die Auslegung unserer obigen
Stelle zuzählen. Er sagt: (Bährensü) verba: ,,quid ‘et’ hic sibi
velit mente non assequor“ — eum non commovent, qui Valerii hac
in re proprietatem dicendi cognoverit. Mir geht es nichts desto
weniger an dieser Stelle wie Bührens; ich nehme munus als eine
Erweiterung zu den frondes croceae, als das blaugrüne Gewand
des Quellgottes, das die junge Gattin, die Nymphe, welche ja
als solche &4suogqvona Yupsa webt, dem jungen Gatten verliehen
hat. Dazu habe ich früher zwei wie mir scheint schlagende Stel-
len citirt: Val. 1, 218:
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus, 661
— subita cur pulcher Aarundine crines
velat Hylas? unde urna humeris niveosque per arius
caeruleae vestes?
und dann noch besonders 8, 275 f.:
agnoscit in alta
strage virum sua /ería pareus, sua munera coniunx.
IV 26:
hoc nemus, haec fatis mihi iam domus, improba quo me
nympha rapit. |
Eine vielumstrittene Stelle: einige lesen hoc nemus, hi fontes
und beseitigen also haec fatis, andere hoc nemus, haec sedes,
Schenkl hoc nemus haec fatis; ich wollte lesen improba quae
me n. r., da ich mir das fatis nicht entreißen lassen mochte.
Ein einziger Buchstabe heilt die kranke Stelle; es muss heißen:
Àic nemus, haec fatis mihi iam domus, improba quo me etc.
nach Verg. Aen. 7, 120 ff:
Salve fatis mihi debita tellus
vosque, ait, o fidi Troiae salvete Penates:
hic domus, haec patria est.
IV 130: reges preme dure secundos.
Könnte man dure auf Jupiter beziehen, so wäre die Ueber-
lieferung unantastbar; aber es läßt sich hier bei dure nur an
den Amycus denken; daher die Versuche zu ündern. Nach Stat.
Theb. 9, 725: Tu dulces lituos ululataque proelia gaudes felix et
miserae tantum periture parenti, möchte ich jetzt lesen: regi
periture secundo.
Auch Philipp Wagner hat diesen Vorschlag gemacht.
IV 174 ff: Haec ubi non ulla iuvenes formidine moti
accipiunt, dolet et dura sic pergere mente
terga sequi properosque iubet coniungere gressus.
So steht es in der Handschrift: das dolet et dura sic p. m. ist
der Stein des Anstofes. Burmann und Thilo stat für sic und
Punkt nach mente; Carrion dolor et duras insurgere mentes; Hein-
sius dolor atque irae consurgere mente; Madvig vellent dura si
pergere mente; Bührens dolet et, durent si pergere mente, $. 8. U. 8. W.;
ich dachte an dura dolet etsi pergere mente. Jetzt sehe ich den
Fehler in dolet, und lese mit Lóhbach:
videt et dura sic pergere mente,
und setze ein Komma hinter mente, so daß der Nachsatz bei
terga sequi beginnt. ‘Als die Helden ohne Furcht zuhören, und
er sieht, daß sie bei ihrem Willen beharren, heißt er sie
folgen’.
IV 187 f.: hospitis hic primum monitis rediere tymantis
et pavor et monstri subiit absentis imago.
Daß V. 184 für respicias oder nach dem Vat. respiceas mit Mad-
vig und nach Philostr. 2, 371 Teubn., so wie nach Valerius
selbst V. 192: te — faxo iam tua silva ferat nicht respicias, son-
P ad
662 Heinrich Köstlin,
dern per piceas gelesen werden müsse, habe ich schon früher
ausgeführt, dann fällt die üble Paranthese nebenher. monitis
rediere tymantis ist durchaus ohne Sinn; daher muthmaßt Hein-
sius monitus rediere Dymantis, aber wir kennen den Namen des
Jünglings nicht und trüfen ihn also hier zu unserer größten
Verwunderung zum ersten Male an; Gustav Meyncke monitis
cessere timentes, gewiß gut, wie man möchte sagen alles was
Meyncke bringt, aber das cessere kann nicht ganz befriedigen.
Mir scheint die Verwirrung schon in alter Zeit aus subiit
hervorgegangen sein, welches man nur auf pavor und imago,
nicht aber auf monitus oder gemitus im vorhergehenden Verse zu
beziehen wußte, und aus redire einer Erklärung über der Zeile,
welche in den Vers genommen und nun natürlich in rediere
verwandelt wurde. Ich behalte die 22 zusammengewürfelten
Buchstaben bei, verwandele sie aber in drei sinnvolle Wörter:
gemitus remeare monentis
gemitus s. 135. remeare monentis 142. tym (gem) ist mit mon
verworfen, vertauscht worden. Kann man, eine Frage nebenher,
redire für animo redire sagen? Das Prädicat zu gemitus, pavor
und imago liegt also in subit.
IV 714 ff.: non alibi effusis cesserunt longius undis
litora, nec tantas quamvis Tyrrhenus et Aegon
volvat aquas, geminis et desint Syrtibus undae.
Ich muß noch einmal auf diesen vielumstrittenen Passus zurück-
kommen, da ich mich über die Streichung des quamvis nicht
hinwegsetzen kann; Bährens tot für et scheint mir dagegen sehr
gut. Ich lese jetzt:
— sed tantas quam viz 'Tyrrhenus et Aegon
volvat aquas, geminis fot desint Syrtibus undae.
Der Dichter ist kein Strabo und spricht sich daher zweifelnd
aus in volvat und desint. In V. 18 möchte ich non nicht durch
num ersetzen; es ist so viel wie ‘und noch dazu’.
V 182 f.: — — simul aethere plena corusco
Pallas et alipedum Iuno iuga sistit equorum.
Palas und Juno haben die Argonauten bis an den Phasis
geleitet und kehren jetzt nach erreichtem Ziel heim in den
Olymp, in den aether coruscus: für plena muß es also frena
heißen, welchen in bekannter Abundanz das alipedum iuga equorum
erklürend entspricht.
V 195 f.: — — meque his tuteris in oris
tot freta, tot durae properantia sidera passum.
Zu diesem durae properantia sidera passum stehen bei Thilo acht
MuthmaBungen; Bährens hat prora properanti als neunte.
Robinson Ellis hat brumae für durae vorgeschlagen und da-
durch die Besserung ermöglicht. Ich möchte vorschlagen:
tot brumae rorantia sidera passum, 1
so daß also dr von brumae als pr auf das folgende Wort überge-
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 668
gangen ist. Ich erinnere an die rorantia astra bei. Verg. Aen. 8,
567, an den rorans iuvenis, und endlich an Manil 1, 871 f:
Pleiades Hyadesque , feri pars iuraque Tauri
in boream scandunt. Haec sunt aguilonia signa.
V 207 f: — — verenda fluentis
effigies te, Phasi, manet.
Thilo: veneranda fluentis. Bährens: reverendaque natis. Ich lese:
venerandaque fonüs effigies. |
Phasis soll abgebildet werden wie Enipeus und Inachus mit
einer Urne, aus der als Quelle der Strom sich ergießt.
V 321 ff: — sin vero preces et dicta superbus
respuerit, — iam nunc animos firmate repulsae, —
quaque via patriis referamus vellera terris. |
stet potius! rebus semper pudor absit in artis!
Ich habe die vier Verse bis 324 mit andern Lesezeichen
versehen, und erkläre sie so: ‘Weist er aber Worte und Bitten
schnöde zurück — schon jetzt rüstet euch auf ein Nein — da
müssen wir wie es auch gehe auf jede Weise das Vließ erbeu-
ten! voran immer die Ehre! Das Wort Furcht darf der Grieche
nicht kennen! Ich halte potius für eine Nachbildung von zo
xgetttov; also stet potius, vıraıw 10 xgelrzov!
V 371 f: — ast illum tardo non gliscere caelo
vellet ager, vellent calidis iam foribus amnes.
foribus hat der Codex; andere fontibus, roribus; es heißt aber fo-
cibus d.h. faucibus, und so muß gelesen werden s. Verg. Georg.
4, 428: et cava flumina siccis faucibus ad limum radii tepe-
facta coquerunt.
Um noch eine andere freilich sehr geringfügige, aber im-
merhin nothwendige Besserung hinzuzufügen, mache ich auf 4,
476 aufmerksam: mam vestra voluntas quod, iuvenes, sine pace
deum. So der Vat. — Für das sinnlose quod setzen einige quid,
andere quo, andere o; Bährens non nach Statius' Theb. 2, 152;
Pius und Lóhbach das diplomatisch gut empfohlene haud, und
so muß es heißen s. Verg. Aen. 5, 56: haud equidem sine mente
reor, sine numine divom, adsumus. Valer. 5, 254 haud sine
mente dei. Es ist ja am Ende aller Dinge ganz gleichgültig,
ob es häud oder non heißt, aber in der Handschrift steht quod,
und so ist non Correctur, und haud Emendation.
V 412 f.: at medii per terga senis rapit ipse nitentes
altus equos curvoque diem subtexit Olympo.
So liest der Codex, und ich glaube ganz richtig. Ich halte G.
Meynekes subtraxit, Bührens subduxit und Gebbings sol traxit für
einen und denselben Fehler; denn will man Bilder schildern, so
darf das Perfect nur dann gebraucht werden, wenn der Dichter
das erzählt was man auf dem Bilde nicht sieht. S. Ludewig
zu Verg. Aen. 1, 472. Diem subtexere Olympo ist gleich die
subtexere Olympum. |
664 Heinrich Kóstlin,
V 670 f.: fas aliquae nequeat. sio femina. coeperat ardens
hic iterum alternis Mavors insurgere dictis.
Madvig (2, 146) hat die Unmöglichkeit dieser Lesart schlagend
nachgewiesen, und dann durch die scharfsinnige Conjectur mas
aliquae nequeat si femina zu helfen gesucht. Das aliquae be-
gleitet er freilich mit einem bei ihm bedeutungsvollen Zweifel.
Von diesem Zweifel bin ich ausgegangen. Ich vermisse hier den
Anfang der Worte, auf welche hin Jupiter den Mavors unterbricht
und zurechtweist, und glaube im Verse 670 diesen heftigen An-
fang seiner Rede gefunden zu haben.
Vergil in der Aeneide 5, 6 sagt: motumque furens quid
femina possit, und 7, 345 heißt es bei ihm: Turnique hymenaeis
femineae ardentem curaeque iraeque coquebant ; beim Valerius
selbst steht 2, 155: scis simile ut flammis simus genus, und noch
kurz vor unsrer Stelle sagt Mars Vers 627: teque ea cuncta
tuvant, rabidam qui Pallada caelo non abigis, neque femineis
ius obicis ausis. S. ferner Ovid. Verwandl. 14, 384: laesaque
quid faciat, quid amans, quid femina disces rebus, ait, sed amans
et laesa et femina, Circe.’
Hierauf gestützt nehme ich den Vers al$ den Anfang der
hóhnenden Rede des Mavors, welche dann von Jupiter barsch
unterbrochen wird, und lese:
‘Fare age quae nequeat, si femina coeperit ardens?
hic iterum alternis u. 8. w.
So scheint mir das Räthsel gelöst. Sollte es nicht im folgenden
Verse hunc heißen für hinc?
VI 95 f.: ast ubi Sidonias inter pedea aequat habenas,
illinc iuratos in se trahit Aea Batarnas.
Daß pedes auf die nagußaras geht, liegt auf der Hand. Nach
Plutarchs Aemilius Paulus 12 kommen zum Perseus Baecr«grais,
pugsos uiv inneiç, puvosos dE nuguSuru. S, auch Cäsar Gall.
Krieg 1, 43. Aber was soll inter heißen? Und was fängt man
mit dem seltsamen illine an, wofür man doch jedenfalls Aime er-
warten müßte? Dazu die iurati? Von diesen Fragen und Schwie-
rigkeiten gehen die verschiedenen Versuche die Stelle zu bessern
aus, welche bei Thilo stehen. Ich halte mich an Vergil, Land-
bau 2, 497, wo es heißt: aut coniurato descendens Dacus ab
Histro, wo dies die am Hister wohnenden Völker sind, die sich
durch Schwur zum Kampfe verbunden haben, lasse Valerius hier
noch einen Schritt in der poétischen Sprache weiter gehen,
und lese:
ast ubi Sidonia Hister pedes aequat habenas,
hine comiuratos in se trahit Aea Batarnas.
VI 128 f: namque ubi iam vires aliae notusque refutat
arcus —
für vires aliae motusque refutat arcus lesen Heinsius und Bährens
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 665
aegrae motusque, ich möchte vorschlagen vires aliae notdsque re-
futat arcus.
Aliae vires sind 4, 126 ‘größere’, hier an unserer Stelle
‘geringere’ durch das Alter gebrochene, nicht mehr die alten
Kräfte, und diese können den Bogen nicht mehr spannen; der
Bogen zeigt, dais die alten bekannten Kräfte nicht mehr da
sind; daher notasque refutat arcus.
VI 128: ambo animis, ambo miseri tot fortibus actis.
Ich hatte darauf aufmerksam gemacht, daß Löhbachs und
Bährens animos? als Gegensatz zu miseri unwahrscheinlich seien,
da die Handschrift schon einen andern Gegensatz enthalte, den
zwischen animis und fortiter actis. Offenbar ist unser Vers dem
Vergil’s Aen, 11, 291 nachgebildet: ambo animis, ambo insignes
praestantibus armis. Das zu heilende Uebel, sagte ich, müsse
also wohl in miseri stecken, welches der Auffassung der Jazygen
zu sehr entgegenstehe, als daß es nicht verdächtig sein sollte.
Bei den Jazygen ist es Pflicht des Sohnes den alten Vater zu
tódten, die pietas nati erfordert es; freudig stirbt der Vater vom
Schwerte des treuen Sohnes, freudig giebt der treue Sohn dem
Vater den Tod. 'S. Vers 288 ff. und V.30. Es muß also doch
wohl heißen:
ambo animis, ambo mersé tot fortibus actis.
VI 160 ff.: ibant et geminis aequantea cornibus alas
Balloniti comitantque celer mutator equorum
Moesus et ingentis frenator Sarmata conti.
Es werden hier drei Volksstimme neben einander gestellt, die
zu Pferde ins Feld ziehen, also Reitervölker : Balloniten, Moesier
und Sarmaten; die beiden ersten sind equites levis armaturae; die
Sarmaten dagegen Kataphrakten mit gewaltigen Lanzen; also
1) tu ioroZoios equites sagittarii, 2) &uqummos desultores, 3) schwere
Reiter x01109090., wie jetzt unsere Uhlanen und bald unsere
Kürassiere. Die Balloniten, deren Namen der Dichter offenbar
von Pulls ableitet, erhalten einen eigenthümlich lautenden er-
klürenden Zusatz geminis aequantes cornibus alas, welchen J. A.
Wagner wiedergiebt durch: ex utraque parte aciei eodem numero
cornua tegentes. Ich halte diese Auslegung für durchaus verfehlt.
aequare alas kann nur heilen “den Flügeln gleichkommen, die
Flügel, den Vogel einholen“, und hat doch offenbar nichts mit
eodem numero cornua tegere zu thun. Gemina cornua sind die bei-
Flügelspitzen des Bogens, welche, wenn dieser scharf gespannt
wird, dem Pfeile die größte Schnelligkeit und Wucht geben.
Also ‘die mit ihren Bogen dem Vogelfluge gleichkommen'. Alae
ist dichterische Bezeichnung für Schnelligkeit. Verg. Aen. 9,
578 alis adlapsa sagitta est, ‘der Pfeil kam auf Flügeln heran’
und 8, 224 pedibus timor addidit alas. Bei Valer. 7, 546 spes-
que addidit alas nach Philipp Wagners unbestreitbarer Besserung
für aula,
666 Heinrich Kóstlin,
VI 178 £.:
impulit hos contra Mavors pater et mala leti
Gaudia Tisiphoneque caput per nubila tollens
ad sonitum (adsistunt) litui mediaque altissima pugna
necdum clara quibus sese Fuga mentibus addat.
Ich würde hinter tollens ein Kolon setzen, und die ursprüngliche
adsistunt litui für ad sonitum litui, dann clara für certa wieder-
herstellen. Im Vat. ist das ed sonitum — Thilo weiß nicht ob
von erster oder von zweiter Hand — über adsistunt geschrieben;
gewiß von zweiter, denn wer hätte auf adsistunt kommen können ?
Zwei Heere feindlicher Völkerschaften stehen einander ge-
genüber, Pallas führt die einen, Mavors die andern; als Unpar-
teiische stehen dabei, beiden helfend, die Zinken und Trom-
peten und die Flucht, tief mitten im Kampfgewühl, von der noch
nicht klar ist, welchem der Völker sie sich gesellen will.
Das Kolon nach tollens ist nach meiner Meinung nothwen-
dig; dann schwindet das seltsame Tisiphoneque caput per nubila
tollens ad sonitum litui, und nun gar die Fuga, welcher das im-
pulit sonst auch mit zugeschrieben werden müßte.
VI 247: tenerae linquuntur vulnere malae?
Für tenerae liquuntur vulnere malae oder tinguuntur nach Ph.
Wagner oder linguntur, wie Ellis vorschlägt, lese ich mit Thilo
liquuntur: 'seine zarten Wangen schmelzen von der Wunde
dahin'; so bei Ovid. Verwandl. 2, 808 lentaque miserrima tabe
liquitur, ut glacies incerto saucia sole; ebenda 3, 489: sic adte
nuatus dmore liquitur et caeco paulatim carpitur igni ; das Bild her-
genommen vom Eise, das an der Sonne, oder vom Wachs, das
am Feuer schmilzt.
VI, 256 ff:
impulit adverso praeceps equus Onchea conto
nequiquam totis revocantem viribus armos:
in latus accedit sonipes, accedit et ipse
frigidus; arma cadunt, rorat procul ultima cuspis.
Ich hatte früher gegen Bährens in latus accepit sonipes, accepit
et ipse sehr richtig bemerkt, man müsse bei accedit bleiben,
aber ein Kolon hinter in latus setzen, nachdem man das hin-
ter armos getilet habe, dann bei der Correctur, ich weiß nicht
mehr warum, die sichere Besserung zurückgenommen. Ich hatte
zur Erklärung dieser Interpunction die Erklärung hinzugefügt:
der Reiter sucht mit allen Kräften das anstürmende Roß von
der Lanze durch eine Wendung auf die Seite abzu-
lenken, umsonst, das Roß kommt heran, er selbst kommt heran
in Todesangst (das heißt frigidus s. 7, 530): erst durch diese
Interpunetion gewinnt die kurze drastische asyndetische Rede
in den accedit accedit. cadunt. rorat ihre Wirkung.
VI 341 £:
et qui — Bebrycio propius remeavit ab hospite victor.
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus, 667
Für propius liest Bährens nuper; ich möchte patrius vorschla-
gen: mit dem Faustkampf ist er in Lacedümon groß geworden,
VI 386 £f:
— hie pariter telorum immanis in unum
it globus; ille diu coniectis sufficit hastis,
382, quin et iam gravior nutuque carens exterruit Idam.
tune ruit ut montis latus aut ut machina muri,
quae scopulis trabibusque diu confectaque flammis
procubuit tamen atque ingentem protulit urbem.
So die Handschrift, welche nur V. 882 Schwierigkeiten darbietet;
denn alles übrige ist unanfechtbar: die machina muri, das tamen
und das vielbesprochene protulit urbem; jede Aenderung beruhte
auf dem Mißverständnisse der Stelle, wie ich jetzt beweisen kann,
nachdem ich schon früher einmal den Passus ganz richtig er-
klürt hatte. Schon die Bologn. Ausgabe streicht et iam, um den
Vers herzustellen und eine Interlinearerklärung zu beseitigen;
die Aldina hat cadens für carens, und ich habe, um dem kahlen
mons Relief zu geben und um den seltsam hereinschneienden
Idas zu beseitigen, ein Kolon mach ezterrui gesetzt und Idae
für Idam vorgesehlagen, was durch Stat. 9, 532 sehr nahe ge-
legt wird, wie derselbe, ein Nachahmer des Valerius, auch das
mutuque cadens für carens durch sein nutantem V. 535 schützt.
Aber darüber möchte sich streiten lassen; über den Schluß: in-
gentem. protulit urbem. wird jedenfalls kein Streit mehr aufkommen
kónnen, da ich die mir vorschwebende Stelle gefunden habe,
welche jeden Zweifel beseitigt. Ich sagte im Philologus unge-
führ: Gesander füllt wie ein Thurm, der Widdern uud Flam-
men lange widersteht, aber endlich dennoch (tamen) zusam-
menstürzt und eine gewaltige Stadt wehrlos den Augen
bloBlegt Und so ist es. S. Stat, Theb. 9, 554 ff:
— ruit haud alio quam celsa fragore
turris ubi innumeros penitus quassata per ictus
labitur effractamque aperit victoribus urbem.
Vers 282 also vielleicht:
quin gravior nutuque cadens exterruit: Idae
tune ruit ut montis u, s. w.
Bei diesen beiden Reihen hat unserm Valerius zweifellos Verg.
5, 447 vorgeschwebt:
ipse gravis graviterque ad terram pondere vasto
concidit: ut quondam cava coneidit aut Erymantho
aut /da in magna radicibus eruta pinus.
machina muri = turris; tamen wegen diu, also eigenthümlieher
und dadurch stärker als tandem. Uebrigens möchte ich auch
glauben, daß Valerius bei dem ingentem protulit urbem eine be-
rühmte Stelle des Vergil Aen. 2, 481 ganz umwillkürlieh vor
die Augen getreten ist:
— — iamque excisa trabe firma cavavit
robora et ingentem lato dedit ore fenestram.
apparet domus intus et atria longa pateseunt.
668 Heinrich Kóstlin,
VI 423 £.:
ipse recollectis audax Ariasmenus armis
desilit: illum acies curvae secat undique falcis,
partiturque rotis, adque inde furentia raptus
in iuga Circaeos tetigit non amplius agros.
Eine gründlich verdorbene und nur ganz im allgemeinen ver-
ständliche Stelle, und dennoch ringsum tiefes Schweigen; Bur-
mann sagt kein Wort: nur J. A. Wagner sucht einiges Licht
in das Dunkel zu bringen; er sagt: Ariasmenus ita est audaz,
ut recollectis armis ex hac equorum et curruum turba se velle
proripere, sed acies curvae falcis, falces acutae secant undique. par-
tiunturque rotis, curribus, ut caput forte ab hoc, bracchia ab illo,
pedes a tertio curru exciperentur. Zum Schluß fügt er mit Recht
hinzu: haec admodum elumbia et frigida.
Zuerst das kahle desilit, während bei Vergil 10, 453 steht:
desiluit Turnus biiugis, pedes apparat ire comminus ; 12, 955
sistit equos. biiugis et curru desilit, und 11, 499 f. portisque ab
equo regina sub ipsis desiluit; bei Statius Theb. 3, 292 f. &
alto (haut mora) desiluit curru. Was heißt dann zweitens
partiturque rotis ?
Nach meiner Meinung hat hier ein Mißverständniß des re-
colligere obgewaltet und daher armis statt aris, und ein Augen-
versehen, so daß desilit oder vielmehr desiluitque in den ersten
Vers hineingerathen und partiturque d. h. partibus in den zweiten.
Ariasmenus hemmt (d. h. recolligit bringt Rosse und Wagen
wieder in seine Gewalt) den zertrümmerten Wagen, den die Si-
cheln von allen Seiten zerreißen, springt herunter, wirft sich auf
die Rosse und entkommt in Verzweiflung aus der Schlacht auf
Nimmerwiedersehen.
So recolligere Val. 5, 431 et iuga vix Tethys sparsumque re-
colligit azem et formidantem patrios Pyroenta dolores, wo Tethys
die scheuen Sonnenrosse und den zertrümmerten
Wagen wieder in ihre Macht bringt; der zweite Vers
ist ein plastischer individualisirender Zusatz zu iuga; so habenas
colligere Verg. Aen. 11, 670; so Ovid. Met. 2, 398 colligit
amentes et adhuc terrore paventes Phoebus equos. Der sparsus azis
(5, 431) heißt hier an unserer Stelle azis partes, der zerrissene
Wagen; illum geht auf azis, den Wagen. Ich lese also:
ipse recollectis audax Ariasmenus azis
partibus — illum acies curvae secat undique falcis —
desiluitque rotis, adque inde furentia raptus
in iuga Circaeos tetigit non amplius agros.
VII 62 ff:
Martius ante urbem longis iacet horridus annis
campus, et ardentes ac me quoque vomere presso
me quoque cunctantes interdum agnoseere tauri.
Statt ac me quoque vomere presso muß es heißen a me
v. pr.; denn nach der Lesart der Handschrift schwebt vomere
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 669
presso in der Luft: wer, fragt man, drückt denn die Pflug-
schaar? Der Fehler geht aus der falschen Auffassung hervor,
als wenn ardentes und cunctantes wie gleichstehende Adjectiva
durch ein ac oder et verbunden werden müßten, während doch
nur ardentes das Adjectiv und cunctantes das Particip ist, von
dem agnoscere abhängt. Was bei meiner Besserung wesentlich
ist: die Palillogie me quoque — me quoque bleibt durch diese
des:Sinnes und der Grammatik wegen nothwendige Besserung
unangetastet bestelen.
VII 168 —169:
quin illa sacro, quo freta, veneno,
illum etiam totis adstantem noctibus anguem,
qui nemus omne suum quique aurea (respice porro)
vellera tot spiris cireum, tot ductibus implet,
solvat et in somnos ingenti solvat ab orno.
So liest die Handschrift, und ich glaube mit Recht. Zuerst
dachte ich bei dem ersten solvat an sopiat insomnemque oder in
somnosque ; Bührens muthmaBte cantibus; aber solvere steht hier
in eigentlicher und dann in übertragener Bedeutung, und daher
möchte eine Aenderung nicht zu rathen sein. Es steht also wie
bei Góthe das Wort binden; die Sphinx sagt:
Laß dich, Edler, nicht betrügen.
Statt daß Ulyß sich binden ließ,
Laß unsern guten Rath dich binden.
So braucht Valerius fundere 6, 390 f. aequora fundere und flu-
vium habenas fundere, sogar ohne Wiederholung des Wortes
Man beachte auch die verschielene Betonung der beiden solvat.
VII 302 £.:
saevus Echionia ceu Penthea Bacchus in aula
deserit infectis per roscida cornua vittis,
cum tenet ille deum —
Thilo sagt: dedi librorum scripturam quae nondum emendata est.
Ich glaube die Lósung gefunden zu haben.
Pentheus, der ja mythisch kein anderer ist als der chtho-
nische Dionysos, wird vom Gotte erfüllt, erscheint mit
Hórnern unter der Mitra, also mit einem Stierhaupte,
und wird so von seiner Mutter und den Bacchantinnen als wil-
des Thier zerrissen, s. Valer. III 264 ff.:
ceu pavet ad crines et tristia Pentheos ora
Thyias, ubi impulsae iam se deus agmine matris
abstulit et caes: vanescunt cornua (lauri.
Ich setze deßhalb nach deserit ein Komma, tilge das Komma
nach vitis, da alles auf den Pentheus geht, und für infectis p.
r. c. v. bessere ich in festis per roscidà cornua vitiis ‘in fest-
licher Binde um die triefeuden Hörner. So 5, 348 in vittis.
5, 79 udaque pampinea nectentem cornua vitta. 1, 776 cui caeru-
leae per cornua vittae, 2, 271 in nivea tumeant ut cornua mitra.
Ein Opferstier bei Verg. Aen. 5, 366 heilt velatus auro vittisque
670 Heinrich Kóstlin,
iwencus. S. Stat. Theb. 9, 795 f. 7, 150. Valer. 6, 532 f
Meine Version sieht also so aus:
saevus Echionia ceu Penthea Bacchus in aula
deserit, in festis per roscida cornua vittis
cum tenet ille deum. —
VII 362 £.:
idem stat fulmina contra
sangus et in mediis florescunt ignibus herbae.
Für das verschriebene sangus lesen Thilo und Schenkl sanguis,
aber wo bleibt da cruor, auf das doch jeder zuerst idem bezie-
hen wird; Bährens: salvus, was mir matt erscheint; ich lese
tactus, was ja terminus technicus ist, ‘unbeschadet werden die
Kräuter vom Blitze getroffen und mitten in den Flammen blü-
hen sie’.
VII 456 ff:
dixerat. extemplo (neque enim matura ruebant
sidera et extremum suffecerat axe Booten)
cum gemitu — iuveni — medicamina obicit.
Gewiß berühren jeden Leser sehr unangenehm die beiden Asyn-
deta im Verse 449 ff.: Titania iamque gramina Perseasque sinus
depromere vices coeperat; his iterum compellat Iasona dictis, und an
unserer Stelle dixerat; ertemplo. Vergil. Aen. 2, 376 sagt: dizit
et extemplo neque enim responsa dabantur. Daraufhin darf
man doch gewiß auch beim Valerius das dixerat extemplo in:
dixit et extemplo verwandeln, ebenso wie Vers 450 statt coeperat
ebenso coepit et in den Text aufnehmen. Zugleich wird man
durch den Vers Vergils veranlaßt trotz Heinsius’ bestechlicher
Conjectur (nam iam matura ruebant sidera et extremo se flexerat
are Bootes) sich ganz zur Handschrift zurückzuwenden, obgleich
Statius Theb. 2, 120 sagt: dirit et abscedens, etenim $am pal-
lida turbant sidera lucis cqui. Medea braucht hier offenbar ihre
Zauberkraft und fesselt, wenn auch nur auf kurze Zeit (s. Apoll.
Rhod. 4. 1048 f, roicz ye uér ovx iai Órgor Fooeut, aad’ avri-
pag’ die Gestirne. so daß matura heißt: ‘obgleich sie zum Un-
tergange reif waren’: auf diese Stelle geht das Wort Jasons
199: perque haec. virgo, tuo redeuntia sidera nutu.
Sollte suffeeerat. nicht heißen können: ‘sie hatte ihn nach-
wachsen lassen. so daß dann Burmanns sufrirerat, das man
sonst doch wohl aunehmen muß, nieht nóthig wäre? Dann
könnte man ja auch an euffecerat arte denken.
VII 520 f.:
quaem tanta utinam fiducia nostri
sit mili noeturnaeque Hecates nostrique vigoris.
Medea will den Jason in Fureht setzen und dadurch ihren
Werth steigern: sie zeigt ihm deBhalb die durch den Schatten
des Fremden erschreckte und in Wuth gerathene Schlange, den
Custos Acolti vclierie.
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus. 671
Ich bin bei meinem Versuche diese schwierige Stelle zu
bessern (das quem! wurde einem früher stets als Sonderbarkeit
entgegengetragen) von nostrique vigoris ausgegangen, da mir
Heinsius! vestrique vigoris das Verständniß und die Besserung un-
möglich zu machen schien. Auf den vigor der Argonauten und
des Jason sollte sie vertrauen ? Sie wußte ja, daß ohne sie
selbst, ohne den ihr eigenen vigor, der ihrer virginitas innewohnt,
ohne ihre Zauberhülfe die Helden verloren sein würden. Wenn
aber nostrique vigoris beibehalten werden muß, dann muß der
Fehler in dem ersten nostri stecken, und so entstand unmittelbar
mein Versuch der Besserung:
quae tanta ubinam fiducia nosti
sit mihi nocturnaeque Hecates nostrique vigoris?
Und weißt du, wo dieses Vertrauen auf die Hekate und meine
Kraft steckt? Und nun reizt sie die Schlange.
VII 547 f.:
Vos mihi nunc primum in flammas invertite tauri
aequora, nunc totas aperite et volvite flammas.
Die beiden flammae sind der bekannte Stein des AnstoBes. Mad-
vig wil wie Thilo für das erste glebas lesen; Bährens für das
zweite fluctus. Aber wo bleiben da die Drachenzühne, die Saat,
von der es dann heißt exeat Haemonio messis memoranda colono?
Nun sagt Val. 7, 610 ff. plena sic semina dextra spargere gaudet
agris oneratque novalia bello u. s. w. und Stat. Theb. 1, 7 ff.
trepidam si Martis operti agricolam infandis condentem proelia
sulcis expediam. Da nun die pugnae in den Drachenzähnen ste-
cken, die nur auf dem von den Stieren gepflügten Acker auf-
gehen kónnen, móchte ich lesen:
vos mihi nunc primum in pugnas invertite tauri
aequora.
Dazu paßt denn vortrefflich das invertite s. Verg. Georg. 2, 140 ff. :
haec loca non tauri spirantes naribus ignem
invertere satis immanis dentibus hydri
me galeis densisque virum seges horruit hastis.
Ladewig bemerkt: es ist an dasselbe Verfahren zu denken, das
wir beim Einpflügen der Kartoffeln beobachten, wie die in die
erste Furche gelegten Kartoffeln durch die bei dem Ziehen der
zweiten Furche aufgeworfene Erde bedeckt werden.
VII 559 f.:
totoque ex agmine solus
stabat ut extremis desertus ab orbibus axis e. q. s.
Durch die einfache Aenderung des solus in solis zu axis habe
ich früher einmal all den sinnlosen und willkürlichen Aende-
rungen ein Ende gemacht und der geplagten Handschrift wieder
zu ihrem Rechte verholfen. Nur möchte ich in Vers 562 statt Ri-
phaeas extantem rursus (oder sursus) ad arces vorschlagen vorsus
oder versus zu lesen, da rursus einen falschen Sinn giebt und
672 Heinrich Kóstlin,
sursus einen schiefen, indem hier nur von einer geographischen
Bestimmung die Rede ist, vom Süden, wo der Sandsturm die
Sonne bleicht, und vom Norden, wo der dichte Fall des Schnees
sie verdüstert.
VII 587 f.:
inicit Aesonides dextram atque ardentia mittit
cornua, dein totis propendens viribus haeret.
Thilo sagt: mittit corruptum est, mutat codex regius, nectit
Bon. fortasse prendit. Bährens’ Version ilicet Aesonides dex-
tram ad squalentia mittit cornua ist sehr hübsch; ich möchte
mich aber, da mir mittit Zweifel erregt und Thilo’s prendi zu
kühn erscheint, im Allgemeinen näher an den Codex halten
und lesen:
inicit Aesonides dextram adque ardentia sist
cornua,
(die blinkenden, funkelnden Hörner) nach Apollon. v. Rhodus
3, 1805 fovs xégus axgov dgvEag elduev Enıxgareug (denn dgvtag
muß doch wohl für io/ec«c gelesen werden).
VIII 68: Iamque manus Colchis crinemque intenderat astris.
Für crinemque will Lóhbach nach Valer. 7, 269 ff. vocemque
lesen; Bährens virgamque, ich möchte vimenque vorschlagen
wegen des ühnliehen Klanges und wegen Vers 84, wo der Me-
dea eine Zauberruthe beigelegt wird, ein Lethaeus ramus, den
Statius Theb. 2, 30 Lethaeum vimen nennt.
VIII 160 ff:
hoc erat, infelix, (redeunt nam singula menti)
ex quo Thessalici subierunt tempore reges (andere: litora remi]
quod nullae te, nata, dapes, non ulla iuvabant
tempora. non ullus tibi tum color aegraque verba
errantesque genae atque alieno gaudia vultu
semper erant.
Die Stelle leidet an einer Lücke und an einem offenbar falschen
Worte tempora in V. 163.
Für tempora liest Lucian Müller tempea; d'Orville pocwla;
Bährens te ioca. Ich räume es ganz weg und versetze es als
tempore hinter subierunt, so daB Vers 161 nur noch ein Wort
fehlt, eine Lücke, die ja mit remis oder reges auszufüllen ist.
In die Lücke nach éuruhant setze ich somnia ‘nicht Essen,
nicht Schlaf erquickten dich mehr. Stat. Theb. 2, 93 capit
ille dapes, habet ille soperem. Somnia kommt ja so bei Verg.
Aen. 5, 840 vor.
Báhrens Aenderungen alieno ad gaudia vult semper eras
und das Semikolon nach yeaue sind nicht glücklich für alieno
yanılla cuca semper erant, wo erant aut color, veróa, genae und
guudia bezogen ist, nicht glücklich, denn Valerius will die Worte
im Homer nachah:neu Odyss, 20, 347: où J 737 yeetuvios yredolwr
& Agrgivetit. Den SeniuB. der Worte der Mutter Vers 163—169
lasse ich in meiner Version tolgen:
Zur Erklärung und Kritik des Valerius Flaccus 678
. cur tanta mihi non prodita pesti
aut gener Aesonides nostra consideret aula
nec falem paterere fugam, commune fuisset
aut certe nunc omne nefas etc.
Durch das Fragezeichen nach pestis und die Aenderung von ut
in aut erhält die Stelle erst ihren.Sinn, und die Conjeeturen
werden unnöthig.
VIII 285: Dixerat atque orans iterum ventosque virosque,
perque ratis supplex et remigis vexilla magistris.
Daß die Verderbniß dieser Stelle nur in atque und in et remigis
stecken könne, habe ich früher einmal nachgewiesen, Die Er-
klürer alle haben vewilla verworfen, und so sind elf soge-
nannte Besserungen entstanden, von welchen die besten nur einen
suceès d’estime beanspruchen können. In die Augen springt, daß
per ratis supplez vezilla magietris untadelhaft ist, also per ratis
vexilla supplez magistris. Ratis ist das Admiralschiff, und dieses
giebt durch Flaggen den Capitänen der andern Schiffe Zeichen
zum Vorwärtsgehen. Daß diese meine Auffassung der ratis und
der vezilla die richtige sei, beweisen, sagte ich früher einmal,
zwei interessante Stellen aus dem Agamemnon des sogenannten
Seneca, also vielleicht unsers Valerius selbst. Agam. Vers 448 ff.:
signum. recursus regia ut fulsit rate
et clara lentam remigem monuit tuba,
aurata primas prora designat vias
aperitque cursus mille quos puppes secant.
und Vers 39 f.:
rex ille regum ductor Agamemnon ducum
cuius secutae mille vezillum rates.
Streicht man nun von den überschüssigen, sinnlosen Silben im
et remigis das igis, so bleibt et rem, eine Verstümmelung von
iterum, einem Worte, das ja zum ersten iterum vortreffich
paßt, ebenso wie oder durch den Gleichklang noch besser als
orans zu supplez, auf welches sich magistris bezieht,
Es bleibt also nur noch atque als zweifelhaft übrig; ob
man dafür nun itque substituiren muß, was vortrefflich zu iterum.
— ilerum passen würde, oder auf andere Weise helfen kann,
das itberlasse ich gelehrteren Leuten zur Entscheidung; an die
iterum iterum und an die ventos viros verilla darf man aber
nicht rühren.
(Fortsetzung folgt.)
Hamburg. Heinrich Köstlin.
Philologus XLVII (N. F. Il), 4, 48
XXXIV.
Zu Frontins Kriegslisten.
Durch G, Gundermanns Ausgabe (Leipz. Teubn. 1888) ha-
ben Frontins Kriegslisten einen kritischen Apparat erhalten,
durch welchen erst eine methodische Emendation des Schriftstel-
lers ermöglicht wird. Der Herausgeber hat sich durch sein
fleißiges Werk ein Anrecht auf unsern Dank erworben. Nicht
minder dankenswerth sind die im 16. Supplementband der Fleck-
eisen'schen Jahrbücher erschienenen quaestiones de lulii Frontini
strategematon libris. Manche die Kriegslisten betreffende Frage
ist dadurch um einen Schritt weitergebracht worden, so sz. B.
die bezüglich des vierten Buchs. Daß dieses Buch nieht von
Frontin herrühren kann, haben Wachsmuth (Rhein. Mus. XV.
Bd.) und Wölfflin (Hermes IX. Bd.) auf's evidenteste dargethan.
Weniger begründet war die Ansicht der beiden Forscher über
die Abfassungszeit dieses unechten Buchs; Wachsmuth verlegte
nämlich dieselbe mit Zustimmung Wölfflins in das 4. oder 5.
Jahrhundert. Diesem Ansatz tritt Gundermann in den Quae-
stiones entgegen und stellt S. 326 den Satz auf: in eam inclino
sententiam ut scriptum esse quartum librum | existimem ab homine
haud ita erudito — a studioso, si vis, rhetoricae — aetate a
Frontino non multum distante, initio fortasse saeculi alterius p. Chr.
Auch bei mir stand die Unhaltbarkeit jener späteren Datirung
seit längerer Zeit fest. Eine genauere Betrachtung der Quellen
des IV.. Buchs führte dieses Resultat herbei. Eine weitere
Schwierigkeit, welche uns das IV. Buch darbietet, hat der Her-
ausgeber zwar berührt, aber meines Erachtens nicht gelöst. Ich
meine die aus dem ächten Frontin herübergenommenen Bei-
spiele des IV. Buchs. Eine Schwierigkeit birgt diese Herüber-
nahme insofern in sich, weil der Verfasser des IV. Buchs nach
der Vorrede als Frontin gelten will. Diese Schwierigkeit glaubt
Gundermann durch folgende Bemerkung zu lösen (S. 329): hoc
stultitia factum crediderim, nisi mavis studio fallendi, ia ut repe-
titis eisdem exemplis speciem eiusdem — auctoris. voluerit praebere.
Niemand wird diese Erklärung befriedigend finden. Ein Mann,
Zu Frontins Kriegslisten. 675
der die vorliegenden drei Bücher Frontins ergünzen und, dabei
als Frontin angesehen werden will, kann unmöglich Beispiele
aus dem Frontin selbst wernehmen. Einen solchen Thoren als
Verfasser des IV. Buchs anzunehmen, sind wir durch die Ver-
fassung des IV. Buchs nicht im Mindesten berechtigt, Es scheint
sonach nur der eine Ausweg möglich zu sein, mit Wülfflin jene
Uebertragungen einem Leser aufzubürden und dieselben daher
zu streichen. Allein gegen diese Annahme spricht wiederum,
dat jene Wiederholungen kleine Discrepanzen zeigen, wie wir
sie dem redigirenden Schriftsteller, nicht aber dem notirenden
Leser zutrauen können. Um aus dieser Schwierigkeit heraus-
zukommen, bin ich auf eine Hypothese gekommen, die ich hie-
mit zur Prüfung vorlegen will. Sie läßt sich in Kürze also
formuliren: Der Verfasser des IV. Buchs ist der Of-
ficier, dem sich die Lingonen im J, 70 unter-
warfen (4 3,14); er ist sonach Zeitgenosse Fron-
tins. Für seine Schrift benutzte er wie andere
Quellen, so auch die Kriegslisten Frontins. Erst
eine dritte Person hat diese Schrift mit Fron-
tin verbunden, zu diesem Zwecke eine Vorrede
geschrieben und einen Passus der Vorrede des
ächten Frontin hinzugefügt. Bei dieser Hypothese
dürfte der Anstoß, den jene Wiederholungen darbieten, ver-
schwinden; denn einer dritten, dem Werk fremd gegenüber ste-
henden Person konnten bei einer oberflächlichen Lectüre jene
Wiederholungen leicht entgehen,
An diese allgemeinen Betrachtungen schließen wir die Be-
sprechung einer Reihe von Stellen, um zu zeigen, daß der Her-
ausgeber in Bezug auf emendatio seines Autors Manches zu thun
übrig gelassen. Wir behandeln zuerst die Auslassungen:
2,3, 23 8. 53. Die Chatten machten der römischen Reiterei
die Operationen unmöglich, indem sie in die Wälder flüchteten.
Der Feldherr befahl daher der Reiterei, simulatque ad impedita
ventum esset equis desilire pedestrique pugna confligere: Dann
heißt es weiter: quo genere consecutus [est], me quis iam locus
victoriam eius moraretur. So der Herausgeber. Die den Ab-
sichtssatz beginnenden Wörter lauten aber in der Ueberlieferung ;
ne quis non lotus, Man hat non gestrichen, in omnino verwan-
delt; Götz will merkwürdiger Weise quis non als Glossem aus-
scheiden. Hartel vermuthet iu seinen Analecta (Wiener Stud.
VI (1884) S. 109 ne iniquus iam locus. Ich nehme den Ausfall
einer Silbe und eines Wortes an und lese: me equis non aptus
locus victoriam eius moraretur. Die Stellung equis non aptus locus
ist bei dem Schriftsteller sehr gewöhnlich.
4, 7, 80 S. 140 P. Scipio — exhortatus est fratrem, ut po-
43*
676 M. Schanz,
stero quamvis religioso die committeret proelium : quam sententiam
secuta victoria est. Der letzte Satz drückt nicht den Gedanken
aus, der hier orforderlich ist, nämlich daß der Rath des P. Sci-
pio von seinem Bruder befolgt wurde. Ich vermuthe, daß
quam sententiam secutus victoriam adeptus est herzustellen ist. Der
Ausfall von adeptus mußte die weitere Verderbnif nach sich
ziehen. Vgl. 4, 5, 8. |
1, 1, 9 S. 7 handelt es sich um die Kriegslist des Clau-
dius Nero, sich gegen Hasdrubal zu wenden und denselben zu
schlagen, ohne daß Hannibal von diesem Vorhaben Kenntniß
erhielt. Ita, heißt es am Schluß, ez duobus callidissimis ducibus
Poenorum eodem consilio alterum celavit, alterum oppressit. Richtig
haben Hartel und Hirschfeld erkannt, daß bei celavit das Ob-
ject der verheimliehten Sache fehlt. Hartel ergänzt daher se,
Hirschfeld iter. Ich lese: eodem tempore consilium alterum celavit,
alterum oppressit.
9, 4, 6 S. 95 heißt es von Phalaris — simulato foedere
frumenta, quae residua habere se dicebat, apud eos deposuit: deinde
data opera, ut camerae tectorum in quibus id conferebatur, rescissae
pluviam reciperent, id fiducia conditi commeatus proprio tritico abusos
initio aestatis adgressus inopia compulit ad deditionem, Statt id
(nach reciperent) welches der Harleianus hat — in der schlech-
teren Ueberlieferung steht ut — gibt der Herausgeber mit we-
nig Wahrscheinlichkeit eos. Man vermißt die Hervorhebung der
schädlichen Wirkung des Regens in Bezug auf das Getreide;
vgl Polyaen. 5, 1, 3: 0 d& Dulagıs rovg ost0gvdaxas arr
Enssoev ágyvglo dinupdeiqac, Tag 0gogac rd» olxodounudruv dis-
Àeiv, Onwc 0 Oirog voutrog xuracaneln. Nach id statuire ich
den Ausfall von corrupturam. Statt frumenta ist frumenti herzu-
stellen, statt conferebatur aber vielleicht condebatur.
2, 3, 14 S 49 ist ein Strategem des Cn. Pompeius noth-
wendig, quia hostes et numero et equitatu praevalebant. Hartel er-
günzt S. 109: et peditum numero. Allein hier handelt es sich
lediglich um die Reiterei. Vergleicht man 2, 5, 33 numero e&
genere equitum praevalentem , so wird man an unserer Stelle &
numero et genere equitatus für das Richtige erachten.
1, 4, 8 S. 13 bietet die geringe Ueberlieferung cum flumen
transire propter oppositum hostium. exercitum non posset, die gute
läßt propter aus. Vielleicht ist dies propter eine Ergünzung
dureh Conjectur und. hie es ursprünglich 08, das vor oppositum
leicht ausfallen konnte. Daß Frontin 08 nicht bloß in den
Formeln ob id, ob hoc gebracht, zeigt 2, 5, 4; 2, 6, 6.
4, 5, 16 8. 132 virga, qua ad equum erat usus. Dieses ad
vertheidigt Hartel S. 116 mit Petron. 27, 6 aquam proposuit ad
manus; allein hier ist dureh proposuit die Sache eine ganz an-
dere, Es ist allem Anschein nach versus nach ad ausgefallen
und daher zu lesen qua adversus equum erat usus. Vgl. 8, 8, 3,
Zu Frontins Kriegslisten. 677
2,4, 13, Aehnlich dürfte zu heilen sein 1, 1, 10 8. 7 con-
tendit falsum ad eos rumorem et rogavit, wo Hartel S. 100 schreibt
contendit falsum adesse rumorem et rogavit. Es wird Alles in
Ordnung sein, wenn wir statt ad lesen adisse.
Wir wenden uns nun zu den Interpolationen.
4, 5, 2 8. 128. C. Caesar, seditione in tumultu civilium ar-
morum facta, mazime animis tumentibus, legionem totam exauctoravit.
Statt facta steht in der besseren Ueberlieferung actum, woraus
Hartel S. 116 facta ac tum macht. Ich streiche den Satz in
tumultu civilium armorum actum als Randbemerkung. Daß ein
soleher Zusatz nicht nothwendig ist, ersehen wir aus 1, 9, 4,
wo ein ähnliches Strategem berichtet wird und es einfach heißt:
C. Caesar, cum quaedam legiones eius seditionem. movissent. Be-
züglich des Ausdrucks seditione maxime animis tumentibus vgl. 1,
9, 2 cum legiones civium Romanorum perniciosa seditione furerent
2, 5. 18 tam perniciosa seditione furere. Ich lasse dahingestellt,
ob nicht noch maaima zu schreiben ist.
3, 2, 4 S. 90. Arcades Messeniorum castellum obsidentes,
factis quibusdam armis ad similitudinem hostilium, eo tempore, quo
successura alia praesidia his exploraverunt, instructi eorum qui ex-
pectabantur ornatu admissique per hunc errorem ut socii, possessionem
loci cum strage hostium adepti sunt. Ich streiche factis — hosti-
lium, welche Worte schon durch die Stellung verdächtig werden,
Durch instructi eorum qui expectabantur ornatu ist die Kriegslist
vollständig. bezeichnet.
1, 1, 3 8. 4 wird von Laelius berichtet quosdam — per
speciem servitutis ac ministerii exploratores secum ducit; em quibus
L. Statorium, quia saepius in iedem castris fuerat, quem quidam
ex hostibus videbantur agnoscere, occultandàe condicionis eius causa
baculo ut servum castigavit. Auch hier verrüth schon die Stel-
lung das Glossem quía — fuerat.
Mehrmals haben sich Randbemerkungen an den Schluß
eines Strategems angehängt. So hat Oudendorp 1, 2, 6 die
Worte est — sieut richtig als Glossem erkannt, ebenso der Her-
ausgeber 2, 3, 7 die Worte veterano — potest. Ein neues schla-
gendes Beispiel ist 3, 31, 8 S. 108. Hier ist von den Tauben
als Briefboten für Mutina die Rede. Die Tauben werden, ehe
sie mit Briefen losgelassen werden, eingesperrt und erhalten
keine Nahrung. Nach ihrer Freilassung illae lucis cibique avidae
altissima aedificiorum petentes excipiebantur a Bruto, qui eo modo
de omnibus rebus certior fiebat, utique postquam. disposito. quibusdam.
locis cibo columbas illuc devolare instituerat. Der Schriftsteller
schloß mit fiebat; ein Leser, dem die Schilderung des Vorgangs
nicht genügte, fügte hinzu utique — instituerat. Schon das uti-
que hätte auf die Interpolation führen sollen.
1, 12, 7 S. 36. Epaminondas, instante adversus Lacedae-
monios pugna, cum sedile, in quo resederat, succubuisset et id uulgo
6178 M. Schanz,
pro tristi [exciperetur: significatione confusi mimilites interpretarentur,
immo, inquit, vetamur sedere. Man sieht nicht ein, was den An-
laß zu einer Randbemerkung excipitur, aus der doch wohl ezci-
peretur entstanden ist, gegeben; ich.denke, die Randbemerkung
lautete vulgo excipitur scil. pro tristi significatione, Wir streichen
daher noch vulgo.
4, 5, 14 S. 131 atque nostro exercitu vincente ipse cum quat-
tuordecim Aeliis ez eadem familia in proelio est occisus. Von C.
Aelius spricht vorher der Schriftsteller. Aeliis ist fremder Zusatz.
4, 5, 6 S. 129 wird et nach adprobavit zu tilgen sein.
Auch durch V erschreibungen ist der Text der Kriegs-
listen oft gestört worden. Ich möchte diesen Fehler an folgen-
den Stellen annehmen:
1, 5, 16 S. 20 necesse Liguribus fuit avocari ad defendenda
sua inclusosque Romanos emittere. Statt avocari wird Frontin
avolare geschrieben haben. So gebraucht er auch. das Compo-
situm evolare 3, 10, 8. 3, 10, 9.
2, 12, 3 8. 85 atque ita simulatis auziliis tutus est, donec
instrueretur exspectatis. Statt tutus est wird zu lesen sein usus est.
4, 7, 21 S. 138 edocuit manentibus esse spem aliquam sa-
lutis, cedentibus perniciosissimam. So die gute Ueberlieferung, die
geringe pernitiosissimum. Dederich verbessert perniciem summam,
Eußner nnd Hartel S. 110 perniciem certissimam. Den überlie-
ferten Zügen schließt sich noch genauer an perniciem ocissimam.
8, 11, 1 S. 105. Chalcidenses spe et oblatae humanitatis e
abducti exercitus remissa urbis custodia, cum confestim Phormion re-
vertisset, prohibere inexspectatam vim non potuerunt. DaB spe zu
oblatae humanitatis nicht paßt, ist klar; Wachsmuth fide. Das
Richtige ist specie.
3, 9, 4 S, 93. Cyrus Persarum rex comitem. suum Zopyrum,
explorata eius fide, truncata de industria facie, ad hostes dimisi;
illa — creditus. inimisissimus Curo, cum hanc persuasionem adiu-
varet, procurrendo propius , quotiens acie decertaretur et in eum tela
dirigendo, commissam sibi. Babyloniorum. urbem tradidit Cyro. Für
procurrendo propies haben wir in der guten Handschriftenklasse
procurando — priusquam... In. quéue procurrendo propius
certe non lautet, procursande propius obviam vel simile
lofere aliquantuluri nas es bemerkt Hartel S. 111. Ich
bin auf die Vermurkung gekommen, es sei für priwsquam zu
lesen gergwars, weiches zu adicam besser als zu procursando
‚sv zu lesen)? passend nach adisrares umzusteilen ist.
22 SS HE Maris cures Cimon ac Teulomos con-
ER qf REES Terie N metere ante castra coalocavü,
BP LI SIRE FOUTS NEN rime. erercitus ho-
sisma pont adore wens pati puree Für mé wurde vorge-
SANS mau ema VIGO cve«s Der Felchere wollte seine
Sesam fisc srhaiwn. dis das Gacees aber ermüden. Dies
Zu. Frontins Kriegslisten. = 679
erreichte er dadurch, daß er stehen blieb, so daß der Gegner
marschiren mußte. Statt potius ist einzusetzen provectus.
2, 6, 10 8. 74 wird als Kriegsregel aufgeführt, non esse
pertinaciter. instandum hosti fugienti, „Zur Begründung wird unter
Anderem angeführt: ut postea quoque facilius acie cederet [cum
sciret] non usque ad perniciem fugientibus instaturos victores. Wenn
man sich an Beispiele erinnert wie Liv. 32, 35, 9 Romanis eum
cedere tota Ilyriei ora, so wird man statt zu einer Ergänzung
lieber zu einer leichten Correctur greifen und schreiben: acie
cederet non usque ad perniciem fugientibus instaturo victori.
1, 9, 1 8. 28. Auch hier dürfte Correctur statt Ergän-
zung vorzunehmen sein. Es heißt nämlich: atque ita coniurato-
rum consilio Campaniam périculo liberavit" et ex occasione mocentes
punit. Der Herausgeber ergänzt dilato nach ita, Hartel S. 105
conturbato. Sollte nicht genügen consilii? Er befreite Campa-
nien von der Gefahr, welche der Plan der Verschworenen in
sich schloß.
4, 5, 15 8. 131. P. Decius, primo pater, postea filius, in
magistratu se pro vepublica devoverunt admissisque in hostem equis
adepti victoriam patriae contulerunt. Die Heilung der Stelle hat
man bei dem Wort adepti versucht; ich versuche sie bei contu-
lerunt, für das ich consuluerunt vermuthe.
3, 8, 2 8. 99 qua adseveratione perterriti qui obsidebantur
dum in parte iam se superatos existimant, defecerunt, Das Wort
adseveratione wird kaum zu erklären sein; ich denke, es stand
adsimulatione. Vgl. 2, 7, 18. ed
2,1,15 8. 42. Ti. Nero — continuit suos passusque est
hostem nebula et imbribus, qui forte illo die crebri erant, verberari,
ac deinde, ubi fessum stando et pluvia non solum, sed. et lassitudine
deficere animadvertit, signo dato adortus superavit, Im Harleianus,
dem verlässigsten Zeugen fehlen merkwürdiger Weise die Worte
sed et. Sonach werden wir von den Worten fessum stando et
pluvia on solum lassitudine deficere. auszugehen haben. Um
diese Worte in Ordnung zu bringen, schreibe ich solutum statt
solum und streiche lassitudine; es heißt sonach: ubi feseum stando
et pluvia non solutum. deficere animadvertit. Dem Feinde, ermiidet
durch Rasten und vom Regen nicht befreit, ließen die Kräfte aus,
1, 3, 9 S. 11. Athenienses, cum Deceliam castellum. ipsorum
Lacedaemonii communissent et frequentius verarentur, classem, quae
Peloponnesum infestaret, miserunt. Der Subjectswechsel bei vera»
rentur ist unerträglich; auch Wachsmuth hat an demselben An-
stoß genommen vgl. praef. p. XV; vielleicht hieß es evagarentur,
1,7,7 S. 25. Alexander — gravissima miti cum exercitu
adfectus oblatdm sibi a milite in galea aquam spectantibus unis
versia effudit, utilior exemplo temperantiae quam si communicare po-
tuisset. Der Sinn des Satzes ist: das Beispiel der Enthaltsamkeit
war nützlicher als das Beispiel des Wohlwollens gegen. ‚den Sol-
680 M. Schanz, Zu Frontins Kriegslisten.
daten durch Annahme des 'Trunks. Vielleicht also: quam si
communicaturo paruisset. Statt utilior verlangt richtig Hartel S.
105 utiliore. |
Zum Schluß will ich noch eine Stelle durch Umstel-
lung zu heilen versuchen:
4, 1, 39 8. 122. L. Papirius Cursor dictator Fabium Rul-
lum magistrum equitum, quod adversum edictum eius quamvis pros-
pere pugnaverat, virgas (so die gute Ueberlieferung, die geringe
virgis) poposcit, caesum securi percussurus. Oudendorp : in Fabium
virgas poposcit, Hartel S. 115: ad virgas poposcit, caesum securi
percussurus. Warum nicht poposcit, virgis caesum securi percus-
surus? DaB die gute Ueberlieferung virgas hat, dürfte nicht
sehr in die Wagschale fallen, denn virgis unterlag wegen des
dabei stehenden pop oscit leicht der Verwandlung in den Accusativ.
Würzburg. | M. Schans,
‚Zu Seneca.
Ad Polyb. 9, 9 est, mihi crede, magna felicitas in.ipsa ne-
cessitate moriendi; nihil ne in totum quidem diem certi est: quis in
tam obscura et involuta veritate divinat, utrumne fratri tuo mors in-
viderit an consuluerit? — necessitate ist eine dem Sinne nach gute
Vermuthung Heylbut's, die aber darum nicht überzeugen kann,
weil sie von dem überlieferten felicitate zu weit abliegt. Seneca
schrieb offenbar facilitate; daß dementsprechend auch veri-
tate mit Pincianus zu varietate geändert werden müsse, unter-
liegt für mich keinem Zweifel. — 10, 5 dedit natura fratri tuo
vitam, dedit et tibi; quae suo ture usa est, a quo voluit debitum
suum cilius exegit, mon illa in culpa est, cuius nota erat condicio,
sed mortalis animi spes avida, quae subinde, quid rerum natura sit,
obliviscitur. Darin ist Gertz gegen Schulteü Recht zu geben,
daß der quae-Satz ein eigentlicher Relativsatz ist und mit non
illa der ihm übergeordnete Satz beginnt. Wenn aber Gertz die
Worte a quo .. . exegit als Epexegese zum Relativsatze ansieht,
80 kann ich ihm darin nicht mehr beistimmen, weil sich dann
Seneca ungewöhnlich ungeschickt und unverständlich ausgedrückt
haben würde. Zudem hat die bessere Ueberlieferung hinter usa
nicht est, sondern sunt, welches in einigen Handschriften zu fuit
geändert ist. Ich glaube, daß / = sunt aus fi entstanden ist
und schreibe demnach quae suo iure usa si a quo voluit debitum
suum citius exegit, non illa in culpa est.
Ad Helviam 16, 5 me feminae quidem te sinent intabescere
volnert tuo, sed vel pio necessarioque maerore cito defunctam tube
bunt exurgere. Im Ambrosianus steht sed levior necessario. Es
ist Z&vi ore zu schreiben und mit ezurgere zu verbinden: „mit
glattem, nicht mehr durch das Weinen in Falten gezogenem und
so verunstaltetem Antliz.“
Graz. M. Petschenig.
XXXV.
Aiôvvoos “Ades.
Seitdem E. Maaß die Frage um den Meer- Dionysos in
Fluß gebracht hat'), haben eine ganze Menge von zerstreuten
Einzelthatsachen einen festen Krystallisationspunkt erhalten, und
die Bedeutung dieser von dem thrakischen Pangaion über Pa-
gasai-Sepias (Magnesia) und das boiotische Eleutherai bis nach
Attika und weiter sich ausdehnenden Kultreihe zieht immer neue
Elemente in ihren Kreis. Erst kürzlich ist sie in dieser Zeitschrift ?)
in des Herausgebers Hand in überraschender Weise das Mittel
geworden, durch welches zwei in unserer Ueberlieferung ganz
getrennt einhergehende Größen in ihrer alten Zusammengehörig-
keit erkannt wurden: der homerische Hymnos und der attische,
wahrscheinlich brauronische, Kult des Dionysos (s. o. S. 210).
Keine Erwähnung jedoch hat in beiden Abhandlungen ein
Orakelspruch gefunden, der, von Philochoros überliefert, an
einer wichtigen Grenzstelle jenes Aigitischen Küsten - Dionysos
haftet, und durch von Wilamowitz und Maaf*) mittels mehr-
facher Aenderung der Lesart auf den attischen Dionysos bezo-
gen ist; wie aus dem folgenden sich ergeben wird: mit Unrecht.
Die mannigfachen Schwierigkeiten des Falles, welche zu den
verschiedensten Irrthümern der Auffassung geführt haben, er-
hellen aus seiner Geschichte.
Zu jenen berühmten Versen der Ilias (Z 135 f.*), welche
der Ausgangspunkt für die Untersuchung des Dionysos Pelagios
1) 4ssvvaog Heldyios, Hermes 23 (1888) S 70 ff,
2) NF II (1889) S. 193: der homerische Dionysoshymnos eto.
3) Schol. Graeca in Homeri Iliad, Townleyana rec. MaaB, p. 210.
4) 135... Auévucos dè goßndeis | dios? Glis serà zip, Ong d
insdikero zöing | dnidióre.
682 K. Tümpel, ,
. geworden sind — sie handeln von der Flucht des von Lykur-
gos verfolgten Dionysos ins Wasser und seiner Aufnahme
durch Thetis —, findet sich beim Scholiasten L V Bekk. (Townl.
Maaß) eine doppelte erklärende Bemerkung, von der hier die zweite
eine eingehendere Behandlung erfahren soll:
1. Ofng fv (sic) euAdymg 10v dugoeéa rd By» Diese Worte
macht v. Wilamowitz erst lesbar durch Aenderung des % in fw;
s. Maaß Sch. Townl. a. a. O., wo verwiesen ist auf w 74: dwze
de uino (Ayo = Thetis , dem Achilleus) | zevofov d p gi
qogra: dıwvvooıo dì oo» | qax Zuervas, Egyov dé seguxis-
Tov ‘Hgatoroso] Schol. HQ. z. d. St.: fvzva Edwxev adr] 6 duyv-
005, 018 naga toU Avxovoyov diwxduevog xatéquyev elg aUmv roUro
de evonoes à» 79 Duo (Z 130 ff.) nAurviegov. Diese Erkli-
rung ist verständlich: ,, Thetis nimmt bei Homeros den Dionysos auf
entweder, damit sie das Kunstwerk des Hephaistos, den
kostbaren Krug, der später die Gebeine Achills bergen sollte -
"(m 74), mit ‘gutem Grunde’ als Geschenk annehmen kann“, |
2. „oder“, so fährt der Scholiast mit einer zweiten Erklä-
rung fort, die, der Uebersichtlichkeit halher, gleich mit sämmtli-
chen bisherigen Erklärungs- und Aenderungsversuchen folgen
möge: n Ott yonouds 8003 (V hat hier ,)
(1888) T: ddssvesv, dy 1070 dıovvoov Glséa Bantilos rà
(1809) L: déheóuv — d» tono, Asòvucov dlsia Banıllosa
(1800) V: &héov ly tonw diövvoov ülsla Parntiboste.
1800 Heyne: = V.
1809 Lobeck,: &A(g)dóuv, iv dirai ....... Glwia ......
1811 Siebelis: [414407 | vy Wine, d.... día onen.
dev ey è
1825 Bekker: ddssveew — dviónp.....-..... 4. A.
1829 Lobeck: Alseva" »v.......-.... alsBdvoste Delon
1835 Lobeck,: ..... * dy DÈ DITO...
1853 C. Müller: — 1800, 1809!
1866 Lobeck,: = 1835.
1888 v. Wilam: Adesso: dv dì now A.... ‘Alaséa Pantitose,
óc Pseldyooos (frg. 194, FHG. I, 416): schließt das Scholion.
Heyne?) beherrschte lange die Auffassung des Textes,
indem er diese zweite Erklärung von der ersten gar nicht
trennte, und auf eine Art „Fischerorakel“ rieth, welches die
„Mischung (= Umarmung) des Weins (= Aiovvoog) mit Meer-
wasser (== @éric) anbefahl. Die Worte i» réxm und d/ufa fan-
den keine Erklärung, und auch der yonowös “44stwy blieb son-
derbar 9).
“ Darum las Lobeck (ed. Soph. Aiac. I. Aufl. 1809, p. 847
5) Supplem. Emend. Homer. V p. 716: ,memini, Dionysi ad The-
tidem perfugium ad vinum aqua temperandum referri; ariolor itaque,
oraculs sensum fuisse: vinum aqua miscete, ne inebriamini . . .
tamen nimis sunt corrupta." (!)
6) Vgl. auch Phanodemos bei Athen. XI S. 465 A.
diévudog aide. © 683
zu v. 804), die Lesart des Lipsiensis benutzend und ändernd +
ülıßdvew oder &Advew, ohne Komma nach rag. Aus ülıka
machte er «Awfu, aus ıony dérai. Nun lautete der Orakelbe-
fehl zum „Eintauchen“: Tauft den Jıdvuoog-"Aweug im Becher!
d.h. den Landwein, denn jenen Beinamen ‘diweic = „der Länd-
liche“ glaubte er aus einer oft wiederholten Angabe über das
athenische Fest 4443 entnehmen zu dürfen, welche, wie es schien,
den Vorzug bot, daß sie sich auf Philochoros, den Bürgen
des Orakels, zurückführen ließ, Doch war das eine Täuschung.
Schol. Lukian. Dial. Merett, VII. SOLS Lee
228: ‘Alda goon} lanw 48m - dogni tou" Arm) Tà Ahn,
f. nvarjgue meguögovou Ajpiyrooe xal
Kéens xui dsovicov ènì rj voujj
Tis.dundlov, zal 1j yeécn Tod uly ow
zei wiv dihow xagnów,] 2. di iv anos Driéyogos voua-
Aégogoc dégnory dvouaadivardnd ir dnò Tod rór wis dwOQui-
ToU tite robe dwägumoue ràs diargi- move vas Duaroife nostiodas naQ) rhe
pas negl. 1à5 loc nowîodas, dioc dyeodar di «vi que iv
"uéyogos — mowicder = Suidas 1G mil fopniv Moandeivos wunvös,
v. ‘Alda, = Phavorinus u.. 2, T. Bekker
Anecd. p. 881.
Es ist klar, daß die (eingeklammerte) erste Erklärung im
Lukianscholion jene zweite bei Harpokration, Suidas, Phavo-
rinos erhaltene mit dem Philochoroscitat gar nichts angeht, ja
daß die Erklärung aus dem Weingenuß zu Ehren des Dionysos
der anderen von #Awg geradezu entgegengesetzt ist, und Dionysos
und Philochoros mit einander nichts zu schaffen haben (was C. Mül-
ler FHG. I. p. 411 sq. übersieht). Damit ist der beste Grund zur
Nutzanwendung auf den Dionysos unseres Orakels, die angeblich
gemeinsame Ueberlieferung durch Philochoros, weggefallen. Der
Jıovvoog-Akweug ist eine Kombination Lobecks, die zwar geist-
reich ist, aber von ihrem Schöpfer bald selbst aufgegeben ward).
Siebelis blieb, obwohl er Lesart und Interpunktion
des Lipsiensis notierte, ganz im Heyne’schen Fahrwasser (Philo-
chori frgm. 1811, p. 100): „Tauft den Taucher- Dionysos (d. i.
den zum Mischen mit Wasser bestimmten Wein) am Platze (Auf-
enthaltsorte) der Fischer“, (d. i. am Meere)?).
7) A. Mommsen (Heortologie 319 f. vrgl. 69) hat ‘sie wieder auf
genommen und allseitig geschickt gesichert; aber eine Nothigung,
darum den Ales; im dle des Orakels wiederzufinden, euet
sich daraus keineswegs. Mommsen erwähnt dasselbe mit keiner Silbe,
ebensowenig Tiobecks Kombination, die ihm unbekannt geblieben zu
sein scheint.
8) „Forsau Bacchus dicitur lude, quatenus mergi potest aqua,
piscatoris instar ; quod intelligendum de vino, cui aqua immisceri. pl
éléw è 16n0ç videtur esse mare. — Veteres aqua marina vinum, certe quae
dam eius genera, temperare consuevisse notum est . . . „ tedeharroy ow
olva seu zerugneöra Sahdaong: Athen. I, 25 p. 92 E. Sensus
oraculi videlur esse: Bacchum qui aguas ferre potest, mergile marke
aquis!
684 ' K Tümpel,
Eine That dagegen war es, daB Bekker (Schol. in Iliad.
1825) das «Aievesv in den Text setzte, und gegenüber jenem
metaphorischen Deutungsversuch, welcher aus dem Eintauchen
ein „Zusammenmischen“, aus dem Fischer oder Seemann
einen „Landmann“ machte, an den schlichten Begriffen der
Ueberlieferung festhielt.
Nun fand Lobeck sofort (Aglaophamus 1829, p. 1088
‚Bogen 19) in einem Punkte das Richtige: in ‘AMIEYEIN das
‘AAIEYSIN. Darauf hatte ihn die Parallelstelle bei Plutarchos
gebracht: „Adiungo quod PI. Quaest. Natur. c. lO. p. 914 CD
refert: dia ib 19 olim Yalacouv nugayéovds, xui yunouov teva
Ayovow 4 Aie g xopsoFivar noogiuitovià Banıllaw tov Asovvcoy
m006 thy Faduocuv. Hic MWAwig reponendum est, et in Scholiasta
(Z316) verbis: yoncuóg èdodn AXLevosv. Vortrefflich! Das
weitere enthält freilich wieder Irrung. Die naheliegende Kol.
gerung, daß nun auch das 4. adséu ein MÀAiéa berge, wird nicht
gemacht; sondern nur um des plutarchischen elg ti» Fudacoay
willen die zweite Vershälfte willkürlich geändert in 4. &2fdv-
ove (roviéóori Puntiborre) Fudacon, = xeourrvie wie die 2. Aufl.
1835 p. 358 in Heyne’s Anschauung beifügt. — Daß hier n&m-
lich ein Hexametervers herzustellen sei, hatte Lobeck wohl ge-
merkt und darum vorn noch dè hinzugesetzt (2. Aufl.) außerdem
ton, wiederum in Anlehnung an Heyne, in zó: geändert, im-
merhin glücklicher als früher in denui?).
Die 3. Aufl. des Aias- Kommentars schärfte diese letzte Lo-
beck'sche Lesung!") nochmals ein. Ihre Willkürlichkeiten in
in der 2. Vershülfte sind jetzt bei v. Wilamowitz und Maaß
aufgegeben, ihre Vorzüge verwerthet, und sogar ein wichtiger
Schritt vorwärts gethan, indem in «&Ai£u das nomen proprium er-
kannt ist; und doch ist ein allseitig befriedigender Text noch
nicht gewonnen. Denn wenn in '4A««-ievcw und *Aica>ifa
beidemale ein « eingeschaltet worden ist, so kann das schwer- -
lich als gerechtfertigt erscheinen bei einem Texte, der selbst in
Verschreibungen wie famille TE und adsevGer (für -Cev) den pein-
lich treu kopierenden Abschreiber verrüth. Ferner ist und bleibt
die Einschaltung des dé lediglich ein Verlegenheitsmittel, um den
Hexameter zu kurieren. Und obendrein ist der parallele Plu-
tarchtext nicht so ausgenutzt, wie er sein sollte. Wenn näm-
lich diesem zufolge der yerouòs ngociartes Banıllesv roy
Avovucory ngóg trv Fdiacgcay, der xonouóg selbst aber
den Wortlaut bietet Banıllosre 10v dióvvcov (Aha)
9) hic noro scripsi pro Tono, quorum celeberrima inter se permuta-
tio, X Plut. v. Themist. c. 3, Diodor. V, 40 Aischin. fals. leg. IV, 41
P 10) Sie ist mit ihren eigenthümlichen Vorzügen und Mängeln
übersehen worden von C. Müller (FHG. I, 1858, p. 1416) ebenso wie
Bekkers Lesung; man liest da nur den alten Heyne’schen Text mit
Siebelis und Lobecks längst aufgegebener Er .
—————————_._.—_—_—_+_+—_ —P_———
didvcos * fuic. 685
2» PrómQ, so ist klar, daß diese Legende EN* 770/72 jenes
mode thy Pddacoay enthalten muß; ferner daB sie, um sich
zum Hexameteranfang zu eignen (-- | -) in der mittleren
Silbe eine Lünge erheischt, kurz: die Vorlage des Schreibers
bot ein EN TTONIOI (NT-in Ligatur) und das Orakel lautete:
DE» nôvr@ dióvucov Alita Buzrttovte,
„Im Meere mögt ihr den Dionysos-Halieus taufen“ (oder baden):
eine Anspielung auf den Doppelsinn von‘ AAeds und eig als
ethnischer und als Berufsbezeichnung. „In der See" muß er
gebadet werden, weil er ein „Seemann* ist; ein Seemann
aber ist der Dionysos, weil er jener Bevölkerung von „Seeleuten“
angehört, die sich den Bescheid vom Orakel erbeten hatten: den
“Akssig von Argolis. Der Sinn ist völlig in sich abge-
schlossen. Es braucht keiner weiteren Hervorhebung, wie sehr
diese Lesung jener anderen vorzuziehen ist, welche den Orakel- =
spruch an attische „Salawirker“ “Ausg von ‘Alai ("Agupnt-
deg") oder ? /Eaní0: ?) gerichtet sein läßt, und einen „Salzwir-
ker-Dionysos im Trunke getauft werden“ läßt.
Zwei Schwierigkeiten scheinen sich obiger Lesung noch ent-
gegen zu stellen: 1. Die vorausgesetzteQuantität des 7
in iita und 2. der Mangel an sonstigen Zeugnissen
für einen Adruoog ' hec, d.h. von argivisch Halike. Was
ersteren Punkt betrifft, so hat Tafel im Thesaurus v. ddeta
piscatio eine ganze Anzahl von Beispielen für Dehnung des Lantes
wenigstens beim n, appellativum nachgewiesen. Zu einer gleichen
Accentuierung des n. proprium ist nur ein Schritt*). Hinsicht-
lich des zweiten Punktes würde das allernüchste Bedürfniß durch
den Hinweis auf den in den jungen Akten des 4. Mekuyıog s0-
fort zu ziemlicher Berühmtheit gelangten Dionysos von Her-
mione gedeckt sein. Denn zu Hermione gehürte eben die
Halike mit den Halieis (Steph. Byz. ' AMueîs . . . léyoro d'obrwg
di 1d noAkovg zw» ‘Egusovéwy üuevouéroug xarà zouro
15 uégoc oteîv iîc ywouc). Von Hermione aber erzählt Pausa-
mias IL 25, 1 (citiert von MaaB a. a.O. 8. 74%, Orusins B. 208 £)
minaıdv dè adioî (103 Afumrgos Oxquustug Tsgod 100 dv aıj
ij dhe = "Eguudrn) diovi ov vas Mehuvatyedog. moírQ
movie dyalva xara Uoc Exuorov üyovor zul &uthanc xodvuBov
xal nAolwv mwIsdow È du. Wo man festlich Taucherkünste
11) Wenngleich der attische Gau "Alei Agayyvidss dicht bei Brau-
ron liegt, ja zur Brauronia gehört, so wird man also doch die durch
v. Wilamowitz nahe gelegte Kombination mit dem penteterischen
Dionysosfest von Brauron (vrgl. O. Crusius o. S. 205), das ebenso wie
die eigentlichen Brauronien ursprünglich (G. Hermann Gottesdienstl.
Alterth. $ 62, 15 #.) Halai mit umfassen konnte, nicht weiter ver-
folgen dürfen.
*) [In unserm Falle mußte der Dichter diesen Schritt thun unter
dem Zwange des daktylischen Versmaßes (MW): vgl. zuletzt, v. Wi-
lamowitz ‘hom. Unters.’ 325. CJ]
686 K. Tümpel,
zeigte zu Ehren eines Dionysos, da konnte das Eintauchen
oder Versenken eines Dionysosbildes entsprechend dem Wort-
laut unseres Orakels den Anlaß zu solchem eigenthtimlichen
Festbrauch recht wohl geboten haben. «Gab es doch Sagen vom
Herausfischen eines Dionysosbildes aus dem Wasser allerwürts
genug. Dann hätten wir in dem halieis:hen Orakel-Zfiórvoog ein-
fach den attisch-hermionischen Dionysos-MeAdrusyıg zu erkennen.
Doch kann ich schwerlich glauben, daß man sich dabei be-
ruhigen darf. Crusius hat in besonnener Weise (S. 209) darauf
aufmerksam gemacht, daß, bei aller Aehnlichkeit mit dem atti-
schen Melanaigis, doch der hermionische durch das Fehlen der
aus dem homerischen Hymnos bekannten von ihm als athenisch-
brauronisch erwiesenen Tyrsener- und Delphinverwandlungssage
sich von dem: berühmteren attischen Kult unterscheide; ja daß
sich andrerseits der hermionische Brauch um so ungezwungener
in den ganz ähnlichen Anschauungskreis des argolischen
Dionysos überhaupt einreihe, wie er z. B. an Lerna”®)
haftet. Er sagt geradezu, daß das Hineinwerfen !*) des Dionysos
in ein Binnengewüsser, wie es z. B. in der Damaskoslegende
erscheint (sig norauor), die ältere Form des Mythos gewesen
sein müsse, der gegenüber die Beziehungen des Dionysos zum
Meere eine jüngere, durch veränderte historische Verhilt-
nisse, Seehandel, Kolonisation, hervorgerufene Modifikation: dar-
stellten (210)°). Ich freue mich, daß meine Schlußfolgerungen
selbständig das gleiche Ziel gestreift hatten.
12) Paus. II. 36, 7f.: 7 de 4tova toriv... neds Saldooy ...
Forse dì &hoos isuov... bei dé xai notamòc... Hovs$rog. 91, 5:
ijv “ Alxvoviav iuvny, dv 5c quo ’ Agytios diórvcor lg sov ° Asdyv ü-
9d» ... 1) dè Alxvovia négas Tov Badous osx Hour, also = ,,dPvedes
Aëova“. Ueber den Wald Lerna mit dem See Alkyonia s. Buttmann,
Mythol. II, 96 ft.
13) Buttmann a. a. O.: „Der griechische Ausdruck z& #6 aënr
(Aiurgv ’Alxvoviav = Aégvav) diovéop Jousussa (bei Paus. II 37, 4 (6))
drückt noch aus, daß die Ceremonie in den See gerichtet ist, etwas
in denselben geworfen wird“. Man vrgl. das Hinabsteigen des Dio-
nysos in die Unterwelt an dieser Stelle. Der argivische Dionysos ist
Bouyevñs, kann also nicht in dem Lamm symbolisiert sein, das dem
Hvicoyos in die Lerna geworfen ward: Zußalklovıe; eis rjv dBuocov cova
Plut. qu. eonviv. IV. 6; Voigt bei Roscher Myth. Lex. Sp.1057. Warf man
das Diony sosbild hinein? (Passionsdrama zum Mythos Il. 2 185).
*) [Dies historische Nacheinander und Nebeneinander der Be-
ziehungen zum Binnenlande wie zum Meere, zu Hirten und Bauern
wie zu Seeleuten und Fischern hatte ich auch oben S.218*! im Sinne,
nicht die in den Gótt. gel. Anz. 1889, 807 beanstandete ‘Konfusion’.
Maaf in seinen erneuten Ausführungen über den Meer-Dionysos ver-
giBt, daß diese Phase wohl die jüngere ist. Auch Ino-Leukothea war
nicht ursprünglich 'Meeresgóttin' (Maaf a. a. O. 806), sondern Fluf-
Nymphe (der Name gehört wohl als Hypokoristikon zu "frayog: vgl.
Hesych. s. v. 'Ivaysıa‘ éog17 Atvxo9éac xıl.). Schon Otfried Müller bat
das Problem, wie die Kadmeerin zur Seegóttin wurde, aufgestellt, und
durch ähnliche Annahmer zu lösen gesucht (Prolegomena 8.871). O.Cr.]
Aidvucog ‘ Aedes. 687
Aus der ganzen Struktur des Orakelbescheids geht näm-
lich hervor, daß das Hauptgewicht auf den Worten Er növı@
liegt. Wozu würen sie sonst so emphatisch vorangestellt! Auch '
die Anfrage der Halieis wird sich demgemäß gerade auf die
Oertlichkeit, die Art des Gewüssers bezogen haben;
in dem sie ihren Dionysos künftig baden sollen. Hatten sie
ihn etwa früher anderswo gebadet, wo ihnen die Vornahme
. dieser Ceremonie nunmehr unmöglich gemacht worden war?
Waren sie vielleicht von den alten heiligen Badegewässern
ihres Gottes im-Binnenlande durch gewichtige Ereignisse ans
Meer verdrängt worden, so daß das Orakel an diese neue
Heimath anzuknüpfen mahnte? Und wo lag dann jener muth
maßliche ältere binnenländische Kultort? E
Die von Hermione aus in der Halike zu Berufszwe-
cken sich niederlassenden «“Assig konnten in solcher. Verlegen-
heit nicht sein. Ihre hauptstädtische Metropole blieb ihnen
ja, und obendrein ward ja gerade in Hermione der Dionysos mit
xoAvußav und mlolwy Guia Ev móvrqo verehrt! Wozu dann
Frage und Antwort?
Da bleibt denn nur eine andere Erklürung, durch ein wirk-
lich gewaltsam eingreifendes Ereigniß, übrig: durch die Wan-
derung von Tirynthiern nach Halike. Ephoros (FHG.
I 261,98 aus Steph. '4fAiei,) sagt, 676 oùros (où “AAtéic) Tiqury dot
lou 14), xai éEuraoruries EBovisvorıo olxeiv uva t1ónov xai
nowiwv 10v Fedor. Fyonoe dé oviw ‘<dy> not tv Außwv
«ütwlxai noi ru xudibw | <2 Verse | &rdu w rà» olxnow
Eywv dima xexdjodae (oder êyes dij 1e x.): so ergänzt Mei-
neke versuchsweise. Herodotos war dieser Vorgang noch in
frischer, Erinnerung ; wenn er (VII 137) die “stiséag 109g dx
Tievr3os nennt, so denkt er an die um 468 erfolgte Einnahme
und Zerstörung von Tiryns durch die Argeier, welche damals
die Einwohnerschaft in alle Winde zerstreute. Der Strabonische
Bericht hierüber ist zwar lückenhaft, aber einer Verbesserung
nicht bloß bedürftig, sondern auch trotz Meineke noch fähig.
Ich gebe gleich den Vorschlag.
VIII p. 373 ($ 11) nennt Strabon im ganzen 5 Städte,
welche in der Umgebung von Argos lagen: 1. Tiryns, 2. Nau-
plia (Burg Likymna), 3. Midea, 4. Prosymna, dann noch 5.
Asine, und erzählt nun: nenuwour dà tag mistorag ob ’Ag-
14) Ueber die konfusen Kürzungen dieses Ephoros-Zeugnisses und
seine Verquickung mit einer bei Stephanos direkt angeschlossenen
fremdartigen Angabe im Artikel 7iov»s siehe den Exkurs. Derselbe
zeigt zugleich, wie ungerechtfertigt es sein würde, wollte man aus der
abermals durch Konjekturen entstellten Wiederholung bei Eustathios
den Schluß ziehen, daß schon in Tiryns der Dionysos etwa den Bei-
namen Alssög gehabt habe, da „ja Tiçurs früher Haliis (oder Haleïs)
geheißen habe“ (!). MEM
688 K. Tümpel,
ysios anssPovoug (Tag node). „Die Meisten“ von 5 sind 4
‚oder 3; mit 4 Namen von zerstörten Städten wird man sehr
zufrieden sein, mit 3 genannten aber immerhin vorliebnehmen
können. Und drei sind wirklich genannt. Ich sehe nicht ein,
warum in der viel umstrittenen Lücke noch eine vierte unbe-
dingt müßte gestanden haben. Die Stelle heißt demnach mit
wohl zweckentsprechender Ergänzung of dè olxytoges:
1. oi ui» ix «nre» Tiovv9oc (ac. où uiv) ánji9or elc "Enid'avoor
où dé à&cEénisorv xai eig tous Aiseîs xadovutver
2. où dé ix mj; A<oivas (Fen d'> avm xou nis Aeysias nilyciov
| Nevniias) ino daxsdasuoviwv eic "nv Mecoyviay puro»
xio9<noav, onov> xci ) buuvvpos ty ‘Aoyolixj Aciry
noÀiyvg . . . «xai
9. ob ix m Navrndias Èxsice &veyoogoar (nach Asine).
Die hier <éSénieov x«i ausgefüllte Lücke ist nach Meineke
(Vindiciae Strabon. 1852 p. 120) novem fere litterarum, welchen obige
Ergünzung vóllig entspricht, sobald man xai in Ligatur geschrieben
denkt. Daß Asine nicht. ods, sondern xwun heißt, kann nicht
hindern, daß man sie den zerstörten mAsioras noAsıg zuzühlt; denn
xuun „ist“ sie ja (ou) erst seit der Zerstörung durch die Ar-
geier, d.h. zu Strabons (d. i: hier Ephoros’) Zeit, vorher min-
destens eine #olfyrn, sonst würden nicht die nach dem Kampf
übriggebliebenen und nach Messenien verpflanzten Bevölkerungs-
reste dort noch die Gründung einer neuen 'zoA(yva', gleichen
Namens mit der Metropolis, zu Stande gebracht haben. Meineke
füllte selbst die Lücke früher (a. a. O. 1852) aus: dx mg
Midéas->, und erfand somit eine sonst nirgends bezeugt Wan-
derung. Später (ed. 1866 Teubn. II p. VI) schlug er d<$
“Eousorns> vor, in oberflächlicher aber täuschender Fühlung mit
der Angabe des Stephanos (Ephoros) Dieser enthält mit: nichten
eine „Wanderung“ von Hermione nach Halike, sondern sagt nur,
daß „einige Hermionier fischens halber in Halieis wohnten“
(olxeiv), d. h. doch wohl nichts weiter, als daß ‘Halieis’ eben zu
Hermione gehört, was aus dem weiteren Text Strabons öhnehin
bekannt ist. Auch bei dieser zweiten Lesung Meinekes ist also
wiederum das Bedenkliche die willkürliche Erfindung einer an-
geblichen Wanderung, diesmal aus einer Stadt, die nicht einmal
im nächsten Umkreis von Argos liegt, und bei jenem Kriege
gar nicht mit zerstört sein kann.
Maßgebend ist vielmehr bei der Herstellung des "Textes
eine doppelte Beobachtung: 1. daf Strabon hier mit feinem Ge-
schmacke ganz deutlich fortwührend in der Wahl der Verbs
wechselt: anjAtor, wsr@xlodnour, areywensav; 2. daß man von
Tiryns aus nach Epidauros zwar allerdings den kürzesten
Weg quer über Land hat: daher aàzziJov am Platze ist;
daß man aber Halieis von der stadterfüllten Umgegend von
Argos aus, die damals geplündert und entvölkert ward, am na-
türlichsten und bequemsten zu Schiffe erreicht. Und das
dıövvoog * Also. 689
wird Strabon hier durch ein besonderes Verbum auszu-
drücken nicht verfehlt haben. Es stand in der Lücke: &cEé-
mheov>. Nun stimmt Strabon genau mit dem Ephorosfragment
bei Stephanos: eigentlich selbstverständlich bei einem Schrift-
steller, der längst als reichste Fundgrube für Ephorosfragmente
bekannt ist '5). Tiryns ist somit in seinem urkundlich bezeugten
Metropolenverhältniß zu Halike geschützt. Sind aber die Ha-
lieis ursprünglich Tirynthier, wie nun Herodotos, Ephoros, Stra-
bon, Stephanos einstimmig aussagen, so haben sie schon vor
ihrer Auswanderung nach Halike ihren Dionysos(-Halieus)
in Tiryns verehrt, und zwar mittels @umr(Cesy noch
nicht 2» zóvrg, — denn das empfahl ihnen ja erst unser
Orakel, — sondern entweder & more u & (Hovrtvi !9) oder dv
Atu»g (Atovn). Der Dionysosdienst der Argeier zu Lerna
ist ja bekannt. ba
Aber darf man auch im alten Tiryns einen Dionysoskult
voraussetzen? Man mu sogar; denn in der tirynthischen Sage
von den Proitiden spielt gerade Dionysos und seine Macht
eine bedeutende Rolle. Eine für den argivischen Dionysos cha-
rakteristische Figur ist der Prosymnos. Prosymna aber liegt
zwischen Tiryns selbst und dem ursprünglich ebenfalls tiryn-
thischen Heraion, auf eben jener „Sepeia“ genannten Meeres-
strandfläche, welche dem Proitos unterstellt war! Nun ist
zwar allerdings der Sage nach die Weihe des phallischen Dio-
nysos eben „erst zu Proitos Zeit von Melampus eingeführt
worden ; aber eben darum ist sie um 456 und vor diesem Zer-
15) Von Buch IX (Boiotia p. 400 C) an hat er ihn wohl z, T. selbst
in Händen gehabt, angeregt durch die reichen Ephoroscitate, die er
bei seiner bisherigen grammatischen Vorlage fand: Niese Rhein. Mus.
32 (1877) S. 284: Apollodoros. Als diese Vorlage aber ist mit Gaede
(D. Scepsii quae supersunt) eher der Skepsier anzunehmen, der auch an
einer späteren Stelle über die troizenische Gegend (p.374 sq.), genau
wie hier, mit einem historischen Theopomposcitat (Frg. 109a, FAG
IV 644a) schließt. Im X. bis XIII. Buch ist wieder der Skepsier (Frg.
45 G. Strab. p. 555; ebenso p. 582 sq. 8 4 und p. 600) alleiniger Ver-
mittler des Ephoros (s. Gaede 8. 42, 22).
16) Dem Fluß im Haine Lerna (s. 0. Anm. 12); dann hätte die
Antwort des Orakels 2» novrw die Neuerung in feiner Weise an den
altgewohnten Namen angeknüpft, und sie doppelt motiviert (vrgl.
‘Ghia’ = nóvmov — iv náv to).
17) Paus. II 16. 2: Mooiteg dè rà Hoasov xal Midiav xal Ti-
Quvda lore xni Boa mods 9aÀdacg ric Moyen omuata dè vie tr
Tiguv® oîxjosws xai ig ride liner; Il 25. 8: xatapdvrow dè (ix The
QurSo;) ds Eni 9d Laccay ivraida of Gdhauor tv Moowidur $uya-
zéguy elciv. Prosymna ist tirynthisch wie Sepeia. Herodot. VI 77
HSS: ‘Hoinue, 5 Sinne, j Zine, genau wie in der diomedischen Ko-
lonie Argos- hippion (Arpi) der Strandort ,nach den eynia“ Syméec,
Zinéac, Zunoös (Sipontum) heißt (Strab. XIV p. 653). Stein durfte
nicht in den Text 3. Aufl. ‘Hina setzen (Register richtig 7 =). Bei
der Orakelsage ( IjAsıa àv Gpoive vixjoaa) galt gerade, die
Möglichkeit rà Z5mec auszuschließen !
Philologus XLVIII (N, F. II), 4. 44
690 | K. Tümpel,
stórungsjahr in Tiryns sicher vorhanden gewesen. Und
gerade der tirynthische Prosymnos soll ja dem Dionysos als
Wegweiser zum Unterweltseingang an der áfvscog Algor
von Lerna gedient haben '*).
Woher stammt nun aber dieser Dionysosdienst ? nicht der
spätere, von Eleusis aus beeinflußte Mysterienkult, sondern
der alte, proitidisch-prosymnische ?. Wenn nicht alle Anzeichen
trügen, allerdings, wie der boiotisch - attische Melanaigis - Eleu-
thereus, letzthin auch aus Pagasai-Sepias (Magnesia): nur auf
selbständigem Wege, nicht über Boiotien, sondern tiber Eubois
auf dem Seeweg. Der Abantiadische (d. i. thrakische) 19) Per-
seus als verfolgender Gegner des Dionysos in Argolis scheint
dem ebenfalls thrakischen Lykurgos als Gegner des Dionysos
am 'lhetisstrande zu entsprechen (F. A. Voigt Roschers Myth.
Lex. Sp. 1057), und die sagenhafte Herkunft des argolischen
Dionysos „von der See her“ entspricht einigen auf Euboia-
Abantis zurückweisenden thatsächlichen Symptomen (Voigt Bei-
träge zur Mythologie des Ares und der Athena, Leipziger Stu-
dien 1881 S. 285 f. 7°). Vielleicht deckt sich sogar die Fischer-
bevölkerung von Tiryns - Sepeia - Halieis und Pagasai-Sepias *!).
Doch das sind mit anderen Problemen eng verwachsene Fragen,
die sich nicht ad ‘hoe lösen lassen.
Exkurs: Tirynsbei Stephanos v. Byzanz und
Eustathios.
Das uns aus Hermolaos’ Hand erhaltene Restchen aus dem
Artikel Tígvrg des Verfassers der Ethnika ist übel zugerichtet.
Die erste Hälfte bietet einen sinnlosen Text, der bei Meineke
nicht lesbarer geworden ist, als er bei Westermann war; und
die zweite Hälfte ist ein geradezu mißverständlicher Abklatsch
dessen, was wir in dem ziemlich gut erhaltenen Artikel ' Aissig
noch jetzt richtiger lesen. \Venn im folgenden aus der ersten
18) Paus.II 37. 5: rz» de raum xa9odov deitai où Hölvuyor (= Hpser-).
19) Aithiopenlünder etc. S. 210 f.
20) Wenn ich V. recht verstanden habe, gehen seine Gedanken
in dieser Richtung; in Aitolien entspricht nach seiner Ansicht dem
Paare Perseus-Dionysos das Paar Porthaon-Oineus.
21) Auch hier würe Euboia deutlich Zwischenstation. An der
Sepias: Thetis in ihrer Verwandlungsform als cy#éa neben ihrem
Parhedros (Il. 4 401) Aigaion- Briareus dem êxaro yyese; in Eu-
boia: Aigon zu Aigaia- Karystos (Karystos = Bruder der Thetis,
Sohn des magnesischen Cheiron vom Pelion); in Argolis: die
Zrnsa (qs. 0. S. 589 u. 1) d. i. der „Tintenfisch“ - oder „Polypen-
strand" (= Zutias) und die Tiryns-erbauenden yaoregoyssges oder
yespoyaatoges. Wegen mykenischer Goldplättchen mit Meerpolypen,
wohl Amuletten, hat Roscher Myth. Lex. Sp. 241 den éxarcyyup (hy-
erbolisch 100-armig) ala 10lé3ovc oder oynia e 9-armig) erklärt:
fr. desgl. die yaoregcyesges (Bemerkungen ete. S. 13).
Jiövuaog ‘Ahi. 691
Hälfte des Tígwv;- Artikels noch einige Körnchen neuer Er-
kenntniß gewonnen werden sollen, so empfiehlt es sich doch, mit
der Betrachtung der letzten Hälfte zu beginnen, da sie
die Gesichtspunkte liefert, unter denen .ein abweichendes Ex- .
cerpt dieses Artikels in einer sonst ziemlich hoch geachteten
Excerptensammlung ‘aus den Ethnika, der des Eustathios im’
Homerkommentar, zu betrachten ist. Denn wenn wohl auch all-
gemein zugestanden ist, daß die Lesefrüchte des Eustathios nur
aus einer Epitome des Stephanos stammen und,, wenigstens was
das Gramniatische betrifft, nicht so sorgfältig sind wie die Ex-
cerpte des Etym. M. (s. Lehrs Aristarch.' 33, Lentz ed. Hero-
dianos praef. COX V, Geffcken de Stephano B. cap. II, DD Got-
ting. 1886 p: 22 sq.) so ist doch wenigstens in einigen Punkten
festgestellt, daß un sere Stephanosepitome gegenüber der von Eu-
stathios benutzten kleine Lücken aufweist, die sich aus ihm ausfül-
len ließen. Und während Meineke die allerdings ganz allgemein
gehaltenen Vorschläge Westermanns (in der Praefatio) zur Er-
gänzung der Ethnika aus Eustathios (namentlich in der Lücke
zwischen xri- und Kog-) wieder vorsichtig meist bei Seite ge-
schoben hatte, so verspricht jetzt wieder Geffeken bei einer
bald zu erwartenden Neu- Ausgabe des Stephanos noch über
Westermanns Vorschläge hinaus Eustathios zu berücksichtigen.
(a. a. O. 5. 3). Da scheint es denn nicht ohne Nutzen zu sein,
wenn an einem eklatanten Beispiel gezeigt wird, wie Eustathios
nicht davor zurückschreckte, den Text seiner Stephanos-epitome
in irre führender Weise umzugestalten, wenn ihm dies nóthig
schien.
Der Schluß von ‘Tours’ lautet bei St. B.: éxaheiro dè mgó-
zegov “Ahueig du 16 wodhodg “Egusovéag Gluevouévouc olxtiv avroi.
Das ist, wie niemand bezweifelt, zusammengeschnitten aus dem
vollständigeren Referat in ‘ Alusic’ . . . . "Egogog iv 18 Exıg, ore
Tigsv9iof. slow obo xal Euvacrévres PfowAsVovro olxelv twa
tonoy. Das Orakel bescheidet das Völkchen: der Ort der
neuen Niederlassung sei gleichgültig; es. werde doch überall
"fui ("Alırig) genannt werden (s. o. S. 687). "EMyowo d’
oùtus dià rà wohhovg rv ‘Eguiortwy dlievop£vous xarà roëro 1à
négog olxeiv rj xwgag: lautet ein Zusatz; und es ist wuüder-
bar, daß man an der unvermittelten Anreibupg eines so hetero-
genen Anhängsels nicht mehr Anstoß genommen hat. Es be-
darf nur des einfachen Hinweises um einzusehen, daß es ganz
etwas anderes ist, ob erst, mit Ephoros, der Volksname ‘Aus
= Fischer von den (fischfangtreibenden)?*). Tirynthiern
22) Die Herrschaft des Proitos von Tiryns erstreckt sich immer
ausdrücklich mit über den Meeresstrand s. o. S, 689 mit); O. Müller
Dor. If 424; cf. Bursian Geogr. I 57° ) wo freilich die Berufung auf
Roë (Reisen S. 149) ebenso irre führt, wie die auf Stephanos ‘Tyuévs0»" 5
44%
692 K. Tümpel,
hergeleitet wird, welche hier (wohl 468) eine neue Heimath :
fanden; — oder ob dann, am Schlusse, derselbe Name “ fuic
auf den Fischerberuf einiger H er mioneer zurückgeführt wird,
welche, um zu fischen, diesen Südvorsprung der argolischen
Halbinsel bewohnten *), mit dem tirynthischen Orakel
des Ephoros aber durchaus nichts zu schaffen haben. Un-
bedingt muß im echten, ungekürzten, Stephanostext und schon
bei Herodian. I p. 240, 34 (Lentz) der Unterschied zwischen
erster und zweiter Erklärung markiert gewesen sein: etwa ëlé-
yorro O obiwg <xut’ üllov; tras oder wg Eriol qaa» oder
bloß xai? dia 10 noAlouc x74. Das siglum für xai zumal konnte
sehr leicht zwischen den beiden Kurzzeichen für -ws und dia
überlesen werden. |
Auf solch einfaches Heilmittel verfiel der Excerptor, wel-
cher unseren Text im Tígvr;- Artikel aus dem “ AAseic - Artikel
zusammenschnitt, nicht; er fand überhaupt nichts zu heilen.
Bezog er doch &iéyorro gar nicht auf“ Alıcis, sondern auf Ti-
euros! Er verstand: of Tegvr dos êléyorso oviwg d.i
Ales, und schrieb kurzweg: ‘Tiguy¢ . . . éxadetro ago-
tegow "sig und zwar dia 10 moAÀloüg ‘Eouortus (statt "E-wr)
disevoutvoug olxeiv avrov (st. xarà Touro TU uéQoc rc yuwouc).
Ihm schwebte wohl der Gedanke vor, daß ‘Halieis’, der Theil,
so ziemlich dasselbe sei wie Hermione, das Ganze. Damit sind
allerdings die beiden verschiedenen Erklürungsversuche
des Namens “Aligi; in Halike zusammen verschmolzen zu
einem einzigen Erklürungsversuch für einen neuerfundenen
angeblichen früheren Namen von Tiryns!
Was bietet nun Eustathios? (Er kommt unter den Aus-
schreibern hier allein in Betracht, da das Etym. M. kein Excerpt
über TYgvg und 'Adıcig aufgenommen hat). Von dem zwie
fachen Erklürungsversueh in “ Ag hat er keine Spur;
statt dessen hat er das Elaborat des Excerptors in Téguyc, aber
in welcher Form! Tigurg: .. &xudslıo dèngoregor “Ast (!) did 16
noddots ((Eouiuovéas fehlt!) adsevouévous olxtiv avrov. Warum
diese Aenderungen ? Lediglich glatter Abrundung des Gedankens
zu Liebe. Hermioneer in Tiryns’ waren für Eustathios, der die
Ethnika fortwährend an der Hand von Strabon und Pausanias 2‘)
weder hier noch dert ist wenigstens von einer „Fischer- und Schif-
ferbevölkerung‘“ in Temenion die Rede.
23) Nicht, wie Pape-Benseler ‘4Assis’ behaupten: ,flüchtig e"
(!) Fischer aus Hermione.
. 24) Und anderer; so hat er z. B. den hübschen Aratvers, den
wir in allen unseren Stephanostexten falsch lesen ('T'aegyaga' ... alate
OTs uoUvog ivi nétono xaIgias | ra »civ l'apyapécov fira xai
diga Àéyov) einerseits zwar mit metrischem Fehler zasc i I.) abge-
schrieben, anderseits aber aus einer Ueberlieferung, die nur bei Serv.
zu Verg. Georg. I 102 u. Macrob. V. 20, 8 vorliegt, berichtigt (elite
4ionpor . . . l'apyagéov naci»); vgl. Geffcken. S. 1939), der das xeei
statt -ci» freilich nicht notiert.
m, |||... 0 àáL 1L 6
*
. didvuoos * Ade. 693
^ kontrollierte, eine mit Recht befremdende, unbequeme Vorstel-
lung: sollten doch vielmehr umgekehrt Tirynthier in die her-
mionische Gegend gezogen sein! Lie er “Epusovéug weg, so
wurde die Ableitung von ‘AU? aus álivouérvovc nur plasti-
scher. Aber oí 'afheig als alter Name von 7; tous war
eine zweite Unbequemlichkeit; wie viel besser paßte da 7“ Alstz,
— oder “Ænls, wie gar im Register der Leipziger Ausgabe im
Widerspruch zum Test steht 8°)!
Wie achtungswerth ist gegen diese bedenkliche Glätte im
entstellten Eustathischen Texte jener kleine Mangel eines xai
im Texte unseres Stephanosexcerptes !
Man muß mit diesem also, auch was die übrigen Angaben
betrifft, allein ins Reine kommen können, ' Eustathios hat hier
für Stephanos keine konstituierende Stimme: höchstens nach-
trüglich kann uns eine Konfrontation von Werth sein. Das ist
der Gesichtspunkt, der sich nun, wie versprochen, am Eingang
des *Tíguvg-Artikels erproben soll: und er wird sich bewähren.
Dieser Eingang lautet: Tigwg .. . mg ris Hilomov-
mio: ‘oF d "Aeyos 1° dior, Tiouv9d ze 1esyidecoav’ (B 559).
da Trguydos viis "Alu Iuyargde, iuc “Appirosunos iv ddeipi.
2xadetto dè moówgov xri, Hier ist allerlei auffällig, auch außer .
der Korruptel in”Aw ... Zunächst ist eine Heroine ‘Ti-
ryns’ sonst nicht bezeugt, geschweige denn als „Schwester Am-
phitryons“. Dessen Vater hieß auch Alkaios, nicht "Aw . . .
Und vollends kopfschüttelnd liest man bei Enstathios, wenn man
ja bei ihm Raths suchte (p. 286 z. d. St): xaletras dé, quot
(d. h. of meg? zöv rà ’E9nxd yodıyarın, den er so gern citiert),
"Tígwc and Tígwv9og àdehpo (1) * Augiroswwos: dxuheivo dè
modisgov xrÀ). Wir lassen ihn also einstweilen auf sich beruhen,
Wollen wir ermitteln, was Stephanos geschrieben haben kann,
so müssen wir uns an die Vulgata halten, die ihm zugänglich
war. Das hat Meineke nicht in hinreichendem Maße gethan,
und darum hat er die Heilung nicht gefunden; da Eustathios
ihm nicht hilft, bescheidet er-sich überhaupt (aliter haec scripta
habet Eustathius, quae ex Stephano derivata esse docent sequentia:
Pxalefro. x1).).
T4Ào zunächst ließ sich aus Stephanos selbst emendieren,
Ueber die nächste Nachbarstadt von Tiryns, Midesa, hat er (s.
v.) eine der unsern ganz auffallend gleichlaufende Erläuterung ;
M. nôli dv "Agri i viv xoun, T monregov [Tegotws modus,
dnd Midetac rig Alwéwe Fuyargag. Die Zwillings-
stüdte Mideia und Tiryns, verkörpert in zwei Schwesterheroinen,
25) Ganz ähnlich ändert Eustathios zu Dionysios Perieg. v. 910
(Geogr. G. M. II 375) die ganz korrekte Vulgata des Stephanos ‘
+. Kngéwc ... dy’ ob Kngives ol Al9éomsc in d. o, K. 0. Alyın
(), was C. Müller nicht hätte durch Aldiones ersetzen sollen.
6904 — K. Tümpel, .
waren also angeschlossen an Aloeus, natürlich den Sik yonier,
als ihren Vater; und das ist gerade für. Tiryns, die Proitos-
stadt, eigentlich selbstverstindlich. Hat doch vor alters der
König Proitos von Tiryns eben in Sikyon einen Proitos-
und einen Heratempel gestiftet ?®), ersteren anläßlich der be-
rühmten /7goizídw» parta: offenbar eine gut alterthtimliche Ue-
berlieferung. Falsch war also, wenn Meineke meinte, "Aw sei
ein Genetiv von einem Namen "4/Awg, und nun aus dessen
Unbezeugtheit die Unmöglichkeit einer Heroine j Tieurç fol-
gerte 2"). Wir lesen vielmehr T. ano T'íQwv9og ris "Mutu
Fvyatoos . . . |
Soweit ist bei Stephanos also alles klar; bei Eustathios freilich
ist von einer solchen ,, Aloeustochter Namens Tiryns“ keine
Spur, wenigstens - keine deutlich sichtbare; und doch erinnert
sein * dde pò g "Auysiguwrog’, ganz bestimmt an die dddgg;
"Auqirgscvog im Hermolaosexcerpt ! Und hier liegt ‘denn auch
die wirkliche Verderbniß; denn in den Worten #75 * Augı-
ıguwrog mr adeAyn kann unmöglich mehr von jener
Aloeustochter Tiryns die Rede sein, sondern nur
von irgend einer anderen Heroine, die mit der Stadt Tiryns
oder deren mythischer Personifikation allerdings in irgend einer
indirekten Beziehung gestanden haben muß: natürlich keiner
schwesterlichen , sonst würde vor ’Augırevavog das xai nicht
fehlen. Nun war Amphitryons Vater '4fAxoiog, dessen einzige
Tochter hieß ’Ava&w°®), sie ist es, rec "Mugsrovmrog
jv adeAgr, ihr Name muß also vor diesen Worten gestanden
haben in einer Lücke, die keine ganz kleine gewesen sein kann;
denn sie enthielt auch die Angabe jener Beziehung zu Tiryns.
Welcher Gestalt war nun diese Beziehung? Die Vulgata (bei
Pausanias II 25) sagt: T'(Qvv9« dì £owa, où tH nés 1d
övoua éyéveto, naida Agyov tov 4:06 elvas Alyovas:
der Heros, war ein Sohn des Argos’ — und welcher ‘Mutter?
fragen wir unwillkürlich. Hierauf antwortet unser ergänzter Ste-
phanostext, zuerst mit den Worten der apd. Bibliothek (des Homer-
26) Pausan. Il 7, 7: o vaóc (176 Hss9ov c) lon uiv dv và vir
áyop& (ts Zixumvos), ro dì E a oy ic Aéyovaw avróv 6n à Hpoirer
noires Tas yàg où Fvyaréoas ivraí 9a tic uarias navcac®ar. Paus.
II 12, 1: dx dì Tirawns PH Ziavolva tWquxouévoig xai xeraBeivosew È
Jalaccay , . . ve óg Ho«ag ... 10v dà avadivia IHioostor sivas vi
"ABastos qao. |
27) Neque ‘Alwc aliunde cognitus nec Tipvrs mulieris nomen est.
28) Apollod. Bibl. IL 4, 5: èx uiv où '4ÀAxaiov ... Auyırodar
èyévero xai 9vyátuo Avafu,
Schol. ABD zu Il. 4 323: ' 4Àxurjvzc] 'Alxununs vic "Hlaxrovévec
xai AvatoUc 1c AAxaiov hoáa9 Augesoéar
xt.’ vgl. Tzetz. Lyk. 932. Alkmene wat also die
Nichte ihres Gatten Amphitryon. :
dhóvedog MdAig, — 00 695
u. Lykophron.- Scholiasten, s. Anm, 28), dann mit denen des
Hermolaosexcerptes : exul "Ava&osc tis Alxatov Fu
parodie *Aupirgiwyos 3j iv ade pi. Wir reihen nun aus
Pausanias vor: <i> and Tígww2og rob "Aoyou Aids vios <zal>
xil. Daß hiernach Anaxo zwei Gatten : Elektryon, Argos, hatte,
ist keinem Mythologen befremdlich; mit jenem zeugt sie die
Alkmene, mit diesem den Tiryns. Meineke war also auf rich-
tiger Fährte, wenn er an '4Ax«toc dachte bei der Erwähnung des
Amphitryon; aber er wollte ihn (* diz) in das "Aw des Textes
hinein lesen und gleich hinter dem männlich verstandenen
Tigur3og des Stephanos die Namen von dessen Vater und Mut-
ter, die eine Alkaiostochter sein sollte, ergänzen 2°), also so:
dnàó Tigur$og <roë deiva vioù xai rig deiva> 15g Ad<xatov>
Suyaigóc, iris "A. T. à, vielleicht dachte er sogar geradezu zu
lesen: dad Tiguv9og <roï Agyou vio xai tig "Avutoëc> rijg
> Ar<alou> Fvyargds, *1. Tmmerhin, wie soll jedoch die Ver-
lesung entstanden sein ‚von ’44x (?) in das viel richtigere "Aw
und der Sprung von Trguv9os auf 775 xrÀ.? Die Ueberliefe-
rung Akw hat.sich uns als gut bewährt, sie darf nicht ange-
tastet werden. Wie leicht erklürt sich dagegen die Entstehung
unseres verderbten Textes aus Verlesung, wenn man sich un-
seren Ausführungen entsprechend geschrieben denkt: (Tígwvc)
and Tíguv9og tig Adwiws Suyargóc
dno Tigurdog rob” Apyou dig vioù
xai > Avakovs rig > Adxalov SuyarQbg? 7]
ig Augirguwros jv àdehgij.
Stephanos bot also aufer einer Variante (über die Aloeustochter)
nur die Vulgata, angereibt mit <7> und bestehend aus den
mit <xui> verbundenen beiden Angaben des Pausanias und der
apollodorischen Bibliothek (s. Anm. 28).
Der Abschreiber verlas sich entweder von dem 9uyurgòs 7
der ersten Zeile zum Juyargdg 7 der dritten, oder vom and
Tiguvos der ersten Zeile über das der zweiten nach dem Ae
der dritten. Wie ühplich mußten die drei unter einanderstehen-
den Namen in der tachygraphischen Schreibung der Endungen
"4.490 |" API |? AAZY (= Gh-xal-ov) erscheinen ! x
War der Ausfall einmal geschehen im Stephanos- oder
Hermolaosexcerpt, so konnte Eustathios allerdings daran An-
stoß nehmen, daß eine’ Alwfws Iuydrng = eine * Aygiroswros
adehpi sein sollte, ja daß jener Aloeussprößling eine wei b-
liche ‘Tfguvg’ sein sollte. Hatte er doch seinen Pausanias vor
sich liegen, aus dem er direkt an sein Stephanosexcerpt éxa-
Astro dè ngórtQov ‘Ali d. r. m. à. ol. au, den Zusatz anreiht:
29) Vide an "Alw ex "ALE i. è. "Akxuiov corruptum sit, post Ti-
euros autem patris matrisque nomen ezciderit, Alcaeus pater fuit Am-
phitryonis — er konnte bald zusetzen: ‘et Anazus’,
696 K. Tümpel, Hiovvoog "AAsug.
xarà dì Hlavcavíav ^fAxoi need Tí(qvy9a xzi.’; und kannte
doch dieser Pausanias nur einen männlichen Tiégusc! Bo
machte er (aus frg *Ogng) aus adelqy 'ddelgódg 3%), und die
Fühlung mit der Vulgata war scheinbar richtig hergestellt! —
Das Ergebniß ist 1) Anaxo war Gattin auch des Argos,
2) Anaxo war von ihm Mutter des Tiryns, 3) Aloeus war Vater
einer Tiryns; endlich 4) nach dieser Heroine Tiryns
ward die Stadt ebenso gut genannt, wie sonst nach dem gleich-
namigen Heros.
Darf ich noch eine Vermuthung über das Altersverhältnis
dieser beiden “Tiryns’ hinzufügen, so möchte ich geltend machen,
daß in den Mythen bis in die Geschichte des 5. Jahrhunderts
hinab überall sich ein erbitterter Gegensatz zwischen Argos und
Tiryns und ihren Dynastieen zeigt; daß ferner die Zugehörigkeit
von Tiryns zu Argos erst jungen Datums ist (um 468), jeden-
falls jünger als die Beziehungen von Tiryns zu Sik yon, daß
also eine Genealogie, welche Tiryns an Sikyon knüpft, älter
sein muß als eine solche, welche der späteren Hegemonie der
Stadt Argos über die umliegenden gleichalten Städte Rechnung
trägt; mithin ist 7 Tours 8!) älter als 0 Tigurc.
30) Dieses Autoschediasma des Eustathios hat Lentz auch dem
Herodianos (II p. 246, 6) gegeben.
31) Die erst seit Arrianos und Ps.-Skylax bezeugte Nebenform $
Tiovv9a, der im hesiodischen Scutum 81 eine ältere 5 Tigundos ge-
genübersteht, hat mit dieser Frage nichts su schaffen. "
Neustettin. K. Tümpel.
Homer Od. : 116— 117.
Odysseus beginnt seine Beschreibung der Ziegeninsel mit
den Versen: »#005 Eneıra Aaysıa nupex Asuéroç tetavverus, | yalng
Kuxiuinwy ovre 04800» ovr! danoınlov. Wenn eine Insel weder
in der Nähe, noch fern vom Kyklopenlande gelegen sein soll, so
liegt sie eben in Nirgendheim, aber nicht etwa „in mäßiger Ent-
fernung vom Kyklopenlande“. Trotzdem eine Conjectur in un-
serm Homertext ein höchst mißliches Ding ist, wage man den-
noch die Correctur: yalns Kvexid zov abrocysdóv ovd’ arorndoi.
Bekanntlich pflegen Homer und noch häufiger die Tragiker den-
selben Begriff erst bejahend, dann verneinend auszudrücken und
beides durch otdé zu verbinden; vgl. z. B. das doppelsinnige
Ovilg ue xtelree dodo oùdè Plnypıw Od. + 408; fernere Beispiele
sind Hymn. Hom. in Apoll. Del. v. 1 uwnoouas oùdè AcPwpas,
Aeschyl Eumenid. 305 xai Cav put da(cug oùdè noòc fwpé
ogayels, Soph. Electr. 997 yur) ui» obd avng Eyuc, Philoct. 995
nas uiv dg doviovg sagas narne ae’. ÉEépuoer obd’ lev (oov.
Halle a. S. | C. Haeberlin.
XXXVI.
Zu den Bühnenalterthümern.
1. Mnyarn, xeadn, y£guvoc.
A. Müller Bühnenalterthümer S. 155 bemerkt im Anschluß
an eine Erörterung über die tragische ug a vij:
Wenn Pollux sagt, die Stelle der tragischen unyawj vertrete in
der Komödie die xgddy, so widersprechen dem FRU Notizen, nach
denen die xgédy ein Haken war, der in der Tragödie zur Hebung von
Personen verwandt wurde. Ein solcher, den man benutzte, um eine
Leiche nach obenhin zu entführen, war auch die yégavos, der Krahn’).
Vielleicht läßt sich durch eine genauere Kritik der Zeug-
nisse das Widersprechende und Ueberschüssige aus der von
Müller in gewohnter Vollständigkeit angezogenen Ueberlieferung
eliminieren,
Pollux berichtet IV 128 f.: } uyyavi dè Deods delwun xui
Tews wie dv Gia .. xal xetrae xur rj» ageoregor magodor, nig
thy oxnviv r0 tos. è d’ lon» dv rquymdig ungavi, wovro iv
xwugdig xgadn. 129 dijdov dr ovens nt plpnos: xgadny
yàg riv ouxiv xadotow of ’Arzıxof?).
Pollux. schreibt vermuthlich Juba's Seozgue ícrogía aus,
möglicherweise unter Zuhülfenahme einer Synonymensammlung.
Was bei diesen ‘Nominalisten’ © 6’ Zoriv #1, heißen soll, bleibt,
wie gewöhnlich, unklar; es kann eben so gut auf einen sachli-
chen (so Wecklein in dieser Zeitschr. XXXI 451), wie auf einen
bloß sprachlichen Unterschied herauskommen.
Entschieden wird die Frage durch einen bei Zenobios, He-
à Aehnlich E, Rohde, de Pollue. fontt. p. 64,
2) Hier verräth der Lexikograph, daß er von Einrichtungen re-
det, die er night mehr kannte.
698 O. Crusius,
sych und in den Aristophanes - Scholien erhaltenen Artikel des
Didymos:
Zenob. Mill. III 156 (= Ps. -Plut. Hesych. (viel- Schol. Venet.
II 16 p. 338, 'Zenod.' b. Steph. u. leicht interpol. Arist. Pac. 727:
Erasm.s.v.xocdy): Koadnsbaysi- aus Zenob.): xQdóqa: side;
ons’ xoady viv ovy è aUxiwoc xlados, xoddy* cvxpec (verlesen fürixld-
GAN àyxvoisc, ag’ 76 où ünoxpurai xladoc xa) d y- dos?) evxÿç, len
iy Teig Toayızass axnvais èEaprov- xvois, id $c di xaì ungavri.
tas, 9600 pusuovusvos Énigévernr, avyntovto ob dv
Cworjpos xai 1asviass xateılmunsvor* taic Tpayızaac
<0dev Léystas 4 naposuia> ini 10v punyavais**
noosqaviviwv aiguidins xai aoyy- inigevouevos.
uovovvıw»
V. 1. Bodl. 515 (Vat. II 20). | dy-
xvoic] cyxvod. oxyvais] unyavais
Cworjoas] Cworjos (item Zenod. Ste-
phani). ngosyartvıwv] noog.
Wichtig zur Beurtheilung dieses Zeugnisses. ist die That-
sache, daß im letzten Buche des Zenobios zahlreiche Lemmata
durch 'geflügelte Worte' aus Komikern gebildet werden, wie denn
auch dem ausgeschriebenen Artikel Aristoph. fr. 352 p. 485 K.
vorhergeht und ein anonymes Komikerfragment folgt (Anall. ad
Paroem. 87. 89). Hieraus ergiebt sich mit aller nur wünschens-
werthen Sicherheit, wie schon a. O. angenommen wurde, daß
. xead nc dayelons das erste Kolon eines Komödien-
Trimeters ist. Didymus knüpfte also an diese Komiker-
stelle an mit der Erklärung xg. viv oùy 6 0. xd. xıA., d. h.: an
dieser Stelle bedeutet xo. nicht Zweig vom Feigenbaum, sondern U. s. w.
Der excerpierte Komiker machte sich über eine Tragödienauf-
führung lustig, wo die Göttermaschinerie versagt hatte und der
Schauspieler herabgestürzt war, etwa in demselben Sinne, wie
Lucian Gallus 26 von dem iv uéon 17 oxyrÿ auf seinem Kothurn
zu Falle gekommenen Schauspieler redet (A. Müller S. 197).
Weshalb er den Faßhaken, der nach Art eines Ankers gebildet
gewesen zu sein scheint und offenbar in die resvfas und Lw-
orne eingelassen wurde, mit dem Namen xgadn bedacht hat, liegt
auf der Hand): 74 yao ovxıra Evlu evredi xai aygnora heißt
es bei Didymos-Zenobios kurz vorher (III 46 Mill. = volg. 243
p. 68), und die ovxtyn énixovela Buxrngla udyasga, wie der
Gvxıvog rovg und die ovx/vn yrwun sind aus den attischen Ko-
mikern und ihren Nachahmern bekannt genug (vgl. v. Leutsch
3) Die Beziehung von xeddn auf den Tragbalken ist mir wegen
der Erklärung mit «yxvgig weniger wahrscheinlich. Auch der Ver-
gleich mit dem Feigenast läßt sich nicht dafür geltend machen; die
Anker waren in der ältern Zeit nichts, als Holskreuze oder Stangen
mit Widerhaken (vgl. Aßmann bei Baumeister Denkm. d. Altertà. 8.
1614). An die sakrale'Bedeutung der xeddn, gerade im Dionysoskulte
(Lobeck Aglaoph. 706, Meineke C.1F. II 1, 469 f.) erinnere ich, ohne
Werth darauf zu legen.
Zu den Bühnenalterthümern. * 699
zu Makar. 682 f. vol. TI p. 210). Pollux hat, wie gewöhnlich,
den einzelnen Fall verallgemeinert: das Witzwort eines
Komikers gilt ihm als technische Bezeichnung‘).
Nicht anders ist eine vierte Stelle zu beurtheilen, die man
mit Recht hierher bezogen hat (Rohde de Polluce, fontt. 64). Im,
fünften Bekkerschen Lexikon heißt es p. 208, 9: dà anyarng:
ungavj icu nagd 101 xwuixoîg éyxuxdijuurdc (schr. Dex.) 5)
zu doc, am ouvFyjxng (d. h. auf ein gegebenes Zeichen) zoàc
8 gpfgsras à <imoxgiricr ®) slg tiv envi delkews yagın Ion 7
GAdov zıvög jewos. Man hat auch in diesem Artikel einen Wi-
derspruch gesehen gegen die übrigen Zeugnisse über die un-
zavi; in denen sie zum tragischen Hausrathe gerechnet wird.
Sehr mit Unrecht. "Muga roig xwpuxoig 2orlv heißt für den
Sammler der Afsıs Önrogixaf, dem es vor Allem auf das kor-
rekte*Attisch der Komiker ankam, nichts andres, als ‘wird genannt",
kommt vor bei den Komikern' Und das ist ganz richtig. Schon
Aristophanes läßt den auffahrenden Trygaios den Lez
mods anreden (Pac. 174, ähnlich Daed. fr. 188 p. 436 K), und
Alexis sagt in einem (bei Erörterungen über die unyami am erste
Stelle gehórenden, neuerdings aber kaum beachteten) Fragmente
bei Athenaeus VI 216 A (= fr. 126 p. 342 K.):
vurì dè xawdv elcpéges vóuov iva
xguooiv, 16 wh nwhety xaInutvoug re
toùç iyPvonuiuc, dia téoug d’ Éarnxórac.
eli alc véoid quer yodwar xg&uaptvove,
xai Fürıov Grontmpovor r0d¢ divovuvovc
dno uqyavic nwhoivres Goneg of Heol —;
bei Menander erscheint der duo wnyavitc 9eds Emparete be
reits sprichwörtlich (fr, 227 p. 65 und 278 p. 79 K., vgl v.
Leutsch Paroemiogr. I p. 210). In der Tragödie‘ hatten solche
Anspielungen keinen Platz. Der Lexikograph konstatierte da-
nach lediglich das Vorkommen des Terminus ynyavy
in der Komödie; dem Inhalte nach ist sein Artikel von den
übrigen dnrchaus nicht verschieden.
Pollux scheidet von jener ungavn oder xgudy IV 130 den
pytguvog als besonderes Geräth: |. . dnd - dè roù Peoloysion
Bvrog dig rie ame dv tye Emgatvorru Pot, we è Zeig
xui ob megì avròv dv ti Toyostactg: 7 dè rÉgavos un vnd.
Zorıy Pe werewgov rurapeoduerov eq ágmay] cuparoc,
4) Dasselbe Schicksal hat nach Hiller einleuchtender A rent 0
(Rhein, Mus, XXXIX 328 f£) das Wort ö éleds (ro ehedy) t; A.
Müller (Bühnenalterthümer S. 2) bleibt freilich auch hier bei der ale
ten Auffassung.
; LA Vgl. die zgöyos bei Aristoph. Daed. fr. 188 p.486 K.: A, Mal-
er S. 158.
6) A. Müller S. 153 tilgt das 6, Die Stelle ist wohl schlecht
excerpiert,
700 O. Crusius,
xéyontas "Hug donalovou 10 odpa 10 Méuvovos. alwças d’ dr
nos tovs xai we, of xamormvias 2E Uwovg avéyssy rods lxi
tov déoos pégecFus doxouvrag News 4 Jeous.
Ergänzt wird die Notiz über den yégavog durch einen
Lexikon-Artikel in Bekker's Anecd. a. O. p. 282. Etym. M. p.
228, 2: y& guvog Ooveov. xai most T4G O9x1066. xal Ogyavov tv-
dixov, dv © xonrovcw ob uAgsromosoi 1a &Àgsra .. yÉ euros
xai iy ti of o nas xattoxtvuGuvoc Uno toU unyavonoson ii
où 6 écxevuouévoc (xosucuevoc?) vnoxoizàg zgayqsi ?).
&gmaE ist ein terminus technicus der griechischen Ingenieure
und Taktiker. Bei der berühmten Belagerung von 'Tyros wur-
den nach Curtius IV 2, 12 von den Tyriern angewandt fer-
reae manus — harpagonas vocant —, quds operibus ho- :
stium inicerent; vgl. IV 3, 24: namque ad inplicanda navigia
quae muros subibant , validis asseribus <harpagonas> inligavéraw,
ut cum tormento asseres promovissent, subito laxatis funibus inice-
rent. Dieselbe unyavy, gebaut und geleitet von Archimedes, soll
den belagerten Syrakusanern die besten Dienste geleistet haben.
Vgl. Plut. Marcell. 15: zais de vavoiv Amo TF TEYWY dgrü
Unegaipovuevas KEQUTUL, TAG per uno BelFovs ornetlorroc
Gru ey dIovoas xatéduov elc Budo, tag dì yeouì ordngais
7 Oro mad» elxacuévoss YEQuYWY, GVACTHM CUS sowoadey 00das
ini novuvav 2Banıdov, 7 dv drutorwv Evdov neosorgepoperas . .
TOig . . OxonfAoig npoçionooov . . . noAAaxig dé wer&mgog !Eap-
Feica vadç ano rg Fadldcons ... Fkapa qoixdidsc nv xxi. Zur
Ergänzung Livius XXIV 34 = | Exe, Polyb. VIII 8: apa dé
xai xu es zeiou oıdzoäv iE aid Ge Uc dedeutvny, ii deaka-
pevog 0 LL xeqalav olax(bwv .. S$ XouQoac xargye sz)»
ntTéovar TI ungavijc ivróc tov telyoug xt, Athen. V p. 208 D:
xtQaias... & wr agnayéc te xai wilvdos .. Nplevıo xxi, À).
Dem Seekrieg angepaßt erscheint die Maschinerie bei Appian bell.
civ. V 118 énevoes dì xai 10v xulovusvov áo maya 0 Ayolıaag,
EvAov nerrannyu osdnow nesfisBAnu£vov, xglxous Ègov noi xegalus
frattoas* tv dì xolxwv eTyero 100 uiv 0 donati, c:d70t0v
xaunvio», tou dé xau dsa no, pygavaig dat
onupueva TOV Gonaya, ot ıng nolsulag veus ta xatanédtov
Außoro: ein Gerüth, welches dem üblichen, oben und unten mit
Ringen versehenen Anker sehr ähnlich ist (vgl. Aßmann a. O.)
Ein solcher &onuE, der mit Ketten oder Tauen herabgelassen und
in die Höhe gewunden wurde, war offenbar auch die dy xvg(g, wie
schon ihr Name zu bestätigen scheint. Eine parodische Anspie-
lung auf ihre Anwendung im Theater glaube ich in einem
Apophthegma bei Cassius Dio epit. LX 35 zu erkennen: fy
7) Für verwirrt (Rohde de Poll. font. p. 62) kann ich den Ar-
tikel nicht halten.
8) Vgl. A. Müller bei Baumeister Denkm. I 535.
— + ci 6:
Zu den Bühnenalterthümern. 701
(Aovixiog *lovwos TudMwv) rèv Khaidiov adyxtérom tg row
od guvdy aveveyIivar.
Sehr wahrscheinlich ist es mir danach, daß diese yégaves
mit der xgddq sachlich identisch ist. In dem guten Lexikon-Ar-
tikel heißt es ausdrücklich, daß von der Geranos aus ein Schau-
spieler deklamiert, genau wie der Sedg ix unyarjs. Bei Pollux
ist wieder aus einem einzelnen Falle, der wohl selten genug vor-
kam, eine technische Bedeutung abgeleitet, höchst wahrscheinlich
unter dem Einfluß des glücklicher Weise von dem Lexikogra®
phen bewahrten, der mechanischen Kunstsprache angehörigen
Ausdruckes gre. Ist es doch an und für sich wenig wahr-
scheinlich, daß zum Emporziehen eines Schauspielers eine andre
Maschine verwandt sein sollte, wie zum Herablassen ®), Kurz:
alle drei Ausdrücke beziehen sich allem Anscheine nach auf
dieselbe, der Komödie und Tragödie gemeinsame
Vorrichtung. Myzavy ist die allgemeinste Bezeichnung der
ganzen Maschinerie sammt Drehwerk; yéparog scheint der ter-
minus technicus, xgadn ein komischer ‘Spitzname’ für den Krahn
zu sein.
2. KáSogvoc inf dre, GoBUAm sonata
H. Diercks de trag. histr. hab. scaen, p. 12, 16% hat die Be-
hauptung aufgestellt, daß die Zußara« der Griechen wegen ihrer
hohen Schifte (S. 48*) von den Römern xé9ogvor umgenannt
sein; wo der Terminus technieus xóJogrog erscheint, glaubt er
auf römischen Einfuß schließen zu dürfen (S. 16%. A,
Müller (Bühnenalterthümer S. 239) und Arnold (in Baumeisters
Denkm. S. 1853) sind ihm gefolgt; und lediglich deswegen sei
hier kurz darauf hingewiesen, auf wie schwachen Füßen jene
Annahme steht. Die Römer gebrauchen cothurnus allerdings als
Terminus technieus für die tragische FuBbekleidung; ebenso
aber sagt Pollux (d. h. Juba, s. Rohde de Polluc. font, p. 63)
IV 115 xui rà énodjuuru xoFogroe pèv ta rguyıra xai ÉUU Es,
Zußdiu dè tà wurd. Diercks meint, der xoJoQvog sei erst von
Juba in diesen Zusammenhang gerückt, und Juba folge hier römi-
schem Sprachgebrauch. Nun wird aber auch im log Aloyukou des
Mediceus derselbe Ausdruck angewandt. Auch hier denkt Diercks
(S. 12) an Juba, indem er darauf hinweist, daß an den flog
ein Excerpt éx 176 Feurgixäg iGrogíag sich anschließt; denn daß
damit Juba's Werk gemeint sei, setzt er ohne Weiteres voraus.
Die Thatsachen sind folgende. Wir finden cothurnus in
9) Aebnlich sagt Pollux IV 19, 123, nachdem er über das ixxı-
zig gesprochen hat: &p' ob dè alsdyerun và. bexvxhyua elendakyua 6
piera. Bei alten Schriftstellern kömmt nur elseoxdeîv yor; das eee
zöxAnua scheint eine Erfindung der Grammatiker zu sein, Daß nur
éine Maschinerie für beide Fülle anzunehmen sei, hat sehr richtig
schon O. Müller vermuthet kl Schrr, I 527,
702 O. Crusius,
technisehem Sinne bei rómischen Dichtern seit dem augusteischen
Zejtalter und bei den Griechen der Kaiserzeit, wührend bei den
letzteren der Ausdruck éuf«rg; (dufag)'?) allerdings überwiegt.
Folgt daraus, daß die Griechen den gut griechischen Ausdruck
in dieser Verwendung von den Rómern empfangen haben?
Schwerlich ; sondern, wie Uebereinstimmungen zwischen den Epi-
grammatikern der Kaiserzeit und den rómischen Elegikern auf
eine gemeinsame hellenistische Quelle zurückweisen, so dürfen
wir auch hier die Hellenisten des zweiten und dritten Jahrhun-
derts v. Chr. als die Vermittler ansehn. Daß. wir den Ausdruck
in den spärlichen Ueberresten dieser Litteratur nicht nachweisen
kónnen, ist nicht verwunderlicher, als wenn er nachzuweisen würe.
. In klassischer Zeit können wir nur bei den Komikern An-
haltspunkte zu finden hoffen. Und in der That: kein geringerer
als Aristophanes scheint Zeugniß abzulegen. für das Alter des
Ausdrucks an einer längst richtig. erklärten, von Diercks überse-
henen und von A. Müller nur zweifelnd (S. 255) angezogenen
Stelle. Avv. 994 fragt Peithetairos den Meton: 3/5 7 (rosa, ık
6 xóJogrog rz; 000v; — Kock -bezog den Ausdruck auf die ira-
gische Fuffbekleidung und übersetzt mit Hemsterhuis ad quod iter
te tam magnifice accinxisti? Wer ohne Voreingenommenheit an
die Stelle herantritt, wird dieser Auffassung einen erheblichen
Grad von Wahrscheinlichkeit nicht absprechen ; ein Mann, der
yewperozoar Povisrus tov aüéou!') kann die tragischen Stelzen
gut gebrauchen. | EE
Aber ich gehe noch einen Schritt weiter. In der Eingangs
Scene der Frösche ruft Herakles, wie er den Dionysos mit Lé-
wenfell und Keule anrücken sieht:
45 Gad ovy ológ 1° sip’ änocoPijour 10v y£Awv
Ogwy Asorınv Eni x00xwWIW xeıufvnv. Ä
tls 0 vovg; 16 xoFogvog xai fonuhor Evyn SExy;
Kock erklärt mit den jüngern Scholiasten den xgoxwıog für
. einen saffranfarbigen Weiberrock, ebenso die xoJogvos für Frauen
schuhe; denn an diese, nicht am den Kothurn der Jäger oder de .
Trugöden sei hier zu denken. Richtiger heißt es in den alten,
dem Rav. und Ven. gemeinsamen Scholien: Jsıovvosaxör go-
Qeuma 0 xooxwroç; mir wenigstens ‘scheint es durch keinen Wink
des Dichters angezeigt, daß der Gott nicht in seinem üblichen
Prachtgewande, sondern geradezu als Weib vermummt auf die
10) Ueber das Schwanken der Grammatiker — gewiß eine loyt-
uayiæ, wie bei der unyavn-xgddn — vgl. Schneider att. Theaterw.
S. 163 und Rohde a. O. S. 63. Wichtig zur Beurtheilung der Zeug
nisse, welche die &ußddss für die Komödie in Anspruch nehmen, ist
der Spitzname des Anytos'Eufadág bei Theopomp fr. 57 p. 748 (Schol.
Plat. p. 330 Bkk.); vgl. auch die von Diercks p. 50 angeführten
Aristophanesstellen. 07
11) Man beachte den feierlichen Gang dieses tragischen Trimeters
Zu den Bühnenalterthtimern. 108
Bühne gekommen sei !?). Die klassischen Zeugen sind hier die
Bildwerke. Dionysos und seine Thiasoten tragen auf ihnen
nicht nur hüufig ein Schleppgewand (auch mit langen Aermeln,
wie die Tragóden), sondern auch hochschaftiges, dem Jagdko-
thurn entschieden ähnliches Schuhwerk (Thrämer in Roscher's
Lexikon Sp. 1132 f.) Daß solche xoFogvos für die hierati-
schen Dionysos- Typen geradezu charakteristisch waren, lernen
wir aus Pausanias VIII 31, 4: zov negefolou dé lony éviòs
peàlov Mos vaòs, [loivxAsítov pi» tov "Agyelou 0 ayalpa, 4s0—'
vuow dè è upeots* x0 dogvol Te rag ta vunodjnura
Boras avi, xai £e th guol Exnupa, 1h dà étégu Fugooy xii.
Nun ist es eine höchst wahrscheinliche Annahme , daB die
prächtigen Schleppgewänder der Tragödie von der alten Feier-
tagsgewandung der attischen Dionysos - Verehrer und ihres Got-
tes abstammen (vgl. A. Müller a. O. S. 227 f., Wieseler d. Sa-
tyrspiel 116 ff. = Gott. Stud. 8. .678 f); die Tragödie wird |
bedingt durch den Kult, und der Kult pflegt gerade das Aeu- |
Berliche der alten Sitte treu zu bewahren. Die Nutzanwendung
für unsern Fall liegt auf der Hand. Auch die Fubbekleidung
der tragischen Schauspieler darf in der Hauptsache als ein U e-
berlebsel aus jener ältern Zeit angesehen werden; mit
andern Worten: der sicher bezeugte x09ogvos des Dionysos war
ursprünglich mit dem der tragischen Schauspieler identisch.
Daß man ihn später, im Dienste neuer Zwecke, gerade, so er-
heblich umgestaltet hat, wie das Schauspielerkleid und die gleich-
falls dionysischem Festbrauche entlehnten Masken , zeigen uns
die Bildwerke. Die Erhöhung des (ursprünglich danach mäßig
starken) Kothurns wird im £f0g (8 13 p. 6 Sch.) dem Aeschy-
lus zugeschrieben ‚(vgl. Philostr. I 91, Horat. AP. 280 bei
Schöll in Ritschl’s Septem p. 32 f). Doch ist darauf, bei dem
Schweigen der ültern Quellen, insbesondre des. Aristoteles, kein
Gewicht zu legen. Daß die. Alten über diese Fragen keine an-
dern Zeugnisse hatten, als wir — d. h. die Werke der Poeten
—, zeigt besonders Suidas - Hesych. (Kallimachos ?) s. v. Al-
Gi vÀog. (p. 6 FL, bei Schöll a. O. p. 7): ovrog mewrocg svge . .
TG ic doBélaig Toig xulovuéroic Zußaraıg xexonodaus: hier wird
offenbar auf eine Stelle, wie Aeschyl. Agam. 944 ünaf tig Qu
Aug ivo 1ayoç, ngódovioy Zußuoıw nodog, Bezug genommen !?)
Wichtig ist es, daß dieser Ausdruck gleichmäßig von der Fuf-
bekleidung der Agonisten, wie von der des Chores gebraucht wird,
vgl. Eurip. Orest. 140:
ciya oiyo, Aeriov tyvog agBudns
Hers, un xivntite.
Man darf daraus doch. wohl schließen , daß Schauspieler und
Choreuten der Regel nach !*) dasselbe herkömmliche Schuhwerk
12) Aehnlich freilich A. Müller 8.282. 18) Vgl. Diercks p. 12*.
14) Ueber etwaige Ausnahmen s. Wieseler Satyrsp. S. 189 = 751,
704 O. Crusius,
trugen, unterschieden etwa, den besondern Zwecken entsprechend,
durch größere oder geringere Stärke der Sohle. Stelzenartig
wird man sich den Kothurn für die klassische Zeit nicht den-
ken dürfen; wenigstens wäre unter einer solohen Voraussetzung
die angeführte Schlußscene des Agamemnon, wo der Held sich
die Schuhe lösen läßt, kaum aufführbar !°).
Zum Schlusse noch ein Wort über das Verhältniß der cre-
pidae zum Kothurn. Ribbeck (Rom. Trag. 662) hatte mit gutem
Bedacht keinen wesentlichen Unterschied zwischen beiden aner-
kannt. Diercks p. 18 dekretiert: crepidae fuerunt calceamenta
cum altioribus soleis . . ., sed fuerunt . . calcei cotidianae vitae,
sed nunquam cothurni. | Accedit quod Ister narrat, chorum crepi-
das gestasse. Hic autem propter saltationes tragicis cothurnis utî non
potuit. Man traut seinen Augen kaum, wenn man diese Beweis-
führung liest und damit das angerufene Zeugniß des Istros v.
. Soph. p. 128 W. zusammenhült. Da steht schwarz auf weiß:
noi dè xoi 'lorgog, Tas Àevxüg xonnidag uvròv Epevenxévas, as
vrodéovrat of te vnoxgsral xai ol yogsvrul. Die wichtigsten,
mit seinen Anschauungen freilich unvereinbaren Worte hat
Diercks einfach nicht berücksichtigt. Was das Zeugniß
kann keinen Augenblick zweifelhaft sein. Ein hellenistischer
Gelehrter, vielleicht Kallimachos, schrieb dem Aeschylus die
‘Erfindung’ der aoßvAuı zu, weil er den Ausdruck zuerst bei
ihm vorfand ; nicht mehr hat es zu bedeuten, wenn der Kalli-
macheer Istros den Sophokles die xgyatduc erfinden läßt. Sach-
liche Verschiedenheit könnte daraus nur unter der Bedingung
abgeleitet werden, daß die beiden Ausdrücke ihrer Bedeutung
nach sich nicht vereinigen ließen. Das Gegentheil ist der Fall.
Im fünften Bekkerschen Lexikon (dem wir auch die oben S. 699
behandelte werthvolle Nachricht verdanken) heißt es p. 278, 19:
xonnidoveydcs: 6 Tas xonnidag èoyabopevos oxvrotopos. orale
dé sidog vnodnunrog avdgıxov, UynAa Erovrog ta xarıv-
pata!) und bei Pollux VII 85 werden die xogwidsg als gé-
onua orguuwrıxov bezeichnet — das paßt Alles recht gut auch
auf den Kothurn, und ich bin geneigt, anzunehmen, daß man
für das (wohl mit der Sache aus dem Osten eingewanderte)
Fremdwort x0%ogrog später mit Bezug auf die starke Sohlenun-
terlage xonnls gesagt habe. Pollux fügt a. O. hinzu: ua d
avtàs ıwv motdv xoi agnldug wrouucav; vgl Etym. Magn. p.
148, 39: denides ta vnodiuata, a di xol xognidag xadovow.
15) Die besten Bildwerke bei Wieseler Denkm. Taf. IX zei
eine durchaus gemäßigte Form des Kothurns; nur in der römischen
. Mosaik und dem räthselhaften Gemälde Tf. VIII 12 finden wir.un-
förmliche Stelzen ; der Gedanke an Mißverständniß oder absichtliche
Uebertreibung liegt hier nahe genug.
16) Wie verträgt sich hiermit A..Müller's Versicherung S. 241: Al
Fußbekleidung (des Chores) werden die niedrigen xgynides genannt?
4 Zu den Bühnenalterthümern. | : 905
Die Glosse findet sich in der That bei Kallimachos fr. 66 p.
209 Schn. (= Tzetzes ad Lycophr. 494): (Alysug Eígog) xoAou-
quin und néron | Fixe ovv agníóscos Das rüthselhafte Wort,
welches die Alten falsch von darzw ableiteten , ist neuerdings
von Curtius behandelt Grunde. S. 728 und als stammverwandt
mit agfvdn zusammengestellt. Auch wir müssen auf Grund der
obigen Ausführungen «gzíg (xogníg) d&eBvdn gleichsetzen !*).
Das Wichtigste aber, was wir aus dem Istroszeugnisse
lernen, ist die Thatsache, daß auch der Ausdruck xennides
gleichermaßen vom Chor wie von den Agonisten ge-
braucht wurde. Dasselbe ist mit dem andern tragischen Aus-
. drucke &4ofvàg der Fall An eine wesentliche Verschie-
denheit der txodyuara bei. den Choreuten und den Schauspielern
. wird man also nicht länger‘ denken dürfen !),
Nachträglich noch Eins. Diercks und andre unterscheiden
die Theaterkothurne scharf von den cothurni vitae cotidiamae.
Schwerlich mit Recht,. wenn wir oben S. 708 die Fußbeklei-
dung der Tragödie,. wie das ovgua u.s.w., überzeugend aus.
dem attischen Feiertags-Kostüme gedeutet haben. Mit ihm sind
auch diese künstlichen Fußbekleidungen aus alt-ionischer, wei-
terhin orientalischer Volkssitte abzuleiten !?). Vgl. Herod. I 155:
aneıne (Kyros) ufv oq» néuyac Sala aonia un Exınodas, xéleue
dé oyeag (den Lydern) »xJ9uv«g te vaodiva Trois eluaci xai-
xoJogvovg bnodksodaı, moosıne de aüroïor xsPagllew te xol
wáÀAav xoi xannisvery Tovg maidag; VI 125 deg xmPwva..
péyav . . . xoFdgvoue Todg eigsoxe evovrárovg govtag vmo- |
Önoausvogs (Alkmaeon bei Kroesus, es handelt sich also um ly-
dische Dinge) nie èç tov Fnouvedy u.s. w.*°). Noch heute fin-
det man im Orient *!) als auffälligen Bestandtheil gewählterer
Tracht vielfach ein Schuhwerk, welches durch seine hohen Holz-
Sohlen, oft auch durch zwei starke ‘Absätze’ (unter dem Ballen
und am Hacken), auf's lebhafteste an die bekannten antiken
Darstellungen des Kothurn’s erinnert.
17) Vielleicht liegen hier tastende Versuche vor, ein fremdes-
Wort wieder zu geben, wie in den oben S. 560 f. behandelten Füllen.
. 18) Kawerau Denkm. 1734 faßt Bedeutung und Entstehung des
tragischen Kothurns anders auf im Zusammenhange mit seinen kaum
haltbaren Vorstellungen über die älteste Geschichte der Bühne.
19) So schon Hermann - Blümner Privatalterthümer 183. . Ueber
die Anekdote von der ‘Kleider- Reform’ s. Duncker IV 344. |
20) Die Stelle gehört in den hübschen Märchen-Schwank vom
Reichthum der Alkmaeoniden, worüber bei andrer Gelegenheit mehr.
. 21) In Kleinasien, wie bei den ostasiatischen Völkerschaften.
Leicht zugänglich sind die interessanten Typen in dem eben veröf-
fentlichten ‘japanischen Formenschatz’ von 8. Bing. -
Tübingen. — . ^... O0, Crusius.
Philologus XLVIII (N. F. II). 4. | 45
XXXVII.
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den rümischen
Dichtern H*).
3) Niveus, lacteus, eburneus, marmoreus, argenteus.
Von den am häufigsten zu Vergleichen benutzten, durch
blendende Weiße sich auszeichnenden Dingen werden Adjectiva
gebildet, welche, ursprünglieh den Stoff selbst bedeutend, in er-
weitertem Sinne und namentlich von den Dichtern mit Vorliebe
als Farbenbezeichnung für weiß verwandt werden: es sind dies
die oben genannten, Schnee, Milch, Elfenbein, Marmor und Sil-
ber. Die Bedeutung dieser Epitheta liegt fast überall so klar
am Tage, daB wir darüber nicht zu sprechen und nur die Dinge
anzuführen haben, zu denen sie von den Dichtern gesetzt werden.
Niveus (die Form nivalis ist in. dieser Bedeutung sehr
selten, vgl. Verg. A. III 538. Stat. Theb. VI 524), ,schneeig,
schneeweiB“, ist unter allen diesen Epitheta weitaus am häu-
figsten und in den mannichfaltigsten Füllen zur Anwendung ge-
kommen. Ganz besonders beliebt ist es (darin dem candidus
entsprechend, dem alle diese Bezeichnungen näher stehen, als
dem albus) für den Körper resp. Teint von Frauen und
Müdchen, von Knaben und Jünglingen, wie ja auch
bei uns gerade hierfür schneeweiß ein gern gebrauchtes Attribut
ist (vgl. Schneewittchen). Es wird daher sowohl direkt zu
puella oder zum Namen der betreffenden Person gesetzt (niveas
Ov. a. a. III 189 und 309; nympha, Fast. I 427; puellae, P.
L. M. 53, 242; mit Eigennamen V erg. A. XI 39; Catal. 11,
1. Prop. III 5, 37 (I1183, 53). Mart. XI 22, 1. Dracont.
9, 75; 10, 426; vergl. ferner: nivea proles, Sen. Agam. 216;
*) Vgl. oben S. 142—167.
Ueber die Farbenbezeichtiunpéu béi den'rünfschen Dichtern, #07
nivei codus, Claud, in Olybr et Prob. 248; niveae turmae,
id. rapt. Pros. II 64), als verbunden mit corpus (Ov. am. IIT
2, 42; met. X 432. Ps. Tib. III 4, 30), artus (Cat. 64,
364. Val FL I 219. Sil It. XH 243. Stat. Silv. I 2,
20; ib II 8, 32. Ps Verg. Cir. 399. Dracont. 7, 22),
membra (A. 1. 210, 5); ferner mit color (Hor. C. H 4, 8. Ov.
Fast. 11763. Nemes. ecl. 4, 44, A. L. 518, 1. Maximian,
5, 26) und candor (Ov. met. III 423) oder decus (A. L. 511,
1) — Sehen wir die einzelnen Theile des Körpers durch, zu
denen es gesetzt wird, so finden wir auch hier wieder besonders
das Gesicht genannt, 08, ora (Ov. am. III 3, 6; her. 19 (20),
120. Senec. Phaed. 384, hier aber erst nach der Emendation
von Markland nivea ora für nitida. Stat. Ach. I 161: Dra-
cont. 2, 67.. Maximian, I 133), vultus (Stat, Silv. I 2, 23
und 244. Claud. rapt. Pros. I 271); ferner die Stirn (Ov.
met. X 138. Sil It. VII 446. Stat. Silv. III 4, 86; Theb.
IX 787) auch die Wangen, obgleich diese nicht dureh klas-
sische Beispiele zu belegen (Claud. epith. Pall. 41, Coripp.
lust. If 75), und Ohren (Mart. IX 59, 18); weiterhin Hals
(Verg. Cir. 170, Schultern (P.L. M.42, I 84, Brust
(Tib*I 4, 12. Manil. Astr. I 751. Sen, Here. fur. 549.
Stat. Theb. IX 883. Mart. XIV 149, 2. Claud. carm.
min. 14 (69), 3. Dracont. 8, 204, Arme (Verg. A. VIII
387. Ov. am. II 16, 29. Petron, sat, 124 v. 249. Bil.
Ital XIV 496, A. L.396, 28. Olaud. in Olybr. et Prob.
87; in Eutrop. Il 187. P. L. M. 42, I 76), Hände (Cat.
63, 8. Prop. IV 5 (IL 6), 12, Finger (Mart. VI 3, 5.
Maximian. 4, 11), Nacken (Ov. am. IF 4, 41. Manil,
Astr. V 555. Claud. laus Seren. 120), Seiten (Hor, C.
III 27, 25. Prop. IV 18 (III 14), 11. A. L. 39, 8) und
Füße, pes (Cat. 61, 9. Tib 15, 66. Ps. Verg. Lydia 10.
Manil Astr V 519) oder planta (Stat. Ach, 1100, Claud.
nupt. Hon. et. Mar. 152). Von der malerischen Hervorhebung
des Gegensatzes der weißen Haut zu der Rithe des Blutes ist
schon oben die Rede gewesen, vgl. auch Stat. Theb. IX 888:
ibat purpureus niveo de pectore sanguis, und Cat. 63, 8; auch
andere Farbenkontraste, in denen etwas recht gegen den schneei-
gen Teint Abstechendes gewählt ist, dienen zur Hebung des
Epithetons, so schmutziger Staub, O v. am. III 2, 42: sordide de
niveo corpore pulvis abi, oder schwarze Tracht, Ov. a. a. HT
189: pulla decent niveas ; schwarze Haare auf weißem Nacken,
id. am. IT 4, 41: seu pendent nivea pulli cervice capilli; gelbe
Schuhe am Fuß, Cat. 61, 9: niveo gerens luteum. pede soccum.
Für weißes Haar kommt niveus seltner vor, als wir in
diesem Falle schneeweiß gebrauchen. Aus klassischer Poesie
wäre (neben Hor, C. IV 13, 12 capitis nives) Cat. 64, 309
dafür anzuführen, wenn hier anstatt des hdschr. ; at roseo niveae
45*
è
708 * Hugo Blümner, .
residebant vertice vittae mit Guarinus ‘roseae niveo zu lesen wäre,
was wohl am meisten für sich hat und von Baehrens und Riese
aufgenommen worden ist. Außerdem ist zu vgl Ser. Samm.
50: niveum depellere vultum, von weißen Haaren im Gesicht,
wo crinem bereits Conjectur der Abschreiber ist; nivei cani hat
der späte Maximian. 2, 25. — Auch zu den Zähnen
wird es gesetzt, O v. her. 17 (18), 18. Mart. V 48, 1, wo
nigri dentes den Gegensatz bilden; Ser. Sanfm. 1080; von
Thierzähnen Calpurn. ecl. 6, 45 (vom Eber) und Nemes.
Cyneg. 164 (vom Hunde) 2%).
Unter den Thieren sind in erster Reihe wieder die
Pferde zu nennen, zumal die beim Triumph dienenden, Cat.
55, 26. Verg. A. III 588. Tib. 17,8. Ov. a. a. I 214;
ex "Pont. II 8, 50; Fast. VI 724. Stat. "Theb. VI 830-u. 524;
ib. XII 532. Nemes. frg. 4, 20. Claud. bell. Poll. 137.
À p. Sid. carm. 9, 153; auch die dem Sonnengott und der
Luna beigelegten Rosse denkt man sich am liebsten von dieser
Farbe (O v. &m. II 1, 24; rem. am. 258; Fast. IV 874), Für
den Schaum, der angestrengten Pferden vor das Maul tritt,
gebraucht niveus Stat. Theb. IV 245 und VIII 819. Dam
folgen die Opferthiere (Sen. Agam. 606. Val #11
90), besonders die Rinder (Prop. III 12 (II 19), 26. Ov.
am. III 18, 18; met. X 272; ex Pont. IV 4, 81. Sen.
Phaedr. 508, Sil Ital. III 218; XIV 568); doch gehört hier
die reine weiße Farbe so sehr zur "Schönheit, daß sie auch ohne
jene Tendenz häufig hervorgehoben wird (V erg. ecl. 6, 46 u
58; Geo. I 15. Ov. am. II 12, 25; ib. III 5, 28; met. I
652; II 852 u. 865; V 330; Fast. IV 826. Ps Tib. ‘HI 4,
67. "Sen. Med. 61. Stat. Silv. I 4, 129; Ach. I 315. Ne-
mes. ecl. 4, 34. A. L. 4, 3. Auson. VIII 90). Dagegen
hat das Kalb, welches H o r. C. IV 2, 59 zum Opfer bestimmt,
nur einen weißen Fleck auf sonst dunklem Fell: qua motam
duxit niveus videri, cetera fulvus. — Ferner die Schafe (Tib.
II 5, 38. Calpurn ec. 5, 87. Iuv.12, 8. Prisc.
carm. 2, 481, daher das Zeichen des Widders’ bei Manil.
Astr. III 445 : nivei vellera signi), wozu noch unten die Stellen
über die Wolle zu vergleichen sind. — Vereinzelt ist dagegen
der schneeweiße Hund, O v. met. III 218: niveis Leucon villis;
und die nivei lepores bei Calp. ecl 7, 58 sind mir naturhisto-
risch nicht bekannt.
Unter den Vögeln gelten die meisten Stellen dem be-
liebten Dichtervogel, dem Sch wan (Verg. Geo. II 192; A,
VII 699. Ps. Tib. III 6, 8. Prop. IV 2 (III 8), 89. Ov.
met. VII 379. Manil. Astr. I 339. Grat. Cyneg. 77. Sen.
Agam. 714. Val Fl VI102. Sil. It. VII 441. Stat. Theb.
17) A. L. 114, 21: nivei latices vom männlichen Samen.
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern, 709
VIII 676. Dracont. 8, 453), der daher sogar als Sternbild
noch niveus heißt (German, Arat, 615. Stat. Theb. IIT 534),
und sicher sind “die niveae alae, welche der Dichter dem Amor
und der Victoria verleiht (Sil It, XI 413 und XV 99) im
Gedanken an den majestätischen Flügel des Schwanes erfunden,
Schneeweiße Tauben nennen Cat. 68, 125. Ov, met. II
536 f£; XIII 674; XV 715. Sil It.IIL682. A.L. 550, 12.
Draeont. 10, 156). Die Federn der Jagdnetze (Nemes.
Cyn. 310) mögen eben so wie die der Helmbüsche (Bil.
It. IL 399; IV 13. Stat. Theb. IV 130) von Sehwiünen
oder Tauben herrühren, so weit nicht bei letzteren an Büsche
aus weißen Pferdehaaren zu denken ist. :
Für Blumen kommt miveus selten als Attribut vor. Für
Lilien habe ich es auffallender Weise nirgends gefunden, sonst
von Liguster Ov. met. XIII 789; von Hyacinthen Co-
lum, X 100; von zarten Lauchstengeln (porri stipites) Mart.
XII 19, 2. Die nivea poma des Maulbeerstrauchs bei O v. met.
IV 89 gehóren dem Verwandlungsmythus an.
Bei den Mineralien ist zuerst der Marmor anzuführen,
Ov. met. XIV 313, an den man auch bei den nivea metalla
des Bil. It. VIII 482 oder den niveae rupes des Stat. Silv. I
5, 8 zu denken hat, wie denn auch Paros deshalb nivea heißt,
Verg. A. III 126. "Ferner aus Marmor gefertigte Dinge, wie
Bauwerke oder Theile von solchen (templum, O v. Fast, I 637;
limen Phoebi, V erg. A. VIII 720; columnae, Sil It. VI 664;
Claud. in Rufin. I 162. AL. 531, 2), Bildsüulen (Mart.
VII 50, 3. Stat. Theb. IX 636), Stimm- und Spiel
steine (Ov. met. XV 41. P. L, M. 15,194). Wenn bei Stat.
Silv. II 3, 17 es heißt: niveae posuit se margine ripae, so hat
man vermuthlich an marmorne Ufereinfassung zu denken, “wie
ebd. I 5, 51 bei dem. niveus margo amnis. — Bezeichnend wird
miveus auch zu Perlen gesetzt (Mart. XH 49, 12, Ser,
Samm. 944. Ap. Sid. carm. 22, 54); an solche hat mau
auch zu denken, wo nivei lapilli genannt sind, wie Hor. S. I
2, 80; Boet: III 4, 2 (niveae gemmae, ib. III 8, 11) und Sen,
Phaedr. 399, hier ausdrücklich domum maris genannt; Vgl..Ov.
a.a. IV 129: vos quoque non carís aures onerate lapillie, quos legit
in viridi decolor Indus aqua. — Zum Salz setzt niveus hinzu
Claud. carm. 26 (49), 58 und Ser. Samm. 1105,
Unter den Naturprodukten begegnen wir wesent-
lich den schon bei albus und candidus besprochenen: vor allem
der Wolle, vellus, lana, stamen , pensa (V erg. Geo. IIT 391.
Tib. I 6, 80; II 4, 28. Senece. Med. 99. Sen, lud. Claud.
4v. 5. Val FLI 481. Sil It XV 709. Claud. in
Eutr. 1276. Ap. Sid. carm. 14, 2) und der Milch (Verg.
ecl 2, 20, wo allerdings Voß nivei mit dem vorher;
pecoris verbindet, aber minder gut; Ps. Tib. III 2, 20; ib.
110 Hugo Blümner,
5, 34. Ov. met. XIII 829; Fast. IV 151 u. 780. Senec
Oedip. 507 u. 578. Seren. Samm. 338 u. 1034) nebst
Käse (Calpurn. ecl. 2, 70. Nemesian. ecl. 3, 69); auch
Mehl, vornehmlich das feine Weizenmehl (similago, Ser. Sa mm.
268) und der daraus bereitete Brei, puls (Mart. V 78, 9 u.
XIII 35, 2) oder das Brot (Mart. XIII 47, 1. Iuv. 5, 70)
Ferner Eier (Ps. Verg. Cir. 490. Ser. Samm. 477); ver-
einzlt Wachs (Dracont. 10, 485), häufig dagegen wie-
derum Elfenbein (Ov. met. X 247. Lucan, X 144. Sil.
It. IX 581 u. XVI 206. Mart. VIII 51, 6 u. XIV 5,2.
Stat. Theb. IX 689. Ser. Sam m. 547. A. L. 376, 2; auch
die niveae sedes bei Cat. 64, 303 sind, nach v. 45 ebd., elfen-
beinerne). . ;
Weniger mit dem modernen Sprachgebrauch stimmt es,
wenn Wasser schneeweiß genannt wird; es liegen hierfür
aber eine Anzahl bestimmter Fälle vor. Zwar bei N ae v. trag.
frg. v. 7 (Ribb.) haben die Handschriften : animi iubeo fonte la-
vere me memini manus, und hier ist amnis niveo Conjectur Rib-
becks (Bücheler: eam niveo) Dagegen heißt es bei Sen.
Phaedr. 511 sq.: fessus gravi labore niveo corpus Elisso fovet
(Rutgers conj. dafür vivo), und dies findet seine Stütze im Oe-
dip. 433: qui bibit Gangen niveumque quisquis frangit Arazen.
Bei Sil. It. IV 534 heißt es: monte procelloso Murranum mi-
serat Anzur, Tritonis niveo te sacra, Phalante, profundo; und
Mart. VIL 32, 11 nennt das Wasser der aqua Virgo: miveae
undae. Es ist dies so ziemlich der einzige Fall, wo die Bedeu-
tung von niveus erweitert und in die von candidus, d. h. kry-
stallklar, durchsichtig-schimmernd übergegangen ist. Dagegen
bei Cic. frg. progn., de divin. I 7, 13: saraque cana salis
niveo spumata liquore ist die Bedeutung der weißen Farbe, da
es sich um den weißen Gischt der Brandung handelt, festge-
halten. — Nicht häufig ist es als Epitheton des Mondes
(Ov. met. XIV 367. P. L. M. 59, 17) und vom Tageslicht
(Ps. Tib. III 3, 25. A. L. 122, 2), in letzterem Falle schon
etwas in übertragener Bedeutung, d. h. im Sinne von glück-
spendend, selig.
Was endlich die gewerblichen Produkte anlangt,
so nimmt da wiederum die meisten Stellen die Kleidung
in Anspruch, zumal die Festtracht (Ov. met. X 482; Fast,
III 363. Ps. Tib. IV 2, 12. Phaedr. V 7, 36 sq. Sil.
It. III 695; XV 31. Stat. Theb. VI 830. Mart. IV 84, 2;
IX 49, 8); daher in dichterischer Sprache auch weißgekleidete
Personen direkt nivei genannt werden (Calpurn, ecl 7, 29:
tribuni. Iu ven. 10, 45: Quirites. Claud. IV cons. Hon. 568:
cohortes). Da Weiß, wie bei uns, als Farbe der Unschuld und
Reinheit gilt, so wird es auch Tracht der Pietas (Stat. Sjlv.
IIT 3, 3) und daher auch in übertragenem Sinne mit derselben
Ueber die Farbenbezeichnungen hei den römischen Dichtern. 711
verbunden (id. Theb. XI 472), und ähnlich mit der simplicitas
(Mart. VIII 73, 2). Ebenso finden wir niveus bei Binden
(Verg. Geo. III 487; A. IV 459; VI 665. Ov. met. XIII
643. Val FL II 271. Stat. Theb. IT 738; III 467) und
Schleiern (P. L. M. 42, I 67), bei Linnen überhaupt
(Verg. A. I 469. Coripp. Ioh. II 273. Ven. Fort, II 3,
19) und den daraus gefertigten Polstern (luv. 7, 221).
Ferner sind zu nennen die aus weißem Leder gefertigten Sehuhe
(Ov. a. a. HT 271. Phaedr. V 7, 37); vermuthlich hat man
sich auch bei Calpurn. ecl. 6, 39 das capistrum niveum aus wei-
lem Leder zu denken. Die weißen Melkeimer (muletraria) bei
Verg. Geo. IIT 177 entsprechen den oben S. 154 erwähnten
unsicher sind bei Verg. Copa 16 die nivei calathi, da die mei-
sten Hass. hier das bessere vimineis anstatt in niveis bieten. Auch
das Faß, niveus cadus, bei Ov. Tr. I 186 ist mir nicht unver-
dächtig, da ich oben S. 163 dafür favo vermuthet habe, Wenn
endlich Sil. It. IV 545 von nivea arma spricht, so weiß ich
nicht zu sagen, wie die Waffen zu diesem Epitheton kom-
men, falls nieht Silius silberne Rüstungsstücke dabei im Auge
gehabt hat.
"Dacteus, „milchweiß“, wird am häufigsten von der mensch-
lichen Haut gebraucht; so von Mädchen Cat. 55, 17 (lac-
teolae puellae), von Kindern (vernae) Mart. III 58, 22; Zacteus
candor der Haut, Dracont. 2, 66; speciell vom Hals Mart.
131,6. Sil It. IV 154; XVI 520. Stat. Silv. II I, 50.
Ap. Sid. carm. 11, 110; auch als Besonderheit der gallischen
Hace Verg. A. VIII 660; von der Brust, Mart. Cap. II
126. A. L. 396, 4; vom Nacken Verg. A. X 187, Ma-
ximian. 1, 93. Alle sonstigen Anwendungen sind durchaus
vereinzelt: vom Sehwan, Claud. VI cons. Honor. 174;
Mohn, Verg. Catal. 3, 12; der Stengel der lactuca, Colum:
X 188; vom weißen Stimmstein, Mart, VIII 45, 2; von
Gefäßen A, L. 341, 6; vom Mond, Mart, Cap. vi 585.
Sonst kommt es noch als gewöhnliche Bezeichnung der auch bei
uns vom selben Gleichniß benannten Milchstraße vor, die
in Prosa meist via lactea heißt (so auch O v. met. I 169), bei
Dichtern auch circulus lacteus (Cie. Arat. 249) oder orbis (ib.
286. German. Arat, 457 sq. Manil, Astron, I 753), ferner
playa (Stat, Silv, I 2, 51), semita (Auson. II 3, 88) oder
avis (Dracont 5, 325). Anfallend ist die, le lé
bei Auson. XVIII 15, 54, der zum Auswischen der Schrift
dienende Schwamm,
Eburneus (oder eburnus) kommt in der Bedeutung , el-
fenbeinweiß“ nur vom menschlichen Körper vor: allge-
mein A. L. 398, 1, oder von einer Jungfrau Ov, met. X 275;
712 Hugo Blümner, :
sonst von einzelnen 'Theilen, wie Hals (id. met. III 422; IV
835), Nacken (id. her. 19 (20), 57), Rücken (id. met. X 592),
Arme (id. am. III 7, 7, Finger (Prop. II 1, 9). Dasselbe
gilt von marmoreus, das von der Brust gesagt ist (Lucil. frg.
1038 Lachm.), von der Kehle (Sil.It. XII 246), vom Nácken
(V erg. Geo. IV 528), von den Armen (Verg. Cir. 450), H án-
den (O v. met. III 481. Mart. VIII 56, 14), Fingern (Ov.
met. XIII 746. A. L. 274, 5) und Füßen (Verg. Cir. 256.
Ov. am. II 11, 15. Nemes. Ecl 2, 21). Bei beiden Worten
freilich mag der Begriff der Weiße nicht der allein dabei zu
Grunde liegende sein, sondern’ auch der Vergleich mit einem
aus Elfenbein oder Marmor fein gemeißelten Bildwerke mit un-
terlaufen ; doch liegt offenbar nur der Begriff der weißen Farbe
vor, wenn Lucr. II 765 und 775 von marmoreus eandor resp.
color spricht. Bei Ap. Sid. carm. 22, 138 heißt der gelbe
numidische Marmor eburnea saxa; vgl. ebd. 11, 19: eburnus la-
‘pis; allein hier bedeutet eburneus die Farbe des alten, gelbge-
wordenen Elfenbeins, wie.ebd. 5, 37: Nomadum lapis antiquum
mentitur ebur, beweist. Wenn Verg. A. VI 727 das Meer
marmoreus aequor nennt, so brauchen wir nur daran zu erinnern,
daß die Dichter überhaupt die weiß schäumende Meeresfläche
gern marmor nennen. |
Argenteus endlich ist im Sinne von ‘silberweiß’ nicht
gerade häufig. Wir finden es, wie eburneus, wesentlich bei dem.
dergleichen malerische Aitribute liebenden Ovid,: sonst nur hier
und da; und zwar als Epitheton von Schwänen (Mart. Cap.
IX 918), Tauben (Ov. met. II 586) und Günsen (Verg.
A. VIII 855. A. L. 294, 1), bei Lilien (Prop. V (IV), 4,
25. Ov. met. X 213); beim Mond (Ov. her. 17 (18), 21)
und bei einer Quelle (Ov. met. III 407), welche letzteren ja
auch bei uns gern als silbern bezeichnet werden.
IL Schwarz!)
1) Ater.
Wir haben schon oben bemerkt und einige Belegstellen
dafür angeführt, daß ater ebenso den Gegensatz zu aldus bildet,
wie niger zu candidus. Wie albus nur Weiß im allgemeinen
oder ein stumpfes Weiß bedeutet, so ist auch ater schlech
schwarz oder matt-schwarz, und wie albus vielfach überhaupt
nicht eine weiße, sondern überhaupt nur eine helle, schwache
Farbe bezeichnet, so finden wir auch ater für Dinge gebraucht,
die man kaum als schwürzlich, eher allgemein als dunkel be-
18) Ueber niger und ater handelt Jacob, quaest. epicae p. 73.
Marg 1. 1. p. 16.
— —— ———@
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern, 715
Capt, 596); fel, Verg. A. VIII 219, P. I, M. 53, 147,
Mart. Cap. VII 726), so ist bei diesem, auch in Prosa ge-
wühnlichen Gebrauch nicht an den natürlichen, sondern an einen
veränderten Zustand der Galle gedacht, den die Alten als Zei-
chen schwerer Erkrankung auffaßten, die pehayyolta, bei der
sich die Galle in das Blut ergießt ?!). 5
Aus der Thierwelt sind es wesentlich die schwarzen, als
Opfer für die Unterwelt dienenden Rinder ünd Schafe, die
bisweilen in Bezug hierauf mit ater bezeichnet, werden (V erg. A. -
VI 249. Ov. met. VII 244, Sen. Oed, 569. Stat. "Theb.
IV 445; VII 476; ebd. If 541 vom Schwein); doch ist auch
hier, wo es sich ja meist um ausgesprochen tiefschwarze Farbe
handelt, niger weitaus häufiger, und eben so bei Pferden
(Stat. Theb. IV 227, wo nur von einem maculis discolor atris
equus die Rede ist) ™) oder Hunden (Ov. met. III 218; bei
Ter, Phorm. 706 ist der ater canis ein unheimliches Omen).
Bei Sil It. IX 570 heißt der Elephant mit seinem mehr
schwärzlich-grauen Fell: awa mole fera. — Mit den Vögeln
steht es ähnlich; beim Raben, dessen tiefes Schwarz bei uns
sprichwörtlich ist, kommt ater nur einmal vor (Cat. 108, 4:
atro gutture corvus), hingegen häufiger beim Geier (Sen. Thyest.
10. Iuv. 13, 51. Seren, Samm. 204; ib. 622 und 1012;
bei Grat. Cyneg. 79 liest Bührens: volture ab atro anst, des
handschriftlichen volture avaro); wobei freilich in Anschlag zu
bringen ist, daß es sich in einigen Fällen (bei Sen. und Tuy.)
um den Geier handelt, welcher in der Unterwelt dem Tityos die
Leber ausfrißt, und daß daher ater dort in gleichem Sinne ge-
setzt sein kann, wie es überhaupt zur Unterwelt und zu allem,
was mit dieser zusammen hängt, gesetzt wird (s. unten). —
Oefters tritt ater als nähere Bezeichnung zu Schlangen
hinzu. Ich sehe dabei zunächst ab von denjenigen Stellen, in
denen es sich um die Schlangen der Erinyen handelt, weil es
da ebenfalls der Begriff der schrecklichen Unterwelt ist, der das
Epitheton veranlaßt hat; wo es aber sonst als Epitheton der
Schlangen erscheint (Hor. C, III 4, 17; Sat. II 8, 95. Verg.
Geo. I 129 Ov, met. XIV 410. Stat. Theb. I 563. Sil
It. III 191; VI 198; VIL 423. Inv. 5, 91. A p. Sid, carm.
15, 10) dürfen wir es in den meisten Füllen nicht als wirkliche
Bezeichnung einer schwarzen Farbe auffassen, sondern müssen
mehr an den übertragenen Sinn ‘schrecklich, furchtbar’ denken;
denn gerade die geführlichsten, giftigsten Schlangen pflegen ja
keineswegs von schwarzer Farbe zu sein) Die Dichter schil-
21) Es ist daher nicht richtig, wenn Weise (im Philologus XLVI
604) in dieser Bezeichnung einen Widerspruch gegen die sonst charak-
teristische gelblich-grüne Farbe der Galle findet.
Von Pferdehaaren ist wahrscheinlich auch der Helmbusch,
alyae iubae bei Sil. Tt. V 165, zu denken.
28) Heyne ad Virg. Geo, 1 129 versteht sicher mit Unrecht |
111 Hugo Blümner,
epod. 6, 15: si quis atro dente me petiverit mit atro der übertra-
gene Sinn von böse, mißgünstig, verbunden). — Feststehendes
Attribut aber ist ater für das Blut, selbstverständlich nicht
bloß von Menschen, sondern auch von Thieren. Es ist klar,
daß damit nicht das helle, klare Blut, wie es im Körper pul
sirt und unmittelbar bei einer Verletzung heraustritt, gemeint ist,
sondern vielmehr das im geronnenen Zustande dunkel gewordene,
welches auch wir schwarz nennen, wie der Grieche auch von
uélav «lua spricht; daher findet sich nicht bloß sehr oft ate
sanguis (Ennius trag. frag. 414 Vahl. Verg. Geo. III 221;
ib. 507: A. III 28; ib. 33; ib. 622. Ov. met. VII 259; XII
256. Grat Cyn. 353. Val Fl. VI 708; cf. V 176. Sil
It. VIII 646: IX 153; XIII 566. Stat. Theb. VI 211), son-
dern ebenso cruor (Vere. A. TV 687; IX 333; XI 646. Hor.
ep. 17, 31; Sen Oedip. 141; cf. Sil. It. II 186), tabum
( Verg. A. III 626; TX 472), sanies (Sil. It. VI 236), na-
mentlich wenn Mischung des Blutes mit Staub und Schweiß her-
vorgehoben wird (Verg. A. II 272. Stat. Theb. VIII 712);
daher auch das mit Blut gefärbte, wie Flüsse, Wagen u. dgl.
(Sil. It. II 186; ib. 686; VI 107) ®), und Wunden (Verg.
A. IX 700. Lucan. VI 750. Sil. It. VI 68; IX 173. Ser.
Samm. 831). Damit hängt es dann weiter zusammen, wenn
direkt Lunge, Adern, Schlund u.dgl. ater genannt wer-
den, sei es nun, daß dieselben in Folge einer Verwundung blu-
ten (Sil. It. V 256: tum fervidus atro Pulmone exundat pe
hiantia viscera sanguis), sei es daß an Veränderung der Beschaf-
fenheit des Blutes in Folge einer Krankheit gedacht ist (Lucr.
VI 1145: sudabant . . . fauces . . . atrae sanguine. Senec.
Oed. 881: infecit atras lividus fibras cruor); und eben deshalb
werden auch Gesch w ülste (tumores, Sil. It. II 626), die
Haut von Kranken (Lucan. VI 95: tam riget atra cutis)
oder Striemen (vibices, Ser. Sum m. 796) dadurch bezeich-
net; und die bläulich schwarzen Flecken, welche auf der
Haut durch Stoß oder Schlag entstehen, nennen die Dichter di-
rekt schwarz, wobei es sieh bald um wirkliche Prügel handelt
(so Plaut. Poen. 1290: ita replebo atra atritate eam, atrior malto
ut siet; id. Rud. 1000: jet tibi puniceum corium , postea atrun
denuo) bald um die Schlüge, welche man bei ausschweifender
Trauer sich auf Wangen, Brust oder Arme versetzte (daher
atrae genae, Trag. inc. bei Ribb. v. 332; Lucan. II 37:
planctu liventes atra lacertos ; ähnlich Stat. Silv. IT 6, 82); doch
ist hier, wie wir später sehen werden, /ividus die gewöhnliche
Bezeichnung für solche Verletzungen. Wenn die Galle (resp.
GallenerguB) ater genannt wird (biis, Plaut. Amphitr. 727;
20) Silius Italicus ist überhaupt im Gebrauch von ater ungemein
freigebig ; von den rund etwa 450 Fällen, die ich notirt, kommen
eirca 90 auf ihn, also der fünfte Theil aller Dichterstellen.
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern. 715
Capt. 596); fel, Verg. A. VIII 219. P. L. M. 53, 147.
Mart. Cap. VII 726), so ist bei diesem, auch in Prosa ge-
wühnlichen Gebrauch nicht an den natürlichen, sondern an einen
veründerten Zustand der Galle gedacht, den die Alten als Zei-
chen schwerer Erkrankung auffaßten, die welayyolfa, bei der
sich die Galle in das Blut ergießt ?!). |
Aus der Thierwelt sind es wesentlich die schwarzen, als
Opfer für die Unterwelt dienenden Rinder ünd Schafe, die
bisweilen in Bezug hierauf mit ater bezeichnet, werden (V erg. À. :
VI 249. Ov. met. VII 244. Sen. Oed. 569. Stat. Theb.
IV 445; VII 476; ebd. II 541 vom Schwein); doch ist auch
hier, wo es sich ja meist um ausgesprochen tiefschwarze Farbe
handelt, niger weitaus häufiger, und eben so bei Pferden
(Stat. Theb. IV 227, wo nur von einem maculis discolor atris
equus die Rede ist) 2?) oder Hunden (Ov. met. III 218; hei
Ter. Phorm. 706 ist der ater canis ein unheimliches Omen).
Bei Sil It. IX 570 heißt der Elephant mit seinem mehr
schwärzlich-grauen Fell: atra mole fera. — Mit den Vögeln
steht es ühnlich; beim Raben, dessen tiefes Schwarz bei uns
sprichwörtlich ist, kommt ater nur einmal vor (Cat. 108, 4:
atro gutture corvus), hingegen häufiger beim Geier (Sen. Thyest.
10. Iuv. 18, 51. Seren. Samm. 204; ib. 622 und 1012;
bei Grat. Cyneg. 79 liest Bährens: volture ab atro anst. des
handschriftlichen volture avaro); wobei freilich in Anschlag zu
bringen ist, daß es sich in einigen Fällen (bei Sen. und Iuv.)
um den Geier handelt, welcher in der Unterwelt dem Tityos die
Leber ausfriBt, und daß daher ater dort in gleichem Sinne ge-
setzt sein kann, wie es überhaupt zur Unterwelt und zu allem,
was mit dieser zusammen hängt, gesetzt wird (s. unten). —
Oefters tritt ater als nühere Bezeichnung zu Schlangen
hinzu. Ich sehe dabei zunüchst ab von denjenigen Stellen, iri
denen es sich um die Schlangen der Erinyen handelt, weil es
da ebenfalls der Begriff der schrecklichen Unterwelt ist, der das
Epitheton veranlaBt hat; wo es aber sonst als Epitheton der
Schlangen erscheint (Hor. C. III 4, 17; Sat. II 8, 95. Verg.
Geo. I 129 Ov. met. XIV 410. Stat. Theb. I 568. Sil.
It. III 191; VI 198; VII 423. Iuv. 5, 91. Ap. Sid, carm.
15, 10) dürfen wir es in den meisten Füllen nicht als wirkliche
Bezeichnung einer schwarzen Farbe auffassen, sondern müssen
mehr an den übertragenen Sinn ‘schrecklich, furchtbar’ denken;
denn gerade die geführlichsten, giftigsten Schlangen pflegen ja
keineswegs von schwarzer Farbe zu sein??) Die Dichter schil-
21) Es ist daher nicht richtig, wenn Weise (im Philologus XLVI
604) in dieser Bezeichnung einen Widerspruch gegen die sonst.charak-
teristische gelblich-grüne Farbe der Galle findet, e
22) Von Pferdehaaren ist wahrscheinlich auch der Helmbusch,
atrae tubae bei Sil. Tt. V 165, zu denken.
23) Heyne ad Virg. Geo. 1 129 versteht sicher mit Unrecht
Bir -_____ ——
716 Hugo Blümner,
dern aber überhaupt gern alles Häßliche, Entsetzenerregende als
schwarz; so daher auch Hor. A. P. 8: atrum piscem (während
bei Auson. Mos. 110 es sich um die realistische Beschreibung
einer wirklichen Fischsorte handelt).
Aus dem Pflanzenreiche, in dem ja die schwarze
Farbe überhaupt nicht häufig ist, haben wir nur sehr wenig an-
zuführen: die reifen Maulbeeren (Ov. met. IV 125 u. 165),
das Ebenholz (ib. XI 610. A. L. 507, 7), beides im eigent-
lichen Sinne schwarz genannt; dagegen hüufiger, mehr im Sinne
von dunkel oder schwärzlich, das Laub (Verg. A. XI 528.
Stat. Theb. IV 467), zumal von Cypresse (Verg. A. III
64) und Steineiche. (O v. her. 12, 67), daher auch Wald
oder, Hain überhaupt (Verg. A. I 165. Grat. Cyn. 481).
Auch einige Blattpflanzen resp. Gemüse finden sich so be-
zeichnet (Plaut. Pseud. 814. Pompon. frg. 128 Ribb. Co-
lum. X 377). |
Sehr zahlreich sind die Fälle, in denen ater als Epitheton
zu allem durch Feuer Geschwärzten hinzutritt ?*), vornehmlich zur
Asche, sei es von Thieren oder von Pflanzen (cinis, V erg.
A. IV 633. Ser. Samm, 799; favilla, Verg. A. V 666. Ov.
met. XIII 604, Senec. Troad. 21), obgleich hier eigentlich
die Bezeichnung grau nach unserer Anschauung näher liegen
würde, wie denn auch canus als Attribut dafür noch etwas häu-
fger ist. In intensiverer Bedeutung erscheint ater wiederum,
wenn es zum Ruß (fuligo, Aus. XIX 38, 4) oder zum Rauch
hinzutritt (fumus, Verg. A. IX 239. Sen. Agam. 483, Val
FI. IV 676. Sil It. II 658. Corip p. Ioh. VIII (VII), 73;
vapor, Verg. A. VII 466. Sil It. XII 185; ib. XIV 593;
auch nubes, V er g. Geo. II 308; Aen. III 572, oder fluctus, Val.
Fl VII 572). Dies führt denn dahin, daß die Dichter selbst .
Feuer und Flammen, wegen des von ihnen ausgehenden
Rauches, ohne weiteres schwarz nennen; so ignis Hor. ep. 5, 82.
V erg. A. VIII 198; XI 186. Lucan. II 299; IIT 98. Sil.
It XIII 477; XIV 421; XVII 181. Stat. Theb. VI 81;
fiamma, Sil. It. III 702; cf. Sen. Med. 148; incendia, Stat.
Theb. IV 523; VII 159; fervore, Sil. It. VII 964; auch
Fackeln, face, Ps. Sen. Octav. 123. Lucan. II 801.
Val Fl II 96. Sil. It. IX 600. Claud. in Ruf. I 49,
Freilich liegt in manchem der hier angeführten Fälle wohl mehr
die übertragene Bedeutung des Verderblichen, Unheilvollen, als
die schwarze Farbe zu Grunde; so z.B. bemerkt Servius ad
Verg. Aon. XI 186: atqui ignes atri non sunt; sed epitheton traci
wirklich schwarze Schlangen darunter; anders Wagner ad h. 1. Vgl.
auch Bentley ad Hor. S. II 8, 95. Im selben Sinne ist die aira
ligris bei Verg. Geo. IV 407 zu verstehen, vgl. Jacob E 74.
or Scheiter-
24) So der verbrannte Phaéthon, Val. F1. V 480;
haufen, Sil. It. VIII 102.
— M] Á———3— |... —À
eher die Farbenbezeichnungen bet den xómischen Dichtern. 717
de negotio, ut ‘atris’ diceret, hoc est funebribus. Wenn dagegen
Verg. A. XI 591 vom ater odor des Rauches spricht, so steht
das nur im Sinne von odor atri fumi, cf. Serv. ad h. Ll: ‘ater
odor’ nove: nam in odore quis color est? sed hoc dicit: odor atrae
rei, fumi scilicet; und ebenso ist es poetische Licenz, wenn Sil,
It. 1355 den Schwefel, dessen Rauch nicht einmal schwarz ist,
ater nennt, Bisweilen ist auch in jenen Stellen eine. Flamme
gemeint, welche ganz besonders schwarzen Rauch verbreitet, wie
Hor. ep. 5, 81: uti bitumen "atris ignibus (flagrat), oder es ist
sonst ein anderer Grund für die Beifügung des Epithetons vor-
handen, wie Stat. Theb. IV 528, wo es sich um den Phlege-
thon in der Unterwelt handelt, das Epitheton also der Unterwelt
wegen gewühlt sein kann. :
Zur Erde schlechtweg tritt ater nur selten (Verg. A. X
730. Ov. met, VI 558); häufiger zu Schmutz (Verg. Geo.
III 430. Sil. It. VIII 382) und Staub (Hor, S. II 8, 55.
Lucan. VIII 57. Sil It X 511. Coripp. Ioh VI (V)
666); bei V erg. A. XII 450 ist atrum agmen ein mit Staub be-
deekter. Entsprechend werden vulkanische Eruptionsstoffe
(Lu cil Aetna 361 u 469) bezeichnet oder schmutzige Siimpfe
(Verg. A. VII 801. Sil It. V 619. Stat, Theb. I 385).
Die schwarze Kohle, die bei uns neben Raben und Pech vor-
nehmlich zum Bild tiefster Schwürze dient, spielt bei den Dich-
tern keine große Rolle; ich kenne nur eine Stelle dafür, Ter.
Ad, 849: tam atra quam carbo est. Vereinzelt tritt ater auch zu
Steinen hinzu, wie Stat. Silv, V 3, 81 zu rupes; bei Inv.
6,350 geht ater silen auf das Pflaster, also auf die schwärzliche
Lava oder den Basalt, den die Römer zum Straßenpflaster be-
nutzten, während bei Verg. A. VI 602 die atra silex zu der dort
. beschriebenen Unterweltsstrafe gehört und das Epitheton dadureh
genügende Erklärung findet. Beim schwarzen, Unglück brin-
genden Stimmstein setzt es Ov. met. XIV 41 u. 44, —
Wenn dagegen Verg. A. VII 525 die gezückten Schwerter
(stricti enses) eine atra seges nennt, so kann man da über den
Sinn von ater im Zweifel sein. Denn das Eisen ist freilich an.
sich schwarz, aber zur Waffe verarbeitet, als Stahl, ist es glän-
zend und der Farbe nach eher als bläulich zu bezeichnen (wes-
halb denn auch caeruleus als Epitheton für Waffen vorkommt);
man wird daher eher daran denken müssen, daß in diesem Falle
wieder nur die übertragene Bedeutung zu Grunde liegt, wi
des Verderblichen der Waffen, und ebenso, wenn Sil. It. I 230
vom ater chalybis fetus oder IV 619 von einer atra cuspis
spricht. Anders freilich erklärt Servius ad Verg, L l; er.
sagt: per atram vero fertilem significat, ut ostenditur in georgicis
Die entsprechende Stelle Georg. II 203 lautet: migra fere eb
presso pinguis sub vomere terra Et oui putre solum . . ; , Optuma
frumentis; aber diese Stelle bat mit jener sicherlich nichts zu
718 Hugo Blümner,
thun und die Erklürung des Servius ist viel zu weit hergeholt.
Unter den Natur- und gewerblichen Produkten
ist die sehwarze Kleidung, die man bei Trauer zu tragen
pflegte, öfters durch ater bezeichnet (vestes, O v. met. VI 288 und
568; VIII 448 u. 778. Val. Fl. IH 406. Stat. Theb. XII
363. Sil. It. XI 259; toga, Prop. V (IV), 7, 28); wobei
ater (ähnlich wie wir es bei albus und candidus gefunden ha-
ben) auch direkt im Sinne von schwarzgekleidet zu Personen
gesetzt werden kann (lictores, Hor. Ep. 17, 6. Antigone, Stat.
Theb. VII 244). Sonst liegen nur vereinzelte Fälle vor: Pferde-
geschirr (also Leder), Sil. It. VII 687; Tinte oder
Sehriftzüge mit solcher (Hor. A. P. 446, mit absichtlichem
Doppelsinn; Aus. XVIII 15, 52: Cadmi filiae atricolores), Pech
(Verg. Geo. I 275. O v. met. XII 402). Mehr dunkel, als
schwarz, bedeutet ater heim Brot, wie ja auch unser Schwars-
brot einer Erweiterung des Begriffs schwarz seine Benennung
verdankt (panis ater, Ter. Eun. 939), und auch beim Wein,
dessen dunkelrothe Farbe an sich eben so wenig schwarz ist,
wie die des vinum album weiß; cf. Plaut. Men. 915. In letz-
teren beiden Füllen ist ater offenbar nicht in poetischem, son-
dern in vulgärem, der täglichen Redeweise entlehntem Sinne
gebraucht.
Bei weitem die häufigste Anwendung findet ater als stehen-
des Attribut der Nacht, und zwar ist die atra noz noch be-
trächtlich häufiger als nigra nox, weil zugleich das Unheimliche
der nächtlichen Dunkelheit, welches der Deutsche in seinem
Sprüchwort „die Nacht ist keines Menschen Freund“ ausdrückt,
in dem Epitheton angedeutet liegt. So Hor. ep. 10, 9. Verg.
A. I 89; If 560; IV 570; V 721; VI 272; ib. 866. Pa
Tib. IV 13, 11. Ov. her. 14, 78; met. V 71; X 454; Ger-
man. Arat. 291; ib. 695. Manil. Astron. V 726. Sen. Here.
fur. 286; ib. 709; 'Thyest. 480; Herc. Oet. 1298 (cf. Inc. Oct.
729, wo es aber auf Conjectur beruht). Lucan. I 579; III
4241 IV 472; IX 839. Val. FI V 94. Sil. It. V 36; ib.
127: VII 126; ib. 728; VIII 165; XV 545; ib. 812; XVI
718. Stat. Theb. I 346; VII 454; VIII 692. IL Latina
632. A. L. 139, 28; 271, 49; 543, 17. Coripp. Ioh. IV
697; VII (VI) 12; VIIL (VII), 278; ferner in bildlicher Re-
deweise atrum caput noctis, Sen. Herc. f. 947; sinus, Sil. It.
XIII 254; amictus, ib. XV 284. Damit hüngt es zusammen,
daß auch der Abend (Verg. A. V 19) oder ein dunklerer
Strich des Himmels (limes, Sen. Thyest. 699) so heißen; für
die Finsterniß, tenebrae, lassen sich dagegen nur ein paar
Stellen namhaft machen (Sil It. XII 249. Symphos. 76). -
Dafür ist es dann wiederum ein ganz gewóhnliches Attribut der
Wolken (nubes, Lucr. VI 180. Cic. Arat. 192. Verg. A.
IV 248; X 264; ib. 662. Hor, C. II 16, 2; III 29, 48,.
n—— nn M — —
Ueber die Farbenbezeichnungen bei den römischen Dichtern, 719
Prop. II 5, 22. Ov. met II 790; XII 51; Ibis 216, Ger-
man. frg. 4, 155. Senec, Thyest. 624; ib. 1076; Phoen.
32; ib. 60; Phaedr. 683; Oed. 1022; Med. 345 (Conj. für
astra); Here. Oet. 1137. Lucan. III 409; VI 518. Stat.
"Theb.I646. Sil It. III 490 ®); XIV 594; XV 128; Claud.
bell. Pollent. 378. A. L. 136, 16; nubila, Verg. A. V 512.
Sen. Phaedr. 963); auch von stürmischem Himmel oder
Unwetter, (tempestas, Luer. VI 258, Verg. A. II 516; V
693. Sil It VII 723; bruma, P. L. M. 58, 7, 1; hieme,
Verg. A. VII 214. Claud. IV cons, Hon. 172) oder auch
von der durch Unwetter resp. durch die eingetretene Nacht ver-
dunkelten Luft (aether resp. aera, Val. FI I 81; III 500.
Sil It. VI 607; aem, Luer. IV 337; ib, 348, Lucan. IV
74) 2°); vom Nebel (nebula, Verg. A. IL356; VIII 258. Val.
Fl VI 745. Lucan, I 541; caligo, Verg. A. IX 36; XI
876. Stat. Theb. X 735, Sil.It. IX 513; XIV 313 vapor, Sen.
Oed, 47); vom Regen, wegen der: denselben bringenden schwar-
zen Wolken (imbres, Verg. Geo. I 236. German, frg. 4, 52.
Stat. Theb. III 122; nimdus, Plaut. Mere. 880), und auch
von regenbringenden Sturm winden (turbines, Verg. A. I
511; X 603; XII 923; Culex 318; vom Notus Lucan, V
608) — Sonst ist es in der Natur vornehmlich noch das
Meer, welches ater heißt, wenn der dunkle Himmel seine Fluthen
schwarz erscheinen läßt, wie auch wir von schwarzen Wellen
sprechen : fluctus, Verg. A.V 2). Dracont. 9, 201; mare,
Hor 8, ll 2, 16; sinus Hadriae, id. C. III 27, 18; aestue
maris, Ps. Verg. Dirae 59; aggeres aequoris, Sil, It. XVII
270; vgl. dazu Gell. II 30, 11: id quoque a peritissimis rerum
philosophis observatum est, austris spirantibus mare fri glaucum
et caeruleum, aquilonibus obscurius atriusque. Auch als Epitheton
der Höhlen haben wir ater hier noch auzuführen, Verg. A.
I 60; VIII 258; ib. 262. Stat. Theb. VIL 670.
In den meisten der zuletzt angeführten Füllen handelt es
sich nicht um eine schwarze Farbe, welche den Dingen an sich
anhaftet, sondern um eine durch Liehtmangel hervorgerufene ;
und da für die Anschauung der Alten die Unterwelt lichtlos
ist, so ist ater, zumal hierbei auch die übertragene Bedeutung
des Traurigen oder Schrecklichen sich wirksam erweist, ein
außerordentlich häufiges Epitheton für die Unterwelt und al-
les, was in derselben befindlich ist und zu ihr gehört. So fin-
25) Sil. It. I 311 auch übertragen von nubes telorum.
26) Daher auch bezeichnend vom Chaos, Sen. Agam. 508,
27) Hierzu Servius: atros autem secundum Plinium dicit
ait in naturali historia, non esse maris certum colorem, sed pro quai
tate ventorum mutari; et aut flavum esse, aut luculentum, aut atrum
(cf. Isid. or. XIII 14, 3). Bei Plinius steht davon freilich nichts,
Vgl. auch Jacob. p. 76.
720 Hugo Blümner,
_ den wir denn den Tartarus selbst so bezeichnet (L u.c r. III 964..
Manil. Astr. If 46. Stat. Theb. VIII 78), häufiger aber
Umschreibungen dafür, wie atra sedes (Sil. It. VII 229) tAala-
mus (ib. VIII 117), carcer (Sen. Herc. Oet. 1145), cubile (id.
Thyest. 70) 23), ianua (Verg. A. VI 127), limen (Stat. Silv.
II 1, 227), fornaces (Sil. It. XIII 836), vorago (Verg. A. IX
105; X 114. Orest. trag. 776), fauces (V erg. A. VI 240)
Ferner die Flüsse der Unterwelt, der Styx (Verg. Geo. I 243.
Sen. Phaedr. 485; Herc. Oet. 1927), Cocytus (Verg. A. VI
132. Hor. C. II 14, 17), Acheron (Sen. Agam. 680), Phle-
gethon (ib. 790. Sil It. XIV 61. Stat. Theb. IV 523).
Lethe (Stat. Theb. VI 498), oder allgemein palus (Sil. It. II
484), lacus (ib. XIII 516), aquae (ib. XIII 468). Schwarz sind
auch die in der Unterwelt gedachten Haine oder Wälder, silvae
(O v. met. V 541), luci. (id. Fast. III 801), nemus (Verg. A. VII
565); ferner das Rossegespann des Unterweltsfürsten (O v. met.
V 360), der Cerberus (Hon C. II 13, 34. Sen. Here. fur.
59); ebenso die entsetzlichen Furien, die atrae sorores (Stat.
Theb. XI 75), Tisiphone (Stat. Theb. I 107. Sil. It. II 529)
Allecto (atrum lumen, Verg. A. VII 456), Megaera (Sil. It.
XIII 575), ihr Schlangenhaar (Verg. A. IV 472; VII 329.
Prop.IV 4 (III 5), 40. Ov. met. IV 454; X 349. Stat. Theb.
II 282) und die Fackeln, die sie schwingen (Verg. A. IV. 884.
Sen. Med. 15). Den Geier, der dem Tityos die Leber’ ausfrißt
(die selbst atrum viscus ist, Tib.I 3, 76), sowie den drohenden
Fels, haben. wir schon oben erwähnt. Daher werden denn auch
schreckliche Ungeheuer, welche nichts mit der Unterwelt zu thun
haben, wie die Hydra (Verg. A. VI 576) oder die Cha-
rybdis (Lucan. I 547. Sil It. XIV 474) atrae genannt.
Wir sind damit schon ganz zu der übertragenen Be-.
deutung von ater gelangt, welche wir zwar auch in manchen
der bisher angeführten Fülle als mehr oder weniger vorhanden
annehmen mußten, aber doch so, daß daneben die ursprüngliche
Bedeutung der schwarzen Farbe oder wenigstens des Schwärs-
lichen, Dunkeln, immer noch bestehen blieb. Die übertragene
Bedeutung von ater spielt bei den Römern eine viel größere
Rolle, als bei uns die des Wortes schwarz, obgleich ja auch wir
von schwarzer Seele, schwarzen Plänen u. dgl. sprechen. Nach
- oberflächlicher Schätzung gehören ungefähr 1/4 sämmtlicher Fälle,
wo die Dichter ater gebrauchen , dieser übertragenen Bedeutung
an. Davon entfällt ein beträchtlicher Theil auf den Tod und
was damit zusammenhängt. Die atra mors, auch mitunter per-
sonificirt gedacht als atra Mors, hat natürlich mit dem, was bei
28) Unsicher ist die Lesart Sen. Hero, fur. 11ll, wo die Ha.
atri regina (oder regia) poli haben, woraus die Herausgeber regio
oder regia populi gemacht haben.
Ueber die Farbenbezeichnungen hei den römischen Dichtern. 721
uns, „schwarzer Tod“ Reit, nichts zu thun; es ist auch keines-
wegs an sich ein gewaltsamer, schrecklicher Tod, obgleich mit-
unter diese Bedeutung zu Grunde liegt; vielmehr soll durch aira
nur das Furchtbare des Sterbens überhaupt, das Unheimliche,
das für den Lebenslustigen der Gedanke an den Tod hat, be-
zeichnet werden. Vgl. Hor. C. 128,13. Tib.13, 4, ib. 10, 33.
Sen. Oed. 165 (wo daneben die Hss. mors alta lesen). Stat. :
'Theb. IV 528. Sil It. VI 58; XIII 775. Consol. ad
Liv. 360; bildlich: die schwarzen Flügel, alae, des Todes, Hor.
$8.1H 1, 58; seltner letum , Stat. Theb. I 594, oder funus,
Lucr. II 580. Senec. Agam. 800. Dazu vgl man die fila
atra der Parzen bei Hor. C. II 3, 16; atrae Esquiliae, id.
S. II 6, 32, wegen der dort Begrabenen ; ferner caedes, Sil. It.
I 419; supplicia, Stat. Theb. XII 780. Als Epitheten von
Krankheiten erscheint es ebenfalls, namentlich von schreck-
lichen (lues Mart. I 78, 2; pestis, Sen. Oed. 1082. .Sil. It.
IV 805; XIV, 615); häufiger noch beim Gift, wo schon. des-
wegen nicht von irgendwelcher Beziehung auf die Farbe die
Rede sein kann, weil gerade die Gifte in der Regel ihre verderb-
liche Kraft nicht durch ihr AeuBeres verrathen; so venena, Verg.
Geo. II 130; A.II 221. Hor. C. I 87, 27. Val Fl. VII 165.
S11. It. III 312; XI 550. Mart. VII 72, 13. Ser. Sam m. 889.
A. L. 22, 14; virus, Ser. Samm. 820. A. L. 152, 9, oder auch
vergiftete Geschosse Ov. her. 9, 115. — . Unter den übrigen
Fällen übertragener Bedeutung beschränke ich mich, bei der
ungemeinen Häufigkeit derselben, auf eine Auswahl der ge-
bräuchlichsten. Dahin gehört vor. allem die Bezeichnung eines
unheilvollen Tages (bisweilen auch des Todestages) als dies
ater (resp. atra), ein bekanntlich nicht bloß bei den Dichtern,
sondern auch im gewöhnlichen Leben sehr beliebter Ausdruck,
vgl. Afran. frg. 163 Ribb. Verg. A. VI 429; XI 28. Prop.
III 2 (IL 11), 4. Ov. a.a. I 418; Fest. I 58. Val FI V 41.
Sil It. V 591. Stat. 'Theb. II 636; VIII 376. P.L.M. 36,
22; vgl. atra lux, Sen. Phaedr. 1226. Ferner werden Krieg
und Schlacht (Sil. It. III 211; V 379; XVII 599), daher
auch Bellona selbst (Stat. Theb. VII 72), sowie sonstige Trauer
oder Abscheu erregende Dinge so bezeichnet, als: Blizschlag
(Sil. It. IV 433. Stat. Silv. I 4, 64), unheilkündende K o-
meten (Sil It. I 462), Brand, auch ohne daß dabei, wie
an den oben citirten Stellen, an Qualm und Rauch gedacht ist
(Ov. Fast. II 161. Sil It IX 441. Stat. Theb. VI 81;
die Sorge (Hor. C. III 1, 40; ib. 14, 18; IV 11, 85; id.
S. II 7, 115), Furcht und Schrecken (Luer. IV 271; VI
254. Verg. À .IX 719; XII 335. Petron, 89 v. 8), Hunger
(Claud. VI cons. Hon. 322; cons. Stilich. I 278) und Kälte
(Ser. Samm. 253); ferner häßliche Leidenschaften, wie Zorn
(Val. Fl II 205), Neid (Stat. Silv. IV 8, 16. Mart. Cap. ©
Philologus XLVIII. N. F. II, 4, 46
722 Hugo Blümner, Ueber die Farbenbezeichnungen u. s. w.
5, 566) u. dgl.; auch Trauer und Schmerz (Sen. Herc. f.
698. Sil. It. II 549. Dracont. 8, 357; 9, 51).
Wenn nun zwar die Dichter auch niger ziemlich entsprechend
im übertragenen Sinne gebrauchen, so sind die Fülle hierfür doch
bei weitem weniger zahlreich, Wie wir im Folgenden sehen
werden, ist bei niger in den meisten Beispielen wirklich der Be-
griff der schwarzen Farbe der vorherrschende, während wir bei
ater, wie die angeführten Fälle zeigen, zu unterscheiden haben:
1) solche Beispiele, wo bestimmte schwarze Farbe gemeint ist;
2) wo keine ausgesprochen schwarze Farbe, sondern mehr eine
bald schwärzliche, bald lediglich dunklere Färbung eines Dinges
gemeint ist; 8) wo neben der Farbe auch die übertragene Be-
deutung des Unheilvollen mit zu Grunde liegt; 4) wo letztere
allein die Beifügung des Epithetons veranlaBt hat. —
Zürich. un H. Blümner.
Zu Ammianus.
XXI 16, 6 wird von Constantius gesagt: perque spatia vitae
longissima, inpendio castus, ut nec mare ministro saltem suspi-
cione tenus possel redargui, quod crimen, etiamsi non invenit, ma-
lignitas fingit in summarum licentia potestatum. Die meisten Ver-
suche, diese Stelle zu heilen, scheitern an dem Umstande, daß
quod crimen eine vorausgehende thatsüchliche Auschuldigung ver-
langt, auf die es sich beziehen muB. Demnach sind Bentleys
‘a citeriore ministro, Haüpts amaro ‘ministro, Madvigs rumore mi-
nistro, Günthers familiari ministro abzuweisen, Eyßenhardts amare
nec a ministro ist aber darum unpassend, weil amare kein crimes
ist. Paläographisch und sachlich ist noch Lindenbrogs amare
ministros am besten. Denn dieses wurde dem Constantius wirk-
lich vorgeworfen, wie die Bemerkung bei Aur. Vict. Epit. 42,19
zeigt: spadonum aulicorumque amori deditus et uxorum, quibus con-
tentus nulla libidine transversa aut iniusta polluebatur. Noch leichter
und wegen des Perfects sprachlich angemessener ist mein in der
Neuen philol. Rundschau 1889 S. 72 mitgetheilter Vorschlag
marem inisse. Sonach übersetze ich die Stelle: „Seine lan-
gen Lebensjahre hindurch verhielt sich Constantius vollkommen
sittenrein, so daß man ihn nicht einmal der AÁnschwiirzung hal-
ber eines unnatürlichen Lasters zeihen konnte, ein Vorwurf, den
die Bóswilligkeit bei der unbeschrünkten Macht der Herrscher
zu erfinden weiß, auch wenn ihm nichts Thatsächliches zu Grunde
liegt“. Nec ist nach spätlateinischem Gebrauche soviel als se
. . quidem und wird nicht selten mit saltem verbunden, worüber
man den Index zu Paulinus von Perigueux nachsehen möge, Re
darguere aber ist hier in der Bedeutung von arguere oder sncusare
angewendet. Belege hiefür bietet Lactantius (vgl. Bünemann zu
Inst. III 1, 15), ein weiteres Beispiel fand ich bei Augustin. de unico
bapt. c. Petil. 11, 18 : illos . .., quos in schismata dissiluisse redarguit.
Ausdrücklich bemerke ich, daß auch die Hdss. redarguit bieten.
Graz, —-- —— M. Petschenig,
XXXVIII.
Die Arbeiten über die Tragüdien des L. Annaeus
Seneca in den letzten Jahrzehnten.
(Fortsetzung)*).
14) L. Annaei Senecae tragoediae, Recensuit et emendavit F ri-
dericus Leo. Volumen alterum : Senecae tragoedias et Octaviam
continens. (Berlin Weidniann 1879). Rec.: Lit. Centralbl. 1880 p. 726.
Dieser Ausgabe der Tragödien hat Leo einen Band observ.
erit. vorausgeschickt (Nr. 4), von denen uns Capp. 1—3. 6. 7
schon oben beschäftigt haben, während wir Capp. 5, 8 und 9
im zweiten Theile unserer Arbeit zu besprechen haben werden.
Hier sind noch besonders zu erwiühnen die in Cap. 6 einge-
flochtenen Abhandlungen: de anapaestorum compositione (p. 98—
110) und de canticis polymetris (p. 110—192); sowie das Cap.
10. — In der ersten der beiden genannten Untersuchungen
kómmt Leo zu dem Schlusse, daf) die Anapaesten in Dimetern
zu schreiben sind, die ab und an von Monometern unterbrochen
werden: es ist festzuhalten, daß diese überall da einzusetzen
sind, wo ein Vers nach der handschriftlichen Ueberlieferung in
der zweiten Arsis syllaba anceps bietet. Einige Stellen, die der
handschriftlichen Ueberlieferung zufolge diesem Princip zuwider-
laufen, werden von Leo besonders behandelt: er weist bei den
meisten derselben nach, dali auch der Sinn eine andere Konsti-
tuierung der Verse, als wie sie die Handschriften geben, verlangt.
Gegen einige dieser Aenderungen hat Birt Einspruch erhoben in
dem unter Nr. 25 genannten Aufsatze (Rh. M. 34 8. 510 £f). Mit
Recht sucht er (S. 545) Hf. 11/10 zu schützen, den Leo mit Sehmidt
Jahrb. 1868 1), S. 868 ausstoBen will. — Dagegen sind seine Einwen-
dungen (S. 543) gegen Leos Anordnung der Verse Hf. 1125 ff. wohl
hinfällig. Er will unter fera iubata (1130) das Mihnenthier = Pferd
7) [Vgl. oben S. 340 &.]*
1) Bei Leo irrthümlich 1867 citiert,
46*
724 I. Tachau,
verstehen und schreibt mit Voranstellung von 1180 vor 1129 tor-
quere ferae terga iubatae | tutosque cet. (Sinn: wohl aber habt ihr
gewagt, der Pferde Rücken zu beugen (torquere = flectere), nin-
lich um es.zur Hirschjagd zu verwenden) Demgegenüber verdient
die Leosche Anordnung zweifelsohne schon wegen ihrer besseren Ver-
ständlichkeit den Vorzug. Terga torquere dürfte Seneca wohl auch
schwerlich geschrieben haben, so wenig wie fera :ubata = Pferd be-
deuten kaun. Jubatus findet sich bei Seneca noch einmal und zwar
als Attribut von leo (Th. 732); suda bezeichnet außer der Mähne des
Löwen (Hf. 748, Oed. 920 fulva; HO. 1933 fulea ; HO. 70 fervida),
auch die des Cerberus (Hf. 1786. Ag. 14), ferner die Mähne der
Pferde des Sonnenwagens Th. 820, und des Meerstiers, der
den Hippolytus erschreckt Ph. 1037. — Auch in der Annahme einer
Lücke nach terga leonis Ph. 326 möchte ich Leo beistimmen, wäh-
rend Birt nichts geändert wissen will; die von diesem beliebte
Konstruktion (zu tenuem Tyrio stamine pallam — sedere vidit zu er-
günzen) ist aber doch sehr hart. — Endlich hat Birt auch an
Leos Anordnung der Verse Ph. 338 ff. (Leo S. 106 ff.) Anstoß genom-
men (S.546). Er beanstandet besonders das func (344), das sich nicht
an 842 schließen könne, da das den Sinn geben würde, daß die
ebenso wie die Hirsche nur dann kampflustig und furchtbar w
wenn sie für ihre Tigerin fürchten müßten, während es doch von
den Tigern nur heißen könne, daß sie überhaupt in der Bruns
am furchtbarsten sind. Deshalb ordnet B: 338. 351. 852a: 339 —42.
348. 319. 343—47. 350, — was aber nicht mit zwingender Nothwen-
digkeit gefordert wird, da der Begriff Venere instinctus sich ebenso
wie auf 341—42 auch auf 314 erstreckt, und nur auf diesen
deutet das (unc. — Wir werden also mit Ausnahme der einen Stelle
Hf. 1110 allem, was Leo in besonnener und scharfsinniger Weise über
die Anapaesten ausfübrt. beizupflicbten haben. — .
Mit wahrhaftem Vergnügen wird auch jeder Leo's Unter-
suchungen lesen, die in dem folgendem de canticis polymetris
überschriebenen Abschnitte niedergelegt sind. Es handelt sich
hier um die Chorlieder Oed. 403—508, 709 —63, Ag. 589—636.
808.—60. Leo prüft zunächst, wie sich das gehört, bei. jedem
einzelnen den Gedankeuzusammenhang, bezeichnet die Stellen,
die unverständlich sind, also eine Besserung erheischen, und geht
erst dann zu der Frage des Metrums der einzelnen Verse über.
Nur zu loben ist hier das Bestreben Leos der handschriftlichen
Teberlieferung gegenüber so konservativ wie nur möglich zu
sein, und wo nur irgend der überlieferte Text einen guten Sinn
ergiebt. sich jeder Aenderung zu enthalten, oder aber, wenn
eine solche nithig erscheint, sie auf eine der Ueberlieferung am
‚nächsten kommende Weise vorzunehmen, was um so nötbiger
war. als bekauutlich Swoboda und Peiper-Richter mit
den genannten Chorliedern beispiellos willkührlich verfahren waren.
Ein setóres ZeugBiB für die gründliche und unermüdliche Art
der Arbeit Leos in dieser Richtung ist auch die Thateache , daß er
in seiner ein Jaar nach den »öserr. ecrit. erschienenen A be man-
ches nova getrezer nach den Handschriften giebt,. als in den obser.
erii. vorgeschlagen war. So zr. B. ist in den Versen Ag. 589 ff. die
Forderurg dar Umstellung vou Vs. 604 — S hinter 592 (obs. 8. 118)
fallen gelasser. und die Verse werden unverändert nach der Ueber
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 725
lieferung von E gegeben, — mit Recht, wie man schon aas der
von Gronov gegebenen eingehenden Erklärung der Verse 592 ff. .
ersehen kann. — Einen Fortschritt in dieser Beziehung weist die
Áusgabe auch auf in Oed. 710, welchen Vers Leo mit Recht bean-
standet hat. Während er aber obs. S. 114. 125 eine Lücke anneh-
men zu müssen glaubt, sehen wir in der Ausgabe mit leichtester Aen-
derung non hinc (statt haec) Labdacidas petunt geschrieben, und diea
möchte ich als eine ganz vorzügliche Aenderung bezeichnen?) —
Im übrigen beschränkt sich Leo darauf in den genannten Chorliedern
Oed. 728 auszuscheiden, und vor 735 eine Lücke anzunehmen, beides
mit Recht. Alles Uebrige in ihnen ist unverändert zu belassen, auch
Oed. 751— 64, die Fahel dés Actaeon, die Peiper (im ‘obs, lib.’)
und Habrucker (Nr. 2) S. 53 f. für nicht in den Zusammenhang pas-
send erklärt hatten. Schon der von Leo nachgewiesene Umstand, daß
Seneca in der Anordnung des Chorliedes ganz und gar dem Ovid .
folgt (vgl. S. 116) erklärt zur Genüge, wie die Verse hierherkommen,
und macht auch die von. Leo anfangs vorgeschlagene, in der Ausgabe -
weggelassene Ergänzung: quid plura canam? (um einen Uebergang zu
erzielen) entbehrlich. |
Nach der Besprechung der betr. Chorlieder auf ihren Ge-
dankengang hin geht L. zur Feststellung des Metrums eines je-
den Verses über (S. 119— 132) und befolgt dabei als Grundsatz,
nie lediglich zur Erzielung eines geläufigeren Metrums eine
Aenderung vorzunehmen. Dabei stellt sich heraus, daß es sunt
autem praeter quosdam trochaici et dactylici generis versiculos omnes
ex metris Horatio usitatis derivati, ut versus aut integri aut dimi-
diati aut inversis colis ponantur (p. 119 extr. f£) Den gelehrten
und umsichtigen Auseinandersetzungen Leos wird. man in der
Regel beipflichten müssen, wenn auch von dem Recensenten A.
R. im Liter. Centralbl wohl mit Recht auf die Sonderbarkeit
einiger der so analysierten Verse hingewiesen worden ist?). —
Das Cap. X der obs. crit, „Analecta‘ überschrieben, be-
faßt sich mit der Emendation einiger Stellen der Tragódien, die
aber nicht in der gewóhnlichen trockenen Form gebracht wird,
sondern umkleidet mit einer Fülle hóchst anregender scharfsin-
niger und gelehrter Beobachtungen und Untersuchungen über
den Sprachgebrauch Senecas und der Dichter der silbernen La-
tinitit überhaupt. — Die vorgeschlagenen Textünderungen müs-
sen der Mehrzahl nach als ausgezeichnete bezeichnet: werden.
Ohne weiteres wird man Leo beipflichten müssen, daß folgende
Stellen als interpolierte auszuscheiden sind: 2
Ph. 1022—4 (ausführlich begründet S. 201—8); Med. 1012—8;
Ag. 548; Tr. 12—13 (deren Unechtheit sich sofort ergiebt, sobald
man in Vs. 8 mit E schreibt et quae frigidum . . . Tanain . . bibit),
doch will mir Leos Konjektur, in Vs. ll statt lepidum Tigrin im-
miscet freto zu schreiben mero nicht gefallen); Phoen. 100; HO.
1836; Med. 467. 8; unecht sind auch offenbar HO. 1755. 6, die an
2) Verwechslungen der Formen der Demonstrativpronomina und
-adverbien in den Handschr. finden sich häufig: Tr. 890 haec st. hoc;
Tr. 553 hic st. hac; Tr. 893 hoc st. hos; Tr. 553 hic st. hac (N. Heinsius).
8) Das von demselben verlangte mentibus statt mortalibus (Ag. 589)
hat übrigens schon Swoboda in den Text setzen wollen (III, S. 800))
auch L. Müller Rh. M. 17, 200.
726 | L. Tachau,
Stelle eines Berichtes vom Ende des Hercules und der Ankunft der
Alemena von einem Interpolator eingeschoben sind. Die Verse Hf
1098 und HO. 1578 ff. dagegen sind unverändert zu belassen, wie wir.
es in der Ausgabe auch finden. — Schwer verderbt ist die hand-
schriftliche Ueberlieferung in HO. 380 ff, zu deren Heilung verschie-
dene Gelehrte beigetragen haben. Leo billigt in Vs. 380 den ausge-
zeichneten Vorschlag Madvigs (adv. crit. II p. 126) laeta statt
alta und schreibt 381 in ebenso ausgezeichneter Weise nemore nudo
primus investit tepor ; 387 will er nach Kießlings Vorschlag aec
tlla Venus est lesen, während Birt (Rh. M. 84, 512 f.) nec fida Venus
est vorschlägt, dem ich den Vorzug geben möchte. Mit Hecht wen-
det sich Birt auch gegen Leos Konjektur, in 888 f. zu schreiben: et
pariter labor materque multum rapuit ex illo mihi; man wird dies
wegen der außerordentlichen Kühnheit des darin enthaltenen, an sich
nicht einmal leicht verständlichen Hendiadyoin nicht billigen kön-
nen ). A giebt: et partu labat, — Endlich will Leo dem an sich
nicht gut in den Zusammenhang passenden Vs. 390, in dem er mit
Grotius eripiet für eripuit liest, durch Annahme einer Lücke vor dem-
selben aufhelfen (S. 200), hat aber in der Ausgabe Habruckers Vor-
schlag, den Vers als Dittographie zu den beiden Vorhergehenden
auszustoßen, angenommen.
Versumste Fu ngen: Sehr glücklich ordnet Leo die Stelle
Tr. 487 ff. (487. 88. 97. 96. 92. 93. 89—91. 94. 95). Geändert hat
er seine ursprüngl. Meinung über Oed. 171 ff, vgl. die Ausgabe und
die ihr angehüngte Mantissa vindiciarum p. 381. Auch HO. 562 ff.
sind unveründert zu belassen. Ferner hat Leo seinen Vorschlag, HO.
448. 444a hinter 440 zu setzen, dann 442b und endlich 441 fol
zu lassen, selbst widerrufen (Mantissa p. 383), da er auf einem Mis.
verständniß der Worte humana nullos beruht. Diese können nicht
bedeuten: humana (ira) non facit (sc. miseros), sondern haben, wie
schon Ascensius bemerkt hat 5), den Sinn: facit, ut non sint, sed
pereant. — Damit erledigt sich auch der Vorschlag Birts (Rh. M.
94, 513), der die Vss, 440—2 der Amme geben móchte. — Auch die
anfänglich vorgeschlagene Vertauschung von HO. 511a 12 (8. 219)
hat Leo in der Ausgabe nicht vorgenommen, vielmehr die Worte
prohibetur undis (512) als noch zur Rede des Nessus gehörig, mit in
Anführungszeichen gesetzt = „Du wirst meine Beute und meine Ge-
mahlin sein; er (sc. Hercules) wird ja durch die Wellen zurückge-
halten“, — und so ist alles ohne jede Aenderung in schönster Ord-
nung. Birt (Rh. M. 34, 537) macht den an sich zwar probablen
Vorschlag, mit Vertauschung der beiden ersten Worte von 5192 u. 19
zu schreiben: gressum citabat, meque complexu ferens | prohibetur undis.
Doch liegt auf der Hand, daß die Worte nach Leos Interpretation
sich wesentlich wirkungsvoller ausnehmen, —
Konjekturen: Geistreich ist Tr. 922 sgnosce praedae statt
des sinnlosen Paridi; sehr gut HO. 460 (acuit. infernus Canis ; ebenso
Th. 867 plaustraque (plostraque) für monstraque; Phaedr. 508 mutas
für mutat, 989 properat statt portat (3.212, Anm. 1); Ag. 481 fat für
Jit; Phoen. 358 date arma matri, wie schon Gronov vorgeschlagen
hatte, vgl. auch Birt Rh. M. 34, 525 f. — Durch eine zweckmäßi
Interpunktion wird hergestellt: Oed. 647 ff.; ebenso Tr. 1171 ff, wo
Leo anfangs Mad vigs nec lenta annehmen und in 1175 tota mente
statt nocfe schreiben wollte, in der Ausgabe aber durch Herstellung
einer geeigneten Interpunktion die Stelle ganz nach den Codd. giebt.
4) Wenn Sen. auch /abor in diesem Sinne kennt vgl. Phoen. 586.
5) Nicht Habrucker, wie Leo irrthümlich angiebt (Mantissa p. 888).
Die Arbeiten über die Tragödien des L, Annaeus Seneca. 727
Leo schließt seine obs. crit. mit den Worten: tragemata
haec sunto non cena. Dalì nach solchen schmackhaften und vor-
züglichen tragemata die 'maior cena', die Ausgabe selbst, also
eine exquisite sein mußte, versteht sich wohl. Und in der That
ist schon der äußere Eindruck derselben in Vergleich mit der
Peiper-Richterschen ein sehr wohlthuender: der kritische Ap-
parat unter dem Texte ist nämlich sehr vereinfacht und auf das
Allermäßigste beschränkt, man vgl. nur einmal, um das würdi-
gen zu können, eine Seite bei Peiper-Richter mit ihrem Wust
von aufgezählten Varianten mit dem zu denselben Versen bei
Leo Notierten! — Um von einigen anderen Aeußerlichkeiten
zu sprechen, so ist Leo zum Glück auch von der heillosen Ver-
wirrung in der Verszählung, die Peiper-Richter angerichtet hatten,
zurückgekommen und zählt die Verse genau wie Gronoy, nach
dem in der Regel bis dahin eitiert worden war; eine Abwei-
chung hat sich der Herausgeber auch z. B. nicht in Tr. 170
erlaubt, welcher Vers sich bei Gronov doppelt gezählt findet
(bei Leo der zweite daher 170 G. bezeichnet); so erklärt sich
auch die Verszählung Ag. 400a—410a. Dies Verfahren ist in Hin-
blick auf die Gleichmäßigkeit der äußeren Einrichtung der Aus-
gaben nur zu billigen. — Endlich finden wir die Tragüdien,
die auch Peiper-Richter noch in der von 4 innegehaltenen Ord-
nung geben, in der Reihenfolge des Cod. E abgedruckt. Selbst-
redend mußte dies die Folge des in Leos Ausgabe zum ersten
Male strikte beobachteten Grundsatzes sein, den "Text von E
thatsüchlich zu Grunde zu legen und diesem so lange wie
eben möglich treu zu bleiben. Daß Leo in Folge der erneuten
Dureharbeitung des Cod. E mehr als einer im Stande war, uns
überall die bei Peiper -Richter oft vermißte ganz genaue
Auskunft über die LA. von E zu geben, ist schon oben erwähnt
worden. Und welch ganz anderes Bild wir durch genaue Wie-
dergabe und Festhaltung des in Æ Ueberlieferten bekommen,
zeigt z. B. die Stelle Med. 168 ff, wo man Leos Text mit dem
der früheren Ausgaben vergleichen möge. Zum Verständniß des
von Leo zuerst aus der besten Handschrift gegebenen fiam (171)
verweise ich auf Med. 910: Medea nunc sum. — Mit gutem
Takt und feinem Sprachgefühl ist der Text von E auch bis aufs
äußerste gehalten an solchen Stellen, in denen sich der Heraus-
geber aus der sowohl im E als in 4 verderbten LA das Rich-
tigere selbst herauszusuchen hat. Ich erwähne Phoen, 403. Pei-
per-Richter geben noch nach 4: perge o parens et concita celerem
gradum, während E bietet: perge, o parens, perge et concita cursu
celerem. gradum ; daraus stellt Leo her: perge, o parens, perge et
tita celerem gradum. Dies möchte ich gutheißen, da man bei
Seneca findet: citare gradum Phaedr. 989. 1062. Med. 891.
HO. 390; citare gressum HO. 518; citare passum. Phaedr, 1001;
citare cursum Phoen. 393; dagegen concitare in Verbindung
128 L. Tachau,
mit einem derartigen Substantitum, so viel ich weiß, gar nicht.
— Vgl auch Tr. 700, wo Peiper-Richter excipiat nach A geben,
Leo aspiciat aus accipiat (E). Eben aus diesem Grunde hat Leo
auch Ansichten, die er in den obs. crit. geäußert hatte, zurück-
genommen, wenn der Text von E nur irgend ertrüglich schien,
wie wir oben wiederholt zu zeigen Gelegenheit hatten (vgl zu
Ag. 592.. HO. 510 ff. u. öfter. Freilich scheint er an. man-
chen Stellen dies Princip auch zu weit getrieben zu haben; ich
erwähne Med. 628, wo die LA von 4 wegen des vorhergehen-
den cuius wohl die richtige sein wird, während Leo aus dem
ium von E cum herstellt. Vgl. auch die oben schon bertihrte
Stelle HO. 388, wo Leo E zu gefallen das ganz Ueberflüssige
pariter zu halten sucht. Etwas kühn scheint auch die Verbin-
dung flentes gementes osculis zu sein Med. 950. Doch beeinträch-
. tigen diese Kleinigkeiten in keiner Weise das Lob, daß Leo mit
äußerster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit und großem Geschicke
den Text nach den in den obs. cr. dargelegten krit. Grundsätzen
bearbeitet hat. — Konjekturen finden sich in sehr großer Zahl
in der Ausgabe, Leos eigene sowohl, als auch die anderer Ge-
lehrter, nicht nur solche, die früher schon veröffentlicht, also be--
kannt waren, sondern auch eine recht beträchtliche Anzahl von
Verbesserungen, die Leo der freundlichen Mithülfe von Büche-
ler und Wilamowitz-Möllendorf verdankte, wie ihm auch
eine Reihe anderer Gelehrter privatim ihre Konjekturen übermit-
‘telt haben. (Usener, Heimsoeth u. a.). — Den Grundsatz, der
ihn bei der Aufnahme von Konjekturen in den Text geleitet hat,
spricht Leo in der praefatio p. VI mit folgenden Worten aus:
nihil coniecturis lacessi passus sum, quod aut emendatum videretur
aut corruptum esse non posset probari. Dies gewissenhafte und um-
sichtige Vorgehen auch in diesem Punkte, das man ja freilich
nach dem in den obs. crit. Gebotenen erwarten durfte, mußte
die Áusgabe zu einer ausgezeichneten machen.
Nur an wenigen Stellen wird man die von Leo vorgenom-
menen Aenderungen nicht billigen mögen. Ich prüfe zunächst
Leos eigene Konjekturen.
. Außer den schon oben erwähnten (Tr. 700 aspiciat; 922 praedae,
Phaedr. 989 properat, Oed. 710 non hinc) und einigen kleineren
Aenderungen, die ein besseres Verständniß erzielen (Hf. 1840 substitue
st. restitue; Tr. 661 quid iam st. quidnam; Phoen. 299 ipsos st. slips:
Med. 677 effundit; Phoen. 121 ipse; Oed. 300 depressa m ; sind als sehr
gelungene zu bezeichnen: Hf. 287 cessit st. cecidit (vgl. die in der
mantisa vindic. p. 375 angeführten Belege); Hf. 634 f. ist mit Recht
nach Æ ebenfalls dem Hercules zugewiesen, wie denn die Worte im
Munde des Theseus, dem sie die früheren Ausgaben nach 44 gaben,
sich ganz unpassend ausnehmen. Um das doppelte hostis zu vermei-
den, schreibt Leo 634 hostia, was ich als ausgezeichnete Emendation
bezeichnen móchte; Hf. 674 properat st. pereat, wosu ióh ver-
weise auf Hf. 873, wie denn Seneca überhaupt properaré häufig in
Beziehung auf den Tod und die Unterwelt gebraucht. Vgl. Hero.
Die Arbeiten über die Tragödien des L; Annaeus Seneca. 729°
487. Oed. 127. HO. 1525. Tr. 1173, Phoen. 99. — Hf. 691 iacet
f iacens ist empfehlenswerth, während kein zwingender Grund vor-
liegt, 690 mit Leo zu schreiben éarum imminentem qua tenet ségnis
Sopor statt taro imminente, quam t. s. S. — Hf. 1099 hat Schmidt
obs. crit, (Nr. 21) p. 23 zuerst richtig erkannt, daß zu dem stipitem
converte das Objekt fehlt- Wenn er aber deshalb schreiben will
pectus hoc fetis pete | vel stipitem .. .., so hilft er damit dem gerügten
Mangel nieht ab. Leo hat hier das Richtige getroffen, er liest unter
Belassung der Worte pectus in tela indae (vgl. dazu Gronov ad Hf.
1312) vel stipitem istue (statt istum) converte. Hf. 1208 vacat cur
st. vagetur, eine ganz vorzügliche Emendation. — Eine durchgrei-
fende Aenderung hat Leo Tr. 1031 ff. vorgenommen, mit welcher
Stelle sich schon Henneberger (Nr. 19), 8. 25 f. befaßt hatte; Leo
liest statt dius — vectus, statt reverti — revertit und hat so die bis
dabin ganz unklare Stelle verständlich gemacht. — Gut ist auch die
Aenderung Tr. 1076 sola cautes st. saeva; ebenso P hoe n. 108 faci-
‘nore ubicunque est opus; und 112 funebri abscondar strue (vgl. p.878);
schon Gruter hatte das escendam des E als sinnlos erklärt, vgl.
Gronov ad h. 1.; Phoen. 403 vgl. oben; 507 nec sacra st, sua,
offenbar durch ein Verschreifen des Abschreibers aus dem vorigen
Verse auch hierher gerathen ist. — Med. 136 movit st. saerit; 451
at quo für ad quos vorzüglich; 718 quicumque; 768 statt der ganz
sinnlosen Worte die relicto Phoebus in medio stetit die vorztig] liche
Verbesserung : die reducfo, das Zum Vorhergehenden zu ziehen ist. —
Phaedr. 558: taceo novercam: mitior nil est feris (statt: E
novercas: mitius nil est feris, das Gronov in sehr gezwungenor
Weise zu erklären versuchte). So erhalten wir eine der schon von
Baden (vgl. mit ihm Eur. Alc. 310) gegebenen einzig richtigen Er-
klürung der Worte entsprechende Lesung. — Phaedr. 749 talis für
qualis; 1118 gaudere non est ipse quod voluit potens entspricht dem
Sinne nach vorzüglich, aber die Konstruktion? — Phaedr. 1203 im-
pium abdite statt sapite (vgl. Leo 8. 381), — s
Oed. 118 sagittis gut für sagittas, — 174 simulaera ferunt st.
virum; 228 movit coma m gut für das sinnlose movit domum. — Eine
gute Anderung ist auch Oed. 956 di maritales (so mit Madvig statt
hi), satin? statt statim; vgl. S. 382. Ich verweise auch auf die
ähnliche Stelle Thyest. 989 f. — 986 nulia revoluta manu st. dura.
vorzügliche Aenderung immoti für immites, —
hyest. 833 mare cingens st. mare et ignes.
Nur ganz wenige Konjekturen Leos, die sich in den Text
aufgenommen finden, wird man nicht gutheißen kónnen. Dahin
rechne ich:
Herc f. 490. Statt dabis schreibt Leo dabit sc. Hercules (vgl.
die Erklürung auf S. 735). Hütte Seneca einen derartigen Gedanken
ausdrücken wollen, so hätte ohne Zweifel der Gegensatz zwischen :
„Du hast dem Jupiter Deine Gemahlin gegeben, er wird mir, dem
Könige, die seinige geben“ stärker ausgedrückt werden müssen, ala
“durch das einfache dabis-dabit, das den Gegensatz ganz verwischt und
unverständlich macht. — Die Erklärung der handschriftlichen LA
dabis ist: „dem Jupiter liefertest du eine Gemahlin (sc. deine eigene),
du wirst, auch dem Könige eine liefern (sc. murum, wie aus dem ff.
Verse hervorgeht). Daß die 2te Person dabis beizubehalten ist, be-
weist auch Vs.491, in welchem mit der 2ten Person fortgefubren wird.
Für unglücklich halte ich auch die Aenderung des handschrift-
730 L. Tachau,
lichen vici in vidi, Herc. f. 612. Die Verse 606—612 enthalten
folgende 2 Gedanken: 1) „Ich habe die Unterwelt gesehen; 2) Ich
habe des Todes Graus besiegt (ich hätte, wenn ich nur gewollt hätte,
sogar im Todtenreiche herrschen können) und bin als Sieger zurück-
gekehrt“. Diese beiden Gedanken werden in V. 612 zusammengefaßt
in den Worten: vidi et ostendi inferos. Das vi di entspricht Vss.
. 606—8, das ostendi das ein vincere voraussetzt, den Vss. 610 —12 (=
ich habe den (von mir als Sieger mitgebrachten) Cerberus gezeigt".
Folglich ist in 612 vici beizubehalten, welches auch als Begründung
des regnare potui (610) unentbehrlich ist, vgl. HO 47 f.: noz et ez-
tremum chaos in me incucurrit. — Lesen wir mit Leo vids, so
enthielten Vss. 610—12 nichts anderes als 607 ff., und wir hätten
8mal hinter einander vidi. V. 607. 612. 613. | :
Tr. 632. Leo liest:
utinam timerem. solitus ex longo est metus:
dediscit animus saepe quod didicit diu. |
(saepe statt sicre E, sero A). Er erklürt (I 9): sta saepe ad aliquam
rem animus insuescit, ut eiusdem conscius esse desinat; tam diu timere
didici, ut dedicerim. Demnach müßten wir utinam timerem erklären:
„Ich möchte schon, daß ich fürchtete, aber ich kann es ja nicht mehr“;
diese Erklärung widerspricht aber dem Zusammenhange. “Es ist doch
widersinnig, daß Andromache dem Ulixes, der, sie scharf beobachtend,
ganz deutlich bemerkt hat, wie sie zusammenschrickt, (vgl. 615 ff,
.618 magis haec ti m e t, quam maeret), antwortet: „Ich erschrecke ja
gar nicht, weil ich es nicht mehr kann“. Vielmehr verlangt man
einen Gedanken, wie: „Dieses Zusammenschrecken, das Du an mir
bemerkst, hat keinen weiteren besonderen Grand, es
geschieht unbewußt in Rolgelanger Gewöhnung“.
Vs. 632 ist also zu übersetzen: „(Allerdings ich erschrecke); o könnte
ich doch nur mit Grund noch fürchten! Jetzt geschieht es bloß
in Folge langer Gewöhnnng“. — Vs. 633 muß den Gedanken ent-
halten: „Der Geist verlernt ja nur sehr schwer (sehr spät), was er so
lange geübt hat“. Dies drückt das in 4 überlieferte sero aus, gegen
das auch keine metrischen Bedenken vorliegen, denn Seneca gebraucht
es: auch Agam. 993 und Th. 964 mit kurzer Endsilbe. — Med.
19. Der Vers ist, wie ihn die Handschriften geben, nicht zu ertra-
gen; die Versuche, sich mit der Ueberlieferung zurecht zu helfen,
sind mißglückt. Leo schreibt statt ma lu m das wenig ansprechende,
weil zu matte, manet. Mir scheint der Febler in mshs zu stecken,
das unnöthigerweise viel zu stark hervortritt. Ich möchte vorschla-
gen: mens peius agitat, quod precor sponso, malum. Vgl. 47 f.:
tremenda caelo parder ac terris mula mens intus agitat. — Med.
194. Die Handschriften bieten: Med.: st sudicas, cognosce; si
regnas iube 195 Creo: aequum atque iniquum regis imperium feras.
— Leo wirft 195 aus und schreibt 194: Med.: ss iudicas , conosce.
Creo: si regnas, iube. Ich meine, daß kein Grund vorliegt, die
Ueberlieferung zu beanstanden. Medea sagt (194): „Als Richter
wirst du untersuchen, nur ein Tyrann wird nach seiner Will-
krü befehlen“. Creo antwortet (195): „Du wirst den Spruch des
Königs ruhig über Dich ergehen lassen, gleichviel ob er billig oder .
unbillig ist“, d. h. Dir gegenüber bin ich (mit Recht) ein Tyrann,
der nach seiner Willkür befiehlt und dem zu gehorchen ist. Bo
schließt sich also 195 ganz wohl an 194 an, während die Worte: si
regnas iube sich in Creos Munde etwas wunderlich ausnehmen wür-
den. — Med. 413 Leo schreibt ohne zwingenden Grund imifari
impetum statt inhibere. Sinn: „nicht die stärksten Hindernisse wer-
den meinen Ungestüm und meinen Zorn einhalten können, alles
Die Arbeiten über die Tragödien des L, Annaeus Seneca, 731
werde ich niederwerfen“. Zu inhibere ist das folgende: sfernam et
evertam omnia ein kräftiger Gegensatz, während imitari die Kraft der
Stelle abschwächen würde. — Phaedr. 477. Leo schreibt: sed
ista (statt fata) credas desse: sic atram Styga iam petimus ultro.
Dies erscheint mir nicht richtig: vgl. Phaedr. 440, wo ebenfalls der
Tod durch den Zwang der fata dem freiwilligen Tode entgegenge-
stellt wird: quem fata cogunt, ille cum venia est miser; | at si quis
ultro se malis offert volens etc. Vgl. ferner Hf, 183 f, —
Von trefflichen Besserungsvorschlägen anderer
Gelehrter, die zu Leos Ausgabe beigesteuert haben, sind zu
nennen:
Bücheler liest Phaedr. 352: vindicat (sc. Amor) omnem sibi
maturam, eine sehr glückliche Aenderung des handschriftlichen : wind.
omnes natura sibi, — Derselbe Gelehrte schreibt Tr, 246 mit leich-
tester Aenderung: ef tam placita statt etiam. — Hf, 814 nonus
(sc. nitor) st. bono; Hf. 380 patrium (sc. larem) st. patriam, mit iet
wie mir die Aufzühlung Vs. 381 zu beweisen scheint. — Von B.
rührt auch eine gute Interpunktions-Aenderung her in Tr. 1124 f. —
Ob dagegen Agam. 252 die Aenderung prospera animos efferant statt
efferunt nothwendig ist, bleibt mir fraglich. Dem Sinne nach em-
pfiehlt sie sich; zu Senecas Manier und Ausdrucksweise paßt aber
auch wohl die handschriftliche LA ganz gut. — In der Ausgabe
findet sich endlich Hf. 20 nach Bücheler so: Thebana tellus sparsa
nuribus impiis (unter Zugrundelegung der LA von K), ist aber von
Leo Rhein. M. 35 S. 431 Anm, zurückgenommen und nach 4 zu le-
sen. — Von Wilamowitz-Müllendorff liest Hf. 251 rur-
sus (zum folgenden zu ziehen) statt terri, eine vorzügliche Kon-
jektur. — Ebenso vorzüglich ist Hf. 693 Pavorque furvus st. des
sinnlosen fu nus der Handschrift, wofür schon Madvig ein Adjektiv
verlangte und auf foedus oder falsus rieth, Das aus Hor. Carm. II
13, 21 furvae regna Proserpinae bekannte Epitheton des in der Un-
terwelt Befindlichen, findet sich auch noch bei Sen. HO. 1964 puppis
furva. — Med. 73 avide für avidae; Med. 485 gaza für gazas. —
Oed. 248 eura t st. quaerit, eine sehr glückliche Aenderung- — Ag.
506 Zeario st. Tonio. — Agam. 898 popa st. prius. — Durch
eine Umstellung der Worte wird gebessert Hf. 427. — Die Aende-
rung Hf. 485 invius st. obvius (auch Nolte Philol. 23, 651
schlägt es zaghaft vor) stammt schon von Nie. Heinsius, Baden, der
gegen sie mit Unrecht protestiert, sucht zu erklären: ebrius = ad-
versus, contrarius reluctans, eine Bedeutung, die das Wort bei Se-
neca nicht hat. Vgl. Hf. 184. 1032. -Phoen. 487, Med. 594. Th, 171
(obvios fluctus von dem dem Tantalus entgegenkommenden
Wasser; Gegensatz profugus later). — Für verfehlt halte ich Bf.
207 zu schreiben: nulla lur unquam Herculi secura fulsit st. un-
quam mihi, für das schon Withof das noch weniger Erträgliche viro
vorgeschlagen hatte. Die Einsetzung des Namens (Herculi) ist an
dieser Stelle aber wohl ganz ausgeschlossen, da er in der ganzen
Rede des Amphitryo nicht vorkommt. Es ist wohl mit Leo eine
Lücke anzunehmen, — Für zu kühn balte ich auch Hf. 1043 visuaque
marcor hebelat statt maeror. — Eine ganz ausgezeichnete Kon-
jektur verdanken wir Heimsoeth, der Hf. 659 deque quam a m o~
fam irrila quaesivit Enna mater lesen wil. Es ist dion ie endliehe
Heilung einer Stelle, an der sich schon zahlreiche Gelebrte , auch
Madvig, vergeblich versucht hatten. — Endlich haben wir eine
Emendation Stu demunde zu erwälinen, der Med. 226 mit Ein-
schiebung von et liest: decus illud ingens Graeciae et florem inclitum, —
732 L. Tachau,
Was endlich die Aufnahme älterer, in früheren Aus-
gaben, Zeitschriften und Programmen verüffentlichten K o n-
jekturen anlangt, so hat Leo die Litteratur gewissenhaft be-
nutzt (vgl. z. B. zu Tr. 781. 844) und ist bei der Auswahl
mit gutem Takt vorgegangen. So sind auch eine Reihe Kon-
jekturen von Heinsius, Lipsius, Gruter.und anderen äl-
teren Gelehrten hier in den Text aufgenommen worden, die
zwar Peiper-Richter auch bekannt waren — man vgl. den krit.
Apparat ihrer Ausgabe an vielen Stellen —, aber von ihnen
mit Unrecht verschmäht wurden.
Ich verweise nur auf Hf. 1076, wo das von J. Douza vorge
schlagéne und von Leo aufgenommene longam noctem unbedingt
richtig ist, da das handschriftliche von Peiper- Richter beibehaltene
longam mortem nur von dem gesagt werden kann, der vom Un-
glück lange hart heimgesucht gleichsam einen „langwierigen .Tod“
stirbt, und dies paßt hier nicht. Vgl. HO. 105: mortis habet vices
vita cum (trahitur lenta gementibus. — Man vgl. in dieser Beziehung
auch die von Leo aufgenommenen Konjekturen zu Med. 280. 478. Tr.
1163. Phoen. 186 und an anderen Stellen. — Nur muß es trotz des
‘ in der Mantissa S. 378 Ausgeführten auffallen, daß Med. 845 sich
Madvigs Konjektur arces im Text findet, das = rupfum cacumina
sein soll, welche Konj. Madvig selbst doch nur mit dem Zusatz „sed
dubito" gewagt hat. — Fraglich ist auch, ob es nöthig war, Phoen.
394 Lachmanns viden aufzunehmen, da doch Tr. 945 rubig vide
ut animus von Leo beibehalten ist. Vgl. Schmidts- Dissertation
(Nr. 7), p. 23. — | .
Das umsichtige und maßvolle Vorgehen Leos in der Auf-
nahme von Konjekturen in den Text der Tragódien erklärt, daß
sich eine recht ansehnliche Zahl noch nieht geheilter
Stellen mit einem + in seiner Ausgabe bezeichnet. finden. Es
sind dies z. B. in den Troades allein schon 7 Stellen. In der
Regel hat Leo im kritischen Apparat unter dem Text zu sol-
chen Stellen seine oder fremde Vermuthungen mitgetheilt. Doch
kann ich nicht umhin, ihn hier einer Inconsequenz zu zeihen.
Während nämlich Peiper-Richter selbst an Stellen, die eine si-
chere Emendation schon erfahren haben, auch frühere, verfehlte
Konjekturen erwähnen — was gewiß gänzlich überflüssig ist;
man vgl. z. B. Hf. 999 (PR 1004), wo allein Badens valva
richtig sein kann, also die Erwähnung von Withofs-olava
durchaus unnöthig ist — ist Leo in das andere Extrem ver-
fallen: Er giebt an manchen noch nicht geheilten Stellen zwar
einige Konjekturen im krit. Apparate an (vgl. z. B. Hf. 909.
Hf. 577, aber auch hier fehlt Peipers Taenariae), aber meistens
finden wir nur Leos eigene Vorschläge. So ist z.B. zu Hf. 767,
wo das handschriftliche squalent genae gewiß verderbt ist, nur
angemerkt: „Conieci: fulgent. (cf. Verg. Aen. VI. 300)“. Man
vermißt hier gänzlich des Nic. Heinsius? pallent®), um so
6) Dies wird wohl das Richtige sein (oder candent Phaedr. 882 P)
obwohl Heinsius selbst es später verworfen und dafür das von Bothe
in den Text gesetzte /urent (P?) vorgeschlagen hat.
Die Arbeiten über die Tragüdien des L; Annaeus Seneca. 733
mehr, als man fulgent genae hier doch wohl kaum in dem Sinn
wie in der angezogenen Stelle Virgils (stant lumina flamma)
wird erklären können. Man vgl. übrigens auch Tr. 1138, wo
fulgent genae bedeutet: „es erglänzen die Wangen se. von Roth“,
d. h. selbst angesichts des Todes erbleichen sie nicht. — Es
wäre gewiß wünschenswerth gewesen, an derartigen, noch nicht
sicher emendierten Stellen alle dazu vorgebrachten Konjekturen
im kritischen Apparate zusammengestellt zu sehen. Man ver-
mißt dies z. B. Tr. 844. 1098. Hf. 1312. HO. 1176 (wo Mad-
vig und Peiper fehlen). Med. 517 u. è.
Auch mit den von Leo vorgenommenen Versaugschei-.
dungen wird man sich im allgemeinen einverstanden erklären
müssen. Daß Med. 195 zu halten ist, habe ich oben zu erwei-
sen gesucht; ebenso Med. 657 (vgl. S. 352). — Mit Unrecht
verwirft Leo auch Phoen. 100, Peiper hat diesen Vers hinter
102 umgestellt, ebenfalls mit Unrecht. Er kann, wie ich meine,
nur hinter 101 passen. Der Gedankengang ist: „Wer je-
manden gegen seinen Willen zu sterben zwingt, handelt ebenso
unrecht, wie wer jemanden, der zu sterben wünscht, gewaltsam .
vom Tode zurückhält (Vs. 99), oder besser: das letztere ist noch
mehr unrecht (Vs. 101), denn [Vs. 100]: jemanden, der
sterben will, daran zu hindern, heißt erst recht
ibn tödten (man vgl. HO. 105); daher (Vs. 102) will ich
lieber mir den Tod befehlen, als ihn mir verbieten lassen“, —
Endlich sind von Leo an zahlreichen Stellen Versver-
setzungen vorgenommen, von denen uns einige schon oben
beschäftigt haben. Sie alle eingehend zu prüfen, würde zu weit
führen. Sie finden fast überall unsere Billigung.
Aus einem kurzen Nachtrag, den Leo zu seiner Ausgabe.
giebt, (im Rhein. Mus, 35, S. 431 Anm.) ist zu erwähnen der
Vorschlag, HO. 1381 zu lesen: redeuntes minaz ferrem
minas —
Ich gehe nun zur Besprechung derjenigen Schriften über,
die Beiträge zur Emendation des Textes der Tragödien ent-
halten, Hierher gehören außer den unter Nr. 2. 7 genannten
noch folgende:
Nr. 15) Lucian Müller de re metrica poetarum latinorum
praeter Plautum et Terentium libri septem. Lipsiwe Teubner 1861;
besonders p. 167—172.
Nr. 16) Derselbe kritische Beiträge zu einigen rm. Autoren.
Rh. M. 17 (1862). Für Seneca 8. 200 f.
Nr. 17) A. Henneberger adnotationes ad Senecae Medeam
et Trondes maximam partem criticae, Progr. des Gymn. in Mei-
ningen 1862.
Nr, 18) Gustav Richter Beispiele von Vertversstsungen und
Interpolation in den Trag, dés Sen. — Rh, M. 18 (1863) 8. 28 ff.
Nr. 19) Bernhard Schmidt observatlones criticae in L, An-
734 L. Tachau,
naei Senecae tragoedias. Jena 1865. (Besprochen von L. Miller Jahrb.
1867 (95) p. 68 fi. u. Peiper Z. f. G. 1866. .
« Nr. 20 Nolte zu Hercules Furens. Philol. 28 (1866) S. 651.
Nr, 21) Rudolf Peiper praefationis in Senecae i
nuper editas supplementum. Programm des Gymn. su St. Maria
Magdalena in Breslau 1870.
Nr. 22 Madvig adversaria critica ad scriptores latinos 1873.
Zu Seneca Bd. 1 115; Bd. II 111—127.
Nr. 23) Cornelissen ad Senecae tragoedias. Mnemosyne V
(1877) p. 175—185. |
Nr. 24) Len tz zu Herc. f. 1055. Wiss. Monatsblätter 1878 S. 153.
Nr. 25) Theodor Birt zu Senecas Tragódien. Rhein. Mus.
34 (1879), S. 510—560.
L. Müller (Nr. 15) hat den Text an folgenden Stellen in
evidenter Weise gebessert: |
Th. 302 commoveb u n t, was abgesehen von dem durch die hand-
schriftliche LA commovebo sich ergebenden Hiatus auch durch den
Sinn empfohlen wird. — Ag. 59 dubioque locas nimis excelsos aus
metrischen Gründen. — HO. 1833 gravi urgendus prece (st. nece). —
Dem Sinne nach empfiehlt sich auch HO. 1008: sedent. reclusas
video carceris fores (sed en reclusas hatte übrigens schon Bothe
vermuthet) — HO. 1176: Herculem vestrum placet | perire iner-
tem? — HO. 1860: tam ploret orbis ist empfehlenswerth ; vgl.
übrigens andere Konjekturen bei Leo annot. crit. ad h. 1.
Dem Sinne nach genügt auch Müllers Konjektur zu HO.
1459, einer Stelle, die viel Schwierigkeiten macht. Sie lautet
in der handschr. Ueberlieferung : |
recte dolor es (caeci dolores 4), manibus irati Herculis
occidere meruit; perdidit comitem Lichas (perdidi comitem-Licha £).
Von den zahlreichen Konjekturen, die zu dieser Stelle vorliegen,
sind diejenigen ohne weiteres als falsch zu verwerfen, die nicht
folgenden von Leo (I 30) mit Recht hier geforderten Sinn er-
geben: „hoc non satiat iram meum, quae meae ipsius illam dexterae
deposcit^. Müller schreibt: aucti dolores: manibus iräti Herc.
etc., das wohl den Sinn ergeben kann: „das ist nicht eine Ge-
nugthuung für mein Leid, sondern macht es noch gró Ber,
denn durch meine Hand hätte sie sterben müssen u.s. w. Dies
wäre also dem Sinne nach annehmbar. Leo verwirft zwar Miil-
lers Konjektur und hat eine eigene dafür in den 'Text gesetzt:
relicte dolor es: manibus irati Herc. e. q. &, die auf den er-
sten Blick sehr besticht, weil sie dem hier geforderten Sinne gut
entspricht und dabei der Ueberlieferung von E möglichst getreu
bleibt. Doch kann ich derselben meine Zustimmung nicht ge-.
ben, weil der Vocativ relicte hier ganz und gar in der Luft
schwebt und ein eigentliches Prädikatsverb gänzlich vermißt wird.
Insofern unterscheiden sich auch alle von Leo zum Beleg der
Konstruktion herbeigezogenen Stellen (vgl. I 30) von der unsri-
gen, als in allen ein volles Prädicatsverb sich findet. — Uebri-
gens erstreckt sich der Fehler in. der handschr. Ueberlieferung
nicht bloß auf die Anfangsworte von V. 1459, wie Müller und
Leo annehmen. Die Worte: perdidit comitem Lichas können doch
Die Arbeiten über die Tragödien des L, Annaeus Seneca, 735
nur heißen: „L. hat seinen Gefährten getödtet“, oder perdidi
comitem Licha (E) „ich habe meinen Gefährten getödtet *,
Beides ist an unserer Stelle unerträglich, Daß man aber nach .
Gruters Vorgang erklärt: „Lichas hat seinen Gefährten verloren
(sc. die Deianira, die ich ihm, indem ich auch sie, wie ihn,
tödtete, im Tode hätte beigesellen sollen)“ ist völlig unzulässig.
— Dieses hat Birt (Rh. M. 34, 548) richtig erkannt. Aber,
um nun einen Zusammenhang herzustellen, in den diese Worte
nach ihrem richtigen Sinne passen, schlägt er eine Lesung der
Vss. 1459 f. vor, die ganz undenkbar ist:
recte, dolo eius perdidit comitem Lichas ;
occidere meruit manibus irati Herculis -
oder: recte. dolo eius — manibus irati Herculis
occidere meruit — perdidit comitem Lichas.
Hercules kann ja gar nicht seine Befriedigung. über Deianiras
Selbstmord aussprechen, denn V.1461 beweist, daß es ihm leid +
thut, daß sie todt sei, und daß er sie nicht vielmehr selbst habe
tödten können, Die Worte manibus irati Ilere, etc. können also
gewiß nicht parenthetisch genommen werden, da auf ihnen ein
ganz besonderer Nachdruck liegt. — Ich meine, daß auch die
Worte: perdidit comitem Lichas als verderbt anzusehen sind.
Daß Hercules sie, wie Birt will, zur Begründung seines
Wunsches, daß er sie gern selbst getödtet hätte, anführt (weil
nämlich durch sie verführt Lichas ihn getódtet habe) kann ich
nicht gut annehmen. An eine Ausscheidung der anstößigen
Worte recte dolor es und perdidit com. Lich., so dab also übrig
bliebe : occidere meruit manibus irati Herculis wage ich auch nicht
so recht zu denken. Dagegen scheint wir wahrscheinlich, daß
Hercules den Lichas so in Verbindung «mit Deianira erwähnt,
daß er sagt: „Ich hätte sie selbst tódten müssen, denn Li-
chas verlangt einen Genossen im Tode“ Man
vgl. Tr. 310, wo Pyrrhus droht, den Agamemnon zu tödten
mit der Bemerkung: et nimium diu | a caede nostra regia cessat
manus | paremque poscit Priamus. Man lese also mit
Adopterung yon Müllers Konjektur für V. 1459:
aucti dolores! manibus irati Herculis
occidere meruit: poseit hane comitem Lichas, —
Von den übrigen Konjekturen Müllers erweist sich eine als jetzt
überflüssig: HO. 1030: serum et eripiam scelus, da hier von Schmidt
(Nr. 19), p. 10 unzweifelhaft richtig verum ut eripiam scelus
eingesetzt ist. — Ganz in Wegfall kommt die Stelle Tr. 106, wo M.
noch nicht die richtige LA der Hdschr. kannte. — Phaedr. 1140 will
M. tonut ausscheiden, wir haben aber wohl mit Leo den ganzen Vers -
(circa regna tonat) zu verwerfen. —
Gänzlich unnüthig ist die Aenderung HO. 153, wo pectore st. me
i ler
Ferrum Amazonium gerens. Müller schreibt: Lacaena, ritu ferrum
Amazonidum gerens. Aber Seneca kennt die Bildung Amazone gar
nicht; es findet sich bei ihm das Adj. Amazonius (Ph. 282; HO,
736 L. Tachau,
1450) und das Substantiv Amazon (Tr. 242. 673. HO. 1185. Agam.
218). Der Plural überhaupt nicht, sondern immer dafür eine Um-
schreibung ; vgl. Med. 214. Oed. 479. — 04
Ein Wort, das Seneca ebenfalls nicht kennt, hat M. eingesetsi in
HO. 356, wo er, offenbar durch das irrthümlich von Gronov als LÀ
in E angegebene ru/cusque (E hat thatsächlich euwitusque), lesen
will: ulcusque ab illo traxit infelix status. Aber abgesehen ‘von
dem seltenen w/cus, auch von der Verbindung uicus-trahere, wür-
deu die Worte zweideutig sein, da man infeltz status nach ab illo auf
Hercules und nicht auf Jole beziehen möchte. — Allerdings bin ich
der Meinung, duB mit alleiniger Adoptirung von N. Heinsius' ab iila
die Sache noch nicht abgethan ist. Nicht mit Unrecht nimmt Müller
Anstoß an dem matten und nichtssagenden multu m. Ich meine, der
Vers ist als interpolirt auszuscheiden; es ist Nacharbeit von
994f.: nihilque ab tila casus et fatum grave | nisi regna trazit. Vers 357
schließt sich weit besser an 355; so erhalten wir lauter kleine Sätze,
welche die Amme Schlag auf Schlag folgen läßt. —
HO. 1850 will M. statt brsque septenos greges lesen gregis, wel-
cher Genitiv aber eine große Härte der Konstruktion erzeugt. Man
lese mit Leo gregem, wenn ich auch nicht leugnen kann, daß das
oppositionell hinzugefügte dis septenos sehr ungefüllig ist, während
wir sonst bei Seneca in diesem Sinne einen Genitiv von grez abhängig
beigefügt finden. Vgl. Hf. 1149 ab illa natorum grege; Hf. 478 vir-
ginum greges. —
Hf. 1265 verlangt M. veneranda polius omnibus facta intuens f.
memoranda. Er meint, das im folgenden Vers stehende crimine
verlange, daß vorher ein Ausdruck gesetzt sei, »quo aperte laudes
significarentur Herculis «, was durch memoranda nicht geschehe, da ja
&uch die in der Raserei vollbrachte That »et 4psum dignissimum me-
seria hominum« sei. Ich denke aber, daß eben wegen des Gegen-
satzes criminis (1266) das im vorhergehenden Vers .enthaltene memo-
randa gar keinen Zweifel darüber lassen kann, daß damit die be-
rühmten Arbeiten des Hercules gemeint seien. Veneranda würde zu
facta auch gar nicht passen. Seneca spricht von einer veneranda
Pallas Phaedr. 1149; venerandum caput Th. 544. Für die Richtigkeit
des hdschr. memoranda sprechen aber Stellen, wie Tr. 299: slam
(Achillem) /audibus cuncti canent; HO 89 nulla me tellus silet. —
In Th. 300 soll statt des hier vereinzelt vorkommenden esus ge-
schrieben werden melius, das aber hier sehr wunderbar gestellt sein
würde. etus ist zu behalten; vgl. Leo II, p. 382. —
Die mit zahlreichen Konjekturen beglückte Stelle Med. 517 (vgl.
die Ausgaben von Gronov, Bothe, Peiper- Richter, Leo) ist hier um
eine weitere bereichert, die mir aber ganz unverständlich ist. Müller
will lesen: medere. nos confligere ardemus. sine. —
In Med. 201 mit Müller zu lesen: au dft ut a te Pelia supplicium
tulit (schon Gronov wollte audit et a te P. suppl. tulit) ist schon des-
halb zu verwerfen, weil es ein Unding von zusammengesetztem Satse
ist. Asserdem widerspricht es inhaltlich dem Gedankengange. Medea
beruft sich auf den alten Grundsatz: »wer den anderen Theil nicht
hört, urtheilt unbillig «. Wenn Creo darauf (nach Gronov-Mtiller) ant-
wortete: »Pelias hat dich ja angehört (sc. als du Schutz suchtest),
aber du hast ihn doch getödtet«, so wäre das im besten Falle ein
recht frostiges, unpassendes Wortspiel mit dem audire, denn Pelias
kann mit Bezug auf die bittflebende Medea gar kein aequus index
genannt werden, und der Hieb, den Creo der Medea versetzen will,
sitzt gar nicht. Der Zusammenhang verlangt vielmehr: » Der Spruch,
auf den du dich berufst, hat auf Dich keine Anwendung, denn du
Die Arbeiten über die Tragidien des L. Annaeus Seneca. 787
selbst bast ihm zuwider gehandelt, indem du Pelias, ohne ihn zu
hören, tôdtetest.e — Nur so passt auch das Folgende dazu, Aller:
dings ist die Exemplificirang auf Pelias, die Creo hier beliebt, sehr
wunderbar. Creo stellt Medea hier gleichsam als Richterin hin, die
Leben und Tod des Pelias in der Hand hat: sie hört nicht den Pelias,
sondern nur sich selbst und verstößt so gegen die alte, in Vers 199
ausgesprochene Maxime. —
Phoen. 456 schreibt Müller für donate matri pacem, das aus
metrischen Gründen falsch ist: donate matri pacta. Dies kann aber,
wie Vers 280 und 462 beweisen, nur bedeuten, »die Abmachung, daß
jeder der Brüder abwechselnd vin Jahr regieren soll «, Dem Zusammen-
hange nach ist aber das Wort so hier nicht am Platze; vgl. 468f.
Nach Vers 409 erwartet man einen Gedanken, wie ponite tela; viel-
leicht ist zu schreiben: date ar ma matri saeva, Für arma saeva.
vgl. Phaedr. 533. — Getrennt von diesen hat Müller in demselben
Werke noch berührt: Med. 660 (de re metr. p. 119), vgl. darüber
oben p.351. HO.1199 (p. 149) soll mit theilweiser Adoptirung von 4
gelesen werden: lucem recepi, Ditis et rupi moras, Schon Schmidt
(Nr. 19), p. 11, fragt mit Recht, warum nicht ganz nach A Ditis
evici zu lesen sei. — Oed. 882 lautet in den Hdschr, ganz verderbt:
Comes audacis viae, Müller schreibt (p. 167) compos audacis viae,
was Peipers Billigung gefunden hat (obs.lib. p. 22). Leo hat eine
Konjektur Büchelers in den Text gesetzt compide audacis viae, die
zwar sehr geistreich ist, doch bin ich von der unbedingten Richtigkeit
nicht überzeugt. —
Derselbe Gelehrte hat im Rhein. M. 17 (1862) p. 200 zu
5 Stellen aus den Chorliedern des Agamemnon Vorschläge gemacht,
die auf Herstellung eines ertrüglicheren Metrums abzielen. Die
Besprechung derselben darf ich mir hier nach Leos erneuten Unter-
suchungen über die metrische Form dieser Chorgesänge versagen,
Die Arbeit Hennebergers (Nr. 17) ist eine sehr fleillige
und sorgfältige Er zeigt in der Erklärung von Stellen, in der
Besprechung, bez. Widerlegung von Meinungen und Konjekturen
anderer Gelehrter meist ein gesundes Urtheil. Eine eingehende
Behandlung des reichhaltigen Schriftchens kann ich hier unter-
lassen, da H. sich noch auf den veralteten Text Bothes stützt
und es meist mit solchen Konjekturen Bothes und Gronovs zu
thun hat, über deren Werth wir uns längst im Klaren sind, auch
oft weitschichtige Erklärungen von Stellen giebt, über die jetzt
längst kein Zweifel mehr besteht (so von Tr. 17; Tr. 248 metus;
Tr. 270 u. à. Doch verdienen eine Reihe guter Erklärungen
hervorgehoben zu werden; so Med. 914 quaere materiam — suche
Stoff (se. durch die Erinnerung an Deine vergangenen „Groß-
thaten“ (vgl. 911—914), um Dich zu gewaltigerem Thun zu
entflammen, (während die Uebersetzer Swoboda und Oßwald
(Nr. 28) ganz mißverständlich übersetzen: „suche Dir ein
Ziel“). Gut erklärt werden auch Med, 1003; Tr. 349 ff, 482,
1032 (wenn hier auch erst Leo durch seine Konjektur vectus st.
lius das volle Verständniß erschlossen hat), Daneben finden
sich zwar auch manche verfehlte Erklärungsversuche, z. B. Med, 41,
wo si vivis anime zum folgenden (43f) gezogen werden soll;
Philologus XLVIII (N, F. II), 4. 47
738 L. Tachau,
Tr. 469, wo vergeblich Farnabs Erklärung bekämpft wird; u. è. —
Das Verständniß einer Reihe von Stellen wird auch gefördert
durch Herstellung einer besseren sinngemäßeren Interpunktion.
Ein gutes Beispiel dafür jst Tr. 538 wo H. zuerst erkannt hat,
daß vester zum Vorhergehenden gehört. Siehe auch die Bemer-
"kungen zu Med. 25. 923. Tr. 401. —
Lobenswerth ist besonders das Bestreben, die LA von E so
weit möglich gegen A zu halten, so z.B. in Tr. 15. 163. Med.
437. 456. 578 (letifica, wobei eine Sammlung von Adjektiven
auf -ficus gegeben wird, die allerdings auf Vollständigkeit für
Senecas Tragödien keinen Anspruch machen darf; man vgl. die
bessere Zusammenstellung bei Richter (de Sen. trag. auctore p.9,
Anm. 2). Mit Recht ist der LA von A gegen E der Vorzug
gegeben Med. 314 (zu welcher Stelle H. eine sehr ausführliche
Erklärung und Begründung giebt (p. 7—10), weshalb /Zectst(4)
zu lesen sei und nicht defletque (E)), und Tr. 378 (an). Da-
gegen wird E fälschlich vertheidigt Med. 534 (diligenti, vgl. Leo
I p. 23, Anm. 8) und Tr. 744 (fractus). —
Am schwüchsten ist es mit den von H. vorgeschlagenen Konjek-
turen bestellt. Erträglich wäre noch Med. 249 te iam für das hand-
schriftliche terram, doch ist Leos Vorschlag iterum entschieden rich-
tiger. — Mit Recht beanstandet H. die Vss. Med. 467 f., doch ist sein
Heilungsversuch mißglückt, vgl. Leo, I, p. 211. — Der Vorschlag in
der vielbesprochenen Stelle Tr. 46 Aeacius zu schreiben, richtet sich
von selbst, da H. zugiebt, daß das Wort substantivisch (= Pyrrhus)
sich nicht finde. — Die Aenderung von Tr. 191 ste, ite inertes mani-
busque debitos | auferte honores, so daß also im 5. Fuße des Tri-
meters ein Jambus zu stehen käme, hätte sich H. gewiß gespart,
wenn er sich mit Schmidts Dissertation (Nr. 7) vertraut gemacht
hätte, vgl. daselbst p. 53, und über das handschriftl. manibus mess
debitos p. 12. — Die übrigen Konjekturen betreffen Tr. 198 ne sponsa
(was einen Unsinn ergiebt): Tr. 788 concede apertos (opertos)
Med. 517 nos confligere artibus sine.
Von geringer Bedeutung sind die Vorschlüge, die H à brucker
im 4. Kapitel seiner Dissertation (Nr. 2), p. 50—59, zu einigen
Stellen der Tragödien gemacht hat.
Die Konjektur rabieque tumuit st. et uterque timuit Hf. 798 ist
überflüssig geworden durch Madvigs evidente Emendation lev$terque
timuit (adv. crit. I, 115), die später von Habr. selbst anerkannt wor-
den ist, vgl. Wissenschaftl. Monatsbl. IV p.198. — Ueber das Chorlied
Thyert. 336ff. vgl. die folgende Seite; über Oed. 751—768 (Fabel von
Actaeon), die H. einem Interpolator zuschreibt, vgl. Leo I 115 f. —
Hf. 765 wird statt gestat, was, wie die von H. aus Sen. beigebrachten
Belege beweisen, nur »an sich tragen oder haben« bedeutet, mit
Recht die Konjektur des Des. Heraldus vectat empfohlen; ebenfalls
mit Recht nimmt H. mit Withof eine Lücke (Ausfall nur eines
Verses) nach Hf. 1092 an und verweist für deren Inhalt auf HO. 712. —
Hf. 647 will H. schreiben pande factorum ordinem st. virtutum, da
dieses nur » narra omnes virtutes ac labores Herculise heißen könne,
also gegen den Sinn verstofe. Im Zusammenhange unserer Stelle
wird aber gewiß jeder rirtutes nur auf die in der Unterwelt aus-
geführten tapferen Thaten des Hercules beziehen, es ist daher nichtg
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 739
zu ändern. — Med, 605: rumpe nec saero violente sancta | foedera
mundi wird sacro beanstandet, da Seneca die Tmesis gar nicht kenne,
nicht einmal bei den unbestimmten Pronominibus gui cumque ete, für
welche simmtliche Stellen aus den Tragblien ausgeschrieben, werden,
Für sacro empfiehlt H. eine Konjektur Ritschls: rumpe nec priscî
sancla.
Richter (Nr. 18) beschäftigt sich hauptsächlich mit einigen
Stellen, an denen Versetzung von Versen nothwendig zu i
sein scheint, Unsere vollste Billigung findet zunächst die ein-
gehend begründete Umstellung von Tr. 967. 8 hinter 978. —
Ausführlich behandelt R. dann den Chorgesang Th. 336f.
Die ersten drei Verse will er ausscheiden, denn ,da Atreus im
vorhergehenden Akte kaum jene scheußliche List beschlossen
habe, durch vorgespiegelte Versöhnung seinen Bruder mit dessen
zwei Knaben zu sich zu locken, um diese dann zu schlachten
und dem Vater als Speise vorzusetzen“, so könne der Chor diese
Worte (336—8) noch nicht sagen; niemand außer Atreus und
dem Trabanten wisse ja davon. Kurz gesagt also: die Verse
passen nicht zum Vorhergehenden. Diesem stimmt Schmidt
(Jahrb. 1868, p. 874) und Habrucker (Nr. 2), p. 56, zu. —
So trifüg ein solcher Grund an sich sein mag, so ist doch bei
der bekannten äußerst mangelhaften dramatischen Technik Senecas
eine besonders umsichtige Prüfung geboten. In diesem Falle,
meine ich, sogar noch ganz speciell, da es sich um einen Chor-
gesang handelt. Im Allgemeinen ist zu bemerken, daß es
durchans falsch ist, die Chorlieder Senecas auf alle Fälle mit
der Handlung des Stückes in Einklang bringen zu wollen und
aus ihr heraus zu erklären. Die Cantica sind sogen. ’Eußorna,
sie bestehen in der Regel aus allgemeinen Sentenzen, geographischen
und mythologischen Gelehrsamkeiten und stehen mit der Hand-
lung des Stückes in nicht engem, oft in durchaus gar keinem Zu-
sammenhange: man hört überall nicht den Chor als Theilnehmer
der Handlung, sondern den Dichter und Philosophen, der seine
Gelehrsamkeit an den Mann zu bringen sucht. Das Bestreben,
die Chorlieder als organischen Theil der Tragödien Seneca's auf-
zufassen und mit dem Vorangehenden in Einklang zu bringen,
ist ».B. Swoboda verhängnißvoll geworden in Tr. 371; man
vgl. seine ganz verfehlten Bemerkungen im III. Bande seiner
Uebersetzung, p. 2f. — Bei unserem Chorgesange im "Thyestes,
der ebenfalls größtentheils aus allgemeinen Bentenzen besteht,
welche die Frage erörtern, was den wahren König ausmacht, liegt
die Sache allerdings insofern etwas anders, als hier thatsächlich
an den Vorgang des Stückes angeknüpft wird. Daß der Chor
nun etwas sagt, was er eigentlieh noch gar nieht wissen kann,
hat nichts Bedenkliches an sich. Leo (II p. 383) bemerkt dazu:
indicatur koc carminis proamio actionis progressus; iam enim innotuit
choro, rediturum esse Thyestem“, Dies trifft im Allgemeinen das
Richtige; wir haben aber bei einem Dichter wie Seneca, dem es
47*
vi
740 L. Tachau,
bekanntlich auf gehörige dramatische Verknüpfung und Motivi-
rung der Scenen nicht ankommt (vgl. darüber unten) gar nicht
nöthig, auf eine solche Verbindung der Scenen so ängstlich be-
dacht zu sein. Die Sache liegt hier so, daß Sen. einen Sprung
macht: er erwähnt die Sendung der Söhne des Atreus selbst und
ihren Verlauf mit keinem Worte, sondern läßt sofort Vs. 404
den Thyest auftreten. Wenn nun die Verse des Chors 3368
die Sache so darstellen, als wäre die Sendung der Söhne und
die Einwilligung des Thyest bereits erfolgt, so hat dies gar
nichts Auffälliges an sich: sie wären nur dann nicht zu ertragen,
wenn dieses noch besonders im Verlaufe des Stückes erwähnt
würde, wenn also der Chor dem, was erst später folgt, vor-
griffe, — das geschieht aber nicht. — Auch der Einwand Rs,
daß Vss. 336—8 zum Folgenden nicht passen, ist nicht stich-
haltig. Wie das tandem (336) zeigt, steht der Chor noch ganz
und gar unter dem Eindruck der trauervollen Vergangenheit,
und nachdem er seiner Freude über die endliche Beilegung des
verderblichen Bruderzwistes Ausdruck gegeben hat, wendet er
seine Gedanken sofort wieder jener schrecklichen Zeit zu. Streng
genommen könnte man statt exagitat das Perfect erwarten. —
Die Worte genus Inachi, an die sich Richter und mit ihm
Habrucker gestoßen haben, finden nach Leo II 383 ihre gute Er-
klirung; sie enthalten die Anrede an das Volk der Argiver. — In
demselben Chorgesange transponirt R. die Vss. 353—7 hinter Vs. 847,
wie ich meine, mit Recht; übrigens hatte dies schon Swoboda vor-
geschlagen (III p. 268). Schmidt (Jahrb. 1868, p. 874) mißbilligt
die Versetzung und meint, daß der Gedankengang der Verse in der
hdschr. überlieferten Reihenfolge ein tadelloser sei. Doch hat schon
Habrucker (Nr. 2) p. 57 mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß
die von Schmidt beliebte Interpretation (858—7 = » die Leidenschaften
des Ehrgeizes und der Habsucht«) eine irrige ist, da der Begriff » Hab-
sucht« durchaus nicht in den Worten liegt. — Daß die Verse zu ver-
setzen seien, giebt auch Habrucker zu, weshalb sie aber hinter 844
gehóren sollen und nicht hinter 847, ist nicht ersichtlich. — Leo
coordinirt sie den Vas. 350 ff. und setzt deshalb nach 352 ein Komma,
doch finden sie so keine gute Erklärung. — Endlich versetzt R. noch
V.380 hinter V.389. Nehmen wir das selbst als richtig an, so stören
die Vss. 388f: rez est qui metuit nihil, | rex est, qui cupiet nihil, die
an sich schon zu Bedenken Anlaß geben, den Gedankengang in solcher
Weise, daB schon Swoboda an ihnen Anstoß nahm, der sie, freilich
mit Unrecht, hinter V. 364 setzen wollte. Ohne Zweifel sind die
beiden Vss. mit Leo auszustoßen, im sonstigen ist aber an der Vers-
folge dieses Theiles des Chorgesanges nichts zu ändern ?).
Mit Unrecht will R. auch Phaedr. 1121, der zu 1120 gar nicht
passe, hinter 1117 setzen. Ein zwingender Grund dazu läge nur dann
vor, wenn Theseus V.1119f. sagte: » Hütte ich doch nie das Entsetz-
liche gewünscht!« Dies ist aber gar nicht der Sinn der Verse, viel-
mehr sagt Thes.: » Für des Unglücks Hóchstes halte ich es, wenn daa
7) Der Vollständigkeit wegen erwühne ich den Vorschlag von
Smith (de arte rhetorica in S. trag. perspicua. Diss. Lips. 1885, p. 84):
rer est qui metuat (metuet) nihil | rex est qui cupiat (cupiet) nihil; die
Erklärung des Zusammenbangs, die er giebt, ist unbefriedigend,
Die Arbeiten über die Tragódien des L. Annaeus Seneca. 741
Geschick das Verabschenungswürdige wünschenswerth macht!« Diese
Worte sind so gehalten, daß der Bote aus ihnen entnehmen zu können
glaubt, daß Theseus auch fortan das Sohreckliche für wünschens-
werth hält, und daher wundert er sich über seine Thrünen. — Zu
Ve. 1117 scheint mir 1121 noch viel schlechter zu passen.
Ag. 810f. R. weist nach, daß die Worte quaeque Erasini ete.
nur Argiverinnen bezeichnen können; sie scheinen ihm auch nach der
von Bothe vorgeschlagenen Umstellung von 316.7 hinter 321 nicht
erträglich, da zu stirps Inachia nicht. quaeque Erasini ete. gefügt wer-
den könne, das doch dasselbe bedeute. Indessen findet dies doch
wohl eine Entschuldigung in der bekannten nachlässigen Weise, mit
der Sen. geogr. Begriffe behandelt.
Ganz willkürlich will R. Hf. 741 ausstoßen; mit Recht erkennt
er Phaedr. 14 als interpolirt (vgl. auch Leo Hermes X 426, Anm. 2),
aber ganz willkührlich sollen auch die Worte piger— harenas aus-
gestoßen werden.
B. Schmidt (Nr. 19) hat schon in seiner Dissertation
(Nr. 7) durch genaue metrische und prosodische Beobachtungen
einige vortreffliche Beiträge zur Textbesserung gegeben. Mehrere
der von ihm dort verlangten Aenderungen haben sich später als
wirkliche LA von E herausgestellt (vgl. zu Th. 074. Ph. 668,
auf p. 25), andere sind mit Recht in die Ausgaben von Peiper-
Richter und Leo aufgenommen (so zu Th. 1021 iam accipe;
Phoen. 651 numeret, auf p. 20). Eine schon hier (p. 62) vor-
gebrachte ausgezeichnete Konjektur (Hf. 162 apes imm an es) wird
in den obs. crit. näher begründet (p. 8). Aus diesen sind an
ferneren guten Konjekturen zu erwähnen:
Hf. 1029 caede nostrorum st. moustrorum (vgl. übrigens über
die erst von Leo vollständig geheilten Verse oben p. 729); Hf. 1148
prostrata ad domum st. domo; Th. 1008 tenebrasque mergis at. te
nosque m.; Herc. Ovt. 1030 verum ut eripiam scelus st. et. Probabel ist
auch der Vorschlag, in Hf. 577 zu lesen: defleat Eumenides Threiciam
murum, und Hf, 903 quidquid Indi arvis secant. — Eine gute Erklärung
wird von Hf. 996 — 1001 gegeben (p. 20), mit Recht wird nach conci
dant (998) ein Punkt gesetzt und 999 st. aula Badens Konj. valva
empfohlen, doch ergiebt sich keine Nothwendigkeit, mit S. 1000 st.
rumpatque postes zu schreiben: ruptogue poste. — Auch die Vss,
Hf. 12294f. erhalten eine gute Erklärung (p. 25f), aber die Noth-
wendigkeit st. at fuis stipes zu schreiben coniugis stipes erkennt S.
wohl selbst nicht an. — Mit Recht nimmt S. auch Anstand an den
Worten der Vss. 1287 f. aut tota cum domibus suis | domini:
supra corpus ezeipiam meum. Gewiß ist tecta cum domibus uner-
trüglich, man sollte doch eher domus m tectis erwarten. Aber
gegen Ss Konjektur foía cum famulis suis domimisque tecta hat
Müller in seiner Recension schon Einspruch erhoben, der seinerseita
vorschlägt zu lesen: fofa cum laribus dominisque t. Auch dieses ist
schwerlich richtig, denn offenbar will H. sagen: »ich will das ganze
Gebäude und seine Bewohner auf mich stürzen lassen“. Mad-
vigs eum hominibusque, an sich schon nicht empfehlenswerth, ist.
metrisch falsch. Vgl. Habrucker, wissensch. Monatsbl. IV 117£, der
die hdschr. Ueberlieferung für erträglich hält. Aber die von ihm
angezogene Belegstelle Th. 263: ac totis domus ut fracta tectis crepuit
spricht gerade gegen ihn, denn hier steht ja domus cum teelis,
nicht aber tecía cum domibus! — Vielleicht ist zu schreiben: aut tota
742 L. Tachau,
congestis focis dowsnisque tecla. Vgl. dieselbe Zusammenstellung
in Herc. Oet. 174: templa suis collapsa deis sparsosve focos. Ueber
den Gebrauch von congerere vgl. Tr. 15: en alta muri decora congestis
tacent | tectis adusti. — Von den übrigen Konjekturen ist jetzt über-
flüssig geworden die zu Hf. 659, vgl. dazu Heimsoeths einzig rich-
tige Lesung bei Leo. — Unnöthig sind folgende Aenderungen: Hf. 19
sed vana querimus st. vetera, vgl. Müller Jhb. 95, 68; Hf. 1218 coibit
st. cosbunt, was S. selbst wohl nicht für zwingend erachtet; Hf. 1801
perge, quid fieri iubes st. pande. Schon Bothe hatte die Worte (mit
Rutgers.) dem Herc. gegeben, wodurch jeder Anstoß beseitigt ist. —
V.525 quam non aequa homini praemia dividis st. bonis ist, trotzdem
Schmidt Jhb. 1868, 868 diese seine Konjektur gegen Müllers ver-
werfendes Urtheil (Jhb. 1867, p. 68) aufrecht zu erhalten versucht,
nicht zu billigen. Man konstruire mit Müller: non aequa bonis, so
daß also bonis nicht von dividis, sondern von aequa abhängt. — V. 995
will S. lesen: ceteram prolem eruam! ubicumque latitat (st. des hdechr.
omnesque latebras), was aber sehr matt ist. Man hat in der hdschr.
LA ein Hendiadyoin zu erblicken, vgl. Müller a. a. O. p. 66 und Leo
(Nr. 4) I 197. — V. 1203 ändert S. vindica saeva manu | saitem ne-
potes st. sera, da man sera manu nicht sagen könne. Aber die von
S. verworfene Erklärung der hdschr. Ueberlieferung von Farnab ist
vollkommen richtig. Für diesen Gebrauch von serus weise ich hin
auf Tr. 527 petere seras domos; Hf. 732 iudicia trepidis sera sortitur
reis. — Endlich will S. Hf. 857 schreiben: sed frequens magna voli-
tante turba st. comitante, indem er dies auf Herc. bezieht, während
man es doch ganz gut auf jeden zur Unterwelt hinabsteigenden Todten
deuten kann. Derselbe Ausdruck findet sich Octavia 729 von dem
Gemahl der Poppoea, dessen Schatten ankommt magna comitante
turba. Volante paßt an unserer Stelle gar nicht, da es sich erst
um die Reise in die Unterwelt handelt. Die von S. angesogene
Stelle Oed. 599 spricht aber von den Schatten in der Unterwelt.
Nolte (Nr. 20) giebt zu 16 Stellen des Hf. Konjekturen
(meist ohne jede weitere Begründung), von denen aber keine
Anspruch auf Richügkeit oder auch nur Wahrscheinlichkeit er-
heben kann. Sie sind zum größten Theile ganz grundlos, manche
ganz falsch.
Aus Peipers Abhandlung (Nr. 21) gehóren hierher die auf
p. 33 f. gemachten Vorschläge Es sind im Ganzen 16, unter
ihnen 2 sehr empfehlenswerthe: Phoen. 551: Aoc populus omnis
utraque hoc vidit soror und Oed. 878 redde nunc animos truces
(f. acres). — Zu Th. 68 wird richtig bemerkt, daB stagna et
amnes einen Begriff bilden, unersichtlich aber ist, weshalb P.
weiter a d recedentes aquas schreiben will und nicht vollkommen
der Hdschr. gemäß et rec. aqu.
Phoen. 81 votum Cithaeron redde ist unmöglich, denn hier wäre
redde ganz falsch. Trotz Gronovs Bemerkungen ad h.l. haben sich
die Herausgeber bis auf Leo gesträubt, das recht wohl verständliche,
in E überlieferte und der LA von A (montem) entschieden vorzusiehende
(wie schon Swoboda erkannte, Uebersetzung III p. 280) mortem in
den Text aufzunehmen, mortem reddere hier = dare. Vgl. über
diesen Gebrauch von reddere unten zu HO. 82, p. 747. — Ph. 891.
So sehr man sich auch versucht fühlen mag, den Ausdruck anus
altrirque zu ändern, so hat man ihn doch zu belassen. Vgl. dus
Die Arbeiten über die Tragódien des L. Ánnaeus Seneca. 743
analoge Beispiel Ag. 301, wo Sen. die Klytemn. sagen läßt: Aaec (se.
domus) vacat regi ac viro. — Ganz unverständlich ist mir die Lesun
Phaedr. 207 non placeut suetae faces, das sancía Venus (?) sein sol
Ebenso unklar ist, was Med. 230 bedeuten soll: geminumque munus Cas-
tor et Pollux, met satique Borea cet. — Für mißglückt erachte ich den
Versuch, Med. 1009 die LA von Z zu schützen: si posset una caede
satiari, a manus nullam petisset. — Zu Th. 114 laetus st. litus ist schon
von Lipsius vorgeschlagen, vgl. Gronov ad h. l| Uebrigens ist
Vs. 114 unverändert in der hdschr. LA beizubehalten und ergiebt
eine von allen Bedenken (cf. Gronov) freie Konstruktion, wenn wir
Leo folgend in V. 111 et qua fluctibus cet. (st. gut) schreiben. —
Hf. 793, wo P. schreiben will: iraque tumuit ist durch Madvig
endgiltig geheilt: leviterque timuit, — Ag. 811f. schreibt P. nume-
rum laborum imparem; vgl. aber Leo I 119. — Ueber Hf. 858 vgl.
unten p. 749. — Zu Med. 742 wird eine Konj. von Fr. Haase mit-
getheilt: Tartari ripis ligatos, squalidae mortis specu.
Madvigs (Nr.22) Konjekturen sind schon dureh Habrucker,
der durch briefliche Mittheilungen Leos in den Stand gesetzt war,
die genaue LA von E, M und N sowie einige Konj. mitzutheilen,
einer eingehenden, sorgfültigen Besprechung unterzogen worden,
die von einem gesunden Urtheil und einer guten Kenntniß der
Tragödien zeugt. Nur stößt sie, von einigen störenden Druck-
fehlern abgesehen, hier und da durch den Ton ab, den H. gegen
Madvig anzuschlagen beliebt. — Bis auf wenige Stellen wird
man Habruckers Urtheil über den Werth von Madvigs Kon).
beipflichten können. Er billigt mit Recht die folgenden:
Hf. 793 leviterque timuit; Tr. 279 utinam arcuissem ; Tr. 1018
tolle felices: miserum licet sit | nemo se credet ; removete cet. ; Phoen. 55:
pars summa magno patris e regno mea est; Oed. 956 di maritales;
Oed. 971 factum est periclum lucis; Ag. 542 complexus ignes trazit;
Th. 255 nil quod doloris capiat assueti modus; Th. 486 decipi cautus
times; HO. 312 pares eamus; HO. 880 ut laeta silva forma cet. ;
HO. 989 scelera quae quisquam ausus est; HO. 1800 f.: Tianas in
me, quae manus Pindon ferat, | aut te Ossa, quae me monte prorupto
opprimat ; HO. 1751 repetit st. repedit (cf. Gronov). — Abweichend
von Habr. möchte ich auch die Aenderung Med. 366 regumque ferens
st. regum referens, das durch die von H. angezogene Stelle HO. 1490 .
um nichts gefälliger wird, billigen, während ich andererseits Madvigs
hunc fraude num (st. nunc) conaris et furto aggredi nicht als zwingend
anerkennen kann. — Endlich hat zu Tr. 246, wo M. statt des früheren
dubitatur etiam? placita nunc subito improbas, herstellen wollte: pla-
cida nunc sub. ımpr., was H.s Billigung findet, offenbar Bücheler
das Richtige getroffen durch die ausgezeichnete mit leichtester Aende-
rung hergestellte Lesung: dubitatur et sam placita nunc subito im-
probas. —
Alle übrigen Madvigschen Konjekturen sind mit H. zu ver-
werfen, theils weil sie metrische Fehler enthalten (Jambus im
5. Fuße des Trimeters), theils weil sie sich durch die Resultate
der erneuten Vergleichung von E durch Leo als überflüssig er-
weisen, theils weil sie zwar mit Recht die Ueberlieferung bemün:
geln, aber doch nicht das Richtige getroffen haben; oder endlich,
744 L. Tachau,
weil sie ganz und gar unnöthig sind, theilweise auch gegen den
Sprachgebrauch Senecas verstoßen. — Auch Hf. 27: vivaces
aget (M. will: alet) violentus iras animus wird in der hdschr.
Ueberlieferung beizubehalten sein. Wenn M. an den Worten
ändern zu müssen glaubte, so geschah es wohl, weil gewöhnlich
ira Subjekt zu agere in dieser Verbindung ist, wie z. B. Phoen.
299: ipsos ira praecipites agit. Vgl. auch Phaedr. 541. In ältern
Ausgaben liest man auch Hf. 362: si aeterna semper odia mor-
tales agant (wo odia sowohl Nom. als auch Acc. sein könnte);
doch ist hier mit E gerant zu schreiben; vgl. Th. 329 si gerere
nolunt odia. Will man also Hf. 27 ändern, so wäre vielleicht
st. aget zu schreiben: geret. Uebrigens findet animus iras aget
eine Analogie in Med. 46: tremenda... mala mens intus agitat. —
| An eigenen Konjekturen bringt H. in der genannten Recen-
sion vor: Tr. 857 numquid Aiacis Salamina ducar? — HO. 128:
urbis nunc patriae messibus, — HO. 1176 Herculem vestrum hac
placet | morte interire. — Zu Med. 345 wird unter Verwerfung
von Madvigs arcís die Konj. eines Gelehrten mitgetheilt: mubesque
ipsas spargeret aestu | mare deprensum.
Cornelissen (Nr. 23) behandelt über 50 Stellen aus den
Tragódien, aber zumeist in höchst leichtfertiger Weise, so. daß
der scharfe Tadel, den Leo I 198 Anm. 8 über diese Arbeit
ausspricht, nur zu gerechtfertigt ist.
Eine totale Unkenntni8 des Sprachgebrauchs Senecas und seiner
Vorliebe zu pointirten und geschraubten Wendungen ist es, die Cor-
nelissen außer jener von Leo a. a. O. beriihrten Stelle Th. 762 (wo
lacertorum toros st. moras vorgeschlagen wird) auch zu folgenden
Aenderungen veranla$t: Phoen. 425: obturbans dapem st. observans
famem ! Phaedr. 1261 quam magna lacerts pars adhuc membris
abest ! st. quam magna lucrimis pars adhuc nostris abest; Th. 58
torquetur urna st. sortitur; Tr. 548: tam gemens miles st. senez ;
Med. 29: et servator st. spectatur ; Med. 181: nota frons st. fraus;
Th. 558: genustque bellum st. cecinitque, das hier doch gebraucht
ist, wie 117 das gewöhnlichere bellicum canerc u. 6.
Bei mancher Stelle hätte sich Corn. sicher auch nicht den Kopf
zerbrochen, um eine Aenderung zu finden, wenn er sich die Mühe
geben hatte, Gronovs Bemerkungen zu lesen. So zu Med. 987, wo
nach HO. 435 geschrieben werden soll: perage, dann fervent manus
st. faciunt. Auch Gronov kannte die Stelle aus HO., war aber weit
entfernt, darnach die unsrige zu ändern, vgl. seine Anmerkung zu
Med. 987. — Ebensowenig hätte C. zu Oed. 383 vorgeschlagen: et
crepitant foci (st. trepidant), vgl. Gronov ad h. l.: ,,abeant arae
segnes cum crepitantibus focis''. — Ein zweckloses Zurückgehen
auf die LA von A in Phaedr. 782 (facinoris tanti notas perferte)
hátte C. sich ebenfalls erspart, wenn er Gronov eingesehen h&tte.
Ueberhaupt sind die meisten Aenderungen, die Corm. verlangt,
ganz unnóthig und ohne jeden Grund, wenn wir nicht eben ihm
glauben wollen, daß seine sehr subjektive Annahme, ein Wort sei
„insulsum‘‘, „ineptum‘‘, „frigidum‘‘, ,, languidum ‘‘, stichhaltig und
ausreichend sei. So wenn er in Th. 381 nsl actis opus est equis st.
ullis; Th. 677 attonita vanis st. magnis, Th. 1008 hiscenti via st.
ingenti; Th. 1018 tostas st. totas, oder gar Phoen. 254 validoque (1)...
Die Arbeiten über die Tragédien des L, Annaeus Seneca, 745
ferro (st. valido) schreiben will. — Erbaulich ist auch zu lesen, daß
— wenn eben Seneca zuvor Herrn Cornelissen hätte befragen wollen —
in Th. 43 incesta st. infesía; Tr. 416 quod nunc aceidit st. quod-
cumque accidit u.s. w. stehen würde. Herr Corn. bitte dem Sen. dann
wohl auch einige Wörter gesagt, die letzterer nicht kannte; so z. B.
Th. 729 susurrat st. cucurrit; Tr. 251 fervor infrenus st, hie pri-
mus. Vielleicht bitte ihm Sen. dann aber auch bemerkt, daß es etwas
despektirlich ist, das Labyrinth mit dem Ausdruck zu bedenken:
Creticum specum st. fretum, was im Text steht Ph. 661.
Weithergeholt und hinfällig ist der Einwand, daß Tr. 634 gar
nicht von einem Sühnopfer für die Mauern, sondern nur für die
Manen des Achilles die Rede sein könne (daher vorgeschlagen : Zustrale
quoniam debitum tumulo puer... st. muri). Unversländlich ist,
warum in Med. 197: i, repete Colchis st. querere, Colehis stehen soll;
ebenso was mit der Aenderung Hf. 1284 arma cito dentur mihi st.
nisi dantur mihi erreicht wird. — Prala recentia (st. decentia)
Phaedr. 764 mag noch angehen, aber prata novo vere recentia!?
Tür decentia vgl. Tr. 273. — Auch die Literatur kennt C. nicht:
den Vorschlag Phaedr. 882 anus astricta st. allrixque zu schreiben,
hat schon Peiper praef. suppl. p. 33 gemacht; vgl. oben.
Alle von Corn. behandelten Stellen bier vorsunebmens (bale oh
nach dem bisher Gebotenen für überflüssig; eine Aufzählung seiner
Konjekturen findet man auch in Bursians Jahresber. X. Zu billigen
sind nur Hf. 1120 lacere f. oneret; Oed. 705 qui sceptra gerit st
regit; Th. 110 nudus riget st. stetit. Auch Oed. 961 : tantum struen-
tis für eruentis geht an.
Lentz (Nr. 24) vertheidigt mit Recht die in A überlieferte
LA: reciprocos spiritus motus agit gegen Peipers Vorschlag:
recipr. spir. virtus agit. Schon B. Schmidt (Jhb. 1868, p. 867)
hatte für Aufnahme der LA von A gesprochen. Wenn der-
selbe Gelehrte aber die Konjektur virtus als „in diesem Zu-
sammenhange unverständlich“ bezeichnet, so irrt er. Lentz er-
kennt ganz recht, daB virtus sowohl das Abstrakte „Heldenkraft“,
als auch das Konkrete „kräftiger Held“ in sich vereinigen
könne (ich verweise für letzteres auf Hf. 325 u. 1157). Also
nicht unverständlich ist Peipers Konjektur, aber durchaus un-
nöthig; wie aus den von Lentz beigebrachten Verbindungen des
Verbs agere (p. 154—156) hervorgeht.
Eine reiche Fülle von Vorschlägen bietet uns Birt in der
unter Nr. 25 genannten Abhandlung, die sich vorzugsweise mit
dem Here. Oet. beschäftigt. B,s Ansichten über die Echtheits-
frage dieser Tragödie und seine Ausführungen über die Phoenis-
sen, die auf p.516— 531 eingeschoben sind, werden im 2, Theile
unserer Arbeit berücksichtigt werden müssen. Hier handelt es
sich um die a.a. O. vorgebrachten Textesänderungen.
Davon sind folgende schon früher im Zusammenhang erwähnt
und gebilligt worden: HO.387 nec fida Venus est; 1176 morbo perire;
während wir uns der Aenderung in V. 1459 recte. dolo eius cot. und
der Umstellung in V. 510 gegenüber ablehnend verhalten mußten.
An weiteren Vorschlägen sind folgende als evidente Textverbesse-
rungen anzusehen: V. 196 qua patet obrutae | stratus qui superest
146 L. Tachau,
Dechaliae einis (st. obrutus stratae), da von einer ,vergrabenen Asche"
nicht gesprochen werden kann. — V. 271 ego sim noverea (st. sum),
in welcher Konjektur B. mit Wilamowitz-Möllendorff zusammengetroffen
ist — V. 408 nisi f. sie. — V. 458 habuere motum saza, discuss
arbores, | undae stetistis, eine vorzügliche Verbesserung. — V. 897.
virum sequaris st. sequeris. — V.981 et quidquid aliud cessit : imbellis
tamen, | coniunz, redisti, die endliche Heilung der mit vielen Konjek-
turen beglückten Stelle. — V. 1653 s: vel de media cet. st. sive. —
V. 1737 intrepidu m tuens f. intrepidus ruens, mit Heinsius. — Endlich
schützt B. mit Recht in V.1739 die LA von E: sic decet stare Her-
culem gegen die in die Ausgaben ailgemein aufgenommene LA von 4:
sic decet fleri Herculem. Vgl.seine ausführliche Erklärung auf p. 549. —
Empfehlenswerth sind ferner: V. 56 quanta adhuc fregi mala st.. des
unverständlichen quanta enim; vgl. aber meine Bemerkungen über V. 55f.
im 2ten Theil meiner Abhandlung. — V. 318 Argolts st. angor. —
V. 452 era st. fare. — V.466 tale ubist.aluit. — V.1008 Stygrigue,
d ir a, carceris vides fores, — V. 1321 me nulla tellus, und im folgenden Vs.
nunc mihi irata, precor, cet. st. des sinnlosen pater. — Berechtigt ist
nach meiner Meinung auch in V. 545 ez umero, was E bietet, bei-
zubehalten und unter dem korrupten gravi dea folgenden Vs. eine Be-
zeichnung der Schußwaffe zu vermuthen: „entweder nur ein Adjektiv
zu spiculum gehörig, oder aber ein Synonym zu spieulum“. Denn
wenu wir, wie die Ausgaben thun, mit D. Heinsius schreiben: e nw-
mero, precor, graviore prome, so wird in Vas. 545 —7 derselbe Gedanke
nicht weniger als dreimal ausgedrückt (non ex sagititis levibus; e nu-
mero graviore; non levi telo est opus). B. will schreiben: ex wmero,
precor, | hastile prome. Wenn sich dies nur nicht so weit von der,
überlieferten LA entfernte! -— Endlich hat B. auch mit Recht unter
Verweisung auf V. 1445 f. bemerkt, daß die Worte: quid hoc? rigenti
cernitur Trachin iugo, | aut inter astra positur evasi genus | mortale
tandem (1432 ff.) keinen Sinn geben. Sie könnten ja nur bedeuten:
„Sehe ich Trachis auf rauhem Felsen, oder bin ich endlich unter die
Sterne versetzt?' Ich meine aber, daß Herc. sich sofort der Täu-
schung hingiebt, sich im Himmel zu befinden, und von Anfang an
keinerlei Zweifel hegt, wo er sei, dies geht schon aus v. 1441
hervor, wo erst mit dem wiederholten quid hoc? ihm die Erkenntniß
aufgeht, duß er sich getäuscht hat. Dennoch kann ich mich mit dem
von B. statt cernitur (1432) eingesetzten mergitur nicht einverstan-
den erklären: abgesehen von dem Verb selbst, das, wie ich glaube,
hier gar nicht den von B. verlangten Sinn: „Trachis schwindet
unter mir“ haben kann, würde doch das Tempus gewiß falsch sein,
man erwartet doch wenigstens mersa est! — Für zu kühn muß ich
halten V. 1890 zu schreiben: totum pinna furata diem (st. velata).
B. selbst erkennt den Ausdruck als „einen sehr gewählten und wohl
eine direkte Nachahmung von Agam. 914, wo dasselbe furari in dem
Sinne von ‘celare’ gebraucht steht‘ an. Heinsius Aenderung: dot.
pinna velante diem überhebt uns aller Scrapel. — Aus der Fülle
der übrigen Aenderungsvorschläge erweisen sich als vollständig über-
flüssig: zu V. 312 pares ferimus, da hier Madvig zweifelsohne das
Richtige getroffen hat mit pares eamus (adv. crit. II 195). — Ferner
zu V. 1742 correpta tollens membra (st. torrens), wo Gronov schon
besser forguens eingesetzt hat. — Zu V. 373 tenerum feroci stamen
inforquens manu, daa eich zu weit von der hdschr. LA (unum) ent-
fernt: man lese mit Canter: udum. — Für vollkommen unndthig,
weil ohne triftigen Grund, erachte ich die folgenden Vorschläge:
V. 080 sibi f. sed. — V. 1556 atra puppis f. illa. — V.1194 Centum
ancuibus ' vallata se hydra tabe pavisset mea st. vallatus hydram tabe
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Ananeus Seneca. 747
pavissem mea. — V. 1400 agilis st. aliquis (dagegen ist die von Leo
veränderte Interpunktion berechtigt; vgl. die Ausg.). — V. 1306 pro-
peraque mortem at. properante morte. — V. 888 cuique sufficiens
malo (st. vizque), mir vollkommen unklar. — V. 264 hanc animam
precor | converte in aliquam (sc. feram) st. aliquod, welches aber
sehr wohl verständlich ist mit Bezug auf immane, dirum, horribile
(261). — An 2 Stellen ist die Aenderung um so weniger nóthig, als
B.damit gegen das von ihm selbst empfohlene Princip verstößt, „daß
man die interpolirte Recension (.4) dem Etruscus gegenüber nicht gar
zu wegwerfend behaudle“ (p.556 unten f.) V.1334 nämlich will B.
vindicem extremis malis lesen st. vesírum , was A bietet. Ferner
V. 1199 das weit von der hdschr. Ueberlieferung Verschiedene: nunc
ab inferna Styge | lucem recepi, cuius execror moras, wo A lucem
recepi, Ditis evici moras bietet. B. meint, daß dies „nur eine
lástige. Wiederholung des schon einmal Gesagten sei“; ich verweise
aber auf Hf. 606ff, wo Hercules seinen Besuch in der Unterwelt
ebenfalls mit größter Weitschweifigkeit und theilweiser Wiederholung
desselben Gedankens erzählt. — Endlich setzt B. in V. 872 nach dem
Vorgange Gronovs und Peipers ein anderes Verb für cesset, da
E vollkommen widersinnig nulla non cesset. manus giebt. B. will
lesen nulla non instet manus. Mit der LA von A aber: nulla nunc
cesset. manus (warum soll nunc störendes Flickwort sein?) ist alles in
bester Ordnung. — Für unnöthig halte ich auch die Aenderung in
V. 1501: sive nascente Hercule | noz illa crerat (st. certa est), die B.
verlangt, weil jede Andeutung fehlt, daß Jupiter es war, der in jener
Nacht den Hercules zeugte. Ich meine, daß noz «la vollkommen
deutlich jene bekannte noz geminata bezeichnet.
Unrichtig sind die folgendeu Vorschläge Birts: V. 1060 tune oblita
venefics wird von ihm selbst bezweifelt (p. 541). — V.32 schreibt
B. cede astra forti st. vel, da von einem Zurückgeben des Him-
mels (redde V. 31) keine Rede sein könne. Aber schon Gronov zu
Oct. 802 bemerkt: scimus reddendi verbum interdum habere dandi signi-
ficationem. Ich verweise auf Tr.306: hac dextra Achilli victimam red-
dam suam; Phoen. 31: mortem, Cithaeron, redde; Hf. 301. — In V.
114 soll gelesen werden: non mare dividit (st. cum mare dividunt),
mit welchen Worten schon der Nachsatz des Vs. 115 beginnen soll.
Es soll den Sinn haben von undas secare oder divellere — schwim-
men, was aber mare dividere wohl schwerlich heißsn kann. Seneca
sagt von Schiffbrüchigen Oct. 326 fluctus secant; vgl. Tr. 1097. —
Ueber das stamus in V. 116 vgl. meine Ausführungen Philol. 46, 881. —
V. 890 will B. lesen: aeías citato senuit et putruit gradu. Beide
Verben kommen sonst bei Sen. nicht vor. — V. 411 ezuta tergo
spolia gestantem ferae st. et viva; ferae soll Dativ sein. Daß Seneca
so geschrieben hat, muß ich bezweifeln. Herc. Oct. 1932 ist vom
Löwenfell gesagt: rapta leoni pellis; auch sonst spolium rapere
Ag. 848. Die Konjectur des N. Heinsius zu unserer Stelle (el fulva
st. et viva) findet eine Stütze in Herc. O. 1983. — V. 1181 soll lau-
ten: cadere placuisset mihi Iunonis odio (st. potuisset oder potuissem).
Dies halte ich für unrichtig, da mik: nach placuisset vollständig über-
flüssig ist. Wir lesen in den Tragödien placet immer allein ohne per-
sónl. Pronomen, in dem Sinne von: ,,es gefällt mir‘; vgl. Tr. 94.
Med. 922, Ph. 568. Oed.1031. Th. 279. HO. 862. An unserer Stellc
hat schon Lipsius richtig geändert: Cadere potuissem, ei miht.
Man vgl, HO. 1205, wo das ei vor miki in E ebenfalls fehlt. — . In
V. 1261 erkennt B. mit Recht. daß in timers (timeres A) ein Imperativ
stecken muß und verlangt nach dem Zusammenhange: ,,zeige dich
offen und komme hervor aus der Verborgenheit.' Diesem entspricht
449 L. Tachau,
aber Wilamowitz-Möllendorfs Vorschlag: palam timere, welcher der
handschr. Ueberlieferung möglichst getreu bleibt, besser als B's pa-
lam tumesce. — V. 1319: iam f arta, iam satiata (st. fracta), mit Bezug
auf Cic. Tusc. II 24, wo es vom Adler des Prometheus gesagt ist.
Unmóglich aber wird man den Ausdruck auf Iuno übertragen kónnen.
Das fracta der Handschr. ist beizubehalten; es ist gebraucht, wie
Phoen. 186 iras fractas; Ag. 775 se fregit furor. — In V. 786 wird
Heinsius dumque ista (für ipsa) miror , causa mirandi perit verworfen
und vorgeschlagen: mirorque, dum ipsa causa mirandi perit. Dies ist
unmóglich, denn dadurch wird ja die Hauptsache in den Nebensatz
gebracht. — — V. 830 f.: corporis palla horridi | purs est et ipsam ve-
stis ingeminat cutem. B erklärt: ‚indem das Gewand zur Haut
des Körpers wird, verdoppelt sich eben die Haut selbat‘‘. Dies ist
mir vollkommen unverständlich : das Gift des Kleides frißt sich tief in
den Körper ein, zerfrißt also die Haut; wie kann sie denn da dop-
pelt werden? — Einen Widersinn erzeugt auch B's Vorschlag, in
V. 746 statt des sinnlosen regna triumphi zu lesen: pigeat triumphi.
Man erwartet just den entgegengesetzten Gedanken, etwa: ,,freue
dich deines Triumphes und ziehe zum Tempel der luno.* Vielleicht ist
zu lesen: pompa triumphi templa Iunonis pete. .
Nichts zu ändern ist endlich an folgenden 2 Stellen, die B. völ-
lig unrichtig verstanden hat. V. 472 lesen wir:
Nutr.: vicit et superos Amor.
Dei.: Vincetur uni forsan et spolium dabit,
Amorque summus fiet Alcidae labor.
B. will hier ändern, weil er meint, der Sinn erheische : vs$nscefwr v e-
neno uni, und die Vss. besagten: insofern Herc. dem einen Zauber-
mittel erliegt, wird für ihn Amor die schwerste seiner Arbeiten sein!
Dies beruht auf einem gänzlichen Mißverständniß. Zu vincetur ist
nicht Hercules das Subject, sondern A m or, und zu uns ist nicht ve-
meno zu ergänzen (denn Dejanira geht erst mit dem sed in V. 475 zu
dem Zauber des Nessus über), sondern es bezieht sich auf Hercules.
Sinn : ,,Selbst Götter hat Amor schon besiegt'', sagt die Amme. Dar-
auf Deianira: ,,So wird er (sc. Amor) durch den einen (sc. Hercules)
vielleicht besiegt werden, und Amor wird die größte Arbeit des Alci-
den werden‘. — Ebenso wenig ist zu ändern in V. 291: Zerculis
tantum fui | coniunz timentis. B. stößt sich daran, daß IL hier ein
furchtsamer Gatte genannt werde, und schlägt vor: Hereulis tantum
fui coniunz. Timentis vota quae superis tuli cet. Dies ist mir gans
unverständlich. — Was das timere anlangt, so erinnere man sich,
daß Dejan. erst kurz zuvor gesagt hat: omnes in islo pectore invenies
feras | quas timeat (V. 269 £). Uebrigens ist das Verb an unserer
Stelle in der von Schmidt (Jahrb. f. Phil. 1866 S. 552) klarge-
legten Bedeutung gebraucht, in der es Sen. in Verbindung mit mon-
stra, feras u. dergl. Substantiven wiederholt anwendet = ,,zu fürchten
haben“; allgemein: ‚‚kämpfen‘‘.
Außer diesen ausschließlich dem Herc. Oed. angehörenden
Bemerkungen finden sich in der Abhandlung noch eine Reihe
von Stellen aus anderen Tragödien behandelt. Davon sind meh-
rere, soweit B. in ihnen von Leos Ansichten abweichen zu müs-
sen glaubte, bei Gelegenheit der Besprechung des ersten Bandes
der Leoschen Ausgabe (Nr. 14) schon oben erwähnt. Es sind
dies Hf. 1110. 1180. Phaedr. 325 f. 938. Ueber Tr. 688 vgl.
oben S. 730.
Die Arbeiten über die Tragödien des L. Annaeus Seneca. 749
Von den übrigen hebe ich als gute Aenderungen hervor: Ag. 146
u bi ultima est fortuna, quis dubiam timet? st. cui ultima cet., das
hier das einzige Beispiel von Diürese bei Sen. sein würde, wobei über-
dies noch das $ elidiert werden müßte. — Ag. 404a ubi, pande, vi-
vat st. tu pande , vivat , das nur heißen könnte: „‚erzähle, er möge
leben“. — Dagegen ist die Aenderung Oed. 710 mon haec Labda-
cidas recens | fata, sed cet. jetzt überflüssig geworden, da hier Leo
mit leichtester Aenderung (hinc st. haec) dem von B. geforderten
Sinne genügt. — Für unnóthig halte ich Med. 949 mess (st. meo)
zu schreiben, mit Bezug auf osculis (950), hinter welches Wort B. eine
starke Interpunktion setzt. Derselbe Sinn aber ergiebt sich, wenn das
handschriftl. meo auf sinu bezüglich beibehalten wird. — Ebenso we-
nig nóthig ist Oed. 404 armas qui bracchia thyrsis zu schreiben, da
eine Anrede des Bacchus (V. 404 redimite) nicht mit Nothwendigkeit
angenommen werden muß. — Auch kann ich B. nicht beipflichten,
daß Oed. 735 ff. zu schreiben sei:
non ante linguas agiles citarant
vocis ignotae clamore primum
hostico experti viri :
agmina campos cognata tenent e. q. s.
B. kómmt zu dieser Aenderung, weil er meint, es sei experts vocis
ignotae zu konstruieren ; dann würde ein Verb fehlen, von dem lin-
guas abhängt. Aber ich sehe keinen Grund, warum man nicht ex-
perti linguas konstruieren soll. — Tr. 932 schreibt B.: /atere quas
scisso levat | altum vado Sigeon aspectans sinum, um den in Sigeon
steckenden metrischen Fehler zu beseitigen. Es ist mir unklar, was
B. damit meint. Sinus altus vado (d.h. fundo) oder vadi ist überdies
eine harte Konstruktion. — Wenig empfehlenswerth ist endlich der
Vorschlag, Hf. 353 zu lesen: ars prima regni est, sospitem invi-
diam pati. Das nachdrucksvoll gesetzte pate macht den Begriff sospi-
tem überflüssig. Dem posse der Hdschr. ist wohl kein weiterer Werth
beizulegen, da es Flickwort zu sein scheint (Richter will posse in
invidiam pati lesen ; Peiper Supplem. praef. (Nr. 22) p. 88: posse
in invidia pati); Leo schlägt rumores patt vor; ich meine, beide
in V. 352 enthaltenen Ausdrücke: invidia und sermo popu-
laris werden auch im V. 353 verlangt. Vielleicht ist- zu lesen: ars
prima regni est famam et invidiam pati. Vgl. Th. 204: fama te
populi nihil adversa terret, Phaedr. 269: contemne famam.
In einem Nachtrage (p. 559 f.) will B. aus metrischen Gründen HO.
854 ändern: perdidi simul Hercule | et ipsa populos. — V. 1611
nihil (?) statt Hercules; V. 1792: totus uterum uret dolor; 1794 f.
paelez supersum a meque supplicia expetet | utero timenda (so
mit Æ). fecit hic natus mihi | ne parere possim. — Endlich V. 899
nemo i" nocens, sibi ipse si poenam abrogat. Dies ist aber, abge-
sehen von der bedenklichen Auslassung des est, dem Sinne nach un-
móglich. B. meint, auf die Worte des Hyllus (V. 898): ,,Du sprichst
Dich selbst schuldig, wenn Du Dich selbst strafst‘‘. passe nur folgende
Entgegnung der Dejanira: ,,Wer sich aber der Strafe entzieht, ist
damit noch nicht unschuldig“. Der Ausdruck sibi épse poenam abro-
gare kann dies gar nicht bedeuten, er muß viel stärker sein und kann
im Zusammenhange nur auf den passen, der, wie schon Gronov rich-
tig bemerkt, sich selbst vor seinem Gewissen frei spricht.
Vgl. die von Baden angezogene Stelle de ira I 14: nemo invenitur,
qui se possit absolvere, et innocentem quisque se dicit, respiciens testem,
non conscientiam.
Derselbe Verfasser hat in seiner Abhandlung ,die Vokal-
750 L. Tachau,
verbindung EU im Lateinischen“ (Rh. M. 34, 1 ff) einige Stel-
len aus Sen. Tragödien behandelt. In vorzüglicher Weise wird
die vielbesprochene Stelle HO. 1072 so hergestellt (S. 29): av-
dis tu quoque navita. — HO. 1200 will B. lesen (S. 12):
ubique mors me fugit. Ut titulo inclitae mortis carerem, ceterae
victae ferae. Titulo st. leto hat schon Heinsius vorgeschlagen;
zu der veründerten Interpunktion (Punkt hinter fugit) und zu
der Aenderung ceterae st. pro ferae (vgl. Leos Ausgabe S. 384)
liegt kein zwingender Grund vor. —
III. Sprachliches und Metrisches.
Es liegt auf der Hand, daß ein Dichter, wie Seneca, der
Sohn des großen Rhetors, der in seinen Tragódien weniger durch
Vollendung der dramatischen Technik als vielmehr, dem ganzen
Geschmack seiner Zeit gemäß, durch eine Ueberfülle rhetorischer
Künsteleien zu glänzen suchte, in sprachlicher Beziehung sehr
viel Interessantes bieten muß. Und wenn es richtig ist, — wie
wir im 2ten Theile unserer Arbeit zu zeigen haben werden —
daß Senecas Tragödien überhaupt nur von dem Gesichtspunkte
des in ihnen enthaltenen Rhetorischen aus zu beurtheilen sind,
so muß es sehr wünschenswerth erscheinen, daß die rhetorische
Natur der Sprache der Tragódien einmal im Zusammenhang und
gründlich untersucht würde. Manches Hierhergehörige findet
man bei Leo in seinen observ. crit. (Nr. 3). Reiche Ausbeute
sollte man dem Titel nach auch erwarten in:
Nr. 26) Richard M. Smith de arte rhetorica in L. Annaei
Senecae tragoediis perspicua. Diss.inaug. Leipzig (G. Fock)
1885. (Rec. von Tachau in der Wochenschr. für klass.
Philol. 1886, Nr. 4 S. 105 fi).
Doch erweist sich eine solche Erwartung als eine trügerische.
Smith hat zwar viele Namen rhetor. Figuren angeführt und giebt
zu jeder einige Beispiele aus den Tragödien, jedoch ist weder
die Anordnung, noch die Ausführung im Einzelnen zu billigen.
Verf. hätte bei der Wichtigkeit des Gegenstandes gerade für
den vorliegenden Fall vor allem auf möglichste Vollstäudigkeit
in Beibringung des Materials, zum mindesten aber doch auf
Hervorhebung des Bezeichnendsten und Interessantesten sehen
müssen. Daß dieses in keiner Weise geschehen ist, habe ich
in meiner oben angeführten Besprechung nachgewiesen. — Ich
nehme hier davon Abstand, die hauptsüchlichsten Mittel, durch
die Seneca Effekt zu machen sucht, hervorzuheben, da das in
den 2ten 'lheil in meiner Arbeit gehórt.
Für die Metrik sind wir auf B. Schmidts tüchtige
Dissertation (Nr. 7) angewiesen, die ich schon oben, ihrer Be-
Die Arbeiten über die Tragódien des L. Annaeus Seneca. 751
deutung entsprechend, besprochen habe (p. 348 f) S. auch L.
Müller de re metr. p. 118 ff. Dazu ist jetzt noch zu ver-
. gleichen Leo in seinen obs. crit. Cap. VI u. VII, von denen
ebenfalls oben schon die Rede gewesen ist (p. 728 ff). Ueber
Nr. 27 Max Hoche die Metra des Tragikers Seneca. Halle
1862. (Recens. von L. Müller in Jahrb. 89, 478 ff.)
brauche ich nach Müllers eingehender: vernichtender Besprechung
(vgl. auch B. Schmidt obs. crit. (Nr. 19) p. 8) kein Wort
weiter zu verlieren.
Am Schlusse dieses Theiles meiner Arbeit ist noch ein
Wort über die Uebersetzungen unserer Tragódien zu sa-
gen. Eine Uebersetzung aller 'lragódien existiert nur von
Swoboda (Wien u. Prag 1825 ff), die jetzt natürlich ganz
veraltet ist. Neuerdings sind die Medea und der Oedipus
übersetzt worden. E
Nr. 28) Medea, Tragödie von Seneca, im Versmaß des Originals
übersetzt und mit erklürenden Anmerkungen versehen,
von dem Gymnasiallehrer Dr. Karl Og wald. Progr.
des Gymn. zu Büdingen 1871.
Abgesehen davon, daß sie noch auf Badens Text sich stützt,
ist die fleiBige und sorgfültige Arbeit meiner Meinung nach zu
ängstlich in Anschluß an den latein. Text gearbeitet, was bei
unseren Tragödien gewiß nicht zu empfehlen ist. Denn eine
Uebersetzung derselben kann nur den einen Zweck haben, das
einseitige unrichtige Urtheil, das über den Werth der Seneca-
schen Dichtungen gewöhnlich gehört wird, und das mehr auf
Nachsprechen beruht, als daß es wirklich aus einer Lektüre
der Tragödien hervorgegangen wäre, einzudämmen. Aus diesem
Grunde, aber auch nur aus diesem, wäre eine gute Uebersetzung
recht wünschenswerth. Denn der Meinung des Verf, die er im
Vorwort ausspricht, kann man doch unmöglich sein: „Wer sich
einen Begriff von den Leistungen der Rómer auf dem Gebiet
der Tragödie verschaffen will, der muß vor allen Dingen sich
mit der Betrachtang jener 10 Tragödien beschäftigen, die ge-
wöhnlich (?) dem Philosophen Seneca zugeschrieben werden ! ?“
Die hauptsächlichste Anforderung, die an eine Uebersetzung zu
stellen ist, besteht dann aber darin, daß sie, und sei es in noch
so freier Weise, ein möglichst getreues Abbild der durch und
dureh rhetorischen Natur der Stücke giebt. Als Probe
empfiehlt es sich wohl auch mehr die Troades zu wühlen, da
in ihnen alle Vorzüge Senecascher Arbeit neben ihren Mängeln
sich zusammen finden; während die Medea eine Vergleichung
752 NL. Tachau, Die Arbeiten über die Tragödien u. s. w.
mit der Euripideischen, natürlich nur zu Ungunsten Senecas,
für den Unkundigen gar zu nahe legt.
Nr. 29) Oedipus, Tragödie von Lucius Annaeus Seneca. Ueber-
setzt und historisch-kritisch erörtert von Dr. Alphons Stein-
berger. Iter Theil. (Uebersetzung). Progr. des alten
Gymnasiums zu Regensburg 1889.
Diese Uebersetzung ist fließend und gefällig mit meist guter
Beherrschung des Ausdrucks geschrieben. Die Chorlieder sind
in Reimen wiedergegeben, um „im Gehöre des Lesenden den
Eindruck eines Liedes zu erwecken, in demselben wenigstens
den Nachklang melodischer Harmonie zu hinterlassen“, was
S. durch Reime besser erreichen zu können meint, als durch
„eine, oft unvermeidlich erzwungene Imitation der verschiedenen,
nicht selten unsicher überlieferten, sapphischen, adonischen und
glykonischen Masse“. Zu bedauern bleibt, daß in den Chorlie-
dern der von Lücken klaffende Text von Peiper nnd Richter
zu Grunde gelegt worden ist. — In einem zweiten Theile sol-
len literarhistorische nnd textkritische Erörterungen folgen.
Verzeichnif der im Vorstehenden besprochenen
Stellen.
Herc. fur. 27 S. 744 Phoen. 456 8. 787
— 207 — 731 Med. 19 — 780
— 353 — 749 — 194 — 730
— 490 — 729 — 201 — 785
— 612 — 730 — 418 — 780
— 767 — 732 Anm. 1 — 579—669 — 851 f£.
— ]1125 ff. — 723 Phaedr. 1121 — 740
— 1265 — 736 Th. 836 ff. — 789 f.
— 1287 — 741 HO. 291 — 748
Tr. 371 ff. — 357 — 856 — 786
— 632 — 730 — 479 — 748
Phoen. 100 — 733 — 746 — 748
— 403 — 727 — 1459 — 734 f.
Wolfenbüttel. L. Tachau.
Miscellen.
26. Zu Sophokles’ Elektra V. 1415.
Nicht selten hórt man über die Elektra das Urtheil aus-
sprechen, daß sie das schlechteste Stück des Sophocles sei, und
fragt man mach den Gründen, so wird unter Anderem regel-
mäßig die übergrolle Härte, ja Rohheit des Charakters der Heldin
angeführt, welche besonders im Verse 1415 einen entsetzlichen
Grad erreiche. Da rufe auf das Wehgeschrei der von Sohnes-
hand getroffenen Klytaimnestra: ‘Quo nenänyuus' die Tochter dem
Bruder das grausige Wort zu: 'raicov el cfreg dimhjv', das
heiße: ‘riff noch einmal, wenn du kannst (Donner) oder:
‘Schlage zweimal, wenn du kannst’ (O. Jahn). Hierauf komme
der Bruder dieser Aufforderung nach, wie das nun folgende
Wehgeschrei der Sterbenden ‘dou ui «dde beweise, uud El,
habe nur den Wunsch noch: ‘el zug Aly(ad@ 9' duo, "Prüfst
du doch Aigisthos auch’ (Donner) Bei dieser Erklärung ist es
dann allerdings vergebene Mühe, wenn man den Eindruck die-
ser Rohheit dadurch abzuschwüchen versucht, daß man sagt,
El. nehme hierdurch eben nach Soph. Absicht die ganze Ver-
antwortlichkeit auf sich, oder aber wenn man behauptet, die
antike Anschauung sei hier eben der modernen ungleich; wir
wissen zur Genüge, daß die Alten über die pietas sicherlich
nicht weniger zart dachten als wir. Auch hat El. vorher, als
die falsche Nachricht vom Tode des Orest angekommen ist, in
ihrer Verzweiflung sich vorgenommen, nicht etwa die Mutter,
sondern nur den Aigisthos zu tödten (V. 955 ff).
Aber der entscheidende Beweis dafür, dali die angegebene
Erklärung von Vers 1415 und 1416 nicht richtig sein kann,
liegt für mich in der scenischen Undenkbarbeit derselben. Es
ist undenkbar, da El. ihrem hinter der Scene befindlichen Bru-
Philologus XLVIII (N. F. Il), 4. 48
754 Miscellen.
der die Worte ‘naioov x14.’ zuruft und daß dieser die Weisung
so schnell ausführt, daß die nächsten Worte der Klytaimnestra
‘schon wieder — weh mir! (Donner) schon sozusagen die Ant-
wort auf die Action des Orest enthalten. Mit Recht wird von
den Erklürern die dramatische Lebhaftigkeit dieser Scene. her-
vorgehoben, aber unsere Verse würden ein Telephon verlangen,
oder eine unertrügliche Pause voraussetzen.
Es ist vielmehr so: die Worte ‘natoow ‘el 09éress dini»
haben gar keinen Einfluf auf die Aktion hinter der Scene, und
die Worte der Klytaimnestra: wpuós nénAgyuas, duos pad’ audıc
sind als ein zusammenhüngendes Wehgeschrei aufzufassen. Die
"Worte wud’ avdec bezeichnen nach Sophokleischem Sprachge-
brauch auch gar nicht, daß eine Handlung, wie hier etwa das
nAntısıv, wiederholt wird , sondern sie beziehen sich stets nur
auf das unmittelbar vorangehende Wort. Unsere Stelle darf
also nur übersetzt werden: ‘Weh, ich bin getroffen, und noch-
mals (sage ich) Wehe!’ Ebenso ist wad’ «$9ic gebraucht Philoct.
793: ged, nanal, nunaï wad’? add. Oed. Tyr. 1317 oluos,
otuos cd’ avdis. Und wie an unserer Stelle durch Worte
einer anderen Person von dem erstmaligen Gebrauch des. durch
par’ add betonten Wortes getrennt Oed. Col. 1730 f£: AN.
tt 100° énénAngus; IX. xoi 100° wo AN. rl rode pad’ avdec;
Trach 1203 ff: oiuos, mateo 16 einag; .... 1206: ouos pad’
avdic. So ist es auch Oed. Col. 1477, wo das Idov pad’ avis
des Chors.das im Anfange der vorangehenden Strophe stehende
ide wiederaufnimmt, und so muß es auch an unserer Stelle sein.
Die Worte der El. zeicov el odéverg dinâny sind dann also, wie
schon angedeutet, nur eine scheinbare Anrede an Orest, der sie
nicht héren kann. Nur das gellende Wehgeschrei der Todes-
angst, vor dessen schrecklichem Klange der Chor schaudert (V.
1407), tónt, auch dieses zuerst noch undeutlich (vergl. 1406:
Bog us tvdor. oùx dxover’, w pldos3), aus dem Innern des Pa-
lastes, von den nothwendigerweise (aus V. 1410) vorauszusetzen-
den Worten des Orest, wodurch er sich seiner Mutter zu erken- —
nen giebt, hört der Zuschauer nichts. Also kann auch EL
weder zu ihrem Bruder noch zu ihrer Mutter sprechen, so daß
ihre scheinbar an Klytaimnestra gerichteten Worte V. 1411 f.:
GI oùx dx ofFev gre(QeO! ovt0g oùd Ó yewvjoas nae, in -
denen El. dem Publikum gegenüber als Anwalt ihres Bruders
erscheint, ins Publikum oder zum Chor gesprochen zu den-
ken sind.
Die Worte der El. V. 1415 nnd 1416 verstehe ich nun 80,
daB ich sie zusammennehme : ‘maîcov eb a9£vec dini» , sb yag
Alylo9o 9° ópov', d. h.: ‘Schlage, wenn du kannst, einen Dop-
pelschlag (zweiten Schlag) wenn du nümlich zugleich dem Ai-
gisthos diesen zweiten Schlag zufügen kannst. Also nicht 4
yag drückt hier den Wunsch aus, sondern im ganzen Satse von
'. Miscellen. | 755
noicov an liegt der versteckte Wunsch: ‘Könntest du doch mit
diesem Schlagé zugleich auch den Aigisthos treffen’! Erst so
gewinnt auch der sonst müssige, auf den Charakter des Orest
jedenfalls nicht passende Zusatz el odéveis seine rechte Geltung,
und so wird ‘vor Allem der oben erwähnte Vorwurf gegen den
Charakter der El. hinfällig, denn anstatt uns über ihre Rohheit
zu entsetzen, wünschen wir mit ihr die Rache auch ‘an Aigisthos |
bald vollzogen zu sehn.
Verden a. d. Aller. Adolf Thimme.
——— — M =
.97. Nachtrügliches zu Mattius , Laevius und —
Livius.
Der von mir (in dieser Zeitschr. XXVII 269) der Ilias
des Mattius zugewiesene Vers:
At celer hasta volans perrumpit ‘pectora ferro,
ist Uebersetzung des-Homerischen (O 542): |
Alyun di orfgvoto di£covzo pasuoswoa !).
Alles erwogen, können auch die Worte [fr. 26 p. 40 Bühr.]:
Inferus an superus tibi fert deus funera, Ulixes ?
unmöglich aus des Livius Odyssea sein, nicht allein weil kein
Vers der Odyssee sich findet, als .dessen Uebersetzung sie mit
irgend einer Wahrscheinlichkeit gelten können, sondern auch
weil sie offenbar einen Hexameter bilden und funera im Sinne
von Tod so frühe kaum gebraucht sein dürfte. Es bleibt uns
kein anderer Ausweg als auch hier anzunehmen, die Worte des
Livius und die Angabe des Dichters und auch wohl des Ge-
dichtes, dem der Vers wirklich angehört, sei bei Priscian aus-
gefallen. Da bietet sich nun von selbst die Vermuthung dar,
daß wir hier einen Vers aus der Cypria Ilias des Laevius (Bern-
hardy Anmerkung 360) haben?), aus der wir einen Vers bei
Charisius finden, und woraus auch ein anderer Hexameter ge-
‘ nommen scheint (Welcker ep. Cyclus II 520). Er könnte in.
die Scene der Ävngıa gehören, wo vom verstellten Wahnsinn
des Odysseus die Rede ist, der Redende Palamedes sein, da
Odysseus wohl manches wahnwitzige Wort sprach. Aber. man
könnte auch an des Laevius Sirenocirca, wie Keil schreibt, den-
1) [Bährens FPR. p. 42% hat den Vers wieder dem Livius Andro-
nicus gegeben: die angeführten Odyssee-Stellen passen aber weniger,
als der von Düntzer beigebrachte Ilias-Vers. ej |
2) [Jetzt halt man ziemlich allgemein Ningius Crassus fir den
Verfasser der Cypria Ilias, vgl. Teuffel-Schwabe § 150, 5. Cr.) :
48%»
#56 Miscellen.
ken wollen, besonders da bei Priscian VII 18 unmittelbar auf
eine Stelle der Odyssea des Livius eine aus der Sirenocirca des
Laevius folgt, worin, trotz Priscian, der hier Laertius für Laertes
nimmt, gleichfalls Ulixes angeredet wird. Circe konnte -an
Ulixes, als er von ihr wegwollte, die Frage stellen:
Inferus an superus tibi fert deus funera, Ulixes?
indem sie die Absicht der Rückkehr, als die Eingebung eines
ihm feindlichen, seinen Untergang wollenden Gottes betrachtete.
Die von Priscian aus der Sirenocirca angeführten Worte:
Nune, Laertie belle, para ire Ithacam ;
können als Anfang eines Hexameters gelten. Ob Laevius sich
die Circe als eine Sirene gedacht, können wir kaum bestimmen.
Jedenfalls werden wir uns durch die angeblichen Hexameter
des Livius Andronicus nicht weiter äffen lassen ; denn der dritte,
der als solcher gelten kann:
Cum socios nostros mandisset impius Ciclops,
dürfte nach dem Homerischen :
"Huan 10, ote pos pévos Goyetog node KvoxAqup
IpPluovs Eragovg,
will man auch nicht trotz Priscian mandidisset lesen, kaum rich-
tig überliefert sein. Man kónnte vor mandisset ein mihi vermu-
then, und für nostros würde fortes jedenfalls zugleich treuer und
bezeichnender sein. Der vorige Saturnier könnte aber auch mit
illo die, cum geschlossen und dieser mit fortes socios nostros be-
gonnen haben °).
8) (Diese schon in den siebenziger Jahren geschriebenen Bemer-
kungen wurden erst bei der Neuordnung der für den Philologus be-
stimmten Papiere wiedergefunden. Wir veróffentlichen sie gern nach-
träglich auf Wunsch des Verfassers. D. Red.)
Koln. H. Düniser.
28. Kritisches zu Prokop.
I 20, 17 nei dé avrov; à; Togyw nov Euader aguxéodus
zQóg tw xatuoxonwy, neg iv oig toydioss MMegowry Ogíon
tvyyuves ovoa, evPéivde 1e anuddaylvrag 0d o9 dxi opus nôn
lévas . . Perozes zog gegen die Ephthaliten; obwohl der König
der letzteren dies gehórt hatte, wollte er doch gegen die Perser
nichts unternehmen, bis er durch Kundschafter erfahren hatte,
daß diese wirklich über die Grenze gegangen seien. Auffällig
erscheint, daß die Perser an der äußersten Grenze vom Wege
sich entfernt haben sollen und daB der Kónig der Ephthaliten
Miscellen. 757
auch darauf gewartet hat. Ich möchte deshalb schreiben: 6 d@
Pu apie fd Téva. Cf. III 17, 9 xarangdiasdui lagune» alròv
uiv 2r9dd: (Pm. év9éde) éraloyévra 85 Bubdvtov 566 lite
I 70, 6 Megoas 50d lóvrag Ent opic eïdov. T 243, 17.
140, 3 orgurevuu yùo rovoUró paciv ovre mgdrevov obre
voregov ini Hígoac ‘Pupators (statt Pouafoug) Evorjve In
der Epitome des Photius lesen wir: crgérevuu yao roroUrov oV-
nore imi. Méocas ‘Pupators uci Evorjrar. Of. Prokop III 58, 12
Giíleg, 5005 où malore "Puno Foréorn; Noch an mehreren
andern Stellen ist die Endung os zu setzen statt ovc. So ist
IL 321, 3 aei orgareumarog dè Obvnıxod roig MAvgrotg tm-
cxjwartos zu lesen statt roc "AAegrotc Pmowpavrog. Cf.
II 591, 20 Sehapyrdv dè molùg Surtoc MAvgioig emoxfyavres.
II 338, 7. II 431, 12 u.s.w. Ebenso ist I 240, 14 zu schrei-
ben: 10% &duros aro dg (statt adrotc) mavrumaci. èmbindrios.
Cf. 11-223, 9 & re jufguic rQwiv obrwe aür)v 1d Edug ant
diner. (Hier ist ééienev zu schreiben) Of. IL 47, 1. I 246, 1.
I 317, 3. Weiter ist II 60, 11 2m auroig jxosev zu ändern
in is adrods fwoser. CK IL 114, 12 fxovow èp' jute. IL
420, 11 29° Suds Jwovcw. IL 435, 1 erwartet man rode mo-
Agu(o vc ügicıdusvor statt rots soluto sg Ögieranevor. Cf. IL
186, 21 riv Bagßagwv 1005 modeptovg vqucrapérwy. TI 639, 21
aproug . . . bg[Gravro.
I 68, 4 ópüv dè tuts dunhoyikouevoug sf dimore cuvesdi-
Gu£vov *Pupotoig mgöregov üvev Fogußwv te xal ürak(ag dg wage
Mivar, oi dè Ebv xóGuQ rwi traypos oùdaucdev Gq(Gw mgocijxovT.
Mégous imivrag üntormsuv. Wenn die Römer gewöhnlich in
guter Ordnung in den Kampf gezogen wären, so hätte es auch
diesmal nicht als etwas Besonderes erscheinen können, daß sie
einigermaßen geordnet heranzogen. Es muß deshalb geschrieben
werden: où cuvecdeowévor. Vergleichen kann man 1396, 9
rv yàg di ‘Puputuv organwrür oüx lura» Sogifou
awois è nóav xarQxoov oplow . . . Ivan
I 86, 16 wis yàg dnanas oploıw èAntoavrac 1dya9à
800904 ... Man erwartet: robg yàg ümavra . .. entspre-
chend dem vorhergehenden : zobg moAfuoug olecdu deiv zur-
ogSoty ünuvıng.
I 86, 19 c xtuduvov oM ow (statt mu 01) xaXoravrar
Cf. I 96, 2. I 452, 19. II 262, 3.
190,3 Gow ye elg nas dxojj 7 tone 10 Mw Entoracdar.
slg ist zu streichen. So findet sich dou ye qua eldfvai an fol-
genden Stellen: I 82, 1. I 167, 21, II 540. 8. II 573, 14. —
Of. IT 559, 18. III 58, 16 da ze jug dévaodw. IM 305, 2
Soa (ye ist wohl hier ausgefallen) jug neujodar.
I 118, 6 yodrm dé où molÀg üoregov elre Kußudng abrög
5 105 Züuou viòc elie rig dMos emPautesw 105 Kafddov dvó-
758 Miscellen.
patos ig Bulaviov MIe Kafizdng uértos Pagsdst sv bp
éuœpegéorurog jv. xoà uvròv ’Fovotivsavògs faocsdevs ap-
giyvowy uiv, ate dn KaBadov Bucsiéwe viwvdy . ... Wel-
chem Kénig jener Perser, der nach Byzanz kam, gleichsah, wird
erst ganz klar, wenn man schreibt: Kaß«dn pévros.
I 191, 18 nuvrayoos yuo ndn neouorruç xadewguirio.
Prokop gebraucht xaFewewryto immer als Passiv; es ist deshalb
zu schreiben: megucdvres. Cf. II 442, 18 000 xaOSwuwgéüvrro.
(Sonst findet sich immer die Form xaJtuwQuvro) I 422, 22 oi
noÀtuso, ndn xudewowvro. 1213,2. 1231,13. 1461, 5. IL 141,9.
I 228, 10 zegzv te ndn roig noleuloig dv 19 öpuist reyo-
kayovos nov Ev ovdevi tiv nod xara xQdiog Est. An an-
deren Stellen finden wir immer: z0r@ ovderi. d» ist hier viel-
leicht aus &» entstanden. Cf. If 21, 6 zoro av ovdsri xà
wpuodoynueva enstedeiv ológ 16 etn.
I 381, 15 gg ze mr) emPovdny è vnyev (statt dvgxe»). Cf.
I 352, 10. I 421, 7. IL 304, 12 dg . . . si» noakır dvnye,
I 342, 17 Zivwvos ópoU 17 yvvouxi dg ijv "Icawgfav, ag’
ns dì) weunıo (statt gu áro), diagvyoriog. Cf. I 861, 8 de-
uno dì 6 Behsaagsog x Tequuvlas. I 491, 1 Gg 8E ’Lradfac
piv dougro. I 217, 10.
I 428, 19 fuc uiv dg tà (statt uèr 10) BavdiAov èdntda
eixev. Eintda Eyes t+ kommt bei Prokop sonst nicht vor. Zu
&; tu B. dinida siyev vergleiche I 495, 10 êç ‘dì rov Adgaslov
ij» dvoywelay èintda siyov. II 397, 7 ds adrotg . . . si» @-
nidu Evunarısg eiyor.
I 462, 18 ixsıaı ylvovrımı lafda (statt "Iafid a). Cf. I 446,
22 ixétno Baowléws . . . yeyovws. II 407, 9.
I 467, 15 émorapevol 1e . . . 600 1075 nodeuloss BeBov-
Mevpéva dıvyyarev, Èc Exuoınv uiv avtoig zju£gov Ad9gu exesyo-
pevot. enelyeoDus kommt bei Prokop sehr oft vor, aber immer
in der Bedeutung: sich beeilen. Nirgends sonst findet sich
êrelyeodal tivi: mit Jemd. zusammenkommen , was es hier
zweifellos bedeuten soll. Vielleicht ist es Verschreibung für
inv ycevoptvos oder Evy yevopevor. Cf. II 24, 8 “ApadacovyIz
Euyyevouevor Audga. II 326, 12. mE
I 518, 2 Tovdagıs dè xıeivas uiv 10v ’Agsoßıwdov dievosîto,
tow (statt zo) dé un doxeiv . . . Cf. II 196, 6 roù pr doxeiv.
II 342, 6 rov dé un doxeiv. U 537, 15. II 68, 9.
I 527, 3 6 dà IlaciplAw xosvodoynocperos &mavra uiv dEo-
nou tov orgarov nIeAtv, uvidòs dé quiaxiv tv Kagından na-
oacmocuevoc Eni trove modeulovs 1H Grgui èEnyijcacda:. xa-
gaornoauevos könnte nur bedeuten: Nachdem er eine Besatzung
auf seine Seite gebracht "hatte, der Zusammenhang verlangt:
Nachdem er eine Besatzung aufgestellt hatte, x«r«adrmodpavog.
Miscellen. 759
ot II 78, 22 Trahlav dà oùrw . . . Belicagiog nagsorioaros
II 81, 15 pooveay os» dv ZnoÀnío xuraormoauevos are Edy
19) Y Orgatp . . . novyater.
II 24, 18 Hérgos de oda nogevönevog nQGror ‘piv Toig
' Auadacosr9ng nvéoBeor Evyyevousvog ta apyi 176 Osvdurov
aoıns &ua9e. Prokop gebraucht dug? sehr oft, aber außer in -
der angeführten Stelle findet sich nur noch einmal II 606, +4
ov yàg Opodoyovorr dAinAosg oí dug’ aërwv Adyos diese Prüpo-
sition mit Genetiv. An der ersten Stelle möchte ich deshalb _
vorschlagen : ru apgi tf Oevdaiov dey j. Hinter rÿ haben wir
0, hinter doy7 €, beide Buchstaben wurden oft mit (C verwech-
selt, es konnte ‚also leicht LO . degne entstehen. II 606, 14
hat L: áuq' adror. Da aug! aviwr, resp. avrdy ‚sich auf zwei
Personen bezieht, so ist zu schreiben : app avzoiv. .Cf. II
470, 5 GM org uci hoyou aug’ avtaîe modo elonvsas. III 102,
1? à» ndviu Aöyov abt@ appt 1) pntel è matie Epeace. IL
521, 4. -
II 71, 9 ig! 9 Gggorrag TE avtovs xai vir ToxFos Emıßal-
lovcay i» Ti ahloss wotguy xai yovood xEYTNVOL gua Aafovrac. ei-
x00s noAsuo» Oploı tovde Svrágac as. ounw 16 ta Evyxeluera
foro êmreléoug (wotgay) thy mengwutrny dvérinoe. Das zweite
poigav ist zu streichen. 7 nenguuérn findet sich: II 283, 11.
II 562, 14. I 128, 14. I 840, 10. I 426, 12. I 489, 12.
II 101, 15 Og 10:5 rg avAng Umagyog waradrag mgög Be- .
kıouglov (statt Behoageov) trvyyave. xubloracda» hat passive
Bedeutung: eingesetzt „werden. Beim Passiv steht aber ngoc
tog. Cf. II 593, 14 og mods ’lovonviavoü uiv ügyaw Egovong
xatéotn TQÔTEQOY.
II 152, 5 xai "Pwualoıs Wr dui Bovy ¢ InıBeßond nxorwy
. Prokop gebraucht mit Vorliebe: oí uu tiva. Nur an
dieser Stelle und II 265, 22 roig aue td "Imavv n moooyweety
Éyrwoar findet sich oi dugt rivi. Ich. zweifele daher nicht, daß
II 152, 5 ray augi Bovyav und II 265, 22 roig dugi 10»
ob vqv zu schreiben ist. of Gugì tov *Imdvvqy findet sich:
II 164, 19. II 250, 8. II 251. 8. II 245, 14. II 282, 10. II
299, 17. II 300, 4 und oft.
II 162, 12 xalro ye xai May. Intdokos à $ avro? (statt
à» avrov) dyeyover à OTT égevEe vau. int Tıvog kann nur bedeuten:
Unter Jemds. Herrschaft. Zu an’ avrov vergleiche I 346, 15
xul an’ avrov Edokev 0 Toacapovrdos . . xgeloowy TE elvas
xal duvatwratog. II 485, 5 xa) an’ avtov | srégas sivas . .
olovtas.
II 171, 15 xoi 6 Bedsoaguos ,,Hyucig dé Toio« Botr1a-
vluv GAgy Surgwgouper Eyes, pelo Te (statt 10) mage nodò 2v
xellus ovouv xai Pwualuwr KUT!XO0. 10 avéxo er reyernuérne.
An dieser einzigen Stelle haben wir 10 mugà moÂv, sonst im-
760 Miscellen.
mer muga moÀs. Cf. I 289, 1 welCww te nuga moÀ) ylreras
xai Qoi . . . xudovpevog pégerus. I 280, 6.
II 174, 1 59a pèr morapóc jet, novo ovdert EnAsov, agu-
nero Ta rà» Mußwv iorlu 5 de D §ois Eso06 perog sic 0d0v
Hhatetav êpéosro, triavda Pn ta torlu 16 AVEVA TE ovdapi
èvneyeiro, Egécooviés Te xoi tov Qovv Beat pers movov ob vasi
ov wérguov slyov. Es wird hier erzählt, wie Belisar versuchte,
auf dem Tiber Lebensmittel nach Rom zu schaffen. Die Schiffe
konnten diesmal nicht von Ochsen den Fluß hinaufgezogen
werden. Man wartete nun einen günstigen Wind ab und die
einzelnen Barken wurden vom Wind fortgetrieben. So ging es
im allgemeinen gut. Schlecht ging es, „wo die Strömung sich
windend auf einen breiten Weg führte“. Warum nun die Segel
da ihren Dienst versagen, wo der Fluß breiter wird, ist nicht
begreiflich. II 124, 17 lesen wir ebenfalls von der Schifffahrt
auf dem Tiber: nm oùre óréup ur érraudu old r£ don tà
nàoía WJeiodus Ovyva te 100 morauos Elıoooukvov xai ovx ix
tov eudéos loviog. An unserer Stelle scheint ein Adjektiv noth-
wendig zu sein, das die gleiche Bedeutung hat wie oùx é 100
s09fos. Es wäre also zu schreiben: el; od0v niAaylav. Cf.
III 297, 9 zàayía te (ÿ Jalurru) moÀÀd puailov Exe yıvonkın
iy wood ue Te.
II 174, 20 £fwg oi (statt ov) nzgf£cfuc ix Bulurılov Enu-
yixovtes yywunv 100 Baoidéws ayys(Awcw. Von den Gothen wa-
ren Gesandte nach Byzanz geschickt worden; es sind also be-
stimmte Gesandte gemeint, weshalb der Artikel nothwendig ist.
£wç ov kommt meines Wissens nur an dieser Stelle bei
Prokop vor.
Augsburg. J. Haury.
29. Zum Fortleben Catulls.
„Für Catull“, so schreibt Theodor Birt in seiner anregenden
Abhandlung ‘Zwei politische Satiren des alten Rom’ Marburg
1888 S. 65, „beruhigte man sich meist bei dem Wahne, er sei
vor dieser Zeit [um das Jahr 400 n. Chr.] abhanden gekom-
men, und die Herausgeber localisieren die Textgeschichte dieses
Veronesers sehr bequem in Verona. Wir wissen jetzt aber, daß
Ausonius, Sidonius Apollinaris in Gallien, daß sogar Corippus
in Afrika im sechsten Jahrhundert ihn noch gelesen und ge-
nutzt haben". Den gallischen Catull- Lesern ist noch Paulinus
von Perigueux beizugesellen, der in der zweiten Hälfte des 5.
Jahrhunderts ein 6 Bücher umfassendes Gedicht über das Leben
des heiligen Martinus von Tours verfafte. Vgl. Ebert Allg.
Miscellen. 761
Gesch. d. Lit. d. Mittelalt. I? S. 402 # Eine "kritische Aus-
gabe hat neuerdings M. Petschenig (poet, christ, min. vol. I) ge-
liefert. Schon früher (Rhein. Mus. 43 (1888) S. 636) glaubte
ich bei Paul. vit. M. IT 145 eine Reminiscenz an Cat. 64, 68
gefunden zu haben, heute möchte ich auf weitere Berührungs-
punkte aufmerksam machen, Catulls turgidulus (3, 18) kehrt
erst bei Paulinus V 452 (turgidulis racemis) wieder’). —
Paul IV 100 ezesis penitus vehementi febre medullis be-
rührt sich mit Cat. 66, 23 quam penitus maestas ex edit cura
medullas mindestens ebenso nahe, als der von Zingerle (Ovid
I 8. 53) damit zusammengestellte Ovidvers mordeat ista tuas ali-
quando cura medullas (am. II 19, 48). — Paul, V 41 ac ma-
didum pectus perfundens imbre genarum mul. ich, obgleich
die tropische Verwendung von imber gerade keine Seltenheit ist.
(Vgl. z. B. K. Roßberg Materialien zu einem Commentar über
die Orestis tragoedia des Dracontius I. Hildesheim 1888 8. 12),
als Reminiscenz an Cat. 68, 56 tristique imbre madere genae
bezeichnen. — Für Paul V 470 videre immenso iactati tur-
bine nautae sucht Petschenig das Vorbild in Verg, Aen, I 442
iactati undis et turbine Poeni, aber ohne Zweifel hatte Paulinus
Cat. 68, 63 velut in nigro iactatis turbine nautis vor Au-
gen, und auf seine Imitation künnen sich diejenigen berufen,
welche die Lesart der Itali ‘veluti nigro’ bevorzugen. — Paul.
VI 486 praetrepida-deztra (vgl. 496 ignis praetrepidane) ruft
gleich dem praetrepidum cor des Persius II 52 Catulls mens prae-
trepidans (46, 7) ins Gedächtniß. — Wer nun den vorstehenden
Einzelheiten in ihrer Gesammtheit nicht alle Beweiskraft ab-
spricht, wird mich nicht einer zu weit gehenden Subjektivität
beschuldigen, wenn ich durch die Verse, in welchen Paulinus |
pietätvoll seines Quellenschriftstellers Sulpicius Severus und sei-
ner Chronik gedenkt hic sacrum canonem, distentae et seripta
coartans | historiae, geminis conclusit cuncta libellis | quaecumque a
primis percurrerat edita saeclis (V 201 f), an das Widmungs-
gedicht des Catull erinnert werde, in welchem er an der Chro-
nik des Cornelius Nepos ebenfalls die Bewältigung eines über-
reichen historischen Stoffes auf engem Raume (omne aevum tribus © ©
explicare chartis) bewundert.
1) Auf die zweimalige Wiederkehr (Paul. IL 660; V 682) des ca-
tullischen languidulus (64, 331) lege ich kein Gewicht, da es sich ab-
gesehen von einem Fragmente Ciceros und einer — allerdings durch
Cat. 45, 11 beeinfluBten — Stelle der lateinischen Anthologie auch in
einem Verse des Prudentius (cath. V 143) findet. —
Freiburg i. d, Schweiz. Carl Weyman.
762 Miscellen,
30. Baal-zephön.
Wenn Jemand behaupten wollte, durch die Worte dominus
villae würde die villa als dominus bezeichnet, was würde man dazu
sagen? Genau gleichwerthig ist aber die oben 8. 488 von O.
. Gruppe ausgesprochene Behauptung, in dem Gottesnamen Ba al-
sephòn werde „Zephon als Baal bezeichnet“. Zusammensetzungen
giebt es bekanntlich in den semitischen Sprachen nicht; wenn
zwei Nomina mit einander verbunden sind, besteht zwischen ih-
nen das sogenannte Status-cons:ructus-verhältniB,. d.h. das zweite
steht im Genitiv. Bual-gephön heißt also „der Herr (Inhaber,
Besitzer) von sephén“ Ob letzteres hier das bekannte hebräische
Appellativum „der Norden“ ist, oder etwas anderes bedeutet,
wissen wir nicht.
Der Name Baal-sephón kommt meines Wissens in der ge-
sammten Literatur zwei Mal vor, einmal in einer ägyptischen
Liste der Gótter von Memphis (Pap. Sallier IV 1 Rev. 5, geschrie-
ben B'rsapuna), wo ja semitische Götter auch sonst verehrt wer-
den, sodann Exod. 14, 2 = Num. 38, 7 als Name einer Loca-
lität an der Grenze Aegyptens, wo offenbar, wie so häufig, der
locale Gottesname zum Ortsnamen geworden ist!) Da wir tiber
diesen Gott weiter gar nichts wissen, steht es einem Jeden frei,
über ihn soviel Vermuthungen aufzustellen wie er Lust hat: nur
darf er nicht verlangen, daß man seine Autoschediasmen als wis-
senschaftliche Untersuchungen ansehen soll.
1) Ueber die Auffassung der Götter, deren Namen mit Baal ge-
bildet sind — einen Gott Baal schlechthin gibt es überhaupt nicht —, '
s. meinen Artikel Baal in den Nachtrügen zu Roschers Lexikon der
Myth. Bd. I. Sp. 2867.
Halle a. S. Eduard Meyer.
31. Haliaia.
Eduard Meyer hat (oben S. 369) im Gegensatz zu Wila-
mowitz darauf hingewiesen, es könne nach den jüngst von
Tzuntas veröffentlichten mykenäischen Inschriften keinem Zweifel
mehr unterliegen, daß die Nachricht des Scholion zu Euripides .
Orest. 872, die Volksversammlung in Argos habe den Namen
salu geführt, richtig sei.
Heranzuziehen ist für diese Frage noch eine von Meyer
übersehene Inschrift, welche Cousin und Durrbach im Bull. de
corr. hell. IX S. 352 Nr. 4 herausgegeben haben, das freilich
ganz geringfügige Bruchstück eines wahrscheinlich aus dem
Miscellen, 168
dritten Jahrhundert stammenden Volksbeschlusses, von welchem
nur einige Reste des Praescriptes erhalten sind. Aber die
letzteren lassen sich, wie die Herausgeber bereits erkannten, er-
gänzen zu: “Edoke ra] üAufas T . . . (vielleicht r[eAstaı?); Z. 2
steht zere[zus], Z. 3 fuic (cf. Lebas As. min. n. 1). Es kann sich
hier nur um ein Decret von Argos selbst oder einer der argivi-
schen Komen handeln; man könnte an Nemea denken, das nach
Pausanias (2, 15, 2) ein ywolov. war, weil das Bruchstück in
dem Zeustempel von Nemea gefunden wurde. Für wahrschein-
licher aber halte ich, daf wir hier ein Decret der Stadt Argos
vor uns haben, da die anderen in der Nähe gefundenen und
von den beiden französischen Gelehrten publicierten Inschriften
ebenfalls stadtargivischen Ursprungs sind. Vielleicht bezog sich
die Verordnung auf sacrale Angelegenheiten, den Cult des ne-
meischen Zeus, und wurde daher im Tempel desselben aufge-
stellt. Wie es sich damit verhalten mag, als ein nicht unwich-
tiges Moment zur Feststellung des Thatbestandes darf auch die-
ses ZeugniB nicht außer Acht gelassen werden,
Prag. Heinrich Swoboda,
32. Zur Frage der Ernennung des ‘municipalen’
praefectus fabrum.
In meiner Schrift über den Praefectus fabrum?) hatte ich den
Nachweis zu führen gesucht, daß die in vielen Municipien inschrift-
lich vorkommenden praefecti fabrum nes mit der politischen
Polizeiaufsicht gegenüber den in den nümlichen Municipien conces-
sionierten Collegien der fabri und centonarii, wohl auch der dendro-
phori*), betraut waren, auch über diese zum Lüsehdienst verpflich-
teten Collegien bei vorkommenden Bründen das quasi-militürische
Commando zu führen hatten' und daher nach dieser Seite hin die
Spitze der militärischen Organisation der collegia fabrum bildeten.
Ich schloß dann weiter, daß Beamte, welchen diese Aufgaben zufielen,
nur von der staatlichen, .d. h. kaiserlichen Gewalt bestellt sein konnten,
wie schon R. Cagnat, der aber auf die Natur des praefectus fa-
brum nicht weiter eingeht, in seiner Schrift über die Munieipal- und
Provinzialmilizen 5) richtig vermuthet und in seiner Besprechung mei-
ner Schrift‘) von neuem bestätigt. Diese Bedeutung der praefectura
1) Der Praefectus fabrum. Ein Beitrag zur Geschichte des rö-
mischen Beamtenthums und des Collegialwesens während der Kaiser-
zeit, Halle 1887.
2) Vgl. Henz. 7198 und dazu meine Schrift S. 81 Anm. 193.
3) De municipalibus et provincialibus militiis in imperio Romano,
Paris 1880,
4) Revue critique 1888 p. 494.
764 H. C. Maud,
fabrum und ganz naturgemäß die Bestellung durch die kaiserliche
Gewalt suchte ich zu erweisen theils aus der ganzen Entwicklung des
Collegialwesens, welches in der ersten Zeit des Principats mit stren-
gem Mißtrauen überwacht (wofür mehrfach direkte Zeugnisse), und
mit vorsichtiger Zurückhaltung bis zu den Zeiten des Alexander Se-
verus in gemessenen Schranken gehalten wurde, (die mit den Colle-
gien örtlich stets zusammen vorkommenden praefecti fabrum sind aber
gleichfalls nur bis zu dieser Zeit nachzuweisen), theils aus der staate-
rechtlichen Bedeutung des Praefektentitels, theils nach Analogie an-
derer ganz verwandter Aemter. Die Beweisführung hatte schon vor-
her eine feste Grundlage dadurch erhalten, daß der Nachweis gelie-
fert war, daß für den praefectus fabrum in dem eigentlichen, von den
Mitgliedern selbst erwählten Vorstand der collegia fubrum kein Plats
ist, und daß er sich durch seine sociale Stellung weit von den Mit-
gliedern des Collegs und von dessen Vorstand unterscheidet.
Die von mir angenommene Bestellung dieser Aufsichtsbehörde
durch den Kaiser hat nun Widerspruch erfahren durch J. Schmidt?)
und J. Jung‘) in deren Besprechungen meiner Schrift.
Beide glauben, ein soleher Eingriff der kaiserlichen Centralgewalt
in die municipale Autonomie, wie ihn die angenommene Bedeutuug
der praefectura fabrum darstellen würde, sei im 1. Jahrh., der Blüthe-
zeit dieser Selbstverwaltung der Municipien, zumal in Italien unwahr-
scheinlich *), nach Jung sogar völlig undenkbar.
Nur Schmidt versucht eine Widerlegung eines meiner Beweis-
gründe, nämlich den aus der staatsrechtlichen Bedeutung des Prae-
fektentitels, und diesem Versuch einer Widerlegung will ich gleich
hier begegnen, ehe ich mich zu dem Haupteinwurf wende.
Schmidt sagt, der Beweis aus der staatsrechtlichen Bedeutung
des Titels treffe hier nicht zu, was so wenig wundern dürfe, wie
daß die proconsularischen praefecti *fabrum' nichts mit den fabri zu
thun hätten, und daß sie cons. und praet. hießen, obwohl sie solchen
(näml. Consuln und: Praetoren) nicht dienten, und daß wir einem p.
J. perpetuus begegneten.
Dabei vergit aber Schmidt ganz, daß wir es bei den pro-
consularischen praefecti fabrum mit einem uralten Titel zu thun
haben, der unzweifelhaft in dem Zusatz fabrum nur noch eine histo-
rische Reminiscenz enthält, und daß dieser Titel gewiß nur der Scheu
der Römer, an der alten Tradition zu rütteln, Titel zu ändern oder.
ganz abzuschaffen seine Erhaltung verdankt. Ich: habe (a. a. 0.8.15)
die Vermuthung ausgesprochen, daß vielleicht der Titel des Vorge-
setzten der Servianischen centuriae fabrum bestehen blieb, nachdem.
diese selbst aufgehört hatten zu existiren. — Bei den municipalen
praefecti fabrum dagegen handelt es sich um ein völlig neugeschaf-
fenes, kaiserliches Amt, welches mit jenem alten gar nichts zu
thun hatte. Hier hat also der Titel praefectus unzweifelhaft seine
volle staatsrechtliche Geltung : daß er den Träger einer von einem
Oberbeamten, resp. dem Kaiser, mandierten Gewalt bedeutet, und von
diesem daher ernannt ist.
Wenn der praefectus fabr. perpetuus®) dagegen eingewendet
5) Deutsche Litteraturzeitung 1888 n. 7.
6) Neue philologische Rundschau, 1888 N. 11 S. 220 f.
7) Weiterhin nennt Schmidt die Annahme von der Bestellung
durch den Kaiser sogar, nicht gerade hóflich, eine ,,luftige Hypothese''.
8) Einer Inschr. der fabri tignuarii von Dyrrachium (C. I. L. HI
611 = n. 288 meiner Schrift).
Ernennung des ‘municipalen’ praefectus fabrum. 765
wird, so übersieht Schmidt hierbei ganz die kurze Geschichte der
Entwicklung dieser Praefektur, die von der Entwicklung des Colle-
gialwesens bedingt ist und mit dieser daher gleichen Schritt hält,
Wie im Verlauf des 2. Jahrh. das Mißtrauen vor den Collegien all-
mühlich schwand und einer Begünstigung und Ausnutzung derselben
seitens des Principats sowohl im politischen wie im fiscalischen In-
teresse Platz machte, so wurde die praefectura fabrum als polizeiliche
Aufsichtsbehörde nach und nach gegenstandslos und blieb während
der zweiten Hälfte des 2. Jahrh. bis zur völligen Umgestaltung des
Collegialwesens unter Alexander Severus nur noch als Titu-
larpraefektur bestehen. Alles dieses habe ich aber in meiner
Schrift zur Genüge auseinandergesetzt und dort auch (S. 82) die ein-
gewendete Inschrift behandelt, die als Argument gegen unsere An-
sieht: von der kaiserlichen Ernennung vollständig bedentungslos ist,
Was nun die Einwendung betrifft, daß die municipale Autonomie
während des ersten Jahrhunderts des Principats von solchen Eingriffen
der kaiserlichen Centralgewalt, wie die angenommene Bedeutung der
praefectura fabrum darstellen würde, verschont geblieben sei, so ist
es nicht schwer nachzuweisen, daß von emem solchen Eingreifen in
die municipale Freiheit hier überhaupt garnicht geredet
werden kann, da mit der polizeilichen Boaufsichtigang der Col-
legien durch die Staatsgewalt die Autonomie der Munici-
pien in keiner Weise berührt wird.
Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß alle Collegien von An-
fang des Principats an bis zum Anfang des 3. Juhrh., wo immer sie
auch consistierten, nur in Folge eines Privileginms und zwar
eines besondereninjedem einzelnen Fall zu Recht be-
stander Dies hat Th. Mommsen längst nachgewiesen und ist
seitdem vielfach wiederholt worden; ich hube die Zeugnisse hierfür
nochmals sümmtlich zusammengestellt im li. Abschnitt meiner Schrift,
in dem ich über die kaiserliche Politik dem Vereinswesen gegenüber
handelte. Für den näheren Nachweis beziehe ich mich daher auf
meine Schrift; es möge hier genügen, nur kurz dus Nothwendige her-
vorzuheben.
Das schon mehrfach in der letzten Zeit der Republik wiederholte
Verbot der Vereiusbildung und der nicht seit Alters zu Recht beste-
henden Collegien war von Augustus durch eine lex Iulia wieder
aufgenommen worden. Diese lez, welche das Fundamentalgesetz für
die ganze Vereinsgesetzgebung während der früheren Kaiserzeit bil-
dete, enthielt aber außer diesen allgemeinen prohibitiven Bestimmun-
gen auch die Prineipien, nach welchen Vereine fernerhin stattbaft
sein sollten, und der Senat?) erhielt die Befagni auf Grund des
Gesetzes, also nach diesen Principien, die Ausnahmen von dem
generellen Verbot nach eingeholter kaiserlicher Bestätigung in jedem
einzelnen Fall zu gestatten. Der Schwerpunkt bei der Concessionie-
rung lag natürlich eben in der kaiserlichen auctoritas 19); aus leicht
begreiflichen Gründen wurde jedoch im Anfang des Principats officiell
das jedesmalige Senatsconsult in den Vordergrund gestellt. Daher
nehmen einerseits die Senatsconsulte in der Vielheit der Rechtsqnellen,
die auf das Colleginlwesen Bezug haben, eine hervorragende Stelle
9) Vermóge seines Aufsichtsrechts über das ganze Sacralwesen,
unter welches das ältere Collegialwesen fällt,
10) Plinius klagt (Paneg. 54) über die Bedeutungslosigkeit der
Aufgabe des Senats, über die Constituierung eines Collegs der fabri
zu berathen,
766 H. C. Mané,
ein), anderseits beziehen sich die Handwerkercollegien bis in den
Anfang des 3. Jahrh. sowohl in der Hauptstadt, wie in ltalien und
in den Provinzen in ihrer officiellen Titulatur auf ein Senatsconsult,
dem sie ihre rechtliche Existenz verdanken, mit der Formel: quibw
ex S. C. coire licet oder per missum est. Wo also Collegien in.
Municipien bestehen, da bestehen sie nur zufolge eines beson-
deren Privilegiums, denn das «Senatsconsulte gilt jedesmal nur
dem. bestimmten einzelnen Fall, und keineswegs war es ein Theil des
Municipalrechts, daß sich die Bürger allgemein oder auch nur ge-
wisse Kategorien der municipes oder incolae zu Collegien vereinigen
durften.
Wohl aber stand es natürlich der Staatsgewalt, die das Privileg
ertheilte, frei, dasselbe von gewissen Bedingungen abhüngig zu ma-
chen und gewisse Cautelen anzuordnen, welche das allgemeine Staats- "
wohl zu erfordern schien. Eine strengere Ueberwachung der überall
mitgliederreichen und meist militärisch gegliederten collegia fabrum
durch die Centralgewalt war aber eine solche ganz naturgemäße Vor-
sichtsmaBregel und ohne Zweifel schon früh durch die h&ufig in den
Digesten erwähnten kaiserlichen Constitutionen, Mandate und Edikte
entweder für alle oder für die in bestimmten Orten oder Provinzen
concessionierten collegia fabrum angeordnet. Eins solche Beschrün-
kung eines neu ertheilten Privilegs einer-Corporation kann aber doch
keinen Eingriff in die municipale Autonomie selbst enthalten! Das
Recht des Collegiums und das Municipalrecht sind eben zwei von
einander ganz unabhüngige Gebiete.
Wir sind aber ferner sogar im stand nachzuweisen, daß wenig-
stens bereits Hadrian sich mit der allgemeinen Beaufsichtigung
der collegia fabrum durch praefecti fabrum nicht nur nicht begnfigte,
sondern sogar in die internsten Verhältnisse eines collegium fabrum
in einem italischen Municipium, in Praeneste, eingriff, in-
dem er diesem Colleg einen quinquennalis perpetuus, also den eigent-
lichen Vorsitzenden, den sonst die Collegialen zu wählen hatten 4),
setzte !!) Der Einwand, den Schmidt und Jung machen, ist da-
her nach jeder Seite hin belanglos. .
Freilich sind nicht sofort alle Verhültnisse der Collegien, die
wir irgendwo antreffen, auf simmtliche Collegien derselben Art in
allen Theilen des Reiches zu verallgemeinern. Das haben wir selbst
ausführlich im III. Abschnitt nachgewiesen. Wenn aber Jung aus
diesem Grund glaubt, daß man aus der Correspondenz zwischen Pli.
nius und Traian (epp. X 33 und 84) nicht ohne Weiteres auch
auf die übrigen in Betracht kommenden Theile des Reichs Schlüsse
ziehen dürfe, so geht er hierin viel zu weit. Er versäumt zu unter-
scheiden zwischen einzelnen im Grund ‘unwesentlichen Verschieden- _
heiten, welche die äußere Organisation und Verfassung der Collegien
betreffen, und den allgemeinen Grundzügen, welche durch das Staats-
interesse geboten erscheinen und daher keine wesentliche Aenderung
in den verschiedenen Theilen des Reichs erleiden können, und sp
diesen gehört eben die staatliche Ueberwachung. Zudem ja
Traian ausdrücklich, daß Plinius seinen Antrag auf Constituie-
11) Vgl. z. B. Digg. III tit. 4, 1. 12) Vgl. praef. fabr. p. 68 f.
13) C. I. L. XIV 3003 = n. 90 meiner Sammlung: quing. perp.
datus. ab | tmp. Hadriano. Aug. collegio. fabr. tigen. — Das Prae-
neste ein Municipium war, dafür ist abgesehen von bestätigenden
Inschriften Hadrian selbst (nach Gell. 16, 18) klassischer Zeuge,
Vgl. C. I. L. XIV p. 289 f.
Ernennung des ‘municipalen’ praefectus fabrum. 767
rung eines Collegs von fabri in Nicomedia, welches den Löschdienst
in Zukunft versehen solle, secundum exempla complurium gestellt habe, '
und schon O. Hirschfeld hat es glaublich gemacht 14), daß Pli-
nius diese Feuerwehreinrichtung aus seiner engeren Heimath, aus
Comum und den Nachbarstädten Mediolanium und Brixia ge
nau kannte, wo die Feuerwehr durch die Collegien der fabri und
centonarit ganz besonders vollkommen organisiert war. Wenn daher
Plinius versichert: ego attendam, ne quis nisi faber recipiatur neve
éure concesso in aliud utantur; nec erit difficile custodire tam
paucos, (nämlich 150 Mitglieder), so geht namentlich aus den letzten
Worten hervor, daß eine Ueberwachung auch in italischen Municipien
bestand, und daf eine solche mitunter in den grofen mitgliederrei-
chen Collegien in Oberitalien !5) nicht immer leicht gewesen sein mag.
Es ist also gewiß nicht zu sehr gewagt, wenn wir sowohl aus
allgemeinen Gründen wie wegen der besonderen Bezugnahme des
Plinius auf seine engere Heimath auch der Plinianischen Correspon-
denz unter den Argumenten für das Bestehen dieser Polizeiaufsicht
über die Collegien in den Municipien eine Stelle einr&umen.
Schmidt meint, die praefectó fabrum seien von den Collegien
selbst erwählt worden, dafür spreche außer anderm (?) die Analogie
des honor praefecturae a collegio dendroforum oblatus der Inschrift
N. 117a aus Tusculum'!9). Wir haben diese Inschrift S. 81 bereits
genauer besprochen und die Schlüsse, die bei oberflächlicher Betrach-
tung wus ihr gezogen werden könnten von vorne herein abzuweisen
gesucht. Da sie nun nochmals geltend gemacht wird, so mögen hier
noch einige weiteren Bemerkungen Platz finden,
Zunächst handelt es sich hier nicht um einen praefectus. f a-
brwm, sondern um einen angeblichen praefectus dendrof orum.
* Praefecti dendrophorum’ gibt es sonst nirgendwo, aber auch hier ist
nicht einmal die Rede von einem praefectus dendrophorum, son-
dern nur von einem honor oblatus praefecturae a collegio dendro-
forum, und.selbst eine solche kann nicht im.eigentlichen Sinn ge-
meint sein. Eine von einer Körperschaft angebotene Praefektur ist
nümlich staatsrechtlich ein Unding: ein Praefekt kann nur von einem
Oberbeamten als dessen Stellvertreter in dem ihm angewiesenen Wir-.
kungskreis ernannt werden. Schon aus diesem Grund ist nicht an
einen wirklichen praefectus des Collegs der dendrophori in der Inschrift
zu denken, zumal da eine militärische Gliederung der dendrophori
nicht wie bei den fabri und centonari nachzuweisen ist. Ich habe
daber schon a. a. O. die Ansicht ausgesprochen, daß diese angebliche
Praefektur nur eine andere, vornehmere Titulatur für den Pa-
tronat ist, auch deswegen, weil der Geebrte sich ganz wie die viel .
gesuchten und pecuniár in Anspruch genommenen Patrone der Colle-
gien dadurch erkenntlich zeigt, daß er dem Collegium den Bauplatz
für die Schola vom Rath auswirkt und den Bau mit Geldgeschenken
fördert.
14) Gall. Stud. II p. 14.
15) In Mediolanium z. B. enthielt das Colleg der fabri el cento»
nartt zum mindesten 12 Centurien, vgl. C. I. L. V 5612 = n. 177
meiner Vereine der fabri u. 8. w.
16) C. I. IL. XIV 2634 —.n. 117a: Sez. Octavius. Sex. f. Pal.
Felicianus | senator municipi et. aedil. rezs. sacr. | ob honorem oblatum.
sibi. praefectur | a collegio. dendroforum. scholae eo | rum. loco. inpe-
trato. ab. ordine. partem. au | (sic) omne. opere | zit. totamque. pecunia,
sua. consummatit.
768 H. C. Maué, Ernennung des ‘municipalen’ praef. fabrum.
Es kommt aber noch eine deutliche Bestütigung dieser Auffassung
hinzu. Der sprachliche, formelhafte Ausdruck: ob honorem oblatum
sibi praefectur(ae) a collegio dendroforum entspricht vollkommen dem
sonst in Patronatsdekreten stündig angewendeten, wenn einem reichen
oder mächtigen Mann die Ehre des Patronats oder der ehernen Patro-
natstafel beschlossen, d. h. angeboten wird. Man vergleiche nur die
folgenden Beispiele, welche sámmtlich den Inschriften der Collegien
der fabri und centonarti, resp. auch der dendrophori entnommen sind.
In einem Dekret der centonarü aus Sentinum (Wilm. 2858 = n. 98
meiner Ver. der fabri u. s. w.): tabulam aeream patronatus eis of-
ferri ....... quo lautius adque pulchrius digne honorem sibi
oblatum suscipere dignentur; in dem der fabri tignuarii eben-
daher (Wilm. 2857 = n. 97): tabula(m) aeream ei offerri ....
tabulam aeream titulis seriptam offerri . . . . hanc oblationem no-
stram ... Aus einem Dekret der centonarit aus Luna (C. I. L.
XI 1354): suscipere dignetur hoc decretum . . . . quam (sic) et nos
gloriosi gaudentesque offerimus. Aus einer Inschrift der drei
+ Collegien (fabri, centon. und dendroph. in Falerio (C. I. L. IX
5439 = n. 54): oblatum sibi (nämlich dem Patron derselben) ho-
norem statuae. Aus einem Dekret der fabri subaediani in Corduba
(C. I. L. 11 2211 = n. 290): offerimus tibi cunctt tesseram pat(ro-
natus) fabri subidiani quam libenti animo iubelmus] suscip. Of f e-
rentes rectores . . . Aus einem Dekret der fabri von Pisa urum
(Bull. dell. Inst. 1881 p. 51 f. — n. [24] meines Nachtrags im Praef.
fabr. p. 170): patronwm mn(wmeri) n(ostri) cooptasse nos per decretum
insinuamus quod offerri eis per q(uin)g(uennales) n(ostros) ......
tabulam aeneam et quam primum eis offerri.
Ich will es dahin gestellt sein lassen, ob sich die Bezeichnung
des Patronats durch den Ausdruck ‘praefectura’ aus den Tusculani-
schen Besonderheiten in der Benennung ihrer honores erklürt, wie
ich a. a. O. angenommen und an Beispielen gezeigt habe — unsere
Inschrift weist deren ja selbst zwei auf, den rex sacrorum und senator
municipi --; jedenfalis aber ist an dieser höflichen Umschreibung
kein Anstoß zu nehmen, wenn wir sehen, daß auch die fabri tignuarsi
von Vienna den honor ihres Patrones mit dem Ausdruck
«praesidium bezeichnen !).
Die von Sch mid t angezogene Inschrift hat demnach keinerlei Be-
weiskraft für die von ihm behauptete Wahl des praefectus fabrum durch
das Collegium selbst, und wir können die von uns begründete An-
nahme von der Ernennung des praefectus fabrum durch die kaiser-
liche Centralgewalt — ob direkt oder indirekt geschehen, muß dahin
gestellt bleiben — durchaus nicht für widerlegt ansehen.
17) C. I. L. XII 1877 und dazu die Note von O. Hirschfeld.
Frankfurt a. M. H. C. Maué.
Berichtigungen. Die oben 8. 427, 1. 427, 4 ‚veröffentlichten
Inschriften wurden, worauf uns P. Wolters aufmerksam su-machen die
Güte hatte, zuerst in den Athenischen Mittheilungen X 282 abgedruckt,
S. 478 Anm. 30 Z. 6 ist für ,,des Korinthers Eurybatos‘‘ zu lesen:
„des Verrüthers Eurybatos‘:. D. Red,
Aeschyl. Eumonid. 268
Pers. 756.
eek
PESSS
rsstussshrrfrssessE
— — 1029—1002 i
Alezis fragm, 126 p. 142 K.
-Amm. Marcell. 21, 16, 6 722
Antiph. Acestr, 20 192 |
ign d 192
— Hal. 16 192
Anthol. Latin. (ed. Bührons Poet.
lat. 5,4
9 LES
Philologus XLVII (N. F. II), 4.
110 I. , Stellenverzeichnis.
Aristid, Or. 49 p. 581, 673 56 | Charis. ed. K. p. 57, 28
56 27
— — 49 p. 538, 676 — p. 57,
— —.51 p. 576, 722 56|— p. 58, 7
— — 51 p. 579, 726 56|— p. 59, 1
Aristoph. Acharn. 1 192 | — p. 59, 11
— — 17 192| — p. 59, 16
— — 20 192|— p. 60, 2
—-H 192|— p. 60, 7
— — 30 192| — p. 60, 12
— — 45 192| — p. 60, 18
— — 48 192| — p. 61, 2
— — 317 182|— p. 61, 11
Av. 648—657 181|— p. 61, 28
— Ran. 45—47 702 | — p- 62, 9
Aristot. Metaph. 4, 28 272|— p. 62,11
Athenaeus 5 p. 208 D 700 | — p. 62, 12
— 15 p. 672 C 201—14| — p. 62, 20
Apul. Apol. 37 556 | — p. 63, 17
Batrachomyomachia, vergl. Homer.| — p. 65, 1
Caes. bell. Gall. 5, 29, 2 378| — p. 65, 14
— — civ. 8, 112 191|— p. 67, 21
Cato fragm. 88 ed. Peter 324 | — p, 69, 2
Charis. ed. K. p 51, 16 260| — p. 70, 1
— p. 22, 17 260|— p. 70, 3
— p. 24, 1 260|— p. 71, 16
— p. 25, 81 257 | — p. 72, 17
— p. 26,8 257, 258 | — p. 72, 30—78,
5, 21 260| — p. 78, 14
258| — p. 74, 5
258|— p. 74, 6
258| — p. 74, 20
258 | — p. 79, 2
258| — p. 79, 8
. 258| — p. 81, 2
1 257, 258| — p. 82, 18
. 957 — p. 82, 15
. 957 | — p. 82, 34
. 257| — p. 84, 1
. 257'— p. 84, 4
. 257! p. 85, 9
. 257| — p. 87, 2
. 258 | — p. 88, 10
. 257, 958 — p. 88, 11
. 258 | — p. 88, 19
— p. 54.3 257 | — p. 88, 27
— p. 54,5 257 | — p. 89, 17
— p. 54,7 257 | — p. 89, 18
— p. 54,9 260; — p. 89, 27
— p. 55, 2 257| — p. 90, 1
— p. 55, 9 257|— p. 90, 11
— p. 55, 18 260| — p. 92, 23—28
— p. 55, 17 257 | — p. 93, 9
— p. 56; 1 257|— p. 98,
p. 56, 2 : 958|— p. 95, 4
— p. 56, 8 261|— p. 96, 4
—p554 261| — p. 98, 16
— p. 57, 16 259'— p. 98, 17
——
257,
262,
37,
260,
264,
257
265
262
I Stellenverzeichnis, ; 771
Charis. ed. E95 361 | Charis. sd. E p.133,15 268
— y. 100, 261|— p. 188, 257 ^
— p. 102, $ 259 |— p. 133, 15-19
— p. 102, 11 262|— p. 185, 17
— p. 102, 12 259 |— p. 136, 23
— p. 102, 19 959 |— p. 137, 2
— p. 103, 412 264|— p. 187, 17 262,
— p. 105, 20 259 | — p. 138, 15
— p. 106, 1-9 264 |— p. 188, 19 |
— p. 107, 16 250 | — p. 139, 19 260, 261,
— p. 107, 17 189, 20 262,
— p. 108, 4 141, 17
— p. 108, 8 141, 29
— p. 108, 20—26 142, 16
— p. 110, 6 142, 29 260,
— p. 110, 8—19 142, 80
— p. 11, 2 143, 1
— p. 114, 1 148, 19
— p. 117, 20 148, 22
— y. 117, 22 143, 26
— p. 118, 15—21 144, 16
— p. 118, 16 145, 5
— p. 118, 18 145, 6
— p. 118, 19 145, 7
— p, 118, 25 146, 31
— p. 118, 97 148, 7
— p. 118, 29 190, 8
— p. 119, 8 192, 22
— p. 119, 4 193, 17
— p. 119, 6 194, 5
— y. 119, 14 287, 4
— p. 120, 8 er. pro Quinct: 92
— p. 120, 9 268 — de nib. 1, 39°
— p. 120, 12 262 — — 5, 81
— y. 120, 14 263|— Nat. Deor, 1, 122
— p. 120, 19 263 | — Tuseul. 1, 50
— p. 120, 30 265 | Claudian. Rapt. Pros.2, 209
— p. 121; 17 260 | Cleobulin. 8
— p. 121, 18 258 | Curt, 2, 9, 12
— p. 122, 3—4 262 | Dio Cass, 54, 25
— p. 122, 25 263 |— 55, 23
— p. 122, 30 263 |— 57, 4
— p. 123, 3 259, 260 | Diod. 11, 87, 7 309,
— p. 123, 4 262 — 11, 40,
— p. 124, 97 260 |— 11, 58, 6
— p. 124, 80 260 |— 11, 54, 6
— p. 125, 7 262|— 12, 94
— p.125, 11 258|— 12, 25, 2
— p. 126, 10 264 | — 12, 30, 6
— p. 127, 14 958|— 12, 84, 5
— p. 128, 8 262 | — 12, 87, 1
— p. 128, 18 260 | — 12, 80, 6
— p. 129, 24 260 | — 13, 6,
— p. 129, 26 958 — 14, 16, 5
— p. 130, 8 266 | — 14, 84, 7
— p. 181, 12 257, 264) — 14, 102, 4
— p. 182, 13 958! — 14, 117,
49*
772 I. Stellenverzeichnis.
Diod. 15, 35, 8 330 | Frontin. 3, 3,4 ^ 678
— 15, 47, 8 ) 316 | — 3, 4, 676
— 16, 36, 4 321 | — 3, 8, 2 679
— 16, 90, 2 323 | — 3, 11, 1 678
— 20, 26, 3 308 | — 4, 1, 39 680
— 90, 44, 8 309|— 4, 5, 2 677
— 20, 80, 1 309| — 4, 5, 6 678
Diog. "Laert. 1, 22 - 269| — 4, 5, 14 678
— 4,22 297 | — 4, 5, 16 676
— 5,61 316 | — 4, 7, 21 678
— 8, 82 . 310 | — 4, 7, 30 . 675
— 8, 86 | 310 | Gatus 1, 34 304
— 9,2 . 310 | Galen. tom. V p. 1025 Ald, (EVII
— 9, 14 310| B p. 381 Kühn.) 59
— 9, 23 811] — — 107* (p. 439) 59
— 9, 55 311] — — 109 (b. 461) 59
— 9, 61 319| — — 110b (p. 484) . 60
— 9, 68 319| — — 112b (p. 508) 60
Dracont. (ed. Baehr. Poet. lat. mn Tp: (b 348) | ci
min. V) praef. 6 563| — — «a IE
-— — praef. 19 563]^ T 118° (p. 583) . 61
= -—I2 5638| — 121° (p. 627) 61
— — Il 57—58 563|— — 1267 (p. 687) 61
— — IL 101 .568|— — 151, (p. 799) 62
— — V 100 564|— — 188 (p. 785) 62
— V 896 564| — — 136° (p. 828), 65
Enn. (Prise. 10, 26) 640|— — 146° diem A p. 62) 68
Ermold. Nigell.ad Pipin. 2,153 258|. _ 146» (p. 66) 66
Etymol. Magn. s. v. evinns — 206| — — 151a (p. 137) 64
— p. 148, 39 704 | — — 151» (p. 145) 64
— p. 228, 2 700] — — 1528 (p. 155) 64
Euripid. Cycl. 10 fi. 206 f. 218| -— — 1548 (p. 181) 65
— Orest 2140 708| — — 154» (p. 189) 65
— — 185 | — — 1558 (p. 192) 65
Euseb. Olymp. 110, 1 297 | German. Arat. Phaenom. p. 72,
"Eutr. 1,7 297| 12 ed. Br. 100
— 5,9 267 | Gloss, nom. ed. Löwe p. 80 645
Frontin. 1, 1, 3 677 | — p. 103 |^. 645.
— 1,1,9 676 | — p. 107 646
—1,8,9 679 | — p. 210 646
— 1,4,8 676 | — p. 222 646
— 1, 5, 16 678 | Hermipp. fr. 63 p, 218 K. 209
— 1,7, 7 679 | Herodot. 1, 29 268
— 1,9, 1 679 | — 1, 143 270
— 1,12, 7 677 — 1, 146 269
— 2, 1, 15 679 | — 1, 155 705
— 2, 2, 8 678 | — 1, 170 269
— 2, 8, 14 676 | — 2, 21 269
— 2, 8, 23 675| — 2, 51 467
— 2, 6, 10 679 | — 2, 184 269
— 2, 12, 8 678| — 4, 95 268
— 8, 2, 4 679! — 4, 150—153 498
I. Stellenverzeichnis,
Herodot. 4, 154 499
— 6, 58 : 269
— 6, 125 705
— 6, 138 205, 210, 240
— 7, 228 244
—8 44 272
(Hes.) Aspis 218 497
Hesych. s. v. alga 206
— apddy 698
Zieronym. Olymp. 10,1 297
Hom. ll. B 689 107
— — 692 107
— Z 135 681
— 1198 # 103
— — 636 104
— T 245 f. 105
— Où. » 116—117 696
— Hymn. (XIX) in Pan. v. 18 7
In 3
— — 19 10
—— 27 7
=—8 16
— Hymn XXXv.9 * 12
— Batrach. 48—52 577
— — 14 578
— — 188. 260 580
ut) 582
— — 275 582
Horat, Carm, 1, 7, 15 158
——3949 641
Hygin. Fab. 134 220
— Poet, Astron. 2,17 | 219
24 99
Tuba (= 0. Müller F. H. G. III
569) fr. 84 130
Juvenal 4, 56 642
— 8, 90 183
— 8, 199 184
Tuvene. hist. ev. 1, 499 258
—— 2,27 253
— — 9 68 253
— — 4, 307 253
— — 4, 553 258
Liv. 1, 24 297
— 2, 28, 8 377
— 242,1 310
— 2, 43,5 310
— 2, 48 310
— 2,511 311
— 2, 58, 5 311
— 2, 62 311
E 312
— 34 312
— 3, 10, 8 812
8, 23, 1 312
— 3, 23,7 312
VLTEEEFLEREDELETTETU
UPPER T) Ege pipstt gt
714 I. Stellenverzeichnis.
Liv. 89, 39 288
— 40, 291
— 40,9 292
— 40, 18 291
— 40, 35 288, 290—293
— 40, 36 288, 291— 293
— 40, 44 291
— 41, 9 291—293
— 41, 11 291
— 41, 25 291
— 42, 1 291
— 42, 10 291
— 42, 18 291
— 42, 83 287, 300
— 42, 34 287, 289, 300
— 43, 12 291
— 44, 18 293
— Perioch. 50 (ed. O. Jahn
p. 56, 4 648
Lucan. 1, 120 251
— 1,19 251
— 1, 191 251
— 1, 218 251
— 1, 289 251
— ], 246 251
— 1, 841 251
— 1, 529 251
— 1, 605 251
— 2, 34 251
— 2, 553 251
— 3, 37 251
— 4, 407 251
— 5, 158 261
— 6, 424 251
— 8, 303 251
Lucian. Amores ed. Iacobitz
vol. II p. 224, 9 38
— II p. 231, 19 638
— II p. 232, 4 638
— II p. 235, 5 638
— II p. 235, 29 638
— Anachars. vol. III p. 68, 26, 638
— Eunuch. vol. II p. 188, 5 638
— II 185, 13 638
— Il 185, 26 638
— Hermotim. vol. I p. 335, 5 638
— Ip. 340, 3 638
— Imagin. vol, II. p. 289, 5 637
— II p. 239, 8 637
— II p. 240, 6 637
— Il p. 241, 2 637
— II p. 241, 22 637
— II yp. 248, 30 637
— II p. 244, 26 637
— II p. 247, 30 638
— Navigium sive Vota vol.
III p. 218, 17 638
Lucian. Navigium sive Vota
vol. III p. 218, 13 638
— Pseudologista vol. II '
p. 166, 31 638
— Ill p. 170, 23 638
— Vitarum auctio vol. I
p. 229 638
— I p. 232, 9 638
— Il p. 232, 23 638
— I p. 233, 12 639
— Ip. 234, 10 639
— I p. 246, 13 689
— Br Ixxigoiag vol. III p. 885
1 —.412, 88 1—19 685, 636
— Aovxsos "vol. II p. 303, 9
— 324, 17 8 1-85 630 — 632
— II p. 325, 7 — 337, 17
§ 37—56 632, 633
— Togavvoxzövos vol. II p. 74,
7 — 76, 20 8 1—6 '684
— II p. 77,.21 — 81, 8
1
§ 8— 634, 685
— II p. 82, 18 — 88, 32
8 17—20 635
— II p. 85, 2 8 22 635
Lyr. inc. vol. III p. 690 Bgk. 178
Mela II 7, 104 191
Mimnerm. 12 ed. Bgk. 363
Moduin. Nas. Ecl. 4 120 258
Mythogr. Vatic. 1, 122 219
— 2,171 219
Nonnus 45, 105—168 224
— 47, 507 227
Oppian. Halieut., 1, 648 227
Ortent. v. 41—48 465
— v. 51—52 465
Oros. 5, 22 297
Ovid. Amar. 3, 6, 67 . 250
— — 8, 9, 12 250
— Ars. "Amat. 3, 655 250
— Epist. 8, 63 251
— — 17, 175 251
— ‘Fast. 2, 507 _ 250
— — 3, 329 251
— — 5, 45 251
— — 5, 249 251
— — 5, 549 251
— Met. 1, 106 250
— — 1, 166 250
— — 8 250
— — 8, 582—700 220
— — 4,6 250
— — 5, 17 250
— — 5, 227 250
— — 6, 216 250
— — 6, 587 250
— — 7, 140 250
I. . Stellenverzeichnis.
Ovid, Met. 7, 148 250 | Polyb. 2, 18, 5
— — 1, 118 250 |— 2, 18,
——7, 28 . 450|— 2, 18,
— — 8, 108 250|— 2, 18, 8
— — 8, 284 250|— 2, 19, 1
— — 9, 229 250|— 3, 15, 11
— — 9, 275 250|— 3, 20,
— — 18, 216 250|— 8, 21.
——14,7 251|— 3, 22, 8
— 15, 54 251|— 3, 92, 6
Trist. 5, 3, 47 252| — 8, 22, 11
Palaiphat. ed. Westermann — 8,28,
p. 271, 10 305 | — 8,98, 6
— p. 272, 15 805 — 8, 24, 16
— p. 276, 17 805 | — 8, 26,
— p. 278, 6 305 | — 8, 27, 1
— p. 282, 20 305 |— 6, 19
— p. 292, 6 805 | — 8,
— p. 304 805 — 15, 19, 9
Paul. vit. M. 2, 145 761|— 15, 14, 8
— 4, 100 761|— 15, 14, 7
— 5, 41 761|— 15, 16
— 5, 452 761 | Pomp. p. 144,
— 5, 470 761 |— p. 144, 16
— 6, 486 761 |— p. 144,
Pausan. 1, 21 557 | — p. 164, 18
— 8, 31,4 708 | Procop. 1, 20,
— 9, 20, 3 215|— 1, 40,
Perioch. Liv. 50 (ed. O. Iahn — 1, 68,4
p. 56, 4) 643 | — 1, 86, 16
Philodem. de mus. 1, 80 ed. — 1, 86, 19
Kemk. 554|— 1, 90, 8
— meo staspeiag p. 28 204|— 1, 118, 6
Philostr. Imag. 1, 18 222| — 1, 191, 18
Placid, Gloss. 10, 16 645| — 1, 128, 10
— — 21,9 645| — 1. 881, 15
Plato Symp. 174 B 628|— 1, uo n
Plaut. Casin. 1, 45 go] p 428 18
— Poenul. 1, 2, 22 641|— 3° 467 18
— Poenuli collatio v. 1—8, xP 618 2
» 518,
10—361 462| — | 507. 8
— Truculenti collatio v.1—150 461 — y 24/8
Plin. N. B. 7, 19 96 — 2213
— T, 109 556 — 2° fot, 15
— 19, 87 . 9001| 9 162 È
Plutarch. vit. C. Gracch. 2 208 — 2 162, 12
— vit. Marcell. 15 — 9 171; 15
— quest symp, 1, 10, 88. 628 b —2141
— vit. X orat. S. 841 E 557| 9, 174, 20
Pollux 4, 55; 1
— 4, 104
— 4, 115
— 4, 128
4, 129 6,
— 4, 180 699 | — 11, 1, 21
Polyb, 1, 2, 7 8651— 11, 1, 4
189,
776 L
Quintil, II 1, 32
— 11, 1, 54
Rutil, Nam. 2, 44
Sédul. 1, 181
Müller p. 18, 16)
1, 1, 16 (24, 15)
al
20 {
, 11 (183, 1)
, 16 (281, 9)
17 (282, 7)
24 (286, 12)
Excerpt. 5,2 (45, 17)
6, 8 (25
Hercul. for 27
LAS STI RO R00 Ro PO PO RO NO f rr I I I nen:
eco
16),
Stellenverzeichnis.
78 | Senec. Med. 19
79| — — 194
79|— — 201
80|— — 413
80, 81| — — 579—669
82 | — Oedip. 441
84|— Phaedr. 1121
85|— Phoen. 100
85|— — 408
86 456
87|— Thyost. 336
250 — Trond. 971
253 | — —
238 |— ad Belrium 16, 5
253 — ad Polyb. 9, 9
253 | — Nat. Quaest. 6, 26
— ad Lucil. 88, 17
67 | Serv. ad Verg. Aen. 1, 67
68|— — 8, 600
Sinti
68 | Schol. Bern. Verg. Geprg. 1,
69| 125 p. 856
8|- E Dial. Meretr. VII
9 .
20 Sol. Peri
l. 8
igr. 82 ed. Bgk.
Tide où à
229, 281, $8, 330
78 | Solon. 9 ed. Bgk.
nl- 18,24 E"
74 — 364
75 Sophoal let. 1415 758
74|— Oéd. Colon. 1499 13, 4
74 |— Vita (cf. Soph. Elect, ed
74| 0. Iahn) 81 555
731|— — + 555
"49|— — 557
120 | tof, Ati. 1, 845 258
780|— Theb, 1, 48 258
782|— — 1, 659 952
728|— — 2, 615—680 252
726 |— — 8, 26 952
741|— — 3, 68 22
748 |— — 3, 68 258
736 |— — 5, 98 258
258
I. Stellenverzeichnis, 777
Stat. Theb. 5, 449 252| Uipian. 3, 1 804
— — 5, 594 252|— 8, 6 - Ù
— — 5, 626 252 | Valer. Flacc. 1, 12—21 647
— — b, 686 952|— 1, 46 249
— — 5, 691 252|— 1, 74 - 249
— — 5, 693 252|— 1, 80 249
— — 6, 41 252 |— 1, 89 253
— — 6, 46 252|— 1, 91 250
— — 6,95 252|— 1, 101 249
— — 6, 113 : 252| — 1, 130—148 652
— — 6, 184 32 253
— — 6, 208 252| — 1, 210 249
252|— 1, 278 249 |
— — 6 711 252|— 1, 286 250
— — 6, 747 252 |— 1, 302 . 950
— — 6, 774 252|— 1, 316 -250
— — 6, 868 252| — 1, 317 ‚249
— — 6, 908 252|— 1, 326 249
— — 1, 46 252|— 1; 831 658
— — 9, 644 952 — 1, 839 250
— — 9, 666 252|— 1, 384 249
— — 9, 705 252 — 1, 399 350, 654
— — 9, 768 161|— 1, 432
— — 9, 802 252 — 1, 435 252
— — 10, M4 252|— 1, 456
— — 10, 384 252|— 1, 467 252
— — 10, 544 252 |— 1, 484 250
— — 11, 357 253 | — 1, 563 647 ^
— — 11, 495 253 |— 1, 602 249
— — 12, 54 . 953| — 1, 638 252
— — 12, 469 253|— 1, 660 » 258
— Silv. 1, 2. 118 252|— 1, 671 253
— — 2, 1, 26 252|— 1, 712 249 :
Strab. 5, 2, 4 472| — 1, 750 250
Suet, vit. Aug. 72 644 | — 1, 772 250
— — Claud. 18 304|— 1, 779 654
Suid. s. v. EmBolé 178| — 1, 793 249
Tacit, Ann. 1, 17 299 | — 1, 821 249
— — 1, 86 299| — 1, 840 2
1,78. 209|— 2, 2 249, 252
— Agr. 45 643) — 2, 17 2 1
Terent. Maur. 1286 253 — 2, 25
Theocr. dives 202 |— 2, 56 251
Theogn. 141, 1 549 |— 2, 118 250, 253
— 955, 256 «552 | — 2, 114
— 477, 478 551 | — 2, 117 249
— 627, 628 545| — 2, 131
— 651, 652 546| — 2, 168
— 955, 956 550| — 2, 242 250, 252
— 1129—1182 ^ 547|— 2, 261
— 1157, 1158 545 — 2, 273 :
— 1159, 1160 545, — 2, 288 253
— 1179, 1180 549 | — 2, 813 249, 252
— 1221— 1226 545|— 2, 316 655
Timocles "Teágsos fr. 14 2, 817 656
p. 458 K. 228| — 2, 322 657
Tyrlaeus 5 ed, Bergk. 363 | — 2, 324 657
778 I. Stellenverzeichnis.
Valer. Flacc. 2, 327 657 | Valer. Flacc. 4, 296 949
+ — 2, 331 656 | — 4, 517 250
— 92, 841 :249 | — 4, 519 951
— 2, 352 249 | — 4, 581 250
— 2, 367 657 | — 4, 549 . 250
— 2, 378 250 | — 4, 571 249
— 2, 375 657 | — 4, 574 9
— 2, 385 658 | — 4, 589 249, 251
— 2, 386 249 | — 4, 648 258
— 2, 412 249 | — 4, 664 951
— 2, 444 249 | — 4, 714 662
— 2, 458 249 | — 4, 745 951
— 2, 455 249 | — 4, 760 -949
— 2, 470 250 | — 5, 75 258
— 2, 482 250 | —. 5, 86 251
— 2, 488 253 | — 5, 120 251
— 2, 502 250 | — 5, 182 662
— 2, 568 249 | — 5, 907 668
— 2, 623 250 | — 5, 948 249
— 8, 20 253 | — 5, 278 249
— 8, 82 658| — 5, 308 259
— 8, 46 201|— 5, 321 663
— 3, 48 292 | — 5, 371 ° 668
— 8, 63 249 | — 5, 419 6638
— 8, 100 252 | — 5, 449 251
— 3, 120 251, 253 | — 5, 551 249
— 3, 129 252 | — 5, 590 259
— 3, 223 659 | — 5, 598 249, 259
— 3, 224 © 659 | — 5, 608 259
— 8, 9232 299 | — 5, 670 664
— 3, 286 249 | — 5, 674 251
— 3, 338 250, 253 | — 6, 95 664
— 8, 386 252 | — 6, 104 252
— 3, 391 252 | — 6, 115 249
— 8, 412 659 | — 6, 123 664
— 3, 458 249 | — 6, 128 665
— 8, 548 249 | — 6, 160 665
— 8, 578 252| — 6, 178 666
— 3, 598 660 | — 6, 186 252
— 8, 613 251 | — 6, 247 666
— 8, 661 252| — 6, 256 666
— 3, 719 252|— 6, 296 252
— 44 249 | — 6, 841
— 4, 18 251 — 6, 367 249, 250
— 4, 22 660 | — 6, 386 667
— 4, 96 661, — 6, 423 668
— 4, 99 252 | — 6, 462 249
— 4, 38 249 | — 6, 489 249
— 4, 71 252 | — 6, 496 249
— 4, 94 249 | — 6, 517 258
— 4, 130 661.| — 6, 577 249
— 4, 189 249 | — 6, 584 252
— 4, 174 661 | — 6, 608 251
— 4, 187 661 | — 6, 618—617 | 259
— 4, 248 249 | — 6, 622 252
—4,270 | 252] — 6, 664 251, 252
Valer. Flacc. 6, 676
— 6, 679
— 6,
è ( we E - - v - - > “ =
9o 00 00 00 00 -1 -3 23 - -1 3 - JJ T3 2-3 -J-J-JeJ-P-) epe) eJ -1
-
- ~~ =
bd
LLL ee LB Fg Gg Gg B Gg Sg g Bg g gB Gg LFlLlgrtlhlrbrgbng g
90 OO 00 OO 00 00 OO 90 OO 00 OO
3
Valer. Maxim. 9, 7, 6
449
— 9, 12 extr.
Vell. Paterc. 2, 105
Aen. 1, 53
Verg.
ELLE EL g g gl gl ll
l,
1 è lw + ‘è
ee fw
+ dA è. 09
tO DO fed durò FA ped jet unb dem um pod pet imb
LJ
pot,
iv)
=]
lw
T
Vopisc. Vit. Prol. 1
I. Stellenverzeichnis.
. Aen. 9, 277
780 II. Sachliches.
Zenob. s. v. denayd: | 212%
Zonar. 7, 18 318
Zenob. s. v. xgadns dayetans
Miller Mél. Tit 156 698
II. Sachliches.
Achaier und Aioler p. 124. ner Handschrift der orphischen
Achilieus- Agamemnon p. 102 ff. 369.| Argonautica p. 379, 573. .
Aeschylus: C. Haeberlin, Aesch. | Aridaios: G. F. Unger, Der Tod
Suppl. 555 p. 66; ders. Zu Ae-| des Pu ni Aridaios 316 v.
schyl.. Eum. 263 p. 254. — B.| Chr. p. 88.
Todt, Zur Erkl. und Kritik von Arisba b p. 102. 115.
Aesch. Schutzflehenden p.20; Noch | Aristarch: W. Schmid, Dag Al
einmal die Bühne des A. p. "505. ter der Epitome aus den Wer-
Africus, -anus p. 372. ken der vier Aristarcheer p. 558;
Alexandria p. 191. A. u. Zenodot p. 105 ff.
Aloeus, Alkaios p. 694. Aristides: W. Schmid, Emendatio-
Alterthum: O. Crusius, Zu den
Bühnenalterthümern p. 697: 1)
unyarı, xoadn, yéoavos p. 697;
2) xö$ogvos Eußams, defvAn xon-
nis p. (01. — L. Holzapfel, Ue-
ber die Zeit der ludi Romani p.
969. — J. Kaerst, Die römischen
Nachriehten Diodors und die con-
sularische Provinzenvertheilung.
in der älteren Zeit der römischen
Republik p.306. — ZH. C. Maué,
Zur Frage der Ernennung des
»municipalen« praefectus fabrum
p. 763. — E. Meyer, Pron und
Haliaia in Argos p. 185. — 4.
Schiller , Zur Topographie des
alten Alexandria p. 191. — Th
Steinwender , Altersklassen und
reguläre Dienstzeit des Legionars
p. 285. — MW. Studemund, Die
Sacra Aegeorum p. 168: die
zweite Region (regio Esquilina)
p. 170; die erste Region (regio
Suburana) p.172; die dritte Re-
gion (regio Collina) p. 174; die
vierte Region ( r. Palatina) p. 175.
* Ammian : M. Petschenig, Zu A.p.722.
. Anonymus : M. Hertz, Zur Schrift
de dubiis nominibus p. 646.
Argeorum sacra p. 168 s. Alterthum.
Aphaeresis p. 220.
Aphrodite Pandemos auf einer In-
schrift p. 398.
‘ Ardys, Ardynion p. 109.
Argonautica : C. Wessely, Die Wie-
num ad Aristidem spec. III p.56.
Aristophanes: O. Bachmann, Zu
Aristopbanes p. 180.
Asklepios-Inschrift p. 402.
Athenaeus: Citate ‘des Theognis
aus Athenaeus p. 551.
Atlas p. 129.
Attika, attische Hymnen p. 205.
217 f.
Ba'al-zephón von Ed. Meyer p. 202.
Bärin im Dienste des Gottes Dio-
nysos p. 212, 213. -
Batrachomyomachie : R. Peppmiller,
Zur Batrachomyomachie p. 577.
Berentkelocke p. 100 f.
Beiträge zu latein. Schriftstellern
von Joh. Mühly p. 640; Beiträge
zur Geschichte der römischen
Prosaiker im Mittelalter von M.
Manitus p. 564: V Gellius p.
564; VI Columella p. 566, VII
I. Caesar p. 567; VIII Livius p.
970; IX Pomponius Mela p. 573.
Brauron , Brauronien: p. 205 ff.;
218; 218; 478; 585 f.
Brisae, Bresades p. 129.
Briseis p. 105 f.
Bühnenalterthümer: O. Crusius, vgl.
Alterthum; B Todt, vgl. Ae-
schylus.
Caesar im Mittelalter p. 567.
Caleus: R. Unger, Licinii Calvi
fragmenta duo p. 557.
Carrus navali »Carnevale p. 209.
Catull : C Weymann, Zum Fortle-
ben Catulls- p. 760.
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Charisius : J. W. Beck, Zur Quel-
lenanalyse des Charisius p. 255.
Cicero: A. Spengel, Die Personen-
zeichen in den Schriften von Ci-
ceros Tusculanae disputationes
p. 367.
Clemens Alexandrinus: Citate aus
Theognis bei Clemens Alexan-
drinus p. 551. |
Columella im Mittelalter p. 566.
Damaskoslegende p. 210.
Ailios xolvußneis p. 215.
Diyllos Quelle des Diodor: p. 98.
Diodor: J. Kaerst, vgl. Alterthum.
divvvoos Aksevs von K. Tümpel
p. 681, vgl. 209.
Dionysosideal p. 202 f. D. in Les-
bos p. 115.
Elegie: G. A. Murray, Adn. ad
poetas elegiacos Graecos p. 363.
Epigraphische Kleinigkeiten aus
Griechenland von J. Baunack p.
386: 1. Eine in Delphi gefun-
dene korinthische Weihinschrift
p. 386; 2. Aus Megara p. 386;
3. Aus Argos p. 394; 4. Auf
Nisi bei Palaeo- Epidauros p. 397;
5. Aus Mykonos p. 398; 6. Aus
"Hoaxleorv auf Kreta p. 398; 7.
Aus Hagioi Deka auf Kreta p.
400; 8. Aus Miamu p. 401; 9.
Aus Boeotien: a) Chaironeia-
Kapruna p. 404; b) Lebadeia p.
406; c) Skripu- Orchomenos p.
407 ; d) Theben p. 416; e) Eri-
mokastro-Thespiä p.419; f)Leuc-
tra-Platää p. 424; g) Museum zu
Skimatari p.425; 10. Aus Chal-
cis p. 426.
Etrusker p. 484 f. |
Etymologieum Magnum: R. Rei-
tzenstein, Zu den Quellen des
"sogenannten Etymologicum Ma-
gnum p. 450: 1) Das echte ézv-
‚uoloyıxov uéya und das èrvuodo-
yexov allo p. 450.
Eustathios : K. Ttimpel, Tiryns bei
Stephanos von Byzanz und Eu-
stathios p. 690.
Excerpta Palatina; M. Hertz, Nach-
trägliches zu den Excerpta Pa-
latına p. 192.
Farbenbezeichnungen p. 142. 706.
Fischerstechen yp. 208, 21548,
Flaccus Africus p. 372.
Frontin. M. Schanz, Zu Frontins
Kriegslisten p. 674
Sachliches.
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781
Galen: J. Ilberg, Galeniana p. 56.
Gellius im Mittelalter p. 564..
Geschichte: W. Soltau, Die rö-
misch-karthagischen Verträge p.
131: 1. Waren die 3 polybiani-
schen Urkunden datiert ? p. 131;
2. Der zweite polybianische Ver-
trag p. 137; 3. Der erste poly-
. bianische Vertrag p. 276; 4. Ac-
cessorische Argumente p. 281;
5. Folgerungen für die litterari-
schen Verhültnisse Roms p. 288.
— W. Streit, Die polybianische
Beschreibung der Schlacht bei
Zama p. 189. |
Güttermutter, Inschr. p. 421.
Grammatik: A. Zimmermann, tem- —
pora im abhüngigen Irrealis p.376.
Gras p. 120. 125.
Haliaia in Argos p. 185; Haliaıa
von Heinr. Swoboda p. 762.
Helioskult 128 f.
Hellanis p. 160.
Hellas, Hellenen p. 274!9.
Hermes Trism. p. 371.
Hermione, Kulte: p. 208, 685 f.
Herodot: Ed Meyer, Herodot und
die Ionier p. 268; H. über die
Pelasger p. 467.
Hesiod: R. Peppmülter, Zu (Hes.)
Aspis v. 218 p. 497.
Homer: O. Crusius, Der homeri-
sche Dionysoshymnus und die
Legende von der Verwandlung
der Tyrsener p. 193. Hymnen
in Attika entstanden p. 205.
217. C. Haeberlhn , Hom.
Odyss. «+ 116—117 p. 696. — R.
Peppmtiller, Der Hymnus auf
Pan (XIX) p. 1; Gliederung des
Gedichtes p. 2; Anordnung des-
selben nach A. Ludwich p. 4;
Uebersetzung p. 17. Ders. Zur
Batrachomyomachie p. 577.
Hyllos der Heraklide, Epigramm
auf denselben: p. 178.
Hymnenstil p. 196 ; 202; 204 f.
Hymnus auf Pan (XIX) vgl. Homer.
Hyphaeresis, syllabische p. 408.
Idyll p. 226 f.
Johannes Damascenus: Citate aus
Theognis bei Johannes Damas-
cenus p. 550.
Issa == Lesbos p. 127.
Ionier: Ed Meyer, Herodot und
die Ionier p. 268. .
Iuba v. Maur.: K. Tümpel, I. p. 130.
782 II. Sachliches.
Juvenal: A. Häckermann, Zu Iuve-| Phüdros p.428: 1. Grandabsicht
nal's Sat. VIII p. 183. p. 428; 2. Abfassungszeit p. 583.
Kabiren p.130 ; Kabiriarchen p. 417. | Plautus: GuidoSuster,Gunest Plaut.
Kaukasion, Kaukonen p. 129. p. 456: cod. Barberinus p. 456.
Kleruchen p. 474 f. Polybius : H. Stich, Zu Polybius 1,
Komiker: Cr., Das Porson'sche Ge-| 2, 7 p. 865. — W. Streit, Die
setz bei den Komikern p. 192. polybianische Beschreibung der
Konon d. Mathem. p. 104. Schlacht bei Zama p. 189.
Korinthos, jews p. 421. Porson: Cr., Das-Porson’sche Ge-
Korobios v. Itanos von P. Knapp| setz bei den Komikern p. 192.
p. 498. Praefectus fabrum: .H. C. Maus,
Kyraniden p. 371. Zur Frage der Ernennung des
Kyrene p. 498 ff. »municipàlen« praefectus fabrum
Lerna, Dionysosfest: p. 686. p. 768.
Lésbiaka von K. Tümpel p. 99. | Procop: J. Haury, Kritisches zu
Livius im Mittelalter p. 570; .4.; Procop p. 756.
“ ÆEufiner, Zu Livius (7, 33, 16)| Prometheus p. 1299.
p. 239; ders. Liv. 8, 1, 20 p. 275. | Pron in Argos p. 185.
Longos, Roman p. 115. Proteus p. 5028.
Löwe des Dionysos p. 212. Quintilian: M. Kiderlin, Zum XI.
Lucan und Valer. Flaccus p. 251. Buche des Quintilian p. 76.
Lucian: E. Bethe, Lucianea p. 629. | Sacra Argeorum, vgl. Studemund,
Lykurgossagen: p. 209 f. Alterthum.
Macer: R. Unger, Aemili Macri| Schiff des Dionysos p. 209, 213 f.
fragmentum unum p. 557. Sedulius, Nachahmer des Valer.
Makar p. 116 ff. 122 fi. Seneca: R. Opitz, Weiteres sur
Maleas, -eos, -eotes p. 207; 471. Kritik des Rhetor Seneca p. 67.
Mela im Mittelalter p. 572. — M. Petschenig, Zu Seneca p.
Meleos p. 207. 680. — Tachau, Die Arbeiten
Musen auf Lesbos p. 117. über die Tragödien des L. An-
Nape p. 115. naeus Seneca in den letzten Jahr-
Nomos p. 3. zehnten p. 340: I. Handschriften
Orakel p. 682. p. 341; Schriften die darauf Be-
Orientius: R. Ellis, Ad O. p. 465.| zügliches enthalten p. 847; II.
Orion: O. Immisch, Ad Orionem | Die Textgestaltung p. 348; über
Thebanum p. 167; Citate aus] Prosodie und Metrik p. 348; Aus-
Theognis bei Orion p. 549. gaben p. 860, 728; Beitrüge zur
Orphica, ihr Stil p, 193 ff. Emendation des Textes p. 733;
Orpheus: C. Wessely, Die Wiener) III. Sprachliches und Metrisches
Handschrift der orphischen Ar-| p. 750; Uebersetzungen p. 751.
gonautica p. 379, 573. Siebenzahl p. 113. 129.
Ovid und Valer. Flaccus p. 250. | Simonides: E. Hiller, Zu den Si-
Palaiphatos : H.Martini, Zu P. p.305. | monideischen Epigrammen p. 229.
Pan p. 4 ff. Sintier p. 481.
Pandemos, s. Aphrodite. Smintheus p. 1008.
Participien, stilistische Wirkung: | Sophocles : O. Immisch, Ad Sopho-
p. 698. Ä clis Epigonos p. 554. — J. Mähly,
Peisistratos p. 476. Zur vita S. p. 555. — A. Thimme,
Pelasger : Ed. Meyer, Die P. in| Zu Electr. v. 1415 p. 758.
Attika und auf Lemnos p. 466.| Sphinz p. 129.
Mürchenkunde 228. Flaccus p. 253.
P. auf Lesbos p. 128. Statius, Nachahmer des Valer.
Penthiliden p. 119 ff. Flaccus p. 251.
Pflanzen der Planeten p. 373 f. | Stephanos v. Byzanz: K. Tmpel,
Plinius p. 100. Tiryns bei Stephanos v. Byzanz
Plato: O. Crusius, zu Platons Sym-| und Eustathios p. 690. .
posion p. 628; P. Natorp, Platons | Stobaeus: Citate Theognis p. 544,